Ace Kaiser
17. August 3065
Angel´s Viewpoint, Position geheim
Mit interessierter Miene verfolgte Jara Fokker die Ausführungen von SternCaptain Frederic Wolf. Genauer gesagt verfolgten ihre Blicke den schlanken, geschmeidigen Krieger mit den Kerensky-Genen, während er ihrer Gruppe voran ging und hier und da erläuterte und erklärende Gesten hinzufügte. Der Mann war im wahrsten Sinne des Wortes ein Hybride. Aufgewachsen in einer Geschko, aufgezogen in einem Bruttank, also wahr geboren, aber ausgebildet und trainiert auf Arc Royal, war dieser Mann das Kind zweier Welten. Und mit seinen achtzehn Jahren hatte er bereits einen beachtlichen Aufstieg hinter sich, wenngleich er derzeit keinen Binär- oder Trinärstern Mechs anführte, sondern einen Schreibtisch lenkte. Genauer gesagt war der Mann Teil der vollkommen neuen Schnittstelle Public Relations, welche die Öffentlichkeitsarbeit der Wölfe im Exil durchführte.
Öffentlichkeitsarbeit für einen Clan, wie sich die Zeiten doch änderten.
Jedenfalls war der blonde Frederic jung, erfolgreich, verteufelt gut aussehend, zudem sehr charmant und was noch hinzukam, er war ein wahr geborener Clanner und hatte eine sehr lockere Einstellung zur Sexualität. Also alles das, was Onkel Germaine ihr verschrieben hatte.
Ihr klingelten immer noch die Ohren, als sie an den Rat des Majors dachte, den er ihr aus allernächster Nähe ins Ohr gebrüllt hatte, als sie bei einem intimen Kaffee zu zweit einige Chevaliers als potentielle Freunde abgekanzelt hatte: Mädchen, lass dich endlich bumsen!
Im Nachhinein konnte sie darüber lachen, aber in dem Moment, in genau dem Moment hatte es ihren väterlichen Mentor und Vorgesetzten mächtig von seinem Podest herunter gezerrt, genauer gesagt, er stand danach auf einer Stufe mit ihr.
Und sie hatte mit dem Gedanken gespielt… Nun, wirklich nur mit dem Gedanken gespielt und sich ehrlich gefragt, ob es nicht längst überfällig war und so weiter.
Aber sie hatte bei Germaine keinerlei Anzeichen, keine Bereitschaft für ein schnelles sexuelles Abenteuer gesehen und die Pläne sofort wieder ad acta gelegt.
Schade eigentlich, es hieß doch, auf alten Pferden lernte man reiten.
In dieser Hinsicht hatte sie vor, nach ihrer Rückkehr Miko etwas zu löchern.
„Die kosmische Strahlung in dieser Region ist dank der dünnen Atmosphäre des Planetoiden nur ein Drittel so groß wie im freien Raum, weshalb wir uns mit zwanzig Zentimeter dicken Stahlwänden begnügen konnten und dieser Einrichtung somit… Entschuldigen Sie, Sergeant-Major, langweile ich Sie?“
„Was? Ach nein, nein, SternCaptain, fahren Sie ruhig fort.“
„Erzählen Sie mir über die Legierung“, verlangte Lieutenant Wolf McHarrod von dem Clanner und erinnerte daran, dass er mit Jara nicht alleine war.
„Sofort, First Lieutenant Wolf McHarrod.“ Es folgte ein längerer Monolog über Legierungen, Form und Dichte, der von McHarrod immer wieder unterbrochen und mit Detailfragen in die Länge gezogen wurde.
Jara atmete frustriert aus und ging zu einem der Sichtfenster der großen Station, von dem aus sie nach draußen sehen konnte. Nach draußen, in ein menschenfeindliches, planetenloses Sonnensystem, in dem es nichts weiter gab als ein paar Bergbauminen, eine lächerliche kleine Patrouillenmannschaft und – dieses Trainingsgelände. Auf ihm wurden die jungen Krieger von Wolf im Exil im Niedrigschwerkraftkampf geschult und auf neuem Equipment trainiert.
Zur Zeit waren zwei Sterne anwesend. Fünf Mechs, zwei Panzer samt Besatzung und drei Strahlen Elementare. Es stand eine Übung an, Panzer und Elis gegen die Mechs, und Germaine hatte in seiner endlosen Weisheit beschlossen, dass diese Sache es wert war, ein paar seiner Chevaliers mitzuschicken und zu beobachten.
Da die Chevaliers ein Verbundwaffeneinheit waren, konnten seine Leute hier nur lernen, hatte der Major argumentiert.
Jara blies die Wangen auf. Wolf hatte den niedlichen kleinen SternCaptain immer noch in Beschlag. Das sollte es also gewesen sein? Zehn Tage zum Sprungpunkt, fünf Tage hierher, zwei Tage Übungen anschauen und dann zurück? Und alles was sie erwartete waren Clanner, Clanner, Clanner?
Die Zeit wäre beim Aufbau ihrer Lanze sicherlich besser verwendet gewesen.
Wenn nicht Germaine ihr unmissverständlich gesagt hätte, dass ihre nächste Beförderung zum Offizier sein würde und dass sie dafür einiges – sehr viel – tun musste.
Eine schlanke, blasse Hand reichte ihr einen Kaffeebecher, den sie dankbar entgegen nahm. Die Hand gehörte Sergeant Caprese. Sie war stellvertretend für die Infanterie der Chevaliers hier. Es war genau der richtige Job für eine junge Infanterie-Unteroffizierin, der Leistungstraining noch verboten war, weil sie noch nicht völlig von den Toten wiederauferstanden war.
Von Rechts wegen hätte sie in Leipzig sterben müssen, so sagte sie jedenfalls immer und betonte dabei, dass sie erstens nun zweimal im Jahr Geburtstag feiern würde und zweitens jeden neuen Tag wie ein wundervolles Geschenk betrachtete.
„Danke, Sarge“, brummte Jara und nahm den Becher entgegen.
„Keine Ursache. Die Vormittagsvorstellung war beeindruckend, oder?“
Jara zuckte die Achseln. Sie hatten dabei zugesehen, wie ein Strahl Elis trainiert hatte – draußen, an Panzerwracks. Ja, es war beeindruckend gewesen. Und es hatte ihr enormen Respekt vor den gepanzerten Riesen eingebläut. „Erinnern Sie mich daran, dass ich mir feindliche Elementare fortan auf Distanz halte, weit auf Distanz.“
„Ach was. Erinnern Sie sich nur rechtzeitig daran, ein Bombardement bei mir anzufordern“, bemerkte Sergeant Gray Gordon, Chef der Artillerielanze der Panzertruppe der Chevaliers.
„Ich werde es mir merken, Archer“, erwiderte Jara schmunzelnd. Sie nippte an dem Kaffee und stellte verwundert fest, dass er schmeckte. Sie hatte Spülwasser erwartet, kein Aroma.
Wolf McHarrod ließ sich gerade erklären, dass die Außenwände mit geschuppten Panzerplatten besetzt waren, die geschrägt aufgestellt worden waren – einerseits um Laserfeuer abzulenken, andererseits, um den Weg, den ein Projektil durchschlagen musste, künstlich zu verlängern.
Jara seufzte. „Wenigstens der Kaffee ist gut.“
„Sie klingen reichlich frustriert, Fokker“, stellte Gordon fest.
„Ich könnte in diesem Moment gerade meinen Dienst beenden, in etwas wirklich bequemes schlüpfen und die Jugend in Royal Port terrorisieren. Aber nein, was mache ich? Ich hänge auf einem Brocken Fels ohne Atmosphäre herum, beobachte Clanner beim spielen und darf noch nicht einmal mitmachen.“
„Dieses Schicksal teilen wir uns wohl alle, Fokker“, stellte Gray Gordon fest.
Einen Moment lang wollte Jara ihn zurechtweisen, auf ihren Rang hindeuten, aber dann beließ sie es bei einem: „Nennen Sie mich ruhig Jara, wenn mein Rang Ihnen zu schwer ist, Archer.“
„Ich wollte nicht… Ich meine, es sollte keine… Sagen Sie bitte Gray zu mir. Und entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Ihnen nicht auf die Zehen steigen.“
„Schon gut. Was steht heute Nachmittag an? Kriegen wir endlich die Mechs zu sehen?“
„Auber sichääär“, meldete sich das fünfte Mitglied der Beobachtungstruppe zu Wort. Nagy Isthvan kam mit leuchtenden Augen auf die Gruppe hinzu. „Ich haube mit dän Täächnikeern derr Wölfee gesprochen. Die Mechs wuerden geraude vorberreitet.“
„Dann wissen wir wenigstens, wo unser MeisterTech gesteckt hat“, bemerkte Caprese schmunzelnd. „Er hat den Wolf-Technikern über die Schulter gesehen und versucht, Ersatzteile zu schnorren.“
Jara und Gordon lachten pflichtbewusst. Selbst Isthvan lachte, auf seine ganz persönliche Art. Selbst sein Lachen schien diesen starken Akzent zu haben.
Lieutenant Wolf und der SternCaptain schlossen nun wieder zur Gruppe auf. „Die Anlage hat eine Grundfläche von zweitausend Quadratmeter. Sie erstreckt sich auf sechs gleich große Ebenen und eine siebte hier direkt unter der Kuppel. Die hat aber allerdings nur eintausendneunhundert Quadratmeter verfügbaren Platz. Die Anlage ist ausgelegt, um eine Schwadron Luft-Raumjäger zu warten und zu reparieren, zudem ist sie im Ernstfall Anlaufstelle für zwei Landungsschiffe der Overlord-Klasse zugleich. Wir können hier außerdem einen Trinärstern Mechs und Panzer jederzeit warten, unterhalten und versorgen. Geschützt wird die Anlage darüber hinaus vom zwei mobilen, selbststeuernden Schiffs-PPKs, acht leichten Gauss-Geschützen, zwanzig Zwanziger LSR-Werfer, für die dank des Beladungssystem etwa insgesamt dreihundert Runden bereit stehen, zwanzig schwere, zehn mittelschwere und zwanzig leichte Extremreichweitenlasertürme. Wir haben uns bemüht, aus der Vergangenheit zu lernen und die Abhängigkeit von Munition so klein wie möglich zu halten.
Vier Fusionskraftwerke versorgen die Anlage mit Energie und erlauben es uns im Notfall sogar, ein Sprungschiff aufzuladen. Theoretisch ist das möglich, aber es wurde bisher noch nicht probiert.
Diese Anlage dient für den Fall eines Angriffs auf den Arc Royal Defensiv-Kordon als geheime Anlaufstelle für einen Flankenangriff oder als Rückzugspunkt, um Streitkräfte wieder zu sammeln und neu zu formieren.
Eines der ausgeklügeltsten IFF-Systeme der Inneren Sphäre sorgt dafür, dass die Abwehrmaßnahmen automatisch arbeiten. Tatsächlich gibt es einen großen roten Knopf in der Hauptzentrale, um die Bewaffnung im Notfall komplett abzuschalten. Khan Phelan Kell pflegt immer zu sagen: Die letzte Entscheidung muß der Krieger haben, nicht die Maschine.“
Der SternCaptain lächelte gewinnend in die Runde. „Im Moment sind nur etwa dreihundert Wölfe im Exil hier stationiert, hauptsächlich Techniker. Im Ernstfall können es dreitausend werden. Das bedeutet natürlich, dass wir hier im Moment sehr viel Platz haben. Jeder von Ihnen kann also für die kommende Zeit Offiziersquartiere beanspruchen und alleine wohnen – wenn sie es wünschen.“
Jara spürte ein Kribbeln unter den Haaren, als der Wolf sie bei den letzten Worten wie zufällig ansah. Vielleicht wurde es doch noch ganz nett.
**
Der Nachmittag – er unterschied sich dadurch vom Rest des Tages, dass die Sonne bereits siebenmal auf- und wieder untergegangen war, nicht nur zweimal – brachte einiges an Aufregung, gleich nach dem langweiligsten Mittagessen, das Jara seit Jahren bekommen hatte. Den Wölfen schien es geschmeckt zu haben, aber die junge MechKriegerin sehnte sich nach der guten Küche von Leon zurück.
Nun standen sie hier, im Schiedsrichterbunker und sahen zur Attraktion des Tages herüber. Der bevorstehenden Schlacht Panzer und Elementare gegen Mechs.
Jara verglich die IFF-Angaben auf den Monitoren, auf denen auch die Typen der Panzer und der Mechs verzeichnet waren. Das würde für beide Seiten eine schwere Aufgabe werden. Sie persönlich spürte den dringenden Drang darauf zu wetten, dass der - wie nannten die Wölfe ihn – Nova mit seinen fünfundfünfzig Tonnen zuerst ausschied.
Oberster Schiedsrichter der Übung war SternCaptain Jerome, ein riesiger Elementare, der zusätzlich zu seiner Größe und dem massigen Körperbau auch noch laut hier geschrieen haben musste als Gott die mürrischen und verbissenen Gesichter ausgeteilt hatte.
„Lassen Sie beginnen, Techniker Rouan!“
Die Sirenen der Basis setzten ein, rund um das Übungsgelände begannen Warnleuchten zu blinken. Ab sofort war das Gelände freigegeben.
„Ich bin sehr gespannt“, sagte Wolf McHarrod und starrte auf das Hologramm, in dem die Übung abgespielt werden würde.
In diesem Moment heulten die Sirenen erneut auf, eine Erschütterung ging durch die Anlage.
Jerome warf dem Tech einen wütenden Blick zu. „Techniker Rouan. Ich dachte, du hast das Problem mit den Gausskanonen in den Griff bekommen. Du hast gerade zugelassen, dass fünfzehntausend C-Noten verschwendet werden!“
Der Angesprochene wurde rot. „I-ich bin absolut sicher, dass ich das Problem gefunden und behoben habe, SternCaptain Jerome!“
„Das ist das erste Mal, dass ich einen Clankrieger über Geld reden höre“, bemerkte Jara leise und amüsiert.
„Eine Änderung, die unser Leben in der Inneren Sphäre mit sich bringt, Sergeant Jara Fokker“, informierte sie SternCaptain Frederic ebenso leise. „Bei den Clans gab es kein Geld, es gab nur fluktuierenden Warenaustausch. Und wenn ein Krieger Munition verschießen wollte, so tat er es. Ich gebe zu, es hatte etwas von Verschwendung, die Nicholas Kerensky eigentlich verhindern wollte. Aber jetzt, mit Geld haben wir endlich einen Maßstab für die Verschwendung. Jerome ist in dem Punkt sehr stolz auf sich, er beherrscht sämtliche laufenden Kosten des Stützpunktes im Schlaf.
Khan Phelan Kell würde sagen, an ihm sei ein Buchhalter verloren gegangen.“
Jara kicherte leise, bis sie ein vorwurfsvoller Blick des SternCaptains traf.
Sofort straffte sie sich wieder.
„Warum wurde die Übung unterbrochen?“, blaffte Jerome gereizt. „Lassen Sie weitermachen.“
Erneut vibrierte der Boden und der SternCaptain sagte ungerührt: „Dreißigtausend C-Noten, Rouan.“
Dies war der Moment, in dem der Nova auf dem Hologrammtisch flackerte und verschwand. Jara sah irritiert nach draußen, aus eines der Druckfenster hinaus und erkannte die Ursache. Einen kollabierenden Reaktor.
„Was zum…“
Die Ryoken, die knapp davor ging, wurde gerade heftig durchgeschüttelt, als Dutzende Laserimpulse sie trafen.
Dann sah Jara einen Schemen über das Gelände huschen, verfolgt von den nun automatisch feuernden Raketen und Laserstellungen.
Jerome schaltete sofort. „Rufen Sie unsere Truppen wieder herein! Schnell! Und beseitigen Sie die Sperrschaltungen bei den Energiewaffen.“
Die Sperrschaltungen, genauer gesagt die künstliche Leistungsreduzierung machte aus den tödlichen Geschützen kurzfristig Übungswaffen. Diese sollten nun deaktiviert werden.
„Zentrale, hier ist SternCaptain Jerome aus dem Schiedsrichterbunker. Was ist los?“
Einer der findigeren Techniker spielte gerade mit den automatischen Kameras und produzierte gerade ein schönes Standbild des Schemens.
Jara japste auf, als sie den Umriss als angenagten, aber einsatzbereiten Sulla erkannte, einen der bevorzugten Jäger der Clans. Und deutlich sah sie den roten Wolfskopf auf der Maschine prangen. Es war aber nicht das Symbol von Clan Wolf im Exil.
„Wir werden angegriffen“, kam die lapidare Antwort zurück.
„Das sehe ich selbst!“, blaffte der SternCaptain zurück. „Wie viele sind es?“
„Wir haben zwei Overlords ausgemacht, die außerhalb unserer Geschützreichweite aufgesetzt haben. Wir rechnen mit drei bis sechs Trinärsternen. Dazu kommen zwei Sterne Jäger, Visigoths und Sullas. Sie bombardieren die Anlage.“
Draußen ging der dritte Mech in die Knie und explodierte dann von innen, einer der Panzer leistete ihm Gesellschaft, während zwischen ihnen und dem Bunker zwei Raketenbatterien vergingen.
Einen Moment wirkte Jerome konsterniert. „SternCaptain Frederic. Bitte bringen Sie unsere Gäste in den Schutzbunker. Ich werde mich der Sache hier annehmen.“
„Pos, SternCaptain Jerome. Kommen Sie, kommen Sie, meine Herrschaften Chevaliers. Wir gehen jetzt zurück zur Hauptanlage. Bitte beeilen Sie sich und behindern Sie unsere Techniker nicht.“
Jara folgte den anderen ohne zu zögern. Aber durch ihre Gedanken zuckte ein Entsetzen, das sich in Worte fassen ließ: Oh Gott, Clan Wolf greift gerade diese Anlage an!
**
Die fünf Chevaliers hetzten hinter dem SternCaptain durch die Gänge, sprangen zwei Treppen hinab und wurden unerbittlich angetrieben, bis sie endlich vor dem Kernbunker standen.
Ein Strahl Elementare stapfte gerade hervor, offensichtlich die Stützpunktwachen.
Zeitgleich meldete eine Lautsprecherstimme, dass es einem Ontos, dem Waldwolf und dem zweiten Ryoken die Rückkehr in die Sicherheit des Stützpunktes gelungen war.
Die Stimme fügte nicht ohne Stolz hinzu, dass die automatischen Abwehranlagen ein drittes Landungsschiff, ein Union, so schwer beschädigt hatten, dass es nicht gelandet war.
Die Zahl der angreifenden Jäger hatte sich von zehn auf sieben reduziert.
Wäre es bei dieser Art Angriff geblieben, dann hätte der unterbesetzte Stützpunkt sicherlich gewinnen können. Aber der nächste Angriff würde über Land erfolgen, ein Großteil der wirklich schweren Waffen würde dagegen nicht eingesetzt werden können. Und ihre eigenen Bodeneinheiten waren bereits stark dezimiert. Einem Angriff auf die Anlage würden sie nicht lange widerstehen können.
Als die Elementare das Tor passiert hatten, winkte Frederic die Chevaliers hinein. „StrahlCommander Joshua wird sich eurer annehmen“, versicherte der junge Offizier. Dann nickte er einem Techniker an den Kontrollen innerhalb des Bunkers zu. „Schließen Sie, Tomasz.“
Die breite Tresortür begann zuzuschwingen und in Jara reifte die Erkenntnis, dass Frederic draußen bleiben würde.
„SternCaptain, was…“
Der junge Mann lächelte sie spitzbübisch an und klopfte auf das Holster mit seiner Autopistole. „Ich bin ein Wolf-Krieger, Jara Fokker. Und ich tue das, wozu ich ausgebildet wurde.“
Die Tür schloss sich immer weiter. „Dann können wir doch auch…“
„Aber nein, Jara Fokker. Sie sind Gäste des Clans Wolf im Exil. Ihre Sicherheit zu gefährden käme mir nicht eine Sekunde in den Sinn. Bleiben sie alle im Bunker, bis die Kämpfe vorbei sind.“
Mit einem lauten Rumms schwang die schwere Metalltür vollends zu. Es klang wie ein Requiem und Jaras Hände begannen zu zittern. Verdammt, warum hatte sie auf Germaine gehört, als der ihr gesagt hatte, sie bräuchte ihren Puma auf dieser Mission nicht?
„Kommen Sie, Sergeant“, mahnte Lieutenant McHarrod scharf.
Sie nickte automatisch und trottete den anderen hinterher. Ein alter Elementare hatte nun die Führung übernommen, offensichtlich ein Solahma, der noch nicht genügend Anstand besessen hatte, um zu sterben. Jara konnte sich vorstellen, dass dieser kriegsverliebte Typ nur zu gerne mit Frederic getauscht hätte. Ihr wäre das sehr Recht gewesen.
Der massige Riese führte sie tiefer in den Bunker hinein. Ein zweiter Strahl Elementare bereitete hier eine Abwehrstellung vor, während Techniker und Zivilpersonal des Stützpunkts in Aufenthaltsräumen gesammelt wurde.
In einen der Aufenthaltsräume wurden sie geführt. Der Riese ließ sich dazu herab, ihnen ein paar Informationen zu geben. „Es sieht nicht gut aus. Dreißig Mechs aller Klassen sind in diesem Moment dabei, die Abwehranlagen zu überrennen. Unsere eigenen Mechs sind noch nicht wieder gefechtsbereit. Ich glaube auch nicht daran, dass sie es je wieder werden. Von den drei Strahlen Elementaren, die draußen im Einsatz waren, haben sich gut zwei retten können. Für den kommenden Kampf in der Anlage sind sie sicherlich vonnöten. Denn sobald unsere Abwehranlagen niedergekämpft sind, wird der zweite Overlord auf unserem Raumhafen landen. Wir rechnen in dem Fall mit zwei Binärsternen Elementaren minimal.“
Der große Mann ballte die Hände. Es klang, als würde altes Leder knirschen. „Irgendjemand da draußen hat unseren geliebten Clansbrüdern etwas zu viel über unsere Pläne erzählt.“
Mit anderen Worten, die Anlage war verraten worden, bevor sie auf volle Leistungsfähigkeit gebracht werden konnte.
„Wie sieht es mit Kapitulation aus?“, fragte Wolf McHarrod unverblümt. „Wird SternCaptain Jerome dies in einer aussichtslosen Situation tun?“
Der alte Elementare lachte gehässig. „Er ist zu alt, um noch einmal als Leibeigener neu beginnen zu wollen.
Bleiben Sie in diesem Raum, Chevaliers, bis die Kämpfe beendet sind. Jemand wird Sie holen kommen.“ Er sagte es nicht, aber es stand unausgesprochen im Raum. Jemand bedeutete in diesem Fall der Sieger dieses Konfliktes.
Eine bange Zeit des Wartens begann. Die Wolf im Exil-Techniker waren nervös, hatten aber anscheinend keine Angst um ihre Leben. Sie unterhielten sich gedämpft und leise und zuckten ebenso zusammen wie die Chevaliers, wenn wieder einmal eine Explosion die Anlage erschütterte.
Jara ertappte sich dabei, wie sie nervös mit den Füßen auf dem Boden trommelte. „Sollen wir… Sollen wir nicht besser Barrikaden errichten?“, fragte sie Wolf. „Wir haben alle außer MeisterTech Nagy Waffen dabei und…“
„Wenn Sie sich dadurch besser fühlen, dann errichten Sie Barrikaden, Jara“, sagte der ältere Krieger.
Die Mechkriegerin wollte aufspringen, ihren Gedanken in die Tat umsetzen, aber dann fiel ihr rechtzeitig ein, das keiner der Tische und Schränke im Raum auch nur den Hauch eines Schutzes gegen einen Laser geboten hätte.
Eindringlingsalarm gellte durch den Stützpunkt und läutete die nächste Runde ein. Jara ging ein Stich durchs Herz und masochistisch malte sie sich aus, dass Frederic in genau diesem Moment gestorben sein musste. Sie schalt sich selbst dafür eine Närrin, eine Doppelte, weil sie wirklich glaubte, sie und ihr Puma hätten gegen dreißig Wolfsclan-Omnis einen Unterschied bewirkt.
Es verging eine lange Zeit, die McHarrod dadurch unterbrach, indem er aufstand, in die Messe ging und mit Kaffee für alle wiederkam. Danach befahl er, die Waffen zu reinigen, welche die Chevaliers bei sich trugen. Er inspizierte jede einzelne nachdrücklich und tadelte Jara sichtlich für den schlechten Zustand ihrer Laserpistole und den mangelnden Ladestand des Akkus.
Der Alarm wurde abgeschaltet, und innerhalb des Bunkers breitete sich Nervosität aus. Die Wolfs-Techs wurden nervös. Nervös wie Grasfresser, die einen großen Karnivoren witterten.
Wolf McHarrod erhob sich seufzend. Sein Blick ging in die Runde, verweilte sehr lange bei Nagy Isthvan und ruhte anschließend lange auf Jara. „Sergeant Fokker, ich befördere Sie hiermit, ermächtigt durch mein Offizierspatent, zum Second Lieutenant. Sie erhalten das Kommando über die hier anwesenden Chevaliers und einen eindeutigen Befehl. Bringen Sie alle gesund nach Hause.“
„Was? Sir, was soll das bedeuten? Ich…“
„Haben Sie verstanden, Lieutenant Fokker?“
„Ja, Sir, aber…“
„Halten Sie die Klappe und den Kopf unten. Germaine wird nicht müde Sie zu loben. Wenn Sie auch nur einen Teil der Fähigkeiten haben, die er Ihnen andichtet, dann sollten Sie wissen, wann Sie den Kopf zwischen die Beine ziehen sollten.“
Wolf McHarrod erhob sich, als die ersten dumpfen Schläge erklangen. Er nahm seine Handwaffe auf, eine klobige Automatik-Pistole und entsicherte sie. Dann sah er wieder zu Nagy herüber. Der nickte, ergriff Jaras Laserpistole, kümmerte sich nicht um ihren Protest und trat mit Wolf zur Tür an den Gang.
„Sir!“, rief Jara in höchster Not.
Wolf lächelte als Erklärung. „Machen Sie mich stolz, Jara. Isthvan und ich sind eben einfach zu alt, um noch einmal als Leibeigener neu anzufangen.“
Als ein besonders heftiger Schlag durch die Wände ging, traten die beiden Männer auf den Gang hinaus.
Jara wollte aufspringen, ihnen hinterher laufen, aber Gray Gordon war schneller. Er hatte sich erhoben und schon einen Schritt weit gekommen, als die MechKriegerin ihn von hinten erwischte und zu Fall brachte.
„Nein, Gray, nein!“
„Verdammt, lassen Sie mich los, Jara! Die beiden wollen da draußen sterben und…“
„Greta, helfen Sie mir!“
Die kräftige Infanteristin sprang hinzu und nagelte den Artilleristen am Boden fest.“
„VERDAMMT!“, blaffte der Mann seinen Zorn hinaus. „VERDAMMT, JARA!“
„Was denken Sie wie ich mich fühle, hä? Was denken Sie, was ich am liebsten tun würde, Gray? Oh ja, ich würde auch gerne da raus gehen und die zwei von dieser Dummheit abhalten oder mit ihnen sterben wollen! Aber leider hat mir Wolf die Verantwortung für Sie beide übergeben. Und der Befehl lautet, Sie sicher nach hause zu bringen! Also machen Sie es mir nicht so schwer!“ Flehentlich fügte sie hinzu: „Bitte, Gray!“
„Verdammt“, fluchte der Mann noch einmal unbeherrscht. „Verdammt, verdammt, verdammt.“
Seine Abwehrbemühungen ließen nach und erloschen ganz. „Ich schulde Danton und Scharnhorst was. Und ich muß helfen die Lücke auszufüllen, die Doc hinterlassen hat. Sie haben Recht.“
Langsam nahmen die beiden Frauen den Druck von dem muskulösen Sergeant. Er schoss nicht wie eine Rakete, versucht nicht zu entkommen. Er drehte sich um und setzte sich auf. Ernst musterte er die beiden Frauen. „Außerdem traue ich Ihnen beiden eine Menge zu.“
Hinter ihnen klang vereinzelt Kampflärm auf, bellten Schüsse und zischten Laser, aber es war nicht von Bedeutung. Niemand schrie in Todesangst und niemand weinte. So gesehen geschah die Eroberung des Bunkers in Lautlosigkeit, nur unterbrochen von gelegentlichen Geräuschen des Schreckens.
„Sie wissen, was jetzt kommt“, sagte Gray Gordon leise. „Wenn Clan Wolf hier reinkommt, dann sind unsere Chancen, als neutrale Beobachter nicht angerührt zu werden gleich null. Man wird uns als Leibeigene nehmen, zusammen mit den Technikern des Stützpunktes. Wenigstens werden sie uns nicht sofort erschießen, sonst hätten sie den Stützpunkt auch bombardieren können.“ Gordon lächelte schief. „Wir werden aufgeteilt werden, in verschiedene Abteilungen kommen. Man wird uns mit der Clandoktrin martern, höllisch martern. Falls man uns nicht zuvor verhört.“
„Die Chevaliers werden…“, begann Greta Caprese.
„Natürlich werden sie das. Mit Nachdruck und gründlich. Aber gewöhnen Sie sich an den Gedanken, dass wir die anderen eine lange Zeit nicht sehen werden. Vielleicht für Jahre. Immerhin gibt es diesen Stützpunkt offiziell gar nicht, sind hier keine Wolf im Exil-Truppen stationiert und können demnach auch keine Chevaliers ein Manöver beobachten. Kann man gegen etwas protestieren, was gar nicht stattgefunden hat?“
„Also verlassen wir uns nicht auf die anderen. Wir müssen definitiv in Kontakt bleiben, auch wenn man uns trennt. Wir müssen uns jeden Tag aufs Neue als Chevaliers definieren“, sagte Jara streng und wunderte sich über die Härte ihrer Worte.
Sie musterte die beiden. „Ich denke, ich hätte mir keine stabileren Kameraden für diese ungewollte Situation aussuchen können.“
Sie nickten einander erfreut und amüsiert zu und blieben am Boden sitzen. Sie harrten der Dinge, die da kommen würden.
**
Nachdem die automatische Abwehranlage niedergekämpft war, kam der Einsatzbefehl für die Elementare. Die genetisch verbesserten Giganten in ihren fast unbesiegbaren Rüstungen überschwemmten den Stützpunkt mit ihrer puren Zahl. Und machten Bekanntschaft mit zwei Faktoren, die ihnen neu waren: Erfahrung und Verbissenheit.
Jorge führte einen Strahl Elementare in die Schlacht, einen Haufen frisch aus der Geschko. Für die meisten war dies der erste reale Kampf, aber der Wolf hatte schon öfter gekämpft und wusste, worauf es bei seinen Leuten ankommen würde.
Er ließ ihnen gar nicht erst die lange Leine, sondern kaute jedem einzelnen vor, was er zu tun hatte. Zudem gehörten sie nicht zur Sturmspitze.
Innerhalb der Wellentaktik nahmen sie eine Position im hinteren Drittel ein.
Die vorderen Truppen verbissen sich in die Verteidigung des Gegners, banden ihn und ließen die folgenden Trupps nachrücken, bis diese auf Widerstand trafen, und so weiter, bis die Streitmacht den internen Bunker erreichten.
Nachdem die Anmarschroute gesichert war, führten die Wölfe Techniker herbei, die das Schloss der Tresortür knacken sollten. Eine wesentlich effektivere Methode, als das Ding aufzusprengen. Vermutlich dauerte es auch nicht so lange.
Nachdenklich betrachtete Jorge die Monitorwerte seines Strahls. Natürlich, die Frischlinge hatten einen Blutdruck, als wollten sie damit die Rüstungen sprengen. Dementsprechend hastig ging der Puls. Amüsiert dachte der Krieger daran, was wohl mit ihnen passierte, wenn auch noch Kugeln und Laserblitze um ihre Ohren zischten.
Mehrere heftige Schläge gingen durch den Stahl der Tür, bis sich das gigantische Stahlgebilde endlich aufschwang. Die vorderste Truppe wurde von mehreren Laserimpulsen erfasst, eine Rüstung ging zu Boden. Das Feuer wurde erwidert, der Gegner in die Seitengänge getrieben und festgenagelt. Nun war es an Jorge und seinen Leuten, an der Spitze zu gehen.
Er setzte sich an die Spitze und betrat als erster aus dem Strahl den Bunker.
Die Anzeigen identifizierten schnell die Existenz von großen Wärmequellen in der Nähe.
In den entsprechenden Räumen hatten sich die Techniker versammelt. Endlich.
Jorge öffnete den Lautsprecher seiner Rüstung und sah in die Runde. „Im Namen von Clan Wolf nehmen wir euch alle als Isorla. Frapos?“
„Seyla“, intonierten die älteren Techs, während die jüngeren betrübt zu Boden starrten.
Jorge war überrascht. Waren die Wölfe im Exil etwa mehr Clan, als man hinter vorgehaltener Hand bei den Wölfen über sie sagte?
Er überließ die Sicherung und den Abmarsch der Techniker einem nachfolgenden Strahl mit noch grüneren Leuten und setzte sich wieder an die Spitze. Nicht schnell genug um zu verhindern, dass einer seiner Elementare, Fresnia, automatisch auf Laserbeschuss reagierte und ihrerseits einen Energiestoß aus dem Armlaser abgab.
„Fresnia!“, blaffte Jorge und stürzte hinzu. In dem Seitengang, in dessen Eingang sie stand, ging ein menschlicher Torso als Fackel zu Boden. Da krachte ein Schuss. Und noch einer. Wieder einer.
Die junge Frau rührte sich nicht, während sie in den Gang starrte. Ob nun auf den Toten oder auf den älteren Krieger, der wieder und wieder mit seiner Pistole auf das V-förmige Visier ihrer Elementare-Rüstung schoss konnte Jorge nicht sagen. Aber er erkannte sehr wohl, wie das Material nachgab, Stücke heraus brachen und das überraschte, teils entsetzte Gesicht der Frau, nein, des Mädchens zum Vorschein kam. Jorge reagierte automatisch, huschte in den Gang und fing die nächste Kugel mit seiner unbeschädigten Panzerung an. Mehr aus einem Reflex heraus sauste die mächtige Kralle der rechten Hand vor und grub sich tief in die Eingeweide des Mannes.
Der ließ die Autopistole fallen, umklammerte den Arm des Elementare.
Er spuckte Blut und grinste schief.
„Denke… sollte reichen…“, murmelte er, spuckte noch mehr Blut und fiel schlaff auf den Arm.
„Danke“, glaubte Jorge zu hören, bevor die Zuckungen des Mannes erloschen.
„Du hast bis zum Schluss wie ein ganzer Krieger gekämpft“, sagte Jorge ernst, beinahe feierlich. „Du hast den Mut eines Wolfes.“ Vorsichtig bewegte er den schlaffen Leib zu Boden und zog die Klaue hervor. Teile des Brustkorbs und des Bauches waren aufgerissen und zu einem blutigen Brei zerquetscht worden. Aber der Mann lächelte.
Langsam richtete sich Jorge wieder auf. „Fresnia. Ich gratuliere zu deinem ersten Abschuss.“
Hinter ihm machte die Elementarin einen Laut, der alles bedeuten konnte. Zorn, Ablehnung, Erleichterung, der Beginn sich zu übergeben.
„Das erste Mal ist nie leicht“, fügte er hinzu. Nach dem Kampf würde er vor einer schweren Entscheidung stehen. Konnte er Fresnia diese Starre durchgehen lassen oder war sie nicht fähig, ein Wolfskrieger zu sein?
„Danke, StrahlCommander.“ Ihre Stimme klang zittrig und schwach, aber anscheinend war sie noch da. Irgendwie.
Jorge beschloss, alle Belange dieser Entscheidung aufzuschieben und brach die Tür auf, welche die beiden Männer beschützt hatten.
Er sah zwei Frauen und einen großen, breitschultrigen Mann auf dem Boden sitzen.
Die linke trug einen sehr militärischen Kurzhaarschnitt, und ihre eigenen Schultern verrieten, in welche Ecke er sie einzuordnen hatte. Die in der Mitte hatte langes, goldenes Haar, allerdings waren die Schläfen ausrasiert, was die Definition ihrer Aufgaben ebenfalls einengte.
Sie trugen keine Wolf-Uniformen, sondern blaugrüne Interimsanzüge mit dem Emblem einer kecken braunen Cartoonmaus, die eine blaue Schärpe, einen braunen, breitkrempigen Hut trug und einen schmalen Degen schwang.
„Ihr seid kein Personal von Wolf im Exil“, stellte Jorge fest.
Die Blonde starrte unverwandt auf den linken Arm des Elementares, von dem immer noch das Blut des Kriegers tropfte, den er getötet hatte.
„DU!“, brüllte sie, sprang auf die Beine. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie schaffte tatsächlich einen Schritt auf ihn zu, bevor ihre Kameraden sie zu Fall brachten.
„Nein, Lieutenant!“, rief die andere Frau in höchster Not. „Vergiss deine Befehle nicht!“
„Jara, bitte!“
„Lasst mich! Er hat… Er hat…“ Ihr enttäuschter und markerschütternder Schrei lockte die anderen Elementare in den Raum. Unschlüssig hoben sie ihre Waffen und richteten sie auf die drei. „Wartet.“
Jorge löste den Helm seiner Rüstung, nahm ihn ab. Darunter, das wusste er, kam ein für einen Elementare etwas zu schmales Gesicht zum Vorschein, umrahmt von sehr kurz geschnittenen schwarzem Haar, hohen Wangenknochen, die ihm etwas von einem Raubvogel gaben, mit eingebetteten braunen Augen, schmalen Lippen, einer etwas zu kleinen, herab gezogenen Nase, gut akzentuiert mit dunkelbrauner Haut und einem sorgsam gepflegten und gestutzten ebenfalls schwarzem Kinn- und Schnauzbart.
Er ging in die Hocke und machte den Größenunterschied zwischen ihnen relativ.
„Im Namen von Clan Wolf nehme ich euch als Isorla. Frapos?“
Die drei wechselten betretene Blicke. „Pos.“
Ironheart
Brannström Manor
Harlech, Outreach, Chaosmarken
28. August 3065
Denny Dukic war – wie er sich selber eingestehen musste – merkwürdigerweise nervös. Es war nicht die Tatsache, dass ihn sein neuer Auftraggeber Varldherre Brannstöm auf seine Residenz einbestellt hatte. Dort war Denny im Verlauf der letzten Wochen häufiger gewesen. Doch etwas anderes bereitete dem Mechkrieger viel größeres Magengrimmen. Der rapide Verfall des Körpers dieses Mannes mit dem starken Geist und der nicht minder starken Ausstrahlung erschütterte ihn zutiefst. Dukic ahnte, dass der Varldherre ernsthaft erkrankt war, auch wenn sie ihm weder die Wahrheit noch die Diagnose nannten. Und auch wenn er diesen Mann im Grunde erst seit sehr kurzer Zeit kannte, hatte dieser eine ähnlich väterliche Stellung in seinem Leben eingenommen wie Georgatos „Georgie“ Andreapoupoulos, sein Kompagnon des Hells & Heaven. Den Varldherre in so kurzer Zeit so sehr abbauen zu sehen, ging Denny sehr nahe, näher als ihm lieb war.
Die Nachricht, dass sich die gesundheitliche Situation seines Arbeitgebers verschlechtert hatte und er Denny noch einmal sehen wollte, beunruhigte ihn daher.
Und als er begeleitet von einer Krankenpflegerin in das Krankenzimmer geleitet wurde, erfüllten sich seine Befürchtungen. Varldherre Egil Brannström lag verkabelt an ein paar medizinische Geräte und umgeben von seinen Privatärzten und Pflegern in einem wie es schien viel zu großem Bett. Sein Gesichtsausdruck konnte nur als ausgemergelt beschrieben werden und Denny entfuhr bei diesem Anblick ein leiser Fluch.
Der Varldherre liess sich nicht anmerken, dass er Dennys Gefühlsausbruch wahrgenommen hätte und seine Augen funkelten erfreut, als er den Mechkrieger sah.
„Mr. Dukic, schön dass sie sich frei machen konnten.“ Die Stimme des ehemaligen Herren von Diosd war leise und brüchig, doch Denny war froh, dass wenigstens seine Augen noch über Klarheit verfügten. Wie es schien war der Varldherre noch bei klarstem Verstand. Sie unterhielten sich ein wenig über den Stand der Vorbereitungen der Mission und über die Stimmung innerhalb der Einsatzgruppe, deren Namen Brannström selbst ausgesucht hatte. Operation Clear View war in vollem Gange und würde bald aufbrechen, die Versorgungsgüter waren bereits eingeschifft und in zwei Tagen würden sie endgültig aufbrechen. Eigentlich gab es nichts, was der Varldherre nicht von der Einsatzleiterin Overste-Löjtnant Grönaker oder den anderen Teileinheitsleitern hätte auch erfahren können. Daher war Denny klar, dass diese Gesprächseinführung nur die Ouvertüre zu etwas anderem war. Und als hätte der Varldherre Dennys Gedanken gelesen, wechselte er abrupt das Thema.
„Wissen Sie, warum ich James gebeten habe, sie auf alle Fälle für diese Mission zu gewinnen?“
Denny schüttelte den Kopf.
„Sie sind ein Mann, der weiss, wann es die richtige Zeit ist zu kämpfen und wann es Zeit ist, mit seinem Gegner zu verhandeln. Das können nicht viele. Ich habe großartige Krieger gesehen, die offenen Auges ins Verderben gerannt sind, da sie zu stolz und zu unfähig waren, eine drohende Niederlage vorzeitig zu erkennen. Und ich habe einige sogenannte Führer gekannt, die ihr Volk und ihre Truppen im Stich gelassen haben, weil sie sich nicht getraut haben zu kämpfen und ein Risiko einzugehen. Diese beiden Fähigkeiten im Einklang zu halten ist eine äußerst schwere Balance, mit der nicht jeder unbedingt umgehen kann.“
„Und wieso kommen sie darauf, dass ich das könnte?“
Der Varldherre lächelte. „Ihr letzter Einsatz, Mr. Dukic! Nehmen wir zum Beispiel ihr Zusammentreffen mit Carters Crusaders: Sie haben eine deutliche Übermacht nur durch die Macht der Worte aufgehalten. Dann der erste Kontakt mit James und Jimmi: Wieder konnten sie jemanden Wildfremden davon überzeugen, mit Ihnen zusammenarbeiten, statt stur und blind gegen sie zu kämpfen. Und dann ihr Kampf gegen Word of Blake, wo sie instinktiv wussten, dass Worte nicht mehr helfen würden. Ich habe die Gefechts-ROM gesehen.“ Der Varldherre hustete etwas, dann lächelte er milde.
„Und sie glauben, dass mir das gegen die Wölfe helfen wird?“
„Unterschätzen sie ihre Gabe nicht, Mr. Dukic. Und wer sagt Ihnen, dass sie ihre Verhandlungskünste bei den Wölfen brauchen? Ich meinte eigentlich viel eher meine Enkelin…“ Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, ehe ein starker Hustenanfall ihn durchschüttelte und den Ernst wieder in sein Gesicht zurückbrachte.
„Ich werde bald sterben, Denny!“ Der Varldherre war jetzt sehr ernst. Nicht nur, dass er ihn zum allerersten Mal mit dem Vornamen ansprach, er nahm den Mechkrieger auch bei der Hand. „Ich spüre, das es zu Ende geht. Aber ich MUSS wissen, dass die Brannströms den Widerstand auf Diosd aufrechterhalten werden, verstehst Du? Ich MUSS wissen, das meine Enkel meine Nachfolge antreten werden, und das schon sehr bald.“
Er liess Dennys Hand los, weil er heftig husten musste. Dann hatte er sich gefangen und fuhr fort. „Du denkst, dass die Tatsache, dass Du die kleinste Einheit ins Feld führst, dich auch am unwichtigsten macht, nicht wahr?“
Denny nickte. „Naja, dass und die Tatsache, dass ich im Rang deutlich unter den anderen Teileinheitsführern stehe.“
„Ganz zu schweigen vom Range meiner beiden Enkel, die du zurückholen sollst. Immerhin ist Helena eine Adlige und dazu ebenfalls Overste-Löjtnant, Per ist immerhin Major. Selbst Overste-Löjtnant Grönaker dürfte Schwierigkeiten haben, den beiden Befehle zu geben, ganz zu schweigen von einem Söldner-First Lieutenant und simplen Lanzenführer, nicht wahr?“
Denny nickte erneut. „Ja, Varldherre, das macht mir schon die ganze Zeit über Sorgen.“
„Daher habe ich ein paar Vorkehrungen getroffen.“ Der Varldherre hob die Hand und sein persönlicher Sekretär, der sich während des gesamten Gesprächs in einer Ecke des Zimmers befunden hatte, näherte sich daraufhin dem Krankenbett. „Zum einen, habe ich eine persönliche Nachricht an meine Enkel verfasst, sie ist sowohl schriftlich mit meinem Siegel als auch als Holodisk in diesem Koffer enthalten.“ Der Sekretär hob den Koffer an, öffnete ihn und hielt ihm Denny hin. Dadurch konnte Denny sehen, dass der Koffer deutlich mehr enthielt, als die Nachrichten.
Als er ein paar der anderen Dinge erkannte, die in dem Koffer waren, runzelte er die Stirn. „Für wen ist die Uniform?“
„Na für dich, Denny. Das dazugehörige Offizierspatent der Armee der Republik Rasalhaag findest du ebenfalls in den Unterlagen.“
Denny war vollkommen irritiert, doch irgendein Reflex veranlasste ihn dazu, die leichte Uniformjacke herauszuholen. Doch als er den Kragen sah, schüttelte er den Kopf. „Oh, das ist die falsche, diese Rangabzeichen sind für einen Overste bestimmt.“
Brannström lächelte süffisant. „Nun, dann wäre die Rangfrage doch wohl eindeutig geklärt, oder?“
Denny riß die Augen weit auf „Aber, aber…“ stammelte er vor sich hin. Vom First Lieutenant zum Oberst in nur einigen Augenblicken, dass konnte nicht sein Ernst sein. „Aber ich verfüge nur über eine Lanze! Und was wird aus denen? Und was ist mit Grönaker und Silibonic und Avellar und den anderen?“
„Es bleibt bei deiner Lanze, offiziell werdet ihr für die Dauer dieses Auftrages dem Militär Rasalhaags als eine Spezialeinheit eingegliedert. Dein Rang dürfte indes Garantie genug sein, dass weder Grönaker noch Silibonic den Zugriff auf deine Leute vornehmen können. Overste-Löjtnant Grönaker behält den operativen Oberbefehl über die Einsatzgruppe Clear View, die Missionsziele bleiben ebenfalls unverändert, aber anders als die offizielle Kommunikation sind die ersten beiden Missionsziele, der Nachschub und der Angriff auf die Munitionsfabrik in Wahrheit die beiden Sekundärziele. Das Primärziel ist deine Aufgabe. Sollte irgendjemand sich diesem Primärziel in den Weg stellen, hast du das Recht und die Pflicht deinen neuen Rang und die übrigen Privilegien einzusetzen.“
„Die übrigen Privilegien?“
Wieder lächelte Brannström milde. „Da ich die Sturheit meiner Enkel kenne, werden sie trotz deines offiziellen Ranges Einwände haben. Daher verleihe ich dir hiermit den Titel eines Riksridders, womit du offiziell ebenfalls zum Rasalhaagschen Adel gehörst, wenn auch nur des niedrigen Adels. Aber dieser Adelstitel verleiht dir gleichzeitig das Recht, das Amt des Vize-Than von Diosd anzunehmen, womit du für diese Zeit mein Stellvertreter bist.“
Denny blickte den Varldherre von Diosd mit weit aufgerissenen Augen an. „Aber, was wird der bisherige Vize-Than dazu sagen?“
„Nun, der Koffer enthält auch die Absetzungsurkunde des bisherigen Vize-Than. Du solltest es ihr aber schonend beibringen.“ Bei diesen Worten grinste Brannstöm schelmisch.
„Wem?“
„Na, natürlich meiner Enkelin Helena, die du abholen wirst und die ich von ihrem bisherigen Amt als Vize-Than enthebe.“ Denny setzte zu einem Protest an, doch der Varldherre ließ in gar nicht erst zu Wort kommen. “Keine Sorge, wenn sie meine persönliche Botschaft gesehen hat, wird sie verstehen. Dir ist ja sicher klar, dass dieser Posten des Vize-Than eben nur solange gilt, solange du diesen Auftrag ausführst. Er erlischt, falls eure Mission scheitern sollte und du nicht mit Helena und Per zurückkommst. Aber wenigstens wird sie keinerlei Möglichkeiten mehr haben, jedweden Rang oder Position als Argument gegen dich ins Feld zu führen. Aber denk dir ja nicht, dass es dadurch einfach werden wird. Ich kann dir nur die Voraussetzungen schaffen. Die letztendliche Überzeugungsarbeit musst du immer noch selbst tun. Und noch eines“ Brannström machte eine kleine Pause „der Posten des Vize-Than ist nur vorübergehend, doch der Titel eines Riksridders und die Position des Obersten der Rasalhaager Streitkräfte wird dir erhalten bleiben, falls du den Auftrag erfüllen kannst und falls du diese Titel behalten möchtest.“
Es entstand eine kleine Pause und Denny wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Gedanken schwirrten umher und ihm war ganz schwindelig von all diesen Entwicklungen. Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber mit Sicherheit nicht mit all diesem. Was sollte er jetzt sagen, wie sollte er reagieren? Natürlich war das ein lukratives und schmeichelhaftes Angebot, aber wollte sich Denny mit diesem Titel du Rang tatsächlich an Rasalhaag binden? Und selbst wenn er auf dem Papier ein Oberst sein würde, er wusste es selbst am besten, dass er mitnichten in der Lage wäre ein gesamtes Regiment zu leiten, nicht mal ein Battalion traute er sich nach seinen letzten Erfahrungen mit der Wilden Acht auf Ambergrist und mit den Dantons Chevaliers auf Bryant zu.
„Varldherre, es ist mir eine Ehre und wie ich bereits schon einmal sagte, Sie können sich auf mich verlassen. Ob ich die Titel und den Rang nach diesem Einsatz behalten will, kann und werde ich Ihnen allerdings nicht versprechen.“
Ein kurzes Flackern erschien in den Augen des Varldherre, so dass Denny seine Aussage für den Bruchteil einer Sekunde bereute. Doch dieser nickte schliesslich und nahm wieder Dennys Hand und legte sich seufzend in seinem Krankenbett zurück. „Sehr weise, Denny, sehr weise. Ich weiss, dass Du und die anderen es schaffen werdet.“
Dann schlief der Varldherre ein und Denny beschlich das ungute Gefühl, dass er den alternden Herren von Diosd das letzte Mal gesehen hatte. Die Frage war nur, ob es Brannström war, der bald sterben musste…
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Provisorische Kaserne der Einsatzgruppe Clear View
Harlech, Outreach, Chaosmarken
28. August 3065
Auf seinem Rückweg von der Residenz des Varldherre zum Hell´s and Heaven, wo er noch seine letzten persönlichen Dinge und vor allen Dingen seinen Proviant abholen wollte, machte Denny noch einen Abstecher zur Kaserne der Einsatzgruppe Clean View. Die 1ste Diosd-Brigade, die Ramsau Renegades und der ASFC waren zusammen mit den Borers Unit in einer angemieteten Kaserne direkt an einem der Ausläufer des Raumhafens von Outreach untergebracht. Denny beobachtete gedankenversunken den gewaltigen Raumhafen vom Rücksitz des City-Taxis aus, mit dem er sich den gewaltigen Ladungsschiffen der Einsatzgruppe näherte.
Er war so in Gedanken versunken, dass er weder einen Blick für die gewaltigen Ausmaße der Landungsschiffe hatte noch die Hektik und Verwirrung der Wachmannschaften der 1sten Diosd Brigade wahrnahm. Einer der Wachposten runzelte die Stirn, als er Denny sah und wandte sich per Funkgerät an irgendjemanden in der provisorischen Kaserne. Nachdem er eine Antwort erhalten hatte, gab er Anweisungen an den Fahrer des City-Taxis, die Denny nicht mitbekam.
Erst als Sie vor dem Verwaltungshauptgebäude gehalten hatten, merkte Denny, dass er nicht dort war, wo er eigentlich hingewollt hatte.
Auf seine Frage an den Fahrer antworte dieser mit einem knappen Zeichen auf einen Korpral, der in dem Augenblick aus der Tür trat. Denny stieg aus und noch bevor er fragen konnte bat ihn der Korpral ihm zu folgen. Denny nickte knapp und folgte dem Korpral, der ihn schnurstracks zu Överste-Löjtnant Grönakers Büro führte. Als Denny in den Raum eintrat, erwarte ihn die Einsatzleiterin der Operation Clear View bereits.
„Was soll dieser Aufzug? Wollen sie auf einen Maskenball?“ fuhr sie ihn grußlos an.
Denny runzelte erst die Stirn und dann folgte er dem Blick der Infanteristin auf seine neue Uniform und vor allem auf die Rangabzeichen eines Oberst, die er am Hemdkragen trug. Doch bevor er antworten konnte, fuhr Grönaker fort.
„Korpral, nehmen sie diesen Mann wegen Amts- und Ranganmassung in Gewahrsam!“ Der Korpral, der Denny in das Gebäude begleitet hatte, nahm neben ihm Stellung, doch Denny stoppte ihn mit einem energischen Fingerzeig. Iritiert hielt der Infanterist inne, so dass Denny sich wieder zu Grönaker umwandte.
„Överste-Löjtnant, das sollten Sie lieber nicht tun.“
„Ach ja? Und warum nicht?“
„Weil ich ungerne SIE in Gewahrsam nehmen lassen würde.“
„Sie wollen WAS? HA…!“ Grönaker lacht laut auf, doch ein Zug der Verunsicherung war nun in ihr Gesicht getreten. „Mit welchen Befugnissen meinen Sie das tun zu dürfen?“
Dukic hob kommentarlos den kleinen Aktenkoffer auf Grönakers Tisch, öffnete ihn und drehte ihn zu Grönaker herum. Gerade als sie stutzend die Dokumente in die Hand nahm, traten Kapten Silibonic und Chairman Avellar ein. Die beiden kamen gerade noch Recht um zu sehen, wie Grönaker mit offen stehendem Mund auf ihren Bürostuhl plumpste und entgeistert die Dokumente betrachtete.
Silibonic blickte von Grönaker zu Dukic und ihm entfuhr ein „Ist denn jetzt Fasching?“ Avellar schien nur belustigt zu sein, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich elegant an die Wand. Man sah dem Luftraumpiloten deutlich an, dass er beschlossen hatte diesem bizarren Schauspiel nur amüsiert zuzusehen.
Dukic wollte gerade zu einer Antwort an Silibonic ansetzen, da reichte Grönaker dem Kopf der Ramsau Renegades eines der Dokumente. Dieser las ein paar Zeilen und diesmal entfuhr ihm ein „Heilige Mutter Maria und Josef… Das kann doch nicht sein Ernst sein.“
„Offensichtlich doch“ gab Dukic trocken zurück.
„Niemals, nur über meine Leiche“ gab Grönaker trotzig zurück. „Das kann nicht stimmen. Die Siegel sehen für Fälschungen äußerst gut aus aus, aber mich können sie nicht reinlegen, hören sie!!! Korpral, verhaften sie endlich diesen Mann.“
Doch der Korpral zögerte, die Uniform eines Oberst schien ihm irgendwie nicht geheuer zu sein. „Sir… ähm Löjtnant… ähm Överste… sind sie nun einer, oder nicht?“ Dukic lächelte, konnte er die Verwirrung des Soldaten doch verstehen. Wenn er tatsächlich einen Oberst inhaftieren würde, würde er wohl erheblichen Ärger bekommen. Doch wenn er es nicht tat und das ganze nur ein übler Scherz war, bekam er ebenfalls Ärger.
Dukic lächelte freundlich, obwohl ihn die Reaktionen von Grönaker und Silibonic schon wurmten. Sie zeigten deutlich, was Sie von ihm hielten. Doch er konnte es Ihnen nicht wirklich übelnehmen, da er es ja selbst kaum glauben konnte. Doch wenn er sein Gesicht nicht verlieren wollte, musste er jetzt hart bleiben, sonst wäre er in Ihren Augen tatsächlich nichts weiter als ein Faschingsprinz in Oberstuniform. „Warum rufen Sie den Varldherre nicht einfach an?“ fragte er stattdessen an Grönaker gewandt.
„Darauf können Sie Gift nehmen!“ Grönaker hob den Hörer ihres Vidphones um sich mit dem Varldherre verbinden zu lassen. Während sie noch telefonierte, trat Major Mary-Jane Higgins, die Kommandantin Landungsschiffflotte in den Raum und lächelte Dukic für einen Augenblick an. In den letzten Wochen hatte sich eine Art Freundschaft zwischen Denny und der Kommandantin der Landungsschiffflotte entwickelt und jetzt würde sie sich sicher auf seine Seite stellen, damit die Lage nicht eskalieren würde. Doch Denny hatte sich gründlich getäuscht. Ihr Blick fiel auf seine Uniform und ein erstes Lächeln gefror in Ihrem Gesicht. Dann, als sie sich umgesehen hatte, wandelte sich ihr Gesichtsausdruck und offenbarte einen wütenden Blick. „Was soll das denn?“
Jetzt wurde es Denny aber zu bunt. Vielleicht war es seine latente Unsicherheit oder aber die Enttäuschung über Higgins Reaktion. Jedenfalls brach es jetzt aus ihm heraus. „Herrgott noch mal. Ich bin auf Geheiß von Varldherre Egil Brannström zum Oberst der Rasalhaagischen Streitkräfte und zum Vize-Than von Diosd ernannt worden. Und wenn Ihnen das nicht passt, nehme ich das zur Kenntnis und werde Ihre förmlichen Beschwerden über den Dienstweg weitergeben. Bis dahin schlage ich vor, dass wir uns setzen und die neue Lage erörtern.“
Silibonic, Higgins und Avellar drehten ihre Köpfe Grönaker zu, die in diesem Moment den Hörer krachend auf die Gabel schlug. Sie holte zweimal tief Luft und presste ein „Er hat Recht!“ heraus. „Setzen Sie sich doch bitte, Överste Dukic, wir sind schon sehr gespannt auf ihre Befehle.“
Der sarkastische Ton war zwar nicht zu überhören, doch Denny setzte sich trotzdem und erläuterte den Vieren, was ihm Varldherre Brannström aufgetragen hatte.
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Nachdem er mit den übrigen kommandierenden Offizieren der Einsatzgruppe Clear View gesprochen hatte, ging Denny zu dem Mech Hangar der Borers Unit um Lowcomb und Boum zu suchen.
„Was soll denn diese Maskerade? Was ist denn das für ein Aufzug?“ empfang ihn ein äußerst verdutzter Lowcomb.
„Fängst du jetzt auch noch an?“
„Na, man wird doch noch mal fragen dürfen“ grinste Lowcomb zurück, der zusammen mit Jimmi Boum in verdreckten Mech-Overalls vor ihm stand.
Denny erzählte Lowcomb und Boum die ganze Geschichte, die ihn verblüfft betrachteten. Als er geendet hatte, wechselten die beiden einen verdutzten Seitenblick und brachen dann in schallendes Gelächter aus. „Tut… tut mir leid, Denny. Aber das kommt jetzt verflucht überraschend.“
„Denkt ihr, für mich nicht, oder was?“ gab Denny mürrisch zurück und wechselte dann das Thema. „Und wie macht sich der Neue?“
Lowcomb riss sich, immer noch leicht kichernd zusammen. „Naja, erst war ich ja skeptisch, aber jetzt muß ich sagen, dass Du wohl Recht gehabt hast, er hat definitiv was auf dem Kasten. Aber trotzdem, ich meine, musste es denn unbedingt…?“ Lowcomb hörte auf zu sprechen, ihm schien nicht klar zu sein, ob er weiter reden sollte.
„Musste es denn unbedingt… was?“
„Na, musste es denn unbedingt eine… eine Schlange sein?“
Denny blickte finster drein, bevor er antwortete. „Sergeant Lowcomb, wenn Sie damit ein Problem haben, sagen Sie es jetzt und gerade heraus.“
„Denny, was soll das, du musst nicht gleich förmlich werden, nur weil ich…“
„Doch das muss ich, Sergeant! Wir haben abgestimmt, dass ich in militärischen Dingen die absolute Autorität bin in unserer gemeinsamen Arbeit. Wenn Du damit ein Problem hast, sollten wir das lieber hier klären, als auf dem Schlachtfeld, oder?“
„Ja, SIR“ gab Lowcomb zurück, aber es schwang definitiv ein ironischer Tonfall in seiner Antwort mit.
Dann wandte er sich zu Jimmi Boum um. „Was ist mit Ihnen, Sergeant? Lassen sie sich von einem Drakonier Befehle geben?“
Jimmi Boum zuckte nur leicht mit den Schultern. „Ich habe kein Problem mit ihm, auch wenn er wirklich einen ziemlich abgewrackten Eindruck gemacht hat. Aber solange er sich benimmt und sein Katana in der Scheide lässt, werd ich kein Problem mit ihm haben.“
Jetzt musste Denny wieder grinsen, da es ihn an den Abend erinnerte, als er vor knapp einem Monat ihren neuen vierten Mann rekrutiert hatte. Zufällig und über Umwege hatte Denny erfahren, dass sich Hidetoshi Tokunaga auf Outreach befand und derzeit keinen Kontrakt hatte. Tokunaga war der MechPilot gewesen, mit dem sich Denny an jenem schicksalshaften Tag – als auf Solaris die „Bloody Games“ im Jahre 3062 ausgebrochen waren – hätte duellieren sollen. Es war nie zu jenem Duell gekommen, aber Denny hatte Tokunaga als Mann von Ehre gekannt und seine Erfolge auf Solaris sprachen ohnehin für sich. So jemanden in seine Einheit zu bekommen, war eine enorme Chance. Denny erinnerte sich noch genau daran, dass er sich gefragt hatte, warum Tokunaga nicht schon längst wieder im Dienst stand. Doch als er ihn schliesslich in einem abgetrenten Separee einer runtergekommenen Drac-Kaschemme gefunden hatte, wusste er warum. Von dem einstmal so stolzen Samurai und MechKrieger war offensichtlich nicht viel geblieben, schlief Tokunaga doch einen Sake-Rausch aus. Und das schon seit mehreren Wochen, wie ihm der Wirt der Kneipe versicherte. Das konnte man dem unrasierten und ungekämmten Samurai auch ansehen.
Dennys erster Gedanke war es gewesen, sich umzudrehen und sofort wieder zu gehen. Doch dann hatte er an sich selbst denken müssen. Hatte er nicht selbst Schwierigkeiten mit dem Rekog und dem Alkohol gehabt. Und war er nach der Sache auf Ambergrist nicht ebenfalls nahe der Selbstaufgabe gewesen? Es war primär seine Neugier gewesen, die ihn dazu veranlasste, den Wirt um einen Eimer Wasser zu bitten und diesen dann dem Betrunkenen ins Gesicht zu kippen. Prustend und brüllend war dieser auf die Beine gekommen und hatte sich zunächst torkelnd auf Denny gestürzt.
Denny hatte ihn mit einer schwungvollen Bewegung über die Schulter geworfen. Etwas, das noch deutlicher zeigte, in welch jämmerlichen Verfassung Tokunaga war, da Denny nun wirklich nicht zu den ausgewiesenen Nahkampfexperten zählte. Doch kaum war Tokunaga wieder auf den Beinen gewesen, hatte er in einer flüssigen Bewegung, die nur durch jahrzehntelange Übung möglich war, sein Schwert gezogen und nur Zentimeter vor Dennys Hals gestoppt.
„Nenn mir nur einen guten Grund, warum ich dir nicht den Kopf von den Schultern schlagen sollte“ hatte der Drakonier gezischt.
„Weil ich dir dann eine Kugel ins Herz jagen werde“ hatte Denny trocken zurückgegeben und langsam den Blick gesenkt.
Tokunaga war seinem Blick gefolgt und blickte nun in die massige Mündung der Sternenacht, die Denny ebenfalls so blitzschnell gezückt hatte, dass es Tokunaga nicht bemerkt hatte.
„Gestatten, dass ich mich vorstelle, Tokunaga-san. Mein Name ist Zdenek Dukic und ich bin hier um Ihnen einen Job anzubieten.“
„Zdenek … Wer?“
„Deadly Denny Dukic“ hatte Denny scheinbar gelassen geantwortet, doch in Wahrheit hatte er sich nicht besonders wohl dabei gefühlt, ein scharfes Katana an seinem Hals zu spüren. Ein falsches Zucken von Tokunaga und er hätte ihn erschiessen müssen. Ob er dann noch über einen Kopf verfügte hätte, wäre die andere Frage gewesen.
Denny hatte gut erkennen können, wie es in Tokunagas vernebeltem Gehirn arbeitete, dann hatte dieser sein Schwert langsam gesenkt, so wie es Denny mit seine Waffe gemacht hatte. Er hatte sich an Denny erinnern können und hatte sich sein Angebot angehört und schliesslich zugesagt.
Tokunaga war nach den Ereignissen von 3062 zu einem Ronin geworden, hatte als Söldner gearbeitet und war dann doch abgestürzt. Denny wusste bis heute nicht, was Tokunaga genau so tief hatte fallen lassen. Aber er wusste auch, wie schwierig es war, über solch traumatische Ereignisse zu reden. Tokunaga würde, wenn er weit genug war, schon eines Tages erzählen, was ihn so tief heruntergezogen hatte. Aber im Augenblick beliess es Denny dabei, ihn in seiner Einheit zu haben.
Und der Samurai hatte ihn nicht enttäuscht. Er hatte emsig und hart gearbeitet in den letzten Wochen und er und sein Daimyo waren eine Bereicherung für die Borers Unit.
Denny wandte sich wieder an seine beiden Kameraden, nachdem ihm auffiel, dass diese ihn fragend anschauten ob seines kleinen gedanklichen Abschweifens.
„Gut, Männer, jetzt da wir das geklärt haben, würde ich vorschlagen, dass Ihr Euch wieder an die Arbeit macht. Wir haben noch viel zu tun.“
„Kriegen wir auch neue Uniformen und Ränge, häh?“ fragte Lowcomb wieder grinsend. „Also ich denke ein Kapten wäre für mich durchaus ausreichend. Muss ja nicht gleich Major sein…“
„Witzbold…“
Doch bevor Denny antworten konnte, hüstelte hinter ihm eine weibliche Stimme. „Ähem, Överste?“
Denny drehte sich um und schaute in die bildhübschen hellblauen Augen einer blonden Löjtnant der Rasalhaager Armee. Die Uniform passte wie angegossen und offenbarte einen zugleich durchtrainierten als auch mehr als weiblichen Körper.
„Överste Dukic! Löjtnant Annelie Iderstöm meldet sich zum Dienst. Ich bin Ihnen als Adjutantin zugewiesen worden.“
„Als WAS?“ fragte Denny verblüfft, doch Löjtnant Iderström zuckte mit keinem Muskel.
„Als Adjutantin, Sir. Ich bin Ihnen von Varldherre Brannström zugewiesen worden.“
Jetzt fiel Dennys Kinn auf seine Brust und im Hintergrund hörte er nur noch Lowcomb ein „Verdammte Günstlingswirtschaft“ flüstern.
Ace Kaiser
29. August 3065
Arc Royal,
Büro von Daniel Allard, Oberst
Allard seufzte schwer, als seine Sekretärin seinen unangemeldeten Besucher ankündigte.
Wortlos machte er eine kurze Notiz, das er auf diese Angelegenheit – pietätlos oder nicht – doch mit Morgan hätte wetten sollen.
„Lassen Sie den Major eintreten“, verkündete der Anführer der Kell Hounds der Vorzimmerdame.
Kurz darauf stand der Mann im Raum. Atemlos, leicht verschwitzt, und pumpend als hätte er einen Marathonlauf hinter sich. „Oberst Allard, ich…“
„Setzen Sie sich, Major Danton.“ Daniel Allard legte eine Menge Autorität in seine Stimme, soviel wie ihm seine langen Jahre an der Front eingebracht hatten. Sanfter fügte er hinzu: „Bitte.“
Der Major nahm Platz, nein, genauer gesagt warf er sich in den bereitstehenden Sessel. „Also“, begann er geradeheraus, „wann schlagen wir zurück? Und falls das nicht möglich ist, wann kann ich losschlagen?“
Vom Wortschwall des Majors unberührt ging der Oberst an seine Bar, füllte zwei Gläser reichlich mit Gin und kehrte damit zum Major zurück. „Ich weiß, Sie kämpfen jeden Tag aufs neue mit Ihrem Alkoholmissbrauch, Herr Major.“
„Stimmt, ich habe es Ihnen erzählt.“
„Aber in den kommenden Stunden brauchen wir alle einen kühlen Kopf. Also trinken Sie.“
Allard mochte keinen Gin, aber dieser Schnaps war auch nicht dazu gedacht, ihn oder seinen Gast zu verwöhnen. Er sollte das Blut verdünnen und eine gewisse Schwere verursachen. Dann konnten sie anfangen zu reden.
Die Lage war reichlich vertrackt. Major Danton hatte auf Einladung von Khan Phelan Kell fünf seiner Leute ausgeschickt, um einem Manöver beizuwohnen.
Außerhalb des Sonnensystems, in einer geheimen Anlage.
Nun war das Sprungschiff, welches seine Soldaten wieder mitbringen sollte, vor der Zeit zurückgekehrt, ohne Landungsschiffe und bereits dabei, Energie für einen neuen Sprung zu laden. Zurück, ins Desaster. Der Kommandant des Sprungschiffs aber hatte einen sehr ausführlichen Bericht abgegeben, und das hatte niemanden wirklich erfreut. Weder die Wölfe im Exil, noch die Kell Hounds, noch die Chevaliers.
Und genau deswegen saß der Major hier, dampfend und bebend.
„Mein lieber Germaine“, begann Daniel und hoffte, dass die persönliche Anrede besänftigend wirken würde, „Sie kennen das Los der Soldaten.“
„Das Los der Soldaten und aller, die im Krieg leben“, knurrte der Major und griff nach dem Gin. „Nur der Zufall ist beständig.“
„Nein, ich meinte das andere Los.“
„Wer durch das Schwert lebt, kommt dadurch um?“
Allard runzelte die Stirn. „Gibt es tatsächlich mehrere Maximen? Ich dachte eher an: Führe deine Befehle aus, und wenn du keine Befehle hast, überlebe.“
„Ach, die.“ Danton zuckte die Achseln.
„Jedenfalls habe ich den Bericht schon durchgearbeitet und Sie sicherlich auch, sonst wären Sie nicht hier, Germaine.“
„Sonst wäre ich nicht hier, um mit Ihnen über ein wenig Aktivität zu reden.“
Die beiden Männer taxierten sich stumm.
„Sir, saKhan Marco Hall ist nun da.“
„Lassen Sie ihn bitte eintreten.“
Erstaunt erhob sich Major Danton.
Der saKhan der Wölfe im Exil, genauer gesagt der Juniordirektor, an dem traditionell die Arbeit hängen blieb, wie sich Phelan gerne auszudrücken pflegte, trat ein, jeder Zoll ein ClanKrieger. Dennoch war sein Händedruck zwar hart, aber nicht unnachgiebig.
„Ich habe die Unterlagen gerade studiert“, brachte er das Gespräch sofort auf den Punkt, „und augenblicklich mit meinem Khan konferiert. Er wird so schnell er kann zurückkehren. Aber er hat mich in dieser Angelegenheit autorisiert, mit seiner Stimme zu sprechen.“
Er wandte sich direkt Major Danton zu.
„Major Germaine… Danton.“ Der Familienname kam ihm nur sehr zögerlich über die Lippen. „Mein Khan lässt Ihnen ausrichten, dass er den Vorfall aufs nachdrücklichste bedauert. Das Manöver war dazu gedacht gewesen, die Zusammenarbeit zwischen Ihren Söldnern, den Kell Hounds und unserem Clan auszubauen. Niemand konnte ahnen, dass es so endet.“
Die drei nahmen Platz und Allard bot dem Wolf ebenfalls Alkohol an, was dieser jedoch ablehnte.
„Mein Khan bedauert den Verlust Ihrer fünf Leute, Major Germaine Danton. Aber er gibt zu bedenken, das mein Clan fast dreihundert verloren hat.“
Die Hände des Majors krampften. „Wird das hier eine Kosten-Nutzen-Rechnung, Marco Hall?“, fragte er gepresst.
Der Wolf raunte wütend auf. „Natürlich nicht. So etwas ist nicht Clansgemäß. Sie haben zwei Leute verloren, die anderen drei wurden verschleppt. Zugleich haben wir dreiundfünfzig Tote zu bedauern, da drunter zwei SternCaptain. Der Rest, fast zweihundertsechzig Soldaten und Techniker, wurde ebenfalls verschleppt. Es ist ein schwerer Schlag für uns. Noch weit mehr als für Sie, Major Germaine Danton.“
„Okay, ich habe es gefressen. Aber die Frage ist doch, was tun wir jetzt? Gibt es Aufzeichnungen? Hat Ihr Geheimdienst Vermutungen, wer die Angreifer waren? In welche Richtung soll ich aufbrechen? Reden Sie mit mir, verdammt noch mal! Reden Sie mit mir!“
„Major, wir befinden uns in einer sehr prekären Situation. Der Stützpunkt war geheim. Genauer gesagt sollte er uns als Ausweichquartier dienen, im Falle einer groß angelegten Invasion. Von diesem vorgezogenen Stützpunkt sollte es uns möglich sein, bis zu zwei Sprünge weit tief im Clanraum zu operieren. Sobald der Stützpunkt auf voller Leistungsfähigkeit ist. Zumindest sein sollte.“
„Was genau wollen Sie mir damit sagen, Oberst?“ Wütend stürzte der Major den Inhalt seines Glases die Kehle hinab. „Der Stützpunkt war geheim, also ist der Angriff niemals erfolgt? Was für eine Bullenscheiße tischen Sie mir hier auf?“
„Nun, natürlich ist kein Angriff erfolgt, weil es keinen Stützpunkt gegeben hat“, sagte Marco Hall laut und nachdrücklich. „Aber das hindert uns nicht daran, dennoch nach unseren Leuten zu suchen.“
„Na endlich einer, der mit seinen Eiern redet!“, knurrte der Major und nickte dem Clanner erfreut zu.
„Er ist jetzt da, Oberst.“
„Gut, er soll reinkommen.“
Die Tür öffnete sich und ließ einen großen, bärtigen Mann eintreten. Auch ohne den rechten Arm, den er beim tödlichen Attentat auf Melissa Steiner verloren hatte, war seine pure Erscheinung Magie, seine Präsenz raum füllend.
„Mylord!“, sagte Major Danton und sprang auf. „Was den Vorfall angeht…“
Erstaunt stellte Allard fest, dass der Mann von Ehrfurcht nicht die geringste Spur zeigte, anders als kurz nach der Ankunft der Chevaliers, als er und Morgan Kell den Mann in die Zange genommen hatten, um ihn besser einschätzen zu können.
„Ruhig, mein lieber Germaine. Genau deswegen bin ich hier.“
Der Mann nahm Platz und sah in die Runde. „Es sind alle da, die es angeht. Angel´s Viewpoint wurde also verraten, Marco Hall?“
Der Clanner verzog kurz die Mundwinkel. „Das ist die wahrscheinlichste Erklärung, Mylord.“
„Vermutlich durch die vermaledeiten Kontakte zu Clan Wolf“, sagte Morgan nachdenklich und massierte sich die Schläfen. „Einen Erkundungsversuch eines anderen Clans oder einer Einheit der Inneren Sphäre wäre aufgefallen. Nur ein Insider kann einen Sprung so erfolgen lassen, dass Angel´s Viewpoint die Neutrino-Emissionen des Sprungs nicht erfasst.
Der Bericht enthielt einige Passagen der Überwachungskameras, die nicht oder nur teilweise gelöscht worden sind. Haben Sie sich damit vertraut gemacht, meine Herren?“
Die drei Männer nickten.
„Germaine, es tut mir Leid. Aber Ihr First Lieutenant Wolf McHarrod und Ihr MeisterTech Nagy Isthvan sind in diesem Kampf gefallen. Die Sergeants Fokker, Gordon und Caprese hingegen sind in Leibeigenschaft gegangen. Oder bezweifelt noch jemand, das wir es in diesem Fall mit Clan Wolf zu tun haben?“
Keiner antwortete dem legendären Anführer der Hounds.
„Marco Hall, der Verlust so vieler hervorragender Offiziere und Techniker ist ein großer Aderlass für Clan Wolf im Exil. Wenn der Arc Royal Defensiv-Kordon etwas für den Clan tun kann, lassen Sie es mich wissen.“
„Mylord. Sie tun bereits mehr als genug für uns. Mehr zu verlangen wäre undankbar.“
„Ich habe diese Antwort erwartet“, schmunzelte der alte Mann.
Er sah wieder in die Runde und fragte: „Also, was tun wir?“
„Ich schnappe mir meine Chevaliers, und dann jage ich den Bastarden hinterher. Und wenn ich sie habe, dann hole ich meine Leute da raus und so viele von Ihren Leuten, wie meine Schiffe fassen können!“ Wütend hieb der Major auf die Lehnen seines Sessels.
„Nein, das werden Sie nicht, mein lieber Germaine“, sagte Daniel Allard ernst. „Sie stehen noch immer unter Kontrakt beim ARDC. Sie jetzt aufbrechen zu lassen wäre eine Art Akt der Piraterie zuzulassen. Verstehen Sie das?“
„Ich weiß nicht, wie die Kell Hounds das halten, oder Clan Wolf im Exil“, zischte der Major gefährlich leise, „aber ich musste neulich für eine verdeckte Operation einen Teil meiner Leute aufgeben. Obwohl es nur simuliert war, hat es wehgetan, fürchterlich wehgetan. Und beinahe hätte ich meine ganze Einheit zerstört, nur um diesen wenigen zu helfen. Ich kann nicht anders. Es sind schon zu viele gestorben, weil ich nicht nachdrücklich genug war.“
„Wenn Sie wollen, geben wir Ihnen und Ihrer Einheit vierundzwanzig Stunden Vorsprung, bevor wir den Kontraktbruch melden“, bot Morgan Kell an.
Die Hände des Majors knirschten, als er sie ballte. „Vierundzwanzig Stunden reichen mir.“
„Oder“, ließ sich Marco Hall vernehmen, „im Einverständnis mit dem Arc Royal Defensiv Kordon nehmen Sie einen Unterkontrakt an. Für Ihre ganze Einheit, denn ich glaube nicht, dass Sie mit weniger als einem Trinärstern weit genug kommen werden.“
„Unterkontrakt?“
Marco Hall sah zu Daniel Allard herüber. „Wir diskutieren seit einiger Zeit eine gewisse Möglichkeit, Major Germaine Danton. Im Gebiet des Clan Wolf gibt es viele Planeten mit Widerstandszellen. Bisher haben wir sie nicht beachtet, aber es hat sich erwiesen, dass der Wolf stiller hält, je aktiver diese Zellen sind. Natürlich kann und wird Wolf im Exil diese feige und unmilitärische Methode der Kriegsführung weder gutheißen noch unterstützen. Auch wenn sie uns letztendlich zugute kommt und Kräfte freimacht, die sich dann den Jadefalken zuwenden können.“
„Das wäre eine Möglichkeit“, stellte Daniel Allard fest. „Morgan?“
„Hm. Sie haben eine Pionierabteilung, nicht wahr, Germaine? Dazu hat sich Ihre Truppe gerade um einige Rüstungen erweitert. Stealth-Versionen. Und Sie bauen gerade eine eigene Truppe für Spionageabwehr auf. Darüber hinaus haben Sie Erfahrung darin, Widerstandsgruppen zu zerschlagen. Also sollten Sie auch wissen, wie man das verhindert.“
Morgan Kell stand auf. „Das ist eine Idee. Ich will ehrlich mit Ihnen sein, Major Danton“, fiel Kell ins Förmliche. „Unser Garnisonsdienst hier sollte für Sie vor allem eine Belohnung sein. Der Koordinator bat mich um diesen Gefallen und ich habe zugestimmt. Praktisch aber kann der ARDC Sie und Ihre Truppe jederzeit entbehren.“
„Was uns zur militärischen Seite bringt. Wie lange brauchen Sie, um Ihre Truppe effektiv abmarschbereit zu kriegen?“
„Für einen effektiven, gut geordneten Abmarsch drei Tage, Oberst.“
„Gut. Wir werden einen Unterkontrakt mit Ihnen schließen. Dieser wird besagen, dass Ihre Einheit auf… einigen Welten im Clan Wolf-Raum Widerstandsgruppen trainiert oder ausrüstet oder gründet. Sagen wir auf drei bis acht Welten. Während Sie unterwegs sind versuchen wir herauszubekommen, wer uns da angegriffen hat und wohin er unterwegs ist. Wie stark er ist, wie er aufgebaut ist. Das Übliche halt. Damit Sie ihm hinterher können.“
„Clan Wolf im Exil hat kein Interesse daran, ehrlose Saboteure und Renegaten zu unterstützen. Aber wir würden gerne unsere Techniker zurückhaben. Ich werde die Sache mit meinem Khan besprechen. Wenn Sie einen neutralen Beobachter akzeptieren würden, Major Germaine Danton, wäre das hilfreich.“
„Also ist es beschlossen“, sagte Morgan Kell. „Daniel, lass einen entsprechenden Kontrakt aufsetzen.“
„Ich fasse zusammen. Sie geben mir drei bis acht Welten auf Clan Wolf-Seite plus einige Kontakte sowie Material, um dortige Guerilla-Einheiten auszurüsten, zu trainieren oder sogar erst zu gründen. Zugleich versorgen Sie mich mit Informationen über die Truppe, die Angel´s Viewpoint angegriffen hat und wohin sie unterwegs ist. Solange wir also den Wolf-Raum nicht verlassen haben wir Narrenfreiheit.“
„Nicht ganz, Major Germaine Danton.“ SaKhan Marco Hall sah ihn ernst an. „Da Sie sich auf Wolfsgebiet wagen, bitte ich Sie, Zelbrigen einzuhalten. Sie kommen von unserer neuen Heimatwelt, diese Operation ist im höchsten Maße dezgra und ich will den Kreuzrittern in unserem Clan nicht mehr Material in die Hand geben als unbedingt nötig.“
„Zelbrigen.“ Major Danton knirschte mit den Zähnen. „Mir fällt gerade ein, dass meine Omnis und meine Elementare-Rüstungen nicht gerade die beste Ersatzteillage haben.“
„Lassen Sie Ihre Techs eine Liste aufsetzen. Clan Wolf im Exil kümmert sich darum.“
„Dann ist es tatsächlich abgemacht.“
Danton erhob sich, gab allen Anwesenden die Hand. „Ich befehle sofort den Aufbruch. In drei Tagen fliegen wir ab. Stellen Sie mir ein Sprungschiff zur Verfügung und bis zum Abflug wüsste ich gerne, mit wem wir es zu tun haben.“
„Das versprechen wir Ihnen, Germaine“, sagte Morgan Kell ernst.
Damit gab sich der Kommandeur der Chevaliers zufrieden. Er nickte noch einmal in die Runde und verließ das Büro.
„Es scheint“, begann Morgan Kell, „das unser Rächer viel Wert auf seine Leute legt. Vielleicht wird ja doch noch ein gute Kommandeur aus ihm.“
**
Germaines Eintreten in den Stabsbereich der Kaserne quittierte Juliette Harris mit einem nervösen Räuspern. Wie die anderen Führungsoffiziere wusste sie Bescheid, aber die Nachricht war aus Sicherheitsgründen und dem Mangel an Informationen bisher noch nicht weiter gegeben worden.
Germaine sah sich im Raum um, seine Stabschefin im Range eines Captains erst einmal ignorierend. Dann nickte er in Richtung einer Technikerin, deren Arm in einer medizinischen Schlinge ruhte. „Kannst du auf sie verzichten?“
Juliette folgte dem Blick ihres Chefs und nickte schließlich. „Es wird schwer. Sie hat sich hier sehr gut eingearbeitet, aber der Bruch ist fast verheilt. Noch zehn Tage aufbauendes Muskeltraining und der Molosser hätte sie für vollen Dienst freigegeben. Aber eigentlich hatte ich vor, sie zu fragen, ob sie sich nicht permanent versetzen lassen würde.
Aber ich hätte es besser wissen sollen. Alle MechKrieger, die du mir schickst, entpuppen sich als Ass bei der Kommunikation – und dann holst du sie mir wieder weg.“
„Tut mir Leid. Hast nen Wunsch dafür frei.“
Die attraktive Frau legte einen Moment den Kopf schräg. „Wie wäre es mit stirb nicht? Oder noch besser, brich nicht so viele Herzen.“
„Ich nehme stirb nicht. Mit der anderen Sache kenne ich mich sowieso nicht aus, wie du weißt.“
Die Stabschefin seufzte zur Antwort.
Germaine Danton schmunzelte dünn, dann ging er zu der asiatischen Tech herüber. „Katana. Ich reaktiviere Sie.“
Die junge Draconierin sah erschrocken auf. „Sir?“
Für einen Moment dachte Germaine zurück. An Bryant. An einen schneebedeckten Kasernenhof. An acht junge Soldaten, die von den Männern mit den eiskalten Blicken im Dienst des Schatuns von einem Lastwagen herunter getrieben wurden. Wie sich ihre Blicke das erste Mal getroffen hatten. Der Moment, als Germaine acht Leben gegen einen MechLaser eingetauscht hatte.
Während der anstrengenden Flucht vom Planeten hatte Haruko Yamada sich sehr gut geschlagen, wenngleich sie ihren Mech zu Schanden geritten hatte. Den Armbruch, der sie aus dem aktiven Dienst herausgerissen hatte, war durch einen der üblichen, banalen Unfälle zustande gekommen, bei dem ihr größter Feind, Sergeant Zufall, die Regie geführt hatte. Etwas zuviel Schwung in Schwerelosigkeit, ein falscher Aufprallwinkel, eine scharfe Kante…
„Sie sind ab sofort wieder Mitglied der MechKompanie. Melden Sie sich sofort bei Doktor Malossi, damit er feststellt, wie hart wir Sie für die Ausbildung auf dem Puma ran nehmen dürfen.“
„Puma? Aber das ist Sergeant Major Fokkers Mech.“
„Es wird einige Änderungen geben. Diese sind temporär. Das hoffe ich zumindest. Und jetzt auf, Corporal Yamada!“
Die letzten Worte hatte der Major laut ausgesprochen, sehr laut, und die Draconierin reagierte automatisch. „Jawohl, Sir!“
Juliette und Germaine sahen ihr nach.
„Also, motiviert ist sie ja.“
„Stimmt. Und du nimmst sie mir wieder weg. Darf ich auch mal was behalten, Germaine?“
„Nur wenn ich nicht ausdrücklich sage, dass du es zur Verwahrung bekommst. Kriege ich einen Kaffee?“
**
Zwei Stunden später befahl Master Sergeant Metellus die Chevaliers geschlossen zum Appell und Manfred Scharnhorst stellte sie ins Hab Acht.
Mittlerweile waren schon die ersten Befehle gegeben worden, das schwere Gerät war bereits für die Verstauung vorgesehen und in der Truppe gingen die wildesten Gerüchte um.
Als die Truppen im Stillgestanden vor ihm warteten, beschloss Germaine ihnen reinen Wein einzuschenken.
„Lassen Sie rühren, Captain Scharnhorst.“
Vor ihm rummste es, als fünfhundert Paar Stiefel auf den harten Kasernenboden getrieben wurden.
„Chevaliers. Am siebzehnten dieses Monats wurde eine Basis des Clan Wolf im Exil überfallen. Diese Basis, deren Position geheim ist, trägt den Codenamen Angel´s Viewpoint. Wichtig für uns in diesem Zusammenhang ist, dass fünf Chevaliers als Beobachter für ein Manöver anwesend waren.
Um es kurz zu machen, First Lieutenant Wolf McHarrod und MeisterTech Nagy Isthvan sind während dieses Angriffs in Ausübung ihrer Pflicht gefallen.“
Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge. Ungläubige Gesichter wechselten verstörte Blicke miteinander.
Germaine wartete, bis sich seine Leute wieder beruhigt hatten. Dann fuhr er fort.
„Sergeant Major Jara Fokker, Sergeant Greta Caprese und Sergeant Gray Gordon wurden im Laufe dieser Kampfhandlungen entführt.“
Diesmal war das raunen lauter und hielt länger an. Germaine erkannte bestürzte Gesichter bei den MechKriegern, bei den Kommandos und bei seinen Höllenhunden. Ach, es ging durch alle Reihen.
„Wir nehmen an, dass eine Einheit von Clan Wolf hinter diesem Angriff steht. Im Büro von Oberst Allard wurde offen über Verrat gesprochen.
Wichtig dabei ist vor allem eines: Unsere entführten Leute leben noch und wurden als Leibeigene genommen. Das bedeutet, wir können sie uns wieder zurückholen!“
Germaine Danton wusste nicht genau, welche Reaktion er erwartet hatte, auf diese Worte, auf diese Situation. Aber bestimmt nicht diese spontane Antwort, gesprochen wie mit einer Stimme, aber geformt von fünfhundert Kehlen: „SIR, JA, SIR!“
Für einen Moment war Danton konsterniert, verharrte, als müsse er nachdenken.
Dann nickte er amüsiert. „Und das werden wir auch! Sergeant Miko Tsuno übernimmt ab sofort die Hetzlanze. Master Sergeant Decius Metellus übernimmt mit sofortiger Wirkung die Schlaglanze! Corporal Haruko Yamada wird als Mechkriegerin reaktiviert und der Schlaglanze zugeteilt. Die Artillerielanze der Höllenhunde übernimmt ab sofort Sergeant Marie Anström. Den Techbereich übernimmt mit sofortiger Wirkung SeniorTech Doreen Simstein. Damit verbunden ist eine sofortige Beförderung zur MeisterTech.
Weitere Beförderungen sowie die Vergabe der neuen Codenamen der einzelnen Einheiten und Offiziere erfolgt im Lauf der Tage.
Der jetzige Befehl lautet in drei Tagen komplett abmarschbereit zu sein, um in das Gebiet von Clan Wolf vorzudringen. Wir haben einen Unterkontrakt, der es uns erlaubt, nach unseren Leuten zu sehen. AUSFÜHRUNG!“
Der Platz verwandelte sich in einen Ausbruch an Aufregung und Nervosität. Die Teileinheitsführer schnappten sich ihre Leute, für weinen oder zweifeln war wenig Zeit, obgleich Germaine die Hetzlanzenmitglieder schon auf sich zustürmen sah. Ebenso Thomas Fokker, Jaras Bruder.
Der Platz leerte sich schnell, jeder Chevalier kannte seine Aufgaben in einem solchen Fall.
Darauf war der Major recht stolz.
„Gut, dass du kommst, Miko. Private Kree. Private Wiachinsky. Miko, du übernimmst das Kommando über die Lanze, wie bereits gesagt. Private Kree, Sie sind mit sofortiger Wirkung zum Corporal befördert. Außerdem mache ich Sie zum Wingleader. Haruko Yamada wird Ihre Flügelfrau. Fragen?“
„Ja. Wie geht es Jara?“, brach es aus Thomas Fokker hervor.
„Das wüsste ich zu gerne selbst, Sergeant Fokker.“
**
Es war für die Chevaliers ein merkwürdiges Gefühl die neuen Uniformen zu tragen und dieses merkwürdige weiße Kordelband am linken Arm. Sie standen in einer geschlossenen Dreierreihe zusammen mit den anderen Überlebenden des Stützpunktes Angel´s Viewpoint auf dem größten Deck des Landungsschiffes.
Es waren nun acht Tage vergangen, seit sie vom Trümmerbrocken evakuiert worden waren. Sie hatten nun schon einen Sprung hinter sich und genügend Zeit gehabt, um sich mit ihrer Situation abzufinden.
„Mein Name!“, rief eine laute Stimme, die zweifelsfrei einem Elementare gehörte, „ist SternCaptain William aus dem Bluthaus Fetladral! Ich kommandiere den Zweiten Trinärsternhaufen des Siebzehnten Wolf-Regulären Sternhaufen!“
Der Elementare ließ die Worte sacken, bevor er fortfuhr: „Ihr seid Clan Wolf im Exil-Techniker und Krieger, also kennt Ihr das Wesen der Clans und eure Aufgaben als Isorla. Wenn vielleicht nicht so deutlich wie ich mir das wünsche.“
Diese Worte riefen einigen schwachen Protest hervor, was der Riese mit einem Grinsen quittierte.
„Hiermit mache ich euch im Namen des Clan Wolfs und meines kommandierenden Offiziers, SternColonel Onyx zu Leibeigenen dieser Einheit.
Diese Einheit wird in naher Zukunft gegen Clan Jadefalke kämpfen, und Ihr werdet dabei helfen, sie instant zu halten. Zu diesem Zweck werdet Ihr, sobald wir an unseren Sprungschiff angedockt sind, auf die verschiedenen Landungsschiffe der Einheit verteilt werden, dies erfolgt anhand von Qualifikation und Erfahrung. Haltet euch bereit dafür.“
Damit war die Ansprache wohl beendet. Jara sah zur Seite, wo Sergeant Caprese stand. „Junge, Junge, ich habe schon mundfaule Clanner erlebt, aber der da…“
Gray Gordon, der in der Reihe hinter ihnen stand, schnaubte missmutig. „Das war es also? Sie sind knapp an Personal? Deshalb dieser Überfall?“
„Freu dich doch, Gray, das bedeutet, wir werden nicht nachträglich getötet werden“, bemerkte Jara schnell. „Die Clanner behandeln ihre Techs wie wir es im LosTech-Zeitalter gehandhabt haben.“
„Du siehst die Sache reichlich positiv, Mädchen.“
„Hoffentlich bleiben wir zusammen“, hauchte Greta Caprese dazwischen und erschrak damit Jara zu Tode, die diesen Gedanken bis dahin unterdrückt hatte. Allein, vollkommen allein, unter all den Clankriegern, das war so gut wie isoliert. Und man würde die Techniker hier aufteilen, so gut wie es irgendwie ging, um die Gefahr zu vermindern, dass Wolf im Exil in der Inneren Sphäre auch so unpopuläre Dinge wie Aufstände gelernt hatte.
Ganz links in der Formation begann die Aufteilung. Die angetretenen Mannschaften wurden effektiv in sechs Gruppen aufgeteilt. Sechs Gruppen, sechs Landungsschiffe, von denen mindestens zwei Overlords waren, und eines der Union. Minimal.
Unwillkürlich krampfte Jara ihre Hand um den Uniformärmel von Greta. Die lächelte verschmitzt und ergriff verstohlen Jaras Hand, um sie zu drücken. „Auch wenn man uns trennt, spätestens auf einem Planeten sehen wir uns wieder.“
„Du, du und du“, sagte plötzlich eine herrische Stimme zu ihnen. Ein älterer Wolftechniker sah sie missmutig an. Als die drei Chevaliers nicht reagierten, wiederholte er seine Aufforderung. Als die drei danach immer noch nicht reagierten, zog er Jara am Kragen aus der Reihe hervor, kurz darauf Greta Caprese und schließlich Gray Gordon.
„Ihr kommt mit mir. Und keine Dummheiten. Innere Sphäre-Brut.“
Der Techniker ging voran, im festen Glauben daran, dass die drei ihm folgten. Was sie auch taten, denn was blieb ihnen anderes übrig?
Der alte Tech führte sie an den sechs schnell anwachsenden Truppen vorbei und auf den Laufgang hinaus.
Dort erwartete sie… „Jorge.“
Der Elementare trug schlichte Alltagsuniform und lächelte ihnen entgegen. „Es heißt StrahlCommander Jorge. Kommt, Ihr drei. Mein Stern wechselt wieder auf das Flaggschiff.“
„Ich verstehe nicht ganz“, stammelte Jara.
„Ach ja, Ihr seid kein Wolf in Exil-Personal. Ihr erinnert euch daran, dass ich gesagt habe, ich nehme euch im Namen von Clan Wolf als Isorla?“
Die drei nickten.
„Nun, das war nur halb richtig. SternColonel Onyx hat mir erlaubt, euch zu behalten.“
Greta und Jara wechselten einen elektrisierten Blick, durchtränkt mit Entsetzen und Unverständnis.
Gray schon sich schützend vor die beiden Frauen.
„Oder um es für euch verständlich auszudrücken: Ihr werdet exklusiv als Techs für meinen Strahl eingesetzt“, fügte der Wolf hinzu. Entschuldigend fügte er hinzu: „Ich dachte mir, es würde euch gefallen, zusammen zu bleiben. Also habe ich einen Gefallen bei meinem SternCaptain aufgebraucht.“
„Und…“ Jara schluckte trocken. „Und was erwartest du als Gegenleistung, StrahlCommander Jorge?“
Der Elementare mit dem fein rasierten Bart lachte. „Was werde ich wohl erwarten? Ich verlange erstklassige Arbeit von euch, frapos?“
„Das ist alles?“, fragte Greta Caprese misstrauisch.
„Nun, viele in der Einheit sind freigeboren. Das bedeutet, mit sehr viel Glück und wenn ihr die Fähigkeiten habt, könnte einer oder mehrere von euch wieder in den Status eines Kriegers zurückkehren, aber ansonsten war es das. Also, ich erwarte gut Arbeit, frapos?“
„Pos“, murmelten die Chevaliers dünn.
„Gut. Dann folgt mir jetzt.“
Der Wolf ging voran, holte seinen Strahl ein und zusammen mit den Chevaliers wechselte er in eine Schleuse.
„Für einen Clanner ist er sehr nett“, murmelte Gray. „Ich hatte sie mir garstiger vorgestellt. Herrischer, Übellauniger und Besitzergreifender. So wie der Tech, der uns hergeführt hat, dieser alte Knochen.“
„Dieser alte Knochen“, erklang die Stimme des Techs hinter ihnen, „wird demnächst und danach für eine lange Zeit dein Vorgesetzter sein, hast du das verstanden, Surat? Also rede weniger und lauf dafür mehr! Innere Sphäre-Pack!“
„Ich sehe schon, hier wird es mir gefallen“, knurrte der Sergeant.
„Mir vielleicht auch“, murmelte Jara leise.
Dirty Harry
Kaserne der Danton’s Chevaliers
Nahe Royal Port, Arc Royal
Arc Royal Defensiv Kordon, Lyranische Allianz
29. August 3065
Die Ansprache des Majors war wie eine Bombe eingeschlagen. Kaum hatte Major Danton den Befehl zum Wegtreten gegeben, war auch schon das organisierte Chaos ausgebrochen. Jeder versuchte in drei Tagen all das in Kisten und Container zu bekommen, was er wahrscheinlich brauchen würde. Genauso wahrscheinlich war, dass in wenigen Stunden die Packkisten knapp werden würden. Trotzdem würde es Helene noch nicht einmal wundern, wenn sie in 72 Stunden den ganzen Stützpunkt in ein paar Landungsschiffe bekämen.
Aber neben so nebensächlichen Angelegenheiten wie Packlisten und Versorgungsplänen, fehlenden Schraubenziehern und fluchenden Mechanikern stand sie nun vor einem Problem, das sie in dieser Form nicht gewünscht hatte: Das Kommando über die Artillerielanze.
Die Führungsrolle zu übernehmen war zwar eine Sache, die sie in verschiedenen Simulationen ebenfalls geübt hatten um den Ausfall des entsprechenden Panzers durchzuspielen, aber es war keine Simulation die so unmittelbar … realistisch werden sollte.
Aber Realität ist immer anders und wieder einmal war es Helene, die mit der geänderten Situation zu jonglieren hatte. Neben den gesamten Planungsaufgaben, die ihr mit dieser notwendigen Feldbeförderung zufielen, bedeutete es für sie, dass sie dringend einen Ersatz für den Verlust ihres verschollenen Vorgesetzten finden musste. Einen der nicht nur den Panzer im Griff hatte, sondern auch noch mit ihm vertraut war und die Feuerleistung nicht schmälerte. Eine verzwickte Tätigkeit, denn von den anderen Mannschaften konnte sie nicht von eben auf jetzt einen Panzerfahrer anfordern. Aber sie hatte bereits eine Idee, wie sie diese Schwierigkeit managen könnte.
Eine Stunde nach dem Marschbefehl fanden sich die verbliebenen Besatzungsmitglieder der LSR-Selbstfahrlafette Archer 1 und Jennifer ‚Penny’ Marten aus ihrem eigenen Ontos im behelfsmäßig geräumten Büro Gordons ein. Das behelfsmäßig schien sich dabei lediglich auf die Position der einzelnen Aktenstapel zu beschränken, denn alles in allem hatte sich das Büro seit ihrem letzten Besuch nicht verändert.
„Gut dass sie die paar Minuten frei machen konnten“, erklärte Helene und legte eine Notiz ab, die sie ungezielt aus dem Datenbergen herausgefischt hatte.
„Haben sie etwas mehr über Grays Verbleib herausfinden können?“, wollte einer der Panzerfahrer sofort wissen.
„Es wäre schön, wenn ich diese Frage beantworten könnte, aber nein, mehr als der Major kann ich ihnen diesbezüglich auch nicht sagen.“, erwiderte Helene und dämpfte die Erwartungen deutlich.
„Was ist es dann?“, platzte es aus PFC Peter Arnett heraus, dem Richtschützen des Panzers. Helene trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. Es war nicht, dass sie herrisch reagierte, nur weil ihr auf einmal mehr Macht zugeflogen war als sie auf diese Weise wollte. Sie hätte es den Leuten auch so sofort im Anschluss erklärt. Aber es war einfacher, wenn sie aussprechen durfte und nicht permanent unterbrochen wurde. Immerhin, die Sorge der Crew um ihren Chef ehrte sie.
„Wie sie sicherlich schon bemerkt haben, hat vor allem sie der Ausfall ihres Kommandanten erheblich getroffen. Ich bedauere das zutiefst, aber noch ist nicht alles verloren. Nicht zuletzt deshalb starten wir ja auch schon in ein paar Stunden um diesen Clanfritzen ihre … ‚Beute’ wieder abzujagen.
Aber es betrifft auch ihren Panzer. Sergeant Gordon ist ein fähiger Mann, ein sehr fähiger Mann. Aber wie fähig seid ihr noch ohne ihn?“
Das Murren in der Truppe schien genau das, was Helene zu erreichen versucht hatte. Sie hatte genau die Saite in ihnen angeschlagen, auf die sie reagierten: ihren Stolz.
„Ich versichere ihnen, dass wir auch ohne Gray noch funktionieren, aber wir werden nicht zusehen, wie einer unserer Männer von diesen Bastarden gefangen genommen wird, nur weil die ein privates Tete-a-tete mit ihren Halbgeschwistern veranstalten.“, grollte der Fahrer der Lafette.
„Das habe ich auch nie verlangt und selbst wenn es ihnen schwer fallen sollte das zu glauben: Auch ich werde bemüht sein, ihn wieder zurückzubekommen. Ein Kommando will ich mir erarbeiten und nicht durch solche Zufälle zugespielt bekommen.“, betonte Helene und wandte sich dann wieder direkt an die Männer.
„Aber ich werde dennoch nicht das Risiko eingehen, dass wir auf dieser Jagd an Leistung einbüßen. Deshalb werde ich ihre Mannschaft ein wenig umsortieren müssen. Private Röhl, sie bleiben weiterhin der Fahrer der Lafette. Auf die Schnelle wird sich mit Sicherheit niemand finden, der ihre Fähigkeiten ersetzen kann. So weit, so gut. Aber sie, PFC Arnett werden wohl oder übel die Aufgabe des Richtschützen und Panzerkommandanten in sich vereinen müssen. Wobei sie jedoch den Kommandantensitz besetzen sollten und ihrem zweiten Mann, Private Cheyssen, vorrangig die Funktion des Richtschützen übertragen. Damit wäre auch schon die neue Aufgabe von Private Cheyssen umrissen und es bliebe noch die Aufgabe eines neuen Panzerschützen zu besetzen…“
„Wir sind ein eingespieltes Team, wir schaffen das auch zu dritt“, fiel ihr der PFC erneut ins Wort. Dieses Mal reichte ein durchdringender Blick Helenes aus, um ihn zum Verstummen zu bringen.
„Ich bin mir sogar sicher, dass sie ein eingespieltes Team sind, aber wenn es hart auf hart kommt, möchte ich sie in einer Topkondition sehen. Und deshalb möchte ich, dass sie ihre neue Kameradin begrüßen.
Jennifer Marten war seit anderthalb Jahren auf meinem Panzer als zweite Kanonierin tätig. Sie ist zwar noch jung, hat aber in der Zwischenzeit bereits viel gelernt. Ich überstelle sie hiermit auf ihren Panzer als Panzerkanonier. Sie soll ihnen zur Hand gehen und die weiterhin reibungslose Funktion gewährleisten.“
Die drei Männer sahen das erste Mal von der Kommandantin zur Frau neben sich. Und sie sahen sie das erste Mal mit ganz anderen Augen. Jennifer ‚Penny’ Marten hätte zwar in einem Vergleich mit Jara Fokker keinen Blumentopf gewonnen, aber sie war auch nicht gänzlich unattraktiv… wenn auch auf ihre Art. Sie war eher zierlich, gerade mal 19 Jahre alt und ihre Stupsnase schien immer in eine andere Richtung als ihr Gesicht zu zeigen. Außerdem war sie nicht gerade ein Ausbund an Energie, zu anderen Zeiten hätte man gesagt, sie sei zurückhaltend. Unter normalen Umständen gingen die Leute an ihr vorbei, ohne sie großartig wahrzunehmen.
Viel wichtiger war jedoch fürs erste, dass sie eine Frau war. Eine Frau alleine auf einem Panzer mit drei Kerlen.
„Meine Herren, ich erwarte von ihnen, dass sie sie schnellstmöglich in ihre Crew integrieren und das Leistungsniveau aufrecht erhalten, das sie in den letzten Wochen gezeigt haben.“, verlangte Helene.
Sie erhielt keine direkte Reaktion auf ihre Forderung. Stattdessen überwog weiterhin gegenseitiges Mustern.
„Eine Frage noch“, kam es nach einer Bedenkminute von Seiten des PFCs.
„Ja?“
„Wer übernimmt dann bei ihnen ihre Aufgabe?“
„Um ehrlich zu sein, niemand. Zumindest fürs erste.“, erklärte Helene gelassen, die mit dieser Frage früher oder später gerechnet hatte, wenn auch nicht in dieser Situation.
„Der Ontos ist mit sechs Mann immer noch gut bestückt. Auf Private Pentero wird zwar etwas mehr Arbeit zukommen, aber damit hat es sich auch schon so gut wie. Im Gegensatz zu den LSR-Lafetten sitzen wir nicht so sehr auf glühenden Kohlen, wenn uns ein Mann … oder eine Frau fehlt.
Abgesehen davon kann ich auch noch unseren Tech um Unterstützung bitten. Auch wenn er uns dafür wahrscheinlich auffressen wird.“
Peter Arnett nickte stumm und sah noch einmal zur betreten da stehenden Marten hinüber.
„Meine Herren, eins noch.“, warnte Helene sie.
„Benehmen sie sich!“
***
Gray Gordon taumelte in die Kabine zurück, die den Mannschaften als Unterkunft diente. Selbst wenn die Clans die Kasten weitgehend strikt getrennt hielten um allzu persönliche Kontakte zwischen Kriegern und Freigeburten zu vermeiden, schienen sie wenig dagegen zu haben, Männer und Frauen in einem Quartier unterzubringen. Schließlich war bei ihnen Paaren nur so etwas wie … Ausgleichssport.
Jara und Greta hatten sich eher widerwillig diesen Begebenheiten gebeugt, aber nähere unfreiwillige Kontakte mit harter Hand unter Kontrolle gebracht. Manchmal hatte auch eine Faust Wirkung gezeigt. Im Augenblick zeigten sie jedoch nur das Entsetzen über Grays erneuten Zustand. Gray selbst schleppte sich erst einmal zum nächstgelegenen Waschbecken und spuckte Blut.
„Mein Gott, hast du dich schon wieder mit dem Cheftech geprügelt?“, fragte Greta, die zu ihm herüber gekommen war.
„Wir hatten nur einen … intensiven Meinungsaustausch“, wiegelte Gray ab, während er sich schwer aufs Waschbecken stützte. Blut tropfte noch immer aus einem Mundwinkel.
„Schien mir mit schlagkräftigen Argumenten gespickt gewesen zu sein.“
„Eher beeindruckenden. Bitte lass meine Rippen in Ruhe.“, brummte Gray und zog die Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch während er das verdreckte Hemd auszog. Rote Stellen kamen zum Vorschein und deuteten bereits deutlich die Position von sich bald einstellenden blauen Flecken und Blutergüssen ab. Wenn er Glück hatte, war das alles.
„Und wie sieht unser Chefschinder aus?“, fragte Jara wenig begeistert.
„Zumindest nicht besser“, war das einzige, was einem grimmig lächelnden Gray Gordon zu entlocken war.
Vor allem Gray konnte und wollte sich nicht unter dessen Regime stellen. Im Gegensatz zu den Frauen, die dieser Mistkerl wenigstens noch mit einem Minimum an Anstand behandelte, benutzte er den ehemaligen Panzerfahrer wie einen Putzlappen für die miesesten und dreckigsten Arbeiten. Gray hatte das einige Tage lang mitgemacht, aber es war immer deutlicher geworden, dass es auf einen gegenseitigen Kleinkrieg hinauslief. Der Clanner wollte den aufmüpfigen sphäroiden Abschaum mit aller Gewalt brechen, während Gray schon viel zu viel mitgemacht hatte, als dass er sich von einem solchen Sadisten unterkriegen ließ. Dafür hatte der Clanner einfach zu wenig Ahnung vom Hintergrund des Mannes aus der Peripherie.
„Ihr werdet euch wahrscheinlich nie mehr verstehen, oder?“, fragte Greta und untersuchte vorsichtig die Blutergüsse.
„Wahrscheinlich nicht. Das ist schon Hassliebe“, erwiderte Gordon verbissen.
„Würde es nicht reichen, ihm wenigstens einen Schritt entgegen zu kommen, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden?“, wollte Jara besorgt wissen. Doch es entlockte Gray nur ein Schnauben.
„Nein. Er will mich brechen. Ich will nicht nachgeben. Wer zu erst aufgibt, verliert sein Gesicht. Wenn ich ihm den kleinen Finger gebe, wird er den ganzen Arm nehmen. Er wird sich nicht damit zufrieden geben, ein paar Zugeständnisse meinerseits erreicht zu haben. Er wird immer mehr wollen. Einen zermürbten Bückling, den er zu seinem Ölsklaven ummodeln kann.
Und daran denk ich nicht einmal.
So was musste ich schon einmal mit ansehen. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Aber bereits damals habe ich mir geschworen, dass mir so etwas niemals passieren wird. Ich werde das Wimmern Paul Morrenes wahrscheinlich nie mehr vergessen. Zum Schluss war er so fertig, dass er sich freiwillig in einen Transformator geworfen hat. Nicht mit mir. Niemals.“
Die beiden Frauen blieben einen Moment still, bevor sich Greta Caprese als erstes fing.
„Aber kannst du ihm wenigstens bei der Arbeit entgegenkommen? Ich meine, er wird sich in seinem Hass auf sphäroide Freigeborene wie uns sicherlich nicht auf dich alleine beschränken.“
„Seine Arbeit soll er kriegen. Aber nicht mehr. Weder werd ich zu seinem persönlichen Schuhputzer, noch werd ich ihm sein Chemieklo sauberlecken.“, fluchte Gray und rieb sich noch einmal einen blauen Fleck am Kinn, Ergebnis eines sauberen Kinnhakens.
„Ich habe irgendwie arge Zweifel, dass er es dabei belassen wird“, sorgte sich Jara.
„Nicht nur du, wie es scheint. Guten Abend, Strahlcommander.“, fügte Greta besorgt an und sah zum Schatten in der Tür. Die Kontur passte zu Strahlcommander Jorge und obwohl sie keine Rangabzeichen sehen konnte, wusste sie, dass es der Wolfskrieger sein musste. Der Mann sagte kein Wort, schüttelte nur kurz den Kopf und verschwand dann aus der Tür.
Ironheart
Harte Auslese
Kaserne der Danton’s Chevaliers
Nahe Royal Port, Arc Royal
Arc Royal Defensiv Kordon, Lyranische Allianz
30. August 3065
Corporal Maareike Koopmans spürte jeden einzelnen Knochen ihres Körpers und auch jeder bis an die Grenzen strapazierte Muskel schrie förmlich darum dieser ganzen verflixten Idee ein Ende zu bereiten. Der 60 Kilo schwere Rucksack auf ihrem Rücken schien sie zu Boden zu drücken und ihr Atem ging nur noch stossweise. Das mörderische Training der letzten 2 Monate hatte seinen Tribut gefordert und Maareike wusste trotz ihres eisernen Willen nicht mehr, wie lange sie das noch aushalten würde. Sie hatte schon mehrmals mit dem Gedanken gespielt aufzugeben, doch die Dämonen, die ihr seit ihrer Verwundung vor über acht Monaten Nacht für Nacht erschienen, liessen ihr einfach keine Ruhe. Sie wusste, sie konnte nicht einfach aufgeben, sie musste es durchstehen um sich ihren Traum zu erfüllen. Ihr fehlten die körperlichen Attribute um sich gegenüber den letzten verbliebenen Konkurrenten absetzen zu können. Im Gegenteil, sie spürte, dass sie im Augenblick im Begriff war gegenüber den anderen zu verlieren. Brauer, El-Hawary und Tohunga waren nicht nur körperlich am nächsten an den Elementaren dran, sie hatten sich auch in allen anderen Bereichen als würdig erwiesen. Auch Angela Grounvould schien vorne weg zu marschieren so dass sie im Augenblick mit den anderen um den letzten freien Platz zu ringen schien.
„Komm schon, Maareike“ Tipene Tohunga tauchte neben ihr auf und wuchtete sich wie es schien spielerisch leicht über das Hindernis. „Du schaffst es, nur noch 400 Meter.“
Sie wusste nicht, ob sie ihn anschreien oder angreifen sollte. Doch zum einen fehlte ihr die Kraft dazu und zum zweiten wusste sie, dass es Tipene im Grunde nur gut mit ihr meinte. So wie er sich schon seit Anfang an immer gut mit ihr gemeint hatte. Doch auch wenn sie ihn ebenfalls mochte, so liess sie keinerlei Gefühle für ihn hochkommen. Er hatte sich ebenfalls um diese Position beworben und damit war er ein Gegner den es zu schlagen galt. Und so wie es aussah, konnte er durchaus derjenige sein, der zwischen ihr und einem der freien Elementarpanzer stand. Sie antwortete ihm daher nicht, sondern hechtete auf das Hindernis zu und stemmte sich mit letzter Kraft rüber. Auf der anderen Seite ging sie in die Knie und hechtete hinter den anderen hinterher.
Sie musste es einfach schaffen, es gab für sie keinen anderen Weg. Und wenn sie darauf hoffen musste, dass einer ihrer Rivalen doch noch auf der Strecke blieb. Als sie als Letzte im Ziel ankam war sie vor Wut den Tränen nahe und nahm nur wie durch einen Nebel die Schimpftiraden von Norton Geisterbär wahr. Sie würde kämpfen bis zum Schluss und niemals aufgeben.
Es war ihre Bestimmung in einem dieser Kampfpanzer zu stecken und sie würde es allen zeigen. Die Frage war nur, ob man sie es auch zeigen lassen würde.
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Sergeant Rowan Geisterbär blickte aus strengen Augen zu den 10 übrig gebliebenen Elementarkadetten hinunter, die ihr allmorgendliches Training durchführten, indem sie ein 60 Kilo-Marschgepäck über den Trainingsparcour schufteten, den die übrigen Chevaliers ohne zusätzliches Gewicht absolvierten.
„Es wird Ernst, Sergeant. Wir müssen die Auslese vorziehen.“ Master Sergeant Decius Metellus stand neben dem massigen Elementar und hatte ebenfalls die Arme vor der Brust verschränkt.
„Pos, Master Sergeant Decius.“
„Gut, wenn ich mir die gesammelten Testergebnisse ansehe, dürfte die Auswahl klar sein. Gustav Brauer ist in allen Belangen herausragend, er sollte den fünften Elementarpanzer erhalten. El-Hawary, Tohunga und Grounvould dürften drei der vier Purifier bekommen doch, um den letzten freien Platz kämpfen die letzten sechs Kopf an Kopf, oder? Ich würde vorschlagen du solltest einen der sechs auswählen, damit wir vor dem Abmarsch Gewissheit haben, oder?“
„Neg, Master Sergeant Decius.“
„Neg?? Wieso Neg? Hast du andere Schlüsse gezogen?“
„Master Sergeant Decius, dort wo ich herkomme, werden Positionen nicht einfach vergeben. Ich weiss, wir sind jetzt in der Inneren Sphäre und hier werden die Dinge anders geregelt. Und wir haben diesen Kadetten in den letzten zwei Monaten alles beigebracht, was wir Ihnen in der Kürze der Zeit beibringen konnten. Sie haben sich im unbewaffneten Zweikampf mit uns gemessen, sie haben gegen Infanterie gekämpft, gegen Panzer, gegen Mechs und gegen feindliche Elementare. Sie wurden einzeln und im Team geprüft und sicher hat sich jeder einzelne von Ihnen, der jetzt noch übrig ist, in manchen Tests als würdig erwiesen und in manchen anderen nicht. Und auch wenn ich sicherlich Präferenzen hätte, bitte ich darum die Auswahl auf andere Art und Weise durchführen zu dürfen. “
„Du weißt, dass wir es uns nicht leisten können, einen Positionstest wie bei den Clans durchzuführen, oder?“
„Pos, Master Sergeant Decius, das ist mir bekannt. Wir werden den Test etwas abändern und ihn nicht auf dieselbe Art und Weise wie bei den Clans durchführen. Aber dennoch sollen die Elementarkadetten sich ihre Position in einem finalen Test erkämpfen müssen.“
Decius Metellus blickte den Elementar an, dann nickte er: „Gut, ich gehe davon aus, dass Du weißt, was du tust. Ich werde Major Danton informieren. Aber vergiss nicht: In weniger als 50 Stunden werden wir Arc Royal wieder verlassen. Es liegt in deiner Verantwortung, den Zeitplan einzuhalten, ist das klar?“
Sergeant Rowan nickte. „Pos, Master Sergeant Decius. Wir werden den Zeitplan einhalten.“
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10 Kadetten waren übrig und es gab nur fünf freie Plätze.
Maareike Koopmans war nervös. Sergeant Rowan hatte den finalen Positionstest vorgezogen und mit einem Mal stand die Entscheidung bevor. Maareike hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt, sich auf das kommende vorzubereiten. Doch auch wenn, sie wusste ja nicht einmal, was auf sie zukommen würde. Barfuß, mit nichts weiter an als einer knappen Short und einem bauchfreien Top war sie von den Elementaren in einen Raum gebracht worden und wartete. Vor lauter Nervosität tigerte sie in dem engen Raum auf und ab und die Muskeln, die sie in den letzten Wochen des harten Trainings zugelegt hatte, waren bis zum außersten gespannt.
Jetzt galts, alles oder nichts. Sie würde sich den Platz holen, der ihr zustand und niemand, der sich ihr in den Weg stellte, würde ihn ihr nehmen können.
Dann flog mit einem Mal die Tür auf und Norton Geisterbär stand mittendrin. Seine massige Gestalt füllte den Rahmen vollkommen aus, zumal er in voller Gefechtsmontur stand, und ein gehässiges Grinsen war auf seinem Gesicht zu sehen. „Komm schon, Junges, du bist die nächste.“ Es war kein Geheimnis, dass Norton sie alle als unwürdig ansah, einen dieser Gefechtspanzer zu tragen und er war es, der die Kadetten am intensivsten gedrillt hatte. Viele hatten dem Druck nicht standgehalten, doch Maareike gehörte nicht dazu.
„Ich bin bereit“ sagte sie mit soviel Entschlossenheit, wie sie nur aufbringen konnte.
„Hah, du glaubst doch nicht wirklich, dass Du es schaffen wirst, franeg?“
„Pos, PFC Norton, ich werde es schaffen“ gab sie trotzig zurück und versuchte ihn daran zu erinnern, dass sie im Rang eigentlich über ihm stand. Doch Norton gehörte zu den Clannern, die sich einen Dreck um so etwas scherten.
„Wir werden sehen, Corporal Maareike, wir werden sehen.“ Der Elementar drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort. Maareike blieb einen Augenblick unschlüssig stehen und folgte ihm dann. Sie hatte Mühe dem Clankrieger zu folgen, der mit raumgreifenden Schritten voraneilte. Norton führte sie in eine große Arena, die gigantische Ausmaße hatte und gut und gerne fünfhundert Meter im Durchmesser betrug. Die Trainingsarena war wie eine Waldlandschaft hergerichtet und schien eine frühere Mech-Arena gewesen zu sein. Frische Mech- und Panzerspuren zeigten, dass das Gelände auch weiterhin genutzt wurde. Als sie sich der Mitte der Arena näherten, erkannte Maareike fünf leere Gefechtspanzer, die auf einem kleinen Hügel aufgestellt waren. Daneben lagen fünf Infanteriemonturen auf dem Boden. Vor den Gefechtspanzern standen Gustav Brauer, Hasheem El-Hawary, Angela Grounvould und Sean Williams.
Vor den Infanteriemonturen standen Jon „Fully“ Elovson, Cassie Callahan, Zero und Bob. Und an ihren geknickten Gesichtern erkannte Maareike, dass sie die gestellte Aufgabe anscheinend nicht bestanden hatten.
Damit war eine Rüstung noch zu haben und Maareike schlug das Herz bis zum Hals. Sie hatte immer noch eine Chance und sie würde sie nutzen.
Norton führte Maareike zu einem Kreis, der zwischen den Rüstungen und den Infanteriemonturen lag. Von der anderen Seite kam Tipene Tohunga zusammen mit Grace zu dem Kreis und sie blieben ebenfalls darin stehen und drehten sich zu Sergeant Rowan Geisterbär, Major Danton und Master Sergeant Decius Metellus um.
„Krieger“ begann Rowan und Maareike hörte kaum seine Wort, so laut schlug ihr Herz. „Ihr seid weit gekommen und heute entscheidet sich, wer von euch zu den Elementaren der Chevaliers zählen wird und wer nicht. Wir haben euch beigebracht, was wir euch beibringen konnten, jetzt liegt es an euch zu zeigen, was ihr gelernt habt.“ Rowan zeigte auf den letzten Purifier in der Reihe „Einer von euch beiden wird diesen Gefechtspanzer tragen, der andere nicht. Das ihr damit umgehen könnt, habt ihr gezeigt. Jetzt zeigt, was ihr dafür tun werdet, um ihn tragen zu dürfen. Wer den Kreis als Sieger verlässt, ist willkommen in unserem Kreise.“
Maareikes Augen weiteten sich, als sie sich zu Tipene herumdrehte. Ausgerechnet er stand jetzt zwischen ihr und ihrem Traum. „Es tut mir leid, Maareike“ sagte er als er in Kampfstellung ging. „Ich bin zu weit gekommen um dir jetzt einfach den Vorrang zu lassen.“
Wut kam bei Maareike hoch, während sie begann den Mann, den sie unter anderen Umständen einen Freund genannt hätte, zu umkreisen. „Wie kommst du darauf, dass Du gewinnen wirst?“
Statt einer Antwort setzte Tipene zu einem Angriff an, indem der mit einem wuchtigen Rechtsausleger versuchte Maareikes Kopf zu treffen. Sie konnte dem Schwinger leichtfüßig ausweichen, und trat gleichzeitig mit ihrem linken Bein zu. Der Tritt krachte Tipene in die rechte Seite, doch seine Antwort kam postwendend. Der Schlag traf Maareike auf die Brust und sie wurde förmlich aus der Luft geschleudert. Sie kam auf der Schulter auf und rollte sich sofort wieder auf die Beine. Doch nur um den nächsten Schlag direkt an die Schläfe zu kriegen. Sterne tanzten vor ihrem Gesichtsfeld auf und sie konnte den nächsten Hieb nur instinktiv abwehren. Sie tänzelte den Kopf schüttelnd zurück und versuchte wieder klar zu werden. Doch Tipene liess ihr keinen Moment der Ruhe und setzte direkt nach.
Er war massig und stark und ihre einzige Chance gegen ihn zu bestehen, lag in ihrer Zähheit und Schnelligkeit. Doch Tipene schien ihr überlegen zu sein. Der Kampf zog sich hin und wogte hin und her. Doch so oft Maareike auch auswich und so häufig sie Tipene auch traf, er schien nicht zu ermüden, ganz im Gegensatz zu ihr. Ihr Atem ging rasselnd, ihr Körper ächzte unter den Schmerzen und ihr Herz schien auszusetzen bei dem Gedanken, dass sie drauf und dran war, diesen Kampf zu verlieren. Mit dem Mute der Verzweiflung ging sie in die Offensive und versetzte mehrere Schläge in das tätowierte Gesicht ihres Konkurrenten. Doch sie kam Tipene damit zu nahe, er packte sie am Arm um an ihrem Oberteil, hob sie in die Luft und schleuderte sie mehrere Meter weit. Maareike blieb die Luft weg, als sie krachend auf dem Boden aufschlug. Sie wollte sofort wieder aufstehen, doch sie war nicht schnell genug. Tipenes wuchtiger Körper landete auf ihr und trieb ihr erneut die Luft aus den Lungen. Dann umfasste sein gewaltiger Bizeps ihre Kehle und drückte zu. Sie röchelte nach Luft, doch sie bekam keine. Sie wollte sich befreien, doch es gelang ihr nicht. Langsam begann ihr Gesichtsfeld zu verschwimmen und sie wollte schreien und um sich treten, doch ihr Körper versagte ihr den Dienst. Tränen schossen ihr in die Augen und als sie Rowans lautes „Genug“ vernahm, wusste sie, dass sie verloren hatte.
Tipene liess augenblicklich von ihr ab und stand auf und Maareike zog gierig die Luft wieder in ihre malträtierten Lungen. So gierig, dass sie sofort danach Husten musste. Nein, nein, sie durfte nicht verlieren. Sie stemmte sich hoch, noch hatte Tipene den Kreis nicht verlassen, noch konnte sie ihn besiegen. Sie rannte auf seinen Rücken zu und sprang zu einem fürchterlichen Tritt gegen seinen Kopf an.
Doch Tipene hob blitzschnell den Arm, wehrte ihren Tritt ab und zog nun selbst einen Backspin-Kick durch. Maareike sah den Fuß kommen und wollte seinen Schlag ebenfalls abwehren, doch sie war zu langsam. Der Tritt traf ihren Kopf seitlich an der Schläfe und diesmal schien ein Feuerwerk in ihrem Kopf zu explodieren. Als sie auf dem Boden aufschlug, nahm sie das bereits nur durch einen weissen Schleier wahr. Und in dem Augenblick, in dem sie das Bewusstsein verlor, wusste sie auch, dass sie damit den Kampf und auch damit ihren größten Traum verloren hatte.
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Sergeant Rowan betrachtete das Ende des Kampfes regungslos und wollte gerade den Maori-Krieger in den Reihen seiner Elementare begrüssen, da wurde er gestört von einer lauten Stimme hinter Ihnen. Fünf Wolf-im-Exil Elementare in voller Rüstung standen hinter Ihnen und ihr Anführer sprach mit fester Stimme. „Ich bin Strahlcommander Arjaun von den Wölfen. Und dieser Trainingsparcours ist jetzt für mein Blutnamenstraining reserviert.“
„Wir sind mit unserem Positionstest noch nicht fertig“ antwortete ihm Sergeant Rowan unbeeindruckt. „Ihr könnt das Trainingsgelände nutzen, sobald wir unsere Auswahl abgeschlossen haben.“ Damit drehte Rowan dem Wolfskrieger wieder den Rücken zu.
„Stravag, ich nehme von einem Geisterbären-Solahma keine Befehle entgegen. Ihr werdet das Trainingsgelände jetzt sofort räumen“ gab der Wolfskrieger zurück und kam mit seinen vier Kameraden ein paar Schritte näher.
„Wir werden erst gehen, wenn unser Positionstest abgeschlossen ist. Und du tust gut daran, wenn du uns dabei nicht störst, Strahlcommander Arjaun.“ Rowan drehte sich noch nicht einmal um, während er dem Elementar antwortete.
Master Sergeant Metellus wollte Anstalten machen etwas zu sagen, doch Danton berührte ihn nur kurz am Arm. „Sir, wir sind hier fertig, wir können den Test abschliessen“ raunte er dem Major zu, der aber nur mit dem Kopf schüttelte. „Ich glaube nicht, dass Rowan jetzt auf dich hören würde…“ Er zwinkerte seinem Master Sergeant zu und bedeutete ihm weiter das Gespräch zu verfolgen.
Dieser schien jetzt vollkommen in Rage zu sein. „Savashri, du dreckiger Sphären-Söldner, was fällt dir ein. Deine gesamte Erscheinung zieht die Clans in den Schmutz und dein Ansinnen diese Sphäroiden überhaupt nur in Elementarrüstungen zu stecken ist ein Witz. Wäre es mir nicht verboten, würde ich dich in den Kreis der Gleichen rufen, auch wenn du diese Ehre nicht einmal annähernd verdienen würdest.“
„Seit wann kümmert sich ein wahrer Krieger um Verbote? Gib es ruhig zu, wenn du eine Niederlage durch die Hand des Bären fürchtest.“ Rowan hatte sich langsam wieder herumgedreht und ein geringschätziges Lächeln umspielte seine Lippen.
„FURCHT?“ jetzt war es mit der Geduld des Wolfselementaren endgültig geschehen. „Pah, für dich mag dieses Wort eine Bedeutung haben, aber wir Wölfe kennen dieses Wort noch nicht einmal.“
„Gut, dann tritt gegen uns an, statt leere Phrasen zu schmieden.“
„Ihr seid nur zu neunt, die Hälfte eurer Rüstungen ist minderwertig, die Hälfte deines Binärstrahls sind Sphärer, nur vier von euch sind Clan und ihr habt euren Zenit, wenn ihr denn je einen hattet, schon längst überschritten. Es gibt keine Ehre zu gewinnen, wenn wir gegen euch antreten würden.“
„Nun gut, Arjaun. Nur deine Arroganz scheint noch stärker ausgeprägt zu sein, als dein großes Mundwerk. Aber um dir genügend Ehre zu bieten, bringe ich noch zusätzlich meine fünf unterlegenen Kadetten ins Spiel. Gegen vierzehn der besten Infanteristen der Chevaliers antreten zu dürfen, ist auch für dich genug der Ehre.“
„Ehre brauche ich keine mehr gewinnen, ich werde bald einen Blutnamen haben, der dir auf ewig verwehrt bleiben wird. Wir sollten den Einsatz erhöhen und um deine Rüstung kämpfen, Bärchen.“
Die Augen der Kadetten weiteten sich, denn das war in der Tat ein gefährliches Spiel. Die fünf Wölfe waren nicht nur groß und jung, sie schienen sehr selbstsicher zu sein. Auch wenn die Chevaliers mit einer fast dreifachen Überlegenheit in den Kampf ziehen würden, war Ihnen doch allen bewusst, dass es sehr riskant war, dieses Risiko einzugehen. Sollte Rowan seinen Gefechtspanzer verlieren, gäbe es keinen Ersatz, er wäre damit so gut wie entrechtet.
Metellus wandte sich wieder an den Major. „Sir, das müssen wir verhindern. Wir können es nicht riskieren, die Rüstung zu verlieren.“ Danton zuckte mit den Schultern. „Es ist Rowans Rüstung und es ist auch seine Entscheidung. Ich kann es ihm nicht verbieten, selbst wenn ich wollte.“ Es gab jetzt kein zurück mehr, dass wusste Danton. Rowan konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen ohne sein Gesicht zu verlieren. Er würde Rowan später die Hölle heiss machen, egal ob er gewann oder nicht. Doch wenn er jetzt dazwischen gehen würde, würde es ihm der Elementar nie verzeihen.
Rowans Augen wurden schmal, doch er ließ Arjaun nicht aus den Augen. „Du willst meine Rüstung, Wölflein. Nun gut, du wirst sehen, dass sie zu groß für dich ist. Sollten wir Chevaliers dich und deinen Strahl besiegen, dann fordere ich deine Rüstung als Preis, frapos?“
„So sei es“ gab der Wolfselementar zurück. „Gut gehandelt und akzeptiert.“
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Maareikes Schädel brummte als ob ein Schwarm Hornissen in ihrem Kopf gefangen wären. Sie war frustiert und am Boden zerstört. Sie war gescheitert, sie war besiegt worden und sie fragte sich, welchen Zweck das Ganze noch hatte. Abwesend hörte sie Zero zu, der die Führung über die fünf gescheiterten Elementarkadetten übernommen hatte. Zero mochte ein loses Mundwerk haben und schien häufig nicht ganz bei der Sache zu sein und nur Unsinn im Kopf zu haben. Doch jetzt und hier zeigte er, dass er verflucht viel gelernt hatte. „Ich weiss, ihr seid alle bestimmt genau so am Arsch wie ich. Wir haben uns wochenlang einiges Gefallen lassen müssen und jetzt sollen wir für Rowan auch noch die Rübe hinhalten? Aber ich sage euch, wir werden unsere Kameraden nicht im Stich lassen, klar? Ich für meinen Teil werde mein Bestes geben, damit wir es diesen aufgeblasenen, arroganten Wolfsärschen zeigen können.“ Zero schien trotz seiner Niederlage gegen Angela Grounvould bereit zu sein, vollen Einsatz zu zeigen. „Nicht Ehre genug…“ äffte er den Wolfselementar nach „hah, dass ich nicht lache…“
„Ist ja schön und gut“ gab Cassie Callahan zurück, deren Gesicht bereits jetzt ein hübsches Veilchen schmückte. „Aber was sollen wir den gegen die Clanner schon groß ausrichten? Mehr als Kitzeln können wir sie mit unseren Übungslasern doch nicht.
„Jeder einzeln wahrscheinlich nicht. Aber zu fünft können wir schon etwas ausrichten. Stellt euch das Gesicht dieses Wölfchens vor, wenn wir einen seiner Clanner ausschalten sollten.“ Zero grinste breit.
Aus leeren Augen schaute Maareike zu ihm hinüber. Ihr war mittlerweile alles egal. Sie hatte verloren, alles verloren und jetzt war sie am Boden zerstört. Sie packte ihr Gewehr und zurrte ihr Trainingsgeschirr, welches einen Treffer simulieren und durch lautes Piepen ihren „Tod“ signalisieren würde, so fest, dass es ihr fast die Luft abschnürte. Sie wusste, dass sie gegen die Wolfselementare nicht den Hauch einer Chance hatten und ihr Selbstbewusstsein war im Augenblick irgendwo unterirdisch begraben.
Als die Übungssirene losging und sich die fünf Infanteristen in dem kleinen Wäldchen verteilten um möglichst einen der gegnerischen Elementare vor die Gewehre zu kriegen, ging sie nur halbherzig in Stellung. Ziemlich bald hörte sie das Fauchen von Sprungdüsen und die Geräusche von Kämpfen in der Nähe. Sie wusste nicht, wie es stand und es interessierte sie auch nicht wirklich.
Dann sah sie einen der Purifier elegant in die Luft springen, nur um dort mittig von einer KSR getroffen zu werden. Die Übungsgranate explodierte mit einem grossen Knall und überzog den Elementarpanzer mit einem Farbball aus rötlicher Farbe. Der Elementarpanzer verschwand aus der Sicht und war damit offensichtlich aus dem Rennen.
„Sergeant Rowan, wie ist der Status? Sollen wir uns hier wegbewegen?“ fragte Zero bei dem Chef der Elementare an.
„Neg, bleibt wo ihr seid. Wir haben Grace, Saya, Angela, Hasheem und Tipene verloren, die Wölfe sind aber auch nur noch zu dritt. Bleibt wo ihr seid, ich komme langsam zu euch.“ Ein lautes Zischen verriet Maareike, dass Rowan seinen Laser abfeuerte während er sprach. „Bereitet euch darauf vor, dass ich nicht alleine sein werde.“ Seine Letzten Worte gingen in einem Fauchen unter und Maareike wusste, dass er seine Sprungdüsen eingesetzt hatte.
Maareike knirschte mit den Zähnen, während sie erkannte, dass drei Wolfselementare nun gegen drei Chevalierelementare kämpften. Damit sah es nicht sonderlich gut für sie aus, wahrscheinlich auch der Grund, warum Rowan sie jetzt mit ins Gefecht bringen musste. Auch wenn sie die Elementare sicher nicht ausschalten konnten, so würden sie die Wölfe sicher ablenken und vielleicht sogar ärgern können.
So niedergeschlagen sie auch vor ein paar Minuten noch gewesen war, die Aussicht auf dieses Gefecht, bei dem sie vielleicht doch noch einmal ihren Wert für die Chevaliers zeigen konnte, versetzte sie jetzt doch wieder in Aufregung. Sie fixierte die Gegend und machte sich bereit.
Dann schoss wie aus dem Nichts ein Elementar aus einem nahen Dickicht hervor und noch bevor die Chevaliers auch nur einen Schuss abgefeuert hatten, jagte der Wolfskrieger einen abgeschwächten Laserstrahl direkt in Bobs Brust. Dessen Trainingsgeschirr als auch das Gewehr blockierten automatisch, so dass er noch nicht einmal zurückschiessen konnte. Doch das konnten immerhin die anderen noch und sie stoben instinktiv auseinander, während sie das Feuer auf den Elementar eröffneten. Doch die meisten Schüsse gingen vorbei, nur Cassie Callahan traf das Bein des Elementaren, das augenblicklich steifer in den Bewegungen wurde. Doch der Elementar liess sich davon nicht beeindrucken. Im Gegenteil, noch während er an den übrigen Chevaliers vorbei rannte, aktivierte er die Sprungdüsen und feuerte mit seiner MG, die in diesem Trainingsgefecht aber wie ein Impulslaser arbeitete. Cassie wäre in einem tatsächlichen Kampf zerrissen worden, doch hier legte sie sich einfach nur frustiert auf den Boden.
Der riesige Elementar landete hinter Ihnen und lege wieder mit seinem Armlaser an. Der Elementar schoss gleichzeitig mit Fully, doch während Fully damit Tod war, musste der Elementar nur wieder ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit einbüßen. Hilflos musste Maareike mit ansehen, wie der Elementar blitzschnell bei Zero war, dessen Gewehr beiseite riss noch ehe dieser schiessen konnte und dann das Trainingsgeschirr des Chevaliers mit der Metallkralle berührte. In einem echten Gefecht hätte er ihrem Kameraden gerade den Brustkorb zerfetzt, Doch so warf Zero frustiert sein Gewehr weg und setzte sich auf den Boden.
Jetzt war Maareike die einzige, die noch stand und sie feuerte dem Elementar ohne die geringste Reue in den Rücken und zielte direkt auf den Sprungtornister. Hätte der Elementar noch über KSR´s verfügt, dann hätte sie auch das versucht, aber die hatte der Riese bereits verschossen und die Lafette abgworfen. Dann drehte sich der Eementar langsam zu ihr herum und richtete den Laser auf sie.
Ein entsetzlich langer Augenblick verging doch nichts geschah. Dann senkte der Clanner den Arm und hob den MG-Arm und Maareike begriff, dass Fully seinen Laser getroffen haben musste. Instinktiv duckte sie sich davon und begann ins Dickicht zu rennen. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie sie die Schüsse des Elementar verfolgten, doch wie durch ein Wunder wurde sie nicht getroffen.
„Sergeant Rowan, wo bleiben sie? Ich könnte hier Hilfe gebrauchen“ hechelte sie durch den Funk, doch sie erhielt keine Antwort. „Norton, Gustav, wo seid ihr?“ Wieder keine Antwort, sie schien allein zu sein. Sie drehte sich zu dem Elementar herum, der sie humpelnd verfolgte. Offensichtlich hatte sie tatsächlich seinen Sprungtornister erwischt, denn der Clanner warf jetzt auch diesen ab, so dass er nur noch über seine Rüstung, das MG und die Metallkralle verfügte. Doch sein rechtes Bein war steif, so dass der Hüne Schwierigkeiten hatte ihr durch das Dickicht zu folgen. Sie drehte sich um, zielte sorgfältig und feuerte erneut in sein bereits steifes Bein, so dass dieses nun komplett blockierte. Der Clanner antwortete mit einer MG-Salve, die aber nur durch das Dickicht schoss, ohne Maareike nahe zu kommen.
Hektisch blickte sie sich um, denn sie konnte nur hoffen, dass nicht auch noch ein zweiter Elementar überlebt hatte. Wenn doch, war ihr Kampf ohnehin vergebens. Doch so hatte sie zumindest eine kleine Chance. Sie robbte und rannte durch das künstlich angelegte Gelände und war stets darauf bedacht genug Abstand zwischen sich und dem Elementar zu lassen. Jeded ihrer Laserschüsse quittierte der Elementar mit einer MG-Salve, doch Maareike tat das, was sie am besten konnte: Feuern, ducken und rennen. Feuern, ducken und rennen. Sie hatte keine Uhr dabei und konnte nicht sagen, wie lange das Ganze schon ging, vielleicht schon eine volle Stunde, oder auch zwei. Schliesslich verlor der Elementar die Geduld verlor und nahm seinen Helm ab. „Stravag, zeige dich endlich und kämpfe ehrenvoll anstatt dich im Gehölz zu verkriechen.“ Es war Strahlcommander Arjaun, sein Gesicht vollkommen verzerrt vor Wut.
Maareike reagierte nicht, warum auch, sie war im Vorteil. Der Clanner wurde zwar nicht müde, das gewiß nicht, aber seiner Rüstung war schon recht steif durch die weiteren Treffer, die ihm Maareike zugefügt hatte. Und seine simulierte MG-Munition würde sich sicher auch bald zum Ende neigen. Sie hatte es nicht eilig, sie hatte gelernt, dass man als Soldat mitunter auch mal warten musste, statt immer nur die möglichst schnelle Entscheidung zu suchen, wie es der Clanner haben wollte. Der Clanner wollte sie reizen und an ihr Ehrgefühl appellieren. Doch sie dachte gar nicht daran, jetzt aus ihrem Versteck zu kriechen und ihm diesen Gefallen zu tun. Sie blieb wo sie war und zielte sorgfältig. Dann zischte der Laserstrahl aus ihrem Gewehr und grub sich direkt in die bloße Stirn des Riesen. Arjauns Augen weiteten sich, als er seinen Fehler erkannte hatte und wutentbrannt warf er seinen gigantischen Helm auf den Arenaboden. Das penetrante Piepen, das den Simulationstod des Elementars zeigte, wurde überlagert durch ein markerschütterndes Brüllen.
Doch Maareike interessierte es nicht weiter. Sie zog ihrerseits den Helm aus und setzte sich erschöpft auf den Arenaboden. Ihre Muskeln zitterten und erst jetzt erkannte sie, das sie am körperlichen Limit gestanden hatte. Erst der Kampf gegen Tipene, dann gegen den Clanelementar, Maareike dröhnte der Kopf vor Schmerzen. Und dann brach sich die Anspannung bahn, und ihre Enttäuschung über die Niederlage gegen Tipene und die Tatsache, dass sie nicht zu den Elementaren gehören würde brachte sie zum Heulen. Sie schluchzte und schluchzte und hörte erst auf, als sie eine große Hand auf ihrer Schulter spürte.
Es war Rowan. „Du bist nicht verletzt, frapos?“ Rowan schien ernsthaft besorgt zu sein.
Maareike schüttelte den Kopf. „Nein, Sergeant, alles in Ordnung. Ich bin nur…“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Rowan nickte. „Gut, ruh dich etwas aus, aber nicht zu lange. Du musst noch deine Rüstung und die dazugehörige Ausrüstung packen lassen.“ Damit drehte er sich um und schickte sich an zu gehen.
Maareike blinzelte und rief ihm dann hinterher. „Meine Rüstung? Heisst das… Heisst das etwa…“
„Ja, dass heisst es“ grinste Rowan über seine Schulter hinweg. „Willkommen bei den Elementaren der Chevaliers, Corporal Maareike. Du hast dir deinen Platz redlich verdient.“
Maareike wusste nicht wie lange sie noch dort sass und ins Leere starrte. Doch dann schnellte sie jubelnd hoch und machte sich an die Arbeit. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, bis sie Arc Royal als Elementarin verlassen würde.
eikyu
Arc Royal
Der Kurier mit der „Priorität Alpha“ Nachricht wurde direkt zu Kitty geleitet als sie gerade mit Dominik bei den Wartungsaufgaben für den Cavalry waren.
Und genauso schnell wie er gekommen war, verschwand er auch wieder, ohne Worte zu verlieren oder ein Trinkgeld zu fordern. Ein deutliches Zeugnis dafür, das jemand sehr viel Geld ausgegeben hatte.
Kitty hatte sich nie die Mühe gemacht zu erfahren wie teuer eine „Priorität Alpha“ Nachricht war, die man über Comstar abgab. Ihre Schätzung lag bei mehreren Monatsgehältern. Wer also schrieb ihr?
Also öffnete sie die Nachricht…war erstmal überrascht über die vielen Worte die drin standen…jedes Wort kostete Geld…nachdem sie den Absender gelesen hatte wusste sie wer so viel Geld ausgegeben hatte und nach dem Lesen auch warum.
Sie seufzte leicht, gab Dominik zu verstehen das er alleine weiter machen musste. „Immer auf die Kleinen“ brummte er missgünstig. Andererseits wusste er auch, das irgendwas hinter einer solchen Nachricht stecken musste.
Stunden später sass sie im Büro von Germaine, der sich die Nachricht durchlas. Mit einen Stirnrunzeln gab er die Nachricht an Kitty zurück, fragte: „Was habe ich damit zu tun wenn du die Inhaberin des Konzern deines Vaters werden möchtest?“
„Der Arbeitgeber muss über Nebentätigkeiten des Arbeitnehmers unterrichtet werden.“
„Das schon. Aber hier sehe ich nun wirklich keinen Interessenskonflikt zwischen der Arbeit und der Nebentätigkeit. Zumal der Aufsichtsrat hier eindeutig schreibt das du nur den Namen gibst, also nichts tun musst.“
„Ein wenig mehr ist es schon. Bezieht sich aber mehr auf Papierkrieg den man einmal im Jahr durch geht. Die Arbeit erledigen Die. Ich segne nur mit ab, wenn es um Erweiterungen oder Schliessungen geht.“
„Und was ist dein persönlicher Gewinn bei der ganzen Sache? Ich meine, wenn die die Sache in den Sand setzen bist du dran. Also muss ja auch etwas für dich dabei heraus springen…“
„Ich bekomme die Aktien meines Vaters. Das verdoppelt mein Einkommen. Und was die Sicherheit anbetrifft: der Konzern existiert schon seid mehreren hundert Jahren. Ist halt ein Familienbetrieb“
„Wie ich schon sagte, habe ich nichts dagegen. Nur wundert es mich dass die soviel Geld ausgeben um eine Priorität-Alpha-Nachricht zu versenden. Und dann auch noch so viel Text.“
„Wir werben damit ein Familienbetrieb zu sein. Ein anderer Besitzer als jemand aus der Familie Hawk würde das Image zerstören. Stell dir vor, man würde die Chevaliers umbenennen und ihnen ein anderes Wappen geben, was das für ein Aufwand und für Kosten sind…“
Einen kurzen Moment überlegte Germaine. Dann lächelte er: „Das bedeutet aber auch, das du die Linie fortsetzen musst. Sprich: Heiraten, Kinder bekommen, häuslich werden…“
Kitty schüttelte den Kopf und schrieb: „Nicht unbedingt. Ich kann auch adoptieren. Das wurde in unserer Familie schon zweimal gemacht. Ist also nichts Besonderes.“
Germaine stöhnte…“Du bist echt unverbesserlich“
Damit war das Thema erledigt und Kitty machte sich schnellstens auf den Weg zu einer Comstarzweigstelle um ihre Antwort zu versenden.
Unterwegs musste sie darüber lächeln wie verrückt doch ihr Werdegang war: von einer Nonne zur Söldnerin und nun hin zur Inhaberin eines Konzerns, der Stofftiere herstellte und verkaufte.
Dirty Harry
Landstraße 305
Thannhausen, Wolf Besatzungszone
23. Juli 3065
Die stark gewundene Landstraße 305 lag malerisch eingebettet in das tief eingeschnittene Bachbett eines kleinen Gewässers, das sich über Jahrmillionen hier entlang gewunden hatte. Die Straße lag etwas abseits der üblichen Routen und war schon früh durch eine Schnellstraße zwischen der Hauptstadt und den wichtigeren Orten der Umgebung abgelöst worden. Unter der Woche lag die Route in einem Dornröschenschlaf, der nur gelegentlich von einem Bauern gestört wurde der sie noch brauchte. An Wochenenden war es schon anders, denn mit schöner Regelmäßigkeit suchten nach wie vor die Freizeitbiker mit ihren hochgezüchteten Maschinen und Hoverbikes die Schräglage auf dieser Strecke. Diese Art von Freizeitaktivitäten wurden immer weniger nachdem die Clans diese Welt erobert hatten und die Landbevölkerung nur noch als Arbeitskaste dazu gut war, die Felder zu bestellen. In der Zwischenzeit jedoch hatten einige Clanner wieder Gefallen an einer anderweitigen Freizeitbeschäftigung gefunden, die sie auf ihrer Suche nach Adrenalin nach vorne brachte. Es waren zwar kaum noch Maschinen aus der Zeit davor vorhanden, doch die wenigen, die es trotzdem noch gab, wurden hingebungsvoll gepflegt und an solchen Sommertagen wie diesem ausgeritten.
Strahlcommander Jersey brauchte diese Extremerfahrungen am Rande des Abfluges immer mehr. In seiner letzten Rolle als Angehöriger der Solahma würde er nie mehr jene Aufregung erfahren, die er brauchte, um jenes kostbare Gefühl des Lebens zu erfahren. Die Landstraße 305 war ihm bis dahin eher verborgen geblieben, zumal man die ganze Kaserne davor gewarnt hatte, zu weit in die abgelegenen Teile der Welt vorzustoßen. Aber darüber hatte er sich hinweg gesetzt. Er hatte schon von mehreren Einheimischen gehört, dass diese Strecke eine Königsroute für alle Biker sei. Was auch immer sie damit gemeint hatten, dieser Kurs war anspruchsvoll und herausfordernd. Lichte Wälder erzeugten unstete Lichtverhältnisse auf dem Aspahltband und abrupt zuschnürende, teils scharfe Kurven ließen nicht vorab erkennen, wie es weitergehen würde. Überhöhte Geschwindigkeit am Kurveneingang würde die Traktion gnadenlos bestrafen und doch war es genau das, was er suchte.
Tief duckte er sich über den Tank als der Motor erneut aufbrüllte und das leichte Superbike nach vorne riss, der nächsten unbekannten Kurve entgegen. So glücklich hatte sich der Strahlcommander schon seit Monaten nicht mehr gefühlt. Das hier war Leben.
Bis ihn eine gerichtete Ladung samt seinem Motorrad von der Straße blies und in tausend Fetzchen über die umgebenden Bäume und Sträucher verteilte.
Einen Moment später traten zwei hagere Männer an die Reste der Abschussvorrichtung und sahen sich an, was noch übrig geblieben war.
„Glaubst du, mit den Überresten kann man noch was anfangen?“, fragte der Kleinere der Beiden.
„Nein. Das ist höchstens noch Altmetall“, brummte der Größere ohne ein Wort zuviel zu verlieren.
„Schade. Packen wir ein. Die Spurensicherung braucht nicht mehr zu finden als unmittelbar notwendig.“, erwiderte sein Kamerad, lud das restliche Gestell auf einen kleinen Truck und fuhr davon. Die sterblichen Überreste des Clanners hatten sie keines Blickes gewürdigt.
***
Führungsbunker Gamma, Finton
Thannhausen, Wolf Besatzungszone
25. Juli 3065
Sterncaptain Taylor vom 45. Solahmasternhaufen zeigte sich sichtlich nervös angesichts der acht Männer in seinem Büro. Keinem von denen konnte er über den Weg trauen. Keiner von denen war wirklich auf seiner Seite, selbst wenn sie alle ein und dem selben Clan angehörten. Im Gegenteil. Ihre Anwesenheit bedeutete, dass er versagt hatte. Dieses Gefühl hatte früher schon an ihm genagt, aber nun konnte er sich sicher sein, dass auch die Führung des Toumans dieser Meinung war. Niemand schickte solche Leute auf seine Welt, wenn er mit seiner Leistung zufrieden war.
„Sterncolonel Jorado meldet sich zum Dienst, abkommandiert von Tamar“, meldete sich der Anführer der Gruppe mit fester Stimme. Aber seinem Gesicht fehlte jeglicher Ausdruck. Weder Abscheu noch Stolz auf seinen Titel. Bei diesen Männern schienen militärische Titel ohnehin nur Pro forma zu sein.
„Die Wache hat sie hierher geschickt“, kommentierte der Sterncaptain wenig erfreut.
„Das ist nicht ganz korrekt“, erwiderte sein Gegenüber, „Wir SIND die Wache.“
Es war eine Antwort, die Sterncaptain Taylor mit als letztes hatte hören wollen. Es konnte einfach nicht gut sein, wenn sich die Wache direkt in seine Angelegenheiten einmischte. Es zeigte aber vor allem, dass seine kleine Welt in deren Interessenfokus gerückt war. Es bedeutete vor allem, dass er den Aufständischen nicht gut genug Herr geworden war. Mit der Anwesenheit des Geheimdiensts des Clans zeigte sich überdeutlich, dass andere der Meinung waren, dass seine Leistungen zur Bekämpfung des Widerstands nicht ausgereicht hatten. Nun schickten ihm die Khane diese Bastarde von der Wache auf den Hals.
„Ich denke nicht, dass ich sie noch sonderlich über die Gegebenheiten auf dieser Welt informieren muss, franeg?“, fragte er dennoch nach.
„Neg, aber würden sie es dennoch versuchen?“, erwiderte sein Gegenüber und schien bereits Informationen über sein Versagen zu sammeln, dass er seinen Vorgesetzten weiterreichen konnte. Taylor seufzte und begab sich dann wieder an seinen Schreibtisch um ein Holopad herauszuholen.
„Thannhausen“, brummte der Sterncaptain mürrisch, „Erobert durch unseren glorreichen Clan im November 3051. Die Welt wurde von zwei Einheiten sphäroider Surats verbissen gehalten und konnte erst durch Zerstörung ihrer Kommunikations- und Kontrollstruktur niedergerungen werden. Der Clan zog in die letzte Welle vor Tukkayyid weiter und überließ unserer Einheit die Kontrolle dieser Welt. Wir haben den Raumhafen, die Hauptstadt und deren Einrichtungen sowie die größten und wichtigsten Produktionszentren gesichert. In den riesigen Weiten dieser aber überwiegend agrarisch ausgerichteten Welt konnten wir keine Dominanz etablieren und der frühzeitige Abzug überlegener Truppen ließ eine entscheidende Widerstandskraft der aufständischen Bevölkerung zu. Sie sind dort draußen durch Ortskenntnisse und Unterstützung in der Bevölkerung klar im Vorteil. Außerdem wurden sie lange Zeit noch durch Versorgungsflüge aus der Inneren Sphäre mit Nachschub versorgt. Das sorgte dafür, dass wir bestenfalls durch gezielte Ausfälle ein besonders stark infiltriertes Gebiet für kurze Zeit befrieden konnten, aber in den meisten Fällen konnten die Widerstandskämpfer durch ihre weit bessere Ortskenntnis unserem Zugriff entgehen und oder in benachbarte Gebiete ausweichen. Wie wir es auch angestellt haben, es war ein Kampf gegen ein paar ausgesprochen lästige Schmeißfliegen, die sich nie ausrotten ließen.“
„Haben sie schon über radikalere Maßnahmen nachgedacht?“, fragte der Offizier der Wache nach.
„Radikalere Maßnahmen?“, zeigte sich der Sterncaptain erstaunt, „Meinen sie damit Ortschaften einkesseln und demonstrativ dem Erdboden gleich machen?
Solche Maßnahmen sind nicht nur barbarisch, sondern auch erfolglos. Bei einer unserer ersten Aktionen haben wir ein als Partisanennest verschrieenes Dorf auszuheben versucht. Statt unserem Ziel einen Schritt näher zu sein, hatten wir danach zehn Verluste und mehr als doppelt so viele Partisanenaktivitäten in jener Region.
Anzahl und Ausmaß der Aktionen nehmen erst in letzter Zeit spürbar ab. Das muss anscheinend mit den Veränderungen in der Machtstruktur der Nachfolgestaaten zusammenhängen. Auf jeden Fall bleiben nach unseren Informationen die Nachschubflüge seit etwa acht Monaten aus, was die Schlagkraft der Rebellen spürbar einschränkt. Dennoch darf man sich nicht zu früh freuen. Sie sind immer noch da draußen und zu konzentrierten und koordinierten Aktionen fähig. Wenn wir nicht endlich ihre Intelligenz, ihre strategische und taktische Führung zu fassen bekommen, werden wir niemals mehr mit ihnen fertig werden.“
„Das lassen sie mal unsere Sorge sein“, erwiderte der Sterncolonel unterkühlt, „Wir werden diese dreckigen Surats mit Sicherheit schon bald finden.“
Der Kommandeur schnaubte nur. Warum sollte der Wache etwas gelingen, was ihm schon seit mehreren Jahren verwehrt blieb?
***
HPG Thannhausen
Thannhausen, Wolf Besatzungszone
18. August 3065
Andreas Volters schlich durch das große Gebäude, das einstmals Comstar gehört hatte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie hier die Kuttenträger mit diesem geistig verklärten Gesichtszug durch die Gegend gewandelt waren. Doch von jenem mystizistischen Glanz war nicht mehr viel geblieben.
Nachdem sich Comstar mit Operation Scorpion in den letzten Zügen der Invasion bei allen Fraktionen unbeliebt gemacht hatte, hatten die Clanner die Kontrolle über die interstellare Kommunikation in ihrem Territorium übernommen. Mit den Clannern war aber auch vor allem eine wesentlich nüchternere Ausstattung verbunden. Statt des alten Comstarlogos fand sich nun nur noch der Wolfskopf auf dem Fußboden. Wahrscheinlich wäre noch nicht einmal der zu sehen, wäre es nicht als Machtdemonstration vom ersten Besatzer so angeordnet worden. Das war ein aufgeblasener Sack gewesen, der tatsächlich an den Mist glaubte, den er abließ. Befreiung der Inneren Sphäre vom Joch der barbarischen Nachfolgefürsten. Dominanz der Clans durch physische und intellektuelle Überlegenheit. Wäre dieser Spinner nicht von seinem eigenen Oberkommando auf einen anderen Planeten abgezogen worden, wäre es Volters ein Vergnügen gewesen, ihm den Schädel mit etwas ganz neuem zu füllen.
Was wussten diese Sklaventreiber denn schon von Freiheit? Sie waren mit ihrer hypermodernen Ausrüstung eingefallen wie ein Haufen Heuschrecken, hatten den Krieg zu ihrem Freizeitvergnügen und Lebenszweck pervertiert und sie zu Untermenschen abgestempelt, nur weil man ihrer Kriegsmaschinerie von Anfang nichts Gleichwertiges entgegenstellen konnte. Dass es auch anders gehen konnte, hatte Operation Bulldog gezeigt – selbst wenn es die Nachrichtenfritzen am liebsten geheim gehalten hätten. Aber damals hatten sie ihre physische Dominanz wohin geschoben bekommen. Nachdem sie nicht mehr gegen Jahrhunderte alte Flickschustereien kämpften und die Nachfolgefürsten erstmals Piloten aufgestellt hatten, die in Training und Ausbildung ebenbürtig waren, hatten diese arroganten Säcke die Fresse voll bekommen.
Es war genau das, was Volters den Kampf gegen diese Besatzer aufrechterhalten ließ. Und deshalb war er heute auch wieder in der HPG-Station.
„Ach, Andreas! Mal wieder ein Brief an die Ex-Ehefrau.“
„Nicht an die. An meine Kinder. Die Ex ist nur der Empfänger.“, brummte Andreas und überreichte den Brief an den Schalterbeamten. Der Mann kannte ihn bereits, denn Volters kam regelmäßig um eine Nachricht an seine Familie abzuschicken. Volters verzichtete auf Holonachrichten und schickte gute alte Textnachrichten. Nach wie vor waren sie billiger und kleiner als der restliche Hochtechnologieschnickschnack.
Aber grundsätzlich war alles nichts als heiße Luft.
Eine Exfrau hatte er zwar, aber die lebte nicht auf Fukuroi. Kinder hatte er nie hinbekommen, bevor sie vor den Clans abgehauen war. Und selbst wenn er welche gehabt hätte, hätten die sich wahrscheinlich über seinen kruden Schreibstil aufgeregt. Aber grundsätzlich wären die nie die wirklichen Empfänger gewesen. Tief eingebettet in die Briefe lagen Aufklärungsdaten, Truppenaufstellungen und andere Informationen versteckt. Er schrieb nicht nur wegen des ausgefeilten Schriftbilds mehrere Tage an so einem Brief.
Doch dieser letzte Brief enthielt mehr: Eine flehentliche Bitte um Versorgung. Sie gingen hier auf dem Zahnfleisch, nachdem die Oberschlampe vom Tharkad die für den Widerstand lebenswichtigen Versorgungsflüge aus unbekannten Gründen eingestellt hatte. Sie brauchten hier dringend neue Munition und Ersatzteile oder diese Clanner hatten doch noch geschafft, was sie über ein Jahrzehnt lang nur versuchten.
Für den Schalterbeamten war das nicht offensichtlich. Er scannte nur den Brief ein und adressierte ihn an die passenden Relaisstationen. Als er zurückkam, hatte er nur den Sendebescheid in der Hand.
„Vom üblichen Konto und die übliche, niedrige Sendepriorität, oder?“, wollte der Mann wissen.
„Ja, wie immer“, bestätigte Volters und sah zu, wie der Versand bestätigt wurde. Damit war der Brief nicht mehr aufzuhalten und Volters hatte seine Aufgabe auch für diesen Monat wieder erfüllt. Die Umwelt wusste noch von ihnen und das war alles, was bei diesen Briefen zählte.
Andreas Volters steckte die Bescheinigung weg und winkte dem Mann am Schalter noch einmal zu, bevor er die Empfangshalle verließ. Jedoch noch vor seinem Weg nach draußen erkannte er dort mehrere Leute, die dort in dieser Form garantiert nicht hingehörten. Vor allem diese beiden ausdruckslosen Stiernacken in der Mitte des Eingreifkommandos konnten nur zu der einen Bedrohung gehören, die er ebenfalls im Brief angedeutet hatte: Der neu eingetroffenen Clanwache. Also hatten sie ihn aufgespürt. Sie waren clever, das hatte er bereits geahnt, als die Anzeichen für ihre Aktionen immer deutlicher wurden. Aber er hätte nicht gedacht, dass sie so schnell auf ihn aufmerksam würden. Immerhin hatte er sich zehn Jahre lang dem Zugriff der üblichen Greifertrupps entziehen können. Wahrscheinlich waren seine regelmäßigen Briefe zu eindeutig gewesen. Aber nun waren es ohnehin nur noch Spekulationen.
Noch einmal drehte er sich zum Schalterbeamten um.
„Ist der Brief schon raus?“
„Das HPG hat den Versand gerade bestätigt. Du kennst doch die Sendetermine besser als ich. Wieso?“
„Gut“, brummte Volters betrübt, „Aber ich hätte noch eine Frage.“
„Welche?“
„Sind die Scheiben da vorne aus Transpex?“
„Habe ich nie ausprobiert, aber zur Mentalität von Comstar würde es passen, wieso?“
„Schade, ich hätte es lieber vorab gewusst“, brummte Volters.
„Major Andreas, stellen sie sich! Kommen sie mit erhobenen Händen heraus oder wir werden gezwungen sein zu stürmen.“, kam es in der Zwischenzeit von draußen.
Sie hatten ihn also wirklich enttarnt, das stand schon mal fest.
„Bedauerlich“, seufzte Volters und griff unter die Jacke. Bereits zu diesem Augenblick reagierten die Greifer reichlich nervös.
„Vielleicht solltest du den Kopf einziehen. Könnte sein, dass es gleich ziemlich hässlich wird“, wandte er sich noch einmal an den Schalterbeamten hinter ihm, bevor er mit einer wuchtigen Pistole unter der Jacke hervorkam.
„Legen sie die Waffe weg!“, befahl ihm der Mann auf der Straße, doch Volters konnte nur müde lächeln.
„Ihr könnt uns unterjochen, ihr könnt uns enteignen, ihr könnt glauben uns einfach zu absorbieren. Ihr könnt von mir aus auch glauben, dass ihr was Besseres seid, aber schlussendlich gilt eines: Ihr seid auch nur Besatzer und als solches bekämpfen wir euch. Denn eines sind wir noch lange nicht und das ist gebrochen. SO werdet ihr das nie schaffen. Fahrt zur Hölle, ihr Bastarde!“
Volters zog die Pistole hoch und feuerte fünf Schuss direkt in Richtung des größeren Stiernackens. Doch nichts passierte. Nur die dicken Plastikscheiben splitterten und schluckten die Energie der Stahlkerngeschosse vollständig.
„Zu schade“, bedauerte es Volters.
Er konnte erkennen, wie der Sturmtrupp sich bereit machte. Eines war sonnenklar: Wenn sie ihn schnappen konnten, dann würde der gesamte Widerstand dieser Welt gefährdet. Er wusste um die Notwendigkeit einer letzten Aktion. DER letzten Aktion.
„Niemals!“, fauchte Volters und überprüfte noch einmal seine Waffe. Eine Kugel hatte er mit Sicherheit noch.
„Niemals bekommt ihr mich dazu, meine Freunde zu hintergehen. Niemals würde ich das tun, was ihr schwanzlosen Bastarde als selbstverständlich anseht. Niemals werde ich mich euch ergeben. Niemals werde ich meine Kameraden verraten. Niemals!“
Kurz bevor das Kommando die Halle stürmen konnte, hob Volters die Waffe an den Kopf und drückte ab.
„Was für eine Verschwendung“, bedauerte es Sterncolonel Jorado als er über dem Leichnam des Majors stand.
„Er hätte uns mit Sicherheit einiges sagen können“, bestätigte ihn sein Kollege.
„Pos. Aber er hat seinen Widerstand bis zur letzten Konsequenz durchgezogen. Wie auch immer. Wenn er nicht mehr reden will, werden wir uns einen weiteren suchen müssen, der dazu… bereit ist. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“, seufzte der Sterncolonel und wandte sich um. Den Rest überließ er den niederen Kasten, das war nicht mehr sein Zuständigkeitsbereich.
Ace Kaiser
Arc Royal Defensiv-Kordon
Arc Royal, Royal Port
31.08.3065
Drei Tage hatte Germaine Danton veranschlagt. Drei Tage, bis die Chevaliers abmarschbereit waren. Davon waren nun zwei um.
Die Verladearbeiten hingegen waren fast abgeschlossen. Bis auf eine Lanze Mechs und das Pioniergerät war alles verladen.
Plötzlich über den erheblichen Platz eines Overlords zu verfügen hatte definitiv Vorteile.
Zwar musste immer noch die beste Balance an Bord berechnet werden, aber da genügend Platz zur Verfügung stand mussten sie nicht jede Ecke bis zum Anschlag voll stopfen.
Darüber hinaus hatten die Infanterie- und Pioniermannschaften an Bord beinahe schon vulgär viel Platz.
Germaine ließ seinen Blick über den Schreibtisch gleiten, an dem er nun drei Wochen gesessen hatte. Er würde ihn nicht so bald wieder sehen. Der geheime Plan des Koordinators und von Anastasius Focht, seinen Chevaliers nach der Schlägerei auf Bryant etwas Ruhe zu gönnen, war mit der Attacke des Wolfclans auf eine Wolf im Exil-Einrichtung hinfällig geworden.
Dort hatte Wolf im Exil drei seiner Leute entführt und zwei getötet.
Und er wollte seine drei Leute wieder haben!
Zu diesem Zweck hatte Germaine Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um von Lord Kell die Erlaubnis zu bekommen, mit seinen Chevaliers den Wölfen hinterher zu hetzen, was eigentlich einen Kontraktbruch bedeutete.
Stattdessen war seinen Chevaliers ein Unterkontrakt angeboten worden.
Sie sollten ein paar vom Clan Wolf besetzte Welten abklappern, hier und da den immer noch schwelenden Widerstand aufpäppeln und bei der Gelegenheit Informationen suchen, wohin seine Leute gebracht worden waren.
„Germaine?“
Der Major zuckte heftig zusammen, als die Gegensprechanlage aktiviert wurde. Cindy würde ja genau wie er als einer der letzten die Kaserne verlassen. „Hier.“
„Wir haben einen Gast von den Hounds für dich.“
„Soll reinkommen. Und mach bitte Kaffee.“
Cindy lachte amüsiert auf. Für sie war diese Anweisung in etwa so nötig gewesen wie ihr die Funktionsweise eine Shimatsu-MP zu erklären.
Die Tür öffnete sich und Christian Kell kam herein.
Germaine erhob sich, kam um den Schreibtisch herum und reichte dem großen Mann die Hand. Mit ihm hatte ihn sofort ein Gefühl verbunden, eine Gemeinsamkeit, ein gleichticken.
Um es banal auszudrücken, sie waren vom gleichen Schlag.
Chris Kell schien es ebenfalls so zu sehen, denn er drückte die Hand des Majors nicht weniger fest.
„Willkommen, Chris. Nehmen Sie Platz!“ Germaine ging um den Schreibtisch herum und setzte sich selbst wieder. „Was führt Sie zu mir, mein Freund? Sind Sie vielleicht der Kontaktoffizier, der mir avisiert wurde?“
Bedauernd schüttelte Kell den Kopf. „So gerne ich Ihre kleine Bande begleiten würde, Germaine, aber es gibt da ein Bataillon das ich führen muß. Vielleicht haben wir ein andernmal die Gelegenheit, miteinander zu arbeiten.“
„So“, machte Germaine und ließ offen was er dachte.
Cindy kam herein, brachte eine große Kanne und zwei Tassen. Sie stellte alles mit einem freundlichen Lächeln ab, nicht ohne den freundlichen Hinweis, dass Milch und Zucker in der geheimen Bar im Büro zu finden waren – gleich neben dem Scotch.
Verlegen schenkte sich Germaine ein, schwarz. Irgendwie war es ihm immer peinlich, wenn sein erheblicher Alkoholgenuss angemerkt wurde.
„Und haben Sie schon entschieden, wen Sie uns mitschicken? Einen Wolf oder einen Hound?“
Chris Kell rieb sich das Kinn. „Beide waren im Gespräch, ein Wolf, weil es eine geheime Operation gegen Clan Wolf ist. Was zugegeben Sinn gemacht hätte.
Und ein Hound, weil… Nun, weil die Chevaliers nicht gerade Zellbrigen einhalten werden, wenn sie Guerilla-Einheiten aufpäppeln. Die Entscheidung ist noch nicht getroffen, aber seien Sie versichert, dass wir Ihnen einen exzellenten Offizier mitgeben werden.“
„Danke, Chris. Was verschafft mir dann die Ehre Ihres Besuchs?“
Der Hound griff in seine Uniformjacke und zog ein Bündel Dokumente hervor. „Ihr erstes Ziel, Germaine. Thannhausen.“
Neugierig nahm der Chevalier die Dokumente entgegen. „Ziemlich weit drin, oder?“
„Geht so. Zwei Sprünge. Zwei Dinge machen diese Welt interessant.
Nummer eins ist, dass die großen Städte die einzigen Gebiete waren, die vom Clan kontrolliert wurden, weil im Hinterland die verbliebenen Steinertruppen das Sagen haben. Oder vielmehr hatten, denn Katherine hat die Hilfslieferungen an die Guerilla aus unerfindlichen Gründen für Wolfgebiet eingestellt.“
„Ach, wie passend. Wir haben also eine funktionsfähige Einheit, die die Clanner fast vom Planeten runter gejagt hat. Wir bringen ihnen Versorgungsgüter, aber das wird nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, außer Wolf im Exil oder der ARD-Kordon beabsichtigt, diese Flüge regelmäßig zu machen.“
„Darüber diskutieren wir noch. Aber erst einmal bringen Sie einen Schwung Nachschub nach Thannhausen. Der Rest ist nicht mehr Ihre Sache.“
„Wie nett, Chris. Und die zweite Sache, die Thannhausen interessant macht?“
Der Kell grinste wölfisch. „Es gibt da jemanden, dem sollten Sie dringend ein paar Fragen stellen. Vor allem nach Identität und Verbleib der Truppe, die Ihre Leute auf Angel´s View Point entführt hat.“
Germaine riss erwartungsvoll die Augen auf.
„Vor einigen Tagen hat die Solahma-Einheit, die Thannhausen hält, Verstärkung erhalten. Eine Spezialeinheit für Kontra-Guerilla. Direkt ausgebildet von der Wolfs-Wache.“
In Germaines Verstand machte es klick. Geheimdienst. Verdammt, Geheimdienst! Wenn sie die Finger auf Geheimdienstoffiziere der Wölfe bekamen, dann wuchsen die Chancen, die Identität der Angreifer zu klären exponentiell!
Noch besser, falls Wolf im Exil die Identität der Angreifer bis dato geklärt hatte, konnten sie die Wache-Offiziere über den Verbleib der Einheit ausquetschen!
„Das klingt doch recht viel versprechend“, murmelte Germaine.
„Beeilen Sie sich. Diese spezielle Einheit ist auf die Zerschlagung von Widerstand spezialisiert. Und sie verhält sich nicht gerade wie eine Clan-Einheit. Man könnte meinen Loki hätte die Offiziere ausgebildet. Es ist immer besser, die örtlichen Steinertruppen als Hilfe zu haben als sie zu rächen.“
„Verstehe. Und je eher wir diese Bastarde haben, desto eher kriegen wir unsere Informationen.“
Nachdenklich blätterte er durch die Unterlagen, sichtete Karten, Dossiers und einiges mehr. Alles in allem nicht mehr als zwanzig Seiten, erbärmlich wenig.
Chris bemerkte seinen Blick und erwiderte: „Das Militär der Allianz ist nicht sehr freigiebig mit Daten über offizielles Militär, das sich nun als Guerilla betätigt.“
„Ach so.“
„Ihre weiteren Stationen werden Ihnen im Flug mitgeteilt, Germaine. Wir rüsten die Chevaliers aus, damit sie mindestens fünf Planeten anfliegen können. Und nicht jede Welt wird so im argen liegen wie Thannhausen.“
„Danke.“
„Und es wird mehr Informationsmaterial geben. Hm, ich habe gehört, Sie bauen einen eigenen Geheimdienst auf. Er könnte bei einigen Infiltrationen hilfreich sein.“
Überrascht sah der Chevalier den Mechpiloten an. Woher wussten die Kells das nun wieder?
„Vielleicht.“
Chris Kell trank seinen Kaffee aus. „Ich werde Ihnen nächste Stunde mitteilen können, wen wir mitschicken. Nein, noch besser, ich schicke ihn gleich vorbei. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Germaine.“
„Natürlich, Chris. Und seien Sie versichert, in meinem Büro steht immer ein frischer Kaffee für Sie. Egal wo sich dieses Büro befindet.“
„Danke. Das weiß ich zu schätzen. Aber das nächste Mal sind bitte Sie mein Gast. Dann serviere ich einen guten Sake.“
„Ich bin gespannt.“ Germaine und der große Mann schmunzelten, schüttelten sich die Hände.
Dann verließ Christian Kell das Büro.
Zurück blieb Germaine Danton mit einem Packen Papier.
„Cindy. Wirf deinen Kopierer an. Ich habe hier was, das muss an alle Offiziere gehen.“
Ace Kaiser
Die Arbeiten gingen sehr gut voran. Die letzten Ausrüstungspakete und die letzte Lanze gingen an Bord der drei Landungsschiffe, die unter dem Kommando der Chevaliers standen.
Germaine hatte erwogen, die ROSEMARIE für diese Mission auf Arc Royal zu lassen, vor allem da Als Ehefrau nur noch wenig Zeit bis zur Geburt blieb.
Aber Mustafa al Hara ibn Bey hatte das mit einer großspurigen Geste abgelehnt. „Was?“, hatte er gesagt. „Wir sind alle Chevaliers und wir retten unsere Kameraden gemeinsam.“
Dem hatte Germaine nichts entgegen setzen können.
Chris Kell hatte sein Versprechen nicht gehalten. Weder waren Germaine Unterlagen ihres Verbindungsoffiziers noch der Offizier selbst eingetroffen. Ach nein, Beobachter traf es wohl besser. So hatte es zumindest saKhan Marco Hall ausgedrückt.
Germaine huschte in der Endphase der Verladeeinheiten von Lander zu Lander, um letzte Details abzusprechen. Er hatte auch vorgehabt mit dem Piloten von den Kell Hounds zu sprechen, der ihnen Zwangs überstellt worden war, aber der Mann war im Gegensatz zu seiner Maschine nicht aufzufinden gewesen. Sprich, er hatte sich mit Durchfall auf einer Toilette verbarrikadiert.
Na, wenigstens war die Frauenübermacht bei den Luft/Raum-Piloten nun endlich Geschichte.
Die Höllenhunde hatten ihre Verladearbeit bereits abgeschlossen. Dass Manfred Scharnhorst sie begleiten, sprich sie bis auf weiteres kommandieren würde, bis er seine Qualifikation für die Mechs wieder erlangte, hatten sie hingenommen. Immerhin wussten sie, dass er sein Callsign Tank nicht dafür bekommen hatte, dass er zweibeinige Blechbüchsen gesteuert hatte.
Tatsächlich machte sich Germaine Sorgen, ob er seinen Stellvertreter von den Panzerfahrern wieder kriegen würde. Nicht, dass es eine schlechte Lösung gewesen wäre, beileibe nicht.
Der Rest der Einheit war im allgemeinen Gewusel an Bord gekommen, das mobile HQ als einer der Letzten.
Zwischendurch hatte Germaine fast eine Szene befürchtet, als Corporal Yamada den Puma von Jara Fokker an Bord gesteuert hatte, aber Thomas Fokker hatte nicht wirklich Streit im Sinn gehabt, als er die neue – temporäre, wie er betont hatte – Pilotin des Mechs seiner Schwester in Augenschein genommen hatte. Sein aus tiefer Kehle geschnaubtes „In Ordnung“ musste man in diesem Zusammenhang schon als sehr großes Lob verstehen. Dem entsprechend hatte Katana, so Yamadas Callsign, aufgeatmet.
Doch das war nur eine Szene von vielen gewesen und bei den meisten war Germaine dabei.
Mittlerweile war natürlich das Ziel der Einheit durchgesickert und der Major war sich sicher, dass das Aktenpaket, welches Christian Kell ihm gebracht hatte, mittlerweile hundertfach kopiert und unter seinen Leuten verteilt worden war. Dies war natürlich der Anfang einer endlosen Diskussion über die Taktiken der Steinertruppen gegen die Solahma-Einheiten der Wölfe auf Thannhausen.
Einige befürworteten den absoluten Widerstand ohne jede Annäherung an den Feind, den Eroberer, den Besetzer, andere fanden, dass das Ziel keinesfalls die Mittel billigte und dass sich jede militärische Einheit so beurteilen lassen musste wie sie handelte.
Eine dritte Fraktion gab es, die zumindest bei den meisten Aktionen der Guerillas ein Auge zudrückten, die Bombenanschläge und Angriffe auf Kollaborateure jedoch grundwegs ablehnten.
Die temporäre Zusammenarbeit mit dieser Truppe würde in jedem Fall schwer werden.
Und sie mussten zusammenarbeiten, denn es ging Germaine nicht nur darum, auf Thannhausen ein paar Tonnen Waffen und Ausrüstung abzuliefern. Nein, er wollte auch ein, zwei oder am besten alle Offiziere der Wache kassieren und aus ihnen ein paar wichtige Details herauskitzeln. Er fragte sich selbst wie weit er für die Beantwortung dieser Fragen gehen würde. Und er erschrak über die Antwort.
„Sir, auf ein Wort“, meldete sich Yamada an seiner Seite. Die junge Frau, die sie auf Bryant zusammen mit sieben überlebenden Söldner regelrecht gekauft hatten, tauchte an seiner Seite auf. Ihr Salut war vorbildlich, aber ihr Gesicht draconisch starr.
„Reden Sie, Katana.“
„Sir, ich melde hiermit Bedenken an. In der Einheit gehen Gerüchte um, Sie würden temporär ein… intimes Verhältnis mit Sakura pflegen.“
Germaine erschrak. Erstens, weil diese Tatsache irgendwann einmal durchsickern musste. Zweitens, weil die Drac es ihm eiskalt ins Gesicht sagte. Und drittens weil er sich vor den nächsten Worten der schlanken Frau fürchtete.
„Hören Sie, Katana, es ist nicht so als hätte ich etwas begonnen und…“
„Ein Sergeant und der Major, ich bitte Sie, Sir, da denkt doch jeder anständige Soldat sofort der Sergeant nutzt seinen Chef aus.“
Germaine wurde bleich. Er räusperte sich, hustete ein paar Mal und musterte Yamada dann sehr, sehr böse. „Das macht Ihnen Spaß, nicht wahr, Katana? Mich so vorzuführen. Ich dachte schon, Sie…“
„Beileibe nicht, Sir. Und ja, es macht mir Spaß“, erwiderte sie mit einem vollkommen undraconischen Lächeln.
Übergangslos wurde sie ernst, sogar etwas kühl. „Sir, das heißt aber nicht, dass meine Worte nicht ernst gemeint wären. Die meisten hier wissen nicht, dass…“
„Entschuldigen Sie die Störung, Herr Major“, meldete sich MeisterTech Simstein zu Wort.
Danton wandte sich um und bedeutete Katana in der Nähe zu bleiben. „Was gibt es denn so dringendes, Doreen?“
Die MeisterTech, die durch den plötzlichen Tod im Gefecht ihres Vorgesetzten Nagy Isthvan aufgestiegen war, deutete zum Hangarschott.
Germaine erstarrte. Dort erkletterte gerade ein Black Hawk die Rampe, eingewiesen von einem Techniker, der den Giganten in eine freie Wartungsbucht lenkte. „Der Verbindungsoffizier ist da, Sir.“
Germaine nickte Katana zu, sie sollte ihm folgen. Doreen Simstein setzte sich an die Seite ihres Vorgesetzten und väterlichen Freundes und ging mit ihm auf die Clansmaschine zu.
Überdeutlich prangte das Symbol des Clan Wolf im Exil auf der Maschine.
Und ebenso deutlich konnte man die beiden Extremreichweiten-PPKs erkennen, welche diese Maschine zu einem gefährlichen Gegner machte.
„A-Konfiguration“, kommentierte Germaine. Damals gegen die Falken hatte er öfters gegen solche Modelle kämpfen müssen. Der geduckte Mech war kompakt und bot eine kleine Angriffsfläche. Und wusste besser auszuteilen als mancher schwerere Innere Sphäre-Mech.
Das Cockpit ging auf, eine schlanke Gestalt kletterte hervor. Auch auf ihrem Overall prangte das Zeichen von Clan Wolf im Exil. Darüber hinaus war aber auch das Rangabzeichen eines SternCommanders an ihm befestigt.
Die Offizierin der Wölfe kam herab, salutierte vorschriftsmäßig und meldete: „SternCommander Elegy. Ich melde mich zum Dienst als Beobachtungs- und Verbindungsoffizier. Und bevor Sie fragen, ja, ich bin eine Abtacha von den Jadefalken. Phelan Kell und Marco Hall fanden die Idee, ihnen jemanden mitzugeben der schon gegen die Wölfe gekämpft hat sehr ansprechend.“
Hastig holte Germaine den Salut nach. „Major Germaine Danton, Kommandeur der Dantons Chevaliers. Willkommen an Bord, SternCommander Elegy. Die Innere Sphäre ist klein.“
„In der Tat, das ist sie, Freigeburt. Und sie ist anscheinend immer für eine Überraschung gut.“
„Katana, seien Sie so gut und zeigen Sie der SternCommander ihre Kabine. Nach dem Start haben wir eine Besprechung. Assistieren Sie SternCommander Elegy bis dahin als Adjutant.“
„Aye, Sir. Ma´am. Würden Sie mir bitte folgen?“
Elegy salutierte noch einmal knapp und ging dann der Draconierin hinterher.
„Überraschung?“, hakte Doreen nach.
Germaine grinste schief. „Eine alte Geschichte. Als ich mit Team Stampede gegen die Jadefalken angetreten bin, hat sie mich aus meinem Mech geschossen und ich sie aus ihrem. Seitdem habe ich ja den Thor.“
„Ach, die Geschichte“, murmelte Doreen nachdenklich. „Aber gehört da nicht noch was zu? Ein Zweikampf auf Leben und Tod, der in der Erschöpfung der beiden Kontrahenten endete, nur um einen etwas anderen Zweikampf folgen zu lassen, der…“
„Ich glaube, Kapitän Martyn wollte mich dringend vor dem Abflug noch mal sprechen. Und du bist ja auch mit der Neuausbalancierung der Fracht beschäftigt. Fünfundfünfzig Tonnen kann man nicht so ohne weiteres ignorieren, oder?“
„War das ein Befehl? Sir?“
„Ja.“
Enttäuscht begann die Tech zu murren. „Die Geschichte ist aber interessant. Und so lehrreich. Ein altes terranisches Sprichwort sagt: Make Love, not…“
„DOREEN!“
Schmunzelnd beobachtete die junge Simstein den Abgang des Majors, die mehr einer Flucht glich.
Andai Pryde
-Platzhalter-
Thorsten Kerensky
+++ INCOMING HPG MESSAGE +++
+++ PRIORITY: ALPHA +++
+++ TO: MAJOR DANTON, DANTON CHEVALIERS, ARC ROYAL +++
+++ FROM: LIEUTENANT COLONEL KUHN, STAFF DAVION GUARD, NEW AVALON +++
Sehr geehrter Major Danton,
ich hoffe, diese Nachricht erreicht Sie rechtzeitig, bevor Ihre Einheit Arc Royal verlässt. Da wir uns noch nicht begegnet sind (ich aber Ihre Akten studieren durfte), erlaube ich mir, mich kurz vorzustellen, bevor ich zum Kern meines Anliegens komme. Ich bin Lieutenant Colonel bei den Davion Guards, dort eingesetzt im Stabsdienst. Mit vollem Namen heiße ich Henriette Kuhn, geborene Fokker.
Wie Sie jetzt sicher kombinieren können, bin ich mit Richard Fokker verwandt, dem kürzlich verstorbenen Vater zweier Ihrer Soldaten. Genaugenommen sind Jara und Thomas Fokker meine Nichte/mein Neffe.
Zu meinem tiefsten Bedauern habe ich Jara noch nie in meinem Leben gesehen und auch Thomas seit fast 30 Jahren nicht mehr, wie es das Soldatenschicksal so wollte. Als ich aber vor wenigen Tagen vom Tod meines Bruders erfuhr, empfand ich es als meine Pflicht, Kontakt zu seinen noch lebenden Kindern herzustellen. Dazu sende ich im Anhang dieser Dringlichkeitsbotschaft meine HPG-Adresse und meine Anschrift mit.
Es tut mir Leid, dass ich Sie zusätzlich zu Ihren Verpflichtungen als Kommandeur noch mit diesen privaten Dingen belaste, aber da wohl keines von Richards Kindern in ihrer derzeitigen Situation an meine Existenz gedacht haben wird, muss ich Sie beten, hier als Verbindungsmann tätig zu werden.
Nachdem ich herausgefunden habe, bei welcher Einheit Thomas und Jara unter Kontrakt stehen, habe ich mir erlaubt, die Vorteile auszunutzen, die man im Stab der Davion Guards genießt und Ihre Akte gelesen. Ich bin froh, dass die beiden bei den Chevaliers dienen, denn nach allem halte ich Sie, Major Danton, für einen fähigen Offizier, dem das Wohl seiner Leute am Herzen liegt. Bitte bringen Sie mir Thomas und vor allem die junge Jara unversehrt zurück und geben Sie mir die Chance, den beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.
Mit freundlichen Grüßen
Kuhn
P.S.: In Hoffnung auf baldige Antwort habe ich dem Anhang ferner die Nummer eines ComStar-Kontos beigefügt, dass ausreichend gedeckt ist für drei Priorität-Alpha-Nachrichten nach New Avalon. Gedacht ist dieses Geld für eine Antwort der beiden Fokker-Kinder und eine Antwort von Ihnen, Major Danton. Schon im Voraus vielen Dank.
+++ END OF MESSAGE +++
+++ INCOMING HPG MESSAGE +++
+++ PRIORITY: ALPHA +++
+++ TO: LIEUTENANT COLONEL KUHN, STAFF DAVION GUARD, NEW AVALON +++
+++ FROM: MAJOR DANTON, DANTON CHEVALIERS, ARC ROYAL +++
Sehr geehrte Colonel Kuhn,
in der Tat hat mich Ihre Nachricht noch rechtzeitig erreicht. Der Einheit und vor allem Ihrem Neffen Thomas steht ein schwerer Einsatz bevor, der, ich will es nicht verhehlen, schwierig und gefährlich ist.
Dies zu einem Zeitpunkt, in der die Truppe sich erst reorganisieren musste durch zu führen ist riskant, das brauche ich Ihnen als erfahrene Offizierin nicht näher erklären.
Ich werde Sergeant Thomas Fokker umgehend von Ihrer Kontaktaufnahme berichten; das Geld, welches Sie beigefügt haben, habe ich seinem und Jaras Konto hinzugefügt, damit sie nach eigenem und bestem Gewissen antworten können.
Jara Fokker, Ihre Nichte, Ma´am, befindet sich zur Zeit im Clansgebiet der Wölfe, aber wir Chevaliers sind zuversichtlich, bald zu ihr aufgeholt zu haben. Ich übermittle Jara Ihre Worte alsbald möglich.
Sollten beide, Ihre Nichte und Ihr Neffe, nicht persönlich antworten, werde ich gerne weiterhin als Mittelsmann fungieren. Aber ich muss Sie in jedem Fall um Geduld bitten, denn wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wann Jara wieder in unsere Reihen zurückkehrt oder Thomas Zugang zu einem HPG haben wird.
Für das Vertrauen in mich als Kommandeur und Mensch bedanke ich mich und wünsche Ihnen und Ihrer Einheit, den Guards alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Major Germaine Danton,
Dantons Chevaliers.
+++ END OF MESSAGE +++
Dirty Harry
Zenitsprungpunkt Unbekanntes System
Wolf Besatzungszone
24. September 3065
„Sensorpolster!“, blaffte Cheftechniker Jason Watts und streckte Gordon Gray bereits die leere Hand entgegen.
Gordon wunderte sich, dass der mürrische Sack über ihm überhaupt noch Befehle blaffen konnte. Schlägereien waren unter ihnen zwar seltener geworden, kamen aber immer noch hin und wieder vor. Gestern erst hatte er ihm einen Backenzahn ausgeschlagen und dennoch machte dieser Kerl weiter als wäre nie etwas geschehen. Er war ein gottverdammter Höllenhund.
„Wo bleibt das Sensorpolster?“, schnauzte er Gordon an.
„Willst du es dir an die Hände kleben oder in die Rüstung?“, grummelte Gordon, der die Schutzfolie von der Haftfläche abgezogen hatte und das Polster nur noch an den beiden schmalen Stellen hielt, die sich nicht an die erstbeste Oberfläche anhefteten.
Jason schnaubte verächtlich. Diese Freigeburt war immer noch nicht unterzukriegen. Einen so zähen Knochen hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Vergleichbar widerspenstig stellten sich eigentlich nur wahrgeborene Versager an, die durch ihren entscheidenden Positionstest gefallen waren und von denen hatte Jason in den letzten paar Jahren genau zwei gesehen. Aber anders als diese aufgeblasenen Egos, die sich jäh um ihren Lebenstraum gebracht sahen und sich irgendwann in ihre ehrenvolle Rolle als Wartungstech unter ihm eingelebt hatten, blieb diese verdammte Freigeburt aus der Inneren Sphäre stur wie ein Panzer. Man konnte ihn demütigen, man konnte ihm die miesesten Jobs aufs Auge drücken, man konnte machen, was man wollte – er versprühte immer noch diesen unverdrossenen Widerwillen. Fast genauso erstaunlich war seine Zähigkeit, wenn es darum ging Schläge einzustecken. Den letzten Surat, der ihn herausgefordert hatte, hatte er mit drei gut platzierten Schlägen in seine Schranken verwiesen, aber der hier vertrug nicht nur mehr, er war auch nicht mit einem einzelnen Kampf unterzukriegen. Anders als bei anderen hatte es bisher noch nicht einmal ernsthaft an seinem Ego gekratzt. Dafür ruinierte er langsam Jasons Ruf als unbezwingbarer Chef der Techs. Und das obwohl er ihm gestern eine Rippe geprellt haben musste. Die Heilbehandlungen, die sie sich gegenseitig verursachten, waren längst nicht mehr den Aufwand wert. Würde dieser Surat nicht so sehr auf seine Eigenständigkeit bestehen, würde Jason ihn vielleicht schon an dem einen oder anderen Bauteil arbeiten lassen. Anders als die aufgeblasenen Mechkrieger, die sich immer als Krone der Schöpfung sahen, hatte der hier wohl auch früher schon Hand an seine Ausrüstung gelegt. Er versaute ihm zumindest nicht das Werkzeug wie die letzte Null, die er drüben zu den Elektronikern abgestellt hatte.
„Isolierband!“, keifte Jason als er das Polster an genau der vorgesehenen Stelle eingeklebt hatte. Er sah zu spät auf und spürte nur noch, wie ihm die Rolle in der Schwerelosigkeit an den Kopf taumelte.
„Ich wusste, dass du das haben willst“, entgegnete Grey unwirsch und stemmte die Fäuste in die Hüfte.
Eigentlich hätte ihn Jason Watts alleine dafür schon wieder vermöbeln müssen, aber zum einen hatte dieser Surat Recht, zum anderen würde er nicht mehr mit seiner Arbeit fertig werden und davon abgesehen hatte er die Schnauze voll, sich schon wieder die Zähne einschlagen zu lassen. Er wollte wenigstens einen Tag lang Spaß an seinem neuen Stiftzahn haben.
***
Nadirsprungpunkt Sonnensystem X334 Juna
Jadefalken Besatzungszone
24. September 3065
Das Sprungschiff hing mit ausgebreitetem Sonnensegel am Nadirsprungpunkt des weitgehend unbekannten Sonnensystems. Es war kaum ein Wunder, dass dieses Gestirn so selten angeflogen wurde. Es war unbewohnt, die Sonne war recht klein und leistungsschwach; ein Stern der oberen K-Klasse; und Meteoriten kamen zu allem Überfluss auch noch vor. Der Reaktor des Sprungschiffs lief auf niedrigen Touren um die Ladezeit zu verkürzen, denn ohne Hilfe würden sie wahrscheinlich mehr als acht Tage an diesem Ort verbringen. Wären die Jadefalken nicht in der Region präsent, mit denen man keine Auseinandersetzung suchte, hätte man das nahegelegene Takansystem angesteuert. Die dortige Sonne gehörte ins niedrige A-Band und hätte ihre Flugzeit um mehr als zwei Tage verkürzt. Auch ohne Einsatz des Reaktors. Aber das Risiko dabei auf ein Kampfschiff der Falken zu treffen, war viel zu hoch. Die Falken waren nicht ihr Ziel.
Das wusste auch Scharnhorst, der sich in der Zwischenzeit wieder in Bewegung gesetzt hatte. In der Schwerelosigkeit des weiten Raumes reichte ein einziger Stoß um vom Kommandostand der Boreas bis zum Hauptschott auf diesem Deck zu gelangen. Auch wenn Doktor Fleischer es lieber gesehen hätte, wenn häufiger Gravitationsbedingungen herrschten unter denen er seine geschwächte Muskulatur trainieren konnte, schienen es ihm die verbogenen Knochen zu danken, wenn sie einmal nicht die volle Last des eigenen Gewichts zu tragen hatten.
Mit einem einzigen kräftigen Zug beförderte sich Scharnhorst durch die Luke des Schotts und schwebte den Verbindungsgang hinunter. An der Luke zum oberen Panzerdeck hörte er dumpfes Pochen und verschiedene Stimmen. Als er einen Blick durch das Bullauge warf, prallte genau in diesem Augenblick ein Ball dagegen und sprang in eine andere Richtung des Raumes davon. Hinter ihm hetzte die gesamte Besatzung des Saracen Schwebepanzer her. Frauen in hautengen Sportklamotten durch einen schwerelosen Raum fliegen zu sehen, war ein irgendwie … interessant befremdlicher Anblick. Wahrscheinlich auch nur deshalb, weil Scharnhorst die Professionalität erhalten wollte. Die Gegner der Frauenmannschaft, wie es schien die Besatzung des Regulators, schien das weniger zu stören. Ob sie nun nur wegen ihrer sportlichen Betätigung schwitzten oder wegen irgendwelchen anderen Gründen, konnte Manfred Scharnhorst eigentlich reichlich egal sein.
Er zog sich an den Halteleinen weiter den Gang hinab und kam zum anderen Panzerdeck, in dem nun ein Teil der schweren Geräte untergebracht war. Von irgendwo her war Musik zu hören. Klassische Musik, nicht dieses übliche Rock und Metal Geschrubbe, was hier normal war. Seitdem der neue Panzertech in diesen Kreisen den Schraubenschlüssel schwang, schienen neue Töne in diese sehr kleine und sehr eigene Welt eingezogen zu sein. Momentan schien Francis McCullom seine Fähigkeiten aber mal nicht am Ontos zu zeigen, sondern an einer LSR-Lafette. Anscheinend waren sie dabei, die Zuführungsbänder aus dem Munitionsbunker zu warten. Auf jeden Fall hingen einige Bänder aus dem Panzer wie die Schlangenhaare einer Gorgone. Von den Wartungstechs sah man hingegen nur die Beine. Der Rest hing kopfüber im Panzer.
Scharnhorst kümmerte sich nicht weiter darum und ließ die Techniker unbehelligt weiterarbeiten. Er hingegen zog sich tiefer und auf die Verbindungsschleuse zum Sprungschiff zu. Es war die einzige Möglichkeit während des wochenlangen Fluges zwischen den einzelnen Schiffen hin und her zu wechseln. Shuttles hatten sie keine an Bord und außerdem wäre deren Einsatz reine Energieverschwendung gewesen. Jedenfalls wenn man wegen solcher Kleinigkeiten wie Manfred Scharnhorst unterwegs war.
Die Schleuse führte ihn auf das einen halben Kilometer lange Sprungschiff. Obwohl es so lang war und obwohl es über 150.000 Tonnen auf die Waage brachte, war es ein fliegender Bleistift, bei dem zwischen Außenhaut und Innenleben kaum Platz war. Fast der gesamte Rumpf wurde von den Apparaturen des Kearny-Fuchida-Antriebs in Anspruch genommen. Die wenigen Gänge an der Außenhaut überspannten die Kerneinheit wie ein Spinnennetz und ermöglichten trotz allem eine gute Zugänglichkeit der einzelnen Komponenten. Wahrscheinlich eines jener wichtigen Details, wegen denen die Invasorklasse selbst nach Jahrhunderten des ununterbrochenen Betriebs noch funktionierte. Was passierte, wenn dieses Schiff nicht mehr ordnungsgemäß funktionierte, wollte der Captain gar nicht erst wissen.
Sein Weg führte ihn jedoch nicht in ein anderes Landungsschiff, sondern zur Kommandoeinheit des Sprungschiffs. Er wollte an einen ganz besonderen Ort. Kurz hinter dem paraboloiden Kopf des Schiffes waren die Ausleger der hydroponischen Gärten, einer jener Besonderheiten der Invasorklasse. Um sich selbst mit neuer Frischluft und frischem Gemüse zu versorgen, besaß diese Schiffsklasse zwei große Gewächshäuser an Auslegerarmen, in denen alles wuchs, was die Mannschaft brauchte. Meistens reichte es sogar aus, um noch mit den Köchen der angedockten Landungsschiffe Handel zu treiben. Damit die Pflanzen jedoch wachsen konnten brauchten sie nicht nur Licht, Luft und Wasser, sondern auch ein Minimum an Gravitation. Ohne dieses Mindestmaß an Schwerkraft wussten auch Pflanzen nicht wo oben und unten war und nahmen sehr seltsame Formen an. Aus diesem Grund rotierten die Gärten langsam um die eigene Achse. Das wussten nicht alle und glaubten, dass sie sich während des Fluges auch ohne Gravdeck fit halten mussten. Scharnhorst wusste es besser und auch wenn die Anlagen vollkommen automatisiert waren, blieb noch immer ein kleiner Versorgungsgang, der einmal rings um den Garten führte und vornehmlich den Technikern des Sprungschiffs zu Wartungszwecken diente. Der Captain hatte sich mit dem Skipper abgesprochen und durfte den Gang auch für andere Zwecke nutzen. Für jenes Minimum an Fitnessprogramm, dass die Ärzte gerne gesehen hatten. Aber er hatte es für sich zu behalten, schließlich war der Gang schmal genug um bestenfalls zwei Leute aneinander vorbeiquetschen zu lassen.
Mit wenigen Paddelschlägen war Scharnhorst den Ausleger hinaufgeschwebt und hatte dabei interessiert einem Lift zugesehen, wie er die tägliche Ernte Kopfsalat zu den Küchenchefs hinunter fuhr. Die totale Automatisierung war dennoch ein befremdlicher Anblick, wie sich Scharnhorst eingestehen musste. Ohne Mühen schlug er am Lug des hydroponischen Gartens an und öffnete es. Über ihm rauschte der Roboterarm hinweg, der gerade wieder die Tomatenzucht bewässerte. Ein unheimliches Ding, das seine stählernen Finger ins Erdreich der Pflanzen trieb und das Wasser in den Boden drückte. Aber wenn man auf es aufpasste, wurde es nicht zur Gefahr.
Scharnhorst folgte dem Längsgang zum Außenring, wo die Gravitation mit 0.2g am größten sein würde. Was ihn jedoch am meisten verwunderte, war die Tatsache, dass ihn dort wohl jemand erwartete. Ein ungewöhnlicher Umstand, wie Scharnhorst fand. Eigentlich wusste außer den Schiffstechs niemand etwas von dieser besonderen Vereinbarung. Mit einem langsam zurückkehrenden Gefühl von Schwerkraft schlich sich Scharnhorst zu der einzelnen Person, die offensichtlich über die grüne Oase blickte, die hier im schwachen Licht der fernen Sonne keimte. Schließlich erkannte er sie.
„Du hier?“, fragte er dennoch erstaunt, als er unterhalb der Treppe stand.
„Ja. Ich wollte endlich wissen, wo einer meiner wichtigsten Offiziere abbleibt“, entgegnete sein Gegenüber und sah noch einmal über das satte Grün um ihn herum, „Nun kann ich es irgendwie verstehen. Was machst du hier?“
„Fitnesstraining“, entgegnete Scharnhorst ein wenig pikiert. Eigentlich wollte er es vor allen geheim halten, auch vor ihm.
„Fitnesstraining? Eine Viertelstunde Jogging entlang der stillen Idylle?“, fragte der Mann auf dem Ring.
„Eher eine Viertelstunde Wettkriechen gegen die Schmerzen. Immerhin kann man hier auf Krücken verzichten“, konterte Scharnhorst. Sein Gegenüber grinste.
„Und ich dachte schon, du entwickelst einen Sinn fürs Schöne. Wie dem auch sei. Ich muss mich wieder an meine Arbeit machen. Aber vielleicht komm ich bei Gelegenheit noch einmal herauf und dreh meine eigenen Runden.“
„Wie du meinst“, erwiderte Scharnhorst und ließ den Major vorbei. Er sah ihm dennoch verwirrt hinterher, wie er in der Luke verschwand und ihn dafür in der stillen Umgebung der grünen Oase und geschäftigen Roboter zurückließ. Vielleicht war es tatsächlich mehr, weswegen sich der Captain Tag für Tag hier hinauf zog.
***
Zenitsprungpunkt Unbekanntes System
Wolf Besatzungszone
24. September 3065
Genauso schlecht gelaunt wie zu seiner Arbeit erschien Jason Watts auch zum Abendessen. In der Kantine des Schiffes herrschte trotz oder vielleicht gerade wegen der bedrückenden Enge eine rege Betriebsamkeit und das praktisch rund um die Uhr. Jason war bereits spät dran, als er sich endlich von seiner Arbeit gelöst hatte. Die besten Stücke würden mit Sicherheit schon wieder weg sein, aber zumindest um einen Teil seines täglichen Fressnapfs brauchte er sich mit Sicherheit keine Sorgen zu machen. Außer ihm aß niemand diesen grauen Brei aus Grütze, Bohnen, Karotten und Wasser, der sich hier Eintopf schimpfte. Die meisten sahen sich das Zeug an, befanden es als Bodenkehricht in Spüllauge – und ignorierten ihn. Außer ihm schien sich keiner ein Herz zu nehmen und dieses Zeug hinunterzuwürgen.
Ausgenommen sein widerborstiger Gehilfe, der sich heute ebenfalls eine deftige Schüssel davon aufs Tablett stellte.
„Das wirst du niemals runterkriegen“, prophezeite ihm Jason Watts höhnisch.
„Wetten dass doch?“, erwiderte Gordon genauso spöttisch.
Der Cheftech grunzte verächtlich.
„Ich wette, ich kann mehr von diesem Zeug vertragen als du“, stachelte die Freigeburt ihn noch an.
„Pah!“, platzte es aus dem Schrauberartisten, „Mich schaffst du niemals!“
„Wetten dass doch?“, blieb Gordon trotzig.
„Die Wette gilt“, erwiderte Jason Watts.
Grimmig dreinblickend setzten sich beide an einem Tisch gegenüber. Noch hatte keiner der umgebenden Techs und anderen Niederkastler etwas von ihrem Wettstreit mitbekommen, aber alleine die Tatsache, dass beide sich mit Blicken fast umgebracht hätten, sprach Bände.
„Niemals vertilgst du den ganzen Pott“, höhnte Jason noch einmal, als er zum Löffel griff.
„Du hast keine Ahnung, was ich alles vertilgen kann“, gab Gordon entschlossen zurück und hämmerte seinerseits den Löffel aufs Tablett.
„Wir werden es sehen“, gab Jason Watts das Startsignal.
Wie besessen schlugen beide in die Schüssel vor ihnen ein und würdigten ihre Umgebung keines Blickes mehr. Für beide Kontrahenten zählte nur noch der Pott vor ihnen. Während Jason den Brei ohne großes Kauen herunterwürgte, zermalmte Gordon noch die Bohnen, bevor er mit einem weiteren Schluck des Suppenwassers nachspülte und alles nach unten drückte. Auch wenn er etwas langsamer war, gab er sich keinesfalls geschlagen. Es ging hier um Menge, nicht um Zeit.
Nach nicht einmal zwei Minuten waren die Schüsseln leer, aber keiner der beiden Kontrahenten schien zu diesem Zeitpunkt bereits aufgeben zu wollen. Gemeinsam glitten sie noch einmal zur Essensausgabe und achteten mit Argusaugen darauf, dass das Gegenüber genauso viel von dem undefinierbaren Brei in die Schüssel lud wie der andere. Um nicht sofort wieder zurück zu müssen, nahmen sie sich gleich noch eine zweite Schüssel mit. Während Gordon beim Brot noch einmal stoppte, versuchte Jason Watts mit etwas Speisewürze dem eigenwilligen Geschmack beizukommen. Beide begaben sich erneut auf ihre Plätze und warteten, bis der andere wieder startklar war. Erst dann schaufelten sie erneut wie besessen in sich hinein.
Dass sich in der Zwischenzeit ein Publikum um die Streithähne scharte, störte die beiden überhaupt nicht. Außer ihrem Gegenüber und dem Suppenteller vor sich bemerkten sie ohnehin nicht mehr viel. Nachdem auch noch der zweite Teller in den Mägen verschwunden war, starrten sich beide an und erkannten, dass das jeweilige Feindbild noch nicht genug hatte. Auch der dritte Teller verschwand ohne sichtbare Spuren im Magen der Kombattanten. Erneut standen sie auf und schlugen die Schüsseln voll. Gordon nahm sich zusätzlich ein Brötchen, während Jason noch ein Getränk zapfte und die Bohnen und Karotten in Speisewürze ertränkte.
„10 auf Jason Watts. Der verspeist den Frischling doch noch zum Nachtisch“, wurde mittlerweile hinter ihrem Rücken gemurmelt.
„Von wegen, dieses hagere Etwas hat doch einen Magen wie einen Gummisack. Ich halte dagegen.“
„Zwei Wochen Latrinendienst, wenn der Neue ihn schafft!“
„Viel Spaß dabei…“
Weder Jason Watts noch Gordon Grey kümmerten sich um diese Spekulationen, sondern meditierten ausgiebig vor den Herausforderungen vor sich. Dann schlugen sie erneut wie auf ein Kommando zu. Jason brauchte mittlerweile den einen oder anderen Schluck um mit der zähen Masse fertig zu werden, während Gordon seine Geschmackszellen nur mit einem gelegentlichen Stück Brot noch von deren Existenz überzeugen konnte. Die vierte Schüssel neigte sich trotz allem erstaunlich schnell ihrem Ende und erst gegen Ende der fünften, hatten beide zu kämpfen. Als Gordon seine Schüssel doch noch ausgewischt und das Stück Brot vertilgt hatte, ließ der Cheftech einen Rülpser los, dass die Kantine vibrierte.
Beide Wettkämpfer sahen sich erneut frustriert und verbissen an. Keiner von beiden schien aufgeben zu wollen. Ausgenommen deren Mägen, die in der Zwischenzeit wirklich gefüllt waren. Aber es war schon von Anfang an ein Kampf des Geistes gewesen. Beide taxierten noch einmal auf die Willensstärke des anderen und erhoben sich dann, um erneut mit beiden Tellern an die Theke zu gehen. Die erste Schüssel wurde noch einmal bis knapp unter den Rand vollgepackt, bevor bei der zweiten sorgfältig geteilt werden musste. Sie hatten es allen Ernstes das erste Mal geschafft, den Suppentopf zu leeren.
Der Chefkoch sah sie nur mit einer Mischung aus Erstaunen und Mitleid an, während sich beide wieder auf ihre Plätze begaben.
In der Zwischenzeit hatten sie sich durch eine ganze Reihe von Zuschauern zu zwängen, die sich den Wettstreit der beiden Sturköpfe nicht entgehen lassen wollten. Wenn Gordon es richtig erkannte, waren in der Zwischenzeit sogar einige der Krieger bei ihnen aufgetaucht um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen.
„Letzte Runde“, stöhnte Gordon.
„Oder wir müssen auf was anderes übergehen“, erwiderte Jason. Das Duell blieb damit ausgeglichen. Vor den dampfenden Schüsseln sitzend betrachteten sich die beiden erneut. Keiner von beiden würde aufgeben, selbst wenn ihm dieser Eintopf zu den Ohren hinauskam. Jason hatte seinen mittlerweile nicht nur mit Speisewürze, sondern auch noch mit einer Prise Pfeffer und Paprika sowie reichlich Salz frisiert, während Gordon neben einem zweiten Brötchen auch noch auf einen Becher Tee zurückgriff. Beide Streithammel sahen sich erneut an und griffen dann zum Löffel. Dieses Duell würde erst beendet sein, wenn einem der Löffel aus der Hand fiel.
Ohne einen Kommentar begannen sie wieder mit ihrer Arbeit und schlugen sich den Bauch voll. Ihre Umgebung sah es sowohl fasziniert – wenn es um den Wettkampf und diverse skurrile Wetten ging – als auch erschüttert – wenn sie daran dachten, was sich die beiden da antaten.
Für Gordon und Jason hingegen ging es nur noch darum, den nötigen Platz in ihrem Inneren zu finden. Satt waren sie eigentlich beide schon, aber jedes Sättigungsgefühl ging im Ehrgeiz der beiden unter. Jeder Löffel ließ sich eigentlich nur noch mit Widerwille herunterbekommen, aber ein Aufgeben vor dem Anderen kam nicht einmal ansatzweise in Frage. Mit einem Schnaufen beförderte auch Gordon den letzten Löffel in sich hinein und wischte sich den Mund ab.
Immer noch entschlossen starrten sich beide an, auch wenn sie schon längst nicht mehr konnten. Eine halb volle Terrine wartete noch auf beide. Aber angesichts ihrer Sturheit waren sich beide bereits zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass das nicht reichen würde. Um sie herum hingegen schwirrten bereits die Gerüchte, ob nicht doch noch einer aufgeben wollte.
Gordon nahm einen Schluck Tee um die letzten Reste endlich in den Magen zu befördern. Mehr als ein Ablenkungsmanöver konnte es nicht sein, das wusste auch Jason Watts und setzte sich wieder auf. Auch Gordon nahm diese Herausforderung an und begab sich wieder auf Position. Kaum dass er den Löffel wieder aufgenommen hatte, begann Jason auch schon wieder einzuschaufeln.
„Frühstart“, brummte Gordon und es war das erste Mal, dass er so was wie ein Grinsen über das Gesicht seines Gegenübers huschen sah. Aber es war kein Grund für ihn, nicht das nachzuholen, was sein Gegenüber voraushatte. Jason Watts hingegen war gezwungen mehrmals zu rülpsen um sich Platz zu verschaffen. Zeit, die er gegenüber Gordon verlor, der ohne Rast in sich hineinschlang und zwischendurch sogar noch die Zeit für das zweite Brötchen und den Tee fand.
Der Inhalt der Schüsseln verschwand langsam, aber stetig in den Mägen der beiden Kontrahenten, während das ungläubige Staunen der Umgebung immer weiter zunahm.
Schließlich hörte man nur noch die Löffel auf dem leeren Porzellan klappern und während Gordon die Reste mit dem Weißbrot aufwischte, leckte Jason den Teller aus. Zum Schluss blieb ihnen nur noch, die Becher zu leeren – eine Leichtigkeit für die beiden, auch wenn keiner mehr sagen konnte, wo er auch noch diese Reste hineinstopfte.
Die Umgebung war perplex.
Jason Watts ließ noch einmal Druck ab, während Gordon nur schnaufend da saß und auf das leere Tablett blickte.
„Scheint, als hätte keiner gewonnen“, murmelte er schließlich.
„Wir könnten uns noch über die Nudeln hermachen“, schlug Jason schließlich vor und sah zu seinem Gegenüber auf. Beide kamen jedoch einhellig zur Erkenntnis, dass das wohl eindeutig zu viel des Guten war. Beide schüttelten gleichzeitig den Kopf.
Schlussendlich mussten sie einsehen, dass sie es nur zu einem Patt geschafft hatten. Und doch … mit dem Ergebnis konnten sie zufrieden sein. Keiner hatte sein Gesicht verloren. Beide hatten ihre Streiterqualitäten zeigen können und beide waren sich in einem sportlichen Wettkampf näher gekommen. Irgendwie.
Mühsam erhob sich Gordon von seinem Sitzplatz und sah noch einmal zu seinem Chef hinüber.
„Wenn es nichts ausmacht, würde ich mich jetzt in meine Kabine zurückziehen und irgendwie versuchen, diese Fressorgie unbeschadet zu vergessen. Ich entschuldige mich.“
Jason Watts nickte nur und versuchte einen erneuten Schluckauf ohne Kollateralschaden zu überstehen. Auch ihm war nichts daran gelegen, diesen Wettkampf fortzuführen. Zumindest unmittelbar. Er sah Gordon hinterher, wie der durch die Reihen der Zuschauer stapfte und aus der Kantine verschwand. Grundlegend hoffte er nur, noch genauso viel Würde aufbringen zu können, wenn er sich selbst vom Essenstisch verabschiedete. Schwer erhob er sich von seinem Platz, ließ das Tablett einfach stehen und kam noch einmal zum Küchenbullen herüber.
„Tu mir ein Gefallen und füll ja nicht noch einmal diesen Suppentopf auf. Vor allem nicht mit diesem Kleister“, raunte er ihm zu und verschwand dann seinerseits aus der Kammer.
Ace Kaiser
Mein lieber Patrick, meine liebe Akila,
normalerweise schreibe ich solche Briefe nicht. Ich hasse es zu sehr, wenn die Gründe, die zu ihrem schreiben führten auch eintreffen.
Aber diesmal habe ich keine Wahl, wenn ich mir selbst treu bleiben will.
Zuerst einmal tut es mir aufrichtig leid, dass ich dich, Patrick, bei deiner Genesung störe und dir, Akila, zusätzliche Sorgen beschere.
Um es schnell zu erklären, McHarrod und Nagy sind tot, gefallen bei einem Raid-Angriff von Clan Wolf. Bei diesem Raid gerieten drei unserer Leute in Kriegsgefangenschaft. Dies sind Jara Fokker, Greta Caprese und Gray Gordon gerieten in Gefangenschaft.
Ich weiß, was Du, Patrick, jetzt denkst, und ich gebe Dir Recht. Die Einheit bricht auf, um sie zurück zu holen. Wir geben keinen Mann auf, erst recht keine bewährten Leute und vor allem keinen von Dantons Höllenhunden.
Aber genau das macht mir Angst.
Herzog Kell hat es mir leicht gemacht, mir einen Unterkontrakt angeboten der es mir erlaubt, unseren Leuten legal hinterher zu hetzen. Aber dennoch wissen wir nicht, wo sie sind, wer sie entführt hat und wie wir sie wieder bekommen können. Dennoch brechen wir in den Clanraum auf.
Patrick, Akila, ich befürchte das Schlimmste und bitte euch beide um Hilfe.
Bitte. Der alten Zeiten wegen.
Patrick, Du bist Captain der Chevaliers. Wenn ich falle, wenn Manfred fällt, geht das Kommando an dich.
Ich weiß nicht, was von den Chevaliers noch übrig ist, wenn die zwei wichtigsten Offiziere Wurmfutter sind, aber ich bitte dich, ich flehe dich an, Patrick, bilde für die überlebenden Chevaliers, die es wieder raus aus dem Clanraum schaffen, den Fels, an dem sie sich sammeln, sich orientieren können.
Nimm diese Leute, wenn der schlimmste Fall eingetreten ist, ordne sie, rücke ihre Köpfe gerade und gib ihnen dann die Chance, entweder die Chevaliers wieder aufleben zu lassen oder in Würde aufzulösen.
Akila, ich vertraue dir die Seelen unserer Leute an und die Körper aller Toten, die unsere Chevaliers mit sich bringen. Von zwischenmenschlichen Feinheiten hat Patrick keine Ahnung, aber Du als Seele der Höllenhunde, wirst einem Toten diesen Wunsch sicher nicht abschlagen.
Sollte der schlimmste Fall antreten, dann verwaltet bitte die Pensionen für die Überlebenden, die Hinterbliebenen, die Provisionen und Auszahlungen und alle anderen Gelddinge, die anfallen.
Im Anhang habe ich alle Daten und Fakten aufgeführt, die Euch zwei vollen Zugriff zu allen Konten, inklusive dem Hinterbliebenenfonds gewähren.
Ich vertraue Euch das Schicksal derer an, die von dem übrig bleiben, was einmal die Chevaliers waren.
Ich vertraue Euch als Waffengefährten und Wegbegleiter.
Hochachtungsvoll,
Major Germaine Danton, Dantons Chevaliers
P.S.: Wenn wir uns das nächste Mal sehen, Patrick, dann erklär mir doch bitte mal, warum Du damals ein Pferd in deinem Hangar mittels einer Winde in zehn Meter Höhe aufgehängt hast.
Ich wollte das schon lange tun, aber mir kam ständig was dazwischen.
***
Als Germaine seinen Blick über die Anwesenden Teileinheitsführer streichen ließ, verstummten die kleinen Unterhaltungen sofort.
Der Major und Anführer der Chevaliers nickte. „Gut. Es sind alle da, es kann also losgehen.“
Er ordnete ein paar Papiere auf seinem Rednerpult und sah wieder auf.
„Chevaliers. Es tut mir Leid, dass wir die Codenamenvergabe diesmal in so kleinem Rahmen veranstalten müssen, aber zum ersten Mal in der Einheitsgeschichte dringen wir feindlich in den Clanraum vor und jede Minute zählt. Wir befinden uns in diesem Moment bereits auf dem Weg zum Sprungpunkt, wo uns der zivile Invasor BURBANK aufnehmen wird. Die BURBANK ist ein gut bewaffneter Kurier, der uns für die Dauer der Operation zur Verfügung stehen wird. Kapitän Immendorff hat Anweisung, uns in jeder Hinsicht zu unterstützen. Das einzige Veto ist die Vernichtung seines Schiffs zu riskieren, aber ich denke, damit können wir alle leben.
Es gibt nicht besonders viele Veränderungen. Einige treffen uns besonders schwer, ausgelöst durch den Tod von First Lieutenant McHarrod und MeisterTech Nagy Isthvan.
Auch die Entführung von Sergeant Major Jara Fokker, Sergeant Gray Gordon und Sergeant Greta Caprese hat tiefe Lücken in unsere Formation gerissen.
Diese gilt es nun zu stopfen.
Hat uns zuvor schon der Tod von Captain Cliff Peterson auf Bryant schwer getroffen, so ist dieser erneute Aderlass bei den Führungskräften ebenso wieder Weggang von First Lieutenant Dolittle kaum zu kompensieren.“
Germaine machte eine Pause und ließ seine Worte wirken.
„Herrschaften. Die Veränderungen sind marginal, aber entscheidend. Vor allem ist ihr Charakter bis auf weiteres provisorisch, nämlich bis wir unsere Leute sicher zurück geholt haben.“
Zustimmendes Raunen klang auf.
„Kommen wir zuerst zu den Mechs.
Die Hetzlanze wird mit sofortiger Wirkung von Sergeant Miko Tsuno übernommen. Ihr Callsign Sakura gilt ab sofort für die gesamte Hetzlanze. Flügelmann bleibt Private First Class Oleg Wiachinsky, Callsign Kuma. Wie Sie merken ist es ein draconischer Name. Ich wollte schon immer ein Lanze mit draconischen Namen haben.
Sergeant Sheila Kree übernimmt ab sofort einen Posten als Flügelleader, Callsign ist Oni. Das dürfte zu ihr ganz gut passen, denke ich.
Ich habe Corporal Haruko Yamada für diesen Posten reaktiviert; wie einige bereits wissen, übernimmt sie Sergeant Major Fokkers Puma. Ihr Callsign wird weiterhin Katana sein.
Ansonsten verändert sich in der Lanze nichts.
Die Schlaglanze wird ab sofort von Master Sergeant Decius Metellus geführt, das Callsign Pilum gilt für die ganze Lanze.
Neu in der Lanze ist auch Private First Class Kyle Kotare. Sein Callsign wird Panther sein.
Als weitere Veränderung wird Sergeant Thomas Fokker die Kampflanze verstärken. Ich habe mir erlaubt, sein Callsign mit Paladin festzusetzen.
Kommen wir zu meiner Kommandolanze. Captain Scharnhorst wird mit sofortiger Wirkung den Panzern zugeteilt, als übergeordneter Commander und Koordinator. Die interne Struktur der Höllenhunde wird das nicht betreffen. Aber es ist ein Versuch, um unsere Verbundwaffenfähigkeiten weiter zu erhöhen. Außerdem kann der Captain mit seinem Rücken noch nicht wieder in einen Mech klettern.“
Leises Gelächter erklang.
„Somit ist meine Lanze unterbesetzt. Ich habe mir daher erlaubt, SternCommander Elegy als Flügelführerin einzusetzen.
Sergeant Bauer, Sergeant Brenstein, Sie werden bis auf weiteres als Flügelmänner für mich und den SternCommander dienen. Aber das ist nur ein Teil ihrer beider Aufgabe. Ich erwarte, ja, verlange von ihnen, dass sie ihr beträchtliches taktisches Talent dazu benutzen, um mir jederzeit im Feld von Nutzen zu sein. Sie müssen sehen, was ich nicht sehe. Und Sie müssen mir Aufgaben abnehmen, die Master Sergeant Metelle mir nicht mehr abnehmen kann. Sie zwei werden meine Augen, meine Ohren und mein Verstand. Durch Sie wird alles gefiltert werden, was mich erreicht. Mit sechs Augen und drei trainierten Gehirnen wird es uns hoffentlich möglich sein, die Einheit sicher zu führen.
Sergeant Bauer. Ihr Callsign wird Archon sein. Sehen Sie das als Belehrung an.
Sergeant Brenstein, Sie sind Prince. Auch für Sie eine ständige Erinnerung, wo Sie gerade sind und was Ihre Aufgabe ist.
Kommen wir zu den anderen Truppen.
Wie ich schon gesagt habe geht Captain Scharnhorst als überrangiger Commander zu den Höllenhunden, ansonsten ändert sich nicht viel.
Sergeant Angström übernimmt die Artillerielanze, das Callsign wird aber weiterhin Archer sein.
Die Infanterie wird ab sofort von Captain Andre Lane, genannt Archangel, kommandiert. Dies wird auch der zentrale Name der Infanterie sein.
Die größte Veränderung wird es bei den Luft/Raumjägern geben. Wir haben zwei Neuzugänge an Bord: Second Lieutenant To-wai Zhai mit seinem Jagatai Prime, genannt Dagger, sowie Second Lieutenant Frederick Powels, genannt Snap auf seinem Slayer. Sie werden als dritte Lanze unser Luft/Raum-Kontingent aufstocken.
Außerdem lassen Sie mich in unserer Runde sowohl Bernd und Sarah Assay, unsere neuen Transporthubschrauberpiloten mit dem gemeinsamen Callsign Carrier begrüßen als auch als neuen Saint Stabsarzt Hans Fleischer.
Mittlerweile ausrechend bekannt dürfte unser neues Third Base sein, Kapitän Nigel Martyn und sein Overlord Crying Freedom. Das wäre in etwa alles. Beschwerden sind an mich zu richten, gehen aber postwendend wieder zurück.“
Wieder wurde leise gelacht.
„Kommen wir zu einem ernsteren Thema. Gentlemen, unser erstes Ziel steht fest. Wir werden im Rahmen unserer Aufrüstaktion eine Clan Wolf-Welt anfliegen. Thannhausen.
Offiziell ist unser Auftrag, die dortige Guerilla, die vom lyranischen Geheimdienst aufgegeben wurde, wieder etwas aufzupäppeln. Zu diesem Zweck werden wir mit dem Gros der Truppen eine… Kleine Ablenkung auf dem Südkontinent vornehmen. Details dazu werden noch folgen.
Eine gemischte Einheit unserer Chevaliers jedoch wird sich direkt mit den Guerillas zusammensetzen und versuchen, uns unserem Ziel näher zu bringen, nämlich die Einheit aufzuspüren, die unsere Leute entführt hat.“
Germaine sah wieder in die Runde. „Gentlemen, auf Thannhausen hält sich gerade eine Spezialeinheit der Wölfe auf, die sich auf die Vernichtung von Guerilla-Aktivitäten spezialisiert hat. Sie gehört zur Wache, und ich denke wenn die nicht mehr wissen, was in ihrer Besatzungszone vor sich geht weiß es niemand. Bringt mir ein paar Wölfe, und wir haben unsere Spur!“
Die Offiziere und MechKrieger sprangen geschlossen auf. Die Erregung sprang von einem zum anderen. Das alte Vorurteil, Krieger seien Adrenalinjunkies, wurde nun nicht gerade widerlegt. Im Gegenteil, jeder einzelne im Raum, von Captain Juliette Harris bis hin zu Sergeant Hawk wurden davon angesteckt und aufgewühlt.
„Jawohl, Sir!“ Es wurde ein beinahe stimmiger Ruf aus zwei Dutzend Kehlen.
„Gut. Weggetreten. Nächster Halt ist Thannhausen, wo wir Clan Wolf in den Arsch treten werden!“, rief Germaine martialisch.
Und damit löste er begeisterten Jubel aus.
Gut, mangelnde Motivation würde nicht das Problem werden. Aber das war es nie gewesen, bei seinen Chevaliers. Nun fehlte nur noch der nächste Schritt, Kontakt mit der Thannhausen-Widerstandsbewegung.
***
Germaine Danton sah auf das kleine Foto auf seinem Schreibtisch.
Nun, sah war vielleicht das falsche Wort. Vielmehr versuchte er einen Blick darauf zu erhaschen, während er sich ungeschickt um die eigene Achse drehte.
Seit acht Stunden hatten die drei Lander der Chevaliers an der BURBANK festgemacht, einem Invasor-Sprungschiff, welches offiziell als Händler in den besetzten Gebieten unterwegs war. Aber selbst ein frisch aus der Geschko geschlüpfter Clankrieger konnte sich an zwei Fingern abzählen, dass Captain Elina Ruyter und ihre Crew ein wenig mehr taten als Landungsschiffe von Sonne zu Sonne zu kutschieren.
Nun, seitdem herrschte jedenfalls Schwerelosigkeit, und Germaine war zwar weit herumgekommen, aber er neigte dazu, sich das optimale Verhalten in Schwerelosigkeit nicht anzueignen. Sobald er sich nicht mehr konzentrierte, genügte eine einzige unbedachte Bewegung, und es passierte so etwas. Er rotierte.
Böse Zungen bei den Chevaliers behaupteten zwar, das würde der Chef öfters, weil die Truppe so undiszipliniert war, aber das waren nur Gerüchte. Natürlich unterstellte Germaine seinen bestausgebildeten und hoch motivierten Truppen nicht einmal in Gedanken, dass sie auch nur einmal in ihrer Disziplin und Kontrolle nachließen.
Das Bild jedenfalls gab es nur viermal in dieser Galaxis. Eines stand auf seinem Schreibtisch, eines war im Schreibtisch verstaut, eines trug Lieutenant Mark van Roose permanent bei sich und das vierte war gerade per Bote in die Innere Sphäre unterwegs; die Wahrscheinlichkeit, dass der Empfänger es jemals bekam, war gering. Genauer gesagt Empfängerin: Dawn Ferrow.
Auf dem Bild waren Mark und er selbst zu sehen. Auf den Armen des Infanteristen ruhte ein schlafender Mensch, genauer gesagt seine Tochter.
Dawn hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt um ihre Tochter zu Vater und Patenonkel zu schaffen, Mark und ihn selbst, nachdem sie in den Wirren des Bürgerkriegs gefangen war und bereits den Zwillingsbruder des kleinen Bündel Mensch verloren hatte.
Mustafas Frau, selbst hoch schwanger, hatte sich des Mädchens angenommen, zumindest so lange, bis die Chevaliers mit der Patentante zurückkamen. Jara Fokker, Dawns bester Freundin.
Einen winzigen, ernsthaften Moment hatte Germaine darüber nachgedacht, die kleine Ferrow – oder van Roose, so genau war das noch nicht entschieden – mitzunehmen. Aber dann hatte er dran gedacht, warum Mustafa al Hara ibn Bey seine Frau zurückgelassen hatte. Nein, das unsichere Weltall, vor allem diese unsichere Mission war nichts für Kinder und Schwangere.
Seufzend stieß sich der Major von der Wand ab, schwebte zur Tür. „Cindy, ich bin in der Besprechung.“
Seine Sekretärin lächelte schief. „Ich wollte gerade fragen, ob du sie vergessen hast. Die Dossiers habe ich schon verteilt.“
„Danke. Du bist ein Engel, Schatz.“
In gespielter Empörung hob sie eine Augenbraue. „Was ist das denn? Flirtest du etwa mit mir und wirst Miko untreu? Du bist mir ja einer.“
Indigniert sah Germaine die Frau an, die er schätzte und liebte wie eine Schwester. „Woher hast du…? Ach, ist ja auch egal.“ Er seufzte schwer. „Kannst du es wenigstens dienstlich behandeln?“
Cindy lächelte scheinheilig. „Ich schon, Germaine… Aber ich habe die Information von Judith.“
Für einen Augenblick hatte Germaine das dringende und befriedigende Verlangen, in hysterisches Gelächter auszubrechen. Judith. Ausgerechnet die persönliche Tech von Rebecca Geisterbär. Dieses Zerrbild einer Wahrgeborenen hatte sich so schnell an die Innere Sphäre gewöhnt, dass es gespenstisch war. Und ihre Fähigkeit, Gerüchte zu verbreiten stand ihren Fähigkeiten als Wartungstechnikerin in Nichts nach.
„Ich muss wohl mal mit Miko sprechen.“
„Musst du. Und wenn du mich fragst, es war allerhöchste Zeit.“ Sie zwinkerte ihm zu.
„Ich will gar nicht wissen, wie du das wieder gemeint hast. Also, sei artig, solange ich fort bin.“
„Bin ich das nicht immer?“, erwiderte sie betont unschuldig.
„Genau da liegt der Hase im Pfeffer“, konterte Germaine und wurde von einem besonders deftigen Fluch auf den Gang hinaus begleitet.
Oh ja, er liebte diese Frau.
***
„Guten Morgen, Chevaliers.“
„Morgen, Sir!“
Germaine sah in die Runde. Sie war sehr exklusiv. Links von ihm stand Captain Juliette Harris als Chefin des Stabes. Rechts hatte Captain Manfred Scharnhorst seinen Platz eingenommen.
Sich gegenüber standen Captain Andre Lane von der Infanterie und Master Sergeant Decius Metellus.
Die Reihe wurde fortgesetzt von SternCommander Elegy, ihrer Verbindungsoffizierin zu Clan Wolf im Exil sowie Captain Christine Sleijnirsdottir von den Luft/Raum-Jägern.
MeisterTech Doreen Simstein und Oberstabsarzt Hans Fleischer folgten.
Die drei Landungsschiffskapitäne der ROSEMARIE, der BOREAS und der CRYING FREEDOM rundeten die andere Seite des Holotisches ab.
Germaine nickte Juliette zu, die daraufhin ein Holo aktivierte. Das Abbild einer Wasserwelt erschien.
„Dies ist Tannhausen. Überwiegend mit Wasser bedeckt, sehr lebensfreundlich und über zwanzig Prozent Landmasse. Immer noch genügend Platz, um mit den Wölfen zu spielen.“
Leises Gelächter erklang.
„Unser Auftrag ist klar. Die BOREAS wird mit den hiesigen Rebellen Kontakt aufnehmen, um sie mit dem dringend erwarteten Nachschub zu versorgen.
Die Chevaliers werden in der gleichen Zeit ein wenig Radau veranstalten, um die hiesige Solahma-Truppe bei Laune zu halten.“
Wieder wurde leise gelacht.
„Wir haben diesen Auftrag nicht von ungefähr erhalten, Herrschaften“, sagte Germaine sehr leise und sehr ernst. „Lord Kell hat mir einen Hinweis zukommen lassen, der besagt, dass auf Thannhausen zur Zeit eine Abteilung der Clanwache aktiv ist. Die Wache ist so etwas ähnliches wie ein Geheimdienst. Diese spezielle Einheit ist darauf trainiert, unter Umgehung des Zellbrigen Anti-Guerilla-Maßnahmen auszuführen.
Ich will diese Einheit haben. Ich will letztendlich wenigstens einen einzigen Angehörigen der Wache, der reden kann und reden wird.
Dies ist unsere große Chance um zu erfahren, welche Einheit unsere Leute auf dem Angels View Point verschleppt hat. Und ich will in die nächste Sonne tauchen, wenn ich sie vorbeiziehen lasse. Captain Scharnhorst.“
„Ich werde mit der Kampflanze von Rebecca Geisterbär, der Kettenkampflanze und der Artillerielanze sowie einem ausgewählten Kontingent Infanterie den Versorgungskonvoi begleiten und zu den Guerillas stoßen. Dort werde ich den neuen Kommandeur von unserem Wunsch berichten, im Gegenzug für die Warenlieferung die Wache hoch zu nehmen.
Da dieser speziellen Einheit ein recht grausamer Ruf anhaftet, denke ich nicht, dass wir Probleme haben werden, die Guerilla zu überzeugen. Uns wird nur die Zeit fehlen.“
„Captain Harris.“
„Wir haben uns ein nettes Ziel auf den Südkontinent ausgesucht. Es ist die Distrikthauptstadt Waterloo. Sie wird von einem gemischten Stern Solahma gehalten. Ich denke, wir können sie problemlos besiegen und die Stadt einige Zeit belagern.“
Eine Hand schoss in die Höhe. „Belagern, nicht erobern?“
Juliette sah zu Germaine. „Belagern, Captain Sleijpnirsdottir. Es würde mir in der Seele wehtun, den Bürgern die Illusion vorzuspielen, wir würden diese Welt erobern und sie befreien. Wir haben eine Mission und können weder bleiben noch ihnen die Mittel zur Verfügung stellen um sich selbst zu verteidigen. Weiter, Captain Harris.“
„Wie gesagt, wir belagern Waterloo. Und ja, ich kenne bereits alle Witze, die sie alle wegen dem einzigartigen Namen dieser Stadt machen können. Ich bin sie bereits alle durchgegangen und das Stabsteam hat ein paar wirklich kreative Spaßvögel, glauben Sie mir das.
Unser Ziel ist es, unsere Position für mindestens eine Woche zu halten.
Nach spätestens achtundvierzig Stunden rechnen wir mit Verstärkung vom Westkontinent. Wir können, wenn wir Zellbrigen einhalten, mindestens fünf Tage standhalten.“
„Captain Scharnhorst?“
„Eine Woche ist das Minimum. Wir wissen nichts über das Bewegungsschema der Einheit. Eine Falle muß geplant und ausgeführt werden. Und dann müssen die Clanner reinmarschieren.“
„Ich werde Raducanu Ihrem Kommando zuteilen, Captain. Verwenden Sie sein Wissen weise.“
Scharnhorst nickte zaghaft. Wie den meisten Chevaliers, war der Spion, der auf Bryant zu ihnen gestoßen war, nicht geheuer. Genauer gesagt glaubte er, dass Raducanu bei der erstbesten Gelegenheit verschwinden würde. Er hoffte es eigentlich sogar.
„Captain Harris?“
„Wie gesagt, wir werden die Stadt komplett umschließen. Sobald die Solahma vom Westkontinent eintreffen, werden wir diverse Besitztests aussprechen und sie beschäftigt halten. Damit nehmen wir der Wache hoffentlich auch ein wenig militärische Unterstützung, was dem Kontingent und Captain Scharnhorst zugute kommen sollte.“
„Wenn ich zusammenfassen darf“, meldete sich Captain Martyn zu Wort, „machen wir in Waterloo den sterbenden Schwan und Manfred fängt unsere eigentliche Beute ein.“
„Das trifft es in etwa“, bestätigte Germaine schmunzelnd. „Aber es gibt ein paar Dinge, die wir unbedingt beachten müssen. Unser Gegner wird Solahma sein. Ein Haufen Clan-Soldaten, der verdammt alt geworden ist. Was das bedeutet brauche ich wohl nicht extra zu betonen.“
Zustimmendes Geraune ging durch den Raum.
„Außerdem müssen wir in jedem Fall Zellbrigen einhalten. Es war der Wunsch von saKhan Marco Hall persönlich, und ich gedenke mein Wort zu halten.“
Andre Lane hob die Hand. „Sir, und wenn die Solahma Zellbrigen nicht einhalten?“
„Werden wir sie vernichten.“
„Gute Antwort.“
„Noch Fragen?“
Keine der Hände hob sich. „Gut. Dann gehen wir jetzt das Gelände durch und suchen uns einen schönen Platz für unser Camp. Wartungsarbeiten müssen wir an Bord der Lander durchführen, MeisterTech Simstein.“
Die junge Frau nickte.
„Wir werden eine Menge Ausweichstellungen brauchen. Instruieren Sie Lieutenant Bishop entsprechend, sobald seine Schulungseinheit beendet ist, Captain Lane.“
Der große Infanterist nickte. Die Pioniere waren aus der Infanterie ausgegliedert worden, aber irgendwie hingen sie immer noch lose an den Sprung- und Kommandotruppen „dran“.
Nun, Lane hatte nichts dagegen gesagt.
„Und wir brauchen einen guten Platz für ein MASH, Doktor.“
Fleischer nickte grimmig.
„Landungsfelder für die Hubschrauber und Luft/Raum-Jäger. Diesmal besser geschützt als im Geisterbärenraum.“
Christine Sleijpnirsdottir nickte grimmig.
Zufrieden sah Germaine in die Runde. „Captain Harris?“
„Ich habe da ein paar mögliche Gebiete ausgearbeitet, in verschiedenen Entfernungen zu Waterloo…“
Dirty Harry
12. Oktober 3065
Am Rande eines Waldes auf Sachsen, Thannhausen
Clan Wolf Besatzungszone
Schweigend trat der Kommandant der Partisanen dem Anführer des Söldnerkontingents entgegen und musterte ihn. Er hatte sich sein Gegenüber robuster vorgestellt, nicht wie jemand, der im wahrsten Sinne des Wortes am Stock ging. Wichtiger aber als diese Umstände war die Tatsache, dass er da war.
„Ich hoffe, sie haben ihre Parole nicht vergessen“, brummte der Partisan dennoch unwirsch.
„Eigentlich nicht. Es ist momentan der 12.? Auch auf dieser Welt, oder?“
„Soweit sind wir uns noch einig.“, zeigte sich der Partisan zufrieden.
„Sepia“
„Fußhebel“
„Rotunde“
„Feuerhaken“, spulten beide die Parole ab. Erst danach entspannte sich das Gesicht des Partisanenanführers.
„Sie sind also Captain Scharnhorst?“, fragte der Partisan dennoch wenig überzeugt nach.
„Dem ist so. Demnach vermute ich, dass ich es meinerseits mit Major Volters von der Thannhäuser Miliz zu tun habe.“, erwiderte Scharnhorst unbeeindruckt von dieser ruppigen Begrüßung.
„Nein, Major Volters ist vor acht Wochen einer Aktion der Wölfe zum Opfer gefallen, kurz nachdem er seine letzte Nachricht aufgeben konnte. Ich bin sein ehemaliger Stellvertreter und Nachfolger, Major Rögers.“
Es erklärte vielleicht einiges, vor allem die geradezu paranoiden Vorsichtsmaßnahmen, die sich die Partisanen auf dieser Welt hatten einfallen lassen. Die ‚Boreas’ hatte aufgrund ihrer Angaben mehrere Landepunkte anzufliegen um im Anschluss zu einem neuen Ziel geleitet zu werden. Diese irrwitzige Schnitzeljagd hatte nicht nur Unmengen Treibstoff verbrannt, sondern mit Sicherheit auch das Interesse der Wölfe auf sie gelenkt. Allerdings wussten die nun nicht mehr, wo sie denn nun ausgestiegen waren und hatten dementsprechend eine Fläche von mehreren Tausend Quadratkilometern abzusuchen. Den Milizen hatte das noch nicht als Vorsichtsmaßnahme gereicht, denn mit ihrem ganzen Gepäck in Form von mehreren Tonnen Munition und Ausrüstung hatten sie die Partisanen erneut über mehrere Zielpunkte schließlich zu einem Waldstück gescheucht, in dem zu allem Überfluss auch noch die leichteren Transporter stecken geblieben waren. Bis sie endlich die angegebene Zielstelle erreicht hatten, war der Morgen schon am Anbrechen und Scharnhorst und seine Begleiter hatten einen fast neunstündigen Orientierungslauf hinter sich. Da konnten die Paranoia einer doppelt gesicherten Parole und die ruppige Begrüßung auch nichts mehr erschüttern.
Schließlich kam der bärtige Mann auf Scharnhorst zu und reichte ihm endlich die Hand.
„Schön zu sehen, dass sie es trotz allem hierher geschafft haben.“ Der Händedruck war fest und ehrlich, genauso wie der letzte Satz. Rögers bat sein Gegenüber ein Stück mit ihm zu gehen.
„Wir sollten sofort wieder aufsitzen und weiterfahren. Bis wir insbesondere die großen Metallbuben sicher unterstellen können, sind wir noch einen Moment unterwegs.“, brummte der Major.
„Aber hoffentlich nicht erneut über ein halbes Dutzend Zielpunkte.“
„Nein. Das sollte jetzt nicht mehr nötig sein. Meine Männer kennen den Weg und können sie gezielt dorthin lotsen. Am besten steigt zu jedem ihrer Fahrer und Piloten einer von meinen Männern hinzu und navigiert sie.“
„Wenn sie meinen, dass es so schneller geht“, raunte Scharnhorst, auch wenn es ihm Unbehagen verursachte. Es musste mit diesem unwohlen Gefühl zusammenhängen einen gänzlich fremden, bewaffneten Menschen in unmittelbarer Nähe zu sich zu wissen und gleichzeitig nicht zu wissen, worauf die eingeschworen waren. Insbesondere wusste er nicht, wie die Partisanen auf Rebecca Geisterbär reagieren würden und erst recht nicht, wie sie darauf reagieren würden, wenn sie herausfänden, welcher Abstammung sie denn nun wirklich war.
Scharnhorst hatte den 2. Lieutenant bereits vor der Landung beiseite genommen und sie vor den unberechenbaren Reaktionen der Partisanen gewarnt. So schwer es ihr fallen würde, wahrscheinlich würde es sich rechnen, wenn sie ihre wahre Identität für die Dauer dieses Einsatzes verschwieg. Das musste schließlich nicht bedeuten, dass sie ihr Ehrgefühl oder ihre grundsätzliche Ausbildung über Bord zu werfen hatte, sondern nur, dass sie ihre Identität als Clannerin so lange verborgen hielt, bis dieser Einsatz vorüber war.
Zu diesem Zeitpunkt jedoch konnte Scharnhorst nur hoffen, dass sie sich zusammenriss. Gemeinsam mit dem Anführer der Partisanen stieg er in den Kommandeurswagen ein und nur wenig später setzte sich der Konvoi in Bewegung.
„Sie müssen unsere Vorsicht entschuldigen, aber die Wölfe auf diesem Planeten sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Vor allem sind die hier nicht mehr die ehrverliebten Spinner, als die sie sie vielleicht einmal kennen gelernt haben. In der Zwischenzeit arbeiten die genauso trickreich wie wir. Wenn nicht noch schlimmer.“, erklärte es Rögers nach einer kleinen Weile.
„Inwiefern?“, wollte Scharnhorst wissen.
„Sie haben sich den Gegebenheiten angepasst. Sind cleverer geworden. Und bösartiger.
Das große Szenario kennen sie ja vielleicht schon. Die Wölfe kamen, walzten unser Militär in der Invasion von 3051 nieder und etablierten sich an den wichtigen Zentren. Sie haben die Hauptstadt, den Raumhafen und die beiden wichtigsten Industriestandorte für sich eingenommen und uns den Rest überlassen. Nachdem sie überhastet zum weiteren Aufrollen der Inneren Sphäre gestartet waren, hatten sie nicht genügend Garnison dagelassen, um auch den restlichen Planeten zu besetzen, was uns die Oberhand in weiten Teilen dieser Welt gab. So lange wir noch versorgt wurden, konnten die anstellen, was sie wollten um diese Welt in den Griff zu bekommen, geschafft haben sie es nicht, zumal sich ihre Besatzungstruppen sowieso nicht besonders intelligent anstellten. So weit, so gut.
Es ging so lange gut, bis die Schlampe vom Tharkad plötzlich der Meinung war, dass wir lange genug ihre Ressourcen verbraten haben und uns die Versorgungsflüge gestrichen hat. Das war vor etwas mehr als einem Dreiviertel Jahr. Kaum dass wir mit unseren Reserven haushalten mussten, wurden die auch schon frecher und haben des Öfteren Ausfälle geprobt und sich erstmals an Razzien versucht. Hat ihnen aber trotzdem nicht viel genutzt und beim Versuch Leutingen einzunehmen, haben sie sich richtig blutige Nasen geholt. Grundsätzlich wurden sie wagemutiger, kamen aber real keinen Schritt voran. Wir hingegen mussten uns unseren Sprengstoff zunehmend selber basteln und selbst mit pfleglichem Umgang mit unseren Reserven waren wir zunehmend zu Anschlägen aus dem Hinterhalt gezwungen. Die paar Panzer, die wir noch zur Verfügung stehen haben, warten sehnlichst auf die Ersatzteile, die sie uns hoffentlich mitgebracht haben.
Aber so richtig dreckig geht es uns erst, seitdem diese Teufel von der Wache hier eingetroffen sind. Scheint so, als ob wir irgendeinem Kerensky oder Ward zu lange auf die Nerven gegangen sind. Seit diese Geheimdiensttypen da sind, wurde jedenfalls die Partisanenjagd dramatisch umgekrempelt. Vor allem ihre Verhöre haben es in sich. Wer da erst mal rein gerät, hat wirklich schlechte Karten…“
***
Zur gleichen Zeit
In einem Keller in der nahegelegenen Stadt Wendlin
„Rede endlich!“, donnerte der grobschlächtige Verhörspezialist und grub die Faust erneut tief in den Magen des Gefangenen. Selbst ohne die offensichtlichen Gene eines Elementars hätten seine riesigen Muskelpakete ausgereicht um den Gefangenen samt Stuhl vom Boden zu heben, wäre der nicht zur Vorbereitung mit Bolzen an selbigem gesichert worden.
„Lass ihn! Tot wird er uns gar nichts mehr sagen!“, versuchte ihn der zweite Mann zu bremsen. Doch das schien eher noch ein Anreiz für den ersten zu sein, noch härter zuzuschlagen. Er funkelte seinen Kollegen böse an, bevor er sich wieder seinem Opfer zuwandte. Der Gefangene erbrach Blut und hustete Schaum ohne noch ein Wort sagen zu können.
„Stravag Freigeburten! Alles stravag Freigeburten!“, fluchte der Schläger, riss den Kopf seines Opfers zurück und holte zu einem gewaltigen Schlag aus.
„So werden wir nie etwas aus ihm herausbekommen!“, schrie der zweite Verhörspezialist. Es war völlig unnötig, denn der andere Mann hatte sein Urteil längst gefällt. Der Schlag kam ohne Gnade und es schien als hätte es ihm sogar Spaß gemacht.
Während Wachbeamte die Leiche des mutmaßlichen Partisanen wegschafften, zerrte der schmächtigere Geheimdienstoffizier seinen Kollegen in eine stille Kabine und stellte ihn zur Rede.
„Was soll das? Du hast ihn totgeschlagen! Das ist unnütz! So etwas ist Verschwendung von Humanressourcen!“ Sein Kollege sah ihn geradezu verächtlich an.
„Du bist neu in diesem Geschäft, frapos?“
„Ich bin lange genug in diesem … ‚Geschäft’ um zu erkennen, dass es unnötig war.“, fauchte der kleinere Offizier wütend.
„Es war nicht unnötig. Es war ökonomisch.“
„Ökonomisch?!?“
„Du machst so was wirklich noch nicht besonders lange“, stellte der Schläger gelassen fest und massierte sich die Hand, „Aus dem hier hätten wir nie etwas herausbekommen. Entweder weil er sowieso nichts wusste oder weil er auf solche Verhöre vorbereitet worden war. Jeder andere hätte schon längst geredet.
Aber da hinten sitzt noch ein weiteres halbes Dutzend von diesem Suratdreck in den Zellen. Wir können natürlich jeden einzelnen von ihnen verhören, aber sie werden ohne Nachhilfe nicht reden. Ob diese Nachhilfe nun aus deiner Spritze kommt oder meiner Faust ist völlig gleichgültig. Schlussendlich braucht es Stunden, bis sie endlich auspacken und das ist ineffizient. Bis dahin hat sich die lokale Terrorzelle aus dem Staub gemacht.
Oder wir statuieren ein Exempel an einem von ihnen und lassen sie darüber nachdenken. Ich nenne so etwas ökonomischer.“
„Ökonomischer?!?“, fragte der Drogenspezialist fassungs- und ziellos.
„Pos.“
„Es ist illegal.“
„Wir würden keinen einzigen dieser tittensaugenden Halbaffen finden, wenn wir die Regeln nicht ein wenig … zu unseren Gunsten auslegen.“
„Ein wenig zu unseren Gunsten auslegen?!?“, fragte der andere Mann entsetzt zurück, „Wir befinden uns sogar jenseits unserer eigenen Regeln für den Umgang mit solchen Elementen!“
„Die eigenen Regeln haben uns bis zur Untätigkeit gefesselt. Wenn hier Erfolge erzielt werden sollen, dann müssen die Regeln erweitert werden. Geheimdienstliche Arbeit erfordert es manchmal, über den Rand zu schauen. Nur so werden wir diesen Morast aus Verrat, Gewalt und Revolution endlich im Keim ersticken können. Alles andere hat sich auf dieser Welt schon längst als nutzlos erwiesen.“
„Wir werden diesen Separatisten und Freischärlern weitere Kämpfer zutreiben, wenn das hier herauskommt.“
„Dazu wird es nicht kommen“, blaffte der Hüne.
Sein Gegenüber schnaubte nur verächtlich.
„Wenn das nach draußen sickert, können wir uns nicht einmal unter Begleitschutz auf die Straße trauen. Unsere eigenen Geschkos würden uns ausstoßen und es für richtig befinden, wenn diese … ‚Freiheitskämpfer’ einen Vernichtungstest gegen uns durchführen dürften. Mein Gott, so etwas hat man uns im Ausbildungslager jedenfalls nicht beigebracht!“
„Aus ganz alten Zeiten gibt es noch zwei Sprüche, die auf uns und unsere Tätigkeit zutreffen.“, erwiderte der Hüne ungerührt, „‚Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß’ und ‚jeder kehre vor seiner eigenen Türe’. Unsere Geschkos, nicht einmal die Führung unseres Clans, muss wissen, WIE wir unsere Informationen gewinnen. Sie müssen nur wissen, WAS wir herausbekommen und darauf basierend handeln. Diese Informationen werden wir aber garantiert nicht auf dem Silbertablett serviert bekommen und das weiß vom Khan bis zum kleinsten Tech jeder genauso gut wie du oder ich.
Abgesehen davon sind die meisten, die sich als Moralapostel aufspielen wollen, selbst nicht ohne Schuld. Du musst dir nur einmal die Akten derjenigen vornehmen, die am lautesten schreien. Da findest du genug Dreck um die Schreihälse ganz schnell wieder kleinlaut werden zu lassen.
Und jetzt sollten wir uns wieder an die Arbeit machen, so lange die anderen noch durch den Schock über den Verlust ihres … ‚Freundes’ gefügig sind.“
„Wir werden von Glück reden können, wenn uns das hier niemals auf die Füße fällt.“, murmelte der Neuling noch, bevor er seinem Kollegen in den Verhörraum zurück folgte.
***
Im Wagen erzählte der Major weiter.
„Nicht nur dass diese Typen von der Wache ausgesprochen brutal bei Verhören vorgehen – chemische Hilfsmittel scheinen ihnen genauso wenig fremd zu sein wie der Einsatz roher Gewalt – sie haben auch einen ganzen Garnisonssternhaufen umgebaut und gehen nun mit etwas auf die Jagd, was wir in Ermangelung einer treffenderen Bezeichnung als ‚Partisanenjagdtrupps’ charakterisieren. Diese Jagdtrupps bestehen aus jeweils zwei gemischten Sternen und den Angehörigen der Wache. Dabei bestehen diese Sterne aus dem, was die Wölfe hier zur Bewachung abgestellt haben. Also ein paar Mechs, ein Satz Panzer und Solahmainfanterie. Von der haben sie hier auf Thannhausen reichlich.
Für gewöhnlich fällt so ein Jagdtrupp in einen Ort ein wie die spanische Inquisition, riegelt alle Ausgänge ab und verhaftet dann mal auf die Schnelle verschiedene Personen. Entweder haben sie vorher einen Tipp bekommen, eines ihrer früheren Opfer hat geplaudert oder es geschah einfach auf gut Glück und der Betreffende hatte einfach nur den Fehler gemacht, verdächtig auszusehen. Jedenfalls beschäftigen sich dann diese … ‚Herren’ von der Wache mit ihnen und die Angehörigen können schließlich noch froh sein, wenn sie sie in einem Stück und nicht nur in der Urne wiederbekommen.
Auf jeden Fall kann sich die jeweils betroffene Widerstandszelle sicher sein, dass es besser ist, wenn sie für die nächsten paar Wochen Reißaus nimmt. Wer nicht flieht, wird wenig später mit dem ganzen Gerät gejagt, was dieser Trupp mitbringt. Da bringt es noch nicht mal was, unsere wenigen uns verbliebenen Panzer zusammenzuziehen. Die Mistkerle wissen, dass wir keine Mechs mehr haben – hatten wir ja auch vorher schon praktisch nicht gehabt – und damit sind ihre leichten und schnellen Garnisonsmechs uns klar überlegen. Und wenn das nicht reichen sollte, haben sie immer noch mehr als genug sonstiges Material.“
„Hatten sie aus diesem Grund Begleitschutz durch Battlemechs der Chevaliers angefordert?“, forschte Scharnhorst nach. Er hatte ein ganz dumpfes Gefühl.
„Ja, durchaus. Wir konnten es nicht riskieren, dass unser Treffen wegen einem aufgeflogenen Mitglied des Widerstands durchsickert und sie dem auf Sachsen operierenden Partisanenjagdtrupp unvorbereitet in die Arme laufen. Es wäre ein einziges Tontaubenschießen geworden.“, erwiderte der Kommandant scheinbar besorgt.
Was er freundlich verschwieg, war die Tatsache, dass es dennoch eins geworden wäre. Insbesondere die vier schweren Battlemechs waren mit Packnetzen behängt worden um die zig Tonnen Material zu den Partisanen zu schaffen. Wären sie so beladen aus einem Hinterhalt heraus angegriffen worden, wäre es trotz allem einem Truthahnschießen gleich gekommen: lauter fette Zielscheiben.
„Außerdem sind wir uns sicher, dass sie uns noch dabei helfen wollen, einen dieser Partisanenjagdtrupps auszunehmen.“
„Wollen wir das?“, fragte Scharnhorst wenig begeistert zurück.
„Ich denke schon“, war sich der Major sicher, „Schließlich sind sie auf der Suche nach Informationen. Informationen über die wahrscheinlich nur diese Typen von der Wache verfügen können.“
„Wieso sollte es Informationen geben, über die nur die Wache verfügen kann?“
„Ich glaube kaum, dass es Krieger interessiert, wie die Wache an relevante Informationen herangekommen ist. Aber die Wache ist ein Geheimdienst wie jeder andere auch. Sie interessiert nicht nur das ‚Was’, sondern auch das ‚Wie’, ‚Weshalb’ und ‚Warum’. Was bedeutet, dass sie sich für alles interessieren, was ihnen in die Finger kommt und das einheitsübergreifend. Also auch Operationen außerhalb dieser Welt, Aktionen jenseits der Besatzungszone und möglicherweise auch Verbindungen zwischen Personen hier, dem Rest der Inneren Sphäre und den eigenen Rängen. Wir können zwar nicht mit Sicherheit sagen, was sie wissen, aber wir können uns zumindest sicher sein, dass sie deutlich mehr wissen als der durchschnittliche Krieger. Wahrscheinlich auch mehr als der überdurchschnittliche…“
„Und wahrscheinlich wird es sie ihrerseits von einer der schwerwiegendsten Bedrohungen auf Thannhausen befreien, wenn eine freundliche Aushilfstruppe sie dabei unterstützt, den lokalen Partisanenjagdtrupp aus dem Weg zu räumen. Was der Wache natürlich eine hübsche Delle in ihrem Einflussbereich verschaffen und ihnen mehr Bewegungsfreiheit geben wird. Ist dem nicht so?“, fragte Scharnhorst wenig begeistert nach. Sein Begleiter nahm es jedoch mit einem unbeirrten Lächeln auf.
„Ich wusste, dass sie es verstehen werden. Die wichtigsten Schritte sind bereits eingeleitet.“ Scharnhorst verzog nur eine Augenbraue.
„Ein paar… ‚kleinere’ Aktionen, die mit Sicherheit das Interesse der Wache auf sich ziehen werden. Ein gesprengter Hochspannungsmast hier, ein ausgebrannter Telekommunikationsverteiler da. Kleinere Aktionen eben. Aber eine weitere wird sie mit Sicherheit aufhorchen lassen.“
***
Zur gleichen Zeit
Ein Waldgebiet nördlich von Ergenwalde
Sachsen, Thannhausen
Clan Wolf Besatzungszone
Sergeant Rothmann lag in seiner Deckung und wartete. Er hatte zusammen mit seinen Männern seine Stellung bereits vor drei Stunden bezogen und wartete darauf, dass endlich etwas passierte. Während sein Kamerad im Schützenloch mit einem Feldstecher nach ihren Zielen Ausschau hielt, beobachtete er den lang gezogenen Waldweg durch das Zielfernrohr seines modifizierten Sturmgewehrs. Wie er vertrauten auch andere Waldschrate auf den geringen Rückschlag ihrer Waffen und die bessere Präzision beim Einsatz.
„Sie lassen sich Zeit“, hörte er über den an den Schädelknochen angeklebten Knochenleiter.
Es sollte nicht sein Problem sein. Wichtiger war, dass eine Putzfrau in der Kaserne ihnen den Einsatzplan der Solahmainfanterie zugespielt hatte. Sie würden heute wieder einen Leistungsmarsch absolvieren. Quer durch den Wald, der ihre Stellung umgab. Mit vollem Gepäck. Und wenig Ahnung, was ihnen dabei alles wiederfahren könnte.
„Wenn man vom Teufel spricht“, raunte ein anderes Mitglied der Truppe über den codierten Sprechfunk und in der Tat erschienen die Infanteristen endlich am anderen Ende des Waldweges. Rothmanns Kamerad grinste nur als er sich Selekton in die Ohren schob. Der Sergeant verzichtete darauf, sein Gehör besonders zu verdämmen. Bei ihm steckten die Ohrhörer eines tragbaren Players in den Gängen und brüllten ihn mit einer Lautstärke an, die das Sturmgewehr wahrscheinlich kaum übertreffen würde. Rothmann hörte vorzugsweise die aktuellen Hardcore Metal Bands. Es brachte ihn seiner Meinung nach in die passende Stimmung.
Gerade stimmte eine Death Metal Truppe die ersten Riffs eines uralten, immer wieder gecoverten Songs an und Rothmann musste grinsen, als er sich an den Songtext erinnerte. Manchmal schaffte die Realität Parallelen, wo man sie am wenigsten erwartete…
Watch the enemy through my sight
Single column seen from the side
It will be like target practice…
Sie kamen im spitzen Winkel auf ihn zu. Er konnte es gut durchs Okular des ZFs sehen. Sie stampften durch die Gegend wie eine Horde Ochsen. Keuchend, überhastet, ihrer Umgebung wenig Aufmerksamkeit schenkend. Schön brav hintereinander kamen sie daher, nur die Strahlkommandanten neben der Linie, dumpfe Kommentare brüllend. Rothmann hatte alle Zeit der Welt um sich auf sein erstes Ziel festzulegen. Das Gewehr lag ruhig auf einem unscheinbaren Sack Sägespäne auf, seitlich gestützt von zwei unverfänglichen Ästen. Das einzige was auf den Weg hinausragte, war die schwarze Mündung des Gewehrs und die inmitten der Grün- und Brauntöne des Waldes, Schattenwürfe und Lichteffekte zu entdecken würde einem Hauptgewinn im Lotto gleichkommen.
… As the come closer into perfect range…
Für ihn als altgedienten Scheibenschützen bedeutete das weniger als 150 Meter, aber um sich und die Mission nicht zu gefährden, würden sie es auf etwas mehr angehen. Lange brauchten sie dazu nicht mehr zu warten. Die Solahma machte aus einem Leistungsmarsch wieder einen Sturmlauf.
… I pull the trigger and let death take them away…
Nach drei Stunden liegen auf kaltem Laub und all der Anspannung kam es einem Befreiungsschlag gleich als das Gewehr kurz und trocken auslöste und mit einem zufriedenstellenden Ruck die erste Kugel auf die Reise schickte. Die Mündung sprang kaum und das Visier suchte sich ein neues Opfer, noch bevor der Getroffene Zeit hatte, tot zusammenzubrechen.
Auch aus den anderen Stellungen kam jetzt Feuer. Ein Gewehr nach dem anderen suchte sich sein Ziel und traf es.
Nach dem zweiten Schuss stellte Rothmann die Waffe auf Feuerstoss und schwenkte tief über die bereits dezimierten Clanner. Dann hielt er die Waffe fest und zog ab. Seine Musik brüllte ihm noch lauter in die Ohren als die schallreduzierte Waffe.
… Emptying the rifle clip
Reload and resume the killing
They turn and try to run away
From the mercyless slaughter
Pumping my lead
Into fleeing backs.
The ones who rape my country
Will pay with their blood…
Realität ging mit Fiktion eine unheilige Allianz ein, während der Sergeant verbissen das zweite Magazin in die zusammengeschossene Truppe jagte und jede Chance auf Überleben zunichte machte. Auch aus den anderen Stellungen wurde nicht mit Munition gespart. Gnade wurde nicht gewährt, auch nicht nach zehn Sekunden Bleigewitter. Erst als das zweite Magazin leer war, wurde es einen Moment lang ruhiger, während alle ihr Reservemagazin nachluden und die leeren in die freien Taschen stopften.
Gemeinsam verließen sie die Stellungen um die Leichen zu fleddern. Die Solahma war wieder mit der ganzen Ausrüstung ausgerückt. Ersatzwaffen und Funkgeräte, neues Essgeschirr und Flickzeug würden sie gut gebrauchen können und wenn sie ihnen auch noch Munition da ließen, umso besser.
„Ein bisschen weit weg gewesen, oder?“, fragte Rothmanns Kumpel nach. Der Sergeant jedoch zuckte nur mit den Schultern und grinste hämisch.
„Passte gerade so gut.“
…Recon Patrol 17 won’t make it home
pressumed as lost in action…
In fünf Minuten würden sie alles haben, was sie brauchen konnten und verschwunden sein, lange bevor die Verstärkung aus der Garnison da war. Das einzige, was zurückbleiben würde, wäre ein Haufen Leichen und das Statement, dass der Widerstand auf dieser Welt noch lange nicht im Keim erstickt war, auch wenn es hochrangige Militärs und Politiker gerne medienwirksam und vollkommen anders behaupteten.
Thorsten Kerensky
„Verdammte Scheiße!“, fluchte Jara und zog ihren Oberkörper aus der Wartungsluke des Clan-Omnimechs. „Hey, Johnny, diese Relais mögen mich nicht. Schon wieder eins durchgebrannt und noch dazu mit einem Steuerchip.“
Ein Lachen antwortete ihr von weiter mechabwärts, zu dem sich die junge Frau das Grinsen bildlich vorstellen konnte. Nach nunmehr drei Wochen, die sie bei den Wölfen als Techs verbrachten hatten, waren die Chevaliers mittlerweile akzeptiert bei den anderen Gehilfen der Mechkrieger. Zwar war es gerade Jara verhasst, als Tech arbeiten zu müssen, aber da sie Lauren seinerzeit des Öfteren zur Hand gegangen war, wusste sie in den meisten Fällen, was zu tun war.
Johnny war freigeboren, keine 19 Jahre alt und arbeitete seit über zwei Jahren als MechTech. Er sah gut aus, war durchtrainiert, pfiffig und hatte Ahnung. Und er war immer gut gelaunt.
„Wenn die Relais rumspinnen, Jara, dann nimm neue aus der schwarzen Box. Die sehen das hier nicht gerne, aber wenn die Waffen rumzicken, dann geht es richtig rund.“
„Aye, klingt logisch.“, gab die blonde Kriegerin zurück und sprang auf das Wartungsgerüst, dass den Techs als Zugang zu allen Winkeln einer Kampfmaschine diente, als eine scharfe, befehlsgewohnte Stimme sie aus dem Takt brachte.
„AsTech Jara zu mir!“, donnerte Raul, der SeniorTech. Er zählt mindestens fünfzig Winter und konnte blind und mit nur einer Hand einen Waldwolf zerlegen und zusammensetzen, glaubte man den Gerüchten und Geschichten über ihn.
Jara wischte sich Öl und Dreck an ihrem Overall ab, der nicht nur ihre Figur kaschierte, sondern auch noch unbequem und viel zu heiß war, und blickte hinab zum Hangar-Boden. „Aye, bin unterwegs.“
Keine Minute später stand sie vor dem alten Mann, einen fragenden Blick in ihren eisblauen Augen und Erwarten auf ihrem Gesicht.
„Du solltest an deiner Aussprache feilen, AsTech. Strahlcommander Jorge möchte dich sprechen.“
„Wann und wo?“, fragte die junge Frau aufhorchend nach. Der Strahlcommander mischte sich nur sehr selten in den Hangaralltag ein und auch sonst hatten die Mechkrieger nur selten Grund, einen AsTech persönlich rufen zu lassen. Einer der freigeborenen Wolfskrieger hatte probiert, Jara zur Paarung zu überreden und hatte danach Gewalt versucht, als sie ablehnte.
Er hatte seiner Ehre keinen Abbruch getan und verschwiegen, dass das Selbstverteidigungstraining der Chevaliers sich bezahlt gemacht hatte. Jara grinste beim Gedanken daran und wurde dann aber von Raul in die Realität zurückgerissen.
„Im Besprechungsraum. Sobald du dich geduscht und umgezogen hast.“
„Umgezogen?“
Der weißhaarige Mann nickte. „Ja, Strahlcommander Jorge lässt dir deine Uniform herauslegen.“
Jetzt war die Soldatin völlig verwirrt. Warum ihre Uniform und keine Tech-Kleidung? Ihr kam, wie schon einige Male zuvor, der Verdacht, dass Claner die Dinge viel zu ... kompliziert machten. „Warum meine Uniform?“
„Ich weiß es selber nicht.“, gestand Raul. „Und ich werde auch keine Vermutungen äußern. Aber ich wünsche dir viel Glück und lass dich nicht umbringen. Und jetzt ab unter die Dusche!“
Ohne ein weiteres Wort, ohne auch nur einen weiteren Blick, wandte er sich von Jara ab und marschierte tiefer in den Mechhangar, ab und an ein paar Anweisungen brüllend. Die junge Frau zuckte mit den Schultern und tat dann das, was ihre Neugier verlangte: sie tat, was man von ihr forderte.
Ihre Gedanken kreisten während dem Duschen und vor allem danach, als sie in ihre Chevaliers-Uniform schlüpfte, immer wieder um ihre Freunde und ihren Bruder. Greta arbeitete an irgendeinem Plan, aber die Mechpilotin bezweifelte den Erfolg. Und solange die Wölfe sie gut behandelten und keiner wusste, wo die Chevaliers abgeblieben waren, gab es keinen triftigen Grund, abzuhauen und unter Umständen alles nur noch schlimmer zu machen.
Sie grinste gegen ihren Willen, als sie auf die Schultern ihrer Uniformjacke schaute und dort die Rangabzeichen eines Lieutenant 2nd Class prangten. Vermutlich hatten sie jemanden beauftragt, diese Schulterklappen zu nähen oder hatten sie irgendwo erbeutet.
Auch bemerkte Jara zum ersten Mal, dass es eine Leibeigenenkordel für Uniformträger gab, die zusätzlich zu der am Handgelenk getragen werden musste. Orden und Kampagnenabzeichen, die Jara nur an der Uniform hatte, weil sie kurz vor ihrer Gefangennahme als Beobachterin eingesetzt war, waren auf Hochglanz poliert und sogar die Kampfstiefel, die sie als letztes anzog, passten wie angegossen und sahen aus wie neu, auch wenn einige wohlbekannte Schrammen sie eindeutig als Jaras Eigentum auswiesen.
Was zur Hölle hatte Jorge vor?
Unruhig, nervös, beinahe ängstlich machte sie sich, herausgeputzt und mit frisch gekämmten und zusammengebundenen Haaren, auf den kurzen Weg zum Besprechungsraum.
„AsTech Jara, du hast lange gebraucht.“, begrüßte Jorge die junge Frau, ohne in ihre Richtung zu blicken.
Unschlüssig, was der hünenhafte Elementar von ihr wollte, verharrte Jara am Eingang des Besprechungsraumes. „Pos, Strahlcommander. Ich habe mich beeilt.“
„Wir haben genug Zeit.“ Der Wolfskrieger drehte sich um und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er die junge Lieutenant musterte. „Heute ist ein großer Tag für dich und für mich.“
„Ich verstehe nicht.“, gab Jara unumwunden zu. „Heute scheint mir ein Tag wie jeder andere zu sein.“
Grinsend trat Jorge zur Seite und gab den Blick auf ein Hologramm frei, dass die Einheitsaufstellung der Wölfe zeigte. Rot hervorgehoben war ein Posten, der momentan unbesetzt war – der des StarCommanders der Elementare. „Strahlcommander Astray und ich haben uns das Recht erkämpft, einen Positionstest um den Rang eines StarCommanders abzuhalten.“
„Das heißt, ihr kämpft aus, wer von euch der neue Anführer der Elementare wird, frapos?“, hakte Jara nach und kam Stück für Stück hinter das befremdliche Denken der Claner.
Jorge nickt, eine imposante Geste in einer Höhe von über zwei Metern. „Pos. Aber Strahlcommander Astray ist sich zu stolz, persönlich gegen mich zu kämpfen. Er hat den Elementar Janusz zu seinem Champion ernannt. Jetzt tritt Janusz für ihn an.“
Nachdenklich legte die blonde Schönheit ihre Stirn in Falten. „Ist das ehrenvoll, franeg?“
„Es ist sein Recht.“, antwortete der Claner schlicht. „Es mag auf dich nicht verständlich wirken, aber er darf einen Champion bestimmen. Wenn Astray aber nicht selber antritt, kann ich keine Ehre gewinnen. Ich werde ebenfalls einen Champion benennen.“
Die Mechpilotin trat näher an den Holotisch und inspizierte die Grafik. „Was hat das mit mir zu tun?“, fragte sie vorsichtig. „Ich bin AsTech, ich darf nicht als Kriegerin antreten, frapos?“
„Das ist nur bedingt richtig.“, korrigierte Jorge sie. „Wenn du einwilligst, als mein Champion anzutreten, darfst du für mich kämpfen. Das verschafft mir einen Vorteil gegenüber Astray, weil er dich nicht einschätzen kann. Und mit Janusz schickt er einen Elementar in den Ring und ich einen Mech.“
„Und was habe ich davon?“
Jorge legte die Fingerspitzen aneinander und musterte Jara. „Wenn du gewinnst, ist gleichzeitig erwiesen, dass du Kriegerin bist. Das gibt dir die Chance, von Clan Wolf adoptiert zu werden und wieder als Mechpilotin kämpfen zu dürfen, statt die entwürdigende Arbeit eines AsTech verrichten zu müssen.“
„Ein Mech gegen einen Elementar, frapos? Das klingt nicht nach einem fairen Kampf.“
„Pos. Allerdings ist dies an bestimmte Bedingungen geknüpft. Du darfst keinen Mech wählen, der Waffen trägt, die einen Elementar mit einem Treffer töten. Außerdem steht der Jäger noch nicht fest.“
Jaras Miene verriet ihre Skepsis. „Der Jäger?“
Der Strahlcommander nickte. „Zwei Gegner bei einem Test bestimmen vor dem Test Jäger und Gejagten. Der Gejagte darf sich das Testgelände aussuchen, der Jäger bestimmt die Waffen. Du musst also Jäger werden und dich dann für die persönlichen Waffen entscheiden.“
Die Frau aus der Inneren Sphäre dachte kurz nach und verzog dann das Gesicht. „Wie wird entschieden, wer Jäger ist?“
„Das wirst du sehen, sobald du zugestimmt hast. Ich bin zuversichtlich, dass du jagen wirst. Ich sehe in deinen Augen den lauernden Blick eines Raubtieres. Wirst du mein Champion sein, frapos?“
„Wann?“
Das Grinsen auf Jorges Gesicht nahm wölfische Züge an. „Jetzt. Wenn du zustimmst, werden wir direkt vor das Konklave der Einheit treten und den Test austragen.“
Jara schluckte. Sie würde sterben, wenn sie zustimmte und die Gejagte sein musste. Oder sie würde noch lange Zeit als AsTech arbeiten, anstatt als Kriegerin alle wichtigen Informationen zu erhalten. Dann sah sie Jorge direkt in die Augen. „Pos, ich werde kämpfen.“
Sie betraten die Lagerhalle, die kurzerhand zu einem Konklavesaal umgerüstet worden war, durch den Haupteingang. Jara folgte dem Strahlcommander mit ein paar Schritten Abstand und musterte die versammelten Krieger der Einheit, die auf improvisierten Tribünen Platz genommen hatten.
In der Mitte des Raumes befand sich eine kleine Bühne, auf der drei Claner warteten. In einem von ihnen erkannte Jara StarColonel Onyx, Jorge hatte ihr gesagt, dass er als Zeremonienleiter fungierte. Die anderen beiden mussten Astray und Janusz sein.
Der Elementar bedeutete ihr, zu warten und betrat die Erhöhung. „Eidbrüder und Eidschwestern, StarColonel Onyx, Strahlcommander Astray, ich werde einen Champion nominieren.“
Einer der beiden anderen Hünen in der Mitte des Raumes lachte auf. „Du opferst einen Strahlkameraden gegen meinen besten Mann für die geringe Chance auf ein wenig Ehre?“
„Neg, Astray. Ich werde dich viel härter treffen. Ich benenne Lieutenant 2nd Class Jara, nun AsTech Jara, Mechpilotin der Inneren Sphäre als meinen Champion und verlange, dass dieser Test gleichzeitig ihr Anerkennungstest sein soll!“
Ein Raunen ging durch das Konklave, das rasch anschwoll, ehe StarColonel Onyx es mit einem Räuspern unterband. „Wodurch ist sie würdig, dein Champion zu sein, Strahlcommander?“
Astray und Janusz tuschelten miteinander, während Jorge sich im Raum umsah. „Sie hat mit einem unterlegenen Mech einen Omni-Mech der Jadefalken bekämpft und als Isorla beansprucht. Sie hat mit ihrer Natter mehrere Abschüsse verzeichnet und sich in unsere Lebensweise eingefügt. Sie ist würdig, mein Champion zu sein.“
Ehe Onyx etwas sagen konnte, trat Astray vor. „Ich unterstütze seinen Vorschlag. Es wird zwar keine Ehre zu gewinnen sein, aber es wird auch keine Möglichkeit zu verlieren geben.“
Der älteste Krieger auf der Bühne, StarColonel Onyx, schnitt Astray das Wort ab. „AsTech Jara, tritt vor und gebe dich zu erkennen!“
Die blonde Frau ging, unter Beobachtung durch alle anwesenden Wölfe, auf die Bühne zu und erklomm die zwei Stufen, die sie neben Jorge führten. „Ich bin AsTech Jara, vorher Lieutenant 2nd Class Jara Fokker, Lanzenkommandantin der Dantons Chevaliers und Mechkriegerin seit drei Jahren. Ich habe gehört, weshalb ich würdig bin und bin bereit, als Champion anzutreten.“ Sie wusste nicht, ob eine so umfangreiche Antwort in das Protokoll der Clans passte, aber sie hatte keine Gelegenheit gehabt, formelle Reden auf Clans-Art zu üben.
Die beiden Kontrahenten hatten zugestimmt. Janusz hatte bestimmt keine Einwände, er betrachtete Freigeburten als minderwertig, nur der Zeremonienmeister musste nun seine Einwilligung geben. An ihm hing nun der Fortgang des Positionstests. Jara konnte ihn förmlich nachdenken hören.
Dann nickte StarColonel Onyx langsam. „Dann sollst du als Champion kämpfen und möge dies dein Anerkennungstest als Kriegerin sein!“
Die Konklave, schwankend zwischen Neugier, Ablehnung und Amüsiertheit, murmelte etwas, dass man mit viel gutem Willen als „Seyla!“ hätte verstehen können.
„Ich bedaure, dass uns die Zeit für Vorbereitungen fehlt, aber die Ereignisse zwingen uns, den Test hier und jetzt zu beginnen.“, fuhr Onyx fort. „Champions, tretet zu mir und empfangt eure Münzen.“
Jara konnte einen Hauch von Skepsis in ihren Zügen nicht unterdrücken. Von was für Münzen redete der alte Krieger? Janusz bemerkte ihren Gesichtsausdruck und grinste. „Hast du Angst, frapos?“
Sie schüttelte den Kopf. „Neg, ich bin vor einem Sieg aber immer etwas nervös.“
Janusz verzog das Gesicht und trat zu StarColonel Onyx, der ihm eine große Münze in die Hand drückte. Nachdem auch Jara ihre hatte, enthüllte er ein Gerät, dass wie ein Trichter mit Bahnen aussah. „Ihr werdet eure Münzen in die dafür vorgesehenen Schlitze werfen. Derjenige, dessen Münze zuerst unten ankommt, ist der Gejagte. Sein Gegner ist der Jäger und hat die Wahl der Waffen. Seid ihr bereit?“
„Pos.“, bestätigte Janusz und hielt seine Münze an die Schwerkraft-Zentrifuge.
„Pos.“, kam es auch von Jara, die die Bewegungen einfach imitierte.
Beinahe übertrieben theatralisch trat Onyx an die Maschine. „Möge das Schicksal entscheiden!“
Jara und Janusz ließen ihre Münzen in die Zentrifuge gleiten und verfolgten das Rennen, soweit man es beobachten konnte. Es stand für Jara so vieles auf dem Spiel, dass ihr mulmig wurde und sie sich fragen musste, ob sie das Richtige getan hatte. Es ging immerhin um ihr Leben. Ihr Puls ging schneller, je näher die Metallstücke dem Boden kamen und mit flachem Atem starrte sie auf das Schauspiel, dass ihren Tod besiegeln könnte.
Als ihre Münze auf die des Elementares fiel, stahl sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. „Ich wähle die persönlichen Waffen der Champions. Mech gegen Gefechtsrüstung.“, verkündete sie, beinahe etwas zu hastig.
Ihr Gegner nickte, er hatte mit nichts anderem gerechnet. „Ich wähle den alten Industriepark als das Schlachtfeld, auf dem ich die Söldnerin vernichten werde.“ Den letzten Teilsatz spie er geradezu in die Runde und kampfeslustig musterte er Jara.
Diese sah zu Jorge und erntete ein Nicken von ihm. Jetzt ging es um alles.
Der alte Industriepark war ein Areal von mehreren Quadratkilometern, dass von rostenden Stahlschmelzen, halb zerfallenen Walzwerken und diversen anderen stillgelegten Hallen, Rohren, Gebäuden und Hochstraßen durchzogen war. Ein idealer Spielplatz für Infanterie und Gefechtsrüstungen.
Jara leitete den Reaktorstart bei ihrem Mech ein und sah sich derweil um. Der Puma, den man ihr zugewiesen hatte, stand in einer Fabrikhallen, die ihn um gute zehn Meter überragte. Die Unmengen Metall verhinderten ein Erfassen ihres Gegners über Magnetortung, optisch war er vor dem vielen rostbraun und stahlgrau perfekt getarnt. Einzig die Wärmesensoren schienen Erfolg zu versprechen.
Wenigstens war der leichte Omni-Mech, den sie steuerte, so konfiguriert, wie ihre eigene Maschine. Die Hauptbewaffnung bestand aus einem schweren Extremreichweitenlaser und einer mittelschweren Autokanone. Zwei kleine Blitz-KSR und ein Flammenwerfer rundeten das Bild ab und legten ihr eine ausreichende Feuerkraft in die Hand.
Als ihre Systeme Bereitschaft meldeten, drückte Jara die Steuerknüppel langsam nach vorne und setzte den avoiden Mech in Bewegung. Noch war ihr unangenehm kalt, nur in Shorts, BH und der gut arbeitenden Kühlweste, aber sie hatte das Gefühl, als würde es schon sehr schnell heiß hergehen.
Die blonde Frau steuerte ihr Kriegsgerät aus dem Haupttor der Halle und zwischen engstehenden Hallen und unter mannsdicken Rohren hindurch.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ihre Sensoren eine Wärmequelle entdeckten, nur wenige hundert Meter von ihrer Position entfernt. Mit einem siegessicheren Grinsen stapfte sie mit ihrem Mech auf die Ortung zu und entsicherte ihren schweren Laser.
Dass Janusz den Puma hätte bemerken müssen und er sich nicht bewegte, merkte sie erst, als sie um die letzte Häuserecke bog und auf einen demontierten KSR-Werfer blickte, der im Original zu der Elementarrüstung ihres Gegners gehörte.
Zwei Raketen donnerten von der Lafette und schlugen in den Torso ihrer Maschine ein, wo sie kleine Löcher in die Panzerung rissen. Das brennende Ölfass hinter der Lafette schien Jara wegen ihrer Naivität auszulachen.
Missmutig verwarf sie ihre Hoffnung auf die Infrarotsensoren und drehte sich unschlüssig im Kreis. Im Moment war der Elementar wie ein Phantom für sie, es gab keine zuverlässige Möglichkeit, ihn zu orten und das machte sie nervös und verschaffte ihm einen Vorteil.
Als sein leichter Laser in ihre Rückenpanzerung fuhr und dort erheblichen Schaden anrichtete, wurde ihr klar, dass sie sich etwas einfallen lassen musste.
Ihr Feuer donnerte in die Stelle, an der er vor einer Sekunde noch gestanden hatte, traf aber nicht den Elementar, sondern einen Schornstein. Janusz musste ihre Reaktion vorausgesehen haben, denn sie traf das Bauwerk an einer empfindlichen Stelle. Ohne große Vorwarnzeit neigten sich 50 Meter Beton in ihre Richtung und Jara schaffte es nur mit einem gewaltigen Satz nach vorne den herabstürzenden Massen zu entkommen.
Er war gut, er war in seinem Element und er war für sie unsichtbar. Langsam wurde es spannend.
Wieder wurde sie von einem Laserstrahl getroffen, diesmal schälte die Waffe Panzerung vom linken Bein ihrer Maschine. Fluchend jagte sie zwei Raketen in eine Fabrikwand und war nicht sehr überrascht, als durch die entstandene Bresche loser Schutt rumpelte und eine kleine Gerölllawine bildete, die allerdings diesmal dem Puma nicht gefährlich wurde.
Jara musste aus diesem Gelände raus und eine übersichtliche Position finden. Unruhig manövrierte sie ihren Puma durch die ehemaligen Zufahrtstraßen und vorbei an gewaltigen Fortschrittsleichen. Ab und an tauchte Janusz auf und versetzte ihr Nadelstiche mit seinem Laser, die nach und nach die Panzerung vom Puma fraßen, war aber jedes Mal schnell genug verschwunden.
Mehr aus Verzweiflung, denn aus Überzeugung kam der Mechpilotin eine Idee. Sie bezweifelte zwar, dass ihr Vorhaben funktionieren würde, aber einen besseren Plan hatte sie im Moment nicht.
Als Janusz das nächste Mal auftauchte und ein roter Lichtstrahl seine Spur über ihren rechten Arm zog, deaktivierte sie den Körperteil. Schlaff sackte der Waffenträger an der Maschine herab. Damit büßte sie zwar ihre Autokanone ein, gab sich aber verwundbar. Vielleicht würde das den Elementar aus seiner Deckung locken und zum direkten Angriff verleiten.
Und tatsächlich zeigte sich der Hüne plötzlich – in ihrem Rücken. Jara war viel zu verblüfft, dass ihr Bluff gezogen hatte, um rechtzeitig zu reagieren und wurde mit einem Treffer in die empfindlichen Bauteile ihres Torsos abgestraft, der den Flammenwerfer in Trümmer und dicken, fetten Qualm verwandelte.
Die Wolke, die schwarz und schwer aus dem Rücken des Puma quoll, war genug für Janusz. Er wurde leichtsinnig, als er seinen Sieg sicher wähnte, aktivierte seinen Sprungtornister und jagte auf zwei Düsenstrahlen in Richtung des Omni-Mechs, um ihm mit seiner Kralle den Rest zu geben.
Doch dieses Mal war Jara schneller. Der intakte linke Arm des Pumas schwang herum und der Lauf des schweren Lasers wischte den Elementar aus der Luft. Mit voller Wucht donnerte gegen die Wand einer nahestehenden Fabrik und fiel dann zu Boden. Bevor er aufstehen konnte, schlugen vier Kurzstreckenraketen in seiner direkten Umgebung ein und beschädigten seinen Panzer schwer.
Jara aktivierte den rechten Arm wieder, wartete aber nicht, bis er wieder einsatzbereit war. Der Elementar rappelte sich auf, trotz den Verletzungen, die er erlitten haben musste und stürmte vorwärts, im Versuch, den Puma zu erreichen.
Die Mechkriegerin zog ihren Koloss einige Schritte zurück und feuerte ihren schweren Laser auf das kleine Ziel ab.
Sie traf Janusz nicht direkt, aber die immense Hitze der Waffe reichte aus, um seinen Arm zu verkohlen und seinen Vorsturm zu stoppen. Als seine Rüstung Harjel, ein schmerz- und blutungsstoppendes Mittel der Clans, auf seine Wunde pumpte und er erneut aufstand, trat Jara vor und feuerte mit ihrer Autokanone auf die fast wehrlose Gestalt.
Sie konnte im Nachhinein nicht sagen, warum sie das getan hatte. Vielleicht war es der Rausch des Kampfes gewesen, vielleicht eine Rache für die Bloßstellung, die sie im langen Zermürbungskampf vorher erfahren hatte oder vielleicht gewöhnte sie sich viel zu schnell an den Weg der Clans. Sicher war nur, dass vom Elementar Janusz nicht viel übrig blieb, was man beseitigen konnte, die uranangereicherte Munition der Waffe hatte ihn über eine beachtliche Fläche verteilt.
Jara hatte gesiegt, sie hatte sich Anerkennung erkämpft und die Möglichkeit, irgendwann einen Positionstest abzulegen.. Und das war der erste Schritt in die Kriegerränge der Wölfe.
Dirty Harry
12. November 3065
In irgendeinem Wald auf Sachsen, Thannhausen
Clan Wolf Besatzungszone
Der Weg bis zum Abstellplatz der Mechs war deutlich länger als vorhergesagt. Scharnhorst hätte vielleicht die dichten Wälder mit vereinzelten Lichtungen bewundern können, wenn er auf einem Urlaubstrip gewesen wäre.
Doch das war er nicht.
Das hier war keine Bildungsreise und auch kein Vollpensionsurlaub. Es war Arbeit und für ihn bedeutete das Geschüttel über Forstarbeiterwege und kaum erkennbare Waldpfade zusätzliche Schmerzen. Sein Begleiter vom lokalen Untergrund schien das nicht zu stören. Er lobte das Land noch immer in den höchsten Tönen. Und das unablässig.
„Wir sind hier weitab jeder Clanaktivität, was eindeutig unser Vorteil ist. Sie können somit nicht einmal ansatzweise abschätzen wie stark oder schwach wir sind und sie haben keinen blassen Schimmer, wo sie noch nach uns suchen müssen. Die meisten Untergrundgruppen arbeiten in Zellenform und praktisch keiner weiß um die Verstecke einer anderen Zelle. Das hat sich bewährt, insbesondere jetzt, wo die Wache zu spinnen beginnt. Dessen ungeachtet hat unser konstanter Widerstand uns die Sympathien der umgebenden Landbevölkerung eingebracht. Weiter als 150 Kilometer ist nie ein Clanner an diese Position gekommen und selbst wenn haben sie es nicht besonders lange überlebt. Hier draußen ist es egal, ob sie uns in der Zwischenzeit mit Satelliten auf den Pelz rücken. Diverse Freizeitaktivitäten der hiesigen Landbevölkerung sorgen dafür, dass ihre MAD-Detektoren mehr Aktivität in den Wäldern aufspüren als sie rational verarbeiten können und vor fliegenden Augen haben wir sowieso keine Angst. Hier draußen ist der Wald mit seinem dichten Blätterdach unser bester Freund. Abgesehen davon, dass wir in letzter Zeit ohnehin kaum noch unsere große Tech zum Tragen bringen konnten. Die kaum wahrnehmbaren Bewegungen von Infanteristen können deren Computer sowieso kaum noch von den üblichen der Landbevölkerung oder dem hiesigen Viehzeug unterscheiden.
Effektiv ist unser größter Schutz, dass die Clanner hier draußen so gut wie blind sind … und es sicher auch noch für eine Weile bleiben werden.“
„Wo ist denn nun unser Unterstand?“, unterbrach Scharnhorst seinen Begleiter.
„Nur noch ein kleines Stück, wir sind so gut wie da!“
Diese Aussage hatte Scharnhorst schon vor einer halben Stunde gehört und es war immer weiter durch die schier undurchdringlichen Wälder gegangen. Mittlerweile lugte bereits die Sonne durch die Wipfel und deutete an, dass sie in der Zwischenzeit länger unterwegs waren als ihnen lieb sein konnte. Aber wie der Major bereits angedeutet hatte, waren sie hier draußen so weit ab vom Schuss, dass sie genauso gut noch Tage in der Gegend herumfahren konnten, ohne dass die Clanner auch nur einen Anhaltspunkt bekamen, wo sie denn nun wirklich waren. Sie selbst übrigens auch nicht. Dass sie beim Anflug noch den einen oder anderen Aufklärungssatelliten zerschossen hatten, spielte dem Major nur noch weiter in die Hände.
Womit sich der Captain fragen musste, was eigentlich schlimmer war: Seine Kreuzschmerzen oder die psychoakustische Folter vom Nachbarsitz. Sicher war nur, dass sowohl das eine wie das andere noch eine Weile anhalten würde.
***
Zwölf Stunden im Panzer waren nicht gerade etwas, was man ohne weiteres wegsteckte. Das ging auch Helene Marie Angström so. Müde und von den schlechten Wegen ziemlich zerschlagen stand sie im Turmlug und behielt den Konvoi im Blick.
„Sie sollten den Turm dicht machen. Es zieht so viel Staub rein. Wir sind gerade am Ende der Trockenperiode, der Boden ist seit Wochen nicht mehr richtig gewässert worden.“, krähte es von drinnen.
Die Stimme gehörte zu keinem ihrer eigenen Leute, sondern zu einem Milizionär, den sie als ‚Tourguide’ an Bord genommen hatten. Die meisten dieser Milizen waren in der Zwischenzeit ausgesprochene Waldschrate geworden, die es gewohnt waren, sich mit den Unbilden der lokalen Natur abzugeben – wenn nötig über Wochen.
Es bedeutete allem Anschein nach auch, dass sie sich olfaktorisch an ihre Umgebung angepasst hatten.
Zumindest traf das auf ihr Trüffelschwein zu, dass dem Panzer an sich und dem zweiten Bordkanoniersplatz insbesondere das Geruchsschema einer Schweinesuhle verpasste.
Im Vergleich zum Thannhäuser Staub war das besondere Odeur dieses Mannes die wirkliche Qual und Helene beneidete nicht ihre Crew, die keine Möglichkeit hatte, durchzulüften.
„Der Staub ist mir egal“, erwiderte sie daher, „Das Heck der Vorausfahrenden ist wichtiger. Wenn 95 Tonnen auf der Hinterachse eines Kleinlasters parken ist das nicht gut für dessen Struktur!“
„Da stimme ich ihnen zu, aber lassen sie das doch ihren Fahrer entscheiden. Der streckt schon den Kopf aus der Wanne und sollte sehen, wo er hinfährt“, kam es wieder von unten.
Zumindest Charlie konnte sich noch vor der Duftwolke des Soldaten retten. Aber für sie galt es, die restliche Mannschaft vor dem Tod durch Ersticken zu bewahren. Und das konnten nur zwei offene Luken und die Möglichkeit zum Durchlüften mit sich bringen.
Eins war sicher und darin war sie sich mit ihrer Mannschaft binnen weniger Minuten einig: Sollten sie in den nächsten Stunden an einem Bach oder See vorbeikommen, würden sie dieses Stinktier in ihrer Mitte darin versenken. Konnte Scharnhorst doch sagen, was er wollte, aber das war Dienst an der gesamten Menschheit, an der Thannhäuser Miliz insbesondere.
***
Die Besatzungen hatten individuelle Sorgen und nicht alle waren auf den unterentwickelten Geruchssinn verschiedener Personen beschränkt.
Seit sie zu einem Tankstopp angehalten hatten, saß Penny nur noch auf dem Panzer und ließ lediglich die Beine in den Panzer baumeln. Ihren eigenen Platz hatte sie an den ihnen aufgedrängten ‚Begleiter’ abgegeben, der ihr in der Zwischenzeit viel zu aufdringlich geworden war. Eigentlich hätte sie nur einen Ton sagen müssen und die anderen Panzerfahrer wären ihr zu Hilfe gesprungen. Allerdings hatte sie Sorge, dass das zu weit ging – dass die anderen zu weit gingen. Sie mussten mit den Milizen. Da würde es nicht helfen, wenn sie einen der ihren für die nächsten Wochen ins Krankenrevier stecken mussten. Sie mussten noch miteinander auskommen und so lange musste es auch anders gehen.
Dennoch war der Mann unglaublich aufdringlich gewesen. Er hatte sie – ganz rein zufällig natürlich – betatscht und auch ansonsten mehr als nur zotige Witze gerissen. Es war deutlich genug, wie das weitergehen würde, wenn sie ihm nicht aus dem Weg ging. Daher zog sie eine Fahrt auf dem Panzer einer in ihm vor.
***
Noch einmal eine Viertelstunde später zeigte sich endlich ihr Reiseziel.
„Das ist doch mal eine Abwechslung“, brummte selbst Scharnhorst als er das neue Areal einsehen konnte. Sein Begleiter grinste nur.
„Ein altes Maar, ein ausgesprengter Vulkankrater. Neben den Vulkankegeln einiger erloschener Vulkane und Calderas; zusammengestürzten Magmakammern; gibt es noch einige dieser Maare. Die meisten sind jünger als das hier und daher mit Wasser gefüllt. Das hier dürfte hingegen wohl das Älteste sein. Es war total verlandet, was für uns ein Glück sein dürfte. Die Südseite ragte noch immer schroff in die Höhe, aber wegen des starken Bewuchses dieser Region ist es auf Satelittenfotos nicht auszumachen. Ein Riesenvorteil für uns, denn Zugangswege lassen sich auf diese Weise genauso wenig erkennen. Außerdem besteht der Untergrund hauptsächlich aus leicht zu bearbeitenden Tuffgestein und auch Basalt – das andere Lavagestein, was hier vorkommt, ist kein Problem gewesen.“
Der Weg führte abrupt über einen schmalen Pfad in den Krater hinab, an dessen anderer Seite man bereits ihr Ziel erkennen konnte. Ein riesiger Schlund führte in die Felswand hinein und schien die Umgebung einfach zu verschlingen. Er war inmitten der Bäume erst auszumachen, wenn man fast vor ihm stand.
„Wir hatten zum Glück schon vor der Claninvasion einige bergbautechnische Experten für unser Projekt gewinnen können. Dadurch gingen die Bauarbeiten leichter, schneller und sicherer vonstatten als es nötig wurde. Den Aushub abzutransportieren ohne das die Clanspinner irgendetwas mitbekommen, dürfte unsere größte Leistung gewesen sein.
Eigentlich hatten wir die Katakombe von Anfang an für Mechs geplant, aber bereits nach kurzer Zeit hatten wir keine Mechs mehr, die wir noch verstecken mussten, deshalb reicht der Platz auch nur für ihre Lanze. Ach ja, der Tojama sollte vielleicht die Schultern ein wenig einziehen, sonst könnte es Steinschlag geben. Mit so hohen Tieren hatten wir damals gar nicht gerechnet.
Die hinteren Teile dieses Verstecks wurden dann für weniger großes Gerät ausgehoben und bieten nun mehr als genug Platz für unsere Panzer und das eine oder andere Bergegut. Wenn wir jemals welches einsammeln sollten.
Aber die Höhlen dienen uns nicht nur als Garage, sie sind so etwas wie das Zentrallager. Hierher kommen andere Zellen, wenn sie etwas brauchen oder wenn eine Koordinationssitzung angesetzt wurde. Wundern sie sich nicht, dass hier heute so viele herumspringen, für gewöhnlich gibt es hier gerade einmal eine Handvoll Wachen, das ist alles. Aber einige Leute warten bereits sehnsüchtig auf die Ersatzteile, die sie mitgebracht haben.“, fuhr der Major unentwegt fort.
Scharnhorst hingegen blickte sich nur in dem Höhlenlabyrinth um, das sich vor ihm entfaltete. In der Tat war von außen praktisch nichts zu sehen und wenn die Clanner nicht irgendwann auf die Idee kamen, die häufigen Waldfällerbewegungen in diesem Gebiet zu untersuchen, würden sie die Anlage wahrscheinlich nie finden. Vor allem bot sie für den Augenblick mehr als genügend Platz für alle Mann und alle Ausrüstung. Außerdem konnte Scharnhorst sogar so etwas wie gebratenen Speck in der Luft riechen.
„Unsere Feldküche dürfte bereits auf vollen Touren laufen. Speck und Eier als Frühstück für ihre Männer und Frauen. Sie sollten sich von den Strapazen der Anreise erst einmal erholen. Die Clanner werden uns nicht weglaufen und wahrscheinlich werden sie auch nicht überhastet aufbrechen um das kleine Szenario vor der Ergenwaldener Kaserne unter die Lupe zu nehmen. Was ihnen bei überhasteter Eile passiert, haben sie langsam gelernt.
Ich würde daher vorschlagen, dass sie erst mal was zu sich nehmen und sich dann fürs erste aufs Ohr hauen. Hinten gibt es noch ein paar Ruheräume, die sie nutzen können. In der Zwischenzeit kümmern wir uns um die Versorgungsgüter, die sie uns mitgebracht haben.
Und wenn sie gegen Abend wieder fit sein sollten, besprechen wir das weitere Vorgehen.“, erklärte der Major, während der Wagen in eine der Parkbuchten am hinteren Ende der Haupthöhle eingebogen war.
„Ach ja, und ehe ich es vergesse: Willkommen auf Thannhausen!“
Ace Kaiser
Es war eine Operation wie aus dem Bilderbuch. Die mittlerweile auf sechs Luft/Raumjäger angewachsene Luftstreitmacht der Chevaliers deckte den Anflug, während der Overlord und der Union der Erde entgegen fielen; genauer gesagt Waterloo, einem Achtzigtausend Seelen-Nest auf den Südkontinent.
Germaine hatte es aus zwei Gründen ausgesucht. Erstens, es war sehr, sehr weit von allem weg, was man auf dieser Welt Zentrum oder Zivilisation nannte und zweitens, es hatte eine Clan-Garnison.
Die Erklärung dafür war nicht besonders schwer zu verstehen. Waterloo war eine Bergwerksstadt. Genauer gesagt bauten die wackeren Waterlooer Steinkohleflöze, Eisen, Kupfer und in geringen Mengen Germanium ab. Die harte, schlecht bezahlte Arbeit hatte irgendwann in einem Aufstand gemündet.
Danach war die Arbeit immer noch hart, aber das Kollektiv, welches fortan die Minen verwaltet hatte, sorgte wenigstens für anständige Bezahlung.
Daran hatte sich auch mit der Claninvasion nicht viel geändert. Noch immer regierte das Kollektiv. Und noch immer wurde unter Tage hart gearbeitet.
Das mochte einer der Gründe dafür sein, dass Clan Wolf, obwohl auf diese Welt schon vollkommen personaltechnisch überfordert, eine kleine Garnison für Waterloo bereitgestellt hatte.
Man musste nicht immer Gewalt ausüben; manchmal reichte es zu zeigen, dass man dazu in der Lage war.
Ergo gab es zwei Sterne Elementare in der Stadt, in einer äußerst gut bewachten Kaserne, denn, da war Germaine mit sich grundehrlich, wie wollten fünfzig noch so große Elementare gegen achtzigtausend Einwohner bestehen, wenn es hart auf hart ging? Selbst eine Lanze Mechs wäre in einer solchen Welle einfach untergegangen.
Das war auch der Grund für folgenden Leitsatz, der auf der Sandhurst, auf der er einst studiert hatte, als wichtige Lektüre galt: Kriegsschiffe erweitern das Territorium, Mechs erobern eine Welt, aber Infanterie hält sie.
Am einfachsten war es natürlich, eine Welt sich selbst verwalten zu lassen und sich mit Tribut zu begnügen. Eine Regel, die von den Clans einfach nicht beherrscht wurde. Lieber verzettelten sich die Clankrieger in hunderten Kleinaufgaben und gaben damit ihre eigene Stärke auf. Warum? Um ihre Stärke zu beweisen.
Ein Teufelskreis.
In einem Kilometer Höhe wurden die beiden Hubschrauber ausgeschleust.
Sofort steuerten die Mehrzweckflugzeuge den kleinen Verladehafen an, der den Landern der Chevaliers als Stützpunkt dienen würde. Dort ließen die beiden Helis die Scharfschützenteams der Chevaliers ab, die von da an auf sich gestellt waren, bis auch die Lander unten waren.
Germaine ging nicht gerne ein Risiko für alle seine Leute ein.
Ein Risiko für ein paar war in Ordnung, solange er die Option hatte, sie wieder raus zu hauen. Zum Beispiel mit ein, zwei Angriffen der beiden Stukas.
In einhundert Metern Höhe öffneten sich die Frachtluken erneut. Die sprungfähigen Mechs sprangen ab und bezogen Verteidigungsstellungen.
Mittlerweile musste die Garnison in Waterloo in heller Aufregung sein. Alleine die Luft/Raumjäger hätten ausgereicht, die Kaserne auszulöschen. Ein guter Soldat würde sich jetzt vor die Frage gestellt sehen: Kämpfen und sterben oder abhauen, mit Verstärkung wiederkommen und überleben?
Nun, es waren Clanner, und sie wählten Option eins.
Als die Lander aufsetzten, waren es die Panzer, die als erstes ausschifften. Ihnen folgten die Mechs und die Infanterie. Die übrigen Dienste, inklusive des Mobilen HQs, blieben noch an Bord.
Germaine Danton bleckte amüsiert die Zähne. „Okay, jetzt wird es lustig.“
***
Die Garnison bestand nicht nur aus fünfzig Elementaren – es waren Solahma.
Das bedeutete nicht, dass die Soldaten alt waren. Nein, das waren sie höchstens in ihren Bewusstseinen. Das bedeutete nur, dass man sie für alt hielt.
Solche Menschen waren sehr gefährlich. Wer abgeschoben wurde trachtete danach, sich zu rehabilitieren. Wer wusste, dass das nicht möglich war, der versuchte wenigstens einigermaßen würdevoll zu leben.
Nun, sie redeten über Clanner. Ein Kommandant der Inneren Sphäre hätte, um sich zu rehabilitieren, seine Leute verheizt, um einen unmöglichen Sieg zu erringen.
Clankrieger taten das auch, aber die Kommandanten kämpften an vorderster Front selbst mit.
Das einigermaßen würdevoll leben war auch so eine Sache. Innere Sphäre-Soldaten hätten ruckzuck einen blühenden Schwarzhandel aufgebaut, mit der Bevölkerung fraternisiert und ihren Vorgesetzten Pest und Pocken auf die Schwänze gewünscht.
Solahma-Truppen sahen in einem würdevollen Leben einen würdevollen Tod. Dagegen war an sich nichts zu sagen, Tod und Verderben hatte Germaine ausreichend im Gepäck.
Das Problem war nur, dass Clanner danach trachteten, möglichst glorreich abzutreten. Und noch schlimmer, sie neigten dazu, möglichst viele Gegner mitzunehmen. Dieser Punkt bereitete Germaine das meiste Kopfzerbrechen.
Er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie Geisterbärensolahmas mit C34-Päckchen Selbstmord begangen hatten, um Kendas Ronin so schwer wie möglich anzuschlagen.
Gut möglich, dass das Beispiel mittlerweile bei Solahmas populär war.
Es gab noch ein anderes, wichtigeres Problem, das Germaine mit seinen Offizieren wieder und wieder durchgekaut hatte. Die Zivilbevölkerung. Germaine hatte weder Lust, diese Welt zu erobern noch für ein paar tausend Menschen Taxi in die Innere Sphäre zu spielen. Vor allem, da er plante, hiernach mindestens zwei weitere Besatzungswelten aufzusuchen.
Außerdem neigten solche Fluchten dazu, den Menschen ihren materiellen Besitz zu reduzieren und ein wirklich mieses Leben als Menschen Zweiter Klasse in der Fremde zu beginnen.
Abgesehen davon, dass ein paar tausend Menschen sicherlich sehr neidisch auf die paar tausend sein würden, die den Planeten verlassen durften.
Andererseits war ihr Plan, für Ablenkung zu sorgen, damit Manfred und seine Leute die Agenten der Wache einfangen konnten. Damit sie endlich erfuhren, wohin man ihre Leute gebracht hatte.
Germaine wollte sie zurück, und damit das geschah, musste die Wache so wenig Bewacher, so wenig Unterstützung wie möglich haben.
Der richtige Weg, um das zu erreichen war… Spaß haben.
Als Germaine in seinem Highlander aus dem Landungsschiff sprang, drei Minuten, bevor die Lander auf ultraheißen Düsen aufsetzen würden, fühlte er für einen Moment den Hochmoment des freien Falls. Ein paar Sekunden später trat er die Pedale der Sprungdüsen durch und ließ sich vom Landeplatz forttragen. Nichts war peinlich, als von den eigenen landenden Transportern plätten zu lassen.
Der Andruck trieb ihn in die Gurte, als der überschwere Mech aus dem Fall in eine Parabel gerissen wurde.
Während hinter ihm die Landeoperation begann, die Chevaliers ausschwärmten und auf dem Landefeld Sicherungsstellungen bezogen, stapfte der riesige Highlander auf das Verwaltungsgebäude zu.
Er öffnete die Außenlautsprecher und rief: „Jemand zuhause?“
Die Scheiben im Gebäude klirrten, einige brachen sogar.
Zumindest konnte niemand behaupten, ihn nicht gehört zu haben.
Die Fronttür öffnete sich und ein Mann kam heraus. Das heißt, eigentlich sah es so aus als wäre er raus gestoßen worden.
„J-ja“, antwortete er mit dünner Stimme.
Germaine erkannte es nur daran, dass sich die Lippen bewegten. Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Er beugte den Mech vor und drehte die Lautsprecher noch etwas auf. „Du. Gibt es hier Clanner?“
Irritiert sah der Mann hoch. „Clanner?“
***
Eine Viertelstunde später schien alles klar. Aber Germaine hatte die Besatzungszonen sicherlich um ein paar Wahnsinnige bereichert.
„Wenn ich Sie richtig verstehe, Major Danton“, sagte der Mann fassungslos, der sich als Vize-Direktor Ole Sundström vorgestellt hatte, „dann hatten Sie auf Arc Royal Langeweile, und jetzt machen Sie… Hausbesuche?“
„Es gab ein paar Übergriffe“, wandte Germaine ein. Ein Blick auf den zweiten Hilfsbildschirm informierte ihn darüber, dass die Einheit ihre vorberechneten Verteidigungsstellungen einnahm. „Von Seiten Clan Wolfs.“
Auch ein Teil des Plans. Wenn jemand wusste, dass der Angel´s View Point angegriffen worden war, dann würde er kombinieren und wissen, was die Chevaliers hergeführt hatte.
Vielleicht reifte in diesem Moment am Baum des Wissens eine Frucht, die Germaine herunter schütteln konnte, wenn er ihn stark genug schüttelte – mit ein paar Gausskanonen.
„Deshalb hat uns saKhan Marco Hall die Erlaubnis gegeben, ein paar, nun, Gegenbesuche zu machen.“
„Sie sind nicht hier, um diese Welt zu erobern?“, fragte der Mann mit vergehender Hoffnung.
„Thannhausen? Anderthalb Sprünge von der Allianz entfernt? Machen Sie Witze? Oder noch schlimmer, wollen Sie gute Einheiten in den Tod hetzen, Mann?“
„Natürlich nicht“, beeilte sich der Vize-Direktor zu sagen.
„Gut. Dann beantworten Sie doch bitte meine Frage von vorhin. Gibt es hier Clanner?“
„Clanner? Oh. Dies ist die Wolfsclanbesatzungszone.“
„Und?“
„Was, und?“
„Und? Gibt es hier Clanner? Hier, in dieser Stadt? Hier, hier, hier?“
„Nun, hier direkt nicht. Aber auf der anderen Seite von Waterloo gibt es eine Kaserne.
Soweit ich weiß, sind dort zwei Sterne Elementare stationiert. Sie sollten eigentlich jede Sekunde eintreffen.“
„Gut. Wie heißt ihr Anführer?“
„SternCaptain Malcolm.“
„Sie haben nicht zufällig seine Funkfrequenz oder seine Handynummer?“, fragte Germaine hoffnungsvoll.
„Tut mir Leid. Wir gehen zwar zusammen aus, aber seine Nummer hat er mir bisher noch nicht gegeben“, antwortete der Mann mit beißendem Spott.
„Vorsicht“, warnte Germaine und reckte den rechten Arm etwas vor, „im Moment habe ich das Monopol auf faule Witze.“
„Schon gut, Sir. Verstanden, Sir.“
“Schön, dass Sie so verständnisvoll sind, mein Junge. Jede Sekunde, sagten Sie? Dann halten Sie sich doch bitte mal die Ohren zu.“
„Die Ohren zuhalten?“
„In den Keller fliehen wäre sicherlich auch hilfreich“, fügte Germaine hinzu, während er den Highlander wieder aufrichtete und die Außenlautsprecher auf Maximum stellte.
„Ich bin Germaine Danton von den Dantons Chevaliers!“
Auf volle Leistung gedreht, wieder auf die Stadt gerichtet, dröhnte seine Stimme hundertfach verstärkt über den Platz. Der Vize-Direktor war schlau genug gewesen, zumindest im Verwaltungsgebäude zu verschwinden, aber Fenster hatte der Schuppen nun keine mehr.
„Ich fordere dich heraus, SternCaptain Malcolm! Mit was verteidigst du deine Ehre, SternCaptain?“
Als es in seinem Funkgerät knackte, grinste Germaine zufrieden. Einen Mann packte man immer noch am besten bei den Eiern oder bei seiner Ehre.
„Hier spricht SternCaptain Malcolm vom 14. Blutklauentrinärstern. Ich verteidige diese Stadt und meine Ehre mit zwei Sternen Elementaren der 14. Blutklauen.“
Ha. Geschafft. Der Mann ging tatsächlich auf Zellbrigen ein. Nun kam es nur noch darauf an, die Sache so lange wie möglich in die Länge zu ziehen, ohne zugleich die Gefahr in die Länge zu ziehen.
Er seufzte viel sagend, während er gleichzeitig über Funk und über die Lautsprecher sprach. Den Funkkanal hatte er wohlweislich auch auf Lautsprecher gelegt. „Endlich mal ein Mann von Ehre. Endlich mal jemand, dem Disziplin, Tradition und vor allem Stolz noch etwas bedeutet. Wenn ich da an die Jadefalken denke… Nicholas Kerensky würde in seinem Grab rotieren, wenn er das wüsste. Na, Schwamm drüber.“
Wieder musste der Chevalier grinsen. Nachdem er den lieben Captain so hoch gelobt hatte, würde er kaum zurückkönnen und Zellbrigen aufkündigen. Alle Karten lagen nun bei Germaine. Und das Spiel hieß Zeit.
„Clan Wolf kam neulich zum spielen rüber“, informierte er im Plauderton. „Deshalb sind wir jetzt hier, um uns mit einem Gegenbesuch zu revanchieren. Was denkst du, SternCaptain Malcolm? Wollen wir zusammen ein wenig spielen?“
„Wähle den Ort und die Waffen. Ich und meine Leute stehen zu deiner Verfügung.“
„Okay. Einzelduelle. Hier auf dem Raumhafen. Für den ersten Kampf wähle ich dich als Gegner. Meine Waffe ist das Schachbrett.“
„Schachbrett?“
„Ein Quadrat, das aus sich regelmäßig abwechselnden schwarzen und weißen Quadraten besteht, insgesamt vierundsechzig. Gespielt wird mit zweimal sechzehn Figuren und…“
„Ich weiß was ein Schachbrett ist!“, blaffte der Solahma. „Aber warum willst du ein Schachspiel?“
„Wir veranstalten fünfzig Duelle. Fünfzig meiner Leute gegen fünfzig deiner Leute. Mir geht es nicht darum, deine Elementare zu töten oder zu verstümmeln, mir geht es nur darum, meinem Auftrag gerecht zu werden und Clan Wolf abzustrafen. Wenn ich das schaffe, ohne die halbe Stadt zu verwüsten, denke ich habe ich meinen Job gut gemacht. Außer du bestehst auf einer offenen Feldschlacht gegen meine überlegenen Truppen, was dich zwingt, dich nach Waterloo zurück zu ziehen und riskierst Tod und Verwüstung für die ganze Stadt und…“
„Ich bin einverstanden! Hörst du, Major Germaine? Ich bin einverstanden! Wo soll dieses Schachspiel stattfinden?“
Wieder grinste Germaine. „Wir treffen uns auf dem Landefeld.“
„Und was ist der Preis des Wettkampfes?“
„Der Sieger darf sich vom Verlierer etwas wünschen. Etwas, das auch in der Macht des Verlierers steht. Einverstanden?“
„Pos. Du bist ein verrückter Hund, Major Germaine.“
Der Chevalier schmunzelte. „Das höre ich öfters.“