Hinter den feindlichen Linien - Season 4

Tyr Svenson
Freizeit

Im Hangar der COLUMBIA herrschte ein beachtliches Durcheinander. Während die Nighthawks der Staffel Schwarz beiseite geschafft wurden, waren acht Maschinen der Staffel Grün bereits startfertig – sie würden die Außensicherung des Verbandes für die nächsten vier Stunden übernehmen. Dafür hatte man bei den Maschinen die Zahl der Raketen auf vier reduziert und an Stelle der fehlenden schweren Zusatztanks angehängt. Das war keine ideale Lösung für das Problem der eher mittelmäßigen Reichweite der Typhoon, aber die Staffel Grün hatte die Raumschlacht über Graxon ohne ernsthafte Verluste überstanden und wurde jetzt – wie Staffel Schwarz – besonders eingespannt. Neben der unumgänglichen Außensicherung für den Verband hatten sie in den letzten Tagen mit schöner Regelmäßigkeit auch noch Eskortmissionen zu und vom Planeten fliegen müssen – die Piloten bezeichneten sich bereits ironisch als den „Graxon-Express“. Und außerdem hatten die Angry Angels noch zwei Aufklärungsflüge durchgeführt und drei weitere eskortiert. Die Jagdaufklärer und SWACS-Shuttles hatten sich dabei auffällig für die Regionen interessiert, in denen die Akariis offenbar mit einigen Bergbauunternehmen begonnen hatten. Doch es war bei Aufklärung geblieben, seitdem vor vier Tagen der kleine Feldflugplatz der Akarii ausradiert worden war und dabei auch sämtliche Flugabwehrkapazitäten am Boden. Kein Bombenangriff folgte und auch kein Sturmangriff mit den gelandeten Marinetruppen. Vermutlich reichten die gelandeten Kräfte – ein zusammengestückeltes Regiment ohne schwerere Waffen – nicht aus. Aber warum schickte man die verbliebenen Akariis, die sich in ihre Baracken und Bergwerksschächte ducken mochten, nicht zum Teufel? Zwei Dutzend Jagdbomber und Jäger würden genug Feuerkraft haben, um die Akarii aus ihrer kümmerlichen Deckung zu bomben, die Bergwerke in die Luft zu jagen oder ihre Eingänge zuzusprengen. Es sah tatsächlich so aus, als wollte die TSN das System halten und die Bodenschätze für den eigenen Gebrauch aufsparen. Hätte man Kano gefragt, so hätte er eine solche Strategie für ausgemachten Unsinn erklärt. Immer noch, auch nach dem Sieg über Graxon, war die TSN zahlenmäßig unterlegen. Ob man das System halten konnte stand in den Sternen, wie auch die Reaktion der Akariis. Und selbst wenn man es halten könnte, die Republik würde die Bergwerke wohl kaum übernehmen und mit nennenswertem Erfolg in Betrieb nehmen können, bevor der Krieg nicht schon an anderer Stelle entschieden würde. Besser wäre es gewesen, den Spatzen in der Hand zu behalten – die Anlagen zu vernichten und den Akarii so schwächen – als nach der Taube auf dem Dach, in Gestalt der späteren Nutzung der Rohstoffe Graxons, zu schielen.
Aber keiner hatte Kano gefragt und keiner würde ausgerechnet einen Second Lieutenant nach seiner Meinung fragen und er war viel zu diszipliniert, seine Meinung lautstark zu vertreten. Er tat seine Pflicht, so gut ihm das möglich war.

Kano nickte Crusader kurz zu und wunderte sich kurz, warum der ihn so angrinste. Dann schob er das beiseite. Seitdem die Neuen in der Staffel ihren ersten Abschuß erzielt hatten, hielten sich die meisten bereits für gestandene Veteranen mit dem Recht, über „die da Hinten“ abzulästern. Nun, er selber war nicht wesentlich anders gewesen.
In den Gängen der COLUMBIA war es in den letzten Tagen deutlich leerer geworden. Neben den Verlusten der Raumschlacht fehlten natürlich auch die Marineinfanteristen, die jetzt am Boden die Evakuierung des POW-Camps sicherten. Außerdem hatten die technischen Dienste und die Sanitätsstelle Leute abstellen müssen. Trotzdem ging die Evakuierung alles anderes als planmäßig vonstatten, nach allem, was man hörte. Und zusätzlich waren Mannschaften auf die INTREPID und andere beschädigte Schiffe geschickt worden, um bei den Instandsetzungsarbeiten zu helfen. Das bedeutete zwar zusätzliche Arbeit für die verbliebenen Techs der COLUMBIA und auch die Piloten, aber fast jeder erkannte den Sinn dieser Einschränkungen: wenn die Akariis sich doch noch entscheiden sollten, eine Revanche für ihre Niederlage zu fordern, dann würde die TSN-Flotte besser kampfbereit und voll manövrierfähig sein – oder Graxon würde ihr Grab werden...
So weit gingen Kanos Überlegungen allerdings momentan nicht. Fürs erste war er froh, den Einsatzflug hinter sich zu haben. Er fragte sich allerdings, was Darkness oder Monty als nächstes einfallen würde, die Piloten zu schleifen. Die beiden ältergedienten Offiziere ergänzten sich da gut.

Er war bei seiner Kabine angelangt, öffnete die Tür und trat ein. Auch wenn dieses Quartier, das er und Crusader teilten, wesentlich komfortabler war als die Kabine, die er auf der REDEMPTION gehabt hatte, es war nicht besonders groß und rein zweckmäßig ausgestattet. Mit routinierten Handgriffen schnallte er die Pistolentasche ab, die zur Einsatzausrüstung gehörte und verstaute den Helm im Spind – als sich hinter ihm jemand räusperte. Überrascht wirbelte er herum.
Es war Kali, die es sich auf seiner Koje bequem gemacht hatte, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Als sie sein überraschtes und etwas fassungsloses Gesicht sah, lachte sie schallend los: „Mann, als hättest du ein Gespenst gesehen!“
Kano schüttelte grinsend den Kopf: „Schlimmer noch, ich dachte es wäre Monty. Der Mann ist schlimmer als Darkness – man übersieht ihn einfach zu leicht.“
Kali richtete sich auf, ein Funkeln in den Augen: „Willst du etwa behaupten, du hast mich für einen zu kurz geratenen, überalterten First Lieutenant gehalten, mit einem Fliegenfänger unter der Nase, einer Haltung als hätte er einen Ladestock verschluckt und einem Gesicht, das Milch sauer werden läßt?!“
Kano gab den Ball zurück: „Nur im ersten Augenblick, ehrlich.“ Er fing geistesgegenwärtig das Kissen ab, das ihm Kali an den Kopf warf.
„Treib es nicht zu weit...“ Kali rollte sich herum und war auf den Beinen. „Du fragst dich sicherlich, warum ich hier bin.“ Ihre Stimme klang zuckersüß.
„Helen…“ Sie unterbrach seinen Satz mit einem Kuss der einige Zeit dauerte. Anschließend hatte Kano vergessen, was er vorhin fragen wollte: „Crusader müsste eigentlich jeden Augenblick hier eintrudeln.“
Aber er ließ sie nicht los, und Kali schüttelte entschieden den Kopf: „Erstens weiß er – wofür wir uns bei dieser Schandschnauze Radio bedanken können – sowieso Bescheid. Und außerdem weiß ich mit absoluter Sicherheit, dass er in den nächsten zwei Stunden was Anderes zu tun hat…“
Kano küsste sie. Anschließend klang ihre Stimme etwas atemlos: „…weil ich es ihm nämlich nahe gelegt habe, sich mal anderswo zu beschäftigen!“
„Du hast ihm…“ Kanos Stimme drückte Unglauben aus, während Kali mit einem gefährlichen Lächeln nickte: „Genau.“ Dann löste sie sich kurz von Kano und sah ihn genau an, immer noch dieses Lächeln um die Mundwinkel: „Also, du Superflieger! Willst du weiter nur rumstehen?“ Sie stieß im spielerisch vor die Brust, einmal, zweimal, dann fing Kano ihre Arme ab. Die anschließende Rangelei konnte nur auf dem Bett enden.

***

Ungefähr eine Stunde später lagen beide nebeneinander, so gut das auf der recht schmalen Koje möglich war.
„Ich schulde Crusader etwas.“ Kano Stimme klang nachdenklich.
„Allerdings. Laß ihm doch in der nächsten Schlacht mal den Vortritt. Er ist doch auch so ein Jagdhund.“
„Dafür wäre er zu haben. Aber...“ Kano verzog den Mund: „...wenn es hier noch mal zur Schlacht kommt, dann werden wir uns bestimmt nicht die Abschüsse zuschieben können. So wie die Akariis eine auf die Nase bekommen haben, werden sie bestimmt mit aller Wucht zuschlagen.“
Kali stieß ihn in die Seite: „Sag mal, musst du immer an den verdammten Krieg denken?!“ Dazu fiel Kano keine passende Antwort ein, also küßte er sie lieber noch einmal. Das schien auch zu genügen.
Kali starrte zur Decke: „Was ich mir wünschen würde, wäre mal wieder etwas Freizeit. Ein paar Tage, nicht nur ein paar Stunden hier und da. Nicht diese ständige Bereitschaft Gelb oder Rot. Skunk und Radio helfen dem Alten ganz schön, uns auf Trab zu halten. Ein Wunder, daß ich mich mal so lange freimachen konnte und ihr auch nicht gerade im Raum rumkaroliert.“
Kano lächelte versonnen: „Ja ein Wunder.“ Kali sah ihn und lachte: „Also du machst dich wirklich langsam beim Süßholzraspeln.“

Sie redeten nur noch wenig, Belanglosigkeiten zumeist, genossen einfach das Gefühl der Geborgenheit und des Beisammenseins, vergaßen tatsächlich den Krieg – für kurze Zeit.
In diesem Augenblick war Kano felsenfest davon überzeugt, daß Alles gut werden würde. Und daß er absolut glücklich war. Kali ging es ähnlich.
Er überraschte sich selber, indem er Kali „für den nächsten Heimaturlaub“ einlud, doch auch einmal seine Familie in Japan zu besuchen. Kali fragte ihn leicht spöttisch, ob er damit irgendwelche weiterreichende Hintergedanken verband, weidete sich an seiner kurzen Unsicherheit und sagte dann lachend zu.
Ein Blick auf die Uhr beendete aber endgültig die knappe Zeit, in denen keiner von beiden an den Dienst – oder den Krieg gedacht hatte. Mit einem unterdrücktem Fluch kam Kali auf die Beine und zog sich hastig an – hielt aber kurz inne, als sie bemerkte, daß Kano ihr interessiert zusah: „Man sollte meinen, du hättest mich schon oft genug ohne Kleider gesehen...“ spöttelte sie.
Kano schüttelte lächelnd den Kopf: „Niemals.“
„Ihr Flieger, ihr denkt aber nur an eines... Kriege ich dann vielleicht auch mal die Gelegenheit?“
„Jederzeit. Aber wie sieht es mit deinem Dienst aus?“
„In den nächsten Tagen? Ich habe Glück, wenn ich mal zum Schlafen komme. Die Jarheads kommen mit ihrer Evakuierung einfach nicht voran und das verschiebt den ganzen Zeitplan. Und sie werkeln immer noch an der INTREPID rum – mal sehen, wann sie die endlich wieder kv haben. Bis dahin sind wir drann...“
Noch ein paar kurze Worte, ein schneller Kuß, dann war sie fort. Praktisch sofort danach fuhr Kano ziemlich zusammen, als das Interkom sich meldete. Wenn das irgendein Kamerad war, der sich einen Spaß erlaubte...
Aber es war Monty. Wie immer knapp, ja harsch teilte er mit, binnen zehn Minuten hätte sich Kano im Bereitschaftsraum zu melden – Eskorteinsatz von vier Maschinen für ein NIC-Shuttle, das sich noch einmal eines der Wracks genauer ansehen wollte.

Im Bereitschaftsraum waren bereits Crusader, Terry und Dutch anwesend, der sich mit Monty ein schweigendes Duell der Blicke lieferte – beide Männer empfanden nicht den geringsten Hauch von Sympathie zueinander. In letzter Zeit schien der Mantikorveteran sich wieder verstärkt in den Dienst zu fügen, seine Leistungen waren deutlich besser geworden, wie auch seine Einsatzmoral, aber das hatte den Aversionen, die Monty hegte, offenbar keinen Abbruch getan. Kano ließ sich auf den Stuhl neben Crusader fallen und kassierte schweigend Montys nebenher geäußerten Verweis, weil er der Letzte war.
Crusader grinste Kano eindeutig zweideutig an, enthielt sich aber eines Kommentars. Kano schüttelte kurz den Kopf – er würde schon noch was zu hören bekommen. Aber wenigstens war Crusader nicht so eine Tratschtante wie Radio. Dann erlaubte er sich ein versonnenes Lächeln – das fortgewischt wurde, als Montys unterkühlte Stimme durch seine Gedanken schnitt: „Finden Sie irgendetwas an meinen Worten amüsant?! Konzentrieren Sie sich gefälligst auf die Aufgabe!“
„Jawohl, Sir!“
„Möchte sein! Also Dutch, ich gebe Ihnen das Kommando – ist Ihnen klar, was das bedeutet?! Ich will keine...“
Der Krieg hatte Kano wieder.
Tyr Svenson
Ein neues Spiel in alten Händen

Ein letztes Mal flammte das Feuer auf, dann erstarb es endgültig. Die eisige Kälte des Weltraums hatte am Ende doch noch gesiegt. Von dem schweren Akariifrachter blieb nichts als eine erbarmungswürdige Hülle, die kaum noch zum Ausschlachten taugte. Dann kam die Breitseite eines terranischen Duquesne-Zerstörers ins Bild, der sich mit spielerischer Leichtigkeit bewegte, seinen geschlagenen Feind geradezu verhöhnend. Eine markige Stimme untermalte die Szenen: „Erneut wurde im Tonnagekrieg dem Gegner eine schwere Niederlage bereitet. Mit dem eben gezeigten Abschuß erreichte die Vernichtungsbilanz des letzten Monats die Marke von 200.000 Tonnen, die Erfolge durch Minen nicht mitgerechnet. Zusammen mit diesen werden die Verluste der Akarii auf mindestens eine Viertelmillion Tonnen geschätzt. Keine Wirtschaft kann solche Verluste auf Dauer wettmachen, auch nicht die des Sternenimperiums. Wie aus Navykreisen verlautete, gibt es ernste Hinweise darauf, daß der Gegner...“

Eine kaum merkliche Fingerbewegung unterbrach den begeisterten Rapport des Nachrichtensprechers. Der Bildschirm erlosch abrupt. Die Zuschauerin ließ sich mit einem müden Seufzen zurücksinken. Der Himmel draußen vor dem Fenster war ebenso dunkel wie der ausgeschaltete Bildschirm. Das Chrono zeigte Fünf Uhr.
Die Couchliege sollte Bequemlichkeit garantieren, doch die Frau schien sich keineswegs wohl zu fühlen. Ihr Gesicht wirkte bleich und die Lippen waren zusammengepresst. Für einen Augenblick legte sie den Kopf zurück.

Es war unübersehbar - Isabella Pavon war definitiv nicht in guter Verfassung, und ihre Laune war noch deutlich schlechter. Sie war zwar, endlich, aus dem Krankenhaus entlassen worden. Aber man hatte ihr öffentliche Auftritte quasi untersagt. Und was sie noch mehr ärgerte als dieses ärztliche Diktat war der Umstand, daß sie sich eingestehen mußte, daß dies seine Gründe hatte. Doch sie verabscheute es, hier zur Untätigkeit verdammt worden zu sein. Sicher, die Friedensbewegung, in der sie ungeachtet des Umstandes, daß sie keineswegs die Vorsitzende war, eine wichtige Rolle spielte, kam auch ohne sie aus. Nicht einmal ihre Partei war wirklich auf sie angewiesen. Auf der anderen Seite...
Pavon hatte es verstanden, die Neokommunisten in den letzten Jahren in einem recht riskanten Balanceakt stets auf der sicheren Seite zu halten, ohne daß die Partei dabei augenscheinlich ihre Ideale – was immer man von denen auch halten mochte – allzusehr dem Pragmatismus opferte. Sie hatte sich gegen die „Fundamentalisten“ durchgesetzt, durch die die IPKP leicht in offenen Konflikt mit der Regierung hätte geraten können. Immerhin predigte mehr als eine der Rebellengruppen auf den kleineren Welten eine Ideologie, die kommunistische Elemente hatte. Neben der Religion und dem Nationalismus war die soziale Utopie noch eine der großen Triebkräfte, mit der gewaltsame Protestbewegungen Propaganda machten. Zumindest mit den legalen Armen verschiedener planetarer Oppositionsbewegungen hatte die Partei gute Beziehungen, und im grauen Bereich zu den Terror- und Guerillaorgansationen gab es natürlich auch Verbindungen, auch wenn jeder Generalsekretär diese offiziell geleugnet hätte.

Pavon wollte echte Teilhabe an der Macht – für sich, denn sie glaubte wie so viele politische Führer jeden Spektrums daß sie die richtigen Vorstellungen hatte, aber auch für die Ideale ihrer Partei. Und da konnte sie Abenteuer nicht gebrauchen. Zumindest im Augenblick. In ihrer Jugend, daß gestand sie sich ein, hatte das anders ausgesehen. Ein stechender Schmerz in der Brust erinnerte sie daran, daß die Zeit der Abenteuer für sie endgültig vorbei war. Heute war sie die Vorsitzende einer interplanetaren Partei. Nicht gerade die unangefochtene Herrscherin, aber ihr Wort zählte.
Auf der anderen Seite hatte sie die „Realisten“ zurückdrängen können und müssen. Einige hohe Mitglieder hatten, teils aus persönlichen teils aus taktischen Gründen, einen uneingeschränkten Unterstützungskurs gefordert, als die Akarii losschlugen. Aufgabe der Opposition – unter Betonung gewisser Grundforderungen. Das Einschwören der Parteimitglieder auf den Krieg und den Sieg, die Parteiorgane sollten die Kriegsanstrengungen unterstützen. Nun, sie hatte diesen Dummköpfen klargemacht, daß ein Burgfrieden mit ihr nicht zu machen sei. Die Partei wäre an so einem Kurs zerbrochen, außerdem hätte es eine klare Absage an die bisherigen Parolen bedeutet. Sie war einen Mittelkurs gefahren, oft die ungünstigste von allen Alternativen. Aber in diesem Fall hatte es funktioniert, als die Unsicherheit und Unzufriedenheit auf Grund der militärischen Lage zunahm. Jetzt war sie Mitglied des Triumvirats, daß das eigentliche Herz des Pariser Paktes bildete. Und wenn auch Admiral a. D. Kimoto Ansehen und Gewicht bei den Militärs verkörperte, Andreas Ziegler die Randwelten einbrachte und auch für die gemäßigten Kräfte sprach, sie hatte von den dreien die größte politische Erfahrung. Vor allem, was die Arbeit in der Opposition anging. Und aus diesem Grund hätte sie die Wände hochgehen können, daß sie hier lag – nutzlos und mehr oder weniger kaltgestellt.

Manchmal fragte sie sich wirklich, ob nicht irgendein übereifriger Geheimdienstmann das Attentat auf sie in Auftrag gegeben hatte. Sie traute es der Präsidentin nicht zu, so einen idiotischen Fehler zu machen und Mord als Mittel zur Ausschaltung von Widersachern einzusetzen. Aber einige Hardliner der Republikaner oder auch der eine oder andere Demokrat mochte tatsächlich solche Dummheiten für angemessen halten, man konnte nie wissen, was in den Leuten vorging.
Sie zu ermorden war mißglückt, und die Friedensbewegung hatte durch das Attentat eher noch einen Auftrieb erhalten. Aber inzwischen machte Pavon sich Sorgen, ob auch alles in die richtige Richtung lief. Sie traute ihren „Partnern“, aber natürlich hatten sie ihre eigenen Ziele, und die waren nicht notwendigerweise die gleichen.
Dazu kam, daß die Schmerzen in Folge der Verletzungen ihr oft den Schlaf raubten. Die psychischen Folgen kamen noch hinzu – sie hatte mehr als einmal von dem Angriff geträumt. Es war jedes Mal schlimm gewesen, vor allem da es ein paar Mal nicht so gut ausgegangen war in Wirklichkeit. Jedes Mal war sie schweißgebadet und angsterfüllt hochgeschreckt. Und immer wieder, ob schlafend oder wachend, waren da die Panikattacken. Die Furcht, ein anderer könnte versuchen zu Ende zu bringen, was beim ersten Mal nicht funktioniert hatte. Das war wohl Unsinn – ihre Leibwache war aufgestockt worden und die Polizei war ebenfalls in höchster Alarmbereitschaft, denn ein weiterer Fehler dieser Art würde ihrem Image nicht eben gut tun. Die Presse saß ihnen ohnehin schon im Nacken. Aber solche Ängste hatten mit Rationalität sowieso nichts zu tun.

Also saß sie oft stundenlang vor ihrem Fernseher, vor allem nachts, wenn sie nicht schlafen konnte. Man hatte ihr Präparate verschrieben, aber der Gedanke, in einen Alptraum gefangen zu sein und nicht aufwachen zu können, war zu schrecklich. Das Programm war nicht eben geeignet, ihre Laune zu verbessern. Es freute sie natürlich, daß es augenblicklich für die Menschen gut zu stehen schien. Sie war nichts so für den Frieden – vor allem da die Akarii dieses Gemetzel angefangen hatten, und an seinem Ausbruch wenn nicht die Allein-, so doch die Hauptschuld trugen – daß sie Siege des Gegners gewünscht hätte. Aber die selbstgerechte und überhebliche Art der Berichterstattung, der Umstand, daß große Teile der Medien vor Militär und Regierung zu Kreuze krochen, widerte sie an. Siegfrieden – einziger Frieden, das war das Programm, welches heraus zu hören war. Und nach Pavon Meinung konnte nur ein Geisteskranker sich so etwas ausdenken. Gewiß, die Berichte von Graxon klangen gut. Und ihr war klar, so bald der Propagandaaparrat die erste Wagenladung ehemaliger POW’s ankarrte, die mit bebender Stimme und Tränen in den Augen für eine siegreiche Beendigung des Krieges eintraten, würden ihre Leute es schwer haben.
Aber eine Schlacht machte noch keinen Krieg, und die Überlegenheit der Akarii war davon nicht ernsthaft beeinträchtigt worden. Dafür würde noch einiges mehr geschehen müssen. Wie hatte Kimoto es doch ausgedrückt: „Sie haben noch nicht einmal wirklich angefangen zu kämpfen.“ Nein, ehe die Akarii am Ende waren, würden sie wohl erst einmal die Menschen richtig ernst nehmen. Und wenn ihre Home Fleet den Kampf aufnahm... Nun Pavon war keine Militärexpertin, aber sie konnte rechnen, und in den Frontberichten zwischen den Zeilen lesen.
Natürlich konnte man auch so argumentieren, und einige ihrer Parteikollegen taten genau das, daß es gerade deshalb richtig sei, sich jetzt hinter die Anstrengungen zu stellen. Um beim Sieg, den auch die meisten Mitglieder der IKPK für wünschenswert hielten, in der Reihe derer stehen zu können, die zum glücklichen Ende beigetragen hatten. Aber Isabella Pavon, die „Pasionaria“, glaubte nicht an diesen Sieg. Nicht nur aus ideologischen Gründen.
Jetzt wäre der günstige Augenblick für Friedensfühler gewesen. Jetzt, wo es gut stand. Keine zu weit gehenden Forderungen natürlich – so sehr das auch schmerzen mochte. Aber Frieden bekam man eben nicht umsonst. Und der Verzicht auf einen grandiosen Sieg war ihrer Meinung nach besser als die Hektakomben an Opfern, die er kosten würde. Es gab für die Menschen keinen echten Präzedenzfall für so einen Krieg wie diesen hier – das Ringen zwischen zwei Sternenreichen, die beide über das Schlimmste verfügten, was man an Waffen und Vernichtung ersinnen konnte. Und deshalb, so vermutete sie, ließen auf beiden Seiten die Militärs und viele Politiker jede Vernunft vermissen. Kein rationell denkender Mensch – und wohl auch kein Akarii – konnte eigentlich so einen Krieg für gerechtfertigt und sinnvoll halten.
Denn würde eine von beiden Parteien an den Rand einer Niederlage gedrängt – wer mochte wissen ob sie dann nicht einsetzte, was ihr zur Verfügung stand? Warum sollte eines der beiden stolzen und mächtigen Reiche, arrogant geworden und von der eigenen gerechten Sache überzeugt, nicht ALLE Register ziehen? Deshalb war es an der Zeit, Vernunft zu zeigen. Meinte Pavon. Aber das Militär, das zum ersten Mal in diesem Krieg wirklich siegreich war, die Präsidentin, die eingekeilt war zwischen Interessengruppen und den Streitkräften, mochten das vielleicht nicht erkennen.
Es waren dunkle Gedanken, mit denen Pavon sich herumschlug. Vielleicht, das hatte sie sich oft gesagt, war sie einfach zu pessimistisch. Aber wenn sie Recht hatte...

Doch im Augenblick konnte sie nichts tun als abwarten. Abwarten, daß diese Quacksalber sie gesundschrieben. Abwarten, daß sich etwas tat. Sie durfte nicht gehen, wohin sie wollte, sie durfte nicht tun, was ihrer Meinung nach richtig war – zum Teufel, sie durfte noch nicht einmal essen, worauf sie gerade Appetit hatte. All das summierte sich zu einer Mischung aus Resignation und Zorn. Wenigstens hielten ihre Leute sie auf dem Laufenden. Und Ziegler und Kimoto kümmerten sich zusammen mit ihren Leuten darum, daß die Friedensbewegung nicht zu sehr zurückfiel. Aber im Moment stand es nicht sehr günstig für die Stimme der Vernunft. Oder zumindest das, was die Angehörigen der Pariser Paktes bei allen Differenzen darunter verstanden. ,Wenn bloß die Leute auf der Straße in größerer Zahl nachdenken würden!‘ Aber der Vorsitzenden war klar, die Regierung blendete die Bevölkerung, indem quasi jede Woche ein neuer Held am Himmel auftauchte. Und nichts war beim Volk beliebter als Helden. Mochte es gestern ein Prinz gewesen sein, dann war es heute vielleicht ein Mädchen aus dem Volke, und morgen ein Soldat von den Randwelten. Möglichkeiten gab es viele. Nein, es waren wahrlich keine sehr angenehmen Gedanken. Auf der anderen Seite – ein Aufgeben kam sowieso nicht in Frage. Sie glaubte nicht an einen entscheidenden Sieg der Menschen. Zuviel sprach dagegen. Und eine Niederlage der Republik... Nun, in dem Fall war ihre politische Zukunft noch das geringste Problem.

Versunken in solche düsteren Gedanken registrierte sie erst spät, daß an dem Fernsprechgerät das Zeichen für ,eingehendes Signal‘ aufleuchtete. Sie runzelte die Stirn. Ein Memno aus der Parteizentrale? Unwahrscheinlich. Ihre Getreuen bemühten sich, sie zu schonen, und ihre Gegner fragten sie sowieso selten um Rat. Da mußte schon ein interner Parteiputsch ins Haus stehen, ehe man sie um diese Zeit anrief. Und die ganzen anonymen Drohbriefe kamen nicht an ihrer Privatadresse an, sondern bei einem Büro eine Etage tiefer, wo man auch die unwichtigen geschäftlichen Dinge erledigte. „Wer zum Teufel...“

Pavon unterbrach sich selber, als sie merkte, daß sie dabei war ein Selbstgespräch anzufangen. Wie schrecklich. Zweifelsohne eine Folge ihres ,Stubenarrests‘. Offenbar fing sie an, schrullig zu werden. Wo das noch hinführen mochte?
Mühsam stemmte sie sich hoch und drückte die Freischaltung. Alles besser als weiter die Wände anzustarren oder sich mit diesem ekelhaften und hirnlosen Hurrapatriotismus zu beschäftigen, der neuerdings als Nachrichten verkauft wurde. Die Regierung mußte ihre Leute aus der Werbebranche geholt haben, denn sie priesen Frontmeldung an wie eine neue Waschmittelsorte.

Das asiatische Gesicht, das auf dem Bildschirm erschien, war wirklich eine Überraschung. Bei allen bisherigen Kontakten hatte Ex-Admiral Kimoto sich äußerst reserviert verhalten. Nicht etwa, daß er ihr gegenüber Vorurteile zu haben schien, aber er war nun einmal Japaner und hatte seine altmodischen Vorstellungen von angemessenem Benehmen. Und ein Anruf um zwei Uhr in der Frühe bei einer Genesenden gehörte da definitiv nicht dazu. Zudem war ihm anzusehen, daß er aufgeregt war. Und das war er nicht einmal gewesen, als er von der geplanten Großoffensive der Republik erfahren hatte.
Dennoch fiel er nicht völlig mit der Tür ins Haus. Seine Wortwahl und die hastige Stimme waren aber auch alarmierend genug: „Madame Generalsekretärin, Stellvertretende Sprecherin.“ Er neigte knapp den Kopf. „Ich entschuldige mich für diese Störung, aber ich hatte keine Wahl. Es ist dringend.“ Pavon unterdrückte ein schiefes Grinsen. Dringend? So wie er sich benahm hätte man meinen können, er habe ein Angebot des Akarii-Kaisers über die Aufnahme von Friedensverhandlungen, bei denen der Pakt Schlichter spielen sollte. Aber Pavon hätte sich nicht jahrelang auf schlüpfrigem politischen Parkett bewegen können, wäre sie nicht in der Lage gewesen, sich den Umständen anzupassen. Auch verbal.
„Herr Sprecher – es ist mir eine Ehre. Und Sie stören überhaupt nicht. Was gibt es?“
Für seine bisherige Eile legte Kimoto jetzt ein untypisches Zögern an den Tag: „Ich würde vorziehen das mit Ihnen persönlich zu bereden. Herr Ziegler befindet sich ebenfalls auf dem Weg zu Ihnen, auf meine Bitte hin. Dies geht auch ihn, ja unsere ganze Sache etwas an.“

Die Generalsekretärin war nun wirklich verblüfft. Eine Ad-hoc-Konferenz sozusagen? Das klang WIRKLICH ernst. Auf der anderen Seite – wozu stehenbleiben, wenn man erst einmal auf dem Weg war. Es war immer besser, selber Marschrichtung und Geschwindigkeit – ganz zu schweigen vom Ziel – anzugeben, als Getriebener zu sein. Also reagierte sie gleichsam reflexartig: „Sobald Sie und Ziegler hier sein können, stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich sage unten Bescheid. Und stören Sie sich nicht an meinen Leuten. Die sind in letzter Zeit ein wenig paranoid geworden, aber das ist ja zu verstehen.“ Der Admiral nickte, verneigte sich kurz und unterbrach die Verbindung. Das Gespräch hatte weniger als eine Minute gedauert.

Pavon versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Konnte es sein, daß da etwas war, was man ihr nicht über öffentliche Kanäle mitteilen wollte? Oder war es etwas innerhalb der Bewegung? In der Regierungsnachrichten war weder von einem großen Sieg noch von einer großen Schlappe die Rede, aber vielleicht hatte ja Kimoto seine eigenen Verbindungen...
Nun, es gab nur einen Weg, dies herauszufinden. Wie sagte das Sprichwort: „Schmiede das Eisen, so lange es heiß ist.“ Und „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.“ Das war ja noch abzuwarten, ob sich aus den Neuigkeiten, worum auch immer es ging, nicht irgendein Nutzen ziehen ließ.

****

Eine Stunde später

Die drei starrten immer noch den dunklen Bildschirm an, obwohl die letzten Sequenzen der Aufnahme schon längst abgespielt worden waren. Vor ihrem inneren Auge sahen sie zweifelsohne immer noch die Bilder in ihrer abstrakten, grausamen Großartigkeit – und die Folgen, die sich daraus ergeben mochten. Isabella Pavon war keineswegs als Frau bekannt, die sich leicht einschüchtern oder ,unterkriegen‘ ließ. Immerhin hatte sie ein Leben in der Opposition hinter sich. Aber jetzt klang ihre Stimme heiser, und sie war noch blasser als durch ihren Gesundheitszustand ohnehin schon: „Ich gehe davon aus, daß Sie das Material überprüft haben.“
Die beiden Männer nickten. Ziegler hatte es als erster in die Hände bekommen, und sofort Kimoto benachrichtigt. Beide hatten dann ein paar Spezialisten befragt, auf deren Verschwiegenheit sie sich verließen. Sie hatten ihnen sowieso nur Abschnitte gezeigt. Die Authentizität war zweifelsfrei bestätigt worden.
Auch Kimoto wirkte erschüttert. Möglicherweise fragte er sich, welcher Wahnsinn seine ehemaligen Kollegen befallen haben mochte. Ziegler, der nun wahrlich Grund hatte, die Akarii zu hassen, sah vor seinem inneren Auge vermutlich ein halbes Dutzend weiterer Randwelten, auf denen nukleares Feuer alles Leben zu Asche verbrannt hatte.
„Ich frage mich – wie konnten sie nur so dumm sein? Das ist doch Wahnsinn! Geheimhalten läßt sich so etwas nicht, und wie sollen die Akarii denn dann noch mit uns Frieden schließen? EIN Wort davon bei ihnen, und die Rekrutierungsbüros werden gestürmt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß selbst die berühmte Kaltblütigkeit der Echsen DAS toleriert.“
Kimoto nickte bedrückt: „Wie konnten wir nur so tief sinken? Krieg ist immer schlimm genug, aber einen ganzen Planeten – für Nichts. Einfach ausgelöscht. Und die anderen haben genug Schiffe, um zurückzuschlagen. Ich verstehe es nicht, ich verstehe es einfach nicht. Wie kann man Jahre mit Leuten zusammenarbeiten, die so etwas anordnen können, und nichts davon merken?“
Pavon schürzte leicht die Lippen. Sie verstand, was Kimoto fühlte – nun, teilweise, sie hatte noch nie eine hohe Meinung von den CNO’s gehabt – aber sie war auch jemand, der zunächst an das Unmittelbare dachte. Und in diesem Fall bedeutete dies, zu überlegen, wie man daraus für die Republik und sich selbst noch Nutzen schlagen konnte. Sie fühlte selber Ekel und Abscheu vor der Regierung und dem Flottenstab – ausgeschlossen, daß die Präsidentin GAR NICHTS davon wußte – aber sie würde natürlich mit ihnen verhandeln, vielleicht sogar einen Kuhhandel abschließen, wenn das möglich war. Es lebe der Pragmatismus. Nun, wenn es für eine gute Sache war...

„Vielleicht wollte jemand damit alle Brücken hinter sich verbrennen.“, meinte Andreas Ziegler. Er schien zu überlegen: „Nach dem Motto, jetzt kann es nur noch heißen: Sieg oder Tod. Entweder wir siegen gemeinsam, oder wir hängen gemeinsam. Angesichts dessen könnte es nämlich schwerfallen, zu sagen, jetzt ist Frieden und alles wieder gut. Die Akarii können uns ja jetzt nur noch ein inakzeptables Angebot machen. Denn sie werden um jeden Preis verhindern wollen, daß wir so etwas je wieder anrichten können. Also können sie uns keinen ehrenvollen Frieden offerieren. Nur einen Diktatfrieden mit massiven Rüstungsbeschränkungen für unsere Streitkräfte. Zumindest sehe ich das so. Ihre Marine verliert doch durch so etwas völlig das Gesicht. Sie hat sich als unfähig erwiesen, ihre Welten zu schützen. Das müssen sie wiedergutmachen. Allerdings – wer weiß was in den Echsen vor sich geht. Ich hätte ja auch nicht gedacht, daß sie den Blödsinn anfangen.“
Kimoto lachte bitter: „Das deutet eher darauf hin, daß sie sich ohnehin durch uns bedroht und eingeengt fühlten. Was meinen Sie, was die jetzt denken dürften, nachdem wir ihnen das angetan haben?“
Pavon unterbrach den psychologisch-xenographischen Disput. Wie so oft machte sie sich mit ihrem geschulten politischen Instinkt zur Richtungsweiserin: „Nun, ich sehe jetzt nur noch einen Ausweg – mehr denn je. Frieden, so bald als möglich, und so lange wir noch einen Funken Hoffnung haben. Ja, die Chancen dafür sind denkbar schlecht. Selbst wenn man unseren Sieg bei Graxon mitrechnet. Allerdings, die gefangenen Akarii sind auch ein gutes Faustpfand, nehme ich an. Vor allem, da die Akarii sich jetzt ausrechnen können, daß es menschliche Kräfte gibt, die zu jeder Bestialität fähig sind. Und die Echsen wiederum haben einen Teil der ,Ware‘ verloren. Überdies halten wir ja jetzt immerhin ein, wenn auch unbedeutendes, System. Und mit Hilfe der Aufnahmen können wir vielleicht diesen Schwachköpfen so viel Feuer unter dem Hintern machen, wie sie es verdienen.“ Sie fing einen Blick von Kimoto auf: „Na gut. Sagen wir mal – wir können anfangen, ihnen ein wenig von dem zu geben, was sie verdienen. Ich schlage folgende Vorgehensweise vor...“,
Im Grunde war es natürlich höchst zweifelhaft, ja illegal, was sie hier trieben. Auch wenn die drei de facto die Führung des Paktes bildeten, auf dem Papier waren sie nur die Vertreter von Fraktionen beziehungsweise Interessengruppen. Aber andererseits war dies hier zu heikel, um es an die große Glocke zu hängen.

Selbst für den Sprecher der größten Oppositionsbewegung – die Republikaner verdienten diese Bezeichnung im Augenblick nur bedingt – war es alles andere als leicht, eine Audienz bei der Präsidentin zu erhalten. Natürlich war der Pariser Pakt ein rechtes Ärgernis für die Regierung geworden, und man nahm ihn offenbar ernst. Andererseits wollte man nichts weniger als das Bündnis aufwerten, da man so eingeräumt hätte, daß man es mit einer politischen Gruppe zu tun hatte, die nicht unberücksichtigt gelassen werden durfte. Glücklicherweise hatte der ehemalige Admiral noch einige Fäden, an denen er ziehen konnte. Aber auch so hatte es etliche Tage gedauert, in denen die Anspannung der „Verschwörer“ ständig gestiegen war. Sie spielten auf Risiko, und das war ihnen auch bewußt. Sie alle waren das gewöhnt oder meinten, der Einsatz rechtfertige das Wagnis. Doch sie waren keine erfahrenen Hasardeure, und deshalb schien die Zeit wie eine Ewigkeit.
Doch schließlich gab auch die unbezwingbare Bürokratie des präsidialen Palastes nach, und Exadmiral Kimoto konnte „ihrer Majestät Patricia Birmingham I.“, wie die Presse der Kriegsgegner die Staatschefin teilweise nannte, seine Aufwartung machen. Die Sicherheitskontrollen ertrug er mit stillem Humor – als ob gerade er der rechte Mann gewesen wäre, ein Attentat zu vollbringen.
In Kriegszeiten war die Präsidentin bei weitem nicht so leicht erreichbar wie sonst. Der Secret Service rotierte geradezu vor Angst, ein als Reporter getarnter Akarii könnte die Oberbefehlshaberin der Streitmächte auf einer Pressekonferenz umbringen, oder was sich die Echsen sonst noch ausdenken mochten. Deshalb wurde auch ein so „harmloser“ alter Herr wie der frühere Admiral genau überprüft. Und man behielt ihm argwöhnisch im Auge.

Kimotos Verbeugung vor der Präsidentin war formvollendet, wenn auch eine Spur weniger tief, als eigentlich angebracht war. Er erwartete nicht, daß sie dies erkannte, aber es schien ihm der richtige Auftakt für dieses Gespräch. Seine Achtung vor der Frau, die ihn empfing, war erheblich gesunken.
„Kimoto-san, es ist mir eine Freude, Sie hier zu begrüßen.“
Der ehemalige Militär neigte leicht den Kopf: „Die Freude und die Ehre ist ganz auf meiner Seite.“ Er meinte dies nicht unbedingt ernst, doch stammte er aus einem Volk, daß viel auf korrektes und höfliches Verhalten gab.
„Es freut mich sehr, daß Sie Zeit für mich gefunden habe, Frau Präsidentin. Ich weiß, daß Ihr Zeitplan sehr ausgefüllt ist, und störe sie nur ungern. Dennoch denke ich, daß es notwendig ist.“
Die Staatschefin unterdrückte mühelos eine Grimasse. Notwendig? Kimoto und seine Verbündeten waren nur ein Stolperstein von vielen, bei weitem nicht der größte, wenn auch lästig. Und bei den bisherigen Grundpositionen war eine Verständigung mehr als unwahrscheinlich.
Bedachtsam und gelassen öffnete der Japaner die Aktentasche, die er bei sich trug. Sie war natürlich auch durchleuchtet worden. Er zog einen Stapel Bilder heraus und legte sie vor die Präsidentin hin: „Dieses Material stammt von einem Film, der uns zufällig in die Hände gefallen ist. Wir haben ihn überprüft und unsere Experten sind sich sicher, daß das Material authentisch ist. Ich möchte betonen, wir haben mit der Verbreitung dieses Material nichts zu tun, aber offenbar kursiert es auf dem Schwarzmarkt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es an die Öffentlichkeit kommt.“
Patricia Birmingham wollte schon die angedeutete Erpressung entrüstet ablehnen, ohne auch nur das Material in Augenschein zu nehmen. Sie wußte nicht, was dermaßen bedeutsam seien konnte. Doch als sie die ernste Miene ihres Gesprächspartners sah, betrachtete sie wenigstens das erste Bild. Dann das zweite. Und alle anderen.

Kimotos Gesicht konnte nur als „steinern“ beschrieben werden: „Sie wissen, was darauf zu sehen ist. Laut den Informationen handelt es sich bei dem Ziel um Troffen, eine unbedeutende Agrarwelt der Akarii. Und die feuernden Schiffe sind ganz eindeutig terranische Einheiten. Nach unseren Analysen ist selbst im günstigsten Fall mit hunderttausenden von Toten zu rechnen. Akarii zwar – aber fast alle Zivilisten. Ihnen sind die Implikationen und Folgen klar. Für uns wie im Imperium.“
Jetzt heuchelte er keine Ehrerbietung mehr, verbarg aber das Ausmaß seiner Abscheu weiterhin: „Dies soll keine Drohung von unserer Seite sein, WIR würden das Material an die Öffentlichkeit bringen. Das würde einigen Kräften den lang ersehnten Vorwand liefern, gegen unsere Bewegung vorzugehen. Aber Ihnen ist sicher klar, daß sich dergleichen einfach nicht auf Dauer geheimhalten läßt. Die Frage ist, wie wir DANN reagieren werden, und vor allem, wie Sie das der Bevölkerung erklären wollen.“

Die Stimme der Präsidentin klang fast erstickt: „Unmöglich. Das ist eine Fälschung.“ Der ehemalige Admiral verzog keine Miene: „Das bezweifle ich. Es spricht viel dagegen. Das hier ist kein Material aus einem schlechten Kriegsfilm – vor allem hätte man sich dann als Hintergrund nicht gerade eine Welt ausgesucht, deren Name so gut wie unbekannt ist. Ich halte das sehr wohl für echt, und ich bin sicher, Ihre Experten werden zu demselben Schluß kommen.“ Unausgesprochen blieb, daß er der Präsidentin vorwarf, sie würde entweder ihn belügen, oder sich selbst.
„Angesichts dieser Lage hält es unser Bündnis für unbedingt nötig, daß sofort Verhandlungen mit den Akarii begonnen werden – auf einer Basis eines Friedens ohne gegenseitige Anschuldigungen. Die Akarii haben uns überfallen und Manticor bombardiert. Aber alle moralischer Überlegenheit unsererseits ist auf Troffen verbrannt. Wenn Sie auf meinen Ratschlag hören, ich und appelliere an Sie, dies zu tun, dann versuchen Sie einen Frieden zu machen, so lange dies VIELLEICHT durch die Siege unserer Truppen noch möglich ist. Denn einen Triumph unserer Seite werden die Akarii nach diesem Angriff nicht hinnehmen können. Und wenn sie erst Vergeltung üben, ist auch für uns ein Verständigungsfrieden unmöglich. Die Zeit ist knapp, wenn es überhaupt noch Hoffnung gibt.“

Es fiel der Präsidentin schwer, ihre Gedanken zu ordnen. Der Schlag war unerwartet gekommen, aus einer Richtung, aus der sie keinen Angriff erwartete. Sie reagierte beinahe in Panik: „Wollen Sie mir drohen?“ Zischte sie wütend.
„Nein. Nur Sie warnen. Wenn das öffentlich wird – und ich glaube nicht, daß Sie es bis nach dem Krieg geheimhalten können, FALLS es ein Nachher gibt – wird man einen Schuldigen suchen. Wir könnten eine Einigung treffen, daß wir uns zurückhalten mit unserer Politik. Eigenmächtigkeit des Militärs – ich weiß ja selber, wie es dort mitunter zugeht. Aber ich rate Ihnen dringend, bringen Sie die Generale unter Kontrolle. Und verhandeln Sie über Frieden. Oder die Dinge können eine Dynamik gewinnen, die uns alle hinwegspülen.“
Und mit diesen Worten erhob er sich: „Frau Präsidentin.“ Der ehemalige Militär verbeugte sich: „Urteilen Sie weise und mit Bedacht. Und überlegen Sie, wer wirklich Ihre Feinde sind.“
Birmingham machte eine schwache Geste, ein paar nichtssagende Worte, und der Sprecher des Pariser Paktes war entlassen. Ihre Gedanken überschlugen sich förmlich. Sie bemerkte die verstörten Gesichter der Mitglieder des Secret Service. Sie hatten wohl genug mitbekommen.
Was war geschehen? Und wie sollte sie reagieren?
Tyr Svenson
Angriff auf die Station

CIC der ONTARIO
Im Orbit um Pasumata IV, Pasumata-Sektor

Igor Maleetschev beobachtete die Anzeigen der Kriegsschiffe, Jäger und Bomber, die unablässig ihre Angriffe auf die akariische Raumstation geflogen hatten und sich jetzt ein Stück von ihr zurückzogen.
Es war geschafft.
Die Station war sturmreif geschossen worden, was schwieriger gewesen war, als zunächst gedacht. Da sie nicht genau gewusst hatten, wie stark die Schilde waren, hatten sie vorsichtig vorgehen müssen und das Orbitalfort mit ihren Exocet oder Mavericks nicht gleich in Trümmer zu legen. Erst hatten die Schiffe mit den stärkeren Raketen die Schilde entscheidend geschwächt, so dass die Jäger und Bomber gezielt die Raketenstellungen und Geschütztürme ausschalten konnten. Dann hatten sie sich den Schildgeneratoren gewidmet und die Sensorphalanxen vernichtet. Vollkommen ohne Konsequenzen war das nicht für die Station ausgegangen. Glimmende Krater überzogen die angegriffenen Stellen und an der einen oder anderen Stelle zeugten rußgeschwärzte Raketentrichter vom Angriff der Terraner. Das ewige Vakuum des Weltalls hatte alles Feuer, alle Luft und alle Toten verschluckt. Und somit lag die riesige Raumstation nun endlich wehrlos vor Ihnen und konnte gestürmt werden.
Igor hatte sich immer noch nicht mit dem Gedanken abgefunden, dass sie ihre Marines doch in einer seiner Meinung nach äußerst risikoreichen Mission schickten. Selbst wenn die Aussagen des Gefangenen Jagdpiloten der Akarii richtig sein sollten und es nur eine Kompanie Akariis an Bord gab, so waren sie immer noch erheblich im Vorteil. Sie kannten jeden Winkel des Schiffes, hatten sicher Fallen aufgestellt und warteten nur darauf, dass die `Hooorray` brüllenden Marines in diese hinein laufen würden.
War es das wirklich wert?
Igor konnte diese Frage nicht beantworten, sein Gewissen nagte an ihm. Und doch, als er das Wort an Captain Singh und Commodore Garribeaux richtete, war keinerlei Zögern, keinerlei Widerstand in seiner Stimme zu erkennen. Und er hasste sich dafür selbst.
„Sir, die Akarii-Station ist wie befohlen sturmreif geschossen worden. Wie lauten ihre weiteren Befehle?“ fragte er förmlich, als ob er nicht genau wüsste, was jetzt geschehen würde.
„Sehr gut, Eins-O. Mein Kompliment an alle Einheiten. Geben Sie den Befehl zum Angriff.“
Igor nickte nur kurz und schluckte. Sein Gewissen meldete sich für einen kurzen Augenblick. Jetzt war es also so weit. Es würde sein Befehl sein, der wahrscheinlich Hunderte ihrer Marines in den Tod schicken würde.
Konnte er es noch verhindern?
`Befehl ist Befehl` schoss es ihm durch den Kopf und während er den Kanal zu Brevet-Major Chabiz öffnete, spürte er zum allerersten Mal was das Wort `Verantwortung` für einen Offizier wirklich bedeutete. Er entschied über das Leben oder Sterben Hunderte von Kameraden. „Major, beginnen sie mit ihrem Angriff. Viel Erfolg!“
„Danke, Sir. Wir werden den bisher größten Sieg in diesem Krieg im Namen der Koalitionstruppen holen und diese wehrlose Station übernehmen.“
Während ihr Bild vom Bildschirm verschwand, wanderte Igors Blick hinüber zu der mächtigen Raumstation. Eine kleine Stadt lag da vor Ihnen und Igor wurde den Gedanken nicht los, dass diese nicht ganz so wehrlos war, wie sie alle dachten.
Doch jetzt und hier blieb ihm nichts anderes übrig als nervös auf die Anzeigen zu blicken, genau wie Singh und Garribeaux. Sie alle waren nur noch Zuschauer, nur noch Zeugen einer womöglich historischen Schlacht.
Es würde sich nur noch zeigen müssen, ob es ein historischer Sieg oder eine niederschmetternde Niederlage werden würde.

*****

Haupthangar der Raumstation „KRIL PARAM“,
Im Orbit um Pasumata IV, Pasumata-Sektor

Oberst Korr Barthu persönlich begutachtete die letzten Vorbereitungen seiner Männer auf den bevorstehenden Angriff der Menschlinge. Eine Handvoll Soldaten brachten noch ein paar Sprengfallen an strategisch wichtigen Stellen an, andere errichteten Barrikaden.
Niemand schien auf den Hochdekorierten Offizier in voller Gefechtsrüstung zu achten, der aus dem Hauptfahrstuhl gekommen war und nun vom Rande des Haupthangars aus die Vorbereitungen begutachtetet. Niemand bis auf einen, der sich wieder kurz hinter dem Oberst aufgestellt hatte. Doch diesmal hatte sich Hauptmann Shiram sich nicht anschleichen können. Noch bevor er ein Wort sagte, richtete Barthu, ohne sich umzudrehen, das Wort an seinen Hauptmann.
„Wie laufen die Vorbereitungen, Hauptmann Shiram?“
Kiral Shiram bleckte die Zähne. Dieses `Spiel` zwischen ihm und seinem Oberst war eine Art Wettstreit zwischen den beiden und dieses Mal hatte er verloren. „Wir sind bereit, Lordoberst Barthu.“
Jetzt erst drehte sich der Kommandeur der KRIL PARAM zu seinem Untergebenen um. „Du klingst nicht sehr enthusiastisch, Shiram!“
„Mein Herr, ich weiß nicht, ob es in unserer jetzigen Situation angemessen ist, Enthusiasmus zu zeigen“
Oberst Barthu schüttelte den Kopf „Du enttäuschst mich, Hauptmann. Eine unserer Hauptaufgaben liegt darin, die Kampfesmoral unserer Truppen zu stärken. Wir haben mehrere Infanteriezüge mit Matrosen und anderen Freiwilligen aufgestellt. Es ist wichtig für diese Männer, dass wir mit gutem Beispiel voran gehen und sie motivieren. Pessimismus wird uns aber nicht dabei helfen.“
Beim Wort `Freiwillige` hatte Hauptmann Shiram fast laut auflachen müssen. Diese armen Schweine waren im Grunde zwangsverpflichtet worden und bereits so gut wie tot. Während die regulären Akarii-Infanteristen in gepanzerten, vakuumversiegelten Kampfrüstungen antraten, waren die Freiwilligen quasi nur mit den Resten ausgestattet worden. Nicht das sie nicht auch würden ordentlich austeilen können. Doch jeder Druckverlust, jeder stärkere Beschuss oder jede durchschlagkräftigere Granate würde sie davon fegen.
Doch Shiram ging nicht weiter auf die Worte seines Vorgesetzten ein, sondern verbeugte sich leicht. „Ja, mein Oberst.“ Er hatte mit eigenen Augen gesehen, dass es keinen Sinn machte, sich gegen diesen Betonkopf zu stellen.
Beide wussten, dass die Stärkung der Kampfesmoral nicht darüber entscheiden würde, ob sie den zu erwartenden Enterangriff der Menschen würden abwehren können. Die Geheimdienstdaten hatten eine mindestens dreifache Übermacht der Feinde analysiert, wenn nicht sogar mehr. Zudem hatte das Bombardement einiger der Verteidiger, vor allem bei den Besatzungen der Raketen- und Laserstellungen bereits das Leben gekostet.
Die Lage war also schwierig, doch nicht aussichtslos.

Ein paar Augenblicke standen die beiden Offiziere nebeneinander, dann durchbrach Barthu die Stille. „Hast Du Leutnant Keel mit dem Sonderauftrag beauftragt?“
„Ja, mein Oberst. Wir haben alles so vorbereitet, wie sie es befohlen haben.“
„Gut! Hoffen wir für Ihn, dass er seine Ehre durch diesen Einsatz wieder herstellen kann.“
Shiram antwortete nicht darauf. Wie in so vielen Dingen war er anderer Meinung was den von dem alternden Offizier so strapazierend häufig verwendeten Ehrbegriff anging.
Wieder war es Oberst Barthu, der die eingetretene Stille zwischen den beiden Offizieren unterbrach „Und glaubt Du, dass deine Männer diesem Kampf gewachsen sein werden?“
„Ich glaube, dass es ein harter Kampf werden wird, Oberst.“ Kiral Shiram wich der direkten Frage bewusst aus. Auch wenn der Feind in der Überzahl war, hatten sie ihre Chancen.
Doch letztendlich hatten sie nur eine Kompanie. Eine einzige Kompanie an Infanteristen die eine Raumstation in der Größe einer Kleinstadt gegen eine noch unbekannte Zahl an feindlichen Kriegern zu verteidigen hatte. Er wusste schlicht und einfach nicht, wie gut sie sich schlagen würden, aber natürlich hoffte er das Beste
„Ich hoffe auf einen harten Kampf, Hauptmann. Nur so können wir unseren Wert für den Imperator unter Beweis stellen. Ehre dem Imperator!“ Und damit machte sich Oberst Barthu auf den Weg um weitere Abwehrmaßnahmen zu inspizieren.

Kiral Shiram blickte ihm nachdenklich hinterher.
Dass Barthu ein Betonkopf der alten Schule war und ein solch extremer Vertreter der Hardliner unter den Akarii, dass er zur Sicherheit in die tiefste Provinz geschickt worden war, dass hatte Shiram gewusst. Barthu war zu bekannt und zu einflussreich, um ihn in den Ruhestand zu versetzen. Und daher hatte man ihn an einen möglichst ruhigen Ort verfrachtet. Selbst Hauptmann Shiram hatte man damals vor seiner Versetzung hierher mit deutlichen Instruktionen versorgt, für den Fall, dass Barthu seinen Posten verlassen würde, um irgendwie an die Front zu kommen. Doch dass stattdessen die Front zu ihm kommen würde, hatte keiner seiner Vorgesetzten geahnt, die den Oberst und seine loyalsten Anhänger wie Kapitän Talohn und Commander Nurrka für lebende Zeitbomben gehalten hatten.
Wie Recht Sie mit ihrer Einschätzung letztlich gehabt hatten, hatte sich nicht zuletzt vor Pasumata V gezeigt.
Statt auf den Entsatz von Kapitän Kuusta zu warten, der per Translichtsignal informiert worden war hatte der Oberst die Staffel und die letzten Verteidigungsschiffe in den Tod geschickt. Ein in Shirams Augen unnützes Opfer.
Bald würde sich zeigen, ob es durch den Angriff der Weichhäute nicht noch viel mehr unnütze Opfer geben würde. Es musste sich nur noch zeigen, auf welcher Seite.
“Sollen sie nur kommen“ grinste Hauptmann Shiram düster vor sich hin, während er sich auf den Weg machte um weitere Vorbereitungen für den bevorstehenden Angriff einzuleiten. `Wir haben noch einige Überraschungen für sie in petto.`

*****

Shuttle ONTARIO-3, Im Anflug auf Raumstation
Im Raum um Pasumata IV, Pasumata-Sektor

Lieutenant Hue Xha Bao blickte sich im engen Frachtraum des Transportshuttles um. Sein Platoon war in voller Stärke angetreten, 35 Männer und Frauen deren Gesichter nur schwach durch die Visiere ihrer Kampfhelme zu sehen waren. Doch Hue musste nicht in ihre Gesichter schauen, er konnte sich die Mischung an Aufregung und Entschlossenheit in Ihren Augen sehr gut ausmalen.
Sie waren Terran Republic Marines, seit ihren Ursprüngen eine der besten Einheiten der Streitkräfte. Für diesen Augenblick waren sie ausgebildet und trainiert worden. Bereit um für ihre Heimat in die Schlacht zu ziehen.
Elegant und flüssig schritt der Lieutenant die Reihen seiner Marines entlang, auch wenn ihn der einigermaßen sperrige Kampfpanzer den er trug, eigentlich behindern musste. Doch der vakuumversiegelte Kampfanzug schien ihn kaum zu behindern, hatte ihn sein Träger doch schon so oft getragen.
Er schien selbst durch die Panzerung eine selbstsichere Haltung auszustrahlen, die beruhigend auf seine Leute wirkte.
Wenn man aus den Slums von Tschunking stammte, war dies keineswegs selbstverständlich. Dort waren den jungen, armen Jugendlichen in der Regel nur zwei Wege aus diesem Slum möglich. Der eine führte sie nach ein paar Bandenkriegen oder einer zweifelhaften kriminellen Karriere entweder Zwei Meter unter die Erde oder ins Kittchen, was in diesen Gegenden langfristig aufs selbe hinaus lief. Oder man wählte den anderen Weg, fort aus den Slums mit Hilfe der Armee. Seit jeher rekrutierten die Armeen der Erde ihr niedrigstes Kanonenfutter aus ihren Slums und Armenvierteln. Und während die Offiziersränge zumeist den Reichen, Einflussreichen oder Intelligenten vorbehalten waren, strömte das gemeine Fußvolk in Scharen in die Rekrutierungsbüros und ließ sich als entbehrliche Masse ebenfalls in den Tod treiben. So oder so, wer aus diesen Slums stammte, hatte in der Regel eine geringe Lebenserwartung, nur wenige kamen aus diesem Teufelskreis lebend heraus.
Hue war einer dieser wenigen.
Nicht nur, dass er es zu den Marines geschafft hatte, auch das war nicht selbstverständlich. Er war sogar einer der seltenen Fälle, die es bewerkstelligt hatten, sich von einem einfachen Soldaten bis zum Lieutenant hochzuarbeiten. Konsequent, fleissig und ehrgeizig. Die Stufen vom einfachen Soldaten zum Sergeant hatte er in Windeseile geschafft, hatte sich vor dem Angriff der Akarii in einigen Kriseneinsätzen bewährt und hatte Führungspotenzial gezeigt. Dabei war er seinen Vorgesetzten so positiv aufgefallen, dass er die Gelegenheit bekam einen Lehrgang zum Lieutenant zu absolvieren.

Er war in der zweiten Woche der Fortbildung gewesen, als die Akarii Mantikor angegriffen hatten und der Krieg begonnen hatte. Er hatte auf der Stelle seinen Lehrgang abbrechen und zu den Truppen gehören wollen, die zurückschlagen wollten, so wütend war er über diesen heimtückischen Überfall gewesen. Doch trotz der Neutronenbomben von Mantikor hatten sie es ihm mit dem Hinweis darauf verweigert, dass sie gute Offiziere noch brauchen würden.
Umso enttäuschter war Hue gewesen, als er nach Abschluss seiner Prüfungen zum 2nd Lieutenant den Befehl über eines der Platoons eines Schiffes bekam, welches „nur“ der sechsten Flotte zugewiesen war. Er hatte immer gehofft es den Akarii eines Tages an der Front heimzahlen zu können, ihnen zu zeigen, dass sie nicht einfach daher kommen und die Menschen mit ihren ekligen Krallenfüssen treten könnten.
Doch er hatte lange Zeit darauf warten müssen.
Und heute war dieser lang ersehnte Augenblick endlich gekommen. Sie befanden sich im Kampfanflug auf die Raumstation der Akarii und würden Ihnen zeigen, aus welchem Holz Sie geschnitzt waren.
Drei volle Kompanien an Terran Republic Marines und eine weitere Kompanie der Presidents Storm Infanterie, insgesamt also 12 Platoons in genau so vielen Sturm- und Transportshuttles waren auf dem Weg die Station einzunehmen, die derzeit nur von einer einzigen Kompanie von Akarii-Infanteristen verteidigt wurden. Hue hoffte, dass eine vierfache Übermacht reichen würde, um die Akariis zu überwinden. Zudem hatten die Kampfschiffe und Bomber die Station ja schon sturmreif geschossen. Mit ein bisschen Glück hatten sie vielleicht sogar noch ein paar der Infanteristen erwischt.
Trotzdem machte sich Hue nichts vor, das war noch immer ihre Station und sie hatten den Heimvorteil. Den würden sie sicher nicht so einfach aus der Hand geben. Zudem hatte er gehört, dass die Akarii zähe Kämpfer waren. Es würde also nicht einfach werden.
„Lt. Bao, machen sie ihre Leute bereit, wir docken in zwei Minuten an.“ Meldete sich der Pilot auf der Platoonfrequenz.
„Ihr habt´s gehört Leute“ rief Bao und schritt vom hinteren Ende des Shuttles die Reihen seiner Marines in Richtung des Shuttle-Cockpits vor. „Zwei Minuten noch, Waffen laden und entsichern. Ich will einen mustergültigen Ausstieg sehen, IST DAS KLAR?“
„JAWOHL, SIR“ schallte es durch den Funk und auch wenn Hue die Gesichter seiner Leute durch die Helmvisiere nur bei einigen sehen konnte, erkannte er dafür in diesen gespannte Nervosität, aber keine Furcht. Der Augenblick ihrer Bewährung war jetzt gekommen.

Dann, wie aus dem Nichts, ging ein heftiges Rucken durch das Shuttle. „Was zum…“ murmelte Hue, während er sich an einer Verstrebung festhielt. Die Zeit zum Andocken war noch nicht einmal annähernd erreicht, warum also dieses Wummern?
Dann wechselte die Farbe des Lichts in dem Transporthangar von dem leichten Blauschimmer in ein sattes Rot, das Zeichen zum Aussteigen durch die Schleuse.
„Was zur Hölle geht da bei euch vor?“ stiess Hue wütend aus und öffnete die Tür zum Cockpit. Er bekam keine direkte Antwort und sah stattdessen, wie eine Rakete an einem ihrer Schilde explodierte.
„Täuschkörper erfolglos… Annäherungsalarm… Schilde kollabieren… Lieutenant, schaffen sie ihre Männer RAUS…“ schrie der Shuttlepilot voller Panik.
Hue brauchte einen Augenblick um zu begreifen, was vor sich ging.
Sie wurden beschossen! Die Station hätte wehrlos vor Ihnen liegen sollen, aber sie war es offensichtlich nicht. Doch wer jetzt auf sie feuerte war irrelevant.
„RAUS; RAUS; RAUS…“ schrie Hue seinen Männern an der Sprungschleuse zu und sah, wie sie endlich reagierten und mitsamt Waffen und Gepäck aus der Sprungschleuse sprangen, ähnlich den antiken Fallschirmspringern auf Terra während früherer Kriege, wenn sie aus hoher Höhe auf feindliche Stellungen abgeworfen wurden.
Hue hatte alte Dokumentationsfilme über diese antiquierte Taktik gesehen und konnte es nicht fassen, dass sie jetzt auch dazu gezwungen wurden, dieselbe für seine Männer äußerst gefährliche Taktik anzuwenden. Zwar hatten die Space Marines keine Fallschirme wie früher, was im Weltall auch nicht das Geringste genützt hätte, sondern trugen stattdessen Sprungtornister auf dem Rücken mit denen Sie, wenn auch nur auf kurzen Strecken, im All manövrieren konnten.
Aber Hue betete jetzt schon, dass sie mittlerweile nahe genug an der Station heran waren, sonst würden die Schubdüsen nicht ausreichen und sie wie Metallschrott um den Orbit kreisen. Und in diesem Falle wären sie so gut wie tot, da ihre Lebenserhaltungssysteme sie zwar zumindest vor dem eisigen Vakuum des Weltalls schützten, aber nicht darauf ausgelegt waren, das auch über eine längere Zeit zu tun.

Doch wie es schien, war das im Moment nicht ihr einziges Problem.
Eine weitere Rakete schlug auf und durchbrach diesmal den kläglichen Rest ihrer Schilde, explodierte an der linken Flanke des Shuttle und riss eine beträchtliches Loch aus dem die Luft des Shuttles schlagartig entwich.
Während er die fast schon plärrende Stimme des Piloten in seinem Helm vernahm, musste Hue direkt vor sich mit ansehen, wie vier seiner Leute von der Wucht der Detonation in Stücke gerissen wurden. Ihre Einzelteile flogen wild durch den sich langsam leerenden Transportraum und Hue musste bei dem Anblick eines davon wirbelnden Armes schwer schlucken.
Doch es kam noch schlimmer. Zwei seiner Männer, die nicht weit entfernt von ihm standen, wurden durch die Explosion von ihren Positionen gehoben und mit der schlagartig entweichenden Luft des Shuttles nach draußen gesogen. Einer der beiden kollidierte dabei mit den Rasiermesserscharfen Kanten des nach innen zeigenden Einschlagsloches und wurde dabei förmlich geköpft. Das aus der Halsschlagader pulsierende Blut kristallisierte Augenblicklich bis der Rumpf des toten Marine komplett hinausgesaugt wurde und eine Blutfontäne verspritzend von der Schwärze des Alls verschluckt wurde. Den anderen traf es mindestens ebenso schlimm, als sein Sicherungsseil ebenfalls aus der Wand gerissen wurde und sein Körper auf seinem Weg nach draußen von oben bis unten aufgeschlitzt von den Metallkanten aufgeschlitzt. Innerhalb eines Sekundenbruchteils schienen seine inneren Organe förmlich ins All zu explodieren, dann wurde der Rest seines Körpers schock gefroren. Hue war von diesem Anblick dermaßen erschüttert, dass er unter Schock stehend sich gar nicht bewusst wurde, dass sich dieser Anblick tief in sein Gedächtnis eingebrannt hatte.
Und selbst wenn er es bemerkt hätte, war das im Augenblick noch sein kleinstes Problem.
„Mayday, Mayday, Shuttle ONTARIO-3 ist getroffen, weitere Raketen sind im Anflug, wir drehen ab, verflucht wir drehen ab, wir drehen …“
Mehr brauchte Hue nicht zu hören um zu wissen, dass das Shuttle dem Untergang geweiht war.

****

Nahe der Akarii-Raumstation
Im Orbit um Pasumata IV, Pasumata-Sektor

„Mayday, Mayday, Shuttle ONTARIO-3 ist getroffen, weitere Raketen sind im Anflug, wir drehen ab, verflucht wir drehen ab, wir drehen…“
Tigre und die Jäger seiner Staffel hatten den Notruf des Shuttles aufgefangen und fegten, so schnell es ihre Nachbrenner zuließen, auf dessen Position zu. Die Bomber waren nach ihrem erfolgreichen Bombenlauf auf dem Rückweg zur GUADALCANAL und die Jäger hatten die Station gerade erst überflogen und anderen Sturmshuttles dabei Geleitschutz gegeben, als der Notruf von ONTARIO-3 durchgegeben wurde. Jetzt jagten sie so schnell es ging zu dessen Hilfe. Die Sekunden verstrichen und während er zusah, wie die Entfernung zu dem havarierten Shuttle schnell schrumpfte, machte er seine Waffen scharf. Bei ihrem kürzlichen Überflug hatten sie keinerlei Raketenortung aufgefangen und daher versuchte er zu erkennen, woher dieser überraschende Angriff kam. Dann erlosch das Signal von ONTARIO-3.
Für Immer.
„Verflucht Tigre, wie konntet ihr nur eine intakte Raketenbatterie übersehen?“ meldete sich prompt Commander Chung von der GUADALCANAL. Nachdem die Kampschiffe die Schilde der Raumstation mürbe geschossen hatten, waren die Jäger und Bomber des Dirty Bunch wie ein Schwarm Piranhas über die Station hergefallen und hatten alle wichtigen Verteidigungssysteme nacheinander ausgeschaltet. Die Schildgeneratoren, die Raketenstellungen und die Lasertürme. Dann hatten sie sogar die Sensorphalanxen der Station zerstört und nach Tigres Meinung hatte die Staffel erstklassige Arbeit geleistet, da die Station dabei, wie von Singh gefordert, größtenteils intakt geblieben war.
Sich jetzt also Vorwürfe von Chung anhören zu müssen, wurmte Tigre daher doppelt.
„Sir, unsere Anzeigen haben keine weiteren intakten Raketenstellungen gezeigt. Ich kann mir nicht erklären, wie das geschehen konnte.“
„Nun, sie können sich ja auf ihrem Rückflug eine plausible Erklärung für Captain Singh überlegen. Es wird ihn sicher interessieren, welche hanebüchene Begründung sie ihm für den Verlust eines Shuttles und des dazugehörigen Infanteriekontingents geben können. Chung Over and Out.“
`Arschloch!` schoss es Tigre durch den Kopf, aber er beherrschte sich. Sie hatten noch eine offene Rechnung zu begleichen und zwar mit den Akarii. „Dirty Bunch, drauf und dran. Holt euch die Raketenstellung!“
„Negativ, Sir“ kam es von Sparky, der mittlerweile zum Auge und Ohr ihrer Staffel geworden war „Was da das Shuttle gepflückt hat, ist keine Raketenstellung“ meldete dieser nun.
Und jetzt konnte auch Tigre erkennen, was Sparky meinte. Dort wo die Raketenstellung vermutet wurde huschten ein paar kleine gedrungene Gestalten über die Oberfläche der Station.
Infanteristen!
„Dann eben auf die Infanteristen…“ rief Tigre und konnte gleichzeitig nicht anders, als den Mut dieser Soldaten anzuerkennen, die sich mit ein paar tragbaren Raketenwerfern auf die Außenhülle platziert hatten und auf die Ankunft der Shuttles gewartet hatten. Allerdings schienen die Akarii nicht sehr viele davon übrig gehabt zu haben, da alle anderen Shuttles planmäßige Andockmanöver melden konnten. Nur die ONTARIO-3 hatte das Pech gehabt, in diesen Hinterhalt zu geraten.

Doch jetzt würden der Dirty Bunch sie zumindest rächen.
Die Jäger des Dirty Bunch feuerten jeweils eine ihrer Raketen auf die Stellungen der Akarii-Infanteristen.
Das Ergebnis war allerdings ernüchternd.
Es war in ungefähr so, als würde man mit einer Eisenkugel auf eine Handvoll Heuschrecken werfen. Bis die Raketen dort waren, stoben die kleinen Akarii-Infanteristen geschickt auseinander und Tigre war sich sicher, dass es keinen der ca. 20 Infanteristen erwischt hatte, auch wenn die Amraams und Sparrows eine gewisse Sprengkraft hatten.
„Dirty Bunch, zweiter Anflug, aber diesmal nur mit euren Lasern.“
„Damit kriegen wir die kleinen Bastarde doch erst recht nicht“ meldete sich Thor protestierend.
„Da draußen sind noch ein paar der Überlebenden von ONTARIO-3. Wir müssen die Akarii zumindest zwingen ihre Köpfe unten zu halten, sonst holen sie einen nach dem anderen runter, verstanden?“
„Aye, Sir!“ kam der mehrstimmige Chor zur Bestätigung. Die Jäger des Dirty Bunch wendeten und fegten ein zweites Mal über den Teil der Station, an dem die Akarii auf der Außenhaut saßen. Tigre drückte den Feuerknopf seines Lasers durch und sah, wie die Laserbahnen auf die Oberfläche der Station zuschossen. Wieder sprangen die Infanteristen davon, aber diesmal schien es Laserstrahlen zu regnen.
Tigre sah in der Vergrößerung, wie mindestens einer der Akarii von einem Jägerlaser getroffen wurde und davon gewirbelt wurde. Doch auch dieses Mal schien der Anflug wenig viel versprechend zu sein. Einen Infanteristen hatten sie erledigen können, vielleicht auch einen zweiten, aber damit hatte es sich.
„Tigre von Lady Death“ kam es von Diane Balestier während sie zu einem erneuten Überflug einschwenkten „Bitte um Erlaubnis die Führung übernehmen zu können. Ich glaube, ich weiß wie wir die Bastarde dran kriegen können.“
Tigre runzelte die Stirn. Er übergab nicht gerne das Kommando, zumal auch noch mitten im Einsatz. Aber seit ihrem neulichen Gespräch in seiner Kabine hatte er irgendwie das Gefühl ihr vertrauen zu können.
„Gut, Lady Death übernimmt die Führung. Zeigen sie uns, was sie im Schilde führen.“
„Aye, Sir. Dirty Bunch mir nach, wir pflücken uns diese Akarii.“
Tigre hoffte nur, dass sie Recht behalten würde.
Tyr Svenson
Der fünfte Tag seit der Landung der Marineinfanteristen auf Graxon war fast zu Ende. Aber das bedeutete nicht, daß in dem eroberten POW-Camp Ruhe einkehrte. Das galt besonders für die Führungsspitze. Captain Schlüter war in den letzten Tagen kaum zum Schlafen gekommen. Die Evakuierung des Gefangenenlagers war ein logistischer Alptraum, verkompliziert durch die Tatsache, daß gleichzeitig die NIC die Anlage durchstöberte und alles unter dem Primat ständiger Kampf- und Abwehrbereitschaft stand.
Arianna Schlüter unterdrückte den Drang, sich die Augen zu reiben, sie war hundemüde, und konzentrierte sich auf den Mann vor ihr. Lieutenant Kennet Ross fungierte als eine Art ständiger Verbindungsoffizier des NIC und für Schlüter war er ein Schmerz im Steiß. Nicht, daß der hochgewachsene, hagere Offizier inkompetent gewesen wäre. Aber er verriet immer nur das was er wollte, erklärte nur was er mußte und stellte natürlich die Belange des NIC an erste Stelle. Dazu kam, daß er in Schlüter andauernd das Gefühl hervorrief, er wisse viel mehr als sie – und fände dies amüsant. Und jetzt...
„Reichen Ihnen nicht die Informationen, die wir durch gefangene Akariis und den abgehörten Funkverkehr bekommen?“
„Leider war die SAS sehr gründlich hier – sie haben nicht Einen vom Bodenpersonal am Leben gelassen...“, Ross lächelte frostig, „...und was wir bisher durch Überlebende der Raumschlacht erfahren konnten, ist hinsichtlich dieser speziellen Thematik – unbefriedigend. Vor allem, da erwogen wird, in absehbarer Zeit in dieser Hinsicht offensiv zu werden, brauchen wir aktuellere, genauere Informationen. Das liegt ja auch in Ihrem Interesse. Und die Ergebnisse der Funkaufklärung sind nicht ausreichend.“ Ross blieb mal wieder vage. ‚Vermutlich haben diese Eierköpfe noch nicht mal den Code geknackt!‘ dachte Schlüter: „Na schön. Ich nehme mal an, diese Sache ist bereits abgesegnet?“
„Selbstverständlich. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“ Wieder mal schien bei diesen Worten ein dünnes Grinsen um Ross Mundwinkel zu spielen. Er wußte, wie sehr es Schlüter frustrierte, daß der NIC in der Lage war, den Dienstweg zu jeder Zeit abzukürzen, zu umgehen – und so ziemlich jede Aktion durchzudrücken, solange sie nicht gerade ein Flottenmanöver beinhaltete.
„Na schön. Wie Sie wünschen. Die Operation kann binnen zehn Stunden starten, das ist kein Problem – und wir brauchen nicht einmal die SAS. Wenn ich Ihre Wünsche richtig interpretiere, soll es nur ein kleines Team sein?“
„Das ist sicher das Beste, da stimmen Sie mir doch zu?“
„Ich werde Schiermer schicken... Ist etwas?“ Schlüter fixierte den Geheimdienstmann genau. Ihr war nicht entgangen, daß der bei dem Namen leicht zusammengezuckt war – der Name hatte für Ross offenbar eine Bedeutung. Aber eigentlich war das nicht besonders überraschend. Ross war schon auf der REDEMPTION gewesen, wie auch Schlüter und Schiermer. Und der Captain hatte schon immer den Verdacht gehabt, daß Sergeant Schiermer in seiner langjährigen Dienstzeit mehr als einmal für den NIC gearbeitet hatte – auch jenseits der Dienstvorschriften.
Der Geheimdienstler schüttelte den Kopf: „Ich kenne seine Akte. Ein – guter Mann, kampferfahren.“
‚Du meinst wohl, er ist ein Killer.‘ „Ich lasse ihn holen.“

Zehn Minuten später stand Schiermer vor Captain Schlüter und hörte schweigend zu, während Schlüter ihn instruierte: „Diese Sache läuft unter Top Secret. Nicht einmal Ihr Kompanieführer ist eingeweiht. Und Ihre Leute werden Sie erst unmittelbar vor dem Einsatz instruieren. Geheimhaltung ist entscheidend.
Ihre Aufgabe ist folgende: mit einem kleinen Team – insgesamt vier Mann – werden Sie von einem Shuttle in die Nähe eines der noch von den Akarii gehaltenen Bergbaukomplexe transportiert. Sensordaten unserer Jagdaufklärer und SWACS-Shuttles zeigen, daß der Feind dort die während des Luftangriffs vor fünf Tagen beschädigten Strukturen wieder aufbaut. An den anderen Stellen hingegen sind kaum Aktivitäten festzustellen – die Akariis ducken sich einfach ab. Nun ja, die Atmosphäre lädt auch nicht gerade zu weiträumigen Aktivitäten ein. Also ist dieser besondere Komplex die beste Gelegenheit für uns, eine Zunge einzuholen – wir brauchen aktuelle Informationen: was haben die Akariis noch für Abwehrkapazitäten, was für Truppen sind stationiert? Gibt es noch so etwas wie eine umfassende Organisation? Wer hat das Kommando? Und so weiter. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie wichtig solche Informationen sind, für den Fall, daß wir diese Anlagen in unsere Hand bringen wollen. Ihr Trupp wird dann wieder von dem Shuttle aufgenommen – Luftsicherung wird zusätzlich gewährleistet. Noch Fragen?!“
„Kann ich die Leute selber auswählen?“
„Es sollten Leute aus Ihrem Platoon sein, ich will so wenig Aufmerksamkeit wie möglich. Und einer wird auf jeden Fall Lieutenant Ross sein.“
„Wer hat das militärische Kommando?“ Schiermer musterte Ross aus den Augenwinkeln, seine Miene war ausdruckslos.
„Das haben Sie. Auf jeden Fall – nicht wahr, Lieutenant?“ Schlüters Stimme war etwas scharf, als sie Ross fixierte. Der grinste verzerrt: „Betrachten Sie mich als eine Art politischen Offizier, Sergeant...“
„Dann keine weiteren Fragen.“
„Gut. In zehn Stunden geht es los. WEGGETRETEN!“ Schiermer salutierte und ging ab.

Schlüter sah ihm kurz hinterher. Hoffentlich hatte sie jetzt nicht drei ihrer Soldaten auf eine Selbstmordmission geschickt. Bei Ross hatte sie allerdings keine derartigen Befürchtungen.
Schiermer hatte sich bereits zurechtgelegt, wen er mitnehmen würde. Auf jeden Fall würde Pork dabei sein. Der Corporal war der erfahrenste Soldat – nach Schiermer – im Platoon. Und trotz seiner ziemlich ungeschlachten Gestalt war er ein mehr als kompetenter Kämpfer. Zusätzlich würde er Juan nehmen – notgedrungen. Ein Scharfschütze mußte dabei sein und er traute Davis noch nicht völlig.

„Schiermer.“ Der Marinesoldat wirbelte herum. Hinter ihm stand Ross. Die beiden Männer hätte ein flüchtiger Beobachter für Brüder halten können. Zwar war Ross hager, während Schiermer breitschultrig und muskulös war. Aber vom Alter her erschienen sie nicht besonders weit auseinander. Und beide wirkten – wachsam, einen merkwürdig kalten Ausdruck in den Augen. Die ähnliche Farbe und Schnitt der Haare unterstrich die Ähnlichkeit. Aber sie waren natürlich nicht verwandt. Doch sie kannten sich, auch wenn ihre letzte Begegnung schon mehr als zehn Jahre zurücklag.
„Hallo Ross. Verzeihung, Lieutenant.“ Schiermer grinste dünn, was Ross erwiderte: „Tja Schiermer, werden wir also tatsächlich mal zusammen in den Einsatz geschickt. Wer hätte das gedacht.“
„Das letzte Mal dachte ich eher, du kannst von Glück reden, wenn du überhaupt wieder GEHEN kannst.“
„Tja, das Wunder der modernen Medizin. Aber ich kann mich nicht erinnern, daß du dich mal erkundigt hast, ob ich es überstanden habe.“
„Warum, hättest du? Das ist doch nur sentimentaler Scheiß.“
„Stimmt auch. Wie ich sehe bist du immer noch Sergeant.“
„Immerhin - mit den Aufgaben von 'nem Lieutenant. Und wie ich sehe, bist du immer noch Lieutenant. Wir beide haben wohl nicht so viel Glück bei den Beförderungen gehabt.“
„Tja, manche Dinge bleiben haften. Aber, wie heißt es so schön? Der Staat braucht Gärtner – und er braucht Metzger.“
„Das ist mir zu philosophisch. Bist du eigentlich noch in Form?“
„Silbernes Sportabzeichen im Geländelauf. Und Bronzenes für’s Scharfschießen. Reicht das für euren elitären Haufen?“
Schiermer grinste wieder: „Wenn du noch mal über einen Jobwechsel nachdenkst – bei uns ist immer eine Stelle offen.“

Als Schiermer die provisorische Unterkunft seines Platoons betrat, winkte er Howard zu sich heran, der gerade beim Reinigen seiner Waffen war. „Private, pfeif mir Pork und Juan ran. Ich habe was zu besprechen.“
Für einen Moment sah es so aus als wolle Howard losjagen, aber dann verharrte er. „Juan? Sie haben es noch nicht gehört, Master Sergeant?“
Misstrauisch beäugte Schiermer seinen Untergebenen. Eigentlich sollten alle Informationen im Platoon zuerst zu ihm kommen und von dort in die Truppe. „Was gehört?“
„Unser Meisterscharfschütze ist umgeknickt, als er beim weiblichen Gefangenen hinterherpfeifen nicht auf den Weg geachtet hat. Ich habe ihn gerade mit Davis zum Sani gebracht. Aber der hat schon gesagt, dass er die nächsten Tage außer Dienst ist.“
„Dann hol die Nummer zwei.“
„Ja, Master Sergeant. Moment, aber das ist Icequeen. Ich meine, Private Davis.“
„Schön, dass du endlich die Aufgabenverteilung im Platoon beherrschst. Und jetzt ab mit dir.“
Ken Howard nickte und rannte los.

Kurze Zeit später traf Porks ein. Der Mann grinste über sein ganzes Gesicht, sogar seine Schweinsäuglein glänzten. „Was gibt es denn, Sarge?“
„Wir rücken in zehn Stunden aus, Pork. Kleines Gefolge, drei von uns und ein NIC-Mann.“
„Ein Schlapphut?“, brummte Porks. „Willst du uns umbringen?“
„Der Mann ist in Ordnung, also piss dich nicht ein“, erwiderte der Sergeant amüsiert. „Wir warten noch auf Davis, dann fassen wir Ausrüstung.“
„Moment mal, Davis? Du willst das Küken mitnehmen? Was ist mit Juan?“
„Knöchel verstaucht.“
Im Gesicht vom Corporal arbeitete es. „Und wenn ich das Scharfschützengewehr übernehme?“
„Davis kommt mit. Ende der Diskussion“, schloss Schiermer ab.
Pork schloss die Augen. Er wusste, wann der Sarge keine Kritik mehr zuließ.

***

Zehn Stunden später

„Ja, ja – den Knöchel gestaucht! Dieser kleine Scheißer drückt sich ganz einfach!“ Pork sah aus, als wolle er ausspucken. Schiermer zuckte kurz mit den Schultern: „Dann kann er aber in die Zukunft sehen. Als Juan Mist gebaut hat, habe ich gerade mal seit fünf Minuten gewußt, was ich machen soll. Mit solchen Talenten können sie mit Juan eine Psi-Einheit aufbauen...“

Jean enthielt sich eines Kommentars. Sie war schließlich nur dabei, weil der eigentlich vorgesehene Soldat zurzeit nicht voll einsatzfähig war. Nun ja, solange sie noch nicht im ECHTEN Kampf gestanden hatte, war sie eben nur zweite Wahl. Wie die drei Männer an Bord des Shuttles trug sie die Standartpanzerung der Marineinfanterie, zusätzlich aber darüber einen Camouflageumhang, dessen Färbung sie tarnen sollte und dessen Futter – angeblich – begrenzten Schutz vor einigen Sensoren bot. Das war natürlich kein Vergleich zu den modernen Chamäleon-Tarnanzüge, die angeblich die SAS und SEAS besaßen.
Neben den Sturmgewehren, bei Jean der Scharfschützenvariante, trugen alle vier Laserpistolen, Granaten – und im Falle Schiermers und Porks auch noch Kommandodolche.

Aus den Augenwinkeln musterte Jean den Vierten im Team. Über diesen NIC-Offizier wußte sie nichts außer seinem Rang, Lieutenant, und seinem Namen: Kennet Ross. Er saß ziemlich gleichmütig an die Bordwand gelehnt und trommelte müßig mit den Fingern seiner Hand auf dem Kolben des Sturmgewehrs. Dann bemerkte er Jeans Blicke und grinste sie an. Er schien sich jedenfalls keine Sorgen wegen des Einsatzes zu machen.
Das sollte sie beruhigen. Immerhin ging es nur darum, eine Zunge zu besorgen, also einen möglichst wenig verletzten, sprachfähigen Akarii einzufangen. Aber wenn sie ehrlich war, fuhr ihr Magen Achterbahn.
Dies war ihre Feuertaufe. Und wenn sie die bestand, dann war sie auf dem besten Weg, all das zu erreichen, wofür sie den Marines beigetreten war. Rache für ihren Bruder. Wenn Schiermer in ihr endlich nicht mehr das Küken sah…
Jean spürte, wie sich ihr Magen zusammen zog. Sie versuchte erneut, sich abzulenken, aber am liebsten hätte sie sich vorgebeugt und gekotzt. Doch vor Schmierer und Porks wollte sie sich keine Blöße geben. Sie wollte ein vollwertiger Ersatz für Juan sein, diesen verdammten kleinen Schürzenjäger…

„Was grinst du so, Davis?“, brummte Porks, als er mal für einen Moment in seiner Litanei Pause machte.
„Hm, wenn ich Juan ersetzen soll, muß ich dann nicht mal langsam anfangen und sexistische Witze reißen?“
Porks lachte wiehernd dazu. Über Schmierers Gesicht huschte sogar so etwas wie ein Lächeln.
Das half einen Moment. Doch der Magen meldete sich umso nervöser zurück.
Aber sie wollte das durchziehen. Sie wollte standhalten. Teufel, sie war eine Marine.

Jetzt nahm Pork den Ball auf, den Jean hingeworfen hatte: „Immerhin, es hat auch noch sein Gutes, daß Blauschopf dabei ist.“ Der massige Corporal rieb sich die mehrfach gebrochene Nase und grinste breit: „Sollte was passieren – wir von den Akariis hops genommen werden, oder hier festsitzen – also da ist sie verdammt nochmal vielseitig verwendbar!“ Er machte eine eindeutig obszöne Geste und lachte wiehernd.
Schiermer grinste nur kurz, der NIC-Lieutenant verdrehte die Augen. Aber das schien Pork nicht zu stören. Allerdings wurde auch Pork ruhig, als das Shuttle mit einem Ruck in den Tiefflug überging. Zwar sollte das Bombardement vor fünf Tagen eigentlich alle Radarstellungen vernichtet haben – und alle Flugabwehreinrichtungen – aber man ging lieber auf Nummer Sicher. Die nächsten dreißig Minuten wurden ziemlich turbulent. Der Shuttlepilot klebte förmlich am Boden, nahm jedem Hügelkamm, jede Vertiefung mit, tauchte schließlich in einen Canyon. Das unterdrückte wirksam jede Unterhaltung – die Soldaten hielten sich fest und waren darauf konzentriert zu verhindern, daß ihnen das Essen aus dem Gesicht fiel.

Jean hatte die Sekunden gezählt, aber als dann die Stimme des Piloten aus den Bordlautsprechern schallte, zuckte sie zusammen: „LZ in fünf Minuten. LZ ist sicher!“
„Fertigmachen!“ Schiermers Stimme klang hart. Die Soldaten stülpten die Helme mit den integrierten Atemmasken über, kontrollierten die Maske – kontrollierten sie noch mal wechselseitig. Die Atmosphäre von Graxon war giftig. Ein undichter Schutzanzug konnte einen ziemlich schnellen und ziemlich hässlichen Tod bedeuten.

****

Das Shuttle setzte nicht auf, es schwebte einen Meter über dem Boden – vollkommen ruhig, der Pilot verstand seinen Job. Die Soldaten sprangen heraus, das Shuttle zog weg, immer noch dicht über dem Boden. Die ganze Aktion hatte keine Minute gedauert. Schiermer versicherte sich, daß alle einsatzbereit waren – dann deutete er schweigend auf Pork, dann Jean, sich und Ross. In dieser Reihenfolge setzten sie sich in Bewegung, jeweils fünf bis sechs Meter Abstand. Die giftig gelben Nebelschwaden verschluckten sie. Jetzt würde es sich herausstellen, wie präzise die von den Aufklärern und SWACS-Shuttles gefertigten Karten waren. Ein Fußmarsch von vier Kilometern lag vor ihnen.

Auch wenn die viertausend Meter keine Entfernung für die Marines waren, der Marsch zog sich. Denn zur Zeit ging Sicherheit vor Geschwindigkeit. Nach allen Seiten wurde gesichert, gegenseitig Feuerschutz gegeben. Ross hatte offensichtlich auch eine militärische Ausbildung hinter sich. Jean schaffte es nicht, die fast lässig anmutende Selbstverständlichkeit zu kopieren, mit der Schiermer und Pork vorgingen. Keiner sprach ein Wort. Trotzdem der Nebel Geräusche schnell verschluckte wäre es keinem in den Sinn gekommen, zu reden – oder die in die Helme integrierten Funkgeräte zu benutzen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Kurze, knappe Gesten ersetzten die Worte.

Mehr als eine Stunde war vorbei. Der Landungstrupp folgte einer schmalen Schlucht, die nur einen halben Kilometer von ihrem Ziel enden sollte. Plötzlich stockte Pork, der immer noch die Spitze bildete. Die linke Hand kam hoch, zur Faust geballt. Abrupt stoppte jede Bewegung, froren die Soldaten förmlich ein. Und dann hörte Schiermer, was Pork alarmiert hatte – ein dumpfes Dröhnen, das lauter wurde...
Pork deutete fast hektisch zum Seitenrand der Schlucht, signalisierte mit der flachen Hand: ‚Deckung!‘
Jean rannte, was ihre Beine hergaben, ihr Atem ging schnell und stoßartig, rasselnd unter der Atemmaske. Sie warf sich hinter einen Felsblock, rollte sich herum, brachte die Waffe in Anschlag. Aber immer noch sah sie nichts – ja ihr heftiger Atem überdeckte sogar die Geräusche des Fahrzeugs.
Eine Hand packte sie an der Schulter, sie zuckte zusammen, hätte beinahe aufgeschrien. Es war Schiermer, seine Stimme war leise, klang tonlos: „Wenn ich die Hand hebe schießt du – auf den Motorblock.“ Dann ging auch Schiermer in Deckung.

Es schien Jean wie Stunden, dabei vergingen nur Sekunden, bis ein schneller Bodenwagen um die Ecke schoß. Das Fahrzeug wirkte ziemlich fragil und war in graubraune Tarnfarben gehalten. Drei Akariis saßen in dem offenen Wagen. Der Fahrer fuhr schnell, hielt sich immer im Schutz einer der Felswände.
Schiermer hätte beinahe den Kopf geschüttelt. Diese Akariis hatten echt Mut, angesichts der absoluten gegnerischen Luftüberlegenheit so etwas zu wagen. Er an ihrer Stelle wäre lieber GEKROCHEN.
Was mochte so wichtig sein, daß sie dieses tollkühne Risiko auf sich nahmen? Aber das war egal. Die Gelegenheit war zu günstig. Ruckartig riß er die Hand hoch.

Wie sie es gelernt hatte, hielt sie den Finger knapp vor dem Abzug. Als sie die Faust sah, atmete sie schnell aus und halb wieder ein, fixierte sich auf ihr Ziel und zog ab. Innerlich jubelte sie, als tatsächlich alles zu funktionieren schien. Ihr erster Schuss im Einsatz. Für eine Sekunde fühlte sie sich schlicht großartig.
Jeans Salve fräste sich regelrecht durch den Motorblock, die Wirkung war so spektakulär wie plötzlich: der Wagen brach aus, schleuderte. Ein Findling stoppte ihn endgültig, das Fahrzeug wurde hochgerissen und kippte auf die Seite. Einer der Insassen wurde heraus geschleudert, schlug schwer auf.
Die anderen Akarii hatten vorerst mehr Glück und reagierten völlig verschieden. Der Fahrer sprang förmlich aus dem wracken Fahrzeug, taumelte – und rannte los.

„DAVIS!!“ gellte Schiermers Stimme. Jean riß ihre Waffe hoch, versuchte den Akarii ins Visier zu bekommen. Der erste Schuß ging fehl, der zweite traf den Akarii in der Hüfte, er ging zu Boden.
Der dritte Akarii hing immer noch in den Gurten, war vielleicht verletzt. Seine Reaktionsschnelligkeit ließ jedenfalls nicht zu wünschen übrig, denn plötzlich erschien eine kurze Waffe in seiner Hand und eine Lasersalve zuckte über die Deckung der Marines, während der Akarii unverständliche Worte brüllte.
Jean hatte noch nicht mal ihre Waffe herumgerissen, als zwei Feuerstöße den Akarii in Brust und Unterleib trafen – das Feuer erstarb abrupt.
„DAVIS, ROSS – Feuerschutz!“ Dann rannte Schiermer schon los, gefolgt von Pork. Bei dem umgestürzten Bodenwagen gingen sie in Deckung, die Waffen im Anschlag. „NACHRÜCKEN!“

Das Gefecht war ebenso schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Zusammen mit dem NIC-Lieutenant erreichte Jean den Akarii, den sie niedergeschossen hatte. Der Akarii lebte noch, wand sich sichtlich schmerzerfüllt am Boden. Der NIC-Mann übernahm die Situation. Er bellte dem Verwundeten ein paar Brocken in dessen Sprache zu, auch wenn die Silben selbst für Jean unbeholfen wirkten. Aber der Akarii verstand offenbar – er erstarrte förmlich und ließ zu, daß Ross ihm die leichte Laserpistole abnahm.
Dann war auch schon Pork heran und legte dem Akarii Hand- und Fußfesseln an, während er Jean angrinste: „Eigentlich dachte ich, wir probieren die mal zusammen aus, Private...“
„In deinen Träumen, Pork“, konterte sie.

Währenddessen untersuchte Schiermer den Akarii, der aus dem Wagen herausgeschleudert worden war, Ross stieß dazu. Der Akarii hatte anscheinend Glück gehabt: die Atemmaske war weder beschädigt noch abgerissen worden. Allerdings wachte er auch nicht auf, als ihn Ross nicht eben sanft untersuchte und grob abtastete: „Ein paar Brüche, aber nichts Letales. Unser Freund dürfte es überstehen – ist übrigens ein Offizier, entspricht ungefähr unserem First Lieutenant.“
„Pech gehabt, dein Kollege. Was meinst du, warum er unterwegs war?“
„Vielleicht trauten sie ihren Funkanlagen nicht – wenn die wüßten, daß wir noch nicht mal ihren Code hier geknackt haben…
Ich könnte mir vorstellen, daß sie sich abstimmen wollen. Daß wir sie nicht ewig hier herumsitzen lassen, können sie sich ja ausrechnen. Auf jeden Fall ist das unsere beste Möglichkeit – ich nehme nicht an, daß du extra noch diese Baustelle besuchen willst?“
„Wo wir keine Ahnung haben, wann unsere Freunde hier zurück erwartet werden oder wann sie sich melden sollen? Keine Chance – wir haben unsere Zunge. Pork, du schleppst den Scheißer.“
„Immer ich...“
„Krieg dich wieder ein. Wenn es zu viel für dich wird, lös‘ ich dich ab. Davis – erledige den anderen.“

Das klang so nebensächlich, daß Jean Davis zuerst nicht den Sinn der Worte verstand, ihre Bedeutung. Doch dann..: „Sarge! Das ist ein verwundeter Gefangener! Wir müssen...“
Schiermers schneidende Antwort ließ sie zurückfahren: „Halts Maul, Private! Das war ein Befehl – für ihn aus! Falls du es noch nicht geschnallt hast, du Scheißer, das ist kein Schauraufen und keine Heldensaga! Das ist ein verdammter Rattenkrieg! Wir können das Arschloch nicht mitschleppen, mit dem Offizier haben wir genug zu tun. Lebend ist er nutzlos. Und ich will verrecken, ehe ich den verdammten Akarii für seine Kollegen zurücklasse. Also ist der Bursche nur noch totes Fleisch! Wenn du es nicht kannst, hast du bei den Marines nichts zu suchen. Dann kannst du von mir aus zu den Sanis gehen, zu den Pfadfindern – oder gleich im Flottenpuff die Beine breit machen und dich für den Sieg durchficken lassen. Aber in meiner Einheit hast du nichts verloren!“
„Aber Sir...“, Sie wandte sich zu Lieutenant Ross. Doch der zuckte nur mit den Achseln: „Ich bin nur Berater. Der Akariioffizier reicht uns.“
Keiner der drei Männer sahen hinter Jean her, als sie zu dem Akarii stolperte, der ca. 20 Schritte entfernt lag. Stattdessen wuchtete Pork den Akariileutnant auf seine Schultern, während Schiermer eine Sprengladung in dem Bodenfahrzeug plazierte.

Sie sah zu dem Akarii herab, dessen Atem hektisch ging. Langsam hob sie den Lauf ihrer Waffe an. Sie kramte in ihrer Erinnerung und suchte einige Worte aus dem Drom-Idiom heraus, dass sie während der Fahrten ihrer Eltern gelernt hatte. „Gome, Arcil. Tut mir leid, Soldat.“
Übergangslos wurde der Akarii ruhig. Sein Atem verstummte. Mit leiser, gefasster Stimme erwiderte er in einer Sprache, die sie stark an Drom erinnerte. Sie verstand den Sinn, das reichte. Der Soldat bat um einen sauberen Schuss.
Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. „Hal. Versprochen.“
Dann drückte sie ab. Sauber in den Kopf. Für einen Moment fühlte sie sich, als würde etwas in ihr zerreißen, sie vernichten, als würde sie ins Bodenlose fallen. Nun hatte sie es also getan. Sie hatte ihren ersten Akarii erschossen. Verdammt. Niemand hatte ihr gesagt, dass es ihr wehtun würde. „Ausgeführt, Sarge“, meldete sie tonlos.
Jean warf einen letzten Blick in das eingeschossene Visier der Filtermaske. Sie hatte sauber in die Stirn platziert. Es war ein sauberer Schuss geworden. Wenigstens das hatte sie für den Akarii, den Feind, tun können.
„Du denkst schon wie dein dummer, großer Bruder“, fuhr sie sich selbst an und ging zurück zu den anderen.

„Du faßt die Kleine ganz schön hart an.“ Pork‘s Stimme war leise, vermutlich hörte nicht einmal Lieutenant Ross zu, der in die Richtung sicherte, aus der der Wagen gekommen war. Sergeant Schiermer zuckte mit den Schultern: „Weil ich nicht nur auf ihre Titten und ihren Arsch achte und darauf scharf bin, es ihr zu besorgen. Warum soll sie es leichter haben? Sie hat Potential – aber entweder sie packt es, oder sie geht kaputt. Das Risiko gehe ich ein – ich weiß dann auf jeden Fall, woran ich bin...“ Ohne sich dorthin umzuwenden, wo Jean sein mußte brüllte er: "BEWEGUNG, PRIVATE! Wir rücken ab – in fünf Minuten geht die Ladung hoch!“
Dann ging er los, gefolgt von Pork, der trotz des Akarii auf seinem Rücken mithielt. Dann kam Ross, der Pork‘s Sturmgewehr trug.
Als Jean sich der Kolonne anschloß hielt Ross sie kurz auf: „Machen Sie sich keine Sorgen. Das geht niemanden etwas an – auch nicht den JAG. Das bleibt unter uns...“

Eine knappe halbe Stunde später nahm das herbeigerufene Shuttle die Marines auf, während zwei mit Lenkwaffen und Hydra-Werfern bestückte Griphen Luftschutz gaben. Keiner der Soldaten sagte irgendetwas, nicht mal Pork. Ross schien ohnehin voll von dem Gefangenen in Anspruch genommen und durchsuchte dessen Kombination. Mit einem wie eingefrorenen Grinsen säuberte Master Sergeant Schiermer seine Waffe. Wenn er Private Davis dabei im Auge behielt, dann jedenfalls nicht so, daß es auffiel.

Als das Shuttle beim POW-Camp landete wartete dort bereits eine NIC-Fähre, das Landefeld war gesperrt und die Wachposten starrten stur nach außen, drehten sich nicht um zu den zwei Fähren in ihrem Rücken, die Sturmgewehre stramm vor der Brust. Der Gefangene wurde an Bord des NIC-Shuttles gezerrt, das sofort abhob, eskortiert von den zwei Griphen.
Fünf Minuten später meldete sich Schiermer bei Captain Schlüter. Sie winkte ab, als er umfassend Meldung machen wollte: „Lassen Sie das. Ich habe Wichtigeres zu tun als mich gerade jetzt mit den Spielereien unseres Sicherheitsdienstes herumzuärgern. Also kurz - war die Mission erfolgreich?“
„Ja, Ma’am.“
„Gab es irgendwelche Komplikationen?“
Schiermer schüttelte den Kopf: „Nein, Ma’am.“

Als sie entlassen wurden, machte sich Jean sofort daran, ihre Ausrüstung zu verstauen. Eine gepflegte Ausrüstung war die Seele des Marines, das wusste sie schon seit ihrer Ausbildung. Erst putzte sie, was nicht mehr nötig war, dann packte sie alles fein säuberlich weg. Sie waren, laut Captain Schlüter, ständig auf dem Sprung. Jederzeit konnte eine Flotte Akarii hier auftauchen und sie mussten hier schnell die Biege machen. Wenn sie nicht die erste neue Füllung für das Bergwerk abgeben wollten.
Als Jean fertig war, setzte sie sich auf ihre Koje und legte beide Hände in den Nacken. Starr fixierte sie den Boden. Nun hätte sie Gelegenheit zum kotzen gehabt. Aber sie wusste, dass nichts kommen würde. Eine eisige Ruhe hatte sie erfasst. Sie hatte getötet. Nicht irgendwen. Einen Akarii. Ihren ersten Akarii. Ein intelligentes Wesen, und sie hatte es gewusst. Aber dennoch hatte sie es getan. Wie viele würden folgen? Würde sie irgendwann damit aufhören dürfen? Aufhören können? Konnte sie je einem ihrer Akarii-Freunde in der Konföderation jemals wieder in die Augen sehen?
„Jean, alles klar?“, fragte Ken Howard leise.
Sie sah auf, musterte dem Kameraden. Und aus einem undefinierbaren Grund fühlte sie sich dem breitschultrigen Marine überlegen. Sie war nun eine Alte. Ob sie eine Marine war, wie Schmierer sich das vorstellte, wusste sie nicht. Aber sie hatte einen enormen Schritt auf diesem Weg getan.
„Es ist alles so, wie es sein soll“, erwiderte sie. `Aber ich sollte die nächste Zeit besser nicht in irgendwelche Spiegel sehen…´
Tyr Svenson
Zukunftspläne

Lilja war auch normalerweise kein Mensch, mit dem der Umgang leicht fiel. Sie war eher wortkarg, außer sie meinte sich zu etwas ereifern zu müssen, was in der Regel dann passierte, wenn sie meinte ihr Gegenüber erzähle Unsinn. Und abgesehen von Rangschranken erkannte sie wenig an – kaum jedenfalls Höflichkeit oder Toleranz – was ihr den Mund hätte verbieten können. Am unerträglichsten war sie freilich, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlte oder meine, jemand gebe sich nicht die Mühe, die eigentlich angebracht war. War sie dann noch in der Position der Vorgesetzten, war es wirklich schwer, mit ihr auszukommen.

Diese Erfahrung machte gerade einer der Techniker auf dem Flugdeck. Die Russin – fast eine Spanne kleiner – hatte sich drohend vor ihm aufgebaut, funkelte ihn aus dem vernarbtem Gesicht an und ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Ihr Dienstgrad tat ein übriges, außerdem konnte sie noch besser fluchen als fliegen, und dabei galt sie als durchaus gute Pilotin. Gelegentlich unterstrich sie einen besonders heftigen Ausbruch mit einigen drastischen Gesten, beim ersten Mal war der Mann fast einen halben Schritt zurückgefahren. Ihr ätzender Spott war fast genau so unangenehm. Wie so viele vor und so viele nach ihm konnte der Techniker nichts anderes als leiden – ewiges Schicksal der Untergebenen, die einem Offizier unter die Augen kamen, der aus irgend einem Grund ,geladen‘ war.
Schließlich beendete die Russin ihre Tirade mit der Ankündigung, was passieren würde, sollte sich der von ihr beklagte Zustand sich nicht bessern. Sie verzichtete dabei auf die körperlichen Drohungen, die manche Offiziere gerne aussprachen. Ihr angedrohtes Strafwerkzeug war vor allem disziplinarischer Natur, und der Einsatz desselben war ihr auch durchaus zuzutrauen. Sie hatte sich noch keinen wirklichen Ruf unter den Techcrews erworben, aber einige waren schon mit ihr zusammengestoßen. Und so etwas sprach sich mitunter herum.

Für Ina Richter, bekannt als Imp, und zur größten Verwunderung fast aller Leute, die sie und Lilja kannten, die einzige enge Freundin der Russin, war das Schauspiel ein Quell nicht sehr stiller Erheiterung. Allerdings gab es wenig, bei dem sie nicht eine komische Seite entdecken konnte, angefangen von den Gerüchten, man bereite schon die Spießruten für Admirälin Wulff und Captain Waco vor, weil sie den grandiosen Einfall gehabt hatten, einer ECHTEN Admirälin – die dazu vermutlich von nicht wenigen als Heldin gesehen wurde – vor versammelter Mannschaft in die Parade zu fahren. Nicht, daß die deutsche Pilotin von wirklich boshafter Natur war. Echtes Unglück anderer Leute – im Gegensatz zu kleinen Peinlichkeiten und Mißgeschicken – amüsierte sie weniger, und sie war auch keineswegs als solche Schandschnauze und Plaudertasche verschrien wie andere Einheitsmitglieder, die sogar Karriere gemacht hatten. Aber sie dachte nun mal positiv, oder besser, so wie sie es verstand.
Deshalb begrüßte sie Lilja auch mit einem breiten Grinsen, als die Russin zu ihr aufschloß. Die beiden wurden von manchen hinter ihrem Rücken als „sauer und lustig“ bezeichnet, wobei die Rollen denkbar klar verteilt waren. Natürlich wußte Imp davon, und fand es vermutlich amüsant. Lilja wiederum, die wenig auf Geschwätz gab, wußte es ebenso natürlich nicht, und hätte im Falle der Kenntnisnahme Ihrerseits vermutlich wieder einmal eine Kostprobe ihrer scharfen Zunge gegeben.

„Also so wie du den armen Jungen...“, der arme Junge war übrigens etliche Jahre älter und eine halbe Hand größer als sie gewesen, „...zugesetzt hast, wundert es mich, daß er nicht eingelaufen und geschrumpft ist.“ Lilja lächelte so, wie sie es am besten konnte – wie ein scharfer Haushund: „War wohl eher die Aussicht, daß seine Karrierechancen schrumpfen, wenn ich mich mal um ihn bemühe. Nun, das sollte reichen.“

Grund für den Ausbruch Liljas war der Umstand gewesen, daß der Jäger ihres Flightkameraden nicht so schnell wieder kampfklar gemacht worden war, wie sie es für angebracht gehalten hatte. Ihr unglückliches Opfer hatte sich versucht damit herauszureden, daß First Lieutenant Haugland sowieso erst einmal dienstuntauglich war, aber das Lilja nicht beeindruckt. Sie bestand darauf, daß jede verfügbare Maschine einsatzbereit war. Mit der – nicht eben unlogischen – Begründung, daß im Falle von Jägerverlusten eventuell gerettete Piloten der blauen oder grünen Staffel eine zusätzliche Maschine gut würden gebrauchen können, und außerdem die Arbeit am längsten dauere, die man nie begänne, hatte sie ihm die Hölle heiß gemacht. Und wohl bekommen, was sie wollte. Sie war nicht gerade als jemand bekannt, der nur bellte, aber nie biß.

Imp kicherte vor sich hin: „Was wirst du bloß nach dem Krieg machen. Drillsergeant bei den Marines? Die können solche wie dich sicherlich brauchen.“ Ihre Freundin lachte grimmig: „Dazu müßte ich nur noch lernen, mit dem zu denken was mir als Frau im Vergleich zum Mann fehlt und als jedes dritte Wort ,fuck‘ zu verwenden.“ Auch wenn Lilja sich gegenüber Marine zurückhielt, andere, vor allem aktive, Mitglieder des ,ruhmreichen‘ Corps bedachte sie mit weit weniger Hochachtung. „Und du, Herzblatt? Was willst du werden? Truppenkomikerin? Da übst du ja anscheinend dauernd. Du solltest dir überlegen in Talkshows aufzutreten, wenn ich mir einige der Exemplare anschaue, die sie da frei rumlaufen lassen, können sie mit dir nur gewinnen.“ Die Deutsche nickte versonnen: „ ,Flying Jokers‘, das wäre doch was. Obwohl – ICH muß ja auch bei den heutigen Heldenstreifen andauernd lachen.“ Lilja verzog die Mundwinkel: „Bei manchen Dialogen ist mir eher zum Heulen. Ich steh ja auf Heldentum, aber die Kerle sind so markig und aufgeblasen, daß ich wünschte, die würden mal mit einem echten Akarii zusammenrasseln. Aber das wäre Verschwendung teurer Jäger, allerdings hätten sie auch in einer Nighthawk keine bessere Chance als in einer U-2.“
Imp stimmte in das Gelächter ein. In der Hinsicht war Lilja ein Paradoxon. Einerseits patriotisch und opferbereit bis in die Knochen, mit einer Rhetorik, die manchmal etwas antiquiert wirkte. Auf der anderen Seite hatte sie ein problematisches Verhältnis zu den schlimmsten Stilblüten, die das Geschäft mit der Vermarktung des Krieges trieb. Vielleicht empfand sie die locker-burschikose Art und die mühelos erreichten Abschußzahlen etlicher Filmhelden als eine Beleidigung ihrer eigenen Person, wußte sie doch, wie schwer und gefährlich so etwas wirklich war. Und den Krieg nahm sie durchaus ernst, aus gutem Grund.

„Nun aber mal ernsthaft, was wirst du denn so nachdem diese Kabbelei hier vorbei ist machen?“ Imps Stimme war nun ernst geworden. Sie gehörte zu den wenigen Leuten, die sich um Liljas Zukunft kümmerten, woran die Russin natürlich selbst Schuld war. Allerdings kümmerte die das wenig. Lija zuckte vage mit den Schultern: „Ich weiß nicht. Außerhalb der Armee... Was soll ich da werden? Vielleicht Shuttlepilot, der mit einem fliegenden Betoncontainer durchs All kriecht? Das wäre nichts für mich. Ich habe gelernt Jäger zu fliegen, das vor allem.“ Sie lächelte schief: „Für Public Relations oder das Rekrutierungsbüro eigne ich mich wohl eher schlecht. Wenn die Rekruten mein Gesicht sehen, werden sie kaum so scharf drauf sein, Pilot zu werden. Und da muß ich ihnen nicht mal was vorstrippen.“
Ina warf ihrer Freundin einen traurigen Blick zu. Sie wußte, wie sehr Lilja immer noch unter ihren Narben litt, die ihr Gesicht bedeckten. Obwohl die Russin sich widersinnigerweise auch etwas an sie gewöhnt zu haben schien, ja sie geradezu mit einer Art perversen Stolzes trug. Möglicherweise ihre Art, allen Leuten die sie nicht mochte ins Gesicht zu spucken nach dem Motto: „Ich habe was für meine Heimat getan. Ich war da draußen. Und du?“ In der Hinsicht gehörten die Narben zu ihr wie die weiße Lilienblüte auf ihrem Jäger und die kontinuierlich wachsenden Liste von Abschüssen.
„Ich denke mal, ich habe mir meinen Platz bei dem Haufen verdient. Ich weiß schon, was du meinst. Vermutlich werden sie nach dem Krieg das Personal wieder reduzieren. Aber ich hoffe mal nicht, daß ich dann wegrationalisiert werde.“ Lilja hielt einen anderen Kriegsausgang als einen Sieg offenbar nicht für denkbar, beziehungsweise rechnete sie nicht, in anderem Falle noch am Leben zu sein.
Die Russin machte eine unbestimmte Geste: „Und außerdem, so wie ich mich jetzt ins Zeug lege, halten sie mich vielleicht wirklich geeignet mal ein paar Küken das Fliegen beizubringen oder eine Staffel zu führen.“ Ihre Mundwinkel zuckten spöttisch: „Zu leicht würde ich es den Kinderchen bestimmt nicht machen. Und ich habe ein paar nette Geschichten auf Lager, sollte mal jemand vorlaut werden.“
Ina lachte: „Du meinst nicht nur Geschichten nach dem Motto: ,Da gab es mal einen wie dich, mein Junge, und weißt du was aus dem geworden ist?‘ Kann ich mir glatt vorstellen!“
„Na jedenfalls“, nahm Lilja den Faden wieder auf, „werde ich erst einmal gründlich Urlaub machen. Es muß schön sein, die Heimat wiederzusehen und zu wissen, daß du nicht mehr los mußt, um ein paar Echsen kaltzumachen. Endlich mal einen Urlaub, der nicht so unter Druck steht. Vielleicht kann ich dann mal in die Zeitung schauen, ohne gleich hochzufahren weil die Zivilisten einfach nicht wahrhaben wollen, was so abgeht.“

Ina nickte nachdenklich: „Allerdings frage ich mich, wozu sie uns dann noch brauchen. Wohl kaum, um irgendwelcher Guerilla Bomben auf den Kopf zu knallen, und die Freibeuter machen sich ja seit den Tagen unserer unsterblichen Navysaga doch eher rar. Na, sicher werden sie ein paar Schiffe bereithalten, und dazu Garnisonen. Aber wenn die ganzen Piloten, die noch in Ausbildung sind, erst mal reif sind, dann werden wir deutlich mehr Leute mit Flügeln haben als vorher.“ Lilja legte den Kopf schief: „Also wenn ein Sieg bedeutet, daß wir danach keine große Flotte mehr brauchen, weil die Akarii endgültig auf der Fresse liegen, dann bin ich sogar bereit meine Flügel an den Nagel zu hängen und in der Fischereigenossenschaft in meiner Heimatstadt Netze zu flicken.“ Ihre Freundin lachte: „Dachte mir doch, daß du dir keine Akarii für später aufheben willst.“
„Na, wir haben ja gesehen was die Navy davon hatte, als sie die Echsen allein als Mittel betrachtet haben, um ihre verdammten Budgets durchzuboxen.“ gab Lilja säuerlich zurück.
„Nun“, meinte Ina, „Ich werde auch erst mal gründlich Urlaub machen. Ansonsten, mal sehen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich den Schneemännern...“, so nannte sie die Marine wegen der Paradeuniformen, „...treu bleiben werde. Shuttlepilot auf einem Handelsschiff klingt natürlich todlangweilig, aber andererseits sieht man so die Galaxis OHNE daß in jedem neuen System gleich auf einen geballert wird. Und man hat Zeit mal hinzuschauen, während wir es ja immer so eilig haben.“
„Du solltest dich zu den Jabos versetzen lassen.“, stichelte Lilja, „bei denen paßt zumeist jemand wie wir auf, daß sie nicht beschossen werden, und langsam genug um die Aussicht zu genießen sind sie auch noch.“
„Oh nein!“ protestierte die deutsche Pilotin entsetzt: „Ich brauche mein Unabhängigkeit und meine Privatsphäre! Das Cockpit mit jemanden teilen? Wieso nicht gleich die Zahnbürste? Das mache ich ja auch nicht...“

Lilja schien zu einem Entschluß gekommen zu sein: „Na, wir sollten sowieso nicht zu sehr über die Eier reden, bevor sie ausgebrütet sind. Ein Weilchen wird es wohl noch dauern.“ Imp lachte: „Und bis dahin kannst du weiterhin Untergebenen, Kollegen und Vorgesetzten den Tag versauen?“ Die Russin blieb gespielt gleichmütig: „Immerhin habe ich einen Ruf zu wahren. Und außerdem, solange man tut, was ich sage, bin ich der toleranteste Mensch der Welt. Wenn diese Techheinis aber nicht bald hinmachen und Tyrs Maschine nicht bald einsatzbereit ist, sollen sie mich kennenlernen!“
Tyr Svenson
Es war wie bei jedem Schichtbeginn das Gleiche für mich. Aufstehen, mit der Linken rasieren, meinen Armstumpf eincremen, das Hemd anziehen und zuknöpfen. Dann die Jacke überziehen und verschließen. Die Magnetköpfe kamen mir dabei zu Hilfe. Und dann stand ich wieder vor der gleichen Frage wie jeden Morgen. Sollte ich den leeren rechten Ärmel an die Schulter pinnen oder in den Hosenbund stecken? Es gab dafür keine Vorschrift, weil Männer wie ich eigentlich ins Lazarett gehörten.
Aber auf persönlichen Befehl von Admiral Alexander durfte ich dennoch leichten Dienst schieben. Es war etwas zu tun, und ich war mehr als dankbar dafür.
Schließlich entschied ich mich dafür, den Ärmel in den Bund zu schieben. Das gab mir wenigstens den Hauch von Normalität.
Kurz ging mein Blick über die beiden neuen Ordensbänder auf meiner Brust sowie die Abzeichen eines First Lieutenant. Beides war noch etwas ungewohnt. Teufel, ungewohnt? Im Strudel meiner langsam zurück kehrenden Erinnerungen war mein neuer Rang vollkommen bedeutungslos. Für mich zählte nur eines. Dienen. Eine Aufgabe haben.
Die Regeneration meines Arms würde über ein halbes Jahr dauern. Vorher konnte ich mich nicht wieder als Pilot qualifizieren. Und bis dahin war ich mehr als dankbar für jede Aufgabe.
Kurz noch musterte ich mein Gesicht im Spiegel. Mein eingefallenes, wie vertrocknet wirkendes Gesicht. Mit dem Foto aus meiner Dienstakte hatte mein Aussehen wenig zu tun. Nicht umsonst hatte ich Junioroffiziere von mir als Alexanders Gespenst reden hören.
Der Stoppelschnitt, der mir mittlerweile wieder gewachsen war, hatte eine fast schwarze Farbe und unterstrich damit nur noch die dunklen Augenringe, die mein Aussehen noch verschlimmerten. Ein Trost war es mir ja. So würden mich meine ehemaligen Fliegerkameraden niemals als den arroganten Tausendsassa Clifford Davis identifizieren.
Mit Bedauern nahm ich die Schwingen über den Ordensbändern ab. Ich durfte sie immer noch tragen. Aber solange das Chaos in meinem Kopf nicht beseitigt war, wollte ich erst einmal meine Ruhe. Und nichts würde für mich schlimmer sein, als von Lone Wolf auf die Schwingen angesprochen zu werden, falls ihm der Name Davis irgendwie bekannt vorkam. Falls er diese Episode seines Lebens überhaupt registriert hatte.

Es war nicht weit bis zur Brücke. Ich hatte eine sehr gute Kabine bekommen, die keinen Vergleich mit der Baracke standhielt, die ich auf der REDEMPTION mit Kali bewohnt hatte. Oder das Loch, welches ich mir später mit Pinpoint geteilt hatte.
Und ich bewohnte sie alleine. Anscheinend wollte niemand seinen Platz mit einem Untoten teilen. Ich konnte sie ja verstehen. Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt, dass ich im Dienst nicht gerade kollegial war. Und Gesprächigkeit gehörte auch nicht gerade zu meinen Erfindungen. Eine tapfere Lieutenant Commander, die tatsächlich das Gespräch mit mir gesucht hatte, war resignierend wieder abgezogen, nachdem ich in zehn Minuten nur ja oder nein gesagt hatte.
Drohte ich introvertiert zu werden? Oder ging mir nur das geheuchelte Mitleid auf die Nerven, welches manche Offiziere und Mannschaften vorschoben?

Auf der Brücke ging ich sofort in den Planungsraum. Ich hatte zwar nur eine Hand, aber dennoch erledigte ich für den Admiral einiges an Büroarbeiten. Ihr Adjutant, der diese Aufgabe eigentlich wahrnahm, hatte den Hellmountain nicht so gut aufgenommen und lag mit einer schweren Infektion im Lazarett. Solange war mein Platz gesichert.
Doch das erste, was ich tat, war dem Admiral einen Kaffee zu reichen.
„Danke, Davis“, murmelte sie leise und betrachtete das Hologramm vor sich.
„Gern geschehen, Ma´am.“
„Davis?“, hielt sie mich auf.
„Admiral?“ „Kommen Sie und sehen Sie sich das hier an. Dies ist der Plan für Graxon. Was halten Sie davon?“
Ich warf einen kurzen Blick auf das Hologramm. Und erschauderte. Der Berg, der aus den Giftgasen der Atmosphäre heraus ragte, war über und über mit automatischen Abwehrgeschützen gespickt worden. „Wie viele Marines wollen Sie da unten zum Tode verurteilen?“, fragte ich leise.
Alexanders Miene versteinerte sich. „So viele wie nötig. Renaults Plan ist nicht narrensicher, aber er ist gut genug, dass ich ihn annehme und ausführe. Den Berg zu halten ist dabei zwar nur eine Notlösung. Aber ein Teil der angreifenden Akarii wird hier erst mal Halt machen müssen, um Landungstruppen abzusetzen. Wir sollten also jede Schwächung des Feindes willkommen heißen.“
„Was, wenn die Akarii einfach ne Bombe auf den Berg setzen und fertig?“
Alexander sah mich an. „Sagen Sie es mir, Davis. Sie kennen die Akarii besser als ich. Was ich neidisch zugebe.“
Ich erwiderte ihren Blick einige Zeit, dann schüttelte ich selbst den Kopf. „Wir haben den Akarii zwischen die Schuppen getreten. Das werden sie uns sehr übel nehmen. Sie werden den Berg zurück erobern. Mann für Mann, Graben für Graben. Stollen für Stollen. Und sie werden erst Ruhe geben, wenn entweder alle Terraner gefangen oder tot sind.“
„Wie lange?“
Ich strich mir nachdenklich mit der Linken über das Kinn. „Ich bin kein Schlammhüpfer, Ma´am. Aber ich schätze, das Plateau fällt am ersten Tag. Es ist eigentlich Schwachsinn, es überhaupt zu verteidigen.
Der Rest, nun, die SAS haben den Berg an einem einzigen Tag erobert. Aber damals waren auch nur gut vierhundert Akarii Garnison im Berg. Diesmal sind es aber sicherlich ein paar Tausend bestens ausgerüstete Marines.
Bis die Akarii alles kontrollieren und den letzten Widerstand gebrochen haben, werden sicherlich ein paar Tage vergehen. Sie werden sich Zeit lassen, sobald sie auf ernsten Widerstand treffen. Denn wenn unsere Flotte flieht, werden sie glauben, diese Zeit zu haben. Sie werden den Gegner zermürben und dann zermalmen. Zwei Tage mindestens, wenn die Verteidiger gut sind vielleicht eine Woche. Die Frage ist, wie viel Zeit geben wir den Akarii?“
„Ich stimme Ihnen zu, Davis. Alles, was länger als zwei Tage dauert, wäre ein Verbrechen an den eigenen Truppen. Schlimm genug, dass wir sie nach da unten schicken mussten. Und wenn alles so läuft wie geplant, dann sollten wir nach spätestens zwei Tagen wieder über dieser Welt stehen.“
„Und wenn es länger dauert, Admiral?“
Sie sah mich an und ihr eiskalter Blick ließ mich zusammen zucken. „Dann beten Sie, dass Sie da unten niemand haben den Sie kennen. Unserem Karma würde es jedenfalls nicht gut tun, Davis.“

Ich schluckte hart. Um nichts in der Welt wollte ich jemals eine solche Verantwortung tragen. Als Pilot war es wesentlich einfacher. Da trug man die Verantwortung für seine Maschine und wenn es so sein sollte, für seinen Flügelmann. Wer Pech hatte, kommandierte eine Sektion oder gleich ne ganze Staffel. Das war aber nicht zu vergleichen mit der Verantwortung für tausend oder mehr Soldaten. Überhaupt nicht zu vergleichen.
Admiral Alexander sah wieder auf das Holo hinab. „Eine Menge Echsen werden in den nächsten Tagen sterben, Davis. Und auch viele Ihrer Kameraden werden ihr Leben lassen. Hoffen wir, dass ihre Verluste höher sind als unsere. Hoffen wir, dass jene, die hier und im All ihr Leben lassen und gelassen haben, nicht umsonst gestorben sind. Nicht jeder kommt so unverhofft wieder wie Sie.“
Ein Seitenblick traf mich und ich bemerkte verwundert, wie sich kleine Fältchen in den Augenwinkeln des Admirals bildeten. Schmunzelte sie etwa? Ich hielt das für ein gutes Zeichen.
„Ich muß in meinem letzten Leben ein wirklich feiner Kerl gewesen sein, Admiral. Nur so kann ich es mir erklären“, erwiderte ich mit einem dünnen Lächeln.
„Das sind Sie auch in diesem Leben, Davis. Bringen Sie mir den nächsten Kaffee in einer halben Stunde. Danke.“
Ich nickte dem Admiral zu und verzog mich an meine Station.

Das Arbeitspult bot mir einiges an Möglichkeiten, um den Verwaltungskram zu erledigen, der im Stab des Admirals anfiel. Als Sohn einer Händlerfamilie war ich auf dem Metier sehr gut bewandert und hatte keinerlei Probleme gehabt, mich zurecht zu finden.
Und Aufgaben waren genügend vorhanden. Meine derzeitige Aufgabe war es, die statistischen Verluste der Schlacht um Graxon zu erfassen, zu sortieren und einen Bericht zu erstellen. Dazu musste ich noch einen ganzen Arsch von Berichten lesen, in denen Kommandeure besondere Schiffe und Soldaten hervorhoben, um gelobt, befördert oder ausgezeichnet zu werden. Einige dieser Berichte liefen über mich, nämlich all jene, die vom Admiral abgesegnet werden mussten.
Und was sollte ich sagen? Der erste Bericht handelte gleich von einem alten Bekannten. Commodore Waco, der Skipper, schlug seinen CAG wegen herausragender Leistung im Angesicht des Feindes tatsächlich für eine Belobigung vor.
Ich grinste kalt. Das konnte ich ohne weiteres glauben. Doch wäre die Begründung exzellente Menschenführung gewesen, hätte da der Name McQueen stehen müssen.
Darkness… Wie es meinem alten Mentor und Wing Leader wohl ging? Mein vermeintlicher Tod musste ihn mitgenommen haben. Aber ihm jetzt eine Nachricht zukommen zu lassen, dass ich lebte, und das vor einer so wichtigen Schlacht, war sicher keine gute Idee.
Die offizielle Abnahme meines Namens von der Verlustliste würde ihn sowieso noch früh genug erreichen. Und dann würde es Zeit für mich werden, dort unten meinen Canossagang anzutreten und mich zu entschuldigen. Dafür, dass ich nicht gefallen war. Dafür, dass ich nicht besser gekämpft hatte. Dafür, dass ich die RED nicht verteidigen geholfen hatte. Dafür, dass ich lebte und Dutzende anderer guter Piloten nicht. Dafür… Dafür, dass das Leben ungerecht war und grausame Scherze mochte.
Und dafür, dass ein Eisklotz wie Cunningham wahrscheinlich mit einer Beförderung aus dieser Schlacht hervorgehen würde, während etliche weitere Piloten in einer epischen Schlacht starben oder verkrüppelt wurden. Nun, das war kein Grund für mich, um sich zu entschuldigen. Und sicher auch keiner für Lone Wolf, denn so war er nun mal und das ließ sich nicht ändern. Aber es würde geschehen. Und die Lebenden mussten dankbar und respektvoll gegenüber den Toten sein.

„Treibt sich das Gespenst etwa schon hier rum?“, hörte ich eine Stimme hinter dem Pult. „Wie ich gehört habe, darf er jetzt schon eine volle Schicht schieben. Ich finde den Kerl so gruselig. Okay, er hat da diesen Krebs gehabt und musste unter primitiven Bedingungen behandelt werden. Die haben ihm sogar mit einem Messer den Schädel aufgeschnitten, glaubst du das? Aber irgendwie ist er so… So…“
„Erbärmlich, auf diese Weise überlebt zu haben?“, kommentierte ich und erhob mich. Die beiden Stabssoldaten auf der anderen Seite der Konsole fuhren beim Klang meiner Stimme erschrocken zusammen. „Das denke zumindest ich manchmal über mich. Ensign, Petty Offficer.“
Die beiden Frauen erstarrten. „Sir, ich… Wir… Ich meine…“
Langsam ging ich zur Kaffeemaschine und schenkte mir ein. Mehr als genug Zeit für die beiden um Land zu gewinnen. Als ich wieder kam, war der Ensign aber noch da.
„Gehen Sie. Ich habe keinen Grund, mit Ihnen zu hadern oder Sie zu melden“, brummte ich und nahm wieder Platz.
„Lieutenant, das ist es nicht. Wir… Wir hätten doch nie über dieses Thema geredet, wenn wir gewusst hätten, dass Sie schon da sind.“
„Ändert das was? Dann hätten Sie eben später drüber geredet, oder?“, konterte ich.
„Richtig, wir hätten drüber geredet. Aber ich und Julie, ich meine Petty Officer O´Reilley meinen das doch nicht so. Wir sind halt Frauen.“
Ich musterte die Offizierin einen Moment und grinste schwach. „Das wäre eine Erklärung dafür, dass Sie in der Paradeuniform einen Rock tragen, Ensign.“
„Ach Quatsch. Was ich sagen will ist, nehmen Sie das bitte nicht persönlich. Wir meinen es nicht so.“
„Ensign, Sie haben mir gerade den Namen Ihrer Kameradin genannt. Falls sie deswegen Ärger kriegt, ist das Ihre Schuld. Und Sie sollten Ihrer eigenen Arbeit nachgehen, bevor ich mir Ihr Namensschild ansehe, okay?“

Für einen Moment dachte ich, ich hätte die junge Frau vertrieben und widmete mich wieder meiner Arbeit. Das Letzte und einzige, was mir die Energie zum Leben gab.
Bis eine Frauenhand mit Wucht vor mir auf den Pult krachte. Ich sah genauer hin und erkannte eine Namensplakette, wie sie an der Uniform getragen wurde.
„Ich habe keinen Grund, mich zu verstecken, Sir. Ensign Mahou Ichigo, Sir. Wenn es Sie glücklicher macht, beide Namen zu kennen, Sir.“
Ich musste zugeben, die junge Frau hatte Mumm, sich derart energisch aus der peinlichen Situation heraus zu manövrieren.
„Gehen Sie einfach, Ensign. Ich werde Sie nicht melden“, brummte ich und widmete mich wieder meinen Aufgaben.
„Und das da, das geht mir auf die Nerven. Wissen Sie, warum über Sie geschwatzt wird? Weil Sie so sind! So kalt, so abweisend. Sie werden nicht nur Gespenst genannt, Sie benehmen sich auch wie eines. Immer drei Schritte hinter dem Admiral, nie ein freundliches Wort. Es ist, als seien Sie eigentlich nur ein Schatten. Das letzte, was von einem First Lieutenant Davis übrig geblieben ist. Kein Wunder, dass dann geredet wird.“

Ich sah auf. „Nun, Ensign, ich erkenne an, dass Sie mutig sind. Aber glauben Sie nicht, dass ich ein Recht auf ein eigenes Verhalten habe?“
„Natürlich haben Sie das, Sir. Aber… Wir stellen uns alle Fragen. Was Ihnen passiert ist. Wie es Ihnen ergangen ist. Sie sind mit dem Admiral wie aus dem Nichts aufgetaucht und so ist es immer noch. Als gäbe es da nichts. Sie reden nie mit jemandem, und wenn dann nur mit dem Admiral. Sie sagen rein gar nichts über sich selbst. Sie sind wirklich nur ein Schatten, der hier herum geistert. Sind Sie wirklich zufrieden damit, Lieutenant?“
Ich atmete tief ein und sehr langsam wieder aus. „Hören Sie, Ensign, vor nicht einmal einem halben Jahr habe ich eine Atombombe gerammt, bin verstrahlt worden, wurde cryogenisch eingefroren und von den Akarii wieder aufgetaut. Wurde nach Camp Hellmountain gebracht, wo wir Gefangenen alleine mit unserer Muskelkraft Erze für die Akarii abbauen mussten. Mein schwerer Krebs, der unter anderem für einen faustgroßen Tumor in meinem Kopf verantwortlich war, verursachte Amnesie bei mir. Dennoch ging ich meinen Pflichten nach und war für den Admiral und für viele aus ihrem Stab der einzige Ansprechpartner in einer sehr langen Zeit.
Nach unserer Befreiung wurde ich endlich richtig behandelt, und nachdem der Tumor vernichtet wurde, kehrt nun meine Erinnerung nach und nach zurück. Vielleicht haben Sie Recht und ich bin ein Schatten. Aber das liegt daran, dass ich nichts habe. Da ist einfach nichts, was mich wirklich ausmacht. Nur die langsam zurück kehrenden Erinnerungen und diese Arbeit hier. Ist das wirklich so schlimm, Ensign?“
Die Offizierin sah mich lange an. „Trotzdem, Sir. Sie könnten wirklich mal auf einen Kaffee zu unseren Stationen kommen. Sie könnten mal ein wenig menschlicher sein.“
Betreten sah ich auf meine Station herab. „Ich… Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich weiß doch selbst am besten, wie ich aussehe.“
„Verzeihung, Sir, aber Sie sind ein Trottel. Ich bin eine Frau, und Frauen beurteilen Menschen nicht nach dem Aussehen, sondern nach dem Charakter. Und es wäre ein sehr schöner Charakterzug, wenn Sie uns in Ihrer Pause einiges von dem erzählen, was Sie da unten erlebt haben. Vielleicht kramt das weitere Erinnerungen frei.“
Ich sah hoch. Ensign Ichigo lächelte, wenn auch verkrampft. „Friede?“
Ich nickte. „Friede, Ensign. Ich sehe zu, ob ich rüber kommen kann. Aber beschweren Sie sich anschließend nicht. Es war Ihre Idee.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Sie sagen es, Lieutenant Davis.“

Irritiert sah ich der jungen Frau nach. War ich wirklich selbst Schuld an den meisten Gerüchten? War ich hier mein größtes Problem an Bord? Na toll, übernahm ich etwa schlechte Angewohnheiten aus meinem Leben auf der RED? Nur eben diesmal aus einer anderen Perspektive? Ich lächelte schwach. Manche Menschen wurden eben nie schlau.
„Taktischer Offizier mit viel versprechender Karriere. Man sagt, sie habe die Raketenflugbahnen berechnet, die den Akarii-Träger schwer angeschlagen haben“, sagte Admiral Alexander neben mir.
Ich zuckte fürchterlich zusammen. „Ma´am. Verzeihung. Es ist ja Zeit für Ihren Kaffee. Ich bringe ihn sofort.“
„Nur keine Eile. Im Moment freue ich mich einfach nur, dass Sie mal einen kleinen Blick aus Ihrem Schneckenhaus heraus geworfen haben und entdecken, dass es noch mehr Menschen auf diesem Schiff gibt.“
„Ma´am. Es ist nicht gerade so, als wäre ich auf der Jagd nach einer Freundin.“
„Das habe ich auch nicht behauptet. Aber vielleicht suchen Sie jemandem, mit dem Sie reden können. Anders reden können als mit mir. Denken Sie mal drüber nach und bringen Sie mir meinen Kaffee in mein Büro, ja, Davis?“

Ich seufzte tief. Im Grunde genommen war Admiral Alexander eine hoch anständige Frau. Und dafür respektierte und verehrte ich sie. Und dachte ernsthaft über ihre Argumente nach.
Vielleicht würde mir dadurch auch etwas anderes leichter fallen. Mich den Geistern meiner Vergangenheit zu stellen.
Und meiner Familie. Wie es wohl die Kids aufnehmen würden, dass…
Ich spürte, wie mir kalter Schweiß ausbrach. Plötzlich übermannte mich ein Erinnerungsschub. Ich würgte, weil sich mir die Kehle zuschnürte. Meine Hände begannen zu zittern. Oh Verdammt, das konnte doch nicht wahr sein. Dieser weibliche Marine, der mich im Camp Hellmountain registriert hatte, war Jean gewesen? Meine kleine Schwester?
Ich faltete die Hände ineinander und stützte den Kopf schwer darauf. Nein. Nein! NEIN!
Tyr Svenson
TRS COLUMBIA
über Graxon II

"Wenn Sie sich bitte noch zwei Minuten gedulden wollen Ma'am." Herman Hamlins Gedult mit Admiral Alexander war langsam aber sicher erschöpft.
"Oh, sein Sie doch nicht so streng mit der Dame Herman." Richard Schönberg grinste dem Arzt offen und ehrlich ins Gesicht.
Alexander hingegen stöhnte laut auf, als sie das Waffengattungsabzeichen, welches bei Schönberg das linke Rangabzeichen ersetzte, sah.
"Guten Abend Madam, darf ich fragen wie es Ihnen geht?" Schönberg hielt zwei Tassen dampfenden Kaffee in den Händen und guckte Hamlin fragend an.
Dieser nickte zur Antwort und wand sich wieder seinen Instrumenten zu.
Gierig nahm Admiral Alexander den Kaffee entgegen: "Gott sgene Sie Padre und jetzt geht es mir ehrlich gesagt schon viel besser."
"Nun Ma'am, während Sie auf Ihre Testergebnisse warten, möchten Sie nicht etwas tratschen und nicht den guten Herman zu trietzen?"
"Haben Sie Waco und Wulff hergeschickt?"
"Nun, eigentlich kam Commander Cunningham zu mir, aber ich glaube Waco hat ihn als Boten missbraucht." Der Militärgeißtliche nippte genüsslich an seinem Kaffee.
"Kennen Sie die beiden schon lange?"
"Nun, mit Commander Cunningham fahre ich seit Kriegsbeginn, wir fuhren auf der REDEMPTION."
Die Admiralin blickte ihn skeptisch an: "Die REDEMPTION? Sie scherzen."
"Ich wünschte so wäre es, aber nach Manticore waren wir doch arg in Bedrängniss."
Schönberg beobachtete die Reaktion der Admiralin sehr genau. Sie ließ die Schultern sinken und ihr Blick glitt zu boden.
"Admiral? Melissa? Möchten Sie mir etwas erzählen?"
"Nein, eigentlich möchte ich es nicht erzählen, aber Sie werden ansonsten wohl zu Wulff rennen und ihr erzählen ich sei nicht Diensttauglich richtig?"
Schönberg schüttelte den Kopf: "Über soetwas habe ich nicht zu entscheiden."
Alexanders Blick wanderte zu Hamlin.
"Ja Ma'am, alles was Sie sagen beeinflusst mein Urteil über Ihre Diensttauglichkeit, aber ich werde nciht preis geben, was Sie sagen, ich bin an meine Schweigepflicht gebunden." Beantwortete der Arzt die unausgesprochne Frage.
"Wo fange ich am Besten an? Es war ein totales Desaster. Die Echson konnten sowohl Trafalgar als auch die noch im Dock liegende Deutschland einnehmen. Wobei wir Ihnen reichlich paroli bieten konnten. Wir vernichteten zwei ihrer sechs angreifenden Träger, aber es hielt sie nicht auf.
Als diese Basdarde enterten befahl ich zuerst den Widerstand, doch wir hatten zu wenig Marines auf Trafalgar und die Matrosen waren kein wirkliches Hindernis für die Raumtruppen der Echsen. Als klar wurde, dass die Akarii nicht zu stoppen waren inniziierte ich die Selbstzerstörung der Basis. Es waren noch über elftausend meiner Männer und Frauen an Bord. Und ich war dabei sie alle umzubringen."
"Sie haben Sie aber nicht umgebracht oder?"
"Nein, ... nein habe ich nicht. Die Selbstzerstörung war schon längst nicht mehr funktionsfähig." Wieder nippte Melissa Alexander an ihrem Kaffee. "Aber ich hätte sie getötet. Ich habe auf den Auslöser gedrückt."
Herman Hamlin gesellte sich zu den beiden: "Also vom medizinischen her, mal abgesehen von etwas Erschöpfung, worunter die gesammte Flotte zur Zeit leidet und etwas einseitiger Ernährung, gibt es nichts was dagegen spricht, den Dienst wieder aufzunehmen."
"In Ordnung." Alexander rutschte von der Krankenliege.
"Moment bitte", Der Militärkaplan hob beschwichtigend die Hände. "Ich würde Sie gern etwas fragen Ma'am."
"Bitte nur zu." Die Vizeadmiralin leerte ihren Kaffee.
"Was haben Sie vor Ma'am? Ich meine, ich habe Leute kennen gelernt, die ihre eigenen Wünsche in Sachen Akarii über die Pflicht stellen, für die der Krieg zu einem persönlichen Rachefeldzug geworden ist. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich mache mir da wegen Ihnen Sorgen."
Die Admiralin seufzte: "Nun, da Sie wohl ansonsten zu Wulff und Waco rennen würden, und diese beiden soger verrückt genug wären mich unter Arrest zu stellen, will ich mal antworten und das Sogar unverblühmt."
Alexander bückte sich und hob den schwarzen Kasten auf, der sie ständig begleitete. Sie blickte Schönberg nochmal fest in die Augen, dann öffnete sie den Kasten und zeigte den Inhalt. Beide Männer keuchten auf.
"Dies ist der Kopf meines Sohnes. Man überreichte ihn mir, nach der so genannten Geleitzugschlacht von Jollaran. Von daher ist dieser Krieg für mich etwas sehr persönliches. Jedoch werde ich ganz sicherlich nicht irgendwelche jungen Männer und Frauen für Rache in den Tod schicken. Aber ich will meinen Teil beitragen, dass die Echsen bezahlen."
Der Kaplan suchte in ihren Augen nach Lüge. Dann nickte er: "Ich glaube Admiral Long ist ebenfalls an Bord gekommen."
"Na fein, wenn ich dann gehen dürfte Doktor."
Hamlin sammelte gerade seine Instrumente zusammen: "Ähm, natürlich, falls Sie ... ah, die sterblichen Überreste Ihres Sohnes in meinem Kühlraum ..."
"Nein, vielen Dank, der Kasten, den mir Prinz Jor schenkte, reicht völlig aus."


"Achtung Admiral an Deck", Commander van der Hoeven, der 1O der COLUMBIA bemerkte Melissa Alexander als erstes, als sie die CIC betrat.
"Rühren." Die Admiralin - den schwarzen Kasten hatte sie wieder unter den linken Arm geklemmt - ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Ihr Blick blieb etwas länger bei Wulff und Waco hängen. Beide hielten sie stand.
"Admiral Alxeander", ein mittelgroßer Mann mit den drei Sternen eines Viceadmiral tart auf sie zu. "Ich bin Miles Long, Kommandant der INTREPID Trägergruppe und dieser Kampfgruppe."
Alexander erwiederte den Salut: "Admiral Long, ich übernehme mit sofortieger Wirkung das Kommando über die Kampfgruppe. Meine Flagge wird jedoch auf der COLUMBIA bleiben." Sie wandte den Kopf zu Wulff. "Sie werden weiterhin die COLUMBIA Kampfgruppe befehligen."
Wulff blinzelte überrascht: "Aye Ma'am."
"Also, wenn mich die Damen und Herren bitte briefen würden", forderte Alexander auf.
"Wenn Sie gestatten Ma'am", meldete sich Katrina Illyanna die Operationsoffizierin der COLUMBIA zu Wort, "die Flotte hat eine Fächerformation über Graxon II eingenommen. Die Versorgungstender haben die Aufmunitionierung fast beendet." Der Commanderhackte etwas in die Tastatur des Kartentisches ein und neue Daten erschienen. "Das Problem, welches sich abzeichnet ist, dass wir nicht genügend Zeit für die Evakuierung haben. ELRON meldete vor drei Stunden den Aufmarsch von Akariistreitkräften bei Oscar 7. Bisher ein Flottenträger und zwei Schiffe der Golfklasse plus entsprechender Begleitung."
"Golfklasse?" Wollte Alexander wissen.
"Eine Mischung aus leichtem Träger und Flakkkreuzer. Exellentes Feuerleitradar und ECM-Fähigkeiten plus ca. 20 Jäger."
"Was ist die Schätzung, wann die Akarii hier eintreffen?"
"Die bisher aufmarschierten Truppen könnten in zwei einhalb bis drei Tagen hier sein, jedoch glaube ich dass wir noch ein paar Tage mehr Zeit haben."
"Also werden wir die Evakuierung von Graxon II. nicht rechtzeitig beenden können?"
"Nein Ma'am." Bestätigte Illyanna.
Alexander ging kurz auf und ab. "Alle kampffähigen Angehörigen der Marines, Army und Fremdenlegion werden nicht evakuiert. Sämtliche Shuttles die zum POW-Camp fliegen sollen Ausrüstung und zusätzliche Truppen mit runter nehmen. Das Magazin der General Gorden ist doch gefüllt oder?"
"Nun da müssen wir anfragen, aber eigentlich müsste das Magazin gefüllt sein." Illyanna wandte sich an den Kommunikationsoffizier.
"Ich stelle eine Verbindung zur Gordon her Ma'am." Kam die Antwort, ohne das Illyanna fragen musste.
"Ma'am, Captain Ambrose von der Gordon meldet, dass das Magazin mit dem Standardprogramm beladen ist. Leichte Pionierausrüstung und zusätzliche Ausrüstung zur Errichtung eines planetaren Postens."
"In Ordnung, Commander Illyanna, finden Sie raus, auf welchem Schiff Genral Lerenzo Garth steckt und holen Sie ihn mir an die Strippe, ich brauche ihn für die Bodenoperation", befahl Alexander.
"Aye Ma'am."
Tyr Svenson
Nathan Frost durchquerte den letzten Korridor zum Präsidentenbüro im Haus der Republik. Links wie rechts geleiteten ihn Beamten des Secred Service. Das allerheiligste, hier war er noch nie hinbestellt worden. Das allein bereitete ihm Sorgen. Der Befehl war eindeutig gewesen. Von Richter und er hatten sofort und ohne Verzögerung erscheinen sollen.
Als er das Büro erreichte wurde er gleich reingewunken und die Secret Service Agenten blieben draußen.
"Admiral Frost meldet sich wie befohlen", meldete sich Frost, nachdem die Türen hinter ihm geschlossen wurden.
"Wo ist von Richter?" Patrica Birmingham erhob nicht noch blickte sie von ihren Unterlagen auf. Allan DeMarko saß auf einer Couch im linken Flügel des Präsidentenbüros. Wie ein Raubtier hatte er den Admiral im Visier.
"Admiral von Richter ist zurzeit dabei die Vickerswerften um den Mars zu inspizieren, ebenso die MOSKAU und die beiden neu auf Kiel gelegten Träger." Antwortete Frost kühl.
"Nun gut, dann muss ich eben mit Ihnen vorlieb nehmen." Die Präsidentin blickte auf und schaltete per Fernbedienung den Fernseher samt DVD-Player an.
Es wurde das Bombardement von Troffen gezeigt.
Der Admiral sah sich den Film seelenruhig an, bis schließlich Birmingham den DVD-Player stoppt.
"Ist das Echt?" Frost war selbst überrascht, wie er es schaffte Unglauben und Überraschung in seine Stimme einfließen zu lassen.
"Hören Sie auf mit dem Stuss, was wissen Sie von Troffen?" Birmingham war augenscheinlich sehr aufgebracht.
"Das ist die Bombardierung Troffens? Nun, Troffen wurde angegriffen, weil das NIC dort eine Biowaffenanlage derAkarii ausgemacht hatte. Bei der Sicherstellung der Biowaffen war es zu einem Unfall gekommen, der den Planeten verseuchte und die Einsatzoffiziere vor Ort haben entschieden den Planeten zu sterilisieren. Das Oberkommando, also wir, haben die Entscheidung im Nachhinein als richtig abgesegnet."
"Oh, es wäre ja auch sehr schwierig gewesen die Maßnahme zu revidieren oder?" Birmingham war angriffslustig. "Und? War das jetzt die Wahrheit oder die offizielle Version?"
Frost überlegte kurz und mußterte seine oberste Befehlshaberin. Blickte ihr tief in die Augen: "Die Offizielle Version, sollte uns jemals die Öffentlichkeit damit kommen."
"Und die Wahrheit?" Jetzt hatte er ihre ganze Aufmerksamkeit, Wut war Neugierde gewichen. Zweifel und Ängste flimmerten in ihren Augen.
"Tut mir leid, die werde ich Ihnen nicht sagen."
DeMarko fuhr hoch: "Bitte was war das eben? Sind Sie verrückt geworden Admiral? Wissen Sie eigentlich, als was man das auslegen könnte."
"Von mir aus legen Sie es aus wie Sie wollen. Holen Sie von mir aus einen Zug Marines und lassen mich über den Haufen knallen oder machen Sie es standrechtlich gleich hier, aber ich werde Ihnen ganz sicherlich nicht die Wahrheit über Troffen sagen."
"Hören Sie", Patricia Birmingham sprach beschwörend, "ich habe ein Recht es zu erfahren, ich habe die allerhöchste Geheimhaltungsstufe, die es gibt Admiral, ich bin die höchste Instanz dieser Republik."
"Präsidenten kommen, Präsidenten gehen." Antwortete Frost. "Aber gerade jetzt, kann ich nicht zulassen, das Sie sich mit schuldig machen Ma'am. Die Erde braucht eine starke Führung. Jetzt mehr denn je."
"Admiral, ich glaube nicht, das Sie das zu entscheiden haben", DeMarko war an den Schreibtisch getreten, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
"Ich entscheide es aber gerade." Er sah wie Birmingham immer wütender wurde. "Madam Präsidentin, ich bitte Sie, nein ich beschwöre Sie, bohren Sie nicht nach. Es ist wirklich wichtung und besser, dass Sie über Troffen so wenig wissen wie möglich."
Nie hatte Birmingham diesen ansonsten so kalten Mann so erlebt.
"Admiral, Sie können gehen, seien Sie sich aber versichert, dass ich Admiral von Richter dazu nochmal befrage."

Als die Türen sich hinter Nathan Frost schlossen stieß DeMarko pfeifend die Luft aus: "Was zur Hölle ist geschehen? Was bringt diese Mann dazu hier und jetzt seine Karriere in die Wagschale zu werfen? Ich meine, er hat mehr als fündundzwanzig Jahre gearbeitet um jetzt diesen Posten inne zu haben. Ich habe ihn nie anders kennen gelernt als kalt, berechnen, fast völlig emotionslos. Vielleicht sollten wir wirklich nicht weiterboren."
"Unsinn." Entschied Birmingham. "Unwissenheit ist die größte Schwäche und das können wir uns nicht leißten."
Sie betätigte eine Taste am Telefon: "Andrew, ich brauche eine sichere Videoverbindung zu Direktor Vance, TIS."
"Jawohl Madam, einen Augenblick bitte."

Kurze Zeit später erschien auf dem in den Schreibtisch eingelassenen Monitor Charles Vance.
"Guten ... ah, Abend, bei Ihnen in Berlin ist doch jetzt Abend oder?"
"Ja, guten Tag, was immer zur Zeit bei Ihnen jetzt ist. Es ist dringend. Die Navy hat irgendwelchen Dreck am Stecken."
Vance antwortete mit einem wissenden Lächeln: "Nun, das ist allgemein bekannt."
"Hören Sie auf, es geht da um etwas Größeres. Und es muss wirklich schlimm sein. Ich werde Ihnen morgen durch einen Kurier alle Informationen zukommen lassen. Ich möchte, dass diese Angelegenheit absoluten Vorrang hat.
"Absolut Madam. Können Sie jetzt schon was sagen, oder ist es so brisant?"
"Diese Leitung ist sicher?"
"Absolut." Versicherte Vance.
"Es geht um das Bombardement eines Akariiplaneten, er heißt Troffen. Haben Sie schon mal davon gehört?"
"Ja Madam, ich glaube der Name ist mir schon mal untergekommen, aber ich kann es jetzt nicht ganz einordnen", log Vance elegant.
"In Ordnung, ich höre dann von Ihnen. Auf wiederhör'n."
"Ja, ich melde mich."
Birmingham unterbrach die Verbindung und wandte sich DeMarko zu: "Ich möchte von Richter sprechen. Sofort und ohne das Frost mit ihm Rücksprache halten konnte, ist das noch möglich."
DeMarko nickte: "Ich werde dafür sorgen."

***

TRS General Gorden,
Graxon Sternensystem

"ACHTUNG AN DECK!"
General Lorenzo Garth mußterte die ca. dreihundert Soldaten die in dem riesigen Hangar Nr. 1 der General Gordon Haltung annahmen.
"Rühren." Gemessenen Schrittes ging er die erste Reihe ab, bevor er sich vor der Gesammtheit der Truppen aufbaute.
Wie die meißten Männer und Frauen trug auch der General einen einfachen olivfarbenen Overall. Jedoch hatte man ihm Rangabzeichen zukommen lassen.
"Ich will es kurz machen: Wir gehen wieder runter! Wir werden uns in diesem Berg eingraben und jede Echse umlegen, die ihre Nase in UNSEREN Berg steckt."
Es rumorte unter den Soldaten.
"Es ist nicht möglich alles Gefangenen zu evakuieren, ehe die Akarii-Entsatzstreitkräfte Graxon erreichen."
"ACH, die Navy verschwindet und wir dürfen verrecken?" Brüllte ein Latino aus der ersten Reihe. Die Marines um den Mann herum nickten beifällig.
"Die Navy kämpft im Raum und wir auf dem Boden, so wie es immer war."
"Aber die ehemaligen Insassen des Felsens die der Navy angehören werden weggebracht." Setzte der Latino nach.
"Okay, Mister, was sind Sie?" Garth stämmte die Hände in die Hüften. Der mittelgroße Mann hatte zwar schon imposanter ausgesehen, aber jetzt durch die lange Gefangenschaft abgehärtet sah er sehr bedrohlich aus.
"Bitte ... Sir?"
"Was sind Sie? Treibwerksmechaniker? Reaktoringeneur? Pilot? Bordschütz? Schiffskoch? Was ist Ihre Profession?"
"SIR! Ich bin Marine, SIR! Meine Profession ist es dem Gegner den Kopf wegzublasen oder wenn ich das ganz seltene Glück habe, ihn mein Bajonett schmecken zu lassen!" Der Latino war sich in Pose.
"So Sohnemann, und warum wollen Sie dann weg, wenn es hier gilt Ihre Prefession auszuüben?" Wollte Garth wissen.
Sein Gegenüber war kurz perplex und kratzte sich am Hinterkopf: "Haben Sie denn ein Sturmgewehr für mich?"
"Das lässt sich einrichten." Der General wandte sich an an einen Captain. "Mr. Ivanov: Teilen Sie die Leute in zwei Kompanien ein und sorgen Sie für Ausrüstung."
"Aye, aye Sir."
"BRUBAKER!"
Major Richard Brubaker materealisierte direkt links neben dem Admiral: "Sir?"
Richard Brubaker war so weit vom Idealbild eines Marines entfernt, wie es nur ging. Weder besaß er eine muskulöse Figur, noch den harten Blick.
Brubaker war einfach ein Schreibtischtäter. Garth wusste ganz genau, dass dieser Major die weiße Fahne geschwenkt hatte, ohne auch nur einen Schuss abzugeben.
Ebenso konnte sich Garth denken, das Brubaker mit den Akarii-Wächtern auf Graxon fratanisiert hatte. Aber all das war jetzt nicht wichtig, denn jetzt brauchte er diesen einen Major dringender als zwanzig Kampferfahrene Kompanieführer, denn Brubaker war ein Logistiker erster Garde.
"Ich brauche da Unten: Zwei Notgeneratoren, genügend SAMs und radargesteuerte Lasergeschütze um einen Zerstörer runterzuholen. Verpflegung, medizinische Ausrüstung, Bewaffnung und Munition, die eine leichte Brigade für sechs Monate Kampfeinsatz ausgegeben bekommt."
Zur Antwort erhielt Garth ein spötisches Lächeln: "Unmöglich, soviel bekommen wir nie nach unten in der Zeit, schon mal gar nicht, wenn wir noch Evakuieren. Und einen geeigneten Ort für den Fallschirmabwurf dieser Güter ist nicht bekannt."
"Dann sorgen Sie dafür, dass die Jetjockey's der Navy uns schnellstens so einen Platz finden."
"Aye, Sir."
Garth wollte sich gerade abwenden, blieb dann doch noch mal stehen: "Und sagen Sie schon mal unten Bescheid, die sollen zwei Kompanien mit voller Raumrüstung bereithalten, um die Versorgungsgüter aus der Brühe zu bergen."
Der Major salutierte flapsig: "Wird gemacht General."
Während Brubaker entschwand überlegte sich der General noch mal, ob er nicht auch noch SSM's mit nach unten nehmen sollte, entschied sich jedoch zum zweiten mal dagegen. Es brachte nichts die Akarii vorzuwarenen. Er würde das Feuer erst eröffnen lassen, wenn die ersten Sturmshuttles die Klappen runterlassen würden.
Tyr Svenson
In Vorbereitung

Der Besprechungsraum des schweren Kreuzers TRS MERCILESS bot ein Bild mustergültiger militärischer Ordnung. Die einzelnen Kapitäne hatten Platz genommen, neben ihnen ihre Adjutanten. Da man sich in Feindesland befand, war es selbstverständlich, daß die stellvertretenden Kommandeure, die XO’s der Kreuzer, nicht anwesend waren. Sie hielten auf den Gefechtsbrücken die Stellung, und waren durchaus befähigt, die Schiffe ins Gefecht zu führen, sollte es notwendig sein. Nicht, daß dies augenblicklich wahrscheinlich war. Der Umstand, daß es bisher keiner raumfahrenden Macht – sah man von den dunkelsten Mythen alter Kosmonautensagen ab – gelungen war, einen Sprung an einen beliebigen Punkt eines Systems durchzuführen, ließ die Gefahr eines feindlichen Überraschungsangriffes gering erscheinen. Akarii-Verbände, die Graxon angreifen wollten, mußten über eines der Wurmlöcher anmarschieren, und das bedeutete eine ausreichende Verzögerung. Deshalb hatte es sich Henning Schupp nicht nehmen lassen, seine Untergebenen an Bord seines neuen Flaggschiffs zu bitten. Er hatte seine Admiralsflagge an Bord des Kreuzers aufgepflanzt, wie man so sagte. Natürlich wäre auch eine Videokonferenz möglich gewesen, aber Schupp war in der Hinsicht altmodisch. Außerdem ging es ihm ums Prinzip. Einer Konferenzschaltung hätte vielleicht ein Hauch von Feigheit angehangen. Es war ihm klar, daß etliche seiner Untergebenen seinen schnellen Wechsel von der TIREDLESS auf die MERCILESS kritisch sahen, besonders seine alte Mannschaft. Aber als Flottenoffizier der „alten Schule“ fiel es ihm nicht ein, um Verständnis zu werben, sein Handeln gar ausführlich zu erklären oder zu rechtfertigen.

Nein, er würde alles so machen wie immer – Auge in Auge mit seinen Kommandanten. Von denen, soviel war klar, war auch kaum Kritik zu erwarten. Zum Teil waren sie sowieso von seinem Schlag, und die anderen hatten teilweise keine sehr feste Position, was ihr Ansehen und ihre Autorität ihren Kollegen gegenüber betraf.
Die ganze Versammlung wirkte also ziemlich steif und förmlich – in Plastahl gegossenes Zeremoniell, lebende und stolze Tradition der Flotte, die älter war als irgendetwas, das die Frechheit besaß, sich „lebendig“ zu nennen. Einigen Kommandanten schien die aufgesetzte Zackigkeit und Steifheit nicht zu passen – etwa dem Kapitän der DAUNTLESS, der in der Hinsicht sowieso aus dem üblichen Raster fiel – aber die Mehrheit hatte solche Umgangsformen und den ihnen innewohnenden Geist mit den ersten Brückenwachen oder schon früher verinnerlicht.
Jeder vermied es peinlich, auf den Schiffswechsel des Flottillenchefs hinzuweisen. Ebenso wie keiner auf seinen immer noch bandagierten Arm Bezug nahm. Er hätte genau so gut seit Anfang der Fahrt an Bord der MERCILESS „residieren“ können. Schupp selber behandelte den Interimskommandeur seines alten Schiffes wie einen ganz normalem Kapitän, der ihm unterstellt war. Nur keine Blöße geben – auch das war ein Gebot der Flotte.

„Meine Damen und Herren,“ zumindest so weit war Schupp in der Gegenwart, daß er sich nicht auf eine maskuline Anrede beschränkte: „ich gehe davon aus, daß Sie über die Situation informiert sind. Der Gegner hat begonnen Streitkräfte zusammenzuziehen. Bisher noch nicht in ernstzunehmender Stärke – ein Flottenträger und zwei Golf nebst Geleitschiffen sind nicht zu unterschätzen, doch die Führung geht davon aus, daß dies nur der Anfang ist. Sie kennen die Pläne des Oberkommandos für unsere Mission, deshalb werden wir abwarten müssen, wie sich die Sache entwickelt.“ Den Offizieren war anzusehen, daß sie keineswegs alle zufrieden waren. Abzuwarten, während der Feind geortet war und auf Verstärkung wartete, schmeckte ihnen ganz und gar nicht. Einige hätten wohl dafür plädiert, die Reserveträger nachzuziehen. Entweder um massiert gegen die Akarii loszuschlagen – ein Flotten- und zwei leichte Träger waren eine nette Beute – oder um Verstärkung bei der Hand zu haben, sollten die Akarii unerwartet mit geballter Macht angreifen. Denn daß es bei diesen Feindkräften bleiben würde, glaubte keiner.
„Vorerst sind unsere Aufgaben folglich rein defensiv. Sollte der Gegner massiert angreifen, so daß wir das Eintreffen von Verstärkung abwarten müssen, oder kämpfend zurückweichen um ihn auf unsere zweite Linie zu ziehen, wird es unsere Aufgabe sein, nicht nur feindliche Großkampfschiffe abzuwehren – wir werden auch Teil der Verteidigung gegen die zu erwartenden Jägerangriffe sein. Unserer Bestimmung ist dabei, eine flexible rückwärtige Stellung zu bilden, hinter der unsere Träger relativ sicher sind. Auf Grund der speziellen Aufgaben wird der DAUNTLESS dabei eine Schlüsselrolle zukommen.“ Schupps Stimme drückte immer noch gelinde Zweifel an den Fähigkeiten des Flakkreuzers – vielleicht auch an dessen Mannschaft und Kapitän – aus. Die kurze aber siegreiche und nichts desto trotz verbissene Schlacht mit den Garnisonsverbänden Graxons hatte daran nichts geändert. Aber er sprach es nicht direkt aus, es war eher ein undeutlicher Unterton, ein leichtes Heben der Augenbrauen, ein kurzes Verziehen der Mundwinkel. Gonzales konnte also nichts machen.

„Kern der Formation bilden die MERCILESS und DAUNTLESS, die sich direkt ,hinter‘, respektive ,vor‘ den Trägern postieren werden. Etwas zurückversetzt, auf gleicher Position mit den Trägern, wird sich die TIREDLESS aufhalten.“ Er schaute seinen ehemaligen XO an, ohne irgendwelche Regungen erkennen zu lassen: „Ist das Schiff bereit?“ Dem Gesicht von Juliene Dutreil war anzumerken, daß es in ihm arbeitete. Er, nicht Schupp, mußte Tag für Tag seine Leute motivieren, nicht den Mut zu verlieren. Ungeachtet dessen, daß jeder einen Freund oder guten Bekannten unter den Gefallenen oder schwer Verwundeten hatte, ungeachtet der auch für die Verhältnisse bei der Navy miserablen Lebensbedingungen. Er, nicht Schupp, mußte ein halbes Wrack in die Schlacht führen, das langsam und schlecht bewaffnet war, und in dem der Schatten des Todes in jedem Raum zu schweben schien. Aber das alles konnte er natürlich nicht sagen – sogar denken konnte er es kaum. Ihm blieb nur die leere Floskel „Das Schiff wird seine Pflicht tun.“ Wie er sie mit Leben zu erfüllen gedachte, war seine Sache. Die ganzen Einzelheiten – die endlose Arbeit, bis Schilde und Waffen zumindest notdürftig und zum Teil funktionierten, die beinahe stündlichen kleinen Störfälle, das Dunkel und die Kälte im Schiff, da Energie gespart werden mußte, all das hätte er erwähnen können. Er tat es nicht. Wozu auch?
Es war ja nicht so, daß Schupp sein altes Schiff vernachlässigt hätte. Die Verwundeten hatten ebenso wie die Reparaturtrupps jede nur denkbare Hilfe erhalten. Aber der Captain hatte keine besondere Anteilnahme mehr gezeigt, ließ durch nichts erkennen, daß ihm das Schiff mehr bedeutete als eine Stahlhülle, die Männer und Frauen mehr für ihn waren als Untergebene. Das war eine Navytradition – man diente nicht dem Schiff oder der Besatzung, man diente der Flotte. Und änderte sich das Schiff, hatte gefälligst alles beim Alten zu bleiben. Zumindest nach Außen. Schupp erfüllte diese Vorschrift mit beinahe unmenschlicher Akkuratesse. Der Flottillenkommandeur nahm die Bestätigung folglich als etwas Selbstverständliches hin – was sie nach Navymaßstäben auch war. Ob er wußte wie sehr sein Verhalten seinen früheren Untergebenen verletzte und kränkte, ließ er sich nicht anmerken.

„Linker Flügel bilden RELENTLESS, Pride und Fury. Den Rechten übernehmen Annihilator, Executioner und Obliterator. Ich brauche Sie nicht darauf hinzuweisen, daß kein, ich wiederhole, KEIN feindliches Schiff diesen Sperrgürtel durchbrechen darf. Wird werden zu diesem Zweck natürlich eng mit den anderen Sperrschiffen zusammenarbeiten. Unsere Träger sind überaus empfindlich, einer ist angeschlagen, und nach den hohen Verlusten zu Kriegsbeginn ist aus militärischen wie psychologischen Gründen ein Verlust inakzeptabel.“
Das war an sich schon ein starkes Stück, denn es implizierte, daß der Verlust eines Kreuzers weit eher etwas „Akzeptables“ war. Aber diese Einstellung bei der Flottenführung und teilweise auch in der Öffentlichkeit – so die nicht einem Kreuzer besonders verbunden war – war nichts Neues.
Mit ihren weitreichenden Geschützen und Raketenwerfern, die einen Feuerradius von 15.000 Kilometern oder mehr hatten, waren die Schiffe in der Lage, einen recht effizienten Abwehrschirm zu bilden. So war zumindest die Theorie. Die DAUNTLESS sollte ihre Chancen ja eigentlich noch verbessern, aber Skepsis überwog bei den meißten. Die Akarii hatten es bisher noch fast immer verstanden, ein Loch zu finden – oder sie schlugen sich eins.
„Mitte, Rechter und Linker Flügel sind als taktische Einheit selbständig, dabei haben RELENTLESS und Obliterator die Aufgaben der Sektionskommandoschiffe inne.“ Die Maßnahme diente als Versicherung für den Notfall – sei es, daß das Flaggschiff ausfiel, sei es, daß schnell Entscheidungen zu treffen waren.
„Dies sind die groben Züge, genaueres gibt es, wenn wir klarer sehen. Noch Fragen Ihrerseits?“ Allzuviel, das war klar, ließ sich nicht vorausplanen so lange nicht einmal bekannt war, wann, womit und wie die Akarii angreifen würden.

Captain Mithel meldete sich zu Wort: „Sir, mir bereitet die Abgabe der Marines Sorgen. Sollte es zu einer schweren Auseinandersetzung kommen, ist die Gefahr von Enteraktionen nicht auszuschließen.“ Enterungen waren im modernen Raumkrieg selten, aber nicht völlig unmöglich. Ein havariert liegenbleibender Kreuzer war einfach eine zu wertvolle Beute, um ihn gleich zu vernichten.
Schupp nickte knapp: „Das ist mir bekannt. Das Oberkommando des Verbandes hat es aber abgelehnt, uns die abgezogenen Truppen wieder zur Verfügung zu stellen. Offenbar“, und hier zeigte er – fast undenkbar – so etwas wie Kritik an der Admiralität: „hat man die Evakuierung des eroberten Stützpunktes nicht schnell genug abschließen können. Die Marines werden, wenn die Akarii uns nicht sehr viel Zeit lassen, sich wohl einigeln müssen. Mit Abhilfe ist also nicht zu rechnen. Die Besatzungen sind für solche Fälle vorzubereiten. Es sollen aus nicht unbedingt gefechtsgebundenem Personal Sperrtrupps gebildet werden. Zur Not...“ Er sprach nicht aus, was alle wußten.
Sperrtrupps waren eine nette Bezeichnung für Kanonenfutter, das die Akariisturmtruppen bestenfalls bremsen konnte. Im Extremfall hatten die Kommandeure das Recht, ein havariertes Schiff zu vernichten. Man sprach nicht darüber, denn das konnte manches Mal nicht anders genannt werden als Mord an den Teilen der Besatzung, die bei einer Kapitulation noch Chancen gehabt hätten. Aber ein Schiff dem Feind zu überlassen war für viele undenkbar. Mithel schien von daher nicht gerade zufrieden, akzeptierte aber die Notwendigkeiten. Auf ein Zeichen des Flottiellenchefs standen die anderen Offiziere auf uns salutierten, dann gingen sie.

Erst als die letzte der weißuniformierten Gestalten den Raum verlassen hatte, als sicher war, daß keiner mehr eintreten würde, weil er noch ein Frage hatte, ließ Schupp sich wieder in seinen Sessel sinken. Sein Gesicht wirkte auf einmal sehr alt und sehr müde. Bitterkeit und Selbstzweifel ließen Falten erscheinen, die den Captain fast wie einen Greis wirken ließen. Er vermißte sein altes Schiff, vermißte seine alten Untergebenen. Und er haderte fast Tag und Nacht mit sich, daß er seinen Kreuzer nicht besser hatte führen können, daß SEIN Schiff jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst war. Und so viele waren gefallen. In diesem Augenblick glich er seinem Kreuzer – von altem Stolz und alter Stärke war nichts geblieben. Captain Schupp hob die Hand, die er noch benutzen konnte. Die Finger zitterten deutlich – Zeichen der Übermüdung, des Stresses, des Alters, wer wußte das schon. Die ganzen letzten Tage, seit der Schlacht, hatte er gegen Resignation und Schwäche gekämpft. Er hatte sogar angefangen heimlich zu trinken, um wenigstens etwas Ruhe zu finden. Ohne Alkohol und Schlaftabletten fand er kaum noch Schlaf. Das war natürlich streng verboten, aber ein Captain war schlechter zu kontrollieren als ein einfaches Besatzungsmitglied. Er fuhr sich mühsam über die Augen, als müßte er Bilder verscheuchen, die ihm in den Sinn kamen. Dann straffte er sich wieder. Auch wenn es nur eine Fassade war...
Er verließ ruhigen Schrittes den Besprechungsraum, auf dem Weg zu seinem Quartier. Henning Schupp kannte seine Pflicht.
Tyr Svenson
KAZE:
Als ein harter Ruck durch die KAZE ging, keuchte Lieutenant Jones erschrocken auf. Aber sie hielt ihren Posten.
„Drei Strich über Horizont, sieben nach Backbord“, befahl Justus Schneider leise.
„Aye, drei über Horizont, sieben nach Backbord.“ Wie konnte der Mann nur so ruhig sein? Sie waren mit voller Fahrt in einen Hinterhalt geraten, hatten Jäger zwischen den eigenen Schiffen, mit denen der Dirty Bunch gerade mal so mithalten konnte und waren in einem verbissenen Kampf mit einer gegnerischen Korvette verwickelt. Aber Justus Schneider wirkte, als hätte er einen Eisbarren verschluckt.
„Sir, der Kurs bringt uns aber vom Gegner fort“, gab Commander Soleil zu bedenken.
„Ich weiß, was ich tue. Vertrauen Sie mir, Commander“, hauchte Schneider leise.
Die KAZE hatte ein riesiges Problem. Sie war schnell und hatte eine starke Primärbewaffnung, aber die Sekundärbewaffnung war kaum der Rede wert. Ebenso war die Manövrierfähigkeit etwas… Nun, träge. Deshalb hatte es die agile Akarii-Korvette, nachdem sie es nahe genug heran geschafft hatte, auch so leicht, der KAZE auf der Nase herum zu tanzen. Sie musste nur aus der Reichweite der beiden Harpoon-Werfer im Bug bleiben, um einigermaßen sicher zu sein.
„Raketen Feuer frei.“
„Aye, Raketen Feuer frei“, meldete Lieutenant Ichihiro und gab die beiden Zwanziger-Raketenwerfer frei, die sofort zwei Schwärme auf den frechen kleinen Gegner entsandte, der sich in ihre Fregatte verbissen hat.
„Wenn das so weitergeht“, knirschte Lieutenant Li von seinem Platz, „nagt sie uns Stück für Stück auseinander.“
„So weit lassen wir es nicht kommen“, sagte Schneider bestimmt. „Wie sieht es bei unseren Kameraden aus?“
„Schlecht, Sir, die ONTARIO wurde mehrfach getroffen, ebenso die GUADALCANAL, aber die Start- und Landebahnen sind noch intakt.
Es scheint, der Gegner konzentriert sein Feuer auf die MOUNTBATTON. Die hält dagegen, könnte aber etwas Hilfe gebrauchen.“
„Zuerst müssen wir unsere eigene Zecke los werden, bevor wir dran denken können, anderen zu Hilfe zu kommen. Die MIDWAYS sind dazu gebaut worden, anderen aufzulauern. Nicht sich aus einem Hinterhalt frei zu kämpfen.“ Nachdenklich rieb sich Schneider die Schläfe, als Ichihiro meldete, dass dreißig der zwanzig Raketen auf der angreifenden Korvette eingeschlagen oder im Schirm explodiert waren. „Ich frage mich, ob der alte Inder das auch so sieht oder mir eine Ausrede vorwerfen wird. Ruder, Triebwerk abstellen.“
„Was?“ Lieutenant Jones fuhr herum und starrte ihren Vorgesetzten an. Schneiders Art war flapsig, unerhört locker sogar, aber sie hatte ihm immer vertraut. Doch bei diesem Befehl sah sie den Sinn nicht.
„Ich sagte, Triebwerk abstellen.“
Die beiden sahen sich für einen Moment in die Augen und Eavy fragte sich unwillkürlich, ob Schneider sich ergeben wollte. Sie schämte sich sofort wieder für diesen Gedanken und schalt sich selbst eine Närrin. „Aye, Triebwerk abgeschaltet. Wir laufen nun konstant ohne weitere Fahrtaufnahme.“

Zufrieden lehnte sich Justus Schneider zurück. „Also dann, mein kleiner Akarii-Freund. Merkst du, was gleich mit dir passieren wird? Mr. Ichihiro, beide Harpoons klar machen.“
„Harpoon-Rohre eins und zwei klar. Feuerbereit auf Ihr Zeichen.“ Der groß gewachsene Japaner schien mit dem Befehl des Skippers keine Probleme zu haben. Nein, er grinste sogar breit.
„Die Korvette setzt sich in unser Fahrwasser“, meldete Li leise. „Sie ist auf Kernschussweite heran.“
„Erfassen Sie den Gegner“, befahl Schneider leise. Defacto würden nun mehrere Zielsuchlaser nach der Korvette greifen und sie markiert halten. Dadurch würden die beiden Schiff-Schiff-Raketen vom Typ Harpoon ihr Ziel finden und garantiert vernichten.
„Gegner erfasst. Link mit Harpoons etabliert“, meldete Li.
„Bestätige Link“, sagte Ichihiro.
„Ms. Jones, volle Kraft auf Korrekturtriebwerke Alpha, Bravo, India und Juliet.“
„Aye, Sir. Volle Kraft auf Alpha, Bravo, India und Juliet.“
Sie feuerte die vier Düsen auf voller Leistung. Jede Sekunde musste sich das Gespenst melden und Schneider dafür anraunzen, dass er ihre kostbaren Manöverdüsen durchbrennen ließ.
„KAZE dreht sich“, meldete Commander Soleil. „Neunzig Grad. Hundertzwanzig Grad. Hundertfünfzig Grad.“
„Feuer frei auf mein Zeichen“, befahl Schneider, und seine Stimme klang kalt wie Eis.
„Hundertsiebzig Grad!“, rief Commander Soleil.
„Feuer.“
„Aye, Sir“, bestätigte der Waffenoffizier und schickte beide Antischiffsraketen auf die Reise.
„Korvette versucht Ausweichmanöver. Antiraketenwaffen geben Dauerfeuer. Abwehrmaßnahmen!“
„Zu spät, zu spät, zu spät“, murmelte Justus leise.
„Einschlag!“, kam der aufgeregte Ruf von der Ortung.
Justus ließ den Kopf hängen. Zwei Harpoons konnte das Feindschiff nicht überlebt haben. Selbst Überlebende waren nicht wahrscheinlich.
„Ms. Jones, bringen Sie uns wieder auf Kurs und feuern Sie das Triebwerk an. Meldung an das Flaggschiff: Korvette Charly zerstört. Bitten um neue Befehle.“
Müde ließ sich Justus in seinem Sessel zusammen sinken. Der Kampf hatte viel zu lange gedauert.
Das war nicht akzeptabel. Einfach nicht akzeptabel.
„MOUNTBATTON erhält schwere Treffer. MOUNTBATTON sendet SOS.“
Justus senkte den Kopf. Ein verdammt erfolgreicher Hinterhalt. Im Stillen beglückwünschte er den gegnerischen Kommandeur für seinen Wagemut.

**

Justus stand im Hangar und musterte seine Marines. Der volle Zug war angetreten. Und alle wirkten aufgekratzt. Second Lieutenant Johansson grinste Justus frech durch die Scheibe seines Raumhelms an.
„Sind Sie bereit, Lieutenant?“
„Ja, Sir!“, rief der Marine und seine Leute stimmten ein. „Endlich mal wieder ein paar Akarii in den Arsch treten. Das hat uns schon lange gefehlt.“
„Lieutenant, auf ein Wort.“ Schneider entfernte sich ein paar Schritte von den angetretenen und vor Aufregung zitternden Marines und deutete dem Offizier, mitzukommen.

Etwas abseits sprachen sie kurz miteinander. „Sie haben Abschnitt May. Das bedeutet, Sie teilen sich eine Front mit den Colonials. Seien Sie vorsichtig. Die Colonials wollen beweisen, was sie wert sind. Sie werden Risiken eingehen, für die man eigentlich SAS oder SEAS brauchen würde. Achten Sie darauf, dass Sie dadurch nicht plötzlich Gegner im Rücken haben.“
„Machen Sie sich keine Sorgen. Wir gehen rein, machen die Akarii platt und gehen wieder raus.“
„Johansson“, ermahnte Justus den Untergebenen. „Tun Sie mir bitte einen Gefallen. Wir von der KAZE stehen als Synonym für Quengler, Unruhestifter und Befehlsverweigerer.“
„Schon klar, Sir, ich mache Ihnen keine Schande.“
„Sie verstehen mich falsch. Ich will dass Sie genau das tun. Befolgen Sie keine unsinnigen Befehle. Vertrauen Sie in erster Linie Ihrer Erfahrung. Sie wissen jetzt wohl, was ich will.“
Johansson nickte schwer. „Ja. Ich bringe so viele wie möglich wieder mit zurück.“
Stumm streckte Schneider ihm die Hand entgegen. Der Marine ergriff sie ohne zu zögern.
Wer die beiden so sah, konnte kau glauben, dass sie sich nach Schneiders Kommandoübergabe kaum hatten riechen können.
Oder vielmehr hatte der Marine versucht, Schneider das Leben schwer zu machen, war aber an der nonchalanten Art des Skippers immer wieder gescheitert. Bis sie sich irgendwann zusammen gerauft hatten.

Justus trat einen Schritt zurück und salutierte. „Viel Glück, Second Lieutenant.“
Johansson erwiderte den Salut. „Danke, Sir. Okay, Ihr Memmen, einbooten. Es gibt da eine Station voller Akarii, die getötet werden wollen. Oder wollt Ihr ernsthaft den Colonials dabei zusehen, wie sie unsere geliebte Marine-Infanterie vorführen?“
Wütendes Gebrüll antwortete Johansson, während die Marines mit ihrem Material an Bord des Pendlers gingen.
Amber Soleil trat leise neben ihren Skipper. „Sorgen, Jus?“, fragte sie sanft.
Justus griff nach ihrer Hand und drückte sie sanft. „Sorgen. Ja. Seit diesem Hinterhalt und dem Verlust der MOUNTBATTON. Wir haben es schwer. Irgendwie kann ich nicht glauben, dass sich das ändern wird.“
„So. Was denkst du über Singhs Plan?“
„Die Station zu erobern und das System an die Colonal Navy zu übergeben? Ha. Denkst du wirklich, sie setzen eine Kreuzerschwadron in Marsch, um eine unbedeutende Randwelt des Imperiums zu halten? Sie haben mehr als genug mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, sonst würde uns ein Trägerverband begleiten und nicht nur eine Kompanie der Präsidentengarde. Amber, wir bleiben vorerst auf Alarm. Und wir bleiben es auch für den Anflug auf das gegnerische Wurmloch. Ich will hier weder sterben noch mein Schiff verlieren.“
Langsam löste die Offizierin ihre Hand aus Schneiders Rechte. „Aye, Sir. Die KAZE startet zum Wurmloch, sobald die Marines ausgeschleust sind.“
„Vor einer Woche dachte ich noch daran, dass Singh doch ein vernünftiger, ein anständiger Offizier ist. Aber nun glaube ich wirklich wieder das, was ich von Anfang an über ihn gesagt habe. Dieser Inder wird uns alle umbringen.“

**

„Also, Herrschaften, ich darf euch noch mal dran erinnern, wir schießen nur auf Akarii.“
„Hältst du uns für blöde, Carl?“, warf einer der Infanteristen ein und kassierte dafür einen derben Schlag auf den Kopf. „Natürlich. Sonst würde ich das hier kaum sagen, oder?
Also, noch mal. Wir schießen nur auf Akarii. Wenn ich auch nur einen von euch dabei erwische, wie er die Colonials nervös machen will dann gibt das Keile mit der groben Kelle.“
„Lieutenant Johansson“, meldete der Fährenpilot, „wir kommen nun in Abschnitt May herein.“
„Es geht los, Leute. Und vergesst nicht, jeder Befehl, den euch dieser Spinner von der AZINCOURT gibt, wird von mir erst abgesegnet, klar?“
„JA, SIR!“, riefen die Marines.
Die Fähre dockte an. Johansson lud seine Waffe fertig. „Immer treu, Marines!“
Die Luke ging auf und der Lieutenant lief als Erster heraus.
„IMMER TREU!“, riefen die Marines der KAZE und folgten ihrem Offizier.
Tyr Svenson
COLUMBIA:

Als Huntress erwachte, machte sich zuerst der beißende Kopfschmerz bemerkbar.
„Oh, Verdammt“, brummte sie, „was habe ich nur gesoffen?“
„Guten Abend, Commander“, erklang eine bekannte Stimme neben ihr.
„Sind Sie das Rapier?“, fragte Juliane Volkmer und versuchte den Kopf zu drehen – was sofort eine neue Schmerzwelle auslöste.
„Ja, Ma´am. Ich… habe das Kommando über die Staffel übernommen.“
Erschrocken fuhr Huntress auf, was weiteren, beißenden Kopfschmerz zur Folge hatte. „WAS? Was ist mit Demolisher?“
„Ruhig, Ma´am. Sie haben eine gebrochene Nase, eine leichte Unterkühlung und eine massive Gehirnerschütterung.“
„Danke für die medizinische Antwort, aber ich hätte auch gerne eine auf meine Frage“, versetzte Huntress ernst.
„Nachdem Sie abgeschossen wurden, ging es Schlag auf Schlag. Wir… flogen mitten in den Raketenregen der Akarii rein. Wir… Wir hatten empfindliche Verluste. Wir haben fünf Maschinen verloren. Darunter sind zwei Tote.“
Matt ließ sich Huntress wieder auf ihr Bett sinken. Tonlos fragte sie: „Wer sind die Toten?“
„Dagger und Cloud“, sagte Annegret Lüding leise.
Übergangslos standen Huntress Tränen in den Augen. „Das ist nicht richtig“, schluchzte sie leise. „Es ist meine Staffel und ich bin für jeden Verantwortlich. Zwei meiner Leute sind tot. Ich darf nicht erleichtert darüber sein, dass es Demolisher nicht erwischt hat.“

Annegret wartete ab, bis sich ihre Vorgesetzte gefangen hatte. Dann setzte sie ihren Bericht fort. „Demolisher übernahm unsere Staffel sofort und führte uns tiefer ins Gefecht. Dann kamen die Salven. Wir flogen Geleit für eine Staffel JaBos der INTREPID, als die Kampfbildschirme rot wurden. Einzelne Raketen waren nicht mehr zu erkennen. Die verschiedenen Blips verschmolzen zu einem einzigen gigantischen Zeichen.
Wir brachen in alle Richtungen aus. Da erwischte es Foreigner. Ihre Maschine wurde zweimal getroffen, aber sie konnte aussteigen. Es geht ihr gut, aber sie schiebt einen Mörderfrust.
Dann schaffte es Dagger nicht. Direkter Cockpittreffer. Sein… Sein Entsetzensschrei gellt mir immer noch in den Ohren, aber es muß schnell gegangen sein.
Demolisher leistete unglaubliches, wischte Elfwizard zwei Raketen vom Arsch weg und wurde von einer feindlichen Bloodhawk aus der sechs beschossen.
Er revanchierte sich, trieb zusammen mit Elfwizard den Gegner in die Ecke und schoss ihn ab. Da kam die zweite Welle Raketen.
Beschädigt wie seine Mühle war konnte er diesmal nicht ausweichen. Aber er konnte aussteigen.
Danach traf es Cloud.“
Annegret Lüding barg ihr Gesicht in den Händen. „Ich hatte nicht einmal eine Minute das Kommando und musste dabei zuhören, wie er an Unterdruck starb. Ich konnte nichts tun. Ich konnte einfach nichts tun. Er ist erstickt.“
Huntress richtete sich trotz der Kopfschmerzen wieder auf und ergriff Rapiers Kopf. Sie zog die Frau zu sich herüber und umarmte sie. „Es ist in Ordnung, Annegret. Es ist in Ordnung. Sie haben den Rest sicher nach Hause gebracht. Eine gute Leistung. Wenn, dann ist es meine Schuld, weil ich mich habe so früh abschießen lassen. Ich hätte länger für die Staffel da sein müssen.“

Nur mühsam beruhigte sich die junge Pilotin wieder.
„Wie sieht es denn auf der Haben-Seite aus? Ich nehme an, Foreigner und Demolisher sind wieder dienstfähig?“
Rapier lächelte leicht. „Demolisher kommt Morgen wieder raus. Gott sei Dank. Dieser Papierkrieg ist echt nichts für mich. Foreigner haben sie schon Vorgestern entlassen, weil sie mit ihrem nervösen Rumgetigere das halbe Lazarett rebellisch gemacht hat.
Und Sie sind Übermorgen wieder draußen.
Insgesamt hat die Kampfgruppe es gut überstanden. Wir haben die Akarii fortgejagt, ihren Träger erwischt und den Berg erobert.
Und die Staffel hatte bei fünf eigenen Verlusten sieben Abschüsse. Zwei gehen auf Demolisher, einer auf mich. Einen hat Cloud erwischt. Elfwizard hat sich ihren ersten Abschuss überhaupt geholt. Foreigner hat sich auch einen geholt. Und Avenger ist jetzt hochoffiziell ein Aß.“
„Ich hätte die Statistik gerne ein wenig besser aussehen lassen. Irgendwie muß ich ja die zwanzig erreichen“, scherzte Huntress.
„Das werden Sie, Ma´am. Der CAG hat ganz klar gesagt, dass das nächste Gefecht nicht mehr fern ist. Die Akarii werden hier bald mit einer Entsatzkampfgruppe aufschlagen. Und wir haben keine Ahnung, wie stark sie ist. Wir können nur hoffen, dass die Admiralität ausnahmsweise einen Plan hat.“
„Nanu, so ironisch kenne ich Sie ja gar nicht. Erwachsen geworden oder verliebt, Annegret?“, fragte Huntress grinsend.
„Muss erwachsen sein, denn die Männer hier an Bord sind ja alle schwächer als ich“, erwiderte Rapier mit einem Lächeln. „Ach, bevor ich es vergesse. Ihre Freunde von der Roten Staffel haben es beide geschafft. Aber sie haben ihre Flügelmänner verloren.
Und noch etwas. Wir haben uns tatsächlich Admiral Alexander zurückgeholt. Sie war im Kriegsgefangenenlager im Berg inhaftiert.“
Huntress nickte matt. „Gute Neuigkeiten. Aber an den Staffelverlusten habe ich erst mal zu kauen. Nehmen Sie Ihren Dienst jetzt wieder auf, Rapier. Und lassen Sie nicht zuviel Papierkrieg für Demolisher übrig, ja?“
„Ach, Menno, können Sie Gedanken lesen?“, scherzte die deutsche Pilotin.
„Rapier, eines noch. Wegen Ihrem Katschmarek. Wenn die Raketensalve wirklich derart intensiv war… Dann hat Gott alleine entschieden, wer leben darf und wer sterben musste. Machen Sie sich keine Vorwürfe wegen Dagger. Stattdessen nehmen Sie die Verantwortung als Überlebende an und fliegen sie für ihn mit.“
Wieder stiegen der jungen Pilotin Tränen in die Augen. „Ja, Ma´am“, schluchzte sie.
Huntress kam wieder hoch, fegte ärgerlich den Kopfschmerz beiseite und gab dem First Lieutenant einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass Sie meine Staffel gehütet haben. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie noch mal Staffelführer oder CAG auf einem Träger.“

Rapier schluckte trocken und wischte die Tränen fort. „Ich wünschte nur, ich wäre stärker.“
„Sie sind stark“, flüsterte Huntress. „Viel stärker als Sie glauben.“

**

„Sie wollten mich sprechen, Shaka. Nun, Sie haben eine Minute.“
„Danke, Commander. Ich habe eine Bitte.“
Interessiert sah Lone Wolf auf. „Ich höre.“
„Sir, ich habe mir zwei weitere Abschuss in der Schlacht geholt und bei drei unterstützt. Ich konnte meinen Flügelmann nicht beschützen, nachdem Skunk sich von uns getrennt hat. Aber ich glaube, dass ich fliegen kann. Ich bitte um die Erlaubnis, ab sofort das Callsign Ace anzunehmen.“
Cunningham starrte den Piloten an. „Sie haben Ihren Leader im Gefecht verloren, wurden von der Staffel abgedrängt, haben Ihren Flügelmann verloren, weil er nicht auf Ihre Kommandos gehört hat. Und Sie wollen allen Ernstes nun Ace genannt werden?“
„Sir!“
„Himmel noch mal, wissen Sie, wie viele gute Piloten da draußen gestorben sind, die den Namen Ace eher verdient hätten?“
„Sir!“
Resignierend sah Cunningham auf seine Akten. „Genehmigt. Aber machen Sie dem Namen keine Schande. Und verdammt noch mal, machen Sie nicht den gleichen Stunt wie Ihr Vorgänger und sterben Sie.“
„Sir!“ Second Lieutenant Albert Mbane salutierte und verließ das Büro des CAG.

Auf dem Gang erwartete ihn Kali. Sie wirkte viel gefasster als noch tage zuvor, als sie noch unter dem Verlust ihres Flügelmanns gelitten hatte.
„Ich dachte, er frisst mich, kaut mich durch und spuckt die Reste wieder aus“, raunte Shaka und ließ sich gegen die nächste Wand sinken. „Aber es ist alles gut gelaufen. Nenn mich Ace.“
Kail musterte ihn. „Okay. Ace. Aber, Mister, Sie haben absolutes Verbot, in irgendwelche Antischiffsraketen zu fliegen, verstanden?“
Shaka salutierte spöttisch. „Jawohl, Ma´am.“
Tyr Svenson
Ärger in der Kantine

Die Hauptkantine der COLUMBIA war sehr voll, als sich Donovan mit seinem Tablett in der Hand nach einem freien Platz umschaute. Er konnte nirgends ein bekanntes Gesicht entdecken, also setzte er sich an einen freien Platz im hinteren Teil. Der Tisch war an dem einen Ende mit drei Crewmen besetzt, der Farbe ihrer Overalls nach zu urteilen handelte es sich um eine Tankcrew. Donovan setzte sich an das andere Ende des breiten Tisches, an dem bequem 16 Menschen Platz finden konnten. Er beachtete die drei jungen Männer nicht weiter und auch sie schauten nur kurz hoch und fuhren dann mit ihrem Gespräch fort ohne sich anmerken zu lassen, ob sie ihn erkannt hatten oder nicht.

Müde blickte er schließlich auf sein Tablett und betrachtete das Essen.
Ein schlabberiges Steak, Kartoffelmatsche und ein grünes Gemüseeinerlei, bei dem es sich in seinem früheren Leben wohl um Brokkoli gehandelt haben musste. Doch der Navypilot scherte sich nicht weiter um das Aussehen. Er hatte Hunger.
Acht Stunden hatte er nun fast ununterbrochen an Bord seines Jägers gesessen. Erst eine Aufklärungsmission, dann eine Eskortmission für ein Transportshuttle und dann noch eine eigene Transportmission runter zum Plateau. Donovan hatte einen Schauer seinen Rücken runter laufen gespürt, als er seinen Transportbehälter in der Nähe des Plateaus abgeworfen hatte und dabei einen Blick auf die Umgebung seines neulichen Kampfes geworfen hatte. Vertraute Bilder waren ihm da in den Sinn gekommen und ihm fröstelte bei der Erinnerung daran, wie knapp er doch mit seinem Leben noch mal davon gekommen war.
Doch er verdrängte diese Gedanken und haute stattdessen rein. Das Essen mochte nicht sonderlich gut aussehen, aber es schmeckte. Vor allem, wenn man eben fast acht Stunden nichts gegessen hatte. Donovan spürte förmlich wie sein Blutzuckerspiegel langsam aber sicher wieder ein gesundes Niveau erreichte.

Als sein erster Hunger und Durst gestillt war, blickte er sich ein wenig um und beobachtete seine Kameraden. Es war ruhiger als sonst, deutlich ruhiger als zu Beginn dieser Feindfahrt. Der Unterschied war zwar nicht gravierend, aber es war Donovan doch aufgefallen. Vielleicht lag es daran, das er – anders als die meisten anderen an Bord – eher selten in Begleitung hier gewesen war und daher häufiger die Gelegenheit dazu gehabt hatte, die Stimmung an Bord wahrzunehmen. Wenn niemand da war mit dem er sich unterhalten konnte, so beschränkte er sich auf da Beobachten.
Und seine Beobachtungen der letzten Zeit förderten zwei Erkenntnisse zu Tage. Erstens war die Gesamtstimmung nach der ersten siegreichen Schlacht zwar euphorisch gewesen. Doch das hatte sich schon lange wieder gelegt und hatte sich in eine eher aggressivere Grundstimmung umgeschlagen. Das lag zum einen daran, dass auch sie Gefallene und Verletzte zu beklagen gehabt hatten, wenn auch nicht so viele wie auf der INTREPID und dann auch nur unter den Piloten. Und zum zweiten fiel es natürlich auch dem letzten an Bord auf, das sie nun schon eine geraume Zeit im Graxon-System waren, länger als von vielen vorher vermutet worden war. Und das es nicht sonderlich klug war, weiter quasi wie auf dem Präsentierteller mitten in Feindesland zu liegen und darauf zu warten, dass die Akarii vorbei kamen, war jedem an Bord klar. Die Crewmitglieder und Piloten der COLUMBIA hatten sich zwar dieses Mal wenigstens nicht ihn als Sündenbock ausgesucht, sondern die lahmarschigen Marines und die Versorgungstruppen. Aber das ließ ihm dennoch nicht gerade die Herzen zufliegen.

Aber dennoch, das Interesse an Donovan war seit sie im Graxon-System angekommen waren merklich abgekühlt. Natürlich lag das vor allem an der Tatsache, dass es derzeit viel Wichtigeres als einen eventuellen Ex-Piraten gab. Es lag aber auch an den Untersuchungen des JAGs zu diesem Vorfall. Anders als Donovan vermutet hatte, waren diese voll und ganz in den Fall eingestiegen und hatten einiges an Staub aufgewirbelt. Und auch wenn sie die Übeltäter nicht hatten finden können, hatte ihre ernsthafte Suche zumindest dafür gesorgt, dass es sich andere anscheinend zwei Mal überlegten, ob sie sich ihn greifen sollten. Doch trotzdem, Donovan wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich diese Anspannung wieder auf ihm entladen würde, also hatte er entschlossen vorsichtig zu bleiben.
Somit war er nicht sonderlich überrascht, als er eine dunkle Stimme in seinem Rücken hörte.
„Hey, Pirat, du sitzt auf meinem Platz!“
Das Gekicher, welches diesem Ausspruch folgte, sagte Donovan, das es sich hier um eine Gruppe von Idioten handeln musste. Er versuchte die Stimme mit denen zu vergleichen, die ihn überfallen hatten, aber es passte nicht wirklich.
Da sein Arsch sich eh auf dünnem Eis bewegte, zwang er sich zur Ruhe und antwortete so ruhig und höflich er konnte, allerdings ohne sich umzudrehen: „Hier ist jede Menge Platz für uns alle.“
„Steh gefälligst auf wenn Du mit einem Vorgesetzten sprichst“ zischte der hinter ihm stehende Mann.
Donovan tat wie geheißen, allerdings so langsam und provozierend wie möglich. Dann drehte er sich um und blickte in die Gesichter von sechs Bomberpiloten, die Donovan nicht kannte und die nun mit verschränkten Armen vor ihm standen und ihn mit einem gehässigen Gesichtsausdruck musterten. Donovan erkannte augenblicklich, worauf sie hinaus waren: Gib mir einen Vorwand und ich mache dich zur Minna.
Schon seit Jahrhunderten gehörte die Schikane von Untergebenen zu einem beliebten Instrument um Dampf abzulassen. Und sei es auch nur verbaler Natur, wie in diesem Falle, denn angreifen würden ihn die Piloten mit Sicherheit nicht. Nicht vor versammelter Mannschaft. Sie wollten ihn nur schikanieren, demütigen, ein wenig „Spass“ haben und ihren Frust an was auch immer an ihm aus lassen.

Donovan wusste, dass das eine harte Prüfung für ihn werden würde, wahrscheinlich viel härter als der körperliche Angriff von neulich. Sein Stolz und seine Wut auf die Navy und alle ihre Mitglieder hatten bisher immer zu Trotzreaktionen geführt. Und er wusste: Eine falsche Bewegung jetzt und hier und sie würden ihn erneut einbuchten. Und genau darauf war die Gruppe vor ihm aus.
„Was kann ich für sie tun, Sir? Hier am Tisch sind genug Plätze für uns alle“ antwortet er so emotionslos er konnte.
„Ich will aber genau diesen Platz und du wirst ihn für mich räumen, klar?“ Das Ganze Verhalten des vor ihm stehenden 1st Lieutenant bestätigte Donovan in seiner Einschätzung. Aber er schluckte seinen Stolz herunter, auch wenn es ihm unsagbar schwer fiel. Er wollte sein Tablett nehmen und einfach wortlos gehen, doch als er das Tablett hochnehmen wollte, verpasste der andere Pilot dem Vollbeladenen Tablett einen Schubs von unten, so dass dieses krachend zu Boden ging.
„Kannst Du nicht aufpassen Du Tölpel? Fast hättest Du mich eingesaut. Du wirst die Scheiße hier sofort wegmachen und dann kannst Du von Glück sagen, wenn ich nicht Meldung mache.“ Der Lieutenant brüllte Donovan unter dem Gewieher seiner Kollegen an, während der Ensign die Fäuste ballte. Wie gerne hätte er jetzt diesen aufgeblasenen Fatzken mit einem sauberen Kinnhaken niedergestreckt.

Doch er kam nicht dazu.
„Hey, du Salatschüsselpilot! Hast Du ein Problem?“ kam es von hinter den Piloten und Donovan konnte von seiner Position aus gar nicht sehen, wer sich da einmischte. Die Stimme war aber auch so unverkennbar.
„Sieh mal an: Skunk!“ reagierte der Bomberpilot mit kaum verhohlener Verachtung in seiner Stimme, während er sich umdrehte „Misch dich nicht ein, das geht dich nichts weiter an…“
„Was mich was angeht und was nicht, entscheide immer noch ich, Du Flachpfeife, verstanden?“
„Komm schon, willst Du Babysitter spielen? Wir haben nur ein wenig geredet…“
Jetzt mischte sich noch eine zweite Stimme mit ein. „Das wäre dann wohl mein Stichwort, was?“ Nun war auch Radio zu erkennen, der sich wie Skunk mit einem vollen Tablett in den Händen durch die Spalier stehenden Bomberpiloten quetschte. „Ich könnte ja auch mal mit dem JAG reden. Vielleicht habe ich ja irgendwo aufgeschnappt, das Lieutenant“ er blickte hinunter auf das Namensschild des Bomberpiloten „P. Heyn etwas mit den Übergriffen auf Ensign Cartmell von neulich zu tun hatte. Würde sich nicht gut in den Akten machen, oder?“
Radio grinste breit von einem Ohr zum anderen, ehe er sich demonstrativ an den Platz links von Donovan setzte.
Der Bomberpilot stand noch etwas unschlüssig herum und blickte von Donovan zu Radio und dann zu Skunk, dessen Miene zu sagen schien, er solle es bloß mal versuchen.
Doch der Pilot kniff genau wie alle anderen, murmelte ein paar Verwünschungen vor sich hin und schickte Donovan noch einen bösen Blick nach, ehe er sich zusammen mit seinen Kameraden trollte.

Donovan stand nun auch etwas unschlüssig herum und schaute den Piloten nach, während in der Kantine wieder alles seinen gewohnten Gang ging.
„Sag mal, hmpff, willscht Du da Wurzeln schlagen…?“ fragte Radio mit vollem Mund, hatte er doch schon längst mit dem Essen angefangen.
Donovan schüttelte den Kopf und setzte sich.
„Hör zu“ fuhr Radio fort, kurz bevor er sich einen weiteren Happen in den Mund stopfte „ich kann misch nischt immer um deinen Ärger in der Kantine kümmern, hörscht Du…?“
Donovan war immer noch sprachlos und konnte nur nicken. Dann blickte er hinüber zu Skunk, der ihn mit eiskalten Augen fixiert hatte, während er langsam aufkaute. Als er fertig war mit dem Bissen, deutete er mit dem Messer in seine Richtung. „Hey, bild´ dir ja keine Schwachheiten ein, klar? Ich hasse Bomberpiloten, mehr nicht, verstanden? Und den Schweinkram da unten wirst Du mal schön wegmachen, klar?“ Skunks Gesichtsausdruck war so ernst und böse wie eh und je. Doch trotzdem konnte Donovan sein Grinsen nicht unterdrücken.
„Schon klar, Skunk.“
Radio zwinkerte Donovan nur kurz zu, dann legte er los: „Und Noname, hast Du schon gehört…“
Natürlich hatte Donovan noch nicht gehört und bisher hatte es ihn auch noch nie interessiert. Doch dieses Mal war es anders und auch wenn er nicht den Eindruck hatte, dass die beiden Piloten hier vor ihm ihn sonderlich mochten, so waren es doch die einzigen an Bord, die sich überhaupt mit ihm abgaben und ihn davor bewahrt hatten, wieder mal eine große Dummheit zu begehen.
Und darüber war er ihnen dankbar.
Tyr Svenson
Haus der Republik,
Berlin, Terra

Wie vor ihm Nathan Frost marschierte Klaus von Richter gemessenen Schrittes durch die Korridore des Zentrums der Erdpolitik.
Innerlich war der Chief of Naval Operations jedoch aufgewühlt. Die Aufforderung zu erscheinen enthielten einen dringenden und auch bedrohlichen Unterton. Ob der Stress allmelig zu viel für Birmingham wurde? Und wenn ja, was sollte dann geschehen?
Er wurde gleich ins Büro der Presidentin durchgewunken.
Kaum dass die Tür geschlossen war, fauchte ihn Patricia Birmingham an: "Ich will alles über Troffen wissen. Die ganze Wahrheit und zwar JETZT!"
Perplex und überrascht haspelte er sich durch die Lügengeschichte, die das Troffenprojekt mittlerweile wie ein dichter Nebel umgab.
"Blödsinn!" Birmingham war Zornesröte ins Gesicht gestiegen. "Laut Frost gibt es eine andere Wahrheit und ich will diese wissen."
Der Admiral hingegen straffte sich und bekam auch seine Gesichtszüge wieder in den Griff: "Das ist die einzige Wahrheit, die ich über Troffen kenne."
Die Presidentin atmete tief durch: "Okay, was ist in Ihrer Navy los?" Die Stimme war jetzt wieder ruhig und kontrolliert. "Das Debakel mit dem Gefangenenlager und jetzt diese Troffengeschichte. Ihr eigener Stellvertreter sagt mir ins Gesicht, dass er meinen Befehl, die Wahrheit zu sagen, verweigert. Der Zeite Mann der Navy verweigert der ersten Frau unseres Staates den Gehorsam, was ist dort los Klaus?"
Die Schultern des alten Admirals sackten herab: "Wenn Nathan Frost derart blank zieht und seine Karriere einfach so wegwirft, sollten Sie - was immer auch die Wahrheit ist - diese besser nicht wissen."
"Verdammt Klaus, eine Wahrheit die ich nicht kenne, gegen die kann ich mich nicht verteidigen."
"Lassen Sie Frost herkommen und den Raum erneut nach Wanzen durchsuchen, bitte." Der CNO straffte sich erneut. "Wie dem aber auch immer sei, wenn Sie wünschen lege ich noch heute mein Amt nieder und übergebe das Kommando über die TSN einem fähigeren Offizier. Ich werde eine Liste geeignete Kandidaten zusammenstellen, wenn das gewünscht ist."
"Wird Nathan Frost einen Platz auf dieser Liste einnehmen?" Fragte Birmingham spöttisch.
"Ja, den ersten."

Zwei Stunden später traf man sich erneut im Büro der Präsidentin.
Der Sicherheitsdienst hatte bestätigt, dass es keine Wanzen in dem Büro gab. Anwesend waren neben Birmingham und von Richter noch Allan DeMarko der Verteidigungsminister und Nathan Frost.
"Computer: Alle Aufzeichnungsgerät aus." Befahl Birmingham.
"Zur Abschaltung der Sicherheitsüberwachung bitte Autorisation bestätigen." Forderte der Computer sie auf.
"Patricia Birmingham, Presidentin der Federal Republic of Terra, Sicherheitsfreigabe Gold eins."
"Bestätige Sicherheitsfreigabe, alle Aufzeichnungsgeräte deaktiviert."
Die Presidentin blickte Frost fest in die Augen. Dieser erwiederte den Blick unbewegt. Birmingham war beeindruckt, sehr beeindruckt sogar.
"Admiral", begann sie, "ich möchte, dass Sie mir die ganze Wahrheit über Troffen erzählen. Alles gesagte bleibt unter uns. Ich werde Sie nicht vor ein Gericht stellen lassen und ich werde auch Ihre Befehlsverweigerung außer acht lassen. Das einzige, was Ihnen passieren kann, ist dass Sie Ihren Schreibtisch räumen müssen."
Der Admiral nahm seine Mütze ab und setzte sich langsam. Bevor er anfing zu sprechen befeuchtete er seine Lippen: "Ich bin der Ranghöchste Flaggoffizier, der von der Operation Flieder etwas weiß. Ich autorisierte die Schiffe, die eingesetzt worden.
Es handelte sich um die mittlerweile vernichtete TRS REDEMPTION CV 18. Es handelt sich bei Flieder um ein biochemisches Nervengift, welches in der Planung und im Labor nur auf Akarii wirkte.
Nachdem Flieder auf Troffen abgeworfen wurde, starb die Akarii-Bevölkerung innerhalb von Wochen aus. Es verbreitete sich rasend schnell.
Um sicher zu gehen, und Test durchzuführen wurde ein Landeteam nach Troffen entsand. Ein Mitglied des Team bekam einen defekten Anzug. Es handelte sich dabei um einen zum Tode verurteilten Verbrecher, denn man - wenn er Troffen überlebt hätte - durch die nächste Luftschleuse ins All gestoßen hätte. .."
"Aber er überlebte Troffen nicht." Schloss Birmingham.
"Nein, er überlebte nicht, Flieder brachte auch ihn um." Frost pausierte kurz, dann erzählte er die Geschichte, nein die Wahrheit, zu Ende.
Man hatte Troffen atomar umgegraben, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern.
Nachdem Frost geendet hatte schwiegen alle anwesenden eine Weile.
"Möge Gott Ihnen gnädig sein." Hauchte Birmingham.
"Wenn Gott mir gnädig ist, sollte ihn irgendwer erschießen." Schoss Frost zurück. "Ich bin mir bewusst, was ich angerichtet habe, aber wenn es geklappt hätte, ständen wir heute schon auf Akar und würden nicht den Todeszuckungen nahe sein."
"Todeszuckungen? Glauben Sie, dass wir keine Chance haben?" Birmingham fühlte sich irgendwie leer und war froh, vom Thema Troffen weg zu kommen.
"Wenn Renault mit unserem Plan scheitert, sind wir es gewesen. Dann marschieren die Akarii bis nach Sterntor und Ende der menschlichen Geschichte. Wenn wir nicht demnächst ein paar Wunder vollbringen ..."
"Danke Admiral. Klaus, Admiral Frost, sie können gehen, ich werde zu gegebener Zeit auf Sie beide zurückkommen."
Klaus von Richter erhob sich: "Madam, wie gesagt, übernehme ich die volle Verantwortung und lege meinen Posten sofort nieder wenn Sie es wünschen."
"Bitte gehen Sie."
Die beiden Admirale gingen.
Patricia Birmingham vergrub ihr Gesicht in den Händen.
"Patricia?" Die Stimme von Allan DeMarko war voller Sorge.
"Wie ... wie kann sich ein Mann nur hinstellen und behaupten, er wolle die volle Verantwortung übernehmen? Die Verantwortung für zehn Millionen tote. Wie kann ein Mensch nur so ... so widersinnig sein?"
"Nun, rein von den Marinetraditionen und Gesetzen her ist er für die Handlungen von Frost und jedem anderen Angehörigen der Navy verantwortlich. Das ist das einzigste, was er in dieser Sache noch machen kann."
"Ja, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist verschanzen sie sich alle hinter holen Traditionen und Phrasen." Birmingham seufste
"Wie gehen wir jetzt vor? Ich meine Hinsichtlich des Pariser Paktes? Was Troffen betrifft, können wir nichts mehr ändern."
"Wir werden unsere beiden Admirale absägen, mit irgendeiner hohlen Begründung, so dass die Herrschaften vom Pakt glauben, dass wir in unserm Stall aufräumen. Sie sagten, Frost wäre Nummer eins auf von Richters Liste?"
"Ja, und ich bin der Meinung, dass er ein sehr guter Ersatz für von Richter wäre." DeMarko wadtmete sich innerlich auf einen starken Konter.
"Schon vergessen, wir wollen den Typen ebenfalls absägen."
"Dann sehen wir mal, wer da noch alles auf der Liste ist: Jean Baptist Renault mit der Bemerkung "Wird zur Zeit an der Front dringender Gebraucht". Angela Mannstein "Gefallen"."
"Wozu schreibt er jemanden auf, der gefallen ist?" Die Präsidentin massierte sich die Schläfen. "Kürzen wir die Sache ab, wen auf der Liste würden Sie empfehlen?"
"Ich bin mir nicht sicher, ob wir die Sache abkürzen sollten Patricia, aber wenn Sie mich so fragen", DeMarko blickte kurz über die Liste, "Nathan Frost."
"WAS?"
"Nathan Frost: Jahrgang 2604, Hat die Offiziersschule Anapolis in nur drei statt vier Jahren als Jahrgangsbester im Rang eines 2nd Lieutenant abgeschlossen.In nur acht Jahren wurde er Commander und zum Perischer zugelassen, welchen er mit einer exellenten Bewertung abschloss. Ein Jahr später erhielt er aufgrund exellenter Leistungen den Rang eines Captains und das Kommando über einen leichten Kreuzer. Alle seine ersten Offiziere sind später exellente Kommandanten geworden und haben die Dienstränge von Flaggoffizieren inne. Zwei Jahre erster Offizier auf der TRS Dolphin und erster Taktiklehrer beim Perischer.
Danach Stabschef und Flottentaktiger und Russo bei der vierten Flotte.
Nach der Beförderung zum Volladmiral vor sechs Jahren, zwei Jahre als Flottenchef der ersten Flotte, dann in den Taktischen Planungsstab der Navy. Vor drei Jahren zum stellvertretenden CNO.
Und ich glaube seit dem Moment leitet er den Laden und nicht mehr von Richter.
Natürlich gibt es Leute, denen ich ähnliches zutraue, Jens Thomsen oder Renault könnten exellente CNO's werden, ober wir reaktivieren Clarissa Steward aus dem Ruhestand. Aber die ersten beiden würden uns exellente Offiziere aus dem Frontdienst reißen und alle drei müssten sich ersteinmal einarbeiten. Das können wir uns im Moment nicht leißten.
Von Richter ist eine Sache, aber beide zu feuern, nein da sehe ich keine Möglichkeit."
Birminghams Kopfschmerzen hatten jetzt GAUartige Züge angenommen. "Ich werde es mir überlegen und ich brauche die Akte von Clarissa Steward."
"Aye Ma'am."
Tyr Svenson
Der riesige, von den Akariis errichtete Komplex war zuerst ein Gefangenenlager gewesen und danach für eine kurze Zeit Schlachtfeld und Todesfalle für die Garnisonstruppen. Jetzt war es eine Baustelle. Tausende Marines des Flottenverbandes, zusammen mit befreiten Marinesoldaten, Armeeangehörigen und Fremdenlegionären, unterstützt von Techs, wimmelten durch die gigantische Anlage und versuchten sie in verteidigungsbereiten Zustand zu versetzen. Es blieb nur wenig Zeit, wahrscheinlich ein paar Tage, aber die Befehlshaber der Truppen ließen ihren Soldaten dennoch den nötigen Schlaf zukommen. Es hatte keinen Sinn, mit übermüdeten Kämpfern die Schlacht zu beginnen. Wenn es erst einmal so weit war, würden sie kaum noch Zeit zum Schlafen haben.
Arianna Schlüter fühlte sich aber jetzt schon todmüde – im Gegensatz zu ihren Leuten konnte sie sich den Luxus fester Dienstpläne nicht leisten. Es gab so viel zu tun, zu befehlen, zu organisieren und zu überwachen...

Die gesamte Anlage war noch einmal GRÜNDLICHST durchkämmt worden, auf der Suche nach Schwachstellen, Zugriffspunkten und zur Verteidigung geeigneten Stellungen. Es waren Pläne angefertigt und verteilt worden – die terranische Infanterie würde den Gegner bestimmt nicht beeindrucken, wenn sie sich in dem gigantischen Komplex verirrte. Der Feind würde bestimmt über Karten verfügen...
An den Wänden waren in Leuchtfarbe Wegweiser und Ortsangaben angebracht worden, die die Orientierung erleichtern sollten, wenn das Licht ausfallen sollte oder abgeschaltet würde. In passenden Abständen hatte man Sperrstellungen eingerichtet, die zwar zurückweichenden Soldaten immer noch Platz, ihnen aber gleichzeitig auch Schutz und Deckung boten, um sich wieder festzusetzen. Gleichzeitig waren an geeigneten Punkten kleinere Munitionsdepots errichtet worden, welche die schnelle Versorgung der kämpfenden Truppen erleichtern sollten. Mehrere Verbandsplätze und Lazarette waren eingerichtet worden – ebenso wie die Verwaltung Räume festgelegt hatte, in denen man die Leichen lagern würde. Man überließ nichts dem Zufall.

Die Offiziere und Mannschaftsdienstgrade waren noch einmal dazu übergegangen, die Fähigkeiten ihrer Soldaten im Nah- und Häuserkampf aufzupolieren. Gab es Spezialisten und Veteranen, die ihre Fähigkeiten an den Krisenherden der Republik, im Einsatz gegen Piraten oder beim Entern feindlicher Schiffe erlangt hatten, dann wurden sie angehalten, ihre Erfahrung zu teilen. Vor allem die wenigen Fremdenlegionäre unter den Befreiten waren geschätzte Spezialisten für den „Rattenkrieg“. Der Umgang mit den Einweg-Raketenwerfern, den Granat- und Flammenwerfern wurde wieder in Erinnerung gerufen – in den engen Gängen würden diese Waffen von tödlicher Wirksamkeit sein. Jeder Soldat mußte noch mal zeigen, wie er das Werfen von Granaten und den Nahkampf beherrschte. Einige Veteranen hatten dabei allerdings wenig Zutrauen zu den genormten Marinedolchen, sondern rüsteten sich lieber mit geschliffenen Handspaten aus – was einige Neulinge sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht und leichtem Grauen mustern ließ.
Den Soldaten mit schweren Waffen wurden ein paar andere zugewiesen, die ihnen beim Tragen helfen sollten und zusätzliche Munition schleppen würden. Jeder Soldat hatte außerdem ein spezielles „Sturmgepäck“ zusammenzustellen: etwas Nahrung und Trinken, vor allem aber Munition, Granaten und Sprengmittel. Müdigkeits- und streßunterdrückende Medikamente durften natürlich auch nicht fehlen.

Auf dem Plateau wurde mindestens genauso intensiv gearbeitet. Die bereits angelegten Laufgräben und Schützenlöcher wurden noch weiter ausgebaut – nur für den Fall, daß die Akariis keine Punktlandung über dem Komplex versuchen würden. Dabei war man allerdings so vorausschauend, die Stellungen genau zu vermessen – so daß sie von der Festung aus leicht unter Feuer genommen werden konnten. Sollten sich die Akariis hier festsetzen, würden sie wenig Freude haben.
Das ganze Plateau wurde von den Marinesoldaten höchst phantasievoll mit Metallschrott übersät – kleinere o. größere Stücke, teils vergraben oder frei liegend. Es würde für Sensoren sehr schwer sein festzustellen, was sich dort genau befand: eine Mine, vielleicht sogar ein versteckter automatischer Raketenwerfer oder ein Laserturm – oder eben nur Schrott.
Die erfahrensten SAM-Schützen wurden ausgesucht – sie würden anfliegende Shuttles abschießen, zusammen mit den automatischen Lasertürmen. Und das war nur der Standardteil der Verteidigung. Captain Schlüter hatte zu den Offizieren gehört, die sich daran erinnert hatten, wie man mit wenig technischem Aufwand das Hochplateau für die Akariis in eine Todesfalle verwandeln konnte. Man wandte dazu ebenso alte wie unelegante Mittel an, die aber einer ganzen Reihe von Marineinfanteristen, Fremdenlegionären und Armeesoldaten schmerzlich vertraut war – Mittel, wie sie diverse Rebellentruppen immer wieder verwendet hatten.
Wo möglich, ohne die eigenen Versorgungsflüge jetzt schon zu behindern, hatte man die potentiellen Landestellen unbrauchbar gemacht und blockiert – mit Metall- und Bauschutt und an etlichen Stellen mit massiven Metallstangen, die gebildete Offiziere poetisch als „Rommelspargel“ bezeichneten.
Und dazu kamen Minen: schwere panzerbrechende Minen, leichte Schützenminen und improvisierte Sprengladungen – teilweise waren sogar die Landungshindernisse vermint. Die Soldaten hatten eine geradezu schon sadistisch zu nennende Leidenschaft entwickelt, dem erwarteten Feind tödliche Fallen zu stellen. Es gab Minen, die bei Kontakt oder auf Signal zünden würden. Vor allem im Umkreis des Eingangs hatten die Marineinfanteristen Captain Schlüters Dutzende von Schützenminen gelegt. Die Wände des Gefangenenkomplexes würden das aushalten – für anstürmende Akariisoldaten sah die Sache anders aus.

Der „Minenkrieg“ war teilweise auch schon in die Gänge des Komplexes verlegt worden – sollten die Akarii eindringen, dann würden sie ein paar böse Überraschungen erleben.
Aber all dies konnte die düsteren Gedanken nicht vertreiben, die Captain Schlüter beschäftigten und ihren ohnehin knappen Schlaf stahlen. All dies würde letztlich sinnlos sein, wenn sich die Akariis entschlossen, die Anlage einfach aus dem Orbit in nukleare Schlacke zu verwandeln. Sie hatten ja schon auf Mantikor – und die Republik über Troffen – bewiesen, daß die Bereitschaft dazu vorhanden war.
Gewiß, man hatte die eigenen Truppen durch „reaktivierte“ Gefangene verstärkt. Dabei hatte man darauf geachtet, Veteranen und unerfahrene Truppen zusammenzulegen, „Korsettstangen einzuziehen“ wie es in der traditionsreichen Sprache der Streitkräfte hieß. Aber alles in allem blieb die „Garnison Graxon“ ein reichlich zusammengewürfelter Verband ohne schwerere Waffen.

Daß die Geheimdienstleute abgezogen worden waren, war ein beunruhigendes Indiz. So wenig Schlüter Lieutenant Ross geschätzt hatte, sein Abflug weckte die böse Ahnung, irgendjemand hätte entschieden, kein „wertvolles Personal“ auf Graxon verkommen zu lassen. Wie man ja auch die SAS abgezogen hatte. Aber die Marineinfanterie durfte es dann zusammen mit ein paar befreiten Legionären und Armeesoldaten aussitzen, während die Superjungs von der SAS sich als Elite feiern ließen...
Selbst wenn die Akarii sich entschließen würden, die Sache am Boden auszufechten – wenn sie sich erst mal Zugang zum Komplex verschafft hatten, dann konnten die terranischen Truppen nur noch versuchen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Chancen würden sie letztlich keine haben – denn eine Landung bedeutete, daß die Akarii im Raum gesiegt hätten. Arianna Schlüter hatte ernstliche Zweifel an der Bereitschaft und Fähigkeit der TSN, daran dann noch etwas zu ändern und Entsatz schicken zu können. Sie persönlich aber hegte wenig Neigung dazu, den epischen Gefechten „bis-zum-letzten-Mann“ noch ein weiteres hinzuzufügen...
Und ein Ausweichen, ein Rückzug würde kaum möglich sein – wohin in der vergifteten Atmosphäre von Graxon?

Sergeant Schiermers Gedanken liefen ähnliche Bahnen, auch wenn er längst nicht so einen umfassenden Überblick hatte. Er befehligte ja schließlich nur - praktisch kommissarisch anstelle eines Lieutenant - ein platoon. Schiermer erkannte eine gute Verteidigungsstellung. Aber er erkannte auch, wann sie das Potential hatte, letztlich zur Todesfalle zu werden. Aber wie seine Vorgesetzten und all jene, die genauso viel taktisches Verständnis hatten, hielt er den Mund und achtete drauf, seine Einheit am Laufen zu halten. Wenn man ihm schon eine Verantwortung übergab, die eigentlich über seinen Dienstrang ging, dann wußte er, was er dafür zu leisten hatte. Es hätte ihm auch nichts gebracht, sich zu beschweren – allenfalls hätte er die Frischlinge in seinem Trupp bloß kopfscheu gemacht. Stattdessen gab er sich ungewöhnlich kameradschaftlich, jedenfalls für seine Verhältnisse. Dabei versuchte er, jeden einzelnen Soldaten seiner Einheit im Auge zu behalten. Natürlich bestand dabei die Gefahr, daß einzelne Soldaten mißtrauisch wurden, wenn der „Alte“ auf einmal relativ menschlich wurde.

„Also Davis, Juan – eure Aufgabe ist klar. Wenn wir die Scheißkerle draußen stellen zielt ihr mir vorrangig auf die mit den schweren Waffen – und alle, die wie Offiziere aussehen. Keine Kopfschüsse nötig – wir sind nicht auf dem Jahrmarkt. Es reicht wenn ihr die Echsen ausschaltet – ihr braucht sie nicht um jeden Preis zu killen. Verwundete müssen sie immerhin auch noch versorgen. Und einer von euch beiden wird immer in meiner Nähe sein. Kapiert?! Wenn’s gleich hier drinnen losgeht – na dann schießt ihr einfach auf jeden Kopf, der um die Ecke lugt und nicht nach Mensch aussieht. Jean, kann sein, daß du dann öfter ranmußt. Juan ist schließlich auch noch Sprengstoffspezi. Kann sein, daß ich ihn dann dringender damit brauche, als als Sniper...“
Während dieser Worte starrte Schiermer auf den Armchrono und fluchte unflätig: „Also, Märchenstunde vorbei. Wir müssen wieder Fallobst sammeln.“

Da die Landekapazität begrenzt war, ließ es sich nicht vermeiden, einiges Material abwerfen zu müssen. Dazu waren sogar Jagdbomber abgestellt worden, die anstelle von Bomben Transportbehälter mit unzerbrechlichem Material teilweise auch ohne Fallschirm abwarfen.
Mit bellender Kommandostimme rasselte Schiermer die Namen von acht Soldaten hinunter, die ihm bei der Arbeit helfen würden. Der Rest würde eine zwar körperlich leichtere, psychisch aber deutlich belastendere Aufgabe übernehmen: „Juan, du gehst mit dem Rest – Ostereier legen. Und schlampt mir dabei nicht rum ihr Trantüten – ich will nicht eure traurigen Überreste von den Steinen kratzen müssen!“ Das hieß, der Rest würde Minen und Sprengladungen verlegen. Auch wenn die Sprengkörper harmlos waren, solange sie noch nicht (üblicherweise durch ein Funksignal) „scharf“ gemacht wurden, war das keine besonders angenehme Aufgabe. Juan war ziemlich in der Achtung der anderen gestiegen, mit seinem kaltschnäuzigen Umgang mit den Sprengmitteln...

Während Jean sich beeilte, hinter dem schnell ausschreitenden Master Sergeant hinterherzukommen, ließ sie die vergangenen Tage Revue passieren. Eigentlich war sie ganz froh, daß es so viel zu tun gab. So brauchte sie nicht mehr so viel über diesen Kommandoeinsatz nachzudenken – und über den Akarii, dem sie in den Kopf geschossen hatte. Ein mulmiges Gefühl hatte sie manchmal schon noch, wenn sie sich erinnerte.
Aber dieser Geheimdienstlieutenant hatte Recht gehabt. Keiner, jedenfalls keiner vom JAG, hatte sie über die näheren Umstände des Einsatzes befragt.
Am Rande bekam sie mit, wie der Master Sergeant einen lässigen Gruß mit einem Soldaten austauschte, der ihm auf dem Gang begegnete. Einer der wenigen Legionäre, die unter den Gefangenen gewesen waren. Schiermer schien irgendetwas mit diesen Männern zu verbinden. Auch wenn die sonst eher für sich blieben, den Master Sergeant schienen sie zu akzeptieren. Als sie mal bei Pork nachgefragt hatte, hatte der sich nach einigen üblichen Anzüglichkeiten bequemt, soviel zu verraten: „Der Alte IST Legionär. Ehrenhalber, sozusagen. So `nen Brauch bei den Halsabschneidern von der Legion. Wenn du wissen willst warum frag ihn doch. Wenn du ganz nett zu ihm bist...“ Letzteres begleitet von einer reichlich obszönen Geste.

Inzwischen hatte der kleine Trupp die Tore des Komplexes erreicht. In den Funkgeräten der Marinesoldaten krachte es. „Kopf einziehen da unten. Nächste Ladung im Anflug!“
Als die Marines nach draußen hasteten, sahen sie gerade noch ein knappes Dutzend Mirage-Jabos wieder in die Wolken ziehen. Die letzte Maschine wackelte kurz mit den Flügeln, bevor sie verschwand. Schätzungsweise zwanzig bis dreißig Metallkisten schwebten währenddessen zum Boden.
„Die haben‘s gut, die Weltraumjockey...“ Schiermers Stimme war so leise, daß Jean sie nur deshalb verstehen konnte, weil sie unmittelbar neben ihm stand. Die Stimme des Master Sergeants klang nicht direkt neidisch, eher – fast ein wenig resigniert. Sie fragte sich, was das bedeutete. Im nächsten Augenblick war Schiermers Stimme aber so laut und schneidend wie immer: „Bewegung ihr Schlappohren! Die Scheißdinger sammeln sich nicht von alleine ein! Und denkt dran – die Fallschirme mit einsammeln. Wenn ich mich wieder wegen irgendeinem Idioten von einem Scheiß-Schreibstubenhengst anscheißen lassen muß, reiß ich dem Schwachkopf den Arsch bis zur Halskrause auf!“ Jetzt war alles wieder wie immer.
Jean entging der mißtrauische Blick, den Schiermer dem wolkenverhangenen Himmel zuwarf…
Tyr Svenson
"Achtung! Achtung! Shuttles im Anflug!" Vier Landeeinweiser eilten hinaus um die anfliegenden Shuttles zu Boden zu leiten.
Drei Sturmshuttles und ein Standard.Transportshuttle gingen auf dem Hochplateau nieder.
Eine Gruppe Marines kam auf die Shuttles zu und nahmen vor dem ersten Mann der ausstieg Haltung an.
"Colonel Blake, SAS, wo finde ich General Garth?"
Einer der Marines, ein Sergeant, hielt per Funk Rücksprache: "Ich führe Sie hin Sir."
Blake drehte sich zu einem seiner Unteroffiziere um: "Das Bataillon soll einrücken, zur Hauptgrotte."
"Aye Sir."
Blake folgte dem Sergeant.
Aus dem vierten Shuttle stolperte ein Offizier der Navy in einer schweren Panzerweste. Um den rechten Arm war eine weiße binde mit rotem Kreuz gebunden.
"Hey, hallo, HIER!"
Die Marines drehten sich um.
"Commander Ramon Torres, TRS Albert Schweizer, wir haben uns freiwillig gemeldet als Feldärzte. Ich müsste auch zum General und ich bräuchte ein paar Leute, die meiner Crew mit der medizinischen Ausrüstung helfen."
"Folgen Sie dem Sarge und dem Colonel ... Sir." Der Marinecorporal grinste in sich hinein.
"Oh, danke. Und helfen Sie bitte meinen Leuten!"
Der Arzt hastete hinter dem Colonel und dem Sergeant her.

Unterwegs in den Komplex begutachtete Blake kurz und bündig die ausgelegten Fallen. Einige waren geradezu dilettantisch, viele zeigten von guten theoretischen Basiswissen und etwas Praxis. Dann gab es welche, die von Könnern ausgelegt worden waren. Andere waren von Experten ausgelegt worden, die eine Dilettantismus vortäuschten, geräumt werden mussten und viel gefährlicher waren, als der Gegner für möglich hielt.
Und diejenigen, die er übersah waren von Meistern ihres Faches ausgelegt worden.
Torres hingegen blickte sich intensiv und interessiert um, erkannte jedoch kaum Fallen und die, die er sah jagten ihm höllische Angst ein.
Elender Metzger, so hatte ihn mal ein Soldat tituliert. Das wahre Schlachthaus war nicht sein OP, nein, das Schlachten hatte einen anderen Ort, er bekam nur die Überreste.
Sein Blick schweifte durch die Gänge und Hallen, ja er konnte das Schlachthaus schon jetzt sehen, das Gebrüll von verwundeten und sterbenden, der ekelhaften Geruch von verbrannten Fleisch war schon beinahe greifbar.
Die kleine Gruppe kam vorbei an Wachposten und Arbeitstrupps. Die letzten Gruppen von verwundeten Gefangenen wurden auf die Evakuierung vorbereitet.
Aus der großen Grotte erklang ein Trompetensignal. Um genau zu sein das Wecksingnal, welches auch beim Flagge hissen gespielt wurde.
Blake und Torres erreichten die Grotte noch früh genug um zu erleben, wie die Staatsflagge der Republik und die Flagge des Terran Republic Marine Corps die spitzen zweier provisorischer Flaggenmasten erreichten.
Die kleine Gruppe kämpfte sich jetzt schneller vorwärts und musste sich drei Kontrollen unterziehen, ehe sie zu Garth durchgelassen wurden.

Garth Kommandobunker war eine Seitenhöhle mit vielen Ausgängen. Er war vollgestellt mit vielen Computer und einem Kartentisch, die man alle schnell zusammenpacken und abtransportieren konnte.
Von dort aus Leitete der General mit einem zusammengewürfelten Stab seine leichte Brigade.
"Colonel Ethen Blake, Special Air Service und Lieutenant Commander Ramon Torres Medocorps der Navy melden sich zur Stelle." Stellte Blake den Arzt und sich vor.
"Ich habe viel zu tun, was wollen Sie?" Garth blickte gar nicht erst von der Karte auf.
"Ich soll mich mit meinen Männern zum Kampfeinsatz bei Ihnen Melden Sir." Blakes war die Höflichkeit in Person.
"Das SAS meldet sich zu einem regulären Kampfeinsatz, dass ich das noch erleben darf", Garth blickte nun doch auf, "aber doch sicherlich nicht freiwillig."
"Nein, Admiral Alexander kann sehr, hm überzeugend sein."
Garth kicherte: "Und Sie Commander, was wollen Sie hier?"
"Sir, ich, sieben weitere Ärzte und zwanzig Mann medizinisches Personal haben sich freiwillig als Feldchirurgen gemeldet, wir wollen ein MASH einrichten."
"Ein MASH? Und Sie glauben Ihre Armbinde mit dem roten Kreuz schützt Sie vor den Gefahren hier?"
Torres Blick wurde finster: "Solange unsere Leute auf das rote Kreuz achten, habe ich schon mal die halbe Miete."
"In Ordnung, Colonel Schwarz, als erstes zeigen Sie dem Doc, wo er sein MASH aufbauen kann, dann kümmern Sie sich um unsere Freunde vom SAS. Abtreten."

"Sind wir heute aber zynisch." Grummelte Torres, als die drei den Kommandobunker verlassen hatten.
Blake schmunzelte: "Das kommt dabei raus, wenn man einem Ledernacken Sterne gibt Doc. Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Marine und einem Gorilla?"
Torres machte ein nachdenkliches Gesicht: "Nein?"
"Der Gorilla war schlau genug sich nicht freiwillig zu melden."
Die beiden lachten los.
Der frisch gebackene Lieutenant Colonel Schwarz quitierte den altehrwürdigen Scherz mit einem finsteren Blick.
"Folgen Sie mir bitte, damit ich für Ihre Einsatzbereitschaft sorgen kann."
Tyr Svenson
London,
Großbritanien, Erde

"... trat Admiral Klaus von Richter als Chief of Naval Operations zurück. Als Grund dafür wurde seine angegriffene Gesundheit angegeben.
Seine Nachfolge ist bisher noch nicht geklärt, es wird jedoch vermutet, das Admiral Nathan Frost, der Stellvertretende Oberkommandierende, auf diesen Posten aufrückt."
"Madam, da ist ein Gentlemen von der Navy, der Sie sprechen möchte", meldete Johnathan Edwarts der Butler von Clarissa Steward
Die Admiralin a.D. schaltete den Fernseher aus: "Soll reinkommen John."
Steward kniff sich in den Nasenrücken und erhob sich um ihren Gast zu empfangen.
"Ma'am, Lieutenant Commander Celem Rashed, vom Admiralstab."
Steward gab dem jungen Araber die Hand: "Was kann ich für Sie tun Commander?"
"Nun, ich bin mir nicht sicher, wie ich es ausdrücken soll ..." Druckste der Stabsoffizier herum.
"Spucken Sie es einfach aus."
‚Oh ein Spickzettel‘, schoss ihr durch den Kopf, als der Lieutenant Commander einen Zettel entfaltete.

"An: Admiral a.D. Clarissa Steward.
Von: Bundesministerium für Verteidigung
Sonderbefehl Nr. 23-2336-11.07

Admiral,

1. Mit sofortiger Wirkung werden Sie in den aktiven Dienst zurückversetzt.

2. Melden Sie sich umgehend beim Verteidigungsminister in Berlin.


Gezeichnet

Allan DeMarco
Bundesminister für Verteidigung"


Clarissa Steward war ein erfahrener Raumoffizier. Vor drei Jahren in Rente gegangen. Sie hatte jede Menge während ihrer Dienstzeit erlebt und seit der Beförderung zum Rearadmiral hatte sie sich von niemanden mehr ins Bockshorn jagen lassen, doch nun starrte sie diesen beinahe grünschnäbligen Lieutenant Commander mit offenem Mund an.
"Das ist ein Scherz?"
Der Lieutenant Commander schüttelte den Kopf: "Nein Ma'am, ich denke wir haben aber noch Zeit bis Sie sich Ihre Uniform angezogen haben."
Steward schüttelte den Kopf.
"Das darf doch wohl nicht wahr sein." Damit ging sie die Treppe hoch.

Rashed verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sah sich oberflächlich im Wohnzimmer um. An den Wänden waren Bilder von Offizieren der TSN, Beförderungsurkunden, Konstruktionspläne von Raumschiffen und Raumstationen. Zwei gekreuzte McDuff Commander, die traditionellen Marinesäbel.
Eine Urkunde erweckte sein Interesse.

Für herausragende Leistungen für die Sicherheit der Nation wird Lieutenant J.G. Clarissa Steward die Parlamentary Medal of Valor der Bundesrepublik Terra verliehen.
Lieutenant Steward handelte unter den wiedrigsten Umständen mit beispielloser Tapferkeit. Ihre Leistungen gingen über die bloße Pflichterfüllung hinaus und stehen in den bestern Traditionen der Terran Space Navy.

Gezeichnet

Christorph Bergen
President

"Haben Sie etwas von Interesse gefunden Commander?" Steward marschierte die Treppe herunter. Jetzt in der dunkelblauen Uniform, mit fünf Reihen Ordensspangen über der linken Brust.
Statt wie Frauen üblicherweise einen Rock zur großen Uniform tragen hatte Steward eine Hose an. Das Kappi trug sie unter dem linken Arm.
"Ja Ma'am, wofür haben Sie die Medal of Valor erhalten?"
"Ich denke wir haben es eilig Commander."
Rashed nickte: "Selbstverständlich Ma'am."

***

Graxon,
FORCAP


"... und dann habe ich zu ihm gesagt, er könne ja gerne diese Brühe trinken, aber ich will wenigstens richtigen Kaffee."
Zustimmendes Gelächter wurde in dem Shuttle laut. Der Ensign und die drei Unteroffiziere flogen zum zehnten Mal den gleichen Patrouillenabschnitt.
Diesmal hatte das SWACS zwei Phantome von der COLUMBIA als Escorte. Der eine Jäger wurde von einem großmäuligen Lieutenant Commander gesteuert.
Lieutenant Holmer hatte sich schon mehrmals über die interne Sprechanlage des Shuttles über diesen Radio ausgelassen.
"Wisst Ihr was ich mal wieder gebrauchen könnte?" Patrick Lehmann war der älteste der vier Unteroffiziere und Senior Chief. "Ein großes Glas Navy Juice."
"Was zur Hölle ist Navy Juice?" Wollte Ensign Keppler wissen.
"Himmel, lehrt man Euch denn gar nichts mehr auf der Offiziersschule. Wir hatten auf der Moskau einen Schiffskoch, der konnte einer herrliche Zitronenlimonade herstellen, weiß auch nicht wie er das gemacht hat, aber den haben wir dann zu vierzig Prozent mir Rum versetzt. Das hat geschmekt."
"Was ist aus dem Koch geworden?" Wollte einer der beiden anderen Unteroffiziere wissen.
"Die Küche samt Köchen war das erste, was sich in Flammen und Asche aufgelöst hat, als die Akarii die Moskau unter Beschuss genommen haben."
Kurze peinliche Stille.

Dann: "Strahlungsanstieg bei Sprungpunkt Bravo!"
"Ich brauch die genauen Werte, Anderson!" Brüllte Ensign Keppler.
"Heilige Scheiße, das ist am oberen Hende der Skala! MASSENTRANSIT!"
"Reinkommende Akarii-Schiffe", Lehmann war die Ruhe selbst, "in etwa zwanzig Sekunden wissen wir mehr."
"Oh-oh."
"Was heißt hier Oh-oh." Fuhr Keppler den vierten Radartechniker, Pettyofficer 2nd Class Marge Reynolds an.
"Naja, Sir, Strahlungsanstieg bei Sprungpunkt Charlie, wir sind bei 480 Megany*, weiter steigend."
"Aktives Radar hat Akarii-Schiffe an Bravo aufgefasst. Identifiziere: Zwei Träger Uniform-Class, zwei Golf-Class, ca. fünfundzwanzig plus Kreuzer, Yankee-Class, vergessen wir mal das Kleingetier." Lehmann blickte den Ensign an. Auch der erfahrene Veteran wirkte jetzt nicht mehr wirklich cool.
"Mr. Keppler Sir."
"Was ist Reynolds?" Der Ensign wandte sich um und blickte einer bettlaken bleichen Reynolds ins Gesicht.
"Aktives Radar zeichnet Akarii-Schiffe: Zwei Flottenträger Uniform-Class, ca. vierzig Kreuzer verschiedenster Klassen und noch weiter vierzig Schiffe."

Der junge Offizier schaltete das Funkgerät auf die Wachfrequenz der COLUMBIA: "Eagle-Eye für COLUMBIA, auf der COLUMBIAwachfrequenz, Akarii-Aufmarsch an beiden Sprungpunkten, Eagle-Eye zeichnet vier wiederhole VIER Flottenträger, sowie entsprechenden Geleitschutz. Eagle-Eye over."
"Eagle-Eye, hier Admiral Alexander, können Sie die Flottenträger identifizieren?"
Keppler schluckte hart, die Admiralin persönlich: "Identifikation von Uniform neun und fünfzehn. Sowie, ja positive Identifikation von Uniform zwölf und dreizehn, das sind definitiv die beiden Träger von Wron. Eagle-Eye over."
"Verstanden Eagle-Eye, kehren Sie auf direkten Kurs zurück. COLUMBIA Ende."
Die Patrouille wendete und floh mit der Maximalgeschwindigkeit des SWACS zur Erdflotte zurück, welche sich daran machte, sich zurückzuziehen.
Tyr Svenson
Angriff auf die Station II

Shuttle ONTARIO-3, Im Anflug auf Raumstation
Im Raum um Pasumata IV, Pasumata-Sektor

„Mayday, Mayday, Shuttle ONTARIO-3 ist getroffen, weitere Raketen sind im Anflug, wir drehen ab, verflucht wir drehen ab, wir drehen …“
Lieutenant Hue Xha Bao erkannte in der Stimme des Piloten die Dringlichkeit der Situation. Ihre Schilde waren ausgefallen, eine Rakete hatte ein Loch von drei Metern in die Flanke ihres Shuttles und damit sechs seiner Leute in den Tod gerissen. Weitere Raketen waren im Anflug und somit blieben ihm nur noch wenige Sekunden zum Leben.
Aber Hue dachte gar nicht daran reglos auf seinen Tod zu warten. Der Großteil seiner Leute war durch die Sprungschleuse bereits draußen, auf der anderen Seite des Loches in der Shuttlewand drängten sich noch acht weitere von Ihnen in Richtung des Ausgangs. Für Hue und den letzten seiner Leute neben ihm würde das zu lange dauern.
„Wir müssen RAUS hier, Harry“ rief er einem seiner Corporals zu, der allerdings mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen durch sein Visier das Loch anstarrte. Er hatte ebenso wie Hue die Explosion und den Tod seiner sechs Kameraden mit angesehen und stand offensichtlich noch viel mehr als sein Lieutenant unter Schock.
Hue erkannte, dass Worte hier nicht helfen würden. Also löste er seinen und Harrys Wandverankerung, packte seinen Corporal am Arm, ging in die Knie, aktivierte seinen Sprungtornister und sie schossen in Richtung Loch. Dem einzigen Ausgang, der den beiden in der Kürze der Zeit geblieben war.
Hue ignorierte das entgeisterte Schreien seines Untergebenen und schrie ihm seinerseits zu, ebenfalls seinen Tornister zu aktivieren. Zum Glück für beide reagierte Harry und sie taten einen ordentlichen Satz nach vorne, weg vom Shuttle und in Richtung der `über` Ihnen hängenden Raumstation.
Gerade noch Rechtzeitig, denn Sekunden später schlugen drei weitere Raketen in das Shuttle ein und Hue hörte über den Funk das grausame Ende der Piloten. Und das zwei weiterer seiner Marines, die es nicht rechtzeitig raus geschafft hatten. Über seine rechte Schulter hinweg blickend musste er mit ansehen, wie das Shuttle förmlich zerrissen wurde ohne dass es eine nennenswerte Explosion gab, da der Sauerstoff an Bord bereits vorher entwichen war. Nur der Treibstoff entzündete sich, bildete eine kurze, kugelförmige Explosion und erlosch sofort wieder mangels weiterer Zufuhr von Sauerstoff.

Hue drehte sich weg von dem auseinanderdriftenden Grab von acht seiner Marines und den beiden Piloten und blickte sich stattdessen schnell in alle weiteren Richtungen um. Er erkannte den Rest seiner Leute genau wie er selbst in Richtung Station driften. So wie es aussah hatten sie noch einmal Glück im Unglück gehabt.
Doch der Eindruck täuschte – und zwar gewaltig.
Als die ersten seiner Männer fast in Reichweite der gepanzerten Oberfläche waren, zuckten Laserimpulse und Geschosse von der Hülle der Raumstation auf sie zu. Private Haynes und PFC Steegman wurden förmlich zerfetzt, bevor sie auch nur einen Schuss abgefeuert hatten.
„Scheisse, die Schiffslaser sind noch intakt“ brüllte einer seiner Männer, der mitten im Kugelhagel lag.
Doch Hue, der noch etwas weiter zurück war und dementsprechend eine bessere Übersicht hatte, erkannte die wahre Herkunft der Angreifer. „Nein, das ist Akarii.Infanterie, direkt vor uns auf Zwölf und auf Ein Uhr. Erwidert das Feuer mit euren Sturmgewehren und Granatwerfern.“ Er selbst fischte dabei sein H&K 322X Sturmgewehr au seiner Halterung und richtete es auf die Angreifer aus. Während er ein komplettes Magazin verschoss, was aufgrund des Fehlens einer Atmosphäre absolut geräuschlos passierte, stellte er Kontakt zur Einsatzleitung hier. „Hier spricht MAY-Two, wir werden beschossen. Erbitten Feuerunterstützung in Abschnitt MAY, wiederhole Feuerunterstützung in Abschnitt MAY.“
„Roger, MAY-Two“ meldete sich eine emotionslose Stimme aus der Taktikzentrale der ONTARIO „Die Jäger sind bereits auf dem Weg. Halten sie sich von den Akarii fern, die Päckchen werden gerade geliefert.“ Bei diesen Worten sah Hue aus dem Augenwinkel schemenhaft ein paar Lichtblitze und die Nachbrenner von Jägern, die aber den Bruchteil einer Sekunde später wieder verschwunden waren. Dann jagten ein paar Raketen auf die Stellungen der Akarii nieder und die lautlosen Raketenexplosionen erhellten die Szenerie für ein paar Augenblicke.
Es stoppte das Feuer der Akarii nicht.
Im Gegenteil, drei weiter seiner Männer wurden aus dem All gepustet, einem weiteren wurde das Bein abgerissen. Den Rest erledigte dann wieder einmal die endlose Finsternis. Sie wurden abgeschlachtet noch bevor sie die Station erreicht hatten und Hue hatte nicht die geringste Ahnung, ob ihr Gegenfeuer überhaupt Wirkung zeigte.

Dann landete er auf der Oberfläche der Station. Die magnetischen Sohlen seines Anzugs nahmen augenblicklich die Arbeit auf und er versuchte sich erst einmal zu orientieren. Zum Glück war die Oberfläche der Station nicht vollkommen eben und es gab einige Vorsprünge, Aufbauten und Mulden, in denen seine Leute Schutz suchen konnten. Er konnte einige seiner Leute auf die Akarii feuern sehen, doch Hue selber hatte noch keinen seiner Gegner zu Gesicht bekommen.
Dann sah er, wie ein Regen aus Laserimpulsen auf die Stellungen der Akarii niederging und dieses Mal schien es Wirkung zu zeigen. Der Dauerbeschuss der Akarii war unterbrochen.
Hue nutzte die Gelegenheit um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. „Sergeant Hancock, Bericht“ brüllte er durch die Leitung.
„Lieutenant, schön sie zu hören, Sir. Wir dachten, es hätte sie im Shuttle erwischt.“
“Um ein Haar, Sarge, um ein Haar. Wie ist die Lage?“
„Wir haben starken Beschuss hier, Sir. Die Schleuse, die wir nehmen wollten ist in der Hand des Feindes. Aus der Richtung kommt auch der Beschuss.“
„Gut, Feuer erwidern, aber ich will keine Heldentaten, verstanden? Wir haben schon genug Black Bags für heute, oder?“
“Aye, Sir“ erwiderte der Sergeant niedergeschlagen. Mit den bereits an Bord des Shuttles gefallenen Soldaten hatten sie jetzt schon bereits fast die Hälfte ihres Zuges eingebüßt.
„Wie ist die Stärke des Feindes?“ fragte Hue.
„Schwer zu sagen, ein bis zwei Squads, schätze ich. Jedenfalls bis eben.“
„Hmmm, Mission Control von MAY-Two“ rief der Lieutenant des stark gebeutelten Platoons wieder die Einsatzzentrale „fliegen die Jäger noch einen Angriff?“
„MAY-Two von Mission Control, Positiv die Jäger fliegen noch einmal an. Haltet die Stellung und die Köpfe unten, den Rest erledigt der Dirty Bunch.“
„Wollen wir es hoffen“ murmelte Hue und feuerte kurz seine Deckung verlassend eine kurze Salve auf die Stellungen der Akarii.

***

CIC der ONTARIO
Im Orbit um Pasumata IV, Pasumata-Sektor

Igor Maleetschev hatte die Fäuste so schmerzhaft verkrampft, dass ihm die Handinnenflächen zu brennen schienen. Die Berichte des Angriffes kamen jetzt Tröpfchenweise herein und was er hörte, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.
Der Einsatzplan hatte vorgesehen, die Raumstation in vier Abschnitte zu teilen, APRIL, MAY, JUNE und JULY. Jede der verfügbaren vier Kompanien des verstärkten, aber zusammen gewürfelten Battallions hatte dabei die Aufgabe den Ihr zugewiesenen Abschnitt zu nehmen und zu sichern. Dabei waren sie aufgrund des heftigen Bombardements zumindest davon ausgegangen, dass die Shuttles die Marines und die Stormin´, so wurden die Presidents Storming Infantry der ColCon auch genannt, unbeschadet würden absetzen können.

Sie hatten sich geirrt.
Entgegen ihren Hoffnungen hatten es die Akarii geschafft eines ihrer Shuttles im Anflug zu zerstören. Ein Großteil dieses Platoons war bereits verloren oder kämpfte derzeit ums nackte Überleben. Durch den Verlust von MAY-Two war der Gesamte Abschnitt MAY in Schwierigkeiten geraten. Während MAY-One noch die Schleuse im Sturm genommen hatte und erst in einiger Entfernung in starkes Gegenfeuer geraten war, hatte eine Sprengladung in der Landeschleuse von MAY-Three, gleich einen kompletten Squad Marines getötet.
Abschnitt APRIL war nicht besser dran. Alle drei Platoons waren zwar gut gelandet, aber diverse Sprengfallen, Barrikaden und Hindernisse hatten das vorankommen stark erschwert und für hohe Verluste gesorgt.
In Abschnitt JULY, dem Abschnitt der es auf die Dockanlagen und Maschinenräume der Station ausgelegt war, war der Widerstand ebenfalls heftig gewesen. Die einzelnen Platoons hatten sich den Weg ins Innere über die teilweise nicht vorhandene Außenpanzerung frei sprengen müssen. Allerdings nur um dort in das massive Gegenfeuer der Akarii zu rennen.
Nur Abschnitt JUNE, welches den Haupthangar und die Kommandozentrale zum Ziel hatte, war just bis auf die Kommandozentrale in der Hand von Brevet-Major Chabiz und ihren Männern.
Igor konnte sich das höhnische Grinsen der unsympathischen ColCon-Offizierin bereits ausmalen, auch wenn die Lage bei weitem nicht so war, wie es sein sollte. Ihr Abschnitt war der wichtigste und weitgehend gesichert.
Aber eben nur weitgehend.

In diesem Augenblick erschien Brevet-Major Chabiz auf den Sichtschirmen. Sie wurde durch das mobile Sendegerät ihres Funkers, einem Corporal namens Durant, auf die Bildschirme in der CIC der ONTARIO übertragen. Ihre Gesichtszüge waren durch das Helmvisier nicht so deutlich erkennbar, aber ihre Augen sprachen eine deutliche Sprache. Das Wort `Blutrausch` bekam für Igor bei diesem Anblick eine neue Bedeutung.
„Major Chabiz, wie ist ihre Taksit?“ fragte Igor kurz angebunden, obwohl er die Lage durch die zahlreichen Berichte der Teileinheitsführer bereits kannte. Singh und Garribeaux waren zwar direkt neben Igor, da er aber die zweifelhafte Ehre übertragen bekommen hatte, für diesen Angriff verantwortlich zu sein, hielten sich die beiden ranghöheren Offiziere auffällig stark zurück. Igor konnte nicht umhin sich zu fragen, ob das vielleicht schon ein gewisses Kalkül war, um bei einem eventuellen Scheitern der Mission in ihm einen perfekten Sündenbock zu haben. Doch als Major Chabiz antwortete, verflüchtigte sich sein Gedanke.
„Die Taktische Situation ist zufrieden stellend. Abschnitte APRIL, MAY und JULY sind weiterhin hart umkämpft, aber wir haben den Abschnitt JUNE gesichert, Commander. Der dritte Zug hat den Haupthangar der Station gesichert. Und hier hinter mir sehen sie den Zugang zur Kommandobrücke der Station, der erste und zweite Zug bereiten gerade die Erstürmung vor.“
„Wie werden sie vorgehen?“ hakte Igor nach.
„Wir sind gerade dabei die Sprengladungen an dem Hauptschott zur Kommandozentrale anzubringen. Dann sprengen wir den Eingang frei und werden den wahrscheinlich eher schwachen Widerstand in der Kommandozentrale im Keim ersticken. Haben wir erst einmal die Kommandozentrale in unserer Hand, wird der Widerstand in den anderen Abschnitten sicher zum Erliegen kommen.“
„Wann werden sie soweit sein?“
Chabiz drehte sich zum circa vier Meter breiten Schott um und blickte auf die dort werkelnden Soldaten. „Ich würde sagen noch Fünf Minuten bis zum…“
Weiter kam sie nicht.
Hinter dem Funker waren Explosionen und Schüsse zu hören, woraufhin dieser sich umdrehte und den Gang hinter dem Zugang zur Kommandobrücke zeigte. Rauchschwaden durchzogen die Szene, Schüsse peitschten hin und her, hier und da schienen Granaten zu explodieren. Es waren vereinzelt auch Schmerzensschreie zu vernehmen, zu Igors Leidwesen in der Mehrzahl von Menschen.
Anscheinend hatten die Stormin´ den Sektor JUNE doch nicht so gut unter Kontrolle wie sie gedacht hatten.

„Major, was ist da los bei Ihnen“ fragte Igor, obwohl er es durch die Kamera des Funkers selbst sehen konnte.“
„Sie haben uns umgangen“ brüllte Chabiz, als sie an die Seite des Funkers kam. „Durant, sie und der zweite Zug von Lieutenant Sarpin bleiben hier und behalten die Zentrale weiter im Auge. Der erste Zug mir nach, wir schnappen uns diese Schweine.“
Und mit diesen Worten verschwand sie mit knapp der Hälfte ihrer Leute in dem Gang.
Sie war gerade einmal ein paar Sekunden weg, da brach erneut im Rücken des Funkers die Hölle los. Wieder drehte sich Durant in Richtung von Explosionen und schwenkte wieder auf das Schott zur Kommandozentrale zu.
Kurz bevor ein paar Nebelgranaten zündeten und die Sicht auf das Schott verdeckten, sahen die Offiziere an Bord der ONTARIO wie eine Handvoll Akariis durch das sich öffnende Zugangsschott feuerten. Ein großgewachsener Akarii in der Mitte der Reihe fiel dabei besonders auf, da sein linker Arm und sein linkes Bein silbrig schimmerten. Der brüllende Akarii trug links und rechts zwei Sturmgewehre und feuerte wie ein Berserker auf die ColCon-Soldaten, die gerade an vorderster Linie gestanden hatten um die Sprengladungen zu legen. Zuckend und von Projektilen und Laserimpulsen durchsiebt, wurden sie rücksichtslos über den Haufen geschossen.
Dann brach die Hölle in dem Gang vollends aus. Als die Nebel- und Blendgranaten detonierten, waren nicht nur die Soldaten im Gang kurzzeitig blind, auch Igor musste blinzeln. Fassungslos musste er mit ansehen, wie die Situation, die vor einigen Augenblicken noch in Ordnung gewesen war, vollkommen außer Kontrolle geriet.
Es dauerte ein paar Augenblicke ehe die antrainierten Reflexe bei Corporal Durant wieder griffen. Ungeachtet des noch offenen Kanals zur ONTARIO fluchte er hemmungslos bevor er laut brüllend sein Sturmgewehr blind in Richtung des Schotts feuerte.
Ein Akarii preschte heran und Durant konnte ihn gerade noch mit einer vollen Salve erwischen. Und obwohl der Akarii von sicherlich einem Dutzend Geschossen durchsiebt wurde, rammte er den Corporal gegen die Wand ehe er grunzend zusammenbrach.
„Durant, Sarpin RÜCKZUG“ kam die mittlerweile überhaupt nicht mehr zuversichtlich klingende Stimme von Major Chabiz durch den Funk. „Wir müssen hier hinten durchbrechen oder diese verfluchten Echsen erledigen uns hier von beiden Seiten.“

Doch Durant antwortete nicht, er hatte andere Probleme.
Er lag immer noch am Boden, der tote Akarii nach halb auf ihm. Sein rasselnder, schwer gehender Atem kündete von einem Problem und es lag Igor schon auf der Zunge, dem Jungen zuzuschreien, dass er aufstehen musste. Doch eine in der Nähe detonierende Splittergranate hinderte ihn daran.
„Aaagghhhh!“ Durant schrie mit voller Kraft und dieser Schrei ging auch Igor durch Mark und Bein. Doch der verletzte Soldat hatte Glück im Unglück. Dadurch dass er am Boden gelegen hatte und der tote Akarii auf ihm, schlugen die Splitter der Granate entweder in den bereits toten Körper des Akarii ein oder fegten über seinem Kopf weg und ließen ihn weitgehend unversehrt.
Durant konnte es anscheinend selbst nicht fassen und blieb, rasselnd atmend einen Augenblick liegen und schaute sich in dem Gang, in dem man wegen der Rauschschwaden kaum fünf Meter Sicht hatte, um. Das erbarmungslose Feuer beider Seiten trommelte durch den engen Zugang zur Kommandozentrale, Granaten blitzten und grollten, Soldaten starben – auf beiden Seiten zwar, doch in der Mehrzahl menschliche. Doch der Lebenswille des Corporals schien noch nicht vollends versiegt zu sein, da er versuchte wieder auf die Beine zu kommen
Igor und die anderen Offiziere mussten mit ansehen, wie er den toten Akarii von seinem Körper schob und erkannten dabei die Ursache für sein mittlerweile heftiges Keuchen. Eine Klingenwaffe unbekannter Art steckte tief in seiner rechten Körperhälfte, an der er gerade hinab schaute. Mit einem lauten Brüllen zog er die Waffe hinaus und warf sie weg. Dann versuchte sich der verletzte und blutende Soldat aufzurichten und schaffte es gerade noch so mit Mühe.
Nur um im nächsten Augenblick von irgendetwas schemenhaft von links kommendem wieder niedergestreckt zu werden.
Durant grunzte fast unmenschlich, als er hart aufkam. Die Kamera verwackelte und fiel kurz aus, dann war der Gang nur noch aus der liegenden Position erkennbar. Durants Atem wurde immer hektischer und kurzatmiger, irgendetwas trat aus links in das Sichtfeld. Der Soldat drehte sich langsam zu dem Akarii mit den silbern schimmernden Prothesen um, der vorhin feuernd aus der Kommandozentrale gekommen war.
Durant versuchte sein vor ihm liegendes Sturmgewehr zu erreichen, doch er war nicht schnell genug. Mit einem grausigen Schrecken erkannte Igor, wie sich die metallene Prothese vom Boden hob und mit einem sirrenden Laut direkt auf Durants Schädel sauste.
Dann war der Bildschirm nur noch schneeweiß.
Auch wenn das grauenvolle Schreien des sterbenden Soldaten schon längst verstummt war, weil das Signal inzwischen abgebrochen war, hatte Igor den Eindruck es immer noch zu hören.
Doch in Wahrheit war die gesamte Einsatzzentrale in betretenes Schweigen gehüllt. Auch wenn viele Veteranen unter Ihnen waren, einen solchen Anblick steckte niemand einfach so weg.
Igor ahnte in diesem Augenblick, dass sie die Schlacht um die Station bereits verloren hatten.
Die Frage würde nur sein, wie viele ihrer Leute es überhaupt zurück schaffen würden.

***

Nahe der Akarii-Raumstation
Im Orbit um Pasumata IV, Pasumata-Sektor

Die Jäger des Dirty Bunch fegten wieder in Richtung der Akarii-Raumstation, diesmal aber unter der Führung von Diane. Sie hatte nicht gewusst, ob Tigre ihr diese Chance geben würde. Und umso erleichterter war sie schließlich über sein Vertrauen.
„ Geschwindigkeit auf Null reduzieren und Feuer mit den Lasern“ gab sie an die anderen Jäger durch und bremste ihren Jäger so kontinuierlich ab, dass sie über der Station schwebend in Stellung gingen. Die acht Jäger feuerten wie stationäre Laserstellungen, die aber in diesem Fall über den Köpfen der Kombattanten hingen, mit ihren Lasern auf die erneut in Deckung springenden Akarii. Und dieses Mal waren die Jäger nicht sofort wieder außer Reichweite, sondern konnten die Akarii viel besser unter Beschuss nehmen.
Sie sah auch sofort dass diese geänderte Taktik erste Früchte trug. Zwei weitere Akarii wurden durch das gezieltere Bombardement getroffen und wurden davon gewirbelt.
„Gute Idee, Diane“ kam es von Tigre „aber was ist, wenn die Akarii noch weitere Raketen haben?“
Sie antwortete ihrem Staffelführer, während sie unablässig auf die Akarii feuerte. „Dann geben wir wieder Gas. Aber selbst wenn, sie bräuchten schon 5-6 ihrer schwächer ausgestatteten tragbaren Raketen auf einmal, um einem von uns gefährlich zu werden. Und ich glaube nicht, dass sie noch so viele bei sich haben.“
Ein weiterer Akarii wurde von einem Jägerlaser fast verdampft, doch die Akarii waren auch nicht dumm. Die Deckungsmöglichkeiten an der Oberfläche waren nicht berauschend und es war unvermeidlich, dass sie alle durch die Jäger umkommen würden. Und somit taten sie – sehr zum Leidwesen von Diane – das einzig sinnvolle in ihrer prekären Situation. Sie setzten sich in Bewegung, und zwar direkt in Richtung der Marines.
Tigre sah es auch und reagierte sofort. „Feuer einstellen, Dirty Bunch, Feuer einstellen. Oder wir beschießen unsere eigenen Leute.“ Dann öffnete der Staffelführer einen Kanal zu dem unten sich langsam sammelnden Rest des Infanteriekontingents. „MAY-Two von Leader Dirty Bunch, die Akarii kommen auf Euch zu.“
„Roger, Leader Dirty Bunch, danke für die Warnung.“
„Verflucht“ schimpfte Tigre „warum ziehen sich die Akarii nicht zurück? Unsere Marines sind Ihnen immer noch drei zu eins überlegen, oder?“
Diane scannte die Oberfläche und fand die Antwort darauf. „Tigre, wir haben durch unseren Raketenangriff die Schleuse hinter den Akarii zerstört. Wie es scheint wollen sie die nächste Möglichkeit ins Innere der Station erreichen, und die ist wiederum genau auf der anderen Seite. Also müssen sie direkt an unseren Marines vorbei.“
„Dann wollen wir mal hoffen, dass unsere Jungs und Mädels sie davon abhalten können.“
Diane nickte stumm in ihr Cockpit, während die Jäger weiterhin in Sichtweite der Station hingen. Sie waren jetzt zu stummen Zeugen eines Gefechts zwischen zwei Infanterieeinheiten verdammt und das behagte ihr irgendwie gar nicht.
Vor allem nicht, wenn die Akarii so weiter kämpften wie bisher.

****


Lieutenant Hue Xha Bao bereitete seine Leute so gut es ging auf den bevorstehenden Angriff der Akarii vor, und das war gar nicht so einfach. Seine Marines waren im Moment an mehreren Stellen an der Oberfläche der Station festgenagelt worden. Sechs Mann waren bei ihm, acht Mann bei Sergeant Hancock östlich von Ihnen und gerade noch fünf Mann bei Lance Corporal Gigliotti, seiner dritten Squadleaderin, westlich ihrer Position. Insgesamt waren damit nur noch 21 seiner ursprünglich 35 Marines am Leben.
Und eisige Furcht umklammerte sein Herz als er erkannte, dass es bald noch weniger werden würden, denn die Akarii gingen todesmutig in den Gegenangriff über. Von seiner Position aus sah er die momentanen Stellungen der Akarii, die bis eben noch mit dem Laserfeuer aus den Jägern eingedeckt worden waren.
Und jetzt, kurz nach der Warnung durch die Jägerpiloten, erkannte er die akariischen Infanteristen, wie sich vier von ihnen elegant in die Höhe erhoben und vier von Ihnen sich am Boden näherten, damit seine Leute ihr Feuer aufteilen mussten.
„FEUER FREI…“ brüllte er „Hancocks Trupp die unteren vier, Gigliottis und mein Trupp die oberen.“ Und während er wie alle anderen seiner Leute aus vollen Rohren schoss, sah er wie die Akarii das Feuer erwiderten. Ein einziges Squad hatte sich da gegen sie gestellt und hatte nicht nur ihr Shuttle vernichtet, sondern bereits ein Drittel seiner Leute getötet. Unbändige Wut brach sich in seinem Inneren frei und er brüllte Befehle um mit seinen Marines jeden einzelnen dieser verfluchten Schuppenhäute aus dem All zu pusten.
Lautlos, und damit wenig bedrohlich wirkend, fegten die Laserimpulse, Projektile und Unterlaufgranaten von beiden Seiten aufeinander zu.
Doch ihre Wirkung war auf beiden Seiten frappierend.
Eine der Akarii-Granaten ging inmitten dreier Marines in Gigliottis Restsquad hoch. Und auch wenn die Explosion harmlos aussah, wirkte sie sich für die drei Soldaten verheerend aus. Ihre vergleichsweise hauchdünne Panzerung wurde von den Schrapnellen der Granate zerfetzt, das Vakuum des Weltalls erledigte den Rest.
Einer der schwebenden Akarii wiederum wurde in seinem Flug durchsiebt und entfernte sich jetzt zuckend von der Station weg. Die übrigen drei Akarii kehrten ihre Schubdüsen um und senkten sich damit wieder der Oberfläche entgegen.
Aber ein weiterer der Akarii schaffte es nicht. Hue hatte ihn aufs Korn genommen und mit einem grimmigen Blick der Zufriedenheit sah er, wie die Salve aus seinem Heckler&Koch Sturmgewehr dem Akarii das rechte Bein zerfetzte. Dieser überschlug sich durch den Treffer, doch seine Waffe feuerte weiter. Die Laserschüsse peitschten auf Hue zu und verfehlten ihn zwar, doch dafür trafen sie den Corporal, den Hue im Shuttle im letzten Augenblick gerettet hatte. Doch jetzt verdampfte seine Brust förmlich durch drei direkte Treffer und er wurde keuchend nach hinten geworfen. Als Hue sich umdrehte sah er direkt in die sterbenden Augen des Marine, der ihn mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen anstarrte.
Als Hue sich wieder dem getroffenen Akarii zuwendete, sah er gerade noch wie dieser auf der Station aufschlug. Und er wünschte sich, dass die Echse nicht bereits tot war, damit es die Schmerzen durch den Aufprall doch spüren möge.

Unterdessen fügten sich auch die Marines und die Akarii am `Boden` gegenseitig herbe Verluste zu. Hue sah aus dem Augenwinkel, wie eine Akarii-Salve einen seiner Marines förmlich in der Mitte entzwei teilte und wäre er nicht mittlerweile selbst in einem Blutrausch, er hätte bei diesem Anblick sicher würgen müssen.
Doch das übernahm ein anderer seiner Männer und die Würgegeräusche im Funk machten bei der ansonsten herrschenden relativen Stille dieses Gefechts die Konzentration auf den Kampf nicht einfacher. Zumal der Marine sich selbst einen Bärendienst geleistet hatte, da die Kotze in seinem Helm ihm jetzt die Sicht nahm.
Doch das Problem regulierte sich kurz darauf von selbst, da eine Serie von Laserimpulsen frontal auf die Sichtscheibe des orientierungslos herum stehenden Soldaten trafen, die Scheibe durchschlugen und den dahinter liegenden Kopf förmlich rösteten.
Der Kampf zwischen den Terranern und den Akariis war erbarmungslos und kurz darauf waren die übrig geblieben fünf Akariis mitten unter Hues eigenem Squad. Der gegnerische Kommandeur schien leider exzellent ausgebildet zu sein, denn seine Aktion bewirkte, dass weder Gigliottis noch Hancocks Team jetzt feuern konnten, ohne Gefahr zu laufen ihre eigenen Leute zu treffen.
„Hancock, Gigliotti, ZU MIR“ brüllte er, um die anderen Teile seines Platoons zusammen zu bringen. Doch während der Sarge kurz bestätigte, stammelte eine verwirrte Stimme „Cooper hier, S-Sir. Gigliotti ist tot.“
„Dann bewegt eben der Rest von euch euren Arsch hierher“ schrie er seinen verwirrten Untergebenen an, da er selbst die Kontrolle zu verlieren schien.
„Ist gut, Sir. Ich komme.“
Hue hatte keine Zeit sich über die Tatsache Gedanken zu machen, dass von Gigliottis Squad nur ein einziger Mann überlebt hatte. Er hatte genug selbst damit zu tun zu überleben. Eine Salve Laserimpulse schoss von rechts auf ihn zu und er konnte sich gerade noch so unter den todbringenden Strahlen unter durch ducken. Seine Aktion, die unter Bedingungen der Schwerkraft sicher elegant ausgesehen hätte, war in diesem Falle nicht gerade von Vorteil. Er schlug schmerzhaft mit seiner Schulter gegen die gepanzerte Außenhülle der Raumstation und rollte sich dann ab, was aber wiederum dazu führte, dass er durch den Schwung circa drei bis fünf Meter von der Station wegdriftete, da seine Magnetsohlen den Kontakt verloren hatten. Zu seinem Glück hatte der Akarii seinen wenig eindrucksvoll aussehenden Flug nicht weiter verfolgt und ihm nicht eine zweite Salve hinterher geschickt. Es dauerte einen Augenblick bis er seine Tornisterdüsen wieder angeworfen hatte und zurück zur Stationsoberfläche flog.

Als er wieder angekommen, blickte er sich um und stellte zu seiner Überraschung fest, dass die Akarii verschwunden waren. Wie vom Erdboden verschluckt.
„Hancock, Bericht!“ bellte er durch den Funk und zuckte fast zusammen, als sein Sergeant von links in sein Sichtfeld trat.
„Sir, die Akarii hatten anscheinend gar nicht vor in einen Nahkampf-Clinch zu gehen und sind direkt weiter in diese Richtung geprescht.“ Hancock zeigte mit seinem ausgestreckten Arm an einen Punkt nicht weit `hinter` ihrer ursprünglichen Position. „Einen haben wir noch erwischen können, aber vier von Ihnen sind dort einfach in der Station verschwunden und sind uns auf diese Weise entwischt.“
„Gut, lassen sie die Männer sammeln, wollen wir doch mal sehen, wo sie hin sind, oder?“
„Aye, Sir“ antwortete der Marine und Hue blickte sich indessen auf dem Schlachtfeld um. Von seinem eigenen Squad hatten nur drei Mann überlebt, Gigliottis Squad bestand nur noch aus einem Mann und auch Sarge Hancock hatte nur fünf seiner Leute am Leben halten können. Damit waren es mit elf übrig gebliebenen Marines nicht mal genug Überlebende um ein Squad zu füllen. Und das schlimmste war, dass sie gerade mal acht Akarii hatten töten können, die mitgezählt, die durch die Jäger ausgeschaltet worden waren.
Hues Knie begannen zu Zittern bei diesem Gedanken, sein Magen drehte sich um. Er wusste, er musste etwas tun, und zwar schnell. Denn seinen übrig gebliebenen Leuten würde es nicht besser gehen, wenn Ihnen erst einmal auffiel, dass sie gerade massakriert worden waren. Und sie waren noch lange nicht durch mit ihrem Angriff, im Gegenteil. Sie hatten den eigentlichen Kampf um die Station noch vor sich.
Er forderte über Funk ein Rettungsshuttle an, auch wenn nicht viel Hoffnung bestand, dass die überhaupt einen seiner Leute lebend bergen würden. Aber wenigstens würden die sterblichen Überreste einsammeln. Dann machte er sich mit dem Rest seines Platoons auf den Weg zu der Stelle an der die Akarii verschwunden waren.
Sie kamen an einem circa drei Meter im Durchmesser großen, kreisrunden Schleuseneingang an, der natürlich mittlerweile geschlossen war.
„Sprengen wir uns den Eingang frei!“ beschloss Hue, doch Sarge Hancock schüttelte nur den behelmten Kopf.
„Womit?“ fragte der Sergeant niedergeschlagen und Hue erkannte, worauf er hinaus wollte. Nicht einer seiner Leute, die über die Sprengsatzpacks verfügten, hatte überlebt.
Auch diese Erkenntnis nagte augenblicklich an Hue, aber er durfte nicht zulassen, dass sie jetzt in Selbstmitleid verfallen würden, sonst waren sie bald alle tot.
„Mission Control von MAY-Two, erbitten schnellstmöglich ein Pick-Up durch eines unserer angedockten Shuttle von unserer jetzigen Position. Unsere Sauerstoffvorräte halten noch knapp eine halbe Stunde.“
„Roger, MAY-Two“ antwortete eine emotionslose Stimme „ein Shuttle wird in voraussichtlich 15 Minuten bei Ihnen sein.“
Hue seufzte tief vor Beruhigung, doch gleichzeitig es aber auch, dass sie dann wieder in den Kampf ziehen würden. Und obwohl er genau dazu ausgebildet worden war und obwohl dies nicht sein erster Einsatz war, fühlte er diesmal fast panische Angst. Denn eines war klar: Auf der anderen Seite dieser Schleuse warteten mindestens vier Akarii nur darauf, dass sie ihre Köpfe durch die Tür steckten. Wie um Himmels Willen sollte er, nach dem bisherigen Verlauf des Einsatzes, seine Männer dazu bringen, ihm da hinein zu folgen?
Tyr Svenson
Graxon
TRS COLUMBIA


Das CIC - Combat Information Center - des riesigen Trägers war voll besetzt. Alle Verbandsleitkonsolen wurden von Offizieren aus dem ehemaligen Stab von Wulff, jetzt der Stab von Melissa Alexander besetzt, die sekundäre Schiffssteuerung durch die zweite Brückenwache. Commander van der Hoeven der 1. Offizier der COLUMBIA tanzte quasi zwischen den Stabsaufgaben und der Überwachung der sekundären Schiffssteuerung hin und her, während Waco den Träger von der Brücke aus befehligte.
Alexander, Wulff, Cunningham sowie einige weitere Nachrichtendienst- und Taktikexperten aus dem Stab standen um den großen Kartentisch herum.

"Also zwei dieser Träger konnten wir bekannten Signaturen zuordnen, dies", der Nachrichtendienstoffizier ließ den vordersten der vier Träger aufleuchten ist Uniform 8."
"Ah, die JOALINGUR", murmelte Alexander.
"Wer?" Bianca Wulff hob eine Augenbraue.
"Das neue Flaggschiff von Prinz Jor persönlich die JOALINGUR. Der JOALINGUR ist eine Art ahh Langbogen der Akarii." Die Admiralin schüttelte kurz den Kopf. "Verdammt, was man so alles lernt, wenn man einer anderen Kultur lange ausgesetzt ist. Selbst in Gefangenschaft. Aber bitte fahren Sie fort Commodore Mayers."
Commodore - eigentlich Captain - Mayers nickte verständnisvoll: "Der andere der uns bekannt ist, ist der hinterste Uniform 12."
Lucas zog scharf die Luft ein.
"Ahja, die Uniform 12 ist öfters auf die REDEMPTION gestoßen." Mayerst blickte den CAG der COLUMBIA fragend an.
"Der Rote Baron dient auf diesem Träger."
"Der Rote Baron? Manfred von Richthofen?" Admiral Alexander klang etwas amüsiert.
"Der Rote Baron, die Rote Echse, wie auch immer, eine Ausgeburt der Hölle, hat einen Haufen von unseren Elitepiloten in die nächste Welt befördert. Nach Manticore hat er seinen Jäger in den Farben dieses Roten Barons - von Richthofen sagten sie - angemalt."
"Ach und er war bei Manticore?"
"Ja Ma'am, ich erkenne denjenigen, der mich aus meiner Nighthawk geschossen hat."
"Gut, dann haben wir zwei Träger mit Geschwadern, denen wir einen exzellenten Status zuschreiben können, richtig?" Mayers klang vorsichtig.
"Würde ich sagen, ja absolut." Bestätigte Lone Wolf.
"Die anderen beiden dürften zwar ausgeruhte aber keine direkt kampferfahrenen Crews haben", warf einer der Taktikexperten ein, "wenn es unsere Freunde aus Wron sind versteht sich natürlich."
"Das muss nicht zwangsläufig sein, und wir haben erlebt, wie böse die Akarii ohne Kriegserfahrung in Manticore ausgeteilt haben", Wulff rieb sich die Wange, "aber das bringt uns alles nicht weiter, wie stellen wir uns denen?"

Alexander starrte auf den Kartentisch. Der Monitor zeigte ein Meer aus roten Icons, die vorrückende Akariiflotte. Die sich zurückziehenen blauen Icons der Erdflotte war fast halb so klein.
´"Ich denke Jor wird versuchen uns mit seinen Jägern und Bombern anzugehen. Er liebt dieses Spielzeug ungemein und ist selbst ein herausragender Pilot. Jedoch wird er nicht selbst mitangreifen." Begann die Vizeadmiralin schließlich. "Das wird uns vor zwei Probleme stellen: Wie eliminieren wir die Bomber, bevor sie unsere Dickschiffe auseinanderschießen und wie stellen wir Jägerüberlegenheit her, damit später Renaults schwere Bomber möglichst ungehindert die Akarii rupfen können?"
"Ma'am, was sind Sie denn bereit an Dickschiffen nötigenfalls zu opfern?" Lucas konnte kaum glauben, dass er das jetzt gefragt hatte. Zum einen war er Jägerspezialist und kein Flottentaktiker und zum anderen klang er auch für sich selbst sehr kaltblütig.
"Wie meinen Sie das Commander?"
Es gab jetzt kein Zurück mehr: "Unsere Jäger könnten den Feind unter dem Schutzschirm einer vorgeschobenen Flakplattform angehen. Einen Wall aus Schiffen vor der Hauptstreitmacht, so weit, dass die Bomber noch nicht auf die Träger und anderen wichtigen Großschiffe schießen können und vor allem klein und unwichtig genug, dass genügend Akarii-Bomberpiloten versucht sein könnten die Flakplattform zu ignorieren und unsere Hauptverband anzugreifen. Dabei wären Sie dann ein leichteres Ziel für die Flakplattform und die unter ihrem Feuerschutz arbeitenden eigenen Jäger."

Alexander blickte Wulff an.
"Ganz schön abgebrüht für einen Jet-Jockey", meinte die Rearadmiral, "aber wenn wir die Entfernung so halten, das wir beide Verbände schnell wieder bündeln könnten, dass wir uns zur Not Jors dicken Pötten stellen können!"
"Und was ist, wenn die Akarii-Bomberpiloten der Meinung sind, die Plattform mit allem Einzudecken, was sie an Raketen haben?" Wandte eine Nachrichtendienstlerin ein.
Die Augen der beiden weiblichen Admirale wanderten zu Lucas.
"Dann verlieren wir unsere vorgeschobene Flakplattform. Deren Bomber ihr Bedrohungspotential und die Aufmerksamkeit unserer Jagdpiloten, die sich dann in den Dogfight mit den Jägern der Akarii werfen können, was bedeutet, dass die Bomber wohl beim zweiten Anflug keine allzu gute Eskorte mehr haben dürften."
‚Du redest hier vom Tod mehrerer Tausend Deiner Kammeraden‘, ätzte eine Stimme in seinem Kopf. ‚Davon rede ich jedes Mal bei einer Stabsbesprechung!‘ Schoss er zurück.

Viceadmiral Alexander nickte: "In Ordnung, ich will die DAUNTLESS, zehn Zerstörer und fünf Kreuzer als vorgeschobene Flakkplattform. Die Schiffe können von mir aus angeschlagen sein, solange sie aber ihre volle SSM-Kapazität haben."
"Aye, Ma'am." Bestätigte Wulff.
"Achtung! Sprungalarm, vorbereiten zum Transit! Sprungalarm!" Wacos Stimme war leer jeglicher Emotion. DAS Zeichen, dass der unerschütterliche Captain der COLUMBIA schwer besorgt war.
"Commander Cunningham: Weisen Sie Ihr Geschwader ein, wenn Renaults schwere Bomber angreifen heist es die Feindjäger binden. Wir alle wissen wie effektiv die Akarii Großschiffe und Jäger im Verbund einsetzen können."
Lucas salutierte und verließ die CIC. Wenn das klappt bin ich fein raus. Wenn nicht, spielt es auch keine Rolle mehr. Aber eins ist sicher, bei den Dickschiffbesatzungen darf ich mich nicht mehr blicken lassen.

***

Berlin
Terra


Langsam hatten die Reporter vieler Nachrichtesender und Magzine das ständige Kommen und Gehen von hochrangigen Flottenangehörigen im Haus der Republik spitzgekriegt und so hatte Patricia Birmingham kurz um eine Pressekonferenz für das kommende Ereignis anberaumt.
Im Augenblick ließ noch Nigel Collingwood der Pressesprecher der Regierung seinen Charme spielen, dann kündigte er zur Überraschung der versammelten Presseelite nicht Birmingham sondern Klaus von Richter an.
Der altbekannte CNO trat hinters Rednerpult und ließ die Reporter einige Zeit Fotoaufnahmen machen.

"Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren, Präsidentin Birmingham und ich haben uns zu dieser öffentlichen Mitteilung entschlossen, weil wir es für richtig halten derart schwerwiegende Geschenisse und Entscheidungen so über die offiziellen und zweifelsohne courragierten Pressenstellen bekannt zu machen."
Der Admiral pausierte und musterte die Gesichter der Pressevertreter. Es spiegelten sich viele unterschiedliche Gefühlsregungen: Offener Unglaube, Überraschung, Verwirrung, Furcht aber vor allem Neugier.
"Vor einigen Tagen ließ mich ich im Militärhospital von Lunapolis gründlich durchchecken. Offiziell hieß es ich sei auf einer Inspektionstour. Jedoch war das Ergebniss der Test für uns derart niederschmetternd, dass wir uns gezwungen sahen zu handeln.
Die Diagnose ist zwar nicht bedrohlich aber ernst. So ernst, dass ich mich gezwungen sehe von meinen Posten als Chief of Naval Operations zurückzutreten."

Der Admiral wollte zwar weiterreden, doch ein Schwall von Fragen unter brach ihn.
"Bitte, bitte meine Damen und Herren, ich bitte Sie ..." Als wieder Ruhe eingekehrt war fuhr er fort. "Dieser Schritt ist mir nicht leicht gefallen, habe ich der Navy und somit dem Wohlergehen unser aller Nation doch über fünfunddreißig Jahre gewidmet und fühle mich beiden sehr verbunden und vor allem auch verpflichtet.
Wohlweißlich, dass dies kein günstiger Augenblick ist das Zepter über die Flotte weiterzureichen haben Präsidentin Birmingham und ich uns in dem Bewusstsein - so schlecht der Augenblick auch ist - dass es von uns grob fahrlässig währe auf einen besseren Zeitpunkt zu warten, wo wir uns im Krieg befinden und uns ein besserer Zeitpunkt möglicherweise nicht mehr gegeben ist.
Bitte verzeihen Sie, wenn ich Ihnen keine Fragen beantworten möchte und an unsere Presidentin übergebe."

Während die Reporter eine Fragensalve nach der anderen auf den Admiral abfeuerten nahm Birmingham seinen Platz ein.
"Sehr geehrte Pressevertreter, ich bin mir bewusst, dass Sie viele Fragen, vor allem über die Krankheit des Admirals haben, doch möchte ich Sie in bitten die Privatsphäre von Admiral von Richter zu beachten.
Ebenso bin ich mir bewusst, dass Sie alle den Namen von Admiral von Richters Nachfolger erfahren wollen, in diesem Punkt möchte ich Sie noch um etwas Geduld bitten, ich werde Ihn nach einer kleinen Pflicht und Schuldigkeit - die ich, nein die Republik hat, nennen."
Birmingham wandte sich leicht zur Seite, so dass sie Klaus von Richter im Blick hatte.
"Admiral von Richter, das Parlament der Bundesrepublik Terra verleiht Ihnen für Ihren aufopferungsvollen und stets couragierten Dienst für den Frieden und die Sicherheit unserer Nation, und natürlich für die achtunddreißig Jahre, die Sie der Navy ein treuer, ehrenvoller und vorbildlicher Offizier waren, die Life Service Medal."
Die Reporter fingen erst an zu applaudieren, und standen dann auf. Nigel Collingwood brachte den Orden auf einem roten Samtkissen.

Von Richter war verdattert als die Präsidentin ihm den Orden ansteckte. Er war darauf vorbereitet gewesen in Ehren zu gehen, aber nicht noch einmal geehrt zu werden.
Nachdem der Jubel sich gelegt hatte fuhr Birmingham fort: "Als direkter Nachfolger für Admiral von Richter war die einzige und logische Wahl Admiral Nathan Frost, sein Stellvertreter. Admiral Frost hat eine exzellente, ja fast beispiellose Karriere in der Navy hinter sich. Sowohl Minister DeMarko als auch ich sind felsenfest davon überzeugt, dass Admiral Frost unsere Navy gekonnt befehligen wird und diese mit ihm an der Spitze die Möglichkeit hat siegreich aus diesem Krieg hervorzugehen. Vielen Dank meine Damen und Herren."
Die Pressekonferenz war beendet.

Birmingham musste an das Gespräch mit Frost und Steward zurückdenken. Erst hatte man Steward die ganze Geschichte erzählt und dann hatte Birmingham Frost eins gesagt: ‚Admiral Steward wird Ihre Stellvertreterin bleiben. Wenn Sie sie feuern Admiral, dann feuere ich Sie.‘
Tyr Svenson
„First to go, last to know“
(inoffizielles Motto des Marine Corps)

Der Akarii richtete sich auf, trotzdem sich mitten in seiner Stirn wie ein drittes Auge ein Einschußloch eingebrannt hatte. Langsam, schrittweise kam er auf sie zu, taumelnd. Wieder und wieder jagte sie Energieblitze in seinen Körper – umsonst. Unaufhaltsam kam er näher. Sie schrie – ihre Stimme klang schrill, unmenschlich, fast künstlich. Was...
Abrupt schoß Jean hoch, stieß sich beinahe den Kopf an der Unterseite der oberen Koje. Das war nicht nur ein Alptraum gewesen – das ohrenbetäubende, markerschütternde Heulen der Sirenen war Realität. Und als hätte es noch einer Bestätigung bedurft, gellte auf dem Gang die schneidende Stimme des Sergeanten:
„RAUS, IHR ARSCHLÖCHER!! ALLES HOCH, ES GEHT LOS!!“ Und um den Lärm noch zu verstärken, mischte sich jetzt einer der Lautsprecher der Anlage ein – man hatte einfach die Geräte der Akarii weiter verwendet: „INVASIONSALARM!! INVASIONSALARM!! DAS IST KEINE ÜBUNG!!“
Während sie noch versuchte, Klarheit in ihre Gedanken zu bringen, griffen schon die Reflexe. Wie die anderen Soldatinnen, die man provisorisch in einer ehemaligen Zelle untergebracht hatte, taste sie nach Waffe, Panzer, Helm, Sturmgepäck.
Auf dem Flur stand, natürlich bereits kampfbereit, Master Sergeant Schiermer. Der Alte schien in seiner Rüstung zu schlafen: „Bewegt euch, ihr Scheißer! Oder wollt ihr euch von den Akarii wachküssen lassen? Wir sind im Krieg, falls ihr es noch nicht geschnallt habt, ihr Kurortkämpfer!“
Endlich war das Platoon angetreten. Die massiven Helme verbargen die Gesichter, wie die schweren Körperpanzer eventuelle Unsicherheiten in der Haltung kaschierten. Aber Jean Davis war sich sicher, daß einigen jetzt ganz schön das Herz in die Kniekehlen sackte. Ihr ging es nicht viel anders – Invasionsalarm. Die Akarii kamen...
„Bewegung, ihr Hurenbälger, Sammelpunkt X-4, der Krieg wartet nicht auf euch – LOS! LOS! LOS!“ die gellende Stimme des Sergeants trieb die Soldaten vorwärts, an dem Platoonchef vorbei, der jedem Soldaten noch einmal wuchtig auf die Schulter hieb: „EINS! ZWEI! DREI! VIER!...“ Dann setzte sich auch Schiermer in Bewegung, hetzte hinter seinen Leuten hinterher, setzte sich schnell an die Spitze der Soldaten.

Auf den Gängen war ein regelrechtes Chaos angebrochen. Marines und „reaktivierte“ Armeesoldaten und Legionäre schienen planlos durcheinander zu wimmeln. Nur einem geschulten Auge offenbarte sich, daß die meisten Soldaten durchaus wußten, was sie zu tun hatten und jetzt auf ihre Kampfpositionen hasteten. Schnellfeuerlaser wurden aufgebaut, schwere Waffen in die Feuerstellungen geschafft. Einer der Sanitätssoldaten wurde allerdings wirklich beinahe über den Haufen gerannt, als er nicht schnell genug aus dem Weg sprang.
Gebrüllte Befehle und Meldungen hallten durch die Gänge – zusammen mit den Lautsprechern und Sirenen ein infernalischer Lärm.
Schiermers Platoon war nicht an vorderster Front stationiert - zu viele Grünschnäbel. Das war ihm nicht unrecht. Sollten die Akarii außerhalb der Festung landen, würden sie erst an der Oberflächenverteidigung teilnehmen, wenn Verstärkung gebraucht würde. Und wenn die Echsen es schafften, gleich im ersten Anflug eine Punktlandung hinzulegen – und nicht von den automatischen Verteidigungsanlagen und den Sprengfallen zerblasen wurden – dann würde, so hoffte Schiermer, sich der Kampfgeist der Angreifer an den vorderen Kampfstellungen und den Minen abkühlen...
Wenn irgendjemand unter den Helm des Master Sergeant geblickt hätte, wäre ihm kaum etwas aufgefallen – außer vielleicht die zusammengebissenen Zähne. Schiermer ließ sich selten etwas anmerken, auch wenn er die Chancen so schlecht beurteilte wie jetzt. Er war schon häufig verwundet worden, vermißt oder sogar tot erklärt worden – aber er hielt sich nicht für unsterblich. Und noch viel weniger galt das für die Soldaten in seinem Platoon, fast alles Grünschnäbel ohne Gefechtserfahrung. Hohe Verluste waren normal beim RSMC, ja sie gehörten sogar gewissermaßen zu dem Ruf der Einheit. Gefallen mußte es Schiermer aber noch lange nicht, wenn die Hälfte dieser Jungspunde in Leichensäcken landete...

Er verdrängte mit gewohnter Routine die unangenehmen Gedanken, als die Einheit den Sammelpunkt erreichte. „WAFFEN ÜBERPRÜFEN!! LADEN UND ENTSICHERN!! JUAN – HIERHER!!“ Sobald der Scharfschütze und Sprengspezialist bei Schiermer war, mäßigte der seine Lautstärke: „Gib mir zwei Knallfrösche. Und den Rest legst du aus, bevor die Scheißer den Eingang aufgesprengt haben. Ersatz gibt’s genug, sie haben hier noch ein paar Kisten gebunkert.“ Juan nickte nur, dann reichte er Schiermer zwei Sprengsätze.
„DAVIS! BEWEG DEINEN ARSCH HIERHER!!“ Als Jean, immer noch außer Atem, vor dem Sergeanten zu Stehen kam, packte er sie an der Schulter: „Für’s erste bleibst du an meiner Seite bis ich was anderes sage. Und wenn ich’s sage, knallst du ab, wen ich anweise. Bau keinen Mist, sonst solltest du BETEN, daß dich die Echsen erwischen!“

An der Oberfläche wurden inzwischen die letzten Sprengladungen gelegt. Jetzt mußten sie nur noch per Funk scharf gemacht werden. Wenn es nötig war, konnte man sie auch per Funk zünden. Man hatte ein paar unverminte Wege freigelassen – aber natürlich würden die Markierungen nicht mehr draußen sein, wenn die Akarii einfallen würden... Mancher der fieberhaft arbeitenden Soldaten blickte auf, als das letzte Shuttle mit heulenden Triebwerken abhob und im Steilflug dem Weltraum entgegen strebte. Das war es – jetzt saßen sie endgültig hier fest, bis die Akarii das Graxon-System räumten – oder aber die Garnisonstruppen vernichtet waren. Doch viel Zeit blieb den Soldaten nicht, Flüche und Befehle trieben sie zur Eile.

In der Kommandozentrale herrschte hingegen eine vergleichsweise ruhige Atmosphäre, waren die Alarmsirenen gedämpft. Die hier versammelten Offiziere wußten natürlich viel besser als ihre Soldaten über die Situation Bescheid. Dennoch gaben sich die meisten ruhig und konzentriert, wer es konnte sogar zuversichtlich. Captain Schlüter stand dicht hinter Garth und verfolgte, wie der Befehlshaber die Lage erläuterte. Dicht neben ihr stand der SAS-Chef. Jetzt, wo die Situation ernst wurde, war vorerst kein Platz mehr für die Eifersüchteleien und den Snobismus zwischen den verschiedenen Einheiten.
„...insgesamt mindestens vier Trägereinheiten, vielleicht 60 Kreuzer und die selbe Zahl leichte Kriegsschiffe. Unser Flottenverband zieht sich planmäßig zurück, um den Feind auf den vorbereiteten Hinterhalt zu ziehen. Dennoch müssen wir mit einer Landung rechnen, höchstwahrscheinlich mit massiver Luftunterstützung...“
Garth erwähnte nicht die Möglichkeit, daß die Akarii den gesamten Festungskomplex mit Atomwaffen beschossen. Wenn sie das vorhatten, war jede Planung einer Abwehr sowieso sinnlos.
„...deshalb ist damit zu rechnen, daß es ihnen schließlich gelingen wird, Bodentruppen abzusetzen. Aber das war wohl schon von Anfang an klar. Sie kennen die Einsatzrichtlinien für diesen Fall. Eine Kapitulation kommt nicht in Frage. Sie wissen, daß es sich bei dieser Schlacht um eine entscheidende handelt, die vielleicht sogar den Verlauf des gesamten Krieg bestimmt. Das Marinekorps, die Armee, die Legion und die Spezialeinheiten werden nicht hinter der Navy zurückstehen und ihren Teil leisten. Das mag pathetisch klingen, aber seien Sie versichert, daß wir im Begriff sind Geschichte zu schreiben – und es liegt an Ihnen, was man eines Tages über Sie lesen wird. Wir stehen hier für das Schicksal der Republik, ja der menschlichen Rasse, nicht weniger als unsere Kameraden auf den Kriegsschiffen und in den Kampffliegern. Auf Ihnen ruht die Hoffnung der Heimat, die Ehre und Tradition unser Streitkräfte. Viel Glück. Das ist Alles. Auf Ihre Posten.“
Die Graxon-Garnision war kampfbereit.

***

An Bord der COLUMBIA
Von den Piloten und Matrosen verschwendeten nur wenige lange Gedanken an die Bodentruppen – jenseits eines „Viel Glück“ oder „die armen Grabenschweine“. Die Männer und Frauen hatten genug zu tun. Während die Alarmsirenen gellten und die Mannschaften auf ihre Posten eilten, wurden die Maschinen startbereit gemacht – die meisten wurden ohnehin betankt oder sogar voll armiert in den Hangars bereitgehalten.
Die meisten der Piloten von Staffel Schwarz hatten geschlafen. Aber dank des intensiven Trainings und zweier Bluthunde wie Darkness und Monty, sowie der allgemeinen Anspannung der letzten Tage, waren die Piloten fast in Rekordzeit hoch. Für Kano war es ohnehin Routine geworden und Crusader war nur wenig langsamer.

Allerdings wurden sie nicht zu den Maschinen, sondern nur „in Bereitschaft“ geschickt. Deshalb fanden sich die Piloten in einem der Bereitschaftsräume wieder, direkt neben dem Hangar gelegen. Jetzt konnten sie nur noch warten – und hoffen, daß man sie früh genug alarmierte, wenn Feindmaschinen im Anflug waren. Piloten fühlten sich instinktiv unwohl, wenn sie gezwungen waren so abzuwarten, während feindliche Flotteneinheiten vorrückten. In ihren Jägern, im Raumkampf, konnte man wenigstens zurückschießen, war nicht so abhängig von der Crew, der Bewaffnung und Panzerung des Trägers und der Begleitschiffe. Es waren alle zwölf Piloten anwesend, Brawler war gestern kurzerhand wieder kv geschrieben worden und die Staffel damit auf voller Kampfstärke. Aber das konnte sich bald ändern.
Die Piloten gaben sich meist gezwungen locker und routiniert, wobei die Neuen versuchten, die Veteranen zu imitieren – die allerdings zum Gutteil ihre Ruhe auch nur simulierten.
Aber sogar Dutch, der sonst am Boden immer etwas unruhig und nervös war, wirkte ziemlich ruhig. Aber vielleicht lag das auch daran, daß ihn Monty im Auge behielt. Crusader und La Reine hatten ihre Wette erneuert – momentan lagen sie bei den Abschüssen Kopf an Kopf. Darkness studierte völlig gelassen einen Datenblock – und keiner wagte, ihn zu stören.
Kano schaffte es inzwischen ziemlich mühelos, die stoische, ausdruckslose Miene aufrechtzuerhalten, die sich für einen Soldaten seiner Meinung nach gehörte. Er wußte nur wenig über die zur Zeit laufende Operation. Sie zogen sich zurück, auch wenn Kano das überhaupt nicht paßte. Aber er wußte auch, daß die Erdstreitkräfte zur Zeit ziemlich unterlagen waren – mehr als Eins zu Zwei. Es auszufechten wäre sinnlos gewesen, solange es noch andere Chancen gab. Und wenn der Plan funktionierte, den die Navyführung ausgearbeitet hatte – dann konnte binnen der nächsten Stunden, maximal Tage der Krieg eine entscheidende Wende erfahren.
‚Wenn das nur kein Midway für uns wird...‘ Bei dieser historischen Schlacht hatten japanische Streitkräfte, die einem ähnlich anspruchsvollen, hochgesteckten Plan folgten wie jetzt die TSN, eine vernichtende, entscheidende Niederlage erlitten. Kano preßte kurz, fast unmerklich die Lippen zusammen. Wie es auch kommen würde, er würde seine Pflicht tun – bis zuletzt. Etwas anderes kam nicht in Frage.

Um sich abzulenken konzentrierte er sich auf Naheliegenderes. Nach seinem letzten Patrouillenflug, vor zehn Stunden, war seine Maschine bereits wieder aufgetankt und mit vier Phoenix, vier Amrams und zwei Sparrows bestückt worden. Die Zielcomputer funktionierten wieder einwandfrei, alle Schäden der letzten Gefechte waren beseitigt worden. Die Stimmung in der Staffel war gut, in der letzten Schlacht hatten sie exzellent abgeschnitten.
Fast alle anderen Staffeln hatten Tote gehabt, vor allem die Bomber und Jabos hatten schwer gelitten, aber ebenso die Staffel Gelb, Blau und Rot. Die Staffel Rot – Kali...
Kano wußte, daß Beziehungen unter den Piloten eigentlich verboten waren und einige Offiziere, wie Monty, tatsächlich noch etwas auf diese ziemlich veraltete Regel gaben. Aber ein schlechtes Gewissen hatte er nicht, auch wenn er es sonst mit den Vorschriften genau, nach Meinung einiger Kameraden übergenau nahm.
Aber Kali bedeutete ihm mehr, viel mehr. Und wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, ohne ihre Hilfe hätte er den Druck der ersten Zeit vielleicht nicht ausgehalten. Aber auch er hatte ihr geholfen, als es ihr schlecht ging, sie waren beide durcheinander stärker geworden.
Aber natürlich machte er sich jedesmal Sorgen, wenn eine neue Schlacht bevorstand. Ja, sie hatte mehr Feindflüge hinter sich und war aus schwierigen Situationen herausgekommen, ohne abgeschossen oder verwundet zu werden. Aber er machte sich eben trotzdem Sorgen, auch wenn es kaum jemand merkte...
Und jetzt sah es so aus, als würden bald mehr als vier Kampffliegergeschwader der Akarii und sicher über 100 Kriegsschiffe auf der Gegenseite stehen – diese Schlacht würde fast an Mantikor heranreichen.
Aber Kali würde es schaffen. Und sie würden siegen, den Feind vernichten. Sie mußten...

Keiner der anderen Piloten bemerkte, daß Terry an Fatman herantrat. Aber das war nicht ungewöhnlich, der junge Pilot war weder einer der Veteranen des Schwadrons, noch hatte er den Ehrgeiz oder das auffallende Ego einiger anderer Neulinge. Daß er zudem mit Dutch flog, der in der Staffel noch weniger integriert war als Monty, kam hinzu.
„Entschuldigung, First Lieutenant...“
Der ehemalige Milizpilot blickte auf und verzog amüsiert den Mund: „So förmlich, ich dachte das wär‘ langsam abgeschliffen – oder hängst du zu viel mit Monty und Ohka `rum? Wir müssen nicht alle so affig tun.“
Terry grinste schwach. Trotz seiner 23 Jahre wirkte er sehr jungenhaft: „Nein, es ist nur – könnten Sie mir einen Gefallen tun?“
Fatman wollte eigentlich mit irgendeiner Schweinerei antworten, doch dann stutzte er kurz und schluckte runter, was ihm auf der Zunge lag. Er hatte so eine vage Ahnung, was der andere Pilot wollte: „Laß hören.“
Terry faßte sich sichtlich ein Herz: „Ich wollte Sie, dich, nur bitten – wenn ich Pech habe, daß du dann den Brief an meine Eltern schickst. Ich wollte ihn nicht Dutch geben...“
Fatman runzelte die Augenbrauen und verzog angewidert den Mund. Seine Stimme blieb leise, wurde aber schärfer: „Was soll der Scheiß? Hast du zu viele bescheuerte Holo-Dramen gesehen?! Fang jetzt nicht mit so einem Schwachsinn an! Wenn du jetzt mit so einem Blödsinn anfängst, dich verrückt machst – dann hast du beste Chancen WIRKLICH nicht wieder heimzukehren. Dieses Rumgehampel mit Abschiedsbriefen ist was für Zivilisten oder KAMIkazeflieger. Jede Wette, unser Japs hat so was – aber was willst du damit bezwecken? Willst du auf Raten krepieren, wenn du immer so einen Wisch mit dir rumschleppst? Und `nen schlechtes Omen ist es allemal!“ Der letzte Satz kam allerdings nicht ganz ernst gemeint raus.
Der junge Pilot fuhr etwas zurück, sah sich kurz um, ob jemand etwas bemerkt hatte. Wie es aussah niemand, auch wenn Ohka kurz herüberzuschauen schien, sich dann aber anscheinend in die Betrachtung eines Wandkalenders vertiefte, der eine Mustang der Blue Angels zeigte.
„Bitte Fatman. Tu‘ mir den Gefallen...“
Der korpulente Pilot schnaubte verächtlich, schnappte sich dann aber den Brief: „Hör mal gut zu – NACH DER SCHLACHT zerreißt du den Wisch und gibst mir einen aus, verstanden?!“
„Danke.“
„Schieb schon ab, du Grünschnabel.“ Fatman stopfte sich den Brief ziemlich unzeremoniell in eine der Taschen der Fliegerkombination, konnte aber ein kurzes Schaudern nicht unterdrücken. Er war nicht übertrieben abergläubisch – aber er mochte solche Sachen wirklich nicht...
Tyr Svenson
„Himmel, was ist das?“, entfuhr es Albert Mbane, als er sah, in was sie da hinein flogen. Die Schlacht um Jollahran hatte sich schon wie eine glühendes Messer in seine Erinnerungen gebrannt und der Kampf um das Gefangenenlager war wie ein Kampf zwischen zweitausend Ameisen gewesen, in die irgendein Riese immer wieder unbedacht seinen Fuß gesetzt hatte.
Aber das hier…
Wir haben einen Plan, sagte sich Ace immer wieder. Einen Plan. Und um ihn auszuführen, müssen wir die Akarii schön weit vom Wurmloch locken und hier binden. Und dazu muß ich fliegen und töten.
Hochoffiziell trug Shaka nun wieder das Callsign Ace, aber er fragte sich ernsthaft, ob Cunningham, der CAG nicht Recht hatte. Es gab Dutzende, sicherlich Hunderte Piloten, die den Namen Ace eher verdient hatten als er. War es Arroganz? Shaka wusste es nicht zu sagen.
Vielleicht Verehrung für Cliff?
Er hatte soviel von ihm gelernt, von diesem jungen Mann mit den alten Augen. Er verdankte Cliff zumindest, noch immer zu leben.
Wenn Albert daran dachte, wie Ace sich die Antischiffsrakete geschnappt hatte, damals bei Jollahran…
„Konzentriere dich, du dämlicher Arsch“, fluchte Albert unbeherrscht und sah wieder auf sein Display. Die Roten flogen an. Und sie taten es um zu töten.

**

Kali checkte ihre Waffen. Sie hatte ihren Flügelmann verloren. Wieder einmal. Und das tat nicht nur weh, es steigerte ihre Wut. Wut in pure Raserei.
Für einen Moment fragte sie sich, ob etwas von Kali selbst, der Göttin des Todes und der Wiedergeburt in sie gefahren war, als ihre Displays so klar vor ihr lagen wie schon lange nicht mehr. Wie sie die Hunderten Blips, die sich teilweise selbst überlagerten, so traumwandlerisch sicher unterschied, als hätte sie ein dreidimensionales Hologramm vor sich.
Diese kalte, aber brodelnde Entschlossenheit, dieser Wille, die Akarii büßen zu lassen, sich ihre Maschinen zu holen… Die Todesgöttin meinte es gut mit ihr. Und heute würde Helen Kali Ehre machen. Sie war konzentriert, auf den Feind fokussiert. Viele würden heute sterben. Und einige würden dies von ihrer Hand tun.

**

„Okay, Ladies, dann wollen wir mal“, rief Huntress über die Staffelfrequenz. „Ihr wisst, was Lone Wolf gesagt hat. Wir nutzen die leichten Schiffe, die als FlakPlattform vor der Formation unserer Dickschiffe dienen, als Deckung und gehen erst ihre Jäger an, danach ihre Bomber. Und wenn wir sie dann richtig in den Arsch getreten haben, nehmen wir ihnen ihre Schiffe ab.“
„Ist das nicht etwas unrealistisch?“, ließ sich Avenger vernehmen. „Hast du dir in letzter Zeit mal das Radar angesehen?“
„Ist doch egal. Je mehr Feinde, desto mehr haben wir zum abschießen“, gab Huntress gepresst zurück.
Sie gab es nicht zu, aber der Angriffsplan missfiel ihr. Auch wenn Renault aus der Flanke angreifen würde, die Zeit bis dahin, in der sie die Akarii binden mussten, die tat ihr weh. Es würde eine kleine Ewigkeit werden. Und in dieser kleinen Ewigkeit würde jeder Fehler unweigerlich zum Tode führen.
„Also, Ladies, wir nehmen uns zuerst diesen Schwarm Bloodhawks zu, der auf unser Feuerleitschiff DAUNTLESS zuhält.“
Huntress versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben – und merkwürdigerweise gelang ihr das auch. Sie war entschlossen, fest entschlossen, alle ihre Schäfchen diesmal nach Hause zu bringen. Drei Tote unter ihrem Kommando waren mehr als genug.
Und wenn das schon nicht klappte, so realistisch war sie dennoch, dann wollte sie sich vor keinem Gericht und vor keinem Paar Augen etwas vorwerfen müssen.

**

Feuern, schießen. Feuern, schießen. Das war ihr Tagesablauf. Okay, wenn man davon absah, dass ein Teil des Tages auch aus unten bleiben und den Arsch einziehen bestand.
Jean dachte über ihre Situation nach. Welcher Volltrottel hatte eigentlich entschieden, dass Graxon gehalten werden sollte? Angeblich hatte die Evakuierungsflotte nicht genügend Kapazität gehabt, um alle vor dem unvermeidlichen Gegenangriff der Akarii auszufliegen.
Jean hielt das für absoluten Schwachsinn. Genau dieser Faktor war doch einer der Wichtigsten und hatte bei den Planungen eine super Rolle gespielt.
Sie als Veteran von einem Zivilfrachter konnte ganz gut mit Shuttle-Kapazitäten und Ladezeiten rechnen, und wenn sie die Ergebnisse durchging, kam sie immer wieder zum gleichen Ergebnis. Die Zeit, welche die Shuttles aufgebracht hatten, um Material und Menschen in den Berg zu schaffen hätte vollkommen ausgereicht, sie alle, ihr Material und sogar noch die toten Akarii zu evakuieren. Das Ergebnis ihrer Analyse war simpel: Man hatte die Marines angelogen. Irgendjemand im Oberkommando wollte den Berg halten. Er wollte das hier Menschen waren und blieben.
Ihn zweimal zu erobern war dieser Person anscheinend nicht symbolträchtig genug. Erobern und halten schien ihm besser zu gefallen.

Jean lehnte sich erschöpft mit dem Rücken gegen eine Deckung. Erst jetzt, nach den ersten vierundzwanzig Stunden Gefecht, in den engen Gängen und den gelegentlichen kleinen Kavernen wusste sie das harte Training von Schiermer wirklich zu schätzen. Und was hätte sie jetzt für eine Anzüglichkeit von Porks gegeben.
Howard hatte sie seit Stunden schon nicht mehr gesehen und absolut keine Ahnung, was er gerade trieb. Nur der Sarge waren in Rufreichweite.
Sollte sie den Sarge über ihren Verdacht informieren? Hinter ihrer Deckung erklang das charakteristische Zischen von Nebelgranaten. Vorsichtig bugsierte sie ihr Scharfschützengewehr durch eine winzige Nische in der Wand und deckte den Rest so gut es ging ab, um Lichteinfall zu verhindern und damit ihre Position preis zu geben.
Nein, der Sarge würde nur Sachen sagen wie: „Was hast du erwartet, Davis? So machen es die Ärsche am Planungstisch doch immer mit uns. Aber das ist nun mal unser Los. Wir werden geschickt, wir kämpfen, wir töten und wir sterben. Also hör auf zu denken und töte ein paar Akarii.“
Jean lächelte grimmig. Sie hatte gedacht, es würde ihr leichter fallen, seit sie den hilflosen Akarii bei der Geheimaktion sehenden Auges erschossen hatte. Aber jeder einzelne Schuss fiel ihr immer noch schwer. Und jeder Tote lastete auf ihrem Gewissen. Himmel, wie war Cliff damit nur jemals klar gekommen? Okay, er hatte nie direkt gesehen wen er getötet hatte, als Jägerpilot. Aber Cliff war kein eiskalter Arsch. Er wusste immer, was er tat.
War es für sie schlimmer, weil sie die Augen der Akarii sehen konnte, bevor sie sie tötete?
Leichter machte es die Sache sicher nicht.

„Fertig machen“, zischte Schiermer. Jean ließ sich nicht ablenken. Sie suchte eine Lücke im Nebel und versuchte etwas zu erkennen.
Tatsächlich sah sie ein Bein. Sie schoss ohne zu zögern. Ein Akariri knickte ein. Sein Brustkorb wurde für einen Moment sichtbar. Der Nebel wallte davor, aber sie drückte dennoch ab. Sie war sicher, den Gegner getroffen zu haben.
Dann suchte sie sich eine neue Lücke im Nebel, fand aber keine. Nun hieß es warten, bis die Akarii stürmten.
Die Gefechtsdoktrin für Scharfschützen war eher simpel. Mannschaften waren zu verletzen. Offiziere zu töten. Ein verletzter Mann band Kameraden, die ihm halfen, Sanitäter, die ihn versorgten. Ressourcen, um ihn am Leben zu erhalten.
Ein toter Offizier brachte Chaos in die Befehlsstruktur und Unordnung in die Reihen seiner Leute.
„Feuer!“

Fünf Meter links von ihr begann das Schnellfeuergewehr seine tödlichen Impulse in den Nebel zu jagen. Sie hörte das trappeln von Stiefeln, umstürzende Körper und spannte sich selbst an. Als der erste Umriss eines Akariis zu sehen war, nahm sie ihr Ziel auf. Die ersten vier ließ sie passieren, wozu hatte sie Kameraden in gut befestigten Stellungen?
Sie lauerte auf etwas anderes.
Dann sah sie ihn, knapp hinter seinen vordersten Leuten. Einen Offizier.
Vorsichtig nahm sie ihr Ziel auf. Sie hatte über zwei Sekunden Zeit, bevor die ersten Akarii die Barrikade erreichen würden. Genügend Zeit, um den Mann dreimal zu erschießen.
Als der Offizier tot zu Boden sackte, suchte sich Jean ein neues Ziel und fand es schließlich im nachlassenden Nebel, während neben ihr die Kameraden aus kürzester Distanz mit der Akarii-Infanterie kämpften, während Akarii und Menschen starben.
Sie hörte Porks brüllen und konnte sich denken, dass der bullige Corporal einen Infanteristen mit seinem Messer erledigt hatte. Mittlerweile kannte das Chauvi-Schwein die Schwachstellen der Akarii-Infanteriegefechtsrüstungen so gut, dass er blind hätte zustoßen können, um den schwachen Halswulst oder die Innenseiten der Achseln zu erwischen.

Jean nahm ihr neues Ziel auf, als sich die Nebelschwaden langsam verzogen. Hundert Meter den Gang hinab zog ein Akarii gerade einen Kameraden aus der Schusslinie.
Jean zoomte heran, zielte auf die rechte Körperseite mit Lunge und Herz.
Dann sah sie das Armband des Soldaten. Sanitäter.
Sie ging von ihrem Ziel wieder ab. Es gab da immer noch eine Grenze, die sie nicht bereit war zu übertreten. Und niemand, nicht einmal Schmierer, würde sie dazu zwingen können, solange nicht ein Sanitäter mit einem Gewehr in der Hand auf sie zugestürmt kam.
Sie atmete langsam aus, als der Sarge Feuer einstellen befahl. Sie hatten den Angriff abgewehrt. Wieder einmal. Und der alte Tag war noch nicht einmal Zuende.

**

Die Schlacht um Graxon war ein wildes Gewusel gewesen? HA! Diese hier wurde ein Tohuwabohu sondergleichen! Unübersichtlich, gefährlich, monströs.
Ace flog schon seit einiger Zeit alleine, hatte die Rote Staffel verloren. Kein Wunder in diesem Chaos. Die Zeit, sich zu orientieren und zurück zu kehren, konnte er sich nicht gönnen. Dazu stand er viel zu sehr unter Druck. Stattdessen versuchte er, sich zu den Goldenen durchzuschlagen. Falls die Deltas und Bloodhawks ihn ließen.
Er ließ seinen Vogel rotieren, ging auf die Slidebremse und warf die Mühle in einen neunzig Grad-Winkel. Aus dieser Position hatte er ein perfektes Schussfeld auf einen lädierten Delta, der ihn nun schon einige Zeit geärgert hatte. Zwei Sparrows und Beschuss aus allen Waffen der Phantom ließ ihn zerplatzen wie eine reife Frucht.
Der Preis für diesen Sieg war der Verlust seines Schirms im Heckwärtigen Bereich. Ein Bloodhawk hatte sich dort festgebissen.
Ace drehte den Jäger wieder auf den normalen Kurs ein und ging in eine Fassrolle, aus der er übergangslos in einen Immelmann schwenkte. Dem Manöver folgte ein zweiter Immelmann, nur im Winkel von neunzig Grad zum ersten. Damit befand er sich erneut auf Kurs zu den Goldenen. Er trat auf den Nachbrenner und sah sich nach seinem Gegner um. Hatte er den Bastard abgehängt? Ins Heck hatte er jedenfalls nicht mehr gebissen. Und der Schirm baute sich glücklicherweise wieder auf.
„Schwein gehabt“, brummte Albert leise und hielt den Kurs zu den Bombern der COLUMBIA.

**

Kali funktionierte wie eine Maschine. Anfliegen, festbeißen, Waffenfeuer, den Gegner explodieren sehen. Ihre Reflexe waren auf dem höchsten Stand, den sie je bei sich erlebt hatte. Ihr Siegeswille enorm hoch und ihre Treffsicherheit sprach Bände.
Wie eine Hyäne stieß sie immer wieder herab, nahm sich bereits beschädigte Jäger vor und zerriss sie mit der Bordbewaffnung ihrer Phantom. Sie hatte erst zwei ihrer acht Raketen abgeschossen und noch viel Zeit.
Zweimal hatte sie nun schon abgestaubt. Und als sie den beschädigten Akarii-Bomber spürte, lange bevor sie ihn sah, war ihr klar, dass Nummer drei bald dazu kommen würde.
„Merkwürdig“, murmelte sie leise, „ich fühle mich, als wäre ich nicht in einer Schlacht, sondern in meinem Simulator. Ich fühle mich vollkommen unverletzlich. Unbesiegbar.“
Der Gedanke gefiel ihr nicht, aber der Erfolg gab ihr Recht. Vor ihr verging der Bomber, allerdings hatte nicht sie ihn zerstört, sondern eine Typhoon der grünen Staffel.
Doch das nächste Ziel wartete schon auf sie.

**

Huntress hatte einige Umverteilungen machen müssen, um die Staffel am laufen zu halten. Noch immer dankte sie den findigen Mechanikern, die ihr tatsächlich zehn mehr oder weniger gefechtsklare Typhoon bereit gestellt hatten, damit sie ihre Leute ins Gefecht führen konnte. Leider bedeutete dies auch, dass sie keine Reservemaschine mehr hatte.
Ein Gedanke ging ihr durch den Kopf. Wussten die Akarii, wie mühsam sie alle sich ihnen hier entgegen stemmten? Wie erschöpft, angeschlagen und untermunitioniert?

Sie hatte Elfwizard nach Clouds Tod Rapier zugeteilt. Die kleine Französin hatte ihren Flügelleader verloren und nicht wirklich gut aufgenommen. Huntress wusste das. Aber sie hatte keinerlei Zeit, sich selbst um Katherine zu kümmern.
Das bedeutete, dass Demolishers Sektion kastriert war und er nur mit seinem Flügelmann flog.
Wie hatte er es verarbeitet, aus seiner Mühle geschossen worden zu sein? Monatelang hatte er bestenfalls einen Durchgeschmorten Schirmgenerator oder kleine Breschen in der Panzerung gehabt. Und nun hatte er einen ganzen Vogel verloren.
Piloten waren durch die Bank abergläubisch. Hoffentlich vermutete Demolisher nicht, dass seine Glückssträhne zu Ende war. Allzu leicht würde dies seine Fähigkeiten trüben, was ihn verwundbar machte. Und ausgerechnet ihn wollte sie nicht verlieren.
„Ich habe einen am Heck! Avenger, hilf mir!“
„Dreh ab, auf neun Uhr! Ich schieße Raketen, Sneaker!“
„Zu spät, er hat mich! Steige aus, steige aus!“
„Verdammt! Huntress, Sneaker hat sich raus gesprengt! Ich war nicht schnell genug um ihr zu helfen!“
„Ruhig bleiben. Ist sie sauber raus gekommen?“, fragte Huntress.
„Sieht ganz so aus, ja.“
„Dann ist es in Ordnung. Ein SAR wird sie wieder auffischen. An meiner Flanke formieren. Geben wir den Akarii zu kauen, damit sie was zu tun haben.“
„Huntress, bei der Gelegenheit, können Sie mir helfen? Mir hängt eine Hawk am Arsch.“
„Verdammt, Chip, Sie sollten doch an meiner Seite hängen bleiben!“, fluchte Huntress unbeherrscht.
„Er sah wie leichte Beute aus. Da habe ich mich wohl geirrt“, lachte der Reservist von New Boston unsicher.
„Okay, ich drehe ein. Auf mein Kommando gehst du in die Fassrolle und brichst anschließend nach rechts weg.
Der Typhoon und der Bloodhawk jagten an Juliane vorbei, sie war auf Gegenkurs. Sie trat auf die Slidebremse und als Chip weg brach, schickte sie dem Akarii zwei Raketen hinterher, die ihn erst mal von Chip ablenken sollten. „Chip, bei mir formieren. Avenger, wo bleibst du?“
„Bin unterwegs auf etwas Ärger gestoßen, Boss. Ich habe keine Raketen mehr. Kehre um zum aufmunitionieren.“
„Okay, aber beeil dich. Und wehe, du nutzt die Gelegenheit für eine Tasse Kaffee und ein Schwätzchen mit Sneaker“, drohte Huntress grinsend.
„Heißt das, die Dusche soll ich mir auch verkneifen?“, scherzte der Pilot.

„Habe ich dich, du Bastard!“, erklang die Stimme von Foreigner über Funk.
„Makoto, verdammt, du hast einen am Arsch! Brich ab! Brich ab!“
„Wo? Ich sehe niemanden, Nemesis!“
„Brich weg, Mako! Brich weg!“
„Hol ihn mir vom Heck! Ich werde ihn nicht los! Cord, hilf mir!“
„MAKO!“
Huntress schluckte hart, als das Symbol für die Pilotin und ihre Maschine aus ihrer Einheitsaufstellung verschwand.
„Huntress, sie haben Foreigner erwischt! Diese Schweine!“
„Ruhig bleiben, Nemesis. Bei mir formieren. Konntest du irgendetwas erkennen? Konnte sie aussteigen?“
„Nein, ging leider nicht. Mir hing selbst ein Hawk am Hintern. Ich…“
„Wenn sie noch lebt, dann holen die SAR sie schon wieder nach Hause. Aber jetzt komm rüber zu mir, Cord.“
„Aye.“

Da waren es nur noch sieben. Zwei abgeschossen, einer zu aufmunitionieren und tanken auf dem Träger. Und vor ihnen noch immer eine Flut von Akarii.
Die Zeit bis zu Avengers Rückkehr würde sehr lang werden.
Huntress übersah nur ihren kleinen Abschnitt der Front, in dem sie mit ihrer Staffel kämpfte.
Hier war bereits die Hölle los. Aber wenn sie ihre Ortungen erweiterte, dann sah sie, dass es nur ein Kreis der Hölle war. Die anderen warteten noch auf sie.
„Bin an Ihrer Seite, Huntress. Danke für eben. Hat zwar nicht gereicht, um den Akarii runter zu holen, aber er hat abgedreht. Gutes von Bein.“
„Danke, aber zum Komplimente austauschen ist später noch Zeit. Wenn Nemesis zu uns stößt, passen Sie etwas auf ihn auf, Chip. Es hat gerade Foreigner erwischt und es kann sein, dass der Junge etwas unüberlegt agiert.“
„Habe verstanden. Aber gibt es in diesem Chaos überhaupt überlegtes Handeln?“
„Bomber!“, meldeten Rapier und Demolisher zugleich.
Huntress verschaffte sich schnell eine Übersicht und erkannte, dass nur Annegret Lüdings und Avengers Flügel gerade nicht in Kämpfe verwickelt war.
„Rapier, Avenger, Angriff. Wir kommen nach, sobald wir hier aufgeräumt haben.“
„Verstanden. Zweite Sektion mir nach.“

„Demolisher, wie sieht es bei dir aus?“
„Ging schon mal besser“, erwiderte der Schwarze aus dem Mississippi-Delta. „Da hat vorhin doch tatsächlich so ein vorwitziger Raptor versucht, sich durch meine Panzerung zu fressen. Ich musste ganz schön was einstecken, bevor Bushfire ihn verjagt hat.“
„Hm. Man sollte meinen, in diesem Chaos und bei derart vielen Zielen sollten wir schon einige Abschüsse mehr haben“, erwiderte Huntress nachdenklich.
„Ist verdammt schwierig, eine saubere Zielerfassung zu bekommen. Da sind uns die Akarii um einiges überlegen. Apropos überlegen, ich habe Raketen im Anflug. Bis gleich, Huntress.“

„Rapier! Huntress, wir haben Rapier verloren!“, rief Avenger.
„Konnte sie aussteigen?“
„Habe ich nicht erkennen können!“
„Gut, Avenger, übernimm die Sektion und führe den Angriff fort.“
„Aber…“
„Haben Sie ein Problem mit dem Befehl? Holen Sie mir einen oder zwei Bomber, verdammt!“, blaffte Huntress.
„Verstanden.“
„Demolisher, sobald du die Raketen los bist, flieg rüber und hilf dem Jungen, ja?“
Noch ein Ausfall. Und wieder wusste sie nicht, ob die Pilotin noch lebte. Verdammt, Annegret, hatte das sein müssen?
„Bin gerade fertig. Komm, Bushfire. Wir gehen mit den Bombern spielen.“
„Nemesis hier. Bin in Ihrer acht, Huntress.“
„Gut. Bleiben Sie an mir hängen, alle beide.“
Sie vergewisserte sich, dass sie im Moment nicht bedroht wurde, dann beschloss sie, dem Rest der Staffel bei den Bombern zu helfen.
„Mal sehen, ob wir den Begleitschutz nicht da weg kriegen“, murmelte sie.

**

Die Entfernungen im All hatten meistens monströse Dimensionen. In diesem Fall waren sie so gewaltig, dass die meisten Schiff-Schiff-Kämpfe ohne visuellen Kontakt vor sich gingen. Die Schiffe beschossen einander auf Distanzen von mehreren tausend Kilometern – und hatten meistens noch die Frechheit zu treffen.
Bei den eher eng gestaffelten Flak-Schiffen der vorderen Schlachtreihe aber sah dies ein wenig anders aus. Sie waren untereinander gerade weit genug entfernt, sodass ihr Schirmfelder nicht aneinander stießen. Und als sie gemeinsam, kontrolliert von der DAUNTLESS eine volle Salve Raketen abfeuerten, da rutschte Albert doch das Herz in die Hose. Sein erster Gedanke war, dass die Akarii diesen Angriff niemals überleben würden. Sein zweiter war, oh doch. Und der zweite Gedanke machte ihm erst richtig Angst.

Sein Warnsystem schlug an und informierte ihn darüber, dass ihn eine Antijäger-Rakete aufs Korn genommen hatte. Mist, und da ausgerechnet nun, wo er endlich den Rest der Roten gefunden hatte und wieder auf sie zuhielt.
Ace warf Täuschkörper ab und ging in eine enge Kehre, um der Rakete zu entgehen. Die fiel aber nicht darauf herein, nahm die Kehre viel enger als er und jagte schnell heran.
Ace ging auf Nachbrenner, schaffte so kurzfristig Distanz zwischen sich und der Bedrohung. Wieder warf er Täuschkörper ab und schwenkte auf seinen alten Kurs ein. Doch erneut hielt die Rakete mit. Verdammt, wurde sie gesteuert? War ein Flak-Kreuzer der Akarii in der Nähe, der das übernahm, und ihm diese Rakete wie eine lästige Filzlaus am Heck kleben ließ?
Sein Bordcomputer bekam eine saubere Erfassung und gab ihm technische Details über den Boogie. Was er mit einem flüchtigen Blick sah, ließ ihn erstarren.
Es war einer ihrer Fische! Und er hielt mit Hilfe eines Schiffgestützten Laserradars Ziel auf ihn. Wütend aktivierte Ace sein Funkgerät. „Verdammt noch mal, HAMILTON, eine Ihrer Raketen versucht mich gerade zu treffen! Würden Sie mir den Fisch bitte vom Heck holen?“
„HAMILTON hier. Wir haben das Problem bereits bemerkt und arbeiten dran. Halten Sie noch etwas aus, Phantom. Es kann sich nur um einen Fehler in der IFF-Software handeln!“
Na danke, freundliches Feuer, das war wirklich das, was er jetzt gebrauchen konnte.
Wieder warf er Täuschkörper ab, brach erneut aus und ging auf Nachbrenner, aber solange der Zielsuchlaser ihn erfasst hatte, lenkte das die Rakete nicht wirklich ab. Im Gegenteil, sie kam bedrohlich nahe.
„HAMILTON, langsam wird das eng hier!“
„Wir arbeiten dran! Wir arb…“ Der Rest ging in einem infernalischen Gekreische unter, als die Fregatte, die in der Flak-Formation stand, einen schweren Treffer ab bekam.
Die Rakete hielt weiter unbeirrt Kurs auf ihn.
„HAMILTON!“, blaffte Albert, erhielt aber keine Antwort.
Typisch, der Kahn hatte sich treffen lassen, und alles was noch funktionierte war der Zielsuchlaser, der auf seine Phantom zeigte. Oder flog der Boogie nun auf eigener Ortung?
Bevor er dies kontrollieren konnte, begann die Warnanlage hektisch zu blinken und ihm blieben nur noch Sekunden für eine Entscheidung.
Er schoss sich raus, verließ die Maschine. Unter ihm schlug die Rakete in die Schirme seiner Phantom ein, durchbrach sie und explodierte im Heck.
Albert sah direkt in der infernalische Leuchten der Explosion. Dann erreichten ihn die Ausläufer…

**

„Was machen unsere Nighthawks eigentlich?“, fragte Chip atemlos, als vor ihm ein Deltavogel verging. Sein erster Abschuss in dieser Schlacht. „Sind die für so was nicht viel besser geeignet?“
„Ich kann keine in Reichweite erkennen“, kam die Antwort von Huntress. Sie war erschöpft, müde und frustriert. „Sehr wahrscheinlich, dass die Akarii sie als primäre Bedrohung angesehen und als erstes vernichtet haben.“ Der Gedanke gefiel ihr nicht, denn Ohka, Helens Freund flog bei den Schwarzen mit.
„Da!“, kam der Ruf von Demolisher. „Ich habe welche in der Ortung. Zwei… Drei… Die kommen direkt aus der Akarii-Formation raus. Gott, ihnen folgen ein paar Crusader. Was haben die nur so tief da drin gemacht?“
„Gekämpft, was sonst? Und jetzt wieder konzentrieren, Ladys, die Schlacht ist erst vorbei, wenn Renault eingreift.“
Ob ihre Schwesterstaffel, die Grünen, auch so hatte bluten müssen? Huntress schüttelte es bei dem Gedanken. Die Blauen und die Grünen lagen in einer Art Wettstreit, und in diesem Moment tat es ihr Leid, ihn jemals indirekt vom Zaun gebrochen zu haben.
Sie hoffte eigentlich nur, dass sie Lightning gesund wieder sah, damit sie noch ein wenig streiten konnten. Nach all der Zeit betrachtete sie die Frau längst als Freundin – vor allem, nachdem sie sich von ihr abgenabelt hatte. Hinter ihr verging eine Fregatte im Raketenfeuer der Akarii.
Die Jäger waren nicht die einzigen, die hier und heute einen hohen Preis bezahlten. Es hatte Tote gegeben, viele Tote, Schiffe waren verloren gegangen, aber auch die Akarii hatten teuer bezahlt. Sehr teuer.
„Da! Da kommen sie endlich! Renault greift an!“, rief Avenger erleichtert.
Huntress kontrollierte ihr Display und nickte. „Nutzen wir die Gelegenheit und schicken wir noch ein paar Akarii in ihre Hölle!“
Die Staffel bestätigte. Ab hier würde es nicht leichter werden, aber das Ergebnis würde feststehen. Sie hatten die Akarii im Sack! Nur wie viele Piloten ihrer Staffel würden noch sterben müssen?

**

Als Helen Mitra ihre Augen öffnete, stand sie neben ihrer Phantom. Es war, als erwache sie aus einem Traum. Was war geschehen. Und wo war sie? Hatte sie die Kontrolle über sich verloren?
„Okay, Kali, wir gehen vor wie besprochen“, rief Skunk und klopfte ihr heftig auf die Schulter. „Sobald wir auf der anderen Seite des Wurmlochs sind, spuckt die COLUMBIA uns aus und wir jagen die Akarii vor uns her.
Und hör auf zu pennen, auch wenn du dir zwei geholt hast heute.“
„Hör auf rumzumaulen, Skunk. Ich tu schon was für mein Geld!“, blaffte sie zurück.
„Das klingt schon besser“, erwiderte das Staffelekel, ließ sich seinen Helm geben und kletterte in seine Phantom.
Kali tat es ihm gleich. Ihr Flieger wurde bereits auf das Katapult gezogen.
Was war los gewesen? Sie erinnerte sich daran, wie sie vollkommen stumm in die Schlacht eingegriffen hatte. Wie alles reduziert war auf reagieren, schießen, ausweichen, Slide treten… Hatte sie das wirklich erlebt oder nur geträumt? Was war mit ihr geschehen? In manchen Kulturen gab es eine Kampftrance, in der die Fähigkeiten über das normale Limit gesteigert wurden, die Krieger keine Schmerzen mehr spürten und gnadenlos zuschlugen. War ihr das passiert? Oder verlor sie den Verstand?
Kali konnte diese Frage nicht beantworten. Aber etwas anderes. Wenn die COLUMBIA durch das Wurmloch stieß, dann war der Angriff von Renaults Flotte in der Flanke ebenso wenig ein Traum gewesen wie die Besprechung, in der ihr Gegenangriff und der Durchstoß nach Graxon zurück besprochen worden war. Sie flogen zurück! Und diesmal würden sie bleiben!
Kurz ging ihr Gedanke an Cliffs Schwester, die da unten war und mit den anderen Marines um ihr Leben kämpfte. Hoffentlich war es für sie noch nicht zu spät. Ein Davis reichte in den Verlustlisten.
Als der Katapult sie los jagte, stellte sie zwei Sachen sehr zufrieden fest. Die erste war, dass ihr Adrenalinlevel schnell in normale Höhen schnellte. Die zweite war, dass sie endlich ihren Frieden mit Ace gemacht hatte.
„Also los“, knurrte sie, „holen wir uns noch ein paar Akarii.“
„Gut gesprochen, Mädchen“, kam es über die Leitung. „Schießen wir ein wenig Geleitschutz für Radio.“