Hinter den feindlichen Linien - Season 4

Tyr Svenson
Es gab Augenblicke, in den haßte Julien Lenoir seine Arbeit. Trotz all des Ansehens, trotz der guten Bezahlung, trotz der in Aussicht gestellten Rente und all den anderen Vorteilen. Es waren Augenblick, in denen er sich zurücksehnte in seine Zeit im Dritten Bezirk, als er noch als Streifenführer und junger Lieutenant seinem Dienst nachgegangen war. Er hatte in diesen Jahren mindestens ein halbes Dutzend Verletzungen bei Schlägereien, zwei Messerstiche und einen Schuß in die Schulter abbekommen, hatte eigentlich nie pünktlich Feierabend gemacht und seinen Urlaub selten voll in Anspruch nehmen können. Nicht, daß man mit dem Gehalt eines Offizieranwärters im Polizeidienst irgend etwas sehr viel kostspieligeres hätte unternehmen können als eine Inlandsreise. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er sich von Prostituierten hatten anspucken lassen müssen und wie ihm Betrunkene in den Streifenwagen gekotzt hatten. Damals hatte er das gehaßt und nur weitergemacht, um eines Tages hierher zu kommen. Und dennoch gab es Augenblicke, da wünschte er sich wieder zurück in die ekelhaft provinziell wirkenden Gänge des Polizeireviers, das irgendwie wie eine Kulisse aus „Der Gendarm von Saint-Tropez“ wirkte. Obwohl es direkt in Paris gelegen hatte. Augenblicke wie dieser...

Es war unschwer zu erkennen, daß die Worte des Pressesprechers die versammelten Reporter keineswegs zufriedenstellten. Jeder einzelne von ihnen schien gleichsam auf dem Sprung, um möglichst der Erste zu sein, sobald Fragen freigegeben wurden. Wo waren bloß die Zeiten hin, in denen sie sich mit dem zufriedengaben, was man ihnen servierte? Allerdings – was heute aufgetischt wurde, war wirklich etwas dürftig. Nichts, woraus man eine ordentliche Story machen konnte. Und es mochte nun Gespür oder einfache Paranoia und Mißtrauen gegenüber der Öffentlichkeitsarbeit des FCID sein – die meisten schienen zu wittern, daß man ihnen etwas vorenthielt. Oder sie bildeten es sich ein, im Grunde war das belanglos.

„...kann zusammenfassend nur noch einmal betont werden, daß es sich bei Adrien Ferry um einen Einzeltäter handelte. Es gibt keinerlei Anzeichen darauf, daß er irgend einer politischen oder kriminellen Organisation angehörte. Wir können über seine Motive nur mutmaßen, aber zweifelsohne wird die Untersuchung weitere Details ans Licht bringen. An einer gründlichen Psychoanalyse wird noch gearbeitet. Leider können wir uns dabei nur auf geringfügige Informationen stützen, denn Ferry war offenbar ein Einzelgänger. Möglicherweise – doch dies ist reine Spekulation – wählte er Generalsekretärin Pavon als Ziel aus, weil sie im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stand. Eine weitere Möglichkeit, die wir untersuchen, ist religiöser Fanatismus. Isabella Pavon ist als Vertreterin der extremen Linken eine Person, die sich bereits mehrfach in äußerst kontroverser Art und Weise zu Fragen die religiöse Belange betrafen, geäußert hat. Es ist nicht auszuschließen, daß Ferry sie aus diesem Grunde angriff, weil er in ihr eine Feindin der Kirche sah. Dies aber wird erst das pathologisch-psychologische Gutachten klären können. Wir werden Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten. Ich danke Ihnen.“

Chefinspekteur Lenoir mußte an sich halten, um nicht angewidert zu seufzen. Zunächst wegen der gehaltenen Rede. Eine hübsche Liste von Halbwahrheiten, denn Lügen waren zu riskant. Aber doch nicht mehr als stark gefilterte Informationen. Im Grunde war außer dem eher langweiligen Lebenslauf des verstorbenen und im Großen und Ganzen unbeweinten Attentäters nicht viel gesagt worden. Die Waffe hatte Ferry legal erworben – er hatte sich nie irgendwelche Straftaten zu Schulden kommen lassen. Eigentlich ein einfacher Mann, mehr oder weniger zumindest. Kleiner Angestellter eines städtischen Betriebes, 55 Jahre alt, unverheiratet. Niemals besonders aufgefallen bisher. Ein Mann, der jeden Tag in die Kirche ging und in der Gemeinde gut angesehen war, weil er einen so frommen und ordentlichen Lebenswandel führte. Nun, so dachte der Chefinspekteur zynisch, das WAR ja auch eine Seltenheit in diesen Tagen. Vielleicht hätte man ihn deshalb von vornherein überwachen müssen.

Das war es, was man offiziell gesagt hatte – wenig genug. Inoffiziell kam noch einiges dazu. Ferry hatte seinem Haus-PC einiges anvertraut, aber in der Hinsicht war Anweisung von „ganz oben“ erfolgt, den Mund zu halten. Und Lenoir konnte sich sehr gut vorstellen wieso. Dreimal verfluchte Politik.
Er verstand es ja, in gewisser Weise – aber die Naivität, mit der „die da oben“ der Presse ein gerüttelt Maß an geistiger Unselbständigkeit unterstellten, war immer wieder erstaunlich. Natürlich hatten viele Reporter die Angewohnheit, durchaus Schüsse ins Blinde abzugeben, und sich im Wirrwarr ihrer eigenen wilden Spekulationen zu verfangen. Aber zum einen konnte so ein Blindschuß durchaus auch einmal treffen – und zum anderen waren bei weitem nicht alle SO dumm. Und wer würde das wieder ausbaden dürfen? Genau!
Da kamen sie schon...

„Doch nun haben Sie die Gelegenheit, dem Leiter der Ermittlungen, Chefinspekteur Lenoir, Ihre Fragen zu stellen.“ Der Raum explodierte förmlich in Wortmeldungen.
Der Polizeiveteran hätte liebend gerne etwas andere getan, aber ihm blieb – natürlich – keine andere Wahl. Also griff er sich auf Gut Glück jemanden heraus: „Sie bitte.“

„Chefinspekteur Lenier – kann man sagen, daß die Polizei ihre Schutzpflicht gegenüber einer so bekannten aber auch umstrittenen Politikerin wie der IPKP-Generalsekretärin vernachlässigt hat?“ Lenoir hatte damit gerechnet: „Ich würde dies verneinen wollen. Wir hatten keinen unmittelbaren Grund zu Annahme, daß Madame Pavon irgendeiner reellen Gefahr ausgesetzt war. Wie bereits erläutert – Einzeltäter wie Ferry schlagen meist unvermutet zu.“
„Aber ist es nicht so, daß gegen Madame Pavon auf Grund ihrer Haltung zum Krieg schwere Drohungen erhoben wurden, auch gegen ihr Leben? Wurden nicht eine ganze Anzahl von Drohbriefen an die zuständigen Behörden weitergeleitet, noch vor dem Attentat?“
Der stämmige Polizist blieb ungerührt obwohl er am liebsten dem zuständigen Sachbearbeiter Feuer und dem Hintern gemacht hätte. Ja, hinterher war man immer klüger...
„Diese Drohungen erschienen unseren Psychologen als nicht begründet. Übrigens kam kein einziger von Ferry oder seinem Umfeld.“
Die Reporterin nickte, dann schoß sie einen letzten vergifteten Pfeil ab: „Allerdings muß sich die Polizei die Frage gefallen lassen, ob nicht diese Briefe auf ein gewissen Klima der Feindseligkeit hindeuteten, in dem es nur eine Frage der Zeit war, bis sich ein Ferry finden würde...“

Lenier überging das, so gut wie möglich. Was wollten sie von ihm? Er war Ermittler, kein Hellseher und auch kein PR-Fachmann! Widerlich vorhersehbar das Ganze. Jetzt, als Opfer eines Attentats, genoß Pavon eine Menge Sympathien, und die Polizei bekam den schwarzen Peter zugeschoben. Hätte man die Generalsekretärin in einem Pariser Nobelbordell ertappt – oder meinethalben auch nur betrunken am Steuer ihres Wagens – die selben Reporter hätten sie zerrissen. Dieselben Menschen, die sich jetzt aufführten, als sei sie ihre leibliche Schwester. Medien...

Der nächste also – in dem Fall jemand, vor dem man sich wirklich in Acht nehmen mußte. Lenier kannte David Goodrick, einen der „alten Hasen“ der BBC. Der Mann hatte in den letzten 40 Jahren kaum einen Krisenherd ausgelassen. Ob aus dem Grenzgebiet zum Akarii-Imperium, von Pandora oder aus einem Sektor, in dem Piratenbanden ihr Unwesen trugen, man konnte sich sicher sein, daß er irgendwann aufkreuzte, wenn die Krise richtig losging. Er war bei Rebellen wie bei Regierungstruppen gewesen, und hatte sogar einen der letzten „großen“ Piratenkapitäne interviewt, drei Monate vor dessen Ende im Feuer terranischer Schiffsgeschütze. Wenn man ihn ansah, hätte man es ihm kaum zugetraut – aber er war kampferprobt und sprach etliche Sprachen, darunter mindestens einen Akariidialekt. Und im Augenblick wohl nur deshalb auf der Erde, weil er sich mit seinen mitunter etwas eigenwilligen Ansichten bei den Zensurbehörden nicht gerade Freunde machte. Sein freundliches Lächeln war natürlich reine Fassade.

„Monsieur Lenier – was können Sie zu dem Umfeld Ferrys sagen? Ist sein Motiv nicht vielmehr dort zu suchen?“
Lenier runzelte die Stirn. Was wußte dieser... Er entschied sich zur Vorsicht: „Ich fürchte, für eine definitives Urteil ist es noch zu früh. Wie schon gesagt wurde – es scheint, als sei der Entschluß, Pavon anzugreifen, allein ein Produkt von Ferrys möglicherweise psychotischen Vorstellungen. Aber das ist eine Frage für Psychologen und Psychiater, und ich fürchte, Sie werden noch etwas gedulden müssen.“ Mochten die Weißkittel doch sehen, was sie diesen Haien vorsetzen konnten, ohne selber gefressen zu werden! Goodrick lächelte widerwärtig liebenswürdig: „Gewiß. Mir ging es nur darum, darauf hinzuweisen, daß Monsieur Ferry in Kreisen verkehrte, in denen Madame Pavon gewissermaßen, wie soll ich es sagen, auf der `Abschußliste stand`? Ist der Polizei möglicherweise entgangen, daß er zumindest geistigen Kontakt zu rechtskonervativen Kreisen hatte, in denen Pavon geradezu als Verräterin bezeichnet wurde? Mit einer Rhetorik, die an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig läßt. Meines Wissens wurde gegen sie sogar von der Kanzel gepredigt. Wenn mir die Analogie erlaubt sei, so könnte man einige der Predigten durchaus mit den religiösen ´Todesurteilen´ vergleichen, die in der Vergangenheit von gewissen religiösen Gruppen gegen mißliebige Personen verhängt wurden. Was gedenkt die Polizei in Bezug auf diese Kreise zu tun?“ Oh verdammt...

Das hätte nicht so schnell herauskommen sollen – wenn überhaupt. Pavon und ihre Propaganda gegen den Krieg und das Attentat sollten nach Möglichkeit auseinandergehalten werden, das war klare Weisung gewesen. Wie die sich das nur vorstellten...
Es war Lenier schnell klar geworden, daß Ferry keineswegs so einsam war, wie es den Anschein gehabt hatte. Am rechten Rand des konservativen Lagers, speziell auch bei katholisch beeinflußten Kreisen, gab es durchaus eine Subkultur, in der der Schütze möglicherweise seine geistigen Ziehväter hatte. Dort waren die Akarii die Sendboten des Teufels, eine Plage für die Menschheit. Kommunisten waren dort seit jeher nicht sonderlich beliebt, und wenn sie dann noch für einen Frieden eintragen...
Dort war Pavon die Hure Babylon, die mit dem Teufel buhlte, die Erzverräterin – und wie mit dergleichen zu verfahren war, nun das zu ergründen erforderte wenig Phantasie. Es war wohl zuviel verlangt zu hoffen, dies würde lange unbemerkt bleiben. Eine gute Antwort gab es darauf eigentlich nicht...

„Wir ermitteln noch. Aber ich möchte noch einmal betonen – es gibt keinerlei Anzeichen eines irgendwie gearteten ´Umfeldes`.“ Lenier gestand sich selber ein, daß seine Worte nicht sehr überzeugend klangen. Er konnte denen wohl kaum ein X für ein U vormachen, auch wenn er es wünschte. Und eines war ihm klar – Pavons Leute würden dergleichen gnadenlos ausnutzen. Die Medien lieferten ihnen die Steilvorlage, um mit einigen traditionellen Gegnern abzurechnen und ihre eigenen Motive und Ziele ins rechte Licht zu rücken. Der Chefinspekteur konnte nur die Zähne zusammenbeißen und Belanglosigkeiten murmeln, die man ihm sowieso nur zur Hälfte abkaufte, wenn überhaupt. Oh ja, es gab Tage, da haßte er seinen Job...
Tyr Svenson
Sprungpunkt Alfa,
Texas Sternsystem,
Terranisch-akariische Front

***

"Hey, Jacko, meinst Du die Hank und die anderen können die Marines schlagen?"
"Ich hab nen Zwanziger auf die Marines gesetzt."
"WAS? Du wettest gegen unsere Jungs?"
"Es ist nur Basketball." Informierte Jack "Jacko" O'Brian seinen Wingman.
"Sag mal, was bist Du denn für einer, NUR Basketball?" Maulte John "Long John" Klein. "Es ist Basketball mit Navy versus Marines."
"Yeah, und die Ledernacken werden unseren Jungs den Arsch aufreißen."
"Das sehe ich ... Moment mal, ich hab da eine neue Anzeige auf dem Scanner."
"Ja, ich sehe es, ich lass es durch den Computer laufen. Okay, geben wir gas, da kommt ne Menge durch den Sprungpunkt. Ich schalte um auf die Wachfrequenz." Meldete Jacko und gab seiner Griphen die Sporen. "War Ace three three nine, auf der LIBERTY Wachfrequenz, LIBERTY bitte kommen."
"Hey Jacko, was glaubst Du, wie das Basketball ..." Meldete sich der diensttuende Comoffizier der LIBERTY.
"LIBERTY hier War Ace three three nine", unterbrach ihn Jacko ruppig um den Comoffizier klar zu machen, dass sie auf der Wachfrequenz sprachen, "wir haben an Sprungpunkt Alfa einen reinkommenden Massentransit."
"Öhm, ja, ich geb das mal weiter."
Aus dem Nichts erschienen unter den beiden Griphen reihenweise Schiffe.
"Sweat Jesus." Hauchte Long John. "Das sind zwei LEXINGTONS!"
"Machen Sie die Wachfrequenz frei, Klein!" Schnauzte es durch den Lautsprecher.
"Aye, aye, CAG." Antwortete Long John kleinlaut. Er ging die Schiffe mit dem IFF-Scanner durch. Drei Flottenträger, drei verdammte Flottenträger. Radio Bambus hatte recht gehabt, jetzt wird mal vernünftig Krieg geführt.

***

Zwei Stunden später hatte sich die COLUMBIA zu den anderen Schiffen der zweiten Flotte gesellt. Im Kasino des Trägers war Hochbetrieb, zum einen, weil demnächst der Alkohol weggeschlossen werden würde und zum anderen gab es dort die besten Informationen.
Radio selbst stand im obligatorischen Hawai-Hemd hinter dem Tresen und mixte Drinks.
Auf dem großen Bildschirm war das Außenbild der TRS LIBERTY zu sehen, dem letzten noch im Dienst stehenden Träger der Zeus-Class.
Hacker hatte am Computer herumgespielt und den Monitor des Kasinos an das Außenkamerasystem angeschlossen.
"Da bekommt man richtig Heimweh", murmelte Razor Durfee in sein Bier.
"Ohja." Pflichtete Raven ihm bei.
"BIER!" Verlangte Skunk als er sich rechts von Durfee auf den Barhocker pflanzte.
Raven beugte sich vor: "Was ist denn mit Ihnen passiert Lieutenant." Ihr Grinsen hatte was schadenfrohes.
"Zu heftiges Liebesspiel. Und da heißt es Bomberpiloten seien nicht nur im Weltraum Nieten."
"Sag mal Skunk, wie hast Du es nur geschafft, so lange zu überleben, irgendwer muss doch schon mal versucht haben Dich umzulegen." Radio stellte seinem Freund ein großes Glas Bier hin.
"Das Glück ist mit Narren, kleinen Kinder und ..."
"... Stinktieren, ich weiß schon." Vollendete Radio den Satz.
Beide lachten.

"So und auf so einer Rostmühle seid Ihr mal gefahren?" Skunk deutete auf den Bildschirm.
"Ohjaaa", seufzten die drei anderen Piloten wie ein Mann.
Skunk guckte verwundert aus der Wäsche: "Ihr ähm vermisst Euren alten Kasten wirklich."
Raven: "Japp."
Razor: "Natürlich!"
Radio: "Das war noch wirkliche Raumfahrt, und nicht das Rumgekutsche in einem Luxusliner."
"Okay, dass so was von Bomberpiloten kommt war klar", Skunk tätschelte Radio die Wange, "…nur du mein Kleiner solltest mal den Doc aufsuchen."
"Ich bin eben ein Romantiker."
Jetzt lachten die vier Piloten.
"Hey, gleich fängt das Spiel auf der LIBERTY an, Marines gegen Matrosen! Los Radio schalt schon um." Rief Goblin.
Schon bald drehte sich alles um das Basketballspiel und die ersten Wetten machten die Runde.
Goblin hatte sich selbst zum Buchmacher erkoren: "Na, Radio willst Du nicht wetten?"
Dieser grinste verschmilzt: "Na klar, dreißig auf die Jungs von der Navy."
Alle die auf die Marines gesetzt hatten machten lange Gesichter.
Skunk zog Radio beiseite: "Auf unsere Jungs beim Basketball?"
"Insidertips mein alter, Insidertips."

***

Sterntorsystem,
18:00 Uhr Ortszeit

Vor der Kantine der 101 Airborne hatte sich eine lange Schlange gebildet. Hinten wurde geschubst und vorne gepöbelt.
"Hey, macht mal langsam, wenn Ihr die Brühe auf dem Teller habt, meckert Ihr doch sowieso wieder übers Essen, außerdem wird es wieder mal Kriegsgericht* geben." Blaffte Hannelore Lütjens.
"Nur, wer jetzt drängelt darf hinterher maulen", meinte der große Soldat hinter ihr.
"Weißt Du was Slim," Hannelore drehte sich um, "ich sehe nicht nur besser aus als Du, bin klüger, schneller, genauer, sonder ich befriedige auch Deine Frau besser als Du."
Erik Hallmann, Slims Freund mischte sich ein: "Wusste ich doch, das die Titten falsch sind."
"Dein Pech, dass Du diese Behauptung nie bestätigen können wirst, Hallmann." Hannelore blickte auf Hallmann herab.
"Geht mal voran und hört auf zu labern!" Blökte einer von hinten.
Die Schlange schob sich weiter.
"Fuck", rief Hallmann aus, als er sah, was an der Theke ausgegeben wurde.
Gegrilltes Steak, mit Zwiebeln, Pilzen und Kroketten oder Fritten.
"Was beschwerst Du Dich?" Wollte Slim wissen.
"Hey, glaubst Du die geben uns Steak zu fressen, weil sie so nette Menschen sind? Das ist unsere Henkersmahlzeit, morgen geht es los."
Es war das beste Essen für die Truppe seit Wochen, trotzdem stocherten die meisten hauptsächlich auf ihren Tellern herum.

***

Der nächste Morgen begann für die Bodentruppen auf Sterntor um 4 Uhr 30 Ortszeit. Eine Stunde später begann das einschiffen. Den ganzen Tag lang dröhnte aus den Lautsprechern auf dem Landefeld Marschmusik. Hauptsächlich Trommeln und Flöten. Hin und wieder mal ein schottisches Stück mit Dudelsäcken aber auch alte Kassenschlager wie Muss i denn zum Städle hinaus.
Um 23 Uhr 47 hob das letzte Shuttle ab.
Über 80.000 Männer und Frauen, mehrere Regimenter an Panzern, sowie Heeresfliegergruppen waren verladen worden. Hinzu kam Ausrüstung und Verpflegung für eine lang andauernde Kampagne, Pioniergerät, sowie Luftabwehrbatterien.
Tyr Svenson
Der Heimat zuliebe

Die Quartiere der Piloten an Bord der COLUMBIA waren um einiges komfortabler als die auf den Trägern der Zeus-Klasse. Dies galt natürlich besonders für die höheren Offiziere, aber auch für niederen Dienstränge wurde gut gesorgt. Insgesamt stand dem typischen „Ehepaar“ – so nannte man oft eine Zimmerbelegschaft genauso wie eine Rotte, denn in beiden Fällen waren die Piloten aufeinander angewiesen – gut anderthalb mal so viel Platz wie früher zur Verfügung. Und die Inneneinrichtung wirkte nicht wie frisch vom nächsten Schrottplatz, noch kam man sich mitunter vor wie auf einem terranischen U-Boot des Zwanzigsten Jahrhunderts.
Nein, die Wohnräume waren hell und bequem, wenn auch natürlich nicht luxuriös eingerichtet.

Lilja bot in ihrer Fliegerkombination einen etwas deplazierten Anblick in diesen Örtlichkeiten, die auch in einem Studentenwohnheim hätten liegen können. Aber sie hatte so ihre Pläne, und da war diese Montur passender. Zusammen mit der militärischen Kleidung wirkte sie noch ernster als sonst, wenn auch ein leichtes Lächeln dies etwas milderte – ein ungewohnter Anblick immerhin. Imp hingegen feixte so breit wie ein Scheunentor, und das war wohl auch ein Grund, warum die Russin selber nicht ganz ernst bleiben konnte, wie sie es sonst bevorzugte. Mit ruhiger Hand bediente sie das Aufnahmegerät, das sie sich kurz vor dem Aufbruch zum neuen Träger gekauft hatte. Es hatte einiges an bürokratischen Aufwand gekostet, ehe sie die kleine Disk-Kamera hatte mitnehmen können, und sie hatte eidesstattlich versichern müssen, jede Aufnahme der Bordsicherheit vorzulegen. So gesehen gab es zwar nicht SO viele Geheimnisse an Bord eines Trägers – immerhin standen die Schiffe nicht erst seit gestern in Dienst – aber der NIC verstand keinen Spaß. Da Lilja das wußte, hatte sie erst gar nicht versucht, den bürokratischen und zeitlichen Aufwand zu umgehen.

Ihre Stimme klang ruhig, aber ein leicht belustigter Ton schwang mit. Imps Heiterkeit war ansteckend. „So sieht also mein Quartier aus. Ihr seht, es ist ziemlich gut eingerichtet. Man lebt hier nicht schlecht, auch wenn man oft Monate unterwegs ist. Aber natürlich werden einem dann manchmal die Wände etwas eng. Das Schiff insgesamt ist aber fast eine kleine Stadt.“
Sie gab dem späteren Betrachter einen guten Rundblick über den Raum. Zwei Schritte brachten sie zu ihrem Spind, und sie zoomte auf den dort plazierten Modell-Kampfflieger: „Wie Ihr seht, hat euer Geschenk einen Ehrenplatz bekommen. Ich habe überlegt, ihn im Besprechungsraum der Staffel, den ich euch später zeigen werde, unterzubringen, aber das hätten mir andere vielleicht als Eitelkeit ausgelegt – immerhin habt Ihr mir ja ,meinen‘ Jäger gegeben. Jetzt ist er hier, und erinnert mich an euch. Ich kann kaum sagen, wie dankbar ihr euch für eure Mühe bin.“ Im Hintergrund prustete Imp leise los
Lilja richtete die Kamera auf ihre Kameradin: „Diese Frohnatur ist Second Lieutenant Ina Richter, auch genannt Imp – bisher hat sie immer eine Aussage über die Herkunft ihres Callsigns verweigert.“ Die andere Pilotin lachte schallend, wurde aber aus irgendeinem Grund rot.
„Sie ist seit Anfang an beim Geschwader dabei und hat bereits fünf Fritzen abgetakelt.“ Imps Salut vor dem Objektiv wie eine Mischung aus Arroganz und Diensteifer, bloß ruinierte ihr Gesichtsausdruck den Effekt gewollt. Lilja sprach weiter, während sie ein Kichern unterdrückte: „Aber Ihr seid sicher auch daran interessiert, was es sonst noch so zu sehen gibt.“

Sie warf ihrer Kameradin einen gespielt tadelnden Blick zu, während sie die Aufnahme unterbrach. Natürlich war dies völlig vergeblich. Als die Russin den Raum verließ, schloß sich ihre Zimmergenossin an. Lilja machte sich jetzt auf den Weg zum Besprechungsraum der Staffel. Das war im Grunde nicht viel mehr als ein dauerhaft einer Staffel zugeteiltes Doppelquartier, was die Fläche anging. Eine Bildwiedergabeeinheit und Stühle, dazu ein paar Schränke, das war alles. Solche Örtlichkeiten dienten dazu, Übungen und Missionen vorzubereiten und die Ergebnisse zu bewerten, oder man nutzte sie für geselliges Beisammensein. Allerdings gab es Offiziere, die gegen solche Vereinzelungen der Staffeln waren, aber ganz vermeiden ließ sich diese Art des ,Separatismus‘ kaum. Sie unterbrach ein oder zweimal ihren Weg, um ein paar kurze Aufnahmen zu machen, die sie knapp kommentierte – ein Blick den Flur mit den Zimmertüren der Piloten hinunter, ein massives Brandschutzschott und dergleichen. Schließlich erreichte sie ihr Ziel.

„Hier finden die Staffelbriefings statt, aber der Raum kann auch anders genutzt werden, etwa, wenn etwas zu feiern ist, oder um Filmvorführungen durchzuführen. Hier liest uns unsere Chefin die Leviten, wenn sie mal wieder unzufrieden ist.“ Lighning kam ins Bild, die Augenbrauen leicht hochgezogen. Sie hatte natürlich der Bitte Liljas nicht widerstehen können, aber ähnlich wie Imp amüsierte sie sich innerlich ein wenig, für die Heimat die Heldin zu mimen. Andererseits war die Vorstellung, daß irgendwer sie vielleicht als Vorbild sah, doch recht angenehm, und schmeichelte wohl jedem Pilotenego. Sie hatte auf Galauniform verzichtet, bot aber auch in der Dienstkluft keinen schlechten Anblick. Mit freundlichem Lächeln nickte sie in die Kamera – so, wie sie auch meistens mit ihren Untergebenen umging. Ihre Mundwinkel zuckten leicht, was so gar nicht zu ihrer ernsten Stimme paßte: „Schön, euch kennenzulernen. Es freut mich, daß Ihr euch für unser Leben interessiert. Tja, was kann ich euch über meine Position hier sagen...?
Eine Staffel zu führen ist eine große Verantwortung. Dazu gehört einiges mehr als nur zu fliegen und Akarii abzuschießen. Im Grunde...“ sie grinste leicht: „...ist es ein wenig so wie in der Schule – als Offizier muß man wie als Lehrer jeden einzelnen im Auge behalten, und ihn zur maximalen Anstrengung ermutigen. Man muß auf den Besten achten, wie auf den Schwächsten. Manchmal bin ich ganz froh, daß mir Lilja dabei hilft.“ Die Russin lief rot an – wenn sie überhaupt mal im Dienst Gefühle zeigte, außer ihrem Haß auf Akarii, dann war es ihre irritierende Art, Lob oft für etwas beinahe unverdientes zu halten. Vermutlich war Lilja froh, daß ihr Gesicht im Moment nicht zu sehen war. Sie ließ sorgfältig die Kamera über den Raum schwenken. Einen Augenblick verharrte sie bei einem Regal in einem der Schränke. Irgendwer hatte dort sechs Fotos nebeneinander gestellt, alle mit einem kleinen schwarzen Band verziert. Sie wußte nicht, ob die Zensur das würde durchgehen lassen, aber wenn sie auch die Begeisterung der Kinder für den Krieg fördern wollte – sie konnte die Worte der Lehrerin nicht vergessen. Und so zeigte sie eben auch, was der Krieg kosten mochte.

„Doch nun zu dem, was euch sicher am meisten interessiert – dem Hangar des Trägers.“ Sie machte sich wieder auf den Weg – getreulich verfolgt von ihrem unermüdlichen ,Schatten‘. Lightning hingegen machte sich zu ihrem Quartier auf. Sie hatte noch ein paar Berichte zu lesen, die sie sich von Staffel Blau beschafft hatte. Trotzdem sich Huntress weitere Einmischungen verbeten hatte, frönte die Chefin der Grünen Schwadron weiterhin ihrem geheimen Laster: Aufzupassen, daß die ,Neue‘ keinen Fehler machte. Sie tarnte es einfach als kollegiale Neugier, möglicherweise aber war es auch ein bißchen gekränkte Eitelkeit. Wie sich selbst, und nur sich selbst, eingestand. Aber da sie nicht riskieren wollte, daß ihr Huntress wieder eine Szene machte – diesmal vielleicht sogar vor Zeugen – ging sie jetzt sehr diskret vor. Sie konnte sich aber einfach nicht ganz dazu bringen, der jüngeren Offizierin zu vertrauen. Gerade WEGEN ihres Auftritts, der in Lightnings Augen etwas übertrieben selbstsicher und zu sehr von der ,Mein Knochen, meiner alleine‘ Mentalität geprägt gewesen war.

Lilja, die von den Nöten und dunklen Geheimnissen ihrer Chefin nicht alles wußte, geschweige denn verstand, war auf dem Weg zum Hangar. Unterwegs ignorierte sie die gelegentlichen spöttischen Blicke der vorbeikommenden Besatzungsmitglieder. Eine Pilotin in Fliegermontur mit einer Kamera war kein SO alltäglicher Anblick. Eine Ensign von den Bordmechanikern spöttelte: „Willste für deinen Kerl vor dem Flieger posieren? Schätze, er würde eine Nummer OHNE Fummel in deinem Quartier vorziehen.“
Lilja Lächeln war kaum als solches zu erkennen. Sie zog eher die Lippen zurück, daß man die Zähne bloßliegen sah. Im Verein mit ihrem starren Blick und dem vernarbten Gesicht bot sie einen scheußlichen Anblick. Die Mechanikerin schluckte – der Effekt war doch ziemlich beeindruckend, vor allem von einem Vorgesetzten – und machte das sie weiter kam. Imp schnaufte inzwischen nur noch, so sehr mußte sie sich Mühe geben, nicht laut loszulachen.

Schließlich waren sie auf dem Start- und Landedeck angekommen – der ,obersten‘ Etage des Herzstücks des Flugbetriebs. Die Aktivitäten hielten sich augenblicklich in Grenzen, obwohl ständig ein paar Kampfflieger draußen waren. Meist waren darunter auch Typhoon, und deshalb konnten die Staffeln Blau und Grün damit protzen, daß sie die erste Späh- und Verteidigungslinie des Trägers und seiner Begleitschiffe waren. Böse Zungen behaupteten ja, dies verdankten sie dem Umstand, daß der CAG einfach ihre Schwadronen für diejenigen hielt, die am meisten Übung brauchten, aber die Piloten der Abfangjäger wußten es natürlich besser und erkannten darin die Aufgaben für die Geschwaderelite, die sie ihrer Meinung nun einmal waren. Lilja betätigte wieder den Auslöser.

„Hier starten und landen die Kampfflieger während des Gefechtes. Ich brauche euch ja wohl nicht zu erklären, wie das funktioniert – Ihr seid in der Hinsicht ja durchaus versiert. Im Ernstfall herrscht hier eine Art organisiertes Chaos, wenn gleichzeitig Dutzende von Maschinen ins All katapultiert, eingeschleust und wieder kampfklar gemacht werden müssen.“ Sie hatte den Zeitpunkt ihres Besuches mit Bedacht gewählt, so daß gerade in diesem Augenblick zwei ,blaue‘ Typhoon vom ATLS hereingeholt wurden, während gleichzeitig zwei andere starteten. Lilja filmte dies natürlich sorgfältig.
„Die Maschinen fliegen Außenpatrouille, um den Verband vor unliebsamen Überraschungen zu bewahren. Das bedeutet für die Piloten etliche Stunden Dauereinsatz, während sie die ganze Zeit wachsam seien müssen. Aber auch das gehört zu den Pflichten eines Piloten, und es ist mindestens ebenso wichtig wie ein direkter Kampf mit Akariijägern. Auf Patrouille trägt man Verantwortung für die ganze Kampfgruppe und für die Mission.“ Sie hielt noch lange genug auf die beiden gelandeten Maschinen, daß man die Piloten aussteigen sehen konnte. Der eine winkte Lilja zu – vermutlich weil er die Kamera gesehen hatte.
„Und nun zeige ich euch die Maschinen unserer Staffel.“

Es dauerte nicht lange, bis die beiden jungen Pilotinnen im entsprechenden Hangar angekommen waren. Im Licht der Decklampen boten die Kampfflieger einen malerischen Anblick, vor allem, wenn man die Symbole berücksichtigte, die auf allen prangten. Auch wenn Staffel Grün nicht der ,Fliegende Zirkus‘ war, und man die im Suff geborene Idee fallengelassen hatte, alle Jäger passend zur ,Geschwaderfarbe‘ zu anzupinseln – erstaunlich, auf was für Gedanken man unter Alkohol kommen konnte – so war das Metall und die bunten Pilotenzeichen durchaus beeindruckend. Oft hatten sie was mit dem Callsign des Flugzeugführers zu tun, oder sie waren eher willkürlich gewählt worden. Daneben prangten natürlich die Abschußmarkierungen und bei einigen auch die Auszeichnungen, die sie die Piloten bereits verdient hatten.

Lilja marschierte direkt zu ihrem eigenen Jäger: „Hier ist also das Original zu eurem Modell.“ Sie ließ die Kamera von der Schnauze des Kampffliegers über die Flügel mit den Raketenraks und Bordwaffen zum Cockpit schweifen. Dort befanden sich ihre Abschußmarkierungen – elf der Silhouetten stellten feindliche Jäger und Bomber dar, die zwölfte zeigte einen Frachter. Die Zahl ,10.000‘ gab die Tonnage an, der stilisierte Einschlag mittschiffs bedeutete, daß Lilja das Schiff nicht alleine erledigt, ihm aber den Fangschuß verpaßt hatte. Dazu kamen kleine Bilder von ihren Abzeichen – Flying Cross und Bronzestern.
Die Russin schaffte es nicht, den Stolz ganz aus ihrer Stimme zu tilgen: „Nun, ich hoffe, daß ich bald noch mehr Markierungen anbringen kann. Dies ist eine neue Maschine – meine alte habe ich bei Jollahran verloren. Aber die neue macht sich ganz hervorragend, und mit etwas Glück wird sie ebenso gute Dienste leisten.“ Ihre Stimme wurde ernster: „Aber vergeßt nicht, es kommt nicht allein auf Abschüsse an. Noch wichtiger ist die Mission und die Sicherheit der Kameraden. Da draußen muß man sich immer aufeinander verlassen können, und niemals darf man seinen Flightgenossen wegen eines möglichen Abschusses vernachlässigen.“
Sie lachte kurz: „Aber genug der Selbstbeweihräucherung! Ich will euch gerne beweisen, daß es in der Staffel noch andere Piloten gibt, die den Akarii das Fürchten gelehrt haben.“ Ihre Kamera wanderte weiter: „Daß ist Blackhawks Jäger – er kommandiert die Zweite Sektion. Vier von den Abschüssen hat er übrigens gegen Piraten erzielt, er ist also ein alter Hase in unserem Geschäft.“ Imp drohte Lilja bei diesen Worten mahnend mit dem Finger und flüsterte streng: „Also wenn es bei Frauen eine Todsünde ist, über das Alter zu reden, dann sollte auch bei Männern Diskretion gewahrt werden, Frau First Lieutenant.“ Lilja verwackelte das Bild etwas bei dem Versuch, grinsend abzuwinken. Dann visierte sie die Maschine der Staffelkommandeurin und ihres Wingmans an: „Und hier seht Ihr unsere Topasse. Lieutenant Commander Lightning habt Ihr ja schon kennengelernt – nun, eine Menge Akarii kann das selbe von sich sagen...“ Ihre Stimme klang ausgesprochen boshaft.
„Die daneben ist die von Claw. Auch er ist ein Veteran der ersten Stunde und hat einiges an Abschüssen aufzubieten.“ Es war natürlich kaum zu übersehen, daß sie ein eher positives Bild von der Staffel bot. Aber das entsprach wohl nicht nur ihrer Absicht, sondern auch der persönlichen Überzeugung Liljas. Und deshalb ließ sie es sich nicht nehmen, auch das ,Schwarze Brett‘ der Staffel gebührend zu würdigen.
Dort waren die Erfolge der Schwadron verewigt – alle Abschüsse, die sie erzielt hatte. Natürlich schmeichelte es Lilja, daß auch sechs ihrer Erfolge dort auftauchten. Damit war sie etwas weniger erfolgreich als etwa die Kommandeurin oder Claw, aber insgesamt schnitt sie durchaus gut ab – weit über Durchschnitt. Die Silhouetten feindlicher Kampfflieger würden ihre Wirkung auf die Zuschauer sicher nicht verfehlen.

„Aber ich will nicht, daß der Eindruck entsteht, ich würde nur an unsere Staffel denken.“ Lilja wanderte zu einem der Aufzüge und ließ sich noch eine Etage tiefer tragen. Dort schaltete sie das Aufnahmegerät wieder ein: „Hier seht Ihr die Maschinen der Schwarzen Staffel. Sie gehört erst seit kurzem zu unserem Geschwader und verwendet – wie Ihr sicher auf den ersten Blick erkannt habt – Nighthawk-Kampfflieger. Diese Jäger mögen sehr schlagkräftig und robust sein, aber ich persönlich ziehe die wesentlich wendigere Typhoon vor.“ Sie fixierte einen der Jäger: „Dies ist die Maschine von Lieutenant Commander McQueen, auch genannt Darkness. Er gehörte früher zu den Blue Angels, und ist einer der besten Piloten unseres Geschwaders. Dazu ist er einzige Pilot, der ein Unentschieden mit dem Roten Baron geschafft hat, und ich bin sicher, beim nächsten Mal wird er ihn abschießen. Wenn kein anderer die verdammte Echse vorher erwischt.“ Die Flanke der Maschine war mit zahlreichen Markierungen verziert – genug Abschußmarken, um McQueen als eines der terranischen Topasse zu kennzeichnen, wenn auch gewiß nicht den besten.
„Diese Maschine gehört Kano Nakakura. Ich bin früher mit ihm in einem Flight geflogen, wie Ihr sicher wißt. Vor seiner Versetzung zur Schwarzen Staffel hat er auf zwei Feindfahrten acht Akarii zerstört, drei davon in einem Gefecht.“ Sie grinste, und das schwang in ihrer Stimme mit: „Hoffentlich hält er den Schnitt, jetzt, da er auf eine schlechtere Mühle umgestiegen ist...“

Dann richtete sie das Objektiv wieder auf sich selber: „Nun, das war es fürs erste. Ich hoffe, Ihr habt damit einen kurzen Einblick gewonnen, wie es so an Bord unseres Trägers zugeht. Wenn ich kann, werde ich euch noch mehr schicken, aber ich weiß nicht, was die kommenden Wochen bringen werden.“
Sie lächelte – nicht von oben herab sondern eher wie gegenüber Kameraden: „Ich weiß, Ihr wünscht uns das Beste, und dafür möchte ich euch auch im Namen meiner Kameraden danken. Wir werden auch weiterhin unsere Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, und vielleicht hört Ihr ja bald wieder etwas von uns. Wie auch immer, ich wünsche euch alles Gute. Bis bald.“ Sie schaltete das Gerät aus.

Dann warf sie Imp einen gespielt ärgerlichen Blick zu: „Hör mal, Ina, ich versuche mir Mühe zu geben. Wie soll ich denn ernst bleiben, wenn du ständig im Hintergrund gackerst.“ Die Deutsche lachte: „Schieb es auf die Situationskomik, Herzblatt.“ Sie hieb ihrer Kameradin auf die Schulter: „Hast du jemals gedacht, zu den Medienheinis zu gehen. Du hättest glatt das Zeug dazu. Die Feder, so sagt man, ist machtvoller als das Schwert.“ Sie lachte wieder, als ihr das groteske Bild einer Lilja in den Sinn kam, die mit einer riesigen Feder Akarii erstach. Der säuerliche Gesichtsausdruck der älteren Pilotin steigerte ihre Heiterkeit noch. Lilja grinste nur schief: „Nein danke. Ein Medienheini genügt. Die Blauen haben doch irgend so einen Lokalschmieristen von New Boston.“ Ina wußte nicht, woher dieses wenig freundliche Vokabular kam, vermutlich wählte Lilja dergleichen je nach Lust und Laune. Die deutsche Pilotin zwinkerte ihrer Kameradin zu: „Na, mal schauen ob Huntress ihm was für die Klatschseiten liefert, vielleicht findet sie ja Ersatz für Blue One.“ Lilja kommentierte dies nur mit einem kurzen Verziehen der Lippen. An gewisse Dinge oder Personen wurde sie nicht gerne erinnert.

„Jedenfalls“ meinte Lilja, während sie sich mit Imp auf den Rückweg machte: „hoffe ich, daß es den Kindern gefällt. Wieso ihnen nicht mal etwas persöhnlicheres als die Wochenschauen bieten.“ Ihre Kameradin lachte erneut: „Die müssen dir ja Honig ums Maul geschmiert haben – sonst bist du nicht so freundlich.“ Lilja wollte das zunächst empört von sich weisen, überlegte es sich dann aber doch noch anders und nickte zögernd: „Na ja, teilweise. Ich habe einfach das Gefühl, ich schulde ihnen was für ihre Bewunderung.“ Sie klang, als würde sie sich halb rechtfertigen: „Ich tue das aber nicht nur für mich, sondern für uns alle. Ein bißchen Anerkennung auf der Erde haben wir alle verdient.“ Imp lachte und fragte spöttisch: „ALLE?“ Und dann lachten sie beide...

„Nun, jetzt muß ich es nur noch unseren Schlapphüten zur Durchsicht bringen. Hoffentlich finden die nichts zum meckern.“ Sie kam Imps Einwand zuvor: „Jaja, ich weiß, dann sind sie wieder unglücklich, weil sie NICHTS haben, um sich aufzuregen. Die Ärmsten, sie tun mir direkt leid.“ Beide mochten sie die Sicherheitsabteilung nicht sonderlich. Sie war notwendig, gewiß, aber wer ließ sich schon gerne auf die Finger schauen? Das war immer auch ein Stück weit ein Mißtrauensvotum, und das hörte keiner gerne. Erst Recht nicht, wenn er oder sie immer wieder ihre Haut zum Markte trugen. Außerdem galt der NIC als schrecklich humorlos den Piloten und Besatzungsmitgliedern gegenüber, ohne rechtes Verständnis, wie langweilig ein Leben war, das wirklich ausschließlich nach den Regeln lief. Zumal einige gute alte Navytraditionen wiederum außerhalb der offiziellen Regeln lagen.

Beide widerstanden sie der Versuchung, sich der augenblicklichen Lieblingsbeschäftigung hinzugeben: dem Spekulieren über den künftigen Einsatzort. Derartige Ratespielchen ins Blaue hinein waren ebenso unterhaltsam wie fruchtlos, wie sie sehr wohl wußten. Die Wettbörse war angeblich gut besucht. Lilja allerdings kultivierte immer noch ihre alte Einstellung, zu dienen, wo man sie hinstellte, und erst nach dem Was zu fragen, wenn es soweit war. Imp respektierte diese Marotte, die zur Soldatenethik ihrer Kameradin gehörte. Statt dessen huldigten sie dem Zweitplazierten unter den Freizeitangeboten: Klatsch und Gerüchte über Angehörige des Geschwaders. Wie immer summte die Gerüchteküche, auch weil so viele neue Gesichter dazugekommen waren. Die niederen Dienstgrade versuchten sich ein Bild von den neuen ,Alten‘ zu machen, und neu aufgestellte Staffeln waren natürlich auch ein Objekt der Neugierde. Auch wichtige Schiffspersönlichkeiten wie, in absteigender Wichtigkeit, der Koch, der Captain, der NIC-Chef, der Leiter der JAG-Abteilung und der Leiter des technischen Flugdeckdienstes wurden ausgiebig beleuchtet.

„Die Bronzenen Jungs haben es ja wohl nicht einfach. Unser fliegender Pfaffe scheint es sich ja zur Aufgabe gemacht zu haben, sie alle ordentlich zu schleifen. Und sein Zweiter soll irgend so ein arroganter adliger Schnösel von einer verhackstückten Bombereinheit sein, der auf dieses gemeine Pack herabblickt.“ Liljas Stimme klang nach Antipathie. Sie mochte Adlige nicht – warum war eigentlich nicht ganz klar – und die meisten Deutschen mochte sie schon gar nicht, obwohl ihre einzige Freundin an Bord eine war. Aber vielleicht lag das auch an einigen der Gerüchte über den Bomberpiloten. Jagdfliegerpiloten mochten keine Bulettenschmeißer, die nicht wußten, daß sie in der Nahrungskette unter den Jägern rangierten. Die Rivalitäten zwischen den einzelnen Unterarten der Waffengattung waren so traditionsbelastet wie virulent. Die Bomber nahmen es den Jagdfliegern übel, daß die sehr viel häufiger die Starrollen besetzten, während sie die Drecksarbeit leisteten und dabei oft noch schlucken mußten. Die Jäger wiederum frotzelten, Bomber würde nur der, der für eine schnellere Maschine zu langsam sei, und nur Ziele in der Größe von Häuserblöcken treffen können. Und zudem brauche er ja immer noch einen zweiten Mann im Cockpit zum Knöpfchen drücken und ein paar fliegende Ammen in Gestalt von Eskortjägern.

Imp lächelte: „Tja, ich habe gehört, daß er sie zu Selbstkasteiungen anhält und sie alle im härendem Büßerhemd fliegen müssen – wegen ihrer Unfähigkeit.“ Murphys Art, seine Religiosität zu zeigen, war einfach ein zu gutes Ziel für Witze, als daß viele hätten widerstehen können. „Die New Boston-Connection ist offensichtlich stinksauer auf ihn.“ So nannten man im Bordjargon die Milizionäre. Da sie alle aus einer Einheit stammten, kannten sie sich oft schon lange Jahre. Auch nach ihrer Aufteilung auf verschiedene Staffeln blieben sie natürlich in Kontakt, tauschten Erfahrungen aus und meckerten gemeinschaftlich. Lilja grinste: „Kann uns nur recht sein. Dann wissen unsere Bostonjungs wenigstens, wie gut sie es haben.“ Lightning fuhr eine wesentlich moderatere Gangart, und offenbar wußten die beiden Neulinge in Staffel Grün das zu würdigen, vor allem angesichts der Alternativen. „Glaubst du, die werden noch was unternehmen?“ Imp zuckte mit den Schultern: „Einen LC kann man nicht eben mal den ,Heiligen Geist‘ erscheinen lassen.“ Bei ihr klang das so, als würde sie es fast bedauern – manchmal konnte auch sie recht gemein sein. „Aber ich denke, die lassen sich nicht so einfach anpissen. Würde ich an ihrer Stelle auch nicht. Na ja, ihre Sache.“ Lilja nickte. Dann fügte sie grinsend hinzu: „Aber andererseits kann das den Griphen nur guttun. Shukova scheint mir da einiges vernünftiger als Hammer – aber wir werden ja sehen.“
Lilja schien nachdenklich: „Was meinst du, kommt das von den vielen Streifen auf der Uniform, daß einige Chefs spinnen?“ Imp lachte nur: „Nun, bei den Männern können das auch die üblichen Dominanzspielchen sein. So wie bei den Affen die rosa Hinterteile.“ Sie feixte hinterhältig: „Aber da müßte man wohl Auson fragen, die weiß da sicher mehr drüber… Was die Auswirkungen von Kommandoposten angeht, nun unserer Alten hat es bisher noch nicht geschadet. Und vielleicht kannst du das ja für mich rausfinden, wenn du selber mal…“ Und mit diesen Worten trat sie in den Aufzug, während sich Lilja fragte, ob sie sich eine solche Beförderung überhaupt wünschen sollte. Sie war sich nicht sicher, ob sie zum Kommandanten taugte. Nun, sie würde wohl auch in absehbarer Zeit keiner werden. Und das war doch irgendwie beruhigend.
Tyr Svenson
Alia Rou, General des 2. Ranges der Imperialen Streitkräfte des Akarii-Imperiums stand reglos an dem Fenster des kahl wirkenden Büros und starrte nach draußen. Das Büro gehörte ihm nicht - er hatte nun wirklich wichtigere Aufgaben, als das Ausbilden neuer Soldaten. Allerdings betrafen die Sorgen, die den General zur Zeit beschäftigten eben doch dieses Feld.
Unten, auf dem riesigen, betonierten Exerzierplatz war mehr als eine Division Soldaten angetreten. Oder vielmehr sollten diese 10.000 Akarii eines Tages eine Division bilden. Noch waren sie längst nicht so weit.
Nein, das waren alles nur Rekruten, halbe Zivilisten noch, denen man erst beibringen mußte, was es hieß, ein Soldat zu sein.
General Rou grinste raubtierhaft, als er sich an seine Ausbildungszeit erinnerte. Jede Weichheit würde aus diesen Dummköpfen herausgepreßt werden. So etwas wie den perfekten Soldaten gab es kaum. In der Regel war es die Aufgabe der Ausbilder, Schwächen und Individualismus der Rekruten zu zerbrechen, die einzelnen Individuen EINZUSCHMELZEN und in einem einjährigen gnadenlosen Formungsprozeß zu Soldaten umzuschmieden. Und das bedeutete, bedingungslosen Gehorsam, rücksichtslosen Angriffswillen und die absolute, uneingeschränkte Bereitschaft zu töten und zu sterben.

Jedenfalls verlangten die alten Ausbildungsrichtlinien ein solches Ergebnis. Alte Soldaten behaupteten oft, die Ausbildung sei in den letzten Jahren immer lockerer geworden, das „Material“ schlechter. Nun die Beschwerden alter Soldaten…

General Rou erinnerte sich jedenfalls noch gut an die Schläge und das Brüllen der Ausbilder: „VERGESST WAS IHR WART UND WAS IHR WERDEN WOLLTET!! ES GIBT KEINE VERGANGENHEIT MEHR FÜR EUCH - UND KEINE LEBEN AUSSERHALB DER ARMEE! ES GIBT NUR DEN BEFEHL UND DIE EHRE - FALLS IHR WERTLOSEN WEICHHÄUTE JEMALS WÜRDIG SEID, SOLDAT ZU SEIN!!“
Es hieß außerdem, daß die Rekruten ihre Offiziere mehr fürchten sollten als den Feind und den Tod. Auf jeden Fall hatten sie die Ausbilder gehaßt.
Unten bewegten sich zwischen den wie eingefrorenen Reihen der Rekruten die Drilloffiziere. Jeder von ihnen hatte einen schweren Knüppel in der Hand - und benutzte ihn ausgiebig.

„Interessanter Anblick?“
Als die Stimme hinter ihm ertönte, drehte sich General Rou um und salutierte. Er kannte diese Stimme.
Marschall Parin war für einen Akarii schon recht alt. Seine heisere, etwas kratzende Stimme war ein Zeichen dafür. Außerdem wirkte er nicht nur schlank, sondern regelrecht ausgemergelt. Aber der Marschall war alles andere als schwächlich. Jeder der ihn kennenlernte war geneigt, die Geschichten zu glauben, die über Parin in Umlauf waren. Nicht nur, daß er mehr Aufstände gegen das Imperium niedergeschlagen und Kolonialplaneten „befriedet“ hatte, als die meisten jüngeren Offiziere im Generalstab aufzählen konnten. Er hatte dem Imperium schon gedient, als der heutige Herrscher nur Kronprinz war – und er hatte zwei Imperatoren persönlich gekannt.

Marschall Parin war außerdem angeblich im Laufe der Jahre in eine ganze Reihe von Duellen verwickelt gewesen sein und hatte dabei eine ganze Reihe von Gegnern mit dem Handstrahler oder dem Schwert getötet - oder mit ZÄHNEN und KLAUEN, was das betraf...
Auch wenn das nicht mehr so ganz dem Geist der Zeit entsprach, viele junge Offiziere erschienen solche Geschichten wie eine Belebung der Kriegersagen und -lieder, mit denen sie groß geworden waren und der Marschall wie ein lebende Legende.
Es hatte viele überrascht, daß Parin auf Akar geblieben war, statt sofort ein Feldkommando zu bekommen - etwa den OB über Mantikor. Viele hatten das erwartet. Das Ausbleiben eines Marschbefehls hatte Gerüchte sprießen lassen. So kursierte etwa, daß Parin vehement gegen die Eröffnung der Kampfhandlungen protestiert haben sollte, bis fast zur Majestätsbeleidigung. Andere schoben Parins Verbleiben in der Etappe einem anderen Grund: der allgemein bekannten Tatsache, daß der Marschall Prinz Jor nicht ausstehen konnte.
Ob der alte Krieger über sein Verbleiben im Stab verärgert gewesen war, war ihm nicht anzumerken gewesen. Jedenfalls verrichtete er seinen Dienst am Imperium weiterhin mit der inzwischen fast schon legendär und sprichwörtlich gewordenen Präzision. Und er hatte sich auch ziemlich deutlich und eindeutig über die Fehler geäußert, die im Laufe der Offensive passiert waren. Egal, ob er nun den Krieg für sinnvoll hielt oder für den wahrgewordenen Traum eines „infantilen Säbelrasslers mit törichten Ambitionen die ebenso Anstand wie Vernunft überstiegen“ und ein Verhängnis für das Imperium - Marschall Parin HASSTE unnötige Verluste und wahr absolut gnadenlos gegenüber Versagern.
„Nun ja, das Material wirkt nicht schlecht. Aber vor diesen weichhäutigen Rekruten liegt noch ein weiter Weg.“
Der Marschall bleckte amüsiert die Zähne und lachte kurz auf: „Länger, als diese Nestlinge bei der Musterung dachten. So wird es ihnen jedenfalls vorkommen!“
„Marschall, Sie wissen, warum ich hier bin?“
„Selbstverständlich. Wenn man es für nötig hält, mich von der wichtigen und fordernden Aufgabe abzuberufen, das Ausbildungsprogramm zu überwachen und mit unseren Kolonialdivisionen zu jonglieren...“ Marschall Parins Stimme troff förmlich vor Sarkasmus - aber auch Verbitterung. Offenbar nahm er es doch persönlich, in der Etappe bleiben zu müssen. Aber das war nur verständlich. Der Krieg gegen die Republik der Menschen war endlich wieder eine Möglichkeit, sich im RICHTIGEN KRIEG zu bewähren. Die Befriedung von Kolonialplaneten, die Jagd auf Piraten war zwar ein wichtige Aufgabe, aber längst nicht so ehrenvoll und ruhmreich. Und wenn Marschall Parin diesen Krieg „verpaßte“, würde er vielleicht niemals wieder eine vergleichbare Chance haben, seine Kariere zu krönen. Parin wurde nun mal nicht jünger.
Allerdings lief der Krieg keineswegs so einfach, wie gewisse Kreise es vorher prophezeit hatten. Was auch der Grund war, warum der Generalstab wieder einmal zu einer außerplanmäßigen Sitzung zusammentrat.
Tyr Svenson
Einige Zeit später

Diesmal war nur der „Kleine Generalstab“ zusammengetreten. Das bedeutete, daß die Versammlung etwas weniger formell verlief, daß nur etwa zwanzig hochrangigste Offiziere der Flotte und der Armee zusammentraten. Es bedeutete allerdings keineswegs, daß die Versammlung einfacher verlaufen würde...
Zur Zeit sprach General Mikas, ein noch junger Befehlshaber einer Kolonialarmee:„Wegen des Krieges haben wir mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten zu kämpfen! Patrouilleverbände sind an die Front verlegt worden und stehen jetzt nicht mehr zur Überwachung renitenter Kolonialplaneten und der Piratenaktivitäten zur Verfügung. Und die verbliebenen Zweite-Linie-Kräfte waren in den letzten Monaten mehr damit beschäftigt, hinter den Raiders der Menschen herzustöbern, statt Rebellen, Schmuggler und Briganten zu jagen. Wegen Not- und Kriegszustand und der teilweise angespannten Transportlage hat es bereits kleinere Unruhen gegeben - dies könnte sich ausweiten. Sie wissen, daß es immer noch eine Reihe von Aufständen gibt und die Aufrührer wittern jetzt eine reelle Chance, unseren Zugriff zu lockern.
Das Transportkorps war gezwungen, Konvois zu bilden, das bindet wertvolle Kräfte. Wegen den Verlusten an Transportraum hat es außerdem Verzögerungen bei der Verlegung von Garnisonstruppen gegeben. Und Einheiten die für die Front bestimmt waren, kamen teilweise verspätet nach an. Wenn überhaupt!“
Admiral Kellis Rhaak sprang wütend auf: „WIR TUN UNSERE PFLICHT! Der Vorstoß der Weichhäute ist im eigenen Blut erstickt! Unsere Flotte hat Sieg um Sieg an ihre Fahnen geheftet, während die Armee wegen Rebellen rumjammert! Und beklagt, daß ihre kostbaren Kolonialdivisionen ein paar Wochen länger einige Bauern mit selbstgebastelten Bomben und ausrangierten Waffen jagen muß!“
Das löste wiederum bei den Generälen Protest aus. Aus dem wütenden Protest tönte General Rous harte Stimme: „GEWÄSCH! Sie können doch nur siegen, wenn Sie den Weichhäuten haushoch überlegen sind! SIEGE?! General Kahn wartet auf Mantikor jedenfalls immer noch auf die versprochenen Divisionen! Mit Ihren ‚Siegen‘ ist am Boden nichts zu gewinnen, wenn der Nachschub versagt!“
„General Kahn kann ja noch nicht mal eine Bande Versprengter unter Kontrolle bringen, die aus den Wäldern seine kostbaren Sturmtruppen abknallen! Wenn diese traurige Leistung die von Frontlinietruppen sein sollen, dann ist klar, warum es immer noch Aufstände auf einigen Kolonialplaneten gibt. ABER SUCHEN SIE DIE SCHULD FÜR IHRE SCHANDE NICHT BEI UNS!“

Und so ging es weiter. Der einzige, der sich nicht bei dem wütenden Streit beteiligte, war Marschall Parin. Mit ausdruckslosem Gesicht lauschte er den erbitterten Streitereien.
Erst als das wütende Stimmengewirr ein paar Sekunden abebbte, schnitt seine befehlsgewohnte Stimme durch die leiser gewordenen Streitereien. Er brauchte nicht zu schreien: „Die Marine hat die Aufgabe, die Transporte zu sichern. Diese Aufgabe hat sie so gut es ging erfüllt. Aber das reicht nicht. Wir haben mehr als ein volles Korps verloren, ohne das unsere Soldaten auch nur den Fuß auf den Schlachtboden gesetzt haben, als Truppentransporter in unserem eigenen Hinterland vernichtet wurden. Die Verluste an Material sind noch größer, wenn auch leichter zu ersetzen. Wir sind Soldaten. Die Armee dient dem Imperator und dies mit Freuden. Aber wir wollen es nicht dulden, daß unsere Leute abgeschlachtet werden wie Vieh - ohne jede Chance.
Die Verluste an Transportraum und der Abzug der Patrouillekräfte erschwert sowohl die Kontrolle einiger unruhiger Planeten, als auch den Nachschub. Und wenn die Marine nicht entsprechende Anstrengungen unternimmt, dem abzuhelfen - dann ist dies nichts anderes als Sabotage an den Kriegsanstrengungen.“

Die Admiräle hatten zugehört. Marschall Parins Wort besaß Gewicht. Aber klein beigeben wollten sie deswegen noch lange nicht. Admiral Rhaaks Stimme troff vor Sarkasmus: „Wir wissen natürlich, wie sehr Ihnen der Erfolg in diesem Krieg am Herzen liegt. Aber wenn Sie bei Prinz Jor Beschwerde einlegen wollen...“
Marschall Parins Stimme sank zu einem drohenden Zischen herab, als er antwortete. Mancher erwartete halb, daß er seinen Gegner nun fordern würde. Es hätte zu den Geschichten gepaßt, die um Parin in Umlauf waren: „Ich habe für das Imperium schon Divisionen in den Einsatz geführt, als Sie Ihre Kadettenuniform nur dazu benutzten, eine Frau zu beeindrucken! Bei Prinz Jor beschweren? Sie scheinen sich sehr sicher! Es gibt aber noch andere Instanzen, als den Kronprinzen oder?!“ Es wurde totenstill. Jeder wußte, WEN Marschall Parin meinte. Was auch immer über Parin im Umlauf war, er war ein Held des Imperiums, hoch dekoriert, mit den besten Verbindungen bis ganz nach Oben - vielleicht auch zu denen, die noch über dem Kronprinzen standen...
„Was würde der Imperator sagen, wenn ein Bataillon der Cha’kal in ihrem Transporter vernichtet wurde, weil SIE die Nachschubwege nicht sichern konnten?!“
Die Cha’kal war eine der legendenumwobenen Spezialeinheiten des Kaiserreiches - Attentäter, Saboteure, Kundschafter. Die Besten Soldaten aller anderen Streitkräfte waren gut genug, um für den Eintritt in die Cha’kal in Betracht gezogen zu werden. Die Cha’kal war fast genauso legendär wie Erste Garderegiment. Jeder der Generäle und Admiräle konnte sich vorstellen, wie der Imperator reagieren würde, wenn das von Parin entworfene Debakel Realität wurde...

Die Diskussion dauerte Stunden. Am Ende aber setzte sich die Armee zumindest in dem Punkt durch, daß den Nachschublinien in Zukunft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Es hatte nun einmal keinen Sinn, zu weit vorzuprellen, und dann die Kniesehnen durchgeschnitten zu bekommen.
Aber das war nur ein Teil des Ergebnis, wie zumindest Marschall Parin sich selbst gegenüber zugab. Es war auch darum gegangen, einmal mehr auszuloten, wo die Flottenchefs standen - und wo die Armeeoffiziere. Ungeachtet der sowieso üblichen Querelen zwischen den Streitkräften interessierte ihn natürlich vor allem die Frage, wie fest die Fraktion um Prinz Jor stand. Das Ergebnis war recht zufriedenstellend gewesen, fand der Marschall. Vor allem bei den älteren Admirälen gab es keineswegs nur Zustimmung für den Kronprinzen. Und in der Armee existierten sowieso Ressentiments weil der Prinz sich vor allem auf die Flotte konzentrierte.
Nicht, daß der Marschall einen Putsch oder so etwas erwog. Aber es konnte nur zum besten des Imperiums sein, fand er, wenn der Prinz nicht gar so selbstherrlich schaltete und waltete. Irgendwann würde er natürlich Imperator werden - aber Marschall Parin fühlte sich vor allem dem Imperium verpflichtet, nicht dem Herrscher-in-spe.
Tyr Svenson
Hauptquartier der Navy,
New York, USA, Terra

Die Kriesensitzung war zu früher Stunde anberaumt worden. Einige der "geladenen" Gäste hatte noch spät in der Nacht in ein Shuttle steigen müssen um rechtzeitig zur der Besprechung zu kommen.
Klaus von Richter, der CNO der Terran Space Navy jedoch kam betont zu spät.
Vor seinem Büro begrüßte ihn ein Schreibersmaat und nahm ihm den Mantel ab: "Es sind schon alle da und mit Kaffee oder Tee versorgt. Ich bringe Ihnen dann auch gleich Ihren Kaffee Sir."
"Danke Erik, aber vorher öffnen Sie mir die Tür und befehlen die hohen Herren da drin ins Achtung."
Erik erbleichte: "A... aber das sind alles Admiräle da drinnen."
Von Richter seufzte, Erik hatte zu lange in der Etappe gehangen. Also wandte er sich an einen der Marines: "Befehlen Sie die Damen und Herren in meinem Büro ins Achtung."
Der junge Mann grinste: "Sir! Aye, aye Sir!"
Mit präzisen Schritten - wie auf einer Parade - ging der Marine auf die Tür zu. Öffnete diese schwungvoll und trat ein.
"ACHTUNG! CHIEF OF NAVAL OPERATIONS AN DECK!"
Der CNO stellte sich in die Tür und betrachtete den Besprechungstisch, um den sich ein Haufen Admirale und Vizeadmirale gesellt hatten, die jetzt etwas verwundert die Tür anstarrten.
"ACHTUNG! STILLGESTANDEN!" Brüllte der Marine noch mal.
Nathan Frost war der erste, der Haltung annahm. Seine Stillgestanden-Stellung war alles andere als mustergültig. Aber Frost war Admiral und hatte seit Jahren vor niemanden mehr Haltung annehmen müssen.
Nach und nach nahmen auch die anderen Admirale Haltung an. Am akkuratesten sah Blair Westerguard aus, der Kommandant von Fort Lexington, der eigentlich nicht zum Stab der Navy gehörte.
Am linkischsten wirkten Marika Ogawa vom JAG und Jacob Stone vom Quartermasterkommando.
"Rühren." befahl von Richter und wandte sich an den Marine. "Danke, Sie können wegtreten."

Er ging zum Konferenztisch und setzte sich ans Kopfende: "Setzen Sie sich."
"Also, was sollte diese Show eben?" Verlangte Westerguard zu wissen.
"Diese gottverfluchte Navy hat Scheiße gebaut. Ganz kräftig Scheiße." Er nahm von Erik seinen Kaffee entgegen und trank einen Schluck. "Wie zur Hölle konnte man an uns vorbei ein Gefangenenlager hier auf Terra errichten? KANN MIR DAS JEMAND ERKLÄREN?"
Betretenes Schweigen.
"Und wer zum Teufel hat dieses Shuttle abgeschossen? Welche gottverfluchten Terroristen haben eines MEINER Shuttles HIER auf der Erde abgeschossen?"
Wieder schwiegen seine Admiräle.
"Dayson", wandte er sich an die Chefin des NIC, "1. Ich will, dass Sie lückenlos aufklären, wie dieses Gefangenenlager hierher kommt. 2. Ich will die Köpfe der Schuldigen auf einem silbernen Tablett. 3. Ich will wissen, wer dieses Shuttle abgeschossen hat und ich will auch dessen Köpfe. 4. Wer hat diesen arschgefickten Terroristen die nötige Hardware besorgt, um ein Shuttle abzuschießen."
Dayson schluckte hart. "Wird gemacht. Aye Sir."
"Sie", von Richter deutete mit dem Zeigefinger auf Ogawa," werden den NIC unterstützen. Sie werden Ermittler beauftragen. Alle Ergebnisse gehen umgehend und ohne Verzögerung ans NIC. Wenn ich auch nur eine berechtigte Klage höre, Ihre Leute seien unkooperativ oder ähnliches. Dann braucht Donner nicht länger an Ihrem Stuhl sägen, dann bekommt er ihn von mir geschenkt. Ist das angekommen?"
"Aye, aye Sir." Die Chefin des JAG sah aus, als wollten ihr noch ein paar mehr Worte aus dem Mund rutschen, doch sie beließ es dabei.
"Und dann wollen wir zusehen, dass wir die Echsen von diesem Planeten wegschaffen. Stone, dafür sind Sie zuständig."
"Und ähm, wohin soll ich die Akarii verschiffen Sir?"
"Das ist mir vollkommen egal. Stars End, Lancashire oder sonst wohin, wo sie von mir aus verrecken können."
"Okay, ich lasse mir was einfallen Sir."
"Westerguard: Sie schicken ein Regiment Ihrer Marines zu dem Gefangenenlager. Die sollen dort zum einen die Bewachung übernehmen, bis Stone den Transport organisiert hat und dann gleich mal alle Wachen, die sie antreffen Arrestieren."
"Die Wachen?" Westerguard fuhr sich durch die braune Haarpracht. "Aye, Sir."
"So, in Ordnung, das war's, wofür ich Sie hergebeten habe. Vielen Dank." Missmutig verabschiedeten sich die Abteilungschefs der Navy und gingen.

Mit Ausnahme von Clair Dayson. "Klaus, wir haben da noch ein Problem."
"Lass mich mit Deinem Geheimdienstscheiß bloß in Ruhe, Deine Jungs haben sich mit dem Gefangenenlager mehr als genug gleistet."
"Es geht um Troffen."
"Gottverfluchte Scheiße!" Der CNO schlug zweimal mit der rechte auf den Tisch. "Ruf Nathan noch mal rein."
Dayson flitzte zur Tür: "Nathan: Kommen Sie noch mal rein. Wichtig!"
Als die drei Admirale wieder am Besprechungstisch saßen stellte Dayson einen Störsender in der Größe einer Handcremedose auf den Tisch.
"Letztens haben meine Horchposten viele Nachrichten wegen Troffen aufgefangen. In Zusammenarbeit mit dem TIS konnten wir sie entschlüsseln. Die Akarii haben jetzt die Vernichtung der Akarii-Colonie Troffen bekanntgegeben und das System unter Quarantäne gestellt. Sie haben eine Zerstörerflottille dafür abgestellt."
Frost lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander: "Und welchem Umstand schreiben Sie die Zerstörung von Troffen zu?"
"Sie behaupten einer unserer Kreuzer wär' in Planetennähe stark beschädigt worden und ist auf den Planeten gestürzt. Der Aufschlag und die Sekuntärexplosionen, wie die anschließende Schmelzung der Reaktoren hätten Troffens Schicksal besiegelt."
Frost und von Richter blickten sich an.
"Gibt es die Möglichkeit, dass die Akarii wirklich zu dem Schluss gekommen sein könnten?" Fragte von Richter schließlich.
"Nein." War die knappe Antwort.
"Sicher?" Hakte der CNO nach.
"Sie hat recht Klaus. Eine Atombombe ist ein Fliegenschiss im Vergleich zu einem Absturz eines Kreuzers auf einen Planeten. Es gäbe einen riesigen Krater, mit dem Durchmesser von über 100 Kilometern. Troffen jedoch wurde durch ein Punktgenauen Beschuss von Atomraketen umgegraben."
Schweigen kehrte in das Büro ein. Alle drei machte nachdenkliche Gesichter.
"Wir müssen wissen, was die Akarii wirklich wissen." Von Richter klang leicht verzweifelt.
"Klaus", begann Dayson zögernd, "ich bräuchte als erstes Zugriff auf das Gefangenenlager." Sie hob abwehrend die Hand, als von Richter sie unterbrechen wollte. "Ich weiß, mein Verein hat wirklich Mist gebaut. Aber ich brauch freie Hand, wenn wir das Troffenproblem irgendwie lösen wollen."
Von Richter blickte sie kurz tief an. "Was haben Sie vor?"
"Wir besorgen uns ein paar Akarii, drehen Sie um, verpassen Ihnen Gehirnwäschen und schleusen Sie in das Imperium ein."
"Das gelingt nie."
"Haben Sie einen besseren Vorschlag, Nathan?" Fragte Dayson schnippisch. "Nein? Ich auch nicht. Und wenn es nicht klappt, was solls, es waren nur Akarii."
"In Ordnung", von Richter nickte ihr zu, "schnappen Sie sich alles, was Sie aus dem Gefangenenlager brauchen."
"Danke Klaus." Dayson packte ihre Sachen zusammen.
"Ach, und noch etwas Claire: Glauben Sie ja nicht, dass die Scheiße, die sich Ihr Verein mit dem POW-Camp geleistet hat aus der Welt ist."
"Ich verstehe."
Tyr Svenson
Einsatzbesprechung

Lucas folgte Wulff und Waco in die Raumfähre. Hinter ihm stieg noch Captain Schlüter von den Marines und der ND der COLUMBIA ein.
Ein gelber Traktor zog das Shuttle zum Hecktor der COLUMBIA, wo eigentlich die Jäger landeten. Ein Traktorstrahl hob das Shuttle hoch und schob es aus dem Flugdeck.
Das Shuttle schlängelte sich durch die terranische Flotte und näherte sich der Gettysburgh von Backbord.
Auf dem Monitor sahen die Passagiere wie ein zweites Shuttle - welches ein rotes Kreuz in einem weißen Feld trug - am Flottenträger andockte.
Das Shuttle der COLUMBIA flog über die Gettysburgh weg, drehte eine enge Schleife und dockte dann Steuerbord an.

Zischend öffneten sich die Türen und Wulff betrat als erstes die Gettysburgh.
"ACHTUNG! Admiral an Deck!" Links und rechts der Schotten standen je ein Marine. Simon Breuer der Captain der Gettysburgh empfing die Abordnung der COLUMBIA.
"Admiral Wulff: Willkommen auf der G-Burgh." Breuer reichte der Admiralin die Hand.
"Vielen Dank Captain."
"Hallo Simon", grüßte James Waco den anderen Captain.
"Wacko!" Die beiden Trägerkommandanten umarmten sich freundschaftlich. Dann stellte Waco die anderen Begleiter vor.
"LONE WOLF!" Stieß einer von Breuers Begleitern hervor, ein Pilot mit den Rangabzeichen eines Lieutenant Commanders.
Lucas stutzte, dann stahl sich ein erfreutes Lächeln auf sein Antlitz: "Iceman, Du gottverfluchter Höllenpilot."
Der große blonde viel Lucas in die Arme.
"Shitt Mann, ich hatte gedacht die Rote Echse hat Dich erwischt."
"Der war echt gut", bestätigte Iceman, "hat Amazon, Killroy und Blank abgeschossen. Hab mir fast in die Hose gemacht, als er sich auf mich stürzte."
Die Gruppe machte sich auf den Weg in die CIC.
"Mich hat er kurz vorm Rückzug auch aus meiner 'hawk geballert." Gab Lone Wolf zu.
"Himmel, fünf Asse der Blue Angles hat der in einem Gefecht rausgeholt und sein wir ehrlich, wer von uns konnte mit Blank mithalten."
"Bei meiner vorletzten Feindfahrt mit der Red hat Darkness ihm ein Unentschieden geliefert."
"Justin lebt?" Iceman kicherte. "Sollte mich eigentlich nicht wundern, der ist zu bösartig um zu sterben."
"Er war auf der Red mein XO und ist es jetzt auf der COLUMBIA wieder."
"Ich seh schon mein Schüler hat sich sehr gut gemacht. Commander."
Lone Wolf blieb stehen: "Wer war hier wessen Schüler?"
"Ich hab Dich beim letzten Sim-Duell geschlagen Wolf."
"Ja, ich war auch erkältet."
"Auf einmal", Iceman lächelte diabolisch, "wer hatte denn behauptet, er könne mich selbst mit einer Hand auf den Rücken gebunden besiegen."
"Wollen wir in den Simulator steigen?" Lucas deutete in Richtung der Simulatorräume.
"Gentlemen!" Renault war in der Tür zur CIC erschienen.
Schnell traten die beiden Piloten in die CIC.

Um den Monitortisch in der CIC hatten sich neben Renault, Breuer, Wulff und Waco noch Johann von Richter der CAG der Death Merchants, die Konteradmirale Noltze und Kowalski gesellt.
Schlüter stand etwas abseits neben einem Colonel der Army.
"Ladies und Gentlemen: Sie werden an der ersten Offensive unserer Flotte in diesem Krieg beteiligt sein." Begann Renault. "Das Ziel dieser Offensive ist es sowohl Graxon als auch Wron einzunehmen. Beide Systeme sind von größter strategischer Bedeutung. Sie können uns zu späteren Zeitpunkten als Sprungbrett tief ins Akarii-Imperium dienen. Eventuell sogar für einen Langstreckenangriff auf das Sektorenhauptquartier Nekor, auf Axion oder sogar Akarr selbst.
An dieser Operation werden die komplette zweite Flotte, mit allen vier Flottenträger, sowie die dritte Flotte unter Girad mit allen drei Trägern teil nehmen.
Wulff, Sie und die COLUMBIA-Trägergruppe bilden unsere Vorhut. Sie machen sich morgen früh auf den Marsch nach Corsfield. Sichern Sie das System und stellen Sie ein Überwachungssystem her. Die INTREPID wird schätzungsweise zwei Tage nach Ihnen dort eintreffen. Der Rest der zweiten, etwa fünf Tage nach Ihnen.
So bald wir die Flotte aufmarschiert haben, werden unsere Minenleger den Bravo-Jumppoint verminen.
Die COLUMBIA und die INTREPID werden den Angriff auf Graxon vornehmen. Zerschlagen Sie alle Raumstreitkräfte der Akarii. Aber versuchen Sie gar nicht erst einen Hilferuf des Feindes zu unterbinden. 1. Würden Sie es eh nicht schaffen und 2. Zählt es zu unserem Plan Reaktionsstreitkräfte des Feindes erscheinen zu lassen. Wir hoffen, dass er sein Flotte von Wron abzieht, welches dann von dem Rest der dritten Flotte, sowie einem Expeditionscorps aus Army und Marines genommen wird.
Aber bleiben wir bei Graxon! So bald die Raumverteidigung ausgeschaltet ist, werden die Herrschaften vom SAS übernehmen. Auf dem Hochplateau landen und das Gefängnis einnehmen.
So bald alles gesichert ist, rückt ein leichtes Regiment Marines bestehend aus den Rumpfbataillonen beider Träger, sowie einiger Kompanien der begleitenden Kreuzer nach. Sie übernehmen dann die Stellungen des SAS, welches sich schnellstmöglich zurückzieht.
Alle Gefangenen sind zu evakuieren und werden auf die begleitenden Lazarettschiffe gebracht."

Renault pausierte kurz. Er schien nur einen Atemzug zu brauchen, ehe er fortfuhr.
"Wenn dies geschafft ist, haben wir schon mal einen Teilerfolg. Nun ist es wichtig, wie groß die Reaktionskräfte des Feindes sind. Sind es nur die beiden Trägergruppen, die wir bei Wron vermuten, geben Sie uns Meldung und wir rücken nach und erdrücken den Feind mit unserer Übermacht.
Sollten die Akarii jedoch mit mehr als zwei Trägern auftauchen, lassen Sie sich bis nach Corsfield zurückfallen. Und zwar auf diese Position."
Der Monitor zeigte erneut das Corsfield-System. Eine Koordinate leuchtete rot auf. Wir nehmen die Akarii dann in die Zange, wenn Sie durch das Minenfeld durch sind."
Der Kommandant der 2. Flotte blickte in die Runde: "Fragen?"

Wulff beugte sich vor: "Und was machen wir, wenn die Echsen mit fünf oder sechs oder gar sieben Trägern Entsatz kommen?"
Anstelle von Renault antwortete Noltze: "ComStaffel. Wir parken an jedem Wurmloch eine Fregatte als ComRelais. Sollten die Akarii wirklich so massiert angreifen fallen ihnen die Saratoga und die Charles de Gaulle in den Rücken."
"Und sollte das nicht reichen, holen wir noch die erste Flotte von Texas mit ran." Vervollständigte Kowalski.
Die drei Piloten blickten sich unsicher an.
"Sir", es war Johann von Richter der sprach, "Sie sind sich klar, dass Sie hier von beinahe der gesamten Navy reden und nicht nur ein oder zwei Flotten."
"Ja, Commander, das ist uns durchaus klar." Renault klang leicht giftig.
"Und Sie halten es wirklich ratsam, dass alles aufs Spiel zu setzen für zwei Sternensysteme?"
"Hören Sie Mister, Sie mögen sich ja für omnipotent halten, was die Raumkriegsführung angeht, doch sind Sie mein Geschwaderführer. Also führen Sie Ihr Geschwader und überlassen Sie den Rest uns Profis wie Ihrem Vater, Frost, mir und meinem Stab. Andere Fragen?"
Schlüter meldete sich: "Das ist ein unterirdisches Gefängnis richtig. Haben wir irgendwelche Pläne?"
Renault deutete auf den SAS-Colonel: "Colonel Blake?"
"Leider haben wir kaum eine Ahnung, was uns dort erwartet. Daher hat man sich entschlossen uns zu schicken. Wir werden uns unseren Weg durch die Aufzugsschächte bahnen und alles so gut es geht sichern. Dann werden wir an ihre Marines übergeben."
"Und uns es überlassen mit einem eventuellen Gegenangriff fertig zu werden."
Blake lächelte: "Wir sind Special Forces, keine Feldkampfeinheit. Dafür seid Ihr Ledernacken doch da. Semper Fi und so weiter."

Schlüter böse grinste zu dem SAS-Colonel hoch. Sie hatte zwar schon einer Menge Marines Gottesfurcht eingeflößt. Viele von denen größer und kräftiger als sie. Sie war ein echter Profi. Doch bei diesem Kerl kam sie mit Ausstrahlung nicht sehr weit und ihm zum Ringkampf einzuladen traute sich sich dann doch nicht ganz.

"Gut, wenn keine weiteren Fragen oder Anfeindungen mehr vorzubringen sind, können wir die Besprechung beenden." Renault blicke noch mal in die Runde. "Admiral Noltze wird Ihnen noch die Datendisc's mit den genauen Zieldaten und neuesten Geheimdienstauswertungen übergeben. Planen Sie Ihre Einsätze dementsprechend. Das wär's, wegtreten."
Die Versammlung löste sich auf, doch Iceman hielt Lucas am Ärmel fest: "Grüß Justin bitte von mir und natürlich auch von Roulett."
"Roulett lebt?"
Iceman nickte: "Ich weiß sonst noch von DeVries und von Antonio Celmente, beide auf der Melbourne."
"Damit wären wir sechs, von denen wir wissen." Lucas drückte seinem alten Kameraden fest die Hand. "Machs gut Ice, wir sehen uns in der Schlacht."
Der andere ehemalige Blue Angle grinste wehmütig: "Und nach der Schlacht."
Tyr Svenson
Die meisten Mitglieder von Schiermers Platoon wußten wahrscheinlich nicht, wie genau der Master Sergeant über jeden Einzelnen informiert war. Nicht nur bei der Fremdenlegion herrschte die Maxime, daß ein Truppführer über die Stärken und Schwächen seiner Leute Bescheid wissen sein mußte. Dies konnte im entscheidenden Moment Leben retten und über Scheitern oder Gelingen eines Einsatzes entscheiden. Und Schiermer hatte nicht umsonst fast 16 Jahre Dienst im Marinekorps überlebt – und in der Regel die ihm gestellten Aufgaben erfüllt. Und da jetzt mal wieder seine Aufgabe darin bestand, aus einem Haufen Greenhorns eine funktionierende Kampfeinheit zu formen, hatte er den Bewertungen und Lebensläufen seiner Soldaten weitaus mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als man bei seinem üblicherweise rauhen Führungsstil vermuten könnte.
In einem optimalen Platoon gab es eigentlich immer „Spezialisten“: Männer und Frauen, die die Rolle des Scharfschützen, des Spähers, des Sprengstoffmeisters oder Sanitäters übernahmen. Theoretisch sollte natürlich jeder Marine das Präzisionsschießen beherrschen, Erste Hilfe leisten oder eine Sprengladung entschärfen können. Erfahrene Truppführer aber gaben solche Aufgaben lieber ihren „Experten“.

Jean Davis fühlte sich hundemüde. Nach dem „Bootcamp“ auf der Erde hatte sie geglaubt, das Schlimmste hinter sich zu haben und ein vollwertiger Marine zu sein. Aber weder Master Sergeant Schiermer, noch Corporal „Porks“ schienen die „Neuen“ für richtige Soldaten zu halten – und beide schienen es als eine Frage der Ehre anzusehen, sie noch schärfer zu drillen als die Ausbilder. Sergeant Schiermer schien jeden zu verachten, der nicht schon im Kampfeinsatz gestanden hatte und „Porks“ war einfach ein arrogantes Schwein, der sich noch vulgärer ausdrückte, als Schiermer.
Endlose Ausdauer- und Kraftsportübungen wechselten sich anscheinend ohne Pause mit Nahkampftraining und Schießübungen ab. Die freien Stunden konnte man an EINER Hand abzählen – und man brauchte nicht viele Finger. Momentan wollte sie nichts, als duschen, und sich dann einfach in die Koje fallen lassen und schlafen.
Die anderen waren jetzt wohl beim Essen fassen, aber nachdem „Pork“ bei der letzten Nahkampfübung zwei Schläge in Jeans Magen plaziert hatte, war ihr der Appetit vorerst vergangen. Sie hatte Glück gehabt, daß sie sich nicht übergeben hatte. Mühselig schälte sie sich aus ihrer Trainingsmontur – als ohne Vorwarnung die Tür aufging.

Es war Master Sergeant Schiermer. Jean, die reflexartig Haltung angenommen hatte, biß wütend die Zähne zusammen. Halbnackt wie sie war, bot sie sicherlich einen interessanten Anblick. Howard hätte es bestimmt gefallen. Falls der Sergeant ihre Verärgerung bemerkte, ignorierte er sie.
„Mitkommen, Soldat!“
Was blieb ihr anders übrig, als die verschwitzten Übungsklamotten wieder anzuziehen und Schiermer zu folgen?
Der Master Sergeant blickte sich nicht um und sprach sie auch nicht an, während er durchs Schiff marschierte. Es ging zu den Schießständen.

Von Schiermers Platoon war momentan nur ein weiterer Soldat hier. Juan hatte den „Neuen“ nur ein Jahr Dienst voraus, gehörte aber offenbar schon zum Kreis der „Alten“. Der Soldat mexikanischer Abstammung schien völlig darin vertieft, die Zielvorrichtung eines HK-Lasersturmgewehrs zu überprüfen.
Schiermer wandte sich wieder zu Jean Davis um: „Du hast im Training eine gute Trefferquote gehabt.“ Das war keine Frage, also antwortete sie nicht. Schiermer musterte sie ein paar Augenblicke mit ausdruckslosem Gesicht. Dann drehte er sich um und nahm Juan das Gewehr aus der Hand und hielt es Jean hin:
„Schieß eine Serie!“

Jean überprüfte schnell das Gewehr. Eine Standardwaffe, aber mit einer Spezialzielvorrichtung, die einem Scharfschützenzielgerät ähnelte. Allerdings war der Sinn diese Zielvorrichtung genau der entgegengesetzte – damit wirkten nahe Ziele weiter entfernt. Neben VR-Übungen war dies eine weitere übliche Möglichkeit, das Schießen über große Entfernungen zu üben.
Der Schießstand, an dem sie sich aufhielten hatte fünf Ziele – von der Größe eines Kopfes bis zu der einer Faust. Jean blickte kurz durch das Visier. Nach den Anzeigen waren die Ziele 500 Meter „entfernt“. Das machte ihr keine Sorgen. Sie war wirklich gut, das wußte sie. Im Platoon war nur Juan besser – und der Master Sergeant.
Sie visierte das Ziel an – schoß. Vorbei, um mindestens zehn Zentimeter. Sie zuckte förmlich zusammen. Verdammt! Mit zusammengepreßten Lippen visierte sie das nächste Ziel an, zielte sorgfältig. Schoß. Vorbei – sicher einen vollen Fuß. Neben ihr ertönte ein Geräusch, das verdächtig nach einem unterdrückten Lachen klang. Das mußte Juan sein. Jean knirschte mit den Zähnen. Dieser verdammte Hund hatte leicht lachen! Von Schiermer war nichts zu hören, aber sie war froh, ihm jetzt nicht ins Gesicht sehen zu müssen. ‚Reiß dich zusammen, Mädchen! Mach jetzt nicht schlapp!‘ Der Sergeant hatte befohlen, eine Serie zu schießen – also würde sie das tun! Mit zusammengebissenen Zähnen visierte sie die nächste Scheibe an. Stieß die Luft aus und ließ das Fadenkreuz über dem Zentrum der Scheibe zur Ruhe kommen. Schoß – vorbei!
Jetzt lachte Juan wirklich auf. Und mit vor Scham hochroten Gesicht setzte Jean die Waffe ab und wirbelte zu Master Sergeant Schiermer um. Der sah sie ausdruckslos an – oder war das Verachtung in den kalten Augen?
„Sergeant! Das Gewehr ist manipuliert!“
Und jetzt grinste Schiermer. Es war ein zynisches Grinsen, das die Augen nicht erreichte: „Es wurde Zeit, daß du das merkst. Im Einsatz kannst du es dir nicht leisten, mit dieser Erkenntnis bis nach dem dritten Schuß zu warten. Ein Scharfschütze prüft IMMER das Visier, bevor er schießt. Und wenn du Sniper werden willst – dann mußt du schnell lernen. Also bring das Gewehr jetzt in Ordnung! Und dann schieß die Serie noch mal. Die Zeit läuft!“
Es war nicht einfach, die Zielvorrichtung zu überprüfen und rekalibrieren, während Schiermer daneben stand und die Zeit zu stoppen schien, die sie brauchte. Und ganz bestimmt half Juan nicht, der ihre Bemühungen grinsend beobachtete. Sie fühlte, wie ihre Hände leicht zitterten. Sie riß sich zusammen.
Dann hob sie die Waffe an die Schulter. Visierte das erste Ziel an. Setzte wieder ab, nahm eine letzte Einstellung vor. Legte wieder an. Zielte.
Schuß – Treffer!
Zielwechsel – Schuß – Treffer!
Zielwechsel – Schuß – Treffer!
.
.
.
Als sie die Waffe absetzte, war sich Jean sicher, gute Arbeit geleistet zu haben. Allerdings zeigte das ausdruckslose Gesicht Schiermers in keiner Weise, ob er beeindruckt war oder nicht. Auch Juan enthielt sich einer Stellungnahme. Dann nickte Schiermer knapp: „Vielleicht hast du Potential. Aber glaub‘ nicht, daß dir das irgendwelche Freiheiten gibt. Du wirst einfach noch ein paar mehr Stunden am Tag an dir arbeiten müssen – denn ich denke nicht daran, dich aus dem normalen Programm zu nehmen. Wenn du damit nicht klar kommst, taugst du sowieso nicht. Juan ist der zweite Sniper im Team. Und er ist angelernt. Also werdet ihr zusammenarbeiten. Er kennt die Kniffe schon – also pass‘ gefälligst aus, oder du endest in einem Leichensack. Das war es schon – weggetreten!“ Eine scharfe Handbewegung schickte sie weg.

Als Jean den Raum verlassen hatte, wandte sich Schiermer zu Juan: „Wie schätzt du sie ein?“
Der junge Mexikaner grinste: „Von der Bettkante würde ich sie nicht schubsen... Ach so, du meinst beim SCHIESSEN... Nun, sie hat Potential. Man kann was aus ihr machen. Und ich nehme an, du willst einen zweiten Sniper, für den Fall, daß ich mich beim Sprengen mal selber in die Luft jage?“
Der Sergeant zuckte mit den Schulter: „Ich will kein Talent verschwenden. Also lern‘ sie an.“
„Zu Befehl!“ Juan salutierte so zackig, daß es schon lächerlich wirkte.
„Aber das meine ich auch. Du sollst sie zum Sniper machen, nicht versuchen sie ‘rumzukriegen. Also bleib‘ sauber!“
„Na hör‘ mal, Sarge! Ich habe dich gehört. Außerdem vergreif‘ ich mich doch nicht an `nem Frischling!“
„Na wie schön!“
„...außer Sie will es!“
Schiermer lachte kurz, fast bellend: „Schieb schon ab! Euch Latinos sollte man kastrieren!“
„Wir haben einen Ruf zu verteidigen. Aber mach dir mal keine Sorgen...“
Tyr Svenson
Lilja schloß die Tür, wobei sie ein frustriertes Knurren unterdrückte. Es war nie klug, in Anwesenheit eines Offiziers zu viele Gefühle zu zeigen, vor allem, wenn diese zum Ausdruck brachten, daß man mit ihm nicht übereinstimmte. Aber manchmal mußte auch sie sich Mühe geben, um ihre Verärgerung nicht deutlich werden zu lassen. Selbst wenn sie den fraglichen Offizier, wie in diesem Fall Darkness, respektiert.
Aber Hochachtung hin oder her, diesmal war sie keineswegs zufrieden. Dabei ging es nicht mal um sie selber. Sie war bei Darkness vorstellig geworden, um noch einmal ein gutes Wort für einen ihrer Staffelkameraden einzulegen. Als XO fühlte sie sich für die ganze Truppe verantwortlich, außerdem ging es schließlich um ihre „bessere Hälfte“ – wie man den Flightkameraden oft nannte.
Sie hatte recht schnell von dem fatalen Fehler bei der Unterbringung ihres Kameraden erfahren. Nicht, daß Tyr sich bei ihr beschwert hätte. Das wäre ihm wohl angesichts des Altersunterschiedes zu lächerlich vorgekommen. Zudem war der hünenhafte Schwede wirklich nicht der Mann, der gleich zu einem Vorgesetzten oder Einheitskameraden rannte, um sich bei ihm auszuheulen, wenn ihm was nicht paßte. Nun, mit el Cid hatte er sich vermutlich darüber unterhalten, aber mit dem war er auch befreundet – und unter Freunden wurde beim Militär immer gemeckert.

Sie hatte jedenfalls früh genug davon Wind bekommen, daß irgendein Schreibstubenhengst den verdammten „Stravniki“ mit ihrem Flightkameraden in ein Zimmer zusammengelegt hatte. Tyr hatte seine Wut nicht verbergen können, als sie ihn auf das Problem angesprochen hatte. Zudem hatte ihr scharfes Auge und ihre eigene Erfahrung auf dem Gebiet dafür gesorgt, daß sie so eine Vermutung hatte, wie die erste Begegnung der neuen Nachbarn in etwa ausgefallen war. Sie konnte sich unschwer vorstellen, wie sie selber reagiert hätte, wenn sie ihr Quartier mit einer ehemaligen Strafgefangenen von dem Kaliber hätte teilen müssen. Also hatte sie sich aufgemacht, um eine Verlegung durchzusetzen.

Sie hatte sich ihre Argumente durchaus überlegt. Hatte angebracht, es sei besser, Noname mit einem Kameraden aus seiner eigenen Staffel zusammenzulegen. Schließlich würde er mit denen zusammen kämpfen, und mußte sich auf sie ebenso verlassen können wie sie auf ihn. Auch hatte sie angeführt, daß es vielleicht besser wäre, nicht Piloten so verschiedener Dienstgrade in einem Quartier unterzubringen. Dazu kam die Erinnerung, daß Tyr Erfahrung im Kampf mit Piraten hatte, und deshalb vielleicht nicht der geeignete war, mit jemanden untergebracht zu sein, der nur aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Freibeuterei freigesprochen worden war. Und sie hatte auf die psychologischen Profile der Piloten hingewiesen und angebracht, daß es für die Zusammenarbeit in ihrer Staffel besser sei, wenn Tyr mit einem Einheitskameraden untergebracht wurde. Und so weiter und so fort...

Darkness hatte ihr nur mit wachsender Ungeduld gelauscht. Offenbar hatte er zum Gutteil durchschaut, daß die ganzen guten Gründe nur dem Zweck dienten, zu kaschieren, daß es eigentlich vor allem um eines ging: Noname war im Geschwader Persona non grata, und keiner wollte ihm am Hals haben.
Jedenfalls hatte er ihr unmißverständlich klar gemacht, daß es eine Umverteilung nicht geben würde. Sonst würde der nächste auch so ankommen, und dann wieder einer, und so fort. Schließlich sei man an Bord eines Kriegsschiffes.
An der Stelle hätte die frustrierte Lilja ihm am liebsten erklärt, daß ihrer Meinung nach Noname sowieso hier kaum etwas zu suchen hatte, gerade weil sie an Bord eines Kriegsschiffs waren. Und wenn, dann würde ein Quartier bei den untersten Diensträngen auch reichen. Aber sie hatte sich das lieber verkniffen. Unverrichteter Dinge hatte sie nur salutieren können und war abmarschiert. Nach außen gehorsam und einsichtig, nach innen ziemlich wütend. Sie verachtete Noname, und noch mehr verabscheute sie die Scherereien, die mit ihm zusammenhingen. In der Hinsicht versuchte sie nicht einmal, den Piloten neutral zu betrachten. Ihrer Meinung nach gehörten solche Leute in ein Strafbataillon, und sollten nicht mit Samthandschuhen angefaßt werden. Gleichberechtigung mit richtigen Piloten? Wozu sollte das denn gut sein? Die hatten sich ja nichts zu schulden kommen lassen. Aber es liefen eben selten nach Wunsch, mocht der auch noch so vernünftig sein.

Tyr erwartete sie ein Stück vom Büro des Commanders entfernt. Offenbar sagte ihr Gesichtsausdruck ungeachtet aller Bemühungen, eine neutrale Miene zu wahren, genug. Der Schwede verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen: „Danke jedenfalls, daß du es versucht hast.“
Lilja murmelte etwas Undeutliches – vermutlich war es kein Segenswunsch: „Nur, weil ich verdammt noch mal nachvollziehen kann, warum dir die Sache stinkt. Du hättest das ganze aber auch anders angehen sollen, von Anfang an.“ Tyr zuckte nur mit den Schultern.
„Vielleicht. Aber andererseits – ich denke, die Visage von Noname schreit immer nach einem Schlag, egal wo sie auftaucht.“ Er kicherte: „Wie hättest du denn reagiert.“
Lilja lief ein wenig rot an und warf ihrem Kameraden einen wütenden Blick zu. In manchen Dingen war sie recht heikel, geradezu prüde. Dann lachte sie grimmig: „Nun, ich hätte vermutlich gleich das Messer genommen.“

Seite an Seite marschierten sie durch die Gänge des Kriegsschiffes.
„Was hat der Alte eigentlich gesagt?“ erkundigte sich der Schwede. Mit „Alter“ wurden alle höheren Offiziere bezeichnet, vom Staffelchef an aufwärts. Nur der unmittelbare Kontext ergab, wer eigentlich gemeint war. Das tatsächliche Alter spielte dabei natürlich nie eine Rolle.
„Nur das übliche. Alle an einem Strang ziehen, blablabla, sind im Krieg und so weiter. Du kennst das ja. Es mag ja stimmen, aber das heißt nicht, daß man mit einer Ratte auf zwei Beinen das Zimmer teilen muß.“ Sie lachte erneut: „Wiewohl du nicht der erste bist, der so ein Glück hatte, oder zumindest so ähnlich.“
Ihre Abneigung gegen Noname speiste sich zusätzlich noch aus dem Umstand, daß es Gerüchte gab, er und der Geschwaderchef hätten noch offene Rechnungen. Und Lilja würde nie vergessen, daß Lone Wolf sie befördert und dekoriert hatte. Nicht, daß es dieses weiteren Grundes bedurft hätte. Die Haftstrafe, die Noname garantiert verdient hatte, und die Verbrechen, die man ihm nicht hatte nachweisen können, reichten zusammengenommen um ein ganzes Dutzend Leute zu verachten, nicht bloß einen.
„Tja, wenn man sich bloß sicher sein könnte, auf welcher Seite die einzelnen in diesem Krieg stehen...“ bemerkte Tyr säuerlich. Er wußte nicht, was schlimmer war. Mit so einem potentiellen Rohrkrepierer, wie Noname in seinen Augen nun mal einer war, zu wohnen, oder mit ihm zu fliegen. Den Asen und Vanen sei Dank, daß er nicht gleich beides mußte!

Während Lilja schwermütig nickte, überlegte sie sich, was sie zum Trost anbringen konnte. Ihr fiel nicht so Recht etwas ein, außer Zynismus. Es ging hier ja nicht darum, nur mal ein paar Tage und Nächte mit jemanden das Zimmer teilen zu müssen, den man nicht leiden konnte. Es ging hier um Wochen, vielleicht Monate. Die eigene Kabine war das Allerheiligste der Piloten, einer der Orte, wo er am ehesten so etwas wie das Gefühl hatte, zu Hause zu sein. Sicher, man konnte sich auch sonst an Bord gut erholen, aber die eigenen – geteilten – vier Wände waren doch etwas besonderes. Und dann SO ein Glück haben – das war wie die permanent tropfende Leitung oder der Abwassergestank, den auf der guten alten REDEMPTION ein paar Unglückliche hatten aushalten müssen. Eine scheußlich Vorstellung. Aber schließlich kam ihr doch ein Gedanke. Nun, das war zumindest eine Möglichkeit, und eigentlich nicht mal verboten. Vielleicht nicht ganz kameradschaftlich, aber ein echtes Mitglied der Bordgemeinschaft war Noname ja aus eigenem Wunsch nicht. Also warum nicht.

Die Russin lächelte leicht: „Nun, das kann ich dir natürlich nicht sagen, ob man auf den zählen kann. Das werden die Roten wohl selber rausfinden müssen. Sollte er Mist bauen – ich hoffe dann schießen sie ihn aus dem All. Vielleicht meint er es ja ernst, obwohl ich bisher nicht viele Anzeichen davon sehe. Aber ich denke, du solltest aus der Lage das Beste machen.“ Sie unterbrach Tyr Protest, von wegen, daß man aus etwas Schlechtem kaum das Beste machen könne, indem sie gnadenlos hinzufügte: „Und hör auf zu maulen, Rus. Das bringt auch nichts.“ Tyr starrte sie gespielt empört an, dann zuckte er mit den Schultern: „Na, dann laß mal hören...“
„Also, ich denke mir das so...“
Tyr Svenson
Als Noname sein Zimmer betrat – Cunningham hielt seine Leute wirklich an der kurzen Leine, und manchmal kamen sie den halben Tag nicht aus den Pilotenanzügen – erwartete ihn eine Überraschung. Die letzten Tage waren ja schon unangenehm genug gewesen. Sein Zimmerkamerad hatte es nach dem ersten denkwürdigen Zusammenstoß für unter seiner Würde erachtet, ein Wort an den Ensign zu richten. Nun, das war immer noch besser als eine Prügelei, denn Noname konnte sich ausrechnen, daß sein Gegner-in-spe sich nicht noch einmal würde überraschen lassen. Was Gewicht, Kraft und Reichweite anging, war Tyr einfach überlegen.
Aber der Schwede hatte sich damit begnügt, eine ,Wenn du mich anmachst, mach ich dich kalt‘ Miene aufzusetzen. Und zu schweigen. Wenn sich ein Wortwechsel wirklich nicht vermeiden ließ, hatte er Noname immer mit seinem Rang angeredet. Eine nicht eben subtile Art, dem Strafpiloten die ihm in Tyrs Augen zustehende Stellung klarzumachen. Tyrs Vorstellungen von Freizeit bestanden zum Gutteil aus dem gründlichen Studium irgendwelcher Fliegerzeitschriften. Oder er hockte vor dem Modell eines Akarii-Kampffliegers, an dem er mit Hingebung arbeitete. Er hatte Noname nur einmal gewarnt, er solle seine Finger davon lassen – doch dies mit sehr deutlichen Worten. Nicht, daß der ehemalige Sträfling sich von so was beeindrucken ließ, aber er hatte im Gefängnis auch gelernt, keinen unnötigen Kampf anzufangen. Besonders, wenn der Ausgang ungewiß war.

Die Gegenwart eines zweiten First Lieutenant war jedoch eine Überraschung. Das markante Gesicht verriet ihm, daß es sich um Tyrs Flightkameradin und XO der Grünen Staffel handelte. Das war eigentlich schon verwunderlich genug, denn es gab keinen Grund für sie, hier zu sein. Aber das war nicht alles. Mit der größten Selbstverständlichkeit revidierte sie seine Zimmerhälfte und Spind – wie ein ordentlicher Sergeant in der Grundausbildung.
Offenbar hatte sie Noname eintreten hören, denn bevor er seinen Mund zu einer wütenden Frage öffnen konnte – was fiel der eigentlich ein, hier herumzuschnüffeln? – wirbelte sie zu ihm herum. Ihre Stimme klang alles andere als damenhaft: „Stillgestanden, Ensign!“ Noname war immer noch so verdattert, daß er Folge leistete. Sonst wäre ihm das nie passiert, aber diesmal hatte man ihm auf dem falschen Bein erwischt.
Er registrierte, daß Tyr das ganze mit nichtssagendem Gesichtsausdruck beobachtete. Auch er war in Habachtstellung – was an ihm recht eindrucksvoll aussah.

Lilja fixierte Noname von Kopf bis Fuß. Sie verschränkte die Arme auf dem Rücken, als sie sich vor ihm aufbaute. Das ohnehin strenge Gesicht wirkte noch härter als sonst: „Rühren, Ensign.“
Jetzt wollte Noname endlich fragen, was das Ganze sollte, aber sie ließ ihn gar nicht zu Wort kommen: „Ich habe mir alles hier mal angeschaut. Ich finde es keineswegs zufriedenstellend, Ensign. Die Ordnung Ihrer Sachen läßt zu wünschen übrig. Ihr persönliches Auftreten ist ebenfalls mangelhaft.“

Noname verstand überhaupt nichts mehr. Was sollte das? Als hätte sie sein Unverständnis registriert, kam sofort die Erklärung: „Sie sind zur Bewährung hier, habe ich Recht, Ensign? Nun, ich akzeptiere dies. Es ist mir bewußt, daß dies einigen Soldaten nicht leichtfällt, aber ich denke, Sie haben wie jeder das Recht auf eine zweite Chance.“ Sie musterte ihn erneut kalt: „Aber ich habe nicht den Eindruck, daß Sie versuchen, diese zu nutzen. Falls es Ihnen entgangen seien sollte, es gehört mehr dazu, ein ordentlicher Soldat zu sein, als Feindjäger abzuschießen. Als Soldat unterliegen Sie der Dienstvorschrift, und als Bewährungskandidat erwartet man von Ihnen MUSTERGÜLTIGE Führung. Ich kann nicht erkennen, daß Sie sich darum bemühen. Ich erwarte, daß Sie das ändern.“

Noname hätte am liebsten eine Aufzählung der Schikanen heruntergebetet, denen er von seinem ersten Tag bei den Angry Angels ausgesetzt gewesen war. Aber zum einem war ihm klar, daß dies der XO der Grünen Staffel bekannt oder egal war, zum anderen hätte das einige Zeit in Anspruch genommen. So starrte er vorerst nur wütend zurück.

„Ihre Konflikte mit First Lieutenant Haugland – oder anderen Mitgliedern des Geschwaders – sind mir gleichgültig. Ich habe dem First Lieutenant nahegelegt, sich Ihnen gegenüber korrekt zu verhalten. Ich erwarte aber auch von Ihnen vorbildliches Verhalten.“ Lilja lächelte. Es war kein sehr schönes Lächeln.
„Das bedeutet, Sie werden von nun an Ihren Teil der Kabine in mustergültiger Ordnung halten. Ich verlange nicht, daß Sie Tyr hinterher räumen, aber bei Ihnen erwarte ich Verhalten entsprechend der Grunddienstvorschrift. Kleidung, die Unterbringung Ihrer Sachen, Sauberkeit – all das erwarte ich von Ihnen. Sie werden sich weiterhin gegenüber den höheren Chargen – was dank Ihres Lebenswandels mehr als die Hälfte der Besatzung seien dürfte – entsprechend benehmen. Ordentliche Ehrenbezeigung, Anrede mit Rang – ist das klar? Schließlich erwarte ich auch, daß Sie sich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten um den Optimalzustand ihres Jägers bemühen. Wenigstens das scheinen Sie ja zu beachten.“

Erst jetzt ließ sie Noname Zeit für eine Erwiderung. Die bekam sie auch prompt: „Was soll dieser Schwachsinn? Denkst du, ich sei ein dreckiger Rekrut? Ich habe mehr verdammte Erfahrung als du, Mädchen!“ Das Gesicht der Russin glühte vor Zorn: „Das will ich für Sie nicht hoffen, ENSIGN! Oder sollte ich Sie lieber ,Black Buccaneer‘ nenne? Sie wissen einen Dreck über Kampferfahrung, verglichen mit mir. Überdies zeigen Sie gerade deutlich, wie wenig Ihnen offenbar daran liegt, sich zu rehabilitieren! Oder denken Sie, wir sind hier im Knast und ich bin einer Ihrer Zellengenossen?“

Ihre Stimme wurde wieder eiskalt: „Als Offizierin habe ich eine Verantwortung gegenüber den niederen Dienstgraden – auch wenn ich Ihnen nicht direkt vorgesetzt bin. Sie werden sich benehmen und zeigen, daß Sie sich eine zweite Chance verdient haben, verdienen wollen! Oder, daß schwöre ich Ihnen, ich sorge dafür, daß Sie nie mehr einen anderen Rang als Ensign bekommen, und Ihre Zeit im Arrest verbringen! Oder gleich wieder dahin kommen, wohin Sie in diesem Fall gehören.“
Sie meinte es offenbar ernst. Natürlich lag es nicht in ihrer Macht, ihn zurückzuschicken. Aber als Offizierin konnte sie natürlich auf dem Dienstweg Druck ausüben. Ihn im denkbar schlechtesten Licht schildern – Tyr würde ihr sicher dabei helfen – und mit ihrem Gewicht die Wage zu seinen Ungunsten beeinflussen. Und sie wog vielleicht nicht viel in einem Geschwader, als XO und First Lieutenant. Doch im Vergleich zu ihm...

„Sie brauchen nicht sofort zu antworten. Aber binnen 24 Stunden erwarte ich eine Entscheidung. Sie können Tyr verständigen. Sollte er mir nichts sagen – oder es wieder eine Schlägerei geben – weiß ich, wie ich das zu verstehen habe. Und ich werde handeln.“ Sie lächelte erneut grimmig: „Aus den zehn Akarii-Schiffen, die ich auf der Flanke meines Jäger habe, ist keiner ausgestiegen. Also unterschätzen Sie mich nicht als Gegner. Ich habe Tyr klargemacht, daß ich von seiner Seite keine Prügelei wünsche – aber wenn Sie unbedingt Streit wollen...“

Damit drehte sie sich um und ging. Tyr grinste Noname an: „Wie es ausschaut, will Sie einen echten Mustersoldaten aus dir machen. Nun, das liegt bei dir. Für ein Mädchen, daß meine Tochter sein kann, bläst sie sich ziemlich auf, aber ich denke, man sollte sie ernst nehmen.“ Er lachte polternd: „Mir egal, wie du dich entscheidest.“ Womit er wohl meinte, würde Noname sich fügen, dann hätte Tyr sicher etwas zu lachen. Und stellte der ehemalige Sträfling sich quer, dann wäre er ihn vielleicht bald los…
Noname fühlte sich jedenfalls ziemlich ‚überfahren‘. Was sollte er tun? Konnte diese Schnepfe das ernst meinen?
Als er es sich ein paar Mal durch den Kopf hatte gehen lassen, entschloss er sich Sie vollkommen ernst zu nehmen... und komplett zu ignorieren! Wenn Sie glaubte, er würde aus Angst vor Ihr kuschen, hatte Sie sich
geschnitten. Er machte sich zwar instinktiv Sorgen, was sie wohl auf den Plan rufen würde, um ihn zu kriegen. Und er würde so vorsichtig und aufmerksam sein, wie es nur ging. Aber er würde sich nicht wie ein dummer Rekrut herumschubsen lassen.
Nicht von Tyr, nicht von Lilja und auch von sonst niemandem hier an Bord. Das verbot ihm alleine schon sein Stolz. Er wußte, dass es an Bord mehr als einen Soldaten gab, der ihn am liebsten durch eine offene Schleuse bugsieren würde. Aber Angst hatte er davor nicht wirklich. Denn erstens würden Sie ihn kriegen, wenn Sie es wirklich darauf anlegen würden, da machte er sich nichts vor. Also warum sich darum unnötig Sorgen
machen. Und zweitens, wenn es etwas gab, das er in all den Jahren hatte auf die harte Tour lernen müssen, dann war es zu überleben.
Tyr Svenson
Ich bin Ono sam Gokke sam Haki sam Zoryu sam Pash. Oder um es in der Sprache der Menschen auszudrücken: Gefangener 13409.
Die Akarii verwenden ein einfaches Zehnerzahlensystem für ihre Mathematik. Es besteht aus zehn Zahlen. Von eins bis neun sind das Ono, Tesu, Gokke, Haki, Lokki, Mikko, Bure, Core und Pash. Die Null heißt Zoryu.
Will man eine Zahl größer als neun erstellen, also eine Zehn, wird die eins genommen, Ono, und die Null, Zoryu. Das Kürzel sam bezeichnet die schlichte Tatsache, dass die nachfolgende Zahl eine Zehnerpotenz niedriger liegt. Zehn wäre demnach Ono sam Zoryu.
Fünfzehn wäre dann Ono sam Lokki.
Es ist eines der ersten Dinge, die man lernt, wenn man hier landet. Camp Hellmoutain. Das größte Kriegsgefangenenlager, welches die Akarii für Soldaten der Erdrepublik auf ihrem Territorium eingerichtet haben.
Wir haben hier keine Namen, nur unsere Nummern. Unsere Vergangenheit ist nebensächlich. Nur die Gegenwart zählt.
Auch wenn wir Soldaten sind, so sind wir doch Verlierer. Es ist nicht so, als würden die Akarii ernsthaft erwägen, einen Menschen zu essen. Aber Verlierer nehmen in ihrer Kultur einen niedrigen Stellenwert ein.
Sie begegnen einem terranischen Kriegsgefangenen nicht mit Verachtung. Aber er erhält nicht mehr Respekt als ein beliebiger Akarii-Rekrut. Und er muss für seine Nahrung arbeiten. Für Medizin. Für die wenige Unterhaltung und einige Luxusartikel, welche die Akarii manchmal verteilen, wenn sie wieder einen Erdfrachter aufgebracht haben.
Die Arbeit findet hier statt. Hier in Camp Hellmountain. Den richtigen Akarii-Namen kennen wir nicht. Denn obwohl eine Flucht sinnlos ist, so sollen wir Menschen doch nicht den Hauch einer Ahnung haben, wo wir im Akarii-Reich interniert sind.
Warum die Flucht unmöglich ist? Wir Menschen arbeiten im Innern eines gigantischen Berges und bauen Mineralien und Erze ab. Dies ist die einzige Möglichkeit, diese Rohstoffe relativ kostengünstig zu gewinnen. Denn der Rest des Planeten ist eine Gifthölle. Nur innerhalb dieses Berges, dessen Spitze über den Giftsud und damit in atembare Luft hinaus ragt, können Menschen und Akarii ohne Schutz atmen.
Ich bin Ono sam Gokke sam Haki sam Zoryu sam Pash. Für mich ist der Krieg vorbei. Ich bin Kriegsgefangener der Akarii. Und ich arbeite jeden Tag hart, um unser Soll erbringen zu können. Nicht für die Grundversorgung. Nein, die kleinen Luxusartikel sind es.
Es gibt kein Buch, das nicht durch tausend Hände wandert, bevor es zerlesen ist.
Es gibt keine Zigarette, die nicht von zwei oder mehr geraucht wird. Wer ein Kaugummi ergattert, teilt es mit Kameraden. Und kaut oft tagelang darauf herum.
Eigentlich ein unerträgliches Leben. Aber in all unserer Not entsteht doch eine tiefe, brüderliche Gemeinschaft.
Uns alle beschäftigt eine tiefschürfende Frage: Wann ist der Krieg endlich vorbei?
**
Langsam und müde lege ich meinen Overall wieder an. Die Untersuchungen sind schmerzhaft, aber sie müssen sein.
Mein Arzt besteht darauf, um meinen Zustand permanent im Auge zu haben. Die Akarii erlauben es, denn in ihren Augen wäre es eine Schande, einen Krieger durch Nachlässigkeit sterben zu lassen.
Deshalb haben auch in Kriegsgefangenschaft geratene Ärzte und Pfleger unser kleines Hospital übernommen und versorgen Neuankömmlinge, chronisch Kranke und Verletzte.
„Na, das sieht doch gar nicht mal so schlecht aus“, freut sich mein Arzt. First Lieutenant Roland Pfeuffer war auf dem gleichen Search&Rescue-Shuttle wie ich gewesen, als die Akarii uns aufgebracht hatten.
Er hat hier einen relativ angesehenen und ruhigen Job. Zum Steine Klopfen muss er nicht. Ich bin sein Lieblingsprojekt, wie er immer gerne betont. Die Aufgabe, die ihn bei Sinnen und am Leben hält.
Doktor Pfeuffer sah von seinem Bericht auf. „Die Chemotherapie schlägt an, Lieutenant Doe. Ab sofort dürfen Sie mich ein Genie nennen. Das was ich aus den terranischen und den Akarii-Medikamenten zusammen gemixt habe, bekämpft tatsächlich Ihren multiplen Krebs.
Wir erkennen lediglich noch sechs Tochtergeschwüre. Das Hauptgeschwür im Schädel hat bereits ein Drittel seiner Größe verloren. Gratuliere, damit sind Sie über den Berg. Und wegen der Nebenwirkungen machen Sie sich mal keine Sorgen. Das wächst wieder.“
Ich grinse schief. „Was meinen Sie, Doc? Die Haare, die ich wegen der Therapie verloren habe, oder meinen rechten Arm?“
Pfeuffer starrte mich einen Moment an. Dann seufzte er tief und mit Inbrunst. „Hören Sie, Lieutenant. Es tut mir leid, dass ich hier keine Vorrichtungen für Mikrooperation habe. Es tut mir leid, dass ich keine Resonanzer für Ihren Krebs zur Verfügung habe. Es tut mir leid, dass ich Ihren durch die Strahlung komplett zerstörten rechten Arm abnehmen musste.
Es tut mir leid, dass Ihnen die Haare ausgefallen sind. Und es tut mir leid, dass wir vierzehntausend Soldaten hier in Camp Hellmountain gefangen gehalten werden.“
Ich grinse schief, obwohl mir nicht danach ist. Der Doc hat wieder mal mit seiner trampeligen Art meine tiefen Wunden aufgerissen. „Ach, schon in Ordnung. Sobald wir hier raus kommen, können Sie mir auf einer terranischen Krankenstation einen neuen Arm züchten.“
Pfeuffer sieht mich einen Moment unschlüssig an. Dann lächelt er und nickt. „Sobald wir hier raus sind, saufen wir uns erst die Hucke voll. Und dann mache ich Ihnen den besten Arm, der jemals von einem Arzt regeneriert wurde. Das ist ein Versprechen.“
„Das will ich doch hoffen. Denn Sie bezahlen.“
Der Doc lacht und ich falle ein. Es ist aber eine Lüge. Wir wissen es beide. Dennoch wollen wir auf sie herein fallen. Sie genießen. Glauben, dass sie wahr ist. Rauskommen. Raus hier aus dem Berg. Zurück in die Heimat.
„Nachdem der Tumor sich weiter abbaut, wird Ihr Langzeitgedächtnis hoffentlich bald zurückkehren, Lieutenant Doe. Ich freue mich darauf.“ In einer freundschaftlichen Geste streicht er mir über meinen glatten Schädel. Himmel, ich habe den Ansatz von Segelohren. Ohne Haare sehe ich einfach unmöglich aus.
„Das hoffe ich auch, Doc. Aber es ist ja noch Zeit dafür.“
Zeit dafür. Was für ein dämlicher Begriff dafür, dass niemand hier wirklich an Rettung glaubt.
„Ach, Lieutenant, ich habe eine Eingabe an den Lagerkommandanten Kligh gemacht und ihn gebeten, Sie vom Dienst beim Abbau frei zu stellen. Es ist nicht förderlich für Ihre Genesung, wenn Sie jeden Tag acht Stunden die Hacke schwingen.“
Ich erhebe mich und wehre mit dem linken Arm ab. „Nein, Doc, das ist eine dumme Idee. Ich brauche die körperliche Arbeit. Ich brauche dieses Gefühl, am Leben zu sein. Ich weiß, ich bringe nicht die gleiche Leistung wie die anderen, nicht einmal annähernd. Aber wenn ich nicht mehr in schwitzen gerate, was bin ich dann noch?“
Indigniert sieht der Arzt mich an. „Sie könnten es wesentlich einfacher haben, Lieutenant. Wenn Sie hier im Lazarett arbeiten oder vollständig in die Nahrungsverteilung wechseln.“
Wieder winke ich ab. „Nein, danke. Ich muss meinen Körper beschäftigen. Er ist schwach. Ich will ihn nicht noch schwächer werden lassen.“
Ich sehe auf die Uhr und schließe meinen Overall. „Außerdem wird es Zeit. Ich muss Essen ausgeben.“
„Gut“, sagt Pfeuffer und nickt. „Aber Sie kommen Morgen für die nächste Injektion zur gleichen Zeit.“
„Bis dann“, sage ich und verlasse das Lazarett.
Tyr Svenson
Draußen sacke ich in mich zusammen. Es ist schwer, Hoffnung vorzuspielen. Verdammt schwer. Aber wenn wir unsere Kameraden nicht belügen, wer macht es dann für uns?
Langsam schlurfe ich zu meinem Arbeitsplatz. Wenn ich nicht die Hacke schwinge, dann schiebe ich einen Küchenwagen und bringe Frühstück, Mittag- und Abendessen in die Isolierzellen.
Das ist eine Arbeit, für die die Akarii trotz allem keinen ihrer Leute abstellen. Es ist zeitsparender, dies von einem Menschen erledigen zu lassen. Zudem kann sowieso niemand von hier fliehen.

Also schiebe ich meinen Wagen mit den Essensrationen vor mir her zum Fahrstuhl, der mich tiefer in den Berg bringt. Hinunter in den Isolationstrakt.
Auf der untersten Ebene angekommen empfängt mich bereits Sushan. In meiner Schicht hat er meistens hier unten Wache. „Oi, Artan“, begrüßt er mich, „bringst du wieder das Essen. Pünktlich wie ein Uhrwerk.“
Ich lächele schief und entblöße meine Zähne. Akarii verstehen darunter ein feines Lächeln. „Die Pflicht kommt zuerst.“
„Oi, die Pflicht kommt zuerst. Aber trödele nicht wieder so lange herum“, ermahnt er mich.
Ich nicke, füge aber hinzu: „Ein Soldat braucht mehr als feste Nahrung.“
„Oi“, bestätigt er und lässt mich in den Isolationstrakt.

Die einzelnen Zellen sind vollkommen autark. Sie haben ein Waschbecken, eine Toilette und eine nicht zu weiche Pritsche. Es ist recht hell, und das Licht wird nur für sechs Stunden gelöscht. Sie messen drei mal zwei Meter. Die Gefangenen aus dem Isolationstrakt verlassen sie nur für Verhöre oder dringende Arztbesuche. Ihr sonstiger einziger Kontakt zu anderen Menschen ist die kleine Klappe, durch die ich mit ihnen spreche und die Nahrungsteller reiche.
Ich bin ihre Zeitung. Ihr Briefkasten. Ihr winziges Fenster aus einer trostlosen Hölle in eine etwas weniger trostlose Hölle.
Ich bin alles, was sie haben. Und manchmal nicht einmal das, zum neulich verlegten Gefangenen hatte nicht einmal ich Zugang gehabt. Rowland. Hm, war vielleicht ein NIC-Mann, den die Akarii hatten weich kochen wollen.
Ich reiche die Nahrung hinein. Spreche mit ihnen. Scherze. Schüre Hoffnung. Und bei einigen bleibe ich etwas länger als ich sollte. Diese Zeit werde ich später bei der schweren körperlichen Arbeit nachholen müssen. Irgendwann wird es mich umbringen. Aber es ist meine Pflicht.
Eine meiner Gefangenen hier unten ist Admiral Alexander, die ehemalige Oberbefehlshaberin des Manticor-Systems.
Mit ihr rede ich besonders lange. Sie hat nicht nur ihr Kommando verloren, ihr System. Es gab Gerüchte, nachdem auch ihr Sohn in Gefangenschaft getötet worden war.
„Sie müssen mehr essen“, ermahne ich die Admiralin durch die Essensklappe. „Sie müssen bei Kräften bleiben. Wenn schon nicht für uns oder für die Einheiten, die uns retten werden, dann wenigstens für uns andere. Ma´am, wissen Sie, was das für einen Eindruck macht, wenn ich da wieder hochsteige und erzählen muss, dass Admiral Alexander verhungert ist?“
„Seien Sie nicht so streng mit mir, Lieutenant“, antwortet sie mir und beginnt tatsächlich, das Tablett zu leeren. „Wie sieht es eigentlich aus? Was macht Ihre Verstrahlung? Hat Doktor Wunder die Sache im Griff?“
Ihr Ton klingt beiläufig. Aber ich weiß, dass sie sich nach Neuigkeiten sehnt. Positiven Nachrichten. Hoffnung.
Ich lächele und streiche mir gut sichtbar über meine Glatze. „Der Tumor im Kopf geht zurück. Mit etwas Glück wird damit auch mein Langzeitgedächtnis wieder kehren.“
„Das wünsche ich Ihnen“, sagt sie zwischen zwei Bissen. „Sie sind ein erstaunlicher Mann, Lieutenant. Sie haben multiplen Krebs und Ihren rechten Arm verloren, und dennoch finden Sie die Kraft, um mich aufzuheitern. Wie schaffen Sie das nur?“
Ich zucke die Achseln. „Weiß nicht. Vielleicht bin ich ja Psychologe oder so.“
Wehmütig starrt sie einen Moment in die Ferne. „Vielleicht sind Sie ja auch Pilot. Mein Sohn war Pilot, habe ich das schon erzählt? Die verdammten Akarii kamen ausgerechnet an seinem Hochzeitstag.“
Ich mag es nicht, wenn sie von ihrem Sohn erzählt. Dann sieht sie immer so melancholisch auf die kleine Truhe in ihrer Zelle, die ihr angeblich Prinz Jor geschenkt hat. Und sie sackt mir weg. Jedesmal befürchte ich danach, sie würde sich umbringen wollen.

„Admiral, unter uns beiden, ich habe Neuigkeiten“, flüstere ich im verschwörerischen Tonfall.
Interessiert sieht sie zu mir herüber.
„Wir haben einen Neuzugang auf der Isolation. Commander Chrisholm, T.R.S. WOLFSBURG.
Er wurde erst vor zwei Wochen aus Raumnot gerettet. Er meinte vorhin zu mir, der Krieg gegen die Akarii würde von Tag zu Tag besser verlaufen. Und halten Sie sich fest, er hat über den Grabenfunk was läuten gehört, dass die Navy uns hier raus holen will.“
Ihre Augen beginnen zu leuchten. Für einen Augenblick ist ein jugendliches Feuer in ihnen, dass mich beinahe ebenfalls erfasst. „Wirklich?“
Ich mache ein ernstes Gesicht. „Würde ein Offizier der Navy lügen?“
Admiral Alexander lacht auf. „Dazu könnte ich Ihnen was erzählen, Lieutenant. Also kommen sie uns holen. Wann?“
Ich lächele. „Eine Woche, höchstens zwei.
So, ich muss weiter. Essen Sie in Ruhe auf, Admiral. Und ich will keine Reste sehen.“
„Aye, Lieutenant“, erwidert sie spöttisch.

Ich lasse die Klappe in der Tür zufallen und unterdrücke die Tränen. Ich habe sie angelogen. Natürlich habe ich sie angelogen. Und natürlich weiß sie es. Aber wir brauchen das von Zeit zu Zeit. Ein vages Licht der Hoffnung, dass jetzt zwei Wochen lang in ihr brennen wird.
Vielleicht drei, wenn sie bereit ist, auf meine Lügen herein zu fallen, dass sich die Schlacht nur verspätet.
Ich bin Ono sam Gokke sam Haki sam Zoryu sam Pash, Nummer 13409. Ich arbeite hier im Camp Hellmountain. Es gibt hier keine Hoffnung. Jeder weiß das. Aber niemand wird es jemals aussprechen. Warum ich nicht aufgebe? Wer bin ich schon? Weiß ich, ob ich früher schon dazu geneigt habe, aufzugeben? Nein. Also lasse ich es. Solange ich die Hacke schwingen kann und diesen Wagen schiebe, lebe ich auch. Solange ich etwas sinnvolles tun kann, lebe ich auch. Leben ist das einzige, was uns hier bleibt.
Tyr Svenson
Überzeugung

Navyhauptquartier,
Bürovorzimmer Admiral Nathan Frost, stellvertretender CNO und Chef des Planungsstabes
New York, Terra, Solsystem


Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-Tipp-
Tipp-Tipp

Der Stift in der zartgliedrigen Hand von 1st Lieutenant Melissa Jamison-Bowyer federte nun schon seit geraumer Weile gegen ihre in Leder eingebundene Aktentasche. Ihr linkes Bein, das elegant über das rechte geschlagen war, wippte im selben Rhythmus Auf und Ab. Nervös strich Sie sich mit einer Hand durch ihre kurze, strohblonde Wuschelfrisur.
Dann schien ihr schlagartig etwas eingefallen zu sein, so dass Sie ihre lederne Aktentasche aufriss und in dessen Innenleben herumfingerte, bis Sie gefunden hatte wonach Sie gesucht hatte: Eine silberne Datendisk. Mit einem deutlich hörbaren Seufzen steckte Sie diese wieder in die Aktentasche zurück und bemerkte erst dann, dass Sie beobachtet wurde.

Commander Jeremy Baker, der neben ihr saß, registrierte ihre Nervosität und lächelte ihr aufmunternd zu. „Keine Sorge, wir werden das schon schaukeln,“ flüsterte er ihr beruhigend zu.
„Ja, sicher“ flüsterte sie zurück und klang dabei wenig überzeugt. „Es ist nur so, dass uns langsam aber sicher die Zeit davon rennt.“
„Nun,“ bemerkte Baker weiterhin flüsternd „wir haben fast drei Monate auf diesen Termin gewartet, da werden wir diese eine halbe Stunde ja auch noch schaffen, oder?“
„Aber von dieser halben Stunde…“ Baker´s hochgezogene Augenbraue verriet Melissa, dass sie etwas lauter geworden war, also fing sie noch mal flüsternd an „…von dieser halben Stunde sind nur noch 10 Minuten übrig. Und ich glaube nicht, dass der Admiral wegen uns seinen Terminplan ändern wird, oder?“ Dabei blickte Sie hinüber zu der persönlichen Assistentin des Admirals, die nur wenige Meter von der bequemen, braunen Ledercouch entfernt an Ihrem Schreibtisch arbeitete.

Sie saßen im Vorzimmer des stellvertretenden Chief of Naval Operations, Admiral Nathan Frost. In diesem Augenblick hielt der Planungsstab eine seiner Sitzungen ab und eigentlich hätten Baker und Jamison-Bowyer schon seit zwanzig Minuten dem Stab die Ergebnisse Ihrer Arbeit des letzten dreiviertel Jahres präsentieren sollen.
Commander Baker gehörte genauso wie Jamison-Bowyer zum wissenschaftlichen Corps der Navy an, genauer gesagt zum so genannten Explorercorps. In Zeiten des Friedens hatte diese vergleichsweise kleine Untereinheit des Naval Scientific Corps die vordringlichste Aufgabe Sprungpunkte, Wurmlöcher und andere kosmische Phänomene zu untersuchen, um ihre Eignung als unterstützende Fortbewegungsmittel für die gesamte Raumfahrt festzustellen.
Jetzt in Zeiten des Krieges waren ihre Möglichkeiten natürlich extrem eingeschränkt. Sie waren in der Regel auf Erkenntnisse durch unbemannte Sonden, Sternwarten und Orbitalteleskope angewiesen. Die hochmodernen und mit Sensorphalanxen, wissenschaftlichen Messinstrumenten und Teleskopen für ihre Aufgaben bestens ausgerüsteten Forschungsschiffe des NSC lagen entweder in Raumdocks fest und setzten Staub an oder waren in bereits bestens bekannten und sicheren Inneren Systemen der Terranischen Republik im Einsatz.
Und um das zu ändern waren Baker und Jamison-Bowyer hier. Die Frage war nur, ob sie überhaupt dazu die Gelegenheit bekommen würden.

Jeremy Baker lehnte sich scheinbar entspannt in den braunen Sessel zurück und beobachtete leicht amüsiert das hibbelige Verhalten seiner Untergebenen.
Im Gegensatz zu Ihr war er tatsächlich relativ ruhig. Mit seinen 48 Jahren war er ja auch weit erfahrener als seine deutlich jüngere Kollegin. Nun war es auch für ihn nicht selbstverständlich einen Termin beim stellvertretenden CNO zu haben, daher verspürte auch er ein gewisses Kribbeln in der Magengegend. Aber er hatte es deutlich besser unter Kontrolle.

Melissa wandte sich erneut zu ihm um und ein ebenso nervöses wie gleichzeitig bezauberndes Lächeln huschte über ihr sommerbesprosstes Gesicht. Trotz ihrer 27 Jahre wirkte Sie auf Commander Baker aufgrund ihrer jugendlichen Ausstrahlung wie ein junges Mädchen von 19 Jahren, was durch ihre makellose Haut und ihre Stupsnase noch zusätzlich verstärkt wurde. Einzig und alleine ihre Augen verrieten etwas über ihr wahres Selbst.
Etwas über ihre beeindruckende Intelligenz und Auffassungsgabe, etwas über Ihren Ehrgeiz und die resolute Art, die mitunter in Ihrem Verhalten aufblitzte. Was Ihr an Erfahrung noch fehlte machte Sie an vielen anderen Stellen wieder wett.
Gleich nach Beginn des Krieges hatte sie sich freiwillig für den Dienst in der Navy gemeldet. Ihr Onkel war bei der Schlacht um Trafalgar gefallen, ihr Bruder diente auf einem Navy-Zerstörer. Daher war es klar gewesen, dass Sie ebenfalls in die Navy eintreten würde.
Und die wissenschaftliche Abteilung hatte nicht lange gezögert sie an sich zu binden. Sie war, auf Basis ihrer hervorragenden bisherigen akademischen Leistungen im Range eines 1st Lieutenant in die Navy eingetreten. Sie hatte einen Doktor der Physik mit Spezialisierung auf Astrophysik und einen zweiten Abschluss in Astronomie.
In ihrem Alter eine beachtliche Leistung.

Doch jetzt und hier war sie einfach nur nervös. Ihre Forschungsgruppe hatte jetzt schon eine geraume Weile gearbeitet und die Ergebnisse Stufe um Stufe auf der Entscheidungshierarchie nach oben gebracht. Erst hatten Sie Commodore Nakato, den Chef des Explorercorps überzeugt. Dann hatten Sie Rear Admiral Panjabi, den stellvertretenden Leiter des Naval Science Corps auf ihre Seite gezogen und schließlich Vice Admiral John Q. Mullbraigh, den obersten Chef des NSC. Dieser Präsentationsmarathon hatte schon einen kompletten Monat in Anspruch genommen.
Doch um einen Termin bei Admiral Nathan Frost zu bekommen, hatten Sie weitere geschlagene zwei Monate warten müssen. Natürlich gab es eine Menge Dinge, die der Planungsstab zu besprechen hatte angesichts der derzeitigen Situation. Doch sowohl Baker als auch Jamison-Bowyer waren sich einig in der Meinung, das Sie nun nicht weiter auf diesen Termin warten konnten.

Melissa´s Blick zuckte nervös hinauf zu der großen altmodischen Standuhr, die sicherlich mehrere Jahrhunderte alt war und nun anzeigte, das ihnen nur noch 10 Minuten ihrer Zeit blieben, es sei denn, der Planungsstab würde überziehen.
Und genau in diesem Augenblick gingen die Türen zu Admiral Frost´s Büro auf.
Sekundenbruchteile später standen sowohl Melissa als auch ihr Vorgesetzter in steifer Hab-Achtstellung und warteten darauf hinein gebeten zu werden.
Augenblicklich schoss Melissa´s Puls in die Höhe und sie hatte das Gefühl zittrige Knie zu bekommen.. `Jetzt geht´s drum´ schoss es ihr durch den Kopf als einer der persönlichen Adjutanten des Admirals auf sie zutrat und sie höfliche grüßte.
„Commander, Lieutenant. Es tut mir leid dass es schon mittlerweile so spät ist…“ noch während der Adjutant sprach registrierte Melissa, dass reihenweise Admiräle aus der offenen Tür traten und es sah nicht so aus als wollten sie nur eine kurze Pause einlegen… „ausserdem ist Admiral Frost`s Anschlusstermin vorverschoben worden…“
`Nein´ zuckte es Melissa durch den Kopf, das durfte nicht sein
„… und seine Fähre startet in Kürze nach Fort Lexington. Ich hoffe Sie haben Verständnis, Miss Kelly wird Ihnen gerne einen neuen Termin geben.“
Melissa`s Kopf zuckte hinüber zu Commander Baker, der deutlich und sichtbar enttäuscht mit einem „Da kann man wohl nichts machen“ antwortete.
Melissa hakte aber gleich nach: „Wann können wir dann mit dem Ausweichtermin rechnen, Sir?“ fragte Sie den Adjutanten, den sein Namensschild als Lieutenant Commander Bouquet auswies und der sich jetzt fragend zur persönlichen Assistentin umwandte.
„Ich denke Anfang Dezember wäre wieder eine Möglichkeit frei…
„Das ist ja in fast 3 MONATEN!?“ entfuhr es Melissa und einige Admiräle, die noch im Vorzimmer in leise Diskussionen verstrickt waren, drehten sich zu Ihr um.
„Melissa!!!“ flüsterte Baker und zupfte sie leicht am Arm.
Lt. Cmdr. Bouquet´s vorher freundlicher Gesichtsausdruck war nun einer gewissen Härte in seinem Blick gewichen. „Haben Sie damit ein Problem, Lieutenant?“ Dabei betonte er ihren Rang übermäßig, wohl um ihr klar zu machen, dass sie die bei weitem am rangniedrigste Offizierin im Raum war.
Doch Melissa - bis vor kurzem noch Zivilistin - ließ sich davon nicht beeindrucken. „Ja, Sir. Das habe ich!“ Trotzig streckte Sie ihr Kinn vor, öffnete elegant die Leder eingebundene Aktentasche und zog ihre Unterlagen hervor. „Hier sind wichtige Unterlagen und Erkenntnisse, die seit zwei Monaten nur darauf warten vom Admiral begutachtet zu werden und…“
„Glauben sie etwa, das es keine anderen Dinge gibt,“ unterbrach sie Lt. Cmdr. Bouquet schroff „die die Admiralität zu entscheiden hat?“
„Sicher, aber…“
„LIEUTENANT!“ Unbemerkt war Vice Admiral Mullbraigh an seine beiden Untergebenen herangetreten und fuhr Melissa jetzt scharf tadelnd an, die erschreckt zusammengezuckt war.
„Der Commander hat Ihnen doch wohl klar gemacht, das ihre Anfrage im Moment eine niedrige Priorität hat, oder? Falls Sie es noch nicht wissen sollten, aber wir haben die potenzielle Bedrohung einer Invasion abzuwenden.“ Es war offensichtlich, dass der Admiral wütend war über die Unbeherrschtheit seiner Untergebenen, und das noch vor den Augen des versammelten Planungsstabs.

Doch die Unvernunft hatte bereits Besitz von Melissa ergriffen und statt zu schweigen, erwiderte sie: „Sir, wenn wir nichts gegen DIESE“ sie reckte erneut ihre Unterlagen empor “potenzielle Bedrohung unternehmen, kann es sein, dass die von Ihnen im Texas-System erwartete Invasion an einem ganz anderen Frontabschnitt stattfindet.“
Schlagartig war es in dem Raum voller hochrangiger Admiräle ruhig geworden und alle Gesichter drehten sich nun zu Melissa um, die sich nicht bewusst gewesen war, die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich gezogen zu haben. Sie hatte sich etwas in rage geredet und lief nun knallrot an, als sie die vielen Blicke auf sich spürte.
„Na klasse, Mel…“ zischte Baker leise zu Ihr rüber, verstummte aber sofort, als er Admiral Frost zu Ihnen herüber kommen sah. Anscheinend hatte er in der Tür zu seinem Büro gestanden, wahrscheinlich um nachzusehen, wer wohl einen solchen Tumult in seinem Vorzimmer veranstalten konnte.

„Was ist hier los?“ Seine dunkle autoritäre Stimme brachte Melissa´s sämtlichen inneren Organe dazu sich verknoten.
„Nichts weiter, Sir. Lieutenant Jamison-Bowyer ist sich bewusst, einen Fehler…“ Doch weiter kam Admiral Mullbraigh nicht, denn Admiral Frost hob die Hand und signalisierte ihm damit zu schweigen.
Stattdessen wandet er sich an die kleine Offizieren vor ihm, die ihn jetzt mit hochrotem Kopf und offensichtlicher Panik im Blick anstarrte.
„Jamison-Bowyer?“ fragte er langsam.
„J-Ja, S-Sir. Ähmm, es tut mir ähm leid, ich…“
„Sie sind Linda Bowyer´s Tochter, nicht wahr? Die Ähnlichkeit ist auch nicht von der Hand zu weisen.“ Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich habe mich für ihre Mutter über den Nobelpreis der Physik sehr gefreut. Es gibt kaum jemanden, der ihn mehr verdient hätte. Richten Sie ihr bitte meine besten Grüße aus, Lieutenant.“
Und damit nahm er sich das leichte Regencape, das ihm von seiner persönlichen Assistentin gereicht wurde und schickte sich an zu gehen. Ein Teil der Admiräle taten es dem Admiral gleich und machten sich ebenfalls abreisefertig.
Melissa setzte erneut zum Reden an, wurde allerdings durch Commander Baker´s Hand auf ihrem Oberarm unterbrochen. Als sie ihn anblickte, schüttelte er eindringlich den Kopf um Ihr zu signalisieren, dass er es nicht für ratsam hielt den Admiral aufzuhalten.

Doch er merkte, das es nicht helfen würde. Da war wieder dieses resolute Etwas in ihrem Blick.
„Admiral! Sir! Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Truppen eine Invasionsstreitmacht in einem schwach geschütztem Frontabschnitt abwehren müssen, dann sollten Sie uns eine Chance geben. Bitte!“
Der Tross rund um den Admiral kam zum Stehen und langsam drehte sich der Admiral um. Sein Blick war nicht zu deuten, während er Sie ein paar Sekunden lang anschaute.
„Sie sehen Ihrer Mutter nicht nur ähnlich, Lieutenant, sie sind auch genauso dickköpfig!“ ein erneutes Grinsen huschte des Admirals Gesicht und Melissa fragte sich, was wohl zwischen ihm und ihrer Mutter gewesen sein mochte „Nun gut, ich gebe ihnen fünf Minuten. So lange dauert es in der Regel, bis ich unten in meinem Wagen bin.“ Und ohne weiteren Kommentar drehte er sich herum und machte sich auf den Weg.

Vollkommen überrascht schaute Melissa ihren Vorgesetzten an, der ihr einen fassungslosen Blick zurück warf. Eine Sekunde später hasteten sie dem Admiral hinterher.
Tyr Svenson
In der Nähe der Marsraumwerften
Mars, Sol-System


1st Lieutenant Thomas „Thor“ Jörgenson schüttelte den Kopf während sich seine Griphen im langsamen Landeanflug zur GUADALCANAL befand, die sich in der Nähe der Marsraumwerften in einer stationären Umlaufbahn befand.
„Ein fliegender Sarg“ murmelte er vor sich hin während er darauf wartete vom ATLS erfasst zu werden „nichts als ein fliegender Sarg.“
Als er vom automatischen Landesystem erfasst worden war und kurz darauf von den Traktorstrahlen hereingeholt wurde, hatte er noch einmal kurz Gelegenheit einen Blick auf den Hilfsträger zu werfen auf dem Sie die nächste Zeit versauern würden. Er hatte eine rostige alte Mühle erwartet und war umso erstaunter, als er einen Blick auf einen nagelneu wirkenden Anstrich erhaschen konnte. Auch das Flugfeld und der Hangar machten auf Ihn einen gepflegten, ordentlichen und damit deutlich besseren Eindruck, als er es erwartet hatte.
Wobei das auch nicht allzu viel zu bedeuten hatte, denn unabhängig von seiner Erwartung fühlte er sich aufgrund der Versetzung auf dieses Schiff so, als hätte man ihn direkt in die Hölle versetzt.

Als er schließlich seinem Cockpit entstiegen war, wurde er von einem Seaman geschäftsmäßig salutierend begrüßt, der ihm dann anbot seinen Helm und seinen Seesack abzunehmen.
Verdutzt blickte Thor den Seaman für eine Sekunde an, bevor er ihm sein Gepäck übergab. Eine groß gewachsene Frau asiatischer Herkunft schritt direkt auf ihn zu und begrüßte ihn zackig salutierend.
„Willkommen an Bord, Lieutenant!“
Ihr Namensschild wies Sie als Chief Petty Officer Ishida an und obwohl ihr Äußeres als eher wenig ansprechend bezeichnet werden konnte und sich Thor auch vorgenommen hatte, jeden, der im direkten Zusammenhang mit diesem Schiff stand, zu hassen, so musste er anerkennen, dass ihm der Chief der GUADALCANAL vom ersten Augenblick an sympathisch war.
Trotzdem brachte er nur mürrisch ein knappes „Danke, Chief!“ hervor. Er hatte sich fest vorgenommen, jedem hier an Bord unmissverständlich deutlich zu machen, dass er nicht gerne hier war. Und dabei blieb er.
„Seaman Carter, wird Sie zu ihrem Quartier bringen, Sir. Lt.Cmdr. De LaCruz bat mich Ihnen auszurichten, dass Sie ihr erstes Staffelmeeting um 1300 im Briefingraum haben werden.“
Thor nickte nur knapp zur Bestätigung und folgte dann dem Seaman.
Es war ihm egal, wie professionell und höflich die Schiffsbesatzung der GUADALCANAL sein würde, er hasste es jetzt schon hier sein zu müssen.

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Santiago „Tigre“ De LaCruz saß in seine eigenen Gedanken vertieft in der Kapitänskajüte der GUADALCANAL und wartete auf Captain Joao Dominguez. Die Kajüte war – wie es dem Rang des Captain entsprach – die größte Einzelkabine an Bord und wie alles in diesem Schiff machte Sie den Eindruck in einem erstklassigen Zustand zu sein.
Kein Wunder wie Tigre mittlerweile wusste. Die GUADALCANAL, ein früherer Frachter der Laboe-Klasse, war in den letzten 6 Wochen generalüberholt worden. Mit einem Flottenträger war der kleine Hilfsträger zwar weiterhin nicht vergleichbar, aber wie es schien, hatte man das Beste aus dem ehemaligen Frachter herausgeholt. Die Schwadron, die früher den Dienst auf ihr geleistet hatte, war indes auf einen anderen Frontträger versetzt worden.
Und nun standen die Umbauten kurz vor dem Abschluss, so dass sie wohl bald wieder in einen neuen Einsatz gehen würde, fernab von der Front, wie es sich Tigre ja letztlich gewünscht hatte.

Und das war auch gut so angesichts der äußerst geringen Defensivbewaffnung des Hilfsträgers und der im Vergleich zu den anderen Trägern papierdünnen Panzerung. Aufgrund dieser Tatsachen waren diese Schiffe im Grunde nichts anderes als fliegende Flugfelder und wurden größtenteils zur Sicherung der relativ sicheren Handelswege innerhalb der Terranischen Bundesrepublik eingesetzt.
Auch wenn der Schild des umgebauten Frachters stärker war, als die der anderen Schiffe seiner der Laboe-Frachter-Klasse, so wäre sie trotzdem kaum geeignet einem stärkeren Bombardement lange standzuhalten. Wären die Schilde erst einmal unten, würde wahrscheinlich ein einziger Treffer einer der mächtigen Schiff-Schiff-Raketen ausreichen, um das Schiff der Strike-Klasse zu einem Wrack zusammen zu schießen. Und selbst eine handvoll von Bombern abgeworfener Anti-Schiff-Raketen genügte um die GUADALCANAL in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen.

In diesem Augenblick trat der Captain ein, gefolgt von einem Commander, beide genau wie Tigre in Ihren Khakifarbenen Arbeitsuniformen.
„Willkommen an Bord, Commander.“ Dominguez streckte ihm breit lächelnd die Hand entgegen.
„Danke, Sir.“ erwiderte Tigre und schlug ein. Der Handschlag des Captain war fest und warm.
„Darf ich vorstellen, Commander Chung, mein 1. Offizier.“
Die beiden Männer begrüßten sich, doch im Gegensatz zu Captain Dominguez strahlte der XO eine gewisse, fast schon greifbare Kälte und Aggressivität aus. Und das wurde durch dessen Handschlag sogar noch unterstrichen. Tigre hatte das Gefühl, das ihm Chung die Hand brechen wollte, doch zum Glück konnte er dagegen halten.
„Was halten Sie von unserem Schiff?“
Tigre antwortete etwas irritiert auf die freundliche Frage des Captain, immer noch im Griff des Asiaten vor ihm und ohne den Blick von diesem abzuwenden.
„Das Schiff macht auf mich einen exzellenten Eindruck, Sir. Kompliment an ihre Crew.“ Tigre´s Verwirrung stieg noch weiter, als Commander Chung ihn auch weiterhin fixierte, weder den Blick abwendend noch den Griff lockernd. Anscheinend sah der schweigsame Commander diese groteske Begrüßung als eine Art Wettkampf an und Santiago hatte nicht den blassesten Schimmer warum.
„Das freut mich zu hören, Commander. Ich werde das Kompliment weitergeben. Aber setzen Sie sich doch bitte.“ Dem Captain war in keiner Weise anzumerken, dass ihm das Verhalten seines XO nicht auch merkwürdig vorkam.
Erst nach dieser Aufforderung des Captains ließ Commander Chung Santiagos Hand los, verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich hinter seinen Captain, der sich an seinen kleinen Schreibtisch setzte, der mit sorgfältig sortierten Unterlagen komplett übersäht war.
„Kaffee, Tee, sonst was? Nein? Gut, Lt. Cmdr. dann lassen Sie uns beginnen. Wie sie vielleicht schon wissen, haben wir noch keine aktuelle Order. Nach den offiziellen Plänen sind wir erst ab übernächster Woche einsatzbereit. Aber Ihnen ist sicher bereits aufgefallen, das wir auch genauso gut morgen schon starten könnten.“ Der Stolz auf sich und die Leistungen seiner Leute, zwei Wochen vor Plan Einsatzbereitschaft melden zu können, war Captain Dominguez überdeutlich anzumerken. „Wir sollten daher die nächsten zwei Wochen dafür nutzen ihre und meine Leute aufeinander abzustimmen, nicht wahr?“
„Das wäre sinnvoll“ erwiderte Tigre trocken.
„Sehr schön“ Dominguez Grinsen schien ein Dauerzustand zu sein „Stimmen Sie bitte alle notwendigen Aktivitäten mit Commander Chung ab.“ Santiagos Blick huschte hinüber zu Chung, der sich mit ausdruckslosem Gesicht an die Kajütenwand gelehnt hatte und ihn immer noch zu fixieren schien. “Dann warten wir jetzt noch auf die Ankunft der 4 Jabo-Besatzungen, die nächste Woche eintreffen sollen. Die Profile der Piloten und ihre RIO´s dürften schon in Ihrem Quartier für sie bereit liegen.“

Dann blickte der Captain kurz hinüber zu seinem XO und fuhr dann fort.
„Da ist noch eine Sache.“ der Blick des Captain war unvermindert freundlich. „Ihre Schwadron ist, nun ja, zum größten Teil einschlägig vorbestraft. Damit das klar ist, Commander, ich und Commander Chung werden ein wachsames Auge auf sie und ihre Piloten haben und ich werde keinerlei Exzesse ihrer Leute auf meinem Schiff dulden.“ Der honigsüße Tonfall dessen sich Captain Dominguez bediente, passte nicht im geringsten zu der gemachten Aussage, doch mittlerweile wurde Santiago den Eindruck nicht los, dass das Dominguez Eigenart zu sein schien. „Also sollten Sie zusehen, dass Sie ihre Leute im Griff haben, dann werden wir uns sicher gut verstehen.“
„Das werde ich Sir, da können Sie sicher sein.“
„Gut, Commander, wenn Sie sonst nichts weiter haben, würde es mich ich freuen, wenn wir später gemeinsam zu Abend essen würden, sagen wir so um 1800?“
„Sehr gerne, Captain“ nahm Tigre das Angebot an und nickte so freundlich wie nur möglich. Als er das Büro verließ, wurde er das unbestimmte Gefühl nicht los, das sein Verhältnis zu den beiden Offizieren nicht das beste sein würde.

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Kaum war die Tür hinter dem CAG der GUADALCANAL zugefallen, da setzte sich Commander Tang Chung an den freigewordenen Platz.
„Na, mein lieber Commander Chung. War er so schlimm wie sie befürchtet haben?“ Joao Dominguez` Lächeln war zwar nicht mehr ganz so breit wie noch vor ein paar Minuten aber es hätte immer noch einem Plakat für Zahnpastawerbung entspringen können.
„Nein, Sir.“
„Aaaber…?“ hakte Dominguez nach, der es gewohnt war, seinem etwas wortkargen XO vieles aus der Nase ziehen zu müssen.
„Ich traue dem ganzen Haufen nicht. Und da er deren Boss ist, trau ich auch ihm nicht.“
„Ja, das kann ich verstehen, Commander. Aber wir werden ihm doch zumindest eine Chance geben, bevor wir ihn oder seine Leute ans Kreuz nageln werden, oder?“ Auch wenn der Captain mit einer sanften, ruhigen Stimme gesprochen hatte, von der man nicht vermutet hätte, das Sie dem Kapitän eines Kriegsschiffes gehörte, so war da etwas in seiner Stimme, die klar machte, dass er es absolut ernst meinte.
„Aye, Sir!“ erwiderte sein XO und etwas, das entfernt einem Lächeln ähnelte, huschte über sein Gesicht.
Tyr Svenson
Operation Magellan

Navyhauptquartier,
New York, Terra

Es war eng in dem sonst so geräumig wirkenden Fahrstuhl des Navy-Hauptquartiers.
Einen kurzen Augenblick dachte Commander Jeremy Baker, dass Ihm schwindelig werden würde bei all dem glitzernden Lametta, den Ordenspangen, Einsatzribbons und Sternen, den die mehr als zwanzig Admiräle in dem engen Raum zur Schau stellten.
Doch dann riss er sich wieder zusammen und hörte seiner Mitarbeiterin zu, die aufgeregt und viel zu schnell haspelnd versuchte den Admiral von ihrem Vorhaben zu überzeugen.
„… also erwartet die Navy, dass die Akarii als nächste Offensive im Texas-System auftauchen werden.“
„Sie erzählen mir nichts neues Lieutenant. Und ihre Zeit rennt.“
Der Fahrstuhl hielt mit einem Pling im 4. Stockwerk des Navyhauptquartiers und ein paar der Admiräle stieg sich verabschiedend aus.
„Gut also,“ fuhr Jamison-Bowyer fort, als sich die Fahrstuhltüren wieder schlossen und zerrte eine Sternenkarte aus ihrer Ledertasche, was sich in dem engen Fahrstuhl als schwierig erwies. „Hier sehen sie den Eurydike-Nebel im Correllian-Sektor. Das ist ca. 30 Lichtjahre vom Barcelona-System entfernt.“
„Barcelona befindet sich direkt an unserer Grenze zu der Colonial Confederation“ unterbrach sie Lt. Cmdr. Bouquet.
„Ja, und durch das Wurmloch W-276 insgesamt nur 4 Sprünge von New Boston entfernt.“
„Hinter dem Eurydike-Nebel befindet sich soweit ich weiß in einigen 100 Lichtjahren nichts“ hakte nun der Admiral nach.
„Richtig, Sir. Es handelt sich hierbei um eine Gravitationssenke, eine Sternenwüste wenn Sie so wollen, die in etwa die Form einer Honigmelone hat. Bis zu 300 Lichtjahre im Durchmesser und fast 600 Lichtjahre in der Länge. Sie ist wahrscheinlich durch den Zusammenbruch einer oder mehrer Sonnen des Correllian-Sektors verursacht worden. Dabei wirkte anscheinend der Kollaps eines oder mehrerer Megasterne wie eine Art Staubsauger und zog eine unglaubliche Anzahl der in der Nähe gelegenen Systeme an und brachte diese ebenfalls zum kollabieren. Daraus entstand dann die Gravitationssenke.“
Der Fahrstuhl hielt im 3. Stock kurz an, wieder ging die Tür auf und wieder verließen sie ein paar der Admiräle.

„Wollten Sie mir eine Nachhilfestunde in Astrophysik geben, Lieutenant?“ fragte der Admiral ungeduldig und seine Aufmerksamkeit schien zu schwinden. Daher ergriff Jeremy das Wort.
„Sir, wir haben den Eurydike-Nebel bisher nur sehr lückenhaft untersuchen können, unsere Orbitalteleskope konnten den Nebel nur teilweise durchdringen und die Colonial Confederation besitzt bislang keine Systeme, die leistungsstark genug wären ihn zu durchdringen. Erst vorletztes Jahr ist das Orbitalteleskop im Barcelona-System in Betrieb genommen worden. Und es hat gleich eine außerordentliche Entdeckung gemacht: Es scheint ein Wurmloch zu geben, das von uns aus gesehen kurz hinter diesem Nebel versteckt ist.“
„Wo führt es hin?“ Admiral Frost´s Interesse schien nun etwas angestiegen zu sein. Mit einem Pling hielt der Fahrstuhl inzwischen im 2. Stockwerk.

Diesmal fuhr die junge Wissenschaftlerin fort: „Sir, wir sind uns nicht sicher, aber allen Messungen zufolge sieht es so aus, als ob es die Gravitationssenke komplett durchschreitet, Sir!“
„Über 300 Lichtjahre?“ keuchte Lt. Cmdr. Bouquet „Das ist unmöglich!“
„Nichts ist im All unmöglich, Commander“ erwiderte Jamison-Bowyer kess.
„Die Colonial Confederation hat das Gebiet soweit ich weiss kaum geschützt!“ bemerkte der Admiral, ohne auf die spitze Bemerkung zwischen den beiden jungen Offizieren einzugehen. Es schien so, als hätten Sie es tatsächlich geschafft, sein Interesse zu wecken.
„Ja Sir! Die ColCon betrachtete die Corellian-Sternenwüste bislang als eine Art natürliche Grenze. Aber wenn sich unsere Messungen als richtig erweisen sollten, dann könnten die Akarii von dort aus ungehindert mitten in das Herz der ColCon vorstossen könnte, ohne dass jemand Ihnen nennenswert Widerstand leisten könnte.“
„Es scheint?“
„Nun, keines unserer Teleskope oder anderen Messinstrumente ist leistungsstark genug um mit absoluter Sicherheit zu bestätigen, dass dort ein Wurmloch ist. Und selbst wenn, sind wir uns nicht sicher, wohin es genau führt“ war es jetzt wieder Baker, der darauf antwortete. „Die einzige Möglichkeit, um wirklich Sicherheit in diesem Punkt zu erlangen, ist es eines unserer Explorerschiffe dorthin zu schicken.“

Mit einem weiteren Pling hielt der Fahrstuhl im 1. Stock. Admiral Frost nutzte die Pause, um zu Vice Admiral Mullbraigh hinüber zu schauen. Dieser antwortete nickend „Ich teile diese Ansicht, Sir! Die MAGELLAN liegt derzeit in Lexington vor Anker. Sie wäre exzellent für diese Mission geeignet. Aber natürlich bräuchte Sie eine angemessene Eskorte, damit Sie nicht sofort beim ersten Feindkontakt verloren gehen würde.“

„Also, nur damit ich das auch richtig verstehe: Wir haben ein Wurmloch entdeckt, durch welches es rein theoretisch möglich wäre, dass die Akarii die ColCon-Front gehörig durcheinander bringen könnten? Und zudem innerhalb von wenigen Sprüngen in der Lage wären in New Boston einzufallen, richtig?“ Alle drei Mitglieder des NSC nickten eifrig.
„Wenn die Invasionsstreitmacht ähnlich groß wie bei Mantikor wäre, könnten wir Ihnen so gut wie nichts entgegensetzen, da wir in diesem Sektor nur mit der 6. Flotte operieren. Ehe wir die Homefleet oder die 4. oder 5. Flotte aktiviert hätten, stünden die Akarii wohl in New Boston und wir hätten an die 20 Systeme in diesem Sektor verloren, bis wir eine entsprechende Verteidigung aufgebaut hätten.“
„Ganz zu schweigen von dem Zweifrontenkrieg, in den Sie uns verwickeln könnten!“ Es war das erste Mal gewesen, das Vizeadmiral Thor Björnson, Stellvertreter von Admiral Frost, das Wort ergriffen hatte. Doch schien seine nüchterne Feststellung dadurch nicht weniger unheilschwanger durch den engen Fahrstuhl zu hallen.

Pling.
Die Tür des Fahrstuhls glitt auf und der Tross bewegte sich aus dem Fahrstuhl heraus und bewegte sich in Richtung Ausgang. Der Admiral schritt schweigend durch die Eingangslobby des Hauptquartiers, vorbei an den Sicherheitskräften, die zackig salutierten und durch die Gläserne Drehtür nach draußen. Er schwieg auch noch als Sie nach draußen schritten, unter das Vordach des Navyhauptquartiers.
Sein Schweigen machte Melissa nervös und sie blickte sich etwas unschlüssig nach Jeremy Baker um, der ihr aber einen genauso ratlosen Blick zurückwarf.
Am Fuße der Treppe, die ins Hauptquartier führte, fuhren zwei dicke gepanzerte Grav-Limousinen vor, die den Admiral und seinen Stab zum nahe gelegenen Raumhafen bringen würden. Davor und dahinter waren zwei Grav-Jeeps als Eskorte zugeteilt. Als der kleine Konvoi hielt, stiegen mehrere Männer aus, teils um dem Admiral die Tür aufzumachen, teils um in voller Kampfmontur mögliche Angreifer oder Attentäter abzuschrecken.
Es war wohl gerade ein ordentlicher Sturm in Anmarsch, denn es goss in Strömen und ein ziemlich starker Wind fegte unter dem Vordach des Navyhauptquartiers entlang. Innerhalb kürzester Zeit waren die Männer pitschnass in ihren Regencapes und –ponchos und warteten auf den Admiral.
Dieser allerdings stand weiterhin stumm und nachdenklich vor dem Gebäude. Dann drehte er sich unvermittelt zum Chef des NSC um. „Wie akut ist die Bedrohung, Mullbraigh?“
„Wir wissen es nicht, Sir. Vielleicht haben die Akarii das Wurmloch noch nicht entdeckt, vielleicht ist es zu weit von ihren Grenzen entfernt. Vielleicht führt es aber auch von den Akarii weg. Genau aus diesem Grunde brauchen wir diese Mission.“

Admiral Nathan Frost blickte die Mitglieder des wissenschaftlichen Corps der Reihe nach mit undurchdringlicher Miene an. Sein Blick blieb an Melissa Jamison-Bowyer hängen.
„Tut mir leid, Lieutenant“ begann er und Melissa hatte schon zum zweiten Mal an diesem Tag das Gefühl, dass man Ihr den Boden unter den Füssen wegriss „aber Sie werden wohl gleich etwas nass werden.“

Melissa runzelte perplex die Stirn. Ihr war nicht klar was der Admiral damit meinte. Erst als er seinen Adjutanten anwies, mit dem Rest des Stabes in die hintere Limousine umzusiedeln, begann Sie zu begreifen.
Als sie knappe zehn Sekunden später in das Fahrzeug hechtete, war ihre Ausgehuniform ziemlich durchnässt und ruiniert.. Ihre Schirmmütze hatte zum Glück den meisten Regen aufgehalten und durch ihre Wuschelkopffrisur fiel es nicht auf, dass die Haare feucht waren. Somit ging es ihr zumindest besser als Jeremy, dessen knapp 10 cm lange, in einem ehemals korrekten Mittelscheitel liegenden Haare nun an seinem Schädel klebten, weil seine Schirmmütze die dicken Regentropfen nicht hatten komplett aufhalten können.
Somit saßen sie etwas durchnässt und verwirrt gegenüber dem Admiral und seinem Stellvertreter, als sich der Konvoi in Bewegung setzte.

Admiral Frost zog schweigend und langsam sein Regencape aus und legte es beiseite. Er blickte einige Sekunden aus den verdunkelten Scheiben der Limousine und besah sich das Unwetter, ehe er wieder das Wort ergriff
„Also keine akute Bedrohung!?“
Zögerlich nickte Mullbraigh. „Akut ist die Bedrohung nicht, aber…“
„… trotzdem ist es wichtig zu wissen, ob es sich um eine Hintertür handelt oder nicht? beendete der Admiral den Satz. Wieder nickten alle drei NSC-Offiziere.
Erneut versank der Admiral scheinbar eine Ewigkeit in Schweigen, ehe er sich dann endlich zu seinem Stellvertreter umwand.
„Thor, veranlassen Sie, dass die MAGELLAN mit dieser Mission beauftragt wird.“
Melissa´s Herz schien für einen Augenblick auszusetzen und dann begriff Sie, dass Sie es geschafft hatten. Am liebsten wäre sie dem Admiral laut jubelnd um den Hals gefallen, aber sie beherrschte sich und begnügte sich mit einem breiten Grinsen.
„Ferner werden Sie ihr eine Eskorte zuweisen lassen. Prioritätsstufe C.“
„Sir! Bei allem Respekt”, es war Commander Baker, der Einspruch erhob. „aber Priorität C heißt nur geringe Eskorte. Damit wäre die Einsatzgruppe im Ernstfall…“
Admiral Frost ließ ihn gar nicht erst ausreden. „Besteht eine AKUTE Bedrohung, Commander? Vielleicht dringlicher als im Texas-System?“
Baker überlegte einen Augenblick, was er sagen konnte, doch dann schüttelte er nur resigniert den Kopf.
„Also, Thor, Sie haben es gehört. Weisen Sie der Einsatzgruppe MAGELLAN die Prioritätsstufe C zu.“
„Sir“, mischte sich nun Vizeadmiral Mullbraigh ein „die MAGELLAN ist ein hoch spezialisiertes Forschungsschiff. Die Terran Navy ist im Besitz von lediglich zwei weiteren Schiffen dieser Bauart, der DIAZ und der COOK. Diese Schiffe sind mit reiner Defensivbewaffnung einem Angriff von Akarii vollkommen schutzlos ausgeliefert und Priorität C sieht so weit ich weiß den Schutz von 2-3 Fregatten und Korvetten vor. Wäre es nicht sinnvoll eine solche Mission zumindest mit ein paar Zerstörern und einem leichten Träger…“
„Nie und nimmer“ unterbrach ihn Vizeadmiral Björnson. „Alle leichten Träger werden an der Front benötigt und auch unsere Zerstörerflotte ist bereits überlastet. Schon jetzt ist der Geleitschutz für die Träger in den meisten Fällen unter Soll, von den vielen Konvois ganz zu schweigen.“
„Wir brauchen aber unbedingt mindestens einen Zerstörer!“, warf Mullbraigh insistierend ein. Melissa schaute sich ihren obersten Chef aufmerksam an. Hatte er sich anfänglich noch überhaupt nicht für diese Mission eingesetzt, so schien er jetzt so engagiert, als wäre die ganze Mission einzig und allein sein Verdienst. Jetzt da Sie den Admiral überzeugt hatten, setzte er sich also ins gemachte Nest.
„Warum?“, fragte Björnson mit einem schiefen Blick.
Doch es war Admiral Frost, der antwortete „Sollte man tatsächlich auf der anderen Seite eine Hintertür entdecken, wäre es das beste diese so gut es geht zu verminen. Fregatten und Korvetten sind nicht in der Lage SM-3A und MSM-5D Raumminen zu tragen und zu platzieren. Und mindestens diese bräuchte man um zumindest etwas Schaden bei möglichen Invasionsschiffen zu erzielen und eine Invasion effektiv zu verzögern.“
Er massierte sich leicht abwesend sein Kinn und fuhr dann fort „Gut, Mullbraigh, ihr Schiff bekommt einen Zerstörer zugewiesen. Aber es bleibt dabei, ich werde keinen Träger für Operation Magellan abziehen.“
„Was ist mit Hilfsträgern?“, warf Commander Baker schon fast verzweifelt fragend ein. Es war klar, das er auf dieser Mission vertreten sein würde, also lag ihm natürlich besonders viel daran soviel Eskorte wie möglich zu bekommen.
Diesmal nickte Björnson beiläufig. „Ja, Hilfsträger sind schon eine andere Sache, die 6. Flotte könnte vielleicht einen entbehren.“
„Besser als gar nichts“, kommentierte Vizeadmiral Mullbraigh, als die Limousinen langsamer wurden und die Insassen erkannten, das sie ihr Bestimmungsziel erreicht hatten. Die Fahrzeuge hielten auf einem Rollfeld und im Hintergrund wartete eine Orbitalfähre auf den Admiral.

„So, damit hätten wir also die Missionsparameter festgelegt“ begann Admiral Frost ein Fazit zu ziehen, während er sich sein Regencape erneut überzog. „Die MAGELLAN wird das Wurmloch soweit wie möglich erkunden. Sollte ein möglicher Weg für die Akarii gefunden werden, ist er stark zu verminen und mit Frühwarnsensoren zu sichern. Dann klären sie bitte die weiteren Details mit Vizeadmiral Björnson. Er wird darauf achten der MAGELLAN einen passenden Geleitschutz zu geben.“
Dann wandte er sich direkt an Jamison-Bowyer. „Viel Glück auf Ihrer Mission, Lieutenant. DAS haben SIE sich jetzt redlich verdient. Machen Sie uns genauso Stolz, wie es ihre Mutter getan hat.“ Seine Betonung ließ Melissa wieder aufhorchen und sie fragte sich instinktiv wie wohl das Verhältnis der beiden zueinander gewesen sein mochte.
Doch dann verschwand der Admiral aus der Tür, die ihm ein eifriger Soldat aufhielt und unterbrach damit Melissa´s Gedanken. Sie beobachteten, wie er über das Flugfeld ging und kurz darauf an Bord der Fähre verschwand.

„Na, John“ wandte sich Thor Björnson an den Leiter des Naval Science Corps als sich die Limousine wieder auf den Rückweg zum Navyhauptquartier machte „dann schnapp dir mal deine beiden Frechdachse und lass uns mal gleich in mein Büro gehen, damit wir Operation Magellan in die Wege leiten können.“
Melissa schien die spitze Bemerkung des Vizeadmirals wie durch einen sanften Schleier wahrzunehmen. Sie grinste hinüber zu Jeremy, der sich auch nicht die geringste Mühe machte, seine Freude zu unterdrücken.
Endlich hatten Sie es erreicht. Das letzte dreiviertel Jahr an Arbeit hatte sich endlich gelohnt und sie würden sich bald auf den Weg ins All machen.
Und vielleicht, vielleicht würden Sie einen Weg finden um den Krieg wieder dorthin zurück zu tragen, wo er hingehörte:
Zu den Akarii!!!
Tyr Svenson
Kampfpatrouille

Die COLUMBIA war auf dem Weg nach Corsfield. Die Trägergruppe war jetzt zu 100 % ausgerüstet und auf Sollstärke. Einige der dazugekommenen Schiffe waren für die älteren Piloten der Angry Angles eine wahre Freude gewesen. Viele hatten Briefe oder V-Mails an die Relentles und die DAUNTLESS geschickt. Zwar waren die meisten überlebenden Piloten nicht auf den Kreuzern gelandet, doch die Rettung der REDEMPTIONcrew hatte ein Band der Freundschaft geschmiedet.
Lucas hatte versucht einen Brief an Chris Mithel zu schreiben, wusste jedoch nicht, was er dem älteren Offizier schreiben könnte.

Jetzt saß der Commander der Angry Angles in seiner Phantom und brütete über die bevorstehende Schlacht.
Wieder hatte man eine schier geniale Idee aus dem Hut gezogen, diesem Krieg die entscheidende Wende zu geben. Das letzte mal wäre er beinahe drauf gegangen. Und viele seiner Leute hatte es erwischt.
Er wünschte sich jetzt mit Pinpoint sprechen zu können, doch wusste er nicht recht, ob er mit seinem jetzigem Wingman ebenso plaudern kann. Was wusste er schon von Hal Chrispin.
Aber was hatte er damals von Pinpoint gewusst. Ich habe nichtmal ein Foto von ihm.
Schließlich gab er sich einen Ruck und schaltete von dem offiziellen Kanal zur COLUMBIA auf den Staffelkanal.

Zu seiner Überraschung hörte er Hal summen.
Nach einer kurzen Weile fragte er: "Was summen Sie da, Hal?"
"Oh tschuldigung Sir, ich kann damit aufhören, wenn es Sie stört."
"Ich wollte nur wissen, was Sie da summen, ich kenne das Stück nicht."
Hal klang erleichtert: "Das Lied heißt Golden Slippers* ist ein sehr altes Stück. Ich glaube es wurde noch vor der bemannten Raumfahrt geschrieben. Ich liebe diese alten Stücke. Wo man mit seinem Mädel noch Arm in Arm tanzen kann." Hal schien zu schwärmen. "Aber es muss schon wirklich alts Zeug sein, nicht dieses Neo-Classic wie Jester Hayes." Kurzes Schweigen. "Ähm, was hören Sie denn für Musik, wenn ich fragen darf, Sir?"
Lucas kicherte: "Erstmal streichen Sie hier draußen das Sir und ersetzen es durch Lone Wolf oder einfach Wolf."
"Roger."
"Zur Musik, ich höre gerne Jazz, Tommy Hancock, Jim Fowler etc."
"Hm, Tommy Hancock ist ganz klar Neo-Jazz, was zwar einige Stärken hat, jedoch nicht wirklich mit dem richtigen Jazz mithalten kann."
"Hancock ist ganz klar Jazz und kein Neo-Jazz."
"Sorry Commander, aber Hancock fällt unter Neo-Jazz." Hal klang jetzt etwas rechthaberisch.
"Sie wollen doch nicht etwa Black Night Dancing als Neo-Jazz bezeichnen oder etwa doch?"
"Das stammt ja auch nicht von Hancock, er hat es zum ersten mal auf Jonny Galens Beerdigung gesungen. Es stammt ursprünglich von Galen und wurde nach Galens Tod von Hancock nochmal neu aufgelegt. Komischer weise wurde die Neuauflage viel berühmter und auch öfter verkauft."
Lucas wollte gerade zur Antwort ansetzen als sich eine dritte Stimme einmischte: "Las Vegas für Wachhund Eins, bitte kommen." Las Vegas, war der Code für die COLUMBIA.
"Hier Wachhund Eins, was gibt es, Las Vegas?"
"Sie werden abgelöst, kehren Sie auf der Stelle um."
"Roger, Las Vegas."


Von der COLUMBIA starteten in diesem Augenblick zwei weitere Phantome.
Skunk ging noch mal die Patroullieroute im Bordcomputer durch. Die Navpunkte die er und sein Wingman abfliegen sollten, waren anders gelagert als die, die der Boss auf der Karte hatte. Beide Phantome waren mit Standoff-Bewaffnung bestückt: Vier Phönix, zwei Ammram und zwei Sidewinder. Die Hauptüberwachung würde ein SpaceWACS Shuttle übernehmen. Die Phantome dienten nur als vorgeschobene Wache.
"Okay, Noname, einfache Standardformation. Und beten, dass uns niemand in die Quere kommt."
"Roger!"

Roger oder Yessir, waren quasi die einzigen Worte die Noname während des Fliegens wechselte, wenn sich weiterer Funkverkehr vermeiden ließ.
Auch sonst hatte sich der Ensign weiter in sich zurückgezogen. Seit dieser Sache in der Kantine.
Skunk hatte entschieden, dass es an der Zeit war zurückzuschalten. Zum ersten mal. Was mehrere Faktoren hatte. Seine früheren Wingman hatte er auch immer getriezt und er hatte damit Erfolg gehabt. Aber diese hatten alle und ohne Ausnahme den Rückhalt der übrigen Staffelmitglieder gehabt. Noname stand allein.
Was viel wichtiger wog, war, dass dies alles eine sehr harte psychologische Belastung für den Ensign sein musste. Und Skunk wollte nicht riskieren, dass dieser austickte. Was dann passieren würde war unklar.
Er wusste nur von einigen extremen Fällen. 2628 hatte eine junge Matrosin sechs ihrer Kammeraden ermordet, indem sie die Übungsraketen präparierte so, dass es beim Übungsschießen zu einer Explosion im Raketenwerfer kam. Sie gab später an, dass fünf der sechs Getöteten sie über Monate hinweg schikaniert hatten.
Ein anderer Fall berichtete davon, dass ein Pilot bei einer Patrouille mit scharfen Waffen versucht hat seinen eigenen Geschwaderführer abzuschießen. In seinem Abschiedsbrief hatte der Pilot erklärt, dass sein Geschwaderführer es trotz mehrfacher Meldungen nicht für nötig hielt, ihn vor den Schikanen mehrerer Geschwadermitglieder zu schützen.
Doch die Frage war: Wie zur Hölle griff er Noname unter die Arme, ohne sich selbst die Glaubwürdigkeit zu rauben oder selbst von den anderen Feuer zu fressen. Das einfachste war wohl sich da auf Radio zu verlassen.

Er entschloss sich erstmal zu reden: "Was bist Du in letzter Zeit so schweigsam?"
Keine Antwort.
"Wenn es wegen dieser kleinen Möchtegern-Piloten-Schlampe geht, so rate ich Dir nur: Vergiss sie. Ich mein, wenn Du Dich wenigstens an eine Jägerpilotin rangemacht hättest ..."
Ja, dein unvergleichlicher Charme wird das Eis langsam brechen, dachte er selbstironisch und wie nicht anders erwartet blieb die Antwort aus.
"Ich meine, wenn Sie wenigstens ne richtige Bomberpilotin gewesen wär'. Aber nicht mal das. Sie fliegt Rafale. Kastrierte Bomber. Was suchst Du Dir als nächstes? Eine von den Bodencrews? Ich werde Dir mal drei Takte erzählen. Wenn Du mal wirklich guten Sex haben willst, so richtig erfüllend. Such Dir eine von den Marines. Kein Scherz. Die Mädels haben das wichtigste auf der Welt: Kondition. Und wenn Dir im Streit mal die Argumente ausgehen, kannst Du immer noch die Fäuste nehmen. Aber Achtung, die haben in der Regel ne ganz schöne Kelle. Ich hab da mal eine in einer Bar auf Manticore kennen gelernt. Ich stolperte ihr quasi in die rechte Grade.
Nachdem die MP die Party gesprengt hatte, bekamen wir benachbarte Zellen und haben uns etwas unterhalten. Nachdem wir dann wieder entlassen wurden, haben wir uns nen Hotelzimmer genommen. Mann war ich fertig. Aber wenn Du was Festes suchst ..."
"Skunk", meldete sich Noname das erste Mal zu Wort, "Du sprichst auf der offenen Geschwaderfrequenz."
Plötzlich wurde mehrfaches Gelächter laut.

Die beiden Phantome wurden nach der Landung an die Bodencrews übergeben. Hal Chrispin gesellte sich zu seinen Pilotenkameraden und teilte ihnen mit, dass der Skipper doch nicht so ganz dem Schreckensbild entsprach, welches Radio malte. Denn, wer Musik mag kann - laut Chrispin - kein schlechter Mensch sein.
Lone Wolf Cunningham jedoch meldete sich wie befohlen sofort bei Captain Waco.
Er wand Waco in dessen Büro. Der Captain war nicht allein. Neben Darkness, Martell und Radio waren noch der Bosun und ein weiterer Deckoffizier der Jägerwartung beim Captain, sowie Schlüter die Kommandantin der Marines.
Offensichtlich wussten nur Waco und die beiden Unteroffiziere von dem anstehenden Problem, da sowohl die drei Piloten als auch Schlüter etwas unschlüssig wirkten.
"Captain." Grüßte Cunningham Waco und nickte den anderen zu.
"So, nachdem alle versammelt sind, will ich Sie nicht länger auf die Folter spannen", begann Waco. "Wir haben ein ernstes Problem. Eines, was sowohl die Moral zersetzt, den Sicherheitsbestimmungen auf Kriegsschiffen zuwiderläuft und sich auf schändlichste Art und Weise die Traditionen und Bräuchen der Terran Space Navy spottet. Sie werden, wenn Sie den 2000 Jahre alte Geschichte der Marinestreitkräfte durchgehen immer wieder davon hören, wie es auftritt. Nach zu Zeiten der Dieselbetriebenen Blue-Water-Navy unserer Heimatwelten haben sich Besatzungsmitglieder erdreistet eine der schlimmsten Formen der Erniedrigung unserer Soldatenehre zu vollziehen."
Waco war während seiner Ansprache auf und ab gewandert und blieb jetzt stehen. Er nahm eine versiegelte Plastiktüte die in einem Sicherheitsbehälter auf seinem Schreibtisch lag auf und hielt sie seinen Offizieren hin.
Die Tüte enthielt mehrere braune, längliche, einigermaßen runde Gegenstände. Es war Kot.
"Wir haben ein Phantom an Bord. Chief Erikson fand diese Scheiße vor nicht ganz anderthalb Stunden auf den Hoheitsabzeichen eines Crusader-Bombers. Um genau zu sein auf Ihrem Bomber, Mister Murphy."
Waco reichte den Beutel an Cunningham: "Sehen Sie sich das gut an Herrschaften. Dieses Zeichen von Missachtung und Anarchie wird sicherlich nicht das letzte sein, welches wir finden. Aber bei Gott, ich schwöre Ihnen, wenn der Kerl gefunden wird, lasse ich ihn aufknüpfen und wenn ich den L.I. dafür extra einen Mast bauen lasse. Ich dulde derartiges nicht auf meinem Schiff. Ist das angekommen?"
"SIR! AYE, AYE, SIR!" Antworteten die anwesenden Offiziere und Unteroffiziere, während die Plastiktüte mit dem Kot schnell die Runde machte.
"Major Schlüter", Waco benutzte dem Ehrenrang, den die Navy einem Captain der Marines oder Army zusprachen, wenn sie sich auf einem Schiff befanden, "Sie und Ihr Haufen bilden ja die Bordpolizei. Ich will, dass der Drecksack gefunden wird, und zwar noch gestern. Also Abmarsch."
Schlüter salutierte und stürmte aus dem Büro.
Als sich die Tür geschlossen hatte blickte Waco seine restlichen Gäste an: "Haben Sie nichts zu tun?"
Schnell wurden Abschiedsworte gemurmelt und man verließ beinahe fluchtartig das Büro.
Kaum, dass sich die Tür geschlossen hatte brach Radio vor dem Büro in Lachen aus, was ihm böse Blicke seiner Kameraden einbrachte.
Der Bosun zupfte Cunningham am Ärmel: "Bringen Sie ihn zum Schweigen, der Alte kann durch Wände hören."
Doch zu spät.
"LONG KOMMEN SIE SOFORT WIEDER REIN!" Waco war durch die Panzertür und ohne Sprechanlage exellent zu verstehen.
Nachdem sich die Tür hinter einem unglücklichen Radio wieder geschlossen hatte blickten die anderen beiden Lieutenant Commanders ihren Skipper fragend an.
Dieser zuckte die Achseln: "Kommt, ich gebe einen Kaffee aus."
"Ich dachte den gibt's hier gratis." Martell klang pampig.
"Was meinen Sie, warum er einen ausgibt?" Der Spruch klang auch nicht gerade nach einem Witz, aber Lucas wusste das Darkness genau das versucht hatte.
Tyr Svenson
Donovan´s Hände an der Kontrollen seiner Phantom schienen mechanisch und einstudiert zu arbeiten. Der Patrouillienflug war vorüber und ein Glitzern in der Entfernung zeigte ihm, dass Sie nicht mehr weit weg von ihrem Ziel, der COLUMBIA waren.
Er lenkte seine Phantom in den Landungskorridor, den ihm sein Bordcomputer auf seine HUD projezierte. Ab hier würde das ATLS vollautomatisch die Landung übernehmen und kurz darauf würde er mit seiner Maschine in den Hangar einschweben wie kurz zuvor schon sein Wingcommander Skunk.
Bei dem Gedanken an seinen Vorgesetzten wallte in Donovan mal wieder der Zorn hoch. Auch wenn dieser sich in letzter Zeit spürbar zurückzuhalten schien, ja fast sogar versuchte so etwas wie eine Kommunikation zwischen Ihnen aufzubauen, die nicht nur aus anraunzen und beleidigen bestand, so blieb er dennoch für Donovan einer der Menschen an Bord der COLUMBIA, die es ihm leichter machten die Navy zu hassen. Und Auswahl hatte er an diesen Typen genug, nicht nur in seiner eigenen Schwadron. Mittlerweile hatte er sich neben Skunk noch Lone Wolf, Hacker, Tyr, Lilja und zuletzt auch noch Lydia gemacht.

Bei dem Gedanken an Lydia knotete sich ihm die Eingeweide zusammen. Es war sicher falsch gewesen, ihr nicht die Wahrheit gesagt zu haben, aber war das wirklich Grund genug um so sehr aus der Haut zu fahren? Wer weiß schon, welche Version ihr Ihre Schwadronskameraden aufgetragen hatten. Wahrscheinlich die, in der ihm unterstellt wurde, nicht nur ein ehemaliger Pirat sondern ein von den Akarii angeheuerter Verräter zu sein. Donovan hatte nicht nur den Eindruck, dass die Gerüchte sich inzwischen in jeden Winkel des Schiffes verbreitet hatten, sondern dass sie – wie für stille Post nun mal üblich – begannen neue Absurditäten zu seinem Lebenslauf hinzuzufügen.
Dass jetzt auch Lydia von der Wahrheit dieser Gerüchte überzeugt war und ihn mit Abscheu und Hass bedachte, verstärkte wiederum Donovans Hass auf die Navy zusätzlich.
Sie liessen ihm einfach keinen Raum zu leben, sie engten ihn ein und er fühlte sih immer mehr in eine Ecke gedrängt. Er hatte das Gefühl von allen Seiten her bedrängt, gedemütigt und beleidigt zu werden und es war niemand da, der ihm wirklich eine zweite Chance zugestand.
Hass, abgrundtiefer Hass durchfloss seine Gedanken, als er nur noch wenige Sekunden von der Landesektion entfernt war. Einem inneren Impuls folgend, begann Denny in schneller Abfolge einen Code in seinen Bordcomputer einzugeben. Und ohne dass er sich selbst wirklich darüber im Klaren war, wass er da tat, hatte er die Waffensysteme seiner Phantom manuell aktiviert und scharf gestellt.
Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann fiel es auch der COLUMBIA Flight Control auf.

„ForCAP Two, sie haben ihre Waffen aktiviert“, kam es eneregisch von der Flugkontrolle „Deaktivieren sie die Zielerfassung, sofort!“
Cartmell reagierte nicht und dann war es auch schon zu spät. Mit einem leichten Rucken durchbrach er die Abschirmung, die das Vakuum des Universums aussperrte und landete in dem Augenblick auf dem Flugdeck, als seine Finger sich um seinen Abzug krümmten.
Mit grimmig entschlossener Miene beobachtete er, wie seine Laserschüsse über das Flugfeld des Trägers strichen. Deckoffiziere, Techniker und Piloten wurden von den Strahlen erfasst und wie verbrannte Stoffpuppen durch die Gegend geschleudert. Gleichzeitig fauchten seine Raketen eine nach der anderen aus ihren Verankerungen und schossen auf ihren Flammenzungen das Flugdeck hinunter.
Dann kam sein Jäger zum stehen und Donovan konnte sich in aller Ruhe den Orkan der Vernichtung ansehen, den seine Geschütze entfacht hatten.

Direkt vor ihm sah er die Maschine seines Wingcommanders, der kurz vor ihm eingeflogen war und gerade nach rechts zu einem Stellplatz gezogen wurde. Sie wurde von zwei Raketen erfasst, die direkt auf das Heck der Phantom zu beschleunigten und den wehrlosen Jäger ohne Zweifel zerfetzen würden
Kurz vor der Explosion erkannte er Skunk und mit einem hasserfüllten Grinsen registrierte Donovan, wie eine Sidewinder ihn auf der Treppe zu seinem Cockpit erwischte und förmlich in Stücke riss. Die Phantom brach in der Mitte auseinander und die schiere Wucht der Explosion verwandelte die Panzerung des Jägers in einen tödlichen Shrapnellregen, der alle lebenden Crewmitglieder im Umkreis von 20 Metern in bis zur Unkenntlichkeit entstellte Fleischklumpen verwandelte.
Die übrigen Raketen bahnten sich einen Weg der Verwüstung durch den Rest des Flugdecks und schlugen in weitere Maschinen, Abschlepptraktoren und Munitionstransporter ein. Eine Sparrow traf dabei einen der Transportwagen, der voll beladen mit Raumkampfraketen war und brachte diesen ebenfalls zur Detonation. Die Sekundärexplosionen waren so gewaltig, dass er das Vibrieren selbst in seinem abgeschotteten Cockpit noch wahrnehmen konnte.

Doch es blieb nicht bei dem einen Munitionstransporter. In rasender Geschwindigkeit, schneller als es Donovan wahrnehmen konnte, griffen die Explosionen und das Feuer auf weitere hochexplosive Dinge wie Treibstoff und Raketen über, so dass sich die Feuersbrunst auf das gesamte Flugdeck ausbreitete und in Form einer gewaltigen, brüllenden Feuerwalze direkt auf Donovans Maschine zuraste. Als sein Jäger wie ein Papierflieger gepackt und empor gerissen wurde, platzte die Cockpitversiegelung wie die Schale einer reifen Frucht und ließ die fast schon flüssige Hitze binnen Sekundenbruchteilen sein Cockpit durchfluten.
Grenzenloser Hass war das letzte Gefühl, das ihn durchströmte kurz bevor sich sein Körper in seine Atome aufzulösen schien…

Der Schmerzensschrei, der seiner Kehle entfuhr ließ ihn aus seinem Traum hochfahren. Er brauchte einige Sekundenbruchteile um zu realisieren, dass er keuchend in seiner Koje lag. Ein, zwei Sekunden holte er tief Luft, dann stand er auf.
Natürlich war Tyr geweckt worden und schaute ihn eine Sekunde an, ehe er sich wortlos und kopfschüttelnd herumdrehte um weiter zu schlafen. Donovan schlurfte schlaftrunken zu der Nasszelle und ließ sich kaltes Wasser über das Gesicht laufen.
Er hatte schon sehr häufig Albträume gehabt, aber kaum einer war so intensiv gewesen, wie dieser. Und es machte ihm Angst.

Er blickte sein müdes, abgekämpftes Gesicht in dem Pseudospiegel an.
War es soweit? Verlor er tatsächlich das bisschen Verstand, das ihm noch geblieben war?
Hatten Sie ihn jetzt endlich mürbe gekriegt?
Die ständigen Schikanen seiner Staffelkameraden, der Techniker, der Schiffsbesatzung. Die unablässigen Anfeindungen, Beleidigungen und Ehrenkränkungen. Die permanente Überwachung durch den NIC und wahrscheinlich auch durch den JAG.
Würde er nun durchdrehen, Amok laufen, zum Berserker werden?
Hätten Sie es denn nicht etwas anders verdient? War es nicht an der Zeit, zurück zu schlagen?
Ging der Krug nicht bis zum Brunnen, bis er brach?

`NEIN!` Er straffte sich, riss sich zusammen. `Nein. Nein, verdammt, Nein!`
Irgend etwas in ihm schrie ihn förmlich an. Genau dasselbe Gefühl, welches es ihm ermöglicht hatte das erste halbe Jahr bei den Piraten zu überleben. Niemals aufgeben, niemals kapitulieren. Egal wie sehr sie ihn hassen würden, egal wie sehr sie ihn traktierten: Er würde nicht vor Ihnen kriechen, niemals! Und er würde auch nie wieder die Kontrolle über sich verlieren, wie es in seinem Traum geschehen war. Er hatte einmal dem Druck nicht mehr standhalten können, und er war dafür ins Gefängnis gegangen. Wenn ihm das nochmal passieren würde, würden Sie ihn wahrscheinlich aufs Schaffot schicken.

`Nein`, versprach er seinem verzerrten Spiegelbild, `er würde sich nicht brechen lassen, er würde kämpfen. Ob nun gegen die Akarii oder notfalls gegen die eigenen Leute`.
Tyr Svenson
Ein kühler Empfang

Die Kreuzer und Zerstörer umgaben die COLUMBIA in einem schützenden Gürtel. Wer auch immer an den Träger heran wollte, er mußte einer gigantischen Feuerkraft begegnen. Auf allen Schiffen waren die Kampfstationen voll besetzt, die Werfer geladen. Mannschaften und Offiziere wußten um die Bedeutung des Einsatzes. Die erste große Gegenoffensive der Menschen, vielleicht gar die Kriegswende – alles schien möglich. Oder eine Niederlage, Tod und Vernichtung, der drohende Gesamtsieg der Akarii. Solche Gedanken duldeten keine Nachlässigkeit.
Die RELENTLESS hatte momentan eine führende Position in der todbringenden Phalanx inne. Direkt hinter dem Zerstörer an der Spitze des Verbandes glitt das 30.000-Tonnen-Schiff durch den Raum. Unzählige Augen überwachten die Anzeigen, ob sich nicht vielleicht Anzeichen feindlicher Schiffe fänden. Natürlich war dies im Grunde nicht unbedingt nötig. Die Vorauspatrouillen, Jäger und Radarshuttle, bildeten eigentlich einen zuverlässigen Frühwarngürtel. Aber Captain Mithel wollte sichergehen. Außerdem hatte Vizeadmirälin Wulff sich nun einmal dafür entschieden, daß alle Register gezogen werden sollten. Mithel war niemand, dem es auch nur im entferntesten eingefallen wäre, daran etwas auszusetzen zu haben. Oder gar die auferlegten Pflichten zu vernachlässigen.
Dennoch war er weit weniger angespannt als sonst. Im Augenblick war keine unliebsame Überraschung zu erwarten. Seine Mannschaft zeigte langsam den Grad von Einsatzbereitschaft, den zu sehen er wünschte. Sie war natürlich bei weitem noch nicht perfekt.

Aber wo fand man schon Perfektion? Für das, was sie waren, leisteten sie gute Arbeit. Schließlich hatten viele noch kein ernstes Gefecht miterlebt. Zumindest in den Übungen schnitt die Crew gut ab. In gewisser Weise – auch wenn er sich dies nicht eingestehen würde – konnte er dem früheren Kapitän der GALLILEO dankbar sein, daß dieser die RELENTLESS bei Jollahran zurück befohlen hatte. So hatte Mithel die Zeit erhalten, die seine Mannschaft gut gebrauchen konnte. Aber daran dachte der Captain nicht.
Es beruhigte ihn etwas, diesmal mit einem Träger zusammenzuarbeiten, dessen Geschwader er kannte. Vom Skipper hatte er freilich einige nicht ganz so freundliche Geschichten gehört. Es war angeblich wieder einer von der burschikosen Sorte. Nun dies sprach nicht ZWINGEND gegen ihn – aber manchmal fragte sich Mithel, warum die Akademie neuerdings verstärkt Leute zu produzieren schien, denen der Flotten-Knigge ein Buch mit sieben Siegeln war. Waco war ja nicht der einzige von der Sorte, geschweige denn der Schlimmste.
Aber er kannte den Geschwaderchef. Und von dem hatte er eine bessere Meinung. Dieser Lone Wolf war zwar sicher kein Geistesriese, das hatte das peinliche Zwischenspiel mit den Ehrengericht bewiesen. Noch heute fühlte Mithel leichte Verärgerung, als er daran dachte, wie Admirälin Noltze sich über die hohen Traditionen der Navy hinweggesetzt hatte. Aber der CAG der Angry Angels war auf jeden Fall das, was man Heldenmaterial nannte. Schneidig, erfolgreich, und zumindest in taktischer Hinsicht versiert, wenn ihm auch die Fähigkeiten zu einem Strategen offenbar fehlten. Ein Jagdpilot eben, aber keiner, den man zum Kommandeur eines Schiffes oder gar einer Flotte machen konnte, außer er eignete in den kommenden Jahren noch ein gerüttelt Maß an Weisheit an. Sein tollkühner Angriff bei Jollahran hatte zusammen mit der Opferbereitschaft von Captain Usher und Captain Chantirs Brillanz aus einem fast sicheren Desaster zumindest ein Patt gemacht. Nein, Mithel war ganz froh, daß der Geschwaderchef von diesem Kaliber war.
Es hatte einen regen Austausch von Botschaften zwischen den Schiffen gegeben. Mithel hatte dies nicht bewußt gefördert, aber es freute ihn. Möglicherweise war es ein Anzeichen, daß die ehemaligen REDEMPTION-Leute den Kreuzermatrosen nichts nachtrugen. Das konnte für die Einsatzmoral nur förderlich sein. Seine Second-in-Command hatte es offenbar geschafft, sich mit mehreren Offizieren anzufreunden, die auch jetzt wieder mit von der Partie waren. Nun, ihr fiel dies immer etwas leichter als Mithel.

Eine andere Konstante zur letzten Mission freute den Captain freilich weniger. Auf seinem taktischen Schirm schwebte das Symbol der DAUNTLESS unmittelbar ,hinter‘ seinem eigenen Kreuzer. Bei einem feindlichen Frontalangriff würde der Flakkreuzer die Abwehr gegnerischer Jäger übernehmen, und seine angeblich überlegene Ortungstechnik ins Spiel bringen.
An dem Schiff wie am Kapitän schmeckte Mithel jedoch einiges nicht. Er erinnerte sich daran, wie ,gut‘ sein Verhältnis zu Captain Gonzales auf der letzten Einsatzfahrt gewesen war. Er hatte sein anfängliches Urteil nicht revidiert. Mit einer Mischung aus Amüsement und Pikiertheit erinnerte er sich, wie die DAUNTLESS zur Kreuzerschwadron gestoßen war.

Captain Schupp hatte seinem neusten Untergebenen einen entsprechenden Empfang bereitet. Ein Shuttle hatte Captain Gonzales zur Tiredless gebracht, wo bereits die anderen Kapitäne auf ihn warteten. Eine Formation Marines war angetreten – alles in allem also ein durchaus sehenswertes Schauspiel. Allerdings zweifelte Mithel jetzt im Rückblick daran, daß Gonzales so etwas überhaupt zu würdigen wußte.
Captain Schupp hatte den Kommandanten des Flakkreuzers höflich, aber eher distanziert empfangen, wie es seine Art war. Natürlich war man beim späteren Dinner auf die letzte Mission der DAUNTLESS zu sprechen gekommen, bei der sie sich erstmals hatte bewähren können. Wenn man das so bezeichnen durfte – der ,Test‘ war unter optimalen Bedingungen abgelaufen, und Mithel hatte seine Gratulation mit der Bemerkung verknüpft, der Akariikommandeur, der mit zwölf Sturmjägern einen kompletten Konvoi angegriffen hatte, könne wohl nicht einer der fähigsten seines Ranges gewesen sein. Gonzales hatte dies vermutlich nicht gerne gehört. Bei der Erinnerung mußte Mithel sich ein leichtes Grinsen verkneifen. Ihm war auf jeden Fall die Genugtuung geblieben, Gonzales in einem unbeachteten Moment ,als Freund‘ darauf hinzuweisen, daß Captain Schupp es vermutlich nicht schätzen würde, wenn man während einer Besprechung, die er leitete, sich dem Genuß von Tabakwaren hingab. Es war, wie Mithel wußte, ein etwas kleinlicher Schachzug von seiner Seite – aber er selber betrachtete solches Benehmen als geradezu skandalös. Was sollte denn als nächstes kommen? Sollten Kommandeure künftig in Gegenwart ihrer Vorgesetzten Kaugummi kauen oder im Colonial Playboy ,schmökern‘?

Nun, Gonzales war aufgefordert worden, einen umfangreichen Bericht über den Zwischenfall und die Schlußfolgerungen daraus anzufertigen – zusätzlich zum normalen Missionsbericht. Schupp wollte offenbar nach Möglichkeit wissen, was mit der DAUNTLESS anzufangen war. Auch vom Konvoichef hatte er einen Bericht erbeten. Der hatte vermutlich einige Zweifel betreffs des Flakkreuzers beseitigt – bezüglich seines Captains jedoch nicht unbedingt. Gewisse Untertöne im Bericht deuteten fast inakzeptables Verhalten der niederen Dienstgrade auf dem Schiff an. Aber da ließ sich nicht viel machen...

Es würde sich zeigen, wie sich die DAUNTLESS in einem echten Gefecht machen würde. Mithel gestattete sich da weiterhin Zweifel, in vielerlei Hinsicht. Der Second-in-Command an Bord der Flakkreuzers war ja auch nicht viel besser. Sicher, auch Gonzales hatte es durch den Perisher geschafft, und fachlich war er versiert. Aber für Mithel war es geradezu ein unumstößlicher Fakt, daß der, der in Sachen Borddisziplin Laschheit zeigte, zumeist auch in anderer Hinsicht im Dienst die Zügel nicht ganz in der Hand hatte. Und ein Kapitän war immer noch „der oberste Herr unter Gott“ an Bord seines Schiffes. Furcht vor dem Kapitän war falsch, aber ein kumpelhaftes Verhältnis war auch nicht optimal.
Mit einem inneren Achselzucken tat er das Problem ab. Die Mission würde nicht an einem leichten Kreuzer hängen. Mithel hatte vor, sich nicht im geringsten auf diese neue Wunderwaffe zu verlassen, und erwartete deshalb auch keine unangenehme Überraschung. Wenn das Schiff und sein Kapitän besser abschnitten, als er es befürchtete, war dies nur gut – wenn nicht, ging die Welt dabei auch nicht unter. Auch wenn es schon merkwürdig war, ein funkelnagelneues Schiff einem Senkrechtstarter anzuvertrauen, wo es selbst im Krieg immer noch genug wirklich erprobte Kapitäne gab. Die da oben wußten manchmal wirklich nicht, was sie wollten...

Aber es war nicht seine Aufgabe – leider – auf Gonzales‘ Schiff für Ordnung zu sorgen. Er hatte seinen eigenen Haushalt in Gang zu halten, und das lastete ihn voll aus. Neben einer gründlichen Einweisung in das Zielsystem, die alle Offiziere hatten über sich ergehen lassen müssen, hatte er für die nächsten Tage noch einige Alarmübungen angesagt. Womit die Mannschaft zweifelsohne schon rechnete, inzwischen kannten sie ihren ,Alten‘. Bei der letzten Enterübung war ihm einmal mehr klar geworden, daß bewaffnete Raummatrosen eben keine Marines waren. Die ,Roten‘ hatten die ,Blauen‘ ziemlich zusammengeschlagen. Also war auch in der Hinsicht einiges zu unternehmen – weiterer Stoff für Übungen. Obwohl natürlich eine Schiffsbesatzung im Kampf nie vollwertiger Gegner für Marines seien würde – genau so wenig wie etwas beim Rugby...

Und dann war natürlich auch noch seine eigene Vorbereitung. Endlose Stunden, in denen er Aufzeichnungen über Raumgefechte dieses Krieges und früherer Konflikte studierte. Er kannte viele der Gefechte inzwischen auswendig, bei den meisten auch noch ein oder zwei durchgespielte Alternativvarianten. Aber dennoch nahm er wieder und wieder die verschiedenen Schlachten durch, besonders die zwischen Großkampfschiffen ohne oder mit nur geringer Jagdbeteiligung. Er hoffte immer noch darauf, dort Dinge zu entdecken, die ihm weiterhelfen konnten, wenn es darauf ankam. Bald würde er wieder ein Schiff in die Schlacht führen. Er freute sich sogar darauf. Es war schon eine ganze Weile her, seit er mit seinem letzten Schiff im Gefecht gestanden hatte. Nun, mit etwas Glück würde er den Erfolgen, die er mit der Hydra errungen hatte, noch einige weitere mit diesem Schiff – einem echten Schlachtkreuzer – hinzufügen können...
Tyr Svenson
Ein Versprechen...

First Lieutenant Pawlitschenko gehörte nicht zu den Menschen, die leere Versprechungen machten, oder kraftlose Drohungen ausstießen. Eher war das Gegenteil der Fall. Sie handelte zumeist, ohne allzuviele Worte darüber zu verlieren. Gewisse Dinge konnte man auch gar nicht aussprechen. Sie hatte keinen hochdramatischen Racheschwur gegen die Akarii abgegeben, sondern handelte einfach danach. Und auch in anderen Dingen ließ sie eher Taten sprechen. Was möglicherweise daran lag, daß sie sich nicht eben für rhetorisch begabt hielt, und ein eher verschlossenes Naturell hatte.
Als sie Cartmell angekündigt hatte, ihm das Leben zur Hölle zu machen, sollte er sich nicht an ihre Vorschriften halten und ein braver Mustersoldat werden, da war dies keineswegs nur als Einschüchterung gemeint gewesen. Sie hatte freilich damit gerechnet, daß sie positiven Bescheid bekommen würde.

Zum einen sah sie in ihren Worten keine Schikane, sondern hielt sie für einen vernünftigen Vorschlag. Sie nahm die Autorität, die ihr der höhere Rang gab, als selbstverständlich in Anspruch. Ihre Auszeichnungen und ihre Erfahrung gab ihr ein Gefühl der Überlegenheit. Dies war nicht herablassend gemeint, sondern vielmehr so, daß der unerfahrenere, niedriger gestellte Soldat einfach zu gehorchen hatte. So lief es nun einmal im Militär. Schließlich hatte Cartmell seinen alten Rang durch sein eigenes Verhalten verspielt, aus freien Stücken sozusagen. Daß er es als ungerecht empfinden könnte, schloß sie zwar nicht aus, betrachtete es aber als unwahrscheinlich, weil im höchsten Maße unvernünftig. Ihre eigenen geheimen Mankos waren in ihren Augen etwas völlig anderes, zumal sie ja auch im Dienst ihrer Meinung nach nicht hinderlich waren.
Zum anderen ging sie davon aus, daß Cartmell sein eigenes Fehlverhalten – wie sie es auffaßte – einsah. Schließlich war er ja hier, also hatte er sich dafür entschieden, sein Vergehen zu sühnen. Also würde er die Richtigkeit ihrer Anordnungen einsehen, vor allem, nachdem sie ihm ihren Standpunkt unmißverständlich klargemacht hatte. Sie wußte, daß sie an Bord aus verschiedenen Gründen nicht sonderlich beliebt war, aber wenn der Ensign sich auch nur ein bißchen umhörte, würde er wissen, daß sie keine Schaumschlägerin war.

Um so mehr war sie erbost darüber, daß eine solche Antwort ausblieb. Sie hatte sicherheitshalber noch einmal bei Tyr nachgefragt, doch der hatte nur mit den Schultern gezuckt. Ihm gegenüber hatte der ehemalige Sträfling nichts gesagt. Sie überlegte kurz, Cartmell noch einmal zur Rede zu stellen, entschied sich aber dagegen. Mit wachsendem Zorn wartete sie, aber auch nach Verstreichen des von ihr gesetzten Zeitrahmens kam keinerlei Zeichen, daß der ehemalige Sträfling Vernunft annehmen wollte. Nach außen ließ sich Lilja nichts anmerken, aber innerlich kochte sie. Nun, wenn er auf den eindeutigen Warnschuß nicht hören wollte, dann hatte er es eben nicht anders verdient...
Ihr erster Gedanke war gewesen, direkt in Cartmells Staffel Druck zu machen. Doch als sie gründlich darüber nachdachte, kam sie zu dem Entschluß, es besser auf anderem Wege zu versuchen, als strikt nach dem Dienstplan. Ihr Verhältnis zu Radio, der ja XO der Roten Staffel war, schätzte sie als ziemlich schlecht ein. Die ehemalige Plaudertasche des Geschwaders – nun, zum Gutteil war er es immer noch – würde sich vermutlich als nicht sehr kooperativ erweisen. Immerhin hatte Radio schon mal auf der falschen Seite eines Ehrengerichtes gestanden, bei dem sie den Vorsitz geführt hatte. Und für die ganze Angelegenheit gab er offenbar zum Gutteil ihr die Schuld. Sie hatte es für unter ihrer Würde und gegen die Traditionen gefunden, ihn über die Wahrheit aufzuklären. Das er die Berechtigung der Vorwürfe anerkannte, war zwar zu hoffen, stand aber keineswegs fest. Den Geschwaderchef selber wollte sie lieber nicht damit belästigen. Es mußte sich doch auch so etwas machen lassen...
Skunk wäre ein weiterer möglicher Ansprechpartner gewesen, aber Lilja kannte ihn nicht genug, um ihm so weit zu vertrauen. Er schien zwar mit Cartmell nicht eben übertrieben rücksichtsvoll umzugehen, aber dennoch...
Er war kaum der Mann, von dem sie erwarten konnte, daß er Cartmell auf die richtige Art und Weise an die Kandare nahm. Was er sich bisher so geleistet hatte, sprach ja wohl Bände. Er war im Grunde fast so ein Radaubruder wie Cartmell, bloß hatte er sich eben nie erwischen lassen oder sich nur mit den richtigen Leuten geprügelt. Und natürlich lag gegen ihn kein zweifelhafter Freispruch in einem Verfahren vor, in dem im Schuldfalle nach Liljas Ansicht ein Schuß in den Kopf noch eine Gnade war. Daß sie Cartmell überhaupt eine Chance eingeräumt hatte lag daran, daß sie sich bemühte, so fair zu sein, wie sie konnte. Das Gericht hatte ihm die Piratensache nicht nachweisen können, damit war es erst einmal vom Tisch – was handfeste Konsequenzen anbetraf. Vertrauen würde sie dem Piloten nie.
Doch leider war Skunk auch noch Führer der Sektion, und das bedeutete, sie hatte in der Roten Staffel niemanden, an den sie sich mit ruhigem Gewissen wenden konnte. Zumindest keinen höheren Offizier.
Nun, bei den First Lieutenants Hal und Mantis ließ sich schon eher etwas machen. Sie kannte durchaus einige Angehörige von Rot gut genug, und auch ein paar Leute in anderen Staffeln.
Genug, um diesem selbstgerechten, aufgeblasenen Affen die Suppe gehörig zu versalzen, so hoffte sie zumindest. In Gedanken legte sie sich eine Strategie zurecht. Es war nie gut, mit der Tür ins Haus zu fallen. Sie würde erst mal vorfühlen, was ihre Zielpersonen von Cartmell so hielten. Und dann ihre Sicht der Dinge unterbreiten. Nach Liljas Ansicht gab es für Extratouren dieser Art nur wenige Entschuldigungen. Erst recht nicht, wenn man mit einem Bein im Gefängnis stand. Sich dann aufzuführen wie die gekränkte Unschuld, wiewohl man doch auf Knien der Navy danken sollte, daß sie einem eine zweite Chance gab – das war wirklich das letzte.

Lilja hatte selber lange und hart um IHRE zweite Chance kämpfen müssen, und dabei war dies nun wirklich nicht ihre Schuld gewesen. Wenn man aus Überarbeitung schlappmachte – nun, sie hatte sich vorher wahrlich aufgerieben im Dienst. Und ihre Pflicht mustergültig erfüllt. Als man sie aus der Reserve wieder nach vorne schickte, hatte sie die Zähne zusammengebissen, um nicht wieder abgeschoben zu werden. Und dieses dreckige Schwein führte sich auf, als würde ER der Flotte eine Gnade erweisen, indem er sich dazu herabließ, hier zu fliegen! Das war inakzeptabel. Und sie konnte sich durchaus vorstellen, daß es genug Leute gab, die ihre Meinung teilten.

Sie würde den anderen klarmachen, daß Cartmell offenbar nicht daran interessiert war, sich wirklich zu bewähren. Soldat zu sein bedeutete Gehorsam und Pflichterfüllung – davon war Lilja überzeugt. Nun, wenn er dazu nicht bereit war, mußte man ihm die Konsequenzen zu spüren geben. Sie würde die anderen anhalten, ihm auf die Finger zu sehen, jede kleinste Nachlässigkeit zu melden. Dafür zu sorgen, daß er den Druck von oben bekam, der er verdiente. Ihn in einem Licht zu malen, daß alles andere als günstig wirkte. Austesten, wo die Grenze lag. Auch sie würde ihren Teil dazu beitragen, sollte sie die Möglichkeit haben. Tyr würde da ein verläßlicher Verbündeter sein. Er würde ihr melden, sollte sich Cartmell auch nur eine Schwäche leisten. Und sicher würde er gerne die eine oder andere Bemerkung über unsoziales Verhalten seines Zimmergenossen beisteuern. Glaubhaft war es allemal. Und sollte Cartmell jemals einen ihrer Befehle verweigern...
Sie hatte keineswegs vor, ihn auf die Art und Weise zu schikanieren, wie man es in den alten Kriegsstreifen sah. Befehle mußten immer begründbar sein – schon damit es nach außen nicht zu sehr nach Schikane aussah.

Cartmell würde vielleicht Vernunft annehmen, und endlich versuchen, zu einem ordentlichen Soldaten und akzeptablen Mitglied des Geschwaders zu werden. Nun, soweit das so jemandem wie ihm möglich war. Sein Lebenslauf würde ihn vermutlich, und das zu Recht, immer in einer gewissen Weise ausgrenzen.
Vielleicht würde man aber auch einsehen, daß er seine zweite Chance nicht verdiente. Für Lilja war dies ziemlich offensichtlich.
Aber auf jeden Fall würde er Ensign bleiben, bis er sich etwas anderes verdient hatte. Und das, entschied sie mit einem bitteren Lächeln, würde ihm vermutlich teurer fallen als er dachte.

Sie überschätzte ihre eigene Macht keineswegs. Sie war nur First Lieutenant, dazu aus einer anderen Staffel. Aber Cartmell hatte so ein Talent, sich ,Freunde‘ zu machen, daß sie nicht lange würde suchen müssen, um die geeigneten Verbündeten zu finden. Zu einer Partie ,Heiliger Geist‘ hätte sie vermutlich sofort ein Rollkommando zusammenstellen können. Aber Lilja lehnte so etwas für sich selbst ab, wenngleich gegenüber gewissen Leuten recht tolerant war. Es gab andere Wege, und die waren für das Ziel nicht weniger unangenehm.
Cartmell würde noch lernen, daß sie ihre Versprechen ernst meinte...
Tyr Svenson
Als Commodore Reich in der Wüste von Arizona ankam, empfing ihm pures Chaos. Der zuständige Commander hatte es sichtlich gut gemeint, aber der erfahrene Presseoffizier aus Admiral Frosts Büro schlug bei dem Anblick des sich abzeichnenden Debakels die Hände vor dem Gesicht zusammen.
Die Bewachung des Lagers – inhaftiert. Sechsundfünfzig Marines knieten am Boden, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Strikt bewacht von zweihundert schwer bewaffneten Marineinfanteristen. Die Akarii, umringt von Kampfpanzern, Scharfschützen und regulärer Infanterie mit schussbereiten Karabinern.
Die Außerirdischen selbst hielten sich in der prallen Sonne auf und bewegten sich nicht einen Millimeter.
Reich war klar, was sie da taten. Sie wollten den Menschen keine Gelegenheit für ein Massaker geben. Deshalb rührten sie sich so wenig wie irgend möglich.
Der Commodore erkannte mehrere zusammen gesackte Gestalten in der geordneten Reihe der Akarii. Niemand half ihnen. Kein Akarii, kein Mensch.
Vor dem Gefängnis waren weitere Kampfpanzer aufgefahren. Sie drängten die Gleiter und Fahrzeuge der vielzählig angetretenen Presse ab. Marineinfanteristen schossen fliegende Kameras ab und inhaftierten besonders hartnäckige Presseleute.
Der Commodore konnte nur noch den Kopf schütteln.

Commodore Reich winkte seinen Adjutanten heran. „Holen Sie mir den zuständigen Offizier hier ran.“
Der Lieutenant nickte und verschwand im Lager.
Kurz darauf kam er mit einem Commander im Schlepp wieder zurück. „Sir, ich bringe Ihnen Commander Wilhelm Gassenhauer.“
Der Offizier salutierte korrekt vor dem Ranghöheren. „Commodore.“
Reich musterte den Jüngeren einige Zeit. Dann hob er anklagend den Zeigefinger und richtete ihn wie eine Waffe auf Gassenhauer. „Commander. Was machen Sie hier?“
„Sir, wie Admiral Frost befohlen hat, habe ich die Bewachung des Lagers festgesetzt und bereite die Akarii zur Deportation vor.“
„Soweit so gut. Aber was machen Sie mit der Presse?“
„Wir versuchen sie zu vertreiben, aber sie sind hartnäckig. Ich habe bereits ein weiteres Bataillon zur Unterstützung angefordert.“
„SIE HABEN WAS?“, blaffte Reich. „Das war doch nicht Ihr Ernst?“
Der Commodore ließ den Offizier stehen und kehrte zu seinem Shuttle zurück.
Als er nach fünf Minuten wiederkam, sagte er: „Gassenhauer. Sie sind von diesem Auftrag entbunden. Ich übernehme mit sofortiger Wirkung. Kommen Sie, hören Sie und lernen Sie.“
„Sir, aber Admiral Frost…“
„Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Der Befehl, das Kommando zu übernehmen, stammt direkt von ihm.“
Der Commander sah den Ranghöheren erschrocken an.
Als Reich sich in Bewegung setzte, folgte er eingeschüchtert.

Reichs erster Weg führte ihn zu den bewachten Marines.
Er blaffte einige sehr laute Befehle, und die Wachen nahmen die Waffen ab.
Danach wandte er sich an die Marines und forderte sie auf, sich aufzurichten.
„Offiziere und Unteroffiziere treten nach links raus. Sie werden verhört. Mannschaften bereiten sich auf den Rücktransport in die Kasernen vor. Sie erhalten Ihre Ausrüstungen sofort wieder.“
„Sir, ist das klug? Immerhin sollten wir sie festsetzen.“
„Commander, schlimm genug, dass Sie unsere eigenen Soldaten in der Sonne haben brüten lassen. Aber dass Sie ihnen auch noch Stolz und Würde genommen haben, ist unverzeihlich!“
`Und wenn du erwähnst, dass der Befehl dazu direkt aus Frosts Büro kam, landest du auf einem Schreibtischposten auf Midway!´
Betreten sah Gassenhauer zu Boden. „Ja, Sir.“

Die Marines teilten sich diszipliniert auf. Die Offiziere traten nach links aus, die Mannschaften ließen sich ihre Ausrüstung wieder geben und nahmen korrekt in Trupps und Platoons Aufstellung.
„Sehen Sie das, Commander? So einfach hätten Sie es auch haben können. Es sind immer noch unsere Soldaten. Unsere eigenen Truppen.“
Reich ging, mit seinen eigenen und Gassenhauers Offizieren im Schlepp, durch die Reihen der Marines. Bei einigen übel zugerichteten Soldaten blieb er stehen und rief nach dem Sanitäter.
Die Blicke, die er Gassenhauer zuwarf, wurden zunehmend finsterer. Man konnte das Wort Kriegsgericht geradezu von seinen Lidern lesen.

Danach trat Reich in den eigentlichen Gefangenentrakt ein.
Vor den disziplinierte Reihen der Akarii stand ein einzelner Offizier und mahnte in regelmäßigen Abständen Disziplin an. Mittlerweile waren weitere Akarii umgekippt. Reich wusste, dass die Reporter diese Szenen aufnahmen und ausschlachten würden.
Der Commodore trat vor den vorne stehenden Akarii und salutierte.
Der Akarii erwiderte den Gruß.
„Artan Ry Hallas, ich übernehme mit sofortiger Wirkung das Kommando über dieses Lager. Bereiten Sie sich und Ihre Untergebenen auf den baldigen Abtransport zurück nach Texas vor.“
Der Akarii-Offizier salutierte erneut, drehte auf der Ferse und brüllte einen Befehl.
Als die Akarii wie ein Mann um neunzig Grad drehten und Reihe für Reihe zu den Baracken zurückmarschierten, legte sich mehr als eine Hand bei den Marines auf die Feuertrigger ihrer Waffen.
Als der letzte Akarii den Platz verlassen hatte und nur noch die ohnmächtigen Soldaten des Gegners am Boden lagen, rief Reich nach Sanitätern.

Gassenhauer immer noch im Schlepp verließ Reich das Lager und trat hinaus zum Absperrriegel.
Zuerst sorgte er dafür, dass die Inhaftierten Reporter wieder frei gelassen wurden und dass ihnen ihr Gerät zurückgegeben wurde.
Danach hielt er eine kleine Ansprache vor den Nachrichtenleuten.
„Mein Name ist Commodore Reich. Mit sofortiger Wirkung übernehme ich das Kommando über dieses Lager.
Meine Aufgabe ist es, das Lager so schnell wie es geht aufzulösen, da die Anwesenheit der Akarii-Gefangenen Unruhe auf der Erde ausgelöst hat.
Dies werde ich tun.
Aber vorher biete ich der terranischen Presse die Möglichkeit, sich von der Harmlosigkeit der Akarii-Gefangenen zu überzeugen. Ich erlaube jeder Zeitung und jedem Sender mit einem Vertreter das Lager zu betreten.“
Unruhe ergriff die Reporter. Alleine die Fernsehteams waren fünf oder mehr Leute stark.
Man würde also nur mit einem Kameramann vertreten sein, während die Zeitungen hier klar im Vorteil waren.
Dies hatte auch den Nebeneffekt, dass die Kameras nur aufnehmen konnten, was Reich ihnen servierte.

Nach einer halben Stunde hatte sich die freie Presse entschieden. Gut fünfzig Reporter konnten durch die Absperrungen treten und wurden von Reichs Adjutant ins Lager geführt.
Diese Zeit hatte gereicht, die verletzten Marines zu verarzten und die ohnmächtigen Akarii in ihre Quartiere oder in dringenden Fällen in den Sanitätsbereich zu schaffen.
Auf seinen Adutanten konnte sich Reich verlassen, der junge Mann würde den Reportern schon was zu futtern geben.

„Haben Sie verstanden, was ich hier gemacht habe, Commander?“
„Nein, Sir. Nur, dass Sie gegen Admiral Frosts Befehle verstoßen haben.“
Wütend funkelte Reich den anderen Offizier an. „Dann will ich es Ihnen erklären. Ich habe verhindert, dass die Presse der Republik die Navy in der Luft zerreißt.
Weil sie gefangene Soldaten foltert. Weil sie eigene Soldaten prügelt. Weil sie eigene Soldaten inhaftiert.
Himmel, wissen Sie, wie schlecht die Stimmung zwischen Marines und Navy werden wird, wenn sich rum spricht, wie Sie mit den Marines umgesprungen sind?“
„Aber die Befehle von Admiral Frost…“
„Er hat Ihnen einen Auftrag gegeben. Sie müssen ihn ausführen. Aber wie Sie ihn ausführen, ist immer Ihre Sache.
Glauben Sie wirklich, dass die Befehle von Admiral Frost noch Gültigkeit haben können, wenn fünfzig Zeitungen und Sender hier jeden Schritt und jede Bewegung außerhalb des Lagers filmen? In so einem Fall muss ein guter Offizier die Initiative ergreifen. Dies hier ist nicht irgendein Planet. Dies ist die Erde, das Herz der Republik. Hier lebt und fällt man mit einer guten öffentlichen Meinung und einer guten Presse.
Haben Sie das endlich kapiert, Commander?“
„Ja, Sir. Ich hätte sie alle mit Samthandschuhen anfassen müssen.“
Der resignierte Tonfall war genau das, was Reich hören wollte.
„Gut. Dann gebe ich Ihnen eine letzte Chance, Ihre Karriere zu retten.
In zwei Stunden kommen die Pendler, die unsere Akarii zu einem Transporter im Orbit um Fort Lexington bringen werden. Von dort werden sie zurück nach Texas geschafft.
Bringen Sie das hier Zuende. Wenn Sie es gut machen, will ich Ihre stümperhafte Arbeit vergessen. Präsentieren Sie die Akarii als harmlos. Versuchen Sie, ihre Moral so schlecht wie möglich aussehen zu lassen.“
„Aber Sir, wird das dann nicht den Tauben wieder Auftrieb geben, wenn wir die Akarii freundlich darstellen?“
„Diese freundlichen Akarii haben Mantikor erobert. Schon vergessen? Aber kaum sind sie in der Unterzahl und gefangen, werden aus ihnen Lämmer. Lassen Sie das durchblicken. Ich werde mir Ihre Arbeit später ansehen.“
Gassenhauer nickte. „Sir. Sie können sich auf mich verlassen.“
Reich sah ihm hinterher. Dann nickte er seinem Adjutanten zu. „Helfen Sie ihm.“

Eine halb Stunde später stand er in der stechenden Sonne des Death Valley in Kalifornien und starrte in ein gut geschützt ausgehobenes Erdloch.
„Es sind zwei. Erste Untersuchungen ergeben, dass von hier die Stinger abgeschossen wurde, die Commander Chuns Shuttle abgeschossen hat. Der Linke war der Beobachter, der Rechte der Schütze.
Nachdem sie das Shuttle erwischt haben, müssen sie von einem schweren Laser getroffen worden sein. Anhand der Art der Verbrennungen und der Schmauchspuren im Erdreich kann man erkennen, dass der Laserimpuls daneben ging. Die Stellung war fünf Meter neben dem Kernpunkt des Treffers. Aber die rudimentäre Verbrennung hat ausgereicht, beide zu töten.
Hochrechnungen haben ergeben, dass der tödliche Schuss zu neunzig Prozent von einem Jäger oder Jagdbomber abgegeben wurde. Wir vermuten eine Griphen oder eine Nighthawk.“
„Jemand hat also versucht, seine Spuren zu verwischen“, brummte Reich leise. „Das passt aber in keinster Weise zu Lt. Commander Chun und seine kleine Verschwörung.
Hier muss noch eine Partei im Spiel sein.“
Reich ging in die Knie und dachte nach. „Chuns Ziel war es, Akarii auf die Erde zu holen, dies durchsickern zu lassen und damit eine gewisse Akarii-Hysterie auszulösen, welche die allgemeine Stimmung weltweit für den Krieg festigen sollte.
Seine Aktion mit diesem Shuttle und dem medizinischen Seminar war sein letzter Notanker, die Existenz der Akarii bekannt zu machen, bevor die Navy eingreifen konnte.
Wer immer hier zwei Soldaten liquidiert hat, wollte nicht, dass dies geschieht. Und er muss beste Kontakte oder eigene Leute in der Navy haben.
Ja, ich bin sicher. Ziel des Hinterhalts war es, zu verhindern, dass die Existenz des Lagers bekannt wurde. Chun sah hier einen Nutzen für die Navy. Der unbekannte Gegner aber sah darin einen fatalen Fehler. Womöglich für eigene Pläne.“
Der Commodore erhob sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Das stinkt doch geradezu nach PROMETHEUS!“
„Sir?“ Der Junioroffizier zuckte merklich zusammen.
„Hier wurde ein Jäger eingesetzt. Das kann nur ein ausgebildeter Pilot tun. Und nur ein guter Pilot kann einen getarnten Angriff fliegen, ohne dass es der Flugüberwachung auffällt.
Recherchieren Sie das. Dank den Aufzeichnungen der Black Box des Shuttles wissen wir, wann der Angriff erfolgte.
Ermitteln Sie, welcher Stützpunkt zu dieser Zeit Maschinen in dieser Region hatte.
Werten Sie auch die Daten der Flugsicherheit aus.
Überprüfen Sie auch alle Stützpunkte im näheren Umkreis auf desertierte oder verschwundene Techniker und Piloten.
Haben Sie einen Treffer, setzen Sie alle beteiligten Soldaten fest: Die Piloten, die Vorgesetzten, die Wartungstechniker. Alle, die mit drin stecken könnten.“
„Sir, aber PROMETHEUS?“
„Glauben Sie vielleicht, die Tauben um Pavon würden eine Stinger auf ein Shuttle voller Akarii einsetzen?“
„Vielleicht, Sir.“
„Zugegeben. Aber ich sehe hier eine Handvoll gut ausgebildeter Soldaten. Sie haben etwas, irgendetwas über ihre Pflicht der Republik gestellt.
Und PROMETHEUS ist der erste wahrscheinliche Gedanke.“

Reich ging langsam zu seinem Shuttle zurück. „Die ersten verifizierten Mitglieder einer geheimen Sekte wurden vom NSA auf der Troffen-Kampagne der Trägergruppe REDEMPTION festgesetzt. Zwei Techniker hatten scheinbar unmotiviert ihre Kenntnisse benutzt, um die Ausrüstung der Piloten zu sabotieren.
Bei den Verhören stellte sich heraus, dass beide Techniker quasi in einer Konstruktwelt lebten. Sie waren heimliche Angehörige einer Sekte, die ihnen genau diese Sabotage befahl.
Ziel war es, so viele Missionen wie möglich scheitern zu lassen.
Wir wissen seither von zwanzig weiteren Festnahen von Mitgliedern von PROMETHEUS.
Außerdem konnten fast dreihundert unerklärliche Unfälle während des Krieges der Sekte zugeordnet werden. Und wir sind noch lange nicht am Ende angelangt.
PROMETHEUS. Wir kennen den wahren Namen der Sekte nicht. Wir wissen nicht, wer sie anführt. Wir wissen nicht, wie sich die Mitglieder erkennen.
Aber wir kennen ihre Ziele.
Wir haben sie deshalb PROMETHEUS genannt. Nach dem alten griechischen Helden, der das Feuer von den Göttern stahl, um die Menschen zu wärmen und zu erleuchten.
Diese Sekte will, dass wir den Krieg verlieren. Schlicht und einfach verlieren.
Die menschliche Rasse ist in ihren Augen unreif und widerspenstig.
Sie vertritt die Meinung, dass wir uns den Akarii unterwerfen sollten, um unter Anleitung eines älteren Kulturvolkes mit einer jahrtausende alten Raumfahrtgeschichte erst eine eigenen Verantwortung zu entwickeln. Dazu ist ihnen jedes Mittel Recht.
Und wie es nun mal so ist, wenn sich jemand eine verdrehte Sicht der Dinge Zu Recht gelegt hat, kann er warten. Warten und lauern, bis ihm gesagt wird, er soll zuschlagen.
Führen Sie die Anweisungen aus, Lieutenant. Ich will heute noch einen oder mehrere Gefangene sehen.“
„Ja, Sir.“

**

Einen Tag später stand Commodore Reich in Admiral Frosts Büro. Der alte Mann musterte den aufstrebenden Offizier einen Moment und sah dafür von dem Bericht auf.
„Erklären Sie mir noch einmal, warum Sie Chuns Netzwerk nicht aufgedeckt haben. Und warum haben Sie Chun nicht für das Kriegsgericht vorgeschlagen?“
„Admiral, Sir, Sie haben mir in dieser Sache freie Hand gegeben.“
„Zugegeben. Deshalb müssen Sie sich dennoch vor mir rechtfertigen.“
„Sir. Ich habe Commander Chun dem Gefangenenlager im Texas-System zuteilen lassen. Dort soll er erst mal ein halbes Jahr schmoren. Wenn ich ihn dann zurück hole, wird er hoffentlich den Ernst der Befehlskette akzeptiert haben.“
„Das erklärt aber nicht den Verzicht auf eine Strafe.“
Reich grinste schief. „Das soll er kriegen, weil er gute Arbeit geleistet hat. Sie haben die neuesten Zahlen auf dem Tisch, Sir. Die Rekrutierungsstellen sind überlaufen.
Die öffentliche Stimmung schwenkt wieder mehr hin zu einer Unterstützung des Krieges. Die Tauben verlieren tausende ihrer Anhänger.
Wenn ich es mal so ausdrücken darf, dieser junge Offizier mag durch Insubordination aufgefallen sein. Aber diese Insubordination war eine logistische Meisterleistung.
Ich würde ihn und sein kleines Netzwerk zusammenfassen und ihm ein eigenes Ressort geben.
Es wäre ein wahre Schande, einen solchen Offizier und derart fähige Leute zu verschwenden.
Wenn Sie deshalb nachträglich den Transfer von Akarii-Gefangenen zu Forschungszwecken genehmigen würden?“
„Ich soll ihm nachträglich Absolution erteilen?“
„Absolution? Soweit ich weiß, gibt es keinen Befehl in der Navy, der die Einrichtung eines Gefangenenlagers auf der Erde untersagt.“
Admiral Frost zögerte kurz, dann zeichnete er den Bericht ab.
„Dafür schuldet uns dieses Netzwerk aber etwas. Lassen Sie das durchblicken.
Und ich habe durchaus nichts gegen Eigeninitiative oder eine angepasste Auslegung von Befehlen. Aber leistet sich Chun noch so ein Ding, schieße ich ihn selbst in die nächste Sonne.“
„Ja, Admiral“, sagte Reich erleichtert. „Was übrigens PROMETHEUS angeht, durch einen Zufall während der Ermittlungen sind wir einer Zelle auf die Spur gekommen…“