Chevaliers Season IV

Andai Pryde
Wayside V („Wildkatz“)
Nordwestlicher Rand des Kurita Beckens, Jeffrey Raumhafen
Kaseren der Wayside Miliz
03.August 3066, 13:16 Uhr


Ein Tag Wunden lecken und alles war anders als vorher.
Matthew blinzelte, als er die angetretene Truppe musterte. Allesamt in Chevaliers Uniformen gehüllt, standen sie dort, als wäre es das normalste und ein Alltägliches Antreten.
Er wollte wütend sein, suchte immer noch jemanden, auf dem er die Schuld abladen konnte, aber dieses Ventil bot sich ihm nicht, durfte sich ihm nicht bieten. Leicht nervös kratzte er über seine linke ahnd, die Prothesenfinger juckten wieder und erinnerten ihn an eine andere Schmach, einen anderen Zorn.
Dann konzentrierte er sich wieder auf die angetretene Kompanie, seine Kompanie.
Danton war wirklich ein Höllenhund, ein mieses Schwein und ein genialer Mann. Oder einfach nur ein Sadist.
Jetzt stand er hier, einen Tag nach den Kämpfen, anstatt im Lazarett, wo er die Zeit sein wollte, aber Doc Fleischer ihn jedes Mal herausgeschmissen hatte. Er stand hier als frisch gebackener Captain, mit all den Aufgaben und 11 Leuten, die er zu führen hatte. Zwei davon Chevaliers, neun ehemalige Husaren.
Er wusste, dass er sich damit abfinden musste, dennoch fiel es ihm schwer, weitaus schwerer, als es scheinbar den Husaren gefallen war.
Dualla Hildebrand trat gerade vor die Kompanie und musterte jeden Soldaten ausgiebig, bevor sie sich zu ihm umdrehte und salutierte.
„Melde Matthews Mudders vollzählig angetreten, Captain!“
Aus einem alten Reflex heraus erwiderte Matthew den Salut und nickte stumm, während sich Dualla zu ihrer Lanze gesellte.
Sie kommandierte seine Hetzlanze und den Anweisungen des Colonels folgend, hatte er sie sich als Lieutenant ausgesucht, sowie als Drillsergeant und Spieß der Kompanie, auch wenn es natürlich nur einen Spieß an und für sich gab, so bildete sie das Gegenstück innerhalb der kleinen Familie, der Mudders. Ein Name, der ihm gefiel, wenn er ihn sich auch nicht gewünscht hatte, so war er doch Wunsch der Truppe gewesen.
Dualla hatte gemeint, das es den Husaren half sich so mit etwas zu identifizieren, sich wie neugeboren zu fühlen und alten Zwist zu vergessen.
Sie war da mehr Söldner, als er.
Ihm lag dieser schnelle Loyalitätswechsel nicht so recht und doch, sein Pflichtbewusstsein und die Professionalität zwangen ihn dazu, es zu akzeptieren.
Dann war da noch der Stolz, Stolz wieder Captain zu sein und Stolz, dass die Truppe sich nach einem Tag schon so solide präsentierte.
Er blickte in jedes einzelne Gesicht, angefangen mit Frederic, der zwar seine Wolf in Exil Uniform trug, es sich aber nicht hatte nehmen lassen auf das Barett die Chevaliers Maus zu sticken. Neben ihm stand stark Bandagiert und leicht gebeugt, Damien Mulgrew.
Dann die beiden Lieutenants und ehemaligen Husaren; Dualla Hildebrand und Mehmet Arkabi. Kommandeure der Hetz- bzw. Kampflanze.
Er wusste noch nicht alle Namen, das war seine Tagesaufgabe für heute, doch alle musterten ihn mit demselben erwartungsvollen und neugierigen Blick.
„ Rühren. Nun ich bin Matthew Brennstein. Die meisten kennen mich nicht und haben vermutlich das schlimmste bisher gehört. Ich schwinge keine lange rede, das ist nicht mein Stil, ebenso motiviere ich euch nicht und sage euch, was für eine tolle Truppe das hier ist. Ich bin Pragmatiker, kein Heuchler oder hoffnungsloser Optimist, wie so manch andere in der Einheit.
Zeigt Leistung und sie wird honoriert, weigert euch und es wird bestraft, so einfach läuft das bei mir.“
Er machte eine kurze Pause, während der er den Blick der Krieger aufgriff.
„Die Chevaliers sind jetzt eure neue Einheit, euer Zuhause und ich möchte, dass ihr das so seht und fühlt. Um das zu vertiefen, habe ich mit Captain Fokker ein Simulator-Manöver für 16:00 arrangiert. Sie wird uns eine Pardertruppe simulieren, denn wir werden Raubkatzen jagen. Ich erwarte, dass ihr gut zusammenarbeitet und gewinnt. Lieutenant, übernehmen sie.“
Er blickte nochmals kurz die Reihe ab und drehte sich dann um.
Dualla übernahm sofort das Kommando. Die breit gebaute Schwarze scheuchte die Kompanie sofort im Laufschritt vom Platz zu den Simulatoren. Aufwärmübungen, wie sie es wohl bezeichnen würde.
So blieb Matthew mit seinen Gedanken alleine, während er seinen blick über die Miliz-Anlage schweifen ließ.
Es herrschte eine eifrige Geschäftigkeit und es wirkte, als hätte es nie anderes gegeben. Husaren, Eagles, Chevaliers und zivile Hilfskräfte werkelten eifrig. Arbeit ließ einen schnell vergessen. Vielleicht war das im Moment das sinnvollste. Das neue Ziel vor Augen und genug Arbeit, die getan werden wollte.


****

„Bitte was?“
„Es gefällt mir auch nicht, aber der Colonel hat es befohlen. Wir stocken die Angels mit den überlebenden Piloten der Husaren auf. Größtenteils die am Wasserloch gekämpft haben, da wir die anderen so ziemlich Krankenhaus reif gemacht haben.“
Christine Sleijpnirsdottir konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, als sie um den Schreibtisch herum ging und Sandy an den Schultern griff.
„Schau mal, Sarah liegt noch im Lazarett und wird vermutlich nie wieder fliegen können und wenn doch, dann zumindest eine lange Zeit keinen Jäger. Jean ist tot.“
Sie hielt kurz inne, als sie das Zucken in Sandys Gesicht sah, aber die junge Frau hatte sich unter Kontrolle.
„Wir sind das Rückgrat der Chevaliers, wir retten dem Colonel so oft den Arsch, wieso tut er uns das an? Die Sache mit den Husaren kann ich ja noch akzeptieren, aber der andere…“
„Du meinst Vogt? Ja das schmeckt mir auch nicht, aber sieh es so, wir können ihn so vielleicht ein wenig erziehen.“
Sandy schnaufte verächtlich.
„Na klar, diesen Chauvi. Der Kerl hat mich gestern dreimal angebaggert, nur um sich danach auf diese Husarin, Luanne Hawkings zu stürzen.“
„Und so wie sie heute morgen aussah, hat er auch Erfolg gehabt.“
Nur zu gut erinnerte sie sich an die verzottelte Frisur der blonden Husaren Pilotin und der nur halb geschlossenen Uniformsbluse, sowie dem selbst zufriedenen Grinsen von 1st Lieutenant Tancrid Vogt.
„Er ist halt ein Opfer seiner Männlichkeit. Das ist doch unser Vorteil.“
Wieder schnaufte die Brünette Jägerpilotin, nur um dann seufzend die Augen zu schließen.
Sandrina Gurrow hatte sich weit entwickelt. Vom Heißsporn und einem naiven Ding, mit großem Busen und Top-Figur, zu einer reifen jungen Frau, immer noch mit ansehnlichem Äußerem, trotz des Armes in der Schlinge und dem eingegipsten Bein. Vielmehr war sie mental gereift.
Sie wirkte bedeutend reifer, als noch vor zwei Jahren, ja sogar, als vor zwei Tagen. Die Verluste und der Schmerz des Krieges ließen auch bei ihr Spuren.
„Der Kerl hat dennoch heut morgen versucht mir an die Wäsche zu gehen. Das nächste Mal lege ich ihn um.“
„Warum trägst du auch den Uniform Rock, du weißt, wie knapp die stellenweise geschnitten sind.“
Empört wirbelte die Frau herum, so weit es ihr Bein zuließ.
„Was soll ich denn bitte machen? Es gibt kaum genug Hosen in meiner Größe und dann soll ich die paar, die ich habe noch für das Ding zuschneiden?“
Sie klopfte sich auf den Gips, um ihre Worte zu unterstreichen.
„Ich befürchte dann musst du damit leben, oder du gehst zu Leon und lässt dir eine Spezialkur verschreiben. Nur befürchte ich, passt du dann nicht mehr in deinen Jäger. Solange wirst du dich mit deiner Top-Figur damit abfinden müssen. Das ist nun mal das Leid der Frauen, mit manchen Männern. Sie sind primitiv, aber bestechend simpel.“
Kiki schlenderte zum Fenster und blickte auf den freien Platz in der Mitte der Kaserne, der derzeit wieder als Exerzier- und Paradeplatz genutzt wurde. Die drei Chevaliers Mechkompanien hielten gerade ihr Teileinheits-Antreten ab. Matthew Brennstein schien damit keine große Freude zu haben. Er schlenderte gerade wieder in Richtung Bürokomplex, während sein Lieutenant die Einheit abmarschieren ließ, im lockeren Trab.
„Was soll ich tun?“
„Sei du selber, lass es dir nicht gefallen und vor allem, zeig ihm wer das Alpha Tier ist. Ich glaube er braucht so etwas. Dazu werde ich dich in den Rang eines 1st Lieutenant befördern. Du wirst Jeans Platz als Wingleader einnehmen und als meine Stellvertreterin fungieren. Vogt wird dein Flügelmann sein.“
Sandy schwieg, aber Kiki konnte hören, wie es in ihrem Rücken merklich kühler wurde und die junge Frau mit knirschenden Zähnen nachdachte.
„Ich verstehe. Noch etwas?“
„Du wirst dich vorläufig etwas zurückhalten, solange dein Knie nicht wieder voll belastbar ist, steigst du mir in keine Maschine. Die kommenden Tage werden wir einige Simulatorflüge üben, schauen, wie die Truppe sich macht, was sie drauf haben. Ich möchte, dass du die Beobachtung und Auswertung vornimmst. Guck wer sich wie macht und wie wir sie am besten einsetzen. Vogt fliegt weiterhin den Corsair. Clark und Hawkings haben ihre Hellcats und Swanson bekommt vorläufig Sarahs Stuka zugeteilt. Sie hat Erfahrung auf Stukas und ich denke sie wird als mein Flügelpartner, den Verlust von Sarah am ehesten kompensieren können. Wegtreten.“
„Aye, Ma´am,.“
Sandy salutierte und verließ dann den Raum. Etwas vom Heißsporn war noch geblieben, als die Tür lauter, als notwendig zuknallte.
Kiki seufzte. Es gefiel ihr auch nicht, aber in Anbetracht dessen, was noch kommen mochte, war es das Beste für alle.
Thorsten Kerensky
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
03. August 3066, 06:53 Uhr

Wirklich fit und wach war Jara immer noch nicht. Sie hatte das Gefühl, eine Woche durchschlafen zu können.
Aber immerhin hatte sie eine Menge geschafft, bis sie letzten Abend todmüde ins Bett gefallen war. Sie hatte den Papierkram erledigt, der in ihrer Lanze angefallen war: Die Dienstakten mussten aktualisiert werden, die Mechreparaturen angeleiert werden und Versetzungen für alle Lanzenmitglieder verfasst werden.
Dann hatte sie Eric Stein im Krankenhaus besucht. Eine Stunde hatte sie am Bett des Soldaten gesessen, der im künstlichen Koma lag, hatte ihm erzählt, was alles passiert war und sich dabei unfassbar blöde und deplatziert gefühlt.
Danach war sie durch den Sanitätsbereich der Chevaliers gezogen und hatte alle besucht, die ihr wichtig und bei Bewusstsein waren.
Es fiel ihr schwer, daran zu denken, dass sie eine Kompanie übernehmen würde, die zu zwei Dritteln aus den Leuten bestand, gegen die sie noch vor Tagesfrist ins Gefecht gezogen waren.
Sie hatte sich ihre Wunden von einem MedTech verbinden lassen, hatte sich mit Dawn ausgesprochen, mit Brenstein und Metellus die Kompanieübernahmen geplant, ihre Uniformen mit neuen Dienstgradabzeichen versehen, mit Mulgrew ein langes Gespräch geführt und sogar noch irgendwie Zeit gefunden, mit Haruka Yamada zu sprechen.
Wenigstens hatte Kotare mitgedacht. Was würde sie nur ohne den ehemaligen Claner tun? Als sie vor ihrem Büro zu ihm trat, reichte er ihr eine Tasse dampfenden Kaffee. „Guten Morgen, Captain Jara!“
„Ah… guten Morgen, Corporal. Gewöhn dir das mit den Vornamen wieder ab!“ Sie schloss auf und die beiden Chevaliers betraten das kleine Büro. „Was liegt an?“
„Ich habe die Dienstakten der Kompanie an dich gemailt. Wir können nach dem Frühstück durchgehen, was man dir zugeteilt hat. Auf den ersten Blick sah es nach vielen jungen Soldaten aus, kaum jemand mit echter Erfahrung.“
„Na wunderbar.“ Jara verzog das Gesicht und wusste nicht, ob sie sich ärgern oder freuen sollte. Grüne Mechkrieger würden zwar nicht so viel an ihr herummeckern, andererseits würde sie umso mehr Arbeit auf ihre eigenen Schultern tragen müssen. „Die Leute wissen, dass um 13:15 Uhr angetreten wird?“
„Ich werde mich darum kümmern. Lieutenant Colonel Ha… Copeland hat übrigens gefragt, ob sie ihn in einer Viertelstunde zum Frühstück begleiten.“
„So, hat er das?“ Sie stellte die Kaffeetasse ab und warf einen Blick auf ihre Uniform. Vorbildlich ging anders, aber sie hatte ja auch nicht wissen können, dass ihr neuer Vorgesetzter sie direkt zum Rapport bitten würde. „Dann sollte ich den Chef wohl nicht warten lassen. Können wir uns gegen neun Uhr wieder treffen und die Akten durchsehen?“
„Um neun?“
„Ich will versuchen, vorher ein wenig Sport zu machen, wenn die Verletzungen das zulassen.“
„Oh, natürlich.“ Kotare nickte. „Um neun Uhr, Ma’am.“

Lieutenant Colonel Harrison Copeland wartete schon vor der Kantine auf sie, obwohl Jara sich beeilt hatte und gute fünf Minuten zu früh war. Sie salutierte vorschriftsgemäß: „Colonel!“
„Guten Morgen, Captain Fokker!“ Copeland erwiderter den Gruß und bot ihr dann die Hand.
Jara schlug ein und musterte den Vorgesetzten dabei mindestens ebenso neugierig, wie er sie mit seinem Blick einzuschätzen versuchte.
Der ehemalige Husar war kaum größer als sie, wirkte aber kompakt und voller Energie. Sein Gesichtsausdruck war ehrlich, offen und auf eine schwer zu fassende Weise sympathisch. Jara hatte ihn zwar schon am Vortag flüchtig in der Besprechung gesehen, musste ihm aus der Nähe aber erst einmal Pluspunkte geben.
„Ich hoffe, sie haben gut geschlafen, Captain. Wir haben heute eine Menge vor.“
„Nicht viel, aber tief, Sir. Ich werde den Tag überstehen.“
„Ich denke, für das Frühstück können wir auf die Förmlichkeiten verzichten. Wollen wir dann?“
„Warten wir nicht auf Brenstein und Metellus?“
„Nein“, grinste Copeland sie beinahe unverschämt an. „Ich wollte heute Morgen nur die Rose der Chevaliers ausführen.“
Innerlich verzog Jara das Gesicht, obwohl sie äußerlich weiter gelassen blieb. Das gab Punkte auf der Arschlock-Skala und die waren nie gut.
Copeland schien trotzdem zu ahnen, was sie dachte und winkte lachend ab: „Nein, im Ernst: Die beiden Captains habe ich gestern zum Abendessen getroffen. Leider konnte ich sie nirgends finden und bin lediglich über ihren Corporal gestolpert.“
Jara ließ sich die Kantinentür aufhalten und revidierte ihre Beurteilung erneut. Diesmal wieder zu Copelands Gunsten. „Kotare?“
„Ja, genau, so hieß er. Etwas wortkarg, aber er scheint ja zumindest meine Einladung übermittelt zu haben.“
„Kotare ist ein verdammt guter Mechkrieger und mittlerweile auch ein guter Zuarbeiter. Lassen Sie sich von seinem Auftreten nicht täuschen.“
„Begleitet er Sie in die Zweite?“
„Zum Glück. Colonel Danton war umsichtig genug, mir meinen Flügelmann zu lassen.“ Jara griff sich drei Brötchen und Aufschnitt, ehe sie sich an der Kaffeemaschine anstellte.
„Einen beachtlichen Appetit haben Sie“, kommentierte der Ex-Husar.
„Sie haben bestimmt in meine Akte gesehen“, gab Jara leicht genervt zurück. „Sie wissen vermutlich auch ganz gut, was ich mir anhören darf, wenn ich zu wenig esse.“ Mit dem Kaffee auf dem Tablett wartete sie auf ihren Vorgesetzten.
„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie.“ Er trat neben sie und deutete auf einen Tisch nahe der Tür, wo bereits einige Soldaten saßen. „Mischen wir uns unter das Volk?“
Ein Befehl als Frage verpackt. Was für ein Morgen. „Gerne.“
Sie suchten sich zwei freie Stühle und begannen zu frühstücken. Über den Rand seiner Kaffeetasse sah Copeland sie an: „Ich habe Ihren Waldwolf im Übrigen mit Priorität bei den Reparaturen versehen und Imara dafür breitgeschlagen, den Waldwolf der Husaren als Ersatzteillager zu verwenden.“
„Danke. Das bedeutet mir viel.“
Copeland, der eine schier unausrottbare gute Laune zu haben schien, grinste: „Ich habe es mir beinahe gedacht. Haben Sie nicht nach ihrem letzten Einsatz sogar ihren Colonel dazu gebracht, seinen Thor zu verscherbeln, um ihnen den Mech zu retten?“
„Na ganz so war es dann auch nicht. Mein Anteil daran hielt sich doch arg in Grenzen.“
„Nun, ich kann mir vorstellen, was Danton an Ihnen findet.“ Ihm schien aufzufallen, dass die Worte seltsam klingen mussten und bemühte sich, eilig nachzubessern: „Nach dem, was Sie gegen die Husaren geleistet haben, bin ich auch froh, nicht mehr gegen Sie antreten zu müssen. Einige ehemalige Husaren nennen Sie auch…“
Weiter kam er zu Jaras Bedauern nicht, denn irgendwoher gellt eine befehlsgewohnte Stimme: „ACHTUNG!“ und ganz automatisch sprang sie auf, drehte sich zur Tür und nahm Haltung an. „Kommandeur anwesend!“
Sie hatte die Stimme noch nicht ganz dem neuen Spieß zugeordnet, als sie auch schon Germaine ausmachte, der in Begleitung von Corporal Jensen die Kantine betrat. Den Kerl hätte man auch mal befördern können. Guter Soldat.
Kaum dass das „RÜHREN, SETZEN, ESSEN!“ verklungen war und sowohl Jara, wie auch Copeland brav wieder Platz genommen hatten, trat der Alte auch schon an den Tisch.
„Guten Morgen, Sir“, grüßte Copeland, während Jara ungerührt weiter aß. Sie hatte schon lange aufgehört, sich von Germaines Anwesenheit vom Essen ablenken zu lassen. Er wollte, dass sie sich mästete, dann musste er auch damit leben. „Wir machen große Fortschritte bei der Aufstellung.“
„Tatsächlich.“ Der Colonel klang nicht überrascht. „Ich erwarte Sie dann zur Besprechung um acht.“
„Ja, Sir.“
Jara aß immer noch weiter, während Jensen mit dem Chef über die Vorzüge von Milchkaffee stritt. Beinahe hätte sie ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie sich schon durch die zweite Tasse schwarzen Glücks arbeitete.
„Zehn Minuten früher will ich dich in meinem Büro sehen, Jara.“
Jetzt sah sie doch auf. Es war wohl noch zu früh am Tag, um hinter den Sinn der Vorladung zu kommen. Ging es um ihre Offiziersprüfung? „Sir?“
„Wir müssen da noch eine gewisse Befehls… Auslegung klären.“
Shit. Da war ja noch was gewesen. Unwillkürlich verlor Jara ihre demonstrative Gelassenheit: „Ja, Sir.“ Mehr brachte sie nicht zustande. Mehr wäre vor den Soldaten auch nicht gut gewesen. Wenigstens hatte sie Kotare für neun zu sich befohlen. Nur der Frühsport war damit definitiv gestrichen. Vielleicht besser so. Die Wunden fingen an zu heilen und juckten penetrant.
Germaine schien es aber auch dabei bewenden lassen zu wollen, denn er wandte sich wieder an Copeland: „Bringen Sie zu unserer Besprechung bitte Stonefield und Steinberger mit.“
„Ich dachte da eher an die Captains Metellus, Fokker und Brenstein, Sir.“
„Bringen Sie sie zusätzlich mit. Es gibt da ein Versprechen, das ich einzuhalten gedenke.“
Jara glaubte, sich verhört zu haben. Vor Ärger entglitt das Messer, mit dem sie eben noch Butter auf einer Brötchenhälfte verteilt hatte, ihrem Griff und fiel klappernd auf das Plastik-Tablett. „Moment mal, Germaine“, begehrte sie auf, „du hast doch nicht etwa vor, diesem Heini Steinberger einen Schuss auf dich zu erlauben?“ Sie begriff einfach nicht, wie ein Mann so dumm sein konnte. Germaine und seine verdammten Ehre-Trips. Auch Copeland schien beim Gehörten das Gesicht zu verziehen, mischte sich aber nicht ein.
„Was ich erlaube, und was nicht, Captain Fokker, ist immer noch meine Sache.“
Pustekuchen. Sie würde jedenfalls nicht zusehen, wie der Mann, der die Verantwortung für diese gesamte Operation trug, sich in den Tod stürzte und sie unter Umstände noch weiter die Karriereleiter hochzog. „Bei allem Respekt, Sir, aber wenn Sie das zulassen, kann ich nicht dafür garantieren, dass Stonefield oder Steinberger oder beide diesen Planeten lebend verlassen.“ Sie fixierte die Augen ihres obersten Chefs und suchte darin den offen zutage tretenden Wahnsinn. Was zur Hölle hatte Fleischer ihm in die Venen pumpen lassen?
Am Tisch war es mittlerweile totenstill geworden. Verständlicherweise verfolgten die anwesenden Soldaten nur zu gespannt, wie sich der Konflikt zwischen den Offizieren entwickeln würde. Jara fühlte sich genötigt, ihre Position auszubauen: „Und ich werde das gegenüber den beiden auch deutlich machen!“
„Es gibt Dinge“, antwortete Danton, „die muss man einfach tun, Captain, auch wenn sie schwer fallen.“ Er betonte ihren Dienstgrad überdeutlich. Nicht dass ihr auch so klar gewesen wäre, dass er sich wieder einmal so eine fixe Idee in den Kopf gesetzt hatte.
„Dann wäre es vielleicht besser, wir…“ Eigentlich hatte sie Sicherheitsmaßnahmen vorschlagen wollen. Wenn sonst schon niemand bereit war, hier mit Vernunft zu arbeiten und mitzudenken und wenn Harris, Metellus, Mikado und wer noch alles nicht einschritten, dann musste sie das eben tun.
Aber Germaine unterbrach sie: „Jara, warte ab und lerne.“
„Was…“ Er klang müde und resigniert und ihr wurde klar, dass sie ihn nicht würde umstimmen können. „Ja, Sir. Aber seien sie versichert, dass meine Dienstpistole mit scharfer Munition geladen ist.“
„Meinetwegen.“ Danton beendete das Thema damit genau in dem Moment, als Jensen sein Essen brachte.
Jara, die gar nicht bemerkt hatte, dass sie aufgesprungen war, setzte sich wieder hin und nahm die Arbeit an ihrem Brötchen wieder auf. Ihr entging nicht, dass der Chef Honig bekam und das vor allen Leuten. Das könnte Neid provozieren. Na gut, er war der Chef, aber sie würde neidisch werden.
Zum Glück hatte sie bei Leon einen Stein im Brett und bekam ihre Ration Honig hin und wieder abseits der Kantinenwege. Immerhin: Sie konnte das für sich behalten. Und da warf man ihr mangelnde Erfahrung vor. Lächerlich.
Schweigend und in Gedanken aß sie auf und ließ die beiden Stabsoffiziere plaudern, als wäre nichts gewesen. Lag es an ihr oder drehten hier langsam alle durch?

Jara war pünktlich vor Dantons Büro. Natürlich war sie das. Sie hasste Unpünktlichkeit und handelte entsprechend. Außerdem wollte sie dem Alten keine Vorlage geben, um ihr noch eine reinzudrücken. Missmutig nahm sie wahr, dass Copeland mit den beiden Steiner-Flachverbrechern schon wartete und nur ein warnender Blick des Vorgesetzten hielt sie davon ab, Tacheles zu reden.
Sie sammelte sich kurz, straffte sich und klopfte dann.
„Herein, Jara.“
Verdammt, wie sie das hasste. Sie trat ein, schloss mit der Tür auch die Außenwelt aus und sah sich kurz um. Juliette Harris war anwesend, sonst niemand. Das war akzeptabel. Sie salutierte: „Sir, ich melde mich wie befohlen.“
Während sie in Hab-Acht wartete, drehte Danton sich zu seiner Stabschefin um. Es war schwer zu sagen, was er dachte, er hatte eines dieser Pokerfaces aufgesetzt. „Juli?“
„Captain Fokker“, begann die ältere Frau mit fester Stimme, „ich unterrichte Sie hiermit darüber, dass mich Colonel Danton damit beauftragt hat, in Ihre Akte einen Verweis einzutragen, aufgrund Ihrer taktischen Entscheidung, trotz Rückzugsbefehl die Stellung zu halten.“
Für einen Moment wollte sie protestieren, wollte Danton an den Kopf werfen, wo er sich seinen Verweis hinstecken konnte und dass sie jederzeit wieder so handeln würde, aber ihr dämmerte, dass sie genauso gut versuchen könnte, ein Hippie-Festival auf Luthien zu veranstalten. Sie nickte: „Ich habe damit gerechnet.“
„Außerdem habe ich die freudige Aufgabe“, fuhr Harris fort, „Sie darüber zu informieren, dass der Colonel mich beauftragt hat, Ihnen eine Belobigung in die Akte einzutragen, da die Rettungsaktion von Sergeant Stein erfolgreich war. Das tariert den Tadel zu einhundert Prozent wieder aus.“
Das saß. Sie konnte ihre Überraschung nicht verbergen. „Was? Aber… Danke, Ma’am. Danke, Sir“, hörte sie sich sagen. Wie ein Kind an Weihnachten, aber damit hatte sie wirklich nicht gerechnet.
„So, und jetzt in den Besprechungsraum, Captain“, befahl der Colonel.
„Draußen wartet aber Colonel Copeland mit Steinberger und Stonefield. Ich würde gerne hier bleiben, Sir.“ Sie unterstrich ihr Anliegen, indem sie kurz auf ihre Pistolentasche klopfte, wo die geladene Dienstwaffe ruhte. Sie würde keinem dahergelaufenen Kriegsverbrecher gestatten, ihren Chef über den Haufen zu ballern.
Sehr zu ihrem Erstaunen wurde sie nicht aus dem Büro geworfen: „Stellen Sie sich da drüben auf, Captain.“
„Danke, Sir.“
Jara war so frei, sich bequemer hinzustellen und eigenmächtig die Hab-Acht-Stellung zu verlassen. Sie hatte sich kaum an die zugewiesene Stelle zurückgezogen, als es klopfte. Hatte Copeland etwa gelauscht? Hatten die Steiner-Typen mitgehört? Na toll… was für ein GAU.
„Colonel?“ Copeland trat zögerlich in das Büro: „Ich bin hier mit Steinberger und Stonefield.“
„Reinkommen, Harry.“ Harry. Jara verzog keine Miene, auch wenn es sie Anstrengung kostete. Das war klar gewesen. Sie wurde immer öfter distanziert als Captain angesprochen und der neue Offizier war schon in die Vornamen-Liga aufgestiegen. Immerhin: er war ja auch Stabsoffizier.
War sie etwa eifersüchtig? Sie hatte den Kleine-Schwester-Bonus immer als selbstverständlich angesehen. Wollte Danton ihr ermöglichen, selbstständiger zu werden oder nahm er ihr die professionelle Distanz krumm, die sich aufgebaut hatte?
Sie verfolgte das Schauspiel so ungerührt wie möglich. Steinberger benahm sich wie das Arschloch, das er war. Harris machte ihn zur Schnecke und das überraschend resolut. Und dann bot Danton diesem Idioten tatsächlich ein Duell an. Jara widerstand dem Drang, sich mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen und unterstand sich auch, deutlich hörbar ihre Waffe zu entsichern. Aber sie war auf alles vorbereitet.
„Danke sehr, aber ich nehme die Beförderung.“
Jara atmete erleichtert aus. Ein Laut, der aufgrund ihrer vorherigen Anspannung eher einem Schnauben, als einem Seufzen gleichkam. Steinberger war ein unmenschliches Arschloch, aber er war wenigstens vernünftig.
Harris schien zutiefst überrascht. Nur Danton blieb ruhig. Jara fragte sich, ob er genauso cool und abgeklärt getan hatte, als der Attentäter ihm Kugeln durch Hand und Knie gejagt hatte. Ob er überhaupt zu einem überraschten Gesichtsausdruck fähig war.
„Was?“, grinste Steinberger, der die Aufmerksamkeit sichtlich genoss. „Es macht keinen Spaß und bringt keine Ehre auf einen Krüppel zu schießen. Mit Verlaub… Sir… warte ich ab, bis Sie wieder so gesund geworden sind, wie es Ihnen möglich ist. Solange nehme ich mich zurück.“
Jara revidierte, nicht zum ersten Mal an diesem Tage, ihr Urteil über einen Menschen: Steinberger war nicht vernünftig. Er war vom Psycho-Rächer zum Claner-Rächer mutiert. Ehre und Spaß im Kampf, die Schiene kannte sie von ihrer kurzen Zeit bei den Wölfen. Sie hätte den ehemaligen Offizier eher in die Sparte derer gesteckt, denen bei ihrer Rache der sportliche Wettstreit völlig egal war.
Nachdem Copeland mit seinen beiden Schützlingen das Büro verlassen hatte, räusperte sich Danton: „Stecke sie zusammen mit Ryan zu Shepard in die Lanze, Juliette. Und informiere ihn, dass er sich einen der drei aussuchen soll, damit er zu Sergeant befördert und Wingleader wird.“
Jara glaubte, langsam zu verstehen. Nach allem, was sie gehört hatte, war Shepard nicht nur ein ziemlicher… Charakter, sondern auch ein harter Knochen. Aber auch er würde mit einem Piraten und zwei Kriegsverbrechern seine liebe Mühe haben. Vielleicht ergab das doch alles Sinn.
Auch Harris schien ähnlich zu denken. „Na, das wird ihm schmecken“, kommentierte sie sarkastisch.
„Oh, ich hoffe nicht“, erwiderte Germaine grinsend und griff nach seiner Krücke. „Also, Mädels, lasst uns rüber gehen. Oder in meinem Fall rüber humpeln. Ach, noch etwas, Juli: Dienstbefehl. Da sich alle Mechkrieger der Chevaliers bewährt haben, auch die, die vorher bei den Husaren waren, werden Mechkrieger automatisch zum Corporal befördert, und Lanzenführer automatisch zu Sergeants. Und weise bitte Metellus und Brenstein darauf hin, dass sie mindestens einen Lieutenant ernennen sollen. Das gilt auch für dich, Jara.“
„Befördern? Ich? Aber...“ Ach ja. Sie war ja jetzt Kompanieführerin. Das bedeutete dann wohl auch, dass sie ihre Leute selber die Karriereleiter hinaufziehen durfte. Sie seufzte. „Jawohl, Sir.“

„Schlechte Laune?“ Kotare brauchte keine empathische Meisterleistung, um Jaras finsteren Gesichtsausdruck zu deuten.
„Ein wenig“, gab sie knurrend zu, schloss ihr Büro auf und marschierte an ihrem Flügelmann vorbei. Der folgte ihr, ohne auf eine Aufforderung zu warten und beobachtete sie, wie sie ihre Dienstpistole auf den Schreibtisch knallte und ihren Stuhl viel heftiger als nötig unter dem Schreibtisch hervorzog.
„Ich gehe davon aus, dass du keinen Sport gemacht hast?“
Jara winkte unwirsch ab: „Besprechungen und Idiotie. Wenn ich irgendwann anfange, Geistesgestörte in meine Einheit zu adoptieren, dann erschieß mich bitte.“ Sie atmete durch und ignorierte das fragende Gesicht des Corporals. Er musste ja auch nicht alles wissen und das Gespräch zwischen Danton und den Steiner-Soldaten ging ihn im Grunde nichts an.
Ein bisschen sehnte sie sich nach der Unbekümmertheit eines niedrigen Dienstgrades zurück.
„Also gut, dann wollen wir mal“, lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung, als sie wieder halbwegs ruhig war. „Was haben wir vor uns?“
„Die Dienstakten der Kompanie und die Zustandsberichte der einzelnen Mechs. Ich habe bislang noch nicht hinein gesehen. Ich war mir nicht sicher, ob ich dafür die Befugnis habe.“
Jara zuckte mit den Schultern: „Vermutlich nicht. Ist wohl besser, ich mach den Kram alleine. Gibt es sonst noch etwas?“
„Ein versiegeltes Schreiben aus dem Krankenhaus, in dem Sergeant Stein liegt.“ Er reichte ihr einen Umschlag.
„Auf Papier? Wie altmodisch.“ Sie öffnete das an sie adressierte Kuvert und überflog die Zeilen. Unterschrieben war der Brief vom Chefarzt. Vermutlich hätte sie diese Info gar nicht abseits der normalen Wege erhalten dürfen. Jara ging davon aus, dass ihr langes Warten und Ausharren Eindruck hinterlassen hatte. Oder dass zivile Ärzte menschlicher waren als die Schlächter der Armeen.
„Sein Zustand ist stabil“, fasste sie zusammen. „In den nächsten Wochen wollen sie schauen, ob sie ihn aus dem künstlichen Koma aufwecken können. Und dass wir ihn ruhig besuchen können.“
„Wenn du nichts dagegen hast, dann gehe ich jetzt. Ich habe hier gerade wenig zu tun.“
„In Ordnung. Sei aber pünktlich zum Antreten zurück.“
„Selbstverständlich.“ Kotare wandte sich zum Gehen, aber Jara hielt ihn noch zurück.
„Eins noch, Corporal…“
„Ja?“
„Wenn ich die Kompanie übernehme, erwarte ich in der Öffentlichkeit etwas mehr militärisches Auftreten. Es heißt dann ‚Captain Fokker‘ und ‚Sie‘. Ist eben nicht mehr die Kampflanze.“
„Natürlich… Ma’am. Ich habe verstanden.“
Jara sah ihrem Flügelmann nach und seufzte leise, als die Tür ins Schloss fiel. Sie würde dem ehemaligen Nebelparder ihr Leben anvertrauen und verließ sich blind auf ihn. Auch wenn er immer noch nicht viel von sich preisgab, glaubte sie doch, dass er ihr gegenüber vollkommen loyal war. Das waren Stein und Mulgrew auch gewesen, aber der eine diente nun in einer anderen Kompanie und der andere würde eventuell nie wieder aufwachen.
Blieben ihr Yamada, mit der sie nie viel zu tun gehabt hatte, und Dawn, die momentan nicht wirklich belastbar war.
Sie warf ihr Computer-Terminal an und lud die Dienstakten ihrer zuversetzten Soldaten.
Corporal Lars Asmussen war im Alphabet der Erste. Sie öffnete die zugehörige Datei. Ein dreiundzwanzigjähriger Mechkrieger von Grumium. Ein Rasalhaager, der es in den Resten der Republik nicht mehr ausgehalten hatte. Bei den Husaren hatte er es zum Corporal gebracht. Immerhin, er brachte einen Stalker mit und leidliche Erfahrungen als Wingleader.
Corporal Elisa Bräuning. Auch dreiundzwanzig und schon mehrfach wegen exzessivem Alkohol-Genuss aufgefallen. Kein Führungsmaterial.
Und so ging es weiter. Die Männer und Frauen waren die Bank weg älter als Jara, aber keiner von ihnen hatte auch nur im Entferntesten ihr Level an Erfahrung. Die einzigen Leute mit einer entsprechenden Anzahl an Einsätzen waren traurigerweise Dawn, Kotare und Yamada.
Kotare war als ihr Flügelmann zu wertvoll und Yamada war mit ihrem leichten Puma eh schon kaum unterzubringen. Das durchschnittliche Gewicht der Kompanie lag bei stolzen fünfundsechzig Tonnen.
Sie würde Dawn wohl oder übel zur Lanzenführerin ernennen müssen und ging sie stur nach den Fakten, dann müsste sie die Freundin auch zum Lieutenant ernennen. Aber das würde die Kluft zwischen Husaren und Chevaliers vermutlich noch vertiefen. Sie konnte nicht alle Führungspositionen mit Chevaliers besetzen und die acht Husaren als Hilfskräfte benutzen.
Sie ging die Akten nochmal durch.
Der fünfundzwanzigjährige Ben Torres, ebenfalls Corporal der Husaren gewesen. Einer, dessen Fähigkeiten gar nicht so schlecht waren. Aber schon einen Tadel wegen Befehlsmissachtung in der Akte. Jara schüttelte den Kopf. Ein Draufgänger. Es reichte, wenn der Captain der Kompanie solche Aktionen riss, das mussten die Lanzenführer nicht tun.
Am Ende blieb sie bei Corporal Toni Holler. Sechsundzwanzig Jahre alt und schon seit drei Jahren Wingleader. Seine Leistungen im Phoenix Hawk waren überdurchschnittlich. Und er war bei den Husaren akzeptiert und beliebt. Zumindest hatte er diesen Vermerk in der Akte stehen.
Langsam verstand Jara, was Menschenführung ausmachte. Sie hatte hier einen Kandidaten, der zwar nicht zwingend ideal für den Posten war, aber er war alles, was sie nicht sein konnte: Ex-Husar, Mann und von seinen Kameraden bereits anerkannt. Das musste reichen. Er würde ihr Stellvertreter werden.
Sie widmete sich ihrem nächsten Problem. Private 1st Class Ivan Voronin, Pilot eines Bluthundes. Genauer gesagt Pilot von dem Bluthund, dessen Lanze Jara vor sechsunddreißig Stunden ins Nirvana geschossen hat. Es würde sich zeigen müssen, ob er damit klar kam, nun unter ihr zu dienen. In Gedanken sortierte sie ihn in die Kommandolanze. Besser, sie hielt ihn so dicht wie möglich bei sich.
Sie rieb sich die Nasenwurzel, um die aufkommenden Kopfschmerzen zu verjagen. Na, das würde interessant werden…

Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
03. August 3066, 13:08 Uhr

Gemeinsam mit Metellus, Brenstein, Copeland und Harris beobachtete Jara, wie die drei Kompanien der Mechtruppe nebeneinander antraten. Aus Sicht des kleinen Büros, das die Offiziere sich als Beobachtungsposten ausgesucht hatten und das gegenüber der Front lag, stand links die erste Kompanie mitsamt den beiden Soldaten der Bataillonslanze. Auf der rechten Seite war Brensteins dritte Kompanie dabei, Ordnung in ihre Reihen zu bringen.
Und in der Mitte, mit gebührendem Abstand zu beiden Seiten, sammelten sich die Männer und Frauen der zweiten Kompanie, um auf ihre neue Kompaniechefin zu warten. Auf Jara.
Die Kommandoübernahmen fanden zwar zeitgleich statt, standen aber in keinem Bezug zueinander. Eventuell würde es eine feierliche Abnahme der Truppen durch den Alten geben, wenn die Umstrukturierung abgeschlossen war, aber das war noch nicht sicher.
Jaras Blick schweifte über ihre Truppe. Sie konnte Kotare, Yamada und natürlich Dawn erkennen. Der Rest war ihr noch unbekannt, neue Gesichter, die sie schon bald kennen lernen würde. Sie hatte vor, die Männer und Frauen durch intensives Training zusammenzuschweißen.
Brensteins Vorschlag eines gemeinsamen Trainings kam ihr da gelegen. Auch wenn sie gerade einmal acht ihrer Untergebenen in die Simulatoren schicken durfte. Neben ihr hatten auch drei weitere Soldaten Verletzungen erlitten und noch keine Übungsfreigabe.
Copeland räusperte sich: „Na da haben wir ja eine schöne Truppe aufgestellt.“
„Warum genau wollte der Colonel dem Antreten nicht beiwohnen?“, erkundigte Jara sich.
„Er muss sich auch um die anderen Truppenteile kümmern. Und es gibt auch sonst genug zu tun. Außerdem ist er noch immer nicht wirklich fit“, erklärte Juliette Harris. „Vielleicht traut er seinen Offizieren aber auch einfach zu, selbstständig zu arbeiten.“
Metellus nickte: „Dann wollen wir den Imperator besser nicht enttäuschen. Colonel, ich melde mich zur Kommandoübernahme ab.“
Brenstein und Jara sahen ihm einen Moment hinterher, dann sprachen sie sich mit einem kurzen Blickwechsel ab. Die nonverbale Kommunikation zwischen ihnen funktionierte nach den langen Analyse-Sitzungen ganz passabel.
„Melde mich ebenfalls mit einer Kameradin ab“, schloss der ältere Offizier sich an und Copeland entließ die beiden Kompanieführer mit einem Nicken.
Sie verließen den Raum und betraten gemeinsam, Zusammenhalt demonstrierend, den Antreteplatz. Erst auf Höhe der zweiten Kompanie trennten sich ihre Wege und sie wünschten sich der Form halber viel Glück, ehe Brenstein seinen Weg fortsetzte und Jara vor ihre Truppe trat.
Offenbar hatten die elf Männer und Frauen zumindest die grundlegenden Dinge in Eigenregie geklärt, denn sie nahmen gleichzeitig Haltung an. Der weibliche Unteroffizier, der vor der Truppe gewartet hatte, drehte sich zu Jara um und salutierte: „Captain! Sergeant Yamada, ich melde Ihnen die zwote Kompanie vollständig angetreten!“
Jara musterte die Truppe. Sechs Männer, vier Frauen, alle in der gleichen Uniform, sieben von ihnen angetreten nach Dienstgrad. Die drei Männer, die als letzte angetreten waren, trugen ihre Uniform mehr schlecht als recht und Jara ging davon aus, dass sie es hier mit den verletzten und nur eingeschränkt dienstfähigen Soldaten zu tun hatte.
Von ihrer Position aus wirkte das Gesamtbild aber ordentlich und bemüht und auch am Auftreten von Yamada hatte sie nichts auszusetzen: „Danke, Sergeant. Sie können eintreten!“
Während die Asiatin sich in die Truppe einreihte, stellte sich Jara ihrer Kompanie gegenüber und räusperte sich: „Auf Befehl von Colonel Danton übernehme ich hiermit das Kommando über die zwote Mechkompanie der Dantons Chevaliers.“ Sie ließ die Worte kurz wirken und musterte die Mienen ihrer Leute. Einigen war anzusehen, dass sie nicht begeistert davon waren, von einer derart blutjungen Frau geführt zu werden. Nun, sie würden damit leben müssen.
„Zwote Kompanie: Rührt euch!“
Während die Männer und Frauen in eine bequemere Haltung wechselten, zog Jara einen kleinen Notizblock aus der Brusttasche ihrer Uniform.
„Ich weiß nicht, was Sie schon über mich gehört haben“, begann sie, „aber vermutlich sind eine Menge Halbwahrheiten oder Gerüchte dabei. Ich erwarte von Ihnen fürs Erste keine Sympathie, aber ich erwarte, dass Sie ihr Bestes geben und mir folgen. Wie Sie sicher wissen, werden wir gegen Nebelparder-Renegaten ins Feld ziehen und niemand in dieser Einheit kann sich Fehler oder mangelnden Einsatz erlauben. Ich hatte allerdings bislang noch in keiner Einheit Probleme damit und ich gehe davon aus, dass Sie ebenfalls ein Interesse daran haben, dass diese Kompanie als Einheit funktioniert.“
Sie gab den Söldnern erneut einen Augenblick, das Gesagte zu verarbeiten, um dann das Thema zu wechseln: „Zu meiner Person: Mein Name ist Jara Fokker, ich bin in einer Söldnerfamilie aufgewachsen und seit ich mich erinnern kann von Militär umgeben. Ich habe mich innerhalb der letzten zwei Jahre bei den Chevaliers von der einfachen Mechkriegerin zur Lanzenführerin hochgearbeitet und bin nun zum Captain ernannt worden, um diese Kompanie zu führen. Ich lege großen Wert darauf, dass die Soldaten unter meinem Kommando an ihre Grenzen gehen und sich für die Einheit einsetzen. Ich erwarte von Ihnen Disziplin, Ordnung und Leistungsbereitschaft. Sollte es da momentan noch Mängel geben, dann werden wir die gemeinsam abstellen.
Im Gegenzug kann ich von mir behaupten, dass ich mich für jeden von Ihnen einsetzen werde und dass ich durchaus gewillt bin, ein Entgegenkommen Ihrerseits zu honorieren. Ich bin mir aber auch sicher, dass Sie über meinen Führungsstil schon sehr bald selber aus erster Hand urteilen können.“
Sie warf einen Blick auf ihren Notizblock und sah danach wieder auf, um die Gesichter der Angetretenen zu mustern. Kotare sah beinahe etwas gelangweilt aus. Er kannte ihren Stil ja schon. Yamada und Dawn wirkten zuversichtlich. In den Gesichtern der ehemaligen Husaren wechselten sich Regungslosigkeit, Skepsis und Hoffnung ab. Nun gut, sie hatte auch keine Freudensprünge erwartet.
„Kommen wir nun zum Geschäftlichen. In meiner ersten Amtshandlung als Ihre Vorgesetzte, darf ich direkt eine ganze Menge Leute befördern. Dazu: Zweite Kompanie: STILLGESTANDEN!“
Jara nahm zur Kenntnis, dass die Truppe noch nicht perfekt arbeitete. Der Wechsel ins Stillgestanden lief noch nicht synchron. Eventuell würde sie mit dem neuen Spieß noch Formaldienst ansprechen müssen.
Sie las die Namen der Reihe nach ab: „Hiermit befördere ich die Privates 1st Class Noah-Joel van Eening, Anne Patty-Smith, Bill Tracy und Ivan Voronin mit sofortiger Wirkung zum Corporal. Desweiteren befördere ich die Corporals Lars Asmussen und Ben Torres mit sofortiger Wirkung zum Sergeant. Und ich befördere hiermit den Corporal Toni Holler mit sofortiger Wirkung zum Lieutenant 2nd Class!
Zweite Kompanie: Rührt euch!
Die beförderten Kameraden kommen nach dem Antreten bitte in mein Büro, um die Beförderungen zu unterschreiben.
Zur Erklärung: Der Colonel hat angeordnet, dass alle Mechkrieger ab sofort den Dienstgrad Corporal tragen sollen, alle Flügelführer den Dienstgrad Sergeant. Lieutenant Holler wird ab sofort mein Stellvertreter sein.“
Sie hoffte wirklich, dass die Husaren die Geste anerkennen würden. Außerdem war ihr nicht viel übrig geblieben. Neben Dawn war Holler der einzige mit rudimentärer Führungserfahrung und hätte sie die Freundin befördert, hätte sie diese nicht nur hoffnungslos überfordert, sondern sich auch dem Verdacht der Günstlingswirtschaft ausgesetzt.
„Damit kommen wir auch schon zur Organisation“, fuhr sie fort. „Ich werde die Kommandolanze anführen, Corporal Kotare wird dabei mein Flügelführer. Sergeant Yamada und Corporal Voronin bilden den zwoten Flügel.
Die Kampflanze unter Sergeant Ferrow wird mit Corporal Tracy, Sergeant Asmussen und Corporal Patty-Smith eigentlich eine Lanze für die ganze grobe Arbeit.
Lieutenant Hollers Scoutlanze fällt auch reichlich schwer aus. Unterstützt wird er von Corporal Bräuning, Sergeant Torres und Corporal van Eening.
Sie sehen also, unsere Kompanie wird wohl eher Amboss als Hammer sein und wir werden wohl in Zukunft das Bollwerk der Chevaliers bilden. Darauf können wir uns ruhig etwas einbilden, aber erst einmal müssen wir dafür arbeiten, dass wir diesem Ruf gerecht werden.
Deswegen geht das Training bereits heute los. Captain Brenstein von der Dritten hat mich gefragt, ob er Gegner für ein Simulatorgefecht haben könnte und ich habe ihm zugesagt, dass wir ihm da helfen. Alle simulatortauglichen Soldaten melden sich unter dem Kommando von Lieutenant Holler um 15:45 Uhr bei Captain Brenstein am Simulator. Er wird ihnen dann weitere Anweisungen geben.
Wer, so wie ich, noch nicht voll verwendungsfähig ist, meldet sich bitte um 15 Uhr mit seiner Krankenakte in meinem Büro.“
Jara steckte den Notizblock wieder weg. „Heute Abend um 20 Uhr wird es einen kleinen Kennenlern-Abend geben. Ich habe dafür einen Teil der Kantine reserviert und es wird Snacks und Getränke geben. Ab morgen gilt dann der Dienstplan, den sie am schwarzen Brett finden und den ich auch den Lanzenführen aushändigen werde. Für lanzeninterne Vorgänge der Kommandolanze ist im Übrigen Sergeant Yamada zuständig.
Ich erwarte die Lanzenführer und Sergeant Yamada im Anschluss an dieses Antreten in meinem Büro.
Zwote Kompanie, ich wünsche uns eine gute Zusammenarbeit! Lanzenführer übernehmen!“
Jara ließ noch einen letzten Blick über die Formation streifen, dann wandte sie sich ab und ließ die Lanzenführer ihre Arbeit machen. Es war sicher nicht dem Klima zuträglich, dass Holler der einzige Husar in Führungsposition war, aber es war nicht zu vermeiden gewesen.
Ihr fiel auf, dass Brensteins Kompanie bereits verschwunden war und Metellus Truppen auch bereits abrückten. Hatte sie zu lange geredet? Etwas falsch gemacht?
Innerlich zuckte sie mit den Schultern. Das war ihre Truppe. Und sie würde mit ihrem neuen Captain auskommen müssen.

Die Idee, ihre Lanzenführer und die frisch beförderten Soldaten gleichzeitig in ihr Büro zu bestellen, war dumm. Das hätte Jara vorher klar sein können, aber es wurde ihr jetzt umso deutlicher, als mit Ausnahme von Kotare und Corporal Bräuning alle Leute ihrer Kompanie vor ihr kleines Dienstzimmer strömten.
Sie besah sich den Tumult und musste gegen ihren Willen Grinsen. „Meine Güte, wie sieht das denn aus. Nehmen sie mal Haltung an!“ Sie gab den Männern und Frauen Zeit, sich in einer sauberen Linie vor der Wand aufzubauen und als sie mit dem Ergebnis zufrieden war, nickte sie: „Gut. Geht doch. Lieutenant Holler, kommen sie bitte mal als Erstes mit?!“
Der angesprochene bestätigte den Befehl mit einem Salut und folgte ihr ins Büro. Sie schloss die Tür hinter sich und deutete auf den Besucherstuhl, ehe sie sich selber hinter den Schreibtisch setzte und einen Stapel Papier zu ihm schob.
„Das sind die Beförderungspapiere. Ihres liegt obenauf. Ich brauche von jedem Kameraden eine Unterschrift auf jedem Durchschlag.“ Sie reichte ihm einen Stift. „Sie können gleich anfangen. Bevor wir hier beginnen, möchte ich Ihnen kurz ein paar Sätze mitgeben.“
Sie musterte den Mann, den sie gerade nicht nur zum Lanzenführer ihrer „Scouts“, sondern auch zu ihrem Stellvertreter ernannt hatte. Holler war nicht besonders auffällig. Mittelgroß, sportlich, dunkle Haare, braune Augen, alles in allem aber sehr durchschnittlich. Hoffentlich war er als Soldat herausragender.
„Ich habe Sie zu meinem Stellvertreter ernannt, weil Sie von allen dort draußen am geeignetsten erschienen. Das heißt nicht, dass ich schon überzeugt bin, das Richtige getan zu haben. Ich erwarte von Ihnen, mehr noch als von Ihren Kameraden, dass Sie sich voll in Ihre neue Position knien und hier alles geben. Ich weiß, dass es nicht einfach wird, aus Chevaliers und Husaren eine Einheit zu formen, aber ich bin überzeugt davon, dass wir das schaffen können. Dafür werde ich aber Ihre Hilfe brauchen. Es heißt, die Husaren respektieren Sie. Ich baue darauf, dass Sie das zum Vorteil der Einheit nutzen.“
Holler legte den Stoß Papier zurück und sah auf: „Darf ich frei sprechen, Ma’am?“
„Sicher doch.“
Etwas verlegen rutschte er auf dem Stuhl herum, fasste sich dann aber ein Herz: „Mit Verlaub, Ma’am, sie sind die Jüngste in der Kompanie und Sie sollen uns ins Gefecht führen. Nicht dass irgendjemand an Ihren Fähigkeiten zweifelt, aber etwas… gewöhnungsbedürftig ist das schon. Ich kenne die meisten Husaren auch nur flüchtig, aber ich bin mir sicher, dass die Männer und Frauen dort draußen vor allem eines respektieren: Leistung. Wenn Sie voran gehen, dann werden diese Soldaten Ihnen folgen. Bleibt Ihnen ja auch gar nichts übrig. Ich persönlich möchte diesen Einsatz überleben. Da ist es nicht hilfreich, wenn ich Ihnen in den Rücken falle, oder?“
„Dann sehe ich da keine Probleme.“ Jara lehnte sich zurück. „Bis jetzt hatte ich noch keine Probleme, Menschen zu motivieren und wenn Sie mir keine Steine in den Weg legen, bin ich da ganz zuversichtlich. Geben Sie mir nur den Kredit, dass ich am Anfang eventuell noch nicht alles richtig mache und reden Sie mit mir und nicht über mich.“
„Natürlich, Ma’am.“
Ein wenig beruhigt nickte Jara: „Dann lassen Sie die Soldaten in alphabetischer Reihenfolge zum Unterschreiben reinkommen. Danach können Sie dann mit den Lanzenführern eintreten. Mit Ausnahme der befohlenen Dienste hat die Kompanie dann bis zum Beginn des Dienstplans morgen früh dienstfrei.“
Holler stand auf und salutierte: „Jawohl!“
Jara schüttelte sich innerlich. Dienstfrei. Die meisten würden gegen Brensteins Kompanie antreten und das würde für die größtenteils grünen Jungs und Mädels eine Lektion werden. Dann war das Kennenlern-Event angesetzt und die verletzten mussten sich noch bei ihr einfinden. Alles in allem ein Spaß für jedermann. Das musste auch Holler ahnen, aber er sagte nichts, sondern verließ das Büro, gab ein paar Befehle und schon stand Asmussen, ein beinahe zwei Meter großer Hüne, vor ihr, um seine Unterschriften zu leisten.
Kurz darauf waren es dann Holler, Yamada und Dawn, die vor ihrem Schreibtisch standen und auf ihre Befehle warteten.
„Ich habe den Dienstplan zwar schon am schwarzen Brett befestigt, möchte mit ihnen aber trotzdem kurz durchgehen, was ich geplant habe. Als meine Lanzenführer sind sie sowohl für mich, wie auch für die Soldaten die direkten Ansprechpartner. Ihnen kommt eine Menge zusätzlicher Verantwortung zu und im Gegenzug beziehe ich Sie auch deutlich stärker in meine Entscheidungen ein. Für Kritik, Verbesserungsvorschläge und ähnliche Dinge bin ich jederzeit verfügbar. Ich möchte mich aber nicht um jedes kleine Wehwehchen kümmern müssen. Wenn Sie eine Situation selber handhaben können, dann machen sie von ihrer Befehlsgewalt ruhig Gebrauch. Keine überzogene Härte, aber auch kein Schongang. In meiner Kompanie erwarte ich Professionalität und zwar aus Überzeugung. Verstanden?“
„Ja, Ma’am!“, kam die Antwort aus drei Kehlen und Jara nickte.
„Gut, dann zum Dienstplan: Wir beginnen jeden Morgen nach dem Frühstück um 07:15 Uhr mit dem gemeinsamen Frühsport. Lieutenant Holler, Sie melden mir dann auch die Tagesdienststärke. Ich will jeden Morgen wissen, wer krank ist, wer dienstfrei hat, Wache schiebt oder aus anderen Gründen fehlt. Wenn Lieutenant Holler nicht da ist, übernimmt Sergeant Ferrow, danach Sergeant Yamada. Sollten Sie alle drei fehlen, können die Soldaten sich direkt bei mir abmelden.“ Sie sah Holler an, der eine Hand gehoben hatte: „Sie haben eine Frage, Lieutenant?“
„Ma’am, Sport um 07.15? Und ich habe gesehen, dass Sie dafür neunzig Minuten eingeplant haben. Ist das nicht etwas viel?“
„Viel? Sie können froh sein, dass der Doc mir nahe gelegt hat, keinen Sport VOR dem Frühstück zu machen.“ Sie grinste. „Nein, ich denke, das ist durchaus akzeptabel. Bis jetzt hat es noch keinen Soldaten umgebracht. Und ich möchte in den Vergleichsläufen besser dastehen als die Erste und die Dritte. Sie haben ja bei der Schlacht am Raumhafen selber erlebt, wie körperlich anstrengend BattleMech-Gefechte sein können. Darauf will ich vorbereitet sein. Ist das soweit geklärt?“
„Ja, Ma’am.“
„Gut. Nach dem Sport geht es dann um 09:00 Uhr weiter mit theoretischer Ausbildung. Das ist in den meisten Fällen Unterricht zu Mechtaktik, Survival, Befehl und Gehorsam, Erster Hilfe, und so weiter und so fort. Wenn Sie da Ideen und Vorschläge haben, dann können Sie das gerne vorbringen und in Rücksprache mit mir organisieren.
Nach dem Mittagessen ist dann im Normalfall praktischer Dienst angeordnet: Das heißt Manöver, Simulatortraining oder Technischer Dienst am Gerät. Ich sehe Ihre Frage, Lieutenant: Ja, ich verlange, dass jeder Mechkrieger unter meinem Befehl in der Lage ist, den Techs bei grundlegenden Dingen zu helfen. Wir halten als Soldaten und selbst, unser Gerät und unsere Einheit immer in bestem Zustand. Hat das Ihre Frage geklärt?“
„Ja, Ma’am.“
„Gut. Wir werden dann im Normalfall zum Abendessen fertig sein. Trichtern Sie ihren Leuten ein, dass sie den Kameraden, die nicht am Dienst teilnehmen konnten, dabei helfen, die Wissenslücken zu schließen. Wir werden im Übrigen die ersten Tage und Wochen nicht so pünktlich Feierabend machen. Ich halte es für besser, die Kompanie so weit wie möglich gemeinsam trainieren zu lassen, um sie zu einer Einheit zu formen. Später können die einzelnen Lanzen dann auch ihren Trainingsplan individuell abstimmen, aber das sehen wir dann, wenn es soweit ist.“
Sie machte eine Pause, um das Gesagte wirken zu lassen und musterte die Angetretenen. Sergeant Haruka Yamada, draconisch distanziert. Es war schwer vorstellbar, dass sie eine romantische Beziehung mit Teuteburg führte. Wenigstens würde das öffentliche Händchenhalten weniger werden.
Lieutenant 2nd Class Toni Holler, mit einer Mischung von aufkeimendem Respekt für ihre klaren Worte und Skepsis. Scheinbar war er von den Husaren einen lockereren Dienst gewöhnt. Nun, das waren die meisten Chevaliers auch, Jara galt dort nicht ohne Grund als Schinderin. Aber ihre Kampflanze war die einzige gewesen, die durchweg gute Leistungen gezeigt hatte und das in allen Bereichen. Es ging immer nur darum, den Ehrgeiz der Soldaten zu wecken. Freiwillig taten sie alles, gegen ihren Willen nur das Nötigste.
Und Sergeant Dawn Ferrow, die Freundin, die ganz offensichtlich von der Situation überfahren war. Eine Assault-Lanze zugeteilt bekommen und nun erlebte sie Jara von einer ganz neuen Seite. Wenn Dawn jetzt ins Schleudern geriet, könnte das die ganze Kompanie durcheinander bringen. Jara würde heute Abend mit ihr reden müssen.
„Es kann durchaus vorkommen“, fuhr sie fort, „dass ich aufgrund meiner Verpflichtungen nicht am Training oder der Ausbildung teilnehmen kann. Ich verlasse mich darauf, dass Sie in meiner Abwesenheit genauso motiviert und vorbildlich auftreten, wie in meiner Gegenwart.
Gibt es soweit noch Fragen?“
Die drei Lanzenführer schüttelten die Köpfe und Jara erhob sich.
„Wunderbar. Wenn Sie doch noch Fragen haben sollten, können Sie sich jederzeit an mich wenden. Ansonsten würde ich sagen: Auf eine gute Zusammenarbeit und willkommen in der Zwoten!“
Marodeur74
Nach der Schlacht vor der Schlacht

Es war nun vier Tage nach dem Ende der Kämpfe am Wasserloch und am Raumhafen von Wayside.
Viele Änderungen hatten sich ergeben, die Chevalliers waren nun ein Regiment mit einem Bataillon Mechs.
Rudi hatte es endlich geschafft einen Termin bei Germaine Danton zu bekommen, denn die Nachrichten die er erhalten hatte waren teils erfreulich, teils deutete sich eine Menge Ärger an. So stand der frisch beförderte Corporal Teuteberg vor dem Büro des Colonels und klopfte.

„Herein, Rudi!“ hörte er die Stimme Germaines.
„Guten Morgen, Colonel Danton! Corporal Teuteberg meldet sich und bittet frei und unter vier Augen mit Ihnen sprechen zu dürfen.“ Chappi hatte Haltung angenommen und einen präzisen militärischen Gruß entrichtet.
„Rühren. Erlaubnis in vollem Umfang erteilt und schauen sie nicht so mitleidig, mir geht es ganz gut, sieht schlimmer aus wie es ist. Und das Sie und Sir sparen wir uns für dieses Gespräch. Ok? Was hast du auf dem Herzen das du nicht direkt mit Miko oder Copeland klären wolltest?“
„Ich habe kurz vor den Kämpfen einige Botschaften erhalten, die ich ihnen, dir, mitteilen möchte und sobald sie, Du, den Inhalt kennst hoffe ich das du mir helfen kannst.“ Chappi reichte Germaine ein Datenpad mit den Botschaften.
Dieser überflog die ersten Botschaften und bekam große Augen.
„Na Rudi, da hast du aber auf das richtige Pferd gesetzt. Nach den ersten Nachrichten müsstest du doch fast tanzend durch die Kaserne gehen und Haruka endlich einen Antrag machen, damit mal ruhe in den Laden kommt.“
Nach diesen Kommentar lass Germaine weiter, stutzte und las nochmals.
„Die Nachricht von deinem Freund hat da schon ein ganz anderes Gewicht. Was ist an dieser Anschuldigen bezüglich deiner Entlassung aus den Streitkräften dran und wieso wird dies erst jetzt angefechtet?“
„Ich habe keine Ahnung was die Davies wollen. Das macht mich auch verrückt. Meine Vermutung ist sie wollen die letzte Ausgleichszahlung nicht zahlen und suchen nun einen Weg daraus zu kommen. Vielleicht über einen Vergleich, jedenfalls habe ich meine ganze Entlassung und die Papiere auf Outreach, vor zwei Jahren, kurz nach meiner Entlassung von einem Rechtsanwalt prüfen lassen. Die Auflösung und die Entschädigung sind rechtens und es gibt keine Möglichkeit des Widerrufes. Da weder formale noch rechtliche Fehler erkennbar sind. Zu dem Wettglück kann ich auch noch nichts sagen, nur muss ich überlegen was ich mit dem Mech und der Techcrew mache, das ist auch ein Punkt mit dem ich zu dir komme. Gibt es eine Möglichkeit die Techs plus Mech bei den Chevalliers unter zu bringen? Hättest du interesse an einer weiteren Reservemaschine und einigen guten Techs?“
Germaine grübelte.
„Naja Techs können wir gut gebrauchen. Vor allem nach dem Padilla Angriff auf das Flugfeld. Den Mech könnten wir mit unterstellen, abkaufen nein, aber somit hättest du einen Ersatzmech falls was mit dem Enforcer passiert. Falls bei den Chevalliers Bedarf besteht würde ich es mir überlegen und dir ein Angebot machen. Zu der Sache mit den Davies werde ich Juliette bitten etwas zu schreiben und dann an die Administration des Davion Militärs zu schicken. Ich bräuchte nur von dir noch einen Wert den wir zum Vergleich angeben können, mit dem du dich zufrieden geben könntest. Die Techs werden vor dem nächsten Einsatz nicht rechtzeitig hier sein, deshalb würde ich dich bitten sie nach Arc Royal zu holen und dort zusammen mit dem Mech in unserer Kaserne zu warten. Sie bekommen standard Kontrakte von den Chevalliers.“
„Danke für die Hilfe. Ich würde auf die Zahlung verzichten, hätte dafür aber gern noch den mir zugedachten Mech. Somit würden die Davies die hälfte der Zahlungen sparen. Dann hätte ich zwei Ersatzmaschinen, wenn das in Ordnung wäre und nicht zu habgierig klingt?“
„Ok, Juliette wird das so in die Antwort schreiben und Dir zur Unterschrift bescheid geben. Danach sollte sich das alles erledigt haben. Nun aber zu Haruka, was ist mit euch beiden?“
Rudi wurde ein wenig unwohl, er überlegte, seufzte und sagte
„Sir, ich liebe diese Frau. Immer wenn ich sie sehe lächel ich, fühle mich besonders und ich denke ihr geht es genauso. Mir ist bewusst das es eine starke Bindung zu Miko gibt und ich im Ernstfall nur an Platz zwei bin, das ist mir egal. Sobald wir das alles mit den Padern hinter uns haben würde ich Sie um Erlaubnis bitten mich mit ihr zu trauen. Und danach für uns beide zwei Wochen Hochzeitsurlaub beantragen.“
„So ist es also. Das freut mich für dich, ich werde darüber nachdenken, ich habe aber eine Bedingung, du musst mich zum Brautvater machen und Miko sollte die erste Brautjungfer sein.“
„Von mir aus herzlich gern und ich denke Haruka fühlt sich über dieses Angebot mehr als geehrt. Ich hoffe sie heute Abend zu sehen, denn ich habe mit dem Koch gesprochen, er hat ein super Dinner in Vorbereitung. Ich habe schon zulange gewartet ich werde Haruka heute Abend einen Antrag machen.“ Rudis Augen glänzen vor Freude.
„Dann viel Glück. Ich hoffe sie sagt ja.“ Germaine schaute auf die Uhr. Noch 30 Minuten bis zur nächsten, der letzten heutigen Besprechung, dann würde er auch Miko bald wiedersehen.
Nachdem Rudi das Büro verlassen hatte ging er zielstrebig zum Mechhanger, denn seit zehn Minuten war ein Simulator Training angesetzt und er sollte überraschend in das Gefecht zu einem unbestimmten Zeitpunkt beitreten.
So mit sich selbst beschäftigt wäre er beinahe mit einem blonden Mechkrieger der Husaren zusammen gestossen.
„Pass doch auf Schlamhüpfer wohin du läufst!“ sagte der schlaksige Typ.
„Kress oder? Ich habe gehört sie können Pokern, ich glaube das nicht. So verträumt wie sie hier rum laufen müssen sie ein miserabler Spieler sein.“
„Teuteburg, richtig? Der Enforcer Pilot aus unserer Kompanie. Sie können sich gern vom Gegenteil überzeugen lassen wenn sie ein wenig Geld verlieren wollen.“ lächelte Kress.
„Ach Junge, von Kindern nehme ich eigentlich kein Geld, aber ich gebe Dir morgen Abend die Möglichkeit meinen Sold aufzubessern. 20 Uhr im Speisesaal, wenn es recht ist?!“ entgegnete Rudi.
„Ok, dann werden wir ein kleines Spielchen wagen. Wer werden die anderen sein? Wie wäre ein zweiter ehemaliger Hussar und ein Chvallier und einer aus den Reihen der Miliz?“
„Bin ich einverstanden. Ich überlasse es Ihnen wer da noch sitzt, Kanonenfutter ist immer gern genommen.“
„Naja, wir werden sehen wer wem den Sold aufbessert. Ich werde versuchen Shepard mitzubringen und eine Pilotin, dafür überlasse ich ihnen den letzten Platz.“
„Ok, wenn ich Anton überreden kann werde ich ihn mitbringen, ansonsten suche ich mir eine hübsche weibliche Begleitung.“ die beiden schauten sich an und schätzten den anderen ab.
Dann drehten sie sich um und gingen jeder in eine andere Richtung davon.


Jules Kress war gerade an seinem geliebten Mech um zu sehen wie weit die Techs mit dem Entladen seiner Munitionsbunker waren.
„Sir,“ schrie einer der Munitions-Techs, „was ist denn das für ein Geschoss?“
„Ah, ein Kenner. Das ist Panzerbrechende Munition mein lieber. Habe ich extra geladen, leider bin ich von den fünf Salven nur zwei losgeworden, dann war das schöne Gefecht schon beendet.“
„Und im anderen Munitionsbunker sieht es ähnlich aus“ meldete sich der Tech schon wieder.
„Nein, das ist Anti-Infanterie Munition. Konnte ich leider auch nur für zwei Schüsse einsetzen. Leider war die normale Munition schon leer.“ kopfschüttelnd ging Jules weiter. Nachdem der blonde Mann den Mechhanger verlassen hatte ging er auf das Stabsgebäude zu. Als er es erreicht hatte wäre er fast mit einem augenscheinlichen Infanteristen zusammen gestoßen, na ja es stellte sich heraus das es ein Mechkrieger aus der ersten Kompanie war und der Hetzlanze angehörte. Nach einem kurzen Wortgefecht hatte er ein neues Pokeropfer gefunden und am nächsten Abend würde er mit ein wenig mehr Sold in der Tasche eine Lokalrunde werfen. Ein lächeln trat auf sein Gesicht.
Ace Kaiser
"Und am dritten Tag jagte man die Rampensäue ins Landungsschiff."
(Auszug aus dem Gefechtstagebuch der Angry Eagles, den Rückzug der Diplomaten betreffend, die Imaras Husaren angeleitet hatten.)

Die sieben "Diplomaten" verließen als reguläre Passagiere nach den Gefechtshandlungen, und nachdem der zivile Flugverkehr wieder freigegeben war, den Planeten. Ein Landungsschiff war beengt, und die Regierung von Wayside hatte ihnen nicht gerade Luxusappartements gebucht. Zwei Personen mussten sich in eine Kammer pferchen, in der man entweder auf zwei Etagen liegen, oder zu zweit stehen konnte. Dennoch schafften es Weilder und seine Leute, in einer stillen Ecke des Hangars einen Abschlussbericht zu halten.
"...unverantwortlich! Wir waren dabei, den Kampf zu gewinnen! Und die Verstärkungen der Fangzahneinheiten waren höchstens noch zwei Sprünge entfernt!", ereiferte sich Leutenient Watson.
Weilder blieb bei diesen Vorwürfen sachlich. "Sie kennen die Befehle, Remington. Unter keinen Umständen dürfen wir Rückschlüsse auf unseren Dienstherren zulassen. Das steht über allem, sogar unserem Leben."
Das schien Watson nicht zu beschwichtigen. "Dann wäre ich für meine Herrin lieber beim Versuch gestorben, diese Welt zu erobern, anstatt nun mit leeren Händen zurück zu kehren."
Ein dritter Offizier meldete sich zu Wort, Unterleutenient Dickins. "Sie scheinen eines zu vergessen, Watson: Jeder einzelne von uns ist zehn Millionen Kronen wert. Wir gehören zum Besten, was unser Staat anstelle von BattleMechs zur Verfügung hat. Ein oder zwei Tote aus unseren Reihen wären sicher zu verschmerzen gewesen. Aber alle sieben? Bedenken Sie den enormen Verlust, den wir angerichtet hätten, wenn wir in Zukunft gefehlt hätten. Wir alle müssen dem Staat noch mindestens dreißig Jahre dienen, und das ist eine lange Zeit. Gut, gut, wir sind gescheitert, und das ist niemals schön. Wir haben Milliarden in den Sand gesetzt, aber auch wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Und wir sind Imaras Husaren los geworden, ohne dass es uns eine weitere Krone gekostet hätte."
"Noch so ein Punkt: Warum haben wir die Bataillonsführer und Imara nicht liquidiert? Sie kennen den Auftraggeber!", zischte Watson.
"Weil Mikado das Spiel nach den Regeln spielt. Einzelheiten aus dem vorigen Kontrakt haben im neuen Kontrakt nichts zu suchen, das weiß er, das weiß Imara. Sie halten sich daran und schließen mit der Schlacht ab. Ein Neustart, wenn Sie so wollen, Remington. Und weil Mikado das Spiel nach den Regeln spielt, lässt er uns nach Hause fliegen, anstatt uns in einem dunklen Keller zu Tode foltern zu lassen."
"Ich habe keine Angst vor Schmerzen"; sagte Watson streng. "Und wir alle sollten das auch nicht. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir sogar jetzt noch die Mission abschließen können. Sie sind zerschlagen, sie sind demoralisiert. Ich bin sicher, ich könnte aus den Husaren aus dem Stand ein oder zwei Kompanien rekrutieren, aus Leuten, die den Kampf noch nicht beendet haben und Rache für ihre Kameraden wollen. Ich könnte Mikado und Danton hart und scharf treffen, und die Kämpfe weit genug anheizen, bis die Fangzähne kommen. Alles, was ich dafür tun muss, das ist mit dem nächsten Landungsschiff nach Wildkatz zurückzukehren." Er starrte Weilder an. "Vielleicht wetze ich damit aus, dass mein Vorgesetzter beim Anblick einer MG-Mündung kapituliert hat."
Ohne ein weiteres Wort wandte sich Watson ab. Geredy, der ihm folgen wollte, wurde von Weilder zurückgehalten. "Nein, Isthvan. Lassen Sie ihn gehen und es versuchen."

Auch wenn ihre Quartiere klein waren, letztendlich befanden sie sich auf einem Frachtschiff mit zusätzlichen Personentransportkapazitäten. Daraus folgernd, das sich Passagiere während eines Fluges schnell langweilten, bot die Crew eine Bar und diverse Aufenthaltsräume an. An eben dieser Bar, kurz nach dem Ende der Schubumkehr, und damit in der Schwerelosigkeit, saß gerade Kapitan Weilder, und unterhielt sich angeregt mit einem lyranischen Geschäftsmann, der kurz vor dem Angriff Geschäfte in Parkensen City gemacht hatte, bevor ihn der Konflikt davon überzeugt hatte, nach dem Minimum an Abschlüssen so schnell wie möglich nach Hause zu fliegen.
"Kapitän Weilder?" Eine nervöse, beinahe hysterische Stimme klang hinter ihm auf.
Weilder wandte sich um. Es war Terenzi, der Erste Offizier. "Ja? Was kann ich für Sie tun, Eins O?"
Der Mann schluckte verlegen und hangelte nach einer Halteschlaufe an der Bar. "I-ich bringe schlechte Neuigkeiten, Sir. Einer Ihrer Begleiter, er... Es hat einen Null G-Unfall gegeben."
Weilders Miene verriet nichts davon, was er wirklich dachte. "So?"
"Es war Mister Watson. Er befand sich am Ende der Beschleunigungsphase widerrechtlich im Hangar vier. Nicht, dass wir ihn deswegen getadelt hätten. Kurz nach Erreichen der Schwerelosigkeit gab es ein Zündungsproblem, und unser guter alter Union bekam noch einmal Schwerkraft."
Weilder nickte. "Das habe ich bemerkt, aber nicht weiter beachtet. Das passiert."
"Jedenfalls löste sich dadurch ein Container, und..." Terenzi schluckte hart. "Sir, Mister Watson wurde zwischen dem Container und der Hangarwand vollkommen zerquetscht. Wir kratzen gerade seine Reste..." Weiter kam er nicht. Er begann zu würgen, ließ die Schlaufe los und drehte sich um die eigene Achse.
"Na, das wird ja kein schöner Anblick gewesen sein", brummte der lyranische Geschäftsmann, "wenn sogar ein hart gesottener Raumbär wie unser guter Terenzi hier seinen Magen Turboentleert."
Der Barkeeper hatte sich derweil abgestoßen, in der Hand einen Beutel, in dem er das Erbrochene des Eins O aufzufangen versuchte. Aber eine Generalreinigung der Bar in der nächsten Schwerkraftphase stand bereits außer Frage. Schließlich brachte der Barkeeper Terenzi dazu, den Rest direkt in den Beutel zu kotzen.
Weilder zuckte mit der linken Augenbraue. "Passagiere haben im Frachtraum nichts verloren. Vor allem nicht so kurz vor der Null G-Phase. Wir alle wissen, was dann passieren kann. Es muss nicht einmal schlecht verzurrte Ware sein. So ein Ruck kann auch gut gesicherte Ware lösen. Und wenn so ein zwei Tonnen schweres Stückgut erst einmal kinetische Energie bekommt, dann sollte man da nicht zwischen stecken." Weilder schnallte sich ab und schwebte zum Ersten Offizier. "Bitte übergeben Sie Watsons Überreste so schnell Sie können dem Weltall. Ich kann seinen Eltern nicht zumuten, einen matschigen Brei zurück zu bekommen. So ist es das beste. Für ihn, für mich und für seine Angehörigen."
Terenzi sah immer noch reichlich grün im Gesicht aus, aber er nickte schließlich. "Sehr wohl, Sir."
Mit dem Beutel in der Hand verließ er die Bar wieder, während der Barkeeper vergeblich versuchte, alle Reste seines Mageninhalts aufzuspüren.
Weilder kehrte auf seinen Stuhl zurück und schnallte sich wieder an. "Er hätte es wirklich besser wissen müssen", murmelte er.
Sein Gesprächspartner, ein Herr Schwarzburg, runzelte die Stirn. "Was? Dass er nichts im Hangar verloren hat, vor allem nicht am Ende einer Beschleunigungsphase?"
Weilder lächelte dünn. "Exakt. Wenn man keine Ahnung von der Komplexität der Lagerwirtschaft hat, soll man draußen bleiben. Da können Wissbegierde und zu viel Elan schnell mal zu einem Unfall führen. Wäre er nur annähernd so schlau gewesen, wie er von sich gedacht hatte, würde er jetzt noch leben und mit uns ein Glas Scotch leeren."
"Sie nehmen den Tod Ihres Untergebenen recht locker."
Weilder lächelte dünn. "Er war schon so gut wie tot, seit... Er gesagt hat, dass er an einem effizienteren System für den Hangar arbeiten wollte. Aber zwei Tonnen in Bewegung geratene Masse lässt sich nichts erklären, lässt sich nicht bequatschen. Es musste irgendwie so kommen. Wenn nicht heute, dann in der Abbremsphase zum Sprungschiff. Irgendwann hätte seine Neugier ihn umgebracht. Es war nur eine Frage der Zeit."
"Sie sind sehr hart zu ihm", mahnte Schwarzburg.
"Nicht annähernd so hart wie der Frachtcontainer", konterte Weilder. "Dennoch, das war ein vollkommen unnötiger Verlust. Ich sollte Janß Bescheid geben, dass er sein Quartier jetzt nicht mehr teilen muss." Er sah auf. "Bedienung! Was muss man hier tun, um zwei weitere Scotch zu kriegen?"
Der Barkeeper ließ von seiner Jagd ab. "Komme!" Er wusch sich im Null G-Spülbecken die Hände, danach füllte er zwei neue Becher mit der Spezialvorrichtung ab. "Wohl bekommt's, meine Herren."
"Danke." Weilder nahm die Gläser entgegen und reichte eines Schwarzburg. "Prost."
"Auf Ihr Wohl, mein lieber Wim. Und dass Sie möglichst wenige Ihrer Leute an Elan und Neugier verlieren."
"Oh, ich hoffe, der Rest wird sich nicht am schlechten Beispiel von Watson orientieren. Nicht, wenn sie schlauer als er sind."

Im Gang vor der Bar schwebte derweil ein untergeordneter Techniker vor einer Wartungsklappe, und tat was Techniker an Wartungsklappen eben zu tun pflegten. Das er nebenbei die Bar abhörte, während seine Kollegen die anderen fünf Diplomaten aus St. Ives überwachten, stand auf einem anderen Blatt. Ebenso ihre Zugehörigkeit zur ISA. Noch war man in der Organisation gewillt, das Spiel nach den Regeln zu spielen. Aber ein zweiter oder dritter wagemutiger Konterrevolutionär von der Sorte Watsons konnte den Einsatzleiter davon überzeugen, dass sechs weitere "Unfälle" den diplomatischen Ärger wert waren, der zweifellos folgen würde. Dafür war die ISA schließlich da. Sie beschützte das Kombinat, mit ihren Mitteln und ihren Fähigkeiten. Manchmal mit vielen Freiheiten, manchmal an der kurzen Leine eines Herzogs, so wie jetzt. Manchmal auch ganz nach eigenem Willen und eigenen Regeln.
***
Fünf Tage nach der Schlacht waren die gröbsten Aufräumarbeiten erledigt. Die Neugliederung der Chevaliers war abgeschlossen, und Aaron Imara hatte einen Zeitplan aufgestellt, wann die auf Wayside V verbleibenden Truppen wieder einsatzbereit sein würden, und welche Stärke sie haben mochten. Für den Herzog essentielle Informationen, denn noch immer plante er den Aufbruch seiner Eagles in knapp zehn Tagen. Und dann wollte er diese, seine Welt gut verteidigt wissen.
Fünf Tage nach der Schlacht hatten sich auch Germaines körperliche Probleme schon merklich gebessert. Er musste noch immer Schmerzschlucker nehmen, und Fleischer hatte ihm für die nächsten drei Wochen jeglichen Sex verboten. Aber es ging ihm schon sehr viel besser, wenngleich die Gefahr bestand, dass die Bewegungsfähigkeit seiner linken Hand nie wieder vollständig hergestellt werden würde. Und die Gefahr, dass sein rechtes Knie steif bleiben würde, war nicht gerade gering. Sein Attentäter hatte umsichtig geschossen, aber das auch mit Nachdruck. Ironischerweise fühlte sich Germaine an die islamische Schariah erinnert, in der Dieben nach ihrer Tat die rechte Hand und der linke Fuß abgeschlagen werden sollten, um ihnen die Diebesfähigkeit zu nehmen. Bei ihm waren es die linke Hand und das rechte Knie gewesen, und man hatte ihm die Möglichkeit genommen, einen Mech zu steuern. Das hielt ihn aber nicht davon ab, seinen anderen Pflichten nachzukommen und wie immer sein Bestes zu geben.

Im Moment besuchte er mit Mikado das Krankenhaus, in dem man die schweren Fälle zusammen gelegt hatte. Germaine Danton musste zugeben, dass die Miliz-Klinik ebenso wie die zivilen Hospitäler hervorragend ausgestattet waren. Mikado ließ einen enormen Anteil der Zollgelder in zivile Projekte fließen, vor allem in die medizinische Versorgung und soziale Projekte. Nicht ohne Stolz hatte Mikado ihm von zweistelligem Bevölkerungswachstum und einer gesunden Gesellschaft mit einem Durchschnittsalter von sechsundzwanzig berichtet. Seine Pläne, diesem unwirtlichen Planeten weiteren Lebensraum abzugewinnen stand und fiel mit der Zahl und der Motivation der Menschen, die ihm zur Verfügung standen und stehen würden. Weitere Städte waren schon in Planung; und die Zahl der Agrar-Dörfer wie Philip, Bartertown oder Gohan Village würde ebenfalls wachsen. Um den entsprechenden Menschenschlag anzulocken, setzte er auf bestmögliche kostenlose Grundversorgung und eine Arbeitslosenquote, die "Null" lautete. In der immer mehr boomenden Industrie- und Handelslandschaft Waysides arbeitete nur nicht, wer es nicht wollte. Alle anderen wurden händeringend gebraucht.
Das bedeutete für Germaines Leute, dass sie ebenso gut versorgt wurden, als hätte er sie in einem Dragoner-Hospital auf Outreach eingecheckt.

Nach dem gemeinsamen Besuch bei Major Klein, dessen Verbrennungen so gut abheilten, dass er beim Abflug des Herzogs wieder bedingt diensttauglich sein würde, suchten der Herzog und der Colonel die Intensivstation auf, wo einige der schwersten Fälle lagen. Viele von ihnen aus dem Flechettenbeschuss durch den feindlichen Artillerie-Panzer. Vor der Tür von Lieutenant Slibowitz standen zwei Männer und diskutierten leise. Den einen erkannte Germaine als behandelnden Arzt. Der andere war Oberleutnant Vogt von der Miliz. Er sprach leise, aber intensiv mit dem Arzt. Daraufhin bedankte er sich, und während der Mediziner fortging, stand er mit gesenktem Kopf da und rührte sich nicht.
"Tancrid?", fragte Mikado ernst.
Der junge Mann schreckte auf, als hätte man ihm bei etwas Verbotenem erwischt. Ein Bund Blumen und eine merkwürdige Schachtel verschwanden hinter seinem Rücken. "OH! Mylord, Colonel. Na, das ist ja eine Überraschung. Da haben Sie zwei mich doch glatt dabei erwischt, wie ich den hübschen Schwestern hinterher jage. Diese knappen Hosenanzüge sehen aber auch einfach zu sexy aus. Haha."
Germaine verkniff sich ein Grinsen. "Wie geht es Icecream, Rage?"
Ein dünnes, schüchternes Lächeln huschte über sein Gesicht. "Sie liegt noch im Koma. Eigentlich wollten die Ärzte sie heute wecken, aber..." Verlegene Röte huschte über Vogts Gesicht. "Oh, ich bin nur zufällig mit dem zuständigen Arzt zusammen geraten, und weil er nun schon mal da war, dachte ich mir, ich lasse mir erklären, wie es einer Fliegerkameradin geht."
"Natürlich, Tancrid", schmunzelte der Herzog. "Ist sie denn stabil?"
"Wie gesagt, sie liegt noch im Koma. Aber der Termin, sie heute zu wecken, war auch zu optimistisch, sagte der Arzt. Morgen oder übermorgen ist wahrscheinlicher. Oh, verstehen Sie mich nicht falsch, meine Herren, ich werde hier nicht sentimental. Aber manchmal erinnert einen das Schicksal der anderen an die eigene Sterblichkeit, und auch daran, dass man keine einzelne Sekunde verschwenden sollte. Und wenn ein paar Fehler dabei sind, was soll's? Solange man lebt, kann man sie wieder gut machen."
Germaine Danton deutete mit dem rechten Zeigefinger auf Vogts Brust. "Den nehme ich."
"In weiser Voraussicht habe ich ihn und Lieutenant Swanson bereits den Chevaliers zugeteilt, Germaine", erwiderte der Herzog.
"Was? Wie? Ich... Ich soll zu den Chevaliers? Aber Mylord, ich bin ein Eagle!"
"Und die Chevaliers dienen gerade dem Anführer der Eagles. Außerdem sind Sie noch nicht damit fertig, Ihren Entschuldigungsdienst bei Swanson abzuleisten, richtig, Tancrid?"
"Nein, aber..."
"Ich habe das nicht vergessen, Tancrid. Tatschen Sie meinetwegen so viele Frauenbrüste an, wie immer Sie wollen, aber tun Sie das niemals wieder im Dienst, und außerhalb nur wirklich dann, wenn die Frau auch unmissverständlich "Ja" sagt. Haben wir uns verstanden, Mr. "Ich will keine Sekunde verschwenden"?"
"Ja, natürlich, Mylord. Da gibt es keinen Widerspruch."
"Melden Sie sich nach Ihren Krankenbesuchen bei Captain Sleijpnirsdottir", sagte Danton. "Ich glaube, sie kann einen erfahrenen Piloten wie Sie gut gebrauchen."
"Ja, Sir. Muss ich auch diese merkwürdige Maus tragen?"
Danton besah sich das Schulter-Tag mit Jerry und schmunzelte. "Da geht wohl kein Weg dran vorbei. Aber Sie dürfen auf der linken Seite weiterhin das Symbol der Eagles tragen."
"Danke, Sir."
"Gut, dann ist das geklärt. Wenn Sarah noch nicht wach ist, lohnt sich ein Besuch auch nicht. Gehen wir zu MeisterTech Simstein weiter?"
"Natürlich, Germaine. Ach, Tancrid, lassen Sie die Blumen ruhig da. Icecream wird sich sicherlich freuen, wenn sie aufwacht und was Buntes sieht."
"Ja, Mylord", erwiderte der Pilot mit kläglicher Stimme.

Die beiden Männer schmunzelten. Vogt hatte viele Macken und legte manchmal ein provokantes Verhalten an den Tag, aber letztendlich war er mehr ein Schaf im Wolfspelz als ein Wolf im Schafspelz. Nicht, dass das Schaf nicht auch ordentlich Biss hatte.
Sie verließen die Intensivstation wieder und betraten die angegliederte Station, in die alle nicht mehr akuten Fälle ausgelagert wurden.
Vor dem Zimmer von Doreen Simstein blieben sie stehen. Danton klopfte.
"Herein."
Die beiden Männer traten ein, und die junge Frau, die aufrecht in ihrem Bett saß, wischte sich verstohlen ein paar Tränen aus dem Gesicht. "Sir. Mylord."
"Guten Morgen, MeisterTech Simstein. Ich erspare mir die Frage, wie es dir geht, Doreen. Das sieht ein Blinder. Hat man dir also schon gesagt, was mit deinen Beinen passiert ist."
Für einen Moment wirkte sie, als wolle sie erneut in Tränen ausbrechen. "Ja, Sir. Amputation. War nicht mehr genügend dran. Ich..." Ihr versagte die Stimme.
"Tja, was soll ich sagen? Nicht mal der Sternenbund kann dir deine Beine zurückgeben. Aber Herzog Mikado hat einen Ausgleich für dich."
Mamoru Mikado räusperte sich. "Ich weiß, es ist nicht einmal ansatzweise ein Ersatz, MeisterTech Simstein, aber ich habe für Sie und Ihre Kameraden angeordnet, Sie ungeachtet der Kosten mit bionischen Gliedmaßen auszustatten. Sie bekommen zwei Robotbeine, MeisterTech."
Dantons Hand lag plötzlich auf ihrer Schulter. Er sah sie düster an. "Ich weiß, was du jetzt denkst, Doreen, aber das lasse ich nicht zu! Du wirst die Beine nicht selber warten! Du wirst sie nicht aufpeppen! Und du wirst keine kleinen Nettigkeiten und Spielzeuge einbauen!"
Ihr Blick war wie gewandelt. Die vorher so trübe Miene hatte nun etwas Spöttisches, ganz nach dem Motto: Willst du mich etwa vierundzwanzig Stunden am Tag überwachen, Chef?
"Ja, Sir, ich habe verstanden."
"Die Beine sind auch so schon stark genug", klang Mikados Stimme auf. "Sie bestehen aus Titanstahlknochen, Myomer und natürlicher Haut, die wir aus Ihren Zellen züchten werden, MeisterTech. Wir passen sie Ihren echten Beinen so gut wie möglich an. Versorgt werden sie über die körpereigene elektrische Kraft, auch wenn interne Speicherzellen und damit eine Leistungssteigerung von achtzig Prozent..." Verlegen hüstelte der Herzog. "Das hat Ihnen Ihr Kommandeur ja gerade verboten. Auch so werden Sie in Zukunft schnell unterwegs sein. Ein anderer Patient mit diesen bionischen Beinen schafft im Sprint fünfundvierzig Kilometer die Stunde."
Der Glanz in ihren Augen wurde immer deutlicher. "Wann bekomme ich sie angepasst?"
"Die Ärzte müssen noch ein paar Tage warten, bis die Schwellungen an den Amputationsschnitten zurück gegangen sind. Maximal sind das zwei Wochen. Dann können sie an eine erste Anpassung gehen."
"Muss ich dafür hier bleiben?", fragte sie misstrauisch. "Kann ich nicht mit auf die Mission?"
"Wenn wir abfliegen, und deine Beine funktionieren störungsfrei, nehme ich dich mit", sagte Germaine.
"Gut. Damit kann ich leben." Sie wirkte nun wieder sicherer, resoluter.
Germaine hatte es gewusst, dass Robotbeine einen Techniker und Bastler wie sie geradezu in Ekstase versetzen würde. Wahrscheinlich mussten sie darauf achtgeben, dass Doreen nicht zu sehr auf den Geschmack kam.
"Da es Ihnen gut geht", begann Mikado, "setzen wir unsere Besuchsreihe nun fort, MeisterTech Simstein. Es warten noch acht Chevaliers, fünf Milizionäre, drei Eagles und neun Husaren auf unseren Besuch."
"Natürlich, Mylord. Ich bedanke mich für den Besuch. Und ich bedanke mich für die Beine. Germaine, wenn ich einsatzbereit bin, nimmst du mich mit. Das hast du versprochen."
Danton nickte. "Das habe ich versprochen, Doreen." Sie nickten einander zu, dann traten Danton und Mikado vor die Tür.

Draußen tauschten die beiden Männer ein stummes Schmunzeln aus, bevor sie sich auf den weiteren Weg machten. Nicht immer würden sie gute Botschaften überbringen können.
Und dazu kam auch noch, dass sie am Nachmittag einen Konfessionsübergreifenden Gottesdienst im Gedenken an die Toten der Schlacht abhalten würden. Das war immer das Schwerste an einer Schlacht: Hinterher gesagt zu bekommen, auf welche Gesichter man in Zukunft verzichten musste. Und der nagende Zweifel der Kommandeure, mit welcher Entscheidung man ihre Leben hätte retten können, im vollen Wissen, dass dann andere gestorben wären.
Die beiden Männer setzten ihren schweren Weg fort. Höflich passte sich Mikado dabei Dantons Krückstocktempo an.
***
"Sie!", rief die dunkle Männerstimme wütend. "Sie haben mir das angetan!"
Germaine Danton lächelte gewinnend, während er dabei zusah, wie zwei Pfleger halfen, Jack Ryan-Jones in eine Ausgehuniform der Chevaliers zu helfen. Der große, kräftige Mann sah selbst nach fünf Tagen Tropf noch immer recht blass um die Nase aus, und dies ließ die Narben in seinem Gesicht noch deutlicher hervor treten.
"Was denn, Jack? Nach der Schlacht habe ich Ihnen gesagt, dass Sie Ihre Pflichten mir gegenüber erfüllt haben, und dass ich Sie mit der Munition jederzeit ziehen lassen will. Und dass ich für die volle Reparatur Ihres Mechs aufkomme. Und was haben Sie mir geantwortet, Jack?"
"Sie wissen genau, dass mein Marodeur die nächsten acht Monate keinen einzigen Schritt machen wird, das habe ich Ihnen gesagt! Und Ihr verdammtes Angebot, mir in der Zwischenzeit eine Ersatzmaschine anzubieten, verbunden mit einem Platz im Regiment, war eine ganz miese Falle! Jeder entrechtete Krieger wäre darauf herein gefallen!", murrte Jack laut und ärgerlich.
"Sie wussten, was Sie taten, Jack. Schieben Sie das nicht aufs Delirium oder auf momentane Schwäche. Ich habe Sie gefragt, ob Sie bleiben wollen, und Sie haben gesagt: Ja, solange es gegen die Parder geht. Und jetzt sind Sie mein Mann. Und meine Männer tragen meine Uniform, Jack."
"Eine weiße!", rief Ryan entrüstet. "Mein Gott, eine weiße Uniform! Wenn meine Schwester mich so sehen könnte, würde sie fragen, vor welchem Hotel ich stehen muss!" Fassungslos schüttelte Ryan den Kopf. "Und das ist noch nicht das Schlimmste. Das da ist noch schlimmer!" Anklagend deutete er auf den bereit stehenden Rollstuhl. "Warum tun Sie mir DAS an, Germaine?"
Danton schnaubte amüsiert. "Darf ich zusammenfassen? Sie wurden dehydriert, von Trümmern in die Brust getroffen, haben den Beinaheabsturz Ihres Marodeurs überlebt, wären fast verblutet, und hatten trotzdem noch die Kraft, um einen kräftigen Hieb Absinth zu nehmen, bevor Sie am Blutverlust gestorben wären. Hat Ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet, Jack. Jedenfalls hätten Sie schon nach der Schlacht am Wasserloch in ein Bett gehört und hätten dort bleiben sollen. Ich weiß nicht, was Sie getan haben, um Sergeant Tsuno genug zu beeindrucken, aber Sie haben es geschafft und waren beim Gefechtsabwurf dabei."
Germaine beugte sich leicht vor. "Sie sind ein Monster, Jack, ein unglaubliches Monster. Ihr Leben hat Sie so zäh gemacht wie die Spartaner der Legende. Und so einen Schatz muss ich umsorgen und hegen, solange ich ihn habe. Vielleicht sind Sie mal mein Zünglein an der Waage. Und dann will ich Sie einsatzbereit sehen. Doktor Fleischer hat Ihnen zugestanden, bei der Trauerzeremonie dabei zu sein, aber nur, wenn Sie Ihren gerade erst heilenden Körper und Ihren Kreislauf schonen. Zwei Stunden rumstehen und dann auf die gerade erst geschlossenen Wunden fallen gehört nicht zu den Dingen, die er gerne sieht. Also, entweder Rollstuhl, oder gar nicht, Jack."
Ryan zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen, der das Label Jugendfrei nicht einmal ansatzweise erreichte. "Rollstuhl", brachte er zwischen knirschenden Zähnen hervor.
"Na also. Und tun Sie nicht, als würde ich Ihnen etwas Böses tun, Jack. Immerhin habe ich Ihnen Ihre Accessoires erlaubt."
"Mein Säbel, der Kummerbund und der Lusan-Badge sind KEINE Accessoires, Colonel", murrte Ryan verstimmt. "Es sind Insignien einer Vergangenheit, die schmerzhaft war und die mich geformt hat. Sie zu vergessen oder zu ignorieren würde mich nur dazu verdammen, die Schmerzen zu wiederholen."
"Das hat mir schon beim ersten Mal eingeleuchtet. Und deshalb habe ich auch zugestimmt, Sergeant Ryan-Jones." Germaine winkte nach hinten. "Bei der Gelegenheit, darf ich Ihnen Ihren Flügelmann vorstellen? Er wird Ihnen bei der Feier assistieren, Jack."
Mit ausdrucksloser Miene betrat Corporal Steinberger den Raum. "Ist mir eine Ehre, Sir. Ich habe Ihre GefechtsROM angesehen, vor allem wie Sie den Kampftitan über die Kavernen gezogen haben. Ihr Kampfstil hätte sich auch in meiner alten Einheit gut gemacht. Wir..." Steinberger räusperte sich verlegen. "Ich stehe heute zu Ihrer Verfügung, Sir."
"Sagen Sie nicht Sir. Wenn Ihnen so viel an diesen dämlichen Titeln liegt, sagen Sie Sarge oder nennen Sie mich Jack", erwiderte Ryan barsch. "Wir werden schon in der nächsten Schlacht sehen, was wir voneinander zu halten haben, Corporal Steinberger."
"Akzeptiert, Sarge", erwiderte der Lyraner. Dabei wirkte er erheblich ausgeglichener als kurz nach der Schlacht. Vielleicht konnte dieses Team-Up tatsächlich funktionieren.
"So, ich sehe Sie dann auf dem Exerzierplatz in einer Dreiviertelstunde, Jack." Germaine nickte in seine Richtung. "Sergeant." Dann sah er Steinberger an. "Corporal."
"Sir", erwiderten beide knapp und sachlich.
Dann überließ Germaine die zwei ihrem weiteren Schicksal.
***
Das Klopfen an der Bürotür hatte etwas Ermüdendes für den Herzog von Wayside. Seit Imaras Husaren angegriffen hatten, war dieses Büro sein Zuhause gewesen, seine Schlafstatt, sein Lebensmittelpunkt. Ursprünglich war er hier raus gekommen, um die Miliz zu rollieren, ein paar Eagles hier zu lassen und ein paar Milizionäre mitzunehmen. Seine Zeit hatte er in seiner Villa verbringen wollen, ein wenig Urlaub machen, sich entspannen. So gut das eben möglich war, wenn Frau und Kinder fünfhundert Lichtjahre entfernt waren. Stattdessen hatte das Schicksal hart und grausam zugeschlagen und ihn dazu verdammt, auf dieser Welt, auf seiner Welt zu kämpfen. Die Nachwehen der Attacke hielten ihn auf Trab; so sehr, dass ihm der geplante Besuch der neuen Angry Eagles-Basis auf Towne nicht mehr gelingen würde. Er musste seine Eagles auf halbem Wege nach Outreach abfangen und sie auf den Söldnerstern begleiten. Mit etwas Glück konnte er den neuen Kontrakt so legen, dass ihm zumindest ein kleiner Abstecher nach Towne gelingen konnte. Vielleicht... Nein, er wusste selbst, dass dieser Gedanke illusorisch und unfair war. Die neue Aufgabe würde ihn finden, nicht umgekehrt. So war es die letzten Jahre immer gewesen. Wenigstens konnte er sich sicher sein, dass Jean und die Kinder auf Towne in der neuen Kasernenanlage in Sicherheit waren.
Parkensen räusperte sich verlegen.
Mikado sah auf und folgte mit den Augen seiner Kopfbewegung zur Tür. "Ach ja. Herein."
Mit stoischer Miene betrat der Herr der Chevaliers den Raum. Er ließ sich nicht anmerken, ob ihn die zusätzliche Wartezeit gestört hatte oder nicht. Der Mann ging immer noch mit Hilfe eines Krückstocks, hielt sich aber gerade. "Mylord, die Trauerfeier beginnt in dreißig Minuten. Wie Ihr gewünscht habt, habe ich die Dinge am Miliz-Friedhof organisiert."
"Danke, Germaine. Bitte, setze dich. Es gibt da einen Punkt, über den wir noch nicht gesprochen haben. Aber Elden und ich sind uns einig, dass wir ihn jetzt ansprechen müssen."
"Sicher, Ace", erwiderte Germaine und nahm Platz.
Mikado seufzte tief. "Dieser Kampf hat uns viel gekostet. Und die Übernahme der Husaren-Kontrakte beziffert sich auch auf ein kleines Vermögen. Vom Unterkontrakt und den Reparaturkosten der Chevaliers ganz zu schweigen."
Danton schien darauf etwas erwidern zu wollen, doch der Herzog sprach weiter, bevor der Terraner das Wort ergreifen konnte.
"Dennoch, das ist es mir wert. Das ist Wayside mir wert. Deine Chevaliers, meine Eagles, meine Miliz, sie sind Soldaten. Sie kämpfen dort wo sie hingestellt werden. Sie kämpfen, wenn man es ihnen befiehlt. Sie kämpfen, weil man sie dafür bezahlt. Und sie kämpfen auch für ihre Überzeugungen, Wünsche und Hoffnungen, auch wenn manch anderer diese Einstellung bei Söldnern für hoffnungslos romantisch und unrealistisch hält. Du hast dich in den Dienst einer guten Sache gestellt, Germaine, dich sofort bereit erklärt, mit deinen Leuten an meiner Seite zu kämpfen, obwohl ihr die Sache auch hättet aussitzen können. Deine Spezialtruppen haben dem Feind den Stützpunkt am Wasserloch abgenommen und das Hauptquartier gestürmt. Du hast Aaron gestoppt, bevor es richtig blutig werden konnte. Nichts für ungut, Aaron."
Colonel Imara, jetzt vielmehr Oberst Imara, der bisher schweigend neben Parkensen gesessen hatte, zeigte ein ironisches Grinsen. "Dem Sieger die Beute, Ace."
"Jedenfalls, Germaine, ich habe Aaron und seine Leute eingekauft. Ich habe deine Chevaliers bezahlt, gut bezahlt. Und ich habe dein Bataillon auf Regimentsstärke aufgestockt, damit Ihr dennoch euren Auftrag erfüllen könnt."
"Dafür danke ich Euch, Mylord", erwiderte der Herr der Chevaliers förmlich.
"Nein, Germaine, ich bin derjenige, der dir zu Dank verpflichtet ist. Was also kann ich für Sie tun, Colonel Germaine Danton? Womit kann ich den Herrn der Chevaliers belohnen?"
Danton sah auf. Erstaunt, überrascht. In seinem Gesicht arbeitete es, er ging seinen aktuellen Wunschzettel nach medizinischer Behandlung seiner Leute oder der Aufstockung der Ausrüstung durch. Nein, da war nichts. Nichts, was Mikado nicht schon von sich aus erfüllt hätte. "Danke, Mylord, aber meine Einheit hat alles bekommen, was sie braucht."
Imara kicherte amüsiert, Mikado seufzte im Angesicht so viel Unverstands, Elden Parkensen ließ sich vollkommen undraconisch dazu hinreißen, eine Augenbraue hoch zu ziehen.
"Germaine, vergiss mal deine Einheit für einen Augenblick. Was willst du? Du persönlich?", präzisierte Ace.
"Abgesehen davon, dass ich gerne den Mistkerl vor einem Erschießungskommando sehen möchte, der mir das Knie und die Hand zerschossen hat? Da ist nichts, was ich wollte, Mylord."
Mikado sah zu Parkensen herüber, der recht zufrieden nickte. Imara schloss sich diesem Nicken an, und selbst ein Blinder konnte sehen, dass hier etwas abgesprochen und soeben besiegelt worden war.
"Germaine", begann Mikado erneut, "ich will dich etwas enger an mich binden."
"Das ehrt Euch, Mylord, und ich habe keine Probleme, in Zukunft erneut mit den Angry Eagles zusammen zu arbeiten. Aber meine Einheit kann noch eine ganze Zeitlang eigenständig bleiben."
"Ich will nicht deine Einheit, Ace, ich will dich." Mikado deutete auf Aaron Imara. "Ich habe dem guten Aaron ein besonderes Angebot gemacht. Er ist etwas müde zur Zeit von den ewigen Konflikten und den Kriegen. Ich habe vor, die Miliz zu erweitern, und er kriegt das Oberkommando. Harry Klein kriegt das Feldkommando, sobald er wieder genesen ist."
Imara nickte bestätigend. "Wayside V entwickelt sich ganz hervorragend. Sie scheint mir die richtige Welt für einen vorgezogenen Ruhestand zu sein. Man kann hier besser leben aus auf den atmosphärelosen Steinbrocken, die Sirius umkreisen. Oder auf dem stürmischen Trell. Nein, Wayside V ist ein guter Platz, um zu leben. Ich wollte schon lange den Neurohelm in den Schrank packen und die Pilotenliege gegen einen Strandkorb tauschen. Das Licht gefällt mir hier auch ganz gut. Licht ist wirklich wichtig. Man muss es mögen, wenn man irgendwo leben will. Und auf Wayside V ist meistens ein Licht, das an einen gemütlichen Tag am Strand erinnert."
"Aaron", mahnte Ace lächelnd. "Nein, Germaine, ich will dich nicht für die Eagles oder die Miliz anwerben. Wovon ich spreche ist weit weniger, und doch so viel mehr. Und es betrifft nur dich persönlich. und, wenn Eure Beziehung hält, deine Miko." Er zog eine Karte hervor, die das Gebiet um das Wasserloch und die Three Fallen Sisters zeigte. "Wie du weißt hatte ich vor, im nächsten Jahr an der Wasserstelle eine neue Siedlung zu eröffnen. Die Verschmutzung des Wassers durch Kühlflüssigkeit und Schmieröl durch Harrison Copelands Täuschungsmanöver hält sich in akzeptablen Grenzen, weshalb uns das Wasser zur Verfügung steht. Außerdem gibt es mehrere unterirdische Flüsse in der Region, gigantische Ströme, die wir anbohren werden. Die unterspülten Kavernen sind ein Zeugnis davon. Der Boden ist ausgeruht und fruchtbar. Ich hatte vor, in der Region Futterpflanzen anzubauen und eine Nutztierzucht einzuführen. Das neue Dorf... Die neue Stadt wird im Laufe des nächsten Jahres entstehen. Sie wird Dantonville heißen."
Für einen Augenblick schien der Franzose vor Ehrfurcht vom Stuhl zu kippen. "Das... Das ist zu viel der Ehre, Mylord."
"Jedenfalls kann ich dank der Kampfkraft von Imaras Husaren, die nun mir gehört, wesentlich schneller expandieren, als ich vorgehabt hatte. Der Bevölkerungsdruck in Parkensen City und den anderen Orten hätte ohnehin entweder Expansion der Städte, oder Dependancen erforderlich gemacht, früher oder später."
"In spätestens zwei Jahren, Mylord", warf Parkensen ein.
"Danke, Elden. Jedenfalls ist diese Region im südlichen Kurita-Becken sehr weit entfernt. Ich hatte vor, dort unten eine eigene, wenngleich untergeordnete Verwaltung zu integrieren. Eine eigene Grafschaft, wenn du so willst. Und ich möchte jemanden dort unten als Herrn einsetzen, dem ich viel zu verdanken habe. Es ginge ohnehin nur um seinen Namen. Die Planetare Verwaltung übernimmt die Arbeit, und die Miliz den Schutz, bis sich der zuständige Graf eines Tages dazu entschließt, hier zu leben." Mikado sah Ace ernst in die Augen. "Germaine, ich will, dass du dieser Graf wirst. Ich will, dass du mein Vasall wirst. Ich will dein Lehnsherr werden, und du sollst die dortige Siedlung als deine Grafschaft erhalten. Du wirst einen draconischen Adelstitel haben, den eines Hakshakus oder Grafen, aber nicht mehr zusätzliche Arbeit als du auf dich nehmen willst. Natürlich wäre es nett, wenn du in Notsituationen schon mal mit deinen Chevaliers kommst, um meinen Eagles aus der Patsche zu helfen, aber das hättest du auch gemacht, wenn ich dir keinen Grafentitel zuschieben wollte."
"Gut erkannt", erwiderte Germaine mit belegter Stimme. "I-ich weiß nicht, was ich sagen soll."
"Ich habe bereits alles in die Wege geleitet", sagte Parkensen. "Es gäbe einen nicht zu unterschätzenden Vorteil aus der Sache. Als draconischer Adliger sind Sie kein Söldner in dem Sinne, Germaine. Und Ihre Leute sind dann im Kombinat Bushi, anerkannte Krieger, auch keine Söldner mehr. Ihre Offiziere hätten den gleichen Rang wie die Samurai des Kombinats. Das Kombinat wäre auf ewig ein sicherer Hafen für die Chevaliers." Parkensen unterbrach sich selbst. "Entschuldigung. Nichts ist für die Ewigkeit, und ich will nicht lügen. Solange das Kombinat die zweifellos anstehenden nächsten Krisen übersteht, meinte ich."
"Natürlich", echote Germaine. "Wann muss ich...?"
"Wann du dich entscheiden musst?" Mikado klopfte die Fingerspitzen aneinander. "Es ist im Kombinat nicht üblich, einen Krieger dafür zu belohnen, dass er das tut, was er tun soll, nämlich ein Krieger zu sein. Tod und Vernichtung wird von einem Bushi erwartet. Aber es ist genauso nicht üblich, einen Bushi, der sich ausgezeichnet hat, der mehr geleistet hat als alle anderen, unbelohnt zu lassen. Das würde die Reinheit zwischen Dienstherr und Krieger beflecken. Gute Leistung muss belohnt werden, das ist ein unumstößlicher Fakt des Bushido. Und diese Welt ist eine draconische Welt, Germaine. Wenn du den Grafentitel ablehnst, werde ich mir eine ähnlich wertvolle Belohnung ausdenken müssen. Aber belohnen werde ich dich, das verspreche ich."
"Wir brauchen Ihre Entscheidung bis zum Ende der Woche, damit die Ernennungszeremonie vor Ihrer Abreise organisiert und durchgeführt werden kann", fügte Parkensen an.
"Ich... Verstehe. Ich werde das mit meinen Vertrauten besprechen." Danton sah auf seine Uhr. "Zwanzig Minuten, Mylord."
"Natürlich. Wir gehen jetzt." Der Angry Eagle griff nach der weißen Schirmmütze seiner Ausgehuniform und setzte sie auf. "Bringen wir es hinter uns."
***
Die auf dem Miliz-Friedhof angetretenen Truppen wiesen keinerlei Lücken auf. Die alten Einheitsstrukturen existierten nicht mehr so, wie sie einmal gewesen waren. Aber bei vielen sah man Verbände, sah sie in Rollstühlen sitzen - mehr der Schonung geschuldet als der Notwendigkeit - oder auf Feldstühlen, wenn ihnen zu langes Stehen noch nicht wieder gestattet war. Sie bildeten ein zum Podest offenes U, und sie waren verdammt viele. Der linke Flügel und Teile der Front wurden von den weißen Paradeuniformen der Chevaliers gebildet, der Rest von Miliz und Eagles dominiert. Es war nicht sehr hilfreich, dass deren Ausgehuniformen auch weiß waren.
Dazwischen standen Särge auf dem Boden. Es waren achtundneunzig, und die meisten von ihnen waren Infanteristen gewesen. Auf jedem Sarg lagen die Einheitsflagge und die Flagge der ursprünglichen Nation. Nur ein Drittel zeigte die Cartoonmaus der Chevaliers, und es überwogen Hausflaggen Steiners, Davions und der Liga Freier Welten.
Die mit Imaras Einheitslogo bedeckten Särge nahmen fast die Hälfte ein; der grimmige, den Betrachter bedrohende Atlas teilte sich den Platz mit der Steinerfaust, den Rasalhaager Zeichen, und im kleineren Rahmen dem Ligisten-Adler und dem Liao-Krummschwert.
Der Rest der Särge gehörte den Angry Eagles und der Miliz. Der zornige Cartoon-Adler dominierte die Flaggen von allen großen Häusern, des Clans Nebelparder, des Magistrats Canopus und der Marianischen Hegemonie. Neben jedem Sarg standen Ehrenwachen bereit, und traditionell hatte sich eine Einheit mit scharfen Waffen und scharfer Munition eingefunden, um den Salut zu schießen.

Hauptmann Miko Tsuno von den Angry Eagles war bereits die dritte Rednerin. Vor ihr hatten die Feldkaplane der ehemaligen Husaren und der Wayside-Miliz gesprochen. Nun war die Reihe an der erfahrenen draconischen Kriegerin. Sie würde als einzige Offizierin sprechen. Ihre Aufgabe war das Verlesen des Codex.
Die große schlanke Frau räusperte sich und sah einmal ins Rund. "Wir sehen vor uns unsere gefallenen Kameraden. Noch vor einer Woche kämpften wir gegeneinander, töteten einander, hassten einander. Heute aber stehen wir beieinander. Und statt zu versuchen, Spuren des Hass zu finden, Unsicherheit und gegenseitiges Misstrauen, sollten wir froh sein, weil so etwas überhaupt möglich ist."
Sie sah noch einmal ins Rund, blieb an den Offizieren hängen, die vor ihren Einheiten standen, und klappte dann ein kleines Buch auf.
"Ich bin der Krieger. Ich bin die Waffe. Ich wurde geschaffen, um zu dienen, geschaffen um zu töten. Aber das ist nicht alles. Ich wurde auch geschaffen um nicht zu töten. Wurde geschaffen um zu beschützen, zu bewahren, zu verhindern. Zu sagen, dass ich nur töten gelernt habe, würde jenen die mich geformt haben keine Ehre bringen.

Ich bin der Krieger. Ich muss in den Kampf ziehen, und ich muss mich dort mit anderen messen. Warum tue ich das? Wegen dem Kameraden an meiner Seite, den ich nicht sterben sehen will? Wegen dem Sold, den mir mein Kommandeur bezahlt? Wegen höherer moralischer Werte? Oder tue ich es, weil ich den Kampf mehr als alles andere liebe?
Vielleicht sind alle diese Antworten richtig, vielleicht auch nicht. Der wichtigste Grund ist wohl: Weil ich es kann. Weil ich dafür ausgebildet wurde. Deshalb kann ich in der Schlacht töten, deshalb kann ich dienen.

Ich bin der Krieger. Ich bin erbarmungslos auf dem Schlachtfeld. Ich gewähre Gnade nicht und ich suche sie nicht. Wenn ich töte, töte ich. Wenn ich sterbe, sterbe ich. Ich habe dieses Leben gewählt, dieses Schicksal gewählt, und ich danke für jeden Tag an dem ich nicht kämpfen muss ebenso, wie ich für jeden Tag danke, an dem ich kämpfen darf. Ich sehe Kameraden kommen und gehen, ich sehe Schlachten kommen und gehen. Ich sehe Menschen, die ich beschützen muss, die wir mit Zivilisten umschreiben, die sich nie dazu entschlossen haben, so wie ich Krieger zu werden. Sie sind keine Waffen. Ich bin die Waffe.

Ich bin der Krieger. Auf dem Schlachtfeld töte ich. Auf dem Schlachtfeld habe ich nur Freunde und Feinde. Ich messe meine Kunst mit der meiner Gegner, und wenn ich triumphiere, töte ich. Wenn der Gegner triumphiert, tötet er mich. Das ist mein Schicksal. Das ist mein Weg. Eines Tages, wenn ich alt und müde geworden bin, lege ich mein Schwert beiseite und verlasse das Schlachtfeld, in der Hoffnung, es nie wieder betreten zu müssen. Und ich tue es in Dankbarkeit, weil ich nie vergessen habe, dass ich eine Waffe bin, die geführt wird. Doch ich bin nicht einfach nur ein Werkzeug. Ich bin ein Mensch, der ausgebildet wurde, um diese Waffe zu sein. Ich entscheide, ob und wann ich scharf oder stumpf bin, wen ich schneide und wen nicht. Ich weiß, dass ich meine Verantwortung, meine Moral und mein Gewissen fortwerfen kann. Und ich weiß, dass es niemanden gibt, der mir diese Dinge wiedergeben kann, außer mir selbst. Um eines Tages das Schlachtfeld verlassen zu können, brauche ich aber diese drei Dinge. Also behüte und pflege ich sie, denn ich bin eine Waffe, kein toller Hund.

Ich bin der Krieger. Ich habe in der Schlacht getötet. Ich habe in den Zeiten ohne Schlachten gedient, auch hier mein Bestes gegeben, aus dem geboren, wie ich geschmiedet wurde, wie ich gebraucht wurde. Ich bin immer das, was ich zulasse, immer das was ich anzunehmen bereit bin.
Nach der Schlacht töte ich nicht mehr. Nach der Schlacht wandere ich das Schlachtfeld, und suche Kameraden, feindliche und eigene, und tue was immer ich für sie tun kann. Ihre Kunst verlangt Respekt, ihr Können Wohlwollen. Auch wenn ich sie besiegt habe, so war ich es, der für sie das Wichtigste in ihrem Leben wurde. Also helfe ich, also diene ich.

Ich bin der Krieger. Auf dem Schlachtfeld sehe ich viele Gesichter, Freunde wie Feinde. Ich helfe, so wie ich geschmiedet worden bin, so wie man es mich gelehrt hat.
Aber nicht alle Krieger sind wie ich. Viele wissen nicht, was ein "nach dem Kampf" bedeutet. Viele sind voller Hass und Zorn, Dingen die in einem Krieger nichts zu suchen haben. Dinge, die ihn verderben, die ihn aufhören lassen ein Mensch zu sein. Ich wende mich von ihnen ab, denn nach der Schlacht ist mein Leben kostbar. Kostbarer als der Versuch zu helfen, der mich in den Tod reißen könnte. Dann kann ich nicht mehr dienen. Solange ich aber die Klinge bin, werde ich gebraucht.

Ich bin der Krieger. Ich bin ein Mensch, der geformt wurde, dem gelehrt wurde. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Meine Knochen brechen, mein Fleisch reißt. Mein Blut tritt aus, meine Tränen fließen. Mein Verstand ist fragil und kann zerbrechen. Ich bin ein Mensch. Und dennoch wage ich mich in die Gefahr, gehe auf das Schlachtfeld. So habe ich mich entschieden. Dies ist mein Weg. Wann immer ich zur Schlacht gerufen werde, wage ich mein Leben. Wann immer die Schlacht vorbei ist, helfe ich den Kameraden, feindlichen wie eigenen. Denn mein Können stellt mich über Hass, Unverstand, Misstrauen und Missgunst. Mein Können lässt mich weiter sehen als den normalen Menschen. Es gibt Krieg in unserer Welt, es gibt Gewissenlosigkeit in dieser Welt. Es gibt Neid, Hass und Gewalt. Deshalb wurde ich zur Klinge, stelle mich dem entgegen. Eine Welt ohne diese Dinge wird es nicht geben, deshalb werden Klingen wie ich gebraucht. Und wenn ich auf dem Schlachtfeld nicht zerbreche, dann wird eines Tages eine andere Klinge meinen Platz einnehmen, und ich werde abseits des Schlachtfeldes mein Leben leben.

Ich bin der Krieger. Ich bin ein Diener. Ich weiß was ich kann, ich weiß wann ich es kann, und ich weiß was mir möglich ist, und was nicht. Ich kann nicht alles verhindern, nicht alle retten, und nicht jedem beistehen. Dafür erhalte ich keinen Sold. Doch ich vergesse nie, dass auch ich ein Mensch bin. Und wenn ich jetzt nicht handeln kann, werde ich später handeln. Weil ich es kann.

Wir, die Krieger, tragen große Macht in uns. Wir tragen große Verantwortung in uns. Wir sind weniger als die Menschen, die wir Zivilisten nennen, aber wir sind auch mehr als sie. Jeden einzelnen Tag zwingt uns unsere Macht und zwingt uns unsere Verantwortung, unseren Weg neu zu erkennen und zu beschreiten. Wir wanken auf diesem Weg, kommen von ihm ab und straucheln, verfehlen ihn oder verlaufen uns. Aber wir wissen, dass der Weg da ist, wir wollen auf ihn zurück, uns ihm anvertrauen, ihn beschreiten. Den Weg des Kriegers."

Hauptmann Miko Tsuno schloss das Buch, nahm es an sich und trat vom Pult zurück.
Der Herzog nickte ihr zu und sah dann Imara an. "Ehren Sie unsere gefallenen Kameraden, Oberst Imara."
"Zu Befehl, Mylord. Regiment stillgestanden!"
Fast achthundert Beinpaare traten auf den asphaltierten Boden. Manch einer im Rollstuhl stampfte zumindest im Rhythmus seiner Kameraden mit einem Stiefel auf dem Boden auf.
"Salutiert!"
Die Arme flogen an die Stirn, und den Toten wurde der gebührende Respekt erbracht.
"Unseren Gefallenen zu Ehren: Salut!"
Marcus van Roose, der die Ehrenwache kommandierte, salutierte vor der Tribüne. "Ehrenwache, nehmt auf! Legt an! Feuer!" Sechsmal wiederholte van Roose den Feuerbefehl, und sieben Schüsse peitschten in den Taghimmel von Wayside V.
Vier Luft/Raumjäger zogen in Keilformation über das Kasernengelände hinweg, jeweils einer in den Farben der Eagles, der Miliz, der Husaren und der Chevaliers. Die Position an der Spitze des Keils blieb leer, um die Gefallenen zu symbolisieren.
Ein einzelner Soldat der Angry Eagles trat mit Trompete vor und spielte das altehrwürdige Summon the Heroes.
Als das Lied beendet war, ließ Imara wieder rühren. Die Särge wurden von den Ehrenformationen von den Fahnen befreit. Die Flaggen wurden eingefaltet und als Kissen auf die Särge gelegt. Wenn die Toten Angehörige hatten, würden diese die Flaggen später erhalten. Über ein Drittel würde mit den Soldaten in die Gräber gleiten.
Schließlich wurden die Toten in den vorbereiteten Gräbern versenkt, während der Trompeter Amazing Grace spielte.

Anschließend befahl Imara alle Soldaten ins Rührt Euch und ließ die Teileinheitsführer übernehmen. Traditionell folgte auf die Bestattung der Toten ein Leichenschmaus, und die kombinierten Feldküchen aller Einheiten hatten sich ins Zeug gelegt, um ihr Bestes zu geben.
Diesem inoffiziellen Teil würden auch die Kommandeure beiwohnen.

"Captain Fokker!", rief Germaine über den Friedhof hinweg.
Die blonde Pilotin wandte sich ihm zu. "Sir?"
"Ihre Prüfung ist in zwei Stunden ab jetzt angesetzt. Finden Sie sich dann im Besprechungsraum des Miliz-Stabs ein. Sie haben also noch Zeit mit Ihren Leuten."
"Verstanden, Sir." Die Mechkriegerin salutierte vor Danton, dann wandte sie sich wieder ihren Leuten zu.
"Das ging relativ gut" sagte Mikado. "Besser als erwartet."
"Hoffen wir, dass wir damit mit dem Thema durch sind, und dass wir tatsächlich zusammenwachsen werden", erwiderte Germaine.
"War das ein ja auf mein Angebot?", stichelte der Herzog.
"Graf klingt ziemlich gut, Mylord", erwiderte Danton grinsend.
"Reden wir bei einem Kaffee drüber", lachte Mikado und führte die Offiziere zu den bereit gestellten Großzelt, während die Teileinheitsführer ihre Soldaten entließen, damit sie ebenfalls zum Buffet gehen konnten.
Thorsten Kerensky
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
07. August 3066, 13:37 Uhr

Ihre Eltern wären bestimmt stolz auf sie gewesen. Wie jedes Mal, wenn Jara daran erinnert wurde, dass sie keine Familie, keine Heimat mehr hatte, zu der sie zurückkehren konnte, durchzuckte sie ein seelischer Schmerz, ein Gefühl des Verlustes.
Die Chevaliers waren nun die einzige Heimat, die sie kannte und momentan haderte sie ziemlich mit der Truppe und den aktuellen Veränderungen. So viel war in den letzten zwei Jahren passiert. Die Truppe hatte sich radikal verändert und es ging immer noch weiter. Sie sah in den Spiegel und versuchte das Bild mit der Frau zu vergleichen, die vor zwei Jahren hier angeheuert hatte.
Sie hatte sich verändert. Sie war sportlicher geworden, ein wenig schlanker, erwachsener. Das Jugendliche war aus ihrem Blick gewichen und hatte einer Abgeklärtheit Platz gemacht, die sie manchmal selbst erschreckte. Die Paradeuniform, einst ein wenig eng, saß ihr nun wie angegossen und die Metallpins auf ihrer Schulter bezeugten den stetigen Sturz die Karriereleiter hinauf. Orden, Abzeichen, Kampagnenbänder und ähnlichen Schnickschnack verliehen Söldner nur sehr selten und Jara weigerte sich auch beharrlich, die wenigen Auszeichnungen zur Schau zu stellen. Lediglich einen Offizierssäbel hätte sie sich vorstellen können, aber sie war bislang nicht dazu gekommen, einen zu kaufen.
Aber auch innerlich war sie nicht mehr die Alte. Als sie bei den Chevaliers aufgetaucht war, war sie lebensfroh und aufgeschlossen gewesen, ein wenig undiszipliniert und vor allem für jeden Spaß zu haben. Jetzt trug sie mehr Verantwortung auf ihren Schultern, als sie je gewollt hatte und ging in ihrer Rolle als Offizier auf. „Schinder-Jara“ wurde sie hinter ihrem Rücken genannt, weil sie ihre Kompanie bis zum Äußersten antrieb. Natürlich bemühte sie sich, weiterhin für jeden ein offenes Ohr zu haben, aber aus der naiven, verspielten jungen Frau war eine abgebrühte, resolute und pragmatische Führerin geworden.
Wenn sie heute ihre Offiziersprüfung bestehen konnte, dann würde auch auf dem Papier bestätigt werden, was im Alltag längst Tatsache war. Und vermutlich würden dann auch die letzten Pin-Up-Bilder von ihr aus den Spinden der chaotischen Panzer-Besatzungen verschwinden.
Jara prüfte noch einmal den Sitz ihrer Frisur. Sie trug ihr Haar heute nicht zum praktischen Zopf geflochten, sondern hatte es mühevoll hochgesteckt. Sowohl die toten Kameraden, denen gleich die Ehre erwiesen werden würde, wie auch die Prüfer hatten mehr Stil verdient, als sie im Tagesdienst für nötig hielt.
Zufrieden mit ihrem Auftreten und ihrer Uniform schnappte sie sich ihre Schirmmütze und machte sich auf den Weg zum Exerzierplatz. Lieutenant Holler würde hoffentlich schon mit ihrer Kompanie dort auf sie warten. Heute musste er zum ersten Mal zeigen, dass er den Dienstplan auch ohne ihre Anwesenheit erfüllen konnte, denn sie hatte sich den Luxus gegönnt, auszuschlafen und danach noch einmal für ihre Prüfung zu lernen.
Ein Fehler, wie sie sofort bemerkte, als sie auf den sonnengefluteten Betonplatz trat und dabei ziemlich genau vor ihrer Kompanie auftauchte, die als loser Haufen zum Antreten schlenderte. Die Soldaten waren dabei in Gespräche vertieft und bemerkten sie nicht einmal.
Nun, das ließ sich ändern. „AAACHTUNG!“ Jaras Kommando peitschte wie ein Pistolenschuss über den Platz und sorgte nicht nur dafür, dass ihre Kompanie schlagartig in Hab-Acht-Stellung verharrte, sondern auch, dass einige andere bereits anwesenden Soldaten neugierig hinübersahen.
„Zwote Kompanie: Antreten!“, blaffte sie und verzog das Gesicht, als die Männer und Frauen hektisch versuchten, Formation einzunehmen.
„Ja, scheiße, was ist das denn? Jetzt sehen Sie sich mal an, wie Sie stehen! Himmel, hat Ihnen niemand beigebracht, wie man antritt?“
Sie schaffte es, gleichzeitig zu registrieren, wie Scham, Unsicherheit und Wut durch ihre Kompanie gingen und ihren Sergeants und ihrem Stellvertreter eine Mischung aus Enttäuschung und Zurechtweisung zu übermitteln. Und das mit nur einem Blick.
„Das machen wir jetzt nochmal und zwar richtig. So kann ich mit Ihnen doch nicht für die gefallenen Kameraden treten. Ganz davon abgesehen, dass Captain Brenstein mich auslacht, wenn er so etwas sieht.“
Jara nahm sich den Moment, um ihre Worte sacken zu lassen und setzte sich derweil in aller äußerlichen Ruhe ihre Schirmmütze auf.
„Zwote Kompanie: Antreten fünfhundert Meter in Richtung Mechhangar! Marsch Marsch!“
Im lockeren Trab machten sich die Mechkrieger auf den Weg, ein Stück weg von den neugierigen Soldaten. Jara schnaubte: „Das heißt Laufschritt!“
Gemütlich schlenderte sie hinter ihrer Kompanie her und beobachtete dabei, wie die elf Männer und Frauen erneut versuchten, Ordnung in die Aufstellung zu bringen. Vergeblich. Als sie die Formation erreicht hatte, sah das Ergebnis immer noch bescheiden aus.
„Na klasse“, kommentierte sie. „Ich werde das wohl mit auf den Dienstplan bringen müssen.“ Sie wusste, dass die Kompanie sie innerlich verfluchte, aber damit würden alle leben können. Formaldienst war die unterste Stufe von blindem Vertrauen und Zusammenarbeit. Wenn das nicht lief, lief auch alles andere nicht. Und wenn der gemeinsame Hass auf den Captain die Menschen zusammenschweißte, war schon viel gewonnen.
„Asmussen, weiter nach hinten! Bräuning, beim Antreten nehmen wir Haltung an. Sie sind Soldat, keine Gurke! Ferrow, schließen Sie die Lücke zu Yamada! Voronin, wischen Sie ihre Schuhe ab! Torres… ja, genau, so sieht das schon besser aus.“
Sie begutachtete die Wirkung ihrer Korrekturen und seufzte gut hörbar: „Naja, mehr ist jetzt vermutlich nicht drin. Wir werden jetzt geschlossen zum Antreten verlegen. In Formation, wie es sich gehört. Und jeder gibt sich jetzt mal Mühe und erinnert sich an das, was er mal gelernt hat. Die Trauerfeier wird etwa eine Stunde dauern. In der Zeit erwarte ich von jedem hier ein Höchstmaß an Disziplin. Ich verbiete Ihnen allen, umzufallen, aus der Formation zu treten oder scheiße auszusehen. Sie bleiben nach Ende der Zeremonie stehen, bis ich Ihnen etwas anderes befehle, klar soweit?“
„Ja, Ma’am!“, gellte die Antwort auf.
„Na wunderbar. Dann kann es ja losgehen. Zwote Kompanie: Rechts um! Im Gleichschritt Marsch!“
Jara ließ die Truppe einige Meter laufen, ehe sie dann doch anzählte: „Links. Zwo. Drei. Vier.“ Ein wenig entwürdigend, aber das würde beim nächsten Mal auch nicht mehr vorkommen, versprach sie sich. Vielleicht sollte sie mal mit dem neuen Spieß reden, ob er ihre Truppe im Formaldienst schleifen konnte.

Die Zeremonie dauerte tatsächlich eine ermüdende Stunde. Jara hätte die Veranstaltung kürzer gehalten, denn am Ende waren nicht wenige Soldaten aus der Formation ausgetreten, weil sie sich überschätzt hatten oder noch nicht wieder fit genug gewesen waren. Den übrigen war die Erschöpfung teilweise deutlich anzumerken. Wenigstens hatte ihre Drohung gefruchtet und aus ihrer Kompanie hatte es niemanden erwischt.
Die Andacht selber war reichlich mittelmäßig gewesen. Es hatte keinen Redner aus den Reihen der Chevaliers gegeben. Sie war sicher nicht die einzige gewesen, die sich ein paar Worte von O’Hierlihy oder Danton gewünscht hätte. Die Priester der Miliz und der Husaren hatten sich alle Mühe gegeben, das musste man ihnen zugestehen. Wirklich ergriffen hatten die Worte Jara aber nicht und sie hatte die Zeit dazu genutzt, zu überlegen, ob die Kaplanin der ehemaligen Husaren sich nun mit dem Geistlichen der Chevaliers ins Gehege kommen würde oder nicht.
Miko Tsuno, die von den Eagles, hatte danach eine seltsame Rede über Töten und Getötet Werden gehalten, die bei Jara ein mildes Lächeln ausgelöst hätte, wäre der Anlass ein anderer gewesen. Ganz persönlich fand sie die Litanei wenig motivierend oder überhaupt aussagekräftig, aber einige andere wirkten reichlich ergriffen.
Als die Ehrenformation Salut schoss und der Trompeter zum Abschluss Amazing Grace spielte, kam auch sie nicht mehr umhin, die Gesichter und Namen der gefallenen Kameraden an ihrem inneren Auge vorbeiziehen zu sehen. Man musste dem Musiker hoch anrechnen, dass er dem Lied, das normalerweise nur auf einem Dudelsack wirklich etwas hermachte, eine sehr intime Note verlieh.
Unterm Strich, fand sie, war das Bedrückende, dass bei der nächsten Trauerfeier vielleicht eine Handvoll von ihren Jungs und Mädels dort aufgebahrt sein könnten. Und dass sie dann die Briefe würde schreiben müssen. Den Eltern, Ehepartnern oder Kindern erklären, warum ein geliebter Mensch nicht mehr zurückkehren würde.
Nachdem Imara die Veranstaltung mit der Übergabe an die Einheitsführer beendet hatte, gellte eine vertraute Stimme über den Platz und drang an ihr Ohr. „Captain Fokker!“
Sie drehte sich in Richtung des rufenden Dantons um und straffte sich: „Sir?“
„Ihre Prüfung ist in zwei Stunden ab jetzt angesetzt. Finden Sie sich dann im Besprechungsraum des Miliz-Stabes ein! Sie haben also noch Zeit mit Ihren Leuten!“
Jara verkniff sich ein Grinsen, als sie sich die gequälten Gesichtsausdrücke ihrer Kompanie ausmalte, die sich leider hinter ihrem Rücken nicht sehen konnte. Sie beließ es bei einem „Verstanden, Sir“ und drehte sich zu den Männern und Frauen der „Zwoten“ um.
„So, jetzt mal kurz alle zuhören: Es gibt ein Büffet für alle Soldaten und ich bin nicht Unmensch genug, um ihnen das zu verderben. Über das Desaster heute werden wir dann morgen Früh nach dem Sport reden. Lieutenant Holler, Sie übernehmen für den Rest des Tages wieder das Kommando! Und sorgen Sie dafür, dass ich diesmal keinen Grund zur Beschwerde habe. Gehen Sie jetzt alle in Ruhe essen, nutzen Sie die Zeit, um in sich zu gehen und danach möchte ich, dass Sie Ihre persönliche Ausrüstung und ihre Unterkünfte in Ordnung bringen. Der Rest des Dienstplans für heute entfällt im Gegenzug. Ich werde mir dann heute Abend anschauen, was Ordnung für Sie bedeutet. Noch Fragen?“
Jara wartete einen Augenblick und musterte Gesichter, aus denen mittlerweile der erste Zorn und Hass gewichen war und die nun größten Teils von Reue geprägt waren. Wundervoll.
„Gut, dann ist das ja geklärt. Holler, Sie übernehmen!“
Sie salutierte kurz und wartete nicht länger ab, was ihr Stellvertreter tun würde. Er hatte nun eine zweite Chance, ohne ihre Aufsicht etwas Positives zu leisten. Erst wenn er wieder scheiterte würde sie beginnen, die Dinge selbst zu überwachen. Auf lange Sicht musste sie sowieso lernen zu delegieren.
Sie betrat das große Zelt und steuerte auf das reichhaltige Essen zu, als sie dem neuen Spieß über den Weg lief. „Master Sergeant, haben Sie einen Moment?“
Shepard wirkte nicht besonders erfreut, sie zu sehen, zögerte einen Moment und nahm dann Haltung an. „Natürlich, Captain Fokker.“ Die Art und Weise, wie er ihren Dienstgrad betonte, sorgte bei Jara für Misstrauen und sie hatte das Gefühl, dass der Unteroffizier einer von denen war, die zuerst auf ihr Alter und dann auf ihre Erfolge sahen. Das konnte noch heiter werden.
„Ich hätte da eine Bitte an Sie. Meinen Sie, es wäre möglich, dass Sie meiner Kompanie die Grundlagen des Formaldienstes beibringen? Ich bin mir sicher, ihr Kompaniechef stellt Sie gerne für so eine Aufgabe frei…“

Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
07. August 3066, 17:04 Uhr

„Melden Sie Ihrem Kommandeur und ignorieren Sie mich. Ich bin so gut wie gar nicht hier.“
Jara, die eigentlich vor dem Herzog salutieren wollte, drehte sich nach diesen Worten zu Germaine um und richtete den militärischen Gruß an ihn: „Colonel Danton! Captain Fokker meldet sich wie befohlen!“
„Danke Captain.“ Der Regimentskommandeur deutete auf den freien Stuhl, der der Kommission gegenüber stand. „Setzen Sie sich!“
Jara nahm Platz und legte die Schirmmütze ordentlich vor sich auf dem Tisch ab. Kurz warf sie einen Blick in die Runde, ehe sie Danton fest ansah. Neben ihm und Mikado waren Juliette Harris und Metellus im Raum. Außerdem Corporal Jensen. Mehr nicht.
Germaine räusperte sich: „Wir sind heute hier, um Captain Jara Fokker in ihrer Befähigung zum Offizier zu prüfen und ihr gegebenenfalls ein Offizierspatent auszustellen. Die Prüfungskommission besteht aus Captain Juliette Harris, Captain Decius Cecilius Metellus und Colonel Germaine Danton. Herzog Mamoru Mikado sitzt der Kommission bei und hat das Recht, eigene Fragen zu stellen. Corporal Jan Jensen führt das Protokoll.
Beginnen wir zunächst mit den Formalitäten.
Captain Fokker, Sie sind am 13.12.3045 geboren und zum jetzigen Zeitpunkt zwanzig Jahre alt, ist das korrekt?“
„Das ist richtig, Sir.“
„Sie sind im Alter von sechszehn Jahren in den aktiven Dienst eingetreten und dienen seit zwei Jahren bei den Dantons Chevaliers. Sie haben gegen die Clans gekämpft, waren zeitweise in Gefangenschaft von Clan Wolf, wo Sie sich das Recht erkämpft haben, einen Mech ins Gefecht zu führen. Bei den Chevaliers haben Sie erst einen Flügel, dann die Scoutlanze und zuletzt die Kampflanze kommandiert. Jetzt haben Sie das Kommando über die zwote Kompanie. Ist das korrekt und vollständig?“
„Ja, Sir.“
Germaine lächelte ihr aufmunternd zu und lehnte sich dann zurück: „Dann können wir ja anfangen. Wir haben Ihre Leistungen im Feld ja in unzähligen Gefechts-ROMs begutachten können und wir sind der Ansicht, dass an Ihren soldatischen Fähigkeiten keine Kritik zu üben ist. Wir prüfen hier also hauptsächlich Theorie. Captain Harris wird Sie zu Fragen der Verwaltung, Stabsarbeit und ähnlichen Themen befragen. Captain Metellus wird Ihnen Fragen zu Strategie und Taktik stellen und ich prüfe Sie auf dem Gebiet der Menschenführung. Sind Sie bereit, die Prüfung abzulegen, Captain Fokker?“
Jara brauchte nicht zu überlegen, sondern antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Auf jeden Fall, Sir!“
Daraufhin begann Juliette Harris ihre Fragen. Jaras Nervosität verflog nach den ersten Antworten, als sie merkte, dass der Stabschefin wenig daran gelegen war, sie wirklich zu prüfen. Die meisten „Papierkram-Fragen“ gingen ihr sowieso leicht von der Hand, denn Danton hatte sie lange genug die Akten machen lassen. Somit war der erste Teil reine Formsache.
Etwas kniffliger wurde es bei Metellus Taktik-Fragen. Allerdings war der Marianer fair genug, sich hauptsächlich auf die Dinge zu konzentrieren, die sie in seinem Unterricht besprochen hatten. Auf diesen Teil hatte sie sich auch am besten vorbereiten können.
Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, war auch ihr zweiter Prüfer zufrieden und Germaine ergriff wieder das Wort:
„Captain, wir haben jetzt gehört, dass Sie die Grundlagen von Verwaltung, Organisation, Logistik, Strategie und Taktik beherrschen. Das alles ist sehr löblich, aber ein Offizier ist immer nur so gut, wie die Menschen, die er führt. Sie haben nun einige Zeit selber Kommandoerfahrung sammeln können. Spätestens seit ihrer Zeit als Lanzenführerin der Kampflanze heißt es in der Einheit, sie seien eine, ich zitiere, ‚Schinderin‘. Sehen Sie das ähnlich?“
Jara war erstaunt von der Direktheit der Frage. Hier ging es nicht um Lehrbuchwissen, sondern um sie. Das hatte sie nicht lernen können. Sie entschloss sich, ehrlich zu antworten.
„Ich habe meine Soldaten immer in der Überzeugung geführt, das Richtige zu tun. Es mag durchaus sein, dass meine Dienstpläne und Übungsvorgaben hart erscheinen im Vergleich zu anderen Teileinheiten. Aber ich denke auch, dass die Ergebnisse für sich sprechen. Ich war mit der Kampflanze nicht nur in jedem internen Wettstreit erfolgreich, sondern glaube auch, dass unser gutes Abschneiden in den Gefechten und nicht zuletzt das Überleben meiner Leute in direktem Zusammenhang mit dieser… Schinderei stehen. Wenn ich die Soldaten jetzt hart üben lasse, dann überstehen sie später die gefährlichen Situationen besser.“
Sie sah, wie es hinter Germaines Augen arbeitete. Trotzdem traf sie sein nächster Satz hart und unvorbereitet: „Und trotzdem konnten Sie Corporal Swoboda nicht retten und liegt Sergeant Stein im Krankenhaus.“
„Mit Verlaub, Sir, das ist unfair!“, protestierte sie.
„Ich stelle nur fest“, entgegnete Danton, „dass trotz Ihres Trainingsplans in Ihrer Lanze Ausfälle vorkamen.“
Jara wollte aufspringen, zwang sich aber zum Sitzen bleiben. Danton hatte Recht. Sie hatte Snob verloren und Steel beinahe auch. Das zehrte immer noch an ihr und sie gab sich immer noch die Schuld dafür. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, aber sie bemühte sich, ruhig zu antworten: „Ich glaube, Sir, dass ich die beiden Soldaten nicht hätte retten können. Sie wissen ganz genau, wie heftig die Kämpfe waren und wo meine Lanze gestanden hat. Ich konnte Snob und Steel nicht retten und ich bin mir sicher, dass hätte kein anderer Kommandeur an meiner Stelle geschafft. Aber ich bin davon überzeugt, dass eine Lanze schlecht trainierter Soldaten deutlich schlimmer zusammengeschossen wäre. Dann hätten die Chevaliers nicht einen, sondern vier Tote zu melden.“
Metellus und Harris tauschten Blicke aus, die Jara nicht richtig deuten konnte, Danton schien auf eine seltsame Art und Weise zufrieden und der Herzog hatte ein undurchschaubares Lächeln aufgesetzt.
Germaine brach die sich ausbreitende Stille: „Wie wollen Sie vermeiden, dass es in Ihrer Kompanie zu Verlusten kommt?“
„Sir?“
„Wir wissen ja schon, dass Sie auf ein radikales Training setzen. Glauben Sie, das reicht, Captain?“
Jara beruhigte sich etwas und wähnte sich in sichererem Fahrwasser. „Nein. Ich glaube, Training alleine ist nicht alles. Ich versuche, aus meiner Kompanie eine Einheit zu formen. Die meisten Soldaten sind noch jung, unerfahren und in meinen Augen nicht ausreichend ausgebildet. Ich kann versuchen, die Ausbildungslücken zu schließen, aber ich arbeite auch daraufhin, dass die Leute sich als Team begreifen. Dass sie sich gegenseitig unterstützen und dass sie aufeinander achten. Ich weiß, dass auch das keine Garantie ist. Letztlich kann man Verluste nicht komplett vermeiden. Wir sind alle Soldaten und wir kennen das Risiko. Aber ich glaube, ich bin es den mir anvertrauten Männern und Frauen schuldig, dass ich sie bestmöglich vorbereite und so viele wie möglich von ihnen durchbringe. Dazu erwarte ich von meiner Kompanie das gleiche Maß an Einsatz und Bemühen, dass ich auch gebe.“
„Sie reden von jungen Kameraden, Captain, sind selber erst zwanzig Jahre jung. Wie schaffen Sie es, sich gegenüber einer Kompanie durchzusetzen?“
Jara konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Das ist eigentlich ganz einfach. Ich lasse den Soldaten keine Zeit, darüber nachzudenken, gehe bei Allem voran und erwerbe mir dadurch Respekt. Ansonsten bemühe ich mich, jeden Soldaten individuell zu fordern und zu fördern. Menschen wachsen an Herausforderungen und ich möchte jeden so gut wie möglich wachsen lassen. Das betrifft vor allem die Lanzenführer, aber natürlich auf jeden anderen.“
Danton, der offensichtlich genug gehört hatte, stellte noch ein paar Lehrbuchfragen, die Jara mit Leichtigkeit beantwortete und nickte dann schließlich.
„Captain Harris, halten Sie Captain Fokker für geeignet?“
„Von meinem Standpunkt aus gibt es keine Einwände, Sir.“
„Captain Metellus, wie sieht es bei Ihnen aus?“
„Ich habe keine Bedenken.“
„Und ich auch nicht. Captain Fokker, ich kann dann…“
„Einen Moment!“ Mikado, der bis dahin schweigend der Prüfung gefolgt war, beugte sich vor. „Ich hätte noch eine abschließende Frage an ihre Kompaniechefin, Colonel Danton.“
„Bitte, Mylord, das ist Ihr gutes Recht.“
„Danke.“ Der Herzog wandte sich Jara zu und musterte sie mit einem absolut regungslosen Pokerface. „Captain Fokker… Bei der Verteidigung von Wayside V hat Ihre Lanze zweifellos mutig, effizient und bis zum Äußersten gekämpft und Ihre Tapferkeit steht außer Frage. Ich habe mir ein Bild von Ihnen machen können und nach allem, was ich gehört und gesehen habe, erscheinen Sie mir wie eine Frau, die jetzt schon viel erreicht hat und die auch noch sehr viel ungenutztes Potential hat. Nur eines erschließt sich mir nicht ganz.“
„Mylord?!“
„Captain Fokker, während der Kämpfe am Raumhafen haben Sie einen eindeutigen und unmissverständlichen Rückzugsbefehl Ihres kommandierenden Offiziers auch nach wiederholter Aufforderung nicht befolgt. In anderen Truppen hätten Sie für so eine Aktion vor ein Kriegsgericht oder zumindest ein Truppendienstgericht gestellt werden können. Mich würde jetzt interessieren, wie Sie dazu rückblickend stehen und ob Sie das einem Offizier für angemessen halten.“
Jara schluckte. Sie hätte mit dieser Frage rechnen können. Hatte sie aber nicht und jetzt war sie unvorbereitet. Sie widerstand dem Impuls, hilfesuchend zu den drei Chevaliers zu schauen und zwang sich zu einer Antwort.
„Also… ähm… rückblickend kann ich sagen, dass… also die Sache war die: Ein Mitglied meiner Lanze war abgeschossen worden. Nach meinem Eindruck war Sergeant Stein verletzt und musste geborgen werden. Zu diesem Zeitpunkt war die improvisierte Lanze von Sergeant Ferrow herangerückt und Sergeant Rowan Geisterbär war mit einem APC in der Nähe der Unglücksstelle. Die Gelegenheit erschien mir günstig. Außerdem tauchten zwei unserer Assault-Mechs in der Nähe auf. Ich musste abwägen, ob hier der Befehl oder das Leben eines Kameraden Vorrang hatte. Das mag unangemessen gewesen sein, aber es hat ein Leben gerettet.“
„Wussten Sie zum Zeitpunkt Ihrer Entscheidung, dass die beiden Assault-Mechs anrückten?“
„Nein, Mylord. Aber auch ohne die Unterstützung war der Moment günstig.“
„Wussten Sie, dass Sergeant Stein noch lebte und wie schwer er verletzt war?“
„Nein, Mylord.“
„Waren Sie in den Plan der übergeordneten Führung eingeweiht und hatten Sie eine umfassende Übersicht über die Gesamtlage?“
„Nein, die hatte ich nicht.“
„Ihnen ist vermutlich bewusst, dass eine derartige Aktion auch schnell viel mehr Leben gefährden als retten kann, Captain. Ich frage Sie also erneut: Halten Sie ihre Aktion für richtig und angemessen?“
Trotz machte sich in Jara breit. Da hatte sie sich durch drei Frage-Runden geboxt, um auf den letzten Metern von einem Adligen aufgehalten zu werden, der vermutlich selber mehr als einmal auf eigene Faust gehandelt hatte? Irgendwo war es ihr auch egal. Sie war nicht bereit, ihre Überzeugungen zu verkaufen.
„Mylord, ich bin mir sicher, dass mein Handeln nicht zu Unrecht getadelt wurde. Es gibt Befehlsketten nicht ohne Grund. In dieser Situation hatte ich aber einen viel direkteren Bezug zur Lage vor Ort. Ich denke auch, dass Colonel Danton keine Offiziere will, die nur stumpfen Kadavergehorsam beherrschen. Ich habe hier eine Entscheidung getroffen, die ich jederzeit wieder treffen würde. Wenn ich die Chance habe, ein Leben zu retten, dass mir anvertraut wurde, dann bin ich den Versuch schuldig. Ich glaube, dass man als Offizier vielleicht nicht das Recht, aber zumindest die Pflicht hat, so zu entscheiden.“
Sie rechnete damit, dass Mikado sie tadeln würde. Dass Danton sie tadeln würde. Dass irgendjemand ihr erklärte, dass es das nun gewesen sei, dass sie es verbockt hatte.
Aber zu ihrem großen Erstaunen lehnte sich der Herzog wieder zurück und nickte Germaine zu: „Colonel, Sie haben da einen der wenigen Menschen gefunden, der seinen Kopf und sein Herz behalten hat. Wenn Sie von Ihrer Jagd zurück sind, sollten wir über die Ablösesumme verhandeln.“
„Es tut mir Leid, Mylord. Captain Fokker hat einen Fünf-Jahres-Vertrag und ist momentan unverkäuflich.“ Er zwinkerte Jara zu. „Haben Sie noch eine Frage an den Captain, Mylord?“
„Nein. Ich denke, der Captain hat sich sein Patent eigentlich schon lange vor dieser Prüfung verdient. Meinen Segen hat sie.“
„Dann wäre das wohl geklärt. Captain Jara Fokker, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie hiermit ihre Qualifikation zum Offizier erfolgreich nachgewiesen haben.“
Jara atmete hörbar auf: „Danke, Sir. Heißt das, ich kann die ganzen Bücher wieder zurückgeben?“
Germaine lachte: „Darüber reden wir noch, Captain.“
Taras Amaris
Zentralkrankenhaus
Parkensen City
Wayside IV

13. August 3066 14:30 Uhr

Ich warne dich, Schwester. Wenn du auch nur noch ein kleines Stück näher kommst, zerreisse ich dich in der Luft!“
Jack lag in dem mit schneeweißen Laken bezogenen Krankenhausbett, die Lieder halb geschlossen und die Decke bis über den Brustkorb gezogen. Der kleine Raum wurde nur von dem durch eine Jalousie abgedunkelten Fenster erleuchtet, was ihm das Aussehen eines schlafenden Ungetüms verlieh. Und er wusste diesen Eindruck zu nutzen.
Die junge Medtech erstarrte mitten in der Bewegung mit aufgerissenen Augen, die aufgezogene Spritze in der linken Hand.
„Ich meine es verdammt ernst! Kein Scherz! Wenn du mit diesem Ding noch einen Schritt auf mich zu machst, werde ich zur Bestie und schicke dich direkt auf die Intensivstation. Ihr wollt mich hier behalten, obwohl es mir gut geht. Okay. Ihr wollt mich in diesem Bett sehen, obwohl ich es hasse. Okay. Aber wenn ihr weiter versucht diesen Dreck in mich rein zu pumpen, dann müsste ihr damit rechnen, dass der böse, brutale Mann euch wirklich, wirklich weh tut!“
Seine Stimme war wie ein geflüstertes Versprechen und das schien auch die junge Medtech zu realisieren. Dennoch nahm sie Ihren Mut zusammen und antwortete ihm mit fester Stimme.
„Sergeant Ryan, Sie sind mit Abstand der schlimmste Patient, den dieses Krankenhaus jemals behandelt hat. Sie haben es in nur wenigen Tagen geschafft, den Großteil der Ärzte sowie fast alle Medtechs zu traumatisieren und in Angst und Schrecken zu versetzen. Zu Ihrer Information: Wir tun hier nur unsere Arbeit. Sie sind schwer verletzt. Die Schulterwunde, die ein Panzerungssplitter gerissen hat, wurde zwar an Bord der Kobe notdürftig genäht, ist aber durch die Andruckkräfte bei dem Gefechtsabwurf wieder aufgebrochen. Verstehen Sie das? Sie wären fast verblutet! Wir mussten mehrere Konserven Plasma in Sie reinpumpen, um mal Ihre Wortwahl zu nutzen, damit Sie uns nicht verloren gehen. Natürlich sind Sie jetzt stabil, aber der einzige Grund, warum Sie sich gut fühlen, ist die Tatsache, dass Sie liegen und die medikamentöse Behandlung anschlägt.“
Damit schien die junge Frau den vom Chefarzt vorgepredigten und von ihr auswendig gelernten Text aufgesagt zu haben, atmete tief durch und machte sich dann bedächtig wieder auf den Weg zu ihrem Patienten.
Resignierend schnaubte Jack, während die in sterilem Weiß gekleidete Asiatin den Inhalt der Spritze in eine Öffnung der Infusionsflasche entleerte.
Fast ohne Zeitverlust bemerkte der ehemalige Pirat, dass sich ein dumpfer Schleier auf seine Gedanken legte und die Schmerzen, welche in seiner Schulter tobten, in den Hintergrund gerückt wurden. Völlig entspannt lehnte er sich in das weiche Kissen zurück und schloss seine Augen wieder vollständig.
„Sie haben übrigens Besuch. Corporal Steinberger wartet bereits vor der Tür. Soll ich ihn hereinbitten oder möchten Sie sich noch ausruhen?“
Die Worte der jungen Frau ließen Jacks Herz sofort einige Takte schneller schlagen und ihn sich in eine sitzende Position aufrichten.
„Soll das ein Witz sein? Einer der wenigen ansatzweise normalen Menschen auf diesem verdammten Drecksklumpen wartet, um mich zu besuchen und ich soll ihn wegschicken, weil ich weiterschlafe, was ich nebenbei bemerkt seit Tagen fast durchgängig tue? Schwing deinen durchaus netten Hintern zur Tür und öffne dem Mann. Er wird schon sehnlichst erwartet!“
Vergessen waren die schmerzstillenden Medikamente und der Unmut über das durchweg verkommene Personal dieses Krankenhauses. Sein neuer Flügelmann Robert stand vor der Tür und hatte wahrscheinlich die Bestellung an seinen weißgekleideten Bewachern vorbei geschmuggelt.
Der ehemalige lyranische Offizier hatte nach der Gedenkzeremonie und dem anschließenden Leichenschmaus tiefgreifende Gespräche mit ihm geführt, worauf Hasstiraden auf Germain Danton gefolgt waren.
Jack konnte den Unmut des jüngeren Mannes voll und ganz nachvollziehen, auch wenn die Reaktionen ihm unverständlich blieben.
Nachdem sie die Spritze wieder in der Schublade eines nahen Schrankes verstaut hatte drehte sich die Medtech mit einem bösen Seitenblick um und öffnete betont langsam die Tür zu seinem Zimmer.
„Er ist wach und bei bester Laune, Corporal Steinberger. Gehen Sie rein, er erwartete Sie.“
Die hastigen Worte machten jedem Zuhörer klar, dass die Medtech froh war aus Jacks Nähe entschwinden zu können.
„Danke, Medtech.“
Ein schmunzelnder Robert Steinberger betrat den Raum und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
„Verdammt, Jack. Du hast die hübschesten Medtechs des ganzen Krankenhauses hier. Wegen deiner Aktion am Wasserloch feiert man deinen Namen, wie den eines Volkshelden, aber anstatt das zu verbinden und eine von denen ins Bett zu ziehen, verscheuchst du sie mit deinem unwiderstehlichen Charme. Ich glaube, ich werde dich nie verstehen.“
Der frischgebackene Corporal der Chevaliers kam an das Krankenhausbett und schüttelte die ihm angebotene rechte Hand aus Rücksicht auf die Verletzung nur zaghaft.
„Ach, die Karbolmäuschen sind doch alle gleich, Robert. Wenn du mal eine hattest, dann kennst du sie alle. Das wäre keine Herausforderung. Da springt mein Jagdinstinkt ja nicht einmal an. Und solange die mir jeden Tag diesen vermaledeiten Drogencocktail ins Blut kippen, kriege ich eh keinen hoch!“
Jack zauberte ein verschwörerisches Lächeln auf sein Gesicht und senkte die Lautstärke seiner Stimme.
„Hast du es?“
Robert Steinbergers Lächeln wurde nun noch breiter, was seinem Gesicht eine fast diabolische Note verlieh.
„Klar. War aber gar nicht so einfach, das an dem ganzen Personal vorbeizuschleusen. Dafür bist du mir definitiv was schuldig, Jack.“
Damit bückte er sich zu seinem Hosenbein hinunter und zauberte den von Jack so geliebten Flachmann aus der ausgebeulten Socke hervor.
„Was immer du willst, Robert. Was immer du willst. Jetzt gib endlich her.“
Gierig riss er den Flachmann seinem neuen Kameraden aus der Hand, öffnete ihn mit zittrigen Händen und ließ dann einen kurzen Schluck des teuflischen Absinths seine Kehle in Flammen setzten. Das wohlige Gefühl des scharfen Alkohols entspannte ihn von einer Sekunde zur anderen.
„Pass nur auf, dass sie dich nicht erwischen. Ich glaube auf einem Schlangenplaneten wie diesem, schicken die uns gleich beide vor das Erschießungskommando.“
Jack nickte zufrieden, mehr jedoch in Richtung seines Flachmanns als zu Roberts Worten.
„Mag sein, du Moralapostel. Und wenn die sehen, was ich jetzt tue, erst recht.“
Mit einer schnellen Bewegung entfernte der ehemalige Pirat die Infusionsnadel aus seinem Arm und schlug dann die Bettdecke energisch zurück.
„Schnell, gib mir meine Reserveklamotten aus dem Schrank da und mach nen Horchposten an der Tür, ob Jesse seinen Job richtig erledigt.“
Völlig überrascht blickte der ehemalige Steineroffizier zu dem aus dem Bett steigenden Jack, der bereits eine schwarze Hose mit Münzen an den Seiten der Hosenbeine trug.
„Was? Ich verstehe nicht? Jesse ist am Empfang und turtelt mit der… Ach so! Deshalb wollte er unbedingt mit. Was zum Teufel habt ihr vor? Und warum bin ich nicht eingeweiht?“
Noch immer völlig irritiert, ging der junge Mann zu dem Kleiderschrank und zog ein bereits geöffnetes Bündel Kleidung heraus.
„Ich will türmen, Robert. Aus diesem dreimal verfluchten Krankenhaus entkommen. Ich habe das ganze mit Jesse bereits auf der Abschiedsfeier für unsere verstorbenen Kameraden besprochen. Was dich betrifft, so müsstest du auf deinem hochgepriesenen Sanglamore doch gelernt haben, dass die Erfolgschancen einer Geheimoperation steigen, je weniger Personen davon wissen.“
Gutgelaunt ergriff er die von Robert entgegengehaltenen Kleidungsstücke und begann hektisch damit sich anzukleiden.
„Ja, aber du hast doch Jesse eingeweiht!“
Wieder grinste der ehemalige Pirat, bevor er die Schnallen seiner Kampfstiefel schloss.
„Ja, der hat einfach besser in das Jagdschema unserer Oberschwester gepasst. Sei mir nicht böse, Robert, aber die hätte dich bei einem Annäherungsversuch zum Frühstück verspeist. Jesse hingegen ist da schon eher ihr Kaliber. Unteroffizier, kräftig gebaut, nicht so ein Knochengerüst wie du. Sorry, sollte keine Beleidigung sein, aber du verstehst, was ich meine.“
So langsam zweifelte Robert am Verstand seines neuen Vorgesetzten.
„Und was willst du bitte da draußen machen, Jack? Ich meine, Danton wird wegen diesem Stunt definitiv ausflippen!“
Und genau in diesem Moment wechselte der Gesichtsausdruck des jüngeren Mannes von verwirrt auf ein hinterhältiges Lächeln.
„Genau, Robert! Du sagst es. Germaine wird ausflippen, aber bis dahin haben wir eine ganze Nacht, um die Bars dieses Hinterwäldlerplaneten auf den Kopf zu stellen. Eine ganze Nacht, Robert! Eine Nacht mit schier unbegrenzten Möglichkeiten auf einem Planeten mit lauter dankbaren Bürgern, die froh darüber sind, das WIR sie vor der Unterdrückung gerettet haben.“
Gutgelaunt schloss er die Knöpfe seines Hemdes und zog die schwarze Weste darüber, bevor er den Waffengurt anlegte.
„Und das Sahnehäubchen, mein Lieber, das Sahnehäubchen ist, dass ich Danton eine Retourkutsche für den Rollstuhl und die Uniform reindrücke, ohne dass er auch nur das Geringste dagegen tun kann. Was soll er denn machen? Gegen die Nebelparder wird er jeden Krieger benötigen, den er bekommen kann und er sperrt uns sowieso die nächsten Wochen oder Monate in ein Landungsschiff! Ob wir da zu dritt in einer Kabine oder in einer Zelle sitzen, dürfte im Grunde genommen völlig egal sein. Du siehst also, das sind die perfekten Voraussetzungen für ein ausgelassenes Gelage, ganz speziell nach Jack’s Art!“
Damit legte er seinem neuen Lanzenkameraden den Arm um die Schulter und drehte ihn Richtung der Tür des Zimmers.
„Und das Einzige, was noch zwischen uns Dreien und dieser unvergesslichen, sinnesvernebelnden Nacht steht, ist das Schwesternzimmer am Ende des Ganges, respektive dessen Inhalt, der sofort Alarm schlägt, sobald er mich zum Notausgang huschen sieht.“
So langsam kam Robert Steinbergers Gehirn auf Touren und konnte den verworrenen Gedanken Jack Ryan’s folgen.
„Ah, jetzt ist der Groschen gefallen. Jesse lenkt den Hausdrachen ab und ich soll mich um den Wachhund kümmern. Eines hast du in deiner Planung jedoch vergessen, Wingleader!“
Nun war es an Jack, sein Gegenüber verwirrt anzublicken.
„Jack, ich bin ein Lyraner reinsten Blutes. Ein Steinermann aus den höchsten Schichten meines Planeten. Offizier und Gentlemen!“
Ächzend ließ der Pirat seinen Arm von der Schulter rutschen.
„Ach verdammt, Robert. Ich habe immer gedacht Piraten seien die schlimmsten Menschen in diesem Universum, aber ihr Lyraner übertrefft ja sogar die noch. Okay. Ich habe Jesse schon mit den Getränken für den ganzen Abend gekauft, das Gleiche biete ich auch dir.“
„Und du kommst für die weibliche Gesellschaft auf, sowie die Taxifahrten und eventuelle Eintrittskosten!“
Ein kurzes Schnaufen, zusammen mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck waren eigentlich schon Antwort genug.
„Eigentlich wollte ich den Laden hier nach guter Piratenart als Ablenkung anzünden, bevor ich die Idee mit euch hatte. Im Nachhinein betrachtet wäre das wahrscheinlich billiger gewesen, selbst wenn ich die komplette Einrichtung hätte löhnen müssen, aber was solls. Ich verlange aber ein grandioses Ablenkungsmanöver, Robert. Absolut narrensicher.“
Verschwörerisch lächelnd griff Robert Steinberger nach der Türklinke.
„Gib mir einfach zehn Minuten. Dann schleich dich raus. Und vertrau mir, Jack. Grandios ist mein zweiter Vorname! Für Narrheiten ist Danton zuständig.“


Rotes Viertel
Parkensen City
Wayside IV

14. August 3066 00:15 Uhr

„Das hat er nicht gemacht! Das glaube ich einfach nicht!“
Schwankend hielt sich der ehemalige Infanterist der Husaren an der bedenklich ächzenden Straßenlaterne fest, während er den an einer Hauswand hockenden Jack aus vernebelten Augen anstarrte.
„Ich schwöre es dir! Wie war noch gleich dein Name? Ach egal. Er hat sie in dem verdammten Schwesternzimmer beglückt. Da hätten ganze Battlemechdivisionen auf dem Gang entlang ziehen können, ohne dass die etwas anderes außer ihm gemerkt hätte. Ohne Witz, der kleine Steinerjunge hält, was er verspricht. Die Show alleine war das Geld schon wert!“
Damit hob er die bereits halb leere Flasche, welche er schon längere Zeit in der Hand hielt, an seinen Mund und sog den hochprozentigen Alkohol in tiefen Schlucken ein. Nachdem auch der letzte Schluck des Brandweines in seiner Kehle verschwunden war, setzte er ab und holte dann zu einem Wurf aus, wobei er die Bewegung jedoch abrupt unterbrach.
„Nein, Jack! Böser Jack! Kurita Planet. Schlechte Idee.“
Mit diesen genuschelten Worten stellte er die Flasche vorsichtig auf dem Bürgersteig nahe der Hauswand ab und vergewisserte sich mit einem zaghaften Streicheln noch einmal, dass sie auch wirklich sicher stand, bevor er sich ächzend an der Wand entlang in die Höhe drückte.
Mit verschwommenem Blick sah er sich in der beträchtlich angewachsenen Gruppe um.
Auf ihrer bereits einige Stunden andauernden Tour durch das Rotlichtviertel Parkensen City’s hatten Robert, Jesse und er immer wieder ehemalige Husaren aufgegabelt, die sich der lustigen Versammlung gerne angeschlossen hatten, sodass nun ein Pulk von schätzungsweise fünfzehn Männern und Frauen vor ihrer letzten Station, einem orientalisch angehauchten Etablissement für Säufer und andere Vergnügungssüchtige, auf Nachzügler warteten.
„Sergeant… ach verdammt, eure Namen kann ich mir einfach nicht merken! Du da mit dem Bierkrug! Auf wen zur Hölle warten wir jetzt eigentlich noch? Meine Flasche ist leer und ich noch nicht ganz voll und es gibt garantiert noch eine gemütliche Kneipe, wo ich dieses Defi… Defi… na ja, wo ich das noch ausbügeln kann.“
Jacks Stimme war nicht annähernd so kraftvoll, wie er es sich vorgestellt hatte, was wohl daran lag, dass der viele Alkohol langsam Lähmungserscheinungen an seiner Zunge auslöste. Oder aber die letzte Flasche Schnaps war einfach schlecht gewesen. Ja, das klang besser.
Verlegen rückte er die Augenklappe zurecht und beobachtete die weibliche Sergeantin, welche krampfhaft versuchte, eine militärische Haltung anzunehmen.
„Sergeant Jack, ich melde, dass der Trupp bis auf ihren Jungen vollzählig angetreten ist. Der allerdings ist irgendwo da drin mit einer der Bauchtänzerinnen verschollen!“
Nachdenklich nickte er zu dieser formvollendeten Meldung.
„Verstehe, Sergeant. Gute Arbeit. Das ist das Problem mit diesen Mechkriegern. Verdammt unzuverlässig und hochnäsig. Vertragen einfach keinen Alkohol und blicken jedem Rock hinterher, selbst wenn der Rock gar keinen Rock trägt, was für einen Rock schon recht ungewöhnlich ist.“
Einige Sekunden schien die Unteroffizierin über seine Worte nachzudenken, dann brach in der Gruppe schallendes Gelächter aus, in welches er freudig einstimmte.
„Viel schlimmer wird die Sache, wenn der Rock gar kein Rock ist, sondern nur vorgibt ein Rock zu sein, aber eigentlich eine Hose ist… Aber egal! ROBERT! Verdammt noch mal! Schwing deine Knochen von der Dame und komm endlich raus! Hier warten ein Dutzend durstige Kehlen darauf weiter zu ziehen. Die Schlacht ist gewonnen, aber der Krieg geht weiter, nur nicht hier.“
Seine gebrüllten Worte schienen auf der belebten Straße nur wenig Aufsehen zu erregen, aber die Reaktion aus dem Gebäude kam prompt. Eines der Fenster im oberen Stockwerk wurde aufgerissen und ein verschmitzt grinsender Robert Steinberger streckte seinen Kopf heraus.
„Was ist denn das für ein Tumult da unten?“
Das zeternde Schreien im Hintergrund gab zusammen mit seinem freien Oberkörper und dem zerzausten blonden Haar ein Bild, das wieder spontanes Lachen aufflackern ließ.
„Oh nein, der wird sich doch wohl nicht verliebt haben? Typisch Lyraner, zu allem fähig, aber zu nix zu gebrauchen.“
Jack strich sich über den Bart, während er die Szene begutachtete und fasste dann den Entschluss einzuschreiten.
„Corporal Steinberger, man sollte meinen, sie haben für einen Tag genug weibliche Gesellschaft gehabt. Kommen Sie sofort hier herunter oder wir sehen uns gezwungen, ihnen die Alkoholzuteilung zu streichen, Soldat. Anständige Soldaten krepieren auf dem Schlachtfeld oder an der Trinkerleber, aber doch nicht an Erschöpfung durch Matratzensport!“
Das Grinsen auf dem Gesicht des jüngeren Lyraners wurde noch breiter, dann verschwand der Kopf, bevor ein bis auf Boxershorts entkleideter ehemaliger lyranischer Offizier auf das Fensterbrett stieg, seine Kleidung in einem Bündel an die Brust gepresst.
„Ach du Herrgott, jetzt will er auch noch Selbstmord begehen. Sergeant, retten Sie unseren Frauenhelden, bevor er sich noch den Hals bricht.“
Der weibliche Sergeant hatte die Situation bereits erfasst und handelte, bevor Jack mit dem Satz fertig war.
„Soldaten, Springertuch bilden! Zack, zack! Beine und Arme bilden eine rotierende Scheibe. Los, los, ein Kamerad ist in schwerster Not. Ja kommt da jetzt bald mal Bewegung rein, oder soll ich nachhelfen?“
Ihre Kasernenhofstimmlage trieb die anwesenden Infanteristen und Panzerfahrer zu ungeahnten Höchstleistungen und innerhalb von nur Sekunden hatten die Männer und Frauen eine Doppelreihe unter dem leicht schwankenden Steinberger auf dem Sims gebildet, die Arme des jeweiligen Gegenübers über Kreuz festhaltend und damit eine stabile Unterlage bildend.
Wenn man davon ausging, das jeder der Anwesenden mindestens ein Promill im Blut hatte, eine herausragende Leistung, die Jack einiges an Respekt abverlangte.
„Einfach springen, Jungchen. Vertrau uns einfach. Wir machen das jede Woche und ich habe so erst zwei Liebhaber verloren!“
Das zustimmende Johlen der Menge schien die Worte der weiblichen Sergeantin zu untermauern und auch Robert Mut zu machen. Er stieß sich von der Wand ab und landete Brust voran unter aufbrausenden Jubel auf dem lebendigen Springertuch, wurde zwei Meter weitergereicht und dann schwankend vor einem staunenden Jack auf die Füße gestellt, während einige der Soldaten ihm anerkennend auf die Schulter klopften.
„Na, Akademiebubi, alles im grünen Bereich oder muss ich in unserer Truppe auch noch nach einem Sani suchen?“
In dem Fenster war nun eine hysterisch brüllende Frau erschienen, die mit herausragender Zielgenauigkeit Gegenstände, wie hochhackige Schuhe und Blumentöpfe, nach dem flüchtenden Mechkrieger warf.
„Sergeant Jack, ich schlage den taktischen Rückzug in ruhigere Gefilde vor. Die Truppe ist durstig und der Gegner benutzt Wurfgeschosse entgegen jedweder Konvention. Wenn ich die Dame richtig verstehe, soll unsere Jungchen hier sie ehelichen und das würde unseren Zeitrahmen dann doch etwas sprengen. Außerdem stehen mir Brautjungfernkleider nicht besonders.“
Der ehemalige Pirat konnte der Einschätzung der Infanteristin nur zustimmen. Es war Zeit für einen Stellungswechsel.
„Natürlich, Liebes. Entsenden sie zwei zuverlässige Kundschafter um ein neues Angriffsziel auszumachen. Wir dürfen hier nicht so ziellos durch die Gegend fallen. Das ist immer noch ein Kuritaplanet.“
Die junge Frau salutierte in einem wankenden Stillgestanden vor ihm, wobei sie sich mit den Fingerspitzen fast das Auge ausstach, weil sie die Stirn verfehlte.
„Auftrag erkannt, Sergeant Jack. Zwei Kundschafter, verstanden. Miller, Hendriks, setzen Sie sich in Bewegung und finden Sie einen Unterschlupf für die Truppe. Schön gemütlich und nicht ganz so überlaufen.“
Eine Frau und ein Mann in unauffälliger Zivilkleidung nickten kurz, bevor Sie die Gasse entlang sprinteten.
„Mein bestes Team, Jack. Scharfschützen. Absolut trinkfest und hervorragend im Auffinden von völlig ungestörten Orten.“
Man konnte den Stolz der Sergeantin fast schon greifen, leider war sie zu abgelenkt um mitzubekommen, wie der Angesprochene ihr den Bierkrug aus der Hand fummelte.
„Sehr gut, Sergeant. Bin stolz auf Sie. Dann lassen Sie uns doch mal im Schritttempo hinter Ihren Scouts herlaufen.“
Damit setzte sich der ehemalige Pirat an die Spitze der Gruppe, zusammen mit der Sergeantin, einem sich anziehenden Robert Steinberger und einem schon sehr übernächtigt aussehenden Jesse Stonefield. Lächelnd machte sich Jack eine geistige Notiz.
Treffer, Versenkt!
Der ehemalige Hauptmann der Maestu-Miliz hatte den ganzen Abend mit ihm mitgehalten, was die Getränke betraf, war mittlerweile jedoch weit abgeschlagen und kaum noch des Redens mächtig. Hinter der Führungsriege folgte der Rest der Gruppe. Infanteristen, Panzerfahrer, Techs. Eine bunt gemischte Truppe.
„Darf ich Sie etwas fragen, Jack?“
Die Sergeantin blickte ihn beiläufig an, während er schnell den schon fast leeren Bierkrug hinter seinem Rücken verbarg und sich den Schaum aus dem Bart wischte.
„Natürlich, Liebes. Was liegt ihnen auf dem Herzen?“
„Nun ja, ich finde es etwas merkwürdig, dass Ihr drei Chevaliers nur wenige Tage nach der Schlacht mit einem Pulk Husaren durch die Straßen zieht. Ich meine, versteht mich jetzt nicht falsch, aber es gibt doch garantiert ein paar eurer Truppe, die ebenfalls die Sau raus lassen.“
Noch bevor Jack eine passende Antwort parat hatte, fiel Robert in das Gespräch ein.
„Das liegt einfach daran, Sergeant, dass wir unfreiwillig bei den Chevaliers Dienst tun. Unser Freund Jack hier ist von Danton quasi gehyjacked worden,“ bei dem Wortspiel musste er kurz hustend lachen, bevor er weitersprechen konnte, „Jesse und ich sind auch eher zwangsverpflichtet worden, was uns weniger zu Chevaliers, als eher zu Opfern von Germaine Danton macht. Und da es Ihnen ja wohl kaum anders geht, sind wir wohl Leidensgenossen. Irgendwie.“
Zustimmendes Stimmengewirr hinter der Führungsriege ließ auch Jack zustimmend nicken.
„Ich hoffe mein studierter Freund hat Ihre Frage ausreichend beantwortet, Sergeant. Mehr gibt es dazu wirklich nicht zu sagen. Ah, da kommen ja die Scouts. Machen wirklich eine gute Figur so im Laufschritt. Nochmals meinen vollsten Respekt, Sergeant. Wirklich gute Leute.“
Das Scharfschützenteam blieb zwei Schritte vor den erwartungsvoll zu Ihnen blickenden Männern und Frauen der Truppe stehen und nahm trotz ebenfalls erhöhter Blutalkoholwerte Haltung an.
„Sergeant, wir ham ne dufte Kneipe gefunden. Hier gleich links inner Seitengasse. Wird von einem ehemaligen Highlander geführt. Der hat da über dreißig Biersorten, un er hat auch versprochen, dass die erste Runde auf Ihn geht, wenn mer ihm so viele Gäste bringen und die Bude stehen lassn.“
Die helle, lallende Stimme der Frau, sowie die Bedeutung der gerade gehörten Worte zauberten wieder ein Lächeln in Jacks Züge und wischten die unschönen Gedanken von Mord und Totschlag in Bezug auf Germaine Danton beiseite.
„Sehr schön, Soldat. Dann führen Sie uns mal an die Tränke. Wir wollen den freundlichen Wirt bei so einem großzügigen Angebot ja nicht warten lassen.“
Damit beschleunigten die Männer und Frauen der lustigen Truppe unter heiterem Lachen und zwanglosen Gesprächen ihren Schritt und bogen, den beiden Scouts folgend, in die nächste Seitengasse ein, um direkt vor einem niedrigen Gebäude stehen zu bleiben.
Das rote Backsteingebäude besaß nur einen Eingang und abgedunkelte Fenster, sowie ein Schild, das den klingenden Namen „Zur rasenden Wildsau Glengarrys“ verkündete.
Nun gab es für die Söldner kein Halten mehr. Schon viel zu lange hatten die ausgedörrten Kehlen nach dem herbeigesehnten Alkohol geschrien.
Wie eine Meute Verdurstender stürmten sie durch die Tür, direkt an die aus importiertem Hartholz bestehende, lange Theke, hinter der ein dickbäuchiger Glatzkopf vorsorglich schon einmal eine ganze Reihe Biere vorgezapft hatte.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen füllte sich der Gastraum mit johlenden Soldaten, die Tische besetzten, nach den Bedienungen schrien und die Billardtische für sich vereinnahmten.
Wohlwollend bemerkte Jack, dass an einigen der Tische bereits ehemalige Husaren gesessen hatten, die nun von ihren Kameraden freudig begrüßt wurden.
Im Allgemeinen taugte ihm diese Kneipe von den bisher besuchten am ehesten. Dunkel, verraucht und mit ihrem abgenutzten Inventar schon fast schäbig. Oder eben gemütlich, wie er zu sagen pflegte.
Mit festem Griff angelte die Sergeantin seinen Arm und zog ihn aus dem Eingangsbereich zu einem der abgelegeneren Tische, an dem bereits mehrere Personen in dem erkennbaren paramilitärischen Zivil der Husaren saßen.
„Kommen Sie, Jack. Ich muss Ihnen die Elite unserer Einheit vorstellen. Jetzt wird es hier wirklich lustig.“
Gerne folgte der ehemalige Pirat der Aufforderung, nicht jedoch, ohne noch einen Blick zu Robert Steinberger zu werfen.
„Robert, Bier. Ein Glas, nein, vergiss das, nimm einen Pint..., nein, warte, sag dem Wirt er soll einfach den größten Behälter, den er hat voll machen und mir bringen lassen. Ich verdurste schon!“

Danielle Vascot lachte erfreut auf, als der stupide Abend sich zu wandeln schien. Sie war zusammen mit einigen Husaren in den Rotlichtbezirk gefahren, um etwas Abwechslung zu erfahren, aber die steife Art der draconischen Bevölkerung und die unbekannten Raumfahrer waren so überhaut gar nicht ihr Fall gewesen. Schon seit mehr als zwei Stunden saß sie hier mit Betty Rush, sowie einigen Techs der Einheit und ließ sich mit schwerem Rotwein volllaufen, um den Geschmack der Niederlage aus dem Mund zu bekommen, was jedoch bei keinem von Ihnen so richtig funktionieren wollte. Im Gegenteil, bei steigendem Pegel war die Stimmung auf den absoluten Nullpunkt gesunken.
Bis zu dem Zeitpunkt, als Miranda Clark und ihre Meute das Lokal gestürmt hatten. Die Sergeantin der Infanterieabteilung der Husaren war eine gute Bekannte und kam dem, was Danielle als Freundin bezeichnen würde, wohl am nächsten.
Die junge Frau hatte die Mechkriegerin mit dem geübten Blick eines Unteroffiziers auch schon ausgemacht und bahnte sich gerade einen Weg durch die Menge der auf Getränke wartenden Kameraden.
Freudig sprang sie von ihrem Stuhl und mit einem Satz auf den Tisch, wobei mehrere halbvolle Gläser sich auf den Boden verabschiedeten, was von den Anwesenden jedoch entweder gar nicht bemerkt oder schlichtweg ignoriert wurde.
„Husaren! Wie greifen wir an?“
Ihre brüllende Stimme hallte über die Köpfe der Gäste hinweg bis alle Augen auf sie gerichtet waren.
„Frontal im Sturm!“
Die ebenfalls gebrüllte Antwort aus dutzenden Kehlen ließ die Fensterscheiben klirren.
„Husaren! Wie leben wir?“
Wieder tobte ihre Stimme durch den Schankraum und wieder kam die Antwort wie ein Donnerhall.
„Jeden Tag, als wäre es der Letzte!“
„Husaren! Unser Motto!“
Die Lautstärke der Antwort war sicherlich noch bis an das Raumhafengelände zu hören.
„Reden, was wahr ist, saufen, was klar ist, vögeln, was da ist! Husaren, Husaren, Husaren! Prost!“
Bei jeder Textpassage stampften die Anwesenden mit den schweren Militärstiefeln auf die Holzbohlen und nach dem Ende der Rede tranken sie in vollen Zügen aus ihren Gläsern.
Auch Danielle hatte ein Glas gereicht bekommen und leerte dieses in einem Durchgang, bevor sie unter frenetischem Jubel von dem Tisch herunter sprang und auf Miranda zuging.
Erst jetzt bemerkte sie, dass die Infanteristin eine Person im Schlepptau hatte, konnte jedoch durch die Tabakschwaden und die eher schummrige Beleuchtung keine Einzelheiten ausmachen.
„Danielle, wusste ich doch, dass ich dich irgendwo im Rotlichtbezirk finden würde.“
Freudig umarmten sich die beiden Frauen, wobei die Angesprochene einen Blick über die Schulter von Miranda auf deren Begleiter erhaschen konnte.

Jack fühlte sich überaus wohl. Nein, das war wohl noch untertrieben. Der Alkohol hatte die Schmerzen seiner Verletzungen betäubt und die ausgelassene Stimmung der Männer und Frauen um ihn herum riss ihn mit. Er war vielleicht kein Husar, aber das gebrüllte Motto erinnerte ihn doch sehr an alte Zeiten. Während die Sergeantin eine offensichtliche Freundin begrüßte, blickte er sich nach Robert um, der mit zwei riesenhaften Krügen Bier und Jesse lachend auf ihn zusteuerte.
Dann bemerkte er den Blick der Frau. Sie sah ihn während der Umarmung mit der Sergeantin über die Schulter hinweg an und ungläubiges Erstaunen lag auf ihren Zügen. Gepaart mit Angst. Jack musste hart schlucken, während er das Gesicht eingehend musterte. Dunkelblonde Haare, scharfe Gesichtszüge mit einer markanten Nase, eher hübsch denn schön. Mittlere Größe und eher zierlich gebaut.
So sehr er sein Gehirn auch anstrengte, er konnte einfach keine bekannten Merkmale zuordnen. Diese junge Frau war ihm gänzlich unbekannt. Woher also diese Furcht?
„Danielle, darf ich dir Jack Ryan-Jones von den Chevaliers vorstellen?“
Die Sergeantin hatte sich aus der Umarmung gelöst und einen Schritt zur Seite gemacht um den beiden Personen freies Sichtfeld auf den jeweils anderen zu geben.
„Jack, das ist unsere Ass-Pilotin. Nach Copeland das beste, was die Husaren im Mech zu bieten haben. Danielle Vascot.“
Jack legte den Kopf schief und versuchte seine Unsicherheit mit einem unschuldigen Grinsen und einer freundschaftlich entgegen gestreckten Hand zu überspielen.
„Es ist mir eine Freude, Danielle. Nennen sie mich einfach Jack. Auf Nachnamen gebe ich nicht besonders viel.“
Die junge Mechkriegerin stand einfach nur da und starrte ihn an. Die angebotene Hand sank so schnell, wie sie dargeboten worden war.
„Das ist der Dämon, Miranda!“
Ihre Worte waren wie ein Flüstern, aber für Jack und die Angesprochene gut hörbar. Nun blickte auch die Sergeantin ihn völlig entgeistert an.
„Der Pilot des schwarzen Marodeurs? Das kann nicht sein, Danielle. Der liegt wahrscheinlich noch Wochen im Lazarett!“
Genau in diesem Moment stieß Robert Steinberger zu der Gruppe und reichte Jack das sehnlichst herbei gewünschte Bier.
„Aus genau diesem haben wir unseren Freund Jack vor Beginn dieser Sauftour durch die Kneipen Parkensen City’s befreit, meine Damen. Glauben Sie es ruhig. Das hier ist der Mann, der euren Jungen in dem Kampftitanen am Wasserloch eine Etage tiefer geschickt hat, nachdem er eine Breitseite von der ganzen Lanze fing.“
Der ehemalige Steinersoldat hatte seinen Arm auf Jacks Schulter gelegt und grinste die beiden Frauen unverhohlen an, während der alkoholvernebelte Verstand des Piraten auf Hochtouren arbeitete.
„Der Kampftitan wurde von einer Frau gesteuert, Robert. Und wenn ich das Ganze richtig in Erinnerung habe, war das der einzige Mech der Husaren, der nahe genug an mir dran war, um mein Gesicht auf der optischen Vergrößerung erkennen zu können. Demnach tippe ich jetzt einfach mal darauf, dass Sie die Pilotin waren, Danielle. Und in diesem Fall, muss ich Sie aus tiefstem Herzen um Entschuldigung bitten. Der Angriff auf Ihre Maschine war nicht gerechtfertigt, aber zu meiner Verteidigung muss ich anmerken, dass ich schwer verwundet war, meine Sensoren nach dem Absturz ausgefallen und mein Funkgerät schwer beschädigt. Ich hatte keinen Überblick über die Situation und die Nachricht von der Einstellung der Kämpfe nicht erhalten. Meine Maschine war am Ende und ich sah mich einem wesentlich intakteren und auch schwereren Brocken gegenüber. Ich musste einfach die Initiative ergreifen!“
Wieder streckte er seine Hand in Ihre Richtung.
„Bitte verzeihen Sie mir, Danielle. Den Angriff nach der Beendigung der Kämpfe, wie auch das echt fiese Ding mit der Kaverne. Lassen Sie uns noch einmal von Vorne beginnen, indem ich Ihnen ein Getränk Ihrer Wahl ausgebe und mich vernünftig vorstelle. Mein Name ist Sergeant Jack Ryan-Jones, Wingleader der Kampflanze, erstes Bataillon, Dantons Chevaliers.“
Endlose Sekunden schien die Frau mit sich zu ringen, bevor sie seine Hand ergriff und mit starkem Händedruck schüttelte.
„Na gut, Jack Ryan-Jones. Mein Name ist Danielle Vascot und mit einem Getränk wirst du dich aus dieser Sache nicht freikaufen können. Ich will eine PPK und ein Bier dazu und dann werden wir uns an diesen Tisch setzen, während du mir erzählst, wie du es geschafft hast, deinen dreimal verfluchten Marodeur nach der Bruchlandung aufrecht zu halten und sogar auf mich zuzumaschieren. Ich will wissen, mit welchem Teufel du im Bunde stehst, um so etwas zu überleben und was du deinem höllischen Verbündeten dafür zahlen musstest.“
Erst nachdem sie geendet hatte, ließ sie seine Hand los und blickte ihm in das nicht bedeckte Auge, welches sie düster musterte. Jack musste innerlich Lächeln. Ja, diese Frau war ein Ass.
„Robert, würdest du der Dame freundlicherweise die bestellten Getränke holen? Ich glaube dieses Gespräch könnte etwas länger dauern. Und Danielle, ich brauche keinen höllischen Verbündeten. Ich bestimme mein Schicksal selbst!“
Damit schob er sein weibliches Gegenüber in Richtung des Tisches und ließ Robert, wie auch die Sergeantin einfach stehen.
„Fuck! Bis eben dachte ich noch, dass er nur wie ein Alptraum aussieht, aber wenn das wirklich der Marodeurpilot ist, dann kämpft er auch wie einer. Und dann muss ich sagen, dass ich wirklich froh bin, jetzt auf eurer Seite zu stehen, denn gegen den möchte ich nicht kämpfen müssen.“
Die Frau drehte sich zu Robert um, ergriff den riesigen Bierkrug und nahm einen tiefen Schluck.
„Na komm, Jungchen. Wir schlagen uns mal bis zur Theke durch und holen Nachschub für die beiden und natürlich dich, denn dieses Getränk ist hiermit requiriert.“

“Zur rasenden Wildsau Glengarrys”
Parkensen City
Wayside IV

14. August 3066 03:20 Uhr

… und da sagt der Unteroffizier zu dem Soldaten: Lattenrost ist keine Geschlechtskrankheit!”
Die bunt gemischte Truppe an dem großen Tisch brach in schallendes Gelächter aus als Jack seinen Bierkrug schmunzelnd zu seinem Mund führte, nachdem er die Poente seines Lieblingswitzes todernst gebracht hatte. Robert, den sich auf dem Stuhl neben im niedergelassen hatte, bekam während des Lachanfalls einen Hustenanfall durch die verrauchte Luft und musste von Jesse Stonefield durch einen kräftigen Schlag auf den Rücken vor dem Erstickungstod gerettet werden.
Betty Rush hingegen prustete den Schluck Rotwein, den sie gerade hatte schlucken wollen, durch Mund und Nase auf den Holzboden der Kneipe, was neuerliches Lachen der anderen Gäste hervorrief.
Seit Stunden tagte die Gesellschaft der ehemaligen Husaren und Zwangschevaliers in der gemütlichen Atmosphäre der Kneipe und war durch weiteren Zulauf auf mittlerweile fast fünfzig Personen angewachsen. Ganz zur Zufriedenheit des Wirtes, der sich am heutigen Abend wahrscheinlich seinen Ruhestand verdiente.
Jack wischte sich den Bierschaum mit dem Ärmel seines schwarzen Hemdes aus dem Bart und blickte in die Runde. Eine illustre Gesellschaft hatte sich an dem Tisch versammelt, bestehend aus Techs, Infanteristen, Panzerfahrern und natürlich Mechkriegern.
Den Mittelpunkt bildete jedoch er, indem er immer wieder lustige Annekdoten und Witze zum Besten gab. Die Rolle des Alleinunterhalters hatte ihm schon immer gelegen und nun, mit extrem hohen Alkoholwerten im Blut trat diese Seite von ihm wieder zum Vorschein.
„Wisst ihr eigentlich, was die letzten Worte waren, die der Gefreite Müller jemals von seinem Hauptmann hörte?“
Einen Moment wartete er, aber von den noch immer nach Luft ringenden Anwesenden schien niemand die Antwort zu kennen.
„Sie stehen mit ihrer Wespe auf meinem Fuß, Gefreiter.“
Wieder stand der Raum Kopf. Jack glaubte sogar eine einzelne Freudenträne auf Danielle Vascots Gesicht zu erblicken.
„Hör auf, Jack. Bitte! Ich kann nicht mehr. Verdammt, ich will seit einer Viertelstunde trinken, aber wenn ich das versuche, landet meine PPK genau wie bei Betty auf dem Boden und nicht in meinem Magen!“
Ihre helle Stimme stachelte ihn nur zu noch größeren Höchstleistungen an.
„Na gut, Danielle. Aber einer noch! Wisst ihr, warum es in den Kasernen von Hanses Raureitern immer so dunkel ist?“
Roberts Kopf schlug auf der Tischplatte auf und seine ächzende Stimme war kaum zu verstehen.
„Oh ja, den kenne ich. Der ist spitze.“
Jack lächelte verlegen, aber sonst schien wieder niemand die Antwort zu erahnen.
„Na ist doch ganz klar. Die Trottel versuchen ständig Bierflaschen in die Lampenfassungen zu drehen!“
Nun schien der Raum zu explodieren. Das Gelächter schien unübertrefflich, bis einer der Husaren an einem der abseits gelegenen Tische einen Einwurf brachte.
„Hey, stimmt doch gar nicht. Ich war bei den Raureitern und wir hatten nie Bierflaschen. Bei uns gab es Zapfanlagen!“
Robert Steinberger warf lachend den Kopf in den Nacken, verlor den Halt und fiel polternd mit seinem Stuhl rückwärts um, während Jesse, der hinter ihm gestanden hatte, träge aus dem Weg sprang und sich an einem anderen Tisch festzuhalten versuchte.
„Ja klar, Mechkrieger! Unübertreffliches Gleichgewichtsgefühl und so!“
Bei den Worten der Sergeantin, deren Namen er sich einfach nicht merken konnte, fiel nun auch Jack in das Gelächter ein, bemerkte jedoch aus den Augenwinkeln, wie die Tür der Kneipe geöffnet wurde und eine kleinere Gruppe Neuankömmlinge eintrat.
Sofort erkannte der ehemalige Pirat selbst durch die Rauchschwaden und das düstere Licht die Gestalt des Nebelparders Kyle Kotare direkt gefolgt von Damien Mulgrew sowie einem unbekannten Milchgesicht nebst weiteren Chevaliers.
Und genau in diesem Moment war da wieder Peters Stimme in seinem Kopf.
„Oh, oh. Ein Nebelparder, Jack. Deine Lieblinge unter Gottes gewaltiger Schöpfung. Und du darfst ihm nicht einmal etwas tun, sonst zerreist Danton dich in der Luft. Ist schon Mist, wenn der Todfeind in der eigenen Einheit Dienst tut, meinst du nicht auch?“
Grimmig nickend beobachtete er, wie die kleine Gruppe an der Bar auf hochbeinigen Hockern Platz nahm und sich Getränke bestellte.
Die Truppe an seinem Tisch war noch immer damit beschäftigt, den maulenden Robert mit dummen Sprüchen aufzuziehen. Offenbar hatte niemand außer ihm die Neuzugänge bemerkt.
„Aber wenn er dich angreifen würde, Jack, dann sähe die Sache doch schon ganz anders aus. Wir müssten also nur dafür Sorge tragen, dass er so richtig wütend auf dich wird! Warte mal, ich hab da glaube ich genau das Richtige für diese Gelegenheit.“
Nun lächelte er wieder. Hätte jemand an dem Tisch jedoch darauf geachtet, wären ihm die grausamen Züge in Jacks Gesicht definitiv aufgefallen.
„Ah, sieh einer an. Der frisch gebackene Second Lieutenant Toni Holler lässt sich zu einem Besuch der niederen Schichten der Einheit herab.“
Fragend sah sich Jack zu der böse zu den Neuankömmlingen blickenden Danielle Vascot um.
„Wer?“
„Toni Holler. Bei den Husaren ein ganz kleines Licht im Rang eines Corporals. Mit dem Einheitswechsel kam ein kometenhafter Aufstieg für ihn. Das Bübchen war selbst bei uns neu und macht jetzt einen auf Arschkriecher bei Captain Fokker. Zum kotzen!“
Die Stimme der jungen Pilotin triefte vor Verachtung.
Und wieder musste Jack lächeln. Ein junger Offizier, der sich noch beweisen musste. Perfekt.
Wieder erhob er die Stimme.
„Na gut, Jungs und Mädels. Wisst ihr den eigentlich, wie viele Nebelparder-Solahmas man benötigt um eine Glühbirne zu wechseln?“
Er hielt seine Stimme absichtlich so laut, das sie bis zur Theke zu hören war und sich für die Truppe am Tisch wieder in das Rampenlicht zu rücken.
„Ich werde es euch sagen. Also, man benötigt 23 Solahmas und einen Medtech. Während eine 75 jährigeLuft-/Raumpilotin die Birne hält, was den Vorteil bietet, dass diese Art der Kanistergeburten keine Höhenangst haben, vierzehn Elementare so um die sechzig Jahre zu gleichen Teilen auf ihre Beine verteilt um sie in die entsprechende Höhe zu transferieren. Trotz des Alters haben diese Untiere nämlich die Kraft, diese Leistung zu vollbringen. Außerdem benötigt man acht Mechpiloten entsprechenden Alters, wovon einer einen höheren Rang und am besten Blutnamensträger sein muss, um den Gehstock der Pilotin zu stützen und die Angelegenheit zu koordinieren. Diese bieten außerdem den Vorteil, dass Sie die nötige Arroganz besitzen, sich nicht anmerken zu lassen, was für eine Herausforderung diese Mission darstellt und sind überaus stolz darauf, das Bieten um diese Aufgabe gewonnen zu haben.“
Wieder brach das Gelächter aus, noch stärker diesmal als zuvor. Aber noch war Jack nicht am Ende angelangt.
„Ach ja, den Medtech dürfen wir natürlich nicht vergessen. Den brauch man um den Blutdruck und die Herztätigkeit aller Beteiligten zu überwachen.“
Noch während die Truppe am Tisch ihren Lachanfall genoss, sah er, wie das Gesicht des ehemaligen Nebelparders sich mit einem verächtlichen Ausdruck füllte. Er schien aber bereits zu lange in der Inneren Sphäre zu sein um noch mit Kreuzritteraggressionen auf eine solche Verunglimpfung seiner Brüder und Schwestern zu reagieren.
„Armer Clanner! So viel Potential und doch so berechenbar. Aber ich glaube wir müssen da noch etwas nachlegen, Jack.“
Peters Stimme drang absolut klar durch den Alkoholnebel und ließ ihn neuen Mut fassen.
„Und zu Zeiten des ersten Sternenbundes? Wie viele Menschen hat man da gebraucht um eine Glühbirne zu wechseln?“
Er sah den jungen Lieutnant leise mit Mulgrew und Kotare reden und sich ihm dann zuwenden. Ohne Zweifel war er auf dem Weg, um ihm Befehle zu erteilen.
Nun ja, sollte der kleine Junge nur kommen und Offizier spielen. Er hatte schon härtere Gesellen gefressen!
„Damals hat man die gesamte Armee des Sternenbundes und Alexandr Kerensky gebraucht. Als diese feststellen, dass auf Terra die Lichter ausgegangen waren, sind sie alle losgestürmt, um die defekten Glühbirnen auszutauschen. Als sie jedoch den Planeten erreichten, mussten sie feststellen, dass es gar keine Glühbirnen, sondern Leuchtstoffröhren waren und sind dann aus der Inneren Sphäre gestürmt, um zu sehen, ob es da draußen noch jemanden gibt, der ihnen die nutzlosen Glühbirnen abnimmt.“
Das aufbrausende Lachen war für Jack nicht im Mindesten so erquickend, wie die hasserfüllten Blicke von Kyle Kotare.
Toni Holler hatte mittlerweile den Tisch erreicht und baute sich in einer perfekt einstudierten Offizierspose davor auf. Das Lachen und die Gespräche verstummten bei diesem Anblick sofort, was Jack dazu nötigte, einen weiteren Schluck aus seinem Bier zu nehmen.
Das versprach wirklich lustig zu werden.
„Sergeant Ryan-Jones, ich glaube nicht, dass sich Ihr Benehmen mit den Vorstellungen von Colonel Danton über das Verhalten seiner Chevaliers deckt. Was tun sie überhaupt hier? Müssten Sie nicht im Hospital sein?“
Die kurzgeschnittenen Haare, die mittelgroße, sportliche Gestalt und nicht zuletzt die herablassende Art von Holler ließen Jack ihm die Offizierswürden zugestehen. In ein paar Jahren mochte das Bübchen einen passablen Offizier abgeben, wenn er bis dahin überlebte.
Die braunen Augen, die ihn gerade niederzustarren versuchten, waren jedoch nicht dazu angetan, ihm auch nur den geringsten Respekt abzuringen.
Seufzend nahm Jack noch einen tiefen Schluck aus seinem Krug, bevor er antwortete.
„Liebe Freunde, gerade standen wir noch am Abgrund, jetzt sind wir schon einen Schritt weiter!“
Robert, der sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt hatte, konnte nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken, während der Rest des Tisches das Wortgefecht gespannt beobachtete.
„Um Ihre Frage zu beantworten, Second Lieutenant Holler, ich habe mich selbst aus der Behandlung entlassen, nachdem mir der zuständige Arzt heute Morgen sagte, ich solle machen, was ich will. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich seine Worte richtig interpretiere, aber Sie können ihn ja gerne Fragen. Und was Danton angeht, so muss ich Ihnen sagen, wenn Dummheit schlank machen würde, so könnte man diesen Mann problemlos mit einem Brief verschicken. Aus diesem Grund ist es mir herzlich egal, welche Standards er für seine Leute anlegt.“
Damit legte er ein selbstgefälliges Grinsen auf seine Gesichtszüge, welches seine Narben tanzen ließ, lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten und legte die Kampfstiefel betont langsam auf den Tisch, während er die pulsierende Halsschlagader des jungen Offiziers beim Anschwellen beobachtete. Treffer, versenkt!
Zu seiner völligen Überraschung behielt der junge Mann seine Fassung und fing nicht sofort an herumzubrüllen. Seine Antwort kam zischend, zwischen seinen Zähnen hervor.
„Sergeant Ryan-Jones, ich befehle Ihnen, sich unverzüglich auf den Weg zur Kaserne zu begeben und sich dort beim wachhabenden Offizier zu melden. Sie werden sich ohne Umwege dorthin begeben und wir erörtern diese Sache heute Mittag mit Colonel Danton.“
Er war wirklich wütend. Wie reizend. Eine Erörterung mit Colonel Danton. Das versprach ja fast noch interessanter zu werden, aber zuerst einmal war hier und jetzt noch einiges zu klären.
„Also erst einmal, mein lieber Second Lieutenant Holler, befinde ich mich in meiner dienstfreien Zeit. Ich trage keine Uniform und bin nicht auf militärischem Gelände. Hätten Sie Ihre Dienstvorschriften gelesen, müssten Sie also wissen, dass Sie nicht die geringste Befehlsgewalt über mich besitzen. Gerne werde ich mich heute… ist es wirklich schon so spät… zu einem Kaffeekränzchen mit Ihnen und Colonel Danton einfinden, aber Ihren Befehl können sie sich ehrlich gesagt dahin schieben, wo die Sonne nie scheint. Vielleicht tun Sie das ja mit dem wachhabenden Offizier zusammen? Der hilft Ihnen sicherlich gerne dabei. Ich werde meine Freizeit genau hier verbringen. An diesem Tisch, auf diesem Stuhl, bis der Wirt mich vor die Tür setzt und das könnte noch eine ganze Weile dauern. Sie sind jedoch herzlich eingeladen uns Gesellschaft zu leisten. Setzen Sie sich doch. Ich gebe ihnen auch einen aus. Aus Rücksicht auf Ihr Alter allerdings nur eine Milch!“
Eigentlich hatte Jack nur Kotare reizen wollen, aber nun merkte er, dass dieser junge Offizier ein wesentlich lohnenderes Ziel für seine verbalen Angriffe darstellte.
Der fast schon rasende Gesichtsausdruck von Holler war unbezahlbar. Und seine Augen fingen wütendes Feuer, als er realisierte, dass die anwesenden Husaren über Jacks Worte zu lachen begannen.
Der ehemalige Pirat untergrub seine Autorität. Etwas, was gerade junge Offiziere nach seiner Erfahrung auf den Tod nicht ausstehen konnten.
Bevor er jedoch den Kasernenhofton auspacken konnte, wandelte sich die Situation.
Ein lächelnder Damien Mulgrew trat neben Toni Holler an den Tisch, ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in der Hand.
„Entschuldigen Sie, Second Lieutenant. Sergeant Ryan-Jones, wenn ich mich richtig erinnere, schulde ich Ihnen noch einen Drink für unsere kleine Auseinandersetzung auf dem Torso Ihrer Maschine. Leider gibt es hier keinen Absinth, aber vielleicht tut es ja auch ein guter Scotch!“
Damit holte der Mechkrieger aus und schüttete Jack den Inhalt des Glases zielsicher ins Gesicht.
Robert Steinberger war der erste, der auf die unüberlegte Aktion reagierte, indem er aufsprang. Zeitgleich mit Danielle Vascot und der für Jack namenlosen Sergeantin. Dann folgte der Rest der ehemaligen Husaren in der Kneipe dem Beispiel und nahm bedrohliche Haltungen ein.
Von der Plötzlichkeit der Aktion völlig überrascht, blickte sich die in der Unterzahl befindlichen Gefolgsleute des Lieutenants verwirrt um, während Jack nur mit geschlossenem Auge auf seinem Stuhl saß. Er zuckte nicht einmal.
Der Scotch rann sein Gesicht hinab und befeuchtete sein Hemd und die Weste, tropfte von seinem Bart und den Augenbrauen.
Unendlich langsam stellte der ehemalige Pirat seinen Krug auf den Tisch und erhob sich dann mit immer noch geschlossenem Auge.
Als er es öffnete, war es gefüllt mit Zorn und unendlichem Hass.
„Ich mag keinen Scotch, du Missgeburt!“
Mit einem schnellen Griff packte Jack die Tischplatte und schleuderte das schwere Möbelstück mehrere Meter durch den Raum, womit die Barriere zwischen Ihm und Mulgrew verschwand.
„Lass das sein, Jack. Holler ist Offizier verdammt. Wir kämpfen auf einer Seite, nicht mehr gegeneinander. Seid ihr denn alle total verrückt geworden?“
Die beschwichtigenden Worte von Betty Rush wurden nur mit einem wütenden Blick Jacks quittiert, der sie betreten einen tiefen Schluck aus Ihrem Glas nehmen ließ. Nur die wenigsten der ehemaligen Husaren in der Bar schienen Ihrer Ansicht zu sein.
Toni Holler wurde von der Situation völlig überrascht. Immer wieder hetzte sein Blick zwischen Jack, Mulgrew, seinen Leuten und den umherstehenden Husaren hin und her. Er schien krampfhaft zu überlegen, was nun zu tun war.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Jack, wie die Sergeantin einigen Ihrer Leute lautlose Zeichen gab und Jesse zusammen mit einigen anderen auf dem Weg war, die Tür zu blockieren.
„Jetzt zerreise ich dich in der Luft, Sohn der Oberonkonföderation. Wenn ich mit dir fertig bin, brauchen wir eine neue Flagge für einen Sarg!“
Damit ging er auf seinen Gegner zu, die Hände zu Fäusten geballt, die Knöchel weiß hervorstehend. Mulgrew verfiel in eine Abwehrposition, die Fäuste erhoben, das rechte Bein nach hinten versetzt.
Dann explodierte die Atmosphäre in der dem Tode geweihten Bar. Als Jack den krampfhaft nach Fassung ringenden Holler passierte, griff dieser ihm an die Schulter, um den Angriff zu verhindern und den ehemaligen Piraten zur Vernunft zu bringen.
Der schraubstockartige Griff auf die frische Schulterwunde ließ Jack vor Schmerz aufheulen und sofort auf ein Knie herabsinken.
Von der heftigen Reaktion völlig überrascht sah Holler die Faust nicht mehr kommen. Robert Steinberger fuhr pfeilschnell an den Offizier heran und landete mit Anlauf eine linke Gerade mitten in dessen Gesicht.
Und in genau diesem Moment verwandelte sich die gemütliche Bar in den Vorhof zur Hölle.
Ein Großteil der ehemaligen Husaren stürzte brüllend auf die locker an der Theke verteilten Chevaliers ein.
Mit tränendem Auge blickte Jack von seiner knieenden Position nach oben, die Hand krampfhaft auf die schmerzende Wunde gepresst.
Rechts von ihm feuerte Robert Steinberger ein wahres Trommelfeuer an Faustschlägen auf den bemitleidenswerten Toni Holler ab, der seine Fäuste als Deckung vor sein Gesicht hielt. Zum Glück des jungen Offiziers war sein Gegner so betrunken, dass nur die Hälfte der Schläge überhaupt ins Ziel trafen.
In seinem linken Blickfeld ließen die Sergeantin sowie Danielle Vascot einen stämmigen Infanteristen der Chevaliers gerade bereuen, sich die beiden Frauen als Gegner ausgesucht zu haben. Mit schnellen Tritten gegen den Oberkörper und präzisen Schlägen gegen Kopf und Bauch ihres Opfers hatten die Beiden schon mindestens zwei blutende Platzwunden erzeugt, ohne auch nur einen Gegentreffer zu kassieren.
Dann erblickte er Mulgrew. Der Peripherieler war keinen Schritt zurückgewichen, im Gegenteil, er behauptete seine Position mit aggressiven Konterangriffen gegen gleich drei ehemalige Husaren.
Aber er war abgelenkt. Jacks Chance.
Mit einem wütenden Kampfschrei schnellte der ehemalige Pirat aus seiner kauernden Position hoch und rannte auf seinen auserkorenen Gegner zu. Zwar bemerkte Mulgrew die Gefahr noch, konnte jedoch nicht mehr ausweichen und wurde von Jacks gesunder Schulter brutal in den Bauch getroffen und von der unbändigen Kraft der anstürmenden Bestie von den Füßen gehoben.
Zwei schnelle Schritte verbrachte er nach Luft ringend auf der Schulter, bevor sein Rücken eine unerfreuliche Bekanntschaft mit der massiven Holzfront der Theke machte, was ihm erneut seinen angesammelten Luftvorrat kostete.
Als Jack jedoch kurz den Druck reduzierte, um seine Schulter ein weiteres Mal in den Bauch des Gegners zu rammen, aktivierte Mulgrew seine Kraftreserven und setzte mit dem Ellebogen einen vernichtenden Schlag in den Nacken von Jack Ryan.
Keuchend brach der ehemalige Pirat ein weiteres Mal in die Knie, konnte sich jedoch an der bronzenen Trittreling der Theke festhalten, seinen Kopf senken und mit aller Kraft nach vorne stoßen. Genau in die Weichteile des aufheulenden Damien Mulgrew.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht brach dieser nach links aus und nach einem halben Schritt vorwärts zusammen, wobei er sich im Fall noch so drehen konnte, dass er auf dem Rücken landete.
Mittlerweile hatte Jack sich wieder einigermaßen erholt und erhob sich langsam um unsicher auf seinen am Boden liegenden Gegner zuzustolpern.
Die plötzlich mit wild rudernden Armen durch sein Blickfeld fliegende Danielle Vascot ließ ihn einige Sekundenbruchteile stocken, bis Sie die Theke überquert hatte gegen den Spiegel hinter der Bar prallte.
In einem Regen aus Scherben, Flaschen, Gläsern und nicht jugendfreien Flüchen des fassungslos zusehenden Barmannes landete sie außerhalb von Jacks Blickfeld hinter dem massiven Holzmöbelstück.
Dieser hatte jedoch nicht die geringste Zeit, sich um die junge Mechkriegerin Gedanken zu machen, denn der stämmige Infanterist, der Danielle wohl quer durch den Raum geschleudert hatte, stürmte nun auf ihn ein, eine protestierend brüllende Betty Rush auf dem Rücken, was ihn jedoch allem Anschein nach nicht im Geringsten zu stören schien.
Behäbig wich Jack dem ersten Schwinger des Mannes aus, schaffte es gerade noch, den zweiten mit seiner eigenen Hand zu blocken und verpasste dem wütenden Infanteristen dann einen brutalen Kopfstoß auf die Nase, wobei er das befriedigende Knirschen brechender Knochen vernahm.
Ermutigt griff Jack mit seiner linken Hand nach dem dunklen Pullover des Soldaten, bekam diesen zu fassen und ließ dann zwei schnelle Faustschläge in das breite Gesicht folgen.
Von dieser Parade völlig überrascht stolperte der Angegriffene einen Schritt zurück, was für Jack wiederum ausreichend war, um einen vernichtenden Tritt gegen den Brustkorb des Mannes auszuführen.
Mit einem ungläubigen Ausdruck auf dem Gesicht wurde dieser zurück geschleudert und brach dann rückwärts mit einem Tisch zusammen, wobei er die eher zierlich gebaute Betty Rush fast vollständig unter sich begrub.
Mitleidig verzog Jack sein Gesicht als das gequälte Aufstöhnen der jungen Mechkriegerin beim Aufprall an seine Ohren drang. Bevor er jedoch der Dame in Not zur Hilfe eilen konnte, wurde er brutal herumgerissen und erhielt einen so dermaßen harten Schwinger an sein Kinn, dass bunte Sterne durch seine Wahrnehmung tanzten und er sich mit einem kurzen Schritt an die stützende Theke retten musste.
Damien Mulgrew stand breitbeinig vor ihm. Seine Augen blitzen kampflustig und seine Fäuste waren bereits wieder zum Schlag erhoben.
„Wir sind noch nicht fertig Ryan! Noch lange nicht!“
Schon wollte der in Punkto Muskeln Jack durchaus ebenbürtige Mulgrew auf ihn losgehen, da trat eine mit zahllosen kleinen Schnitten und blauen Stellen übersähte Danielle Vascot wieder in Erscheinung. Die ehemalige Husarin war auf die Theke gesprungen, klammerte sich mit den Händen an der aus massivem Gusseisen bestehenden Barlampe fest und schwang ihre Füße mit erheblicher Wucht in den Gastraum zurück. Direkt in das verwirrte Gesicht von Damien Mulgrew.
Leider hatte der Wirt wohl ein Vermögen für Import von teuren Materialien seiner Bar ausgegeben, offensichtlich jedoch wesentlich am Sold der Handwerker gespart.
Die Befestigung der gusseisernen Lampe wurde am Scheitelpunkt von Danielles Angriff aus der Decke gerissen und die Mechpilotin landete grunzend auf dem Boden, während eine Wolke bestehend aus Staub und abbröckelndem Putz, sowie der schweren Lampe sie begleitete.
Ihr Opfer hingegen blieb zwar auf den Füßen, hielt sich jedoch die Hände schützend vor das Gesicht und stolperte einige unsichere Schritte durch den Raum.
Zeit für Jack, nachzusetzen. Nicht jedoch ohne eine Wegzehrung in Form eines erst halb getrunkenen Bieres, welches verwaist an der Theke herumstand. Wütend schnaubend schüttete er die schäumende Flüssigkeit in sich hinein und drückte es dann der sich gerade aufrappelnden Danielle Vascot in die Hand.
„Hier, halt das fest, Asspilotin. Hier geht eh schon genug zu Bruch!“
Damit verfiel er in einen kurzen Sprint. Sein Plan war es, Mulgrew mit einem Sprungtritt gegen den Brustkorb ein für allemal oder doch zumindest für den heutigen Abend aus dem Gefecht zu nehmen.
„So, du Scotch verschwendender Sohn einer Hinterhofnutte, jetzt ist Schluss mit Lustig…“
Weiter kam er nicht, denn er bemerkte erst zu spät die Hand des noch immer liegenden Infanteristen, welche sich um seinen linken Knöchel geschlossen hatte. Der stahlharte Griff erwischte ihn in vollem Lauf, brachte seine Bewegungsenergie fast augenblicklich zum erliegen und sorgte dafür, dass er mit dem Gesicht voran auf die soliden Holzbohlen des Fußbodens prallte.
Noch während des äußerst unsanften Aufpralls merkte er, wie zwei seiner Backenzähne sich in widerlich körnige Spliter auflösten und ein weiterer Schmerz in seinem Kopf explodierte.
Nur seine schiere Willenskraft und die hohe Alkoholkonzentration in seinem Blut ließen ihn sich erneut erheben und die Hand des Infanteristen abschütteln.
Leider gab er damit wiederum Mulgrew genügend Zeit um sich zu erholen und Ihn zu erreichen.
Die Schläge der beiden trafen fast zeitgleich auf den Körper des jeweils anderen. Mulgrew hatte in bester Boxermanier eine vernichtende Gerade auf Jacks Gesicht entfesselt, die eine komplette Gesichtshälfte des Getroffenen mit einem Schlag betäubte.
Dieser hingegen hatte sich für einen guten altmodischen Schlag auf den unteren Rippenbogen seines Gegners entschieden, welcher Mulgrew die Luft aus den Lungen presste.
Hart getroffen fielen beide Männer nach hinten, Mulgrew auf eine Tischplatte, an der er sich keuchend festklammerte, Jack auf einen noch intakten Stuhl. Schwer nach Luft ringend betrachteten sich die beiden Kontrahenten, lauerte auf eine Gelegenheit, den anderen zu überraschen.
„Du… bist… ein… verdammt harter… Bastard… Jack Ryan-Jones.“
Die Worte kamen zischend zwischen Mulgrews Zähnen hervor, gerade laut genug um von dem ehemaligen Piraten über die brachiale Lautstärke der tobenden Massenschlägerei gehört werden zu können.
„Und du Schwuchtel hast einen teuflische rechte Gerade!“
Anerkennend nickte Jack Damien zu, dann erhoben sich die beiden wieder von Ihren Plätzen und nahmen Kampfpositionen ein.
Das Krachen der auffliegenden Tür und das schrille Geräusch von Trillerpfeifen ließ sie ihre Blicke zum Eingangsbereich der Bar werfen.
Ein ganzer Pulk Militärpolizisten stürmte in einer nicht enden wollenden Schlange aus weißen Helmen und gleichfarbigen Schlagstöcken durch den schmalen Zugang in die Bar, wobei alles, was ihnen im Weg stand, sofort niedergeknüppelt wurde.
Zu ihren ersten Opfern gehörten der mittlerweile übel zugerichtete Toni Holler, sowie Robert Steinberger, der ebenfalls einige schwere Treffer hatte einstecken müssen und unter dem Ansturm einfach niedergewalzt wurden.
Ein breites Grinsen schob sich auf Jacks Züge, als er wieder zu Mulgrew blickte.
„Ich mag dich nicht, aber die noch viel weniger. Kurze Waffenruhe?“
Schwer atmend blickte dieser sich noch einmal zu den stürmenden Polizisten um, bevor auch er schief zu grinsen begann.
„Peripherieler und Polizei! Also gut, aber das hier ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben!“
Damit packte er einen neben sich stehenden Stuhl und wand sich dann den ersten beiden Weißhelmen zu, die bereits auf Schlagweite ihrer Stöcke heran waren.
Er blockte die ungezielten Schläge mit den Stuhlbeinen ab und wollte gerade offensiv werden, als hinter ihm erneut Jacks laute Stimme erklang.
„Aus dem Weg, Oberon! Hier kommt das Räumkommando!“
Völlig verwirrt blickte sich Damien um und konnte gerade noch der heranwalzenden Tischplatte aus solidem Holz durch einen nicht gerade eleganten Seitensprung entkommen.
Jack hatte das Möbelstück umgeworfen und mit einem mörderischen Tritt versehen, der es polternd mit der Tischplatte voran auf die Polizisten zuschlittern ließ.
Der Jubel unter den Chevaliers, wie auch ehemaligen Husaren war groß und trieb die Meute zu einem Gegenangriff, mit dem die Militärpolizisten wohl nicht gerechnet hatten.
Jack hechtete hinter dem Tisch her und stürzte sich auf den ersten Polizisten, der dahinter mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Vorschein kam. Offensichtlich hatte die Kante der heransausenden Platte dessen Fuß getroffen.
Der nun folgende Schlag des ehemaligen Piraten in das Gesicht des Polizisten, sollte dann aber auch der letzte des gesamten Abends für ihn gewesen sein.
Fünf Militärpolizisten tracktierten ihn gleichzeitig mit ihren Schlagstöcken, sodass der bereits massiv angeschlagene Mann ohne weitere Gegenwehr zu Boden ging, sich zusammenrollte und mit den Armen das Gesicht schützte.
Immer mehr Polizisten stürmten in die völlig demolierte Bar und brachten nach und nach auch die letzten Unruhestifter dazu, sich kleinlaut an einer Wand aufzustellen und von weiteren Angriffen abzusehen.
Das letzte Widerstandsnest bestand aus Jesse Stonefield und der Sergeantin, die Rücken an Rücken jeden Vorstoß der Militärpolizei mit brutalen Faustschlägen beantworteten und schlussendlich mit einer Ladung Pfefferspray und jeweils acht Polizisten zur Räson gebracht werden mussten.
„Ja wunderbar! Wenn die werten Herrschaften und natürlich auch Damen diese Kampfbereitschaft auch auf dem Schlachtfeld zeigen würden, könnten wir die Nachfolgestaaten samt Clans unterwerfen und einen neuen Sternenbund ausrufen! Aber nein, wir zerlegen ja lieber gemütliche Bars im Rotlichtbezirk!“
Die Köpfe aller Anwesenden flogen zu dem Sprecher herum, der mit überaus wütendem Gesichtsausdruck der Eingangstür aufgetaucht war.
Lieutenant Colonel Harrison Copeland trug die Felduniform der Chevaliers, eine schmerzhaft aussehende Reitgerte, sowie dunkle Augenringe, wie man sie von völlig übernächtigten Menschen kannte, zur Schau.
Langsam betrat er den Schankraum, gefolgt von Aaron Imara und einem ganzen Tross weiterer Militärpolizisten.
„Schauen Sie nicht so überrascht, Jack. Der Colonel wusste schon zehn Minuten nach Ihrer Flucht wo Sie zu finden sein würden. Wir sahen aber keinen Grund dafür einzuschreiten, bis uns mitgeteilt wurde, dass die Corporals Mulgrew und Kotare sich dieselbe Lokalität ausgesucht haben. Wir wussten, dass es hierzu kommen würde!“
Copeland hatte den Tresen erreicht und ließ sich elegant auf einem der noch intakten Barhocker nieder.
„Lieutenant Colonel, wenn Sie erlauben, würde ich die Situation…“
Der völlig zerschlagene und aus einer Platzwunde über der rechten Augenbraue blutende Toni Holler war mindestens genau so überrascht, seinen kommandierenden Offizier zu dieser Uhrzeit hier anzutreffen, wie der gerade von vier Polizisten auf die Füße gezogene Jack, überwand die Schrecksekunde jedoch wesentlich schneller.
„Nein, Second Lieutenant Holler, erlaube ich nicht! Von Sergeant Ryan-Jones hatte ich nach einer Einweisung durch Colonel Danton über seine Persönlichkeit nichts anderes erwartet, aber das Sie auf seine Sticheleien eingehen, na ja, das besprechen wir später, zusammen mit dem Colonel. Das gilt natürlich auch für Sie, Corporal Mulgrew und Sergeant Ryan-Jones.“
Dieser riss sich aus dem Griff seiner Bewacher los und blickte düster zu Copeland hinüber. Bevor er jedoch etwas erwidern konnte, fuhr dieser in scharfem Tonfall fort.
„So, meine Herren, meine Damen. Eine unschöne Situation die wir hier haben. Wirklich unschön. Natürlich könnte ich meine Freude von der Militärpolizei nun bitten, ihre Schlagstöcke erneut auszupacken und hier aufzuräumen, aber das würde mein Problem nicht lösen, sondern nur verschlimmern. Sie haben anscheinend alle noch nicht begriffen, dass wir nun eine Einheit sind. Eine Einheit! Wir ziehen in wenigen Wochen gegen die Nebelparder zu Felde verdammt und wenn ich das hier so sehe, werden die mit uns den Boden aufwischen. Entweder wir wachsen zusammen, arbeiten zusammen, kämpfen und handeln zusammen, oder wir werden elendiglich zusammen krepieren!“
Nachdenklich blickte Copeland in die Runde, während alle Augen auf ihm ruhten.
„Ich habe eine Idee. Wir gehen jetzt alle in die Kaserne. Ruhig und wie zivilisierte Menschen. Unter Umständen bringen wir einige von Ihnen zuerst zum Krankenhaus, damit man ihre Verletzungen behandeln kann. Wir schlafen unseren Rausch aus, na ja, zumindest sie den Ihren und dann dürfen Sie diese kleine Auseinandersetzung Colonel Danton erklären. Und bevor sie sich darauf berufen, Jack, dass Sie in Ihrer dienstfreien Zeit sind, lassen Sie mich ihnen mitteilen, dass der Herzog dieses Planeten mir großzügigerweise erlaubt hat, in seinem Namen zu sprechen. Und da sie sich auf kuritanischem Boden befinden bin ich ihnen gegenüber damit sehr wohl befehlsberechtigt. Sie sollten es sich also zweimal überlegen, ob sie mich weiter verärgern und mir meine wohlverdiente Nachtruhe rauben, denn spätestens wenn wir in Kürze wieder in der Kaserne sind, kann und werde ich dafür sorgen, dass Sie Blut und Wasser schwitzen, Freundchen!“
Die letzten Worte Copelands kamen wie ein Versprechen über seine Lippen.
Langsam rutschte der Lieutenant Colonel von seinem Hocker herunter und ging wieder in Richtung der Ausgangstür, wobei er bei jedem Schritt mit der Reitgerte gegen den rechten Stiefel schlug, einen völlig desorientierten Teil der Chevaliers sowie einen wutschnaubenden Aaron Imara hinterlassend.
„Ich für meinen Teil kann mich den Worten von Lieutenant Colonel Copeland nur anschließen, meine Damen und Herren, wobei Sie sich sicher sein dürfen, dass ich wesentlich deutlicher geworden wäre. Da Sie jetzt jedoch alle Chevaliers sind und Colonel Danton mich gebeten hat, ihn diese Sache regeln zu lassen, lege ich ihnen nahe, die Rechnungen für Ihre Getränke zu bezahlen und dann den Militärpolizisten zu den bereitstehenden Luftkissentransportern zu folgen. Die werden sie zur Kaserne zurück bringen. Und ich würde Ihnen allen wirklich anraten, von weiteren Aggressionsausbrüchen abzusehen, denn wie Sie sicherlich alle bemerkt haben, sitzen die Schlagstöcke der Militärpolizei hier recht locker. Was den Schaden an der Bar betrifft, so bin ich mir sicher, dass der Colonel dafür geradestehen wird, natürlich nur im Hinblick auf ihre laufenden Soldzahlungen und die Prämie des Herzogs. Ich wünsche noch eine angenehme Nacht.“


Luftkissentransporter der Miliz
Parkensen City
Wayside IV

Der Transportraum des Schwebers bestand aus zwei parallel zueinander stehenden Bänken an den Wänden, sowie einer winzigen Funzel von Lampe an der Decke und war angefüllt mit zehn sich gegenüber sitzenden, ziemlich zerschlagenen Gestalten, die vor Schmerzen keuchten oder einfach nur still ihr Martyrium ertrugen bis sie ihr erstes Reiseziel, die Notfallstation des Zentralkrankenhauses von Wayside, erreicht hatten.
Jack gehörte zur ersteren Sorte.
„Gottverdammt, Mulgrew, meine Gesichtshälfte ist noch immer taub! Wo zur Hölle hast du Boxen gelernt?“
Der ihm gegenübersitzende Peripherieler sog scharf Luft ein, als der Schweber um eine Ecke bog und damit Bewegung in seinen Körper kam.
„Sagen wir einfach, ich hatte eine unruhige Kindheit! Außerdem musst gerade du motzen. Das Wort Dickkopf bekommt durch dich eine völlig neue Bedeutung! Mein Gehänge schwillt gerade dermaßen an, dass ich befürchte, es platzt gleich aus der Hose!“
„Un moi Nosen! Mai schöne Nosen hasts auch plat g’macht, du Huatsimple.“
Die Stimme des stämmigen Infanteristen, dem Jack den Kopfstoß verpasst hatte, erklang aus den hinteren Rängen der Bänke.
„Halt die Klappe du menschlicher Schrank. Ich wäre unter dir beinahe erstickt!“
Betty Rush schien wirklich entrüstet zu sein, hatte aber definitiv nicht mehr die Kraft ihren Kopf von den Knien zu erheben, wodurch die Worte nur gedämpft an die Ohren der restlichen Streithähne drangen.
„Joa Mai, wenns di auch an meim Buckl festkrolln duast, brachst di net wundern wenn du dann wi a Briafmärkle ausschaust!“
Ein kurzes Lachen durchfuhr die Insassen des Schwebers, dass sich jedoch durch eine weitere Kurve des Fahrzeugs sofort in ein gequältes Stöhnen verwandelte.
„Ich schwöre, wenn dieser Trottel von Fahrer noch einmal so in die Kurve geht, breche ich ihm jeden Knochen einzeln!“
Jack hielt sich krampfhaft an der Sitzbank fest und wartete darauf, dass die Schmerzen nachließen.
„Bist gschtat, Burli! Wenns die da aussa hörn gibt’s noch mehr auf die Goschn und i bin für huit bedient!“
Allgemein zustimmendes Grollen ließ Jack jeden weiteren Kommentar heruterschlucken, wobei er dem merkwürdig sprechenden Infanteristen Recht geben musste. Viel mehr würde auch er heute nicht vertragen. Seine Schulterwunde hatte die Verbände bereits durchblutet und einen feuchten Glanz auf sein schwarzes Hemd gezaubert, seine beiden zerborstenen Zähne schmerzten wie Dreck und die Schläge der Militärpolizisten waren nicht im Geringsten dazu angetan gewesen, seine Verfassung noch zu verbessern.
„Und ich schwöre dir eins, Ryan-Jones! Wenn du dich noch mal an Doreen heranmachst, werde ich DIR alle Knochen brechen. Sie ist ein anständiges Mädchen und sie gehört zu mir! Haben wir uns verstanden?“
Damien Mulgrew hatte die Augen geschlossen und den Kopf an die Bordwand des Schwebers gelegt. Trotzdem konnte Jack die Spannung seines Körpers fast spüren.
„Oh, Mulgrew! Also gut, ich sage es dir jetzt mal in aller Deutlichkeit. Ich habe nicht das geringste Interesse an deiner Doreen. Nicht langfristig, nicht kurzfristig, nein, überhaupt gar nicht. Sie ist nicht mein Typ. Ich mag keine Frauen, die lieber an Maschinen herumfummeln, als an mir. Und krieg endlich in deinen Schädel, dass in dem Cockpit Nichts passiert ist. Ich hatte nicht mal den kleinen Finger an oder gar in ihr. Ich hab sie nicht angefasst, berührt oder auch nur aufdringlich gekuckt! Sie hat sich für mein Geschütz interessiert und ich habe ihr davon erzählt. Dann hatte sie da noch ein paar Probleme mit inneren Systemen, die wir durchgegangen sind. Und das war es dann auch schon!“
Jacks Worte klangen resignierend und genau so fühlte er sich auch. Er kannte Menschen von Mulgrews Schlag. Denen konnte man die Beweise vor die Füße kippen, ohne dass sie sich dafür interessierten.
Zu seiner Überraschung fing der Peripherieler plötzlich prustend an zu lachen.
„Also hast du ihr von deiner Kanone erzählt und sie dir von inneren Problemen? Ja, das hört sich ganz nach dem Sex mit Doreen an!“
Zaghaftes Lachen erfasste nun auch den Rest der Insassen, von Jack abgesehen, der nur einen dämlichen Gesichtausdruck zustande brachte.
„Gottverdammt, Mulgrew, nein, ich hab doch gesagt, dass ich sie nicht angefasst habe. Sie war verdammt profesionell… nein… ich meine… ich hab doch meistens nur ihren Kopf gesehen, weil sie… NEIN!“
Trotz der Schmerzen wurde das Lachen noch lauter als Jack seine verzweifelten Erklärungsversuche abbrach.
Fast schon weinerlich fasste er es kurz zusammen.
„Ich hab sie nicht angefasst, Mulgrew. Wirklich nicht!“
Der andere Mann wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und beugte sich dann zu Jack hinüber.
„Mal unter Männern, Jack, wenn das wirklich stimmt, dann ist es wirklich tragisch. Nicht nur, dass wir uns dann den ganzen Ärger hier umsonst eingeheimst hätten, nein, du hättest auch noch ein echtes Erlebnis verpasst. Wirklich Schade für dich!“
Damit lehnte Mulgrew sich wieder zurück und schloss erneut die Augen.
Jacks Worte drangen nur gedämpft an seine Ohren und ließen ihn lächeln.
„Jetzt hasse ich dich wirklich, Mulgrew!“
Cunningham
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray Raumhafen


Vorsichtig schüttelte Shepard ab, gurtete seine Hose zu betätigte die Spülung des Pissoirs. Die letzten Tage waren erfrischend geschäftig gewesen. Es galt ein Regiment gefechtsbereit zu machen.
Und um der Wahrheit die Ehre zu machen, die Chevaliers waren in den unteren Rängen überraschend kompetent. Selbst jene, die sich noch nicht zu rasieren brauchten.
Sorgfältig wusch er sich die Hände. Der Vormittag hatte für ihn einige außerplanmäßige Arbeiten bereit gehalten. HiBa und anschließender Formaldienst der drei Mechkompanien. Zumindest alle Mechkrieger die entsprechend dienst- und verwendungsfähig waren.
Aber heute Abend hatte die Meute Ausgang und er konnte schön ungestört alles liegen gebliebene abarbeiten und morgen, tja morgen würde er den Spaß haben die Arrestanten aus den örtlichen Polizeirevieren abzuholen. Jawoll JA! Irgendwofür musste die Dienststellung als Spieß ja gut sein. Er durfte nur nicht vergessen heute Abend nochmal den Schlagstock zu ölen.
Gerade trocknete er sich die Hände ab, als sich eine riesenhafte Gestalt durch die Tür zur Toilette hineinzwängte. Misstrauisch begutachtete er den Elementar, der mit einer sagenhaften Gewandtheit durch eine Tür kam, die nicht für seine Ausmaße konzipiert worden war, dass er dabei keinerlei Geräusche machte.
Ja, noch eine Eigenheit der Chevaliers. Sie hatten mehr als einen Clanner in ihren Reihen. Sogar einen ganzen Zug Elementare.
Der Riese kam auf ihn zu und langsam wanderte Shepards Hand zu seinem Waffenkoppel.
„Sergeant Major Darnell Shepard?“ sprach ihn der Clanner an.
„Ja?“, antwortete er gedehnt.
Zu seiner Verwunderung streckte ihm der Elementar seine riesige Pranke entgegen, mit der er sicherlich ohne Mühe eine Wassermelone oder einen menschlichen Kopf, seinen menschlichen Kopf, zerquetschen konnte.
„Ich bin Sergeant Rowan Geisterbär, ich hatte noch keine Möglichkeit mich mit Ihnen bekannt zu machen. Willkommen bei den Chevaliers.“
Shepard blinzelte überrascht. Auch wenn die meisten höheren Offiziere ihn höfliche empfangen hatten, um irgendwas über den Auftraggeber herauszubekommen wie er glaubte, waren die unteren Ränge, die Sergeanten und Corporale, um einiges distanzierter gewesen. Geisterbärs Mimik und Gestik drückten jedoch aus, dass er seine Worte ernst meinte.
Etwas zaghaft ergriff er die dargebotene Hand: „Angenehm, Sergeant.“
Zu seiner Überraschung gelang es dem Hünen seine Kraft so zu dosieren, dass er zwar einen kräftigen Händedruck zustande brachte, ohne jedoch Shepards Hand zu zerquetschen.
„Wenn Sie irgendetwas brauchen, Sarge, so nennen Sie doch die anderen ehemaligen Husaren, dann fragen Sie nur. Und wenn Sie eine weitere laute Stimme brauchen um die Disziplin aufrecht zu erhalten, ich und meine Leute sitzen direkt im Gebäude der restlichen Infanterie.“
Die Betonung von ‚restliche Infanterie‘ besagte deutlich, was der Sergeant davon hielt seine Elementare als bloße Infanteristen einzuordnen.
Tatsächlich fiel dem frisch gebackenem Master Sergeant ein, was er über die Clans wusste. Zumindest das wenige. Für die Erben Kerenskys war es ganz normal ehemalige Gegner in ihre Reihen aufzunehmen. Von daher dürften tatsächlich die Clanner am wenigsten Probleme mit der Zusammenlegung der beiden Truppen haben.
„Sie und Ihre Leute trainieren mit der Infanterie?“
„Pos .. ja, Sarge.“
„Gut, ich muss nämlich wissen, ob die Infanterie funktioniert oder ob ich mir mal deren Unteroffiziere vorknöpfen muss.“
Der Elementar wirkte überrascht: „Ich soll Ihr … Spitzel … sein?“
„Nein, ich will, dass Sie mir helfen meine Arbeit zu machen, wie Sie es mir angeboten haben. Mein Job ist es das Unteroffizierskorps am Laufen zu halten, so dass die Einheit so arbeitet, wie sie soll. Als Mechkrieger fehlt mir zum einen der Einblick in die Infanterie, und zum anderen, so sehr ich mich bemühe, ich kann nicht überall gleichzeitig sein.“
„Pos, ich habe verstanden“, Rowan nickte, „wenn Sie mich jetzt entschuldigen.“
„Natürlich.“
Etwas neugierig geworden blickte Shepard dem Clanner nach, wie dieser das Pissoir, welches ganz eindeutig nicht für jemanden seiner Größe gedacht war, handeln würde.
Das Bild war etwas skurril, so als wenn ein Erwachsener sich mit einem Kinderpissoir abgeben musste, nur das dieser Erwachsene mehr als einen Kopf größer war als Shepard selbst.
Kopf schüttelnd macht sich der Spieß der Chevaliers schließlich davon.

Etwas später saßen Shepard in seinem Büro die Katastrophe von Lanze gegenüber, die man ihm zugeteilt hatte. Naja, die zwei Drittel, die nicht im Krankenhaus lagen, und er machte sich eine geistige Notiz diesen Jack Ryan-Jones heute oder allerspätestens morgen persönlich zu besuchen und sich nach dessen Wohlbefinden zu erkundigen.
Nur weil er hier so etwas wie den Omega-Mob befehlige, durfte er seine Pflicht den Leuten, nein seinen Leuten gegenüber nicht vernachlässigen.
„Und der Colonel hat Ihnen WAS angeboten?“
„Na ja, entweder ich nehme diese Corporalsstreifen oder ich schieß auf ihn“, Steinberger erzählte freimütig und entspannt, geradezu in arroganter Art und Weise, „aber auf einen Krüppel zu schießen, das wäre unsportlich.“
Stonefield auf dem Nebenstuhl verdrehte gequält die Augen. Allem Anschein nach war ihm diese Seite seines Freundes sehr unangenehm.
Shepard hingegen durfte sich als Spieß keine Blöße geben, wie etwa resigniert mit dem Kopf mehrfach auf die Tischplatte zu hämmern oder sich an den Kopf zu fassen.
„Unsportlich?“ wiederholte er stattdessen.
„Natürlich, hätten Sie auf einen Krüppel geschossen?“
Die Antwort war für Shepard ganz klar: Natürlich! VON HINTEN! Stattdessen sagte er: „Zumindest hätte ich nicht auf meinen kommandierenden Offizier geschossen.“ Was ebenfalls ungesagt blieb, war, dass Shepard der Meinung war, dass viel zu viele gute Soldaten gestorben waren, weil sie nicht als erstes ihren Idioten von Offizier umgelegt hatten, als die Schlacht begann.
„Keine Sorge, Sarge, ich werde vorher kündigen.“
Und dann in einem ordentlichen Duell zu Hackfleisch verarbeitet werden, du Idiot.
„Wie dem auch sei, bis es soweit ist werden Sie beide ihren Job zu meiner Zufriedenheit machen …“
„Sicher d….“ Steinberger brach ab, als er sich Shepards Blick gewahr wurde.
„Sie beiden werden, bevor Sie heute Nachmittag Ihren Ausgang antreten, Ihre Ausrüstung überprüfen. Kühlweste, Neurohelm und Notfallkit. Hier ist eine Liste, was das Kit enthalten soll und vor allem von welchen Herstellern. Und kommen Sie beide nicht auf die Idee in den Behältern für die ABC-Schutzmaske Schnaps zu verstecken. Das war schon alt, als ich meine Ausbildung begann.
Und soweit ich weiß, gehört zur Standardausrüstung der Chevaliers auch eine Seitenwaffe. Ich erwarte, das meine Lanze im Dienst vollständig ausgerüstet und angekleidet ist.“
Stonefield räusperte sich: „Der Bulle in der Waffenkammer wollte keine Pistolen rausrücken, Sarge.“
„Wie bitte?“
„Sie haben ihn doch gehör …“ Erneut brauch Steinberger ab. Irgendwie wollte er diesen Unteroffizier nicht gänzlich verärgern, und er schien geradewegs auf den besten Weg dahin zu sein, obwohl er noch nicht mal angefangen hatte zu stänkern. Den genauen Grund wusste er dafür selbst nicht so genau.
„Also, Herr Steinberger, ich weiß, dass muss für Sie eine ziemliche Umgewöhnung sein, kein Offizier zu sein. Und ich bin auch ein sehr geduldiger Mann“, das glaubte Shepard wirklich von sich, „aber zum ersten und allerletzten Mal: Gewöhnen Sie sich schnellstens daran, dass Sie hier nur Corporal sind, wenn Sie also aufhören würden, mir meine Zeit mit ihrem unnützen Geplapper zu stehlen?“
Ohne eine Antwort abzuwarten wandte er sich an Stonefield: „Also, was hat der Unteroffizier der Waffenkammer gesagt?“
„Wortwörtlich: Verpisst Euch, von mir bekommt Ihr Schweine keine Waffe.“
„Aha, gut. Sie können wegtreten, ich kümmere mich morgen darum.“
„Warum erst … morgen?“
Shepard blickte Steinberger jetzt lange an und musste sich sehr beherrschen um den schlanken Mann nicht stantepede mittels Arschtritt aus seinem Büro zu werfen.
„Weil“, sagte er mit gefährlichem Knurren, „ich ganz genau weiß, dass Sie beiden sich heute Abend voll laufen lassen werden, und ich es nicht mag, wenn Besoffene mit Pistolen durch die Gegend laufen. Und jetzt, sind Sie bei drei verschwunden; DREI!“
Steinberger wäre fast aus dem Stuhl gesprungen und zusammen mit diesem umgefallen. Stonefield erhob sich schnell, aber wesentlich gelassener als sein Kamerad.
Schnell aber nicht fluchtartig verließen die beiden Lyraner sein Büro.

Frustriert zündete sich Shepard eine Zigarette an: „Danton, was für ein Idiot bist du eigentlich? Erst machst du dieses Pin-up-Girl zum Captain, und dann bekomme ich einen Piraten und zwei Kriegsverbrecher als Lanze. Das kann doch wohl nicht wahr sein."
Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, das gleich die Mittagszeit begann. Wenn er heute Abend noch eine halbe Stunde dran hängen würde, könnte er sich heute zum ersten Mal richtig in der Kantine zum Essen hinsetzen.
Na ja, erst mal in der Waffenkammer anrufen und den Pavian dort zurecht stoßen.
„Corporal Brestwick hier“, meldete sich eine junge Stimme und Shepard konnte schwören, das der andere den Mund voll hatte.
„Sergeant Major Shepard hier, ich w… möchte mit Sergeant Hönigschmid sprechen.“
„Oh, tut mir leid“, es klang als würde etwas krampfhaft herunter geschluckt, „aber der Sarge ist schon zu Tisch.“
„Was? Die Kantine wird doch erst in zehn Minuten geöffnet!“
„Ach, Schmiddi hat da nen Deal mit dem Küchenchef“, flötete der Corporal jetzt fröhlich.
„So, dann richten Sie dem Sergeanten doch bitte aus, dass ich nachher mal vorbei komme.“
„Jupp, wird gemacht.“
„Dankeschön!“ Knallend legte er den Hörer auf: „Das darf doch wohl nicht wahr sein.“
Auf der Waffenkammer fragte sich jetzt wahrscheinlich ein junger Corporal, was ER bitteschön falsch gemacht hatte. Das war für Darnell Shepard natürlich vollkommen egal. Energisch drückte er seine Zigarette aus.
Sein Aschenbecher war mal die Hülse einer AK-Granate gewesen, deren Rand man auf drei Zentimeter runter geflext und umgebogen hatte.

In der Kantine der Chevaliers war schon einiges los. Die Küche schien wirklich gut zu sein, und die Lunchpakete, die er sich seit seiner einen Mahlzeit hier besorgt hatte waren von außergewöhnlich guter Qualität. Das musste selbst er als Essmuffel zugeben.
Natürlich war als erstes Schlange stehen angesagt. Wie er das hasste. Und natürlich wurde sich vorne auch nicht beeilt. Captain Pin-Up hielt die Schlange auf, nein eher der Küchenbulle, der wie zur Brautwerbung um die kleine Blondine herumschwänzelte. Zum Kotzen, und an einem der Tische in Richtung Ausgang saß Sergeant Hönigschmid und witzelte mit einigen Kameraden.
Wenn er jetzt jedoch zu ihm hin ging würde er sich wieder GANZ hinten anstellen müssen und bei seinem Glück wäre dann Fokker immer noch mit dem Küchenchef oder umgekehrt beschäftigt.
Nein, doch nicht, er hatte Glück, kaum zu fassen, es ging weiter. Endlose Minuten, einen Schritt vorwärts, warten und wieder einen Schritt weiter.
Als dann Fokker ihm im vorbeigehen grüßend zunickte, wäre er ihr am liebsten mit dem nackten Arsch ins Gesicht gesprungen, nickte jedoch abgehackt zurück.
„Hauptsache dir schmeckt es, während ich Deine Truppe auf Vordermann bringe“, murmelte er, als sie vorüber war.
„Bitte?“
Hinter ihm stand ein junger Infanterist der ihn etwas verwirrt anblickte: „Was bitte?“
„Sie sagten etwas, Sarge.“
„Ach und wie kommen Sie auf die Idee, dass ich mit Ihnen gesprochen habe?“
„Ääh …“
Der Junge wurde vom Gong gerettet, als der Küchenchef Shepard ansprach: „Bonjour Sergeant-Chef, ich atte schon Angst, Sie würden meine Küche umgehen … ähm meiden.“
Shepard musterte den kleineren Mann scharf, manche von uns müssen arbeiten: „Ich hatte viel zu tun, musste mich eingewöhnen.“
„Aber natürlisch, wie dumm von mir, isch ätte Ihnen auch das Essen ins Büro geliefert, entschuldigen Sie“, dabei häufte er ein großes gegrilltes Steak auf, zwei mittelgroße Folienkartoffeln und Sourcream dazu.
„Haben Sie auch Ketchup?“
Der kleine Mann, der Sprache nach Davionist, hätte beinahe die kleine Salatschüssel, die er noch auf das Tablett stellen wollte fallen gelassen: „Ketchuuup? Pardon, no, Sergeant-Chef.“
„Na gut, dann machen Sie mir bitte noch einen großen Löffel Sourcream auf das Steak.“
„Isch ätte da noch Kräuterbutter für Sie, passt ervoragend zu dem Steak.“
Spreche ich Mandarin? „Sie haben da aber auch noch genug Sourcream!“ Kein Wunder, wenn das hier alles so lange dauert, wahrscheinlich überhäufte er die Damen des Regimentes mit zehntausend Möglichkeiten und die hatten dann natürlich die Schwierigkeit eine schnelle Wahl zu treffen.
Widerwillig machte der Koch noch einen Klecks Creme auf das Steak: „Bon …“
„Danke.“
„… appeti …“

Shepard holte sich schnell noch einen Kaffee und suchte sich einen Tisch. Einen leeren, wo er in Ruhe essen konnte. Tatsächlich fand er noch einen, der für acht Leute gedacht war.
Er setzte sich mit dem Rücken zur Wand, nach rechts außen, so dass wenn noch jemand an diesen Tisch käme, dieser sich möglichst weit vom Spieß entfalten konnte.
Essen: Für manche Menschen war es eine Kunstform, für andere wiederum eine Lebenseinstellung und eine Beschäftigung, der sie am liebsten den ganzen Tag nachgingen. Für Darnell Shepard war es eine Notwendigkeit. Der menschliche Körper brauchte nun einmal Kalorien und Energie. Von daher gab es bei ihm auch kein: Das mag ich aber nicht. Essen war essen. Wenn es besonders gut schmeckte umso besser. Wenn nicht, dann war es immer noch Essen.
Ob Fisch, Fleisch, Hühnchen oder eine Schlange, die im toten und gehäuteten Zustand nicht anders aussah als ein Aal, das war ihm vollkommen gleich. Im St. Ives-Kompakt unter dem Kommando von Aaron Imara hatte er sogar schon Hund vorgesetzt bekommen.
So bestand seine erste Amtshandlung darin Steak und Kartoffeln in kleine, häppchengroße Portionen zu schneiden und anschließend verschlang er seine Mahlzeit.
Er ließ sich gerade genug Zeit zwischen den Bissen, um sich nicht selbst der Gefahr des Erstickungstodes auszusetzen.
Operation Mittagessen verlief also doch noch wie gewünscht. Schnell, präzise und so effizient wie er es nur einrichten konnte. Die letzte Portion Tomaten und Gurken von dem gemischten Salat spülte Shepard mit dem letzten Schluck Kaffee hinunter.
Am Ende angelangt unterdrückte er einen zufriedenen Rülpser und blickte auf seine Uhr. 12:42 planetarer Zeit. Er hatte somit noch gut zehn Minuten Zeit und der Waffenkammer-Sergeant müsste eigentlich wieder bei der Arbeit sein.
Ein Blick hinüber zum Tisch von Sergeant Hönigschmid bestätigte ihm, dass dies NICHT der Fall war.
Na ja, entschied der Spieß großzügig, eine Zigarette will ich ihm noch Zeit geben. Apropos Zigarette, hier waren nirgendwo Aschenbecher.
Er zuckte mit den Schultern, wischte seinen Salatteller mit der unbenutzten Serviette aus und holte sich eine Zigarette heraus. Nachdem er sie angezündet hatte, nahm er genießerisch einen langen Zug und inhalierte den besten Tabak der Inneren Sphäre. Eigentlich könnte er die Zigarette auch auf den Weg zur Waffenkammer rauchen und sich dort vor Ort mit diesem Corporal Brestwick befassen, aber diese fünf Minuten ausspannen war sicherlich in Ordnung. Das erlaubte ihm sein schlechtes Gewissen.

An einem Nebentisch wurde übertrieben künstlich und laut gehustete und als Shepard sich umdrehte, bemerkte er wie mehrere Soldaten und auch Unteroffiziere ihn anstarrten. Fassungslosigkeit, Unglauben und auch Schadenfreude stand auf ihren Gesichtern.
„Pardon, Sergeant-Chef …“
Was wollte der den jetzt von ihm? Abräumen? Shepard stellte seine Kaffeetasse auf den Teller und legte die Servietten daneben und hielt das Gedeck dem Koch entgegen: „Dankeschön, war sehr gut.“
„Äh, Merci, aber isch muss Sie leider darauf hinweisen, hier wird nicht geraucht, hier errscht Rauchverbot, Sergeant-Chef.“
Fast wäre dem Sergeant Major seine Zigarette aus dem Mund gefallen. Seine heiligen fünf Minuten, die er sich seit drei Tagen zum ersten Mal gönnte. Keine hastig gerauchte Zigarette bei der Schreibarbeit oder bei irgendeinem Erledigungsgang, und dieser liederlich kleine Franzose wollte ihm DAS verbieten.
„Also, Monsieur“, begann Shepard ruhiger als er eigentlich wollte, während seine Halsschlagader zu explodieren drohte, „Du nimmst jetzt das Geschirr und verpisst dich von meinem Tisch, bevor ich meine göttliche Geduld mit dir verliere. Erst hältst du die verdammte Essensschlange auf, statt das Futter auszugeben, dann quakst du mich voll und jetzt willst DU MIR das Rauchen verbieten?“
Der Koch lief rot an.

Zehn Minuten später stand Shepard in Habt Acht-Stellung vor dem Schreibtisch seines Kompaniechefs. Neben ihm schrie der wütende Koch in mindestens drei verschiedenen Sprachen Zeter und Mordio.
Sein Tagesplan war damit zum Teufel, dies hier würde länger dauern.
Der Koch hatte Shepard schon an Ort und Stelle mit einer Schimpftriade überzogen und war dann mit den Worten geflüchtet ‚er würde sich an seinen Kompaniechef wenden‘, als der Sergeant Major sich erhoben hatte.
Geistig äffte Shepard den Koch dabei nach. Natürlich waren ihm auch nicht die Chevaliers UND ehemaligen Husaren entgangen, die sich in Erwartung einer handgreiflichen Auseinandersetzung bereit gemacht hatten, für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen.
Dieses hatte Shepard mit einem gebrüllten ‚weiterfressen‘ abgewendet. Tatsächlich schien die Schnelligkeit, mit der einige Husaren wieder Platz genommen hatte, die Chevaliers veranlasst zu haben ihr Vorhaben auch neu zu überdenken.
Da er damit gerechnet hatte eh demnächst zu seinem CO gebeten zu werden, hatte er sich entschieden dem Koch zu folgen. Der kleine Feigling war überraschend schnell gerannt, als Shepard die Kantine verlassen hatte.

Captain Metellus hörte sich die Beschwerde von Leon Devereux in aller Ruhe an und wandte sich dann dem Befehlshaber seiner Kampflanze zu: „Stimmt das so, Master Sergeant?“
„Soweit ich MISTER Devereux verstanden habe, stimmt die Wiedergabe des Vorfalles.“
Metellus zeigte nur durch ein einziges Blinzeln, dass er ein wenig über die Aussage überrascht war: „Dass ich das richtig verstanden habe, unser Chefkoch hat Ihnen höflich aber bestimmt mitgeteilt, dass in der Kantine Rauchverbot herrscht und Sie explodieren?“
„Technisch gesehen korrekt, Sir.“
„Technisch gesehen, Sergeant, möchten Sie mir das erklären?“
Shepard rührte sich noch immer keinen Millimeter: „Sir, der Master Sergeant wollte nach der Mahlzeit nur eine Zigarette genießen, ehe er wieder an die Arbeit gehen wollte. Im sitzen und in aller Ruhe. Und dieser Küchendespot, der ansonsten nichts anderes zu tun hat als an der Essensausgabe rumzulungern und die Schlange aufzuhalten, sei es jetzt aus Geltungssucht, weil er Komplimente heischen will oder weil er ohne Rücksicht auf die anderen, die kämpfende Truppe, ein altes Klatschweib ist, weiß der Master Sergeant nicht. Aber nachdem Mr. Devereux dem Master Sergeant heute schon mehr als genug seiner kostbare Zeit gestohlen hat, war der Master Sergeant doch sehr ungehalten, als Mr. Devereux ihm das Rauchen verbieten wollte, Sir.“
Der Captain der 1. Mechkompanie wollte erst etwas sagen, doch zuvor musterte er Shepard eindringlich und kam zu dem Schluss, dass an diesen Mann wohl Erklärungen über Leon Devereux oder die herrschenden Sitten pure Verschwendung gewesen wären.
Über die Art und Weise wie der Mann gesprochen hatte, war klar zu erkennen, dass er Leon’s Kunst wohl nicht zu schätzen wusste. Und Matellus hatte genügend Soldaten im Laufe seines Lebens kennen gelernt. „Master Sergeant“, begann er, „Mr. Devereux ist der Chefkoch dieser Einheit. Die Küche und die Kantine sind sein Refugium.“
„Ja, Sir“, antwortete Shepard ohne Regung.
„Sie werden seine Autorität in der Kantine nie wieder anzweifeln.“
„Zu Befehl, Sir.“
„Sie werden ihn mit Respekt und Höflichkeit begegnen.“
„Zu Befehl, Sir.“
Der Captain schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. Leon zuckte erschrocken zusammen, Shepard hingegen regte sich immer noch kein Stück: „Haben Sie ein Problem, Master Sergeant?“
„Sir?“
„Ihre einsilbigen Antworten. Gibt es irgendein Problem?“
Zum ersten Mal seit Beginn des ernsten Gesprächs regte sich etwas auf Shepards Gesicht. Mwtellus sah etwas Überraschung, vornehmlich Verwirrung: „Werden bei den Chevaliers erhaltene Befehle anders bestätigt, Sir?“
„Ähm, nein“, antwortete Metellus seinerseits etwas aus dem Konzept gebracht, „Also, gut, da Sie soweit verstanden haben und nichts weiteres anliegt, können Sie beide weitermachen.“
„Bitte um Erlaubnis offen sprechen zu dürfen, Sir.“
„Natürlich, Shepard, sprechen Sie.“
„Vielleicht sollten Sie Mr. Devereux verdeutlichen, Sir, dass obwohl ich des Französischen nicht mächtig bin, mir Begriffe wie Fileur und Con durchaus ein Begriff sind. Und sollte Mr. Devereux mich nochmal in Gegenwart eines Soldaten, Unteroffiziers oder Offiziers beleidigen, schlage ich ihm die Zähne ein und werde ihn zwingen sie zu essen. Mit allem gebotenem Respekt dem Küchenchef gegenüber, Sir.“
Metellus biss die Zähne zusammen: „Natürlich Master Sergeant, Mr. Devereux wird Sie mit all dem Respekt behandeln, den Ihre Dienststellung als Spieß dieser Einheit gebührt.“
„Oui, ähm jawohl, Sir“, bestätigte der Küchenchef mit unsicherem Blick auf Shepard.
„Wenn das geklärt wäre, können Sie beide wegtreten.“
Während Devereux schnell den Rückzug antrat salutierte Shepard und drehte sich schon zur Tür um: „Ähm, Captain, hätten Sie einen Augenblick Zeit, wegen meiner Lanze?“
„Natürlich, Sarge, setzen Sie sich.“
Andai Pryde
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
07. August 3066, 18:11 Uhr

Es war wieder friedlich af Wayside. Nicht dass es Matthew groß störte, während er seine Runden über das grün der Laufstrecke drehte, aber irgendetwas stimmte ihn unruhig. Selbst die drei Stunden im Fitnessraum und jetzt die Stunde auf der Strecke konnten diese innere Unruhe nicht beseitigen.
Schnaufend und schwitzend kam er bereits zum fünften Mal am Startpunkt vorbei, aber er nahm das kaum war. Seine Gedanken drehten sich um die Vergangenheit, Gegenwart und versuchten ein Blick in die Zukunft zu erhaschen.
Erst Kathil, jetzt Wayside, irgendwie schien das Leben für ihn nur Schlachten parat zu haben.
Dann diese Kompanie. Er blickte zu den aufragenden Kasernengebäuden und in die ungefähre Richtung, wo seine Kompanie untergebracht war. Er wusste es war ein Risiko, aber er hatte die Diziplischulung und das Zusammenschweißen der Truppe zum Team größtenteils Frederic und Dualla überlassen. Der Wolfskrieger hatte daraufhin begonnen gegen jeden Krieger einen Kreis der Gleichen auszurufen oder wie die Truppe es mittlerweile nannte:
„Fünf Minuten aufs Maul für den Clanner.“
Die Entwicklung als Truppe lief dadurch eigentlich recht gut. In der knappen Woche hatte die doch recht junge Kampfeinheit sich sehr eng zusammengefunden, und wenn es nur um zwei Dinge ging:
Wie schaffen wir es am besten unserem Clanner-Maskottchen eins auszuwischen und wie schaffen wir es dabei von ihm nicht im Duell fertig gemacht zu werden.
Die Streiche wurden auf Kindergartenniveau geführt und trieben den doch sehr geduldigen Frederic fast zur Weißglut. Zumal sich sein Frust nirgends hin entladen konnte, da die Truppe eng zusammenhielt und nichts verriet, selbst Mulgrew hatte sich nahtlos da eingefügt und erlaubte sich seine Späße mit dem Wolf.

Selbst Matthew musste sich eingestehen, dass der Spaß durchaus angebracht war, aber man merkte jedem die Anspannung. Obwohl die Husaren eine bunte Truppe waren und es gewohnt waren durcheinander gewürfelt zu werden, so frisch nach einer Schlacht mit dem <Feind> die Zimmer zu teilen, gefiel den Wenigsten.
Es war erstaunlich, dass es noch keine Verletzten oder gar Schlimmeres gegeben hatte und dies war wohl auch der harte Hand von diesem Sheppard zu verdanken.
Matthew hielt es persönlich ähnlich.
Die Truppe hatte ein tägliches Pflichtprogramm, beginnend mit dem Frühsport und drei Runden auf dem Parcour vor dem Antreten, direkt nach dem Antreten eine Runde über die HiBa und anschließend Simulatortraining oder technische Aufgaben, Reparaturen und anderes individuelles. Zum Abschluss gab es Fitnesstraining.
Die meisten Mechkrieger waren sehr verwöhnt und gerade diese junge Truppe strotzte zwar vor Energie, aber es fehlte ihnen an Substanz und Durchhaltevermögen.
Dafür allerdings an genug Schalk hinter den Ohren, allein die Tatsache Frederic zum Kompaniemaskottchen zu machen, bewies dies.
„Sir.“
Irritiert blickte Matthew zur Seite und auf Dualla Hildebrand.
„Lieutenant, ich hab sie gar nicht bemerkt.“
Schnaufend strich er sich über die verschwitzte Stirn und kam dabei leicht aus dem Tritt.
Die farbige Frau lächelte schwach.
„Ich bin gerade erst aus dem Kraftraum heraus. Habe mir heute etwas mehr Zeit genommen.“
Erst jetzt nahm Matthew die harten Muskeln wahr, die sich unter der dunklen Haut und dem weißen Top spannten. Die Frau war ein Kraftpaket. Vergleichsweise breit gebaut und dazu von kleiner Statur, wirkte sie doch ein wenig einschüchternd, selbst auf ihn.
Allerdings wies ihre Haut keinerlei Makel auf, glatt und ebenmäßig, wohin man schaute. Nicht eine Narbe, Schramme oder anderes Indiz für ihre Natur als Kämpferin.

Er nickte nur stumm und konzentrierte sich wieder darauf, sein Tempo zu finden. Dualla hielt problemlos mit.
„Das bei dem Antreten heute Morgen war gute Arbeit, Lieutenant. Verbesserungsfähig, aber doch sehr gut im Tritt und ordentlich. Normalerweise haben die Chevaliers es nicht so mit Formaldienst und derlei. Gerüchtewiese lief es bei Captain Fokker nicht ganz so optimal.“
„Nun ja, Sarge Sheppard ist ein harter Lehrer, Sir. Formaldienst ist selten bei einer aktiv kämpfenden Truppe. Im Gegensatz zu manchen Hauseinheiten, haben wir einfach nicht die Zeit, dies zu üben. Meistens hat man andere Probleme. Dennoch, der Sarge bestand darauf. Er nannte es den Geist scharf halten.“
„Eine gute Sache, das sollten wir beibehalten, aber es nicht übertreiben. Ich denke wir können ab morgen die Belastungsschwelle etwas reduzieren. Das Krafttraining soll individuell durchgeführt werden, der Lauf morgens bleibt!“
„Aye, Sir. Ich werde das nachher in den Dienstplan aufnehmen.“
Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinanderher. Beruhigend nahm Matthew den gleichmäßigen Atem und Rhythmus von Dualla in sich auf, und schnell passte sich sein Tempo dem ihren an.
„Sir?.“
„Hm?“
„Wir sollten bald etwas tun. Die Truppe wird unruhig. Viele finden sich immer noch nicht gut zurecht. Das liegt aber weniger an den Chevaliers, als an diesem Planeten. Wir wollen hier weg.“
„Hmmm.“
Matthew fühlte sich wieder an seine Unruhe erinnert. Vielleicht war es das, was ihn auch plagte. Diese Rastlosigkeit, aber gleichzeitige Untätigkeit.
Er blickte in den klaren Himmel, der in einem seltenen blau leuchtete.
„Ich denke es dauert nicht mehr lange, bis wir aufbrechen. Der Colonel hat etwas dahingehend erwähnt.“
„Gut, wir wollen kämpfen, dieser ganze Frust, diese Niederlage die Toten….die Trauerfeier heute früh hat einige Wunden aufgerissen, die Ablenkung wird uns gut tun. Etwas zu tun, etwas sinnvolles, nicht auf diesem Staubball zu vergammeln.“
„Ja, ich kümmere mich darum.“
Er passierte wieder die Startmarkierung und ließ sich in einen lockeren Trab auslaufen und begann dann mit den leichten Abschlussdehnungen. Dualla lief weiter.
Seine Gedanken kreisten bereits wieder, die Arbeit nahm nicht ab. Er blickte wieder zu der Kaserne.



Vitorio Gomez runzelte die Stirn, während er den kleinen Mann vor sich musterte. Der Panzerfahrer reichte ihm gerade mal zur Brust, hatte aber ein unglaublich energisches und bestimmendes Auftreten.
Er schielte auf das kleine silbrige Namensschild.
„Corporal Hicks. Das ist ihr Bandit Panzer vor der Tür, er gehört in die Panzerkaserne!“
Er hasste den Dienst als UvD, aber irgendwer musste ihn erfüllen. Was ihn noch mehr wurmte, war die Tatsache, dass der Großteil der Truppe in der Stadt auf Freigang war und sich ordentlich voll laufen ließ.
Sein Mund war trocken und der Kopf schmerzte von den Subressiva und man sah ihm die Schlaflosigkeit nur zu leicht an. Die braunen Augen blickten aus tief-liegenden Höhlen auf den schmächtigen Panzerfahrer in seiner grünen Uniform der Wayside Eagles. Er spürte die drei Narben auf der rechten Stirn nur zu deutlich, sie juckten und erinnerten ihn penetrant an die Vergangenheit. Als wären die Träume die letzten Nächte nicht genug gewesen. Dies hier war anders, es durfte nicht so enden wie damals. Er ballte die Hände zu Fäusten und lockerte sie wieder, für einen Moment hatte er das Gefühl, frisches Blut würde darüber laufen und er ertappte sich bei dem Gedanken, wie er den kleinen Mann packte, die Hände um den dünnen Hals schloss und zudrückte.
Der Gedanken verschwand wieder, so schnell wie er gekommen.
„Ach Sarge, schauen sie, mein Fahrer sieht diesen Panzer als sein Baby an und nun ja, als eine Art privater PKW.“
Vitorio hob eine Augenbraue, als er an den demolierten und verdreckten Schwebepanzer mit der starken Schieflage und dem Heckschild dachte. How´s my driving…den Schäden nach zu urteilen, nicht gut.
Hicks konnte den Zweifel nur zu deutlich sehen und begann sofort das Thema in eine andere Richtung zu lenken.
„Hinzu kommt, dass er stockbesoffen ist. Sie wollen ihn doch nicht in diesem Zustand fahren lassen! Kommen sie Sarge, er stört doch keinen. Morgen ist er weg, versprochen!“
Aus dem Hintergrund ertönte ein schrecklich lallendes Amazing Graze und kratzende Geräusche, kurz gefolgt von einem Pfeifen und Summen. Ohrenbetäubender Lärm schwoll plötzlich an und die lallende Stimme steigerte sich noch weiter in das Lied hinein, schmetterte es geradezu durch den Raum, in dem Versuch das Pfeifen, Dröhnen und Summen zu übertönen.
„Ist das ein Dudelsack?“
„Sir?“
Verständnislos blickte der Corporal ihn an. Grunzend drückte sich Vitorio an dem Mann vorbei und schob sich in den Raum.
Ein Chaos begrüßte ihn. Eine einzelne Scotch Flasche rollte über seinen Stiefel und überall lagen Donutschachteln herum. Auf dem äußersten Bett am Fenster saß eine schlanke Rothaarige und bearbeitete einen farblich passenden Dudelsack, um aus ihm Töne herauszubekommen.
Nicht gerade sehr opernhaft stand ihr gegenüber ein kleiner Mann, noch kleiner als Hicks, dafür umso breiter. Wenn man außer Acht ließ, dass für Vitorio alle Menschen kleiner waren und er mit seinen knappen zwei Metern den meisten auf den Kopf spucken konnte, so wirkte dieser Mann doch nahezu zwergenhaft. Der breite, etwas pummelige Körper, der unproportioniert wirkende Kopf und eine maximale, geschätzte Körperhöhe von ein Meter fünfzig, sprang und hüpfte um den Spind und schmettertete mit einem breiten russischen Akzent Amazing Graze. In der linken Hand eine Wodkaflasche, die kurzweilig den Katzengesang unterbrach.
Eine verfluchte russische, besoffene Diva oder etwas Ähnliches.
Grummelnd blickte Vitorio sich in den Raum um und wollte schon seinen besten Kasernenhofton anschlagen und die beiden Musiker zusammenbrüllen, als die Spindtür weit aufklappte und der Russe den Halt verlor und mit einem lauten Knall in der Ecke dahinter landete.
Vitorios Blick fiel auf den schlanken Körper, der Blondine im Mechkrieger Outfit. Die Aufnahme war definitiv in einem unbeobachteten Moment entstanden und zeigte eine Mechrkiegerin in dem für ihre Zunft üblichen, knappen Outfit, eine Kühlweste über den Arm und den Blick gen Himmel gerichtet. Die Brüste reckten sich aufreizend unter dem knappen Top und die Shorts spannten über den einladenden Pobacken.
Dann erkannte er sie. Jara Fokker und die Aufnahme schien recht aktuell zu sein.
Mit einem Kloß im Hals drehte er sich zu Hicks um. Wortlos deutete er auf den Spind, die beiden Betrunkenen und starrte den Corporal finster an.
„Ich bin für viele Späße zu haben und bei den Chevaliers läuft es auch etwas lockerer, aber wenn das nicht in fünf Minuten entfernt ist, die beiden Spaßvögel dort Ruhe geben und das Zimmer ordentlich ist, werde ich ihnen die Arme ausreißen und sie an die Hunde der Wache verfüttern. Anschließend werde ich mir mit ihren Knochen die Reste beim Abendbrot aus den Zähnen pulen. Haben sie das verstanden Corporal?!“
Seine Stimme war von einem anfänglichen Flüstern in ein lautes Brüllen übergegangen, so dass Hicks zusammenzuckte und nickte, ohne die Worte recht verstanden zu haben. Er stand stramm und salutierte pflichtbewusst, während Vitorio kopfschüttelnd den Raum verließ. Dennoch stahl sich ein Lächeln auf seine Züge.


Es war mittlerweile äußerst laut, aber Kiki störte sich nicht daran, als sie an ihrem Bier nippte und die Meute beobachtete, die grölend an der Theke stand.
Sie setzte das Glas nicht ab, sondern blickte durch den sich kräuselnden und auflösenden Schaum und nahm für einen Moment den Anblick fasziniert in sich auf.
Erst spät merkte sie, dass jemand an den Tisch trat und mit einem Schaben auf dem Dielenboden den Stuhl für sich zu Recht schob und sich setzte.
Sie blickte auf und in das lächelnde Gesicht von Tancrid Vogt.
„`Nabend, Ma´am.“
Er prostete ihr mit seinem Glas zu.
„Lieutenant.“
Sie sparte sich das Prosten und setzte das Glas wieder an, mit einem Zug verschwand die dunkle Flüssigkeit. Mit einem kurzen Glasheben gab sie dem Wirt zu verstehen, dass sie ein Weiteres wollte.
Irritiert blickte Vogt auf die sechs Gläser, die bereits vor ihr standen und noch nicht abgeräumt waren.
„Ist jemand gestorben?“
Sie hielt inne und starrte Vogt finster an. Erschrocken hob er die Hände in einer abwehrenden Geste.
„Hey ich weiß, dass hier ist das übliche Saufgelage nach einer Trauerfeier und auch dass ihre Truppe Verluste hatte, aber das war nur ein Spaß. So dahingesagt. Eine Floskel.“
„So wie man gerne Es tut mit Leid sagt, auch wenn man es nicht so recht meint?“
„Genau, es tut mir…“
Gerade noch rechtzeitig hielt Vogt inne.
„Das ist gemein, ich habe in den letzten Tagen schon genug Fettnäpfchen erwischt. Genau genommen, seitdem ihre Einheit hier auf Wayside ist.“
„Unsere, Vogt. Sie gehören nun zu den Angels und damit den Chevaliers.“
„Mit Verlaub Ma´am, ich werde immer ein Eagle bleiben.“
„Wie sie meinen.“
Sie schnaufte und starrte an ihm vorbei. Der Wirt tauchte wortlos auf, stellte ein weiteres Glas dunkles Weizen vor ihr ab, sammelte aber diesmal die anderen ein.
Sie griff nach dem schweren Krug und setzte ihn wieder an die Lippen. Ihr Durst wollte nicht so recht gestillt werden.
„Was wollen sie von mir Vogt?“
„Ich wollte nur etwas Gesellschaft leisten. Ins Krankenhaus darf ich nicht mehr. Lieutenant Gurrow hat nur irgendetwas von Nasen und Schraubenschlüsseln gemurmelt und das klang mir dann doch zu gefährlich, um es auszuprobieren.“
Kiki nickte.
„Ja, das sollten sie lassen. Sie ist wegen Jean etwas aufgekratzt, da braucht es keinen nymphomanen Chauvinisten, der ihr nachstellt.“
Verletzt zuckte Vogt zurück.
„Das ist nicht fair, ich will nur freundlich sein. Meine Fehler wieder gut machen und all das.“
„Lassen sie es besser.“
Er schnaufte und drehte sich zur Wand.
„Ich habe ein Talent für Fettnäpfchen, zumindest die letzten Wochen hier.“
Er seufzte und blickte ins Leere, Traurigkeit stand in seinem Blick und seine Haltung drückte Resignation aus.
Kiki wollte aufstehen und ihm die Hand auf die Schulter legen, irgendetwas. Verdammt der Alkohol musste ihr zu Kopf steigen.
Grummelnd nahm sie noch einen tiefen Zug. Das Glas war schon wieder halb leer.
Irgendwo schepperte es laut.
„Oh ich glaube da wird die Meute unruhig.“
Die beiden Piloten blickten in die Richtung der Bar, wo zwei Männer in Infanterieuniformen sich gerade rauften. Der eine, mit dem Rücken an die Theke gepresst, griff nach einem Bierglas und zog es dem anderen über den Schädel. Taumelnd löste sich der Getroffene und stolperte rückwärts durch die Bar, gegen einen anderen Mann.
Dieser brummte unerfreut und fing sich prompt einen Schlag ein, als das vermeintliche Glasopfer herumwirbelte und unbeholfen nach ihm schlug.
Der Lärmpegel schwoll an und es wurden wüste Beschimpfungen ausgestoßen.
„Ich glaube wir sollten gehen.“
Ein Bierglas flog auf Vogt zu, dem er mit Leichtigkeit auswich und es an der hinteren Wand zerschellen ließ.
Kiki brummte nur und erhob sich vom Stuhl, nur um gleich darauf zurückzusinken. Ein leichtes Schwindelgefühl hatte sie ergriffen.
„Das war wohl etwas viel Bier für diesen Abend.“
Vogt stand neben ihr und hatte den Arm stützend um sie gelegt.
Mit einem leichten Schrecken stellte sie fest, dass er gut roch, ein Hauch von Sandelholz in der herben, männlichen Note.
So schlecht sah er gar nicht aus, musste sie sich auch noch eingestehen.
Ruckartig packte sie den Mann und drückte seinen Kopf zu sich herum und presste ihre Lippen auf die Seinen.
Im vorderen Bereich erschall ein lautes Brüllen, als einer der Elementare von den Wölfen seine Sicherheitsaufgaben wahrnahm und die Streithähne bestimmt auseinander riss, doch dass bekamen die beiden Flieger nicht mit.
Intuitiv hatte Vogt die Kontrolle übernommen und Kiki in seinem Arm gebettet, während er den Kuss erwiderte, die andere Hand glitt sanft, aber bestimmt an ihrem Körper entlang.
Dann lösten die beiden sich und blickten sich suchend um.
„Ich denke wir sollten hier wirklich verschwinden, Vogt.“
„Ganz wie sie befehlen, Ma´am. Ich glaub an den Toiletten vorbei ist ein Hinterausgang.“


Etwa drei Stunden später.

Decius Cecillius Metellus war ein geduldiger Mann, aber er hatte auch seine Grundsätze und er konnte enorm stur sein.
Die Schwester stand vor ihm und diskutierte wild gestikulierend darüber, dass er nicht mehr hier sein dürfe und die Ruhezeit angebrochen sei.
Das alles interessierte den Marianer herzlich wenig.
Gelangweilt drehte er sich um und betrat wieder das Zimmer, die zeternde Frau hinter sich zurücklassend. Schnell erstarb das Fluchen, als er die Tür schloss und sie frustriert aufzugeben schien.
Das Zimmer war dunkel, nur von einer schwachen Tischlame erhellt. Das einsame Bett wirkte verloren in dem sterilen, weißen Raum mit dem kleinen Schrank und dem einzelnen Stuhl daneben.
In der linken Ecke befand sich eine Tür, die zum Wasch – und Hygienebereich und rechts an der Wand ein Fenster, allerdings waren die Vorhänge zugezogen.
Das hydraulische Pressen der Beatmungsmaschine spielte ihren gleichmäßigen, aber auch mindestens genauso einsamen Takt.
Er trat an das Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Es war eine sternklare Nacht und für einen Moment genoss er den Anblick. Sie waren noch nicht einmal lange auf Wayside, und doch war viel zu viel passiert, aber er vertraute Germaine, der junge Mann wusste was er tat, irgendwie.
Langsam drehte er sich um und ließ sich geräuschlos an dem Bett nieder.
Er ergriff die Hand, die unter der Decke hervorguckte und drückte sie leicht.
Sarah Slibowitz sah bleich und unnatürlich ausgemergelt aus. Ihr sonst so üppiger Körper wirkte selbst unter der dicken Decke ungewohnt ausgezehrt.
Er merkte, wie er unmerklich zitterte. Wut, Verzweiflung und auch Angst.
Noch vor wenigen Tagen war er selber dem Tod nur knapp entkommen und nun lag die Frau, die er insgeheim liebte hier und würde vermutlich nie mehr wie vorher leben können.
Laut den Ärzten erhielten sie das künstliche Koma zur besseren Heilung aufrecht, sie konnte aber jederzeit erweckt werden.
Dennoch saß der Schmerz tief, das Gefühl des Verlustes nagte an ihm und wenn es keine Arbeit gab, kam er hierher und genoss die Ruhe, die Nähe.
Er griff in die Brusttasche seiner Uniform und betrachtete die kleine Schachtel aus rotem Samt. Seufzend öffnete er sie und betrachtete den funkelnden Ring darin. Es wurde Zeit mit dem Father zu reden, am besten noch bevor sie von Wayside abflogen.
Er stand auf, drückte seiner Geliebten noch einen Kuss auf die kalte Haut und verließ dann leise den Raum. Als er die Tür hinter sich schloss, kam die Schwester von vorher gerade vor ihm zu stehen, mitsamt hochrotem Kopf, aufgebrachter Körperhaltung und bulligem Pfleger in Verstärkung, aber einem verdutzten Gesichtsausdruck.
„Sie..sie gehen wieder?“
„Korrekt. Richten sie dem Arzt bitte aus, wenn er Lieutenant Slibowitz aus dem Koma erweckt, möge man mich sofort benachrichtigen. Sie finden mich in der Kaserne und erreichen mich über Captain Juliette Harris. Und ich möchte das sofort erfahren, andernfalls parke ich meinen Mech auf ihrem Parkplatz, wenn ich vorbei komme.“
Die Frau schluckte kurz und nickte dann.
Zufrieden ging er wieder.
Marodeur74
VORAB VERSION

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Nun waren die Toten begraben, die ersten Mechs wieder instand gesetzt. Es begann sich alles zu normalisieren, obwohl es noch eine sehr misstrauische Situation war. Es war nicht zu greifen, jedoch nachdem was alles vorgefallen war in den Kämpfen, war es nicht verwunderlich das es hier und da zu verbalen Auseinandersetzungen kam. Die Chevaliers waren frustriert wegen des Angriffs auf ihre Techcrew und mit der Situation das die Neuen das doppelte an Sold bekamen. Auch das diese nach den Kämpfen teilweise Führungspositionen zugesprochen bekamen und das alte Gefüge der Einheit sich verwässerte. Anton war aus dem Hospital entlassen und Rudi war gerade dabei mit ihm zum Frühstück zu gehen.
„Moin Anton, wie war die Nacht? Alles klar und bereit wieder gutes Essen zu fassen?“, stichelte Rudi seinen Kameraden.
„Du weißt erst wie gut es tut normale Luft zu atmen und von unserem Koch was zu essen, wenn du hier in einem überfüllten Hospital warst. Der Kaffee war grausam, schlimmer als mein gebrochener Arm oder die Prellungen. Wie geht es Haruka, was macht die Liebe?“, fragte Anton ein wenig neugierig seinen Freund.
„Sagen wir es mal so, wenn alles gut geht werde ich mit ihr in zwei Tagen reden. Zur Zeit sehen wir uns nur immer sehr kurz Abends. Sie hat das Training schon voll aufgenommen und ist wie verrückt am Sport machen, auch hat ihre Kompanie schon zwei Übungen hinter sich. Sie ist abends immer ein wenig abgespannt, aber Gott sei dank kenne ich einige gute Massagetechniken und dann entspannt sie immer. Unsere Gespräche sind toll und das obwohl sie eine sehr konservative Drac Lady ist. Keine Ahnung wie ich diese Frau so lieben kann, ist mir vorher auch noch nicht passiert. Dann läuft da noch einiges mit den Davies, die glatt behaupten ich sei gar nicht entlassen und man müsse prüfen und ich ich solle mich zum Dienst wieder melden. Das hab ich mit dem Alten schon besprochen und wir haben eine passende Botschaft an die Davies geschickt und ich habe auch einen Anwalt eingeschaltet der meine Rechte auf Outreach wahr nimmt. Dann hatte ich ein Riesenglück beim zocken.“ Rudi schaute zu Anton der ihm gerade die Tür zum Speisesaal öffnete.
„Alter vor Schönheit“, grinste Anton.
„Danke, mein Sohn“, spottete Rudi zurück.

Der Speisesaal an sich war erst halb gefüllt mit einige Infanteristen, einigen Mechkriegern und Stabsdienstlern. Es gab da jedoch eine Linie zwischen den Chevaliers und den Neuen. Das Vertrauen war einfach noch nicht da. Rudi war gerade damit beschäftigt sich eine große Tasse Kaffee zu nehmen, da schlug ihm ein blonder Kerl auf die Schulter.
„Moin, Goldesel. Na, schon bereit für die große Poker Niederlage?“, grinste Jules Kress ihn an.
„Moin, Sonnenschein. Ja, ich hab ein wenig Geld dabei, aber nur damit es übermorgen Junge bekommt und sich reich vermehrt. Dass du kein Geldproblem hast wie die anderen Neuen ist ja nichts Neues bei eurem doppelten Sold. Wie ist das Limit, und wer spielt denn nun am Samstag mit?“ lächelte Rudi zurück. Was sich dieser komische blonde Kautz da wieder raus nahm. Es sah so aus als gäbe es da eine Verbrüderung und einge Chevaliers wandten sich ab. Chappi indes fand es ein wenig unpassend niemanden eine Chance zu geben und dachte nicht daran sich einfach zurück zu ziehen. Vorallem wenn es wirklich stimmte das sie zusammen als Einheit auf Pader jagt gehen sollten. Es musste möglich sein zumindest im Dienst diese unsichtbare mit Wut, Hass, Misstrauen gefüllte Grenze zu überwinden.
Anton beobachtete das ganze vom Brötchenwagen aus und lächelte in sich hinein. Vielleicht würde er mal wieder eine Chance bekommen Abends alleine sich um zuschauen ohne Rudi oder sonst wen um sich zu haben. Mal sehen wer seine Kontakte sein würden, der WoB Kontakt hatte ihm schon eine wichtige Nachricht zukommen lassen und er hatte Schwierigkeiten gehabt sich diese zu holen. Er hatte eine Antwort verfasst und diese wie vereinbart über einen toten Briefkasten in Parkensen City geschickt. Da kam schon Rudi wieder auf ihn zu.
„Anton, hast du Zeit und Lust am Samstag Abend auf eine große Poker-Runde? Der Blonde will unbedingt ein wenig Sold, von seiner doppelten Bezahlung, unters Volk bringen und wir könnten ihm sicher dabei helfen.“
„Du, Rudi, eigentlich gern, jetzt muss ich trotzdem aber erstmal frühstücken. Reicht es dir wenn ich mich bis heute Abend oder morgen entscheide?“
„Klar, ich denke heute Abend werden wir eh froh sein unsere Ruhe zu haben und uns erholen. Ach ja, hier der heutige Dienstplan von Miko.“ Rudi schob einige zusammengeheftete Seiten über das Tablett.
„Was??? Heute um 12 Uhr hab ich die Anpassung auf einen alten Dervish??? Was hab ich nur getan das mein armer Spector zu einem Schrotthaufen verwandelt wurde? Nun sitze ich in einem Raketenboot ohne Case oder anderen Schutz. Mist!“ Ärgerlich sah Anton auf.
„Ja, keine Ahnung. So wie ich es verstanden habe ist es eben nicht anders möglich. Der Mech passt gut zur neuen Hetzlanze der Kompanie, außerdem ist er auch ganz beweglich und über jede Distanz treffsicher. Aber ich wundere mich auch, wieso du so eine alte Kiste bekommst. Eigentlich dachte ich du würdest so etwas in Richtung Phönixhawk oder vielleicht Panther bekommen. Wieso oder warum musst du mal Miko fragen.
Welch Zufall da kommt unsere Lanzenführerin ja schon. Und das neben ihr muss dann der neue sein. Heißt William Knox, ein Wolverine-Pilot. Soll sehr gut sein. Vor allem ist es ein neuer Mech, mit aktueller Bewaffnung. Hat gut gekämpft, hab ich gehört.“
Chappi beäugte den Neuen und er war sich nicht sicher was er tun sollte, vor allem da Miko die imaginäre Grenze mit einem Neuen überschritt, der sich anscheinend auch nicht so ganz wohl damit zu fühlen schien.
Fast wäre es aus Anton herausgeplatzt. Gut gekämpft war nicht ganz richtig. Er hatte sich die Gefechts-ROMs von Knox besorgt und geschaut wer da auf ihn zu kam. Der Mechkrieger war gut und sehr zielsicher. Er hatte trotz des Sturms auf die Verteidigungsstellungen sich und seinen Mech mit nur mittelmäßigen Schäden durch gebracht, und am Ende noch einen Panzer und einen leichten Mech abgeschossen. Man konnte einiges erwarten.
„Ja, wir werden sehen, Rudi. Hallo Miko, hallo William“, entgegnete Anton, als Miko mit dem Neuen zum Tisch der beiden kam.
„Morgen, die Herren. Wie ich höre, kennen Sie den Namen unseres neuen Lanzenmitglieds schon, das ist gut. Darf ich vorstellen...“
„Hallo, Herr Bramert und Herr Teuteburg, nett Sie persönlich kennen zu lernen. Ich heiße William Knox, bin der neue Wolverine Pilot der Hetzlanze und freue mich schon auf heute Nachmittag und unsere ersten gemeinsamen Übungen auf dem Übungsplatz. Ich habe von Jules gehört, dass Sie mit ihm ein Pokerspielchen wagen wollen. Ich hoffe, sie sind gut. Bei den Husaren war er jedenfalls einer der besseren Spieler“, sagte Knox in die verdutzten Gesichter von Rudi und Anton.
„Also gut, die Vorstellungsrunde ist also gelaufen. Dann, meine Herren, einige Einzelheiten zu der Aufstellung und dem Trainigsplan. Und nein, Anton, ich habe nichts Besseres zur Zeit als den Dervish bekommen, aber ich werde nochmal forschen ob nicht doch noch was möglich ist. Hättest du Probleme mit einem Drac oder alten Sternenbund-Mechs?“
„Nein. Ich muss nachher erstmal sehen in wie weit alles klappt mit dem Arm. Es wäre gut eine Alternative zu bekommen. Es ist nicht mein Traum aus dem alten Schiff dank einer Munitionsexplosion geschleudert zu werden“, entgegnete Anton ziemlich trocken.
„Gut gut. Heute Nachmittag steht erstmal schießen auf dem Programm, danach haben wir für morgen eine erste Formationsübung. Morgen früh als erstes werden wir Taktik und Strategie einer Hetzlanze machen. Da Rudi schon einige Erfahrung hat wird er diesen Vortrag halten, ich werde wenn nötig ergänzen und die Sicht und Einsatzweise bei den Chevaliers erläutern. Abends ist frei für alle. Samstag wird es ein erstes Übungsgefecht geben, gegen eine Lanze der zweiten Kompanie, mal sehen welche sich da meldet, das erfahren sie aber erst beim Start der Übung. Danach ist für Samstag dann frei. Dann mal guten Appetit, und wir sehen uns nach dem Mittag am Mechhanger.“ Miko schaute in die Runde, und als sich keiner regte begann sie ihr Frühstück. "William, wollen Sie sich nicht setzen?"
"Jederzeit gerne, Ma'am, aber mein Frühstück habe ich heute einem alten Kameraden versprochen", erwiderte der ehemalige Husar bedauernd. Miko seufzte. "Na, dann gehen Sie schon, William."
"Danke, Ma'am", sagte er und machte sich auf den Weg zu Knox.

„Na, was haste bei den Chevs gemacht?“, fragte Jules kauenderweise. „Wirst dich doch nicht etwa mit dem alten Feind verbrüdern? Vor allem diesen Teuteburg hab ich schon gefressen, diese komische Type. Aber nach Samstag wird der nur noch kleine Brötchen backen.“ Er nahm seine Tasse und trank einen Schluck.
„Hey, Jules, so eine Begrüßung, und das am frühen morgen? Hat der dich Spieß beim Abzocken der Wachmannschaft erwischt?“, gab William zurück und begann seine Brötchen aufzuschneiden. Dieses ganze hin und her zwischen den beiden Freunden war bei den Husaren berühmt-berüchtigt und hob die Stimmung um einige Punkte an.
„Keine Ahnung was du meinst, Kress. Ich habe ganz brav in meinem Bettchen gelegen und dir zugeschaut, wie du deine feuchten Träume ausmalst“, brummelte Jules und schielte lächelnd zu William.
„Oh mein Gott, ein Reaktorleck! Du strahlst wie eine Nova, du Surat. Ich werde mal mit dem Spieß reden, das er dir erstmal Disziplin und eine gewisses Niveau beibringen soll. Aber mal Spaß beiseite. Irgendwie wird das ein heißer Ritt, wenn wir auf Parder jagt gehen sollten. Wie steht ihr denn so zu den Chevaliers? Ich finde die ganz komisch, da ich nicht einfach so darüber hinwegkomme erst auf die zu schießen und dann mit denen auf einer Seite zu kämpfen. Gut, der doppelte Sold hilft da zwar ein wenig, aber doch nicht bei allem.“ Die am Tisch sitzenden Husaren nickten und einige murmelten sogar etwas von desertieren, aber der Sold war einfach zu gut dafür. Ob man aber in einer Kampfsituation einfach zusammenpassen würde, würde man erst noch sehen.

Eine Stunde später im Büro von Danton.
„Miko, es sieht schlecht mit einem anderen Mech für Anton aus. Ich habe derzeit nicht die Ressourcen etwas anderes zu machen. Es sei denn er könnte sich mit einem etwas zerbeulten Sternenbund-Mech anfreunden. Den hätten wir noch da. Und zwar, lass mich in die Unterlagen schauen, einen Lynx. Der hat zwar keinen Reaktor und man muss noch ein wenig basteln. Und dies wird auch noch so ein bis zwei Wochen dauern bis er denn wieder einsatzbereit wäre. Falls nicht wird er ausgeschlachtet. Das wäre mein Angebot was ich noch hätte.“
„Ich werde Anton fragen, aber du kannst ihn schon mal herrichten lassen. Ich glaube Anton nimmt alles was nicht Dervish heisst.“
„Na gut, ich werde draußen im Scrapyard Bescheid geben. Dann Glückwunsch zum neuen Mech für deine Lanze. Gibt es was neues zu Haruka und Rudi?“
„Nein, soweit ich weiß nicht. Nur das Rudi heute Abend Haruka zu einem kleinen Dinner eingeladen hat. Wieso, weißt du was?“ Sie schaute interessiert in Richtung Germaine.
Schulterzuckend sagte er: „ Nein, nichts. Wieso?“

Donnerstag Abend in einem kleinen romantischen Restaurant in Parkensen City.
„Hallo, Schatz. Es ist mir eine Ehre, eine solch liebreizende Blume ausführen zu dürfen.“ Mit diesen Worten geleitet Rudi Haruka aus der Limousine zum Eingang des Restaurants.
„Diese Blume fühlt sich geehrt, von Dir eingeladen worden zu sein“, lächelte Haruka. „Wie komme ich zu der Ehre?“
„Das werde ich dir später sagen, mein Blume“, sagte Rudi lächelnd. Sie war wirklich atemberaubend, seine Haruka. Durchtrainiert mit doch schönen sanften weiblichen Rundungen an den passenden Stellen, und einem Duft der ihn um den Verstand brachte. Bei ihr konnte er Kavalier sein, sie umschwärmen, so wie sie es auch bei ihm tat. Es war schon lange klar das die beiden eine Ebene nur für sich hatten. Doch leider war nach dem letzten Gefecht kaum Zeit gewesen für etwas Privatsphäre, doch dieser Abend und die Nacht gehörte den beiden. Sie hatten einen Erlaubnisschein, sodass sie die Nacht außerhalb der Kaserne verbringen durften, und am Freitag erst wieder zum Morgenappell antreten mussten.
Der Abend verlief sehr ruhig, beide genossen das vorzügliche Essen und die Plauderei über die neue Situation bei den Chevaliers. Sie tauschten viele Blicke und zärtliche Berührungen aus. Nach viel zu kurzen drei Stunden kam der letzte Gang des Essen. Rudi stand auf, ging um den kleinen Tisch und schaute Haruka tief in die Augen, sie schreckte im ersten Augenblick zurück. Er nahm aus seiner Jacke ein kleines Objekt und hauchte in ihr Ohr: „Mein schönster Tag war, als der Lotus mir seine Blüte zeigte. Der Duft, der Glanz und die Reinheit haben mich tief in meinem Herzen berührt. Ich war mir sicher, das ich diese Blüte um alles in der Welt schützen möchte, und das solange das Licht der Welt leuchtet. Haruka, ich bitte dich meine Frau zu werden und mit mir ein langes gemeinsames Leben zu führen. Bei den Chevaliers, oder wo es uns auch hintreiben mag. Bitte sei so gut.“ Lächelnd und voller Wärme stand er so neben seiner Haruka.
„Diese Blume ist kein so lieblicher Lotus, und im Augenblick weiß ich nicht wie ich mich entscheiden soll. Es ist soviel passiert, und wir hatten so wenig Zeit für uns. Miko ist jetzt meines direkten Schutzes beraubt, und ich hoffe du wirst mir meine Freundin schützen, so wie ich es tat. Leider, meine Liebe, werde ich dir hier und jetzt ein Nein zur Antwort geben. Es ist mir zur Zeit einfach nicht möglich diesen Schritt zu machen. Bitte bleib bei mir und lass uns schauen wie es mit uns nach dem nächsten Auftrag und während des Auftrages aussieht und weiter geht. Ich liebe dich, Rudi, mehr als gut ist für mich. Du bist mein Licht und meine Nahrung die ich brauche.“
„Ich hatte auf mehr gehofft und doch werde ich dein sein und warten.“ Ein wenig enttäuscht ging Rudi rückwärts zu seinem Stuhl. Das hatte er sich völlig anders vorgestellt. Die Romantik war in ihm ein wenig gewichen. Hatte er es sich zu leicht gemacht, wollte er wirklich zu viel?

Der Abend ging dem Ende zu und sie fuhren mit der Limousine zu einem schönen Hotel, die Nacht war alles andere als ein „Nein“ Harukas. Sie hatten lange die Laken zerwühlt, sich geliebt, gestreichelt und liebkost, und sich dann in ein warmes Bett fallen lassen.
Am Morgen waren sie dann früh mit der Limousine am Tor der Kaserne. Sie gingen über den Exerzierplatz in Richtung der Kantine, eng umarmt, denn es war ein sehr kühler Morgen. Außer einigen Infanteristen und der Sportgruppe Jara, so wie die beiden die Lanze von Jara privat nannten, war noch niemand unterwegs. Selbst am Mechhanger waren die Tore geschlossen und nur im ersten Stock des Gebäudes war im Aufenthaltsraum ein Licht zu erkennen.
Ein wenig mit sich und der Welt zufrieden gingen sie über den Platz, und Rudi hatte das Gefühl, es könnte nichts schöneres geben. Er hoffte natürlich inständig das sein Werben um die Hand seiner Haruka noch Erfolg haben würde, nur zur Zeit war er auch so glücklich.
Nach einem schönen Frühstück im leeren Speisesaal küssten die beiden sich zum Abschied und gingen in ihre Zimmer. Dort gingen sie sich zum Dienst fertig machen und traten überpünktlich wieder zum Dienst an.

Freitag 10 Uhr, Besprechungsraum der Hetzlanze

„Guten morgen zusammen. Heute werde ich Ihnen die Grundzüge einer Hetzlanze innerhalb einer Kompanie erläutern und dann direkt auf unsere Lanze übertragen.“ Lächelnd und sichtlich bestens gelaunt stand Rudi vor den drei Mitgliedern der Hetzlanze.
Anton starrte vor sich hin und schien ein wenig desinteressiert, Miko hatte ihr Klemmbrett auf den Tisch und war bereit die Informationen aufzusaugen. Und Billy, tja, der schien nicht recht zu wissen was er tun sollte. Vor ihm lag ein paar Blätter, er hatte sich ein paar Stifte mitgebracht, und schaute halbwegs interessiert in Richtung der Tischprojektion.
„Also, eine Hetzlanze hat im allgemeinen folgende Aufgaben zu erfüllen:
Erstens … sie soll gegnerische Scoutlanzen Jagen und binden, bestenfalls vernichten.
Zweitens … soll die Hetzlanze ihrerseits Unruhe in die feindliche Linien bringen und angeschlagene gegnerische Mechs die sich zurück ziehen abschießen.
Drittens … gezielt erkannte Befehlsmechs oder Kommunitkationsmechs oder -fahrzeuge finden und vernichten.
Viertens sind wir dafür da als Springer und Entsatz für die Befehlslanze.
Im allgemeinen haben wir viel Spielraum und zu Beginn des Gefechtes sind wir etwas weiter hinten. Sobald sich eine feindliche Scoutlanze zu nah ran wagt ist es unsere Aufgabe diese zu binden und zu bekämpfen und durch Unterstützung abzuschießen oder zum Rückzug zu bewegen. Unsere Aufstellung ist zur Zeit wie folgt: Der Derwisch wird zwar als erstes das Feuer eröffnen, die beiden Nahkämpfer Steppenwolf und Nightsky sollten aber schon auf mittlerer Distanz einsetzen. Der Enforcer dient ebenfalls zur Langstreckenunterstützung und Headhunter. Es sollte immer so sein das Miko und Billy eng zusammen und vor mir und Anton den Kampf aufnehmen, nachdem wir das Feuer eröffnet haben. Sollten Miko und Billy zurückfallen, werden Anton und ich die erste Rückfalllinie sein, danach kommt es darauf an wo wir operieren.
Falls im Bereich der feindlichen Linien müssen wir einen Rückzug machen, sind wir in unseren Linien und die gegnerischen Mechs werden zu stark, sollten wir Unterstützung entweder durch unsere Panzerverbände oder Elementare haben.
Wieso nicht die eigenen Mechs, könnte man sich fragen. Ganz einfach, die sind da schon mit anderen Mechverbänden im Gefecht und wir müssen diesen den Rücken frei halten. Es ist wichtig das wir unsere Feuerkraft schnell an allen Ecken der Frontlinie einbringen können, um so schnell ein Übergewicht herzustellen. Reißt die Gefechtslinie, sodass einige Mechs einen Durchbruch schaffen, sind wir auch wieder die ersten die diese Mechs binden sollen. Es ist zwar nicht unsere Primäraufgabe, aber wir stehen meist als letztes zwischen denen und unserer Artillerie und der Versorgung. Sobald sich die Gefechtsformation angepasst hat, sind wir wieder die Ausputzer.“

Der Vortrag dauerte noch eine Stunde und alle drei Mitglieder hörten interessiert zu. Am Ende des Vortrages begannen dann die Fragen, vor allem Anton interessierte es brennend ob er wirklich auf dem Dervish sitzen bleiben musste. Miko konnte ihm nur sagen das ein Lynx noch als Alternative da wäre, dieser aber bis zu seiner Einsatzfähigkeit noch drei bis vier Wochen lang überholt werden müsste. Somit musste sich Anton erstmal mit dem Dervish anfreunden, da es wahrscheinlicher war das erste Gefecht gegen die Clanner in diesem zu bestreiten.
Billy wollte noch genauer wissen wie es mit Sondereinsätzen in Städten oder anderem Gelände aussah.
Nach viel zu kurzen drei Stunden ging man zusammen diskutierend in Richtung Kantine.
Dort gab es wieder die altbekannte unsichtbare Trennlinie, die sich aber ein wenig entschärfte, denn einige alte Chevaliers hatten sich zu den neuen gesetzt.
So erging es Billy nun auch, der sich ohne nachzudenken mit zu Rudi, Anton und Miko setzte, mit ihnen aß und sich weiter mit Rudi unterhielt.
Anton war wie immer ein wenig ruhiger, aber das fiel niemanden auf. Jedenfalls, am Ende der Mahlzeit ginge alle zum Mechhanger und bereiteten die Mechs für die Formations- und Schießübungen auf dem Übungsgelände vor.
In der Kantine war dies jedoch nicht unbemerkt geblieben, und Jules hatte an Billy kein gutes Haar gelassen und mit seinen Husarenkameraden einige Witze gemacht. Aber selbst Jules, der am Vorabend mit einem sehr verrückten Piraten unterwegs gewesen war und eine herrliche Kneipenprügelei hatte, war nicht mehr ganz so scharfzüngig wie die Tage zu vor. Vor allem Jack hatte einiges an seiner Sicht geändert, auch dieser Steinberger schien ganz in Ordnung zu sein. Aber egal, den alten Kerl würde er am Samstag auf alle Fälle den Sold abnehmen, und wenn es sein musste auch noch mehr. Innerlich freute er sich so sehr das er erst im letzten Augenblick mitbekam wie sich Steinberger von hinten näherte und ihn anrempeln wollte. Schnell zog er seinen Stuhl zur Seite stand auf, und fast wäre Steinberger verdutzt in ihn hineingelaufen. „Na, Steiner-Junge, was willste von Jules?“
„Nur fragen ob du noch einen Pokerspieler auf deiner Seite brauchst, für Samstag?“
„Wieso, magst du den Kerl nicht?“
„Nein, ehrlich gesagt hatte ich bei den Chevaliers noch keinen Kontakt zu dem Kerl. Ich weiß nur das er ein Davion ist, und das reicht mir. So einer braucht mal eine Lektion.“
„Ach und nur weil eure Archon den Krieg verliert bist du auf alle Davies Böse? Das sind ja überraschende Wendungen“, begann Jules zu sticheln und zu grinsen.
Steinberger stand ein wenig sprachlos da, bis er ebenfalls grinste und sagte: „Na ja, lieber Steiner und viel Spaß mit mindestens sechs hübschen Asiatinnen zu haben als Husar und dann nur die Fresse poliert zu bekommen.“
Jetzt war es an Jules und seinen Kameraden blöd und dann wütend zu gucken. Jedenfalls, Steinberger begann laut zu lachen und so konnte diese doch ein wenig angespannte Situation gerettet werden. Keiner verlor sein Gesicht und keiner wurde wirklich blossgestellt, denn Steinberger hatte auch in der Kneipe durch die freundlichen Helfer ordentlich Prügel bezogen.
„Ach, wird das überhaupt was mit dem Pokerabend gegen Teuteburg? Ich meine wegen unserer kleinen Schlägerei und den ganzen Strafdiensten und Widergutmachungen?“
„Kein Problem, diese Sause steigt. Ich habe beim Küchenchef schon alles organisiert und die Chevs wollen ja auch ihren Spaß. Die ziehen da mit, um uns eins auszuwischen, das ist Ehrensache.“
„Na dann, soll es so sein.“

In der Zwischenzeit war Billy mit den drei Chevs eh nicht mehr in der Kantine, und so konnte Jules sein Essen gemütlich genießen, dachte er, bis irgendein Offizier den Speiseraum betrat und anfing mit seiner Pfeife Lärm zu machen.
Zuerst wollte sich Jules umdrehen und fragen ob noch alles klar sei, bis er Shepard erkannte und dann dessen Stimme schon laut und deutlich zu hören war.
„Alles auf den Exerzierplatz, es ist Formaldienst für alle langsam Esser und Schläger der letzten Nacht. Nicht trödeln, ruckzuck raus aus dem Saal ich will ordentlich Tempo sehen. Und eins bitte, T – E – M – P – O – O – O !!! Meine Oma ist ja schneller.“ Die Stimme wurde immer lauter und energischer bis der Speisesaal binnen vier Minuten leer war. Einigermaßen zufrieden drehte sich Shepard um und ging aus der Kantine. Vor der Kantine versuchten die ganzen Soldaten gerade in Marschordnung anzutreten, da bellte Shepard auch schon los.
„Oh mein Gott. Ihr seid alles grüne Rekruten! Ausrichten. Nach RECHTS! Ausrichten! Unglaublich. Nein, nicht Lanzenweise antreten, sondern alle zusammen! Was soll das jetzt? Ich sehe schon, das dauert noch. Aber ich kann Ihnen versprechen, in drei Tagen werden Sie wissen wie schnell Sie laufen und antreten können, werden genau wissen was eine Kleiderordnung ist und ich schwöre Ihnen, Sie werden wie eine Garde im Gleichschritt marschieren. Ah, endlich sind Sie halbwegs angetreten.“ Shepard benutzte seine Pfeife. Nichts passierte, Langsam wurde er ungeduldig, pfiff nochmals, bis einer der Soldaten vortrat und Meldung machte: „Master Sergeant, die Chevaliers des Speisesaals sind vollständig angetreten und bereit zur Inspektion.“
„Danke, Soldat, dann will ich mir den Haufen kurz anschauen. Und bitte keine Kommentare wenn ich mit einen anderen Kameraden rede, das stiehlt mir die Zeit und bringt Ihnen nur ein paar mehr Runden um die Kaserne ein. Rühren, Soldat, und zurück ins Glied.“ Nach weiteren zehn Minuten begann es auf einmal zu regnen. Trotzdem blieben alle angetretenen stehen und ließen die Inspektion über sich ergehen. Danach ließ Shepard zufrieden, mehr oder weniger, die Leute rühren und wegtreten zur weiteren Verrichtung des Dienstes.
Ein leises Murmeln wollte sich gerade breit machen, als Shepards Stimme wieder laut über den Platz brüllte: „Spinne ich? Was soll das jetzt?“ Von vorn kam ein Offizier der Panzerfahrer, ging auf den bunt gemischten Haufen zu und war gerade auf der Höhe der ersten Soldaten, als Shepard los brüllte: „Hat hier niemand etwas gesehen? Da ist ein Offizier anwesend, und nur wenige grüßen ordentlich! Ich werde wahnsinnig! Alles hier zu mir und angetreten, aber zackig!“
Sofort kam der Haufen in Unruhe und rannte schnellstmöglich zurück und trat an.
Als der Offizier näher trat, drehte sich Shepard zu diesem um und meldete: „Die Küchenkompanie der Chevaliers ist vollständig angetreten, Herr Leutnant.“
„Master Sergeant, lassen Sie sich nicht aufhalten. Ich wollte gerade nach meinen Schafen suchen, aber ich sehe hier schon zwei, und ich denke ein wenig Formaldienst schadet nicht. Weitermachen.“
Shepard salutierte, drehte sich auf der Stelle und bellte: „Rüüührt euch. Für dieses kleine Missgeschick mit dem Herrn Leutnant gerade haben Sie den Hauptpreis gewonnen. Wenn alle anderen nachher Feierabend machen, werden Sie alle hier wieder antreten! Es wird eine kleine Sightseeingtour geben mit einigen Erkundungen der Hindernisbahn!“ Das Murmeln begann wieder in der vor ihm stehenden Gruppe.
„ACHTUNG! Seid Ihr alle wirklich so taub? Also gut, alle zu ihren Teileinheiten wegtreten. Vorher hat jeder einzeln zu mir zu kommen und seinen Namen und seine Teileinheit mitzuteilen, damit ich nachher auch niemanden vergesse. KRESS, hau ab, dich und deine Freunde merk ich mir so. Und komm nicht auf die Idee Spielchen mit mir zu spielen!“

Währenddessen fuhr die Hetzlanze gerade ihre Mechs hoch. Als sie aus dem Mechhangar traten, sahen sie nur eine Gruppe Soldaten die über den Exererzierplatz lief und vor der Kantine antrat.

Teil 3 – Manöver, Jules, Freunde

Die Schießübung lief gut, einige der Situation aus der Besprechung wurden ausprobiert, sodass Anton eine Breitseite LSR abfeuerte, Rudi sich das selbe Ziel nahm und dann aus einer Deckung Miko und Billy das Feuer ebenfalls eröffneten.
"Alles lief gut" war auch nicht ganz richtig, denn als es um eine Rückzugsübung ging, lief alles schief.
„RUDI, Deckung!“, kam es über das Com, als auch schon ein in vollem Sturmlauf befindlicher simulierter schwerer Clanstern auf die Hetzlanze zustürmte. Rudi, der gerade aus der Deckung kam und seinerseits eine Clan-Galeere beschoss, bekam eine Salve LSR einer Vulture ab ,und rettete sich mit den Sprungdüsen vor den ER-Lasern der beiden Mad Cats. Der letzte Mech des Sterns war ein wild um sich schießender Thor.
Nachdem Billy sich noch auf die ersten Rückfalllinie retten konnte, wurde Miko im Nightsky aus der Luft geschossen. Danach hatten Anton und Rudi versucht den weiteren Rückzug zu decken, dabei aber selbst etliche Treffer abbekommen, und das wurde dann allen zum Verhängnis. Gerade rannte Rudi an Antons Position vorbei, als dieser von zwei LSR-Salven förmlich gesprengt wurde.
Dies wurde auch Rudi zum Verhängnis, denn die Raketen-Munition verstärkte die Explosion und riss Rudi mit in die Vernichtung.
Billy hatte danach auch keine Chance mehr, dem nun relativ frischen Stern Nebelparder zu entkommen und wurde dann durch konzentriertes Feuer ebenfalls abgeschossen.

„Da haben wir aber ordentlich was abbekommen, eben“, flüsterte Billy.
„Die waren aber auch sehr zäh. Habt Ihr den Vulture gesehen? Der hat zwei LSR-Breitseiten abbekommen plus zwei Gausstreffer von Rudi, und hat danach noch immer aus allen Rohren gefeuert“, entgegnete Anton.
„Jungs, das war nur eine Übung, aber genau das werden die Parder tun. Sie haben nichts zu verlieren. Schlechte Chancen auf Nachschub oder Entsatz. Was den Rest angeht hatten wir aber auch viel Pech. Vor allem als Anton hoch ging und ich genau in diesem Augenblick an ihm vorbei gerannt bin. Besonders hart war, das die Parder Miko so leicht vom Himmel holen konnten, da müssen wir schauen wie das möglich war. Hatte einer der Mechs vielleicht Miko mit Narc oder irgendwas markiert?“, schaltete sich Rudi ein.
„Na Jungs, das war ja ein böses Erlebnis. Nach unserem ersten Teil dachte ich, wir würden uns besser schlagen. Aber schauen wir mal auf die Gefechtsdaten. Ach, hattet Ihr die Elementare bemerkt, die mich markierten?“ Miko blickte sich in der Runde um.
„Nein, ich habe keine Elementare gesehen“, gab Rudi ein wenig resigniert zurück.
„Tja, das hätte aber kommuniziert werden müssen. Billy, du hättest sie auf dem Schirm haben müssen, was war da los?“
„Ich stand voll mit dem Thor und der Galeere im Gefecht. Kann sein, das meine Sensoren die hatten, ich aber zu sehr mit meinen beiden Gegner zu tun hatte.“ Ein wenig zu leise kam die Antwort.
„Macht nichts, das sollten wir aber optimieren, alle. Anton, du kannst nicht mit deinem Munitionsbunker einfach mitten auf die Wiese spazieren, feuern und warten was passiert. Du bist doch sonst wendiger. Hattest du Probleme?“
Mit viel Trotz entgegnete Anton: „JA! Dieses verdammte alte Teil ist so beweglich wie ein Mülleimer. Ich hatte kurz vorher einen schweren ER-Lasertreffer am Fuß abbekommen, der wohl für Rudi bestimmt war, aber mich zufällig traf. Als nächstes habe ich Rudi landen sehen, wollte einen Schritt machen, und als der rechte Fuß aufsetzte musste ich feststellen, das ich ins Wanken geriet. Ich stabilisierte, und dann war da auch schon die Wand aus LSR, die mich traf. Keine Chance weg zu kommen. Wenn ich aber gefallen wäre, wären bestimmt mehr als 60% der Raketen an mir vorbei geflogen.“
„In Ordnung, Lanze. Dann mal auf die Maschinen und zurück in die Kaserne. Morgen werden wir auf dem alten Friedhof gegen eine echte Lanze antreten. Es wird ein Rückzugsgefecht, wir erhalten ab einem bestimmten Parameter aber Deckungsfeuer von einer Panzerlanze. Also, wenn wir zurück sind, werden die Maschinen geparkt, danach technischer Dienst, danach umziehen und Essen fassen. Der Abend ist frei, ihr habt Heute gut gearbeitet. Rudi, dich will ich nach dem Essen nochmal sprechen. Das war's, Aufsitzen und go.“

Gesagt getan, alles lief wieder ganz normal ab, der Alltag hatte die Lanze nun vollständig eingenommen. Nach dem technischen Dienst und der Wartung an den Mechs gingen die drei Männer der Lanze plaudernd in Richtung Speisesaal.
Da kam ihnen plötzlich von rechts über den Exerzierplatz ein bunt gemischter Haufen Chevaliers in fester Marschformation entgegen. An der linken Seite marschierte der Spieß und brüllte Kommandos und Verbesserungen.
Als er die vier sah wurde es erst richtig laut. Auf dreißig Meter Entfernung ließ er die Gruppe halten. Er salutierte, und die vier salutierten ebenfalls. Als Rudi seinen Pokerpartner erkannte, konnte er ein Grinsen nicht zurückhalten. Auch Jules erkannte Rudi, und man sah, dass er ein wenig wütend war. Aber die Krönung war, als Rudi plötzlich eine Pistole mit der Hand nachahmte und auf Jules schoss, während dieser sich mit der ganzen Gruppe an den dreien vorbei in Bewegung setzte. Es kam zu einem Stolpern, und sofort hörte man Shepard wieder brüllen: „Kress du verdammter Kerl, wir marschieren alle zusammen! Wenn du glaubst, es geht nach deiner Pfeife, üben wir bis morgen früh! Verstanden?“
„Ja, Master Sergeant Shepard!“, brüllte Kress. Innerlich dachte er an ein Messer und stellte sich vor wie er sich an Rudi rächen würde. Aber er hatte nicht viel Zeit seiner Phantasie nach zu hängen, denn jetzt wurde der Schritt erhöht, und es ging im Laufschritt in Richtung Hindernisbahn.
„So, Ladies, nun werden wir mal eine feine Besichtigung der Hindernisbahn machen. Eines vorneweg. Wenn ich merke, Sie wollen nicht mehr, will ich um so mehr. Ich erwarte Zusammenarbeit, denn einige Hindernisse lassen sich nur im Team erledigen. Hat jemand Fragen?“ Eigentlich dachte Shepard das es klar, für alle eine rein rhetorische Frage war, aber Steinberger konnte sich nicht zurückhalten.
„Master Sergeant? Ich hätte eine Frage, Sir.“
„Sprechen Sie, und wehe, Sie haben nur Blödsinn im Kopf, Steinberger.“
„Wofür Teamwork, Master Sergeant? Die fünfzig Meter unter Stacheldraht und über Sprunghindernisse sollte jeder alleine schaffen.“
„Oh mein Gott. Ich hoffe, Sie sind der einzige Unwissende. Dies ist der Start, die Bahn geht nach dem Stacheldraht weiter, falls Sie es noch nicht wissen sollten. Haben Sie sich nicht informiert und gesehen, das es in zweitausend Metern noch einen breiten Wassergraben gibt, den Sie mit ein paar Booten überwinden müssen? Und danach noch eine Felswand, falls Sie es noch nicht wissen sollten. Und damit hier keiner denkt ich scherze, habe ich eine kleine Tafel mit dem Parcours aufgestellt, falls Sie alle es noch nicht bemerkt haben!“ Shepard glühte, und er würde sich seine beiden besonderen Freunde gut merken, Kress kannte er schon, und Steinberger würde ihn auch bald kennen.

Anstatt der normalen Hindernisbahn hatte Shepard diese verlängert, und so erstreckte sich seine Hindernisbahn tatsächlich über acht Kilometer hin und wieder zurück. Nachdem alle in einer Traube um die Tafel standen und ein leises Murren sich breit machte, schrie er auch schon wieder: „Achtung. Bei mir in Marschformation, angetreten.“
In Windeseile standen die vierundzwanzig Frauen und Männer aus allen Teilbereichen der neuen Chevaliers ordentlich angetreten vor Shepard.
„Ich möchte noch eines loswerden. Nach der kleinen Prügelei in der Stadt müssen wir die Bar noch instand setzen, und alle möchten sicherlich noch essen. Ich rate allen also dringend sich zu bemühen, es wäre sehr ärgerlich wenn ich sie nochmals über die Bahn schicken müsste. Also ich denke, Sie brauchen für das ganze zwei bis drei Stunden. Wenn alles gut läuft werde ich am anderen Ende mit einem Mannschaftstransporter warten und wir fahren direkt zum Essen. Ansonsten geht es per Pedes zurück auf der Hindernisbahn, und dann wird es sehr eng mit Essen, Duschen und in die Stadt zum Aufräumen. Und der Colonel hat mir es ans Herz gelegt dort pünktlich mit Ihnen allen aufzutauchen. Wenn ich mich dort wegen Ihnen allen verspäte, wird es keine schöne Woche für Sie, und das Wochenende und Ihre Freizeit wird dann gegen Null gehen. Meine dann auch, und darüber wäre ich dann ebenfalls sehr ärgerlich. Also, es geht los in DREI --- ZWEI --- EINS und Start!“

Die Gruppe rannte los. Die Hindernisbahn war schnell geschafft, und man näherte sich im dichten Verband dem Graben. Dort lagen drei große Gummibote, leider fehlte Luft, und so mussten diese mit einer mechanischen Fußpumpe erstmal befüllt werden. Pro Boot vier Pumpen und acht Mann. Dies wurde gut gelöst, und nach nur neunzig Minuten setzten alle drei Boote über den Graben. Dann ging es im Dauerlauf weiter. Nach drei Kilometern kamen die Gruppe an die besagte Wand. Die ersten dreißig Meter konnte man noch halbwegs gut erklimmen, doch dann hingen dort vier Seile, und man musste nun die Wand bezwingen. Diese war nur noch zehn Meter hoch und nicht senkrecht, jedoch steil genug sodass ein Seil nötig war.
Nach langen sechzig Minuten waren auch die letzten oben. Am Ende der Ebene konnten alle schon den Transporter erkennen. Zuerst wollten die Schnellsten davon rennen, aber nachdem sie sich an die Ansprache Shepard erinnert hatten, blieben sie in der Gruppe. Nach insgesamt zweihundert Minuten erreichte die Gruppe das Ziel.
„Sehr gut, meine Damen und Herren. Die Zusammenarbeit klappt ja. Na ja die Zeit war nicht gut, aber fürs Erste gut genug für mich. Sie haben zusammen gearbeitet und das hat mir gefallen. Also alles einsteigen und zurück zum Essen fassen. Ich werde Sie auch nicht zum Speisesaal führen, sondern jeder geht dahin wie er will. Aber wenn Ihnen ein Offizier entgegen kommt, grüßen Sie ordentlich. Falls nicht, erfahre ich es doch und wir würden uns dann Samstag Mittag auf meiner kleinen Hindernisbahn wieder sehen.“

Als sie nach einer halben Stunde beim Speisesaal ankamen, saßen die meisten der Chevaliers noch beim Essen. Jules fand ziemlich schnell das Gesicht von Rudi in der Menge, und dieser Kerl sah ihn auch noch dumm grinsend direkt an. Das war zuviel. Nachdem Jules nun sein Essen hatte, ging er zum Tisch der Hetzlanze. Er blieb stehen und grüßte.
„Entschuldigen sie Ma´am. Ich würde gern mit Ihrem Enforcer-Piloten sprechen.“
„Tun Sie sich keinen Zwang an.“
„Danke, Ma´am!“
Rudi sah auf und guckte in die funkelnden Augen von Jules. „Na, mein Bester, wie geht es dir. Hat der Formaldienst geholfen?“
„Das werden Sie ja morgen Abend sehen. Ich habe aber eine Zusatzwette für Sie: Wenn ich mehr als drei Spiele gegen Sie verliere, zahle ich das doppelte an Sie. Ist das ein Deal, oder haben Sie die Hosen voll?“
„Jules, lass gut sein“, mischte sich Billy ein.
Dafür erhielt er ein sehr bestimmtes: „Das geht dich nichts an, Billy. Und wer sich mit den anderen abgibt sollte mal ganz ruhig sein.“
„Ach, Kress, ich erhöhe auf das dreifache. Es ist traurig, das Sie mit der Situation nicht klar kommen, aber wir gehören alle zusammen. Ich denke wir sollten nach unserem kleinen Spiel noch was machen, wie wäre es mit einem Wettsaufen?“, entgegnete Rudi trocken.
„Leider haben ich und einige andere ein Alkoholverbot. Aber wenn das abgelaufen ist, nehme ich es an, und ich werde Sie auch darin besiegen.“

Samstag
Das Manöver gegen die Kampflanze der zweiten Kompanie war ein Rückzuggefecht mit Wendung.
Das hieß folgendes: Die Hetzlanze hatte einen Scout kurz vor den feindlichen Linie abgeschossen und wurde nun ihrerseits von einer Kampflanze gejagt. Diese bestand aus einem Thunderbolt – M einem Atlas, einem Stalker und einem Longbow. Es war natürlich nicht schwer zu sehen wie unverhältnismäßig das Ganze war. Jedoch wenn die Hetzlanze den Punkt Tango erreichte, kam ihnen die Befehlslanze der eignen Panzer zur Hilfe. Diese bestand aus einem Alacorn MK VI, einem Demolisher Gauss, einem Mars XL (Clan) und einem LRM Carrier.
Das Problem war, das die Hetzlanze nicht wusste wann und wo dieser Punkt war, und die andere Seite wusste nichts von dieser Option. Das Gefecht war sehr schnell und die Hetzlanze versuchte sich geordnet und schnellstmöglich zu lösen. Das Gefecht tobte auf weite Entfernung, und der Longbow, der Atlas und der Stalker deckten die Hetzlanze mit schweren Breitseiten ein. Der Nightsky und der Derwisch hatten schon mehrere Treffer bekommen und so wurde der Rückzug schon gebremst.
Die schweren Brocken kamen immer näher und es würde sicher nur noch einige Minuten dauern, und die komplette Lanze wäre ausgelöscht worden, als plötzlich das Com knisterte und sich Captain O´Bannon meldete: „Hetzlanze, hier ist eure Unterstützung. Fallt noch achthundert zurück und dann werden wir die Dicken Jungs mal ein wenig ärgern." An der linken Seite tauchten plötzlich vier blaue Panzersymbole auf, die in getarnten Stellungen standen. Als die dicken Brocken gerade auf Höhe der Panzer waren, fiel die Tarnung, und die Kampflanze der zweiten Kompanie erhielt eine schwere Breitseite der Panzer.
Inzwischen war Rudi das Gauss ausgefallen und auch Billy hatte etliches an Panzerung verloren. Nun war die Kampflanze aber vor ganz andere Probleme gestellt und Miko kam über den Lanzenkanal: „Umdrehen und drauf! Jetzt bezahlen sie richtig. Die bemerken uns nicht, und wenn muss es richtig weh tun.“
Ein einstimmiges „Jawohl, Ma ´am!“ kam zurück. Die Hetzlanze drehte und sofort flog ein Schwarm Langstreckenraketen vom Derwisch auf den Longbow. Damit war das Ziel für den Rest der Lanze markiert. Wie ein Wirbelsturm kam sie über den armen Mech, der unter der Gaussbreitseite des Demolishers mehr als gelitten hatte.

Nach vier Stunden war das Gefecht dann beendet. Trotz der Unterstützung konnte sich die Kampflanze der zweiten Kompanie zurückziehen und zu allem Überfluss den Derwisch und den LRM Carrier sowie den Enforcer ausschalten. Selbst verlor die Kampflanze den Longbow und den Stalker. Der Atlas hatte schwere Schäden, und der Tunderbolt humpelte nur noch. Aber sie schafften es in den Feuerschutz der eigenen Linie zurück.
Die Nachbesprechung war gut, auch wenn Jara es alles andere als gut fand, nichts von der Unterstützung gewusst zu haben. Jedoch waren Jara, O´Bannon und Miko mit dem gesamten Ablauf zufrieden, auch wenn die Ergebnisse auf allen Seiten hätten besser sein können. Nach dem Mittag gingen alle dann in ein freies Wochenende, jedenfalls all die, die nicht beim Aufbau der Kneipe helfen mussten. Das Komische war, beim Aufbau der Kneipe waren viel mehr Chevaliers beteiligt als eigentlich an der Zerstörung beteiligt waren. Auch die Hetzlanze half komplett mit, denn eine gemeinsame Kneipe wollte man sich nicht entgehen lassen.


Abend im Mechhangar, die Poker Runde.
Das Pokerspiel lief für Rudi gar nicht gut. Kress hatte in den ersten beiden Stunden nur gewonnen. Es schien als hätte Kress einfach nur das Glück gepachtet. Jules hingegen war gar nicht entspannt, denn einige Pokerrunden dauerten sehr lange da dieser Teuteberg einfach nicht zum Zug kam. Auch einige verbale Provokationen waren an seinem Gegenüber abgeprallt. Es half auch nichts das die anderen drei Mitspieler sich nach nur einer Stunde und komplett verlorenen Einsätzen in die Zuschauerreihen verabschiedet hatten.
Am meisten schien einer der Techs der Chevaliers frustriert zu sein, nachdem er nicht mehr genug Geld gehabt hatte um Jules zum Sehen zu bringen. Völlig entnervt warf er ein Full House mit Königen und Damen auf den Tisch und ging erstmal zur Bar. Wäre es tatsächlich zum Showdown gekommen, hätte Jules böse verloren, er hatte zwar einen Bubendrilling, es hätte aber nicht gereicht. So konnte er sich geschickt durch zwei geglückte Hände zu Beginn genug Achtung verdienen. Lediglich Teuteberg hatte ihn zweimal herausgefordert und gewonnen. Jedoch wurden dessen Geldvorrat auch immer niedriger. Als zweites verabschiedete sich William Knox aus der Runde, Billy hatte einfach kein Glück, er verlor gegen einen Straight Flush die Hälfte seines Geldes gegen Teuteburg, und danach gegen den Geistlichen der Einheit, Father O'Hierlihy, den Rest. Der Father des Regiments war ein harter Brocken gewesen, doch nachdem er seine zuvor gemachten Gewinne wieder verloren hatte, nahm er sein Geld und verließ ebenfalls den Tisch mit den Worten, es hätte Spaß gemacht, aber Sold zu verschenke habe er auch nicht.
Rudi starrte in sein Blatt, die beiden Karten auf der Hand waren eine Kreuz zehn und eine Kreuz Dame, Jules ihm gegenüber sitzend hatte eine Karo sieben und eine Kreuz neun auf der Hand. Rudi spielte mit einigen Geldstücken und warf dann zwei Fünfzig-Comstarcredits in die Mitte. „Ich erhöhe um hundert“, grinste er.
Jules sah lange auf sein Blatt, legte es vor sich hin und sagte: „Okay, ich geh mit und erhöhe um weitere einhundert C-Noten.“
„Sie wollen also langsam ein Ende, Kress?! Nun gut, ich gehe mit.“
Der Geber, eine junge Tech, nahm die oberste Karte legte diese zur Seite und deckte die drei folgenden Karten für alle sichtbar auf. Es waren ein Kreuz Bube, eine Karo acht und eine Karo sechs.
Beide sahen sich an, Rudi konnte mit zwei Kreuz einen Flush bekommen, mit einem Kreuz König und Ass sogar einen Royal Flush. Jules hatte durch zwei weitere Karos ebenfalls die Chance auf einen Flush oder sogar eine Straße.
Rudi kaute ein wenig, nahm einen Schluck seines Whiskeys und sagte: „Na Junge, wie sieht es aus, alles frisch? Ich werde Ihnen mal zeigen was pokern ist. Ich setzte vierhundert C-Noten.“
„Das soll interessant sein, ich geh mit und um es mal spannend machen erhöhe ich um weitere sechshundert C-Noten.“ Grinsend schob Jules die Scheine in die Mitte, beobachtete sein Gegenüber und wartete ab.
„Was soll' s, wenn Sie verlieren wollen. Fangen Sie aber nicht an zu weinen, wenn es passiert ist. Sie wollten es ja so.“ Rudi nahm ebenfalls sechshundert C-Noten und legte sie auch in die Mitte.
Nun war es wieder an der jungen Tech, die überaus hübsch anzusehen war. Schulterlange gewellte blonde Haare und ein Kleid das einem einiges zeigte, aber nicht zuviel verriet. Sie nahm wieder die oberste Karte vom Kartenstapel und legte sie zur Seite. Danach nahm sie die nächste Karte von oben und legte sie neben die bereits drei anderen Karten, es war ein Kreuz König.
„Hm, was mache ich nur, na gut ich werde mal …. fünfzig C-Noten setzen“, grübelte Rudi.
„Aha, der alte Mann hat wohl ein wenig Pech, aber ich nicht. Hier ich setze zweihundert C-Noten. Jetzt bin ich mal gespannt“, lächelte Jules. Insgeheim dachte er: Hoffentlich hat er ein Scheißblatt, ansonsten bin ich angeschmiert. Noch schlimmer wäre ein „All IN“, denn dann kann ich ihn nicht raus bluffen.
Im nächsten Augenblick wurde er bleich, denn das was nicht passieren sollte tat der Kerl gegenüber.
„ ALL IN, mein Lieber. Sie sind ein Anfänger und auf den ältesten Trick reingefallen." Lachend drehte Rudi seine Karten um, nachdem Jules missmutig den Einsatz von Rudi gebracht hatte.
„Mist!“, grummelte Jules.
„Na ja, ich wusste nicht wie lange ich ein „all in“ hinauszögern konnte, aber mit der letzten Karte konnte ich es mal versuchen. Vor allem, da Sie ja eh fast das doppelte an Geld haben, würde es für Sie nicht so schmerzhaft sein wie für mich.“
„Erstmal auf die letzte Karte warten, Opa. Vielleicht wird der Pott noch geteilt.“
„Das wäre sehr ärgerlich und ein Glück für Sie.“
Die junge Tech nahm wieder eine Karte vom Stapel, legte sie links verdeckt auf den Tisch und drehte die nächste Karte um und legte sie zu den anderen vier.
Es war ein Herz Ass. Ein Gemurmel ging durch die Halle, denn soeben hatte Jules Kress eine dicke Hand verloren.
„Glückwunsch zum Pott, aber ich hoffe ich bekomme gleich noch die Gelegenheit es zurück zu bekommen. Wie wäre ein Sudden Death? Unsere Karten bleiben verdeckt bis zum River (die letzte Karte die vom Geber umgedreht wird), und wir setzen bis dahin jeder die Hälfte unserer Kohle.
Nachdem wir unsere Karten angeschaut haben gibt es nur noch „all in“ oder ein „out“. Ist das für sie eine Option, Rudi?“ Herausfordernd schaute Jules sein Gegenüber an. Er konnte den Mann irgendwie nicht lesen, es gab noch kein Muster das er hätte deuten können, und er war nervös.
Rudi saß da, zählte seinen Gewinn und war völlig vom Vorschlag seines Gegenübers überrascht. Nachdem er alles gezählt hatte, kam er zum Schluss, das er selbst bei so einem hohen Einsatz zur Not ins „out“ gehen konnte und trotzdem seine Startkapital plus dreihundert C-Noten übrig behielt.
„Also gut, aber das ist mir noch zu wenig. Ich bin dafür eine kleine Nebenwette abzuschließen, damit der Gewinner und der Verlieren etwas davon haben. Wer hier verliert, muss sich bei allen Mahlzeiten mit an den Tisch des anderen setzen. Auch wird er dem anderen in seiner Freizeit helfen, indem er einige Freigetränke in der „Rasenenden Wildsau“ spendiert, sagen wir zwei Abende lang?“ Rudi blinzelte und dachte das Jules hoffentlich es ablehnte, denn der Einsatz war sehr hoch.
„Gemacht, und wie. Sie werden die Husaren mögen“, grinste Jules breit.
So lagen in der nächsten Runde dreitausend C-Noten auf dem Tisch, und die junge attraktive Tech teilte erst jedem die beiden verdeckten Karten aus. Dann begann sie die vier offenen Karten auf den Tisch zu legen.
Es waren eine Herz fünf, eine Karo sieben und eine Pik Dame. Also alles in allem etwas, das zu keinem Blatt wirklich passen konnte. Beide schauten sich lange an, bevor beide nahe zu zeitgleich ihre beiden verdeckten Karten ein wenig anhoben und darunter schielten. Keiner wollten jemanden einen Blick in die eigenen Karten gewähren, obwohl einige der Zuschauer schon immer näher drängten. Alles schien gespannt auf die Antwort der beiden.
Plötzlich ging die Tür auf und Shepard kam mit der Wache herein. „Meine Herren und Damen. Es ist schon spät. Es gibt ein Alkoholverbot und Glücksspiel ist hier auch zur Zeit nicht gestattet. Also, Sie nehmen Ihr Geld und gehen, oder ich beschlagnahme alles, und die Beteiligten sehen sich morgen mit mir beim Colonel wieder.“ Shepard wirkte wie das Auge eines Tornados. Um ihn herum brachen alle anderen sofort auf, und versuchten so unbeteiligt wie möglich den Hangar zu verlassen.
„Ach, Sarge. Es ist gerade das Finale. Ich hätte Opi...“ Jules deutete mit einem Kopfnicken auf Rudi „... gerade den ganzen Sold abgenommen. Lassen Sie es uns Zuende bringen.“
„Kress, ich glaube, du hast mich nicht verstanden. Du wandest auf ganz dünnem Eis. Und wenn Sie nicht den Mund halten, Ihre Kohle nehmen, und ich meine Sie beide, dann werden Sie nicht nur eine Nacht in der Wache verbringen, sondern es könnte auch zu einem kleinen Unfall kommen.“ Shepard war sehr wütend, und seine Körperhaltung verriet, dass es ratsam war, das Angebot anzunehmen.
Als nächstes und völlig unerwartet schlugen Rudi und Jules die beiden Wachen zur Seite und standen dicht nebeneinander vor Shepard. Und wie aus einem Mund schrien sie ihn an: „Master Sergeant, sie haben gar nichts gesehen und nehmen ihre Bubis schnell mit oder warten auf das Ende der Partie oder wir werden sehen wer wo diese Nacht verbringt.“ Zwei völlig Überraschte Teuteberg und Kress sahen sich an, und dann Shepard.
Der stand grinsend vor ihnen und drehte sich um. „Ach Kress, Sie sind also auch übergelaufen zu den Chevaliers? Dann hab ich wenigstens eine Wette gewonnen.“
In diesem Augenblick war es auch schon passiert, Jules rammte Shepard nach hinten und war drauf und dran diesen zu verprügeln. Rudi konnte gerade noch den einen Wachsoldaten wegschubsen bevor drei weitere Wachposten rein kamen und die Situation mittels ein paar Schlägen gegen Rudi zu beruhigen.
Aber Jules hatte es noch schlimmer abbekommen, denn Shepard war im nächsten Augenblick wie ein Bulldozer über Jules gekommen und hatte diesen mit drei schweren Haken aus dem Gleichgewicht gebracht und zu Boden geschickt. Nun waren die Wachen bemüht den Master Sergeant zu beruhigen und von dem am Boden liegenden Kress weg zu ziehen. Dieser war gar nicht amüsiert und es hätte nicht viel gefehlt und auch einige der Wachen wären das Opfer von Shepard geworden. Gott sei Dank fing sich dieser wieder und befahl in lautem Ton: "Wache, diese beiden Aufrührer in mein Büro. Das Geld verwahren Sie für beide sicher. Alles was in der Mitte liegt geht zum Father, er soll es sinnvoll verwenden. Nachdem die beiden bei mir im Büro sind, schließen Sie die Tür und warten draußen auf Weiteres.“
Jules und Rudi kamen schwer angeschlagen auf die Beine und wurden von den Wachen zu Shepards Büro geführt.
„Kress, was soll der Mist? Teuteburg, sind Sie ebenfalls ein wenig übermütig? Sie wissen beide, dass ich diesen Vorfall melden werde. Dann wird der Colonel entscheiden müssen was nun passiert. Aber eins ist so sicher wie das Amen in der Kirche, Sie beiden haben sich sehr viel und sehr lange gemeinsamen Formal- und Küchendienst verdient. Sie werden noch die besten Freunde, das verspreche ich, oder ich verbuddele euch beiden persönlich irgendwo auf der Hindernisbahn. Noch irgendwelche Fragen?“
„Nur eine … Ach, vergessen Sie es, Shepard.“ Kress war die Lust an einer Auseinandersetzung mit Shepard vergangen.
„Ja, Master Sergeant, ich habe noch eine Frage. Wieso sind Sie erst so spät zum pokern gekommen?“,k fragte Rudi, ohne seine Miene zu verziehen.
„Herr Teuteburg, ich verstehe die Frage zwar nicht, aber Sie sollen eine Antwort bekommen: Schreibkram und die Vorbereitung auf nächste Woche. Man nennt so was Arbeit, falls Sie wissen was ich meine. Außerdem geht Sie das nichts an, falls Sie es noch nicht wussten.“ Shepard war wieder kurz vor einem erneuten Ausbruch. Er sah zur Uhr und erkannte das es schon nach Mitternacht war und seufzte innerlich.
„Kann man nichts machen, sodass das Ganze sagen wir mal, nicht beim Colonel landet?“, fragte Rudi.
„Hmmm, soll das eine Bestechung werden? Sind Sie des Wahnsinns, man. Still Gest.....!“ begann Shepard zu brüllen. Da flog auch schon die Tür auf und die beiden Wachposten standen mit gezücktem Schlagstock im Türrahmen.
„Es ist nichts, warten Sie draußen.“ Die beiden Wachen verließen das Büro und schlossen die Tür.
„So, jetzt wieder zu uns dreien. Ich mache Ihnen ein einmaliges Angebot. Alles an Geld was heute auf dem Tisch war geht zum Father, außerdem werden Sie sich freiwillig jeden Tag nach Dienstschluss bei mir melden und mir dann helfen den Formaldienst durchzuführen. Das heißt: Sie werden die Hindernisbahn vorbereiten, alles nach Beendigung wieder ordnungsgemäß beim zuständigen Lager abliefern und erst dann zum Essen kommen. Wie sieht es aus, meine Herren?“
Zähneknirschend nahmen beide an und verließen dann das Büro.

„Na, Rudi, wie wäre es mit einem „Du“?“, grinste Jules
„Okay, Jules, angenommen. Bist ein verdammt guter Spieler, muss man zugeben“, grinste nun auch Rudi. „Wie gefiel dir die Tech? Na ja, zu jung für mich.“
„Ach und Haruka ist alt genug?“, schmunzelte Jules
„Woher weißt du... Ach egal. Das ist etwas anderes, und ich denke Haruka ist auch doch so ein paar Monate älter“, entgegnete der verblüffte Rudi.
„Na dann, ich werde mal schauen wo die süsse Maus hin ist. Vielleicht hat sie ja noch Platz in ihrem Bettchen für eine Party Strippoker.“
„Ich würde es lassen, Jules. Heute sind wir nochmal gut davon gekommen. Und bei uns Chevaliers sollte man niemanden einfach anbaggern und sie oder ihn dann abservieren. Die Chevaliers sind eine kleine Familie, da passt jeder auf jeden auf. Es ist schwer da rein zu kommen, wenn du aber mal angenommen wurdest, gibt es keinen verschworeneren Haufen. Wir alle würden Germaine Danton in die Hölle folgen, wenn er es will. Er hat sich den Respekt aller verdient und er hält immer seine Hand über uns. Ich bin zwar auch erst einige Monate dabei, aber ich muss sagen, es gefällt mir hier mehr als woanders. Und glaub mir ich kenne die Hölle ein wenig und unfähige Offiziere zuhauf. Aber wenigstens bist du mehr in Ordnung als ich gedacht habe“, zwinkerte er Jules zu.
„Na gut, die Kleine hat nochmal Glück. Aber nur für Heute. Danke für die Lorbeeren. Und ich muss sagen, du bist auch ganz schön taff für dein Alter.“

So trennten sich die beiden und trafen sich am nächsten Morgen erst wieder zum Frühstück. Es waren natürlich tausende von Gerüchten im Umlauf was gestern Abend im Mechhangar passiert war. Viele Gerüchte besagten, das Rudi und Jules den Sergeant samt Wachen verprügelt hatten und nun auf der Flucht wären, bis hin das die beiden mit vielen Knochenbrüchen in ein örtliches Krankenhaus gebracht worden waren. Viele Gerüchte hatten sich zwar erledigt , als die beiden nacheinander den Speisesaal betraten und frühstückten, aber einige Gerüchte erreichten auch Germaine Danton.
Thorsten Kerensky
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
14. August 3066, 06:13 Uhr

Jara war nicht gerade glücklich darüber, noch vor dem offiziellen Dienstbeginn arbeiten zu müssen. Normalerweise stand sie rechtzeitig auf, um die Zeit vor dem ersten Antreten alleine und halb-meditativ zu verbringen. Heute aber saß sie in ihrem Büro und versuchte, Löcher in ihre Kaffeetasse zu starren.
Nach dem Aufstehen hatte sie eine Nachricht von Germaine auf ihrem DataPad gefunden, die ihr nicht gefallen hatte. Ein kleiner Bericht über die Aktion, die sich Holler und Kotare geleistet hatten. Mit dem Hinweis, dass der Alte ihnen befohlen hatte, eine Viertelstunde vor Dienstbeginn bei ihrer Kompaniechefin vorstellig zu werden.
Als es an ihrer Tür klopfte, sammelte sie sich kurz und gab sich größte Mühe, ihre Wut zu zügeln. Sie wollte und durfte nicht impulsiv handeln, wenn sie irgendwas retten wollte.
„Herein!“, rief sie und war selber erstaunt darüber, wie wenig scharfer Unterton in ihrer Stimme lag.
Die beiden Soldaten, sichtlich zerknirscht, übermüdet und mit offensichtlichen Blessuren, traten ein und Holler salutierte vor ihr: „Captain, ich melde mich mit einem Kameraden wie befohlen!“
Jaras Blick spießte ihn auf und seine mentale Defensive zerbrach schon, bevor sie überhaupt etwas gesagt hatte. „Lieutenant, warten Sie bitte draußen! Ich lasse Sie gleich rufen. Wegtreten!“
„Jawohl, Ma’am!“
Nachdem Holler das Büro verlassen hatte, wanderte Jaras Blick zu dem Ex-Nebelparder und enttäuscht schüttelte sie den Kopf: „Kotare, von Ihnen hätte ich mehr Disziplin erwartet. Ich halte Ihnen zugute, dass Sie auf die Stichelei von Sergeant Ryan-Jones nicht eingegangen sind. Trotzdem ist es unverantwortlich von Ihnen, um halb vier nachts durch irgendwelche Spelunken zu ziehen, wenn drei Stunden später Dienstbeginn ist. Haben Sie dazu irgendetwas zu sagen?“
Ihr Flügelmann, auf den sie sonst große Stücke hielt, deutete ein Schulterzucken an: „Ma’am, Corporal Mulgrew hat mich gefragt, ob ich ihn auf ein Bier begleite. Es wurden bei ihm dann immer mehr Bier und ich fühlte mich verpflichtet, auf ihn aufzupassen. Er… macht gerade eine schwere Phase durch und ich konnte ihn nicht alleine losgehen lassen. Ich weiß aber, dass mein Verhalten nicht korrekt war.“
„Dann werden Sie vermutlich auch einsehen, dass ich Ihnen einen förmlichen Tadel wegen Unverantwortlichkeit erteilen muss.“
Kotare nickte stumm und verzog keine Miene. Vermutlich war ihm der Tadel bis zu einem gewissen Grad egal oder seine anerzogene Ehre verhinderte einen Protest. Oder er sah es wirklich ein.
Jara war es recht und sie entspannte sich für einen Moment spürbar: „Unter uns… Wenn es nicht die Uhrzeit und der Dienstplan wären, hätte ich für dein Verhalten eher eine Anerkennung ausgesprochen. Du hast nicht nur versucht, Mulgrew zu schützen, sondern auch noch diesem Piraten die kalte Schulter gezeigt. Und du hast den Kampf abgebrochen, als die MPs kamen. Das ist im Grunde sehr vorbildlich. Wie geht es Mulgrew eigentlich?“
„Sein Arm ist verheilt, aber er hat… Schwierigkeiten, mit seinen privaten Problemen umzugehen. Jetzt hat er einige neue Verletzungen. Und auf diesen Piraten ist er noch schlechter zu sprechen als vorher.“
„Wer nicht?“ Jara verdrehte die Augen, als sie an Jack Ryan-Jones dachte und an all die Geschichten, die sie über ihn gehört hatte. Ein wahrlich unliebsamer Zeitgenosse. Abschaum. Aber davon hatten sie auf Wayside sowieso genug aufgesammelt.
„Gut, das wäre dann erst einmal alles. Schick den Lieutenant rein und sag Sergeant Ferrow, sie soll die Kompanie antreten lassen! Wir kommen gleich nach.“
Kotare salutierte und machte sich an die Arbeit. Ein zerknirschter und deutlich unsicherer Toni Holler nahm seinen Platz ein. Das war genau sein Problem, wurde ihr klar. Er war nicht selbstsicher genug, um souverän aufzutreten.
„Lieutenant, schließen Sie bitte die Tür und nehmen Sie Platz!“ Sie deutete ruhig auf den freien Stuhl und wartete, bis ihr Stellvertreter sich gesetzt hatte. Mit seinem blau geschwollenen Auge und der frisch genähten Platzwunde knapp darüber sah er irgendwie ziemlich übel aus.
„Ich habe ein Problem“, begann sie und sah ihrem Gegenüber dabei fest in die Augen. „Mein Stellvertreter treibt sich mitten in der Nacht betrunken in zwielichtigen Spelunken herum und gerät mit einem Soldaten der eigenen Einheit aneinander. Lieutenant, Ihr Verhalten war im höchsten Maße unverantwortlich. Sie haben nicht nur die Moral der Truppe empfindlich gestört, sondern auch ihre eigene Autorität untergraben. Darüber hinaus haben Sie als Offizier eine Vorbildfunktion, die Sie nicht im Ansatz erfüllt haben. Haben Sie mir dazu irgendetwas zu sagen?“
Der Lieutenant rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und brachte schließlich doch den Mut auf, etwas zu sagen: „Ma’am, ich habe in meiner Freizeit eine Kneipe besucht. Dort wurden die Corporals Mulgrew und Kotare, in deren Begleitung ich zu der Zeit war, von einem… Piraten angepöbelt. Das müssen wir uns nicht gefallen lassen.“
Jaras Blick verfinsterte sich merklich. „Wenn Sie sich ausgeschlafen hätten, dann hätte dieser Pirat Sie gar nicht provozieren können. Im Übrigen ist dieser Pirat ein Soldat der Dantons Chevaliers. Ich bin mir sicher, ein kurzer Anruf in der Kaserne oder im Krankenhaus, aus dem Sergeant Ryan-Jones ausgebrochen ist, hätte gereicht, um die Situation zu klären. Was haben Sie um die Uhrzeit überhaupt außerhalb der Kaserne zu suchen?“
„Es ist doch meine Sache, wie ich meine Freizeit gestalte“, trotzte Holler.
„Ihre Sache?“ Jara musterte ihn fassungslos. „Wollen Sie mich jetzt verarschen? Ihre Freizeit ist nur dann Ihre Sache, wenn Sie damit meine Kompanie nicht gefährden. Ich erwarte von jedem meiner Soldaten, dass er ausgeruht und bei voller Belastbarkeit zum Dienst erscheint. Und wenn Sie abends noch Kraft haben, um saufen zu gehen, dann haben Sie im Dienst nicht genug Gas gegeben. Außerdem sind Sie jetzt verdammt nochmal Offizier und haben sich auch so zu benehmen. Ist das klar?“
„Ja, Ma’am.“
„Und Ihr Auftreten in dieser Kneipe war verdammt beschissen. Wen wollten Sie mit diesem überflüssigen Rumgebosse beeindrucken? Oder haben Sie wirklich geglaubt, der kleine Streifen Metall auf Ihrer Schulter macht sie zu einer Art Gott, auf den jeder immer und überall hört?“
„So sollte es sein, Ma’am. So eine Respektlosigkeit hätte es bei den Husaren nicht gegeben.“
„Sie sind aber kein Husar mehr!“, blaffte Jara. „Und Respekt, Lieutenant, müssen Sie sich verdienen. Das ist verdammt harte Arbeit. Und das hat auch was damit zu tun, wie sie den Leuten gegenüber auftreten.“
Sie Sie durchbohrte in mit ihrem Blick und seufzte schließlich: „Holler, ich brauche einen Stellvertreter und einen fähigen Offizier. Und jemanden, der eine Brücke zwischen alten und neuen Chevaliers schlägt. Wenn Sie den Keil zwischen den Leuten nur tiefer treiben, dann hätte ich auch Sergeant Yamada befördern können. Wenn wir im Kampf stehen, muss ich mich darauf verlassen, dass Sie mir den Rücken freihalten. Und hier erwarte ich, dass Sie nicht gegen mich arbeiten.
Sie sind momentan noch nicht in Ihrer neuen Rolle angekommen. Fangen Sie verdammt nochmal endlich an, wie ein Offizier der Chevaliers zu denken! Und wenn Sie mit einer Situation nicht zurechtkommen, dann rufen Sie jemanden, der das schafft. So läuft das hier. Es ist mir scheißegal, was bei den Husaren alles anders war. Es ist mir auch scheißegal, ob sie mich für zu streng oder was auch immer halten. Das hier ist kein Kindergarten, kein Wunschkonzert und schon gar kein Ponyhof. Das hier ist eine Söldnereinheit mit Regeln und nach diesen Regeln spielen wir. Haben Sie das jetzt verstanden?“
Holler nickte nur und das bisschen Trotz, zu dem er sich hatte durchringen können, war von ihm während Jaras Rede wieder abgefallen.
„Gut. Lieutenant, ich muss sagen, ich bin nicht begeistert von der Idee, nachher mit Ihnen beim Alten auftauchen zu müssen und mir anzuhören, dass ich besser auf Sie aufpassen muss. Damit das nicht wieder passiert, werde ich die Leine in Zukunft deutlich kürzer halten. Sie tun ab jetzt nur noch genau das, was Ihnen befohlen wird und zwar so lange, bis Sie mir gezeigt haben, was für ein vorbildlicher Soldat Sie sind und dass Sie sich wie ein Offizier verhalten können. Außerdem trage ich Ihnen einen schweren Tadel in die Akte ein. Nach dem Mittagessen melden Sie sich selbstständig bei Colonel Danton! Ist das angekommen?“
„Ja, Ma’am!“
„Sie können dem Colonel später beweisen, dass Sie in der Lage sind, Verantwortung zu tragen. Und wenn Sie noch einmal in einer Schlägerei mitmischen, dann werden die MPs im Vergleich zu mir wie Kindergärtner auf Sie wirken. Verstanden?“
Holler wirkte überzeugt. Aber der Trotz, der kurz in seinen Augen geleuchtet hatte, war verschwunden. Jara fragte sich, ob sie ihm wohl zu übel mitgespielt hatte und sein Ego komplett gegangen war. Als er „Ja, Ma’am!“ sagte, klang seine Stimme belegt, als wolle er heulen.
Sie deutete auf die Tür: „Dann übernehmen Sie die Kompanie von Sergeant Ferrow und warten Sie auf mich! Ich komme in einer Minute nach und wir beginnen mit dem Tagesdienst. Wegtreten!“

Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
14. August 3066, 11:36 Uhr

„Nanu, Jara! Du bist aber früh. Gar kein Mittagessen für dich?“ Danton wirkte ehrlich überrascht und schob einen Stoß Akten auf seinem Schreibtisch beiseite.
„Ich esse später. Während Shepard mit meinen Leuten Formaldienst macht, geh ich mit Mathew nochmal die Clan-ROMs durch und da kann ich nebenher was futtern.“
„Ach so. Na, dann setz dich! Kaffee?“
„Gerne!“
Der Chef rief kurz nach Jensen, stellte dann fest, dass dieser in der Mittagspause war und wollte kurzerhand selber einen Kaffee für seine Besucherin holen. Jara, die genau wusste, wo die Maschine stand, warf nur einen skeptischen Blick auf seine Krücken und sprang auf, um selber zu gehen. Augenblicke später saß sie mit einer Tasse heißen Kaffees vor Danton und entspannte sich ein wenig.
„Was kann ich denn jetzt schon für dich tun, Jara?“
„Ich wollte mich bei dir in aller Form für das Verhalten meines Offiziers entschuldigen.“
Danton winkte ab: „Da kannst du doch nichts für.“
„Vielleicht. Trotzdem ist er Teil meiner Kompanie und ich muss für ihn geradestehen. Ich kann dir aber versprechend, dass so etwas bei meinen Leuten nicht wieder passieren wird.“
„Das ist jetzt sehr viel gewollt. Wie kommst du denn voran?“
Jara lehnte sich zurück. „Es geht. Das Gemurre und Gemecker beim Sport wird weniger und ein ganz bisschen geht es voran. Fast alle zeigen körperliche und auch im Simulator spürbare Leistungssteigerungen. Ist noch nicht ganz der Einsatz, den ich von der Kampflanze gewohnt war, aber es wird.“
„Du nimmst deine Truppe ganz schön hart ran. Gab es da Probleme?“
„Ein wenig. Dawn wollte eine Diensterleichterung, um sich um ihre Tochter zu kümmern. Ich habe dann mit Leon und O’Hierlihy gesprochen und eine Art Kindergarten organisiert. Nichts, was wirklich Personal bindet, aber wo die Kinder unterkommen können. Da auch eine von den Techs schwanger ist, hielt ich das für eine gute Idee.“
„Warum weiß ich eigentlich nichts davon?“ Germaine klang eher verwundert als verärgert.
„Ich dachte, das fällt unter meine Zuständigkeit als JuniorOffizier“, zwinkerte Jara. „Im Ernst, ich dachte, ich müsste nicht solchen Kleinkram auf deinem Schreibtisch abladen.“
„Ich bin stolz auf dich“, gab der Chef zu. „Ist noch nicht lange her und du hast für jeden Pups meine Erlaubnis eingeholt. Weiter so! Aber wo wir beim Thema sind… wie steht es eigentlich zwischen dir und Dawn?“
„Wieso?“
„Ihr wirkt doch beide reichlich distanziert. Ist zwischen euch was vorgefallen?“
Jara seufzte und für einen Moment war sie in Versuchung, Danton alles zu erzählen, aber dann schüttelte sie nur den Kopf: „Ist seltsam, jetzt wieder zusammenzuarbeiten und dann noch mit so einer Dienstgrad-Distanz. Das wird sich wieder geben.“
„Ich will es hoffen. Sonst taufe ich deine Kompanie in Zicken-Brigade.“ Danton grinste bei seinen Worten wie ein kleines Kind und für einen kurzen Moment fragte Jara sich, ob ihr aller Anführer noch ganz klar war.
Ihr Gegenüber schien das kurze Aufflackern von Skepsis in ihrem Blick bemerkt zu haben: „Das ist aber noch nicht alles, weswegen du hier bist, oder?“
Jara, die sonst eigentlich keine Probleme hatte, die richtigen Worte zu finden, wusste nicht, wie sie antworten sollte. Ihr Vorgesetzter bemerkte ihr zögern und schloss daraus, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte.
„Na los, spuck es schon aus! Ich sehe doch, dass dir irgendwas zu schaffen macht.“
„Darf ich frei sprechen?“
Mit leicht verwunderter Miene nickte Danton: „Bitte!“
„Ich bin nicht ganz glücklich darüber, wie sich die Einheit verändert hat. Wir… schleppen Piraten mit uns herum, Kriegsverbrecher, Mörder. Und die Husaren sind zum großen Teil auch nicht willens, sich hier einzuleben. Die Stimmung ist ziemlich weit unten und niemand traut irgendjemandem richtig. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“
„Was hättest du denn getan, Jara? Wärst du ohne Verstärkung gegen die Parder gezogen?“
Sie schüttelte den Kopf: „Nein. Ich hätte mich vermutlich gar nicht erst so stark an den Herzog gebunden.“
Seinem Gesichtsausdruck nach hatte Danton bei ihren Worten ein Aha!-Erlebnis und Jara bemerkte, dass sie sich nun eventuell verplappert hatte.
„Ach, darum geht es. Du hältst meine Entscheidung für falsch?!“
Jetzt, wo die Katze aus dem Sack war, konnte sie im Grunde auch offensiv bleiben: „Es ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir mischen uns ungefragt in eine Sache ein, die uns nichts angeht. Wir stellen den Abschaum des Universums in unseren Dienst. Wir binden uns auf lange Zeit an ein Haus und einen Herrscher. Und nun rennen wir gegen einen Feind an, der ziemlich zäh ist und müssen uns auf Menschen verlassen, die nur Verrat und Verbrechen kennen.“
„Bislang sind wir mit solchen unkonventionellen Methoden gut gefahren. Und ich habe bisher jedem eine Chance gegeben. Schau dich an, Jara: Du hast die Chance erhalten und hast sie genutzt. Schau dir Dawn an! Oder Kotare. Rowan. Mulgrew. Schau dir irgendeinen Chevalier an! Sie haben alle ihre Chance bekommen.“
„Aber keiner von ihnen ist ein bekannter Kriegsverbrecher und Vergewaltiger. Und keiner von ihnen prahlt damit, dich erschießen zu wollen. Das ist Wahnsinn, Germaine! Das gefährdet die gesamte Einheit! Von diesem Piraten fange ich am besten gar nicht erst an. Du hast letzte Nacht gesehen, zu was er fähig ist!“
„Ich bin fest davon überzeugt, dass Corporal Steinberger und Sergeant Ryan-Jones schon sehr bald ihren Platz bei uns finden werden. Momentan pubertieren sie noch ein wenig, aber das wird sich legen. Das hat sich bei allen gelegt.“
„Aber dann ist es vielleicht zu spät. Dann sind wir vielleicht alle draufgegangen, weil wir einmal zu viel vertraut haben.“
„Du meinst: Weil ICH einmal zu viel vertraut habe“, stellte Danton richtig. „Aber ich habe auch dir vertraut, als du im Begriff warst, dich selber zu Grunde zu richten. Ich habe Dawn vertraut, nachdem sie versucht hat, sich umzubringen. Und habe ich bisher damit falsch gelegen?“
Jara schnaubte: „Dann hoffe ich, dass du diesmal nicht irrst. Wenn Steinberger oder der Pirat noch einen Fehler machen, dann werde ich sie ohne zu Zögern erschießen. Ich werde nicht zulassen, dass ein dahergelaufener Psychopath hier alles sabotiert.“
Danton lehnte sich zurück und musterte sie nachdenklich: „Ich glaube, es geht hier um etwas ganz Grundlegendes, was wir klären sollten. Vertraust du mir und vertraust du meinen Entscheidungen?“
Jara wollte aus einem Reflex heraus mit Ja antworten und es dabei bewenden lassen. Dann aber merkte sie, dass die Antwort nicht ganz der Wahrheit entsprochen hätte. „Es fällt mir gerade schwer, einen Sinn in deinen Handlungen zu erkennen. Es wirkt so, als würdest du dich nur noch um deinen neuen adligen Freund kümmern und die Chevaliers darüber vergessen. Deine Entscheidungen sind merkwürdig. Nicht nur für mich, glaube ich. Und ich denke, es ist meine Pflicht als Offizier, dich darauf hinzuweisen, dass ich hier ernsthafte Probleme sehe. Und notfalls dich und die Einheit aktiv vor Schaden zu bewahren.“
„Du meinst: Leute zu erschießen, die du für gefährlich hältst?“
„Wenn das nötig ist… ja.“
Danton wirkte ernsthaft überrascht, als er den tödlichen Ernst in ihrer Stimme hörte: „Wo ist bloß die Jara geblieben, die vor zwei Jahren hier angeheuert hat?“
Die Mechkriegerin verzog das Gesicht: „Du hast sie zum Captain befördert und ihr Verantwortung gegeben.“
„Es scheint so.“ Er richtete sich in seinem Stuhl auf und seine Stimme wurde fest: „Trotzdem musst du mir vertrauen. Anders geht es nicht. Und du musst aufhören, Stimmung gegen Ryan-Jones und Steinberger zu machen. Das spaltet die Einheit sonst irgendwann mehr als die beiden es je könnten. Ich hatte gehofft, dass gerade deine Art es schafft, die verschiedenen Leute schnell zusammenzuführen. Ich verlass mich da auch ein gutes Stück auf dich. Meinst du, du schaffst das?“
Jara deutete ein Schulterzucken an: „Ich kann es versuchen. Aber es wäre hilfreich, wenn du in Zukunft erklären könntest, was du dir bei solchen Entscheidungen denkst. Wenn ich verstehe, was du planst, kann ich da auch besser helfen. Und ich würde dabei lernen.“
Danton lächelte unverbindlich: „Ich kann es versuchen.“ Er zwinkerte ihr bei der Wiederholung ihrer eigenen Worte zu und machte deutlich, dass das Thema damit für ihn erledigt war. „Und jetzt haben wir beide noch eine Menge zu tun. Liegt dir noch etwas auf dem Herzen oder arbeiten wir weiter?“
Jara schüttelte den Kopf und stand auf: „Im Moment nichts, nein. Oh… ich hab Kotare einen Tadel und Holler einen schweren Tadel eingetragen. Ich glaube, Holler hat aufgegeben. Ich komm irgendwie nicht wirklich an ihn ran. Wenn du mit deinem Tribunal durch bist, wäre es hilfreich, wenn du mir sagen könntest, ob ich eventuell jemand anderen zum Stellvertreter machen sollte. Mir wäre eine zweite Meinung sehr recht.“
„Ich sehe, was ich tun kann“, versprach Danton und entließ sie damit. Vor der Tür wäre sie beinahe mit Jesse Stonefield zusammengestoßen, der scheinbar ebenfalls zum Chef wollte. Jaras Blick verfinsterte sich, als sie den ehemaligen Steiner-Offizier sah, aber sie erwiderte seinen Gruß trotzdem. Vertrauen war ihr schon leichter gefallen…

Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
14. August 3066, 15:19 Uhr

Jara blinzelt, als sie in das gleißende Sonnenlicht trat, dass den Exerzierplatz ausleuchtete. Die Dunkelheit in dem kleinen Zimmer, das Brenstein und sie nutzten, um die Möglichkeiten ihrer nächsten Gegner durchzuspielen, hatte ihre Augen doppelt empfindlich für das helle Licht von Wayside gemacht.
Aber die frische Luft tat ihr gut und sie atmete befreit durch, während sie ihre Felduniform glatt strich. Ihre Kompanie war gerade dabei, unter Hollers Befehl im Gleichschritt über den Platz zu marschieren. Stumpf und mechanisch von einer Seite zur anderen, während der Spieß, der als Ausbilder die Aufsicht führte, sichtlich Freude daran hatte, nebenher zu laufen und diverse kleine Mängel zu kritisieren.
Verglichen mit dem desolaten Bild, das die Kompanie letzte Woche abgegeben hatte, wirkte das Auftreten der einzelnen Soldaten nun allerdings schon beinahe professionell. Jara konnte sich vorstellen, wie viel Schweiß die schweren Paradeuniformen mittlerweile getränkt hatte und sie beneidete ihre Jungs und Mädels nicht im Geringsten.
Shepard bemerkte ihre Anwesenheit und nahm erst Haltung an und deine seine Befehlsgewalt wahr: „Vorne… HALT!“ Wie ein Mann kam die Truppe zum Stehen. „Rechts… UM!“ Zufrieden nahm sie zur Kenntnis, dass die Männer und Frauen ohne Zögern gehorchten und eine mustergültige Wende ausführten. „Richt euch!“
Erst als Shepard mit dem Gesamteindruck zufrieden war, drehte er sich zackig zu Jara um und salutierte überkorrekt: „Captain Fokker, ich melde Ihnen die zwote Kompanie angetreten!“
Jara erwiderte seinen Gruß und bemühte sich, dabei genauso schneidig auszusehen. Es gelang ihr nur ansatzweise. Die Routine, die Shepard an den Tag legte, fehlte ihr schlicht.
„Danke, Master Sergeant. Ich übernehme die Kompanie ab jetzt. Sie können wegtreten.“
Shepard salutierte erneut und eilte dann in Richtung Bürogebäude davon. Die Kompaniechefin wollte sich nicht ausmalen, wie viel Arbeit noch auf den Spieß wartete. Sie wandte sich nun vollends ihrer Kompanie zu und bemerkte deshalb nicht, wie Shepard im Schatten stehen blieb und die elf Mechkrieger kritisch beäugte, gespannt darauf, wie die junge Frau ihre Kompanie im Griff hatte.
Jara räusperte sich: „Rührt euch!“ Erst jetzt, als die Soldaten vor ihr in eine bequemere Position wechselten, fiel ihr auf, dass jemand fehlte. Auf der rechten Seite war ein Platz in der Formation frei und ein kurzes Durchzählen verriet ihr, dass Corporal Bräuning durch Abwesenheit glänzte. „Lieutenant Holler, können Sie mir sagen, wo Corporal Bräuning steckt?“
Holler nahm Haltung an. Vorbildlich. Danton oder Shepard mussten ihm wirklich eingeheizt haben. „Ma’am, Corporal Bräuning musste austreten und wurde vom Master Sergeant dafür entschuldigt.“
„Danke. Dann wollen wir mal…“
In diesem Moment tauchte die vermisste Mechkriegerin auf und wollte ihren Platz einnehmen. Dabei eilte sie von links kommend vor Jara lang. Ein Fehler.
„AAACHTUNG!“, blaffte Jara und nicht nur die eigentlich gemeinte, sondern alle Mitglieder der Kompanie führten den Befehl aus. Corporal Elisa Bräuning stand etwas verwirrt und sichtlich eingeschüchtert auf halbem Weg zu ihrem Platz und starrte Jara mit großen Augen an.
„Was war das denn eben, Corporal? War die ganze Woche Formaldienst im dem Spieß denn völlig umsonst? Seit wann laufen wir denn ungefragt vor der Front entlang?“ Das Vor-der-Front-Laufen war eine Sache, die fast kein militärischer Führer mochte. Wäre Bräuning hinter der angetretenen Truppe oder hinter Jaras Rücken entlanggelaufen, wäre alles gut gegangen. Aber zwischen dem Kommandierenden und der Truppe durchzurennen, war nur mit Erlaubnis des Vorgesetzten gestattet. Eigentlich wusste das auch jeder Soldat. Eigentlich.
Aber auch der jungen Mechpilotin schien nun aufzufallen, was sie falsch gemacht hatte. „Entschuldigung, Ma’am! Ich habe nicht aufgepasst“, stammelte sie.
Jara funkelte sie zornig an: „Glückwunsch, Corporal. Ich wollte der Kompanie gerade ein Lob für die Fortschritte aussprechen, die hier gemacht wurden. Das ist jetzt wohl hinfällig. Treten Sie ein!“
Mit einer gewissen Zufriedenheit stellte sie fest, dass ein paar der ehemaligen Husaren ihrer Kameradin böse Blicke zuwarfen. Langsam begann die Kompanie damit, die Fehler bei sich selbst zu suchen und nicht mehr alles auf Jara abzuschieben.
Sie wartete, bis Bräuning vernünftig stand und seufzte dann überdeutlich: „Rührt euch! Also… was ich gerade sagen wollte, ist Folgendes: Aufgrund der Fortschritte, die ihr in fast allen Bereichen zeigt, werden wir ab morgen ein paar Änderungen im Dienstplan vornehmen.
Erstens: Der Frühsport findet ab sofort in Lanzen statt. Ich erwarte von den Lanzenführern, dass sie mir bis heute Abend einen Trainingsplan vorlegen, in dem sie eigenständig auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Lanze eingehen.
Zwotens: Wir werden ab sofort verstärkt in den Simulator-Kapseln trainieren. Für die Theorie haben wir an Bord der Landungsschiffe noch genügend Zeit. Selbstverständlich heißt das für uns alle eine enorme körperliche Belastung. Melden Sie sich bitte alle im SanBereich. Der Doc wird ihnen allen Tabletten mit Nährstoffen und Vitaminen geben. Achten Sie außerdem auf ausreichende Flüssigkeitsaufnahme. Außerdem gilt für die gesamte Kompanie ab sofort ein Alkoholverbot.
Drittens: Nach den unschönen Ereignissen der letzten Nacht gilt für die gesamte Kompanie eine Ausgangssperre. Ausnahmen sind über mich zu regeln und erfolgen nur in Ausnahmefällen.
Viertens und Letztens: Um der höheren körperlichen Belastung Rechnung zu tragen, habe ich den Dienstschluss deutlich nach vorne verlegt. Nutzen Sie die Freizeit bitte nicht nur zum Müßiggang. Wir werden schon sehr bald in den Einsatz verlegen, es ist also nicht verkehrt, wenn Sie Ihre persönliche Ausrüstung auf Vordermann bringen.“
Waren die Gesichter bei den Punkten Zwei und Drei immer länger geworden, so glich die letzte Ansage das mehr als nur aus. Jara hatte die Kompanie seit ihrer Kommandoübernahme wirklich stark in die Pflicht genommen. Nun war es langsam an der Zeit, die Zügel etwas lockerer zu lassen. Auf der Reise konnte sie dann wieder stärker fordern, um der Langeweile und damit dem Streit an Bord vorzugreifen.
„Das wäre dann das Organisatorische. Lieutenant Holler bleibt bitte noch, der Rest kann sich umziehen gehen. Wir treffen uns in fünfzehn Minuten im Mechhangar zum Technischen Dienst. Ausführung!“
Bis auf Holler verließen die Mechkrieger den Platz und Jara trat vor ihren Stellvertreter. Kritisch musterte sie ihn. Irgendwas war mit dem Mann passiert. Sie konnte nur nicht so genau greifen, was es war.
„Wie lief Ihr Gespräch mit Colonel Danton, Lieutenant?“
„Es war ernüchternd, Ma’am.“
„Ernüchternd? Hat der Colonel Ihnen irgendwelche Strafen aufgebrummt, die Ihren Dienst in meiner Kompanie beeinflussen?“
„Nach Dienstschluss sollen alle Beteiligten helfen, die Bar zu reparieren. Und vor Dienstbeginn soll ich mit den Beteiligten eine Stunde Formaldienst durchführen. Das ist mit dem Dienstbeginn um 06:30 Uhr eventuell problematisch.“
„Finden Sie?“ Jara grinste. „Wenn der Colonel nicht explizit erwähnt hat, welchen Dienstbeginn er meint, dann ist natürlich Ihr Dienstbeginn der Richtwert, Lieutenant. Frühes Aufstehen schult den Charakter. Ich erwarte Sie pünktlich um 06:30 Uhr zum Frühsport.“
„Jawohl, Ma’am!“
Sie runzelte die Stirn. „Haben Sie mir noch etwas zu sagen, Lieutenant?“
„Ma’am?“
„Mir kam zu Ohren, dass Sie dem Colonel Ihren Rücktritt als mein Stellvertreter angeboten haben?“
„Der Colonel hat ihn abgelehnt.“
Jara seufzte: „Darum geht es doch gar nicht. Ich kann mir vorstellen, dass er sehr deutliche Worte gefunden hat. Aber wenn Sie mit ihrer Aufgabe nicht klarkommen, dann reden Sie mit mir. Und wenn Sie mit mir nicht klarkommen, dann reden Sie verdammt noch mal auch mit mir! Wo ist eigentlich Ihr Problem, Holler?“
„Darf ich frei sprechen?“
„Natürlich.“
„Ihr Führungsstil ist einfach zu krass, Ma’am. Sie verlangen von uns allen 150% und von mir 200%. Wir brauchen aber alle Zeit, um uns daran zu gewöhnen. Wir… ich kann es Ihnen nicht Recht machen und das ist sehr anstrengend. Wir sind Söldner, keine Haustruppe.“
„Stimmt. Ich verlange von jedem Mitglied meiner Kompanie herausragende Leistung. Von Ihnen ganz besonders. Aber denken Sie doch mal einen Moment nach! Ich tue das doch nicht, weil ich grausam und gemein bin, sondern weil ich die Aufgabe habe, Sie auf alles vorzubereiten. Kann sein, dass ich schon beim ersten Schusswechsel ausfalle. Dann müssen Sie die Kompanie leiten. Trauen Sie sich das schon zu?“
Holler schluckte und schüttelte stumm den Kopf.
„Eben. Und darum schicke ich Sie jetzt durch die Hölle. Sie können mich dafür hassen, aber das ist mir alle male lieber, als wenn Sie im Gefecht überfordert sind. Und ich will ganz offen sein: Ich versuche, Ihren Ehrgeiz zu wecken. Ihren und den der gesamten Kompanie. Wenn Sie es schaffen, mich zu beeindrucken, lasse ich die Leine lockerer. Das ist ein Versprechen. Also hören Sie auf zu schmollen und sehen Sie meine Forderungen als Chance. Kriegen Sie das hin?“
Sie hatte erwartet, dass er nun endgültig schmeißen würde, aber Dantons Predigt schien ihm gehörig den Kopf gewaschen zu haben, denn er gab ein lautes und kräftiges „Ja, Ma’am!“ zurück.
Anerkennend nickte die blonde Frau: „Sie haben ja doch einen Arsch in der Hose, Holler! Und jetzt Marsch, Marsch zum Umziehen! Technischer Dienst in zehn Minuten!“
eikyu
„…haben wir keine Landeerlaubnis“ erklärte der Landungsschiffkapitän.
„Verdammt, ich muss aber eine Nachricht nach Outreach senden, und das geht nur mit dem Hyperpulsgenerator auf Wayside.“
„Ich kann ihnen da nicht helfen. Solange diese Invasion im Gange ist, dürfen wir nicht landen. Wundert mich zwar auch ein wenig, den wir könnten ja den Verteidigern helfen, aber es ist deren Entscheidung.“
„Und eine Nachricht an Comstar wird vermutlich auch nicht bearbeitet?“ fragte der Leutnant.
„Nicht die Art von Nachricht, welche sie senden wollen. Dafür müssen sie schon persönlich dort auftauchen und sich authentifizieren.“
„Gibt es den wenigstens eine Vermutung wie lange wir hier warten müssen?“
Der Kapitän lächelte als er antwortete: „Man geht von maximal einer Woche aus, bis sich alles entschieden hat. Aber darum müssen wir uns eh keine Sorgen machen…“
Fragend sah der Leutnant ihn an.
„Unser Treibstoff ist so gut wie alle, wir können uns noch etwa drei Tage hier in Position halten. Dann landen wir ohnehin. Fraglich ist dann nur halt ob noch etwas vom Landungsschiff übrig bleibt…“
„Gut, ich werde die Leute informieren“, murmelte der Leutnant und verließ die Brücke.

„Also Leute, ich habe euch hierher gerufen um euch einen Überblick zu geben“, erklärte der Leutnant.
Die Messe des Union-Landungsschiffes war nicht gerade voll, denn viele waren sie nicht mehr.
„Wie ihr wisst, sind wir mit elf Mechs und vier Hubschraubern gestartet. Nachdem wir das Nebenziel erreichten, haben wir einige der Gefechtsrüstungen aus der Fabrik geborgen, bevor wir diese für immer schlossen. Das gibt uns einen minimalen Bonus, ich erwarte jedoch nicht viel mehr als eine kleine fünfstellige Summe… . Beim Rangehen an das Primärziel haben wir dann tüchtig bluten müssen, auch wenn wir dieses im Endeffekt so gerade eben erreichten. Wir haben zwei Hubschrauber komplett mit Mannschaft verloren, dazu kommen noch sechs Mechkrieger und vier Battlemechs. Wie es um Henderson, den einzigen Überlebenden unserer Befehlslanze steht wisst ihr alle: Zustand ungewiss und wenn er es schafft wird er nie mehr einen Mech steuern.
Da ich nun der Ranghöchste und Dienstälteste der Einheit bin, muss ich mich um die Finanzen kümmern und ein kurzer Check hat ergeben das wir mehr oder weniger Pleite sind…“
„Pleite? Aber der Auftrag bringt doch wieder eine Menge Geld rein…“, warf Erik Golad ein, einer der Hubschrauberpiloten.
„Stimmt. Aber dafür muss ich auch erstmal ans Konto ran kommen und sowas dauert. Dafür muss ich auf Wayside landen und per HPG einen Antrag stellen, der hoffentlich schnell genug bearbeitet wird, so dass ich bei der Ankunft auf Outreach dann auf das Konto zugreifen kann. Den Zugriff haben nur die vier aus der Befehlslanze gehabt, zu denen ich ja nun mal nicht gehöre.
Im Moment ist es so, dass wir nur das Geld haben, was wir auf unserer Privaten Konten haben.“
Er lies die Nachricht einen Moment sacken, damit jedem bewusst wurde was dieses bedeutete.
„Also sind wir derzeit Pleite. Was wir jedoch machen können ist folgendes: wir verkaufen zwei der Mechs, vorzugsweise die, welche am kaputtesten sind, also der Kreuzritter und der Dunkelfalke.
Sofern wir dafür Käufer finden, in kürzester Zeit, ist es eventuell möglich die restlichen Mechs soweit zu reparieren das sie einigermassen einsatzbereit sind. Eventuell müsstest du, Jeff, auf die Wespe verzichten und wir müssen sie auch verkaufen. Damit sollten wir aber alle es schaffen nach Outreach zurückzukehren und solange durchzuhalten bis die Formalitäten erledigt sind.“
„Auflösung?“ fragte John diesmal. Sein Zwillingsbruder Erik zuckte zusammen. Der Gedanke an eine Auflösung der Einheit war zwar unangenehm, aber da es niemanden mehr aus der Befehlslanze gab, ausser Henderson der aber wohl kaum überleben würde, war der Gedanke nicht abwegig.
„Vielleicht. Ich weis noch nicht wie viel Geld im Endeffekt übrig bleibt, ob es reicht um mit einer übervollen Lanze einen neuen Auftrag zu suchen. Ich würde aber nicht darauf bauen.“
Wieder betretenes Schweigen.
„Und nun zum nächsten Problem: wir dürfen nicht landen. Auf Wayside findet gerade eine Invasion statt…nein, nicht von Clannern… . Die Angry Eagles und eine Söldnereinheit namens Datons Chevaliers verteidigen mittlerweile den Raumhafen. Vermutlich war das Landen an einen der Wasserlöcher auf Wayside nur ein Trick der Angreifer um die Verteidiger auszudünnen.
Alles konzentriert sich nun um den Raumhafen und das Wasserloch geht an die bisher unbekannten Angreifer…“
Das waren harte Informationen. Man wusste also nicht wer gewinnen würde, und was der unbekannte Angreifer eigentlich wollte.
Plötzlich tauchte ein Besatzungsmitglied des Union-Landungsschiffes auf, fast freudestrahlend stand er neben den Leutnant.
„Sie haben eine gute Nachricht für uns?“ fragte der Leutnant vorsichtig.
„Nicht direkt aber doch interessant: ein einzelner Hubschrauber der Chevaliers hat das Lager am Wasserloch zur Kapitulation gezwungen.“
„Was?“ fragte nicht nur Erik Golad, alle waren überrascht, aber insbesondere er. Zusammen mit seinen Zwillingsbruder steuerten sie einen Warrior H8, der aber bei weitem nicht ausreichte um ein bewaffnetes und gut gesichertes Lager zur Aufgabe zu zwingen.
„Mehr Informationen habe ich auch noch nicht, aber klar ist, dass das Lager am Wasserloch nun den Chevaliers gehört. Verteidigt wurde es von ungefähr einem Bataillon Infanterie und einigen Panzern“, erklärte das Besatzungsmitglied.
Nun mischte sich auch Tom Covo ein, er steuerte den zweiten überlebenden Heli, einen Sprint: „Was für ein Hubschrauber wurde eingesetzt?“
„Ein Cavalry“
Der Leutnant kratzte sich am Kopf: „Schon mal von gehört, aber ich entsinne mich gerade nicht daran…“
Tom sprang wieder ein: „Bewaffnung und Panzerung wie ein Speerschleuder, also nur zwölf Kurzstreckenraketen.“
„Mit ner Speerschleuder ein Lager erobert…das hat was…unglaublich“
Fast eine Viertelstunde lang diskutierte man nun über diese neue Information, während das Besatzungsmitglied wieder entschwand.
Nach und nach kam man aber wieder auf das eigentliche Problem: Auflösung oder nicht.
Doch bevor man sich entgültig festlegte kam das Besatzungsmitglied wieder rein, wartete diesmal aber nicht, sondern warf die verbale Bombe einfach rein: „Wayside hat gewonnen. Die Angreifer haben kapituliert.“
Jubel entbrannte. Als er sich etwas gelegt hatte sagte der Mann: „Leider dürfen wir nicht sofort landen. Erst muss der Raumhafen gesäubert werden. Man hat uns aber gemeldet das man uns in…“, er sah kurz auf die Uhr „37 Stunden und 52 Minuten auf den Raumhafen von Wayside, Landebucht drei, erwartet.“
Das waren sehr gute Nachrichten. Endlich wieder festen Boden in Aussicht, frische Luft…wenn auch ziemlich heis, aber wesentlich angenehmer als die dieses Landungsschiffes.
„Also gut Leute. Um wieder zurück zu kommen auf unser Problem…“, mischte sich nun der Leutnant ein „sobald wir unten sind werde ich bei der Söldnerprüfungskommision nachfragen, wie es nun um uns steht, insbesondere was unsere Einzelkontrakte angeht. Ich denke an eine Auflösung kommen wir nicht vorbei. Aber ich weis nicht ob wir uns sofort bei anderen Einheiten bewerben können oder noch als Teileinheit über einen bestimmten Zeitraum bestehen müssen. Genau das will ich klären. Auch wenn sich das Krass anhört, vielleicht können uns diese Chevaliers gebrauchen, zumindest einige von uns. Sie haben mit Sicherheit Verluste erlitten. Und soweit ich weis, sind die Chevaliers von den Dragonern als erfahrene Einheit eingestuft wurden, also recht gut. Bauen würde ich aber auch darauf nicht, und wie gesagt: ich weis nicht ob wir einzeln sofort aus den Vertrag raus können… .“


Im Endeffekt war es so, dass sie durchaus einzeln aus den Vertrag konnten. Allerdings entfiel dann auch die Überschussbeteiligung, welche der Leutnant errechnet hatte. Laut seinen Berechnungen müsste ungefähr ein bis drei Millionen C-Noten übrig bleiben, nachdem alle Kosten der Söldnereinheit „Avons Klauen“ bezahlt waren, und die Einheit offiziell aufgelöst wurde. Das Geld würde dann auf diejenigen aufgeteilt, welche bis zum Schluss bleiben würden, was laut bisheriger Planung nur zwei Personen sein würden neben den Leutnant. Aber das sollte nicht ihre Sorge sein.
Die drei Hubschrauberpiloten wollten wieder aktiv und gut untergebracht sein. Und sie hatten das Gefühl das die Chevaliers eine gute Einheit waren, bei der man es durchaus versuchen könnte.
Also bewarben sie sich und waren überrascht als sie prompt einen gemeinsamen Termin für ein Bewerbungsgespräch bekamen.
Nun sassen sie in diesen Büro und harrten der Dinge die da auf sie zukommen würden.
„Nun meine Herren…“, eröffnete Germain das Gespräch nach der Begrüßung, „…lassen sie uns gleich direkt zur Sache kommen. Ich habe mir ihre Bewerbungsunterlagen sowie ihre Lebensläufe durchgesehen, auch den Werdegang ihrer alten Einheit, bei der sie noch unter Vertrag sind…“, dabei sah er die drei Männer an. Alle drei nickten bejahend, wussten aber das sie reingeschrieben hatten, das sie derzeit jederzeit aus dem Vertrag bei Avons Klauen austreten konnten aufgrund der besonderen Umstände.
„Es sieht alles sehr positiv aus. Aber nun möchte ich ihre persönliche Meinung hören, warum sie denken dass sie bei den Chevaliers gut aufgehoben sind. Geschrieben haben sie ja jeweils was sie für eine Aufgabe übernehmen können, wobei ihr zusätzliche Bereich Herr Covo, vermutlich nicht in Anspruch genommen werden muss…“
Germain sah nun Erik an, der daraufhin auch recht offen darlegte: „Sie verfügen bereits über Hubschrauber, und das schon seit längerem. Unsere beiden Maschinen würden ihre Möglichkeiten erweitern. Ausserdem haben wir gehört dass sie schon bald wieder starten werden um einen Auftrag wahrzunehmen.“
Ein Räuspern von Tom lies Germains Aufmerksamkeit zu sich lenken.
„Nun Sir… was Herr Golad meint ist, das wir gehört haben das ihre Einheit über ausgezeichnete Referenzen verfügt. Und die Aktion am Wasserloch… das einer ihrer Helis es im Alleingang schafft ein gut verteidigtes Lager zur Kapitulation zu zwingen… zeigt das sie einen hohen Standard was die Fähigkeiten der Besatzungen anbetrifft erwarten. Wobei wir hoffen dass wir diesen Standard in ihren Augen auch erfüllen werden.
Auch wissen wir das Ihre Einheit eine sehr gute Dragonerbewertung hat, welches sie bei der Verteidigung um den Raumhafen unter beweis gestellt hat. Wir sind zuversichtlich das wir uns dem würdig erweisen werden.“
Innerlich schmunzelte Germaine. Dieser Tom Covo strich ihm Honig um den Mund, benutzte allerdings auch das Wort >>werden<< statt >>könnten<<. Ein wichtiger Unterschied, den es zeigte seine Entschlossenheit.
„Von meiner Seite steht ihrem Beitritt zu den Chevaliers nichts entgegen, aber es gibt da noch zwei Dinge:
Erstens werden wir in zwei Tagen abfliegen um einigen ehemaligen Nebelparder in den Hintern zu treten, das lässt ihnen leider keine Trainingszeit mit unseren Leuten.
Zweitens gibt es keine Gehaltsverhandlungen am Anfang, wenn sie bei uns Einsteigen wollen dann nur als Corporal.“
Germaine sah den Dreien in die Augen, alle nickten bejahend. Somit gab er ihnen jeweils die Standardkontrakte, welche sich jeder durchlass und dann auch unterschrieb. Fragen gab es keine.
„Dann willkommen bei den Chevaliers. Sie werden dann morgen um sieben Uhr Ihre Uniform und Rangabzeichen in der Kleiderkammer bekommen und danach sollten sie sich bei Sergeant Major Hawk melden. Ich denke das lässt ihnen noch genug Zeit ihre Sachen mit Avons Klauen zu klären“
Mit diesen Worten stand er auf und machte somit klar dass dieses Gespräch damit beendet war.
„Jawohl, Sir“, erscholl es von den dreien, welche in hab-acht-Stellung gingen und salutierten, bevor sie sich auf den Weg machten.

Pünktlich um sieben Uhr früh waren die drei an der Kleiderkammer und liessen sich ihre Uniformen geben, begleitet von Corporal Bernd Assay. Wie sich herausstellte war er mit seiner Frau Pilot des Karnov, welcher nicht direkt am Kampf um den Raumhafen teilgenommen hatte, sondern danach bei den Bergungs- und Aufräumarbeiten zum Einsatz kam.
Nachdem er die drei zu den Quartieren geleitet hatte, wo sie sich umzogen nahm er sie wieder in Empfang um mit ihnen zum Hindernisparcours zu gehen.
„Diese Sergeant Major Hawk…ist das ihre Frau?“ fragte Tom vorsichtig.
Bernd lachte: „Gott bewahre…nein. Zum Glück nicht… ach, bevor ich es vergesse… innerhalb unserer Fliegergruppe duzen wir uns alle. Nur bei Kitty ist es angebrachter sie mit Madam anzureden, ansonsten aber auch duzen wenn es nicht gerade streng dienstbezogen ist. Aber das lernt ihr auch sehr schnell.“
„Sieht diese Kitty? (ein fragender Blick an Bernd, der bejahend nickte) so schlecht aus das sie… ähm du sagst das du zum Glück nicht mit ihr zusammen bist?“ wollte nun John wissen.
„Oh nein. Sie ist ein wahrgewordener Männertraum. Klein aber mit prallen Formen. Allerdings stehe ich auf Frauen bei denen etwas mehr dran ist, wenn ihr versteht was ich meine. Immerhin wiegt meine Frau fast das doppelte, und ich liebe jedes Gramm an ihr“
Nun fragte Erik fast frech: „Also ist sie noch zu haben?“
Bernd war schon aufgefallen das die beiden Zwillinge Erik und John jeder Frau hinterher sahen die gut aussah, und davon gab es bei den Chevaliers einige. An sich war das kein Problem… doch hier musste er reagieren. Er blieb so plötzlich stehen das Erik gegen ihn stieß, sah den Mann mit sehr ernster Miene ins Gesicht und antwortete: „Schlag dir den Gedanken gleich aus den Kopf. Von mir aus kannst du jede Frau hier anbaggern, sogar meine Sarah. Mit den Konsequenzen wirst du dann klar kommen. Aber lass die Pfoten von Kitty. Klar?“
Erik ging auf Abstand, zusammen mit seinen Bruder. Tom sah die drei eher verwirrt an.
„Du tust ja schon fast so als ob sie eine Heilige wäre“ meinte John.
„Ist sie auch.“ Diese Antwort lies die Neulinge noch irritierter drein blicken, deshalb erklärte Bernd: „Sie ist eine Nonne. Dementsprechend wird sie von vielen, insbesondere Frauen bei privaten Problemen angesprochen. Es gibt halt Dinge die man nicht unbedingt mit dem Beichtvater der Einheit besprechen mag. Zudem wird sie von den Infanteristen fast vergöttert. Selbst die Elementare mit denen sie gelegentlich trainiert akzeptieren sie. Nebenbei war der Überfall auf das Lager am Wasserloch ihr Plan und sie ist die Pilotin des Cavalry…“
„Es war ihr Plan?“ fragte Tom ungläubig.
„Ja“ antwortete Bernd einfach. Jetzt zu erklären dass die ganze Sache mit viel Glück zusammen gehangen hatte, und auch mit vielen anderen Kleinigkeiten die nicht eingeplant waren, wäre zu viel gewesen.
Sie gingen weiter und kamen bei der Hindernisbahn an, wo schon viele Infanteristen Aufwärmübungen machten.
„Warten wir bis die hier fertig sind?“ fragte Erik hoffnungsvoll.
Wieder lachte Bernd: „Nein. Wir machen mit ihnen mit. Und nur damit ihr es wisst, die letzten drei bekommen keinen Nachtisch. Also seht zu, das ihr es nicht seid ansonsten wird Kitty euch die Hölle heiß machen.“
„Auh weiha, das fängt ja gut an…“ maulte John.
Tom wiederum stellte fest: „Lass mich raten: sie ist immer mit unter den Besten, was ihrem Ansehen bei der Infanterie ungemein hilft. Und ihr trainiert häufig mit ihnen.“
Während Bernd bejahend nickte fragte John überrascht: „Woraus schliesst du das alles?“
Mit den Kopf deutete Tom in Richtung der Infanteristen weiter vorne: „So wie die Leute auf sie reagieren.“
„Welche von denen ist es den?“ wollte nun auch Erik wissen
Tom schüttelte verwundert den Kopf, antwortete aber auf diese scheinbar dumme Frage: „Es ist die Blondine dort im schwarzen Fliegeroverall. Das Euch das nicht aufgefallen ist…sie ist die einzige welche keine Uniform trägt. Und die Tatsache dass sich niemand daran stört spricht Bände. Niemand zeigt sich verwundert, also wird sie mit dem Anzug sehr häufig trainieren, was an sich schon schwer ist. Sie gibt dem einen gerade Lauftipps, und seine Reaktion zeigt mir dass sie besser sein muss als er. Dazu die Worte vorhin von Bernd. Die Frau trainiert gelegentlich mit Elementaren, wie er sagte, und wird von denen akzeptiert…also muss sie körperlich in Topform sein. Und ich denke, ich liege richtig wenn ich vermute das sie sehr hohe Standards setzt.“
„Stimmt. Sie macht uns klar, dass körperliche Fitness auch für uns Piloten wichtig ist. Es kann immer mal sein das wir einen verwundeten Kameraden bergen müssen, oder nach einem Absturz uns durchschlagen.“
Tom schüttelte verneinend den Kopf als er erwiderte: „ Einen Hubschrauberabsturz überlebt man nicht.“
„Sie hat zwei Abstürze überlebt“ kam es plötzlich von einem der Infanteristen.
Wieder war es an den drei Neulingen erstaunt zu sein.
„Und bei den letzten war ich dabei. Im Ripper. Wir flogen durch eine Stadt, als wir plötzlich in einen Schwarm LSRs flogen. Ich weis nicht wie sie es schaffte den Ripper zu landen, zu überrascht war ich von dem Kopfgroßen Loch neben mir in der Wand, aber sie schaffte es und haute uns dann durch die feindliche Linie. Der Ripper war natürlich Schrott… Reaktortreffer und fast die ganze Panzerung weg, ganz zu schweigen von den Sturzschäden am Rumpf…naja… Fred da drüben hat sie übrigens davor bewahrt von Clanomnis zermanscht zu werden. Er lag in einen Beobachtungsloch als die Typen ankamen. Und sie hat die Clanner abgelenkt, so dass diese eine andere Richtung eingeschlagen haben… . Ah, es geht los…“
Und tatsächlich, der Lauf über den Hindernisparcours begann. Und hier lernten die Neulinge noch etwas: es ging nicht darum das man der schnellste war, sondern man half sich gegenseitig. Gegenseitiges Anspornen, hier und da ein paar gerufene Tipps und Warnungen. Und vor allem was man mit Sarah Assay machte war für die Jungs neu. Diese Frau wog sicherlich über hundert Kilo, wirkte wie eine Sumoringerin. Sie hatte keine Chance unter dem Stacheldraht durchzukommen, dafür war ihr Hintern einfach zu dick. Aber die Infanteristen die vor ihr den Bereich durchkämmten schaufelten immer etwas Sand zur Seite, während sie durchkrochen, genug damit sie nur einmal kurz hängen blieb.
Am Ende meinte Tom: „Ziemlich ungewöhnlich das man mit der Infanterie trainiert, selbst für Kampfhubschrauberpiloten.“
„Kitty ist ja keine Kampfhubschrauberpilotin mehr, sie fliegt ja die Infanterieversion des Cavalry“ erwähnte Bernd fast nebenbei.
„Infanterieversion… hm, das erklärt die Verbundenheit mit der Infanterie…“ murmelte Tom
„Ja, auch. Sie war mal Kampfhubschrauberpilotin. Das ist lange her, noch vor der Entstehung der Chevaliers. Sie hatte damals einen Warrior H7 geflogen…dummerweise fliegt sie immer noch so, als ob sie einen Kampfhubschrauber hätte, aber man hat sich daran gewöhnt.“
Tom stocherte weiter, während Erik und John gebannt zuhörten: „Was ist aus dem Heli und dem Copiloten geworden?“
„Der Warrior wurde abgeschossen, und nach der harten Landung musste Kitty ihren Copiloten erschießen. Eine Strebe hatte sich durch seinen Brustkorb gedrückt und er war am qualvollen verbluten.“
Allgemeines schweres Schlucken, aber Bernd setzte noch einen Satz hinterher: „Wisst ihr, sie ist katholisch, so was wie Sex erst in der Ehe und so ein kram… . Sie hatte damals vor ihren Copiloten nach dem Auftrag zu heiraten… .“
Selbst den Zwillingen war nun klar dass diese Frau vermutlich niemals wieder mit einen Mann zusammen kommen würde, nicht nach diesem traumatischen Erlebnis.

Beim Mittagessen sassen alle sieben Piloten an einen Tisch. Mittlerweile hatten die Neulinge auch erfahren das Kitty nicht redete, sondern schrieb, oder mit Handzeichen arbeitete. Nicht umsonst hatte sie ein Pad dabei.
„Nun, wer von den vielen Frauen ist den noch frei?“ wollte Erik wissen.
„Ihr denkt auch nur immer an das eine, oder?“ kam die Gegenfrage von Bernd, dabei lächelte er allerdings.
„Nun, man möchte sich ja auch die Freizeit, insbesondere die Nacht etwas amüsieren können“
Der Strenge Blick von Kitty besagte, dass die beiden nun vermutlich weniger Zeit dafür bekommen würden. Aber das tat dem Wissendurst keinen Abbruch, also fragte diesmal John:
„Was ist zum Beispiel mit der Mechkriegerin am Nebentisch?“
„Das ist Jara“ kam diesmal die Antwort von Dominik.
„In die du ein ganz klein wenig verliebt bist“ Sarah lächelte ihn dabei an, sah wie er unentschlossen in seinen Essen rumstocherte und flüsterte: „Kann schon sein“
Bernd erklärte: „Sie gilt als die Rose der Chevaliers. Vorsicht, sie kann sehr dornig sein. Ebenfalls sehr beliebt hier. Und bevor du fragst, die Frau die da auf den Weg zu ihren Tisch ist, heist Dawn. Die beiden sind sowas wie Busenfreundinen. Dawn und Markus van Roose haben zusammen ein Kind, warum die beiden sich getrennt haben weis ich allerdings nicht.“ Dabei sah er Kitty an, welche vermutlich diese Info hatte, aber wie so häufig nicht über private Dinge von anderen redete.
„Ächz, ich sehe schon, es wird schwer werden hier weiblichen Anschluss zu finden“ maulte Erik
„Es gibt sicherlich die eine oder andere Frau hier, die bereit für einen Versuch wäre. Aber du solltest auch bedenken dass wir in manchen Dingen recht familiär sind. Wenn du also eine der Frauen hier verarscht, könnte das unangenehme und unvorhersehbare Konsequenzen haben. Ich sehe euch beiden an der Nasenspitze an, dass ihr Euer gleiches Aussehen nur zu gerne nutzt, um eine Frau zu verwirren.“ Bernd traf mit dieser Aussage den Nagel auf den Kopf.
„Ähm… vielleicht kam mal dieser Gedanke…öhm…“ John war plötzlich sehr kleinlaut.
„Nun, ich erinnere mich an den Mechaniker, welcher die eine aus der Instandsetzung verarschte indem er ihr die große Liebe vorspielte. Selbst ich hatte diese Vermutung, aber sie war da leider nicht so reif für“, erzählte Sarah: „ich weis noch wie sie tränenüberströhmt gegen Kitty rannte. Ich weis zwar nicht was sie ihr erzählt hat, beim Gespräch war ich nicht zugegen, aber ich weis das der Arbeitsplatz des Mechanikers plötzlich recht unsicher war. An dem Tag darauf hatte er drei Beinaheunfälle… ist halt ein gefährlicher Job. Ich meine, wenn man nicht aufpasst, kann man sehr leicht von einer der Wartunghebebühnen angefahren werden, oder es fällt etwas runter was jemand vergessen hat weg zu legen… .“
Tom war es dann, der das Thema abprupt wechselte: „Was haltet ihr eigentlich vom gestrigen Baseballspiel? Ich habe es zufällig im Fernsehen mitverfolgt…“
„Und ich war da…es war einfach genial… “ sprang Bernd darauf an… .
Ace Kaiser
Ein Schuss ins Knie, ein Schuss durch die Hand, Schmerzen und Medikamente im stillen Wechsel, eine ungewollte Einheitsvergrößerung, und jetzt auch noch eine Massenschlägerei. Dazu kam auch noch, dass eine große Anzahl Chevaliers wie Husaren und Eagles, Miliz wie Reguläre, entweder tot oder noch immer in den Krankenhäusern lagen. Warum schienen die Probleme immer nur zu zu nehmen, und niemals abzunehmen?
Germaine Danton richtete sich ächzend in seinem Sessel auf und langte nach der Kaffeetasse, der einzigen Droge, die ihm derzeit erlaubt war. Immerhin Koffein. Immerhin. Für alle anderen Drogen hatte er noch immer ein zweiwöchiges Verbot, um die gute Heilung nicht zu beeinträchtigen. Aber er hatte auch keinen Drang danach, weder nach Alkohol, noch nach Nikotin, und auch nicht nach den recht exotischen illegalen Drogen, die ein Kurita-Planet zwangsläufig zu bieten hatte.
Vor seinem Schreibtisch stand ein reichlich blessierter Jesse Stonefield. Sein linkes Auge war geschwollen, der Kopf war an drei Stellen geklammert, die rechte verstauchte Hand war bandagiert, und ein wunderschöner Cut, mit zwei Schmetterlingspflastern behandelt, zog sich über die linke Wange. Dennoch schien der Mann gute Laune zu haben. "Setzen Sie sich, Captain."
"Danke, Sir. Aber es heißt jetzt Corporal."
Danton versteckte sein befriedigendes Lächeln nicht vor dem Lyraner. Er hatte sich in Stonefield nicht geirrt, ebenso wenig wie er sich in Steinberger oder Ryan geirrt hatte.
"Sie haben gestern einen sehr guten Job gemacht", setzte Germaine an und schenkte dem Corporal eine Tasse Kaffee ein. "Bis auf die unerfreuliche Schlägerei und die Tatsache, dass mich heute morgen mehrere junge Frauen angerufen haben, die sich nach Ihrem Schützling erkundigt haben. Er scheint eine wilde Nacht hinter sich gebracht zu haben."
Stonefield zögerte, bevor er nach dem Kaffee griff und antwortete. "Sir, Ihr Auftrag lautete, Jack unter Beobachtung und Robert unter Kontrolle zu halten..."
"Und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie diesen Job erfüllt haben. Seien Sie unbesorgt, von mir wird der Junge nichts erfahren. Der Wirt hat die MP gerufen, und die hat mich angerufen. Das ist sogar wahr. Abgesehen davon, dass ich etwas früher wach war und nicht erst durch den Alarmruf geweckt werden musste, um Copycat auf den Weg zu schicken."
Stonefield wand sich vor dem Schreibtisch. "Sir, ich bin kein Verräter. Ich tue das nur, weil Robert ein verdammter Sturkopf ist und nicht zugeben kann, dass Sie Recht haben, und das mit so ziemlich allem. Wäre er nicht der Mann, der er ist, ich hätte ihn schon lange aufgegeben." Er sah auf, Danton direkt in die Augen. "Ich weiß nicht, wie lange er noch den rachsüchtigen Mann spielen wird. Ich weiß auch nicht, ob er eines Tages wirklich auf Sie schießen wird, oder ob er eines Tages einsieht, dass ein Pistolenduell Wolf auch nicht zurückbringen wird. Oder dass die Selbstentleibung nach allem was Wolf getan hat noch eine äußerst humane Geste von Ihnen bedeutet, die es Robert, mir, und Fischer erlaubt hat zu überleben, geschweige denn unseren Mannschaften. Aber..." Verzweifelt schloss er die Augen. "Ich bin kein Verräter, Sir. Ich bin loyal."
"Halten Sie die Klappe, Jesse. Haben Sie noch immer nicht kapiert, dass Sie jetzt ein Chevalier sind? Ich weiß, Sie und Robert hatten es sehr schwer, alleine schon weil meine Chevaliers schwere Ressentiments gegen Verstöße der Ares-Konvention haben. Zumindest die meisten, die genügend nachgedacht haben. Aber Ihre harte Arbeit und die letzte Schlacht hat Ihnen Anerkennung gebracht, und Fischer tut sein Bestes, um meine Maschinen wieder zum Laufen zu bringen. Auf ihn wartet eine Aufstufung zum dritten MeisterTech.
Was ich sagen will, ist, dass ich mir Sorgen mache. Sorgen um Sie, Jesse, Sorgen um Fischer, Sorgen um Jack, Sorgen um Damien, Sorgen um meine Offiziere. Ich habe hier eine Einheit zu führen, deren Teil Sie sind, Jesse. Ich führe hier eintausend Menschen an. Individuen, Persönlichkeiten, Charaktere, die ich nicht nur alle unter einen Hut bringen muss. Ich muss sie auch verstehen, auf ihre Eigenheiten achten, darf nie vergessen, dass jeder eigene Vorlieben, Sorgen und Ängste hat. Ich darf nie vergessen, dass wir Söldner sind, die in einem Konflikt das erste Ticket zum Sterben gezogen haben. Ich darf niemanden bevorzugen, niemanden benachteiligen. Und dennoch brauchen einige Chevaliers mehr Pflege als die anderen. Und jene, die augenscheinlich nicht das Auge des Chefs brauchen, benötigen mich vielleicht erst Recht. Es sind meine Leute, ich habe für sie die Verantwortung. Als ich mich dazu entschlossen habe, nicht länger als manische Tötungsmaschine durch die Innere Sphäre zu geistern, sondern Verantwortung zu übernehmen, habe ich das sehr ernst gemeint. Und das tue ich jetzt noch immer. Sie, Jesse, sind mein Auge auf Jack, Robert, und auch auf Shepard. Sie tun dies nicht, weil für Sie Lohn und Beförderung drin sind, sondern weil Sie sich auch Sorgen machen. Sie haben sich diese Einheit verdient, und auch Robert hat das. Und ich stehe tief genug in Jacks Schuld, um ihm einige Marotten durchgehen zu lassen. Sie verstehen das, und deshalb haben Sie gestern nichts weiter getan, als mir zu sagen, in welchem Lokal Sie alle gerade sind."
"Ja, Sir", erwiderte Stonefield, nicht wirklich überzeugt.
"Jesse, wir sind jetzt eine Familie. Wir, die Husaren und Ihr drei Milizionäre. Wenngleich die Husaren nur auf Zeit bleiben. Wenngleich ich weiß, dass meine Leute Ressentiments gegen die Husaren haben, und die Husaren Ressentiments gegen Chevaliers und Eagles, weil sie die Toten sehen und ihren Söldnerstatus nicht richtig akzeptieren können. Wir sind jetzt eins, Jesse, und ich sorge mich um meine Familie. Sie haben nichts Falsches getan. Im Gegenteil, Sie sind ein Unteroffizier in meiner Einheit, und es gibt siebenhundert Menschen, die Rangniedriger als Sie sind. Um die müssen Sie sich kümmern. So wie ich mich um alle anderen kümmern muss."
"Ja, Sir." Das klang schon wesentlich verständiger.
"Ich denke seit einiger Zeit über etwas nach, Jesse. Wir haben einen Master Sergeant, einen ranghöchsten Unteroffizier, der über allen anderen Unteroffizieren steht. Ich habe vor, für jeden Rang einen Chief einzuführen. Also einen obersten Private First Class, einen obersten Sergeant, einen obersten Second Lieutenant, und so weiter. Mein Ziel ist, für Ranggleiche einen zentralen Anlaufpunkt zu erschaffen."
"Oh, bitte, Sir, das klingt danach, als wollten Sie mich zum Chief Corporal machen. Das wäre Verrat, irgendwie."
Danton schmunzelte amüsiert. "Nein, bis gestern hatte ich dafür Damien im Auge. Ich werde sehen müssen, ob ihm dieser Rang noch etwas nützt. Jesse, sind in meinen Augen ein Katapult-Soldat." Danton lachte leise, als Erschrecken durch die Augen Stonefields huschte. "Das bedeutet, dass Sie bei uns sehr schnell aufsteigen werden, Jesse. Und das werden Sie, egal wie sehr Sie es als Verrat an Robert ansehen. Kein Widerspruch. Wenn Sie nach unserem Kampf mit den Nebelpardern noch leben, geht es aufwärts für Sie."
"Ja, Sir", erwiderte Stonefield griesgrämig.
"Gut, dann gehen Sie jetzt ebenfalls in den Besprechungsraum zu den anderen Lädierten."
"Verstanden, Sir." Stonefield erhob sich, salutierte und verließ das Büro.

Sofort stand Corporal Jensen in der Tür, um dem Chef der Chevaliers notfalls zu helfen.
Danton winkte ab, ergriff den Gehstock und stemmte sich hoch. Den Kampf gegen seinen eigenen Körper hatte er bisher noch immer gewonnen. Und auch wenn das Knie schmerzte, er erhob sich. Und es ging jedes Mal leichter. Auch die linke Hand funktionierte wieder gut genug, um damit zu tippen. Nein, er würde sich von seinem eigenen Körper nicht besiegen lassen. Auch diesmal nicht.
"Steht die Bande bereit?", fragte Danton ernst.
"Siebenunddreißig Chevaliers und zwanzig Militärpolizisten der Miliz, Mr. Bronn, der Barbesitzer, sowie Hauptmann Ludowig, der Chef der MP."
"Gut. Servieren Sie MP und unseren Gästen nach dem Anschiss Kaffee."
"Jawohl, Sir." Jensen trat beiseite, um den Chef passieren zu lassen.
"Jan, gefällt Ihnen Ihr Job?"
"Sir?" "Einfache Frage, einfache Antwort. Sie haben Mut. Sie haben gegen die Ronin gekämpft, obwohl Sie ein von Sklaverei geschwächter, halb gebrochener Mann waren. Sie haben Blakes Wort gezeigt, wo es sich seine Religion hinstecken kann. Sie haben beim Kampf gegen Jadefalken und Wölfe im Dreck gesteckt und aus nächster Nähe beobachtet. Ihr persönlicher Mut und Ihre Fähigkeiten stehen außer Frage. Aber: Gefällt Ihnen Ihr Job als mein Adjutant?"
"Sir, ich diene dort, wo ich hingestellt werde. Und ja, mir gefällt der Job. Aber danke, dass Sie meinen Mut bestätigen."
"Wissen Sie", sagte Germaine und schob sich an Jensen vorbei, "ich habe viele Adjutanten ausprobiert. Brauer, Rowan, Sie... Ich brauche jemanden, der diesen Dienst erledigt, und basta. Sie sind ab sofort Sergeant, Jan. Suchen Sie sich aus der Einheit ein Team aus drei Leuten zusammen, das Sie maßgeblich unterstützt. Wir sind jetzt ein Regiment, und die Arbeit wird nicht weniger werden."
Überrascht sah Jensen dem Boss hinterher. "Jawohl, Sir." Und dann, hastig, bevor Danton im Konferenzraum verschwinden konnte: "Danke für die Beförderung, Sir!"
Der Herr der Chevaliers lächelte. "Sie haben es sich verdient, Jan. Verdammt verdient."

Der Konferenzraum war seiner Tische beraubt worden. Stattdessen hatte man zusätzliche Stühle in den Raum geschafft, auf denen die Anwesenden saßen, bis Master Sergeant Darnell Shepard die Leute mit einem scharfen ACHTUNG hoch riss. "Kommandeur anwesend!"
"Rühren und setzen", sagte Danton ernst. Er sah Shepard anerkennend an. Der Mann war Unteroffizier mit Leib und Seele, der seinen Job verdammt noch mal beherrrschte. Bis zum jetzigen Zeitpunkt könnte er Imara aus Dankbarkeit um den Hals fallen, ausgerechnet diesen Mann bekommen zu haben.
"Rühren! Setzen!"
Danton humpelte zu den Stühlen am oberen Rand eines gestürzten U`s, auf denen bereits Mr. Bronn und Hauptmann Ludowig saßen. Genauer gesagt setzten sich Ludowig und Bronn gerade wieder erst. Der Barbesitzer war ein alter Soldat, und die konditionierten Reflexe ließen sich nur schwer wieder abstellen. Gerüchten zufolge war er ein Freund des Herzogs, und hatte deshalb das Risiko auf sich genommen, hier einen Neuanfang zu machen.
Als sich Danton setzte, spielte er für einen Moment den angeschlagenen, schwer kranken Mann. Er hustete, schnaufte ein und aus, so als hätte ihn der Weg hierher angestrengt, um das schlechte Gewissen der Leute hoch zu treiben. Dann erst sah er auf. "So, so. Was soll ich nun mit Ihnen machen?"
"Sir, ich bitte um Erlaubnis zu sprechen", meldete sich Holler.
"Erlaubnis erteilt, Second Lieutenant."
Holler erhob sich. "Sir, im Namen aller hier Versammelten möchte ich mich in aller Form dafür entschuldigen. Bei Mr. Bronn für die Zerstörung unserer zukünftigen Stammkneipe, bei der Militärpolizei für den Widerstand, den wir geleistet haben, bei Herzog Mikado für die schlechte Presse, und in erster Linie bei Ihnen, Sir." Holler schluckte kurz. "Als Ranghöchster in unserer Gruppe trage ich die volle Verantwortung. Ich habe die Situation nicht unter Kontrolle gebracht, und später sogar mitgemacht. Ich biete Ihnen hiermit meinen Rücktritt an."
Leises, ärgerliches Raunen klang aus den Reihen der Bartruppe auf.
Danton drückte sich hoch, schnaubte wieder kurz. "Bleiben Sie stehen, Toni. Ja, als ranghöchster Offizier waren Sie verantwortlich. Und Sie hatten eine Menge Sergeanten und Corporals dabei, die Nächsten in der Fresskette, die genauso schuldig daran sind, erst diese Sache nicht beendet und dann auch noch mitgemacht zu haben." Betretenes Schweigen antwortete Danton.
Er wandte sich an den Zivilisten. "Mr. Bronn, nehmen Sie die Entschuldigung an?"
"Sir, ich bin selbst ein alter Soldat. Ich weiß, dass die Jungs und Mädchen mal so ein Ventil brauchen. Sie haben auch nicht unfair gekämpft, keiner wollte wirklich töten, oder so. Es ist nur Schade um meine Einrichtung. Und natürlich um meine gusseiserne Bleikristall-Lampe. Sie war eine echte Oxford."
"Bleikristall-Lampe?", echote Danton.
"Sir, das ist wohl meine Schuld", sagte eine junge Frau und erhob sich.
"Corporal Vascot, nicht?" Germaine stieß den Stock einmal kräftig auf den Boden. "Erklären Sie sich."
"Ich wurde während der... Prügelei hinter die Bar geschleudert. Als ich wieder hoch kam, nutzte ich die Lampe, um mich mit ihr wieder in den Kampf zu schwingen. Dabei riss sie ab und fiel zu Boden." Sie sah Danton nur einen kurzen Augenblick in die Augen. "Tut mir Leid, Sir."
"Und?" "Selbstverständlich werde ich den Schaden bezahlen."
"Nein, das werden Sie nicht, Corporal. Von einem Chevalier verlange ich mehr, viel mehr. Sie werden unter der Anleitung unserer MeisterTechs die Lampe reparieren. Und wenn Sie das Bleikristallglas dafür selbst gießen müssen, die Chevaliers stehen für ihre Taten nicht nur gerade, sie bügeln auch ihre Fehler wieder aus. Das bedeutete für alle anderen-", Danton sah weit ins Rund "-dass Sie alle nach Dienstschluss und solange es nötig ist, am Wiederaufbau der Kneipe "Zur rasenden Wildsau Glengarrys" körperlich beteiligt sein werden. Es gibt da keine Ausnahmen. Auch nicht für verrückte Schwerverletzte, die sich aus dem Krankenhaus stehlen, um sich den Verstand wegzusaufen, Jack."
"Verstehe, Sir", erwiderte Ryan, konnte aber ein Grinsen nicht verkneifen.
"Setzen Sie sich wieder, Vascot. Und das gilt übrigens für alle hier. Egal ob Sie einen Tisch zertrümmert haben, Sergeant Rush, oder ein paar Dutzend Flaschen Scotch zerdeppert haben, Corporal Kotare, jeder steht für seine Schäden gerade. Das ist natürlich nur der reparierbare Sachschaden. Den finanziellen Verlust werdet Ihr alle von Eurem Sold abzahlen. Ich strecke das Geld vor, aber jeder Chevalier hier vor mir wird die nächsten achtzehn Monate einhundert C-Noten Abschlag zahlen müssen. Ich weiß, das ist mehr als die Schäden kosten werden. Denn wenn Mr. Bronn ausgezahlt ist, werdet Ihr Helden das restliche Geld einem guten Zweck zufügen. Spendet es einer Schule, baut ein Waisenhaus, eröffnet eine öffentliche Toilette, oder richtet eine Stiftung für die unehelichen Kinder durchreisender lyranischer Mechkrieger ein", merkte Danton mit einem sehr eindeutigen Blick auf Robert Steinberger an, der nun heftig errötete und sich räusperte.
"So handeln wir Chevaliers. Wir stehen immer dafür gerade, was wir tun. Und wir hinterlassen keine verbrannte Erde. Welten, die wir verlassen, wollen uns verdammt noch mal wiedersehen. Haben da alle gefressen?"
"Jawohl, Sir!"
Danton nickte zufrieden über die Lautstärke der Meldung und humpelte zu Holler weiter.
"Lieutenant, ich bin versucht, Ihnen in den Arsch zu treten. Einen feigeren Versuch, neue Verantwortung los zu werden, ist mir noch nie untergekommen. Nein, ich werde Sie nicht degradieren. Ich werde Ihnen auch nicht Ihr Kommando entziehen."
"Ich hatte nicht vor, feige zu sein, Sir! Aber meine Kameraden haben nicht..."
"Ihre UNTERGEBENEN haben Ihnen nicht gehorcht. Aber das werden sie in Zukunft tun. Denn Sie werden sie die nächste Woche eine Stunde vor Dienstbeginn Formaldienst in voller Ausgehuniform machen lassen. Sie sind dann der Gott und entscheiden was sie machen.
Und wenn Ihr Helden dann die Befehlskette immer noch nicht verstanden habt, sollte ich euch persönlich drillen." Fast alle Chevaliers senkten die Blicke.
"Setzen Sie sich, Toni."
"Jawohl, Sir."

"Hauptmann Ludowig, wie steht es um Ihre Leute?"
"Fünf Veilchen, zwei gebrochene Nasen, ein Dutzend angeknackster Rippen, Dutzende Verstauchungen und blaue Flecken, Colonel."
"Das heißt, meine Chevaliers haben volle Arbeit geleistet."
Nun ging ein spöttisches Lachen durch die Reihen der Gerügten.
Ludowig runzelte die Stirn. "Sie haben in der Tat einen bemerkenswerten Widerstand geleistet. Darauf waren meine Jungs und Mädels nicht vorbereitet. Ich werde das in mein Training aufnehmen."
"Tun Sie das. Sie haben gute Jungs und Mädchen", sagte Danton lobend und blickte anerkennend über die blessierten MP`s.
"Holler!" "Ja, Sir!" "Haben die Militärpolizisten einen guten Kampf geliefert?" "Jawohl, Sir!"
"Chevaliers, wie seht Ihr das?" "Ja, Sir!"
So etwas wie Stolz zuckte über die Züge der MP`s. Es kam selten vor, dass man von denen gelobt wurde, die man zusammen geprügelt hatte.
"Ich denke, Chevaliers, nun sind zwei Entschuldigungen von euch allen fällig. Eine an Mr. Bronn, und eine an die MP. Außerdem werdet Ihr als wirkliche, richtige Entschuldigung für das komplette MP-Korps eine Party ausrichten und bezahlen. Ihr werdet das Service-Personal sein. Die Zeit hierfür wird aus eurer Freizeit kommen. Habt Ihr das verstanden?"
"Ja, Sir!"
Danton schnaubte zufrieden. "Mr. Bronn, meine Leute möchten Ihnen etwas sagen."
Bronn erhob sich. Holler fasste sich ein Herz und stand wieder auf. "Sir, im Namen aller hier angetretenen Kameraden..." Er unterbrach sich kurz, als die Söldner einer nach dem anderen aufstanden. "...möchte ich mich für den ganzen Ärger entschuldigen, den wir Ihnen bereitet haben. Ich verspreche Ihnen, wir richten die Wildsau wieder so her, wie sie war. Denn wir wollen auch in Zukunft Ihre Gäste sein." Auch die anderen Chevaliers murmelten ihre Entschuldigungen.
Dann wandte sich Holler an Hauptmann Ludowig und die MP. "Kameraden, wir wissen, Ihr habt nur euren Job gemacht. Und den haben wir euch auch noch erschwert. Deshalb, von Soldaten zu Soldaten, es tut uns aufrichtig Leid. Aber Spaß gemacht hat es schon."
Dies ließ die MP kurz schmunzeln. "Es tut uns Leid, und wir werden als Entschuldigung ein ordentliches Fest entrichten." Wieder murmelten die Chevaliers ihre Entschuldigungen.
"Mr. Bronn, Hauptmann Ludowig, nehmen Sie die Entschuldigungen an?"
Bronn nickte. "Selbstverständlich, Sir."
Ludowig sah zu seinen Leuten, die nacheinander nickten. "Ja, Sir. Die Angry Eagles nehmen die Entschuldigung an."
"Gut. Dann verzichte ich auf einen Tadel und einen Eintrag in die Akten. Wir..."
"Sir, ich bitte erneut um Erlaubnis, sprechen zu dürfen", sagte Holler.
"Erlaubnis erteilt, Toni."
"Sir, wir alle müssen uns ein drittes Mal entschuldigen. Diesmal bei Ihnen. Wir haben uns nicht so benommen, wie Chevaliers es sollten. Nicht einmal wie Husaren es sollten. Deshalb entschuldigen wir uns bei Ihnen."
"Teufel auch, zum Schluss habt Ihr als Einheit gekämpft. Das ist eure Entschuldigung an mich."
Überrascht sahen die Chevaliers auf. "Und jetzt aus meinen Augen, bevor ich euch auch noch dafür lobe."
"Jawohl, Sir!" Holler sah ins Rund. "Marsch, Marsch, Chevaliers!"
Es dauerte nur eine knappe Minute, dann waren die Chevaliers draußen.

Shepards Mundwinkel zuckten leicht. "Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, werde ich zumindest den Unteroffizieren und Mannschaften noch einmal die Schattenseite vom "zusammen kämpfen" vor Augen halten."
"Das ist Ihr Job, Master Sergeant", sagte Danton nickend.
Shepard deutete einen Salut an und verließ den Raum. Sekunden später konnte man ihn auf dem Hof schreien hören.
Danton lächelte zufrieden. Das war besser gelaufen als gedacht. Er schüttelte Bronn und Ludowig noch mal die Hand, dann trat er wieder auf den Gang hinaus. "Sergeant, meinen Wagen. Mein Termin beim Herzog..."
"Bereits arrangiert, Colonel", erwiderte Jensen. Er stand im Flur, trug bereits die neuen Abzeichen und hatte eine dicke Arbeitsmappe in der Hand. "Während der Fahrt könnten Sie die Beförderung von Sergeant Major Hawk formal bestätigen und die Belobigungen für die herausragenden Chevaliers unterschreiben. Einige Ordensurkunden warten auch noch auf Unterschrift. Darunter die Bronce Stars für Kitty und das Team, das Imaras HQ erobert hat. Außerdem wurde Wiachinsky zur Beförderung vorgeschlagen und zum Wingleader gemacht."
"Copelands Kommandolanze. Hat er seinen vierten Piloten schon ausgesucht?"
"Corporal Bettina Zapototznie, Rufname Rush. Hat sehr gute Bewertungen."
"Gut. Ich möchte, dass Sie den Lieutenant Colonel während der Fahrt anrufen und ihm mitteilen, dass er sich bis spätestens am Tag vor dem Abflug aus seinen drei Kompaniechefs einen Stellvertreter aussuchen und ihn zum Major befördern soll."
Jensen nickte. "Ja, Sir."
***
Mamoru Mikado saß mit Danton und einem halben Dutzend weiterer Offiziere auf der Terrasse seines Hauses. Unter ihnen war auch Direktor Parkensen. Sie genossen einen kühlen, nichtalkoholischen Drink, während die Goldgelbe Mittagssonne selbst das Sitzen unter dem Sonnensegel ein wenig warm machte. "Und, Germaine, hast du dich entschieden? Nimmst du mein Angebot an?" Er schmunzelte ein wenig. "Vielleicht fällt dir die Entscheidung aber auch leichter, wenn ich dir mitteile, dass wir das "Wasserloch" nun offiziell zum See erhoben haben. Immerhin hat er vierzig Quadratkilometer Fläche. Und wir werden die nächsten Monate und Jahre weitere sieben Millionen Tonnen Eis in der Nähe abwerfen lassen."
"Hat der See schon einen Namen?", fragte Germaine und nippte an seinem Drink. Mango. Das schmeckte sehr nach Mango.
"Wir dachten an Mare Danton."
"Um Himmels Willen, alles, nur das nicht." Germaine trank sein Glas aus, und ein hilfreicher Diener brachte sofort ein neues, kunstvoll arrangiertes Cocktailglas. "Es reicht, wenn du die Siedlung Dantonville oder Danton-City nennst."
"Hm, wie wäre es dann mit Chevaliers-See?", merkte Elden Parkensen an.
"Es wäre ungerecht den Husaren gegenüber, die dort gewonnen haben", erwiderte Danton. "Ein schlichtes Southern Sea wird es wohl vorerst tun, bis die Menschen, die dort siedeln werden, ihm einen Namen geben."
Mikado lächelte zufrieden. "Das heißt, du nimmst mein Angebot an", stellte er fest.
Germaine seufzte lang und tief. "Meine Einheit gibt es in dieser Aufstellung drei Jahre. Zuvor war ich acht Jahre bei Team Stampede. Ich dachte immer, ich hätte mich um meine Leute gekümmert, viel für sie getan. Dennoch sind sie gestorben, wieder gegangen und dergleichen. Wenn ich einen Ort habe, der mir gehört, wenn ich einen Platz habe, an den ich zurückkehren kann, den ich meinen Leuten anbieten kann, dann wird mir das eine Riesenlast von der Seele nehmen."
"Das passt sich gut. Eines der ersten offiziellen Gebäude, die wir nach der Infrastruktur dort errichten wollten, sollte ein Seebad zur Rekonvaleszenz sein. Das Klima da unten ist durch eine Laune der Natur jodhaltiger als bei uns in Parkensen City."
"Was für ein Zufall, ausgerechnet an jenem Ort ein Sanatorium zu errichten, an dem ich meine Verletzten und Ausscheider leben lassen will."
Mikado grinste breit. "Sieh es doch mal so: Da unten eine Stadt zu errichten, die Menschen migrieren zu lassen und sie zu einer funktionierenden Gesellschaft zu schmieden kostet mich nicht einmal so viel wie ein neuer Mech aus der Fabrik. Selbst das Geld, das ich euch Chevaliers für den Unterkontrakt und den ehemaligen Husaren für den doppelten Sold zahle sieht viel aus. Aber wenn ich eine Extremreichweiten-PPK weniger einkaufe, habe ich das Geld wieder raus. Menschen sind nicht so teuer wie Hardware, deshalb leiste ich mir den Luxus, sie sehr gut zu bezahlen. Und deshalb finanziere ich dir auch eine Stadt dort unten. Es gibt nur einen Haken. Wenn du in deiner Stadt bist, wirst du fünftausend Kilometer fliegen müssen, um mich besuchen zu kommen."
"Kriege ich einen Raumhafen?"
"Na, jetzt wird aber jemand gierig", lachte Mikado. "Einen kleinen, eventuell."
"Dann sollten wir die Ernennungszeremonie auf morgen Nachmittag festlegen", stellte Parkensen fest. "Sie werden als Hakshaku dem Koshaku Mikado Mamoru und dem Koordinator des Draconis-Kombinats Theodore Kurita Gefolgschaft schwören, Mylord. Ihre Chevaliers sind damit automatisch Ihre persönliche Armee, und damit eine reguläre draconische Einheit. Ihr Söldnerhandwerk wird davon nicht beeinträchtigt werden. Aber es versteht sich von selbst, dass Sie nicht gegen das Kombinat kämpfen sollten, wenn Sie Ihrem Dienstherren keine Schande bereiten wollen. Ich erwähne das nur der Vollständigkeit halber, denn auf Luthien erinnert man sich noch gut an Sie, dank der Ronin-Mission im Geisterbärengebiet. Wir erwarten nicht wirklich, dass Sie gegen das Kombinat kämpfen, Mylord Danton. Außerdem erhalten Sie die traditionellen Waffen eines draconischen Adligen, das Katana und das Wakizashi. Diese stammen aus dem Besitz des Herzogs. Sie haben eine eigene Geschichte, auch wenn sie noch nicht sehr alt sind."
"Ich...", sagte Danton und blickte Mikado in die Augen, "...fühle mich geehrt."
Der Herzog nickte zufrieden. "Dann ist das beschlossen. Direktor Parkensen wird den Aufbau von Danton-City koordinieren und ein Verwaltung einrichten. Du wirst dir Milizionäre zusammenstellen dürfen, die als deine persönlichen Bushi fungieren werden. Das ist allerdings die einzige Arbeit, die ich dir aufzwinge. Den Rest übernimmt die Verwaltung. Du gibst deinen Namen, und wenn wir hier arg in Bedrängnis sind, deine Einheit, wie ich es dir versprochen habe. Dazu kommen noch ein paar Berichte, die du lesen und abzeichnen musst. Auch nicht viel anders als in deinen Chevaliers, Germaine."
Der Herzog erhob sich und reichte Danton die Hand. "Ich gratuliere dir, mein Graf. Du hast dir hiermit einen sicheren Hafen gesichert, der deinen Namen trägt und der dir gehört. Auch wenn er am Arsch der Welt ist."
Danton griff zu und drückte die Rechte des Herzogs. "Am Arsch der Welt ist eines Tages vielleicht ein Vorteil", erwiderte er.
"Ja, aber man weiß nie, wer hier zu Besuch kommt", scherzte Mikado.
Danton ergriff sein Glas. "Bei dieser Gelegenheit: Auf den Herzog."
Mikado schüttelte den Kopf und hob sein eigenes Glas. "Nein. Auf Graf Germaine Danton."
"Auf Graf Danton", echoten die Anwesenden und prosteten sich zu.
Andai Pryde
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
14. August 3066, 17:39 Uhr

„Desert drei, nach links weg brechen, sofort!“
Der Befehl kam für den schweren Mech allerdings zu spät. Wie die Blitze aus Thors Hamme schlugen die beiden PPK Strahlen in den 65 Tonnen schweren Thunderbolt ein und brachten den Koloss zu Fall.
Ein weiterer Thunderbolt schob sich sofort in die entstandene Lücke und erwiderte seinerseits das Feuer mit den Lasern.
Allerdings tauchte der Dire Wolf, agiler, als erwartet, zur Seite ab und verschwand hinter einem Baum.
Hinter dem Dire Wolf stieg ein Grasshopper auf seinen Sprungdüsen aus dem kleinen Wald auf und feuerte seine PPK in den zweiten Thunderbolt. Panzerung platzte ab und lief teils geschmolzen, teils abgesprengt an dem Rumpf des Battlemechs herab.
Mittlerweile waren ein Cestus und eine Trebuchet heran und bezogen Stellung um ihren gefallenen Kameraden.
Sofort deckten sie den vorwitzigen Grasshopper mit konzentriertem Feuer ein, trafen allerdings nur leidlich.
Grummelnd stand Matthew vor dem Holoschirm und beobachtete das Simulatorgefecht. Die Kampflanze trat gegen Frederic in seinem Dire Wolf und Peter Cliche in dem Grasshopper an.
Frederic mimte mit Cliche kämpfende Nepelparder. Er hatte die Taktik stundenlang mit dem Clanner besprochen und sie auf den Ergebnissen seiner Gefechtsanalysen mit Jara Fokker zusammengestellt.
Der Clanner schlug sich recht gut, wenn die Taktik für ihn auch ungewohnt sein mochte. Störende Angriffe, Bienestichartige Attacken und ebenso schnelles Zurückziehen. Eigentlich keine Aufgabe für einen Clanner, erst recht nicht für einen Mech wie den Dire Wolf, und dennoch schien es zu funktionieren.
Immer wieder stießen Frederic und Cliche abwechselnd aus dem kleinen Wald hervor oder sprangen den Gegner an, setzten ihre PPKs gezielt ein und verschwanden wieder in die Deckung.
Meistens bevorzugten beide den Wechsel, auf denselben gegnerischen Mech. Zurzeit war das der Thunderbolt von Cecile Watson. Die Mechkriegerin hielt sich gut, trotz der diversenen Schäden an ihrem Mech. Verbissen war sie und so stand ihr Thunderbolt bereits wieder. Leider war sie auch stur und eine Einzelkämpferin.
Mehr als einmal war sie auf die clantypischen Sticheleien Frederics eingegangen und hatte das Duell gesucht, was der Clanner selten so zugelassen hatte. Wieder drängte die junge Kriegerin vor und suchte den Nahkampf zum Clanner, doch Frederic setzte sich bereits wieder ab, nur um von Cliche auf der linken Seite entlastet zu werden, der sein gesamtes Laserpaket in den Thunderbolt versenkte.
Der junge Corporal beherrschte den Mech sehr gut und war äußerst treffsicher, aber seine größte Stärke war die Flexibilität. Er passte sich an und er war ein Teamspieler, was man von der Kampflanze leider nicht behaupten konnte.

Lieutenant Mehmet Arkabi gab sich alle Mühe und war ein begnadeter Taktiker, nur alles Verschwendung, wenn seine Krieger nicht auf ihn hörten.
Matthew seufzte, als er verfolgte, wie der Cestus und die Trebuchet sich wieder aufteilten und versuchten den Wald zu umgehen und den beiden Kriegern darin in die Flanke zu fallen.
Die Mechs hatten gerade ihre gegenseitige Waffenreichweite verlassen, als die beiden Kolosse aus dem Dickicht hervorbrachen und die Trebuchet gezielt aufs Korn nahmen.
Schwer schlugen die drei PPK Blitze in den mittelschweren Mech ein und rissen großen Brocken Panzerung weg. Für weitere Verwüstung sorgten die Raketen des Dire Wolf und die mittelschweren Laser des Grasshopper.
In einer Kaskade aus Blitzen und Explosionen sah man vereinzelt Panzerung aufbrechen. Das linke Bein knickte geschwächt nach hinten ein und brach unter dem Gewicht der Maschine endgültig weg. Schwer ging die Trebuchet zu Boden und wirbelte Staub auf.
Arkabi und Watson verschoben sich sofort und eröffneten das Feuer aus ihren Waffen, trafen aber beide nichts, da die beiden Gegner bereits wieder mit Hilfe ihrer Sprungdüsen im Wald verschwunden waren.
Drei gegen zwei.

Der Cestus versuchte sich mittlerweile wieder zurück zu verschieben, aber diesmal war es Watson, die sich wieder weiter vorwagte und ins kombinierte Waffenfeuer geriet.
Nur die dicke Panzerung ihrer Maschine bewahrte sie vor schlimmeren.
Wie eine Trümmerlandschaft ragte der schwere Mech auf. Die PPK am rechten Arm hing nutzlos herab. Die Raketenlafette hing abgerissen an einzelnen Kabelsträngen auf dem Rücken der Maschine. Ihr blieb nicht mehr viel.
Arkabi brüllte mittlerweile seine Befehle über die Lanzenfrequenz und verfiel dann frustriert ins Fluchen. Dröhnend klangen die arabischen Wörter durch die Leitung und Matthew war heilfroh, dass er davon nichts verstand. Es war genug. Vor zwei Stunden hatte das Ganze begonnen, mit der Scoutlanze als erstes „Opfer“. Allerdings hatte die leichte Truppe sich erstaunlich gut gehalten. Letztendlich hatten sie es geschafft Frederic in seinem Dire Wolf zu Boden zu schwingen und Cliche in seinem Grasshopper mit gezielten, wenn auch glücklichen Treffern auszuschalten.
Herausragend waren hier Nathan Reynolds in seiner Vixen und Gina Wilkox in ihrem alten, aber durchaus sehr effektiven Jenner gewesen. Lieutenant Dualla Hildebrand hatte ihre Lanze gut im Griff und führte ihre Krieger mit ruhigen, aber gezielten Befehlen.
Die Lanze arbeitete deutlich besser zusammen, als die Kampflanze.
Wieder seufzte er resignierend, als er nach dem Mikro griff. Der Techniker neben ihm grinste leicht und bediente wieder die Kontrollen vor sich.
„Hier Prince. Übung abbrechen. Das war’s Leute. Kampflanze Desert ist zu 50 % kampfunfähig, bei minimalen Schäden am Gegner.“ Er blickte auf die Schadenskontrollanzeigen. Der Dire Wolf leuchtete in einem satten grün, der Grasshopper wies leicht gelbe Spuren auf, während die gesamte Lanze Arkabis in einem hellen gelb, bis zu einem tiefen rot, im Falle der Trebuchet, leuchteten.
Watson begann zu fluchen und verfiel dann in den Versuch eine Diskussion mit ihm zu starten, aber das war ihm im Moment egal. Er unterbrach die Verbindung und trat vor die hinter ihm aufgebauten Simulatorkapseln.
Mit einem leisen Zischen öffneten sich die abgedunkelten Kanzeln und entließen die sechs verschwitzten Mechkrieger. Immerhin sie sahen alle gut durchgedünstet, aber erstaunlich fit aus. Ein Gedanke der ihn beruhigte. Manche Kämpfen gingen länger als zwei Stunden oder einen Tag, seine Krieger mussten so fit sein, dass durchzuhalten, oder sie endeten als gegrilltes Brathähnchen. Lecker für den Snack, aber kaum sättigend für einen ganzen Tag.

Von links nach rechts bauten sich die Krieger sofort in Habachtstellung auf. Ganz links Arkabi, gefolgt von seinen Lanzenmitgliedern und rechts rundeten Cliche und Frederic das Bild ab.
Der dunkelhäutige Arkab mit passenden Namen wirkte wütend und zerknirscht, riss sich aber beachtlich zusammen. Nur das Malen des Unterkiefers wies auf seinen Frust hin. Ansonsten stand der recht kleinwüchsige Mann ruhig und sicher. Neben ihm stand die deutlich größere Yoko Izuki. Die Asiatin mit den langen Beinen und der krummen Nase stand unruhig und wirkte nervös, aber das schien bei ihr Normalzustand zu sein. Sie steuerte den Cestus. Matthew taxierte die beiden kurz mit seinen Blicken und wanderte dann weiter.
Neben Izuki stand Watson. Ein deutlicher Unruhepol. Die Augen blitzten vor Zorn und zuckten zwischen ihm und Frederic hin und her, so weit es ihr möglich war ohne den Kopf zu drehen. Sie hatte Respekt genug die Habachtstellung nicht komplett zu brechen, aber zeigte ihren Unmut dennoch. Matthew konnte sie sehr gut verstehen, er selber war noch deutlich schlimmer gewesen, selbst als er bei den Chevaliers angefangen hatte.
Vielleicht lag das Verständnis aber auch daran, dass er die schlanke Rothaarige mit dem ansehnlichen Busen äußerst attraktiv fand.
Neben Watson stand als letzter der Lanze Jan Dez. Der Trebuchet Pilot hatte einen hochroten Kopf, entweder aufgrund der Hitze in der Simulatorkanzel oder aufgrund der Niederlage im Gefecht eben, das war bei dem Mann schwer zu sagen. Er wahrte eine neutrale Miene und stand in einer vorbildlichen Habachtstellung.
Dann kam Frederic. Das leichte Grinsen im Gesicht war unverkennbar, auch wenn Matthew wusste, dass er es keineswegs überheblich meinte, kam es doch so an und schien die eh schon unruhige Watson noch mehr anzustacheln. Peter Cliche neben ihm, strich sich eine Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht. Sein Körper bebte noch vor Anspannung aus dem Gefecht, aber die Brust ragte stolz geschwellt auf.
Zähneknirschend beugte Matthew sich kurz vor und ließ den Blick noch mal über alle schweifen. Es war schwer anzufangen. Würde er erst mit dem Tadel anfangen und das Lob als bitteren Beigeschmack nachschieben oder umgekehrt?
Er blieb auf Watson hängen und fasste einen Entschluss.
„Lieutenant Arkabi!“ Sein Blick wanderte langsam von Watson zu Arkabi, die junge Frau schien sich unter seinem Blick zu winden, aber sie strampelte nicht mehr so offensichtlich wutentbrannt. Sollte sie ihren Zorn ruhig auf ihn fokussieren, dass war besser für die Einheit.
Der Arkab wiederum schien spontan um zwanzig Grad abzukühlen.
„Sir.“
Der eisige Ton klang bitter nach und der Hohn in der Stimme war unverkennbar. Es fiel Matthew schwer das einzuschätzen, irgendetwas ging in dem Mann aus dem Kombinat vor, aber was, vermochte Matthew nicht zu sagen. Dualla meinte er wäre so und das läge an seiner Herkunft, seinem Glauben. Er erinnerte sich nur zu gut an ihre letzte Aussage:
„Sir, sie essen tote Tiere, allen voran Schwein, wie würden sie auf einen so offensichtlichen Barbaren reagieren?“
Matthew war grundsätzlich ein offener Mensch, aber als nicht-religiöser Typ fiel es ihm schwer andere zu verstehen und der Arkab bot ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Er sprach noch nicht einmal über seinen Glauben.
„Arkabi, sie haben gute Arbeit geleistet. Ihre Taktik war zu Beginn äußerst zielstrebig und klar durchdacht. Dafür verdienen sie Respekt.“ Er machte eine kurze Pause.
„Allerdings wusste ihre Lanze dies nicht zu schätzen. Corporal Izuki zum Beispiel. Anfangs zaghaft, begann dann spontanes Selbstbewusstsein zu entwickeln und beschloss Sterncaptain Frederic mit ihrer eigenen Taktik zu begegnen. Corporal Dez schien dies zu begrüßen. Wie das geendet hat, haben wir gerade gesehen.“
Er hielt kurz inne und musterte die beiden letzt genannten. Die Reaktionen fielen knapp, aber heftig aus. Dez wurde feuerrot, was Izuki mit einem gemurmelten Baka noch verstärkte.
Er trat vor die Frau, die scheinbar aus dem Kombinat stammte.
„Selbst in dem bunten Haufen, der die Husaren waren, sollte ihnen klar sein, dass Teamwork unerlässlich ist und vor allem, wenn ihr kommandierender Offizier einen Befehl ausgibt, führen sie diesen aus und entwerfen keine eigenen Kampfpläne.“
Wieder murmelte sie etwas in Japanisch, allerdings scheiterten hieran Matthews magere Kenntnisse der Sprache.
Arkabi allerdings versteifte sich merklich. Die Muskeln spannten sich unter der dunklen Haut, bereit zum Angriff.
„Bitte, was?“
Keiner sagte etwas. Matthew blickte einmal finster in die Runde.
„Ich vermute mal, dass sie so eben ihren kommandierenden Offizier beleidigen wollten. Corporal, wenn ich noch einmal so einen Versuch erlebe, dürfen sie sich freuen, wenn sie in ihrem Leben noch in den Genuss kommen das Ungeziefer in der Küche zu bekämpfen, als höchste Position, die sie je erreichen werden.“
Die Draconierin schwieg wohl wissend, aber das Zucken in der Hand an der Seite, zu dem schmalen Messer entging ihm nicht.
Mordlust spiegelte sich in den Augen der Frau.
Er starrte sie einen Moment an und sah wie ihr Blick schnell seinem auswich. Die Schultern zackten etwas nach unten, der Blick folgte für eine Sekunde, dann schnellten die braunen Augen wieder hoch und starrten durch ihn durch.
Er hielt den Blick aufrecht, während er seine Stimme wieder erhob.
„Corporal Watson!“
Watson zuckte zusammen und sprang wieder in die Habachtstellung, die Versuche Frederic Drohgebärden mit der Faust zuzuwerfen erstarben im Keim.
„Das, was sie heute abgeliefert haben, war unter aller Sau. Wenn wir nicht jeden Mechkrieger bräuchten, würde ich sie gleich zusammen mit Izuki in die Küche abbeordern.“
Er löste seinen Blick von Izuki und wanderte zu Watson. Die grünen Augen blickten ihn fragend, irritiert und verflucht sexy an.
Er musste sich zusammenreißen seine Augen nicht über den nur spärlich bekleideten aber Top trainierten Körper wandern zu lassen. Die schmalen Schultern, der angenehm geformte Busen, nicht zu groß, nicht zu klein und die schulterlangen, fransigen Haare, die ihr verlockend ins Gesicht fielen, sowie die fast perfekt geformten Beine in den knappen Shorts.
Er räusperte sich und rang sich ein Lächeln ab.
„Sie sind eine sehr gute Mechkriegerin, das muss ich allerdings zugeben. Dennoch, wir brauchen keinen Einzelgänger hier. Ich suspendiere sie hiermit bis auf weiteres vom Dienst. Sie werden der Truppe um Sergeant Ryan-Jones beim Aufbau der Bar <zur rasenden Sau Glengarrys> helfen.“
Geschockt blickte sie ihn an.
„Sir?“
„Verstehen sie es als teambildende Maßnahme.“
Er trat wieder zurück und musterte die vier Mechkrieger.
„Sterncaptain Frederic mag ein Clanner sein, aber wie er ihnen heute bewiesen hat, ist er in der Lage auch anders zu denken. Das war hervorragende taktische Leistung und ein Musterbeispiel an Zusammenhalt und Koordination mit Corporal Cliche. Dies haben beide in den Gefechten bewiesen. Morgen wird die Kampflanze gegen die Scoutlanze antreten. Weggetreten!“
Die Krieger salutierten und zerstreuten sich dann sofort. Corporal Watson verfiel sofort in einen Sprint und stürmte aus dem Raum. Matthew verfolgte noch kurz den knackigen Po, besann sich dann aber etwas besseren. Frederic trat neben ihn, sagte aber nichts.
„Captain Matthew, du bist zu hart zu ihnen. Selbst wir Clanner brauchen manchmal eine streichelnde Hand.“
Amüsiert hob Matthew eine Augenbraue, während er sich zu dem Clansmann umdrehte.
„Sie sind gute Krieger, ihnen fehlt nur der Feinschliff und das wird mit einem Hammer nicht gehen.“
Matthew nickte verstehend, drehte sich dann wieder zu der Tür um, durch die gerade Arkabi und Izuki sich zwängten, dummerweise fast gleichzeitig. Das Knurren des Arkab schien bis zu den beiden Kriegern vorzudringen.
„Dennoch, ich brauche da draußen ein Team und kein Rudel hungriger Hyänen.“
Frederic bleckte die Zähne.
„Gut dass du nicht Wölfe gesagt hast.“
Er klopfte Matthew auf die Schulter und verließ dann den Raum. Peter Cliche war mittlerweile verschwunden, ebenso der Simtechniker. Er war alleine im Raum. Jara hatte einen unsicheren Lieutenant, mit deutlichem Potential, aber wohl eher ein Team zusammen als er. Das konnte noch etwas werden.

***

Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
15. August 3066, 19:39 Uhr

Die Blondine in dem wallenden Abendkleid in saphirblau und mit unglaublich hohem Beinschlitz auf der linken Seite dreht sich mit ungläubigem Blick. Der Anblick war ihr absolut fremd. Die hochgesteckten Haare saßen in einer japanisch anmutenden Frisur, mit Stäbchen fixiert, optimal und entließen nur zwei einzelne Strähne links vom Gesicht. Die blauen Augen wurden durch einen dunkleren Rand verstärkt hervorgehoben. Die großen Brüste zwängten sich in den scharf geschnittenen Ausschnitt und wurden durch den funkelnden Collier auf dem Dekolletee noch stärker zur Geltung gebracht. Wie fließendes Wasser schmiegte sich das Kleid glitzernd und funkelnd an die schlanke, groß gewachsene Frau. Hochhackige Schuhe verstärkten diesen Eindruck noch und ließen die Beine noch länger wirken, als sie waren.

Christine Sleipnijrsdottir blinzelte ungläubig. Sie hatte sich so noch nie gesehen. Es war ungewohnt, aber dennoch fühlte sie sich wohl.
Sie griff nach dem Parfüm Flakon und legte eine Note Galax Sunshine auf. Süßlicher Duft umströmte sie sofort.
Es kam selten vor, dass sie sich so herausputze, meistens tat es die Ausgehuniform der Chevaliers. Sie blickte auf die Einladung, die vor ihr auf der Kommode lag.
Dann klopfte es an der Tür.
Sie stöckelte, ein wenig unbeholfen aufgrund der Höhe der Schuhe, zur Tür und öffnete.
Vor ihr stand Tancrid Vogt in einem schlichten Smoking, der Strauß Rosen in der Hand sackte für eine Sekunde nach unten, ebenso der Unterkiefer des Mannes.
„Ich, wow, also..“
Er rang mit sich und Kiki lächelte gewinnend.
„Du siehst einfach berauschend aus.“
„Ich vermute das sagst du jeder Frau.“
Sie griff nach dem Slips des Mannes und zog ihn in ihr Quartier.
„Hey, langsam. Nicht dass ich dir am liebsten die Kleider vom Leib reißen würde. Was sicherlich sehr schade um den teuren Stoff wäre, aber was sollen denn eventuell vorbeikommende Leute denken. Ich meine, ich…“
„Du brabbelst. Halt einfach die Klappe. Das hier ist eine Zweckmäßigkeit. Der Colonel, nein Graf, wird förmlich geehrt und in die Gesellschaft Waysides eingeführt und ich wurde als Offizier der Chevaliers eingeladen. Begleitung ist Pflicht. Das hier ist ein Fischdeal. Ich schulde dir etwas.“
Vogt hob eine Augenbraue.
„Ach? Wofür.“
Sie lehnte sich vor und zischte ihm bedrohlich ins Ohr, wobei ihr Parfüm sofort seine Sinne umnebelte. Mit einem tiefen Sog atmete er es tief und begierig ein.
„Dafür, dass du nach meinem Ausrutscher letztens, dir nicht das Maul zerrissen hast und es in der gesamten Kaserne herum erzählt hast.“
Er griff sich an den Kopf, offensichtlich verlegen.
„Ähm ja, das…nun weißt du, das hat seine Gründe, da ist…“
„Schnauze. Wir müssen los.“
Sie griff nach der kleinen, farblich zum Kleid passenden Handtasche und zog ihn hinter sich her.
„Und danke für das Kleid, woher wusstest du die richtige Größe? Es passt perfekt.“
„Ach ich hab da so ein Händchen für.“
Mit klackendem Absatz ging es zielstrebig durch den Kasernenkomplex, mehr als ein Soldat, Techniker und Kriegerin blieb stehen und starte der energischen Blonden im dem Kleid hinterher.
„Das ist nur für heute Abend, hast du das verstanden? Und nicht mehr.“
Tancrid hob abwehrend die Hände.
„Hey, ich ergebe mich. Habe verstanden!“
Sein Grinsen sprach jedoch andere Bände.
Die beiden traten hinaus ins Sonnenlicht und sofort verfing sich ein Strahl in dem Collier und dem Kleid Christines. In einem Leuchten brach sich das Licht die Bahn und zog sofort sämtliche Aufmerksamkeit auf sich.
Grunzend schob sie Tancrid vor sich her, auf die wartende Limousine zu. Dann bückte sie sich und mühte sich hinter ihm in den Wagen. Den Saum des Kleides hob sie dabei leicht an.
„Sind das etwa halterlose Strümpfe?“
„Schnauze und rein da. Guck gefälligst woanders hin.“
„Ich mein ja nur…“
„Das hat rein praktische Gründe, und jetzt Ruhe.“
„Wo soll es eigentlich hingehen?“
Kiki zuckte mit den Schultern, während sich die Tür des Wagens hinter ihr schloss.
„Ich weiß es nicht genau, ich würde vermuten in die Oper, etwas Essen, Theater, Ball. Konkretes wurde nicht genannt, nur dass alle Führungsoffiziere dazu geladen sind. Und jetzt will ich nichts mehr hören, das hier ist schon schwer genug.“
Die Tatsache, dass sie seine Hand auf ihrem bestrumpften Knie duldete, schien allerdings anderes auszusagen.

***

Das Wasser rann ihm im Nacken entlang und verursachte ein leichtes Kribbeln, als es sich einen Weg durch die dicke Kleidung bahnte und seine Wirbelsäule erreichte.
Fluchend stieß er die Blätter vor sich zur Seite und wischte mit der Hand ein paar Insekten weg.
Schweiß vermischte sich mit dem warmen Regenwasser, während er durch das dichte Grün des Dschungels hetzte.
Ein einzelnes Blatt peitschte ihm schmerzhaft ins Gesicht, aber er ließ sich nicht beirren.
Das Gewehr klapperte an seiner Seite.
Das Bellen der Hunde wurde lauter.
Er stürmte eine kleine Böschung hinab, direkt durch einen flachen Fluss.
Das Platschen war unnatürlich laut in seinen Ohren. Das Adrenalin peitschte wie wild das Blut durch seine Adern.
Mit einem dumpfen Schnauben strauchelte er und konnte sich nur mit Mühe vor einem Sturz bewahren.
Hektisch blickte er sich um und hetzte dann weiter.
Blut verschleierte seinen Blick. Blut dass ihm von der gesamten Kleidung ran oder mittlerweile darin trocknete. Er hielt immer noch das Messer in der linken, das im dunklem rot feucht schimmerte. Der Regen wusch es allmählich sauber.
Wie ein gehetztes Tier stürmte er weiter.
Die Mörder-Rufe hinter ihm ließen ihn nicht innehalten.
Er blinzelte.
Sein Gehirn erfasste die Situation noch immer nicht richtig.
Noch vor wenigen Minuten hatte er in der Kaserne gestanden. Direkt vor den Leichen der 53. Regulus Miliz und seinen Kameraden der Freien Welten Garde, zwotes Infanterieregiment. Das blutige Messer in der Hand, blutüberströmt, als zwei schwer bewaffnete Männer die Tür zu dem Raum aufgestoßen hatten.
Er hatte nicht gewartet, sondern war sofort durch die beiden durch, hatte die Verwirrung genutzt und in den nahen Dschungel.
Was war passiert?
War er ein Mörder?
Keuchend mühte er sich einen Hügel hinauf.
Ein Schuss peitschte.
Das Stechen im Rücken registrierte er kaum.
Wie durch einen Schleier kämpfte er sich auf dem matschigen Grund voran.
Zog und zerrte an einer Wurzel, schob seinen Körper mit den Knien voran.
Taubheit breitete sich in seiner linken Seite aus. Das Kampfmesser drohte ihm aus der Hand zu gleiten.
Ein zweiter Schuss knallte und rechts von ihm spritzten Splitter eines Baumes auf. Heiß brannten die Stellen, an denen er im Gesicht getroffen wurde. Er verlor den Halt.
Wild rudernd rutschte er den kurzen, schlammigen Hang hinab.
Dumpf schlug er im Wasser auf, ein Stein drückte sich ihm in die Seite und ließ ihn vor Schmerzen aufheulen.
Ein Schatten fiel über ihn und als er die Augen schmerzverzehrt öffnete sah er nur noch den Kolben des Gewehres auf sich zurasen.
Dann, Dunkelheit.

Vitorio riss die Augen auf und kniff sie kurz darauf wieder zusammen, als das grelle Licht ihn blendete.
Schweißgebadet saß er auf seiner Koje, das Herz pochte in der Brust, die Linke mit dem Kampfmesser in bereiter Pose vor sich.
Es war still.
Nur das Pochen des Blutes in seinen Ohren und das dumpfe Dröhnen der Klimaanlage.
Ein Traum.
Zitternd legte er das Messer wieder auf den Nachttisch und blickte sich gehetzt um.
Kalt rann der Schweiß über seine nackte Brust. Die Spinnennetzartige Wunde auf der linken Seite brannte leicht nach. Es war niemand zu sehen, niemand da. Seine Finger strichen behutsam über das Fleisch der Brustwunde und erfühlten die Struktur.
Nein kein Traum, das war passiert. Vor langer Zeit.
Noch immer zitternd griff er nach dem Schrank neben dem Bett und wühlte in dem Schubfach herum. Zielsicher ergriff seine Hand die schmale Dose, die ihm sofort wieder entglitt. Hektisch langte er wieder zu und bekam sie zu fassen. Schwer atmend öffnete er das kleine Gefäß und erblickte die kleinen, weißen Kapseln darin. Ein schneller Griff und ein begierigen Schluck später, lehnte er sich erleichtert zurück.
Nach nur wenigen Sekunden breitete sich ein wohliges Gefühl in ihm aus und sein Körper beruhigte sich wieder.
Warum jetzt?
Die Frage kam ganz von alleine, aber niemand antwortete.
Er blinzelte zur Decke und musterte das gleichmäßige grau. Es war beruhigend, es versprach Heimat und Geborgenheit.
Er setzte sich wieder langsam auf und ließ die Beine über den Rand der Pritsche baumeln.
Mit den Händen umfasste er den Kopf und schloss die Augen.
Das durfte sich nicht wiederholen, niemals.
„Bin ich ein Mörder?“
Eher in neutraler Tonlage stellte er sich selbst diese Frage, aber wieder kam keine Antwort.
Es war ihm irgendwo egal, dennoch pochte sein Herz wie verrückt. Schwächer zwar, aber doch merklich.
„Was erwartest du zu hören? Ein Ja? Ein Nein?“
Vitorio sprang auf und zückte das Messer, aber ein schneller Blick versicherte ihm, dass er immer noch alleine im Raum war.
„Du empfindest kein Mitleid, kein Mitgefühl. Alle deine Gefühle sind nur mehr oder weniger perfekte Imitationen der Menschen um dich herum. Was glaubst du was du bist? Normal? Ein Mensch? So wie sie?“
Immer noch sah er niemanden.
„Komm raus, zeig dich!“
Wie ein wildes Tier, das man eingesperrt hatte drehte er sich um die eigene Achse und taxierte den Raum suchend. Nichts. Niemand.
Nur langsam beruhigte er sich wieder, ließ das Messer allmählich sinken.
Er starrte auf die kleine Dose mit den Beruhigungsmitteln, die er noch immer in der anderen Hand hielt.
„Ich brauch stärkere.“
Mit grimmiger Entschlossenheit griff er nach seiner Uniformbluse und stürmte aus dem kleinen Raum.
Taras Amaris
Unterkunftsgebäude für Unteroffiziere
Kasernengelände der Miliz
Wayside V

Robert Steinberger schritt langsam durch den langen Gang der Unterkunftsbaracke für Unteroffiziere. Er konnte das Ziel seines Weges bereits hören und je weiter er kam, desto weniger Lust verspürte er auf die kommende Unterredung. Jacks Zimmer lag am Ende des hell erleuchteten Ganges, in direkter Nähe zum Notausgang.
Der Gedanke ließ Robert Steinberger unwillkürlich grinsen. Er würde es wesentlich schwerer haben, den Unteroffizier vom Dienst abzulenken als es ihm bei der Schwester gefallen war.
Schnell rief er sich im Geiste zur Ruhe und setzte seinen Weg mit schnelleren Schritten fort. Die Nachricht, die er für seinen Vorgesetzten hatte, war einfach zu wichtig um Zeit zu verschwenden. Vorgesetzten, fast hätte Robert laut aufgelacht.
Einen unmilitärischeren Typen als Jack Ryan-Jones hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht kennen gelernt. Und doch konnte dieser Peripherieler die Leute um sich herum fesseln. Er hatte eine Art unwiderstehlichen Charme, der es einfach unmöglich machte, ihm böse zu sein. Zumindest für einen Großteil der Leute. Irgendwie erinnerte er ihn an Wolf. Auch wenn sein großer Bruder eine Zierde des Offizierscorps der lyranischen Allianz dargestellt hatte.
Robert hatte die Tür zu Jacks Quartier erreicht und lauschte einen Moment dem Stimmengewirr, das durch sie hindurch erklang.
Kurz atmete er durch und klopfte dann schnell, bevor er sich umdrehen und die Flucht ergreifen konnte. Er wusste nur zu genau, was mit den Boten schlechter Nachrichten geschehen konnte.
Das energische „Herein“ einer weiblichen Stimme ließ ihn aufhorchen und die Tür reflexartig öffnen. Was ihn jedoch in dem geräumigen Quartier erwartete, ließ ihn verdutzt inne halten.
Jesse Stonefield und Betty Rush lagen, Tränen vor Lachen in den Augen, auf dem Bett, während Danielle Vascot es sich auf dem Bürostuhl vor dem großen Schreibtisch gemütlich gemacht hatte und ebenfalls ein breites Grinsen zur Schau trug.
Miranda Clark hingegen stand in vorbildlicher militärischer Haltung in der Mitte des Raumes und hatte ganz nach Unteroffizierart die Hände in die Hüfte gestemmt. Vor ihr versuchten sich Jack Ryan sowie der stämmige Infanterist aus der Kneipenschlägerei an einer Art Habachtstellung, was dem zumeist unverständlich sprechenden Lyraner jedoch wesentlich besser gelang als dem ehemaligen Piraten.
Sobald Jack ihn erblickte, schlich sich ein freudiges Lächeln auf seine brutalen Züge und er machte einen Schritt auf ihn zu, die Hand zum Gruß ausgestreckt.
„Ja, was zur Hölle soll das denn jetzt, Sergeant Ryan-Jones? Sofort zurück ins Glied. Haltung annehmen. Achtung!“
Die Stimme der Infanteriesergeantin überschlug sich fast bei dem gebrüllten Befehl, ließ Jack schmerzlich zusammen zucken und dann mit einem mehr oder weniger professionellen Halbschritt wieder neben den Infanteristen treten.
Die junge Frau wandte sich an Robert und lächelte gewinnend.
„Keine Sorge. Mach bitte die Tür zu. Muss ja nicht jeder mitbekommen, das wir unserem Nachwuchssergeanten hier Formaldienst Nachhilfe geben.“
Damit drehte sie sich wieder ihren beiden Opfern zu und legte erneut einen harten Ausdruck auf ihre Züge.
„Ganze Abteilung, Achtung. Die Augen links.“
Verwundert beobachtete Robert, wie Jack und der Infanterist die Köpfe wie eine Person in die geforderte Richtung rissen. Fast perfekt.
„Die Augen, geradeaus!“
Wieder schwangen die Köpfe zurück in die Ausgangsposition.
„Ganze Abteilung, links um!“
Voller Elan vollführte der Infanterist eine perfekte Linksdrehung auf der Stelle und blickte plötzlich in Jacks völlig verwirrt dreinschauendes Auge. Dessen Drehung war zwar nicht perfekt, aber zumindest annehmbar gewesen. Leider jedoch in die falsche Richtung.
Resignierend warf Miranda die Arme in die Luft, während Jesse zusammen mit Betty und Danielle in ein schallendes Lachen verfiel.
„Joa mai, du Dumbatz! Links! Woast du denn net woa links is? A geschlagene Stund machen mia des jetzt hia un du Dorfdepp kriegsts net uf d Reiha! I hoan köi Luscht mehr. I krieg ja Blosen an d’ Fiaß.“
Wutschnaubend drehte sich der Infanterist zum Fenster um und auf ein Päckchen belegter Brote zu, die halb ausgepackt auf der Fensterbank ruhten.
Jack blickte betreten zu Boden, bevor es aus ihm heraus brach.
„So ein verdammter Mist. Ich kann Tonnen schwere Mordmaschinen steuern, bin ein Asspilot, der Seinesgleichen sucht, aber diesen verblödeten Formaldienst kriege ich einfach nicht auf die Reihe.“
Die Worte kamen knurrend über seine Lippen, während er seinen lachenden Freunden böse Blicke zuwarf.
„Du blockst, Jack. Das passiert bei sehr selbstsicheren Menschen, die nie gelernt haben, sich an irgendwelche Vorgaben zu halten und plötzlich mit militärischer Disziplin konfrontiert werden. Das hatte ich schon ein paar Mal, aber ich muss zugeben, dass du ein Extremfall bist.“
Miranda hatte sich zu Danielle gesellt und nahm einen Schluck aus einer bereit stehenden Wasserflasche, ihren kritischen Blick nicht von Jack nehmend.
Erst jetzt schien diesem wieder einzufallen, dass Robert den Raum betreten hatte. Immer noch geknickt, aber mit einem aufrichtigen Lächeln trat er auf seinen Untergebenen zu und schüttelte ihm die Hand.
„Na, Robert, bereit für die Aufräumarbeiten in der Kneipe? Wir haben schon gedacht du würdest dich nach der Runde über die Hindernisbahn drücken und krank melden. Darf ich dir unseren Fahrer für heute vorstellen? Corporal Sepp Brunftmaier aus der Stabsabteilung. Auch ein Lyraner.“
Der dickliche Mann warf Robert einen mürrischen Blick zu und biss dann erneut in sein Brot, bevor er schmatzend nickte.
„Frait mie. Kannscht mi Sepp nenna, wen d’ moagscht. Duan hia olle. Di damische Kuah us `m Stoab hat Wind von derar Aktion bekomma un nuan dorf i euch kutschiern. Wi i mi frai!“
Wenn der Soldat so schon kaum verständliches Lyranisch sprach, so war es für Robert fast unmöglich ihn kauend zu verstehen.
Freundlich nickte er dem Infanteristen zu und blickte dann wieder zu Jack.
„Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ich war noch in der Instandhaltung wegen dem aussetzenden Aktivator an meiner Maschine und da habe ich per Zufall ein Gespräch von zwei AsTechs mitbekommen, dessen Inhalt dich interessieren dürfte.“


Büro von Colonel Danton
Kasernengelände der Miliz
Wayside V

Der Tumult vor seiner Bürotür entging Colonel Danton nicht, während er mit Major Klein eine Tasse des dampfenden Kaffees genoss. Der Milizionär sah noch immer furchtbar aus. Brandwunden bedeckten sein Gesicht und der glasige Ausdruck in seinen Augen zeugte von einer schweren medikamentösen Behandlung. Das der Mann sich überhaupt zum Dienst und zu diesem Gespräch quälte zeugte von seinen soldatischen Qualitäten.
Noch bevor der Colonel auf die Unruhe reagieren konnte, öffnete sich die Tür und ein protestierender Jan Jensen wurde rückwärts hindurch geschoben.
„Sergeant Ryan-Jones, ich habe Ihnen doch gesagt, dass der Colonel in einer wichtigen Unterredung ist. Sie können da jetzt nicht rein. Bitte warten sie im Vorzimmer. Sergeant! Nicht schubsen! Verstehen sie mich nicht? Sie müssen warten. Sergeant!“
Völlig unbeeindruckt von dem Protest schob ein überaus wütend aussehender Jack den kleineren Mann durch die Tür in das Büro und dann auf die Seite.
„Ja, ich habe dich verstanden, Jensen. Es ist nur so, dass es mir völlig egal ist was du sagst. Und lass dir gesagt sein, dass man sich nicht zwischen einen Hund und seinen Knochen stellt. Also schwing dich zurück in dein Vorzimmer, bevor es eine Tracht Prügel setzt, die du so schnell nicht vergessen wirst!“
Der Adjudant des Colonels hatte bei diesen Worten die Hand auf das Pistolenhalfter an seinem Gürtel gelegt, verhielt sich jedoch auf ein kurzes Kopfschütteln Dantons hin ruhig, während der ehemalige Pirat an den Schreibtisch trat und sich mit beiden Händen auf die Tischplatte stützte um Germaine Danton so näher zu kommen.
„Können Sie mir mal erklären, was es bedeuten soll, wenn ich durch einen Zufall erfahre, dass mein Marodeur verschrottet werden soll, Danton? Haben sie nun völlig den Verstand verloren? Das ist mein Eigentum!“
Die Stimme von Jack Ryan war nicht laut, sie glich eher einem Flüstern, aber das Beben in jedem einzelnen Wort zeugte davon, dass er kurz vor einem Wutausbruch stand.
Ächzend lehnte sich der Colonel der Chevaliers in seinem gemütlich aussehenden Chefsessel zurück und blickte seinem Gegenüber über die dampfende Kaffeetasse hinweg in das nicht verdeckte Auge. Als er antwortete, lag wirkliches Bedauern in seiner Stimme.
„Das Problem bei einer Einheit von Regimentsgröße ist definitiv, dass man rein gar nichts geheim halten kann. Also gut, Jack. Setzen sie sich. Major Klein von der Miliz kennen Sie ja noch. Jensen, es ist in Ordnung. Schließen sie die Tür von außen.“
Klein nickte Jack grüßend zu, während Jensen sich leise aus dem Raum zurück zog und dabei die Tür schloss.
„Jack, Ihr Marodeur ist völlig hinüber. Die Aktivatoren der Beine sind nur noch Schrott, die Elektrik ist zu fünfzig Prozent durchgeschmort und die Myomermuskulatur hat den Absturz auch nicht gerade freudig begrüßt. Das Endostahlskelett hat sich durch den Aufprall völlig verzogen. Die Maschine liegt jetzt um einen halben Meter tiefer. Von Haarrissen im Stahl kann man schon nicht mehr sprechen. Da kann ich meinen Finger durchstecken. Es tut mir leid, aber da kann selbst unsere wirklich herausragende Techcrew nichts mehr machen.“
Wieder nahm der Colonel einen tiefen Schluck aus seiner Kaffeetasse und räusperte sich dann ausgiebig.
„Und wann, verdammt noch mal, wollten Sie mir das mitteilen? Unser Deal war, dass ich solange für Sie gegen die Parder kämpfe bis meine Maschine wieder instand gesetzt ist und dass ich solange den Marodeur der Husaren steuere.“
Der Hass war aus Jacks Stimme noch immer nicht verschwunden, aber zumindest setzte er sich auf den Stuhl neben Klein, während er Germaine wütend anfunkelte.
„Um ehrlich zu sein, Jack, wollte ich es Ihnen gar nicht sagen. Ich wollte einen Marodeur mit Endostahlstruktur auftreiben, Ihr Sammelsurium dort einbauen lassen und Ihnen das Werk dann als Ihren dunklen Engel verkaufen. Leider ist so was nicht wirklich einfach hier am Arsch des Universums, was jedoch den Vorteil gehabt hätte, dass Sie mir uneingeschränkt zur Verfügung gestanden hätten. Es tut mir leid, Jack, aber genau diese Diskussion wollte ich umgehen. Genau wie die Tatsache, dass Sie dann die Einheit verlassen könnten. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich brauche Sie als Mechkrieger. Außerdem leisten Sie hervorragende Arbeit bei der Zusammenführung der Husaren mit den Chevaliers, auch wenn das sicherlich nicht in Ihrer Absicht liegt.“
Ächzend erhob sich der Kommandant der Dantons Chevaliers aus seinem Sessel, griff nach seiner Krücke und humpelte dann langsam um den Schreibtisch herum, auf einen völlig entsetzten Jack zu.
„Schauen Sie nicht so, nicht nur Sie beherrschen die unfairen Spiele. Ich bin da mindestens genau so gut drin. Ein Vorschlag zur Güte, bevor Sie uns zwei Krüppel hier im Büro in Stücke reißen und dafür von der Wache niedergeschossen werden: Sie behalten einfach den Marodeur der Husaren. Ich übertrage ihn in Ihren Besitz. Wir werden den Wert Ihrer Maschine schätzen lassen und die Differenz bekommen Sie mit Ihrem nächsten Sold ausbezahlt. Sie haben wieder einen Mech, mit dem Sie auf Ihren Rachefeldzug gehen können, ich habe einen hervorragenden Mechkrieger der für mich die Eisen aus dem Feuer holt, und die Techcrew der Chevaliers hat einiges an Clantechnik, um unsere Maschinen zu reparieren.“
Der verletzte Danton lehnte setzte sich auf die Tischplatte und fixierte Jack mit einem freundlichen Lächeln.
Dessen Gesichtsausdruck sprach jedoch Bände über seine Meinung zu dem Vorschlag.
„Wissen Sie, Danton, wo Sie sich den Marodeur der Husaren hinstecken können? Genau dahin wo auch die Differenz zu dem Wert meiner Maschine gleich verschwindet! Für euch Söldner ist ein Mech nur ein Arbeitsgerät. Für mich ist es mehr als das. Meine Maschine ist wie ein Freund, wie ein Seelenverwandter. Ich habe genug Schweiß und Blut hinein gesteckt, um mit dem dunklen Engel verwandt zu sein, verdammt. Und Sie bieten mir ein seelenloses Modell von der Stange. Der Mech sucht sich seinen Krieger aus, Danton. Als Kurita-Freund müssten Sie das doch schon mal gehört haben. Wie wäre es denn wenn ich Ihre Miko in eine Schrottpresse stecke und Ihnen als Ausgleich eine Bordsteinschwalbe mit langen Beinen und Blaselippen ins Bett stecke?“
Der hasserfüllte Ausdruck in dem funkelnden Auge des ehemaligen Piraten ließ Danton kurz schlucken. Er hatte sich jedoch unter Kontrolle. Angespannt wischte er sich mit der gesunden Hand über das Gesicht.
„Ich habe Ihre Bindung zu der Maschine offensichtlich unterschätzt, Jack. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass Ihr dunkler Engel nicht mehr zu retten ist. Die Schäden sind einfach zu schwer. Was kann ich also tun, um Ihnen einen Ausgleich zu bieten? Ich habe zwar noch einige wenige Maschinen in der Rückhand, aber ich denke, da werden Sie dieselben Bedenken haben wie bei meinem vorhergehenden Angebot. Die Eagles und die Miliz haben ebenfalls keine überzähligen Battlemechs, und den letzten halbwegs einsatzbereiten Mech vom Scrabyard habe ich bereits Corporal Brahmert versprochen, aber das wäre sowieso nur ein Lynx gewesen. Nicht gerade Ihre Gewichtsklasse.“
Das Bedauern in Dantons Stimme schien aufrichtig zu sein und ließ Jacks Wut mit einem Mal verrauchen. Der große Peripherieler sackte in dem bequemen Stuhl zusammen und überlegte krampfhaft, was er nun tun sollte.
„Wenn ich mich kurz einmischen darf, Colonel.“
Major Klein war dem Gespräch aufmerksam gefolgt, hatte sich bis jetzt jedoch aus der Unterhaltung herausgehalten.
„Sergeant Ryan, es gibt einige Kilometer außerhalb der Stadt eine Art Friedhof für militärisches Gerät jedweder Art. Alles was wir nicht mehr gebrauchen können, weil es zu schwer beschädigt ist, wird dahin geschafft, in der Hoffnung, noch mal darauf zurück greifen zu können. Das Material ist zwar nicht einsatzbereit, aber durch die dünne Atmosphäre hier auf Wayside im Normalfall nicht zersetzt. Da lagern auch die Wracks von Mechs aus den Kämpfen gegen die Parder. Meine Techs streunen da öfters auf der Suche nach seltenen Ersatzteilen herum. Vielleicht finden Sie dort einen neuen Seelenverwandten. Ich würde Ihnen meine Leute und einen Platz in den hervorragend ausgestatteten Wartungsanlagen der Miliz anbieten, wenn Sie dort etwas finden, was Ihnen zusagt. Die Chance ist zwar gering, aber ich denke einen Versuch wert.“
Nun blickten die beiden Chevaliers mit offenem Mund zu dem Milizoffizier hinüber, der grinsend einen weiteren vorsichtigen Schluck aus seiner Kaffeetasse nahm.
„Sergeant Ryan, ich kann Ihre Verärgerung durchaus nachvollziehen. Ich wäre auch nicht begeistert wenn man meinen Imp einfach verschrotten würde. Außerdem haben Sie mich am Wasserloch aus der Scheiße geholt und einen Eagle gerettet. Alleine dafür müsste ich Ihnen schon jede Hilfe anbieten, zu der ich fähig bin. Dazu kommt noch, dass Ihr Chevaliers bald gegen Parder in den Kampf zieht, die sonst vielleicht irgendwann hier auf Wayside stehen und Ärger suchen. Und ich habe nicht vor zuzusehen, wie dem Colonel ein erstklassiger Mechkrieger wegen so einer Sache durch die Lappen geht. Er wird Sie noch brauchen, Sergeant Ryan. Davon bin ich überzeugt. Ich werde in der Bereitschaft anrufen und einen Mechtransporter bereitmachen lassen, für den Fall das Sie erfolgreich sind.“
Jack sah fassungslos von Klein zu Danton, der nun ebenfalls ein gefälliges Grinsen auf seine Züge gezaubert hatte.
„Na bitte, Jack. Manchmal lösen sich Probleme fast von selbst. Nehmen Sie sich ein paar Leute und gehen Sie auf die Suche nach Ihrem Seelenverwandten. Ich setze die Wache in Kenntnis. Über die Kosten der Reparatur machen Sie sich mal keine Gedanken. Sollten etwas Ihr Gefallen finden, bringen Sie es hierher und wir werden sehen, was wir machen können. Es dürfte alles günstiger sein, als Ihre Maschine wieder herzurichten. Na los, machen Sie sich schon aus dem Staub, bevor ich es mir anders überlege.“


Der Korallenwald
Mechfriedhof der Streitkräfte
Wayside V

Der schwere Halbketten-Jeep rumpelte mit brüllendem Motor über die Ebene und schüttelte die Insassen dabei gehörig durch.
„Sepp, ich wollte heute noch ankommen. Zur Hölle, musst du denn wirklich jedes Schlagloch auf der verdammten Straße suchen?“
Danielle Vascot hielt sich krampfhaft an den Sicherungsgriffen fest, wurde jedoch erneut in die Arme von Jesse Stonefield gepresst, als das massive Gefährt in eine scharfe Kurve einbog.
„Jo mai, Madle, hoalst di hoalt fescht. Hasts doch gnuch Mannsbilder um di rum. I will huit halt ach no ankumma.“
„Genau das bemängeln wir ja, Sepp. Wir wollen lebend da ankommen!“
Robert Steinberger hatte seine beiden Füße gegen den Sitz von Sepp gestemmt und verschaffte sich so einen gewissen Halt auf dem abgenutzten Ledersitz. Neben ihm schien Betty Rush die Fahrt durch die Nacht zu genießen, auch wenn sie bereits mehrfach gegen ihn geschleudert worden war.
Miranda Clark hatte es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht und nahm die Fahrweise des Corporals mit der stoischen Gelassenheit einer erfahrenen Unteroffizierin hin.
„Wo ist eigentlich Jack? Ich kann ihn nicht mehr sehen.“
Jesse Stonefield beugte sich von der hintersten Sitzbank zu Robert nach vorne um gegen das Brüllen des starken Dieselmotors anzukommen.
„Der verrückte Kerl muss irgendwo vor uns sein. Ich kann nur hoffen, dass seine Schulterwunde nicht wieder aufreißt. Ich glaube nämlich nicht das wir auf dieser Welt noch einen Arzt finden, der sie nochmals näht.“
In diesem Moment tauchte das Geländemotorrad neben dem leichten Truck auf und Jacks brüllende Stimme erscholl über den Motorenlärm.
„Miranda, wie weit noch? Müssten wir nicht schon lange da sein?“
Der ehemalige Pirat trug seine Privatsachen, dazu einen geliehenen Helm der Miliz sowie eine Staubschutzbrille und lenkte sein Gefährt selbstsicher durch die Dunkelheit.
Die Infanteriesergeantin blickte erneut auf die laminierte Karte auf ihrem Schoß und antwortete ihm dann in ebenfalls gebrülltem Ton.
„Wir müssten laut der Karte eigentlich schon da sein. Irgendwo voraus. Aber diese beschissene Dunkelheit macht es unmöglich irgendwas auszumachen.“
Nickend nahm Jack den Kommentar zur Kenntnis.
„Dann werde ich mal den Scout spielen.“
Damit zog er den Gashahn des schweren Motorrads voll durch und schoss vorwärts, sprang über eine Bodenwelle und verschwand wieder in der Dunkelheit.
„Herrschaftszeiten, wenn das Burli moal neta mehr in anna von euren Maschinchen spille will, dann sollte mer inna als Aufklärer oisetze.“
Mit diesen Worten trat auch der Corporal das Gaspedal voll durch und das Halbkettenfahrzeug machte einen energischen Satz nach vorne, begleitet von einer monströsen Staubwolke und den Schreien von Danielle Vascot und Robert Steinberger.

Wenige Minuten später leuchtete plötzlich ein grüner Schein durch meterhoch aufragenden Felsspitzen. Betty Rush war die Erste, die das Leuchten wahrnahm.
„Da vorne, Sepp, da! Grüne Signalfackel auf ein Uhr. Gib noch mal alles, mein lebender Schrank!“
Das schallende Lachen vom Fahrersitz wirkte auf den Rest der Insassen überaus beunruhigend.
„Doi Wunsch is mir oan Befehl, Madle. Worts nua ob, jetzt drehn mer no omal uff!“
Damit riss der Fahrer das schwere Fahrzeug in die angegebene Richtung und schaltete einen Gang zurück. Erneut steigerte sich die Lärmkulisse in nicht mehr messbare Bereiche, als das Halbkettenfahrzeug beschleunigte.
Gleichzeitig erhoben sich Stonefield und Miranda von ihren Plätzen und hingen Sekundenbruchteile später aus den Fenstern, um ihre Leuchtpistolen in den sternenübersähten Himmel abzufeuern.
Die grell strahlenden Kugeln abbrennenden Phosphors tauchten die gesamte Umgebung in ein unwirkliches grünes Licht, das eine gigantische Ansammlung von steinernen Säulen und Wracks verschiedener Sorten aus der Dunkelheit riss.
Kurz vor dem abgestellten Motorrad von Jack brachte Sepp sein Fahrzeug zum halten und deaktivierte den Motor.
„Heilands Sack, woa des a Gaudi, Leits. Un woas dua mia jetscht hia?“
Gutgelaunt kletterte der dickbäuchige Infanterist vom Fahrersitz und besah sich die Umgebung mit Hilfe eines starken tragbaren Scheinwerfers.
„Aus diesem Höllengerät fliehen, den Fahrer totschlagen und dann Jack helfen, seinen Gral zu finden, du Verrückter. Ich habe irgendwann mal gehört, dass dicke Menschen eher von der gemütlichen Sorte sein sollen. Der, der diese Behauptung aufgestellt hat, hat noch nie mit dir zu tun gehabt. Es ist unglaublich, wir leben noch. Diese Wette hätte ich nicht gehalten.“
Robert Steinberger sprang wie auch der Rest der kleinen Gruppe von seinem Sitz und klopfte sich den Staub von der Kleidung, bevor er seine Taschenlampe aufblitzen ließ.
„I bin nead dick. Nua füllig, du Droatgeschtell. Un wenn du wilscht, kannscht du gerne hoim laafe.“
Leicht verärgert zog sich Sepp Brunftmaier einige Schritte zurück und beleuchtete eine am Boden liegende Wespe, auf deren Brust ein offensichtlich nachdenklicher Jack Ryan-Jones im Schneidersitz Platz genommen hatte, die brennende Signalfackel neben sich abgelegt.
„Joa woas hat den der jetzat?“
Danielle Vascott riss sich von dem Anblick eines völlig verbeulten Exterminatortorsos los und leuchtete dann ebenfalls in Richtung des anscheinend meditierenden Jacks.
„Keine Ahnung. Robert, komm, wir werden mal nachsehen. Vielleicht ist seine Wunde wirklich wieder aufgebrochen und er braucht Hilfe. Der Rest bleibt hier beim Fahrzeug.“
Entschlossen griff die Mechpilotin die Taschenlampe fester, während das Licht der verglühenden Leuchtkugeln erlosch und ging dann langsam auf die Wespe zu. Hinter sich hörte sie die Schritte von Robert Steinberger im Sand knirschen.
Weniger als zwei Minuten später standen die beiden Chevaliers ebenfalls auf dem aufgerissenen Torso und blickten auf ihren neuen Freund hinab, der sie gar nicht wahr zu nehmen schien.
„Jack, ist alles in Ordnung? Wir sind jetzt hier und können mit der Suche beginnen, wenn du willst! Ich glaube aber irgendwie nicht, dass du hier etwas finden wirst.“
Roberts Worte schienen Sekunden zu brauchen um zu Jack durchzudringen. Dann jedoch lächelte der ehemalige Pirat tiefgründig.
„Mein lieber Robert, wo sollte jemand, dessen Callsign Grave lautet denn sonst einen Seelenverwandten finden wenn nicht auf einem Friedhof? Nein, wir sind hier genau richtig, aber für die Suche kommt Ihr zu spät. Der Mech hat sich seinen Piloten bereits gewählt. Er scheint hier schon lange auf mich zu warten. Auf einen Piloten, der würdig ist, ihn aus seinem tiefen Schlaf zu wecken. Ihm Leben einzuhauchen und wieder in die Schlacht zu führen.“
Entgeistert starrten Danielle wie auch Robert zu ihrem Freund hinab und folgten dann seinem starren Blick in die Dunkelheit.
Der gigantische Schatten lehnte an einer der Steinsäulen und wirkte bedrohlich, Angst einflößend.
„Miranda, Jesse, wir brauchen hier ein wenig Licht.“
Danielles Stimme zitterte vor Anspannung. Sie konnte ihren Blick nicht von dem massigen Umriss nehmen, der nur wenige Meter von Ihr entfernt in die Höhe wuchs.
Kurz waren die klickenden Laute zurück gezogener Schlagbolzen zu hören, als die Angesprochenen ihre Leuchtpistolen feuerbereit machten. Und dann wurde die Umgebung erneut von grellgrünem Licht aus der Dunkelheit gerissen.
Wie ein schlafender Gigant ragte der Brandschatzer vor ihnen in die Höhe. Der Anblick war atemberaubend. Einhundert Tonnen pure Gewalt, die in dem grünen Licht der Leuchtkugeln wie ein Geist wirkten.
Die Maschine trug die Insignien der Highlander und deutliche Spuren von brutalsten Kämpfen. Die Panzerung war durchlöchert und von Flugrost befallen, die Arme hingen kraftlos hinab und der Torso war seinen massiven Waffen beraubt worden. Zusätzlich war die Cockpitpanzerung von einem massiven Treffer aufgerissen worden.
„Ein BRS-3Z. Einer der ersten aus der Baureihe. Muss wohl ein Beutestück der Highlander gewesen sein. Aber Jack, wenn das nicht gerade eines der neuen Modelle aus dem ehemaligen St. Ives Pakt ist hat der schon eine wirklich biblisches Alter und steht schon lange hier rum. So wie es aussieht hat der noch nicht mal mehr einen Reaktor, von Waffen und Bordelektronik ganz zu schweigen. Die Panzerung ist hinüber und die Aktivatoren dürften festgefressen sein. Lass dieses Monster lieber weiter schlafen. Da hinten steht ein Schütze, der ganz in Ordnung aussieht und ein Kampfbeil habe ich auch schon gesehen.“
Robert Steinberger legte seine Hand auf Jacks Schulter, aber dieser schien ihn gar nicht gehört zu haben.
„Sepp, sag dem Bergungstrupp Bescheid, dass sie sich auf den Weg machen sollen. Und in der Wartungsanlage. Heute gibt es eine ganze Menge Arbeit. Jesse, weck euren Tech. Ich benötige Konstruktionspläne für meinen neuen Mech. Wir müssen da wohl ein paar Modifikationen durchführen. Betty, ruf alle Husarentechs zusammen, die du noch erwischen kannst. Wir werden jede Hand brauchen. Robert, die kleine Asiatin in der Instandhaltung der Miliz ist deine Aufgabe. Wir brauchen einen 300er Reaktor. Am besten einen Extraleichten. Der ist zwar sperriger, aber das dürfte unserem neuen Freund hier egal sein. Der hat ne Menge Platz. Miranda, setz dich mit der Wache in Verbindung. Wir brauchen Zugang zu meiner Maschine. Bis wir Ersatz besorgt haben, müssen wir ein paar Teile aus dem Wrack nutzen. Danielle, du musst deinen Kampftitanen hier raus bringen. Wir werden deinen Handaktivator benötigen, um weitere Beschädigungen an dem Goldjungen zu vermeiden.“
Völlig verblüfft starrte die Gruppe auf Jack, der sich nun langsam erhob und sie anblickte. Miranda Clark war die erste, die ihre Stimme wieder fand.
„Äh, Jack, wieso hast du es so eilig? Wir wissen doch wo die Maschine steht. Lass uns einfach Morgen wiederkommen und deinen neuen Freund abholen. Bei Tageslicht geht das auch alles besser.“
Das Grinsen, welches ihr antwortete, war in dem erlöschenden Licht der Leuchtkugeln grauenerregend.
„Natürlich könnten wir bis Morgen warten, Miranda, aber wenn Danton dieses Prachtstück bei Tageslicht sieht, wird er mich für verrückt erklären. Wenn ich aber mit einem bewegungsfähigen Brandschatzer vor seinem Stabsgebäude aufmarschiere, wird er einfach nicht nein sagen können. Wenn Robert den Husaren-Marodeur übernimmt können wir die Kampfkraft der Kampflanze fast verdoppeln. Also los, wir haben nicht viel Zeit.“


Mechwartungsanlage
Kasernengelände der Miliz
Wayside V

Das Cockpit roch nach Tod, Schweiß und verbranntem Plastik, eine Mischung die Jack an gute, alte Zeiten erinnerte. Fünfzehn Meter unter ihm wimmelten dutzende Techs und andere Angehörige der Chevaliers herum. Sogar Miliztechs hatten von dem Vorhaben gehört und sich spontan angeschlossen. Ein freudiges Grinsen legte sich auf seine ölverschmierten Züge. Ja, Danton, er würde aus den Chevaliers eine Einheit machen.
Das Handfunkgerät neben ihm knackte kurz, dann erscholl die Stimme von Robert verzerrt aus dem Lautsprecher.
„Okay, du völlig Wahnsinniger. Fünfzehn Minuten vor Dienstantritt. Der Reaktor sitzt und ist angeschlossen. Ob er allerdings das schnelle Hochfahren überstanden hat, konnten wir nicht mehr testen. Die schadhaften Myomerteile sind ausgewechselt und wir haben die Aktivatoren überprüft. Aber das Ganze läuft ohne Garantie. Das Ding hat sich jahrelang nicht mehr selbstständig bewegt. Bis auf die grundlegende Steuerung hast du keine Systeme, nicht mal Sensoren. Du wirst auf Sicht steuern müssen. Mehr konnten wir in der kurzen Zeit nicht machen. Die Halteklammern des Gerüsts sind gelöst, Kühlmittelkreislauf ist aktiv. Ich wünsche dir viel Glück, du alter Pirat. Geh und hau Danton aus den Stiefeln.“
Grimmig nickte Jack und sah dann hoch zur Einstiegsluke, in der eine besorgt dreinschauende Danielle Vascot auf ihn herab blickte.
„Und du bist dir sicher, dass du das tun willst, Jack? Du hast nicht mal ein Rettungssystem, wenn irgendwas schief geht.“
Wie niedlich, das kleine Mädchen schien wirklich besorgt zu sein. Aufmunternd lächelte er zu ihr hinauf und nahm dann seinen frisch verkabelten Neurohelm entgegen.
„Hab Vertrauen, Danielle. Im Formaldienst bin ich vielleicht eine Niete, aber was diese Dinge hier angeht, macht mir keiner was vor. Wenn es nicht anders geht, schiebe ich unseren neuen Freund vor das Stabsgebäude.“
Sie nickte nur knapp und verschwand dann aus der Öffnung, während er den Neurohelm über den Kopf zog und die Rundumsicht deaktivierte. Ohne Sensoren war das System nutzlos.
Schnell schloss er das verrottete Gurtsystem und zog es fest, bevor er die Joysticks der Steuerung ergriff.
„So mein Freund. Es wird Zeit, zu zeigen, dass wir beide noch nicht zum alten Eisen gehören. Streng dich an und enttäusch mich nicht.“
Damit gab er die Energiezufuhr des Reaktors frei. Das tiefe Wummern des Energiepakets tief im freigelegten Torso des Marodeurs erfüllte ihn mit Zuversicht. Kurz warf er einen bedauernden Blick auf die dunklen Monitore rings um sich herum. Bis auf die aus seinem ehemaligen Mech entnommenen Steuerelemente waren die Instrumente in einem völlig desolaten Zustand und nicht zu gebrauchen.
Egal, er musste nur die achthundert Meter von den Wartungsanlagen bis zum Stabsgebäude hinter sich bringen. Das sollte zu schaffen sein.
Langsam presste er den Geschwindigkeitshebel vor und hörte unruhig auf die knarrenden Geräusche, welche daraufhin durch die Maschine zogen.
Seine improvisierte Techmannschaft hatte sich in sicherer Entfernung aufgestellt und fieberte dem Start des Hunderttonners entgegen.
Dann entledigte sich der rechte Knieaktivator mit einer Dampffontäne dem restlichen Staub und Schmutz der letzten Jahre und zog das Bein schleifend über den Betonboden der Halle.
Als der massige Fuß dröhnend auf dem Boden aufsetzte, hallte ein Jubelschrei aus Dutzenden Kehlen dem langsam in Fahrt kommenden Brandschatzer hinterher.
Quälend langsam verließ die noch immer einem Wrack denn einem technischen Wunderwerk aus den Werkstädten des ersten Sternenbundes ähnlicher erscheinende überschwere Kampfmaschine den Hangar, und schwenkte auf den Weg in Richtung des Stabsgebäudes ein.
Vorbei an den Quartieren der Mannschaften und Unteroffiziere, vorbei an den mit offenem Mund zu dem fast panzerungslosen und funkensprühenden Ungetüm hinaufblickenden Frühsportgruppe von Captain Fokker.
Jack musste all sein Können aufbringen um die Maschine nicht bei jeder Kurskorrektur zu verlieren. Offensichtlich war auch der Gyrostabilisator beschädigt, was zu einem Holpern und Zucken in der Steuerung wie zu einem Schwindelgefühl in seinem Kopf führte.
Konzentriert starrte er durch die geborstene Sichtscheibe vor sich und erblickte kurz darauf das hell erleuchtete Stabsgebäude. Das Ziel seiner kurzen Reise.
Genau in dem Augenblick, als Jack den Brandschatzer vor dem Gebäude zum stehen brachte, flogen die Türen des Haupteingang auf und eine ganze Schwadron ranghoher Offiziere ergoss sich auf die Stufen zu Füßen der alten Kampfmaschine.
Deutlich konnte er Danton auf Krücken nebst Jensen und Jara Fokker, sowie Matthew Brennstein erkennen, was wiederum ein Lächeln auf seine angespannten Züge zauberte.
Die Aktion war gelungen.
Neben seinem rechten Fuß hielten einige Bodenfahrzeuge mit quietschenden Reifen und Miranda Clark schrie Befehle, bis die komplette Gruppe in einer nahezu perfekten Aufstellung neben der Maschine stand. Milizionäre, ehemalige Husaren, Chevaliers, eine bunt gemischte Gruppe.
Nun fehlte nur noch das Tüpfelchen auf dem I.
Betend legte er einen improvisierten Schalter auf der dunklen Schalttafel der Kommunikationsanlage um und hielt sich dann das Funkgerät vor das Gesicht. Die alten Außenlautsprecher knackten kratzend, bevor Sie seine Stimme laut in die Umgebung plärrten.
„Guten Morgen, Colonel Danton. Der Bergungstrupp unter meiner Führung mit dem Auftrag Codewort „Jacks Zufriedenheit“ meldet sich wie befohlen pünktlich zu Dienstbeginn zurück. Der Auftrag wurde zur Zufriedenheit aller Beteiligten erfüllt und ich möchte, bei allem gebührenden Respekt, um einen Tag Dienstfrei für die Beteiligten dieser Mission bitten.“
Damit ließ er das Handfunkgerät sinken und blickte zu Germaine Danton hinab.
Er erwartete alles, angefangen bei einem ausartenden Wutanfall über eine abfällige Bemerkung des kommandierenden Offiziers.
Das bellende Lachen, welches über das halbe Kasernengelände klang, war dann jedoch eine Reaktion, mit der er nicht gerechnet hatte.


Jacks Quartier
Kasernengelände der Miliz
Wayside V

Colonel Germaine Danton verharrte in der Bewegung. Seine Hand lag auf der Türklinke zu Jacks Unterkunft, aber irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl. Natürlich war es sein gutes Recht als kommandierender Offizier der Chevaliers jedes Quartier ohne Ankündigung zu betreten, aber trotz dessen, erhob er die Hand nach einer kurzen Überlegung und klopfte kurz an.
Jack Ryan-Jones war ein Spezialfall, was er heute Nacht ein weiteres Mal eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte. Die Aktion mit dem Brandschatzer war unter Zuhilfenahme fast aller Teile der Chevaliers und sogar der Miliz erfolgt. Seine Leute hatten zusammen gearbeitet, wie er es sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hatte. Allein aus diesem Grund war er bereit, dem Peripherieler einen gewissen Sonderstatus einzuräumen.
Ganz davon abgesehen, dass er ihn im Kampf gegen die Nebelparder brauchen würde.
„Ich bin beschäftigt, habe vom Colonel bestätigtes Dienstfrei und bin nicht gewillt, mich aus meinem Bett zu erheben. Also, egal wer da an der Tür steht, verpiss dich!“
Die Antwort auf sein Klopfen kam direkt und mit einem wirklich bedrohlichen Tonfall, der Danton jedoch fast wieder in ein heiteres Lachen verfallen ließ.
Verdammt, war dieser Typ unmilitärisch!
„Ich weis, dass Sie Dienstfrei haben, Jack. Ich selbst habe es Ihnen gewährt. Sie müssen auch gar nicht aufstehen, selbst in meinem Zustand kann ich die Tür selbstständig öffnen. Ich möchte aber einige wichtige Sachen mit Ihnen besprechen und es wird nicht lange dauern.“
Sogar durch die geschlossene Tür konnte Germaine die hektische Betriebsamkeit wahrnehmen, als seine Stimme erklang.
Die Antwort von Jack Ryan klang plötzlich merkwürdig ruhelos.
„Äh, Colonel, ich… ja, natürlich… einen Moment bitte… ich… ja, kommen Sie rein. Die Tür ist offen.“
Mit einer hochgezogenen Augenbraue und etwas unschlüssig öffnete der Colonel die Kunststofftür und betrat den durch die Jalousinen abgedunkelten Raum.
Im Gegensatz zu seinen Erwartungen, in Kenntnis von Jacks Persönlichkeit, blickte er auf eine ordentliche Unterkunft, welche zwar mit kleinen und großen Päckchen und Paketen zugestellt war, jedoch sonst einen militärisch korrekten Eindruck hinterließ.
Der Bewohner des Quartiers lag in dem in der Ecke stehenden Bett, die Hände fromm über der Decke und seiner nackten Brust wie zum Gebet gefaltet, einen ernsthaften Gesichtsausdruck zur Schau stellend.
Irritiert betrat Germaine Danton den Raum und schloss dann die Tür hinter sich.
„Guten Tag Colonel Danton. Was führt Sie zu mir?“
Bei Jacks Worten wirbelte der Gründer der Chevaliers zu ihm herum und blitzte ihn durch das Halbdunkel an.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Ganz definitiv.
Langsam ging der Colonel auf das Bett zu und ließ sich dann auf dem Bürostuhl nieder, auf dem einige Uniformteile abgelegt waren, was ihn jedoch nicht störte.
„Nun ja, Jack, ich habe den technischen Bericht, Ihren Fund betreffend, gelesen und kann nur sagen, dass ich froh bin, Sie losgeschickt zu haben. Der Brandschatzer ist zwar in einem erbärmlichen Zustand, aber durchaus gutes Material für eine Restauration. Wenn Sie es schaffen, die Maschine auf dem Flug wieder herzurichten wird es eine massive Verstärkung der Kampflanze bedeuten. Ihre Einkaufsliste habe ich übrigens genehmigt.“
Noch immer blickte der ehemalige Pirat seinen kommandierenden Offizier freundlich an, sein Lächeln war wie festgetackert und der sonst immer wieder aufflackernde Hass in seinem Blick nicht auszumachen.
„Es freut mich, dass Sie zufrieden sind, Colonel. Und danke für die Genehmigung der Teile.“
Sogar die Stimme seines neuen Sergeanten klang merkwürdig ausgeglichen. Was zur Hölle war hier los?
„Jack, sind Sie krank? Colonel? Danke? Keine Alkoholfahne, kein ungebührliches Verhalten, keine aggressiven Antworten. Was ist los? Hat Shepard Ihnen eine Gehirnwäsche verpasst? Sind Sie auf Droge? Ich meine, nicht das ich diese Verhaltensänderung nicht begr…“
„Haaaatschi“
Noch bevor er darüber nachdenken konnte, reagierte Germaine Danton auf gewohnte Art auf den Nieser.
„Gesundheit“
Kurz bevor er realisierte, dass dieser zwar aus dem Bett, nicht jedoch von dem nun betroffen dreinschauenden Jack gekommen war.
Wieder zuckte Dantons Augenbraue in die Höhe als sein messerscharfer Verstand die einzelnen Puzzelteile zusammensetzte.
Schweißtropfen auf Jacks Stirn, ein Halbdunkel erzeugende Jalousinen, ein lammfrommer ehemaliger Pirat. Ja, er konnte sich lebhaft vorstellen was hier gerade passierte. Und nun fiel ihm auch wie Schuppen von den Augen, was der störende Eindruck gewesen war, als er das Zimmer betreten hatte. Entweder war Jack Ryan-Jones während der paar Stunden dienstfreier Zeit extrem fettleibig geworden, oder aber er steckte nicht alleine unter der zerknitterten Bettdecke.
Nun war es an Germaine, einen grausamen Gesichtsausdruck auf seine Züge zu zaubern, während er sich ächzend wieder von dem Bürostuhl erhob.
„Ach Jack, ich muss Ihnen einfach sagen, dass ich wirklich froh bin, dass Sie sich langsam einleben. Abgesehen von ihren teilweise störenden Eigenschaften sind Sie ein herausragender Pilot und Schütze an den Kontrollen eines Mechs. Wie wäre es, wenn sie diese Fähigkeiten zum allgemeinen Nutzen der Chevaliers einsetzen würden und sagen wir mal zwei bis drei Stunden die Woche unseren grünen Piloten eine freiwillige Ausbildungseinheit zukommen lassen? Meine Offiziere sind bereits völlig ausgelastet und jeder in der Einheit weis, dass Sie kein Theoretiker sind, der nur irgendwelche Statistiken herunter rasselt.“
Langsam beugte sich der Colonel zu einem Zipfel der Bettdecke hinunter, nachdem er das Bettende erreicht hatte und fing an, langsam daran zu ziehen.
Anfangs nur Millimeter, da Jack sein Ende der Decke mit immer noch gefalteten Händen und aufgesetztem Lächeln an seine Brust drückte.
„Ja, ich bin eher der Praktiker, Colonel. Aber warum sollte ich Ihnen diesen Gefallen tun? Ich meine, dass war nicht Bestandteil unseres Deals.“
Noch während der ehemalige Pirat sprach, entglitt die Decke dem Druck seiner Hände und glitt einige Zentimeter nach unten, wobei sie rote Haare auf der rechten, sowie blonde auf der linken Seite entblößte. Nur kurz darauf blickten zwei ziemlich geknickt aussehende Mechpilotinnen zu Ihrem kommandierenden Offizier hinauf.
„Colonel, es ist bestimmt nicht so wie Sie denken…“
Lächeln ließ Germaine Danton den Zipfel der Decke fallen und bewegte sich dann wieder auf den Bürostuhl zu.
„Ja, das kann ich mir vorstellen, Corporal Vascot. Wahrscheinlich haben Sie und Sergeant Ryan-Jones zusammen mit Corporal Zapototznie an der Zusammenarbeit innerhalb der Kompanie gearbeitet.“
Ächzend ließ Germaine sich auf den Stuhl fallen und stellte die Krücke neben sich ab, während die beiden Damen zähneknirschend und auf der Unterlippe kauend nach einer Fluchtmöglichkeit suchten.
Corporals, ich habe einige wichtige Angelegenheiten mit Sergeant Ryan-Jones zu besprechen, da Sie jedoch wahrscheinlich nicht gewillt sind, sich in Ihrem derzeitigen Kleidungszustand zu erheben, möchte ich Sie bitten, die Decke wieder hinauf zu ziehen. Gleichzeitig möchte ich aber anmerken, dass jedwede unanständigen Bewegungsabläufe unter dieser Decke während meines Aufenthaltes in diesem Raum mit schmerzhaften Schlägen meiner Krücke beantwortet werden. Haben wir uns soweit verstanden?“
Langsam nickend reagierten die beiden Damen und zogen wortlos das Federbett wieder über die zerzausten Frisuren, während Jacks Zähneknirschen den Raum erfüllte.
Triumphierend fuhr Danton fort, nachdem er sicher sein konnte, dass seine Anwesenheit die volle Konzentration des ehemaligen Piraten in Anspruch nahm.
„So, Jack, wie ich eben schon ausführte, bin ich wirklich froh, dass Sie meinem Vorschlag als Ausbilder zu fungieren so offen gegenüberstehen. Ich werde dann zusammen mit den betreffenden Kompanieführern einen Lehrplan und Ausbildungszeiten ausarbeiten. Ich denke sechs bis acht Stunden dürften angemessen sein.“
Bei Germaines Worten schien Jack nun jedoch die Fassung zu verlieren.
„Moment, das ist das Doppelte von dem was Sie zuvor gesagt haben.“
„Tja, Jack, das ist wohl immer so im Leben. Manche Sachen bringen im Doppelpack einfach mehr! Mehr Ausbildungserfolge, mehr Überlebenschancen für meine Leute, mehr Zusammenarbeit… und definitiv auch mehr Spaß. Aber das muss Ich Ihnen ja wohl nicht erklären. Natürlich würde mit der zusätzlichen Aufgabe auch eine Beförderung einhergehen. Zumindest innerhalb Ihres Ausbildungsbereiches.“
Säuerlich blickte Jack auf die Bettdecke, bevor er zerknirscht antwortete.
„Okay, Sie haben gewonnen. Ich bringe Ihren Welpen das Laufen und Schießen bei. Aber nur unter Protest. Und Sie unterzeichnen jedes Anforderungsformular das ich für den Marodeur schreibe. Jedes, Colonel, ohne Ausreden oder Hintertürchen. Wenn ich für Sie Nebelparder töten soll, brauche ich erstklassiges Material unter meinem Hintern. Außerdem erhält Robert den Marodeur der Husaren zugeteilt. Ich habe keine Lust das gesamte Feindfeuer einzufangen, während mein Flügelmann in seiner mittelschweren Discokugel ignoriert wird.“
Danton musste nicht darüber nachdenken. Seine Entscheidung stand bereits fest.
„Abgemacht, Sergeant Ryan-Jones. Damit wäre das geklärt. Aber wundern Sie sich nicht, wenn Ihr Flügel dann ganz vorne im Feuer zu finden ist, wenn es los geht.“
„Genau da gehöre ich hin, Colonel Danton. Nirgendwo anders möchte ich stehen.“
Lächelnd erhob sich der Angesprochene und wand sich der Ausgangstüre zu.
„Das habe ich mir gedacht, Jack. Aber lassen Sie sich nicht von Ihrem Durst nach Rache blenden. Glauben Sie mir, das führt nur zu Ihrem eigenen Untergang.“
Der Colonel hatte die Tür bereits geöffnet, als Ihm noch etwas einzufallen schien.
„Corporals, da die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Sergeant Ryan-Jones ja offensichtlich herausragend funktioniert, werden Sie Ihn heute zu meiner Ernennung zum Grafen dieses Planeten begleiten. Helfen Sie Ihm ein wenig, sich in der gehobenen Gesellschaft zurecht zu finden. Ich setze mein vollstes Vertrauen in Sie Beide. Verstanden?“
Erleichtert stellte er fest, dass links und rechts der Decke jeweils eine Frauenhand mit nach oben gerecktem Daumen erschien. Aber auch der entnervte Gesichtsausdruck Jacks entging ihm nicht.
„Gut, weitermachen!“
Damit trat der Colonel durch die Tür und zog diese hinter sich ins Schloss. Kopfschüttelnd stand er einen Moment da, bevor er sich auf den Weg zum Stabsgebäude machte. Es gab noch eine Menge Dinge zu erledigen. Aber seine Laune war nun nicht mehr im Mindesten so düster, wie noch vor seinem Besuch bei Jack.
„Gut das dass Bett zu klein für Vier ist!“
Murmelte er an sich selbst gerichtet, während er langsam auf den Ausgang zuhumpelte.
Thorsten Kerensky
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
15. August 3066, 19:32 Uhr

Jara grunzte wenig damenhaft und pfefferte den Stöckelschuh, den sie eben anziehen wollte, durch ihr Quartier. Was für ein Scheißtag. Dabei hatte er so gut angefangen.
Holler hatte es geschafft, nicht nur pünktlich von seinem Straf-Exerzieren zum Dienst zu erscheinen, sondern seine Lanze auch zu Höchstleistungen beim Frühsport angestachelt. Ein schöner, ein angenehmer Start in den Tag.
Und ab da war es in die Hose gegangen.
Es gab einen Tagesdienstbefehl, der alle Offiziere ab Captain aufwärts verpflichtete, den Colonel auf so einen halben Staatsempfang zu begleiten. Das Tragen von Uniform war genauso untersagt, wie das Erscheinen ohne Begleitung.
Das hatte Jara in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht, denn sie hatte kein passendes Abendkleid besessen und Begleitungen wuchsen auch nicht auf Bäumen. Dawn hatte sich um Susan kümmern wollen und Markus van Roose konnte sie nicht fragen, ohne ihre Freundin vor den Kopf zu stoßen. Sie hätte Holler mitnehmen können und ihm damit zeigen, dass er in ihren Augen rehabilitiert war, aber seine Disziplinarmaßnahmen sorgten dafür, dass er sofort nach Dienstschluss ins Bett fiel.
In ihrer Not hatte sie Frederic gefragt und zu ihrer Überraschung hatte der Exil-Wolf zugesagt. Nun, er würde vermutlich pünktlich in wenigen Minuten an ihre Tür klopfen und sie abholen, während sie noch mit ihrem Outfit kämpfte.
Sie hatte sich für ein schlichtes, aber elegantes Kleid entschieden, dessen Farbe nicht zufällig genau die war, die auch der Chevaliers-Jerry trug. Der dünne Stoff war ideal für die Temperaturen von Wayside und schmiegte sich eng an ihren Körper, wo er zwar keine tiefen Einblicke gewährte, ihre sportliche Figur aber vorteilhaft betonte.
Nach unten hin lief das Kleid in einem weiten Rock aus, der fast bis zum Boden reichte. Dazu hatte sie sich ein Paar lange Handschuhe gegönnt, die farblich zum Stoff des Kleides passten.
Und neue Schuhe.
Jara wünschte sich zurück in ihre Felduniform und wollte statt auf langweilige Gesellschaft lieber zurück in das Besprechungszimmer, in dem sie heute mit Captain O’Bannon von der Panzertruppe und Miko Tsuno die Übung ihrer zweiten Lanze ausgewertet hatte. Ganz ehrlich war sie überrascht gewesen, wie gut und konzentriert Dawn die Assault-Mechs durch die Simulation geführt hatte. Was sie aufgeregt und geärgert hatte war nur die Tatsache, dass Tsuno und O’Bannon eigenmächtig die Übungsparameter verändert hatten.
Wenn sie schon eine ihrer Lanzen abstellte, um eine Übung zu fahren, dann wollte sie wenigstens vorher umfassend informiert sein. Sie hatte das O’Bannon und Tsuno auch erklärt und darum gebeten, für die Zukunft die Kommunikation zu verbessern.
Verbesserungswürdig wäre auch ihre Frisur gewesen. Sie hatte weder Zeit noch Laune gehabt, um aus ihren Haaren etwas Aufwendiges zu bauen, also hatte sie ihre blonde Mähne einfach in leichte Locken gedreht. Im Grunde nicht für einen solchen Anlass geeignet, aber sie wurde fürs Kämpfen bezahlt und nicht als Model.
Blieben noch das Problem mit den Schuhen und mit der monströsen Mega-Party in zwei Tagen. Sie sollte den Tag davor und den Tag danach dienstfrei machen. So war es Befehl. Kurz vor dem bevorstehenden Abflug wurde sie zwei Tage in ihrem Training zurückgeworfen. Das wär ärgerlich, aber ihre Beschwerde bei Copeland war an seinen sehr deutlichen Worten abgeprallt. Bei dem Versuch hatte er sie auch erneut daran erinnert, dass man heute auf ihre Anwesenheit großen Wert legte.
Als es an der Tür klopfte und immer noch keine Antwort auf die Frage gefunden hatte, wie sie in diese vermaledeiten Schuhe passen sollte, fluchte sie lautstark.
Frederic verstand dies als Aufforderung einzutreten. „Captain Jara, ich melde mich zur Begleitung“, begrüßte er sie.
„Kein Captain heute, Frederic.“ Sie drehte sich zu ihm um und war positiv überrascht. Der Claner trug einen Anzug, der ihm unfassbar gut stand und hatte sich mit einer Krawatte in Chevaliers-Blau auch an ihre Abmachung gehalten. Er wirkte nicht nur passend neben ihr, sondern hatte es auch geschafft, trotz seiner unerwarteten Eleganz ihr nicht die Show zu stehlen.
Dafür würden heute sowieso andere zuständig sein, schoss es ihr durch den Kopf und sie dachte an die Minikleider, die Miko bei solchen Anlässen gerne zu tragen pflegte.
„Du bist noch nicht fertig, franeg?“
Jara schüttelte seufzend den Kopf: „Kauf mal mittags Schuhe und lauf den Rest des Tages deine Füße breit. Jetzt passe ich nicht mehr rein.“
Frederic konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Du trägst doch sonst auch zu allem Kampfstiefel.“
„Sehr lustig.“ Sie wühlte weiter in ihrem Kleiderschrank und breitete noch mehr Kleidung auf ihrem Bett aus. „Ich müsste noch irgendwo…“
„Trag doch die Schuhe von der Paradeuniform. Unter dem langen Kleid fällt das doch nicht auf.“
Für einen Moment war Jara überrascht, wie pragmatisch er die Situation anging. Dann überlegte sie einen weiteren, längeren, Moment, ob sie seinen Vorschlag annehmen sollte. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Nein, das geht nicht. Die haben keinen Absatz und dann schleift das Kleid“, erklärte sie, während sie weitersuchte.
Endlich wurde sie fündig. „Ha! Ich wusste, ich habe noch ein Paar Schuhe hier. Na bitte, geht. Die passen sogar!“
Endlich fertig richtete sie sich auf und drehte sich einmal im Kreis, damit Frederic sie begutachten konnte: „Und?“
„Du siehst sehr gut aus. Du solltest so etwas öfter tragen.“
„Ja klar… und die Parder dazu bringen, sich totzulachen.“ Sie deutete auf die Tür. „Wir sind schon spät dran. Los jetzt!“

Wayside V („Wildkatz“)
Parkensen City, Herzogliche Residenz
17. August 3066, 21:48 Uhr

Paradeuniform. Was für ein Segen!
Jara, die von der überfrachtete Zeremonie und der brechend vollen Feier im Anschluss wenig hielt, genoss es, nicht wieder im Abendkleid herumstolzieren zu müssen. Vor zwei Tagen hatte sie sich unwohl gefühlt wie schon lange nicht mehr. Dazu kam, dass ihr die meisten anderen Frauen durch ihr übertriebenes Styling gezeigt hatten, was sie die letzten zwei Jahre vernachlässigt und verpasst hatte.
Jetzt durfte sie eine Hose tragen eine Jacke, die doch immerhin ein wenig Bequemlichkeit bot. In Uniform machte sie einfach eine bessere Figur und fühlte sich wohler. Und es gab diese geile Schirmmütze.
Da war sogar das zum Teil wirklich uninteressante Geplapper, das manche Menschen für Konversation hielten, ertragbar. Sie musste aber einigen Anwesenden zugutehalten, dass sie ganz passable Gesprächspartner waren. So hatte sie sich mit Teuteburg sehr angeregt über die Probleme zwischen ehemaligen Husaren und alteingesessenen Chevaliers unterhalten und dabei nicht nur einiges über die Gruppendynamik in den Mannschaftsdienstgraden erfahren, sondern auch über „Chappis“ Beziehung zu Haruka Yamada.
Danach hatte sie kurz mit Holler gesprochen, der ihr gegenüber spürbar aufgetaut war, seitdem sie das klärende Gespräch geführt hatten. Trotz des dienstfreien Tages hatte er die Kompanie dazu überreden können, gemeinsam zumindest den Sport zu machen und Jara war von seiner Initiative hellauf begeistert gewesen.
Sie hatte dann ein wenig mit Copeland geplaudert, mit Harris, mit den Frauen der Fliegerstaffel und natürlich mit den Mitgliedern ihrer Kompanie, die erfreulicherweise bemüht waren, nicht zu stark auf die alten Einheitsstrukturen zu achten. Vielleicht hatte es geholfen, dass sie sehr eindringlich erklärt hatte, warum sie nichts von Grabenkämpfen innerhalb der eigenen Einheit hielt.
Und was sie mit demjenigen anstellen würde, der das anders sah.
Irgendwann hatte sie dann Brenstein, Mulgrew und Frederic getroffen und sich mit den dreien ausgetauscht, wobei sie hauptsächlich am Wohlergehen ihres ehemaligen Untergeben interessiert war, darüber aber ihren Dank an Frederic für die wiedererwartend angenehme und galante Begleitung auf dem Offiziersball nicht vergessen.
Über diverse Umwege, die regelmäßig auch das Buffet erreichten, war sie nun zu einer seltsam gemischten Gruppe gestoßen. Neben Mustafa Al Hara Abdul Ibn Bey und seiner Frau Esmeralda waren Stabsarzt Fleischer, Captain Alan O’Bannon von der Panzertruppe, sowie Kitty und ihr Co-Pilot anwesend. Corporal Frischknecht war angetrunken und Kittys Blick zufolge hätte sie ihn dafür vor den versammelten Leute zur Sau gemacht. Lediglich das Wissen, dass Danton für heute die Regeln quasi ausgesetzt hatte, hielt sie zurück.
Das hatte zur Folge, dass sie die Anwesenden am Redeschwall des jungen Hubschraubersoldaten erfreuen konnten und sich gegenseitig amüsierte Blicke zuwarfen, immer im Bemühen, ein zu offenes Grinsen zu vermeiden. Jara entging dabei nicht, dass „Frischi“ scheinbar ein wenig in sie verknallt war und sie wusste nicht recht, ob sie nun geschmeichelt oder belustigt sein sollte.
Trotz der Komik der Situation war sie froh, als ein plötzlicher Impuls an ihrem Bein sie ablenkte. Als sie an sich herabschaute, sah sie die kleine Susan, Dawns Tochter, die mit großen Augen zu ihr aufsah.
„Ich hab Tante Jara gefindet!“, strahlte das Mädchen über das ganze Gesicht und, wie das nun einmal so war, steckte die Erwachsenen mit diesem selbstzufriedenen Grinsen an.
Jara bückte sich und hob die Kleine auf ihren Arm: „Ja, fein! Gut hast du das gemacht! Sag ‚Hallo!‘ zu den netten Menschen.“
Susan sah sich völlig ohne Scheu im Kreis der Soldaten um und winkte: „Hallo!“
Jara wartete, bis die Umstehenden ihre natürliche Begeisterung für Kleinkinder ausgelebt hatten und allerlei alberne sprachliche Experimente mit Dawns Tochter abschließen konnten.
„Solltest du nicht längst im Bett sein, Susi?“
„Nein!“, quiekte das Mädchen, offenkundig hellwach und tierisch aufgedreht aufgrund der ungewohnten Situation. „Ich bleib heute wach.“
„Weiß die Mama das?“ Jara sah sich suchend um. Wo war Dawn überhaupt. Das sah ihr gar nicht ähnlich, dass sie Susan so unbeaufsichtigt lies.
Die Kleine, die es sichtlich genoss, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, schüttelte den Kopf und grinste.
„Wollen wir die Mama mal suchen gehen?“
„Nein! Hier bleiben!“ Das Kopfschütteln war jetzt energischer und Jara, die die Zeit mit ihrem Patenkind genoss und damit auch einen guten Vorwand hatte, nicht jedes dumme Gespräch zu führen, gab nach.
„Na gut. Aber dann musst du ganz brav sein, wenn du hierbleiben willst.“
Eifriges Nicken und einige völlig zusammenhanglose Beteuerungen, was sie alles nicht tun würde, waren die Antwort und Jara grinste mit dem Kind um die Wette. Holler, Asmussen, Yamada, Teuteburg und Bramert, die gerade vorbeikamen, tauschten skeptische und amüsierte Blicke aus, als sie die sonst so knallharte Offizierin beim Spiel mit dem Kleinkind sahen.
So ein Mist, dachte sie ironisch, damit war der ganze hart erarbeitete Ruf wieder hin.
Es dauerte allerdings nicht lange, da tauchte Dawn neben ihr auf und musterte sie ungläubig: „Wieso ist Susan denn bei dir?“
„Wieso ist sie nicht bei dir?“, konterte Jara.
Dawns Blick verfinsterte sich. „Markus sollte eigentlich für eine Weile auf sie aufpassen. Der kann was erleben!“
Kopfschüttelnd hielt Jara die Freundin am Arm fest: „Nicht. Es ist doch alles in Ordnung. Kein Grund, hier eine Szene zu machen.“
Während sie erzählte, spielte sie nebenher weiter mit Susan und fand, dass die Kleine so einen Stress zwischen ihren Eltern nicht verdient hatte. „Wenn du eine Weile Ruhe brauchst, kann ich auch noch etwas auf Susan aufpassen. Nicht wahr, Susan?“
„Tante Jara aufpasst!“, pflichtete das Mädchen ihr eifrig bei, ohne so richtig zu verstehen, was um sie herum passierte.
Dawn schüttelte den Kopf: „Ich glaube, du musst jetzt sowieso ins Bettchen, mein Schatz.“
„Nein! Ich bleib heute wach!“
„Du bist jetzt lange genug wach geblieben. Sag ‚Gute Nacht!‘ zu Tante Jara und dann geht’s ins Bett!“
Susan sah Jara mit traurigen Augen an, blieb aber folgsam: „Gute Nacht, Tante Jara!“
„Gute Nacht, Susan!“, verabschiedete die Soldatin ihr Patenkind und gab es dann der wartenden Dawn in die Arme.
Die rothaarige Söldnerin verabschiedete sich knapp von den umstehenden Menschen und beugte sich dann zu Jara. „Kommst du nachher noch vorbei?“, flüsterte sie.
„Ich weiß nicht, wie lange ich noch bleibe“, gab Jara genauso leise zurück. „Copeland hat deutlich gemacht, dass er von den Offizieren erwartet, länger anwesend zu sein. Was auch immer das heißt.“
„Egal. Ich liege eh die ganze Nacht wach.“
„Okay. Ich schau noch kurz vorbei, wenn ich hier fertig bin.“
Dawn nickte dankbar und verabschiedete sich nun auch, mit normaler Lautstärke, von Jara, die reichlich verwirrt und nachdenklich zurückblieb.
Ace Kaiser
Tagesbefehl am 14.08.3066
Betrifft: An alle Chevaliers betreff des 17. 08.3066

Chevaliers! In drei Tagen wird der Kommandeur der Einheit, Colonel Germaine Danton, in den Stand eines draconischen Adligen erhoben. Koshaku Mikado verleiht ihm den Rang und die Rechte eines Hakshakus (lyranisch: Graf). Dazu erhält Colonel Danton in der südlichen Hemisphäre sein eigenes Lehen, das auch allen Chevaliers als Eigentum dienen wird. Die dort entstehende Stadt wird eines Tages Rückzugsgebiet und Ruhestandsort für alle Soldaten, die jemals in unseren Rängen gedient haben.
Für die Feier am morgigen Tage ergeht der Befehl an alle Dienstgrade vom Corporal aufwärts, auf der Feier anlässlich der Ernennung in der herzöglichen Residenz von Koshaku Mamoru Mikado teil zu nehmen. Da in den Mannschaftsdienstgraden großes Interesse daran besteht, an der Feier ebenfalls teil zu nehmen, lotet Colonel Danton dreißig Wildcards durch Verlosung aus, die zur Teilnahme der Feier berechtigen. Die Wildcards dürfen getauscht, aber nicht verkauft werden. Die Einladungen, sowohl für Dienstgrade als auch die Wildcards, gelten ohne Begleitung.
Die Chevaliers haben am morgigen und dem darauf folgenden Tag dienstfrei; Schutz und Sicherung der Kaserne übernimmt die Miliz.
Gezeichnet: Lieutenant Colonel Harrison Copeland im Auftrag von Colonel Germaine Danton


Interludium

Gegen drei Uhr morgens ließ das Fest ein wenig nach. Allerdings nur, weil ein sehr später Kaffee serviert wurde, und die Partygäste dem nun eifrig zusprachen.
Bis zu diesem Punkt konnte die Ernennungszeremonie und die anschließende Festivität zu Ehren von Germaine Danton nur als voller Erfolg gewertet werden. Testosteronbelastetes Verhalten ebenso wie vorzeitige Desertation seiner Leute hielt sich in Grenzen, aber dem Colonel war zu Ohren gekommen, dass einige der Räume, die frei waren... Nun, benutzt werden, um zu tun, was man in freien Räumen eben tun konnte. Danton bewunderte die Dienerschaft des Anwesens einerseits für ihre Logistik, und andererseits für ihre stoische Verschwiegenheit.
Mit dem Kaffee in der Hand - stark mit heißer Milch verdünnt - suchte er einen seiner Offiziere aus. Seinen derzeit wichtigsten Offizier. "Harry."
Copeland zuckte leicht zusammen, als er die Stimme seines neuen Boss hinter sich hörte. "Mylord?"
Germaine rollte dieses Wort, diese Antwort in seinen Gedanken. Hatte einen guten Klang, einen guten Beigeschmack. Aber so richtig war der Grafentitel noch nicht in seinem Verstand angekommen. Er musterte Copycat, der gerade bei einer Unterhaltung mit einigen Husaren gestört wurde, die der Miliz zugeteilt worden waren. "Haben Sie Zeit für mich, Harry?"
Der Lieutenant Colonel lächelte verlegen. "Natürlich, Sir. Was kann ich für Sie tun?"
"Schnappen Sie sich ein Getränk Ihrer Wahl, und folgen Sie mir."
"Ja, Mylord." Er entschuldigte sich bei seinen Gesprächspartnern, ging zur Bar und folgte Danton mit einem Wodka in der Hand.
Der Herr der Chevaliers ging voraus, zur Zeit benutzte er den Stock eher als Notfallplan, nicht unbedingt aus der Notwendigkeit heraus. Sein Ziel war einer der Räume. Der freien Räume. In seinem Fall der kleine Salon, der ihm schon den ganzen Abend als Umkleidezimmer gedient hatte.
Als er die Tür öffnete, schreckte auf dem Sofa ein Pärchen auf. Das Stadium der Entkleidung war peinlich weit fortgeschritten, und Danton seufzte resignierend. Die Uniformen wiesen auf seine Chevaliers hin, also drehte er sich zur Seite, bevor er mehr als die First Lieutenant-Abzeichen des Mannes erkennen konnte. "Raus", sagte er höflich, aber bestimmt, "und ich habe nichts gesehen."
Das Pärchen raffte die bereits am Boden liegenden Uniformjacken auf, und huschte, Entschuldigungen murmelnd, an Danton und Copeland vorbei zur Tür hinaus.
Germaine seufzte laut und lange. Dann schritt er zum Sofa, um festzustellen, ob es noch benutzbar war oder eine leichte Reinigung brauchte. Da die Inspektion sein Gefallen fand, ließ er sich nieder, stellte den Kaffee auf dem Beistelltisch ab und legte beide Hände auf den Knauf seines Gehstocks. "Setzen Sie sich, Harry."

Lieutenant Colonel Copeland nahm ihm gegenüber Platz. Er setzte sich leger, weit zurück gelehnt in seinen bequemen Sessel, beide Arme über die Lehnen gelegt. Dabei ließ er das Glas in der Rechten kreisen, sodass die Eiswürfel gegeneinander schlugen. Er wartete ab. Danton hatte dafür Verständnis.
"Ich muss Sie loben, Harry. Und ich hätte es schon längst getan, wenn ich auch nur einen Augenblick Zeit dafür gefunden hätte. Sie haben die Sache in der Bar mustergültig gelöst."
"Dank Ihrer Anweisungen. Die Idee, für Sie den Grundstein zu legen, ehemalige Husaren und Chevaliers zur Zusammenarbeit zu zwingen, war genial, Sir."
"Sagen Sie Germaine, wenn wir alleine sind, Harry. Sie sind nur eine Rangstufe unter mir, und Sie erben die Chevaliers, wenn ich ausfalle oder sterbe."
"Darum geht es, nicht, Sir?" Copeland beugte sich vor und legte die Ellenbögen auf die Knie. "Wir hatten noch keine Zeit, miteinander zu reden, seit Aaron unsere Husaren verraten und verkauft hat. Und seit der Herzog beschlossen hat, dass ihm ein Regiment Husaren auf seiner eigenen Welt zu unsicher ist, und deshalb den Großteil zu den Chevaliers abschob."
Danton schwieg zu diesen Worten. Sie zu verneinen brachte nichts.
Copeland sah auf. "Wenn Sie mich fragen, wo meine Loyalitäten liegen, dann antworte ich normalerweise: Bei dem, der mich bezahlt. Im Moment bezahlen Sie mich, weil Aaron meinen Kontrakt verkauft hat. Sie und Herzog Mikado."
"Erzählen Sie mir ein wenig über die Husaren. Die ursprüngliche Gruppe, ohne Rangers und dergleichen. Ich will nicht wissen, wer Sie angeheuert hat, ich will nicht wissen, was Sie hier draußen gemacht haben. Aber ich will wissen, wer Sie sind, Harry, Sie und Ihre Husaren."
Copeland nahm einen Schluck aus seinem Glas. Genauer gesagt leerte er es auf einen Zug. Ein Diener trat ein und brachte einen neuem Wodka. Germaine zuckte dabei leicht zusammen, denn er hatte nicht mitbekommen, dass Harrison Copeland einen Nachschlag bestellt hatte.
"Die Husaren waren die größte Einheit, vor der Vereinigung. Deshalb haben auch die anderen drei Einheiten ihre Namen abgelegt, zumindest für die Dauer der Mission. Wir waren etwa anderthalb Bataillone stark, fast dreißig Mechs, dazu drei Kompanien Panzer. Was wir nicht hatten war Infanterie und Luft/Raum-Jäger. Na, Schwamm drüber." Er nippte am neuen Glas.
"Sie wollten etwas über die alten Husaren wissen, Sir. Wie gesagt, wir waren recht groß. Etwas kleiner als die Chevaliers, aber doch recht groß. Die Kerntruppe wurde 3055 auf Outreach gegründet, aus Veteranen der Clankriege. Ursprünglich eine Truppe, die auf eigene Faust Clans angreifen wollte, um volles Bergerecht zu haben. Eine Idee, die wir ungefähr ein Jahr und etwa neun Gefechte gegen die Stahlvipern verfolgten. Doch dann wurden wir zu groß für Überfallaktionen, zu groß, um uns durch den Verkauf der erbeuteten Clantech zu finanzieren. Wir mussten eine reguläre Truppe werden, eine mit Auftraggeber. So wurden Imaras Husaren geboren, und unser erster offizieller Auftraggeber schickte uns 3056 gegen die Geisterbären, und später gegen Clan Nebelparder. Das war lange nicht so einträglich, weil wir ComStar einen Großteil unserer Beute abtreten mussten, aber immerhin fanden eine Menge Leute ihr Auskommen.
Es folgte ein zweiter Kontrakt bei den Lyranern gegen Clan Wolf, ein dritter von Rasalhaag wieder gegen die Geisterbären, und bevor wir uns versahen, hatten wir anderthalb Bataillone in unseren Reihen und vier Clans verärgert. Dann kam der aktuelle Auftrag, und wir wurden für ein halbes Jahr zum Training mit drei anderen Einheiten zusammen geschmissen. Die Desperated Angels mit ihren Luft/Raumjägern, die Starlight Rangers mit ihrem Infanteriekontingent, und die restlichen Panzer und Mechs mit den Surfturfrockers. Nein, der Name ist kein Witz. Und ja, so habe ich auch geguckt, als ich ihn das erste Mal gehört habe. Den Rest kennen Sie, Sir."
Germaine wirkte nachdenklich. "Erzählen Sie mir von sich, Harry."
Der Lieutenant Colonel seufzte leise. "Ich stieß als junger Sanglamore-Absolvent direkt zu den Husaren. Aaron ist mein Onkel, wissen Sie, und damals war die Einheit gerade unter lyranischem Kontrakt, so das ich ihr zugeteilt werden konnte. Später hat er meinen Kontrakt übernommen, und ich wurde regulärer Bestandteil der Husaren. Ich habe als Second Lieutenant angefangen, und es schließlich bei der Vereinigung zum Bataillonsführer gebracht, weil einer gebraucht wurde. Tja, und jetzt bin ich hier." Er nippte an seinem Glas. "Nicht gut genug?"
"Harry, ich wollte etwas über Sie wissen."
Der Jüngere zuckte die Achseln. "Achtundzwanzig, seit zehn Jahren Söldner, spezialisiert auf überschwere Maschinen. Widder, mit Aszendent Skorpion, Vorliebe für heiße und kalte Nudelgerichte, Lieblingsfarbe grün. Nichtraucher, Gelegenheitstrinker und ausgewiesener Zivilversager. Nur als Soldat zu gebrauchen. Und wie man sieht, recht erfolgreich. Vorher war ich Bataillonskommandeur unter mehreren Colonels verschiedener Waffengattungen. Nun aber bin ich selbst Lieutenant Colonel und stellvertretender Regimentschef. Irgendwas muss ich richtig gemacht haben in meinem Leben."
Danton nickte stumm. "Haben Sie Ressentiments gegen die Chevaliers? Gerade, wo Ihr Onkel so schnell eingeknickt ist?"
Copeland lachte leise. "Welcher Söldner hat Ressentiments gegen doppelten Sold? Nein, das geht schon in Ordnung. Aber ich muss zugeben, mich hält der Gedanke aufrecht, dass die Zuteilung zu den Chevaliers nur temporär ist. Meine Heimat sind die Husaren, Sir, und das gilt auch für viele andere ehemalige Husaren. Aber nein, ich hasse die Chevaliers nicht. Ich bin Krieger, und normale Menschen würden viele meiner Ansichten für verrückt halten. Ich könnte es nicht mal verdenken, denn sie haben von ihrem Standpunkt aus Recht. Ich denke... Ich denke, das die Chevaliers ein anständiger Haufen sind. Und ich glaube daran, dass Sie gut sortiert haben, als Sie Ihre Leute eingestellt haben. So wie Aaron gut sortiert hat, als er seine eingestellt hat. Wir passen gut zusammen, und wir werden den Job gut zusammen durch ziehen. Und meine Husaren werden damit zu dem Sieg kommen, den sie hier auf Wayside nicht bekommen haben." Er verstummte, blickte in sein Glas. "Ich weiß, wir hätten siegen können, wenn Weilder nicht so ausgesprochen blöde gewesen wäre, sich stellen zu lassen. Die Herkunft unserer Verbindungsleute musste unbedingt geschützt werden. Das war der oberste Punkt im Kontrakt. Aaron blieb gar keine andere Wahl, als die Kämpfe zu beenden, um dieses Geheimnis zu schützen. Aber ich bin ein verdammter Mechfreak, und mich reizt es zum Teufel nochmal, wie die Schlacht wohl ausgegangen wäre, wenn wir sie durchgezogen hätten."
Germaine grinste. "Sie hätten verloren. Wenn auch nur knapp."
"Was? Wir waren überlegen!"
"Ich habe es durchgespielt, so vier- bis fünfmal. Hinterher hatte ich kein Bataillon mehr, und die Miliz und Eagles existierten nur noch dem Namen nach, aber Ihre Husaren gab es definitiv nicht mehr."
"Eine irrige Annahme. Womit begründen Sie die, Sir?", fragte Copeland amüsiert.
"Lufthoheit, Harry. Kurz vor dem Raumhafen hätten sich Ihre Panzer und Mechs wieder für längere Zeit massiert. Meine Jäger hätten euch alle klein gebombt. Und das, bevor Ihr merkt, wie euch geschieht", erwiderte Danton, nun selbst breit grinsend.
"Ich werde die Sims mal gegenchecken", erwiderte Copeland grimmig. Er leerte sein Glas. "Und, sind Sie zufrieden, Germaine? Sie sind jetzt mein Dienstherr, und ich bin loyal. Das fällt mir umso leichter weil ich weiß, dass Sie Ihre Leute nicht im Stich lassen. Ich brauche keine Sorgen darum haben, dass Sie die Husaren verheizen."
"Das war der Sinn der Sache, als wir beide Einheiten vermengt haben, Harry."
"Das sehe ich jetzt auch so", erwiderte Copeland.
"Woher kommt Ihr Callsign? Copycat ist schon etwas ungewöhnlich."
"Eine meiner schlimmsten Eigenschaften. Wenn ich jemand ein riskantes Manöver ausführen sehe, sei es im Kampf, im Sprung oder sonst irgendwo, übe ich so lange, bis ich es perfekt beherrsche. Ich kopiere das Vorbild bis zur Perfektion. Deshalb Copycat."
Germaine lächelte dünn. "Wenn wir schon dabei sind: Was halten Sie von Ihren Captains?"
"Wir sind tatsächlich schon bei dem Thema?", fragte Copeland mit gespieltem Staunen. "Sparrow ist jung, durstig, tatkräftig, aber ohne Halsschmerzen. Nicht Ordens- oder Erfolgsgeil. Sie haben diesen Diamanten gut geschliffen und gut auf Erfolg und Fürsorge für die Untergebenen trainiert. Ein definitives Plus.
Prince ist ein fähiger Offizier und Ausbilder, aber eher gehetzt, sorgenvoll. Er schleift Dutzende Gewichte an seinen Beinen hinter sich her. Wenn er sich davon befreien könnte, wäre er als Offizier das Doppelte wert.
Pilum... Was soll ich sagen? Der Mann war Ihr Master Sergeant? Was für eine Verschwendung."
"Wen also wünschen Sie sich zum Stellvertreter? Wen soll ich zum Major befördern?"
Copeland rieb sich nachdenklich das Kinn, bevor er sein Glas leerte. "Jeder der drei hat seine Stärken und Schwächen. Sie tarieren einander aus. Wäre Prince voll bei der Sache, wäre er ein heißer Anwärter. Auf der anderen Seite können wir nicht einmal ahnen, wie weit es Sparrow noch schaffen wird. Und Pilums Routine spricht für ihn. Ich sehe sie alle nahe beieinander, aber...
Sir, ich empfehle Ihnen, Captain Decius Metellus zum Major zu befördern. Danach setze ich Captain Brenstein an, anschließend Captain Fokker."
"Jara als Letzte?"
"Sie ist jung und hat noch viel Zeit. Das Vorbild der beiden wird sie lehren und leiten. Und wir wissen beide, dass in unserem Beruf der Aufstieg oft genug schnell, hart und brutal kommt. Geben Sie ihr Zeit, sich im neuen Rang zurecht zu finden. Im Gegensatz zu Pilum und Prince war sie noch nie in dieser Situation."
"Ich stimme Ihrer Einschätzung zu, Harry. Gut, machen wir es so. Und bevor Sie fragen, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen. Ich wünschte, ich könnte Sie behalten."
Copeland erhob sich. "Machen Sie mir nicht so ein Angebot, Germaine. Wenn es das gewesen ist, gehe ich jetzt wieder rüber, Mylord."
"Copycat", hielt Germaine den anderen noch einmal zurück.
"Mylord?"
"Gute Falle am Wasserloch."
"Danke, Sir." Er nickte grinsend in Dantons Richtung und verließ den Salon.
Germaine aber war sich ziemlich sicher, einen teuflisch guten Fang gemacht zu haben.
Absagen sind an Colonel Danton zu richten, und dies persönlich.



1.
Der siebzehnte August begann überraschend gut für Germaine Danton. Er erwachte mit steifen Fingern an beiden Händen, aber einem Minimum an Schmerzen. Außerdem erwachte er neben seiner Freundin. Endlich mal wieder. Das, was der Dienstplan sonst nahezu nie zuließ, erwirkte der freie Tag für die gesamte Einheit. Das ließ hoffen, dass sie auch die Nacht zu morgen in einem gemeinsamen Bett verbringen würden. Allerdings war es ein klein wenig Verschwendung, solange Doktor Fleischer ihm horizontale Körperertüchtigung strikt untersagte.
"Ohayo, Onee-chan", sagte Miko und lächelte ihn an.
"Bist du schon länger wach?", fragte Germaine und richtete sich auf. Keine Schmerzen. Jedenfalls nichts, was er nicht mit einem Nebengedanken beiseite schieben konnte.
"Etwa eine halbe Stunde." Ihr Lächeln wurde verschmitzt. "Weißt du, das du süß aussiehst, wenn du schläfst?"
"Miko, bitte. Du kannst einem knallharten Mann und Offizier doch nicht sagen, dass er im Schlaf süß aussieht. Das ist schlecht für mein Ego."
"Aber du hast so niedlich gesabbert. Das war so süß, dass ich dich an meinen Busen gedrückt habe. Und da hat sich dein kleiner Freund zu Wort gemeldet. Das war auch so süß. Er kennt mich noch."
Germaine blinzelte überrascht. "Und ich dachte, ich hätte das geträumt." Er schwang die Beine aus dem Bett, und als er das verletzte rechte Bein belastete, zuckte der erste, gut vertraute Schmerz durch seinen Körper. "Autsch."
Miko kletterte aus dem Bett und kam zu ihm herum. Sie trug nur vollkommen unmilitärische Seidenunterwäsche, was dazu führte, dass sich besagter kleiner Freund erneut zu Wort meldete.
Manchmal fragte sich Germaine, ob doch etwas in seinem Leben richtig lief. Deutlich jüngere Freundin, eigenes Regiment, draconischer Adelstitel... Das ließ die Entrechtung, die Verletzungen an Hand und Knie sowie die auch noch nicht so richtig verheilte Armfraktur doch in einem völlig anderen Licht erscheinen. "Soll ich dir aufhelfen?", bot Miko an und reichte ihm beide Hände.
Germaine seufzte und ergriff ihre weichen, zarten Händchen, die aber erstaunlich fest zupacken konnten. Er kam in die Höhe und spielte kurz mit dem Gedanken, zu straucheln, sich fallen zu lassen, und sie mitzuziehen. Sein kleiner Freund war definitiv dafür. Aber es bestand die Gefahr, dass es seine Wunden um zwei Wochen zurückwarf, und das konnte er sich kurz vor der Mission nicht leisten. Also kam er auf die Beine, schwankte kurz und stand dann sicher vor ihr. Sanft gab er ihr einen Kuss nur auf die Lippen. "Arigato, watashi no Tenshi-sama."
"Hai, do itashimashite, Onee-chan."
"Ich würde mir echt wünschen, dass du aufhörst, mich große Schwester zu nennen, Miko", tadelte Germaine.
"Keine Chance. Das ist unser Spiel, und ich bestehe darauf." Sie sahen sich in die Augen, die Gesichter so nahe, dass sie einander' Atem schmecken konnten. Ein atemberaubendes Aphrodisiakum.
Miko brach den Blickkontakt ab. "Zähne putzen."
"Zähne putzen", pflichtete Germaine ihr zu. Er warf einen Blick auf die Uhr. Chan würde frühestens in einer halben Stunde kommen. Die arme Sau war der einzige Chevalier, der heute arbeiten musste.

Besagte halbe Stunde später, Miko trug über dem Hauch von Nichts einen weißen Yukata, klopfte es an der Tür, und der MedTech trat ein. "Guten Morgen, Sir. Ma'am."
"Guten Morgen, Mike. Beeilen wir uns, damit Sie noch Freizeit vor der Zeremonie haben."
Tadelnd schüttelte Chan den Kopf. "Bis zum Abend ist mehr als genügend Zeit. Wir brauchen jetzt nicht zu hetzen, Sir. Ich erledige meine Arbeit lieber gründlich."
Er öffnete seine Tasche und reichte Miko die neuen Verbände. "Bevor Sie meckern, dass Sie nichts zu tun haben, Sarge."
Miko schien einen Moment überrascht, dann überrumpelt. "Danke, Mike."
Der MedTech begann die übliche Prozedur, öffnete den Knieverband und entfernte die Tamponage. "Nur Wundwasser, Sir. Kein Eiter mehr. Ich schätze, auf die Tamponage können wir in Zukunft verzichten. Der Knochen wächst sich schon zurecht, und die Kapsel ist fast geschlossen. Morgen oder übermorgen vernähen wir die Haut, und das Thema Knie braucht nur noch Zeit." Tatsächlich setzte er keine neue Tamponage, und überließ es Miko, den neuen Verband anzulegen.
Währenddessen machte er sich über die Hand her. "Hm, das gefällt mir nicht so gut. Hier brauchen wir die Tamponage noch. Vor vier Wochen wird das nichts mit vernähen, Sir."
"Ich habe schon schlimmere Sachen ausgehalten und mehr ertragen", erwiderte Danton. "Jeder Auftrag eine Verletzung, scheint mir."
"Wahrscheinlich haben Sie deshalb so gutes Heilfleisch", erwiderte Chan, während er die Hand versorgte. "Ich habe Verbände mit Jerry drauf machen lassen, Sir. Wollen Sie so einen Verband?"
"Sie haben was?", fragte Danton entgeistert.
"Extra für heute. Man wird Ihre linke Hand sehen, weil sie in keinen Handschuh passt. Also habe ich Verbände mit unserer Cartoon-Maus machen lassen." Stolz hielt er eine Mullbinde hoch, auf der tatsächlich Jerry prangte. Zumindest ein Teil im eingerollten Zustand.
Germaine wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Schließlich lachte er doch. "Gut, wir nehmen den Chevaliers-Verband."
"Und mit wir meint er mich", sagte Miko schnippisch und nahm Chan die Rolle ab.
"Seien Sie mein Gast, Sarge", erwiderte Chan grinsend. Er kontrollierte kurz den Knieverband, beaufsichtigte Mikos Handverband, und nickte schließlich zustimmend. "Das heißt aber nicht, dass Sie um den Auffrischungslehrgang Erste Hilfe am Sonntag herum kommen, Ma'am", mahnte er.
"Ja, ja, ich habe Sie gehört, Mike. Ich werde Sie schon nicht versetzen."
"Gut zu hören. Unser Kommandeur besteht nämlich darauf, das seine Offiziere Vorbilder in allen Belangen sind, auch in Erster Hilfe. Ihr Termin, Colonel, wäre dann Dienstag."
Germaine betrachtete seine bandagierte linke Hand. Sowohl auf Handinnenfläche als auch außen prangte Jerry in ganzer Pracht. Hatte Chan den Druck an der Größe seiner Hand vornehmen lassen? Zuzutrauen war es dem Perfektionisten. "Keine Sorge, ich bin da, Mike."
Der MedTech nickte zufrieden. "Wenn es das gewesen ist, ziehe ich mich jetzt zurück. Leon hat geheult wie ein Schlosshund, als ihn die Panzerfahrer gebeten haben, zur Feier des Tages Steaks zum Frühstück zu grillen, aber ich gehe mir jetzt meines holen." Er nickte den beiden zu. "Colonel. Sergeant."
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, musste Germaine lachen. "Oh Gott, der arme Leon. Steaks zum Frühstück, das muss für ihn die Hölle sein. Er hat ja schon mit meinem deutschen Frühstück oder dem amerikanischen Ham and Eggs so seine Schwierigkeiten. Aber so richtig amerikanisch Steaks auf dem Frühstücksteller zu haben, muss ihn entsetzen. Für ihn reicht eine Schale Milchkaffee und zwei Croissants."
"Ich verstehe nicht, was du meinst. Wenn ich draconisch frühstücken will, kocht er mir flugs Reis, Miso-Suppe und Gemüsebeilage. Und wenn er Fisch hat, brät er mir einen dazu. Damit hat er absolut keine Probleme."
Germaine grinste seine Freundin an. "An dir hat er ja auch einen Narren gefressen. Er würde einen Wal von Terra importieren und hier frisch schlachten, nur um dir einen Gefallen zu tun."
"Wal? Ach so, du meinst diese terranischen Meeressäuger. Ich habe schon von ihnen gehört. Aber Dinosaurierfleisch schmeckt eh besser." Sie blinzelte. "Muss ich mir da Sorgen machen, Germaine? Ich meine, Leon ist ein netter Kerl, aber..."
"Du meinst, weil er sich Hals über Kopf in dich verliebt hat?" Germaine lachte leise. "Hast du es nach sechs Jahren immer noch nicht gemerkt? Leon hat nicht wirklich Interesse an Frauen. Nicht in dem Sinne. Er sieht alle Frauen als kleine Mädchen an, und damit als seine kleinen Schwestern. So gesehen darf er ruhig einen Narren an ihnen allen fressen, inklusive dir."
"Er ist schwul?"
"So sehr, dass die Lyraner es bei ihm ernten und verkaufen könnten", bestätigte Germaine.
"Aber man merkt davon doch nichts! Ich meine, er..."
"Es ist seine sexuelle Vorliebe, nicht seine Lebenseinstellung. Nicht alle Schwulen machen durch ihr Verhalten auf ihre sexuelle Einstellung aufmerksam. Leon findet das affig. Du kannst dir also denken, das er eher der dominante Typ in einer Partnerschaft ist."
"Ich kann mir gerade gar nichts vorstellen", sagte sie vorsichtig. "Und ich versuche gerade, diese ganzen Bilder wieder los zu werden, die in meinem Kopf herum spuken."
"Nanu, bist du etwa homophob?", bemerkte Germaine amüsiert.
"Rede nicht! In der draconischen Gesellschaft gibt es ein tiefgreifendes Verständnis für Homosexualität. Gerade unter Kriegern. Ich komme nur nicht mit dem Gedanken klar, dass du gerade einen Teil meines Weltbildes umgeschmissen hast." Sie seufzte lautstark. "Dann haben wir ja schon zwei Männer mit kleiner Schwester-Komplex in der Einheit."
"So? Wer ist der zweite?"
"Du, mein lieber Germaine. Du, und deine unerklärliche Vorliebe für Jara und Dawn."
"Ich bevorzuge sie nicht", mahnte Danton.
"Das sage ich ja auch nicht. Trotzdem würdest du die zwei am liebsten adoptieren. Leugne nicht, ich kenne dich."
"Der Gedanke hat etwas", murmelte Danton. "Ich meine, in ein paar Stunden bin ich ein Graf. Dann kann ich ihnen einen Titel bieten. Natürlich erst, nachdem wir geheiratet haben."
"Oh. War das ein Antrag, Germaine Danton?"
"Ich bin nicht sicher. Nicht sicher genug, dass du mir wirklich erhalten bleibst, meine kleine Kurita-Blume. Ihr Kombinatler habt so komplexe Ehrverständnisse, und ob ein kleiner Graf auf dem Dreckklumpen Wayside V eine angemessene Partie für eine Frau aus dem Haus Kurita ist, wird vielleicht kontroverser gesehen, als ich es jetzt glaube."
"Wir hätten vielleicht beim kleine Schwester-Komplex bleiben sollen", murmelte Miko. "Na toll. Jetzt kriege ich DIE Bilder nicht mehr aus meinem Kopf."
***
"Guten Morgen, Sir." Sergeant Jensen trat ein, von Kopf bis Fuß in seine Ausgehuniform gehüllt, die neuen Abzeichen auf Hochglanz poliert, und die blonden Haare derart mit Spray und Wichse bearbeitet, dass nicht einmal ein PPK-Direkttreffer seine perfekte Frisur durcheinander bringen würde.
"Jan, Sie haben frei", sagte Danton. Er kam gerade aus der Dusche, und trug nicht mehr als ein Handtuch. "Miko hilft mir heute beim anziehen."
"Sie wollen mir wirklich den Spaß verderben, meinen kommandierenden Offizier für seine Ernennung zum Hakshaku vorzubereiten?"
Danton seufzte. "Was haben Sie in den Kleiderbeuteln, Jan?"
Freudig, die Antwort als Zusage interpretierend, trat Jensen ein und legte die langen Beutel an Bügeln auf das Bett. "Zwei weitere Gala-Uniformen, Sir. Der Sekretär des Herzogs hat mich in den kompletten Ablauf eingeweiht. Wir haben ein Zimmer neben dem Theater, in dem wir Sie umziehen können, sobald Sie durchgeschwitzt sind, Sir. Wir kriegen heute dreißig Grad." Er deutete auf einen kürzeren Beutel. "Außerdem habe ich vier Hemden zum wechseln."
"Sie sind gut organisiert", gab Danton zu.
"Captain Harris ist eine strenge, exakte Lehrmeisterin", erwiderte er. Bedächtig packte er die erste Uniform aus. "Wollen wir auf Sergeant Major Tsuno warten?"
"Wäre vielleicht besser." Danton lächelte. Vielleicht wurde der Tag tatsächlich mehr Freude als Belastung. Zumindest in einigen Aspekten.

2.
Der Tag verflog, und war angefüllt mit Fototerminen, internen Besprechungen und sogar einer Gruppe seiner Offiziere, die für das Land am Southern Sea Planungsvorschläge sowohl für die Bebauung als auch die Nutzung machten. Alle, die bei ihm vorstellig wurden und eigentlich frei hatten, seien es altgediente Chevaliers oder ehemalige Husaren, waren Feuer und Flamme. Immerhin würde dieses Land auch ihnen als Rückzugsgebiet dienen, wenn sie es denn wollten. Vielleicht war das alles eine sehr gute Idee gewesen.
Gegen zwei fuhr Danton mit seiner Freundin und einigen seiner Offiziere direkt zur Residenz, um allerletzte Details vor der Eröffnung um fünf zu klären. Über ihren Köpfen flogen ein halbes Dutzend Luft/Raum-Jäger der Miliz dahin und versuchten sich an Formationsflug und einigen teilweise spektakulären Figuren. Man konnte wohl einiges erwarten von diesem Tag. Im Hintergrund, auf dem Jaffray-Raumhafen, starteten und landeten die Schiffe im Großbetrieb.
Als sie nach Parkensen City einfuhren, erkannte Germaine verblüfft, dass die Straßen bunt geschmückt waren. Nichts Aufregendes, es waren nur etliche Fahnen ausgehängt, bunte Bänder an Laternen und Gerüste geknüpft worden, und überall dort zu finden, wo man sie hatte befestigen können. Rot-weiß für die Angry Eagles und ihren Herzog, blau-weiß für die Chevaliers. Einige der Fahnen zeigten demnach nicht nur das draconische Drachen-Mon oder den verärgerten Adler der persönlichen Einheit des Herzogs, sondern das Wappen mit Jerry im blauen Waffenrock.
Alle Geschäfte waren bunt geschmückt worden, Restaurants und Bars hatten Außenbestuhlung aufgestellt. Überall sah man die Zeichen der Chevaliers und der Eagles zwischen dem Kurita-Mon. Selbst die allgegenwärtigen draconischen Polizisten trugen Armbänder mit dem Angry Eagle auf dem linken Oberarm. Eine gigantische Menge bevölkerte die Straßen und Bürgersteige. Es schien ganz so, als würde hier heute eine riesengroße Party steigen. Germaine konnte sich schon denken, wer sie ausgerufen und organisiert hatte.
Je näher sie der Residenz kamen, desto dichter wurden die Menschenmengen. Irritiert registrierte Germaine, das man sich die Mühe gemacht hatte, nicht nur Fahnen mit Jerry zu drucken, sondern auch kleine Fähnchen zum Schwenken. Kurz vor der Residenz empfing sie dann dementsprechend auch ein blauweißen Fähnchenmeer, das von der Menge geschwenkt wurde. Entweder waren diese Menschen verdammt gut bestochen worden, um so viel Fröhlichkeit zu spielen, oder sie waren wirklich und aufrichtig dankbar dafür, dass die Invasion es nicht bis in ihre Stadt geschafft hatte. Oder sie freuten sich auf die Party. Spontan schloss Germaine Möglichkeit eins aus. Ein Mann wie Mikado brauchte für Sympathie nicht zu bezahlen.
Unter dem Jubel der Massen - ehrlich hatte Wayside V wirklich so viele Bewohner? - fuhren sie auf den Innenhof der Residenz. Dort wurden sie bereits von Oberst Imara und Major Klein erwartet. Germaine winkte eher aus einer Laune heraus, als er den Wagen verließ, aber es steigerte die Lärmkulisse noch einmal erheblich. Beinahe erwartete er spontane Sprechchöre, die "Danton, Danton" skandierten. Auch seine Offiziere, die nun nacheinander den Wagen verließen, wurden entsprechend begrüßt.
Klein grinste schief. "Wir sind hier ein wenig undraconisch auf Wayside. Und dann doch wieder draconischer als auf Luthien." Er deutete an Danton vorbei auf ein achtstöckiges Hochhaus. Dort hing eine große Videowand mit Blick auf den Platz vor der Residenz. Danton erschrak innerlich, als er sah, dass die Videoleinwand... IHN zeigte, wie er zur Videowand hoch sah. Ein Untertitel informierte die Menschen darüber, wer zu sehen war. Eine Off-Sprecherin verkündete nebenbei die Feier des Jahres, die nur auf ihrem Sender live und vollständig übertragen werden würde.
"Auf dem Vorplatz wird heute einiges geboten", nahm Imara den Faden auf, während er aus einem Reflex heraus versuchte, möglichst nicht in den Fokus der Kameras zu geraten. "Kabuki-Theater, ein Konzert mit klassischer Musik, und eines mit moderner Rockmusik. Dazu schenken fast alle Lokale in der Stadt freie oder ermäßigte Getränke aus. Ace zeigt sich sehr großzügig. Vielleicht hofft er mit diesen Bildern den alten Cunningham zu überreden, doch noch sein Graf zu werden." Imara grinste verschmitzt. "Könnte sogar klappen, wenn Wayside nicht wirklich am Arsch des Universums wäre. Allerdings am modernsten Arsch abseits von Atreus", fügte er mit Anerkennung hinzu.
"Bitte hier entlang", sagte Klein zu den Offizieren. "Colonel Danton und Colonel Imara müssen kurz an einer Besprechung mit dem Koshaku teil nehmen. Ihr dürft schon ans kalte Buffet." Lächelnd führte er sie in die Residenz.
Danton winkte ein letztes Mal in die Menge, dann folgte er Imara. Im Empfangsbereich wartete Elden Parkensen bereits auf sie. Er schloss sich nach einer mehr als knappen Begrüßung an. "Ich habe von dem Streich gehört, den Ihr Sergeant Ryan vollbracht hat. Denken Sie, es gibt noch mehr Mechs da draußen, deren Restauration sich lohnen wird?"
"Ach, Sie meinen die Geschichte mit dem Marodeur, Elden?" Danton dachte nach. "Eine intensive Erkundung kann überhaupt nichts schaden. Immerhin sind die Nachschubwege lang hier draußen, und wir haben dreihundert Jahre in der Inneren Sphäre mit weit schlechterem und älterem Material gearbeitet."
Parkensen seufzte ergeben. "Also gut. Harry, Sie kriegen die Mittel für eine professionelle Erfassung und Wertbeurteilung der Mech-Friedhöfe."
Klein ballte triumphierend die Rechte zur Faust. "Ja!" Er sah zu Danton herüber. "Ich nehme an, Sergeant Ryan-Jones wird heute auch da sein. Ich möchte ihm angemessen danken. Bisher war die Verwaltung nicht dazu zu erweichen, Mittel für die Erkundung zur Verfügung zu stellen. Und ein paar AsTechs, die nach funktionsfähigen Waffen und Wärmetauschern suchen, sind nur ein Haufen Glücksspieler."
"Oh, er wird da sein. Aber ich fürchte, er wird sich so schnell er kann wieder absetzen. Entweder das, oder er wird sich hoffnungslos betrinken. Oder beides."
"Ich werde mich ran halten", versprach Klein. Er klopfte am Vorzimmer des Herzogs, und wurde direkt in das Büro durch gewunken.

Mikado erwartete sie bereits, in die Ausgehuniform der Angry Eagles gekleidet. Eine breite, goldene Plakette lag schwer auf seiner Brust. In einer Art Kummerbund hatte er sein Katana verstaut. Im Raum erwarteten ihn außerdem drei junge Männer und ein Älterer, dessen Haut wirkte als wäre sie aus Pergament. Er saß eine Reihe vor den jungen Leuten, was seinen Rang unterstrich. Sie verbeugten sich höflich vor den Eintretenden, und die drei erwiderten die Ehrbezeugung. "Yakuza", konnte man Parkensen tonlos wispern hören.
Yakuza, das wusste Germaine, war der Name für die draconische Schattengesellschaft. Seit der massiven Werbung von Yakuza in den Soldatenstand durch den damaligen Gunji-no-Kanrei Theodore Kurita, nahmen viele Yakuza-Gruppen Sonderstellungen in der Gesellschaft ein. Wer sich an der Verteidigung des Reichs mit Menschen und Material beteiligt hatte, besaß abgesehen von der weltlichen Macht einen beinahe schon legalen Status im Kombinat. Außerdem arbeiteten die findigeren Gruppen seitdem gerne mit den Autoritäten zusammen, was sie doch über andere mafia-ähnliche Strukturen erhob.
"Kommen Sie rein", empfing Ace die Offiziere. "Ich möchte Sie um Ihre Meinungen bitten. Elden, Harry, ihr kennt Oyabun Hattori Suzuki."
Die beiden Männer nickten bestätigend.
Zu Germaine gewandt sagte er: " Hattori und ich sind alte Freunde. Als ich das Lehen Wayside erhielt, habe ich ihn gebeten, hier eine Yakuza-Gruppe zu gründen. Die Kaika no Umi-Gumi kontrolliert seither auf dem Planeten in direkter Zusammenarbeit mit Eldens Verwaltung Drogenhandel, Prostitution, Glücksspiel und den Schmuggel. Wobei ich betonen möchte, dass wir ein Auge darauf haben, all das in Maßen zu halten. Gerade Drogen und die Prostitution. Es gibt viele Dinge, die kann man nicht unterbinden, und wenn man sie unterdrückt, werden sie verlagert. Und wenn man das nicht kann, muss man sie selbst unter Kontrolle halten. Die Kaika no Umi-Gumi tut dies für mich. Dies sind Enzo, Gennusuke und Richard, Hattoris Enkel."
Die drei Männer verbeugten sich erneut, als ihre Namen fielen.
"Sie achten vor allem darauf, dass sich keine anderen mafiaähnlichen Strukturen auf meinem Planeten verbreiten. Es gibt hier nur eine Gruppe, und das wird auch so bleiben."
Suzuki erlaubte sich ein bestätigendes, dünnes Lächeln bei diesen Worten.
"Aber wir haben heute ein kleines Problem. Wie ich schon sagte sorgt die Unter dem Ozean-Gumi, wie der Gruppenname übersetzt lautet, vor allem dafür, das sich hier keine anderen Yakuza einnisten, oder das mein Raumhafen von Schmugglern unterwandert wird. Dabei arbeiten sie oft eng mit Eldens Leuten und der ISA zusammen. Erst neulich gab es eine Aktion gegen eine lyranische Gruppe, die als Händler getarnt tätig werden wollte. Sie hatte vor, große Mengen an höchst illegalen Drogen in den Clanraum zu schmuggeln. Hauptsächlich Opiate und chemische Drogen. Wäre das aufgefallen, und wäre es den Clans ein Ärgernis geworden, hätte das für Wayside V einen Vernichtungstest bedeuten können."
Germaine kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Das waren keine guten Aussichten.
"Im Zuge der Aktion wurde ein Lyraner getötet, der, wie sich im Nachhinein herausstellte, nichts mit dieser Gruppe zu tun hatte. Der lyranische Botschafter tobt und verlangt einen Kopf." Ace deutete auf die drei Enkel des Oyabun. "Ich weiß, dass es einer von diesen drei war. Aber die Burschen halten zusammen wie Pech und Schwefel und behaupten... Na ja, besser, ich zeige es euch. Also, Jungs, wer hat Willard getötet?"
"Ich, Tono!", antworteten die Männer aus einem Mund.
"Und wie wurde er getötet?" "Durch das Schwert, Tono."
Anklagend deutete Mikado auf die drei Männer. "Versteht Ihr mein Problem? Ich kann nicht alle drei bestrafen, aber ich kann den Botschafter auch nicht ignorieren."
"Die angemessene Vorgehensweise in diesem Fall wäre diese", sagte der Oyabun, zog ein eingefaltetes Blatt Reispapier und eine scharfe kurze Klinge hervor. "Yubitsume."
"Das Ritual, sich ein Stück Finger abzuschneiden", raunte Parkensen Danton zu. "Damit sühnen sie Fehler."
Wie ein Mann zogen nun auch die Enkelsöhne Reispapier und Messer hervor. Erst jetzt fiel Danton auf, dass alle vier Männer nicht auf Stühlen, sondern am Boden auf Reismatten im Seiza-Sitz knieten. "Tono!", intonierten die drei Männer und setzten die Klingen am obersten Fingerglied des kleinen Fingers der linken Hand an.
"Meine Herren", mahnte Mikado.
Die Yakuza nahmen das als Aufforderung, das dem Herzog eine Fingerkuppe zu wenig war, also setzten sie ein Stück tiefer an. "Tono!"
"Ich halte das für keine Lösung", mischte sich Danton nun ein. "Stecken Sie die Messer in Anwesenheit des Herzogs fort!"
Die drei jungen Yakuza sahen Danton erstaunt an. Dann nahmen sie die Messer wieder fort.
"Ace, ich glaube nicht, dass du dem lyranischen Botschafter mit einer oder gar drei Fingerkuppen, oder sogar drei kleinen Fingern eine Freude machst. Er will einen Kopf, also zumindest einen vor Gericht Verurteilten, wenn nicht gleich einen Kopf im wahrsten Sinne des Wortes. Die Frage ist hier doch: Wofür?"
"Natürlich für den Tod des unschuldigen Lyraners", erwiderte Mikado.
Danton schüttelte den Kopf. "Jungs, was wisst Ihr über diese lyranischen Drogenschmuggler?"
Enzo, der Älteste, sah Danton ernst an. "Die Elsies waren bewaffnet, vor allem mit automatischen Waffen und Pistolen. Das Lagerhaus, das sie gemietet haben, enthielt zwanzig Kilo Opiate und zwei Tonnen chemischer Substanzen für Elsie-Staub. Sehr einfach zuzubereiten, wenn man das Rezept kennt. Aber ein kleiner Fehler, und es püriert die Synapsen. Das macht es sowieso, irgendwann."
"Und dieses Teufelszeug sollte hier gemixt und dann in den Clanraum geschaffen werden", folgerte Danton. Elsie-Staub. So hieß die neueste Modedroge, die vielleicht ein, zwei Jahre verkauft werden würde, bis irgendein Chemiker ein anderes Teufelszeug zusammen mischte.
"Hai, Tono."
"Als Ihr die Aktion begonnen habt, wusstet Ihr da, dass Unschuldige in der Lagerhalle waren?"
Die drei Männer sahen sich an. "Nein, Tono. Wir wussten, das sich nur Angestellte der Firma in der Halle befanden, die als Deckmantel für die Operation diente."
"War der Tote Angestellter der Firma?" Enzo nickte. "Hai, Tono."
"Dann verstehe ich den lyranischen Botschafter nicht. Was will er eigentlich?"
"Es war keine Polizei-Aktion, weil die Yakuza keine Polizisten sind. Und sie haben keine Gefangenen gemacht", stellte Mikado fest.
"Nebenbei wurden Drogen in welchem Wert beschlagnahmt?", hakte Danton nach.
"Fertig hätten sie einen Marktwert von vierzehn Millionen C-Noten gehabt. Elsie-Staub ist recht billig", sagte Klein anstelle seines Herzogs. "Das Zeug ist ein Problem."
"Kann es sein, dass der liebe Botschafter einen finanziellen Verlust betrauert?" Danton kratzte sich am Kopf. "Wobei die Existenz eines Botschafters auf Wayside V zumindest ungewöhnlich ist."
"Nicht sehr ungewöhnlich. Alle großen Nationen unterhalten Botschaften auf Wayside, seit Operation Bulldog hier vorbei gerauscht kam", sagte Ace bedächtig. "Was also rätst du mir, Germaine?"
"Hm." Danton betrachtete die vier Männer. "Ich sehe hier keinerlei Grund, ihre Bestrafung zu fordern. Sie haben nur das getan, was du von ihnen forderst. Im Gegenteil, seine Exzellenz wird erst einmal beweisen müssen, dass sich tatsächlich ein unschuldiger Zivilist in der Halle befand. Tatsächlich würde ich mal die ISA darauf ansetzen, wie tief der Herr Botschafter mit dieser Firma verbandelt ist. Und wenn es Spuren gibt, würde ich Tharkad um Ablösung bitten und den sauberen Herrn in den nächsten Lander setzen."
Parkensen nickte. "Ich stimme Germaine zu."
Klein schloss sich an. "Bisher haben wir nur die Behauptung des Botschafters und den Namen des Toten. Mir ist ohnehin schleierhaft, wie er darauf kommt, uns für die Taten von Yakuza gerade stehen zu lassen." Grinsend fügte er an: "Nichts für ungut, Jungs."
Mikado schien nachdenklich. "Erhebt euch, Enzo, Gennusuke und Richard. Kein Yobitsume für euch, keine Strafe. Ich folge dem Rat meiner Offiziere."
Suzuki griff wieder nach seinem Messer. "Dennoch. Dir wurde Ungemach bereitet, Ace-sama. Jemand muss dafür büßen." Er setzte das Messer am Ansatz des linken kleinen Fingers an - und heulte undraconisch vor Schmerzen auf. Hinter ihm flog sein Messer davon und blieb beinahe senkrecht im Teppichboden stecken.
Dantons Absatz bohrte sich derweil schmerzhaft in Hattori Suzukis Hand, und speziell in den kleinen Finger. "Entschuldigt, ich bin nun mal kein Draconier. Aber ich denke, diese Strafe dürfte angemessener sein, als einen kleinen Finger zu verlieren. Sie ist genau wie dieser Vorfall: Kurz, heftig und schmerzhaft, aber schnell wieder vergessen. Wir wollen diesmal nicht lyranischer als die Lyraner sein." Bedächtig zog er den Fuß zurück. "Helft eurem Opa auf, Jungs."
Die drei Männer, schon wie Pfeile auf gezogenen Sehnen gespannt, schossen vor und umgaben ihren Oyabun.
"Du musst verstehen, Hattori, er hat keine Ahnung von Yakuza und von draconischer Ehre. Aber ich finde, er hat in meinem Sinne gehandelt, und ich nehme dein Opfer an", erklärte Ace diplomatisch. Er ging zu seinem Schreibtisch. "Sanitäter in mein Büro. Das städtische Krankenhaus soll sich auf einen Verdacht auf Fingerbruch vorbereiten. Außerdem will ich einen Eisbeutel haben, und das schnell."
Nach der Bestätigung wandte er sich wieder seinen Gästen zu. "So, und jetzt reden wir mal über seine Exzellenz, den lyranischen Botschafter."
***
"Du hast gut reagiert", lobte Mikado. "Und du hast gut mit deiner Gajin-Herkunft gespielt, um Hattori einen zertretenen Finger als Strafe anerkennen zu lassen. Woher..."
"Er hat sich nicht erhoben, als seine Enkel es taten. Ich glaube, er hatte von vorne herein vor, die Strafe auf sich zu nehmen. Er war sogar bereit zu sterben", erwiderte Danton. "Ich glaube, er liebt seine Enkel sehr."
"Wir hätten den Finger wieder annähen können", warf Danton ein.
"Ja, aber hätte Suzuki das akzeptiert?" Die beiden Männer tauschten einen langen Blick aus.
"Gut mitgedacht. Das wirst du brauchen können, Germaine. Du wirst nämlich zwangsläufig eine Abordnung von Yakuza in Dantonville haben. Alleine schon, um die Menschen dort vor Gruppierungen wie diesen Schmugglern zu schützen."
"Ich habe so etwas geahnt, Ace", sagte Danton ernst. "Eine Lehrstunde für mich."
"Etwas in der Art." Mikado sah auf seine Uhr. "Es ist Zeit, mein Graf."
"Nach dir, mein Herzog." Gemeinsam traten sie auf die Bühne des Theaters, wo bereits eine bunte Mischung aus hohen Offizieren saß.

Die Menge bestand aus Chevaliers, aus Milizionären, Angry Eagles und Offiziellen der Stadt und des Raumhafens. Insgesamt tausend Leute. Und sie empfingen den Herzog mit stehendem Applaus.
Mikado hatte seine Mühe, die Menge weit genug zu beruhigen, sodass er reden konnte.
"Wir sind heute hier versammelt", begann er, "damit ich einen Mann belohnen kann. Einen Mann, und indirekt dadurch auch seine Einheit. In Zeiten der Not hat er nicht gezögert, mir zur Seite zu stehen, und den gerechten Kampf zu führen. Er hat getan was er tun konnte, als er es musste. Und er hat nicht dabei gezögert." Mikado machte eine bedeutende Pause.
"Im Kombinat ist es nicht üblich, einen Bushi, einen Buso-senshi, dafür zu belohnen, was selbstverständlich ist für ihn, nämlich für seinen Herrn zu kämpfen und notfalls zu sterben. Das ist der Weg des Bushido, und Germaine Danton war durch seinen Unterkontrakt einer meiner Buso-senshi. Aber es ist genauso undraconisch, herausragende Taten unbelohnt zu lassen. Es wäre eine Frechheit, ihm und seinen Leuten gegenüber, seine großherzige Tat unbelohnt zu lassen, seinen Soldaten die Anerkennung zu verwehren für ihren Kampf und für ihre hervorragende Kriegskünste. Und es wäre ein Affront gegen die ehemaligen Gegner, die gut, tapfer, mit offenem Visier und ehrenhaft gekämpft haben, was es mir sehr leicht machte, sie als wahre Soldaten zu erkennen und in meine Dienste zu nehmen."
Zustimmendes Gemurmel klang auf. Das war Butter bei die Fische für die ehemaligen Husaren, die sich ob sie wollten oder nicht, gebauchpinselt fühlten, so wie die alten Chevaliers Sekunden zuvor.
"Die Tat von Germaine Danton, die Tat seiner Leute war groß. Er war es, sie waren es, die den Kampf gewonnen haben. Das ist ein Erfolg, der mir nur mit der Miliz und den Eagles nicht vergönnt gewesen wäre. Der Preis dieses Kampfes war ein ganzer Planet. Mein Planet. Und das ist er immer noch, dank Germaine Danton, dank der Dantons Chevaliers. Ich bin dankbar, und ich werde das hier und heute demonstrieren."
Major Virgil Stannic, noch recht blass, aber nicht mehr wacklig auf den Beinen, trat neben seinen Herzog. Er hielt in beiden Händen draconische Schwerter, wie Germaine wusste, das lange Katana und das kürzere Wakizashi.
"Colonel Germaine Danton, tritt bitte vor."
Danton tat, wie ihm gesagt wurde, und fragte sich einen Augenblick, ob er sich auf die Knie sinken lassen musste.
"Wie ich schon sagte, es ist nicht üblich, einen Soldaten dafür zu belohnen, das er seine Pflicht getan hat. Aber es ist üblich, ihn für herausragende Taten zu belohnen. Und seine Tat war herausragend.
Germaine Danton, schwörst du mir Treue als deinen Lehnsherren, Gehorsam und Dienst unter unseren Gesetzen, und Treue meinem Dienstherren, dem Koordinator des Draconis-Kombinats?"
Danton fiel auf, dass der Schwur keinen Namen des Koordinators enthielt. Damit würde er nicht alleine auf Theodore schwören, sondern auf all seine Nachfolger. Er schwor den Eid defacto auf das Kombinat an sich, auf das Volk, nicht auf eine Person. "Ich schwöre dir Treue, mein Lehnsherr, dir und deinem Lehnsherren, dem Koordinator des Draconis-Kombinats."
Stannic reichte dem Herzog die Waffen, die dieser Danton hin hielt. "Dann nimm aus meinen Händen die Pflicht des Buso-senshi, das Katana, und die Ehre, das Wakizashi."
Bedächtig nahm Danton die Waffen entgegen und verstaute sie auf draconische Art in einer scharlachroten Binde, die er um seinen Bauch gebunden hatte.
Mikado wandte sich nun dem Publikum zu. "Tapferkeit, Können und Erfolg werden belohnt. Ich erkenne hiermit Germaine Danton als meinen Untergebenen an. Ich verleihe ihm den Rang eines Adligen auf meiner Welt. Fortan sei sein Rang der eines Hakshakus, eines Grafen. Ich schenke ihm das Land rund um die Southern Sea als eigenes Lehen, und dazu so viel Land, wie er bebauen und urbar machen kann und will. Ich erbaue auf seinem Land eine Stadt und einen Raumhafen, und die Stadt soll nach ihm heißen: Dantonville. Alle, die ihm folgen, und damit mir, haben von diesem Tage an ein lebenslanges Bleiberecht in der Stadt.
Ich verleihe ihm das Recht, zweihundert Bushi zu rekrutieren, die sein Eigentum beschützen sollen. Hakshaku Germaine Danton erhält das Recht, Steuern zu erheben.
Er erhält das Recht, als fahrender Krieger zu dienen, wann er will, wo er will und für wen er will.
Dies ist mein Wille. Dies ist der Wille des Kombinats."
Zustimmendes Gemurmel erklang in der Menge. Vereinzelt hörte Germaine das eine oder andere Seyla, denn nicht nur in seiner Einheit gab es viele Clanner. Die Eagles hatten sehr viele Parder absorbiert.
"Wayside V, ich gebe dir deinen neuen Grafen!", verkündete Mikado stolz, und trat zur Seite.
Germaine schluckte trocken, als für ihn Applaus aufbrandete. Aus dem Applaus wurden Standing Ovations, und schließlich Jubel. Auch die Offiziere auf der Bühne erhoben sich und applaudierten.

Germaine trat ans Rednerpult. Langsam kam die Menge wieder zur Ruhe. "Mein Herzog, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Du hast mir so viel Land geschenkt wie ich haben will, wann immer ich es haben will. Du baust mir eine Stadt, einen Raumhafen, und du erlaubst mir, weiterhin als Söldner tätig zu sein. Und das alles nur für einen Tag und eine Nacht der Gefechte."
Danton schluckte erneut. "Heute wurde ich zum draconischen Hakshaku ernannt. Damit ist meine Einheit, die Chevaliers, eine draconische Einheit geworden, mit allen Rechten und deren Pflichten. Viel wird sich nicht ändern für die Männer und Frauen unter meinem Kommando, für all jene, die früher unter mir gedient haben, die es während des Angriffs auf Wayside taten, die danach kamen und noch kommen werden. Nicht viel, nur eines, was Koshaku Mikado bereits erwähnt hat. Ihr alle, Chevaliers, habt nun zwei Heimaten. Jenen Ort, an dem Ihr geboren seid oder den Ihr Heimat nennt, und Dantonville auf der Südhalbkugel. Ich weiß, dass Ungewissheit eine schlimme Sache für einen Soldaten ist, gerade für einen Söldner, und ich will zumindest die Ungewissheit ein wenig heben. Unsere Pensionszahlungen waren schon immer gut, aber fortan, wenn Ihr es wollt, Chevaliers, könnt Ihr sie genießen, mitten unter euren Kameraden, mitten in eurer Stadt. Denn diese Stadt lassen wir nicht für mich bauen, sondern für euch. So will ich etwas wiedergeben, euch Sicherheit geben. Wenn ich heute Graf geworden bin, dann vor allem für euch, meine Chevaliers. Weil ich stolz auf euch bin, weil ich froh über euch bin. Weil ich jeden Tag mit euch lebe. Und daran ändert auch kein schwarzgekleideter Idiot irgend etwas, der meint, mir linke Hand und rechtes Knie zerschießen zu müssen. Wir alle sind heute Graf geworden, Chevaliers. Wir alle. Ich danke euch!"
Als er vom Rednerpult zurücktrat, donnerte der Applaus über ihm hinweg. Und diesmal dauerte er doppelt so lange wie der letzte.
***
Im Büro des Herzogs, begleitet von Presse und Fernsehen, fand eine kleine Zeremonie statt, bei der die Ernennungsurkunde unterschrieben wurde. Dann wurde sie Danton von Direktor Parkensen überreicht. Dies erst machte den Herrn der Chevaliers zum vollwertigen draconischen Adligen.
Es folgte eine Pressekonferenz, bei der er das Dokument mehrfach ausrollen und in die Kameras halten musste, wurde nach seinen Gefühlen und Gedanken befragt, nach der Schlacht und den beiden Siegen am ehemaligen Wasserloch und über das mobile HQ der Husaren, die Kampfentscheidend gewesen waren. Es dauerte lange, bis die Presse das Interesse verlor, und erst Mikados Eingreifen mit dem Hinweis, dass das Gala-Diner begänne bald, brachte die Presse dazu, abzulassen.
Anschließend erfolgte im größten Saal an einhundert Tischen das Diner zu Ehren des Grafen mit eintausend geladenen Gästen, unter den Augen der Wayside-Öffentlichkeit.
Die übrigens auch noch beim eigentlich inoffiziellen gemütlichen Teil auf dem frisch gebackenen Grafen ruhten, als man nach dem Essen trank und tanzte. Es wurde eine lange, aber erfolgreiche Nacht ohne größere Zwischenfälle. Ein paar kleinere waren dazwischen, zugegeben. Aber so waren nun mal die Chevaliers.
Taras Amaris
Kaserne der Miliz
Vor dem Wohnkomplex der Unteroffiziere
Wayside V

Nervös zupfte Jack an den schwarzen Aufschlägen der weißen Uniformjacke herum, bevor er aus dem Schatten des Eingangs in die pralle Sonne geschoben wurde.
„Du siehst gut genug aus, Jack. Und nein, du kannst uns nicht dazu überreden, doch wieder in das Bett zu klettern anstatt auf die Ernennungsfeierlichkeit zu gehen. Du hast den Colonel gehört. Wir sind heute für dich verantwortlich und ich schwöre dir bei allem was mir heilig ist, wenn du dich nicht benimmst, beiße ich dir ein Stück aus der Schulter. Wir werden uns einen letzten wunderschönen Abend machen, bevor wir bald von diesem Staubball abheben um Parder zu jagen. Das machst du uns nicht kaputt.“
Funkelnd blickten ihn die tiefgrünen Augen von Danielle Vascot an, so dass er schlucken musste. Nein, diese Frau würde er nicht verärgern wollen. Zumindest nicht in seinem geschwächten Zustand.
Erneut musterte er seine beiden Begleiterinnen und stellte erfreut fest, dass er sich außer bei Jessy wohl nie in angenehmerer Gesellschaft befunden hatte.
Was auch immer er an der Ausgehuniform der Chevaliers auszusetzen hatte, er musste zugeben, dass Sie die weiblichen Rundungen von Danielle und Betty hervorragend zur Geltung brachte. Erstere trug die langen, dunkelblonden Haare offen, während Ihre Freundin das feuerrote Äquivalent zu einem aufwendigen wenn auch züchtig wirkenden Pflechtzopf verarbeitet hatte. Die Uniformen waren in perfektem Zustand, angefangen bei den polierten, goldenen Knöpfen und glänzenden Kampfstiefeln bis hin zu der unter den Arm geklemmten Schirmmütze.
„So, Sergeant, konnten Ihre Gespielinnen Sie also nicht davon überzeugen, dass diese veraltete Blankwaffe nicht zu der Uniform passt?“
Miranda Clark schritt voller Elan aus dem Gang, gefolgt von Robert Steinberger sowie Jesse Stonefield. Sie schien bester Laune zu sein, wie auch die Ihr folgenden Lyraner.
Mit einem bösen Blick auf das Säbelgehänge kam Betty Rush Jack bei der Beantwortung der Frage zuvor.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was der für einen Aufstand gemacht hat, Miranda. Man könnte glauben, er hätte das Ding als Schwanzverlängerung nötig. Wenigstens hat er mir erlaubt, es zu polieren. Also den Säbel, meine ich.“
„Klar, den Säbel. Natürlich, wie konnten wir uns auch erlauben, etwas anderes anzunehmen?“
Robert Steinberger schlenderte leger die Hände in den Hosentaschen, an der Gruppe vorbei die Treppen hinab auf den breiten Weg vor dem Gebäude.
„Wo zum Teufel ist denn Sepp? Der müsste doch schon längst hier sein. Hoffentlich hat er nicht noch einen Zwischenstopp an der Kantine eingelegt, sonst dürfen wir uns bei der Hitze doch in die Busse quetschen.“
Die wütende Entgegnung von Jack, Betty und Danielle ging in dem Getöse des um die Ecke biegenden Halbkettenfahrzeugs unter und ließ der gesamten Gruppe den Atem stocken.
Der Truck war in einem strahlenden Perlmuttweiß lackiert, das Verdeck aufgeklappt und alle Metallteile auf Hochglanz poliert.
Das Erstaunen verflog auch nicht, als das Gefährt rumpelnd vor Ihnen zum stehen kam.
Der über beide Ohren grinsende Fahrer erhob sich von seinem Sitz und blickte stolz in die Runde.
„I hob die ganz Noacht an moam Baby geschrubbt un jetzt blitzt anna wi an Diamont. Is sie nedda a bildgschönes Madl? I möcht eu drum bidden inzusteiga Madle un Buam. Mia sin schon gfei spät.“
Der erste, der seine Starre überwandt, war Robert Steinberger, der fragend auf die beiden Fähnchen deutete, die links und rechts der Motorhaube aufragten.
„Sepp, bist du jetzt völlig durchgedreht? Als du sagtest, du könntest uns in die Stadt mitnehmen, damit wir uns nicht in die überfüllten Busse quetschen müssen, hab ich gedacht du würdest dir aus der Fahrbereitschaft einen Wagen holen. Wir fahren in die Stadt, nicht ins Gelände. Und was sollen die Fähnchen da? Die Maus der Chevaliers kann ich ja irgendwo noch nachvollziehen, aber was soll den Jacks altes Einheitsabzeichen da auf der anderen Seite?“
Sepp Brunftmeyers gute Laune schien bei Roberts Worten direkt zu erlischen und er setzte einen beleidigten Ausdruck auf seine Züge.
„I hon dir des schon mal verzällt. Wenn du woas gegen mi odar mein Gfährt hoascht, brauchscht nead mitfoahn. I hoan denkt, dass der Herr Sergeant anna bleibenden Indruck hinterloassen moag. Diena Insignien des Herrn Sergeanten sin uf deam Staubball bekonnt, da han i gdacht….“
„Auf manchen Planeten ist das Tradition, Robert. Die Fahrzeuge werden bei solchen Anlässen mit den Insignien des Offiziers ausgestattet, der im Dienstrang ganz oben steht. Bei uns sind das Jack und Miranda, aber da unsere Schlammstampferin ja keine eigenen Insignien hat, meinte Sepp wohl, Jacks Totenkopf wäre passend. Das in der lyranischen Tradition allerdings nur hohe Offiziere, vom Hauptmann aufwärts, mit so was bedacht werden, lassen wir einfach mal unbeachtet. Ich finde es eine tolle Idee und seit der Ausstrahlung der Gefechtsroms der Kämpfe am Wasserloch und am Raumhafen ist der brüllende Totenkopf mit den gekreuzten Säbeln auch wohl bekannt unter der Bevölkerung. Wir sind auf dem Weg zu einer Grafenernennung und anschließendem Ball. Da kann man ruhig ein wenig dicker auftragen. Also los, einsteigen. Jack, du zwischen mir und Danielle auf der hintersten Sitzbank. Robert und Jesse davor. Miranda, du neben Sepp ganz vorne.“
Damit öffnete Betty Rush die hintere Tür des mit laufendem Motor wartenden Halbkettenfahrzeugs und winkte Danielle hinein. Völlig irritiert wurde Robert von Jesse auf die Sitzbank davor geschoben, während der versöhnlich gestimmte Sepp sich ebenfalls wieder niederließ.
„Es ist unglaublich. Der hat nicht mal eine grundlegende militärische Ausbildung, keine Offiziersschule besucht, trägt gerade einmal Sergeantenstreifen auf der Schulter und wird schon durch die Gegend gekarrt wie der Generalfeldmarschall in Person.“
Nachdem alle Ihren Sitzplatz eingenommen hatten, beugte sich Jack zu seinem Untergebenen vor.
„Sieh es nicht so schwarz, Robert. Stell dir einfach vor, wie sehr wir Danton mit dieser Aktion mal wieder an sein so militärisch korrektes Bein pissen. Das sollte deine Laune anheben.“
Über die Schulter blickte Robert seinen Wingleader erst verständnislos an, dann jedoch lächelte er verschlagen, lehnte sich lässig zurück und blickte nach vorn.
„Ich liebe deine Art, Jack, allem aber auch wirklich allem etwas Positives abzugewinnen.“
„Halts euch fest Laits. Mia ham Zeit einzuholla!“
Damit brüllte der starke Dieselmotor des Halbkettenjeeps protestierend auf, die Kettenglieder rutschen einige Sekundenbruchteile haltlos über den Beton der Straße, bis das Ungetüm sich in einer Abgaswolke in Bewegung setzte.


Herzögliche Residenz
Parkensen City
Wayside V

Der Empfang war überwältigend. Tausende von Menschen drängten sich auf den Bürgersteigen der jungen Stadt, bunte Spruchbänder und Fahnen zierten jedes einzelne Gebäude auf Ihrem Weg zur Residenz.
Sepp hatte den Konvoi der Busse mit den Milizionären und Chevaliers eingeholt und sich frech an die Spitze gesetzt, was er auch bei dem fast schon triumphalen Einzug beibehielt. Der Jubel der glücklichen Menschen war fast ohrenbetäubend, zauberte aber ein erstauntes Lächeln auf Jacks Gesicht.
Er war es einfach nicht gewöhnt, dass die Menschen glücklich waren, ihn zu sehen, musste jedoch zugeben, dass dieses Gefühl ihm irgendwie gefiel.
Zu viele Jahre hatte man ihn gejagt und gehasst. Hatte ihm nach dem Leben getrachtet und lediglich Verachtung entgegen gebracht.
Während der Halbkettentruck auf die breite Prachtstraße einbog, fing er an, seine neue Rolle zu genießen.
Immer wieder erblickte er in den Menschenmassen gedruckte Plakate mit dem Bild seines mattschwarzen Marodeurs oder seines Namens. Natürlich wesentlich seltener als den von Colonel Danton, des Herzogs oder anderer hochgestellter Offiziere.
Aber immerhin.
Robert Steinberger drehte sich zu ihm herum und grinste über das ganze Gesicht. Er musste schreien um gegen die Lärmkulisse anzukommen.
„Menschen lieben außergewöhnliche Taten, Jack. Mit der Rettung des Eagles am Wasserloch hast du ihr Herz erobert. Dein Auftritt auf dem Torso deiner Maschine, blutüberströmt aber kämpferisch, nachdem du Danielles Kampftitanen fast schrottreif geschossen hast, hat ein Übriges getan. Gerade Draconier stehen auf so was.“
Schulterzuckend lächelte Jack zurück.
„Hab ich nicht gewusst, Robert, gefällt mir aber. Gefällt mir sehr.“
Die Kolonne setzte Ihren Weg fort, bis ein großer Vorplatz erreicht wurde, hinter dem das abgesperrte Anwesen des Herzogs in Sicht kam.
Nun musste Jack schlucken. Hatte er in den Straßen schon viele Menschen gesehen, so schien das große Freigelände aus allen Nähten zu platzen.
Frenetischer Jubel machte eine Unterhaltung kurzfristig unmöglich und übertönte sogar die zum Einlauf der Helden aufspielende Rockgruppe um einige Dezibel.
Er kam zu der definitiven Überzeugung, dass der Herzog von Wayside diese Menschen nicht für Ihre Freudenbekundungen gekauft hatte. Dies hier war echt.
Während die Busse etwas abseits des Haupteingangs in einem Meer aus geschwenkten Fähnchen zum stehen kamen, fuhr Sepp seinen Liebling bis direkt vor die Absperrung, wo bereits wohlbekannte Gesichter auf die Ankömmlinge warteten.
Jack erkannte mindestens zwei der Militärpolizisten aus der Schlägerei an der Absperrung sowie Major Klein, der das Begrüßungskomitee zu sein schien.
Als das Halbkettenfahrzeug zum stehen kam, sprang ein dienstbeflissener Robert Steinberger von seinem Sitz, und öffnete die Tür der hinteren Sitzreihe.
Zunächst half er Danielle Vascot beim Aussteigen über die breiten Ketten, dann salutierte er pflichtbewusst vor dem sich erhebenden Jack, welcher ihm dafür einen bösen Blick zuwarf.
„Ehre, wem Ehre gebührt, Sarge.“
Die geflüsterten Worte waren mehr eine Ahnung in seinen Ohren, denn ein bewusstes Wahrnehmen, ließen Jack seinem Wingmen aber die Aktion verzeihen.
Entzückt und etwas verlegen prüfte er den Sitz der Augenklappe, des Säbels sowie dem Rest der Uniform, bevor er mit einem kurzen Sprung von dem Kettenlaufwerk auf den Boden sprang um sich dann umzudrehen und Betty Rush eine helfende Hand anzubieten.
Nachdem auch seine zweite Begleitung den Boden sicher erreicht hatte, drehte er sich zu Major Klein herum und kramte seinerseits einen militärisch korrekten Salut aus seiner Erinnerung, nicht jedoch, bevor er die Schirmmütze zum Schutz vor der brennenden Sonne aufgesetzt hatte.
Der Milizionär erwiderte den Gruß kurz und schüttelte dann Jacks Hand.
„Ein wahres Husarenstück, Ryan. Für die Aktion mit dem Mech bin ich nun Ihnen wieder was schuldig. Aber das erkläre ich Ihnen später. Ein verdammt großer Auftritt für einen Sergeanten, finden Sie nicht?“
Mit unschuldiger Mine blickte der Angesprochene sich um und entdeckte erst jetzt die gigantische acht Stockwerke hohe Videowand, welche zur Zeit ihn zeigte.
„Ich fange gerade an, große Auftritte zu mögen, Herr Major. Ist mal was anderes. Über Ihre Dankbarkeit unterhalten wir uns noch, ich habe nämlich vor, da das ein oder andere für meine neue Maschine einzufordern.“
Gerade als der Milizionär die Gruppe zu dem Gebäude der Residenz geleiten wollte, drängte sich eine in ein auffälliges rotes Kostüm gekleidete und mit einem Mikrophon bewaffnete Asiatin durch die völlig überforderten Sicherheitskräfte.
„Sergeant Ryan-Jones. Bitte, ein Kommentar zur heutigen Ernennung Ihres kommandierenden Offiziers zum Grafen dieser Welt. Was hat der Held der Schlacht am Wasserloch dazu zu sagen?“
Einen Moment schien Jack irritiert zu sein und blickte sich zu Betty und Danielle um, die Ihn flehendlich anstierten und versteckte Zeichen gaben, darauf nicht ein zu gehen.
Nun ja, auf solche Ratschläge hatte Jack noch nie gerne gehört.
Entschlossen drehte er sich auf die Reporterin zu, ging dann jedoch einen Schritt an Ihr vorbei und blieb vor einem vielleicht zehnjährigen Mädchen stehen, das ein ganz besonderes Kostüm trug. Schwarze Hosen, mit silbernen Knöpfen an den Seiten, dazu eine Pappaugenklappe und einen Plastiksäbel. Auf ihrem T-Shirt stand das Wort „Danke“ in großen, bunten Buchstaben.
Langsam ließ er sich auf ein Knie sinken und lächelte das ihn mit offenem Mund anstarrende Mädchen freundlich an.
Verdammt, man hatte ihr sogar die Narben originalgetreu mit einem Make-Up-Stift ins Gesicht gemalt.
„Hübsch siehst du aus! Wie heisst du denn?“
Er versuchte seine Stimme so freundlich wie möglich klingen zu lassen und legte all seine Beherrschung in seinen Blick.
„Mila!“
Die Antwort des Mädchens kam zaghaft, fast ängstlich.
Behutsam nahm er das Kind auf seinen Arm und erhob sich dann wieder, der Reporterin zugewandt.
„Mila, sieh mal, ich glaube du hast da was hinter deinem Ohr.“
Mit einem der ältesten Tricks des Universum zauberte Jack eine goldene Münze hinter dem Ohr des Mädchens hervor und drückte ihr das Metallstück in die kleine Hand, bevor er die Reporterin ansah.
„Sie wollen meine Meinung zu der Ernennung von Colonel Danton zum Grafen wissen? Ich für meinen Teil bin dem Herzog von Wayside zutiefst dankbar. Dankbar dafür, dass er uns einen Ort gibt, den wir eine Heimat nennen können. Von heute an gehören wir nicht mehr zu den ruhe- und wurzellosen Heerscharen, die durch das Universum ziehen. Von heute an sind wir mit Wayside verbunden und wenn in Zukunft dieser Welt eine Gefahr droht, so werden nicht nur die heldenhaften Eagles und die nicht weniger fähige Miliz sich dieser entgegen stellen, nein, vom heutigen Tage an werden auch die Chevaliers allem die Stirn bieten, was den Frieden oder die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet. Ich denke, ich spreche im Namen aller Mitglieder von Dantons Chevaliers wenn ich sage: Wir schwören, euch zu beschützen. Hier oder sonst wo in diesem Universum.“
Unter betäubendem Jubel setzte Jack das kleine Mädchen wieder ab und schob es mit einem zaghaften Kopfstreicheln in Richtung der ergriffenen Eltern.
„Die Dublone kannst du behalten, kleines Duplikat. Ist für deine Spardose.“
Damit drehte sich der ehemalige Pirat wieder zu einem staunenden Major Klein und den mittlerweile eintreffenden Resten der geladenen Chevaliers zu.
„Wenn Sie möchten, Major, können wir es nun angehen. Ich denke Colonel Danton wartet schon.“
Fassungslos betrachtete der Milizionär den Söldner und nickte dann anerkennend, während sie in Richtung des palastartigen Anwesens gingen.
„Das, Jack, hätte ich Ihnen jetzt nicht zugetraut. Sollte ich jemals einen Presseoffizier benötigen, werde ich mich an Sie wenden.“
Ein heiteres Lachen durchzuckte den langsam gehenden Jack Ryan-Jones, bevor er seinem Gegenüber antwortete.
„Ich improvisiere, Major. Wie man es sich mit Leuten verscherzt weiss ich schon, jetzt lerne ich das Gegenteil.“


Herzögliche Residenz
Ballsaal
Wayside V

Noch lange, nachdem die Ernennung des neun Grafen von Wayside hinter Ihnen lag, war das rauschende Fest am laufen. Jack hatte seine kleine Gruppe zu einer Sitzgruppe weit abseits der stark frequentierten Tanzfläche geführt um dort ungestört das Gespräch mit Major Klein suchen zu können.
„Sergeant Ryan-Jones, was Sie da verlangen geht weit über meine Befugnisse. Alleine, dass Sie von diesen Dingen wissen währe schon ein Grund, Sie von der ISA in Haft nehmen zu lassen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin Ihnen wirklich dankbar für Major Stannics Rettung und auch den Rest, aber deshalb werde ich nicht meine Position riskieren. Der Drache wacht eifersüchtig über die Errungenschaften seiner Genies. Ich werde Ihren Wunsch jedoch gerne an den Herzog weiterleiten, vielleicht kann er in dieser Angelegenheit etwas für Sie tun.“
Zurückhaltend nippte der Major an seinem Kaffee während er Jack kritisch musterte. Dieser jedoch schien mit der getätigten Aussage bereits vollauf zufrieden zu sein.
„Mehr habe ich doch auch gar nicht verlangt, Major. Ich danke Ihnen schon jetzt für Ihre Fürsprache und wenn ich etwas für Sie tun kann, so lassen Sie es mich bitte wissen.“
Noch während der Major sich von seinem Platz erhob und leicht schwankend in Richtung seiner Leute davonging lehnte der ehemalige Pirat sich lächeln zurück und trank einen Schluck des wirklich hervorragenden Weines, den er sich bestellt hatte.
Im Normalfall wäre er zu diesem Zeitpunkt schon so völlig betrunken gewesen, dass er sich kaum noch hätte artikulieren können, aber heute ging es um wichtige Angelegenheiten. Überlebenswichtige Angelegenheiten.
„Nach was zum Teufel hast du Ihn gefragt, Jack? So wie er reagiert hat, hätte man meinen können, er bekommt gleich einen Herzinfarkt!“
Robert Steinberger setzte sich auf einen der freien Stühle, welche um den runden Tisch verteilt waren.
„Ich habe Ihn lediglich nach militärischer Hardware gefragt. Ein wenig Ausrüstung um meinen neuen Dämonen aufzupeppen bevor ich auf Parderjagd gehe. Wie sieht es mit meinem Liebling aus?
Misstrauisch blickte Robert über sein Glas hinweg in Jacks unbedecktes Auge.
„Die Techcrew macht Überstunden, aber es ist eine ganze Menge Arbeit. Die Aktivatoren müssen demontiert und gesäubert, schadhaftes Myomer ersetzt und neue Leitungen verlegt werden. Die gesamte Elektrik muss komplett raus und dann brauch dein Dämon noch Waffen und Panzerung. Deine Konstruktionszeichnungen scheinen zu funktionieren, aber es wird eng in der Kiste. Verdammt eng!“
Verständig nickend nahm der Angesprochene die Informationen zur Kenntnis. Es war von Vornherein klar gewesen, dass die Restauration des Battlemechs eine Mammutaufgabe werden würde.
„Alles klar. Das alles war zu erwarten. Sag den Jungs aus dem Techbereich auf jeden Fall ein herzliches Dankeschön von mir. Ich werde mich morgen persönlich bei denen zeigen und ein wenig Wiedergutmachung betreiben.“
Robert nickte abwesend und wendete seine Aufmerksamkeit dann wieder der Tanzfläche zu.
„Jack, keine hochprozentigen Aufmunterer heute? Kein Komasaufen?“
Danielle Vascots Stimme erklang hinter ihm, kurz bevor sie sich auf den Stuhl neben ihm fallen ließ, ein schäumendes Glas Bier in der Hand.
„Ach meine liebe Danielle, ich will euch euren Job doch nicht zu schwer machen. Zudem habe ich irgendwie gar keine Lust deine Zähne an meiner Schulter zu spüren. Lieber verzichte ich auf einen zünftigen Rausch und widme mich vollens meinen neuen Freunden.“
„Nur wegen diesem einen Mal musst du nicht gleich denken, dass wir drei Freunde sind, Jack. Danielle und ich mögen dich, aber wir sollten es fürs erste eine gern gesehene Bekanntschaft nennen. Nur um dir mal die Grenzen aufzuzeigen.“
Betty Rush nahm den Platz auf Jacks anderer Seite ein und schnitt ihn damit von seinem einzigen gleichgeschlechtlichen Verbündeten ab.
Sepp Brunftmeyer diskutierte hinter ihm angeregt mit einem Milizionär über Vorzüge von lyranischem Bier, während Jesse Stonefield mit einem Sergeanten der Eagles über taktische Einsatzmöglichkeiten mittelschwerer Mechs philosophierte. Robert Steinberger hingegen hatte sich offensichtlich verliebt. Wieder einmal.
Seine Blicke zogen fast die Schönheit aus, welche in Begleitung von Tancrid Vogt an einem Gespräch höherer Offiziere aller drei Einheiten teilnahm.
„Vergiss es, Jungchen. Das sind Luftwaffels. Die bleiben Beziehungstechnisch unter sich. Da hat Bodenpersonal nicht die geringste Chance. Ich spreche da aus Erfahrung. Komm, du fragst mich jetzt mal spontan nach einem Tanz, ich ziere mich ein wenig… okay, das reicht, jetzt hast du mich überzeugt.“
Damit zog Miranda Clark den überraschten Steinberger auf die Füße und hinter sich her in Richtung der Tanzfläche.
Das Bild war so komisch, dass die drei Zurückbleibenden in spontanes Lachen verfielen.
„Sie ist eine tolle Frau, ohne euch, meine Lieben, abwerten zu wollen. Was deinen Kommentar von eben betrifft, Betty, so muss ich dir gegenüber meine tiefempfundene Betroffenheit über diesen Umstand zum Ausdruck bringen. Ich hatte schon Pläne für einen eigenen Harem geschmiedet, aber so wie es jetzt aussieht…“
„Halt die Klappe, Jack.“
Danielle Vascots Stimme klang ernst, ganz im Gegensatz zu seinen eigenen Worten.
„Betty und ich sehen dein wahres Potential, Jack. Und ich spreche jetzt nicht von deinen Fähigkeiten im Mech oder Bett. Letzteres ist ja auch eher Durchschnitt, aber daran kann man arbeiten.“
Ihr zuckersüßes Lächeln änderte nichts an der Tatsache, dass sein Ego gerade einen gewaltigen Tiefschlag hatte einstecken müssen. Das musste auch sein Gesicht widerspiegeln, denn plötzlich kam der Balsam für seine Seele von der anderen Seite in Form von Betty Rush.
„Nun schau nicht so niedergeschlagen, mein großer, starker Mann. Sie hat ja nicht gesagt, dass du schlecht warst. Nur im Vergleich eben nichts Besonderes. Das ist jetzt zwar auch kein Lob aber auch keine Beleidigung deiner… Fähigkeiten.“
So langsam kam er sich verarscht vor. Zumal nun auch noch ein schallend lachender Peter auf dem Stuhl ihm gegenüber erschien. Und wie sein toter Freund über ihn lachte.
Immer wieder klopfte der Ire auf die Tischplatte, hielt sich den Bauch oder zeigte mit dem Finger auf ihn. Wortfetzen wie „Durchschnitt“ und „ich hab’s doch gewusst“ waren aus dem Lachanfall herauszuhören, kurz bevor Peter rückwärts vom Stuhl fiel.
„Okay ihr beiden nymphomanischen Grazien, bevor ich jetzt diesen Wein stehen lasse und mich doch den harten Alkoholika zuwende, wollt ihr mir vielleicht mal erzählen was das ganze soll?“
Er hatte seine Arme vor der breiten Brust verschränkt und die Augen zu Schlitzen verengt.
„Wie Danielle eben schon sagte, haben wir dein Potential erkannt, Jack. Wenn du es endlich mal konstruktiv nutzen würdest, dann könntest du bei den Chevaliers kometengleich aufsteigen. Das du die Unterstützung des Colonels hast, sollte dir klar sein. Er muss einen Narren an dir gefressen haben, sonst hätte er dich schon lange an die Wand gestellt. Du hast also die perfekten Voraussetzungen um etwas aus deinem Leben zu machen, aber irgendwie bist du so in deinen alten Verhaltensmustern gefangen, dass du die Chancen gar nicht sehen kannst. Wir hingegen wollen von den Husaren weg, brauchen aber bei den Chevaliers einen Fürsprecher, einen Verbündeten. Aber niemanden, der bei den Offiziersrängen auf der Hassliste ganz oben zu finden ist. Deshalb bist du in den Genuss von uns beiden gekommen, Jack. Es soll ein Anreiz sein, für das, was du haben könntest, wenn du dich ein ganz klein wenig kooperativ zeigst. Das du diese Ausbildungssache übernimmst ist ein Anfang, aber noch lange nicht genug für uns. Da muss schon ein wenig mehr kommen, Freundchen. Und solange sind wir keine Freunde, sondern lediglich gute Bekannte.“
Nachdem Betty geendet hatte, blickte Jack seine beiden Begleitungen nacheinander kurz an, ohne dass sein Gesichtsausdruck auch nur ein Quäntchen seiner Gefühlslage offenbart hätte.
Schwungvoll erhob er sich von seinem Stuhl, was ein kurzes Zucken der beiden Frauen hervorrief, bevor er sich ausgiebig streckte und dabei etliche Knochen knacken ließ.
Dann stütze er seine Hände auf die Tischplatte.
„Ich muss euch beiden danken, denn jetzt weis ich endlich, warum meine Vorfahren den Steinerraum verlassen haben. Es kann einen wirklich in den Wahnsinn treiben, dass ihr alles mit Berechnung tut, aber gut, dass kann ich euch nicht vorhalten. Ist wahrscheinlich ein genetischer Defekt. Eines möchte ich euch jedoch nicht verheimlichen. Solche Spielchen macht man gewöhnlich nur einmal mit mir. Danach ist es mir egal ob Mann oder Frau, ich schlage demjenigen die Zähne ein, reisse ihm die Gedärme aus dem Leib und schmücke damit meinen Mech. NUR UM EUCH BEIDEN MAL DIE GRENZE ZU ZEIGEN. Ich habe den Ausbildungsjob angenommen weil ich mir dadurch eine bessere Überlebenschance bei diesem Himmelfahrtskommando ausrechne. Bessere Piloten und Schützen auf der eigenen Seite sind nämlich nie verkehrt. Was den Rest betrifft, so muss ich euch sagen, dass ich mich in meinem bisherigen Leben nur für eine Frau geändert habe. Eine Frau der mein Herz uneingeschränkt gehörte, für die ich gemordet und mein eigenes Leben gegeben hätte. Und diese Frau war im Bett besser als ihr beide im Doppelpack! Also nehmt euren Anreiz und geht euch einen anderen Spielgefährten suchen in dessen Windschatten ihr die Karriereleiter hinauffallen könnt. Dieser hier stand schon mal ganz oben auf dem Treppchen und weis, dass der Fall von dort verdammt schmerzhaft ist. Deshalb hat er kein Interesse an Kometen, an Dantons Vernarrtheit oder irgendwelchen Hasslisten auf denen sein Name zu finden ist. Um es mal ganz klar zu sagen, ihr habt gerade den größten Fehler gemacht, den man mit mir nur machen kann. Ihr habt versucht mich zu kaufen und so was nehme ich übel.“
Seine Hände hatten sich um die Tischkante verkraft, so dass seine Knöchel weiß hervorstanden, aber seine Stimme war leise, eindringlich und für die beiden Angesprochenen definitiv Angst einflößend.
„Ich habe wirklich gedacht, dass ihr beide was Besonderes seit, dass man mit euch Pferde stehlen kann, aber offensichtlich habe ich mich getäuscht. Ich werde die Verbitterung darüber jetzt mit einer Flasche Brandwein hinunterspülen und ich würde euch raten, mir nicht über den Weg zu laufen, wenn ich meinen gewohnten Pegel erreicht habe, denn dann könnte meine ganze beschissene Gelassenheit nicht mehr ausreichen um den Hass zurück zu halten, den ihr gerade in mir entzündet habt. Und was passiert, wenn ich jemanden abgrundtief hasse, dass hast du Danielle bereits zu spüren bekommen. Aber ich kann dir garantieren, dass ich für solche Aktionen keinen Mech brauche!“
Damit stieß er sich von dem Tisch ab und schlenderte in Richtung einer der Getränkeausschankstationen davon.
Zurück blieben eine konsterniert dreinschauende Betty Rush und eine zitternde Danielle Vascot. Mit einer solch extremen Reaktion hatten die beiden jungen Frauen definitiv nicht gerechnet.
„Fuck, Betty, hast du den Ausdruck in seinen Augen gesehen? Einen Moment lang habe ich gedacht, er würde uns direkt hier am Tisch in Stücke reissen! Man könnte meinen wir hätten ihm die Familie genommen. Verstehst du das?“
Langsam schüttelte Betty Rush den Kopf und schluckte hart.
„Nein, Danielle, das verstehe ich auch nicht. Aber der Hass in seinen Augen war nicht gespielt. Das war verdammt echt. Ich denke, es ist wirklich besser, wenn wir uns für heute von ihm fern halten und unsere Taktik überdenken.“
Beide sahen dem sich langsam entfernenden Jack Ryan-Jones hinterher, als eine dunkle Stimme hinter Ihnen ertönte.
„Joa mai, Madle. Wos habts ihr denn erwortet? Das der uf sein Leben gscheist un euer Kampfdockel wiad?“
Beide wandten die Köpfe und blickten auf die wütend hinter Ihnen stehenden Männer. Sepp Brunftmeyer und Jesse Stonefield schienen das Gespräch verfolgt und ihre eigenen Schlüsse gezogen zu haben.
„Wie zwei so intelligente Frauen so unglaublich dumm sein können will mir einfach nicht in den Kopf. Und dann sagt ihr ihm so was auch noch auf einem Ball des Herzogs! Ich hätte nicht übel Lust euch selbst zu verprügeln. Er ist vielleicht nicht der beste Mensch auf diesem Planeten, aber er tut sein Bestes und da kommen so zwei dahergelaufene Stuten und sagen ihm praktisch ins Gesicht das er nur Mittel zum Zweck ist. Es ist zum kotzen mit euch Weibern. Ihr behaltet Robert im Auge und ich versuche mal die Wogen zu glätten. Sepp geh zum Colonel und sag ihm, dass ich seine Hilfe brauche. Mich alleine verspeist Ryan zum Frühstück, aber vielleicht kann Danton noch was retten, bevor es ein Unglück gibt.“


Dach der Residenz
Parkensen City
Wayside V

Erneut setze er die Flasche an und ließ den scharfen Alkohol seine Kehle hinabrinnen. Jack Ryan-Jones saß auf den Schindeln des Daches und starrte in den sternenübersähten Himmel über Wayside.
Immer wenn seine Zähne wieder zu knirschen begannen, trank er einen weiteren Schluck und so hatte er seinen gewöhnlichen Pegel bereits nach wenigen Minuten erreicht. Brennende Wut und Hass durchfluteten seine Gedanken, ließen ihn zu keinem klaren Entschluss kommen.
Auf seiner Suche nach einem ruhigen Platz zum Nachdenken war er durch einige Räume der Residenz gekommen, die von Pärchen in Beschlag genommen worden waren.
Jedes Mal hatte er sich für die Störung entschuldigt und dann zurück gezogen. Sogar für die Bediensteten, die ihn nach seinem Begehr gefragt hatten, hatte er ein freundliches Lächeln übrig gehabt und sich jedes Mal nach dem Weg zur nächsten Toilette erkundigt.
Aber das war nur eine Maske.
Eine Maske unter der ein Dämon auf einen Riss in seiner Verteidigung lauerte. Jedes Mal wenn er dachte, er könne wieder jemandem vertrauen und dann enttäuscht wurde, bekam der Dämon mehr Nahrung und seine geistige Stabilität, sein Schutzwall bröckelte ein Stück mehr.
Er konnte die Menschen einfach nicht verstehen. Die Bestie Jack war Ihnen unangenehm, sie hatten Angst vor ihm. Aber wenn er versuchte, seine andere Seite zu zeigen, freundlich und verständnisvoll zu sein, bekam er jedes Mal aufs Neue einen schmerzhaften Tritt in die Weichteile.
„Und das mit Anlauf, Ihr verdammten Bastarde! Könnt ihr euch nicht mal entscheiden? Das ist ein verdammtes Scheißspiel!“
Erneut schluckte er weitere Worte mit dem scharfen Brandwein hinunter und sehnte sich nach seinem Flachmann, welchen er in der Kaserne gelassen hatte.
„Sie dürfen die Menschheit nicht für die Taten einzelner verdammen, Jack. Damit isolieren Sie sich nur und verenden irgendwann an ihrem eigenen Hass!“
Die ruhige Stimme ließ Jack aufspringen und zu dem Sprecher herumwirbeln.
Germaine Danton stand auf dem Dach wenige Meter von ihm entfernt, ein Glas Limonade in der Hand und blickte in den Himmel. Hinter ihm erkannte der ehemalige Pirat weitere Gestalten. Zumindest Jesse Stonefield und Jara Fokker glaubte er an den Umrissen ausmachen zu können.
„Vielleicht ist ja genau das der große Plan, Danton. Vielleicht sind manche von uns einfach nur in diesem Universum um gehasst und gefürchtet und verarscht zu werden. Menschen wie ich, Danton. Das genaue Gegenteil von Ihnen. Der gutaussehende, erfolgreiche Söldner mit der weißen Weste und dem reinen Gewissen und auf der anderen Seite der Alptraum der Inneren Sphäre. Der bestialische Pirat ohne Herz. Die blutrünstige Kampfmaschine ohne Gewissen. Das scheint ihr doch alle so zu wollen. Darauf arbeitet ihr doch hin!“
Wieder trank er gierig aus der Flasche um den Schmerz in seinem Innersten zu betäuben, trank solange, bis die Flasche leer war und er sie ächzend absetzte.
Danton sah Ihn betroffen an, schien etwas sagen zu wollen, aber Jack war noch nicht fertig.
„Aber wenn ihr es dann geschafft habt, wenn ihr mich wieder soweit gebracht habt, dass der Dämon freie Bahn hat, dann ist das Jammern groß. Wie kann er so was nur tun? Warum hat er soviel Hass in sich? Verdammt noch mal, seid Ihr denn alle gehirnamputiert? Ihr habt mich zu dem gemacht, was ich bin. Ihr zwingt mich doch dazu, immer härter gegen euch vorzugehen.“
Außer sich vor Wut schleuderte Jack die leere Flasche in Dantons Richtung, verfehlte den Colonel aber und traf dafür einen hoch aufragenden Schornstein, an dem das Glas in einem Scherbenregen zersprang.
„Das reicht jetzt, Sergeant Ryan-Jones.“
Jara Fokker trat aus dem Schatten des dunklen Treppenaufgangs, die durchgeladene Dienstpistole auf ihn gerichtet.
„Ah, ihr Vorzeigeobjekt, Danton. Ein Komet innerhalb der Chevaliers. Captain Jara Fokker. Glauben Sie wirklich, dass sie bereit dafür sind, einen unbewaffneten Mann Auge in Auge zu erschießen, Captain?“
Jack drehte sich der Frau zu, breitete die Arme aus und ging langsam auf Sie zu.
„Sind Sie dieser Bürde wirklich gewachsen, Captain. Daran zerbrechen die meisten Offiziersanwärter. Am Töten. Na los, schießen Sie schon, Captain. Machen Sie dem ganzen Dreck endlich ein Ende. Schicken Sie mich zurück in die Hölle, aus der ich komme und tun Sie der Menschheit damit einen Gefallen. Vielleicht gibt man Ihnen dafür sogar einen Orden. Na los, kleines Mädchen. Schieß endlich. NUN SCHIEß DOCH ENDLICH!“
Jara Fokkers Antwort kam langsam über Ihre Lippen. Kalt und berechnend.
„Ich muss Sie nicht umbringen, Jack. Ein Loch in Ihrer Kniescheibe würde bereits ausreichen!“
„Captain Fokker, ich befehle Ihnen, die Waffe zu sichern und weg zu stecken. Dann gehen Sie zusammen mit Corporal Stonefield zurück auf den Ball. Ich bin dieser Situation absolut gewachsen.“
Germaine Dantons Stimme klang hart, befehlsgewohnt und unerbittlich. Und Sie schien Captain Fokker zu erreichen.
„Colonel, dieser Mann ist gefährlich. Das hat er mehrfach bewiesen. Und Sie sind noch immer verletzt. Ich kann das…“
Ihre Entgegnung wurde von Dantons Stimme unterbrochen.
„Das war ein ausdrücklicher Befehl, Captain. Steck die verdammte Waffe weg Jara und schwing deinen Arsch von diesem Dach, oder du lernst mich kennen!“
Ein trockenes Schlucken antwortete dem Colonel, gefolgt von dem klickenden Geräusch einer Sicherung und sich leise entfernenden Schritten.
„So, Jack, nun sind wir alleine. Was trinken Sie da?“
Verwirrt blickte der ehemalige Pirat neben sich auf die verbliebene Flasche Brandwein.
„Keine Ahnung, Danton. Irgendein importiertes Gebräu. Schmeckt zum kotzen, aber es betäubt.“
Seufzend setzte sich der Colonel der Chevaliers und frisch gebackene Graf von Wayside auf die noch von der Sonne des Tages warmen Schindeln des Daches.
„Kommen Sie her, Jack. Und vergessen Sie die Flasche nicht. Dieses Gespräch ist längst überfällig, aber ich hatte durch die Geschehnisse der letzten Wochen leider viel zu wenig Zeit für meine Leute. Ein Regiment zu führen nimmt einen ganz schön ein und meine Verletzungen haben diesen Zustand nicht gerade verbessert. Na kommen Sie schon.“
Wie ein geprügelter Hund griff Jack nach der neben ihm stehenden Flasche und torkelte auf den sitzenden Danton zu, der ihn aufrecht ansah. Als der ehemalige Pirat neben ihm Platz genommen hatte, schüttete der Colonel die restliche Limonade aus seinem Glas und hielt es seinem Gesprächspartner vor die Nase.
„Vollmachen. Sie nehmen die Flasche, Unteroffizier. Wir wollen ja den Anschein wahren. Ich habe von dieser unschönen Sache gehört, Jack, aber ehrlich gesagt, weiss ich wirklich nicht, warum Sie dass so aus der Bahn wirft. Jeder andere Mann in Ihrer Lage würde das ganze als Erfahrung verbuchen und vergessen.“
Ein Brummen und ein weiterer tiefer Schluck aus der neuen Falsche, nachdem das dargebotene Glas aufgefüllt worden war, antworteten dem Colonel.
„Es ist einfach zuviel, Danton. Einfach viel zuviel. Ich kann nicht mehr. Beständig schwanke ich zwischen Wutausbrüchen und Weinkrämpfen und glauben Sie mir, letzteres ist bei mir eigentlich unüblich. Jedes Mal, wenn ich denke, ich hätte wieder Leute gefunden, denen ich vertrauen kann, fallen mir genau diese Leute in den Rücken, nutzen mich aus oder sterben einfach. Egal welche dieser Möglichkeiten, das Ergebnis ist jedes Mal dasselbe. Ich zerbreche. Wieder und immer wieder. Ich habe es satt die Scherbenhaufen zusammen zu kehren, Danton. Hätte mich ihr hübscher Captain eben erschossen, wäre ich Ihr sogar dankbar gewesen. Dann wären meine Qualen endlich zu Ende. Ich habe meine Einheit verloren, die Liebe meines Lebens, meine Selbstachtung und irgendwann habe ich mich selbst verloren. Ich kann einfach nicht mehr.“
Germaine Danton blickte dem Piraten in das von den Sternen fahl erleuchtete Gesicht als dieser ein weiteres Mal die Flasche an den Mund hob. Das glänzende Auge zeugte davon, dass der Mann die Wahrheit sagte. Egal wie hart und zäh Jack Ryan-Jones nach außen hin wirkte, innerlich war er ein ausgebranntes Wrack.
Dies war Germaine schon in der Nacht des Pokerspiels, als er Jack rekrutiert hatte bewusst geworden, aber nach den Ereignissen der letzten Tage hatte er mit einer Besserung gerechnet. Leider war dies nicht der Fall gewesen wie Ihm nun nur zu deutlich vor Augen geführt wurde.
„Wissen Sie, Jack, ich habe es glaube ich schon mal erwähnt, unsere Vergangenheit weißt verdammt viele Parallelen auf und ich denke, ich sollte Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen. Ich schwöre jedoch, dass wenn auch nur ein Wort dieses Dach verlässt, ich Ihnen die verräterische Zunge herausschneiden werde, bevor ich Sie in Ihrem eigenen Blut ersaufen lasse.“
Mit einer kurzen Bewegung und außerhalb von Jack Ryans eingeschränkter Wahrnehmung kippte der Colonel den Brandwein aus seinem Glas aus und stellte es neben sich.
Das würde eine lange Unterredung werden und er hielt es für eine gute Idee, nüchtern zu bleiben.

Eine volle Stunde wartete Jesse Stonefield in dem Treppenaufgang, wie es ihm von Captain Fokker befohlen worden war. Mit gezogener und entsicherter Dienstwaffe, bereit Jack Ryan-Jones kampfunfähig zu machen oder gar zu töten. Ob er das jedoch können würde, darüber war sich der altgediente Unteroffizier nicht ganz im Klaren. Eigentlich konnte er Jacks Ausbruch nur zu gut nachvollziehen.
Immer wieder horchte er auf die Stimmen der beiden Männer, die sich auf dem Dach unterhielten, ohne jedoch ein Wort verstehen zu können.
Als die Stimme Dantons plötzlich abbrach und eine volle Minute nichts mehr zu hören war, riskierte er einen Blick um die Ecke des Aufgangs.
Erleichtert atmete er auf, als er den Colonel über dem Körper des ehemaligen Piraten gebeugt vorfand. Der kommandierende Offizier der Chevaliers hatte ihn auch schon ausgemacht.
„Jesse, kommen Sie her. Er ist eingeschlafen. Die Menge an Alkohol in der kurzen Zeit war wohl sogar für einen Jack Ryan-Jones zuviel. Wir müssen Ihn irgendwie zu den Fahrzeugen schaffen und in die Kaserne bringen, aber ohne viel Aufsehen. Das hier muss unter uns bleiben, sonst waren alle Erfolge der letzten Zeit vergebens.“
Jesse Stonefield nickte schnell und wand sich dann in den Treppenaufgang zurück.
„Robert, los, wir müssen Jack nach unten bringen. Miranda, such uns einen schön ruhigen Notausgang oder meinetwegen auch einen Dienstbotenaufgang. Hauptsache wir werden nicht gesehen. Sepp, hol deinen Truck. Wir bringen Jack in die Kaserne zurück.“
Damit wandte sich Jesse wieder dem Dach zu und kletterte aus dem Aufgang, wobei Germaine Danton ihm eine helfende Hand bot.
„Joa mai, wos is denn dann mit dera Madle. Wie kummans di denn donn nach Haas?“
Bei den Worten von Sepp Brunftmeyer konnte Jesse Stonefield sehen, wie sich der Gesichtsausdruck von Germaine Danton in eine Fratze kalter Wut verzog.
„Die beiden Corporals werden mit mir fahren. Ich habe da noch so ein paar Dinge klarzustellen. Zum Beispiel das ich es gar nicht leiden kann, wenn man einen meiner besten Mechkrieger kaltblütig in den Wahnsinn treibt, obwohl man genau weis, dass er eh schon nicht der psychisch stabilste ist. Aber das lassen Sie getrost meine Sorge sein. Sie bringen den Sergeanten ungesehen in die Kaserne zurück und sorgen dafür, dass er nicht gestört wird, während er seinen Rausch ausschläft.“
Damit kletterte der Colonel in den Treppenaufgang, wandte sich jedoch noch einmal kurz um.
„Ach ja, Jesse, Danke für die Warnung. Das hätte wirklich hässlich werden können. Zumindest scheint Jack einige Menschen in dieser Einheit zu haben, denen er nicht scheißegal ist.“
Ace Kaiser
Eigentlich hätte man die Feier anlässlich seiner Ernennung zum Grafen als einen vollen Erfolg werten können. Gerade im Betracht auf die Integration der Husaren in die Chevaliers. Doch dann war es ausgerechnet für Jack Ryan-Jones zu einem herben Rückschlag gekommen. Einen Rückschlag, den er so nicht verdient hatte. Nicht auf diese Weise.
Germaine seufzte. Seit er aus den Resten von Team Stampede die Chevaliers geformt hatte, war er immer der Meinung gewesen, dass er sich gut um jeden einzelnen seiner Leute gekümmert hatte. Natürlich war das schwieriger geworden, je größer auch die Einheit wurde, aber bisher hatte er immer ein gutes Händchen dabei bewiesen, an wen er gewisse Aufgaben delegiert hatte. Wen er befördert hatte. War das immer noch so? Mit der Aufnahme der Husaren, und sei es nur für eine begrenzte Zeit, standen all seine Talente als Offizier und als Menschenführer auf dem Prüfstand. In diesem speziellen Fall aber stand noch viel mehr auf dem Spiel, die geistige Gesundheit eines Mannes, den er selbst in die Chevaliers gelockt und damit in seinen Verantwortungsbereich integriert hatte. Germaine wusste, dass die Unterredung, zu der er gerade unterwegs war, eine der Wichtigsten sein würde, seit er auf Wayside V angekommen war. Ein Grund dafür, dass er Jara Fokker mitnehmen würde. Für sie war es die Gelegenheit, etwas über Menschenführung zu lernen. Und vielleicht auch etwas über Germaine selbst.
***
Sie waren zu viert im geschlossenen Fond der großen Limousine. In Fahrtrichtung saß Graf Colonel Germaine Danton, seinen Blick auf die Sitzbank gegenüber gerichtet. Neben ihm saß Captain Jara Fokker in einer steifen Haltung, die Ärger bedeutete. Auch ihr Blick ging zur gegenüberliegenden Sitzbank, wo sich Corporal Danielle Vascot und Corporal Bettina Zapatotznie beinahe unter dem Doppelpack an strafendem Offiziersblick krümmten.
"Sir, vielleicht ist es eine gute Idee, jetzt...", begann Corporal Vascot.
"Seien Sie still, Corporal", sagte Danton. Er hob dabei nicht einmal die Stimme.
"Ich denke, es wäre angebracht zu sagen, dass es sich hierbei um eine Sache aus unserer Freizeit...", versuchte nun Zapatotznie sich zu verteidigen.
"Sie auch, Corporal. Schweigen Sie beide", sagte Germaine. Er seufzte tief, senkte den Blick und rieb sich mit der unverletzten Rechten die Nasenwurzel. Den Stock nahm er dafür in die zerschossene Linke, die den schweren Gehstock kaum halten konnte.
"Haben Sie zwei eine Ahnung, was...", begann Danton übergangslos, brach ab und schüttelte verständnislos den Kopf. "Jack ist in diesem Moment in der Kaserne. Falls man ihn nicht gleich wegen Alkoholvergiftung ins Lazarett gesteckt hat. Mehr brauchen Sie jetzt nicht zu wissen. Und ja, bevor Sie zwei sich wundern, wir fahren gerade nicht in die Kaserne zurück. Ich kenne da einen guten Ort zum Reden. Im Fall von Ihnen beiden würde ich allerdings eher von einem guten Ort zum Zuhören sprechen."
Die jungen Frauen enthielten sich einer Reaktion, was Germaine unter "lernfähig" verbuchte. Vielleicht war an dieser Situation ja tatsächlich noch etwas zu retten.

Als der Wagen hielt, kam der Fahrer heraus und öffnete die Tür für den Colonel. Er stak den Stock aus dem Fond, stützte sich schwer ab und bugsierte sich mit einem Schmerzlaut aus der Tür. Captain Fokker, die sich erhoben hatte um ihm zu helfen, beschwichtigte er mit einer Handbewegung. "Es geht schon. Es geht jeden Tag besser, Jara." Danton streckte sich außerhalb des Wagens und atmete die warme Nachtluft ein. Seine Wunden schmerzten wieder stärker. Und das war nach der Belastung einer durchwachten Nacht auch nicht verwunderlich. Wahrscheinlich würde er seine Prozedur heute anders herum erhalten: Pflege der Hand- und der Kniewunde, und anschließend schlafen gehen.
Captain Fokker stieg aus dem Wagen. Sie zwinkerte kurz, als sie bemerkte, dass die Sonne Wayside im Begriff war, den Horizont allmählich zu erhellen. Goldener Schimmer lag über der großen Wasserfläche, an dessen Nordufer Parkensen City erbaut worden war. "Wir sind am Strand."
"Eine schöne Stelle. Vor allem um diese Uhrzeit", erwiderte Germaine. Er klopfte mit der Spitze seines Stocks gegen die Wagentür. "Kommen Sie, meine Damen. Aussteigen."
Gehorsam erhoben sich die Frauen und verließen den Wagen.
"Gehen wir ein Stück", sagte Danton und ging in Richtung Wasser. Die drei Frauen folgten ihm durch die warme Morgenluft.

Mit leisem Plätschern schlugen die Wellen des Kurita-Meers an den Strand. Das Geräusch hatte etwas Beruhigendes, Hypnotisierendes, Meditatives. Unter anderen Umständen hätte es der Anführer der Chevaliers sehr genossen hier zu sein, auch wenn er kein Frühaufsteher war. Diesmal aber lieferten Wayside V's einziges Meer und der dämmernde Morgen nur die Kulisse für eine wichtige Unterhaltung. Oder den Anschiss des Jahres. Das konnte man sehen wie man wollte.
Germaine setzte sich mit Hilfe des Gehstocks. Es wirkte etwas unbeholfen, aber letztendlich ging es nur darum, mit dem Hintern bis zum Sand zu kommen. In Situationen wie diesen erwies sich die weiße Ausgehuniform der Chevaliers natürlich als leichter Nachteil.
"Setzen Sie sich. Der Anschiss dauert länger."
Captain Fokker ließ sich rechts von ihrem Vorgesetzten nieder. Sie setzte sich in den Sand und schlug die Knie links zur Seite. Eine recht damenhafte Pose für die junge Mechkriegerin, die Zeit ihres Lebens in einer Söldnereinheit verbracht hatte.
Zapatotznie setzte sich eher burschikos hin, auf die vier Buchstaben und die Hacken, die Knie dabei weit in der Höhe, ähnlich wie der Colonel.
Vascot hingegen bevorzugte den draconischen Saizen-Sitz und setzte sich auf ihre eigenen Füße.
Missmutig stocherte Danton mit dem Gehstock im Sand. "Ich bin unzufrieden. Ich bin sehr unzufrieden. Sie zwei sind meine Untergebenen, meine Schutzbefohlenen. Ich muss und werde mich um Sie zwei kümmern. Und ich werde Sie, wenn es die Gelegenheit ergibt oder erfordert, bis zur Grenze Ihrer Unfähigkeit befördern. Das verspreche ich. Aber das ändert nichts daran, dass Sie beide heute Mist gebaut haben, und das Oberkante Unterlippe." Er winkte mit der Linken ab, als Zapatotznie etwas sagen wollte. "Nein, weder Sie, Green, noch Sie, Riverdale, haben schon Sprecherlaubnis." Er warf der jungen Captain einen Seitenblick zu. "Jara, du warst bei mir, als wir Jack auf dem Dach gefunden haben. Wie hat er auf dich gewirkt?"
"Du meinst, bevor oder nachdem er mit der Glasflasche nach dir geworfen hat?", erwiderte sie bissig.
"Danach", sagte Danton todernst.
Sie setzte zu einer Antwort an, doch etwas ließ sie stocken. Ihre Hand ging unbewusst zu ihrem Pistolenholster, wo noch immer eine fertig geladene Pistole steckte. Schließlich entrang sich auch ihrer Kehle ein leiser Seufzer. "Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der mich auffordert, auf ihn zu schießen, ihn zu töten, wenn ich eine Waffe auf ihn richte - ohne das er einknickt, wenn er merkt, das ich es auch tun werde. Jack Ryan-Jones ist undiszipliniert, ungehobelt, frech, ein Ärgernis, von einem Soldaten weiter entfernt als Wayside von Terra. Und das waren seine guten Seiten. Aber da oben auf dem Dach, da war er... Schwer suizidal. Und er hätte mindestens eine verdammte Kugel dafür verdient gehabt, nachdem er seinen höchsten vorgesetzten Offizier angegriffen hat. Ich hätte ihm und der Welt damit einen dicken Gefallen getan."
Green und Riverdale wurden blass, als sie hörten, wie knapp Jack an einer Verwundung oder dem Fangschuss vorbei geschrappt war.. Danton registrierte es zufrieden.
"Germaine, verdammt, du hast ihm einen Job gegeben, eine Einheit, Kameraden, eine verdammte Chance, von seinem wertlosen Leben fortzukommen. Und so dankt er es dir? Ich weiß nicht genau, was diese beiden Grazien ihm gesagt haben-", sagte sie bissig und betonte "Grazien", "-aber ich kann nicht glauben, das es ausreicht, um ihn so an den Abgrund zu bringen, dass er die Hand beißt, die ihn füttert.
Ihr Männer seid auch ein merkwürdiges Volk. Immer den starken Max machen wie unser neuer Mustersöldner, aber eine kleine Abfuhr gegen euer Ego, und Ihr werdet heulende Mimosen mit Suizid-Tendenzen."
"Hättest du geschossen?" "Was?" "Hättest du geschossen, Jara?"
"Wenn du mir nicht befohlen hättest die Waffe weg zu stecken, ja. Eine oder zwei Sekunden später hätte ich geschossen. Ich hätte auch mit schussbereiter Waffe hinter dir gestanden, wenn du mich nicht vom Dach geschmissen hättest, Germaine", sagte sie tadelnd.
"Es war... Nötig. Jack brauchte ein Gespräch unter Männern. Oder vielmehr einen Monolog." Wieder stocherte Danton im Sand. "Außerdem hast du mir ja Jesse als Aufpasser da gelassen. Nun guck nicht so. Glaubst du wirklich, ich hätte ihn nicht bemerkt, nur weil er im Dachaufgang wartet?" Er lächelte seiner jüngsten Offizierin verschmitzt zu, dann hob er die Spitze des Stocks und deutete auf die beiden Frauen. "Halten wir fest: Jack ist heute Nacht nur um Haaresbreite dem Tod entkommen. Und euer beider Verdienst war das nicht!"
"Sir, wenn wir..."
"Ich habe Ihnen immer noch keine Erlaubnis zum Reden gegeben, Corporal Vascot. Ich habe nie behauptet, dass ich Sie nicht von Ihren Maschinen abziehe, aus Copycats Kommandolanze raushole und in den Techstab stecke. Also, halten Sie sich beide etwas zurück. Ich könnte auch die SanTechs oder die Küche in Betracht ziehen. Ich bin der Mann, der Sie bezahlt. Ich habe das Sagen."
Zögernd nickten die beiden Frauen.
"Sie haben Jack getötet. Das steht zweifelsfrei fest. Ob er wieder wird, weiß ich nicht. Aber es würde mich doch sehr wundern, wenn es noch der alte Jack ist, den Sie zwei im Doppelpack bearbeitet haben. Und ich weiß auch noch nicht, ob mir der neue Jack gefallen wird."
Danton begann wieder im Sand zu bohren. Dabei sah er auf die unendlich erscheinende Wasserfläche hinaus. "Sie beide sind Frauen, das ist nicht zu leugnen. Und anscheinend war es Ihnen beiden zu peinlich, ausgerechnet von mir in Jacks Bett erwischt zu werden."
"Was?" Jaras Kopf ruckte hoch. "Wie? Du meinst... Beide zugleich? Und das hat er geschafft? Himmel, der Mann ist immer noch schwer verletzt! Ich weiß nicht, ob ich schockiert oder über Ihren Leichtsinn einfach nur entsetzt sein soll, Corporals!"
"Ja, zugleich. Bei dem, was wir auf Terra gerne mal einen "Flotten Dreier" nennen. Das solltest du bei Gelegenheit mal ausprobieren, Jara. Ist eine sehr interessante, und mit den richtigen Partnern angenehme Sache."
Die junge Captain lachte kurz stockend. "Meine Experimentierfreudigkeit ist gerade etwas, nun, ausgereizt. Er hat also mit beiden zugleich geschlafen."
"Ich habe das niemandem erzählt, weil es eigentlich niemanden etwas angeht, außer Jack, Green und Riverdale. Aber du musst es wissen, um zu verstehen, was sie dazu getrieben hat, Jack in eine Ecke zu drängen. Hast du dir von Stonefield sagen lassen, was er vom Gespräch zwischen den dreien mitgekriegt hat?"
Jara nickte. "Ja. Nämlich, dass die beiden ihm eine große Karriere bei den Chevaliers prophezeit haben. Sie wollten in seinem Windschatten mit aufsteigen. Und dafür wollten sie ihn mit Sex bezahlen. Mehr oder weniger."
"Ja, das ist eine recht gute Zusammenfassung."
"Sir, ich..." "Bitte, Vascot, beleidigen Sie nicht meine beträchtliche Intelligenz. Sie können vielleicht Jack reinlegen, weil er bei all dem Schmerz, den er mit sich herum schleppt, ein leichtes Ziel ist, aber sicher nicht mich!"
Jara Fokker zog die Stirn kraus. "Jetzt, wo du es sagst, glaube ich, dass ich langsam verstehe. Erst erwischst du sie im Bett mit Jack, und die zwei müssen befürchten, dass es nach und nach durch die Einheit geht. Wenn nicht durch dich, dann durch jene, die sie aus seinem Zimmer kommen sehen."
"Richtig. Eine Söldnereinheit ist wie eine Dorfkneipe oder der Dorffriseur. Weiß es einer, wissen es alle. Ihrer beider Ruf, Corporal Vascot und Corporal Zapatotznie, hätte... Einen interessanten Klang bekommen. Klar, dass Sie zwei Gegenmaßnahmen ergreifen mussten."
Danton sah die beide lange an. "Wie ich schon sagte, halten Sie mich nicht für dumm. Und halten Sie mich nicht für einen senilen Tattergreis, der nichts mehr mitbekommt. Ich bin vierunddreißig, und habe mehr gesehen als Sie zwei je erleben wollen."
"Sir, es tut uns Leid, aber es war eine Privat...", begann Zapototznie.
Germaine seufzte. "Also gut, wenn Sie unbedingt sprechen wollen, dann tun Sie es. Aber erklären Sie beide mir zuvor eines: Warum wollten zwei temporär den Chevaliers zugeordnete Mechpilotinnen im Windschatten eines MechKriegers, der garantiert nur bis zum Ende der Pardermission bei uns bleiben wird, aufsteigen? Erwarteten Sie, dass Jack morgen auf meinem Stuhl sitzt, oder was?"
Green und Riverdale erröteten bis unter die Haarspitzen.
"Ihre Erklärung war ja schön und gut, und Jack hat sie auch geglaubt. Darin liegt ja das Problem, zum Henker. Aber haben Sie auch mal dran gedacht, dass ein Mann, der so viel hinter sich hat wie Jack, dass jemand wie er, der so oft enttäuscht wurde und selten genug mit mehr als dem eigenen Leben davon gekommen ist, beim Thema Vertrauen, Beziehungen und Ehrlichkeit kein besonders verwöhnter Mann sein kann? Haben Sie zwei auch nur eine Sekunde darauf verschwendet, dass Ihre Lösung, den Sex zu behalten, aber einen Ruf als Karrierefrauen zu erhalten, einem Mann das Herz herausreißt, es zu Boden wirft und von einem Atlas zertreten lässt? Ich sage nicht, dass Jack Sie beide liebt! Aber ein Mann wie er kann es sich gar nicht leisten, mit jedem x-beliebigen Mädchen ins Bett zu gehen, weil er dazu viel zu paranoid ist! Er ist kein Robert Steinberger, für den Sex ein Sport ist. Er ist Jack Ryan, und er hat Ihnen beiden vertraut. Und im Gegenzug haben Sie ihn ermordet, heimtückisch von hinten, mit Messern und Schwertern. Sie haben ihm den Garaus gemacht."
Die beiden Kriegerinnen schienen begriffen zu haben, was hier geschah, und was überhaupt passiert war. Vielleicht hatten sie auch verstanden, dass Sergeant Ryan-Jones ihnen gegenüber nicht den starken Mann hatte spielen wollen.
"Ich werde, wenn ich nachher aufstehe, entscheiden müssen, ob ich Jack erschieße, oder ob es noch Hoffnung dafür gibt, dass er einigermaßen bei Verstand bleibt. Teufel, ich glaube nicht daran, dass er jemals in seinen Brandstifter klettern wird. Dazu wurde er zu sehr verraten, verkauft und kleingehackt."
Zapatotznie schluchzte gequält leise auf. Vascot standen dünne Tränenrinnsale in den Augen. "Sir, ich und Betty, wir möchten uns in aller Form und in aller Gründlichkeit entschuldigen. Ich weiß nicht, was in uns gefahren ist, weder als wir zu zweit bei Jack im Bett gelandet sind, noch als wir ihm... das alles gesagt haben. Ich weiß nicht, was da in uns gefahren ist. Aber auf keinen Fall wollten wir nur als Gespielinnen des bösen Piraten abgehandelt werden."
Danton schnaubte leise und traurig. "Danielle, nicht bei mir müssen Sie sich entschuldigen. Jack ist hier das Opfer. Ja, das Opfer. Ich hätte mir wirklich gewünscht, das berühmte weibliche Einfühlungsvermögen hätte diesmal bessere Arbeit geleistet, als einem psychischen Wrack, das noch immer halbtot ist, so eine furchtbare Enttäuschung zu bereiten. Entschuldigen Sie sich bei ihm, und die Sache ist von meiner Seite aus gegessen. Allerdings herrschen bei den Chevaliers raue Sitten, wenn jemand einen anderen Chevalier aus egoistischen Gründen missbraucht und misshandelt. Stellen Sie sich auf ein paar kalte Wochen ein."
Danton deutete wieder mit dem Stock auf die beiden Frauen. "Stehen Sie auf, Corporal Vascot und Corporal Zapatotznie. Sie bleiben in Copycats Befehlslanze, und von offizieller Seite sehe ich keinen Grund, Sie zwei zu maßregeln. Das aber nur, weil Sie mir zugehört haben, und nicht einmal nachgefragt haben, was ich Schlimmes mit Ihnen anstellen werde. Sie haben nicht an sich gedacht, aber an das Opfer. Ich muss daraus schließen, dass Sie doch nicht vollkommen eiskalt sind." Er nickte in Richtung der Limousine. "Hauen Sie ab und sagen Sie dem Fahrer, er soll mich und Captain Fokker anschließend hier abholen."
"Ja, Sir." "Danke, Sir." Die beiden Kriegerinnen erhoben sich, klopften den Sand von ihren Ausgehuniformen und verließen langsam den Strand, nachdem sie in Richtung Fokker und Danton noch einen Gruß geflüstert hatten.
***
Die Sonne erschien gerade als kleine Sichel über dem Horizont, während Danton noch immer im Sand stocherte. Jerry war beinahe fertig. Er arbeitete nur noch am Hut und an den Füßen.
Jara schnaubte amüsiert. "Danke, Germaine. Ich habe meine Lektion in Menschenführung gelernt. Habe ich Jack falsch eingeschätzt? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich geschossen hätte, wenn du nur eine Sekunde gezögert hättest. Nicht in den Kopf. Ich bin keine Mörderin. Aber eventuell ins rechte Knie und in die linke Hand. Es wäre meine Pflicht gewesen. Es wäre auch eigentlich meine Pflicht gewesen, bei dir zu bleiben, Germaine. Du bist mein kommandierender Offizier."
"Es geht mir nicht nur um die Lektion in Menschenkenntnis, Captain Fokker. Es geht mir auch um uns beide. Es ist schön, dass du ein wenig von meiner Sichtweise erhascht hast, Jack betreffend. Aber der wichtigste Grund für mich ist, dass ich auf diese Weise Jara mal für mich alleine habe."
"Wie darf ich das denn verstehen?", fragte Jara in gespieltem Ernst. "Wird gleich Miko herkutschiert, und ich bekomme meine Lektion im flotten Dreier?"
Germaine hielt inne. Er zog den Stock zu sich heran und sah Jara ernst an. "Mädchen, an einer Sache solltest du niemals zweifeln. Und ich bin sicher, du weißt es längst. Ich liebe dich, voll und ganz. Du bist mein Goldschatz. Allerdings nur wie die kleine Schwester, die ich nie hatte. Dennoch, du bist in meinem Herzen, heute und an jedem weiteren Tag, den die Innere Sphäre mich am Leben lässt."
Die junge blonde MechKriegerin errötete bis in die Haarspitzen. Sie versuchte zu antworten, aber ihr schienen die Worte zu fehlen.
Danton lächelte. "Sei unbesorgt. Ich würde nicht mal meinen eigenen Bruder befördern, wenn ich nicht fest dran glauben würde, dass er den Job schafft. Du bist also nicht wegen deiner tollen Haare und der hübschen Augen befördert worden, sondern weil ich Potential in dir sehe. Viel Potential. Du hast dein Ende noch nicht erreicht. Und wer weiß, vielleicht erbst du irgendwann einmal die Chevaliers von mir."
"Die dann wahrscheinlich schon Regimentskampfgruppengröße haben werden", erwiderte sie mit leichtem Sarkasmus in der Stimme. Etwas weicher fuhr sie fort: "Ich bedanke mich für deine Gefühle, und dafür, dass du sie mir offenbarst. Und natürlich hast du Recht. Ich wusste es, nein, ahnte es schon vorher. Die Frage ist, warum du es mir jetzt erzählst."
Danton lächelte dünn und wehmütig. "Du tust mir weh, Jara."
Konsterniert starrte sie den Colonel an. "Äh, was bitte? Ich tue dir weh? Aber.. Warum? Wie? Ich meine, ich bin doch immer da, wenn du mich brauchst! Ich mache doch jeden Job, den du mir auferlegst! Ich verteidige dich mit meinem Leben, wenn ich muss! Und ich versuche dich jeden einzelnen Tag, vor deiner Leichtsinnigkeit zu bewahren!"
"Ja, der letzte Punkt ist es, Jara. Du glaubst, ich bin leichtsinnig und sehe es nicht. Ich glaube, dass ich weiß, was ich tue. Ein Interessenkonflikt, den wir nicht lösen können, solange wir nicht den Schiedsspruch eines Neutralen annehmen, den wir beide respektieren. Aber Manfred ist leider nicht verfügbar."
"Sehr witzig. Aber jetzt, wo du es ansprichst, Germaine, du BIST leichtsinnig! Die Sache mit Steinbergers Duell, die Husaren in die Chevaliers zu holen, sich überhaupt in diesen Konflikt einzumischen, der uns eigentlich nichts angeht... Gut, die Husaren scheinen sich zu integrieren, und letztendlich hat uns unser Einsatz auf Wayside eine Heimatbasis eingebracht, die uns nichts kostet. Aber das waren nur drei Punkte auf meiner Liste."
"Und das ist das Problem. Du hast eine Liste, Jara. Die hattest du früher nie. Da warst du auch oft nicht meiner Meinung, aber du hast mir wenigstens vertraut. Heute aber diskutieren wir ständig. In einer Gefechtssituation kann das schnell tödlich enden."
"Ich diskutiere nicht, wenn ich im Gefecht Befehle kriege, Germaine", tadelte Jara.
"Noch nicht." Danton legte den Stock beiseite und ergriff ihre feingliedrige, warme Linke. "Jara, was ist los? Was ist mit dir bei den Wölfen passiert? Seit du wieder da bist, erwarte ich jeden Tag, dass du mich zu einem Positionstest herausforderst. Ich gebe zu, ich bin nicht perfekt, und nicht jede meiner Entscheidungen ist richtig. Als ich darauf gehofft habe, dass Steinberger lieber das Patent annimmt, als sich mit mir zu schießen, war das leichtsinnig. Und meine jetzige Hoffnung, dass er sich nie mit mir schießen wird, weil er lieber ein Chevalier mit eigenem Mech sein will, ist wahrscheinlich töricht. Vielleicht aber auch nicht."
"Ach, jetzt verstehe ich."
"Also, Jara, jeder hat Fehler, jeder darf auch Fehler machen. Jeder muss in der Lage sein, Kritik anzunehmen. Aber was brennt in dir? Was treibt dich so?"

Sie sah zur Seite, dann in den Himmel, der nur noch wenige Sterne des galaktischen Zentrums zeigte, und danach direkt in Germaines Augen. "Als ich bei den Wölfen war, da... War vieles so viel leichter. Ich war Soldat, und zwar nur Soldat. Zugleich gehörte ich einer Elite an, die über allen anderen Soldaten stand. Das... gefiel mir. Keine Diskussionen mit den Techs, nicht einmal mit dem MeisterTech. Ich war in einer bequemen Situation, in der ich meinen Kameraden helfen konnte, und zugleich war alles so einfach. Okay, es war knochenhart, und ich war öfters verletzt als in meiner ganzen Zeit bei den Chevaliers. Aber es war so offensichtlich. Simpel. Leicht zu verstehen."
Müde rieb sie sich die Nasenwurzel. "Du weißt, die Rose der Chevaliers war vorher die Rose der Fokker's Cavalry. Ich war vom ersten Tag meines Lebens dazu bestimmt, eines Tages Soldat zu sein, eines Tages einen Mech zu steuern. Ich lebte in der Einheit, ich war die Einheit. Ich... Ich bin Söldner, und ich glaube ein guter dazu. Bei den Clans zu sein nimmt dir aber so viel ab, was du bei den Chevaliers bedenken musst. Ich meine, spätestens mit Dreißig hätte mich ein nachrückender Wolf wahrscheinlich im Positionstest getötet, aber bis dahin hätte ich nur meinen Job machen müssen. Es wäre einfach gewesen, Germaine. Und ich hätte auch wesentlich weniger Lektionen in Sachen Menschenführung gebraucht als bei den Chevaliers. Und dann hast du plötzlich beschlossen, kaum, das ich zu den Chevaliers zurückgekommen war, mich ebenfalls wie einen Kometen aufsteigen zu lassen. Nur eben ohne Positionstest. Ich habe mich gefühlt, als hätte ich Clan Wolf gar nicht verlassen." Sie seufzte leise. "Wenn das alles auf mich abgefärbt hat, dann verstehe ich einiges besser. Aber ich will die kritische Seite von mir nicht verlieren, nicht begraben, nur damit du dich besser fühlst. Ich will dich nicht tot sehen, Germaine. Ich will, dass du lange lebst und irgendwann an Altersschwäche im Bett stirbst. Mit oder ohne Flotten Dreier." Sie lachte leise über ihren eigenen Scherz. "Solange wir in einer Einheit sind, werde ich mir Sorgen um dich machen. Wahrscheinlich werde ich das auch, wenn wir nicht mehr zusammen dienen. Was ich übrigens nicht vorhabe zu erleben. Und deshalb... Kann und werde ich das nicht abstellen." Sie nickte nachdenklich. "Neue Regel, Germaine. Wenn ich Kritik habe, werde ich sie, wann immer sie Dinge betrifft, die ich als verrückt bezeichnen würde, unter vier Augen mit dir besprechen. Ist das akzeptabel?"
"Gut gehandelt und akzeptiert, SternCaptain Jara Fokker", erwiderte Danton.
"Seyla", intonierte sie, und sah böse auf. "Das war gemein."
"Manchmal bin ich gemein. Aber ich verstehe dich jetzt besser, Jara." Langsam ließ er ihre Hand los. Dann ließ er sich rücklings in den Sand fallen. "Und ich bin froh, dass die kleine Jara noch irgendwo da drin ist, in die ich mich gleich nach dem ersten Mechtraining hoffnungslos verliebt habe."
Jara ließ sich neben ihn ebenfalls auf den Sand fallen. "Wieso beim Mechtraining, und nicht beim Vorstellungsgespräch?"
"Weil ich deine inneren Werte liebe, Jara. Also Mechbeherrschung, Trefferquote, Taktik und Strategie."
"Witzbold", erwiderte sie amüsiert. "Habe ich dir schon mal gesagt, dass ich sehr froh darüber bin, wieder bei den Chevaliers zu sein? Wenn nicht, tue ich es jetzt."
Danton schwieg einige Zeit. Jara befürchtete schon, er wäre eingeschlafen.
"Danke", sagte er schließlich. "Danke, Jara."
Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. "Da nicht für, Germaine."

Ein neuer Tag brach für Wayside V an. Und er brachte einige Veränderungen...
Andai Pryde
Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Haupthangar
22. August 3066, 06:39 Uhr

Der Haupthangar lag im Halbdunkeln und war doch voller Emsigkeit. Das lange Wochenende war vergessen und alle gingen wieder ihren Aufgaben nach. Selbst die frühe Morgenstunde änderte daran nichts. Erste Sonnenstrahlen verirrten sich in den langen Hangar. Vereinzelt blieben sie in einer Stützstrebe oder einer frisch angebrachten Panzerplatte hängen, wurden reflektiert und erzeugten ein surreales Zwielicht.
Kistenweise wurden Munition und Ersatzteile verladen und in die wartenden Landungsschiffe gebracht. Sogar einige Mechs wurden bereits für die Verladung vorbereitet, wenn sie auch laut Plan als letztes Einschiffen würden.
Die mittlerweile wieder auf eine ganze Staffel angewachsenen Jäger der Fallen Angels standen einsam an ihrem Platz. Das dunkle, matte Blau der Bemalung schluckte bereitwillig jeden Lichtstrahl.
Sandrina Gurrow lag auf einer kleinen Matte auf dem Boden unter ihrem Stingray und wühlte mit den Händen in den elektronischen Eingeweiden des schweren Jägers.
Ein lauter Knall ertönte und der beißende Geruch nach verbranntem Ozon lag in der Luft.
Fluchend zog sie ihre Hände aus der Luke und warf den Kabelschneider in die Ecke.
„Ma´am?“
„Was ist?“ Sie spuckte die Frage beinahe aus, als sie sich vom Boden erhob und vor dem Mann aufbaute.
Der eher schmächtige Mann in dem schmutzigen, orangenen Overall stand ein wenig verwirrt vor ihr, schien sich aber sonst nicht von ihrem Frust beeindrucken zu lassen. Auf der rechten Schulter blitzte der wütende Adler der Angry Eagles kurz auf, verlor sich dann aber wieder unter dem ihn halb verdeckenden Ölfleck.
In seiner Linken lag die Steuerung für eine kleine Transportpalette, die artig auf ihren Ketten hinter ihm wartete.
Der Mann hielt ihr ohne großes Zögern einen Compblock hin.
Sie griff nach dem Gerät und starrte auf die Materialliste vor sich.
„Was soll ich damit?“
„Sie sind hier der ranghöchste Offizier im Moment und ich brauche jemanden, der das hier abzeichnet.“
Sandy runzelte die Stirn und versuchte aus den Zahlen und Namensschlüsseln der Liste schlau zu werden.
„Und um was handelt es sich hierbei? sie wedelte mit dem Compblock in Richtung der Palette.
„Ersatzteile. Größtenteils Ausschlachtungsware. Teils von den Eagles, teils von den Husaren. Der Colonel dachte sie hätten da vielleicht Bedarf dran. Ist sogar was feines dabei.“
Er griff nach dem Compblock und ließ die Liste durchwandern, dann hielt er ihn wieder vor die Nase.
„Eine Clan ER PPC und sogar ein Set ER Laser. Mittelschwere Kategorie.“
Sandy schnaufte und warf einen Seitenblick zu der offen stehenden Nase ihres Jägers und der daneben aufgebahrten PPC.
„Wenn ich ehrlich bin, ist das das letzte was wir im Moment brauchen.“
„Ma´am?“
„Sehen sie, Corporal…“ ,sie warf einen kurzen Blick auf das Namensschild des Mannes, dass dankbarerweise vom Öl verschon geblieben war, „ Brestwick, davon abgesehen, dass diese verdammte Technologie mich schon mehrfach fast um die Ecke gebracht hat, sind solche Spielzeuge zwar eine feine Sache, aber doch enorm Wartungsintensiv. Da unser Techpersonal allerdings durch die Schlacht am Raumhafen sehr ausgedünnt ist, hat Colonel Danton die Order ausgegeben, unsere Maschinen möglichst gering im Wartungsaufwand zu halten. So eine Clan ER PPC frisst da einfach zu viel Zeit. Davon abgesehen, dass der Großteil hier noch nicht einmal weiß, wie man sie im Fall der Fälle reparieren kann.“
„Ach, das ist alles dasselbe. Ein bissel Spucke, Schweiß und alles läuft wieder wie Sahne.“
Unwillkürlich musste Sandy schmunzeln.
„Wenn das mal so einfach wäre.“
Seufzend deutete sie auf ihren Jäger.
„ Bei der Schlacht am Raumhafen ist mir das Baby da um die Ohren geflogen. Hat mir drei Wochen Reha und ein kaputtes Knie eingebracht. Sie trat kurz mit dem linken Bein auf.
„ Ich kann es immer noch nicht großartig bei höheren G Kräften belasten, was für einen Luft-Raumjäger Piloten aber essentiell ist, da wir nur zu gerne Manöver fliegen, die eine höhere Fliehkraft erzeugen und…“
Sie brach ab, als sie merkte, wie der Mann ausgiebig gähnte.
„Verzeihen sie Ma´am. Ich verstehe zwar so manches von Technik, aber Physik war nie so mein Steckenpferd. Sie hatten also Probleme mit der Wumme hier?“
Er ging auf den Stingray zu und klopfte bedächtig auf die Nase des Jägers.
Nahezu behutsam strich er über das kalte Metall und hockte sich dann direkt vor die Rohrmündung.
„Die sieht doch auf den ersten Blick ganz gut aus.“
Er drehte sich zu der PPC und nahm sie näher in Augenschein. Kurze Hms und Ahas begleiteten die Musterung.
„Da hat jemand aber echt feine Arbeit geleistet. Wenn man so ein edles Stück Technik schnell loswerden möchte.“
Sandy kniff die Augen zusammen und trat an den Mann heran.
„Wie meinen sie das?“
„Hier, gucken sie mal!“
Er griff in den Kabelsalat an Elektronik und zog zwei dicke Stränge hervor.
„Die ganze Verkabelung, sowohl an den Feuerleitcomputer, als auch an die Hauptstromzufuhr vom Reaktor ist völlig blank. Schwache Isolierung, keinerlei Schutz. Das führt logischerweise zu Problemen. Funken und Störungen sind da normal.“
Verwirrt blickte Sandy ihn an und täuschte ihrerseits ein Gähnen vor.
„Elektrik ist nicht so mein Fachgebiet wissen sie“
„Tóuche.“
Brestwick lächelte und erhob sich wieder. Behutsam klopfte er sich etwas Dreck vom Overall.
„Lange Rede, kurzer Sinn. Die Materialien, die in der inneren Sphäre zur Isolierung einer PPC genutzt werden, reichen durchaus für unsere Zwecke aus, aber die schiere Energie einer Clanwaffe dagegen, sprengt diesen Schutz nahezu komplett. Simpel gesagt: Mehr Power, desto mehr Isolierung ist notwendig. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Energiekristalle in diesen Waffen völlig andere sind, was die erhöhte Reichweite und das Plus an Schaden erklärt. Ihre Kristalle haben Sprünge. Das liegt an der Macht dieser Waffe und der Tatsache, dass sie nicht dahin entweichen konnte, wo sie sollte.“
„Und das heißt?“
„Nun wir sollten das Ding einmal Generalüberholen oder eben austauschen.“
Er blickte zu der Palette mit den Ersatzteilen, aber Sandy schüttelte den Kopf.
„Dann lieber raus. Ich hab keinen Bock, dass mir das Ding dann endgültig um die Ohren fliegt oder das nächste Teil. An Clantech bin ich erst mal bedient.“
Brestwick schmunzelte kurz und ging dann wieder die Liste durch.
„Wir könnten die PPC durch einen weiteren schweren Laser austauschen. Wir haben sogar ein Impulsmodell da. Das passt vom Gewicht und der Wärmeleistung her.“
„Wie groß wäre da der Aufwand?“
„Minimal, so ein Stingray kann viel ab und die Elektrik auf den Laser umzustellen sollte weit weniger aufwendig sein, als die PPC zu kalibrieren und zu isolieren. Wir müssten nur das alte Teil hier ausbauen.“
Er klopfte kurz auf die Waffe in der Nase des Jägers.
„Brestwick, ich denke sie haben soeben einen neuen Job gefunden.“
Irritiert und etwas verschüchtert lächelte er.
„Ma´am?“
„Nun unsere Meistertech befindet sich noch im Krankenhaus und gewöhnt sich an ihre neuen Beine und ihr Stellvertreter ist schon genug mit den Mechtruppen ausgelastet. Wie ich schon sagte, wir haben Mangel an guten Technikern und ich überlasse ihnen dafür gerne die ER PPC meines Jägers.“
Brestwick blickte erst zu der ausgebauten ER PPC, dann zu ihr.
„Was soll ich denn damit anfangen?“
Sandy zuckte mit den Schultern.
„Ihnen fällt schon was ein. Wie schnell können wir den Umbau vornehmen?“
Jetzt war es an ihm mit den Schultern zu zucken.
„Gute Frage, das dürfte nicht allzu lange dauern. Heute und morgen, spätestens übermorgen können wir mit der Kalibrierung anfangen.“
„Perfekt. Dann fangen wir doch gleich an.“

Wayside V („Wildkatz“)
Parkensen City Hospital
22. August 3066, 11:39 Uhr

“Verflucht!”
Doreen Simstein fluchte wieder, als das linke Bein unter ihr nachgab und sie sich nur mit Mühe an den beiden Holzlatten links und rechts abfangen konnte.
Trotzdem schlug sie unangenehm mit dem rechten Arm auf.
„Sie dürfen nichts übereilen, Doreen. Diese Beine sind noch völlig neu und noch nicht zu 100% an sie angepasst.“
Doreen schnaufte.
„Das sind leblose Dinger, kein Gefühl, nichts.“
Frustriert schlug sie mit der Hand auf das dunkle, mit Myomerfasern verstärkte Metall, das ihre Beine ab der Hüfte abwärts bedeckte. Zwei Monstren aus Stahl und Kunstoffverbundstoffen, die darauf warteten von einer kundigen hand in etwas schöneres verwandelt zu werden. Der Aufbau glich einem menschlichen Bein sehr stark, aber es war keines. Grummelnd rieb sie sich die Hand, die ihr von dem Schlag auf das harte Material leicht schmerzte.
Immerhin bin ich noch eine vollwertige Frau
Die Träne im Augenwinkel wischte sie mit einer schnellen Bewegung weg.
"Diese Dinger sind ja wirklich faszinierend, mehr als ich gedacht hätte, aber irgendwie so normal, so tot, so schwerm, so langsam."
Sie seufzte und starrte weiterhin auf das Metall.
„Versuchen wir es noch einmal, bitte Doreen.“
Sie blickte zu der Schwester, die sich alle Mühe gab und mit Engels Geduld den Frust der Chevaliers Mastertech über sich ergehen ließ. Die Frau konnte nicht wissen, dass sie nachts schreiend aufwachte, geplagt von Alpträumen und dem Schmerz. Ein Schmerz, der eigentlich nicht sein durfte. Sie ließ den Kopf sinken und lächelte schwach.
„Ok.“
Schweren Herzens drückte sie sich auf der Holzlatte nach oben und bugsierte ihren Körper zum Anfang der parallel verlaufenden Stangen. Auf der Erde nannte man das Gestell, Barren, viele Turner hatten ihre Künste an diesem Gerät gezeigt. Hier diente es den Orthopädischen Patienten als Hilfe ihre Gehfähigkeit wieder voll zu entwickeln.
Doreen stützte sich mit ihren Armen ab und begann nach und nach einen Fuß von dem anderen zu setzen. Das Gewicht lastete dabei zum großen Teil auf den Armen und nicht voll auf den Beinen.
Zitternd setzte Doreen das linke Bein vor. Sie hatte das Gefühl sich mehr und mehr anstrengen zu müssen. Behäbig bewegte sich das dunkle Stück Metall vorwärts und setzte mit einem dumpfen Geräusch auf der Matte unter dem Barren auf.
„Und jetzt langsam das Gewicht auf das Bein verlagern.“
Ächzend nahm sie die Spannung aus den Armen und begann wie ihr geheißen.
Plötzlich rutschte ihr linker Arm weg und sie drohte unangenehm auf den Barren zu stürzen, doch zwei kräftige Hände hielten sie aufrecht.
Als sie den Kopf hob, blickte sie in das Sorgenvolle Gesicht von Decius Metellus.
Der Captain der Chevaliers hielt sie eisern fest und schaute ernst.
Mit seiner Hilfe stütze sie sich wieder ab und begann die Beine weiter zu bewegen. Stück für Stück und immer mehr spürte sie, wir die Belastung an den Armen abnahm. Einerseits durch die permanente Stützte des schweigsamen Marianers und andererseits wurde sie mit jedem erfolgreichen Schritt sicherer und verlagerte mehr und mehr ihr Gewicht auf die Beine.
Nach kurzer Zeit erreichte sie das Ende der Barren, wo bereits die Schwester mit dem Rollstuhl auf sie wartete.
Zitternd und gestützt von Metellus ließ sie sich in das weiche Polster sinken.
„Danke.“
„Keine Ursache. Setz dich nicht so unter Druck Doreen!“
Er blickte sie ernst an und dann schlich sich ein feines Lächeln in sein Gesicht.
„Und vor allem sei froh, dass du noch lebst und es nicht deine Arme waren.“
„Ein schwacher Trost.“
Sie hob die Hände und starrte auf die schwieligen Handflächen.
„Aber ich werde es mir merken, danke.“
Metellus nickte nur kurz und schickte sich an wieder zu gehen. Doreen blickte ihm nur hinterher, sagte aber nichts weiter, während die Schwester sie in die entgegen gesetzte Richtung bugsierte.
Während sie wieder auf ihre Beine starrte, kam ihr eine Idee. Das Lächeln auf ihrem Gesicht sprach Bände und Doreen Simstein wusste, dass der Colonel sie dafür hassen würde.


Decius Cecilius Metellus konnte das Zittern seiner Hand nicht verbergen, als er sie nervös auf die blanke Klinke legte.
Die kurze Begegnung mit Doreen Simstein hatte ihn an die schmerzlichen Verluste erinnert, die sie alle kürzlich erlitten hatten. Er wusste noch jeden Namen. Stein, der schwer verletzt noch immer im Krankenhaus verweilte. Dante, Grunvold, Tohunga und viele andere hatten nicht solch bescheidenes Glück gehabt. Er atmete schwer durch und öffnete die Tür.
Auf dem Weg zur Kantine und zum Mittag hatte der hiesige Stationsarzt ihn wie gewünscht darüber informiert, dass sie aufgewacht war. Zügig, aber nicht hektisch war er sofort ins Krankenhaus gefahren und hatte sich abwesend die Geschichte dieses bayrischen Fahrers der Husaren angehört. Brunftlmeier oder so ähnlich.
Er rechnete mit allem, während sein Herz wie verrückt bis zum Herz klopfte.
Allerdings fiel sein Blick als erstes auf den Rücken eines Arztes im Kittel und daneben Germaine Danton, die beide um das Krankenbett herum standen und ihm die freie Sicht verwehrten.
Danton drehte sich gerade um und lächelte aufrichtig.
„Decius Metellus, es gibt doch noch erfreuliche Dinge zu diesen Zeiten.“
„Mein Imperator.“
Er neigte leicht das Haupt und mahnte sich zur Ruhe. Er wollte nur ans Bett stürzen, die beiden Männern bei Seite stoßen und ihre Hand ergreifen, ihre Wärme spüren und sie nie wieder los lassen.
Geistesgegenwärtig trat der Chef der Chevaliers einen Schritt zur Seite und offenbarte den Blick auf Sarah Slibowitz.
Sie lag immer noch in dem gräulich-weißen Bett und ihr Teint passte sich dieser Farbe immer noch stark an, schien aber bereits mehr an Farbe zu gewinnen. Während der Arzt ihr gerade etwas Blut abzapfte, stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, als sie seines erblickte.
„Dec…“
Weiter kam sie nicht, als sich seine Gefühle Bahn brachen und er neben ihrem Bett auf die Knie fiel und ihre Hand ergriff.
Die erwartete Kälte blieb aus, sie war leidlich warm, aber sie pulsierte vor Leben. Schwach drückend erwiderte sie seine Berührung, sagte aber nichts.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter, aber Danton sagte nichts.
„Es geht der Patientin den Umständen entsprechend sehr gut. Abgesehen von einigen Mangelerscheinungen, größtenteils bedingt durch die schweren Verletzungen und das künstliche Koma. Ein paar Tage Ruhe und gute Ernährung und es sollte ihr schon bald wieder besser gehen.“
Decius nickte nur, unfähig etwas zu sagen, so trocken war sein Mund, während er in die Augen von Sarah blickte. Sie wirkte immer noch sehr schwach und aus tiefen Höhlen hielt sie den Kontakt, aber ein wacher Funke tanzte in dem tiefen blau.
Er bekam nicht wirklich mit, wie der Arzt das Zimmer verließ.
Seufzend legte er den Kopf in ihre Hand und schluchzte vor Erleichterung.
Keiner sagte ein Wort, bis Germaine Danton sich räusperte.
„Sie wird wieder gesund werden, Decius Cecilius, zumindest weitestgehend.“
Er hob den Kopf.
„Weitestgehend?“
„Ich werde Leben. Mit Einschränkungen.“
Ihre Stimme war ein heiseres Krächzen, indem eine Spur Traurigkeit mitschwang.
„Mein Innenohr wurde…“
Ihr versagte die Stimme.

„Ihr Innenohr wurde schwer beschädigt, vermutlich irreparabel, aber das wird sich zeigen.“
Sarah griff nach dem Wasserglas auf dem kleinen Beistelltisch und trank einen kurzen Schluck.
„Man wird mir ein Implantat einsetzen, dass mein Innenohr stärken wird, da das Gewebe mit den auf Wayside vorhandenen Mitteln nicht ohne weiteres instand gesetzt werden kann. Der Arzt meinte das würde spätere Eingriffe nur unnötig verkomplizieren und die Chance auf vollständige Heilung minimieren. Dieses Implantat hilft mir beim Gehen, Laufen und im Alltag. Allerdings, “sie stockte kurz und schluckte schwer, „ ich werde nie wieder fliegen können.“
„Eine Weile zumindest, “kam sofort die Verbesserung aus dem Munde Dantons, der wie so oft den unverbesserlichen Optimisten gab.
Schweren Schrittes bewegte er sich um das Bett und versuchte seine eigene Verletzung mit Stolz und Bürde zu präsentieren.
„Das ist gut.“
Er blickte kurz in die irritierten Gesichter der Beiden, bevor er weiter sprach.
„Dass du lebst. Ich wüsste nicht, was ich gemacht hätte…“
Weiter sprach er nicht, sondern drückte Sarahs Hand nur fest.
Bevor einer etwas erwidern konnte, griff er mit der anderen Hand in die Tasche seiner Uniform und holte das kleine, schwarze Etui hervor.
Er barg es in der hohlen Hand, während er sie auf Sarahs Bauch legte.
„Sarah Slibowitz. Ich bin ein Mann, der wenig hat und dir nur wenig bieten kann. Fern der Heimat diene ich einem großartigen Imperator und ich ziehe aus seine Feinde zu strafen. Ich lebe ein gefährliches Leben, aber ich möchte dieses Leben mit dir verbringen, bis ans Ende meiner Tage, egal wie und wann das sein mag.“
Er öffnete das Etui und präsentierte ihr den kleinen, schlichten Ring mit dem eingefassten Stein. Rubinrot blitzte er auf und schien nur von dem verblüfften, aber strahlenden Lächeln Sarahs übertroffen zu werden.
„Das wurde auch verdammt noch mal Zeit.“
Danton klopfte sich laut auf den Oberschenkel, während er die ergriffene Stille durchbrach.
Er hob den Gehstock und deutete auf die beiden Chevaliers.
„Und ich werde dafür sorgen, dass du dieses Versprechen solange wie möglich einhalten wirst, alter Freund.“
Metellus lächelte schwach. Es war ihm letztendlich leichter gefallen, als er es gedacht hätte, und auch anders, als er es sich ausgemalt hatte. Kurz und schmerzlos, wenig romantisch und doch, wie er an dem lebendigen Leuchten in Sarahs Augen sehen konnte, genau richtig.

„Ja.“
Zitternd, aber kraftvoll kam das kurze Wort aus ihrem Mund, während sie ihre rechte Hand ausstreckte und sich den Ring auf den Finger schieben ließ.
Metellus erhob sich und gab ihr einen flüchtigen, aber doch liebevollen Kuss, dann wandte er sich Danton zu.
„Mein Imperator, ich bräuchte einen Trauzeugen.“
Germaine hob die Hand und lächelte leicht.
„Sehr gerne, aber ich muss ablehnen. Ich hatte interessanterweise erst vor einiger Zeit ein solches Gespräch und wurde von einer Dame gebeten im Fall der Fälle ihr Brautführer zu sein und ich mache als solches auch von meinem Recht Gebrauch, dir deine Braut sicher zuzuführen.“
Danton lächelte erhaben, während er sich in dem Stuhl, auf dem er sich mittlerweile niedergelassen hatte, zurücklehnte.
Zum ersten Mal seit Wochen, schien so etwas wie völlig ausgelassene Zufriedenheit den Raum zu füllen.
Ein unfassbares Glück für Decius Cecilius Metellus. Endlich ein guter Tag.


Wayside V („Wildkatz“)
Sterling District
22. August 3066, 22:39 Uhr

Was für ein beschissener Tag.
Alec Brestwick schüttelte sich innerlich, als er den Tag Revue passieren ließ.
Angefangen hatte dieser doch recht sonnige Tag durchaus sehr interessant. Zusammen mit der durchaus sehr ansehnlichen und charmanten Sandrina Gurrow, von den Fliegern der Chevaliers, hatte er an ihrem Stingray herum geschraubt. Das hatte einen interessanten und schönen Morgen ergeben, wenn man bedachte, dass er nur ein paar Teile und Waffen ausliefern sollte.
Das Mittagessen war mal wieder der tägliche Höhepunkt gewesen, dieser Küchenchef schien sein Handwerk zu verstehen. Dann war der Tag schlagartig den Bach runter gegangen.
Erst dieser Master Sergeant, der ihn dafür rundmachte, dass Sergeant Hönigschmid den Vergewaltigern bei den Chevaliers keine Handwaffen aushändigen wollte. Eine, in seinen Augen, durchaus sinnvolle Entscheidung. Man sollte sie alle einfach erschießen, aber nein, dieser Colonel hatte noch die Dreistigkeit sie in seine Reihen aufzunehmen.
Abschaum der Galaxis.
Er schnaufte verächtlich.
Als wäre das nicht schon ein gehöriger Einbruch gewesen, war noch Major McAllister rein geschneit und hatte ihn wegen Fehlfunktionen und Ladehemmungen an ihren Sturmgewehren angemacht. Die darauf folgenden fünf Stunden Waffenreinigung und Wartung waren alles andere als angenehm gewesen. Als finalen und grandiosen Abschluss war dann noch dieser Pirat mit seinem Vergewaltiger-Gefolge aufgetaucht und hatte die Handfeuerwaffen eingefordert, die der Master Sergeant für sie verlangt hatte. Alec hatte da bereits abgeschaltet.
Froh über seinen verspäteten, aber doch noch eingetretenen Dienstschluss hatte Sergeant Hönigschmid ihn noch hierzu verdonnert.
Jetzt saß er hier zusammen mit Privat Lon Devour und fuhr durch das nächtliche Parkensen City.
Das Problem dabei war, dass niemand etwas davon wissen durfte, also hatten sie einen privaten LKW angemietet und ihre Fracht eilig und zu zweit verladen. Das hatte so ziemlich alle Freizeit aufgefressen, die er heute gehofft hatte zu haben, dabei wollte er doch noch die neuen Kameras ausprobieren, vor allem die in der Frauenumkleide.
Der LKW rumpelte durch die Straßen, Devour fuhr schnell und ziemlich ruppig. Verkrampft klammerte er sich an den kleinen Handgriff vor sich und versuchte das hin und her seines Körper auf ein Minimum zu beschränken.
Sie hatten es nun mal eilig. Das Treffen sollte in fünf Minuten über die Bühne gehen und ihr Handelspartner hatte bekanntlich wenig Geduld und war trotz seiner Herkunft sehr drakonisch in seinen Maßnahmen.
Die beiden Scheinwerfer des LKW stachen wie gleißende Sonnenstrahlen durch die Nacht auf Wayside. Erst spät registrierte er den schemenhaften Umriss, der wankend auf die Straße trat.
„Verdammt Lon, pass auf.“
Lon Devour zuckte zusammen und drückte intuitiv auf die Hupe. Dumpf dröhnte es aus dem Motorblock, ähnlich einem Nebelhorn.
Fast in Zeitlupe hob der Mann, so viel konnte Brestwick erkennen, den Kopf und schirmte die Augen vor dem grellen Licht der Scheinwerfer ab.
Dann waren sie heran.
Man spürte den Aufprall nicht, aber hörte ihn überdeutlich in der stillen Nacht. Brestwick konnte förmlich das Splittern der Knochen hören, wie Fleisch riss und Blut spritzte.
„Scheiße. Lon halt an, ich glaub der Kerl trug eine Chevaliersuniform oder so etwas.“
Der Private schüttelte allerdings den Kopf und trat das Gaspedal durch.
„Auf keinen Fall, wenn die uns erwischen sind wir doppelt dran. Anweisung vom Sarge, du erinnerst dich?“
Alec knirschte mit den Zähnen, während er im Rückspiegel einen kurzen Blick auf den am Boden liegenden Körper des Mannes erhaschen konnte.
Schweren Herzens wandte er sich ab und starrte mit zusammengeballten Fäusten durch die Frontscheibe.


Die Fahrt dauert noch knappe zehn Minuten. Zehn Minuten in denen sich Alec das Hirn über die Konsequenzen zermarterte und alle möglichen Szenarien im Kopf durchspielte.
Sie stiegen aus dem LKW, den sie in eine abgelegene Lagerhalle gefahren hatten.
Das Rolltor schloss sich gerade scheppernd hinter ihnen, kaum, dass Alecs Stiefel den Boden berührten.
„Verdammt, wir hätten anhalten sollen. Vielleicht hätten wir ihm helfen können oder wenigstens einen Notarzt rufen!“
Auch wenn er Lon nicht sah, hörte er das Schnauben:
„Alec, halt endlich das Maul. Wir sind hier nicht gerade auf einem Samaritertreff. Was hätten wir tun sollen? Höchstens nochmal zurücksetzen und seine Qualen beenden und ihn dann verscharren und hoffen, dass ihn keiner findet.“
Der trockene Ton traf genau die offene Wunde und Alec wand sich nur noch mehr. Geschockt blickte er Devour an, als sie den LKW umrandet hatten und vor der Heckklappe standen.
„Das ist nicht dein Ernst, oder? Seit wann bist du so herzlos?“
Lon zuckte nur mit den Schultern und schwang sich dann auf die Ladefläche.
„Denk nicht drüber nach. Hilf mir einfach nur.“
Immer noch irritiert griff Alec nach der Steuerung und fuhr die kleine Rampe aus.
Sein Partner machte gerade die kleinen Transportpaletten fertig, auf denen sich mehrere lange Kisten befanden. Er bugsierte die Karren auf die Laderampe, die dann von Alec herabgesenkt wurde.
„Ah Messieurs. Was haben sie denn heute für mich?“
Die rauchige Stimme mit dem französischen Akzent erinnerte Alec irgendwie an den Küchenchef der Chevaliers, als er sich umdrehte und die Neuankömmlinge musterte.
Es waren vier Männer, wobei drei recht eng zusammen standen und der vierte sich leicht abseits hielt.
Das Trio stand Alec am nächsten. Zwei Männer in schwarz, einer in Weiß. Allesamt in teure Maßanzüge gehüllt und mit dunklen Sonnenbrillen versehen.
Der Mann in Weiß stach eindeutig hervor. Kleiner, aber fast genauso breit, wie seine beiden Gefährten, trug er teure weiße Schuhe, passende Handschuhe und einen sehr exklusiv aussehenden Gehstock.
So oder so, er passte einfach nicht hierher in die Gegend voller Lagerhäusern und Industrieaufbauten.
Die beiden schwarz gekleideten schienen seine Bodyguards zu sein.
Der abseits stehende Mann trug einen grauen Anzug militärischen Schnitts ohne erkennbare Rangabzeichen oder Zugehörigkeitssymbole. Lediglich zwei dunkle Flecken wiesen darauf hin, dass an diesen Anzug welche gehörten.
Der Mann war kleinwüchsiger als die Bodyguards, größer aber, als der Franzose und durch und durch trainiert. Seine Bewegungen wirkten außerdem fließender, gefährlicher, auf eine körperliche Art und Weise.
Ein Raubtier.
Lon schob sich an Alec vorbei und zog den Karren zwischen sie.
„Mister Dupont. Wir haben die abgesprochene Bestellung. Dazu sogar noch ein kleines Extra; eine fast neue Clan ER PPC“
Dupont, der Mann in Weiß, trat vor und legte die Hand auf die Kisten auf dem Karren und nickte sichtlich zufrieden.
„Sie werden die üblichen Konditionen erfahren, gab es denn Probleme?“
Devour schüttelte bestimmt den Kopf und grinste breit.
„Keine. Wir haben einfach ein paar Zahlen angepasst und ja auch genug Schlachtfeldbeute gefunden, die noch nicht verzeichnet worden ist. Die Integration der Einheiten verlief etwas chaotisch, zu unserem Vorteil.“
„Gut.“
Dupont machte eine kurze Pause und drehte sich dann zur Seite.
„Messieur Oni das dürfte dann für sie sein.“
Er streckte die Hand nach der Karrensteuerung aus, die Alec bereitwillig an den Mann mit dem grauen Anzug übergab.
Oni – ein Dämon in der japanischen Mythologie. Irgendwie passend zu dem Auftreten des Mannes.
Irgendetwas gefiel Alec an dem Mann nicht, aber er konnte es nicht genau definieren.
Der Mann packte die Steuerung und drehte sich dann um, die Karren hinter sich her.
„Messieurs. Ich bin immer wieder über eine Lieferung dieser Art erfreut. Clanwaffen sind auch heutzutage ein exklusives Gut. Es freut mich immer wieder mit ihnen Geschäfte zu machen. Die Bezahlung erfolgt auf üblichem Wege.“
Dupont drehte sich gerade um, während Lon Devour wieder zurück zum LKW ging. Alec blieb noch kurz verwirrt stehen.
„Sie wissen ja, wie immer gilt, wir haben uns nie kennengelernt.“
Dann verschwand Dupont im Schatten, der nur spärlich beleuchteten Lagerhalle.
„Alec, komm endlich. Wir sind lange genug unterwegs. Wenn wir nicht auffallen wollen, müssen wir jetzt los.“
Stumm nickt Alec und trabte zurück zum LKW. Ihm gefiel diese ganze Situation nicht. Hönigschmid hatte ihm nicht viel erzählt. Er wusste ja von den Schwarzmarktkontakten des Sarge und hatte auch nichts dagegen, da auch für ihn das ein oder andere Scheinchen mehr abfiel, aber das hier wirkte irgendwie beunruhigend auf ihn, aber wieso?
Gedanken verloren registrierte er den kleinen Blutfleck am rechten vorderen Kühler, aber bewusst drang dieser Sinnesreiz nicht zu ihm durch, als er wieder in den LKW einstieg und sie zurück fuhren.
Thorsten Kerensky
Der folgende Text ist eine Gemeinschaftsproduktion von Taras Amaris und mir:

Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
20. August 3066, 14:15 Uhr

Der Montag nach dem verlängerten Wochenende hatte für die zweite Kompanie entspannt begonnen. Jara zeigte sich erfreut über die Fortschritte ihrer Truppe und dankbar dafür, dass keiner ihrer Schutzbefohlenen am Wochenende über die Stränge geschlagen hatte. Im Gegenzug hatte sie die Zügel noch etwas weiter gelockert und der Dienst war, zumindest aus ihrer Sicht, nun beinahe gemütlich zu nennen.
Lanzenweise war ihre Kompanie im Mechhangar zum technischen Dienst angetreten. Viel zu tun war an den zwölf Maschinen allerdings nicht, die Lanzen waren in bestem Zustand und es ging nun ein gutes Stück theoretischer zu. Trotzdem hatte sie den Männern und Frauen gestattet, die Feldblusen beiseite zu legen und nur in Stiefeln, Kampfhose und T-Shirt zu arbeiten.
Während die Techs der Chevaliers am anderen Ende der Halle immer noch an einigen Kampfmaschinen arbeiteten, beugten sich Kotare, Yamada und Voronin über den Bauplan, den sie auf dem Fuß ihres Waldwolfs ausgebreitet hatte.
„Kritischer Punkt bei den meisten Clan-Maschinen ist die Verbindung zwischen Beinen und Torso“, erklärte sie gerade.
Yamada und Voronin schienen die Worte gierig aufzusaugen und erhofften sich dadurch einen Vorteil in den bevorstehenden Gefechten gegen die Krieger eines ausgelöschten Clans. Kotare, selbst ein ehemaliger Nebelparder, hörte zwar interessiert zu, wusste diese aus seiner Sicht banalen Dinge aber natürlich schon.
Ab und an verbesserte er Jara oder ergänzte ihre Ausführungen und die blonde Frau war dankbar, die nächsten Gefechte mit einem Experten an der Seite ausfechten zu dürfen.
„Die Modul-Technologie der Omnis und der Wunsch nach großen Feuerbereichen sorgt oft für eine sehr anfällige Hüfte. Hier sitzen sehr viele bewegliche Teile und empfindliche Stabilisatoren. Gerade beim Waldwolf und beim Bluthund treten hier oft Probleme auf, aber auch bei Modellen wie Höllenbote und sogar dem Höhlenwolf.“
Sie wollte gerade auf die Besonderheiten der leichteren Clan-Omnis eingehen, als hinter ihr eine tiefe Stimme ertönte.
„Hallo, Captain Fokker!“
Langsam drehte sie sich um und blickte in die Augen von Jack Ryan-Jones. Stonefield und Steinberger standen einen Schritt hinter ihm und schienen sich unwohl zu fühlen.
Jara merkte, wie diese kalte, berechnende Wut in ihrem Innersten aufflackerte, welche sie jedes Mal verspürte, wenn sie diesem widerwärtigen Piraten gegenüberstand.
Sie hatte Germaine versprochen, sich zurückzunehmen, aber die Art und Weise, auf die der Alte sie auf dem Ball bloßgestellt und vor einem Stück menschlichen Abschaums wie ein Kind behandelt hatte, machten ihr viel stärker zu schaffen, als er vermutlich ahnte. Vermutlich auch stärker, als sie selber noch vor Kurzem gedacht hatte, als sie Germaine am Strand zugehört hatte. Da war alles so einfach gewesen. Jetzt und hier im kalten Betongrau der Reparaturhalle holte sie die Wirklichkeit ein.
„Sergeant?“, antwortete sie mit frostiger Stimme.
„Ich habe Ihnen noch gar nicht dafür gedankt, dass Sie mir am Samstag das Leben gelassen haben.“
Jack Ryans Worte kamen ruhig, betont und sehr überlegt über seine Lippen. Es war wirklich schwer einzuschätzen, wie er sie meinte.
Jara hingegen machte keinen Hehl aus ihrer tief empfundenen Abneigung.
„Das Knie, Sergeant. Ich hätte Sie nur kampfunfähig geschossen.“
„Wie Sie meinen. Aber so eine Chance bekommen Sie sowieso kein zweites Mal.“
Jack, der sich als Sieger in dem kurzen Wortgefecht wähnte, wollte gerade gehen, als Jaras Stimme ihn erstarren ließ.
„Die nächste Chance habe ich, wenn Sie vor einem Kriegsgericht stehen. Und dann habe ich keine Skrupel, Abschaum wie Sie zu erschießen.“
„Abschaum… Ma’am?“
Betont langsam drehte der Pirat sich wieder zu ihr um. Das sollte wohl beeindruckend wirken, aber Jara ließ sich nicht anmerken, wie sehr sein Auftreten sie verunsicherte.
„Abschaum, Sergeant. Piratenabschaum. Sie und Ihresgleichen sind eigentlich nicht einmal die Kugel wert, die Sie verdienen.“
Sie hatte getroffen. Sie wusste es schon, bevor Jack Ryan-Jones vor ihr ausspuckte. Stonefield und Steinberger machten einen Schritt auf ihn zu, schienen ihn beruhigen zu wollen, aber er wies sie mit einer Handbewegung zurück.
„Und so ein Flittchen wie Du erlaubt sich, über Meinesgleichen zu urteilen?“
Kotare, Voronin und Yamada spannten sich an, aber nun war es an Jara, ihre Begleiter zurückzuhalten.
„Sie sind Alkoholiker, Jack. Sie sind ein Mörder. Kein Funken Ehre, kein Funken Anstand. Sie kämpfen nur für sich. Sie sind eine abscheuliche Witzfigur. Aber eins werden Sie nie sein, Jack, ein Mensch.“
Der Pirat begann vor Anspannung und Wut zu zittern und wie es schien, kurz vor einem Wutausbruch zu stehen, aber nun setzte Jara nach.
Es wurde Zeit, Danton vor Augen zu führen, was er sich mit diesem Mann angelacht hatte.
„Was denn, Jack? So unbeherrscht? Sind sie auf Entzug? Ist ja abartig. Gehen Sie mir aus der Sonne, Sie elender…“
Weiter kam sie nicht, denn Jack brüllte auf und machte einen Satz auf sie zu, die Fäuste zum Angriff gehoben.
Er war deutlich größer und schwerer als Jara, hatte deutlich mehr Schlachten und Schlägereien durchgemacht. Zusätzlich wurde von seinem unbeherrschten Zorn getrieben. Aber er machte einen Fehler. Er unterschätzte seine Gegnerin gewaltig.
Jara war jung, durchtrainiert, hatte sich diverse Kampfstile angeeignet und war bei den Clans gewesen. Vor allem jedoch war sie unverletzt und nicht vom Alkoholismus angefressen.
Im letzten möglichen Moment wich sie dem ungestümen Angriff aus und platzierte eine präzise Gerade gegen Jacks verletzte Schulter. Der Pirat keuchte auf und vernachlässigte seine Deckung für einen kurzen Augenblick.
Ein Augenblick, der Jara reichte, um ihr Knie hochzureißen und es ihrem Gegner brutal in den Magen zu rammen.
Noch während Jack japsend nach Luft rang, verpasste sie ihm einen harten Schwinger gegen den Kopf, der ihn zu Boden schickte.
Jara, die dem Piraten keinen Meter weit traute, brach den Kampf nicht ab, sondern ließ sich auf Jack fallen und nahm ihn gekonnt in einen schmerzhaften Haltegriff, der hauptsächlich seine verletzte Schulter belastete.
Keine fünf Sekunden nach dem versuchten Angriff war der Kampf auch schon vorbei und Stonefield und Steinberger standen verwirrt neben Jara und Jack.
Mit Hinblick auf die drei Lanzenkameraden von Jara, die sich auf der anderen Seite des Kampfgeschehens aufgebaut hatten, trauten sie sich nicht, einzugreifen. Und natürlich tauchten nach und nach neugierige Gesichter überall im Hangar auf.
Jara bekam davon wenig mit. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Der Pirat hatte sie angegriffen und sie genoss den Triumph, ihm unter Kontrolle zu haben.
Allerdings nur für einen kurzen Moment.
„Sie hätten mich vorgestern töten sollen“, zischte Jack. Er hätte eigentlich vor Schmerzen schreien müssen, aber irgendwie schaffte der zähe Hund es, klar und deutlich zu reden.
„Sie hätten uns beiden damit eine große Freude bereitet.“
Jara machte nicht den Fehler, locker zu lassen, aber sie braucht einen Moment, um sich zu sammeln.
Zeit, die Jack nutzte, um weiter auf sie einzureden.
„Sie wissen gar nichts, Captain. Sie haben nichts von der Welt gesehen und Sie wissen nicht, wie es sich in meiner Haut lebt. Sie hätten mich töten sollen. Ich habe keinen Grund zum Leben mehr.“
„Bullshit, Jack. Sie haben einen Grund zum Leben. Sonst hätten Sie sich längst umgebracht. Sie sind dumm, aber nicht feige. Sie haben irgendeinen Grund, sonst hätten Sie sich längst selber eine Kugel in den Kopf gejagt.“
„Glauben Sie wirklich, dass Leben wäre so einfach? Wie lange spielen Sie jetzt schon Soldat? Zwei Jahre? Drei? Lernen Sie den Krieg erst mal kennen!“
Jara verstärkte ihren Haltegriff und konnte dem Piraten wenigstens ein Keuchen entlocken. „Zu Ihrer Information: Ich bin ein Söldnerkind. Seit meiner Geburt kenne ich das Grauen des Krieges. Und ich habe weiß Gott genug Scheiße erlebt und gesehen. Sie sollten mich nie wieder unterschätzen, Jack!“
„Und Sie mich nicht“, mischte sich eine neue Stimme ein. Copelands Stimme.
„Captain Fokker, können Sie mir erklären, warum Sie einen meiner Unteroffiziere fixieren? Auch wenn ich Ihre Haltetechnik beeindruckend finde…“
Jara zog noch einmal an Jacks Arm, um sicherzustellen, dass er sie nicht sofort angriff, sobald sie aufstand und erhob sich dann.
„Sergeant Ryan-Jones hat mich tätlich angegriffen, Sir. Das können die umstehenden Soldaten bezeugen.“
„Ist das wahr?“
Kotare, Yamada und Voronin nickten und nach kurzem Zögern und einem schulterzuckenden Blickwechsel bestätigten auch Stonefield und Steinberger die Ereignisse.
Jack, der auch schon wieder auf den Beinen war und scheinbar keine Schmerzen mehr hatte, schwieg. Er entschuldigte sich nicht, er ging aber auch nicht darauf ein, dass Jara ihn ganz gezielt gereizt hatte.
Jara war verwirrt. Ein Anflug von Reue? Eine seltsame Piraten-Ehre? Warum schwieg er, statt sich zu verteidigen?
Copeland seufzte schwer.
„Ich denke, das ist ein Fall für den Colonel. Captain, Sergeant, folgen Sie mir!“
Schnell trat Jara einen Schritt vor.
„Lieutenant Colonel, Sir!“
„Captain?“
„Mit Ihrer Erlaubnis würde ich gerne darauf verzichten, diesen… Vorfall dem Colonel zu melden. Ich denke, Sergeant Ryan-Jones hat seine Lektion gelernt und noch mehr Strafen kann ihm Colonel Danton eh nicht aufbrummen.“
Copeland zeigte sich gebührend verwirrt, nickte aber schließlich.
„Nun gut, Captain. Sergeant Ryan-Jones, haben Sie Einwände?“
Jack schüttelte stumm den Kopf und warf Jara einen irritierten Blick zu. Dann schüttelte er den Kopf erneut, diesmal energischer.
„Nein, keine Einwände, Sir.“
„Okay. Dann, meine Damen und Herren, vergessen wir das alle ganz schnell wieder.“
Er warf einen Blick durch den Hangar und unzählige Köpfe verschwanden wieder hinter Geländern und Mechs.
„Das gilt für alle hier!“, rief er in die Tiefen der Halle. „Sie haben hier nichts Außergewöhnliches gesehen! Weitermachen!“
Er war noch nicht ganz zehn Meter entfernt, als Jara und Jack sich schon wieder gegenüberstanden, diesmal aber mit dem sonderbaren Respekt, der sich entwickelte, wenn man zusammen einem Vorgesetzten etwas verschwiegen hatte.
„Was wollen Sie nun von mir, Captain?“
„Sie sind Punkt 17 Uhr in meinem Büro, Sergeant! Und vorher gehen Sie mir aus dem Weg!“
Der Pirat nickte. „Jawohl… Ma’am!“

Wayside V („Wildkatz“)
Jaffray-Raumhafen, Kasernenkomplex
20. August 3066, 17:00 Uhr

Es gab Tage, die verliefen in absolut trister Abwechslungslosigkeit. In diesen Zeiten passierte wenig bis gar nichts, das auch nur entfernt vom Plan abwich.
Und es gab Tage wie diesen Montag, an dem eine Überraschung die andere jagte.
Jack Ryan-Jones klopfte auf die Minute genau um 17 Uhr verhalten an Jaras Bürotür und trat erst nach ihrer Aufforderung ein.
Damit nahm er der Offizierin bereits im Vorfeld ein Stück weit den Wind aus den Segeln, denn sie hatte sich darauf eingestellt, dass der ehemalige Pirat verspätet oder gar nicht auftauchen würde.
Ihr Erstaunen wuchs sogar noch weiter, als Jack zackig vor ihr salutierte.
„Melde mich wie befohlen, Ma’am!“
Jara deutete auf den Gästestuhl und blieb hinter ihrem Schreibtisch sitzen.
„Kein Grund zu Förmlichkeiten. Diese Unterhaltung findet privat statt. Keine Dienstgrade, keine Befehle. Und vor Allem: Kein Protokoll.“
„Toll! Solche Unterhaltungen führe ich zurzeit irgendwie regelmäßig“, grummelte Jack, ließ sich aber dennoch auf den angebotenen Sitzplatz fallen.
„Was kann ich also für Sie tun?“
„Sie können mir vielleicht ein paar Dinge erklären.“
Jara lehnte sich zurück und faltete nachdenklich die Hände vor ihrem Bauch. Als sie tief durchatmete, hatte sie sich die folgenden Worte bereits sorgsam zurechtgelegt.
„In dieser Einheit läuft meiner Meinung nach einiges schief. Die ehemaligen Husaren machen Probleme und zu allem Überfluss hat der Colonel sich in den Kopf gesetzt, drei Kriegsverbrecher und einen Piraten zu integrieren. Damit das funktioniert, muss ich wissen, wie diese Menschen funktionieren.“
Jack schien etwas antworten zu wollen, aber Jara schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
„Hören Sie mir zu, Jack! Ich kann Sie nicht leiden und ich traue Ihnen nicht. Wenn es nach mir ginge, würde man Sie aus der Einheit werfen oder zusammen mit Steinberger und Stonefield vor ein Kriegsgericht stellen. Aber der Alte hält schützend seine Hand über Sie. Und er hat mich darum gebeten, meine… Bedenken Ihnen gegenüber vorübergehend hinten anzustellen.“
Sie bemerkte den triumphierenden Blick in den Augen ihres Gegenübers und verzog das Gesicht zu einer bösartigen Grimasse.
„Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht weiterhin wie ein Adler aufpassen werde, damit Sie gar nicht erst die Chance bekommen, allzu große Scheiße zu bauen, Jack. Das heißt nur, dass ich versuchen werde, mit Ihnen auszukommen, ohne Ihnen die Kniescheiben zu durchlöchern. Das dürfte auch in Ihrem Interesse liegen. Ich denke, Sie fühlen sich in einem Mechcockpit wohler als in einem Rollstuhl. Zumindest hatte ich auf der Trauerfeier diesen Eindruck.“
Der Hochmut wich aus Jacks Gesicht und zerknirscht biss er sich auf die Unterlippe.
„Was wollen Sie von mir?“
„Erzählen Sie mir, warum Sie so ein Problem mit mir haben!“
„Wer sagt, dass ich ein Problem mit Ihnen habe? Ich habe eher das Gefühl, dass Sie ein beschissen großes Problem mit mir haben!“
„Ich kann Menschen sehr gut einschätzen, Jack. Ich weiß, dass Sie ein allgemeines Autoritäts-Problem haben. Aber mir gegenüber sind Sie noch unberechenbarer als üblich. Streiten Sie es nicht ab. Sagen Sie mir einfach, woran das liegt!“
Jack verzog schmerzlich das Gesicht, was die entstellenden Narben zu heftigen Zuckungen brachte.
„Wollen Sie eine ehrliche Antwort?“
„Natürlich. Sonst hätte ich Sie auch einfach in den Bunker stecken lassen können, statt Sie in mein Büro einzuladen.“
„Okay, dann will ich Ihnen sagen, was mich stört. Sie sind zu jung und zu unerfahren, um eine Kompanie zu führen. Sie haben keine Ahnung, wie hart das Leben wirklich ist und Sie wissen einen Scheiß über mich. Ich habe selber in Ihrem Alter Verantwortung getragen. Mehr als gut für mich war. Und dann passierte das, was ich Realität nenne und mir wurde alles genommen. Ich sehe das noch auf Sie zukommen und deswegen kann ich Ihnen nicht vertrauen. Sie werden unter dem Druck zerbrechen.“
„So wie Sie?“
Jack zögerte einen Moment und schien seine Antwortmöglichkeiten abzuwägen. Schließlich nickte er jedoch kurz.
„Ja, genauso wie ich. Sie haben doch noch gar nichts gesehen.“
„Denken Sie das wirklich?“
Jara erwiderte seinen Blick und für einige Momente fochten sie ein erstes stummes Blickduell aus.
„Sie wissen gar nicht, was ich alles erlebt habe, Jack. Ich bin als Söldnerkind aufgewachsen, ich habe meine Familie verloren und gute Freunde sterben sehen. Ich bin im Krieg aufgewachsen und ich habe schon Untergebene verloren. Ich war bei den Clans und habe mich dort durchgesetzt und trotzdem bin ich noch halbwegs klar im Kopf. Warum denken Sie, ich würde jetzt zerbrechen?“
„Ihnen fehlt die Brutalität und die Rücksichtslosigkeit, die einen guten Offizier ausmachen. Stonefield und Steinberger sind zwar Kriegsverbrecher, aber sie haben ihre Sache bis zum Äußersten verfolgt. Würden Sie das tun?“
Jara seufzte, beugte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf der polierten Tischplatte ab. Ihr Blick verfinsterte sich und Jack musste irritiert zur Kenntnis nehmen, dass seine Worte sie offensichtlich persönlich getroffen hatten.
„Sehen Sie, Jack und genau da liegt unser Problem. Sie betrachten nur eine Seite der Medaille. Ich hingegen sehe beide. Es waren Piraten und Kriegsverbrecher, die Sergeant Dawn Ferrow als kleines Mädchen in ihre Gewalt brachten, nachdem sie vor ihren Augen die Eltern geschändet und abgeschlachtet hatten. Es folgten Jahre der körperlichen und seelischen Schmerzen. Folter und Vergewaltigung inklusive. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um aus einem menschlichen Häufchen Elend wieder eine halbwegs selbstbewusste junge Frau zu machen. Und es gibt unendlich viel mehr Menschen da draußen, denen einfach niemand mehr helfen kann. Die als Wracks zurückbleiben, wenn Ihre Vorzeigeoffiziere mit ihren krankhaften Aktionen fertig sind.
Genau deswegen, Jack, halte ich Sie und Ihresgleichen für Abschaum! Sie zerstören Leben, Familien, Seelen. Der Tod, Jack, wäre noch zu angenehm für Sie.“
Irgendwann während ihres Monologes schien es in Jacks Gehirn einen Ruck gegeben zu haben.
Vielleicht war ihm das erste Mal aufgefallen, dass er anderen Menschen genau das angetan hatte, was ihm angetan worden war. Vielleicht war es auch nur die Tatsache, dass er mit den Opfern seiner Taten konfrontiert wurde.
Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, als er antwortete, den Blick betroffen zu Boden gerichtet.
„Ja glauben Sie denn, ich sei freiwillig Pirat geworden? Glauben Sie wirklich, man sucht es sich aus, ein Monster zu werden? Es ist, wie ich es vermutet habe. Sie wissen nichts.“
„Dann erklären Sie es mir!“
Jaras Stimme war nun anders, eindringlicher, fast schon versöhnlich.
„Helfen Sie mir zu verstehen, Jack!“
Wieder blickte er Ihr in die Augen.
„Helfen Sie mir im Gegenzug auch, etwas zu verstehen?“
Jara zögerte.
„Was wollen Sie denn wissen? Ich habe nur sehr wenige Geheimnisse, die Sie interessieren dürften.“
„Nein, nicht über Sie“, raunte er.
„Erzählen Sie mir die Geschichte von Steinberger und Stonefield. Das ist etwas, was ich wissen muss.“
Jara atmete tief durch und ließ sich dann in ihrem Stuhl wieder nach hinten sinken.
„Gut gehandelt und akzeptiert, Jack. Sie erzählen mir, was ich wissen will und danach erzähle ich Ihnen, was ich über die Kriegsverbrecher weiß. Aber Sie fangen an!“
Und Jack Ryan-Jones, der sonst so mysteriöse und verschwiegene Pirat, begann sein Leben zu erzählen.