Hinter den feindlichen Linien - Season 4

Tyr Svenson
Die Stellvertreterin

Lilja ließ keinerlei Diskussion aufkommen: „ICH SAGTE, die Maschinen sind in 30 Minuten wieder einsatzbereit! Und zwar alle, inklusive des Reservejägers. Ist das jetzt klar genug, oder kapieren sie es immer noch nicht?“ Die ihr gegenüberstehende Technikerin – mit vielleicht 40 Lebensjahren oder mehr fast doppelt so alt wie die Pilotin – schien nicht übel Lust zu haben, Widerworte zu geben. Wenn nur, ja wenn da nicht die Abzeichnen gewesen wären, die ihr Lilja voraus hatte. Es war das ewige Kreuz beim Militär...
Allerdings sah die Russin auch nicht wie jemand aus, mit dem man sich einfach so anlegen konnte. Im Augenblick hatte sie die Fäuste geballt und sich straff aufgerichtet – was sie glatt zehn Zentimeter größer erscheinen ließ, als sie war. Nahm man die scharfe Stimme und die Narben hinzu, die ihr ein Aussehen verlieh, als sei sie schon einmal nach Akar Prime und zurück geflogen, dann wirkte sie direkt einschüchternd.
Und da sie auch nicht zu denen gehörte, die es ihrem Gegenüber leicht machten, zurückzustecken, fügte sie auf die mürrische Bestätigung noch hinzu: „Na also, es geht doch. Wenn Sie sich nur Mühe geben...“
Dann drehte sie sich um und stolzierte von dannen, ohne auf den giftigen Blick zu achten, der sich in ihren Rücken bohrte. Vermutlich war der ihr entweder egal – für Beliebtheitswettbewerbe hatte sie sich noch nie interessiert – oder sie war daran gewöhnt.
Lilja war durchaus klar, daß sie sich wie ein Miststück aufführte. Aber auf der anderen Seite nahm sie ihre Pflichten als Interimschefin ihrer Staffel durchaus ernst, und da kam die Gefechtsbereitschaft ziemlich weit oben. Mochten die Techniker noch so viel GUTE Gründe haben, warum sie nicht alles auf einmal machen konnten – immerhin nervten sie mehr als ein halbes Dutzend Staffelchefs mit denselben Wünschen. Plus die notwendigen Aufgaben um den Flugbetrieb und die Bergung aufrechtzuerhalten.
Aber die Russin sagte sich, wenn SIE ihre eigene Arbeit nicht wunschgemäß erfüllte, dann gab es ja auch für sie Ärger. Nun, zumindest war das ihre Erfahrung aus der Beobachtung des ,harmonischen‘ Arbeitsverhältnisses Lightning-Lone Wolf. Warum also den Druck nicht nach unten weitergeben, zumal es ja nicht einmal die Staffelkameraden traf?

Dazu kam, daß sie das dringende Bedürfnis hatte, sich abzureagieren. Was sie sich insgeheim auch eingestand, ohne wirklich gegen den Drang anzukämpfen. Die Schlacht war trotz relativ guter Abschußergebnisse für ihre Staffel alles andere als leicht gewesen. Nicht weniger als sieben Maschinen waren zerstört oder wrackgeschossen. Mit den drei im Kampf um Graxon verlorenen Jägern bedeutete dies, daß Staffel Grün bei dieser Feindfahrt nicht weniger als 10 Jäger verloren hatte. Wenn es bei anderen Staffeln so ähnlich aussah...
Das Schicksal etlicher Piloten war noch ungewiß. Claw war definitiv tot, daran gab es keinen Zweifel. Stormrider hatte leichte Erfrierungen und eine Gehirnerschütterung davongetragen, war aber ansonsten unversehrt aus seinem wracken Jäger geborgen worden. Virago hatte es schlimmer erwischt, viel schlimmer. Lilja hatte nicht gesehen wie man sie geborgen hatte, aber es hieß sie hätten beide Beine amputieren müssen. Sicher war so etwas heutzutage nicht unheilbar, aber die Therapie dauerte lange und war schmerzhaft. Von den Traumata ganz zu schweigen. Und es waren nicht ihre einzigen Wunden. Hingegen hatte es Imp gut überstanden – einer der Gründe, warum Lilja nicht völlig ungenießbar war. Ihre Zimmerkameradin hatte außer leichten Prellungen Glück gehabt.
Die drei anderen – El Cid, Lightning und Harpy – waren noch draußen. Und so lange sie nicht geborgen waren, war Lilja nur einen schmalen Grat vom Wutausbruch entfernt. Oder von der Verzweiflung. Nun, das eigentlich nur bei der Staffelchefin. Die anderen bedeuteten ihr weit weniger. Sie ließ die Gefühlskälte, die sie sich im Laufe der Jahre angewöhnt hatte, selten ganz nach draußen dringen, aber tief in ihrem Inneren war sie manchmal erschreckt darüber, wie kaltblütig sie den Tod und die Verstümmlung ihrer Staffelkameraden hinnahm. Andererseits – sie waren im Krieg.
Das bedeutete auch, daß sie in erster Linie das Funktionieren der Staffel sicherzustellen hatte. Oder das, was die Akarii übriggelassen hatten.

An Bord herrschte eine Mischung aus Euphorie und Betroffenheit. Kaum eine Staffel, die nicht ernste oder mehr als ernste Verluste zu verzeichnen hatte. Auch wenn die Chancen auf ein erfolgreiches Aussteigen heutzutage nicht schlecht waren – zwischen einem und zwei Drittel der abgeschossenen Piloten hatten regelmäßig schwere Verletzungen oder starben in ihren Maschinen.
Die Überlebenden freuten sich natürlich über ihre Erfolge. Aber viele hatten auch Freunde verloren, oder bangten um deren Schicksal. Einige ließen sich aber auch davon kaum stoppen. In gewisser Weise war das auch nur zu verständlich, immerhin hatten sie überlebt, und den Akarii einen schweren Schlag versetzt. Aber es war oft eine Freude, die nur halb vom Herzen kam, denn viele fehlten, mit der man sie hätte feiern können.
Die Bomberpiloten der COLUMBIA wurden jedenfalls begeistert gefeiert. Insbesondere galt dies für die Mirage. Die Jagdbomber hatten zwar auf allen bisherigen Missionen bluten müssen, aber dafür hatten sie mit diesem Einsatz schon ihren zweiten Golf Kreuzer/ Träger vernichtet. Nahm man noch die kleineren Kriegsschiffe und Frachter hinzu, dann sah ihre Abschußliste mehr als beeindruckend aus. Zumal noch etliche abgeschossene Kampfflieger hinzukamen. Daß dies alles teuer erkauft war, würde gerne verdrängt.
Aber auch die Nighthawk durften sich feiern lassen, immerhin hatten sie keinen geringen Anteil daran gehabt, den Bombergeschwadern den Weg in das Herz des feindlichen Verbandes zu bahnen. Darkness war zudem geborgen worden, was einen zusätzlichen Grund zum feiern gab. Auch wenn, oder vielleicht auch gerade weil, er im Augenblick nicht daran teilnehmen konnte. Monty ließ die ,Huldigungen‘ gnädig über sich ergehen – was Lilja ein Knurren entlockte. Sie mochte den Mann nicht sonderlich, auch wenn sie wenig mit ihm zu tun hatte. Allerdings – ähnliches galt ja für eine Menge Leute an Bord.

Bei der Roten Staffel herrschte keine Hochstimmung. Ihr XO war ausgefallen, und auch wenn ihn nicht alle gemocht hatten – für ihn galt im Falle Lilja mindestens ähnliches wie für Monty, was ihre persönliche Sympathie anging – so war so etwas immer ein Tiefschlag. Vor allem war Radio bei allen seinen menschlichen Fehlern und Defekten ein guter Pilot gewesen. Vierzehn Abschüsse erreichten nicht viele. Und in letzter Zeit hatte er sich anscheinend etwas gebessert, obwohl ihm einige seine Rolle als ,barmherziger Samariter‘ gegenüber ,Black Flag‘, wie man den ehemaligen Strafpiloten teilweise im internen Geschwaderjargon nannte, übelgenommen hatten. Außerdem blieb da noch die Frage, wer ihn ersetzen würde – daß Skunk vielleicht das Rennen machen mochte, war gewiß kein Grund zur Heiterkeit.

Lilja ging der Tod des Klatschtante des Geschwaders nicht sonderlich nahe. Sie hatte ihm solch ein Schicksal gewiß nicht gewünscht. Auch wenn sie ihn einmal für sein Verhalten abgestraft hatte. Allerdings nicht aus Sadismus, sondern eher gezwungenermaßen und auf Betreiben eines ihr noch viel mehr verhaßten und Mittlerweile ebenfalls verstorbenen Piloten. Nun, selbst sie ging nicht so weit zu denken: ,Und da heißt es, die Besten sterben zuerst.‘ Zumindest gestand sie sich dergleichen nicht ein...
Radio hatte sich später bei ihr revanchiert, und deshalb hatte sie nicht das Gefühl, ihn irgendwann irgendwie ungerecht behandelt zu haben. Er hatte den Soldatentod gefunden – weitaus besser als daß er das Soldatsein gelebt hatte – und das respektierte sie. Nun, hoffentlich war es wenigstens schnell gegangen wie bei diesem blauhaarigen Affen. Wenn der schon so viel ,Glück‘ hatte...
Intern wurde bereits gemunkelt, der XO der Roten sei einem gegnerischen Aß zum Opfer gefallen. Jemand der angeblich so gut war wie der Rote Baron, allerdings eine Reaper flog. Das mochte Aberglaube sein oder der Versuch, sich den Tod eines doch sehr erfahrenen und relativ erfolgreichen Piloten zu erklären. Aber die Auswertung der Logbücher der Piloten war immer darauf ausgerichtet, nicht nur feindliche Methoden und Fähigkeiten festzustellen – auch nach feindlichen Assen suchte man. Nach der Handvoll Piloten, die oft für einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Gesamtabschüsse verantwortlich waren. Auch in den heutigen Zeiten, wo Radar, Lenkkörper und andere Technik scheinbar entscheidend waren, gab es eine Handvoll Virtuosen, die ihre Maschinen als absolut tödliche Waffe einsetzten. Und die zu unterschätzen konnte ein teures Vergnügen werden – zu teuer.
Lilja allerdings rechnete sich aus, daß auch für Asse irgendwann die Stunde kam. ,Nun,‘ so dachte sie zynisch: ,Ich zumindest tue meinen Teil, um dafür zu sorgen daß kein Akarii eine zweite Chance bekam.‘ Wenn ein Wolf sich einmal aus einer Falle befreite, oder nicht am Giftköder starb, so hieß es, mied er fortan Eisen und Gift und war nur noch sehr schwer umzubringen. Besser auf Nummer sicher zu gehen und die ,Wölfe‘ gleich an Ort und Stelle erledigen, anstatt ihnen die Möglichkeit zu lassen, zu entkommen. Aber leider sahen das wohl nicht alle so, und einige mochten darin sogar ein Verbrechen sehen, so dumm das auch klang. Nun, das hatte sie noch nie gehindert. Ihres Wissens hatte sie nur EIN einziges Mal einen Insassen eines von ihr zerstörten Jägers bewußt verschont. Oder besser, darauf verzichtet ihn bewußt umzubringen, als er ausstieg. Normalerweise ließ sie es nicht einmal soweit kommen und schoß so lange auf die feindliche Maschine, bis die explodierte. Der saß jetzt in einer der Arrestzellen, so hoffte sie zumindest. Sie hatte noch nicht genauer nachgeforscht.
Lilja fehlte im Moment der Sinn für Freude wie für Trauer. Sie hoffte immer noch, daß die vermißten Mitglieder ihrer Staffel geborgen werden konnten. Und der Verlust Claws – so wenig sie Antipathie gegen ihn gehegt hatte – ließ sie ziemlich kalt. Er war nur ein weiterer in einer langen Liste von Toten, und etliche hatten ihr wesentlich mehr bedeutet.
Aus allen diesen Gründen war sie ziemlich gereizt, und da sie sich hütete, ihre Staffelkameraden anzufahren, denn immerhin nahm sie ihre Pflichten ernst, ließ Lilja ihre Laune an jedem anderen aus, der ihr über den Weg lief, nicht hundertprozentig ihren Ansprüchen entsprach und zufälligerweise gerade niedriger im Rang war. Die übrigen Staffelmitglieder nutzten die Zeit, um sich wenigstens etwas auszuruhen – auch ihnen war zum Feiern nicht zumute. Auch wenn es für ein wenig Schlaf nicht reichte, vor sich hin dösen konnte man immerhin.

***

Zwei Stunden später

Die Russin bemühte sich krampfhaft, nicht hinzusehen, während sie Lightning stützte. Ihre Staffelchefin war relativ wenig blessiert, wenn man von den fast unvermeidlichen Folgen eines Ausstieges absah, Unterkühlung und Erfrierungen sowie einigen mittelschweren Prellungen und einer leichten Gerhinerschütterung. So lautete die vorläufige Diagnose des Shuttlearztes. Aber das beunruhigte Lilja nicht, im Gegenteil. Sie war froh, daß die Kommandeurin relativ unversehrt war, und vermutlich in höchstens zwei Wochen wieder einsatzbereit seien würde – das hing natürlich auch von den Ärzten ab.
Aber das Shuttle, das die Chefin von Staffel Grün eingesammelt hatte, hatte auch El Cid und Harpy geborgen.
Der spanischstämmige Pilot lebte noch. Aber bei den schweren Treffern hatte sich sein Cockpit losgerissen. Der Trägheitsabsorber hatte bei weitem nicht die ganze Wucht abfangen können. Sie hatte nur irgend etwas von Schädelfraktur und schweren inneren Verletzungen verstanden. Die Einzelheiten wollte sie gar nicht wissen, geschweige denn sehen. Er würde auf jeden Fall für viele Monate ausfallen, falls er überhaupt jemals wieder eine Maschine würde fliegen können.. Im schlimmsten Fall würde eine Teilbehinderung für den Rest des Lebens bleiben. Auch das gab es heute noch.
Harpy hatte es nicht geschafft. Beim Ausstieg mußte sein Anzug eingerissen sein. Binnen kurzem war er erstickt, doch das bedeutete nicht, daß er schmerzlos und leicht gestorben war. Lilja hatte Leichen gesehen, die einer Dekompression zum Opfer gefallen waren, und die bittere Galle kam ihr jedes Mal hoch, wenn sie an den Anblick dachte, den der luftleere Raum und eisige Kälte einem Menschen verliehen. Wenn sie überhaupt Zweifel gehabt hatte was ihren dritten Abschuß anging – solche Dinge waren stets bestens dafür geeignet, ein eventuell vorhandenes Gewissen zu beruhigen.
Lightnings steinernem Gesicht konnte man ansehen wie ihr zumute gewesen seien mußte, als sie mit ihren Staffelkameraden zur COLUMBIA zurückgebracht worden war. Und was ihr Lilja zu sagen hatte, machte die Sache nicht unbedingt leichter. Staffel Grün hatte zwei Tote, zwei Schwerverwundete und zwei Leichtverletzte, die vorläufig ebenfalls nicht dienttauglich waren. Nach allem was Lilja wußte war es vielen anderen Staffel nicht besser ergangen. Graxon und Corsfield mochten Siege der Menschen sein – aber leicht erkämpft und billig waren sie gewiß nicht. Zusammen mit den schweren Schiffen hatten die Jäger einen hohen Preis gezahlt. Lilja wußte dies. Aber sie war in erster Linie froh, daß es Imp und Lightning relativ unversehrt überstanden hatten. Die Toten und Schwerverletzten hatte sie gedanklich bereits abgehakt.
Tyr Svenson
Der zweite Tag der Schlacht um Graxon näherte sich seinem Ende. Überall waren die Akarii gegen die Sperrstellung Eins-Gamma angerannt und überall waren sie zurückgeworfen worden. Ihre Verluste waren beträchtlich gewesen. Auch wenn den Befehlshabern der menschlichen Streitkräfte klar war, daß sie alleine auf Dauer die Stellung wohl kaum gegen den überlegenen Feind halten konnten, machte sich doch teilweise vorsichtiger Optimismus breit, die Bastion bis zum Eintreffen von Verstärkung verteidigen zu können.
Bei Eins-Gamma-Neun war es vorerst ruhig geblieben. Ein schneller, aber nicht sehr nachhaltiger Vorstoß der Akarii war ohne Probleme abgeschlagen worden. Das bedeutete allerdings nicht, daß die Marines wenig zu tun hatten – im Gegenteil. Captain Schlüter hielt ihre Truppen auf Trab, unablässig darum bemüht, die Stellung zu verstärken. Geschlafen wurde in Schichten, natürlich in den Rüstungen und die Waffen griffbereit. Jetzt begriffen die Neulinge, warum sie in der Grundausbildung pausenlos gedrillt und bis zur Erschöpfung gefordert worden waren, bei viel zu wenig Schlaf.

Ein paar Soldaten von Schiermers Platoon hockten am Boden und löffelten ziemlich lustlos an ihren selbsterhitzenden Rationspacks. Übermüdet und überreizt hatten die meisten wenig Appetit, versuchten es aber dem Master Sergeant nachzumachen, der methodisch und anscheinend mit gutem Appetit aß. Es schien fast nichts zu geben, was Schiermer aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

Doch auch die Akarii schliefen nicht. Pausenlos wurden abgekämpfte Truppen zurückgezogen, frische Einheiten und Nachschub nach Vorne gebracht. Die Kommandozentrale der Akarii-Sturmtruppen befand sich in einer der Angriffsfähren. Funkgeräte und schnell gelegte Datenkabel verbanden sie mit den vorgeschobenen Stellungen und Stoßtrupps. Den Offizieren der 14. Gardelegion war klar, daß die Verteidiger eine Reihe von Vorteilen besaßen, die die Eroberung des Komplexes zu einer Blutmühle für die Akarii machen konnte. Zugleich aber waren sie sich der Erwartungen ihrer Vorgesetzten bewußt. Zwischen Flotte und Armee des Imperiums herrschte ein erbitterter Konkurrenzkampf. Jeder Sieg, jede Niederlage hatte eine Bedeutung in diesem Machtkampf. Die Flotte hatte in letzter Zeit eine Reihe von Schlappen oder unbefriedigenden Siegen erlebt, doch die Offiziere rechneten mit einem baldigen Sieg Prinz Jors gegen die menschlichen Angreifer auf das Graxon-System. Es gab nichts, was der Schlagkraft seiner Flotte widerstehen konnte. Also mußte auch die Armee ihre Stärke beweisen, einen schnellen Sieg erringen und den Komplex, bei nur moderaten Beschädigungen der Gebäudestruktur, zurückerobern. Allerdings waren die Gardeoffiziere zu erfahren und zu besonnen, um ihre Truppen in sinnlosen Sturmangriffen zu verheizen. Aber der Druck, der auf ihnen lastete, machte sie offen für Risiken und unorthodoxe Manöver.

Jenek Tas hatte ein wachsames Auge auf die zwei Dutzend Pioniere, die wie besessen arbeiteten. Der Lärm, den ihre Schneid- und Bohrgeräte verursachten, wurde von dem Laser- und Granatenbombardement übertönt, das die vorgeschobenen Posten der Akarii lautstark, aber wenig effektiv führten. Nun, sie sollten schließlich vor allem Lärm machen. Jenek fletschte die Zähne amüsiert. Wenn die Weichhäute wüßten, daß diese Idee durch eines ihrer Manöver entstanden war. Nun, sie würden sich noch wundern. Es war zwar nicht ungefährlich – aber wenn es klappte...
Als er sah, wie sich einer der Soldaten reichlich ungeschickt mit dem schweren Packen tat, die er nach vorne reichte, unterdrückte Jenek nur mit Mühe den Impuls, diesen Idioten rauszukommandieren und ihn zusammenzuschlagen: „Vorsichtig, du Narr! Das sind keine Proviantkisten! Wenn du hier versagst, wirst du die Strafe auf der anderen Seite des Lebens ableisten müssen!“ ‚Und so was nennt sich Soldat der Garde!‘ Ungeduldig sah er auf seine Uhr. Wie lange brauchten diese Dreckkratzer eigentlich noch?
„Fertig, Herr!“
„Gut, dann weg hier. Bewegung! Und geben Sie an die Angriffsverbände und das Spezialkommando durch – Es geht los!“ Die Soldaten hasteten zurück, keuchend unter der Last der schweren Geräte. Jenek Tas blieb nicht bei den Pionieren, er bog vorher ab und sprang in einen Seitengang. Hier warteten fast einhundert Soldaten – die Besten aus zwei traditionsreichen Kohorten der Legion. Alle der Männer und Frauen des Spezialkommandos hatten Kampferfahrung, waren einzig wegen ihren Leistungen zu den Garden berufen worden. Geduckt warteten sie, ihre Waffen in den Händen, angriffsbereit. Leichte Schnellfeuerlaser, Kompakt-Sturmgewehre, Laserpistolen, Granaten und Seitengewehre. Jenek sah auf die Uhr. Gleich, gleich...

Es geschah völlig unerwartet, die Verteidiger des Graxon-Komplex erhielten keine Warnung. Urplötzlich, von einer Sekunde bäumte sich der Boden unter ihren Füßen auf, rollte ein ohrenbetäubender, berstender Donnerschlag durch die Gänge. Die Erschütterung war so gewaltig, daß einige Soldaten von den Füßen geholt wurden und viele dachten, die Akarii hätten ein Bombardement mit schweren Raumjägerraketen begonnen.
Doch noch dramatischer waren die Auswirkungen in einem bestimmten Abschnitt der Ebene Zwei. Die vier Marines, die das Unglück hatten, sich im „Epizentrum“ zu befinden, hatten keine Chance, konnten nicht einmal begreifen, was ihnen geschah. Über ihnen brach die Decke zusammen, begrub sie unter Tonnen von Betonbrocken.

Jenek war auf den Beinen, bevor der Donner der Explosion richtig verhallt war. Rauch und Staub versperrte ihm die Sicht, aber er kannte den Weg. „VORWÄRTS! VORWÄRTS! DIE GARDE STÜRMT!!“ An der Spitze des Spezialkommandos hastete er vor, erreichte das zehn Meter lange und mehr als zwei Meter breite Loch, daß die Explosion in den Boden gerissen hatte. Jenek Tas sprang ins Dunkel: „DIE GARDE GREIFT AN!“

Gleichzeitig attackierten die Akarii alle Stellungen der Linie Eins-Gamma. Jetzt erwies es sich als Vorteil, daß die Befehle durch Boten im Voraus verteilt worden waren, denn die Explosion zerriß auch zahlreiche der gelegten Datenkabel, ließ die ohnehin vielfach beschädigte Beleuchtungs- und Belüftungsanlagen endgültig ausfallen. Aber die Sturmtruppen griffen an, mit einer Wut und Energie, daß es kostbare Minuten dauerte, bis in der Zentrale der Erdstreitkräfte bekannt wurde, daß hinter den eigenen Linien auf einmal Akarii aufgetaucht waren. Und dann war es schon zu spät. Jenek’s Sturmabteilung hatte sich sofort aufgefächert, griff gezielt ausgewählte Sperrstellungen an, die unter den wütenden Angriffen von allen Seiten aufgerollt und durchbrochen wurden. Bei anderen Sperrstellungen brach bei dieser Meldung Panik aus, bröckelte der Widerstand. Soldaten verließen ihre Posten, ob auf Befehl oder nicht und hasteten kopflos zurück. Zwei Soldaten wurden von Offizieren oder „loyalen“ Soldaten erschossen, als die versuchten, die Stellungen zu halten – und ein Lieutenant der Marineinfanterie fiel, die Laserpistole in der Hand, als er sich den Deserteuren in den Weg stellte.
Andere Soldaten blieben auf ihren Posten, schossen noch, als die Akarii die Stellungen überrannten und fielen im erbitterten Nahkampf.

Bei Eins-Gamma-Neun erfolgte wie bei allen Sperrstellungen ein wuchtiger Frontalangriff, doch hier bissen die Akarii auf Granit. Captain Schlüter hatte mehr als genug Leute und ausreichend Zeit gehabt, die Stellung auszubauen und ausreichend Schnellfeuerlaser, Schützen und Werfer zu konzentrieren, um jeden Angriff abzuschlagen. Und als auch hier die Alarmmeldungen aus der Zentrale eintrafen, reagierte Schlüter schnell und entschlossen – und sie hatte genug Leute, um etwas zu unternehmen. Während sie mit fliegenden Fingern eine Rißzeichnung des Gängesystems aufrief, arbeitete ihr Verstand fieberhaft. ‚Wenn wir jetzt abhauen, fassen sie uns im Rücken – oder sie rollen die ganze Front auf, verdammt. Wir müssen uns einigeln! Aber wie...‘
Dann hatte sie ihren Entschluß gefaßt: „SCHIERMER, SHERMAN, MCPERSON, PETTEE!!“ rief sie ihre Platoonführer zusammen: „Nehmen Sie je acht Mann! Sie gehen vor zu X-13, X-12, X-15 und X-11. Sie werden jeden zurückweichenden Soldaten stoppen und in Ihre Einheit integrieren. Ich will eine verdammte Rundumsicherung! Und noch etwas – wer Ihnen den Befehl verweigert, gilt als Deserteur und Meuterer! Sie haben ABSOLUTE HANDLUNGSFREIHEIT, um diese Feiglinge wieder auf Linie zu bringen! Verstanden? BEWEGUNG!!“
Die Platoonführer nahmen sich nicht einmal Zeit zu salutieren und rannten los. Schlüter wandte sich wieder den Soldaten zu, die Eins-Gamma-Neun hielten. Nur die Verantwortung, die Stellung zu halten, hatte Arianna Schlüter davon abgehalten, selber die zurückweichenden Soldaten anderer Stellungen aufzuhalten. Aber wenn Eins-Gamma-Neun fallen sollte, dann währe die Aufgabe, die sie ihren Offizieren gestellt hatte, sinnlos.
„Ma’m! Sie greifen wieder an! Und Eins-Gamma-Vier ist gefallen! Wir müssen zurück!“
„Den ersten, der sich davonmachen will, schieße ich nieder! WIR HALTEN!“

Die Trupps, die Captain Schlüter losgeschickt hatte, erfüllten ihre Aufgabe. Denn noch immer waren die Akarii hinter den menschlichen Linien nur wenige. Ihre ausgefallenen Kommunikationslinien, der an vielen Stellen verbissene Widerstand, die Dunkelheit und der durch die Explosion und die überall aufflackernden Kämpfe verursachte Qualm, erschwerte das Vordringen und die Kommunikation untereinander. Das Kalkül von Arianna Schlüter ging auf. Ihre kleinen Einheiten riegelten wichtige Stellen ab und fingen die vielfach planlos und ziellos herumirrenden Flüchtlinge aufgegebener Sperrstellungen ab. Notfalls mit vorgehaltener Waffe zwangen die Sperrabteilungen die Zurückflutenden zum Halt. Als ein Marineinfanterist mehr Schwierigkeiten machte, als Schiermer für tolerierbar, schlug der Master Sergeant den Mann mit dem Gewehrkolben zusammen. An einer anderen Stelle setzte Lieutenant McPerson einen anderen Lieutenant unter Arrest, der die Nerven verloren hatte. Mit Nachschubskisten, Einrichtungsgegenständen aus den Akarii-Quartieren, Müll und sogar gefallenen Soldaten beider Seiten errichteten die Soldaten jetzt provisorische Barrieren, hinter denen sie sich in Deckung warfen.
Als die ersten größeren Akariitrupps auf diese Sperrstellungen stießen, erlitten sie überraschend hohe Verluste und zogen sich vorerst zurück.

Als Cpatain Schlüter endlich die Klarmeldung von ihren provisorischen Sperrstellungen erhielt, atmete sie auf. Es hatte funktioniert. Vorerst. Denn, das war Schlüter klar, sie hatte zwar die Lage stabilisieren und sich einigeln können – aber gleichzeitig bedeutete auch, daß sie eingekesselt war. Fast zweihundert Soldaten waren alles, was von Sperrlinie Eins-Gamma übrig geblieben war. Der Feind war weit vorgestoßen und hatte auch Sperrlinie Zwei-Alpha genommen. Und als sie in die Gesichter der sie umgebenden Soldaten und Mannschaftdienstgrade blickte, wurde ihr klar, daß die auch wußten, in welcher Lage sie waren. Captain Schlüters Stimme verriet nichts von ihren düsteren Gedanken, sie klang hart, entschlossen, unnachgiebig: „Melden, wer verwundet ist. Erfassen Sie alles, was wir noch an Waffen, Munition, Medikamenten, Wasser und Nahrung haben – revidieren Sie dazu auch die Gefallenen beider Seiten. Ich will außerdem, daß weitere Sperrlinien gebaut werden, Abstände nicht mehr als zehn, fünfzehn Metern.“
„Womit?“ fragte einer der Staff Sergeants.
„MIT ALLEM WAS DA IST, IDIOT! Zur Not eben auch Leichen. AN DIE ARBEIT!“

In der Kommandozentrale der Akarii herrschte gespanntes Schweigen, als die Meldungen der Stoßtrupps eingingen. Mancher fluchte, als klar wurde, daß sich die Weichhäute doch noch gefangen hatten und außerdem ein Teil der genommenen Sperrlinien nur eingeschlossen, nicht genommen worden waren.
„Diese Todgeweihten werden ihrem Schicksal schnell genug begegnen. Momentan ist es wichtiger, daß wir das Erreichte sichern. Schaffen Sie die Gefangenen raus – gehen Sie gnädig mit ihnen um, der Geheimdienst will sie lebend und bei Bewußtsein. Aber es kann nicht schaden, wenn Sie ihnen etwas klar machen, daß ihr Leben auf einer schmalen Klinge balanciert.“ Der kommandierende General Pal Ressan sah nicht von dem Taktikdisplay auf, während er die Befehle gab.
„Und die verwundeten Menschen?“ Die Sturmtruppen hatten einen fast kompletten Verbandplatz der Weichhäute erobert.
„Ihre Ärzte dürfen weitermachen. Aber ich werde keine Ressourcen für Feinde verschwenden. Wer von den Gefangenen transportfähig ist, wird zurück geschafft. Was die anderen betrifft... Vorerst lassen wir sie in Ruhe. Aber wenn sie nicht transportfähig sind, wenn wir abrücken sollten...“ Der General machte eine schnelle, schneidende Bewegung.

„Zu Befehl.“ Jenek Tas unterbrach die Verbindung und wandte sich wieder dem reichlichen halben Dutzend Ärzte und Sanitäter zu, die von seinen Leuten eingekreist worden waren. Das waren die Überlebenden der Belegschaft des Verbandsplatzes. Als die Akarii-Sturmtruppen das Gelände sicherten, hatten sie erbarmungslos gefeuert, wo auch nur der Ansatz von Widerstand zu erwarten war.
„Ihr könnt weitermachen. Bedankt euch bei unserem General! Aber wer einem Befehl nicht gehorcht, wer eine Waffe ergreift, wer zu fliehen versucht – der stirbt.“ Jenek Tas wartete, bis der Dolmetscher diese Worte übersetzt hatte, dann wandte er sich zum Gehen. Eine der Sanitäterinnen oder Ärztinnen, er verstand die Ränge der Menschen nicht ganz, baute sich vor ihm aus, redete auf ihn ein. Der Akarii stieß sie grob beiseite und trat auf den Gang.
An ihm vorbei marschierte eine volle Hundertschaft, die Waffen geschultert. Sie sollten die vordersten Linien verstärken. Jenek grinste grausam. Sie würden siegen und die paar Menschen, die doch tatsächlich das Pech gehabt hatten, eingekesselt zu werden – für die würden die letzten Stunden ihres Lebens die Hölle werden. Nachdem er ein Dutzend Soldaten als Wachposten eingeteilt hatte und ihnen einschärfte, jeden Versuch einer Revolte rücksichtslos niederzuschlagen, setzte sich Jenek Tas wieder an die Spitze seines Kommandos – weniger als fünfzig Kampffähige. Die halbe Hundertschaft schloß sich den vorrückenden Truppen an. Hunderte gepanzerter Stiefel knallten im langsamen auf den Betonboden. Für die verwundeten und gefangenen Menschen mochte das dumpfe Dröhnen Symbol ihres eigenen Schicksals sein. Wer sich dem Sternenimperium in den Weg stellte, der würde überrannt, geschlagen und vernichtet werden.
Tyr Svenson
Finale I

Die Brücke der ONTARIO
Wurmloch W-369, Zerberus-Dunkelwolke, Pasumata Sektor

Besorgt betrachtete Igor die Anzeigen der sich langsam nähernden AZINCOURT und GUADALCANAL. Hinter den beiden Signalen bewegten sich deutlich sichtbar die Symbole für die Akariikriegsschiffe immer näher an die Nachzügler der Einsatzgruppe heran.
Die ONTARIO, die KAZE und die beiden Korvetten BUENOS AIRES und ADMIRAL J. JERVIS hatten während dessen um das Wurmloch herum eine Verteidigungsstellung eingenommen.
Die MAGELLAN war als erstes der Schiffe durch das Wurmloch zurück auf die Seite der Colonial Confederation gesprungen. Damit waren auch die Verwundeten auf der sicheren Seite.
Zumindest für den Augenblick.
Doch der Hilfsträger und die noch langsamere AZINCOURT waren noch nicht in Sicherheit. Und so wie es derzeit aussah, würde es auch äußerst eng werden. Sie waren schon sehr nahe, aber noch nicht nahe genug. Igor machte sich Sorgen, es sah nicht sonderlich gut für die beiden angeschlagenen Schiffe aus.
Die akariische Zerstörerschwadron kam unerbittlich näher und würde die beiden Schiffe höchstwahrscheinlich noch in Waffenreichweite bringen.
Und dann waren sie verloren.
Schon gegen die Feuerkraft von drei Zerstörern, eines davon Echo-Class und zwei Hotel IV, würden sie es schwer haben. Wenn sie dann auch noch die drei Duck-Class Fregatten und die je zwei Tango und Quebec Korvetten dazu nahmen, waren sie einer mehr als zweifachen Übermacht ausgeliefert.
Es gab nicht mehr viel was sie tun konnten und Singh war gerade dabei, eine der noch offenen Möglichkeiten anzufordern, als er eine Verbindung zur GUDALCANAL aufbaute. Igor wusste, was gleich passieren würde und in so einem Augenblick war er froh diesen Befehl nicht selbst geben zu müssen.

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„Wir sollen WAAS?“ Thor´s immer mal wieder aufbrausendes Temperament ging mal wieder mit ihm durch.
„Die Befehle dürften klar sein, Thor“ gab Tigre verärgert durch. „Wir werden einen Angriff auf die anfliegenden Kampfschiffe machen, das Ziel sind die schnellen Korvetten an der Spitze. Wir müssen sie aufhalten, sonst werden die AZINCOURT und die GUADALCANAL das Wurmloch nicht mehr erreichen. Also teilt euch auf in Sektionen, gebt den Bombern Deckung. Dann voll drauf auf diese Bastarde und mit durchgedrücktem Nachbrenner zurück zur GUADALCANAL.“
Er war selbst nicht sonderlich glücklich über diese Entscheidung. Aber Befehl war nun mal Befehl und letztlich war er sogar verständlich. Das dieser Selbstmordbefehl Ihnen ausgerechnet von diesem verfluchten Chung, dem Ersten Offizier der GUADALCANAL übermittelt worden war, machte die Sache aber eben noch schwieriger.
„Und das soll etwas bringen gegen 10 Kriegsschiffe?“ kam die Frage von Stinger.
„Es wird die Schilde mindestens einer ihrer Schiffe ernsthaft in Bedrängnis bringen. Vergesst nicht, die müssen sich noch durch die von der ONTARIO und der NORTHUMBRIA gelegten Minen durcharbeiten. Da kann ein bereits geschwächtes Schutzschild bereits die Entscheidung bringen. Und jetzt Ruhe in der Leitung! Ich will keine Widerrede hören, verstanden?“
Die Bestätigungen kamen vereinzelt und gedämpft, teilweise sogar gar nicht. Tigre konnte sie verstehen, er schickte gerade höchstwahrscheinlich einen Gutteil von Ihnen in den Tod, vielleicht in seinen eigenen.
Aber andererseits ging es hier auch um die GUADALCANAL und das wussten alle. Sollten sie etwa an Bord dieses schleichenden Kahns auf Ihren Untergang warten? Auch wenn Tigre sich selbst eingestand, dass er nicht zu den mutigsten Kommandeuren gehörte, die dieser Krieg gesehen hatte, so wollte er lieber kämpfend sterben, als tatenlos auf seinen Tod warten zu müssen.

Kurz darauf waren sie bereits ran, so nahe waren Ihnen die Kampfschiffe bereits.
„Wir werden angepeilt“ gab Sparky durch und bald darauf fegten die ersten Antijägerraketen auf sie zu. Knapp hundert dieser Raketen hätte die Akariischwadron aufbieten können, das wusste Tigre. Der Grund warum jetzt nur knapp 50 auf dem zu Ihnen waren lag, wohl darin, dass sie sie entweder nicht wirklich als Bedrohung ansahen oder einige von Ihnen noch keine Zielerfassung hatten.
Es spielte keine Rolle, auch so waren es mit knapp vier Raketen pro Jäger und Bomber immer noch mehr als genug, um Ihnen den Garaus zu machen. Aber noch war es nicht vorbei, zwei Trümpfe hatten sie noch. Ihre Geschwindigkeit und die Täuschkörper. Als die Raketen nahe genug waren, setzten seine Jäger beides ein, während sie und die Bomber ihrerseits ihre Raketen auf die beiden vorderen Tango-Korvetten abfeuerten.
Tigre selbst riss seine Maschine in einen engen Ausweichkurs, einer Rakete verlor die Zielerfassung, zwei wurden durch die Täuschkörper abgelenkt, eine schlug ein und raubte ihm wertvolle Schildenergie.
Glück gehabt. Doch als seine Augen die Anzeigen seiner Staffel überflogen, sah er dass Whiteys Signal verschwunden war, genauso wie einer der Bomber. Und Aslans Maschine verlor an Geschwindigkeit.

Ein hoher Preis, vor allem wenn er an Whitey dachte, der es vielleicht wieder zurück auf den Pfad der Tugend geschafft hätte. Damit war es jetzt aber vorbei.
Doch dann sah er wie die Antischiffraketen der Mirages an den Schirmen der beiden Korvetten explodierten. Ein kleiner Trost für den Verlust von Kameraden.
Dann jagte die nächste Welle an Antijägerraketen auf sie zu und wieder antwortete seine Staffel. Und dieses Mal hörte er Aslans markerschütternden Schrei durch den Funk als seine Maschine explodierte und nichts als Fetzen von seinem Piloten übrig ließ.
Doch Tigre hatte keine Zeit zu trauern, er musste sich seines eigenen Lebens erwehren, zumal jetzt auch noch die Schiffsgeschütze eingesetzt hatten und ihnen zusätzlich einen wahren Regen an Laserimpulsen entgegen schleuderten. Er sah auf seinen Schirmen, wie ein weiterer der Bomber zerplatzte und verschwand. Dann wurden die bereits geschwächten Schilde von Stingers Maschine zerkocht und eine weitere Rakete ließ auch diesen Jäger in Trümmern zurück.
Doch zumindest schien es zu klappen, die beiden unter Beschuss liegenden Korvetten ließen sich zurückfallen, in den schützenden Schoss der Zerstörer und Fregatten. Doch Tigre machte sich nichts vor, sie gewannen nur Zeit, nichts mehr. Ein paar Sekunden, die zwar über das wohl und wehe der GUADALCANAL entscheidend sein konnten. Aber waren diese Sekunden auch das Leben seiner Leute wert?
Zerknirscht befahl Tigre den Rückzug, binnen Augenblicken war die Hälfte seiner Leute gefallen und sie hatten nicht sonderlich viel erreicht.
Er hoffte zumindest, dass es einen Sinn gehabt hatte als er die Nachbrenner seines Jägers durchfeuerte und Kurs zurück zu ihrem Hilfsträger nahm.

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Igor Maleetschev hatte den Anflug des Dirty Bunch auf den Akariiverband schmerzhaft verfolgt. Man konnte über diesen bunt gemischten Haufen sagen, was man wollte. Aber ihre Pflicht hatten sie anstandslos erfüllt.
Und dabei fast die Hälfte ihrer Leute verloren.
So langsam begann sich Igor zu fragen, ob er damals nicht doch Recht gehabt hatte, als er Singh von seinen Befürchtungen erzählt hatte. Stand diese Expedition womöglich am Ende doch unter einem unguten Stern?
Aber wie es schien, sollte es noch schlimmer kommen.
„Sir, dringender Ruf von der AZINCOURT“ rief der Kommunikationsoffizier Augenblicke bevor die erfahrene Kommandeurin auf den Schirmen erschien.
„Commander KAMInski, alles in Ordnung bei Ihnen?“ fragte Singh, doch in den Augen der Korvettenkapitänin sah Igor bereits, das etwas erheblich nicht in Ordnung zu sein schien.
„Sir, ich habe leider keine guten Nachrichten. Es hat einen unserer Reaktorblöcke zerlegt. Der Maschinenraum ist uns gerade um die Ohren geflogen.“
Singh antwortete nicht sofort, sondern fasste sich an die Stirn, als ob ihn ein körperlicher Schmerz durchfuhr. Er wusste was das zu bedeuten hatte. „Commander. Geben sie ihr Schiff augenblicklich auf und evakuieren Sie alle Überlebenden.“
KAMInski lächelte matt und niedergeschlagen. „Wir sind bereits alle tot, Sir, wir atmen nur noch. Es ist genug Radioaktivität ausgetreten um uns alle lebendig zu grillen. Keiner von uns hat eine Lebenserwartung die größer als ein paar Stunden ist.“ Sie schüttelte kurz den Kopf, dann hob sie ihren Blick und jetzt war Kampfeslust an die Stelle von Niedergeschlagenheit getreten. „Wir versuchen sie aufzuhalten, so gut es geht. Mehr können wir nicht mehr für Sie tun.“
„Sie haben bereits genug getan, Commander KAMInski“ gab Singh zurück und Igor hatte den Eindruck sein Skipper wäre in diesem Augenblick mit einem Schlag um Jahre gealtert. „Wir werden Ihren Einsatz niemals vergessen.“
„Danke, Captain.“ KAMInski nickte und schloss mit den Worten, die jeder wieder erkannte. „Vorwärts in den Kampf.“ Die Worte von Hiraku Chen, als er gegen die Übermacht von Miles Cox Armada vorstieß.

Dann legte sich die AZINCOURT quer und feuerte ohne Vorwarnung eine Breitseite auf die anfliegenden Kampfschiffe ab. Diese bremsten zwar nicht ab, aber der Echo-Class Zerstörer und die die beiden Korvetten der Duck-Class änderten leicht den Kurs um eine saubere Zielerfassung auf das einzelne Kampfschiff zu nehmen, das sie schon fast eingeholt hatten.
Die Salve der terranischen Korvette verpuffte förmlich an den Schilden des Zerstörers und schon jagten sie eine weitere Salve hinaus. Es schien sich bereits jetzt niemand um eine saubere Zielerfassung zu scheren, Hauptsache schien zu sein, dass die Raketen noch raus gingen.
Als die zweite Salve der erheblich kleineren Korvette auf den Schilden des gegnerischen Flaggschiffs aufschlug, hörte Igor ein Röcheln hinter sich. Was er sah, als er sich umdrehte versetzte ihn in Schock.
Captain Singh hielt sich schmerzverzerrt seinen Kopf und röchelte mit verdrehten Augen vor sich hin. Dann blickte er mit verschleiertem Blick seinen Ersten Offizier an, so als ob er noch etwas Wichtiges sagen müsste. Aber noch bevor ein Ton seine Lippen verließ, brach er zusammen und sackte in seinem Sitz ein.
„Verflucht“ rief Igor und schnallte sich von seinem Sitz los, dann rannte er hinüber zu seinem bewusstlosen Kapitän. „Ruft Doktor Goordelans, SOFORT“ schrie er während er versuchte einen Puls zu fühlen. Erleichtert atmete er auf, als er schließlich endlich einen fand, aber dieser war so schwach, das Igor sich nicht sicher war, ob Singh überhaupt noch lebte.

„Sir, die AZINCOURT…“ meldete ihm einer der Brückenoffiziere mit nicht minder geschocktem Ton und mit Sorge im Blick, als er den Captain am Boden liegen sah. Doch er brauchte nichts weiter zu sagen, Igor konnte auch so sehen, was geschah.
Anscheinend hatte die kleine Korvette noch ein drittes Mal gefeuert, doch die Breitseite der sterbenden Korvette wurde von der Akariischwadron fast komplett aus dem All gefischt, nur eine einzige Rakete fand den Weg zu einem der bereits getroffenen Tangos. Der Vergeltungsschlag indes war immens als etliche der Schiff-Schiff-Raketen in das eh schon brennende Wrack einschlugen und es vollkommen verschlungen.
Wenn es Überlebende gegeben haben sollte, wurden sie wahrscheinlich durch diese Explosionen vernichtet.
So bitter es aber auch war, Igor konnte nur einen Bruchteil eines Augenblicks an den Tod all dieser Männer und Frauen denken, da ihm im Augenblick Captain Singh mindestens genauso viele Sorgen machte.
Dann betrat Doktor Goordelans die Brücke, schaute sie kurz zu Singh hinab, ließ ihn abschnallen und auf eine Trage legen. Sie untersuchte ihn kurz und drehte sich dann zu Igor um.
„Ich schlage vor, Commander, sie übernehmen bis auf weiteres das Kommando.“
„Was ist mit ihm, Doktor?“
„Ich weiß es noch nicht, aber es scheint Ernst zu sein“ war ihr trockener Kommentar als sie den Sanitätern bedeutete den bewusstlosen Kapitän unverzüglich auf die Krankenstation zu bringen. „Ich melde mich sobald ich mehr weiß. Sehen sie jetzt mal lieber zu, uns hier Heil raus zu bringen, ist das klar?“
„Ja, Ma´am“ antwortete Igor zutiefst besorgt. Einen unpassenderen Augenblick für den Ausfall des Einsatzgruppenleiters konnte es wohl kaum geben.
Es dauerte ein paar Augenblicke, ehe sich Igor der unheimlichen Stille in der Brücke der ONTARIO bewusst wurde. Langsam drehte er sich um und in vielen Augenpaaren sah er bloße Panik und Furcht.
Ihm wurde klar, dass das, was er sah ein Spiegelbild seines eigenen Gesichtsausdruckes sein musste. Also riss er sich zusammen und tat das, was er am Besten konnte.
Befehle geben.
„Lieutenant Yangwen, wie ist die Lage?“
„Sir, die AZINCOURT ist…, sie ist…“ Der sonst so abgebrüht wirkende Chinese schien seine Fassung verloren zu haben und auch die übrige Brückencrew schien wie gelähmt zu sein. Igor konnte verstehen, dass der mysteriöse Ausfall von Singh auf die Gemüter des Brückenpersonals drücken musste und er spürte, dass mehr als nur ein Augenpaar argwöhnisch auf ihn gerichtet war. Und er konnte es seinen Leuten nicht verdenken. Er selbst fragte sich, ob er in der Lage war auch ohne Singh den Befehl zu führen.
Doch jetzt war weder die Zeit zu trauern noch zu Zaudern. Noch schleppte sich die GUADALCANAL in Richtung des rettenden Wurmloches und es war keinesfalls sicher, dass sie es schaffen würde. Die gegnerischen Schiffe kamen unbarmherzig näher und würden bald in Feuerreichweite sein. Und wenn sie dann nicht reagierten, würden sie nicht nur ihren Kameraden nicht helfen können, sondern womöglich selbst noch unter die Räder geraten.
„LIEUTENANT YANGWEN! Etwas mehr Konzentration bitte. Wie ist der Status der GUADALCANAL?“

Der Offizier riss sich zusammen und erstatte nun sauber Bericht. Igor konnte nur hoffen, dass das für die übrige Brückencrew genauso verhalten würde. Denn viel Zeit zur Vorbereitung blieb Ihnen nicht.
Und so als ob jemand seine Gedanken gelesen hätte, kam auch schon eine Meldung des Radaroffiziers rein. „Die beiden Hotel IV feuern, acht Antischiffraketen homing…“ gab der Radaroffizier scheinbar emotionslos durch.
„Was ist mit dem Echo?“ fragte Igor besorgt.
„Noch keine Zielerfassung, hat durch den Beschuss der AZINCOURT wohl Zeit verloren.“
„Gut, alle Abwehrbatterien auf die Antischiffraketen konzentrieren. Feuer auf meinen Befehl.“ Igor blickte auf seine Anzeigen, die ihm die Zielerfassung der Raketenbatterien anzeigten.
„FEUER.“
Igor sah, wie die 20 Sparrow und Amraams der ONTARIO sich auf den Weg machten. Er gab sich keinen Illusionen hin, die meisten der Raketen würden ihre Ziele verlieren. Aber wenn es half wenigstens ein paar der Antischiffraketen aufzuhalten, dann war schon viel gewonnen. Die übrigen Schiffe stimmten mit ihren Raketen ebenfalls ein und machten Jagd auf die Schiffskiller, doch es reichte nicht.
„Drei Raketen homen weiter. GUADALCANAL wirft Täuschkörper aus… Eine verliert Zielerfassung… Zwei schlagen ein in drei, zwei, eins…“ Ein greller Blitz tauchte kurz auf und die Schilde des Hilfsträgers stemmten sich verzweifelt gegen die Wucht der Zerstörung. Dann brachen sie zusammen. Das ohnehin schon beschädigte Schiff schien sich aufzubäumen und eine kurze aber heftige Eruption kündete von mindestens einem schweren Treffer an der Hülle. Aber das Schiff fuhr wenigstens unvermindert weiter.
Die Frage war, wie lange noch?

Wenig später erschien Captain Dominguez auf dem Schirm, ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht, als würde er einfach nur mal so anrufen.
„Commander Maleetschev, wo ist Captain Singh…?“
„Er ist ausgefallen, Sir.“
In Captain Dominguez Augen blinzelte Überraschung durch. Aber jetzt war keine Zeit für lange Erklärungen. „Wie dem auch sei. Richten sie ihm meine Grüße aus und jetzt machen sie sich auf den Rückweg. Sie können hier nichts mehr für uns tun.“
„Wir bleiben und geben ihnen Geleitschutz, vielleicht können wir sie lange genug aufhalten, damit sie…“
„Seien sie kein Narr, Maleetschev! Die nächste Salve der Akarii wird uns vernichten und wir werden das Schicksal der AZINCOURT teilen. Meine Sekundärbrücke ist bereits vernichtet, Chung ist tot, Sie KÖNNEN nichts mehr für uns tun. Wenn sie bleiben, werden sie nicht nur aufgerieben, sondern höchstwahrscheinlich durch die Zerstörungen ihrer eigenen Minen vernichtet werden. Ziehen sie sich zurück, die übrigen Schiffe brauchen sie auf der anderen Seite. Vielleicht können sie sie dort aufhalten. Viel Glück. Dominguez Over and Out“ Selbst im Angesicht dieser verzweifelten Lage behielt Captain Dominguez sein freundliches Grinsen bei, als der Bildschirm dunkel wurde.
Igor blickte den dunklen Schirm einen Augenblick an, dann gab er den Befehl zum Rückzug.
„An alle Einheiten, Rückzug zum Wurmloch“ gab er durch und kaum war das an die übrigen drei Schiffe gesendet worden, erschien auch schon Commander Schneider auf dem Schirm.
„Captain Singh, wir können nicht so einfach hier weg, die GUADALCANAL…“ begann er und stoppte dann, als er statt Singh mit Igor konfrontiert wurde.
„Wo ist Singh?“ fragte er ohne lange Umschweife.
„Er wird gerade versorgt, wir wissen noch nicht, was mit ihm ist“ gab Igor zurück.
„Na gut, dann übernehme ich jetzt das Kommando. Wir bleiben und geben der GUADALCANAL weiter Rückendeckung.“
„Nein, das werden wir nicht tun. Ranghöchster Offizier ist immer noch Captain Dominguez und er selbst hat unseren Rückzug befohlen. Daher werden sie diesen Befehl ausführen, Commander Schneider. Wir müssen eine zweite Verteidigungslinie im Eurydike-Nebel errichten, oder wir werden alle Schiffe verlieren.“
Schneider blickte Igor ein paar Augenblicke aus wütend funkelnden Augen an und Igor konnte sehen, dass dieser drauf und dran war Igors Anweisungen zu ignorieren. Und letztlich konnte ihm Igor tatsächlich nichts befehlen.
Doch dann traf Schneider seine Entscheidung obwohl seine Stimme eiskalt und schneidend war. „Gut, ihr geht zuerst, wir sind bald bei Euch.“ Und dann war auch dieser Schirm schwarz. Irgendwie hatte Igor den Eindruck, dass er sich gerade einen neuen Feind gemacht hatte. Aber das war ihm im Augenblick egal.
Alles was jetzt noch zählte, war das Überleben.

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Die GUADALCANAL sah fürchterlich aus. So fürchterlich, dass Tigre einen Augenblick mit dem Gedanken spielte, abzudrehen und sich einen anderen Landeplatz auszusuchen.
Aber es gab keinen.
Die einzigen Alternativen, die Ihnen blieben waren entweder KAMIkazeangriffe auf die feindlichen Schiffe oder sich aus dem Cockpit schießen und sich in Gefangenschaft begeben. Tigre wusste im Augenblick nicht, welche der beiden er wählen sollte. Also blieb er auf Kurs auf das im Auseinanderbrechen befindliche Schiff. Die beiden übrig gebliebenen JaBo´s waren bereits gelandet, auch Lady Death und Ares waren bereits an Bord. Jetzt fehlten nur noch Sparky, Thor und er selbst.
„Die Zerstörer feuern erneut, Schiff-Schiff-Raketen im Anflug…“ gab Sparky durch.
Es schien, als ob die Akarii im seine Entscheidung abnehmen wollten.
„Unsere schießen erneut zurück“ kommentierte Sparky weiter. „Aber sie sie ziehen sich durch das Wurmloch zurück. Scheiße, das wird nich´ reichen.“ Dann scherte er aus. Hatte er sich dieselben Gedanken gemacht und die eigene Wahl seines Endes gewählt.
„Sparky“ fuhr ihn Thor an „Wo zur Hölle willst Du hin?“
Doch er erhielt keine Antwort mehr von dem aufmüpfigen Jägerpiloten, der direkten Kurs auf die feindlichen Schiffe nahm. In so einer Situation traf ein jeder seine eigenen Entscheidungen und Tigre akzeptierte das kommentarlos. Wenn Sparky an Bord seines Jägers sterben wollte, so war das seine Sache.
Thor landete, kurz darauf kam Tigre nur wenige Meter daneben auf der Parallellandebahn an. Was er sah, ließ seinen Mut noch weiter sinken. Es schien Tote gegeben zu haben und es war ein Wunder, dass Dominguez das Schiff nicht bereits evakuieren ließ.
Aber dafür war es jetzt ohnehin zu spät.
Tigre wusste, dass genug Schiff-Schiff-Raketen auf dem Weg zu Ihnen waren um sie in die unendliche Leere des Alls zu pusten. Und er wusste, dass ihm nur noch wenige Augenblicke zum Leben blieben.
Er schloss die Augen und versuchte die letzten Momente seines Lebens bewusst wahrzunehmen. Er hatte gehofft einen ruhigen Posten in der Etappe zu bekommen und stattdessen war er in der Hölle gelandet. Und das auch noch so knapp vor dem rettenden Ufer. Das war es wohl, was man als Ironie des Schicksals bezeichnete.
Tigre ließ die Augen geschlossen und wartete auf den bevorstehenden Aufschlag und das Ende jeglichen Lebens auf diesem Schiff.

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Als Justus Schneider das Geräusch des andockenden Shuttles hörte, verkrampften sich kurz seine in weißen Handschuhen steckenden Hände.
Die Mission zum Wurmloch war ereignislos, aber dennoch erfolgreich gewesen, denn es war ihr Wachsatellit gewesen, der die hereinkommende Kreuzerschwadron gemeldet hatte. Grund genug für Schneider, mit Höchstfahrt zurück zu laufen.
Kurz erinnerte er sich an den Disput mit Maleetschev. Dabei hatte er so große Stücke auf den jungen Offizier gehalten und beträchtliche Hoffnungen in ihn gesetzt.
Gott sei Dank hatte Singh endlich den Plan, die Station zu erobern, fallen gelassen.
Nun schleuste die KAZE ihre Infanterie wieder ein und Justus dachte an die horrenden Verluste der anderen Einheiten. Er hatte noch keine Schlächterrechnung über das Platoon seines Schiffes erhalten, aber jeder einzelne Tote war ein Toter zuviel. Jeder einzelne war Mitglied seiner Crew gewesen, er kannte Namen, Akte und Essgewohnheiten. Jeder, der nicht mehr zurückkam, würde auf seiner Seele lasten.
Was für ein Wahnsinn, was für ein Irrsinn. Justus unterdrückte das Bedürfnis, beide Hände vor sein Gesicht zu legen und den Kopf in stummer Verzweiflung zu schütteln.

Mit einem lauten metallischen Knall entriegelte sich die Innenschleuse.
Vorneweg verließ Second Lieutenant Johansson das Shuttle, dicht gefolgt von Sergeant Bannion.
Der Sarge brüllte einen harten Befehl und eine Reihe sichtlich erschöpfter, teils kräftig lädierter Marines nahm in einer Dreierreihe Aufstellung.
Schneider zählte sie kurz durch und erschrak fürchterlich. Für einen Moment glaubte er, dass seine Knie versagten und er haltlos zu Boden stürzte.
„Skipper, ich melde meine Marines wieder an Bord“, sagte Carl und salutierte vor ihm. „Alles in allem mussten wir ganz schön bluten, aber uns geht es weit besser als den anderen. Wir hatten sieben Tote und neun Schwerverletzte, die sind schon auf dem Weg zur MAGELLAN. Der Rest ist mehr oder weniger blessiert, aber einsatzbereit.“
Schneider straffte sich. „Nein“, hauchte er, „ich darf nicht erleichtert sein, weil ich neun Tote wieder streichen darf. Das wäre den anderen gegenüber nicht fair.“
Er sah ernst auf. „Lieutenant, ich werde Sie und Ihre Truppe zur Belobigung vorschlagen. Lassen Sie die Mannschaften ins Lazarett gehen. Der Doc wird bei jedem einzelnen einen Checkup vornehmen. Und, Marines – willkommen Zuhause.“
Zustimmendes Raunen antwortete ihm.
„Sie haben den Skipper gehört, Sergeant Bannion. Lassen Sie abtreten.“
„Aye, Lieutenant.“ Der breitschultrige Marine grinste in die Runde. „Also, Ihr Mädchen, wir gehen jetzt geschlossen ins Lazarett, und dann werden all eure kleinen Wehwehchen behandelt. Alle anderen Sachen werden mir dann nachher mit einem Schwarzgebrannten desinfizieren.“
Die Marines jubelten bei diesen Worten und traten ab.

„Auf ein Wort, Carl. Sieben Tote?“, fragte Schneider vorwurfsvoll.
„Rassud, Mahlert, Takehida, Rossi, Solonsky, Kulman und Forrester. Tut mir Leid, Chef, ich konnte es nicht verhindern.“
Schneider winkte ihm zu und ging voran.
Er führte den Marine in die Kantine, die bis auf sie beide und den Küchenbullen leer war. Zwei Kaffeebecher und eine große Thermoskanne vor der Nase setzten sie sich an einen der Tische.
Schneider schenkte beiden kräftig ein und zog dann eine lange, bunt bebilderte Flasche hervor. Daraus zog er den Korken mit den Zähnen heraus und gab jeder Tasse einen netten Hauch Geschmack, wie er es ausdrückte. „Akariischer Navembi, so eine Art Doppelkorn. Sehr süß und sehr bekömmlich. Hat mir mein Onkel besorgt. Junge, sagt mein Onkel immer, wenn du Ärger runterspülen willst, dann geht wirklich nichts über zwanzig Jahre alten Navembi, vom Imperator vorgekostet und seiner Hauptfrau selbst gebrannt.“
Die beiden nahmen einen tiefen Schluck von dem verfeinerten Kaffee.
Johansson bekam kurz einen Hustenanfall. „Das Zeug ist gut“, krächzte er.
Schneider, der das Getränk lange gewöhnt war, grinste bestätigend. „Mir gefällt vor allem seine fruchtige Note.“
Dann fixierte er seinen Lieutenant. „Also, Carl, was war los?“

Die beiden sahen sich lange in die Augen, als der Marine endlich zu sprechen begann.
„Es… Es begann wie ein Lehrbuchmanöver. Eines unserer Shuttle wurde beim Anflug mit tragbaren Raketen angegriffen und zerstört, nur ein Teil konnte sich retten. Aber mein Abschnitt May war vollkommen unterbewacht. Wir drangen in den Hangar ein, kämpften den geringen Widerstand der wenigen Raummatrosen nieder und rückten langsam vor.
Ich ließ fünf Mann zurück, um den Hangar zu halten und um unsere leichten Raumrüstungen zu bewachen. Ich denke einfach, es erobert sich leichter, wenn man sich nicht noch zusätzlich behindert. Von dort rückten wir also aus.
Zu diesem Zeitpunkt haben die Presidents ihre erste Attacke auf die Zentrale ausgeführt und wurden blutig zurück geschlagen.“
Johansson sah betreten zu Boden. „Es ist eigentlich eine Schande, dass sich uns nur Raummatrosen mit provisorischer Bewaffnung in den Weg stellten. Wir haben mit ihnen nicht viel Federlesen gemacht. Aber ich blieb vorsichtig und ließ nur gemächlich vorrücken, Seitengänge verminen, Lüftungsschächte kontrollieren und hier und da auch mal ein Schott mit einer Schweißladung zuschweißen, um sicher zu gehen.
Dann griffen die Akarii unser Schwesterplatoon von der ONTARIO an und zwangen es zum Rückzug. Reguläre Infanterie in Raumrüstungen, gut ausgerüstet. Wenn wir nicht abgeschnitten werden wollten, mussten wir uns auch zurückziehen. Und gerieten in den ersten Hinterhalt, weil die Truppen der ONTARIO zu schnell abgerückt waren und den Akarii damit die Chance geboten haben, in unsere Flanken zu kommen. Das Spießrutenlaufen wurde Takehida und Mahlert zum Verhängnis.
Aber wir hatten die Gänge, aus denen die Akarii angriffen zuvor vermint, und als wir die Dinger hochjagten, konnten wir wenigstens durchbrechen.
Den Rest des Tages formierten wir uns neu, erneut attackiert von den Akarii, die aber diesmal auf befestigte Stellungen trafen. Dennoch, die Säcke hatten einen Scharfschützen da gelassen. Er verwundete Clarin schwer und tötete Rassud mit einem direkten Kopftreffer.“
Johansson trank seinen Becher leer und schenkte sich nach – allerdings mehr Navembi als Kaffee. Nach einem weiteren, langen Schluck sprach er weiter.
„So ging es die ganze Zeit, drei Tage lang. Wir brachen wieder aus, die Akarii lauerten uns auf und trieben uns wieder zurück. Aber wenigstens gab es in dieser Zeit nur Verletzte und keine Toten mehr.
Wir hätten vielleicht mehr tun können, mehr tun müssen, aber was, außer Seitengänge zu verminen und meine Marines in die Luftschächte zu schicken konnte ich tun? Wir haben natürlich versucht, die Gegenstöße in einen Hinterhalt zu locken, aber diese Trottel von den ConCols hatten die Zentrale ja nicht halten können und somit den verdammten Schuppen die komplette Innenüberwachung der Station zurück gegeben. Mehr noch, sie ließen sich derart mies zusammen schlagen, dass irgendwann Befehl gegeben wurde, sich im Haupthangar im Sektor June zu sammeln.
Wir schlugen uns also durch und kamen ohne Verluste an. Und fanden eine exzellente Verteidigungsstellung, bestehend aus drei Linien vor. Meine Marines wurden für die linke vordere Flanke eingeteilt, am linken Hauptzugang. Die Colonials hielten die Mitte unter ihrem Drachen Chabiz und die rechte Seite hatten die Marines von der ONTARIO eingenommen. Die Linien hinter uns waren dünn, hauchdünn.“

In Carls Augen leuchtete es. Fast erschien es Schneider, als glänzten in seinen Augen die Bilder jener dramatischen Stunden und Minuten der Schlacht noch einmal auf.
„Es blieb ruhig, viel zu ruhig. Die Offiziere spazierten zwischen den Stellungen hin und her, während das Lazarett mit den schweren Fällen evakuiert wurde. Die Colonials gebärdeten sich auch noch, als hätten sie einen Sieg eingefahren. Diese Idioten.
Und als die Akarii dann aus allen drei Hauptgängen zugleich angriffen, ging alles drunter und drüber. Ruck-zuck waren wir vom Rückzug abgeschnitten, weil sie irgendwie Schützen auf die Balustrade hatten bringen können, die den freien Rückmarschweg bestreichen konnten, wie sie es wollten. Jeder Ausbruch musste in einem Blutbad enden. Schlimmer als schon das, was uns der Frontalangriff der Akarii bescherte.
Ich verlor Rossi und Forrester, ohne etwas dagegen tun zu können.
Dann aber war da dieser Nebel, und der kleine verrückte Asiat, der plötzlich überall zu sein schien. Lieutenant Chi-Zhou. Er hielt das Feuer von der erhöhten Position nieder und ermöglichte es uns, zur zweiten Sperrstellung zu kommen.
Die verdammten Colonials hatten sich natürlich gleich bis zum Shuttle zurückgezogen und ich sah keinen Grund, das nicht auch zu tun, als die Reste der ONTARIO an uns vorbei waren.
Doch als wir dort ankamen stellte sich heraus, dass die tapferen Kameraden von den Presidents ihre ach so fürsorgliche Hexe einfach liegen gelassen hatten, als sie angeschossen worden war.“
Verwundert sah Schneider mit an, wie Johansson zu grinsen begann. „Bei dem verdammten Rückzug hatte ich Solonsky und Kulman verloren, und Chi-Zhou wollte tatsächlich wieder zurück, um die Verrückte zu suchen. Was soll ich sagen? Ich erkenne es, wenn jemandem Held auf die Stirn tätowiert ist, und normalerweise halte ich mich weit, weit fern von solchen Leuten. Aber in dem Fall… Dieser kleine Chinese hatte Schneid, richtig Schneid. Also gingen er, sein Sarge, ich und ein paar von ihm gefangene Akarii mit, um sie zu suchen.
Ich will Sie nicht mit Nebensächlichkeiten langweilen, aber der Lieutenant schaffte es tatsächlich die arrogante Zicke lebend zu bergen, indem er Gefangene austauschte. Also wir wieder zurück und ab ins Shuttle. Da habe ich erst gesehen, dass Chi-Zhou eine Rückenwunde hatte… Was der kleine Mann geleistet hat, ist enorm. Ich würde ihn gerne für eine Tapferkeitsmedaille vorschlagen.“
Schneider starrte seinen Infanterie-Commander erstaunt an. „Nanu? Sie schlagen jemanden für Lametta vor?“, spottete er milde.
Johansson grinste breit. „Der Bursche hat mich an Sie erinnert. Dem musste ich einfach helfen.“
Schneider goss beiden nach und sparte nicht mit dem Schnaps. „Ich hoffe, das war ein Kompliment, Carl.“
„Lernen Sie ihn kennen und entscheiden Sie selbst“, bot Johansson an.
Schneider lachte und der Marine fiel ein. „Vielleicht werde ich das.“

**

Stunden später hielt die KAZE am Wurmloch Wache, Seite an Seite mit der JERVIS, der ONTARIO und der BUENOS AIRES. Die AZINCOURT und die GUADALCANAL kamen gerade auf das Wurmloch zu geschlichen, während die MAGELLAN bereits das Wurmloch in der Dunkelwolke passiert hatte.
„Was braucht Ihr so lange?“, knurrte Schneider wie ein angriffslustiger Hund. „Gebt endlich mal ein wenig Gas!“
Die NORTHRUMBIA hatte die ganze Region hier vermint, und genau das war ein Umstand, der Schneider dazu bewog, nicht zu lange hier zu bleiben.
„AZINCOURT fällt noch weiter zurück. Der DIRTY BUNCH fliegt eine Attacke auf die nachfolgenden Akarii-Korvetten der Quebeck-Klasse! Einschläge auf beiden Schiffen!“
„Wirkung? Haben diese Verrückten eine Wirkung erzielt?“, fragte Schneider hastig.
„Die Schirme sind runter, Kontakt Alpha zeigt leichte Schäden und schert aus. Der Rest hält weiter Kurs auf AZINCOURT und GUADALCANAL“, meldete Li ernst. „Mindestens vier Ausfälle im DIRTY BUNCH.“
Schneider hielt es nun nicht mehr auf seinem Sitz. „Lass mich von der Leine, Singh“, knurrte er. „Die Dunkelwolke lässt lange Ortungsreichweiten nicht zu. Ohne dass die Akarii dem Träger im Nacken säßen, wüssten wir nicht einmal, wie nahe sie dran sind. Einen Angriff, eine zweite Attacke, und ich bringe sie vollkommen durcheinander. Mehr als genügend Zeit, damit Ihr alle entkommen könnt. Lieutenant Ishihiro. Gefechtsalarm für die KAZE. Und laden Sie die Harpoon-Werfer. Ach, und sagen Sie Maggie, dass ihr Hawaii-Urlaub dieses Jahr gestrichen ist, wenn sie mir nicht zwanzig Prozent mehr Leistung aus dem Reaktor holt.“
„Aye, Skipper.“
„Justus, du wirst doch nicht ohne Befehle angreifen?“
Nur mühsam sah Schneider seine Stellvertreterin an. „Ich tue, was ich tun muß.“

„Interne Explosionen an Bord der AZINCOURT! Himmel, was ist da denn hoch gegangen? Der Reaktorraum?“, hauchte Li.
„Raketenbeschuss auf die GUADALCANAL“, fügte der Asiate kurz darauf hinzu. „Treffer Mittschiffs. Startbahnen sind anscheinend nicht beschädigt.“
„D-die AZINCOURT dreht bei!“, rief Lieutenant Jones aufgeregt. „Sie greift an!“
Ohnmächtig vor Wut sahen die Männer und Frauen in der Zentrale dabei zu, wie sich die Korvette dem Feind entgegen warf und drei Salven anbringen konnte, bevor sie vernichtet wurde.
„Eingehender Überrangbefehl von der ONTARIO: Rückzug hinter das Wurmloch!“
„Was? Aber die GUADALCANAL ist doch noch nicht da!“, protestierte Ishihiro aufgeregt.
Schneider nickte schwer. „Das sehe ich auch so. Verbindung zur ONTARIO, Kommandant zu Kommandant“, presste er wütend hervor und nahm seinen Platz wieder ein.
„Captain Singh, wir können nicht so einfach hier weg, die GUADALCANAL…“
Erstaunt erkannte Schneider den Ersten Offizier auf dem Monitor.
„Wo ist Singh?“ fragte er ohne lange Umschweife.
„Er wird gerade versorgt, wir wissen noch nicht, was mit ihm ist“, gab Maleetschew zurück.
„Na gut, dann übernehme ich jetzt das Kommando. Wir bleiben und geben der GUADALCANAL weiter Rückendeckung“, ordnete Schneider an. Er war der ranghöchste Offizier im Moment. So dachte er.
„Nein, das werden wir nicht tun. Ranghöchster Offizier ist immer noch Captain Dominguez und er selbst hat unseren Rückzug befohlen. Daher werden Sie diesen Befehl ausführen, Commander Schneider. Wir müssen eine zweite Verteidigungslinie im Eurydike-Nebel errichten, oder wir werden alle Schiffe verlieren.“
Tausende Dinge gingen Schneider durch den Kopf, taktische Entscheidungen, die er analysierte, verwarf, von einem neuen Blickwinkel besah und erneut verwarf. Das Ziel, das einzige Ziel der Aktion musste sein, der GUADALCANAL den Rückweg auf die andere Seite zu ermöglichen, jenseits des Minenfeldes, im Eurydike-Nebel auf Confederation-Gebiet.
„Gut“, sagte Justus, nachdem er einmal schnell ins Rund seiner Zentrale gesehen hatte, „Ihr geht zuerst, wir sind bald bei Euch.“

„Alle Waffen klar, Ruder volle Kraft voraus, fünf grad unter Horizont. Li, ich will permanent über die Position der neun angreifenden Schiffe informiert werden, solange Informationen von der GUADALCANAL kommen. Ishihiro, wir machen zwei, drei schnelle Anflüge. Wir passieren die Akarii und schenken ihnen hart ein. Die Dunkelwolke wird zu unserem Versteck und unsere Geschwindigkeit unser Trumpf. Ich will, dass Sie was treffen. Egal was, aber ich will da draußen etwas explodieren sehen. Okay?“
Haruka nickte grimmig. „Du kannst dich auf mich verlassen, Justus.“
„Na dann los!“

Eavy Jones gab vollen Schub, und der Maschinenraum lieferte die erhöhte Triebwerksleistung. Die KAZE schoss von ihrer Position fort, während die anderen Schiffe der Einsatzgruppe nach und nach im Wurmloch verschwanden, in Sicherheit.
Nur die ONTARIO schien noch etwas ausharren zu wollen.
„Also“, brummte Schneider und wurde vollkommen ruhig, „wir wissen wo die Akarii sind, sie wissen aber nicht wo wir sind. Lieutenant Li, extrapolieren Sie die Kursdaten der Akarii und unterbrechen Sie dann die Laserverbindung. Wir wollen uns nicht gewaltsam verraten.“
„Aye, Skipper. Distanz zum vordersten Schiff, fünfzigtausend Kilometer. Die GUADALCANAL braucht bei ihrem derzeitigen Tempo noch mindestens zehn Minuten. Aber die Verfolger sind bereits in Waffenreichweite.“
„Wann kommen wir in Waffenreichweite?“, wollte Schneider wissen.
„In anderthalb Minuten.“
„Mehr Energie auf den Antrieb. Eavy, acht über Horizont, wenn bereit. Schiff klarmachen für schnelle Wende.“
„Aye, acht über Horizont, wenn bereit. Schiff klar für schnelle Wende“, meldete die Pilotin.
„Jetzt.“

Der schlanke Keil der KAZE hatte in dieser Umgebung fast alle Vorteile auf seiner Seite. Das Schiff war dazu gebaut worden, schlecht oder spät gesehen zu werden. Und dann hart auszuteilen. Die beiden Harpoon-Werfer waren feuerklar und warteten nur noch auf ein Ziel.
„Lademannschaft steht bereit“, meldete Ishihiro konzentriert. „Wenn wir schnell genug sind, schaffen wir zwei Angriffe beim ersten Anflug. Wen nehmen wir uns vor?“
Schneider grinste. „Ich bin nicht wählerisch. Schnappen Sie sich den erstbesten, den Sie in die Ortung kriegen, Haruka. Hauptsache, wir bringen die Akarii durcheinander.“
„Aye, Sir.“
„Ortung! Feindverband in Sicht! Ich habe da eine Fregatte fast direkt im Fadenkreuz. Duck-Klasse!“
„Kernschussreichweite in zehn Sekunden.“
Wieder lächelte Schneider kalt, während die KAZE in der Dunkelwolke nach oben zog und nun wirkte, als würde ein Hai auf die Wasseroberfläche zujagen, um die harmlosen Schwimmer zu erwischen. „Feuer frei.“
„Werfer eins und zwei: Feuer!“
Beide Harpoons wurden problemlos abgefeuert. Sie nahmen ihr Ziel auf und bevor sich der Akarii versah, hatte er keinen Bugschirm mehr.
„Feuer frei nach eigenem Ermessen!“, befahl Justus.
„Aye, Skipper!“, rief Ishihiro und schoss die Raketenwerfer und die kleinen Kanonen ab. Als sie die Duck beinahe passiert hatten, kam das Grün-Zeichen von den Lademannschaften. Erneut feuerte der Zweite Offizier seine Waffen ab.
„Aktives Radar fasst nach uns!“, warnte Li. „Wir jammen!“
Auch diese beiden Harpoons gingen durch, trafen die ungeschützte Außenhülle. Dann war die KAZE aber schon vorbei und nur einige vereinzelte Raketen jagten ihr hinterher, verloren sie im Chaos der Dunkelwolke jedoch. Zwei besonders vorwitzige fielen auf die Gegenmaßnahmen herein.
„Ja, meine Herren Schuppenhäute, dies ist das Jagdrevier der KAZE“, sagte Schneider konzentriert. „Schlechte Ortung auf kurze Distanz, phantasielose Schiffskommandanten, wenn ich Zeit hätte, würde ich den ganzen Verband auseinander nehmen.
Wie lange noch für die GUADALCANAL?“
„Fünfeinhalb Minuten.“
„Eavy, harte Wende. Haruka, wir fliegen noch mal rein. Entweder geben wir der Duck den Rest oder wir holen uns etwas anderes. Kriegt Ihre Lademannschaft wieder zwei Salven hin?“
„Justus, Sie kriegen Ihre zwei Salven“, erklärte Ishihiro ernst.
„Na dann, los.“

Die KAZE stützte sich hauptsächlich auf ihren Heckantrieb. Das Schiff war schnell, aber schwerfällig zu manövrieren. Und ebenso schwer zu wenden.
Nur mühsam kam es herum, nahm Kurs auf die vermutete Position des Feindverbandes. Durch das Manöver würden sie nicht aus exakt der gleichen Richtung kommen, in die sie verschwunden waren. Es würde ein etwas flacherer Anflug werden, was bedeutete, dass die Gegenschüsse der Akarii länger Zeit haben würden, sie zu treffen. Aber dadurch mussten sie auch nicht mehr zu sehr manövrieren, um selbst durch das Wurmloch zu entkommen.
„Eavy, gehen Sie kurzfristig auf hundertzwanzig Prozent. Sagt Maggie, sie soll ihren Babys gut zureden, wir brauchen jetzt jedes Quentchen Energie.“
„Harpoon-Werfer sind wieder klar. Lademannschaft steht bereit“, meldete der Waffenoffizier.
„Angriff.“

Wieder stieß die KAZE herab, diesmal aber gute tausend Kilometer versetzt und passierte den Pulk diesmal im hinteren Drittel der Formation, während sie beim ersten Anflug fast an der Spitze gewesen war.
„Ziel erfasst! Zerstörer, Echo-Klasse!“ Li wandte sich um und grinste breit. „Wir sehen ihm direkt auf seinen hässlichen Arsch, Skipper!“
„Feuer.“
„Harpoon eins und zwei abgefeuert“, meldete der Waffenoffizier. „Wir laden nach.“
Beide Harpoons schlugen in den Heckschilden ein und entfesselten ein kleines Inferno.
Wieder waren die Rohre klar, kurz bevor die KAZE vorbei war. Da waren die Schirme des Echo bereits unten.
„Wir werden erfasst. Wir werden beschossen. Vereinzelter Raketenbeschuss. Wir schaffen es“, meldete Li zuversichtlich.
„Feuer“, befahl Schneider kalt.
Wieder wurden die beiden Werfer gefeuert. Diesmal gelang es dem Ziel eine Rakete abzuschießen, aber die andere ging glatt durch und versenkte das Heck mit dem Hauptantrieb in irrlichternder Glut.
Derweil feuerten die anderen Waffen der KAZE, was sie hergaben.
Dann wurde es still.

„Akarii haben Erfassung verloren, Skipper“, meldete Li. „Scheint so, als wären wir für den Moment sicher.“
„Gut. Eavy, wir fliegen so schnell es geht zurück. Ich will durch die Minen durch sein, bevor die ersten Akarii auf eine auflaufen. Wie steht es um die GUADALCANAL?“
Amber Soleil meldete sich. „Während des zweiten Anflugs hat das Ortungsbild ergeben, dass der Hauptverband die Korvetten zum Eigenschutz näher heran gezogen hat. Das dürfte dazu geführt haben, dass der Träger einen kleinen Vorsprung vor seinen Verfolgern halten konnte.“
„So war es geplant, Schatz“, bemerkte Schneider grinsend. „Eavy, jetzt aber schnell.“
Derweil tauschten Ishihiro und Li einen belämmerten Blick aus. „Hat der Skipper den IO gerade Schatz genannt?“, flüsterte Li Chun erstaunt.
„Ich habe mich also nicht verhört. Und er lebt noch? Habe ich etwas verpasst?“, fragte Ishihiro seinerseits.

„Das Wurmloch kommt in Sicht. Aber leider auch die Verfolger. Zwei Tango-Korvetten auf Abfangkurs“, meldete Li.
„Wie geht es der GUADALCANAL?“ „Schleicht gerade durch das Minenfeld. Es wird eng. Wir werden den schützenden Korridor zusammen erreichen. Die Korvetten sind dann schon in Schussweite, wenn sie ihr Tempo halten können“, meldete der Ortungsoffizier.
„Na, das läuft doch besser als erwartet. Li, sagen Sie dem Hilfsträger, er soll wenn es geht noch etwas Leistung aus den Triebwerken kitzeln“, sagte Schneider konzentriert. „Er sollte ein klein wenig vor uns stehen, wenn wir den Transit angehen.“
„Aye.“

Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, während sich der angeschlagene Hilfsträger der Laboe-Klasse immer näher an das rettende Wurmloch heran schob. Nur noch wenige Kilometer. Derweil preschte die KAZE heran, getragen vom starken Haupttriebwerk, während knapp hinter ihnen die beiden Korvetten der Tango-Klasse folgten.
„Heckbeschuss. Nichts ernstes, aber ich transferiere zusätzliche Energie nach hinten“, sagte Amber Soleil leise.
„Gut. Zeit bis zum Eintritt?“
„Eine Minute. Die GUADALCANAL zehn Sekunden weniger.“
„Konstante Meldung über Verfolger.“
„Korvetten in Schussreichweite und eröffnen Raketenfeuer. Erreichen Minenfeld in zehn… Neun… Acht…“
„GUADALCANAL tritt in Wurmloch ein. Wir folgen nach.“
„Vier… Drei…Zwei…Eins… Null. Tango eins explodiert auf Mine. Tango zwei weicht aus, löst nächste Mine aus.“ Lis Kopf ruckte herum. „SIR! Das ganze Scheiß-Minenfeld geht hoch!“
„Was?“ Schneider checkte seine Anzeigen. Tatsächlich, angefangen bei den beiden Akarii-Korvetten begannen die schweren Antischiffsminen zu explodieren und arbeiteten sich dabei mit einem Etlichen der Geschwindigkeit der KAZE auf diese vor.
„Augen zu und durch“, hauchte Justus und griff nach Ambers Hand. Sein Erster Offizier ergriff sie und drückte fest zu.
Vor ihnen ging die GUADALCANAL in den Transit, während die Feuerwalze der Minenexplosionen immer mehr aufholte. Maggie das Gespenst machte Unmögliches zu Wirklichkeit und holte drei Sekunden raus – sieben nach der GUADALCANAL trat auch die KAZE ins Wurmloch ein, und mit ihr die Gewalt von acht durchgehenden Antischiffsminen!
Das ganze Schiff vibrierte, die Anzeigen lieferten verrückte Werte über das Innere des Wurmlochs. Die GUADALCANAL und ein weiteres Schiff innerhalb des Korridors verschwanden – dann radierte ein gewaltiger Lichtblitz das Bewusstsein Schneiders aus. Danach war… Nichts.
Tyr Svenson
Dritter Tag der Schlacht um Graxon, 18.00 Uhr, Kampfgruppe Schlüter

„Mitch ist tot, Sarge.“ die Stimme war leise, nur ein Flüstern. Dennoch währe Schiermer fast zusammengezuckt, als hätte ihm jemand ins Ohr gebrüllt. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Und jetzt begriff er auch, daß ein vertrautes Geräusch fehlte – das dumpfe Stöhnen des Marinesoldaten, von dessen Tod er jetzt informiert wurde. Langsam, betont ruhig, drehte der Sergeant den Kopf, sah den Soldaten an, der Meldung gemacht hatte. Die leise Stimme Schiermers klang kalt und zynisch wie immer: „Na schön. Das war’s. Wir setzen uns ab. Sag den anderen Bescheid. Und wenn einer von euch Bastarden Lärm macht, erwürge ich ihn mit seinen eigenen Gedärmen.“

Während der Soldat geduckt davonschlich, drehte sich Schiermer um und musterte die Stellung, die er in den letzten vierundzwanzig Stunden verteidigt hatte. Mehr als dreißig Soldaten waren hier anfangs gewesen, vor allem Versprengte, die wieder in die Verteidigung eingebunden worden waren. Jetzt waren sie nur noch elf Mann. Der Rest war tot – oder schwerverwundet zurück geschleppt worden. Aber da es bei den eingeschlossenen Soldaten weder Ärzte noch ausreichend Medikamente gab, war das wohl auch nur ein aufgeschobener Tod. Und dazu meist ein ziemlich widerlicher.
Die Akarii hatten wieder und wieder angegriffen und waren wieder und wieder zurückgeschlagen worden. Aber jedesmal hatten sich ihre Vorposten und Scharfschützen etwas näher heran gearbeitet. Wie nahe sie jetzt waren, wußte Schiermer nicht genau – vielleicht zehn, zwölf Meter. Vielleicht, ja sicher waren ihre Soldaten genauso erschöpft wie die Marineinfanteristen. Aber die Akarii hatten Reserven, sie konnten ihre Soldaten ausruhen lassen, abgekämpfte Verbände ersetzen.

„Sarge...“ Schiermer drehte sich um zu den anderen Überlebenden. Die schweren Helme verbargen ihre Gesichter ebenso, wie die über allem lastende Dunkelheit. Schiermer kannte die meisten von den Soldaten seiner Stellung, die Lebenden und die Toten, nur als leise, erschöpfte Stimmen – Schemen ohne Gesicht. Und auch deswegen durfte er jetzt keine Schwäche, keine Erschöpfung zeigen: „Ihr wißt, die Akarii sind auch bei den anderen Gängen vorgerückt. Wenn wir uns nicht zurückziehen, dann schneiden sie uns in ein paar Stunden sowieso von den anderen ab und ficken uns von Vorne und Hinten. Also tun wir ihnen nicht den Gefallen und halten still, sondern verschwinden einfach – wie Luft aus einer Tüte. Aber es wird knapp. Wir werden mindestens einmal dicht an den Akarii vorbeikommen. Sie haben X-12 genommen und die paar Überlebenden hängen ziemlich in der Luft. Die nehmen wir mit. Also seid leise, ihr Arschlöcher – wenn ihr nicht wollt, daß die Akarii euch den Arsch aufreißen. Ich nehme den Schnellfeuerlaser.“ Keiner der Soldaten sagte etwas, aber Schiermer glaubte ein oder zwei aufatmen zu hören. Er grinste dünn.

Die Absatzbewegung vollzog sich in gespenstischer Stille. Es gab nichts zu sagen - und der Funkverkehr war auf ein absolutes Minimum eingeschränkt worden. Zu groß war die Gefahr, abgehört zu werden. Nur von ferne waren einzelne Schüsse zu hören. Aber die Ruhe war trügerisch, daß hatten die Menschen gelernt. Binnen Sekunden konnte ein neuer Angriff erfolgen. Der kleine Trupp Überlebender huschte verstohlen davon, ließen eine zerschossene Stellung zurück, die toten Akariis und Menschen, erschossen, erschlagen, erstochen, verbrannt, von Splittern zerfetzt. Die zurückweichenden Marinesoldaten hatten nicht einmal mehr die Stellung anständig verminen können – ein paar Granaten mit Zugzündern waren alles. Munition und Sprengmittel wurden langsam knapp...

Schiermer ging als dritter in der Reihe. Den schweren Schnellfeuerlaser, das Maschinengewehr des 27. Jahrhunderts, hielt er ohne sichtbare Anstrengung in Hüfthöhe. Pausenlos schweiften seine Augen mißtrauisch hin und her, versuchten die Umgebung abzuschätzen, Gefahren und Hindernisse zu erkennen, die paar Leute aus seinem Trupp im Auge zu behalten. Die Gänge sahen wüst aus, auch wenn hier keine Kämpfe getobt hatten. Weggeworfene Ausrüstungsgegenstände, Müll und Sandsackbarrieren erschwerten das Vorankommen. Diese Stellungen würden nicht mehr verteidigt werden, die Akariis waren an anderer Stelle zu weit vorgerückt. Hier und da lagen auch Leichen – Verwundete, die beim Rücktransport gestorben worden waren.
Jetzt bewährte sich die Voraussicht der Verteidiger, die an den Wegkreuzungen mit Leuchtfarbe Wegweiser gemalt hatten und sorgfältige Karten des verwinkelten Gängesystems angefertigt und verteilt hatten. So wußte Schiermer, daß sie sich einem der kritischen Punkte näherten. Hier sollten noch ein paar andere Marineinfanteristen die Stellung halten, die Akarii aber auch auf wenige Dutzend Meter an die sensible Weggabelung herangearbeitet haben. Schiermer würde die überlebenden Verteidiger mitnehmen, die Kräfte der „Kampfgruppe Schlüter“ reichten nicht mehr zu einer so weitreichenden Verteidigung. Es hatte zu viele Tote gegeben.

Abrupt blieb Schiermer stehen, als der Mann an der Spitze stoppte, sich gegen die Wand preßte und warnend gestikulierte. ‚Was zum...‘
Dann hörte er, was den Mann alarmiert hatte – Dumpfes Scharren, als würde irgendetwas schweres über den Boden geschleift und unbekannte, gezischte Worte in einer unverständlichen, aber vom Klang her nur zu bekannten Sprache – Akarii. Die Marines hinter Schiermer stoppten. Keiner sprach, keiner machte ein überflüssiges Geräusch. Wer sich nicht an die Bedingungen dieses Kampfes anpassen konnte und schnell lernte, der starb noch schneller.
Vorsichtig kroch Schiermer vor, lugte behutsam um die Biegung des Ganges. Was er sah, ließ ihn wütend mit den Zähnen knirschen. Er sah die Sperrstellung – aber jetzt war sie in der Hand des Feindes. Ein Schnellfeurlaser war auf die Gangkreuzung gerichtet, ein Soldat saß daneben und sah seinen Kameraden zu, die die aufgegebene Stellung beim Licht tragbarer Scheinwerfer durchsuchten. Sie schienen sich recht sicher zu fühlen und bewegten sich mit einer schon arrogant wirkenden Lässigkeit und Routine. Aber vermutlich wußten sie einfach, daß die eingeschlossenen Menschen schlicht und einfach nicht mehr die Kräfte hatten, einen Gegenangriff zu beginnen. Von den Marineinfanteristen, die eigentlich hier die Stellung halten sollten, fehlte jede Spur. ‚Diese Scheißkerle sind einfach abgehauen. Ich bring‘ sie um!‘
Aber Schiermer sah auch die Chance für seine versprengte Einheit. Wenn sie Glück hatten, würden sie sich einfach vorbei schleichen können, ein paar Leichen, Müll und vergessene Ausrüstungsstücke boten etwas Sichtschutz. „Herhören, ihr Schlappohren. Wir gehen da schön langsam und vorsichtig rüber – hintereinander und LEISE. Drückt die Schnauze in den Dreck und macht bloß keinen Lärm!“
Nach ein paar Sekunden kroch der erste Soldat los. Vermutlich wußte er, daß er auch ein Versuchskaninchen war. Aber er hatte Glück, er kam durch. „Der Nächste...“

Zwei Soldaten waren schon durch den kritischen Bereich gerobbt, als es geschah. Der dritte Soldat war ein erfahrener Marineinfanterist mit sechs Jahren Dienstzeit. Aber diesmal hatte Private Müller einfach Pech – während er vorwärts kroch, rutschte sein Sturmgewehr von seinem Rücken und stieß mit einem vernehmlichen Klang gegen den Boden. Das reichte. Ein scharfer, schneidender Befehl erklang in Akarisch erklang, die herumsuchenden Soldaten warfen sich in Deckung, während der Schnellfeuerlaser loshämmerte und den Gang bestrich. Schiermer warf sich nach vorne, erwischte Mülller an den Füßen und zerrte ihn in die Deckung zurück: „DU SCHEISSKERL! JETZT SIND WIR AM ARSCH!“
„Das war...“
„HALT’S MAUL!“ Schiermer hielt seine Waffe um die Ecke und schoß ungezielt den Gang hinunter, in Richtung der Akarii. Einer der Marines, die bereits auf der anderen Seite der Wegkreuzung angekommen war, trat halb in den Gang und visierte den Akarii hinter dem Schnellfeuerlaser an – eine volle Salve traf den Marines in Brust und Bauch, schleuderte ihn zurück.
„RAUCHGRANATE!“ brüllte Schiermer, während er pausenlos weiter feuerte. Einer der hinteren Marines schleuderte einen zylindrischen Behälter in den Gang, der sofort heißen Rauch ausstieß, welcher ebenso die Nachtsichtgeräte wie die Scheinwerfer der Akarii behinderte. Aber das wütende Dauerfeuer der Echsen ließ nicht nach, jetzt fielen auch noch etliche Sturmgewehre ein.
Mit einem Fluch setzte Schiermer die Waffe ab und hakte seine letzte Sprenggranate vom Gürtel los. Dann zögerte er kurz, wandte sich blitzschnell um und packte Müller an der Schulter: „Du setzt den Akarii das Ei ins Nest, verstanden?! Mach schon!“
„Sarge...“
„Halt dein verdammtes Maul! Nur wegen dir Arschloch sitzen wir in der Scheiße! Also holst du uns da auch wieder raus!“
„Aber...“
„Du tust es, oder ich mach dich kalt! AN ALLE – FERTIGMACHEN! WIR BRECHEN DURCH!“

Ein brutaler Stoß warf Müller auf den Gang. Er sah den Gegner nicht, aber er wußte, wo die Akarii waren. Er drehte sich halb um sich selbst, als er die schwere Granate mit verzweifelter Heftigkeit schleuderte. Dann traf ihn irgendetwas mit brutaler Heftigkeit, riß ihn von den Füßen, stürzte ihn in lichtlose Dunkelheit. Er sah nicht mehr, wie die Dunkelheit des Ganges durch den blendende Helligkeit der Granatexplosion erleuchtet wurde.

Schiermer sah, wie Private Müllers Körper wie unter Strom zuckte, als ein Feuerstoß der Akarii ihn erfaßte. Dann explodierte die Granate und abrupt verstummte das feindliche Feuer. „LOS! LOS! LOS!“ Während er die Wegkreuzung überquerte, schoß er wahllos in den Rauch. Er sprang über Müllers Leiche, ohne nach unten zu blicken und war in Sicherheit. Die meisten der anderen Soldaten schafften es ebenfalls – nur den vorletzten Marines erwischte eine verirrte Salve, brachte ihn zu Fall.
Nur eine Minute später erreichten die versprengten Soldaten die nächste Sperrstellung der „Kampfgruppe Schlüter“. Sie waren die letzten, dann kam keiner mehr. Und die Akarii rückten nach.

***

18.30 Uhr, HQ der republikanischen Garnison Graxon

General Garth fühlte sich wie gerädert. Nicht genug, daß die Akarii ihren Belagerungsgürtel immer enger zogen und inzwischen pausenlos Druck auf die verbliebenen Erdverbände ausübten. Es gab auch keine verläßliche Verbindung mehr zu den abgeschnitten Verbänden von Captain Arianna Schlüter. Jetzt fehlte ihm einer seiner fähigsten Offiziere und die Akarii waren zudem anscheinend in der Lage, an zwei Fronten anzugreifen.
Und dann kam noch so etwas dazu... Er hob seinen Kopf, straffte sich und verlieh seiner Stimme einen harten, autoritären Klang. Es galt, gewisse Formalitäten einzuhalten.
„Private Julian Mabeki wurde von einem ordentlichen Militärgericht des Marinekorps schuldig befunden der Meuterei, der Desertion und des Mordes an Lieutenant Walter Hendrik. Erschwerend kam zu diesen Verbrechen hinzu, daß sie unter Gefechtsbedingungen verübt worden. Gemäß den Statuten der Militärgerichtsbarkeit kann es in einer Situation wie dieser nur eine Strafe geben. Den Tod. Das Urteil wird sofort vollstreckt.“

Der Mann, um den sich diese ganze Angelegenheit drehte, schien Schwierigkeiten zu haben, die Worte des Generals zu begreifen. Noch bevor er sich fassen konnte, packten ihn zwei Soldaten in Gefechtsanzug und zerrten ihn aus dem Raum.
Schwerfällig nahm General Garth Platz. Erst vor zehn Stunden war das Verbrechen bekannt geworden. Vor vier Stunden war das Militärgericht zusammengetreten. Die Verhandlung hatte nur eine Stunde gedauert und nur ein erneuter Angriff der Akarii hatte das Urteil verzögert.
Es hatte niemals eine andere Strafe zur Debatte gestanden. Nicht ausgerechnet jetzt. Der Druck auf die Erdstreitkräfte wurde immer größer und die Verluste stiegen. Immer mehr griff bei den Soldaten die Angst um sich, daß sie einen hoffnungslosen Kampf fochten, daß die labyrinthartige Anlage ihr aller Grab werden würde. Jetzt Schwäche zu zeigen, währe tödlich gewesen. Deshalb befahl er auch, daß das Urteil bekanntgegeben werden sollte.
Er würde nicht zulassen, daß die Abwehrfront zerbrach. Sie würden aushalten, bis die Verstärkung eintraf. Und der würde alles tun – ALLES – was dazu nötig war.

„Schicken Sie das zweite und vierte Reserveplatoon nach vorne. Wir müssen die momentane Frontline unbedingt halten, wenigstens noch sechs Stunden, damit wir die nächste Sperrstellung vorbereiten können. Und für das Hauptfeldlazarett soll ein Evakuierungsplan vorbereitet werden. Die verdammten Echsen kommen zu nahe. Wenn wir noch zwei Sperrlinien zurückmüssen, ist das Lazarett nicht mehr zu halten.“
„Zu Befehl, Sir.“
„Und die vorderen Munitionsdepots werden aufgelöst. Verteilen Sie die Restbestände oder schaffen Sie das Zeug zurück – ich will nicht, daß die Akarii das Material in die Hände bekommen...“

***

18.45 Uhr, Verbandsplatz Eins, zur Zeit unter Akarii-Kontrolle

Die letzten vierundzwanzig Stunden waren für Lieutenant Commander Jeanne Villiers vom medizinischen Dienst die Hölle gewesen. Zuerst der schier endlose Zustrom an Verwundeten und Sterbenden, der schnell die Kapazitäten ihrer Ärzte überstiegen. Dann der brutale Blitzangriff der Akarii. Vier ihrer Mitarbeiter und fast ein Dutzend Verwundeter war dabei ums Leben gekommen, bevor die Akarii begriffen oder akzeptierten, daß sie sich ergeben wollten.
Die transportfähigen Verwundeten waren fortgeschafft worden. Zurückgeblieben waren die überlebenden Sanitätskräfte und die Schwerverwundeten – und etwa ein Dutzend Akarii. Von Zeit zu Zeit tauchten kleinere Trupps der Echsen auf und brachten einzelne, schwerverwundete Gefangene, die ihnen beim Vorrücken in die Hände gefallen waren. Und das Sterben begann.
Es waren einfach zu wenige Kräfte da, um sich um alle zu kümmern. Es fehlte an Medikamenten und Geräten. Von Anfang an war der Verbandsplatz nur als Provisorium vorgesehen gewesen, wo Leichtverwundete versorgt und Schwerverwundete stabilisiert wurden, um sie dann zum Feldlazarett zu schaffen.

Die Akarii ließen die Sanitäter und Ärzte arbeiten, aber sie halfen auch nicht. Die Soldaten blieben auf ihren Posten, wachsam und mißtrauisch. Starb einer der Verwundeten, dann wurde er von den Akarii oberflächlich untersucht, als fürchteten sie, so würde jemand versuchen sich heraus zu schmuggeln, und dann hinaus geschleift. Viel zu viele Soldaten waren auf diesem Weg verschwunden. Die Wachtruppen schienen überwiegend kein Englisch zu verstehen, außer einigen primitiven Floskeln: „Schneller!“ „Hände Hoch!“ und „Stehenbleiben!“.
Die einzige Ausnahme bildete ihr Offizier, der zumindest passable Kenntnisse in Englisch zu besitzen schien. Es hatte fast zehn Stunden gedauert, bis Villiers den Mut fand, ihn anzureden, nachdem der vorherige Versuch sich an einen Akarii-Offizier zu wenden damit geendet hatte, daß der sie einfach wie einen Müllsack beiseite stieß.
Aber der Befehlshaber der Bewacher schien anders zu sein – jünger und fast etwas unsicher im Umgang mit den Menschen. Er hatte sich tatsächlich bereit erklärt, Wasser und Lebensmittel zu besorgen. Auch wenn Menschen und Akarii sich gründlich unterschieden, so hatten sie doch grundsätzlich ähnliche Bedürfnisse und konnten sogar die gleiche Nahrung aufnehmen. Lieutenant oder Truppführer Morak Lentis, Jeanne Villiers verstand die Ränge der Akarii nicht ganz, hatte sogar einige Kisten Desinfektionsmittel und Verbandsstoffe besorgt.
Der junge Offizier schien angesichts von Hunderten verwundeten und sterbenden Menschen bereit, den Kriegszustand wenigstens zeitweilig in den Hintergrund zu stellen. Aber das galt nicht für alle Akarii.
Als er Villiers Bitte weiterleitete, von den gesunden oder leicht verwundeten Gefangenen Blutspenden zu organisieren, hatte er offensichtlich eine harsche Abfuhr erteilt bekommen. Der junge Offizier hatte regelrecht stramm gestanden, während ihn aus dem Lautsprecher des Kommunikators eine harsche, wütende Stimme anfuhr. Keine zehn Minuten später war der Offizier aufgetaucht, der bei der Erstürmung des Lazaretts das Kommando gehabt hatte. Wütend stieß er Morak Lentis mehrmals vor die Brust und überschüttete ihn mit einem Wortschwall, den Jeanne Villiers zwar nicht verstand, dessen Sinn sie allerdings durchaus begriff. Anschließend war Morak Lentis ziemlich still gewesen und hatte es vermieden sie, die Gefangenen oder auch nur seine eigenen Leute anzusehen.

Auch wenn Lieutenant Commander Villiers von Informationen über den Kampfverlauf abgeschnitten war, für sie war klar, wie es lief. Die Menschen verloren, langsam aber sicher. Pausenlos schienen die Akarii Truppen zu verlagern und Nachschub nach vorne zu bringen. Dazu kamen die kleinen, entmutigten Häufchen von Gefangenen, die von Zeit zu Zeit vorbeigetrieben wurden. Zwar sah sie noch wesentlich häufiger Verwundetentransporte der Akarii, aber sie hatten ohne Zweifel die Initiative. Villiers gab den Verteidigern noch maximal achtundvierzig Stunden. Und am Ende würde es nur noch ein Gemetzel sein. Die Hoffnung auf den versprochenen Entsatz der Erdstreitkräfte hatte die Sanitätsoffizierin längst aufgegeben.

***

19.30 Uhr, Kampfgruppe Schlüter

„Captain.“
Arianna Schlüter sah nicht auf. Wozu auch? Es gab kein Licht mehr, schon seit mehr als vierundzwanzig Stunden. Selbst mit dem in den Helm integrierten Nachtsichtgerät hätte sie das Gesicht des Sprechers kaum erkannt – vor allem, da der auch einen Helm trug. Aber sie kannte die Stimme: „Schiermer. Sie leben also immer noch.“
„Tut mir leid, falls Sie das enttäuscht. Ich konnte mich nicht früher melden.“ Die Stimme des Sergeanten klang amüsiert.
„Was wollen Sie?“
„Ich soll Ihnen melden, noch achtundneunzig kampffähige Soldaten – wenn man die Leichtverwundeten mitzählt. Munition wird langsam kritisch, vor allem für die Schnellfeuerlaser. Wir haben keine Minen mehr, kaum noch Werfergranaten oder Raketen. Aber es sind noch etliche Kisten mit Sprengstoff da und ausreichend Handgranaten. Medikamente haben wir kaum noch und das Wasser geht uns aus. Lebensmittel sind überhaupt keine mehr da. Und unsere Funkgeräte geben der Reihe nach den Geist auf. Wir kommen nicht mehr zum Hauptverband durch.“
„Was sind die guten Nachrichten?“
„Gute Nachrichten gibt es praktisch keine.“
Captain Schlüter schwieg. Fast eine Minute lang, dann hob sie den Kopf, ihre Stimme klang tonlos: „Wie sehen Sie die Lage, Schiermer?“
„Captain?“ Der Master Sergeant wirkte verunsichert. Anscheinend hatte er nicht erwartet, nach seiner Meinung gefragt zu werden.
„Wie beurteilen Sie die Lage, Master Sergeant? Es ist doch nicht das erste mal, daß Sie abgeschnitten werden.“
„Nun... Ich denke mal, daß mit den fehlenden Lebensmitteln braucht uns bald nicht mehr zu kümmern.“ Diese Antwort war reichlich unverschämt und mehr als unpassend. Aber Captain Schlüter enthielt sich jeder Bemerkung. Schweigend saß sie da, als hätte sie Schiermers Worte nicht verstanden, oder sie einfach akzeptiert.

Als sie sprach, waren ihr Worte leise, nur ein Flüstern: „Tut mir leid. Es tut mir leid.“ Schiermer sagte nichts, auch nicht, als Schlüter fortfuhr: „Es erschien richtig – notwendig. Einigeln, damit die anderen Zeit haben, sich zurückzuziehen, sich ordnen können. Dann aushalten, bis der Gegenstoß kommt. Bis die Verstärkung eintrifft. Aber sie wird nicht kommen. Sie haben uns abgeschrieben. Alles umsonst. Tut mir leid...“
„Sie sehen das falsch, Captain. Wir sind die Marineinfanterie. Wir müssen nicht den Grund des Krieges verstehen. Man erwartet nicht, daß wir Befehle diskutieren, wir müssen sie nur befolgen. Wir sind Berufssoldaten. Zu Hause bewundern sie uns, weil wir mit dem Ruf ‚Es lebe die Republik!‘ angreifen und sterben. Wir...“
„Es reicht. Schiermer, halten Sie einfach die Klappe, ja?! Ihre faschistoide Legionsphilosohie ist zum Kotzen.“
Schiermer grinste unsichtbar unter seinem Helm. Das war doch schon mal etwas. Aber insgeheim war er froh, die Verantwortung, die Captain Schlüter hatte, selber nicht tragen zu müssen. Ja, er war schon mal abgeschnitten worden – aber niemals, weil ER den Befehl hatte und die Entscheidungen traf. Wenn er in einer solchen Situation eine Kommandoposition einnahm, dann nur, weil seine Vorgesetzten ausgefallen waren.
„Nun sehen Sie es mal positiv. Wenn wir hier alle draufgehen, werden sie uns auf der Erde ein Denkmal setzen. Vielleicht benennen sogar eine Straße Ihnen.“
Captain Schlüter lachte jäh auf. Es war ein hartes, zynisches Lachen, aber ein Lachen: „Ich sagte doch, es reicht. Nehmen Sie das als Befehl, also seien Sie still.“
„Ja, Ma’m!“
„Gut. Und dann – holen Sie McPerson und Sherman. Und was Sie betrifft, Schiermer – sehen Sie zu, daß Sie jeden finden, der eine Sprengladung von einer Handgranate unterscheiden kann. Wenn wir schon mal den Sprengstoff haben, dann wollen wir ihn auch nutzen...“
„Zu Befehl, Ma’m!“

***

Eine halbe Stunde später lag Schiermer hinter einer der Sandsackverhaue, die die Grenzen der zusammengeschmolzenen „Kampfgruppe Schlüter“ bildeten. Über den Lauf eines angelegten Sturmgewehrs beobachtete er, wie zwei Soldaten auf allen Vieren kriechend versuchten, zwischen den gefallenen Akariis des letzten Sturmangriffs eine Sprengladung zu installieren. Es war klar ersichtlich, daß sie von ihrer Arbeit nicht viel verstanden, nach Schiermers Meinung, hätte Private Juan selbst mit gebrochener Rechten besser gearbeitet. Aber Juan war nicht hier, vielleicht schon längst tot und deshalb mußten die beiden da vorne genügen.
‚Schneller ihr Arschlöcher! Wie lange brauchen diese Idioten denn noch...‘

Dann ließ ihn eine Bewegung am Ende des Ganges hochfahren. Automatisch ließ er den Lauf des Sturmgewehrs seinen Bewegungen folgen und drückte ab – der feindliche Soldat aber warf sich gerade noch rechtzeitig zurück. Dann flogen die ersten Rauchbomben und fremdartige, schrille Angriffsschreie erschallten.
„SIE KOMMEN! ALLES HOCH! SIE KOMMEN!“
Die beiden Bombenleger schafften es gerade noch rechtzeitig über die Sandsackbarriere. Aber ein Soldat, der einem von ihnen half, wurde von einem Akarii erschossen, der aus den Rauchschwaden auftauchte und sich deutlich in Schiermers Nachtsichtoptik abzeichnete.
;Damit sind wir dann wohl nur noch siebenundneunzig...‘ dachte Schiermer, visierte den Akarii an und jagte ihm zwei Schüsse in den Bauch. Doch da tauchten auch schon die nächsten Angreifer auf. Sie griffen an, kämpften, töteten und starben.
Tyr Svenson
Die Akarii-Flotte hatte sich durch den Sprungpunkt zurückgezogen, nachdem sie sich enger formiert hatte und es ihre Jäger endlich geschafft hatten sich auf Kosten eines verzweifelten Vorstoßes einiger überwiegend bereits beschädigter Schiffe vom Feind zu lösen und Raumdeckung über der verbliebenen Akarii-Flotte herstellte.

Der Vorstoß der zwölf Akarii-Kriegsschiffe, überwiegend leichten Kreuzer und Zerstörern, endete mit deren vollständiger Vernichtung, aber nicht ohne dass diese noch vier Erdschiffe mitnahmen.
Auf ihrem Rückzug zum Sprungpunkt wurde die Akarii-Flotte von zwei Seiten immer wieder durch Anti-Schiff-Langstreckenraketen beschossen und zermürbt.
Kurz vorm Sprung der Akarii-Schiffe griffen die Erdstreitkräfte nochmal die Nachhut mit ihren Bombern und Jagdbombern an. Renault schickte noch einmal alles raus, was fliegen konnte. Ausgelaugte, abgekämpfte Piloten, die bereit waren für einen Becher Kaffee zu töten.
Die Beute war gigantisch, fast die gesamte Nachhut der Akarii konnte aufgerieben werden, darunter auch der zweite Träger/Kreuzer der Golf-Class, da die beiden verbliebenen Träger die Jäger aufgenommen hatten und sofort gesprungen waren.

***

Lucas bertrat den Konferenzraum für die Geschwaderführung. Keiner der Lieutenants Commanders befahl Achtung und einzig Lilja erhob sich von ihrem Stuhl. Doch auch die Russin ließ sich wieder in den Sessel fallen - wenn auch mit Unbehagen - als der Geschwaderkommandant diese Ehrbezeugung nicht mal zur Kenntnis nahm.
Von den regulären Staffelkommandanten waren Iron McGill, die die Crusader von Martell geerbt hatte, Raven, der Professor, Huntress und Shukova anwesend. Lilja, Monty Terrano und Skunk vertraten ihre jeweiligen Vorgesetzten.
Einzig und allein Lilja schien sich unter dem Lametta etwas unwohl zu fühlen. Ebenso waren Lieutenant Commander Henry Schlösser, der Chef der Mechanikercrew des Geschwaders und Commander Heather Looken, die Nachrichtendienstoffizierin des Geschwaders.

"Okay, kommen wir erstmal zum Wissenswerten auf Flottenebene." Begann Lone Wolf die Besprechung, er lehnte sich weit in seinen Sessel zurück, die Hände flach auf die Lehnen gelegt, damit niemand sah, wie diese vor Übermühdung zitterten. "Renault lässt die Flotte neu formieren. Wir springen in vier Stunden. Daher soll jeder etwas essen, trinken und sich ausruhen. Um etwaigen Protesten zuvor zu kommen, vier Stunden sind zuwenig für das Geschwader, aber die Truppen auf Graxon brauchen unsere Unterstützung." Er blickte sich um. "Gibt es eigentlich Kaffee?"
Skunk erhob sich und setzte eine Kanne Kaffee auf. Aus dem Schrank auf dem die Kaffeemaschine stand holte er Becher und verteilte diese gemeinsam mit Lilja.
Lone Wolf kniff sich mit der Linken in den Nasenrücken: "Die INTREPID wird mit den meißten beschädigten Schiffen zurück bleiben und die Suche nach Vermissten fortsetzen. Die werden wohl auch eine Menge Akarii mitauffischen."
"Ich wüsste schon, wass ich mit denen machen würde", brummte Skunk.
"Tja, nur leider steht uns da diese Kleinigkeit von Genfer Konvention im Weg, die einzuhalten auch Sie geschworen haben, Lieutenant!" Raven funkelte den älteren Veteranen an, während sie mit ihrer Kaffeetasse herumspielte.
Erst wollte Lucas noch etwas dazu sagen, wechselte jedoch das Thema: "Also gut, ich werde ja eh nicht davon verschont bleiben, präsentieren Sie mir die Schlächterrechnung."
"Eine Sache noch bitte." Der Professer räußperte sich unsicher. "Hal hat erzählt Sie hätten beinahe den Roten Baron gegrillt."
"Wissen Sie, Commander", Lucas blickte auf die Tischplatte, damit niemand die mörderische Wut mitbekam, die ihn bei dieser Frage erfasste, "mit einem 'beinahe' hat es noch niemand auf die Siegertreppe geschafft."

Das Endergebniss der Schlächterrechnung die ihm seine Staffelführer präsentieren hätte ihn eigentlich schockieren müssen, doch wie viele andere hatte der Krieg und dass Schreiben von Todesmeldungen ihn abgehärtet. Hinzu kamen noch seine angeborene Kaltblütigkeit und der Egoissmus.
Einzig und allein das Verbleiben von Darkness hatte Sorge in seinem Bauch nagen lassen. Die Botschaft von Radios Tod traf ihn nicht wirklich, zumindest nicht im Moment, später würde er sich natürlich doch fragen, wie Admiral Long auf den Tod seins jüngsten Sohnes reagieren würde.
Die Erfolge der Staffeln interessierten ihn schon weit mehr und man hatte sich wahrlich gut verkauft. Geistig machte er sich die Notiz in den schriftlichen Berichten nach Namen Ausschau zu halten, um Belobigungen auszusprechen und einige förderungswürdige Piloten für Auszeichnungen vorzuschlagen.
Ob ich wohl Radio postum für einen Orden vorschlagen soll?
Am Ende war er mit dem was unter dem Strich herausgekommen war doch sehr zufrieden und musste sich ein selbstzufriedenes Grinsen verkneifen. Jetzt muss ich oben nur dafür sorgen, dass niemand vergisst, wer den Stein ins Rollen gebracht hat.

***

Vier Stunden später hatte sich die Flotte um die vier Flottenträger GETTYSBURG, MELBOURNE, COLUMBIA und LIBERTY formiert. Ebenfalls in der Mitte des Verbands hatten sich die leichten Träger GALILEO und JAMES WINDSOR postiert.
Die Escortgeschwader aus Kreuzern, Zerstörern, Fregatten und einigen Korvetten hatten sich sehr eng um die Träger postiert. Bei vielen der Dickschiffe waren die Raketenmagazine arg zusammengeschrumpft und es war keine Zeit gewesen sich von den Tendern aufmunitionieren zu lassen.
Wenn die Akarii es also drauf anlegten wurde dies ein Kampf Geschützrohr an Geschützrohr, wie in den guten alten Zeiten der Blue-Water-Navy.
Die Jäger waren so gut es ging instand gesetzt worden und wo es nötig war, dort wurden die Erstzjäger ausgepackt. Das technische Material war für eine weitere Schlacht bereit, das Menschenmaterial hingegen hatte die Belastungsgrenze schon vor Stunden überschritten und die Ruhepause war alles andere als förderlich gewesen.
Glieder waren steif geworden, Muskelkater waren entstanden und das Adrenalin welches dem Menschen ermöglichte Gefahrensituationen zu überstehen war abgesackt.
Die ersten Maschinen würden von den Trägern GETTYSBURG und MELBOURNE starten, deren Piloten um einiges frischer waren als die der COLUMBIA oder JAMES WINDSOR.
Doch das Werk war noch nicht vollbracht und es galt den Akarii nachzusetzen, dass diese sich nicht erneut in Graxon festsetzen.
Die Flotte führte einen Massentransit durch.

***

"Und ich sage, wir halten Graxon! Wir dürfen uns nicht weiter zurücktreiben lassen!" Jor spürte, wie seine Kopfwunde wieder aufplatzte als er dieses alte, störrische, ja geradezu anachronistische Biest von Admiralin anschrie, die sich erdreißtete hier Befehle zu erteilen.
"Halten? Womit wollen Sie den Graxon halten? Wir sind den Menschen zwei zu eins unterlegen. Die Truppen sind ausgelaugt und entmutigt." Lay Rian blickte dem Thronfolger des mächtigen Akarii-Imperiums herausfordernd in die Augen.
Und wenn man mich der Feigheit anklagt, ich werde nicht noch mehr Blut in dieses unwichtige System investieren, nicht in eine Schlacht die ich nicht gewinnen kann.
"Dann sind die Chancen ja zum ersten Mal für die Menschen ausgeglichen!" Jor plusterte sich auf. Es kann doch nicht verbei sein. Sie KÖNNEN uns doch nicht geschlagen haben, doch nicht so. All ihre Träger sind noch einsatzfähig, himmel verstand sie denn nicht, dass man so nicht zurückehren konnte, nicht zurückkehren durfte?
"Ach und wie - wenn sie uns so unterlegen waren - wie konnten wir dann erst in diese Situation geraten?" Sie begann nachdenklich auf und ab zu gehen.
‚Bei allen Göttern, ich will unseren tapferen Soldaten diese Schmach doch auch nicht aufbürden, gib mir ein Fenster, durch das ich krabbeln kann, einen Halm nachdem ich greifen kann, ein Schlupfloch, irgendetwas und bei allen Göttern ja, ich werde die Menschen stellen und bis aufs Messer bekämpfen, aber doch nicht nur um des eherenvollen Todes wegen.‘
"Wir haben nicht die Chance die Terraner hier in Graxon zu schlagen, wir müssen uns zurückziehen, wir dürfen unsere Soldaten nicht einfach für nichts und wieder nichts in den Tod schicken. Nicht der Ehre wegen, nicht für diesen wertlosen Klumpen Giftbrühe der sich größenwahnsinnig Planet nennt."
"Admiral, wissen Sie, wie die Flotten darstehen wird, wenn wir so nach Hause humpeln? Können Sie sich vorstellen, wie das Heer über uns herfallen wird? Das dürfen wir der Flotte nicht antun, wir haben als Raumoffiziere des Imperiums eine Pflicht zu erfüllen."
‚Ja Jor, sei ihr Kamerad, nicht ihr Vorgesetzter, nicht ihr Prinz.‘
"Das ist jetzt nicht wichtig. Wir werden unsere Schiffe nehmen, die Bodentruppen auflesen und uns in Wron einigeln. Wron hat eine strategisch sehr starke Raumverteidigung, mit ihr zusammen können wir uns halten, bis Verstärkung eingetroffen ist."

Jor schüttelte energisch den Kopf, nur um sich in einem Schwindelanfall wiederzufinden. Er musste sich schwer auf den Schreibtisch stützen um nicht hinzufallen.
"Nein, als Oberbefehlshaber darf ich das nicht zulassen!" Er versuchte seiner Stimme eine Stärke zu verleihen, die seine körprerliche Stimme lügen strafte, doch es gelang ihm nicht.
So nicht mein Prinz, diese Soldaten werden nicht Euer Scheiterhaufen! Die alte Admiralin straffte sich und legte all ihre Autorität, die sie in über sechzig Dekaden Dienst erst für die kaiserlichen und dann später die Imprialen Raumstreitkräften angesammelt hatte in die Stimme und Gestig: "Mylord Großadmiral, laut den Aussagen des Bordarztes seid Ihr nicht dienstfähig. Daher ist es meine Pflicht das vollständige Kommando über die Flotte zu übernehmen. Wenn Ihr es wünscht, seid Ihr auf der Flaggbrücke der NAKOBI willkommen, wenn nicht, steht Euch meine Flaggkabine zur Verfügung. Aber mit sofortiger Wirkung löse ich Euch, wegen Eurer in der Schlacht zugezogenen Verwundungen ab!"
Du Hure, wie kannst Du es wag ... nein, halt stop, ja, löse mich ab, entbinde mich meiner Verantwortung ... oh Du dummes, arrogantes, von den gesegneten Göttern zu meiner Rettung geschicktes Ding!
Er atmete gespielt wütend schwer durch: "Das wird nicht ohne Folgen für Sie bleiben, Admiral!"
"Ich weiß!"
Die beiden verließen Rians Büro und begaben sich auf die Brücke: "Signaloffizier: Da seine Hoheit, Großadmiral Thelam, aus medizinischen Gründen nicht Dienstfähig ist, übernehme ich das Kommando über die Flotte. Senden Sie das an alle Schiffe."
"Jawohl!"
Jor postierte sich im Schatten nahe einer Lifttür. Lay Rian marschierte kerzengerade und mit verschränkten Armen auf und ab. Jedoch konnte Jor kein Zeichen von Nervösität in ihren Zügen oder Bewegungen erkennen.

"Mylady Admiral, die Erdflotte kommt durch das Wurmloch!"
"Ich brauche dringend eine Verbindung zur NAR HAVOK!" Immer noch war Rians Stimme gefasst und ruhig, als ob sie eine Tasse Tee bestellt hätte.
"Madam, ich habe hier die HAVOK." Keelan der junge Adjudant immitierte den Tonfall und die Haltung Rians.
Die Admiralin musste schmunzeln, vor noch einem halben Jahr war Keelan ein nervöser, junger Offizier gewesen, der ihr nicht mal ins Gesicht hatte sehen können.
"Status!" Forderte sie den Kommandanten des schwer beschädigten Flottenträgers, der schon vor der Schlacht gegen die Menschen ausgefallen war.
"Der letzte Sprung hat unsere Sprungspuhlen durchbrennen lassen. Wir kommen hier nicht mehr weg. Die Bodentruppen haben bereits mit der Evakuierung begonnen. Der General sagt ... er sagt, dass sie kurz vor dem Sieg standen und wenn die Flotte nicht ..."
"Kann ich mir vorstellen. Sonst noch etwas?"
"Vor wenigen Teks sind zwei Flottenträger samt Kampfgruppen aus dem Wron System gekommen. Es sind Erdschiffe."
Ein Aufkeuchen war zu hören.
Einige Besatzungsmitglieder der Brücke blickten sich zu der Quelle - Prinz Jor - um.
"Kapitän: Sorgen Sie für die Aufnahme der Bodentruppen. Die HAVOK muss gesprengt werden. Die Schiffe sammeln sich am Sprungpunkt Choshneak, wir ziehen uns so schnell wie möglich zurück und überlassen den Terranern das Feld."
Tyr Svenson
Vierter Tag der Schlacht um Graxon, 10.00 Uhr

Es ging zu Ende. Langsam aber unabwendbar. Die „Kampfgruppe Schlüter“ sah ihrer Vernichtung entgegen, das hatte auch der letzte Soldat begriffen. Die Munition ging ihnen aus, und viele der Soldaten waren bereits gezwungen, zu ihren Laserpistolen oder erbeuteten Waffen zu greifen – aber das war nur ein Notbehelf, der nicht mehr lange vorhalten konnte. Die Akarii gaben jetzt überhaupt keine Ruhe mehr. Sie hatten keine Munitionsprobleme. Die eingeschlossenen Soldaten hatten die Hoffnung auf Entsatz aufgegeben.
Die Stellung der Marineinfanterie war zu einem gigantischen Grab geworden, in dem die Überlebenden zwischen den Toten dumpf brütend auf den nächsten Angriff warteten, kämpften und starben. Die Belüftung funktionierte ebenso wie die Beleuchtung schon lange nicht mehr, deshalb war die Luft schlecht, gesättigt von dem Gestank nach Blut und Exkrementen – und den Toten, die teilweise schon seit mehr als einem Tag in der dumpfen Atmosphäre verfaulten, Akarii und Menschen. Die Dunkelheit zehrte an den Nerven. Aber immer noch kämpften die Eingeschlossenen. Über die Trümmer, den Müll und die Leichen hinweg gingen sich Akarii und Menschen mit grenzenlosem Haß gegenseitig an die Kehle.

Master Sergeant Schiermer warf sich nach vorne, mitten hinein in das heulende und brüllende Chaos des Nahkampfs. Es war etwa anderthalb Dutzend Akariis gelungen, über die Barriere zu kommen. Aber bei dem Versuch, ihren Vorstoß auszubauen, waren sie auf verbissenen Widerstand gestoßen – was sie gerade noch lange genug aufgehalten gekostet, damit Schiermers Stoßtrupp eingreifen konnte.

Mit einem wortlosen Schrei krachte Clas Schiermer gegen den nächsten Akarii, der mit dem Kolben seines Gewehrs auf einen taumelnden Marineinfanteristen einschlug. ‚ Auf die Gelenke zielen!‘ Schiermer duckte sich unter dem herumschwingenden Kolben hindurch und ließ den geschliffenen Spaten auf das Kniegelenk des Akarii krachen. Der knickte ein, verlor das Gleichgewicht – der Sergeant rammte ihm die Spatenklinge in den Hals, einmal, zweimal. Es knirschte widerlich. Als der Sterbende zuckend zusammenbrach, wurde Schiermer der Spatenschaft aus den Händen gerissen, er stand plötzlich waffenlos da. Aus dem Dunkel traf ein brutaler Hieb seine Schulter und schleuderte ihn beiseite. Das war sein Glück, als ein Akarii auf die Sandsackbarriere sprang, das Sturmgewehr hochriß und zu feuern begann. Zu Füßen des Akarii wurde einer seiner Kameraden von einem Armysoldaten erstochen, der dann den Schützen ansprang – und eine volle Salve in den Brustkorb kassierte, bevor er gegen den Akarii krachte. Der tote Mensch und der Akarii gingen zu Boden. Über den beiden Körpern schloß sich sofort wieder die hin und herwogende Masse der Kämpfenden.

Vor Schiermer tauchte ein Akarii auf, der seinen Helm verloren hatte. Der wuchtig geschwungene Kolben traf den Serganten an der Schulter, ließ ihn gegen den Feind taumeln. Geistesgegenwärtig schlug er nach dem Gesicht des Akarii – und schrie auf, als irgendetwas seine Rechte packte wie ein Schraubstock, ein brennender Schmerz in seinem Arm explodierte. Dann begriff Schiermer – der Akarii hatte sich in seinem Oberarm verbissen, während er wieder und wieder mit dem Kolben seiner Waffe zuschlug. Unartikuliert brüllend vor Wut und Schmerz warf sich der Sergeant mit aller Kraft gegen den Gegner. Der verlor seinen Halt, die beiden Kämpfenden stürzten. Aber auch wenn der Akarii seine Waffe verlor, er ließ Schiermers Arm nicht los. Seine Klauen fuhren über Schiermers Panzer, suchten nach einer schwachen Stelle. Schiermer kämpfte um sein Leben. Brutal stieß er dem Akarii die ausgestreckten, gepanzerten Finger seiner Linken in die Augen. Der Akarii schrie auf, der erste Laut, den er von sich gab. Einen kurzen Augenblick lockerte sich der unbarmherzige Griff um Schiermers rechten Arm, er kam frei. Während der geblendete Akarii wild um sich schlug, zog Schiermer mit der Linken seinen Dolch. Auch er schrie, während er ungeschickt die Klinge schwang und auf das Gesicht seines Gegners einhackte, wieder und wieder, bis der Akarii endlich still lag, sein Kopf eine blutüberströmte, zerschmetterte Masse.

„RUNTER SARGE!!“
Er reagierte sofort, warf sich hinter den Leichnam seines Gegners – und über ihn hinweg leckte fauchend die blendend helle Feuerzunge eines Flammenwerfers. Die Waffe war nicht sehr genau und hatte nur eine kurze Reichweite – aber in den Gängen hatte sie eine grauenhafte Wirkung. Die Flammen hüllten die Akarii ein, ebenso aber auch zwei menschliche Marinesoldaten. Das Feuer blieb an den Panzern haften – wehe dem, dessen Rüstung durch die vorherigen Kämpfe beschädigt worden war. Aber auch die anderen wurden geblendet, gerieten in Panik. Und die brennenden, sich auf dem Boden wälzenden Gestalten boten ein hervorragendes Ziel für das halbe Dutzend Schützen, das jetzt kaltblütig das Feuer eröffnete. Der Vorstoß der Akarii verlor seine Wucht. Wer es von ihnen nicht mehr über die Sandackbarriere zurückschaffte, der starb. Der Angriff war abgeschlagen, die Menschen hatten sich gehalten – für diesmal.

„Verdammte Scheiße!“ Schiermer fluchte ausgiebig, während er vorsichtig seine Wunde untersuchte. Seine Rechte war vorerst nicht zu gebrauchen. Es brannte wie Feuer. Aber er wußte, es hatte erst gar keinen Sinn, einen Sanitäter zu suchen. Es gab keine Medikamente mehr. Und für die Verhältnisse der „Kampfgruppe Schlüter" war er höchstens leichtverwundet und noch voll einsatzfähig.
„Schiermer.“
Er drehte sich um, sparte sich aber das Salutieren. Lieutenant Sherman hatte Wichtigeres zu tun: „Wie hat es geklappt, Schiermer?“
„Mittelprächtig. Wir kamen nicht mehr rechtzeitig, es hat uns mindestens sechs Leute gekostet. Und die Hälfte der Akarii hat sich abgesetzt. Aber die kommen bald wieder.“
„Das weiß ich. Na ja, das war sowieso unsere letzte Tankfüllung. Jetzt können Sie das Ding nur noch dem nächsten Akarii an den Kopf knallen. Wie geht’s mit Ihnen?“
„Rechte ist ziemlich im Eimer. Sie wissen nicht zufällig den Weg zum nächsten M.A.S.H.?“
Sherman ignorierte das, drückte Schiermer nur drei Handgranaten in die Linke: „Werfen können Sie auch mit Links. Sie bleiben hier.“
„Ja, Lieutenant.“
Aber Sherman war bereits wieder in der Dunkelheit verschwunden – aus der, entfernt aber deutlich, das Hämmern eines Akarii-Schnellfeuerlasers ertönte. Dort hatte wohl der nächste Angriff begonnen. Schwerfällig, unbeholfen lehnte sich Schiermer gegen die Wand, die Granaten und das Kommandomesser griffbereit. Seine Pistole hatte er längst leergeschossen. Schweigend, gefaßt wartete er auf den nächsten Angriff. Irgendwie hatte er immer gewußt, das es einmal so enden würde. Hier kam er wohl nicht mehr raus...
Eher abwesend nahm er wahr, daß der ferne Schnellfeuerlaser abrupt verstummt war. Entweder war der Angriff abgeschlagen worden, oder die Akarii waren in den Nahkampf gegangen. Wohl eher zurückgeschlagen, es war auch sonst kein Kampflärm oder Einzelfeuer zu hören. Das war ja leicht gegangen. Das gab ihnen vielleicht noch ein paar weitere Stunden...

***

„ALARM! SIE GREIFEN AN!“ Schiermer fuhr hoch, stützte sich instinktiv mit der Rechten auf und konnte ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht unterdrücken. Tatsächlich – mit dem inzwischen wohlvertrauten Fauchen explodierten drei, vier Rauchgranaten vor der menschlichen Stellung. Vereinzelte Schüsse zischten aus dem Nebel – die Marineinfanteristen antworteten nicht, sie sparten Munition. Schiermers Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Grimasse. ‚Los doch ihr Arschlöcher! Bringen wir’s zu Ende!‘ Er würde sich nicht einfach abschlachten lassen. Seine Linke tastete etwas schwerfällig nach der ersten Granate: „KOMMT DOCH, IHR HURENSÖHNE! KOMMT UND STERBT!!“
Aber sie kamen nicht. Statt dessen verstummte das sowieso sporadische Schützenfeuer aus den Rauchschwaden, die sich langsam lichteten.

„...Schiermer...Melden.“ Sein Helmkomm meldete sich, knisternd und nur schwach, das Gerät hatte kaum noch Energie. Dennoch erkannte er Captain Schlüters Stimme.
„Hier Schiermer, Captain.“
„...Bericht. Akarii...an allen Sperrstellungen genebelt...ist kein Angriff erfolgt. Wie...bei Ihnen?“
„Bei uns ist es genauso.“ Dann hielt Master Sergeant Clas Schiermer inne, während ihm ein überraschender, unglaublicher Gedanke kam. Konnte es sein...
Er begann zu lachen, leise zuerst, dann immer lauter. Die anderen Soldaten drehten sich um, starrten ihn an, aber er winkte nur ab und lachte.
„SCHIERMER! SERGEANT...ÜBERGESCHNAPPT?!“
„Sie räumen! Verstehen sie nicht, Captain?! Sie ziehen ihre Vorposten zurück – SIE HAUEN AB!“
Es gab keinen Jubel, keine martialischen Worte von Captain Schlüter, keine Fahne, die geschwenkt wurde. Es gab nur ein paar erschöpfte, abgekämpfte Soldaten, die Schwierigkeiten hatten zu begreifen, daß ihre Schlacht zu Ende war. Und einen Sergeanten, der lachte, als währe er verrückt geworden. Aber er hatte Recht. Es war vorbei.

***

Verbandsplatz Eins, zurzeit unter Akarii-Kontrolle

Als Morak Lentis seinen Kommandanten Jenek Tas an der Spitze eines ganzen Dutzend Soldaten sah, glaubte er zu wissen, warum Jenek Tas gekommen war. Der junge Offizier straffte sich, trat dem älteren Kommandanten entgegen und salutierte. Jenek Tas winkte nur ungeduldig ab. Seine Stimme klang rauh und kalt: „Lassen Sie das. Es ist vorbei. Wir ziehen ab. Die Gefangenen...“
„Wir ziehen ab?! Warum?! Was ist geschehen?! Und was wird mit den Verwundeten?!“
Jenek Tas schnaubte wütend. Einen Augenblick wirkte er, als wollte er Morak Lentis schlagen, doch dann beherrschte er sich: „Sie NARR! Die Flotte ist geschlagen worden, Tausende sind gefallen, wir müssen uns zurückziehen, schleichen uns einfach davon – und Sie denken nur an ein paar halb krepierte Menschlinge! DAS IST DER FEIND! Sie...“ Er brach mit einem obszönen Fluch ab, sprach dann ruhiger weiter, obwohl seine Stimme immer noch voller Haß und Verachtung war: „Ihren kostbaren Weichhäuten wird GAR NICHTS geschehen. Wir lassen sie hier. Sollen sich doch ihre Artgenossen um sie kümmern. Das kostet sie vielleicht noch Zeit. Ansonsten...
Und diese menschlichen Fleischhauer lassen wir auch hier – es sei denn, Sie wollen das Weibchen zu ihrem Spaß mitnehmen?! Alles sammeln, in zwanzig Taks rücken wir ab - MACHEN SIE SCHON!“

Von den Menschen bemerkten nur die wenigsten, was geschah. Die meisten Verwundeten waren einfach in einem zu schlechten Zustand, um etwas zu begreifen. Und die paar Sanitäter und Ärzte hielten sich nur noch durch bloße Willenskraft auf den Beinen und waren zu sehr in ihre Arbeit vertieft.
Lieutenant Commander Jeanne Villiers blickte erst auf, als jemand ihre Schulter berührte. Der Mann, dem sie versucht hatte zu helfen, war sowieso tot. Sie hatten weder die Medikamente noch die Instrumente, um bei solchen Wunden noch etwas ausrichten zu können. Vor ihr stand Morak Lentis. Einen Augenblick lang stieg Angst in Villiers auf, als sie die anderen Akarii bemerkte, die im Lazarett aufgetaucht waren, allesamt schwer bewaffnet, wachsam und mißtrauisch.
„Lieutenant – Commander. Wir...gehen. Ihre Leute...kommen. Viel Glück.“ Der junge Akarii-Offizier wirkte verlegen. Jeanne Villiers streifte müde ihre Gummihandschuhe ab. Sie hatte Schwierigkeiten, sich auf ihren Gegenüber zu konzentrieren. Sie war so müde...
Dann wurde ihr klar, was Morak gesagt hatte. Der Kampf war zu Ende, das Schlachten beendet. Sie lächelte erschöpft, straffte sich etwas – und streckte Morak Lentis ihre Hand entgegen: „Danke...für ihre Hilfe. Wir schulden ihnen viel.“ Der Akarii starrte ein paar Augenblicke auf ihre Hand, bevor er sie vorsichtig ergriff.
„Es war...nur richtig. Leben sie gut, Jeanne.“ Dann drehte er sich um und marschierte zu seinem Vorgesetzten, der ihn wütend anzischte und vorwärts stieß. Die beiden Offiziere verschwanden auf den Gang, während die anderen Akarii nach hinten absicherten, als erwarteten sie jetzt noch einen Angriff von den Verwundeten oder den Ärzten. Der letzte Akarii verschwand, die Waffe im Anschlag, rückwärts gehend aus dem Lazarett.
Lieutenant Commander Villiers wandte sich um und ging wieder an die Arbeit. Denn die war noch nicht vorbei. Die Verwundeten schwebten immer noch in Lebensgefahr und viele würden wohl auch sterben, wenn nicht bald Medikamente und vor allem Blutkonserven kamen.

Die müde und erschöpft dahintrottenden Soldaten erregten Jenek Tas Zorn: „WAS IST DAS FÜR EIN ELENDER HAUFEN?! ACHTUNG! ICH WILL GEFÄLLIGST EINEN ANSTÄNDIGEN ABMARSCH! Lentis, wenn Sie schon sonst zu nichts zu gebrauchen sind – schaffen Sie gefälligst Ordnung! WIR sind nicht auf dem Schlachtfeld geschlagen worden! Also benehmt euch gefälligst auch entsprechend!“
Binnen kurzer Zeit waren die Reihen geordnet, eine Bewegung, die sich fortsetzte und auch die anderen Kolonnen erfaßte. „IM GLEICHSCHRITT – MARSCH! DIE GARDE RÜCKT AB!!“

Im schweren, langsamen Marschritt der akariischen Gardetruppen zog die 14. Legion ab. Dieser Anblick veranlaßte sogar General Pal Ressan zu einem grimmigen Lächeln. Der General hielt sich sehr gerade, während an ihm vorbei seine Truppen zu den wartenden Transportern marschierten. Auch wenn sie weichen mußten, so würde das mit Würde und Disziplin geschehen, unter Mitnahme des schweren Geräts und der gehfähigen Gefangenen. Genauso würden die Überlebenden des Bergbaukomplexes evakuiert werden, auch wenn die Zeit nicht reichte, die Stollen zu verminen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen. Die Gefallenen würden allerdings zurückbleiben müssen, es waren einfach zu viele und die Flotte der Menschen zu nah. Aber die Namen der Toten waren vermerkt. Und auch wenn sie auf diesem verfluchten, vergifteten Planeten zurückbleiben mußten, so war das durchaus angemessen. Sie würden in der Erde begraben werden, für die sie gestorben waren, im Dienste des Akarii-Imperiums. Sie würden nicht vergessen werden. Und die Menschen würden für diese Schlappe teuer bezahlen, ganz gewiß. Eines Tages...

***

HQ der republikanischen Garnison Graxon

„Es gibt also keinen Zweifel?“
„Nein, Sir – keinen Zweifel. Sie ziehen ab. Wir konnten bereits Kontakt zu Kampfgruppe Schlüter aufnehmen. Wir haben gewonnen.“
„Gewonnen – ich weiß nicht. Wir haben nicht verloren. Das ist etwas anderes. Aber gewonnen...“
„Vielleicht sollten Sie jetzt etwas schlafen, Sir. Alles weitere verlangt nicht mehr Ihre Anwesenheit.“
„Wie sind unsere Verluste?“
„Sir, daß ist noch ungewiß – wir versuchen gerade...“
„Wie sind die Zahlen?“
„Bisher 589 Tote und Vermißte, aber wir zählen noch. Wir wissen auch nicht, wieviele Soldaten bei Schlüter überlebt haben. Und viele Verwundete...“
„Nein, ich glaube nicht, daß ich schlafen kann.“
„Ich...verstehe, Sir.“

General Garth blickte seinen Stellvertreter aus müden, blutunterlaufenen Augen an: „Nein, ich glaube, daß tun Sie nicht. Noch nicht. Und seien Sie froh darüber...“ Dann drehte er sich um und beugte sich wieder über den Bildschirm, auf dem die taktische Anzeige des unterirdischen Festungskomplexes flimmerte: „Schicken Sie sofort Sanitäter und Träger zu Schlüter. Und veranlassen Sie eine Revision aller Kampfeinheiten – ich will alle Verwundeten innerhalb der kürzestmöglichen Zeit versorgt wissen. Wenn Schlüter noch einsatzfähige Truppen hat – die sollen sich auf der Oberfläche umsehen. Und stellen Sie ein technisches Team zusammen – ich will die Langstreckensensoren und –kommunikation wieder in funktionsfähigem Zustand. Wenn die Akarii abziehen, dann hat die TSN gesiegt. Und vielleicht denken sie mal daran, uns hier wegzuholen. Falls Sie Kontakt bekommen – machen Sie es dringend. Ich will meine Leute so schnell wie möglich runter von diesem beschissenen Felsklumpen.“
„Zu Befehl, Sir!“

***

Kampfgruppe Schlüter

Captain Arianna Schlüter musterte die angetretenen Soldaten. ‚So wenige...‘ Sie mußte sich räuspern, ihre Stimme klang rauh und belegt: „Kampfgruppe – Abzählen!“
Die Stimmen der Soldaten waren leise und müde, hallten eigenartig in den Gängen, jetzt wo der Kampflärm verstummt war.
„Eins!“
„Zwei!“
„...Drei!“
.
.
.
Und bei Sechsunddreißig verstummten die Stimmen. Und auf die Frage: „Noch jemand von der Kampfgruppe?“ kam keine Antwort. Nur Schweigen.
Captain Schlüter biß sich auf die Lippen, schaffte es nur mit Mühe, ihre Stimme ruhig zu halten: „Kampfgruppe – Rechts um. Das Ganze - Marsch.“
Ihre Soldaten gehorchten – die wenigen, die nicht gefallen waren, von Lasern erschossen, von Granaten und Raketen zerfetzt, im Nahkampf erschlagen oder erstochen. Ein paar Verwundete hatte man zurückgeschafft, als endlich wieder Kontakt mit den Hauptstreitkräften hergestellt worden war. Aber ob sie es schaffen würden...
Vor nicht einmal achtundvierzig Stunden waren sie mehr als Zweihundert gewesen, gut bewaffnet und fest überzeugt, die Akarii aufhalten zu können. Jetzt waren sie nur noch sechsunddreißig, erschöpft und abgekämpft.
Captain Schlüter sah Master Sergeant Schiermer, ziemlich an der Spitze der Kolonne. Er trug seinen rechten Arm in einer provisorischen Tragschlinge. Sein Körperpanzer war blutverschmiert und rußig. Aber seine Bewegungen wirkten immer noch sicher und zielstrebig, wenn auch schwerfällig.
„Sergeant, Sie sollten in’s Lazarett.“
„Ich will dabei sein, wenn wir hier rausmarschieren, Ma‘m. Und wenn ich krepieren müßte...“
Sie ließ ihm seinen Willen.

Es war nur eine kleine Gruppe, die durch das zersprengte, geborstene Tor der Anlage ins Freie stolperte, in das graue, verhangene Tageslicht Graxons. Sechsunddreißig Soldaten.
Tyr Svenson
Corsfield Sternensystem

"WEGBRECHEN, RADIO!" Die Stimme von Juan da Silva, dem Ersatzmann von der INTREPID und Nachfolger von Pops, geisterte immer noch durch Donovans Kopf.
In dem Augenblick, in dem Radio gestorben war, hatte er wieder einmal eigene Probleme gehabt und eine Reaper in seinem Nacken abzuschütteln versucht.
Dann war Akariigelächter zu hören gewesen, das erste Mal das Donovan diese Geräusche vernahm.
„Scheisse, Radio hat´s erwischt, Radio ist nicht ausgestiegen, er ist…“ da Silva war offensichtlich geschockt über den Verlust des XO der roten Staffel.
Doch noch geschockter war Donovan. Radio war auf dem besten Wege gewesen, so etwas wie ein Freund für ihn zu werden und nun sollte er tot sein? Er konnte es nicht fassen und seine Wut auf die Akarii steigerte sich nun nur noch mehr. Er verstärkte noch einmal seine Anstrengungen, die Reaper in seinem Rücken abzuschütteln und so wie es aussah, war er auf gutem Weg.
„Ruhe in der Leitung, löst euch von den Reapers und formiert euch neu um meine Stellung…“ Skunk´s Stimme ließ sich kaum etwas anmerken und Donovan war kurz davor zu explodieren. Wenn es jemanden gegen hatte, den er und auch Skunk in dieser gottverfluchten Navy als Freund bezeichnet hätte, dann war es Radio gewesen. Skunks Eiseskälte schien ihm wie ein weiterer Beweis dafür zu sein, dass sich keiner hier einen Dreck um seine Kameraden scherte.

Bei diesem Stichwort fiel ihm unweigerlich sein CAG ein. Wo war überhaupt Lone Wolf?
Er schien nicht in der Nähe zu sein, genauso wenig wie Kali, Ace II und die meisten anderen der roten Staffel. In diesem Wirrwarr zusammen zu bleiben war schier unmöglich und so sammelte Skunk jetzt wenigstens die Jäger zusammen, die ihm noch verblieben waren.
Und viele waren das nicht mehr. Skunk, Noname, Mantis und zwei Ersatzleute von der INTREPID, einschließlich Da Silva. Alle anderen waren sonst wo.

„Skunk, wir müssen uns diese Schweine holen…“ zischte Donovan, nachdem er sich endlich von der Reaper zum Neuen Treffpunkt hatte absetzen können. Er war selbst darüber verwundert, wie nahe ihm Radios Tod ging. Und er brannte förmlich nach Rache. Lydias Tod hatte er rächen können und jetzt und hier wollte er sich den nächsten holen.
„Schnauze, Noname“ fuhr ihn Skunk an „die Akarii ziehen sich zurück…“.
Doch Donovan ließ nicht locker. „Es mag dir egal sein, Skunk, aber ich sage, wir holen uns noch ein paar dieser Bastarde. Oder willst Du Radios Tod ungerächt…“
„SCHNAUZE, habe ich gesagt Ensign“ ging ihn Skunk an und jetzt spürte Donovan, dass es dem alten Haudegen doch nicht egal war, was mit Radio geschehen war. „Wir holen uns diese Ratten, darauf kannst Du dich verlassen, aber erstmal müssen wir uns ein passendes Ziel suchen.“

Jetzt erkannte Donovan, was Skunk meinte. Die Reaper zogen sich bereits weit zurück, im Übrigen der einzige Grund warum der Reaper von ihm abgelassen hatte und er überhaupt noch lebte. Doch sie waren schon so weit, dass sie sie wohl nicht mehr erreichen konnten. Außerdem waren das noch sieben Maschinen, also reiner Selbstmord, wenn sie sich jetzt noch darauf stürzen würden.

Dann durchbrach Skunk erneut die Stille: „Also gut, herhören. Wir schnappen uns die Sektion Bloodhawks auf zwei Uhr, 40 Grad tief. Auf sie mit Gebrüll.“
Und schon jagten die fünf Phantome auf die vier Bloodhawks zu, die sich ebenfalls auf dem Rückzug zu befinden schienen. Die Reste der roten Staffel hatten bereits einmal aufmunitioniert, doch der Kampf mit den Reapern hatte sie wieder einiges ihrer Raumkampfraketen gekostet. Donovan hoffte nur, dass es bei den Bloodhawks genauso sein würde. Sie jagten mit den Nachbrennern auf die gegnerischen Maschinen zu, doch diese behielten ihren Kurs zunächst stur bei. Sie benutzten nicht einmal ihre Nachbrenner, was bedeuten musste, dass sie knapp bei Treibstoff sein mussten.
Als die Phantome auf Raketenreichweite heran waren, feuerten sie alle zusammen ihre Raketen los, woraufhin die Bloodhawks auseinander stoben, wie ein aufgeschreckter Schwarm Tauben.

Doch sie waren alles andere als wehrlos.
Ein wilder Kampf entbrannte, bei dem sich beide Seiten nichts zu schenken schienen. Den ersten Abschuss schafften die agileren Akariis, indem sie sich Mantis holten, die aber aussteigen konnte. Donovan bekam eine Rakete verpasst, wodurch er seine Heckschirme endgültig verlor, doch irgendwie schaffte er es an einer der Bloodhawks dran zu bleiben und sie gerade noch im Visier zu halten. Da Silva schrie in Panik, als sein Jäger in die Luft flog, und dann feuerte Donovan seine letzte Rakete ab und sah, wie sie der bereits angeschlagenen Akariimaschine nicht nur die letzten Schildreserven raubte. Mit grimmigem Blick feuerte Donovan seine Laser ab und vollendete schließlich sein Werk, ohne dabei auf die andere Maschine in seinem Heck zu achten.
Die Bloodhawk vor ihm explodierte, der Pilot stieg aus. Doch Donovan hatte keine Zeit sich über den Abschuss zu freuen.
„Auge um Auge“ schoss es ihm durch den Kopf als die Laser des anderen Bloodhawks sich durch seine ungeschützte hintere Panzerung fraß. Donovan riss seine Maschine in wilde Manöver, aber er wurde den Gegner einfach nicht los. Immer mehr rote Lampen erschienen auf seinem Schirm, doch Donovan ignorierte sie.
Nein, er würde nicht aussteigen, nie wieder. Er hatte sich geschworen lieber zu sterben als noch einmal durch die Kälte des Alls zu treiben und auf die Navy zu warten, die ihn wahrscheinlich ein zweites Mal sitzen lassen würden.
Der Akarii kam immer näher und das einzige was Donovan schaffte, war es Sekunden zu gewinnen.
„Noname, steig aus“ rief Skunk durch den Funk „er zerkocht dich gleich.“ Doch Skunk war selbst noch mit einer Bloodhawk beschäftigt. Also war mit baldiger Hilfe nicht zu rechnen.
Und selbst wenn, es war bereits zu spät.
Ein großes EJECT prangte auf den Alarmanzeigen und Donovans Hände zuckten zum Schalter der Rettungsautomatik um den Auswurf manuell zu verhindern. Doch die Automatik war schneller als er.
„NEIN, NEIN, NEEEEIIIIN…“ schrie er voller Panik, als er auf fauchenden Triebwerken ins All geschleudert wurde, weg von seinem sterbenden Jäger.

Sein Atem ging pressweise und voller Furcht ruckten seine Augen hin und her. Er war im All, im tiefen weiten All. In dieser unglaublichen Kälte, die er bereits jetzt spürte, wie sie langsam aber sicher in seinen Körper einzudringen versuchte.
Dieser grauenvolle Einsatz, der ihn damals in die Hände der Piraten gespielt hatte, war schon Jahre her und trotzdem traf ihn das Deja-Vu-Erlebnis wie ein Vorschlaghammer. Er keuchte und würgte und verlor jegliches Zeitgefühl. Wie lange war er jetzt schon draußen? Eine Minute, eine Stunde, eine halbe Ewigkeit? Er spürte wie seine Hände zitterten und konnte nur mit äußerster Mühe unterdrücken, dass er sich übergab.
Die Panikattacke war für ihn in diesem Augenblick fast schlimmer, als alles andere, was er bisher erlebt hatte. Er konnte eine Menge ertragen, doch jetzt und hier inmitten einer gigantischen Schlacht epischen Ausmaßes, hatte er das Gefühl Verloren zu sein.
Die Zeit verstrich und Donovan hatte den Eindruck langsam aber sicher verrückt zu werden. Die hellen Lichtimpulse der Explosionen und brennenden Schiffe und Jäger erhellten die gespenstische Szenerie. Aber Donovan merkte, das er zunehmend Probleme bekam, die Augen offen zu halten. Seine Lebenserhaltungssysteme hielten nicht ewig und bei der Menge an gestrandeten Piloten hatten die SAR-Shuttles beider Seiten sicher alle Hände voll zu tun. Und so wie es aussah, würde ihn die Kälte des Alls früher holen, als die Navy oder die Akarii.
Donovan konnte sich bei dem Gedanken an beide Seiten noch einigermaßen wach halten. Er wusste im Moment gar nicht welche Seite er stärker hassen sollte, Die Akarii, die die wenigen Freunde die er hatte tötete oder die Navy, die ihn im Stich gelassen hatte und deren Mitglieder ihm das Leben zur Hölle machten.
Doch dann sah er es. Etwas kleines, blinkendes das sich seiner Position näherte. Und er wusste instinktiv, was das war. Es war ein Shuttle, was da langsam auf ihn zu gekrochen kam. Doch die Frage war, von welcher Seite es war?
Sein Hirn explodierte in Panik. Nein, er durfte nicht wieder in Gefangenschaft geraten. Er wusste, dass er das nicht ertragen konnte. Seine Hände ruckten zu seinem Helm und im Anflug eines unglaublichen Panikgefühles versuchte er die Klammern seiner Helmverriegelung zu öffnen.
Sie würden ihn nicht lebend kriegen, niemals, das würde er nicht überleben.
Doch seine Finger waren bereits taub, er spürte sie nicht mehr. Voller Verzweiflung versuchte er die Verschlüsse zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Er hämmerte gegen die Vorrichtung, doch nichts geschah.
Dann erkannte er die Schriftzüge des Shuttles und begann zu schluchzen. Er konnte es nicht unterdrücken, das Schluchzen verstärkte sich und als ihn der Greifarm erfasste und in das Innere des Shuttles zog, wandelte es sich in ein wildes Geheul.
Ein Außenstehender hätte in diesem Augenblick nicht erkennen können, ob der Pilot verzweifelt oder glücklich über seine Rettung war.
Wahrscheinlich beides.
Tyr Svenson
Finale Teil 2

Die Brücke der ONTARIO
Wurmloch W-369, Zerberus-Dunkelwolke, Pasumata Sektor

Mit Entsetzen sah Igor wie sich acht weitere Antischiffraketen auf den Weg zu der bereits angeschlagenen GUADALCANAL machten. Ihre Raketenfront würde höchstwahrscheinlich wieder nur einen Teil der Raketen rausfischen und sie würden das Ende des Hilfsträgers kurz vor dem Durchbruch auf die andere Seite bedeuten.
Die Reste des Dirty Bunch landeten alle auf dem angeschlagenen Hilfsträger. Alle bis auf eine Maschine.
„Sir, einer der Jäger schert aus und fliegt die Akariis direkt an. Was macht er da?“
„Sieht nach Selbstmord aus“ gab Igor zurück. Der Pilot schien sich in einem sinnlosen Angriff opfern zu wollen.
Doch wie es schien, war er nicht der einzige. Die KAZE sich nicht wie befohlen zurückzog, sondern im Gegenteil Schub gab. Was hatte dieser Verrückte vor?
„Sir, die KAZE nimmt Fahrt auf. Soll ich sie anfunken?“ In einem ersten Impuls wollte Igor das tatsächlich, denn er hatte große Lust Schneider an seine Pflicht zu erinnern. Doch er war nicht Singh, er konnte Schneider nicht befehlen umzukehren.
„Nein, wenn er sein Schiff in den Untergang befehlen will, soll er das tun. Wir werden den Befehl zum Sprung ausführen.“ Igor hatte im Augenblick nicht nur das Leben seiner Männer auf der ONTARIO zu verantworten, er musste auch an die übrigen Schiffe der Einsatzgruppe denken. Die MAGELLAN war bereits drüben, genauso wie die NORTHUMBRIA und die beiden Frachtertender, die während ihres Ausflugs nach Pasumata IV am Wurmloch ausgeharrt hatten. Und in diesem Augenblick sprangen die JERVIS und die BUENOS AIRES.
Sollte die ONTARIO jetzt sich hier opfern und die Akarii übersetzen, würden keiner von Ihnen überleben. Und selbst das war ungewiss.
„Volle Fahrt zurück zum Wurmloch, wir müssen im Eurydike-Nebel eine zweite Verteidigungsstellung aufbauen“ befahl er.

„Sir, unsere Abwehrraketen haben vier der acht Schiff-Schiff-Rakten ausgeschaltet, vier sind immer noch auf dem Weg zur Guadalcanal“ meldete Lieutenant Yangwen. Das war der Untergang der GUADALCANAL, das wussten alle.
„Sir, ich empfange merkwürdige Signale des einzelnen Jägers, der auf die Schiff-Schiff-Raketen zujagt.“
Igors Blick wanderte weg von der KAZE hinzu dem einsamen Jäger.
„Wer ist der Pilot?“
„Ensign Saskiewicz, Callsign Sparky…“
Und in Igors Kopf machte es Klick. „Er hat das Aufklärungspod umkonfiguriert… die Eingangsdaten so polarisiert, so dass er ihn jetzt als externen Datentransponder nutzen kann. Damit verfügt er über ELOKA…“
„Sir…?“ fragte Yangwen, der offensichtlich noch nicht verstanden hatte.
„Er gaukelt den Raketen vor, dass er das Ziel ist.“ Und in diesem Augenblick sahen sie, dass drei der vier Raketen ihren Kurs änderten und statt auf die GUADALCANAL nun auf den kleinen Jäger zuhielten. Dieser drehte sich weg von dem Träger und gab Vollschub, die Raketen im Schlepptau.
Doch diese waren schneller, kamen immer näher und detonierten alle drei gleichzeitig in einem gewaltigen Lichtblitz.
Ensign Saskiewicz war tot, ohne Zweifel, aber was nach einem sinnlosen Selbstmord ausgesehen hatte, bekam eine neue Bedeutung. Der ehemalige Häftling, von dem Cmdr. Chung behauptet hatte, eines der niedersten Individuen der gesamten Navy zu sein, hatte sein Leben gegeben um seine Kameraden zu schützen.
Dann fiel sein Blick auf den letzten verbliebenen Schiffskiller, der sich immer noch dem hilflosen Träger näherte. War Sparky´s Opfer doch umsonst?
Als die tödliche Raketen auf wenige hundert Kilometer heran war warf die GUADALCANAL so viele Täuschkörper ab, wie es nur ging.
„Komm schon, komm schon“ murmelte er Igor und schien den kleinen roten Blip beschwören zu wollen „fall drauf rein, fall drauf rein… jetzt…“ Und als hätte ihn die Rakete gehört, wurde sie abgelenkt und verlor die Zielerfassung. Doch es schien zu spät zu sein, sie detonierte. Ein greller Lichtblitz füllte die Schirme…

…und die GUADALCANAL flog förmlich aus der Detonationskugel hervor, weiterhin auf das Wurmloch zuhaltend.
„JAAA“ schrie Igor mehr als erleichtert und die gesamte Brückencrew der ONTARIO fiel spontan in Jubel aus, Sekunden bevor sie durch das Wurmloch gezogen wurden um etliche Lichtjahre entfernt wieder im Eurydike-Nebel herauszutreten.
Igor ließ den Jubel der Besatzung zu auch wenn er sich selbst weiterhin Sorgen machte. Würde es das Schiff trotzdem schaffen. Ihnen gingen langsam die Helden aus und das langsame Trägerschiff hatte immer noch ein paar Minuten, bis es das Wurmloch erreichen würde.
Er konnte nur hoffen, dass es reichen würde.
Und jetzt galt es, die Ankunft der Akarii vorzubereiten. Etwas in ihm flüsterte ihm ins Ohr, dass es noch nicht vorbei war.
Die Akarii hatten immer noch die Übermacht und es würde ihn wundern, wenn die KAZE und die Handvoll Minen sie wirklich davon abhalten würden Ihnen zu folgen. Und er hatte nur noch drei Schiffe und noch ein paar Minen um sie aufzuhalten.

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Haupthangar GUADALCANAL,
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

Die Welt um Tigre verschwamm, knüllte sich zusammen und entknüllte sich im nächsten Augenblick. Und während dieses kleinen Augenblicks wunderte er sich darüber, wie sehr der Tod doch dem Gefühl ähnelte einen Transit durch ein Wurmloch zu nehmen.
Dann realisierte der Jägerpilot, dass er gar nicht tot war. Er wusste nicht weshalb, aber sie hatten überlebt. Die acht Antischiffraketen hatten das langsame Trägerschiff anscheinend verfehlt und trotz der neuerlichen Erschütterungen hatte das Schiff nicht den finalen Todesstoss verpasst bekommen. Tigre runzelte die Stirn, denn es war eigentlich unmöglich, dass sie es geschafft hatten.
Doch es dauerte nur wenige Augenblicke, bis seine Verwunderung über ihre überraschende Rettung der Erkenntnis wich, dass sie es nur für den Augenblick geschafft hatten. Aber er wusste, dass das noch nicht das Ende gewesen war. Die Akarii waren Ihnen sicher immer noch auf den Fersen und würden Ihnen bald folgen.
Sie waren Ihnen immer noch zwei zu eins überlegen und auch wenn sie sich erstmal durch das Minenfeld arbeiten mussten, würden sie Ihnen folgen. Einen solchen Vorteil würden nur zögerliche Kommandanten ungenutzt verstreichen lassen. Und nach allem was er bisher von den Akarii mitbekommen hatte, gehörten diese nicht gerade zu der zögerlichen Sorte. Und außerdem würden die Akarii sicher wissen wollen, wo das Wurmloch hinführte aus welchem die Terraner gekommen waren.
Und alleine aus diesem Grund war ein baldiger Angriff der Akarii zu befürchten.

Dann sah er Chief Petty Officer Sumi Ishida auf dem stark mitgenommenen Landefeld.
„Chief, schön sie wohlbehalten zu sehen“ gab er über Funk an die Japanerin durch „Sind die Katapulte einsatzbereit?“
„Ja, Sir. Wir haben einiges einstecken müssen, aber Katapult Eins ist einsatzbereit.“
„Gut, lassen sie alle Jäger und Jabo´s auftanken und aufmunitionieren. Wie es scheint ist das Spiel noch nicht vorbei.“
„Aye, Sir, wir geben uns die größte Mühe“ gab sie zurück, wohl wissend das es die GUADALCANAL so schwer getroffen hatte, dass sie wahrscheinlich aufgegeben werden musste. Aber sie war auch erfahren genug um zu wissen, dass sie jede einzelne Rakete im Raum würden gebrauchen können, wenn sie die Akariis hier aufhalten wollten.
Dann öffnete Tigre den Funk zu den kümmerlichen Resten des Dirty Bunch. „Alle herhören, noch sind wir nicht durch. Sobald ihr soweit seid, startet ihr von neuem. Alles klar?“
Als er nur fünf Bestätigungen erhielt, zuckte er innerlich zusammen. Waren wirklich nur noch so wenige übrig geblieben?
Und wie viele von Ihnen würden in dieser Minenhölle noch draufgehen?
Tigre verdrängte den Gedanken, so gut es ging. Sie waren Piloten und sie hatten noch ihre Maschinen. Also würden sie da hinausgehen und die Akarii erneut unter Feuer nehmen so gut es ging.
Auch wenn es ihm nicht gefiel, eine andere Alternative hatten sie ohnehin nicht.

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Die Brücke der KAZE
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

Nur langsam öffnete Justus Schneider die Augen wieder. Er fühlte sich, als würde er aus einer großen Tiefe langsam an die Oberfläche kommen.
„B-Bericht!“, krächzte er mühsam.
„Skipper!“ Haruka Ishihiro kam sofort an seinen Platz. „Die KAZE hat den Sprung ziemlich gut verkraftet, wenngleich uns eine Druckwelle im Wurmloch kräftig durchgeschüttelt hat. Sie haben sich den Kopf angeschlagen, aber es war nichts Ernstes. Deshalb haben wir nicht den Doc gerufen.
„Einsatzbereitschaft?“, hakte Schneider nach.
„Die Harpoon-Werfer sind bereit. Wir haben noch zehn Schuss. Alle anderen Waffen funktionieren, aber für die Zwanziger haben wir nur noch drei Runden.
Die NORTHUMBRIA hat diese Seite so stark vermint wie es ging. Auch die ONTARIO hatte alle übrig gebliebenen Minen ausgeschleust. Die Akarii sollen ruhig kommen. Die Flotte zieht sich langsam zurück und bildet einen weiten Absperrgürtel.“
„Dann will Maleetschev also kämpfen“, fragte Justus heiser.
„Sieht ganz so aus, Skipper.“
„Wie sieht es auf den anderen Schiffen aus? Was macht die GUADALCANAL? Was macht ihr Captain?“
„Captain Dominguez wurde verletzt. Die GUADALCANAL ist an vielen Stellen aufgebrochen und wird bereits evakuiert. Aber sie haben die letzten Jäger wieder ausschleusen können. Daneben verfügen wir nun nur noch über die Kampfschiffe ONTARIO, die ADMIRAL J. JERVIS und die BUENOS AIRES.“
„Ist Captain Dominguez aktiv? Haruka, macht er Dienst?“
„Nein, Sir, Dominguez ist ausgefallen.“
„Dann verbinden Sie mich sofort mit der ONTARIO.“

Als das Gesicht von Maleetschev auf dem Monitor erschien, schien der Erste Offizier erleichtert zu sein, gleichzeitig spiegelte sich aber auch Ärger auf dem Gesicht. „Schön, dass sie doch noch zu uns gestoßen sind, KAZE.“ Der Tonfall war leicht sarkastisch, wahrscheinlich war Maleetschev verärgert über die offensichtliche Befehlsverweigerung. „Haben Sie wenigstens etwas erwischt?“
Schneider ging auf den impliziten Vorwurf gar nicht erst ein. „Wir haben acht unserer Harpoons versenken können, aber wir waren nicht in der Lage, daraus Schlussfolgerungen über Erfolg oder Misserfolg zu ziehen. Und das tut auch nichts zur Sache. Hiermit übernehme ich das Kommando über die Flotte.“ Etwas leiser fügte Schneider hinzu: „Oder zumindest das, was von ihr übrig ist. Die Akarii kommen hier bald durch und wir sollten Ihre Idee vom Sperrgürtel im Eurydike-Nebel Wirklichkeit werden lassen. Die GUADALCANAL wird evakuiert?“
Einen Moment schien Maleetschev mit sich zu kämpfen. „Ja. Wir bringen die Verwundeten auf die MAGELLAN. Die noch aktiven Mannschaften wurden der ONTARIO als Leck- und Löschmannschaft zugeteilt.“
„Gute Entscheidung. Nichts ist schlimmer für einen Raumfahrer, als Däumchen drehen zu müssen, wenn er mitten in einer Schlacht steckt. Was können Sie mir über die Jäger und Bomber des Dirty Bunch sagen?“, fragte Schneider.
Igor Maleetschev legte kurz den Kopf schräg. „Lieutenant Commander DelaCruz hat seine Maschine mit eingerechnet drei Phantome, eine Griphen und zwei Mirages.“
„Die werden wir brauchen“, sagte Schneider fest. Bevor Maleetschev antworten konnte, hob der Kapitän der KAZE die Hand. „Ich verlange keinen Selbstmordangriff. Aber sie sollen sich wieder aufmunitionieren lassen und tanken und anschließend in den Ortungsschatten der ONTARIO gehen. Ach, und lassen Sie die NORTHRUMBIA längsseits der GUADALCANAL gehen. Sie sollen soviel Material wie möglich für die Wartung der Jäger übernehmen. Jetzt wo sie ihre Minenlager fast geleert hat, dürfte da wohl etwas Platz sein, was?“
„Bei allem Respekt Commander, aber Commander Perrin von der BUENOS AIRES hat mehr Dienstjahre auf dem Buckel als sie. Er ist jetzt der Einsatzgruppenleiter.“
Schneider knirschte mit den Zähnen. „Igor, wir haben jetzt keine Zeit für solche Spielchen. Es dauert nicht mehr lange und uns sitzt eine Horde Akarii im Nacken. Jeden Moment, den wir jetzt verlieren, könnte entscheidend sein. Außerdem befehligt Cmdr. Perrin nur eine Korvette und meine KAZE ist schlagkräftiger.“
„Nach der Logik müsste dann die ONTARIO den Befehl übernehmen…“
Schneider knirschte wütend mit den Zähnen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er große Stücke auf den Ersten Offizier des Zerstörers gesetzt, aber in diesem Augenblick war er ihm deutlich zu pedantisch. „Sie wollen mir jetzt nicht sagen, dass Sie den Befehl übernehmen wollen, oder? Sie haben noch nicht einmal den Perisher abgeschlossen.“
Maleetschevs Augen verengten sich für einen Augenblick ob dieser verbalen Ohrfeige. Seine Stimme war kalt und schneidend als er antwortete. „Dafür scheine ich aber besser mit den Vorschriften vertraut zu sein als sie, Sir! Entweder sie unterstellen sich Commander Perrins Befehl, oder ich lasse sie nach § 87 b des Kommandos entheben.“

Schneider lachte laut auf. „Ha, DAS will ich sehen!“ Doch Maleetschevs Augen blieben hart. Schneider hätte ihn durch den Monitor am liebsten erwürgt. Doch ihnen lief im Augenblick tatsächlich die Zeit davon.
„Na Gut, dann geben Sie mir Commander Perrin auf Schirm B, SOFORT.“ Seine Geduld hatte langsam ein Ende, aber der Einsatzgruppe war nicht damit geholfen, wenn sie jetzt auseinander brechen würden. Wenn sie jetzt nicht zusammenarbeiten würden, dann hätten die Akarii erst Recht leichtes Spiel.
Francois Perrin von der BUENOS AIRES erschien auf dem Bildschirm und Schneider begann ohne lange Umschweife seinen Plan zu erläutern.
„Commander Perrin, ich schlage vor“ begann er diplomatisch „das ihr Schiff und die JERVIS die rechte Flanke der ONTARIO sichern. Wir nehmen die linke Flanke. Standardaufstellung, damit die Akarii gleich merken, dass wir noch nicht geschlagen sind. Wir warten, bis die Akarii durch das Minenfeld durch sind, dann wird auf alles geschossen, was sich schneller bewegt als einen Kilometer pro Minute.“
Perrin, der nicht gerade aussah als ob er sich wohl in seiner Rolle als Einsatzgruppenleiter fühlte, zögerte mit seiner Antwort. „Commander Schneider, isch bin mir nischt sischer, ob wir nischt den kompletten Rücksug antreten sollten?“
Schneider drehte sich der Magen um bei diesen Worten, da hatten sie nun den Salat, dass sie Perrin um Rat gefragt hatten.
„Francois, wir MÜSSEN die Akarii hier aufhalten oder die nächsten Akarii, die hier durchstoßen, gelangen mitten in Konföderationsgebiet.“
Perrin zwinkerte. Dann nickte er. „Sie ´aben wohl Rescht. Gut, wir machen es so.“
Erleichtert atmete Schneider aus, dann sah er zu Boden und knetete nervös seine Hände. „Noch eines, Commanders. Die ONTARIO wird sicher die Hauptlast dieses Angriffes tragen müssen. Aber wir müssen die Akarii hier aufhalten. Sie werden nicht vollkommen ungerupft durch diese beiden Minenfelder kommen. Das gibt uns Möglichkeiten. Aber meine KAZE hat nur die Harpoons und die JERVIS und die BUENOS AIRES sind nur Korvetten. Es wird ganz auf die Hauptwaffen der ONTARIO ankommen, ob wir es schaffen oder nicht. Ich werde so viel Feuer wie möglich auf die KAZE ziehen, aber es wird hart werden. Vielleicht verlieren wir die Korvetten oder die KAZE. Das nehme ich in Kauf. Aber die ONTARIO muss ihren Platz halten. Sie muss ein unübersehbares Bollwerk sein, unverrückbar. Eine Drohung an jeden Akarii, hier jemals wieder reinschauen zu wollen, sei Wahnsinn. Sie müssen halten, egal was passiert.“
Maleetschev, an den diese Worte gerichtet waren, krampfte seine Hände zu Fäusten. „Verstanden, Commander“ gab er zurück und sowohl er als auch Perrin verschwanden von den Schirmen.

Schneider schüttelte den Kopf. Das es selbst im Angesicht solcher Gefahren solch kleinkarierte Machtspielchen gab, ärgerte ihn. Aber wenigstens hatten sie auf ihn gehört. Er konnte nur hoffen, dass sie sich auch daran hielten.
„Meinst du, der Junge schafft es, die Stellung zu halten?“, fragte Commander Soleil leise und riss ihn aus seinen Gedanken.
„Der Junge, wie du ihn nennst, hat unter dem Kommando von Singh gelernt. Leider auch ein Paar der negativen Seiten wie diese verdammte Sturheit. Aber er ist ein erfahrener Raumfahrer, der dieses Schiff mitten in der Schlacht von seinem Kapitän übernehmen musste. Er hat es auf die Reihe gekriegt. Ich hoffe wirklich, er hält durch, Amber.“
Dann wandte er sich an den Rest seiner Brückencrew.
„Also Leute, der Zerstörer wird das Hauptziel des Vorstoßes der Akarii sein. Ideale Bedingungen für uns unsere Schnelligkeit und Schlagkraft auszuspielen. Alles klar soweit?“
„Aye, Skipper“ gab ihm ein vielstimmiger Chor zurück, was ihn ungemein beruhigte. Er wusste wenigstens, dass er sich auf seine Leute verlassen konnte.
„Ach, und Herrschaften. Ihnen allen viel Glück.“
Für einen Moment herrschte entsetzte Stille in der Zentrale der KAZE. So etwas hatte der Alte noch nie gesagt.

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Die Brücke der KAZE
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor
Eine Stunde später

„Die NORTHUMBRIA hat soeben von der GUADALCANAL abgelegt, die letzten Matrosen und Techniker verlassen das Schiff mit einem Shuttle. Jäger und Bomber lauern im Deckschatten der ONTARIO. Alle Schiffe melden Waffen klar.“
„Dann fehlen ja nur noch unsere Gäste“, brummte Schneider zufrieden. Er machte sich keinerlei Illusionen. Die Pause von über einer Stunde hatten die Akarii genutzt, um ihren durchgeschüttelten Verband wieder zu organisieren. Sobald sie hier ankamen, würden sie es als geschlossener Kampfverband tun.
„Mit wie vielen Schiffen rechnen wir?“, fragte Haruka atemlos.
„Mindestens mit sieben“ antwortete Justus Schneider leise.
„Reaktionen an den Neutrinomessern. Etwas kommt durch das Wurmloch. Etwas Großes.“
„Gut, Lieutenant Li, das werden unsere Gäste sein. Gefechtsalarm für das ganze Schiff. Gefechtsalarm für die Flotte.“
„Das werden wir denen nicht extra sagen müssen“, knurrte Lieutenant Ishihiro ernst.

Und dann kamen sie aus dem Wurmloch. Sieben angreifende Akarii-Schiffe. Einige waren bereits lädiert, hatten Minentreffer in der Dunkelwolke einstecken müssen. Wahrscheinlich hatten die übrigen Schiffe auf der anderen Seite zu viele Schäden einstecken müssen und sie hatten sie lieber dort belassen. Nun gerieten sie wieder in ein Minenfeld.
Drei Zerstörer krochen aus dem Wurmloch hervor, gefolgt von zwei Sierra III-Fregatten und flankiert von je einer Tango- und Quebeck-Korvette.
„Treffer. Zerstörer Hotel IV-Alpha läuft auf Mine auf. Schirme beschädigt. Keine internen Schäden“, meldete Li konzentriert.
„Treffer. Fregatte Sierra III-Alpha. Schirm verloren. Leichte interne Schäden, Hüllenbruch auf zwei Decks.
Treffer, Korvette Quebeck-Klasse. Steuerbord-Schirm verloren, schwere interne Schäden, Hüllenbrüche. Korvette dreht ab und schiebt uns die unbeschädigte Steuerbord-Seite vor.
Treffer, Korvette Tango-Klasse. Schirm verloren, keine weiteren Schäden.
Treffer, Fregatte Sierra III-Beta. Schirme geschwächt, moderate Schäden.
Zweifacher Treffer, Zerstörer Echo-Klasse. Schirme unten, Hüllenbrüche.
Treffer, Fregatte Sierra III-Beta, Schirme unten. Keine Schäden.“
„Was ist mit dem Hotel-Beta?“, fragte Schneider konzentriert.
„Hat ebenfalls zwei Treffer geschluckt. Analyse zeigt Verlust der meisten Schilde und einiger Waffensysteme.“

„Skipper, Verbindungsaufruf von der BUENOS AIRES“
„Auf die Schirme.“
Vor Schneider flammten drei Bildschirme mit den Gesichtern der amtierenden Kapitäne auf.
Commander Perrin schien äußerst nervös zu sein. „Die Minenfelder ´aben sie nischt auf´alten können, n´est pas? Irgendwelsche Vorschläge?“
Schneider antwortete ohne zu Zögern „Ja, es ist schade, es hätte noch ein wenig effektiver sein können. Sie haben leider keines ihrer Schiffe verloren, aber dafür alle bereits eingesteckt. Das heißt wir nutzen diesen Vorteil, der sich daraus für uns ergibt. Wir haben keine Chance, den Kampfverband aufzureiben. Aber wir können sie wieder zurück werfen. Ich schlage vor die JERVIS und die BUENOS AIRES konzentrieren ihr Feuer auf die angeschlagene Quebeck und vernichten sie. Danach nehmen Sie Feuer auf nach eigenem Ermessen. Die ONTARIO holt sich die Sierra III-Alpha mit dem Hüllenbruch. Wenn aus sieben Akarii-Schiffen nur noch fünf werden, sollte ihnen das zu kauen geben.
Die KAZE“, fuhr Schneider fort und hob beide Hände, um entsprechende Fragen abzuwehren, „konzentriert ihre Harpoons auf den beschädigten Zerstörer der Echo-Klasse. Commander Maleetschev, beeilen Sie sich mit dem Sierra III, damit Sie mir zur Hand gehen können. Die Jäger und Bomber sollen sich so gut es geht einmischen und ihr Feuer auf die Schildgeneratoren, Raketenwerfer und Lasertürme konzentrieren. Vielleicht können sie den Akarii ein wenig Feuerkraft nehmen?“
„Das klingt nach einem machbaren Plan, n´est pas? Ihnen allen viel Glück.“
Die Schirme erloschen und Justus massierte sich nervös seine Schläfen. „Wenn das mal gut geht.“

„Harpoon-Werfer bereit“, meldete Ishihiro mit stoischer Gelassenheit. „Zehn Schuss pro Werfer.“
Justus Schneider sah seinen Waffenoffizier an und nickte. „Wir nehmen den Echo ins Visier. Legen Sie mich auf Lautsprecher, Mr. Li.
Achtung, hier spricht der Kapitän. Wir treten in wenigen Minuten in den Kampf mit der Akarii-Flotte ein, die gerade das Wurmloch passiert hat. Wir werden diese Stellung halten und die Akarii zurück werfen. Uns bleibt keine andere Wahl, wenn wir nicht verhindern wollen, dass die Akarii in Zukunft im Rücken der Konföderation angreifen können.
Ich weiß, es ist beinahe unmöglich, dies zu schaffen. Und kein Kapitän sollte so etwas von seinen Leuten erbitten.
Aber dies ist die KAZE, und wir haben schon ganz andere Situationen überstanden. Wir werden es auch diesmal schaffen. Ich bin sehr stolz auf euch alle. Schneider aus.“

Justus sah zu Li herüber. „Wie lange noch, bis wir die Harpoons einsetzen können, Mr. Li?“
„Zehn Sekunden, bis der Echo in Reichweite ist.“
„Gut. Geben Sie Feuer frei.“
„Aye, Skipper, Feuer frei.“

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Die Brücke der ONTARIO
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

Beide Seiten näherten sich einander bis auf Schussweite und dann brach die Hölle los. Die ONTARIO setzte ihre erste Salve akkurat auf das ausgewählte Ziel. Die bereits angeschlagenen Sierra III-Fregatte schien unter dem Bombardement zu erzittern, doch sie hielt stand. Ihr Gegenfeuer, das zudem von einer der Hotel IV unterstützt wurde, schwächte die bislang unbeschädigten Schiffe seines Zerstörers, drangen aber nicht durch.
Igor handelte instinktiv und ließ sein Schiff möglichst so beidrehen, dass sich die Schussfelder der Gegner gegenseitig überlappten.
Doch die Akarii waren keine Anfänger und genau so wie Schneider voraus gesagt hatte stürzte sich nun auch die zweite Hotel IV auf den Norfolk-Zerstörer. Früher oder später war das der Untergang der ONTARIO, das wusste Igor. Es würde also vor allem darauf ankommen, welche Seite es zuerst schaffen würde, eine Figur vom Spielbrett zu nehmen.
Mit einem schnellen Blick überprüfte Igor die Situation der anderen Schiffe. Die KAZE prügelte sich mit der deutlich größeren, wenn auch angeschlagenen Echo. Der gegnerische Kapitän war anscheinend guten Mutes, die agile Fregatte im Alleingang zu erlegen. Igor hoffte, dass ihn Schneider eines besseren belehren würde.
Die BUENOS AIRES und die JERVIS, die noch von den Resten des Dirty Bunch unterstützt wurden, hatten es mit der zweiten Sierra III, der Tango und der geschwächten Quebeck zu tun. Die Tatsache, dass die drei Akarii Kampfschiffe im Gegensatz zu ihren eigenen bereits arg geschwächte Schilde hatten, glichen die Chancen zwar etwas aus. Doch trotzdem bestand die einzige Hoffnung, die der dezimierte MAGELLAN Kampfverband noch hatte, darin den Akarii so bald wie möglich den Zahn zu ziehen. Denn wenn ihre Schilde erstmal unten waren, waren sie so gut wie geliefert.

Inzwischen fraß sich die nächste Salve des Zerstörers in die bereits angeschlagene Fregatte und Igor konnte erkennen, dass das Schiff nun erhebliche Probleme hatte und versuchte sich hinter die beiden Hotel IV zu legen.
„Ruder 30 Grad tief, erneutes Feuer auf die Sierra III sobald bereit“ gab Igor durch.
„Sir, sollten wir uns nicht lieber gegen die beiden Hotel IV zur Wehr setzen?“ fragte Lieutenant Yangwen, nachdem sich deren nächste Salve in ihre Schilde gebohrt hatte. Igor konnte das gut nachvollziehen. Sein erster Impuls war derselbe gewesen. Aber wenn sie sich jetzt auf einen Schlagabtausch einließen, würden sie langsam aber sicher aufgerieben werden. Und eine der Hotels zu knacken würde zu lange dauern. Seine einzige Hoffnung bestand darin, den Akarii eine so blutige Nase zu verpassen, dass sie sich zurückziehen würden.
Dann fegte ihre dritte Salve los. Aber noch bevor sie das gegnerische Schiff erreichte, krachten die Antischiffraketen der Hotel-Zerstörer durch die Schilde der ONTARIO.
Igor musste die Zähne zusammenbeißen, als das Schiff schwer getroffen wurde.

„Lieutenant Yangwen, Bericht“ bellte er durch die Brücke.
„Sir, Treffer Mittschiffs. Zwei Decks melden Hüllenbrüche, aber ansonsten nur leichte Schäden. Aber wir haben ein Feuer in Sektor 3C…“
„Verflucht! Geben sie mir die Sekundärbrücke“ befahl Igor voller Sorge. Sektor 3C war nicht nur nahe an einem der Munitionslager der ONTARIO, sie grenzte auch unmittelbar an die Ersatzbrücke des Schiffes.
Harun El-Habibi erschien auf dem Schirm, im Hintergrund waberten bereits Rauchschwaden durch den Raum.
„Igor, wir haben mehrere Brände hier, ich weiß nicht…“ begann der Araber mit Panik in den Augen.
„Ganz ruhig, Harun. Wir haben ein Feuer in eurem Sektor. Führ die Löschtrupps an und bring es unter Kontrolle, sonst werden wir von innen zerrissen.“ Igor fühlte wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Die ONTARIO war ein zähes Schiff und die beiden Hotel IV würden noch einiges zu tun haben, um sie wirklich zu erledigen. Aber wenn dieses Feuer die eingelagerte Munition zur Explosion bringen würde, dann hätten die Akarii einen schnellen Sieg erreicht.
„Ich tue was ich kann“ gab Harun zurück und verschwand vom Schirm. Und Igor fühlte einen Stich, als er sich dabei ertappte, dass er daran dachte, was er von Fähigkeiten des zweiten Offiziers hielt. Wenn es danach ging, hatten sie wohl nicht mehr allzu lange zu leben.

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Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

Nur mit Mühe konnte Thor ein Zittern seiner Hände unterdrücken. Sein Mund war wie ausgetrocknet und sein Herz schien wie verrückt zu rasen. Erst vor knapp zwei Stunden hatten sie einen Selbstmordangriff auf die Akariischiffe geflogen und fast die Hälfte seiner Kameraden war gefallen.
Und jetzt flogen sie diese Bestien schon wieder an.
Doch dieses Mal war die Situation eine andere. Dieses Mal waren sie nicht die wehrlosen Opfer. Nein dieses Mal würden sie das sein, was ihm am besten gefiel. Dieses Mal waren sie die Jäger.
Der Dirty Bunch schwenkte aus dem Ortungsschatten der ONTARIO aus und aufgrund ihrer deutlich schnelleren Maschinen waren sie bereits auf Raketenreichweite, noch bevor Sie von den Kriegsschiffen erfasst worden waren.
„Wir nehmen uns die Tango-Korvette vor, wir müssen unseren beiden Korvetten helfen oder sie sind bald Geschichte“ gab Tigre durch und sie markierten Ihr Ziel. Kurz darauf jagten ihre Raketen los. Genauso wie die Raketen der Kriegsschiffe beider Seiten. Der Dirty Bunch war schon wieder so schnell vorbei, dass Thor gar nicht erkennen konnte, welche Auswirkungen ihr Angriff gehabt hatte. Er war sich aber sicher, dass die Tango-Korvette wohl mehr als nur ein paar Narben eingesteckt haben musste.
Der Dirty Bunch wendete und nahm einen zweiten Anflug. Wieder legten sie sich die Tango-Korvette als Ziel vor. Aber die Tango zeigte auch, dass sie auch ordentlich austeilen konnte. Und das sollten die Piloten des Dirty Bunch jetzt zu spüren bekommen.
„Nehmt die Waffensysteme des Tango unter Feuer“ gab Tigre durch und jagte seine Raketen auf die Zehnrohrige Jägerabwehrbatterie los. Lady Death tat es ihm nach, und die Raketen der Beiden trafen ihr Ziel. Aber nicht rechtzeitig genug, eine der Jabo´s wurde von der letzten Salve der Antijägerraketen erfasst und von drei Flugabwehrraketen getroffen. Zumindest konnten die Piloten selbst noch eine Salve setzen und sich dann in Sicherheit bringen.
Doch Thor war mehr damit beschäftigt sein eigenes Ziel zu vernichten, als diesem Spektakel zuzusehen. Zusammen mit Ares nahm er einen der Lasertürme des Tango unter Feuer, der zu seiner Freude unter dem Ansturm der beiden Jäger explodierte.

Doch seine Freude währte nur kurze Zeit, als eine Raketenwarnung durch sein Cockpit brandete. Hektisch warf er seinen Jäger in eine enge Kehre und versuchte die anfliegenden Raketen durch wilde Manöver und ausgeworfenen Täuschkörpern abzuschütteln.
Ohne Erfolg.
Die erste Rakete traf sein Heckschild und schwächte es empfindlich. Die zweite Rakete traf nur Augenblicke später auf dieselbe Stelle und ließ seine rückwärtigen Schilde endgültig kollabieren. Doch damit nicht genug, es flammten mit einem Mal fast alle Alarmanzeigen auf seinen Anzeigen auf.
Ein schneller Blick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Wie es schien war aus einem Jäger gerade wieder ein wehrloses Opfer geworden. Seine Waffensysteme waren ausgefallen und was noch schlimmer war, er konnte nicht mehr lenken. Sein Kurs brachte ihn gefährlich nahe an eine der Quebeck-Fregatten und diese hatte ihn auch schon ins Visier genommen.
Alles ging so rasend schnell, das er fast zu spät reagiert hätte. Doch als ein erneuter Raketenalarm durch sein Cockpit schrillte, brüllte er gerade noch ein „ICH STEIGE AUUUS“ und betätigte den Hebel der Rettungsautomatik. Bruchteile von Sekunden später wurde er ins All geschleudert, weg von seinem zum Untergang verdammten Jäger. Und keine Sekunde zu früh, wie sich herausstellte.
Zwei Raketen schlugen kurze Zeit später in die führerlose Griphen ein und vernichteten sie, aber Thor war zum Glück schon weit genug entfernt.
Antrieblos schwebte er durch den luftleeren Raum und seinen Kopf zu der lautlosen Schlacht um, die um ihn herum tobte.
Ohne die Vergrößerungen durch die Bordinstrumente konnte er die grellen Lichtblitze und Explosionen nicht ohne weiteres den beiden Parteien zuordnen. Auch wenn die Schlacht für Raumfahrerverhältnisse auf engstem Boden stattfand, so waren immer noch etliche tausend Kilometer, die die beiden Feinde voneinander trennte.
Doch dann sah er die Quebeck-Fregatte, die seinen Jäger zu klump geschossen hatte förmlich auf ihn zupreschen. Sie nahm nicht direkt Kurs auf ihn und würde ihn wohl verpassen. Doch Thor war trotzdem mulmig zumute als das Kriegsschiff wenige Hundert Meter von ihm entfernt vorbeizog.
Sie konnten ihn im Moment wohl kaum orten und selbst wenn, war er in seiner derzeitigen Situation nicht mal einen Schuss wert. Trotzdem hielt er gebannt den Atem an und starrte auf eines der Feindesschiffe. Als das Schiff sich ein paar Sekunden später schon wieder deutlich von ihm entfernt hatte atmete er erleichtert wieder aus, den Blick immer noch auf die hellen rückwärtigen Triebwerke gebannt.
Dann erkannte er mehrere kleine sehr schnelle Objekte auf das Schiff zujagen und bevor sein Gehirn registrieren konnte, was diese Objekte waren und eine Warnung an seine Augenmuskeln geben konnten, explodierte sein Sichtfeld in einem unglaublichen Weiß. In seinem Cockpit wäre er gegen diese Helligkeit geschützt gewesen. Doch der schwache Strahlungsschirm seines Helms konnte gegen diese gleißende Gewalt nichts ausrichten.
Als die gnadenlose Helligkeit seine Netzhäute traf und förmlich zum verdampfen brachte, schloss er die Augen so schnell es ging.
Doch es war bereits zu spät. Sein gellender Schrei verhallte ungehört in den unendlichen Tiefen des Weltalls und dann fiel seine Welt in eine tiefe Finsternis, die sich nie wieder erhellen sollte.

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Die Brücke der KAZE
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

Es war ein ungleiches Duell, in dem der Ausgang eigentlich schon feststand. Während sich die Korvetten JERVIS und BUENOS AIRES mit der Quebeck-Korvette der Akarii anlegten und nebenbei Treffer von einer Sierra III-Fregatte und der Tango-Korvette kassierten, prügelte die ONTARIO brutal auf den anderen angeschlagenen Sierra III ein und schluckte selbst die Salven von zwei Hotel IV-Zerstörer.
Lange würde das nicht mehr gut gehen, der Schlüssel zum Erfolg lag in dem Echo-Zerstörer. Wenn die Akarii ihr Flaggschiff verlieren würden, wären die Karten sicher neu gemischt.
Schneider ließ auf den Echo feuern, mit mäßigem Erfolg. Die erste Salve wurde abgefangen, die zweite ging lediglich in die Schirme. Das Gegenfeuer des Akarii-Zerstörers auf die KAZE ließ nicht lange auf sich warten. Bereits der erste Treffer schüttelte das Schiff kräftig durch und ließ die Schirme wanken.
„Mehr Energie auf die Frontschilde. Alles, was wir haben!“, knurrte Schneider wütend. „Weiter feuern, Haruka!“
„Aye, Skipper.“
Wieder wurde die KAZE erschüttert. „Hüllenbrüche in fünf Sektionen! Zwanziger-Raketenwerfer Backbord vernichtet!“, rief Li aufgeregt. „BUENOS AIRES meldet schwere Treffer, Schiff feuert aber weiter.“
„Weiter feuern, einfach weiter feuern.“
Wieder wurde die KAZE getroffen. Schwer getroffen. „Linker Harpoon-Werfer ist Offline“, meldete Ishihiro tonlos.
„Offline ist nicht vernichtet! Bringen Sie das in Ordnung, Haruka und feuern Sie weiter!“
„TREFFER! Verdammte Scheiße, die ONTARIO hat ihr Ziel vernichtet! Fregatte, Sierra III-Klasse versenkt!
Und noch ein Treffer! Die BUENOS AIRES hat ihr Ziel ebenfalls vernichtet! Korvette Quebeck-Klasse versenkt! BUENOS AIRES und JERVIS attackieren nun die Tango-Korvette!
ONTARIO eröffnet Feuer auf unser Ziel!“
„Linker Werfer wieder online!“
„Gut, unterstützen Sie das Feuer auf den Echo!“, rief Schneider.
Wieder wurde die KAZE erschüttert. Überschlagsenergien tanzten plötzlich über die Konsolen in der Zentrale und verbrannten die Pilotin schwer. Li spritzte zurück, seine Jacke fing Feuer, aber Commander Soleil war schnell genug da, um de brennende Jacke zu löschen.
„Sanitäter in die Zentrale!“, rief sie, während sie versuchte, mit dem Feuerlöscher die Konsole zu retten. Ihr Blick ging zum Waffenoffizier, der leblos über seinem Pult lag. Unter ihm breitete sich eine kleine Pfütze Blut aus. „Schnell!“
„Ich transferiere Abschusskontrollen zu mir“, sagte Justus tonlos. Er übernahm die Kontrolle über die Harpoons und feuerte sie ab.
Wieder wurde die KAZE schwer erschüttert. Die Alarmsirenen gellten auf und wiesen auf einen massiven Hüllenbruch hin.
„Dafür ist die KAZE einfach nicht gebaut. Wir sollten nicht standhalten müssen. Wir sollten uns frei bewegen können“, merkte Li Chun an und sah auf das von seiner Konsole, was noch funktionierte. „Sir, die BUENOS AIRES wurde gerade vernichtet!“
Justus feuerte die Harpoon-Wefer erneut ab. „Verflucht! Wie sieht es an Bord der anderen Schiffe aus?“
„Die JERVIS meldet schwere interne Schäden, die ONTARIO ist ebenfalls mehrfach getroffen worden. Aber nicht so schlimm wie unser Schiff. ONTARIO feuert weiter, sie hält anscheinend wirklich stand.“

„Komm schon“, murmelte Schneider konzentriert. „Komm schon, Echo, nun platz endlich. Platz!“
Noch einmal wurde die KAZE schwer getroffen. Die Schwerkraft versagte und das ganze Schiff schien unter protestierendem Ächzen nach rechts zu gieren. Amber Soleil und die eintreffenden Sanitäter wurden von den Beinen geworfen.
Schneider versuchte auszugleichen, aber es gelang ihm nicht.
„Noch ein Treffer“, sagte er mit zitternden Fingern und versuchte die letzte Salve für die Harpoons auszulösen, „noch ein Treffer und wir sind tot.“
Der letzte Abschuss gelang. Nun hatte die KAZE ihre stärkste Waffe nicht mehr zur Verfügung. Aber seltsamerweise war Justus recht entspannt. Regelrecht zufrieden setzte er sich wieder aufrecht in seinen Sessel.
„Ich habe mich immer gefragt“, sagte er leise, „ob ich es schaffen würde. Bis zum bitteren Ende meinen Dienst zu versehen.“
Sein Blick ging zu seinem Ersten Offizier. Amber erwiderte diesen Blick mit einer stillen Zufriedenheit. Er würde zufrieden gehen. In Erfüllung seiner Pflicht. Innerlich spannte er sich an und wartete auf den alles auslöschenden Blitz.
Dann wurden sie geblendet.
Tyr Svenson
Darkness studierte den Bildschirm vor sich, während auf der anderen Seite des Tisches Monty Haltung angenommen hatte. Es war ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen, ihm zu befehlen zu rühren.
Die Schlacht war zu Ende, die zweite Schlacht an der die Butcher Bears beteiligt gewesen waren. Aber im Gegensatz zu dem Gefecht im Graxon-System hatte es diesmal spürbare Verluste gegeben. Insgesamt waren sieben Maschinen verlorengegangen, etliche weitere waren schwer beschädigt worden. Zusammen mit den Ersatzmaschinen war die Schwarze Staffel mit sechzehn Maschinen ausgelaufen – und jetzt blieben ihr maximal acht. Und das waren nur die Materialverluste. Es gab keinen Zweifel, daß Dutch und Fatman tot waren. Und Jeanne...

„Was sagen die Ärzte?“
Monty verzog kurz den Mund, als wollte er ausspucken, aber seine Stimme blieb kühl: „Es sieht nicht gut aus. Sie hat das eine Auge beinahe verloren und die Sehfähigkeit wird insgesamt auf maximal sechzig Prozent geschätzt. Die Regeneration wird mindestens drei Monate dauern, wenn es keine Komplikationen gibt. Und sie muß natürlich in die Etappe. Für die Staffel ist sie verloren. Dennoch, sie hatte ziemliches Glück...“
„Ich weiß. Ich muß ihr wohl noch mal einen Besuch abstatten. Das hat sie verdient...“
„Ja, das erscheint angemessen.“
Darkness verkniff sich die Antwort, die ihm bei diesem Kommentar von Monty auf der Zunge lag, der kleingewachsene Lieutenant fuhr ohnehin fort: „Die Ausgestiegenen wurden alle aufgesammelt. Wir haben Glück gehabt, keine ernsteren Verletzungen. In spätestens zwei Wochen haben wir wieder neun Piloten – allerdings nur acht Maschinen.“
„Ich weiß. Wie sieht es mit den eingeschleppten Maschinen aus?“
„Nicht schlecht, deshalb habe ich ja gesagt – zwei Wochen. Zwar muß Jeannes Maschine rundüberholt werden, aber Ohkas Jäger ist binnen vier Tagen wieder einsatzfähig. Alle anderen beschädigten Einheiten noch schneller – ein bis zwei Tage. Wenn wir Druck machen.“
„Wir werden Druck machen – für’s erste ist das Ihre vordringliche Aufgabe. Machen Sie den Techs Feuer unterm Arsch.“
„Ja, Sir.“ Immer noch blieb der angestrengte Zug um Montys Mund, die ganz besonders kühle Stimme. Auch wenn man Darkness kürzlich aus seinem Jäger geschossen hatte, ihm entging das Verhalten seines Vize nicht. Aber vorerst machte er einfach weiter. Nighthawks waren ein rares Gut in der TSN – die Maschine der Elitestaffeln. Egal, wie oft über die Umrüstung der Phantome-Staffeln auf Nighthawk geredet wurde, bisher war das Zukunftsmusik geblieben. Es blieb zu hoffen, daß der Krieg dafür sorgte, daß endlich mal Bewegung in die Sache kam. Bis dahin konnte Darkness nur hoffen, daß seine gerupfte Staffel den passenden Ersatz erhielt. Auch wenn seine Einheit einiges vorzuweisen hatte – mindestens einen Frachter, die Beteiligung an der Vernichtung eines Zerstörers, der Angriff auf den Golf und eine ganze Reihe von Abschüssen...
„Übrigens – Glückwunsch für den Angriff auf den Golf. Das war exzellente Arbeit, das ist Ihnen wohl klar. Sie haben die Staffel gut geführt.“
„Danke Sir. Ich habe meine Pflicht getan.“ Aber es blieb dieser seltsame Unterton in Montys Stimme.

„Was ist los?“
„Sir?“
„Ihnen liegt irgendetwas auf der Zunge. Spucken Sie es aus, bevor Sie daran ersticken. Nehmen Sie das als Befehl.“ So direkt aufgefordert, richtete sich Monty noch etwas mehr auf, kompensierte mühelos seine unscheinbare Erscheinung. Auch wenn seine Stimme leise blieb, nun war die unterdrückte Wut und der Ingrimm nicht zu überhören: „Ich muß auf das Entschiedenste den Befehl von Commander Cunningham kritisieren, Sir!“ Den Titel des Geschwaderchefs spuckte Monty fast aus. „ Ich habe mit sechs Jägern einen Selbstmordangriff geflogen, weil er notwendig war und weil er mit befohlen wurde. ZWEI Jäger sind zurückgekommen. WIR haben den Bombern den Weg geöffnet. Und dann gibt er VIER Jägern – zwei schwerbeschädigte Maschinen und die anderen Grünschnäbel – den Befehl, die angreifenden Bomber zu eskortieren und zu verteidigen. Mit welchen Kräften, dachte er denn?! Meine Piloten sind keine Supermänner! Man kann nicht einfach wieder und wieder das Unmögliche verlangen. Sie so zu verheizen ist einfach DUMM! Und trägt weder der erforderlichen Sicherheit der Bomber, noch den Möglichkeiten der Butcher Bears Rechnung. Leistung verlangt auch Respekt und Verantwortung seitens der Führung. Wenn ich MEINE Leute in die Schlacht schicken soll, ist dies das Mindeste, was ich verlangen muß. Andernfalls ist die Wirkung für die Kampfmoral verheerend. Diese Männer und Frauen sind keine Kampfmaschinen...“
„Das reicht!“ Darkness scharfe Stimme schnitt den Wortschwall ab, der aus dem sonst so beherrschten Lieutenant hervorgebrochen war. Darkness war allerdings nicht besonders überrascht über den Ausbruch Montys. Auch wenn der Mann alles andere als kollegial und ein fürchterlicher Schleifer vor dem Herrn war – er fühlte sich für die Männer und Frauen unter seinem Kommando direkt verantwortlich. Und er HASSTE es, wenn seine Leute verheizt wurden, man ihnen Dinge abverlangte, die sogar für Montys hochgesteckte Anforderungen utopisch erschienen. Zusammen mit seinem Ego und seiner Unbeirrtheit hatte das Monty schon mal den Lieutenant Commander gekostet und ihn auf dem Posten des Lieutenant „festgefroren“.
„Ich verstehe Ihre Bedenken, ob Sie es glauben oder nicht. Schließlich bin ich Staffelkapitän. Es liegt nicht in meiner Absicht, meine Leute zu verheizen, oder von ihnen Unmögliches zu verlangen. Aber es steht Ihnen nicht zu, den Geschwaderchef in dieser Form zu kritisieren. Wenn Sie Bedenken haben, äußern Sie diese in angemessener Art und Weise. Ich werde dann sehen, was ich tun kann. Verstanden?“
„Ja, Sir...“ Das klang allerdings nicht sehr einsichtig. Darkness verkniff sich ein düsteres Grinsen. Nun, er konnte Monty in gewissem Maße wirklich verstehen. Er würde mit Cunnigham sprechen müssen. Auf Dauer brachten derartige „Custer-Befehle“ zu viel böses Blut in das Geschwader. Kein Commander konnte es sich leisten, der Reihe nach alle Staffelführer und ihre Stellvertreter zu verprellen. Er war Cunninghams Freund – aber damit war er das Mitglied einer vom Aussterben bedrohten Art im Kreis der Offiziere. Und Cunnighams Art, reichlich hochgesteckte Aufgaben eigentlich unzureichenden Kräften zuzuteilen, konnte irgendwann mal richtig ins Auge gehen. Aber bis dahin brachte es nichts, wenn sich Monty am Ende noch in aller Öffentlichkeit vergaß und den Commander wie einen Gleichrangigen oder gar Untergebenen abkanzelte. Es wäre sogar schädlich, denn eigentlich hatte Darkness vor, Monty bei Gelegenheit zum Lieutenant Commander vorzuschlagen. Nach dieser Schlacht erschien es möglich, den alten Makel in Montys Akte zu übergehen. Er war einfach zu gut, um auf Ewigkeit Lieutenant zu bleiben.
„Nun, da Sie dies begriffen haben – das war es. Sehen Sie zu, daß wir binnen vier Stunden wenigstens vier voll einsatzfähige und betankte Maschinen haben. Und denken Sie daran – machen Sie bei den Techs Druck!“
„Sir!“ Auch wenn Monty alles andere als zufrieden wirkte, es hatte ihn wohl doch etwas erleichtert, Dampf abzulassen. Und den Rest seiner schlechten Laune würde er vermutlich auf dem Flugdeck abbauen.
Als die Tür hinter Monty zuglitt, rief Darkness noch einmal dessen Akte auf. Ja, die Leistungen des Lieutenant prädestinierten ihn zum höheren Offizier. ‚Eine Klappe wie ein Commander hat er jedenfalls...‘ dachte Darkness amüsiert. Dann rief er eine weitere Akte auf...
Tyr Svenson
Vertrauen

Erstaunlich, wie still es auf so einem Schiff seien konnte. Gewiß, die heutigen Maschinen machten wenig oder keinen Lärm, und die Zeit der donnernden Geschütze war lange vorbei. Aber dennoch, die Lautlosigkeit der Vorgänge hatten oft etwas fast irreales an sich. Während Lieutenant Commander Marek Rogulski durch die Korridore des schweren Kreuzers schritt, verriet ihn nur seine Erfahrung und die eigene Erinnerung, daß das Schiff vor kurzem noch im Gefecht gestanden und teilweise erhebliche Schäden erlitten hatte. Die bisherige Statistik ging von 62 toten Besatzungsmitglieder, 117 Verwundeten und 15 ,Vermißten‘ aus. Die Fälle allerdings wo so ein Vermißter nicht zu einem KIA wurde oder für immer verschollen blieb, ließen sich in der Raumfahrtgeschichte an den Fingern weniger Hände abzählen. Und allen war dies nur zu klar.
Aber nicht das beschäftige den polnischen Waffenoffizier. Auch nicht die weitere Schlacht – denn die war für die RELENTLESS erst einmal vorbei. Der Kreuzer hatte seine Heckwaffen eingebüßt und schaffte bestenfalls noch zwei Drittel der normalen Geschwindigkeit. Das war definitiv zu wenig. Außerdem hatte sich Schupp anscheinend für das Schiff stark gemacht, vielleicht auch aus schlechtem Gewissen.
„Für zehn Pfennig, denk Ich, war’s heute genug!“ hatte der Geschwaderchef zu Mithel gesagt, was der mit einem schmalen Lächeln quittierte. Die RELENTLESS leistete jetzt ihrem Schwester- und ehemaligen Flaggschiff Gesellschaft, der MERCILESS. Schupp selber war mit dem Rest seiner Schwadron – die jetzt immerhin fast die Hälfte ihres Bestandes durch Verlust oder Beschädigung zeitweilig eingebüßt hatte – an der Verfolgung der Akarii beteiligt. Die Havaristen hinkten hinterher, aber dafür hatten sie wenig zu befürchten.

Auch Mithels knappe Ansprache war es nicht, die den Offizier beschäftigte. Der Captain hatte der Besatzung in kurzen Worten seiner Anerkennung ausgesprochen. Er hatte hervorgehoben daß die Bordwaffen der RELENTLESS 17 feindliche Kampfflieger und 31 Marschflugkörper vernichtet hatten. Das war einiges weniger als die DAUNTLESS, aber es war immer noch so ziemlich das beste Ergebnis der übrigen Flakschiffe. Mithel hatte auch kurz der Toten gedacht – wenn auch übertriebene Sentimentalität nie seine Sache gewesen war, und das war zu merken. Dann hatte er die Leiterin der Schadenbeskämpfungsabteilung belobigt. Und im nächsten Atemzug festgelegt, daß es ihre Aufgabe seien würde, das Schiff binnen KÜRZESTER Zeit wieder einsatzbereit zu machen. Das war einer der Gründe warum ein relativ geschäftiges Treiben in den Gängen herrschte. Aber alles ging in einer Atmosphäre des stillen Ernstes vor sich. Die Verluste und Schäden sowohl des Schiffes als auch der Schwadron verboten übertriebene Freudenbekundungen – wer dahingehend Tendenzen gezeigt hätte, wäre wohl nur mit Glück mit einem Anschnauzer davongekommen. Die Leute waren natürlich froh, daß sie noch am Leben waren. Aber über ein Fünftel der Besatzung war tot oder verletzt, und das hieß, jeder kannte mehrere der Betroffenen, hatte Freunde und gute Kameraden die dem Akariiangriff in der einen oder anderen Art und Weise zum Opfer gefallen waren. Oder er hatte wiederum gute Freunde, deren Kameraden es so gegangen war.

Das war auch der Grund, aus dem er selber nicht in seiner Kabine war. Seine Schicht war vorüber, und er spürte deutlich die Anzeichen der Übermüdung. Dennoch, er konnte einfach nicht anders.
Die Krankenstation hatte sich in ein Feldlazarett verwandelt. Die Verwundeten waren inzwischen versorgt oder auch evakuiert worden, und Mithel hatte in gewohnt rücksichtslos-effizienter Art einfach etliche angrenzende Räume als Krankenzimmer requiriert. Es hatte auch keiner Einspruch dagegen erhoben. Trotz allem lagen die Verletzten weitaus dichter als im Normalfall – was nur natürlich war.
Der Lieutenant Commander erspähte schließlich die Ärztin, die ungefähr so müde aussah, wie er sich fühlte. Aber sie hielt sich aufrecht und bemühte sich, die Zügel nicht aus der Hand zu lassen. So mußte er einen Augenblick warten, ehe er ihre Aufmerksamkeit genoß.
Die Griechin zog eine Augenbraue hoch: „Brauchen Sie einen Schuß?“
Es mochte ärztlicher Ethik nicht ganz entsprechen, aber in ihrer Zeit unter Mithels Einfluß hatte sich Sophie Argyris angewöhnt, die Besatzungsmitglieder zumeist mit dem zu versorgen, was für ihr ,Funktionieren‘ notwendig war. Auch wenn das manchmal Risiken bedeutete. Der Captain hatte zumeist diesen Einfluß auf seine Offiziere – er verschliß sie, brach sie oder bog sie zurecht. Nun, das war vielleicht etwas übertrieben, aber ein wahrer Kern war in jedem Fall dabei.
Rogulski schüttelte leicht den Kopf. Er dachte einen Augenblick lang über die Antipathie nach, die er bei dem Gedanken an seinen Vorgesetzten gefühlt hatte. Das war früher nicht so gewesen. Aber dann fixierte er wieder die Med-Offizierin: „Ich wollte Sie fragen, wie es Commander Raffarin geht, und ob ich sie besuchen kann.“

Einen Moment lang schien die Ärztin ihn seelisch zu sezieren. Sie war normalerweise eher eine offene Natur, aber manchmal konnte man auch bei ihr, wie bei jedem Menschen, nicht genau sagen, was sie dachte.
Dann legte sie den Kopf leicht schief. Ihre Stimme klang professionell. Aber zuviel Gefühle konnte sie sich vermutlich nicht leisten – nicht angesichts von über 100 Verletzten. Auch nicht für eine gute Kameradin. Eigentlich waren ja Auskünfte über Patienten Sachen für Angehörige oder den Dienstweg, aber das handhabte sie schon lange weit mehr nach eigener Entscheidung. Wenn sie nach Vorschrift hätte Dienst tun wollen, hätte sie auch auf der Erde bleiben können.
„Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Ihre Regeneration wird aber eine längere Zeit brauchen – Brandwunden und Splitter, dazu eine Rauchvergiftung.“ Sie registrierte, wie der Offizier bei ihren Worten zusammenzuckte. Eine lange Regenerationszeit, das bedeutete bei dem Stand der medizinischen Technik schwere bis schwerste Wunden. Soviel war selbst relativen Laien klar.
„Sie können sie sehen, aber Sie müssen mir Ihr Wort geben, daß Sie ruhig sind und jede Störung vermeiden.“ Auch das war eigentlich gegen die Vorschrift. Aber auf dem Schiff wachte vor allem sie selber über die Vorschriften – und auf der Krankenstation war sie mehr oder weniger Kapitän.
Marek Rogulski nickte. Ihm war vermutlich nicht klar, wie blaß er war. Die Ärztin musterte ihn einen Augenblick mit einer Mischung aus Mitleid, beruflicher Besorgnis, Neugier und Reserviertheit. Neben dem Geistlichen, oder eher noch vor ihm, wußte sie vermutlich am meisten über die Besatzungsmitglieder. Dann wies sie die Richtung: „Zimmer A-5. Aber vergessen Sie es nicht. Wenn ich Grund zur Beschwerde haben sollte...“
Und diese Drohung, so merkwürdig sie sich aus ihrem Mund anhörte, schien ernst gemeint.

Das Zimmer war klein, vor allem mit dem Krankenbett und den zahlreichen medizinischen Geräten. Der Waffenoffizier öffnete die Tür beinahe lautlos. Sein erster Blick galt der Verwundeten. Die zahlreichen Schläuche, die sie mit den verschiedenen Apparaturen verbanden, und das leise Zischen eines künstlichen Beatmungsgerätes, verrieten ihm, wie ernst es um sie stand. Ihr Gesicht war unkenntlich, fast vollkommen in Verbände gehüllt. Sie regte sich nicht, lag da wie tot. Rogulski spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte.
Erst jetzt bemerkte er, daß er nicht mit der Ersten Offizierin allein war. Etwa anderthalb Schritt vom Bett entfernt hatte jemand einen Stuhl plaziert, der einem Eintretenden zunächst nicht auffiel, da er halb an der Wand stand. Die schlanke Gestalt in der weißen Uniform hatte sich aufgerichtet.
Captain Mithel hatte die Kapitänsmütze abgesetzt, so daß sein schwarzes Haar zu sehen war, in das sich zunehmend graue Strähnen mischten. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, aus seinem Alter ein Geheimnis zu machen. Er musterte seinen Untergebenen schweigend. Hier, im Krankenzimmer, wirkte er weit älter, müder – und menschlicher – als auf der Brücke des Schiffes, wo er mit wenigen Worten über Leben und Tod entschied. Seine Augen wirkten fast traurig, ein Gefühl, das gewiß nicht zu denen gehörte, die er öffentlich zeigte.
Lautlos stand der Captain auf. Er mochte wie ein alter Mann aussehen, doch er bewegte sich keinesfalls ungeschickt. Er nickte seinem Untergebenen zu, dann trat er an ihm vorbei auf den Gang, und schloß die Tür hinter sich.

Als Marek Rogulski das Zimmer verließ, wartete Mithel noch immer. Sein Gesicht war wieder die ruhige Maske, die er stets seinen Untergebenen zeigte. Er nickte dem Polen zu: „Begleiten Sie mich.“ Es war keine Bitte.
Der Waffenoffizier kannte Mithels Kabine, doch selten hatte er sich so unwohl gefühlt. Wollte der Captain ihren Streit – denn Streit war es gewesen – ausräumen? ,Vergeben und vergessen‘, das war Mithels Maxime selten. Oder wollte der Captain seinen Untergebenen abkanzeln, ihn gar auf seine Ablösung vorbereiten? Das alles hatte es schon gegeben, wobei Mithel für mündliche Verweise für gewöhnlich die Öffentlichkeit vorzog, oft auch bei Offizieren. Rogulski konnte nur abwarten. Er hatte kein eigentliches schlechtes Gewissen, aber er spürte auch nicht mehr den wütenden Zorn auf Mithel. Und vor allem – er war immer noch Offizier der Flotte.
Mithel sprach diesmal mit ruhiger Stimme. Es war nicht der schneidende Tonfall, den er für einen Verweis zu verwenden pflegte. Aber das nahm einigen seiner Worte nichts von ihrer Schärfe.
„Ihre bisherige Dienstakte ist makellos. Sie haben bei zahllosen Gelegenheiten Entschlossenheit und Kompetenz bewiesen – nicht zuletzt einer der Gründe, warum ich Sie angefordert habe. Die Leistungen der Waffenabteilung sind gut, ja sogar sehr gut, und ich weiß das ich das zum Gutteil Ihnen zu verdanken habe.
Aber dennoch – Sie haben heute zweimal einen direkten Befehl von mir mißachtet. Ich will mich jetzt nicht mit Ihren Motiven für Ihr Handeln beschäftigen. Zum Teil gehen Sie mich nichts an, und für den Tatbestand sind sie ohnehin nicht von Bedeutung.“
Der Captain bemerkte, daß seine letzten Worte durchaus getroffen hatten. Rogulskis Gesicht verfinsterte sich, aber er behielt die „Hab Acht!“-Haltung bei, die er bei Mithels ersten Worten eingenommen hatte.
„Menschlich mag Ihr Tun verständlich sein, aber Sie wissen ebenso wie ich, daß dies im Dienst keine Rolle spielt. Wir alle – Sie, ich, und auch Commander Raffarin – sind stets und zuerst unserer Aufgabe verpflichtet, die wir an Bord dieses Schiffes wahrzunehmen haben. Persönliche Gefühle dürfen die Handlungen eines Offiziers nie so beeinflussen, daß er nicht mehr in der Lage ist, seine Pflicht zu erfüllen. Zumindest nicht bei einem Offizier an Bord meines Schiffes. Das ist die Last eines Kommandos, und in einem Krieg – und wir befinden uns in einem Krieg, einem Konflikt dazu, dessen Ernst ich nicht gerade Ihnen verdeutlichen muß – haben sowohl Kapitän als auch Offiziere das Wohl des Einzelnen dem des Schiffes und der Mission unterzuordnen. Insbesondere, da unser Verhalten entscheidend für das Wohl von Hunderten, wenn nicht gar Tausenden ist.“

Rogulski wußte das natürlich alles selber. Aber es war immer etwas anderes, es von jemand anderem zu hören. Gefühl und Vernunft rangen miteinander – wobei oft die Fronten unklar waren. Auch das Vertrauen, das Mithel in ihn bisher gesetzt hatte, hatte ihm früher viel bedeutet. Denn der Captain war damit nicht verschwenderisch.
„Commander Raffarin war – sie IST – eine hervorragende Offizierin. Sie hat durchaus das Zeug, eines Tages selber ein Kommando zu übernehmen. In dem Fall wird sie vermutlich ähnliche Entscheidungen treffen müssen. Ich rate Ihnen, sich das durch den Kopf gehen zu lassen.“
Abgesehen von dem Tonfall war das bisher nicht sehr viel Überraschendes gewesen – wenn auch der Captain seinem Untergebenen verraten hatte, daß er weit mehr ahnte oder wußte, als der angenommen hätte. Umso überraschender war, was jetzt kam.

„Wie ich schon sagte, meine Position in diesem Fall ist klar.“ Dann zögerte der Captain, und jetzt klang er fast so, als würde er um Verzeihung bitten – und das war bei ihm nun wirklich alles andere als normal: „Aber auch mein Rang gibt mir nicht das Recht, mich in JEDEM Fall als Richter aufzuspielen. Ob es nun persönliche Gefühle waren oder der Respekt für viele gute Kameraden, vor allem die Erste Offizierin – moralisch fällt es mir schwer Sie zu verurteilen. Ich kann mir vorstellen, daß Sie mich jetzt für kalt, ja unmenschlich halten. Aber ich habe die Verantwortung für jeden hier an Bord, und für die, die wir zu schützen haben. Ich schätze Sie als Offizier, wie auch als Kameraden – persönlich wie fachlich. Aber auch hier gilt, daß meine Pflicht vorgeht.“

Dann straffte sich Mithel. Seine Stimme klang ruhig: „Wenn Sie der Meinung sind, nicht mehr unter meinem Kommando dienen zu können, weil das Vertrauen, das zwischen Untergebenem und Vorgesetzten herrschen muß, unwiederbringlich zerstört ist, dann werde ich Ihren Versetzungsgesuch ohne Angabe von Gründen befürworten. Wenn Sie weiterhin an Bord der RELENTLESS, oder welches Schiff ich auch immer kommandiere, als Offizier und auch als Freund dienen wollen, dann gehe ich davon aus, daß Sie meine Beweggründe akzeptieren.“ Rogulski starrte seinen Vorgesetzten an. Für einen Augenblick war er wirklich sprachlos. Er meinte Mithel zu kennen, aber die letzten Stunden hatten ihn in mehrfacher Hinsicht eines anderen belehrt. Der Captain wollte ihm offenbar vertrauen, vielleicht hatte er auch Angst – wenn so ein Wort angebracht war – einen seiner wenigen, nun ja, Vertrauten zu verlieren. Niemals sonst hätte er so offen geredet. Nicht Mithel, der sonst in Raumschiffpanzerung gegossenes Dienstprotokoll war, der unnahbare ,Erste unter dem Herrgott‘. Und er würde Rogulski entweder gehen lassen – ohne einen negativen Dienstvermerk – oder sich auf das unausgesprochene Wort des Polen verlassen.

Für einen Augenblick zögerte der Waffenoffizier. Einen Augenblick nur, und doch fühlte er Scham, als er die Trauer in den Augen seines Vorgesetzten, ja Freundes sah. Dann nahm er Haltung an: „Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Captain!“
Das Lächeln Mithels war aufrichtig, und auch das war eine Seltenheit – sonst war es oft von Spott oder einer gewissen Portion Zynismus geprägt, wenn er denn überhaupt mal lächelte: „Danke. Ich danke...Dir.“
Dann salutierte Lieutenant Commander Rogulski: „Bitte um Erlaubnis gehen zu dürfen. Meine nächste Schicht beginnt bald.“ Mithel nickte nur: „Erlaubnis erteilt.“
Doch als der Pole den Raum verließ, fügte der Captain noch hinzu: „Commander Raffarin... Sie wird lange brauchen sich zu erholen. Monate, vielleicht mehr. Und es wird eine schwere Zeit werden.“
Rogulski drehte sich um: „Ich werde ihr helfen, so gut ich das kann.“ antwortete er. Mithel akzeptierte das Eingeständnis mit einem Nicken: „Auch dafür danke.“ Dann fiel die Tür ins Schloß.
In seiner Kabine warf der Captain einen Blick auf das Chrono. Noch vier Stunden, bis er wieder auf der Brücke seien wollte. Er spürte langsam die Jahre, wenn er ehrlich zu sich wahr, aber bisher hatte er durchgehalten. Wenn diejenigen zu ihm hielten, denen er vertrauen konnte, dann war alles machbar.
Er wußte, die folgenden Stunden und Tage würden hart werden. Es war auch seine Pflicht, die Briefe an die Hinterbliebenen zu schreiben, und viele gute Soldaten würde er vermissen. Für lange Zeit oder für immer. Aber er würde es schaffen – da war er sich im Moment sicher.
Tyr Svenson
Finale Teil 3

Die Brücke der KAZE
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

„Wie geht es voran?“, wollte Maleetschev wissen.
Schneider machte eine abwertende Handbewegung. „In einer Stunde können wir die KAZE wieder steuern. Und bei Ihnen?“
„Den Umständen entsprechend, Commander. Wir haben mächtig eingesteckt, die internen Feuer konnten gerade noch so eingedämmt werden. Unser Zwei-O ist dabei…“ Igor konnte den Satz nicht beenden. „Nun ja, er ist in Erfüllung seiner Pflicht gefallen aber er hat zumindest verhindern können, dass keine größeren Schäden aufgetreten sind. Schlimmer sieht es bei den Korvetten aus. Die JERVIS hat tüchtig eingeschenkt bekommen und die BUENOS AIRES konnte nur zu einem Drittel evakuiert werden, bevor sie zerstört wurde.“ Maleetschev senkte den Kopf als er fort fuhr. „Commander Perrin hat es leider nicht geschafft, genauso wenig wie Captain Dominguez. Er ist vor einer knappen Stunde seinen Verletzungen erlegen.“
Das war ein Schock und Schneider keuchte erschrocken auf. Irgendwie hatte er den Eindruck, dass die Einsatzgruppenleiter dieser Mission keine sonderlich lange Lebenserwartung zu haben schienen.
„Wie geht es Singh?“ fragte er zaghaft und wollte die Antwort kaum hören. Auch wenn er seine Differenzen mit dem regulären Captain der ONTARIO gehabt hatte, wäre sein Tod ein großer Verlust. Man konnte über Singh sagen was man wollte. Aber er war ohne Zweifel einer der erfahrensten Kapitäne der Navy.
„Er hat einen Schlaganfall erlitten und liegt noch im Koma. Doktor Goordelans beschreibt seine Lage als stabil.“ Schneider konnte deutlich sehen, dass der Erste Offizier mehr als nur besorgt war, was den Zustand seines Mentors anging. „Wir haben die Verletzten auf die MAGELLAN geschickt und die aktiven Raumfahrer auf die NORTHUMBRIA. Beide Schiffe werden den Heimweg schaffen.“ Dann sah Maleetschev den Kapitän der KAZE ernst an. „Wollen Sie es sich nicht noch mal überlegen? Die KAZE könnte es ebenfalls zurück ins Dock schaffen.“
„Was? Nein. Ich denke, es ist ein mehr als angemessenes Ende für dieses Schiff. Der Stolz der Flotte war es nie. Vielleicht kann es im Tod den Ruhm ernten, den es im Leben nie erreichen konnte.“
Schneider sah betreten zu Boden. „Ich schicke Ihnen meine Toten und Verletzten auf die ONTARIO rüber. Mein Erster Offizier setzt gerade mit den Leichen meiner Pilotin und meiner Cheftechnikerin über. Wann kommt die NORTHRUMBRIA längsseits?“
„Sie dürfte sich bereits auf dem Weg befinden.“ Maleetschev schluckte hart. „Sir, was die KAZE angeht…“
„Nein, es ist in Ordnung, Igor. Ihr letzter Angriff, der mit dem Echo-Zerstörer ihr Flaggschiff zerstört hat, hat den Kampfeswillen der Akarii gebrochen.“
„Ja vielleicht. Doch mit zwei wenn auch angeschlagenen Hotel IV, einer Tango und einer Sierra III hätten sie uns immer noch den Rest geben können, wenn die Jäger sich nicht doch noch die übrig gebliebene Sierra III hätten holen konnten. Damit hat der Dirty Bunch ihr Schiff gerettet.“
Schneider lächelte leicht bei dieser Ironie. Der sogenannte Abschaum der Navy rettete sich gegenseitig die Haut. „Wie dem auch sei, ich sorge nun dafür, dass es nicht umsonst war. Sie kennen die Berechnungen von Lieutenant Jamison-Bowyer? Wir haben eine reelle Chance, dieses Wurmloch zu kappen und die Gefahr ein für allemal zu bannen.“
„Ich kenne die Berechnungen aber ich verstehe sie nicht“, gab der amtierende Kapitän der ONTARIO zu. „Mit dem Reaktor der KAZE, den übrigen Torpedos der Flotte und den letzten Minen sowie dem Reaktorkern der zerstörten GUADALCANAL wollen Sie tatsächlich ins Wurmloch fliegen?“
„Ins Wurmloch fliegen und alles sprengen. Wir erreichen einen Energiewert von neunzig Gigatonnen Vergleichssprengstoff TNT. Laut Miss Jamison-Bowyer wird die Kraft stark genug sein, um den Raum umzuformen. Im Klartext wird sich das Wurmloch einen neuen Ausgang suchen.“
„Und wenn die Berechnungen falsch sind? Reicht denn das Wrack der GUADALCANAL nicht dafür? Muss es auch die KAZE sein?“
„Ich wüsste nicht, dass sich Mel jemals verrechnet hätte“ sagte Justus grinsend, dann atmete er schwer aus. „Wissen Sie, Igor, manchmal, wenn ich in diesem Sessel saß, da hatte ich das Gefühl, dass die KAZE schon vor langer Zeit ihr ehrenvolles Ende hätte finden sollen. Sie war schon alt, bevor der Krieg begann. Und eine Verschrottung würde nicht in ihr Wesen passen. Sie ist ein zähes Schiff. Und wenn sie vergeht, dann zum Nutzen der Menschheit. Gestatten Sie der alten Lady ihren letzten großen Auftritt.
Außerdem brauchen wir den Reaktor der KAZE. Wir brauchen jedes kleine Joule an Kraft. Sind Ihre Werfer klar? Das Timing muß perfekt sein.“
Maleetschev schluckte wieder. „Ich bin mir dessen bewusst.“
„Gut. Wir sprechen uns in einer Stunde wieder. Und, Igor, ich danke Ihnen.“
Justus Schneider deaktivierte die Verbindung und starrte in die leere Zentrale.
Leise begann er zu weinen.

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Forschungsschiff MAGELLAN
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

Auch auf der MAGELLAN, dem wie man jetzt mittlerweile sagen konnte ehemaligen Prunkstück des Naval Scientific Corps, wurde geweint. Und zwar von mehr als einer Person. An Forschung war auf diesem Schiff schon lange nicht mehr zu denken. Es war fast vollkommen zu einem Lazarettschiff umfunktioniert worden.
Überall lagen die Toten und Verwundeten dieses Krieges. Das Jammern und wimmern schien nie enden zu wollen und einige der Ärzte, Sanitäter und Pfleger wussten schon fast nicht mehr, was es hieß zu schlafen.
Commander Jeremy Baker schlich durch die Korridore des Schiffs und nahm das Ganze wie in Trance wahr. Was war bloß geschehen? Wann hatte diese Mission ihren guten Stern verloren? Hatte Baker am Anfang noch die große Hoffnung gehabt, dass er durch die Entdeckung dieses Wurmloches zu Ruhm und Ehre kommen würde, so war er nach dem späteren Verlauf der Mission darüber überhaupt nicht mehr sicher.
Und was er jetzt noch gehört hatte, versetzte ihn in noch größere Sorge, was den Fortgang seiner Karriere betraf.

Dann fand er schließlich, wonach er gesucht hatte. Der früher einmal als Laboratorium genutzte Raum war abgedunkelt und vier Betten waren hineingepfercht worden. Der Anblick der Verletzten – oder waren diese bereits tot? – war so erschreckend, dass Baker gar nicht hinsehen mochte.
An einem der Betten kniete eine Person und schluchzte so sehr, dass ihr Oberkörper vibrierte. Baker erkannte sie sofort. „Lieutenant Jamison-Bowyer“ begann er förmlich, immer noch gekränkt von ihrer Abweisung. Doch er war sich nicht sicher, ob sie ihn gehört hatte.
„Lieutenant!“
Melissa Jamison-Bowyer stützte sich auf der Bettkante auf, sie schien unsicher auf den Beine zu sein. Als sie sich umdrehte, erkannte Baker, dass ihr Gesicht vollkommen verheult war. Im Augenblick war diese Frau in keinster Weise ansehnlich und fast hätte sie ihm Leid getan.
Aber auch nur fast…
„Ich erwarte eine Erklärung von Ihnen!“
Jamison-Bowyer antwortete nicht, sondern blickte ihn aus leeren verweinten Augen aus an.
„Was willst Du, Jeremy?“ fragte sie dann nach einer Weile, die Stimme ein Grabesflüstern.
„Wie ich gehört habe, haben sie Commander Schneider eine Berechnung zukommen lassen? Sind sie verrückt? Sie wollen allen Ernstes dieses Wurmloch schließen?“
Sie antwortete nicht.
„Verdammt, Lieutenant, was fällt Ihnen eigentlich ein, an mir vorbei so etwas zu tun? Sie HÄTTEN mich konsultieren MÜSSEN“ brüllte er jetzt fast, ohne Rücksicht auf die Verletzten im Raum. Die konnten ihn im Augenblick höchstwahrscheinlich eh nicht hören, wenn sie denn überhaupt jemals wieder etwas hören würden. Er war mehr als nur verärgert und dieser Ärger musste jetzt aus ihm raus. Jetzt und hier und mitten ins Gesicht seiner Untergebenen.
Diese rührte sich immer noch nicht, nein, sie zuckte nicht einmal mit einer Wimper, was Baker noch mehr in Rage versetzte.
„Dieses Wurmloch darf nicht so einfach geschlossen werden. Was ist, wenn sie sich verrechnet haben?“
„Ich habe mich nicht verrechnet“ erwiderte sie tonlos.
„Wie können sie sich dessen so sicher sein, in ihrer jetzigen geistigen Verfassung“ spottete er und sein Kopf ruckte einmal hin zu der leblosen Person auf der Liege neben Ihnen.
„Ich bin mir sicher“ erwiderte sie fest. „Die Berechnungen habe ich angestellt bevor ich von… von…“ sie konnte es nicht aussprechen.
„Und wenn schon. Dieses Wurmloch darf nicht geschlossen werden…“
„Ach ja? Und warum nicht? Damit ihr euch noch weiter gegenseitig die Köpfe einschlagen könnt? Damit noch mehr Menschen und Akarii für nichts und wieder nichts… sterben… müssen…?“ Sie schüttelte sich und konnte nicht verhindern, das weitere Tränen ihre Wangen herabfielen. Dann fing sie sich wieder. „Weißt Du, Jeremy, eine Weile habe ich gedacht, wir könnten Freunde sein. Aber ich habe mich wohl geirrt…“
Dann drehte sie sich um und betrachte wieder den leblosen Körper neben ihr.
Bakers Wut war noch lange nicht verraucht. Er konnte nichts mehr tun, Melissa hatte Commander Schneider diesen Wurm ins Ohr gesetzt und weder sie noch er würden sich jetzt noch davon abhalten lassen.
„Miss Jamison-Bowyer, ich denke, dass Naval Scientific Corps ist nicht der geeignete Ort für Sie. Daher werde ich sie nicht weiter in meinem Team dulden und dafür sorgen, dass sie das Corps verlassen werden, verlassen sie sich darauf.“
„Mach was Du willst“ antwortete sie und als sie hörte, wie sich seine wütenden Schritte wieder entfernten, gab sie sich erneut ihrer Trauer hin.
Es gab ohnehin nichts mehr, was sie jetzt noch in der Navy halten konnte.


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Die Brücke der ONTARIO
Wurmloch W-369, Eurydike-Nebel, Correlian Sektor

„Einsatzgruppenleiter betritt die Brücke“, hallte es Justus entgegen, als er auf die Brücke der ONTARIO trat.
„Ich bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Commander Maleetschev.“
„Erlaubnis erteilt, Commander Schneider“, erwiderte der Erste Offizier der ONTARIO.
Die beiden salutierten voreinander. „Hiermit übernehme ich das Kommando über diesen Zerstörer von Ihnen.“
„Ich bestätige die Kommandoübergabe, Sir.“
Kurz reichten sich die beiden die Hand. „Ich hoffe es ist Ihnen Recht, wenn Lieutenant Commander Soleil den Posten des Zweiten Offiziers übernimmt?“ Schneider fragte Igor bewusst, da er wusste, dass Lt. Cmdr. El-Habibi Tod ihm zusätzlich an die Nieren gegangen sein musste.
Igor nickte nur, mittlerweile schwer gezeichnet durch die verheerenden Verluste.
Als alle ihre Positionen eingenommen hatten, sah Schneider auf die Ortungsanzeige. „Commander Soleil, was macht die KAZE?“
Amber Soleil wandte sich um. „Sir, die KAZE tritt in drei Minuten in das Wurmloch ein. Drei Minuten und elf Sekunden später starten wir die letzten Torpedos der ONTARIO.
Bei einem sauberen Treffer gehen die KAZE, der im Schlepp befindliche Reaktorblock der GUADALCANAL sowie die eingelagerte Munition der Flotte mitten im Transit hoch.“
Wie selbstverständlich nahm Schneider im Sessel des Kapitäns Platz. „Gut. Zählen Sie ab X minus sechzig einen Countdown.“

Die Zeit verging zäh wie Gummi, flog aber zugleich nur so dahin. Amber Soleil begann den Countdown anzuzählen und erschrak Schneider damit beinahe zu Tode. War es etwa schon soweit? Er erhob sich von seinem Platz und trat an den großen Bildschirm heran.
Die KAZE feuerte noch einmal ihre Triebwerke ab, genau nach Plan. Bei zehn spürte Justus seine Hände zittern. Bei null trat das Schiff ins Wurmloch ein.
„Neutrino-Emissionen. Sprung beginnt.
„Feuer“, befahl Igor Maleetschev und löste die Torpedosalve aus. Sechs schlanke Aale huschten der KAZE und der halben GUADALCANAL hinterher, drangen ins Transferfeld ein und waren fort.
Justus konnte sich vorstellen, was nun geschah. Die Torpedos würden in die Reste der GUADALCANAL einschlagen, die Reaktoren zur Explosion bringen. Die Kettenreaktion würde auch die KAZE erfassen. Der eigene Reaktor würde hoch gehen, dazu die eingelagerte Munition. Zusammen würde eine Glutgewalt entstehen, die innerhalb des Wurmlochs eine temporäre gravitatorische Senke erzeugen würde. Das Wurmloch würde in sich kollabieren oder sich einen neuen Ausgang suchen. Melissa hatte ihm das Ganze vorgerechnet und hinzugefügt, dass diese Vorgehensweise nur bei wenigen relativ instabilen Wurmlöchern möglich war.
„Erhöhte Neutrinowerte am Wurmloch. Dreimal stärker als normal! Jetzt sind sie weg…“
Der Ortungsoffizier der ONTARIO wandte sich Schneider und Maleetschev zu. „Keine Neutrinoemissionen mehr vom Wurmloch! Es… Es ist… einfach weg!“
Leiser Jubel brandete in der Zentrale auf.
Schneider nickte knapp. „Mr. Maleetschev.“
„Sir?“
„Mr. Maleetschev, bringen Sie uns nach Hause. In dieser Mission haben wir genügend geblutet.“
„Aye, Skipper.“
Mit brennenden Augen sah Schneider auf den Schirm. Da draußen hatte es sein Schiff erwischt. Die gute alte KAZE.
Langsam hob er den rechten Arm und salutierte. „Adios. Du warst ein gutes Schiff“, murmelte er leise.
Tyr Svenson
Berlin,
Terra

Das Hauptquartier des Terran Intelligence Service war ein unscheinbares Gebäude. Achtundzwanzig Stockwerke in den Himmel ragend, ein Glasspalas aus spezialgehärteten Sicherheitsglass, welches sowohl gegen leichte Raketen als auch mittelschweren Strahlenbeschuss schützte.
Charles Vance lehnte ich in seinem Chefsessel zurück. Dampfend verbreitete sich Teearoma.
"Also Felix, was hat Ihre kleine Hexenjagt denn nun gebracht?"
Vance gegenüber ein etwas dicklicher Mann im grauen Massanzug, die braunen Haare von links nach rechts über die Glatze gekämmt.
"Nun Boss, wir haben fast den ganzen Laden durchgekrämpelt, wie gewünscht. Keine Spur von Flieder in der gesammten Firma."
Die beiden Männer grinsten sich verschwörerisch an.
"Jedoch haben wir dabei zwei Lecks ausfindig gemacht."
Augenblicklich richtete sich Vance auf: "Was für Lecks?"
"Einer unserer Chefanalytiker in Sachen Akarii hat Daten an die Presse weitergeben. Wir hatten Glück, dass dieser noch nicht an Flieder-Daten herangekommen ist. Der andere ist ein Außendienstler gewesen, der Informationen an die ColCon weitergegeben hat.
Ich habe beide festsetzen lassen. Dem Feldagenten Joachim van der Meeren musste ich eine Todesschwadron nachschicken, er wollte sich absetzen. Auf Asturia wurde er gestellt. Es war zum Glück nicht nötig ihn zu liquidieren, er wurde ohne großes Aufsehen außer Gefecht gesetzt und zurück nach Terra gebracht. Unsere Verhörspezialisten befassen sich gerade mit ihm, auf die sanfte Tour versteht sich, mit der großen chemischen Keule."
"Hm, scheint so als müssten wir dankbar sein, dass unsere großartigen Admiräle und Regierung vor dem Pariser Pakt zu Kreuze kriechen." Vance nahm einen Schluck Tee.
"Sie scheinen nicht wirklich zufrieden zu sein."
"Nein Felix, wirklich nicht." Der Direktor des TIS kratzte sich am perfekt rasiertem Kinn. "Haben wir gegen irgendwen von denen?"
"Also gegen Pavon können wir nicht vorgehen, und unser Herr Admiral dürfte noch der vernünftigste aus der Bande sein. Dem könnten wir sicher schon erklären, wann er doch besser den Mund hält. Bleibt nur noch Andreas Ziegler. Schon seit seiner Studentenzeit politisch Engagiert.
Er studierte auf Kings Gate an der Universität Raumfahrtrecht studiert, er war von 3612 bis 3615 auf dem Planeten."

Die beiden Geheimdienstler blickten sich an und ließen dann gleichzeitig ihren Blick zu dem Gemälde der TauVerde-Supbernova, hinter dem ein Tresor verborgen war, der viele der wichtigsten Geheimnisse der Republik beinhaltete.
Ebenso den Befehl zur sofortigen Exekution bei Festnahme von dreiundvierzig Terroristen. Diese Terroristen unter dem Kommando von Horatio O'Niel, die im Jahre 3613 auf dem Orbitalhafen von Kingsgate mit Senan-Giftgass verübten.
Damals starben achthundertvierunddreißig Menschen, davon über fünfhundert Zivilisten.
Knapp die Hälfte der identifizierten Terroristen waren auf die ein oder andere Art exekutiert worden. Zum Teil mit sehr verfassungswiedrigen Mitteln.
Noch heute ermittelte eine Sonderkommision des FCID in der Angelegenheit.

"Sie glauben, dass Ziegler etwas damit zu tun gehabt haben könnte?" Vance Stimme klang vorsichtig, als tastete er sich auf ein Gebiet vor, dass er lieber nicht betreten würde.
"Nun, ausschließen könnte man es nicht, zumal er damals politischen Organisationen nahe Stand, die der Colonial Libaration Army in den Zielen gleich gesinnt waren und es heute noch sind."
"Und wie wollen Sie dort Verbindungen nachweisen und aufdecken? Und vor allem, wie wollen sie mit Ziegler umgehen? Hmmm ... aus dem .... ahhh Spiel nehmen?"
"Nein, ich denke eher an eine Festnahme und einen ruinösen und gleichzeitig spektakulären Prozess, dieser muss dann aber wirklich hieb- und stichfest sein."
Vance Blick glitt in die Ferne, was in dem fensterlosen Büro sehr schwierig war.
"Sie haben recht, wir können uns da wirklich keine Fehler erlauben ... schieben Sie die Sache zum FCID ab, so haben wir saubere Hände, wenn doch etwas schief geht. Sorgen Sie nur dafür, dass diese Stümper von der Polizei die richtigen Beweise finden.

***

Fünf Tage später in Paris

Die Villa in der Andreas Ziegler für seinen Aufenthalt auf der Erde wohnte gehörte Victor Juvilee, einem reichen Kaufmann und engagierten Kriegsgegner.
Der Grenzweltler stemmte sich aus dem Fonds der Limosine. Er war erschöpft und angespannt. Er hatte zu viele Reden halten, zu lange Lächeln und zu viele Hände schütteln müssen. War zu Leuten freundlich gewesen, die er am liebsten in die nächste Sonne geschossen hätte.
Hätte der Pariser Pakt nicht ein klar definiertes Ziel ... und keine so meisterhaften Parteieinpeitscher, dann hätte sich die Masse der Parteigänger gegenseitig den Schädel eingeschlagen.
Müde lächelte er den beiden Leibwächtern zu. Seit über einem Jahr klebten die beiden nun schon an seinen Hacken und noch immer kannte er die Vornamen nicht. Toller Chef bist Du.
Ohne Vorwarnung flammte etwas hell auf und blendete ihn.
Dann ging alles sehr schnell. Mit lautem Geschrei stürmte eine Gruppe die Auffahrt der Villa.
Er wurde angeschriehen, zu Boden geschleudert, es klickten Handschellen.
Seine beiden Leibwächter waren ebenfalls überrumpelt worden.
Hände tasteten ihn, dann wurde er wieder auf die Beine gezogen.
Er blinzelte und langsam kehrten die Konturen zurück.
"Striker für Command: Zielperson save, Leibwächter save. Platz gesichert!"
Nach zwei weiteren Minuten konnte er endlich erkennen, was los war. Die Männer die ihn überwältigt hatten waren Angehörige eines SWAT-Teams.
Ihm wurde klar, dass er nicht einmal um Hilfe geschrien hatte: "Was zur Hölle soll das?"
"Schnauze!" Der Polizist vor ihm hatte eine Impulspistole auf ihn gerichtet.
Eine Asiatin im Trenchcoat kam auf ihn zu: "Andreas Ziegler?"
"JA! Und wer sind Sie? Und vor allem, was soll dieser Mist? Sie werden von meinem Anwalt hören."
"Ich bin Captain Fu, Federal Criminal Investigation Department, Sonderermittlerin im Fall Kingsgate. Sie sind wegen Beihilfe zum Mord in achthundertvierunddreißig Fällen verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, wenn Sie sich keinen leisten können, wird ihnen vom Gericht einer zugeteilt ..."
"WAS! ICH ... ich habe damit nichts zu tun! Hören Sie ... bitte, Sie müssen mir glau ..." Seine Stimme versagte.
Tyr Svenson
Abspann

3 Wochen nach der Schlacht im Eurydike-Nebel
Hangar 23, Fort Gibraltar, Barcelona-System

Ein leise geflüstertes „Herr im Himmel“ entfuhr Tigre, als er die äußerst kümmerlichen Reste seiner Staffel und der Besatzung der GUADALCANAL begutachtete, die in voller Ausgehuniform in einem der riesigen Hangars des Fort Gibraltar Stellung genommen hatten. Hinter ihm standen neben Ares und Lady Death nur noch Arrow und ihr Co-Pilot Teacher. Von der Besatzung des zerstörten Hilfsträgers hatte Chief Petty Officer Sumi Ishida gerade einmal 13 weitere Besatzungsmitglieder um sich scharen können.
Alle übrigen Mitglieder seiner Staffel und seines ehemaligen Hilfsträgers waren entweder tot oder lagen verwundet auf der Krankenstation und konnten daher an dieser Zeremonie nicht teilnehmen. Und da sich unter den Gefallenen auch Dominguez und Chung befanden, musste eben er als CAG das Schiff an diesem Ritual repräsentieren.
Ein Frösteln überkam ihn als er mit einem Seitenblick auf die übrigen Teileinheiten blickte. Gerade einmal ein Drittel ihrer Einsatzgruppe war unverletzt zurückgekommen. insgesamt hatte sogar nur knapp die Hälfte überlebt, einige von Ihnen auf Lebzeiten verkrüppelt. Stolze Schiffe waren vernichtet worden, die MOUNTBATTON, DENVER, die KAZE, die AZINCOURT, BUENOS AIRES und die GUADALCANAL. Ronacek, Tanaka, KAMInski, Dominguez, Perrin – alle diese Kapitäne waren tot.
Alle diese Verluste für was? Er fragte sich welchen Wert ihr Einsatz gehabt hatte, angesichts der gewaltigen Opfer die sie hatten erleiden mußen.
Die Nachrichten in der Bundesrepublick waren für ganze zwei Tage von ihrem ach so großen Triumph erfüllt gewesen, Tigre hatte die Berichte gesehen. Man hatte ihren Einsatz hoch gelobt, doch die Realität sah anders aus, das wusste Tigre.
Im Vergleich zu Schlachten wie Jollahran oder jetzt Corsfield, dessen Berichte seit knapp einer Woche die Schlagzeilen bestimmten, war Operation Magellan nur ein kleiner Fisch gewesen.
Doch die Navy ließ es sich nicht nehmen, auch diesen Einsatz mit dem entsprechenden Pomp zu feiern und die Gefallenen zu ehren.

Über seine Schulter betrachtete Tigre die Gesichter der Reste seiner Einheit.
Diane Balestier war äußerlich nicht das Geringste anzumerken und wenn der Verlust ihrer Kameraden ihr Nahe ging – und darüber war sich Tigre gar nicht mal so sicher – dann konnte man es ihr nicht ansehen.
Anders sah das bei Nikolos „Ares“ Roussos aus. Dieser starrte mit einem leeren Blick auf die gegenüberliegende Hangarwand, an der das Podium aufgebaut war, von dem aus die Honoratioren gleich reden würden. Der Ensign schien gar nicht hier zu sein und Tigre wusste nicht, ob sein Inneres immer noch von Wut und Zorn zerfressen war. Er hatte nicht nur seine Freundin, sondern auch alle seine übrigen Freunde verloren. Und Tigre fragte sich, ob der Junge je darüber hinweg kommen würde.
Dann wanderte Tigres Blick hinüber zu Arrow, deren Augen einen Teil ihres freundlichen Schimmers für immer verloren zu haben schienen. Offensichtlich hatte der Verlust ihrer drei Staffelcrews ihr schwer zu Schaffen gemacht, auch wenn wenigstens die Crew, die bei ihrem letzten Angriff raus geschossen worden war, mit schweren Erfrierungen überlebt hatte und mittlerweile auf der Krankenstation des Forts versorgt wurden.

Von Ihm selbst hatte eine überraschende Ruhe Besitz ergriffen. Er hatte versagt, er hatte zwölf von sechzehn Maschinen unter seinem Kommando verloren. Wenn er die vier Ersatzmaschinen noch hinzuzählte hatte er achtzig Prozent der Staffelmaschinen verschlissen. Doch was noch schwerer wog, waren die menschlichen Verluste. Auch wenn er die Bomberpiloten kaum gekannt und sein Respekt vor den ehemaligen Sträflingen seiner Einheit sich in Grenzen gehalten hatte, so schmerzte ihn jeder einzelne Verlust. Und noch schlimmer war es, wenn seine Gedanken zu den so genannten Hütehunden, Cougar, Aslan und Thor wanderte.
Würde er sich das jemals selbst verzeihen können? Würde er je die Chance erhalten, sein Versagen wieder wett zu machen?
Wahrscheinlich nicht. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie ihn vorzeitig in den Ruhestand schicken würden. Jedenfalls weit ab von der Front, wo er nicht soviel Schaden anrichten konnte.
Ein Teil von Ihm war erleichtert darüber. War es nicht genau das gewesen, was er sich gewünscht hatte? Ins Hinterland versetzt zu werden um diesen verfluchten Krieg irgendwie zu überleben. Aber warum fühlte er sich dann so schuldig?

Dann trat die Traube der hohen Offiziere aus einem Fahrstuhl und schritt zu dem kleinen Podest. Er erkannte Commodore Helene Kruger, die Kommandantin des Fort Gibraltar und Commodore Lucienne Garribeaux, die Verbindungsoffizierin der ColCon. Dann erkannte er noch Commander Schneider, den letzten der Einsatzgruppenleiter. Er vertrat anscheinend Captain Singh, der zwar aus seinem Koma aufgewacht war, aber von seinem Schlaganfall immer noch schwer gezeichnet sein musste und ebenfalls noch auf der Krankenstation des Flottenstützpunkts lag.
Die Gruppe der Offiziere wurde von Rear Admiral Isaah Jackson angeführt, dem stellvertretenden Befehlshaber der sechsten Flotte. Dieser trat ohne lange Umschweife an das Rednerpult und begann seine Ansprache zu halten.
„Kameraden, wir sind hier um unseren Gefallenen die letzte Ehre zu erweisen und ihnen für ihren beispielhaften Einsatz im Namen der Bundesrepublik der Terra und im Namen der Colonial Confederation zu danken.“
Die Hymnen beider Nationen wurden über Band abgespielt und es folgten Salutschüsse für die Gefallenen, die genauso von einem Tonträger kamen.

Rear Admiral Isaah Jackson fuhr in seiner Ansprache fort, doch Tigre hörte nicht einmal genau hin. Seine Gedanken drifteten zu dem Hinterhalt bei Pasumata V, dem Kampf um die Station bei Pasumata IV, dem Angriff in der Zerberus-Dunkelwolke und dem letzten Gefecht im Eurydike-Nebel. Die Bilder und Stimmen dieser Kämpfe hatten sich für immer in seinem Kopf eingegraben und er wusste, dass er sie niemals vergessen würde.
Als der Rear Admiral den allgemeinen Teil seiner Ansprache beendet hatte, wurden einzelne Mitglieder der Einsatzgruppe nach vorne gerufen um ausgezeichnet zu werden. Er sah, wie Commander Schneider ein Bronce Star an die Brust geheftet wurde, genauso wie Lieutenant Commander Maleetschev. Dann wurde ein verwundeter Second Lieutenant der ONTARIO-Infanterie nach vorne gerufen und mit einem Verwundeten Löwen in Silber und dem Silver Star und zum 1st Lieutenant befördert. Tigre hatte von seinen Leistungen während des Abzugs der Truppen von der Akarii-Raumstation gehört und war wie die Mehrzahl der Mitglieder der Einsatzgruppe der Meinung, dass die Orden berechtigt waren. Doch der Lieutenant selbst schien nicht davon überzeugt zu sein und betrachtete ungläubig das neue Lametta an seiner Brust.
Dann hörte Tigre wie Rear Admiral Jackson seinen Namen rief. Es dauerte einen Augenblick bis seine Reflexe griffen und er nach vorne ging. `Wurde er etwa ausgezeichnet? Für was?` schoss es ihm durch den Kopf.
„Lieutenant Commander, als Vorgesetzter von Ensign Walter Saskijewisz, bitte ich sie die folgenden Auszeichnungen entgegen zu nehmen“ begann der Rear Admiral und Tigre begriff, dass nicht er sondern Sparky posthum geehrt wurde.
Stoisch las Jackson, wie zuvor bei allen anderen Ordensverleihungen auch, den Text der Ordensverleihung vor.

„An: Die gesammte Flotte
Von: Admiral Gloria Stonestreet, CO 6. Flotte

Betreff: Ordensverleihung und Beförderung

Das Oberkommando der Terran Space Navy verleiht Ensign Walter Saskijewicz am 26. November 2636 posthum den Defence Meritorius Service Medal. Darüber hinaus erhält Ensign Saskijewicz den Verwundeten Löwen in Gold und wird in den Rang eines Second Lieutenant befördert.

Durch seinen beherzten Einsatz gelang es Ensign Saskijewicz durch Einsatz seines eigenen Lebens in der Schlacht in der Zerberus-Dunkelwolke großen Schaden von seinem Basisschiff abzuwenden.
Second Lieutenant Saskijewiczs Leistungen und sein Mut spiegeln die besten Traditionen der Terran Space Navy wieder.

Gezeichnet
Admiral Gloria Stonestreet“

Tigre salutierte, nachdem er die Orden und die Spangen eines Second Lieutenant entgegen genommen hatte und machte dann Anstalten sich umzudrehen und zu seinen Leuten zurückzukehren.
Doch der Rear Admiral hielt ihn mit einem „Einen Moment noch, Commander, ich bin noch nicht fertig.“
Tigre hielt verdutzt inne und drehte sich wieder zum Rear Admiral um. Die hinter ihm stehenden Offiziere konnten sich kaum ein Grinsen verkneifen. Jackson öffnete ein weiteres Kuvert und begann erneut vorzulesen.

„An: Die gesammte Flotte
Von: Admiral Gloria Stonestreet, CO 6. Flotte

Betreff: Ordensverleihung

Das Oberkommando der Terran Space Navy verleiht Lieutenant Commander Santiago DeLaCruz am 26. November 2636 den Bronce Star und das Flying Cross in Bronze.

Während der Schlachten in der Zerberus-Dunkelwolke und im Eurydike-Nebel leitete er seine Staffel in mehrere Angriffsflüge auf überlegene Feindeinheiten und trug damit wesentlich zum Gewinn dieser Raumschlachten bei.
Lieutenant Commander DeLaCruz Leistungen, sein Mut und sein Führungstalent spiegeln die besten Traditionen der Terran Space Navy wieder.

Gezeichnet
Admiral Gloria Stonestreet““

Dann trat Jackson Adjudant an ihn heran und überreichte dem Admiral eine kleine Schachtel aus dem der Admiral einen bronzenen Stern und ein bronzenes Flying Cross holte und sie an Tigres Brust heftete.
„Meinen Glückwunsch, Commander.“
Tigre schluckte und schaute ungläubig auf seine Brust. „Sir, ich bin mir sicher, dass ich den Stern nicht verdient habe.“ Tigre hatte es fast nur geflüstert, der Rest des Hangars hatte es sicher nicht einmal gehört.
Ein kurzer Augenblick der Verwunderung huschte über das Gesicht des Rear Admiral. Dann schien er zu verstehen, worauf Tigre hinaus wollte. „Wissen sie eigentlich wie viele Offiziere in ähnlichen Situationen die Nerven verlieren? Wie viele Befehle verweigern und sich ihrer Verantwortung entziehen? Sie haben ihre Befehle stets einwandfrei und klaglos ausgeführt und dabei das Leben ihrer Kollegen der Einsatzgruppe gerettet. Ihre Männer sind ihnen trotz der Aussicht auf ihren eigenen Tod gefolgt. Nur ein guter Kommandeur ist in der Lage seine Leute so weit zu bringen. Noch einmal: Meinen Glückwunsch, Lieutenant Commander“ sagte der Rear Admiral und salutierte.
Tigre salutierte zurück, drehte sich zackig auf der Stelle um und schritt zu seinen Kameraden zurück. Doch trotz der Worte des Admirals lag ein Schatten auf seinem Gesicht. Und er war sich sicher, dass er diesen Schatten Zeit seines Lebens nicht wieder weg bekommen würde, mochten sie ihn noch so sehr mit Orden zuschütten.
Die Narben würden auf ewig bleiben.

*****************************

Krankenstation, Fort Gibraltar, Barcelona-System

Als Igor Maleetschev in das Krankenzimmer trat, nahm er seine Dienstmütze ab und schaute sich erst einmal um. Seinem Rang gebührend hatte Captain Singh ein Einzelzimmer und eine Schwester war gerade dabei, eine Infusion auszutauschen. Sie warf ihm einen kurzen vorwurfsvollen Blick zu, der ihm anscheinend sagen sollte, er solle es kurz machen und den Kranken nicht zu stark in Anspruch zu nehmen. Alle Mitglieder des Pflegepersonals schienen einen solchen Blick in petto zu haben, wahrscheinlich gehörte er zur Grundausbildung. Igor ignorierte sie aber und trat leise an das Krankenbett.
Captain Singh hatte die Augen geschlossen und Igor wusste nicht, ob er nicht doch lieber gehen sollte.
So hatte er seinen Captain noch nie gesehen. Die langen, pechschwarzen Haare, die von einzelnen silbernen Strähnen durchsetzt waren, waren offen und nicht von dem traditionellen Turban bedeckt. Sie schienen seinen Kopf einzurahmen und eine düster-silbrige Aura zu bilden. Selbst hier, in diesem ansonsten steril wirkenden Krankenzimmer, ging von Singh eine unglaubliche Signalwirkung aus, eine Autorität die sich nicht lernen ließ. Etwas wonach andere Kapitäne ihr ganzes Leben lang suchen mussten und es dennoch nie fanden.
Dann öffnete Singh die Augen und blickte Igor direkt an, das rechte Augenlid ging nur halb auf und als der Captain ein leichtes Lächeln andeutete, konnte Igor sehen, dass sich der rechte Mundwinkel nicht bewegte.
„Einsss-O“ krächzte Singh schwach. „Sch-schön sie zu ssehen.“ Er schien deutliche Probleme in der Aussprache zu haben und abgesehen von seinem Äußeren schien nicht viel von seiner energischen Art übrig geblieben zu sein.
Igor versuchte zu lächeln, aber er merkte, dass es nur ein halbherziges Lächeln wurde. Doktor Goordelans hatte ihn bereits vorgewarnt und ihm mitgeteilt, dass Singh zu großen Teilen rechtseitig gelähmt war und es auch höchstwahrscheinlich bleiben würde. Aber es zu hören und es zu sehen, waren zwei verschiedene Paar Schuhe.
„H-Hallo, Sir. Schön zu sehen, dass es ihnen besser geht.“
Singh nickte nur schwach, nicht weiter auf die offensichtliche Lüge seines Untergebenen eingehend. „Wie geht esss mei-nem Schiff?“
„Die ONTARIO ist im Dock von Fort Gibraltar und wird gerade wieder in Stand gesetzt. In einigen Wochen wird sie wieder voll einsatzfähig sein.“
„Verluste?“
„Wir haben einige Löschmannschaften und Besatzungsmitglieder verloren, die die Feuer an Bord im Zaume gehalten haben. Unter Ihnen ist auch leider Lieutenant Commander El-Habibi.“
Singh schloss die Augen, ehe er sprach. „Wasss isst mit dem Ei-Einsatz?“
„Wir konnten die Akarii abschlagen, Sir, wenn auch unter erheblichen Verlusten. Das Wurmloch ist geschlossen worden, es hat sich einen neuen Ausgang gesucht. Die Bedrohung ist abgewendet worden.“
Singh nickte erneut, er hatte augenscheinlich bereits davon gehört. „Sssie haben ihre Ssache gut gemacht, Einsss-O. Ich habe mich für eine Belobigung ausgesprochen, sie sind zum Perisher zugelassen worden. Machen sie mir keine Schande, Igor. Vielleicht können sssie damit meinen Weggang ein wenig kompenssieren.“
Igor schluckte und brachte nur ein „Danke, Sir. Aber was meinen Sie mit Weggang? Sie werden bald wieder auf dem Damm sein und das Kommando…“
Singh hob die Hand und unterbrach seinen Ersten Offizier. Er versuchte erneut ein Lächeln, welches aber wiederum durch die Lähmung eher schaurig aussah. „Wir wisssen beide, dasss ich nie wieder ein Kommando annehmen kann. Also machen sssie esss mir nicht noch schwieriger!“
„Aye, Captain
„Und jetzt gehen sssie feiern!“
„Feiern, Sir?“ Igor war nicht sonderlich zum Feiern zumute.
„Machen ssie nicht denselben Fehler wie ich, Igor. Wissen Sie, wie viele Menschen mich besssucht haben, ssich nach meinem Zustand erkundigt haben? Es war nur eine Handvoll.“ Singh schüttelte leicht den Kopf und sein Blick schien in die Ferne zu gehen. „Feiern sssie mit ihren Freunden, mit denen, die mit Ihnen durch die Hölle gegangen ssind. Feiern sssie im Andenken an ihre gefallenen Kameraden und feiern Sie, dasss sssie esss überlebt haben, Igor. Im Krieg kann man nie wissen, wie lange man es noch kann.“
Igor nickte, salutierte und unterdrückte den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Jetzt in diesem Augenblick sah er in Singh einen einsamen, alten Mann, der auf sein Leben zurückblickte und erkannte, dass er auch Fehler gemacht hatte. Und er versuchte das an jemanden weiter zu geben, in der Hoffnung, dass dieser diese Fehler nicht wiederholen würde.
Igor nahm sich vor, seinen Mentor damit zu ehren, indem er seinen Ratschlag annahm. Als er sich verabschiedet hatte, machte er sich auf die Suche nach den Leuten, mit denen er in diesem Einsatz am meisten erlebt hatte und die vor allen Dingen noch am Leben waren.

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Großer Saal ”Bellevue”, Fort Gibraltar, Barcelona-System

Langsam ließ Igor Maleetschev seinen Blick über die Anwesenden Männer und Frauen gleiten und seine Nervosität legte sich langsam wieder. Auf Singhs Ratschlag hin hatte er eine spontane Feier organisiert –gestiftet von der Bordkasse der ONTARIO und er hatte alle Mitglieder der Operationsgruppe Magellan eingeladen.
Er hatte für Getränke und ein paar kleine Häppchen sorgen lassen, die Großküche der Station würde Nachschub bringen, sollte dies erforderlich werden. Eine kleine Musikanlage plärrte nicht allzu laut eine Reihe aktueller Hits von Terra vor sich hin.
Doch seine innere Unruhe lag nicht darin begründet, ob die Vorbereitungen für diese spontane Feier gut genug gewesen waren, sondern das er natürlich nicht hatte wissen können, ob denn überhaupt jemand kommen würde.
Nichts wäre peinlicher gewesen, als wenn sich in dem Großen Saal Bellevue mit dem durch das riesige Panoramafenster gewährleisteten phänomenalen Blick auf Barcelona Prime nur eine Handvoll Menschen versammelt hätten. Es wäre eine schallende Ohrfeige für ihn und auch für den Rest der ONTARIO gewesen.
Doch dann waren sehr zu Igors Erleichterung die ersten Gäste erschienen. Den Anfang hatten natürlich vor allem seine Kameraden von der ONTARIO gemacht, allen voran Lieutenant Yangwen, Doktor Goordelans und die übrigen Offiziere der Brückencrew. Aber nach und nach waren auch weitere Gäste von den übrigen Schiffen eingetroffen.
Als erste waren die Kapitäne und Crews der der Frachter und der NORTHUMBRIA gekommen und Igor nahm sich vor dem Kapitän des Minenlegers noch einmal gesondert zu danken. Ohne sein Schiff und dessen Minen wären sie den Akarii sicher hoffnungslos unterlegen gewesen.
Er erkannte Casey O´Malley, den Captain der ebenfalls im Reperaturdock von Gibraltar liegenden ADMIRAL J: JERVIS, im tiefen Gespräch mit Commander Swifton von der MAGELLAN. Allerdings konnte er kein Mitglied des Wissenschaftsteam ausmachen.
Die Reste des Hilfsträgers und seiner Staffel hatte er ebenfalls gesichtet und auch die Überlebenden der KAZE hatte er bereits erkannt, auch wenn er weder Schneider noch Soleil hatte bislang entdecken können.

Die Stimmung im Saal war natürlich nicht das, was man unter einer fulminanten Party verstehen würde. Aber wenn man die gegebenen Umstände berücksichtigte, dann konnte man die Stimmung sogar fast als locker und gelöst empfinden. Auch wenn die Einsatzgruppe erhebliche Verluste hatte erleiden müssen, so waren die jetzt Anwesenden doch froh darüber, überlebt zu haben. Und das galt es zu feiern.
Und dann sah er die Commanders Schneider und Soleil den Raum betreten und Igor ging augenblicklich zu Ihnen hinüber, um sie zu begrüßen.
„Justus, Amber, schön euch zu sehen.“ Er streckte den beiden die Hand hin und erwiderte Schneiders festen Händedruck. Während der fast zwei Wochen, die sie gemeinsam vom Eurydike-Nebel bis zu Fort Gibraltar an Bord der ONTARIO erlebt hatten, war er beiden Offizieren deutlich näher gekommen. Auch wenn er und Justus Schneider ihre Differenzen gehabt hatten – und vielleicht aufgrund ihrer unterschiedlichen Führungsstile vielleicht auch immer haben würden – so hatten sie sich zumindest stark genug angenähert um einander zu respektieren. und freute sich daher umso mehr, dass sie seiner Einladung gefolgt waren.
„Das war doch selbstverständlich, Igor“ antwortete Amber und drückte ihm vollkommen außer Protokoll einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Ja“ antwortete nun auch Schneider und runzelte bei dem Kuss zwischen den beiden für einen Augenblick leicht die Stirn. „Das war eine sehr gute Idee von dir, die ich auch gehabt hatte. Und wenn du nicht schneller gewesen wärst, dann hätte ich sie umgesetzt.“
„Um ehrlich zu sein, es war nicht meine Idee. Captain Singh war es, der mir diese Idee nahe gelegt hat.“
Jetzt wich Schneiders Stirnrunzeln einem Gesichtsausdruck echter Überraschung. „Singh hatte die Idee? Das hätte ich nicht von ihm erwartet. Wie geht es ihm?“
„Den Umständen entsprechend“ gab Igor zurück.
„Vielleicht sollte ich ihn einmal besuchen?“ fragte Schneider in den Raum, erhielt aber keine Antwort. Jeder wusste von dem angespannten Verhältnis der beiden Offiziere. Daher musste Igor sich auf die Zunge beißen um Schneider nicht lieber doch davon abzuhalten.

„Schade dass Lieutenant Jamison-Bowyer nicht anwesend ist“ sagte Igor, um die peinliche Stille ein wenig zu überbrücken.
Schneider blickte ihn ein klein wenig argwöhnisch an. „Wie meinst du das?“
„Nun ja, sie war es schließlich, die das Wurmloch überhaupt erst entdeckt hat und sie war es letztlich, die dafür gesorgt hat, dass es wieder geschlossen ist.“
„Du erwartest doch nicht, dass sie unter den gegebenen Umständen zu einer Feier gehen wird, oder?“
Igor nickte niedergeschlagen. „Du hast wohl Recht. Sie wird im Moment anderes im Kopf haben, als mit uns zu feiern.“
„Vielleicht hat sie sich doch dazu durchringen können“ kam von einer zierlichen Stimme vom Eingang her. Maleetschev, Schneider und Soleil drehten sich schlagartig um und einige, wenn nicht alle Augen, folgten ihrem Blick hinüber zur Eingangstür. Dann brandete für kurze Zeit ein spontaner Applaus auf und die Wissenschaftsoffizierin und lächelte keck, wenn auch mit immer noch roten und jetzt gerührten Augen.
Doch der Applaus galt nicht primär ihr.
„Du hast gesagt, du bringst mich zu einer kleinen Feier. Wenn du etwas von einem Empfang gesagt hättest, dann hätte ich mir was Passendes angezogen“ maulte 1st Lieutenant Thomas „Thor“ Jörgensen. Der ehemals so stattliche Pilot saß zusammengesunken in einem Rollstuhl, seine Augen wie auch große Teile seines restlichen Körpers bandagiert.
„Vielen Dank für die Einladung, Commander. Auch wenn Thor und ich nicht lange bleiben können. Sein behandelnder Arzt hat ihm gerade einmal 15 Minuten Ausgang gewährt. Gerade mal genug Zeit um her zu kommen und wieder zu verschwinden.“
„Umso schöner, dass sie es geschafft haben. Wie geht es ihnen, Lieutenant Jörgensen?“
Thor blickte sich in etwa dorthin, von wo er die Stimme des Fragenden vermutete. „Meinen sie abgesehen davon, dass ich blind bin, wahrscheinlich für den Rest meines Lebens? Dass mich die Radioaktivität dermaßen gegrillt hat, dass ich für mehrere Jahre gegen die Auswirkungen der Strahlung genauso wie gegen Krebs und etliche weitere Folgeschäden kämpfen werde? Abgesehen davon, dass es eine 30prozentige Chance gibt, das ich diesen Rollstuhl jemals wieder verlassen werde. Und abgesehen davon, dass ich nie wieder an Bord eines Jägers sitzen werde?“ Thors schwache Stimme troff nur so vor Bitterkeit und Zorn und hatte sich zum Ende seiner Tirade so gesteigert, dass viele der umliegenden Gespräche gestoppt hatten und sich wieder einige Augen auf die kleine Gruppe am Ausgang richteten. „Also abgesehen von all diesen Dingen geht es mir prächtig“ fuhr der Pilot in einem deutlich sarkastischen Tonfall fort „…Mister??? Helfen sie mir auf die Sprünge bitte, ich kann sie gerade nicht SEHEN!“
Igor wusste nicht was er sagen sollte und sein Blick zuckte zu Melissa Jamison-Bowyer, die ihn aus traurigen Augen entschuldigend ansah. Doch noch bevor irgendjemand etwas sagen musste, mischte sich Santiago „Tigre“ DeLacruz ein. „Wer sagt, dass Du nie wieder an Bord eines Jägers sitzen wirst?“
Thors Kopf ruckte herum. „Tigre? Du weißt genau, dass die Chancen einer erfolgreichen Netzhauttransplantation bei höchstens zehn Prozent liegen.“
„Also ist es nicht unmöglich.“
„Aber unwahrscheinlich…“
„Wenn Du bereits jetzt aufgeben willst, ohne es zu versuchen, dann bitte, nur zu. Aber ich weiß, dass du ein Kämpferherz hast und auch wenn es noch so lange dauert, du wirst es schaffen und eines Tages wieder in einem Cockpit sitzen.
„Hah, und wer soll mich dann denn noch nehmen?“
„Ich werde dich jederzeit wieder in meine Staffel nehmen, wenn Du soweit bist“ gab Tigre zurück.
„Das ist dein Wort?“
„Das ist mein Wort, so wahr ich hier stehe!“ Fasziniert beobachtete Igor, wie sich Thor nun um ein paar Zentimeter aufbaute und sich tatsächlich so etwas wie ein kleines Lächeln um seine Lippen bildete. Dieser Tigre hatte ein besonderes Gespür, wie er mit seinen Leuten zu reden hatte. Igor nahm sich vor, mal ein längeres Gespräch mit ihm zu führen.
„Danke Tigre“ gab Thor gerührt zurück und fragte Melissa, ob er denn noch etwas Wasser haben durfte, bevor sie wieder zurück mussten. Als die beiden sich zur Bar entfernt hatten, wandte sich Igor an den ehemaligen Staffelkommandanten des Dirty Bunch.
„Ist das wirklich ihr Ernst? Glauben sie er schafft es?“
„Es spielt keine Rolle, ob er es schafft und es spielt noch weniger eine Rolle, ob ICH glaube, ob er es schafft. Das wichtige ist, dass ER glaubt, dass er es schaffen wird. Selbst wenn er zwischendurch Rückschläge erleiden sollte und selbst wenn er es nicht schaffen sollte, das Ziel alleine wird ihn am Leben halten. Und darauf kommt es an.“ Tigre nickte den drei Offizieren zu und wandte sich dann wieder zu seinen Leuten um.
„Ein interessanter Mann“ gab Igor zu.
„Ja, absolut“ grinste Schneider vielsagend, dann wechselte er das Thema. „Was wird jetzt aus dir, Igor?“
„Ich werde die ONTARIO bald verlassen. Singh hat sich dafür ausgesprochen, dass ich den Perisher machen darf. Mein Marschbefehl liegt sogar bereits vor.“
„Hey, herzlichen Glückwunsch“ gratulierten die beiden und Igor war tatsächlich sehr stolz darüber.
„Und was geschieht mit euch?“ fragte er.
Schneider zuckte nur kurz mit den Schultern. „Ich weiss es noch nicht. Wer weiß, vielleicht übernehme ich ja die ONTARIO.“
Igor nickte und lächelte. „Wenn es so sein sollte, dann gib bitte Acht auf sie. Sie ist ein gutes Schiff.“
„Ich weiß“ lächelte Schneider zurück “ich weiß.“
Doch weiter kamen sie in ihrer Konversation nicht, denn in diesem Augenblick ging die Systemsonne hinter Barcelona Prime auf und ließ ein wunderschönes Funkeln und eine unbeschreibliche Farbenvielfalt durch den Bellevue-Saal tanzen.
Ein neuer Tag brach an für all diejenigen, die diesen Einsatz überlebt hatten
Tyr Svenson
Ein Nachruf

Lightning kniff die Lippen zusammen. Ihre Kopfschmerzen waren wieder da – natürlich. Das kam davon, daß sie sich nicht an die empfohlene Bettruhe hielt. Aber die Krankenstation ödete sie an. Zum einen empfand sie es als depressiv, nur von Schwerverletzten umgeben zu sein. Zum anderen konnte sie bei ihrem Kopf ohnehin nicht ordentlich lesen – denn dann meldeten sich die Schmerzen ebenso wie jetzt. Außerdem ging ihr ein Gutteil des Personals auf die Nerven. Und momentan war es um ihre höfliche Geduld, die sie sonst zumeist kultivierte, nicht gut bestellt. Sie meinten es ja alle gut, da war die Kommandeurin sich sicher. Allerdings hatte eine Menge schlimmer Dinge in der menschlichen Geschichte mit Leuten angefangen, die es gut meinten. Lightning war jedenfalls im Moment nicht zu haben für die aufgesetzte Fröhlichkeit des Pflegepersonals. Da hieß es doch, solch eine positive Grundeinstellung verbessere den Heilungsprozeß. In Wahrheit, da war sich die Kommandeurin sicher, wollte ein Gutteil der Patienten nur diesem ewigen Optimismus entfliehen und bemühte sich deshalb, schnell wieder gesund zu werden. Und noch weniger Geduld brachte sie im Moment für die altkluge Besserwisserei auf, die einige Ärzte an den Tag legten. Also hatte sie sich aufgemacht, um nach dem Rechten zu sehen. Ein hoher Dienstrang war doch von Vorteil. Keiner konnte einen so recht fragen, was man denn hier zu suchen hatte, ob man nichts Besseres zu tun habe und was dergleichen mehr war.

Sie erreichte ihr Büro. Langweile hin oder her – sie hatte für die Strecke dreimal so lange gebraucht wie normalerweise. Offenbar war sie wirklich noch ziemlich wacklig auf den Beinen. Aber jetzt konnte sie ja wohl kaum umkehren und wieder in ihr Bett kriechen, oder? Das verbot schon ihr Selbstwertgefühl.
Aus alter Gewohnheit trat sie ein ohne anzuklopfen. Warum auch, schließlich war es ja auch IHR Büro. SIE war hier zu Hause. In Folge dessen hatte Lilja, die in dem Zimmer gerade ihren Pflichten als Interimschefin nachging, keinerlei Vorwarnung, als ihre alte Vorgesetzte eintrat.
Die Russin hatte die Hand gerade halb zum Mund erhoben, um ein gewaltiges Gähnen mehr als ungenügend zu kaschieren. Da sie sich unbeobachtet wähnte, hatte sie auch keinen Grund gesehen, sich sonderlich viel Mühe zu geben, die Regung, ihrer Müdigkeit Ausdruck zu geben, zu unterdrücken. Beim Anblick, den Lightning bot – Krankenkluft, über die sie eine Uniformjacke und –hose gezogen hatte – riß die Russin die Augen auf und bemühte sich zu salutieren. Allerdings vergaß sie dabei, ihren weit geöffneten Mund zu schließen.
In Folge dessen brach Lightning in schallendes Gelächter aus, um sich gleich darauf an die Stirn zu fassen als sich die Kopfschmerzen mit Verstärkung zurückmeldeten, während ihre Stellvertreterin tiefrot anlief.

„Lieutenant Commander, welche Überraschung, ich hatte Sie nicht erwartet!“ Das klang mehr als überhastet, fast gestammelt. Lilja sprang jetzt auch auf und legte diesmal eine mustergültige Ehrenbezeigung hin. Ihre Vorgesetzte lachte: „Das merke ich.“ grinste sie.
Die Russin meinte sich verteidigen zu müssen: „Immerhin sitze ich hier schon seit sechs Stunden. Und...“ Lightning winkte ab. Jetzt lächelte sie nur noch schief: „Ich mache dir ja keinen Vorwurf. Immerhin weiß ich ja auch ein bißchen, wie das ist.“ Diese Versicherung schien Lilja nur unwesentlich zu beruhigen. Sie entschloß sich offenbar zum Gegenangriff: „Haben die Sie schon gehen lassen? Herzlichen Glückwunsch.“ Ihr Unterton deutete an, daß sie keine Sekunde daran glaubte.

Aber damit konnte ausgerechnet sie Lightning kaum kommen: „Nun, ich habe mich, sagen wir es mal so, selbst von der gluckenhaften Fürsorge unserer Rotkreuzbrigade beurlaubt. Immerhin muß ich ja früh genug dahin zurück.“ Sie winkte ab, als Lilja ihr den Kommandeurssessel anbieten wollte, und setzte sich auf einen der einfachen Stühle, den sie in ihrem Büro hatte. Anders als einige Offiziere, die sie kannte, bot sie ihren Gästen nämlich mitunter auch einen Sitzplatz an. Von dort aus fixierte sie ihre Stellvertreterin.
Lilja sah wirklich müde aus. Ihre Haare wirkten stumpf und unansehnlich, sie hatte Ringe unter den Augen, und außerdem blinzelte sie mehrfach. Lightning sah sich zu dem Kommentar veranlaßt: „Du siehst aus wie ein Marine nach einer Woche Landurlaub – oder Lone Wolf, nachdem er erstmals mit dem Konzept ,Arbeit‘ Bekanntschaft gemacht hat.

Lilja senkte leicht den Kopf. Sie klang nicht eben erfreut, was kein Wunder war: „Techniker anschnauzen, Berichte schreiben, den Kampf auswerten – das ist ja schon schlimm genug. Aber das andere...“
Lightning ahnte, wovon die Russin sprach. Auch eine Pflicht eines Kommandeurs, und eine der unangenehmsten. Briefe schreiben an die Angehörigen jener, die schwer verletzt oder gar nicht zurückkamen. Die Britin wußte, wie schwer ihr das jedesmal gefallen war. Nur zu oft erschienen die Worte – ehrlich gemeint oder nicht – die einem einfielen spätestens auf den zweiten Blick banal, alltäglich, phrasenhaft. Nichts anderes als das, was Kommandeure seit Jahrhunderten schrieben. So lange Überlebende und Vorgesetzte die Kunde vom Tod in der Schlacht überbracht hatten, so lange war es nicht gelungen, eine wirklich ,gute‘ Art und Weise zu finden. Die Worthülsen und routinierten Sprüche glichen sich über die Jahrhunderte hinweg, egal aus welcher Streitmacht der Schreiber kam.
Sie seufzte: „Das ist nichts, womit du dich jetzt schon beschäftigen mußt. Das kann ich schon übernehmen.“ Lightning sagte dies keineswegs aus reinem Mitleid. Aber die zwei Toten – soviel wußte sie inzwischen – waren schließlich unter ihrem Befehl gefallen. Claw war ihr Flügelmann gewesen, und sie hatte ihm seinen idiotisch-heroischen Angriff nicht ausreden können. Gut, dazu hatte wohl in der kurzen Zeit keine Möglichkeit bestanden. Aber dennoch...
Sie war von Anfang des Krieges an mit ihm geflogen und hatte ihn – bei all seinen Schwächen und seinem manchmal fast asozialen Verhalten – als Kamerad schätzen gelernt. Ihn jetzt zu verlieren war auch ein klein wenig, als stürbe sie ein bißchen. Nicht, daß sie so dicke Freunde gewesen wären – dafür war er wirklich nicht der Richtige gewesen. Aber er hatte sozusagen zu ihr gehört. Außerdem gab es da natürlich den Aberglauben wie auch die Erfahrung. Nur zu oft wurde bald nach dem Tod eines Flightmitgliedes sein Kamerad ebenfalls abgeschossen. Denn der Ersatz war selten so gut eingearbeitet, und konnte die Lücke füllen, die der Krieg gerissen hatte. Sie fragte sich, wer Claws Platz übernehmen würde, wobei sie sich gleichzeitig Gewissensbisse machte, daß sie imstande war, so schnell rational über den Tod ihres Kameraden zu denken.
Und sie, sie allein hatte den Angriff befohlen, bei dem Harpy gefallen war. Nun ja – befohlen hatte den natürlich dieser Egomane Lone Wolf. Aber bei dem war mit Verantwortungsgefühl wohl sowieso nicht zu rechnen. Es wäre einfach schäbig gewesen, diese Aufgabe auf Lilja abzuschieben. Außerdem kannte Lightning die beiden Toten noch aus den Tagen ihrer ersten gemeinsamen Feindfahrt auf der alten REDEMPTION. Der Träger war jetzt Geschichte, und die meisten Piloten auf ihm auch.

Bei der Dankbarkeit in Liljas Augen empfand Lightning fast einen Stich. Einerseits ein wenig aus Neid, weil ihr selber keiner diese Aufgabe abnahm. Aber auch aus Scham, weil sie sich eingestehen mußte, daß die Briefe langsam zur Gewohnheit für sie worden. Es waren ja schon so viele.
Sie seufzte erneut: „Aber wem soll ich bei Claw schon schreiben...“ Sie sprach jetzt nicht zu Lilja, sondern eher zu sich selbst. „Seine Familie ist tot, und nun er auch. Ein Scheißleben ist das.“ Und diesmal schämte sie sich nicht ob ihres verbalen Ausrutschers: „Ach verdammt, vielleicht mußte es ja eines Tages so kommen. Irgendwie habe ich es ja immer befürchtet. Er flog von Anfang an auf Risiko. Ich dachte ja, er hätte sich inzwischen unter Kontrolle, aber...“
Die Russin sagte nichts dazu. Es kam ihr natürlich nicht in den Sinn, ihrer Vorgesetzten etwas vorzuwerfen. Allerdings hätte sie wohl deren geheime Anklagen in Richtung des Geschwaderchefs kaum verstanden.
Die Britin zuckte mit den Achseln: „Nun, er kämpfte einen guten Kampf...“ meinte sie nur. Der Nachruf klang auch für reichlich dürftig, selbst wenn Claw nicht gerade voll in die Staffel integriert gewesen war. Aber Lilja schien ihr beizupflichten.
„Wie lief eigentlich dein Kampf?“ fragte die Kommandeurin. Sie schien es satt zu haben, noch weiter über die Todesfälle nachzudenken. Das würde sie bei der Abfassung der Briefe ohnehin noch einmal tun müssen.
Ihre Untergebene wandte den Blick nicht ab, sondern konstatierte in ruhigem Tonfall: „Eine Bloodhawk und ein Reaper. Und ein größerer Brocken, ich glaube ein Foxtrott-III oder ein Nomad.“
Lightning nickte zufrieden: „Herzlichen Glückwunsch.“ Ihr wiederum kam nicht in den Sinn, ZU genau nachzubohren, was Lilja eigentlich genau abgeschossen hatte. Inzwischen kannte sie ihre Pappenheimer. Sie kannte Lilja, es war Krieg – mehr gab es da eigentlich kaum zu sagen.

Die Besorgnis in den Augen der Russin war jedoch nicht zu übersehen, so rücksichtslos sie sonst gegen andere und vor allem sich selbst seien konnte: „Sie sollten sich aber schonen, Commander.“ Lightning lachte leise: „Willst du das Zepter wieder alleine schwingen so lange du noch kannst, oder kannst du es gar nicht erwarten, bis du den Thron wieder an mich übergibst?“
Lilja grinste nur: „Vielleicht Beides. Einerseits ist es ja ein tolles Gefühl, eine Staffel zu kommandieren – vor allem wenn man jemandem Dampf machen muß. Aber die Arbeit und die Verantwortung... Also ich weiß nicht, warum Leute Geschwaderkommandeur werden wollen.“
Das Gelächter ihrer Vorgesetzten klang gallig: „Vielleicht werden deshalb die besten Leute so selten Geschwaderchef, und die, die es werden...“ Inzwischen hätschelte und pflegte sie ihre Kritik an Lone Wolf schon aus reiner Gewohnheit. Allerdings hatte der auch nie etwas unternommen, mit ihr zu einer Aussöhnung zu kommen. Nun, vermutlich hielt er das in seiner Großartigkeit für überflüssig. Vielleicht sollte man ja wirklich mal das Kriegsbeil begraben... Aber andererseits – seine Art war dazu wirklich nicht animierend, und zu bessern schien er sich auch kaum.
„Na, allzu lange will ich dir gewiß nicht zur Last fallen. Nur mal sehen wie es läuft. Und mal Luft schnuppern, die nicht nach Weißkitteln stinkt.“ Lilja sprang auf: „Ich bringe Sie zurück!“ erbot sie sich eifrig. Bei manchem anderen hätte es wie Liebdienerei geklungen, aber solche Regungen fehlten in Liljas nicht eben kurzer Liste von Makeln und Lastern.

Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Lightning war froh zu erfahren, daß Lilja wenigstens eine halbe Staffel einsatzbereit halten konnte. Aber ein wenig graute es ihr. Nicht, weil sie doch relativ leicht ersetzbar war – an den Gedanken hatte sie sich langsam aber sicher gewöhnt. Nein, es war vielmehr der Umstand, daß ihre Staffel ein weiteres Mal erheblich ausgedünnt worden war. Ein Drittel fürs Erste ausgeschaltet, und das war nicht das erste Mal in diesem Krieg. ,Wenn unsere Eierköpfe nicht immer Optimismus ausdünsten würden, könnte man ja langsam direkt anfangen, sich Sorgen zu machen.‘ Lilja gab ihr Bestes, auch ein wenig Klatsch beizusteueren. Nicht eben ein Feld, in dem sie unmittelbar am Puls der Zeit war, aber einiges bekam sie schon mit. Der Hauptteil beschäftigte sich natürlich mit den Leuten an Bord des Trägers, die wirklich was leisteten – den Piloten. Der Rest war ja nicht so wichtig. Und bei den Piloten natürlich zuerst die Jäger, denn die Bomber waren ja zur Hälfte nur gut bezahlte Spediteure, die auf Scheunentore ballerten. Aber auch aus der Chefetage sickerte wie immer etwas herunter. Die Gerüchte über Admiral Alexanders ,Einsatzbereitschaft‘ waren nicht verstummt. Dazu kam, daß sie sich einen Adjutanten angelacht hatte, der offenbar aussah wie ein Mönch nach sieben Jahren Hungersnot, und dazu nur einen Arm hatte. Und sich auch so benahm, was das anging. Da die Gerüchteküche noch nie Gnade gekannt hatte, gab es auch noch Spekulationen, was ihm die Akarii vielleicht sonst so abgeschnitten hatten, wo er so düster und kahlköpfig daherkam. Andere witzelten, als rechte Hand sei er wohl kaum qualifiziert. Lilja schien die Sache vom Praktischen her zu betrachten. Wenn die Admirälin schon eingesessen hatte, dann hatte sie auch Anrecht auf die eine oder andere Marotte. So lange sie ansonsten gute Arbeit leistete. Sich aber ausgerechnet einen ehemaligen Gefangenen zu nehmen, der vielleicht noch die eine oder andere Spätfolge seiner Verletzung und Haft mit sich herumschleppte...
Davon war Lightning allerdings nicht überzeugt. ,Das Miststück hat ja wohl zum Gutteil diesen grandiosen Plan ausgeknobelt, bei dem ein Drittel meiner Leute getötet oder zum Krüppel geschossen worden.‘ Nun, das mußte sie ja nicht gerade lauthals verkünden.

Zu ihrer eigenen Schande mußte Lightning eingestehen, daß sie doch froh war, als sie die Krankenstation wieder erreichte. Sie war nur eine Dreiviertelstunde ,in Freiheit‘ gewesen, fühlte sich aber schlapp wie ein Lappen und Hundemüde. Natürlich ließ sie sich das nicht anmerken. Mit betonter Munterkeit nahm sie Absicht von Lilja, nicht ohne der Russin das Versprechen abzunehmen, sich selber erst mal für ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen. Bevor sie selber einschlief dachte sie noch über etwas nach, was sie schon gelegentlich erwogen hatte. Vielleicht wäre es ratsam, Lilja demnächst für eine Beförderung vorzuschlagen. Sollte die Russin die Staffel mal längere Zeit übernehmen müssen – und das konnte jederzeit passieren – würde sich dies wohl kaum vermeiden lassen. Wenn sie daran dachte wer teilweise sonst noch Lieutenant Commander geworden war – oder Commander, was das anging – dann glaubte sie schon, daß ihre XO das Zeug hatte. Fünfzehn Abschüsse, wenn sie es richtig im Kopf hatte, keine nennenswerten Disziplinarstrafen, gute Einsatzmoral, akzeptables Auftreten gegenüber den Vorgesetzten... Was wollte man mehr?
Allerdings – dunkle Flecken hatte die Russin mit Sicherheit. Im Augenblick, hier im Krieg, erschien das aber nebensächlich. Das Problem war bloß, eine Beförderung würde über Lone Wolf gehen müssen, und dem traute sie es zu schon aus reinem Trotz einen ihrer Vorschläge abzuschmettern. Nun, das wollte gründlich überlegt sein...
Tyr Svenson
Eine unerwartete Begegnung

Im Grunde war es Lilja nicht schwergefallen, sich an ihren neuen Posten zu gewöhnen. Sie hatte schon vorher als XO agiert, und auch wenn sie in ihrem Inneren stets Selbstzweifel mit sich herumtrug, so hatte sie diese schon früher durch energisches Auftreten gegenüber Gleichrangigen und Untergebenen zu kompensieren gewußt, und ihre Unsicherheit in militärische „Schneidigkeit“ umgemünzt. So sehr unterschied sich ihr jetziger Posten als Interimskommandeurin auch nicht von ihren alten Aufgaben. Viele Offiziere sahen ohnehin nicht zu genau hin, wenn man eine ordentliche Ehrenbezeigung machte, und trotz aller Zweifel an sich selbst hatte sie bisher auch die nötigen Leistungen gebracht.

Das Antreiben Untergebener hatte sie ebenfalls schnell gelernt. Zumindest was Dienstgrade betraf, die nicht Teil ihrer Staffel waren. Sie blickte nicht in dem Maße wie einige andere Piloten auf die technischen Arbeiter herab, verlangte aber unbedingte Leistung. Ihr Rang gab ihr auch die Möglichkeit, darauf zu bestehen. Immerhin erwartete man ja auch von ihrer Staffel, daß sie selbst schwerste Aufgaben bewältigte – etwa wenn Lone Wolf die Grüne Schwadron mal wieder in den Einsatz gehetzt hatte. Da durfte sie ja wohl auch durchsetzen, daß die Maschinen entsprechend versorgt wurden. So brachte Lilja es trotz aller Schwierigkeiten fertig, die Reste der Staffel stets einsatzbereit zu halten. Eigentlich war dies ja vermutlich überflüssig, denn daß die Akarii jetzt anrücken würden, nachdem sie binnen weniger Wochen drei Träger verloren oder gesprengt hatten, war wenig wahrscheinlich. Andererseits – sicher war dies natürlich nicht. Und so sehr die Russin die Imperiale Marine haßte, unterschätzen tat sie diese keineswegs. Bedauerlicherweise hatten andere Kommandeure natürlich die gleichen Erfahrungen gemacht, so daß alle Druck ausübten und versuchten, bei der Zuteilung von Prioritäten, Ersatzteilen und ähnlichem ganz oben auf der Liste zu stehen.

Gegenüber den „alten Hasen“ wie Lone Wolf und Darkness fühlte sie sich immer noch unsicher. Dies war ein Grund dafür, daß sie vor ihnen die Hacken in erheblich größerem Maße zusammenschlug, als eigentlich nötig gewesen wäre. Mit den anderen Staffelchefs war dies etwas anderes. Lilja wußte zwar, daß sie dem Rang nach noch unter ihnen stand, doch sie sah Huntress oder Martells Stellvertreter keineswegs mit der Art von fast scheuem Respekt, den sie der „ältesten Garde“, den „Schützenkönigen“, entgegenbrachte. Glücklicherweise schien dies keinen zu stören.
Lilja war schon in ihrer Zeit als XO an die routinemäßige Schreibarbeit gewöhnt, so daß sie mit ihrem Posten ganz gut zurecht kam. In mindestens einer Hinsicht war sie jedoch froh, ihr neues Amt bisher nicht im Gefecht ausüben zu müssen. So sehr sie die Akarii auch haßte und jede Gelegenheit, mit ihnen abzurechnen, herbeisehnte – sie hatte immer noch Zweifel, daß sie bereit war, eine ganze Staffel in den Kampf zu führen. Nun ja – eigentlich nur noch eine halbe Staffel.

Das einzige, was sie als wirklichen Verlust empfand, war der Umstand, daß sie kaum noch Zeit für ihr übliches Trainingsprogramm hatte. Aus diesem Grund mußte sie die Leibes- als auch die Simulatorübungen, die sie früher zusätzlich zum üblichen Dienstprogramm und den routinemäßigen „Trockenmanövern“ absolviert hatte, einschränken. Sie überwachte sich selber argwöhnisch, um jedes Nachlassen ihrer Leistungen bei den Routineübungen zu registrieren, doch bisher war es nicht dazu gekommen.
Freunde machte sie sich mit ihrer Art natürlich nicht, allerdings schien ihr das wenig auszumachen. Sie blickte inzwischen der verbleibenden Zeit, bis Lightning wieder das Kommando übernehmen würde, relativ gelassen entgegen.

Im Augenblick starrte sie eine junge Frau aus dem Befehlsstab des Trägers mit einer Miene an, als würde sie gleich versuchen ihr Gegenüber zu beißen. Manche meinten allerdings, das sei ihr normaler Gesichtsausdruck. Ihre alten Narben und die leicht rauhe Stimme unterstützten das noch: „Zum letzten Mal! Es sollte doch nicht so schwierig sein, eine einfache Verlegung in die Wege zu leiten! Muß ich deshalb etwa bis hoch zur Admirälin, ehe sich mal jemand findet, der verdammt nochmal Mut hat, eine Entscheidung zu treffen?“
Ihr Gegenüber konnte als Ensign natürlich nicht die Antwort geben, die ihr vielleicht auf der Zunge lag. Deshalb biß sich die Flottensoldatin nur auf die Zunge und antwortete in leicht angespanntem Tonfall: „Durch die Überbelegung der Trägers gibt es gewisse Probleme. Wir können doch nicht...“
Lilja schnitt ihr die Worte mit einer knappen Geste ab: „Zufälligerweise ist mir nicht entgangen, daß wir gerade Herberge für die Kollegen von der INTREPID spielen. Aber auch Ihnen dürfte klar sein, daß eine ganze Anzahl von Piloten entweder im Lazarett einquartiert ist oder...“ Sie brauchte nicht genauer auszuführen, wo etliche andere lagen – falls man sie gefunden hatte.
„Alles was ich will, ist, daß Sie sich die verdammte Mühe machen und Ensign Cartmell in ein neues Quartier verlegen. Sogar Ihnen dürfte klar sein, daß es nicht ganz den Vorschriften entspricht, so unterschiedliche Dienstgrade in einem Zimmer unterzubringen! Und ,wir können nicht’ gibt es nicht, Ensign Ichigo! Immerhin verlange ich ja nicht, daß Sie Cartmell auf der Außenhülle zwischenparken, um seinen bisherigen Zimmergenossen zu entlassen!“

Der Grund für diese „dienstliche Meinungsverschiedenheit“ war denkbar einfach. Lilja hatte beschlossen, ihre neue Machtvollkommenheit zu nutzen, um auch mal „Etwas Gutes für ihre Staffel zu tun“. Und da sie der Meinung war, daß Tyr genug für seine – nie bewiesene – Prügelei bestraft worden war und sie Cartmell ungeachtet seines teilweisen Verhaltenswandels noch immer nicht schätzte, hatte sie sich bemüht, eine Umverlegung durchzudrücken. Auf dem schnellen Wege – also direkt, ohne viel Bürokratie. Durch die Kampfverluste und die Belegung mit Überlebenden des anderen Trägers ging ohnehin alles drunter und drüber, da würde es nicht so sehr auffallen. Hatte sie zumindest gedacht. Aber die bürokratischen Mühlen mahlten nun einmal langsam, und vor allem galt auch in der Navy das Zuständigkeitsprinzip, von bösen Zungen auch „Haase und Igel“ genannt, weil man mitunter rennen konnte soviel man wollte, ohne jemals ans Ziel zu kommen…
Aus diesem Grund stand sie jetzt vor dem dritten Ansprechpartner und verlor langsam aber sicher ihre Geduld.
Mit einem unterdrückten Fluch beendete sie schließlich das Gespräch. Hier war offenbar nicht viel zu machen. Sie erteilte der jungen Frau in scharfem Tonfall die Erlaubnis zum Wegtreten, und setzte sich auf ihr nächstes Ziel in Bewegung.

Cliff Davis war durch die lauten Worte auf das Gespräch – wenn man es so nennen konnte – aufmerksam geworden. Allerdings hatte es nicht lange gedauert, bis er die Stimme identifiziert hatte, die den „aktiveren“ Teil der Auseinandersetzung übernahm. Er kannte sie, und ihm gegenüber hatte sie mitunter einen noch wesentlich schärferen Tonfall angeschlagen. Ein Wiedersehen ausgerechnet mit diesem Teil seiner Vergangenheit stand nicht gerade weit oben auf seiner Wunschliste, auch wenn er nicht glaubte, daß die Russin allzu viele Tränen um seinetwillen vergossen hatte. Sie schien so etwas gar nicht zu kennen. Aus diesem Grund hatte er sich wieder abgewandt, um Lilja nicht zufällig über den Weg zu laufen. Zwar war klar, daß er den Zeitpunkt seiner „Enttarnung“ nicht ewig hinausschieben konnte. SO groß war das Schiff nicht. Aber er war noch lange nicht bereit dazu.
Die Stimme hinter ihm aber war unmissverständlich: „He, First Lieutenant!“ Scheu und Zurückhaltung zeigte Lilja nur gegenüber Vorgesetzten – aber sicher nicht gegenüber einem Gleichrangigen der nichtkämpfenden Dienste. Cliff gab sich Mühe, die Stimme zu überhören und beschleunigte seine Schritte. Aber dafür war es jetzt schon zu spät – hinter ihm war das Knallen von Sohlen zu hören. Offenbar war Lilja fest entschlossen, sich nicht abschütteln zu lassen. In der Hinsicht neigte sie manchmal dazu, geradezu penetrant hartnäckig zu sein. Einen Augenblick ehe sie ihn erreichte, drehte er sich um.

Das Gesicht der Russin war leicht gerötet, wodurch die älteren Narben besonders hervortraten. Allerdings war der Grund dafür wohl eher Verärgerung, nicht Anstrengung – im Augenblick hätte sie ihn vermutlich mit einer Hand unterkriegen können.
,Das ist wohl was, wovon sie immer schon geträumt hat.’, dachte er.
Lilja verzichtete auf eine Ehrenbezeigung. Ihre Stimme war knapp unterhalb der Grenze der Beleidigung.
„Ich mag ja keine besondere Schönheit sein, First Lieutenant, aber ich denke doch, daß meine Rangstreifen dafür sorgen, daß ich Beachtung verdiene. Sie haben sicher Ihre eigenen Pflichten, aber auch ich habe mich um meine Leute zu kümmern, Lieutenant Davis!“
Sie zögerte einen Augenblick. Starrte ihn an. Blickte dann wieder auf das Namensschild und zurück ins Gesicht. Dann wurde sie bleich. Er hatte aus ihrem Mund in ihrer Muttersprache vor allem Flüche gehört, aber der hier war ein besonders heftiger.
In all den Monaten, die sie auf dem Schiff miteinander zu tun gehabt hatten – oft war es nicht der Fall gewesen, aber oft genug – hatte er Lilja nie wirklich fassungslos gesehen. Sie starrte ihn nicht ganz wie ein Gespenst an, aber viel fehlte dazu auch nicht. Ihre Stimme klang ziemlich erstickt: „Zum Teufel! Was zur Hölle…“
Eine Weile starrten sie sich nur an. Lilja, weil sie offenbar vollkommen überrascht war. Cliff, weil er nicht Recht wusste, was er sagen sollte. Lohnte es sich, die eigene Identität zu verleugnen? Vermutlich nicht. Abgesehen von der Ähnlichkeit der Gesichtszüge, die sich im dem Maße verstärkte, wie er sich von den Strapazen des Krebses und des Verlustes seines Armes erholte, war da auch noch die Haarfarbe. Und seine Stimme – und er konnte sich wohl kaum ohne ein Wort hier davonstehlen…
Also lächelte er schief – zum Teil über sich selbst. Eine der Personen, die sein Tod wenn nicht gefreut so doch auch nicht betroffen gemacht hatte, erkannte ihn also als erste… „Hallo Lilja.“, sagte er nur.

Ein wenig schien die Russin wieder Fassung zu gewinnen. Allerdings starrte sie ihn immer noch ungläubig an. Dann allerdings ersetzte vager Ärger zum Teil die Fassungslosigkeit: „Also, wenn das mal nicht…“
Sie schien zu zögern. Wie schlecht es ihm gegangen war, konnte sie ihm offenbar ansehen. Allerdings hatte sie auf ihre eigenen Qualen selten Rücksicht genommen…
Ihre Stimme klang angespannt: „Dein Arm…? Und der Rest?“ Cliff starrte sie überrascht an. Zeigte Lilja tatsächlich Gefühle – sogar Besorgnis? Ausgerechnet um ihm? Er musste sich immer noch anstrengen, um seine Stimme normal klingen zu lassen: „Das wird schon wieder, dauert aber eine Weile.“
Die Russin starrte ihn an. Die Besorgnis schwand in ihrem Gesicht und machte etwas Platz, daß er nicht einschätzen konnte. Es war keine Schadenfreude, eher fast so etwas wie Erleichterung. Aber es war nicht die Art Freude, die man mit einem Kameraden teilte. Sie holte tief Luft. Ihre Stimme klang auf einmal fast so wie früher, genau die Art scharfe, ja beleidigende Direktheit: „So, du hast es also überlebt. Und das wird wieder, wie schön. Weißt du eigentlich, was wegen dir los war? Shaka hat sich fast überschlagen deinetwegen – vor allem deinetwegen. Und andere…“ fast so etwas wie Wut huschte über ihre Züge, warum wusste er nicht.
„Und du lebst und bist seit geraumer Zeit – wie viel? – wieder auf dem Träger, und findest es nicht für nötig, jemanden was zu sagen? Kannst du mir mal erklären, was das soll? Deine Schwester hat hier überall deine verd…Briefe verteilt!“
Sie wurde wieder etwas bleicher: „Ach Scheiße! Dann weißt du es ja vermutlich schon! Daß sie da unten ist und…“ Lilja schien für einen Augenblick fast so etwas wie Gewissenbisse zu haben. Aber nur einen Augenblick. Sie atmete tief durch: „Schön – wir waren uns ja einig, dass du nicht mehr mit mir zu tun haben willst. Und wenn ich ehrlich seien soll – mir ging es ebenso. Schon vorher. Aber gegenüber den anderen war das mehr als schäbig!“

Cliff meinte durchaus, dass ihr Urteil – nicht das erste Mal übrigens – über Gebühr hart ausfiel. Obwohl er sich bei manchen Dingen fragte, ob sie nicht Recht hatte. „Langsam, langsam, mein Gedächtnis kommt gerade erst zurück.“
Sie starrte ihn an, mit einer Mischung aus Unglauben und Überraschung: „. Du willst mir doch nicht ernsthaft glauben machen, daß die einen halben Amnesiekandidaten Dienst im Stab schieben lassen! Von der Flotte habe ich ja einiges gehört, aber so was nun auch wieder nicht! Dann gehörst du gefälligst in die Reha, also kann es so schlimm doch nicht sein!“ Für einen Augenblick schien sie sogar zu überlegen, ob sie damit nicht zu weit gegangen war. Doch dann straffte sie sich wieder: „Ich weiß nicht, warum du das gemacht hast – und es geht mich nichts an. Ich will es auch gar nicht wissen. Meinethalben kannst du den Zaren im Bauernkostüm spielen! Oder den Bauern im Zarenkostüm, was das angeht! Aber überlege dir verdammt noch mal, daß es irgendwann ohnehin rauskommt. Und was sie dann von dir denken! Ich will nicht so schäbig handeln wie du, und dich anschwärzen – kümmere dich um deine Sachen!“
Und mit diesen Worten drehte sie sich um und ging. Fast hastig, als fürchtete sie, er könne versuchen sie zurückzuhalten. Was freilich wohl keine gute Idee gewesen wäre…
Cliff starrte ihr nach. Im Augenblick war er sich nur über eines sicher – ganz verstehen würde er die kaltherzige Russin nie…
Tyr Svenson
Ich wollte es nicht zugeben, aber die Begegnung mit Lilja hatte mich aufgewühlt. Aufgewühlt und weitere Erinnerungen hervor gekehrt.
Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich die Russin eigentlich mochte. Ihre spröde Art hatte auf mich immer anziehend gewirkt und die Narben, nun, die hatten sie eher noch interessanter gemacht. Sie war nie ein Mädchen gewesen, das mit einem grinsenden Blondie in die Kiste hüpfte und ich hatte von ihr auch nie erwartet, mit mir zu schlafen.
Aber ich mochte sie und machte mir Sorgen, selbst jetzt, in einer Zeit in der ich meine Erinnerungen nur nach und nach zurück erhielt. Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, da hatte ich ihr einen Kuss aufgezwängt, einfach nur um eine Reaktion von ihr zu bekommen. Als Beweis, das sie lebte und nicht wie ein Zombie der Zerstörung in den Tag lebte.
Bei unserer zufälligen Begegnung aber hatte sie gut ausgesehen. Erschöpft aber gut. Ich machte mir keinerlei Illusionen, dass sie die Akarii auch in Zukunft anders sehen würde als der legendäre General Sherman die Indianer. Nur ein toter Akarii war für sie ein guter Akarii.
Aber sie lebte, sie lebte wirklich.
Nach dem Kuss hatte sie mir eine saftige Ohrfeige gegeben, anstatt im Blutrausch ihr Messer zu ziehen, wie ich es eigentlich erwartet hatte.
War das auf meinen Einfluss zurück zu führen? Kam sie etwas ins Leben zurück?
Doch egal ob mein Einfluss oder der von anderen, Hauptsache sie bewegte sich überhaupt.

Und dies war mein Problem. Wenn sie sich bewegte, warum dann nicht auch ich?
„Alles in Ordnung, Cliff?“, fragte mich Ensign Ichigo.
„Was? Nein, alles in Ordnung, Mahou. Der First Lieutenant hat mir nur einiges zum nachdenken gegeben. Wir sind früher in derselben Einheit geflogen und sie war dabei, als es mich erwischte. Aber das scheint Jahrzehnte her zu sein. Sogar für sie, denn normalerweise hätte sie mich quer gefressen und wieder ausgespuckt.“ Ich grinste bei diesem Gedanken.
„Was wollte sie eigentlich, Mahou?“
Der Ensign machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sie wollte eine Umquartierung. Einer ihrer Lieutenants teilt sich die Stube mit einem Ensign und sie meinte, dieser Zustand wäre nicht mehr tragbar. Ich meine, Hey, was denkt die sich? Wir sind alle dabei, Doppelschichten zu schieben, und sie kommt mit so einer Lappalie an.“
„Ensign? Ach, Sie meinen Noname. Den Piloten, den sie aus dem Knast geholt haben. Soll gut sein, der Junge. Haben Sie dem First Lieutenant nicht erklärt, dass Ensign ebenfalls ein Offiziersrang ist? Mit dem Second Lieutenant der Bodentruppen zu vergleichen, Mahou?“
„Dazu bin ich gar nicht gekommen“, gestand die Japanerin.
Ich schmunzelte. „Wie dem auch sei. Ich mache die Anträge an der Quartiermeister fertig. Ich bin gespannt, ob er es genehmigt.“
„Hm? Sie wollen sich die Arbeit machen? Ist sie eine alte Freundin?“, fragte der Ensign erstaunt.
Ich grinste schief, wohl wissend, dass das immer noch monströs wirkte. „Nein, sie ist eher… Eine alte Feindin. Eine alte Feindin, die ich sehr bewundere.“
„So?“, fragte Ichigo erstaunt. „Aus Ihnen soll mal einer schlau werden, Cliff.“
„Im Gegenzug verstehe ich absolut nichts von Frauen, Mahou“, gestand ich schmunzelnd. „Kommen Sie, trinken wir einen Kaffee, bevor Admiral Alexander ihre halbstündige Tasse verlangt. Sie hatte erst drei heute und ist noch nicht auf ihrem Koffein-Level.“
Ensign Ichigo nickte zustimmen. „Den Strich machen wir aber unter Ihrem Namen, Cliff.“
„Einverstanden, Ensign.“

**

„Hier, Admiral“, sagte ich leise und reichte Alexander ihren Kaffee.
„Danke, Clifford. Ist noch etwas?“
„Ja, Ma´am. Mir liegen da wirklich zwei Dinge auf dem Herzen.“
„Kommen Sie, sprechen Sie sie aus. Ich bin für alles dankbar, was mich von diesen Berichten ablenkt. Unsere Verluste waren furchtbar. Aber die der Akarii waren viel schlimmer. In Berlin werden sie einen grandiosen Sieg draus stricken…“ Auffordernd sah sie mich an.
Ich seufzte schwer. „Admiral, ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir eine Aufgabe gegeben haben. Ich meine, auf einem Lazarettschiff herum laufen und nichts tun hätte mich umgebracht.“
„Dafür müssen Sie sich nicht bedanken, Clifford. Ihre kaufmännische Ausbildung lässt Sie hier einen guten Job machen. Ich bin ganz froh über diesen Glücksgriff.“
„Und genau das bringt uns zum nächsten Punkt. Wann schicken Sie mich weg, Ma´am?“
„Wie meinen?“
„Die Schlacht ist vorbei. Wir haben gewonnen. Die Lazarettschiffe werden bald abfliegen, und seien wir ehrlich, ein einarmiger Mann unter Krebsbehandlung gehört in Therapie und nicht auf ein Kampfschiff.“ Ich war leise geworden, denn meine eigenen Worte machten mich traurig.
Admiral Alexander sah mich ernst an. „Ich weiß das. Und ich schiebe diese Entscheidung vor mir her. Clifford, ich habe Sie die letzten Tage und Wochen bitter gebraucht und ich weiß nicht, ob ich schon auf Sie verzichten kann.“
„Ich war Ersatz für Ihren Sohn?“, fragte ich geradeheraus.
„Jetzt schießen Sie aber weit über die Grenzen des guten Geschmacks und des Anstandes hinaus, First Lieutenant“, erwiderte sie ernst. „Aber Sie haben Recht. In einer gewissen Weise. Sie sind kein Sohnersatz, Clifford. Sie sind mein Seelsorger. Etwas in der Art.
Aber Sie haben auch in anderer Weise Recht. Sobald die MARIA THERESIA mit ihren Begleitschiffen startet, werden Sie an Bord sein. Sie gehen zur Erde zurück und begeben sich in Therapie. Ich will, dass Sie Ihren Arm wieder bekommen und irgendwann erneut in eine Phantom oder sogar eine Nighthawk steigen dürfen. Unser Krieg ist noch lange nicht vorbei und wir werden jeden Soldaten mit Erfahrung bitter brauchen.“
„Es gefällt mir nicht, Sie alleine zu lassen, Ma´am“, antwortete ich.
„Sehen Sie mal auf meine Schulter, Clifford. Was sehen Sie da? Ich bin Volladmiral. Meinen Sie nicht, meine Befehle könnten sinnvoll sein? Gehen Sie nach Hause, Clifford. Werden Sie gesund. Und wenn wir Glück haben, sehen wir uns an der Front wieder.“
Admiral“, sagte ich leise und ernst, „ich muß zugeben, Sie sind für mich noch weit wichtiger. Ohne Sie wäre ich schon lange verzweifelt. Es war Ihre Standhaftigkeit, die mir immer wieder Kraft gegeben hat. Kraft, die Schmerzen durchzustehen. Kraft, weiter durchzuhalten. Dafür danke ich Ihnen, Ma´am.“
„Gerne geschehen, Clifford“, sagte sie lächelnd.

„Und? Was ist die andere Sache?“
„Was? Oh, ja. Ich habe mich lange davor gedrückt, aber vorhin hat mich eine Kameradin wieder erkannt und mir gehörig den Kopf gewaschen. Ich weiß, dass viele meiner alten Kameraden an Bord der COLUMBIA sind. Ich bin sogar unter Commander Cunningham geflogen. Aber bisher dachte ich, dass ich besseres tun kann, als meine Kameraden zwischen zwei Schlachten abzulenken.“
„Die Schlachten sind vorbei. Vielleicht ist jetzt die Zeit, sich Ihren alten Freunden und Kameraden zu stellen. Denken Sie nicht auch, dass es sie motivieren wird, wenn Sie so plötzlich von den Toten auferstehen?“
„Andere wird es eher depressiv machen. Ich hatte nicht nur Freunde im Geschwader.“
„Das ist erst Recht ein Grund, zu ihnen zu gehen“, brummte Alexander amüsiert.
Ich schmunzelte. „Aye, Admiral.“

**

Nach meinem Dienst führte mich mein erster Weg auf die Krankenstation der COLUMBIA. Obwohl zwei Lazarettschiffe den Verband begleiteten, war sie reichlich gefüllt. Nicht so schlimm überlagert wie nach dem Troffen-Feldzug. Aber schlimm genug, um einige meiner schlimmsten Erinnerungen zu wecken.
Mühsam kämpfte ich diese Erinnerungen nieder, als der Mann im Bett neben meinem Stuhl aufzustöhnen begann.
„Guten Abend, Albert.“
Der große Schwarze zuckte zusammen. „Cliff?“
„Ruhig, Großer. Du bist am Leben und dir geht es den Umständen entsprechend gut.
„Cliff, du bist es. Was ist passiert? Was ist mit mir passiert?“
„Du hast großflächige Erfrierungen, Albert. Deine Nieren sind gequetscht und anscheinend hast du dir auch ein paar Rippen gebrochen, als du ausgestiegen bist. Sie mussten dir ein paar Gliedmaßen amputieren, aber keine Bange, das kann man alles nachwachsen lassen.“
„Wie schlimm ist es?“, fragte der Zulu gerade heraus.
„Linker Fuß bis zum Knöchel. Rechts alle Zehen und ein Teil der Ferse. Zwei Finger der rechten Hand. Und die Nasenspitze. Dein Anzug hat einiges abgekriegt und dich beinahe tief gefroren. Das SAR hat dich gerade rechtzeitig erreicht.“
„Mist“, murmelte er leise. „Damit muß ich wohl nach Hause, was?“
„Es wird nicht lange dauern. Ein Vierteljahr, vielleicht ein halbes, und du hast deine Flugerlaubnis wieder. Außerdem werde ich dich wohl begleiten.“
Der groß gewachsene Afrikaner lugte zu mir herüber und bemerkte den leeren rechten Ärmel. „Was ist passiert?“
Ich schmunzelte. „Erinnerst du dich an Jollahran? Wie meine Raketen geklemmt haben und ich die Antischiffsrakete mit meinen Bordwaffen vernichten wollte?“
„Ja, du hast sie gerammt. Cliff, wie konntest du das überleben?“
„Dummkopf. Niemand überlebt, wenn er eine Atombombe durch rammen zur Explosion bringt“, kommentierte ich. „Tatsächlich habe ich sie mit meinen Lasern erwischt. Ich war nur leider viel zu nahe dran. Mit dem Trackball drehte ich noch den Rumpf zwischen mich und die Explosion. Das hat mir wohl das Leben gerettet. Aber die Strahlung hat mich ganz schön fertig gemacht. Ein Search and Rescue hat mich aus Raumnot gefischt und tief gefroren. Leider haben die Akarii das Shuttle aufgebracht und ich kam nach Graxon. Dort wurde mir der Arm abgenommen… Ich hatte multiplen Krebs und einen riesigen Tumor im Kopf, aber ich gab nicht auf. Tja, und nachdem der Berg befreit wurde, kam ich erst auf ein Lazarettschiff und später zu Admiral Alexanders Stab.“
„Verdammt, was braucht es eigentlich, um dich umzubringen? Eine Atomexplosion reicht anscheinend nicht“, sagte Albert matt und ließ sich auf sein Kissen zurück sinken.
Urplötzlich fuhr er wieder hoch. „CLIFF! Deine Schwester, sie…“
Ich zuckte zusammen wie unter einem Schlag. „Ja, ich habe Lilja getroffen. Es scheint als hätte Justin, der alte Hasenfuß, sie meine Abschiedsbriefe austragen lassen.“
„Das meine ich nicht! Sie ist bei den Marines und…“
„Ruhig, schon gut. Ich habe bereits nachgesehen. Sie ist weder im Lazarett noch auf den Verlustlisten. Abgesehen von der Erschöpfung nach der Schlacht sollte es ihr also gut gehen.“
„Dann ist ja gut. Es wäre doch ironisch gewesen, wenn du zurück kommst und deine Schwester dafür stirbt, oder?“
Ich grinste schief. „Nun, sie wird Graxon jedenfalls nicht lange überleben, denn wenn ich sie in die Finger kriege, dann bringe ich sie höchstpersönlich um! Was fällt ihr ein, sich in so eine Gefahr zu begeben? Wer hat ihr gesagt, dass sie Marine werden soll?“
„Sie hatte wohl ein schlechtes Vorbild, Cliff“, neckte Albert.
Ich musterte den Freund erstaunt und nickte dann. „Ja, da hast du wohl Recht.“

„Und, was hast du jetzt vor? Machst du die große Runde und sagst jedem, dass du noch lebst?“
„Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Anfangen werde ich beim CAG und mich dann langsam nach unten durch arbeiten. Ich würde mich ja gerne drücken, vor allem vor Kali und Huntress.“
„Besser nicht. Wenn sie rauskriegen, dass du noch lebst und dich nicht gemeldet hast, dann bist du an keinem Ort im Universum sicher. Frauen sind nachtragend.“
„Manche ja, manche nein“, antwortete ich beim Gedanken an Lilja.

**

„Sir“, sagte ich zu Commander Cunningham, „haben Sie einen Augenblick?“
Der CAG musterte mich beiläufig. „Was gibt es denn, Ace?“
Erschrocken sah ich ihn an. „Sie… haben mich erkannt?“
„Ja“, antwortete er barsch. „So viele Menschen mit Ihrer Größe und blauen Haaren gibt es nun nicht gerade in diesem Universum, oder? Außerdem ist die Tatsache, dass Sie mit Admiral Alexander von Graxon gekommen sind auch sehr hilfreich gewesen.“
„Aber… Aber warum haben Sie dann nichts gesagt, Lone Wolf?“
Der CAG musterte mich. „Ace, falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist, aber wir haben zwei schwere Schlachten gegen die Akarii geschlagen. Meinen Sie, ich hatte keine anderen Sorgen als einen Piloten, der plötzlich von den Toten aufersteht? Ich habe eine Menge guter Leute verloren und muß mit dem Rest die Sicherheit der Trägergruppe gewährleisten. Da bleibt mir keine Zeit dazu, um mit Ihnen Händchen zu halten.“
„Verstehe, Sir. Entschuldigen Sie die Störung.“
Ich wandte mich ab. Er hatte ja Recht.
„Ach, eines noch, nein, eigentlich zwei Sachen, Ace. Erstens, schön, dass Sie noch leben. Und zweitens, Sie sollten dringend mal zu Ihren Kameraden von den Roten gehen und ihnen sagen, dass es Sie noch gibt. Mit Huntress waren Sie auch ziemlich gut befreundet, oder?“
Ich wandte mich erstaunt wieder um. Aber Cunningham sah konzentriert auf die Karten vor sich und vermied den Blickkontakt mit mir.
Ich salutierte stramm. Mit Links. „Danke für den Rat, Sir. Danke für alles.“
„Werden Sie schnell gesund, Junge. Wir brauchen Piloten. Heute mehr als jemals zuvor.“ Müde strich sich Lucas Cunningham mit beiden Händen über sein Gesicht. Ich ahnte für einen Moment, welche Last er tragen musste.
„Ich gebe mein Bestes, Sir.“
Tyr Svenson
Das Quartier war weniger Geräumig als sein eigenes, doch Lucas Cunningham stellte fest, dass es Radio offenbar geschafft hatte, viel mehr darin unterzubringen,.
Eine reiche Auswahl von Zivilkleidung, wie auch eine "Mini"-Bar, die ein reichhaltiges Angebot besaß. Darunter sogar drei Flaschen zwanzig Jahre alten Antiqua Black Label. Und den kompletten Jahrgand des Colonial Playboy von 2618.
"Was zur Hölle machst Du da?"
Wütend fuhr Lucas herum. An Bord gab es nur zwei Leute die ihn duzten und Darkness würde so nicht mit ihm reden.
Donovan Cartmell stand in der Tür, die dick bandagierten Hände wütend in die Hüften gestemmt. Er schien noch ein wenig angeschlagen zu sein, aber im Großen und Ganzen wieder fit.
"Was glaubst Du wohl, was ich hier mache?" antwortete Cunningham trocken.
Donovan verschränkte seine Arme, lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete Lucas, wie er Radios Eigentum verpackte.
"Ist das alles? Hast Du so damals auch meine Sachen verpackt, nach meinem 'Tod'?" Cartmell behielt seine herausfordernde Haltung weiterhin bei.
"Nein, damals habe ich Deine Sachen nicht eingepackt, dass war damals auch der Staffelführer."
Die Antwort von Cartmell war ein trotziges Schnaufen.
Cunningham seufzte und setzte sich hinter Radios Schreibtisch. Der CAG fixierte den Ensign eine Weile: "Hör mir mal zu, Highball, ich kann ja nachvollziehen, dass Du einen tierischen Hass auf mich hast. Mein Gefechtsbericht damals, nun, er hätte anders ausgesehen, wenn sie Dich damals rausgefischt hätten."
"Ach hätte er das?"
"Ob Du es glaubst oder nicht, aber das ist nicht das, worum es geht ..."
"Oh großer Meister, worum gehts denn?"
"Du solltest die Navy nicht hassen, ja, mich schon, hass mich wie Du willst, ich hab's verdient, doch die Navy hat damals alles getan um Dich zu retten und sie hat dich auch jetzt wieder herausgefischt. Und Sie wird auch in Zukunft wieder alles für Dich tun, was sie kann, ungeachtet der Tatsache, wer du bist, woher du kommst oder was du getan haben magst.“
Cartmells Augen verengten sich zu Schlitzen, aber er blieb stumm. Trotz seiner immer noch nicht ganz geklärten Vorgeschichte als eventueller Pirat, hatte ihn die Navy bei Corsfield aus dem All gefischt. Als Cartmell weiterhin stumm blieb, fuhr Cunningham fort. „Du solltest aufhören, die Leute um Dich herum zu hassen ... klar, viele begegnen Dir mit Misstrauen und Missachtung, nur solltest Du niemals eine Hand weg schlagen, die Dir in Freundschaft gereicht wird.“
Lucas hatte von Kano Nakakura gehört, der sich dem schweigsamen Ex-Sträfling versucht hatte zu nähern. Und auch wenn er immer noch nicht genau wusste, was es mit der Schlägerei damals auf Miramar auf sich hatte, ahnte er, dass ihm mindestens Kano geholfen haben musste. Doch Cartmell hatte ihn brüsk zurückgewiesen und damit eine Möglichkeit vertan, eine eventuelle Freundschaft aufzubauen. „So ein Freund könnte es eines Tages sein, der sich freiwillig meldet, nach Dir dort draußen zu suchen. So ein Freund könnte eines Tages sein Leben aufs Spiel setzen, um Dir einen Gegner vom Heck zu holen."
Cartmell betrachtete Cunningham ein paar weitere Augenblicke stumm, dann platzte wieder sein eigentliches Naturell durch. "Wer bist Du eigentlich, dass Du glaubst mir predigen zu können, Lone Wolf?" Er schien wieder einmal fassungslos zu sein.
"Ein Veteran der Schlachten. Ich habe bei Trafalgar viele Leute verloren, die ich Freunde zu nennen die Ehre hatte. Jack Thorne, Yuri Matweje, Peter Gibson und Renee Doumont um nur einige zu nennen.
Für jeden von ihnen hätte ich mein Leben gegeben ..."
Lucas schüttelte den Kopf unter Cartmells zweifelnden Blick.
"Aber darum geht es nicht. Du solltest darauf achten, in Zukunft nicht weiter von beiden Seiten unter Beschuss zu liegen. Erst recht jetzt nicht, wo mit Radio einer Deiner wenigen Freunde gestorben ist. Andererseits hast Du, wie ich gehört habe, gut gekämpft und Mut bewiesen. Das könnte dir die Gelegenheit geben nach dieser Schlacht in die Clique zu kommen."
"Ach und Du willst mir dabei helfen?"
Lucas grinste und schüttelte den Kopf: "Mich bist Du bald los. Darkness wird noch heute Abend das Kommando über das Geschwader übernehmen. Ich werde versetzt. Darkness wird aber ein Auge auf Dich haben. Zwangsläufig. Er wird nicht zulassen, dass irgendwer in seinem Geschwader anders behandelt wird als die Masse."
"Sicher?"
"Ja, da bin ich mir sogar sehr sicher! Er hat dich und deinen Zimmergenossen nicht unterschiedlich behandelt, selbst als dieser sich mehrfach über eure Zusammenlegung beschwert hat. Er hat auch dafür gesorgt, dass sich der CAG wirklich um die Aufklärung des Übergriffs auf dich bemüht. Und jetzt wird er sich als erstes Skunk vorknöpfen, ich kenne den alten Hund gut genug um das Vorherzusagen. Und wenn das Stinktier quer schlägt, gnade ihm Gott. Aber nun sammle mir bitte Darkness, Kano, Kali, Lilja und Skunk und komm mit diesen in den Besprechungsraum der Geschwaderführung."
"Aye", der Salut von Cartmell war alles andere als vorschriftsmäßig, doch er schien zumindest nicht mehr ganz so aufgebracht zu sein.

Nachdem Lucas einige weitere Dinge eingepackt hatte, holte er erst Richard Schönberg ab und ging dann ebenfalls mit dem Priester in den Besprechungsraum.
"ACH.... "
"Bitten bleiben Sie sitzen", unterbrach Cunningham seinen Stellvertreter lakonisch. Er setzte sich an das Kopfende des Tisches, die Kiste die er trug stellte er rechts von sich.
"Als kommandierender Offizier dieses Geschwaders ist es meine Pflicht als Testamentsvollstrecker tätig zu werden, sofern Offiziere unter meinem Kommando von einem gefallenen Kameraden etwas erben. Commander Schonbörg ist als Zeuge anwesend."
Während seines Vortrags hatte er ein paar Seiten Papier entfaltet:
"Ich Curtis Dwight Long, von Gottes Gnaden auserwählt eine Uniform zu tragen, die ich verachte, in einem Krieg zu kämpfen, zu töten und nun auch zu fallen, im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte ..." Lucas bemerkte, wie einige der anwesenden Piloten mit den Augen rollten. "vermache mein Hab und Gut folgenden Leuten: Donovan Cartmell vererbe ich meine Rangabzeichen vom Lieutenant Second Class aufwärts, in der Hoffnung, dass Du sie alle irgendwann noch einmal tragen wirst.
Harvey Jones vermache ich alle meine Hawaii-Hemden, mein Rezeptbuch für Drinks sowie eine Flasche zwanzig Jahre alten Antiqua Single Malt.
Kano Nakakura vererbe ich eine unangebrochene zweihunderter Packung Kondome in verschiedenen Geschmacksrichtungen, solltest Du Probleme mit der Handhabung haben, wende Dich vertrauensvoll an Deinen vorgesetzten Offizier, er ist verpflichtet Dir zu helfen."
Lucas händigte so weit es möglich war die Gegenstände sofort aus und bekam so natürlich mit, wie Kano seinen Rücken noch weiter durchdrückte, statt zu erröten.
Skunk prustete los.
"Helen Mitra vermache ich eine ledergebundene Ausgabe des Kama Sutra. Sollte irgendwelche Hilfe von Nöten sein, wende Dich vertrauensvoll an Skunk, er kennt das Buch sicherlich auswendig.“
Justin McQueen vermache ich die Jahressammlung von 2618 des Colonial Playboy, in der Hoffnung, dass auch Sie etwas lockerer werden.
Tatjana Pawlitschenko vermache ich eine handsignierte Ausgabe von 'Ein bisschen Menschlichkeit', ein Buch von Johannes Röder, einem Offizier aus dem letzten großen Kolonialkrieg, sowie 'Pflicht der Menschlichkeit - Die Vannes-Meuterei' von Wesley Broderick, Flaggkommandant von Admiral Vannes.
Andrew Thomas, meinem besten Freund, Bruder den ich mir immer Gewünscht habe, Weggefährte und Waffenbruder. Dir hätte ich gerne so viel hinterlassen, doch bist Du leider Gottes vor mir gefallen. Daher vererbe ich Dir ein Pour le Mérite, ich habe es vor Jahren von einer Bekannten der Familie geschenkt bekommen. Gerüchte besagten es gehörte Manfred von Richthofen. Leider hat sich das Gerücht als falsch erwiesen, der Eigentümer des Pour le Mérite ist bis heute unbekannt.
Daher bitte ich, dass der Orden dem All übergeben wird, um mit seinem neuen Eigentümer vereint zu sein.
Peter Holzinger, meinem letztem Stubenkameraden auf der REDEMPTION, einer der wenigen die nach meinem Ehrengericht noch mit mir sprachen, einem echten Freund, der ebenfalls vor mir den Weg in die Ewigkeit des Alles ging, ihm vermache ich eine Flasche Antiqua Single Malt. Auch dieser Nachlass möge dem All übergeben werden."
Der CAG räusperte sich und blickte auf die Uhr: "Das wäre es dann gewesen, außerdem müssen Sie sich noch für die Trauerfeier umziehen, daher wegtreten."
Er blickte auf den letzten Abschnitt des Testaments. Cliff Davis, Du hattest wenigstens den Anstand vor mir ins Grass zu beißen, ich Pisse auf Dich und so hinterlasse ich Dir ein Reagenzgläschen Pisse, die ebenfalls dem All übergeben werden soll.
Das Reagenzglas für Ace hatte Lucas, wie auch das welches für ihn selbst bestimmt war, entsorgt.

Er bekam nicht mehr mit, wie sich Kali vor der Tür von Radios ehemaligen Quartier nicht mehr länger beherrschen konnte: „Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass Radio selbst im Tod so ein…ARSCHLOCH ist. Und ich dachte doch, dass ich Ihn…irgendwie, irgendwann…mal vermissen würde. Aber das hier ist so…Radio. Sexistisch UND rassistisch, selbt noch von der anderen Seite!“
Lilja, die ein nicht gerade unkompliziertes Verhältnis zu Kali hatte, fühlte sich genötigt, mit einem abfälligen Schnauben zuzustimmen.
Kano zuckte mit den Schultern: „Jeder muss selbst entscheiden, wie er in Erinnerung bleiben will und was seine letzte Botschaft an die Welt ist. Der eine schreibt ein Gedicht für diejenigen, die er liebt. Der andere…“ und mit diesen Worten entsorgte er Radios ‚Geschenk‘ in einen Müllschlucker.
Tyr Svenson
Ich hatte mich absichtlich dagegen entschieden, meine Ausgehuniform zu tragen. Mit der schlichten braunen Alltagsuniform wagte ich den Sprung ins kalte Wasser.
Die schmale Emailleleiste auf meiner linken Brust kündete den Eingeweihten zwar von meinen Auszeichnungen, unter ihnen der Silberne Löwe, aber weder waren sie ein Grund für mich stolz zu sein noch arrogant erscheinen zu wollen.
Ich war einfach froh. Froh, überlebt zu haben, froh mein Gedächtnis wieder zu haben und froh, dass von denen die ich liebte, mochte oder einfach nicht missen wollte, so wenige gefallen waren.

Als ich am Tag nach der Beerdigungszeremonie für die gefallenen Piloten des Geschwaders in die Bereiche der Angry Angels ging, machte ich mir klar, dass der leere rechte Ärmel durchaus Blicke auf sich zog.
Blicke vor allem von Gesichtern, die ich nicht kannte.
Schmerzhaft wurde mir bewusst, welch große Lücken Jollahran in die Reihen unserer Piloten gerissen hatte. Ich dachte an Pinpoint und biss mir auf die Lippen. Scheiße, wie ich ihn vermisste.

Mein erster Weg, durch den kaum besetzten Gang – die meisten Piloten waren immer noch vollkommen erschöpft und übermüdet durch die zwei Schlachten und die weiterhin aufrecht erhaltene hohe Sicherheitsstufe mit den dazugehörigen Patrouillen – führte mich ans schwarze Brett des Geschwaders. In meiner Linken hielt ich eine offizielle Verlautbarung, die schon lange überfällig gewesen war.
Mit Hilfe eines Magneten befestigte ich sie. Was bei einer Hand schon ein kleiner Akrobatik-Akt ist.
Damit kehrte ich hochoffiziell von den Toten zurück. Denn der Text besagte nichts weiter, dass First Lieutenant Clifford Davis der Goldene Löwe aberkannt und der Silberne zuerkannt worden war und er zudem von Killed in Action zu Temporary Active umgestuft wurde.
Für die Insider des alten Geschwaders würde dies sicherlich eine Überraschung sein.
Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass viele meiner ehemaligen Kameraden nicht so ohne weiteres damit klar kommen würden, dass es mich noch immer gab.

Danach führte mich mein erster Gang zum Büro des CAG. Da Lone Wolf nun auf dem Weg zu seinem Perisher war, hatte Justin McQueen sein Büro übernommen.
Höflich klopfte ich an.
Nach einem knappen Herein trat ich ein.
„Was kann ich für Sie tun, First Lieutenant?“, fragte Jus und sah nur kurz von seinen Akten auf.
Meine Linke sauste auf seinen Schreibtisch herab und verursachte einen Knall, laut wie ein Pistolenschuss. „Darkness, du verdammter Feigling! Musstest du meine Abschiedsbriefe unbedingt von meiner kleinen Schwester austragen lassen?“
Irritiert über die rüde Tonlage fuhr der Commander hoch. Er warf mir seinen bösesten Schleiferblick zu. „Was erlauben Sie…“
Justin zwinkerte einmal, dann noch einmal. „Cliff?“
„Ich hätte nicht übel Lust, dir einen fetten Schwinger in die Magengrube zu verpassen“, sagte ich schmunzelnd.
„Cliff!“ Darkness kam um den Schreibtisch herum und sah mich entsetzt an. „Dein… Dein Arm? Junge, was ist denn mit dir passiert?“
Ich umarmte meinen Ausbilder und ehemaligen Flügelleader herzlich. „Na was wohl. Ihr habt mich von diesem Drecksplaneten aus dem Dreckloch von Berg befreit. Ich bin mit Admiral Alexander hier. Ich hätte mich ja früher gemeldet, aber… Sorry, der Krieg ging vor.“
„Cliff, verdammt, du bist in eine Antischiffsrakete rein geflogen! Wie hast du das überlebt? Müsstest du nicht von Rechts wegen tot sein?“
„Danke, dass du das erwähnst“, spottete ich. „Hat nicht viel gefehlt und ich hätte das Ding wirklich gerammt. Aber ich habe Schwein gehabt. Wurde nur verstrahlt. Deshalb haben sie mir den Arm abgenommen. Ich hatte auch einen Tumor im Kopf. Aber das ist mittlerweile im Griff. Ihr seid gerade noch rechtzeitig gekommen."
Unschlüssig sah Darkness auf den leeren Ärmel. „Ich würde dir gerne die Hand schütteln, aber…“ Schließlich beließ er es dabei, mir einen Arm auf die Schulter zu legen.
„Du machst Sachen. Erst denken alle, du bist tot, dann kommst du von dieser Höllenwelt wieder und jetzt, nach zwei Wochen, wagst du es erst, mir unter die Augen zu treten? Denkst du nicht, es hätte mir und einigen der anderen gut getan zu wissen, dass du noch lebst?“
„Entschuldigung. Der Tumor verursachte Amnesie. Und hinterher hat mich der Mut verlassen“, murmelte ich leise. „Hätte Lilja mich nicht neulich erwischt, dann wäre ich wohl klammheimlich mit der MARIA THERESIA verschwunden, ohne ein weiteres Wort. So aber…“
„Stammt die Armwunde von der Begegnung?“, spottete Justin, auf das Temperament der Russin anspielend.
„Nein, sie war recht sanft zu mir. Sie hat vielleicht eine Parallele zu sich selbst gezogen.“ Ich senkte kurz den Blick. „Auf jeden Fall kann ich sie nun sehr gut verstehen.“

„Hm, wo sind nur meine Manieren. Mensch, setz dich doch. Es gibt soviel zu erzählen. Wir haben zwar noch Alarm, aber willst du einen Scotch? So eine Wiederauferstehung muß gefeiert werden.“
Darkness ging zu seinem Schreibtisch und zog eine Flasche und zwei Gläser hervor. „Ein Drink wird uns beide nicht umhauen. Und ehrlich gesagt brauche ich das jetzt. Tsss. Da kommt dieser Jungspund doch glatt von den Toten wieder. Fehlt nur noch, dass sich Radio aus seinen Atomen wieder zusammen setzt und ebenfalls hier anklopft.“
Ein Schatten senkte sich über mein Gesicht. Radio.
„Ich… Wäre gerne vorher mit ihm in Reine gekommen. Die Chance habe ich wohl verpasst.“
„Was? Und ihm seinen größten Spaß nehmen? Wenn er dich mal erwähnt hat, konnte man richtig sehen wie gut er seinen Hass kultiviert hat. Das war eine seiner wenigen wahren Freuden. Hm. Hat ihn aber auch gut motiviert.“
Darkness schenkte beide Gläser voll und reichte mir eines. „Aber nur den einen.“
Ich nahm das Glas grinsend entgegen. „Okay, den einen.“

Justin McQueen nahm wieder Platz und erzählte Neuigkeiten über das Geschwader. Über seine schwarze Staffel, in der mein alter Freund Kano diente, über die neuen Bomber, wie es den Roten und den Blauen ging. Und das meine Lieblingsfreundin Lilja zur Zeit die Grünen verwaltete.
Ich nahm mir die Zeit und hörte aufmerksam zu. Wenn ich vom Tod eines alten Kameraden erfuhr, egal ob er Freund oder Feind für mich gewesen war, ging mir ein Stich durchs Herz.
Aber ich trug es mit Fassung. Leider würden sie nicht so unverhofft ins Leben zurück kehren wie ich.
„Und du hast es tatsächlich ans schwarze Brett gehängt?“, fragte Darkness leise. „Sollten wir nicht lieber das Geschwader zusammen rufen und das ganz offiziell verkünden?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein danke, Darkness. Die meisten hier kennen mich gar nicht und zu denen, die mir wichtig sind, gehe ich selbst.“
Ich runzelte die Stirn. „Vor allem, wenn man davon absieht, dass hier einige nicht sehr erfreut sein werden, dass ich wieder unter den Lebenden bin.“
„Aber es wäre ein positiver Effekt. Verdammt, Ace, du warst tot, abgeschrieben. Und jetzt sitzt du mir hier gegenüber und bist putzmunter. Die Flotte wird um die geretteten Soldaten von Graxon ein Riesentamtam machen. Aber das ein KIA wiedergekommen ist, das wird ein Highlight.“
„Wofür ich überhaupt nichts kann. Wenn der Arzt des SAR mir nicht den Hintern gerettet hätte… Falls es Trara gibt, dann bitte und Doktor Pfeiffer, der mich mit primitivsten Mitteln am Leben erhalten hat und…“
Übergangslos krümmte ich mich vor Schmerzen. Darkness war aufgesprungen und kam herüber geeilt. „Cliff, bist du…“
„Schon gut. Ich hätte den Whisky nicht trinken dürfen. Meine Medizin verträgt sich nicht damit. Ich bin immer noch unter Krebsbehandlung.“
„Verstehe.“

Ich erhob mich und drückte Darkness die Hand. „Es war schön, dich wieder zu sehen. Und danke, dass du auf meine kleine Schwester aufgepasst hast.“
„Ich habe es nicht so gut gemacht wie ich gerne gewollt hätte. Aber Cliff – schön, dass du es noch geschafft hast. Wir haben viel zu viele gute Leute verloren. Werde schnell wieder gesund, und komm zurück.“
„In drei Tagen fliegt die MARIA. Dann beginnt meine Behandlung.“
Noch einmal drückten wir einander die Hände, dann verließ ich das Büro des neuen CAGs.
Ich wollte zurück. Verdammt noch mal, ich wollte zurück! Zurück in meinen Vogel, zurück in das Geschwader. Zurück in das kalte All. Zurück in den Dogfight mit den Akarii. Mein Leben gehörte nun nicht mehr mir, ich hatte es nur geliehen. Geliehen von dem Arzt, der mich behandelt und gerettet hatte, geliehen von Admiral Alexander, die auf mich angewiesen gewesen war, was mich am Leben erhalten hatte. Geliehen von meinen Kameraden, denen ich nicht den Rücken decken konnte in den letzten beiden Schlachten.
Ich wusste nicht, ob ich den Krieg überleben würde. Aber ich ahnte, dass ich ihn nicht überleben musste. Ich hatte eine Pflicht angenommen und nun die Chance erhalten, diese Pflicht wieder aufzunehmen.

Nachdenklich schlenderte ich in Richtung Messe. Ich hoffte, einige der alten Kameraden dort zu treffen. Unter ihnen auch Huntress und Kali.
Für einen Moment musste ich stehen bleiben und mit meinem Gleichgewicht kämpfen. Natürlich, Kali. Sie musste gedacht haben, dass ich tot war. Ohka, der verdammte Schuft. Wahrscheinlich waren er und sie… Verdammt, ich konnte dem Japaner nicht einmal böse sein. Er hatte es sicher nur gut gemeint und meinte es zudem noch ehrlich mit ihr.
Und Huntress, Huntress, wie war es ihr ergangen? Ihre Staffel hatte diesmal schwerere Verluste erlitten, wie ich wusste. Wie wurde sie damit fertig?
Ich wünschte, ich hätte meinen zweiten Arm noch, damit ich in eine Typhoon klettern und bei ihr aushelfen konnte.

Ich betrat die Messe. Sie war mäßig von den Piloten des Geschwaders besucht, viele der Gesichter kannte ich nicht. Ich blieb stehen und ließ meinen Blick durch die Runde schweifen. Ein Ensign saß unter den Second und First Lieutenants, das musste dieser Cartmell sein. Sollte sehr gute Arbeit geleistet haben. Angeblich wollte Lone Wolf irgendwelche Knöpfe drücken um den Piloten ein für allemal zu rehabilitieren. Ich war gespannt.
„Oh, entschuldigen Sie, ich…“,erklang es neben mir, als ich angerempelt wurde.
Ich sah meinen Gegenüber an. „Brawler. Munter wie eh und je. Hast du vielleicht Kali oder Huntress hier drin gesehen?“
Der Mann schnappte sichtlich nach Luft. „W… Was?“
„Huntress. Leitet die Blaue Staffel Kennst du doch. Und Kali. Wir haben uns ein paar Wochen eine Stube auf der RED geteilt. Du hast am lautesten drüber geklatscht.“ Ich zog die Stirn kraus. „Nach Radio, natürlich.“
„Moment mal, Moment mal. Ace! Bist du das?“ Ein harter Griff presste meine Schulter zusammen. „Und du lebst?“
„Beides geht ja wohl kaum ohne einander“, erklärte ich grinsend.
„Na, du machst vielleicht Sachen. Du weißt schon, dass wir alle dachten, du wärst tot?“
„Ihr habt mich von Graxon befreit. Ich bin hier zusammen mit Admiral Alexander“, erklärte ich leise.
„Ach, du bist das Gespenst, das sie mitgebracht hat. Mann, Ace, du siehst furchtbar aus.“
„Aber ich werde wieder gesund. Du wirst immer mit dem gleichen Gesicht rum laufen“, konterte ich frech.
Ein harter Schlag traf mich auf der Schulter. „Verdammt, Ace, wenn Lilja hört, dass du noch lebst, dann schiebt sie ne Woche Depressionen. Nicht das sie nach deinem Abgang auf den Tischen getanzt hätte oder so.“
„Ach, die habe ich schon getroffen. Schien unter Drogen zu stehen. Ich habe weder eine Schnittwunde noch einen blauen Fleck.“
Lieutenant Tüncay lachte gezwungen auf. „Oh, heilige Scheiße. Da hat das eisige Weltall dich also auch nicht gewollt. Du musst mir mal die ganze Geschichte erzählen, am besten bei einer unserer Pokerrunden.“ Kurz huschte ein Schatten über seine Augen. Die alte Runde war sehr klein geworden. „Du wolltest zu Huntress und Kali, hm? Hast Schwein, die sitzen da hinten gerade beim essen.“

Mittlerweile hatte die Showeinlage des Mediterranen Aufmerksamkeit erregt. Einige der alten Piloten warfen mir ungläubige Blicke zu. Doch Brawler zog mich einfach hinter sich her. Von weitem rief er schon zu den am Tisch sitzenden Frauen: „Hey, Ladies, schaut doch mal, was für einen Müll die Marines von Graxon mit hoch gebracht haben!“
„Müll?“, beschwerte ich mich gespielt.
Die Leute am Tisch sahen zu uns her. Ich sah, wie Thomas Paul, genannt Demolisher, sein Sandwich aus der Hand fiel. Juliane Volkmer verharrte in der Bewegung, mit der sie sich hatte ein Stück Fleisch in den Mund schieben wollen. Und Kali starrte mich an wie einen Geist.
„Komme ich ungelegen?“, scherzte ich.
„Ace…“, hauchte Huntress entsetzt. Ihr Blick ging von meinem Gesicht zu meinem Arm und wieder zurück. „Was zum…“
„Ich war auf Graxon gefangen. Ihr habt mich befreit. Und durch so einen dämlichen Tumor hat es leider ein wenig gedauert, bis meine Identität festgestellt wurde, ich hatte doch Amnesie und…“
„Cliff…“ Kali starrte mich aus großen Augen an. Dann sprang sie auf und rannte aus der Messe.
„Helen!“
„Lass sie, Ace. Sie hat in der letzten Schlacht ihren Flügelmann verloren. Das du jetzt rein kommst wie ein Geist hat ihr nur den Rest gegeben. Sie wird sich schon noch drüber freuen, dass du noch lebst. So wie ich.“
Huntress stand auf, kam um den Tisch herum und umarmte mich herzlich. „Okay, du bist warm. Also kein Gespenst.“
„Wäre ich ein Gespenst würde ich die Akarii heimsuchen, nicht euch“, scherzte ich.
„Du hast vielleicht Nerven“, brummte Demolisher amüsiert. „Reicht ein Goldener Löwe nicht, um tot zu bleiben?“
„Hätte ich gewusst, dass er mir wieder aberkannt wird“, scherzte ich, „wäre ich vielleicht tot geblieben.“
Juliane begannen die Tränen zu laufen. Sie war nie sehr nahe am Wasser gebaut gewesen, aber im Moment war sie überwältigt. Vielleicht lag das einfach nur daran, dass sie so viele ihrer Leute verloren hatte. Mich lebend zu sehen war in dem Fall einfach nur ein Lichtblick. Oder… War da mehr?
„Verdammt, warum hast du nichts gesagt?“, klagte Huntress. „Warum hast du dich nicht gleich gemeldet, als du an Bord kamst? Weißt du, wie ich gelitten habe, als ich dachte du wärst tot? Als Kali dachte, du wärst tot?“
„Tumor im Kopf, Langzeitgedächtnis unterdrückt, schwere Amnesie, die erst nach und nach durch Schlüsselbegriffe wieder verschwand“, kürzte ich die Geschichte ab. Mist, ich hätte vielleicht doch die Sache vor dem kompletten Geschwader machen sollen.
„Aha. Trotzdem wirst du leiden, Mister. Du kannst nicht einfach ins Leben zurückkehren und deinen Kameraden nichts davon erzählen. Wir werden uns schon eine Strafe für dich ausdenken. Jetzt setz dich aber erst mal und erzähle uns was.“
**
„Als ich dann da stand, mit diesem dämlichen Handwagen als einziger Waffe, da wurde mir so richtig bewusst, wie erbärmlich ich doch war. Wie wenig ich nützte.“ Ich senkte den Blick. Die Erinnerung tat weh, beinahe noch mehr als die an den Tod von Pinpoint.
„Aber dann kamen unsere Leute rein. Ich habe einen Schlag abgekriegt, aber zum Glück keine Kugel.
Danach kam ich auf die MARIA und später holte mich Admiral Alexander auf die COLUMBIA. Glücklicherweise, denn ohne eine anständige Arbeit wäre ich eingegangen. Aber mein Gedächtnis kam erst nach und nach wieder.
Und dann waren ja auch noch die beiden Schlachten. Da hatten alle etwas Besseres zu tun“, schloss ich.
„Wir sollten Chip davon erzählen“, brummte Demolisher. „Einer unserer Reservepiloten. Er ist Reporter und hat auch schon deine Schwester begleitet, als sie deine… Ach, Teufel, das hatte ich ja total vergessen. Willst du nicht langsam mal zu deiner Schwester gehen?“
Huntress sah auf ihre Uhr. „Meine Patrouille startet auch bald. Du solltest gehen. Drei Tage sind eine lange Zeit. Wir finden sicher noch eine Gelegenheit, um miteinander zu reden.“
Ich nickte. „Ich danke euch.“ Langsam erhob ich mich und ließ mir von Huntress dabei helfen. Ich brauchte es nicht unbedingt, aber sie brauchte es. Das las ich in ihren Augen.
„Wir sehen uns. Spätestens, wenn ich wieder meine Flugerlaubnis habe und euch beim Akarii-aufmischen zur Hand gehe.“

„Cliff?“, hörte ich auf dem Gang eine Stimme hinter mir.
„Helen.“
Langsam kam die Inderin heran. Sie sah mich an und schluckte hart. „Cliff, ich… Du darfst jetzt nicht denken, dass ich nicht froh darüber bin, dass du lebst. Aber ich… Es… Es hat sich so vieles verändert. Ich…“
Langsam drückte ich Kali mit dem verbliebenen Arm an mich. „Helen. Du schuldest mir absolut nichts, du bist mir in keiner Form verpflichtet. Du hast dein eigenes Leben und alles was ich mir wünsche ist, dass ich in irgendeiner Form ein Teil davon sein darf.
Und was Ohka angeht, er ist ein guter Kerl. Du bist doch noch mit ihm zusammen, oder?“
Sie nickte und wischte sich eine einsame Träne aus den Augenwinkeln.
„Na, dann schnapp ihn dir, solange du einen höheren Rang hast als er, damit du in der Ehe mehr zu sagen hast. Aber ich werde Pate vom ersten Kind.“
„Ace!“, rief sie entrüstet. „Erst vererbt mir Radio ein Kama Sutra, und jetzt du.“
Erneut drückte ich sie an mich. „Lach drüber. Alles in allem war Radio kein übler Kerl. Nur arrogant, vorlaut, rechthaberisch, egozentrisch, narzistisch, verantwortungslos, überheblich… Das waren seine guten Seiten.“
Langsam ließ ich sie fahren. „Sei mein Freund, Helen. Mehr verlange ich nicht von dir. Und lege ein gutes Wort bei Ohka für mich ein. Ich würde ihn auch gerne zu meinen Freunden zählen.“
„Ist gut“, erwiderte sie, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und lächelte.
„So, ich gehe jetzt meine Schwester besuchen. Ich schreibe dir, wenn meine Behandlung beginnt.“
Ein letztes Mal winkte ich ihr und ging den Gang hinab. Es hatte etwas Endgültiges. Ich würde sie immer in meinem Herzen behalten, ja. Aber ein Kapitel unser beider Leben fand in diesem Moment ein Ende.

Auf dem Infanteriedeck erregte ich ein weit größeres Aufsehen, Flottenheinis sah man hier wohl nicht sehr oft. Aber die Marines kannten mich nicht und wunderten sich wohl nur über den leeren Ärmel.
Ich musste nur zweimal fragen, um den richtigen Flur zu finden. Danach die Stube war kein Problem mehr. Ich sah auf die Namensschilder, stutzte. Vier der sechs Namen waren ausgestrichen worden. Hatte es die Marines so übel da unten erwischt?
Ich klopfte an. Nachdem ein dünnes Herein erklang, betrat ich die Stube.
„ACHTUNG!“, gellte es mir entgegen und die beiden anwesenden weiblichen Privates gingen in Hab acht.
Verlegen winkte ich ab. Ich war zwar Offizier, ihnen gegenüber jedoch nicht weisungsbefugt.
„Weitermachen, weitermachen. Sie sind…?“
„Sir, Private Johnson, Sir!“
„Private, würde es Ihnen etwas ausmachen, mich einen Moment mit Private Davis alleine zu lassen?“
Die Marine zögerte.
„Sie ist meine Schwester, Private.“
Ein entsetzter, ungläubiger Blick traf mich. Dann nickte die Marine zaghaft, schnappte sich ihre Jacke und ging auf den Flur.

Ich trat zu der immer noch stramm stehenden jungen Frau. „Du hast ganz schön am Muskeln zugelegt. Und schlecht war die Zeit auch nicht zu dir. Hallo, Jean.“
Übergangslos wich die starre Haltung von ihr und sie fiel mir in die Arme. „Cliff!“
Besser gesagt in den einen Arm, den ich um sie drapierte, so gut es ging.
Ich ließ sie einige Zeitlang weinen und hätte fast selbst geheult, denn die Erleichterung, dass es Jean gut ging, dass sie ihre Torheit überlebt hatte, war eine Erleichterung für mich.
„Du kleiner Dummkopf. Welcher Teufel hat dich nur geritten, dass du in die Armee gehst? Und dann auch noch zu den Marines“, tadelte ich sie.
Als Antwort begann sie noch mehr zu weinen. Und ich ahnte, dass es nicht einfach nur die Wiedersehensfreude war. Vier Namen aus ihrer Stube gestrichen, gleich bedeutend mit tot, vermisst oder auf einem Lazarettschiff. Dazu sicherlich weitere Verluste in ihrer Kompanie und die Hölle der Nahkämpfe auf Graxon.
In diesem Moment war ich nicht nur ihr großer Bruder, der unverhofft wieder unter den Lebenden weilte. Ich wurde ihr Ventil für die Angst, den Schmerz und die Verluste, die sie hatte erleiden müssen.
„Du bist ja auch zum Militär gegangen“, rechtfertigte sie sich auf meinen Vorwurf.
„Ja, aber ich bin wenigstens zu den Fliegern gegangen. Erstens verdient man da mehr und zweitens musst du dich nicht erst mühsam durch die Ränge kämpfen, bis du Offizier bist.“
Als Antwort schluchzte sie leise. Himmel, was hatte sie nur erlebt? Wie schlimm war es da unten gewesen?
„Ich wollte so schnell es geht an die Front. Die Infanterie war der schnellste Weg“, flüsterte sie unter Tränen. „Ich wollte Akari töten, weil sie mir meinen Bruder weggenommen haben.“
„Und?“, fragte ich ernst. „Hast du?“
Sie nickte schwer.
„Hat es sich gut angefühlt?“
„Nein“, erwiderte sie. „Hat es nicht. Aber ich werde es wieder machen. Ich glaube, ich habe jetzt verstanden, warum du zur Flotte gegangen bist. Ich habe eine Pflicht meinen Kameraden gegenüber. Deshalb will ich weiterhin mein Bestes geben.“
„Gute Antwort“, erwiderte ich und drückte sie noch einmal an mich. Ob ich mit Ohka auch so rumknuddeln würde, wenn ich ihm begegnete? Irgendwie bezweifelte ich es.
„Es tut mir weh, dass du hier bleiben willst. Aber es ist gut zu wissen, dass sich deine Kameraden auf dich verlassen können.“
„Danke“, hauchte sie. „Wie geht es jetzt weiter, Cliff?“
„Ich werde Mom, Dad und Ian Bescheid geben, dass ich noch lebe. Danach komme ich in die Rekon. Und sobald ich wieder fliegen darf, komme ich zurück auf die COLUMBIA. Einer muß ja hier sein, um auf dich aufzupassen.“
Übergangslos musste ich schmunzeln. „Weißt du, was mir gerade einfällt? Unten auf dem Berg. Das warst du doch damals, die meine Daten aufgenommen hatte, als die Verwundeten evakuiert wurden.“
Meine Schwester sah mich an wie einen Geist. „Der Glatzkopf… Das warst du? Diese ausgemergelte Gestalt?“ Sie nickte schwer. „Deshalb fand ich ihn so sympathisch. Ansonsten hättest du nämlich einfach einen Tritt in den Rücken gekriegt anstatt meine freundliche Befragung.“
„Du bist fies, Jean“, beschwerte ich mich. „Aber schön zu sehen, dass sich dein Charakter nicht verändert hat.“
„Heyy“, beschwerte sie sich.
Ich hielt sie einen Schritt von mir entfernt und wischte ihr die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ein Marine weint nicht. Ich verlasse mich darauf, dass Sie hier einen guten Job machen, Private.“
Sie salutierte spielerisch. „Jawohl, First Lieutenant Davis.“
„Aber übertreib es nicht“, sagte ich schmunzelnd. „Nicht, dass ich eines Tages vor dir salutieren muß.“
„Warum nicht? Ich bin hier ruckzuck Corporal. Dann Sergeant, danach Lieutenant.“
„Träum weiter“, neckte ich sie. „Ich sehe noch mal vorbei, bevor ich auf die MARIA THERESIA muß, ja? Aber jetzt muß ich wieder zurück. Ich sollte längst in meiner Koje liegen.“
„Gute Nacht, Cliff“, erwiderte sie und wischte sich noch einmal eine Träne aus den Augen.

Draußen auf dem Gang schickte ich Johnson wieder rein und verließ den Marines-Trakt.
Im Fahrstuhl aber sackte ich schwer in die Knie ein. Die Tour hatte mich ganz schön erschöpft und ich war noch lange nicht gesund. Lediglich auf dem richtigen Weg. Langsam sehnte ich mich danach, richtig behandelt zu werden und meinen Arm wieder zu bekommen.
Mir wurde schwindlig und ich stützte mich auf dem Boden ab.
Für einen Augenblick wurde mir schwarz vor den Augen.
Als ich sie wieder öffnete, befand ich mich im Gang zu meinem Quartier. Jemand stützte mich und half mir vorwärts zu kommen.
Als ich mit dem Rücken gegen meine Tür fiel, erhaschte ich mit getrübten Augen einen Blick auf meinen Helfer. „Lilja?“
Ich erhielt keine Antwort. Ich blinzelte mehrfach und bekam endlich wieder einen klaren Blick. Ich war alleine. Also tat ich das einzig richtige. Ich betrat meine Kabine, warf die Tür zu und ließ mich auf mein Bett fallen. Zu leben war reichlich anstrengend.
Aber besser als der Tod war es allemal.
Mein letzter Gedanke, bevor ich einschlief war: „Ich komme wieder, Angry Angels…“
Tyr Svenson
Die grüne Staffel hatte vor ihrer augenblicklichen Chefin Aufstellung bezogen. Es war kein sehr erhebender Anblick, schließlich bestand die Truppe aus gerade mal noch der Hälfte der Piloten. Man konnte auch nicht sagen, daß es die Jagdflieger mit militärischem Elan übertrieben hätten. Allerdings handelte es sich auch nur um eine simple Manöverkritik, dazu noch lediglich für eine ,Trockenübung‘.
Lilja gab sich Mühe, ihre Stimme nicht zu scharf klingen zu lassen. So wenig sie sich gegenüber niederen Dienstgraden rückwärtiger Formationen zurückhielt, sie achtete darauf, es bei ihren direkten Untergebenen nicht zu übertreiben. Immerhin experimentierte sie erst mit der Führung einer Staffel und sah sich deshalb vor.
„Unsere Leistungen waren ja ganz passabel, heute wie in den letzten Tagen. Aber ich brauche wohl nicht zu sagen, daß das nicht ausreicht. Ich WEIß, daß die Staffel es besser kann. Und sie muß es auch besser können. Grundsätzlich, denn im Augenblick und bis auf weiteres gilt, daß wir im Notfall die Lücken füllen müssen, die durch die Verluste entstanden sind. Ich verlange nichts unmögliches – aber ich erwarte, daß Sie das im Hinterkopf behalten.“

Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Ihr Gesicht und ihr Tonfall waren ruhig, aber streng.
„Ich kann verstehen, daß einige vielleicht der Meinung sind, daß ich nicht genug Rücksicht nehme. Immerhin hat die Staffel gute Kameraden durch Tod und Verwundung verloren, zeitweilig oder für immer. Aber so lange wir noch in feindlichem Gebiet sind, können wir uns kein Nachlassen und keine Schwäche leisten.“
Ihre Augen funkelten, als sie die Reihe – die freilich sehr kurz war – abschritt.
„Gewiß, man könnte auch einwenden, die Akarii haben genug Prügel bezogen, fürs Erste dürfte es ihnen reichen. Sie werden nach dieser Schlappe Zeit brauchen, um sich wieder zu fassen, sie sollten wissen, wann sie geschlagen sind und so weiter. Vielleicht meinen einige, ich übertreibe es mit dem Drill oder stelle zu hohe Anforderungen.“

Die Russin straffte sich: „Ich sage, das zu glauben wäre gefährlicher Leichtsinn! Denselben Fehler haben die Echsen gemacht. Ich wette, nach Mantikor haben sie auch angenommen, sie hätten uns den Schneid abgekauft. Sie dachten vermutlich, wir würden bei der nächstbesten Gelegenheit zu Kreuze kriechen.
Das sind wir nicht. Wir haben weiter gekämpft – nur deshalb sind wir heute hier. Und wir dürfen um keinen Preis zulassen, daß die Akarii etwas ähnliches schaffen. Sie sind immer noch stark, sie sind immer noch gefährlich. Und den Krieg geben sie vermutlich noch lange nicht verloren.“

Sie schlug hinter ihrem Rücken mit der Faust in die Handfläche: „Ich will, ich kann den Sieg, den die Streitkräfte der Bundesrepublik erkämpft haben, den wir alle erkämpft haben, nicht kleinreden. Aber wir dürfen nicht annehmen, daß dies schon das Ende der Gefahr ist. So lange die akut ist, müssen wir darauf vorbereitet sein.“
Sie musterte noch einmal die Piloten: „Das ist Ihnen sicherlich ebenfalls klar. Der erste Schritt auf der Straße zum endgültigen Sieg wurde getan – aber der Weg ist noch lange und gefährlich. Es liegt letztendlich bei uns, wie gut und schnell wir ihn bewältigen. Und dafür zähle ich auf Sie.“

Sie versuchte ein schiefes Lächeln: „Außerdem bin ich es langsam leid, daß andere Piloten sich wie ein Gockel auf dem Misthaufen spreizen und denken, sie könnten auf uns herabsehen. Dazu gibt es wahrlich keinen Grund – und ich denke, das muß ihnen klar gemacht werden. Also dann, morgen in gewohnter Frische. Die Dienstpläne haben Sie ja bereits erhalten, was Patrouillenflüge angeht. Das war’s, ab in die Falle.“
Richtiger Enthusiasmus kam bei ihren ,Mannen‘ nicht gerade auf. Vermutlich vermißten sie Lightning, und Lilja wußte sehr wohl selber, daß sie kein vollwertiger Ersatz war – zumindest im Augenblick. Was Lightning mit ihrer lockeren Art geschafft hatte, nämlich Anführerin UND Kameradin zugleich zu sein, fiel Lilja sehr schwer. Es war keineswegs so, daß man ihr nicht gehorchte. Fachlich hatten die Piloten an ihr kaum etwas auszusetzen. Aber sie war eben einfach nicht ,die Alte‘ – und im Gegensatz zu den meisten Frauen sehnte sie sich nach einer solchen Bezeichnung. Es war nicht gut für das eigene Selbstwertgefühl, als schlechter Ersatz dazustehen. Sicher, in jeder eingeschworenen Gemeinschaft brauchte es eine Weile, ehe man den oder die bisherige Zweite auch nur zeitweilige als neue Erste akzeptierte. So etwas brauchte eben Zeit, wie sie sich immer wieder sagte.
Wenigstens lachte sie keiner aus – derartiges war freilich wirklich unwahrscheinlich, dafür sorgte ihr Ruf dann doch. Mit einigen Zweifeln an ihrer eignen Kompetenz blickte sie den Angehörigen der Staffel nach.
Ina Richter war natürlich geblieben. Die Zimmergenossin Liljas schien keine großen Probleme mit dem zeitweiligen Karrieresprung ihrer Freundin zu haben. Sie stichelte die Russin allerdings nur, wenn sie unter sich waren. So auch diesmal. Mit einem gönnerhaften Grinsen tätschelte sie die Schulter ihrer Kameradin: „Na also, war doch nicht so schlimm...“

Lilja knurrte nur etwas Undeutliches. Sie nahm Imp selten etwas übel, schon um nicht den einzigen Menschen zu vergraulen, gegenüber dem sie an Bord wirklich so gut wie keine Geheimnisse hatte. Außerdem hatte Imps unbekümmerte Art einfach diese Wirkung, selbst auf Lilja. Und manchmal war es auch gut, jemanden zu haben, bei dem man mal lockerlassen konnte.
Einen geringen Protest konnte sie sich jedoch nicht verkneifen: „Du machst es mir aber auch nicht sehr einfach.“ Imp lachte: „Es ist schwer, IMMER und zu jeder Zeit in jemanden den Vorgesetzten zu sehen, wenn man gehört hat, wie dieser jemand über Offizierskollegen und vielleicht auch höhere Dienstgrade ablästert, sich über das Essen beschwert oder einen fragt, ob man ihm mal einen Kamm oder eine aufreizende Unterhose ausleihen kann.“ Lilja lief rot: „Ich habe niemals...!“ Als sie Imps Grinsen sah, mußte sie selber lachen: „Schon gut, schon gut. Und ich BIN dir dankbar, daß du dich im Dienst zurückhältst.“
Ihre Freundin kicherte: „Solltest du auch. Das ist wohl der Grund, warum Offiziere so wenig Freunde haben und Beziehungen mit Untergebenen verpönt sind. Die ganzen Geschichten, die da die Runde machen könnten...“
Die Russin zog ein säuerliches Gesicht: „Also wenn jeder der einen schlechten Ruf verdiente, auch einen hätte und darum nicht vorankäme, dann frage ich mich, warum ich First Lieutenant bin, und andere Leute – ich will mal keine Namen nennen – mindestens den selben Rang haben.“

Die Deutsche lächelte nur: „Redest du jetzt von Radio? Du weißt schon, über die Toten immer nur Gutes...“
„Bah!“ meinte Lilja nur verächtlich: „Radio ist mir egal. Er war im Leben ein Schwein, das da scheißt, wo es frißt, und im Tod hat er sich nicht gebessert. Was er mir hinterlassen hat – schön und gut, ich kann mir vielleicht sogar vorstellen, was er damit erreichen wollte. Auch wenn es Schwachsinn war. An Stelle Ohkas hätte ich allerdings auf sein Grab gespuckt.“
In dieser Hinsicht war die Russin manchmal direkt prüde, und fand den Witz des Toten wohl überhaupt nicht lustig. Daß es Kali ähnlich wie Liljas alten Flügelmann ergangen war, störte die Russin offenbar weniger. Sie fuhr mit eher abfälliger als wütender Stimme fort:
„Mir geht höchstens seine Arroganz auf die Nerven. Wieso sollte ich irgendetwas auf jemanden wie IHN geben? Was kann er mich schon lehren? Bücher zum Thema Menschlichkeit? Daß jemand dieses Wort in den Mund nimmt, für den Rufmord so eine Art Zeitvertreib war, darf ich wohl unter Witz verbuchen, oder was?“
Lilja wirkte weniger erbittert, als vielmehr pikiert, während sie weiter ausführte: „Wieso glaubt eigentlich jeder asoziale Idiot, der es nur per Zufall geschafft hat, durch die psychologischen Eignungstests für Piloten zu kommen, er könne mir post mortem irgend etwas über Menschlichkeit, meinen Umgang mit den Menschen und sonstiges Gefühlsleben lehren? Von wem darf ich mir denn als nächstes so einen Sermon anhören? Skunk? Cartmell? Und was kommt dann - Therapievorschläge?“
Das war auch der Grund, warum Lilja am Tag nach der ,tränenreichen‘ Verlesung des Testaments mit zwei Bänden in der Bordbibliothek aufgetaucht war und sie abgeliefert hatte mit der lapidaren Äußerung, das seien nur ein paar Bücher, für die sie sowieso keine Verwendung hätte, und ob man sie nicht vielleicht gebrauchen könnte...? Wenigstens als Lückenfüller? Oder zum Recyceln?

„Och, Lilja, du mußte es so sehen: Vielleicht bist du auch nur die unerfüllte Mitternachtsphantasie dieser Männerherzen, und sie versuchen so darüber hinwegzukommen, daß sie bei dir nicht landen konnten.“
Die Russin konterte den Scherz mit einigen ausgesuchten Kraftausdrücken aus ihrem beachtlichen Repertoire.
Ihre Stimme klang eindeutig verächtlich: „Und Papa Long dürfte auch stolz auf seinen Sohn sein. Wenn Klein-Long die Uniform so sehr verachtete, frage ich mich, warum er sie überhaupt getragen hat. Es wäre wohl für ihn und besagte Uniform besser gewesen, er hätte sie schnell wieder ausgezogen. Das klingt so, als wollte er seinem Alten unbedingt noch aus dem Grab in die Eier treten. So nach dem Motto: ,Du hast mich dazu gebracht, diese Uniform anzuziehen, und deshalb bin ich jetzt tot.‘ Ich finde so etwas einfach erbärmlich. Wenn es mich erwischen sollte, dann werde ich kaum aus Grab heraus noch versuchen die Menschen zu demütigen, auch wenn sie es verdient hätten, oder zu belehren. Wer es vorher nicht kapiert, begreift es hinterher auch nicht!“

Wie es aussah schien sie sich zum vergeben und vergessen nicht durchringen zu können, aus verschiedenen Gründen. Das lag weniger an Radios Abschiedsgeschenk an ihre Adresse. Sie hatte darauf verzichtet etwas Theatralisches zu unternehmen, wie etwa seine Geschenke rituell zu verbrennen. Aber sie gedachte auch nicht, sie irgendwie zu würdigen oder zu beherzigen, was er ihr vielleicht sagen wollte. Ihre eigenen Überzeugungen waren so kaum zu erschüttern. Dazu kam, daß sie, anders als etwa gegenüber Pinpoint, im Falle Radios keinerlei Schuldgefühle hatte. Sie hatte ihn zwar als Vorsitzende eines Ehrengerichts bestrafen lassen, gegen ihren Willen freilich. Seine Reaktion hatte sie allerdings zu dem Schluß gebracht, in Wahrheit wäre der Spießrutenlauf für ihn noch zuwenig gewesen. In der Hinsicht hatte sie ihm gegenüber ihrer Meinung nach nichts gutzumachen, und war heute mehr von seiner Schuld im fraglichen Falle überzeugt als zu dem Zeitpunkt, als sie das Urteil fällte.
Dazu empfand Lilja es als geradezu skandalös, daß der Lieutenant Commander seinen Posten und seine Verantwortung so gering zu achten schien, wie sie den Eindruck hatte. Sie wußte sehr wohl, was Rang und Auszeichnungen ihr bedeuteten, während Radio in ihren Augen damit wie mit Dreck verfuhr. Und das nahm sie ihm übel. „Er hätte seine Abzeichen wirklich jemand anderem vermachen können. Das mit Pinpoint WAR eine nette Geste, aber der Rest...“
Imp zuckte nur mit den Schultern. Sie teilte nicht gerade Liljas manchmal fanatische Dienstauffassung, aber andererseits war auch sie keine Bewunderin Radios gewesen.

„Nun, sieh es mal so. Er war eben, wie er war. Ist mir auch schleierhaft, wieso er dann überhaupt den LC gemacht hat – irgendeine Versetzung in die Etappe hätte Papa ja wohl deichseln können. Jetzt ist er tot, und warum soll er nicht versuchen, noch einmal das letzte Wort zu haben? Da, wo ihm keiner widersprechen kann? Ich weiß nicht recht, seine Witze werden mir sicher nicht fehlen, aber es wäre mir lieber, er würde sich weiterhin das Maul zerreißen können, und wenn es auf meine Kosten wäre.“
Lilja verzog die Lippen: „Zugegeben. Er hätte sich allerdings im Leben wie im Tod auch mehr Mühe geben können. Ich finde diese Briefeschreiberei sowieso dumm. Es bringt Unglück, und es hilft nur selten. Vor allem hier – irgend etwas bereinigt hat er damit ja nun wirklich nicht. Und wenn man es schon macht, sollte man es doch eher anders machen. Vielleicht, um nicht allzu negativ in Erinnerung zu bleiben? Ich weiß ja nicht, ob man seiner nach der Nummer mit mehr Achtung gedenken wird. Ehrlich gesagt bezweifle ich das. Wenn er sich auch im Tod nicht ändern will, frage ich mich, warum unsereins sein Urteil revidieren sollte.“
Imp lachte kurz auf: „Also manchmal frage ich mich, ob Großmut in deinem Wortschatz überhaupt existiert.“
Die Russin grinste: „Offensichtlich, sonst hätte ich dir schon längst den Mund zugenäht.“
Gemeinsam marschierten sie in Richtung ihres Quartiers: „Sag mal, da wir schon bei dem Thema sind: ,Wird Ace I. von Gottes Gnaden etc. pp. denn bald die Runde machen, um seine Briefe wieder einzusammeln?“
Lilja hatte zwar gesagt, sie würde das Geheimnis von Cliff Davis vorerst wahren. So ganz hatte sie es denn aber doch nicht getan – Imp hatte davon erfahren, noch ehe ein Tag umgewesen war. Denn für DEN würde sie bestimmt nicht ihre beste Freundin belügen, und die Deutsche hatte sehr wohl gesehen, daß Lilja mehr als verdattert gewesen war, als sie in die gemeinsame Kabine kam. Sie hatte natürlich nachgefragt, ob der Russin vielleicht beim Bücken die Hose geplatzt war, oder ob sie in der Turnhalle die Duschräume verwechselt hätte, und so war es eben rausgekommen.

„Meinen kann er sich meinethalben aus der Müllvernichtungsanlage herausklauben!“ knurrte die gegenwärtige Staffelkommandantin. Imp schien die Sache jedoch von der humoristischen Seite zu sehen: „Das wird ihn aber vielleicht doch treffen, wie schnell Kali drüber weggekommen ist. Aber er hat ja Huntress, um sich zu trösten.“ Lilja klang ausgesprochen boshaft: „So wie er aussah, sollte er es besser bleiben lassen. Sonst geht er noch an Motorversagen ein, und das wäre doch schade... Auf dem Feld der Ehre geblieben...“
Imp zog nur die Augenbrauen hoch: „Glaubst du, er kommt wieder drüber weg?“
Lilja schien nicht allzu gründlich darüber nachdenken zu wollen, vielleicht aus Angst, dann doch einen Rest Mitleid zu entwickeln: „Ich glaube schon. Wird ein Weilchen dauern denke ich, aber würde mich nicht überraschen, wenn er eines Tages wieder aufkreuzt, wie aus dem Ei gepellt und platzend vor Selbstgewißheit.“
„Höre ich da Antipathie?“ stichelte die Deutsche. Doch Lilja lachte nur: „Du hörst die Stimme der Erfahrung.“ Sie hatte in aller Deutlichkeit erklärt, daß sie Ace I. nur deßhalb nicht fertiggemacht hatte, weil es unsportlich war, jemanden ins Kreuz zu treten, der ohnehin schon am Boden lag. Es schien ihr nicht schwerzufallen, all die Gründe im Gedächtnis zu behalten, aus denen sie Ace nicht ausstehen konnte. Im Augenblick mochte der Zwist auf Eis liegen, aber dennoch...
Inzwischen waren sie angekommen, und Imp öffnete die Tür der Kabine. Lilja gähnte und ließ die Gelenke ihrer Schultern knacken: „Knobeln wir, wer als erster ins Bad darf?“ Imp schenkte ihr ein unschuldiges Lächeln: „Ich dachte, ein guter Kommandeur denkt zuerst an seine Leute, und verläßt das sinkende Schiff als letzter.“
Für einen Augenblick schien die Russin den Sinn von Widerworten zu erwägen, dann kapitulierte sie mit einem Knurren und überließ ihrer Kameradin den Vortritt. Eines hatte sie auf jeden Fall gelernt in ihrer Zeit in Staffel Grün. Sie mochte eines der besten – noch lebenden – Mitglieder der Staffel sein. Aber in Wortgefechten zog Lilja gegenüber Imp noch deutlich häufiger den Kürzeren als sie im Gegenzug ihre Kameradin im Simulator besiegte...
Tyr Svenson
Im großen Aussichtsraum des Trägers auf der Backbordseite hatten sich die Angry Angles versammelt. Nur diejenigen, für die das Verlassen der Krankenstation absolut nicht möglich war fehlten.
Gegenüber dem Geschwader auf einer kleinen Tribüne saßen die beiden Admirale, James Waco, einige außerwählte Stabsoffiziere und Lieutenant Commander Richard Schönberg.
Als einzigster Nichtoffizier war der Bosun Mario Atti anwesend.
Lone Wolf Cunningham kam wie immer als einer der letzten. Mit ihm Erschien auch Darkness, welcher sich sofort bei dem Geschwader, welches - soweit es den Piloten möglich war - sich nun zu einem Block in Rührt-Euch-Stellung formierte.
Der Commander der Angles nickte Waco und den beiden Admiralinnen zu und wandte sich dann sofort dem Rednerpult zu.
"In Niederlage, Rückzug oder Sieg wie heute finden wir uns hier ein und vielen von Ihnen wird die Frage gekommen sein, wo nun eigentlich der Unterschied ist. Für die Toten mag kein Unterschied bestehen, ob in Sieg oder Niederlage, ihr Opfer ist ultimativ.

Doch niemals ist ihr Opfer vergebens und niemals war der Grund ehrenhafter und großzügiger, als der, für den unsere Kammeraden ihr Blut vergossen.
Sie gaben ihr Leben zum Schutz unser Nation, unserer Kultur und unserer Werte.
Ihr Sterben mahnt uns zu leben! Ihr Sterben mahnt uns zu Kämpfen! Ihr Sterben verpflichtet uns zu siegen."
Lucas Trat vom Pult und nahm seine Position an der Spitze der Angles ein. In agressiver Rührt-Euch-Haltung und mit Kilometerblick.

Lieutenant Commander Schönberg, der nun den Platz vor dem Pult einnahm räußperte sich kurz: "Stephen Thomas schrieb einst: Solange die Sterne leuchten wird man sich meiner erinnern und solange man sich meiner erinnert bin ich nicht tot.
Und solange ich nicht tot bin, solange werden meine Träume leben.
Also trauert nicht meiner sterblichen Hülle, sondern feiert mein Leben und meinen Eingang in das immerwehrende Universum.
Feiert mein Leben und lebet und verweilt nicht an diesem Punkt irdischer Trauer, denn von nun an müssen in Euren Taten auch die meinen enthalten sein.
Und so erhob ich mich auf den Schwingen der Gerechtigkeit und flog durch den Himmel bis hinauf aufs Firmament. Dort soll mein Stern strahlen. Wachen und den Weg zum Sieg weisen.
Herr wir übergeben die sterblichen Überreste unserer Kammeraden der Unendlichkeit des Alls. In der Hoffnung auf die Auferstehung und ein ewiges Leben.
Von den Sternen kamen wir, zu den Sternen kehren wir zurück, Amen."

An dieser Stelle übernahm der Bosun das Kommando: "Geschwader still gestanden! Geschwader die Augen RECHTS! Stab still gestanden! Stab die Augen LINKS!"
Nun erklang eine Trompete aus den Lautsprechern. Es war der Zapfenstreich.
"Jack Murphy, Lieutenant Commander." Verlas Chief Atti den ersten Namen.
Ein Sarg, nur mit der Fahne der Republik und Martell's Ausgehuniform mit allen Ehrenabzeichen bestückt, wurde ins All geschossen. Ein Geschütz der Oberdecksartillerie feuerte zwei Salutschüsse ab.
"Curtis Dwight Long, Lieutenant Commander."
Wieder war es nur ein Sarg ohne menschlichen Körper, der ins All glitt, exakt auf der gleichen Flugbahn wie der von Murphy und wieder begleiteten ihn zwei Schuss aus der Bordartillerie.
"Cliff Anderson. Second Lieutenant."
Anderson hatte man bergen können, jedoch zu spät und so war in diesem Sarg ein menschlicher Körper enthalten. Auch über diesen wie auch über alle folgenden zuckten zwei grell-grüne Lichtblitze.
Die Prozedur nahm ihren Lauf, bis schließlich:
"Aristoteles Yantais. First Lieutenant." Chief Atti wartete ab, bis die Laserschüsse in der Dunkelheit des Alls vergingen und die Trompete verstummte.
"Das ganze: Augen GERADAUS! Das ganze: rührt EUCH!"
Während Schönberg sich wieder in den Stab einreihte nahm Lone Wolf wieder den Platz hinter dem Rednerpult ein: "Lieutenant Commander McQueen, raustreten."
Darkness tat wie befohlen und als er auf einer Höhe mit Cunningham war drehte sich der Lieutenant Commander um neunzig Grad nach rechts, während sein Gegenüber eine neunzig Graddrehung nach links machte.
Lucas hatte einen Zettel entfaltet und begann zu lesen:

„An: Lieutenant Commander Justin McQueen, XO 127th Fighter Wing, TRS COLUMBIA
Von: Admiral Jean Baptist Renault, CO 2. Flotte


Betreff: Beförderung

Mit Wirkung vom 29. November 2636 wird Lieutenant Commander McQueen zum Commander befördert.

Commander McQueen zeichnete sich während seiner gesammten Dienstzeit als Executiv Officer des 127. Fighter Wing als exellenter Offizier und Vorgesetzter aus.
Commander McQueen trug durch sein ihm gegebenes Talent als Ausbilder und Flugtrainer zu dem durchgängig exellenten Ergebnissen des Geschwaders maßgeblich bei.
Commander McQueens Leistungen, sein Mut, sein Führungstalent und sein Angagement spiegeln die besten Traditionen der Terran Space Navy wieder.

Gezeichnet
Jean Baptist Renault, Admiral
CO 2. Flotte."

Nun trat Captain Waco an den soeben beförderten heran. Der Kommandant der COLUMBIA hatte einen schwarzen Holzkasten in der Hand, in dem auf rotem Samt die neuen Rangabzichen von Darkness lagen.
Waco ersetzte Darkness rechte, Cunningham dessn linke Schulterklappe. Nun fehlte Darkness nur noch die neue Schirmmütze, aber die würde er erst später erhalten.
Der Captain reichte zum Abschluss Darkness noch ein Papier.
Die geübten Augen des Veteranen erkannten es sofort als Stellungsbefehl und auf ein Nicken Wacos' hin entfaltete er den Befehl und Begann zu lesen:

"An Commander Justin McQueen, XO 127th Fighter Wing, TRS COLUMBIA
Von Admiral Jean Baptist Renault, CO 2. Flotte


Betreff: Stellungsbefehl

Commander!

Nach Erhalt dieses Befehls lösen Sie Ihren direkten Vorgesetzten und Kommandierenden Offizier, Commander Lucas Cunningham, CO 127th Fighter Wing, TRS COLUMBIA ab und übernehmen das Kommando über den 127th Fighter Wing.

Gezeichnet
Jean Baptist Renault, Admiral
CO 2. Flotte."

Darknes blickte seinem Freund in die Augen und sah keinerlei Schmerz oder Wehmut darin. Lucas hatte ihn im Vorwege informiert und ihm mitgeteilt, dass er selber auf die Dolphin versetzt wurde. Der Lone Wolf sollte also zum Raumschiffkommandanten ausgebildet werden.
Commander Justin McQueen atmete noch einmal tief durch: "Sir, gemäß Befehl des Kommandeurs der 2. Flotte löse ich Sie ab und übernehme das Kommando über den 127th Fighter Wing. Sir."
Cunninghams Antwort viel nicht weniger vormell und mit würdevoller Stimme aus: "Commander, ich übergebe Ihnen hiermit das Kommando über den 127th Fighter Wing. Viel Glück und allzeit gute Jagd, Sir."
Die beiden Commander salutierten voreinander, dann wandte sich Lone Wolf dem Captain der COLUMBIA zu und salutierte vor diesem, welcher den Gruß mit schneidiger Eleganz erwiederte.
"Sir, ich wurde ordnungsgemäß abgelöst, Sir."
"Danke Commander, Sie habe exellente Arbeit bei der Aufstellung und Befehligung Ihres Geschwaders geleistet. Sie dürfen wegtreten."
Die beiden Offiziere salutierten nochmal voreinander, dann reihte sich Cunningham zwischen Schönberg und Admiral Wulff ein.
Jetzt nahm Waco Darkness' Gruß entgegen.
"Sir, melde gehorsamst, Kommando über den 127th Fighter Wing übernommen. Sir."
"Danke Commander, ich bin der festen Überzeugung, dass Sie wie Ihr Vorgänger ausgezeichnete Arbeit leisten werden. Übernehmen Sie jetzt das Kommando."
Auch Waco und Darkness salutierten noch einmal voreinander, dann wandte sich Darkness seinen Aufgaben als Geschwaderführer zu.

Darkness Beförderung folgten nun die von Monty und Skunk, die zu Lieutenant Commandern befördert wurden, danach wurden einige Second Lieutenants zu Lieutenants First Class befördert, allen voran Kano Nakakura.
Den Beförderungen folgten die Auszeichnungen. Am häufigsten wurde der Verwundete Löwe in Silber verliehen.
Miguel "Monty" Terrano, Kano "Okha" Nakakura, Benk "Dutch" van Geel, William "Jaws" Boothe, Olof "Viking" Carlsen und Muhammed "Brawler" Tuncay wurde für ihren Angriff auf den Träger/Kreuzer der Golf Klasse der Bronce Star verliehen. Dutch und Viking jedoch nur noch postum.
Darkness las für jeden einzelnen die Verleihungsurkunde vor, obwohl auf allen sechs der Text identisch war, und volles Lob für den selbstlosen, heroischen und zum Erfolg der Schlacht beitragenden Angriff auf das Akarii-Dickschiff ausdrückte.