Tyr Svenson
Als Captain Adrianna Schlüter die Parameter des neuen Einsatzes erfahren hatte, hatte sie innerlich geflucht. Nun endlich kam mal ein Einsatz, der die Jarheads forderte – und ausgerechnet vor diesem Auftrag hatte man ihre gut gedrillte Sturmtruppe auseinandergerissen und sie mit Greenhorns aufgefüllt. Nun mußte sie sehen, wie sie damit klarkam. Auf keinen Fall wollte Schlüter sich blamieren, vor allem wenn die professionellen Killer von der SAS zusahen – zwischen den „normalen Streitkräften“ und den Spezialeinheiten herrschte ein chronischer Zustand der Rivalität und unterschwelliger Spannungen.
Sie hatte sich mit ihren Offizieren beraten und dabei auch auf die Ratschläge einiger der altgedienten Sergeanten gehört, die die Truppenausbildung und –einschätzung besser beherrschten als die vielfach frisch von der Akademie dazugestoßenen Lieutenants ohne Fronterfahrung. Das Ergebnis war der Entschluß, noch einmal die Männer und Frauen gründlich „auf Herz und Nieren“ zu prüfen. Wer für den Einsatz ungeeignet erschien – nun, der würde halt in der Kleiderkammer Dienst tun, oder an einem anderen Ort, wo er keinen Schaden anrichten würde. Bis man ihn abschieben konnte. Natürlich sollte die Grundausbildung bereits vollwertige Soldaten liefern, aber darauf verließ sich kaum ein Kommandooffizier oder auch nur Truppführer mit Fronterfahrung.
Dieser Beschluß bedeutete für die Soldaten brutalen Drill. Die Möglichkeiten an Bord verboten zwar das „Volle Programm“, aber die Sergeanten entwickelten einen schon fast sadistisch zu nennenden Einfallsreichtum um die Soldaten „ranzunehmen“.
Die Männer und Frauen der Marineinfanterie bekamen kaum noch Schlaf – ein oder zwei Alarme pro Nacht waren fast schon Routine.
Pausenlose Schießübungen und Nahkampftraining wechselten sich mit Kraft- und Audauerübungen in den Sporteinrichtungen und ein paar leeren Frachträumen ab.
Einige der Übungen hatten einen geradezu legendären Ruf:
„Toter Mann“: Zu zweit oder viert mußten bei dieser Übung die Marines mit Schrott gefüllte schwere Kisten endlose Runden im Kreis schleppen – oder Kameraden, die „tot spielten“ und denen man zu allem Überfluß noch Gewichte in den Tornister gepackt hatte.
„Gorilla“: Dieser Ausdruck basierte auf dem Slangausdruck „Affe“ mit dem man bei der Infanterie den Tornister bezeichnete. Ein „Gorilla“ war ein Militärrucksack, der bis oben hin mit Gewichten gefüllt worden war – oder ein Kamerad, den man Huckepack rund um die Sporthalle tragen mußte.
Die Sache wurde noch schlimmer, da diese Übungen im Kampfanzug durchgeführt werden mußten.
Zu allem Überfluß dröhnte dabei ununterbrochen aus Lautsprechern ohrenbetäubende Musik oder Gefechtslärm, brüllten und fluchten die Sergeanten und Corporals.
Die anderen Mitglieder der Besatzung der COLUMBIA meckerten zwar gelegentlich, wenn sie die Sporthalle mal wieder besetzt fanden, doch einige fanden das Schauspiel sogar recht unterhaltsam. Die Marines wünschten ihren Offizieren die Pest an den Hals.
Es war der zehnte Tag der Übung und Jean Davis war dem Zusammenbruch nahe. Ihre zusätzliches Scharfschützentraining hatte sie schon vorher ziemlich gefordert. Dazu kamen andere, persönliche Sorgen. Und besonders gut fühlte sie sich sowieso nicht in den letzten Tagen. Aber von Master Sergeant Schiermer Verständnis für die gesundheitlichen Probleme seiner Marinesoldatinnen zu erwarten war illusorisch – also hatte sie es nicht einmal versucht. Schon seit Gestern schleppte sie sich nur noch mit, war immer die Letzte. Beim Schießen schnitt sie wie ein Rekrut ab – Schiermer und Porks hatten sie deswegen vor versammelter Mannschaft heruntergeputzt. Vollkommen mit den Nerven fertig, wäre sie beinahe in Tränen ausgebrochen – und es tröstete sie nicht im geringsten, daß es in anderen Gruppen bereits Zusammenbrüche gegeben hatte. Unter den gnadenlos vorwärts peitschenden Stimmen der Unteroffiziere rannte sie nun einmal mehr endlose Runden in einem unterkühlten Frachtraum, auf dem Rücken einen mit Gewichten wohlgefüllten Rucksack
.
„ALLEZ, ALLEZ, ALLEZ, SCHLAPPOHREN!!“* Schiermer rannte neben den vor Müdigkeit und Erschöpfung taumelnden Soldaten, scheinbar ununterbrochen brüllend.
Plötzlich packte er einen Soldaten, der vor Jean vorwärts hastete, an der Schulter und zischte einen leisen Befehl. Der Soldat ließ sich zu Boden fallen, Jean wäre beinahe über ihn gestolpert. Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich zu erinnern, was sie tun mußte: „Sanitäter, Hierher!“
Der Sani des Platoons, ein schlacksiger Junge, der mit Jean zusammen aus der Ausbildung gekommen war, hastete herbei, hantierte eher planlos an dem reglos Liegenden, wandte sich dann an Schiermer: „Sarge, was…“
„ DU BIST SANI, WILLST DU IHN EINFACH LIEGENLASSEN?! WILLST DU UM HILFE BRÜLLEN, DU ERBÄRMLICHER SCHEISSER?! BEWEGUNG, BEWEGUNG!!“
Unter dem ständigen Gebrüll Schiermers, fand der Sanitäter endlich die Entscheidung, die von ihm erwartet wurde: er und ein anderer Soldat nahmen den Soldaten zwischen sich, schleppten ihn mit.
Schiermer grinste kurz.
Jean war inzwischen weitergestolpert. Es war einfach zu viel: die Schreie und vulgären Flüche, der ohrenbetäubende Lärm aus den Lautsprechern. Der brüllende Sergeant neben der Marschlinie, die Soldaten vor und hinter ihr, die vorwärtsdrängten und schoben. Zu viel...
Plötzlich schien es zwei Schiermers zu geben: „LOS, BEWEGUNG! IHR SCHLAPPSCHWÄNZE, ARSCHLÖCHER, HURENBÄLGER! WOLLT IHR WOHL LAUFEN?!“
Um Jean schien der Lärm irgendwie schwächer zu werden, sie kam sich vor wie in Watte gepackt. Ihre Sicht verschwamm...
Howard versuchte, seinen Trupp einzuholen. Als vor ihm ein Soldat seiner Platoon stolperte, wäre er am liebsten weitergestolpert. Aber immerhin, er brachte es fertig, dem Gestürzten einen Blick zuzuwerfen. Es war Jean. Schiermer schien das nicht gemerkt zu haben, er trieb währenddessen weiter vorne die Soldaten an.
Howard handelte fast automatisch. Er ließ sich auf die Knie fallen – und war sich nicht sicher, ob er es danach noch schaffen würde, wieder auf die Beine zu kommen. Schwerfällig, schnallte er erst sich, dann Jean den schweren Militärrucksack ab. Dann, mit den letzten Kraftreserven, zerrte er die Soldatin hoch, lud sich Jean auf die Schulter. Fast wäre er von dem Gewicht zu Boden gegangen, dabei war Jean für ein Marines eher klein. Schrittweise, taumelnd, schleppte er sich weiter. Er war sich selber nicht einmal sicher, warum er das tat. Einerseits sicher wegen der Ausbildung. NIEMALS sollte ein Kamerad zurückgelassen werden. Aber außerdem – Jean... Sie wollte sich unbedingt bewähren. Und Schiermer hatte ihr einmal angedroht, daß er sie aus der Einheit werfen würde, wenn sie den Anforderungen nicht genügte. Also mußte sie es schaffen, den altgedienten Sergeanten zu überzeugen. Und wenn er ihr dabei irgendwie helfen konnte...
Jean erwachte im Lazarett. Sie brauchte einige Zeit, um zu begreifen, wo sie war. Und bis sie bemerkte, daß sie nicht alleine war. Auf einem Stuhl saß Captain Arianna Schlüter.
Beim Anblick der Kommandantin der Marine-Abteilung der COLUMBIA durchfuhr Jean Davis ein eisiger Schreck. War die Kommandantin gekommen, um ihr mitzuteilen, daß sie versagt hatte? Die letzte Zeit vor ihrem Zusammenbruch war Nebel gehüllt – aber Jean wußte, sie mußte bei der Übung ohnmächtig geworden sein.
„Entspann dich, Soldat Ich wollte bloß mal sehen, wie es unseren Siebenschläfern geht. Du bist nicht der Einzige, der zusammengebrochen ist.“ Schlüters Stimme klang nachsichtig, fast amüsiert.
Diese Nachricht beruhigte Jean etwas, sie konnte es sich allerdings nicht verkneifen nachzufragen: „Wie viele?“ Immerhin, wenn sie nur eine von vielen war, dann war ihr Versagen etwas weniger ärgerlich.
„Fünf Zusammenbrüche – und drei sind wie du bewußtlos geworden. Einer hat beim Nahkampftraining Mist gebaut und liegt mit gebrochener Nase und ausgerenktem Kiefer im Lazarett. Dazu eine Menge asugerenkter Gelenke, blaue Augen und Platzwunden. Lappalien.“
„Warum eigentlich?“ Jean konnte die Frage nicht zurückhalten, hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Aber Captain Schlüter grinste nur: „Warum? Um zu sehen, was in euch steckt. Die Ausbildung ist das eine. Aber ich will nicht erst im Einsatz wissen, was ihr drauf habt. Glaubst du, DRAUSSEN ist es leichter?“
„Aber in der Ausbildung...“
„Hast du schon mal von den ‚Vierzehn Kreisen der Verdammnis‘ gehört?“
„Nein. Was ist das?“
„Das ist ein Spezialtraining. Vierzehn Tage Guayana bei der Fremdenlegion. Die Legion hat ihren Stammsitz in Siddi Bel Abbes, aber in Guayana absolviert sie ihr Dschungeltraining. Diese Spezialausbildung bekommen neben der Legion nur die Besten von Army und Marinekorps. Es ist eine Ehre – und die Hölle auf Erden. Glaub mir, ihr habt es gut.“
„Waren Sie dort, Ma‘m?“
„Allerdings. Dein Master Sergeant nebenbei auch. Er hat ziemlich gut aufgepaßt, nicht wahr?“
Jean antwortete nicht, aber ihre Gefühle mußten deutlich zu sehen sein, denn Schlüter grinste: „Ich mag ihn auch nicht. Aber er hat seinen Wert. Un du hast Glück. Schiermer ist immerhin Legionär ehrenhalber. Dieses Training und der Einsatz auf Pandora... Vielleicht erzählt er euch mal davon.“
Momentan stand Jean der Sinn bestimmt nicht danach. Aber eine Frage hatte sie noch, auch wenn sie am liebsten wieder eingeschlafen wäre: „Wie wurde ich bewertet?“
„Nun, du bist zusammengebrochen. Aber du hast eben auch weitergemacht, bis du zusammengeklappt bist. Also keine Angst, du kommst mit zum Akarii-Schlachten. Das wolltest du doch wissen? Zufrieden?“
Um Jean verschwamm die Welt schon wieder, aber die letzten Worte Captain Schlüters bekam sie noch mit: „Aber es wird nicht immer jemanden geben, der dich über die Zielgerade schleppt.“
***
* "Schlappohren" ist eigentlich ein Slangausdruck der Fremdenlegion, für Soldaten, die nicht zur Legion gehören. Der Begriff wurde etwas ausgeweitet - heute meint man damit häufig unerfahrene "zu weiche" Soldaten.
Tyr Svenson
Der COLUMBIA-Verband marschierte in Richtung Corsfield, auch wenn die meisten an Bord noch nicht einmal wußten, wohin sie unterwegs waren – außer, daß sie in den Krieg zogen. Für die meisten war dieses Gefühl allerdings inzwischen eine Sache der Gewohnheit, wie auch die schon paranoid zu nennende Geheimhaltung der TSN.
Für die Mannschaften bedeutete der Marsch der Flotte einen Wechsel aus Routine, Langeweile und alarmierter Kampfbereitschaft. Besonders die Piloten des Trägergeschwader und der Aufklärungsshuttles waren gefordert, um die Voraussicherung des Verbandes zu gewährleisten. Das bedeutete häufige Einsätze, stundenlange Aufklärungsflüge, bei denen allerdings in der Regel nicht mehr herauskam, als ein weiterer Eintrag im Flugbuch.
Dazu kamen Übungen, Lehrprogramme und so weiter – es blieb nur wenig Freizeit übrig. Angeblich war das Absicht, die Navy wollte so vermeiden, daß sich ihre „Frontkämpfer“, die „Erste Linie“, unnötige Gedanken über die Zukunft machte oder gar Dummheiten anstellten. Die meisten Piloten hatten jedenfalls das Gefühl, als hätte der Tag zu wenige Stunden.
Kano starrte stirnrunzelnd auf das Spielbrett vor ihm. Aber wie lange er auch überlegte – ihm fiel keine vernünftige Strategie ein, mit der er die verfahrene Situation retten konnte. Kurz blickte er auf. Seine Gegenüber, Helen, bot sicher einen erfreulicheren Anblick als das Schachbrett – aber sie würde ihm bestimmt nicht helfen. Genauer, sie war für sein Dilemma verantwortlich. Er konzentrierte sich wieder auf das Spielbrett, setzte schließlich einen Springer.
„Du spielst immer noch viel zu offensiv, wie oft habe ich dir das schon gesagt?“ Kalis Stimme war eindeutig amüsiert, während sie ihre Möglichkeiten abschätzte.
Kano zuckte mit den Schultern, er kannte seine Schwächen: „Ich weiß, ich weiß. Aber deswegen bin ich schließlich Jagdpilot geworden.“
„Bei den Typhoon klar – die Ersten in der Schlacht und so... Aber warum bist du dann bei den Nighthawk eingestiegen?“
„Immerhin, sie sind die zweitschnellsten Jäger der TSN. Und wo die Typhoons flankieren müssen, schlagen sie einfach ein Loch. Außerdem hat mir Darkness einen Platz angeboten – und ich kann weiter eine Rotte führen. Da konnte ich nicht nein sagen.“
„Na ja, vielleicht. So ein Angebot würde nur ein Schwachkopf ausschlagen. Außerdem, um von der Eisprinzessin als XO fortzukommen, würde ICH auch auf Mustangs umsteigen.“
Kano ignorierte die Stichelei gegen seine frühere Rottenkameradin weitestgehend – aus irgendeinem ihm unerfindlichen Grund konnten sich Lilja und Kali nicht ausstehen: „Und dafür Darkness als Staffelchef bekommen? Du warst in seiner Staffel – das meinst du doch nicht ernst!“
Kali grinste, fast wehmütig: „Er hat uns ziemlich geschliffen, stimmt schon. Aber er ist auch der zweitbeste Pilot im Geschwader. Mit ihm konntest du immer sicher sein, er bringt die Einheit sicher nach Hause. Der ‚Alte‘...“, damit meinte sie Commander Cunningham, „..ist ein toller Pilot. Und taktisch hat er echt was drauf. Aber wenn es sein Auftrag ist, dann jagt er uns in die Hölle.“
„Und Radio?“ Der spöttische Ton, mit dem Kano die Frage stellte, beantwortete seine Frage schon halb. Kali schnaubte vernehmlich: „Ach, Radio... Na ja, momentan scheint er sich ja Mühe zu geben. Aber ehrlich gesagt... Wenn du bei der SAS warst, ist die Nationalgarde ein ziemlich lascher Haufen. Du verstehst? Und er hat wohl genug damit zu tun, selber heil nach Hause zu kommen, als auf andere aufzupassen. Falls es für ihn andere Menschen überhaupt gibt. Außerdem glaube ich, er und der ‚Alte‘ sind sich aus irgendeinem Grund nicht unbedingt grün.“ Dann schob sie einen Bauern vor und lächelte Kano fast raubtierhaft an: „Du bist dran. Wenn du nicht aufgeben willst.“
Kano überdachte seine Alternativen und schüttelte dann den Kopf: „Niemals aufgeben, niemals kapitulieren.“
Das war das Motto der „Starfighters“, einer populären Trideo-Reihe, die angeblich von der TSN gesponsert wurde und den Dienst bei den Raumjägern in einem – vollkommen imaginären – Konflikt glorifizierte.
„Na das mußte wohl von dir kommen. Aber mir wäre es doch lieber, wenn auch das Drehbuch für unseren kleinen Krieg besser geschrieben worden wäre.“
Kano zuckte mit den Schultern, unbehaglich diesmal: „Wir tun, was wir können...“ Was hätte man schon sagen können? Es sah nicht gut aus für die Erdrepublik. Trotz aller Opfer, aller Anstrengungen. Manche meinten, diese Offensive würde das Ruder herumreißen. Aber die kampferprobten Veteranen von Troffen und Jollahran hatten da ihre Zweifel. Auch wenn sie wohl fast ausnahmslos bereit waren, sich auf den Feind zu stürzen und den Kampf bis zur Vernichtung auszutragen.
Kano verschob seinen letzten verbliebenen Turm. Er spielte auf Zeit, das wußte er. Mit eher bitterer Belustigung wurde er sich bewußt, daß dies auch für die Strategie der TSN galt.
Kali konterte seinen Zug fast sofort, dann lachte sie plötzlich schallend auf.
„So schlecht spiele ich nun wieder auch nicht...“
Kali schüttelte den Kopf: „Nein, das meine ich nicht. Ich habe mir überlegt, was unsere Klatschtante des Geschwaders verbreiten könnte, was wir gerade tun.“
Kano grinste jetzt auch: „Da Mantis jeden Augenblick vom Patrouillenflug kommen dürfte, wenig wahrscheinlich. Ich weiß ja nicht, was Radio für Vorstellungen hat...“
„Bei seinem einnehmenden und gewinnenden Wesen darf er bestimmt nicht wählerisch sein. Vielleicht tratscht er ja deshalb soviel – Ersatzbefriedigung.“
„Ich dachte, er hat genug Schwierigkeiten mit Noname. Und mit Skunk.“
„Merkwürdigerweise hat irgend jemand das Stinktier parfümiert. Zumindest gegenüber Cartmell geht dieses Stachelschwein regelrecht auf Kuschelkurs, jedenfalls wenn man bedenkt, was vorher üblich war.“
„Irgend jemand hat ihn doch vor ein paar Tagen verprügelt richtig? Vielleicht hat er deswegen...“
„Dieser ‚jemand‘ hat das Stinktier regelrecht durch den Fleischwolf gedreht. Und der Misthund rauft sonst mit Marinesoldaten. Das war bestimmt nicht nur einer. Aber vielleicht haben sie ja Skunks Birne so weichgeklopft, das er jetzt soft wird.“
Kano schüttelte leise lachend den Kopf: „Ich verstehe das nicht. Wo Skunk doch so ein warmes und offenes Wesen hat! Aber wie macht sich eigentlich Cartmell?“
Kali zuckte mit den Schultern und verzog kurz den Mund. Der einzelgängerische Ensign war und blieb ein Fremdkörper in der Roten Staffel. „Ich weiß nicht. Fliegermäßig hat er einiges auf dem Kasten. Auch wenn er natürlich lange keine Flugpraxis hatte...“, sie stockte kurz, verzog den Mund noch etwas mehr, als würde sie auf etwas Bitterem herumkauen, „..auch wenn ich mich frage, WIE lange er keine Kampferfahrung hatte. Das ist ja das Problem an diesem ganzen Mist. Aber auf jeden Fall, er kapselt sich ab und spielt den einsamen Fremden. Es gibt sowieso kaum jemanden, der einem Piloten mit so einer Vorgeschichte eine Chance geben würde – und er verprellt alle, die es dennoch versuchen. O. K. , wir sind vielleicht nicht immer fair gewesen und VIELLEICHT ist er tatsächlich kein Pirat – aber er sollte nicht so im Glanz seiner Unschuld übers Wasser wandeln und den Anderen ins Gesicht spucken. Jetzt jedenfalls kocht die Gerüchteküche über. Du kennst das ja. Aber dafür kann er sich ja auch teilweise bei sich selbst bedanken.“
Kano zuckte mit den Schultern. Auch er hatte Cartmell kennengelernt und glaubte ihn einschätzen zu können: „Er sieht nicht ein, daß sein Hiersein eine Möglichkeit ist, sich reinzuwaschen. Ich glaube, er erkennt nicht mal die Chance zur Rehabilitierung, zur Abtragung seiner Schuld – immerhin hat er nicht wegen dieser Sache mit den Piraten im Gefängnis gesessen, ob er nun Pirat war oder nicht.“
Kali kannte Kano’s Ansichten über Pflicht und Ehre inzwischen gut genug, so daß sie dieses Statement nicht überraschte. In manchen Punkten waren Kanos Auffassungen wirklich etwas archaisch. Aber so war er halt.
„Nun, er wird irgendwie klarkommen müssen. Und wenn er sich im Kampf bewährt – vielleicht wird dann das Klima etwas besser. Und er wäre komplett verblödet, wenn er dann weiter rumzickt. Andernfalls...“ und sie gab ihrer Stimme gewollt einen nicht ganz ernst gemeinten, zynischen Klang: „...kann er auf der anderen Seite oder bei den Akarii rumtrotzen. Du bist dran.“ ‚Die andere Seite‘ war ein Slangausdruck der Raumfahrer für den Tod.
Kano brauchte einige Zeit, bis er sich zu einem Zug entscheiden konnte. Er saß in der Falle – das sah er schon an Kalis Lächeln.
Hinter ihm ging die Tür auf. First Lieutenant Nicole „Mantis“ Shaw war nicht besonders überrascht, Kano zu sehen. Sie trug immer noch den Pilotenanzug, kam also unmittelbar aus ihrer Maschine: „Na, das war’s wohl mit deinem Besuch, Ohka. Ich will diesen verdammten Anzug loswerden – und das soll keine verfluchte Stripshow werden.“
Kano drehte sich zu ihr um: „Wie war der Einsatz?“
„Stinklangweilig. Nicht mal ein Asteroid da draußen. Einfach zum Kotzen. Und, habt ihr hübsch gespielt, Kinderchen?“
„Allerdings.“ Das war Kali. Sie schob wieder ihre Dame: „Schach Matt, Kano.“
Tyr Svenson
Wiedersehen mit Lydia
Donovan hechtete schnellen Schrittes eine der Treppen in der COLUMBIA empor. In einer halben Stunde hatte er Dienst und er wollte sich seine langsam und einigermaßen normalisierende Beziehung zu seinem Wingleader nicht dadurch versauen, dass er zu spät kam.
Es herrschte gespannte Hektik an Bord, es war gerade Schichtwechsel und sie bewegten sich gerade immer tiefer in Feindesland. Es hatte sogar schon einen ersten Zwischenfall gegeben als ein paar Nighthawks auf einen Akarii-Frachter getroffen waren und ihn erledigt hatten. Von den meisten an Bord war das als ein gutes Omen gewertet worden, auch Donovan das Gefühl nicht los wurde, dass das sicher noch gar nichts im Vergleich dazu war, was noch vor Ihnen lag.
Und so wimmelte es gerade förmlich auf den Stufen und Donovan musste immer wieder anderen Besatzungsmitgliedern ausweichen. Manchmal klappte das, manchmal rasselte man zusammen. Dann gab es in der Regel eine kurz gegrunzte Entschuldigung und weiter gings. Nichts was einen aus normalerweise aus der Bahn warf.
Normalerweise.
Doch die Nächste dieser Zusammenstösse gehörte nicht in diese Kategorie. Nicht wenn die dazugehörige Person einem vor nicht allzu langer Zeit vor einem nicht unerheblichen Teil der Mannschaft eine saftige Ohrfeige verpasst hatte.
Als Donovan realisierte, wenn er da unwissentlich und unbeabsichtigt angerempelt hatte, blieb er wie angewurzelt stehen. Er hatte damit Lydia wieder zu sehen. Ein Träger wie die COLUMBIA war zwar wie eine kleine Stadt und wenn man es darauf anlegte, so konnte man sich wochenlang aus dem Weg gehen, wenn man nicht zufällig in derselben Staffel war. Aber trotzdem konnte man nicht vollständig verhindern sich über den Weg zu laufen.
Sie schien ebenfalls geschockt zu sein und rührte sich nicht vom Fleck. Ihre goldgesprenkelten blauen Augen zeigten erst Überraschung und wurden sehr schnell zu Schlitzen, ihr kleiner Mund verzog sich zu einem schmalen Strich.
Ein, zwei Augenblicke standen sie sich wortlos gegenüber, dann zischte sie ihn an: „Na, willst Du nicht nach deinem ELCom* rufen, damit er dich vor mir beschützen kann?“
Cartmell runzelte irritiert die Stirn. „Von was zur Hölle redest du da?“
„Radio“ fauchte sie zurück. „Er hat mir mit Militärgericht gedroht, wenn ich dich nochmal anfasse! Na los, lauf rüber und petz´ auch diesen Rempler.“ Sie klang äußerst gehässig und herblassend und jetzt war Donovan vollkommen perplex. Radio hatte ihn in Schutz genommen? Vor dieser Furie?
„Ich habe ihm kein Wort gesagt!“ und senkte kopfschüttelnd seinen Blick, nur um Ihn gleich wieder zu heben. Da sie auf der Treppe zwei Stufen über ihm stand, hatte er unbeabsichtigt auf ihre Brüste gestarrt, die sich zwar züchtig eingepackt doch trotzdem deutlich erkennbar unter ihrem Overall abzeichneten.
„Ach ja? Und das soll ich dir glauben?“ Ihre Stimme wurde lauter und die ersten Raummatrosen, Marines und Piloten drehten sich fragend auf der Treppe zu Ihnen um. „Du hast mich getäuscht und mir vorgemacht, du seist ein netter Kerl. Wenn Du mir gesagt hättest…“Sie konnte den Satz nicht zu Ende führen, da ein hinter ihr stehender 1st Lieutenant sie brüsk unterbrach. „Treppe freimachen, turtelt gefälligst woanders!“
Und tatsächlich bemerkte Donovan, dass Sie einen kleinen Stau verursacht hatten. Lydia schaute kurz zur Seite, in einen relativ leeren Nebengang und ging voraus. Donovan folgte ihr und als sie sich umdrehte und ihn aus wütend funkelnden Augen anblickte, ergriff er die Initiative und antwortete, bevor Sie das tun konnte.
„Was hätte ich denn sagen sollen, häh?“ Jetzt war auch Donovan wütend geworden und obwohl er sich eigentlich nicht mit Lydia streiten wollte, spürte er Ärger in ihm hochsteigen. „Hätte ich unser Gespräch etwa gleich beginnen sollen mit: „Hi, ich bin Donovan. Und ach ja übrigens ich bin der Pilot, den hier alle für einen Piraten halten.“?“
„Ja! Ich meine, vielleicht!? Ich meine zumindest wäre es mir gegenüber fair gewesen.“
„Fair? So fair wie zu Dir, war ich bisher zu niemandem auf diesem Schiff.“ Donovan schnaubte laut, sein Gesicht nur noch eine zornige Maske. „Du bist die einzige, die mich so kennen gelernt hat, wie ich wirklich bin. Ich dachte, du bist vielleicht anders als all die anderen, die nur glauben, was Ihnen die Gerüchteküche sagt. Aber da habe ich mich wohl doch geirrt.“
Und ohne auf eine Erwiederung Ihrerseits zu warten, ging er rechts an Ihr vorbei und reihte sich wieder in den Strom der Treppengänger ein, die sich weiter treppauf treppab bewegten.
Nur kurz spielte er mit dem Gedanken, sich umzudrehen, zurück zugehen und sich für seine schroffe Art zu entschuldigen. Doch was sollte es denn auch schon bringen?
Wenn Sie lieber den Gerüchten ihrer Kameraden glauben schenkte und wenn sie Ihn nicht mehr sehen wollte, weil sie die möglichen Konsequenzen für sich selbst fürchtete, dann war es schliesslich besser so.
Schnellen Schrittes hechtete er die Treppe hoch und damit weg von der Rafale-Navigatorin und kurz darauf war er wieder so in seine Arbeit versunken, dass er sie fast komplett vergessen hatte.
****
Und damit sah er nicht Ihren verwirrten Blick.
Auch wenn Sie es sich selbst nicht eingestehen wollte, so hatten Donovans Worte Sie irgendwie ins Grübeln gebracht.
Er hatte ehrlich und aufrichtig geklungen, nicht nur eben gerade sondern auch an ihrem gemeinsamen Abend. Und wenn man es genau nahm, hatte er sie tatsächlich nicht belogen.
Doch er hatte es ihr verschwiegen! Er hatte verschiegen, wer er wirklich. Und ausserdem, konnte Sie sich bei ihm denn überhaupt sicher sein? Wenn er der war, für den ihn mindestens zwei Drittel des Schiffes hielten, konnte er Ihr sicher einiges vorspielen. Und er hatte nie dementiert, dass er nicht der Black Buccaneer gewesen war. Warum nicht? Vielleicht weil es stimmte?
Nein, Lydia durfte ihn nicht an sich heran lassen! Was er getan hatte war unverzeihlich. Sie musste ihn einfach hassen. Er hatte die Navy verraten, er hatte die Seiten gewechselt, er war ein Pirat geworden. Und das war etwas, was Sie nicht verzeihen konnte, auch wenn Sie sich vielleicht auf den ersten Blick von ihm hatte täuschen lassen.
Doch das würde Ihr nicht noch einmal passieren.
***
* ELCom = Slangausdruck für Lieutenant Commander
Tyr Svenson
Die Brücke der ONTARIO, Zerstörer der Norfolk-Klasse
Orbit um Barcelona, Im Anflug auf Fort GIBRALTAR
Langsam glitt die ONTARIO auf den letzten Kilometern auf Fort GIBRALTAR zu. Die Crew des Zerstörers arbeitete ruhig und konzentriert, trotz des routinemässigen Andockvorgangs.
Oder gerade deswegen?
Wer an Bord eines Schiffes Dienst tat, das von Captain Vijadh „Terrific“ Singh kommandiert wurde, lernte schnell, dass es so etwas wie Routine nicht gab. Es wäre nicht das erste Mal, das der Captain auf die Idee käme mitten im Andockmanöver eine Einsatzübung abzuhalten. Und wer da nachlässig war und sich einen Fehler leistete, konnte sicher sein einen entsprechenden Vermerk in seinen Akten wieder zu finden.
Captain Singh schaute seiner Crew bei Ihrer Arbeit zu. Nicht dass seine Anwesenheit auf der Brücke zum jetzigen Zeitpunkt unbedingt von Nöten gewesen wäre. Er ließ seinen Blick über seine Mannschaft streichen, doch alle waren in ihre Arbeit vertieft und konzentrierten sich auf den Andockvorgang. Keiner schaute hoch, alle mieden seinen Blick und Singh war sich seiner Wirkung auf die Crew durchaus bewußt. Mehr noch, er genoß die professionelle Nervosität, die seine Anwesenheit auf der Brücke auslöste.
Er wußte, er wirkte irgendwie bedrohlich auf den Großteil seiner Leute. Und das lag an zwei Umständen: An seinem Aussehen und an seinem Führungsstil.
Sein Aussehen war geprägt von Düsterheit. Seine dunkle Hautfarbe absorbierte förmlich das schwache Bereitschaftslicht der Brücke, seine Augen, die in den letzten 58 Jahren seines bisherigen Lebens schon eine Menge gesehen hatten, waren so schwarz, dass sich die Iris kaum von der Pupille unterscheiden liess. Sein dunkler Teint wurde durch einen dichten, aber sorgfältig gepflegten schwarzen Vollbart verstärkt, seine Augenbrauen wirkten ebenso buschig und undurchdringlich dicht. Und um seiner ganzen düsteren Erscheinung die Krone aufzusetzen trug er um seinen Kopf einen pechschwarzen, schmucklosen Turban.
Aus Respekt vor seinen Leistungen als Kommandant und aus Rücksicht gegenüber den Gepflogenheiten und Traditionen seines Ursprungslandes hatte man ihm schon vor langer Zeit dieses Extra gewährt. Und jetzt verstärkte es sein außergewöhnliches Äußeres noch zusätzlich.
Doch neben seinem Aussehen führte auch sein Verhalten als Kapitän zu einer gewissen ehrfürchtigen Disanz seiner Crew. Einer Distanz, die Vijadh Singh durchaus schätzte. Er war kein Kapitän, der sich mit seinen Untergebenen anfreundete oder gar einen Ersatzvater spielte. Vielmehr gehörte er zu den Kapitänen, die von sich behaupteten ein hartes aber faires Regiment zu führen. Freunde machte er sich auf diese Weise an Bord keine, dessen war er sich bewußt. Doch das scherte ihn nicht nicht.
Nicht mehr.
Im Laufe der Jahre hatte er so gut wie alle Freunde verloren, und das waren seit jeher nicht viele gewesen. Sei es, das sie gefallen waren oder sei es das Sie aus der Navy ausgetreten waren und er sie schliesslich aus den Augen verloren hatte. Auch seine deutlich jüngere Frau hatte sich schon vor Jahren von ihm abgewandt, seine beiden fast schon erwachsenen Kinder waren ihm ebenso fremd wie er Ihnen.
Alles was er hatte war sein Beruf. Nein, es war viel mehr als das, es war seine Berufung. Und somit war das alles, was ihm geblieben war und damit alles, für das er lebte.
Singh gehörte zu den Offizieren des alten Schlages, die viel von Ihren Männern forderten und die die Mannschaft bisweilen bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit beanspruchten. Wer seinen Befehlen nicht bedingungslose Folge leistete, wer nicht wie er Wert auf Ordnung und Disziplin legte oder seinen Anforderungen nicht ausreichend genügte, hatte es schwer unter seinem Kommando. Die wenigen aber, die es schafften durch Einsatzwillen und Leistung sich seinen Respekt zu erarbeiten, konnten sich einer exzellenten Beurteilung sicher sein.
Und das hatte schon so manchem Flottenoffizier zu seiner Karriere verholfen.
Es gab nicht viele Schiffskommandanten, die in seinem Alter noch aktiv das Kommando über ein Kriegsschiff der Navy führten und gleichzeitig über fast 40 Jahre an Erfahrung verfügten.
Er hatte im Laufe seiner langen Karriere als Kapitän schon Strafexpeditionen gegen die Grenzwelt-Piraten geführt, war an diversen Friedenssichernden Einsätzen beteiligt gewesen und hatte im kalten Krieg schon Erfahrungen gegen die Akarii gesammelt.
Er hatte sich an Bord der TERRIFIC – einem schweren Kreuzer der Ticonderoga-Klasse – bis zum 1. Offizier hochgearbeitet und dann den Perisher bestanden. Das Schicksal hatte ihn dann nach ein paar Lehrjahren als Kapitän auf kleineren Schiffen wieder zur TERRIFIC zurückgeführt, wo er seinen früheren Skipper beerbt hatte. In den dann folgenden 25 Jahren hatte das Kommando über dieses stolze Schiff nicht mehr aus der Hand gegeben. Er war quasi mit dem Schiff verschmolzen, so sehr, dass man irgendwann begonnen hatte ihn nach seinem Schiff zu nennen.
Und dann war Mantikor gekommen.
Die TERRIFIC war bei dem Versuch die MOSKAU zu schützen zerstört worden. Singh hatte körperlich unverletzt überlebt, aber natürlich hatte ihn der Verlust seines Schiffes hart getroffen.
Sie hatten danach versucht, ihm einen Schreibtischposten im Admiralitätsstab schmackhaft zu machen und sich ihn vom aktiven Dienst fernzuhalten. Aber dazu war er schlicht und einfach nicht geeignet. Zuviel Politik, zuviele Machtkämpfe. Er hatte diesen Dampfer schon vor langer Zeit verpasst.
Es gab nur zwei Möglichkeiten für ihn: Sich zur Ruhe zu setzen oder bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder ein Kommando zu übernehmen. In Friedenszeiten wäre seine Entscheidung vorprogrammiert gewesen. Doch einen erfahrenen Kapitän mitten im Krieg gehen zu lassen, konnte sich die Navy nicht leisten.
Und somit hatte er vor drei Monaten das Kommando über die ONTARIO übernommen. Nicht ganz so groß und schlagkräftig wie die TERRIFIC aber doch ein solides Schiff mit einer guten, disziplinierten und lernbereiten Crew.
Die letzten drei Monate waren ereignislos geblieben, Eskortmissionen für große Konvois an die Front. Aber keinerlei Kampfeinsätze.
Und jetzt war diese neue Einsatzbefehl gekommen. Ein Einsatzbefehl, der Singh Kopfschmerzen bereitete.
Dabei war es nicht die Mission an sich, die ihm Sorgen bereitete. Der Sinn der Mission war offenkundig und es war durchaus ehrenvoll daran teilzunehmen.
Auch erfüllte es seine Brust mit Stolz, als er den Namen seines Schiffes als das Flaggschiff dieser kleinen aber feinen Einsatzgruppe gelesen hatte. Ganz leicht getrübt nur von der Tatsache, dass die Einsatzgruppe nach einem anderen der Schiffe, der MAGELLAN, benannt worden war. Doch er hatte das Kommando und das war die Hauptsache.
Einige seiner Offiziere hatten ihre Enttäuschung zum Ausdruck gebracht „nur“ an einer Mission fernab von der eigentlichen Front zu dienen. Doch Singh wußte, das die Front im Weltraum nicht so statisch war, wie es sich viele dachten. Spätestens seit den frühen terranischen Konflikten des 21ten und 22ten Jahrhunderts, als die globalen Kriege über keine Fronten im eigentlichen Sinne mehr verfügten, wußte man, dass die Front sich dort befand, wo gekämpft wurde. Und das konnte fast überall sein. Und im Zeiten der interstellaren Kriege hatte sich die Lage sogar verschlimmert.
Nein, diese Mission hatte nicht nur eine gesunde Basis, sie konnte sich sogar unter Umständen als äußerst wichtig erweisen.
Nicht dass Singh dieser Mission eine kriegsentscheidende Bedeutung beimaß. Dafür befand sie sich viel zu weit entfernt vom eigentlichen Zentrum des Geschehens. Aber es hatte schon früher kleinere Missionen gegeben, die sich im Nachhinein als ausschlaggebend entpuppt hatten.
Was ihm vielmehr Grund zur Sorge gab als die eigentlichen Missionsparameter, war die Zusammenstellung von Teilen der Eskorte für die MAGELLAN.
Die ONTARIO war das größte und stärkste Schiff des kleinen Verbandes. Neben seinem Zerstörer würden Sie noch von der MOUNTBATTON – einer Fregatte der Perry-Klasse – der AZINCOURT und der BUENOS AIRES – zwei Korvetten der Shogun-Klasse – sowie der DENVER und der ADMIRAL J. JERVIS – zwei Korvetten der Nelson-Klasse – begleitet werden. Hinzu kam noch die NORTHUMBRIA – ein zum Minenleger umgebauter Raumtransporter der Laboe-Klasse – und zwei weitere einfache Frachter, die zusätzliche Versorgungsgüter und Ausrüstungsgegenständegeladen hatten.
Sah man mal davon ab, dass das schon an und für sich keine sonderlich starke Eskorte war, hatte Singh nichts gegen diese Schiffe und ihre Kapitäne einzuwenden.
Es waren zwei andere Schiffe der Operationsgruppe, die sein Missfallen erregten. Da war zunächst einmal die GUADALCANAL, ein Hilfsflugzeugträger der Strike-Klasse. Natürlich wäre Singh ein richtiger Träger lieber gewesen, auch wenn es nur ein leichter gewesen wäre, aber so einer war nicht zu bekommen gewesen und daher mußte man eben nehmen, was man kriegte. Den Unterlagen nach zu urteilen, war das Schiff soweit in Ordnung, aber die darauf stationierte Schwadron „Dirty Bunch“ brachte seine mittlerweile tief zerfurchte Stirn zum Runzeln. Nicht nur dass diese erst kürzlich zusammengesetzt worden war und somit noch keinen gemeinsamen Kampfeinsatz zu Buche stehen hatte. Nein, mehr als die Hälfte der Mitglieder dieser verstärkten Schwadron waren das was man im Navy-Jargon „Faule Eier“ nannte. Ein disziplinloses Pack durchsetzt mit ehemaligen Strafgefangenen, geführt von einem Lt. Commander der ebenso wie seine Leute so gut wie unerfahren war, sah man von einigen Einsätzen gegen Piraten ab. Doch seit Mantikor wußte Singh, dass man schon aus anderem Holz geschnitzt sein mußte, um es im Raumkampf mit den Akarii aufnehmen zu können.
Sollten Sie in eine ernsthafte Konfrontation mit gegnerischen Jagd- und Bomberverbänden geraten, gab er dem „Dirty Bunch“ keine sonderlich große Chance.
Der zweite Aspekt, der ihn zum Grübeln brachte, war die Fregatte der Midway-Klasse die dem Magellan-Verband zugewiesen worden war. Singh hatte schon einiges von der KAZE gehört, ein ehemals ehrenvolles Schiff, doch seit einigen Jahren in Verruf geraten. Anscheinend hatte einer seiner früheren Kapitäne dabei versagt, für Disziplin und Ordnung zu sorgen, so dass sich die Crew bei jedem Landgang benahm wie eine Bande halbwüchsiger Piratenaffen auf Tortuga. Es hatte nicht lange gedauert, dass kein guter Kapitän, ob mit Erfahrung oder ohne, dieses Schiff übernehmen wollte.
Doch statt das Schlangennest auszuräuchern, sprich die Mannschaft auseinander zu pflücken und die einzelnen Mitglieder über so viele Schiffe wie möglich zu verteilen, hatte die Navy sich entschieden, das Schiff als eine Art Endstation für gestrandete Existenzen zu nutzen.
In Singh´s Augen die vollkommen falsche Entscheidung. Zumal irgendein Idiot im Flottenkommando auch noch clever genug gewesen war, dem Schiff wie bei der GUADALCANAL-Schwadron einen relativ jungen und unerfahrenen Kommandanten zu zuweisen. Gewisse Fehler passierten anscheinend systematisch. Und das dieser Schneider seine Leute offensichtlich nicht unter Kontrolle hatte, hatte sich unlängst auf Perseus Station gezeigt, wo annähernd die gesamte Crew in eine Massenschlägerei verwickelt worden war. Die gesamte Crew inklusive den Bordoffizieren, wie Singh gehört hatte. Wie es zu so etwas kommen konnte, war Singh unbegreiflich. Und wie es sein konnte, das dieses Schiff immer noch fliegen konnte war noch unbegreiflicher.
Singh hätte eher seine Leute selbst zur Anklage gebracht und damit lieber sein Schiff selbst aus dem Verkehr gezogen als mit so einer Crew fliegen zu müssen. Einer Crew, die sich nicht bewußt war, wie es sich zu benehmen hatte. Einer Crew, die anscheinend kein Problem damit hatte, mit Ihrem Verhalten den Ruf und das Ansehen seines Schiffes und damit auch die Karriere seines Kapitäns aufs Spiel zu setzen.
Singh hatte sich vorgenommen, die KAZE und diesen Justus Schneider besonders gut im Auge zu behalten.
„Ähemm, Sir?“
Singh erkannte das sowohl sein Erster als auch Zweiter Offizier neben ihm Stellung bezogen hatten und offensichtlich auf weitere Order warteten.
Was ihn aber viel mehr irriterte war, dass er so tief in seine Gedanken versunken war, dass er die beiden nicht gehört hatte. Wurde er etwa nachlässig?
Singh liess sich nichts anmerken und betrachtete die beiden Offiziere aus streng blickenden Augen. Selbst wenn Sie ihn in Gedanken versunken erwischt hatten, würden sie das nicht erkennen können.
„Status, Eins-O?“
Igor Maleetschev, sein Erster Offizier, nahm Haltung an und rasselte seinen Text routiniert herunter „Andockmanöver abgeschlossen. Alle Sektionen melden Bereitschaft und Status Grün, Sir.“ Wenn dem jungen Lieutenant Commander etwas aufgefallen war, so liess er es sich zumindest nicht anmerken.
„Gut“ Singh nickte und wandte sich an seinen Zweiten Offizier, einen mit seinen 28 Jahren noch – zumindest in Singh´s Augen – blutjungen Lieutenant Commander, der es anders als Maleetschev noch nicht geschafft hatte zu beweisen, dass er seinen Rang verdient hatte. „Mr. El-Habibi,“ das Zwei-O musste sich der junge Offizier noch verdienen, “kontaktieren Sie Commodore Helene Kruger, die derzeitige Kommandantin Fort GIBRALTAR`s. Richten Sie ihr aus, das ich mich freuen würde, wenn wir in nächster Zeit gemeinsam zu Abend essen können. „Und organisieren Sie ein Briefing mit den anderen Kapitänen, sobald wir vollzählig sind.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich wieder seinem Stellvertreter zu. „Eins-O, wo sind die anderen Schiffe der Einsatzgruppe?“
„Die DENVER, die J. JERVIS und die KAZE liegen hier bereits vor Anker, Sir. Die GUADALCANAL hält noch ein Manöver über dem dritten Mond von Barcelona ab und wird morgen zu uns stossen. Die übrigen Schiffe eskortieren die MAGELLAN und werden erst in ein paar Tagen eintreffen.“
„Gut“ Singh nickte zufrieden. „Geben Sie der Mannschaft rotationsweise Urlaub. Wir werden einige harte Wochen vor uns haben, wenn wir die Anker lichten. Die Mannschaft hat sich ein wenig Erholung vorher verdient. Aber sehen Sie zu, dass sie sich benehmen. Ich werde jeden der sich daneben benimmt hier auf GIBRALTAR bis zu unserer Rückkehr vermodern lassen. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Männer das wissen.“
„Aye, Sir“ antworteten beide zackig. Sie wußten, dass Singh damit nicht scherzte.
Tyr Svenson
Stille und Unendlichkeit. Hätte man diesen Anblick einfangen können, man hätte sofort vergessen, dass gerade die eine Seite des erforschten Weltraums versuchte die andere auszulöschen.
Die KI der Spionagesonde, die Lai Rian vor dem Hauptsprungpunkt von Perseus aussetzen ließ jedoch wusste diesen Augenblick nicht zu schätzen.
Warten. Die KI wartete. Wartete auf das nächste Anzeichen darauf, dass das große Schlachten bald vom neuen beginnen würde.
Warten in einem Meer der Ruhe.
Von einer Nanosekunde zur Anderen änderte sich das. Die Strahlungsdaten des Wurmloches stiegen an. Nur etwas. Ein einzelnes Schiff.
Die Sonde verifizierte den Zerstörer der Duquesne Class. Ein unbekanntes Modell, dennoch eindeutig Duquesne. Auch wenn die Akarii diesen Erdzerstörer anders nannten.
Die KI entschied die Daten zu speichern und sie später weiterzugeben, wenn eine Entdeckung unwahrscheinlich oder ausgeschlossen war.
Schlagartig wurde der Entscheidungssatz umgeschmissen, als die Strahlungsdaten des Wurmlochs beinahe die Skala sprengten.
Die Passiven Scanner der Sonde tasteten die angekommenen Schiffe ab. Es waren vier Flottentärger. Zweien davon konnte die Sonde Aufzeichnungen von Manticore zuordnen, die anderen beiden waren neuere und größere Modelle.
Daneben wurde noch 120 Begleitschiffe verzeichnet. Die KI entschied erneut innerhalb von Sekunden und fing an zu senden. Dieser Aufmarsch war zu wichtig um zu warten.
***
"Standort der Spionagesonde entdeckt Sir."
"Ausgezeichnet, Mr. Fowley", Lobte Commander Thomas Vedder - Captain das Duquesne-Class Zerstörers JEMEN - seinen Sensoroffizier. "Wenn Sie so freundlich wären die Daten an Ms. Kramers Station zu übermitteln."
"Aye, Sir."
"Ziel Aufgefasst. Raketenbatterie Nr. 1 klar zu feuern. Feuerleitlösung steht!"
"Feuer nach eigenem Ermessen!" Vedder richtete sein Basekapp, welches weder Eichenlauf noch das Schiffswappen der Jemen zierte, sondern der silberne Fünf-Punkt-Stern der Dallas Cowboys.
"Batterie Nr. 1, Raketen eins bis vier feuern in 3 ... 2 ... 1 ... Raketen abgefeuert und auf Zielanflug." Kramer Trommelte kurz mit den Fingern auf dem Pult rum. "Einschlag in ... 5 ... 4 ...3 ... 2 ... Volltreffer, Sonde wurde vernichtet. Wir haben mit Kanonen auf Spatzen geschossen."
"Eher auf einen Aasgeier", meinte Vedder und Griff zum Mikrophon, "1MC, hier spricht der Kommandant. Ladies und Gentlemen, ich beglückwünsche Sie zu der Kriegswichtigen Vernichtung von vier Tonnen Akarii-Technologie."
Er hängte ein. "XO: Sagen Sie den Eierköpfen, sie können die Geistertransmitter abschalten."
"Wird gemachtm Skipper."
Kurze Zeit später wurden die Geistertransmitter abgeschaltet und die Jemen war wieder allein im Sternensystem, doch das konnte die KI der Akarii nicht mehr weitergeben.
*******
Das letzte Wurmloch. Dahinter lag Corsfield.
Auf der Brücke der COLUMBIA herrschte reges Treiben. Als Bianca Wulff die Brücke betrat änderte auch der Ausruf "Achtung! Admiral an Deck!" nichts an der Geschäftigkeit der Brückenbesatzung und selbst wenn das schon automatisch auf den ersten Ausruf folgenden "Weitermachen!" ausgeblieben wäre hätte wohl niemand außer Waco Notiz von ihr genommen.
Wulff nickte ihrem Flaggkommandanten kurz zu und schlenderte über die Brücke. Waco wäre nicht ihre erste Wahl für einen Kommandanten gewesen, doch musste sie ihm zugestehen, dass er seine Besatzung in kürzester Zeit auf Vorkriegsniveau gebracht zu haben.
Auch musste sie zugestehen, dass er hinter seiner Maske um einiges mehr an das Musterbeispiel eines Captains heranreichte als sie selbst.
Er schien weder eine gute Tat oder einen Fehler seiner Männer zu übersehen und honorierte beiden dementsprechend. Ebenso mischte er sich nur, wenn absolut nötig in die Aufgaben seiner Offiziere ein, beobachtete dieses jedoch kritisch.
"Captain, LSO meldet, die letzte Jäger an Bord."
Waco nickte dem Ensign der die Meldung überbracht hat zu und wandte sich mit fragenden Blick an Wulff.
"An alle Schiffe: Flotte in Gefechtsformation! Alle Mann auf Gefechtsstation! Sprung vorbereiten!"
"Signaloffizier: Sie haben es gehört." Gab Waco weiter.
"Aye, Sir!"
Kaum das der Funkspruch draußen war dröhnten auf der COLUMBIA die Alarmsirenen. Rote Lichter fingen an zu Blinken.
Die gut geölte Kriegsmaschinerie nahm ihre Arbeit auf.
Ein Teil der Mannschaft wurde aus den Kojen gescheucht. Die Männer und Frauen der TRS COLUMBIA hechteten zu ihren Gefechtsstationen.
Die Lasergeschütztürme wurden besetzt.
Die Raketenwerfer wurden geladen
Druckschotten wurden geschlossen.
Zwei aufmunitinierte Typhoon wurden von den gelben Rangiertraktoren auf die Katapulte eins und zwei rangiert. Die Katapulte drei und vier wurden mit Nighthawks besetzt.
In die Wartepositionen für den zweiten Start standen wieder zwei Typhoone und zwei Phantome. Die restlichen Piloten sammelten sich in den Warteräumen.
Auf der Brücke gingen die Bereitschaftsmeldungen ein:
"Feuerleitstand 1: Oberdecksartillerie bereit."
"Feuerleitstand 3: ASM bereit."
"Feuerleitstand 2: Unterdecksartillerei bereit."
"Feuerleitstand 4: SSM bereit."
"Feuerleitstand 5: Nabereichsabwehr bereit."
"Schilde auf volle Kraft!"
"Maschinenraum auf Gefechtsstation. Maschinen sprungbereit!"
"CIC auf Gefechtsstation."
"Flugdeck auf Gefechtsstation und operationsbereit!"
Wulff und Waco nahmen die Meldungen gleichmütig hin.
"Flotte ist in Gefechtsformation", meldete schließlich der Signaloffizier.
"Steuermann übergeben sie Sprungkoordinaten an den Signaloffizier. Signaloffizier: Sprungkoordinaten an die Flotte übertragen. Flotte für Massentransit vorbereiten." Wulff stützte sich auf den Kartentisch.
"Dann wollen wir mal."
"Flotte in Bereitschaft." Meldete der Signaloffizier.
"Massentransit einleiten!"
Auf den 32 Schiffen der COLUMBIA-Kampfgruppe begannen die Spulen des Garrison-Sprungantriebs zu glühen. Kobaldschwarze Gebilde färbten sich kristallblau. Pulsierten und gaben sagenhafte Energie ab.
Am Sprungpunkt wurde das Raum-Zeit-Kontinuum aufgerissen. Ein Wurmloch öffnete sich. Für das menschliche Auge nicht sichtbar. Von den Computern nur durch eine Strahlungsmessung zu erfassen.
Die Flotte beschleunigte hinein.
Für über 30.000 Männder und Frauen dehnte sich das Universum für einen Augenblick ins unendliche aus, während es sich gleichzeitig scheinbar zusammenfaltete.
Dann war es vorbei. Die Flotte war in Corsfield.
"Start frei für die Jäger. Die Flotte bleibt in Alarmbereitschaft zwo." Waco überflog die Computeranzeigen.
"Captain: Bringen Sie die Flotte in die befohlene Position und dann warten wir. Der CAG soll für ausreichende Raumaufklärung sorgen." Wulff verließ die Brücke.
Tyr Svenson
Einige Stunden später
Der Verband hing jetzt fast bewegungslos in der unendlichen Schwärze des Raumes und wartete, eine gewaltige Ansammlung von Kreuzern, Zerstörern, Fregatten und Korvetten. Der COLUMBIA-Trägerverband war nicht zu vergleichen mit einer der kleineren Kampfgruppen der Operation Husar. Hier war weit mehr Feuerkraft versammelt. Hier stand weitaus mehr auf dem Spiel...
Entsprechend waren die Sicherheitsmaßnahmen, vor allem, da man sich momentan im „Niemandsland“ befand und das Auftauchen feindlicher Einheiten jederzeit möglich schien. Während die ersten Erkunder tiefer in das System vorstießen, hatten sich die Schiffe eine Defensivformation gebildet. Den äußersten Sicherheitsring übernahmen Patrouillen von Langstreckenjägern, Nighthawk oder Phantome mit Zusatztanks und Aufklärungspods. Die Flugrouten der einzelnen Wings überschnitten sich und sorgten so für optimalen Schutz. Dazu als „zweite Linie“ Aufklärungshuttles, deren passive und aktive Sensoren alles auffangen sollten, was den Piloten vielleicht entging. Dann kamen die „Feger“ – Korvetten und Fregatten, die vor, hinter und an den Seiten der Flotte standen, in äußerster Alarmbereitschaft.
Dann erst folgte die innere Sicherung von Kreuzern und kleineren Kriegsschiffen. Und hinter diesem Schutzgürtel kam der Träger, das eigentliche Herz der Operation. Zu jeder Zeit während des Anmarsches auf Corsfield waren mindestens drei Staffeln einsatzbereit gewesen – darunter auf jeden Fall eine Schwadron Bomber oder Jagdbomber mit atomaren Schiff-Schiff-Raketen. In dieser gigantischen Militär- und Vernichtungsmaschinerie war ein einzelner Jäger nur ein Rädchen im Getriebe.
Die beiden Nighthawks verloren sich beinahe zwischen den riesigen Kampfraumern, die die im Vergleich zu ihnen fragilen Jäger zu erdrücken schienen. Aber dies war nicht der erste Einsatzflug von Ohka und Crusader und nicht einmal Crusader, der noch keinen Kampfeinsatz erlebt hatte, ließ sich davon aus der Ruhe bringen. Eine spürbare Anspannung würde sich erst bemerkbar machen, wenn sie am Rande des Verbandes angekommen waren. Aber selbst dort, das hatte Crusader zu seinem Verdruß feststellen müssen, erwartete sie nichts als Langeweile und Monotonie – bei keinem der bisherigen Einsätze war etwas passiert. Crusader hatte seine Enttäuschung über diese Eintönigkeit einmal gegenüber Kano erwähnt – und der hatte leicht grinsend erzählt, daß er in dem halben Jahr Kriegseinsatz und den etwa einhundert Einsatzflügen nur einmal bei einer Patrouillenmission Feindkontakt gehabt hatte. Aber wie damals war der heutige Flug etwas Besonderes. Corsfield war die letzte wichtigste Station vor dem Ziel ihres Einsatzes, so viel war inzwischen durchgesickert. Wohin es danach genau gehen würde, darüber schwiegen sich die Offiziere zwar noch aus. Aber schon diese Information reichte, um der Erkundung des Coirfield-System mehr Bedeutung zu verleihen.
Kanos Jäger war bis zur Grenze seiner Tragfähigkeit beladen. Die Maschine trug die sperrigen Aufklärungspods, schwere Zusatztanks und zusätzlich sechs Raketen: zwei Phönix-Langstrecken-, zwei Amraam-Mittelstrecken- und zwei Sidewinder-Kurzstreckenraketen. Diese Last verlangte bei Start und Landung höchste Präzision und Fingerspitzengefühl. In solchen Augenblicken vermißte Kano die Leichtigkeit und Agilität der Typhoon. Da er nun einmal erheblich mehr Flugerfahrung als Crusader besaß und seine Trefferquote mit den Raketen nicht besonders gut war, war er das „Auge“ des Wings. Crusader war die „Faust“ – außer den Zusatztanks war seine Nighthawk mit vier Phönix, zwei Sidewinder und zwei Amraams ausgerüstet. Das gab ihm mehr Feuerkraft, vor allem auf große Entfernungen.
Während Kano die Funktion der Aufklärungspods überprüfte, ertappte er sich dabei, sich nach der REDEMPTION zurückzusehnen. Der Träger war veraltet und unterbewaffnet gewesen, die Quartiere klein – aber die Operation Husar und ein Kapitän wie Commodore Jefferson B. Clark hatten den Piloten erhebliche Freiräume und Eigenkompetenzen ermöglicht. Davon war jetzt nicht mehr viel zu spüren. Außerdem gab es da Gerüchte über gewisse Differenzen zwischen dem Geschwaderchef und dem neuen Kapitän James Waco...
Immerhin, Crusader und Kano hatten sich inzwischen ganz gut aneinander angepaßt. Und Crusader hatte hervorragende Anlagen, eine Begabung fürs Fliegen, die man nicht antrainieren, nur fördern konnte.
Als die beiden Jäger den letzten „Außenfeger“ des Verbandes, eine Fregatte, hinter sich ließen, schloß Crusader dichter zu seinem Rottenführer auf. Wieder besseren Wissens fühlte Crusader ein gewisses Gefühl der Erwartung in sich aufsteigen, obwohl er annahm, daß sie wohl wieder nur ein stundenlanger, ereignisloser Flug erwartete…
Es war nicht unbedingt üblich, die Außenpatrouillen eines Trägers mit Aufklärungspods zu bestücken. Zum einen war der Bestand dieser empfindlichen Geräte selten ausreichend, um eine größere Zahl an Jägern damit auszustatten. Außerdem erschwerten sie das Manövrieren im Kampf und minderten die Zuladungsfähigkeit. Aber der COLUMBIA-Verband war bestens ausgerüstet – und man wollte absolut kein Risiko eingehen, daß der Verband vom Feind geortet wurde. Das minderte zwar die Schlagkraft der Patrouillen im Kampf, aber theoretisch sollten die Jäger ja jeden Feind rechtzeitig bemerken, um adäquate Maßnahmen einzuleiten oder anzufordern.
Endlich hatten die Jäger den äußersten Rand der Flotte erreicht. Von hier aus waren die Großkampfschiffe des Verbandes kaum mehr zu erkennen, nur noch das Radar verriet den Piloten ihre Position.
Kano brachte seine Maschine auf den Kurs, dem sie die nächsten Stunden folgen sollte. Er ließ seinen Kopf kreisen, so gut es in dem schweren Raumhelm ging. Egal was die Wartungscrews und die Konstrukteure behaupteten – die stundenlangen Patrouillenflüge ließen bei den Piloten Nackenschmerzen und steife Hälse zu einer fast chronischen Krankheit werden. Während des Einsatzfluges mußte die Kommunikation zwischen den Maschinen auf Dienstliches beschränkt bleiben – und jede andere ablenkende Aktivität war selbstverständlich strengstens verboten. Wenn die Piloten bei den mehrstündigen, eintönigen Patrouillen etwas lernten, dann war das Geduld. Kano lehnte sich zurück und versuchte es sich so bequem wie möglich zu machen. Auch wenn Corsfield ein System im „Niemandsland“ war, hier gab es nach den Informationen der TSN kein intelligentes Leben und nichts, was für Menschen oder Akarii von Interesse sein konnte…
***
Drei Stunden später
Mehr als die Hälfte des Patrouillefluges war genauso ereignislos verstrichen, wie in den vergangenen Tagen, als ein leiser Warnton Kano alarmierte, ja ihn förmlich hochriß. Das konnte doch nicht sein?!
Kano justierte fieberhaft die Radaranzeige neu – aber das Signal blieb. Am äußersten Rande des Schirms, nur zur Hälfte in der Erfassung, blinkte schwach ein einzelner Punkt. Ein plötzlicher Adrenalinschub vertrieb die letzten Reste von Müdigkeit. „Crusader! Kontakt!“ Dann öffnete Kano den Komkanal zum Einsatzoffizier an Bord der COLUMBIA: „Achtung, Achtung – hier Ohka, Außenpatrouille Vier! Ich melde...“
„Wiederhole, einkommendes Signal Zwanzig-Vierunddreißig-Sechzig. Sensordaten folgen!“ Der Funkoffizier an Bord der COLUMBIA war mindestens ebenso aufgeregt wie die Piloten, ließ sich aber nichts anmerken, als er die gesendeten Daten mit betont ruhiger Stimme an den befehlshabenden Offizier auf der Brücke weitergab. Zur Zeit war das Captain James Waco. Rearadmirälin Wulff hatte sich in ihr Quartier begeben, als deutlich wurde, dass zumindestens in näherer Umgebung der Flotte keine Gefahr zu bestehen schien. Sie vertraute auf Captain Wacos Kompetenz und sah keinen Grund dafür, durch ihre weitere Anwesenheit eventuell sogar Zweifel an seinen Fähigkeiten in dieser Routinesituation anzudeuten. Jetzt musste Waco einen Fluch unterdrücken. Bei dem ganzen Einsatz ging es schließlich darum, möglichst unbemerkt das Ziel zu erreichen. Das Corsfield-System sollte eigentlich – außer dem TSN-Verband – nicht mehr Leben als ein Komet enthalten. Ein einziger Feindkontakt konnte die ganze Flottenoperation zum Scheitern verurteilen.
„Analyse? Was ist da draußen?“
Einer der Auswertungsoffiziere blickte auf: „Das Signal ist sehr schwach. Wir sind nicht ganz sicher...“
„Ich möchte nur ungern warten, bis die Piloten den Namen des Schiffes mit bloßem Auge erkennen können. Also - Analyse!“ Captain Waco war nicht immer ein einfacher Vorgesetzter. Und er haßte unbefriedigende Antworten in kritischen Situationen.
„Nach der Geschwindigkeit und dem Radar- und Masseprofil müßte es ein Frachter sein. Entweder ein Goose – oder einer von unseren, ein Altair. Genaueres ist auf diese Entfernung nicht festzustellen. Natürlich auch nicht, was für eine Variante es ist.“ Die Stimme des Offiziers klang angespannt. Allgemein machte sich auf der Brücke Nervosität breit – vor allem bei den Jüngeren der Brückenbesatzung.
„Ein Frachter?“ Captain Waco überlegte fieberhaft. Hier draußen rechnete er nicht mit republikanischen Schiffen. Blieben also Piraten, Freihändler – und Akarii. Außerdem mußte er dem Rechnung tragen, daß die Akarii angeblich manchmal die ansonsten veralteten Frachter der Goose-Klasse zu Hilfskreuzern, Patrouilleschiffen oder gar Flugzeugtendern aufrüsteten, vergleichbar mit den irdischen Strike- und Carrack-Hilfsträgern. Aber wenn er zu lange zögerte, um einen größeren Raumjägerverband oder gar ein Kriegsschiff loszuschicken, riskierte er, daß die Akarii – wenn es denn welche waren – den Verband orteten und einen Funkspruch absetzten. Er entschloß sich, etwas zu riskieren. Immerhin bestand die Patrouille aus Nighthawk, sie würden ausreichen: „Funkspruch an die Patrouille! Sie sollen sich die Sache ansehen. Ist es ein Erdschiff - anfunken, bei striktem Langstreckenfunkverbot zum Verband geleiten. Leistet der Frachter Widerstand, versucht zu funken oder flüchten, ist er zu vernichten. Ist es ein Akarii – sofort angreifen und eleminieren! Und geben Sie in der Flotte Alarm. Ich will jeden Mann an seinem Posten und jeden Piloten in seiner Maschine und sofort startklar haben, wenn es eine Falle sein sollte!“ ‚Und wenn nicht, ist es wenigstens eine gute Übung für die Mannschaften...‘
„Zu Befehl, Sir!“
„Ach ja – sagen Sie Admiral Wolff Bescheid!“
„Ja, Sir!“ Der Kommoffizier betätigte eine Taste und stellte so eine Verbindung mit Wolffs Büro her. Ein paar Sekunden später brüllte er in den Hörer: „DANN WECKEN SIE SIE GEFÄLLIGST, IDIOT! Natürlich ist das ein Notfall!“
„Verstanden, COLUMBIA! Sind unterwegs!“ Noch während dieser Worte brachte Kano die Nighthawk auf den neuen Kurs und beschleunigte die Maschine. „Crusader, auf 40.000 Feuereröffnung mit den Phönix. Wenn das nicht reicht, Blitzangriff auf Mittel- und Kurzstreckendistanz, Piranha-Manöver. Und Störfunk!“
„Verstanden, Ohka!“ In Crusaders Stimme schwang deutlich die Begeisterung mit, aber auch Nervosität. Dies war sein erster Kampfeinsatz. Die beiden Nighthawk jagten mit Höchstgeschwindigkeit auf den unbekannten Frachter zu.
***
V’shart, Akarii-Frachter
„SIE HABEN WAS?!“ Kor Nama, an Bord der V’shart die 1. Offizierin, schrie die Frage hinaus und durchbohrte den Sensoroffizier mit einem mörderischen Blick. Der Unglückliche wünschte sich an einen anderen Ort – aber er mußte wohl oder übel antworten: „Ich, ich dachte, es wäre nur eine Fehlfunktion. Sie wissen doch, das neue Radar hat schon mehrmals...“ Er sah den Hieb nicht kommen. Im letzten Augenblick drehte Kor Nama den Arm, so daß sie ihm nicht mit ihren Krallen das Gesicht zerfetzte. Aber auch so knallte der Kopf des Sensoroffiziers nach hinten, flog er beinahe aus seinem Sitz. Kor Nama drehte sich um, den Unglücklichen keines weiteren Blickes würdigend. Auch wenn ihr Temperament und Aufsässigkeit ihre Karriere in der Marine beendet hatten, an Bord der V’shart war sie nach dem Kapitän ohne Zweifel die Kompetenteste: „BEIDREHEN! MAXIMALGESCHWINDIGKEIT! WERFER UND GESCHÜTZR BEMANNEN! Und irgendjemand soll den Kapitän alarmieren – SOFORT!!“
Nicht zum ersten Mal verfluchte sie den letzen Auftrag, den sie hatten annehmen müssen. Der Krieg hatte das Geschäft eines Freihändlers um einiges riskanter gemacht. Die Behörden verstanden überhaupt keinen Spaß mehr und zahlreiche Routen und Sprungpunkte waren vom Militär gesperrt worden. Was noch vor einem Jahr als ein kleines Vergehen durchgegangen war, konnte einen jetzt vor ein Kriegsgericht bringen – das galt auch für Bestechlichkeit. Deshalb waren viele Zöllner und Beamte plötzlich erheblich schwieriger geworden...
Besonders groß waren die Finanzreserven nie gewesen – deswegen hatte Kapitän Lenk Werren praktisch JEDEN Auftrag annehmen müssen um zu verhindern, daß man die alte V’shart beschlagnahmte und sie vielleicht am Ende in den Nachschubsdienst der Streitkräfte schickte.
Deshalb waren sie hier unterwegs – viel zu nahe an der Front – den halben Laderaum voll mit diversen Luxusartikeln, die ,wegen der Kriegsrestriktionen bei Produktion und Transport, auf den Grenzwelten einen guten Preis einbringen würden. Die andere Hälfte des Lagerraums...
Zu jeder Zeit hatte ein Krieg auch innenpolitische Veränderungen bedeutet. Das Akarii-Imperium ging nie besonders zimperlich mit Abweichlern und Individualisten um. Aber im Kriegsfall wurden die Schrauben zusätzlich angezogen und manche Verwaltungschefs benutzten Kriegsrecht und Belagerungszustand um persönliche Rechnungen zu begleichen oder besondere Schneidigkeit zu demonstrieren.
Und deshalb hatte die V’shart etwa 100 Passagiere an Bord. Fast ausschließlich Männer, zum Glück – Zivilistinnen brachten erfahrungsgemäß nur Ärger. Kor Nama hatte keine Ahnung, warum sie die Passage bezahlt hatten und vermutlich wußte sogar Kapitän Werren nicht so genau Bescheid: Deserteure, korrupte Bürokraten vielleicht, religiöse Abweichler? Ein paar waren Werftarbeiter gewesen, die allerdings illegal gearbeitet hatten und deshalb auch nicht von der Musterung erfaßt worden waren - und jetzt als „Fahnenflüchtlinge“ gelten mochten. Das bedeutete bestenfalls die Strafkompanie – im schlimmsten Fall sofortige Exekution. Vermutlich hatten sie ihre gesamten Ersparnisse geopfert, um die Passage zu bezahlen.
Die Brisanz dieser Ladung hatte Kapitän Werren veranlaßt, außerhalb des sicheren Akariiraum zu fliegen. Falls man von einem „sicheren Raum“ sprechen konnte, seitdem neuerdings Kampfgruppen und Minenleger der Menschen im akariischen Hinterland wilderten. Aber Kapitän Werren hatte sich entschieden, lieber einen Umweg über einen Raumsektor zu fliegen, der weder vom Imperium, noch der verdammten Menschen-Republik beansprucht wurde.
‚Na, da war er wohl mal wieder zu schlau!‘ dachte Kor Nama giftig, während die Brücke rings um sie in Aktivität explodierte. Drei Minuten später erschien Kapitän Lenk Werren. Wie immer trug er eine ziemlich abgerissen wirkende Uniform der Akariimarine, mit abgetrennten Rangzeichen. Einen flüchtigen Augenblick fragte sich Kor Nama, ob die Geschichten stimmten, daß Werren früher ebenfalls zur Marine gehört hatte – seinen Rang und Kommando aber wegen Feigheit vor dem Feind verloren hatte. Als der Kapitän an ihr vorbeihastete nahm sie einen inzwischen nur zu vertrauten süßlichen Geruch war und erneut stieg Wut in ihr hoch. Werren hatte sich mal wieder abgefüllt. Aber berauscht oder nicht – anzumerken war ihm nichts.
Ohne sichtbare Gefühlsregung ließ er sich Meldung erstatten. Auf die unausgesprochene Frage einiger der jüngeren Bordoffiziere antwortete er, ohne jemanden Speziellen anzublicken: „Es können Unsere sein. Dann haben wir Glück, wenn sie uns mit einer Überprüfung davonkommen lassen und die Hälfte der Fracht beschlagnahmen. Sind es Piraten – na gut, mit denen sind wir bisher immer fertig geworden...“ Tatsächlich war die V’shart um einiges wendiger und besser bewaffnet, als die meisten Frachter ihrer Klasse.
„...sind es aber Menschen...“ Kapitän Werren führte den Satz nicht zu Ende. Jeder auf der Brücke wußte, was das bedeutete. ‚Hoffentlich sind es keine Menschen!‘
Aber die beiden Radarkontakte waren noch nicht auf unter 100.000 Kilometer herangekommen, als die aufgeregte, fast panische Stimme des Sensoroffiziers die Hoffnungen zerschlug: „ES SIND MENSCHEN! SCHWERE RAUMJÄGER – unbekannter Typ!“ Fast gleichzeitig fiel die Stimme der Funkerin ein: „Sie stören unseren Funk!“ Aber der Akarii-Freihändler hätte ohnehin niemanden um Hilfe bitten können – sie waren auf sich allein gestellt.
Kor Nama und Lenk Werren tauschten einen kurzen Blick aus. Dann bellte Werren mit scharfer Stimme: „Bereit zum Kampf! Kor – schicken Sie fünf Mann mit Waffen in die Quartiere. Sie sollen diese Bodenratten ruhig halten!“
***
Während die beiden Nighthawk mit atemberaubender Geschwindigkeit die Entfernung zu dem Frachter überbrückten, der jetzt eindeutig als „feindlich“ identifiziert wurde, rief sich Kano in Erinnerung, was er von den Frachtern der Goose-Klasse wußte: langsam, schlechte Schilde und schlechte Panzerung. Aber immerhin mindestens zwei Lasergeschütze und zwei Zwillingsraketenwerfer und eine schier unübersehbare Zahl von Varianten mit wechselnder Bewaffnung.
Etwa 100.000 Kilometer hinter dem mit Höchstgeschwindigkeit ablaufenden Frachters trennten sich die Nighthawk, um den Aakrii in die Zange zu nehmen. Die Störsender waren auf maximaler Leistung – hoffentlich verhinderte dies etwaige Versuche des Gegners, um Hilfe zu rufen. Bisher war jedenfalls kein Signal durchgekommen. Keiner der beiden Piloten dachte daran, dem Frachter zur Kapitulation aufzufordern. Hier ging es nur um die Vernichtung.
Eine sachte Berührung des Steuerknüppels – der Bug des Jägers richtete sich genau auf den flüchtenden Frachter. Kano überprüfte automatisch die Kanonen- und Raketenanzeigen, überprüfte sie noch einmal. Dann schob er den Hebel des Nachbrenners nach Vorne, der Jäger machte einen regelrechten Satz: „BEGINNE ANGRIFF!“
90.000 Kilometer, 80.000, 60.000, 40.000. „Rakete los, Rakete los!“ Crusaders Stimme fiel ein: „RAKETEN LOS!“
Vier Phönix-Langstreckenrakten schossen auf den Akarii-Frachter zu, wenige Sekunden darauf gefolgt von zwei weiteren Phönix von Crusader. Das war einer der Mankos am Nighthawk: die Pylonen für Langstreckenraketen waren paarweise hintereinander angeordnet, man konnte nicht alle Raketen gleichzeitig abfeuern. Aber trotzdem waren die sechs Raketen mehr als genug, um einen normalen Frachter der Goose-Klasse wrackzuschießen.
***
V’shart, Akarii-Frachter
„Feindliche Raketen im Anflug!“ Kor Nama haßte diese Art des Kampfes – wenn man das Kampf nennen konnte. Der Feind eröffnete das Feuer auf eine Entfernung, die weit außerhalb der Reichweite aller Waffen der V’shart lag. Diese Feiglinge! Die verfluchten Weichhäute flogen von zwei Seiten an, um dem Frachter Gegenwehr und Ausweichmanöver zu erschweren.
Kapitän Werren ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: „Ausweichmanöver! Kurs Zwo-Sechs-Zwanzig! Störkörper – zwei Lagen! Gegenfeuer – Raketen abfangen! “ Die Va’shart vollführte ein Manöver, das für einen Frachter eigentlich unmöglich war und stieß Störkörper aus. Gleichzeitig eröffneten vier Laserkanonen das Feuer auf die Raketen, auch wenn die Chancen für die Vernichtung eines Flugkörpers eher gering waren.
Das Ausweichmanöver war nur ein halber Erfolg – eine der Raketen explodierte viel zu nahe am Schiff und schwächte die Schilde – zwei Raketen trafen den Frachter voll.
Kor Nama hielt sich krampfhaft an der Waffenkonsole der Bugkanone fest. Nur knapp entging sie dem Schicksal eines Crewmitglieds, das den Halt verlor und voll gegen die Wand krachte. Kapitän Werren hatte Finger und Krallen in die Lehne seines Sitzes gegraben, schien aber keine Mühe zu haben, seine Position zu halten: "SCHADENSBERICHT!“
„Schilde bei Zehn Prozent! Panzerung bei Sektion Vier und Acht schwer beschädigt – noch keine Hüllenrisse!“
Insgeheim war Kapitän Werren stolz. Auch wenn er seine Mannschaft aus sehr zweifelhaften Quellen auffrischen mußte – auf der Brücke war jeder auf seinem Posten, es gab es keine Panik. Aber er wußte genau – ihre einzige Chance war, die Feindjäger abzuschießen oder zu beschädigen, bevor sie den Frachter zusammenschossen. Und das war eigentlich keine Chance...
„Feindjäger schließen auf! Direkter Anflug!“
„Auf 20.000 – Feueröffnung mit den Werfern. Eine volle Salve – Konzentrieren sich auf Feindjäger Zwei!“
„Ja, Kapitän!!“
***
Kano preßte kurz die Lippen zusammen. Dieser Frachterkapitän war besser als gedacht. Aber das würde ihm nicht helfen. „Crusader! Blitzangriff, Voller Einsatz!“
„Verstanden!“ Crusader konnte seine Begeisterung nicht verhehlen. DAS war es, wofür er in die Streitkräfte eingetreten war. Er grinste wild. ‚Du willst spielen, Eidechse? Wir kommen!‘
Während Kano mit Höchstgeschwindigkeit zum Frachter aufschloß, achtete er darauf, daß die Zielerfassung grün blieb. Trotz der verrückten Manöver des Akarii, der den Frachter wie ein Shuttle flog, war das kein großes Problem.
‚Ich werde das Feuer nicht zu früh eröffnen. Wenn sie Täuschkörper haben...‘
Crusader zählte im Geist bei der Entfernungsanzeige mit – bei 15.000 würde er die Amram abschießen, dann mit den Kanonen und Sidewindern nachsetzen. ’30.000 Kilometer, 25.000, 22.000...‘
Aber der Akarii-Frachter war keine wehrlose Beute. Zwei Zwillingsraketenwerfer eröffneten fast zeitgleich das Feuer auf Crusaders Jäger, der plötzlich vom Jäger zum Gejagten wurde.
„ABBRECHEN, CRUSADER!“
Crusader hatte die Gefahr schon bemerkt. Jetzt griff der gnadenlose Drill, bewährte sich das intensive Training, das Darkness den Piloten seines Schwadrons aufgezwungen hatte. Crusader drückte auf die Auslöser seiner Amraam-Raketen und warf die Maschine in eine Fassrolle, gefolgt von einer Vollwende. Gleichzeitig stieß seine Maschine Störkörper aus.
Zu Crusaders Glück schienen Raketen und Zielcomputer des Akarii veraltet zu sein – es reichte trotzdem zu einem Nah- beziehungsweise einem Volltreffer. Sein Abwehrmanöver hatte ihn in gefährliche Nähe des Akarii-Frachters gebracht, der jetzt aus drei Laserkanonen das Feuer eröffnete. Der Nighthawk wurde brutal durchgeschüttelt, ein, zwei Alarme begannen zu heulen. Mit einem Fluch hieb Crusader auf den Nachbrenner und brachte sich aus dem unmittelbaren Feuerbereich. Er bemerkte nicht einmal, daß eine seiner Amraams einen Volltreffer landete und die bereits geschwächten Backbordschilde des Akarii zum Kollabieren brachte.
Kano hatte sich fast ungehindert nähern können – nur eine Laserkanone nahm ihn aufs Korn. Trotz seiner schnellen Ausweichmanöver lag das Feuer allerdings unangenehm genau. ‚Der Akarii schießt aber gut!‘ Er hatte schon das Feuer eröffnen wollen, als er Crusaders Notlage bemerkte – und sah, wie die Backbordschilde des Akarii-Frachter erloschen. ‚Das ist es!‘ Noch einmal schob er den Nachbrennerhebel nach vorne – die Nighthawk schoß über den feindlichen Frachter hinweg, die Kanoniere, die Crusader beharkt hatten, versuchten den neuen Gegner ins Visier zu bekommen.
Ein Von-Bein-Manöver riß Kanos Maschine herum, richtete den Bug seines Jägers auf den Frachter – auf die ungeschützte Backbordseite. Mit zusammengebissenen Zähnen drückte Kano auf alle Waffenknöpfe. ‚Fahr zur Hölle!‘ Das Feuer der vier schweren Bordgeschütze und die beiden Amraams konnten auf diese Entfernung das Ziel gar nicht verfehlen. Die Sidewinder allerdings verschwanden im All – Kano hatte sie zu schnell abgefeuert, bevor die als „Schnecken“ bezeichneten Kurzstreckenraketen das Ziel richtig erfaßt hatten. Aber die Bordgeschütze und die Amraams reichten ohnehin aus. Die Reste der Panzerung wurden förmlich pulverisiert, die Flanke des Frachters wie von einem riesigen Messer aufgeschlitzt.
****
V’shart, Akarii-Frachter
Kor Nama rang krankhaft nach Luft, während sie sich mühsam aufrichtete. Ihr rechter Arm gehorchte ihr nicht mehr. Binnen Sekunden hatte sich die Brücke in einen Schlachtraum verwandelt. Außer ihr war nur noch der Sensoroffizier auf den Beinen. Er blutete aus mehreren Wunden. Der Kapitän...
Kapitän Werren war noch immer auf seinem Posten. Aber er hatte keinen Brustkorb mehr – nur noch eine blutige Masse, wo Trümmer ihn erwischt hatten wie eine Splittergranate. Kor Nama fühlte ein Kratzen im Hals – vermutlich wegen dem Rauch. Sie hatte den Kapitän nie gemocht, ihn aber respektiert. Und nun...
‚Wenigstens ist er gut gestorben.‘ Dann merkte sie, wie der Sensoroffizier an ihrer Schulter rüttelte. Er deutete auf die Funkerin, die vergeblich versuchte, sich aufzurichten. Gemeinsam schafften sie es. Alle anderen waren tot. Mit einem unterdrückten Stöhnen schaltete Kor Nama die Bordlautsprecher ein: „Achtung! Alle Mann von Bord!“ Gemeinsam mit dem Sensoroffizier schleppte sie die Funkerin zur nächsten Notkapsel.
***
Kano hatte bereits einen neuen Anflug begonnen, als Crusaders Stimme ihn stoppte: „Ohka, der Frachter – er zerbricht!“
Kano überprüfte seine Sensoren. Dann mußte er grinsen: „Nicht ganz, aber fast so gut. Das ist eine Rettungskapsel.“
„Wieviel Zeit geben wir ihnen?“
Kano brauchte ein paar Augenblicke um den Sinn der Frage zu begreifen. Er hatte es für selbstverständlich gehalten, den Anflug fortzusetzen, den Frachter solange zu beschießen, bis er in die Luft flog. Aber jetzt...
‚Außerdem will die Flotte sicherlich die Gefangenen verhören. Also geben wir ihnen die Zeit.‘ „Geben wir ihnen zehn Minuten. Aber halt dich von dem Frachter fern. Die Akarii sollen seltsame Vorstellungen vom Tod haben.“
Crusader lachte leise: „Wie die Japaner, Ohka?“
Ein paar Augenblicke kam keine Antwort und er fragte sich schon, ob er irgendetwas Falsches gesagt hatte, da klang Ohkas trockene Stimme wieder aus dem Funkempfänger: „Kann sein. Wie schlimm hat es dich erwischt?“
„Schilde partiell zusammengebrochen. Leichte Panzerungsschäden. Und, Verdammt – mein Zielcomputer scheint was abbekommen zu haben. Aber die Maschine ist voll flugtauglich.“
„Gut.“
***
V’shart, Akarii-Frachter
Normalerweise hätten sogar fünf Minuten gereicht, damit die zwanzig Mannschaftsmitglieder eines Goose-Frachters in die Rettungskapseln gelangten. Aber auf der V’shart herrschten alles andere als normale Zustände. Die schweren Treffer hatten bereits ein Drittel der dreißig Crewmitglieder und etliche Passagiere getötet. Aber trotzdem würden die Plätze in den Rettungskapseln nicht reichen. Die Rettungsmittel waren auf zwanzig bis dreißig Personen berechnet. An Bord der V’shart waren jedoch immer noch mehr als einhundertzwanzig Personen. Selbst bei Überladung der Rettungskapseln waren das viel zu viele.
Der Kapitän war tot, wie auch die meisten der Offiziere. Es gab niemanden, der die Evakuierung leiten konnte.
Um die Rettungskapseln entbrannte ein wütender Kampf. Die verzweifelten Passagiere versuchten mit Zähnen und Klauen einen Platz zu erkämpfen, während einige Crewmitglieder rücksichtslos von ihren Schußwaffen Gebrauch machten, um sich selbst zu retten. Einige der auf vier Mann und zehn Tage ausgelegten Rettungskapseln, die für kurze Zeit bis zu zwölf Personen aufnehmen konnten, machten los, obwohl sie keineswegs die maximale Anzahl aufgenommen hatten. Schwächere wurden niedergetrampelt.
Kor Nama erschoß zwei Akarii – einen Passagier und einen Matrosen – ohne Zögern, um bei ihrer Rettungskapsel eine geordnete Evakuierung sicherzustellen. Die Kapsel legte ab, mit dreizehn Personen vollkommen überbelegt. Als Kor Nama zurücksah, erkannte sie deutlich die tödlichen Wunden, die der feindliche Angriff gerissen hatte. Und sie sah sogar einen der Erdjäger, der reglos im Raum schwebte. In ohnmächtigen Haß fletschte sie die Zähne.
***
„Das war es wohl...“ Kano wartete nicht Crusaders Antwort ab. Er richtete den Jäger aus und drückte einfach auf Dauerfeuer. Mit einem Anflug grimmiger Befriedigung verfolgte er, wie die schweren Bordgeschütze den Frachter verwüsteten, durch die Panzerung wie durch Butter schnitten. Dann explodierte das feindliche Schiff. ‚Das war die erste Rate für die REDEMPTION. Gewöhnt euch daran. Wir werden euch bezahlen lassen!‘
Dann öffnete er den Funkkanal zur COLUMBIA: „Melde, feindlicher Frachter der Goose-Klasse vernichtet. Er hat nicht gefunkt. Frachter hat sieben Rettungskapseln ausgestoßen. Munitionsverbrauch sechs Phönix, vier Amraams, zwei Sidewinder. Flieger Zwei hat leichte Schäden und einen ausgefallenen Zielcomputer.“
„Gut. Geben Sie die Position der Kapseln durch, ein Zerstörer wird sie aufsammeln. Kehren Sie zum Träger zurück. Ein anderer Wing wird ihre Position übernehmen.“
„Verstanden!“
Die beiden Jäger nahmen Kurs auf ihren Heimatträger.
„Nun, Crusader – wie fühlst du dich?“
„Na ja – besonders mir Ruhm hab ich mich wohl nicht bekleckert.“
„Ohne deine Rakete hätte ich noch eine ganze Weile gebraucht. Und ich bin bei meinem ersten Raumkampf abgeschossen worden. Ich habe den Jäger nicht mal gesehen.“
„Unter diesem Gesichtspunkt...“
***
Eigentlich war die V’shart mit acht Rettungskapseln ausgerüstet. Aber eine hatte nicht mehr ablegen können. Bei dem verbissen Kampf um einen Platz in der Kapsel war ein Akarii in der Schleuse steckengeblieben. Einer der Matrosen hatte den Passagier erschossen – aber von außen hatten andere Verzweifelte geschoben und versucht, in die Kapsel einzudringen.
Als die Salven von Kanos Jäger die Flanke des Frachters aufrissen, hatte dies sofort zu einer Dekompression geführt.Erst die Explosion des Maschinenraums löste die Verbindungen der Rettungskapsel mit dem Schiff und katapultierte sie in den Weltraum – mit zehn Toten an Bord.
*******
Ein paar Tage später, New York, HQ der TSN
Flinke, geübte Finger huschten über die Tasten. Es dauerte nur wenige Sekunden. Nachdem Jennifer Hawthorne, First Lieutenant im Stabsdienst, fertig war, lehnte sie sich zurück und streckte den Rücken. Sie gehörte zu den etwa einhundert Männern und Frauen, die sich ausschließlich mit der Auswirkung der Operation Husar und den Frachterverlusten der Akarii beschäftigten. Commodore Frank Haldar war zu Beginn des Akariikrieges freiwillig aus dem Ruhestand zurückgekehrt – aber es hatte für ihn nur zu diesem Posten gereicht. Der etwas exzentrische Veteran nannte seine Dienststelle „Kerneval“, nach der Kommandostelle für den Zufuhrkrieg in einer lange zurückliegenden irdischen Auseinandersetzung. Immerhin, der Dienst war relativ leicht und immer noch wichtiger, als in irgendeiner Beschaffungsstelle des Nachschubsamts zu versauern. Jennifer Hawthorne liebte ihren Job.
Auf dem Bildschirm vor ihr flimmerte eine Graphik. Eine schwarze Linie zeigte den vermuteten Bestand der Akarii an Frachtraum, einschließlich der angenommenen Neubauten. Eine rote Linie gab den Erfolg der Erdstreitkräfte wieder – Minenleger, Kriegsschiffe, Raumjäger und –bomber. Außerdem konnte abgelesen werden, wo der Abschuß erzielt worden war, von wem – und was für eine Akariieinheit vernichtet worden war.
Zu Beginn der Operation Husar war die rote Linie steil nach oben geschossen, hatte die schwarze Linie überflügelt. Das war, bei aller Trauer und Wut wegen Mantikor, ein gutes Zeichen gewesen. Doch dann war die rote Linie fast ununterbrochen abgefallen. Die Schlacht von Jollahran hatte dies noch einmal geändert, hatte die rote Linie weit über die schwarze steigen lassen. Aber es war ein teuer erkaufter Triumph gewesen – mit der REDEMPTION und der Majestic waren zwei „Asse“ vernichtet worden und in der Auswertungszentrale hatte Trauer geherrscht. Und danach war die Abschußquote noch weiter zurückgegangen. Viele der „Asse der ersten Stunde“ waren ausgefallen: vernichtet, im Dock, oder zu anderen Aufträgen abkommandiert. Was übrig blieb war die „zweite Garnitur“, vor allem Minenleger, ein paar Zerstörer – und die Kaze, als die erfolgreichste Fregatte im Zufuhrkrieg.
Trotzdem lächelte Jennifer. Mit diesem Abschuß waren in diesem Monat bereits 100.000 Tonnen an Frachtern vernichtet worden – und das war üblicherweise in der Dienststelle Anlaß für eine kleine Feier nach Dienstschluß - noch eine Erfindung von Commodore Haldar. Der altgediente Navyoffizier, der allerdings nie in seinem Leben ein Schiff kommandiert hatte, sondern vom Posten eines 1. Offiziers in den Stabsdienst gewechselt war, versäumte es nie, die Erfolge des „Frachterkriegs“ bekannt zu machen, wobei er glatte Zahlen bevorzugte. Tatsächlich kamen solche „Sondermeldungen“ ganz gut an – die Propagandaabteilung hatte diese Nummer in ihr Programm übernommen.
Mit neuer Energie machte sich Jennifer an ihre Arbeit – eine Analyse, wie sich die Verluste an Frachtraum auf die Offensivfähigkeit der Akarii auswirkten.
Tyr Svenson
Die Schiffbrüchigen
Captain Waco hörte sich mit ausdruckslosem Gesicht die Meldung der Nighthawk-Patrouille an. Kurz kam ihm der Gedanke ‚Warum haben diese Superflieger nicht den Frachter mit der ersten Salve in den Raum blasen können?!'. Dann rief er sich zur Ordnung. Die Akarii waren nun mal in die Rettungskapseln gelangt. Und jetzt mußte er sie auffischen lassen. Zum einen, weil es seine Pflicht als Mitglied der Navy war. Und zum anderen und vor allem, weil er nicht wollte, daß irgend ein Akarii, der hier eventuell vorbeikam, noch irgendwelche Schiffbrüchige aufsammelte und so davon erfuhr, daß hier trägergestützte Raumjäger der TSN operierten...
„Flottenkomunikation! Wir bleiben vorerst auf Alarm. Und stellen Sie eine Verbindung mit der BOB KENNEDY her!“
„Zu Befehl, Sir!“
Binnen Sekunden sah sich Captain Waco dem Captain des DD „Bobby K.“, Scott Lamb, gegenüber. Waco kannte Lamp, schätzte den altgedienten Offizier aber nicht besonders. Er war für Waco zu konservativ im Vorgehen, zu vorsichtig. Außer einer kurzen Balgerei mit Piraten hatte Lamb in seinen zwanzig Jahren Flottendienst noch keinerlei Kampferfahrung gesammelt...
„Captain?“
„Sie bekommen Positionsangaben übermittelt. Eine Außenpatrouille hat einen Akarii-Transporter geknackt. Sie werden die Position anfliegen, die Rettungskapseln aufnehmen und die Akarii in Gewahrsam nehmen. Ich will, daß sie von unserem Verband so wenig wie möglich sehen.“
Lamb verzog das Gesicht kurz, seine Stimme aber blieb förmlich: „Sir, ich muß Sie daran erinnern, daß meine Marineabteilung erheblich unterbesetzt ist. Die Berichte stufen die Akarii jedoch als äußerst verbissene Kämpfer und renitente Gefangene ein. Ich weiß nicht, ob die mir zur Verfügung stehenden Mittel ausreichend sind. Immerhin könnte es sich um einen Truppentransporter oder gar ein Schiff des Akarii-Geheimdienst handeln. Wenn Sie wollen, werde ich Ihren Befehl aber selbstverständlich ausführen.“
‚Du Feigling!‘ Captain Waco fühlte Groll in sich hochkochen. ‚Du brauchst gar nicht so besorgt tun. Du willst dich doch bloß absichern, wenn etwas schief geht. Dann kannst du die Verantwortung abwälzen!‘ Am liebsten hätte er jetzt einen anderen Zerstörer mit der Aufgabe betraut – aber lange Jahre in der TSN hatten ihn gelehrt, einen Befehl nur dann zu widerrufen, wenn es unbedingt nötig war. Sonst schwächte dies seine Autorität.
„Ich werde Ihnen ein Shuttle Marines zur Unterstützung schicken, bis die Situation zuverlässig unter Kontrolle ist. Genügt das?“
„Danke, Sir!“
Master Sergeant Clas Schiermer bekam den Befehl, als er gerade beim Essen war. Er fragte nicht nach, weshalb sein Platoon in voller Gefechtsausrüstung im Hangar erscheinen sollte. Er würde den Grund schon noch früh genug erfahren.
Binnen zehn Minuten waren die anderen Männer und Frauen seiner Einheit alarmiert. Natürlich wartete Schiermer bereits in voller Montur im Hangar, als sie angerannt kamen. Das war eine Frage des Führungsstils.
Die Mitglieder der Boden- und Wartungsdienste machten den Marines schleunigst Platz, die in ihren unförmig wirkenden Gefechtspanzern, den schweren Helmen und den stramm vor der Brust gehaltenen H&K 322X Sturmgewehren ausgesprochen martialisch wirkten. Außer Schiermers Einheit war noch ein weiteres Platoon angetreten. Captain Arianna Schlüter persönlich gab die Einweisung, würde aber offenbar nicht bei dem Einsatz dabei sein, denn sie trug immer noch nur Dienstuniform und wirkte zwischen den Gepanzerten ausgesprochen zierlich.
„Ihr werdet zur DD BOB KENNEDY fliegen. Der Zerstörer wird ein paar Akarii aufsammeln, die von einem Frachter sind, den unsere Flieger in die Luft gejagt haben. Helft den Bordtruppen der BOB KENNEDY, die Echsen festzusetzen – nur für den Fall, daß die rumzicken. Paßt auf – die Akarii können im Nahkampf ziemlich eklig werden. Noch Fragen?“
„Ja – warum überhaupt aufsammeln?! Lassen wir doch die Jäger noch ein paar Luftlöcher in die Kapseln schießen!“ Das war Pork. Die meisten der Marines lachten.
Captain Schlüter allerdings nicht: „Wenn es noch weitere sinnlose Fragen gibt... Nicht?! Na dann ab!“
„HOOOOOOOOOAAAAAAAAAHHHHHHH!!“ Die Marines stürmten regelrecht die Einstiegsluken der Transportfähre. Es wäre zwar auch langsamer gegangen, aber das waren sie ihrem Ruf schuldig. Da allerdings 90 Prozent der Marines frisch von der Ausbildung kamen, ging es nicht so geordnet, wie es sein sollte. Einige Soldaten rempelten andere Marines an, stießen zu langsame Kameraden förmlich in das Shuttle. Captain Schlüter schüttelte leicht den Kopf.
In der Fähre herrschte eine recht aufgeräumte Stimmung. Einige der wenigen Veteranen gaben mit ihren Kampferfahrungen an. Allerdings hatten nur wenige – eigentlich nur Pork und Master Sergeant Schiermer – bisher mit Akariis gekämpft.
Die scharfe Stimme des Master Sergeant durchschnitt den Lärm: „RUHE, IHR HUNDE! Ihr seid Marines und kein verschissenes High-School-Hockeyteam! Waffen überprüfen!“
Dem wurde Folge geleistet. Der andere Master Sergeant, Kevin „Cleymore“ Cleyborn, hatte den Helm abgesetzt und grinste Schirmer spöttisch an. Seine Führungsmethoden waren in der Regel weniger laut, aber ebenso erfolgreich. Dennoch kam er gut mit dem anderen Master Sergeant klar – so gut jedenfalls, wie es bei dessen Art möglich war.
Einer der Marines wandte sich an Schiermer: „Master Sergeant, Sie haben doch schon mal mit den Echsen gerauft. Wie sind die so?“
Schiermers Stimme war sehr kalt: „Schwierige Gegner. Ihre Marines sind verflucht hart im Nehmen. Und wenn du nah genug bist, ihnen ein Messer zwischen die Rippen zu schieben – dann versuchen sie, dir mit Zähnen und Klauen die Kehle zu zerfetzen oder die Eingeweide rauszuzerren. Und sie sterben nicht leicht. Wenn du einem Akarii eine verpassen willst, dann schieß zweimal – und zur Sicherheit noch ein drittes Mal.“ Es gab keine weiteren Fragen.
An Bord des DD BOB KENNEDY waren zur Zeit gerade mal zwei Platoons unter dem Kommando eines jungen Lieutenants stationiert, fast ausschließlich „Neue“. Es war kein Wunder, daß der Kapitän seinem Marinekontingent nicht völlig vertraute. Im Wissen darum gab sich Lieutenant Henningsen besonders forsch und autoritär. Das ärgerte Schiermer gewaltig – aber er hielt den Mund. ‚Daß sie uns immer solche Grünschnäbel vorsetzen...‘
Der Zerstörer beschleunigte und verließ den Verband, sofort nachdem die Marines von Bord des Shuttles gegangen waren.
Der Hangar der BOB KENNEDY war ziemlich klein, keineswegs zu vergleichen mit einem Kreuzer oder Träger. Dem mußte Rechnung getragen werden. Während Schiermer die Soldaten verteilte, fühlte er sich zunehmend genervt von den Befehlen und Anweisungen des Lieutenant. Nicht, daß der absolut keine Ahnung gehabt hätte – aber der Lieutenant wiederholte nur Selbstverständlichkeiten. Schließlich waren etwa zwanzig Marines in optimalen Schußstellungen positioniert. Acht Mann würden die Akarii „abfertigen“. Der Rest der Soldaten war in Bereitschaft und würde die provisorischen Gefangenenquartiere bewachen. Natürlich sollten die Rettungskapseln einzeln aufgefischt werden. Selbst wenn es sich bei den Akarii ausnahmslos um Angehörige der Kaiserlichen Garde handeln sollte – Schiermer war sich sicher, jeden Widerstand im Blut ersticken zu können.
Das Einzige, was ihm Sorgen machte, war der geringe Erfahrungsgrad der Marineinfanteristen. Auch wenn die schweren Helme die Gesichter verbargen, die hastigen Bewegungen, eine spürbare Spannung, waren für den Veteranen nicht zu übersehen. Nun, mit DER Aufgabe sollten auch diese Grünschnäbel nicht überfordert sein...
„ACHTUNG! ERSTES OBJEKT WIRD EINGEHOLT!“ Die blechern klingende Stimme aus den Lautsprechern steigerte die Spannung bei den Marines beträchtlich. Überall gingen Männer und Frauen reflexartig in die Knie, hoben die Waffen.
Die Traktorstrahlprojektoren zogen die erste Rettungskapsel in den Hangar. Fast dreißig Waffenläufe folgten dem Metallzylinder und mehr als ein Soldat zuckte zusammen, als die Rettungskapsel mit einem dumpfen Dröhnen auf dem Boden aufsetzte. Sich gegenseitig Deckung gebend, rückten die acht Männer des „Begrüßungskomitees“ vor, während aus einem Lautsprecher eine rasselnde Stimme irgendwelche Befehle auf Akarii brüllte – vermutlich „Rauskommen! Wer Widerstand leistet wird erschossen!“
Dann – geschah nichts.
Erst nach ein paar Augenblicken, in denen die Anspannung der Marines bis zur Unerträglichkeit stieg, meldete sich einer der Soldaten, die die Akarii in Empfang nehmen sollten: „Hier lebt keiner mehr. Die – Luke ist offen.“
Es war kein schöner Anblick, nicht mal bei Akariis. Dekompression war ein scheußlicher Tod, die bereits steifgefrorenen Akariileichen boten ein erbarmungswürdiges Bild. Ein paar der Neuen mußten sich abwenden. Schiermer stieß angeekelt die Luft aus – das fehlte noch, daß die jetzt schlapp machten. Betont forsch bahnte er sich seinen Weg durch die Marines und stieß eine der Leichen – wohl einen Matrosen - locker mit dem Fuß an: „Sag mal – ist es kalt in der Akariihölle?“ Ein nervöses Lachen kam auf.
„Los, die Kapsel geht wieder nach Draußen! Auf eure Posten - Bewegung! Bewegung!“
***
Rettungskapsel II
Die Luft in der Kapsel war bereits stickig. Die Beleuchtung funktionierte nicht, es war dunkel wie in einem Grab. Die Wiederaufbereitungsanlage arbeite auf Hochtouren, aber wenn zwölf Passagiere sich dort drängten, wo üblicherweise vier sitzen sollten, dann reichte die Luft nur sehr knapp. Dazu kam, daß alle Angst hatten - die Luft SCHMECKTE förmlich nach Panik.
Der Schock des Schiffsuntergangs war noch keine Stunde her – und jetzt schob sich wie ein riesiges Raumungeheuer ein Kriegsschiff der Menschen auf die Rettungskapsel zu. Die Männer – Matrosen und Passagiere - an Bord der Rettungskapsel waren sich sicher, dem Tod entgegenzublicken. Wenn die weichhäutigen Schlächter und Barbaren die Rettungskapsel nicht einfach zerstörten, was würden diese Mörder mit ihnen machen? Noch schlimmer aber war es für Sira Chal, die Tochter eines der Passagiere.
JEDER wußte, was die Menschen mit Akariimädchen machten. Es gab Gerüchte über grauenhafte medizinische Experimente, von Massenvergewaltigungen. Ja es ging sogar das Gerücht um, diese Bestien würden Akariifrauen schwängern, um die überlegenen Fähigkeiten der Akariirasse zu erlangen, Bastarde zu züchten, die als Soldaten oder Spione dienen sollten.
Und was erwartete die anderen? Exekution? Zwangsarbeit? Vivisektion? Die Opfer dieser Scheußlichkeiten wurden angeblich an andere, ahnungslose Gefangene verfüttert.
***
DD BOB KENNEDY
Es dauerte fast eine viertel Stunde, bis die nächste Rettungskapsel „eingefangen“ war. Dabei leistete der Steuermann der DD BOB KENNEDY hervorragende Arbeit – aber den Soldaten kam jede Sekunde wie eine Ewigkeit vor. Als die zweite Kapsel in den Hangar schwebte, war die Anspannung kaum geringer geworden. Schiermer grinste unter dem Helm verzerrt. Es würde den Jungs und Mädchen gut tun, einen Akarii gefangen zu sehen. Das war wichtig für den Kampfgeist.
Wieder lief das Prozedere ab. Der Lautsprecher plärrte für die Marines unverständliche Befehle auf Akarii, während acht Mann, unter Kommando von Pork, zur Kapsel vorrückten. Die Anspannung der Marines machte sich in gebrüllten Befehlen Luft, obwohl noch kein Akaari zu sehen war.
****
Rettungskapsel II
Einer der Matrosen faßte sich ein Herz und öffnete die Luke. Der plötzlich losbrechende Lärm war wie ein körperlicher Angriff. Irgendwo aus dem Hintergrund dröhnte ein wirres Kauderwelsch auf Terrekari: „HÄNDE HEBEN!! WIDERSTAND ERSCHIESSEN!!“ Und so weiter.
Und dazwischen, es noch übertönend, bellten die dumpfen Stimmen der Weichhäute. Grelles Licht blendete die Akarii, nur verschwommene, drohende Schatten waren zu sehen, schemenhafte Bewegungen.
***
Private Howard stand genau hinter dem Corporal. Durch die Zielvorrichtung seines H&K 322X – Lasergewehr versuchte er, alle Akarii gleichzeitig im Visier zu behalten, die aus der Luke quollen. Widerlich – wie aufrechtgehende Krokodile. Sie schienen zu fauchen, die muskulösen Arme mit den gefährlichen Klauen fuhren durch die Luft, in den Mäulern blitzten Raubtierfänge.
Die acht Marines umstellten die Gruppe der Akarii, fast ein Dutzend schien es zu sein. Der Corporal trat vor. Er beherrschte ein paar Brocken Terraki: „DU!“ er deutete auf einen der Akarii: „KOMMEN HER!“
Unsicher stolperte der Akarii, er trug eine Art Uniformoverall, vorwärts. Sofort packten ihn zwei Marines. Einer der Soldaten rammte dem Sträubenden die gepanzerte Faust in den Magen, während der andere Marine dem Akarii Handschellen anlegte.
Während Howard diese Szene nur am Rand wahrnahm, alarmierte ihn eine Bewegung in dem ungeordneten Pulk der Akarii. An einer Stelle schienen sich die verdammten Echsen zusammenzuballen, es sah fast so aus, als wollten sie irgendetwas verbergen. Eine Waffe?
Howard sprang vor. Das hatte er bei der Ausbildung gelernt: das Lasergewehr umdrehen, ausholen, mit dem Kolben zuschlagen – einmal, zweimal, das Gewehr wieder herum, anlegen. Einer der Akaari war zu Boden gegangen, gab den Blick frei. Die Echsen hatten offenbar versucht, einen kleineren Akarii zu verstecken, der sich irgendwie gekrümmt hielt, eine Decke oder Umhang um den Körper gewickelt – darunter konnte sich alles verstecken, eine Waffe, eine Bombe... „WAS?! WAS?! AUSEINANDER IHR SCHEISSER! BEWEGUNG!“ Private Howard packte den kleineren Akarii roh am Genick.
In diesem Augenblick geschah es. Einer der Akarii war plötzlich direkt neben Howard, versuchte ihn an der Schulter zu packen. Seine Krallen kratzten über Howards Panzer. Während er stolperte, den Halt verlor, riß Howard die Waffe herum, schoß – die Garbe ließ den Brustkorb des Akariis regelrecht explodieren. Doch dabei verlor der Marine endgültig das Gleichgewicht, krachte gegen den kleineren Akarii, stürzte.
Keiner der Marines in seiner Umgebung hatte Zeit zu überlegen, die Situation voll zu erfassen. Sie handelten instinktiv. Der Corporal ging in die Knie, riß das Gewehr an die Schulter, während sich die beiden Marines mit dem gefesselten Akarii zu Boden warfen. Die anderen Marines eröffneten das Feuer, in das fast sofort die Schützen einfielen, die ringsherum postiert waren.
Wie eine Sense fuhren die Laserimpulse durch die Akarii, verbrannten Kleider und Fleisch, schleuderten Körper wie Puppen durch den Hangar. Einer der Akarris warf sich verzweifelt auf die Soldaten vor ihm, begrub einen der Marines unter sich. Porks drehte sich halb um und jagte zwei Feuerstöße in den Leib des Akarii.
Ein Marine, der vorstürzte, um seinen Kameraden zu helfen, geriet in eine Salve hinein, die seine rechte Schulter verschmorte, seinen Körperpanzer sprengte. Er fiel und schrie vor Überraschung, Wut und Schmerz. Dieser Schrei schien das Feuer noch zu steigern. Schiermers Stimme ertrank beinahe in dem Lasergewitter, drang aber dann doch durch: „FEUER EINSTELLEN!! FEUER EINSTELLEN, HURENSÖHNE!! FEUER EINSTELLEN, VERDAMMT!!“
Tatsächlich erstarb das Feuer faßt so schnell, wie es aufgeflackert war. Ein paar Herzschläge war es fast totenstill – der einzige Laut war das Stöhnen des angeschossenen Marines. Dann brüllte Master Sergeant Schiermer los: „HAT MAN EUCH INS GEHIRN GESCHISSEN?! IHR DÄMLICHEN ARSCHLÖCHER!! WAS SOLLTE DIESE SCHEISSE?! IHR ERBÄRMLICHEN IDIOTEN, NICHTSKÖNNER, HALBSOLDATEN!! IHR...“
Abrupt brach er ab, schien ruhiger zu werden: „Sanitäter! Hierher – wir haben Verwundete!!“
Der Lieutenant war zu keinem Befehl fähig – auf diese Situation hatte man ihn nicht vorbereitet. Aber jetzt endlich griffen die Routinen der paar altgedienten Soldaten. Während sich ein paar um die gestürzten und verwundeten Kameraden kümmerten, behielten andere den zusammengeschossenen Haufen Akarii im Auge.
Private Howard kam langsam wieder auf die Beine. Überall schienen tote Akarii zu liegen. Rings um ihn drängten sich andere Marinesoldaten, Schreie und Flüche dröhnten in seinen Ohren.
Eine Bewegung am Boden weckte seine Aufmerksamkeit. Der schmächtige Akarii regte sich, versuchte auf die Beine zu kommen.
In Howard stieg Wut hoch. Dieser dämliche Scheißkerl. Ohne diese verdammte Echse wäre das alles nicht passiert. Mit voller Wucht trat er dem Akarii in die Seite, noch einmal. Dann beugte er sich vor, riß die Echse hoch. Stoff zerriß – Private Howard hatte plötzlich eine junge Akariifrau am Genick, die sich krümmte und versuchte, ihren Körper mit den Händen zu bedecken. Mit offenem Mund starrte Howard die Halbnackte an. Dann stieß er sie brutal zu Boden – und begann schrill, fast hysterisch zu lachen: „Seht mal! Seht mal, was sie versteckt haben, was so wichtig war! Eine dämliche Akarii-Nutte! So eine beschissene Schlampe!“
Plötzlich packte ihn jemand an der Schulter, riß ihn herum. Der Master Sergeant stand vor ihm – und schlug ihm blitzschnell mit voller Wucht ins Gesicht. Der Helm schützte Howard, aber sein Kopf flog trotzdem zurück. Sein Lachen erstarb.
„REISSEN SIE SICH ZUSAMMEN, SOLDAT! Fangen Sie jetzt auch an schlappzumachen?!“
„SARGE, NEIN, SARGE!“
Schiermer hatte sich schon wieder abgewandt: „Wo bleibt der verdammte Sani?! Geben Sie der Krankenstation durch, daß wir hier zwei Leicht- und einen Schwerverletzten haben! Und einen Haufen Akariileichen. Und dann räumt gefälligst die Kadaver weg. Und schafft diese zwei Echsen in den Bunker!“
Marineleutnant Henningsen hatte sich inzwischen soweit gefaßt, daß er ergänzte: „Die beiden in Einzelhaft. Sie dürfen keinen Kontakt mit weiteren Gefangenen haben!“
Schiermer nickte unter dem Helm. Daran hatte er nicht gedacht. Na ja – deswegen war er wohl nur Sergeant.
Tatsächlich hatten nur zwei Akarii überlebt: der Matrose, der als erster in Gewahrsam genommen worden war und das Mädchen, das sich jetzt am Boden krümmte, den Oberkörper hin und her wiegend und mit hoher Stimme irgendetwas wimmerte. Das Klagen klang sehr menschlich.
Zwei Soldaten zerrten sie hoch und legten ihr Hand- und Fußfesseln an. Trotz dem Chaos ließ es sich einer der Marines nicht nehmen, ihr an den Hintern zu greifen. Aber sein Kamerad schlug ihm wütend mit der Faust gegen die Schulter: „Hör auf du perverses Schwein! Wenn du es brauchst, besorg’s dir selbst oder nimm dir doch `ne Leiche vor!“
„Spinnst du? Das ist doch nur `ne Akarii!“
„Du kapierst es wohl nicht?! Wegen dem ganzen Scheiß hier haben wir spielend `ne Untersuchung am Hals. Du dämliches Arschloch! Du mußt dem JAG nicht noch `ne Steilvorlage liefern! Das hier kann Kriegsgericht bringen, wenn irgendein Justizscheißer es will. Stehst du auf Knast? Dann kannst DU den Brüdern da deinen Arsch hinhalten!“
„Ich habe gesagt, schafft sie weg –und nicht, nehmt sie als Wichsvorlage!“ Schiermers schneidende Stimme trieb die Soldaten mit der Gefangenen regelrecht aus dem Hangar. Keiner von beiden wollte mit einem wütenden Master Sarge Schiermer Ärger bekommen.
Es dauerte, bis die Situation wieder unter Kontrolle war. Dann ging das Einholen der Rettungskapseln weiter. Allerdings wurden die Truppen im Hangar durch Soldaten ersetzt, die vorher die Bereitschaft gebildet hatten. Nur die Offiziere blieben weiter im Hangar.
Insgesamt wurden neunzig Akarii aufgesammelt. Zehn davon waren bereits tot gewesen – sie hatten sich in der havarierten Rettungskapsel befunden. Zehn weitere Akarii waren im Kreuzfeuer der Marines gestorben. Der Rest wurde, an Händen und Füßen gefesselt, festgesetzt.
Es waren ausschließlich Matrosen oder Zivilisten. Keiner leistete ernsthaften Widerstand. Ein paar hatten Waffen, lieferten sie aber ohne Gegenwehr ab. Es gab keine weiteren Zwischenfälle.
Auf der Rückfahrt zur COLUMBIA schwieg Schiermer. Keiner der Soldaten wagte, ihn anzureden. Es war nicht so sehr das Blutvergießen, was auf ihm lastete. Er hatte schon Schlimmeres gesehen – und es waren ja nur Akarii gewesen. Was ihn wütend machte, war das unprofessionelle, fast kopflose Verhalten seiner Leute. Diese Sache konnte ziemlichen Ärger bedeuten – ein besonders guter Eintrag in die Akte war das für keinen. Aber vor allem – wenn es schon bei einer solchen Kleinigkeit solch ein Theater gab, dann konnte es im Einsatz ja heiter werden. Er mußte die Neuen wohl noch härter rannehmen. Sonst würde noch einmal richtig was schiefgehen!
Tyr Svenson
Vergangenheit:
Captain Sounders sah auf, als Lt. Commander Justus Schneider sein Büro betrat. Der junge Offizier kam gerade frisch vom bestandenen Perisher, und in der Flotte hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass der Commander den Perisher nur hatte abschließen können, weil er über drei Ecken mit Nathan Frost verwandt war.
Als Schneider vor ihm stand und exakt salutierte, versuchte Sounders den Jungen einzuschätzen. „Nehmen Sie Platz, Commander.“
Schneider setzte sich und legte korrekt die Dienstmütze auf seinen Schoß. Offensichtlich kannte auch er die Gerüchte und wollte sich zumindest nicht vorwerfen lassen, er würde nachlässig sein.
„Um es kurz zu machen, Schneider“, begann Willem Sounders, „ich habe hier eine Beschwerde von Captain Clark vorliegen, in der er bemängelt, dass Sie den Perisher niemals aus eigener Kraft hätten schaffen können. Im Gegenteil wirft er Ihnen vor, auf Ihrem Posten als XO der ARIZONA vollkommen versagt zu haben.“
Sounders klopfte auf die Akte. „Er empfiehlt hier, Ihnen niemals ein eigenes Kommando zu geben.“
Schneider hielt sich steif, aber in seinen Augen war die tiefe Erschütterung zu sehen. Sein Skipper, ausgerechnet sein Skipper hatte ihm das angetan.
„Weiter unterstellt der Captain Ihnen Vetternwirtschaft. Ich gebe zu, dieser Beschwerde mangelt es an Takt und Anstand. Aber es ist eben nicht von der Hand zu weisen, dass Sie mit Admiral Fisher verwandt sind. Er ist Ihr Großonkel, richtig? Nun, der Verdacht liegt nahe, dass er Sie nur deswegen hat bestehen lassen.“
„Erlaubnis, frei sprechen zu dürfen, Sir“, sagte der Junge trotzig.
„Erlaubnis erteilt.“
Schneider fletschte die Zähne. „Was bildet der alte Clark sich eigentlich ein? Was wirft er mir vor, ich würde Vetternwirtschaft betreiben, während er mit Admiral Long regelmäßig golfen geht? Ich will nicht mehr zurück auf die ARIZONA. Das hat jetzt wohl auch wenig Sinn, schätze ich.“
„Das haben Sie gut erkannt, Schneider. Und deswegen sind Sie hier in meinem Büro. Über diesen Schreibtisch laufen sämtliche Beförderungen im Offiziersrang und jede Schiffszuteilung. Ich stehe gerade vor einer wichtigen Frage, Justus. Schicke ich Sie als XO auf einen Träger, hole ich Sie in die Admiralität oder gebe ich Ihnen ein eigenes Schiff?“
Die Augen des Navy-Offiziers leuchteten
Sounders grinste innerlich. Selbstverständlich wollte Schneider ein eigenes Kommando.
„In der Tat ist da ein Kommando vakant, Justus. Es ist verbunden mit einer Beförderung.“
Sounders beobachtete die Reaktion des Gegenübers. Jeder andere Offizier hätte bei der Aussicht auf eine Beförderung die Hände über den Kopf zusammen geschlagen und einen Freudentanz aufgeführt.
„Wo ist der Haken, Sir?“
„Es handelt sich hierbei um die KAZE.“
„KAZE?“ Argwöhnisch hob Schneider die Augenbrauen.
Himmel, konnte das sein? Kannte Schneider nicht einmal das schlimmste Schiff der Zweiten Flotte?
„Die KAZE, die letzte im Dienst befindliche MIDWAY-Fregatte. Auch Abstellplatz der Flotte genannt. Auf ihr landen alle Offiziere und Mannschaften, die sich noch nicht genügend geleistet haben, um aus der Flotte zu fliegen – aber nahe dran sind.
Ein echtes Problemschiff.“
„MIDWAY-Klasse“, sinnierte Schneider, statt auf Sounders Argumente einzugehen. „Spähschiff. Gutes Ding. Erstklassige Primärbewaffnung, aber die Sekundärbewaffnung ist miserabel. Hat gute Beschleunigungswerte. Mit einer guten Crew kann man Fotos von Akar direkt aus dem Orbit schießen, habe ich mir sagen lassen.“
Hatte der Lt. Commander ihm eigentlich zugehört?
„Egal. Wir sind gerade mitten im Krieg, und ich kann es mir nicht leisten, einem angehenden Captain kein Kommando zu geben. Oder ein gutes Schiff sinnlos in der Etappe versauern zu lassen.
Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Die Crew der KAZE hat im letzten halben Jahr zwei Commander verschlissen.
Diese Männer und Frauen sind einfach unmöglich. Undiszipliniert, ungehorsam und besserwisserisch. Eine echte Belastung für die Navy.“
Traurig sah Schneider herüber. „Sie meinen eine größere Belastung als die Vetternwirtschaft in der Navy?“
Sounders grinste. Nun hatte er den Jungen da, wo er ihn haben wollte.
„Dies ist mein Vorschlag. Sie werden sofort zum Commander befördert, Justus. Danach bekommen Sie das Kommando über die KAZE. Bringen Sie mir diesen Kahn auf Vordermann und reinigen Sie den Namen. Die KAZE war früher ein sehr stolzes Schiff. Ich bin auf ihr geflogen, bevor ich diesen Schreibtisch kommandieren musste.
Wenn Sie das schaffen, Justus, reden wir mal über einen Zerstörer.“
Schneider erhob sich. „Abgemacht. Und, danke, Sir. Sie werden die KAZE nicht wieder erkennen. Ich glaube, die Crew der KAZE und ich werden gut zusammen passen. Auch bei mir überschlagen sich die Klatschmäuler und ziehen meinen Namen runter.“
Sounders schluckte kurz. Der Junge hatte ja Recht. „Weggetreten, Justus. Machen Sie der Navy keine Schande.“
**
Die beiden Schleusenwachen der angedockten KAZE sahen eifrig auf die Uhr. Noch anderthalb Stunden, dann war ihr Dienst vorbei. Und an ihrer Stelle mussten zwei andere Trottel die unwichtigste Schleuse der ganzen Zweiten Flotte bewachen. Hier passierte doch nie etwas. Wer wollte schon auf den alten Kahn der MIDWAY-Klasse?
Diese und ähnliche Gedanken gingen den beiden Marines durch den Kopf, als er auf sie zutrat. Sonnenbrille, Hawaii-Hemd, das aus der Hose ragte, Zahnstocher im Mund. Dazu ein Grinsen, das ziemlich gut in eine Zahnpastawerbung gepasst hätte. Auf der Schulter trug der Mann einen Seesack.
Unschlüssig sahen die Marines den Mann an, bis offensichtlich wurde, dass er zu ihnen kam.
„Verzeihung“, sagte der Dienstältere der beiden, „aber Zivilisten ist der Zutritt zu einem Kriegsschiff nicht gestattet.“
Der Mann im Hawaii-Hemd ließ den Seesack fahren und griff in seine Hosentasche. Ein reichlich zerknitterter Marschbefehl kam zum Vorschein. „Ich bin weder Zivilist noch habe ich mich verlaufen“, stellte der Mann fest.
Der Erste las den Marschbefehl und erstarrte. Er reichte an den zweiten weiter. Der las ebenfalls und nahm spontan Haltung an. „SIR! Willkommen an Bord. Leider sind weder der neue XO noch der Chefpilot an Bord…“
Schneider nahm den Marschbefehl wieder entgegen, klopfte den beiden Marines gönnerhaft auf die Schultern und sagte: „Schon gut, schon gut. Ich bin sowieso etwas früh dran. Ich wollte mir das alte Mädchen mal ganz in Ruhe ansehen. Weitermachen.“
Mit diesen Worten verschwand er in der Schleuse.
„Und das ist also unser neuer Skipper“, meinte der erste und pfiff anerkennend.
Der zweite nickte. „Na, mal sehen, wie lange er es macht. Stil hat er ja schon mal.“
**
Gegenwart:
Justus Schneider war nicht wirklich das, was man nachlässig nennen sollte.
Gewiss, er gab sich lax. Aber in Punkto Uniform kannte er keine Gnade. Seine Uniform musste sitzen wie eine eins. Und sie musste tadellos sauber sein, sonst wurde sie standrechtlich erschossen.
Tatsächlich hatte der Skipper eine ältere Uniform aufgrund eines hartnäckigen Kaffeeflecks mal von den Marines als Zielscheibe missbrauchen lassen, als Warnung an die anderen Uniformen in seinem Schrank.
So war sein Anblick auch nicht weiter verwunderlich, als er in der weißen Ausgehuniform der Navy an der Hauptschleuse zu Fort GIBRALTAR stand und auf den angekündigten Besuch wartete.
Die anderen Offiziere der KAZE trugen ebenfalls die schneeweißen Ausgehuniformen, standen aber in einer lockeren Reihe neben dem eigentlichen Eingang zum Schiff.
Neben Schneider selbst warteten nur noch First Lieutenant Ishihiro und die obligatorische Schleusenwache.
Aber etwas war anders an ihm. Zuerst fiel es Commander Soleil nicht auf. Dann erkannte sie es. Der Skipper hatte seine Orden angelegt. Statt der schlichten Reversabzeichen trug er nun die eigentlichen Orden auf der weißen Ausgehuniform. Außerdem hatte er sich die Haare gekämmt – ordentlich, wie Amber fand. Was bei dem von Schneider bevorzugten Igelputz eigentlich nur einem guten Beobachter auffiel.
Aber Soleil rief sich noch mal in Gedanken, was eigentlich passiert war. Nachdem die KAZE Barcelona Central erreicht hatte, auf der das Distrikthauptquartier der 6. Flotte stand, waren sie angewiesen worden, an Fort GIBRALTAR anzudocken. Seither waren mehrere Tage vergangen, ohne dass die Fregatte gebrieft worden war, wie Schneider es nach seinem Besuch auf Fort Lexington eigentlich gesagt hatte.
Stattdessen lautete die lapidare Antwort auf jegliche Fragen: Warten Sie auf den Rest.
Der Rest war dann auch eingetroffen, erst eine Welle von vier Schiffen, unter ihr die ONTARIO, ein Zerstörer.
Tage später einer der Behelfsträger der LABOE-Klasse namens GUADALCANAL.
Gestern war dann mit zwei Korvetten als Eskorte die TNES MAGELLAN eingetroffen, eines von drei Spezialschiffen der Navy, die dem Explorer-Corps angehörten. Und sofort hatte die Gerüchteküche an Bord gebrodelt. Allerdings war es auf GIBRALTAR noch schlimmer. Hatte man dort die KAZE aufgrund ihres schlechten Rufs zuerst mitleidig belächelt, schlugen die Vermutungen mittlerweile Lichtjahreweite Wellen. Und die Ankunft einer Barkasse aus der Konföderation mit einem Kommodore an Bord hatte schließlich zum Super-GAU geführt.
Die schlimmsten Gerüchte sprachen mittlerweile von einer zweiten Front, welche die Akarii in diesem Gebiet der Republik eröffnen wollten.
Die harmloseren glaubten an Übergabeverhandlungen der Konföderation.
Ob es dabei um die KAZE, neu entwickelte Waffen oder gleich den gesamten Staatsapparat der Kolonisten ging, war dabei nicht ganz klar.
Und dann war vor einer Stunde die Anfrage von der MAGELLAN gekommen, ob ein Besuch auf der KAZE erlaubt sei.
Seither war Justus wie ausgewechselt. Er hatte nicht viel sagen brauchen, alleine an seinem Blick hatte man erkennen können, dass er sich wenigstens dieses eine Mal eine saubere KAZE wünschte. Da die Mannschaft noch immer ein schlechtes Gewissen wegen der Prügelei hatte, taten sie dem Skipper den Gefallen – ausnahmsweise.
Das Schiff wurde nicht gerade auf Hochglanz gebracht. Nein. Aber wenigstens konnte man nun wieder alle Gänge der KAZE begehen, ohne Gefahr zu laufen, über kurz oder lang von ominösen Kisten mit noch ominöserem Inhalt erschlagen zu werden.
Wobei Amber nicht den Hauch eines Zweifels hegte, dass selbige Kisten nach dem Besuch von der MAGELLAN schnell wieder an ihrem Platz sein würden.
Ein lautes, metallisches Knallen belehrte die Wartenden darüber, dass die Schleuse auf der Seite von Fort GIBRALTAR geöffnet worden war.
Schneider wischte sich noch einmal über die Schultern und prüfte seinen Atem.
Wenn Amber es nicht besser gewusst hätte, sie hätte vermutet, Justus stünde kurz vor einem Rendezvous. Aber das war nur schwer zu glauben, denn für eine derart ernste Angelegenheit war der Commander viel zu sprunghaft.
Das Innenschott meldete Druckausgleich und fuhr auf. Auf der anderen Seite standen zwei Offiziere in der weißen Ausgehuniform der Navy. Ein Mann mit den Goldringen eines Commanders und eine Frau im Ausgehrock mit den First Lieutenant-Abzeichen.
Der Commander salutierte vor Schneider. „Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Kapitän Schneider.“
Der Skipper der KAZE sah den Offizier mit versteinerter Miene an. Ein ungewöhnliches Bild. Auch seine steife Reaktion, ein unglaublich (für Schneiders Begriffe) exakter Salut passte überhaupt nicht zu dem Offizier, fand Amber. Normalerweise hätte er den Besuch an dieser Stelle entweder zu einem Kaffee oder gleich zu einem Scotch eingeladen. „Erlaubnis erteilt.“
Die beiden Offiziere betraten die KAZE. Der Commander trat vor Schneider und reichte ihm die Hand. „Jeremy Baker vom Wissenschaftlichen Corps der Flotte.“
„Freut mich, Commander Baker. Mein Waffenoffizier, Haruka Ishihiro.“
Die beiden wechselten einen kurzen Händedruck.
„Meine Begleiterin, First Lieutenant Jamison-Bowyer. Die beste…“
Schneiders Miene wechselte von steif zu lächeln. Er trat einen Schritt vor und umarmte die junge Offizierin. „Die beste Physikerin der Navy. Nur ihre Mom ist besser. Hallo, Mel, es ist schön, dich wieder zu sehen.“
Der weibliche Lieutenant lächelte und drückte dem Commander einen Kuss auf die Wange. „Hallo, Jus. Wir haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
Schneider ließ seinen Gast fahren und betrachtete sie ausgiebig. „Wie machst du das bloß? Du bist ja noch hübscher geworden, als du auf der Highschool warst.“
Jamison-Bowyer senkte verlegen den Blick. „Nun sag doch nicht so was, Jus. Ich bin dienstlich hier. Da die KAZE ja der Einsatzgruppe MAGELLAN zugeteilt wird, dachten Commander Baker und ich…“
Schneiders Miene wechselte von erfreut auf sachlich. Er warf dem Commander, der die Begrüßung mit unschlüssiger Miene verfolgt hatte, einen Seitenblick zu. „Die MAGELLAN ist ein Forschungsschiff“, stellte Schneider fest.
Der Commander hob abwehrend die Hände. „Ich verstehe, dass Sie mehr über unsere Aufgabe wissen wollen, Sir. Aber ich bin lediglich der wissenschaftliche Kommandant an Bord der MAGELLAN. Mir sind bis zum eigentlichen Briefing die Hände gebunden.“
Schneider warf seinem Waffenoffizier einen kurzen Seitenblick zu. In seinen Augen schien es aufzublitzen. Der Japaner nickte fast unmerklich und sah seinerseits zur Bordärztin herüber.
Justine LaCroix seufzte unbehaglich.
Schneider deutete derweil auf seine Leute. „Kommen Sie, ich will Ihnen meine Führungsoffiziere vorstellen.“
Er legte eine Hand auf den Rücken des Lieutenants und dirigierte Baker und Ishihiro an seine andere Seite. Weniger militärisch exakt als freundschaftlich führte er die weitere Begrüßung durch.
Als die Reihe an Justine war, warf sie wie in einer unbewussten Geste ihr Haar nach hinten und griff fest – sehr fest – zu, als der Commander ihr die Hand gab. „Freut mich, Sie kennen zulernen, Commander Baker.“
Der Offizier versuchte krampfhaft, sich nichts von seinen beträchtlichen Schmerzen anmerken zu lassen und erwiderte jovial: „Ach, nennen Sie mich ruhig Jeremy, Doc.“
Die Ärztin lachte glockenhell. „Dann sagen Sie bitte Justine zu mir. Justine und Jeremy. Was für ein lustiges Gespann.“
Der Commander fiel ein und LaCroix war sich sicher, sein Interesse an der Angel zu haben.
„Kommen Sie“, rief Justus und deutete aufs Schiffsinnere. „Der Smutje hat einen kleinen Imbiss vorbereitet. Danach habe ich an eine Führung durch das Schiff gedacht. Wir tun hier einiges, um in Form zu bleiben, bis unser Flaggschiff eintrifft, die… die…“
„ONTARIO“, half Baker aus. „Und sie ist schon da.“
Justus unterdrückte ein Grinsen, um den Commander nicht merken zu lassen, dass die Information für ihn und die Crew der KAZE neu war.
Beim Verlassen des Hangars zog er kurz seine Erste Offizierin an seine Seite und hauchte ihr ins Ohr: „Amber, finden Sie alles Wissenswerte zur ONTARIO heraus und falten Sie mir ein schönes Dossier.“
„Aye, Sir“, erwiderte die Commander, blieb stehen und sah dem Pulk der Offiziere nach, wie er scherzend und lärmend im Schiff verschwand.
Johannson, der Chef der Marines, sah die Offizierin an und meinte: „Junge, Junge. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich jetzt behaupten, dass der Skipper Sie abserviert hat, Commander.“
Amber schluckte trocken. „Vielleicht hat er das ja auch. Haben Sie gesehen, wie er First Lieutenant Jamison-Bowyer begrüßt hat? Einen Anstandswauwau kann er da wohl nicht gebrauchen.“
Carl Johannson knuffte ihr vertraulich gegen die Schulter. „Es klang so, als wären sie zusammen auf die Highschool gegangen. Vielleicht frischen sie nur alte Erinnerungen auf.“
„Das ist es ja“, seufzte die Commander leise. „Ich frage mich, welcher Art diese Erinnerungen sind.“
**
„Das Observatorium“, berichtete Justus stolz und deutete hinaus in das unendliche All. „Hier oben komme ich zur Ruhe. Hier finde ich die Kraft, um meinem Kommando gerecht zu werden.“
„Einem ziemlich schwierigen Kommando“, sagte Lieutenant Jamison-Bowyer leise. „Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich über die KAZE gehört habe…“
Schneider machte eine wegwerfende Handbewegung. „Glaub nicht alles, was du so hörst, Mel. Dieses Schiff hat in seiner Geschichte mehr Tonnage vernichtet als jedes andere seiner Klasse. Die Maschinen sind erstklassig gewartet und auf ihr zu fahren bedeutet beinahe zwangsläufig, dass man wieder nach Hause kommt.
Die Crew ist kompetent und erfahren. Störrisch vielleicht, rechthaberisch bisweilen, aber wenn man sie richtig anpackt…“
„Hey, Erde an Justus. Ich bin nicht die Admiralität. Mir musst du deine Crew nicht schmackhaft machen“, bemerkte sie amüsiert.
Schneider seufzte und zog aus der kleinen Tasche, die ihm der Smutje mitgegeben hatte, zwei Gläser hervor. Aus einem unscheinbaren Trinkbehälter schenkte er beide Gläser voll. Er setzte sich auf den Boden und bedeutete der Physikerin, neben ihm Platz zu nehmen.
Als sie sich einigermaßen und trotz des engen Rocks zu ihm gesellt hatte, reichte Justus ihr ein Glas.
Misstrauisch schnüffelte sie daran. „Was ist das? Alkohol?“
„Ein bisschen ist drin“, gestand der Commander freimütig. „Das ist unsere Maibowle. Leider ohne Früchte. Sie hat etwa vier Prozent, also nichts, womit Multi-Mel nicht fertig werden sollte.“ Justus zwinkerte der Frau zu.
Sie wurde rot und nickte an ihrem Glas. „Die Highschool-Zeiten sind lange vorbei, Commander. Ich bin jetzt eine ernsthafte Wissenschaftlerin und Offizierin der Flotte.“
„Trotzdem war es eine witzige Zeit“, begann Justus, um eine ernste Diskussion zu vermeiden. „Wenn ich da an den alten Helmer denke… Mann, was habe ich gelacht, als Du ernsthaft seinen Satz zur Stringtheorie in Frage gestellt hast.“
Sie legte eine Hand an die Stirn und stöhnte leise. „Erinnere mich nicht daran. Ich weiß auch nicht, wieso ich plötzlich im Kurs des Abgangsjahrgangs gelandet war. Das ist mir alles so peinlich.“
Justus prustete lachend. „Und Helmer erst mal. Er hat den Satz nach deinem Auftritt überarbeitet und tatsächlich einen Fehler gefunden.“
Justus trank einen Schluck und lächelte sie an. „So haben wir uns kennen gelernt. Eine Erstklässlerin, die mit hochrote Kopf in der Ecke stand und sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte…“
„Und ein Schüler im letzten Jahr, der so lange über mich gelacht hat, bis ich so wütend auf ihn war, dass ich die peinliche Sache mit Helmer vollkommen vergessen hatte. Mann, habe ich dich damals gehasst, Jus.“
Schneider grinste sie an. „Aber es hat funktioniert. Außerdem, lange böse warst du ja nicht mit mir.“
„Das ist wahr“, erwiderte sie und unterdrückte ein Kichern.
Nachdenklich sah sie auf Fort GIBRALTAR hinab. „Du, Jus, ist es nicht merkwürdig, wohin es uns verschlage hat? Du wolltest damals mit deinem Abschluss auf der Flottenakademie studieren und dann auf einen Schweren Kreuzer oder einen Träger. Wobei ich bis heute nicht weiß, wozu man ein Studium in Pädagogik auf einer Kommandobrücke braucht.“
„Und du, junge Dame, wolltest unbedingt weit, weit weg von deiner Mutter, damit es nicht immer heißt: Seht, das ist die Tochter von Nobelpreisträgerin Jamison.“
„Und wo sind wir gelandet? Du auf einem wracken Kahn und ich mit zwei Streifen am Ärmel.“
Justus schüttelte den Kopf. „Einer von uns beiden hat sein Ziel erreicht. Die MAGELLAN wird weiter von deiner Mutter weg sein, als du jemals zuvor warst.“
Melissa Jamison-Bowyer schüttelte den Zeigefinger vor Schneiders Augen. „Auf diese Weise lockst du mir jedenfalls keine Informationen raus, Jus.“
„Und ich bin vielleicht nicht auf einem Träger gelandet“, fuhr Schneider ungerührt fort. „Aber würdest Du mir glauben, dass ich mit dem Kommando über die KAZE sehr zufrieden bin?“
„Aber warum? Nicht, dass ich nicht sehr froh bin, dass wir uns wieder sehen, aber ich habe einiges über die KAZE gehört. Und nichts davon war gut.
Zum Beispiel bist du nur hier, weil sich deine Mannschaft auf PERSEUS geprügelt hat. Strafversetzung.
Und wenn ich mir so die Akten deiner Leute in Erinnerung rufe: Befehlsverweigerung, mutwillige Zerstörung, Unfähigkeit im Dienst, Feigheit vor dem Feind, tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten, Himmel, Justus, damit willst du wirklich zufrieden sein? Schläfst du hier an Bord mit Infanterieschutzweste? Oder schläfst du gleich überhaupt nicht?
Justus, warum fragst du nicht deinen Vater, ob er dir ein anderes Schiff besorgen kann? Oder warum schluckst du nicht deinen Stolz runter und wirst erst mal wieder FO?“
„Es heißt XO, Mel. Und nein, das hat nichts mit Stolz zu tun. Ich habe meine Gründe. Wichtige Gründe, hier an Bord zu bleiben.
Als ich das Erste Mal an Bord kam, habe ich eines sofort erkannt. Justus Schneider brauchte sich hier nicht zu verstellen. Der junge Mann konnte so sein, wie er wirklich war.
Disziplin? Warum, solange im Gefecht alle ihren Mann stehen? Ordnung? Ich räume meine Kabine mit der Schaufel auf. Gefahr für Leib und Leben? Sicher. Für jeden Akarii, der das Pech hat, auf dieses Schiff zu treffen. Aber nicht für mich.
Mel, auf diesem Schiff dienen gute Raumfahrer. Erstklassige Offiziere, die eigentlich eine großartige Zukunft in der Flotte vor sich hatten, bevor sie ebenso wie ich durch eine Laune des Schicksals in den Arsch getreten wurden und hier landeten.
Wir alle hier sind unterschiedlich wie Tag und Nacht. Was ich an Laxheit aufbringe, wird von Ishihiro mit perfekter Disziplin gekontert.
Aber wir arbeiten zusammen. Ich behandle die Leute so, wie sie es verdienen. Und dafür gehorchen sie mir.
Hier haben wir alle eine große Chance, Mel, die uns die stolze Navy da draußen verwehrt hat. Hier auf der KAZE können wir im Kampf dienen. Und kämpfen wollen wir alle.
Und wir können endlich so sein, wie wir es gerne wollen.
Wenn du in deinen Akten richtig nachgesehen hast, dann solltest du festgestellt haben, dass die KAZE eine der erfolgreichsten Fregatten der Navy in diesem Krieg ist, was vernichtete Tonnage angeht.
Ich habe meinen Platz gefunden, Mel, meinen ganz persönlichen Platz in der Navy.
Ich nenne meine Offiziere, meine Untergebenen, mit Stolz meine Freunde. Ich habe für sie die Verantwortung übernommen. Ich achte und liebe sie.
Und ich weiß, dass sie es ebenso sehen.“
„Ja, klar. Und dann reiten sie dich mit einer Massenprügelei rein.“
Justus Schneider grinste schwach. „Zugegeben. Aber weißt du, warum sie sich geprügelt haben?“
„Ist das bei dieser Disziplinlosigkeit denn wichtig?“, konterte sie.
„Hört, hört. Disziplinlosigkeit aus deinem Mund zu hören ist ja ein mittelschweres Wunder.
Weißt du, sie haben sich auf PERSEUS geprügelt, weil die Besatzung eines TICONDEROGA ihren Captain in den Schmutz gezogen hat.
Im Nachhinein vielleicht eine dumme Idee. Aber wir baden das zusammen aus und machen zusammen das Beste aus der Situation. Wir…“
„Es ist eine der Frauen, nicht?“, fragte die Physikerin unverblümt. „Du redest hier von Ehre und Anstand und von Achtung und Treue. Aber was du meinst ist Liebe. Du bist in eine der Frauen an Bord verknallt, nicht?“
Schneider setzte sein bestes Pokerface auf. „Na, bleiben wir doch mal bei der Sache.“
Spontan beugte sich Melissa vor und küsste Justus auf den Mund. Nach einiger Zeit zog sie sich wieder zurück. „Ich wusste es. Früher hättest du den Kuss erwidert. Rausreden nützt nix, Jus. Ich kenne dich zu lange und zu gut.“
Die starre Maske fiel von Schneiders Gesicht ab. „Verdammt, Mel, ich wusste, es war eine schlechte Idee, dich an Bord kommen zu lassen.“
„Also, wer ist es?“, fragte sie gut gelaunt, setzte sich um und umklammerte ihre Knie mit beiden Armen. „Komm schon, komm schon. Was wir hatten ist lange genug her, dass wir uns zu Recht als Freunde bezeichnen können. Und als deine Freundin will ich gerne wissen, welcher Frau nun dein Herz gehört.“
„Mel, dies ist immer noch ein Kriegsschiff der Navy. Ich denke nicht, dass…“
„Habe ich nicht gerade einen gewissen Justus Schneider einen einminütigen Monolog halten hören, dass er sich hier an Bord geben kann, wie er will? Und hat besagter Herr Schneider nicht betont, dass er hier seinen Platz gefunden hat? Und jetzt kommt dieser Schneider und will mir auf dem verruchtesten Schiff der Zweiten Flotte etwas von Vorschriften erzählen?“
„Eine gewisse Grunddisziplin wahre sogar ich, Lieutenant“, erwiderte Schneider schroff.
Mel Jamison-Bowyer lehnte sich gegen den Skipper, wie sie es früher oft getan hatte. „Aha. Da liegt der Hund begraben. Entweder weiß sie nichts von ihrem Glück, oder sie will nichts von dir. Was ist es?“
Schneider atmete schwer aus und sah traurig zu Boden. „Zweites, Mel. Zweites. Sie will nichts von mir. Ich glaube, sie mag einen meiner Offiziere, und ich will ihr auf keinen Fall dabei im Weg stehen. Ich… Ich bin ein Idiot, richtig?“
Mel klopfte ihm gönnerhaft auf den breiten Brustkorb. „Das warst du vorher schon, Jus. Das warst du vorher schon. Aber eine Frage hätte ich da noch, du Kommandant der fliegenden Schande der Zweiten Flotte: Hast du es wenigstens versucht?“
Schneider versteifte sich merklich.
„Trottel“, kommentierte die Physikerin. „Dir ist echt nicht zu helfen. Wer ist es denn? Diese niedliche Erste Offizierin? Oder die drahtige Pilotin? Hm, vielleicht auch die große Bordärztin. Früher hattest du eine Ader für große Frauen…“
„Mel“, mahnte der Commander sie leise.
Tyr Svenson
Corsfield
Die Flotte lag auf Posten. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass auf der COLUMBIA ein Phantom herumgeisterte. Aber die Aufbringung des Akarii-Frachtschiffesn drückte den Neuigkeitswert des Phantoms doch sehr.
Alles im allen herrschte eine sehr gespannte Atmosphäre. Die Kommandanten ließen immer wieder Übungen abhalten um den Gefechtszustand immer weiter zu verbessern.
Auf dem Zerstörer AUGSBURG trieb der Skipper seine Männer alle Zwei Stunden auf Gefechtsstationen, bis der XO mit dem Bosun als Unterstützung den Captain mal ins Gebet nahmen.
Im Bordgeschwader der COLUMBIA macht sich Nervosität breit. Die ständigen Patrolienflüge und die Alarmbereitschaft zehrte an den Nerven der Piloten.
Colonel Blake folgte seinem Sergeant-Major durch die Korridore der MARIA THERESIA. Diese verfluchten Mediziner.
Der Sergeant-Major trat in den Raum ein, den Blake für sich und seine Männer zu Unterrichtszwecken in Beschlag genommen hatte. "ACHTUNG!"
Als Blake dann eintrat nahm keiner der Mediziner Notiz von ihm.
Die Ärzte standen um einen der vordersten Tische herum und bestaunten diverse Utensilien, die die SAS-Soldaten mit an Bord gebracht hatten.
".... mit einer leichten Modifikation können wir mit unseren Skalpellen auch in der Akariianatomi arbeiten. Und ich denke ..." Jellico brach ab. "Oh, Colonel Blake, ich hoffe Sie haben nichts dagegen, dass wir uns hier an Ihren ... ähm Ausrüstungsgegenständen ... nun ja fortbilden."
"Allerdings habe ich was dagegen, daran werden meine Leute zum Akarii töten ausgebildet."
Jellico verzog das Gesicht: "Wäre ja irgendwie sinnentleert, wenn ich meine Leute zum Töten ausbilde. Wir sind Ärzte."
"Sagen Sie, das Akarii-Skelett, welches Sie mitbrachten, ich befürchte, das stammt aus echten Akariiknochen", mischte sich eine Ärztin ein.
"Das ist korrekt." Antwortete Blake genervt. "Sagen Sie Jellico, haben Sie und Ihre Leute nichts zu tun? In etwa einer Woche werden Sie sich mit mehreren tausend befreiten Gefangenen auseinander setzen müssen. Ich denke die haben Vorrang vor den Akarii."
"Nun ja, dass schon, doch denke ich, sollten auch wir unser Fachgebiet durch die Akarii-Organe und Erkenntnisse die Sie hier angeschleppt haben uns fortzubilden Sir." Schoss Jellico zurück.
"Okay Commodore, von mir aus, aber in zwei Stunden sind Sie und Ihre Männer hier verschwunden, dann bilde ich nämlich meine Männer fort."
"Danke zu gnädig Sir." Jellico wandte sich wieder dem Tisch zu. "Und nun werden wir ..."
***
Trekoleen, ein Sprung vor Axion.
Die drei Akarii-Träger hatte im Nebel Position bezogen. Alle drei Träger waren in einer Reihe aufgestellt, im Abstand von 1.500 Metern. Im Gegensatz zu der normalen Doktrin verschanzten sich diese nicht hinter einem Wall aus Kreuzern, sondern bildeten sozusagen mit ihnen die erste Schlachtreihe.
Steuer- wie Backbord hatten sich jeweils 20 schwere Kreuzer aufgereiht. Die zweite Reihe bildeten leichte Kreuzer und Zerstörer.
Admiral zweiten Ranges Hares Logg marschierte auf der Brücke seins Flaggschiffs auf und ab. Seine anderen drei Träger waren in Axion, direkt am Sprungpunkt.
Vor dem Sprungpunkt nach Axion war eine Gruppe Fregatten als Wachposten aufgestellt worden, die den Befehl hatten sofort vor den überlegenen Erdstreitkräften zu fliehen.
Wenn die Erdflotte sich dem Sprungpunkt näherte würde Logg seine Flotte zum Angriff befehlen. Die Relaissonde am Sprungpunkt würde den Trägern in Axion bescheid geben und die Erdlinge würden eingekreist sein, wenn die anderen drei Träger samt Begleitschiffe durch den Sprungpunkt kommen würden.
Er marschierte auf und ab. Er war nervös. Auf seine alten Tage wurde er noch einmal nervös.
Geheimdienst und die Elektronische Fernaufklärung bestätigen, dass das Angriffsziel der Erdflotte Axion war.
Was ihn nervös machte war nicht der Gedanke an eine Niederlage. Er war überzeugt die Streitkräfte der Erdnation besiegen würde.
Doch was ihm sorgen machte, waren die Gedanken, die er sich darüber machte, wie entschlossen der Gegner sein mag.
Was wäre, wenn die Menschen so verzweifelt waren, dass sie sich ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste nach Axion durchschossen und einen Selbstmordangriff auf die Werftanlagen durchzuführen.
Er war nervös, weil er seinen Gegner nicht kannte. Er hatte den Menschen noch nie gegenübergestanden. Wusste nicht wie sie denken. Der Schutz der Werften hatte für ihn oberste Priorität.
Wie Prinz Jor die Angelegenheit sah, stand auf einen anderen Blatt. Und der Prinz hatte sein Kommen angekündigt und extra einen Träger von Manticore abgezogen um standesgemäß einzutreffen.
Tyr Svenson
Zweifel
Das Briefing für die Kreuzerkommandeure war kurz ausgefallen. Man hatte den Kapitänen der Schwadron nur eine knappe Einführung in die geplante Operation gegeben. Natürlich – es war ja nicht ihre Aufgabe, weitere Planungen und Überlegungen anzustellen. Oder, was Gott verhüten möge, etwa Dinge in Zweifel ziehen. Sie waren Befehlsempfänger und als solche hatten sie zu funktionieren. So war es nun mal beim Militär. Das war nicht nur die Arroganz der Kommandeure – man konnte einfach nicht zulassen, daß niedrigere Dienstgrade zu sehr in die Planung einmischten, vor allem im Nachhinein. Alles eine Frage der Autorität. Also sagte man den Kommandeuren nur, was sie wissen mußten, manchmal, wie einige unkten, nicht einmal das. Und sie selber würden ihre Offizieren, besonders aber den Besatzungsmitgliedern gegenüber, nicht anders verfahren. Auch einer der Gründe, warum die Gerüchteküche ständig brodelte.
Der Kommandeur der Schwadron hatte selber nicht sehr viel mitgeteilt bekommen. Ein System in unmittelbarer Frontnähe war zudem für langatmige Vorträge wenig geeignet. Dennoch hatte er die ihm unterstellten Kommandeure zusammengerufen – in den kommenden Tagen würde vieles von einer guten Zusammenarbeit abhängen. Außerdem, innerhalb seiner Schwadron wußte er gerne, was seine Untergebenen dachten. Und er vergab sich nicht viel, wenn er ihre Meinungen einholte – anders als ein Admiral.
Captain Schupp beendete den knappen Vortrag: „Das war es also – unsere Aufgabe dürfte klar sein. Wir bilden die Sicherung für die Träger. In der ersten Phase dürfte es für uns nicht sehr viel zu tun geben. Ich schätze, die zwei Träger können die Graxon-Verbände ohne Probleme niederkämpfen. Sollten wir Pech haben, und – sagen wir mal – die Promma oder die Nakobi liegen gerade auf Besuch vor Anker, dann wird man uns freilich auch offensiv brauchen. Aber ich rechne eigentlich nicht damit, daß die Akarii in Graxon irgend etwas haben, was dem Angriffsverband Widerstand leisten kann. Und wie Sie wissen, werden wir nicht als Belagerungsgeschütze gebraucht.“ Er lächelte leicht. Schwere Kreuzer mit Atomraketen waren keine Präzisionswaffen. Bei einer Gefangenenbefreiung waren sie definitiv fehl am Platze. „Natürlich müssen wir uns bereit halten, um unsere Marineinfanteristen in den Einsatz zu schicken. Ich denke aber, das leitet einer der Träger. Aber ich erwarte, daß die Sturmkommandos voll einsatzbereit sind. Ich werde anregen, daß einige unserer Schiffe eventuell detachiert werden, um die fliehenden Akarii-Schiffe abzufangen. Denn wenn unsere Flotte eintrifft, dürften es eventuell im System vorhandene Frachter eilig haben, wegzukommen. Und unsere Jäger werden beschäftigt sein.“
Der Schwadronschef musterte kurz seiner Untergebenen. Die Stimmung schwankte zwischen vager Nervosität, Ungeduld, dem Gegner an die Gurgel gehen zu können – und der eigenen Karriere etwas nachzuhelfen, nicht zu vergessen – und abwartender Gelassenheit. Die mochte freilich zum Gutteil nur Fassade sein. Er lächelte dünn. Es war kein amüsiertes Grinsen, sondern eines, in dem auch einige Bitterkeit lag. Er kannte die Beurteilungen der Kommandeure, und auch wenn sie keineswegs eine ,Elite der Besten‘ waren, als die sich das Führungskorps gerne stilisierte, so war auch kein faules Ei im Korb. Nun, zumindest nicht auf den ersten und zweiten Blick, auch wenn er manche nicht übermäßig schätzte.
Viele der besten Kommandeure waren in den erbarmungslosen Schlachten der ersten Kriegswochen gefallen oder bei späteren Gefechten ums Leben gekommen. Allein der Kreuzerverbrauch mancher Träger war Legende – die REDEMPTION hatte vor ihrem eigenen Ende immerhin mindestens drei Schwere Kreuzer „verschlissen“, von den Kleinschiffahrern mal ganz zu schweigen. Jeder Kapitän mußte sich im Perisher-Kurs qualifizieren, aber auch das bot kein Gewähr für Brillanz. Und Menschen, die sich im Frieden bewährten, mochten im Krieg am Ende doch noch versagen – denn diese Belastung ließ sich nicht simulieren.
„Richtig kriminell wird es erst danach. Ich rechne mindestens mit einer kombinierten Trägerkampfgruppe. Ein Uniform und ein bis zwei Golf. Dazu auf jeden Fall ein komplettes Kreuzergeschwader und zwei Flottillen Zerstörer und Fregatten, wenn nicht noch mehr. Und natürlich Landungsschiffe – denn sicher wollen sie unsere Bodentruppen wieder rauswerfen, ohne den Planeten umzupflügen. Und vermutlich werden sie mindestens eine dritte Flottille leichter Schiffe als Absicherung der Bodentruppen dabei haben. Das alles sind natürlich nur Vermutungen, und nicht mehr. Aber wir müßten verdammt viel Glück haben, damit sie uns weniger auf den Hals hetzen. Also wird es letzten Endes zum Gutteil auch in Kiellinie ausgeschossen werden müssen. Die Akarii werden genug Jäger und Flakschiffe haben, um sich vor unseren Jabos und Bombern zu schützen.
Das heißt, die Knochenarbeit bleibt an uns hängen. Ich rechne sowieso mit einem Schwund der Trägereinheiten in der ersten Schlacht. Auch ,nur‘ ein Akarii-Träger bedeutet mindestens ein halbes Dutzend Jagdstaffeln. Selbst in der numerischen Überlegenheit unserer Maschinen wird das blutig werden.“
Die Gesichter ringsum drückten uneingeschränkte Zustimmung aus. Was möglicherweise auch daran lag, daß eventuell einige der Anwesenden geradezu darauf HOFFEN mochten, daß sie letzten Endes zur Entscheidung beitragen konnten. Nicht so sehr aus überschäumender Kampfeslust – aber es gab ja so etwas wie das ,Jucken am Hals‘, eine Krankheit, die in den Streitkräften fast chronischen Charakter hatte. Und außerdem war es eine Gelegenheit, DENEN mal zu zeigen, was man konnte. Wobei DENEN sowohl die Akarii als auch die Trägerkommandeure meinte. Schupp straffte sich: „Nun, dabei ist unsere Aufgabe klar. Bereiten Sie ihre Schiffe auf den Flottenkampf vor – das kommt an erster Stelle! Abwehr feindlicher Jäger an zweiter – ich hoffe mal, unsere eigenen Leute tun mal was für ihre Fliegerzulage. Über die genaue Formation entscheidet natürlich die Situation. Nur soviel – die schweren Kreuzer bilden das Herzstück. Captain Gonzales, Ihre Position wird in jedem Fall in der Nähe des Flagschiffs sein. So können Sie zum einen unsere Formation besser schützen, zum anderen wird so die elektronische Abstimmung erleichtert.“ Schupp schien sich entschieden zu haben, die DAUNTLESS als elektronischen Kampfschiff zu verwenden – ihr Radar und Computer würde den Einsatz der anderen Kreuzer unterstützen. In gewisser Weise war dies auch nur vernünftig, zumindest nach Schupps Ansicht – den im Flottenkampf hielt er das Schiff für eine Fehlkonstruktion, da ihm schwere Waffen mit akzeptabler Reichweite fehlten. Auch traute er vermutlich dem Wunderschiff immer noch nicht ganz. „Also, meine Damen und Herren, an die Arbeit!“
Sowohl Ehrenbezeigungen als auch die Antworten der Kommandeure entsprach zumeist genau dem, was zu erwarten war. Man hätte direkt einen Film drehen können, so sehr entsprach es dem Drehbuch. Freilich – die Texte wirkten im Vergleich zu den Aussprüchen der Leinwandhelden nicht spritzig genug. Teilweise waren sie geradezu lapidar, eintönig, fast fade. Nun, das Leben war eben nie so gut wie ein Film.
Schupp nickte den Captains Mithel und Caneira, sie sollten noch bleiben. Keiner von beiden war das, was man den zweiten Mann des Geschwaders nennen konnte - nach der Art der Navy, in der auch die Größe eines Schiffes etwas über den Rang eines Kapitäns aussagte, waren sie freilich die einzigen Kandidaten dafür. Aber Schupp hatte sich diesbezüglich noch nicht festgelegt. Etwas, was er freilich nicht mehr lange würde aufschieben können. Er haßte das – denn es war natürlich ein Eingeständnis der eigenen Sterblichkeit. Damit wurde kaum einer gerne konfrontiert. Aber es mußte klar sein, wer im Falle, daß sein Schiff oder er selber ausfiel, das Kommando über die Schwadron übernehmen würde. Er respektierte beide. Emotional mochte er eher zu Mithel tendieren. Schupp war gewiß kein Rassist, aber der Brite war für ihn trotz seiner unterkühlten, steifen Art eher etwas Vertrautes als der Halbindianer. Eigentlich sollten solche Dinge genau so wie echter Rassismus oder sexistische Einstellungen der Vergangenheit angehören – aber wie so oft waren Wirklichkeit und Anspruch nicht unbedingt deckungsgleich.
Der Schwadronschef kam rasch zur Sache: „Sie scheinen mir beide heute etwas schweigsam.“ Das war natürlich in gewisser Weise ein Witz – denn auch sonst waren gerade diese beiden Kommandeure alles andere als kommunikativ, außer, es drehte sich um Dienstliches. Und auch da sparten sie oft mit Worten. Das leichte Zucken der Mundwinkel, das sich Mithel leistete, zeigte, daß ihm die Anspielung nicht entgangen war. Er ließ Caneira den Vortritt: „Mir scheint,“ meinte der Kapitän der Merciless: „daß der Plan sehr stark davon ausgeht, daß wir den Akarii unsere Vorstellungen aufzwingen können. Unsere Informationen sind unsicher – wir wissen nicht wirklich, wie stark der Feind bei Graxon und Wron ist. Und es dürfte auch schwierig sein, sicherzugehen, daß Wron verläßlich entblößt ist, wenn unsere zweite Welle dort angreift. Die Operation ist recht vielschichtig. Und komplizierte Operationen neigen dazu, aus dem Ruder zu laufen. Zudem wagen wir sehr viel, verzetteln dabei aber unsere ohne Zweifel beträchtlichen Truppen. Angesichts dessen, daß wir davon ausgehen müssen, daß die Akarii-Flotte der unseren zahlenmäßig überlegen ist, birgt dies ein großes Risiko.“ Für seine Verhältnisse war dies fast eine ausgewachsene Rede. Mithel kommentierte die Ausführen mit einem knappen Nicken.
Schupps Augen funkelten: „So, meinen Sie? Ihnen ist aber zweifelsohne klar, daß wir angreifen müssen. Sie wissen, Friedrich der Große – wer alles defendieren will, defendiert gar nichts! Wer angreift, verliert – mit dieser Strategie sind schon viele falsch gefahren.“ Wenn es ein Laster gab, dem Schupp gelegentlich frönte, dann war es das Zitieren. Er konnte seine Aussprüche mit den Zitaten von Caesar, Clausewitz, Rommel, Patton, Yamamoto und anderen Strategen und Feldherren schmücken. Und das tat er auch, ungeachtet dessen, daß bei weitem nicht alle Zuhörer etwas damit anfangen konnten. Dabei achtete er selten darauf, ob zwischen den Weis- und Torheiten verflossener Größen des Krieges Kleinigkeiten von ein paar tausend Jahren geschichtlicher Abstand lagen oder nicht. Besonders jüngere Kommandeure zeigten sich durch dieses Verhalten mitunter verunsichert oder verpassten eine Pointe, was wiederrum Schupp frustrierte. Bei den beiden Anwesenden bestand die Gefahr freilich weniger.
Mithel übernahm die Antwort: „Gewiß. Andererseits – Lee und Stonewall Jackson haben auch immer angegriffen, aber am Ende haben ihre Gegner gesiegt. Ähnlich ging es vielen. Der Cunctator aber hat die punischen Löwen am Ende ermattet, damit Scipio sie erledigen konnte. Aktionismus aus der Motivation heraus, etwas tun zu müssen, kann leicht fatale Folgen haben. Ich weiß nicht, ob wir im Augenblick zum Angriff überhaupt bereit sind. Das soll kein Mißtrauensvotum gegen die Kommandeure und Mannschaften sein. Aber ich habe beim ,Sieg‘ von Jollahran…“ ,Mithels Stimme klang etwas zynisch, und er hatte Schupp gegenüber bei der Erwähnung seines letzten Einsatzes mehr als einmal Pyrrhos zitiert, „…erlebt, wie ein vielschichtiger Plan, der auf ähnlichen Quellen basierte, letzten Endes bestenfalls zu einem halben Erfolg führte.“ Und beim Militär galt ein halber Sieg stets als halbe Niederlage.
Der Kommandeur des Kreuzerverbandes seufzte leise: „Meine Herren – ich verstehe Sie ja. Aber Sie wissen auch, daß wir diesen Sieg BRAUCHEN. Politisch, psychologisch, militärisch – in jeder Hinsicht. Unsere Heimatfront ist nicht der monolithische Block, als die man sie präsentiert. Ein Sieg würde uns in die Lage versetzen, den Akarii einen Frieden anzubieten, der den Schlappschwänzen zu Hause das Maul stopft. Unsere Flotte braucht das, damit sie endlich sieht, daß wir die Akarii auf gleicher Augenhöhe schlagen können. Und militärisch – nun, es kann so nicht weitergehen. In einem Abnutzungskrieg gewinnen die stärkeren Bataillone. Und wir wissen, wer die hat. Wir müssen den Siegeswillen der Akarii brechen. Risse dürfte er schon bekommen haben – ich denke, daß zerstörte Bravo werden sie nicht vergessen haben, und ihre Armee dürfte außer sich sein über die zerstörten Truppentransporter. Aber wir brauchen mehr. Deshalb dieser Angriff.
Captain Caneira lächelte: „Ist das Ihre Meinung oder die der Führung?“ „Meine.“ ,versetzte Schupp säuerlich: „Die hohen Herren und Damen lassen sich mal wieder nicht in die Karten schauen. Aber wenn sie es anders sehen, sollte es mich wundern. Ich teile Ihre Bedenken. Aber Sie wissen auch, dazu ist es jetzt sowieso zu spät.“ Was natürlich stimmte. Ein Captain mochte manche Befehle für ausgemachten Blödsinn halten – verweigert wurden sie in den seltensten Fällen. Kaum eine Karriere überlebte das unbeschadet.
„Nun – machen wir das Beste daraus.“ Schupp zögerte kurz, doch dann entschied er sich: „Captain Caneira – Sie sind Nummer Zwei. Sollte mir was zustoßen, übernehmen Sie. Nach Ihnen Mithel.“ Beide Offiziere salutierten, beinahe marionettenhaft, was von Schupp erwidert wurde. Wie sie so dastanden, hätten sie eher zu einer Flottensatire gepaßt – drei ältere Herren, die sich in würdevollem, steifen Gebaren gefielen. Aber das hier war tödlicher Ernst, und die drei Männer befehligten genug Feuerkraft, um einen Planeten zu verwüsten. Sie würden ihre Pflicht erfüllen, wie sie es immer getan hatten.
Tyr Svenson
Ein unerwarteter Brief...
Mit einem schiefen Grinsen ließ Lilja ihren Kampfflieger auf dem Deck aufsetzen. Die Landung war genau nach Vorschrift, so, wie es sich gehörte. Mit einem Seitenblick versicherte sie sich, daß auch ihr Flügelmann sicher gelandet war. Natürlich hatte Tyr einiges an Flugerfahrung, aber sie nahm ihre Pflichten nun einmal ernst. Und selbst wenn es ihm nicht passen mochte, daß die Russin ihm immer wieder über die Schultern blickte, inzwischen hatte er sich damit abgefunden. Sie hatte in der Hinsicht einen ausreichend bekannten Ruf als Perfektionistin.
Wohl fühlte sich Lilja freilich nicht. Die Patrouille war vollkommen ereignislos verlaufen. An und für sich nichts schlechtes, wenn man den Gegner überraschen wollte. Aber Lilja war auf Kampf aus, und sie bedauerte das Ausbleiben jeder Gelegenheit. Nun, bald würde sie davon genug bekommen. Wenn es erst einmal hart auf hart ging, das wußte sie, würde sie ihre Wünsche hintenan stellen müssen. Dann kam es auf die Staffel an, nicht auf ihre Abschußzahlen. Aber man durfte ja noch hoffen...
Zum einen hatte sie noch einiges mit den Akarii abzugleichen, und zum anderen brauchte sie die Erfolge für sich wie für andere. Seit ihr während des Urlaubs klargeworden war, daß sie zumindest für ein paar Menschen so etwas ähnliches wie eine Heldin war, brannte in ihr der Wunsch, diesen Vorstellungen gerecht zu werden.
Und zudem – sie machte sich ein wenig Sorgen, schlecht abzuschneiden. Nicht, daß ihr jetzt noch die Etappe gedroht hätte. Aber erleben zu müssen, wie ein ehemaliger Frischling sie möglicherweise überholte, das wollte sie denn doch nicht. Nun, im Grunde waren derartige Regungen eigentlich höchst unsoldatisch. Sie wußte, daß sie für ihren Sold gute Arbeit lieferte, und wenn jemand anders noch besser war, sollte ihr das nur Recht sein. Aber ein bißchen wurmte ihr es schon.
Als sie aus dem Cockpit kletterte, machte sich Lilja nicht die Mühe, gute Laune vorzutäuschen. Mit knappen Worten versicherte sie sich, daß ihre Maschine ordentlich versorgt werden würde, nickte Tyr einen knappen, nicht eben unfreundlichen Gruß zu – bei ihr eine Ausnahme, aber der Flightkamerad war immer ein Sonderfall – und machte sich auf den Weg zu ihrem Quartier. Sie hatte einen Bericht zu schreiben über vier Stunden Langeweile, und dann würde es nicht mehr lange dauern, bis sie sich wieder mit dem Staffeltraining befassen mußte. Inzwischen glaubte sie, die Staffel ungefähr so weit zu haben, wie es in der Zeit und unter den gegebenen Umständen möglich war.
Sie fühlte sich keineswegs wohl in ihrer Uniform. Auch wenn sie ihren Körper inzwischen weitestgehend unter Kontrolle hatte, so blieben doch gelegentliche Schweißausbrüche und Schlafstörungen auch weiterhin Begleiterscheinungen des ständigen Stresses. Es hatte sich seit der letzten Feindfahrt gebessert, aber im Augenblick wollte sie vor allem eines – sie gründlich waschen. Und für ein heißes Bad ohne Zeitlimit hätte sie auch einen Mord in Erwägung gezogen. Andererseits – das hatte sie auch früher schon ohne Hoffnung auf Belohnung...
Die Kabine würde leer sein – Imp durforstete den leeren Raum, so wie sie es vorher getan hatte. Das war bedauerlich, denn der Humor ihrer Freundin gehörte zu den wenigen Dingen, die Lilja ein echtes Lachen entlockten. Andererseits gab es so kein Würfeln um die Reinfolge, wer sich als erster waschen durfte...
In der Kabine angekommen, warf Lilja ihr Pistolenholster aufs Bett, der Stiefeldolch flog hinterher. Sie fuhr ihr Notepad hoch, und rief das notwendige Formular für den Patrouilledienst auf. Warum ein schriftlicher Bericht nötig war, wo sie schon per Funk alles wichtige – nämlich nichts – gemeldet hatte, war eines der Geheimnisse der Militärverwaltung. Schon der Anblick des Berichtes, den sie auszufüllen hatte, ließ erneut Ärger aufkommen. Mit einem unwirschen Knurren suchte sie sich frische Sachen zusammen und legte diese griffbereit. Sie streckte die verspannten Muskeln und machte sich auf den Weg zur Naßzelle.
Als der Türmelder ansprang, hatte sie das augenblickliche Ziel ihrer Wünsche beinahe erreicht. Schon aus dem Grund war Lilja alles andere als erfreut. Ihre Freizeit war – schon wegen ihrer Stellung als XO und ihrer Besessenheit, den Posten auch optimal auszufüllen – knapp bemessen. Deshalb kam ihr im ersten Augenblick auch ein deftiger Fluch über die Lippen, und dies keineswegs leise. Sie überlegte sich schon, der Besucher zu Teufel zu schicken. Aber dann entschied sie sich doch dagegen. Zum einen konnte sie nicht wissen, wer es war. Wohl kein Vorgesetzter. Die hätten vermutlich Sturm geklopft, Lightning konnte sogar ohne Anmeldung eintreten, wenn sie es eilige hatte. Wozu war man ranghöher? Wenn es aber ein Staffelkamerad oder einer ihrer “Informanten” war, dann wollte sie ihn oder sie nicht verärgern. Ihre Miene und Stimme bekam sie dennoch nicht ganz in den Griff, als sie ein wütendes: “Herrein!” bellte.
Lilja registrierte mit einer Mischung aus Überraschung und Frustration, daß die eintretende Person ihr vollkommen unbekannt war. Eine Marine, zudem lediglich Private. Hatte jemand die Soldatin als Laufburschen losgeschickt? Oder gab es Probleme mit jemandem aus ihrer Staffel?
Da Lilja das Äußere ihres Gegenübers so ziemlich egal war, nahm sie sich nicht einmal die Mühe, den Besucher genauer zu mustern. Sie ließ ihre Miene von mürrisch auf kalt-dienstlich wechseln. Beides beherrschte sie recht gut: “Ja, Private?” Der Ton war exakt die leicht verstimmte Art, die ein höherer Offizier an den Tag legte, wenn er von einem Untergebenen zu Unzeit gestört wurde. ,Das sollte genügen, die Sache abzukürzen.’ Lightning mochte sich auch ein wenig wie die Mutter oder ältere Schwester geben, aber das lag Lilja weniger. Außer die ältere Schwester hatte eine leicht autoritäre Ader und einen etwas unleidigen Charakter.
Die Soldatin ließ sich aber offenbar nicht einschüchtern. Nun, Marines standen sowieso in dem Ruf, daß alle Rangstrukturen außerhalb ihres Platoons sie überforderten. Immerhin machte sie eine vorschriftsmäige Ehrenbezeigung. Wie es sich auch gehörte, denn als Private stand sie in der militärischen Hackordnung deutlich unter Lilja: „Private Jean Davis, Kompanie…“ Die Russin kürzte die Vorstellung mit einem knappen Nicken ab. Die Nummern der Bordkompanien sagten ihre sowieso nicht viel. Der Name ließ bei ihr keine Glocke klingeln.
“Sie sind Lilja?” fragte die junge Soldatin, möglicherweise etwas zweifelnd. Die Russin presste die Lippen zusammen. Ihre Stimme klang alles andere als freundlich, vielmehr war der scharfe Unterton nicht zu überhören: “Ich bin First Lieutenant Tatjana Michailowa Pawlitschenko, Private. Was führt Sie zu mir? Ich komme gerade von einer Patrouille.” In Übersetzung bedeutete dies in etwa: ,Nimm gefälligst zur Kenntnis, welchen Rang ich habe und sag, was du willst – und ich hoffe für dich, daß du einen triftigen Grund hast, hier zu sein.’ Aber auch dies schien seine Wirkung zum Gutteil zu verfehlen. Die Soldatin musterte sie erneut und sagte, jetzt offenbar doch ein wenig nervös: “Ich habe einen Brief von Cliff’ an Sie.”
Lilja brauchte mehr als einen Augenblick, ehe sie überhaupt verstand, worum es ging. Zum einen war Clifford Davis für sie günstigenfalls “Ace” gewesen – wiewohl sie ihn auch mit noch ganz anderen Worten bedacht hatte. Sein wirklicher Name war ihr immer ziemlich egal geblieben. Dann aber, als sie zu dem Schluß kam, daß die Frau vor ihr Ace’s Schwester war – seine Frau konnte sie wohl nicht sein, oder Ace wäre ein größeres Schwein gewesen, als sie vermutet hatte – spannte sie sich unwillkürlich an. Ihr Verhältnis zu Ace war bestenfalls problematisch gewesen. Falls das Mädchen irgendwie das „Erbe“ ihres Bruders antreten wollte – aber so dumm wirkte sie eigentlich nicht.
Deshalb ließ sie ihren Tonfall nicht eben wärmer werden: “Mein...Beileid. Das muß schwer für Sie gewesen sein. Er hatte einen guten Tod.” Ihr selber kamen die Worte dürr, herzlos, ohne echtes Mitleid vor. Aber sie konnte, erst recht so überrascht, keine echte Bewegung heucheln. Sie hatte nichts gegen die Familie von Ace, auch wenn sie ihn bis zuletzt ziemlich verachtet hatte. Sein Tod hatte nicht viel daran geändert – vermutlich auch wegen dem Heldenkult, den ein oder zwei irregeleitete um Ace getrieben hatten. Zögernd fuhr sie fort: “Aber...Brief? Wenn er mir was mitteilen wollte, hat er es mir für gewöhnlich ins Gesicht gesagt. Und er ist..., ich meine inzwischen..., also warum erst jetzt?” Jean schien fast so unsicher wie die Russin. Vermutlich hatte sie mit einer anderen Reaktion gerechnet, selbst wenn sie die Wahrheit über Ace und Lilja wußte. Sie wirkte fast etwas gekränkt, was Lilja ihr kaum verübeln konnte. “Ich habe ihn von Lieutenant Commander McQueen.” meinte sie.
Lilja zögerte. Sie hatte eigentlich wenig Neigung, sich auch noch mit DIESEM Toten zu belasten. Ihre eigenen Erinnerungen gingen ihr nahe, aber an Ace Schicksal hatte sie wenig Anteil genommen, und sie wollte auch nicht, daß sich daran etwas änderte. Manche Kränkung saß zu tief. Dann aber gab sie sich einen Ruck. Wenn sie ihn schon nicht leiden konnte, seiner Schwester lag vielleicht was drann, seinen letzten Willen zu erfüllen. Also nahm sie den Brief an sich, und begann zu lesen. Jean wollte offenbar nicht länger bleiben, möglicherweise wollte sie Lilja ungestört lassen. Nicht, dass die Russin derartige Sensibilität für nötig hielt. Sie glaubte nicht, daß etwas von Ace sie zu Tränen würde rühren können. Mit ein paar gekünstelt mitleidigen Worten, die ihr selber wie billiges Schauspiel vorkamen, gab ihr Lilja die Erlaubnis zu gehen. Sie war ein wenig wütend auf sich selbst, aber während sie bei einem Staffelkameraden wohl zumindest Anteilnahme hätte vorspiegeln können. Gelang es ihr hier nicht Recht.
Freilich waren ihre Gedanken auch nicht sehr andächtig. Sie hielt nichts von solchen Briefen. Wer so etwas schrieb – das war alter Soldatenglaube – der signalisierte dem Schicksal, daß es bald auch Gebrauch von dieser Vorsorge machen konnte. Wer schon im Voraus in dieser Art Abschied nahm, dessen Briefe erreichten auch bald den Adressaten. Jedenfalls war das eine der Konstanten, die angeblich immer wieder bestätigt wurden.
Der Anfang hätte ihr beinahe ein Mittelding zwischen einem sarkastischen Grinsen und einem wütenden Fluch entlockt. Zufrieden? Nein, sie war nicht mit Ace zufrieden. Er hatte einen anständigen Tod gehabt, gewiß. Aber zum einen war sie der Meinung, er habe sein Leben zur Unzeit weggeworfen. Sie sah in Ace’ Tod zum Gutteil die Art theatralische Geste, die sie an ihm verabscheut hatte. Vielleicht ein wenig aus Neid, auf jeden Fall aber aus dem Grunde, daß sie Ace, nicht ganz rationell, durchaus zutraute, seinen Tod in einer Art und Weise zu inszenieren, daß er sich der Bewunderung solcher schlichten Gemüter wie Ace II. sicher seien konnte. In derselben Art von Überheblichkeit, die ihr den lebenden Ace verleidet hatte. Außerdem kränkten die Worte sie. Sie hatte den blauhaarigen Piloten verachtet, aber den Tod hatte sie ihm nicht direkt gewünscht. Aber das konnte sie seiner Schwester kaum sagen.
Die Fortsetzung war so ähnlich. Es ging um ihr eigenes Streitthema. Ace hatte ihr mehr als einmal unterstellt, sie würde sich mit Absicht benehmen wie eine lebende Leiche, obwohl sie sich doch nach etwas anderem sehne. Daß sich Liljas Wangen röteten, lag nicht an Verlegenheit. Vielmehr war es der Zorn. Wie konnte er sich nur einbilden, IHR sagen zu können, was in ihr vorging? Und dann noch in diesem Ton? Er hatte einfach keine Ahnung gehabt, im Leben ebensowenig wie im Tode. Aber vielleicht war das seine Art und Weise, die Menschen zu sehen. Vielleicht war es ihm unbegreiflich geblieben, daß Menschen so dachten und handelten wie sie – ohne dabei etwas von ihrer Menschlichkeit abzulegen. Er hatte nie erkannt, worum es ihr wirklich ging, hatte ihre Gefühle nie begreifen können. Vielleicht war es sein Glück gewesen, vielleicht auch sein Untergang.
Aber es waren die letzten Zeilen, die ihr dann wirklich eine deutliche Reaktion entlockten. Wenn auch eine ganz andere, als Ace vermutlich gedacht hatte. Hätte es einen Zuschauer gegeben, er hätte sehen können, wie Lilja wie betäubt auf den Brief starrte. Sie schien eine Passage zu lesen, zweimal, dreimal. Dann hob sie den Kopf. Das Gesicht der Russin war totenbleich, die Narben traten ungewöhnlich deutlich hervor. Sie starrte für eine Sekunde blicklos vor sich hin, dann wütete sie los: “Dieses verdammte Dreckschwein! Wenn er es nicht selber besorgt hätte, würde ich ihn kaltmachen. Ich scheiße auf dein Mitgefühl! Verrotte, verdammt nochmal!”
Hätte sie mit einem anderen Menschen gesprochen, man hätte glauben können, Lilja wollte sihn körperlich angreifen, aber die Offizierin stand bloß da, den Brief in der Hand, die Lippen zu einer Grimasse verzerrt.Sie ballte die Faust um das Blatt Papier und zerknüllte es unkontrolliert, eher unbewußt. Ein Zuschauer hätte möglicherweise an ihrem Geisteszustand gezweifelt. Die undeutlichen Verfluchungen, die folgten, waren ebenso deftig wie für jeden Nichtrussen unverständlich - glücklicherweise. Die schleuderte das Schreiben auf den Boden, als wolle sie damit auch alles abstreifen, was darin gestanden hatte.
Es war keine Beleidigung gewesen, die Lilja derart aus der Fassung gebracht hatte. In den letzten Zeilen hatte Ace versucht, sie gegenüber Pinpoint etwas gnädiger zu stimmen – und es war Lilja durchaus klar, daß er davon ausging, daß sein Freund in die Russin „verschossen“ gewesen war.
Es war nicht so, daß Lilja direkt bereute, Thomas Andrews nie eine Chance gegeben zu haben. Für solche Gefühle hatte sie, da war sie sich sicher, einfach keine Zeit. Sie vertraute niemandem genug, und zudem, wozu sich noch zusätzlich auf einen Menschen einlassen, der morgen sterben konnte? So etwas brachte nur noch mehr Schmerz.
Aber sie hatte sich innerlich Vorwürfe gemacht, als er gefallen war. Nicht sehr lange davor hatte sie ihn auf ihre Art ziemlich brüsk zurückgewiesen, ohne daß er ihr einen Grund gegeben hatte. Sie hatte sich später gefragt, ob dies nicht zu seinem Tod beigetragen haben mochte. Immerhin wäre es nicht das erste Mal gewesen, daß ein Pilot, der aus persönlichen Gründen, etwa wegen einer Kränkung, nicht voll bei der Sache war, abgeschossen wurde. Ace Worte ließen diese Gedanken nur glaubhafter erscheinen. Und das war etwas, was sie ihm nicht verzeihen konnte. Sie trug schon genug Schuld gegenüber Gefallenen – dies hier machte alles nur noch schlimmer.
Tyr Svenson
Als Justus Schneider von der Akte aufsah, fixierte er den Crewman mit finsterer Miene. „Crewman Schöller. Sie wollen also abmustern.“
Der Raumfahrer straffte sich und starrte geradeaus. „Ja, Sir. Ich denke, ich sollte dies tun, solange wir an GIBRALTAR anliegen. Die nächste Fahrt der KAZE will ich nicht mitmachen. Nichts gegen Ihre Fähigkeiten, Skipper.“
Schneider nickte stumm und musterte den Mann intensiver. Die rechte Hand war bandagiert und das linke Auge war zu geschwollen. Der Mann war im Maschinenraum tätig gewesen, an einer Stelle des Schiffs, die extrem wichtig und hoch gefährlich war.
„Wollen Sie wegen der Prügel, die Sie bezogen haben, offiziell Anklage erheben?“, fragte Schneider beiläufig.
„Nein, Sir.“ Schöller warf der dritten Person im Büro, dem Feuerleitoffizier Ishihiro einen scheuen Blick zu. „Und ich habe auch nicht vor, das JAG auf GIBRALTAR aufzusuchen. Ich will nur runter von diesem Schiff.“
Schneider rieb sich die Schläfe. „Hm. Sie sind seit einem halben Jahr auf meinem Schiff. Das ist nicht viel. Wollen Sie es nicht wenigstens noch eine Fahrt probieren? Wenn Sie sich anstrengen…“
„Nein, Sir, mein Entschluss steht fest. Ich werde abmustern. Notfalls trete ich gleich aus der Navy aus.“
Der Kapitän der KAZE klappte die Akte zu und reichte sie Ishihiro. „Nun gut. Ich genehmige den Transfer. Packen Sie Ihre Sachen und gehen Sie.“
„Danke, Sir“, erwiderte der Crewman und salutierte.
Während er das Büro Schneiders verließ, erkannte man, dass er humpelte.
„Haruka, sehen Sie zu, dass Schöller noch mal bei unserem Doc vorbeischaut, bevor er das Schiff verlässt. Ich will ihn nicht völlig blessiert das raus schicken. Wir wollen nicht unbedingt schlechter dastehen als wir sind.“
„Verstanden, Skipper.“
Schneider sah auf. „Sie kennen die Hintergründe, oder? Warum hat Maggie ihn vertrimmen lassen?“
Maggie, das Gespenst, war die Herrin über die Reaktoren. Es hieß, sie wäre schon vor langer Zeit gestorben, ihre Seele hatte aber keine Ruhe finden können und würde sich immer noch bei den Reaktoren herum treiben. Abgesehen von ihrem Jahresurlaub, den sie auf den terranischen Hawaii-Inseln verbrachte, schien sie den Maschinenraum wirklich nie zu verlassen.
„Ich habe den Bericht von Chief Anderson gelesen. Demnach ist der Crewman schlampig, faul, unordentlich und wäscht sich selten. Wobei letzteres nicht das wichtigste Kriterium ist.
Sie wissen selbst, wie wichtig die Arbeit an den Reaktoren ist. Wenn ein Mann seine Arbeit da unten nicht sehr ernst nimmt, dann kann das zur Katastrophe führen. Mit dem Reaktor steht und fällt ein Schiff.“
„Ich nehme an, sie hat den Crewman gemaßregelt?“
„Von den sechseinhalb Monaten an Bord hat er zwei auf Stubenarrest und einen halben in Haft verbracht. Hat alles nichts genützt. Danach hat sie die Strafversetzung beantragt. Wurde aber nicht genehmigt.“
„Na, das hätte mich auch schwer gewundert“, brummte Schneider leise. „Immerhin schieben sie die Probleme ja zu uns ab, nicht umgekehrt.“
„Jedenfalls sah sich Chief Anderson genötigt, die Sache außerhalb der Vorschriften zu regeln.“
„Verstehe.“ Mehr durfte Haruka nicht sagen. Mehr brauchte Schneider aber auch nicht zu hören. Der Mann war nun bei Fehlverhalten geschlagen worden. Wenn schöne Worte nichts nützten, mussten eben Prügel helfen. Nicht gerade Schneiders favorisierte Erziehungsmethode. Aber hier an Bord gab es eigene Regeln und Gesetze, die der Skipper respektierte.
Dieses Schiff bekam nun mal den Abschaum. Und musste damit arbeiten. Zudem war es oft in Kampfsituationen. Wenn da die Crew nicht funktionierte – Abschaum hin, Abschaum her – dann bedeutete dies eventuell den Tod für alle.
Es gab eine schlichte Regel an Bord, die im Austausch für weitestgehende Narrenfreiheit diente: Jeder arbeitet, jeder kämpft.
Solange dies eingehalten wurde, durfte man in seiner Kabine Sojabohnen züchten, halbnackt zum Dienst erscheinen, eine illegale Waffe mit sich herum tragen, sein Essen beim Smutje Biologisch-dynamisch bestellen, ein Aquarium betreiben, und, und, und… Von der Schwarzbrennerei mal ganz abgesehen.
Dies war die einzige Regel, welche die Individualisten an Bord vereinte. Und jeder, der an Bord kam, merkte schnell, dass es den Alten an Bord damit sehr ernst war.
Denn sie alle wollten zwei Dinge: Gegen die Akarii kämpfen und überleben.
Wer diese beiden Wünsche nicht teilte, hatte keine glückliche Zeit an Bord.
Schneider nickte seinem IIO zu. „Sehen Sie zu, dass das JAG nicht davon Wind kriegt. Man lässt uns weitestgehend bei solchen Vorfällen in Ruhe. Aber ich weiß nicht, ob es auf GIBRALTAR nicht einen übereifrigen Lieutenant gibt, der sich mit einem spektakulären Prozess nach Terra klagen will.“
Ishihiro nickte. „Aye, Skipper.“ Seine Miene war starr. Er konnte Arbeitsverweigerer auf den Tod nicht ab. Mit Mühe hatte er sich an die laxe Disziplin an Bord gewöhnt. Aber wenigstens die Grundsätze ihrer Arbeit verteidigte er verbissen.
„Sie können wegtreten, Haruka. Ach, und Haruka, es sind nur noch etwas mehr als drei Monate, nicht? Nach dieser Fahrt können Sie Ihre Karriere fortsetzen.“
Der Japaner nickte stumm. Und verließ Schneiders Büro.
Justus machte sich indes weitere Gedanken. Er konnte seinen Leuten dieses Verhalten nicht verbieten, immerhin ging es um die Schiffssicherheit. Ein Disziplinarverfahren hatte wenig Aussicht auf Erfolg.
Aber wenn die Sache um Schöller Kreise zog, dann würde Schneider einen noch weit schwereren Stand beim Captain der ONTARIO haben, als dies ohnehin schon der Fall war.
Captains Dinner, ausgerechnet. Aber eine gute Gelegenheit, um die anderen Kapitäne der Einsatzgruppe kennen zu lernen.
**
Die Landung der vier Mirage an Bord der GUADALCANAL verlief unspektakulär, hatte aber dennoch einiges an Aufmerksamkeit.
Sowohl Kapitän Dominguez als auch sein IO Wang sowie der CAG des Schiffes, Commander DeLaCruz erwarteten die JaBos auf dem Landedeck.
Kaum stand die erste Mirage, ging auch schon das Cockpit auf und die Pilotin kletterte heraus. Sie wartete gar nicht erst auf die Leiter und sprang auf das Flugdeck herab. Ihren Helm drückte sie einem Techniker in die Hand und marschierte wie eine abgefeuerte Sidewinder auf die kleine Gruppe zu.
Vor den drei Männern nahm sie Haltung an und salutierte. „Commander Turpin, meine Herren. Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.“
Die Männer erwiderten den Salut. „Erlaubnis erteilt, Commander.“
Lieutenant Commander Turpin drehte sich leicht in Richtung DeLaCruz und salutierte erneut. „Commander DeLaCruz, hiermit melde ich eine Sektion Mirage einsatzbereit übergeben und unterstelle mich Ihrem Kommando.“
Der Südamerikaner erwiderte auch diesen Salut. „Stehen Sie bequem, Commander. Willkommen beim Dirty Bunch.“
Dominguez beobachtete die Landung der nächsten Mirage und murmelte: „Prächtige Maschinen. Sie scheinen nicht gerade Reste zusammengestoppelt zu haben.“
Alice Turpin nickte. „Die Mühlen sind alle brandneu. Die Werften haben ihren Ausstoß auf hundertfünfzig Prozent hochgejagt. Einen neuen Jäger zu bekommen ist wesentlich einfacher geworden, als einen guten Piloten rein zu stecken.“
„Hm“, machte der Kapitän. „Was macht Ihre Schulter? Alles wieder in Ordnung?“
Commander Turpin grinste schief. „Bereit, beweglich und belastbar, Sir. Die Ärzte auf der Erde hätten mich nicht gesund geschrieben, wenn es nicht so wäre.“
„Gut. Gut. Nun denn, stellen Sie Ihre Maschinen ein und belegen Sie Ihre Quartiere. Danach sollten Sie mit Commander DeLaCruz reden. Er kennt die Akte Ihrer Sektion noch nicht.“
„Verstanden, Sir. Commander.“ Kapitän und XO wandten sich stumm ab und verließen das Deck.
Mittlerweile war auch der Co-Pilot aus ihrer Maschine geklettert. Jungenhaft grinsend baute er sich neben Turpin auf und salutierte. „Second Lieutenant Chalmers, Sir. Ich habe die Ehre, Augen und Ohren für den Commander zu sein.“
„Auch Sie, willkommen an Bord. Commander, wie ist Ihr Callsign?“
„Arrow, Sir.“
„Arrow, stellen Sie Ihre Maschinen wie befohlen ein und kommen Sie dann in den Besprechungsraum. Bringen Sie die Akten Ihrer Leute mit. Wir haben heute noch viel zu bereden.“
„Aye, Sir. Du hast den Commander gehört, Teacher. Mirage einpacken.“
„Das sind die Vorteile der hohen Ränge“, spöttelte der junge Offizier. „Man kann jederzeit und wo man will Arbeit delegieren.“ Er salutierte erneut und machte sich auf dem Weg, um den Technikern zu helfen.
Unschlüssig sah DeLaCruz dem Jungen nach. „Ist Ihnen vierzehnhundert recht, Arrow?“
„Aye. Vierzehnhundert im Besprechungsraum, Commander.“
„Gut. Und… Nennen Sie mich Tigre.“
„Aye. Tigre.“
**
Drei Stunden später saßen sich die beiden gegenüber. Auf dem Tisch lag ein Streifen frischer Zuckerkuchen, dazu gab es eine Kanne Kaffee. Die beiden Piloten saßen vor den Akten, die Arrow ausgebreitet hatte.
„Das wichtigste zuerst, CAG. Lieutenant Commander Alice Arrow Turpin. Meine Wenigkeit.
Ich wurde vor einem Jahr während Operation HUSAR bei einem Angriff auf einen Golfträger aus meiner Mirage geschossen. Ein SAR meines Leichten Trägers, der ATLANTIS hat mich geborgen und in die Etappe verschifft. Die Ärzte haben acht Monate gebraucht, um mir meinen rechten Arm wieder zu geben. Danach habe ich weitere vier Monate hart trainiert, um wieder für den aktiven Dienst zugelassen zu werden. Vier Monate mit den anderen Piloten meiner Sektion wohlgemerkt. Einige sind Frischlinge von der Akademie. Andere habe ich selbst aus den Krankenbetten rekrutiert. Deshalb nannte man uns auch das Lazarett-Team.
Mein Orter ist Second Lieutenant Seymour Chalmers, genannt Teacher.
Mit Teacher bin ich schon auf der ATLANTIS geflogen. Er wurde ebenfalls schwer verletzt, ist aber wieder hergestellt. Wir haben uns während des Trainings gut aufeinander eingestellt.
Meinen Wing bilden First Lieutenant Akihito Watanabe alias Fury und sein Orter Second Lieutenant Julietta Andretti, genannt Merlin.
Merlin ist frisch von der Akademie. Fury war, bevor er verletzt in die Etappe geschickt wurde, ein G-Man. Macht sich heute noch Vorwürfe, dass er bei Jollahran nicht dabei gewesen ist. Aber dadurch nimmt er seine derzeitige Aufgabe noch ernster.
Wing zwei führt First Lieutenant Harry Ngama an. Ein Manticore-Veteran, der früher auf der MOSKAU geflogen ist. Wurde verdammt schwer verwundet und hat fast zwei Jahre Rekonvaleszenz hinter sich. Sein Callsign ist Bullseye. Und ich sage Ihnen, was er anvisiert, trifft er auch.
Sein Orter ist auch ein Frischling von der Akademie, Second Lieutenant Klaus Raderer alias Spot. Fähiger Junge. Ich hoffe, er behält diese Fähigkeiten auch noch in einer Kampfsituation.
Den Flügel bildet First Lieutenant Aischa Ugur. Trasher genannt. War früher bei den Tuskegen Airmen, bevor ihre Garnison überrannt wurde. Mein Problemkind. Lag wegen einer Neurose im Lazarett. Es hieß, sie würde nie wieder fliegen können. Aber eine Trainingsstunde in einer Mirage, und ihr Lebenswille kehrte zurück. Sie war ebenfalls bei Manticore, hat es gerade so mit der MOSKAU raus geschafft. Ich habe sie im Auge, aber bisher war sie sehr zuverlässig.
Ihr Orter ist Second Lieutenant Melanie Richter. Ihr Callsign ist Ninchen. Aber fragen Sie mich nicht, wie sie daran gekommen ist. Manche Signs sucht man sich selbst aus und andere…“
„Werden einem gegeben, ich weiß. Was ist mit ihr? Auch Akademie?“
„Ja, so frisch, frischer geht es gar nicht. Aber sie hat ein sicheres Auge und einen wachen Verstand. Nebenbei hat sie den niedlichsten Hintern der ganzen 6. Flotte und weiß das auch. In dem Punkt ist sie ein ziemlicher Tunichtgut. Flirten ist ihre Lieblingsbeschäftigung, nur damit Sie gewarnt sind. Ich halte sie an einer sehr kurzen Leine, aber ich kann nicht überall sein.“
„Hm“, machte Tigre. „Hm.“
„Stimmt was nicht, CAG?“
„Auch wenn über die Hälfte der Truppe frisch aus dem Krankenzimmer kommt, scheint sie nicht das schlechteste zu sein, was die Navy zu bieten hat.
Also. Warum? Warum gehen Sie auf einen Hilfsträger? Warum kommen Sie zum Dirty Bunch? Sie wissen doch, dass das Gros aus Sträflingen besteht, oder?“
„Nun, Tigre, vorab denke ich mal, ich sollte niemanden verurteilen, bevor ich ihn kennen gelernt habe.“
„Erzählen Sie das jemandem, der eine Nighthawk mit einer Crusader verwechselt. Weiter.“
„Es ist ein Arrangement. Das Kommando sieht in der Zeit an Bord der GUADALCANAL eine Möglichkeit für mich und meine Sektion, weiter zu trainieren und in Form zu kommen.
Wenn der Einsatz gut läuft, kommen wir direkt an die Front.
Motivation genug?“
Tigre nickte. „Wenigstens sind Sie ehrlich, Arrow. Noch mal, willkommen an Bord.
Sie werden während des Einsatzes mein XO.“
„Habe nichts anderes erwartet, CAG. Ach, noch etwas, was wissen wir über die Mission der GUADALCANAL?“
Tigre grinste. „Noch nicht viel. Das Flottenkommando zieht hier einige Schiffe der zweiten Garde zusammen, sowie einen Forschungskreuzer, der unserer Einsatzgruppe den Namen gibt. Muss also irgendwas wichtiges für die Eierköpfe sein. Außerdem flitzt ein hochdekorierter Typ von den Konföderierten auf GIBRALTAR rum.
Sobald der Captain mehr weiß, informiert er mich. Sobald ich mehr weiß, informiere ich Sie. So läuft das in der Navy.“
„Aye. Jedenfalls scheint es nicht gerade aufregend zu werden.“
„Nun. Das wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall sollten wir kampfbereit werden. XO, stellen Sie Übungspläne auf, in denen die Staffel die Zusammenarbeit trainiert.“
„Wird gemacht. Irgendwelche Wünsche, CAG? Angriff auf Schiffe, Raumstationen, Bodenziele?“
„Trainieren wir erst mal die Verteidigung, Arrow. Die Wände der GUADALCANAL sind dünn wie Pappe. Ein Treffer an der richtigen Stelle, und die Staffel hat ihren Landeplatz verloren.“
„Aye.“
Tyr Svenson
Briefing
Besprechungsraum an Bord der Ontario
Fort Gibraltar, Barcelona-System
Der Besprechungsraum der Ontario, der normalerweise als Offiziersmesse diente, war gefüllt von gedämpftem Schnattern, leisem Lachen und einer fast schon greifbaren Anspannung und Nervosität. Mehr als ein Dutzend Kapitäne von Kriegsschiffen und ein paar andere Offiziere standen zu Paaren oder in kleinen Gruppen um den großen massiven Tisch herum und begrüßten sich, diskutierten oder hielten einfach nur Smalltalk. Eine Reihe von Ordonanzen legte noch letzte Hand an die Vorbereitungen in Form von kalten und warmen Getränken sowie ein paar Schnittchen aus der Kombüse.
Es war exakt drei Minuten bis zum Beginn des Briefings, doch der Einsatzgruppenleiter der Operation Magellan war noch nicht erschienen.
Lt. Commander Harun El-Habibi war nervös, wahrscheinlich noch nervöser als alle anderen anwesenden Offiziere. „Wo bleibt er bloß?“ fragte er leise flüsternd Lt. Commander Igor Maleetschev, seinen nicht wesentlich älteren Vorgesetzten und Ersten Offizier des Zerstörers Ontario.
„Immer mit der Ruhe, Harun. Er ist bisher noch immer pünktlich gekommen.“
„Du hast leicht reden“ gab Harun zurück „du musstest das Briefing ja auch nicht vorbereiten. Ich würde mich nicht wundern, dass er zu spät kommt, nur um mich damit mal wieder reinreißen zu lassen.“
Maleetschev antwortete nicht und schaute sich den Zweiten Offizier aus seinen Augenwinkeln an. Feine Schweißperlen waren auf seiner dunklen Stirn zu erkennen und unter seinen Achseln hatten sich dunkle Ränder gebildet. Und dass obwohl es im Raum nicht sonderlich heiß war. Igor wusste von Harun´s Unsicherheit, sie hatte schon mit dem ersten Tage seines Dienstes hier begonnen und war in einem einzigen Umstand begründet. Und dieser Umstand war Captain Vijadh „Terrific“ Singh.
Singh machte keinen Hehl daraus, dass er unzufrieden war mit El-Habibi´s Leistungen. Es gehörte zu seinem Führungsstil diese Unzufriedenheit auch offen zu zeigen und seine Leute mental unter Druck zu setzen und damit kam der 2O – anders als er selber – nicht zurecht.
Der alte Satz „Jeder wird bis zu dem Level seiner Unfähigkeit befördert“ schoss Maleetschev durch den Kopf. Hatte El-Habibi diesen Level bereits erreicht?
Doch im Grunde war das Igor sogar Recht so. Auch wenn er den jungen Araber eigentlich mochte, so waren Sie irgendwie doch auch Konkurrenten. Und auch wenn Igor älter war, schon zwei Jahre Erfahrung als XO dieses Schiffes hatte und damit Harun um einiges voraus war, durfte er sich nicht zurücklehnen und sich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Das letzte, was er in seiner Situation gebrauchen konnte, war ein ein jüngerer aufstrebender Offizier, der seine Stellung angreifen und sein Ansehen gefährden konnte. Igor hoffte nach diesem Einsatz zum Perisher zugelassen zu werden und er war sich ziemlich sicher, dass Singh ihm diese Chance nicht verwehren würde. Im Gegenteil, alle bisherigen Indizien sprachen sogar für eine ausdrückliche Empfehlung seines Kapitäns.
„Er wird kommen, keine Sorge,“ versuchte er seinen Kollegen zu beruhigen, erntete aber nur ein gequältes Lächeln.
Igor schaute sich noch einmal um und versuchte sich alle Namen der anwesenden Kapitäne und ihre entsprechenden Dossiers vor Augen zu führen. Er war sich sicher, dass er gut vorbereitet war, aber ein letzter Check konnte nie schaden.
Da war zunächst einmal Captain Joao Dominguez, Kommandeur der Guadalcanal, ein freundlich lächelnder, erfahrener Kapitän, der, wie man so hörte, sein Schiff in einen exzellenten Zustand gebracht hatte. Neben ihm stand der CAG des Schiffes, Lt. Cmdr. Santiago „Tigre“ DeLaCruz, laut Akte ebenfalls mit genügend Autorität ausgestattet um seine zur Hälfte aus Ex-Sträflingen bestehende Staffel im Zaum zu halten. Zumindest hoffte Igor, der mit den Einsatzparametern bereits vertraut war, das inständig. Nichts wäre fataler, falls sie auf Unvorgesehenes stoßen sollten, als das Sie ein undisziplinierten, wilden Haufen an Jagdpiloten mit sich führten.
Beide Offiziere lauschten indes den Ausführungen einer deutlich kleineren Kapitänin im Range eines Commanders, Anastasia KAMInski, die Kommandantin der Azincourt. Igor wusste, dass Dominguez und KAMInski aus demselben Jahrgang waren und sich von früher kannten.
Die Frachterkapitäne Jörgensen, Smith und Delany standen, wie man es vermutet hätte, ein paar Meter weiter ebenfalls beisammen und tauschten allem Anschein nach Zoten aus, den eher erheitert wirkenden Gesichtszügen der Kapitäne zu entnehmen. Igor hatte diese einfache Mentalität, die Frachterkapitänen im allgemeinen nachgesagt und die leider allzu oft durch Ihr Verhalten auch bestätigt wurde, nie verstehen können. Hatte man vergessen diesen Männern zu sagen, dass man ihm Krieg war? Vielleicht war es auf die simplen Tätigkeiten zurückzuführen, für die die Frachter benötigt wurden und die nicht weit über gepanzerte Speditionsschiffe hinaus gingen.
Igor´s Blick indes wanderte weiter zu einer weiteren Gruppe, die aus der Kommandantin der Magellan, Commander Jessica Swifton, ihrem Leiter des Wissenschaftsteam Commander Jeremy Baker und einem dritten Commander, den Igor als den Kapitän der Kaze identifizierte, einem gewissen Justus Schneider, bestand.
Igor hatte viel über ihn und über sein Schiff gelesen. Seine Akte und die seines Schiffes war fast so umfangreich wie die aller anderen Kriegsschiffe zusammen. Und die meisten der Einträge waren eindeutig negativer Natur.
Daher war Igor auch etwas überrascht über das äußere Erscheinungsbild Schneiders. Er hatte mit einem schnoddrigen, disziplinlosen Kauz gerechnet, nicht mit einem überaus korrekt und adrett gekleideten Offizier.
Das Gespräch zwischen den dreien schien höflich aber reserviert zu sein. Irgendetwas in Bakers Gesichtsausdruck ließ Igor zudem an Antipathie denken. Er konnte sich irren, aber zwischen den beiden Männern schien es ein Problem zu geben. Igor nahm sich vor, das im Auge zu behalten.
Etwas weiter entfernt stand eine weitere Gruppe von Kapitänen, einen Kreis um Captain Petr Ronacek bildend. Ronacek war Igor ein Begriff und galt ihm gewissermaßen als Vorbild, war er doch früher Eins-O von Singh auf Terrific gewesen, hatte dann gerade noch vor Beginn des Krieges den Perisher geleistet, die Mountbatton übernommen und war von Beginn an des Krieges an der Front im Einsatz gewesen. Jetzt hatte man entschieden, der Mountbatton eine Kampfpause zu gönnen und Igor war sich sicher, dass Singh seine Finger im Spiel gehabt haben musste um seinen ehemaligen Zögling und sein Schiff als Teil dieser Einsatzgruppe zu bekommen. Igor war dies nur Recht, konnte er doch auch von Ronacek eine Menge lernen. Man sagte dem Kapitän der Mountbatton zwar eine gewisse Arroganz und Überheblichkeit nach aber er strahlte ähnlich seinem Mentor Singh ein gewisses Charisma aus, dass auch jetzt einen großen Teil der anderen Kapitäne sich um ihn scharen ließ.
Dann beobachtete Igor, wie Schneider aus seiner Gruppe zu der Gruppe rund um Ronacek trat. Augenblicklich verstummte das Gespräch und was bei Baker vielleicht nur angedeutet war, wurde bei diesen Kapitänen offenkundig. Den Gesichtern war die Missbilligung offen anzusehen und teilweise erwiderten sie den Handschlag, den Ihnen Schneider höflich zur Begrüßung anbot, nur äußerst widerwillig. Schneider indes ließ sich nichts anmerken, stellte sich artig vor und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken und blickte von einem zum anderen. Seine Körperhaltung sollte wohl dazu anregen, dass Gespräch, welches er unterbrochen hatte, wieder fortzuführen.
Doch nichts geschah.
Stattdessen herrschte eisige Kälte und diese wurde auch nicht wieder aufgehoben, da in diesem Augenblick – Igor blickte unwillkürlich hinauf zu der schmucklosen Uhr über dem Eingangsschott, die noch zehn Sekunden vor Beginn des eigentlichen Briefings zeigte – der Einsatzgruppenleiter den Raum betrat.
„Willkommen an Bord der Ontario, Ladies and Gentleman! Nehmen Sie Platz und bedienen Sie sich, wir haben viel zu tun.“
Ein kleines Grinsen unterdrückend strebte Igor wie alle anderen im Raum anwesenden Offiziere auf seinen Platz rechts vom Captain zu und sein Blick fiel auf die beiden Personen, die den Raum dicht gefolgt von Captain der Ontario betreten hatten und die Uniform der Colonial Confederation trugen. Die ältere der beiden, eine Offizierin im Range eines Commodore, die Igor auf Mitte 50 schätzte, wirkte verbittert und verhärmt. Ihre linke Gesichtshälfte war wie erstarrt und mehrere Narben kündeten von früheren Verletzungen. An Ihrer Seite hatte eine jüngere unscheinbare, aber äußerst energisch wirkende Captain der ColCon-Infanterie Platz genommen.
Doch Igor hatte keine weitere Zeit um sich über die Verbindungsoffiziere der Colonial Confederation Gedanken zu machen, da er zu seiner Überraschung feststellte, dass sich Captain Singh neben Ihn setzte, statt sich, wie Igor es eigentlich gedacht hatte, vorne am Pult aufzustellen und ein paar Worte zur Begrüßung zu sprechen.
Auch die meisten der anderen Anwesenden hoben Augenbrauen und schauten sich teilweise überrascht an. Doch Singh saß regungslos an seinem Platz und ließ seinen Blick über die anwesenden Offiziere gleiten.
Er war hier zuhause, dies war sein Revier. Und seine gesamte Haltung, Körpersprache und Mimik unterstrich diese Autorität zusätzlich. Singh hatte El-Habibi bewusst diesen Ort auswählen lassen, nachdem ihm dieser zuerst einen größeren, komfortableren Raum auf Fort Gibraltar vorgeschlagen und sich dafür prompt einen Rüffel eingefangen hatte. Singh hatte, wie Igor sehr wohl wusste, nicht vor, den unschätzbaren Vorteil von vertrautem Terrain aufzugeben und schon gar nicht aufgrund von Überlegungen, die auf Komfort begründet waren.
Einer nach dem anderen wurde förmlich abgetastet, dann wandte sich Singh an seinen Zweiten Offizier.
„Mr. El-Habibi, Sie dürfen beginnen.“
Haruns Kinnlade fiel herab und ein verzweifelter Blick zuckte hinüber zu Igor. Doch dieser war selber zu überrascht um irgendwie zu reagieren. Dann blickte Harun wieder zu seinem Kapitän, der aber keinerlei Regung zeigte und stattdessen seinen Zweiten Offizier aus dunklen Augen genau zu beobachten schien.
„Ähm, ja Sir, danke…“ El Habibi stand auf und ging sichtbar unsicher zum Pult und aktivierte den Projektor. „Ähm, Ladies und Gentleman. Es freut mich, ähm, dass sie den Weg zu uns , ähm, gefunden haben, ähm, und ich ähm…“
Igor hätte am liebsten die Hände vor den Augen zusammengeschlagen um sich dieses Elend nicht weiter mit ansehen zu müssen. El Habibi stotterte und stöhnte sich durch das Einsatzbriefing durch, jedes Wort schien sich selbst zu fragen, ob es an dieser Stelle einen Sinn machte. Die Körperhaltung war elend und schlicht und einfach eines Offiziers der Navy unwürdig. Und dass erkannte auch Igor in den Augen einiger der anwesenden Offiziere, die sich Seitenblicke zuwarfen und teilweise amüsiert aber auch teilweise verärgert wirkten.
Was bezweckte der Captain mit dieser öffentlichen Zurschaustellung von Inkompetenz? Und das vor den anderen Mitgliedern der Einsatzgruppe! Wollte er seinen Zwoten demontieren, Ihn vor allen Leuten demütigen? Wenn ja, dann gelang ihm das gerade vortrefflich.
Harun machte nicht den Eindruck mit zunehmender Zeit an Sicherheit und Souveränität zu gewinnen, im Gegenteil er haspelte die Einsatzparameter hastig hinunter und schien selbst mit dieser Aufgabe überfordert zu sein.
Igor stand kurz davor aufzustehen und Harun das Wort zu entreißen, doch er wusste, dass er weder sich noch Harun damit einen Gefallen tun würde.
Als Harun das Wort an Commander Baker übergab, dessen Ausführungen über die wissenschaftlichen Details des Auftrags geradezu eine Wohltat waren im Vergleich zu Haruns Vortrag, stand dieser wie ein schwitzendes Häufchen Elend in der Ecke und wartete. Als Baker wiederum geendet hatte, konnte man El Habibi´s Gesicht ansehen, dass er am liebsten den Commander gefragt hätte, ob er nicht mal schnell auch den Rest übernehmen konnte.
Natürlich musste er dann aber doch selbst seinen weiteren Teil der Einsatzbesprechung zu Ende bringen und als er mit „Und, ähm, hat noch jemand noch, ähm, Fragen…“ war er offensichtlich nicht der einzige, der insgeheim hoffte, dass es keine Fragen geben würde.
Doch natürlich wurde die Hoffnung schnell zerstört.
„Captain Singh, haben wir für diese Mission nicht deutlich zu wenige Kampfschiffe?“ kam die Frage von Jessica Swifton direkt an den Operationsgruppenleiter gerichtet, die damit flugs den vorne stehenden El Habibi ignorierte und damit klar zeigte, dass dieser nicht gerade an Ansehen gewonnen hatte.
Mit ausdrucklosem Gesicht – so wie auch schon während des Ganzen bisherigen Vortrages – musterte Singh die Kommandantin des Forschungsschiffes. Swifton war ohne Zweifel eine gute Kommandeurin und ihre Frage war mit Sicherheit nur in der Sorge um ihre Männer und ihr Schiff begründet.
Doch Singh beantwortete die Frage nicht direkt, sondern wandte erst seinen Blick auf seinen Zweiten Offizier, der immer noch schwitzend und schlotternd vorne am Pult stand. Igor verstand, worauf Singh hinaus war. Er wollte testen, ob Harun das Heft bereitwillig aus der Hand geben oder an Stelle seines Kapitäns antworten würde? Singh nickte El Habibi zu und gab ihm damit die Erlaubnis zu antworten. Doch ein kurzes Zucken in El-Habibi`s Augen und das anschließende Senken seines Kopfes bestätigte Singh, was er sich wohl ohnehin schon gedacht hatte.
Enttäuschung flackerte in Singh´s Augen auf, dass konnte Igor deutlich erkennen und zeigte einmal mehr seine Einschätzung über seinen Zweiten Offizier als bestätigt. Dieser hielt dem Druck nicht stand, nicht mal in dieser relativ harmlosen Situation. Singh blickte jetzt weiter zu seinem neben ihm sitzenden Ersten Offizier, der die Aufforderung in seinen Augen sofort richtig interpretierte und höflich aber bestimmt der Frage der von Commander Swifton antwortete.
„Unsere Missionsparameter sehen vor uns zurückzuziehen, sobald wir auf Einheiten des Feindes stoßen die unseren Einheiten überlegen sind, Commander. Von daher gehen wir davon aus, dass die Eskorte der Magellan vollkommen ausreichend ist, um einen eventuell notwendigen geordneten Rückzug schnell und sicher zu gewährleisten.“
„Aber wir wissen nicht, was uns auf der anderen Seite dieses ominösen Wurmloches erwartet, n`est pas?“ schaltete sich nun Commander Francois Perrin ein.
„Nein, Sir. Das wissen wir wirklich nicht. Aber gerade dazu hat man uns doch beauftragt!Herauszufinden, wo dieses Ding hinführt und sicherzustellen, dass weder der Kolonialen Konföderation noch der Terranischen Republik aus dieser Richtung eine Gefahr droht.“
Am kurzen Nicken der Commanders Swifton und Perrin erkannte Igor, dass seine Worte Wirkung gezeigt hatten. Selbst die Verbindungsoffizierin der ColCon nickte bestätigend und auch Singh schien zufrieden zu sein.
Auch die weiteren Fragen, die durch die Offiziere gestellt wurden beantwortete Igor ruhig und sicher von seinem Platz aus, während der arme El Habibi weiterhin auf seine Erlösung warten musste. Als alle Fragen beantwortet zu sein schienen, stand Singh endlich auf und ging hinüber zu seinem Pult. El Habibi traf ein vernichtender Blick der Missbilligung, woraufhin dieser sich beschämt setzte.
„Gut, Ladies und Gentleman. Und nun noch ein paar Worte zu unseren Gästen,“ begann Singh ohne lange Umschweife „Die Colonial Confederation war so freundlich uns eine Ihrer erfahrensten Offizierin dieses Sektors als Verbindungsoffizierin zur Seite zu stellen. Commodore Lucienne Garribeaux genießt mein vollstes Vertrauen. Bitte behandeln Sie ihre Anfragen, als wären es die Meinigen.“ Singh wartete einen Augenblick, während er vor allem Ronacek fixierte. Ihm war wohl bewusst, dass vor allem dieser ein Problem damit haben könnte. Commodore Garribeaux stand inzwischen kurz auf, verbeugte sich einmal kurz in Richtung Singh, dann noch einmal noch etwas kürzer in Richtung der Offiziere und setzte sich wieder. Igor war sich bei Ihr nicht sicher, ob der Ausdruck des Abscheus, der in ihrem Gesicht zu sein schien, an der Mission oder ihren Verletzungen begründet lag. Zumindest machte Sie nicht den Eindruck wahnsinnig glücklich über diese zweifelhafte Ehre zu sein.
Singh fuhr fort „Wie Ihnen Mr. El-Habibi ja bereits versucht hat zu erläutern…“
´Autsch` schoss es Igor durch den Kopf und er spürte förmlich diese öffentliche Ohrfeige
„… ist die Colonial Confederation derzeit an anderen Fronten so stark eingebunden, dass Sie uns keine Schiffe zur weiteren Verstärkung zur Verfügung stellen kann. Um aber die Bedeutung dieser Mission auch für die Colonial Confederation zu unterstreichen und da die Magellan über kein eigenes Infanteriekontingent verfügt, werden uns als kleiner Ausgleich zwei Züge des Ersten Batallions der Presidents Storm Infantry, geleitet von Major Ursaja Chabiz begleiten.“
Unwillkürlich richteten sich alle Augenpaare auf die kleine, drahtige Infanteristin, die anders als Garribeaux nicht aufstand und den Blick aller mit hoch erhobenem Haupt und für Igors Geschmack etwas zu grimmig blickend erwiderte. Die Presidents Storm Infantry war eines der Elite-Regimenter der Colonial Confederation und stand in dem erstklassigen Ruf das Beste Regiment der ColCon zu sein. Böse Zungen innerhalb der Terran Navy behaupteten zwar, dass das nicht sonderlich viel zu heißen hatte. Doch trotzdem verfügte die Magellan damit zweifellos über ein sehr gutes Infanteriekontingent.
„Major Chabiz wird darüber hinaus das Oberkommando über unsere gebündelten Infanteriestreitkräfte befehligen, sollte das denn von Nöten sein. Stellvertretender Operationsleiter wird im übrigen Commodore Ronacek sein.“ Bei dieser Äußerung erntete der Kapitän der Mountbatton von einigen der anderen Kapitäne ein anerkennendes Nicken. Andere schauten dagegen etwas irritiert zu Captain Dominguez von der Guadalcanal, wohl weil Sie erwartet hatten, dass dieser den Posten des Stellvertreters erhalten würde. Igor nahm sich vor, diese Beobachtung später mit seinem Kapitän zu teilen, barg es doch die potenzielle Gefahr von zukünftigen Spannungen.
Singh blickte sich noch etwas um, dann nahm er den roten Faden energisch wieder auf. „Die Verladearbeiten der Ontario sind so gut wie abgeschlossen, daher werden wir in 24 Stunden die Anker lichten und von Fort Gibraltar ablegen.“ Vereinzelte Unmutsbezeugungen anderer Kapitäne aufgrund der Halbierung der Vorbereitungszeit wischte der Einsatzgruppenleiter mit einer einfachen Handbewegung einfach davon. „Falls jemand unter Ihnen sein sollte, der damit ein Problem hat mit der Arbeitsgeschwindigkeit der Ontario Schritt halten zu können, sollte er lieber gleich hier bleiben und sich um einen Garnisonsposten auf Barcelona bemühen.“
Die Schärfe in seiner Stimme ließ das Gemurmel der übrigen Offiziere augenblicklich verstummen. Singh wartete einen Augenblick und ließ seinen Blick in der Erwartung möglichen Widerstands bewusst von einem Kapitän zum anderen gleiten, bis er bei dem von Commander Schneider angelangt war. Dieser erwiderte den durchdringenden Blick und hielt ihm stand ohne Widerworte zu geben. Anscheinend wusste Schneider zumindest, wann eine Konfrontation sinnlos war und wann nicht. Igor hoffte, dass dies auch in der Schlacht so sein würde. Dann entließ Singh die übrigen Kapitäne, damit Sie ihre Vorbereitungen beenden konnten. Igor wusste aus den Statusberichten der einzelnen Schiffe sehr wohl, dass dem einen oder anderen noch eine Menge Arbeit in den nächsten 24 Stunden bevorstand. `Und das ist auch gut so` schoss es Igor durch den Kopf, als er den Captains dabei zusah wie sie den Besprechungsraum verließen `das wird ihnen dabei helfen, sich an diesen Zustand schon mal zu gewöhnen`.
**************************************
„Was ist los mit Ihnen, Mr. El-Habibi?“ richtete Vijadh Singh das Wort an seinen zweiten Offizier, der in strammer Habachtstellung zusammen mit Igor Maleetschev in der Kapitänskajüte stand und verzweifelt versuchte einen fernen Punkt vor Ihm zu fixieren.
Einen fernen Punkt an dem er sich offensichtlich im Moment lieber befinden würde als hier. „Hatte ich nicht die genaue Anweisung gegeben, sich in jeder erdenklichen Weise auf dieses Briefing vorzubereiten?“ Singh musste nicht einmal die Stimme heben um seine Unzufriedenheit klar zu machen. Er wirkte auch so bedrohlich genug, zu bedrohlich wie es schien für seinen Zweiten Offizier. „Sir, ich war nicht darauf vorbereitet das Wort übernehmen zu müssen, und ...“ stammelte dieser etwas unsicher los, was Igor fast dazu verleitet hätte den Kopf zu schütteln.
„Dürfen, wäre das richtige Wort, Mr. El-Habibi, nicht müssen.“ Singh schüttelte den Kopf und blickte dann von seinem Zweiten Offizier zu seinem Ersten. „Eins-O, können Sie mir erklären, warum ich das Wort so überraschend“, bei diesem Wort verzog Singh seine Miene, „an Mr. El-Habibi abgegeben habe? Und warum Sie in derselben Situation nicht versagt haben?“
Mit breiter Brust und einem selbstsicheren Gesichtsausdruck antwortete Igor „Wir müssen als führende Offiziere dieses Schiffes in der Lage sein auch auf vorhersehbare Eventualitäten vorbereitet zu sein. Als Ihre Stellvertreter und als Gastgeber und Organisatoren des Briefings war jederzeit die Eventualität gegeben, dass wir Sie hätten vertreten müssen um die Ehre des Schiffes vollständig zu sichern.“
Singh nickte einmal knapp und wohlwollend. „Gut, Eins-O, sehr gut! Aber warum haben Sie dann nicht dafür Sorge getragen, dass dies auch Ihr direkter Untergebener wusste?“
Igor Maleetschevs selbstsichere Miene war innerhalb von Sekundenbruchteilen wie aus seinem Gesicht gewischt. Seine Kinnlade fiel ein klein wenig herab, doch er fing sich schnell wieder und brachte seinen Körper wieder in perfekte Habachtstellung.
Die Erkenntnis schien seinem Gesichtsausdruck anzusehen zu sein, so dass Singh fort fuhr ohne auf eine Antwort seines Stellvertreters zu warten. „Merken Sie sich das Eins-O! Das Versäumnis Ihres Untergebenen ist auch Ihr Versäumnis. Und im Übrigen auch meines. Wenn an Bord dieses Schiffes jemand einen Fehler macht dann sind immer auch die ihm Vorgesetzten Offiziere dafür verantwortlich, bis hinauf zu mir.“
Singh seufzte kurz, ehe er fort fuhr. „Hören Sie mir jetzt mal gut zu, meine Herren. Sie beide sind in meinen Augen zu jung für die Positionen, die sie innehaben, viel zu jung. Ja, auch Sie Eins-O!“ nickte Singh an Maleetschev gewandt, der sichtlich zusammengezuckt war. „Ich weiß, dass wir mitten in einem Feldzug befinden und ich bin viel zu lange dabei um nicht zu wissen, dass der unersättliche Schlund des Krieges stetig Nachschub braucht. Also werden und müssen auch Sie beide Ihren Weg gehen, ob mir das nun gefällt, oder nicht!“
Singh seufzte erneut schwer, dann fuhr er weiter. „Aber ich trage nun mal die Verantwortung über dieses Schiff und über alle Männer und Frauen an Bord. Ich werde und kann mir keine Stellvertreter leisten, die nicht in der Lage sind im Notfall meine Stelle einzunehmen. Und daher ist es meine Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass Sie beide lernen, was es heißt ein Kommando zu führen. Haben wir uns verstanden?“ Der Tonfall der Frage ließ eine andere Antwort als „Ja, Sir“ gar nicht zu.
Singh blickte aus pechschwarz funkelnden Augen von einem Offizier zum anderen. Er hatte Maleetschevs Beförderung zum Commander und seine Empfehlung für die Absolvierung des Perishers für seinen ersten Offizier bereits aufgesetzt. Sollte dieser sich während dieser Mission erneut bewähren und lernen seine Arroganz, Überheblichkeit zu überwinden und seinen Ehrgeiz zum Wohle seines Schiffes zu zügeln, würde er seine Empfehlung an das Oberkommando abgeben, auch wenn das bedeutete einen fähigen Offizier zu verlieren. Aber die Navy brauchte nun mal auch guten Nachwuchs.
Anders sah dies bei Mr. El Habibi aus. Wie bestellt und nicht abgeholt hatte dieser am Pult gestanden und hatte eine übernervöse Miene zu einem schlechten Spiel gemacht. Singh mochte sich nicht anmaßen allwissend zu sein. Aber wie ein guter Trainer, der augenblicklich erkannte, wenn ein talentierter Nachwuchsspieler das Zeug zum Star hatte und wenn eben nicht, so konnte Singh das auch bei El Habibi erkennen. Dann hatte er endlich ein Einsehen und ließ die beiden wegtreten, die wie zwei junge, betröppelte Hunde sein Quartier fast schon fluchtartig verließen.
Als das Schott sich schloss, lehnte sich Singh zurück und augenblicklich wich die Maske der Entschlossenheit von Ihm. Schmerz durchbrach nun endgültig die mentale Barriere, die Singh in seinem Kopf mühsam aufrechterhalten hatte und ließ ihn stöhnen. Er griff tief in seine Hosentasche um eine kleines, gläsernes Röhrchen mit Tabletten hervorzuholen. Mit zittrigen Händen nahm er ein Wasserglas, spülte eine Tablette hinunter und musste dann immer noch geschlagen Zwei Minuten regungslos warten, bis der Schmerz sich endgültig verzogen hatte.
„Noch nicht“, murmelte er leise, „noch nicht…“ Dann schnappte er sich ein paar Unterlagen, legte seine Uniform ab und legte sich auf seine Pritsche.
Ein paar Augenblicke später war er eingeschlafen.
Tyr Svenson
Corsfield
Die INTREPID-Trägergruppe war im System eingetroffen. Der zweite Träger war längsseits der COLUMBIA gegangen.
Die Pegasus-Class war noch immer das Rückgrad der Navy-Philosphie Für einen jungen Piloten oder Crewmitglied müssen diese Träger den Nimbus der Unbesiegbarkeit besitzen. Doch für all jene, die in Manticore gedient hatten gab es diesen Nimbus nicht.
Jeder wusste, dass die starken von Nakajima-Schildprojektoren erzeugten Schutzschilde nur eine bestimmte Anzahl von Antischiff-Raketen abhalten konnten.
Die mächtige Vailliant-Titanpanzerung darunter war weit weniger schlagfest als die Schilde.
All die hundert Millionen Real und die umwerfende, ja faszinierende Technik, die Abwehrbatterien, Raketenwerfer und Impulslaser konnten das Überleben solch eines Schiffes nicht garantieren.
Doch selbst in der schwärzesten Seele musste bei dieser zur Schaustellung militärischer Schlagkraft ein Funke der Hoffnung sich entzünden.
"... und in ein paar Tagen ist es hier wie beim Schaulauf der Navy. Die GETTYSBURG, die MELBURNE, die INTREPID und wir, yeah das wird was. Wir reißen den Schweinen die schuppigen Ärsche auf." Hacker ereiferte sich,
"Iss lieber auf, ehe Dein Essen kalt wird", fixte Mantis.
"Genau hör auf Mama Mantis", schoss Skunk hinterher.
Radio kicherte vergnügt, während Cartmell sich seinem Essen widmete und den Rest links liegen ließ.
"Ist noch frei?" Cunningham wartete keine Antwort ab, sondern setzte sich neben Radio und Cartmell gegenüber.
Cunninghams Teller wies recht wenig auf. Ein einfaches Schinken-Käse-Sandwich und eine halbe Portion Fritten.
Radio beäugte das bisschen. Es war bekannt, dass der Skipper recht selten aß, häufig kam er nur zum Abendbrot in die Kantine, schaufelte sich aber dafür recht viel auf den Teller.
"Sie sollten sich heute auch etwas zurückhalten", sagte Lucas an Radio gewandt, "wir beide und Darkness sind heute zum Admiralsdinner eingeladen."
"Oho, man gehört der Highsociety an", Cartmell hatte zwar die Klappe halten wollen, könnte sich den bösen Spott nicht verkneifen.
Zu seiner Verwunderung war es nicht Cunningham, der wütend antwortete, sondern Radio: "Kannst Du nicht einfach Deine Schnauze halten? Friss doch einfach Deinen Teller leer und geh dann wieder auf Deine Kammer schmollen!"
Stille kehrte an dem Tisch ein. An den umstehenden Tischen drehten sich Köpfe zu ihnen um.
"Muss ich mich vor den Herren Admiralen den komplett zum Affen machen oder reicht die Dienstuniform?" Radio schob seinen Teller von sich.
"Sommeruniform reicht, samt Ordensspangen versteht sich." Cunningham betrachtete eine verbrannte Fritte eingehend, ehe er sie auf den Tellerrand aussortierte.
"Sagen Sie mal Skipper", mischte sich jetzt Mantis ein, "gibt es schon was neues vom Phantom?"
"Nein."
"Hm, gefährliches Thema, ich merke schon", Mantis grinste, "wen würden Sie verdächtigen? So ganz spontan?"
Cunninghams Blick wanderte zuerst zu Radio, dann zu Skunk und zuletzt zu Cartmell.
"Etwas konkretes oder nur aus Gewohnheit ich?" Fragte der letzte bissig.
"Gewohnheit." Antwortete Cunningham wahrheitsgemäß.
"Die üblichen Verdächtigten verdächtigt man eben aus Gewohnheit als erstes." Skunk kicherte in sein Glas hinein.
"Aber sagen Sie mal Curtis, was haben wir so von Ihrem Vater zu erwarten?" Lucas nahm einen Schluck Kaffee.
"Aha, deshalb begeben wir uns unters gemeine Volk." Radio schüttelte den Kopf. "Was haben wir zu erwarten: Erstmal wird er natürlich hocherfreut über meine Beförderung sein. Das wird auf jeden Fall zur Sprache kommen, dann ein paar Kriegsgeschichten, üblicher Smaltalk und so weiter und so fort."
***
Später am Abend
Das Shuttle der INTREPID ging längseits der COLUMBIA.
Nur eine kleines, formloses Empfangskommitee begrüßte Viceadmiral Miles Edward James Long. Bianca Wulff hatte nur James Waco mitgenommen.
Wulff umarmte ihren alten Kameraden herzlich. Danach stellte Long seine Begleiter, seine Stabscheffin, seinen Flaggkapitän und den Geschwaderkommandanten der INTREPID vor.
Danach hakte sich Wulff frech bei dem höheren Admiral ein: "Du kennst den Weg zum Esszimmer?"
"Man hat zwar immer wieder Änderungen an der Pegasus-Class vorgenommen, aber im Grunde sollte ich mich auskennen."
Eine Weile ging der Tross schweigend, bis auf Waco und den Captain der INTREPID, die über die Pegasus-Class fachsimpelten. Die COLUMBIA war neu gebaut. Die INTREPID war der vierte Träger der Pegasus-Class, der die Marswerften verlassen hatte und somit schon eine betagte Lady.
Schließlich brach Wulff das Schweigen zwischen Long und sich: "Curtis ist an Bord."
"Oh, das wusste ich nicht." Long klang leicht brüsk. "Wie macht er sich denn so?"
"Kann ich Dir leider nicht sagen Mil, ich habe kaum Zeit mich um das Geschwader zu kümmern. Außerdem halte ich nicht viel von Fliegern. Du weißt, ein schnittiger leichter Kreuzer, volle Kraft voraus und einen Feind im Visier, so macht das Leben Spass."
"Oh ja, ich vermisse die Zeiten als Kommandant auch schrecklich. Die alte Monitor war einfach ein fantastisches Schiff."
Sie kamen vor dem Esszimmer an.
Die beiden Admirale prüften noch mal den Sitz ihrer weißen Sommeruniformen und gingen dann durch die Tür.
"ACHTUNG! Admiral an Deck." Ertönte es von Wacos Operationsoffizierin Commander Katrina Illyanna.
Wulff lachte auf: "Rühren meine Damen und Herren."
Waco übernahm an dieser Stelle das Vorstellen.
Schließlich kamen sie bei Cunningham an: "... und dies hier, Sir, ist mein Geschwaderkommandant, Lucas Cunningham, ehemals Blue Angles."
Long drückte Lucas fest die Hand: "Eine Schande, was mit den Angles passiert ist."
"Wir haben uns teuer verkauft, Sir. Sehr teuer verkauft." Insgeheim musste er sich eingestehen, dass sich die Blue Angles nicht ganz so gut verkauft hatten, wie ihr damaliger wie heutiger Ruf eigentlich aussagte.
"Sagen Sie, Commander, oder darf ich Sie Lucas nennen?"
"Selbstverständlich, Sir."
"Nun sagen Sie, Lucas, wie macht sich denn mein Sohn so?"
"Oh, er führt sozusagen die Rote Schwadron, während ich mein Hauptaugenmerk aufs gesamte Geschwader lenke, aber fragen Sie ihn doch selbst."
Lucas deutete auf Radio.
Miles Longs Blick wandte sich seinem jüngsten Sohn zu.
Die klaren grauen Augen musterten das Sorgenkind des Admirals. "Curtis ..."
Der höfliche, joviale Gesichtsausdruck schwand und wurde durch Stolz ersetzt, den nur ein Vater auf seinen Sohn haben konnte.
In den Augen sammelte sich Wasser. "Curtis...Lieutenant Commander Curtis Dwight Long."
Radio hingegen erstarrte, als ihn der Blick seines Vaters einfing.
Er hätte in den grauen Augen ertrinken können. Ihm wurde heiß und kalt zu gleich. Am liebsten wäre er davongerannt um sich zu verkriechen.
Der Admiral umarmte seinen Sohn innig.
Als Lucas den verzweifelten Blick von Radio auffing zuckte er mitfühlend die Schultern.
Schnell wurden die restlichen Gäste vorgestellt und dann kam auch schon der erste Gang. Französische Zwiebelsuppe.
Während des Smaltalk ließ Waco durchblicken, dass das Hauptgericht Pfeffersteak ala Mars sein würde.
"Sagen Sie Captain, so was bekommt Ihr Smutje hin?" Wollte daraufhin Long wissen.
"Himmel nein, Sir. Mein Smutje ist zwar nicht schlecht, ganz und gar nicht, aber wie durch Zufall fand ich heraus, dass mein dritter Steuermann vor dem Krieg im Cyrano de Bergerac Koch war."
"Ihr Steuermann war Koch im besten Restaurant auf dem Mars?"
"Vergessen Sie es Sir, nur über meine Leiche bekommen Sie den." Waco schaufelte sich genüsslich Zwiebelsuppe in den Mund.
"Hm, Ihre Leiche hä?"
"Sagen Sie Commander Cunningham", es war der CAG der INTREPID der Sprach, "Sie dienten doch bei Manticore unter Mannstein. Sagen Sie - wenn Sie können - wie war die Dame so?"
Lucas legte den Löffel weg und tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab: "Nun, sowohl mein Stellvertreter, Commander McQueen", er deutete auf Darkness, "als auch ich hatten die Ehre und das Privileg im Bordgeschwader von Admiral Mannsteins Flaggschiff Dienen zu dürfen."
"Ehre und Privileg, hört, hört!"
"Höre ich da Neid, Müller?" Schoss Cunningham zurück.
"Höre ich da Säbelgerassel?" Mischte sich Wulff ein.
"Aber erzählen Sie uns doch eine kleine Anekdote über die Dame." Bat der CAG der INTREPID.
"Nun, es war eine illustre Runde wie die heutige", begann Lucas, "...nur war ich damals noch ein junger Lieutenant 1st Class und frisch zu den Blue Angles versetzt worden. Du erinnerst Dich sicherlich noch, Justin."
"Ja, eine furchtbare Zeit, Du warst noch unerträglicher als heute." Darkness erntete einiges an Gelächter.
"Ja, und Dein Humor war auch damals schon nicht das gelbe vom Ei, aber kommen wir zurück aufs eigentliche. Ich gewann damals den Newbee-Shoot-Out der Angles. Und wurde zum Admiralsdinner eingeladen. Nun, ich weiß nicht, was die hohen Herren damals erwartet haben, jedenfalls fühlte ich mich doch recht wohl.
Scheinbar zum Missfallen der Gnädigen Frau Admiral. Sie stand also während des Hauptganges auf, verschränkte die Arme hinter dem Rücken, so richtig in dozierender Haltung. Dann fing sie an, die mir gegenüber liegende Tischseite abzuschreiten und hielt mir dabei die anschaulichste, brutalste und gleichzeitig höflichste Rede über die Navy, das Betragen eines Offiziers und was noch alles dazugehört.
Als ich nach dieser Rede nur noch im Essen herumstocherte hat ihr das auch nicht gepasst. Sie war einfach furchtbar."
Alles lachte. Darkness klopfte seinem Freund auf die Schulter: "Du Ärmster."
"Du hast ja keine Ahnung ..."
Das Hauptgericht wurde serviert.
Während des Hauptgerichtes eröffnete erneut der CAG der INTREPID das Gespräch: "Sagen Sie, Cunningham, es gibt da ein paar Böse Gerüchte über Sie, dass Sie Probleme mit dem JAG hatten."
Stille kehrte ein.
"Das JAG-Corps soll sich dahin scheren, wo der Pfeffer wächst", der Captain der INTREPID war seinem Geschwaderkommandanten einen giftigen Blick zu.
"Sehen Sie, einer meiner Jungs hat einen zivilen Frachter abgeschossen, tief im Akarii-Raum, leider war's einer von unseren Frachtern."
"Scheiße, sorry, tut mir leid", der CAG der INTREPID klang ehrlich zerknirscht, "so was ruiniert einem die ganze Statistik."
Lucas bemerkte wie Radio die Hände zu Fäußten ballte: "Ganz ruhig, ganz ruhig ..."
"Keine Bange, Skipper, ich werde Ihnen nicht quer schlagen." Zischte Radio zurück.
Nach dem Nachtisch wurde ein Brandy als Absacker gereicht.
Aus einem Absacker wurden zwei und dann drei.
Radio war der erste, der sich aus der heiteren Runde verabschiedete.
Von Cunningham verabschiedete er sich mit einem: "Ich geh mich jetzt betrinken."
Die Antwort überraschte ihn jedoch: "Könnt ich jetzt auch vertragen."
Tyr Svenson
Markdurchdringendes Türleuten.
"Mach Du auf!" Hal Chrispin wickelte sich noch fester in seine Decke ein.
"Bin ich Dein Butler?" Skunk dachte gar nicht daran seine Koje zu verlassen.
Es läutete erneut und energischer.
"Wetten, dass ich auch mit der Glocke schlafen kann?" Nuschelte Hal in seine Decke.
Skunk ahmte Schnarchen nach.
Wieder klingelte es.
"Skunk ich befehle Dir an die Tür zu gehen!"
"Und mit welcher Berechtigung? Sektionsführer steht in der Nahrungskette über einem Wingman."
Hal guckte über die Bettkante nach unten auf Skunk herab und drohte ihm mit der Faust: "Mit der Berechtigung des Recht des stärkeren!"
Sein Zimmergenosse kicherte: "Na gut, hast gewonnen, Tiger, aber ich wette der Kerl würde mit der Zeit schon von alleine weggehen."
"Vielleicht ist es ja das Phantom und hat sich von scheißen auf Klingelstreiche verlegt." Mutmaßte Hal.
Skunk hingegen quälte sich aus dem Bett und stapfte zur Tür.
Er öffnete sie mit den Worten: "Wenn es nicht wirklich wichtig ist ..."
Vor ihm stand Radio einen Rucksack in der linken: "Los, zieh Dich an, wir gehen einen Trinken."
"Scheiße, licht, macht die verdammte Tür zu!" Echote es unter Hal's Bettdecke hervor.
"Trinken jetzt? Haben wir beide nicht morgen Dienst? Und befinden wir uns nicht bei Alarmstufe Rot?"
"Na und? Woll'n Die uns rauswerfen?" Schoss Radio zurück.
"So gesehen, warte einen Moment ..."
"Ich will doch nur in Ruhe schlafen"; Hal klang fast melodramatisch.
Skunk zog sich an und zog die Tür hinter sich zu.
"Holen wir noch Cartmell hinzu."
"Cartmell, bist Du nicht ganz dicht?" Wollte Skunk wissen.
"Hör mir doch auf mit dem Ausgrenzenscheiß, er darf wie wir die ganze Scheiße ausbaden, in der wir hier stecken. Und egal, welche Rangabzeichen man ihm an den Kragen steckt, er ist einer von uns."
"Das meine ich nicht. Mal abgesehen, davon, dass das Militärgericht diesmal den falschen hat laufen lassen, IHN können sie dafür ordentlich an den Karren pissen, wenn er sich jetzt mit uns einen kippt."
"Erstens, wäre er da nicht der erste, der hier frei rumläuft, obwohl er eigentlich gesiebte Luft atmen sollte. Wobei er wohl der einzige ist, der nicht zumindest silbernes Eichenlauf am Kragen trägt. Zum zweiten sind wir dann die reuigen Sünder, die ihn gezwungen haben, damit er rausfliegt."
"Radio, mein Freund, es ist nicht wirklich einfach mit Dir befreundet zu sein."
Die beiden kamen bei dem Quartier an, das Cartmell und Tyr Haugland.
"Lass mich das machen" bot Skunk an.
Radio signalisierte mit einer Geste ein 'Bitte nach Dir'.
Der ältere Pilot grinste und haute zweimal auf den Klingelknopf der Tür. Dann tippte er eine Kombination auf der Zahlentastatur an der Tür ein und öffnete das Schott.
Sowohl Haugland als auch Cartmell mussten die Hände vor die Augen halten, als das künstliche Tageslicht des Korridors in die dunkle Kabine schien.
"ENSIGN!" Skunk imitierte besten Unteroffizierston. "IN VOLLER UNIFORM VOR DER KABINE ANTRETEN. AUF, AUF, SEEMANN!"
"Was zur Hölle ..." Haugland richtete sich halb auf.
"Sie legen sich wieder hin, Lieutenant!" Befahl Radio vom Gang aus.
Cartmell zog sich noch das Hemd über als Skunk ihn nach draußen schob: "Schneller Mann! Das hier ist nicht die Colonial Navy!"
Er wandte sich kurz Haugland zu: "Und Du: Klappe halten und weiterschlafen."
Dann war die Tür zu.
Tyr Haugland grinste in die Dunkelheit: "Du bekommst jetzt Deine Packung Freundchen. Schade, dass ich das nicht miterlebe."
Vor der Tür knöpfte sich Cartmell wütend sein Hemd zu: "Was zur Hölle wird das?"
Die beiden anderen Piloten ignorierten ihn.
"Wie hast Du das mit der Tür gemacht?" Wollte Radio wissen.
"Ach, Hacker hat mir den Zentralöffnungscode der Bordpolizei besorgt, aber wir sollten hier nicht wie angewurzelt rumstehen."
"Na dann folgt mir." Radio übernahm die Führung.
Cartmell hingegen stand erstmal etwas perplex vor seiner Kabine: "HEY! Was soll der Dreck?"
"Vorwärts!" Schnauzte Skunk ihn an.
Mit größtmöglichem Trotz setzte sich der Ensign in Bewegung.
Nach etwa zehn minütigem Marsch kamen die drei in der Bordkapelle der COLUMBIA an.
"Okay, wenn Ihr glaubt mich hier einem Code Red unterziehen zu können, kommt nur her!" Cartmell hob die Fäuste.
"Ist er nicht niedlich?" Radio packte zwei Flasche und drei Gläser aus.
"Japp, geradezu hinreißend und nun schenk ein." Skunk ließ sich auf eine der Bänke fallen.
Radio stellte eine der Flasche an und schenkte aus der anderen ein. Wie bei Selters machte er die Gläser beinahe bis zum Rand voll.
Cartmell betrachtete das Glas, welches Radio ihm hinhielt geringschätzig.
"Jam, jam, schmeckt gut." Radio zeigte ihm die Flasche. 12 Jahre alter Antigua Single Malt.
"Ähm, ja, äh danke." Misstrauisch betrachtete er die beiden als er das Glas entgegen nahm.
"Einen Toast?" Fragte Skunk.
"Auf all jene, die zu Hause geblieben sind." Radio kippte seinen Scotch in einem Zug hinunter.
Skunk hingegen nippte genießerisch. Cartmell nippte auch, aber eher misstrauisch.
Nachdem Radio sich nachgeschenkt hatte setzte er sich auch: "Sagt mal Kameraden, wie konnten wir eigentlich in dieser Scheiße landen."
Cartmell legte den Kopf schief. Kameraden?
"Also ich habe mich freiwillig zu den Raumstreitkräften gemeldet", antwortete Skunk, "und ja, ich gestehe, ich habe immer auf den Krieg gewartet. Leider hat er nicht so ganz den erhofften Verlauf genommen."
"Trottel." Radio nahm erneut einen großen Schluck.
"Trottel hä? So weit ich weiß werden kann man nur als freiwilliger bei den Fliegern landen."
"Es gibt Freiwillige und Freiwillige."
"Und wo ist der Unterschied?" Der Lieutenant legte seine Füße auf die Rücklehne seiner Vorderbank.
"Nun, ich stamme aus einer Navyfamilie. Wahrscheinlich stand schon ein Long in der Anwerbeschlange, als sie die TSN gründeten. Wahrscheinlich irgend ein Assi, der es im Zivilleben zu nichts bringen konnte.
Und nunja, ich wurde als jüngster von fünf Kindern geboren. Alle hatten sie nur ein Ziel, wie ihre Eltern und Urahnen zur Navy zu gehen. Ich wusste nicht, wie ich mich damals dem ganzen hätte entziehen können. Und da ich etwas machen wollte, wo man auch noch Spass hat bin ich zu den Fliegern gegangen."
"Ja, oder man hat die Wahl zwischen Fliegen oder Knast." Cartmell sah aus als wolle er noch mehr sagen, verfiel jedoch wieder ins Schweigen.
"Sag mal Noname, hast Du eigentlich jemals daran gedacht, dass es noch eine Navy gibt, die Dich nicht fragen würde, woher oder warum? Die Dich einfach fliegen lassen würde.
Ich wette die Colonisten würden Dir glattwegs wieder die Lieutenant-Streifen geben." Radio schenkte Cartmell und sich selbst nach.
"Und? Wie sollte er zu den Colonisten hinkommen? Die sitzen in der anderen Richtung. Außerdem bekommen die nur den ausgemusterten Müll." Skunk nippte an seinem Scotch.
"Was meinst Du Skunk, ob die Colonisten uns beiden wohl nen Geschwader geben würden?"
"Die haben doch keine."
Stille kehrte ein.
Gemeinsam leerten die drei die erste Flasche.
Gerade als Radio die zweite öffnen wollte erhob sich Cartmell: "Okay Ihr Ärsche? Was soll das werden? Wollt Ihr mich abfüllen, damit ich wieder in den Knast wandere?"
"Würden wir zumindest behaupten, dass wir das vorgehabt hätten, wenn man uns erwischen würde, aber wir haben hier doch Kirchenasyl."
Skunk kicherte bei Radios Erklärung in sein Glas und fing dann an schallend zu lachen.
Als er sich einkriegte deutete er auf Cartmell: "Er hat kein Stück verstanden! Er begreift nicht, dass wir die einzigen Freunde sind, die er auf der Welt hat."
Ihr seid doch verrückt geworden. Cartmell starrte die beiden fassungslos an: "Ach und warum habe ich das Gefühl, dass eine Horde Akarii freundlicher zu mir wäre?"
"Was ist? Glaubst Du etwa Du bekommst von mir ne Sonderbehandlung?" Wollte Skunk wissen. "Hey, jede arme Sau, die bisher an meinem Flügel kleben musste hat dieselbe Packung bekommen."
"Du solltest Dich trotzdem etwas zurückhalten", Radio war erneut am nachschenken und sprach schon gedehnt, "all Deine früheren Wingmen hatten wahrscheinlich die Crew hinter sich, weil Du das Arschloch vom Dienst warst."
Er deutete auf Cartmell: "Aber unser kleines Brüderchen dort hat leider keinen Rückhalt irgendeiner Gruppe."
"Hm, ja ..." Skunk schien sich aus der Unterhaltung ausklinken wollen.
Cartmell setzte sich: "Was wohl auf uns zu kommt?"
"Der Wahnsinn pur. Ich meine, ... wie soll man das beschreiben ...", Radio suchte nach Worten, "habt Ihr schonmal erlebt, wenn die Realität ausklingt? Wenn alles so unwirklich wird. Alles wird schneller, Minuten raffen sich zu Sekunden. Wie bei der Durchquerung eines Wurmlochs."
"Es kann unmöglich gesund fürs Menschliche Hirn sein", pflichtete Skunk bei.
"Na, zum Glück haben sie uns das Hirn nach der Ausbildung nicht wiedergegeben."
Auch Cartmell musste jetzt lachen.
Tyr Haugland ließ sich nicht anmerken, dass er wach war, als Cartmell schwankend in die Kabine kam. Beinahe wäre der Aussätzige über einen der Stühle gestolpert.
Der blonde Hüne konnte nicht beurteilen, ob Noname bewusstlos oder todmüde über dem Bett zusammenbrach.
***
Am nächsten Morgen sendeten die COLUMBIA und die INTREPID:
Von: Rear Admiral Bianca Wulff, TRS COLUMBIA
An: Alle Kommandanten der COLUMBIA Trägerkampfgruppe
Betreff: Tagesbefehl 16. November 2634; 685zigster Tag der Auseinandersetzung
Tagesbefehl: Alle Kommandanten haben sich um 18:00 an Bord der COLUMBIA zur Einsatzbesprechung einzufinden.
Gezeichnet
Bianca Wulff
Rear Admiral
Von: Vice Admiral Miles Long, TRS INTREPID
An: Alle Kommandanten der INTREPID Trägerkampfgruppe
Betreff: Tagesbefehl 16. November 2634; 685zigster Tag der Auseinandersetzung
Tagesbefehl: Alle Kommandanten haben sich um 18:00 an Bord der INTREPID zur Einsatzbesprechung einzufinden.
Gezeichnet
Miles Long
Vice Admiral
Tyr Svenson
Licht am Ende des Tunnels
Donovan hatte einen mächtigen Brummschädel von dem Besäufnis mit Radio und Skunk als er sich ächzend aus seiner Koje hievte. Tyr war schon nicht mehr da und Donovan hatte ihn noch nicht einmal gehört. Und das obwohl sein riesiger Zimmergenosse es sich zur Angewohnheit gemacht hatte besonders wenig Rücksicht ihn zu nehmen, egal ob er schlief oder nicht.
Während er sich mit schwindeligen Schritten in seinen Overall zwängte, dachte Donovan an den gestrigen Abend. Er hatte die ganze Zeit über mit irgendeiner Heimtücke gerechnet, hatte darauf gewartet, dass die beiden Ihm entweder einen üblen Streich spielen würden, oder dass Sie ihn sogar ins offene Messer laufen lassen würden, doch nichts davon war eingetreten. Im Gegenteil: Leztlich war es sogar sehr amüsant geworden. Ein zünftiges, beschauliches Besäufnis zwischen drei Veteranen, die jeder für sich bereits eine Menge erlebt hatten. Auch wenn Radio und Skunk seine Vergangenheit aussen vor gelassen hatten, hatte es immer noch genug andere Gesprächsthemen gegeben, über die sie schwadroniert hatten.
Jetzt packte Donovan seine bereits gepackte Sporttasche aus dem Spind und machte machte sich auf den Weg zu seinem täglichen Training. An der Tür überlegte er noch einen Augenblick, ob es mit diesen Kopfschmerzen überhaupt Sinn machen würde. Aber er entschloss sich schliesslich doch in die Sporthalle zu gehen. Das Trainingsritual half ihm seine Aggressionen halbwegs unter Kontrolle zu kriegen, so dass er schon ein wenig ruhiger und gelassener geworden war, also würde er es auch heute wieder durchziehen, egal wie sehr ihm auch der Schädel zwitscherte.
Als er die Tür geschlossen hatte, machte er sich auf den Weg in Richtung Sportraum. Er schulterte seine Sporttasche und lief zügigen Schrittes los und seine Gedanken fingen an in die unterschiedlichsten Richtungen zu schweifen.
Er war nach kurzer zeit schon wieder in seinen Gedanken versunken, doch irgendetwas, eine Art siebter Sinn, signalisierte ihm, dass etwas nicht stimmte.
Der Gang war leer, aber das alleine verwunderte ihn nicht sonderlich. Um möglichst vielen aus dem Weg gehen zu können, hatte er sein tägliches Training immer in eine der Randstunden gepackt, also zwischen den Schichtwechseln, in denen eh weniger Verkehr auf den Gängen und in der Halle herrschten. Aber auf einem Kriegsschiff von der Größe der COLUMBIA herrschte eigentlich selbst zu Randzeiten ein hektisches Treiben. Eine dermaßen ausgeprägte Ruhe wie sie im Moment auf dem langen Flur der Unterkünfte herreschte und bei der keine Menschenseele zu sehen und auch niemand zu hören war, war bei dem 24 Stunden Tag an Bord eigentlich unmöglich.
`Es sei denn jemand will, dass es so unruhig ist.` schoss es ihm durch den Kopf, Sekundenbruchteile bevor vor ihm drei dunkel gekleidete, vermummte Gestalten aus einem Seitengang herauskamen. In ihren Händen konnte er Schlagstöcke und –ringe entdecken und ihm war augenblicklich klar, was das zu bedeuten hatte. Instinktiv drehte er sich um, doch nur um zunehmenden Schrecken zu erkennen, das dort vier weitere ähnlich gekleidete Gestalten auf ihn zukamen.
„Hey Piratenschwein“ dröhnte eine tiefe Stimme „wohin des Weges?“
Donovan hatte damit gerechnet, er hatte gewußt, dass sie eines Tages kommen würden um ihn zu holen. Das Deja-Vu-Erlebnis war dermaßen beängstigend, dass er die früheren Wunden und Blessuren förmlich spürte. Heisses Adrenalin pumpte durch seine Adern und instinktiv ging Donovan in die Verteidigungsstellung, die Knie federnd und leicht eingeknickt und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Doch die nächste Schotttür war fast zwanzig Meter vor ihm und wurde von einem Teil der Angreifer blockiert. Mit immer schneller werdendem Puls überdachte er seine Optionen, während seine Gegner von beiden Seiten langsam auf ihn zutraten.
„Och wie süss,“ bemerkte eine der vermummten Gestalten und Donovan versuchte zu erraten, wer das sein konnte, „schaut mal. Er will spielen!“. Die Stimme kam ihm nicht im geringsten bekannt vor. Er versuchte zu erkennen, ob es sich bei den Angreifern vor oder hinter vielleicht um Tyr handeln konnte, aber keiner von Ihnen schien Tyr´s Statur zu haben.
Ein hohles, gehässiges Lachen drang aus der Kehle des Anführers und aus sechs weiteren Kehlen seiner Kontrahenten verstärkte sich dieses bösartige Glucksen, dass sich Donovan die Nackenhaare aufstellten.
Im Geiste verfluchte Donovan seine Unachtsamkeit und seinen pulsierenden Schädel. Doch genau genommen hatte er von vornherein keine Chance gehabt sich auf einen Angriff dieser Art einzustellen. Er wußte, dass es genug Leute an Bord gab, die ihn hassten und das es nicht wenige unter Ihnen gab, die nur allzugerne ihre eigenen Aggressionen und Frustationen an ihm auslassen wollten.
„Na wolltest Du gerade wieder irgendwo einen Scheisshaufen legen?“ Donovan achtete nicht einmal auf die Anschuldigungen seines Gegenübers, sondern hob stattdessen seine Verteidigungsstellung auf, liess seine Schultern sacken. Er drehte sich mit der erhobenen linken Hand langsam um seine eigene Achse und erkannte, dass die Sieben Gegner ebenfalls langsam immer näher kamen. Er wußte sie würden ihm keine Chance lassen und es gab nur eines was er tun konnte…
Donovan liess seine Schultern sacken und begann mit einem ängstlich-flehenden Gesichtsdruck zu stammeln „B-Bitte, tut… tut mir nicht weh, ich f-flehe euch an…“ während er sich langsam weiter drehte.
Die vermummten Gestalten steigerten Ihr gehässiges Grinsen in ein überlegenes, schadenfreudiges Lachen.
Sekunden später blieb dieses einem von Ihnen buchstäblich im Halse stecken.
Blitzschnell hob Cartmell seine unterwürfige Haltung auf und drehte sich jetzt ganz flink um seine eigene Achse, die Sporttasche wie eine Keule um sich schwenkend. Als er genug Schwung geholt hatte, schleuderte er die Tasche dem mittleren der Angreifer an den Kopf, die vor ihm standen. Er wußte, dass er einem Angriff von zwei Seiten nicht lange würde standhalten können, also musste er trotz der erdrückenden Überzahl in die Offensive gehen um vielleicht die Flucht nach vorne zu schaffen.
Und tatsächlich wurden diese von seiner unkonventionellen Attacke überrascht. Der mittlere Angreifer wurde hart getroffen und torkelte ein paar Schritte zurück.
Donovan stürmte jetzt auf den linken der beiden voneinander getrennten Vermummten zu, riss die Linke empor und blockte mit seinem Unterarm dessen Schlag mit einem Schlagstock ab, der auf seinen Schädel ausgerichtet war. Trotz der Schmerzen, die in seinem linken Arm zu explodieren schienen, ruckte seine Rechte hervor und traf seinen Gegner mitten im Gesicht. Stöhnend wich dieser zurück.
Donovan achtete bereits nicht mehr darauf, sondern versuchte die jetzt nach vorne entstandene Bresche zu nutzen. Seine einzige Hoffnung diesen Kampf zu überleben, lag in der Flucht.
Er stürmte nach vorne aber war nicht schnell genug. Der dritte Angreifer kam wie aus dem Nichts und trat ihm mit einem vollen Kick in die rechte Seite. Donovan wurde von dem Tritt mitten im Lauf erwischt und flog ziemlich unsanft gegen die linke Flurwand, wo er mit einem lauten „Klong“ gegen den harten Stahl geschleudert wurde.
Donovan versuchte, nach dem er sich von dem Tritt einigermaßen erholt hatte den Angreifer mit einer schnellen Links- Rechtskombination auf Abstand zu halten und an ihm vorbei zu kommen. Doch dieser blockte ihm mit einer schnellen Rechts-Links-Trittkombination erst den Schlag mit der linken Faust ab und hämmerte ihm dann in die linke Magengegend. Stöhnend vor Schmerz krümmte sich Donovan nach vorne und nahm in dieser Bewegung Schwung und rammte sein Gegenüber gegen die gegenüber liegende Stahlwand. Der Aufprall war hart, selbst für Donovan und um es für seinen Gegner noch härter zu machen, riss er sein rechtes Knie hoch und versenkte es tief zwischen seinen Beinen. Keuchend und stöhnend vor Schmerz schlitterte auch dieser Gegner gen Boden.
Doch bevor sich Donovan darüber freuen konnte, wurde er jeweils rechts und links an den Armen gepackt und herumgerissen. Sein erster Gegner schritt langsam und grinsend auf ihn zu, richtete noch kurz den Schlagring auf seiner rechten Faust und schlug dann mit erbarmungsloser Härte zu. Donovan wurde hart im linken Gesicht getroffen, sein Kopf flog quasi zur Seite und er konnte förmlich fühlen, wie etwas in seinem Gesicht bedrochlich knirschte. Milliarden Sterne schienen vor seinen Augen zu explodieren als ein zweiter, ähnlich starker Schlag auf die rechte Gesichtshälfte niederging.
Dann traf ihn ein weiterer Hieb im Rücken und ließ ihn sich vor Qualen zusammenkrümmen. Schmerz vernebelte seine Sinne, doch irgendwie gelang es ihm sowohl bei Bewusstsein zu bleiben als auch zu realisieren, dass Sie begonnen hatten, ihn von vorne und hinten zu bearbeiten.
Panik stieg in ihm auf, er spürte wie seine Kräfte schwanden. Er versuchte sich verzweifelt zu befreien, als ein weiterer Schlag von hinten ihm die Niere zu zerquetschen schien. Dann trieb ihm noch ein Schlag von vorne die Luft aus den Lungen. Während er krampfhaft und röchelnd versuchte diese wieder zurück in seine Lungen zu ziehen, entschloss er sich all seine verblieben Kraft in einen weiteren Fluchtversuch zu stecken. Er hob sein rechtes Bein und ließ diesen mit voller Wucht und mit soviel Körpergewicht wie möglich auf den linken Fuß seines Gegners rechts von Ihm sausen. Mit Genugtuung nahm er wahr, dass irgendetwas fürchterlich knirschte und der Mann sich den Fuß haltend nach vorne stürzte.
Mit seinem jetzt frei gewordenen rechten Arm schwang er nach vorne und ließ seine Faust in das überraschte Gesicht des Schlagringträgers sausen. Mit dem Schwung dieses Schlages versuchte Donovan nun den Gegner an seinem linken Arm um seine Achse zu wirbeln und sich damit zu befreien. Doch leider gelang ihm das nicht so wie er sich das vorgestellt hatte. Er wurde ein weiteres Mal um seine Achse gewirbelt und krachte diesmal mit der Stirn voran gegen die kalte, harte Stahlwand. Eine Supernova explodierte vor seinen Augen und warmes Blut sickerte ihm über eine Platzwunde an der Stirn über die Augen. Seine Sicht war jetzt vollkommen benebelt und durch den warmen, klebrigen Schleier spürte er wie die Kraft aus seinen Beinen wich und er langsam gen Boden fiel.
Doch bevor er aufschlug wurde er von einigen Schraubstockhänden gepackt und erneut brutal gegen die Wand gerammt. Er war außerstande sich zu bewegen als die Schläge auf ihn einzuprasseln begannen. Er glaubte, dass sie ihm das Rückgrat zerbrechen wollten, so stark war der Schmerz. Er fühlte wie er vor Schmerzen schrie, doch nahm er das mittlerweile nur noch durch einen dunklen Schleier des Schmerzes wahr.
Dann wurde sein Kopf hart gepackt und mit voller Wucht gegen die Wand gehämmert. Sein Schrei verstummte, genau so wie die Schläge stoppten. Langsam rutschte er die Wand herunter, mit seinem Kopf eine Blutspur hinter sich herziehend und schlug mit einem satten Klatschen auf dem Boden auf.
Er wusste nicht warum sie von ihm gelassen hatten, wahrscheinlich weil sein Kopf mittlerweile nur noch aus einer puddingartigen Masse bestand. So kam es ihm zumindest vor.
Dann machten sie das Licht aus und die totale Dunkelheit empfing ihn. Kurz bevor er komplett das Bewusstsein verlor, glaubte Donovan ein Licht am Ende der Finsternis zu erkennen auf welches er sich rasend schnell zu zu bewegen schien.
`So ist es also, wenn man stirbt` dachte er noch, kurz bevor die Düsterheit das Licht vertrieb und Donovan in die schwärzeste aller Erlösungen fiel.
Tyr Svenson
(Kurz nach dem Zwischenfall mit dem Akariifrachter)
Darkness stützte sich leicht, fast entspannt auf seine Arme, während er die beiden Männer musterte, die vor ihm standen. Momentan gab sich der Chef der Schwarzen Schwadron recht locker. Trotzdem behielten sowohl Crusader als auch Kano ihre Habacht-Stellung bei. ‚Die habe ich ja gut erzogen.‘ dachte Darkness amüsiert, bevor ein neuer Gedanke ihm einen Teil der guten Laune wieder nahm. ‚Bei Kano allerdings....‘
Der japanische Pilot versah zwar seinen Dienst in der Regel mustergültig, direkt vorbildhaft. Aber da war immer noch die Prügelei auf der Galileo und die ungeklärte Sache mit Cartmell und Skunk. Auch wenn Darkness langsam daran zweifelte, daß er in diesem Fall die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Captain Schlüter, die Kommandantin der Marines, hatte sich am Offizierstisch einmal sehr eindeutig über Skunk geäußert und einige Andeutungen fallen lassen...
Nun, auch wenn er Kano den Kopf zu Unrecht gewaschen haben sollte, so etwas hatte noch keinem geschadet. Und immer noch besser, er ließ die Sache auf sich beruhen, als das alles noch einmal hervorzukramen.
„Das war gute Arbeit da draußen. Sie können sich den Abschuß gutschreiben Ohka. Und Crusader, Sie haben den richtigen Einsatzgeist bewiesen.“
Crusader strahlte bei diesem seltenen Lob des Staffelchefs über das ganze Gesicht. Und auch Kano, dessen Gesichtsausdruck neutral blieb, schien sich etwas zu entspannen. Gerade WEIL Darkness so sparsam mit Anerkennung war, bedeutete sie einiges. Aber das lag auch in der Absicht des Veteranen. ‚Und jetzt ein wenig Essig zum Honig...‘
„Aber denken Sie daran, es ist eine Sache, einen Frachter zu vernichten. Mit einem Hilfskreuzer oder gar einem Kriegsschiff sieht das anders aus. Und lassen Sie sich niemals durch vermeintlich leichte Beute in die Irre führen! Immerhin hat Ihnen schon dieser Kahn mehr als nur den Lack zerkratzt.“
„Ja, Sir!“
„Ja, Sir!“
„Das war alles. Weggetreten. Crusader, Ihr Jäger wird vermutlich erst in zwei Tagen wieder diensttauglich sein. Bis dahin übernehmen Sie eine der Reservemaschinen. Fliegen Sie den Vogel ruhig ein. Aber passen Sie auf – sonst ziehen Ihnen die Techs die Hammelbeine lang. Nighthawk sind ein rares Gut. Da ist jedes einzelne Teil numeriert.“ Bei diesen Worten grinste Darkness leicht. Noch ein zweifacher Salut und er war wieder alleine. Der Lieutenant Commander wandte sich dem Papierkrieg zu.
Draußen stieß Crusader die Luft aus: „Na der ‚Alte‘ kann ja auch richtig freundlich sein.“
„Gewöhne dich besser nicht daran.“
„Bei Darkness? Keine Chance, da paßt der ‚Alte‘ schon auf.“
Während dieser Worte hatten die Soldaten den Weg zu ihrem Quartier eingeschlagen. Während Kano halbherzig auf das Geflaxe von Crusader einging – sein Flightman war regelrecht aufgekratzt – fühlte er selber in sich immer noch eine Mischung aus Triumph und der Anspannung des Gefechtes, ein ihm inzwischen bekanntes, aber immer noch aufregendes Gefühl. Fast als hätte man etwas über den Durst getrunken. Er achtete deshalb nicht besonders auf den Weg und war genauso überrascht wie Crusader, als ihn plötzlich fast ein Dutzend Männer und Frauen umringte.
„GLÜCKWUNSCH, IHR HIMMELHUNDE!“ Von allen Seiten wurde den beiden auf die Schultern geklopft. Es waren die anderen Piloten der Schwadron.
Natürlich nicht alle. Darkness war nicht dabei, Monty hielt so ein kumpelhaftes Verhalten wohl für unter seiner Würde – immerhin war er schon mal Lt. Com. gewesen, bevor sein besonderes Naturell und der Umgang mit vorgesetzten Offizieren die Rückstufung zum First Lieutenant einbrachten. Und Dutch machte sich nie mit seinen Kameraden gemein – wenn er nicht besoffen war.
Vikings Stimme übertönte den Chor aus Glückwünschen: „Das war die erste Beute der Butcher Bears! Da können die Crusader-Heinis nur einknicken! Kommen halt nicht so weit raus wie wir! Aber Wale fängt man nicht vom Ufer!“
Auch wenn die meisten die Metapher nicht verstanden, sie wußten was gemeint war. Die Butcher Bears waren vor den Crusaders die jüngste Staffel im Geschwader - und hatten jetzt vor ihnen einen Erfolg erzielt. Auch wenn einige in der Schwadron bereits Veteranen der Angry Angels waren, der Druck war groß, sich zu beweisen. Vor allem, weil sie Nighthawk flogen - den modernsten Jäger der TSN, der in der Regel nur an Eliteverbände vergeben wurde.
Viking fuhr fort: „War zwar nur `n Frachter! Aber die zehntausend Tonnen müssen sie uns erst mal nachmachen! Hat sonst nur die Schwadron Grün. Na ja – und unsere fliegenden Scheunentore!“ Das fand Zustimmung.
Allerdings konnte es sich La Reine nicht nehmen, etwas auf Crusader rumzuhacken: „Na zum ersten Abschuß hat es noch nicht gereicht. Überlaß das mal den Spezialisten und Könnern...“
Bevor Crusader eine passende Antwort einfiel, schaltete sich Brawler ein: „Was denn, Prinzessin? Hast du Angst, deine Wette zu verlieren? Ich glaube die Hälfte von Eins ist immer noch mehr als das Doppelte von Nichts?!" Damit hatte er den Lacher für sich, während die dunkelhäutige Pilotin zurückschoß. „Ich brauche keinen anatolischen Klugscheißer zum Kopfrechnen. Wenigstens kann ich über die Straße gehen, ohne eine Prügelei anzufangen!“
Jetzt schalte sich Jaws ein: „Was sich neckt, das liebt sich!“
Brawler schüttelte vehement den Kopf, während La Reines Antwort eine Frage war: „Bin ich pervers?“
Jaws winkte ab: „Macht nur weiter.“ Dann holte er eine flache Metallflasche hervor, die er Crusader in die Hand drückte: „Alter Brauch von der Maryland. Wenn wir einen Frachter oder ein Dickschiff abgetakelt haben. Prost!“
Crusader nahm einen Schluck – dann riß er die Augen auf und keuchte. Während er die Flasche an Kano weiterreichte rang er nach Atem: „Wo hast du denn das Zeug her?!“
„Jedenfalls nicht von Radio. Guter Stoff, nicht?! Für jeden einen Schluck.“ Die Flasche machte die Runde und landete schließlich wieder bei Jaws, der sich so noch einen zusätzlichen Schluck sichern konnte. Dann hob er den leeren Flachmann zu einer Art Salut: „Auf die Butcher Bears! Und das war erst der Anfang – wir werden die Akarii schlachten! UNSER IST DER ZORN!“ Die anderen Piloten stimmten ein – es klang furchterregend.
Tyr Svenson
Krankenstation
Helligkeit. Überraschend, unerwartet, gleißend.
Anders als bei früheren, vergleichbaren Situationen, von denen Donovan schon so einige erlebt hatte, war er mit einem Male wach geworden. Er wußte sofort, dass er sich in einem Krankenrevier befand, der Geruch von Desinfektionsmitteln hatte sich für ewig in sein Gedächtnis gebrannt. Allerdings dauerte es einen Augenblick ehe er sich erinnerte, warum er dieses Mal hier lag. Bilderfetzen einer brutale Schlägerei flammten vor seinen Augen auf und fügten sich ganz allmählich zu einer Erinnerung zusammen.
Sie hatten ihn zusammengeschlagen. Diese dreckigen, verfluchten Hunde hatten sich mal wieder zusammengerottet, um ihm aufzulauern und ihn fertig zu machen. Gerade als er so töricht gewesen war, zu glauben, dass es diesmal vielleicht anders laufen würde. Doch wieder hatten sie ihn unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, so wie sie es auch schon früher getan hatten. Was hatte er auch anderes erwartet.
Jetzt lag er hier und starrte mit offenen Augen an die Decke. Sein Kopf war bandagiert und auch sonst fühlte er sich seltsam, wie in Watte gepackt. Wahrscheinlich stand er unter Schmerzmitteln und nahm daher seine Umwelt nur etwas verschwommen wahr. Sein Schädel brummte, nicht wirklich schmerzhaft, eher unangenehm und drückend. Geräusche drangen nur gedämpft zu ihm durch, so dass er auch jetzt erst bemerkte, dass er nicht alleine im Raum war. Irgendjemand unterhielt sich ausserhalb seines Sichtfeldes und Donovan unterdrückte den Impuls sich aufzurichten und nachzusehen. Er wußte, das das nur mit Schmerzen verbunden sein würde. Stattdessen versuchte er dem Gespräch zu lauschen.
„… allem ist sein Zustand ist überraschend gut. Man hat ihn durch die Mangel gedreht, aber er scheint recht hart im Nehmen zu sein. Trotzdem werden wir ihn vier bis fünf Tage zur Beobachtung hier behalten, dann können Sie ihn wieder haben.“
„Nur eine Woche?“ fragte eine leise flüsternde Stimme, die Donovan nicht zuordnen konnte. „Er hat ausgesehen wie ein abgestochenes Schwein. Wie kann er dann so schnell wieder auf den Beinen sein?“
„Es mag schlimmer ausgesehen haben, als es war. Die Platzwunde auf der Stirn hat sicher den Eindruck erweckt, dass Ensign Cartmell schwerer verwundet sei, als dies der Fall ist. Er hat lediglich eine leichte Gehirnerschütterung, ein paar Stauchungen und Schürfwunden. Wenn Sie mich fragen, wollten die Angreifer ihm nur einen Denkzettel verpassen, sonst wäre er nicht so glimpflich davon gekommen.“
„Denkzettel oder nicht, dafür sollten die Schweine aus dem Schiff geworfen werden…“
„Wie dem auch sei“ fuhr der Doktor unbeirrt fort ohne auf den Gefühlsausbruch seines Gegenübers einzugehen. „Ihr Pilot wird bald wieder auf den Beinen sein, wenn ich ihm auch zunächst nur leichten Dienst verordnen werde. Er sollte sich aber noch schonen.“
Donovan starrte weiter an die Decke und fühlte plötzlich wie bleierne Schwere seine Glieder und seine Augen erfasste. Er wollte sich zumindest zur Seite drehen um nach zu sehen, wer nach ihm gesehen hatte. War es Skunk oder Radio? Vielleicht sogar Lone Wolf? Aber noch bevor sein Gehirn den Befehl zur Ausführung brachte, hatte ihn die Müdigkeit übermannt und er fiel erneut in tiefen Schlaf.
Tyr Svenson
Am nächsten Tag ging es Donovan schon erheblich besser. Er hatte zwar weiterhin starke Kopfschmerzen, aber zumindest schlugen die Medikamente mittlerweile an, so dass er sich deutlich fitter fühlte. Der behandelnde Arzt hatte ihm ruhig und sachlich eröffnet, dass er noch 2-3 Tage unter Beobachtung bleiben würde und dann noch eine weitere Woche leichten Dienst schieben mußte.
Donovan hatte nur anteilnahmslos genickt, was dem Doktor ein Runzeln auf die Stirn gezaubert hatte. Die erste Schlacht der COLUMBIA war nur noch eine Frage der Zeit, und hier war ein Jagdpilot, der nicht vehement dagegen protestierte starten zu dürfen? Sicher, vor jeder Schlacht gab es auch Simulanten jeder Waffengattungen, die Krankheiten vortäuschten um nicht in die Schlacht ziehen zu müssen. Der Arzt hatte sich eine Notiz gemacht, doch Donovan war es egal. Sollten Sie doch denken, das er nicht für Sie kämpfen wollte. Im Moment war er sich dessen auch gar nicht sicher. Warum sollte er sein Leben für diejenigen riskieren, die ihn beleidigt, zusammengeschlagen und erniedrigt hatten? Sollten Sie doch sehen, wie sie ohne ihn zurecht kamen. Sollten Sie doch krepieren.
Und noch ehe er einen Funken von schlechtem Gewissen bekommen konnte, ging die Tür seines Krankenreviers auf und drei Männer betraten den Raum. Darkness und Radio erkannte er sofort, den dritten Offizier kannte er nicht.
„Hi Noname, wie geht’s dir?“ Radio versuchte freundschaftlich zu klingen, ja fast kameradschaftlich. Glaubte er etwa, dass er damit irgendetwas wieder gut machen konnte?
„Blendend“ antwortete Donovan. Doch seine Körpersprache unterschied sich gravierend von der gerade gemachten Aussage.
Radio ging nicht darauf ein. „Lieutenant Wineberger vom JAG hat ein paar Fragen an Dich, o.k.? Er ist mit dem Fall betraut worden und wird die Untersuchung leiten.“
Donovan drehte sich langsam zu dem jungen Offizier um und schüttelte dann den Kopf, die Augen leicht verdrehend. Der Jungspund schien frisch von der Akademie zu kommen und wirkte nervös und fahrig. Nicht das Donovan gehofft hatte, dass das JAG in der Lage sein würde den Fall zu lösen. Aber dass Sie ein Greenhorn an die Sache ansetzten, zeigte ihm deutlich, dass Sie daran gar kein Interesse hatten.
„Na, da gibt sich das JAG ja reichlich Mühe, wenn Sie einen ihrer erfahrensten Leute auf die Jagd schickt, oder?“ Donovan versuchte alles was ihm an Zynismus geblieben war in diesen Satz zu stecken. Und anscheinend funktionierte es auch, denn statt zu antworten, öffnete das Greenhorn den Mund, schloss ihn wieder und schaute unschlüssig von Radio hinüber zu Darkness.„Na super“ setzte Donovan ätzend nach „wenn Sie genauso knallhart in ihren Verhören sind, wie jetzt, haben wir den Fall ja bald gelöst.“
„Ensign Cartmell“ donnerte Darkness drauf los „was soll der Unsinn? Hat man Ihnen den letzten Funken Hirn aus dem Schädel geprügelt?“ Donovan zuckte zusammen, allerdings weniger wegen Darkness´ Worten als durch die Lautstärke, die dieser anschlug. „Lt. Wineberger ist Offizier des JAG-Korps und Sie werden ihm den ihm zustehenden Respekt zollen, ist das klar?“
Donovan nickte nur mit schmerzverzerrtem Gesicht.
„Ob das KLAR ist, Ensign?“
„Glasklar, Sir“ antwortete Donavan ächzend. Darkness wußte anscheinend, wie man einen Mann mit leichter Gehirnerschütterung schnell gefügig machte.
„Gut, das will ich auch hoffen“ fuhr er fort, jetzt deutlich ruhiger. Fast schon sanftmütig im Vergleich zu der Art und Weise, mit der er ihn bisher angesprochen hatte. Er trat einen Schritt vor, direkt an das Krankenbett. „Hören Sie, Noname, ich möchte, dass Sie mit Lt.Wineberger kooperieren. Denn ich möchte, das wir die Hirnis dingfest machen, die einen meiner Piloten kurz vor der Schlacht ausser Gefecht setzen…“
„Kurz vor der Schlacht?“ Donovan hatte gewußt, dass Sie sich mittlerweile in Feindesland befanden. Wenn man das im Weltall so überhaupt sagen konnte. Doch woher wußte Darkness schon, dass eine Schlacht bevorstand?
„Wir werden bald in unser Zielgebiet springen und ich gehe dann mal ganz stark davon aus, dass das kein Spaziergang werden wird. Sie werden daran aber nicht teilnehmen können.“ Donovan reagierte darauf nicht, also fuhr Darkness fort. „Ist es Tyr Hauglund gewesen?“
„Sir?“ Donovan war kurzzeitig etwas verwirrt. Woher wußte Darkness von den Problemen mit seinem Zimmergenossen? Doch dann fiel ihm ein, dass Hauglund sich ja bei Darkness beschwert hatte, als Sie zusammen gelegt worden waren. Und daher hatte er wahrscheinlich eins und eins zusammengezählt und verdächtigte nun Tyr. „Nein, ich denke nicht, dass er unter den Angreifern gewesen ist, Sir!“
„Gut“ Darkness schien erleichtert „ich möchte, dass Sie mit dem JAG kooperieren und so bald wie möglich auf den Beinen sind, in Ordnung? Wir können Sie da draussen gut gebrauchen.“
Verwirrt blinzelte Donavan ein paar Mal bevor er antwortete. „Danke, Sir.“ Es hatte fast so geklungen, als ob es Darkness ernst war mit seinen Worten. Auch Radio nickte ihm jetzt zu und machte Anstalten Darkness zu folgen, der sich bereits auf dem Weg zur Tür befand.
„Radio, eins noch.“ Donovan wußte nicht genau warum ihm ausgerechnet jetzt diese Frage durch den Kopf spukte und er konnte Sie schliesslich auch nicht richtig stellen. Stattdessen brachte er nur mühsam ein „Skunk… ?“ hervor, mehr nicht.
Doch Radio hatte verstanden. Und war seinen vor Überraschung hochgezogenen Augenbrauen nach zu urteilen nicht weniger verwirrt über diese Frage. Dann lachte er laut aus „Hah, um den mußt Du dir keine Sorgen machen. Shaka und Bob werden beide als seine Flügelmänner agieren, solange Du noch ausser Gefecht bist.“
Donovan nickte nur matt. Dann wandte er sich Lt. Wineberger zu, der sich einen Besucherstuhl schnappte und sich an sein Bett setzte um seine Aussage aufzunehmen.
****
Langsam ging Lydia Quartero den Gang entlang zum Zimmer, in dem Donovan Cartmell lag.
Wie jeder Soldat hasste auch Lydia das Krankenrevier. Erinnerte es Sie doch daran, was mit Ihnen allen im Krieg geschehen konnte.
Daher wußte Lydia auch nicht genau, was sie hier eigentlich machte und warum Sie sich auf den Weg gemacht hatte, um diesen Cartmell zu besuchen. Sie hatte über den Bordfunk gehört, dass er zusammengeschlagen worden war und hatte gleich ihre Kameraden gefragt, ob diese was damit zu tun hatten. Es war nicht ganz auszuschliessen, dass sich unter Ihnen einer der Angreifer befand, auch wenn Lydia dahinter eher die Marines oder Crewmitglieder der COLUMBIA vermutete, schliesslich hatten eine Anzahl Piloten Cartmell schon auf Miramar eine Abreibung verpasst. Doch trotzdem konnte es natürlich sein, dass vor allem unter den männlichen Kameraden jemand gewesen wäre, der seinem Beschützerinstinkt folgte oder der Ihr damit vielleicht imponieren wollte. Aber zumindest Ihr gegenüber hatte es keiner zugegeben.
Dann war das JAG bei Ihr erschienen. Nach der Geschichte in der Kantine war es klar gewesen, dass Sie unter den Verdächtigen sein würde. Zwar hatte Sie ein glasklares Alibi vorzuweisen gehabt, da Sie zur besagten Zeit eine Einsatzbesprechung zusammen mit Ihrer Crew gehabt hatte. Doch hatte man – vor allem dieser Radio, der zusammen mit dem JAG-Offizier erschienen war – Ihr zumindest unterstellt, es vielleicht in Auftrag gegeben zu haben. Eine Beschuldigung, die Sie vehement bestritten hatte.
Sogar so vehement, dass Sie selbst darüber verwundert gewesen war. Ja, es stimmte, dass Sie Cartmell eine Ohrfeige verpasst hatte. Aber diese hatte er nur bekommen, weil er Ihr nicht gleich reinen Wein eingeschenkt hatte. Sie wusste zwar nicht, was Sie getan hätte, wenn er Ihr gleich die Wahrheit gesagt hätte. Vielleicht hätte Sie sich dann auch von ihm abgewandt, vielleicht auch nicht. Aber zumindest hätte Sie es sich dann zweimal überlegt, ob Sie mit ihm einen so schönen Abend verbracht hatte.
Auch wenn Sie ihn selbst neulich geschlagen hatte, tat ihr das im Grunde irgendwie auch leid. Es war nicht richtig gewesen und vor allem nicht vor allen Leuten. Sie hatte deswegen ein schlechtes Gewissen und gab sich auch eine kleine Mitschuld daran, dass er jetzt von einer Horde Schläger überfallen worden war.
Als Sie an seiner Zimmertür ankam, überlegte Sie kurz, ob Sie überhaupt reingehen sollte. Sie würde sich bei ihm nicht entschuldigen, dafür war Sie zu Stolz. Und er würde Sie wahrscheinlich auch nicht mit offenen Armen empfangen, nicht nach dieser Geschichte. Also was machte Sie hier? Sie zögerte kurz, gab sich dann aber doch einen Ruck und betrat sein Krankenquartier.
Es war still im Raum, das Licht gedimmt und nur das am weitesten von der Tür entfernte der drei Krankenbetten war belegt. Vorsichtig näherte sich Lydia dem Bett und sah dann, als Sie nahe genug herangekommen war, dass Cartmell zu schlafen schien. Sie konnte nur seinen Haarschopf und einen leichten Verband sehen und blieb stehen, unschlüssig was Sie jetzt machen sollte. Eine Stimme in Ihrem Kopf flüsterte ihr ein, dass es sicher besser so sei und das sie sich umdrehen und wieder gehen sollte. Und gerade als Sie sich rückwärts wieder entfernen wollte, schreckte Cartmell aus seinem Schlaf hoch, riss die Decke hoch und starrte Sie verschreckt an. Lydia erschrak sich ebenfalls, zuckte zusammen und hob entschuldigend die Hände.
Ein, zwei Momente atmete Cartmell heftig. Dann schien er sich erinnert zu haben wo er war und richtete sich leise stöhnend vollends in dem Bett auf, dessen Rückenlehne sich seinen Bewegungen automatisch anpasste und mit einem leisen, singenden Surren nach oben fuhr. Cartmell quetschte ein leises „Licht“ heraus, woraufhin die Strahler über seinem Bett ihn in grellweisses, steriles Licht badeten. Wortlos und ohne Sie eines Blickes zu würdigen beugte er sich zu dem Tablett neben seinem Bett, nahm sich ein dort stehendes volles Glas Wasser und trank es in tiefen Schlücken und dumpf vor sich hinstarrend aus.
Auch Lydia schwieg währenddessen und betrachtete den vor ihr liegenden Piloten etwas genauer. Sein Gesicht war an einigen Stellen bläulich verfärbt und er trug einen leichten Verband um den Kopf, der vor allem die vordere Stirn bedeckte, aber alles in allem sah er deutlich weniger schlimm aus, als es der Bordfunk durchgegeben hatte.
Dann wandte sich Cartmell nun doch ihr zu und starrte Sie mit ausdrucklosem Gesicht an. Aber irgendetwas war anders als bei Ihrer letzten Begegnung. Er hatte ein Feuer in seinen Augen gehabt, den Willen sich gegen jeden seiner vermeintlichen Gegner zu stellen. Doch davon war jetzt nichts mehr zu sehen. Das Feuer war verschwunden und zurück geblieben war ein matter Schein.
„Was willst DU denn hier?“ fragte er eher erschöpft provozierend. „Willst Du mir vielleicht auch noch eine verpassen? Nur zu! Tritt ruhig auch noch auf den bereits am Boden liegenden.“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. Aber es fehlte seinen Worten an Schärfe.
„Ich…“ Lydia war verwirrt. Was sollte Sie ihm sagen? Sie wußte doch selbts nicht so genau, was Sie hier tat. „Ich…“ wieder geriet Sie ins Stocken. `Nein, so bringt das nichts` schoss es ihr durch den Kopf und so entschloss sie sich gleich in den Angriff überzugehen und nicht lange um den heissen Brei zu reden.
„Und, bist Du es?“
Cartmell reagierte überhaupt nicht, er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Lydia fragte sich, ob er die Frage verstanden hatte. Also legte Sie gleich nach. „Bist Du der Black Buccaneer? Bist Du verantwortlich für den Tod vieler guter Navyangehöriger?“
„Das Militärgericht hat entschieden, das ich es nicht…“
Wütend unterbrach Sie ihn. „Scheisse! Mir ist vollkommen egal, was das Militärgericht entschieden hat!!! Ich will von Dir hören, ob Du es gewesen bist oder nicht.“
Er blickte sie aus gebrochenen, trauigen Augen an, ehe er langsam und matt antwortete. „Warum? Würdest Du mir denn glauben, was ich dir sagen würde?“
„Verdammt“ Sie wurde lauter, da Sie Donovans Verhalten ärgerte „Darum geht es hier doch gar nicht! Ich will wissen, ob Du es gewesen bist….“
Doch er antwortete Ihr nicht. Stattdessen wandte er den Blick von Ihr ab und starrte an die Decke.
„Siehst Du! Genau das ist es. Du gehst allen Antworten auf diese Fragen aus dem Weg. Du ziehst dich trotzig schmollend in dein Schneckenhaus zurück und erwartest von den anderen auf dich zuzukommen und dir gegenüber Vertrauen und Respekt zu zeigen.“
Cartmell starrte weiter vor sich hin, sein Blick starr auf die Decke gerichtet.
„Doch weißt Du, warum deine Kameraden dich nicht respektieren, warum nicht mal deine eigene Staffel dir vertraut? Weißt Du, warum jeder Angehörige der Navy dich verachtet und weißt Du warum man dich so zugerichtet hat? Es ist nicht deine Vergangenheit, die die anderen so aus der Fassung bringt, es sind nicht die Taten, die man dir zur Last legt. Und es geht auch nicht darum, ob Du tatsächlich schuldig bist oder nicht.Dein Problem, Donovan, sind nicht deine Kameraden oder die Navy. Dein Problem bist nur du selbst. Dein Verhalten ist es, das die Leute auf die Palme bringt und die Gerüchteküche zusätzlich anheizt. Es ist deine fehlende Reue für die begangenen Fehler, dein mangelndes Bestreben die Dinge richtig zu stellen und dein völlig überflüssiger Stolz, der dich in diese Situation gebracht hat.“
Lydia hatte sich jetzt schon fast sowas wie in Rage geredet, mußte einmal tief Luft holen um sich zu beruhigen, doch Cartmell zuckte immer noch mit keinem Muskel.
„Den Respekt seiner Kameraden kriegt man nicht so einfach geschenkt, Donovan, den muß man sich hart erarbeiten. Und wie soll man dir Vertrauen, wenn Du nicht mal eine klare Antwort auf eine einfache Frage geben willst, häh? Dein Ausweichen läßt für mich nur einen Schluss zu: Nämlich den, dass Du es tatsächlich gewesen bist, da du mir nicht in die Augen schauen und sagen kannst, das Du es nicht warst.“
Cartmell rührte sich immer noch nicht. Lydia hatte die Arme vor die Brust gekreuzt und blickte ihn aus funkelnden Augen böse an. Und während Sie auf eine Reaktion von ihm wartete, fragte Sie sich, was Sie hier eigentlich machte. Wenn er nicht mit ihr reden wollte, dann sollte er doch zur Hölle gehen.
Doch gerade als Sie sich zu gehen entschlossen hatte, begann Cartmell mit leiser, fast flüsternder Stimme zu antworten. „Ich bin es nicht gewesen.“
„Wie bitte?“
„Ich sagte, ich bin es nicht gewesen.“ Donovans Stimme war etwas fester, aber er hatte Sie immer noch nicht angeblickt. Doch dann wandte er den Kopf zu Ihr hinüber und fuhr fort. „Ich war nicht der Black Buccanneer, aber ich weiß wer es gewsen ist.“
Lydia stellte den Kopf seitlich und beobachtete ihn argwöhnisch. Bei einem anderen Thema, an einem anderen Ort hätte Sie vermutet, das er das nur sagte um Sie herum zu kriegen. Aber hier und jetzt hatte Sie das Gefühl, das er vielleicht die Wahrheit sagte. Andererseits, war so eine kurze Begründung einfach dahin gesagt. Sie entschloss sich tiefer zu bohren, zog einen neben dem Bett stehenden Stuhl heran und setzte sich umgekehrt auf ihn drauf, die Arme auf der Rückenlehne abstützend, die jetzt zwischen Ihr und Cartmell stand.
„Gut, das ist doch schon mal ein Anfang. Dann erzähl mal die ganze Geschichte.“
Widerstand regte sich kurz in seinen Augen, das konnte Sie deutlich erkennen, aber schliesslich seufzte er tief und begann zu erzählen.
Tyr Svenson
Die drei Offiziere standen stramm. Drei Meter vor Ihnen stand der Schreibtisch von James Waco. Waco saß gemütlich in seinem Chefsessel hinter seinem Schreibtisch und musterte die drei Offiziere.
Lieutenant Commander McQueen stand kerzengrade, wie bei einer Parade. Jeder Sergeant der Marines würde Darkness jetzt als Musterbeispiel für die Habt-Acht-Stellung nehmen.
Lucas Cunningham hingegen schien einige Probleme mit dem strammstehen zu haben. Der Commander gab sich jedoch größte Mühe seine Schwierigkeiten zu verbergen.
Curtis Long hingegen gab sich gar nicht erst die Mühe Darkness imitieren zu wollen.
"Also meine Herren", Waco ließ die drei nicht rühren, "was ist aus diesem Geschwader geworden? Können Sie mir mal verraten, WAS FÜR EINEN SAUHAUFEN SIE DA BEFEHLIGEN?"
Keiner der Offiziere antwortete.
"In Miramar wird Ensign Cartmell zusammengeschlagen. Einer Ihrer Jetjockeys gefährdet den Flugverkehr der Basis. Besagter Jetjockey wird hier an Bord zusammengeprügelt. Dann wieder unser Freund Cartmell. Vor einer Schlacht, fällt einer Ihrer Piloten aus, weil er verprügelt wurde. Oh und, nicht zu vergessen, wir haben da noch einen Lieutenant Nakakura, der auf der Galileo eine Schlägerei vom Zaun bricht und anscheinend ist dieser auch auf Miramar an den Sportübungen beteiligt gewesen."
Waco trommelte kurz mit den Fingern auf den Tisch: "Und das sind nur die bekannten Vorfälle. Was glauben Sie, was hinter Ihrem Rücken noch abgelaufen ist Gentlemen? Und was mich interessieren würde: Was haben Sie mir vorenthalten?"
"Sir, bitte offen sprechen zu dürfen." Cunninghams Stimme klang gepresst. Darkness Gesicht hatte einen rötlichen Ton angenommen.
"Erlaubnis erteilt und stehen Sie bequem, alle."
"Sir, Ensign Cartmell ist ein Problemfall, wie Sie sicherlich wissen. Egal, ob er nun vom Kriegsgericht frei gesprochen wurde oder nicht, Gerüchte und Verdächtigungen sind eine sehr schwere Brandmarkung. Des Weiteren hat sich Cartmell mit seinem Verhalten hier an Bord keine Freunde ..."
"Die Schweine sollten man aufknüpfen, und nichts rechtfertigt ..."
"Radio, jetzt nicht." Zischte Cunningham
"Wan sonst? Sie haben doch kein Interesse ..."
"RADIO!"
"Sie können mich mal." Radio erbleichte kaum, dass er das letzte Wort gesprochen hatte. "Sir ich ..."
Doch Waco erhob sich hinter seinem Schreibtisch und brachte den jungen Lieutenant Commander zum Schweigen.
"Commander Cunningham, möchten Sie ein Kriegsgerichtsverfahren gegen Lieutenant Commander Long?"
"Nein Sir, ich denke nicht, dass das nötig ist." Cunningham warf Radio einen Blick zu, der töten könnte.
"Nun denn, Mr. Long", Waco baute sich vor dem Lieutenant Commander auf, "da Ihr direkter Vorgesetzter auf ein Kriegsgerichtsverfahren verzichtet habe ich nur die Möglichkeit die mir zur Verfügung stehenden erzieherischen Maßnahmen zurückzugreifen. Ich stelle Sie daher für sieben Tage unter Arrest. Diese Strafe setze ich bis nach der Schlacht außer Kraft."
"Aye, aye, Sir." Radio wirkte immer noch etwas bleich, auch wenn seine Stimme frei von Furcht war.
Waco seufzte: "Aber Ihr junger Lieutenant Commander hat Recht, Cunningham, wir können nicht zulassen, dass irgendwelche Verrückten auf diesem Schiff herumstrolchen und Kameraden zusammenschlagen. Und schon gar nicht Piloten vor einer wichtigen Schlacht."
Cunningham nickte.
"Nun, ich ah wünsche, dass Sie und Ihr Stab dem JAG so gut es geht entgegenkommen und kooperieren. Haben wir uns verstanden?"
"Aye Sir." Der Geschwaderkommandant klang gepresst.
"Wegtreten."
Die drei Commander salutierten vor Waco und verließen das Büro.
Kaum war das Schott zu Wacos Büro geschlossen wandte sich Radio an Cunningham: "Sir ich ..."
Dieser liess ihn jedoch nicht aussprechen, sondern packte seinen Untergebenen am Kragen: "Jetzt passen Sie mal auf, wenn Sie mir noch einmal derartig ans Bein pinkeln, mache ich Sie fertig. Und nein, Sie brauchen ein Kriegsgericht nicht zu fürchten, es wäre die einzige Rettung vor mir. Haben wir uns verstanden?"
Radio nickte und ging.
Darkness hingegen schüttelte den Kopf: "Lucas, Lucas, Du machst mir gar nicht den Eindruck eines Schlägers."
"Es gibt definitiv andere Möglichkeiten, Darkness."
Der ältere Veteran blickte seinen Freund traurig an: "Wenn Du diesen Blick und Tonfall auflegst, frag ich mich, ob Du noch Du bist."
"Wenn sich Dichter, Komponisten, Autoren und Psychologen in einer Sache einig sind, dann die, dass der Krieg den Menschen verändert. Aber bitte lass das Geschwader antreten, so bald es wieder vollständig an Bord ist und die Jungs der INTREPID die Wache übernehmen, und zwar folgender maßen ..."
***
"ACHTUNG! STILLGESTANDEN!" Donnerte Darkness Stimme durch den Geschwaderbesprechungsraum, als Lucas eintrat.
Das Geschwader stand von seinen Stühlen auf und nahm Haltung an. Sämtliche Lieutenant Commander des Geschwaders hatten sich in einer Linie, mit dem Blick zum Geschwader vor der Monitorwand aufgestellt.
Gemächlichen Schrittes ging Lucas zum Rednerpult. Dort räusperte er sich kurz und ließ seinen Blick über das Geschwader wandern. "Stehen Sie bitte bequem."
Die meisten nahmen die übliche Rührt-Euch Haltung an, Skunk steckte die Hände in die Taschen und ließ die Schultern fallen. Einige wollten sich sogar hinsetzen.
"ICH SAGTE STEHEN SIE BEQUEM und nicht lassen Sie sich gehen!"
Er funkelte noch einmal diejenigen, die sich zum Setzen angeschickt hatten böse an und fuhr dann fort: "Es wird Sie sicherlich alle freuen, das es Ensign Cartmell den Umständen entsprechend recht gut geht und dass er für nicht länger als vier Tage vom Dienst ausfallen wird." Er suchte in den Augen verschiedener Leute nach einer Reaktion. "Als ich das letzte Mal mit diesem Geschwader in die Schlacht zog, war es eine eingeschworene Truppe mit der Chance eines Tages Elitestatus zu erreichen. Gut, wir haben Krieg und ich werde mich damit begnügen müssen mit einem Sauhaufen von Dilettanten in die Schlacht zu ziehen."
Diesmal waren deutliche Reaktionen zu erkennen. Wut, Verwunderung und Enttäuschung. Lucas hingegen spießte vor allem die Veteranen der Angry Angles mit seinen Blicken auf. William Booth, Helen Mitra, Muhammed Tuncay, Dick Donnovan und Tatjana Pawlitschenko. Keiner von ihnen, hatten sie ihn noch so böse angestarrt hatte seinem Blick standgehalten. In Liljas Blick fiel im etwas auf, was er kaum erwartet hatte. Scham, sie schämte sich ihrem Geschwaderkommandanten nicht zu genügen.
"Nicht zum ersten Mal wurde ich wegen Ihrem Verhalten ins Büro eines ranghöheren Offiziers gerufen. Und diesmal handelte es sich um unseren gottverdammten Captain. Es gibt ein altes Sprichwort in der Armee: Scheiße fließt abwärts. Ich habe das letzte Mal die Scheiße für Sie gefangen. Das nächste Mal werde ich den Brocken über die Lieutenant Commanders an Sie weiterreichen. Und wie bei einer guten Lawine vergrößert sich der Haufen je weiter die Strecke, die er zurücklegt. Und am Ende ist er groß genug, dass jeder verdammte Lieutenant in diesem Geschwader daran ersticken kann.
Ich dulde nicht, dass Mitglieder meines Geschwaders krankenhausreif geschlagen werden. Ich dulde nicht, dass Sie sich verhalten wie eine Bande Touristen in Lunapolis, wenn Sie das Wünschen, die Marines campen 10 Decks unter uns. Und ich dulde nicht, dass Mitglieder meines Geschwaders einem Code Red unterzogen werden.
Sollte sich als einer wegen dem Angriff auf Mr. Cartmell schuldig bekennen wollen, so möge er sich bis heute Abend zehnhundert p.m. beim JAG melden. Sollte einer etwas zu dem Vorfall aussagen möchten, so möge auch jender sich bis zehnhundert beim JAG melden.
Sollte sich hier jemand als schuldig herausstellen, obwohl er die Chance hatte sich heute zu stellen, so gnade ihm Gott. Bis zehnhundert wird wegen schwerer Körperverletzung ermittelt, ab dann ermittelt das JAG Corps wegen tätlichen Angriffs mit Tötungsabsicht."
Viele der Piloten blickten betreten drein, einige tuschelten.
"So, die nächsten vierundzwanzig Stunden hat das Geschwader auf Befehl von Admiral Wulff dienstfrei. Von den Schwadronenkommandanten angesetzte Übungen fallen aus. Wegtreten."
Die Versammlung löste sich auf. Die Lieutenant Commander fingen an sich untereinander zu unterhalten, während Lucas einige Daten ins Besprechungspult eingab.
"Also Reden schwingen kann er ja."
Lucas fuhr herum und funkelte Lightning wütend an: "Was war das?"
Lightnings Lächeln war zu unschuldig, als dass sie unschuldig sein konnte: "Nichts."
"Sie melden sich in einer halben Stunde in meinem Büro." Er drehte sich wieder um und beendete die Dateneingabe. Die Lieutenant Commander beachtete er nicht mehr weiter.
***
Der Türsummer erklang.
Überpünktlich. Lucas lehnte sich kurz im Sessel zurück, beugte sich dann jedoch wieder vor und fuhr mit seiner Arbeit fort.
Nach dem dritten Summen bellte er ein schroffes herein.
Lightning trat ein und salutierte flapsig: "Lieutenant Commander Parker meldet sich wie befohlen."
Lucas beachtete sie kurz nicht und tat so als würde er seine Arbeit weiterhin fortsetzen.
Ungeduldig stemmte Lightning die Hände in die Hüften: "Also ..."
"Ich habe Sie nicht rühren lassen, Lieutenant Commander." Lucas grinste ihr offen ins Gesicht. "Sie gehen wieder vor die Tür und in zwei Minuten melden Sie sich, wie man es Ihnen auf der Akademie beigebracht haben dürfte."
Die Schwadronenkommandantin zog scharf die Luft ein, ihr Gesicht war Wut verkniffen und Lucas konnte eine Ader an der Stirn förmlich pulsieren sehen. Ja meine Dame, das ist Schikane und es gibt niemanden, der Dir jetzt helfen kann.
Lightning machte auf dem Fuße kehrt und donnerte das Büroschott ins Schloss.
"Lucas, Du bist ein Arschloch." Sagte er über sich selbst, während die Person, die ihm nur zu gern recht gegeben hätte vor der Tür stand und drauf und dran war zu explodieren.
Trotz seines Versuches sich nochmals an die Arbeit zu machen konnte er sich nicht richtig konzentrieren.
Exakt zwei Minuten nachdem Parker das Schott zugeschlagen hatte ertönte der Türsummer. Lucas blickte auf: "Herein bitte."
Parker öffnete die Tür, trat ein und schloss sie ordentlich. Trat dann auf den Schreibtisch zu und führte einen Salut aus, den man sonst nur von Okha oder den Akademieabgängern kannte:: "Lieutenant Commander Parker meldet sich wie befohlen, Sir."
"Rühren Commander, bitte setzen Sie sich doch." Lucas war die Höflichkeit in Person und war über Lightnings Beherrschung mehr als nur überrascht. Selbst aus ihren Augen war die Wut verschwunden.
"Ich will jetzt mal ganz offen mit Ihnen sprechen Diane", kurz zuckte der Mundwinkel seines Gegenübers, "es ist mir grundsätzlich egal, ob Sie eine Dartscheibe mit meinem Bild spicken und sich daran abreagieren. Aber in der Öffentlichkeit, werden Sie mich mit dem Respekt behandeln, der mir durch die Rangabzeichen die ich trage von Rechts wegen zusteht. Und sollten Sie auch nur noch ein einziges Mal meine Autorität untergraben, werde ich Sie als Exempel nehmen, um die Ordnung in diesem Geschwader wieder herzustellen. Und seien Sie versichert, Mr. Cartmell wird sich riesig darüber freuen nicht mehr der einzige fliegenden Ensign in diesem Geschwader sein."
Lucas setzte erneut sein feines Lächeln auf: "Ich denke ich habe mich deutlich genug ausgedrückt oder?"
"Aye Sir, klar und deutlich. Wäre das alles?" Lightning machte einen gefassten Eindruck.
"Ja, das wäre alles, Sie dürfen wegtreten."
Sie nickte zum Abschied und verließ das Büro ihres Kommandeurs mit so viel Würde wie sie aufbringen konnte. Eine Würde, um die Lucas sie beneidete, weil er in ihrer Situation sie sicherlich nicht gehabt hätte.
Vor der Tür jedoch ließ sie ihre Schultern sinken und strebte schnellen Schrittes die Sporthalle an. Sie brauchte einen Sandsack.