Hinter den feindlichen Linien - Season 4

Tyr Svenson
Jean Davis zögerte kurz, bevor sie anklopfte. Das war jetzt der zweite Brief ihres älteren Bruders, den sie überbringen würde. Es war nicht einfach gewesen beim ersten Mal und auch jetzt hatte sie ein unangenehmes Gefühl. Aber es war der Wunsch ihres geliebten Bruders gewesen, daß diese Briefe nach seinem Tod weitergeleitet wurden. Und Darkness, Ace‘s Flügelmann und Freund, hatte sie ihr gegeben – jetzt war es Jean's Aufgabe und Verpflichtung. Nach dem etwas unangenehmen Treffen mit Lilja hoffte sie, daß es diesmal besser ausging. Soviel sie wußte war dieser Kano Nakakura, Callsign „Ohka“, in derselben Staffel wie Lilja gewesen. Hoffentlich war er nicht genau so eingestellt...
Die letzten Tage waren ohnehin nicht einfach gewesen. Master Sergeant Schiermer tat alles, um sich bei seinen Soldaten unbeliebt zu machen und (wie Corporal „Pork“ es recht poetisch umschrieb) bei ihnen „das Arschwasser zum Kochen zu bringen.“ Und bei Fehlern war er noch gnadenloser als vorher.
Jean faßte sich ein Herz und klopfte. Auf ein undeutliches „Herein“ trat sie ins Zimmer.

Momentan war nur eine Person in der Doppelkabine. Der junge Mann war ziemlich hochgewachsen und trug sein nackenlanges Haar, etwas vorschriftswidrig, zu einer Art Zopf gebunden. Er hatte ziemlich bequem auf seiner Koje gelegen und anscheinend einen Brief geschrieben. Bei Jeans Anblick runzelte er verwirrt die Stirn und kam auf die Beine. „‘Tag, Jarhead. Was bringt dich denn hierher?“ Er grinste, ein durchaus einnehmendes Lächeln: „Oder rekrutiert das Korps jetzt Raumflieger?“ Er stand offenbar nicht so sehr auf Formalismus wie zum Beispiel Lilja.
„Nein. Ich suche Ohka. Ich meine Lieutenant Kano Nakakura. Sie...“
„Ich bin Crusader. Kanos Flügelmann. Was will denn ausgerechnet das Korps von unserem Samurai?“
„Es geht um etwas...Persönliches.“
„So,so...“ Crusaders Lächeln vertiefte sich, bekam aber eine gewisse, spöttische Note. „Na, da muß ich dich warnen, Private. Ohka ist schon vergeben und außerdem anscheinend monogam. Keine Chance...“
Jean fühlte, wie sie rot wurde. Dieses Geflaxe ging ihr auf die Nerven: „Nein, Sir. Darum geht es nicht. Ich will nur mit ihm reden!“ Ihre Stimme klang leicht gepreßt, was das Amüsement Crusaders noch zu erhöhen schien. Aber wenigstens bequemte er sich jetzt, eine vernünftige Antwort zu geben: „An deiner Stelle würde ich mich beeilen. Zurzeit dürfte er in der Kantine sein. Aber in `ner halben Stunde müssen wir wieder raus – Systempatrouille. Du findest ihn ganz einfach. Es gibt nicht viele japanische Piloten bei uns, die außerdem noch `nen Ladestock verschluckt haben.“
„Danke, Sir.“ Jean beschloß, den Brief trotzdem jetzt noch abzugeben. Sie hatte die Sache lang genug vor sich hergeschoben – und wer wußte, wann sie bei Schiermers exzessiven Drillprogramm mal wieder Zeit fand.

Die Kantine war ziemlich leer. Deshalb hatte Jean Davis keine großen Probleme, den Piloten zu finden. Er saß für sich. Als sie noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, drehte sich der Pilot plötzlich um und sah sie direkt an. Er konnte nur ein paar Jahre älter als Jean sein, wirkte aber in ihren Augen recht jungenhaft, vor allem, weil er wohl kaum größer als sie war. Das schwarze Haar war vorschriftsmäßig kurz geschnitten. Die schwarzen Augen musterten sie prüfend. Das Gesicht war ausdruckslos, die Stimme ruhig: „Private?“
Sie nahm Haltung an und grüßte nach Vorschrift: „Sir, ich bin Jean Davis.“
Der Pilot sah sie einen Augenblick lang prüfend an. Dann erhob er sich und streckte ihr seine Hand entgegen: „Sie müssen Ace‘s Schwester sein.“ Allerdings blieb seine Stimme neutral.
„Er...hat einen Brief geschrieben für Sie, wenn er...“
„Ich verstehe. Mein Beileid. Aber...“ Der Pilot zögerte kurz und fuhr dann mit einem harten Unterton in der Stimme fort. „...es tröstet Sie vielleicht zu wissen, daß er einen schnellen und heldenhaften Tod starb. Den Tod eines Kampffliegers. Für seine Kameraden und die Republik.“
„Ich weiß.“ Jean fühlte, wie irgendetwas ihre Kehle zuschnürte. Diese oder ähnliche Worte hatte sie in den letzten Tagen mehrmals gehört. Es trat dennoch weh... Sie drückte Kano den Brief in die Hand. Der Pilot zögerte kurz, dann öffnete er den Umschlag mit schnellen, präzisen Bewegungen. Mit undeutbarer Miene sah er auf den Papierbogen vor sich.

Ohka-kun.
Wenn Du diesen Brief in Händen hältst, bin ich gefallen.
Ich hoffe, es war tapfer in der Schlacht.
Und ich hoffe, Dir und Helen geht es gut.
Wenn es mich hinweg gefegt hat, dann hoffentlich in einem Feuerwerk, in einer brillanten Szenerie, wie sie sich selbst Meisterregisseure wünschen.
Und es hatte hoffentlich einen Hauch von tiefem Sinn. ,Diese Wünsche sind in Erfüllung gegangen. Du bist gut gestorben.‘
Ohka-kun, ich lege meine Aufgaben in deine Hände. Habe für mich ein Auge auf Shaka, Pinpoint und vor allem Helen.
Schieß für meinen Salut ein paar Akarii ab und ärgere an meiner Stelle unsere Oma ab und zu.
Kano verzog kurz den Mund. Pinpoint war tot – noch vor Ace im Raumkampf gefallen. Ein weiterer Kamerad, der den Fliegertod gefunden hatte. Er ging auch davon aus, daß Shaka keinen Aufpasser brauchte. Und auch wenn Ace tot war, er würde bestimmt nicht die für ihn unverständlichen Streitigkeiten, die es zwischen Ace und Lilja gegeben hatte, reanimieren. Und Helen... ‚Draußen kann ich nicht auf sie aufpassen. Aber ich werde immer für sie da sein. Solange ich lebe.‘
Und wenn Du nicht gut zu Kali bist, dann komme ich aus der Hölle zurück und binde dich auf die Spitze meiner Phantom, um mit dir in die nächste Sonne zu fliegen.

Ich hoffe, Du behältst den verrückten, selbstverliebten Gaijin in freundlicher Erinnerung.
Und: Bleib am Leben, mein Freund.

Ace

‚Das kann ich nicht versprechen. Wir sind alle in der Hand des Schicksals.‘

Jean konnte nicht erkennen, ob der Brief bei dem Piloten irgendetwas auslöste. Die Miene des Japaners blieb verschlossen. Nur in seinen Augen glaubte sie ein oder zweimal kurz einen merkwürdig abwesenden Ausdruck zu erkennen – als hätte Kano auf Dinge geblickt, die nur in seiner Erinnerung zu sehen waren. Eine Frage aber hatte sie noch an den Piloten: „Eine Frage, Lieutenant...“
Der Pilot winkte ab: „Sagen Sie Ohka. Momentan bin ich nicht im Dienst.“
„Waren Sie Ace’s Freund, Ohka?“
Kano musterte sie ein paar Augenblicke. Als er antwortete schien seine Stimme nachdenklich, fast zögerlich: „Freunde? Wir waren Kameraden. Wir...verstanden uns. Zumindest manchma.“ Er lächelte flüchtig: „Und wir...es gab einen Menschen, der uns beiden viel bedeutete.“

Jean erkannte, daß sie mehr wohl nicht zu hören bekommen würde. Langsam fragte sie sich, ob alle Piloten so verschlossen waren. Aber dann entschloß sich Kano, doch noch etwas hinzuzufügen: „Wenn Sie wissen wollen, wie Ace war – hier draußen... Fragen Sie Darkness, er ist auf zwei Feindfahrten Ace’s Flightleader gewesen. Und...fragen Sie Kali.“
„Danke.“

Nachdem die Marinesoldatin gegangen war, blieb Kano noch einige Zeit an dem Tisch sitzen. Sein Essen rührte er aber nicht mehr an. In ihm arbeitete es. Ace hatte einen guten Tod gehabt. Trotzdem, dieser Brief brachte Dinge hoch, die schmerzten. Und vor allem – es würde Helen schmerzen, die Ace’s Tod wohl immer noch nicht verarbeitet hatte. Nun, was konnte er tun? Er konnte nur für sie da sein – wenn sie seine Hilfe brauchte und wollte. Mit einer angeekelten Bewegung schob er das noch halbvolle Tablett beiseite. Ein Blick auf den Chronometer brachte Kano auf die Beine. Die Dienstroutine griff wieder. In zehn Minuten würde sein nächster Flug beginnen. Wahrscheinlich wieder nur ein ereignisloser Routineflug. Und wenn nicht... Nun wenn es zum Schlimmsten kam, dann konnte er nur hoffen, ein ähnliches Ende wie Ace zu finden. Den Tod eines Kamikazepiloten.
Kano setzte sich in Trab. Auf keinen Fall wollte er Darkness schon wieder unangenehm auffallen, weil er zu spät kam.
Tyr Svenson
Lightning musterte die Pilotin, die vor ihr Platz genommen hatte. Sie kannte Lilja inzwischen gut genug, um an die Eigenheiten der Russin gewöhnt zu sein. Vor allem an die Mischung aus zackigem Auftreten, unlesbarem Gesicht und einer gewissen Unsicherheit. Die war freilich nur für Vorgesetzte sichtbar, die Lilja gut kannten. Ein leicht nervöses Flackern im Blick, nur für einen Augenblick, ein zuckender Muskel – mehr war nicht zu sehen. Aber Lightning wußte, daß Lilja gerade dann unter Versagensängsten litt, wenn sie Verantwortung für andere übernahm. Nur ließ ihre XO sich das natürlich nicht anmerken und war immer fest entschlossen, sich durchzubeißen. In etwa wie jetzt. Lightning verkniff sich ein schiefes Grinsen. Lilja war niemals zufrieden, wenn sie nicht wirklich perfekte Arbeit leistete, nach den eigenen Maßstäben schaffte sie das jedoch selten – und sie ließ sich auch nicht beruhigen.
„Also, wie sind die Ergebnisse des Trainings?“

Lilja straffte sich noch etwas mehr, wobei sie schon vorher den Eindruck gemacht hatte, sie sei bereit, im nächsten Augenblick mit der Geschwindigkeit einer startenden Typhoon aus dem Sessel aufzuspringen. „Nach Auswertung unserer Simulator- und Übungsleistungen schätze ich, daß wir im Spitzenfeld liegen, was Eskort- und Abfangeinsätze angeht.“ Die Russin hatte es zum Gutteil übernommen, die Grüne Staffel einsatzbereit zu machen. Seit sie einmal von Lightning einen Rüffel kassiert hatte, war sie in der Hinsicht noch sorgfältiger und unermüdlicher vorgegangen als ohnehin schon. Sie hatte einzelne Sektionen oder die ganze Staffel gegen andere Staffeln und simulierte Einheiten der Akarii fliegen lassen – immer wieder, manchmal stundenlang. Inzwischen zeigte es Wirkung. Natürlich war die Staffel nicht unbedingt die beste Einheit an Bord, aber sie lag recht weit vorne, vor allem in den klassischen Aufgabenbereichen der Abfangjäger. Immerhin hatte die Einheit noch einen ordentlichen Anteil an Veteranen in ihren Reihen. Und Lilja gehörte als Zuchtmeisterin zu den energischsten Offizieren an Bord.

Deshalb war Lightning geneigt, ihr Glauben zu schenken. „Wie steht es mit der Zusammenarbeit?“ Das war teilweise ein kritischer Punkt gewesen.
„Inzwischen sind die Neulinge voll integriert. Die Flights arbeiten weitestgehend ohne Probleme. Die Verluste auf Grund mangelnder Kooperation sind um 30 Prozent gesunken.“ Die Stimme der Russin hörte sich etwas gepreßt an. Jede Verbesserung war nicht nur ein Erfolg – sie war auch der Beweis, daß es vorher nicht ganz optimal gelaufen war. Und das war für Lilja immer das Eingeständnis eines Fehlers ihrerseits. Ungeachtet dessen, daß es nur logisch war, daß die Piloten einfach etwas Zeit brauchten, um sich aneinander zu gewöhnen. Man mußte einfach erst mal im Blut haben, wie der Kamerad reagierte, was für einen Flugstil er hatte. Die „Flitterwochen“ waren bei Neuzusammenlegungen einfach nicht zu umgehen, auch wenn man es noch so sehr forcierte.
Punkt für Punkt ging Lightning die Leistungen der Schwadron durch. Zeigten einzelne Piloten Anzeichen von Überlastung? Wie war ihre soziale Zusammenarbeit? Gab es Probleme mit anderen Staffeln und deren Mitgliedern? Disziplinarprobleme?
Vor allem der letzte Punkt war von nicht geringer Bedeutung, da es in der Staffel ein oder zwei „Spezialisten“ gab. Aber Lilja erklärte auch hier, daß es keine Probleme gäbe, beziehungsweise diese kontrollierbar seien.
„Dann ist die Staffel also voll einsatzbereit.“ Lightning blickte Lilja gerade in die Augen. Und diesmal wandte die Russin ihren Kopf nicht leicht zur Seite oder schlug den Blick nieder. Stattdessen nahm sie Haltung an und erwiderte nur: „Voll und ganz einsatzbereit.“
Die Kommandeurin nickte. Das deckte sich ungefähr mit ihrer eigenen Einschätzung. Aber sie hatte es auch von Lilja hören wollen, denn es war immer gut, wenn XO und Kommandeur einer Meinung waren. Außerdem konnte Lilja ruhig lernen, wie man seine Meinung gegenüber Offizieren vertrat, selbst wenn die sich nicht durch das Hacken zusammenschlagen und schneidige Salutieren täuschen ließen, das ebenso wie der kalte Gesichtsausdruck und die unterkühlte Stimme zu Liljas Wesen gehören schien. Und schließlich hatte die XO gute Arbeit geleistet, und dieses Gefühl wollte ihr Lightning auch vermitteln.

Nun, nachdem das geklärt war, konnte die Staffelchefin zum nächsten Punkt übergehen: „Gute Arbeit, First Lieutenant. Wir werden es bald nötig haben. Ich denke, wir können den Druck jetzt etwas zurücknehmen, schließlich geht es bald richtig los. Ich wünschte nur, man würde jetzt schon genauere Informationen herausgeben…“ Aber darauf bestand aus Gründen der Geheimhaltung wenig Hoffnung…
„Es gibt da was, was Sie sich durch den Kopf gehen lassen sollten.“ meinte Lightning, unvermittelt förmlich werdend. Die jüngere Offizierin, die offenbar damit gerechnet hatte, entlassen zu sein, verkrampfte sich wieder unmerklich.
„Haben Sie eigentlich mal darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn Sie die Staffel führen würden?“
In Liljas Gesicht war ein gewisser Anflug von Panik nicht zu übersehen, und diesmal mußte man nicht einmal sehr genau hinschauen.
„Nein, Commander. Ich meine, das wäre nicht angemessen. Und außerdem…“ sie gestikulierte. Lightning erbarmte sich ihrer. Erstaunlich, wie unsicher eine Frau reagieren konnte, die vermutlich schon Dutzende von Akarii auf dem Gewissen hatte, wenn man sie mit so etwas konfrontierte.
„Nein, ich habe nicht vor, mich abschießen zu lassen. Und auch von einer Versetzung zu einem anderen Posten ist mir nichts bekannt. Aber ich denke, Du...“ hier wechselte sie wieder in den eher vertraulichen Ton, den sie im Umgang mit ihren Untergebenen bevorzugte: „...mußt einfach damit rechnen, daß so etwas passieren könnte. Und sei es auch nur, daß ich für ein paar Wochen ausfalle. Dann hast du die Staffel am Hals. Du solltest dich darauf besser vorbereiten – schließlich bist du die XO. Ich habe dich nicht zuletzt für den Fall ausgesucht.“
Lilja schien mit sich zu ringen, sie klang schon beinahe außer sich: „Ich weiß einfach nicht, ob ich das schaffen kann. Ich meine, so wie Sie mit den Leuten umgehen. Ich kann das einfach nicht, gleichzeitig führen und einer von ihnen sein.“
Die Kommandeurin grinste nur schief: „Auch wenn es mir so lieber wäre – DAS ist keineswegs obligatorisch. Jeder Offizier hat seinen eigenen Führungsstil. Wenn du dich im Geschwader umschaust, dann findest du die verschiedensten Beispiele. Zuchtmeister, die kumpelhafte Tour. Oder Chaos.“ Mit letzterem spielte sie auf die „Radio-Phase“ der Roten Staffel an.
„Du mußt selber herausfinden, wie du es kannst, und wie es am besten für die Staffel ist. Aber du darfst es nicht vor dir herschieben und einfach sagen: ,Es wird schon nicht passieren.’“
Die Russin senkte den Blick. Ihre Stimme klang verlegen, leise.
„Ich weiß. Aber – es ist schwer sich das vorzustellen. Ich meine, ich habe es nicht einmal geschafft, meinen Flightkameraden am Leben zu halten. Eine ganze Staffel… Ich meine, es ist auch so schon schwer. Die Verantwortung für ein Leben, oder vier – aber dann für zwölf…“ Sie wirkte geradezu verängstigt – obwohl sie im Kampf ohne Probleme einen feindlichen Kreuzer heldenhaft-sinnlos angegangen wäre, wenn nötig. Vermutlich wäre es ihr auch lieber gewesen.

Lightning wirkte auf einmal müde. Sie dachte an die Leute, die sie geführt – und verloren – hatte. Acht Briefe hatte sie schreiben müssen in diesem Krieg. Zwei nach Mantikor, als die Hälfte ihrer Sektion gefallen war. Und sechs für Mitglieder von Staffel Grün. Es würden noch mehr werden, daran führte kein Weg vorbei. Die Toten hatten alle ein Gesicht, einen Namen. Wie lange noch, bis sie nur noch die Namen, und schließlich nicht einmal mehr die kannte? Wie lange zählte man die Toten?
In solchen Augenblicken war sie froh, kein CAG zu sein. Aber natürlich würde sie auch so eine Aufgabe übernehmen und erfüllen, wenn nötig. Aber sie fragte sich, wie man das aushielt – und in den Menschen mehr sehen konnte als nur Nummern, ohne daran zu zerbrechen. Vielleicht mußte man ein Naturell wie Cunningham haben, um das zu schaffen. Und das war kein Gedanke, der sie neidisch machte.
„Das wird nie leicht. Aber andererseits – die Schwachköpfe, die ihre Leute ins Grab führen, daß sind meist diejenigen, die sich zu sicher sind. Die denken, sie seien unschlagbar. Und die zu sehr hinter ihrem persönlichen Ruhm hinterher jagen. Ich sage nicht, daß ein Staffelchef kein guter Pilot sein muß. Er muß es sein, damit seine Leute ihn respektieren. Und Abschüsse sind da wichtig. Aber sie dürfen nie an erster Stelle kommen. Vor allem muß man die Einheit als Ganzes im Blick behalten, und die Mission, mit allen Konsequenzen. Leicht ist es nie.“ Wobei mit allen Konsequenzen hieß, zur Not auch eigene Leute in den Tod schicken.
Sie blickte Lilja an: „Ich denke schon, daß du das Zeug dazu haben könntest. Immerhin habe ich dich zu meiner XO gemacht, und ich hasse es, wenn ich einen Fehler mache. Auf jeden Fall solltest du dich mit dem Gedanken mal beschäftigen. Dich vorbereiten. Im Krieg kann alles passieren, und du könntest schon morgen die Aufgabe haben, Staffel Grün ins Gefecht zu führen.“

Sie sah, daß sie einen ziemlichen Eindruck gemacht hatte. Nicht so sehr wegen des Inhalts ihrer Worte – Lilja wusste all dies vermutlich sehr genau, zumindest auf einer unbewußten Ebene. Aber die Russin hatte sich vermutlich nie wirklich ernsthaft damit beschäftigt, daß es auch zu ihren Aufgaben gehörte, im Notfall Lightning zu ersetzen. Irgendetwas hatte ihr in der Vergangenheit einen ziemlichen Dämpfer verpaßt und ließ sie vor so etwas zurückschrecken. Vielleicht hatte sie auch vor genau dem Angst, was Lightning so belastete. Als Staffelchef war man für jeden einzelnen Tod in gewisser Weise verantwortlich. Vor den Vorgesetzten, den Angehörigen, vor allem aber vor sich selbst. Und diese Konfrontation war unausweichlich, sie kam immer wieder. Es war schwer, sich immer sicher zu sein, man habe sein Bestes getan. Vor allem wenn die Verlustzahlen wuchsen. Die nagende Ungewissheit, ob nicht besseres Handeln vielleicht doch ein oder mehr Menschenleben gerettet hätte – die wurde man einfach nicht los. Zumindest wenn man kein total abgestumpftes Charakterschwein war.

„Also, Lilja – denk drüber nach. Ich habe ein bißchen Material für dich zusammengestellt. Beschäftige dich besser damit. Du leistest keineswegs schlechte Arbeit. Wenn wir hier heil rauskommen, solltest du dich vielleicht mit dem Gedanken anfreunden, daß der Krieg uns noch einiges bringen kann.“
Die Russin salutierte schweigend. In ihrem Gesicht rang Unsicherheit mit Stolz. Sie fühlte sich ohne Zweifel durch das Lob geschmeichelt. Auch wenn es zum Gutteil einfach eine Tatsache war. In der Staffel gehörte sie zu den Piloten mit der meisten Erfolgen. Sie kannte den Krieg – und war disziplinarisch kein solcher Problemfall wie Claw. Dazu hatte die Russin den meisten anderen First Lieutenants einiges an Erfahrung voraus. Sicher wäre Blackhawk ebenso gut als XO und Staffelchef geeignet gewesen – aber Lightning rechnete immer noch damit, daß man ihr den ehemaligen Ausbilder irgendwann wieder wegnehmen würde. In der Etappe würden sie inzwischen verzweifelt nach erfahrenen Lehrern suchen, die helfen konnten, das Ausbildungsprogramm durchzuziehen. Die Lücken, die man schließen mußte, waren groß. Und sie wuchsen von Tag zu Tag.
Außerdem hatte Lilja eine Bereitschaft gezeigt, Befehle sofort zu befolgen, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Risiko. Und sie hatte Angriffsgeist – dabei aber genug Beherrschung, um nicht den Kopf zu verlieren. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, daß Blackhawk verheiratet war. Solche Piloten rief man eher wieder nach hinten, und es gab daneben auch noch den Grundsatz: „Junge Leute geben leichter auf – alte drehen schneller durch.“ Nun, bei Lilja war Aufgabe kaum eine Option, dazu haßte sie die Akarii zu sehr…
Und schließlich – sie kannte Lilja noch ein ganzes Stück länger als Blackhawk. Die Russin würde es schaffen, es schaffen müssen, sollte es darauf ankommen.
Lightning nickte ihrer Untergebenen zu. Was zu sagen gewesen war, hatte sie gesagt. Damit war der letzte Punkt ihrer Vorbereitungsliste abgehakt: „Also dann, Lieutenant. Wir sehen uns morgen bei der Staffelbesprechung.“
„Zu Befehl, Lieutenant Commander!“
Tyr Svenson
Leinen Los

Die Kneipe „The Golden Merchant“
Fort Gibraltar, Barcelona-System

Das „Golden Merchant“ hatte seine besten Zeiten schon lange hinter sich gebracht, wenn es je so etwas für diesen Laden gegeben hatte.
Am Rande der den Menschen bekannten Galaxis gab es nicht viel Verkehr und damit auch nicht viel Kundschaft. Die Garnison war übersichtlich und der Handel eingeschränkt, erst Recht in Zeiten des Krieges. Nur die Tatsache, das Barcelona aus strategischen Gründen das Hauptquartier der sechsten Flotte beherbergte und als beliebtes Aufmarschgebiet für die Unterstützung der Colonial Confederation fungierte, sorgten für ein wenig Geschäft und Abwechslung.
„Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel“ moserte One-Eye Crow leise, seines Zeichen unverkennbar ein Nachfahre der berühmten Ureinwohner des Nordamerikanischen Terra-Kontinents, deren Klischee der Barbesitzer zumindest in der Hinsicht zu erfüllen schien, als das er den Anschein erweckte, ständig betrunken zu sein von dem Feuerwasser, das er an seine Gäste ausschenkte.
1st Lieutenant Diane „Lady Death“ Balestier grinste, ebenfalls schon deutlich angeschäkert, und wusste instinktiv, dass One-Eye Crow – der im Übrigen im Gegensatz zu seinem Namen noch über beide Augen verfügte – eine Show ohne Gleichen abzog. Diane wusste, welche Masche der Indianer abzog: Wenn seine Kunden dachten, er wäre genauso voll wie sie selbst, konnte er bessere Geschäfte machen, da Sie sich einbildeten, ihn über den Tisch ziehen zu können. Doch in Wahrheit wurden sie selbst übers Ohr gehauen. Wahrscheinlich so wie Diane´s Staffelkamerad Ensign Walter „Sparky“ Saskijewisz.

„Quatsch´ nich´, Mann…“ nuschelte „Sparky“ dann auch prompt, der selber so voll war, dass er einer Haubitze alle Ehre machen würde, während er versuchte mit seinem Finger in Richtung One-Eye Crow zu zeigen, dabei aber eher Bewegungen machte, die entfernt an einen Orchesterdirigenten erinnerten. „Hassu das Zeuch, wat ich bestellt hab´?“
Bei den letzten Worten beugte er sich konspirativ nach vorne, wobei er fast vom Barhocker gefallen wäre, wenn sein Nachbar Ensign Ian „Stinger“ Watrous ihn nicht gestützt hätte, und versuchte so leise wie möglich zu sein. An sich vollkommen unnötig, da die Angehörigen des Dirty Bunch – die die eine Hälfte der noch anwesenden Gäste bildeten – eh alle eingeweiht waren. Die andere Hälfte bestand aus Matrosen der Kaze, einer Fregatte deren Ruf mindestens, wenn nicht noch schlimmer ramponiert war, als der Ruf des Dirty Bunch.
One-Eye Crow spielte das Spiel mit und schaute sich langsam nach links und rechts um. Sparky und Stinger folgten seinem Blick genauso langsam, was Diane bei diesem grotesken Anblick zu einem Augenrollen verleitete. Schließlich antwortete ihm der Barbesitzer mit einem verschwörerischen Grinsen. „Jaaaahhh, hier habt ihr es.“
Dann schob er einen unscheinbaren braunen Pappkarton über die Theke. Mit großen Augen öffnete Sparky den Karton, schaute schnell rein und schloss ihn gleich wieder, mit einem kindlichen Grinsen in seinem aufgedunsenen Schweinchengesicht. Dann schob er seinerseits einen kleinen Umschlag über die Theke und machte dabei auch Kontrollblicke nach links und rechts, welche diesmal von One-Eye und Stinger imitiert wurden. Wenn Diane es nicht selbst sehen würde, hätte sie es nicht für möglich wie albern sich drei ausgewachsene Hornochsen verhalten konnten.
„Ey, lass´ mich auch ma´ guck´n.“ Stinger wollte nach dem Karton grapschen.
„Nix is´. Hab für gezahlt, werd´s kei´m gebn nich…“ lallte Sparky zurück und hielt seinen Karton fest umklammert.

„Kindergarten“ murmelte Diane, beachtete die beiden Streithähne nicht weiter und drehte sich auf Ihrem Barhocker sitzend um. Die Kneipe ähnelte einem Schlachtfeld, überall standen leere Gläser und Flaschen, umgestürzte Stühle und auf dem Boden verteilter Dreck. Betrunkene Matrosen, Soldaten und Piloten saßen um die Tische, mehr oder weniger aufrecht. Einige Volltrunkene, unter Ihnen auch 2nd Lieutenant Hwang-Choi “Whitey” Lee, der sich jeden Abend ihres Landgangs mit einer unglaublichen Beharrlichkeit hatte unter den Tisch saufen lassen, lagen mit dem Kopf auf der Tischplatte und schliefen bereits Ihren Rausch aus.
An einem weiteren, etwas abgelegenen Tisch erkannte Sie Ensign Nikolos “Ares” Roussos und Ensign Debbie “Whirlwind” Bahler die Köpfe turtelnd zusammenstecken. Wobei Diane bislang nicht aufgefallen war, das die beiden ein Paar waren, aber das musste nichts heißen, denn schließlich war Alkohol der beste Taufpate in punkto Paarfindung.
Wieder an einem anderen Tisch grölten 2nd Lieutenant Ruud „Windmill“ Verkerk und sein Flügelmann Ensign Andreas „Blitz“ Schäfer gemeinsam mit einem Sergeant der Marines und einem Matrosen der Kaze ein altes Sauflied. Ein merkwürdiger Anblick, wie Sie zugeben musste, wenn Sie bedachte, wie diese verschiedenen Waffengattungen doch normalerseits miteinander umgingen. Doch andererseits auch wieder nachvollziehbar. Es war für die meisten Mitglieder des Dirty Bunch das erste Mal seit langer Zeit, dass Sie Landgang bekommen hatten. Das Sie das exzessiv nutzen würden, war abzusehen gewesen. Denn wer wusste schonn, ob und wann Sie das nächste Mal Gelegenheit dazu kriegen würden. Dass Sie dabei schon vorgestern auf die nicht minder schrägen Typen der Kaze gestoßen waren, war eher Zufall gewesen und hatte nicht eher zur Zurückhaltung beigetragen.
´Abschaum und Abschaum verträgt sich eben gut` schoss es Ihr durch den Kopf, doch augenblicklich schalt Sie sich ob dieses Gedanken selber. `Du gehörst jetzt auch zu diesem Abschaum, Diane` ging es ihr bitter durch den Kopf.
One-Eye Crow unterbrach ihre düsteren Gedanken, indem er sich zu ihr beugte, während Stinger und Sparky sich weiter um den Inhalt des Kartons stritten. „Darf es sonst noch etwas sein, Lady Death?“
Diane grinste zurück. Hinter all dieser Fassade steckte eine enorme Geschäftstüchtigkeit, doch in diesem Fall hatte Diane ihre Geschäfte schon anderweitig gemacht. „Danke, One-Eye“ lächelte Sie und prostete ihm zu „glaub´ mir, wir sind bestens versorgt.“

Zwei Stunden später hatte sich der Dirty Bunch wieder auf den Rückweg zur Guadalcanal gemacht. Der Landgang war vorüber, in knapp zwölf Stunden würde die Operationsgruppe die Anker lichten.
Die acht Piloten torkelten mehr oder minder stark die Gangway zur Guadalcanal entlang und passierten die Schleusenwachen, die bei ihrem Anblick die Nase rümpften. Ein paar Gänge später, tauchte dann wie aus dem Nichts der XO der Guadalcanal, Commander Tang Chung, auf.
„Sieh an, sieh an!“ Ein gehässiges Grinsen umspielte den Mund des Commander, der sich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor die Piloten aufstellte. Hinter ihm standen zwei Seaman der Guadalcanal und versuchten ähnlich finster dreinzublicken.
„Nanu“ flachste Stinger „das GanZE, HALT. Kompanniiee, Stillgestand´n, hmmpfff….“ Und konnte sich schliesslich nicht mehr halten. Und während sich der Rest des Dirty Bunch ebenfalls laut prustend köstlich amüsierte, verengten sich Diane´s Augen zu Schlitzen. Das Auftauchen dieses Kettenhundes konnte kein Zufall sein. Da bedeutete die Schleusenwachen mussten den Auftrag gehabt haben, den Ersten Offizier zu verständigen, sobald der Dirty Bunch wieder das Schiff betrat. Und das bedeutete, was Diane schon längst vermutet hatte: Chung hatte sie auf dem Kieker und das war nicht unbedingt gut.
„Ihr seid ja alle betrunken“ bemerkte Chung angewidert, nachdem er die Piloten einen Augenblick betrachtet hatte.
„Wir hatten Ausgang, Sir“ antwortete ihm Diane mit ausdrucklosem Gesicht und so nüchtern wie möglich.
„Ich weiß, ich weiß. Sie hatten Ausgang. Das legitimiert sie aber nicht dazu, sich derMASSEN GEHEN ZU LASSEN…“ Chung stoppte in seiner Gardinenpredigt, die kontinuierlich in Gebrüll ausgeartet war, als er sah, dass Sparky etwas zu verbergen versuchte. „Was ist in diesem Karton“ fragte der XO schließlich mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht, während er zu Sparky schritt und sich, die beiden Seaman im Schlepptau vor ihm aufbaute.
„Welch`m Karton?“ lallte Sparky schwankend, wobei er lächerlicherweise versuchte denselbigen hinter seinem Rücken zu verstecken.
Mit einer Mischung aus Abscheu und Zorn im Blick herrschte ihn Chung an. „WELCHER KARTON? DER HINTER IHREM RÜCKEN; MANN!!!“
„Ach, deeeer…“ Sparky holte den Karton umständlich hinter seinem Rücken hervor und tat so, als ob er sich des Besitzes desselbigen gar nicht bewusst gewesen war „na sieh` ma´ einer guck´. Hab ich doch tatsäschlisch ´nen *Hicks* Karton inner Hand, böser Karton, böser…“ Ein paar andere kicherten jetzt leise, was Chung erst Recht auf die Palme brachte.
„REDEN SIE KEINEN MÜLL, MANN. HER DAMIT!“ Chung brüllte so laut, dass sich Stinger, Windmill und Blitz das Gesicht verziehend die Ohren zuhielten.
Sparky torkelte nach vorne und übergab dem Commander, dem vor lauter Wut die Halsschlagader deutlich sichtbar pulsierte, das Paket.
Dieser riss es mit gefletschten Zähnen auf, wohl in der Hoffnung etwas zu finden, was es ihm erlauben würde, dieses Pack sofort dorthin verfrachten zu dürfen, wo es in seinen Augen hingehörte, nämlich zurück ins Gefängnis.
Doch seine Gesichtszüge entgleisten förmlich, als er den Inhalt erkannte.
„WAS IST DAS DENN…?“ brüllte er fassungslos, griff in den Karton und ließ den Inhalt durch seine Hand gleiten.
„Kaugummi“ grinste Sparky zurück. „In all´n Sort´n. Woll´n se eins?“
Wütend starrte Chung von einem zum anderen, ehe sein Blick schließlich den von Diane kreuzte und haften blieb.
„Ich krieg euch noch, verlasst euch drauf. ICH KRIEG EUCH NOCH.“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und stampfte davon.
Als er um die Ecke verschwunden war, begannen die Piloten laut an loszuprusten, selbst Diane musste lachen. Das Ganze würde noch ein Nachspiel haben, dessen war sie sich sicher, aber das war Ihr im Moment egal. Wenn Sie erstmal da draußen waren, dass spürte Sie irgendwie, war es soundso bald Schluss mit lustig.
Immer noch lachend machte sich die Horde Ex-Sträflinge auf den Weg zu den Quartieren um sich den Rausch auszuschlafen.
Tyr Svenson
Krankenstation der Ontario
Fort Gibraltar, Barcelona-System

„Schön, dass Sie endlich den Weg zu mir gefunden haben, Captain. Ich wollte schon auf der Brücke anfragen lassen, ob Sie sich vielleicht verlaufen haben.“ Die Stimme der schlaksig wirkenden Frau im Arztkittel, die mit vor der Brust verschränkten Armen fast schon trotzig auf eine Reaktion wartete, troff förmlich vor Sarkasmus. Und ihr war deutlich anzusehen, dass Sie bewusst provozierte.
Als dann eine Antwort ausblieb und Vijadh Singh sie stattdessen aus seinen dunklen Augen regungslos anblickte, legte Doktor Elaine Goordelans den Kopf beiseite, was ihre schlohweißen Haare etwas durcheinander brachte, und schüttelte langsam den Kopf.
„Captain? Hallo?“ Sie runzelte die Stirn.
„Entschuldigen Sie Frau Doktor, ich war in Gedanken.“ Es war nicht die überaus korrekt höfliche Art, die die erfahrene Ärztin überraschte, sondern vielmehr ein kleiner Anflug eines schelmischen Lächelns, das Sie im Gesicht des dunklen Kapitäns bisher noch nie gesehen hatte. Nicht dass Sie ihn überhaupt sonderlich häufig zu Gesicht bekommen hatte, weder als Patient noch als Vorgesetzten. Fast hatte sie den Eindruck, dass der Kapitän ihr aus dem Weg ging.
„Darf ich fragen, wo Sie bis jetzt waren? Sie sind mit Ihrer Untersuchung erheblich in Verzug geraten.“
„Ich war beschäftigt, Frau Doktor“ antwortete Singh trocken.
„Zu beschäftigt, um eine Routineuntersuchung durchführen zu lassen, um die ich sie schon vor 4 Wochen gebeten habe?“
„Zu beschäftigt, um mein Schiff auf einen Krieg vorzubereiten.“ Singhs Stimme hatte eine feine Nuance an Strenge zugenommen, doch er blieb weiterhin höflich gegenüber seiner Chefärztin.
Doch so leicht ließ die Doktorin im Range eines Commander nicht locker. Wenn es jemand auf diesem Schiff gab, der es wagen konnte, Singh die Stirn zu bieten, dann war Sie das. Mit ihren 52 Jahren war Sie schon lange aus dem Alter raus sich bei diesem alten Haudegen anbiedern zu müssen. Und solche störrischen, alten Knochen hatte Sie in Ihrer Laufbahn schon zu Hunderten als Patient gehabt, ob nun Kapitän eines Kriegsschiffes oder nicht.
„Captain, es wäre ihre Pflicht gewesen, früher bei mir zu erscheinen.“
„Lassen Sie es gut sein, Frau Doktor. Nun bin ich hier, was kann ich für sie tun?“
Die lapidare Antwort machte die resolute Ärztin zunächst baff. Sie war aufgebracht über die sorglose Haltung Ihres Vorgesetzten und Patienten zugleich.
Kopfschüttelnd umrundete sie Ihren Tisch und setzte sich auf ihren Platz. Im selben Augenblick meldete sich ihre Inbox mit einem lauten Ping und die Laborergebnisse der Blutprobe, die Singh vor einer halben Stunde bereits abgenommen worden war, erschien auf Ihrem Monitor. Langsam und schweigend ging sie die Ergebnisse durch. Alles schien soweit in Ordnung zu sein, bis auf…
„Lopolin?“ Der Nachweis einer ungewöhnlich hohen Dosis dieses Stoffes in der Blutprobe des Captain erregte Ihre Aufmerksamkeit.
„Ein Schmerzmittel.“
„Das weiß ich selbst, Kapitän. Und zwar ein verflucht Starkes. Die Frage ist nur, für was Sie es brauchen?“
„Wer sagt, dass ich es brauche?“ wich Singh der Frage der Ärztin aus, was dieser aber sofort auffiel.
„Ihre Blutwerte, Captain!“ Und bei diesen Worten zeigte Sie mit ausgestrecktem Finger auf Ihren Bildschirm.
„Ab und an habe ich etwas Kopfschmerzen. Dagegen hilft es sehr gut.“
Sie schüttelte den Kopf. „Na kein Wunder, bei dem Zeug. Ein bisschen mehr davon und Sie könnten einen wilden Elefanten beruhigen. Ich werde Ihnen ein paar normale Kopfschmerztabletten verschreiben. Wie viel haben Sie noch davon?“
„Nur noch Restbestände.“
Goordelans Augen verengten sich ein ganz kleines bisschen. Irgendwas in seiner Stimme alarmierte Sie. `Er sagt nicht die Wahrheit` schien Ihr eine innere Stimme zuzuflüstern. Doch was sollte Sie tun, ihren Kapitän womöglich grundlos der Lüge bezichtigen?
„Worin liegt die Ursache?“ bohrte Sie weiter nach.
„Das weiß ich nicht, es kommt ja auch selten vor, dass ich die Tabletten nehme.“
„Die Blutwerte sprechen da aber eine andere Sprache. Wir sollten Sie eingehend untersuchen lassen, damit wir…“
„Das kommt gar nicht in Frage!“ Mit einem Mal war die Freundlichkeit aus Singhs Miene verschwunden und eisige Härte war an deren Stelle getreten.
„Aber, Sir, wenn wir es nicht untersuchen…“
„Ich habe Nein gesagt, Frau Doktor. Ich habe derzeit anderes zu tun, als mich irgendwelchen langwierigen Untersuchungen zu unterziehen. In 8 Stunden laufen wir aus, falls Sie das vergessen haben sollten.“
Sie zog die Stirn kraus, dieser Ausbruch war in Ihren Augen durchaus besorgniserregend. Der Laborbefund war ansonsten harmlos und um die Ursache zu erkennen, bräuchte Sie mehr Zeit und vor allem mehr Untersuchungen. Doch wenn sich Singh weigerte, konnte Sie momentan nicht viel tun. Sie nahm sich vor das Ganze zu beobachten und zu warten, bis Sie es ihm nachweisen konnte. Doch andererseits hatte Sie nicht vor, das Schlachtfeld so leicht zu räumen.
„Gut, wie Sie meinen, Sir. Aber dann haben Sie sicher nichts gegen eine Nachuntersuchung nächste Woche?“
„Warum denn das?“ polterte Singh jetzt los, sichtlich ungehalten über diese Maßnahme.
„Damit ich ihre erhöhten Lopolin-Werte noch einmal überprüfen kann.“
„Ich kann nicht jede Woche bei Ihnen vorbei kommen und meine Zeit verplempern“ motzte Singh jetzt energisch „wir haben hier auch noch einen Krieg zu führen.“ Dann stand er verärgert auf und verließ ohne ein weiteres Wort ihr Büro.
Goordelans blieb zurück mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch. Ein Kapitän, der starke Schmerzmittel zu sich nahm, aus welchem Grunde auch immer, konnte ein potenzielles Risiko bedeuten. Sie musste der Sache auf den Grund gehen und dem Captain klar machen, dass er wert auf seine Gesundheit legen musste.
Es war ihre Pflicht und dafür würde Sie schon sorgen, ob er nun wollte, oder nicht.

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Die Brücke der Ontario
Fort Gibraltar, Barcelona-System

Die Vorbereitungen zum Auslaufen waren abgeschlossen, alle Schiffe der Einsatzgruppe hatten Bereitschaft gemeldet. Igor wusste nicht, wie es auf den anderen Schiffen gewesen war, aber er konnte sich denken, dass es mitunter drunter und drüber gegangen sein musste. Selbst auf der Ontario hatten er und Harun bis zuletzt noch alle Hände voll zu tun gehabt um die Vorbereitungen zu finalisieren. Irgendwas ging immer noch schief, vor allem wenn es nicht danach aussah. Sei es, dass die Kombüse feststellte, dass fehlerhafte Ware geliefert worden war oder sei es, dass die Schadensminimierungsteams noch fehlende Ausrüstung vermissten. Von fehlenden oder auf den letzten Drücker noch an Bord kommenden Crewmen ganz zu schweigen. Obwohl Singh klare Order gegeben hatte und unnachgiebig war mit denen, die sich daran nicht hielten, geschahen bei mehr als
Doch jetzt war alles optimal vorbereitet und die Ontario war bereit zum Auslaufen. Ein Gefühl der gespannten Nervosität hatte alle Mitglieder an Bord erfasst, das spürte man. Igor war sich zwar sicher, dass dieses Gefühl in den nächsten Wochen stetig abnehmen würde, bis sie ihr Einsatzziel erreichen würden. Aber jetzt und hier herrschte eine gewisse Vorfreude und Spannung.
Es war insgesamt die vierte Feindfahrt die Igor mitmachte und damit gehörte er zu den erfahrensten Offizieren an Bord, mal abgesehen von Captain Singh und Doktor Goordelans. Und wenn man nur die Feindfahrten gegen die Akarii mitzählte, war er sogar erfahrener als die beiden. Aber es war auch Igor´s erste Fahrt als Erster Offizier, auf seiner allerersten Feindfahrt war er noch als 1st Lieutenant für die Ortung zuständig gewesen, hatte sich bewiesen und hatte dann zwei Fahrten als Zweiter Offizier gemacht, war erneut ausgezeichnet worden, hatte immer exzellente Beurteilungen erhalten und so hatte man ihn folgerichtig zum Ersten Offizier befördert und auf die Ontario versetzt. Und jetzt hatte er die Chance sich unter Captain Singh zu bewähren. Eine bessere Chance zum Perisher zugelassen zu werden, würde er wohl nicht bekommen.
Harun, der immer noch sichtlich mitgenommen war von Singhs neuerlicher Klatsche, machte hingegen immer noch einen desolaten Zustand. Igor hatte fast schon Mitleid mit ihm, obwohl er andererseits nur widerstrebend einsehen konnte, warum er Unfähigkeit noch dadurch fördern sollte, dass er nun Harun unter die Arme greifen musste. Wenn dieser seine Anforderungen würde erfüllen können, dann hätte auch Igor mehr Zeit für seine Aufgaben haben. So aber musste er den Zweiten Offizier noch mitschleppen und wurde vielleicht von diesem mit hinuntergezogen.
Doch es half alles nichts, Befehl war Befehl und Igor würde sein möglichstes tun, um Harun zu einem passablen Zweiten Offizier zu formen. Mehr würde aber wahrscheinlich nicht drin sein.

Und jetzt stand dieser Zweite Offizier vor ihm und dem Captain und erstatte seinen Bericht, dem Igor nur mit einem halben Ohr zugehört hatte, da er ihn bereits kannte, das er ihn sich vor knapp einer Stunde sicherheitshalber schon einmal angehört hatte um ein ähnliches Fiasko wie beim Briefing zu verhindern.
Mit Erfolg wie es aussah, denn Harun brachte relativ sicher die Fakten rüber und auch Singh, dem man wie immer nicht viel ansah, schien zumindest zufrieden genug zu sein um keine harten Zwischenfragen zu stellen.
Als Harun seinen Statusbericht mit der Bereitschaft aller Bereiche geendet hatte, dankte ihm Igor knapp und wandte sich überaus förmlich an seinen Kapitän. Die Rituale und Traditionen, die mit dem Auslaufen eines Kampfverbandes zu einer Feindfahrt verbunden waren, gehörten zu den Dingen auf die Captain Singh großen Wert legte.
„Sir, melde alle Bereiche grün. Die Ontario ist Bereit zum Auslaufen.“
„Was ist mit den anderen Schiffen der Gruppe.“
„Alle Schiffe haben Bereitschaft zum Auslaufen gemeldet, Sir. Wir sind eine halbe Stunde vor Plan.“
„Sehr gut, Eins-O, sehr gut. Mein Kompliment an Ihre Männer. Komm-Offizier, Rundspruch an alle Einheiten!“
„Aye, Sir. Rundspruch an alle Einheiten.“ gab der junge Warrant Officer, der im Moment die Kommunikationsanlage der Ontario bediente, routiniert zurück und führte den Befehl aus.
Als die Verbindung aufgebaut war, hob er den Daumen “Sir, Rundspruch eingeleitet.“
Singh schnappte sich das Funkgerät, konzentrierte sich kurz und begann „An alle Einheiten, hier spricht Captain Singh.“
Er machte eine kurze Pause um sicher zu gehen, dass auch alle Crewmitglieder sowohl auf der Ontario als auch auf den anderen Schiffen der Einsatzgruppe seine nächsten Worte würden hören können.
„In wenigen Minuten werde ich den Befehl zum Ablegen geben. Auf den Weg zu einer Feindfahrt, deren eigentliche Bedeutung vielen nicht bewusst sein dürfte.“
Die sonore dunkle Stimme des Kapitäns wurde übertragen auf alle Schiffe der Einsatzgruppe und Igor konnte sich die Mannschaften und Offiziere förmlich vorstellen, wie sie jetzt an den Worten des Einsatzgruppenleiters hingen. In seinen Augen wurde diese traditionelle Ansprache häufig genug unterschätzt, da sie eine gute Gelegenheit bot, die wesentlichen Dinge aus Sicht des Kommandanten darzulegen. Klang dieser zuversichtlich, stärkte das die Moral der Truppe, klang er unsicher und nervös, so würde das auch bei den anderen sein.
Singhs Stimme vibrierte dagegen förmlich vor Zielstrebigkeit, Entschlossenheit und Sicherheit.
„Es gibt Stimmen, die behaupten, unser Auftrag wäre nichts weiter als eine aufgebauschte Aufklärungsmission. Und es gibt solche, die vermuten, dass wir uns auf einen Spaziergang begeben. Beiden Meinungen muss ich aufs Schärfste widersprechen.
Sollte es irgendwelche Zweifel an der Bedeutung dieser Mission geben, so kann ich Ihnen nur wärmstens das Studium der Geschichte nahe legen. Hannibal hatte Rom am Rande einer Niederlage, als er seine Streitkräfte über die Alpen führte und in Norditalien einfiel. Der zweite terranische Weltkrieg wurde nicht zuletzt dadurch entschieden, dass die Alliierten in der Normandie landeten, statt wie von Ihren Feinden erwartet bei Calais. Und Miles Cox hatte bei Regulus unter anderem deshalb so viel Erfolg, weil er sich eines bis dahin unbekannten Wurmloches bediente. Wenn uns also die Geschichte etwas gelehrt hat, dann das, dass es kriegsentscheidend sein kann, zu wissen, was auf der anderen Seite des Eurydike-Wurmloches ist.“
Singh machte eine kurze Pause um seine Worte einen Augenblick sacken zu lassen.
„Was auch immer uns auf der anderen Seite erwarten sollte, ich bin mir sicher, das wir in der Lage sein werden, damit fertig zu werden. Nein, mehr noch, wir werden unseren Auftrag erfüllen, da ich weiß, dass jedes Mitglied dieser Einsatzgruppe nichts Geringeres als sein Bestes geben wird.
Mögen die Götter uns schützen. Und lange lebe die Republik.
Singh Ende.“
Igor war sich dessen nicht bewusst gewesen, aber er hatte unwillkürlich bei Singhs Worten den Atem angehalten und seine Brust stolz anschwellen lassen. Er blickte sich um und erkannte in der Haltung und in den Augen aller seiner Kameraden denselben Ausdruck von stolzer Vorfreude, den die Worte des Captains in ihm hervorgerufen hatten. Igor hatte schon eine Menge Reden dieser Art gehört. Doch irgendwie hatten die vorherigen entweder zu pathetisch und übertrieben geklungen oder zu unsicher und ungewiss. Singh hatte es durch seine Worte und die Art und Weise WIE er es gesagt hatte, geschafft, dieses Gefühl der Erwartung in ihm und seinen Männern hervorzurufen.
Igor sah ein, dass er noch einen langen Weg würde vor sich haben, bis er jemals in der Lage sein würde dasselbe Gefühl in seinen Männern Singh zum Vorschein zu bringen.
Wenn er es denn überhaupt je schaffen würde.

„Komm-Offizier, Meldung an Fort Gibraltar. Kampfgruppe Magellan meldet Leinen Los. Senden Sie ein persönliches Danke Schön an Commodore Helene Kruger.“
„Aye, Sir“
„Eins-O, bringen Sie uns raus“ befahl Singh knapp.
„Aye, Sir“ nickte Igor Maleetschev von seiner Position aus und wandte sich an den Bootsmann am Ruder „Rudergänger, Leinen los. Alle Maschinen halbe Kraft voraus, nehmen Sie Kurs auf Sprungpunkt 265-B.“
„Aye, Sir, Leinen sind los.“ Der Rudergänger drückte einen Knopf auf seinem Armaturenbrett und die Ontario löste die Verbindung zur Raumstation Fort Gibraltar. Dann aktivierte er ein paar weitere Knöpfe und Schalter und schließlich bewegte er den Schubhebel langsam aber stetig nach vorne, so dass die Ontario Fahrt aufnahm. Igor wusste, dass es Ihnen die anderen Schiffe nachmachen würden und dass sie bald die vereinbarten Positionen einnehmen würden mit endgültigem Kurs auf ihr noch weit entferntes Ziel.
„Sir, eingehender Funkspruch der Kaze. Commander Schneider bittet um die Ehre, die vorderste Position einnehmen zu dürfen.“ Ein eiskalter Blick traf den Warrant Officer, der auf die Antwort seines Captain wartete. Igor war gespannt und schaute von seiner Position aus über seine Schulter um Singhs Reaktion zu sehen. Doch bis auf seine Augen schien dessen Miene wie üblich in Stein gemeißelt zu sein.
Die Anfrage war ungewöhnlich, da alle Kapitäne ihre Positionen bereits mitgeteilt bekommen hatten, aber sie war nicht vollkommen abwegig, da die Kaze als schnelles, schlagkräftiges Schiff prädestiniert für diese Position war. Daher war Schneiders Anfrage durchaus nachvollziehbar.
Pikant war allerdings, dass Singh der Kaze eine Position als Nachhut zugeordnet und der Buenos Aires den Befehl gegeben hatte, die Vorhut zu übernehmen. Igor hatte bereits vermutet, dass Schneider, dem nachgesagt wurde mit seinem Schiff gerne an vorderster Front sein zu können, das nicht so einfach hinnehmen würde.
Die Frage war eher, wie der Captain reagieren würde.
„Geben Sie mir die Kaze“ forderte er den Warrant Officer auf. Als die Verbindung aufgebaut war, holte er den Kapitän der Kaze auf den Schirm und stellte auf laut, so dass seine Führungsoffiziere mithören konnten.
„Commander Schneider, gibt es Schwierigkeiten bei der Interpretation meiner Befehle?“ Die eisige Stimme Singhs ließ Igor fast frösteln, doch Schneider blieb ruhig und gelassen.
„Sir, die Kaze ist das schnellste und stärkste Schiff der Einsatzgruppe…“
Singh unterbrach Schneider. „Sie glauben also, ich wäre nicht in der Lage die strategischen Eigenschaften Ihres Schiffes richtig zu analysieren?“
„Sir, dass habe ich nicht…“
„Und ferner sind Sie der Meinung, dass Commander Perrin und sein Schiff nicht in der Lage sind, diese Aufgabe zu übernehmen?“
„Sir, auch das habe ich nicht…“
„Und letztlich stellen Sie meine Befehle in Frage???“ Singh brauchte nicht zu schreien um mit seiner dunklen Stimme äußerst bedrohlich zu wirken und auch sein Gesichtsausdruck zeigte, dass er wohl erkannte zu weit gegangen zu sein.
Igor spürte wie sein Mund langsam austrocknete und er war gespannt auf Schneiders Reaktion. `Das kann ja heiter werden` Sie waren noch nicht einmal fünf Minuten unterwegs und schon taten sich die ersten Spannungen auf.
Schneider überlegte wohl einen kurzen Augenblick, dann kehrte die Sicherheit in seine Stimme und in seinen Gesichtsausdruck zurück. „Nein, Sir. Die Kaze nimmt die ihr zugewiesene Position mit Freude ein.“
Igor war sich sicher, dass diese Spitze subtil, aber gewollt gesetzt war, in gewisser Weise ein versteckter Protest von Schneider. Igor wusste indes genau, warum Singh, der inzwischen die Verbindung hatte wieder schließen lassen und sich in seinem Kapitänssessel zurückgelehnt hatte, Schneider diese Position zugewiesen und ihm dann seine Bitte abgeschlagen hatte. Das war Singhs Art und Weise schon bei Kleinigkeiten klar zu stellen, wer das sagen hatte.
Doch irgendwie wurde Igor das Gefühl nicht los, dass Schneider wiederum hartnäckig sein würde und dass diese kleine Reiberei nicht die letzte gewesen war.
Tyr Svenson
Mit steinerner Miene saß Justus Schneider in seinem Sessel und starrte auf den Hauptbildschirm, der ein natürliches Luk ersetzte, wie es die Schiffe ihrer Vorfahren auf hoher See gehabt hatten.
Haruka Ishihiro wollte etwas sagen, um den Freund und Vorgesetzten zu trösten, aber er fand nicht die richtigen Worte. Wie alle anderen Offiziere hatte er miterlebt, wie Singh den Skipper – seinen Skipper – abgekanzelt hatte.
Nun, der Waffenoffizier verstand gut, viel zu gut, warum der Captain der ONTARIO das getan hatte. Die KAZE war mit ihrer Antiortungsbeschichtung und ihrem überragenden Ortungspotential die ideale Vorhut. Egal, welchen Ruf dieses Schiff hatte, jeder Flottenchef mit ein wenig Verstand musste das erkennen.
Oh, Ishihiro zweifelte nicht daran, dass Captain Singh das nicht auch erkannt hatte. Ihm ging es auch nur um etwas anderes. Er wollte Justus Schneider demütigen. Niederringen. Aufbringen. Ihn vernichten und dann durch einen Offizier nach seinem Gusto ersetzen.
In Singhs Augen war Schneider ein Stück Abfall, dass in einer Kloake obenauf schwamm. Und Singh war der Mann, der nach dem Stöpsel stocherte, um den Abfluss zu öffnen.

Die anderen Offiziere in der Zentrale warfen sich bereits ernste Blicke zu. Schneider so lange ernst und vor allem so steif zu sehen, beunruhigte sie alle.
Amber Soleil erhob sich halb, wollte ganz aufstehen und ihrem Vorgesetzten Trost zu sprechen, aber sie ließ es dann doch. Kurz huschte Röte über ihr Gesicht. Aber es schien eher Ärger als Verlegenheit zu sein.
Eawy Jones biss sich auf die Lippen, als eine Meldung auf ihrem Display erschien. Schließlich gab sie sich geschlagen und meldete: „Flaggschiff gibt Anweisung, die Geschwindigkeit um ein Drittel zu drosseln. Flottenchef möchte verhindern, dass die KAZE während des Durchgang durch das Wurmloch auf ein anderes Schiff auffährt.“
Commander Soleil fuhr in ihrem Sitz hoch. „Wie viele Kampfeinsätze hat dieser Arsch eigentlich weniger als wir?“, blaffte sie. Sie sah kurz zu Schneider herüber, aber der Mann regte sich noch immer nicht in seiner Starre. Resignierend schüttelte sie den Kopf. „Eawy, Befehl bestätigen. Geschwindigkeit reduzieren. Klar Schiff für Sprung.“
„Klar Schiff für Sprung, aye.“
Der Sprungalarm gellte durch das Schiff. Gurte wurden geschlossen, Schotten versiegelten sich. Die Minigolfanlage wurde geräumt, das Schwimmbad abgepumpt und auf dem Squashplatz ruhte für die Dauer des Sprungs der Endkampf um die Bordmeisterschaft.

Vor ihnen verschwanden die ersten Schiffe, als hätte es sie nie gegeben. Sie traten in das Wurmloch ein und überbrückten eine für den menschlichen Geist unfassbare Entfernung in einem winzigen Bruchteil. Sie sprangen in die Konföderation hinein.
Bevor die KAZE als letztes Schiff folgte, schlug Justus mit beiden Händen auf die Lehnen seines Sessels. „Er wird uns umbringen“, knurrte der Skipper der KAZE. „Dieser alte, senile Inder wird uns alle umbringen!“ Justus sackte fast in sich zusammen. „Und ich glaube nicht, dass ich es verhindern kann.“
Lieutenant Jones sah zurück und rief: „KAZE bereit zum beidrehen auf Ihr Zeichen, Skipper.“
Überrascht sah Schneider auf. Er sah die ernste Miene der jungen Pilotin, sah weitere, nicht minder ernste, aber entschlossene Gesichter.
Justus lachte leise. „Hat die KAZE nicht schon genug Dreck am Stecken?“
„Was, wenn der Sprungantrieb defekt ist?“, fragte First Lieutenant Ishihiro plötzlich. „Ein Schiff, das nicht springen kann, hat laut Vorschrift sofort den nächstbesten Flottenhafen anzulaufen.“
„Das wäre eine Desertation“, brummte Schneider.
„Nein, das wäre Dienst nach Vorschrift“, erwiderte Commander Soleil nicht weniger brummig. „Wenn ich eines gelernt habe, dann auf Ihren Instinkt zu vertrauen. Wir gehen mit Ihnen zurück, Justus, und wenn ich dafür eigenhändig den Antrieb zertrümmern muß.“

Erstaunt sah Schneider sie an. Und blickte erneut in ernste Gesichter.
Dann lächelte er. Das erste Mal seit der Besprechung an Bord der ONTARIO.
„Dies ist immer noch ein Kriegsschiff mit einem ernsten Auftrag“, sagte er mit fester Stimme. „Und ob es uns gefällt oder nicht, ein Kriegsschiff führt Befehle aus. Auch wenn sie von einem senilen Senioroffizier kommen. Springen Sie wenn bereit, Eawy.“
Die Pilotin sah erneut zu Schneider herüber. Fragend.
„Da draußen sind noch mehr Schiffe und tausende guter Raumfahrer unter Singhs Kommando. Wir können diese armen Teufel nicht sich selbst überlassen. Einer muß ja etwas Vernunft in die Einsatzgruppe bringen.“
„Skipper“, sagte Lieutenant Ishihiro, „wir folgen Ihnen sogar dorthin.“
„Na, da bin ich aber beruhigt“, erwiderte Justus leise. „Hat denn keiner Kaffee gemacht? Ach, und Amber. Die letzten fünf Minuten sind nie geschehen.“
„Aye, Skipper. Der Kaffe ist unterwegs.“
Dann kam der Sprung, und das Barcelona-System verschwand.

„Ortung!“, gellte der Ruf von Lieutenant Li auf. „Kreuzer, Burgund-Klasse, drei auf acht Uhr, elf auf Horizont. Entfernung zwei Lichtsekunden. Schiffe befinden sich im Stealth-Modus.“
„Burgund? Konföderationsschiffe. Die bewachen ein Wurmloch, dass in die Republik führt?“, murmelte Schneider nachdenklich. „Chun, melden Sie unsere Entdeckung dem Flaggschiff. Ich wette, von denen hat keiner die Kreuzer bemerkt. Entweder bringt uns das einen Pluspunkt bei Singh, oder er ahnt wenigstens, was die KAZE wirklich wert ist.
Ach, und Chun, adressieren Sie es an den IO der ONTARIO.“
„Aye, Skipper.“
Nachdenklich betrachtete Justus die Ortungsergebnisse. Misstrauten die Konföderierten etwa der kleinen republikanischen Flotte? War vielleicht Singh informiert? Und was wenn nicht?
Es war nicht ihre Aufgabe, auf konföderierte Schiffe im Schleichmodus zu feuern. Aber sicher würde ihre Existenz Fragen aufwerfen. Immerhin lag auf der anderen Seite dieses Wurmlochs das Barcelona-System mit Fort GIBRALTAR, dem regionalen Flottenkommando.

„Antwort vom Flaggschiff. Bestätigung des Eingangs der Meldung. Das war es.“
Justus ballte die Hände. Er war versucht, die Kreuzer mit einer harten Aktivortung zu erfassen, sie für alle Schiffe der kleinen Flotte sichtbar wie einen Christbaum zu Weihnachten zu machen. Dann ließ er es aber.
Stattdessen nippte er an seinem Kaffee. „Weiter im Auge behalten. Jede Änderung sofort an mich melden.“
„Aye, Skipper.“
Tyr Svenson
Die harte Ausbildung zeigte ihre Spuren bei Jean Davis. Üppig gebaut war sie noch nie gewesen, aber das bisschen, was sie an Fettreserve gehabt hatte, war nun aufgebraucht. Das hatte sich nicht gerade gut auf ihren Busen ausgewirkt, aber sie hatte ein paar nette Muskeln aufgebaut, die ihr unter anderem halfen, das schwere Scharfschützengewehr zu bewegen.
Seit einiger Zeit war sie fast ständig müde. Der Stress zehrte an ihren Nerven, und sie wusste, den anderen im Platoon ging es ebenso. Der einzige, der immer seinen Spaß zu haben schien, war Howard. Hatte neulich im Nahkampftraining sogar Porks auf die Matte geschickt.
Davon prahlte er immer noch. Dass ihm der Corporal im Ausgleich fast den linken Arm gebrochen hatte, erzählte er wohlweislich nicht.
Die Freizeit war die letzten Wochen spärlich gesegnet gewesen.
Einige Rekruten hatten sich ernsthaft beim Captain beschwert.
Schmierer hatte natürlich davon erfahren und die ganze Bande zusammen gefaltet.
Sein Argument war wie immer natürlich, dass er sie nicht auf irgendeinen beschissenen Abschluss vorbereitete, sondern auf eine Gefechtssituation, die durchaus noch viel härter als das Training sein konnte.
Dann entschieden vielleicht die eigenen Reflexe über Leben und Tod.

Einen Vorgeschmack hatte die Enteraktion mit den Rettungskapseln gegeben.
Jean war angst und bange dabei geworden, als sie diesen verschreckten Hühnerhaufen in Aktion gesehen hatte. Und auf diese Idioten sollte sie sich verlassen, während Akarii Jagd auf ihren Arsch machten?
Und dann war da noch die Szene gewesen mit diesem Arsch aus dem 3. Platoon des Zerstörers gewesen. Er hatte tatsächlich eine Akarii-Zivilistin abgegrabscht.
Jean hatte ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, dem Trottel dafür ein paar Zähne auszuschlagen. Akarii und Menschen waren vielleicht im weitesten Sinne sexuell kompatibel, im rein biologischen, nicht im genetischen Sinne. Aber Jean konnte sich was Besseres vorstellen, als sich die Haut an Schuppen aufzureißen. Oder noch schlimmer, aufgerissen zu bekommen.
Zum Glück hatte Howard sie zurückgehalten. Bevor sie sich selbst strafbar gemacht hatte.
Schmierers einziger Kommentar dazu war irgendwas von wegen Wer sich nicht unter Kontrolle hat gewesen. Aber ihm war es sicher nur um die Ehre des Corps gegangen, nicht um eine unschuldige Zivilistin, die sicher Todesängste ausgestanden hat und noch immer musste… So gesehen war viel passiert. Sehr viel passiert.

Und es würde noch weit mehr passieren. Einzelheiten des Einsatzes waren durchgedrungen. Eine Landeoperation in einem hohlen Berg. Etwas in der Art.
Das es bald losgehen würde, erkannte Jean daran, dass Schmierer und Porks den Marines immer mehr Freizeit einräumte und bis auf das Konditionstraining sogar den Drill zurück schraubte.
Sie hatte die Freizeit der letzten Tage dazu benutzt, ihre Skills am Sniper aufzupolieren, was ihr sogar ein Lob von Schmierer eingebracht hatte. Na ja, Lob. Er hatte gemeint, ihr Weg zu einem richtigen Soldaten und Marine wäre nicht mehr so lang.
Aber letztendlich hatte sie das Training nicht auf sich genommen, um unter den Augen des Sarge zu brillieren. Ihr war es nur um eines gegangen. Ihre Freizeit aufzubrauchen, damit sie nicht weiterhin die Totenbriefe ihres Bruders austragen musste.
Aber irgendwann ging es einfach nicht mehr. Gestern, mitten in der Nacht hatte sie einen Brief an Albert Mbane ausgeliefert. Der riesige Schwarze hatte ihr emotionslos gedankt, den Brief gelesen und war ebenso emotionslos gegangen. Aus dem Knaben wurde sie nicht schlau. Im Fliegergeschwader war das Gerücht umgegangen, Mbane hätte ihren Bruder sehr verehrt, sogar kurzfristig sein eigenes Callsign in Ace umbenannt, war dann aber doch wieder zu Shaka zurück gekehrt.
In ihren Augen aber hatte der Second Lieutenant noch weit kälter als die Fliegerschlampe mit der Narbenfresse agiert.
Dagegen war die zurückhaltende Art von Lieutenant Nakakura regelrecht überschwänglich zu nennen gewesen.

Prüfend strich sie sich über die Ausgehuniform, bevor sie die schneeweißen Handschuhe überstreifte. Sie konnte sich nicht länger drücken. Da waren noch drei Briefe, die sie abliefern musste. Und es war wichtig, dies vor der Schlacht zu tun. Denn wer wusste schon, ob sie selbst überlebte? Oder die Empfänger?
„Na, gehst du wieder auf die Piste?“, scherzte Maggie Haggerty leise. „Willst du nicht vorher ein Likörchen mit uns zischen? Schmierer kommt heute bestimmt nicht mehr und macht einen Alarmdrill. Habe ein Vögelchen zwitschern hören, dass er mit dem Cap die ganze Nacht am arbeiten ist.“
„Ja, sie entwerfen einen Schlachtplan und testen ihn auf Schwächen“, bemerkte Colon und betonte es so, als handle es sich um Sex.
Die anderen drei Frauen auf der Stube lachten.
Jean lächelte leicht. „Später vielleicht. Vorher habe ich noch was zu tun“, sagte sie und hielt drei Briefe hoch.
Ein erschrockenes Raunen ging durch die Stube.
„Sag mal, Mädchen, wie viele hast du denn noch von den Dingern? Deinen Bruder, das Fliegeraß in allen Ehren, aber hat er bei all der Schreiberei auch noch nebenbei gekämpft?“
„Das frage ich mich auch langsam, Frauke“, erwiderte Jean übertrieben ernst und entspannte die Situation merklich. Die anderen Frauen lachten.
„Hey, ich habe mich mal ein wenig umgehört über deinen Bruder“, begann Colon leise. Die Latina grinste leicht. „Scheint so, als hätte er hier an Bord mehr Feinde gehabt als unter den Akarii. Was vielleicht damit erklärt werden kann, dass die wenigsten Akarii die Gelegenheit bekamen, ihm Feindschaft zu schwören.
Ich habe mir an dir mal ein Beispiel genommen und mit einem Lieutenant Commander von den Pilotenärschen angebändelt. Sehr einträgliche Sache, die. Hatte hervorragenden Tequila in einem Geheimversteck. Hässlich ist er auch nicht, und ab der zweiten Flasche sprudelt es aus ihm heraus wie ein Wasserfall.
Also, dafür, dass dieser Lieutenant Commander ihn hasst, scheint er deinen Bruder echt zu vermissen. Wenn dir das ein Trost ist, Professor.“
Sie warf der Sanitäterin einen mörderischen Blick zu. „Dieser Lieutenant Commander hieß nicht zufällig Curtis Long?“
„Äh, ja. Woher weißt du das?“, fragte die Latina erstaunt.
„Du, mein Schatz, hast Gestern Abend mit dem Empfänger des letzten Briefes geschäkert. Danke, dass du ihn vorgewarnt hast. Bei dieser Narbentussi habe ich schon gedacht, gleich greift ihr kaltes Herz auf den Rest der Körpers über und man kann mit ihr die Haupttriebwerke der COLUMBIA kühlen.
Aber dieser Long und mein Bruder hatten einen handfesten Streit.
Einmal ganz davon abgesehen, dass er der Sohn von Admiral Long ist, dem Kommandeur des Einsatzkommandos!“
Colon starrte Jean Davis aus aufgerissenen Augen an. „Du meinst, ich… Ach, in DIE Ecke gehört der Knabe. Wow. Wow. Das muß ich erst mal verdauen.“

Maggie deutete auf die anderen beiden Briefe. „Und wer kriegt die?“
Jean schaltete von ärgerlich auf verschmitzt um. „Frauen, meine Damen. Frauen.“
„Pilotentussies, hm?“, argwöhnte Enies Freyasdottir. „Auch solche Eisblöcke wie die mit der Narbensammlung? Du, ich habe die neulich mal von nahem gesehen, die kann einem echt Angst einjagen. Wenn die einen wütenden Blick drauf hat, dann wuchern die Narben auch über den Rest ihres Gesichts, ungelogen, und dann sieht es so aus, als wäre sie direkt aus der Hölle gekommen. Weiß der Teufel, warum sie freiwillig mit dieser widerlichen Fresse rum läuft, wo ihr jeder halbwegs gute Chirurg in drei Wochen ein neues Gesicht zaubern kann.“
„Vielleicht liegt es an der Flotte? Neue Fotos, neue Pässe, Änderungen in den Einträgen, eine endlose Prozedur“, kommentierte Maggie leise. „Soll angeblich Jahre dauern, so was. Da ist es vielleicht besser darauf zu warten, bis der nächste Unfall sie richtig verunstaltet, damit die Operation auch wirklich lohnt.“
„Ha, ha. Hat vielleicht einer von euch mal dran gedacht, dass sie vielleicht ne Lesbe ist, und mit dem Gesicht die Männer abschrecken will? Sie hat vielleicht ein süßes kleines Pilotenflittchen da draußen in ihrer Staffel und will sich durch nichts von ihr ablenken lassen. Dafür eignen sich die Narben doch bestens“, kommentierte Maria Ngele leise, die Sprengstoffexpertin in der Runde.
„Nun werdet nicht kindisch. Eisblock hin, Eisblock her, sie hat sicherlich ernsthafte Gründe, mit diesen Narben rum zu laufen.“ Davis schnitt den Wortschwall der anderen mit einer Handbewegung ab. „Aber davon mal abgesehen bin ich froh, nicht mehr in ihre Nähe zu müssen. Ich würde mich eher umbringen als freiwillig mit so einem Gesicht rum zu laufen.“
Jean winkte in die Runde. „So, ich muß los, Mädels. Macht nicht mehr so lange und feiert noch schön, ja?“

**

Auf dem Flur wäre sie fast in Ken Howard gelaufen. „Was willst du denn?“, fauchte sie ihn an.
Der große Marine warf ihr einen unschlüssigen Blick zu. „Du könntest ruhig freundlicher zu mir sein, Icequeen. Immerhin habe ich dich mitgeschleift, als du bei der Übung zusammen gebrochen bist.“
„Ach, du warst das.“ Für einen Moment wirkte sie unsicher. „Danke.“
Als sich Jean zum gehen wandte, meinte Howard: „Das war alles?“
„Das war alles, großer Junge. Und jetzt geh wieder zu den anderen und spiel schön mit ihnen. Mami hat noch zu tun.“
„Ich hätte dich liegen lassen sollen. Einfach liegen lassen sollen“, brummte Howard böse, aber es klang nicht sehr überzeugend.
Jean sah zurück. „Solange Dank für dich bedeutet, mich als Matratze zu bekommen, wirst du dich mit einem Danke zufrieden geben müssen, bis ich deinen Arsch retten kann.“
Abrupt wandte sie sich ab und ging durch den Gang.
Die anderen Marines auf dem Flur machten ihr respektvoll Platz. Einer geladenen Waffe machte man nun mal Platz.
Tyr Svenson
Nun war es also soweit, ging es Huntress durch den Kopf. Die vielen Trainingseinheiten, die Vorbereitungen, die Planungen, all das würde nun bald Früchte tragen.
Nicht mehr lange, und die COLUMBIA-Trägergruppe würde springen, um dem Krieg die Wende zu verpassen. Nein, das war nicht übertrieben. Mit dem nächsten Angriff fiel die Entscheidung, ob es ein langwieriges, verlustreiches Rückzugsgefecht geben würde, an dessen Ende eine kastrierte Republik stehen würde. Oder ein Patt mit den Akarii, was in Julianes Augen das Beste war, was man erreichen konnte.
Die letzten Tage und Wochen hatte sie es ruhig angehen lassen. Ihre Leute waren sehr gut aufeinander eingespielt und Chip hatte sich hervorragend integriert. Angesichts der offenen Feindseligkeiten zwischen Lightning und Lone Wolf hatte sie mehrmals offen Partei für die Schwesterstaffel ergriffen. Nicht, dass sie ernsthaften Dank dafür von Lightning oder Lilja erwartete. Und nicht, dass Lightning jemals darum gebeten hätte, egal, wie schlecht der CAG sie bei jeder Staffelführerbesprechung aussehen ließ. Aber es war das Richtige gewesen. Und egal, was Huntress damals beim großen Bruch mit ihr gesagt hatte, junge, hübsche Frauen in Kommandopositionen mussten einfach zusammen halten. Außerdem, so wie Lone Wolf mit Lightning umsprang, bedurfte die Situation automatisch etwas weiblicher Solidarität.

Der Schnitt der Blauen Staffel änderte sich seit Miramar nicht. Von der Performance und der Teamarbeit lagen ihre Aces for REDEMPTION noch immer vorne – allerdings hart verfolgt von den Butcher Bears, der Nighthawk-Staffel der COLUMBIA. Und Darkness war einfach nicht freundlich genug, um seine Bears auf dem zweiten Platz zu lassen.
Letztendlich aber kam es auf den Kampf an. Dort entschied sich alles. Er würde die Trainings- und Staffelbewertungen schnell und nachhaltig ad absurdum führen, das wusste Huntress nur zu gut.
Aber ein guter Kampf war es, wenn so viele ihrer Schäfchen wie möglich nach Hause kamen.

Diese und ähnliche Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während sie auf dem Weg zum Besprechungsraum der Blauen Staffel war. Sie hatte es absichtlich so arrangiert, dass sie etwas zu spät kam. Das versicherte sie darüber, dass alle anderen bereits anwesend waren, wenn sie eintraf. Wenn nicht, würde sie sich die Betreffenden mal richtig zur Brust nehmen müssen. Immerhin waren sie immer noch eine militärische Einheit.
Juliane Volkmer grinste bei diesem Gedanken. Noch vor einem halben Jahr war ihr so vieles unerreichbar fern erschienen. Der halbe Streifen auf ihrer Ausgehuniform zum Beispiel, der sie vom First Lieutenant zum Lieutenant Commander beförderte. Die eigene Staffel.
Der Einsatz auf einem verdammten Großträger der Pegasus-Klasse.
Wohin würde der Krieg sie spülen? Endete es am Ende damit, dass sie selbst noch CAG wurde? Ihr schwindelte einen Moment bei diesem Gedanken. Die Arbeit als Staffelführerin erschien ihr schon viel zu viel. Was musste Lone Wolf da erst aushalten?
Juliane bog um eine Ecke und hatte den Besprechungsraum im Blick.
Ihn, und einen jungen Marine in Ausgehuniform, der vor der Tür auf und ab ging und dabei vollkommen unmilitärisch die Hände tief in der Hose vergraben hatte.
Unwillkürlich musste Huntress lächeln.
Das musste der Marine sein. Nein, korrigierte sie sich selbst. Das musste sie sein. Ein Mädchen. Exakterweise Cliffs kleine Schwester.
Als die junge Marine die Offizierin bemerkte, wollte sie salutieren. „Ma´am, ich…“
„Schon gut, Private Davis, lassen Sie den formellen Kram. Davon habe ich noch nie viel gehalten. Ich habe mich schon gefragt, wann Sie bei mir aufschlagen.“
Sie senkte den Blick. „Oder ob Ace mir auch einen Brief geschrieben hat.“
Jean Davis schien irritiert. Sie nestelte an ihrer Uniform, um einen Umschlag hervor zu holen, aber Huntress winkte ab. Seltsam zufrieden, dass sie tatsächlich einen Abschiedsbrief bekommen sollte. Nun konnte sie einige Sachen lockerer ansehen. „Schon gut, Private. Ich habe da keine Zeit für. Nicht im Moment.“
Enttäuschung stand im Gesicht der jungen Frau. „Wenn das so ist, Ma´am…“
Seltsam, in der Uniform, mit den blauen Haaren, die an der Schläfe heraus guckten, wirkte die Marine wie ein kleiner Junge. So ähnlich stellte sie sich Cliff vor, im Alter von vierzehn Jahren. Vielleicht etwas bulliger.

Huntress griff kurzerhand nach Jeans Arm und zog sie mit sich in den Besprechungsraum, bevor die Marine einen neuen Termin aushandeln konnte.
Demolisher spritzte von seinem Platz hoch und brüllte: „Achtung!“
Sofort sprangen auch die anderen Piloten hoch. Sogar Avenger, der bis eben noch in ein Gespräch mit dem XO vertieft gewesen war.
Huntress nickte zufrieden. Je näher die Schlacht kam, desto gieriger wurden ihre Piloten. Exakter, blutdurstiger. Bereiter. Für die entscheidende Schlacht.
„Rühren. Private, setzen Sie sich auf einen freien Platz. Wir reden später.“
Unsicher musterte Jean Davis die anwesenden Leute und unterdrückte ein erschrockenes aufkeuchen, als sie erkannte, dass sie der einzige Dienstgrad im Raum war. Zwölf Offiziere auf einen Raum zusammen gedrängt.
Eine asiatische Offizierin mit dem Namensschild Takahashi trat leger gegen einen Stuhl, der sich darauf hin so drehte, dass die Marine bequem Platz nehmen konnte.
Die Augen der Pilotin funkelten belustigt. „Platzen Sie, Private.“
Jean hauchte einen flüchtigen Dank und setzte sich. Dabei bewahrte sie eine steife Haltung, bemerkte Huntress, als hätte sie einen Besenstiel implantiert bekommen.

„So, Herrschaften, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch. Einmal ganz davon abgesehen, dass der Einsatz kurz bevor steht. Ich… Ja, Elfwizard?“
„Huntress, auch auf die Gefahr hin, indiskret zu sein, aber hat die Anwesenheit der Private einen tieferen Sinn für das Briefing? Sollen wir Angriffe auf Bodenziele üben oder so?“
Huntress dachte kurz nach. Das machte Sinn. Vor allem, wenn das Feuer von Bodentruppen eingewiesen wurde. „Negativ, Elfwizard. Private Davis ist aus privaten Gründen hier.“
„Privat? Darf man Einzelheiten erfahren?“, fragte Thomas Andrew Paul und bemühte sich, seiner Stimme statt des üblichen brüderlichen Tons einen anzüglichen zu geben.
„Zum Glück hast du deine Typhoon besser im Griff als deine schmutzige Phantasie, Demolisher“, erwiderte Huntress und seufzte schwer. „Okay, bevor Ihr mir alle auf die Nerven geht, Private Davis ist die Schwester von Ace. Sie streicht schon seit ein paar Wochen hier bei uns Offizieren rum, um die Abschiedsbriefe ihres Bruders auszutragen.“
Schlagartig war es im Raum still geworden. Die Anwesenden sahen betreten zu Boden. Nur Chip machte sich eifrig ein paar Notizen.
„Noch Fragen zu dem Thema? Nein? Dann können wir ja zum wesentlichen kommen.“

Juliane holte tief Luft und sah in die Runde. „Die Butcher Bears sind in der Bewertung nur noch siebzig Punkte hinter uns. Ihr wisst, das ist so gut wie nichts. Das sind die schlechten Nachrichten.“
Aufgeregtes Geraune ging durch die Runde.
Annegret Lüding alias Rapier meldete sich zu Wort. „Es war zwar zu erwarten gewesen, dass sie irgendwann an uns vorbei ziehen, Huntress. Aber schön finde ich es nicht. Wenn wir auch in Nighthawks sitzen würden, könnten Darkness´ Leute auf so eine Gelegenheit warten, bis sie schwarz werden.“
„Dummnase“, lachte Avenger laut. „Sie sind doch schwarz.“
Leises Gelächter erklang, als der Pilot auf die Staffelfarbe der Nighthawks anspielte.
„Jedenfalls“, riss Huntress das Heft wieder an sich, „hat sich auch die Grüne Staffel mächtig rangearbeitet und erfüllt mittlerweile sogar die ungerechten und überzogenen Kriterien, die der CAG an sie anlegt, weil er Lightning so sehr schätzt.“
Wieder wurde gelacht. Der Clinch zwischen der Typhoon-Staffelführerin und dem CAG war allgemein bekannt. Es gab sogar einen Wettpool, wer wen im nächsten Gefecht zufällig aus der Maschine pusten würde – nicht, dass auch nur ein Ace for REDEMPTION je davon gehört oder sich am Pool beteiligt hätte.
„Das bedeutet“, erklärte Huntress und lächelte süffisant, „wir müssen jetzt mächtig aufdrehen. Also Schluss mit den Formationsflugübungen und Schluss mit Begleitschutz für die Mirages und Crusader. Ab sofort trainieren wir wieder Trägerschutz und Angriffe.“
Lauter Jubel brandete auf.
„Und das ist der Dienstplan für die nächsten drei Tage. An jedem Tag schiebt eine unserer Sektionen Dienst auf Patrouille. Das bedeutet, wir haben an jedem Tag sechzehn Stunden Zeit, um eine gemeinsame Übung durchzuführen. Ich habe für jeden Tag ein vierstündiges Manöver arrangiert. Alles Manöver aus dem Lehrbuch, die uns mächtig Punkte bringen, wenn wir sie gewinnen. Zwei sind gegen virtuelle Gegner. Aber eines ist gegen unsere Freunde von den Grünen.“
Wuchtig rammte Huntress ihre Hände auf das Pult. „Und damit das klar ist: Eher laufe ich nackt durch die Offiziersmesse, als dass ich mich von Lightning vorführen lasse. Haben das alle hier verstanden?“
„Ja, Ma´am!“, blafften die Piloten.
Huntress grinste. „Gut. Dann lasst uns jetzt mal die Schwachpunkte der Grünen Staffel sowie ihre wahrscheinlichen Manöver durchgehen.“

**

Eine Stunde später lehnte sich Juliane müde an das Stehpult und rieb sich die Augen. Sie hatte noch eine Stunde vor Manöverbeginn. Und die wollte sie sinnvoll nutzen. Auch, wenn es sich erst um eines der virtuellen Manöver handelte.
Die anderen Piloten hatten den Besprechungsraum bereits verlassen, um sich vorzubereiten. Nur Chris Harris alias Chip war noch anwesend. Ebenso die junge Private.
Juliane sah auf und bedeutete Davis, aufzustehen und herüber zu kommen.
„Nun, Private, ist doch mal ein schönes Erlebnis, bei so einer Besprechung dabei zu sein, was?“
„Nun“, begann sie zögerlich, „das wirkte alles sehr locker auf mich.“
Jean hatte vorsichtig formuliert. Aber sicherlich hätte sie lieber die Frage gestellt: Und Ihre Staffel hat wirklich die höchste Bewertung?
Noch, antwortete Huntress in Gedanken. Solange ihre Staffel die am längsten aufeinander eingespielte war und weiterhin die geringsten Verluste haben würde.
„Wir sind halt auch nur Menschen. Man kann nicht immer steif und überkorrekt sein“, erwiderte sie mit ausgebreiteten Armen.
Jean Davis lachte spöttisch. „Das sollten sie mal Master Sarge Schiermer erzählen, Ma´am.“
„Es gibt einen wichtigen Unterschied, den sogar Ihr Master Sergeant anerkennen würde, Private. Ich habe bereits im Krieg gesteckt und kenne ihn aus erster Hand. Meine Disziplin ist trainiert und mein Können hart erarbeitet. Das ist etwas, was Sie sich erst noch erwerben müssen.“ Juliane hatte tadelnd klingen wollen, aber letztendlich hatte es geklungen, als erkläre sie ihrer kleinen Schwester etwas.
„Hm. Wahrscheinlich muß ich dem alten Eisenfresser dankbar sein, wenn ich meinen zweiten Einsatz überlebe, was?“, fragte die junge Frau und lachte unsicher.
Sie nestelte an ihrer Jacke und zog den Brief hervor. „Hier, Ma´am.“
„Danke.“ Sie nahm den Umschlag entgegen. „Ich werde ihn später lesen. Ich finde, es ist eine große Geste von Ihnen, dass Sie die Briefe persönlich bringen. Das erfordert eine Menge Mut.“
„Mut habe ich Haufenweise. Ich bin eine Marine“, kommentierte die Private und machte ein karikiertes böses Gesicht.
„Whoa“, erwiderte Huntress. „Gut, dass ich keine Akarii bin.“
Jean lachte darüber und salutierte dann. „Hat mich gefreut, Sie kennen gelernt zu haben, Ma´am.“
Huntress erwiderte den Salut und folgte der jungen Frau mit ihren Blicken bis zum Ausgang.
In diesem Moment trat Chip neben sie. „Interessant. Sehr interessant. Haben Sie noch mehr Infos über Private Davis für mich?“
Huntress starrte den Milizpiloten böse an. „Chip, ich will in dieser Zeitung, für die Sie schreiben, nicht ein einziges Wort sehen, welches Private Davis nicht persönlich abgesegnet hat. Verstehen wir uns?“
„Ich hätte sie sowieso um Erlaubnis gefragt. Aber wenn ich eine gute Story wittere, dann lege ich immer gleich los mit der Arbeit“, rechtfertigte sich der Tribune-Reporter. „Piloten zu interviewen, vor allem wenn Lone Wolf sie vorsortiert, kann so langweilig werden.“
„Also los, Chip, laufen Sie ihr nach und fragen Sie sie.“
„Danke, Huntress.“

Auch dem Piloten von New Boston sah sie nach. Dann widmete sie sich dem Umschlag in ihrer Hand. Und erschauerte. Behutsam brach sie die Lasche auf, zog den eigentlichen Brief hervor, entfaltete ihn und begann zu lesen.
Tyr Svenson
Corsfield

Massentransid.
Das Wurmloch gab die riesige Flotte frei. Die beiden Piloten der INTREPID staunten nicht schlecht, als vor ihnen über 70 Schiffe auftauchten.
"Wow, die G-BURG und die MELBOURNE, das ist ja, wie das Schaulaufen der Republik."
"Hehe, yeah, und zwischendrin die alte LIBERTY. Mein Vater fuhr auf ihr. Als Schwadoncommander."
"Dein Vater war also Raumfahrtpionier."
"Raumfahrtpionier? Du tust ja gerade so, als ob Sie damals noch durch die Wurmlöcher ruderten."
"Taten Sie das nicht?"
"Haha, sehr witzig, ich gebe mal der Bösen I* bescheid." Der Wingleader wechselte die Frequenz: "Skyraider 304 für Homebase, der große Chef ist angekommen. Und er hat die arme Verwandtschaft mitgebracht."
"Henderson, ich habe Ihnen schon dreimal gesagt, Sie sollen sich verständlich ausdrücken." Die Com-Offizierin klang genervt. Henderson kicherte, es waren mehr als drei mal. "Okay, die zweite Flotte ist jetzt komplett, Renault hat die Bühne betreten."
"War das nun so schwer?"


Lucas fluchte, er würde zuspät zur Kommandantenbesprechung kommen. Eilig kippte er die letzten Reste kalten Kaffees hinunter und öffnete dann schwungvoll das Schott seiner Kabine.
Er setzte den rechten Fuß nach draußen. Mit einem lauten Schmatzen kam der Fuß auf dem Stahldeck der COLUMBIA auf.
Eigentlich war das Schmatzen nicht laut, doch Lucas kam es vor wie der Knall einer Gausskanone.
‚Nein.‘ Er blickte nach unten und sah seinen Fuß in einem prächtigen Haufen Scheiße stehen. ‚Das darf nicht wahr sein.‘
Er hob den rechten Fuß hoch und zog den Schuh aus. Nach kurzem durchatmen schloss der das Kabinenschott wieder von innen.
"GOTTVERFLUCHT!" Er feuerte den verschmutzen Schuh durch die Kabine. Dieser landete scheppernd im Regal und fegte eine Glasskulptur um, die aus dem Bord rollte und auf dem Kabinenboden zerschellte.
Seine Mutter hatte ihm die Skulptur nach dem Urlaub zugeschickt, damit er wenigstens etwas hatte um seine Kabine zu dekorieren. Sie war ein altes Familienerbstück. ‚Mutter bringt mich um.‘
"Nicht wenn Waco mich vorher umbringt", warf er in den leeren Raum und humpelte zum Schrank. Nachdem er den rechten Schuh seines zweiten Paares angezogen hatte, hechtete er erneut aus der Kabine, achtete aber sorgfältig darauf nicht erneut in die Scheiße zu treten.
Ein armer Crewman hatte das Pech ihm auf dem Gang zu begegnen und wurde dazu verdonnert vor seiner Kabine sauber zu machen.

Schnell hastete Cunningham zum großen Auditorium.
Zu seinem Erstaunen war die Besprechung noch nicht im Gange. Viele der Schiffskommandanten plauderten zwanglos miteinander.
Nach einem kurzen Rundumblick fand er Darkness und ging zu ihm.
Darkness war in ein Gespräch mit einem alten Bekannten vertieft. Um genau zu sein mit zweien. Captain Chris Mithel und Captain Gonzales.
"Sirs!" Lucas nickte den beiden Captains zu.
"Ah, Cunningham, wir haben uns schon gewundert, wo Sie bleiben", Mithel zeigte ein feines Lächeln, "Ihr XO schien aber schon mit Ihrem verspäteten Aufkreuzen gerechnet zu haben."
‚War das Missbilligung?‘ "Nun, Commander McQueen und ich kennen uns schon eine ganze Weile."
"Sie können uns nicht sagen, was die hohen Herren planen, wo Sie doch Madam Admiral an Bord haben?" Mischte sich Gonzales ein. Man sah dem feurigem Hispanio-Terraner an, dass er sich in seiner Gesellschaft nicht wohl fühlte.
Darkness verneinte.
"In etwa", gab Cunningham zu, "ich begleitete Admiral Wulff und Captain Waco zur Stabsbesprechung an Bord der GETTYSBURG."
"Ich denke wir sollten den Admiral die Story erzählen lassen." Waco gesellte sich zu ihnen.
"Aye Sir, aber könnte ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?" Cunningham lächelte die anderen beiden Captains und Darkness entschuldigend an.
Waco nickte und führte ihn etwas abseits.
"Was ist?"
"Das Phantom hat wieder zugeschlagen."
Der Captain der COLUMBIA zog die Luft scharf ein: "Wann und wo?"
"Wann weiß ich nicht, aber er hat es mir genau vor die Tür gelegt, ich bin reingetreten." Einen Augenblick rechnete Lucas damit in Wacos Augen Schadenfreude zu sehen.
Doch diese blieb aus: "Ich nagele dieses Schwein höchstpersönlich aufs Flugdeck, wenn ..."

"ACHTUNG! Admiral an Deck." Links der Tür hatte sich ein Offizier aus Wulffs Stab aufgebaut.
"Bitte setzen Sie sich, wir haben viel zu tun", die Tür hatte sich hinter Wulff noch nicht richtig geschlossen.
Sie musterte kurz die sich setzenden Schiffskommandanten und marschierte dann zum Pult.
"Guten Abend meine Damen und Herren. Für diejenigen, die mich noch nicht kennen, ich bin Bianca Wulff, Ihre Kampfgruppenkommandeurin. Wenn Sie Ihren Job zu meiner Zufriedenheit ausführen werden wir gute Freunde. Wenn jedoch nicht ..."
Sie ließ den Satz unbeendet und schaltete den Wandbildschirm ein.
"Wie Sie alle wissen haben die Mienenleger, die Admiral Renault - welcher für meine Verspätung verantwortlich ist - mitgebracht hat schon begonnen den Wurmlocheingang nach Graxon zu verminen. Diese Minen sind mit einen intelligenten Gehirn ausgestattet und werden erst bei Bedarf von uns aktiviert.
Übermorgen um exakt Nullneunhundert führen wir und die Trägergruppe INTREPID einen Massentransid nach Graxon durch.
Was die Echsen auch immer als Sprungpunktsicherung aufgefahren haben, werden wir schnellstens aus dem Weg räumen.
Um genau zu sein, gebührt diese Aufgabe Kreuzerschwadron 2.3, da einige der Jungs etwas Trigger Happy sind, 2.3 Sie bilden die linke fordere Flanke. Die rechte fordere Flanke übernimmt ein Kreuzerschwadron der INTREPID."
Bei der Bemerkung wurde kurz Gelächter laut. Wulff erkannte jedoch, dass einige der Kapitäne rot im Gesicht wurden.
Kurz sprach Wulff die Verteilung der übrigen Großkampfschiffsschwadronen an.
"Schnellstmöglich werden wir zum zweiten Planeten des Systems vorstoßen. Auf ihm befindet sich unser Ziel. Ein Gefangenenlager der Akarii. Das NIC rechnet mit ca. 10.000 bis 12.000 internierten Angehörigen unserer Streitkräfte.
Für uns spielt nur die Raumverteidigung und die Boden-Raum-Abwehr eine Rolle.
Im Orbit hat Graxon II eine Station, deren Zweck die Lagerung von abgebauten Erzen und den Verladung auf Frachter ist. Es ist von einer ausreichenden Bewaffnung auszugehen.
Hinzu kommt als Garnison für dieses strategisch wichtige Ziel eine Trägerkampfgruppe. Die geschätzte Stärke sind ein Träger der Uniform-Class, sowie 20 Kreuzer und 20 Zerstörer, vielleicht noch etwas Kleinkram.
Nachdem wir den Widerstand im Raum niedergekämpft haben, springen die MARIA THERESIA, die ALBERT SCHWEIZER und die GENERAL GORDON ins System. Die THERESIA und die SCHWEIZER sind Lazarettschiffe, die GORDON ein normaler Truppentransporter.
Den Sturm auf das Gefangenenlager übernimmt ein leichtes Bataillon des SAS an Bord der Theresia.
Sobald die Jungs vom SAS Ihre Ziele genommen haben senden wir ein leichtes Regiment Marines runter, die das Aufräumen und die Sicherung der Evakuierung übernehmen.
Das Marinesregiment setzt sich aus den Kompanien der COLUMBIA, INTREPID, RELENTLESS, CORAL SEA und Dover zusammen. Das Kommando hat Lieutenant Colonel Schwarz, er reist mit der INTREPID.
Die Evakuierung der Gefangenen wird so schnell wie möglich vonstattengehen. Sobald diese abgeschlossen ist ziehen sich die Lazarettschiffe und der Truppentransporter zurück.
Wir werden auf die Reaktion der Akarii warten und sie je nach Stärke hier stellen oder uns zu Renault nach Corsfield zurückziehen."
Wulff schaltete den Monitor aus. "Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich von Ihnen, Ihren Crews und Schiffen nicht weniger als 100 Prozent Leistung erwarte. Geben Sie alle Ihr Bestes und nur das Beste. Das wärs, wegtreten."
Wulff versuchte sich möglichst viele der Gesichter einzuprägen, die das Briefing verließen. ‚Wie viele von Euch habe ich heute zum ersten und letzten Mal gesehen?‘
Tyr Svenson
Mit wachsender Verzweiflung versuchte Crusader, die nächsten Schritte seines Gegenüber vorauszuahnen. Doch er sah kein Gesicht, in dem er lesen konnte, nur eine schwere, flache Maske. Sein Gegner hielt das Schwert in beiden Händen, etwas zurückgenommen, um sofort wieder angreifen zu können. Crusaders Atem ging schnell, er war erschöpft – der Kampf dauerte schon eine ganze Weile. Fast keuchend stieß er die Luft aus, schwang seine Waffe – die auf die Abwehr des Gegners knallte. Der ging sofort zum Gegenangriff über und trieb Crusader zurück, mit schnellen aber wuchtigen Schlägen. Erschöpft und aus dem Takt gebracht konnte Crusader nur mit knapper Mühe einen entscheidenden Treffer vermeiden. Während er noch einen Schritt zurückwich, sah er etwas, was eine Blöße in der Deckung seines Gegners zu sein schien, stieß zu – ein wuchtiger, vernichtender Schlag gegen seinen Hals ließ Crusader wanken. Sein Gegner setzte nach, traf ihn an Armen, Leib und Oberschenkel.

„Es reicht!“ Crusader hob den Arm und stoppte damit den Kampf. Keuchend riß er sich die Maske vom Gesicht: „Ich hab‘ genug.“ Es war immerhin eine kleine Genugtuung, daß auch Ohkas Gesicht verschwitzt war, der Atem des Japaners stoßweise ging. Ohka grinste kurz: „Du wirst besser.“
„Soll das ein Witz sein? Wie ist das Verhältnis – Neun zu Zehn?“
„Könnte stimmen. Aber überleg‘ mal. Du hattest wie lange Kendo? Zwei Jahre? Ich habe das seit der Schule gemacht. Und auch ein paarmal mit echten Klingen – und nichts schult so sehr wie der Umgang mit der echten Waffe.“
„Verschon mich mal kurz mit deiner Samuraiphilosophie. Ich versuche mich gerade daran zu erinnern, warum ich so dumm war, mit dir zu fechten. Du bist zu gut.“
„So gut bin ich nicht. In einem Wettkampf gegen einen echten Meister könnte ich nur mit Anstand untergehen.“
Crusader grinste etwas säuerlich: „Na, das paßt ja zu dir, nicht wahr. Aber das ist auch kein Trost.“
„Du hast Potential. Und du bist größer, stärker...“
„Reib es mir ruhig weiter unter die Nase. Warum wischst du dann bitte den Boden mit mir auf.“
„Dir fehlt immer noch Übung. Und du solltest an deiner Haltung arbeiten. Jedesmal, wenn du angreifen willst, hebst du das Schwert etwas über die Ausgangsstellung und duckst dich.“
„Danke, daß du mir das erst jetzt mitteilst.“
Wieder grinste Kano kurz: „Gerne geschehen! Aber aus Fehlern lernt man am besten, wenn sie einem richtig bewußt gemacht werden. Wenn man unter ihnen leidet.“
„Noch eine deiner Samurairegeln?“ Crusader war währenddessen damit beschäftigt, den Panzer abzuschnallen. Auch wenn der das Training besonders schweißtreibend machte – er hatte heute schon ein gutes Dutzend Treffer abbekommen, die selbst mit der Kunststoff’klinge‘ gefährlich gewesen wären, wenn er nicht gepanzert gewesen wäre.
„Nicht ganz. Oder vielleicht doch. Und ich bin gnädig – in der japanischen Armee wurden solche Fehler mit dem Bambusknüppel verdeutlicht.“
„Auch wenn du die alten Zeiten vermißt, ich danke.“
„Siehst du, deshalb bin ich besser...“

Währenddessen hatten die Piloten die Panzer und Waffen verstaut. Der Duschraum war zur Zeit ziemlich voll. Die Männer eines kompletten Marine-Platoon machten Lärm wie ein voller Zug. Während sich einige ziemlich lautstark über die körperlichen Merkmale einiger Marinesoldatinnen ausließen, hänselten ein paar andere einen untersetzten Marines, dessen linkes Auge in tiefstem Dunkelblau prangte. Keiner achtete auf die Piloten – ohne Kleider war der Unterschied sowieso nicht zu bemerken, nur daß die meisten Marines tätowiert waren.
„Immerhin, am Schluß hab‘ ich dich fast erwischt.“ nahm Crusader das halbernste Streitgespräch wieder auf.
„Hast du. Aber nur weil ich es wollte.“
„Ja, klar. Das Bonbon willst du dir also auch ankleben?“
Ohka schüttelte den Kopf: „Du verstehst nicht. Du hast einen Treffer an meiner Schulter gelandet. Hätten wir mit echten Waffen gekämpft – du hättest mich verwundet.“
„Und? Sagte ich doch.“
„Und ich hätte dich getötet. Manchmal ist es nötig, dem Gegner einen Treffer zu erlauben, um zu siegen. Und wenn das bedeutet, daß er seine Klinge in deinem Körper unterbringen kann. Und das IST eine Samurairegel.“
Crusader schüttelte den Kopf: „Irgendwie überrascht mich das nicht besonders. Ihr seid wirklich Fanatiker. Schwert in die Scheide.“
„Was?“
„Ich hab‘ schon mal von so einem Manöver gehört. Es hieß ‚Schwert in die Scheide‘. Das war übrigens ein altes Fantasybuch.“
Ohka zuckte mit den Schultern: „Deshalb wird es nicht weniger wahr.“
„Hai, tono!“
„Deine Aussprache ist fürchterlich. Solltest du jemals nach Japan kommen, bleib‘ bei Englisch.“

Anschließend gingen beide in die Kantine. Die riesige Halle war, wie fast immer, nur halbvoll. Das Essen war im Vergleich zur REDEMPTION eindeutig eine Verbesserung. Die Steaks zum Beispiel waren (versicherten Kenner) so gut wie frischgeschlachtet. Trotzdem vermißte Kano immer noch den ‚alten Kahn.‘ Beide Piloten aßen gründlich und konzentriert – auf sie wartete noch ein Patrouilleflug. Nach der üblichen Rotation hätten Darkness und Jaws den Flug übernommen - aber der Lieutenant Commander war bei einer Stabsbesprechung. In diesem Zusammenhang waren die Gerüchteköche besonders aktiv gewesen. Fast jeder in der Flotte rechnete damit, das es bald losgehen würde. Solche "Kinkerlitzchen" wie das Phantom waren angesichts der wahrscheinlich unmittelbar bevorstehenden Schlacht fast völlig aus den Gesprächen verschwunden. Höchstens die Sache mit Cartmell hatte noch eine Chance, ein Gesprächsthema zu sein. Spätestens seitdem man den angeblichen Ex-Piraten halbtot in die Krankenstation eingeliefert hatte, wußte an Bord des Schiffes jeder über ihn Bescheid. Unter anderem auch deswegen, weil eine Untersuchung angelaufen war.
„Und, was war mit den Schnüfflern vom JAG? Stellen sie dich wegen Wehrkraftbeschädigung vor den Kadi?“
Kano verzog den Mund und schob den Teller zur Seite: „Was weißt du denn davon?“
„Das war ja wirklich nicht schwer! Zuerst wird unser einsamer Pirat von `nem Panzer überrollt in die Krankenstation eingeliefert. Und dann holen sie dich aus `ner Simulatorübung und Darkness sieht aus, als wollte er `nen Teppich zerbeißen.“
„Du solltest an deiner Aussprache arbeiten. Wir sind nicht beim Marinekorps. Und was den JAG betrifft...
Die wollten wissen, wo ich wann gewesen bin und was ich von Cartmell halte.“
„Und?“
„Ich habe ihnen gesagt, daß ich zu dem Zeitpunkt, der sie interessiert hat, geschlafen habe. Nach sechs Stunden Spähflug. Und daß ich leider keine anderen Zeugen habe als meinen Zimmernachbar, der nicht mal aufwachen würde, wenn neben ihm eine Maverick explodiert. Und daß ich Cartmell für einen selbstgerechten, egozentrischen gajin halte, der nicht begreifen kann, daß er jedem ins Gesicht spuckt, der ihm eine Chance geben will. Der nicht erkennt, daß ihm die Navy die Möglichkeit geboten hat, seine Fehler zu sühnen. Und daß ich bereit wäre, ihn zu exekutieren, wenn er denn wirklich zu den Piraten übergelaufen wäre. Daß es dafür nur den Tod als Strafe gibt. Aber daß ihn nun mal ein Gericht freigesprochen hat. Und daß ich ihn noch niemals angefasst habe.“
„Wirklich nicht? Und was war in Miramar?“
„Da bin ich...“
„Ja, ja – die Treppe runtergefallen, richtig? Daß habe ich schon damals nicht geglaubt. Erzähl mir nicht, daß sie dir das abgenommen haben?!“
„Nein. Aber daß habe ich ihnen auch nicht erzählt. Ich habe ihnen gesagt, daß ich Zeuge wurde, wie vier unbekannte Männer einen Piloten verprügelten. Daß ich eingegriffen habe und dabei ordentlich eingesteckt habe. Und daß der angegriffene Pilot Cartmell war. Ich habe auf eine Meldung verzichtet, weil ein Lieutenant Commander mir die Anweisung gab, die Sache als nichtgeschehen zu behandeln. Zufrieden?“
Crusader grinste: „Also wenn unser JAG ein richtiger Bluthund ist... Dann möchte ich nicht in der Haut des L.C. stecken.“
„Das würde ich zu keinem Zeitpunkt wollen – weil der Lieutenant Commander Radio war.“
"Also nichts mit Loyalität und Kameradschaft? Nichts mit Schweigen für den Korpsgeist?"
Kano verzog den Mund abfällig: "Für Radio? Ich habe ihm nicht gerade die Treue geschworen. Wenn mir Cunningham, Darlness oder Lightning den Befehl gegeben hätten, tja dann...
Wenn Radio einen Befehl gibt zu dem er berechtigt ist, dann führe ich ihn aus. Aber darüber hinaus - keine Chance. Der JAG hat das Recht und die Kompetenz Nachforschungen anzustellen. Und Loyalität und Kameradschaft muß man sich VERDIENEN."
„Und haben sie dir deine Geschichte abgekauft?“
„Da ich einen Zeugen hatte, ja.“
„Kali, richtig?“ Crusader grinste: „Was habt ihr beiden bloß dort gemacht?!“

Kano antwortete nicht. Statt dessen sah er Crusader einfach nur an.
„Schon gut, schon gut. Themenwechsel. Geht mich ja nichts an.“
„Stimmt. Nun, auch wenn ich wegfalle, das engt den Verdächtigenkreis wohl nicht besonders ein...“
„Wenn ich Elaine schreibe, daß wir gleich zwei Ex-Sträflinge im Geschwader haben... Diesen Messerstecher in unserer Schwadron und dann noch Cartmell. Und so was in einem Elitegeschwader.“ Crusader schüttelte zynisch grinsend den Kopf.
„Immerhin können sie fliegen. Das ist doch auch etwas.“
„Ja fliegen können sie schon. Aber bei Cartmell fragt man sich doch, ob der immer in die richtige Richtung schießt.“
„Das laß bloß nicht hören, sonst hat der JAG dich als Nächsten auf der Liste. Aber das ausgerechnet du dir Sorgen machst...“
„Doch nicht für mich. Aber sei erst mal verheiratet. Nebenbei – wie stehen denn da die Chancen?“
„Was?!“ Kano schaute Crusader konsterniert an, der aber unverdrossen nachsetzte: „Na ist doch einfach zu verstehen. Ich meine, du und Kali – davon weiß doch jeder...“
„Du bist verrückt. Es ist Krieg.“
„Na und? Ist doch nur `ne Entschuldigung. Oder wie ist das? Nicht heiraten, aber...“
„Das reicht!“ Kanos Stimme war leise aber eiskalt. Und diesmal erkannte Crusader, daß er dieses Thema besser nicht weiter verfolgte. Nach ein paar Sekunden Schweigen setzte Kano mit etwas ruhigerer Stimme hinzu: „Wenn ich gute Ratschläge von einem Jungfuchs brauche, weiß ich, wo ich dich finde. Bis dahin sehen wir zu, daß DU sicher zu DEINER Frau zurückkommst.“ Mit einem Blick auf seine Uhr stand er auf: „Mach hin. In zehn Minuten ist Start.“ Damit ging er.
Crusader sah seinem Rottenführer leicht kopfschüttelnd nach. Er hätte sich denken können, daß Kano bei jedem Herumstochern in seinem Privatleben so reagieren würde. Na ja, dann würde er halt darauf verzichten, diesen Knopf zu drücken. Jetzt aber kam erst mal der Flug – wohl wieder mal Stunden eintöniger Routine, ihr Glück hatten sie wohl mit dem Akariifrachter ausgeschöpft. Seinen Teller ließ er stehen – irgendjemand würde schon wegräumen. Mit etwas Glück war das der letzte Routineflug vor der Schlacht. Schon bei diesem Gedanken fühlte Crusader eine merkwürdige Mischung aus Erwartung, Anspannung, aber auch Angst in sich aufsteigen. Die Tatsache, daß es so wohl vielen gehen mußte, half nicht wesentlich...
Tyr Svenson
Vor der Schlacht

„Wo schicken sie uns hin, Lieutenant Commander?“ Es war nicht das erste Mal, daß Darkness diese Frage gestellt wurde. Doch wenn sein XO ihn fragte, dann würde er sich wohl oder übel zu einer Antwort bequemen. Immerhin leitete First Lieutenant Miguel „Monty“ Terrano die Ausbildung der Staffel und würde im Falle des Falles Darkness Stelle einnehmen. Außerdem kannte der Staffelführer seinen Stellvertreter. Der würde keine Ruhe geben. Und – Geheimhaltung hin oder her – Monty war keine Plaudertasche.
„Das behalten Sie aber für sich! Sie kennen die Richtlinien. Nur soviel, der Angriff steht unmittelbar bevor. Wir werden mit einer kombinierten Trägerdivision vorstoßen. Es wird mit einem feindlichen Träger und Blockadeverbänden gerechnet. Nach der Schlacht wird unserer Verband eine Verteidigungsformation einnehmen. Machen Sie damit, was Sie wollen - mehr bekommen Sie nicht zu hören.“
First Lieutenant Terrano verzog kurz den Mund, diese vagen Worte reichten ihm offenbar nicht ganz, nickte dann aber knapp: „Ich werde die Übungen in dieser Hinsicht ausrichten.“
„Gut. Aber viel Zeit haben wir nicht mehr. Und ich will, daß meine Piloten ausgeruht in den Kampf gehen.“ Darkness fixierte seinen Stellvertreter scharf: „Wie bewerten Sie die Schwadron?“

Monty ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wußte sicherlich, daß Darkness sehr wohl in der Lage war, seine Staffel selber einzustufen. Tatsächlich hatte Darkness in den letzten Wochen wieder und wieder die Akten seiner Leute und seine persönlichen Erfahrungen mit ihnen verglichen, die Piloten auf Herz und Nieren geprüft. Diese Frage war eine Prüfung für Monty. Aber Terrano hatte noch nie an zu geringem Selbstbewußtsein gelitten. Seine Stimme nahm einen leicht dozierenden Klang an. Zusammen mit dem etwas hochmütig wirkenden Oxford-Englisch und dem überpräzisem Auftreten ließ ihn das ziemlich arrogant wirken, vor allem gegenüber einem Vorgesetzten. Aber Darkness ließ ihm das durchgehen.
„Jaws ist ein guter Pilot. Er...“
„Über meinen Flügelmann brauche ich keine Einschätzung. Ich weiß, wie er fliegt.“
„Wie Sie wünschen. Fatmann ist Milizpilot. Trotzdem hat er sich gut eingepaßt. Und er ist in der Lage, Jeanne zurückzuhalten. Wie die meisten Neulinge neigt sie dazu, die eigenen Fähigkeiten zu über- und Risiken zu unterschätzen.
First Lieutenant van Geel ist da ein anderer Fall.“
„Was paßt Ihnen an Dutch nicht? Er ist Mantikorveteran, hat vier Abschüsse und reichlich Flugerfahrung.“
„Ich denke, er ist abgeflogen. Sie waren ebenfalls bei Mantikor. Ich habe meinen Träger verloren und die meisten Mitglieder meines Geschwaders. Aber nicht jeder ist aus dem richtigen Holz geschnitzt, hält dem Druck stand. Ich halte van Geel für ausgebrannt.“
Darkness schnaubte nur. Monty hatte wirklich eine sehr hohe Meinung von sich selber. Aber auch wenn Darkness einige der Bedenken betreffs Dutch teilte... „Dutch wurde für voll flugtauglich erklärt. Und wir brauchen Veteranen.“
„Die Ärzte! Die haben doch keine Ahnung vom Flugbetrieb. Wir brauchen Veteranen, ja - aber keine Wracks. Geben Sie ihm wenigstens keine Sektion.“
Darkness schüttelte den Kopf: „Selbst wenn ich Ihre Bedenken voll teilen würde – was ich nicht tue – es ist zu spät, vor dem Einsatz noch die Staffelstruktur zu ändern. Wir werden sehen, wie sich Dutch im Gefecht bewährt!“

Lieutenant Terrano preßte erneut die Lippen zusammen: „Sie sind der Staffelchef. Es ist Ihre Entscheidung.“ In seiner Stimme schwang der unausgesprochene Zusatz mit: ‚...und ihr Fehler!‘. Aber Darkness ignorierte das. Solange Monty Order parierte, konnte er sich denken, was er wollte. Monty fuhr währenddessen mit leicht unterkühltem Ton fort: „Terry ist besserer Durchschnitt. Aber ich denke, er kann mithalten. Auch wenn sein Rottenführer...“
„Das reicht! Sie haben Ihre Meinung zu Dutch geäußert, ich habe sie zur Kenntnis genommen.“
„Ja, Sir! Ohka ist ein guter Pilot. Aber geben Sie ihm nie mehr als eine Rotte, höchstens eine Sektion – außer er ändert sich.“

Bei diesem „Rat“ mußte Darkness denn doch grinsen, auch wenn es eher frostig war. Er konnte sich vorstellen, wie sich Monty mit diesem Ton seine zeitweilige Beförderung zum Lieutenant Commander wieder verscherzt hatte. Er selber sah nur deshalb von einer mörderischen „Zigarre“ für Monty ab, weil er wußte, was für ein guter, wenn auch harter und anspruchsvoller, Ausbilder sich hinter der arroganten Fassade verbarg. „Ich hatte nicht die Absicht, Ohka Ihren Posten zu geben. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?“
„Er hat hervorragende Anlagen. Aber er ist zu sehr Nur-Pilot. Die Streitkräfte brauchen solche Männer. Die Fähigkeit Akariis abzuschießen, die Bereitwilligkeit jeden Befehl zu befolgen und die Bereitschaft, daß eigene Leben einzusetzen mögen wertvolle Eigenschaften sein. Aber für einen Offizier reicht das nicht. Er wäre überfordert – und da er sowieso sehr riskant fliegt, wäre er wahrscheinlich bald tot.“
Darkness überlegte leicht amüsiert, was Ohka zu diesem Urteil sagen würde. Währenddessen fuhr Monty fort: „Außerdem ist da noch die Sache mit dieser Pilotin von Staffel Rot, Mitra heißt sie...“
Darkness winkte ab: „Solange das seinen Einsatz nicht gefährdet, werde ich nicht im Privatleben meiner Leute herumfuhrwerken.“
„Es ist nach der Dienstvorschrift verboten...“
„Wir mußten noch ganz andere Dinge übersehen. Sie wissen ganz genau, daß DIESE Vorschrift nicht mehr als ein bloßer Fetzen Papier ist, den sich irgendwelche verkalkte Bürokraten ausgedacht haben.“ Monty schien nicht ganz derselben Meinung, wandte sich aber dann doch dem nächsten Piloten zu: „Crusader ist für einen Neuling gutes Material. Außerdem hat er zumindest schon einmal so etwas wie Gefechtsberührung gehabt – ich denke, er wird nicht versagen. Was meine Flügelfrau betrifft: auch La Reine hat gute Anlagen. Sie besitzt vor allem Zähigkeit und Angriffswillen. Und ich werde darauf achten, daß sie sich nicht übernimmt. Um sie brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Sir.“
„Wenn Sie sich so sicher sind...“ Darkness Stimme klang leicht sardonisch.
„Viking IST Veteran. Im besten Sinne des Wortes.“
„Was denn, bei ihm sehen Sie keine Anzeichen, daß er abgeflogen ist?“
„Viking ist nicht Dutch, Sir. Ich kenne ihn und verbürge mich für seine Leistung. Er wird sein Bestes geben.“

Darkness war sich nicht ganz sicher, ob dieses Urteil über Viking nicht auch daher kam, daß er schon früher Montys Staffelkamerad gewesen war. Aber auch Darkness traute Viking einiges zu. Er wirkte verläßlich und besonnen – eine wertvolle Eigenschaft in einer Staffel, die eine ganze Reihe von „Feuerköpfen“ hatte. Terranos Urteil über das letzte Mitglied der Staffel fiel ähnlich eindeutig aus – aber wesentlich weniger positiv: „Ich halte Muhammad Tüncay für eine Fehlbesetzung. Wenn wir nicht im Einsatz ständen, würde ich für eine Herauslösung aus der Staffel plädieren.“
„Wie kommen Sie denn darauf? Seine Leistungen sind nicht überragend, aber gut genug. Es gibt schlechtere.“
„Es geht nicht um seine Flugleistungen. Diese sind akzeptabel. Es geht um die Person an sich. Er ist schwer in die Staffel integrierbar. Außerdem ist er als ehemaliger Sträfling in keinem Fall eine Zierde des Geschwaders oder der Staffel. Er hat einen Vorgesetzten niedergestochen! Und das war nicht das letzte Mal, daß er in Prügeleien und Dienstvergehen verwickelt war. Wenn man solche Subjekte an die Front schickt, dann vielleicht im Strafbataillon oder der Fremdenlegion. In einem Elitegeschwader ist er fehl am Platz. Dies ist weder für die Heimatfront noch die anderen Piloten ein glückliches Vorbild.“
„Er bleibt. Wir haben nicht genug Leute, um uns den Luxus so eines Korpsgeistes zu leisten. Wenn er ernstlich Mist baut, werde ich ihn höchstpersönlich häuten und die traurigen Überreste auf ewige Zeiten in irgendeiner Sträflingskolonie bunkern. Aber solange er seine Pflicht tut, wird er behandelt wie JERDER ANDERE. Haben Sie verstanden?!“
Terrano klang jetzt regelrecht beleidigt: „Ich würde niemals so weit sinken, einen Piloten zu schikanieren! Ich kenne meine Pflicht, SIR!“ Und tatsächlich war Darkness bereit, ihm dies zu glauben.
„Und wie beurteilen Sie die Staffel insgesamt?“
Terranos Stimme nahm einen formellen Ton an: „Die Schwarze Staffel ist bereit zur Schlacht, Sir!“

Und das stimmte auch. In den letzten Wochen war der zusammengewürfelte Haufen aus Neulingen, Milizpiloten und Veteranen zu einer Einheit geworden. Allerdings – die Bewährung in der Schlacht stand noch aus. Aber nach menschenmöglichen, da war Darkness vor seinem eigenen Gewissen sicher, hatten sie alles getan, um die „Butcher Bears“ zu einer effektiven Waffe zu machen.

„Sonst noch etwas, Lieutenant?“
„Wenn ich noch einmal auf meinen Vorschlag zurückkommen dürfte? Ich halte diese Maßnahme für in jeder Hinsicht für das Zusammengehörigkeitsgefühl nützlich.“
„Ich dachte nicht, daß Sie an solche Symbolistik glauben...“
„Das tue ich auch nicht, Sir. Aber es stärkt das Selbstbewußtsein in der Staffel. Es schafft das Gefühl zu einem Eliteverband zu gehören. Und es verbindet die Piloten. Sie wissen, wie Piloten sind...“ Terranos Stimme klang nachsichtig, als spräche er über einen Haufen Halbwüchsiger.
„Na schön, veranlassen Sie alles Nötige. Und ja, ich mache mit.“
„Danke, Sir.“ Terrano salutierte und ging ab.
Darkness überlegte kurz, dann wandte er sich dem Bildschirm seines Computers zu und rief Montys Akte auf. Kurz darauf war seine Entscheidung gefallen. Er würde Terrano zur Beförderung zum Lieutenant Commander vorschlagen – genauer, er würde entsprechend bei Cunningham und Ward vorfühlen. Terrano mochte arrogant sein, ein schwieriger Kamerad, Untergebener und ein Vorgesetzter mit hohen Anforderungen. Aber gerade jetzt konnte sich die TSN nicht den Luxus leisten, gutes Offiziersmaterial als First Lieutenant versauern zu lassen. Wenn man Radio zum Lieutenant Commander beförderte – und langsam begann der sich ja sogar zu machen – dann war Terrano es wert, über seine Marotten hinwegzusehen...

***

Acht Stunden später, Hangar der COLUMBIA

Die zwölf Jäger der Schwarzen Staffel „Butcher Bears“ standen in einer Reihe. Die in dunkelgrauer Navy-Einheitsfarbe gestrichenen Maschinen wirkten alleine durch ihre Präsenz einschüchternd und drohend, kampfbereit. Die neue Bugbemalung verstärkte diesen Eindruck noch erheblich. Die stumpfe Nase der Kampfflieger stellte jetzt, mit weißer Farbe gezogen, einen wuchtigen Bärenkopf dar, das blutrote Maul aufgerissen, in dem gebogene Fänge blitzten. Auch die Augen waren blutrot. Etwas versetzt dahinter waren auf jeder Seite des Rumpfes eine Tatze mit langen Krallen aufgemalt.

Dazu waren auf den Flanken der Maschinen auf der einen Seite eine weiße Kennummer, welche die Sektion, die Rotte und die Nummer in der Staffel anzeigten. Auf der anderen Seite hatten die Piloten ein eigenes Logo, einen Wahlspruch oder ähnliches anbringen können. Kleine, weiße Sterne zeigten die Zahl der erzielten Abschüsse. Es blieb Montys Geheimnis, wie er die nötigen Materialien beschaffen und ein paar Techs hatte anwerben können um die Maschinen in der kurzen Zeit so herauszuputzen. Immerhin hatten in dieser Zeit auch vier Maschinen der Staffel an Patrouilleflügen teilnehmen müssen. Natürlich hatte Monty auch die Piloten für diese „Verschönerung“ herangezogen – aber die meisten waren von der Idee begeistert gewesen und hatten mit vollen Einsatz mitgemacht – was Monty vorrausgesagt hatte.

Darkness hatte als persönliches Logo einen stilisierten Ritter mit Schild, Helm und erhobenem Schwert gewählt – Schwarz auf Weiß gemalt. Jaws hatte sich mehr Mühe gemacht – ein sehr naturalistischer Weißer Hai zierte seine Maschine. Fatman hatte einen roten Drachen gewählt – das Staffelwappen seiner alten Einheit bei der Miliz. Jeanne hatte sich für ein senkrechtes Schwert entschieden – und den Wahlspruch: „Auge um Auge“.
Dutch verzichtete auf ein Wappen. Der Mantikorveteran hatte die ganze Aktion kaum unterstützt. Er schien keinen Sinn darin zu sehen. Sein Flügelmann Terry hingegen hatte eine leicht bekleidete Schönheit gewählt, die dem Engel im Geschwaderwappen ähnelte. Allerdings hatte sie keine Flügel, und noch weniger an.
Ohkas Maschine zierte ein ziemlich unspektakuläres Wappen: eine Kirschblüte. Crusader hingegen hatte einen weißen Löwen auf Rot genommen.
Monty hatte es bei dem nicht eben unbescheidenen Wahlspruch: „To lead and to protect“ belassen. La Reines persönliches Wappen war eine geduckte, schwarze Löwin. Bei Viking war es ein Hörnerhelm vor einer Doppelaxt. Brawler hatte einen Jaguarkopf gewählt.
Der Gesamteindruck der Staffel war derart, daß sogar der Sicherheitschef nichts dagegen hatte, daß die Maschinen von allen Seiten fotografiert wurden. Natürlich würde man alle nachrichtendienstlich brisanten Details wegretuschieren. Aber es war auf jeden Fall gutes Propagandamaterial. Die „Butcher Bears“ waren zur Schlacht bereit.
Tyr Svenson
Captain Mithel blickte sich auf seiner Kommandobrücke um. Innerhalb der letzten Wochen und Monate war die RELENTLESS endgültig auch emotional „sein“ Schiff geworden. Auch wenn er sie noch nicht ins Gefecht geführt hatte, er stellte keine Vergleiche mehr mit der Hydra oder einem seiner anderen Kommandos an. Die Mannschaft hatte sich, wenn auch nicht ohne Komplikationen, an seinen Stil gewöhnt, und er wußte inzwischen, wie er das Beste aus seinen Untergeben herausholen konnte. Allerdings – wenn man ehrlich war, so konnte man Mithel in die Hinsicht nicht viel Sinn für Innovationen bescheinigen. Er setzte auf altbewährte Rezepte.
Inzwischen kannten die Besatzungsmitglieder die Art ihres Kapitäns, und einige der Offiziere hatten sich sein Verhalten zunehmend zum Vorbild genommen. Vor allem die jüngeren, die noch ,formbar‘ waren. Was auch Mithels Absichten entsprochen hatte.
Die Stationen boten ein Bild von Effizienz und Bereitschaft. Sie würden bald beweisen können, ob sie auch in Wirklichkeit hielten, was sie versprachen. Diesmal, das hatte der Captain sich geschworen, würde es keine schmachvolle Flucht geben wie bei Jollahran. Noch so ein Rückzug, und er würde in den Augen der Besatzung jedes Vertrauen verlieren, das er sich auf seine autoritäre Art erarbeitet hatte. Vertrauen, Respekt – nicht gerade Sympathie. Aber nach der verlangte er auch nicht.

Morgen würde es darauf ankommen. Morgen würde sich zeigen, ob es ihm gelungen war, aus dem Schiff eine tödliche Waffe zu schmieden. Es war keine Freude, die er fühlte – aber eine grimmige Genugtuung. Endlich würde die Navy die Akarii direkt angreifen. Sie würde Rache nehmen für die Schmach, die ihr der heimtückische Angriff der Akarii bereitet hatte. Sie würde zurückschlagen, so, wie sie immer zurückschlug, zurückschlagen mußte. Und an den Kreuzern würde es sein, einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Eine Chance für seine Waffengattung, sein Schiff, nicht zuletzt ihn selbst.
Dennoch, Mithel war kein Mensch, der sich allein von solchen blutrünstigen, aber angenehmen, Gedanken beherrschen ließ. Er war Realist, Pragmatiker – zumeist jedenfalls. Und als solcher machte er sich nicht viel vor. Es würde ein harter Kampf werden. Viel würde vom Glück, von seinen Fähigkeiten und von denen seiner Untergebenen abhängen. Mithel zweifelte nicht am Sieg. Nur wenn die Akarii wesentlich stärker als angenommen waren, auch dies nicht undenkbar, würden sie eine Chance haben. Doch er bedachte in Gedanken die Kommandeurin der Kampfgruppe nicht gerade mit schmeichelhaften Bezeichnungen.
Der Captain teilte keineswegs ihre Ansicht, daß die Akarii in einem schnellen Aufwasch würden erledigt werden können – auf jeden Fall nicht ohne erhebliches Risiko. Die vermuteten Flottenverbände mit 20 Kreuzern bedeuteten eine ungeheure Schlagkraft, und die beiden Speerspitzen der menschlichen Armada, die Kreuzerschwadronen, brachte es insgesamt auf nicht einmal so viele Schiffe. Viele davon waren leichte Kreuzer. Sicher, man hatte wesentlich mehr Zerstörer und Kampfflieger. Aber selbst unter günstigen Umständen würden die Akarii vor ihrer Vernichtung zahlreiche menschliche Schiffe vernichten oder beschädigen. Es sei denn, man überraschte sie unvorbereitet. Und auf so viel Glück rechnete er nicht. Vermutlich waren die Echsen vorsichtig genug, einige Schiffe als Außensicherung zu postieren. Ihr Opfer würde dem Rest die Möglichkeit geben, sich zu formieren.

Auch einiges andere an Wulff gefiel ihm nicht. Mithel wußte um die heilsame Wirkung des gelinden Schreckens, den Untergebene vor ihrem Vorgesetzten empfanden. Er setzte dieses Mittel selber zur Genüge ein. Gegenüber anderen Kapitänen und von Seiten einer Admirälin hielt er es aber für vollkommen fehl am Platze. Wulff hatte zu Männern und Frauen gesprochen, die durch ein strenges Trainingsprogramm gegangen waren. Viele hatten Kampferfahrung. Ihre Drohung, man würde so lange gut Freund sein, wie man ihre Erwartungen erfüllte, waren vielleicht für einen Marine-Drillsergeant passend. Aber selbst ein Captain sollte so etwas selten so unverblümt sagen. Geschweige denn erfahrene Senioroffiziere auf diese Art und Weise wie dumme Kadetten behandeln. Und ihr sonstiger Ton...,Wenn ihr etwas an der Kampfbereitschaft nicht paßt, dann sollte sie nicht im selben Atemzug den Marsch nach Graxon als Spaziergang hinstellen‘ dachte er säuerlich.
Dazu kam die in seinen Augen reichlich unvernünftige Entscheidung, nur einen Teil der Einheiten zu verwenden. Wieder einmal schien sich der Flottenstab in seine komplexen Planspielchen verliebt zu haben - ohne auch nur einen Augenblick daran zu denken, daß es mit Plänen wie mit Maschinen war. Je komplexer sie waren, desto leichter fielen sie aus...
Oder, wie Schupp es in seiner unnachahmbaren Art ausgedrückt hatte: "Nicht kleckern, sondern klotzen!". Aber der Stab kleckerte. Und das zum widerholten Male. Nicht einmal die leichten Träger würden mitkommen. Was man sich davon versprach, war kaum nachvollziehbar. Je geringer die Übermacht der Menschen war, desto größer würden auch ihre eigenen Verluste ausfallen - und das bereits lange vor der "eigentlichen" Schlacht. Der Informationsvorteil, den man dadurch gewann, daß die Akarii nicht mit den zwei kleineren Trägern rechnen würden, wog das kaum auf.

Er hatte nichts gegen Frauen in Kommandopositionen, hatte auch eine Frau als Stellvertreter. Aber einige der Frauen – nun, wenn man ehrlich war, auch der Männer, denn der Plan war bestimmt nicht auf Wulffs Mist gewachsen – im Admiralsrang zeigten seiner Meinung nach in ihrem Urteil mitunter weit weniger Weisheit als wünschenswert gewesen wäre. Noltze mit ihren Personalentscheidungen vor Jollahran, und Wulff jetzt hier mit ihrem Auftreten. Nun, das war nicht sein Problem.

Er wußte, daß sich auch sein unmittelbarer Vorgesetzter etwas ,auf den Schlips getreten‘ gefühlt hatte. Erstaunlich, wie unsensibel man als Admiral sein konnte. Nun, Schupp hatte irgendetwas von den Obersten gemurmelt, die einspringen mußten, wenn die Generale versagten. Vermutlich wieder mal eine seiner zahllosen historische Weisheiten, die er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit parat hatte. Aber in diesem Fall teilte Mithel einmal mehr die Ansichten des Schwadronschefs.

Der Captain blickte auf das Chronometer. Es war so gut wie soweit. „Lieutenant Fuchida – Kanal öffnen. Anlage auf Bordfunk schalten.“ Er wartete die lautlose Klarmeldung ab, dann wandte er sich an die Besatzung seines Schiffes: „Achtung, hier spricht der Kapitän. Ich habe hier eine Durchsage vom Kommandeur unseres Schwadron, Captain Henning Schupp.“ Mithel registrierte, daß wie erwartet am Hauptkompult ein Lämpchen aufleuchtete und die hereinkommende Botschaft anzeigte. Er machte ein knappes Zeichen.

Auf dem Primärbildschirm, den Bildschirmen in der Messer und den Quartieren erschien auf einmal das Symbol der republikanischen Raumflotte. Dann ersetzte das Bild Captain Schupps das Wappen. Er trug seine prachtvolle Galauniform, mit allen Auszeichnungen und Kampagnebändern, die er sich im Laufe seiner Dienstzeit erworben hatte. Das Gesicht wirkte ruhig. Die kräftige Stimme ertönte aus allen Lautsprechern. Gleiches geschah wohl auf allen Schiffen des Kreuzerverbandes.
„Männer und Frauen der Kreuzerschwadron 2.3
Die Stunde der Bewährung naht. Nach einer Zeit des Rückzugs und des tapferen, aber oft auch verzweifelten Abwehrkampfes ist nun der Augenblick gekommen, in dem wir den Krieg ins Herz des feindlichen Reiches tragen. Der Moment, auf den wir alle gehofft und mit dem wir alle gerechnet haben, ist nahe. Die Streitkräfte der Bundesrepublik Terra werden morgen das System Graxon angreifen, in dem die Akarii ein Internierungslager für Kriegsgefangene der Erdstreitkräfte eingerichtet haben. Es ist mit einer kompletten Trägerkampfgruppe an Verteidigungskräften zu rechnen. Auch wenn wir zahlenmäßig überlegen sind, will ich niemanden etwas vormachen. Der Kampf wird nicht leicht werden. Die Akarii werden sich teuer verkaufen, denn sie wissen, daß es für ihr Reich ums Ganze geht. Ihr hinterhältiger Angriff zeigt, daß sie jede Täuschung einsetzen, um sich einen Vorteil zu sichern – doch dürfen wir sie deshalb nie unterschätzen. Ihre Verbrechen lassen ihnen gar keine andere Wahl als bis zum Letzten zu kämpfen, müssen sie und ihr Imperium doch die Strafe für ihr Handeln fürchten. Wir müssen sie schlagen, und das werden wir auch – aber es wird ein harter Kampf. Ein Kampf, in dem es auf jeden einzelnen von Ihnen ankommt. Ich will mich nicht damit aufhalten, von Ihnen das Äußerste zu verlangen. Dies erscheint mir müßig. Ich weiß, daß Sie ohnehin für Ihre Heimat, Ihre Kameraden, aber auch für die Ehre Ihrer Fahne und Uniform ohnehin tun werden, was in Ihrer Macht steht. Deshalb bin ich mir des Sieges gewiß.
Sie alle wissen, worum es in dieser Schlacht geht. Mit diesem Angriff erteilen wir nicht nur den Aggressoren eine bittere Lektion, daß sie trotz aller Grausamkeit und Brutalität unseren Willen nicht brechen konnten. Wir werden ihnen zeigen, daß dieser Krieg nur mit ihrer Niederlage enden kann. Und wir werden die Ehre unserer Flotte, die durch den hinterhältigen Angriff von Mantikor in Zweifel gezogen wurde, wieder reinwaschen. Aber es geht um noch mehr. Es geht um unsere Kameraden, die in den Lagern der Akarii leiden. Die tapferen Soldaten, die dort gefangen sind, müssen befreit werden. Sie verdienen dies für ihren aufopferungsvollen Dienst, aber auch, um unmißverständlich klarzumachen, daß wir unsere Soldaten nie im Stich lassen. Zu keiner Zeit und an keinem Ort.
Unser Schwadron wird die linke vordere Flanke übernehmen. Wir werden der Speer sein, der zuerst den Feind trifft, und seine Linien zerschmettert. Ich kenne Ihre Leistungen, ich weiß, daß sowohl die Kapitäne als auch die Besatzungen auf den Kampf brennen. Viele Schiffe der Schwadron haben sich schon in Schlachten bewährt, und jene ohne Kampfesruhm werden von Kommandeuren geführt, die bereits die Akarii das Fürchten gelehrt haben. Morgen wird es an der Zeit sein, die Akarii die Furcht vor unserer Schwadron zu lehren.
Ich bin sicher, wenn man in kommenden Jahren sich dieser Schlacht erinnern wird, dann wird Ihr Beitrag nicht mit einer Fußnote abgetan werden. Ich verlasse mich voll und ganz auf Sie, weil ich weiß, daß ich dies guten Gewissen tun kann.
Es liegt in unser aller Hände, daß man auch von uns sagen wird: ,Noch nie haben so viele so wenigen so viel zu verdanken gehabt.‘ Ich habe vor, diese Worte mit Leben zu erfüllen – und ich bin sicher, Ihnen geht das ähnlich.
Der morgige Tag wird noch nicht Entscheidung bringen. Aber er kann ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin sein. Und dafür bedarf es jeden von Ihnen.
Ich danke Ihnen.
Captain Henning Schupp, Kommandeur Kreuzergeschwader 2.3, TRS Tiredless, TSN.“

Mithel lächelte unmerklich. DAS waren die richtigen Worte. Man mußte die Männer und Frauen bei ihrer Ehre, bei ihrem Stolz packen. Vorschußlorbeeren waren nie schlecht – doch durfte der Gegner dabei nicht zu sehr verächtlich gemacht werden. Denn sonst war Anstrengung ja sinnlos, die Ehre zweifelhaft. Ja, Schupp hatte – zumindest aus seiner, Mithels, Sicht – den Ton getroffen. Besser als Wulff. Der Captain fühlte sich selber angesprochen, obwohl er Veteran war, kein junger Rekrut, der leicht durch solche Worte zu beeindrucken war. Er bemerkte, daß es viele auf der Brücke ähnlich ging. Kein Wunder – nach der Schande von Jollahran, die vielen noch in den Knochen saß. Jetzt würden sie darauf brennen, sich zu bewähren. Sie würden Schupps Worte in Erinnerung behalten, und sie würden morgen daran denken. Morgen, wenn es darauf ankam.
Tyr Svenson
Brücke der TNS Magellan
Nach dem Sprung in das Gebiet der Colonial Confederation

Commander Jessica Swifton saß entspannt auf ihrem Sessel und erwartete die Transition durch das Barcelona-Wurmloch. Die Captain der Magellan beobachtete dabei ruhig ihre Leute, die routiniert ihrer Arbeit nachgingen.
Der Durchgang durch ein Wurmloch an Bord eines modernen Raumschiffes war in ihren Augen eine bemerkenswert unspektakuläre Sache. Man trat auf der einen Seite ein und kam kurz danach auf einer komplett anderen Seite wieder hinaus.
Sie war sich sicher, dass es auch für ihre Crew nichts besonderes war, denn auch wenn die Magellan primär ein Forschungsschiff war, so handelte es sich doch immer noch um ein Schiff der Terranischen Raummarine. Viele ihrer Offiziere und Mannschaften hatten vorher auf anderen Kriegsschiffen gedient und dementsprechend griff sofort nach dem Sprung die normale Routine. Sie waren im Krieg und auch wenn es unwahrscheinlich war, dass sich Feinde auf der anderen Seite dieses Wurmloches befanden, da es sich schließlich um ein Grenzwurmloch zu einem Verbündeten handelte, hatten alle Schiffe Anweisung streng nach Vorschrift vorzugehen.
Während Captain Swifton auf einem Sekundärmonitor die Ortungssignale der anderen Schiffe der Einsatzgruppe beobachtete und sah, wie eines nach dem anderen auf dieser Seite des Wurmloches materialisierte, war die Ortung der Magellan schon damit beschäftigt, die Umgebung einem Standardscan zu unterziehen.
Wie zu erwarten war diese Seite des Wurmloches bis auf ein paar obligatorische Überwachungssatelliten und Raumbojen leer und unbewacht.
„Ortung, Kurzstreckenscan der Umgebung auf mittlere Entfernung ausweiten. Soweit ich mich erinnere, gibt es hier ganz in der Nähe ein Trümmerfeld in Richtung 277-98. Zeigen sie uns mal, was die Magellan noch drauf hat.“
Die Ortungsfähigkeiten der Magellan gehörten mit zum feinsten, was die Navy derzeit zu bieten hatte, denn das gehörte schließlich zum Wesen jedes der vorhandenen Explorerschiffe. Währen sie nicht im Grunde wehrlos und verwundbar, sie hätten die idealen Scoutschiffe darstellen können. Voll gepackt bis oben hin mit Sensorphalanxen jeglicher Art, waren Sie das Auge und Ohr dieser Einsatzgruppe. Und Swifton tendierte dazu die Fähigkeiten ihres Schiffes und ihrer Crew so häufig es ging zu nutzen und zu trainieren.
„Aye, Sir“ meldete der Ortungsoffizier und sein Team machte sich augenblicklich daran, die Umgebung noch feiner unter die Lupe zu nehmen.
Ein paar Minuten vergingen. Mehr als Swifton für notwendig hielt, womit sich zeigte, dass sie damit Recht hatte ihre Crew trainieren zu lassen. Sie nahm sich geistig vor, sich ihren Ortungsoffizier noch mal zur Brust zu nehmen. Wenn Sie den Eurydike-Nebel erreicht hatten, würde er dieselbe Leistung in der Hälfte der Zeit erbringen müssen. Doch das würde sie ihrem Untergebenen unter vier Augen sagen, öffentliche Zurechtweisungen waren, anders als bei anderen Kapitänen die sie kennen gelernt hatte, nicht Ihr Fall.
„Ma´am, wir haben das Trümmerfeld auf unseren Schirmen…“
„Sehr gut, weiter machen mit der Routine“ befahl sie und wollte sich schon anderen Daten widmen, als sich ihr Ortungsoffizier noch einmal räusperte. „Noch etwas, Sanchez?“
„Ma´am, ich bin mir nicht ganz sicher, aber wir haben hier eine etwas merkwürdige Anzeige auf den Schirmen.“ Sanchez klang etwas unsicher, als ob er sich seiner Sache nicht sicher war. Noch etwas, was Swifton zu klären hatte.
„Auf den Schirm“ befahl sie und die Anzeige erschien. Und was sie mit ihrem geschulten Auge erkennen konnte, ließ sie ebenfalls stutzen. Instinktiv wusste Sie, was sie da vor sich hatten.
„Komm-Offizier, geben Sie mir die Ontario“ befahl sie sofort und wandte sich dann wieder Sanchez zu. Sie wusste, was Sie da sah, doch wollte sie es von ihrem Ortungsoffizier bestätigt wissen.
„Ma´am, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass wir dort eine Fregatte in Tarnmodus vor uns haben.“
„Sieh an, sieh an“ kommentierte Swifton trocken und ließ gelben Alarm geben, genau in dem Moment in dem Singh auf ihrem Monitor erschien. Innerlich war sie höchst zufrieden, denn die Mission hatte gerade erst begonnen und schon konnte sie einen Punkt bei ihrem Operationsleiter landen.
„Commander Swifton, schön Sie zu sehen“ begann dieser freundlich amüsiert.
„Sir, wir zeichnen eine Fregatte in Tarnmodus, ganz in unserer Nähe, meine Leute haben gerade die Daten zu ihnen hinüber geschickt.
„Danke, für die Information, Commander. Wir sind darüber im Bilde. Die Kaze hat uns kurz vor Ihnen ebenfalls informiert, übrigens auch über die zwei anderen Schiffe, die zu dieser Gruppe gehören.“
Swiftons Lippen schmälerten sich erheblich. Der Ärger über ihren Komm-Offizier stieg nun doch erheblich. Nicht nur, dass die Kaze mit älteren Systemen ausgestattet und zudem noch als letzte durch das Wurmloch getreten, schneller gewesen war, sondern auch zwei weitere Schiffe gemeldet hatte, die ihrem Komm-Offizier entgangen waren. Ihre Rücksprache würde wohl doch eine Standpredigt werden müssen.
„Sir, darf ich fragen, warum diese Schiffe den Sprungpunkt im Tarnmodus bewachen?“
„Weil ich sie darum gebeten habe, Commander. Diese Schiffe bilden eine zusätzliche Eskorte, die uns bis in die Nähe des Eurydike-Nebels bringen wird, leider nicht darüber hinaus. Commodore Garribeaux war so freundlich meiner Bitte zu entsprechen und die Schiffe im Tarnmodus auf uns warten zu lassen. Und ich bin der Meinung, dass dieses zusätzliche Training angebracht war, finden sie nicht auch Commander?“
„Aye, Sir. Danke für diese Gelegenheit“ gab Swifton zähneknirschend zurück und starrte den inzwischen wieder schwarz gewordenen Bildschirm an, nachdem Singh die Verbindung kommentarlos geschlossen hatte.
Sie würde ihre Leute zu noch mehr Übung antreiben müssen, denn das letzte was Sie wollte, war es in Singh´s Augen zu versagen.

*****

Brücke der TNS Ontario
Nach dem Sprung in das Gebiet der Colonial Confederation

Captain Singh lächelte düster, als die Verbindung zur Magellan geschlossen wurde. Auch wenn ihm vieles an dieser Mission immer noch nicht ganz behagte und er jede Menge Arbeit auf allen Seiten sah, die sie in den nächsten Wochen noch vor sich hatten, so entwickelten sich doch einige Dinge durchaus zu seiner Zufriedenheit.
Die Zurechtweisung Schneiders und damit der Kaze würde gleich zwei Konsequenzen haben. Schneider wusste jetzt, dass er sich seinen Platz in der Einsatzgruppe würde hart erarbeiten müssen. Offiziere, die aus eigenem Ermessen aus der Reihe tanzten, würde Singh nicht dulden. Wenn das Schneider und seine Crew zu besseren Leistungen antrieb, wie es bei der der Ortung der getarnten ColCon-Schiffe anscheinend der Fall war, dann umso besser.
Zusätzlich dazu hatte sich eine Art Wettkampf zwischen Schneider und Swifton eingestellt, die ihrerseits sicher alles daran setzen würde, ihr Team anzutreiben um die Kaze in Sachen der Ortung zu überholen. Die Systeme, die sie dafür zur Verfügung hatte, waren zweifellos besser. Allerdings herrschten noch Defizite in Punkto Schnelligkeit und Erfahrung.
Beides würde dazu beitragen die Ortungsfähigkeiten ihres Kampfverbandes deutlich zu verbessern. Und Singh war sich sicher, dass das im Akarii-Raum von entscheidender Bedeutung sein konnte. Zu wissen, was vor einem lag und das möglichst noch vor dem Feind, war in modernen Weltraumschlachten von enormer Wichtigkeit.
Ob das ausreichen würde, um den bevorstehenden Auftrag erfolgreich zu beenden, wusste er nicht. Aber es erhöhte die Chance deutlich.
Wenn die Navy ihm schon diesen wilden Haufen an Problemen überließ, so war das wenigste was er tun konnte, das Beste daraus zu machen.
Tyr Svenson
Lucas saß an seinem Schreibtisch. Ein echtes Stück Papier lag auf dem Monitordisplay, welches den Großteil seiner Tischplatte einnahm.
Beinahe rituell öffnete er den Füller und begann zu schreiben. Ungeübt und krakelig. 'Du arbeitest zu viel mit der Tastatur mein Freund.'

Sehr verehrte Frau Admiral Mannheim,

ich weiß, dass Sie diesen Brief nie erhalten werden, da Sie in den ersten Stunden dieses Krieges den Heldentod fanden. Eine Tatsache, die ich zutiefst bedauere und ein Schicksalsschlag, den unsere Flotte bis heute noch nicht verkraftet hat.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen positives erzählen - doch scheinen alle Mühen vergebens. Selbst unsere Siege schmecken bitter. Bitter nach dem Blut guter Freunde, bitter nach Schande, bitter nach Niederlage und bitter in dem wissen nicht gut genug zu sein.

Wir alle tun unsere Pflicht nach besten Wissen, Gewissen und Können. Doch so häufig scheint all dieses nicht zu genügen.
Ich schreibe diesen Brief natürlich nicht um zu jammern, doch sind Sie die einzige, dem ich mich offenbaren kann. Ich darf meine Männer, Kammeraden und Freunde nicht mit meinen Zweifeln verunsichern.
Ich habe es nie geschafft, eine Vertrautheit in meinem Stab aufzubauen, der dem gleich kommt, was in Ihrem Stab herrschte. Ebenso scheine ich mich von meinem Freund und Kriegskameraden immer weiter zu entfernen.
Diesen Brief schreibe ich eigentlich um Fürbitte zu halten, für die kommende Schlacht. Ich weiß, dass Sie jetzt eins sind mit dem göttlichen Universum und ich bin der festen Überzeugung, dass Sie einigen Einfluss gesammelt haben. Ich bitte Sie, schenken Sie uns den Sieg in dieser Schlacht. Wir brauchen ihn, wir brauchen ihn so dringend wie nichts anderes auf der Welt. Um unser Heimat willen. Ich flehe Sie an, gewähren Sie uns diesen Sieg.

Ihr ergebener Lucas Cunningham


"Ich schreibe einen Brief an eine Tote." Warf Lucas in den leeren Raum. "Und ich klinge dabei wie ein religiöser Fanatiker." Mit einem wütenden Knurren schob er den Brief in den Aktenvernichter.
Er verließ sein Büro und zog sich in den Umkleideraum seinen Raumanzug an und gesellte sich dann zu seinen Piloten im großen Besprechungsraum. Es war soweit.

***

Jean Baptist Renault stand in der CIC der GETTYSBURG. Sein Blick war auf das taktische Display des großen Kartentisches gerichtet. Die Stirn lag in Falten.
Wenn wir mit der ganzen Flotte losschlagen würden ... Der Admiral schüttelte den Kopf und Schmunzelte. Der Krieg tut Dir gut mein alter Freund. Die Worte Juri Ivanov schossen ihm durch den Kopf.
Herrgott Angela Mannheim, hast Du mich so gehasst, dass Du Dich einfach hast umbringen lassen, um mir diese Last aufzubürden? Er erhielt keine Antwort.
"Sir, die INTREPID und die COLUMBIA bereiten sich auf den Sprung vor."
Renault nickte der Stabsoffizieren zu und wandte sich an seinen Com-Offizier: "Richtfunk an alle Schiffe. An alle Schiffe und alle Besatzungen!"
"Aye Sir." Der junge Lieutenant machte sich an seinem Pult zu schaffen. "Sie sind drauf Sir."
"An die gesamte Flotte, an alle Schiffe und alle Besatzungen, hier spricht Admiral Renault. Wir befinden uns an einem wichtigen Punkt in diesem Krieg.
Sie werden an der größten offensiven Militäroperation unserer Geschichte teilnehmen. An einer Mission, deren Ende den Verlauf dieses Krieges entscheidend beeinflussen kann.
Sie Ladies and Gentlemen werden den Krieg zu den Akarii tragen. Dies ist kein Raid auf einen Versorgungskonvoi, Sie werden feindliches Territorium erobern und halten. Sie werden eine feindliche Kampfgruppe stellen und vernichten.
Desweiteren werden Sie für die Rettung von etwa zehntausend unserer Kameraden aus den Klauen des Feindes durchführen.
Zehntausend Mann, die unter der Bürde der Gefangenschaft ächzen. Zehntausend Mann, die unsere Kriegsanstrengungen unterstützen können.
Einige von Ihnen mögen zweifeln, doch Sie sind die Elite unserer Rasse. Sie sind Schild und Schwert unserer Nation.
Sie sind das Blaue Band, welches zwischen der brutalen Gewallt des Krieges und unserer geliebten Heimat schwebt. Sie sind das dünne blaue Band, zwischen unserer Zivilisation und dem barbarischen Rest des Universums.
Möge das Universum seine göttliche Hand über Sie halten. Renault Ende."

***

Massentransit. Die 75 Kriegsschiffe der TSN verschwanden in einem Sekundenbruchteil. Das Universum - welchem viele göttliche Kraft beimessen - dehnte sich für einen Augenblick in die Unendlichkeit aus und zerfiel im gleichen Augenblick in den Bruchteil einer Sekunde.
Alle Schiffe waren zum Kampf bereit, als sie in Graxon auftauchten und mit Verbandsbeschleunigung den Wurmlochbereich verließen.
Die TIREDLESS, RELENTLESS, GENF und HYPERION eröffneten das Feuer, ehe eines der sechs Wachschiffe der Akarii zum Gefecht klar gemacht hatte.
Nur das am weitesten entfernte Wachschiff schaffte es eine Meldung an sein Hauptquartier abzusetzen, ehe die TIREDLESS es mit Raketenfeuer eindeckte und vernichtete.
Die Erdflotte verzichtete darauf Jäger zu starten und beschleunigte auf ihr eigentliches Ziel zu. Graxon II.
Tyr Svenson
„Na, gehst du wieder auf Tour?“
„Erstick an irgendwas, Howard“, zischte Jean, als sie an dem jungen Marine vorbei kam.
„Nun geh doch nicht gleich an die Decke, Jean. Ich habe dich höflich gefragt. Da kann ich doch mehr erwarten als die Lieblingstodesart, die dir für mich vorschwebt“, beschwerte sich der Private.
Abrupt blieb die Marine stehen. Wie immer, wenn sie die Briefe ihres toten Bruders verteilen ging, trug sie die dunkelblaue Ausgehuniform des Marine-Corps.
Ihr wütender Gesichtsausdruck wechselte von einem Moment zum anderen von sauer und Zucker. Ihre großen blauen Augen strahlten zu Howard hinauf. „Bedeutet das etwa… Ich meine, darf ich wagen zu hoffen… Ist es so, dass unser bärbeißiger Freund Howard in mir mehr sieht als seine neueste Beute, seine Trophäe, ein heißes Stück im Bett?“
Ken Howard zwinkerte überrascht. So wie sie jetzt vor ihm stand, zu ihm aufsah, mit diesem Glanz in den Augen, fühlte er seine Knie weich werden. Was war das? Die kleine Davis war doch einfach nur die heißeste und begehrteste Frau auf dem Flur. Warf es ihn tatsächlich aus der Bahn, nur weil sie ihn anschmachtete?
Verlegen sah er weg und legte eine Hand an den Hinterkopf. „Hör mal, Jean, sieh mich nicht so an, bitte. Ich wollte wirklich freundlich sein. Und nicht so schwanzfixiert. Obwohl du das verstehen musst. Wenn du beim Sport in deinen Shorties rum läufst, ist der einzige der nicht sabbert der Captain. Und selbst dabei bin ich mir nicht sicher, weil ich nicht weiß, ob Ihr Frauen nicht nach innen sabbert.“ Der Private schlug sich eine Hand vor den Kopf. Was laberte er hier für eine gequirlte Scheiße? Seit wann warf ihn eine Frau derart aus der Bahn? Ihn, den coolsten Jungen vom ganzen Flur? Außer dem Eiswürfelpisser Schmierer gab es keinen Besseren an Bord, so hatte er bisher immer gedacht.
„Tut mir leid, Jean“, brummte er und wandte sich ab.

Überrascht sah Jean Davis ihrem Lieblingsopfer hinterher. Eigentlich hatte sie vorgehabt, den Jungen erst richtig aufzustacheln, um ihn dann extra tief in den nächsten Mülleimer zu treten. „Willst du mir etwa den Spaß verderben und jetzt schon abhauen, Ken?“, rief sie ihm hinterher.
„Ach, es ist mein Fehler. Wenn ich versuche, normal mit dir zu reden, kommt doch nur Müll raus. Vergiss es einfach, okay?“
Hatte dieser Möchtegerncasanova etwa doch eine gute Seite? Oder war das nur seine neueste Masche: Wie kriege ich die Icequeen ins Bett?
„Ja, ich bringe wieder Briefe weg. Zwei. Die beiden letzten.“
Howard blieb stehen. Er wandte sich nicht um, als er sagte: „Muss hart für dich sein, Jean. Ich meine, wenn dieser Commander McQueen nicht so feige gewesen wäre, dann müsstest du das jetzt nicht durchstehen.“
Die Marine wunderte sich über sich selbst. So wie Ken Howard gerade auftrat, war er ihr geradezu… Wie war doch das Wort, welches sie nie mit diesem Trottel mit Hormonüberproduktion in Verbindung hatte bringen wollen? Sympathisch.
„Willst du mit?“, hörte sie sich selbst sagen. „Ich bringe die Briefe weg und danach können wir noch einen Kaffee trinken oder so.“
Und das, fügte sie in Gedanken hinzu, ist deine einzige und letzte Chance, mir zu beweisen, dass du kein Arschloch bist.
Howard wirbelte herum und sah sie entsetzt an. „Echt? Ich meine, ganz echt? Ich soll mitkommen?“
„Was an willst du mit, hast du genau nicht verstanden, Howard?“, fragte sie amüsiert.
„Oh. Ich… Warte hier mal. Geht ganz schnell. Wirklich.“
Er lief den Gang hinab zu seiner Gemeinschaftskabine und verschwand darin. Keine fünf Minuten später kam ein stattlicher, Hochgewachsener Marine mit breiten Schultern und einem herbmännlichen Gesicht aus der Kabine. Seine Miene war ernst, und Jean musste zugeben, die Ausgehuniform stand ihm einfach super.
Sie blinzelte. Blinzelte noch mal. „Äh. Howard?“
Für einen Moment bekam die ernste Miene Risse. Der Marine lächelte und zeigte damit deutliche Eigenschaften ihres Lieblingsfeindes. „Steht mir gut, die Uniform, was?“
„Allerdings“, stellte Jean fest. „Na, da muß ich dich wohl gut fest halten, damit die Frauen an Bord dich mir nicht von der Seite reißen, was?“
„Ha, ha“, erwiderte Ken und wurde wieder ernst. „Private Davis, ich stelle mich hiermit unter Ihr Kommando, Ma´am. Ich folge Ihnen durch dick und dünn.“
Jean wusste einen Moment nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Vielleicht war sie auch nur gerührt über die Menge jungenhaften Charme, die Howard mit seinem Auftreten versprühte.
„Komm einfach mit und blamiere mich nicht“, sagte sie leise und ging voraus.

**

Auf der Höhe zum Pilotendeck erwartete sie bereits Chip. Der Pilot begrüßte sie mit Handschlag und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, welchen die junge Davis erwiderte. „Schön, Sie zu sehen, Chip.“
„Schön, dass Sie mir erlauben, dabei zu sein, Jean. Und Sie sind…“
Howard gingen einige Möglichkeiten durch den Kopf, die ihm nun zur Verfügung standen. Am angenehmsten erschien ihn, diesen Kerl auf den Gefechtskopf einer Maverick zu binden und persönlich abzufeuern. Er entschied sich aber für das Gegenteil. Er salutierte korrekt. „Lieutenant, Private Ken Howard.“
„Na, na, na, nun mal nicht so förmlich, junger Mann. First Lieutenant Christian Harris, genannt Chip. Ich komme von New Boston und habe die Erlaubnis, diverse Reportagen an Bord zu schreiben. Ich begleite Private Davis zwecks Recherche.“ Er lächelte Jean an. „Ich hoffe, das beruhigt Ihren Freund.“
„Ich bin nicht ihr Freund“, erwiderte Ken eine Spur zu scharf. Er zögerte. „Nur… ein Freund.“
Jean klopfte ihm auf die Schulter. „Ein… guter Freund. Er wollte mich heute mal auf meinem schweren Gang begleiten.“
„Ach? So, so. Mir kam es eigentlich so vor, als… na, Schwamm drüber. Wen haben Sie denn noch so dabei, Jean?“
Private Davis griff in ihre Uniformjacke und zog zwei Briefe hervor. „Brief eins ist an Second Lieutenant Helen Mitra. Wurde mittlerweile zum First Lieutenant befördert.
Brief zwei geht an First Lieutenant Curtis Long, ebenfalls einen Rang aufgestiegen.“
„Hm. Wollen Sie diese Reihenfolge beibehalten? Ich meine, Kali, so wird Lieutenant Mitra gerufen, wäre um einiges pflegeleichter als Radio. Der ist ein Selbstverliebter Kotzbrocken, habe ich mir sagen lassen.“
„Nein, nein, das geht schon in Ordnung so. Ich finde es besser so, denn für mich ist Kali der härtere Brocken. Sie und mein Bruder waren Freunde. Und ich kann ihr nicht wirklich in die Augen sehen.“ Sie sah weg.
Howard fühlte, wie sich ein merkwürdiges Gefühl in seiner Brust ausbreitete. Es war so leicht, und doch so allumfassend. Magenschmerzen?
„Nun, Sie müssen nicht. Lieutenant Mitra ist gerade in die Messe gegangen. Sie beide sind dort natürlich Zugangsberechtigt. Das ist, finde ich, eine sehr gute Gelegenheit.
Aber Vorsicht, seien Sie nicht überrascht, wenn sie dort mit ihrem Freund sitzt, Lieutenant Nakakura.“
„Ändert das was? Ohka hat ebenfalls einen Brief bekommen“, erwiderte Jean und beendete damit jede weitere Spekulation darüber, für wie eng sie die Freundschaft zwischen ihrem Bruder und Kali gehalten hatte.
Chip nickte und ging voran.

„Hey, Chip, ich habe gehört, die Blauen machen heute mal wieder das, was sie am besten können, nämlich blau“, rief eine Stimme hinter den dreien.
Chip sah nicht einmal zurück als er erwiderte: „So was kann auch nur ein Butcher Bear sagen. Kommt erst mal in unsere Wertung, dann reden wir weiter, Brawler.“
Ihm antwortete ein lautes Lachen. „Das geht schneller als du denkst. Immerhin sind wir es, die hier in Nighthawks sitzen.“
Chip grinste anzüglich nach hinten. „Und dann seid Ihr nur auf Platz zwei? Die schwarze Staffel sieht anscheinend nur schwarze Tage, was?“
Lieutenant Tüncay schritt heran und griff dem Älteren auf den Bürstenhaarschnitt. „Was sind wir denn heute so aufsässig, he, Chip? Witterst du wieder ne private Reportage mit Lightning? Diesmal wohl mit Kerzenschein und Champagner, ne?“
Chip tauschte mit dem Butcher Bear ein paar Knüffe aus.
„Und was machen die Schlammstampfer hier mit dir? War dein letzter Artikel so schlecht, dass du jetzt Begleitschutz brauchst?“
Chris legte dem Piloten eine Hand auf die Schulter. „Brawler, das ist Jean Davis, sie…“
„Schon klar, schon klar. Brawler ist mein Name. Bin mal mit Ihrem Bruder geflogen, Ma´am, aber die meiste Zeit habe ich mit ihm gesoffen und geraucht. War ein anständiger Bursche und ein guter Pilot. Und wesentlich ruhiger als unsereins. Wir könnten ihn jetzt gut gebrauchen. Vor allem, weil er der einzige ist, der Radio wegen seiner Horrorpreise in den Arsch treten würde.
Ach, was rede ich, wenn Sie mal ne Geschichte über Ace hören wollen, kommen Sie einfach mal in meine Richtung. Und jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten.“
Der Veteran hob eine Hand zum Gruß und verschwand wieder im Gang.

„Hm?“, machte Howard leise. „Für einen Navy-Arsch war der aber ganz erträglich. Sorry, Chip.“
„Schon gut, Schlammstampfer“, erwiderte der Reporter mit einem Grinsen. „Ich habe mich die letzten Tage ein wenig umgehört, was Ihren Bruder betrifft, Jean. Scheint so, als hätten Sie gleich mit dem ersten Brief in ein Wespennest gestochen. Lilja war so etwas wie die Intimfeindin Ihres Bruders. Das lag weniger an irgendwelchen Vorfälle als daran, dass Ace den Krieg nicht ganz so sah, wie Lilja sich das vorstellte. Für Lilja war Ace ein romantischer Spinner, der nicht einsehen wollte, dass Krieg kein ehrenvolles Duell ist, sondern ein Kampf auf Leben und Tod, an dessen Ende der Überlebende die Leiche des Besiegten frisst. Um es mal übertrieben auszudrücken.“
„Hm“, machte Jean. „Wundert mich nicht. Cliff war schon immer ein wenig weich. Er hat Arbeit und Privatleben immer zu trennen gewusst, und wollte das anscheinend auf den Krieg übertragen. Es ist aber keine Überraschung, dass eine Frau rational genug ist, um die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Dreckig. Tödlich.“
Howard rieb sich nachdenklich den Nacken. War es wirklich eine gute Idee, Frauen das töten beizubringen? Was, wenn sie nicht wieder von los kamen? Es gab schon genügend psychopathische Männer nach einem Krieg. Auf psychopathische Frauen konnte er sehr gut verzichten.
„Junge, Junge. Ich frage mich, ob Sie wirklich mit Gentleman Ace verwandt sind, oder doch eher die kleine Schwester von Lilja“, scherzte Chip. „Ich habe natürlich noch mehr gehört. Es gibt genügend Piloten, die Ace gehasst haben. Viele von ihnen sind heute hier an Bord der COLUMBIA. Vielleicht nicht zuletzt deswegen. Warum kann ich nicht genau sagen. Vielleicht flog er ihnen zu gut. Vielleicht war er wirklich so verrückt, seine Ideale zu leben und hat damit einige gekränkt, die ihre eigene Definition von Krieg durchsetzen wollten, so wie Lilja. Aber er hatte auch einige Freunde. Und mit den meisten anderen, wie Brawler, kam er ganz gut aus.“
„Warum erzählen Sie mir das alles, Chip?“
„Weil es Teil meiner Recherche ist. Ich habe mich entschlossen, etwas über Ihren Bruder zu schreiben. Und es sollte doch mehr sein als sein Name und die Tatsache, dass man ihm eine Beförderung und zwei Orden in die Urne gelegt hat.
Als ich mit Darkness gesprochen habe, meinte er, Ace wäre die Art von Pilot, von der man glaubt, sie würden den Krieg überleben. In dem Punkt ist Darkness von seinem ehemaligen Flügelmann schwer enttäuscht.
Und ich bekomme so langsam ein Gesicht zu dem Namen und Rang First Lieutenant Clifford Davis.
Wenn das eine Belastung für Sie ist, Jean, dann sagen Sie es bitte. Ich muß Sie nicht begleiten und ich muß nicht über Ace schreiben. Er ist sowieso nur eines von vielen Schicksalen an Bord.“
Jean winkte ab, als sie die Messe betraten. „Nein, Chip, das ist in Ordnung. Ich habe es akzeptiert, und ich nehme mein Einverständnis nicht mehr zurück.“
Die Messe war mäßig belegt. Zwei Drittel der Tische waren frei. Als der Pilot mit den beiden Marines eintrat, trafen sie viele Blicke.
Jean suchte kurz und fand dann Helen Mitra an einem Tisch mit der blond gefärbten Staffelkommandeurin Huntress und dem japanischen Piloten Ohka.
„Bleibt beide bitte im Hintergrund“, bat Jean. „Das ist so schon schwer genug.“
Howard nickte schwer und hielt drei Schritte Abstand. Chip hielt sich wie automatisch an seiner Seite.

Jean schluckte noch einmal schwer und trat dann an den Tisch. „Entschuldigen Sie, Lieutenant, Lieutenant, Commander.“
Die drei sahen auf und Erkennen glomm in den Augen von Huntress und Ohka.
„Private Davis“, sagte Commander Volkmer und deutete auf die Bank. „Wollen Sie sich nicht setzen?“
Helen Mitra ließ die Marine nicht aus den Augen, während die sich setzte und den Hot auf dem Tisch ablegte. „Also kommen Sie nun zu mir, Private“, stellte sie leise fest.
„Korrekt, Ma´am. Ich bringe Ihnen einen Brief von meinem Bruder Clifford Davis. Wenn Sie ihn nicht annehmen möchten, kann ich das verstehen…“
Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Natürlich nehme ich den Brief an. Immerhin waren wir… Freunde.“
Beim leisen Zögern huschte ein Schatten über Ohkas Gesicht. Kurz krampften seine Hände um sein Besteck.
Jean griff in ihre Jacke und zog den Brief hervor. „Hier, Ma´am.“
Kali nahm den Brief entgegen. „Es tut mir leid, Private Davis. Ich spreche Ihnen mein Beileid aus. Cliffs Fähigkeiten als Pilot fehlen uns heute sehr, und damals haben sie vielen das Leben gerettet.“ Der Brief verschwand in ihrer Uniform. „Ich lese ihn später. Bitte verstehen Sie das nicht als den Versuch, über einen Toten nur Gutes zu sagen. Ich habe Ihren Bruder wirklich… sehr gemocht, und auch wenn wir auseinander gefallen sind, nachdem wir die Kabine nicht mehr teilten…“
Jean wurde rot. „Sie haben die Kabine miteinander geteilt?“
Kali runzelte die Stirn, dann begann sie zu lachen. „Ja, das ist eine alte Geschichte.
Wollen Sie sie hören? Gut. Es ist so. Die REDEMPTION, unser alter Träger wurde nach dem Angriff auf Trafalgar provisorisch betriebsbereit gemacht. Die Navy kratzte alles zusammen, um die alte Dame aufzurüsten. Ich war damals schon zwei Wochen an Bord, als Cliff mit dem letzten Shuttle ankam. Jedenfalls waren alle Offiziersquartiere schon belegt, und der Bordcomputer logierte ihn einfach bei mir ein.“
Helen grinste bei dieser Erinnerung. „Das war eine schwere Zeit, das können Sie mir glauben, Private. Ist ja nicht so, als wären wir täglich übereinander hergefallen. Oder als wären wir nicht super miteinander ausgekommen.“
„Wo war das Problem, Schatz?“, fragte Huntress.
„Die Offiziere, die Offiziere. Weißt du, dass wir in den ersten vier Wochen keine Privatsphäre hatten? Die Navy hatte beschlossen, dass Cliff eine Offiziersunterkunft zusteht, und deswegen konnten sie ihn nicht aus meiner Kabine raus nehmen. Also hat Commander Cunningham einen Verhaltensmaßnahmenkatalog geschrieben.
Cliff hatte ungefähr zwei Drittel aller Pflichten. Als wenn ich arme, schwache Frau mich nicht hätte wehren können.
Auf jeden Fall kamen zu den unpassendsten Gelegenheiten Offiziere in unser Quartier, um zu überprüfen, ob wir auch artig miteinander spielten. Oder besser, nicht miteinander spielten.
Außerdem hatten sie die Schichten der roten Staffel so umgeworfen, dass wir zu verschiedenen Zeiten Patrouille hatten. Aber es war eine lustige Zeit.“
Wehmut zog über Kalis Miene. „Dann wurde Pinpoints Zimmernachbar abgeschossen und Ace zog aus. Ab dem Zeitpunkt fehlte etwas, und wir haben es auch nie zurückbekommen. Wir verloren einander aus den Augen, und irgendwann waren die alten Kumpel aus der gleichen Kabine nur noch Piloten aus dem gleichen Geschwader.“
„So habe ich die Geschichte aber nicht gehört“, ließ sich Ohka vernehmen, das erste Mal, dass er etwas sagte.
Kali wurde rot. „Das du erst auf Geschichten hören musst. Du weißt es doch aus erster Hand.“
Der Japaner schmunzelte. „Zugegeben.“ Ohka erhob sich und nahm sein Tablett mit. „So, ich habe Patrouille. Sehen wir uns nachher noch, Helen?“
„Immer noch Probleme mit der linken Bugschubdüse? Ich bin nachher da.“
„So ka.“
„Was ist denn mit dem Samurai los? Kurz angebunden ist er eigentlich immer. Aber das da…“, wunderte sich Huntress.
„Eifersüchtig“, kommentierte Kali und nippte an ihrem Fruchtsaft. „Und das gefällt mir auch ganz gut. Hält sein Interesse wach.“
Huntress knuffte die Freundin in die Seite. „Na, du bist mir ja eine.“
Die beiden lachten.
Kali sah zu Jean herüber. „Das sollten Sie sich merken, Marine. Egal, wie es im Leben steht und wie ernst Ihre Aufgabe ist, letztendlich ist menschliche Zuneigung Ihre wichtigste Stütze. Mich hat sie nach Jollahran vor dem Wahnsinn bewahrt. Also verderben Sie es sich nie mit Ihren Freunden und hören Sie nie auf, sich neue zu suchen.“
Kali grinste zu Chip und dem Marine herüber. „Man kann es aber auch übertreiben. Ich dachte eigentlich, Sie gehen mit Darkness aus, Private. Und jetzt noch ein Pilot und ein stattlicher Marine…“
„Nun, Marines wachsen mit ihrem Herausforderungen“, erwiderte Jean und fiel in das lachen der beiden Pilotinnen ein.
Sie erhob sich. „Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen, Kali. Und ich freue mich darüber, Sie wieder getroffen zu haben, Huntress. Einen Brief habe ich noch. Den will ich heute noch loswerden. Seien Sie wachsam da draußen.“
„Und vergessen Sie nicht den Kopf einzuziehen, wenn es rund um Sie knallt und blitzt, Private“, erwiderte Kali. „Und falls Sie mal wieder etwas über Ihren Bruder wissen wollen…“
„Ich komme darauf zurück. Commander, Lieutenant.“

Als sie an den beiden Wartenden vorbei kam, bemerkte sie das Schmunzeln in Chips Miene. Und eine kräftige Röte in dem Gesicht von Ken Howard. „So, einer geschafft, einer steht noch aus. Sie wissen nicht zufällig, wo dieser Radio ist, Chip?“
Gemeinsam verließen sie die Kantine. „Gehen Sie immer dahin, wo es am lautesten ist, irgendwo in der Mitte steckt Radio.“
„Dann werde ich den Brief wohl heute noch… Autsch!“
„Kannst du nicht aufpassen, Jarhead? Und überhaupt, was machst du hier auf dem Pilotendeck?“ Jean hatte einen Piloten gerammt und war von dem Stoß zu Boden geschickt worden. Ihr Kopf war ziemlich hart mit seinem kräftigen Kiefer kollidiert und sie rieb sich die schmerzende Stelle, während der Hochgewachsene Pilot nicht einmal eine Miene verzog.
„Hi, Skunk“, sagte Chip leise und bot Jean seine Hand zum aufstehen.
Jean dankte ihm mit einem Nicken, kam aber alleine hoch.
Die Miene des Piloten hellte sich merklich auf, als er der jungen Marine ins Gesicht sah. „Wow. Hätte ich gewusst, dass Ihr Jarheads so was hübsches da unten habt, dann wäre ich doch mal für nen Nahkampf runter gekommen.“
Howard brummte böse und schob sich zwischen die Marine und den Piloten.
„Hey, Kleiner“, zischte Skunk, „ich habe schon größere Idioten für weniger fertig gemacht.“
„Keinen Ärger, Lieutenant. Wir suchen Radio“, mischte sich Chip wieder ein.
„Radio? Der ist drüben im roten Besprechungsraum. Hm. Bist du die Kleine, die Briefe von ihrem toten Bruder verteilt, hm? Da wünscht man sich ja, auch schon auf der RED geflogen zu sein.
Gehen Sie schnell rüber, Miss, ich glaube, er wollte nicht lange bleiben.“
„Danke, Lieutenant“, brummte Jean und drückte sich an Skunk vorbei.
„Private. Ich kannte Ihren Bruder nicht. Und würde ich Ihnen Beileid wünschen, wäre es gelogen. Aber ich erkenne Ihren Mut an, hier bei uns rum zu laufen und diese Post zu verteilen.
Hey, vergessen Sie Ihr Riesenbaby hier nicht.“
Skunk drückte sich an Howard vorbei, nicht ohne ihn kräftig mit der Schulter zu rammen und verschwand in der Messe.
„Das war Skunk. Sein Name ist Programm“, murmelte Chip. „Wollen wir versuchen, den Commander noch zu erwischen?“

Schweigend betrat Jean den Briefingraum. Radio stand am Stehpult und studierte ein paar Berichte. „Ja?“ Er musterte Jean kurz. „Nanu? Hat sich Skunk wieder mal mit den Marines angelegt und bringen Sie mir seine Reste, Private?“
„Sir, ich bin Private Jean Davis. Ich… Ich bin…“
Für einen Moment wirkte der Commander überrascht. „Sie… Haben auch einen Brief für mich?“
„Ja, Sir.“ Jean öffnete ihre Uniformjacke und entnahm den letzten Umschlag. „Bitte.“
„Danke, Private.“ Radio nahm den Umschlag an sich, öffnete ihn und begann zu lesen.
„Nein, bleiben Sie noch einen Moment, Private. Wissen Sie, Ace und ich sind nicht gerade als Freunde auseinander gegangen. Tatsache ist, wir sind ziemlich hart gegeneinander gerasselt.
Aber irgendwie habe ich das respektiert. Für ihn war ich nie irgendein Arschloch, sondern ein Pilotenkamerad, der sich benahm wie ein Arschloch. Scheint so, als hätte er für mich Hoffnung gehabt, dass ich das werde, was er einen guten Offizier nennen würde.“
Radio vertiefte sich in die Lektüre des Briefes und schmunzelte.
„Die Passage ist gut. Hier: Ich bitte um Entschuldigung für das Tribunal, wenn Du dir im Gegenzug selbst vergibst und endlich deine Verantwortung für die Staffel annimmst.“
Er warf einen amüsierten Blick auf seine Abzeichen. „Das hat nicht viel mit Vernunft zu tun. Danke, Private, Sie können jetzt gehen.“
Jean salutierte und wandte sich um. Sie zuckte beinahe zusammen, als Radio mit der geballten Faust auf den Pult schlug.

„Gehen wir. Das war der letzte.“
Chip, der sich eifrig Notizen gemacht hatte, nickte. „Ich habe sicher noch ein paar Fragen, wenn der Artikel fast fertig ist. Ich weiß ja, wo ich Sie erreichen kann, Jean. Aber für den Moment war es das. Ich lasse Sie danach noch mal drüber lesen.“
Er lächelte leicht, als er Jean zum Abschied drückte. „Passen Sie auf sich auf, Marine.“
„Bleiben Sie oben, Pilot.“
„Howard, Sie achten mir auf das Mädchen, ja?“
Der Marine nickte bestätigend.
Danach verschwand der Pilot der Blauen Staffel im Gang.

„Also“, meinte Jean nachdenklich, „jetzt wo ich alle Briefe los bin und weder getötet noch schwer verletzt wurde, kommen wir zurück zum normalen Leben. Ich glaube, ich schulde dir einen Kaffee, was, Ken?“
Der große Marine nickte überrascht.
„Na dann, wollen wir doch mal.“
Nebeneinander gingen sie durch den Gang, und seit einer kleinen Ewigkeit tat Howard etwas, was er schon verlernt zu haben glaubte. Er unterhielt mit Jean Davis eine belanglose Konversation über Gott und die Welt.
Seltsamerweise gefiel ihm das.
Tyr Svenson
Als die Fünf-Minuten-Warnung für den Sprung nach Graxxon ertönte, befanden sich die Piloten der Grünen Staffel allesamt schon in der Nähe ihrer Maschinen. Die allgemeine Erregung war nur zu leicht sichtbar, auch wenn jeder es anders zeigte.
Imp blödelte ein wenig herum, obwohl ein Teil des Publikums, namentlich ihre Freundin Lilja, das kaum wahrzunehmen schien.
Die Russin starrte mit geballten Fäusten ins Leere.
Marine ließ unablässig ihre Fingerknöchel knacken, lockerte die Finger, ballte sie zur Faust, wischte die Hand an der Hose ab. Sie merkte es wahrscheinlich nicht, aber eigentlich waren das die üblichen Verhaltensmuster einer Infanteristin, die verhindern wollte, daß der Griff um die Waffe unsicher wurde. Nun, die Ausbildung zeigte vermutlich ihre Nachwirkungen. Mit ihrer Frisur wirkte sie wie ein überaus nervöser Igel.
Claw schien es eher Lilja gleich zu tun, während Tyr gelegentlich einen Witz in Imps Albernheiten einwarf – bloß waren seine zumeist etwas „deftiger“. Aber das schien keinen zu stören, das Lachen klang freilich reichlich gekünstelt.
Die Piloten hätten eigentlich die letzten Minuten in einem der Bereitschaftsräume neben den Hangars verbringen können. Dort gab es Sessel, einfache Spiele wie Schach oder Mühle und sogar Lesestoff – alles was man brauchte um zu entspannen. Oder besser, alles war zugelassen war...
Die gute Idee, die hinter dieser Einrichtung steckte, zeugte jedoch nur davon, wie wenig manchmal die Vorstellungen der Planungsbüros mit der Wirklichkeit des Krieges übereinstimmten. In den Zeiten des Kalten Krieges hatten die Bereitschaftsräume gute Dienste geleistet, vor allem wenn die Bereitschaft wieder einmal erhöht worden war – jetzt, nachdem der Konflikt richtig ,heiß‘ geworden war, war dies weit weniger der Fall. Seit den Massakern am Anfang des Krieges und dem drastischen Anstieg der Verlustzahlen bei ,Husar‘ fanden immer weniger Piloten die nötige innere Ruhe. Man hatte es auch aufgegeben, den Piloten vor dem Flug noch etwas zu essen anzubieten. Etliche der Flieger hatten schon so genug Probleme, ihren Magen unter Kontrolle zu behalten. Und ein Pilot, der ins Cockpit kotzte, war nicht zu gebrauchen. Trotzdem sie die nächsten Stunden in diesen Maschinen verbringen und in ihnen vielleicht auch sterben würden, waren sie nicht von den Kampfliegern wegzubekommen. So standen sie um ihre Jäger herum, oder umkreisten sie ruhelos wie Haie einen Schwimmer – wenngleich das vielleicht kein passender Vergleich war. Oder sie hatten sich an die Wand gelehnt – zum Hinsetzen aber kam keiner. Auch wenn sie alle wußten, der Befehl zum Start würde kaum vollkommen überraschend kommen, wollte keiner sich entfernen.

Ironischer weise war nur die Kommandeurin die Ruhe selber. Ihr Gesicht zeigte einen beinahe heiteren Ausdruck. Mit ihren kontrollierten Bewegungen wirkte sie besonders auf die Neulinge wie der sprichwörtliche Veteran – während die anderen Veteranen sich teilweise benahmen wie eine Jungfrau vor der Hochzeitsnacht. Zweifelsohne war dieser beruhigende Einfluß auch beabsichtigt. Die Quelle von Lightnings Gelassenheit war aber nicht ihre sichere Siegeszuversicht. Sie war erfahren genug, um sich keine Illusionen zu machen.
Nein, ihre Ruhe speiste sich daraus, daß sie nun, im Angesicht des kommenden Kampfes, den ganzen Ärger, der in den letzten 24 Stunden in ihr gebrodelt hatte, beiseiteschieben konnte. Die Beruhigungstherapie in der Sporthalle hatte nämlich bei weitem nicht dazu ausgereicht.
Sie hatte, allerdings nur knapp, der Versuchung widerstehen zu können, wie Cunningham zu handeln. Für sie war klar, Chef ,Lone Coyote’ hatte einen gewaltigen Anschiß beim Trägerchef bekommen, und reichte das nun nach unten weiter, anstatt sich selber zu fragen, ob er nicht etwas falsch gemacht hatte. Wie immer. Auch sie hatte das Verlangen verspürt, jemanden ,fertig zu machen’. Im Militär konnte man das ja ohne weiteres mit Untergebenen tun, das ganze System ermutigte sogar dazu. Aber sie hatte sich so kurz vor der Schlacht dann doch eines Besseren entschieden. Allerdings nicht besser für ihren eigenen Seelenfrieden. Also hatte sie ihren Ärger mit sich herumgetragen, und sehr wohl registriert, daß ihre Untergebenen wie auf Eiern gegangen waren.
Sie hatte sich jedenfalls von Lilja glaubhaft versichern lassen, daß keiner der Staffel in die ,Aktion Piratenschreck’ verwickelt war. Die Russin schien die Ansprache des Commanders persönlich zu nehmen und hatte offenbar jeden einzelnen Piloten der Staffel, der auch nur halbwegs in Verdacht stand, einem eingehenden Verhör unterzogen. Allerdings mit negativem Ergebnis. Nun, zumindest das konnte man wohl ausschließen. In dieser Hinsicht war Lightning wie immer überrascht, wie leicht Lilja Kritik entgegennahm, wenn ihr Gegenüber nur genug Sterne und Streifen auf den Schultern oder an der Maschine hatte.

Ansonsten aber hatte Lightning sich wie immer auf ihre Pflicht konzentriert – eifrig dabei unterstützt von ihrer XO, die offenbar meinte, sie habe etwas auszubügeln. Diese Wirkung konnte man bei Lilja leicht erzielen.
Auch wenn offiziell die Piloten von Übungen befreit waren, so hatte die Russin zumindest noch ein paar „freiwillige“ Simulatorrunden mit den Neulingen organisiert. Und die hatten sich aus verschiedenen Gründen in ihr Schicksal gefügt. Marine brannte auf Rache an den Akarii und zusätzlich war es ihr erster Kampf. El Cid hatte genug Gründe, für seine Rückkehr zu beten und Tyr war als Wingman von Lilja sowieso etwas von ihrer „Gnade“ abhängig. Nicht, daß er kuschte, aber mit einem Wingkameraden verdarb man es sich besser nicht. Sein letzter scharfer Einsatz lag lange zurück.
Lightning und ihre Stellvertreterin hatten auch die Bestückung der Maschinen überwacht und überall noch mal Doppelchecks durchgeführt. Die Erinnerung an den ominösen Saboteur, der auf der ersten und zweiten Feindfahrt der REDEMPTION sein Unwesen getrieben hatte, wirkte nach. Zumal Lightning damals ihre Privatfehde mit Lone Coyote angefangen hatte. Natürlich war er daran Schuld.
Der augenblicklich aktive „Nachfolger“, über den bereits erste Gerüchte im Umlauf waren, schien zwar harmloser, aber man konnte ja nie wissen. Bei der Bewaffnung war man den Standardvorgaben gefolgt. Die Abfangjäger trugen je zwei Amram-, Sparrow- und Sidewinder-Raketen. Ausreichend Waffen für den Kampf mit Jägern, allerdings nichts, mit dem man gegen schwere Ziele etwas erreichen konnte. Beim Briefing hatte Lightning keine Zweifel über den Auftrag gelassen: „Unsere Aufgabe ist es, unsere Bomber zu beschützen. Es wird ohne Zweifel haarig werden, denn dabei müssen wir mit ihnen in die Flakhölle rein. Aber vor allem müssen wir verhindern, daß die Akarii die lahmen Enten wegputzen. Unsere fliegenden Scheunentore werden es mit der Abwehr der Dickschiffe schon schwer genug haben. Denkt immer daran – wichtiger als ein Abschuß ist es, die Zerstörung eines eigenen Bombers zu verhindern. Denn einer von denen kann den Unterschied ausmachen, der die Akarii einen Zerstörer kostet oder nicht – vielleicht auch einen Kreuzer. Wir haben genau das trainiert, und wir werden zeigen, daß Grün die Trumpffarbe in diesem Spiel ist.“ Die Begeisterung der meisten Piloten hatte sich in Grenzen gehalten. Echter Jubel brach nicht aus, doch den gab es wirklich nur im Film. Natürlich fieberten viele der Schlacht entgegen. Der ersten großen Gegenoffensive der Menschen. Aber jeder erinnerte sich auch an gefallene Kameraden – und diesmal mochte es mitten hinein in einen Flottenverband gehen, der stärker war als die ,Hölle von Jollahran’, wie die Veteranen die große Geleitzugsschlacht nannten.
Und jetzt blieb ihnen frustrierenderweise nichts übrig, als abzuwarten, bis es endlich losging. Bis die Unsicherheit und das Warten eine Ende hatte. Im Gefecht selber war für Gedanken selten viel Zeit – aber jetzt, davor, da konnte man sich noch ausmalen, was alles geschehen mochte. Und die Gesichter der Gefallenen zogen vor mehr als einem Auge vorbei.
Die Staffelkommandeurin bemühte sich, kein Anzeichen von Unruhe nach außen dringen zu lassen. Sie wusste, oder besser, sie war davon überzeugt, daß sie eine ausgezeichnete Staffel hatte. Ihre XO mochte Ecken und Kannten haben, aber das betrachtete sie als geringes Problem. Die meisten Piloten hatten Kampferfahrung, und sie agierten als Team – faule Äpfel wie diesen Cartmell gab es hier nicht.

Erneut gellten die Warnsirenen. Das Signal für den Sprung. Der eine oder andere nervöse Blick mochte ausdrücken: ,Jetzt gibt es kein Zurück mehr.’ Aber mehr als ein Pilot zeigte sogar so etwas wie Erleichterung. Nicht mehr lange, und das Warten, das endlose, qualvolle Warten, war vorüber. Doch der eine oder andere hätte vielleicht lieber bis in alle Ewigkeit gewartet.
Lightning beobachtete, wie sich ihre Piloten teilweise noch mehr verkrampften. Lilja zog die Lippen hoch, so daß man ihre zusammengebissenen Zähne sehen konnte – mit ihrem vernarbten Gesicht bot dies einen beeindruckenden Anblick. Die Staffelkommandeurin mußte ein leises Kichern unterdrücken. Ihre XO hatte vor der Schlacht noch einmal etwas in ihre Kamera gesprochen und die Vorbereitungen gefilmt – sie nahm ihr Versprechen an diese Klassen offenbar ernst. Wenn die sie jetzt sehen könnten...
Nun, wenn man berücksichtigte, daß Lilja bei ihrem letzten Einsatz beinahe umgekommen wäre, war ihr Verhalten auch nur zu verständlich. Und im Kampf war auf sie Verlaß.
Normalerweise war ein Sprungvorgang fühlbar – das hatte freilich oft auch psychosomatische Gründe. Man war sich bisher nicht einig geworden, ob ein Gefechtssprung anders empfunden wurde als ein normaler Reisetransit. Vermutlich hing das vom jeweiligen Piloten ab. Lightning jedenfalls hatte ein ziemlich flaues Gefühl im Magen. Sie bemerkte, daß Claw beinahe zufrieden lächelte – nun, sie mußte ihren Wingkameraden ja nicht verstehen...

Die ersten Worte der Stimme aus den Lautsprechern ließen alle zusammenfahren. Einige sprangen auf, in der festen Überzeugung, jede Durchsage konnte nur eines bedeuten – den Startbefehl. Doch dann stoppten sie, als die Worte an ihre Bewußtsein drangen: „Achtung – Flotte stößt weiter ins System vor. Vorpostenschiffe der Akarii vernichtet. Kreuzergeschwader 2. 3 meldet Zerstörung von einem Zerstörer und zwei Fregatten. INTREPIDgeschwader meldet drei Fregatten. Anflug für Angriff beginnt.“
Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann riß Marine die Faust hoch und stimmte ein Siegesgeheul an. Und die anderen Piloten fielen ein, einige hieben ihren Kameraden auf die Schultern, als feierten sie einen eigenen Erfolg. Sie bejubelten den Sieg der Kreuzer, die Vernichtung des Gegners – und vor allem das günstige Omen. Denn wenn das so gut lief, dann mußte doch auch der restliche Angriff glücken. Das war ja immer so!
Lightning hatte eingestimmt, auch wenn sie den Aberglauben nicht teilte. Aber der Erfolg an sich war es auch schon wert. Wenn die Akarii keine Meldung hatten abschicken können – aber das wäre wohl zuviel verlangt.
Doch dann schaltete sich der Lautsprecher wieder ein, und diesmal war es die Stimme des Kapitäns, die ertönte: „Alle Mann an die Jäger! Bereitmachen zum Katapultstart in sechs null. Gute Jagd.“

Lightning sprang auf, ebenso der Rest der Schwadron. Auf einigen Gesichtern war immer noch die Freude über die Erfolge der Begleitschiffe, doch nun begann der Ernst und die Erregung des echten Kampfes sich durchzusetzen. Sie rannten zu ihren Jägern.
Das Cockpit schloß sich, geräuscharm wie immer. Lightning unterdrückte den Gedanken, der ihr schon gelegentlich gekommen war: ,Komfortabler Sarg – und anders als in den Bombern hat man ihn wenigstens für sich allein.‘ Sie hatte nun wirklich keine Zeit für solche Gedanken. Sie bemerkte wie die ersten Jägern gestartet wurden. Ihre eigene Staffel würde bald an der Reihe sein. Unter ihrem Helm grinste sie: „Na dann, Wölfchen. Wollen wir doch mal sehen, ob du so gut kämpfen wie reden kannst...“
Tyr Svenson
Das erste Gefecht

Dicht hinter dem Flaggschiff der Schwadron, an der Spitze der Einheit, schob sich die RELENTLESS langsam auf das Wurmloch zu – und bereitete sich auf die Schlacht vor. Auf der Brücke trafen die letzten Klarmeldungen ein. Für die meisten Besatzungsmitglieder bedeutete dieser Sprung etwas Besonderes – ihren ersten echten Feindkontakt. Dies führte, zusammen mit den argwöhnischen Blicken der Offiziere, die wiederum das Argusauge ihres Captains auf sich ruhen fühlten, dazu, daß die einzelnen Handgriffe mit noch größerer Sorgfältigkeit als sonst ausgeführt wurden. Der wachsende Nervosität äußerte sich freilich auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Der Priester des Kreuzers hatte in den letzten zwölf Stunden so viel zu tun gehabt wie sonst in einer Woche.
Für Captain Mithel war ein Gefechtssprung eigentlich nichts Neues mehr. Er hatte den Krieg von der ersten Schlacht an mitgemacht, und blickte auf eine ausreichend lange Karriere im Dienste der Flotte zurück. Er war durch Wurmlöcher in den Feuerbereich feindlicher Schiffe gesprungen und hatte sich mehr als einmal quasi in letzter Minute durch einen Sprung in Sicherheit gebracht. Dennoch war er gegenüber diesen Augenblicken nie abgestumpft. Die letzten Minuten vor dem Gefecht waren immer etwas Besonderes. Der Captain stand hoch aufgerichtet im Gefechtsstand seines Kreuzers. Erst wenn der Sprung unmittelbar bevorstand, würde er den Kommandosessel aufsuchen. Es war, wie so vieles, auch eine Frage der Symbolik.

Es erfüllte Mithel mit Stolz, daß sein Schiff zu den ersten zählen würde, die durch das Wurmloch nach Graxon vorstießen. Diese Ehre barg natürlich auch Gefahren. Wenn die Akarii einen ausreichend starken Sperrverband am Sprungpunkt zurückgelassen hatten, dann konnte es sofort zu einem schweren Gefecht kommen. Die menschlichen Streitkräfte würden zwar siegen, allein durch ihre schiere Maße, doch wenn zwei oder drei Yankees in Gefechtsbereitschaft auf sie warteten, dann würde es nicht ohne Verluste abgehen. Nur zu gut erinnerte er sich, wie die GALLILEO bei ihrer Ankunft im Texas-System beinahe von eigenen Schiffen zerstört worden wäre. Wenn die Akarii in ähnlicher Stärke warteten...
Er hatte deshalb befohlen, daß die Mittelstreckenwerfer sich auf die Abwehr feindlicher Raketen zu konzentrieren hatten. Die Präsenz feindlicher Jäger war eher unwahrscheinlich. Mit den Amram und Impulslasern würde der Kreuzer eine gewisse Chance gegen feindliche Marschflugkörper haben.
Der Bordfunk erwachte abrupt zum Leben: „Schupp an alle – bereitmachen zum Sprung!“ Mithel bestätigte knapp, die Zeit für lange, patriotische Reden war vorbei: „RELENTLESS klar zum Gefecht!“ Die anderen Kreuzer meldeten einer nach dem anderen ebenfalls Bereitschaft. Die Schwadron, eine geballte Formation mit immenser Feuerkraft, nahm ihre Position an der Spitze des COLUMBIA-Verbandes ein. Sie würde den ersten Schlag führen, zusammen mit den Kreuzern der INTREPID. Mithel nahm jetzt seinen Gefechtsplatz ein, und legte sorgfältig die Sicherheitsgurte an. Wie immer sollte man ihm keinerlei Nervosität anmerken.
Er registrierte Renaults Worte. Es waren gute Worte – doch Mithel konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, daß es merkwürdig war, daß man der Offensive eine solche Bedeutung zumaß, doch einen Gutteil der Schiffe in der zweiten Linie behielt. Inklusive des Flottenkommandeurs, dessen Fähigkeit zur schnelle Reaktion so doch etwas eingeschränkt war. Nun, die wußten es eben wieder mal besser...

Der Captain drehte leicht den Kopf. Jetzt kam es darauf an, die Zeit des Abwartens war vorüber: „Volle Kraft voraus – Sprungsequenz einleiten!“ Der gigantische Kreuzer, trotz seiner Größe und Macht nur ein Kriegsschiff unter Dutzenden, beschleunigte – und verschwand. Von einer Sekunde zur anderen wurde er um Lichtjahre versetzt, ein Prozeß, den die Menschen nutzten, den aber nur wenige wirklich verstanden.
Die Brücke explodierte geradezu in Aktivität: „Sprung abgeschlossen! Ortung meldet – feindliche Vorpostenschiffe!“ Zugleich liefen die Meldungen über die erfolgreichen Sprünge der anderen Schiffe und die Zieldaten des Gegners ein. Nur die langjährige Erfahrung als Brückenoffizier und XO eines Großschiffes befähigte Mithel dazu, in diesem Durcheinander den Überblick zu bewahren, alle wichtigen Nachrichten gleichzeitig zu verarbeiten und die richtigen Schlüsse zu ziehen: „Ziel Drei auffassen – Fächerschuß aus Rohr Eins bis Zehn, Primärwerfer! Sekundärziel ist Schiff Nummer Fünf!“
Er hatte kaum ausgeredet, als die erste Klarmeldung kam: „Ziel erfaßt – Raketen starten!“ „Sekundärziel folgen - Bereit zu Fächerschuß aus Rohr Elf bis 20.“
„Peilung steht!“
„LOS!“

Alles lief ab wie auf dem Exerzierplatz – die Besatzung handelte, wie sie es oft genug einstudiert hatte. Freilich, augenblicklich war es eher eine Hinrichtung als ein richtiger Kampf.
Auf den Monitoren waren die Symbole für die Marschflugkörper zu sehen, die zu Dutzenden von den Erdkreuzern abgefeuert wurden. Die Akarii-Schiffe erhielten zumeist kaum die Chance, irgend etwas zu unternehmen, bevor sie im wahrsten Sinne des Wortes ausgelöscht wurden. Bestrebt, jede Gegenwehr oder Funkspruch von vornherein zu verhindern, feuerten die republikanischen Kriegsschiffe weitaus mehr Raketen ab, als eigentlich notwendig waren.
Lieutenant Commander Rogulski meldete den Erfolg: „Einschlag in drei, zwei, eins – Treffer! Feindlicher Zerstörer vernichtet!“ Er verzog das Gesicht, eine Maske der Konzentration: „Sekundärziel ist Salve ausgewichen, Abwehrfeuer mittels Impulslaser – sie visieren uns an!“ Mithel bellte: „Ausweichmanöver vorbereiten! Ich will, daß der Zerstörer vernichtet wird!“ Doch während der Kreuzer noch rotierte und in einer Kursänderung von 45 Grad seitlich ausscherte, meldete der Kommunikationsoffizier: „Feindliches Schiff funkt.“ Doch diese Geste der Pflichterfüllung besiegelte das Schicksal der Akarii: „Feindliche Fregatte von vier Raketen der TIREDLESS getroffen – vernichtet!“
Mit einem kurzen Auflodern verging das sechste, letzte Schiff der Wachflotte. Das ganze Gefecht hatte keine Minute gedauert.

Mithel registrierte das Ergebnis der Auseinandersetzung mit gemischten Gefühlen. Es war ärgerlich, daß die Akarii hatten funken können. Andererseits – eine völlige Vernichtung der Vorpostenkette war von Anfang an unwahrscheinlich gewesen. Und die Akarii sollten ja sogar um Hilfe rufen. Vermutlich war die Durchsage der glücklosen Fregatte sowieso nicht sehr genau gewesen. Außerdem – des beste mögliche Fall trat im Krieg nun einmal so gut wie nie ein... Und seine Mannschaft hatte ihre Sache gut gemacht – die des unbekannten Akarii eben auch. Das hatte ihnen zwar nur ein paar Sekunden Überleben gesichert, mochte die Menschen aber teuer zu stehen kommen.

Mithel öffnete einen Kanal der Bordkommunikation: „Achtung, Kapitänsdurchsage. Wir haben soeben einen feindlichen Zerstörer vernichtet. Ich beglückwünsche die Mannschaft zu diesem Erfolg – es wird nicht der letzte sein. Vorstoß nach Graxon II wird fortgesetzt. Weitermachen!“ Er lächelte leicht. Die Begeisterung auf den einzelnen Stationen war vorstellbar. Das erste Gefecht der RELENTLESS war gut gelaufen, und sie hatten bewiesen, daß sie austeilen konnten. Der schwierige Teil der Schlacht würde erst noch kommen.

Um die RELENTLESS herum jagte der gesamte Kampfverband dem Feind entgegen. Befehlsgemäß setzten sich die Kreuzer an die linke vordere Flanke. Sie würden dort in der Lage sein, frühzeitig das Feuer auf den Gegner zu eröffnen. Freilich würde es auch an ihnen liegen, etwaige Bomberangriffe abzufangen – soweit die eigenen Kampfflieger das nicht schafften. Es konnte immer passieren, vor allem wenn man die Qualität des Feindes berücksichtigte, daß eine Staffel durchbrach. Und zwölf Avenger, die Standardbomber der Akarii, hatten eine tödliche Feuerkraft. Mithel fühlte immer noch große Skepsis bei dem Gedanken, sich zu sehr auf die DAUNTLESS, oder was das anging, auf ihren Kapitän, zu verlassen.
Noch waren die eigenen Jäger nicht gestartet worden. Aber das würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Im Kopf überschlug Mithel, was er über den Gegner wußte. Genaue Informationen waren nicht verfügbar, aber vermutlich hatten sie es mit einer kompletten Trägergruppe der Akarii zu tun, dazu einige örtliche Kräfte. Mehr als siebzig republikanische Schiffe gegen sicher mehr als vierzig der Akarii, abzüglich der vernichteten Wachschiffe – immer noch eine gewaltige Ansammlung von Vernichtungskraft. Das sah nicht nach etwas aus, das von Jägern und Bombern vernichtet werden konnte. Nicht einmal, wenn es zwei erfahrene Geschwader wie die Angry Angels und Starwarriors waren. Die Flotte würde mitkämpfen müssen. Und dabei war das möglicherweise erst der Auftakt für die wirkliche Schlacht von Graxon, wenn der Schlachtplan der Admiralität – Kritiker hätten wohl gesagt ,Endlich einmal.‘ – aufging. Vielleicht wurde diese Operation nicht die Kriegswende, doch bestimmt eine der großen Schlachten des Krieges, über die eines Tages mehrbändige Abhandlungen der Militärhistoriker erscheinen würden.

Unablässig spähten und horchten die Ortungsspezialisten in die endlosen Weiten des Raumes hinaus. Sie wußten, der Gegner mußte dort irgendwo sein – vielleicht bereits damit beschäftigt, den Menschen einen blutigen Empfang zu bereiten. Ganz sicher aber war er alarmiert. Jeder Augenblick ließ die Anspannung steigen, bis sie fast sichtbar in den Mienen der Brückenoffizieren stand. Dann kam die Meldung, erwünscht und gefürchtet zugleich: „Starkes gegnerisches ECM geortet...“
„...feindliche Schiffe bei...“
„...Einheiten, wiederhole, geschätzt vierzig Einheiten! Kurs bei...“
„Melde Feindjäger in großer Zahl, 80 plus.“

Mithel spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. So wie ihm ging es wohl jedem an Bord. Das war die Schlacht – die Akarii stellten sich. Offenbar hatten sie nur eine ungenau Vorstellung von den angreifenden Kräften. Bei genauer Kenntnis hätte sich der Admiral der Akarii vermutlich zurückgezogen, auch wenn dies den Verlust Graxons bedeutete. Mehr als sich teuer verkaufen konnte er angesichts der Übermacht wohl kaum, und das System würde so oder so verloren gehen – wenn die Akarii es nicht wieder zurückeroberten. Die Träger der Erdflotte begannen jetzt, in einem schier endlosen Strom Jäger auszuspucken. Sie vermehrten die Symbole auf den Bildschirmen um weit mehr als 100. Er beneidete die Piloten nicht, da sie mit ihren zerbrechlichen Maschinen mitten hinein in das Kreuzfeuer der feindlichen Schiffe mußten. Nun, mit etwas Glück konnten die schweren Schiff-Schiff-Raketen die gegnerische Formation aufbrechen. Und wenn es nach ihm ging...
„Primärwerfer, Zielerfassung starten. Koppeln mit Sekundärwerfer, je Salven zu 15 Raketen auf feindliche Kreuzer. Schiffsartillerie – Nahbereichsabwehr übernehmen! Tertiärwerfer unterstützen. Frage Status ECM?“ „Steht, feindliches ECCM wird stärker!“ Die Energiegeschütze des Kreuzers hatten nur eine begrenzte Reichweite. Lange bevor sie zum Einsatz kommen konnten, würden die überschweren Marschflugkörper den Kampf eröffnen, ihn vielleicht auch entscheiden.
„Zielfassung läuft...Abgeschlossen!“
„Feuerbefehl abwarten!“ Die Entfernungsangaben nahmen langsam ab. Noch eine Viertelmillion Kilometer, zu weit für die Raketen.
Unerbittlich verringerte sich der Abstand, rückten die Flotten aufeinander vor. Hunderte von Marschflugkörpern, jeder stark genug, eine Großstand auszuradieren, wurden auf den Feind ausgerichtet. Noch 240.000 Kilometer...
Tyr Svenson
Lieutenant Commander McQueen sah – zum wer weiß wievielten Mal – auf die Uhr. Die blinkende Anzeige teilte ihm mit, daß seit seinem letzten Blick nur zwei Minuten vergangen waren. Darkness unterdrückte einen Fluch. Er konnte nichts tun – noch nicht. Während da draußen, im Weltraum, die Kriegsschiffe der TSN den Kampf bereits aufgenommen hatten, warteten die Butcher Bears auf ihre Startfreigabe. Natürlich wußte Darkness, warum man mit dem Einsatz der Kampfflieger wartete, warum die COLUMBIA und die INTREPID unter dem Schutz der Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und Korvetten mit Höchstgeschwindigkeit in das Graxxon-System vorstießen. Die Jäger verbrauchten den Treibstoff in ihren Tanks mit atemberaubender Geschwindigkeit, vor allem im Kampf. Indem die TSN auf einen verfrühten Start der Kampfflieger verzichtete, brachte man sie näher an den Feind, gab ihnen eine größere Verweildauer im Gefechtsfeld. Trotzdem fiel Darkness das Warten schwer – und sicher ging es seinen Leuten nicht anders.

Die Stimmung an Bord war aufgeladen gewesen. Neben der „normalen“ Anspannung vor einem Kampf, die angesichts der besonderen Bedeutung des Angriffs und der Tatsache, daß viele Mitglieder der Angry Angels in ihren ersten Kampf zogen, hatte die „Sache“ mit Cartmell, vor allem aber die Standpauke des Geschwaderchefs, für Aufruhr gesorgt.
Auch wenn Darkness in Cunningham einen Freund sah, diese „Kopfwäsche“ so kurz vor der Schlacht war keine gute Idee gewesen. Viele Piloten fühlten sich vor den Kopf gestoßen, zu Unrecht abgekanzelt und in ihrem Stolz verletzt. Auch wenn Darkness sonst als Zuchtmeister und Eisenfresser des Geschwaders galt, so kurz vor dem Kampfeinsatz hätte er die Piloten des Geschwaders bestimmt nicht als „Amateure“ abgekanzelt, angeschnauzt und unter Druck gesetzt.
Nun ja, er war kein Geschwaderchef. Und er würde sein Bestes geben, daß sich daran nichts änderte, daß Lone Wolf weiter diesen Posten behielt.
Darkness drehte den Kopf nach rechts, dann nach links. Zu beiden Seiten waren die Maschinen seiner Staffel aufgereiht, furchterregend mit den auf den Bug gemalten Bärenköpfe. Kurz grinste Darkness kalt. Das war eine gute Idee seines XO gewesen...

Auch wenn er schon zahlreiche Gefechte bestanden hatte – dies würde sein erster Einsatz als Staffelchef sein. Unwillkürlich hatte er sich dabei ertappt, wie er die Männer und Frauen seiner Schwadron gemustert hatte, mit der unangenehmen Frage – wen würde es erwischen? Die Chancen dafür waren hoch, immerhin standen selbst im günstigsten Fall auf der Gegenseite zwanzig Kreuzer, dieselbe Anzahl Kleinschiffe und ein Flottenträger der Akarii. Allerdings, seine Butcher Bears flogen Nighthawks, die modernsten Raumjäger der TSN.
Die Männer und Frauen seiner Einheit hatten ganz unterschiedliche Emotionen gezeigt. Bei den Neulingen, Terry, Crusader, La Reine und Jeanne, war es eine Mischung aus Erwartung, Nervosität und, mehr oder weniger gut erkennbar, Angst gewesen. Jaws, Viking, Monty und Fatman hatten sich mit der ruhigen Routine der Veteranen bereit gemacht. Brawler schien dem Kampf regelrecht entgegenzufiebern – aber er war schon immer ein Feuerkopf gewesen, auch wenn er in den letzte Monaten gelernt hatte, professioneller und beherrschter zu agieren. Ohkas Gesicht war eine Maske eiserner Entschlossenheit gewesen. Darkness hatte den Piloten dabei beobachtet, wie er sich ein Stirntuch umband, auf dem eine blutrote Sonnenscheibe und, in der gleichen Farbe, japanische Schriftzeichen aufgemalt waren. Darkness glaubte zu wissen, was diese Zeichen bedeuteten.
Dutch, ein Veteran von Mantikor, hatte sich bis zuletzt abgesondert gehalten – und eine Zigarette nach der anderen geraucht. Sein Blick war ins Nirgendwo gerichtet gewesen, seine Bewegungen fast fahrig. Bei diesem Anblick waren Darkness Befürchtungen betreffs des Piloten wieder zurückgekehrt. Hatte Monty, sein XO, recht? War Dutch „abgeflogen“. Aber das würde sich jetzt in der Schlacht zeigen müssen. Es konnte nicht mehr lange dauern...

Obwohl Kano auf diesen Augenblick gewartet hatte, zuckte er doch unwillkürlich zusammen, als der Befehl zum Start aus den Lautsprechern ertönte. Seine Maschine war erst die Siebente in der Reihe, Zeit genug, um noch einmal einen Blick in die Runde zu werfen. Ringsum gingen die Maschinen an den Start. Viel schneller, als auf der REDEMPTION spuckten die Bordkatapulte die Kampfflieger in den Weltraum. Ein letzter Blick zu der Phantome-Staffel und zu den Typhoons der Staffel Grün, seiner alten Einheit. Dann ging ein Ruck durch seine Maschine, wurde Kanos Flieger aus dem Hangar hinausgeschleudert. Mit inzwischen routinierten, fast automatischen Handgriffen brachte er seinen Jäger in Formation. Kurz darauf schloß sich Crusader an. Binnen kürzester Zeit folgten die übrigen Maschinen der „Butcher Bears.“.

Darkness war zufrieden, die Piloten bildeten eine fehlerlose Formation, der Start war problemlos verlaufen. Allerdings war das nur der leichtere Teil der Übung...
Nach der kurzen, markigen Ansprache Admiral Renaults, hielt er eine eigene großartige Rede für unnötig. So etwas lag ihm sowieso nicht. Darkness beließ es bei einigen, nüchternen Worten: „Schwarz-Führer an alle! Unsere Aufgabe ist einfach: Alles an Akarii abschießen, was uns vor die Rohre kommt. Primärziele sind Bomber, Jagdbomber, Sturmjäger, Jäger - in dieser Reihenfolge. Haltet euch an die Befehle, paßt auf eure Sechs auf und bleibt zusammen. Viel Glück und gute Jagd! ENDE!“
Lieutenant Miguel „Monty“ Terrano ließ es sich allerdings nicht nehmen, auch noch ein paar Worte loszuwerden: „Egal, was ihr gehört habt. Die Angry Angels SIND Elite. Und wir sind die Besten. Also fliegt auch so! Nighthawks, das sind die Maschinen der Asse!“

Rings um die sich formierenden Kampffliegerschadronen rückte die Flotte mit Höchstgeschwindigkeit vor. Auch wenn Kano schon an mehreren Raumschlachten teilgenommen hatte - dieser Anblick raubte ihm den Atem: etwa siebzig Erdschiffe, darunter an dreißig Kreuzer und zwei Flottenträger bildeten eine Streitmacht, wie sie seit Mantikor nicht mehr im Einsatz gewesen war. Sie vereinten genug Vernichtungskraft, um eine Welt binnen Sekunden in eine verstrahlte Wüste zu verwandeln. Binnen weniger Sekunden hatten sich die Jäger, Jabos und Bomber der INTREPID und der COLUMBIA an die Spitze des Angriffsverbandes gesetzt und jagten dem Feind entgegen.
Ein Gefühl wilden Triumphs und Freude stieg in Kano auf. Die Akarii würden bezahlen für ihren heimtückischen Überfall, für den Untergang der REDEMPTION, für den Tod so vieler Kameraden - bitter bezahlen! Seiner Stimme aber war nichts anzumerken: "Ohka an Crusader, nach fünf Uhr abfallen!"
"Verstanden!" Crusaders Stimme war voller Kampfeseifer - Angst war jedenfalls nicht herauszuhören.
Ohka lächelte kurz. Doch seine Aufmerksamkeit war auf den Radarschirm fixiert, auf dem jeden Augenblick die feindlichen Einheiten auftauchen mußten. Er war mehr als bereit, den Kampf aufzunehmen...
Tyr Svenson
An Bord des Forschungsschiffes Magellan
Nahe des Eurydike-Nebels, Correlian Sektor

1st Lieutenant Melissa Jamison-Bowyer war so tief über ihre Unterlagen gebeugt und konzentriert bei ihrer Arbeit, dass ihr Vorgesetzter mehrmals laut husten musste, ehe sie überhaupt Notiz von ihm nahm.
Melissa blickte verwirrt hoch, so als ob sie nicht wüsste, wo sie im Moment war. Doch als sie dann wieder zurück im Hier und Jetzt war und Commander Jeremy Baker mit verschränkten Armen und einem strengen Blick vor sich stehen sah, stahl sich ein leicht schuldbewusstes, zauberhaftes Lächeln auf ihr Gesicht.
„Jeremy, schön dass Du hier bist“ begann sie hibbelig vor Freude, wie ein sechsjähriges Mädchen, das auf den ersten Schultag wartete „hier, schau dir diese Spektralwerte an! Die Rotverschiebung und die Gammateilchenemissionen deuten ganz klar auf ein „tiefes“ Loch hin. Den Werten nach zu urteilen…“
Doch Jeremy unterbrach sie freundlich, aber mahnend: „Mel, hatte ich dich nicht gebeten eine Pause einzulegen? Seit unserem Ablegen vor 3 Wochen arbeitest Du schon fast ununterbrochen. Und jetzt bist Du schon wieder fast16 Stunden im Dienst. Du musst dir mal etwas Ruhe gönnen.“
„Jeremy, bitte! Das kann nicht dein Ernst sein. Wir sind nur noch wenige Tage vom Eurydike-Nebel entfernt und diese Daten, die wir von den Langstreckensensoren der Magellan erhalten, sind einfach phänomenal…“
„… und können auch noch ein paar Stunden warten, bis Du ein wenig geschlafen hast.“
„Ich kann aber nicht schlafen“ gab Melissa zurück „das ist alles viel zu aufregend. Wir stehen vielleicht unmittelbar vor einer unglaublich wichtigen Entdeckung und du willst, dass ich mich schlafen lege?“
„Melissa, irgendwann klappst Du mir noch zusammen und dann verpasst Du die Entdeckung erst Recht.“ Er seufzte tief. So sehr auch der jugendliche Elan und Einsatzwille seiner Untergebenen auch zu loben war, so neigte sie doch dazu es zu übertreiben. Die einzige Möglichkeit, sie ein wenig abzulenken und damit vielleicht zur Entspannung zu zwingen, war ihr eine neue Aufgabe zu geben. „Hören sie, Lieutenant“ begann er förmlich, obwohl er wusste, dass das bei ihr nicht wirklich etwas helfen würde, da sie sie sich mit einem unglaublichen Dickschädel beharrlich weigerte irgendwelche militärische Konventionen zu beachten „Sie werden zumindest in den nächsten 24 Stunden etwas kürzer treten, ob sie nun wollen oder nicht, das ist ein Befehl.“
Sie schnaubte nur, verschränkte die Arme vor der Brust, klimperte mit den Augenlidern und setzte ein verwirrendes Lächeln auf. „Ach komm schon, Jeremy…“
„Nein, Mel, diesmal nicht. Du wirst jetzt in dein Quartier gehen und dich ausruhen und dann in acht Stunden zur Guadalcanal übersetzen um dich dort mit Lieutenant Commander Santiago DeLaCruz treffen. Einer seiner Piloten wird ein Aufklärungspod erhalten, welches wir aber statt mit dem Radar der Guadalcanal zu verbinden mit dem der Magellan verbinden werden, um damit die Aufklärungsreichweite zu verbessern.“
„Du schickst mich weg?“ Ihr Lächeln war augenblicklich verschwunden und hatte einem entrüsteten Gesichtsausdruck Platz gemacht.
„Ja, Mel. Es gibt auch noch andere wichtige Aufgaben, als die Daten hier zu analysieren. Das kann auch Jacob übernehmen.“
„Ach, Jacob ist doch gar nicht in der Lage…“
„Meeel“ Baker ermahnte Melissa „es ist wichtig, dass unsere Jäger die Langstreckenortung mit unserer Hilfe verbessern können.“
„Gott, und ich muss jetzt rüber, um einem dieser eingebildeten Cockpit-Heinis zu zeigen, wie man ein Pod bedient? Warum schickst du mich nicht gleich in den Maschinenraum, damit ich den Reaktorkern austausche oder eine kaputte Ölleitung repariere, häh?“
„Na, wenn Du willst, kann ich den Chief ja mal fragen…“ antwortete Baker jetzt breit grinsend.
„Schon gut, schon gut“ Mel stand auf und hob etwas beleidigt eine Hand „ich geh ja schon. Aber bilde dir ja nicht ein, dass ich Jacobs Auswertungen nicht noch mal überprüfen werde.“ Und damit stapfte Sie sauer an ihrem Commander vorbei, der ihr hinterher blickte und krampfhaft versuchte dabei nicht ihren knackigen Hintern zu bemerken.
Karriere in der Navy würde die Kleine nie machen, dass war Baker sofort klar. Ihr Hang zur Eigenbrötlerei, ihre durch ihr unglaubliches Talent gegebene und fast schon zur Arroganz tendierende Selbstsicherheit und ihr Problem mit Autorität und Gehorsam schlossen einen erfolgreichen Aufstieg in den Streitkräften der Terran Navy aus. Aber solange sie ihren Status als hochbegabte Expertin der Astronomie auch weiterhin innehaben konnte, interessierte sie sich nicht für eine Karriere.
Ganz anders als Baker. Er hatte vielleicht nicht ihren Intellekt und ihr Talent, aber dafür die notwendige Cleverness um die gute Arbeit anderer als seinen eigenen Verdienst zu deklarieren und um damit beruflich schneller voran zu kommen als andere. Ihm war klar, dass es dieser Wunsch des weiteren Aufstiegs in der Hierarchie war, der ihn daran hinderte, mehr in Melissa zu sehen als eine Untergebene. Es fiel ihm schwer, das merkte er immer wieder, wenn er in ihrer Nähe war. Und als sie auf Fort Gibraltar mit diesem Captain der Kaze, diesem Schneider geschäkert hatte, waren eindeutig Gefühle von Eifersucht und Neid in ihm hochgekommen. Aber bislang hatte er sich erfolgreich dagegen gestemmt.
Und er nahm sich vor, dass das auch in Zukunft so sein würde. Denn sollten sie diesen Einsatz erfolgreich zu Ende bringen, winkten ihm der Ruhm und die Anerkennung, die ihm wissenschaftlich bislang immer verwehrt gewesen war.

*****

Briefingraum der Guadalcanal
Nahe des Eurydike-Nebels, Correlian Sektor

„ACHtung“ erschall es laut durch den Besprechungsraum der Guadalcanal als Tigre und Arrow, die beiden ranghöchsten Offiziere des „Dirty Bunch“, den Raum betraten.
Ein paar tiefe Stöhnlaute quittierten den Übereifer des Mirage-Piloten, der die Ankunft der beiden Schwadronskommandanten lautstark angekündigt hatte und Sparky raunte „Schrei doch nich´ so.“, wofür er nur einen verächtlichen Blick erntete.
Alle Piloten der verstärkten Staffel hatten sich erhoben, einige in tadelloser Habachtstellung, andere deutlich laxer.
„Rühren“ grunzte Tigre schlecht gelaunt und beobachtete ruhig vom Pult aus, wie sich die Piloten wieder setzten. Er hatte gerade eine neuerliche Unterredung mit Dominguez und Chung gehabt, und dementsprechend mies war seine Laune.
Er wusste nicht mehr, wie oft er seit ihrem Aufbruch von Fort Gibraltar vor drei Wochen bereits zum Captain und seinem Kettenhund zitiert worden war, aber es war eindeutig zu oft gewesen.
„Wie ihr wisst, hatte ich gerade eine Unterredung bei unserem Captain und seinem XO…“ Gemurmel kam auf und einige der Piloten verdrehten die Augen, doch Tigre fuhr ungerührt fort „und es gibt mal wieder Beschwerden über Euch.“
Einige der Piloten taten bewusst gelangweilt und imitierten ein herzhaftes Gähnen. Seit der Dirty Bunch an Bord der Guadalcanal war, hatte Lieutenant Commander Tang Chung alles Menschenmögliche getan um die Schwadron in Misskredit zu bringen. Größtenteils ohne Grund und Beweise und selbst wenn er einem von Ihnen etwas nachweisen konnte, dann bisher zum Glück nur Bagatellfälle ohne große Konsequenzen.
„Sparky, du wurdest zum wiederholten dabei beobachtet, wie du eines deiner Kaugummis neben die dafür vorgesehenen Abfalleimer gespuckt hast. Noch einmal, und der Captain verdonnert dich zum Putzdienst, verstanden?“
Breit grinsend und natürlich Kaugummi kauend bestätigte Sparky mir einem „Uuups, das tut mir aber leid“, was ihm aber keiner abnahm.
Tigre ging noch ein paar Lappalien dieser Art durch, die alle zu ähnlichen Kommentaren der angesprochenen führten. Was der XO mit dem Melden solcher Kleinigkeiten bezweckte, war Tigre nicht ganz klar. Die einzige Begründung, die ihm einfiel, war eine gewisse Blockwart-Mentalität des XO gepaart mit seinem Abscheu gegenüber den Piloten des Dirty Bunch, die in seinen Augen nur Sträflinge waren, die überdies vom Krieg profitierten. Das sie genau wie er ihr Leben riskierten, kam ihm nicht in den Sinn, im Gegenteil: am liebsten hätte er alle Mitglieder dieser Schwadron eingebuchtet, egal ob Ex-Sträfling oder nicht.
Doch sie waren mitten im Einsatz, die nächste Basis oder Station der Navy war Wochen entfernt. Solange es sich nicht um schwere Vergehen handelte, würde jede Inhaftierung der Piloten im Ernstfall die Einsatzgruppe schwächen, eine Tatsache, die im Übrigen der Captain Dominguez genauso sah.
Auf Tigres Frage hin, warum der Captain seinen Stellvertreter dann dennoch gestattete diese unsägliche und überaus nervige Hexenjagd auch weiterhin aufrecht zu erhalten, hatte der Captain nur lakonisch geantwortet: „Wehret den Anfängen!“ Dominguez war also der Meinung die Zügel durch seine rechte Hand, der an dieser Tätigkeit zweifellos Freude hatte, straff zu halten, während er weiterhin seine freundliche, besonnen wirkende Maske aufrecht erhalten konnte.

Doch es gab ein anderes Problem, welches durch Chungs Verhalten geschürt wurde, dass Tigre viel mehr Sorgen bereitete. Durch die Tatsache, dass es dem XO egal war, ob der Pilot nun zu den Ex-Sträflingen gehörte oder nicht, waren alle Piloten bis auf Tigre und Arrow, seinen Schikanen ausgeliefert.
Und das förderte die Aufspaltung der Piloten in verschiedene Gruppen noch viel mehr. Die Dirties, wie sich die Ex-Sträflinge mittlerweile selbst nannten, waren dabei eine eingeschworene Gruppe um 1st Lt. Diane „Lady Death“ Balestier, die so etwas wie eine Anführerin zu sein schien. Ihnen gegenüber standen die Mirage-Piloten, die die Schuld für die Repressalien, die sie vom XO erhielten, natürlich bei den Dirties suchten. Zwischen diesen beiden Fraktionen standen dann noch Thor, Cougar und Aslan, die drei Piloten der ursprünglichen Jägerstaffel, die zusammen mit den Dirties auf Mars gewesen waren. Alle drei waren in keinster Weise erbaut über die Umstände dieser Mission, wobei Thor durch sein mürrisches Verhalten seine Unzufriedenheit besonders deutlich zeigte.
Für eine Staffel, bei der es ganz besonders auf das Zusammenspiel aller Beteiligten ankam, war diese Fraktionsbildung natürlich Gift. Es hatte schon die ersten Zusammenstösse zwischen den Piloten gegeben und damit waren auch die Staffelergebnisse mehr als dürftig. Tigre und Arrow hatten zwar einige gemeinsame Übungen und Manöver speziell darauf ausgerichtet, um dieses zu beheben, aber mit mäßigem Erfolg. Es war und blieb ein zusammen gewürfelter Haufen und Tigre konnte nur hoffen, dass sie während dieser Mission nicht auf feindliche Verbände stoßen würden.

Als er mit seinem Teil der Einsatzbriefings geendet hatte, übernahm Arrow ihren Part der Besprechung und instruierte ihre Leute.
Tigre beobachtete seine Stellvertreterin dabei genau. In den letzten Wochen hatten sie sehr gut zusammen gearbeitet und Tigre war erstaunt über ihren Feuereifer, mit dem Sie bei der Sache war. Sie legte eine Begeisterung bei der Bewältigung ihrer Aufgaben an den Tag, den er sich gerne auch von anderen Mitgliedern seiner Staffel gewünscht hätte.
Allen voran Thor.
Sein Blick wanderte zu dem Großgewachsenen Piloten, der sich seit seiner endgültigen Zuteilung zu dieser Staffel als besonders mürrisch erwiesen hatte. Er erfüllte seine Aufgaben stets einwandfrei, aber eben nicht mehr als das.
Kein Engagement, keine Leidenschaft.
Tigre wusste, dass Thor mehr drauf hatte als er zeigte, nicht nur als Pilot, sondern auch als Führungspersönlichkeit. Doch solange er sich so hängen ließ, wie im Moment, würden diese Fähigkeiten im Verborgenen bleiben. Ja vielleicht sogar nie zum Vorschein kommen. Denn wenn er hier keine exzellente Beurteilung bekommen würde, dann würde er es wahrscheinlich schwer haben, an die Front versetzt zu werden.
Tigre konnte es zwar nicht nachvollziehen, wie man darauf so versessen sein konnte, er für seinen Teil war zufrieden mit dieser ruhigeren Erkundungsmission. Aber wenn man schon im Sinn hatte, an die Front versetzt zu werden, dann sollte man sich eben nicht so anstellen wie Thor. Tigre hatte sich allerdings vorgenommen, ihm den richtigen Weg zu weisen. Soviel war er ihm schuldig, zumal er ja durchaus verantwortlich war für den jetzigen Zustand.

Als Arrow ihren Teil der Besprechung beendet hatte, ließ sie die Piloten wegtreten, die sich auch augenblicklich auf den Weg zu ihren Maschinen machten. Als Thor am Pult vorbeikam, winkte ihn Tigre an die Seite.
„Tigre?“ fragte Thor mürrisch und Tigre musste innerlich grinsen ob dieser Beharrlichkeit.
„Du und Sparky werdet an der heutigen Übung nicht teilnehmen. Stattdessen werdet ihr hier auf Lieutenant Jamison-Bowyer von der Magellan warten. Sie bringt einen neuen Aufklärungspod hinüber, den wir Sparkys Maschine verpassen werden, Chief Ishida wartet bereits auf euch in der Wartungssektion.“
Thor runzelte die Stirn. „Von der Magellan?“
„Ja, die haben einen der neusten Modelle an Bord, das Feinste vom Feinsten. Damit werden hoffentlich unsere Langstreckenscans noch um einiges besser werden. Die Anweisung kommt direkt von Captain Singh, also will ich, dass ihr bestmöglich kooperiert, ist das klar?“
„Aye, Tigre“ bestätigte Thor ohne die geringste Begeisterung in seiner Stimme. Dann drehte er sich zu Sparky, der fast schon aus dem Raum war und machte sich dann, nach dem er ihm kurz die Situation erläutert hatte, auf den Weg zur Wartungshalle.

Arrow, die wortlos neben Tigre gestanden hatte, konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen. „Thor scheint nicht gerade begeistert zu sein.“
Tigre zuckte mit den Schultern. „Er wird sich schon wieder einkriegen. Ich bin sicher auf ihn zählen zu können, falls es Ernst werden sollte.“
„Und was ist mit den anderen? Können wir uns auch auf die auch verlassen?“
Tigre schaute seine Stellvertreterin aufmerksam an. „Bestehen daran Zweifel, Arrow.?“ Tigre hatte einen strengen Ton angeschlagen. Nachdem nun schon Dominguez und Chung ständig Skepsis gegenüber seiner Staffel äußerten, wollte er Arrows Standpunkt in dieser Sache wissen. Wenn sie sich nun auch noch an diesen Grabenkämpfen innerhalb der Schwadron beteiligte, dann würden die Probleme noch stärker zunehmen.
Die Miragepilotin zuckte mit keiner Wimper und zeigte auch keinerlei Zögern als sie fort fuhr. „Nun, die Leistungen der gesamten Staffel sind eher als unterdurchschnittlich zu bezeichnen. Es gibt Schwierigkeiten in der Abstimmung und in der Koordination, vor allem zwischen meinen Mirages und den übrigen.“ Tigre zog die Augenbrauen hoch, was Arrow wohl zu einer leichten Korrektur ihrer Aussage veranlasste. „Naja, ich sage nicht, dass meine Mirages komplett schuldlos sind an der Sache, aber…“
„…aber die Dirties sind ein Problem, richtig?“
„Ja“ gab sie ungerührt zu „Ich habe Zweifel, dass sich einige der so genannten Dirties bewusst sind, dass wir uns im Krieg und mitten auf einer Feindfahrt befinden.“
Tigre seufzte. „Ja, sie haben Recht. Es läuft alles andere als optimal. Aber was würden Sie als Maßnahmen vorschlagen?“
Arrow zuckte nur kurz mit den Schultern. „Es gibt nicht sonderlich viel, was wir jetzt noch tun könnten. Ich denke, wir sollten die noch verbleibende Zeit so häufig es geht trainieren und im Ernstfall darauf hoffen, dass der Lebenserhaltungstrieb greift.“

„Und wenn nicht?“
„Tja, kennen sie ein paar gute Gebete?“ Sie lachte, auch wenn die Lage eigentlich nicht unbedingt zum Lachen geeignet war. Trotzdem stimmte Tigre darin ein. Ihre Analyse gefiel ihm. Sie verfiel nicht in Panik oder Hektik und hatte andererseits ein gutes Auge für die realistische Einschätzung der Situation.
Eine kurze Pause setzte zwischen den beiden Offizieren ein und gerade als Tigre sich auf den Weg machen wollte, platzte doch noch eine Frage aus Arrow hervor. „Sir, darf ich sie mal etwas fragen?“
„Sicher, Arrow, nur zu.“
„Warum haben Sie dieses Kommando verpasst bekommen?“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Tigre skeptisch und vorsichtig.
„Ich meine, mit ihrer Erfahrung, ihrer Routine und ihren Führungsfähigkeiten… Warum hat man Sie nicht an die Front versetzt?“

Tigre antwortete nicht sofort und überlegte seine nächsten Wort gut. „Nun, das Oberkommando war wohl der Ansicht, dass ich der einzige wäre, der zumindest eine Chance hätte, diesen verrückten Haufen zumindest einigermaßen unter Kontrolle zu kriegen.“
„Aber es wäre doch sicher sinnvoller gewesen, wenn man die einzelnen Piloten auf möglichst viele Staffeln aufgeteilt hätte.“
„Damit sie überall für Ärger und Unruhe sorgen können? Nein, wir haben den Platz mit einer soliden Einheit getauscht, die an unserer statt an die Front versetzt worden ist. Und ich denke, das ist auch gut so.“
„Sir, das mag stimmen, aber wäre dieser Auftrag hier nicht gewesen, dann hätten sie gar nichts weiter gemacht, als auf Gibraltar Däumchen zu drehen. Warum haben sie nicht dagegen protestiert? Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt um zumindest diesen Einsatz zu bekommen. Ich meine, damit war doch klar, dass Sie niemals einen Einsatz an der Front…“ Sie beendete ihren laut ausgesprochenen Gedankengang nicht mehr, weil Tigre sie finster anblickte und sie sich bewusst wurde, dass sie gerade ein Finger in eine tiefe Wunde zu legen schien. Irgendwas an seinem Gesichtsausdruck sagte ihr, dass er gar nicht dagegen protestieren wollte.
Ein Verdacht bildete sich in ihrem Hinterkopf, der ihr gar nicht, so ganz und gar nicht gefiel.
Zwei, drei Sekunden vergingen, ehe sich ihr Vorgesetzter wieder fing. „Hören Sie, Commander“ begann er sichtlich verärgert „meines Erachtens liegt es nicht in der Tradition der Navy, gegen eindeutige Befehle zu opponieren. Haben wir uns verstanden?“ Er klang in ihren Ohren nicht vollkommen überzeugend, aber sie entschied, dass es das Beste war, es dabei zu belassen.
„Aye, Sir“ gab sie zurück, salutierte vorschriftsgemäß und ärgerte sich über sich selbst, warum sie wieder einmal so forsch gewesen war. Andererseits war sie froh darüber, diese Fragen gestellt zu haben. Bislang hatte sie eine tadellose Auffassung über Tigre gehabt. Er strahlte eine Ruhe und Autorität aus, die sie hoffte eines Tages erreichen zu können. Aber dieser neue Aspekt setzte ihren Vorgesetzten Offizier in ein vollkommen neues Licht.
Und sie fand, dass es gut war, dass im Ernstfall zu wissen. Wer konnte schon wissen, wozu es gut sein würde.

*******

Wartungshalle der GUADALCANAL
Nahe des Eurydike-Nebels, Correlian Sektor

Grummelnd und mit dem geschwätzigen Sparky im Schlepptau war Thor indessen auf dem Weg zu der kleinen Wartungshalle der GUADALCANAL.
„… na jedenfalls, frag´ ich mich, was sich die hohen Herren noch so alles einfallen lassen für meine Maschine, oder? Vielleicht bauen sie mir ja noch ein Teleskop ein, hahahahaha.“
Wenn es etwas gab, dass Thor noch mehr verärgerte, als auf diesem Schrottkahn seinen Dienst verrichten zu müssen, dann war es die Tatsache, dass sie ihm diese andauernd Kaugummikauende Hohlbirne von einem Möchtegern-Piloten als Flügelmann zugewiesen hatten. Sparky war nicht in der Lage zu erkennen, wann er nervte. Na ja, im Grunde tat er das auch durchgängig. Er tat zwar seinen Job und schien ein einigermaßen ordentlicher Pilot zu sein, aber menschlich konnte Thor nicht das Geringste mit Ihm anfangen. Sein einziger Trost war, dass sie bald wieder im Raum sein würden und Sparky wenigstens dort die Klappe würde halten müssen.

Als sie die Wartungshalle betraten, drehte sich Chief Ishida zu Ihnen um. Die hoch gewachsene Technikerin lächelte fröhlich wie immer und winkte Thor zu, der das Lächeln spontan erwiderte. Sie war die einzige an Bord, der er dieses Lächeln auch abnahm. Alle anderen Bordmitglieder, Captain Dominguez im Besonderen, setzten ein falsches Lächeln auf, sobald sie einem Mitglied des Dirty Bunches über den Weg liefen. Sie betrachteten die auf der GUADALCANAL stationierte Staffel als eine Bande von Halsabschneidern, Lügnern und Trunkenbolden. Das traf zwar auf die meisten Mitglieder der Staffel auch tatsächlich zu, aber eben nicht auf alle. Und Thor hasste es mit allen anderen in einen Topf geworfen zu werden.
„Hallo Thor, Sparky!“ Ishida nickte beiden Piloten einmal knapp zu.
„Hey, Ishi, habt ihr mein´ Jäger schon mit dem Technik-Quatsch der NSC-Nasen verschandelt?“ fragte Sparky rotzfrech.
Er erhielt prompt Antwort, allerdings nicht von Ishida, sondern von einer Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien. „Das habe ich gehört, Cockpit-Heini. Dieser Technik-Quatsch kann uns allen den Hintern retten, wenn SIE es nicht verbocken.“
Sparky hörte mitten im Kaugummi kauen auf und blickte erst Ishida an, die ihr Lachen nur mühsam zurückhielt, und schaute sich dann nach links, rechts und oben um, ohne den Urheber des letzten Satzes ausfindig machen zu können.
„Meine Güte, Ishi, kannste Bauchrednern oder hat das Pod ein Sprachmodul?“
„Weder noch, Sie Genie“ meldete sich die körperlose Stimme erneut und diesmal konnte Thor die Richtung aus der sie kam ausfindig machen. Alle drei blickten hoch zum offenen Cockpit und konnten nun einen blonden Strubbelkopf entdecken, der jetzt zu sehen war.
„Hey Lady, was machen sie in meinem Cockpit?“
„Meinen Job, Ensign…“ entgegnete sie und stieg jetzt aus über die Pilotenleiter aus. Thor beobachtete die grazile Gestalt in einer ansonsten schmucklosen, khakifarbenen Arbeitsuniform, die sich etwas umständlich auf den Weg nach unten machte. Das musste 1st Lieutenant Jamison-Bowyer sein. Auch wenn die kleingewachsene Wissenschaftlerin schlank und sportlich war, erkannte Thor sofort, dass sie die typischen Bewegungen einer Zivilistin machte. Als sie unten angekommen war und sich umdrehte, blickte er fasziniert in ihre funkelnden, himmelblauen Augen.
„… oder haben Sie damit ein Problem?“ beendete Sie ihren Satz und versuchte dabei so autoritär wie möglich zu klingen. Was ihr ganz und gar nicht gelang. Im Gegenteil, Sparky schaute amüsiert zu Thor und grinste dann zurück.
„Nein, Ma´am.“
„Dann ist ja gut. Dann gehen sie jetzt mal an Bord und checken die Systeme.“
„Aber nur, wenn Sie dafür mal mit mir ausgehen?“ grinste Sparky frech.
„Wie bitte?“ Jamison-Bowyer war sichtlich perplex und sprachlos so offensichtlich angebaggert zu werden.
„Ich sagte, nur wenn sie mal mit mir…“ Doch weiter kam Sparky diesmal nicht, da Thor wie ein Vulkan explodierte.
„ENSIGN, jetzt reißen sie sich zusammen. Sie befolgen jetzt die Befehle des Lieutenant und checken ihre Maschine, ABER FLOTT ODER ICH SCHMEISSE SIE EIGENHÄNDIG AUS DER NÄCHSTEN SCHLEUSE.“ Thor hatte seine beste Kasernenhofstimme hervorgeholt und nicht nur Sparky war zusammengezuckt. Aber es hatte gewirkt, der zusammengestauchte Pilot war schon auf dem Weg in sein Cockpit.
„Es tut mir Leid, Lieutenant, ähm, ich entschuldige mich für meinen Wingman. Er ist, na ja, etwas aufmüpfig und…“
„Schon gut, Lieutenant“ sie blickte kurz auf sein Namensschild „Jörgenson. Danke für die Hilfe. Ich bin Melissa Jamison-Bowyer von der Magellan“ streckte sie ihre Hand aus und lächelte ihn nun sanft an. Thor hatte bei diesem Lächeln das Gefühl, das er sich sonst wo befand, nur nicht an Bord eines Kriegsschiffes.
„Ähm, Thor, mein Callsign ist Thor“ stammelte er zurück und ergriff ihre warme, weiche Hand.
Sie runzelte die Stirn. „Thor? Gibt es keinen Vornamen?“
„Thomas, nennen sie mich Thomas.“
„Na, wenn wir uns schon beim Vornamen nennen, dann sollten wir uns doch duzen, oder?“ lächelte sie und Thor konnte mittlerweile nichts weiter als Nicken.
Bis ihn ein leichtes Räuspern wieder zurück in die Realität holte. „Ähemm, Ma´am, Sir? Sollten wir jetzt nicht die Tests durchführen?“ Chief Ishida lächelte immer noch freundlich, auch wenn sie einen irritierten Blick auf die beiden Offiziere vor Ihr warf, die immer noch die Hände hielten. Thor und Melissa folgten ihrem Blick und ließen sich dann schlagartig los, so als hätte sie der Blitz getroffen.
„Ähm, ja Chief“ antwortete Thor, der sich als Erster wieder gefangen hatte und folgte der Technikerin zum Kotrollpult, um die Funktionsfähigkeit des Pods zu testen. Während sie verlegen nebeneinander hergingen, schalt er sich selber einen Trottel. Er benahm sich wie ein Teenager und nicht wie ein Offizier der Navy. Doch andererseits…
Er riskierte einen kurzen Seitenblick nur um wieder in tiefblaue Augen zu blicken, die sich abrupt nach vorne richteten, kaum das der Blickkontakt hergestellt war.

Während sie dann die Tests durchführten, versuchte er krampfhaft nicht zu ihr hinüber zu schauen. Und er hatte irgendwie den Eindruck, dass sie es genauso versuchte. Nachdem sie die Tests abgeschlossen hatten, war er nervös und hibbelig, als sie ihn wieder anblickte.
„Also, das Aufklärungspod scheint einwandfrei zu arbeiten. Ich schlage vor, ihr testet die Systeme vor unserem Übersetzen noch ein paar Mal im Raum und wir gehen es dann noch mal gemeinsam durch, ok?“
„Nichts lieber als das, ich meine, ähm, ja“ stammelte Thor schon wieder. Was tat er da nur?
„So, gut, dann wäre das geklärt. Wie komme ich jetzt zu meinem Shuttle zurück?“ fragte sie und blickte Thor fast schon Hilfe suchend an.
„I-Ich, ich, bring dich noch kurz hin…“ schlug Thor vor. Auch wenn er merkte, dass er sich gerade wie ein brunftiger Hornochse benahm, hoffte er, sie würde ja sagen.
„Oh, das wäre sehr nett, danke“ grinste sie zurück.
Aus irgendwelchen Gründen brauchten die beiden für den Weg, für den man normalerweise nicht mal zwei Minuten brauchte, eine geschlagene halbe Stunde inklusive einer kurzen Besichtigung von Thors eigener Griphen.
Als das Shuttle schließlich abhob und durch die Schleuse Richtung Magellan verschwand, stand Thor noch ein, zwei Minuten herum, ehe er bemerkte, dass jemand hinter ihm stand.
„Was gibt’s da zu glotzen“ motzte er Sparky an „in 15 Minuten will ich dich draußen haben.“
„Is´ ja gut“ fauchte der leicht genervt zurück und maulte noch was von „Aber selber rumflirten…“ bevor er außer Reichweite war.
Thor war das aber egal, sollte Sparky doch maulen. Schließlich schlingerte er hier in diesem verfluchten Krieg auf einer zum Träger umgebauten Konservendose herum mit einem Haufen degeneriertem Abschaum als Staffelkameraden. Da tat jede angenehme Unterhaltung gut. Er hatte nicht geflirtet, sondern sich nur nett unterhalten.
Oder?
Thor zuckte mit den Schultern, da er sich die Frage nicht selber beantworten konnte und wollte und machte sich stattdessen auf den Weg zu seinem Jäger.
Tyr Svenson
Krieg. Er ist nicht glorreich, wie Dichter uns weiß machen wollen. Die Lieder von ruhmreichen Schlachten sind nichts anderes als Lügen. Ich habe meinen Bruder getötet. Aug in Aug. Ich sah - nachdem ich ihm auf sechs Meter Entfernung zwei Energieladungen verpasst hatte - wie der göttliche Funke aus seinen Augen entwich.
Ich sah sein vor Schreck erstarrtes Gesicht, als ihm klar wurde, dass ich ihn getötet hatte und ihm nur noch Sekunden in unserer Welt blieben.
Ich kann mir keinen Grund, keinen einzigen Grund auf der Welt vorstellen, der so etwas rechtfertigt. Nicht Macht, nicht Freiheit, nicht die Gerechtigkeit.
Niemals wieder.

Corporal Curtis Jamison,
2nd Expitionary Brigade, Terran Republic Marines Corps
Im Jahr 2521

***

TRS COLUMBIA,
Gegenwart, Graxon, Kriegsgebiet

Katapult Nr. 3 schleuderte die letzte Nighthawk ins Weltall. Sofort wurden die ersten vier Phantome auf die Katapulte geschoben. Andere Piloten warteten schon in ihren Maschinen, wieder andere führten noch die letzten Überprüfungen durch.
Ein kontrolliertes Chaos war ausgebrochen. Fast jeder Handgriff saß. Die Deckoffiziere unterstützten ihre Mannschaften so gut es ging. Innerhalb der Staffel traten keine größeren Defizite auf.
Nach und nach wurden die Jägerstaffeln ausgeschleust. 99 Jäger, Jagdbomber, Bomber und Unterstützungseinheiten.
Die fünf Jägerstaffeln bildeten zusammen mit den beiden Phantomstaffeln und einer der beiden Griphenstaffeln der INTREPID einen Angriffswall vor den fünf Bomberschwadronen.
Die Hauptschlagkraft bildeten Murphy Crusader - Fist of God wie sie genannt wurden - zusammen mit den 16 Crusadern von der INTREPID. In Sachen Feuerkraft unterstützten sie die Silber- und Goldschwadronen der COLUMBIA. Die einzige Miragestaffel der INTREPID hatte Anti-Radar-Rakten geladen und schlossen sich dem Jägerwall vor den Bombern an.
Die beiden Thypoonstaffeln und die zweite Griphenstaffel der INTREPID übernahmen die Flottenverteidigung.
Um die fehlende Feuerkraft auszugleichen verzichteten die Crusader der INTREPID zu Gunsten von vier weiteren Crusadern auf die Rafale.
"Ich sehe sie!" Einer der Piloten der Starwarriors von der Intrpid. "Haben sich aber ganz schön aneinander gekuschelt."
"Fuck, die Jäger halten sich innerhalb des Feuerbereichs der Zerstörer!" Lucas glaubte Hacker zu hören.
"Ruhe im Äther!" Das war Commander Harmon "Shugar" Torwald der Kommandant der Starwarriors und Anführer des kombinierten Verbandes. "Herhören: Wir gehen da gemeinsam rein! In einer Linie so zu sagen. Gold- und Silberangles schnappt Euch so viele Zerstörer wie Ihr bekommt." Dann wandte er sich an seinen Miragekommandanten: "Zippo: Versucht den großen Kreuzern die Sicht zu nehmen! Die Herrschaften in den lahmen Vögeln", jeder wusste, dass er die Crusader meinte, "Ihr lasst die Zerstörer nach Möglichkeit links liegen. Holt Euch was fettes. Noch etwas? Lone Wolf?"
"Wenn Ihr drinne seid, haltet Euch eng bei den Dickschiffen. Die Akarii dürften nicht allzu viele Fehlschüsse riskieren."
"Okay Ladies and Gentlemen: Greifen wir an!"
Die breite Angriffslinie beschleunigte auf die Akarii-Flotte zu. In diesem Moment eröffneten die ersten Einheiten der Erdflotte mit ihren Langstrecken Anti-Schiffsraketen das Feuer. Ebenso begannen jetzt die Akarii-Dickschiffe mit ihrem Abwehrfeuer gegen die Erdjäger und die Akarii-Jäger lösten sich von ihrer Flotte und warfen sich den Angreifern in den Weg.
"Ziele Selektieren und eliminieren!" Ravens Stimme klang kühl und professionell.
"Äh, nehmt Euch die Zerstörer weiter vorn vor und seht zu, den Goldjungs nicht in die Quere zu kommen." Dem Professor hörte man die Anspannung und Nervosität an.
Es dauerte nicht mehr lange, da würden nicht nur die Raketenwerfer der Akarii sprechen. Ein unvorstellbares Blitzlichgewitter erwartete die angreifenden terranischen Jäger.
Die Angriffsformation war innerhalb von Sekunden aufgebrochen.
Ravens Staffel hatte den Angriff exzellent getimt. Alle zwölf Jäger hatten das feindliche Abwehrfeuer unter dem Schutz des ECM der Rafale und den ständig abgeworfenen Düppeln durchbrochen und waren auf bis 2.000 Kilometer an drei Zerstörer heran und feuerte zugleich ihre Mavericks.
Keiner der Zerstörer schaffte es mehr sinnvolle Gegenmaßnahmen gegen die herannahenden Nuklearwaffen einzuleiten.
Zwei von ihnen verschwanden ohne großes Aufhebens in einer grellen Explosion. Der dritte Akarii-Zerstörer überlebte als loderndes Wrack.


Lone Wolf zog eng an einem Zerstörer vorbei. Sein Flügelmann Hal Chrispin blieb dicht hinter ihm. "Zwei Bloodhawk auf der Sechs Boss!"
"Folgen Sie mir, hart backbord! Skunk wir kommen auf Sie zu. Zwei Banditen am Heck!"
Die beiden Phantome drehten von der Akariiflotte weck und wurden von dem nächsten Zerstörer unter Feuer genommen. Die beiden Bloodhawks konnten dem Feuer des eigenen Zerstörers gerade noch ausweichen und hängten sich wieder an die beiden Erdjäger.
"Da kommen Skunk und seine Wingmen!" Hal klang angespannt aber professionell.
"Bei eins brechen Sie nach links aus! Drei ... zwei ... eins!"
Lone Wolf zog nach rechts und Hal zog fast synchron nach links.
Skunk, Shaka und Bob eröffneten mit ihren Bordkanonen das Feuer. Skunks Feuerstoß war kurz und präzise. Fast alle strahlen fanden ihr Ziel. Shakas Schüsse waren verstreut, der Feuerstoß war länger. Er traf die linke Bloodhawk kurz und brachte danach den Wingman, der auch Skuns Ziel war zum Platzen.
Die erste Bloodhawk schaffte es Bobs kurzen ungezielten Feuerstößen auszuweichen und entkam.
"Hat denn keiner von Euch Jungfüchsen zielen gelernt?" Skunks Stimme fehlte es an der üblichen Schärfe.
Lone Wolfs Blick richtete sich wieder auf die feindliche Flotte.
Die ersten Exocets der Flotte näherten sich den Akarii. Jedoch wurden die misten von Raketen und Impulslasern abgefangen.
"Hier COLUMBIA: Eröffnen das Feuer." Der Träger legte sich auf die Backbordseite und feuerte die Harpoonwerfer.
Kurz darauf folgten die Kreuzer und Zerstörer dem Träger. Die kombinierte Salve aus Exocets und Harpoons würde die äußere Verteidigung der Akarii wahrscheinlich Sprengen.
"Alle Bomber: Weiter rein in die Echsenflotte!" Shugar Torwald klang stark erregt.
Tyr Svenson
Die feindlichen Einheiten waren zuerst von einem Piloten des INTREPID-Geschwaders gesichtet worden, doch binnen weniger Sekunden konnte jeder Pilot des 164 Maschinen zählenden Angriffsgeschwaders den Feind in Augenschein nehmen. Auch wenn den Kampffliegern siebzig TSN-Kriegsschiffe folgten, auch auf der Gegenseite war eine erschreckende Feuerkraft versammelt: zwanzig Kreuzer, schwere und leichte, aber wenigstens keiner der gefürchteten „Golf“-Flugdeckkreuzer, und etwa dieselbe Anzahl Zerstörer, Fregatten und Korvetten. Und inmitten dieser Kampfflotte ein riesiger Akarii-Flottenträger der Uniform-Klasse, der pausenlos Kampfflieger auszuspucken schien.

Darkness kniff leicht die Augen zusammen, als er die Taktik des Gegners erkannte: der feindliche Admiral wollte offensichtlich seine Kampffliegereinheiten vorerst zurückhalten, die Menschen mit der kombinierten Schlagkraft der Bordflieger und der Schiffsflak abwehren. An und für sich ein nicht unvernünftiger Gedanke – aber dies konnte auch sehr leicht den Geschwindigkeits- und Wendigkeitsvorteil der leichten Akariijäger zunichte machen. Die Lippen des Veteranen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln: ‚Hier hilft die keine Wagenburg, Echse!‘
Kurz prüfte Darkness die sich rapide vermindernde Entfernung zwischen seiner Schwadron und den feindlichen Einheiten. Soviel er wußte, hatten auch bei den Akarii nur wenige Einheiten Antijägerraketenwerfer, die so weit reichten wie die Phönix, die die Nighthawk der „Butcher Bears“ unter ihrem Rumpf trugen...
Dann wandte er sich über Bordfunk an die Jäger seiner Schwadron: „Herhören! Auf 50.000 Entfernung, Angriff mit Phönix auf feindliche Jäger. Feuern nach eigenem Ermessen! Brecht ihre Formation auf! Danach Durchbruch durch den feindlichen Flackschirm – und auf die Bomber!“

„Verstanden!“ Kanos Stimme klang ruhig, fast gleichmütig. Dies würde sein siebentes Gefecht sein. Auch wenn er nicht an die Zahlenmystik abergläubischer Kameraden glaubte, fühlte er diesmal keine Angst. Der Angriff schien gut anzulaufen, er war sich sicher, diese Schlacht würden die Erdstreitkräfte für sich entscheiden. Und er selber fühlte sich endlich mit seiner Aufgabe, seiner Maschine im Einklang.
Die Nighthawks waren jeweils mit vier Phönix-Langstreckenraketen und je zwei Sparrow-, Amram- und Sidewinder-Lenkwaffen bestückt. Zusammen mit den zwei Tachyonengeschützen und dem Paar Plasmakanonen gaben sie der Maschine eine überlegene Feuerkraft.
Mit einer Ruhe, die ihn selber überraschte und erleichterte, versuchte Kano, ein passendes Ziel für seine Raketen zu finden. In diesem Augenblick eröffneten die Kriegschiffe die Schlacht mit wahren Schwärmen von Schiff-Schiff-Raketen. Auf beiden Seiten geriet die Formation der Großkampfschiffe in Unordnung, als die anfliegenden Atomraketen zu Ausweichbewegungen und Abwehrmaßnahmen zwangen. Hier und da blühten, wie rotgelbe Blumen in der Dunkelheit des Alls, die Explosionen der Schiffsraketen auf, wenn sie einen feindlichen Rumpf oder einen Störkörper trafen. So verderblich dies für die unmittelbar Betroffenen sein mochte, vom Cockpit der auf den Feind zujagenden Nighthawk war dieses Schauspiel ebenso wunderbar wie ergreifend. Trotz des ersten Schlagabtausches geriet der Vormarsch der Erdstreitkräfte aber nicht wesentlich ins Stocken.

Während die Entfernung zwischen den Verbänden zusammenschmolz fühlte Kano, wie Jagdfieber seine Gelassenheit zu verdängen drohte. Noch 60.000, 55.000...
„Raketen LOS! LOS!“ In der ganzen Schwadron wurden Rufe laut, zwei Dutzend Lenkflugkörper rasten auf den Feind zu, dicht gefolgt von einer zweiten Salve. In dem ausbrechenden Blitzgewitter aus anfliegenden und explodierenden Schiff-Schiffraketen und den Strahlenbahnen der Impulslaser fielen die kleinen Flugkörper kaum auf. Die Wirkung auf ihre Ziele war dennoch vernichtend. Mindestens drei, vier Jäger des Feindes explodierten einfach und etliche weitere trugen schwere Schäden davon. Die Formation der Akariijäger zerbrach, als die Jäger und Sturmjäger versuchten, auszuweichen. Genau mit dieser Reaktion hatte Darkness gerechnet, auf sie hatte er gehofft.

Kano hatte wenig Glück gehabt: seine erste Salve war fehlgegangen und mit der zweiten landete er nur einen Voll- und einen Nahtreffer. Der Deltavogel, den er sich als Ziel herausgesucht hatte, wurde zwar kräftig durchgeschüttelt, überstand aber die Explosionen – nur um durch eine Rakete eines anderen Erdjägers aus dem Raum geblasen zu werden. Während Kano mit zusammengebissenen Zähnen dieses miserable Ergebnis zur Kenntnis nahm, schrillte ein grelles Warnsignal durch das Cockpit – Raketenalarm! Irgendein feindliches Dickschiff hatte ein paar Flar-Werfer auf die Nighthawk ausgerichtet.
Kano zwang die Maschine in ein Korkenziehermanöver, einen Augenblick die geringere Wendigkeit der Nighthawk verfluchend. Automatisch feuerte er eine ganze Wolke von Täuschkörpern ab. Hinter ihm explodierte irgendetwas, die Maschine wurde aber nur leicht durchgerüttelt. Kano brachte die Maschine wieder auf Kurs – genau auf die durcheinandergeratene Formation der Akariiflotte zu: „Crusader, folgen - Vollschub!“ Mit diesen Worten schob er den Nachbrennerhebel bis zum Anschlag nach vorne. Crusader hatte Mühe, mitzuhalten.
Die Akarii-Raketensalve war nicht sehr gut gezielt gewesen, es hatte nur ein paar Nahtreffer und leichte Schäden gegeben. Aber der Verband der Nighthawks war aufgesplittert worden und sie erreichten die feindliche Formation, in der bereits Typhoon-Jäger mit gegnerischen Bloodhawks kurbelten, in einzelnen Wings und Sektionen. Doch Flak und Flar’s beachteten die Nighthawks kaum – denn inzwischen waren die Mirage und Crusader auf Schußweite an die Akariis herangekommen. Bereits ihre erste Salve vernichtete drei Zerstörer.

Neben Kano lohten ein, zwei, drei Explosionen auf. Als er den Kopf herumriß, sah er noch, wie ein Akariizerstörer mit geborstenem Rumpf schwerfällig um die eigene Achse rotierte – und in einem gigantischen Feuerball starb.
„YAHOOO!!!“ Crusader brüllte seine Begeisterung lauthals hinaus.
„Funkdisziplin, Crusader.“ Während Kano diese Worte eher automatisch in das Helmmikrofon bellte, war seine Aufmerksamkeit auf etwas ganz anderes gerichtet: parallel zum ursprünglichen Kurs des vernichteten Zerstörers jagte ein Quartett von Bloodhawks in Richtung der vorrückenden Crusader. Auch wenn das Hauptziel der Nighthawks eigentlich Bomber und Jabos sein sollten, diese Gelegenheit schien zu günstig.
„Crusader! Acht Uhr, tief! Greifen an!“
„Verstanden!“ Crusaders Stimme überschlug sich beinahe vor Kampfeifer. Kano grinste kurz. Er wußte, wie sich der Junge fühlte... Der Junge? Crusader war kein Jahr jünger als Kano.
Der japanische Pilot zwang die Nighthawk in eine enge Kehre, brachte die Maschine in einen Parallelkurs zu den Bloodhawks. Die expandierende Trümmerwolke, die einmal ein Akariizerstörer der Charlie-Klasse gewesen war, diente ihm bei diesem Manöver als Deckung. Crusader hing zuverlässig an Kanos Flanke – er machte sich. Ruhig und sicher brachte Kano die vorletzte Bloodhawk ins Visier seiner Bordkanonen – als die Formation der Akarii auseinanderbrach. ‚Verdammt!‘
Der Sektionschef der Akarii verstand sein Handwerk: Zwei Bloodhawks jagten mit eingeschaltetem Nachbrenner auf die Crusaders zu, während die beiden anderen nach einem halben Looping die Nighthawks angingen.
‚Hund!‘ Kano riß den Steuerknüppel zurück, brachte seine Maschine auf Kollisionskurs mit einer der Bloodhawks.
In einer Typhoon wäre das kein sehr kluges Manöver gewesen. Aber die Nighthawk war wesentlich besser gepanzert, hatte stärkere Schilde – und war der bestbewaffnete Jäger der Menschen und Akarii. Einen Augenblick wartete er noch, dann drückte er einfach auf die Feuerknöpfe, die Hand um den Steuerknüppel gekrampft, während die Maschine unter dem feindlichen Beschuß erbebte. Die Schilde hielten.
Beide Maschinen rasten aneinander vorbei. Fast sofort riß Kano seine Nighthawk in ein Von-Bein, eine Vollwende „auf der Stelle“, wie sie nur im Weltall möglich war. Aber auch der Akarii war kein Amateur – er hatte die Maschine mit einem Immelmann gewendet und stieß jetzt wieder auf Kano herab. Einen Fluch zwischen den Zähnen zerquetschend gab Kano Vollschub. Dennoch traf ihn der Akarii. Die Schilde hielten – noch. Bisher hatte noch keiner der beiden Piloten seine Raketen eingesetzt.
Kano wußte, daß sein Gegner hinter ihm einkurven würde. Er hätte jedenfalls genau das getan. Ohne noch einen Blick nach hinten zu verschwenden brachte er die Nighthawk mit einer Halben S-Kurve auf Gegenkurs, nur um mit einer erneuten Halben S-Kurve wieder den ursprünglichen Kurs zu fliegen. Diesmal war der Akarii nicht schnell genug und schoß an Kano vorbei, der jetzt mit allen vier Bordkanonen auf die Heckschilde der Bloodhawk lostrommelte. Die energetische Schutzhülle leuchtete unter dem Dauerbeschuß mit Tachyonen- und Plasmakanonen auf, kollabierte. Der Akarii war in perfekter Entfernung für die Sidewinder – Kano griff nach den Raketenkontrollen – zu langsam. Wieder bewies der Bloodhawkpilot, daß er kein Anfänger war – ein radikales Spiral-Manöver brachte ihn aus der Zielerfassung von Kanos Jäger. Dann drückte der Akarii den Nachbrennerhebel und löste sich aus dem Zweikampf.
‚Feigling! Aber nicht so schnell...‘
„OHKA!!“ Der Hilferuf Crusaders riß Kano herum. Sein Flügelmann kurbelte mit der anderen Bloodhawk – und er war am Verlieren. Der Akarii war gut genug, sich immer wieder an das Heck der Nighthawk zu setzten und einige Schüsse anzubringen. Die langen Feuerstöße, mit denen Kano ihn überschüttete, verjagten den Feind.
„Alles in Ordnung, Crusader?“
„Ja. Der Misthund hat zwei Raketen abgefeuert – war knapp.“
„Glück...“

Kano sah sich um. Rings waren die Schlachtreihen zu einem unentwirrbaren Hexenkessel geworden. Zwischen den manövrierenden und aus allen Rohren feuernden Akariischiffen jagten sich jetzt mehr als 200 Kampfflieger der Akarii und der Menschen. Brennende Akariiwracks verschlimmerten das Chaos. Doch da auf Drei Uhr, hoch...
„Crusader! Die Raptors!“ Die feindliche Jagdbombersektion war offenbar schon gerupft worden – es waren nur drei Maschinen, von denen zwei außerdem beschädigt schienen. Dennoch flogen sie unbeirrt in Richtung der Schlachtreihen der TSN. Sie hatten allerdings auch keine andere Chance. Für die Akarii gab es nur noch Sieg oder Untergang. Die Flotten waren sich schon zu nahe gekommen, als daß der Akarii-Admiral darauf hoffen konnte, bei einem Rückzug seinen Träger retten zu können. Dieser Kampf wurde auf Leben oder Tod geführt.
„Verstanden! Greife an!“ Dafür, daß der Junge gerade eben erst mit knapper Not dem Tod entkommen war, klang er ziemlich ruhig. Kano grinste kurz.

Sie würden die Raptors von Vorne Unten angreifen. Nach dem Standartangriffsverfahren würde darauf ein „Reversement“ folgen – eine scharfe Kehre hinter den Jabos und ein erneuter Sturzangriff von Hinten. Kano machte die Amrams fertig – die Sofortfeuerraketen waren bei einem Vorbeiflugangriff ideal. Diesmal würde er mit ALLEM angreifen, mit Kanonen und Raketen. Nicht einmal die schweren Schilde und massive Panzerung der Raptoren würden diesem Angriff widerstehen. Die beiden Nighthawks jagten auf ihre Ziele zu, die sie noch nicht bemerkt zu haben schienen. Noch eine Sekunde...

Ein schrilles Heulen ließ Kano herumfahren – Raketenalarm!
Kanos Reflexe griffen, automatisch brach er den Angriff ab, warf die Nighthawk auf den Rücken und in ein volles Looping, während die Maschine vier Störkörper ausstieß. Das war zuviel für die zwei Raketen, die in sicherer Entfernung explodierten. Doch der Deltavogel, der sie abgeschossen hatte, war nicht so leicht zu verwirren – das Feuer aus sechs schweren Plasma- und Photonenkanonen lag unangenehm genau. In ein paar Sekunden waren nur noch Reste von Kanos Schilden übrig, der verzweifelt die in Rückenlage befindliche Maschine in einer Spirale abtauchen ließ. Das feindliche Feuer riß ab. Aber damit war der Zweikampf noch nicht vorbei. Voller kalter Wut über den Angriff riß Kano die Maschine herum und gab Vollschub. Ehe der feindliche Pilot reagieren konnte, war der Nighthawk an ihm vorbei, nur um sofort mit einem Von-Bein zu wenden. Der Heckschütze versuchte vergeblich, die Nighthawk ins Visier zu bekommen. Das Sperrfeuer der vier schweren Strahlenkanonen schwächte die Schilde – und die beiden von Kano abgefeuerten Amrams vollendeten das Vernichtungswerk. Mit grimmiger Befriedigung sah er, wie zwei Akariis sich aus dem Flieger katapultierten, kurz bevor ein Doppeltreffer aus den Tachyonengeschützen den Delta explodieren ließen. ‚Genießt die Aussicht – es kann dauern, bis man euch aufsammelt!‘
„Kano, bist du in Ordnung?“
„Wo hast du eigentlich gesteckt?!“
„Ich hab‘ das Arschloch nicht gesehen! Und...“
„Vergiß es. Was ist mit den Raptors?“
„ICH HAB‘ EINEN ERWISCHT!! Volltreffer – alles weg, gleich beim ersten Anflug! Die anderen – sind abgehauen.“
Kano mußte lächeln – nicht nur weil er überlebt hatte. Der Enthusiasmus in Crusaders Stimme war ansteckend.
„Glückwunsch. Wenn du so weiter machst, hast du bald das Kreuz!“
„Danke...“

„Achtung! Achtung! Brauche Hilfe!“ Eine panische, sich überschlagende Stimme schnitt durch Crusaders Triumph. Eine Crusader war irgendwie von ihrer Sektion getrennt worden und steckte jetzt in einem erbarmungslosen Nahkampf mit einem Quartett Reaper. Vor Kanos Augen schaffte es der Heckschütze tatsächlich, einen vorwitzigen Akarii ins Visier zu bekommen. Die leichte Maschine explodierte – aber ihre rachsüchtigen Kameraden schlugen mit tödlicher Präzision zurück. Das kombinierte Feuer aus drei Richtungen und zwölf Laserkanonen war zuviel für die geschwächten Schilde der Crusader. Nur ein Mann der Besatzung konnte aussteigen. Und bevor Kano oder Crusader einen der agilen Abfangjäger ins Visier bekamen, spritzten die Reapers auseinander und drehten den Spieß um. Zum Glück für die Nighthawks hatten die Akarii bereits ihre Raketen verschossen und waren nicht mehr unbeschädigt. Die nächsten zwei, drei Minuten waren ein tödliches Ballett an der Flanke einer zusammengeschossenen Akariifregatte – vielleicht hatte die vernichtete Crusader das Kriegsschiff so zugerichtet. Die wendigen Reapers versuchten, die langsameren, aber zäheren und schlagkräftigeren Nighthawks am Heck zu erwischen, die sich gegenseitig den Rücken deckten. Das Gefecht brach ab, als die Reapers sich leichteren Zielen zuwandten – oder vielleicht auf einen Hilferuf reagierten. Einer von ihnen war nur knapp der Vernichtung entronnen, als er eine volle Salve abbekommen hatte. Dafür fehlte bei Kanos Maschine die Spitze der linken Tragfläche und sein Bordcomputer informierte ihn über Panzerungsschäden und eine verminderte Wendigkeit und Geschwindigkeit. Crusader war glimpflicher davongekommen – lediglich seine Schilde waren ramponiert. Die Standfestigkeit der Nighthawk war imponierend.
„Was nun, Ohka?!“ Crusaders Stimme klang atemlos. Diesmal war es allerdings nicht nur Triumph und Kampfeslust – er klang erschöpft. Dieser Kurvenkampf war eine knappe Sache gewesen.
Kano stabilisierte den Flug seiner Maschine, während er eher abwesend die Rettungskapseln wahrnahm, die die todwunde Akarii-Fregatte der Sierra-Klasse verließen. Die Kampffliegergefechte schienen sich verlagert zu haben. Er sah keine Ziele in unmittelbarer Nähe: „Wir suchen den Feind! Es ist noch nicht geschafft...“