Tyr Svenson
Das Kasino der COLUMBIA war brechend voll. Seit drei Stunden trank und lachte man. Zu Beginn hatten kurz Admiral Wulff und Captain Waco vorbeigeschaut, ein Bier getrunken, ein paar Hände geschüttelt und waren dann klammheimlich wieder verschwunden.
Lucas stand mit Darkness, dem Professor und Martell Murphy etwas abseits und nippte an einem Gin Tonic.
"Also um auf Deine Verlobung zurückzukommen." Darkness nahm einen langen Zug aus seiner Bierflasche.
"Ja, genau Lone Wolf, wer ist denn die Glückliche?" Martell schien schon eine Vorstellung zu haben.
Der Professor lächelte aufmunternd, wie nunja, wie es ein Professor einem Studenten gegenüber tun würde um ihn endlich zum Sprechen zu bringen.
"Nun, Ihr beide kennt sie ..."
"RUHE! RUHE! RUHE!" Die Stimme war der tiefe Bariton des Bosuns. Wie die meisten der Piloten hatte er seine Dienstuniform mit Ordensbändern an. Soviel er durch zwei Dinge auf: Den niedrigsten Dienstrang und die meisten Ribbons auf der Brust.
Der Bosun stand an einem Tisch so ziemlich in der Mitte des Kasinos, welcher gerade von Radio, welcher in einem grellen Hawai-Hemd steckte erklimmt wurde. Der dritte im Bunde war Skunk.
"Sehr verehrte Kammeraden, Racheengel, Glücksritter, Lügner und Trunkenbolde, ich bitte um die allgemeine Aufmerksamkeit." Begann Radio, der kurz schwankte. Er hatte eindeutig schon eine Menge getankt. "Ich und mein Freund hier." Er tätschelte Skunk den Kopf, welcher eine Grimasse zog und einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas nahm. "Wir ... wir haben ... ähm ja, also wir haben eine ganze Weile in den ungeschriebenen Gesetzen und Traditionen geblättert ..." Radio kicherte kurz über seinen eigenen Witz." ... und haben dort viele sehr interessante Bräuche gefunden. Ehrengerichte, Captainsmast, Code Red, achne, den gibt es ja nicht." Jetzt lachte nicht nur Radio, sondern auch Skunk. "Und die Taufe. Taufen haben in der Christlichen Raumfahrt eine besondere Bedeutung. Damals als es noch die Christliche Seefahrt war, gab es die Äquatortaufe. Und heute gibt es die Taufe eines Piloten. Sie findet statt, wenn ein junger Pilot sein Callsign bekommt."
Er blickte listig grinsend in die Runde: "Lieutenant 1st Class Fiorette Bossi! Treten Sie vor."
Unsicher trat die Bomberpilotin vor.
"Guten Abend Madam. Mir als rangältesten Märchenerzähler und Trunkenbold dieses Schiffes obliegt es diese Zeremonie durchzuführen. Daher Frage ich: Haben Sie Lieutenant Bossi beim Trainingsbombenabwurf mit Ihrer Mirage einen Trefferquotient von 88 Prozent erreicht?"
Bossi grinste in die Runde: "Es war einfache Mathematik Herr Zeremonienmeister."
"Zu schade das nur einer von Euch Goldjungs rechnen kann." rief ein Pilot aus der Silbernen Schwadron.
Einige Buhrufe erklangen, andere stimmten ihm zu.
"RUHE!" Radio stampfte mehrmals mit dem rechten Fuß auf und geriet kurz ins wanken. "Ruhe, den nächsten, der diese Zeremonie unterbricht lasse ich ins Kabelgatt* sperren."
Radio kratzte sich am Hinterkopf und blickte kurz zu Skunk.
"Zero", half dieser nach.
"Ahja, genau. Und darauf hin hat man Sie nach dem Ground Zero, dem Punkt, wo eine Atombombe ihre größte Explosionskraft hat benannt ist das korrekt?"
"Das ist korrekt Zeremonienmeister." Bossi wippte auf den Fersen.
"In Ordnung. Bosun: Das Taufinstrument!"
Chief Atti reichte Radio einen Krug.
"DAS hier kommt aus einer Region Europas namens South Germany und nennt sich Maßkrug. Mr. Jones: Währen Sie wohl so freundlich das Taufinstrument einsatzbereit zu machen."
"Yessir." Skunk nahm von einem anderen Piloten - Hacker - einen Pitcher Bier entgegen und füllte den Maßkrug voll. Im Pitcher blieb nur noch ein halber Liter Bier, von dem erst Skunk und dann Radio jeweils tüchtig tranken. Dann wurde Bossi der Maßkrug überreicht. Im Gegensatz zum Originalinhalt hatte der Liter Bier im Krug sehr viel Kohlensäure.
"ACHTUNG! Auf EX!"
Bossi starrte erschrocken die beiden älteren Piloten an.
"Exen!" Befahl Radio und schon donnerten Rufe durch den Raum: "Ex! Ex! Ex!"
Bossi blickte hilfesuchend zu Cunningham und Darkness, welche sich auf einmal sehr intensiv mit einem der Bilder an der Wand beschäftigten.
Sie warf Skunk und Radio noch einen mörderischen Blick zu und hob den Krug.
Tapfer trank die Pilotin Zug um Zug und es sah beinahe so aus, als ob sie den Krug leeren könnte, doch Skunk intervenierte. Der Veteran trat an sie heran und flüsterte ihr hintereinander drei schweinische Witze ins Ohr.
Bossi prustete los. Teile des restlichen viertel Liter landeten auf ihrer Uniform.
Von allen Seiten kamen Mitleidsbekundungen. Alle viel zu übertrieben um ernst gemeint zu sein.
"Arschloch!" Fauchte Bossi Skunk an.
"Hm, Bosun, ich glaube, ein zweiter Versuch ist erlaubt oder?" Radio blickte immer noch von seinem Podest herab.
"Ja, denke ich auch." Atti nahm den Krug an sich, lehrte den Rest in sowohl in sein als auch Radios Glas. Danach füllte er den Krug mit frischen Bier auf und gab ihn Fiorette Bossi zurück.
"Auf Ex!" Befahl Radio erneut.
"Pisser!" Fluchte Bossi, holte tief Luft und setzte den Krug erneut an.
Diesmal musste Skunk nicht intervenieren, Bossi schaffte nur etwas mehr als die Hälfte, ehe erschöpft sie absetzte.
Wieder regnete es geheucheltes Mitgefühl.
"Naja, einmal noch bestimmt, Radio.“ Der Krug wurde erneut ausgeleert und neu aufgefüllt und zurück an den Täufling gegeben.
Bossi war den Tränen nahe aber setzte erneut an. Doch sie hatte kaum noch Kraft und schaffte gerade mal ein Viertel.
"Wars das jetzt?"
Radio blickte erst Skunk an, der den Kopf schüttelte und dann den Bosun, der nickte.
"Nun denn, Lieutenant", Radio tunkte zwei Finger in sein eigenes Bier und bespritzte Bossis Haupt damit, "hiermit Taufe ich Dich im Namen des Universums, unser aller Herr auf den Namen Fiorette Zero Bossi auf das Du Deinem Kriegernamen alle Ehre machst und immer in die Mitte unserer Feinde triffst."
Bossi macht auf der Stelle kehrt und verließ das Kasino.
"Idioten!" Blaffte Raven und eilte ihrer Pilotin hinterher.
"Man, man, wie soll die Akarii killen, wenn sie bei solcher Kinderkacke schon anfängt zu flennen, kann froh sein, dass sie nicht auf der guten alten Wasp getauft wurde." Meinte Skunk zu Radio und dem Bosun.
Radio zuckte mit den Schultern und machte sich an den Abstieg. Als er mit dem linken Fuß auf dem Stuhl stand und den anderen vom Tisch nahm verlor er das Gleichgewicht.
Schnell versuchte er nach Skunk zu greifen um nicht zu fallen, dieser sah jedoch was passierte und trat schnell außer Reichweite.
Der Lieutenant Commander knallte mit einem erstickten Schrei der länge nach hin.
Schnell waren der Bosun und Skunk standen sofort bei ihm und guckten unbeteiligt auf Radio hinab.
"Bruchlandung. Ganz eiskalt." Kommentierte Skunk.
"Wissen Sie was das heißt?" Fragte der Bosun.
"Na klar, Radio zahlt ne Runde!" Rief das Ekelpaket aus.
Während sich der unfreiwillige Spender aufrappelte stürzten die ersten Piloten zur Bar.
Plötzlich übertönte ein wohl klingender Bariton die Lärmenden Piloten: "Up to mighty London came an Irish lad one day, all the streets were paved with gold, so everyone was gay! Singing songs of Picadilly, Strand, and Leicester Square, 'til Paddy got excited and he shouted to them there:"
Dann fielen alle Piloten ein:
"It's a long way to Tipperary,
It's a long way to go.
It's a long way to Tipperary
To the sweetest girl I know.
Goodbye Piccadilly,
Farewell Leicester Square,
It's a long long way to Tipperary,
But my heart lies there."
"Also, wer ist es nun?" Drängte Darkness.
"Mel Auson. Ich habe sie im Militärhospital von Luna besucht und sie um ihre Hand angehalten." Lucas blickte etwas betreten zu Boden. "Ich ... nun, nach Manticore habe ich den Krieg verflucht, ich wollte nach Hause, ich habe es gehasst, doch jetzt ... ich will das die Akarii dafür bezahlen, was sie Melissa angetan haben." Er blickte Darkness in die Augen. "Ich bin überzeugt, das der Krieg richtig ist, er war schon lange überfällig."
Darkness wirkte etwas erschrocken, ebenso Martell und der Professor. Lucas alter Freund und Kamerad war den anderen beiden Lieutenant einen eindeutigen Blick zu. Beide verstanden und verabschiedeten sich.
"Gott verflucht Lucas. Das ist unser Job, dafür haben wir uns freiwillig gemeldet. Und dabei dürfen wir uns Hass und Mordlust nicht hingeben."
"Ist doch gut, wenn einem der Job gefällt."
"Junge, gerade Du darfst nicht so denken. Es ist so verdammt wichtig, dass Du da draußen einen klaren Kopf bewahrst. Dein Ziel muss immer die Erfüllung der Mission sein. Es ist so verdammt wichtig ..."
Derkness unterbrach, als er sah, das Tränen in den Augen seines Freundes entstanden. Sofort stellte er sich anders hin, um den CAG besser vor den Blicken der Piloten abzuschirmen.
"Ich hab sie gesehen, sie war so kalkweiß, so verletzlich, so ängstlich und ... und ihr Arm fehlte. Diese Bestien." Lucas rieb sich die Augen, wischte sich die Tränen weg. "Ich habe schon früh Leute in den Tod geführt, dachte ich zumindest ..."
"Cartemell." Stellte Darkness fest.
"Ja. Es hat mir nichts ausgemacht, weißt Du. Es war mir scheißegal." Seine Stimme war ein heiseres Flüstern. "Was anderes war es bei Pinpoint ... Gott war es furchtbar den jungen zu verlieren. Doch Cartmell, Ace Davis, Rusty und wie sie alle hießen, nichts als Fußnoten. Doch als ich Melissa sah ..."
"Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit für einen Kommandeur, seinen Job gut zu machen." Darkness klang nicht wirklich überzeugt. "Bedenke, was die Zukunft für uns bringt. Tod und Zerstörung. Es würde uns einfach zerbrechen, wenn wir uns mit jedem anfreunden würden wie mit Pinpoint in Deinem oder Ace Davis in meinem Fall. Heute lachen und feiern sie, doch morgen ..., wer von Ihnen wird in einigen Jahren von dieser Feier berichten können? Du hast das Zeug zu einem guten Kommandeur, doch dafür musst Du Gefühle wie Vergeltung und Hass verbannen. An erster Stelle kommt die Mission. An zweiter das Schiff und an dritter das Überleben Deines Geschwaders."
Lucas nickte abwesend. Zum Glück war die Party zu laut, als dass man ihre Unterhaltung hätte mithören können.
"Du hast recht Jus. Und heute sollten wir ausgelassen feiern. Ihnen zeigen, das wir an den Sieg glauben. Komm, ich spendiere nen Drink."
"Sehr witzig Lone Wolf, wenn die Flotten zahlt wirst Du spendabel."
An der Bar angekommen wurde Radio auf sie aufmerksam und gesellte sich zu ihnen, legte Lone Wolf den Arm kumpelhaft über die Schultern: "Und Commander, sagen Sie uns, wer die ... ver ... glückliche ist, die Sie in den Raumhafen der Ehe schleppen?"
Radio war laut genug, dass viele andere es ringsum hörten. Es hagelte Glückwunschbekundungen und viele schüttelten ihm die Hand.
Tyr Svenson
Im New Yorker Verlagshaus THE SUNSET herrschte der Ausnahmezustand.
Die Redakteure sowohl der Printausgabe als auch der virtuellen Erlebniszeitung drängten sich im kleinen Besprechungsraum, in dem Natalie Han sie zusammen gerufen hatte.
Die zierliche, fast zerbrechlich wirkende Asiatin hatte die SUNSET an die absolute Spitze der Boulevardblätter auf der Erde geführt. Faksimileausgaben liefen auf neunzig Prozent aller von Menschen bewohnten Welten.
Ihr ehrgeiziges Ziel war aber noch lange nicht erreicht. Sie wollte die Marktführerposition, auf allen Welten, auf denen die menschliche Sprache gelesen werden konnte.
Für dieses Ziel war sie bereit, über Leichen zu gehen.
Sie hob eine Hand, und das Stimmgemurmel der Reporter, Redakteure und ihres engsten Mitarbeiterstabs verstummte.
„Es hat sich eine besondere Situation ergeben“, sagte sie leise, und wusste dennoch, dass jeder einzelne Mann, jede einzelne Frau in diesem Raum an ihren Lippen hing. „Wir müssen angreifen.“
Angreifen, das hörten die Mitarbeiter von THE SUNSET nur noch selten. Nicht mehr seit die LA Gazette von der Spitze der Westküstenzeitungen gedrängt worden war. Es bedeutete nicht mehr und nicht weniger als eine Großoffensive gegen eine andere Zeitung, um sie aus dem Markt zu drängen oder zumindest auf den ihr zustehenden Platz zu verweisen.
Erschrockenes Raunen ging durch die Menge.
„Die Gazette ist wieder Marktführer an der Westküste, in Ozeanien und in Europa.“
Das Raunen steigerte sich zu einer wüsten Unterhaltung, in der jeder mit jedem redete.
Hinter Natalie erwachte die Leinwand zum Leben. Die Schlagzeile der Gazette prangte davon herab. AKARII AUF DER ERDE.
Auf einen Knopfdruck wurde die zweite, die dritte, die vierte Seite angezeigt. Zeitgleich überspielte der Redaktionscomputer die Files als virtuelle Daten an die Pads jedes Anwesenden.
„Die Navy hat ein geheimes POW für Akarii-Gefangene in Arizona oder Nevada eingerichtet. Bei einem Transport zu einem medizinischen Seminar wurde ein Shuttle abgeschossen. Es stürzte über der Wüste von Californien ab. Es gab nur drei Überlebende. Zwei Akarii und den Lagerkommandanten. Als dieser Tage später mit einem der Akarii die nächste Ortschaft erreichte, war zufällig ein Reporter der Gazette anwesend und hat die Gelegenheit genutzt, um seiner Zeitung einen Exklusivbericht zu verschaffen. Sie haben vor uns und allen anderen Zeitungen einen Zeitvorteil von sieben Stunden.
Was tun wir, um das zu ändern?“
Kurt Albrect hob die Hand. Der Redakteur war für den Onlinebereich zuständig.
„Was sagt die Navy zu diesem Vorfall?“
„Die Navy macht das, was sie immer tut, wenn ihr etwas schief gegangen ist. Sie schweigt.“
Ein fieses Grinsen huschte über Albrects Gesicht. „Das bedeutet, wir haben freie Hand.“
Freie Hand. Das war eine sehr präzise Beschreibung der sogenannten Fragezeichenschlagzeilen. Die Fragezeichenschlagzeilen setzten viele Zeitungen ein, um ein bestimmtes Thema auf den Tisch zu bekommen, ohne aber wegen Verleumdung oder Vorspiegelung falscher Tatsachen belangt zu werden.
Die schlichte Frage: Ging die Präsidentin mit ihrem Bodyguard ins Bett?, brachte also die entsprechende Aufmerksamkeit und die entsprechenden Verkäufe, während die Schlagzeile: Präsidentin mit Bodyguard in Flagranti erwischt!, gut recherchiert und mit Fakten untermauert bewiesen werden musste, um der Zeitung nicht wirkliche ernsthafte Probleme zu bereiten.
„Welche Stellung bezieht die Gazette zu den Akarii?“, wollte Robert Brown wissen, Chef der Faksimilekontaktabteilung für die Interstellarausgaben.
„Es sieht so aus, als wäre die Gazette auf Kuschelkurs mit der Navy. Sie gehen im Bericht sehr freundlich sowohl mit der Navy als auch den Akarii um. Andeutungen im Web zufolge wollen sie diesen Kurs auch weiterhin verfolgen. Andrew Sorensen verfolgt sicher wieder mal seine Linie der recherchierten und ehrlichen Berichterstattung.“
Leises Lachen ging durch den Raum. Mit dieser Einstellung hatte der Chefredakteur der Gazette einiges an Auflage verloren, weil er einfach zu ehrlich war.
„Also sollten wir das Gegenteil tun“, schloss Kurt Albrect leise. Er sah in die Runde. „Wir brauchen eine reißerische Schlagzeile, eine Wortwahl, die es niemandem erlaubt, an einem Stand mit unserer Zeitung vorbei zu gehen. Eine Schlagzeile, die ruft: Kauf mich, kauf mich, kauf mich.“
„Und wir brauchen den entsprechenden Support. Ein paar gute Halbwahrheiten sind gefragt, meine Damen und Herren. Etwas, was unsere Artikel und Berichte untermauert.“
„Wir könnten jeden noch so kleinen Zwischenfall von Flotte und Akarii heranziehen“, bot Jamie Brooks an, „und die Aggressivität der Akarii hervorheben. Uns selbst in die Opferrolle drängen und die Akarii als brutale, übermächtige Gegner erscheinen lassen.
Machen wir den Menschen Angst. Angst vor den Akarii und Angst davor, kein Exemplar unserer Zeitung mehr zu bekommen.“
„Ich habe eine bessere Idee“, meldete sich Anne Dougal zu Wort, die Chefin der New Yorker Ausgabe. „Oder vielmehr eine sehr gute Ergänzung.
Die Menschen glauben doch, was sie sehen. Was wir ihnen vorsetzen. Warum machen wir nicht ein kleines Geschäft nebenbei, das zudem unsere Berichterstattung unterstützt?“
„Was schwebt dir vor, Anne?“, fragte Natalie Han.
„Warum kaufen wir nicht ein paar dieser uralten Splatterstreifen auf, die im Auftrag der Navy gedreht wurden, damit das Fernsehen und das Kino junge Menschen direkt in ihre Arme treibt? Wir könnten sie als Download anbieten, zu einem vergünstigten Preis.
Die Filme sind natürlich alle übertrieben, aber wen schert das schon? Wer interessiert sich denn schon für die Wahrheit, wenn die Filme so schön schnell und bunt sind?“
„Hast du schon ein paar Ideen?“
„Es gibt einige Filme im Navyauftrag, die in Frage kommen. Die Gefahr zum Beispiel, die mit der Vernichtung FORT LEXINGTONs endet und die Menschen zu einem Leben als zweitklassige Kolonie verdammt.
Die Horde, ein Streifen über die Marines, wie sie gegen überlegene Akarii-Truppen ins Feld ziehen, beinahe aufgerieben werden, trotzdem aber die Echsen wieder ins All jagen.
Das letzte Gefecht 1, 2, 3 und 4. Eine Serie über eine fiktive Staffel im Kampf gegen die Akarii von Texas bis zu ihrer Thronwelt, die im letzten Teil vernichtet wird.
Ich bin sicher, wir können noch mehr dieser Filme bekommen. Sichern wir uns die Rechte daran, solange niemand anders auf diese Idee kommt. Wenn wir sie zu Dumpingpreisen anbieten, wird die Vielzahl an Downloads die Profite schon wieder reinholen.“
„Und ich habe jetzt die Schlagzeile für uns gefunden. Akarii auf der Erde: Heimliche Kapitulationsverhandlungen?“
„Das wird ein Reißer!“
„Dazu ein Printbericht über die Filme mit dem Titel: Ahnten damalige Filmemacher die Zukunft oder so!“
Natalie Han lächelte. Es war ein grausames Lächeln. „Also los, Herrschaften, lasst uns eine Zeitung machen. Versetzt die Menschen in Panik und suggeriert ihnen, dass unsere Zeitung ihre einzige zuverlässige Informationsquelle ist.“
Die Redakteure brachen in betriebsame Geschäftigkeit aus.
Eine Zeitung zu verlegen war wie ein Krieg. Ein endloser Krieg, in dem die Gefechte nie endeten. Die Gegner wohl, die Kämpfe nie. Und im Krieg war alles erlaubt.
Tyr Svenson
„Was hältst du von der Rearadmirälin?“ Crusader wippte leicht auf den Zehenspitzen – eine unbewußte Angewohnheit, wenn er nervös war. Kano überlegte kurz, während er den Sitz seiner Uniform überprüfte.
„Nach allem was ich gehört habe, ist sie ziemlich erfahren. Eine gute Kommandantin. Daß Sie Radio persönlich kennt, muß schließlich nicht gegen Sie sprechen.“
Crusader lachte los: „Irgendwann muß mir mal jemand erzählen, was mit dem Lieutenant Commander los ist. Für einige von euch Veteranen ist er ja regelrecht ein rotes Tuch!“
„Alte Geschichten. Oh, fast die Hälfte von dem was er erzählt ist wahr oder hat zumindest einen reellen Kern. Aber er hat sich noch nie darum gekümmert, was er mit seinen Geschichtchen anrichtet. Und menschlich – ist er nicht gerade eine Perle. Ob sich daran jetzt etwas geändert hat...“
Crusader winkte ab. „Auf jeden Fall haben wir jetzt eine Admirälin an Bord. Nicht einen Captain oder Commodore - eine richtige Admirälin.“
„Na ja - Rearadmirälin. Aber du hast recht – das bedeutet Einiges. Beim Jollahran-Einsatz war der ranghöchste Offizier der Flottenverbände eben Commodore Clark. Und Vizeadmirälin Noltze kam nur einmal kurz an Bord. Jetzt aber...“ Kano lächelte dünn – ein Lächeln, das von Crusader geteilt wurde. Beide brannten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, darauf, daß die „Angry Angels“ wieder in den Kampfeinsatz kamen.
Crusader blickte auf die Uhr und fluchte leise: „Wir sollten uns beeilen, sonst kommen wir zu spät.“ Ohka ignorierte ihn allerdings und befestigte sorgfältig seine Auszeichnungen an der Ausgehuniform.
Crusader sah mit einem leichten Anflug von Neid auf die Orden. Er trug nur seine Dienstuniform, auch weil dadurch die fehlenden Orden nicht auffielen – die Dienstuniform wurde ohne Auszeichnungen getragen.
Es war natürlich nicht so viel, was Ohka an Orden aufzuweisen hatte, aber für Crusader war schon das Flight Cross ein äußerst erstrebenswertes Ziel. Es hieß außerdem, daß nur die Piloten vorankamen, die wenigstens diese Auszeichnung aufzuweisen hatten - und alle Jagdflieger die niemals auf fünf Abschüsse kamen, seihen nicht mal die Ausbildung wert. Jedenfalls behaupteten etliche Flight Cross-Träger so etwas. Was den „Löwen“ betraf... – nun auf diese Auszeichnung würde Crusader gerne verzichten.
„Mann, wer sich noch schöner macht, der kann nicht echt sein. Da habe ich ja keine Chance gegen dich.“
Ohka reagierte auf die Stichelei mit einem boshaften Grinsen: „Na wie gut, daß du nicht mein Date bist. Aber du bist sowieso nicht mein Typ. Stell dich einfach neben Radio – gegen sein Papageienhemd machst du selbst mit Dienstuniform eine gute Figur.“
Die Party war bereits angelaufen. Neben den einhundertundzwanzig Angehörigen der fliegenden Verbände waren auch die Bordoffiziere und sogar die höheren Dienstgrade der Marineinfanterie anwesend, auch wenn sich die „Jarheads“ ein wenig für sich hielten. Das Kasino war gerammelt voll und die Stimmung war jetzt schon ziemlich gelöst. Die Offiziere trugen ein wildes Durcheinander von Dienst- und Galauniformen. Einige bevorzugten Zivil. Natürlich trug Radio sein inzwischen im ganzen Geschwader berüchtigtes Hawaihemd.
Die Schwarze Schwadron blieb nicht lange auf einem Haufen. Der Staffelchef schien irgendetwas Wichtiges mit Commander Cunningham besprechen zu haben. Brawler trieb es zu seiner alten Schwadron. First Lieutenant Benk „Dutch“ van Geel war an keiner Gesellschaft interessiert – außer einer Flasche Klaren. Der Mantikorveteran starrte düster auf die Flasche und leerte mit beängstigender Routine ein Glas nach dem anderen.
Der XO der Staffel – Miguell „Monty“ Terrano – war zwar ein guter Offizier, aber kein Partylöwe. Der First Lieutenant brachte es fertig die Party zu verlassen, bevor Kapitän Waco und Rearadmirälin Wulff ihren „Anstandsbesuch“ abgestattet hatten. Die „Neuen“ nutzten die Gelegenheit, Bekannte von der Akademie zu treffen oder sich um die Veteranen zu scharen, die in Erzählerlaune waren.
Kano sah sich nach Kali um, konnte sie aber nicht auf den ersten Blick entdecken. Allerdings konnte er etliche Mitglieder der Roten Staffel ausmachen: in einer Ecke hatten Skunk und Radio Ace „den Zweiten“ eingekreist. Und da drüben...
Cartmell saß alleine. Er trug die Dienstuniform, es hatte keinen Grund gegeben, sich herauszuputzen. Obwohl es im Kasino voll war schien niemand an den Nachbarplätzen interessiert zu sein. Und er konnte die Atmosphäre der Distanz, der Ablehnung, der Verachtung förmlich spüren, die von den anderen Piloten ausging. Inzwischen wußte wohl fast jeder im Geschwader über ihn Bescheid – oder glaubte jedenfalls Bescheid zu wissen. Und bestimmt würden auch die Techs und Bodentruppen bald mitbekommen, was mit ihm los war. Es hatte schon ein paar hochgezogene Augenbrauen wegen seines für einen Piloten unüblichen Ranges gegeben. Nächstens würde er sich wohl noch Sorgen darüber machen müssen, daß irgendwelche Marines sich um den „Verräter“ kümmerten. Egal was er bei den Piraten oder im Gefängnis gelernt hatte – es war mehr als wahrscheinlich, daß ihn ein Jarhead krankenhausreif prügeln konnte, wenn er wollte. Die Marines waren schließlich ausgebildet, Gegner mit bloßen Händen zu eliminieren... Und zudem würden sie - wie schon in Miramar - ihm wahrscheinlich nicht den Gefallen machen, alleine zu kommen...
Vielleicht sollte er sich betrinken, damit ihm wieder einfiel, was es wert war, sich wie der letzte Dreck behandeln zu lassen.
Cartmell blickte überrascht auf, als sich doch jemand neben ihn setzte. Einen Augenblick lang dachte er, irgendjemand wolle Streit anfangen und spannte sich instinktiv an – dann erkannte er den Gegenüber.
„Darf ich mich setzen?“
„Du sitzt bereits. Guten Abend Ohka.“ Cartmell musterte den jüngeren Piloten abwartend. Natürlich hatte der ihm geholfen, aber dennoch – sie waren keine Freunde und Cartmell glaubte den Blick zu kennen, mit dem ihn der Japaner ansah. ‚Die sind doch alle gleich...‘
Er bemerkte auch, im Gegensatz zu Ohka, daß einige Piloten in der Umgebung mißtrauisch herüberblickten und ihn und den Nighthawkpiloten alles anders als wohlwollend im Auge behielten.
„Sie helfen sich damit nicht.“
„Was?“ Cartmell war sich nicht ganz sicher, was Ohka meinte. Auf was genau spielte er an? Aber Kano fuhr schon ungerührt fort: „Sie helfen sich nicht damit, wenn Sie sich in Ihrem Trotz einkapseln. Das ganze Geschwader hat schon von Ihnen gehört – und davon, wie Sie sich geben. Keiner mag Sie besonders – und kaum einer traut Ihnen. Und wie Sie sich verhalten, das macht die Sache nicht besser. Sie fühlen sich ungerecht behandelt und stellen sich außerhalb des Geschwaders. Damit geben Sie den Vorurteilen nur Vorschub.“
Cartmell hatte mit wachsendem Unverständnis zugehört: „Was willst du mir eigentlich sagen?!“
„Sie sollten lernen, Ihre Schande zu akzeptieren. Sie sind gefangengenommen worden. Und jetzt haben Sie die Gelegenheit, sich reinzuwaschen. Sie sollten diese Chance nützen. Es ist nämlich die einzige. Und Sie sollten aufhören, sich in Ihrem Stolz gegen alle zu stellen. Diesen Kampf können Sie nicht gewinnen – und Sie beschmutzen nur Ihre eigen Ehre, entwerten Ihre Möglichkeit sich zu rehabilitieren.“
„Wozu zum Teufel erzählst du mir das?! Eine Schande, gefangengenommen zu werden? Was ist denn das für ein Blödsinn?“
Falls Ohka durch die Tatsache irritiert wurde, daß Cartmell ihn duzte, während Ohka den anderen mit „Sie“ anredete, zeigte er das nicht. Seine Stimme blieb ruhig, aber bestimmt: „Gefangenschaft ist eine Schande. Als die REDEMPTION wrackgeschossen war und wir nur noch warten konnten, wer uns findet – Unsere oder die Akarii – nun...wären es die Akarii gewesen, ich hätte mich nicht ergeben. Ihnen aber hat die Navy eine Chance gegeben, Ihren Fehler wiedergutzumachen.“
Cartmell starrte den Piloten an. ‚Er meint das ernst. Der meint das wirklich ernst.‘ Dann gewann die in ihm brodelnde Wut die Oberhand über seine Überraschung: „Was ist das für ein Scheiß?! Ich bin kein verrückter Japaner! Nicht in Gefangenschaft gehen!? Gott verflucht, Ohka! Glaubst du ich hätte eine WAHL gehabt?" zischte Cartmell, offensichtlich wütend über Ohka´s Worte. "Ich habe auf das Rettungsshuttle gewartet, habe darauf vertraut dass die Navy einen der Ihren nicht im Stich lassen würde. Statt dessen haben mich die Piraten besinnungslos und halb erfroren aus dem All gefischt." Die Schärfe in Cartmells Blick wurde für einen kurzen Augenblick von etwas überlagert, was Ohka als Schmerz zu identifizieren glaubte. Dann fuhr Cartmell fort. "Jedenfalls hätte unter diesen Umständen mit Sicherheit jeder die Hände hochnehmen MÜSSEN. Und was dich betrifft... Weiß eigentlich deine Schnalle von dem Scheiß, den du hier schwallst? Denn wenn sie dann was mit dir anfängt, dann hat sie was am Kopf!“
Jetzt zeigte Ohka eine Reaktion. Er schien sich zu spannen, ballte kurz die Fäuste. Seine Stimme wurde leiser, aber auch härter: „Helen hat damit nichts zu tun. Also halt den Mund über sie! Und was dich betrifft...
DU schuldest der Navy etwas. DU hast die Chance angenommen, deine Schande zu tilgen. Und wenn du jetzt wie ein kleines Kind rumtrotzt, diesen idiotischen Kleinkrieg im Geschwader führst, was bist du dann?! Statt die verletzte und verkannte Unschuld zu spielen und jedem Piloten ins Gesicht zu spuken, solltest du dich auf die PFLICHT konzentrieren. Warum bist du sonst hier?!“
Inzwischen war es für die anderen Piloten sichtbar geworden, daß da wohl keine freundschaftliche Unterhaltung ablief. Aber das war den meisten nur recht.
Nur das Bewußtsein, daß ihn der XO seiner Staffel und garantiert auch der Geschwaderchief liebend gerne eingebunkert oder in den Militärknast zurückgeschickt hätten, hielt Cartmell zurück.
„Ich schulde der Navy NICHTS! Die brauchten doch nur Kanonenfutter! Pflicht, Ehre – ich kann diesen Schwachsinn nicht mehr hören! Sie haben mich im Stich gelassen. Und dann war ich ihnen nur als Sündenbock gut! Ich SCHEISSE auf die ‚Ehre‘ der Navy. Und es gibt NICHTS was ich wiedergutzumachen hätte – GAR NICHTS! Und warum ich hier bin...
Ich will wieder fliegen. Lieber krepiere ich im Kalten Raum, als daß ich in diesem verdammten KZ versauere! DESHALB mache ich mit. Ansonsten kann mir die Navy am Arsch lecken!“
Ohka mußte spüren, daß Cartmell dicht davor war, gewalttätig zu werden. Aber er wich nicht zurück: „Wenn das Alles ist, wenn du nur deshalb bei uns bist – dann kann ich dich nur bedauern. Bedauern und verachten. Ohne Ideale, ohne Ziel...das ist zwecklos! Du wirfst dein Leben einfach weg, ohne Sinn. Wenn du da draußen stirbst – und für nichts kämpfst, an nichts glaubst, wenn du weiterhin dich außerhalb des Geschwaders stellst... Dann stirbst du alleine. Keiner wird um dich trauern. Und du stirbst sinn- und wertlos. Du stirbst - wie ein Pirat.“
„Verschwinde. SOFORT! Oder...“ Cartmells Stimme war nur noch ein dumpfes, wütendes Knurren. Er wollte nicht mehr hören, was dieser Idiot ihm glaubte sagen zu müssen. Er haßte sie alle.
Kano stand auf. Halb rechnete er, daß ihn Cartmell doch noch angehen würde und spannte sich instinktiv, um dem Angriff zu begegnen. Aber die Attacke blieb aus.
Tyr Svenson
Als Kano sich umdrehte stieß er beinahe mit Kali zusammen. Sie sah über seine Schulter kurz zu Cartmell hinüber und fokussierte dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf Kano: „Für jemanden, der es so mit den Dienstvorschriften hat, prügelst du dich ziemlich häufig.“
„Niemand hat sich geprügelt, Helen.“ Kanos Stimme klang allerdings immer noch gepreßt.
Kali grinste spöttisch. „Und wie weit warst du davon entfernt? Das wäre aber eine Leistung gewesen: vor dem Geschwaderchef einen Clinch anfangen...“
„Nach dem, was ich gehört habe, würde der Alte diesmal wahrscheinlich Beifall klatschen.“ Erstaunt stellte Kano fest, daß seine Anspannung schon fast wieder verschwunden war. Aber Kali schaffte das eben.
„Ich sollte wohl aufhören zu zählen, Samurai, wie oft du schon Streit angefangen hast. Los, komm mit. Huntress erzählt gerade den Frischlingen von unsrem Ausflug zum Tiger-Reservat. Das will ich nicht verpassen, was für Augen die machen, bei der Geschichte wie Demolisher praktisch von einem Tiger abgeschleckt wurde...“
Die Geschichte fand tatsächlich ungemeinen Anklang – es blieb Demolisher nichts übrig, als gute Miene zu machen. Inzwischen konnte er fast schon darüber lachen...
Die „Taufe“ wurde gemischt aufgenommen. Viele fanden sie natürlich lustig – vor allem, weil fast jeder eine ähnliche Prozedur über sich hatten ergehen lassen. Kano erinnerte sich sehr ungern daran. ‚Lieber würde ich mich mit Bambusstöcken prügeln lassen...‘
Aber das Lied fand allgemeinen Anklang. Mindestens zweimal wurde es wiederholt und den Refrain konnten selbst die, die das Lied nicht kannten.
***
An der Theke
Radio hatte sich inzwischen zu einem Entschluß durchgerungen. Im Gegensatz zu dem, was einige von ihm hielten, war er kein Idiot. Und was diese Verlobung des Alten betraf – das konnte ja nur eine sein. Mit leichten Schwierigkeiten versuchte er auf die Theke zu kommen. Höhnische Ratschläge begleiteten seine Bemühungen, während der Bartender versuchte, die Flaschen in Sicherheit zu bringen. Radio schaffte es endlich, als ihn irgendjemand an den Hintern griff und kräftig schob. Schwankend kam er auf die Beine und drehte sich um: „Danke, Schätzchen...“ und starrte auf einen bärtigen Hünen, der sich seine Rechte betont an der Theke abwischte. Radio mußten wohl die Gesichtszüge entglitten sein, denn seine Umgebung brach in wieherndes Gelächter aus.
Radio brauchte ein paar Sekunden, um sich daran zu erinnern, warum er hier herauf geklettert war. Die halbvolle Schampusflasche in seiner Hand löste die richtige Assoziation in seinem leicht benebelten Hirn aus: „WENN ICH NOCH EINMAL EINEN AUGENBLICK UM RUHE BITTEN DÜRFTE...“
Zahllose Gesichter wandten sich ihm zu. Einschließlich des Geschwaderchefs. ‚Und das sollte ja wohl so sein...‘
„LADIES und GENTLEMAN, nach dieser Taufe ist es mir... ein Vergnügen, einen Abschuß bekanntzugeben!“
Überraschung machte sich breit. Das hatte man nicht erwartet. Irgendjemand schrie: „RUHE! HIER KOMMT DER FRONTBERICHT!! RADIO BAMBUS!“ Was aus irgendwelchen Gründen ebenfalls Heiterkeit auslöste. Aber die meisten hörten zu, als Radio fortfuhr.
„Einen Abschuß, wie ihn nicht mal die besten Akarii-Piloten geschafft haben! Nicht mal der Rote Baron!
Millionen Frauen in unseren Streitkräften bricht es das Herz!
Den Abschuß von LONE WOLF! Die Siegesmarke geht an Melissa Auson, XO unserer alten Rostlaube, der REDEMPTION!“
Das löste johlenden Beifall aus. Viele hatten schon von der Verlobung des „Alten“ gehört. Außerdem waren die meisten momentan in der Stimmung, fast alles zu bejubeln.
„Trinken wir auf diesen Sieg! Und darauf, daß Auson für unseren Chef eine genauso gute Second in Command wird, wie für der REDEMPTION!“ Das löste einige Buhrufe von Pilotinnen aus.
Radio grinste breit, die Flasche schon halb am Mund: „WIR WISSEN NATÜRLICH ALLE, WER DIE REDEMPTION WIRKLICH GEFÜHRT HAT! PROST!!“
Die Piloten kamen der Aufforderung nach, solange sie noch in der Verfassung waren.
***
Crusader hatte Mühe, sich auf seinen Gegenüber zu konzentrieren. In seinem Kopf drehte sich alles. Er hatte zuviel und zu schnell getrunken. Irgendetwas hatte er seinem Wingleader melden sollen? Was war es bloß... Er kam nicht mehr drauf. Aber Ohka schien beschäftigt.
Er und eine dunkelhäutige Frau. Sie sah nicht schlecht aus, auch wenn er natürlich nie daran gedacht hätte, mit ihr anzubandeln – immerhin war er verheiratet...
Die beiden saßen ziemlich eng zusammen und schienen mehr als vertraut miteinander.
„Da hast du keine Chance...“ Crusader drehte sich um. Ein Jägerpilot grinste ihn an. Crusader konnte sein Gesicht nur verschwommen erkennen. Das Kasino schien leicht zu schwanken, wie auf einem richtigen Schiff.
Ein anderer Pilot schaltete sich ein, ein stiernackiger, bulliger Typ, das Gesicht gerötet: „Würde ich nicht sagen, bei der Inderschnalle. Hatte doch schon mal zwei laufen. Erst ‚Zimmergenossin‘ von Ace – und dann hat se sich auch noch von dem Japs abschießen lassen. Und zwar genau...“ er machte eine obszöne Geste.
Crusader schüttelte schwerfällig den Kopf: „Ich bin verheiratet. Und das ist mein Rottenführer...“
„Klar – Privileg des Kommando, was?!. Na, da hast du wenigstens die Kabine heute für dich alleine!“ Das löste Gelächter aus.
Plötzlich packte jemand Crusader an der Schulter. Es war einer aus seiner Staffel – Terry. Der junge, eher unauffällige Pilot wirkte unruhig: „Los komm mit, ich brauche mal Hilfe.“
Crusader folgte ihm.
Terry führte ihn zu einem abseits stehenden Tisch. Halb zusammengesunken lag Terrys Rottenführer Dutch über dem Tisch. Es STANK nach Alkohol. Der First Lieutenant hielt die Überreste einer zerbrochenen Flasche umklammert, seine Handfläche war zerschnitten. Mit blutunterlaufenen Augen starrte er – total betrunken – die beiden Piloten an. Seine Stimme war nur noch ein Lallen: „Jetzt... noch mal in ‘n Puff! So richtig!! Aber... nicht in der Stimmung zu...“
„Ist ja gut, kommen Sie schon!“ Die beiden Piloten zogen den First Lieutenant hoch und schafften ihn raus, während Dutch jetzt irgendein Lied zu grölen anfing. Crusader kannte die Sprache nicht. Auf dem Weg nach draußen kamen sie an dem Tisch vorbei, an dem sich ein Teil der Bomberpiloten drängten. Crusader bekam ein paar Wortfetzen mit: „...und da sagt der Erzbischof zum Chorknaben: ‚Zieh einfach an dem ersten Ding, das du in die Hand bekommst!“
Wieherndes Gelächter belohnte den Witz – und Crusader mußte mitlachen, daß er beinahe Dutch fallen ließ. Fast jeder hatte von dem „Bibeltick“ des Staffelführers der Bomberschwadron gehört.
Gemeinsam schleppten Terry und Crusader den Betrunkenen in die Kabine, die Dutch mit Terry teilte und hievten ihn in die Koje.
Crusader starrte auf den laut schnarchenden Lieutanant: „Dreh ihn auf die Seite, wir wollen doch nicht, daß er an seiner eigenen Kotze erstickt, wenn ihm schlecht wird.“
Terry murmelte irgendetwas Unflätiges, kam aber der Aufforderung nach. „Hoffentlich reiert er nicht alles voll. Toller Veteran!“
Innerlich gab ihm Crusader Recht. Aber wer wußte schon, mit was für Geistern der Mantikor-Veteran zu kämpfen hatte? Crusader zuckte mit den Achseln, schlug Terry kurz auf die Schulter und sah zu, daß er in seine Kabine kam. Er fühlte sich auch nicht besonders sicher auf den Beinen. Als er sich in die Koje fallen ließ registrierte er nur am Rand, daß Ohka tatsächlich noch nicht zurückgekommen war. Aber das war schon ganz gut so – sollte ihm auch noch schlecht werden, brauchte er nicht auch noch einen Zeugen...
Tyr Svenson
Donovan starrte zähneknirschend und brodelnd hinter Ohka hinterher. Als er sich umblickte, erkannte er den hämischen Blick einiger anderer Piloten, die sich zu freuen schienen, dass er schon wieder in einen Streit verwickelt worden war
Doch Donovan beachtete Sie nicht. Als sein erster Ärger verraucht war, schüttelte er seinen Kopf über sich selbst. Sicher, Ohka hatte eine Menge Müll von sich gelassen, vor allem den Schwachsinn mit der Gefangenschaft.
Aber war das ein Grund so aus der Haut zu fahren?
Je ruhiger Donovan darüber nachdachte, desto mehr musste er zugeben, das Ohka mit seinen Äußerungen Recht hatte. Er war – mal wieder – voll und ganz dabei sich ins Abseits zu manövrieren, das stimmte. Doch er konnte auch nichts dagegen tun, seinen über all die Jahre aufgebauten Hass gegenüber die Navy und alle ihre Mitglieder konnte er nicht so einfach abschütteln, als sei nichts geschehen. Und die Navy schien ihm auch nicht verzeihen zu wollen. Egal wo er hinkam, egal wie sehr er sich auch bemühte, sie sorgten immer dafür, dass er von allen Seiten traktiert. Und er gehörte nun mal nicht zu der Sorte Mensch, die lächelnd auch noch die andere Wange hinhielten.
Andererseits stellte sich auch ihm die Frage, wie lange er das ganze noch aushalten würde. Wie lange würde es diesmal dauern, bis er austickte? Und würde es dieses Mal bei einer Schlägerei bleiben oder würde vielleicht noch Schlimmeres geschehen?
„Ach zum Teufel mit der ganzen Bande,“ brummte er vor sich hin und beschloss zum Buffet zu gehen. An diesem Abend wurde alles von der Navy gesponsert. Also entschied er eben mizunehmen, was möglich war.
Am Buffet angekommen schnappte er sich noch einige von den leckeren panierten Garnelenschwänzen, den gebackenen Oliven-Speckröllchen und den anderen schmackhaften kulinarischen Leckerbissen. Sowas hatte er im Gefängnis natürlich nicht zu sehen bekommen und auch in Miramar hatte es das natürlich nicht gegeben. Er genoss es und für einen Augenblick war sein Ärger verflogen.
Am anderen Ende der Kantine hob ein lauter Lärm an, und Donovan drehte sich herum. Von der Ferne konnte er das wandelnde Hawaii-Hemd, seinen XO-Staffelführer Radio auf einen Tisch springen sehen und eine Taufzeremonie begann seinen Lauf zu nehmen.
Donovan interessierte sich nicht im geringsten dafür. Dieses alberne, erniedrigende Gehabe hatte er vor einer halben Ewigkeit hinter sich gebracht und war nicht darauf erpicht dieses auf Schadenfreude und Häme basierendes Ritual auch noch indirekt durch seine Anwesenheit zu unterstützen.
Einige andere erfahrene Piloten schienen das ähnlich zu sehen und verliessen entweder die Party oder orientierten sich so weit weg wie nur möglich von diesem Spektakel. Allerdings war diese Gruppe wie zu erwarten eher in der Minderheit. Die meisten Angehörigen der Angry Angles gesellten sich zu dem johlenden Mob, der einer nicht zu beneidenden Pilotin bei ihrer Taufe zusahen.
Donovan wandte sich ab und hielt Ausschau nach den Getränken. In einem der umliegenden Einskübel fand er, wonach er suchte. Eine schöne eiskalt gekühlte Flasche Gin. Wo Gin war, konnte Wermut nicht weit sein, dachte er sich und tatsächlich schien jemand anderes auch ein Faible für einen ordentlichen Martini zu haben, denn sowohl ein exzellenter, ebenfalls gekühlter Wermut als auch eine Schale grüner Oliven sowie passende Gläser befanden sich in Greifweite. Es fehlte ihm zwar jetzt noch ein Shaker zu seinem Glück, aber da er den nicht finden konnte, schenkte er sich den Gin so ein, liess einen Spritzer Wermut folgen und garnierte dass ganze mit einer aufgespiessten Olive.
`Dann eben nicht geschüttelt, nur gerührt` schoss es ihm durch den Kopf und noch während er sich fragte woher er diesen Ausdruck kannte, wurde er durch ein freundliches „Hey, ein Martini! Klasse, krieg ich auch einen?“ in seinen Gedankengängen unterbrochen.
Verdutzt drehte sich Donovan zu der weiblichen Stimme an seiner Seite um und es dauerte ein paar Sekunden ehe er begriff, dass sie mit ihm gesprochen hatte. Vor ihm stand eine mindestens einen Kopf kleinere Pilotin mit einer wuscheligen braunen Kurzhaarfrisur, einem hellen Teint, der über und über von kleinen Sommersprossen gesprenkelt zu sein schien und einem kessen Grinsen auf den Lippen.
„Na, teilst wohl nicht gerne, was?“ lächelte sie ihn an, verschränkte gespielt beleidigt die Arme vor der Brust und Donovan fiel auf, dass er sie anstarrte.
„Ähmm, nein klar…, warte…“ stotterte er ein wenig herum und drückte ihr reichlich irritiert sein Glas in die Hand. Sie bedankte sich brav und ihm fiel auf, dass auch ihre blassblauen Augen von kleinen goldenen Sommersprossen gesprenkelt zu sein schienen.
„Willst du nicht mit mir anstossen?“ fragte sie lachend und Donovan fühlte wie er ein wenig rot wurde, als er ein „Ja, klar… warte“ stammelte und sich einen neuen Drink mixte. Dabei versuchte er aus den Augenwinkeln zu erkennen, ob sie von irgendjemandem beobachtet wurden.
Machte sich da jemand einen Jux mit ihm? Wahrscheinlich würde sie ihm gleich den Drink ins Gesicht schütten und dann würden sich sie und ihre Freunde kaputt lachen.
Doch niemand um sie herum schien sich für sie zu interessieren. Alle anderen anwesenden Piloten waren damit beschäftigt der immer noch andauernden Taufe je nach Gefühlslage belustigt oder abgestossen zuzusehen.
Als er dann seinen Drink fertig hatte, prosteten sie sich stumm zu und genossen den eiskalten Drink.
Dabei versuchte er in ihrem Blick zu erkennen, ob sie wußte, wer er war. Doch ehe er etwas erkennen konnte, drehte sie sich mit einem „Hmmm, der ist lecker!“ zu dem lauten Spektakel am anderen Ende der Kantine um. „Albern was?“ zeigte sie nach einer kurzen Weile kopfschütteld in die vor ihnen stehende Menge.
Donovan betrachtete die Pilotin neben ihr nur aus den Augenwinkeln. Sie schien selbst noch nicht sehr alt zu sein und Donovan fragte sich, ob ihr diese Taufe vielleicht noch bevorstünde.
„Meine habe ich zum Glück schon letztes Jahr gehabt,“ fuhr sie fort und beantwortete damit seine Frage, so als hätte sie seine Gedanken gelesen „die Idioten haben meine Schwingen in einen Riesenbottich gefüllt mit Wodka-Wackelpudding versenkt, den ich natürlich auslöffeln musste, um sie wieder zu bekommen.“ Sie lachte herzhaft und das Lachen war ansteckend.
„Und wie war´s bei dir?“ fragte sie immer noch fröhlich.
Donovan mußte wirklich überlegen, wie es bei ihm gewesen war, so lange war das schon her und so viel war seitdem passiert. Dann fiel es ihm wieder ein „Naja, nichts besonderes. Einen der üblichen Saufparcours, bei dem man einige Hindernisse überwinden und dabei in kürzester Zeit Unmengen von Schnaps und Bier, trinken muß, so dass man am Ende nur noch herumtorkelt.“
„Ja, die kenn´ ich.“
Beide nippten wieder an Ihren Martinis und Donovan fragte sich immer noch, wieso die Pilotin so nett zu ihm war. Dann drehte sie sich zu ihm um. „Ach ja, entschuldige“ grinste sie und hielt ihm ihre Hand hin. „Ich bin Lydia Quartero, Callsign Freckles.“
Donovan musste bei ihrem Callsign ungewollt losprusten, was ihm sofort peinlich war. Doch Lydia entschärfte die Situation gleich, indem sie bewußt beleidigt spielte. „Jaja, lach du nur. Das man mir wegen meiner Sommersprossen dieses Callsign gegeben hat, ist ja schlimm genug. Aber das jeder darüber gleich ins Lachen kommt, ist echt ´ne Strafe.“ Ihr anschliessendes Lachen zeigte ihm aber, das sie es nicht allzu schlimm finden konnte.
„Wie heisst du eigentlich?“ erinnerte sie Donovan daran, dass er sich noch gar nicht vorgestellt hatte.
Einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er lügen sollte, ihr einen anderen Namen oder ein anderes Callsign nennen sollte. Aber das wahr Unsinn, spätestens ein Blick auf sein Namensschild würde ihn verraten und früher oder später würde sie es eh herausfinden.
„Tschuldige, ich bin Donovan“ begann er also zögerlich und gespannt während er ihre ausgestreckte Hand ergriff „Donovan Cartmell, Callsign Noname.“
„Schön dich kennen zu lernen, Donovan“ kicherte sie „und vor allem schön deine Martini´s kennen zu lernen. Machst du mir noch einen?“ fragte sie weiter fröhlich lächelnd und hielt ihm ihr leeres Glas hin.
Donovan nickte nur und mixte ihr den Drink. Alle möglichen Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Konnte es wirklich sein? Hatte sie denn wirklich keine Ahnung, dass ihr in diesem Augenblick der wohl am meisten verachtete Mann dieses Geschwaders gegenüber stand? Oder spielte sie nur ein abgekartetes, falsches Spiel mit ihm?
„Du bist bei den Jägern?“ fragte sie unvermittelt.
„Ja bei der roten Staffel, Phantome!“
„Hmm, ist das nicht die Staffel des CAG?“
Donovan nickte und runzelte gleichzeitig die Stirn. Wie konnte es sein, dass Sie so wenig über die Angry Angels zu wissen schien.
„Ich bin noch nicht lang bei den Angels,“ grinste sie und wieder war Donovan verwundert, das sie scheinbar seine Gedanken lesen konnte „ich bin BN bei den Rafales und gerade erst vor zwei Wochen als Ersatz für einen Piloten dazu gekommen, der in einen Unfall verwickelt worden ist und nicht hat mitkommen können. Sein Pech, mein Glück.“ Sie zuckte kurz mit den Schultern. „Jedenfalls kenne ich also noch nicht mal wirklich den Rest der Crew, geschweige denn die Staffel oder das Geschwader.“
Damit wurde Donovan schlagartig einiges klar. Darum schien sie niemanden, auf der Party zu kennen und daher wußte sie nichts über ihn. Er fing an sich in ihrer Nähe langsam zu entspannen.
Aber nicht vollkommen. Im Laufe der Jahre hatte man ihm zu häufig Streiche gespielt und wer sagte ihm, das es dieses Mal anders war, das ihre Story stimmte und sie wirklich nicht wußte wer er war. Es schien ihm fast zu viel Zufall und Glück im Spiel zu sein.
„Öde Party, oder?“ begann die kesse Rafale-Pilotin erneut „Was meinst Du, wollen wir vielleicht das Martini-Zeug mitnehmen und woandershin verschwinden?“
Augenblicklich gingen bei Noname die Alarmglocken an. Genau das passte in das Schema. Die Unschuldige spielen, ihn in irgendeine dunkle Ecke locken wo ihre Freunde bereits warteten und ihn dann dort seelenruhig fertig machen. Früher wäre er mal darauf reingefallen, doch dieses Mal nicht.
Er rückte von Ihr ab, verschränkte die Arme vor der Brust und zischte „Woanders hin? Ach ja? Und warum?“
„Na hab ich doch gesagt, hier ist es mir zu langweilig und primitiv“ ihre Worte wurden wie zur Bestätigung von lautem Johlen der Menge fast übertönt „und du scheinst ganz nett zu sein. Und da ich sonst keinen kenne…“ Sie zuckte immer noch freundlich lächelnd die Schultern und nippte an ihrem Glas, während ihre wunderschönen Augen Donovan fixierten.
Er war irritiert. Die Vernunft riet ihm nicht darauf einzugehen. Die Gefahr Schaden zu erleiden war viel zu groß. Andererseits sagte ihm sein Instinkt, dass sie vollkommen authentisch geklungen hatte. Irgendwas an ihr flösste ihm Vertrauen ein. Er wußte selbst nicht genau warum, aber er lockerte seine Haltung und fragte nun deutlich freundlicher „Und was schwebt dir denn so vor?“
Ihr Grinsen wurde noch breiter – was er für gar nicht mehr machbar gehalten hatte – als sie antwortete. „Vertrau mir, ich hab da etwas gefunden, dass dir sicher Gefallen dürfte.“
Einen Augenblick stand Donovan unschlüssig neben Ihr. Doch dann schnappte er sich einem inneren Impuls folgend die Martini-Utensilien und folgte ihr.
Er würde herausfinden müssen, ob die Entscheidung die richtige war oder nicht.
Tyr Svenson
Der Haupthangar der COLUMBIA lag unterhalb des eigentlichen Start und Landedecks und damit im stärker geschützten „Bauch“ des Flottenträgers. Die Jäger und Bomber wurden vornehmlich hier „geparkt“ und erst kurz vor ihren Einsätzen durch mehrere gigantische Lastenaufzüge nach oben gebracht, wo Sie bemannt, betankt und aufmunitioniert wurden. In der Regel befanden sich daher 2/3 der Jäger, Jagdbomber und Bomber auf dieser Ebene um das Chaos auf dem Hauptdeck einigermaßen erträglich zu halten.
Das war auch der Grund, warum es hier im Hangar deutlich ruhiger zuging als auf dem eigentlichen Flugdeck. In der Regel hielt sich hier nur das technische Personal auf. Piloten war der Zugang zwar nicht verwehrt, aber es war doch eher ungewöhnlich. Doch Donovan und Lydia mussten sich nicht sonderlich sorgen machen stark aufzufallen. Erstens war im Moment kaum was los, da keine der Maschinen zum Starten bereit gemacht wurde und zweitens betraten die beiden Navy-Piloten den Hangar auf der oberen Balustrade knapp unterhalb der Decke. Von hier aus hatte man Zugang zu den unterhalb der Decke angebrachten Hebekränen, von denen die meisten im Moment am Rand parkten. Das ausgetüftelte Hebekransystem war an Magnetschienen an der Decke platziert worden und so angebracht, das man mit ihm wie mit einem Schienennetz jeden Winkel des Hangars erreichen konnte.
Donovan, der Lydia bisher vorsichtig gefolgt war - er machte sich schliesslich immer noch Sorgen, das sie ihn in eine Falle locken könnte – blieb stehen, trat an das Geländer der an der Wand verlaufenden Balustrade und schaute herunter auf den beeindruckenden Anblick zu seinen Füßen. Der Großteil des Geschwaders standen unter ihm, alle wie es schien millimetergenau in mehrere Reihen geparkt.
Ein leises „Wow“ entfuhr seinen Lippen. Er war hier bisher noch nicht gewesen war und er wäre wohl auch sonst wohl nie hergekommen, wenn er nicht einer angetrunkenen Bombernavigatorin hinterhersteigen würde.
Diese trat jetzt lächelnd an seine Seite und flüsterte „Komm schon, es geht noch besser“.
„Ist gut“ flüsterte Donovan zurück und folgte ihr leise. Er hatte das Gefühl in einer alten Kathedrale zu sein, in der jedes Laut gesprochene Wort ein Sakrileg wäre.
Sie gingen noch ein wenig die Balustrade entlang, bis sie an einer der Stirnseiten des Hangars angekommen waren. Dort wurde die Balustrade etwas breiter und bot damit Platz für einen zwei Mal zwei Meter großen würfelförmigen und nach vorne und unten komplett verglasten Kontrollraum. An diesem blieb Lydia stehen, drückte Donovan kommentarlos die von ihr getragenen Shakerutensilien in die Hand und kletterte an ein paar seitlich angebrachten Metallsprossen auf das Dach des momentan unbesetzten und nicht bis ganz an die Decke ragenden Kontrollraums.
Donovan runzelte die Stirn und schaute Lydia unschlüssig hinterher. Nach einem Hinterhalt sah das Ganze nun wahrlich nicht aus. `Na vielleicht will Sie mich von dort auch einfach nur hinunterschubsen`schoss es ihm durch den Kopf und augenblicklich schalt er sich selbst für diese Paranoia.
„So,“ flüsterte sie von oben herab „gib mir die Sachen und komm rauf. Oder hast Du etwa Höhenangst“ und kicherte schliesslich.
Donovan verdrehte die Augen in gespielter Empörung und kletterte ihr nach. Aus welchem Grund auch immer hatten die Konstrukteure des Schiffs die Kontrollkabine nicht direkt an der Decke angebracht. Es war somit ein fast ein Meter fünzig hoher Spalt entstanden, der von unten nicht einsehbar war und indem sie es sich nun im Schneidersitz hockend gemütlich gemacht hatten. Nur ein in ihrer Nähe fund damit ebenfalls knapp unter der Decke fahrender Kranfahrer hätte sie entdecken können. Da im Moment aber keiner der Kräne unterwegs war, waren sie erstmal vor Entdeckung sicher.
„Wie hast Du das hier gefunden?“ fragte Donovan nach ein zwei Minuten stillen Geniessens des Ausblicks.
„Weißt Du, ich bin in Montana aufgewachsen und die Abgeschiedenheit der Rocky´s ist einfach gigantisch. Warst Du schon mal dort?“ Donovan schüttelte nur den Kopf und sie fuhr fort zu erzählen „Ich bin – wenn Du es so willst – mitten im Wald aufgewachsen und seit meiner jüngster Kindheit gewohnt meine Umgebung zu erforschen. Das habe ich auf der Akademie so gemacht, auf dem Träger , auf dem ich vorher war und hier jetzt genauso. Das mache ich solange bis ich jeden mir zugänglichen Fleck auf diesem Schiff kenne und dann suche ich mir die ruhigsten, abgeschiedensten Plätze aus, um mich zu entspannen.“
Donovan fand, dass Sie zuviel redete um sich wirklich entspannen zu können, sagte aber nichts. Irgendwie fand er ihr Geschnatter sogar mehr als nur nett. Vielleicht war es auch einfach nur die Tatsache, dass Sie ihn als bisher einzige an Bord einfach nur als Menschen behandelte.
„Es gibt bestimmt noch schönere Plätze als diesen an Bord. Zum Beispiel würde ich gerne einen Fleck finden, der genau so abgeschieden ist und von dem aus man das Weltall bestaunen kann.“
„Nimm doch die Aussichtsplattform…“
„Die ist aber nicht abgeschieden und ruhig. Magst du das Weltall?“
Donovan blickte ihr tief in die Augen „Ich liebe es. Es gibt fast nichts schöneres.“ Er wußte nicht warum er das gesagt hatte und dann auch noch in diesem furchtbar sentimental-romantsichen Tonfall. Vielleicht flirtete er nur mit Ihr um ihre Reaktion zu testen. Oder um zu sehen, ob er es überhaupt noch konnte. Das letzte Mal war schon so verdammt lange her. Er verdrängte den Gedanken daran so schnell es ging, vor allem weil diejenige Person inzwischen tot war…
Lydia hatte seine Anspielung anscheinend ebenfalls verstanden und hatte sich etwas errötet, aber immer noch lächelnd auf den Bauch gelegt und schaute nun herunter auf die in Reih und Glied stehenden Kampfmaschinen.
„Machst Du uns noch ein paar Cocktails“ fragte Sie und Donovan machte sich nickend und beruhigt an die Arbeit.
Jetzt war es klar, dass Sie wirklich keine Hintergedanken bei der ganzen Sache gehabt hatte.
Zwei Stunden später torkelte Noname in seine Kabine, die er zum ersten Mal grinsend betrat. Sein Zimmergenosse schnarchte bereits, wahrscheinlich ebenfalls voll wie eine Haubitze.
Donovan zog seine Sachen aus und warf sich in seine Koje. Er würde in nicht allzu langer Zeit schon wieder auf den Beinen sein müssen, aber zum erstenmal an Bord machte es ihm nicht das geringste aus.
Er und Lydia hatten sich lange und ausgiebig unterhalten, gescherzt und gelacht und zumindest für den Augenblick ihren stressigen Alltag und die Tatsache, dass sie sich im Krieg befanden vergessen. Wie fast immer bei Frauen war es hauptsächlich Lydia gewesen, die von sich erzählt hatte. Donovan musste Lächeln, als er sich ihr Gesicht wieder vor Augen führte. Die Welt um ihn herum fuhr Karussel und Donovan hoffte, dass dies nur auf die Auswirkungen des Alkohols zurückzuführen war.
Doch dann fiel ein Schatten über sein Gesicht. Das Gespräch war zwar sehr schön gewesen, doch hatte es in dem Moment ein abruptes Ende genommen, als sie begonnen hatten ihm Fragen zu stellen. Donovan hatte es nicht fertig gebracht zu lügen. Wie auch, es hätte eh keinen Sinn gehabt. Aber er hatte es auch nicht geschafft ihr die Wahrheit über sich zu sagen. Stattdessen hatte er die Flucht ergriffen und sich mit einem frühen Aufstehen entschuldigend verabschiedet.
Früher oder später würde er ihr sagen müssen, wer er war und für wen er gehalten wurde. Doch für heute nacht hielt er das schöne Gefühl fest und schlief das erste Mal seit einer Ewigkeit wieder mit einem Gefühl ein, dass man Zufriedenheit nennen konnte.
Tyr Svenson
Am nächsten Tag war sein Kater zwar größer als ihm lieb war. Aber seine Laune war so gut, dass ihn nichtmal Skunks ätzende Bemerkungen störten. Grinsend verrichtete er seinen Dienst - einen langweiligen Patroullienflug – und ein Gedanke schoss ihm immer wieder durch den Kopf. Er fragte wie es wohl sein würde, wenn er Lydia wieder treffen würde. Er hatte bei Ihr den Eindruck endlich jemanden gefunden zu haben, der sich nicht um die ganzen Gerüchte scherte und dem es egal war, wer er war oder besser, für wen ihn die anderen hielten. Er war sich sicher, dass sie ihn in erster Linie als Menschen und vielleicht sogar als Freund sah. Wenn sich daraus vielleicht sogar mehr entwickeln sollte, war ihm das auch Recht, aber daran mochte er jetzt gar nicht denken.
Sie kannte noch kaum jemanden an Bord und Donovan machte sich Hoffnungen, dass Sie deswegen Freunde werden konnten.
Als sein Dienst vorbei war, machte er sich frisch und auf den Weg in die Kantine. Sie hatte ihm gesagt, dass er ja nach seinem Einsatz sich zum Essen treffen konnten.
Als er die Kantine betrat, war diese schon wieder komplett aufgeräumt und alles sah so aus als wäre nie etwas gewesen. Er ging er nicht direkt zur Essensausgabe sondern schaute sich erstmal ertwas um. Es war sehr voll, eine der Hauptstosszeiten in derer die Kantine besonders stark besucht war. Für einen Augenblick dachte Donovan, dass es vielleicht nicht so klug war sich ausgerechnet jetzt mit ihr zu treffen. Aber in dem Augenblick erkannte er Sie an einem der Tische inmitten ihrer Kameraden sitzen, so dass es jetzt kein Zurück mehr für ihn gab. Zumal sie ihn auch gesehen zu haben schien, zumindest schaute sie in seine Richtung.
Er hob die Hand zum Gruß und machte sich lächelnd auf den Weg zu ihr.
Auf halbem Wege bemerkte er, dass irgendetwas nicht zu Stimmen schien. Sie hatte seinen Gruß nicht erwidert, im Gegenteil, sie hatte sich zu einer Kameradin neben ihr gebeugt und ihr etwas ins Ohr geflüstert. Daraufhin beugte sich diese vor und gab den um sie herum sitzenden Piloten ein Zeichen.
Er war nur noch knapp zehn Meter von Ihnen entfernt und konnte nun Lydia´s Gesichtsausdruck erkennen. Und was er sah, gefiel ihm ganz und gar nicht, denn aus ihren Augen schien purer Hass zu sprühen. Er blieb stehen, seinen Blick fest auf sie gerichtet, sein Lächeln mittlerweile im Gesicht erfroren. Als alle am Tisch Anwesenden aufstanden, verlor er Lydia einen Augenblick aus den Augen, versuchte sie weiter anzublicken, bis er er erkannte, dass sich die anderen Piloten begonnen hatten um ihn herum aufzustellen.
Da er Lydia deswegen nicht mehr sehen konnte, wollte er ein paar Schritte nach vorne zu ihrem Tisch gehen. Er wollte zumindest mit Ihr reden, obwohl er im Grunde nicht wußte, was er hätte sagen können.
Doch soweit kam es erst gar nicht, da sich einer der Piloten ihm direkt in den Weg stellte. „Lass Sie in Ruhe“ zischte der Pilot, um den es sich seinem Namensschild nach zu urteilen um 2nd Lt. A. Obasanjo handelte und der anscheinend direkt zum Punkt kam.
„Misch dich nicht ein“ zischte Noname den deutlich jüngeren, wenn auch ranghöheren Offizier an. Dieser plusterte sich dadurch – in seiner Ehre gekränkt – noch etwas weiter auf, doch bevor er etwas weiteres unternehmen konnte, zog ihn die inzwischen aufgestandene Lydia mit den Worten „Lass mich da machen, One“ beiseite.
Einen kurzen Augenblick keimte Hoffnung in Donovan auf. Die Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch wenigstens kurz mit ihm sprechen würde, wenn auch vor all diesen Leuten.
Sie kam direkt an Ihn heran und wie aus dem Nichts pfefferte sie ihm eine schallende Ohrfeige mitten ins Gesicht. Donovan war so überrascht un perplex, das er nichtmal mit der Wimper zuckte.
„Verpiss dich, verdammter PIRAT“ brüllte Sie und eine andere Pilotin neben Ihr musste Sie an den Schultern festhalten, damit Sie nicht noch weiter ging.
Donovan war geschockt. Unbewußt hatte er geahnt, ja es auch gewußt, dass sie es erfahren würde. Aber er hatte es verdrängt, so sehr verdrängt, dass ihn ihr jetziges Verhalten vollkommen aus der Bahn warf. Der gemeinsame Abend war einfach zu schön gewesen um mit so einer wilden Reaktion zu rechnen.
Seine Wange brannte und Donovan spürte, dass er im Moment ein jämmerliches Bild bieten mußte. Da stand er nun inmitten der voll besetzten und nun ungewöhnlich ruhigen Kantine mit hochrotem Kopf und alle hatten Lydia´s Wutausbruch erlebt. Auch wenn es albern war, er spürte, dass er den Tränen nahe war. Von all den Schmähungen, Beleidigungen und Erniedrigungen die er in den letzten 10 Jahren erlebt hatte, traf ihn diese am tiefsten. So tief, dass er das Gefühl hatte in einen Strudel des Hasses gezogen zu werden.
Hass auf die Navy, auf ihre Angehörigen und Hass auf sich selbst. Dass er hatte so naiv sein können, das er sich so verletzlich gemacht hatte.
Er spürte förmlich, wie etwas in ihm zerbrach und ohne auch nur ein Wort zu sagen, eine Regung zu zeigen oder die unverhohlenen Blicke der Abneigung, die ihm von allen Seiten zugeworfen wurden wahrzunehmen, drehte er sich um und machte sich auf den Weg in seine Kabine.
Auch wenn er sich das selbst nicht eingestehen wollte, so wußte er, dass er an dieser Sache noch sehr lange zu knabbern haben würde.
Tyr Svenson
Ein paar Tage später
Radio betrat den Besprechungsraum der Rafale-Gruppe.
Die Piloten, Bordschützen und Elektroniker arbeiteten wieder mal daran, wie sie ihr eigenes ECM verbessern konnten und wie man das der Akarii durchbrechen könnte.
"Hey, Irons, der Häuptling will Dich sprechen", log Radio der älteren Lieutenant Commander offen ins Gesicht.
"Murphy oder der CAG?" McGill hackte ohne aufzublicken weiter auf die Tastatur vor ihr ein.
"CAG."
Die Rafael-Cheffin stürzte noch ihren Kaffee hinunter und verließ dann grummelnd den Raum.
Radio blickte ihr kurz nach, trat dann in den Raum und wartete bis die Tür sich geschlossen hatte.
"Okay meine Damen und Herren, ich bitte kurz um Ihre Aufmerksamkeit", begann er in bester Marktschreierart. Alle drehten sich zu ihm um und hörten mit ihrer Arbeit auf. Es hatte eindeutig was für sich, als Klatschtante verschrieen zu sein.
"Wer von Ihnen ist Lydia Quartero?"
Eine junge Pilotin erhob sich. Sie schien etwas verunsichert zu sein: "Das bin ich."
"Okay Miss, Sie haben die Öffentlichkeit als Forum gewählt, daher: Sollten Sie noch mal einen meiner Piloten schlagen, hänge ich Ihnen ein Verfahren an den Hals. Und sollte es explizit noch einmal Ensign Cartmell treffen, kommt neben dem ungebührlichen Verhalten für einen Offizier der TSN § 87 MSGB, Militärstrafgesetzbuch, auch noch das Schlagen eines Untergebenen Offiziers § 92 hinzu. Und wenn wir wie das letzte Mal es in der Öffentlichkeit veranstalten, haben wir noch Angriff auf die Würde des Menschen. Jaja, da käme dann eine Menge auf Sie und Ihre Karriere zu."
Quartero starrte ihn mit offenem Mund an.
"Jetzt blas Dich mal nicht so auf, du Arsch", es war Lieutenant Geoffry St. John Dubois der für seine Kameradin Partei ergriff. "Glaubst Du ernsthaft, irgendwer wird ihr was anhängen, weil sie diesem Drecksack ne Backpfeife verpasst hat? Und selbst wenn, dann behaupten wir einfach, er hätte sich gegen ihren Willen an sie rangemacht."
Radio grinste: "Paragraphen 97 - 102 MSGB, Falschaussage und Anstiftung zur Falschaussage, nicht unter 4 Jahre auf Bewährung. Und ja, bei so was kann man Dich zu einem Lügendetektortest zwingen, Freundchen. Also liebe Leute, solltet Ihr also ernsthaft daran Interesse haben, einem meiner Jungs und Mädels aufs Dach zu steigen, zieht Euch warm an, ich röste Euch auf großer Flamme."
Radio salutierte noch einmal spöttisch in die Runde und machte sich dann vom Acker ehe Irons zurückkam. Ein Glück, wenn man das Militärgesetzbuch öfter gelesen hat, als das Protokoll für den Dienst in Friedenszeiten.
Tyr Svenson
Die grüne Staffel hatte sich um ihre Chefin versammelt. Auch wenn die Staffel nicht wirklich eine verschworene Gemeinschaft war, so gab es doch ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl. Bei allen Verlusten waren immer noch sechs Piloten dabei, die seit der Gründung der Einheit in der Staffel geflogen waren. Und die Neulinge waren immer mehr oder weniger gut integriert worden. Außerdem, eine solche Gelegenheit zum Feiern schweißte zusammen, da vergaß man mitunter die kleineren Antipathien des Alltags.
Allerdings war die Freude bei einigen der Flieger nicht ganz ungetrübt. Lightning hatte sich über einiges, was sie zu hören bekommen hatte, nicht wenig geärgert. Manche der Ausdrücke, mit denen sie ihre „blaue Schwester“ in Gedanken bedacht hatte, entsprachen ganz und gar nicht ihrem kultivierten Naturell. Aber sie hatte es so aufgefaßt, als hielte Huntress ihr vor, dir eigene Staffel vernachlässigt zu haben. Und DAS ließ sich niemand gerne sagen. Dazu kam, daß sie auch ein oder zwei Kommentare von Dritten gehört hatte, in ihrer Staffel klappe es noch nicht so recht mit der Zusammenarbeit. Sie hatte bisher nicht sehr viel darauf gegeben – immerhin wußte sie selber am besten, wie gut oder schlecht ihre Einheit war. Und auch wenn sie weit von jeder Perfektion entfernt war, so hatte sie doch keineswegs als Geschwaderletzte dagestanden. Aber wenn etwas in der Richtung, nicht wortwörtlich aber doch implizit angedeutet, von einer Kollegin kam...
Auch wenn die noch ein relatives Küken auf ihrem Posten war, sich allerdings nach ihrer ersten Schlacht als Staffelchefin schon als die große Veteranin gebärdete – das durfte einfach nicht passieren.
Also hatte sie, in guter alter Navymanier, den Ärger ein wenig nach unten „weitergereicht“. Nicht so richtig, indem sie einen Untergebenen vollkommen „fertiggemacht“ hätte, dazu war sie denn doch zu menschlich. Sagte sie sich jedenfalls hinterher. Aber sie hatte Lilja in ihr Büro zitiert, und die Russin aufgefordert, das Training in den nächsten Tagen noch zu intensivieren. Einige ihrer Worte hatten als Kritik an Liljas bisheriger Arbeit aufgefaßt werden können. Und da die jüngere Pilotin in der Hinsicht extrem dünnhäutig war, und sich immer noch mit einer gewissen Unsicherheit ihrer eigenen Qualifikationen für ihre augenblickliche Aufgabe herumschlug, hatte sie auch prompt reagiert.
Das zackige Auftreten und das schneeweiße Gesicht der XO hatte Lightning nur zu deutlich gezeigt, daß ihre Worte getroffen hatten. Sie hatte fast ein schlechtes Gewissen gehabt, denn sie wußte, wie ernst Lilja ihre Aufgaben nahm. Aber dennoch – sollte an dem Gemecker etwas stimmen, dann war dies auch Liljas Schuld. Also hatte sie nichts weiter hinzugefügt. Die Russin hatte ihr einen überarbeiteten Trainingsplan eingereicht, der noch ein paar zusätzliche Übungsrunden vorsah und gerade noch im Rahmen des erträglichen lag. Lightning hatte ihn akzeptiert und in Kraft gesetzt. Solche Kritik wollte sie nicht noch einmal hören.
Aus diesem Grund waren die beiden „hohen Damen“ der Staffel keineswegs so froh gestimmt, wie das Ereignis es erfordert hätte. Lightning trug noch ein wenig an ihrem Groll gegenüber Huntress, und rang noch mit sich, ob sie ihrer Kollegin nicht ein paar direkte Worte sagen sollte. Etwa darüber, daß man als Offizier nicht nach dem Motto vorgehen durfte „Ich muß meine Fehler alleine machen, sonst lerne ich es nie!“ – schließlich ging es hier um Menschenleben. Oder, daß ein vernünftiger Offizier immer die Worte eines erfahreneren zumindest anhörte. Es war ja nicht so, daß sie Huntress vor versammelter Mannschaft belehrt und bemuttert hätte. Sicher, daß Mädchen mußte auch einmal erwachsen werden – aber war DAS ein Zeichen davon?
Lilja haderte mit sich selbst und hatte Angst, nicht nur ihrer Pflicht nicht gerecht geworden zu sein, sondern auch ihre verantwortungsvolle Stelle riskiert zu haben. Ein Verlust ihrer Position als XO würde sie – wenn es kein anderer tat – als Demütigung auffassen, ähnlich wie ihre Versetzung in die Etappe zu Anfang des Krieges. Und nicht für voll genommen zu werden, gehörte zu den Dingen, die sie schlecht vertrug.
Allerdings merkte man es den beiden Frauen kaum an. Lightning hatte einfach eine recht charismatische Art und verstand es, ihren Ärger gehörig von sich „wegzuschieben“. Lilja wiederum lief sowieso, auch auf Festen, herum wie drei Tage Regenwetter. Jedenfalls häufig. Dahingehend war bei beiden ein größerer Unterschied zum mehr oder minder beliebten Normalzustand kaum festzustellen.
Lightning jedenfalls tat das ihre, um der Staffel ein ordentlichen Fest zu bieten. Sie brachte ja auch sonst ihren höheren Rang nicht sehr zur Geltung, wo es sich vermeiden ließ, und hier benahm sie sich wie ein ganz normales Staffelmitglied. Zudem hatte sie der ganzen Einheit, inklusive Lilja, ein Friedensangebot mitgebracht für die harten Übungen, die sie bereits hinter oder noch vor sich hatten. Das Konfekt fand reißenden Absatz bei den Soldaten – SO gut speiste man auch auf einem Flottenträger neuster Bauart nicht, und auch zu Hause selten, was das anging. Und ein oder zwei Freirunden gab es auch dazu...
Imp hatte das aktuelle Hauptgesprächsthema aufgegriffen und spöttisch gefragt, ob die Schokolade denn von einem Verehrer sei, und es Lightning dem von ihr so sehr als Vorbild geschätzten Geschwaderchef gleichtun wolle und kurz davor stünde, sich für ihr weiteres Leben einen Wingman auf Dauer zuzulegen.
Was natürlich für einige Heiterkeit gesorgt hatte. Die Staffelchefin hatte schallend gelacht und erklärt, das Geschenk sei einfach von einer Schülerin, die ihre Lektionen mit begrenzter Dankbarkeit akzeptiert hatte. Die anderen hatten natürlich nicht verstanden, was sie meinte. Lightning aber hatte ihren Ärger beim Gefrotzel der Piloten vergessen, und beteiligte sich lebhaft am Gespräch, wobei sie Lone Wolfs zukünftiger „vertraulich“ ihr Beileid aussprach – nur eine Drillexpertin der Marinecorps würde den Geschwaderchef erziehen können. Was zu einigen weiteren Sticheleien, teilweise auf Kosten des Verlobten, geführt hatte.
Selbst Lilja taute etwas auf. Sie hielt, anders als Lightning, einiges vom „Alten“. Daß ihre Vorgesetzte so ungeniert mit ihren Untergebenen scherzte, hatte auch ihre Anspannung etwas gelockert.
Die Taufe der bedauernswerter Zero wurde teils mit Mitleid, teils mit einer gewissen Schadenfreude quittiert. Lightning verstand Raven nur zu gut, als diese ihre Untergebene in Schutz nahm. Sie war auf gewisse Traditionen der Flotte nur bedingt stolz. Aber sie verstand auch die Haltung vieler Piloten, die mit Gelächter ausglichen, daß sie selber als „Füchse“ ähnliche Unannehmlichkeiten hatten durchmachen müssen. Oder noch schlimmere, wenn man gewissen Geschichten glaubte.
Die Stimmung wurde jedenfalls schnell lebhafter, vor allem, da hin und wieder einer der Piloten eine Runde ausgab. Bei weitem nicht alle schauten sonderlich auf den Real. So schlecht verdiente man nicht als Pilot, und wer wußte schon, was morgen war. Vor allem Tyr erwies sich als Quelle zweideutiger Geschichten, über die man als Zuhörer durchaus lachen konnte – die handelnden Personen freilich weniger.
Natürlich war die Staffel nicht völlig von den anderen Feiernden abgekapselt. Freunde und Bekannte aus anderen Staffeln oder den Bodendiensten waren durchaus willkommen. So weit gingen die Standesdünkel selten, vor allem nach dem einen oder anderen gelehrten Glas...
Und wenn die meisten in die gesungenen Liedern auch eher mit Begeisterung als mit Können einstimmten – nun, was machte das schon? Irgendwie hielt man schon den Ton, und den Text konnten man auch irgendwie erraten.
Der hünenhafte Schwede sorgte aber durchaus auch für Abwechslung – Soldaten konnten sich ihre Zeit doch nicht nur mit Gesang vertreiben. So jedenfalls war sein Motto. Und nur saufen wurde schnell langweilig, außerdem war die Feier so bald vorbei, denn das Fassungsvermögen war begrenzt.
Die Idee war im Grunde ganz einfach – eine Abwandlung des klassischen Armdrückens. Jeder der Beteiligten mußte ein kleines Schnapsglas leeren, dann traten sie gegeneinander an. Das klang eigentlich nicht so schwer, zumal man bei weitem nicht das Härteste verwendete, was die Theke zu bieten hatte. Einige hatten allerdings schon vorher ziemlich „aufgetankt“. Der Sieger würde im Rennen bleiben, der Verlierer zahlte zehn Real. Bald war fast die ganze Staffel bei der Sache – sogar Lightning. Nicht, daß ihr derartige Spiele eigentlich lagen, aber was tat man nicht für eine gute Atmosphäre? Da mußten Opfer gebracht werden...
Sie war auch nicht sehr überrascht, als sie aus dem Rennen geschlagen wurde. Tyr setzte sich schnell souverän an die Spitze.
Binnen kurzem hatte er fast die gesamte Truppe und dazu einige Neuzugänge besiegt. Sein Gesicht war freilich inzwischen auch ziemlich gerötet, wohl nicht nur wegen der Anstrengung. Die letzten beiden Gegner, Lilja und Claw, waren die härtesten gewesen. Claw, weil er als früherer Gruppenraufbold gut entwickelte Muskeln und einen ziemlich rebellischen Willen hatte, die Russin, weil sie anscheinend aus irgendeinem Grund mit aller Verbissenheit um den Sieg kämpfte, als hätte sie irgend etwas auszugleichen. Am Ende aber hatten sich beide geschlagen geben müssen.
Nun war nur noch Marine üblich. Trotzdem sie ziemlich gut proportioniert war, wirkte sie gegenüber ihrem Gegner doch etwas verloren. Immerhin wog Tyr fast anderthalb mal so viel wie sie und war einen ganzen Kopf größer. Beide fixierten sich, dann stürzten sie mit grimmiger Entschlossenheit die Gläser.
Die durchaus kräftige Hand des „Staffelkükens“ verschwand scheinbar in der Pranke des Schweden. Der ehemalige Milizionär spannte seine Muskeln an – sein kräftiger Handdruck allein reichte normalerweise aus, daß andere Leute leicht das Gesicht verzogen...
Im nächsten Augenblick krachte sein Handrücken auch schon auf die Tischplatte. Völlig verdattert starte er die junge Frau an – dann brach ringsum Jubel aus. Die anderen Piloten hieben Marine mit Begeisterung auf den Rücken – so enthusiastisch, daß sie fast vorüber auf den Tisch krachte. Sie hatte auch schon etwas geladen. Die ehemalige Pilotin des Marinecorps in spe grinste in die Runde: „Alles eine Frage des richtigen Hebels.“ Mit einem Seufzen streckte Tyr die Waffen. Natürlich, als Marine hatte man ihr mehr über Nahkampf und Körpereinsatz beigebracht, als er ihr zugetraut hatte. Und er selber war schon ziemlich voll, wie er sehr wohl registrierte. Wirklich bedauerlich – mit dem Geld hätte er sicher was anfangen können...
Aber wer spielte, mußte sich ans Verlieren gewöhnen, nicht nur ans Gewinnen. Also nahm er es nicht schwer...
Das Duo, das sich seinen Weg durch die Gänge der COLUMBIA bahnte, bot wahrlich keinen sehr beeindruckenden Anblick. Die beiden Pilotinnen schwankten von einer Seite auf die andere, und selbst ein aufmerksamer Beobachter hätte mit Sicherheit sagen können, wer hier eigentlich wen stützte. Imp mochte einiges weniger getrunken haben, aber sie vertrug auch nicht ganz so viel wie Lilja. Die Russin trank zwar nicht so viel, wie man angesichts ihrer Herkunft vielleicht vermutet hätte – Stereotypen waren einfach nicht auszurotten – aber sie war doch an einiges gewohnt. Aber jetzt taumelte sie nicht weniger als ihre Kameradin. Mehrmals hatten sie umkehren und einen anderen Weg nehmen müssen. Irgendwie war die Botschaft, daß sie sich nicht mehr auf der REDEMPTION befanden, nicht ganz bei ihren Beinen angelangt. Weswegen sie wieder und wieder einen Weg suchten, den es nicht mehr gab.
Das Schauspiel wurde zusätzlich akustisch untermalt. Auch hier überwog das Chaos. Selbst wenn sie mal ein und das selbe Lied anstimmten, was selten genug der Fall war, sangen sie in unterschiedlichen Tonlagen und dazu noch in ihren jeweiligen Muttersprachen. Das Ergebnis war vielleicht beeindruckend, aber nicht eben wohlklingend.
Schließlich erreichten sie die Kabine, die sie gemeinsam bewohnten. Allein das Öffnen der Tür brauchte geraume Zeit – und damit waren keineswegs alle Probleme überwunden.
Während sich Lilja einfach nur noch zu ihrer Koje schleppte, und in voller Montur lang hin schlug, war Imp sich bezüglich ihrer Ruhestätte für den Rest der Nacht noch im Unklaren. Irgendwie bekam sie es nicht auf die Reihe, ob es im Zimmer nun zwei, vier oder sechs Betten gab – und wo die standen. Schließlich entschied sie sich, einfach mit dem Fußboden Vorlieb zu nehmen. Sie schlief allerdings kaum langsamer ein als ihre Zimmergenossin.
Tyr Svenson
Die MARIA THERESIA "lag" in der Nähe des Saturnmodes Titan.
Was sie dort sollten, keiner wusste es, nichtmal Commander Anneliese Schmitt der Captain des Lazarettschiffes.
Aber bald würden sie es erfahren. Von Titan hatten drei Shuttles abgehoben und strebten der MARIA THERESIA entgegen.
Schmitt hatte als Kursusletzte ihren Perischer absolviert. Doch war sie die erste aus ihrem Kurs, die ein eigenes Kommando bekam. Ein Lazarettschiff. Und auf ewig würde sie hier gestrandet sein.
Mit einem Haufen Weißkitteln, von denen drei den Captainsrang innehatten.
Schon vor Monaten hatte sie ihre Versuche aufgegeben, den Weißkitteln wieder militärische Ordnung bei zu bringen.
Auf ihrem Weg zum Shuttlehanger brütete sie über den Scherben ihrer Karriere als sie plötzlich jemand von der Seite ansprach.
"Wissen Sie, wer unsere Gäste sind, Anni?"
Es war Captain J. Arthur Jellico, der Chefarzt.
"Nein Commodore, und ich habe sie schon mehrmals darum gebeten, dass Sie mich mit dem mir zustehenden Respekt ansprechen sollen."
Jellico lachte auf: "Ach, ich bitte Sie, ich bin an erster Stelle Arzt und erst dann Soldat, was meinen Sie wie peinlich es mir ist, wenn mich einer meiner Patienten mit Captain anspricht statt mit Doc."
Schmitt zuckte zusammen. Es gab auf der Theresia nur einen Captain und das war SIE.
"Nicht nur ihre Patienten sprechen Sie so an Commodore."
Der Arzt zuckte nur die Schultern und zündete sich seine Pfeife an.
Beide betraten den Hangar. Das Personal arbeitete fleißig an den Landevorbereitungen.
Dann wurde die Meldung durchgegeben, dass das erste Shuttle ankommen würde.
Und schon erschien im Sichtfeld der beiden das erste. Schmitt wie auch Jellico hatten ein ganz normales Transportshuttle erwartet. Was jedoch hereinschiebet war ein Sturmshuttle mit leichten Stummelflügeln, an denen je drei Waffenaufhängungen waren. Alle drei Aufhängungen waren bestückt.
Kaum das es aufgesetzt hatte, öffnete sich die rechte Seitentür und ein Mann stieg aus. Er trug die einfache olivgrüne Uniform der Army und ein bordeauxfarbenes Barett wie die Fallschirmspringer.
Forsch marschierte der Europäer auf Schmitt und Jellico zu. Seine Beine federten und sein Gang wirkte raubtierhaft. Die Augen schirmten die Umgebung ab, als suchten sie nach einer Bedrohung.
Als er vor den beiden Raumfahrern stehen blieb schnellte seine Hand zum Salut hoch: "Colonel Ezra Blake, Rumpfbataillon Alfa, 1. Kommandobataillon Special Air Service."
Schmitt erwiderte den Salut: "Anneliese Schmitt, Captain der MARIA THERESIA."
"Ma'am, hier sind Ihre Befehle, ich und meine Leute werden uns die nächsten Wochen bei Ihnen einquartieren." Er reichte ihr eine Mappe und drehte sich zu den mittlerweile gelandeten drei Shuttles um: "Alles ABSITZEN!"
Im geordneten Trott verließen zwei Kompanien SAS-Soldaten die drei Sturmshuttles. Die Männer und Frauen machten alle einen erfahrenen und abgehärteten Eindruck. Der niedrigste Dienstgrad war Corporal. Kein einziger Private.
Die Soldaten nahmen ihre Ausrüstung gleich mit und Schmitt sah viele Waffen zum ersten mal in der Realität. Die H&K Sturmgewehre waren alt bekannt, jedoch nicht die Sig und Sauer Präzisionsgewehre, die Colt Automatikgranatwerfer oder die FAN Multifuktionsraketenwerfer.
Auf der COLUMBIA "dämmerte" der Morgen. Die meisten Piloten stocherten in ihrem Frühstück. Für die weniger mutigen bestand es sowieso nur aus Aspirin, Zigaretten und Kaffee, jeder Menge Kaffee.
Radio saß Skunk gegenüber, der kein Problem zu haben schien, sein Rührei runterzuschlingen.
"Sag mal kaust Du eigentlich auch?" Fragte der Lieutenant Commander und betrachte misstrauisch ein aufgespiestes Würstchen.
"Kauen? Was ist das? Hey, wer abends feiert kann morgens auch tüchtig essen."
Neben Radio nahm ein weiterer Pilot platz. Martin Durfee war seit der ersten Feindfahrt der REDEMPTION bei den Angles und hatte nicht nur seine Mirage immer wieder nach Hause gebracht, sondern auch ein paar wirklich lohnende Abschüsse erzielt.
"Hey, ich wollt mit Dir sprechen."
"Klar, aber nicht so laut ja." Nölte Radio.
"Es geht um diesen Ensing in der roten. Don Cartmell. Noname."
"Was hat der Bengel angestellt?" Radio ließ sein Besteck fallen und zuckte beim Klappern zusammen.
"Angestellt gar nichts, aber hör mal, es geht mich vielleicht nichts an, aber kann es sein, dass der Junge etwas sehr hart angepackt wird?"
"Genau, es geht Dich nichts an Freundchen." Meldete sich Skunk zu Wort. "Kümmer Dich lieber um das kleine Sensibelchen aus Deiner Staffel, könnte bestimmt ne starke Schulter gebrauchen und wer weiß, vielleicht macht sie ja dankbarer weise die Beine breit."
Razor Durfee blickte den älteren Veteran abschätzig an: "Sag mal, wer hat eigentlich an Deinem Käfig gerüttelt hä?"
Skunk erhob sich drohend.
"Hey Leute, ich hab da großartige Neuigkeiten!" Die Stimmge gehörten Hank Smith, einem Lieutenant der Com-Abteilung der COLUMBIA. Hank liebte es mit den Piloten abzuhängen. Er hatte leider die Aufnahmeprüfung für die Flugakademie nicht geschafft und hechelte nun seinen Träumen nach.
"Heute sollen zwei Silverstars verliehen werden, an Jungs aus Eurem Geschwader.
Jetzt waren die meisten Piloten im Umkreis von 10 Stühlen aufmerksam geworden.
"Los, sag schon, wer?" Rief jemand.
"Naja, der eine ist Euer Skipper." Er grinste in die Runde, einige der Piloten stöhnten auf, andere bekräftigten, dass Lone Wolf den Star zu recht empfing. "Der andere, für den Abschuss eines Truppentransporters der Akarii mit schätzungsweise 8.000 Soldaten an Bord ... TROMMELWIRBEL ... ist Lieutenant 1st Class Martin Durfee!"
Hank deutete wild in Richtung Razor Durfee, der erbleichte. Von einigen Seiten kamen Glückwünsche und Skunk setzte sich. Einem Helden brach man nicht die Nase.
"ACHTTAUSEND!" Wiederholte Durfee, als er wacklig aufstand. "Du Arsch! Was wagst Du es mir das beim Frühstück so was unter die Nase zu reiben! Achttausend ... oh Gott."
"Hey, ich dachte ..." Versuchte Hank Smith sich zu verteidigen, doch Durfee packte ihn und rammte ihm die rechte ins Gesicht.
Smith strauchelte und fiel hin.
Nachdem Smith aufgestanden war wischte er sich die Nase und betrachtete das Blut auf seiner Hand: "Drecksack! Das werde ich melden, Du kommst in den Bunker."
Zwei andere Piloten mussten Razor Durfee festhalten, während Hank wütete.
Dieser wurde jedoch ziemlich hart unterbrochen, als Radio ihm am Kragen packte: "Was willst Du melden Arschloch? Das Du hier rein gekommen und gestolpert bist? Das ist es, was ich sagen werden, wenn man mich fragt. Du bist ganz einfach gestolpert. KLAR!"
Hank Smith blickte sich kurz um und erkannte, das die meisten Piloten schweigen oder Radio unterstützen würden. "Alles klar, ich bin gestolpert."
"Wunderbar." Radio schupste den Com-Offizier zu einer Pilotin. "Schaff ihn raus Lilja."
Die Russin sah erst aus, als wollte sie protestieren, salutierte dann jedoch spöttisch vor Radio und schob den immer noch blutenden Smith in Richtung Tür.
"So ein aufstand wegen läppischer 8.000 Echsen." Glaubte Radio sie noch murmeln zu hören.
Er setzte sich neben Durfee, der sich auch wieder hingesetzt hatte und jetzt den Teller wegschob.
"Achttausend ..."
"Hey, es waren doch nur ..." Skunk brach ab, als Radio und Razor ihm vernichtende Blicke zuwarfen. "Bin ja schon still."
Tyr Svenson
Barcelona… Sicherer Hafen in der Etappe. Weit weg von den Akarii, weit weg von Terra. Mit regelmäßigem Frachterverkehr, ab und an einer Störung durch Piraten und hin und wieder die Havarie eines überalterten Frachters.
Der Traum jedes Navy-Offiziers, der anstatt auf Orden lieber auf sein eigenes Überleben hoffte.
Und in dieses Gelobte Land flog die KAZE gerade ein.
Justus Schneider hatte sich wie immer in seinen Kommandosessel hinein geflegelt. In der Linken hielt er eine Tasse starken Kaffee, in der Rechten ein Datapad mit einer Faksimile der New Boston Tribune. Insbesondere die Kolumne Frontberichte hatte es ihm angetan.
„Hört euch das mal an. First Lieutenant Thomas Andrew Paul, ein Riese von einem Mann mit dem frohen Gemüt eines unbeschwerten Elfjährigen. Der Stellvertretene Staffelkommandant unserer Blauen. Wenn man den schwarzhäutigen Riesen so ansieht, mag man sich gar nicht vorstellen, dass er bereits elf verifizierte Abschüsse auf seiner Maschine prangen hat.“
Justus sah über den Rand des Datapads kurz zur Pilotin der KAZE. „Lieutenant Jones, trimmen Sie Backbord drei, über Horizont elf Grad aus, um im Anflugkorridor zu bleiben. Rockendale mag ein schöner Anblick sein, aber ich will mir den Gasriesen weder aus der allernächsten Nähe ansehen noch mit einem seiner hundertzwei Monde kollidieren.“
„Aye, Sir, Drei Backbord, elf über Horizont“, bestätigte die Pilotin. Sie warf ihrem Sitznachbarn, dem Orterchef Li einen schiefen Blick zu. „Wie macht er das immer? Ich dachte, er ist vollkommen in seine Lektüre vertieft.“
Li Chun grinste schief. „Der Skipper hat einen siebten, einen achten und ein eingebautes Radar als neunten Sinn. Ich habe schon viel Unglaublichere Sachen mit ihm erlebt, Eavy.“
„Plauschen könnt Ihr in der Pause“, wies Commander Soleil die beiden zurecht. Wenn der Skipper schon nicht für Disziplin auf diesem Pott sorgte, dann würde sie das tun. Wie immer.
„Ja, Ma´am“, erwiderte Li ruhig.
Aufmerksam beobachtete Soleil den Skipper. Halb befürchtete sie, Schneider würde sie für ihre Strenge tadeln. Was sie vor den anderen Offizieren hätte sehr blass aussehen lassen.
Stattdessen begann er anerkennend zu pfeifen. „First Lieutenant Lüding, wenn Sie nur halb so gut fliegen wie Sie aussehen, haben die Akarii aber schlechte Karten.“
„Skipper!“, rief Amber tadelnd.
Schneider sah von seiner Lektüre auf. „Hm? Wollen Sie auch mal in den Bericht rein sehen, Commander?“
„Später vielleicht“, brummte sie, stand auf und verließ die Zentrale. „Ich gehe mal die Marines inspizieren.
„Tun Sie das. Und wenn Sie dabei sind, überprüfen Sie die Fortschritte der Marines mit dem neuen Heckler&Smith Sturmgewehr A11. Auf kurze Distanz ist es unschlagbar, habe ich mir sagen lassen. Wäre aber nicht das erste Mal, dass man uns ein 08/15 als Innovation verkaufen will.“
„Ja, Sir.“ Langsam schlenderte sie auf den Gang hinaus. Was war nur mit dem Skipper los? So sachlich wie heute war er nur selten.
Bei den Marines angekommen wunderte sie sich über die niedergeschlagene Stimmung.
„Offizier an Deck“, murmelte jemand. In der Menge der an sieben Tischen sitzenden und Waffen reinigenden Meute erhoben sich vereinzelt Köpfe, sanken aber sofort wieder herab, als sie Commander Soleil erkannten.
„Morgen, Commander.“ Carl Johansson nickte ihr zu.
„Was ist denn hier los? Haben Sie etwa wieder Alkohol an Bord geschmuggelt und Gestern heimlich eine Party gefeiert?“
„Natürlich haben wir heimlich Alkohol an Bord geschmuggelt!“, rief MasterSergeant Bannion über die Tische hinweg und hatte damit ein paar müde Lacher auf seiner Seite.
„Aber keine Party gefeiert“, fügte Johansson hinzu. „Was meine Leute knickt, ist die verdammte Etappe.
Himmel, wir waren eine Fronteinheit! Eine verdammte, erfahrene Fronteinheit! Wir haben Tonnage vernichtet und Schiffe geentert! Und jetzt kommen wir nach Barcelona, wo wir bis zum Ende des Krieges Piraten jagen werden.“
„Das ist es also“, erwiderte Commander Soleil und sah sich die Meute an. „Hm. Könnte das zufällig mit einer gewissen Schlägerei zusammen hängen, die den Skipper beinahe den Rang und die Karriere gekostet hat?“
Die Männer und Frauen stöhnten auf. An die Massenprügelei dachten sie gerne. Weniger gerne an die Folgen.
„Jedenfalls, Sie kennen die Anordnung des Skippers. Wir werden auf Barcelona gebrieft. Commander Schneider wünscht, dass alle Abteilungen für alles bereit sind.
Also hört auf, hier rum zu hocken und Trübsal zu blasen.
Der Skipper will übrigens wissen wie die Übungen mit den neuen H&S voran gehen. Und vor allem will er wissen, ob uns wieder Zitronen geliefert wurden“, sagte die Lt. Commander im Befehlston, Lautstärke zwei von sechs.
Müde schon Johansson ihr eine Mappe über den Tisch zu. „Hier, der Bericht. Durchschlagende Wirkung auf kurze Distanz. Der Laserfocus durchdringt bei unter zwanzig Meter jede Panzerweste, die bei den Akarii im Gebrauch ist. Maximale Reichweite ist fünfzig Meter. Mehr wird für einen Kampf in einem Schiff auch nicht benötigt. Für Bodeneinsätze ist das Ding auch ganz nützlich. Aber eher für den Häuserkampf. Ansonsten ist es nur eine niedliche Lightshow für den Feind, wenn er weit genug weg steht. Das Gewicht ist mit anderthalb Kilo inklusive Speicherzelle annehmbar. Alles in allem eine nützliche Sache, wenn sie meinen Monstern in die Hand gedrückt wird.“
„Das haben wir gehört, Chef.“ Die Beschwerde klang reichlich müde und nicht mal ernst gemeint.
Amber nahm den Bericht an sich. „Ich lege ihn dem Captain vor. Und bevor Ihr weiter in den Tag gammelt, schlage ich vor, Ihr veranstaltet mal wieder eines eurer berüchtigten Gotcha-Spiele. Der Skipper hat es ja als Nahkampftraining anerkannt. Aber wehe, Ihr erhöht wieder die Pressluftabgabe.“
Mehrere Köpfe ruckten hoch. „Wo?“, wollte einer der Corporals wissen.
Commander Soleil unterdrückte ein Lächeln. Jetzt hatte sie die Meute bei den Eiern. „Nun, im Shuttlehangar, in den peripheren Lagerräumen, natürlich in den Mannschaftsquartieren. Und wenn Ihr es nicht übertreibt, gebe ich sogar die Kantine frei.“
„Klasse!“ Bannion sprang auf. „Da kann man sich super verbarrikadieren und der Smutje macht einem auch noch Berliner!“
Johansson sprang ebenfalls auf. „Erster Zug gegen Zweiten Zug. Capture the Flagg.
Einer startet in der Waffenkammer, einer in der Kantine!“
„Wir nehmen die Kantine, Lieutenant.“
„Das hättest du wohl gerne, Bannion“, erwiderte Johansson lachend.
Im Hintergrund kramten die anderen Marines bereits ihre Ausrüstung hervor. Farbige Armbinden wurden ausgeteilt.
Das die Marines hier defacto Schiffsverteidigung übten, war allen Beteiligten klar. Aber es war ja nicht verboten, die Sache dennoch als Spaß anzusehen.
Amber schmunzelte. „Gebt mir zehn Minuten, um die restliche Crew zu warnen, okay?“
Derweil kämpften Johansson und Bannion im Armdrücken um die Kantine.
„Wollen Sie mitmachen, Commander? Für Sie liegt immer eine Ausrüstung bereit“, bot der Lieutenant an.
„Besser nicht. Beim letzten Mal habe ich zwei Stunden geschrubbt, um die Farbe wieder runter zu kriegen“, erwiderte sie.
So, die Stimmung war gerettet.
Auf der Brücke legte sie dem Skipper den Bericht vor. „Im übrigen habe ich den Marines erlaubt, eine Übung abzuhalten.“
„Bereiche?“
„Hintere Sektion.“
„Welches Spiel?“
„Skipper, es ist eine Übung!“
„Welches Spiel, Amber?“
Sie seufzte. „Erobere die Flagge.“
„Wie ist die Stimmung?“
„Die Marines sind wieder bei guter Laune.“
Schneider schmunzelte. „Warnen Sie die Crew. Und isolieren Sie die Zentrale. Ich will nicht wieder von diesen Farbkugeln getroffen werden. Letztes Mal habe ich fast ne halbe Stunde gebraucht, um die Farbe abzukriegen.“
„Ja, Sir. Nur eine halbe Stunde? Ich habe zwei gebraucht. Verraten Sie mir Ihren Trick?“
„Nicht alleine schrubben, Commander.“
Soleil zerdrückte einen deftigen Fluch zwischen den Lippen und wurde rot. „Dumme Frage, dumme Antwort, war ja klar.“ Sie schüttelte den Kopf. Hatte sie wirklich etwas anderes erwartet?
Tyr Svenson
Admiral Thomsen stand auf der Hauptbrücke der LEXINGTON. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt.
Er betrachtete seinen Flaggkommandanten. Die Kommandantin des Trägers war die Ruhe selbst. Alles lief geordnet ab. Jeder Handgriff saß.
"Peking passiert uns achtern!" Meldete der Sensoroffizier.
"Ausschau achtern!" Befahl die Kommandantin.
Thomsens Blick richtete sich auf den Hauptmonitor. Es waren noch Teile der Dockingstation in der die LEXINGTON fest gemacht hatte.
Der zweite Träger der LEXINGTON-Klasse schwebte majestätisch durch die riesige Dockanlagen des Fort Lexington.
"Verankerung gelöst, wir befinden uns im Schwebezustand!" Hörte Thomsen mit halben Ohr.
"Manöverdüsen an Bug: 20 %!"
"Aye, aye Sir!"
Langsam, geradezu gemächlich schob sich der 75.000 Tonnen schwere Flottenträger, die LEXINGTON, der Stolz der Terran Space Navy aus ihrer Parkbucht.
Überall, wo man in die Dockanlagen des Forts Einsicht hatte drängten sich Freiwächler um dieses Spektakel mitanzusehen.
In den Offizierskasinos wurde der Start der LEXINGTON auf den Bildschirmen gezeigt.
Aus vielen Lautsprechern erklang die Navy-Hymne: Anchors Away.
Kaum das der Träger seine Bucht verlassen hatte drehte er nach Backbord und nahm Fahrt auf. Fuhr durch die engen Dockanlagen und verließ den riesigen Asteroiden.
Außerhalb des Forts hatten sich die Kreuzer und Zerstörer der Peking Trägergruppe um die Peking formiert.
Ebenso begannen sich die Schutzschwadronen der LEXINGTON zu gruppieren.
***
Der Geschwaderbesprechungsraum der COLUMBIA war voll, bis oben hin voll. Alle acht Schwadronen fanden Platz, doch wirkte er deshalb nicht beengt.
Lucas erklärte gerade das noch vier Tagen laufende Übungsprogramm, welches neben einem Tag Stars und Landungen, sowie Formationsflug noch drei Tage Flottenverteidigung beinhaltete als ein lautes Achtung ihn unterbrach.
Die sitzenden Piloten erhoben sich. Cartmell wurde auf der rechten von Radio hochgezogen: "Immer schön brav lächeln."
Und auf der anderen zerrte ihn Skunk hoch und zischte ihm eine Drohung ins Ohr.
"Rühren", sagte Admiral Wulff als sie das Podest, auf dem Lucas vor dem großen Wandschirm stand, betrat.
Ihr folgte einer ihrer Stabsoffiziere ein Commander, der eine schwarze Mappe unter dem rechten Arm trug.
Sie begrüßte Lone Wolf mit Handschlag und ließ sich dann ein Schreiben von Ihrem Adjutanten geben und las es mit lauter Stimme vor:"
An: Commander Lucas Cunningham, CO 127th Fighter Wing, Terran Space Navy.
Von: Admiral Klaus von Richter, Chief of Naval Operations, Terran Space Navy.
Hiermit werden Sie für die von Ihnen erbrachten Leistungen bei der Schlacht von Jollarahn, wo das von Ihnen befehligte Geschwader durch Ihre Führung und Entscheidungsbereitschaft dem Feind schwerste Verluste beibrachte und sich dadurch auszeichnete eine Recordtonnage an feindlichen Frachtern und Dickschiffen zu vernichte, mit dem Victory Star ausgezeichnet.
Ihr Handeln und Ihr Mut spiegelt die höchsten Traditionen der Navy wieder.
Mit besten Grüßen und voller Stolz
Klaus von Richter,
Admiral, Chief of Naval Operations"
Wullf überreichte Lucas das Dokument und heftete ihm den Victory Star an die Brust. "Auch von mir herzlichen Glückwunsch Commander. Sie haben es sich redlich verdient."
Dann nahm sie das zweite Dokument entgegen: "Lieutenant Martin Durfee, treten Sie bitte vor."
Aus einer der hinteren Reihen kam Razor Durfee nach vorne, das Gesicht war leichenblass.
"Ma'am, ich möchte ..." Brabbelte er los, als er vor Wulff stand.
"Seien Sie ruhig, Lieutenant", zischte ihm Lone Wolf zu.
"An: 1st Lieutenant Martin Durfee, 127th Fighter Wing, Terran Space Navy.
Von: Admiral Klaus von Richter, Chief of Naval Operations, Terran Space Navy.
Hiermit werden Sie für die von Ihnen erbrachten Leistungen - dem Abschuss eines Truppentransporters der imperialen akariischen Marine - bei der Schlacht von Jollarahn mit dem Silver Star ausgezeichnet.
Ihr Handeln, Ihr Können und Ihr Mut spiegelt die höchsten Traditionen der Navy wieder.
Mit besten Grüßen und voller Stolz
Klaus von Richter,
Admiral, Chief of Naval Operations"
Auch Razor Durfee bekam den Orden von Wulff an die Brust geheftet, doch als sie ihm die Hand geben wollte klappte der Pilot zusammen.
Nur mit Mühe und Etwas Geschick konnte Wulff das Vornüberkippen des Lieutenant verhindern. Sofort kamen ihr Lone Wolf und der Adjutant der Admiralin zu Hilfe.
"Es muss die Aufregung sein", rutschte es Cunningham etwas perplex aus dem Mund.
"Aufregung, Commander? Der Mann ist Kampfpilot." Merkte Wulff an und verpasste Durfee ein paar leichte Backpfeifen.
"SIE", Wulff deutete auf Cartmell, "rufen Sie die Krankenstation, die sollen ein paar Sannis holen."
Dieser war ebenfalls viel zu perplex um auch nur ein Anzeichen von Widerwilligkeit zu zeigen und stapfte zur Sprechanlage.
Lone Wolf und der andere Commander schafften derweil Durfee zu Cartmells eben frei gewordenen Stuhl.
Tyr Svenson
„Na, für wen machst du dich denn so schick?“, fragte Frauke Hendrik mit einem Grinsen. Sie teilte die Stube mit Jean Davis und den anderen vier Frauen des Platoons. Im Moment war Freiwache, und die anderen fünf Frauen hatte nichts Besseres zu tun, als zu rauchen, Liegestütze zu machen oder Karten zu spielen.
Lucie hatte sogar eine Flasche Likör aus der geheimen Reserve hinter der losen Wandkachel auf den Tisch gestellt.
Das bedeutete, dass Pork und Schiermer gerade in der Trainingshalle waren und die Gefahr eines plötzlichen Drills nicht sehr hoch war.
Jean lächelte. Normalerweise hätte sie mit den anderen gespielt, etwas getrunken. Oder gelesen. Was ihr schon den Beinamen Professor eingebracht hatte. Aber nicht heute.
Langsam schloss sie die Jacke der schwarzen Ausgehuniform, strich sich über die roten Aufschläge. Bedächtig streifte sie die weißen, makellos sauberen Handschuhe über.
„Du könntest wenigstens antworten, Professor“, maulte Frauke.
Jean trat vor den einzigen Spiegel auf der Stube, strich sich durch ihr Gesicht, glättete die kurz geschorenen Haare so gut es ging und setzte die weiße Schirmmütze auf. Vorsichtig korrigierte sie deren Sitz, bis sie mit dem Gesamteindruck zufrieden war.
Sie drehte sich zu den anderen um und grinste. „Ich habe ein Rendezvous.“
„Du?“, staunte Haggerty. „Und dann in deiner Ausgehuniform? Solltest du nicht dafür lieber einen Minirock anziehen und deine hübschen Beine zeigen?“
„Stil muss schon sein, Maggie. Immerhin ist er ein Lieutenant Commander.“
„Lieutenant…“ Maggie Haggerty fiel vor Schreck fast vom Stuhl. „Du treibst es doch nicht etwa mit einem Flottenheini? Mädchen, die Navyärsche sind nicht gut für dich. Du bist eine Marine. Die benutzen dich sowieso nur, bis sie keinen Spaß mehr an dir haben. Und dann lassen sie dich fallen!“
Jean kam zum Tisch, beugte sich vor und half der Kameradin beim Aufstehen. „Danke, dass du dir Sorgen machst, Mami. Aber ich bin schon ein großes Mädchen und kann auf mich selbst aufpassen.“
„Ja, ja“, brummte Frauke. „Lauf nur in dein Unglück und erzähl uns nachher alles unter Tränen. Aber vergiss nicht die goldene Regel jedes Mädchens.“
„Und die wäre?“
„Erst essen, dann Sex.“
Jean wurde rot. „Sehr witzig.“
Sie verließ die Kabine mit einem letzten Winken.
Der Gang führte zu einem Viertel aller Stuben, die den Marines zugewiesen waren. Wild gemischt.
Dementsprechend war in der Freiwache eine Menge los. Einige Männer spielten im Gang Fußball, zwei ihrer Kameraden flirteten in einem Türeingang. Andere machten sich mit Trainingsanzügen bereit für die Halle.
Ihr Auftritt im Großen Anzug wirkte auf alle wie eine kalte Dusche.
Ken Howard, der gerade ein Tor geschossen hatte, starrte sie an wie eine wandelnde Leiche.
„Was ist denn mit dir los, Davis? Ist wer gestorben?“
„Friss deine Shorts, Idiot“, brummte sie und ging an den Fußballspielern vorbei.
„Hey, ich habe dich nett gefragt!“, beschwerte sich der Marine.
„Das hast du auch als du wissen wolltest, ob ich Lust auf eine halbe Stunde Besenkammer mit dir habe!“, blaffte sie zurück. „Also, geh mir aus der Sonne, Marine!“
Die anderen grinsten breit. Howard war wie die meisten also auch bei Icequeen Davis abgeblitzt. Die recht hübsche und sehr junge Marine war so was wie ein Hauptangriffsziel. Und je mehr Männern sie einen Korb gab, desto attraktiver wurde der Sieg über sie.
Howard legte eine Hand auf ihre Schulter.
Und bekam dafür den bösesten Blick, den jemals jemand von ihr gesehen hatte. „Ich habe schon größere Idioten für weniger fertig gemacht“, zischte sie.
Jean schüttelte die Hand ab und ging weiter.
„Das Schätzchen ist eben härter als du, sieh es ein, Howard“, murmelte Lansdale und grinste schief.
Dafür bekam er einen Hieb in die Rippen. „Das ist nur ihre Art zu sagen, dass sie mich liebt. Ihr werdet es schon noch erleben.“
Howard raffte das Hemd seiner Felduniform auf. „Macht Ihr schön Spiele-Spiele. Ich gehe ins Kino.“
Lansdale japste leise, bis er wieder richtig Luft bekam. Warum war der Kerl nur so schnell beleidigt? Moment, ins Kino? Wollte er Davis etwa nachspionieren?
„Wenn ne Romanze läuft, komme ich mit!“, rief er, kramte sein eigenes Hemd auf und lief Howard hinterher.
Die Aussichtsplattform des Observatoriums bot einen atemberaubenden Blick Man hatte eine freie Sicht von zweihundert Grad über X und volle dreihundertsechzig über Y.
Neben, hinter und über dem Träger glommen die Positionslichter der Begleitschiffe der COLUMBIA, dazwischen funkelten die Sterne. Ein naher Nebel leuchtete von innen heraus.
Für Jean war dieser Anblick mehr als vertraut. Sie hatte ihr Leben im All verbracht. Aber auch sie fand noch immer etwas, was selbst sie in Erstaunen oder Begeisterung versetzte.
So wie dieser Nebel, der wirkte, als würde er eine Sonne umhüllen.
Sie wusste natürlich, dass in seinem Inneren gerade neue Sonnen entstanden. Gewissermaßen war dieser Nebel nicht mehr als ein Kindergarten für Sterne. Was für ein atemberaubender Gedanke.
„Private Davis?“, erklang neben ihr eine Stimme. Sie hatte die Schritte wohl bemerkt, aber nicht darauf reagiert.
Nun wandte sie sich langsam um. Sie salutierte vor dem Mann vor ihr.
Er trug die schneeweiße Ausgehuniform der Navy. Auf seinen Schultern prangten die Abzeichen eines Lieutenant Commanders. Seine Brust war mit Orden tapeziert.
Und seine Augen waren alt, alt und erfahren. Als hätten sie bereit zuviel gesehen.
Der Lieutenant Commander hob eine Hand und lächelte flüchtig. „Sie brauchen nicht zu salutieren, Private. Wir sind privat hier.“
Unsicher nahm Jean den Arm wieder ab. Das militärische Protokoll hatte ihr Sicherheit gegeben. Der Mann vor ihr nahm ihr gerade diese Zuflucht.
„Ich bin Justin McQueen, genannt Darkness“, sagte er und deutete auf eine nahe Bank, die man extra für Besucher wie sie installiert hatte. „Setzen wir uns.“
Sie nahmen Platz. Unsicher begann Jean: „Sir, ich hatte wirklich nicht vor, Sie…“
„Ruhig, Private, ruhig. Ich habe Sie kontaktiert, nicht umgekehrt.“
„Trotzdem, ich will von vorne herein klar stellen, dass ich keinen Vorteil daraus ziehen will, dass ich…“ Sie schwieg plötzlich, biss sich auf die Unterlippe.
„Keinen Vorteil daraus ziehen, dass Sie die Schwester von Clifford sind?“ Darkness sah zu Boden. „Das verstehe ich natürlich. Und ich respektiere Ihre Entscheidung. Zumal die Marines nicht wirklich in meine Kontrolle fallen.“
„Danke, Sir.“
„Aber wenn ich etwas für Sie tun kann, Private…“
„Sir, ich habe es alleine durch die Ausbildung geschafft. Ich habe es alleine auf diesen Träger geschafft. Ich werde es auch weiterhin schaffen. Machen Sie sich keine Sorgen um mich.“
Darkness ballte die Fäuste, entkrampfte sie aber wieder. „Sie sehen Ihrem Bruder recht ähnlich. Sie haben sogar den gleichen Farbton im Haar wie er.
Es tut mir weh, dass ich nichts für Sie tun kann.“
„Sir“, begann Jean leise. „Sie tun doch bereits etwas für mich. Sie treffen sich mit mir. Ich hatte nicht vor, Ihnen zu begegnen, weil ich nicht wollte dass es wirkt, als würde ich die alten Freundschaften meines Bruders für mich ausnutzen wollen. Aber wenn Sie sich von sich aus dafür entscheiden…“
„Cliff… Ace war mein Freund“, begann Darkness nach einer längeren Pause wieder. „Ich habe schon viele Fliegerkameraden verloren, mehr als ich zu zählen bereit bin. Aber ihn zu verlieren hat mich tief getroffen. Es hat eine furchtbare Lücke gerissen. Wenn nicht er überleben sollte, wer dann? Verstehen Sie, was ich sagen will? Ich habe ihn zu nahe an mich gelassen. Ich wurde sein großer Bruder. Nun bezahle ich den Preis dafür. Er ist tot. Ich konnte nichts für ihn tun. Ich werde ihn niemals wieder sehen.
Er… hat einen Abschiedsbrief vorbereitet. In dem bittet er mich darum, auf seine beiden Geschwister aufzupassen, falls sie so dumm sind wie er und freiwillig in die Navy eintreten.
Das Sie von den Marines kommen habe ich nicht erwartet, Private. Aber ich habe Sie nun in meiner Reichweite. Und ich will Sie ebenso wenig verlieren wie Ace damals.“
Darkness senkte den Kopf auf die Brust. „Ich gebe zu, da spielt auch Egoismus eine Rolle. Irgendwie hoffte ich, dass Cliffs kleine Schwester die Lücke füllen könnte. Das dieser Schmerz geht und ich mich wieder besser auf meine Arbeit konzentrieren kann.“
Darkness zog einen Stapel Briefe aus seiner Uniform hervor. „Wollen Sie mir einen Gefallen tun, Private? Ihr Bruder hat mir einen Stapel Abschiedsbriefe für seine Kameraden hinterlassen. Ich kann sie nicht zustellen. Vielleicht fällt es Ihnen leichter als mir. Es ist auch einer für Sie und Ihren anderen Bruder dabei.“
Darkness deutete auf den obersten Brief, der den Vermerk trug: Empfänger verzogen, zurück zum Absender.
Jean Davis nahm die Briefe entgegen und brach gegen ihren Willen in Tränen aus.
Darkness besah sich die junge Frau unschlüssig, ließ sie weinen. Nach endlos erscheinenden Minuten drückte er ihren Kopf auf seine Schulter.
„Bleiben Sie wenigstens am Leben. Ich will nicht noch einen Davis verlieren“, flüsterte er.
In der Tür eines Seiteneingangs hockten zwei Marines und beobachteten die ferne Szenerie.
„Die kuscheln ja!“, raunte Lansdale.
„Red nicht so nen Scheiß. Kein anständiger Marine würde mit einem Flottenheini rummachen.“
„Na, vielleicht hast du ja Glück und es ist ihr Vater“, stichelte der andere.
Howard blinzelte. Die Szenerie sah doch sehr verdächtig aus. Konnte das sein? Zog die Icequeen einen weißen Strahlemann wirklich ihren Kameraden vor?
Aber warum? Er war doch wohl die mit Abstand beste Partie im ganzen Flur. Warum also?
„Und gleich knutschen sie rum, danach nimmt er sie mit auf seine Bude und dann lassen sie die Matratze krachen.“
Howard packte seinen Kameraden im Nacken. „Das glaubst du doch selbst nicht. Das ist die Icequeen. Die hat noch jeden abblitzen lassen. Jeden. Da wird der Flottenheini keine Ausnahme sein! Kapiert?“
„Ist ja schon gut. Nun lass mich schon los. Ich brauche meine Knochen noch.“
Howard sah zurück. Die beiden waren aufgestanden, salutierten voreinander und strebten verschiedenen Ausgängen zu. Unwillkürlich atmete er auf.
„Wollen wir das Schmierer stecken? Der wird nicht sehr erfreut sein, dass einer seiner Marines mit dem Feind fraternisiert.“
„Du hältst den Rand, Lansdale. Ich werde das schon mit Davis klären, kapiert?“
Der andere kicherte leise. „Wer hat dich denn zu ihrem Beschützer ernannt?“
„Klappe zu.“ Howard brummte böse. Was, wenn sie wirklich in die Fänge eines Navy-Arsch geraten war? War es dann nicht seine Pflicht als Kamerad, einen anderen Marine zu schützen?
„Also, hör zu, Lansdale. Du gehst jetzt dem Weißkuttenträger nach und findest heraus, wer er ist. Und zu niemandem ein Wort, verstanden? Vor allem nicht zu Porky und Schmierer, klar?“
„Okay.“
Lansdale erhob sich und folgte dem Offizier. „Für zwei Packungen Marlboro halte ich die Klappe.“
„Abgemacht.“ Howard erhob sich und folgte Davis. Für einen Moment, für einen winzigen Moment kam er sich dämlich vor.
Tyr Svenson
Nicht besonders gut gelaunt stapfte Skunk in Richtung seines Quartiers. Er verstand nicht, wieso es immer noch Leute gab, die meinten, man müsse solche Kanalratten wie Cartmell anständig behandeln. Und dann dieser Mirage-Heini… Der hatte doch glatt `ne Prügelei angefangen und war völlig aus dem Häuschen, wegen ein paar tiefgefrorener Akarii – Leute gab’s…
Na ja, nachdem nun auch der Alte mit von der Partie war, würde es wohl bald losgehen. Das zugestellte Material und das Aufkreuzen eines Rearadmirals versprachen Zunder. Leider war das Pilotenmaterial nicht ganz so erstklassig…
Skunk war Patriot. Aber er hoffte dennoch, nicht ausgerechnet deshalb aus der Maschine geschossen zu werden, weil die eigenen Leute mit einer Bloodhawk wie mit einem Deltavogel kurbelten. Einige der „Neuen“ waren noch nicht ganz trocken hinter den Ohren. Da musste man wohl noch mal nachhaken. Zusätzlich hatte er dann auch noch ausgerechnet so einen falschen Hund wie Cartmell als Wingmann. Der Hurensohn konnte vielleicht fliegen. Aber das reichte nicht. Lieber währe Skunk ein Flügelmann gewesen, der ZUVERLÄSSIG war. Aber was konnte man schon machen? Momentan war die Stimmung in dieser Hinsicht etwas aufgeheizt – Skunk wollte nicht gerade Darkness an der Kehle haben. Der XO des Geschwaders war, hol ihn der Teufel, ein verflucht harter Hund mit nicht einem Hauch von Verständnis für die Animositäten gegen Cartmell. Nicht dass Darkness den Ex-Piraten zu schätzen schien – aber er hatte deutlich gemacht, dass er nicht gewillt war weiter irgendwelche „Hahnenkämpfe“ oder „Potenzspielchen“ zu dulden. Am liebsten hätte Skunk jemanden verdroschen…
Als er, reflexartig leicht gebückt, durch einen Schott trat, kollidierte er ziemlich heftig mit irgendjemand. Um ein Haar hätte er das Gleichgewicht verloren, er konnte sich mit einem Ausfallschritt gerade noch stabilisieren. Der Vorfall reichte aus, um in ihm die Frustration wieder Hochkochen zu lassen. Welcher Idiot…
Bei dem Idiot handelte es sich augenscheinlich um einen dunkelhäutigen, hochgewachsenen, aber eher schlaksigen Marinesoldaten. Der junge Marines schien vollauf mit einer Angehörigen des technischen Dienstes beschäftigt gewesen zu sein und hatte wohl deshalb Skunk nicht bemerkt. Jetzt drehte sich der Soldat wütend um, während die Technikerin, auch sie noch ziemlich jung und wohl asiatischer Herkunft, eher etwas verlegen schien.
„Pass doch gefälligst auf, du Idiot!“ die Stimme des Marines klang arrogant.
Das reichte, um Skunk auf Konfrontationskurs zu bringen: „Wenn du mal Augen für den Gang, statt für deine Matratze gehabt hättest, Sambo, dann wär’s nicht passiert! Was soll das hier eigentlich werden? Schwarz-Gelb-Kariert?“
Die Technikerin lief jetzt dunkel an – und der Marines ebenso, wenn auch aus anderen Gründen. „DU VERDAMMTER…“
Skunk hatte mit dem Angriff gerechnet, ihn innerlich grinsend sogar erwartet, aber nicht so schnell. Er schaffte es nicht, dem Faustschlag völlig auszuweichen, der ihn so an der Schulter erwischte. Doch als der Marines mit der Linken nachsetzen wollte, blockte Skunk den Hieb problemlos ab – und pflanzte dem Marinesoldaten seine Faust in den Bauch – der junge Idiot hatte völlig die Deckung vernachlässigt. Der Treffer reichte aus, um den Marines aus dem Takt zu bringen – und mehr brauchte Skunk nicht.
Ein schneller Tritt, gefolgt von zwei, drei wuchtigen Fausthieben beförderte den Soldaten zu Boden. ‚Amateur – kann nur nach dem Lehrbuch kämpfen!’
Als sich der Marines versuchte, mit einer Hand abzustützen, trat ihm Skunk diese unter dem Körper weg – und setzte zur Sicherheit noch einen Tritt in die Magengrube hinterher. Das reichte.
Die Technikerin hatte nicht einmal Zeit gefunden, etwas zu unternehmen. Sie starrte Skunk an, als rechnete sie damit, dass er jetzt auf sie losgehen würde. Aber Skunk grinste nur, mit einmal hatte er gute Laune: „Na, nicht viel los mit deinem Lover. Solltest dich vielleicht doch woanders umsehen!“
Die Antwort war irgendeine Obszönität auf Chinesisch, Malaiisch oder was auch immer – die junge Frau kniete sich hin, um dem sich stöhnend am Boden windenden zu helfen. Skunk sah, dass er weiterkam. ‚Der sollte nicht so ein Gewese machen.’ Skunk hatte oft genug Schläge ausgeteilt – und eingesteckt – um zu wissen, dass er den Marines zwar ziemlich schmerzhaft getroffen hatte, aber das es wohl bei ein paar Prellungen und blauen Flecken bleiben würde. Der junge Idiot sollte es am besten als Lehrstunde sehen…
„Und Sie sagen, ein PILOT hätte Sie so zugerichtet?!“ Captain Schlüters Stimme schien Ungläubigkeit auszudrücken, während sie den vor ihr strammstehenden Marinesoldaten wütend fixierte. Sie war zwar kleiner als der Soldat, aber Dienstrang, Erfahrung und Persönlichkeit reichten aus, um dem Soldaten das Gefühl zu geben, von Oben herab abgekanzelt zu werden.
„Ma’m, Ja, Ma’m!“
Die fast schwarze Hautfarbe des Soldaten kaschierte nicht alle Blessuren – und hob die weißen Wundpflaster besonders deutlich hervor. Captain Schlüter hätte dem Trottel am liebsten noch ein paar weitere Prellungen verpasst. Als ob sie nicht genug Probleme hätte, musste sich ausgerechnet jemand aus „ihrer“ Einheit verprügeln lassen. Aber sie würde das Problem schon noch lösen. Die schwarzhaarige Marinesoldatin hatte bereits die Truppen der REDEMPTION befehligt und trotz ihrer für eine Marines eher geringe Größe immer verstanden, sich durchzusetzen. „Worum ging es noch mal in diesem Streit?!“
„Es hatte… persönliche Gründe, Ma’m!“
Schlüter schnaubte nur kurz: ‚Das bedeutet, es ging wohl um eine Frau. Man sollte diese Idioten kastrieren!’
„Hören Sie, Soldat! Sie haben aus mehreren Gründen Scheiße gebaut. Zum einen haben Sie sich geprügelt, obwohl das verboten ist! Normalerweise würde das Bunker bedeuten. Aber Sie haben es auch noch fertig gebracht, sich mit einem Leutnant anzulegen – UND SICH VON EINEM DÄMLICHEN WELTRAUMJOCKEY ZUSAMMENDRESCHEN LASSEN!! Nächstens lassen Sie sich noch von `nem Tech flachlegen!“
Merkwürdigerweise schien der letzte Einschub den Marinesoldaten noch zusätzlich zu treffen.
„Hören Sie, Soldat! Sie bringen mich in eine verfluchte Lage. Ich will keinen Ärger mit dem Flugkorps – und da Sie sich so grandios haben verdreschen lassen will ich auch diese ganze Scheiße nicht an die große Glocke hängen! Offiziell ist nichts passiert! Die Prellungen haben sie im Nahkampftraining erhalten – so wie SIE kämpfen ist das auch mehr als glaubhaft! Bis auf weiteres sind Ausgang und Urlaub gesperrt. Sie schieben Extrawachen, Sie Idiot. Haben Sie daran was auszusetzen?!“
„Ma’m, Nein, Ma’m!“
„Gut, denn ich war noch nicht fertig. In der Ihnen verbliebenen Zeit werden Sie nämlich an Ihrem Nahkampftraining feilen. Sie haben eine Woche Zeit, dann schicke ich Sie in den Ring – und glauben Sie mir, ich werde Sie keinem Anfänger gegenüberstellen. Wenn Sie es bis dahin nicht geschafft haben zu lernen, wie ein Marines zu kämpfen hat – nun, dann sollten Sie sich schon mal mit einer anderen Berufsperspektive vertraut machen!“
„Ma’m, Ja, Ma’m!“
„Und noch etwas. Ich will keine Revancheversuche, keine Pöbeleien mit Piloten. Diese traurige Entschuldigung für einen Kampf hat nie stattgefunden! Also verschlucken Sie Ihre Zunge oder ich reiße sie raus!“
Mit dieser recht malerischen Drohung war der Marinesoldat entlassen. Froh, dem Donnerwetter entkommen zu sein, stürzte er förmlich aus dem Raum. Die Hastigkeit seines Abgangs ließen Captain Schlüter fast grinsen. Allerdings konnte sie den Impuls ohne Probleme unterdrücken, als Sie sich klar machte, was diese idiotische Prügelei für Folgen haben könnte. Sie wollte nicht, dass irgendein arrogantes Pilotenarsch glaubte, er könne zum Zeitvertreib Marines verdreschen. Da musste etwas unternommen werden – schon weil sie „ihre Jungs und Mädels“ gut genug kannte: sollte die Geschichte die Runde machen, würden einige meinen, sie müssten die Piloten „Zurechtstoßen“. Und das ging nun wirklich nicht.
Das Marinekorps war (aus der Sicht vieler Kapitäne) der unwichtigste Truppenteil an Bord eines Schiffes. Irgendwelches Fehlverhalten oder Extraallüren konnten sich die Brückencrews und die Piloten erlauben – die Marines eher nicht. Sie sollten funktionieren wie eine Maschine. Also würde sie in dieser Sache etwas unter der Hand unternehmen – auch, weil Sie sich bereits umgehört hatte und zu wissen glaubte, WELCHER Pilot für die Sache verantwortlich war. Dieser „Skunk“ – ein wirklich passender Name – würde es auf keinen Fall schaffen, das Korps in einen schlechten Ruf zu bringen. Sie wusste schon den Richtigen für diese Aufgabe…
Der inoffizielle Charakter der Maßnahmen, die sie erwog, verlangten von Schlüter ein möglichst unauffälliges Verhalten. Was sie jetzt auf den Weg bringen wollte war zwar ziemlich traditionell, aber überhaupt nicht nach der Dienstvorschrift. Deshalb trug sie auch nicht ihre Uniform, sondern einen Trainingsanzug ohne Rangabzeichen, als sie die Sporthalle betrat. Wenn sie sich richtig erinnerte...
Die Halle war fast leer. Sie hatte die Zeit mit Vorbedacht gewählt. Vielleicht übertrieb sie jetzt die Konspiration, aber sie hatte erlebt, wie ein Bekannter darüber gestolpert war, daß er seine Extratouren nicht geheimhalten konnte – der Mann war degradiert worden und versauerte ihres Wissens nach für den Rest seiner Dienstzeit auf irgendeinem elenden Kolonialplaneten. Das würde ihr nicht passieren!
Sie hatte sich nicht getäuscht, der Gesuchte war hier. Während sie sich auf eine der Bänke setzte, musterte sie kritisch Master Sergeant Clas Schiermer.
Der Soldat schien völlig in seine Übungen vertieft – aber Schlüter war sich sicher, daß er sie bemerkt hatte. Ihm entging selten etwas, auch wenn er momentan völlig auf den Sandsack vor ihm fixiert schien – und auf den Versuch, diesen in der Luft zu zerfetzen. Der Kampfstil war Schlüter unbekannt – wohl eine Kombination mehrerer Stile. Wie hatte Schiermer einmal zu den Rekruten gesagt? „Im Nahkampf gibt es keine Regeln und Maximen bis auf diese: Setzt ALLES ein, was euch zur Verfügung steht. Es gibt kein Fair Play. Und ihr kämpft um zu siegen, um den Gegner zu vernichten. Schauraufen ist was für Amateure und Zivilisten!“
Schiermer selber beherzigte diese Regel auf jeden Fall – ob er nun Handkante oder geballte Faust, Füße, Knie oder Ellbogen einsetzte. Wie lange er schon auf den Sandsack eindrosch, inzwischen schwitzte der Sergeant jedenfalls ziemlich – ohne aber das Tempo zu drosseln. Trotzdem er mit Mitte Dreißig nicht gerade einer der Jüngsten unter Schlüters Leuten war, er gehörte immer noch zu den Besten im Nahkampf. Und seine Diensterfahrung stellte sogar die Schlüters in den Schatten. ‚Vor allem was die schmutzigen Hinterhofkriege der Republik betrifft.‘ Sie hatte in ihren zwölf Dienstjahren vom Leutnant bis zum Captain genug Action gesehen – aber Schiermer war häufiger vermißt oder für tot erklärt worden, als sie verwundet worden war. Und er hatte noch andere Fähigkeiten, die ihn für den Einsatz qualifizierten, der Schlüter vorschwebte.
Jetzt schien Schiermer fertig. Nach einem letzten wuchtigen Tritt, der den Sandsack ungefähr dort traf, wo bei einem Mann der Magen gewesen währe, trat der Sergeant zurück, dreht sich um und verließ den Übungsring. Eine hochgewachsene Pilotin – für ihren Beruf recht muskulös – nahm seinen Platz ein. ‚Schon wieder eine Pilotin!‘ Aber das Mädchen schien Nahkampferfahrung zu haben, ein regelrechtes Training. Na, vielleicht war es da kein Wunder, daß sich irgendein Greenhorn von einem Piloten verdreschen ließ, weil er den Gegner unterstützte.
Inzwischen war Schiermer bei Captain Schlüter angelangt. Sie hatte sich nicht ohne Grund neben seine Sachen gesetzt. Ohne Kommentar reichte sie ihm ein Handtuch, da er ebenso schweigsam entgegennahm und sich das Gesicht abwischte. Auch wenn er außer Atem war – der kalte abschätzende Ausdruck in seinen Augen war der gleich wie immer. Er setzte sich neben Schlüter, schien völlig auf seine Atmung konzentriert. Seine Stimme war so leise, daß sogar sie Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen: „Was wollen Sie, Ma’m?“
Er hatte also bereits kapiert, daß sie nicht ohne Grund hier war. Gut. „Einer unserer Greenhorns hat mit einem Piloten Streit angefangen. Und sich nach Strich und Faden durchprügeln lassen. Was schicken sie uns heute bloß für Material?!“
Schiermer beantwortete die, ohnehin rhetorische, Frage nicht.
„Jedenfalls habe ich keine Lust, diese Angelegenheit zu sehr an die große Glocke zu hängen. Erstens war der Pilot ranghöher und hat damit sowieso erst mal recht. Und außerdem, daß sich ein Marines so verprügeln läßt, muß nicht unbedingt im ganzen Schiff rumgehen!“
„Was soll ich tun?“
„Ich will nicht, daß dieser aufgeblasene Weltraumcowboy denkt, er könnte nach Lust und Laune mit Marines raufen. Und ich will nicht, daß er mit der Geschichte hausieren geht. Dann versucht nur einer vom Korps, unsere Ehre reinzuwaschen und es gibt wieder Ärger. Wenn wir ihn ungeschoren davonkommen lassen, ist daß das falsche Signal. Also stutzen Sie diesem Adler mal etwas die Schwanzfedern.“ Mit kurzen knappen Worten charakterisierte sie, nicht eben wohlwollend, die „Zielperson“.
„Verstanden.“
Und das hatte er wohl tatsächlich. Schlüter musterte ihn noch einmal. Schiermer würde schon wissen, was er zu tun hatte. Noch deutlich wollte sie nicht werden. Nur noch das: „Die Sache ist natürlich Ihre Angelegenheit. Und dieses Gespräch hat nicht stattgefunden – jedenfalls nicht zwischen mir als Captain und Ihnen als Sergeant. Sie halten das Korps da raus, also unterlassen Sie irgendwelche Dummheiten, die man zurückverfolgen kann!“
Jetzt schien Schiermer fast zu grinsen. Er murmelte leise irgend etwas, was sie nicht verstand. „Was war das?!“
Schiermer blickte sie an und wiederholte, diesmal deutlich und auf Englisch. „Sie sind Legionär. Helfen Sie sich selbst! Habe ich Ihre Anordnung richtig verstanden?“
„Vollkommen richtig. Und ich muß Sie wohl mal bei Gelegenheit fragen, warum Sie so viel Legionslang mit sich herumschleppen...“
„Wenn Sie mich entschuldigen...“ Schiermer stand auf, wandte sich aber noch einmal um: „Oder da Sie jetzt nicht im Dienst sind, wollen Sie mitduschen?“
Schlüter brauchte ein paar Augenblicke um zu begreifen, was der Sergeant gesagt hatte. Dann warf sie ihm einen Blick zu, der ihn eigentlich hätte umbringen sollen. Aber Schiermer grinste nur – und ausnahmsweise erreichte das Lächeln seine Augen.
Also grinste sie zurück, etwas säuerlich und nahm den Vorschlag als das was er war: „Treiben Sie es nicht zu weit, Schiermer oder ich lasse Sie kielholen und werde dann erst RICHTIG ungemütlich...“
Der Sergeant salutierte lässig und ging.
Tyr Svenson
Schiermer ließ sich mit seinem Vorhaben Zeit. Er hatte noch nie etwas von überstürztem Vorgehen gehalten, wenn es nicht nötig war. Zuerst einmal lohnte es sich, das Ziel auszukundschaften. Von Schlüter hatte er wenig mehr erfahren, als den Namen des Piloten und was in seiner Dienstakte stand. Nach zwei Tagen wußte er schon erheblich mehr, vor allem über Charakter und Freizeit der Zielperson. Und dann war es Zeit, aktiv zu werden.
Skunk hatte es eilig. Wenn er rechtzeitig zu dem „Pokerabend“ kommen wollte, den Radio für heute angesetzt hatte, mußte er sich beeilen. Er grinste dünn. Auch wenn Radio recht häufig gewann, daß letzte Mal hatte Skunk auch ein paar Reales eingestrichen – und er hatte vor, das diesmal zu wiederholen. ‚Vielleicht sollte ich dazu mal Radios Ärmel untersuchen...‘
Er nahm es nur am Rande war, daß ihm jemand entgegenkam – irgendein Tech, ziemlich breit für einen Techniker. Aber auch wenn der Mann Skunk überragte und Schultern wie ein Schrank hatte, machte er höflich Platz. Na, das gehörte sich natürlich, wenn es ein Leutnant eilig hatte.
Nachher wußte er selber nicht, was ihn mißtrauisch gemacht hatte – war es irgend etwas an den Bewegungen des Technikers gewesen, der merkwürdig federnde Gang? Als Skunk den Mann passierte hatte er sich jedenfalls noch einmal zu dem Techniker umgewandt.
So sah er den Schlag, im letzten Augenblick. Er konnte nicht voll ausweichen und bekam die Fäuste nur halb hoch – aber so erwischte ihn der Hieb nur an der Schulter, nicht im Gesicht. Doch auch so reichte die Wucht, um ihn herumzuwirbeln und gegen die Wand zu schleudern. Mit einem dumpfen Dröhnen prallte er auf. Aber jetzt war er bereit, hatte die Fäuste oben.
Der Techniker ließ Skunk kaum Zeit, ihn Verteidigungsstellung zu gehen, sondern folgte ihm sofort. Skunk kannte den Mann nicht – das kantige Gesicht mit den blassen Augen sah er zum ersten Mal. Aber wer das auch war, er war ein guter Kämpfer und offenbar fest entschlossen, Skunk niederzuprügeln.
Der „Techniker“ eröffnete die zweite Runde mit ein paar schnellen Schlägen die auf Skunks Gesicht zielten. Aber so leicht war der nicht zu ködern, er hatte sofort erkannt, daß der andere jetzt, da sein Überraschungsangriff gescheitert war, ihn zuerst testen wollte. Problemlos blockte er die Hiebe ab – um dann selber eine Gerade anzubringen. Er erwischte den „Techniker“ am rechten Auge, der Mann zuckte zurück, doch als Skunk nachsetzen wollte stoppte ihn ein schneller Schlag, der seine Deckung unterlief und seine Rippen dröhnen ließ.
Der „Techniker“ bleckte die Zähne. Vielleicht sollte es ein Lächeln sein, aber ohne jede Spur von Humor. Dann rückte er schon wieder vor, Skunk dabei vorsichtig umkreisend. Offenbar wollte er ihn nicht noch einmal unterschätzen.
Während Skunk seinen Gegner im Auge behielt, fühlte er ein unangenehmes Gefühl der Unsicherheit aufsteigen. Der Mann war wirklich verdammt gut – zu gut. Und er konnte sich wohl kaum davonmachen. Aber um Hilfe rufen kam auch nicht in Betracht. Die meisten Leute waren zur Zeit wohl in ihren Kojen oder auf ihrem Posten – und außerdem war dieser Teil des Trägers ziemlich abgelegen. Und es hätte ihm bis an sein Lebensende nachgehangen, wenn er jetzt um Hilfe plärrte.
Sein Gegner griff wieder an, diesmal deutlich vorsichtiger. Aber dafür steckte Wucht hinter den Schlägen. Er hätte Skunk beinahe kalt erwischt, als der „Techniker“ plötzlich herumwirbelte und ihm einen Tritt in den Bauch verpassen wollte, aber Skunk konnte halbwegs ausweichen und den Anderen sogar noch einmal zurücktreiben.
Wieder verharrten die beiden Kontrahenten kurz, sich wachsam gegenseitig musternd. In Skunk brodelte Wut hoch: „WAS WILLST DU ARSCH EIGENTLICH?!“ Der andere antwortete nicht, grinste ihn nur wieder humorlos an und rückte vor. Und dann begriff Skunk. Sein Gegner war sich sicher zu gewinnen – und wenn Skunk weiter ihn den Takt bestimmen ließ, dann würde dieser Hurensohn ihn fertig machen. Ihn blieb nur eine Strategie...
Mit einem fast tierhaften Brüllen warf Skunk sich auf seinen Gegner, ließ ein wahres Trommelfeuer von Schlägen auf die Deckung des Gegners niederprasseln. Er mußte ihn zurückwerfen, selber angreifen – er mußte! Dann sah er die Lücke in der Verteidigung des Gegners – mit aller Wucht schlug er zu, traf aber nur seine Schulter. Schmerz loderte in seiner Faust auf – dann explodierte irgend etwas in seinem Gesicht und er krachte wie ein nasser Sandsack gegen die Wand.
Schwer atmend starrte Schiermer auf den am Boden liegenden. Das war härter gewesen, als erwartet. An der rechten Schulter und dem Brustkorb spürte er deutlich die Treffer, das würden ein paar hübsche Prellungen geben. Und er brauchte keinen Spiegel um zu wissen, daß die Haut rings um sein rechtes Auge bereits blau anlief. Er hatte diesem sturen Misthund die Nase gebrochen – aber der schien immer noch bei Bewußtsein. Aber das war schon in Ordnung. Schiermer war noch nicht mit ihm fertig.
Skunk hatte schon mal jemanden die Nase gebrochen. Und ein Kamerad hatte ihm mal beschrieben, was das für ein Gefühl war. Aber nichts davon hatte ihn darauf vorbereitet. Er war vollkommen paralysiert. So hatte er keine Chance, als ihn plötzlich rohe Fäuste packten. Während sein Gegner mit der einen Hand seinen rechten Arm brutal auf den Rücken bog, legte er Skunk den anderen um den Hals – ein Ruck nur war nötig und er hätte Skunk das Genick gebrochen. Und der Pilot konnte nichts tun.
Erst jetzt sprach der Angreifer. Die Stimme war leise und ausdruckslos: „Keine Bewegung, Hurensohn. Du hörst jetzt zu! Es gab mal ein Arschloch, das war genauso bescheuert wie du. Sogar noch bescheuerter, denn er hat einen Marine abgestochen, weil der angeblich seine Schnalle belästigte. Das war...aber das spielt keine Rolle.“
‚Wieso quatscht der Scheißkerl mich voll?!‘ Probeweise versuchte Skunk seinen Kopf zu drehen, sich mit dem linken Arm abzustützen. Aber sein Gegner reagierte sofort, riß den rechten Arm Skunks nach oben. Schmerz schoß dem Piloten in den Rücken, ließen ihn den Widerstand aufgeben. Auch wenn er den Kopf etwas hatte drehen können, der Andere hatte ihn völlig in der Hand. In der Stimme schwang kurz grimmige Belustigung mit, dann wurde sie wieder ausdruckslos: „Gib dir keine Mühe. Also was meine Geschichte betrifft... Andere Marines griffen sich diesen Messerstecher und brachten ihn in den Urwald.
Zuerst haben sie ihm die Finger gebrochen. Jeden einzelnen und das mehrmals. Das ist gar nicht so einfach. Und der Mann hat nicht um Hilfe gerufen. Dann haben sie ihn kastriert. Und der Mann hat nicht um Hilfe gerufen. Und dann ließen sie ihn liegen, ausbluten wie ein Schwein. Es muß Stunden gedauert haben bis er tot war. Und er hat nicht um Hilfe gerufen. Weißt du warum?!“ Der Andere beugte sich vor, jetzt sah Skunk sein Gesicht direkt vor sich. Die Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab: „Als erstes hatten sie ihm die Zunge herausgeschnitten.“ Und während er das sagte, starrte er Skunk direkt an. Aus kalten, ausdruckslosen Augen, Mörderaugen.
„Wenn du noch einmal Ärger mit dem Korps anfängst... Nun, sieh das hier als Warnung an. Wir können auch spielen – und nicht zu deinen Regeln!“
Abrupt ließ der Mann Skunks Arm los, doch bevor der etwas tun konnte, explodierte sein Rücken förmlich vor Schmerz. Der andere hatte ihm mit voller Wucht den Ellbogen ins Kreuz gerammt. Während sich Skunk stöhnend am Boden wand, stand der Andere auf und ging.
Als Captain Schlüter hörte, wie Schiermer die Sache angegangen hatte, war sie sich nicht sicher, ob sie ihn loben, oder eine verpassen sollte. Natürlich hatte sie gewollt, daß der Pilot einen Denkzettel bekam – aber so...
„Na hoffen wir mal, daß Sie die richtigen Knöpfe gedrückt haben. Wenn dieser Pilot jetzt der Meinung ist, er ist es seinem Ego schuldig, Wind zu machen...“
Schiermer zuckte knapp mit den Schultern: „Er hat nur einem Mann in Tech-Overall gesehen. Und wenn er mich identifizieren sollte, gibt es genug Soldaten, die bezeugen, daß ich zu der Zeit mit ihnen trainiert habe. Sie brauchen nicht mal mit ihnen zu REDEN. Und was diesen Piloten betrifft – ich glaube nicht, daß er es ausfechten will.“ Diesmal war Schiermers Lächeln ausgesprochen widerwärtig.
„Na das will ich hoffen – auch in Ihrem Interesse!“ Insgeheim aber legte sich Schlüter bereits eine Strategie zurecht, für den Fall, daß tatsächlich jemand den JAG einschaltete. Das wäre ja gelacht, wenn sie sich von einem Paragraphenreiter ausmanövrieren ließe!
Tyr Svenson
„Sein Name ist Justin McQueen. Er ist Chef der schwarzen Staffel, der Nighthawks und der zweite Schützenkönig an Bord, gleich nach dem CAG. Ach ja, er ist stellvertretender Geschwaderführer.
Seine Karriere liest sich wie ein Inhaltsverzeichnis der Militäroperationen der letzten Jahre.
Die wichtigsten Punkte sind Manticor, wo er mit den Blue Angels gegen die einfallenden Akarii gekämpft hat, Operation Husar sowie die Geleitzugschlacht von Jollahran.
Außerdem geht das Gerücht, er hätte einen Dogfight mit dem Roten Baron gehabt.
Das ist der Spitzname für Commander Norr Wilko, dem Top-As der Akarii-Piloten.
Alles in allem möchte ich zusammenfassen: Der Mann ist ein Kriegsheld. Und es würde mich nicht wundern, wenn demnächst die Propagandaabteilung hier einfällt, um ein Filmchen über ihn zu drehen.“ Auffordernd sah Lansdale Ken Howard an.
„Ja, ja“, brummte der, „du kriegst deine zwei Marlboro noch.“
„Das meine ich nicht“, brummte Lansdale beleidigt. „Es ist nur gerade etwas offensichtlich, warum sich Icequeen ausgerechnet in den Fliegerarsch verguckt hat, oder?“
Howard brummte etwas Böses vor sich hin.
„Tja“, setzte Lansdale noch einen oben drauf, „gegen einen Kriegshelden kannst du nicht anstinken, was?“
Howard fuhr herum. Zorn blitzte in seinen Augen. „Denkst du vielleicht, ich gebe auf? Eine Kameradin ist in Gefahr, den größten Fehler ihres Lebens zu machen! Da kann ich doch nicht tatenlos neben stehen! Ich werde sie retten, und wenn ich ihr den Verstand dafür einprügeln muss!“
„Retten? Für was? Für eine halbe Stunde Besenkammer?“
Wütend blitzten die Augen des Privates auf. „Die Situation ist zu ernst für Scherze!“
Lansdale sah Howard für seine Begriffe unerklärlich ernst an. Er legte Ken eine Hand auf die Schulter. „Junge, was du an dieser Situation zuerst klären solltest ist: Warum tust du das?
Willst du wirklich nur der Erste bei Icequeen sein? Willst du wirklich die Ehre des Corps retten? Willst du Jean helfen? Oder willst du nur dein verdammtes Ego befriedigen?“
Howard blinzelte erstaunt. „Was für Drogen hast du eigentlich heute eingeworfen? So ernst kenne ich dich gar nicht.“
„Lenk nicht ab. Denk lieber mal drüber nach. Und wenn du zu dem Schluss kommst, dass du nur dein Ego zufrieden stellen willst, überlege dir mal, ob Jean nicht ohne deine Hilfe besser dran ist.“
Lansdale nahm den Arm wieder herunter. Er ersetzte die ernste Miene durch sein berüchtigtes schalkhaftes Lächeln und verließ den Flur Richtung seiner Kabine.
Howard starrte ihm nach. Und schüttelte den Kopf. Dann fluchte er zum Steine erweichen.
„Nein“, sagte er mit Inbrunst, „nein, nein, nein. Ich will sie nur knallen! Mehr nicht.“
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Müde schlurfte Jean Davis durch die Gänge der Infanterieunterkunft. Ihr zusätzliches Training reduzierte ihre Freizeit auf ein absolutes Minimum, und das war auch noch angefüllt mit Pflege der Ausrüstung und dem schreiben von Scharfschützenprotokollen.
Aber sie konnte nicht anders. Irgendwie war sie auch stolz. Stolz, von Schmierer als fähig angesehen zu werden, eine Sniper zu werden. Soweit sie wusste, hatte der Master Sergeant niemand anderen zu dieser Ausbildung befohlen.
Natürlich wusste sie, dass der alte Sack keinerlei Problem damit haben würde, ihr ihr Versagen vor allen Kameraden um die Ohren zu klatschen, wenn sie die Ausbildung nicht schaffte. Aber immerhin gab er ihr einen Vertrauensvorschuss. Und den wollte sie nicht verspielen.
Sie betrat ihre Unterkunft. Die anderen Mädels erwarteten sie bereits. Sie waren in sehr ausgelassener Stimmung. Schiermer war in einer taktischen Besprechung mit dem Captain (der auf dem Schiff ehrenhalber zum Major befördert worden war, weil die Navy-Ärsche bei zwei Captain an Bord zu leicht durcheinander kamen), und Porky soff sich gerade in der Männerstube am Ende des Ganges durch eine Kiste Bier.
Das bedeutete Freizeit.
Als Jean eintrat, hoben die weiblichen Marines ihre Gläser und prosteten ihr zu.
„Komm Scharfschütze, setz dich zu uns.“
Es war eine unausgesprochene Regel auf der Stube, dass die Damen unter sich blieben. Herrenbesuch war strengstens verboten. Frauen in Marine-Uniformen gingen eher ins Feindesland, als den Gegner in den eigenen Bau zu lassen.
Dementsprechend locker war die Runde. Viele trugen nur Shorts und Top.
Jean lächelte schwach. Sie warf ihren Kram aufs Bett, zog die Uniformjacke aus und warf sie hinterher. Danach schnappte sie sich einen Stuhl und setzte sich zu den anderen fünf Grazien, wie die Männer ihre Stube nannten.
„Schenk ein“, forderte sie.
„Und? Wie ist deine Ausbildung?“, fragte Mareike Johnson mit ehrlichem Interesse in der Stimme.
„Dieser Latinofreak nimmt mich ganz schön hart ran“, bemerkte Jean, und stöhnte leise auf. „Hat sich wohl einen Trainingsplan beim Sarge geholt. Überschrift: Wie foltere ich am besten Jean Davis zu Tode.“
„Hart ran nehmen? Können Sie das bitte präzisieren?“, wollte Haggerty wissen. „Klingt ja beinahe so, als würdest du deinem Flottenpinkel untreu werden.“
„Er ist nur… Ach, was soll´s. Ihr glaubt mir ja sowieso nicht“, brummte Jean beleidigt und trank einen Schluck aus ihrem Becher.
„Nun, es gibt leider nicht viele Möglichkeiten, wieso ein Marine und ein Offizier der Navy aneinander geraten. Die einfachste Lösung ist meistens die Richtige. Auch wenn es jedem einzelnen Mann auf diesem Flur das Herz brechen wird“, erwiderte Haggerty und griff sich an die Brust. „Und meines dazu. Hach.“
„Selber Schuld“, erwiderte Jean und unterdrückte ein Grinsen. Warum schaffte Frauke es immer wieder, sie aufzumuntern?
„Vielleicht liegt die Antwort ja hier drin“, meinte Colon, die drahtige Sanitäterin und zog einen Briefumschlag hervor.
Jean sah erschrocken auf. „Wo hast du den denn her?“
„Der lag neben deinem Bett. Wollen wir ihn mal lesen?“
Jean sprang auf und schnappte danach, war aber zu langsam. „Gib her! Das ist…“
„Aber, aber“, erwiderte die Latina und öffnete den Umschlag. „Post von deinem Lover?“
Sie lachte und zog das Papier hervor.
„Liebe Jean“, begann sie, „du weißt, dass ich dich liebe wie nichts sonst auf dieser Welt…“
Die anderen Frauen pfiffen begeistert. „In jedem Hafen einen Kerl.“
„Gleiches Recht für Frauen! Warum sollen nur die Männer ihren Spaß haben?“
„Mann, Professor, das habe ich jetzt nicht von dir gedacht.“
Jean sank auf ihren Stuhl zurück. Sie hatte sich noch nicht getraut, den Brief zu öffnen. „Lies weiter, Ana.“
„Du und unser Nesthäkchen sind für mich das wichtigste in diesem Universum. Es ist schwer zu glauben, aber egal was ich sage, egal wie lange ich darüber nachdenke, letztendlich bist du der Grund, warum ich in die Navy eingetreten bin.
Ist es so falsch, dass ich dich beschützen will?“
„Weiter, weiter“, forderte Frauke Haggerty grinsend.
„Wenn du diesen Brief erhältst, weißt du zwei Dinge. Ich werde dich immer lieben, aber ich kann nicht mehr für dich da sein. Ich bin gefallen, in Erfüllung… meiner… Pflicht…“
Ana Colon sah vom Zettel auf. „Jean, es tut mir so leid. Ich wusste nicht, dass…“
„Lies weiter. Bitte.“ Die junge Davis hatte die Augen geschlossen.
„Wann es passiert ist, weiß ich nicht. Wo es passiert ist wird dir niemand verraten. Aber ich verspreche dir, dass ich nicht leichtfertig gestorben bin. Ich bin gut, sehr gut sogar. Man kann mich nicht so ohne weiteres töten. Sicher bin ich mit einem Knalleffekt abgetreten.
Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich gestorben bin. Und ich hoffe, du bist immer noch so stolz auf mich wie an jenem Tag, an dem du, Mom, Dad und Ian mich zur Akademie gebracht habt.
Ich erinnere mich noch, wie aufgeregt du warst, als ich das erste Mal die weiße Ausgehuniform getragen habe. Nach Opa bin ich der dritte Mann aus unserer Familie, der zur Navy ging.
Dieser Schritt hat mich getötet. Aber das macht nichts, denn ich glaube, dass ich für eine gute Sache gestorben bin, trotz allem.
Nur bitte ich dich, mir nicht nachzueifern. Tritt du nicht auch noch in den Krieg ein. Ein Davis ist mehr als genug. Werde du kein Pilot. Bleib bei unseren Eltern und Ian und den anderen.
Erinnere dich an mich als deinen großen Bruder. Nicht an den Flottenoffizier.
Siege da, wo ich versagt habe. Bleib am Leben.
In unendlicher Liebe, dein Bruder Clifford.“
Ana Colon legte den Brief auf den Tisch und wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Deswegen bist du hier?“, murmelte Frauke leise. „Wegen deinem Bruder?“
Aus Jeans geschlossenen Augen flossen Tränen. „Er… war Pilot auf der REDEMPTION. Er starb im Zuge der Geleitzugschlacht. Angeblich steuerte er seine Phantom in eine Antischiffsrakete, die den ungeschützten Träger zu vernichten drohte.
Dafür wurde er posthum befördert.“
Jean riss die Augen auf. „Deswegen bin ich hier. Ich will Rache nehmen. Ich will jeden verdammten Akarii töten, der mir vor die Flinte kommt. Sie haben mir meinen Bruder genommen: Ich tue ihnen dasselbe an.“
Stille antwortete ihr. „Aye“, murmelte Mareike. „Ein guter Grund, Marine. Sempe Fidelis.“
Jean nickte nur. Ihre Scharfschützenausbildung. Sie war wichtig…
Tyr Svenson
Die Start und Landeübungen waren reibungslos verlaufen. Das Personal der COLUMBIA hatte endlich auch Training bekommen und alle 8 Staffeln der Angles beherrschten den Formationsflug nahezu perfekt.
Das einzige, was Lucas noch zu bemängeln gehabt hätte, wäre der Sprittverbrauch, den die Wingman hatte, um sich an die Bewegungen ihrer Rottenführer anzupassen. Doch das war ein Problem, um, dass sich Offiziere in Friedenszeiten sorgen machen durften.
Wieder einmal hatten ihn Radio wie auch Skunk überrascht. Sie hatten die Staffel sehr gut im Griff, erkannten Fehler früh und korrigierten sie.
Ebenso schien Skunk sämtliche Schikanen gegenüber Cartmell einzustellen, so bald sie aus dem Träger geschossen wurden.
Der CAG der COLUMBIA flegelte sich auf sein Sofa und grinste Darkness an. Vor beiden stand ein Glas Whiskey, leider kein Antiqua Single Malt, aber dennoch ein uralter Jamison aus Ireland.
"Das ist doch mal ein schöner Ausklang für einen fast perfekten Tag." Lone Wolf seufzte.
"Nur fast perfekt? Du bekommst den Victory Star und nennst ihn nur fast perfekt? Deine Eltern haben wohl verpasst Dir Bescheidenheit zu lehren."
"Wo nimmst Du nur immer diese Fremdwörter her Jus?" Der CAG legte die Beine gekreuzt auf den Tisch.
"Man, Junge, Dir geht es zu gut." Darkness nippte an seinem Whiskey und legte dann ebenfalls die Beine auf den Tisch.
Einen kurzen Augenblick war der Krieg vergessen und sie beide waren zwei einfache Männer um die 30, die sich ihres Feierabends freuten.
Doch so schnell der Augenblick gekommen war, so schnell war er auch wieder vorbei.
"Ich wollte mit Dir über Donnovan Cartmell reden." Begann Darkness zögernd.
Cunningham war seinem Freund einen bösen Blick zu: "Muss das sein? Muss das umbedingt Heute sein?"
"Je eher desto besser."
Lucas setzte sich auf und nahm noch einen Schluck Whiskey und verzog das Gesicht. Innerhalb der letzten Minute schien dieses edle Gesöff - Wasser des Lebens - jeden Geschmack verloren zu haben. Er zündete sich eine Zigarette an, verzichtete jedoch darauf Darkness eine anzubieten. Der ältere Veteran hätte sowieso abgelehnt.
"Also was ist mit Cartmell?"
"Ich mache mir sorgen ..."
"Du auch, ja der kann uns den ganzen Haufen durcheinander bringen, dabei hatten wir mit Radio mehr als genug Ärger."
"Könntest Du mich bitte ausreden lassen?" Darkness setzte sich jetzt ebenfalls auf und funkelte seinen Freund böse an.
"Ja, ja natürlich." Lucas zog nervös an seiner Zigarette, er hatte schon so eine Ahnung, wo das Gespräch enden würde.
"Ich mache mir sorgen um den Ensign", fuhr Darkness fort, "okay, Tatsache ist, dass er für alles was nach seinem Kriegsgericht geschehen ist, seine eigene Schuld ist. Jedoch haben wir ihm jetzt im Kommando und wir müssen etwas daraus machen. Du weißt, ich Teile Deine Einstellung, dass wir nicht umbedingt fair sein müssen. Wir sind hier um Ergebnisse herbeizuführen, die dazu beitragen diesen Krieg zu gewinnen und wenn das eben auf Kosten der Jungs ist, ist das eben so.
Aber um diese Ergebnisse beizubringen dürfen wir nicht dabei helfen, oder auch nur billigend zuzusehen, wie sich das gesamte Geschwader auf einen einschießt."
Lucas drückte seinen Zigarettenstummel im Aschenbecher aus und zündete sich sofort eine neue Lucky Strike an: "Was willst Du machen, ich mein, wir können Cartmell doch nicht die Hand vor den Arsch halten, nicht bei seinem Verhalten und überhaupt, das würde ja aussehen ..."
"Als ob Du Schuldgefühle hast, wegen damals?"
"Himmel Arsch, wenn der sich von ner veralteten Mustang aus dem Jäger schießen lässt, dafür kann ich doch nichts."
"Nein, dafür kannst Du im Prinzip nichts, so was kommt vor, nur ist das die ganze Geschichte?"
"Justin, was willst Du andeuten?"
"1. Der Knabe hasst Dich. Das kann daran liegen, dass er glaubt, Du hättest Dich damals im Kampf falsch verhalten. Und 2. Du reagierst derart allergisch auf Cartmell, dass man meint, Du hättest Schuldgefühle. Was natürlich nur passieren kann, wenn man Dich länger kennt und Dir derartiges zugesteht." Darkness setzte seinem Freund bewusst zu. Er wollte wissen, was vorging.
"Justin!" Mahnte Lucas eindringlich.
Sein Freund jedoch blieb ungerührt und blickte ihn auffordernd an.
`"Verdammt." Lucas schlug mit der Faust aufs Sofa. "Ja, ich habe damals einen Fehler gemacht. Ich bin damals etwas in Panik geraten, was Cartmells Abschuss für Auswirkungen auf meine Karriere haben könnte und habe ihn schlecht geredet, immerhin er WAR TOT."
"Und nun?"
"Was ‚und nun‘? Er fliegt in meiner Schwadron und fertig. Das ‚und nun‘."
"Ich würde trotzdem gerne dafür sorgen, dass die roten Jungs den Jungen mal etwas in Ruhe lassen." Stellte Darkness fest.
"Von mir aus, mach was Du willst"; Lucas leerte sein Glas.
Tyr Svenson
Der Geruch von Desinfektionsmitteln stieg ihm in die Nase. Lucas hatte eine ausgesprochene Abneigung gegen Krankenstationen und Krankenhäuser. Sie hatten alle diesen komischen Geruch, auch wenn noch keine Patienten zu behandeln waren.
"Ahh Commander, schön Sie wieder zusehen." Peter Langenscheid lächelte ihn freundlich an. Langenscheid war Arzt auf der REDEMPTION gewesen und mit ihm zusammen hatte Lucas die letzten Augenblicke dieses stolzen Schiffes erlebt.
"Ich gratuliere zum Lieutenant Commander." Lucas schüttelte ihm die Hand.
"Oh, vielen dank, haben mir das Eichenlaub als Dreingabe zum Bronce Star gegeben, kann die Gehaltserhöhung gut gebrauchen."
"Dann gratuliere ich auch zum Star."
Langenscheid grinste: "Geschenkt, habe das Stück Blech meiner Nichte geschenkt, die fand ihn soo schön. Wir haben hier einige von der guten alten Red, auch Doktor Hamlin und Father Schönberg bin ich auch schon über den Weg gelaufen."
"Freut mich zu hören. Ich mein, von Schönberg wusste ich, dass er es geschafft hatte, doch von Hamlin hab ich auf der RELENTLESS nichts mehr gehört. Aber ich wollte zu einem meiner Piloten, Martin Durfee."
"Oh, ja, der Junge Mann, der vor Admiral Wulff zusammengeklappt ist, was hat sie denn zu dem armen Kerl gesagt."
"Der Lieutenant verträgt kein Lob."
"Achso", lachte Langenscheid, "gut, er ist in Zimmer eins, hat aber gerade Besuch. Möchten Sie einen Kaffee, so lange Sie warten?"
"Gern."
Sie sprachen noch eine Weile, über das was nach der Evakuierung der REDEMPTION geschehen war. Es half Lucas fast genauso viel wie die Hypnosetherapie, die er erhalten hatte.
Langenscheid schien die ganze Angelegenheit sehr locker zu nehmen.
"Ich verabschiede mich dann mal wie ..." Platzte Raven in das Gespräch. "Ach, guten Morgen Commander."
"Morgen, waren Sie etwa Razors Besuch?"
"Ja, er gehört immerhin zu meinen Männern und ist der einzige, der seit der ersten Feindfahrt noch übrig ist."
Sie beäugte ihn misstrauisch: "Wenn Sie Razor zusammenfalten wollen, haben wir ein massives Problem."
Lucas zog die linke Augenbraue hoch: "Ähm, ich mache hier meinen Anstandsbesuch, denn wissen Sie, Razor ist auch einer derjenigen, die noch von Anfang an, aus meinem Geschwader übrig sind." ‚Warum bin ich nur von einem Haufen Schnepfen umgeben, wenn Huntress auch noch so herumzickt erschieß ich irgendwen.‘
"Oh, da besinnt sich, wer auf seine Pflichten." Schnappt sie.
"Exakt Raven, ich habe es endlich geschafft die Geschwaderleitung unter Dach und Fach zu bringen." ‚Du tust mir nicht den Gefallen und spazierst aus der nächsten Luftschleuse oder?‘
"Freut mich zu hören. CAG, Doktor." Raven verließ die Krankenstation.
"Was war denn das?" Langenscheit schaute verwundert aus der Wäsche.
"Sie ist eine Gute Pilotin, die dürfen sich ihre Eigenheiten leisten." Lucas zuckte die Schultern. "Ich schau jetzt mal nach Durfee."
"Ja, machen Sie das."
Lucas klopfte zweimal gegen's Schott und betrat dann unaufgefordert das Krankenzimmer. Von den vier Betten war nur eines belegt.
Martin "Razor" Durfee betastete den erhaltenen Orden. "Oh, guten Morgen Commander, das mit gestern, tut mir leid. Ich bin sicherlich das Gespött des ganzen Geschwaders."
"Ach, nicht wirklich, die meisten machen sich eher sorgen, dass ein Held so plötzlich umkippt."
"Held." Durfee klang bitter. "Die Akarii sehen mich wohl eher als Mörder. Können Sie sich das vorstellen, achttausend Leben auszulöschen?"
Der CAG setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Und dachte kurz nach. Über seinen Aufklärungsflug über die atomare Hölle von Troffen nach dem Bombardement.
"Nein, kann ich mir nicht vorstellen." Log er.
"Jede andere Antwort hätte ich Ihnen auch nicht geglaubt."
"Aber, Martin, glauben Sie etwa, dass Sie diesen Orden für die Achttausend toten Akarii bekommen haben?"
"Wofür denn sonst?"
"Für das, was Sie jetzt durchmachen. Für die seelische und moralische Belastung, die Sie auf sich genommen haben um Ihre Heimat zu verteidigen. Und bedenken Sie, wie viele Leben Sie auch gerettet haben."
Der jüngere Pilot blickte ihn etwas zweifelnd an.
"Hey, ansonsten hätten uns unsere Schlammstampfer mit diesen Echsen auseinander setzen müssen und glauben Sie etwa, die hätten dabei eine vernünftige Figur gemacht? Die Marines etwa? Oder noch schlimmer, die Army?" Lucas lachte. "Wenn die wüssten, was ihnen erspart blieb, müssten Sie ganze Schiffsladungen voll mit Danksagungen bekommen."
Razor grinste: "Yeah, da gibt es eine Story über Marines ..."
Die beiden Piloten brachen in schallendes Gelächter aus. So begann jede Spottgeschichte über die Marines.
Tyr Svenson
An der Tür des Besprechungsraumes hatte zu beiden Seiten ein Marine Stellung bezogen. Die beiden Männer trugen um den linken Arm die schwarzen Binden der Bordpolizei.
Vor dem Podium standen in Rührt-Euch-Stellung der Reihenfolge nach Donovan Cartmell, Skunk, Einar Haugland, Kano Nakakura und Helen Mitara.
Darkness stand ebenfalls in Rührt-Euch-Stellung vor dem großen Wandbildschirm und versuchte sie alle gleichzeitig mit bösen Blicken einzuschmelzen.
Lucas hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und marschierte vor den fünf auf und ab. "Nun, meine Dame, werte Herren, der Commander und ich habe etwas gepuzzelt."
Der CAG blieb kurz vor dem besonders mitgenommenen Skunk stehen.
"Ich bin sicher, Sie alle sind wahnsinnig an unseren Ergebnissen interessiert richtig?" Er setzte seine Wanderung fort. "Also vier von Ihnen haben sich in Miramar schon richtig amüsiert. Sie! Sie! Und Sie!" Er deutete nacheinander auf Haugland, Nakakura und Mitara. "Sie drei Schwachköpfe haben sich Cartmell geschnappt und meinten etwas Spaß haben zu können." Er deutete auf Skunk. "Und Sie elender Querschläger haben die drei angestiftet und gestern haben Sie von Cartmell die Quittung erhalten!"
Okha und Kali erbleichten.
"Sir, das stim..." Wollte Skunk anfangen. Der Veteran näselte schrecklich.
"RUHE!" Lucas baute sich vor Skunk auf: "Ich gebe Ihnen einen Ratschlag mein Freund. Tanzen Sie mir nicht mehr außer der Reihe, sonst mach ich Sie fertig, ich Reis Ihnen den Arsch bis zum Skalp auf."
Dann wanderte er weiter, Haugland ließ er aus und blieb vor Kano stehen, die Gesichter kaum 6 cm von einander entfernt: "Und was ist in Sie gefahren? Der Krieg bekommt Ihnen wohl nicht? Ich hab von Ihrem Stunt auf der Galileo gehört. Damit haben Sie sich die Beförderung verhagelt. Sehen Sie zu, dass es nicht die ganze Karriere wird!"
Bei Helen beschränkte er sich darauf den Zeigefinger drohend zu heben und wandte sich jetzt Haugland zu. Zu dem Hünen wusste er eigentlich keine Geschichte, hatte sich auch nicht die Akte angesehen: "Und SIE! Ihr Ruf ist mir gut bekannt Freundchen! Sie stehen auf meiner Abschussliste. Also bleiben Sie ja aus der Schusslinie Haugland! Sie lernen besser das schleichen!"
Darkness besann sich immer noch aufs Niederstarren.
"Haben Sie noch etwas, Commander?" Fragte ihn Cunningham, woraufhin Darkness nur mit dem Kopf schüttelte.
"Okay, Sportsfreunde: RAUS!"
Die Fünf schwenkten nach Rechts und marschierten zur Tür. Skunk starrte den einen Sergeanten der Marines merkwürdig an.
"Kali würden Sie noch einen Augenblick warten?" fragte Darkness mit höflicher Stimme. Für ihn war es ungewohnt das Zuckerbrot zur Peitsche zu sein.
Cunningham wartete bis die anderen vier Piloten und die beiden Marines den Besprechungsraum verlassen hatten.
"Helen, ich weiß, dass Sie der Tod von Cliff Davis und den anderen Kameraden von der REDEMPTION sehr getroffen hat. Und ich weiß, dass man sich gerade in diesen Momenten an Menschen - wie Kano - klammert, die man kennt. Doch sollten Sie bedenken, dass Sie Ihre Karriere nicht für die Freundschaft falscher Freunde wegwerfen sollten."
"Sir, ich bitte frei sprechen zu dürfen."
"Ist schon gut Lieutenant, gehen Sie, ich will zu dem Thema nichts mehr hören."
"Sir. Aye, aye, Sir!" Die Pilotin klang deprimiert.
Draußen vor der Tür drehte sich Skunk zu den beiden Marines um: "Sergeant. Einen Moment bitte."
"Sir?" Clas Schiermer Anrede troff nur so vor Insubordination.
"Okay, Schmierer", Skunk sprach den Namen absichtlich falsch aus, "diese Runde geht an Dich, aber wenn Du meinst, dass ich jetzt vor jedem Deiner Welpen Männchen mach, bist Du bei mir an der falschen Stelle."
Schiermer senkte die Stimme: "Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Sir."
"Tu nicht dümmer als Du aussiehst", Skunk lachte, "ach, ich vergaß, Marine, Du bist dümmer als Du aussiehst."
"Jetzt pass mal auf, du Dreckschwein, Du scheinst sehr begriffsstutzig zu sein. Ich brech Dir alle Knochen, wenn Du der Meinung bist du könntest durch das Schiff laufen und Marines zusammenschlagen."
"Hey, mit wem soll ich sonst meine Kräfte messen, etwa mit den anderen Piloten? Vergiss e, Kumpel. Und wenn Du deine Welpen besser trainieren würdest, würden sie auch nicht umkippen wie die Fliegen."
Skunk wendete sich ab und ging. Hoffentlich hat er nicht gemerkt, wie meine Beine geschlottert haben.
Schmierer blickte dem Piloten nach. Der Junge pisst Eiswürfel, warum haben die den nicht zu den Marines geholt.
Tyr Svenson
Jason Rowland erbrach sich. Sein gesamtes Mittagessen ergoss sich über den gekachelten Fußboden. Weiße Kacheln, wie in einem Krankenhaus.
Teile der halb flüssigen, aber überwiegend breiigen Masse spritzten auf die schwarzen Stiefel des Verhöroffizieres.
Der mittelgroße Akarii hatte ihn vor zwölf Tagen empfangen. Er hatte sich mit den Worten: "Sie können mich Sir nennen. So spricht man doch einen höherrangigen im Ihrer Flotte an." vorgestellt.
Die ersten Verhöre waren recht zivilisiert vonstatten gegangen. Ebenso waren die ersten Mahlzeiten recht gut. Am dritten Tag war das Essen dann mit einem Brechmittel verfeinert worden. Woraufhin Rowland dann für einige Tage die Nahrungsaufnahme verweigert hatte. Jedoch pflichtschuldigst aufgegeben hatte und wieder ass. Dies war das dritte mal, dass er Essen mit Brechmittel erhalten hatte.
Den Vormittag über hatte man ihn verhört, geschlagen und gefoltert. Dann kam das Mittagessen. Jetzt wandte er sich mit Magenkrämpfen in seiner eigenen Kotze.
"Bitte, bitte hören Sie doch endlich auf." Wimmerte der Geheimdienstler.
Der Akarii biss noch einmal genüsslich in sein belegtes Brötchen. Er kaute konzentriert, als ob er seine Kaubewegungen zählte, bevor er den Bissen runterschluckte.
"Oh, ich würde gerne aufhören, sehen Sie, auch für mich gibt es schönere Aufgaben als Ihnen beim kotzen zuzusehen."
"Ich habe Ihnen doch alles gesagt, was ich weiß ..."
"Nein, das haben Sie nicht Lieutenant."
"Bitte, ich bitte Sie ..."
"ES REICHT! Schnallt ihn auf einen Stuhl. Ich will, dass die Mediziner mit einer Gehirnsonde alles rausholen, was da drin steckt!"
Rowland wurde hochgerissen, als zwei Kräftige Akarii ihn an den Armen packten.
"Nein! NEIN! Bitte nicht." Während seiner Gefangenschaft hatte sich eine Rowland-Identität entwickelt, die die sich schützend vor seine eigentliche Identität und seinen Verstand gelegt hatte. Doch tief in ihm drin war Chamberland. Kalt, berechnend und zu allem bereit. Und in diesem Augenblick gab die Chamberland Identität die Befehle an den Körper, sich der folgenden Erniedrigung bewusst.
Jason Rowland pisste sich in die Hose, als die beiden Akarii-Wachen ihn zur Tür geschafft hatten. "Bitte! Ich flehe Sie an, keine Gehirnsonde. Es ist Axion! Die Flotte plant einen Großangriff auf Axion! Unsere leichten Verbände haben im letzten Jahr genügend Daten gesammelt ... bitte, keine Gehirnsonde!"
Die beiden Wachen ließen ihn fallen und Rowland macht sich so klein wie möglich, rollte sich in der Fötusstellung zusammen. Er weinte und schluchzte wie ein Baby.
Der akariische Geheimdienstoffizier erbleichte und stürzte zum Komterminal: "Ich muss Admiral Ras sprechen. Melden Sie Luv, aus Sektor 3."
"Ich bin nicht sicher, Admiral Ras ist zurzeit in einer Besprechung."
"Es geht um Geheimdienstinformationen von größter Wichtigkeit!"
"Soso, wie immer."
"Gut, wenn Admiral Ras keine Zeit hat, stellen Sie mich sofort zu Großadmiral Jor Thelan durch."
"DEM PRINZEN? Ähm, ich lasse Admiral Ras sofort kommen ... ähm, einen Augenblick bitte."
Kurz darauf erschien Kenai Ras jugendliches Gesicht auf dem Bildschirm: "Ja?"
"Mylady Admiral, eben ist ein Gefangener zusammengebrochen. Er behauptet, die Menschen wollen Axion angreifen."
"Das ist doch lächerlich."
"Ich lasse ihn gerade in die medizinische Abteilung schaffen, damit man seine Behauptungen mit einer Gehirnsondierung bestätigt."
"Gut, gut. Melden Sie sich danach persönlich bei mir im Hauptquartier."
"Zu Befehl."
+++ Streng Geheim ++++ E-Mail ++++ Streng Geheim +++
An: Charles Vance, Direktor TIS
Von: Clair Dayson, Admiral, NIC
Betrifft: Troffen
Charles,
in den vergangenen Wochen haben die Jungs von ELRON einen ganzen Haufen militärischer Kommunikation aufgefangen, der sich explizit nur mit Troffen beschäftigt.
Meine Computerexperten haben jeden möglichen Algorithmus versucht, doch sind noch nicht wirklich hinter die Nachrichten gekommen.
Auch dürfen wir in diesem Fall auch nicht von geknackt sprechen, wenn wir 20 Prozent der Botschaft entschlüsselt haben.
Ich übersende Ihnen anliegend Kopien sämtlicher Originaltexte wie auch aller Entschlüsselungen, die wir geschafft haben.
Wir werden weiterhin mit allen Ressourcen an der Entschlüsselung der Nachrichten. Trotzdem bitte ich Sie, dass Sie Ihre besten Experten daran setzen.
Gezeichnet
Dayson
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ELRON: Electronic Longrange Reconnaissance = Elektronische Langstreckenaufklärung