Cattaneo
Cunningham
„Eskalation, Eskalation, Eskalation“
Strategie der IRA von 1969 bis 1998
TRS Columbia
Sterntor, FRT
Das Flugdeck war genau so überfüllt wie beim Start. Zuerst waren die angeschossenen Maschinen rein gekommen, noch einzeln und ganz gemächlich.
Später waren dann die Staffeln der Angry Angels gelandet, und zwar in ziemlich schnellen Wellen, bis schließlich die überlebenden Jäger der Anzac eingewiesen wurden.
Zum Fiasko war es geworden, als einer der Neulinge aus Razors Schwadron wegen eines Computerfehlers in Panik geraten war, ob er jetzt den Schleudersitz deaktiviert hatte.
Das Flugdeck der Columbia war zwar riesig, doch ein raketengetriebener Schleudersitzt hätte für einen blutigen Fleck an der Decke gesorgt. Die Situation hatte sich erst bereinigt, als ein Techniker die Elektronik kurzgeschlossen hatte.
Während bei einigen die Erschöpfung jetzt Bahn brach, war sie bei anderen wie weggewaschen. Es wurden die ersten Kriegsgeschichten ausgetauscht. Es wurde angegeben und man suchte nach seinen Kameraden.
Natürlich wurden auch die ersten Gerüchte ausgetauscht. Die rote Schwadron sammelte sich am Fuße von Mantis‘ Nighthawk. Zwei Piloten wurden vermisst, weder von Arrow noch von dem mittlerweile erfahrenen Too-Tall war genau bekannt ob er jetzt tot oder ausgestiegen war, und wenn er ausgestiegen war, welche Seite ihn eingesammelt hatte.
Mit zitternden Knien hockte The Kid sich hin und legte den Pilotenhelm vor sich hin, während Dog zum Besten gab, wie er The Artist den Arsch gerettet hatte.
Die erfahrenere Pilotin ließ ihren Flügelmann gewähren. Tatsächlich wirkte Artist als wäre sie nicht ganz da.
„He, alles in Ordnung, Lydia?“ Auch Mantis hatte dies bemerkt.
„Ja, ach nein, glaubst Du, die werden Lone Wolf jetzt tatsächlich abziehen?“, Artist machte ein unglückliches Gesicht, „Nicht, dass ich Dir nicht zutrauen würde…“
„Schon gut,“, bügelte Mantis ab, „ich… naja ist auch egal, wir kommen da schon durch.“
Stuntman warf ihr einen skeptischen Blick zu.
„Andere Sache,“, warf Sonnyboy ein, „ich habe zwei Bomberpiloten sagen hören, dass Eisenherz, ähm Lilja, ich meine Lieutenant Commander Pawlitschenko…“
Dog verdrehte die Augen: „Wir wissen alle wen Du meinst, Kleiner.“
„Naja, sie soll einem ihrer Piloten gedroht haben, ihn abzuschießen!“
„Tja, manchmal muss man etwas intensiver motivieren.“, kommentierte Titan lapidar.
„Der besagte Pilot, Guardsman, ist nicht zurückgekommen!“ Sonnyboy wurde tonlos als er das sagte.
Auch Titan verschlug es die Sprache.
„Willst Du damit andeuten…“, Stuntman war der erste, der die Sprache wieder fand.
Doch ehe Sonnyboy seine Vermutung ausposaunen konnte fuhr Mantis dazwischen: „Genug geschwatzt, ab in den Besprechungsraum, Ihr alle müsst was trinken, und je eher wir wissen, wie es weiter geht, desto eher können wir vielleicht etwas Ruhe bekommen.“
Sie schob Sonnyboy vor sich und der Staffel her.
„Commodore Crawford, Commanders Burr und Cunningham, melden Sie sich in der CIC zur Einsatzbesprechung. Commodore Crawford, Commanders Burr und Cunningham zur Einsatzbesprechung in die CIC.“, dröhnte es aus den Deckenlautsprechern.
„Das kann ja noch heiter werden.“, raunte Stuntman ihr zu und Mantis hoffte inständig, dass sich Donovan diesmal irren würde.
Raven wusste, dass sie zu spät kam, viel zu spät, denn in der CIC nahm das Desaster seinen Lauf.
„Ich verlange, dass dieser Mann augenblicklich seines Postens enthoben wird.“, blaffte ein Mann, offensichtlich Crawford, der an seinem Fliegeranzug die Rangabzeichen eines Captains trug. Sie hatte den ranghöheren Piloten noch nie gesehen, doch in Haltung und Tonlage kam er ihr sehr bekannt vor.
„Wo haben Sie denn auf einmal das Rückgrat her um irgendetwas zu verlangen?“, fragte Lone Wolf und sofort wusste sie, wieso Crawford ihr so bekannt vorkam.
Was sie aber tatsächlich verwunderte war, dass Lone Wolf dem Captain gegenüber einen Tonfall anschlug, den er sonst nur für Untergebene reserviert hatte. Raven selbst hatte diesen in den frühen Tagen der Angry Angels mehr als einmal zu hören bekommen. Doch gegenüber einem ranghöheren Offizier, niemals.
„Was erlauben Sie sich eigentlich! Man möchte meinen, Sie hätten sich die Rangabzeichen bei einer Schlägerei in einer Raumhafenkneipe angeeignet.“
Raven trat an den Kartentisch heran. Gegenüber der beiden Kontrahenten standen Girad, die eigentlich zu entschlossen schien, als dass sie solch einen Streit zulassen würde, und Captain Ahn Ho-Yun, die kurz davor zu sein schien zu explodieren, sich aber wohl aus Respekt der Admiralin gegenüber zurückhielt.
Der Rest der CIC-Besatzung schwieg und beobachtete die Auseinandersetzung, peinlich bemüht nicht in den Fokus der Admiralin zu gelangen.
„Ich erlaube mir eigenständig zu denken,“, konterte Lone Wolf, ehe Raven auch nur die Chance bekam einzugreifen, „ich erlaube mir Eigeninitiative zu entwickeln, mich an veränderte Umstände anzupassen, über Chancen nachzudenken, diese eventuell zu nutzen und ich erlaube mir ein Gefecht führen zu können, ohne ständig auf die handgeschriebenen Notizen meines Kommandeurs zu spicken! Und wenn Sie wirklich wissen wollen, woher ich meine Rangabzeichen habe, die habe ich vom Kommandierenden Offizier der zweiten Flotten! Erhalten habe ich sie während der Schlacht von Manticore!“
„Mit Ihrer Legende können Sie sich von mir aus den Arsch abwischen!“ war Crawfords gebrüllte Antwort, „Sie sind ein aufmüpfiger, insubordinativer Unruhestifter, der es nicht verdient hat die Uniform der TSN zu tragen!“
„Ich brauche zumindest kein Handbuch um mir am Arsch zu kratzen! Und wenn Sie nur für fünf Cent intelligenter als die durchschnittliche Amöbe wären, dann hätten Sie uns in dieser Schlacht führen können, statt als Strohpuppe für…“
„DAS GENÜGT!“
Abrupt brach Cunningham ab und wandte sich zusammen mit Crawford zur Sprecherin um. Auch Raven blickte sofort zu Admiral Girad.
„Commodore Crawford,“, begann Girad als hätte sie nie die Stimme erhoben, „auch ich bin mit dem Ergebnis dieses Gefechtes alles andere als zufrieden. Aber das ist jetzt nebensächlich. Wichtig ist, wie wir weiter vorgehen.“
Sie blickte in die Runde.
„Angreifen!“, platzte es aus Raven und Lone Wolf gleichzeitig heraus.
Mit einem knappen Nicken forderte die Admiralin Raven auf weiterzureden.
Diese blickte kurz zu Crawford, der missbilligend zurückstarrte.
„Das ist die einzig gewinnbringende Möglichkeit, die wir haben,“, fuhr die Geschwaderführerin fort, „wir müssen dem Akarii die Initiative abnehmen. Er kann zurzeit schalten und walten wie er will. Unsere Aufgabe ist es den Feind zu neutralisieren und das bekommen wir nur durch einen Angriff hin. Wir können ihn nicht in eine Falle locken, dazu hat er zu viele andere Möglichkeiten, als dass er sich mit uns abgeben muss, wir haben dafür nicht die Ressourcen und auch nicht die Zeit.
Wir haben nur ihn als einzig mögliches Ziel und wir müssen ihn schädigen, schädigen und nochmal schädigen. Wenn wir wieder anfangen zu manövrieren, dann kann er Masters angreifen oder er kann sich entscheiden auf Seafort zuzumarschieren und wir müssen hinterher, oder er entscheidet sich gar zu verschwinden, dann haben wir einen Träger, einen schweren Kreuzer und wer weiß was noch verloren und die ganze Industrie und er, Jäger, Bomber und Shuttles.
Wir alle haben Commodore Crawfords Plädoyer über Commander Cunningham gehört und aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, er ist ein ziemlich unangenehmer Vorgesetzter und als Untergebener ist er nicht einfacher, aber ich habe durch ihn in den letzten Jahren einen wichtigen Kriegsgrundsatz gelernt: Initiative! Initiative! Initiative!
Wir handeln, wir bestimmen, wir siegen!“
„Und am Ende siegen wir uns zu Tode.“, hielt Crawford missmutig entgegen.
Raven fuhr zu ihm herum: „Aber wir haben doch gar keine Wahl, ich komme aus Kanada von der Erde, aber dies hier ist unsere Heimat, dies ist die Erde wenn Sie so wollen. Wir verteidigen diesmal, wir müssen handeln. Wir müssen den Akarii zeigen, dass der Verbleib im System für sie zu teuer wird.“
Der rangältere Pilot wirkte nicht überzeugt.
„In Ordnung, arbeiten Sie mir einen Angriffsplan aus, den ich den Flaggoffizieren der Geschwader zur Diskussion vorlegen kann und sehen sie zu, dass Ihre Leute sich ausruhen, was zu essen bekommen und allgemein etwas runter kommen.“, entschied Girad.
„Und Cunningham,“, wollte Crawford wissen, „bleibt der etwa auf seinem Posten?“
„Fürs erste ja,“, Girad sah dem Captain direkt in die Augen, „aber der Commander wird sich Ihnen gegenüber mäßigen.“
An alle drei gewandt: „Sie können wegtreten.“
Die Piloten nahmen Haltung an und salutierten.
Crawford stürmte sofort aus der CIC hinaus, nachdem Girad die Ehrbezeugung erwidert hatte.
Raven folgte ihm, auch wenn sie nicht glaubte, dass noch irgendetwas zu retten war.
„Einen Augenblick noch, Lucas.“, hielt Girad den ehemaligen Geschwaderführer auf, dabei hatte sie ihre Aufmerksamkeit schon den Statusberichten, die am unteren Ende des Kartentischen eingespielt wurden, zugewandt, „wenn Sie sich nochmal so gehen lassen, fliegen Sie ihren nächsten Einsatz als Ensign. Bin ich verstanden worden?“
Lucas musterte die neue Kommandeurin der Fünften Flotte, die ihn nur noch sekundär beachtete. Die Admiralin kam ihn nicht wie jemand vor, der Machtspiele spielte oder drohte um ihre Autorität zu unterstreichen. Der Commander würde sich Crawford gegenüber mäßigen oder als ältester Ensign der Flotte enden. Eine Warnung, fast beiläufig ausgesprochen, schon fast intim, denn außer Captain Ahn hatte das sicherlich niemand in der vollbesetzten CIC voll mitbekommen.
Einen Augenblick war Lucas versucht sie um Ensigns Abzeichen zu bitten, damit er Crawford die Tracht Prügel verabreichen könnte, die dieser verdiente: „Verstanden, Ma’am.“
Girad beachtete ihn nicht weiter, sondern fragte die Kommandantin der Columbia nach irgendeinem Datenwert.
Lucas verließ die CIC.
„Das war doch äußerst aufschlussreich, finden Sie nicht Ho-Yun?“
Der Captain der Columbia räusperte sich vernehmlich: „Ich bin eher der Meinung, dass Commodore Crawford mit allem was er gesagt hat durchaus Recht hat.“
Girad schmunzelte: „Ja, doch das hat er, und unsere beiden Commander?“
Captain Ahns Gesicht verschloss sich einen Augenblick, dann nickte sie zögerlich: „Die haben leider auch beide Recht.“
Girad rief einen weiteren Statusreport auf.
„Und wie verfahren wir mit Commander Cunningham, ich meine wenn alles vorbei ist?“
„Nun Ho-Yun, es gibt ja drei Möglichkeiten, entweder Commander Cunningham fällt im Gefecht, oder ich falle im Gefecht, beide Varianten bedeuten, dass er nicht mehr mein Problem ist. Er und ich könnten natürlich auch beide überleben, und nur dann brauche ich mich mit ihm befassen und mal ganz ehrlich, haben wir jetzt nicht Wichtigeres zu tun als uns über solche Personalentscheidungen den Kopf zu zerbrechen?“
Diesmal kam die Antwort prompter: „Natürlich Ma’am.“
Admiral Girad war sich sicher, sich ihre Flaggkommandantin noch hinbiegen zu können.
Mantis rollte einen Flummie in den Händen hin und her, den sie zuvor Tulip van der Rozen weggenommen hatte, bevor kurz bevor Titan aufgestanden wäre und richtig unschöne Dinge mit dem jungen Piloten angestellt hätte, weil dieser den immer wieder gegen die Wand geworfen hatte.
Die anderen Piloten waren alle in unterschiedlichsten Phasen der Regeneration. Donovan Cartmell hatte sich in seinen Stammplatz im Besprechungsraum der roten Staffel fallen lassen, die Augen geschlossen und fast sofort angefangen einen Regenwald abzuholzen.
Dog Schäfer war sogar noch etwas kompromissloser gewesen und hatte sich vor die erste Reihe der Stühle gelegt, um auf dem Fußboden zu schlafen.
Sonnyboy und The Kid hatten eine ganze Weile miteinander geredet und überschüssige Energie abgebaut.
Artist hingegen hatte die neuesten Staffelstatistiken in den Computer eingepflegt und dann alle paar Minuten versucht, Vergleiche mit den anderen Staffeln anzustellen.
Titan hatte kurz mit Petal gesprochen und war dabei die Manöver während des Kampfes durchgegangen und hatte der Asiatin Anweisungen für den nächsten Flug gegeben.
Wären Sonnyboy und The Kid nicht schließlich doch auf Arrow zu sprechen gekommen, dann hätte Mantis dessen Abwesenheit einfach übersehen, aber Too-Talls Fehlen war allein schon von der fehelenden körperlichen Präsenz nicht zu verleugnen.
Besonders ihr selbst fehlte Too-Tall, war er doch am ehesten noch jemand, mit dem sie trotz oder gerade wegen des großen Altersunterschieds hatte sprechen können.
Von den beiden nächstälteren Piloten glänzte Lone Wolf mit Abwesenheit, und was sollte sie mit dem bitte schön auch schon reden können und Carmell, der war ein Idiot.
Das Öffnen der Tür riss Mantis aus ihren trübsinnigen Gedanken.
Es traten zwei Piloten ein, deren Geschwaderabzeichen sie als Angehörige der Gunriders ausweis, dem Bordgeschwader der Anzac.
Es war die Frau, eine recht hochgewachsene und schlank gebaute, die zuerst sprach: „Guten Tag, ich bin Lieutenant Senior Grade Irina Kulkowa, der Kurze hier ist Lieutenant Joaquin Garcia, wir sind Ihnen als Ersatzleute zugeteilt worden.“
Es war deutliche Wut und Verbitterung herauszuhören.
„Nicole Shaw,“, stellte sich Mantis vor, „ich bin der Staffel XO, haben Sie schon ausreichend getrunken und was gegessen?“
„Da, wir sind versorgt worden.“
Der wieder wach gewordene Dog erhob sich und musterte die beiden Neuzugänge, sein Blick blieb an Garcia hängen: „Mann, Shorty, Du siehst aus als wärst Du gerade dem Kindergarten entschlüpft.“
Auch wenn Mantis es so nicht ausgedrückt hätte, der junge Pilot sah tatsächlich sehr jung aus, so ziemlich das gleiche Kaliber wie Sonnyboy und The Kid.
„Als wenn Du Dich noch nie rasieren musstest,“, fuhr Dog fort, „war wohl Dein erstes Gefecht was?“
„Deins doch auch, Angeber.“, murmelte Titan, und neben Mantis hatte das wohl keiner mitbekommen.
Garcia nickte zur Antwort.
„Und auch was erwischt, Shorty, ist das Dein Callsign?“
„Ich habe noch kein Callsign… ich habe vor wenigen Wochen erst auf Seafort meine Pilotenausbildung abgeschlossen.“ Der junge Pilot blickte unsicher in die Runde.
„Dann hast Du jetzt eins Shorty“, meinte The Kid aufmunternd.
„Richtig, und, schon ´ne Echse erwischt?“ Dog stützte sich mit den Unterarmen auf die Rückenlehne seines Sessels.
Joaquin „Shorty“ Garcia befeuchtete die Lippen und blickte zu Boden: „Ich habe sieben… sieben bestätigte Abschüsse.“
Mantis wusste nicht, ob es die Zahl war oder die Unsicherheit, mit welcher der junge Pilot sein Abschussergebnis seiner ersten Schlacht bekannt gab, aber einen Augenblick herrschte absolutes Schweigen im Bereitschaftsraum der roten Staffel.
Dogs Kinnlade musste irgendwo am Boden liegen, neben seinem Fliegerhelm. The Kid wandte sich mit Hass verdunkelten Augen ab und ließ sich in seinen Sessel fallen.
„Sieben? Sieben bestätigte Abschüsse?“ Es war The Artist, die als erste die Stimme wiederfand. „Damit überflügeln wir die Schwarzen, wenn die nicht annähernd gleichwertigen Ersatz bekommen.“
„Wa-was meinst Du mit bestätigten Abschüssen?“ Wollte Dog schließlich wissen.
„Ich glaube ich habe eher acht oder neun abgeschossen.“, noch immer war keine Spur von Triumph in Shorties Stimme zu hören.
Titan beugte sich zu Dog vor und schnüffelte auffällig, dabei deutete sie mit den Daumen auf Joaquin Garcia: „Ich rieche einen Jungfuchs und das ist nicht er.“
Cattaneo
Tyr
Imperialer Flottenträger KAHAL
„Die feindlichen Jäger haben ihre Angriffe auf unseren Kampffliegerverband eingestellt und ziehen sich geordnet zurück. Ankunft unserer Jagdverbände in…“
„Wie hoch sind unsere Verluste, Kapitän Los?“
Die Stabschefin blickte noch einmal auf das Datapad in das beständig ausgewählte Kerndaten und Analysen eingespeist wurden, die die KALLEH an das Flaggschiff übermittelte. Fast ohne Zeitverzögerung, präzise und zuverlässig. In diesem Augenblick allerdings wäre es Thera Los fast lieber gewesen, wenn die Kommunikations- und Gefechtselektronik einen Totalausfall erlitten hätte. Wenigstens für ein paar Minuten. „Admiral…“
„Geben Sie schon her.“ Die Art und Weise, wie ihr Vorgesetzter ihr das Datapad beinahe aus den Händen riss bewies seine Anspannung und verhieß nichts Gutes. Thera Los zwang ihre Hände an die Säume ihrer Uniformhose und wartete auf die unvermeidliche Explosion.
Die jedoch ausblieb.
„Die Shuttles sollen jeden ausgestiegenen Piloten aufsammeln den sie finden können, Akarii oder Mensch.“
„Die sollten wir einfach abknallen…“ schaltete sich Kapitän Matir ein. Taran ignorierte den Einwurf des Trägerkapitäns und wandte sich wieder seiner Stabschefin zu: „Sie wirken überrascht, Kapitän Los.“
„Mein Lord…“
Der Admiral lächelte humorlos. Vielleicht erinnerte er sich daran, dass sie vor einiger Zeit Zeuge geworden war, wie er nach dem Erhalt einer unangenehmen Nachricht die Beherrschung verloren und ein Trideogerät zerstört hatte: „Was haben Sie erwartet? Einen Wutanfall? Einen Ausbruch von imperialen Stolz und Vergeltungswillen? Den Befehl, die feindlichen Jäger bis in den Abgrund zwischen den Sternen zu jagen?“
„Nun…“
„Sie können sich entspannen. Das wäre verlockend, aber ich werde es nicht befehlen. Selbst WENN wir die Terraner einholen könnten, bevor sie ihren Flottenverband erreichen und durch die Schiffsflak und die verbliebenen Abfangjäger unterstützt werden…
Sie wären uns immer noch zahlenmäßig ziemlich ebenbürtig. Im besten Fall würde das auf ein erneutes stupides Abschlachten hinauslaufen. Und wir wissen beide, dass die Menschen dabei nur gewinnen können. Sie haben Reserven – wir nicht. Und es ist ihr System.
Ich werde meine Jäger nicht dafür vergeuden. Wir brauchen sie, um unseren Flottenverband in der kommenden Schlacht zu schützen. Und als Begleitschutz für unsere Bomber und Jagdbomber.“
Kapitän Matir schaltete sich wieder in das Gespräch ein: „Und was heißt das nun? Lüften Sie jetzt endlich das große Geheimnis? Wollen Sie unseren flüchtenden Freunden von der TSN doch noch den Rest geben? Dann hätten Sie vielleicht nicht unsere Marschgeschwindigkeit um zwanzig Prozent reduzieren sollen.“ Auch der ohnehin nicht gerade in sich ruhende Trägerkapitän zeigte Nerven. Vermutlich sprach es für Taran, dass er nicht mit gleicher Munition zurückfeuerte: „Das hatte andere Gründe. Unsere Flottenversorger und die Hilfsträger sollten nicht ununterbrochen mit Höchstgeschwindigkeit fliegen. Auf die Dauer könnte das zur Überlastung der Reaktoren führen.
Und was Ihre Frage angeht…nein. Wir gehen wieder auf Gegenkurs. Das Ziel ist Masters. Kapitän Los…sagen Sie Zanni, dass sie für unsere Jagd- und Kampfflieger einen optimalen Aufnahmekurs berechnen soll. Es wird knapp genug für sie werden und wir haben schon genug Zeit und Treibstoff vergeudet. Ich will die Maschinen so schnell wie möglich wieder an Bord haben.“
Da Taran offenbar nicht gewillt war, auf den Überbringer schlechter Nachrichten zu schießen – sie vergaß immer wieder, dass er nicht Jor war – wandte sich Kapitän Los wieder ihren Routineraufgaben zu. Soweit man den Begriff ‚Routine’ für eine Raumschlacht tief in feindlichem Gebiet überhaupt verwenden konnte: „Was das angeht…wie Sie wissen haben einige unserer Jabo- und Bomberstaffeln Verluste von fast fünfzig Prozent erlitten. Selbst wenn wir alle geretteten Piloten in Ersatzmaschinen stecken, für ein planetares Bombardement…“
„Sie haben Recht, Los. Wir können uns die unvermeidlichen Verluste durch Flugabwehr und Abfangjäger ganz einfach nicht mehr leisten. Und deshalb werden wir das auch nicht tun.“
Matir nickte verstehend: „Sie meinen wir beschränken uns auf ein Orbitalbombardement? Sicher, das ist ungefährlicher und kostengünstiger. Aber dafür müssen wir auch sehr nahe ran und können nur einen kleinen Teil von Masters bombardieren, wenn wir unsere Flotte nicht aufteilen. Ich glaube außerdem kaum, dass die TSN uns die Zeit lässt, uns um den ganzen Planeten zu arbeiten.“
„Ja, damit sollten wir rechnen. Aber so setzen wir sie wieder unter Zugzwang. Und letzten Endes ist es gar nicht so wichtig, ob wir ein paar Fabriken mehr oder weniger vernichten. Wichtig ist, dass wir den Druck aufrechterhalten und den Menschen weiter vorgaukeln, wir wollten das ganze System in Schutt und Asche legen.“
„Und warum nicht Seafort? Dort könnten WIRKLICHEN Schaden anrichten. Diese Orbitalwerften…“
Admiral Taran lächelte kurz und bedauernd: „Ein verlockendes Ziel, das stimmt. Aber Seafort ist stark befestigt und zu weit weg. Wir könnten die Orbitalstationen und Deckungseinheiten niederkämpfen – aber was dann? Auch wenn die TSN im Augenblick zurückweicht, bis wir Seafort erreichen hätten sie sich auf jeden Fall wieder gefangen. Sie könnten sogar ihren zweiten Flottenverband hinzuziehen und versuchen, uns in die Zange zu nehmen. Und um die Verteidigung niederzukämpfen, bevor die Verstärkung eintrifft, müssten wir einen zu hohen Blutzoll zahlen. Ich bin nicht Ilis. Ich will meine Männer nicht opfern, indem ich dort angreife, wo der Gegner am stärksten ist.“
„Es ist Ihre Entscheidung.“
„Allerdings. Kapitän Los, wir brauchen so schnell wie möglich eine aktualisierte Zielliste für Masters. Priorität haben Militäreinrichtungen, Raumhäfen und Rüstungswerke, danach duale Produktionsanlagen und zuletzt Kommunikations-, Transport- und Versorgungsknotenpunkte ziviler Natur. Es würde mich besonders interessieren, wo diese Marinesflieger gestartet sind, die uns vor kurzem angegriffen haben.“
„Was die zivilen Einrichtungen angeht - heißt das, Sie wollen…“
„Wir werden keine Städte ausradieren, falls es das ist was Sie meinen. Aber ich will die Option haben, in kürzester Zeit maximalen Schaden anzurichten. Ohne dass wir die Gefechtsformation auflösen. Es wäre höchst unwillkommen, wenn es unseren Kapitänen an Zielen mangeln würde.
Gut. Mit welchem Widerstand können wir über Masters rechnen?“
„Neben den Marinekorpsfliegern dürfte auch die Nationalgarde über mindestens ein Geschwader Kampf- und Jagdflieger verfügen. Wir können außerdem davon ausgehen, dass es eine ganze Reihe bodengestützter Flugabwehrstellungen gibt, doch da Sie vorerst keine Luftangriffe auf Bodenziele durchführen wollen, können wir die wahrscheinlich erst einmal vernachlässigen. Dazu kommen einige Raumstationen, wahrscheinlich überwiegend ziviler oder halbziviler Natur, über deren Bestückung wir allerdings nichts wissen. Und eine kleine Flotte leichter Kriegsschiffe – überwiegend veraltete Fregatten, Korvetten und ein paar Zerstörer, maximal vier bis sechs Divisionen.“
„Das heißt, wir haben die bei weitem größeren Kaliber, unsere Schiffe sind moderner und wir sind ihnen numerisch etwa im Verhältnis Eins zu Vier oder Fünf überlegen.“
„Das ist korrekt. Außerdem dürften ihre Mannschaften…nicht gerade Frontkaliber sein. Genauso wie die Piloten der Nationalgarde.“
Der Admiral lächelte raubtierhaft: „Ich frage mich, ob diese Menschen es überhaupt WAGEN werden, sich uns in den Weg zu stellen oder nicht einfach die Flucht ergreifen. Dann KÖNNTEN vielleicht einige von ihnen überleben, selbst wenn wir unsere Bomber hinterherschicken würden. Sollten sie allerdings tatsächlich so dumm sein und sich stellen…“
Kapitän Matir lachte scharf auf: „Ich HOFFE, dass sie so dumm sind. Wollen Sie sie mit den Großkampfschiffen ausschalten oder unseren Kampffliegern und Schnellbooten die Arbeit überlassen?“
Taran überlegte kurz: „Die Bomber und Schnellboote sollen auf jeden Fall für einen neuen Antischiffeinsatz bestückt werden. Aber ich will sie nicht verheizen. Der Gegner hat immerhin recht starke Fliegerverbände und wir werden unsere Kampfflieger wahrscheinlich noch brauchen. Wenn die Marines und die Nationalgarde ihren Kriegsschiffen Deckung geben, wäre ein Langstreckenangriff wahrscheinlich zu kostspielig. Aber schnelle, kurze Vorstöße aus der Deckung unserer Kriegsschiffe heraus…
Was unsere Jäger angeht, so will ich vor allem, dass sie einen Durchbruch der gegnerischen Kampfflieger verhindern. Und deswegen…“
Taran wandte sich an den Verbindungsoffizier für das Bordgeschwader der KAHAL: „Sobald sie gelandet sind, lassen Sie die Piloten wegtreten – sie haben es sich verdient. Sie sollen Essen, Schlafen, was auch immer. Sorgen Sie dafür, dass sie etwas Gutes vorgesetzt bekommen. In den nächsten paar Stunden werden wir sie nicht brauchen.
Funkoffizier, die gleichen Befehle gehen an die anderen Träger. Ich brauche sie alle ausgeruht und voll einsatzfähig.“
„Natürlich, Admiral.“
Der Flottenbefehlshaber hielt kurz inne und grinste dann kurz, während er sich zu Kapitän Matir umwandte: „Das ist sowieso üblich, richtig?“
Der Kommandant des Trägers klang amüsiert: „Die meisten Geschwaderchefs und Trägerkommandeure wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig Erholung, Schlaf und gutes Essen sind. Ständige Gefechtsbereitschaft klingt zwar gut, kann aber sehr schnell die Leistungsfähigkeit ruinieren. Aber es ist schon ganz gut, dass Sie an so etwas denken. Manche Flottenkommandeure…behandelten die Piloten wie bessere Abwrackspezialisten. Oder wie beliebig einsatzfähige Kampfdrohnen.“
Der Kommunikationsoffizier meldete sich zu Wort: „Admiral, Eine Prioritätsmeldung von Kapitän Ka’wal.“
„Vermutlich will er Ihnen zu unserem Sieg gratulieren.“ bemerkte Kapitän Matir mit betont ausdrucksloser Miene. Admiral Tarans Antwort war ein mindestens genauso ausdrucksloser Blick, bevor er die Kommverbindung aktivierte: „Kapitän Ka’wal…“
„Ich muss auf das schärfste gegen die neuen Befehle protestieren. Wir verpassen eine einmalige Chance, wenn wir die Menschen jetzt davonkommen lassen. Statt hin und her zu hüpfen wie eine Steinkröte sollten wir entschlossen und mutig handeln und ihnen den Rest geben. Sich eine solche Chance auf einen totalen Sieg entgehen zu lassen grenzt schon fast an ein Verbrechen und ist…“
„Sind Sie jetzt endlich fertig, Kapitän?!“ Admiral Tarans unterkühlte Worte schnitten wie ein scharf geschliffenes Messer durch den wütenden Wortschwall des Kreuzerkapitäns. „Und es heißt Admiral, Kapitän Ka’wal. Oder sind Ihnen nicht einmal die elementarsten Grundlagen der Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Untergebenen vertraut?“
Kurz schien der Offizier aus dem Konzept zu kommen: „Ich…das ändert nichts an…“
„Seien Sie still und hören Sie mir zu! ICH führe diese Kampfgruppe. Ich habe es nicht nötig, meine Entscheidungen zu rechtfertigen oder zu erklären…“
„Ihr Verhalten entspricht weder unseren Befehlen noch den Traditionen…“
„Still. Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen und meine Autorität in Frage stellen, dann lasse ich Sie festsetzen. Haben Sie mich JETZT verstanden?!“
Einen Augenblick glaubte Thera Los, dass Ka’wal es wirklich darauf ankommen lassen und die Probe aufs Exempel machen würde. Aber ob aus Vorsicht oder Respekt gegenüber den Traditionen und Regeln, die er selber beschworen hatte, entschied sich Ka’wal dafür, auf eine Machtprobe zu verzichten: „Admiral.“
„Danke. Ich werde Ihnen meine Gründe dennoch erläutern. Ihnen dürfte bekannt sein, dass der feindliche Verband trotz der Verluste und dem augenblicklichen Rückzuges uns immer noch mindestens ebenbürtig ist, was die Anzahl und Kampfkraft seiner Einheiten angeht.
Wenn Sie sich stellen…ungeachtet meines fast unbegrenzten Vertrauens in die Entschlossenheit, die Fähigkeiten und den Kampfgeist meiner Männer und Frauen würden wir wahrscheinlich beachtliche Verluste erleiden. Wir würden siegen…Aber danach wären wir wohl kaum noch in der Lage, gemäß unseren Befehlen weiterhin den Anschein zu erwecken, nicht nur das Parrak-System sondern diesen gesamten Sektor zu bedrohen. In einem Flottengefecht würden die Menschen außerdem sehr schnell bemerken, dass einer unserer Träger nur eine Attrappe ist.
Ihr…Vorschlag würde also darauf hinauslaufen, Großadmiralin Rians Gesamtstrategie zu gefährden, die darauf hinausläuft den Gegner so lange wie möglich unter Druck zu setzen, sie zu verwirren, abzulenken und über unsere wahre Stärke im Unklaren zu lassen.“
„Bah! Wir können diese Feiglinge mit Leichtigkeit hinwegfegen...Admiral.“
„Wenn die Menschen Feiglinge sind, dann werden sie sich nicht stellen und uns ganz einfach den grandiosen Sieg verweigern, den Sie sich zusammenphantasieren, Kapitän. Die TSN hat immer noch die Möglichkeit, uns fast unbegrenzt lange ausweichen zu können. Angesichts unserer hohen Bomber- und Jagdbomberverluste haben wir keine realistische Chance, sie alleine durch Langstreckenagriffe unserer Kampfflieger zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Außerdem werden wir bei der Verfolgung durch unsere Hilfsträger und Versorgungsschiffe behindert. Und wie sie vielleicht wissen, gibt es auch noch eine andere menschliche Flotte in diesem System. Außerdem ist wahrscheinlich Verstärkung aus anderen Systemen unterwegs. Wenn die Menschen also wirklich ‚feige’ sind – haben sie allen Grund, auf Zeit zu spielen. Und abgesehen davon…fünf Jahre Krieg und der Verlust unserer Grenzsektoren sollte Sie gelehrt haben, die Menschen nicht zu unterschätzen. Selbst der schwächste Rewar kann beißen – und diese Raubechse ist alles andere als schwach.“
„Prinz Jor hätte niemals…“
„Ich gebe nicht vor zu wissen, wie sich der Kronprinz in dieser Situation verhalten hätte. Was ich weiß, das ist die Tatsache, dass Jor tot ist.
Anstatt mit den Menschen Fangen zu spielen und ihnen die Wahl zu überlassen, wann sie sich stellen, werden wir Masters bedrohen. Das kann man wohl kaum als bloßes Ausweichziel bezeichnen. Es erlaubt uns, die Menschen dort zu treffen, wo sie wirklich schwach und verwundbar SIND.“
„Ich bin nicht überzeugt.“
„Ich brauche Ihre Überzeugung nicht. Nur Ihren Gehorsam. Ihre Einwände wurden zur Kenntnis genommen. Gibt es sonst noch etwas?“
Der junge Kreuzerkapitän starrte seinen nur ein paar Jahre älteren Vorgesetzten wutentbrannt an. Aber…am Ende war das Korsett aus anerzogenem Gehorsam und die Furcht vor den Konsequenzen einer offenen Meuterei doch zu stark. Und dennoch…“Das wird nicht vergessen werden.“
„Davon gehe ich aus. Sie können Ihre Bedenken gerne an Großadmiralin Rian weiterleiten. Oder von mir aus auch gleich an die Prinzressregentin. Bis dahin erwarte ich, dass Sie Order parieren.“ Und damit kappte Admiral Taran die Verbindung zu dem schweren Kreuzer.
Ein paar Sekunden blieb es still auf der Brücke der KAHAL. Es war Admiral Tarans jetzt wieder ruhig, fast amüsiert klingenden Stimme, die das Schweigen als erste brach: „Wann hat es eigentlich das letzte Mal eine Meuterei innerhalb der imperialen Flotte gegeben, Matir?“
Der Trägerkommandant räusperte sich unsicher – ein äußerst ungewöhnlicher Gemütszustand für ihn: „Wenn Sie die Separatisten gelten lassen…“
„Und wann hat das letzte Mal ein Flottenbefehlshaber es für notwendig befunden, das Feuer auf ein Schiff seines eigenen Verbandes eröffnen zu lassen? Egal, ich hoffe, Ka’wal beabsichtigt nicht, die entsprechenden Listen einer Aktualisierung zu unterziehen. Ich weiß ja, dass er ehrgeizig ist, aber dass das solche Blüten triebt…“
Die Anspannung machte sich in einem jähen Auflachen einiger Brückenoffiziere Luft. Was vermutlich auch die Absicht des Admirals gewesen war. Wie um zu zeigen, dass er den Vorfall offenbar für bedeutungslos hielt, verzichtete er auf irgendwelche weiteren Anweisungen oder die Bitte, das Vorgefallene vertraulich zu behandeln. Thera Los fragte sich allerdings insgeheim, ob Taran wirklich an seine optimistischen Prognosen glaubte oder nur Zuversicht und Entschlossenheit demonstrieren wollte.
„Nun, nachdem das geklärt wäre…“
„Soll die momentane Defensivformation bestehen bleiben?“
„Fürs erste ja. Sie maximiert unsere Fähigkeiten, feindliche Kampffliegerangriffe abzufangen. Es ist außerdem eine hinreichend effektive Durchbruchsformation, um die feindlichen Schiffe zu überrollen. Sie werden erst gar keine Chance haben, sich auf Ziele zu konzentrieren, deren Verlust uns wirklich schmerzt.“
„Aber indem wir sie hinter einem Abwehrschirm aus leichteren Einheiten vorrücken lassen, verzichten wir auch darauf, unsere Kreuzer sofort und massiert in den Einsatz zu bringen. Immerhin KÖNNTE es den terranischen Kriegsschiffen gelingen, einige unserer Korvetten, Fregatten oder Zerstörer auszuschalten.“
„Wenn Sie die Nerven behalten. Außerdem haben wir immer noch die Bomber und Schnellboote um schwerpunktartig anzugreifen zu setzen. Angesichts der ungewissen Stärke der feindlichen Kampffliegerverbände und der eindeutigen Überlegenheit selbst unserer leichten Kriegsschiffe können wir es uns leisten, mit unseren Kreuzern sparsam umzugehen. Wir werden sie noch früh genug voll in den Einsatz bringen.
Also Angriff wie besprochen – die leichten Einheiten, Kampfflieger und Schnellboote eröffnen mit kombinierten Schlägen, dann bringen wir unterstützend die Kreuzer ins Spiel.
Falls die Menschen sich allerdings ohne starke Kampffliegerunterstützung stellen…will ich einen De’Charrikas-Angriff. Informieren Sie die CHA’KAL, dass Sie in diesem Fall die zweite Formation führen wird.“
„De’Charrikas“ bedeutete „Doppelklaue“ und stellte eine reine Offensivformation dar, die nur noch selten zum Einsatz kam. Sie sah vor, den eigenen Verband in zwei (bei der „Far’Charrikas“ sogar in vier) „Klauen“ zu unterteilen, die unabhängig voneinander mit Höchstgeschwindigkeit vorrückten und den Gegner einkesselten, ins Kreuzfeuer nahmen und durch rücksichtslose Nahkampfangriffe von allen Seiten regelrecht zerquetschten.
„Erinnern Sie die Kapitäne noch einmal daran, dass ich keine unnötigen heldenhaften Einzelaktionen und Duelle will. Auch wenn wir dem Gegner haushoch überlegen sind, gibt es keinen Grund, unvorsichtig zu werden. Ich will, dass diese Kriegschiffe so schnell und so verlustarm wie möglich ausgeschaltet werden. Die einzelnen Divisionen und Schwadronen sollen ihr Feuer koordinieren und konzentrieren.
Ansonsten – Kapitän Matir, Kapitän Los, was ich in Bezug auf die Piloten sagte, das gilt auch für Sie. Wir haben noch ein wenig Zeit…sehen Sie zu, dass Sie noch etwas essen oder wenigstens eine halbe Stunde schlafen. Betrachten Sie das als Befehl.“
„Und was ist mit Ihnen, Admiral?“
„Ich bleibe noch etwas auf der Brücke.“
„Admiral…“
Der Flottenbefehlshaber lächelte kurz und drehte sich zu dem sekundären Taktikdisplay neben der Kommunikationsstation um, dass anscheinend einer seiner Lieblingsplätze auf der Brücke war: „Wir sehen uns in ein oder zwei Stunden.“
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Irgendwo zwischen den zwei Flottenverbänden
In einem Raumjäger herrschte nie völlige Stille oder Ruhe. Immer gab es irgendetwas zu tun, meldete sich eine Anzeige oder der Bordfunk zu Wort und verlangte nach Aufmerksamkeit. Und selbst wenn das nicht der Fall war, dann gab es immer noch das leise Vibrieren der Maschinen, das kaum wahrnehmbare Summen der Heizaggregate und das fast unhörbare Pfeifen der Pumpen, die den Piloten mit Sauerstoff und Wärme versorgten.
Das galt sogar noch, wenn die Maschine nur noch ein Wrack war.
Kanos Nighthawk glich kaum noch jenem stolzen, schlagkräftigen Vernichtungsinstrument, das vor einigen Stunden von der COLUMBIA gestartet war. Feindliche Treffer hatten die linke Tragfläche amputiert, die Rumpfpanzerung zerschmolzen und um ein Haar die Cockpitkanzel durchschlagen. Die Hälfte der Instrumente und drei der vier Bordkanonen waren ausgefallen. Doch das war jetzt nicht mehr wichtig – mit dieser Maschine würde er sowieso keinen Kampfeinsatz mehr fliegen können. Nicht mit ausgefallenem Triebwerk.
Der Antrieb hatte schon vor einer halben Stunde endgültig den Geist aufgegeben. Nur die Tatsache, dass es im All weder Luftwiderstand noch Schwerkraft gab, sorgte dafür, dass Kano mit den heimfliegenden Jägern Schritt halten konnte. Aber er konnte nicht mehr steuern, seinen Kurs nicht länger korrigieren. Und das bedeutete, dass er die COLUMBIA wahrscheinlich um etwa eine Million Kilometer verfehlen würde. Mindestens. Ganz sicher war er sich da nicht, da auch das Langstreckenradar ausgefallen war. ‚Zeit, auszusteigen.’
„Crusader. Es ist soweit. Ich gehe EV.“
„Verst…nicht…wieder...“ Auch das Funkgerät funktionierte nicht mehr richtig. Kano gab einem sehr menschlichen Impuls nach und hämmerte mit der Faust zweimal gegen das Armaturengehäuse. Dann riss er sich zusammen: „Steige aus. Wiederhole, steige jetzt aus. Du übernimmst. Du übernimmst. Wir sehen uns auf der COLUMBIA.“
„Verstand…viel Glü…“
Kano schaltete das Funkgerät aus. Normalerweise war der Ausstieg aus einem zusammengeschossenen Raumjäger eine Sekundenentscheidung, ein letztes Verzweiflungsmanöver. Etwas, das Kano schon ziemlich häufig hatte absolvieren müssen – häufiger als die meisten anderen Piloten seines Geschwaders. Aber diesmal konnte er sich Zeit lassen. Im Augenblick gab es in weitem Umkreis keinen Akarii mehr. Abgesehen vielleicht von einigen zusammengeschossenen Kampfliegerwracks und ausgestiegenen imperialen Piloten. Auch wenn es weitaus weniger waren, als er – oder irgendein anderer TSN-Pilot – erhofft oder erwartet hatte.
‚Wir haben uns nicht gerade mit sehr viel Ruhm bedeckt…’
Die Idee, die zurückfliegenden Akarii-Kampfflieger abzufangen war gut gewesen, erwies sich aber als nicht einfach in der Durchführung. ‚Aber ist das nicht immer so?’
Die Imperialen hatten wenig Neigung gezeigt, sich zu stellen. Ihre Ausweichmanöver hatten die TSN-Flieger zu einer frustrierend langwierigen Verfolgungsjagd gezwungen, während die Jägerstaffeln des Akarii-Hauptverbandes erneut starteten, um ihren bedrohten Kameraden zu Hilfe zu eilen. Eine kleine Weile hatte es so ausgesehen, als könnte sich so eine weitere große Jägerschlacht entwickeln. Aber letztendlich war es dann doch nicht dazu gekommen.
Als die TSN endlich den zahlenmäßig deutlich unterlegenen feindlichen Kampffliegerverband gestellt hatte, hatten sich die Akarii erstaunlich gut verkauft und der TSN einen harten Kampf geliefert, bis das Herannahen imperialer Verstärkungen die terranischen Jäger zum Abdrehen zwang. Sie hatten die feindlichen Kampfflieger dezimieren aber nicht aufreiben können.
Nicht, dass sie es nicht versucht hätten. Während die Abfangjäger die feindliche Eskorte banden, hatten die Nighthawks und Jagdbomber versucht, zu den imperialen Bombern und Raketenshuttles durchzubrechen, die in einer Defensivformation mit überlappenden Schussfeldern flogen. Besonders die aufgerüsteten Shuttles hatten sich als erstaunlich standfest und schwer bewaffnet erwiesen – zumindest für die teilweise beschädigten und meist bereits verschossenen TSN-Flieger.
Die zehn verbliebenen Maschinen der Butcher Bears hatten den schwungvollen Vorstoß der blauen und grünen Staffel ausgenutzt um den feindlichen Jäger- und Jagdbomberschirm zu überwinden – waren aber vom wütenden Sperrfeuer der Raketenshuttles aufgehalten worden. La Reines Maschine war so übel zusammengeschossen worden, dass sogar die selbstsichere und angriffslustige Kommandeurin des Dritten Schwarms keine andere Lösung sah, als ihren Angriff abzubrechen und ihre schwer beschädigte Nighthawk aus dem Kampfgeschehen herauszuziehen. Kano hatte die Schwadron unter dem Einsatz der Nachbrenner ‚unter’ den feindlichen Bomberpulk geführt und befohlen, sich auf die Ränder der Akarii-Formation zu konzentrieren. Die zahlenmäßige Unterlegenheit der feindlichen Eskortflieger machte es möglich, wählerisch zu sein. Diesmal waren sie erfolgreicher gewesen, aber natürlich hatte ein solcher ‚peripherer’ Angriff auch nicht die Chance, die gegnerische Formation aufzusprengen.
Auf Kanos Geheiß hatten sich die nunmehr neun noch einsatzfähigen Nighthawks auf ein Quartett Bomber konzentriert, die durch einen Angriff einer anderen TSN-Einheit etwas vom Hauptpulk abgesplittert worden waren. Von drei Seiten gleichzeitig angegriffen, hatten die Akarii keine Chance gehabt, ihr Feuer zu konzentrieren. Kano hätte fast einen weiteren Abschuss erzielt, als er seine beiden verbliebenen Sidewinders abfeuern und einen der Bomber schwer beschädigen konnte.
Aber dann hatte es sich gerächt, dass er ohne Flügelmann flog. Der Überraschungsangriff einer Rotte Bloodhawks, die ebenso heldenhaft wie tollkühn ihren bedrohten Kameraden zu Hilfe eilten, hätte ihn um ein Haar das Leben gekostet. Das feindliche Sperrfeuer hatte seine Schilde durchschlagen und die Rumpfpanzerung verwüstet. Nur ein brutales Ausweichmanöver und der Umstand, dass die beiden Akariis keine Raketen mehr hatten, hatte Schlimmeres verhindert.
Während Kano seine Maschine mit einem Korkenziehermanöver in Sicherheit brachte, schossen die beiden Akariis aus allen Waffen feuernd durch die terranische Formation und öffneten so ihren bedrängten Kameraden einen Fluchtweg.
Zwei der Avenger hatten es dann tatsächlich zusammen mit ihren beiden Rettern zurück zum Hauptpulk geschafft. Aber eine der übrigen Avenger war im Kreuzfeuer von Sugar und Flyboy gestorben, während die vierte durch die drei verbliebenen Maschinen von Crusaders Flight regelrecht atomisiert wurde.
Kano hatte die Butcher Bears neu geordnet und die Position der ausgestiegenen Akarii an die SAR-Shuttles weitergegeben, wobei er Sugar ignorierte, die sich darüber beschwerte, dass Flyboy ihr ‚die Echse vor der Nase weggeschnappt hätte’. Crusader und Spacer waren erwachsen genug, sich ähnliche Vorwürfe Huntress gegenüber zu verkneifen – auch wenn sie wahrscheinlich mehr Berechtigung gehabt hätten.
Beim nächsten Anflug hatten die Butcher Bears nicht soviel Glück gehabt. Der Versuch, den Vorstoß mit dem Angriff einer ANZAC-Staffel zu koordinieren, erwies sich als wenig erfolgreich, auch wenn die meisten Piloten des vernichteten leichten Trägers mit wütendem Elan angegriffen hatten. Aber in dem unübersichtlichen Kurvenkampf konnten die TSN-Piloten ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht voll ausspielen, sondern behinderten sich teilweise gegenseitig. Kano war sich nicht sicher, ob alle Treffer, die seine Maschine hatte einstecken müssen, wirklich auf das Konto der Akarii gingen. Wieder hatte sich das Fehlen eines Flügelmanns als verhängnisvoll erwiesen, als ein feindlicher Jagdbomber überraschend in seinem Rücken auftauchte und kurzen Prozess mit seinen Heckschilden machte. Kano hatte schnell reagiert und die schwerfälligere Maschine ausgekurvt. Aber als er seinerseits versuchte, den Akarii in Visier zu nehmen…
Er wusste immer noch nicht, was da eigentlich explodiert war – ein eigener oder feindlicher Jäger, vielleicht auch eine Rakete – aber die Explosion war stark genug gewesen, um seine Maschine aus der Bahn zu werfen, die Schilde endgültig kollabieren zu lassen und ihm den halben linken Flügel und einen Großteil seiner Bordwaffen zu nehmen. Es war ein Wunder, dass er unverletzt geblieben war. Es kostete Kano fast eine Minute, um den Flugvektor seiner Maschine wieder zu stabilisieren. Wenn ihn ein Akarii unter diesen Umständen erwischt hätte…’Ich hätte nicht mal zurückschießen können. Oder ihn auch nur RAMMEN, was das angeht. Ich hätte ihn nicht einmal gesehen…’
Mit teilweise ausgefallenen Sensoren und gestörtem Funkverkehr hatte er nicht einmal mehr die anderen Piloten der Butcher Bears koordinieren können und war zu einer frustrierenden, halbblinden Zuschauerrolle verdammt gewesen. Immerhin, Crusader hatte offenbar schnell reagiert und die Butcher Bears hatten sich anscheinend noch den einen oder anderen Erfolg erkämpfen können. Aber im Vergleich zu den Siegen in anderen Schlachten war die Bilanz diesmal recht…mittelmäßig gewesen.
Dann war das Signal zum Rückzug gekommen und sie hatten die ziemlich dezimierten Reste des feindlichen Kampffliegerverbandes hinter sich gelassen. Kano hatte sich so gut es ging in den Jägerpulk eingeordnet, dabei aber auf einen gehörigen Sicherheitsabstand zu den anderen Maschinen geachtet. Das fehlte noch, dass er jetzt einen Zusammenstoß provozierte. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als könne er die beschädigte Maschine nach Hause schaffen, aber jetzt…
Mit einem leisen Klicken und einem gedämpften Knall wurde die Cockpithaube abgesprengt. Gleich darauf zündete der Schleudersitz und katapultierte Kano aus der Maschine. Es war ein sauberer Ausstieg, dennoch fühlte Kano, wie ihm kurz der Atem stockte und ihn eine würgende Übelkeit packte, während das kalte Lichtermeer der fernen Sterne um ihn zu rotieren schien. Diese Punkte zwischen den Sternen, die sie teilweise verdeckten – das mussten andere Jäger sein. Und irgendwo, viel zu klein für sein Auge, musste auch die TSN-Flotte sein. Die COLUMBIA, die DERFLINGER…
Und in entgegen gesetzter Richtung zog die feindliche Kampfgruppe ihre Bahn. Kano wusste, dass diese Runde an die Akarii gegangen war. ‚Aber es ist noch nicht vorbei. Nicht für euch – und auch nicht für mich…’
Der japanische Pilot schloss die Augen und versuchte, sich auf seine Atmung zu konzentrieren, während er darauf wartete, von einem der SAR-Schuttles aufgenommen zu werden.
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Imperialer Flottenträger KAHAL
Kapitän Thera Los starrte auf den Teller der vor ihr stand. Sie hatte diese Mahlzeit bestellt – aber jetzt war sie nicht sicher, ob sie sich nicht etwas viel zugemutet hatte. ‚Nein wie allegorisch.’
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“
Die übliche Standardantwort, mit der sie allzu kontaktfreudige rangniedere oder gleichrangige Kollegen abzublocken pflegte, starb auf ihren Lippen, als sie aufblickte und registrierte, dass Kapitän Matir neben ihrem Tisch stand. Für einen Augenblick war sie verunsichert – auch wenn sie ihn schon ziemlich lange kannten, war ihr Verhältnis doch immer professionell bis unterkühlt geblieben: „Natürlich nicht. Setzen Sie sich.“
Der Trägerkommandant stellte den mit einem riesigen Taki-Steak und einem Berg aus geröstetem Wurzelgemüse beladenen Teller schwungvoll ab und musterte dabei spöttisch Los Speisewahl: „Und was soll das sein?“
‚Du bist doch wohl nicht hierher gekommen, nur um Kochrezepte auszutauschen?!’ „Das ist rohes Taki-Herz und –Leber mariniert in einer scharfen Soße. Eine T’rr-Spezialität.“
„Hat Sie unser Admiral mit seinem Spleen für diesen Barbarenfraß angesteckt? Ich denke ja, er will damit nur seinen Magen abhärten, falls ihn jemand vergiften will. Oder aber er hat vor, seine Konkurrenten zum Essen einzuladen um sie dann damit aus dem Weg zu räumen.“
„Ihr Taki kommt aber auch von T’rr.“
„Ja, aber es wurde nach einem Akarii-Rezept zubereitet.“
„Ich bin erleichtert, dass das alles ist, was Ihnen momentan Sorge bereitet.“
Der Kapitän der KAHAL grinste flüchtig, wurde aber sofort wieder ernst: „Es ist gut, wenn die Mannschaft sieht, dass ihr Kapitän sich vor der Schlacht unbesorgt den Magen mit etwas Bodenständigem voll schlägt. Dann kann es doch so schlimm nicht kommen…
Ihr Essen ist eine Sonderbestellung, richtig?“
„Das Vorrecht unseres Dienstgrades.“ Commander und höherrangige Offiziere hatten das Recht, sich gegen einen Aufschlag ihr Essen individuell bestellen zu können.
„Ich weiß noch aus meiner Zeit als Leutnant, wie ich dieses Privileg gehasst habe.“
Thera Los schnaubte kurz: „Matir….glauben Sie wirklich, ich könnte an meinem Ruf etwas ändern, indem ich den üblichen Einheitsfraß esse?“
Natürlich wusste Matir, was sie meinte. Los‘ Ruf, dass sie ihre Karriere auch dem Einsatz…sehr persönlicher Vorzüge verdankte. Dieselben Gerüchte spekulierten auch darüber, welche Mittel sie hatte anwenden müssen, damit Admiral Taran sie zur Stabschefin ernannte.
In diesem speziellen Fall entsprach der Flottenklatsch allerdings nicht den Tatsachen. Nicht, dass Thera da große Hemmungen gehabt hätte. Aber bei Taran hatte es genügt, sich unentbehrlich zu machen. Abgesehen davon genügte es, wenn sie gelegentlich den Resonanzkörper für Tarans galaktrostrategischen und politisch-historischen Reflexionen spielte. Es gab sicherlich angenehmere Möglichkeiten, die Freizeit zu verbringen – aber auch wesentlich unangenehmere.
Der Trägerkapitän säbelte an seinem Steak herum, aber ganz offensichtlich beschäftigte ihn doch noch etwas anderes: „Ka’wal wird Ärger machen.“
„Nicht solange wir im Gefecht stehen. Dazu fehlen ihm der Schneid und die Skrupellosigkeit. Auch wenn er so dumm ist, Jor für den wiedergeborenen Ersten Imperator zu halten, ist er noch lange nicht…“, Matir räusperte sich viel sagend und Thera Los berichtigte sich hastig wenn auch ohne schlechtes Gewissen, „Was ich sagen wollte – er wird es ganz einfach nicht WAGEN, jetzt etwas zu unternehmen. Und später…“
„Er hat Verbindungen.“
„Die nutzen ihm nicht einmal besonders viel, wenn wir in den Draned-Sektor zurückkehren.“
„Es könnte noch andere Offiziere geben, die die Entscheidung des Admirals für…bedenklich halten.“
„Offiziere wie Sie?“
Der Trägerkommandant presste kurz die Lippen zusammen: „Ich werde einmal so tun, als ob Sie das nicht gesagt hätten.“
„Aber Sie halten den Angriff auf Masters nicht für die beste Lösung.“
„Ich kann den Argumenten des Admirals teilweise folgen. Aber warum greifen wir dann nicht Seafort an? Die Menschen werden nicht dadurch geschlagen, dass wir Masters bombardieren. Wahrscheinlich würden sie es auf Terra nicht einmal MERKEN wenn diese Dreckskugel ins All pusten.“
„Sehr poetisch. Aber sie unterschätzen die Signalwirkung eines Angriffs auf einen Menschenplaneten. Es geht hier auch um Politik. Und um Psychologie.“
Matir rammte die Spitze seines Messers in den nächsten Bissen Taki-Fleisch und gestikulierte abfällig mit dem Besteck: „Bah! Ich weiß, wie Schlachten gewonnen werden. Durch die Vernichtung des Gegners. Oder durch die Ausschaltung seiner Schlüsselindustrien. Ka’wal war dumm, weil er die Menschen unterschätzte und sich auf die TSN-Flotte versteifte, aber…“
„Sie kennen Tarans Strategie – dort zuschlagen, wo der Gegner schwach ist.“
„Sie wissen, ich bin kein rückhaltsloser Bewunderer von Illis, aber manchmal muss man eben etwas mehr riskieren, wenn man den vollen Gewinn einstreichen will. Solange wir hier nur an der Peripherie der gegnerischen Stellungen lavieren…“
„Bleiben sie im Ungewissen, wie stark wir wirklich sind und was wir noch vorhaben. Wir gewinnen Zeit – und schaden dem Gegner gleichzeitig, ohne ein großes Risiko einzugehen.“
„Wenn das wirklich der einzige Grund wäre…
Aber sind Sie sich sicher, dass das alles ist? Ich frage mich…ob unserem Admiral nicht ein wenig der Wille und die Fähigkeit fehlt, alles auf eine Karte zu setzen. Ich ziehe nicht seine strategischen und stabstaktischen Fähigkeiten in Frage…aber manchmal muss man auch bereit sein, ohne Rücksicht auf Verluste zuzuschlagen. Genau in das Herz des verwundeten Gegners.“
„Sie vergessen, dass wir alles sind, was im Draned-Sektor von der imperialen Flotte übrig geblieben ist. Wenn wir scheitern …was wird dann aus Tarans Versuch, den Sektor zu stabilisieren? Wie lange wird sich Vorcas dann noch halten können?“
„Nicht sehr lange…“
„Na also. Der Admiral kann es sich ganz einfach nicht leisten, nur ‚militärisch’ zu denken. Oder er wird schuld daran sein, dass wir einen ganzen Sektor verlieren.“
Kapitän Matir nickte langsam, wenn auch etwas widerwillig. Dann grinste er übergangslos: „Und dann gibt es natürlich auch noch einen anderen Aspekt. Jedes Schiff, dass Taran verliert, würde ihm auch fehlen wenn er seine Position…politisch ausbauen will. Ich meine seine Position im Imperium. Und bei seiner Abstammung…“
„Daran sollten Sie nicht einmal DENKEN. Diesmal bin ich es, die so tut als hätte sie das nicht gehört. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn jemand wie Ka’wal in diese Richtung denken würde?!“
„Sie glauben doch nicht ernstlich, dass ich der erste bin, der sich daran erinnert, was für Blut durch die Adern unseres Flottenchefs fließt.“
„Nein. Aber wir beide sollten dafür sorgen, dass es auch weiter nur IN seinen Adern bleibt.“
Matir kaute nachdenklich an seinem Essen und nickte dann knapp, auch wenn weiterhin ein sardonisches Lächeln um seine Lippen spielte: „Ich weiß, dass Sie nicht mit ihm schlafen.“
„Was?“
„Aber ich frage mich langsam, ob Sie ihn nicht als so etwas wie einen Freund betrachten. Sie klingen so…engagiert. Falls das so wäre…sollten Sie lieber vorsichtig sein. Von dem Klatsch mal abgesehen…es sind gefährlich Zeiten, um sich einem aus der Taran-Sippe zu verschwören, der so viele Truppen hinter sich hat.“
„Unsinn. Angesichts unserer begrenzten Alternativen war Taran ganz einfach die beste Alternative. Für den Draned-Sketor, unsere Flotte…“
„Ihre Karriere…“
„Natürlich. Und Ihre. Abgeshen davon…tue ich ganz einfach das, was eine gute Stabschefin tun sollte. Das ist alles. Und vielleicht will ich auch ganz einfach nicht, dass wir uns gegenseitig wegen irgendwelcher politischen Ränke über den Haufen schießen. Wir haben zu viele gute Kommandeure verloren…“
„Hm. Wir werden sehen. Aber Sie haben Recht. Im Augenblick haben wir genug andere Probleme. Zum Beispiel die Frage, was die Menschen machen werden. Ich kann nicht glauben, dass sie einfach stillhalten während wir diesen Drecksplaneten in eine andere Wirklichkeit bombardieren.“
„Das weiß ich. Und ich glaube, der Admiral weiß das auch. Sie werden reagieren müssen. Also wird Ka’wal wohl noch die Chance bekommen, nach der er giert…“
„Und dann werden wir sehen, wie sich unser Flottenchef in einer solchen Situation bewährt.“
Der Trägerkapitän nickte langsam und irgendwie unheilverkündend: „Das werden wir…“
‚Hoffen wir, dass er uns nicht ins Verderben führt...’
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Sterntor-System
Das Signal war unverschlüsselt und konnte von jedem Hobbyfunker und Piratenempfänger aufgefangen werden. Es wurde auf allen Frequenzen gesendet und war stark genug, um viele öffentliche und Privatsendungen zu überlagern.
„Hier spricht Admiral Taran. Achtung, ich rufe die Regierung und die Militärbefehlshaber des Planeten Masters. Ihre Flotte hat Sie nach schweren Verlusten aufgegeben und befindet sich im Augenblick auf dem Rückzug Richtung Systemrand. Man hat Sie im Stich gelassen. Man hat Sie verraten. Sie wissen, dass Ihre Verbände keine Chance haben, den imperialen Streitkräften Widerstand zu leisten. Ich appelliere an Ihre Vernunft. Ersparen Sie Ihren Soldaten und Ihren Bürgern ein sinnloses Blutvergießen. Deaktivieren Sie ihre Schilde und Waffen und evakuieren Sie alle Militärbasen und Rüstungsfabriken. Wir sind nicht hierher gekommen, um Krieg gegen die Bevölkerung von Masters zu führen, aber wir werden jede Stellung und jedes Schiff vernichten, die sich uns in den Weg stellen. Und jede Anlage, in der Waffen für den Krieg gegen das Imperium hergestellt werden. Es liegt an Ihnen, ob Sie und Millionen ihrer Bürger den nächsten Tag erleben werden. Entscheiden Sie weise.
Achtung, ich rufe die Bevölkerung von Masters. Sie sind nicht unser Ziel. Das Imperium führt keinen Krieg gegen Zivilisten. Aber um unnötige Verluste zu vermeiden, appelliere ich an Sie – verlassen sie umgehend die Umgebung aller Militär- und Rüstungszentren. Leisten Sie keinen Widerstand.
Achtung, ich rufe die Männer und Frauen der Garnisonstruppen von Masters. Sie haben keine Chance. Widerstand ist sinnlos und kann nur mit Ihrem Tod enden – und bedeutet Tod und Zerstörung für ihre Mitbürger, für ihre Familien. Ersparen Sie sich und ihnen dieses Schicksal. Kapitulieren Sie. Retten Sie sich – und retten Sie so ihre Angehörigen.“
Cattaneo
Ace
Die Schlacht war recht glücklich verlaufen für die blaue Staffel "Jokers for Redemption". Dadurch, das Lilja mit ihrem aggressiven Angriffs-, und Führungsstil vorweg geflogen war, hatten die Blauen in der engen Formation nur noch aufräumen zu brauchen. Meine Staffel und ich hatten gut davon partizipiert, den Grünen die Spitze zu überlassen, aber wir waren auch mehr als einmal wie die Schutzengel für sie gewesen und hatten auch mehrere koordinierte Angriffe geflogen. Während der Schlacht hatte ich mich schon darüber geärgert, dass sich die Russin mehrfach das Kommando über meine Leute angeeignet hatte, nur weil sie ranghöher war. Aber da ihre Pläne plausibel waren, hatte ich stets zugestimmt. Vor allem auch, weil ich ein umtrainierter Nighthawk-Pilot war, und sie die sechs Jahre Erfahrung auf Abfangjägern hatte. Und es würde nicht besser werden. Sollte ich jemals in den Genuss eines weiteren halben Rings kommen, wäre sie immer noch dienstälter.
Dennoch, diese symbiotische Beziehung hatte dazu geführt, dass ich alle Piloten wieder nach Hause hatte bringen können, wenngleich auch nicht ohne gewisse Rupferscheinungen.
Chip hatte sich bewährt, aber seine Eignung als Sektionsführer stand ohnehin nicht zur Debatte. In seiner Sektion hatte es Schäden gegeben, und Ice hatte aussteigen müssen. Die junge Frau, die neu im Geschwader war, hatte lernen müssen, wie gefährlich es war, wenn man nicht eng am Flügelführer blieb. Sie hatte nur ein paar Sekunden im Dogfight gezögert, und war raus geschossen worden. Erste Nachrichten berichteten vom Pickup, und davon, dass die junge Frau weitestgehend unverletzt gewesen war. Das war nicht lange genug gewesen, um die besonderen Funktionen zur Raumrettung der neuen Anzüge zu aktivieren, aber ich wusste aus eigener Erfahrung, wie es sich da draußen anfühlte.
Chip selbst hatte heftige Schäden erlitten, aber seine Maschine flog noch. Der Austausch eines Triebwerks und den hinteren Schildgenerators sollten seine Mühle wieder einsatzbereit machen.
Rebel hatte sich wie erwartet bewährt, sowohl als Flightführerin, als auch als Sektionschefin. Allerdings hatten die Akarii Northwind, ihren Flügelmann, ebenfalls raus geschossen. Die Prognosen von seinem Pickup zeigten, dass er sich mindestens ein Bein gebrochen hatte; ich bezweifelte, dass der Nachwuchspilot so verrückt wie Lilja sein, und mit der Verletzung in eine Maschine steigen würde. Abgesehen davon, dass ich ihn wieder raus geprügelt hätte, standen uns keine Reservemaschinen zur Verfügung. Ich hatte keine Zweifel daran, dass Lilja sich alles, was auf den Namen Falcon hörte, mit ihrem höheren Rang sichern würde, um ihre eigene Staffel auf Status zu bringen. Blieb nur zu hoffen, dass durch ihre Ausfälle eine oder zwei Maschinen übrig blieben.
Meine Sektion war relativ unbeschadet aus der Geschichte raus gegangen. Aber ein paar Akarii hatten mich als Staffelchef identifiziert, und dementsprechend war die Maschine, die ich nach Hause geflogen hatte, nur noch ein großer Schrotthaufen. Zwar hatte sich der Bosun zuversichtlich geäußert, sie bis zum nächsten Showdown einigermaßen hergerichtet zu haben, aber ich war zu lange dabei und hatte bei zu vielen Reparaturen geholfen, als dass ich das glauben konnte. Und keine Ersatzmaschine zu kriegen würde bedeuten, einem meiner Untergebenen die Mühle abzunehmen, und einen Piloten Zuhause zu lassen. Was auch bedeutete, ein eingespieltes Team auseinander zu reißen, denn gerade meine Sektion hatte sich glücklich durch die Schlacht laviert. Wahrscheinlich würde ich Pain die Falcon wegnehmen, und mit Sneaker und Sun-Tsu als verstärkter Wing fliegen müssen. Andererseits aber war Sun-Tsu der schlechtere Pilot mit den schlechteren Abschusszahlen, und Sneaker würde sich mir so oder so unterordnen müssen. Nur Idioten flogen alleine.
Aber das waren Probleme, die ich für den Moment beiseite schob. Denn abgesehen von der mörderischen Schlacht, von Tod und Vergehen, rings um uns herum, pochte eine tiefe Angst in meinem Herzen, eine Angst, so irrational, dass ich mich tatsächlich zu einer unsäglichen Dummheit hinreißen ließ.
Kaum war das erste Gespräch über den Zustand meiner Staffel beendet, schickte ich die Piloten in die Betten. Es war klar, dass der nächste Einsatz bald folgen würde, und dass ich dann ausgeruhte Leute brauchen würde. Im Kampf galt immer die uralte Regel: Hol dir den Schlaf, wenn du ihn kriegen kannst. Wer diese Regel befolgte, hatte höhere Überlebenschancen. Und, um auf Nummer sicher zu gehen schickte ich Pain ins Krankenrevier, damit er sich ein leichtes Sedativum verpassen ließ, um wieder runter zu kommen.
Und bevor ich mich um eine Ersatzmaschine für mich bemühte - in der Hoffnung, die COLUMBIA hatte nicht alle Reservevögel bereits umverteilt - lief ich mehr als ich ging zu einem der Elektroniker auf dem Flugdeck rüber. "Shelly!"
Senior Chief Petty Officer Shelly Dubaki machte eine abwehrende Handbewegung in meine Richtung. "Keine Zeit, Ace. Und ja, ich kümmere mich liebevoll um deine Mühle."
"Shelly!", sagte ich erneut, und diesmal drängend.
Seufzend ließ sie von ihrer Arbeit an Liljas Maschine ab, gab ihrem Assistenten Anweisung, wie er weiter zu arbeiten hatte, und kam zu mir herüber. "Wehe, es ist nicht wichtig, Ace."
Ich ergriff ihre Hand und zog sie zwischen zwei Container. "Nanu. Für sowas habe ich aber gerade gar keine Zeit.", scherzte sie, während sie mich unsicher ansah.
Ich sah sie ernst an. "Du musst mir einen Riesengefallen tun, Shelly. Der Preis spielt keine Rolle."
"Was? Lieutenant, wollen Sie damit andeuten, dass Sie mich zu einer illegalen Handlung auffordern wollen?", fragte sie erstaunt.
"Ja."
Sie erstarrte. "Jetzt ist wohl der Zeitpunkt gekommen, wo ich dem Bosun Meldung machen sollte.", sagte sie schroff.
Ich wartete ein paar Sekunden, doch sie setzte ihre Drohung nicht in die Tat um. "Nun?", fragte ich.
Sie seufzte. "Ich kann es mir zumindest anhören."
Erleichtert atmete ich auf. "Ich will, dass du das Funkprotokoll manipulierst, und zwar genau für siebzehn Sekunden, auf allen Maschinen der grünen und der blauen Staffel." Ich hielt ihr einen handschriftlichen Zettel hin. "Bevor wir wieder raus gehen, und bevor die Protokolle rüber gespielt werden. Hier ist der Zeitraum." Das war ein Zeitfenster von einigen Stunden, aber bei fast zwanzig Maschinen immer noch knapp.
"Löschen, und anschließend neu vertonen. Eine Störung, ein Explosionsecho, EMP-Effekte, lass dir was einfallen. Aber es darf keinen Verdacht erwecken, und es muss wirklich gut vernichtet sein. Dreifach sicher."
Erstaunt, beinahe panisch sah sie mich an. "Was ist in diesen siebzehn Sekunden zu hören?"
"Hör mal, Shelly, es ist vielleicht besser, wenn du..."
"Ace, du willst, dass ich hier meine Karriere riskiere. Dann solltest du auch besser einen verdammt guten Grund dafür haben!"
Ich stockte. Und atmete durch. "Es ist Lilja. In diesen siebzehn Sekunden befiehlt sie den Beschuss eines SAR. Zwar nur der Akarii, aber wenn das bis zum JAG geht, ist sie geliefert." Erneut reichte ich ihr den Zettel. "Nur diese siebzehn Sekunden. Nicht wiederherstellbar, und unauffällig vertuscht. Auf allen Maschinen. Und wenn sie Trümmer unsere Mühlen heimbringen, auch auf denen. Der Preis spielt keine Rolle."
Zögernd, geradezu langsam, griff sie nach dem Zettel. "Okay, ich tu's. Weil wir Lilja brauchen, und weil ich nicht will, dass die Grünen ohne sie auskommen müssen. Aber meine Sympathie fördert das nicht gerade. Ich meine, ein SAR? Auch wenn es nur den Akarii gehört, was wenn TSN-Piloten drin waren?"
"Ich denke, du verstehst mein Dilemma recht gut", sagte ich trocken.
"Drei, nein, vier, nein... Sagen wir fünf Kisten Antigua. Und du bezahlst dem Flightdeck eine Party, wenn der Scheiß hier vorbei ist."
Ich breitete die Arme in einer Geste der Unterwerfung aus. "Was immer du willst."
"Gut. Und wenn es schief geht, dann werde ich dich mit allem Dreck bewerfen, den ich habe. Und du besorgst mir einen Job bei deiner Mutter."
"Versprochen."
Sie sah mich ernst an. "Warum tust du das für Lilja? Warum gehst du so weit?"
Ich lächelte kurz. "Sagen wir, es ist die Macht der Gewohnheit."
"Soso, Macht der Gewohnheit." Auch über ihr Gesicht schoss ein knappes Lächeln.
"Dann für die Gewohnheit."
Ich nickte ihr zu, sie nickte zurück, und wir kamen wieder aus unserem Versteck hervor. Sie machte sich sofort an die Arbeit, und ich ging meiner Wege. Die nächste Schlacht kam bestimmt.
Cattaneo
Cattaneo
Kein strahlender Ritter
TSN Columbia, sechs Stunden nach dem zweiten Jägergefecht
An Bord der Columbia herrschte das übliche Durcheinander eines Trägers im Gefecht. Angehörige der verschiedenen Schiffsdienste und Streitkräfte – Piloten, Marines und Flottensoldaten – eilten durch die Gänge, Befehle gellten, rennende Stiefel knallten auf dem Boden, Signalsequenzen jaulten die Tonleiter hinauf und hinunter. Und selbst jene Besatzungsmitglieder, die gerade nichts zu tun hatten, heizten das akustische Durcheinander durch ihr Gemurmel an, als sie sich die verschiedensten Neuigkeiten und Gerüchte zuraunten oder schrieen, je nach Charakter und Gemütslage. Man erkundigte sich nach Kameraden, berichtete davon was man in den letzten Gefechten getan hatte – und Prahlerei, Erleichterung wie auch Entsetzen wurden immer wieder laut.
Glücklicherweise hatte das Schiff bisher keine direkten Treffer erhalten. Die Schäden an Bord hielten sich in Grenzen, von einigen Problemen auf dem Flugdeck abgesehen. Es stank zwar im Hangar und in den benachbarten Bereichen des Schiffes nach Rauch, Chemikalien, Blut und Schweiß – ein Brodem, der von beschädigten Maschinen und verwundeten Piloten ausging, aber auch von den Überlebenden einiger der getroffenen Großkampfschiffe, die von den Shuttles des Trägers geborgen und nun in einem langen Elendszug ausgeladen wurden. Aber der Gestank der Schlacht und des Todes waberte nicht wie nach einem direkten Angriff durch das ganze Schiff, nur ungenügend durch die Lüftung gefiltert. Auch fehlte das Heulen der Alarmsirenen, das Vibrieren und Knirschen des getroffenen Stahlgiganten, der dazu noch abrupt beschleunigte oder abbremste. Dennoch, es herrschte ein ziemliches Chaos, nicht nur dort, wo die Jäger inzwischen wieder auf den Einsatz vorbereitet wurden. Bis zum nächsten errechneten Zusammenstoß mit dem Gegner würden zwar noch einige Stunden vergehen, aber nach den Erfahrungen der letzten Wochen und Monaten wollte man lieber auf jede Eventualität vorbereitet sein.
Second Lieutenants Sir Evan Harold „Knight“ Alexander ignorierte alle anderen „Passanten”, Piloten oder nicht, während er den Korridor entlang eilte – freilich eine Art rennendes Taumeln. Er nickte nicht einmal seinen Bekannten zu, oder blieb stehen um die anderen zu ihren Erfolgen oder zumindest zum Überleben zu beglückwünschen. Dieses an und für sich unhöfliche Verhalten fiel in diesem Moment jedoch nicht ins Gewicht. Unmittelbar nach – oder auch vor – einem harten Gefechtseinsatz war man in dieser Hinsicht kulant, falls man überhaupt jemand anderen als sich selbst und die engsten Freunde wahrnahm. Und die letzten Kämpfe WAREN hart gewesen, die kommenden WÜRDEN es vermutlich sein. Jeder ging mit dem Stress, der überstandenen Todesangst, dem nachlassenden Adrenalinrausch des Kampfes, dem Verlust oder der Verwundung von Freunden und Kameraden oder mit der Aussicht auf erneute Lebensgefahr anders um. Zudem brauchte man Knight nur ins Gesicht zu sehen, um zu der Ansicht zu kommen, dass es verwunderlich war, dass er überhaupt seinen Weg fand und nicht fortwährend mit anderen Besatzungsmitgliedern, Wänden oder Türen kollidierte.
Zwar trug der ehemalige Bewährungspilot eine Dienstuniform, keinen Pilotenanzug, aber sein Gesicht wirkte verhärmt, abgekämpft, die Augen stumpf, seine Bewegungen waren fahrig, sein Schritt unsicher. Es gab Schlafwandler, die eine bessere Figur gemacht hätten.
Knight nahm zunächst nicht einmal wirklich wahr, wohin ihn seine Füße trugen. Er wusste nur, in seiner Kabine hielt er es nicht mehr aus.
Die Rückkehr auf die Columbia hatte ihm nur kurzzeitig die ersehnte Ruhe gebracht. Dabei war der Rückflug glatt verlaufen, trotzdem einige der Maschinen ziemlich angeschlagen waren. Dann war die Nachricht gekommen, dass der Angriff auf die feindlichen Bomber, den Lilja und der Rest der Staffel mitgemacht hatten, nur ein Teilerfolg geworden war, auch und gerade für die Grünen. Das war der erste Schlag für seinen Seelenfrieden gewesen – der Tod von Guardsman, verkündet durch die kalte, emotionslose Stimme der Staffelchefin. Obwohl Knight sich selbst sagte, dass er keine Schuld hatte, denn nicht er hatte die Entscheidung getroffen, wer zurückkehrte und wer ins Gefecht flog, hatte er ein schlechtes Gewissen gehabt. Seine letzten Gedanken über Guardsman waren alles andere als freundlich gewesen, und nun war der ehemalige Nationalgardist tot. Sicher, wären die Rollen vertauscht gewesen, wäre er selber vielleicht jetzt gefallen, aber dennoch…
Er hatte sich bemüht, diese quälenden Gedanken zu unterdrücken, hatte das Landemanöver seiner Untergebenen fachgerecht koordiniert und war als letzter „reingekommen“. Dann hatte er sich gewaschen, gegessen und aufs Ohr gelegt, in der beruhigenden Gewissheit, dass die Verantwortung für die heimgekehrten Stallions nicht mehr sein Problem war, sondern jetzt bei Marine lag.
Doch lange hatte er nicht schlafen können. Die Angst, die er überwunden glaubte, hatte ihn in seinen Träumen eingeholt, ebenso mühelos wie eine Falcon ein fliehendes Shuttle. Schon nach einer halben Stunde war er wieder erwacht, mit rasendem Puls, schweißgebadet, die Finger so verkrampft, dass er sie beinahe aufbrechen musste. Und danach war es noch schlimmer geworden. Die Erinnerungen an seinen letzten „Spaziergang“ bei Karrashin, die Angst vor einem neuerlichen Abschuss, die Erinnerung an Guardsmans Ende – das alles kam wieder hoch, kaum dass er die Augen schloss. Er hatte versucht, Schlaf- und Beruhigungsmittel zu nehmen, wobei seine Hände so gezittert hatten, dass er Schwierigkeiten hatte, einen Schluck Wasser zu trinken. Aber die Medikamente hatten nur dazu geführt, dass er sich übergeben und anschließend das Bad säubern musste.
Er hatte seine Kabine verlassen, doch das hatte nichts geholfen. Dass der Träger von Gerüchten summte, es würde demnächst wieder „raus gehen“, machte das alles nur schlimmer.
Er war losgezogen, um zum Arzt zu gehen, aber auf dem Weg zur Krankenstation hatte er sich zweimal verlaufen und war einmal statt nach oben mit dem Lift nach unten gefahren, die Götter wussten warum. Als er das Lazarett schließlich erreichte, hatte er sofort wieder umgedreht als er sah, wie Marines und Sanis ein halbes Dutzend Schwerverletzte herein geschoben hatten, überwiegend aufgesammelte Schiffbrüchige. Er konnte doch nicht gerade JETZT da reinplatzen und um Hilfe bitten. Bei dem Geruch der Krankenstation, einem Gemisch aus Blut, Desinfektionsmitteln und Rauch, hätte er sich um ein Haar gleich noch mal übergeben, obwohl er nichts mehr im Magen hatte.
Seitdem irrte er ziellos umher. Jemand anders hätte vielleicht eine Schulter zum Ausheulen gesucht, oder etwas Ablenkung auf die eine oder andere Art und Weise, aber das letzte was er wollte war, in seinem augenblicklichen Zustand Huntress unter die Augen zu kommen. Ihre…Beziehung war sicher nicht eine Seelenverwandschaft – nun, wenn man es genau nahm, war es eigentlich genau das, so sehr wie sie sich ähnelten. Das war ja wohl auch das eigentliche Problem. Ihr etwas vorzujammern kam nicht in Frage, und nicht nur aus Rücksicht auf das eigene Ego. Persönliche Probleme bei anderen abzuladen, Freunde damit zu belasten, war in Knights Augen einfach nur würdelos. Außerdem, und das war der eigentliche Grund, war er sich ziemlich sicher, dass die Pilotin der Schwarzen Staffeln ihn ohnehin wie eine heiße Kartoffel fallen lassen würde, sobald ihre Beziehung irgendwie problematisch oder strapaziös würde. Er hätte es ihr nicht einmal übel genommen…na ja, zumindest nicht SEHR…denn er hatte mehr als einmal ähnlich gehandelt. Nein, das kam nicht in Frage. Shoki, die tatsächlich fast so was wie eine Freundin – im nicht-intimen Sinne – war, wollte er auch nicht auf die Nerven gehen. Ihr Bruder war um ein Haar abgeschossen worden, das war schlimm genug. Und wie erbärmlich wäre das denn, einer deutlich jüngeren und unerfahreneren Pilotin sein Leid zu klagen?
Als seine Schritte unverhofft stoppten, brauchte er eine Weile um sich zurechtzufinden. Mit mehr als gelinder Überraschung registrierte er, wo er war. Die zweieinhalb Ringe neben dem Nummerncode und Namenszug an der Tür der Kabine, vor der er stand, machten deutlich, dass sie einem Lieutenant Commander gehörte. Und nicht irgendeinem.
Für einen Moment fragte er sich, ob er nicht vielleicht einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, ohne dies wirklich zu merken. Wenn man einen kleinen Knall hatte, merkte man das ja nicht immer gleich. Wahnsinn war immer nur für die Betrachter, selten für den Kranken selber erkennbar, hieß es. Ausgerechnet hierher zu kommen…
Andererseits, was sollte er sonst tun? Weitermachen wie bisher? Er zweifelte, dass er das noch lange durchhielt, zumindest das hatte ihm der letzte Kampf gezeigt. Also holte er tief Luft und betätigte den Türmelder.
Lieutenant Commanders Pawlitschenkos Quartier hatten soweit bekannt war nur wenige Untergebene bisher von innen gesehen. Vermutlich wusste die Russin, dass es humorvolle Bezeichnungen wie „Eispalast“ oder gar „Baba Yagas Hütte“ für ihr Quartier gab. Sie hatte nie etwas gegen ihren Ruf unternommen. Lilja war anscheinend darüber erhaben – oder zu beschäftigt, von einem zu ekelhaften oder kaputten Charakter, vielleicht auch einfach zu gefühlskalt – sich mit irgendjemanden aus der Besatzung im intimsten Sinne des Wortes zu fraternisieren. Zumindest hatte es weder auf der Redemption noch auf der Columbia jemals ein solches Gerücht gegeben, obwohl es in letzter Zeit angeblich Getuschel gab, sie habe jemandem auf einem anderen Schiff. Aber sie pflegte auch sonst wenig persönlichen Umgang mit Ranggleichen oder Untergebenen. Ihr eigentlicher Freundeskreis beschränkte sich auf genau drei Personen in fünf Jahren, von denen eine nicht mehr bei den Angels diente – und die beiden anderen kannte sie schon seit ihrem Dienstbeginn im Geschwader oder noch länger. Ansonsten hatte sie nur ein oder zweimal Untergebene in ihr Quartier geschleift, wenn ihr Büro aus irgendeinem Grund belegt war, und sie jemand dermaßen „zusammenfalten“ wollte, dass die Öffentlichkeit tunlichst ausgeschlossen blieb. Jedenfalls war es kein Ort, an den man kam, um Hilfe zu erbitten.
Knight wusste all das, aber dennoch streckte er – nach einem langen Moment des Überlegens – die Hand aus und betätigte den Türmelder, innerlich mit demselben Gefühl, das ein Lemming haben mochte, wenn er von einer Klippe sprang.
Zunächst geschah gar nichts. Knight fragte sich, ob die nimmermüde Pilotin schon wieder auf Achse war – sie war zwar einige Zeit nach ihm auf der Columbia eingetroffen, aber Liljas Missachtung der Grenzen eigener und fremder Leistungsfähigkeit war legendär – oder aber zu tief den Schlaf der (Selbst)Gerechten schlief, um ihn zu hören. Er wollte sich schon mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Erleichterung abwenden, als die Tür aufglitt.
Der Anblick war, gelinde gesagt, überraschend. Eine barfüssige Lilja in zerknautschter, derangierter Dienstuniform war schon einmal ungewöhnlich – es sah so aus, als habe sie darin geschlafen. Aber das war noch nicht alles. Ihre schulterlangen schwarzen Haare waren zerzaust, einige Strähnen hingen ihr ins Gesicht oder klebten an Hals und Gesichtshaut. Das Gesicht tropfte förmlich, obwohl es wohl unwahrscheinlich war, dass Lilja angezogen unter der Dusche gewesen war. Das Überraschendste aber waren die Augen. Sie waren erweitert, und deutlich gerötet. Bei einem normalen Menschen hätte das darauf hingedeutet, dass er dabei gewesen wäre, sich die Augen aus dem Kopf zu weinen.
Das einzige, was wie immer war, war der harte Zug um die Mundwinkel, doch die Stimme der Russin klang so, als wollte sie im nächsten Moment kippen: „Was?!“
Für einige Sekunden starrten sich die beiden sichtlich angeschlagenen Piloten an. Ein Zuschauer hätte sie für Teilnehmer in einem Wettbewerb halten können, wer denn am schlechtesten aussah.
Knight fand als erstes so etwas wie die Fassung wieder. Eine innere Stimme sagte ihm, dass es klüger gewesen wäre, zu gehen, aber sein Mund war schneller als seine Gedanken – oder ihm war sein eigenes Dilemma mal wieder wichtiger als die Probleme anderer: „Kann ich kurz mit Dir…Ihnen…reden?“
Der wütende Blick aus den rotumrandeten Augen sah schon wieder verdächtig nach der alten Lilja aus, und man konnte die scharfe Antwort förmlich spüren. Doch dann sackten die Schultern der Offizierin herab. Ihre Stimme klang matt: „Sicher. Warum auch nicht. Komm rein.“
Ihre Schritte wirkten etwas unsicher, als sie sich in ihre Kabine zurückzog und nach einem unsicheren Blick in die Runde schließlich an den kleinen Tisch setzte. Sie schien für einen Moment Probleme zu haben, ihrem Gast in die Augen zu sehen. Im Zimmer herrschte ziemliches Chaos, jedenfalls wenn man Liljas übliches bemüht perfektes Auftreten bedachte. Das Bett war zerwühlt, ein Kissen lag an der gegenüberliegenden Wand, die Decke halb auf dem Boden. Auf dem kleinen Tisch standen ein Wasserglas – vermutlich nicht mit Wasser – und eine angebrochene Flasche ohne Etikett, sowie ein Aschenbecher mit einigen fast restlos aufgerauchten Kippen. Das Durcheinander und das eigene Erscheinungsbild schienen in etwa so sehr zu Lilja zu passen, wie ein Lap Dance in der Kantine. Der Gesichtsausdruck der Russin warnte freilich unübersehbar vor Kommentaren.
Knight zögerte kurz, dann zog er den Stuhl vom Schreibtisch heran und setzte sich gegenüber seiner Vorgesetzten hin. Ein Stück weit fühlte er das Bedürfnis, wie ein Angeklagter vor der Richterin zu stehen, egal wie angeschlagen diese im Augenblick wirkte, aber so weit traute er seinen Beinen im Moment nicht.
Lilja schien sich wieder etwas unter Kontrolle zu haben. Sie wich Knights Blick nicht länger direkt aus, schien aber eher einen Punkt seitlich hinter seinem rechten Ohr anzupeilen als ihn offen anzuschauen: „Also?“
Für einen Moment herrschte Stille. Vermutlich waren sich beide der Absurdität der Situation bewusst. Schließlich brach Knight das lastenden Schweigen: „Ich wollte…ich muss…ich kann nicht…“ er verhaspelte sich zunehmend. Von Lilja kam kein Kommentar. Der Pilot holte tief Luft. Er brachte es nicht mehr fertig, der Russin in die Augen zu sehen. Sie mochte noch so angeschlagen sein, sie war immer noch, wer sie war. Aber den Mut zu sprechen, den brachte er noch auf, ja er sprudelte die Worte sogar hervor, als habe er Angst, er selber oder seine Vorgesetzte könnten den Redeschwall stoppen: „Commander, ich bitte Sie…ich fleh’ Sie an, nehmen Sie mich von der Flugliste. Ich kann nicht mehr hinaus. Ich schaffe es einfach nicht mehr. Seit dem Abschuss bei Karrashin muss ich mich fast übergeben, wenn ich auch nur ins Cockpit steige. Ich dachte, ich hätte es wieder in den Griff bekommen, aber im letzten Kampf – ich habe einfach zu sehr Angst.“ Wie zum Beweis hob er seine Hände hoch, die krampfhaft zitterten. „Da draußen kann ich nur noch daran denken, dass sie mich wieder abschießen werden, ständig glaube ich, ich bin wieder dran. Und auf der Columbia, jetzt, Ich krieg kein Auge zu, Medikamente helfen auch nichts. Wenn ich daran denke, dass ich bald wieder fliegen soll, in einem Gefechtseinsatz, dann wünsche ich mir, mich irgendwo zu verkriechen, ich weiß nicht…“
Er schnappte nach Luft, so hastig stieß er die Sätze hervor: „Wenn ich noch mal fliege…bestimmt, ich komme nicht wieder, ich weiß es einfach…drehe vollkommen durch, mitten im Kampf. Ich fliege vielleicht einfach weg…oder ich breche schon vor dem Start zusammen, was weiß ich… schieß mir vielleicht ins Bein, demoliere meine Jäger…“ Er spürte, wie ihm Tränen über die Wangen liefen, er verachtete sich selbst ein Stück weit, wie flehend seine Stimme klang, wie er hier Rotz und Wasser heulte: „Bitte, nehmen Sie mich raus. Ich bin fertig.“ Knight atmete zweimal tief durch: „Und wenn Sie mich melden, das ändert auch nichts mehr daran. Ich kann nicht mehr.“
Er wartete auf das unvermeidliche Donnerwetter, die Flüche, die Drohungen – oder schlimmeres. Es blieb aus. Langsam, als würde ihn eine Zentnerlast niederdrücken, hob er den Kopf. Was er sah, erschütterte ihn mehr, als es ein Zornausbruch. Lilja starrte ihn an, ohne auch nur zu blinzeln. Es war die abgrundtiefe Traurigkeit, die Niedergeschlagenheit in ihren Augen, die ihn schockierte. Wenn da Wut war, dann nur ein Funken, sorgfältig eingedämmt und überlagert von anderen Gefühlen. Als hätten seine Worte sie irgendwie mitten in ihr Herz getroffen. Sie sagte nichts, verzog nicht einmal die Miene. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, streckte sie ihre Hände aus und ergriff die seinen. Ihr Griff war fest, kompromisslos, ganz bestimmt nicht damenhaft – wie Lilja eben war. Und immer noch schwieg sie, starrte ihn die ganze Zeit nur schweigend an, ihre Augen direkt in seine. Als sie den Griff schließlich löste, nach einer Ewigkeit, stellte Knight fest, dass das Zittern ein wenig nachgelassen hatte. Es war, als wäre etwas von ihrer Selbstbeherrschung auf ihn übergegangen, so unmöglich so etwas schien.
Liljas Stimme klang leise, fast sanft, als sie zu sprechen begann, beinahe träumend, geistesabwesend, obwohl sie ihn dabei die ganze Zeit fixierte: „Ich weiß, was du meinst. Ich kenne das Gefühl. Damals…am Anfang des Krieges…nach meiner ersten Schlacht…“
Sie schwieg einen Moment: „Nach diesem ersten Tag waren wir noch drei. Ich bekam die hier…“ sie streichelte ihre Narben, so wie jemand anderes ein teures Erinnerungsstück liebkoste „Und nachdem sie mich verarztet hatten, für mehr als Verbände und Kunsthaut reichte es nicht, hieß es, ich sollte wieder raus. In einer neuen Staffel, mit Chancen, die nicht viel besser waren als an diesem ersten Tag. Keine zwei Tage später war das. Wir alle mussten wieder raus.“ Sie schauderte, in Gedanken an einem fernen Ort: „Ich hab mir in den Helm gekotzt. Ich konnte…ich habe…“ Sie wurde rot und schlug die Augen nieder, sprach aber weiter: „Ich musste mich mehr als einmal saubermachen. Und eine Woche später waren von meiner neuen Staffel die Hälfte tot oder verletzt. Sie füllten unsere Reihen wieder auf, und zwei Wochen danach war schon wieder jeder zweite tot oder ein wimmerndes Bündel Schmerzen. Und danach…“ Sie schüttelte den Kopf, wieder im hier und jetzt.
Knight schauderte. Er glaubte ihr, doch er fand wenig Trost in den Worten: „Ja, aber Sie haben es unter Kontrolle bekommen. Ich schaffe das nicht. Ich habe es versucht – ich bin nicht...Du.“ Die Atmosphäre schien die förmliche Anrede geradezu zu verbieten.
Die Russin schwieg einen Moment. Ihre Stimme war immer noch sanft: „Nein, bist du nicht. Niemand von uns ist jemand anders als er selbst. Du bist Second Lieutenant Evan Harold Alexander. Veteran von Pandora. Nach einer Verurteilung wegen Unterschlagung und mehr als einem Jahr Haft reaktiviert und als Bewährungspilot auf die Actium geschickt, rehabilitiert, im Einsatz bei Husar auf der Wasp, beteiligt an den Schlachten von Carbash, Groshen und der Ersten Schlacht von Velorha. Sechs Abschüsse, alles Akarii, und einen siebenten über Karrashin. Zweimal – dreimal mit Karrashin – im Einsatz verwundet oder abgeschossen. Und inzwischen so weit rehabilitiert, dass seine vorgesetzte Offizierin darüber nachdenkt, ihn zur Beförderung zum First Lieutenant vorzuschlagen. Etwas, das sie auf keinen Fall leichtfertig in Erwägung zieht. Du bist ein guter, ein erfahrener Pilot und Soldat – nicht immer ein guter Kamerad und Freund. DAS bis du. Nicht mehr, nicht weniger – und das muss für jeden genug sein.“
Sie seufzte: „Wir alle haben Angst – außer den Toten und den Dummen, und die sterben meistens ohnehin schnell. Selbst diejenigen von uns, die sehenden Auges in die Gefahr, ja sogar den Tod gehen, haben Angst. Fürchten den Verlust dessen, was niemals sein wird, aber hätte sein können. Denkst du, sie sind bessere Menschen als du? Denkst du, ICH bin ein besserer Mensch als du? Oder ein schlechterer, weil ich weniger zu verlieren hätte, zu dumm sei, die Gefahr zu erkennen? Was ist mit Shoki, mit Huntress? Ich WEIß, dass du sie magst, jede anders, jede auf deine Weise. Bessere Menschen? Schlechtere?“
In diesem Moment hätte Knight es vorgezogen, wenn sie ihn angeschrieen, getobt, sogar auf ihn eingeschlagen hätte. Verständnis, ein Appell nicht so sehr an seine Ehre – mit deren Beschädigung kam er klar – sondern an sein Gewissen, das war wesentlich schwerer zu erwidern. Und Lilja war noch nicht fertig.
„Du bist, wer du bist. Du kannst, was du kannst. Und das ist nicht wenig, das weißt du. Wenn du nicht fliegst, dann wird da draußen eine Lücke sein. Es wird niemand da sein, der deinen Platz übernehmen kann, niemand der ihn übernehmen kann wie du. Irgendeinem Piloten wird der Jäger an seiner Seite fehlen, derjenige, der ihm den Rücken freihält, den Feind verjagt, die Möglichkeit zum Entkommen bietet. Vielleicht wird jemand deshalb verletzt, vielleicht stirbt jemand deswegen. Jemand, der schon länger als du dabei ist, und trotzdem rausgeht. Jemand, der ganz neu ist, und dennoch fliegt. Vielleicht jemand, den du nicht ausstehen kannst. Jemand, den du nicht kennst, der dir egal ist – oder jemand, an dem dir was liegt. Ein Stuhl, der leer sein wird in der Messe. Eine Kabine, in der fremde Hände Sachen aus dem Spind nehmen, weil der Besitzer niemals zurückkehrt. Oder mehr als einer, vielleicht auch zwei, drei, fünf, zehn. Wenn ich nicht fliege, wenn du nicht fliegst, wenn wir nicht alle fliegen, so lange wir können, so hart wie wir können – wer schießt dann den Bomber ab, der seine Raketen auf eine Korvette, auf einen Zerstörer, auf die Columbia richtet? Wer hält den Schlachtflieger auf? Wer bahnt unseren Bombern den Weg in die Flotte des Feindes, bis zu den Schiffen, die ihre Waffen vielleicht gerade jetzt auf Masters richten? Da ist niemand. Da war noch niemals jemand. Keine Hilfe oder Rettung in letzter Sekunde. Kein Gott, kein Held mit übernatürlichen Kräften. Da sind nur wir. Du, ich, Shoki, Huntress, Imp, Kano, Ace, Sokol… Menschen, voller Angst, Mut, Erinnerungen, kleinen Dummheiten und voller Hoffnung, Träumen – zum Teufel, sogar die verdammten Aliens in unserer Flotte, die ehemaligen Konföderierten.“ Ihre Stimme klang verloren als sie die Namen aufzählte. Für einen Moment fragte sich Knight, ob sie mit ihm sprach, mit sich selbst, oder mit wem sonst. Doch dann sah sie ihn wieder an:„Ich kann dich nicht zwingen zu fliegen. Ich will dich nicht zwingen. Ich kann dir das Leben zur Hölle machen, aber mehr beschämen als du dich selbst, das kann ich nicht. Du hattest den Mut, das zu tun, was viele nicht können, über ihre Angst zu reden. Auch jemanden gegenüber, der bestimmt nicht für sein Mitgefühl bekannt ist. Einen…Fehler…eine Schwäche einzugestehen, ist manchmal fast so schwer, wie eine Wunde hinzunehmen. Du hast diesen Mut, dann solltest du auch den Mut finden, dich deiner Angst da draußen zu stellen. Und mehr androhen als das, was da draußen vielleicht auf dich wartet, kann ich auch nicht. Ich kann dich nur…bitten…zu fliegen. Für diejenigen, die dich an ihrer Seite brauchen, weil sonst niemand da ist. Und dir versprechen, dass ich an deiner Seite sein werde. Bis zum Schluss.“
Knight musterte das verhärmte Gesicht der jungen Frau vor ihm. Vielleicht sollte er jetzt etwas fühlen, etwas sagen. Neuen Mut fassen, Kraft aus ihren Worten schöpfen. Konnte er das? Er wusste es nicht. Da war vor allem Scham. Nicht, weil er sich vor ihr gedemütigt hatte, oder weil sie ihn gedemütigt hatte, sondern weil sie ihn an etwas erinnert hatte. Natürlich hatte er das alles schon vorher gewusst, aber es war etwas anderes, es von jemand anderem zu hören. Reichte das? Er wusste es nicht. Vielleicht sollte er schon dankbar sein, dass er neben der Angst, die ihn gequält hatte, ihn immer noch peinigte, etwas anderes fühlte. Scham und Müdigkeit – und sogar fast so etwas wie Mitleid mit der Pilotin, die ihm gegenüber saß. Geteiltes Leid…
Er seufzte, in einem halbherzigen Versuch, davon abzulenken, wie peinlich im seine Seelenbeichte war. Er deutete auf die Flasche: „Und das da – hilft das auch gegen die Angst?“
Lilja zögerte, doch dann lächelte sie. Das war an und für sich schon etwas ungewöhnlich, denn allzu oft war ihr Lächeln von zumindest einer Spur Spott, Sarkasmus, Häme oder Boshaftigkeit geprägt. Es war erstaunlich, wie ein wirkliches Lächeln, das Verziehen von ur ein paar Muskeln ein Gesicht so stark verändern konnten, sogar so ein Gesicht wie das ihre. Dann goss sie ihr Glas voll und schob ihm die Flasche zu: „Kommt auf den Versuch an…“
Cattaneo
Ironheart
Kurz nach der ersten Jägerschlacht um Masters
Sterntor-System
Mit einem Ruck erwachte 2nd Lieutenant Anthony „Arrow“ Gant aus seiner Bewußtlosigkeit. Er hatte keine Ahnung, wie lange er in diesem Zustand gewesen war. Sekunden, Minuten, Stunden? Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er den Auslöser des Schleudersitzes betätigt hatte. Oder doch?
Jedenfalls driftete er nun durch die unendliche Schwärze des Alls, also musste er wohl reflexartig ausgestiegen sein und offensichtlich auch den Einschlag der Raketen und die Zerstörung seines Jägers wie durch ein Wunder überlebt haben.
Aber in welchem Zustand?
Nach einem kurzen Anflug von Panik riss sich Gant sofort wieder zusammen und ging in Gedanken das Standardprotokoll beim Ausstieg aus einem Jäger durch.
Zuerst überprüfte er die Unversehrtheit seines Raumanzugs. Keine Löcher, Risse, oder ähnliches. Check.
Die Lebenserhaltungssysteme funktionierten einwandfrei, die Sauerstofftanks und die Sauerstoffaufbereitungsanlage waren voll einsatzfähig, und die Anzeigen deuteten noch einige Stunden Kapazität an. Die Wasseraufbereitungsanlage schien zu funktionieren, die Energieanzeigen waren in gutem Zustand. Damit war schon mal gesichert, dass er die nächsten zehn bis zwölf Stunden überleben würde. Check.
Dann liess er das Diagnoseprogramm über seine Vitalfunktionen laufen. Keine offenen Wunden, abgetrennten Gliedmaßen oder Brüche. Blut- und Atemkreislauf waren normal, wenn auch genau wie der Puls leicht erhöht, Gehirnaktivität im oberen Bereich. Kein Wunder, der Stress führte automatisch zu einer Hyperaktivität wie Arrow nüchtern diagnostizierte, als würde er die Laborwerte eines Kameraden betrachten und nicht die eigenen. Jedenfalls war er unverletzt, zumindest für den Augenblick. Zumindest so unverletzt man sein konnte, wenn einem gerade das Jagdraumschiff buschstäblich unter dem Hintern weggeschossen worden war.
Seine Augen wanderten über die Anzeigen der Strahlenwerte, die über die Innenseite seines Helmvisiers flimmerten. Natürlich waren die Werte nicht optimal, niemand überlebte eine Beinahe-Atomisierung und eine Ausstieg ins All ohne dafür zumindest eine Erhöhung der Strahlenwerte in Kauf nehmen zu müssen.
Arrow schloss kurz die Augen und rief sich noch einmal den Zusatzkurs „Grundlagen des Medizinischen Dienstes“, den er auf dem Markham Fields belegt hatte, ins Gedächtnis. Laut Hokamatos Standardwerk „Regenerative Strahlentherapie“ war die Dosis, die er abbekommen hatte absolut unbedenklich und würde durch eine simple Durilium-Ionentherapie – eine Standardsicherheitsmaßnahme – innerhalb der nächsten 1-2 Wochen komplett verschwinden. Check.
Einigermaßen beruhigt widmete sich Arrow dem nächsten Punkt seiner Anaylse. Die automatische Aktivierung seines Notsignals müsste eigentlich nach seinem Notausstieg eingeleitet worden sein. Und so war es auch. Check.
Seit knapp 45 Minuten sendete seine Notbake ein stetes Signal, das hoffentlich von Freund aber auch Feind empfangen werden konnte. Arrow hoffte natürlich auf Freund, unter den gegebenen Umständen mit nur noch knapp zwölf Stunden Lebenserhaltungsenergie würde er aber auch wohl oder übel den Feind als Retter akzeptieren.
Was sollte er auch sonst machen?
Damit wusste er jetzt auch, wie lange er ausser Gefecht gesetzt gewesen war, wenn das Notsignal schon seit 45 Minuten aktiviert war. Damit war die Schlacht sicher schon weiter gewandert, und andererseits war noch nicht zu viel Zeit vergangenen um sich Sorgen zu machen, warum er noch nicht wieder eingesammelt worden war.
Jetzt da er seine Analyse abgeschlossen hatte, war er zwar einigermaßen beruhigt und die Panik war einer nüchternen Sicht der Dinge gewichen.
Und nüchtern betrachtet hatte er sich gleich in seinem ersten Einsatz abschiessen lassen. Das war ganz und gar nicht, was er sich vorgestellt hatte, und am liebsten hätte er einen Sandsack bearbeitet vor Wut. Doch in der unendlichen Weite des Alls war dieser schwer aufzutreiben.
Er ärgerte sich über seine Leistung und ging in Gedanken noch einmal seinen Kampf durch und fragte sich, was er falsch gemacht hatte. Er nahm sich vor, das Gefechts-ROM eingehend zu analysieren, wenn er erst wieder auf der Columbia war.
Allerdings musste er da zunächst einmal wieder hinkommen.
Sein Blick wanderte wieder an die Anzeige der Lebenserhaltungsenergie und er realisierte, dass seit seinem Aufwachen aus der Bewußtlosigkeit erst ein paar Minuten vergangen waren.
Und er hatte keine Ahnung, wann das quälende Warten ein Ende haben würde.
Er atmete tief ein und aus, um das aufkommende und drückende Gefühl der Panik zu unterbinden. Doch das war gar nicht so einfach. Um ihn herum war nichts als die tiefe Schwärze des Alls und er konnte nichts ausmachen, was ihn irgendwie beruhigt hätte. Doch dann fiel ihm ein nach der Sonne Sterntors Ausschau zu halten. Er hielt seine Hand hoch und sah die linke Seite ganz schwach beleuchtet, so als ob die vom terranischen Halb- oder vielleicht auch nur Sichelmond beleuchtet wäre. Damit wusste er, dass er sich nach links wenden musste um die einzige nennenswerte Lichtquelle in diesem System zu sehen.
Und tatsächlich konnte er links und ca. 120 Grad tief die Sonne Sterntors ausmachen. Sie schien in etwa die Größe einer Grapefruit zu haben, aber durch den Einsatz der Zoomfunktion des seines Headdisplays konnte er sie so vergrößern, dass sie schließlich sein komplettes Sichtfeld erfüllte. Golden und feurig stiess der Stern seine Protuberanzen und Strahlen in das All und war ein erhebender Anblick. Von dem Anthony lange Zeit seinen Blick nicht abwenden konnte.
Doch irgendwann wurde auch das Starren auf diesen Stern langweilig und lenkte ihn nicht genug von seinen Sorgen ab.
Also nahm er sich als nächste Aufgabe vor, Masters oder Seafort zu entdecken. Doch das war ungleich schwieriger. Die riesigen Dimensionen des Alls liessen ihn die Planeten nicht erkennen, zumal diese ja auch nicht über eine eigene Strahlung verfügten und er sich im Moment weiter weg von der Sonne befand, als die beiden Planeten. Damit hätte er nur die sonnenabgewandte Seite der Planeten gesehen, die aber war genauso pechschwarz wie der Rest des Alls.
Wieder blickte er die Sonne an und wärmte sich eine Weile an ihrem Anblick. Doch es dauerte nicht lange und sein Blick glitt wieder zurück zur Ladeanzeige der Lebenserhaltungssysteme, die sich begannen langsam aber sicher bedrohlich zu reduzieren. Er wollte sich nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn die Energieanzeige auf Null runterging. Und dennoch konnte er den Gedanken des qualvollen Erstickens oder Erfrierens einfach nicht verdrängen.
Anthony Gant war kein gläubiger Mensch, und trotzdem musste er in diesem Augenblick an die Bibel denken. Und er fing an diese auswendig aus seiner Erinnerung heraus zu rezitieren, nur um sich abzulenken.
Eine Weile hielt diese Aufgabe ihn davon ab an den Tod zu denken, doch es reichte nicht. Er wechselte hinüber zur Ilias von Homer, zu Shakespeares Sonnetten, zur Enzyklopedia Universalis, zu allem, was er je gelesen hatte. Er ging in Gedanken die Herleitung der dritten Ableitung der Quantenmechatronischen Artifizienz nach Copland-Moriarty durch. Er fokussierte seinen intelligenten Geist, um nicht wahnsinnig zu werden.
Er dachte an seine Mutter, daran welche Vorwürfe sie ihm gemacht hatte, dass er mit einem IQ von 162 nicht eine wissenschaftliche Karriere eingeschlagen hatte oder zumindest eine in der Wirtschaft.
„Dein Vater wird sich im Grabe umdrehen!“ hatte sie immer gesagt. Er, der viel zu früh verstorbene Hochschulprofessor, der ihn schon in frühen Jahren so gefördert und gefordert hatte, ehe ihn ein Krebsleiden so früh und schnell aus dem Leben genommen hatte, noch bevor sein hochbegabter Sohn seinen Universitätsabschluss im Alter von gerade einmal 16 Jahren in der Tasche gehabt hatte, ein Wunderkind, ohne Zweifel. Aber auch ein einsames Kind, ein Kind dessen ungewöhnliche Begabung ihm eine gewöhnliche Kindheit verwehrt hatte.
Ohne seinen Vater hatte Anthony mit einem Mal seinen Mentor, seinen Förderer, seinen Fixpunkt verloren. Seine Mutter, seine Professoren an der Universität – die größtenteils ohnehin nicht mit seiner Intelligenz mithalten konnten – sie alle hatten ihn angefleht seine Studien fortzuführen, zu vollenden, was sein Vater begonnen hatte. Doch er hatte nicht auf sie gehört. Professor Gant war ein Mathematiker gewesen, ein Fach welches Anthony leicht fiel, ihn aber nicht faszinierte, ihn nicht zu fesseln vermochte.
Gant hätte bei seiner Begabung und seinem Lebenslauf überall hingehen können und er hatte sich für eine Offizierslaufbahn in West Point entschieden. Er war genau im richtigen Alter gewesen um an der altehrwürdigen Offiziersschmiede zu beginnen, seine Intelligenz und seine bisherigen Leistungen sprachen ebenfalls für sich.
West Point gehörte auch nach Jahrhunderten weiterhin zu der Handvoll Eliteakademien der gesamten Terranischen Republik und hatte auch über all die Jahrhunderte viele der zukünftigen Oberbefehlhshaber und bedeutenden Kommandeure der terranischen Streitkräfte – gleich welcher Waffengattung – hervorgebracht. Und auch wenn er die Akademie mit Bravour meisterte, er war und blieb ein Aussenseiter. Der intelligente, eingebildete, arrogante, besserwisserische Freak.
Sie boten ihm nach seinem Abschluss einen Posten im Stab des Oberkommandos an, im Nachrichtendienst. Bei seiner Intelligenz wäre eine schnelle Karriere in diesem Bereich vorprogrammiert gewesen.
Doch wieder sah er keine wirkliche Herausforderung darin und er ging nach Markham und landete schliesslich in seinem Wunschgeschwader, den berühmten Angry Angels.
Er hatte seinen IQ, seine besonderen Begabungen, soweit es ging geheim gehalten. Doch er konnte nun mal nicht aus seiner Haut. Die meisten in seiner Staffel konnten ihn nicht ausstehen, ausser vielleicht Kid, Sonnyboy und Dog. Vielleicht auch noch Stuntman, aber bei dem war sich Gant nicht so sicher.
Und jetzt war er nun also hier, mitten im Nichts nachdem er gleich in seiner ersten Schlacht abgeschossen worden war.
„Was für eine Verschwendung!“ Die Worte seiner Mutter hallten in seinen Ohren wieder.
Und es gab ihm Augenblick nichts, dass Arrow hätte tun können, um sie vom Gegenteil überzeugen zu können.
Vielleicht hätte er doch auf sie hören sollen.
Doch dazu war es nun zu spät.
Viel zu spät.
***
„Und? Meinst du nicht, wir sollten jetzt mal langsam zurück?”
„Shht, Shht.“ Second Lieutenant Maria Hernandez bedeutete ihrem Piloten, sie nicht zu stören. „Warte noch einen Augenblick. Ich fühle, da ist noch was. Ich kann es förmlich spüren!“
First Lieutenant Robert Stanford, Pilot des Shuttles R-6 der Relentless und im Moment eingeteilt als provisorisches SAR-Shuttle, verdrehte die Augen, nur um sie sich kurz darauf wieder mit Daumen und Zeigefinger zu massieren.
„Hör zu, Maria, ich gebe ja zu, dass es mich auch wurmt, das wir bis jetzt erst zwei Piloten bergen konnten – und davon einer auch noch ein Akarii ist und der andere nicht so bald wieder in einem Jäger sitzen wird. Doch die Schlacht ist jetzt mehr als sechs Stunden rum, uns geht der Treibstoff langsam zur Neige und wenn wir nicht aufpassen, werden wir selbst bald aufgesammelt werden müssen. Und du weißt wie sehr Lefranque das hassen würde, oder?“
„Er würde uns das Herz herausreißen und unser beider Karrieren den Orkus runterspülen?“
„So in etwa, oder andersherum. Aber nur aufgrund einer deiner Ahnungen, will ich das ungerne riskieren. Also können wir jetzt nach Hause? Bitte?“
Maria seufzte schwer. „Jaja, schon gut. Es ist nur…“
„Nur was?“
„Unser Pilot, den wir rausgefischt haben. Er meinte, kurz bevor er das Bewußtsein verlor und die Sani ihn stabilisieren musste, dass sein Wingman auch genau hier im Sektor abgeschossen worden ist, kurz vor ihm. Also müßte er hier doch irgendwo sein.“ Frustiert tat Maria so, als ob sie in die Tiefensonaranzeige einschlagen wollte, aber mit ihrer Faust knapp über dem Schirm inne hielt.
„Vielleicht ist er gar nicht ausgestiegen? Vielleicht ist er dabei pulverisiert worden? Oder sein Raumanzug, der Transponder oder sonstwas ist defekt und er ist soundso schon hinüber.“ Robert seufzte jetzt auch und versuchte es mit einem schüchternen Lächeln. „Es ist immer schwer, Kameraden zurücklassen zu müssen, Maria, ich weiß das. Aber es gibt nichts was wir noch für ihn tun können.“
Maria nickte schwermütig. „Ich weiß, du hast Recht. Vielleicht hat er Glück und wird von den Akarii aufgefischt.“
„Na ob das Glück wäre, weiss ich ja nicht.“
„Zumindest wäre er dann am Leben, oder? Besser als elendig im All verrecken ist das allemal.“
Robert schwieg einen Moment. Eigentlich waren dies keine Gespräche, die er gerne mit seiner Co-Piloten führte. Stattdessen säße er jetzt lieber mit ihr an der Strandpromenade von Seafort, einen leichten Rotwein und eine leckere Pasta geniessend. Sie dabei vielleicht in einem leichten Sommerkleid bewundernd und sich gegenseitig anlachend. Doch er verdrängte diesen Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln ganz schnell wieder, brachte es doch ganz andere und relativ unprofessionelle Ideen in ihm hoch.
„Was ist?“ Maria schien sein Kopfschütteln bemerkt zu haben.
„Ich… Ach nichts…!“ Jetzt war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit. „Lass uns wieder Kurs Richtung Heimat setzen, o.k.?“
„Aye, Skipper, Kurs auf die Relentless.“
Und damit machte sich Shuttle R-6 als eines der letzten SAR Shuttles auf den Heimweg.
***
Anthony Gant kämpfte immer noch mit dem Wahnsinn des Weltalls und der immer stärker werdenden Panik. Fast sieben Stunden war er nun vollkommen auf sich alleine gestellt gewesen, und so langsam begannen seine Sorgen Überhand zu nehmen. Der Ladebalken seiner Lebenserhaltungssysteme war schon unter die Hälfte gesunken, so dass er bereits alle nicht lebenswichtigen Systeme abgeschaltet hatte.
Und dennoch blieben ihm noch höchstens 6 Stunden, falls die Zwangskomatisierung des Anzuges nicht einsprang. Und was fast noch schlimmer wog, war die Tatsache, dass ihm so langsam nichts mehr einfiel, was ihn vom anfallenden Wahnsinn ablenkte. Gant hatte Berichte von ausgestiegenen Piloten gelesen, die mehrere Stunden in solchen Situationen überlebt hatten. Aber viele – wenn auch nicht alle – dieser Überlebenden waren später ein seelisches Wrack geworden.
Als Gant diese Berichte gelesen hatte, hatte er das nicht nachvollziehen können. Doch nun da er selbst in dieser Situation war, verstand er, was in den Köpfen der anderen vorgegangen sein musste.
Nun, er hoffte, dass ihm ein solches Schicksal erspart bleiben würde. Doch zunächst musste er erst einmal gerettet werden.
Er blickte wieder auf die weit entfernte Sonne des Sternentor-System, im Augenblick der einzige Fixpunkt den er hatte.
Ansonsten ware alles andere um ihn herum weiter tiefschwarz, weshalb er sich fürchterlich erschrak, als ihn mt einem Mal mehrere Scheinwerfer in grelles Licht badeten und kurz blendeten, ehe seine Helmfilter die Helligkeit anpassten.
Er kniff die Augen zusammen, doch konnte er das Schiff, was immer es auch war, nicht erkennen. Es hatte sich aus Richtung Sonne genähert, so dass er es nicht hatte vorher entdecken können.
Einen Augenblick zweifelte er kurz, ob er seinen Funk wieder aktivieren sollte, denn es konnte ja auch ein Akarii sein, der ihn hier aufgebracht hatte. Doch andererseits hatten sie ihn ja wohl ohnehin entdeckt, denn sonst würden sie ihn ja wohl nicht direkt anleuchten.
Also aktivierte er seinen Funk und hoffte eine menschliche Stimme zu hören.
„… bitten um Authentifizierung. Ich wiederhole SAR-Shuttle R-6 ruft ausgestiegenen Piloten. Bitten um Authentifizierung.“
Mit einem lauten Ausatmen liess Gant seine Anspannung entweichen und antwortete eine Spur entusiastischer als ihm lieb war.
„SAR-Shuttle R-6 von Second Lieutenant Gant, 127th Fighter Wing, Callsign Arrow! Schön Sie zu hören!“
„Arrow von SAR-Shuttle R-6, bereit machen zum Einholen.”
Gant fühlte die Vibration, als er vom Traktorstrahl erfasst wurde und wie von magischer Hand in Richtung der Lichter gezogen wurde. Dann sah er wie sich die hintere Shuttlerampe langsam öffnete. Links und rechts an der Rampe waren zwei Space-Marines in voller Raumkampfmontur postiert. Eine reine Sicherheitsmassnahme, auch wenn er sich identifiziert hatte. Als er die Marines und die Rampe passiert hatte, wurde er von der dritten Marine in Empfang genommen, die ihn erstmal mit einem an einem Drahtseil befestigten Karabinerhaken befestigte. Selbst wenn Arrow die Standardprozedur der Pilot Space Rescue Mission nicht schon aus der Theorie und auch in der praktischen Ausbildung an der Akademie gekannt hätte, wäre im spätestens jetzt beim Anblick der Armbinde der dritten Marine aufgefallen, dass sie die Sanitäterin an Bord sein musste.
Als die Shuttlerampe geschlossen war, hörte Gant das Zischen der Luft, die in die Schleusenkammer eingelassen wurde. Kurz darauf machte Gant seinen Helm ab, wobei ihm die Sani zur Hand ging, aber sowohl sie als auch die Marines behielten ihre Visiere noch zu.
„Alles o.k. mit Ihnen, Sir?“kam es durch die elektronische Sprachausgabe ihres Raumanzuges.
„Ja, danke mir geht es gut. Danke, dass ihr mich aufgefischt habt.“
Die Sanitäterin nickte kurz, zückte ein Datenpad und übertrug seine biometrischen und medizinischen Werte. Sie überflog die Werte, nickte einmal kurz ihren Kollegen zu und öffnete dann ihr Helmvisier.
„Ihre Werte sind im Grünen, keine nennenswerten Verletzungen.“
Einer der anderen Marines betätigte den Türmechanismus und die Schleuse zum Hauptraum des Shuttles öffnete sich. Gant erkannte mit einem Blick die behelfsmäßige Konfiguration, die dieses Shuttle hier als ein Aushilfs-SAR auszeichnete.
Dann erblickte Arrow die drei weiteren Mitglieder der Standardbesatzung an Marines, die ein SAR-Shuttle mit sich führte. Ein weiterer Sanitäter kümmerte sich um einen offensichtlich verwundeten Piloten, der auf einer der zwei übereinander angebrachten Pritschen an der linken Seitewand lag. Die zwei anderen Marines hingegen behielten den Körper im Auge, der auf einer Pritschen auf der rechten Seite des Shuttles lag.
Sofort erkannte Arrow, dass es sich um einen Akarii handelte, der an Händen und Füßen angekettet war und teilnahmslos an die Decke starrte. Zumindest nahm Arrow an, dass dieser Gesichtsausdruck Teilnahmslosigkeit darstellen sollte. Er hatte noch nie in seinem Leben einen echten, lebenden Akarii gesehen.
Noch während er von der Sanitäterin zu dem in der Mitte des Raumes angebrachten Behandlungstisch geführt wurde, ging er in Gedanken das Buch über akarische Gesichtsausdrücke durch, welches er mal vor einiger Zeit nebenbei gelesen hatte. Wenn er sich richtig erinnerte, und davon ging er zunächst einmal aus, dann war dieser Gesichtsausdruck und die Stellung des Kammes doch eher Wut zuzuordnen als Gleichgültigkeit.
Nachdem ihn die Sanitäterin final überprüft hatte, gestatte sie ihm aus seinem verschwitzten Raumanzug zu klettern. Er bekam einen neuen Overall und konnte sich ein wenig frisch machen.
Dann erst kam er auf die Idee sich den anderen Piloten anzuschauen. Ihm fiel jetzt erst die enorme Größe des Piloten auf und ihm wurde schlagartig klar, wer da unter der Sauerstoffmaske auf der Pritsche lag.
„Too-Tall!“
„Sie kennen ihn?“
„Natürlich, er ist mein Wingleader. Ich… mich hat´s vor ihm erwischt, also wusste ich nicht…Was ist mit ihm?“
„Nichts Ernstes.“ Der Sanitäter beruhigte Arrow sofort. „Einen gebrochenen Arm und ein paar gebrochene Rippen. Er muß mit seiner rechten Körperhälfte mit dem Kanzeldach kollidiert sein. Aber er hatte Glück, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist. Er schläft nur, keine Sorge.“
Gant nickte. Er war in der Tat froh, dass es Too-Tall nicht noch schlimmer erwischt hatte. Wobei er für den Rest dieser Schlacht ausfallen dürfte.
Da er für Too-Tall im Augenblick nichts tun konnte, beschloss er sich bei den Piloten des Shuttles für seine Rettung zu bedanken.
Als Arrow die Pilotenkabine betrat wurde er mit einem „Willkommen an Bord, Pilot!“ vom Piloten des Shuttles begrüßt, der sich in seinem Sessel umdrehte, genauso wie seine Co-Pilotin. Das Shuttle flog im Moment auf Autopilot.
„Vielen Dank, ich dachte schon, Ihr würdet nie mehr kommen.“
Die beiden Shuttlepiloten wechselten schnell einen Blick und schliesslich sagte Stanford hüstelnd: „Naja, du hattest enormes Glück! Wir waren gerade auf dem Heimweg und hatten unsere Suche eigentlich schon abgeschlossen. Maria hier hat dein Signal quasi aus dem Augenwinkel und eigentlich nur für ein paar Sekunden wahrgenommen. Hätte sie nicht auf den Schwenker zum finalen Check bestanden, wären wir vielleicht tatsächlich…“ Stanford beendete den Satz nicht, wussten doch alle, was das bedeutet hätte.
Also drehte sich Gant zu der hübschen Co-Pilotin um und bedankte sich nochmal bei ihr, was sie mit einem knappen Nicken und Lächeln quittierte.
„Wann erreichen wir die Columbia?“
Robert Stanford runzelte die Stirn. „Wir fliegen nicht zur Columbia!“
„Sondern?“
„Zu unserem Mutterschiff, der Relentless.“
„Ich muss aber wieder zurück auf die Columbia.“
„Hören Sie Lieutenant, wir sind kein Taxiunternehmen, Ausserdem laufen wir eh nur noch Reserve – unter anderem weil wir Sie da aus der ewigen Schwärze geholt haben – und zur Columbia würden wir es ohnehin nicht mehr schaffen. Also hat zunächst mal Priorität, dass wir es zurück zur Relentless schaffen.“
„Aber wenn ich nicht wieder zurück zur Columbia komme, kann ich nicht wieder in den Einsatz. Und das dürfte wohl doch auch eine gewisse Priorität haben, oder?“
„Madre Dios…“ murmelte Maria Hernandez und drehte sich um, damit ihr Augenrollen nicht noch zu einem Streit mit diesem Idioten führte. Als ob der Krieg von einem einzelnen Piloten abhängen würde, einem der offensichtlich zu begriffsstutzig war um zu verstehen, dass sie ihn ja noch nicht mal zur Columbia bringen KONNTEN, selbst wenn sie das gewollt hätten.
Robert Stanford war da ein wenig geduldiger als seine Co-Pilotin. „Lieutenant, wir werden zur Relentless zurückkehren und da gibt es auch keine weiteren Diskussionen, verstanden? Wenn Sie Glück haben, gibt es vielleicht irgendwann einen Transfer von der Relentless zur Columbia, den sie dann nehmen können. Und wenn Sie tatsächlich so dringend als Pilot benötigt werden, wird sich ein solcher Transport sicher bewerkstelligen lassen.“
Arrow war da etwas skeptisch, doch was sollte er sonst schon anderes tun als sich zu fügen.
***
An Bord der Relentless war Arrow mit Too-Tall in die Krankenstation gebracht worden, wo sein Wing Leader kurz wach geworden war und ehrlich erleichtert schien, dass sein Wingman überlebt hatte. Beide wurden noch einmal ausführlich untersucht, wobei das allerdings Ewigkeiten zu dauern schien. Doch der Andrang in der Krankenstation war groß, und weder er noch Too-Tall besaßen die Top Priorität bei der Untersuchung.
Sein Windleader wurde stationär eingewiesen und bekam eine Manschette sowohl um den rechten Arm als auch die Rippen verpasst. Bei guter Genesung würde er frühestens in einer Woche wieder beschwerdefrei sein.
Gant hingegen wurde aus der Krankenstation entlassen. Er begab sich auf direktem Wege zum Quartiermeister der Relentless, um ihn davon zu überzeugen, dass er auf direktem Wege zur Columbia gebracht werden musste.
Allerdings musste er zunächst einmal wieder lange warten, bis er den Quartiermeister überhaupt aufgetrieben hatte. Und als er diesen gefunden hatte, erklärte dieser ihm, dass er dafür nicht zuständig war. Als Gant dann dem verdutzten Quartiermeister die entsprechenden Vorschriften für diesen speziellen Fall aus dem Gedächtnis aus rezitierte, die sehr wohl den Quartiermeister als ersten Anlaufpunkt für den Transfer von gestrandeten Piloten vorsahen, staunte dieser nicht schlecht.
Allerdings war Master Sergeant Ogambo nicht umsonst in dieser Position. „Lieutenant, Sie mögen mit den Vorschriften ja Recht haben. Allerdings kann ich Ihnen dennoch nicht helfen. Im Augenblick sind alle Shuttles entweder draussen oder die entsprechenden Shuttlebesatzungen müssen sich vor ihrem nächsten Einsatz regenieren. Und selbst wenn ich ein einsatzbereites Shuttle hätte, wissen Sie überhaupt wie weit die Columbia im Moment von uns entfernt ist?“
„Das ist mir egal. Einsatzrichtlinie 124 b sagt ganz klar…“
„Jaja, ist ja schon gut.“ Master Sergeant Ogambo wurde das hier fast schon zu bunt. „Haben Sie den an Bord der Columbia überhaupt einen Ersatzflieger für sie?“
Jetzt war Gant verdutzt. „Ich… keine Ahnung, aber ich gehe jetzt mal davon aus…“
„Hören Sie, wir werden hier keines unserer Shuttle auf den Weg schicken, die eine unserer Crews unnötig belasten wird, ohne zu wissen, ob es das überhaupt wert ist. Kontaktieren Sie erstmal ihre Staffel und lassen sie sich bestätigen, dass dort drüben ein Jäger auf Sie wartet. Dann werden wir sehen, wann wir Ihnen einen Transport besorgen können.“
Und damit wurde Gant zur Kommunikationsstation geschickt, wo er wiederum ewig warten musste, bis ihm einer der Matrosen eine Verbindung zur Columbia aufbauen konnte.
Gant hatte sich nicht getraut sich eine Verbindung zu Cmdr Cunningham aufbauen zu lassen, es war ja ohnehin schon peinlich genug, dass er gleich in seinem ersten Einsatz abgeschossen worden war.
Also hatte er sich mit einer Richtfunkverbindung mit Mantis verbinden lassen. Die XO der Roten Staffel liess sich Zeit, ehe sie den Anruf entgegennahm, und offensichtlich hatte Gant sie aus dem Schlaf gerissen. In diesem Augenblick bemerkte auch Arrow wie müde er eigentlich war. Doch jetzt musste er erstmal mit seiner stellvertretenden Staffelkommandeurin reden.
„Hallo, wer ist da?“ nölte eine schlaftrunkene Nicole Shaw in den Kommunikator, der ohne Bildübertragung aufbaut worden war um nicht unnötig Kommunikationsbandbreite zu verschenken.
„Hallo Lieutenant Shaw, hier ist Lieutenant Gant.“
„Gant? Arrow? Bist du das?“
„Ja, Ma´am!“
„Oh Mann, das ist ja eine Überraschung. Wir dachten schon es hätte dich erwischt. Wo bist du?“
„Auf der Relentless, Ma´am. Eines unserer SAR´s hat mich aufgefischt und hierher gebracht. Und Too-Tall übrigens auch.“ Mantis Stimme hellte sich merklich etwas auf, als sie erfuhr, dass der Riese zwar verletzt war, aber dass es nichts Ernstes war.
„Ich freue mich, dass es euch gut geht, Arrow!“
„Danke, Ma´am. Was ist mit dem Rest der Staffel? Haben allen anderen…?“
„Ja, bis auf Euch beide hatten wir zum Glück bislang noch keine weiteren Verluste.“
„Freut mich zu hören, Ma´am. Und ich melde mich offiziell wieder zum Dienst zurück. Können Sie bitte ein offizielles Transfergesuch an Quartiermeister Master Sergeant Jolean Ogambo abschicken? Damit mich eines der Relentless Shuttles zur Columbia bringen und ich möglichst bald wieder in einen Jäger steigen kann.“
Es war einen Augenblick ruhig auf der Leitung. „Tut mir leid, Arrow. Aber daraus wird erst mal nichts. Wir haben im Moment keinen Ersatzjäger und ohnehin schon zwei Ersatzleute samt ihrer Jäger zugewiesen bekommen.“
Gant war einen Moment sprachlos, damit hatte er nicht gerechnet. „Aber, Ma´am, ich…“
„Sorry, Gant. Bleiben Sie zunächst mal auf der Relentless und behalten Too-Tall im Auge. Sobald wir können, holen wir Sie wieder rüber. Aber im Moment brauchen wir da nichts zu überstürzen, verstanden?“
Zähneknirschend bestätigte Anthony und beendete die Verbinung. Er war also erst mal bis auf weiteres auf der Relentless gestrandet.
Frustiert schlich er erstmal zurück zu Master Sergeant Ogambo um sich eine Unterkunft geben zu lassen. Müde wie er war, konnte ohnehin nichts mehr tun. Also konnte er sich wenigstens ausruhen, bevor er die Besatzung der Relentless solange weiter mit Einsatzrichtlinien und Vorschriften nerven würde, bis sie ihn freiwillig wieder an Bord der Columbia verfrachten würden.
Aber das musste nun erstmal warten.
Cattaneo
Tyr
COLUMBIA
Kano kannte die Krankenstation der COLUMBIA weitaus besser, als ihm lieb gewesen wäre - sowohl die ambulante als auch die stationäre Abteilung. Es war kein Ort, an dem man sich gerne aufhielt. Geistesabwesend versuchte er festzustellen, was sich seit seinem letzten 'Besuch' hier verändert hatte - soweit die strengen Dienst- und Hygienevorschriften so etwas wie eine individuelle Note oder Veränderungen überhaupt zuließen.
Ja, das war neu. Wie es aussah, hatte man die alte Diagnoseinheit da drüben gegen ein moderneres, kompakter wirkendes Gerät ausgetauscht. Man konnte über die Navy sagen, was man wollte - aber die medizinische Versorgung war erstklassig. Die Navy tat alles was nur möglich war, um ihre Männer und Frauen fit, einsatzbereit und gesund zu erhalten. 'Wenn man von der Tatsache absieht, dass sie sie ins feindliche Feuer schickt...', dachte Kano und hätte bei diesem etwas rebellischen Gedanken fast gelächelt. Doch dann verbannte er diese müßige Spekultation aus seinen Gedanken und versucht, sich auf die Worte seines Gegenübers zu konzentrieren. Offensichtlich kam der Mann endlich mal zum Ende seiner Rede: „Also gut, Lieutenant. Ich bescheinige Ihnen Ihre Diensttauglichkeit. Aber auch nur, weil wir wahrscheinlich bald genug schwere Fälle rein bekommen.“
„Danke, Doktor.“
„Dennoch sollten Sie vorsichtig sein. Ein Weltraumspaziergang ist kein Spaß, nicht mal mit den neuen Anzügen…“
„Ich weiß.“
„Auch wenn Sie natürlich mehr Einsatzpraxis haben als die meisten anderen Piloten. Irgendwann müssen Sie mir mal verraten, wie sie das machen.“
„Ich schieße Akarii ab. Und manchmal schießen sie eben zurück.“
Der Assistenzarzt schnaubte mit einem Anflug von Zynismus, der viel zu ausgeprägt für sein jugendliches Äußeres wirkte: „Verschwinden Sie schon. Und es wäre schön, wenn wir Sie hier nicht mehr so häufig sehen würden. Aber dieser Wunsch…“
Kano salutierte knapp und ging, während er den Rest des Satzes überhörte. Er konnte sich den Inhalt ohnehin denken. ‚Vielleicht sollte ich tatsächlich an meinem Ruf arbeiten…’ Es war irgendwie…kränkend, dass ihn einige offenbar auf die Anzahl der Maschinen reduzierten, die er in den letzten Jahren verbraucht hatte. Oder die Zahl seiner Verwundungen.
Dann verdrängte er diese Überlegung. Es gab Wichtigeres zu tun.
Da die COLUMBIA im Augenblick nicht im direkten Gefecht stand und auch keine Schäden hatte hinnehmen müssen, herrschte an Bord nur eine…gedämpfte Hektik. Kein Vergleich zu dem Chaos, das er und die meisten der Veteranen bei anderen Gelegenheiten erlebt hatten. ‚Aber die Schlacht ist noch nicht vorbei.’
Er fand seinen Stellvertreter in einem der Bereitschaftsräume. Garreth ‚Crusader’ Kyle starrte wie versunken auf ein Datapad, den Kopf mit beiden Händen abstützend.
„Hiermit übernehme ich wieder das Kommando über die Schwarze Staffel.“
„Ohka?! Dich haben sie aber schnell vom Haken gelassen.“
„Ich hätte dir sagen müssen, dass du es dir nicht zu bequem auf meinem Posten machst. Übrigens habe ich gute Nachrichten. Submarine sollte eigentlich auch bald entlassen werden. Damit wären wir wieder vollzählig.“
Crusader verzog den Mund: „Nein, das sind wir nicht. Jimmy ist immer noch draußen.“
„Was soll das heißen? Selbst mit einer angeschossenen Maschine hätte er längst landen müssen.“
„Ist er aber nicht. Ich habe schon nachfragen lassen. Sie haben ihn auch nicht mehr in der Peilung. Und sein FFI sendet auch nicht mehr.“
Kano presste die Lippen zusammen. Er hatte Jimmy befohlen, alleine zur COLUMBIA zurückzufliegen. Ohne Geleitschutz. Und nun…: „Ein Ausfall der Bordelektronik?“
„Vielleicht.“ Die beiden Piloten tauschten einen kurzen Blick aus. Sie wussten beide, welchen Grund sie für wahrscheinlicher hielten.
Nur wenige Menschen wussten, was Kanos kalte Miene und der ausdruckslose Tonfall verbergen konnten. Crusader war jedoch nicht so gut darin, sein Unbehagen zu kaschieren und den Gedanken an den vermissten Piloten einfach beiseite zu schieben. Dennoch, er kannte seine Pflicht: „Ich habe ja schon versucht, einen von den verwaisten ANZAC-Piloten zu bekommen – er hätte seine Maschine mitgebracht und ich wusste ja nicht einmal, ob du oder Submarine wieder kv geschrieben werden. Aber Fehlanzeige. Deine Kollegen waren schneller – und ich, als Lieutenant…“
„Und Stellvertreter eines Staffelführers, der auch nur Lieutenant ist. Ich verstehe.“
„Na ja, zum Glück sind wir immer noch fast komplett. Aber wir haben nur zwei Ersatzmaschinen. Dein Glück, dass die sich niemand unter den Nagel gerissen hat, solange du und Submarine noch im Revier waren. Da ihr beide EV gehen musstet und La Reines Maschine zum Wrack geschossen wurde…“
„Fehlt uns eine Maschine. Und ich glaube nicht, dass jemand noch eine übrig hat.“
Crusader schnaubte zynisch: „Wohl kaum. Wir gehörten zu den besser ausgestatteten Schwadronen. Selbst Lone Wolf musste mit einer halb defekten Mühle starten.“
„Der ist wohl über seine eigenen Bestandsmanipulationen gestolpert.“ Kano trug es seinem ehemaligen Staffelführer immer noch nach, dass er die alten Maschinen der Roten Schwadron zu den Butcher Bears abgeschoben hatte, um für sich fabrikneue Nighthawks ordern zu können.
„Das klingt, als würdest du dich darüber freuen. Wie unkollegial.“
„Ich denke einfach, dass manches…Fehlverhalten vielleicht eben doch seine gerechte Strafe in sich trägt.“
„Jedenfalls, selbst wenn jemand noch eine Reservemaschine hat, dir wird er sie bestimmt nicht geben. Nicht mal, wenn du mit einer Laserpistole anrückst. Nicht, wenn wir noch mal mit den Akarii anbandeln wollen.“
„Also muss einer von uns am Boden bleiben.“
„Submarine?“
„Nein. Sie ist zu gut, hat bald das Flightcross sicher. Ich brauche sie draußen. Lieber einen von den Neuzugängen.“
Crusader schnaubte kurz und amüsiert: „Mir soll es recht sein. Ist mir allemal lieber, wenn meine Flügelfrau wieder dabei ist. Aber ich bin mal gespannt, wie du Huntress oder Phoenix erklären willst, dass sie nicht fliegen sollen.“
„Es gibt näher liegende Kandidaten…“
Was er nicht sagte, obwohl sie es beide wussten, war die Tatsache, dass unter anderen Umständen Jimmy die nächstliegende Wahl gewesen wäre. Aber Jimmy wurde vermisst.
„Da wir schon dabei sind, wo sind die anderen?“
„Ein paar haben sich hingehauen, Phoenix wollte nach seiner Maschine sehen und Sugar versucht, mehr über den Verbleib ihres Flügelmanns zu erfahren. Wundert mich, dass die sich so um Jimmy kümmert. Die beiden waren ja nicht gerade Freunde.“
„Vielleicht hat sie Angst, dass ich sie am Boden lasse oder dazu verdonnere, mir den Rücken zu decken.“
„Kein guter Posten, wenn man selber ein paar Akarii abknallen will.“
„Danke schön. Aber falls sie dir über den Weg läuft, mach ihr klar, dass diese Vermisstensuche nicht ihre Aufgabe ist. Sie soll etwas essen, schlafen, sich erholen. Aber nicht den Leuten in der Kommandozentrale auf die Nerven gehen.“
„Manchmal kannst du ganz schön kaltschnäuzig sein.“
„Wir führen Krieg. Und ich stürme ja auch nicht die Funkstation um…unwichtig. Was Sugars Suche nach Jimmy angeht…wenn überhaupt, dann ist das meine Aufgabe. Was ist mit dem Rest?“
„Die sind in der Messe.“
„Gut. Dann schaue ich erst mal dort vorbei.“ Es war außerdem höchste Zeit, dass er selber etwas aß: „Bis zur Einsatzbesprechung sind es noch…reichlich eine Stunde. Bis nachher.“
"Bis dahin. Ach ja - da du ja jetzt wieder fitt bist...es gibt da noch einigen Papierkram, der auf dich wartet."
Kano winkte mit einer Geste ab, die wahrscheinlich so etwas wie 'Später' bedeutete. Im nächsten Augenblick war Crusader wieder alleine. Er warf dem vor ihm liegenden Datenpad einen skeptischen Blick zu, schob das Gerät dann beiseite und ließ den Kopf auf seine auf der Tischplatte ruhenden Arme sinken. Nur ein kurzes Ausruhen der Augen...
Zwei Minuten später war er bereits eingeschlafen.
*
Als Kano sich dem Eingang der Hauptmesse näherte, registrierte er mit leichtem Befremden, dass sich in der Nähe eine kleine Gruppe aufgekratzt wirkender Piloten und Mannschaftsdienstgrade zu stauen schien – letztere vor allem Angehörige des Hangarpersonals. Einem Impuls folgend trat er kurz näher und erkannte den Grund für die Zusammenrottung. Und für das Grinsen und die launigen Kommentare.
Irgend jemand hatte zwei Zeichnungen an die Wand gepinnt.
Die erste zeigte eine verhärmt wirkende Frau im Nachthemd, die sich in ihrem Bett hin und herzuwälzte. Über ihr in einer Traumblase sah man sie in einer lächerlich überzeichneten, operettenhaft wirkenden Galauniform mit angstverzerrtem Gesicht in der Messe sitzen, umringt von endlosen Reihen Piloten in Raumanzügen. Untertitelt war das Bild mit ‚Der Albtraum der Admirälin’.
Die zweite Zeichnung schaffte es, sogar Kano ein flüchtiges Lächeln zu entlocken. Auf dem Bild hüpften zwei Piloten in einen zerschossenen, mit brennenden Jägerwracks gefüllten Hangar, während sie krampfhaft versuchten, ihre Raumanzüge über ihre Ausgehuniformen zu streifen. Diesmal lautete die Unterschrift: ‚Wir sind vielleicht nicht mehr die Schnellsten beim Start. Aber mit Sicherheit die am Besten Angezogenen!’
Auch wenn Kano selber auf korrektes Aussehen und die Einhaltung der Flottenkonventionen achtete – wenn man mal von dem lächerlichen Fraternisierungsverbot absah – er konnte verstehen, was den anonymen Zeichner motiviert hatte. Männer und Frauen, die Tag für Tag ihr Leben riskierten, reagierten nun einmal verärgert auf kleinliche Vorschriften, die sie als Schikane verstehen mussten.
Bei näherem Überlegen…’Ich hoffe, das war keiner von meinen Leuten.’ Sugar oder Marat traute er so etwas ohne weiteres zu. Und auch Crusader und La Reine wären wahrscheinlich nicht über einen derartigen Scherz erhaben…
‚Aber darum kann sich kümmern, wer will.’
Die Messe war gut gefüllt, aber es fiel ihm nicht schwer, das Quartett Butcher Bears zu orten, während er sich in die Schlange einreihte, die sich vor der Essensausgabe gebildet hatte. Natürlich dominierten La Reine und Huntress die Runde, aber Marat und Spacer waren selbstbewusst genug, sich von den beiden nicht an den Rand drängen zu lassen. Die Art und Weise, wie sie sich über ihre Teller hinweg beharkten, mochte etwas unangemessen wirken, wenn man sich an Verluste erinnerte, die die Flotte und das Geschwader erlitten hatten. Aber…sie hatten überlebt. In ein paar Stunden, morgen vielleicht konnte es auch sie erwischen. Aber jetzt, heute, in diesem Augenblick waren sie am Leben. Das war ein Gefühl, von dem man süchtig werden konnte.
In der Messe war eine gesunde Mischung der verschiedenen Staffeln versammelt, ergänzt durch Mitglieder anderer Borddienste. Hier und da sah Kano einige unvertraute Gesichter unter den Piloten – vermutlich Überlebende des ANZAC-Bordgeschwaders, die man zumindest zeitweilig in die Angry Angels integriert hatte. Während einige der Piloten ähnlich überdreht wirkten wie viele der Angry Angels, wirkten andere immer noch ziemlich benommen von dem Verlust ihrer Trägers. ‚Natürlich…wie auch sonst. Und das sind nur diejenigen, die sich trotzdem dazu aufraffen konnten, in die Messe zu gehen.’
„Was neues von Jimmy?“
Kano schüttelte den Kopf, während er sich setzte: „Keine Ortung, kein Signal.“ Das sorgte für ein paar Sekunden Schweigen, auch wenn keiner der Piloten mit Jimmy befreundet gewesen war. Vermutlich hatten sie ihn nicht mal gemocht, und dieser Gedanke erfüllte Kano seltsamerweise kurz mit Bedauern.
Allerdings hielt das Schweigen nicht lange. Natürlich war es Huntress, die es brach: “Na, hast du deine Staffel jetzt voll? Ich meine natürlich EIGENE Maschinen, die du verschlissen hast…”
„Sehr witzig, Lieutenant Agyris. Übrigens Glückwunsch zu Ihrem Abschuss.“
„Das war erst der Anfang.“
„Achten Sie nicht auf Huntress. Haben Sie das von der Roten Staffel gehört? Die haben sich einen Frischling geangelt, der bei seinem ersten Einsatz zehn Akariis abgeknallt hat.“
Kano blickte von seinem Teller auf: „Das glaube ich jetzt nicht.“
„Was? Dass ein Frischling zehn Akarii abschießt, oder dass es natürlich Lone Wolf ist, der sich das Supertalent angelt?“, schaltete sich Huntress wieder in die Unterhaltung ein, „Im Übrigen übertreibt Marat natürlich. Na ja, er ist ja auch ein Kerl. Ich habe gehört es waren nur sieben Imperiale.“
„Nur...Dann wäre er immer noch besser als Lone Wolf, Ace…“
„Sie…“
Kano ignorierte diesen spöttischen Einwurf Huntress: „Wenn er das hält, was er verspricht, könnte er binnen kürzester Zeit zu einem unserer Topasse werden.“
Marat zuckte mit den Schultern und spielte den abgebrühten Veteranen: „Wenn er überlebt. Solche Wunderknaben brennen ziemlich schnell aus. Aber ich wette, Lone Wolf dreht schon daran, die Versetzung permanent zu machen. Wenn nicht die Propaganda den Jungen in die Finger kriegt, dann will er ihn haben.“
La Reine schnaubte wütend: „Schweinerei. Und seine Abschüsse schreibt er sich dann natürlich auch gleich gut, um wieder an die Spitze zu kommen. Klar, die Angry Angels brauchen frisches Blut, aber erklär mir mal einer, warum ausgerechnet die Roten die erste Auswahl haben können?!“
„Beziehungen…“, säuselte Huntress spöttisch, die allerdings selber nicht darüber erhaben war, ihre prominente Herkunft auszuschlachten.
Marat winkte ab: „Ich glaube, Lone Wolf hat momentan andere Probleme als das Ranking seiner Staffel. Unser Exchef soll sich mal wieder selbst übertroffen haben und vor Miss-Stock-im-Arsch-und-in-der-Messe-dürfen-sie-nur-in-Galauniform-antanzen
einen Captain angeranzt haben. Das riecht nach Kriegsgericht.“
La Reine zuckte wegwerfend mit den Schultern „Blödsinn!“
„Na ja, wenigstens Ehrengericht und Verweis, würde ich sagen. Die Alte…“
Kano warf Marat einen kalten Blick zu: „Ich würde es schätzen, wenn Sie von Admiral Girad nicht auf diese Art und Weise reden würden, Second Lieutenant Lenoir.“
Huntress lachte jäh auf: „Niemand hat hier den Namen Girad erwähnt. Außer dir.“
„Was Commander Cunningham angeht…“
Huntress winkte ab: „Du willst jetzt nicht wirklich darüber spekulieren, wie euer Supermann sich mal wieder aus der Affäre zieht. Er glaubt doch sowieso, dass sich alles um ihn dreht…“
„Was hast DU gegen Lone Wolf, Huntress? Konntest du bei ihm nicht landen?“
„Ich habe es nicht mal versucht. Wie mies wäre das denn?! Seine Frau ist schwanger. Ich habe gewisse Standards.“
„Kaum zu glauben.“
Kano hätte am liebsten die Augen verdreht: „Es gibt doch wohl Wichtigeres…“
„Nicht für Huntress.“
„Die sagen, Lilja hätte einen ihrer Piloten abgeknallt, weil er türmen wollte.“ Es war Spacer, der diese Bombe zündet. Allerdings war Kano offenbar der Einzige, der von diesem speziellen Gerücht noch nichts gehört hatte. Er hätte sich beinahe verschluckt: „WAS?!“
„Hab’s von der Roten Staffel.“
„Ich habe ja gehört, dass die Eisprinzessin ein skrupelloses Miststück ist, aber…“
„Schluss jetzt!“ Kanos Stimme blieb leise, erlaubte aber keinen Widerspruch. Inzwischen beherrschte er den eiskalten Befehlston ziemlich gut, auch wenn er versuchte, ihn nicht zu häufig zu benutzen: „Es kümmert mich recht wenig, wenn Sie über Lone Wolfs…politische oder soziale Talente spekulieren. Oder von mir aus auch über Admiral Girads Prioritäten was die Regeln des Bordlebens angeht – solange das unter Ihnen bleibt. Aber ich werde nicht dulden, dass Sie solche Gerüchte über eine Offizierin wie Lieutenant Commander Pawlitschenko verbreiten.“
Huntress riss die Augen auf, konnte sich aber nicht zurückhalten, etwas zu der Unterhaltung beizusteuern: „Sag mal, Chef, ich wusste ja nicht, dass du so viel für die Eisprinzessin empfindest…“
„Sie war meine Flügelfrau. Ich kenne sie länger als jeden von Ihnen. Sie hat mein Leben gerettet und ich das ihre. Das ist mehr als genug. Ist damit Ihre Frage beantwortet?“
Huntress hob die Hände in einer spöttischen Geste der Kapitulation.
„Gibt es eigentlich etwas WICHTIGES, was ich wissen müsste?“
„Abgesehen davon dass unser Akarii-Freund wieder eine seiner ‚Ihr-die-ihr-mir-Widerstand-leisten-wollt-lasset-alle-Hoffnungen-fahren-Red
e gesendet hat? Ich frage mich, was das soll. Abgesehen davon, dass er zu dem am wenigsten beliebten Akarii nach Jor und Illis wird…
Ansonsten bist du es, den sie zu den Einsatzbesprechungen einladen. Eigentlich solltest du uns was erzählen.“
„Ich werde daran denken.“
„Und wer soll dann am Boden bleiben?“ schaltete sich La Reine ein: „Ich habe versucht, den Techs etwas Feuer unterm Hintern zu machen. Aber ich glaube nicht, dass sie meine Maschine rechtzeitig wieder hinkriegen.“
Kano überlegte kurz, dann traf er seine Entscheidung: „Spacer. Sie bleiben auf der COLUMBIA. Ich brauche Ihre Maschine für Submarine.“
„Was? Hören Sie, Chef…“
„Ich weiß, dass Sie nach draußen wollen, um sich zu bewähren. Aber Fakt ist nun einmal, dass Submarine – im Augenblick – noch mehr Kampferfahrung hat als Sie.“
„Das ist nicht fair! Ich habe meine Maschine heil nach Hause gebracht! Sie hat sich Ihre unter ihrem Arsch wegschießen lassen…“
„Genauso wie ich, ist es das, was Sie sagen wollten?“
„Sir…“
„Mein Entschluss steht fest. Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Und dass Sie noch viele Einsätze und Abschüsse vor sich haben. Aber heute müssen Sie erst einmal ins zweite Glied zurücktreten.“
„Warum nehmen Sie nicht Flyboy? Die würde bestimmt nichts sagen. Die sagt ja nie was!“
„Ich suche mir mein Team aber nicht nach solchen Gesichtspunkten aus. Auch Flyboy hat mehr Kampferfahrung als Sie.“
„Und es schadet sicherlich auch nichts, dass sie Ihre Flügelfrau ist.“
Kano sparte sich eine Antwort, stattdessen sah er Spacer einfach nur wort- und ausdruckslos an. Das Schweigen zwischen den beiden dehnte sich und wurde ungemütlich. Es war Spacer, der schließlich klein beigab: „Sir. Wenn Sie mich entschuldigen…mir ist der Appetit vergangen.“ Er stand auf und stampfte davon.
„Ich hoffe, das war es wert.“
Kano wandte den Kopf zu Huntress: „Wenn ich mit so etwas nicht fertig werde, dann hätte ich auf diesem Posten nichts verloren. Er wird darüber hinwegkommen.“ Er schob den Teller beiseite und erhob sich: „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Wir sehen uns dann nach der Einsatzbesprechung.“
Im Weggehen hörte er, wie sich Huntress an La Reine wandte: „Und er ist wirklich immer so?“
„Yup.“
„Und ich dachte, solche Modelle würden heute nicht mehr hergestellt. Egal. Was die Eisprinzessin angeht…was meint ihr, wir sollten sie mit Jeanpierre verkuppeln. Sie haben beide Narbenfressen und es törnt sie an, Akariis abzuknallen…“
Diesmal verdrehte Kano wirklich die Augen, auch wenn es niemand sah.
*
Kano war lange genug Pilot um zu wissen, dass die Umgestaltung einer Staffel mitten im Einsatz ein riskantes Manöver war. Die idealerweise perfekt austarierte, gut einstudierte und geradezu überlebenswichtige Zusammenarbeit von Rottenführer und Katschmarek zu unterbrechen war immer riskant. Keine institutionelle Bindung innerhalb des Fliegerkorps war enger. Natürlich gab es Rotten, die überhaupt nicht zusammenpassten - aber es war auch die bittere Wahrheit, dass sich in diesem Fall die Überlebenschancen BEIDER Piloten signifikant zu verschlechtern pflegten.
Und deshalb hatte er sich die Zeit genommen die er eigentlich gar nicht hatte, und das Quartier von Flyboy aufgesucht. Ihre Begrüßung war sehr...vorsichtig gewesen, aber daran hatte er sich inzwischen fast schon gewöhnt. Sobald sie begriffen hatte, dass er alleine wegen einer organisatorischen Angelegenheit aufgesucht hatte, schien sich die junge Pilotin zu entspannen - warum auch immer. Nicht zum ersten Mal fragte sich Kano, was hinter Flyboys Reserviertheit nun eigentlich wirklich stand. Und nicht zum ersten Mal kam er zu dem Schluss, dass das warten musste. Erst einmal musste er ihr erklären, warum sie im nächsten Kampf mit einem neuen Rottenführer würde starten müssen.
„…dürfen Sie nicht falsch verstehen. Ich bin stolz auf das, was Sie geleistet haben – und Sie sollten es auf jeden Fall auch sein. Ich könnte mir keine bessere Flügelfrau wünschen.“
"Aber Sie nehmen Sugar und nicht mich.“ die Stimme der jungen Frau war so leise und ausdruckslos, dass Kano fast Mühe hatte, sie zu verstehen. Auch ihr stilles, ruhiges Gesicht konnte er nicht lesen. Er kannte nur wenige Menschen, die so gut wie er darin waren, ihre Emotionen zu verbergen. Flyboy gehörte auf jeden Fall zu diesem elitären Zirkel.
„Da Spacer nicht startet, fehlt Huntress jemand, der ihr den Rücken freihält. Jemanden der beherrscht fliegt - überlegt und ohne Starallüren. Starallüren hat sie selber genug.“
„Und Sie brauchen jemanden wie Sugar?“
„Kano grinste kurz: „Ich glaube, ich komme mit ihr besser klar, als Huntress. Es wäre wohl nicht die beste Idee, die beiden zusammen loszuschicken.“
Flyboy schien kurz zu überlegen, und zuckte dann fast nicht wahrnehmbar mit den Schultern: „Es ist Ihre Entscheidung, Lieutenant.“
„Danke. Das wäre dann Alles.“ Kano kam zu dem Schluss, dass Flyboy ihre zeitweilige Versetzung wohl nicht als Zurückstufung empfand. Wahrscheinlich. Das war gut so, denn eigentlich war es eines seiner Etappenziele, seiner Flügelfrau etwas mehr Selbstvertrauen einzuflößen.
„Eines noch, Lieutenant Nakakura…können Sie vielleicht…auf Sugar aufpassen. Sie fliegt zu…“
Kano musterte seine Flügelfrau überrascht. Mit der Bitte hätte er jetzt nicht gerechnet: „Ich weiß, was Sie meinen. Ich werde ein Auge auf Sie haben.“
Ihr leises 'Danke' war wahrscheinlich die emotionalste Äußerung, die man ohne Druck von Flyboy würde erwarten können.
'Eine Sache abgehakt. Bleiben nur noch ein Dutzen andere...'
*
Und dann…dann gab es noch eine Sache zu erledigen. Er hatte ein schlechtes Gewissen deswegen, denn sie hatte rein gar nichts mit seinen Pflichten und Aufgaben zu tun, aber…
Er hatte nicht wirklich eine Wahl.
Natürlich hätte er auch selber versuchen können, die Antwort auf die Frage zu finden, die ihm so sehr am Herzen lag. Aber er war eben immer noch nur ein Lieutenant. Dazu noch ein Lieutenant, der sich schwer damit tat, Gefallen einzufordern. Außerdem...jeder, der sich auch nur ein bisschen mit dem Bordklatsch auskannte, würde wissen, warum Lieutenant Nakakura sich ausgerechnet für die Verlustlisten des Flying Circus interessierte.
Nein, es war besser jemanden zwischenzuschalten, der kein derartig persönliches (und eigentlich forschriftswiedriges) Interesse mit dieser Frage verband. Der aufgrund seines Rangs und seiner Dienstzeit eher Zugriff auf die entsprechenden Daten haben würde. Und der notfalls in der Lage war, einen Gefallen oder gar eine kleine Regelwiedrigkeit zu erbitten - und sie dann tatäschlich auch gewährt zu bekommen.
Blackhawk abzufangen war der einfachere Teil. Sich zu überwinden, ihn zu fragen, war der schwerere. Aber zum Glück war der erfahrene Offizier nicht daran interessiert, es seinem Kollegen unnötig schwer zu machen. Auch wenn ihm persönlich Kanos Probleme vielleicht fremd waren, er hatte schon immer die Fähigkeit besessen, sich in seine Untergebenen und Kameraden hineinversetzen zu können. Deshalb war er auch so ein guter Offizier und Ausbilder. Und deshalb hielten ihn wohl manche für ungeeignet, jemals ein Geschwader führen zu können. Er kümmerte sich zu sehr um andere Menschen.
Blackhawk hörte sich schweigend Kanos Bitte an, überlegte kurz - und nickte dann knapp. „Ich sehe zu, was ich über den Flying Circus in Erfahrung bringen kann. Aber wenn du meine Meinung hören willst…Du brauchst dir keine Sorge zu machen. Die DERFLINGER wurde zwar beschädigt, aber das Geschwader ist immer noch einsatzbereit. Kali ist eine gute Pilotin. Vielleicht sogar die beste an Bord der DERFLINGER. Ihr wird nichts passieren.“
‚Das sage mir auch. Immer wieder. Aber…’
Irgendwo hatte er mal gehört, dass Liebe ein Schwert war, das tief schnitt. Jetzt wusste er, was damit gemeint war…
Cattaneo
Ace
Lieutenant Commander Ichigo Mahou runzelte die Stirn, als sie routinemäßig nach Ende der Schlacht, die sie einen Träger gekostet hatte, die Fernaufnahmen und einige Kamera-Aufnahmen betrachtete, die vom Computer als "auffällig" deklariert worden waren.
Mahou war auf der COLUMBIA, seit sie in Dienst gestellt worden war, und sie hatte ihren Weg in der Ortungsabteilung gemacht. Heute, fast sieben Jahre später, unterstand die Abteilung ihrem Kommando, und ihre Beförderung zum Voll-Commander war bereits bei der entsprechenden Dienststelle eingereicht worden. Auch Kapitän Ahn, die neue Kommandantin des Trägers, hatte dem Antrag nach Akteneinsicht vorbehaltlos zugestimmt.
Für Mahou war die Welt damit aber nicht stehen geblieben. Sie hatte sich schon immer für den Blick "über den Tellerrand" interessiert und sich immer bemüht, bei den neuen Technologien in ihrem Fachbereich und artverwandten Gebieten stets auf dem Laufenden zu bleiben. So war sie eine der ersten gewesen, die am neuen Cunningham-Maleetschev-Verfahren gefeilt hatte, der Technik, mittels zweier Ortungssonden auf die andere Seite eines Wurmlochs schauen zu können, ohne selbst springen zu müssen. Das CMV-Verfahren war als kriegswichtig eingestuft worden, aber da das Verfahren auch der Colonial Navy bekannt war, bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es nun auch den Akarii bekannt war. Deshalb hatte man bei CMV nicht auf Geheimhaltung gesetzt, wohl aber auf möglichst schnelle Verbreitung, um den Zeitvorteil zu nutzen, bis auch die Akarii das Verfahren flächendeckend einsetzen würden.
Das Ende vom Lied waren mehrere durchwachte Nächte für die junge Frau gewesen, die neben ihrem Dienst dazu verdonnert worden war, das Handbuch zur Nutzung von CMV zu schreiben, und es abschließend von Cunningham und Maleetschev genehmigen zu lassen. Da die beiden Offiziere - der eine galt als Aufsteiger, der andere als unbequemer, aber wichtiger Krisenmanager - nichts zu bemängeln gehabt hatten, stand nun ihr Name als Autor in dem dünnen grauen Heft, mit dem jeder halbwegs begabte Idiot in der Lage sein sollte, das CMV-Verfahren zu nutzen. Aber man kannte ja die Navy.
Damit hörten ihre Aktivitäten natürlich nicht auf. Gerade im interstellaren Zeitalter galt ihr Wissensdrang der elektronischen Kriegsführung, die ihre Ortungsabteilung direkt betraf.
Anders als die reguläre Flugmannschaft der COLUMBIA hatte sie es weniger mit Täuschkörpern, ECM oder verrückten Piloten zu tun, die einen Teil ihres Sprits abließen und entzündeten, um ihre Flugrichtung zu verdecken oder den Feind in das brennende Höllenfeld hinein fliegen zu lassen. Die Elektronischen Kontermaßnahmen, das ECM für Kampfschiffe, hatte andere Dimensionen.
Der Kampf zwischen Kriegsschiffen wurde mit Raketen geführt, mit überschweren Tachyonengeschützen, mit Lasern. Die Schiffe selbst schützten sich mit starken Energiefeldern, den sogenannten Schutzschirmen. Der normale Raumkampf ging meist so vonstatten: Laser und Tachyonengeschütze suchten ihren Fokus auf dem Schirm, oder idealerweise auf dem Rumpf des Gegners, um ihre volle Wirksamkeit zu entfalten. Ein falscher Fokus bedeutete weniger punktuell auftreffende Energie, also ein wenig schwerer Treffer.
Der Beschuss mit den großen Anti-Schiffsraketen hatte auch mehrere Gegner. Die großen ECM-Antennen, welche die Radarerfassung oder sogar die Elektronik der Raketen stören sollten, Abfangraketen und Abfanglaser, die bereits auf große Entfernung in der Lage sein sollten, die gegnerischen Todesengel abzufangen, und, auf kurze Distanz Raketenabwehrgeschütze, die sich darauf spezialisiert hatten, Gefechtskopf oder Antriebsflüssigkeit vorzeitig zur Explosion zu bringen. Dagegen schützten sich die Raketen zum Beispiel mit eigenen ECM-Maßnahmen, um die Einpeilung der Raketen, Laser und Geschütze zu erschweren. Dabei war das ECM der Terraner leidlich besser als das der Akarii, was wohl erklärte, warum die Menschheit den Echsen so lange hatte widerstehen können.
Aber das war noch nicht das Ende vom Lied, denn es gab immer noch die passiven Abwehrmaßnahmen. Die PDM, wie sie offiziell hießen, liefen offiziell nebenbei her, wenn es zum Kampf kam, waren aber wichtig; sie verheimlichten dem Gegner essentielle Informationen. Im Raumkampf war es immer wichtig, Schiffe zu kennen, zu identifizieren, ihre Positionen zu kennen und den Kurs zu bestimmen, das es genommen hat. Damit ein Schiff bekannt war, konnte man auf den Bug schauen und den Namen suchen. Mittlerweile beherrschten mehr als genügend Terraner akariische Schrift und Sprache, um das zu gewährleisten. Oder man erstellte ein Profil des Schiffs. Der erste Schritt dabei war die Klassifizierung und die Vergabe eine Code-Bezeichnung. Dann wurde das Schiff identifiziert, zum Beispiel anhand auffälliger Umbauten, der Signatur der Energieerzeuger oder anhand bestimmter Dissonanzen in den Schirmfeldern, die selbst industrielle Massenfertigung nicht austilgen konnte. Das alles war wie der Fingerabdruck eines Schiffs, und ermöglichte es dem Gegner, nicht nur zu ermitteln, wie viele Schiffe einer Klasse es überhaupt gab, man konnte auch die Fähigkeiten des Feindes berechnen, indem man nachwies, welches Schiff wann und wo auf Terraner getroffen war. Dadurch erwarb man Wissen über Marschgeschwindigkeiten, Reparaturzeiten und Manövrierbereitschaft. Auch bot es die Chance, besonders gefährliche weil gut bemannte und gut geführte Feindschiffe rechtzeitig zu identifizieren und gewappnet zu sein. Auf diese Weise hatte die Jagd nach Prinz Jor, der Mordechse, wie er hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, stattgefunden, so hatte man seinen Träger aufgespürt, im Blick behalten, verfolgt und gestellt.
Aber auch die Terraner wussten um dieses Prinzip und wie sie es anzuwenden hatten, damit es ihnen nützte. Vor der Graxxon-Schlacht hatten sich etliche Schiffe an der Pegasus-Station gesammelt, die mit Hilfe modifizierter Signaturen vorgetäuscht hatten, ganz andere Schiffe zu sein, während die echten sich für den entscheidenden Schlag gesammelt hatten.
Heutzutage schützten sich Kampfschiffe vor der unvermeidlichen geheimdienstlichen Erkennung, indem sie scrambleten. Was sich anhörte wie ein altteranisches Spiel mit Wörtern, bedeutete nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, die Emissionsbestimmung und die optische Bestimmung mit geheimdienstlichen und technischen Mitteln so lange wie möglich hinaus zu zögern. Lichtblitze im Stakkato, um optische Aufnahmen zu stören, die mit der modernen Technik über Milliarden Kilometer hinweg gestochen scharf möglich waren, Irresonanzen falscher Aggregate, um das Energieprofil zu verändern, falsche Aufbauten, der Möglichkeiten gab es viele.
Mittlerweile aber hatte ihre Abteilung über neunzig Prozent der Flotte Tarans identifiziert und den Schiffen ihren Platz in der Geschichte zugewiesen. Bezeichnend, dass die Daten vor allem von der Kampfgruppe der COLUMBIA stammten, die das eine oder andere Schiff bei Schlachten oder "von hinten" gesehen hatte, wenn es vor der terranischen Macht geflohen war. Man konnte das Gros vollkommen problemlos dem Draned-Sektor zurechnen, was die Frage aufwarf, wie sich die Akarii im isolierten Teil des Imperiums zu verteidigen gedachten, wenn so viele Kampfschiffe nicht "zuhause" waren und eventuell auch nicht zurückkehren würden. Mahou hatte dies bereits weiter gemeldet, auch persönlich an Commander Long, aber soweit sie wusste, waren diese Daten für die Schlacht als taktisch unwichtig eingestuft worden. Stattdessen hatte man Terra informiert, wo Admiral Frost hoffentlich die Möglichkeiten einer neuerlichen Offensive des Sektors ausloten würde. Erscheine stark, wenn du schwach bist, erscheine schwach, wenn du stark bist, nach Sun-Tsu, dem großen chinesischen Autor, Staatsmann und Feldherrn. Was versuchten die Akarii hier? Stärker zu wirken als sie waren, oder einen hilflosen, unverteidigten Draned-Sektor vorzutäuschen, um die Flotte in eine Falle zu locken? Nun, es war nicht an ihr, Schlüsse zu ziehen. Sie war dazu da, die Daten zu sammeln. Und auf dem Gebiet war sie wirklich gut.
Was wieder zu ihrer neuesten Entdeckung führte. "Mr. Long."
Der Eins O der COLUMBIA sah auf. "Was gibt es, Mahou?"
"Sir, es gibt hier Unregelmäßigkeiten."
"Welcher Art?", fragte der Offizier und trat näher.
"Die Zahl der Jäger, Sir. Wenn ich die Kapazitäten berechne, die sie mit ihren Trägerschiffen und en Trägerkreuzern der Golf-Klasse haben dürften, wenn ich hinzu füge, was sie noch alles hinein quetschen können, dann komme ich zu einem merkwürdigen Schluss." Sie sah ihren Vorgesetzten direkt an. "Sir, da draußen schwirren mindestens sechs Staffeln Akarii zu wenig herum."
Diese Information wirkte wie eine kalte Dusche auf den Commander. "Was?"
"Ich habe die Kapazitäten der Uniform und der Golf extrapoliert, so gut ich konnte. Aber das, was sie uns an Jägern, Jagdbombern und Bombern gezeigt haben, reicht im Leben nicht an die Kapazität der Träger und der Golf heran." Sie holte mehrere Fotos auf ihren Bildschirm. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie halten ihren Führungsträger komplett zurück."
"Das sind keine gute Neuigkeiten, vor allem nicht für Commander Burr.", erwiderte Long, der noch immer nicht so recht wusste, was er davon zu halten hatte.
"Das ist noch nicht alles. Dieser Träger hier, von uns als Uniform Zeta katalogisiert, hat in Sterntor seinen ersten Auftritt. Die gesamte Kommunikation geht von ihm aus, und er wird mit besonderer Sorgfalt gegen elektronische Erkennung abgeschirmt. Sie kennen das übliche Verfahren. Wenn man selbst noch was erkennen will, kann man die ECM nicht aufs Maximum rauf fahren. Die Uniform Zeta hingegen ist die ganze Zeit kaum zu sehen, weder ortungstechnisch, noch optisch."
"Eventuell kriegen sie ihre Ortungsdaten von den Begleitschiffen und schützen ihr Flaggschiff im besonderen Maße.", mutmaßte Long.
"Das ist auch noch nicht alles. Sir, ich habe jetzt Aufnahmen vor und nach dem letzten Kampf gewälzt und miteinander verglichen. Und ich wage mit Fug und Recht behaupten zu können, dass von Uniform Zeta so gut wie keine Maschine gestartet ist. Sir, wir haben hier einen Träger, der noch nicht einmal in die Kämpfe eingegriffen hat. Sie wissen sicherlich, was das bedeuten kann."
"Dass sie uns im ungünstigsten Moment von ihrem Flaggschiff aus vierzehn weitere Staffeln aller Klassen um die Ohren hauen können.", raunte Long ärgerlich.
"Oder, dass es sich um ein Dummy handelt, das gebe ich zu bedenken."
Long lachte auf. "Nein, so viel Chuzpe hat nicht einmal diese freche Echse Taran. Er muss doch damit rechnen, dass wir das erkennen und ihm Saures geben. Ich denke eher, er will uns dazu verleiten, zu denken, wir haben einen Dummy vor uns, und dann haut uns der Bastard die volle Fliegerkapazität dieses Monsters um die Ohren."
"Erst recht keine gute Entwicklung für Commander Burr, Sir.", sagte Ichigo
"Das macht den Zeta zu einem Primärziel,", sagte Long. "Danke für Ihre Arbeit, Mahou. Ich spreche ein Lob an die Ortungsabteilung aus. Schicken Sie mir sämtliche Daten zur Zeta auf meine Arbeitsstation. Ich werde mit Captain Ahn und dem Admiral darüber sprechen."
"Danke, Sir. Schon erledigt. Und, wie werden wir voraussichtlich weiter vorgehen?"
"Das Ding versenken, so schnell wir können.", erwiderte der Eins O der Columbia.
Long nickte ihr anerkennend zu, dann ging er an seinen eigenen Platz zurück. "Ma'am, Commander Ichigo hat da was Interessantes entdeckt, was ich Ihnen nicht vorenthalten will.", sagte er zum Skipper.
"Wie interessant, Mr. Long?"
"Sehr interessant, Ma'am."
Und so begann es.
Cattaneo
Cattaneo
Hand in Hand zur Hölle
Der Planet Masters hatte immer ein wenig im Schatten seines Bruders Seafort gestanden, möglicherweise zu Unrecht. Er war praktisch zeitgleich mit diesem besiedelt worden, und wie beim Nachbarplaneten war der große Bevölkerungszustrom und sein Aufstieg in den ersten Jahren auch seiner Funktion als Zufluchtsort für jene zu verdanken gewesen, denen die überbevölkerte Erde wenig Platz zu bieten schien. So war Seafort zu einem Hafen für Einwanderer vom afrikanischen Kontinent geworden, freiwilliges Exil aus an sich selbst erstickenden Metropolen wie Lagos und Kapstadt. Masters’ Geschichte war ein wenig anders verlaufen, war es doch von einem Konsortium besiedelt worden, das Geldgeber aus der gesamten arabischen Welt – aus dem Maghreb, der Levante und dem eigentlichen Mittleren Osten – sowie aus dem Iran und der Türkei vereinte. Seafort hatte sich zu einem modernen Zentrum der Schwerindustrie entwickelt, in dem zugleich die Sprachen, Kulturen und Religionen hunderter Stämme, dutzender Länder und Regionen nebeneinander existierten und im Laufe der Jahre miteinander verschmolzen. Wegen seiner Industrie war es mehr als sein Schwesterplanet zu einem interstellaren Anlaufpunkt für Frachtschiffe geworden, die Werften hatten sich einen beachtlichen Ruf erarbeitet.
Masters, das weniger Bodenschätze, dafür aber ein gesegnetes Klima und reichen Ackerboden aufzuweisen hatte, war hingegen zu einem agrarischen Zentrum geworden, und zu dem neben der Erde wichtigsten Ort der islamischen Religion und Kultur der ganzen Bundesrepublik, mit Einflüssen bis in die Konföderation. Sein kulturelles Erbe schloss nicht nur die gut 2.000 Jahre islamischer Zeitrechnung in weit mehr als einem Dutzend Länder ein, sondern auch das Vermächtnis früherer Epochen, und die Überzeugungen einer für den Außenstehenden kaum überschaubaren Zahl an Glaubensrichtungen. Masters hatte sie alle aufgenommen – Sunniten verschiedenster Prägung, Siebener- und Zwölfer-Schiiten einschließlich der einst abergläubisch gefürchteten Ismaeliten, vor deren Assassinen selbst die Mächtigsten gezittert hatten, Alawiten und andere, und neben ihnen Drusen, Kopten und orthodoxe Christen. Sie alle hatten sich diese Welt zu Eigen gemacht, sie zur Blüte geführt, und sie hatten diese Pracht in wundervollen, weitläufigen Städten und – obwohl natürlich auch auf dieser Welt nicht alle Menschen an irgendeinen Gott glaubten – schier überirdisch schönen oder auch andächtig schlichten Gotteshäusern verewigt. Dieser Pracht verdankte Masters seine Beinamen, als Blüte der Gelehrsamkeit und der architektonischen Schönheit. Eine Blume, die jetzt ihrem ersten wahren, und vielleicht tödlichen Winter entgegensah.
In seinem Arbeitszimmer fünf Stockwerke über dem Erdboden saß Thabit al-Nahari vorübergebeugt an seinem Schreibtisch, obwohl er im Moment nichts zu tun schien. Seine Augen tränten, und das linke Lid zuckte unablässig, ein ärgerlicher Tick, der ihn schon immer gestört hatte. Er blickte auf seine Hände, auf die dunkle, altersfleckige Haut, unter der die dünnen Sehnen hervortraten, und es überraschte ihn nicht, dass diese Hände zitterten wie im Fieber oder in großer Kälte. Gebe Gott, dass es so eine einfache Erklärung gegeben hätte für die Schwäche, die er fühlte…!
Für einen Augeblick klammerte er sich an die Ablenkung, die ihm die Geräusche von draußen boten, obwohl auch sie ihn unablässig an das erinnerten, was auf ihn wartete.
Die akustische Kulisse passte so gar nicht zu dem Ort geistvoller Gelehrsamkeit, an dem er weilte. Harte, grimmige Stimmen erklangen vor seinem Fenster, bellten Meldungen und Befehle, Stiefel knallten auf dem Pflaster, Metall schepperte, hin und wieder bremste ein Fahrzeug quietschend ab oder beschleunigte mit röhrendem Motor. Wie ein dumpfes Hintergrundmurmeln brummte ein schwereres Fahrzeug – mehr als eines – irgendwo weiter weg, doch auch das konnte das unablässige Schaben und Klirren nicht übertönen, das von überallher zugleich zu kommen schien.
Thabit wusste, woher die Geräusche kamen. Die da draußen rannten und mit ihren Waffen hantierten, das waren keineswegs nur reguläre Soldaten. Masters hatte – wie Seafort – nur vergleichsweise wenig stehende Truppen, und daran konnte man auch dann nur wenig ändern, wenn man selbst den letztes Reservisten, Rekruten oder entlassenen Veteranen der Nationalgarde zu den Waffen rief, wie es gerade geschah. Nein, augenblicklich wurden selbst Polizisten und zivile Wachschutzmänner in die planetare Verteidigung und den Katastrophenschutz eingereiht. Selbst Zivilisten wurden als Räumarbeiter und Feuerwehrhelfer rekrutiert, um nötigenfalls mitzuhelfen. Wer auch nur notdürftig ein Shuttle oder einen Jäger zu fliegen verstand oder an Bord eines Schiffes Dienst tun konnte – Zivilpersonal, repatriierte und halb ausgeheilte Kriegsverwundete, Frischlinge in der Ausbildung, Urlauber und Rentner – wurde zu den Fahnen gerufen und eingereiht. Panzerfahrzeuge gingen in Stellung, wurden vor Luftsicht getarnt. Attrappen und Scheinziele wurden platziert, sollte der Gegner landen oder seine Kampfflieger im Tiefflug zum Einsatz bringen. In den Städten und Vororten wurde gegraben, verbissen, unermüdlich – wahrscheinlich aber sinnlos. Löcher wurden ausgehoben und kurze Gräben, primitive Deckungen, gedacht für einzelne Personen oder kleinere Gruppen, abgedeckt mit Planen, mit Strauchwerk als Sichtschutz. Keine ausgedehnten Schützengräben wie in längst vergangenen Kriegen – was sollten die auch gegen einen Gegner nutzen, der vermutlich den Himmel beherrschen würde? – nein, letzte Fluchtmöglichkeiten für Zivilisten, wenn SIE erst einmal kamen. Es war zwar sehr unwahrscheinlich, dass der Gegner landen würde, so nah wie die TSN-Kriegsschiffe waren, aber konnte man sich dessen wirklich sicher sein? Es gab in diesem Krieg keine Gewissheiten mehr, als eben die, dass es keine Sicherheit gab.
Und auch wenn der Feind nicht landete – seine Kriegsschiffe und Bomber konnten mit Leichtigkeit in ein paar Minuten die Städte von Masters in Feuerhöllen verwandeln, ohne auch nur in die Atmosphäre einzutreten. Auch in dieser Hinsicht hatte die Barbarei von Admiral Ilis auf Hannover letzte Zweifel beseitigt, der Gegner könnte vor solchen Gräueltaten zurückschrecken.
Der Mann an dem breiten Schreibtisch war eigentlich niemand, der unbequemen Fragen ausgewichen war, Herausforderungen gescheut hatte. Auch über sich selbst hatte er sich niemals etwas vorgemacht. Er war höchstens mittelgroß zu nennen und von schmächtiger Statur, hatte ein unauffälliges Gesicht, Augen, die irgendwie immer müde oder nachdenklich blickten, und er war nie von besonders eindrucksvoller Statur gewesen, nicht einmal in seiner Jugend. Im Alter hatte sich das nicht verbessert, und seinem schütteren Bart, inzwischen von schmutzigem Weiß, fehlte jede würdevolle Ausstrahlung. Er drückte einfach nur seine Jahre aus. Nein, vom Aussehen her war er wahrlich nicht gesegnet.
Dafür hatte er einen wachen, messerscharfen Verstand, und auch wenn seine Stimme nicht die eines Meisterredners war, so hatte er ein schon fast unglaubliches Gespür für die richtigen Worte. Mit seinen Gaben hätte er in der Forschung oder in der Wirtschaft, vielleicht sogar in der Politik gewiss Ruhm und Reichtum erwerben können, doch er hatte sich anders entschieden. Inzwischen in seinem achten Lebensjahrzehnt, war er nach langen Jahren des Studiums, der Debatten und der Lehre eine der gefragtesten Koryphäen unter den sunnitischen Schriftgelehrten von Masters, die mit Recht in der ganzen Republik (und darüber hinaus) geachtet wurden – zumindest von den Muslimen. Er hatte zu denen gehört, die den Gläubigen halfen, das Wort Gottes zu verstehen, hatte ihnen Anleitung und Ratschlag gegeben in einem Universum, in dem es so viel mehr gab, als Menschen vergangener Jahrhunderte sich jemals hätten träumen lassen. Auch wenn er sich vor Hochmut hütete – nicht nur eine Geißel der Jugend, sondern nur zu oft eine schädliche Angewohnheit der mittleren Jahre wie auch ein Lasters des Alters – so war er fest davon überzeugt, nach Gottes Willen vielen Menschen geholfen zu haben, und er hatte stets gehofft, auch vor den Augen seines wahren Herren Gnade zu finden. Er fragte sich, ob er nicht gerade dabei war, sein Lebenswerk unwiederbringlich zu zerstören, sein Andenken für immer zu beflecken und seine Seele zu ewiger Verdammnis zu verurteilen.
Er war ein gläubiger Mann, und deshalb war er von der Existenz des Bösen überzeugt. Das Böse, dessen war er sich sicher, existierte nicht in der Form wie die Wahnvorstellungen mancher Menschen und Aliens es sich ausmalten, als eine eigenständige Entität oder eine ganze Gruppe von Wesenheiten, als Gegenspieler und fast ebenbürtiger Widerpart Gottes. Es lauerte nicht irgendwo da draußen auf fernen Planeten, oder in einer fremden Dimension und beobachtete die Menschen und andere Wesen mit uralten, grausamen Augen. Nein, das Böse war eine vollständige Verdammnis der Seele, die Abwesenheit und Negierung des Guten und Wahrhaftigen, eher ein Zustand als eine wirkliche Macht. Es hatte kein Gesicht und keinen Namen, keine Nation und kein Geschlecht, und doch war es da, und ein Stück weit schlummerte es in jedem Menschen, ja in jedem vernunftbegabten Wesen – wie das Gute.
Aber er war auch ein erfahrener Mann, und deshalb war er ebenso davon überzeugt, dass sich nur wenige Menschen – oder Aliens – wissentlich und absichtlich für das Böse entschieden, etwa weil sie von ihren Anlagen, ihrer Seele her verdammt waren. Nein, der Weg zum Bösen war sicher eher etwas wie eine Treppe, deren Stufen aus Kompromissen, aus kleinen Grenzüberschreitungen bestanden, die vielleicht jede für sich logisch, fast zwingend erschienen, aber kaum merklich hinabführten, bis von dem Guten in einem nichts mehr übrig geblieben war. Und er fragte sich, wie weit er selber möglicherweise auf dieser Treppe schon hinab gestiegen war.
Aber das waren philosophische Betrachtungen, die ihm nicht weiterhalfen. Sicher, er war noch immer Herr seiner Taten und Gedanken, niemand ZWANG ihn in einer bestimmten Art und Weise zu handeln. Und doch, wohin er auch blickte, er sah keinen Ausweg, der in seinen Augen nicht schrecklich erschien. Vielleicht gab es ja überhaupt keine Lösung für das Dilemma, in dem er sich befand.
Ein Stück weit fragte er sich, ob er nicht unbewusst bereits mit dieser Prüfung gerechnet hatte, ob der erste Schritt auf dem dornigen Pfad, den er keine Woche zuvor gemacht hatte, nicht logischerweise zu dieser Stunde hatte führen müssen. Jedenfalls hatte er schon ein drückendes Gefühl des Unheils gespürt, das über die Angst vor dem näher rückenden Feinden hinausging, als er erkannte, WER ihn vor gerade einmal zwei Stunden sprechen wollte. Offenbar war eine Art Konferenzschaltung eingerichtet worden, die ihn und ein gutes Dutzend anderer mit dem Büro der Ministerpräsidentin verband. Spätestens als al-Nahari erkannte, wen die mächtigste Frau des Planeten gerade jetzt sprechen wollte, hatte er geahnt, was kommen würde. Er kannte die meisten anderen persönlich, und vor allem hatte er wenige Tage zuvor aus einem ganz bestimmten Grund mit ihnen debattiert…
Hanifa Jergians Gesicht hatte so beherrscht und ruhig wie immer gewirkt. Die Ministerpräsidentin von Masters schien nichts wirklich aus der Fassung bringen zu können, nicht einmal eine Invasion ihrer Welt – oder falls doch, hatte sie sich eisern im Griff. Mit ihrer ruhigen, sorgfältig formulierenden Stimme hatte sie ihn gegrüßt. Sie hatte gefasst die militärische Situation zusammengefasst. Manche mochten meinen, das wäre Aufgabe der Militärs gewesen, doch als Regierungschefin des Planeten übernahm sie offenbar in der Stunde der Not die volle Verantwortung. Hanifa hatte nichts beschönigt. Die Drohung des feindlichen Befehlshabers war mehr als eindeutig, die eigenen Kräfte gering und die TSN zu weit weg, um Masters zu helfen. Es kam darauf an, den Gegner so lange wie möglich vom Planeten fernzuhalten, ihn so schwer wie möglich zu treffen, um das Ausmaß der angerichteten Verwüstung so gering wie möglich zu halten. Gelang es, den Feind ausreichend zu schwächen, dann bestand die geringe Hoffnung, dass er angesichts der nahenden terranischen Kampfgruppe abdrehte, um nicht noch einmal kämpfen zu müssen, oder dass er in der kommenden Schlacht vernichtend geschlagen würde. Die Möglichkeit einer Aufgabe, einer Kapitulation erwähnte die Ministerpräsidentin nicht einmal. Dazu dauerte dieser Krieg schon zu lang, traute man den Akarii zu wenig. Wer gab schon etwas auf das Wort eines Feindes, der den Krieg mit einem heimtückischen und unprovozierten Überraschungsschlag eröffnet hatte?
Nein, es hatte nie zur Debatte gestanden, aufzugeben. Es hieß stand zu halten – mit ALLEN Mitteln. Tausende würden sterben, selbst wenn es gelang so viele potentielle Ziele am Boden wie möglich zu evakuieren. Sehr gut möglich, dass die zu erwartende Raumschlacht und vor allem ein feindliches Bombardement sogar zehntausende Tote forderte, oder mehr, Soldaten wie Zivilisten. Über die Schrecken einer Totalbombardierung brauchte sie nicht erst zu sprechen, die würde Millionen Tote kosten.
An diesem Punkt hatte die Ministerpräsidentin eine Pause gemacht. Wahrscheinlich nicht nur, um ihren Worten Gewicht zu verleihen, sondern weil es ihr selber schwer fiel, was sie zu sagen hatte.
Doch dann hatte sie sich gefasst: „Angesichts dieser Lage muss ich Sie bitten, Sie alle, mir ein weiteres Mal mit ihrem Rat, und wenn möglich auch mit ihrer Unterstützung zur Seite zu stehen, wie Sie es zuvor getan haben. Ich brauche Ihr Urteil…ob es in dieser Lage nicht für einen Soldaten zu rechtfertigen ist, sein eigenes Leben – aus freien Stücken – bewusst und gezielt zu opfern, um so viele Feinde wie möglich zu töten.“ Hanifa Jergian war keine Frau, die im Notfall um den heißen Brei herumredete, deshalb fügte sie hinzu: „Ich muss wissen, ob Sie es moralisch und religiös akzeptieren und gutheißen können, wenn wir Selbstmordkommandos losschicken.“ Sie betonte das Wort ,Selbstmord’, da dieser sowohl im christlichen wie islamischen Glauben eigentlich strikt untersagt war. Und als ob ihr Anliegen nicht Schock genug gewesen war, hatte sie gelassen hinzugefügt: „Der Aufruf wird gerade weitergeleitet.“
Sie hatte erkannt, wie ihre Worte eingeschlagen hatten, hatte die Hand in gebieterischer Geste gehoben und damit Menschen zum Schweigen gebracht, deren Urteil für Millionen, wenn nicht Milliarden bindend war, Menschen, die doppelt so alt und einiges gebildeter waren als sie: „Ich kann hier und jetzt keine moralisch-philosophisch-historische Debatte führen. Und ich werde mich in dieser Stunde auch nicht rechtfertigen. Die Zeit läuft uns davon, sie läuft unserem ganzen Planeten davon. Das Urteil über mich, über uns alle müssen andere fällen, die in besseren Zeiten leben, und wir können nur hoffen, dass sie die nötige Weisheit dazu haben. Und die Möglichkeit, das Urteil in Frieden und in Freiheit zu fällen. Wir stehen vor der tödlichsten Bedrohung, die unserer Welt je gedroht hat, der tödlichsten Bedrohung, die einem terranischen Bevölkerungszentrum wie Masters in diesem Krieg ÜBERHAUPT bisher gedroht hat. Sie kennen den Feind. Ich kann Sie nicht zwingen, mir zuzustimmen und meinen Appell zu befürworten. Ich werde Ihnen auch keinen Knebel aufzwingen, wenn Sie es den Gläubigen verbieten wollen, sich für die Freiwilligenkommandos zu melden. Nicht, wenn es um eine solche Frage geht. Aber ich bitte Sie zu bedenken, was auf dem Spiel steht, wofür – und wogegen – wir kämpfen. Wir wissen, wozu die Akarii fähig sind. Wir haben es in diesem Krieg erlebt, und mehr noch in den Kriegen, die sie gegen andere geführt haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass es fatal wäre, nicht JEDE uns zur Verfügung stehende Möglichkeit auszuschöpfen. Sie haben zwei Stunden Bedenkzeit.“
Dann hatte sie die Verbindung unterbrochen und die Männer mit dem schrecklichen Dilemma alleingelassen. Die Freiheit und Last der Entscheidung lag nun bei ihnen. Thabit al-Nahari hatte weit mehr als eine Stunde gebraucht, um zu einem Urteil zu kommen. Dies war kein Entschluss, den man leichthin fällte. Er hatte die gesetzte Frist fast ganz verstreichen lassen, doch er wusste, auch wenn er Tage und Wochen gehabt hätte, das Urteil wäre ihm nicht leichter gefallen. Alles in ihm sträubte sich gegen das, worum er gebeten, was von ihm erwartet wurde – zumindest das, was die Ministerpräsidentin von ihm erwartete. Was aber erwartete sein Gott von ihm? Was verdienten seine Glaubensbrüder?
Mühsam zwang er seine Hände zur Ruhe. Langsam, widerwillig, griff er zu der Feder, die vor ihm auf den Tisch lag. Sein Handeln erschien grotesk, anachronistisch, wenn das als Bezeichnung überhaupt ausreichte. Aber er brachte es nicht übers Herz, die Worte die er jetzt schreiben würde, wie sonst immer zu diktieren oder in einen seelenlosen Computer einzugeben. Wenn es getan werden musste, würde er es selber tun.
Thabit al-Nahari begann zu schreiben, und während die Tinte übers Papier kratzte, musste er den Kopf abwenden, damit seine Tränen nicht das Geschriebene besudelten.
Luftwaffenstützpunkt Al-Hattin, Masters
Die Männer und Frauen der Nationalgarde und des Marinecorps arbeiteten routiniert, jeder Handgriff schien zu sitzen, als hätten sie ihn schon tausendfach ausgeführt. Das an sich war schon ungewöhnlich, denn normalerweise arbeiteten Angehörige verschiedener Waffengattungen nicht so eng zusammen. Doch hier war dies der Fall, und es gab nicht einmal das übliche Geflachse zwischen rivalisierenden Waffenbrüdern, nur schweigende Präzision. Mehr als ein Gesicht war ungewöhnlich bleich, die Blicke gehetzt, und doch minderte das nicht die Sorgfalt, mit der sie ihre Arbeit verrichteten. Die betagten Jagdbomber der Mirage-Klasse, die an der Startbahn aufgereiht waren, wurden aufgetankt, aufmerksam wurden sie ein vorletztes und ein letztes Mal durchgecheckt, die Waffen überprüft, bis alles perfekt funktionierte. Dann wurde die Kampflast aufs Flugfeld gerollt – und diese war eine vollkommen andere, als je ein terranischer Jabo sie in den Kampf getragen hatte. Wo normalerweise die atomaren Maverick-Marschflugkörper Platz gefunden hätten, vielleicht auch HARM-Anti-Radarraketen, leichte Anti-Jägerraketen oder konventionelle Bomben, wurden diesmal klobige Gefechtsköpfe befestigt, viel zu groß für eine Maschine dieser Klasse. Es handelte sich um die Atomsprengköpfe von gewaltigen schiffs- und bodengestützten Exocet-MK-II-Raketen, die man von den Antriebssektionen und dem Steuerungs- und Zielsuchequipment befreit hatte, das sie üblicherweise trugen. Übrig waren nur die reinen Bomben mit ihren Zündern geblieben, jede etwa so schlagkräftig wie vier Maverick-Marschflugkörper zusammen, und jede Mirage würde zwei dieser Megatonnen-Bomben schleppen. War schon vorher mit größter Sorgfalt gehandelt worden, hantierten die Techniker jetzt noch behutsamer. Und dies lag nicht nur daran, dass hier genug Sprengkraft versammelt war, um ein paar zehntausend Quadratkilometer blühende Wälder und Wiesen in verbrannte Wüste zu verwandeln.
Schließlich war auch diese Arbeit getan. Die Techniker, obwohl sie seit Stunden im Einsatz gewesen waren, legten nicht etwa eine Pause ein. Sie traten zurück und bildeten einen schweigenden Ring um die Maschinen. Einige Männer und Frauen traten vor. Ebenso sorgfältig, wie sie eben noch die Maschinen und ihre Kampflast gewartet hatten, malten sie Schriftzüge auf die Bomben, teils in arabischen, teils in kyrillischen Buchstaben. All dies vollzog sich in einem drückenden Schweigen. Dann traten die Nationalgardisten und Marineinfanteristen in einer langen Reihe an, anders als sonst wild gemischt, nicht nach Waffengattungen getrennt, immer noch wortlos, und ohne sich von der Sonne beeindrucken zu lassen, die erbarmungslos auf den Beton herab brannte und die Luft flimmern ließ.
Zunächst rollte ein kleiner Konvoi von Militärfahrzeugen auf das Flugfeld. Die Flanken der Fahrzeuge waren von Staub und getrocknetem Schlamm besudelt, abgerissene Pflanzenteile kündeten, dass die Maschinen sich ihren Weg über Stock, Stein, durch Wasserläufe und Unterholz gebahnt haben mussten, mit hoher Geschwindigkeit und abseits aller Straßen. Zwei Paladin-Raketenpanzer flankierten eine auseinander gezogene Kolonne aus zwei Mercury-Scouts und sechs Sharp-Schützenpanzerwagen. Drei der Sharps waren Stabsfahrzeuge, eines ein Sanitätspanzer, die anderen Mannschaftstransporter. Die Panzerfahrzeuge stoppten, und mehrere Personen stiegen aus, marschierten zielstrebig auf die Formation der Techniker zu. Es brauchte kein Befehl zum Salutieren gegeben werden – die Soldaten erkannten ihre Regierungschefin und den stellvertretenden Stabschef, wenn sie diese vor sich hatten. Masters hatte die Lehren aus dem Debakel von Hannover gezogen. Auch wenn es einen zentralen, tief verbunkerten Befehlsstand gab, die Regierungschefin und zumindest ein ranghoher Militär würden NICHT da sein, wo die Akarii sie vermuteten, und sie hatten auch keine Bedeckung bei sich, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde – nur zwei Artillerie/ Luftabwehrraketenwerfer und zwei Trupps Marineinfanterie. Sie würden mobil bleiben und dank der Kommunikationssysteme ihrer Fahrzeuge selbst bei einer feindlichen Landung in der Lage sein, nötigenfalls an Stelle des zentralen Kommandobunkers den weiteren Widerstand zu koordinieren. Das half natürlich nichts, falls die Akarii ein wirklich flächendeckendes Bombardement begannen. Aber in dem Fall war Masters ohnehin verloren.
Und obwohl wenige der angetretenen Soldaten so „hohe Tiere“ bisher aus der Nähe gesehen hatten, sie waren es nicht, auf die man wartete, und denen heute die besondere Ehrerbietung gelten sollte.
Die zwei Shuttles näherten sich im Tiefflug, offenbar von Meistern ihres Fachs gesteuert. Auf den ersten Blick war nichts Außergewöhnliches an ihnen, sie waren nicht einmal bewaffnet, trugen keine besonderen Kennzeichen. Und doch strafften sich die Männer und Frauen am Boden, als die Maschinen landeten – und das galt auch für Hanifa Jergian.
Die Insassen des einen Shuttles boten beim Aussteigen einen wahrhaft wenig martialischen Anblick, der manche Betrachter – auch und gerade die Akarii – eher befremdet als beeindruckt hätte. Alle waren sie in den mittleren Jahren oder noch älter, und als Gruppe betrachtet boten sie die wohl bunteste Mischung, die man sich vorstellen konnte. Selbst in der multireligiösen und multikulturellen Bundesrepublik sah man selten einen schiitischen Ayatollah Seite an Seite mit einem koptischen Bischof und einem orthodoxen Metropoliten, neben denen wiederum ein sunnitischer Rechtsgelehrter schritt. Die Ministerpräsidentin verneigte sich vor den Männern, zollte auch jenen Respekt, die einem anderen Glauben als dem ihren anhingen – als persischstämmige Frau war sie Zwölfer-Schiitin.
Doch es waren die Insassen des zweiten Shuttles, denen in Wahrheit der ganze Aufwand galt. Sie waren zu acht, alle in Raumanzügen ohne Rang- oder Einheitsabzeichen. Für ihren letzten Flug trugen sie nicht die Anzüge ihrer jeweiligen Einheiten – die sich in Typ und Farbgebung unterschieden – sondern hatten das beste Material erhalten, das auf dem Planeten zu finden gewesen war. So war nicht einmal erkenntlich, ob sie zum Marinecorps, zur Nationalgarde, zur Flotte oder zur Armee gehörten. Sie waren Masters letztes, verzweifeltes Mittel zur Abwehr eines übermächtigen Feindes, die letzte Waffe der hoffnungslos Unterlegenen. Kamikaze, Selbstmordkommandos, Märtyrer – es gab viele Bezeichnung für Männer und Frauen wie sie, und es hatte sie in der menschlichen Geschichte immer wieder gegeben, Menschen, die ihr Leben für eine Ideologie, ein Land oder einen Glauben oder einfach für andere Menschen wegwarfen, nicht spontan aus einer noblen – oder dummen – Augenblicksregung, sondern überlegt und gezielt, in dem Bestreben, möglichst großen Schaden beim Gegner anzurichten, materiell wie psychologisch. Zuletzt hatten Männer und Frauen wie sie in den erbarmungslosen Kämpfen auf Pandora von sich reden gemacht. Und heute würden die Streitkräfte der Bundesrepublik Terra ein weiteres Kapitel in diesem langen, blutigen Buch schreiben.
Als Ministerpräsidentin Jergian den Aufruf an all jene hinausgehen ließ, die sie als geeignet erachtete – und das war jeder, der eine Mirage zielgenau fliegen konnte, ob Soldat oder Zivilist, jung oder alt – war sie unsicher gewesen, ob sich überhaupt jemand melden würde. Zu fliegen, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr gering war, war eine Sache – Menschen neigten dazu, sich etwas vorzumachen, sie würden es dennoch irgendwie schaffen. Zu starten, sich auf den Weg zu machen, in der absoluten GEWISSHEIT, zum Tod verurteilt zu sein, diesen selber herbeizuführen, war etwas ganz anderes.
Die Regierungschefin hatte nicht realisiert, dass die Saat für ihren Aufruf schon lange zuvor gepflanzt worden war. Hass und Angst auf den dämonisierten Feind waren in den letzten Jahren durch die menschliche Propaganda wahrlich ausreichend geschürt worden, und die wachsenden Opferlisten hatten diese Gefühle noch verstärkt. Schon immer hatten Furcht und ein Feind, der zu einer Inkarnation des Bösen erklärt wurde, zu wesentlichen Grundsteinen so vieler Verzweiflungstaten gehört. Doch es war mehr als das. Die Propaganda hatte auch stets die scheinbar logische Schlussfolgerung aus dem Krieg gegen einen solchen Gegner vermittelt. Jene, die sich aus freien Stücken geopfert hatten, waren seit Jahren immer und immer wieder als leuchtendes Vorbild präsentiert worden, Selbstaufopferung zum Markenzeichen der wahrhaft unsterblichen Helden geworden – was wohl daran lag, dass die TSN in diesem Krieg so viele tragische Helden aufzubieten hatte. Unvergessen – auf jeden Fall nicht unbesungen – waren Männer wie Gene Usher, Geschwaderchef der Screaming Eagles, der seine Mirage in den ersten Stunden des Krieges in einen feindlichen Trägern gerammt hatte, ohne daran zu denken, wie sehr ihn seine Frau dafür verfluchen würde. Das gleiche galt für Captain Orloff, der den wracken TSN-Zerstörer Suffolk in einen feindlichen Kreuzer gesteuert hatte. Unvergessen waren auch Frauen wie Maria Usher, die mit ihrem Schiff, der Majestic, bei Jollahran den Tod fand, ähnlich verbissen kämpfend wie ihr Mann Jahre zuvor. Für Masters hatte die Ausrufung des Heiligen Krieges ein weiteres getan, das, und die Komplizenschaft der religiösen Autoritäten, die einer wie der andere zu Verbündeten der Ministerpräsidentin geworden waren. Sie alle hatten ihre Aufruf gutgeheißen, aus Überzeugung, vielleicht auch aus Angst, in der Stunde der Not schwach zu erscheinen, wo andere entschlossen handelten.
All das hatte den Boden bereitet, in dieser Stunde zu einem solch verzweifelten Mittel zu greifen – und tatsächlich Gehör zu finden. Am Ende aber waren es wohl vielfach ganz individuelle Gründe gewesen, die die Freiwilligen zu ihrem einsamen Entschluss getrieben hatten. Der Glaube, die Heimat und Mitmenschen zu retten, eine Portion Pathos, die Überzeugung, sich auch vor den Augen Gottes – welches auch immer – als Beschützer der Gläubigen und Gotteshäuser zu bewähren. Vor allem aber war es die bittere Ernte des Bombardements von Hannover, die hier eingebracht wurde. Niemand hätte die Bilder von der geschändeten Hauptstadt der Konföderierten ignorieren können, Fanal der Brutalität der Akarii. Keine Propaganda war so gut, wie die Wahrheit.
Sie waren zu acht, fünf Muslime – vier Männer und eine Frau – und drei Christen, zwei davon Frauen. Und obwohl sie sich in Alter und Aussehen, Lebensweg, Glaube und Motivation voneinander unterschieden, wie sie jetzt Seite an Seite dastanden, hatten sie noch eines gemeinsam außer ihren Uniformen. Es waren ihre Mienen, der Ausdruck in ihren Augen – Gesichter von Menschen, die bereits mit dem Leben abgeschlossen hatten, die alle Angst entweder überwunden und hinter sich gelassen hatten, oder sie so tief in sich einschlossen, dass kein noch so verzweifelter Hilfeschrei des eigenen Überlebenswillens mehr die Fassade ihrer scheinbaren Gelassenheit durchbrechen konnte.
Die Ministerpräsidentin hielt sich aufrecht, als sie die Piloten musterte, sie grüßte wie eine Untergebene ihre Vorgesetzten. Sie ging die Reihe langsam ab, jeden einzelnen beim Namen nennend, dankte ihnen persönlich. Durch nichts ließ sie die Gefühle erkennen, die in ihr in diesen Momenten kochten. Sie fühlte tiefen, unversöhnlichen Hass auf jene TSN-Militärs, welche die Bürger und Politiker von Masters in der Stunde der Not im Stich gelassen hatten, auf Grund irgendwelcher fragwürdiger strategischen Erwägungen, obwohl doch ihr Eid sie dazu verpflichtete, sie zu verteidigen. Die Militärs, die es überhaupt erst so weit hatten kommen lassen, die Masters diesen Kampf ohne ausreichenden Beistand ausfechten ließen, das Unmögliche fordernd ohne zu erklären, wie man es vollbringen könnte. Vor allem aber fühlte sie Hass auf den Feind, der sie zu so einer Tat zwang. Und sie empfand Scham, Reue, Selbsthass über das, was sie selbst getan hatte und im Begriff zu tun war. Denn dies war ihr Werk gewesen, auch wenn sie sich anderer dafür bedient hatte. Sie war eine Architektin der „ökumenischen“ Erklärung gewesen, welche die Verteidigung Masters für jeden gläubigen Moslem gleich welcher Glaubensrichtung zur heiligen Verpflichtung, zum Dschihad erhoben hatte. Es hatte Widerstände dagegen gegeben, Einwände und Proteste. Religionsführer, die Gewalt guthießen, selbst zum Zweck der Verteidigung, hatten in der menschlichen Vergangenheit eine Menge Unheil zu verantworten gehabt, ganz gleich ob sie dem muslimischen, christlichen, hinduistischen oder anderen Glauben anhingen. Die Männer, mit denen sie sich unterhalten hatte, nahmen ihre Verpflichtung ernst, und sie fällten ihr Urteil nicht auf Grund simpler Gefälligkeiten. Letztlich aber hatte sich die Ansicht durchgesetzt, dass es notwendig sei, zu handeln. Und als sie erfuhr, was ihrer Welt drohte, da hatte sie auch noch das letzte Mittel ergriffen. Sie kannte die Geschichte der Menschheit – und die ihres eigenen Volkes – und wusste, welcher Methoden man in der Vergangenheit gegen übermächtige Aggressoren bedient hatte. Doch ironischerweise war es unter anderem der tote – und wenn es nach ihr ging, bis in alle Ewigkeit verfluchte – Kronprinz der Akarii gewesen, der sie überzeugt hatte, dieses eine Mittel tatsächlich anzuwenden. Prinz Jor hatte in Tukama gut zwei Dutzend seiner Soldaten sehenden Auges in den Tod geschickt – und anscheinend hatten sie einer wie der andere gehorcht. Sie verabscheute den Akarii, und fühlte fast so etwas wie Mitleid mit seinen Untergebenen, denen ein Jahrtausende alter Ehrenkodex selbst bei solchen Befehlen Gehorsam abnötigte. Aber Tukama hatte demonstriert, wie wirkungsvoll Selbstmordflieger seien konnten. Von diesem Gedanken war es nicht mehr weit gewesen bis zum fertigen Plan. Und das war nicht die einzige Überraschung, die sie für die Akarii vorbereiten ließ…
Normalerweise hätte sie wohl noch eine flammende Rede halten müssen, doch irgendetwas in ihr sträubte sich dagegen. Nein, diese Männer und Frauen sollten mit ihrem persönlichen Abschied dahingehen. Was sie waren, wie unendlich dankbar man ihnen sein musste – das wussten sie bereits. Und Hanifa Jergian wollte dieses Opfer nicht missbrauchen, um andere zu noch größerer Tapferkeit als ohnehin schon anzufeuern. Der Moment mochte kommen, da sie auch noch aus diesem Heldentum Kapital schlug – sie war Realistin – aber nicht hier, nicht jetzt. Es gab nichts mehr zu sagen, denn für Worte war es ohnehin zu spät. Jeder, der hier war, hatte seine Entscheidung getroffen, und er würde mit den Konsequenzen leben und sterben müssen.
Also nickte sie den Piloten ein letztes Mal zu, dann drehte sie sich um zu den angetretenen Soldaten: „Wir alle wissen, warum wir hier sind. Es gibt keine Worte, die angemessen ausdrücken können, was ich fühle, und ich weiß auch, dass es euch ähnlich geht. Alles Menschliche erscheint in solchen Momenten unbedeutend, unzulänglich. Deshalb bitte ich euch, lasst uns gemeinsam – und doch jeder für sich – beten, dass Gott, dass das Universum, in welcher Form wir auch immer daran glauben und auf seine Gnade vertrauen, uns gewogen ist, und unsere teure Heimat nicht untergehen lässt.“
Seite an Seite knieten die Männer und Frauen nieder, ungeachtet ihres Rangs, Alters, Stand oder Religion. Es beteten die Piloten, die Bodenmannschaften, die Geistlichen und die Marineinfanteristen. Die Muslime murmelten das Bekenntnis ihres Glaubens, es gäbe keinen Gott außer Gott, und Mohammed sei sein Prophet. Die orthodoxen Christen knieten vor ihrem Metropoliten, atmeten ein letztes Mal den Duft des Weihrauches ein, als er sie segnete und Gottes unendlicher Gnade anempfahl. Unter anderen Umständen hätte das gemeinsame Gebet von Menschen so unterschiedlicher Religionen geradezu idyllisch gewirkt. Doch die letzten Worte, gleich in welcher Sprache und an welchen Gott, blieben eine grimmige Erinnerung, was die Männer und Frauen zusammengeführt hatte, dass es Kampf und Tod war, die sie vereinten.
„Gott ist groß!“ – der Schlachtruf der Muslime – mischte sich mit der ebenso trotzigen Antwort der Christen: „Christus siegt!“ Und ungeachtet all dessen, was sie trennte, ungeachtet dessen, dass ihre Religionen oft genug konkurriert, sich sogar bekämpft hatten, heute, in diesem Krieg, kämpften sie Seite an Seite.
Dann war es vorüber. Ein letzter Gruß, winkende Arme, drohend gereckte Fäuste und Verwünschungen gegen den Feind, und die Jagdbomber hoben ab, bereit für den Flug ohne Wiederkehr. Die Ministerpräsidentin warf noch einmal einen langen Blick auf die Maschinen der Männer und Frauen, die sie sehenden Auges in den Tod geschickt hatte. Dann nickte sie einem ihrer Untergebenen zu, der den schon lang erwarteten Befehl weitergab. Es bedurfte nicht mehr als einiger Handgriffe, und die ID-Signaturen der Kamikaze waren gelöscht. Sie waren für das FFI noch als TSN-Maschinen zu erkennen, hatten aber jegliche Individualität verloren. Niemand würde jemals erfahren, wer von ihnen sein Ziel erreichte und wer vorher abgeschossen würde, wer welches feindliche Schiff getroffen hatte. Mit dem Moment ihres Starts, so würde die Ministerpräsidentin ihre Entscheidung später gegenüber der Öffentlichkeit und den Familien der Toten rechtfertigen, waren sie bereits zu Helden geworden, die unvergänglichen Andenkens würdig waren, ob sie nun im militärischen Sinne Erfolg hatten oder nicht.
Thabit al-Nahari hatte Mühe die Tränen zu unterdrücken, als er den Maschinen hinterher schaute. Er schämte sich nicht seiner Gefühle, wohl aber des Grundes für seine Trauer, und so brauchte er eine Weile, bis er die Gestalt neben sich überhaupt wahrnahm. Kostas Theodoru, der orthodoxe Metropolit von Masters, war von Gestalt und Auftreten sein vollkommenes Gegenteil. Fast zwei Meter groß, stämmig, mit langem Bart und einem Gesicht, das ebenso Autorität wie Klugheit ausdrückte, war er eine beeindruckende Erscheinung, bekannt auch für seinen beißenden Spott gegenüber Kontrahenten, die etwas weniger geistig beweglich und schlagfertig waren als er. Die beiden kannten sich seit Jahrzehnten, sie hatten oft genug zusammengearbeitet, diskutiert und philosophiert, sich aber ebenso oft auch gestritten, jeder von der Richtigkeit seines Glaubens überzeugt, jeder bereit, für seine Kirche und seine Glaubensbrüder in die Bresche zu springen.
Der Metropolit hatte eine Miene aufgesetzt, als wäre er imstande einen Mord zu begehen, doch richtete sich der Zorn offenbar eher gegen sich selbst als gegen seinen alten Bekannten und Erzrivalen. Die sonst so volltönende Stimme klang kratzig und unsicher, von Selbstzweifeln zerfressen, gewiss nicht das, was man von einem hohen Geistlichen in der Stunde der Bewährung erwartet hätte, sollte er doch eigentlich Sicherheit und Trost spenden.
„Hanifa…“ er nannte die Ministerpräsidentin etwas respektlos beim Vornamen: „hatte natürlich gute Gründe. Und ich weiß, dass sie es ehrlich meinte, als sie uns um Hilfe bat. Und doch, und doch, ich werde meine Zweifel nicht los. Ich frage mich, ob wir nicht gerade uns und – und das ist viel schlimmer – diese acht zu einer Ewigkeit in der Hölle verdammt haben.“
Ein säkularer Mensch hätte solche Sorgen natürlich abgetan, aber al-Nahari verstand nur zu gut die Sorgen des Christen. Er fragte sich dasselbe. Hatten sie das…nun, sicher nicht das Richtige getan, denn so etwas konnte einfach nicht richtig sein. Aber hatten sie das richtige Falsche getan? Ein paar Leben geopfert, und dafür sehr viel mehr gerettet? War es so einfach?
Doch er hatte keine Gewissheit, würde sie vielleicht nie haben – nicht für sich, nicht für andere. Glauben war zwar immer eine Sache von scheinbaren Gewissheiten, aber auf manche Fragen bekam man nie eine Antwort. Als ob Gott Gefallen daran fände, dass sich seine Gläubigen mit Zweifeln herumschlugen.
Er schüttelte nur erschöpft den Kopf: „Ich weiß es nicht. Wenn ich etwas gelernt habe in all den Jahren, dann dass ich, dass kein gewöhnlicher Mensch Gottes Wege jemals ganz verstehen wird.“ Er zögerte: „Aber wenn ich von Gott etwas zu verstehen meine, dann seine Barmherzigkeit. Er kann nicht wollen, das kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass Millionen seiner Gläubigen die Hölle auf Erden erleben, ohne ihnen zu erlauben alles in ihrer Macht stehende tun, um das zu verhindern. Ohne einigen wenigen zu erlauben, ALLES zu tun, um jene Millionen zu beschützen. Er hat die Macht zu erhöhen und zu vernichten – aber die Akarii sind nicht Gott, auch wenn sie sein Werkzeug sein mögen. Und wenn er der Gott ist, an den ich glaube, dann wird er, selbst wenn wir uns geirrt und ihn falsch verstanden haben, vielleicht uns alte Narren der Verdammnis überlassen. Aber nicht diese acht Männer und Frauen, die im Vertrauen auf unsere Weisheit und aus Liebe und Pflichtgefühl für uns alle in den Tod gegangen sind.“
Kostas starrte unverwandt zum Himmel, wo der auffrischende Wind die Kondensstreifen der Jäger zu verwischen begann. Er dachte wohl daran, wie jetzt auf so vielen anderen Flugplätzen auf Masters Kampfflieger starteten, deren Piloten zwar nicht gezielt in den Tod flogen, aber von denen viele, sehr viele ebenfalls nicht heimkehren würden. Er nickte nachdenklich: „Ja. Ja, das ist wohl wahr.“ Für einen Moment blitzte in seien Zügen und seiner Stimme der beißende Spott auf, für den er berüchtigt war: „Wieso sollten wir auch allein den Akarii die Hölle überlassen? Und ich würde im Himmel die Streitgespräche mit Ihnen ohnehin vermissen. Dann also…wenn es sein muss…Hand in Hand zur Hölle.“
Cattaneo
Cunningham
„Soldaten, Söhne Allahs, Söhne Masters, meine Brüder: Wir haben die Ehre und die Pflicht in diesem unseren großen Vaterländischen Krieg das größte Opfer zu bringen!“
Brigadegeneral Ahmed Obary
Masters National Air Guard
„Ist der Kurswechsel bestätigt?“
Commander Nissler nickte: „Definitiv, die Akarii steuern wieder auf Masters zu, Ma’am.“
Girad verzog den Mund und blickte zu der Monitorwand, an der die Bilder ihrer Einsatzgruppenführer gezeigt wurden. Am vertrautesten war ihr Chris Mithel, mit dem sie schon gedient hatte. Er hatte ihr zur Einleitung auch gleich gesagt, was er von ihrem Rückzug hielt. Sie teilte seine Meinung zwar nicht, jedoch betrachtete man die Kursänderung der Akarii gab ihm die Entwicklung dennoch Recht. Zurückblickend bei dem Chaos, welches in der Flotte ausgebrochen war, würde sie die Entscheidung jedoch wieder treffen.
Rear Admiral Collin McIntosch, ihr aktueller Stellvertreter, Kommandeur der Triumph Carrier Strike Groupe, wirkte verschlossen und ablehnend. Auch mit ihm hatte sie schon gedient. Ein guter Stratege, aber höchstens mittelprächtiger Taktiker.
Die Commodores Pak und Lehmann von den Einsatzgruppen Derflinger und Midway waren ihr gänzlich unbekannt. Ersterer wirkte recht entschlossen und angriffslustig, letztere verunsichert, fast schon geschockt.
Nachdem sich die 5. Flotte von den Akarii gelöst hatte, war Girads erste Amtshandlung gewesen, die Formation zu ändern.
Aufgrund des schweren Gerätes bildeten Columbia und Derflinger das Zentrum. Die Einsatzgruppe Triumph den rechten Flügel, Midway den linken. Lieber hätte sie jetzt allerdings Pak auf dem linken Flügel gehabt.
Mithel hatte mit einem Großteil der Kreuzer die Voraussicherung bekommen. Damit war die Flotte recht traditionell aufgestellt. Aber die Columbia war ein Flottenträger, ein Breitschwert, und es war an der Zeit sie als solches auch zu benutzen, wann man den Akarii das nächste Mal entgegentrat.
,Jetzt müssen wir den Echsen wohl leider hinterher laufen.‘
„Wir müssen so schnell wie möglich wenden und die Akarii-Flotte stellen.“, sprach Mithel, ehe sie ihre Einsatzgruppenkommandeure zur Diskussion aufforderte.
Innerlich grinste Girad, hätte sich doch der frisch gebackene Rearadmiral dafür unter de Kerr sicherlich einen Tadel eingefangen.
„Und was ist, wenn das die Intention des Feindes ist?“ wandte Liam Pak ein. Der Kommandeur der Derflinger Kampfgruppe stammte von den ersten amerikanischen Marskolonisten ab, welche in Amerika selbst von asiatischen Einwanderern abstammten, „Was, wenn die Akarii erst die Raumverteidigung von Masters ausschalten, sich dann uns zuwenden wollen?“
„Tatsache ist,“ entgegnete Mithel, „dass wir nun nicht mehr in der Lage sind uns mit den Verteidigern von Masters zu vereinigen. Aber sowohl die Marines als auch die Nationalgarde sollten soweit in der Lage sein, dass sich die Akarii-Piloten auspumpen und die dementsprechend körperlich dann ziemlich am Ende sein dürften. Commander Burr wird dazu sicherlich eine Expertise anzubieten haben.“
„Bei allem Respekt für Commander Burr,“, McIntosh beugte sich in Richtung Kamera vor, „aber Captain Crawford leitet unsere Jägeroperationen, dessen Expertise wäre da für mich relevanter. Aber worauf Commodore Pak wohl hinauswollte ist wohl, dass wir Masters aufgeben sollen, oder habe ich Sie falsch verstanden, Liam?“
Pak schüttelte den Kopf: „Ich schlage nichts dergleichen vor, möchte aber zu bedenken geben, dass wir unseren Feind dazu verhelfen könnten, dass er eine ähnliche Strategie erfolgreich anwenden könnte, wie einst Napoleon. Nämlich, dass wir ihm gestatten uns schwerpunktmäßig mit überlegenen Kräften anzugreifen. Weil die auf Masters stationierten Streitkräfte werden ihn nicht aufhalten können, und ob wir noch in der Lage sind diesen Admiral Taran zu schlagen, ist auch zweifelhaft. Seien wir ehrlich, die Verhältnisse haben sich nicht zu unseren Gunsten entwickelt.“
„Nun, auch die Akarii mussten bei ihren Jägern und Bombern Verluste hinnehmen, eventuell sogar empfindliche Verluste,“, McIntosh saugte an der Unterlippe, „was ist denn unsere Alternative als den Kampf zu suchen?“
„Wir könnten die Verteidigung von Seafort verstärken, ich glaube nicht, dass Admiral Taran sich trauen würde unsere Flotte im Orbit von Seafort zu stellen.“
„Und wenn die Echsen Masters bombardieren und sich dann zurückziehen, was dann, Commodore?“, Mithel zog die Stirn kraus.
„Dann würde das militärisch keinerlei Unterschied machen,“, antwortete Pak ruhig, „sämtliche kriegswichtige Industrie, die sich nicht in der Nähe des Sprungpunktes Terra oder im Orbit von Seafort befindet, haben die Echsen schon vernichtet, und über die Überlebenschancen der Streitkräfte auf Masters haben wir schon gesprochen. Einzig der moralische Effekt spricht dafür, dass wir Masters nicht im Stich lassen.“
„Mac,“, Girad wandte sich an ihren Stellvertreter, „Sie kennen die Offiziere auf Masters von uns am besten, wie werden diese handeln?“
„Die Marines werden tapfer kämpfen, wahrscheinlich sogar bis zum letzten Mann. Was die Nationalgarde angeht: Es ist ihre Heimat, sie haben keine andere Wahl als sich den Echsen in den Weg zu stellen. Um jeden Preis.“
„Und dabei alle sterben.“
„Ja, Ma’am, und dabei alle sterben.“
Schweigen breitete sich aus. Girad nickte bedächtig und blickte zu Crawford hinüber, der außerhalb des Erfassungsbereichs der Kamera stand. Der Pilot hatte sich als außerordentlich fleißig gezeigt, recht realistisch und angenehm zielgerichtet.
„Eris, was glauben Sie, wie würde es sich auswirken, wenn wir uns nach Seafort zurückziehen?“
Der Pilot räusperte sich: „Schlicht und ergreifend katastrophal, die gesamte Zivilbevölkerung wird wissen, dass wir nicht in der Lage sind sie zu beschützen, schlimmer noch, dass wir es nicht einmal versuchen. Die Nationalgarden werden zukünftig die Zusammenarbeit verweigern wo es nur geht, und das Marine Corps wird wissen, dass wir, die Navy, eines ihrer Geschwader im Stich gelassen haben.
Unsere Leute werden das wissen, und wenn wir uns wirklich soweit zurückziehen, können wir nichts mehr unternehmen, sollten sich die Echsen zurückziehen, wenn sie mit Masters fertig sind. Ich stimme mit Commander Burr dahingehend überein, dass wir auf jeden Fall wieder angreifen müssen, Ma’am.“
,Wer sagte noch einst, auch Sie können nicht verhindern, dass auch ich über Nacht schlauer werde?‘
„Gut, dann werden wir die Akarii erneut angreifen, es sei denn jemand von Ihnen bringt mir jetzt noch einen überzeugenden Einwand?“, Girad blickte ihre leitenden Offiziere fragend an.
Niemand antwortete.
„Wunderbar, dann Vorschläge!“
„Commodore Pak merkte an, dass sich unsere Position nicht wirklich verbessert hat,“, ergriff Mithel das Wort, „ich schlage daher vor sich nicht nur auf unsere Flieger zu verlassen, wenn wir erneut vorgehen.“
Girad grinste leicht, als alte Dickschifffahrerin hatte sie schon eine Ahnung, was Chris Mithel gleich vorschlagen würde, und natürlich konnte sie den frisch gebackenen Rearadmiral doch ganz gut einschätzen: „Was schlagen Sie vor, Chris?“
„Geben Sie meine Kreuzer für den Angriff frei. Im Zusammenspiel mit den Bombern und Jagdbombern denke ich, dass wir einen beachtlichen Erfolg erzielen können. Wenn uns Captain Crawford und seine Leute eine Öffnung in die feindliche Formation schaffen, könnten meine Kreuzer das feindliche Zentrum angreifen und in einem schnellen Schlag zwei der Träger mit Sicherheit ausschalten. Und ob unser Freund dann seinen dritten retten kann, wage ich zu bezweifeln!“
„Ein sehr ambitionierter Plan.“, merkte Girad an, damit wäre Chris Mithel aber der erste Kreuzerfahrer, der einen direkten Schlag gegen feindliche Träger führen würde.
„Ich halte das für ein wenig sehr gewagt,“, brachte sich Crawford ein, „wenn die gegnerischen Abschirmeinheiten sie in den Nahkampf verwickeln, und ja, bei einer Schwadron schwerer Kreuzer die auf einen zurast, wird dem Akarii nichts anderes übrig bleiben als sich den Kreuzern direkt zu stellen.“
„Sie schlagen also wieder einen reinen Fliegerangriff vor?“ Mithel ließ ein wenig Spott in seine Stimme einfließen.
Man konnte genau sehen, dass selbst das bisschen Stichelei Crawford getroffen hatte: „Nein, Sir, das schlage ich nicht vor, tatsächlich halte ich den Einsatz der Kreuzer für eine außerordentlich gute Idee.“
„Zu gütig.“
„Vielleicht lassen wir den Commodore ausreden, Chris.“, warf Girad ein, bevor sich ein Wortgefecht entwickelte. Wenn sich Crawford jetzt mit Mithel anlegte, würde der Admiral ihn erst verbal auszählen und anschließend für ein schnelles und blutiges Ende von Crawfords Karriere sorgen.
„Danke, Ma’am,“, Crawford öffnete eine Sternenkarte von Sterntor, „wie schon festgestellt, wird der Akarii sich um eine Schwadron vorrückender schwerer Kreuzer kümmern müssen, was unseren Bombern und Jagdbombern die Chance gibt, das zu tun, wofür ihre Piloten ausgebildet wurden: Chirurgische Maßarbeit.
Wir nähern uns unter der Deckung der Dickschiffe an, unsere Überlegenheitsjäger und Abfangjäger in offener Formation als Eskorte für die Kreuzer.
Unsere Bomber und Jagdbomber halten wir etwas zurück, hinter der Kreuzerformation, wenn wir diese etwas in die Breite ziehen und entsprechend die elektronische Kriegsführung aufdrehen, sollten die Bomber unentdeckt bleiben.
Wenn sich ein Loch ergibt, schlüpfen wir hinter den Kreuzern hervor, dringen in die Feindliche Flotte ein und greifen die Träger direkt an.“
Er markierte einen der drei feindlichen Träger: „Vorzugsweise diesen hier, der von uns als Flaggschiff identifiziert wurde. Anschließend ziehen wir uns wieder zurück. Unsere Verluste sollten ungleich weniger sein als bei einem Frontalangriff der Kreuzer.
Je nach Reaktion des Feindes auf den Ausfall ihres Kommandeurs kann man dann immer noch massiert angreifen und den Akarii-Verband komplett auslöschen.“
Commodore Katja Lehmann funkelte Crawford wütend an: „Und können Sie mir sagen, warum wir nicht gleich so angegriffen haben, wenn Sie hier noch mit einem überragenden Sieg über die Akarii rechnen?“
„Weil unser Ziel es war, die Akarii von Masters fern zu halten, was jetzt nicht mehr gelingen kann und wofür wir nun auch keine Mühe mehr verschwenden werden.“, antwortete Girad milde.
Crawford räusperte sich.
„Ja, Eris?“
„Ein weiterer Vorteil unter der Deckung der Kreuzer anzurücken ist, dass wir eine größere Reserve an Jägern zurücklassen können um diesmal angemessener auf einen Gegenschlag reagieren zu können.“
Die Admiralin blickte zum Bild von Chris Mithel hinüber: „Chris, was meinen Sie?“
Man brauchte nicht mit Mithel gedient zu haben um zu sehen, dass ihm diese Alternative nicht so gut gefiel: „Das könnte klappen, Ma’am.“
Raven begutachtete ihre Staffelführer. Jeder von ihnen hatte genügend Schlachten und Gefechte erlebt, um den jetzigen Zustand zu kennen.
Dennoch sah man ihnen die zurückliegenden Strapazen an: „Also Angels, es geht wieder an die Arbeit! Die Flotte hat sich neu formiert und erneut die Verfolgung der Akarii aufgenommen, welche wieder auf Masters zusteuern und diesen in knapp fünf Stunden erreichen dürften.
Sie allen können sich ausrechnen, wir werden nicht rechtzeitig da sein um bei der Verteidigung des Planeten zu helfen.“
„Und wenn die Jägerverbände der Flotte voraus fliegen würden?“ Etwas nur allzu Bekanntes flackerte in Liljas Augen auf.
„Dann könnten wir es theoretisch schaffen, dieser Möglichkeit wurde aber verworfen,“, Raven hob die Hand um Protesten vorzubeugen, „unsere Piloten brauchen die Ruhe, und wenn Sie es für nötig halten, dann geben Sie ihren Piloten ein leichtes Schlafmittel.
Darüber hinaus greifen wir im Verbund mit Mithels Kreuzer an!“
Auf einigen Gesichtern erschien ein wildes Grinsen.
„Der Einsatz läuft wie folgt ab: Wir, damit meine ich uns Angels, fliegen wieder einen Alpha-Strike. Bomber und Jagdbomber für den Angriff auf die akariischen Dickschiffe bestückt.
Wenn Mithel uns einen Weg bereitet hat, gehen wir rein und gehen die Träger an.“, Raven ließ auf dem Monitor hinter sich die feindliche Formation erscheinen: „Wir fliegen mit den Jagdbombern der Midway und der Triumph einen Scheinangriff auf die beiden vorderen, um die Jagdsicherung vom Flaggschiff abzuziehen.
Dann muss es schnell gehen. Laut Intel hat das akariische Flaggschiff noch an keinen aktuellen Jagdoperationen teilgenommen. Unter Umständen haben wir die Möglichkeit, einen Träger mit vollem Geschwader wegzuputzen. Den Angriff auf das Flaggschiff fliegt Irons Staffel im Verbund mit den Crusadern der Derflinger. Gold und Silber bleiben in Reserve um den Weg frei zu räumen.
Uns begleiten sämtliche Bomber und Jagdbomber der anderen Träger, ebenso die Überlegenheitsjäger der Midway und der Derflinger. Damit bleiben deren leichte und mittleren Jäger zusammen mit den Überlegenheitsjägern der Triumphe zur Verteidigung und als Reserve zurück.“
„Das sind sieben Staffeln die uns fehlen werden.“, merkte Blackhawk an.
Ace verzog das Gesicht: „Das sind aber auch sieben Staffeln, die unser Zuhause schützen.“
„Die Akarii haben uns gezeigt, dass wir einen entsprechenden Schutz brauchen,“, stieg Irons in die Diskussion ein, um sie dann wieder auf die Einsatzbesprechung zu lenken, „wer passt auf uns Bomberjockeys auf?“
„Ace und Lilja machen das. Eure Staffeln achten aber auch auf die Bomber des Flying Circus. Wir Jabos müssen auf uns selbst aufpassen, eine Sektion Raumkampfraketen pro Staffel.“
Razor wirkte alles andere als begeistert, nickte aber wortlos.
„Die beteiligten Nighthawkschwadronen bilden zusammen mit Blackhawks Griphens die Vorhut und machen uns den Weg frei. Raumüberlegenheit, meine Herren.“, sie blickte nacheinander Ohka, Blackhawk und Cunningham an.
Alle drei waren sie Profis, und so unerfahren wie Kano als Staffelführer auch war, so wusste sie, dass er im Gefecht nicht weniger als hundert Prozent gab. Auch Blackhawk genoss ihr volles Vertrauen. Von Cunningham lernte sie zurzeit eine neue Seite kennen, obwohl es sie eigentlich nicht verwundern dürfte, passte es doch zu seinem ehrgeizigen Charakter es besser wissen zu wollen als seine Vorgesetzten.
Und obwohl er ihren Blick jetzt fast unbeteiligt erwiderte, während er in der rechten Hand den Kugelschreiber durch die Finger wandern ließ, konnte sie es förmlich riechen, dass er nach Abschüssen und Erfolgen hungerte. Allein schon um seine angeknackste Position zu stabilisieren. Von all ihren Staffelführern musste sie ihn als am unzuverlässigsten einstufen.
„Ach, Lilja, ich habe noch einen Sahnebonbon für Sie.“
Die Russin blickte sie skeptisch an.
„Commodore Crawford wird in ihrer Schwadron mitfliegen. Ich möchte, dass er einen erfahrenen Flügelmann bekommt, damit er sich auf die Schlacht konzentrieren kann. Damit hat er de facto das Kommando über Ihre Schwadron, aber wie gesagt, der Commodore muss sich auf die Schlacht konzentrieren, außerdem habe ich sichergestellt, dass er weiß, dass er sich voll und ganz auf Sie als Staffelführerin verlassen kann.“
„Natürlich, kein Problem, Ma’am.“
Lone Wolf schnaufte halb amüsiert, halb verächtlich.
„Haben Sie noch etwas beizutragen, Lucas?“
„Nein, Skipper.“, beinahe wäre ihr das wütende Aufblitzen in seinen Augen nicht aufgefallen.
„Gut, dann instruieren Sie ihre Piloten und schicken sie dann in die Kojen, mindestens vier Stunden Schlaf, auch für Sie. In sechs Stunden spätestens starten wir wieder. Wegtreten.“
CIC der Columbia
Vanessa Girad hatte sich vor diesem Gespräch etwas gefürchtet und so hatte sie beschlossen es in ganz offiziellen Rahmen zu führen, statt abgeschieden in ihrem Büro.
Auch hatte sie, was unüblich war, ihre Ordensbänder an die Dienstuniform gesteckt und Captain Ahn hinzu gebeten, als sie vor dem Hauptmonitor der CIC Aufstellung nahm.
„Die Verbindung steht.“, meldete der Signaloffizier.
„Auf den Schirm.“
Zu Girads Verwunderung wurde der Bildschirm zweigeteilt dargestellt. Links wurde ihr Hanifa Jergian, die Ministerpräsidentin von Masters, in ihrem Arbeitszimmer gezeigt, rechts ein älterer Mann in einen Raumanzug.
Ihre Überraschung wurde noch größer, als sie erkannte, dass es sich dabei um Ahmed Obary handelte, den Kommandeur der Luftwaffe der Masters National Guard. Einen Brigadegeneral sah man nicht sehr häufig im Raumanzug. Offensichtlich hatte das alte Schlachtross entschieden selbst ins Cockpit zu steigen. Eine noble Geste, aber nichts desto trotz eine Geste.
„Madame Ministerpräsident, General,“, begrüßte sie ihre Gesprächspartner, „dies ist mein Flaggkommandant Captain Ahn Ho-Yun.“
„Admiral, Captain,“, begrüßte Jergian sie mit einem kurzen, unterkühlten nicken, während Obary finster in die Kamera blickte, „darf ich fragen, wo Admiral de Kerr ist?“
„Admiral de Kerr wird vermisst, Ma’am, wahrscheinlich ist sie gefallen.“
Nur kurz huschte so etwas wie Überraschung über das alterslose Gesicht der Ministerpräsidentin: „Ich verstehe, darf ich annehmen, dass Sie die Nachfolge als Flottenkommandantin angetreten haben?“
„Das ist korrekt, Ma’am.“
„Darf ich fragen, wie jetzt Ihrer Pläne zur Verteidigung Sterntors aussehen, Admiral?“
„Wir sind unterwegs, Ma’am, wir werden Masters nicht im Stich lassen. Leider ist es uns nicht gelungen den Feind von seinem Vorhaben Ihren Planeten anzugreifen abzubringen.“
Zum ersten Mal ergriff Obary das Wort: „Sie werden aber nicht rechtzeitig hier sein!“
„Das ist korrekt, General,“, musste die Admiralin eingestehen, „Sie und die Marines sind vorerst auf sich selbst gestellt. Und dennoch habe ich eine Bitte.“
Auf den Gesichtern ihrer beiden Gesprächspartner zeigte sich Überraschung.
„Ich möchte Sie bitten, ihren Angriff auf die Akarii so lange wie möglich hinauszuzögern. Desto weniger ausgeruht sind die Echsen, wenn wir eintreffen.“
„Wir werden für die Echsen die eine oder andere Überraschung parat haben, Admiral.“, versicherte ihr Obary, ohne auf ihre Bitte einzugehen. Er klang dabei unglaublich überzeugt. Solche Überzeugung war gut, wenn man sie den eigenen Männern vorgaukelte, doch in diesem Gespräch wirkte es auf sie irgendwie überzeichnet oder sollte es zumindest.
„General, Sie wissen, was ein direkter Angriff ihrer Streitkräfte auf die Akarii-Flotte bedeutet, oder?“
Der Brigadegeneral der Masters National Air Guard würdigte sie keiner Antwort, sondern blickte sie aus seinen dunklen Augen finster an. Fast konnte sie so etwas wie Verachtung darin wahrnehmen.
„Ich hatte in der Vergangenheit schon öfter mit den Akarii direkt zu tun, General. Die Akarii haben einen alten Segensspruch: Darak nar duhn. Sterben Sie wohl mein Freund.“
Der alte Soldat nickte einmal kurz und schaltete dann wortlos ab. Das Bild der Ministerpräsidentin vergrößerte sich auf den vollen Bildschirm.
„Madame, wir werden kommen, verlassen Sie sich auf uns, das Blaue Band wird halten!“
Jergian lächelte flüchtig: „Wir danken Ihnen Admiral, viel Erfolg. Ihnen allen!“
„Madame.“
Die Verbindung wurde unterbrochen und Girad drehte sich zu ihrer Flaggkommandantin um: „Jetzt rezitiere ich schon akariische Geschichte, und das auch noch falsch.“
Ahn hob verwunderte eine Augenbraue: „Ma’am.“
„Jor der I., seines Zeichens Kaiser des Sternenkaisereichs von Akar, führte seine Truppen zur entscheidenden Raumschlacht eines Krieges, den sein Vater kurz vor seinem Tod begonnen hatte. Die Akarii hatten die Heimatwelt ihres Gegners eingekesselt und bereiteten sich auf die Invasion vor, da haben die Norali ihre letzte Gegenoffensive gestartet, angeführt von ihren eigenen Herrscher. Jäger, Shuttles, Schnellboote, alles was sie hatten. Sie griffen immer wieder die sie umzingelnde Akarii-Flotte an. Fünfmal griffen sie an und fünfmal konnten sie nicht einmal den äußeren Verteidigungsring der Akarii durchbrechen. Sie alle starben.
Von Bord seines Flaggschiffes soll Kaiser Jor sich das Gemetzel angesehen haben und noch vor dem ersten Feuerwechsel soll er den Norali folgenden Satz gefunkt haben; Dara nar kehhlig nokk.“
„Das klang eben ganz anders, Ma’am.“
„Richtig, denn Jor sagte damals: Stirb wohl geehrter Feind. So die gängigste Übersetzung.“
„Sehr pathetisch, wie ich finde.“
„Grundsätzlich stimme ich Ihnen da zu, Ho-Yun, es passt aber zum Selbstbild der Akarii, wobei Jor I. ein doch recht herausstechender Herrscher war. Er adoptierte das einzig überlebende Kind des nalorischen Fürsten.“
Die Kommandantin der Columbia blickte sie erstaunt an.
„Nun, die Akarii mussten das zulassen, er war immerhin der Kaiser, und wenn es sein Wille war eine Fürstentochter als Tochter anzuerkennen, was spielt es schon für eine Rolle, dass diese Tochter von einer anderen, minderwertigen Rasse abstammt.
Offiziell regierte er sogar noch siebzig Jahre, obwohl er von der Familie schon ein Jahr nach dem Sieg über die Norali entmachtet wurde. Er überlebte drei Regenten, ehe ihn ein Großneffe auf den Thron folgte. Da seine Tochter aber nicht mehr heiratete, die kaiserliche Familie lehnte jeden Bewerber ab, fielen die Hoheitsrechte über die Hauptwelt der Nalori nach ihrem Tod an den eben genannten Großneffen. Dies sorgt wohl für gewissen Vorteile, was Tribute und Steuern angeht, welche eroberte Welten eigentlich erbringen müssen, weil imperiale Lehen anders besteuert werden.“
„Ma’am, Ihr Hobby ist das akariischen Herrscherhaus?“
„Kenne Deinen Feind wie Dich selbst, und um die Akarii zu kennen muss man zwar als Akarii geboren sein, doch ihre Geschichte bietet einen sehr interessanten Einblick. Wenn ich doch nur etwas mehr Literatur über unseren Freund da drüben hätte.
Eine der wichtigsten Lehren in die ich Einblick erhielt“, Girad lächelte verschmilzt, „auch die Akarii sind nicht päpstlicher als der Papst.“
„Sir, I have not yet begun to fight!“
Commodore John Paul Jones, USN, 1747 - 1792
„Admiral, wir erhalten eine unverschlüsselte Funkübertragung von Masters, scheint an die Akarii gerichtet.“
Girad blinzelte überrascht: „Dann wollen wir uns doch mal anhören, wie die Regierung von Masters auf die Nachricht der Akarii reagiert.“
„Es kommt von den Marines.“, informierte der Signaloffizier.
„Oh, das könnte lustig werden, legen Sie es bitte auf den Hauptschirm, Lieutenant.“
„Aye-aye, Ma’am.“
Auf dem Monitor erschien ein Full-Colonel des TRMC in Paradeuniform. Er stand neben einem Rednerpult, hinter ihm die Bundesflagge der Republik, die Amtsflagge von Masters und das Banner des Marine Corps, sauber drapiert.
Die hellblaue Hose wies eine Bügelfalte auf, an der man sich schneiden konnte, die dunklere Jacke war sicherlich aufgebügelt worden. Die Messingknöpfe funkelten vergeblich und gingen in dem Meer von Orden und Ehrenzeichen unter.
Die weiße Schirmmütze saß gerade, die Hände steckten in Glaceehandschuhen. In perfekter Habt-acht-Stellung lag die rechte Hand an der Hosennaht, während die linke auf dem Knauf eines Mamlukenschwertes* ruhte.
,Ein echter Traditionalist‘, ging es Girad durch den Kopf.
Ein Schriftzug im linken unteren Eck stellte den Offizier vor: Col. Richard Thundercloud.
„An Lord Admiral Taran, Kommandeur der akariischen imperialen Raumflotte.“, begann Thundercoloud im höflichen Ton, „Bedingt durch die lebendigen Tradition der terranen Raumstreikräfte, begründet durch unsere Vorfahren, der Segelschiff fahrenden Hochseeflotten der terranen Nationalstaaten zurückgehend bis ins Jahr 1779 und davor, habe ich die außerordentliche Ehre Ihnen mitzuteilen: Sir, wir haben bis jetzt noch nicht einmal begonnen zu kämpfen.“
Thundercloud vollführte eine militärische Ehrbezeugung, die ihn wohl in die Annalen des Marine Corps eingehen ließ.
„Dass ich so etwas noch einmal erleben darf.“, Girad blickte amüsiert zu Captain Ahn hinüber.
„Was meinen Sie, Ma’am, dass ein Marine einen Navy-Captain zitiert?“
„Nein, dass ein amerikanischer Ureinwohner einen englischen Kolonisten als seinen Vorfahren bezeichnet.“
Ahn gluckste: „Sie sind doch mit Sicherheit auch zu einem zwanzigstel Cherokee, Ma’am.“
„Vorsicht Ho-Yun, ich bin Franco-Kanadierin.“, Girad hob mahnend den Zeigefinger.
„Das ist für mich alles das gleiche, Ma’am,“, die Kommandantin der Columbia wurde wieder ernster, „was glauben Sie, wollte Colonel Thundercloud damit bezwecken?“
„Ich fürchte, dass dies nichts anderes als eine symbolische Geste gewesen sein wird,“, Girad blickte nachdenklich auf den wieder schwarz gewordenen Monitor, „er gibt den Bewohnern Masters Hoffnung und mahnt uns unser Bestes zu geben, was immer auch kommt. Unsere Taten werden an seinem Opfer und dem seiner Leute gemessen!“
„Sieht nicht aus, als ob wir da auch nur die geringste Chance haben werden, Ma’am.“
„Nein, Ho-Yun, die haben wir nicht.“, antwortete Girad diplomatisch. So heroisch das große, letzte Opfer eines Menschen auch sein mochte, ab einem gewissen Punkt war ein Einsatz, den ein Offizier befahl, schlicht und ergreifend Mord an den eigenen Leuten.
Natürlich war dieser Gedanke gegenüber Richard Thundercloud alles andere als fair, sollte er das Gefecht einfach aussitzen?
Aber natürlich, dass hatte man Girad schon in den ersten Stunden auf der Militärakademie beigebracht, war der Job alles andere als einfach und wenn es dann wirklich interessant wurde, dann standen die schwierigsten Entscheidungen an und dann starben auch Menschen. Daran führte nichts vorbei, das war Berufsrisiko, wie ein Pilot einst festgestellt hatte.
*Geschichte und Selbstbild des US-Marine Corps
Amerikanisch-Tripolitanischer Krieg 1801–1805
Beeindruckt vom Mut eines Marines Offiziers im Kampf, schenkte ihm der Kopf der muslimischen Gefolgschaft, Hamet Karamanli, sein Mamlukenschwert. Seit 1825 erhält jeder Offizier des USMC solch ein Paradeschwert mit seinem Offizierspatent.
Cattaneo
Cunningham
“Back in the days there used to be a navy of wooden ships and iron men. Then it becomes vice versa at the time we entered the stars. But it is relaxing to know that there are still men with iron will out there.”
Wing Commander Saga
Etwa eine Stunde nach Thunderclouds Mitteilung für den Feind starteten die Raumjäger der Marines und der Nationalgarde von Masters.
Alte Typhoon Abfangjäger, Griphens älteren Baujahres, Mirage Jagdbomber und zwei Schwadronen veralteter Phantom Überlegenheitsjäger.
Es war jene Mischung, welche die Republik über das erste Kriegsjahr gerettet hatte.
Auf dem Papier waren 19 Schwadronen für den Angriff gemustert. Davon zählten zwei als Versorgungsschwadronen mit Tankern und Rettungsshuttles.
Die Marines konnten zwar noch immer alle ihre Schwadronen ins Gefecht schicken, davon waren aber fünf seit ihrem ersten Gefecht unterbesetzt.
Von den Schwadronen der Nationalgarde konnten gerade mal die beiden Phantom-Staffeln ihre Sollstärke aufbringen, doch zwei dieser altersschwachen Maschinen mussten aufgrund technischer Defekte am Boden bleiben.
Es war das erste Mal in diesem Krieg, dass ein „Flaggoffizier“ ins Cockpit stieg und einen Verband ins Gefecht führte. Die Mischung, die Ahmed Obary ins Gefecht folgte, waren alte, aus dem aktiven Dienst entlassene Veteranen, deren Kampferfahrung im besten Fall 30 Jahre oder länger her war, und junge unerfahrene Kämpen, deren Eltern den Dienst in den regulären Streitkräften als zu gefährlich für ihre Sprösse ansahen.
Der 45. Marines Fighter Wing war da etwas besser aufgestellt, in ihm dienten Veteranen, die aufgrund von Verwundung oder zu großer psychischer Belastung von der Front abgezogen werden mussten und wieder voll verwendungstauglich gemacht werden sollten, zusammen mit frisch ausgebildeten Piloten, die ihren letzten Schliff unter Realbedingungen erhalten sollten, ehe sie an die Front geschickt wurden. Dazu war ein ständig rotierender Satz an Veteranen im Geschwader, die als Ausbilder und Trainer dienen sollten, zusammen mit Piloten, die aus irgendwelchen Gründen abgeschoben wurden.
Natürlich war das Material der Marines fast genauso veraltet wie das der Nationalgarde.
Und natürlich war ein Teil der Marines schon im Einsatz gewesen, also alles andere als frisch, aber das konnte man auch von den Akarii behaupten.
Alles was Anti-Schiff-Raketen tragen konnte war entsprechend bestückt worden. Drei unterbesetzte Jagdbomber-Staffeln bildeten den Kern das Angriffsverband, eine vierte Staffel Mirage hatte man abgezogen, nur die wenigsten wusstem wofür. Sie führten genug Feuerkraft mit sich, um einen halben Planeten zu verwüsten, doch durch wie viele Schutzschilde sie brechen würden, wie viele Panzerplatten unter ihnen nachgeben würden, das stand noch in den Sternen.
Über Masters schloss sich ihnen ein kleiner Verband Großkampfschiffe an. Angeführt von einem uralten Zerstörer der Duquesne-Klasse, Masters Spaceguard Vessel Kemal Atatürk, welcher eigentlich als Ausbildungsschiff diente. Sechs Fregatten und sieben Korvetten der Spaceguard. Ihre zwei Versorgungstender und eine TSN Fregatte, welche mit Maschinenschaden im Orbit von Masters gestrandet war, als die Alarmmeldung reinkam, die man notdürftig geflickt hatte.
Es waren jene Frauen und Männer, die zur letzten aktiven Reserve der terranen Streitkräfte gehörten. Es war für die Offiziere und Mannschaften der 5. Flotte der TSN ein Blick in eine mögliche Zukunft. Ein Blick darauf, wer den Kampf weiterführen würde, wenn die Akarii sie überwinden würden. Es war auch ein Blick darauf, wie dieser Kampf aussehen würde.
Diesmal hatte sich Vanessa Girad in ihre persönlichen Räume zurückgezogen.
Das Flaggbüro der Columbia war groß genug um Quartiere für drei Lieutenant Commander zu beherbergen, und ein wenig mehr.
Wo sonst an Bord des Schiffes einfacher Komfort und funktionelle Eleganz vorherrschten, beindruckte ihre Kabine mit edlem Prunk. Da Patricia Birmingham persönlich die Columbia getauft hatte, war die Flaggkabine im Stile der Privaträume im Haus der Republik in Berlin auf Terra eingerichtet worden.
Ein wie ein Fenster gestaltetes Bild zeigte das Brandenburger Tor zu den Feierlichkeiten am 18. März, als die Europäer ihre erste Mondkolonie errichtet hatten. Der erste Schritt zum Mars. Heute ein Nationalfeiertag für die ganze Republik.
Als Girad ihren Wandbildschirm aktivierte und auf dem bequemen Sofa Platz nahm, kam ihr der Raum für die Observation einer Schlacht sehr unangemessen vor. Mit einer Schale Chips konnte man sich hier sicherlich wunderbar die Curling-Meisterschaft ansehen, aber zu beobachten, wie Menschen bei der Verteidigung ihrer Heimat abgeschlachtet wurden, dafür war dieser Raum wahrlich nicht gedacht.
Doch dabei wollte sie allein sein.
Der zweigeteilte Bildschirm zeigte ihr links die taktische Darstellung. Wie sich die wenigen Dickschiffe der Masters Space Guard aufstellten und um sie herum die Jägerverbände sammelten.
Auf den ersten Blick eine beachtliche Streitmacht, aber ein kurzer Blick auf die roten Symbole der Akarii-Flotte zeigte deutlich, wie benachteiligt die Verteidiger waren. Die recht übersichtliche Streitmacht der Akarii wirkte wie eine riesige Armada im Vergleich.
Unruhig rutschte sie auf der Couch auf und ab.
Die andere Hälfte des Bildschirms übertrug Videobilder, die von Bordkameras der terranen Jäger ins interplanetare Überwachungssystem gespeist wurden.
Funksignale würden erst mit einigen Minuten Verspätung eintreffen.
Schließlich griffen die Marines und die Nationalgarde an. Heroisch warfen sich die Jagdmaschinen, Griphens, Typhoone und einige wenige Phantome, den akariischen Abfangjägern entgegen. Kurz darauf griffen die Jagdbomber an.
Die beiden Einheiten agierten voneinander unabhängig, wahrscheinlich hatte Obary von Anfang an eingesehen, dass er die ungeübte Zusammenarbeit beider Geschwader nicht würde koordinieren können.
Der 45. Marines Fighter Wing agierte als geschlossene Einheit, gut eingespielt und effektiv. Was der Masters National Air Guard an Effektivität fehlte, machten ihre Piloten mit Mut und Aggressivität wett.
Schließlich griffen auch die Schiffe der Space Guard mit ihren Abwehrgeschützen und Raketen in den Jägerkampf ein, ehe sie ihre Anti-Schiff-Flugkörper abfeuerten.
Die Antwort der Akarii war verheerend für die wenigen leichten Dickschiffe der Terraner. Ein Symbol nach dem anderen erlosch auf dem Taktischen Display, bis nur noch drei Korvetten und die TSN Fregatte übrigblieben.
Die TRS Nikolaus Milies schob sich zwischen die drei kleineren Space Guard Schiffe und die anrückende Akariistreitmacht und ermöglichte es so diesen, sich abzusetzen.
Damit hatten die terranischen Dickschiffe einen furchtbaren Preis gezahlt. Girad schätze die personellen Verluste bei etwas über tausend Frauen und Männer, aber sie hatten das erreicht, was sie scheinbar erreichen wollten. Sie hatten genügend Schiffe der äußeren Verteidigung der Akarii zerstört oder beschädigt, dass ein Teil der Jagdbomber durchbrechen konnte.
Nun verschwanden auch einige Akarii-Symbole von der Karte.
Dann war auf dem linken Monitor ein greller Blitz zu sehen, dass der Monitor sich selbst polarisierte. Eine Bordkamera richtete sich auf einen auseinanderbrechenden schweren Kreuzer aus.
Dieser Schockmoment reichte aus, dass die restlichen Jagdbomber diesmal durchstoßen konnten.
In der CIC der Columbia beobachtete man ebenfalls das Gefecht.
Eines der Teleskope der Columbia fing genau den Moment auf, als eine Mirage ohne IFF-Kennung in einen akariischen Kreuzer raste.
Die beiden Atomexplosionen drangen durch das geschwächte Schild, schälten Panzerplatten ab, verdampften und verbogen Spanten und brachen schließlich das Rückgrat des schönen und mächtigen Schiffes.
Wahrscheinlich würden mehr als neunzig Prozent der Crew mit ihm sterben.
Die Kommandocrew des terranen Flottenträgers blickte gebannt zu, während im Hintergrund die Funkmeldungen aus den Lautsprechern summten.
„Roter Führer an rote Staffel: Auffächern und Angriff nach eigenem Ermessen!“
„Boomer! Brich weg, er ist hinter Dir….“
„Fox two! Fox two!“
„DA BRENNT ER!“
„Ich kann ihn nicht abschütteln …ist zu dicht…ich…aaaaahhhh!“
„Schalte aufs Ziel auf! Moment… Moment.. Moment… Mavericks los!“
„Danke Milies, Ihr habt uns die Haut gerettet, vielen Dank!“
„Einschlag in zehn Sekunden! Alle Mann klar bei Rettungskapseln! Alle Mann von Bord!“
„Sieht aus, als wenn sich die Navy verabschiedet hat! Sind nur noch wir da!“
„Allahu akbar!“
„Oh, ja, und die Reservisten.“
„Scheiße… habt Ihr das gesehen… der Kreuzer!“
„Foxhounds: Mir nach, jetzt oder nie!“
Im Besprechungsraum von VA 1278, Trisha McGills Black Rain-Schwadron, war es gespenstisch still, als die Piloten auf dem Wandmonitor die Schlacht verfolgten. Black Rain war personell die stärkste Kampfschwadron der Angry Angels.
Mit drei Sektionen schwerer Bomber und einer Sektion Unterstützungsmaschinen für die Elektronische Kriegsführung war sie personell fünfzig Prozent stärker als eine der beiden Jagdbomber-Schwadronen und hatte mit sechsunddreißig Offizieren die dreifache Stärke einer Jagdstaffel.
Bislang hatte Black Rain noch keine Maschine bei der Schlacht von Sterntor verloren, was den Besprechungsraum überfüllt wirken ließ.
Irons stockte der Atem, als die überlebenden Nationalgardisten und Marines versuchten sich vom Feind zu lösen. Erst einzelnen und dann immer mehr Maschinen traten den Rückzug an.
Die Auswertung würde schon noch zeigen, wie erfolgreich der Angriff gewesen war, doch schon jetzt war zu erkennen, dass die Spitze der Akariiflotte durch den Verlust des führenden Kreuzers in Unordnung geraten war.
Weniger beeinträchtigt waren die Kampfflieger, welche ihre gestorbenen Kameraden rächen wollten und sich schnell und effizient zur Verfolgung formierten.
Die schnellen Bloodhawks und Reeper würden die terranen Jäger bald eingeholt haben und durch den ungeordneten Rückzug der Menschen noch einiges an Jägern durch die Mangel drehen können.
Doch gerade, als die Verfolger aufbrachen, drehten einige der terranen Jäger wieder um. Typhoones und Griphens, zwölf oder sechzehn Stück etwa, und warfen sich den Akarii nochmal entgegen.
In dem darauf folgenden Gerangel starben mehr Terraner als Akarii und keiner der Piloten, welche die Nachhut gebildet hatten, kehrte zurück, doch sie hatten ihren Kameraden so viel Zeit erkauft, dass die Echsen sie nicht mehr einholen würden.
Trisha schätzte dass höchstens ein Drittel der Streitkräfte Masters sich hatte zurückziehen können, und wie viele der Maschinen jemals wieder fliegen würden, wer mochte das schon sagen?
Nie hätte sie gedacht noch einmal einen Kavallerieangriff zu sehen, waren die Zeiten der Kavallerie doch seit siebenhundert Jahren vorbei; oder sollten es sein.
„Habt Ihr das gesehen, da haben sich einige auf die Akarii-Schiffe gestürzt… die haben sie einfach so gerammt.“
Irons schaltete den Monitor auf Stand-By und erhob sich. Auf den Gesichtern ihrer Piloten spiegelten sich die unterschiedlichsten Emotionen: Wut, Hass, Angst, grenzenloses Entsetzen, Scham, Trauer und Entschlossenheit.
Jeder schien irgendwie bewegt zu sein, selbst die abgeklärten Veteranen wie Hungry Joe.
„Hergehört,“, begann sie schroff, „ich weiß nicht, wie Historiker dieses Gefecht eines Tages bewerten und ich weiß auch nicht, was man dereinst über jene Frauen und Männer sagen wird, die dort draußen gestorben sind.
Was ich aber weiß, ist dass wir als Soldaten und Waffenbrüder eben jener Piloten verpflichtet sind sie angemessen zu ehren. Das heißt nicht, dass ich von einem von Ihnen verlange, dass er seinen Bomber in den Rachen eines akariischen Kreuzers steuert.
Was ich aber erwarte, ist dass jeder von Ihnen heute da draußen sein Bestes gibt, so wie wir zu einem der höchsten Schiffskiller-Score der Flotte gekommen sind.“
Sie aktivierte den Monitor erneut: „Sie alle wissen, was unser Ziel ist. Sehen Sie es sich noch einmal genau an. Das vermutete Flaggschiff des Feindes. Ein weiterer Quasar-Träger für unser Kill-Bord.“
Auf dem Monitor war ein unscharfes Bild des Ziels zu sehen.
„Wenn wir angreifen, möchte ich es diesmal nicht ganz klassisch angehen. Wir werden in vier Gruppen vorstoßen, eine von vorn und eine von hinten, die anderen beiden greifen gebündelt von einer der beiden Seiten an, hoch und niedrig. Bleibt dabei so gut es geht unter dem ECM-Schirm der Rafales.
Staffeln Gold und Silber werden uns den Weg frei machen. Die Bomber der Derflinger werden für unseren Angriff als Back-Up bereit stehen, sollte der Quasar noch einen Fangschuss brauchen. Wenn nicht, nehmen sich die Derflinger-Jungs den nächsten vor.“
Auf dem Hangardeck der Columbia, unter dem Flugdeck, wurde geschraubt und repariert. Während die schweren Bomber nur kurz durchgecheckt werden mussten, waren die anderen Jäger und Jagdbomber auf unterschiedliche Weise reparaturbedürftig.
Die Technikercrews machten Überstunden, wieder einmal.
Tatsächlich wurde vielerorts gegen die Vorschriften verstoßen. So sollten die Maschinen zum Beispiel erst auf dem Flugdeck bestückt werden, während eine Betankung im Hangar erlaubt war. Um den bald folgenden Magnum-Start reibungsloser über die Bühne zu bringen, waren die Waffentechniker dazu übergegangen, die Munition aus den Magazinen zu holen und die Maschinen schon zu bestücken, die für den Flug frei gegeben wurden.
Gelbbehemdete Fluglotsen verfrachteten dann die bestückten Maschinen aufs Flugdeck, so dass diese sich schon vor den Startkatapulten eingereiht wurden und Teile des Flugdecks versperrten.
Eine ganze Reihe von Maschinen war nur noch Flickwerk. Eine Falcon der grünen Schwadron hatte einen Kurzen in einer Raketenaufhängung, so dass die Rakete sich nicht lösen würde, so entschied man die Maschine nur mit sechs statt der üblichen acht Raketen auszurüsten. Eine Falcon der Blauen hatte es noch schwerer erwischt, ein Spannungsstoß hatte den Computer gegrillt. Waffenkontrolle, Schubregelung, Navigation, alles im Eimer, nach einem kurzen Blick hatte Dodson die Maschine stillgelegt. Lieutenant Davis war alles andere als begeistert gewesen, einen Piloten zuhause zu lassen.
Eine Griphen würde mit verminderter Manövrierkapazität raus gehen, da ihr Lenksystem im Gefecht einen Treffer abbekommen hatte.
Eine Nighthawk der roten Schwadron hatte einen aufgerissenen Tank, und um die Reichweite zu halten, würde auch sie mit zwei Raketen weniger, dafür aber mit einen Zusatztank gestartet werden.
Eine Thunderbolt hatte den Behälter für die Täuschkörper verloren. Ansonsten war die Maschine flugfähig, aber an Ravens Stelle würde Dodson die Maschine ebenfalls nicht starten lassen, und als Pilot würde er sich wahrscheinlich weigern.
Nur sein einstiges Sorgenkind, Lone Wolfs Nighthawk, schnurrte wie eine zufriedene Katze. Das nahm er dem Vogel jedoch nicht ab. ,HA, wenn man vom Teufel tratscht, kommt er auch schon angelatscht.‘
Dodson nickte dem Commander zu: „Boss.“
„Und, alles in Ordnung mit der Mühle?“, Lone Wolf hielt ihm eine Thermoskanne hin, „Selbst gekocht.“
Dankbar über jedes bisschen Koffein goss sich der Chefmechaniker seinen Edelstahlbecher randvoll und nahm einen herzhaften Schluck. Zu schnell als dass er sich den Mund verbrühen konnte. Dafür entwickelte der Kaffee seine Hitze in der Speiseröhre und im Magen: „Ha… ha, gut, etwas labbrig, aber gut.“
„Labbrig? Meine Piloten trinken meinen Kaffee nicht.“
„Ich mach nur Spaß, Skipper, genau die Stärke, die ich jetzt brauche. Mit der Maschine ist laut den Tests alles in Ordnung.“
„Aber?
„Aber wir haben den ursprünglichen Fehler noch immer nicht lokalisiert und das ist etwas worüber ich mir Sorgen mache. Und jetzt wo meine Crew wieder rumläuft wie die Zombies mehr als vorher.“
„Wieso denn das?“
Dodson zuckte mit den Schultern: „Tja, wenn da ein schwerwiegender Fehler war, den wir übersehen haben, weil er in Form eines mikroskopischen Haarriss bestand, könnte der durch den Einsatz sich verschlimmert haben, und dass wir jetzt etwas übersehen, das wir ansonsten sofort bemerkt hätten…“ Er deutete auf eine Reihe Techniker, die an einer von Kanos Nighthawks eine Aufhängung nachjustierten, achtzehn, neunzehn, vielleicht zwanzig Jahre waren die Kerlchen alt, „gucken Sie sich meine Leute doch an.“
„Wenn ich an solchen Weltraumvoodoo glauben würde, wäre ich auf der Erde geblieben und hätte jetzt in ein fußballfeldgroßes Büro in einem rechtsberatenden Beruf.“
„HA, Weltraumvoodoo,“, der Chefmechaniker verzog das Gesicht, „wenn Ihnen die Kiste unter dem Ar… Hintern auseinanderfällt, denken Sie daran, dass Sie den Geist in der Maschine verärgert haben.“
„Klar doch, Chief. Ich gehe jetzt meine Staffel briefen und anschließend ist die `hawk aufgetankt und bestückt.“
„Aye, aye, Sir.“
Cattaneo
Cattaneo
Stählerne Kohorten
TSN-Kreuzes Relentless, eine Stunde vor der Schlacht
Rear-Admiral Chris Mithel leistete sich nur relativ selten pathetische Gesten. Manche meinten, ihm fehlte es an Phantasie und Leidenschaft – oder an der notwendigen Portion Narzissmus, sich durch solche Gesten in den Vordergrund zu spielen. Diesmal freilich schien der Flottillenchef geneigt, eine Ausnahme zu machen.
Freilich war das gesamte Ambiente ohnehin bereits beeindruckend genug. Der Admiral dominierte mühelos die Kommandozentrale seines schweren Kreuzers, die Kapitänin der Relentless hatte sich neben ihm platziert, und ringsum wurden auf zahllosen Bildwänden nicht nur taktische Anzeigen und Karten eingeblendet, sondern auch die ihm für die kommende Schlacht unterstellten Kommandeure. Dies war mehr als eine „normale“ Schwadronsbesprechung vor dem Gefecht, denn Mithel hatte auch die Kommandeure der Schiffe zuschalten lassen, deren Geschwader er für diesen Angriff kommandieren würde. Nicht, dass dies eine echte Konferenz gewesen wäre, in der jeder zu Wort kommen konnte – so demokratisch ging es in der Flotte nicht zu, und Mithel war ohnehin Traditionalist, glaubte an Befehl und Gehorsam, an Rang und Erfahrung. Er respektierte Untergebene, hörte sich ihre Anregungen und Einwände an – doch grundsätzlich entschied er, wo es lang ging, und wenn er selber ein Befehlsempfänger war, hielt er es nicht anders. Die Einzelheiten waren bereits zuvor zwischen ihm und den Flottillenchefs besprochen worden – in so „intimen“ Rahmen konnte man auch Meinungsverschiedenheiten austragen, ohne dass sie die Autorität eines hohen Offiziers untergruben. Die Flottillenkommandeure hatten ihrerseits vermutlich vorher zumindest einige ihrer Untergebenen informiert und sich mit ihnen beraten. Was effektiv hieß, wer keinen guten Draht zu seinem direkten Vorgesetzten hatte oder gar als Greenhorn oder Quertreiber galt, hatte kaum Chancen, Gehör zu bekommen. Aber diese verbissenen, tief verborgenen Grabenkämpfe und persönlichen Animositäten traten selten einmal an die Oberfläche.
Rein optisch boten die Männer und Frauen selbst in den eher schmucklosen Dienstuniformen einen geradezu Ehrfurchtgebietenden Anblick, um so mehr wenn man daran dachte, für wie viel Feuerkraft, wie viele ihnen unterstehende Soldaten und wie viele im Verlauf des Krieges zerstörte feindliche Schiffe sie standen. Das mochte auch daran liegen, dass die meisten Kapitäne gelernt hatten, ein autoritätsschwangeres Auftreten zu kultivieren. Die TSN hatte eine tödliche Streitmacht für den Angriff auf die imperiale Flotte bei Masters zusammengezogen. Da waren zunächst die leichten und schweren Kreuzer der TSN, rund 20 an der Zahl, dazu zwei Flakkreuzer. Die Hälfte der Schiffe gehörte zu Mithels voll aufgefüllter Schwadron 2.3, die anderen waren eine ad-hoc Kampfgruppe, zusammengestellt aus Schiffen der leichten Trägerkampfgruppen, der Systemverteidigung und zufällig gerade in Sterntor befindlichen Einheiten. Fast die Hälfte der Kreuzer war modernisiert, verfügte über deutlich leistungsgesteigerte Schiffsgeschütze mit 20 Prozent gesteigerter Reichweite und Feuerkraft, und eine zum Teil erheblich größere Zahl von Schiff-Schiff-Raketenwerfern – was für die Akarii sicher die eine oder andere unliebsame Überraschung bedeuten konnte. Unterstützt wurden die Kreuzer durch zwei komplette Flottillen Zerstörer und ein Fregattengeschwader. Zählte man zudem noch die Schiffe der übergelaufenen Konföderierten hinzu, kam man auf mehr als fünfzig Großraumer mit über 30.000 Männern und Frauen, darunter mehrere hundert Nichtmenschen. Das war viel, sehr viel – wenn auch weniger als auf Seiten der Akarii.
Mithel hatte sich entschlossen, die letzte Gefechtseinweisung mit einer Schweigeminute auf allen Schiffen zu beginnen, gewidmet den Gefallenen von Masters. Man konnte sich bei ihm nie ganz sicher sein, WENN er sich einmal zu einer emotionalen Geste hinreißen ließ, wie viel davon ehrlich und wie viel sorgfältig kalkulierte Berechnung war. Das Gesicht des Rear-Admirals war meistens so schwer zu lesen, dass er bösen Gerüchten zufolge als Berufsglücksspieler sicher eine Menge Geld hätte verdienen können. Wenn er sich denn zu so etwas Trivialen hätte herablassen können.
Aber wenn der Brite sich schon zu solch einer Geste hinreißen ließ, dann machte er seine Sache gewohnt gründlich. Und deshalb wurden auf der Relentless wie auf den anderen Schiffen zugleich Aufnahmen von Masters eingespielt. Hanifa Jergian mochte die Schlacht um ihre Welt verloren haben, ungeachtet aller Bemühungen, doch sie hatte nicht vor, schweigend unterzugehen. Wenn sie schon militärisch verloren hatte, propagandistisch kämpfte sie mindestens ebenso verbissen – und möglicherweise erfolgreicher. So lange Kommunikation möglich war, sendete Masters, als Fanal der Rache und als Anklage gegen jene, die es zerstörten und wohl auch jene, die dies nicht verhindert hatten. Es ging nicht nur um den letzten, verzweifelten Abwehrkampf der Planetenverteidigungsstreitkräfte – sondern auch um die Apokalypse, die seitdem über die Welt hereingebrochen war. Auf dem praktisch wehrlosen Planeten waren Aufnahmegeräte an und in der Nähe der vermuteten Ziele eines feindlichen Beschusses aufgestellt worden, und diese übertrugen emotionslos das Schauspiel, welches sich ihren elektronischen Augen bot. Für einen Menschen ohne Gefühle und Gewissen hätten die Bilder beinahe etwas poetisches an sich haben können – strahlende Lichtbahnen, scheinbar heller als die Sonne, die aus blauem Himmel herabstießen oder Wolkenbänke mühelos zerteilten, ganze Gebäudekomplexe mit beiläufiger Eleganz tranchierten, sie in einem vernichtenden Feuersturm aufflammen und zu Asche zerfallen ließen. Die Akarii waren offenbar bereit, den Widerstand von Masters ebenso barbarisch zu bestrafen, wie sie es auf Hannover getan hatten. Die Verwüstungen waren möglicherweise noch großflächiger, konzentrierten sich allerdings anders als auf Hannover nicht auf bewohnte Gebiete. Dennoch – diese Bilder bedurften keines Kommentars. Selbst für die Kommandeure, die an Schlachten und Krieg gewöhnt waren, war es ungewohnt, zusehen zu müssen, wie eine terranische Welt bombardiert wurde. So schrecklich der Anblick eines sterbenden Schiffes war, das war etwas ganz anderes. Für die konföderierten Soldaten musste es als schreckliche Erinnerung an das Schicksal von Hannover wirken, dem Grund, aus dem sie den Eid auf ihre Heimat – oder besser, auf deren Regierung und militärischen Führung – gebrochen hatten.
So war es wohl mehr als nur befohlene Pietät, die die Männer und Frauen bewegte, die Kapitäne wie ihre Untergebenen. Das lastende Schweigen dauerte an, lange nachdem die vorgesehene Minute vorüber war, legte sich wie eine dunkle Wolke auf die Gemüter und Mienen der Flottenkommandeure. Der Rear-Admiral ließ noch einige Augenblicke verstreichen, bis er sich der Wirkung sicher war, bervor er die Stille brach. Er kam sofort zur Sache: „Unser Ziel bei der kommenden Operation ist klar umrissen. Die Bomber haben den Auftrag, das vermutete Flaggschiff des Gegners und wenn möglich seine übrigen Träger anzugreifen – unsere Aufgabe ist es, ihnen zusammen mit den Jagdbombern nicht nur den Weg zu bereiten, sondern darüber hinaus auch die Akarii-Kampfflotte entscheidend zu dezimieren, damit eine Wiederholung eines Angriffes wie auf Masters unmöglich wird. Hauptziel sind also die feindlichen Kreuzer und Zerstörer. Wenn die Piloten ihre Aufgabe nicht erfüllen können…“ Mithel verkniff sich eine launige Bemerkung über die hohen Erwartungen und oft nicht ganz ausreichenden Leistungen der Kampfflieger, wie sie neun von zehn Kapitänen üblicherweise gemacht hätte und wie auch er sie schon mehrfach formuliert hatte. Dafür war die Atmosphäre zu ernst: „…werden wir in die Bresche springen und gezielt, mit vernichtendem Feuer die feindlichen Träger angreifen.“
Er musterte seine Untergebenen. Einige kannte er schon seit Jahren, andere erst seit kurzem, und einigen traute er nicht ganz – ihrem fachlichen Können, ihrer Bereitschaft blindlings seine Befehle auszuführen, ihrer Fähigkeit, eigene Gefühle und Wünsche unterzuordnen. Aber er machte deutlich, dass er felsenfest davon ausging, dass sie ihren Befehlen folgen würden: „Unsere Aufgabe mag einigen von Ihnen nicht sehr zufrieden stellend erscheinen, so als ob wir nur bloßes Hilfsmittel für einen Angriff der Bomber und Jagdbomber wären. Ich kann Ihnen versichern, dem ist nicht so. Mit uns steht und fällt dieser Angriff, und damit auch der Ausgang der Schlacht um das Sterntor-System. Verstärkung ist auf dem Weg, aber sie ist noch nicht nahe genug, um einzugreifen. Wir können nicht warten – ja, wir haben eigentlich schon zu lange gewartet.“ Das war gewagt, konnte – möglicherweise musste – man es doch als Kritik an der bisherigen Strategie verstehen. Aber Mithel ging davon aus, dass seine Untergebenen offene Worte brauchten:
„Sie alle wissen, was auf Masters geschehen ist. Wir haben es nicht verhindern können – aber uns bietet sich jetzt die Gelegenheit, Rache zu nehmen. Ich denke, keiner will sich diese Chance entgehen lassen. Wir werden den Feind angreifen – den Feind, der Masters das angetan hat, den Feind, der die Nationalgarde und die Marines abgeschlachtet hat, den Feind, der wenn er könnte Seafort gleiches und schlimmeres antun würde. Dass wir den Gegner für seine Taten verabscheuen, ja hassen, ist nur natürlich. Aber wir dürfen uns nicht von Emotionen verleiten lassen, blindwütig dreinzuschlagen. Das Imperium wird für seine Verbrechen bezahlen, hier, aber auch in den kommenden Schlachten – doch nur, wenn wir uns an den Gesamtplan halten.“
Der Admiral legte eine kurze Pause ein, ehe er fortfuhr: „Ich kann nur noch einmal betonen, dass es diesmal nicht um individuelles Handeln und Tapferkeit geht, nicht um Heldentaten einzelner Schiffe. Wir alle freuen uns an der Vernichtungsbilanz unserer Schiffe und Verbände, aber dies ist in diesem Fall absolut nachrangig. Ich erwarte, dass Sie das im Kopf behalten. Es spielt keine Rolle, welches Schiff wie viele Feinde vernichtet, so lange sie nur vernichtet werden. Diese Rede werden Sie zweifellos schon oft gehört haben, von mir wie von anderen Kommandeuren. Aber Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass jedes Abweichen von diesem Vorgehen Verrat an unseren Kameraden auf Masters ist, und unsere Chancen auf Erfüllung des Gefechtsauftrages verringert.“ Er sprach nicht aus, was die Konsequenzen von Fehlverhalten sein würden, doch das musste er auch nicht. Worte wie „Verrat“ waren vielleicht nicht ganz wörtlich gemeint, aber ein Mann wie Mithel gebrauchte sie niemals leichtfertig oder als leere Geste.
Es war nicht üblich, erwachsenen Männern und Frauen gewissermaßen schon präventiv eine Standpauke zu halten, aber Mithel hatte zu oft erlebt, wie Augenblickseingebungen, scheinbar oder tatsächlich günstige Gelegenheiten und ähnliches mehr einen Schlachtplan in ein Chaos verwandelt hatten. Das konnte gut gehen – meistens aber zahlte auch auf der eigenen Seite irgendjemand den Preis, wenn auch nicht immer der Verursacher. Die Stimme des Admirals bekam einen fast dozierenden Klang, als er die Schlachtaufstellung umriss:
„Wir werden konzentriert und koordiniert vorgehen. Dies wird kein Duell von Einzelkämpfern, wir müssen als Teil eines Ganzen agieren, wie ein einziger Organismus, eine gut aufeinander eingespielte Vernichtungsmaschine. Zu diesem Zweck werden die Geschwader mit Ausnahme der Freiwilligen und der Fregatten in Halbgeschwader unterteilt. Ich erwarte, dass jedes Halbgeschwader sich auf EIN Ziel konzentriert, bis dieses vernichtet oder zumindest schwer angeschlagen ist. Die Flakkreuzer bleiben aus der Aufteilung ausgeschlossen, sie übernehmen zusammen mit den Fregatten die Nahbereichsabwehr – es steht den Fregatten natürlich frei, nach eigenem Ermessen ihre Schiff-Schiff-Raketen abzufeuern, doch sie und die Flakkreuzer sollen ihre Rohrartillerie vor allem defensiv einsetzen. Die Freiwilligen bilden eine eigenständige Feuergruppe und halten sich im Zentrum unseres Verbandes, wo unsere Kreuzer stehen. Die Flanken werden von den Zerstörern gesichert. Ich will, dass der gesamte Kampfverband Kohortenformation einnimmt, in der Tiefe gestaffelt, mit 40 Prozent Schiffen in der vordersten Linie, die anderen dahinter.“ Er musterte die Flottillenkommandeure der Zerstörer. Hellena Janzek, die zum Columbia-Verband gehörte, war die deutlich erfahrenere Kommandeurin, ihr Kollege Taribo Utaka befehligte einen gemischten Verband, der sich aus Schiffen der leichten Träger und der Systemverteidigung zusammensetzte: „Lassen Sie ihre Einheiten laufend individuelle Abwehrmanöver durchführen, soweit sie das nicht aus dem Gesamtverband entfernt.“
Kohortenformation nannten einige eher klassisch gebildete Militärs eine Taktik, die weniger an die Kriegsschiffduelle in der Ära der großen terranischen Seeschlachten erinnerte als an die Kampfweise antiker Berufsarmeen, namentlich der römischen mit ihren selbstständigen taktischen Untereinheiten, die in der Lage waren, die vorderen Glieder bei Bedarf gegen Reserven aus den hinteren auszutauschen. Dies reduzierte etwas die Frontbreite und Erstschlagswucht, gab den Kämpfern aber eine wesentlich längere Ausdauer. Für einen Auftrag wie diesen, wo es darauf ankam, sich einen Weg in den feindlichen Verband zu bahnen, nicht aber ihn einzukreisen oder zu überflügeln, hatte diese Strategie ihre Vorteile. Sie schuf zudem im Inneren des Verbandes eine Todeszone aus überlappenden Schussfeldern und erleichterte so die Abwehr feindlicher Raketen und Kampfflieger.
Mithel schien kurz zu überlegen: „Die enge Staffelung erleichtert zudem unseren zweiten Kampfauftrag. Durch unsere ECM-Maßnahmen und die Dichte unserer Aufstellung wird es den kaiserlichen Truppen schwer fallen, korrekte Angaben über unsere Stärke zu erhalten, vor allem aber können wir so darauf hoffen, dass unsere Kampfflieger vor einer frühzeitigen Entdeckung relativ sicher sind. Sie werden dann überraschend aus unserer Deckung heraus angreifen. Machen Sie sich jedoch nichts vor, wir müssen mit schwerem Abwehrfeuer rechnen. So wie ein Schiff angeschlagen wird, zieht es sich tiefer in unseren Verband zurück. Die anderen schließen die Reihen und Schiffe aus der zweiten Linie treten an seine Stelle. Wir wollen feindliche Schiffe vernichten und möglichst wenig eigene verlieren, also urteilen Sie nüchtern, riskieren Sie ihr Schiff nicht. Dies ist kein Vernichtungsduell. Denken Sie auch daran, dass wir hier nicht im Feindesland operieren. Wir brauchen weder mit Treibstoff noch mit Munition hauszuhalten. Ich will, dass die leichten und schweren Raketenwerfer Dauerfeuer geben.“ Bei Langstreckenoperationen war das eines der größten Hindernisse, und es hatte etwa bei der Doppelschlacht von Karrashin zu den hohen Verlusten der TSN beigetragen, dass etliche Schiffe mit stark reduziertem Kampfsatz in die zweite Schlacht gegangen waren.
„Und noch etwas – ich will, dass an Shuttles draußen ist, was wir verfügbar haben. Die SAR-Shuttles sollen bei der Bergung von abgeschossenen Piloten, auch gegnerischen, und vor allem von möglichen Schiffbrüchigen helfen. Was die elektronische Kriegführung angeht, so sind wir mit den Flakkreuzern und in unserem eigenen System im Vorteil, und ich gedenke diesen Vorteil zu behalten, deshalb will ich auch an Radarshuttles alles im Einsatz haben, was fliegt. Die Sturmshuttles sollen zusätzliches Abwehrfeuer gegen feindlichen Langstreckenbeschuss geben.“ Das war ein mehrfach praktiziertes aber riskantes Manöver, denn obwohl die Sturmshuttles gut bewaffnet und gepanzert waren, waren sie eine Einladung an beschäftigungslose Akarii-Piloten. Aber Mithel ging davon aus, dass es davon nicht viele geben würde. Schon vor der ,Bekanntschaft’ mit diesen neuen feindlichen Raketenshuttles hatte der Admiral darüber nachgedacht, ob die TSN nicht auf Basis der verschiedenen Sturmshuttles eine Art Kanonenboot entwickeln könnte, eine Einheit zur Feuerunterstützung gegen kleinere Ziele, nur gedacht für systeminterne Einsätze von begrenzter Reichweite. Die Akarii schienen neben ihren „Schnellbooten“ auch so einen Typ entwickelt zu haben…Aber das war noch Zukunftsmusik.
„Außerdem werden sich uns einige Tunkshuttles der Träger anschließen, die für havarierte Jäger bereit stehen. Generell besteht die Weisung, jedem Havaristen der Kampfflieger im Inneren unseres Verbandes einen Platz zu bieten – das ist unter Umständen sicherer als ein Solo-Rückflug. Auch wenn sie unterwegs aussteigen müssen, können wir sie hier leichter aufsammeln.“
Der Rear-Admiral lächelte schmal, ganz und gar nicht aufrichtig erfreut, eher etwas verbissen, als er zum Abschluss des Treffens kam: „Vergessen Sie eins nicht. Wenn es uns gelingt, den Feind hart zu treffen, dann ist die Schlacht um das Sterntor-System effektiv vorüber. Der Gegner weiß, dass er nicht unbegrenzt Zeit hat, er kann es sich nicht leisten, mit Havaristen und einer dezimierten Flotte so viele Lichtjahre von den eigenen Linien entfernt gestellt zu werden. Seine Kampfflieger sind bereits erheblich dezimiert – brechen wir seiner schweren Flotte ein paar Zähne aus, dann bleibt ihm nur noch die Flucht. Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann – Flottenangehörige, Freiwillige, Menschen und Nichtmenschen.“ Sein Lächeln wurde etwas breiter, als er zu zitieren schien: „Um es mit den Worten eines meiner Vorgänger zu sagen: Die Republik erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht tun wird. Meine Damen und Herren – auf die Gefechtsstationen.“ Seine letzte Bemerkung sorgte für einiges Gelächter, außer vielleicht bei einigen abergläubischen Naturen.*
Dann erlosch ein Bildschirm nach dem anderen, als die Kreuzer, Zerstörer und Fregatten sich auf den Kampf vorbereiteten. Die stählernen Kohorten der Republik rückten vor.
TSN-Träger Columbia, etwa zur selben Zeit
Aus einer absonderlichen Laune des Zufalls heraus glich Liljas Einsatzbesprechung der Konferenzschaltung der Kriegsschiffkapitäne, ohne dass ihr das bewusst war. Auch sie ließ eine Schweigeminute für die Gefallenen von Masters einlegen, und während sie noch einmal die Gefechtsdirektiven umriss, spielte sie auf einem Bildschirm Aufnahmen vom bombardierten Masters ein. Wie Mithel machte die Russin klar, dass es nicht um individuelle Abschüsse ging, sondern darum, die Bomber sicher ins Ziel zu bringen. Und wie beim Schwadronschef war klar, dass hier kein offener Meinungsaustausch stattfand.
Allerdings unterschied sich die Besprechung in einigen Punkten deutlich von der des Rear-Admirals. Ihre Piloten waren ausgeruht, boten aber natürlich einen weit weniger prachtvollen Anblick, obwohl sie in den Raumanzügen und mit den umgeschnallten Handfeuerwaffen ziemlich martialisch wirkten. Auch die Sprecherin selber unterschied sich in einigen Punkten von Mithel, nicht nur in Alter, Rang und Geschlecht. Wo er in sich selbst geruht hatte, tigerte sie vor den sitzenden Piloten auf und ab, die Fäuste geballt, ihr Gesicht voller harter Linien. Wo Mithel Gelassenheit und kühle Professionalität ausstrahlte, vibrierte die Pilotin förmlich von kaum verhohlenem Hass auf den Feind. Hass hatte das Holz geschnitzt, aus dem ihre Miene gemacht schien, Hass war die Gussform und gab den Tonlaut ihrer Stimme vor. Wie ein lecker Reaktor schien sie ihre Rachsucht förmlich auszustrahlen, zweifellos in der Erwartung und Hoffnung, damit auch ihre Untergebenen zu kontaminieren. Fairness gegenüber dem Feind war noch nie Liljas Laster gewesen. Doch die Rückschläge der letzten Wochen, die hohen Verluste bei Karrashin, vor allem aber die Beschießung von Hannover und Masters, hatten die keineswegs ausgebrannte Flamme ihres Hasses wieder zu einem mentalen Inferno angefacht. Nur tobte sie nicht, sondern hatte ihre Emotionen gerade noch so unter Kontrolle, was sie nur umso gefährlicher machte.
Die grüne Schwadron war bei der Besprechung nicht unter sich, wie es eigentlich üblich gewesen wäre, und der eine oder andere der Piloten warf den „Neuzugängen“ hin und wieder einen neugierigen, misstrauischen oder unsicheren Blick zu. Wenn einem der Fremden etwas an der Staffelchefin auffiel, ließ er sich das nicht anmerken – verglichen mit einigen verblichenen Staffelchefs der Angry Angels oder anderer Geschwader benahm sich Lilja freilich noch ziemlich rationell und gesittet.
Von den ursprünglich zwölf Fighting Stallions fehlten zwei. Guardsman war gefallen – wenn Lilja damit Probleme hatte oder von den Gerüchten wusste, die bereits über ihre Rolle beim Tod des ehemaligen Nationalgardisten im Umlauf waren, ließ sie sich das nicht anmerken – und Hellcat lag noch auf der Krankenstation. Abat hingegen, der hatte aussteigen müssen, war wieder zurückgekehrt und hatte sich dienstbereit gemeldet. Die Grünen hatten drei Maschinen als Totalverluste verloren, und mindestens zwei weitere waren nur noch Schrott, der gerade so nach Hause gehinkt war. Lilja hatte es jedoch geschafft, die Staffel wieder aufzufüllen und ihre Maschinen ganz vorne auf die Liste der zu reparierenden Einheiten zu setzen. Dazu hatte sie freilich schamlos den Sonderauftrag ausgenutzt, den man ihr aufs Auge gedrückt hatte: „Captain Eris Crawford, Rufzeichen Hattrick, Kommandant der Fast Eagles auf der Midway, wird bei uns mitfliegen. Er koordiniert den gesamten Gefechtseinsatz der Kampfflieger – die taktische Führung der Staffel bleibt bei mir.“ Das war so nicht ganz richtig – wenn der Captain wollte, konnte er natürlich sowohl Kraft seines Rangs wie als Einsatzführer der kombinierten Geschwader Lilja springen lassen. Aber Lilja zog es vor, vor diesem möglichen Problem die Augen zu verschließen. Im Ernstfall würde sie natürlich gehorchen. Sie gab sich dem Captain gegenüber ziemlich reserviert, korrekt, aber alles andere als freundlich. Wie immer bewies sie ihre fragwürdigen Loyalität und Heldenverehrung zu Commander Cunningham, außerdem hatte sie wie er keine hohe Meinung von Crawfords Entscheidungen während der ersten Jägerschlacht. Aber Lilja war auch eine professionelle Soldatin, und hätte sich nie zu so etwas wie offener persönlicher Animosität gegenüber einem Vorgesetzten hinreißen lassen, schon gar nicht in einer Einsatzbesprechung. Sie hatte ihn nur damit genervt, dass sie im Rahmen der Vorbesprechungen ein paar Mal aus ihrer hohen Meinung vom Exchef der Angels kein Hehl gemacht hatte, in einem Tonfall, der eher zu einem hirnlosen Groopie gepasst hätte als zu einer gefühlskalten und zynischen Killerin, zur verborgenen Erheiterung ihrer Untergebenen. Doch Crawford hatte das geschluckt, wenn auch nicht unbedingt begeistert.
Abgesehen davon war die Russin sich nicht zu stolz gewesen, ihre Aufgabe nach Strich und Faden für ihre eigenen Ziele zu missbrauchen. Hattricks Anwesenheit war die perfekte Ausrede gewesen, die meisten anderen Staffelchefs auszustechen. Denn natürlich brauchte sie ausreichend Maschinen und gute Piloten, um dem Captain die nötige Rückendeckung geben zu können. Das ging ja nicht an, dass der Chef des ganzen Kampffliegereinsatzes mehrere Geschwader koordinierte, während er gleichzeitig um sein Leben kurbeln musste, nur weil man ihr neue Maschinen oder einen guten Ersatzpiloten verwehrt hatte. Auf diese Weise hatte sie besonders Ace einige Sahnebonbons vor der Nase weggeschnappt, ohne freilich auch nur Ansätze eines schlechten Gewissens zu haben.
„Fidai – da dein Flightchef gefallen ist…“ für einen Augenblick schwieg die Russin, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt: „übernimmst du den Posten als Rückendeckung für den Captain. Du bist mir dafür verantwortlich, dass er den Rücken frei hat, den Einsatz ungestört zu koordinieren, und dass er zurückkommt. Das ist deine EINZIGE Aufgabe, nichts anderes zählt. Nicht, eine Echse abzuschießen – und nicht, mir oder jemand anderen den Arsch zu retten. Wenn dem Captain etwas passiert, gibt es ein Durcheinander, und bei diesem Einsatz DARF nichts schief gehen. Wir brauchen die Koordination, wenn wir – wir alle – unseren Auftrag erfüllen wollen. Außerdem…“ es wirkte schon fast schockierend, wenn Lilja in dieser Stunde einen Witz versuchte: „würde sein Abschuss den Stallions für alle Ewigkeiten nachhängen.“ Der auf diese Weise mit einer Amme versehene Captain lächelte ein wenig sarkastisch, vermutlich weil er mit einigen Offizieren des Geschwaders schon aneinander geraten war: „Ich kann eigentlich ganz gut auf mich selbst aufpassen – aber ich werde mich bemühen, Ihrer Staffel und ihrem Geschwader die Schande zu ersparen.“ Lilja entschuldigte sich nicht: „Ich weiß, Sir, dass Sie ein guter Pilot sind. Aber ohne gute Rückendeckung… Selbst Lone Wolf hat seinen Flightmann verloren, als er gegen vier Akarii kämpfen musste, obwohl sie zusammen alle abgeschossen haben. Auch die Besten…“
Crawford nahm diese neuerliche unverhohlene Lobenshymne, vorgebracht im Ton rückhaltloser Bewunderung, kommentarlos hin. Lilja riss sich aber dennoch wieder am Riemen: „Fidai ist auf dem besten Weg zum Ass und hat gute Anlagen. Er wird seine Sache gut machen.“
Natürlich hätte man auch einen noch besseren Piloten abstellen können, Imp etwa, Sokol oder Marine, die alle mehr Abschüsse und Kampferfahrung hatten, aber Lilja wollte so viele eingespielte Paare wie möglich zusammenhalten. Und sie hatte noch einen anderen Grund, Fidai diesen Posten zuzuschanzen.
Sie warf dem jungen Piloten einen letzten prüfenden Blick. Für einen Augenblick starrten sich die beiden wortlos an. Lilja erkannte in seiner Miene Zeichen, die ihr nur zu vertraut waren, auch weil sie gewusst hatte, dass sie sie finden würde. Innerlich musste der Mann kochen. Nicht oder nicht so sehr wegen ihrer Entscheidung, sondern wegen dem, was er hatte miterleben müssen. Erst ein paar Stunden zuvor waren hunderte seiner Glaubensbrüder gefallen, einige davon als Kamikazepiloten, und jetzt bombardierten die Akarii den Planeten, der für seine Religion nach der Erde der wichtigste war. Er hatte zweifellos Liljas Appell vor dem ersten Einsatz noch im Kopf, dass es an ihnen sei, Masters zu schützen, und er wusste, sie alle hatten versagt.
Lilja hoffte, wenn sie Fidai einen Defensivauftrag gab, würde ihn das vor…übereiltem Handeln bewahren. Nicht, dass sie sich zwischen einen Menschen und seine Rache stellen wollte, nichts verstand sie besser als das. Aber für alles gab es den richtigen Zeitpunkt. Und vermutlich war Fidai auch klar, warum Lilja so handelte.
Das Blickduell dauerte nur einige Sekunden und fiel wohl nur den aufmerksamsten Beobachtern auf. Dann neigte der junge Pilot leicht den Kopf, grimmig, aber entschlossen: „Ich werde meine Pflicht tun…was immer es kostet.“
Lilja brach den Blickkontakt mit einem knappen Nicken ab, als sei das selbstverständlich, und wandte sich an die anderen Piloten: „Die anderen Paare bleiben wie bisher. Crow – du übernimmst die zweite Position bei unserem anderen Neuzugang.“
Erstaunlicherweise schien die Russin, die sich durch Captain Crawford nicht hatte verunsichern lassen, nun etwas zu zögern.
Das lag sicher nicht am Aussehen der Pilotin, die zu den Stallions gestoßen war. First Lieutenant Ming Mi-li – oder Mi-li Ming, wenn man sich an die westliche Gewohnheit hielt, zuerst den Vornamen zu nennen – alias Yànzi oder Schwalbe, sah vielleicht beunruhigend aus, nicht aber direkt einschüchternd. Sie war kleingewachsen, schlank, und ihr Gesicht war von einer makel- und zeitlosen Schönheit. Zumindest wäre es das gewesen, wenn ihr nicht praktisch jedes Kopfhaar gefehlt hätte. Vielleicht als Ausgleich hatte sie einige Schriftzeichen auf die Stirn tätowiert. Eines ihrer Augen war braun, das andere schwarz, und das alles zusammen gab ihr ein fast schon alienhaftes Aussehen.
Lilja schien nicht richtig zu wissen, wie sie mit der anderen Frau umgehen sollte. Am Aussehen konnte es nicht liegen, immerhin hatte sie in der Vergangenheit nichts dabei gefunden, zwei-Meter-Hünen anzuschreien. Doch dann schien sich die Russin zusammenzureißen: „First Lieutenant Ming kommt von den Gunriders, von der Anzac.“ Sie schwieg wieder einen Moment, offenbar wollte sie ihrer neuen Untergebenen Zeit lassen, etwas zu sagen. Die aber schwieg vorerst, mit einem Gesichtsaudruck, der bar jeder Emotion war, was Lilja wieder verunsicherte. Wie ging man mit jemandem um, der gerade praktisch alle Schiffskameraden verloren hat, dazu vermutlich auch eine ganze Reihe Geschwadermitglieder, die mit ihren Maschinen abgeschossen worden waren? Offenbar war das sogar für jemanden wie die Eisprinzessin ein Problem.
Doch die Anzac-Pilotin ließ sich weder zu einer Regung noch zu einer Äußerung hinreißen. Lilja blieb nichts anderes übrig, als weiterzumachen: „Lieutenant Ming, Ihnen als Veteranin brauche ich unsere Aufgabe nicht näher zu erläutern. Ich weiß, Sie werden unserer Staffel eine große Hilfe sein, auch wenn ich wünschte, der Anlass wäre weniger tragisch. Ich fühle mit Ihnen, und wir werden unser Bestes tun, die Anzac zu rächen.“ Sie klang aufrichtig, was kein Wunder war. Trauer um gefallene Kameraden und vor allem das Thema der Vergeltung waren für Lilja Teil ihres Alltags. Die andere Pilotin verneigte sich formell: „Es ist mir eine Ehre, in Ihrer Staffel zu fliegen.“ Die Stimme war sorgfältig moduliert und ruhig, ohne jede Spur von Trauer, Schock – oder auch Rachsucht. Lilja zögerte noch einmal, als so als überlegte sie, noch etwas zu sagen, dann aber straffte sie sich: „Captain, Piloten – das wäre es erst einmal. Weggetreten, Captain, machen Sie sich bitte flugbereit…Knight und Abat, Sie bleiben noch.“
Der Abgang der Entlassenen vollzog sich gesittet – sie ließen dem Geschwaderchef der Midway den Vortritt, und hielten auch zu First Lieutenant Ming Abstand. Von Überschwang, launigen Bemerkungen oder ähnlichem konnte keine Rede sein, denn die Bilder von Masters, der Ausgang der Schlacht um den Planeten und der Opfertod der Verteidiger lasteten noch immer auf den Piloten, ebenso wie der Tod von Guardsman. Er war „nur“ ein Neuling gewesen, noch nicht lange in der Staffel, und er hatte niemandem besonders nahe gestanden, aber dennoch bedrückte sein Schicksal seine Kameraden. Wenn jemand von ihnen Lilja deswegen einen Vorwurf machte, zeigte er oder sie es jedoch nicht offen.
Die Russin musterte die zwei zurückgebliebenen Piloten kurz, bevor sie zu sprechen begann: „Abat – ich wollte dir noch sagen, dass ich stolz auf dich bin. Sich sofort wieder einsatzbereit zu melden, auch wenn man nach einem Abschuss noch angeschlagen ist, erfordert Mut und Einsatzgeist. Du besitzt beides, und wirst sicher eines Tages ein Vorzeige-Ass werden. Du hättest versuchen können, dich vor den Einsatz zu drücken, aber du hast es nicht getan, und deshalb sind du und Sokol weiterhin ein aufeinander eingespieltes Team.“ Der junge Pilot strahlte über dieses Lob, auch weil man dergleichen von Lilja nicht allzu oft zu hören bekam. Er hatte seit seiner Ankunft auf der Columbia vor der Schlacht von Karrashin eine gewisse Heldenverehrung für Lilja gezeigt, und die war seitdem nur noch gewachsen: „Danke…danke, Commander! Ich bemühe mich, Ihnen in jeder Hinsicht nachzueifern. Das ist sehr freundlich von Ihnen!“
Lilja lächelte schmal: „Nun, besser nicht in jeder Hinsicht – eifere mir nicht nur nach. Mach es noch besser.“ Sie nickte ihm knapp zu: „Bis gleich.“
Etwas wehmütig schaute sie dem jungen Piloten hinterher, als er aus dem Besprechungsraum stürmte. Dann wandte sie sich Knight zu: „Was, kein sarkastischer Kommentar?“
Der ehemalige Bewährungspilot schien nachdenklich und rieb sich das Kinn, obwohl in seinen Augen etwas von seiner alten Spottlust funkelte. Er schien sich inzwischen wieder im Griff zu haben: „Wäre wohl nicht ratsam. Zum einen weil Sie mich eben erst wieder vom Boden aufgeklaubt haben, da geben ich Ihnen lieber keine Chance, mich gleich wieder niederzumachen. Und außerdem…wollen Sie mir Abat als Vorbild unter die Nase reiben?“
Lilja zuckte mit den Schultern: „Du bist hier, und du fliegst, das reicht doch wohl. Ich trete üblicherweise…“ Sie betonte das letzte Wort etwas: „nicht noch extra nach, vor allem nicht, wenn jemand seinen Fehler, seine Schwäche oder was auch immer überwindet und einsieht. Als Vorbild? Ich glaube nicht. Brauchst du ein Vorbild, kannst du etwa nicht selber Vorbilder erkennen, WENN du sie brauchst? Du bist ein besserer Pilot, er hat bisher nicht Nerven gezeigt wie du. Beides kann sich noch ändern – er kann dich überhohlen, oder, wenn er dasselbe durchmacht wie du, kann er ebenfalls Probleme bekommen.“
Ihre dunklen Augen bekamen einen merkwürdigen intensiven Glanz: „Hör mir gut zu, Knight. Ich weiß, ich gehe ein Risiko ein, wenn du noch mal fliegst. Ich respektiere dich, weil du es trotzdem versuchst. Auch, weil wir da draußen jeden Piloten von deinem Format brauchen. Ich verlasse mich sogar so weit auf dich, dass ich dir etwas anvertraue, das mir sehr, sehr viel bedeutet – das Leben meiner besten Freundin. Sie wird jemanden wie dich brauchen, da draußen. Wir alle brauchen jemanden, der auf uns aufpasst. Ich hoffe, du weißt, was mir das bedeutet. Mach deine Sache gut, ich verlasse mich auf dich.“
Ausnahmsweise gab Knight keine spöttische Erwiderung, sondern klang wirklich aufrichtig. Er wusste, er schuldete Lilja einiges: „Sie wissen, eine Garantie gibt es nicht. Aber ich passe auf Imp auf…“ und dann konnte er doch ein Grinsen nicht unterdrücken – gefühlsschwangere Dankbezeugung lagen ihm nun einmal nicht: „Normalerweise wechsle ich sowieso meine Flightkameradinnen im Cockpit nicht so schnell, nur die im Be…“
Lilja verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse und schnitt ihm brüsk das Wort ab: „Davon habe ich nichts gehört! Davon will ich nichts hören!“ fauchte sie, auf das Fraternisierungsverbot und ihre eigenen Warnungen an Knights Adresse anspielend.
Der Pilot salutierte lächelnd, und im Gehen warf er noch eine letzte Bemerkung hin: „Ach ja, im Moment bin ich ja vergeben, aber nur sicherheitshalber…Imp ist nicht zufälligerweise noch zu haben…?“
„RAUS!“
* „England erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht tun wird.“ Flaggensignal von Admiral Horatio Nelson vor der Schlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805, die mit einem großen Sieg über die verbündeten Spanier und Franzosen endete, ihm aber das Leben kostete. Seitdem vielfach zitiert und persifliert.
Cattaneo
Tyr
„Ich künde euch Feuer, Tod und Untergang. Grausame Klingen, Klauen und Fänge, blutrote Verheißung des Verhängnisses. Eine Schwert-Zeit wird kommen, eine Speer-Zeit, die Zeit des Hasses und der grimmigen Verachtung.“
aus einer antiken Akarii-Prophezeiung, präimperiale Ära
Imperialer Flottenträger KAHAL
Die Zweite Schlacht im Sterntor-System war vorbei. Von den Verteidigern des Planeten Masters waren nur noch zerschossene Wracks, Rettungskapseln und einige versprengte Reste und Flüchtlinge übrig geblieben. Aber während Admiral Taran die Reste der Raumschlacht betrachtete, war kein Lächeln auf seinen kantigen Gesichtszügen. Er hatte einen Sieg errungen, aber er wusste selber, das Kräfteverhältnis war allzu ungleich gewesen. Und dennoch hatten die Verteidiger es geschafft, die imperiale Flotte härter zu treffen, als es hätte möglich sein sollen. Ein kostbarer Kreuzer war verloren, dazu ein paar leichte Einheiten. Sehr viel mehr Schiffe hatten Schäden hinnehmen müssen. Und das teilweise auf eine Art und Weise…
„Admiral? Die Reste der feindlichen Fliegereinheiten haben die Atmosphäre von Masters erreicht, was unsere Ortung erschwert. Wie befohlen brechen unsere Jäger die Verfolgung ab und kehren zu den Trägern zurück. Kapitän Zanni meldet, dass laut ihren letzten Analysen die Verluste der feindlichen Fliegereinheiten bei zwischen sechzig und achtzig Prozent liegen. Die Verluste der Großkampfschiffe…“
„Was ist mit den Rettungsmaßnahmen?“ Die Stimme des Flottenbefehlshabers klang so leise und seltsam abwesend, dass der angesprochene Brückenoffizier kurz zögerte, bevor er antwortete: „Alle georteten imperialen Rettungskapseln geborgen, Admiral. Die menschlichen…“ Taran winkte ab. Offenbar rangierten die terranischen Schiffbrüchigen weit unten auf seiner Prioritätenliste. Es war ratsam sie zu retten, um Informationen zu gewinnen und dem Gegner Kampfkraft zu entziehen. Aber abgesehen davon hatten sie keinen echten Wert.
„Befehl an die Zweite Zerstörerdivision und Ka’wals Kreuzer. Vernichtung der aufgegebenen terranischen Einheiten durch Geschützfeuer. Ich will nicht, dass die Menschen eines ihrer Schiffe einschleppen.“
„Zu Befehl.“
„Und ich will nicht, dass die terranischen Wracks im Nahbeschuss vernichtet werden. Feuereröffnung auf maximale Entfernung. Nicht, dass sie noch eine Überraschung vorbereitet haben…“
„Glauben Sie das wirklich, Admiral?“
„Nein. Aber ich habe auch nicht geglaubt…
Sie haben ihre Befehle.“ Der Kommandant der Kampfgruppe versank wieder in nachdenkliches Schweigen, und ein paar Minuten lang wagte es niemand, die lastende Stille zu durchbrechen. Jeder auf der Brücke konnte sich denken, woran er dachte.
„Wann wird die TSN uns erreichen?“
Es war Kapitän Los, die diese Frage beantwortete. Sie hatte sie kommen sehen: „Etwa sechs Stunden, wenn wir diese Position halten. Entsprechend weniger, wenn wir auf Gegenkurs gehen. Wenn wir uns zurückziehen…“
„Nein. Nein, das ist keine Option. Das wäre nicht nur das falsche Signal, es würde uns auch zu weit von unseren besten Sprungoptionen wegführen. Offensichtlich haben sie ihren Mut wiedergefunden. So oder so, wir kommen hier nicht mehr raus, ohne uns ihren Kriegsschiffen zu stellen – außer die Terraner machen noch einmal kehrt und fliehen. Aber das werden sie nicht tun. Und die Zeit arbeitet für sie. Irgendwann muss die Verstärkung eintreffen, die sie bei unserem Eintreffen in diesem System mobilisiert haben. Wenn wir ihren mobilen Verbänden noch einen entscheidenden Schlag verpassen wollen, dann muss es bald geschehen. Und außerdem…“, der Admiral bleckte kurz die Zähne und in seine ruhige Stimme schlich sich ein harter, schleifender Unterton, „…will ich ihr Blut sehen.“
Thera Los zwinkerte kurz und hatte Mühe ihr Gesicht ausdruckslos zu halten. ‚Damit dürfte Matirs Frage beantwortet sein, ob der Admiral bereit ist, dem Gegner an die Gurgel zu gehen.‘
Nun ja, sie hätte damit rechnen müssen. Die Art und Weise, wie die Verteidiger von Masters angegriffen hatten, war eine Überraschung, fast ein Schock gewesen. Für sie, für Taran – und sogar für altgediente Kapitäne wie Matir. In früheren Schlachten war es gelegentlich vorgekommen, dass totgeweihte republikanische Schiffe ihr imperialen Gegner zu rammen versuchten, aber das hier…
Das war noch etwas anderes. Von imperialen Soldaten konnte man eine gezielte Selbstaufopferung erwarten, sogar fordern und befehlen. Aber von Menschen?! Von einem Volk, dass keine Mission im Universum hatte, keine vom Schicksal, den Göttern und den Ahnen auferlegte Bestimmung, keine durch die Jahrtausende geheiligten Fäden aus Gehorsam, Ehre und Pflichterfüllung, die jeden Soldaten mit dem gottgleichen Herrscher verbanden? Ein Volk, das seine Anführer alle paar Jahre WÄHLTE?!
Dass diese Wesen es gewagt hatten, ihr Leben in eine Waffe umzuschmieden…manchen in der imperialen Flotte mochte das beeindrucken. Taran schien es als Beleidigung aufzufassen, als einen Angriff auf seine Ehre und die Ehre seiner Flotte. Oder er war ganz einfach wütend über die Verluste, die die Rikata-Kampfgruppe dadurch erlitten hatte, so scheinbar begrenzt sie auch sein mochten. Los hoffte, dass Tarans Wunsch nach Vergeltung nicht über seine taktischen Analysefähigkeiten triumphieren würde. Nicht, dass er eine große Wahl hatte. Von einem imperialen Flottenkommandeur wurden bestimmte Dinge erwartet. Was allerdings nicht heißen musste, dass jeder mit seiner Entscheidung einverstanden war.
„Und Masters? Soll unser Sieg umsonst gewesen sein? Wir drehen schon wieder um, diesmal um die TSN anzugreifen? Das hätten wir schon sehr viel früher…“
„Nein und Nein auf Ihre Fragen. Und ich dachte, ich hätte Ihnen die Gründe für den Verzicht auf eine sofortige Verfolgung der zurückweichenden TSN-Formation bereits ausführlich dargelegt, Matir.“
„Das kann uns teuer…“
Der Admiral brachte seinen Untergebenen mit einer schneidenden Handbewegung zum Schweigen: „Glauben Sie, ich weiß das nicht, Matir?! Aber im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun, als über Vergangenes und Mögliches zu streiten.“
„Ich verstehe ja, dass Sie sich der feindlichen Flotte stellen wollen. Und dadurch, dass wir die Verteidigungsstreitkräfte von Masters ausgeschaltet haben, minimieren wir die Gefahr, von zwei Seiten angegriffen zu werden. Aber ich glaube nicht, dass viele Mannschaften und Offiziere es gern sehen werden, dass wir die Beute, die wir niedergekämpft haben, jetzt einfach zurücklassen.“
„Und das habe ich auch nicht vor. Matir, lassen Sie einen neuen Kurs berechnen. Wir werden den Planeten umrunden. Soll der Feind ruhig denken, dass wir vor ihm zurückweichen oder uns verstecken wollen. Während wir Masters passieren…“, da war er wieder, dieser harte, fast grausame Unterton, „…will ich, dass jeder Posten auf unserer Liste potentieller Bodenziele der in Reichweite unserer Flotte ist, zu Asche verbrannt wird. Ich habe den Menschen ein Versprechen gegeben – und das werde ich halten.“
„Nur militärische und industrielle Ziele, Admiral?“
Taran zögerte, wenn auch nur ein paar Herzschläge lang: „Ja. Auch wenn ich mit Vergnügen den Himmel ihrer Städte für immer verdunkeln würde…
Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Untertanen des Imperiums, die der fragwürdigen Gnade der Menschen ausgeliefert sind. Ich will nicht, dass ihr Blut an unseren Händen klebt.“
„Die Menschen von Masters werden schon genug leiden.“ setzte Thera Los hinzu. Ein Orbitalbombardement im Passierflug war keine saubere Sache.
„Genug? Genug, nachdem sie beschlossen haben, dass unser Tod den ihren wert ist? Ich hätte nicht übel Lust, ihnen diese Rechnung bis zur letzten Konsequenz zu präsentieren. Aber das ist ein sinnloser Gedanke.“
„Ich weiß nicht, ob das…“
„Was denn noch, Matir? Landen können wir nicht. Ihre Garnisonsschiffe, Fliegerverbände und Orbitalstationen sind zerstört. Dazu die Verwüstung, die unser Bombardement anrichten wird...
Mehr kann ich dem Blutdurst nicht opfern, ohne ein wahlloses Massaker anzurichten. Und das werde ich nicht tun.“
Thera Los registrierte abwesend, dass der Admiral bewusst oder unbewusst eine altertümliche Wendung in seine Worte eingeflochten hatte, die sich eigentlich auf die Darbringung eines sakralen Blutopfers bezog.
„Und die feindlichen Kriegsschiffe, die uns entkommen sind?“
„Wir haben keine Zeit, sie zu verfolgen. Und ihnen unsere Bomber und Jagdbomber hinterherzuschicken…wir werden sie noch früh genug brauchen. Ich will sie nicht unnötig übermüdet in den Einsatz schicken. Das sind ein paar Korvetten einfach nicht wert.“
Matir nickte – widerwillig, aber zustimmend: „Ein Vorschlag Admiral…wir sollten bei unserem Passierflug ein paar Minen in einem semistabilen Orbit aussetzen. Wir hätten gute Chancen, dass die Menschen das nicht bemerken, und wenn erst einmal eines ihrer Schiffe getroffen wird…“
„Werden die Menschen erst dann Ruhe finden, wenn sie den ganzen Planetenorbit mehrmals abgesucht haben. Vielleicht stellen sie Masters sogar unter Quarantäne. Das könnte den Wiederaufbau behindern und eine Panik am Boden auslösen. Es ist kein beruhigender Gedanke, dass ein paar feindliche Atomsprengköpfe den Planeten umkreisen…
Eine gute Idee, Matir. Veranlassen Sie das.“
Währenddessen wandte sich der Admiral wieder dem eigentlichen Problem der Rikata-Kampfgruppe zu, das sich mit Höchstgeschwindigkeit näherte: „Nachdem wir Masters umrundet und…bestraft haben, werden wir, beschleunigt durch die Gravitation des Planeten und aus seinem Ortungsschatten heraus, unsere Verfolger angreifen.“
„Wie es aussieht, schicken Sie uns vor allem Kreuzer entgegen, unterstützt von leichten Einheiten und…“
„…und ziemlich sicher ihre Kampfflieger. Oder zumindest einen Teil.“
„Welche Formation werden Sie befehlen?“
„Standardabwehrformation, bis wir auf doppelte Raketenreichweite heran sind. Dann bilden die Schiffe eine Dak‘sun. Die Zeit müsste reichen…“
‚Dak’sun’ bedeutete ‚Becher’, auch wenn die Formation eigentlich eher einer flachen Schale oder einer dickwandigen konkaven Linse ähnelte. Sie wurde als ideale Möglichkeit angesehen, um einen zahlenmäßig unterlegenen Gegner einzukreisen oder einem gleichstarken oder sogar überlegenen Feind Schwierigkeiten zu bereiten. Zumindest wenn dieser in einer der massierten und tief gestaffelten Block-, Abwehr- oder Durchbruchsformationen kämpfte, wie sie bei der TSN und dem Imperium beliebt waren. Bei der Dak’sun standen die größten und wertvollsten Schiffe in der Mitte des Verbandes, bildeten quasi den ‚Boden’ der ‚Schale’. Ging der Feind gegen dieses verlockende Ziel vor, konnte er von allen Seiten ins Kreuzfeuer genommen werden. Konzentrierte er sich auf die ‚Ränder’ der Formation, die üblicherweise aus schnellen Einheiten bestanden, die von einigen Großkampfschiffen unterstützt wurden, lief er Gefahr, dass ihm das feindliche Zentrum in die Flanke fiel.
Allerdings war diese Formation nicht unbedingt dazu geeignet, einen massierten Kampffliegerangriff abzuwehren.
Und genau daran wurde Admiral Taran jetzt von dem Kapitän der KAHAL erinnert.
Der Flottenchef hörte dem Trägerkapitän zu, zuckte dann aber nur kurz mit den Schultern: „Die übernehmen unsere Jäger. Das Abfangen der feindlichen Bomber hat Priorität. Und zur Sicherheit…behalten wir die KALLEH und einen Teil unserer Flakeinheiten bei den Trägern. Zanni soll wieder die Koordination der Jägerabwehr übernehmen. Sie hat sich bewährt. Und ihr Kreuzer hat sowieso eine modernere CIC-Zentrale und bessere Sensoren als die CHA’KAL und die KAHAL. Außerdem wird der Einsatz von Atomraketen gegen feindliche Kampffliegerformationen autorisiert. Falls sich eine günstige Gelegenheit ergibt, soll kein Kapitän erst noch nachfragen müssen. Denken Sie daran, Matir, das Hauptziel der gegnerischen Flieger werden unsere Träger sein. Sie werden diesem Ziel nicht widerstehen können. Mit etwas Glück konzentrieren sie sich dabei auf die GIBIT, aber wir sollten nicht darauf vertrauen. Aber wie dem auch sei, sie werden auf unser Herz zielen. Und um es zu erreichen werden sie durch die Hölle fliegen müssen. Mit dem, was durchkommt…werden wir fertig.“
„Und wenn diese Piloten eine ähnliche Einstellung zum Tod haben, wie die Verteidiger von Masters?“
„Unsinn, Matir. Das können Sie nicht vergleichen. DIESE Kampfflieger werden die Chance und die Möglichkeit haben, wieder zu landen und neue Waffen zu laden. Die TSN kann sich notfalls zurückziehen. Die Garnisonsflieger von Masters konnten weder das eine noch das andere. Sie waren uns zahlenmäßig unterlegen. Das war ihre einzige Chance, uns ernsthaft zu schaden. Die TSN ist nicht in einer derart verzweifelten Situation.“
„Haben wir aber ein Glück…und ihre Großkampschiffe? Ich weiß, wir haben die Dak’sun-Formation in den letzten Jahren nur selten angewandt…“
„Weil sie schon aus der Mode kam, als wir unsere Schlachtschiffe einmotten mussten. Und der Kampf gegen einen Gegner mit so starken Fliegerverbänden wie die TSN hat dem Einsatz derartiger Taktiken dann fast den Todesstoß versetzt. Zu viele Flottenadmirale halten inzwischen alleine den Einsatz der Kampfflieger für Schlachten entscheidend und operieren ziemlich einfallslos in immer denselben tief gestaffelten Formationen. Und solche Debakel wie der Kreuzerangriff bei Karashin oder der Zusammenbruch von Prinz Jors Flotte nach dem Ausfall der KORAX haben diese Einstellung noch verstärkt.
Aber genau deswegen wird es funktionieren. Denken Sie daran, wie sie ihre Flieger bisher eingesetzt haben. Ihr einziges Ziel war die Vernichtung unserer Jäger, damit wir später ihre Bomber nicht mehr stoppen oder unsere Kampfflieger adäquat beschützen können. Sie haben nicht einmal VERSUCHT unseren Großkampfschiffen zu schaden. Das war die-Flieger-entscheiden-die-Schlacht in Reinkultur.
Wenn der Admiral da drüben so denkt wie ich es vermute – wie die meisten menschlichen Strategen – dann wird er auch mit den Kreuzern auf unser Zentrum zielen. Auf die Träger. Und das wird es uns erlauben, sie bei ihrem Vorrücken an den Flanken zu packen und ins Kreuzfeuer zu nehmen.“
„Und wenn sie doch lieber auf eine unserer Flanke zielen?“
„Dann fällt diese zurück, während die anderen flankierenden Verbände und das Zentrum vorrücken. Die Menschen bevorzugen kompakte Formationen. Wir sind schneller und zahlreicher. Wir werden sie einkreisen.“
„Hoffentlich. Wenn die dort drüben jemanden haben der etwas imaginativer und flexibler ist und unsere alten Strategiehandbücher kennt…“
„Dann haben wir so oder so ein Problem. Aber so jemanden mit einer simplen Block- oder Durchbruchsformation zu begegnen wäre genauso riskant.“
‚Aber so würde auf jeden Fall ein Großteil von uns durchkommen, wenn etwas schiefgeht. Wir könnten uns den Weg freischießen, wenn auch unter Verlusten.’ Doch diesen Einwand behielt Thera Los für sich. Vielleicht sah sie das alles zu schwarz. Aber ihr wäre es lieber gewesen, wenn die Rikata-Kampfgruppe sich nach dem letzten Schlagabtausch zurückgezogen hätte. Es wäre ein klarer, ein sehr blutarmer Triumph gewesen. ‚Hoffentlich ist Taran jetzt flexibel genug, seine Strategie anzupassen, wenn der Gegner nicht nach seinen Erwartungen agiert.’
„Und unsere Kampfflieger?“
„Werden wir einsetzen – aber nur auf kurze Distanz. Für einen Langstreckensoloeinsatz gegen ihre Träger fehlen uns inzwischen etwas die Kräfte. Wir dürfen uns nicht verzetteln. Mal sehen, wie der feindliche Kreuzerkommandeur seine Abwehr – und seinen Angriff – koordinieren kann, wenn er gleichzeitig im Gefecht mit unseren Großkampfschiffen steht. Wir werden unsere Kampfflieger hart, schnell und konzentriert zuschlagen lassen. In Zusammenarbeit mit unseren Gefechtsraumern. Die Zeit für heldenhafte Alleingänge ist vorbei.“
„Was ist mit den Schnellbooten? Sie haben sich bewährt.“
„Leider ist der Feind jetzt vorgewarnt. Wir werden sie weiterhin einsetzen, dürfen sie aber nicht verheizen. Sie sollen den Schutz der Flotte nicht oder höchstens kurz verlassen. Es wird auch so genug Ziele für ihre Atomraketen geben…“
„Wollen Sie den Menschen wieder eine…Grußbotschaft zukommen lassen, Admiral?“
„Diesmal nicht. Unsere letzten Botschaften hatten die Aufgabe, den Gegner zu täuschen, zu verunsichern, ihn zu reizen. Es bestand immerhin eine schwache Chance, dass die Garnisonsverbände von Masters kapitulieren oder sich zurückziehen. Und ich wollte dem Angriff auf das Parrak-System ein Gesicht zu geben. Das zumindest ist uns gelungen. Aber ich glaube nicht, dass wir die TSN jetzt noch weiter aufstacheln können oder sollten. Sie werden sich für ihre frühere Feigheit rehabilitieren wollen. Und Rache für Masters nehmen.
Was wir bräuchten, wäre eine Möglichkeit, Zeit zu gewinnen, die Illusion unserer überlegenen Stärke aufrecht zu erhalten. Aber eine solche Möglichkeit…sehe ich nicht. Würden wir Akariis gegenüberstehen, könnten wir eine zeitweilige Waffenruhe anbieten. Einen Austausch von Gefangenen. Aber den Menschen? Damit würden wir uns entehren. Wir würden die Moral unserer eigenen Truppen schwächen, und die des Gegners stärken. Ich denke…ich habe dem Gegner alles gesagt, was er hören sollte. Die nächste Botschaft…“, der Vizeadmiral lächelte düster, „…wird aus Feuer und Blut bestehen.“
Kapitän Matir schnaubte amüsiert: „Ich habe schon gehört, dass Sie eine Vorliebe für Klassiker haben.“
„Und wenn wir mit der TSN fertig sind?“
Der Admiral grinste kurz: „Ich mag es, wie Sie denken, Los. Das hängt natürlich davon ab, in welchem Zustand wir dann sind.
Wenn alles gut geht und wir die TSN aus dem Feld schlagen, wäre ein Angriff auf Seafort immer noch eine verlockende Option. Wir könnten aber auch das Bombardement Masters fortsetzen und unsere Zielliste…abarbeiten, auch wenn das nur ein…Trostpreis wäre. Masters militärisch-industrielle Bedeutung ist und bleibt überschaubar.“
„Und wird in etwa einer Stunde noch überschaubarer sein, Admiral.“ Matirs gallige Bemerkung erntete ein kurzes, hartes Gelächter der anwesenden Brückenoffiziere.
Auch der Admiral lächelte knapp, und fuhr dann fort: „Zieht sich die terranische Flotte wieder nach ein paar harten Schlägen überhastet zurück…“
„Sollten wir diesmal vielleicht nachsetzen. Sonst bekommen Sie doch noch ihre Meuterei, wenn wir uns diese Chance erneut entgehen lassen.“ schaltete sich der Kapitän der KAHAL ein.
„Mit Ka’wal und seinem Anhang der Mit-dem-Schädel-durch-die-Wand-Taktiker werde ich fertig, Matir. Aber vielleicht haben Sie Recht. Immerhin werden wir diesmal wesentlich näher am feindlichen Verband stehen. Diesmal hätte ein Verfolgung tatsächlich SINN…“
„Und wenn es nun NICHT so läuft, wie wir es uns erhoffen?“ hakte Matir nach.
Der Admiral presste kurz die Lippen zusammen. Zweifellos dachte er daran, was eine solche Situation für ihn, seine Karriere und den Draned-Sektor bedeuten mochte: „Was denken Sie denn, Matir? Dann greifen natürlich die Notfallpläne. Umgruppierung zu einer defensiven Marschformation, Durchbruch zum nächstgelegenen Sprungpunkt, Rückzug Richtung Draned-Sektor. Der Kapitän der CHA’KAL ist ebenfalls dahingehen instruiert worden…“
Das würde natürlich nur dann eine Rolle spielen, wenn Taran ausfiel. Was höchstwahrscheinlich mit dem Untergang der KAHAL verbunden wäre. Der Gedanke an diese Möglichkeit ließ Matir von weiteren Einwänden Abstand nehmen.
Der Admiral hatte sich inzwischen über einen Sekundärbildschirm gebeugt, der die Umgruppierung Kampfgruppe zu einer Dak’sun simulierte. Falls ihn die Möglichkeit seiner eigenen Sterblichkeit beunruhigte, dann verbarg er das jedenfalls sehr gut. Nachdenklich tippte er gegen den Bildschirm: „Hätten wir nur mehr Kreuzer. Ach was – wir bräuchten Schlachtkreuzer für die Flankenformationen, und Schlachtschiffe für das Zentrum…“
„Admiral?“
„Schwer bewaffnete und gepanzerte Einheiten, die besser in der Gefechtslinie operieren können als Träger. Bei denen nicht so viel Platz und Energie für Kampfflieger verschwendet wird. Natürlich müssten sie stärker automatisiert werden, um die Mannschaft klein zu halten…“
„Der letzte Einsatz unserer reaktivierten Schlachtschiffe…“
„Ich weiß. Aber das war kaum mehr als ein Notbehelf. Eine Improvisation. Wir haben uns weder Zeit genommen, die reaktivierten Einheiten umfassend zu modernisieren, noch haben wir innovative Gefechtsdoktrinen für ihren Einsatz entworfen. Stattdessen setzen wir sie jetzt als Zielschiffe für die TSN ein…“ Der Admiral tippte leicht abfällig auf das Symbol der GIBIT. „Nun ja, hoffentlich kann dieses Monstrum wenigstens DEN Zweck erfüllen…
Natürlich wäre es besser wenn wir dem Gegner etwas Anspruchsvolleres bieten könnten, als die gute alte Dak’sun. Aber wir dürfen auch unsere eigenen Kapitäne nicht überfordern. Bleiben wir also simpel.“
Matir schnaubte kurz. Für seinen Geschmack war Tarans Taktik wahrscheinlich bereits kompliziert und riskant genug.
„Entspannen Sie sich, Matir.“
„Ich werde mich entspannen, wenn wir diese Schlacht für uns entschieden haben.“
„Immerhin, bisher hat der Gegner mehr Fehler gemacht als wir. Das sollte Sie beruhigen. Wir sollten wohl darauf hoffen, dass die Terraner mit ihrem Kommandoschiff nicht auch den Befehlshaber verloren haben, der diese Fehler gemacht hat…“
Kapitän Matir ging nicht auf den Scherz ein. Unbeeinflusst von den Überlegungen, Hoffnungen und Befürchtungen der Männer und Frauen an Bord setzte die riesige Armada ihren Marsch fort und raste wie ein in Stahl und Feuer gegossenes Verhängnis dem Planeten Masters entgegen.
Cattaneo
Tyr
COLUMBIA
Diesmal waren sie bei der Staffelbesprechung nur noch zu zehnt. Jimmy’s Schicksal war weiterhin ungeklärt, und da Spacer von Kano aufgrund der zu geringen Maschinenzahl auf den Boden verbannt worden war, hatte er darauf verzichtet, zu erscheinen. Normalerweise hätte Kano ihn wahrscheinlich hierher zitiert und ihm gründlich den Kopf gewaschen, aber er hatte sich dann doch dazu entschlossen, dem Piloten eine kleine Trotzphase zu gönnen. Immerhin konnte er Spacers Verärgerung verstehen. Und es war ja nicht so, als ob es momentan für den jungen Piloten irgendetwas zu tun gab. Falls die Schwarze Staffel (oder eine andere Einheit) doch noch einen weiteren Piloten benötigen sollte, würde er bereit sein. Und nur darauf kam es an.
Was Spacers augenblickliche nicht allzu kollegiale Absenz anging – nun dafür würde er von seinen Kameraden schon noch das eine oder andere zu hören bekommen.
Abgesehen davon ähnelte die Szenerie der letzten Startbesprechung. Wieder hatten sich die Piloten im lockeren Halbkreis um Kano versammelt, der sie mit vor der Brust verschränkten Armen musterte und seinen Blick routinemäßig von einem zum anderen wandern ließ, als wolle er ihre Einsatz- und Leistungsbereitschaft überprüfen. Auch die Reaktion der Piloten war fast dieselbe wie beim letzten Mal. Flyboy wandte schon wieder den Kopf zur Seite. Und Huntress…nun, statt einem herausfordernden Grinsen entschied sie sich diesmal für einen Kussmund. Kano unterdrückte ein Augenrollen und den Wunsch, dass Agyris etwas von ihrem überbordenden Selbstbewusstsein bei seiner Flügelfrau abladen könnte.
Abgesehen davon war er mit dem, was er sehen konnte, zufrieden.
Nach der durch den zeitweiligen Rückzug bedingten Ruhepause waren die meisten körperlich wieder in Topform. Und was das Geistige anging…
Jimmys ungewisses Schicksal war offenbar kein echtes Problem – er war ein Neuling und auch nicht besonders beliebt gewesen. Das war vielleicht nicht schön, aber es war die Wahrheit. Als Kampffliegerpilot musste man sich irgendwann einen seelischen Panzer zulegen – oder man ging unweigerlich vor die Hunde. So wie Kano es einschätzte, machte er sich wohl am meisten Gedanken um den Verschollenen. Nicht, weil er ihn mochte, sondern weil er die Verantwortung für einen Untergebenen nicht leicht nahm. Und weil ER es gewesen war, der Jimmy auf den einsamen Heimflug geschickt hatte, bei dem er verschollen war. Aber dank Vorbildern wie Lilja, Darkness, Cunningham und Monty war er zumindest in der Lage, diese Gedanken vorerst beiseite zu schieben.
Und Sugar… ihr schien die Tatsache, nur als Kanos Flügelfrau fliegen zu dürfen, im Augenblick mehr aus zu machen, als der Gedanke an das Schicksal ihres für ihren Geschmack allzu vorsichtigen Flügelmanns.
Allerdings gab es auch noch andere Dinge, die einigen der Piloten auf der Seele liegen mochten. Das Wissen darüber, was über Masters geschehen war, war eine ernster zunehmende Belastung. Ohne die unmittelbare Unterstützung der TSN hatten die Verteidiger keine echte Chance gehabt. Hätte die Flotte sich hingegen nicht zeitweilig zurückgezogen, sondern gleich die Verfolgung von Admiral Tarans Angriffsverband aufgenommen, hätte sie sich zuvor nicht auf die feindlichen Jäger, sondern auf die Großkampfschiffe konzentriert, wer weiß…
Aber diese tatsächlichen oder vermeintlichen Chancen waren vorbei, und Masters Verteidiger hatten der geballten Schlagkraft von drei Geschwadern Kampffliegern und fast einhundert Kriegsschiffen alleine gegenübergestanden. Mit voraussehbaren Ergebnissen. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt so lange aushalten und so viel hatten erreichen können. Das Wissen um den Opfertod der Marines und der Nationalgarde hatte sicherlich bei manchem in der Flotte Gewissensbisse, ja sogar Scham geweckt, auch wenn Kano das bei einigen seiner Untergebenen und Kameraden nur vermuten konnte.
Huntress war viel zu ichbezogen und Flyboy und Bunny viel zu verschlossen, um darüber mit Sicherheit urteilen zu können. Phoenix und Sugar…die beiden brannten so oder so darauf, Akariiblut zu vergießen. La Reine, Marat und Submarine…vielleicht. Crusader – ziemlich sicher.
Genauso wie Kano. Für ihn war das ‚Weglaufen‘ der TSN eine Schande und außerdem überflüssig gewesen. Aber er hatte den Mund gehalten und Order pariert – und damit war er letztendlich in keiner besonders guten Position, um über diejenigen zu richten, die die Entscheidung zum Rückzug getroffen hatten. Den nötigen Dienstrang dazu hatte er ohnehin nicht. Und dennoch…
Aber das durfte jetzt keine Rolle spielen. Was für Fehler die TSN auch immer in den letzten Tagen und Stunden gemacht hatte, jetzt war nicht die Zeit, um über sie zu befinden. Jetzt zogen sie in die Schlacht. Und diesmal würde es nicht nur ein Langstreckenschlagabtausch sein, nicht nur der Versuch, die feindlichen Jäger zu dezimieren. Dieser Angriff zielte auf das Herz des gegnerischen Verbandes.
„Ihr wisst, dass dieser Einsatz wichtiger sein wird, als der letzte. Diesmal werden wir uns nicht darauf beschränken, die Jäger der Akarii abzuschießen. Diesmal werden wir ihre Flotte direkt angreifen. Unsere Aufgabe dabei ist ziemlich einfach – wir sollen die Luftüberlegenheit herstellen. Wir werden uns also nicht damit aufhalten müssen, unseren Bombern und Jagdbombern den Rücken freizuhalten.“
„Wohl eher die Hand zu halten…“ warf Marat spöttisch ein, was von einigen anderen Piloten mit einem kurzen Grinsen oder Auflachen quittiert wurde. Und das obwohl – oder vielleicht gerade weil – derartige Sprüche zum Standartrepertoire der Jagdpiloten gehörten.
„Crusader, La Reine, auch wenn die Staffel so weit wie möglich als Verband arbeiten wird, haben Sie für Ihre Sektionen weitestgehend Handlungsfreiheit. Das bedeutet allerdings auch, dass Sie darauf achten, Ihre Rotten nicht zu weit auseinander zu ziehen.
Was Sektion Eins angeht…“
„…oder vielmehr, dass was davon übrig…“, warf La Reine mit einer Mischung aus Sarkasmus und Frustration ein.
„…ich und Sugar werden fallweise die anderen beiden Sektionen unterstützen. Aber Sie haben Recht, Lieutenant Obasanjo, zwei Jäger sind zu wenig, um effektiv auf eigene Faust zu agieren.“
La Reine schnaubte kurz: „Sie wollen den Springer spielen? Eine tolle Möglichkeit, Abschüsse abzustauben.“
Kano lächelte kurz: „Danke für den Hinweis. Sie werden das jetzt vielleicht nicht glauben, aber diese Erwägung war NICHT der entscheidende Grund.“
„Nachdem Sugar…“
„Was denn, Prinzessin? Du hast Angst, dass eine halbe Rooky und ein Typ, der einen Kopf kleiner ist als du, dir deine Abschüsse klauen?“ stichelte Huntress gegenüber ihrer Rivalin-Halbfreundin.
„Was hat denn seine Größe…“ Der Satz ging in dem genervten bis amüsierten Aufstöhnen der anderen Piloten unter.
„Wenn wir uns wieder der Einsatzplanung widmen können…“, nahm Kano den Faden auf: „Ich will, dass Sie Ihre Phoenix-Langstreckenraketen rotten- bis sektionsweise einsetzen, wie wir es bereits geübt haben. So können wir auf jeden Fall eine Reihe feindliche Jäger beschädigen oder ausschalten. Und darauf kommt es an. Konzentrieren Sie sich dabei – und bei allen weiteren Aktionen – zuallererst auf die feindlichen Überlegenheits- und Sturmjäger. Abfangjäger greifen Sie nur an, wenn die Gelegenheit günstig ist oder diese unbedingt Streit suchen. Aber ansonsten überlassen wir die Reaper unseren Falcon-Staffeln. Wir sollen die Raumüberlegenheit sichern, und das erreichen wir am besten, indem wir die feindlichen Kerneinheiten ausschalten. Und denken Sie daran, sich bei der Jagd nach Abschüssen nicht zu sehr zu verzetteln.“, der Staffelchef warf seiner neuen Flügelfrau einen bedeutungsvollen Blick zu, der von Sugar mit mittelmäßig bis gut gespielter Schuld- und Ahnungslosigkeit erwidert wurde, „Notfalls reicht es auch, wenn Sie den feindlichen Jäger nur beschädigen.“
„Ich dachte, Sie wollen, dass wir an der Spitze bleiben?“, hakte Huntress nach.
„Aber nicht auf Kosten der Gesamtstrategie.
Wir haben die Akariis bereits einmal dezimiert, und unsere Kameraden vom Marinekorps und der Nationalgarde haben nicht nur eine Reihe von Kriegsschiffen ausgeschaltet oder beschädigt, sondern außerdem auch noch eine große Anzahl feindlicher Flieger abgeschossen...“ In Wirklichkeit war sich Kano da nicht so sicher – immerhin hatten die Verteidiger von Masters gegen einen zahlenmäßig, technologisch und vermutlich auch qualitativ überlegenen Gegner kämpfen und sich außerdem noch mit dem Flugabwehrschirm von drei Trägerkampfgruppen herumschlagen müssen.
„Außerdem sind wir ausgeruhter als der Gegner. Wir haben also mehr als einen Grund, zuversichtlich in diesen Kampf zu fliegen. Aber das ist kein Grund, übermütig zu werden. Dazu ist dieser Einsatz zu wichtig. Es ist uns nicht gelungen, den Angriff auf Masters zu verhindern oder unseren Kameraden zu helfen…“, das hatte er jetzt eigentlich nicht sagen wollen, es war ihm irgendwie herausgerutscht, „…aber wir haben die Chance, Masters vor einer Invasion oder einem Dauerbombardement zu retten. Wir haben die Chance, unsere toten Kameraden zu rächen. Wir haben die Chance, die Schlacht um Sterntor zu entscheiden.“
„Als nächstes sagen Sie, dass wir hier die Chance haben, den Krieg zu gewinnen.“ Das war natürlich Huntress.
„Wer weiß, vielleicht ist das ja so? Wenn wir den Bombern und Mithels Kreuzern den Weg frei räumen, können wir diese Schlacht mit einem Schlag gewinnen. Und wenn dieser imperiale Verband tatsächlich alles ist, was im Draned-Sektor an Offensiveinheiten übrig geblieben ist...“
„Könnte der ganze Sektor wegfallen. Oder sogar überlaufen. Er wird sowieso nur noch von Spucke und gutem Willen zusammengehalten.“ Das war Crusader.
Kano lächelte kurz: „Sehr poetisch ausgedrückt. Aber du hast Recht. Sie sehen also Lieutenant Agyris…Ich hoffe, Sie fühlen sich dadurch nicht zu sehr unter Druck gesetzt.
Aber das ist ein weiterer Grund, warum wir diesmal ALLES geben müssen, was in unserer Macht steht. Sie alle haben in der letzten Schlacht gut gekämpft, und ich bin stolz auf sie. Aber wir können noch mehr leisten. Wir WERDEN noch mehr leisten. Wir sind die Elite eines Elitegeschwaders. Das sind wir uns schuldig. Und unseren toten Kameraden.“
„Außerdem wollen wir schließlich nicht, dass uns die Grünen überholen. Oder gar die Gelben…“ Das kam von La Reine.
Kano zögerte kurz, und nickte dann mit einem flüchtigen Lächeln. Wem wollte er etwas vormachen? „Das auch.
Aber es geht um sehr viel mehr als die Verteidigung unseres Führungsstatus im Geschwader. Die Akarii mögen angeschlagen, ausgeblutet und erschöpft sein – aber sie sind immer noch gefährlich. Sie haben genug Schaden angerichtet. Zu viel Blut vergossen. Es ist Zeit, dem ein Ende zu setzen. Und das wird uns nur gelingen, wenn wir alle unser Bestes geben. Wenn wir nachlassen, wenn wir versagen…ich glaube nicht, dass die Akarii diese Schlacht noch zu einem Sieg wenden können. Aber sollte es ihnen auch nur gelingen, mit dem größten Teil ihrer Flotte davonzukommen…dann könnten auch wir diese Schlacht wohl kaum als Sieg bezeichnen.“
„Wir hätten immerhin Masters halb und Seafort ganz davor bewahrt, in die Steinzeit zurückgebombt zu werden.“ warf Marat ein.
„Ja, aber hast du schon mal auf eine Galaxiskarte geschaut? Sterntor liegt ein bisschen weit hinter unseren Linien, um sich für so ein Ergebnis auf die Schultern zu klopfen.“
Kano war überrascht, dass ausgerechnet Huntress ihm zur Seite sprang, nickte aber bestätigend: „Agyris hat Recht. Wir werden diesen Krieg nicht gewinnen, wenn wir die Imperialen immer nur in eine Pattsituation zwingen.“
„Aber fühlt euch dadurch nicht unter Druck gesetzt…“, spöttelte Huntress.
„Im Gegenteil, ich hoffe, dass Sie sich in dem Wissen darum, was alles auf dem Spiel steht, zu Höchstleistungen angespornt fühlen.“
„Ich bringe IMMER Höchstleistungen.“
Kano sparte sich die naheliegende Antwort auf diese Behauptung: „Wir fliegen wie abgesprochen – Sektion Eins besteht nur aus mir und Sugar, und Flyboy fliegt als Huntress Flügelfrau. Das wäre dann alles. Abgesehen davon…wünsche ich Ihnen allen Erfolg, Glück, und eine sichere Landung.“
„Und ansonsten…sehen wir uns alle auf der anderen Seite.“ musste Huntress mal wieder das letzte Wort haben.
Cattaneo
Cunningham
Die Columbia führte erneut einen Magnum-Start durch. Als erstes kamen die Nighthawks. Die rote Schwadron war als erstes dran. Drei Startabläufe wurden gebraucht um die zwölf Maschinen ins All zu bringen.
Die Maschinen sortierten sich zu ihren Sektionen und flogen eine Schleife um eine etwas vorgelagerte Fregatte, und schon leistete die schwarze Schwadron ihnen Gesellschaft.
Es ärgerte Lone Wolf maßlos, dass es Ohka schneller gelang seine Staffel zu organisieren, ungeachtet dessen, dass er zwei Maschinen weniger hatte und ihm der Fremdkörper aus einer anderen Staffel abging.
Drei weitere Schleifen später war die gelbe Staffel draußen.
Lucas hätte nicht gedacht, wie einfach sich Sean Grover Blackhawk unterordnen würde. Und auch wenn die gelbe Staffel ebenfalls Piloten der Anzac aufgenommen hatte, organisierten alle drei Sektionsführer ihre Gruppen rekordzeitverdächtig.
Was ihn dabei am meisten wunderte war Blackhawks ausgeglichener und ruhiger Tonfall.
„Roter Führer an schwarzen und gelben Führer, kommen.“
„Verstehe Sie laut und deutlich, Lone Wolf.“, antwortete Blackhawk.
„Schwarzer Führer hört.“
„Ohka, Sie übernehmen die linke Flanke. Blackhawk ins Zentrum, und wechseln Sie auf die Einsatzfrequenz.“
Blackhawk ließ zweimal sein Kom klicken um den Befehl zu bestätigen.
„Aye, Sir.“, war Ohka’s Meldung.
Lone Wolf wechselte dann Ebenfalls auf die neue Frequenz: „White Eagle drei-null-null, Spirit eins-null-neun, Rufzeichen Lone Wolf, melde drei Staffeln, vierunddreißig Maschinen, nähern uns Ihrer Position von achtern.“
„Lone Wolf, hier ist Snipes,“, meldete sich der CAG der Midway, „dann ordnen Sie sich mal ein. Die angedachte Flugformation kennen Ihre Leute sicherlich.“
„Roger, Snipes.“, bestätigte Lucas. Snipes klang professionell und ruhig und etwas alt für einen Jagdpiloten.
„Snipes, hier Conti,“, meldete sich eine Lucas nicht ganz unbekannte Stimme, „wir sind an ihrer Steuerbordseite. Heißt das die berühmten Angry Angels fliegen hinter uns, der armen Verwandtschaft?“
Dieser kleine Sitzpisser: „Conti, wir sind berüchtigt, nicht berühmt.“
„Dafür sehen wir besser aus.“, flachste eine freundliche Frauenstimme.
„Klappe, Bobcat.“, murmelte Conti gerade laut genug, dass der Funk aktiviert wurde.
„Hey, hey, hey, Ruhe Kinder,“, ermahnte Snipes, „was sollen denn die Kreuzerfahrer von uns halten.“
Lucas hoffte inständig, dass der CAG der Midway mehr drauf hatte als Crawford. Zumindest klang er entspannter.
Die vier Nighthawk-Staffeln und die Griphens von Blackhawk flogen in zwei langgezogenen Linien, welche sich in Sektionen aufteilten, die eine gestaffelte Pfeilformation inne hatte.
Der Sektionsführer flog vorne, sein Flügelmann rechts hinter ihm, etwas über ihm. Der Anführer der zweiten Rotte flog genauso nur auf der linken Seite. Dessen Flügelmann flog ebenfalls ein Stück nach hinten versetzt und ebenfalls über seinem Anführer.
Dies war eine der Standartformationen für den Sektionsflug, auf der alle anderen Formationen aufbauten. Natürlich gab es in selbst in Pilotenkreisen Diskussionen darüber, welche Formation die optimale war und vor allem, was dann natürlich auch noch für die verschiedenen Jägertypen voneinander abwich.
Wieder andere argumentierten, dass die Sektion nicht die optimale Grundformation war, sondern dass man die Staffel auf vier Rotten zu drei Maschinen aufteilen sollte oder das ganze gleich auf die Zweier-Grundformation runter rechnen sollte.
Besonders interessant wurde es, wenn man dann auf eine Crusader-Staffel mit angeschlossenen EW-Fliegern zu sprechen kam.
Natürlich waren hier einige selbsternannte Experten der Meinung, die Rafale sollten eine eigene Staffel bilden.
Zwar war nach Lucas‘ Einschätzung ein Zangenmanöver mit gespiegelter Aufstellung, wie es diese Grundformation nun mal bedingte, nicht unbedingt das Ideal, erlaubte aber nach seiner Auffassung einen einfacheren Durchbruch.
Aber das war alles nur Theorie, im Laufe der Zeit war Lucas zu dem Schluss gekommen, dass Instinkt und Reflexe mehr zählten als Strategie und Taktik. Je mehr man sich festlegt, desto eher wird man berechenbar, und dass konnte sich als fatal erweisen.
Schlachtpläne sollten besser nur leichte Skizzen sein, die Wirklichkeit würde sie eh innerhalb weniger Augenblicke überholen. Vor allem aber hielten sich die meisten Gegner eben nicht an den minutiös geplanten und berechneten Schlachtplan, wie die TSN in Sterntor gezeigt bekommen hatte.
Während er so nachgedacht hatte, waren die Jäger zu Mithels Geschwader aufgeschlossen.
Schwere und leichte Kreuzer wirkten wie ein massiver Schlachtwall. Flakkreuzer waren an strategischen Punkten aufgestellt.
Zerstörer bildeten einen Verteidigungsring und ein Geschwader Fregatten stand als Feuerwehr bereit.
Der Perisher Lehrgang hatte Lucas gelehrt, dass man Dickschiffe nicht so führen konnte wie einen Fighter Wing. Alles sah danach aus, als habe Mithel einen Plan und eine recht genaue Vorstellung, wie er diesen in die Tat Umsetzen würde.
Kreuzer ließen sich eben nicht so schnell verlegen, wie Jagdflieger. Aber wenn eine Sache klar war, dann die, dass Chris Mithel ein Auge für das Geschehen hatte und nur allzu bereit war sich eine ihm bietende Gelegenheit wahrzunehmen.
„Snipes an alle Staffel: Nehmen Sie Eskortformation ein. Sie kennen Ihren Job, und falls ich nachher nichtmehr dazu komme: Gute Jagd, Piloten!“
„Eskortführer, hier Excalibur,“, Lucas musste über das Rufzeichen der Relentless schmunzeln, „halten Sie sich möglichst dicht am Verband. Sobald Bomber und Jagdbomber auftreten können Sie diese aggressiv abfangen. Bei Marschflugkörpern verstärken Sie unsere Punktverteidigung.“
Die Stimme des Kommunikationsoffiziers klang ruhig und professionell, ganz nach Mithels Schule.
„Als ob wir die Einsatzdossiers nicht gelesen hätten.“, knurrte ein Pilot mit australischem Akzent. Lucas Bordcomputer ordnete ihn der Nighthawk-Schwadron der Fast Eagles zu.
„Und sagen Sie Ihren Piloten, sie sollen die Funkprotokolle einhalten!“
Ja, ganz eindeutig die Schule Chris Mithels.
„Ja, verstanden, Excaliber.“, Snipes klang für Lucas ein wenig zu neutral.
Da erklang die australische Stimme wieder: „Foxtrot delta…“
„Oh, schnauze Rocko, Du hast Deinen letzten Stubenarrest gerade hinter Dir.“, unterbrach ihn eine Pilotin.
„Genau, Du brauchst nicht immer das letzte Wort zu haben,“, setzte ein anderer Pilot nach.
Das Snipes nicht eingriff, als seine Piloten auf der Befehlsfrequenz rumzickten, sprach Bände über die Disziplin in seinem gesamten Geschwader. Damit konnte er nicht auf de Kerrs Favoritenliste gestanden haben, was ihn Lucas durchaus sympathisch machte.
Auch glaubte er jetzt sich zu erinnern, dass Snipes am heftigsten mit Crawford diskutiert hatte auf der letzten Mission.
Auf der Relentless begann wohl gerade ein Signaloffizier damit eine Meldung zu verfassen, da vom Flaggschiff keine Ermahnung mehr kam.
„Snipes für alle Staffelführer, Kreuzverbindung für Navigationscheck. Anschließend können Ihre Staffeln auf Autopilot gehen, und wenn Ihre Piloten noch eine Mütze voll Schlaf nehmen können, nur zu, da ist noch etwas Zeit.“
Lucas aktualisierte seine Navigationskarte mit der von Snipes und gab diese dann ein seine Staffel weiter.
„Roter Führer an rote Meute,“, wann war er denn so informell geworden? „wenn noch einer von Euch die Augen zu bekommt, nur zu, Wecken in zwei Stunden und zwölf Minuten.“
Seine Piloten bestätigten nach und nach. Ihre Stimmen verrieten seinem geschulten Gehör unterschiedliche Stadien der Professionalität.
Und während Sonnyboy noch genau so aufgeregt wie zuvor klang, hatte The Kid seine Stimme schon viel besser im Griff als beim letzten Einsatz. Tatsächlich gab ihm wie auch Sonnyboy das Überleben des letzten Einsatzes eine viel größere Wahrscheinlichkeit, diesen Einsatz auch zu überstehen. Tja, die Wahrheit war leider, dass Radio nach über siebzig geflogenen Missionen, davon mehr als zwei Drittel mit Feindkontakt, und trotz eines ähnlichen Talents wie Ace oder Ohka trotzdem gefallen war.
Ebenso war Skunk, der einen Killerinstinkt besaß, der seinesgleichen suchte, nicht zurückgekommen.
Es gab eben keine Garantien, alles oder nichts, und zwar jedes Mal, wenn man ins Cockpit stieg.
Der zweite Magnum-Start der Columbia umfasst diesmal fünf Staffeln. Irons schwere Bomber, zwei Staffeln Thunderbolts und zwei Staffeln Falcons als Begleitschutz.
Ihnen schlossen sich eine weitere Crusader-Schwadron und zwei Staffeln Mirage-Jagdbomber an.
Irons hatte weit weniger Probleme mit der Aufstellung ihrer Staffel, als viele ihrer Jagdflieger-Kollegen. Sie wählte eine einfache ungestaffelte Diamantformation aus je drei Crusader und einer Rafale.
Nun musste sie sich weniger Gedanken um die gegenseitige Deckung machen. Sie hatte Liljas grüne Schwadron als Jagdschutz, die ihr in erster Distanz die Akarii vom Hals halten sollte, während die Blauen das gleiche für die Bomber der Derflinger machen sollten.
Die Crusader waren praktischer Weise rundherum bewaffnet, um Sperrfeuer geben zu können, und besaßen genügend Raumkampfraketen um jeden Akarii, der sie frontal abfangen wollte, den Tag so richtig zu vermiesen.
Captain Crawford koordinierte die Angriffstruppe in eine relativ dünne, dafür relativ langgezogene Formation. Wobei langgezogen in der Tat relativ war. Um sich am besten hinter Mithels Dickschiffwand zu verbergen ließ Crawford die Staffeln recht dicht hintereinander marschieren.
Irons verzog die Lippen zu einem vorfreudigen Zähnefletschen. Diesmal waren die Bomber dafür bestückt, wofür sie konstruiert waren: akariische Großkampfschiffe zu zerlegen.
Auch ein Großteil der Jagdbomber war entsprechend ausgerüstet.
Ein kurzer Überblick zeigte ihr leider nur zu deutlich, dass einige Staffeln schon ausgedünnt waren. Die Bomberschwadron der Derflinger konnte nur noch elf statt zwölf Crusader mustern, obwohl sich Irons nicht erinnern konnte, dass einer der Derflinger Bomberpiloten abgeschossen worden war.
Auch war die blaue Schwadron nicht mehr vollständig. Irons fragte sich, wie es Lilja das Wunder geglückt war ihre grüne Staffel vollständig zu halten, bei ihrem rasanten Führungsstiel; unwichtig.
Die DCAG der Angry Angels überprüfte ihre Navigationskarte und stimmte sie mit Crawford ab. Obwohl sie um einiges später als die erste Welle Jäger losgeflogen waren, würden sie fast zeitgleich mit dem Kreuzerverband bei den Akarii eintreffen.
Um den zweiten Start zu verschleiern hatten die Träger und ihre Begleitschiffe hart nach steuerbord gewendet, so dass eine Wand aus Fregatten, Zerstörern und einigen wenigen Kreuzern zwischen ihnen und der feindlichen Formation waren, und natürlich noch Mithels Verband, der direkt und schnörkellos auf den Echsen zuhielt.
In dessen Ortungsschatten würden die Bomber sich dann anschleichen, soweit das möglich war. Kurz bevor die Akarii sie fast zwangsläufig entdecken mussten, würde Mithel das Gefecht beginnen und die anfliegenden und hoffentlich auch einschlagenden Atomraketen würden die Echsen dann weiterhin von der Bedrohung durch die Bomber ablenken.
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„Snipes für alle Staffelführer, sieht so aus, als ob die Echse da drüben uns noch näher kommen lässt. Excalibur meldet erst jetzt Trägerstarts. Auch scheint seine Majestät wieder mal seine Garde an Bord zu behalten, nur die beiden vorderen Träger starten.“
„Scheiße, müssen die Piloten fertig sein,“, mutmaßte Conti, „ob die ihren Leuten auch so einen schönen Drogencocktail verabreichen, dass die länger funktionieren?“
„Aber der Schiffsarzt meint das wären Medikamente.“, mischte sich eine Pilotin aus Contis Staffel ein.
„Drogen, Medikamente, alles der gleiche Dreck!“
„Funkdisziplin, Titan!“ Mantis klang leicht genervt. Den Veteranen der roten Staffel steckte immer noch Skunks VERziehung im Blut und so ließen sich diese von dem losen Mundwerk der White Eagle Schwadron leicht anstecken und rissen natürlich auch ihre Neuzugänge mit.
Herzallerliebst nur, dass Lone Wolf ihr die meiste Arbeit überließ, die Roten bei der Stange zu halten.
„Hey, Boss,“, meldete sich der australische Pilot der White Eagles wieder zu Wort, „sieht aus, als geht es gleich los! Oh Mann, das sieht ja aus wie auf dem Schützenfest!“
„Alles klar,“, Snipes klang freudig erregt, „Butcher Bears und Stalking Jaguars, Sie halten sich zurück und übernehmen die Punktverteidigung! Raketen, Bomber, alles was durchbricht haut ihr ordentlich auf den Sack!
Red Sun Spirit und Dorniers, Ihr schnappt Euch die Bomber und Jagdbomber, wir machen Euch den Weg frei, also seht zu, dass ihr mithaltet!
White Eagles: TALLY-HO!“
Das war eine kurze Einweisung. Lone Wolf reagierte als erster: „Dann vorwärts Spirits! Zeigen wir der armen Verwandtschaft, wie man fliegt!“
„Yeeeeeeehaaaaaaw!“ Lucas vermutete, dass das The Kid oder Shorty, der neueste Wunderknabe, gewesen war.
Schnell setzte auch die Dornier-Staffel des Flying Circus nach.
Tatsächlich brachten die Akarii ihre Bomber und Jagdbomber erst kurz vor dem Aufeinandertreffen der beiden Flotten zum Einsatz. Etwas sehr zurückhaltend für Lucas‘ Geschmack.
Lone Wolf aktivierte seine Raketen und beschleunigte den White Eagle hinterher. Alles reine Routine: „Ihr habt den Mann gehört, holen wir uns die Bomber!“
„Die Bomber gehören uns,“, flachste Conti, „Ihr könnt Euch gerne die Jagdbomber vorknöpfen!“
Lucas schnaufte: ,Berühmte letzte Worte, Arschloch.‘
Ja, das Schützenfest hatte begonnen. Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und alles was sonst noch so da war brachten ihren schweren Anti-Schiff-Raketen auf den Weg.
Als die beiden Linien Jagdflieger aufeinander trafen, spielten die Terraner wieder mal ihren einzigen Vorteil gegenüber den Akarii aus, die Phönix Langstrecken-Raketen, und auch wenn die Piloten von Tarans Verband bei weiten noch nicht mit der Routine ihrer Leidensgenossen in der Hauptflotte reagierten, hatte sich ihr Abwehrverhalten um ein Vielfaches verbessert.
Innerhalb weniger Minuten hatet sich ein Gewirr aus Akarii-Fliegern und den Staffeln der TSN entwickelt.
Lucas zog eine enge Kehre und setzte sich hinter eine Gruppe Jagdbomber. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass The Kind knapp mitgehalten hatte.
„Fox three! Fox three!“ meldete sein Flügelmann den Abschuss seiner beiden letzten Phönix Raketen.
Ein Raptor brach links aus, ein zweiter nach rechts. Ehe die anderen beiden Akarii reagieren konnten zündete Lucas seinen Nachbrenner, schloss auf und eröffnete auf den Flügelmann das Feuer. Die Strahlengeschütze ließen das Heckschild seines Gegners aufblitzen und durchschlugen es, um sich dann in die schwere Panzerung zu brennen.
Der Pilot des Raptors warf seine Anti-Schiff-Raketen ab um die Manövrierfähigkeit seiner Maschine zu verbessern. Lucas hingegen krönte sein Bombardement mit einer Sidewinder. Die Kurzstreckenrakete traf das linke Triebwerk und der Jagdbomber fing Feuer. Pilot und Bordschütze betätigten den Schleudersitz.
Der führende Raptor hatte ebenfalls seine Raketen abgeworfen und war stiften gegangen.
„Großartiger Schuss, Boss!“ Jauchzte The Kid, „Ich glaub‘ einen hab‘ ich auch erledigt!“
„Shorty! Wo zum Teufel bist Du?“ Die Stimme musste der Ersatzpilotin gehören.
„Keine Panik, Irina! Das sind nur zwei Bloodhawks!“ Der junge Pilot klang gekniffen, aber bemüht lässig.
Lucas suchte sein Radar ab und fand die Kennung des jungen Piloten, er war etwas abgetrieben vom Hauptgefecht.
„Kid: Sie haben zwei Minuten um sich einen Raptor zu holen, dann schließen Sie so schnell Sie können zu mir auf, ich hole Shorty!“
„Aye, Sir!“ The Kid konnte man den Stolz geradezu anhören.
„Frost: Sie schließen sich Mantis an, bis ich mit Ihrem Flügelmann zurück bin!“
„Zu Befehl, Sir!“ Die russische Ersatzpilotin klang ganz anders als The Kid.
Lone Wolf brach in einem weiten Bogen nach rechts aus und zündete die Nachbrenner. Unbehelligt ließ er das Geschehen hinter sich und fast zweihunderttausend Kilometer weiter System auswärts konnte er sehen wie Shorty von zwei Akarii quasi gejagt wurde. Noch gut konnte er sich an sein Gefecht mit Prinz Jor erinnern. Da war er ähnlich gejagt worden.
„Lieutenant: Auf mein Zeichen brechen Sie nach backbord unten weg!“
„Sir?“ Shorty klang irritiert, „Ich hab‘ hier alles im Griff, in zwanzig Sekunden bin ich mit denen fertig.“
„Wenn ich es sage, brechen Sie weg, Sie sind in meiner Schusslinie!“
„Die lege ich selbst um, Sir, die werden von meinem von Bein sowas von überrascht sein…“
Lucas biss die Zähne zusammen: „Shorty, die wissen, dass Sie das von Bein versuchen werden, die legen Sie um! Brechen Sie weg in fünf, vier, drei…“
„Negativ! Die gehören mir! Jetzt habe ich die beiden.“
Lone Wolf versuchte die führende Bloodhawk anzuvisieren, aber Garcia drehte seine Nighthawk in seine Schusslinie.
Der akariische Flügelmann drehte sich fast synchron mit der terranischen Maschine und zog dabei nach Außen und eröffnete das Feuer auf das sich ihm kurz bietende Heck der Nighthawk.
Wirklich überraschen tat ihn aber der akariische Anführer indem er nicht dem Beispiel seines Flügelmanns folgte, sondern unter Shortys Nighthawk durch tauchte und so dem jungen Piloten die theoretische Chance bot wieder einzudrehen und sich hinter ihn zu setzen.
Dennoch eröffnete der akariische Anführer das Feuer und Lucas hoffte inständig, dass dies tatsächlich nur Glückstreffer waren, und der Akarii nicht wirklich so gut war, als seine Nighthawk mit einem Schauer von Energiesalven eingedeckt wurde.
Lucas wusste er war gut, wirklich gut, einer der Besten, aber dieser Akarii hatte ihn kalt erwischt, und so etwas durfte im Raumkampf nicht passieren. Dies waren die Momente wo Topasse starben, egal wer auf der Gegenseite den Finger am Abzug hatte. Der Kampf mit Jor war ein solcher Moment gewesen. Trash war ein guter Pilot, möglicherweise einer von Ravens besten, aber er war nicht annähernd gut genug um es in einem fairen Kampf mit Jor aufnehmen zu können, und dennoch hatte er Jor abgeschossen.
Inständig hoffend, dass dies nicht ein ähnlicher Moment werden würde, bearbeitete Lucas seinen Steuerknüppel, die Pedale und die Drosseler für die Triebwerke, und versuchte sich aus dem Feuer heraus zu manövrieren.
Einige Sekunden leisteten seine Schilde tapfer Widerstand, ehe sie brachen und die einschlagenden Energiebolzen Panzerung abrissen und der Systemmonitor wie ein Christbaum aufleuchtete.
Der akariische Flügelmann ließ von Shorty ab, der für einige wenige Sekunden komplett aus dem Konzept war und darum kämpfte seine Maschine unter Kontrolle zu bringen. Diese kostbaren Sekunden nutzte der Bloodhawk-Pilot um zwei Raketen auf Lone Wolf abzuschießen, während sein Anführer den Energiebschuss aufrecht erhielt.
Gefangen zwischen einem großen Felsen und einem ziemlich harten Platz schoss Lone Wolf aufs Geratewohl zwei Raketen auf den führenden Akarii, drehte wieder ein, gab vollen Schub und warf mehrere Täuschkörper ab.
Der Akarii hielt für drei, vielleicht vier Sekunden den Beschuss weiter aufrecht, was genügte, dass sich Lucas‘ Zielsystem für die Energiewaffen verabschiedete, ehe er abdrehte, seinen eigenen Nachbrenner zündete und ebenfalls Köder für die Raketen abwarf.
Über Com brüllte Shorty panikerfüllt irgendwelche Unsinn, den Lucas nicht identifizieren konnte, während er versuchte der verbleibenden auf ihn abgeschossenen Rakete zu entkommen, indem er das Triebwerk drosselte, hart nach links drehte und einen weiteren Düppel abwarf.
Der Raketenwarner schrie mit Shorty um die Wette und Lucas brüllte beide an, sie sollten die Fresse halten, als die Nighthawk von einem schweren Schlag getroffen wurde. Lucas glaubte einen kurzen Stich zu spüren, der Anzug piepte zweimal und das Backbordtriebwerk und der Hauptstabilisator meldeten sich ab.
Der akariische Flügelmann schien jegliches Interesse an Shorty verloren zu haben und setzte zu einem Bogen an, der ihn direkt auf Lucas zurückbringen würde.
Dieser versuchte mit seiner Schnauze der Bloodhawk zu folgen und visierte sie mit der manuellen Zieleinrichtung an. Diese war reines Placebo; kein Pilot im ganzen Universum war in der Lage ohne Computerunterstützung einen Flottenträger zu treffen, wenn sich beide Flugobjekte mit mehreren hundert km/s aneinander vorbeibewegten. Absolut niemand, und dennoch drückte er den Feuerknopf durch, bis der Finger schmerzte.
An der Bloodhawk explodierte etwas, dann verging die Maschine in einem Feuerball.
„Yeah! Das war meiner!“ Die Stimme kam ihm bekannt vor.
„Vergiss es, Dog, das ist mein Abschuss.“
„In Deinen Träumen, Kid.“
Lucas ließ sich eine Sekunde Verschnaufen oder auch zwei.
„Wie ist die Lage?“ Mantis unverwechselbare Altstimme. Rauchiges Alt. Wunderbar, wie ein gereifter Whiskey.
,Du bist noch nicht hier raus Boss‘, stellte Pinpoint mit aller Sachlichkeit fest.
„Der verbleibenden Akarii sucht das Weite,“, meldete The Kid, „den Skipper scheint es übel erwischt zu haben.“
Ein Blick auf seinen Statusmonitor bestätigte ihm die Einschätzung seines Flügelmanns. Seine Nighthawk war wirklich hinüber. So ein Scheiß.
,Der meint nicht Deine Maschine!‘
„Halt die Klappe,Tom!“
„Halt Deine verdammte Scheißfresse, Shorty!“ brüllte Dog, „Sieh zu, dass Du klar kommst, wir müssen zurück in die Schlacht, also reih Dich ein, Mann!“
„Haben Sie was gesagt Lone Wolf?“ Mantis klang etwas besorgt.
„Jaah,“, antwortete er gedehnt, „Kid hat recht, die Maschine ist wirklich im Eimer. Ich muss zurück.“
„Gut, Mithels Kampfgruppe kann Sie nicht an Bord nehmen, Kid wird Sie zur Columbia eskortieren.“
„Daas kriege ich wohl noch allein hin!“
„Möglich,“, räumte Mantis ein, „darauf werden wir es nicht ankommen lassen!“
Lucas kniff die Augen zusammen, und etwas in der Stimme seiner Stellvertreterin ließ ihn seinen Protest herunterschlucken. Da war eine gewisse Härte. Tja, wenn man die Menschen nur lange genug kitzelt.
,Ich würde das ja eher Sorge nennen.‘
„Ach, Pinpoint, Du bist tot.“
Dog riss ihn aus dem Gedanken: „Verdammte Scheiße, er ist ausgestiegen.“
„Was? Wieso?“ Wollte Mantis wissen.
„Keine Ahnung, die Maschine sah noch gut aus, kein Akarii weit und breit, der hat noch rumgekreischt und hat sich eben aus seiner Maschine katapultiert, ohne Grund. So ein Vollidiot!“
„Scheiße! Okay, Dog, komm‘ zurück, wir brauchen hier jeden Mann.“, entschied Mantis, „Kid, bring den Skipper heim.“
The Kid flog neben der beschädigten Nighthawk seines Staffelführers her. Die Maschine sah wirklich übel aus, knapp hinter dem Cockpit musste eine Rakete eingeschlagen haben. Die Kanzel war halb gesplittert, doch Lone Wolf hatte bei allen drei Gesprächsversuchen abgewiegelt, es ginge ihm gut. Die Stimme des Commanders war seltsam schleppend gewesen, und er hatte ihn Tom oder Pinpoint genannt.
Der junge Lieutenant machte sich ernstlich Sorgen, ob der Commander die Maschine noch würde landen können. Dem Geplapper der Schlacht folgte er nur halb.
Er hatte einen Raptor erledigt und einen weiteren für Dog vorbereitet, und er hoffte inständig, dass der Abschuss der Bloodhawk auf sein Konto und nicht auf das von Dog ging.
Auch Shorty konnte er sich nicht erklären. Der Commander hatte ihm ganz klar befohlen wegzubrechen, und trotzdem hatte er versucht sein Ding durchzuziehen; mit dem bekannten Ergebnis. War er so zu sieben Abschüssen gekommen?
„Black Circle, Spirit drein-null-drei,“, rief The Kid die Columbia, „zwei einkommende Nighthawks auf zwo-sieben-acht, wir haben einen Notfall, Nighthawk drein-null-neun ist schwer beschädigt und Lone Wolf ist verletzt. Flugdeck bitte für Notlandung vorbereiten.“
„Spirit drein-null-drei, Black Circle! Können Sie die Ausmaße der Beschädigung von drei-null-neun nennen.“
„Black Circle, Spirit drein-null-drei, Hauptstabilisator und Backbordtriebwerk ausgefallen. Schwere Panzerungsschäden, gesplitterte Kanzel. Möglicherweise mehr.“
„Spirit drei-null-drei, Black Circle, verstanden. Wie ist der Zustand des Piloten?“
The Kid atmete tief durch: „Black Circle, Spirit drein-null-drei, unbekannt, der Pilot erscheint mir hm, sediert und desorientiert. Ich glaube der Skipper weiß selbst nicht genau, wie es um ihn steht.“
„Verstanden!“
Keine Rufzeichen, kein nichts, das klingt nicht gut.
Redford Cooper schnalzte kurz mit der Zunge. Er kannte den Piloten von Spirit drei-null-neun, Commander Cunningham, jetzt schon über ein Jahr. Dieser war kein angenehmer Mensch, davon abgesehen, dass er ihm erlaubt hatte das Shuttle zur Derflinger zu fliegen und sich nicht selbst als Pilot aufzuspielen.
Aber Lone Wolf Cunningham war eine Persönlichkeit, für die es sich lohnte sich einzusetzen. Er verzichtete darauf Anweisung zu geben, dass der Commander den Schleudersitz nehmen sollte.
„Flugdeck klar machen zur Notlandung! Fangnetz ausfahren und Bordfeuerwehr auf Position! Sanitätsteam in Bereitschaft!“ Er riss den Hörer des Intercoms heraus: „Flugkontrolle für CIC! Geschwindigkeit auf 50 km/s! Schiff klar für Notlandung!“
„CIC verstanden, Schiff klar für Notlandung!“
Eine Sirene ging durch das ganze Schiff und auf dem Flugdeck wurde der hintere Bereich bis auf das notwendigste Personal geräumt. Dann folgte der Aufbau eines zweiten Magnetfeldes und das Ausfahren des Fangnetzes, sollte die Nighthawk den Traktorstrahlen durchgehen.
Bergungsmannschaften der Schiffsfeuerwehr und des Sanitätsdienstes sowie Waffentechniker gingen in Position.
Dann folgte die Prozedur des Landechecks und Cooper hörte seiner Assistentin zu, wie sie mit Cunningham die Checkliste durchging und den Abwurf noch vorhandener Raketen veranlasste. Dem Funkverkehr nach konnte man deutlich erkennen, wie sehr der Commander neben sich stand. Entweder er war sehr schwer verletzt oder der Raumanzug hatte ihn mächtig unter Drogen gesetzt, oder gar beides.
Sie hatten nur einen Versuch. Wenn Lone Wolf abgewunken werden musste, würde Cooper es nicht riskieren können, dass ein zweiter Versuch unternommen würde, und müsste den Befehl zum Aussteigen erteilen. Das könnte unter Umständen das Todesurteil für den Commander bedeuten.
Cynthia Rowland begann behutsam den ehemaligen CAG der Columbia runter zu sprechen. Ganz ruhig und sachlich, mit weicher Stimme, als wäre alle Zeit der Welt.
Cooper war sich sicher, dass er für die Entscheidung der Notlandung noch geradestehen musste, war sie für die Columbia doch sehr riskant, doch Rowland empfahl sich gerade für einen neuen Kommandoposten, sobald sie wieder voll flugfähig war.
Naja, wenigstens etwas, entschied der Airboss der Columbia.
Auf dem Flugdeck beobachteten Sanitäter und Feuerwehrleute gespannt die anfliegende Nighthawk über einen Bildschirm. Das Fahrwerk wurde ausgefahren, kurz darauf ergriff der Traktorstrahl den Flieger. Ziemlich spät wurde das Triebwerk ausgeschaltet.
Dann durchquerte der ramponierte Raumüberlegenheitsjäger das äußere Magnetfeld und setzte alles andere als weich auf. Funken stoben, und noch bevor der Jäger zum Stehen kam sprinteten die Feuerwehrleute los; wohl wissend, dass sie eventuell in ihr Verhängnis laufen konnten.
Dreißig Sekunden später rannten die Techniker mit Bergungsgerät los und weitere dreißig Sekunden später begaben sich die Sanitäter auf den Weg.
Triebwerke und Tanks wurden mit Löschmitteln eingesprüht, die ein Entflammen des Treibstoffes verhindern sollten.
Leitern wurden links und rechts des Cockpits aufgestellt und von Techniker erklommen, die sich sofort daran machten das Kanzeldach aufzuschneiden.
Als die ersten Sanitäter eintrafen wurde das Dach schon über die Seite geworfen.
Lucas lehnte sich in seinem Schleudersitz zurück und schloss die Augen. Er wusste sein Atem ging flach und er war in großen Schwierigkeiten. Die Techniker, die sein Cockpit geöffnet hatten, konnte er noch wahrnehmen, doch ihre Stimmen waren wie durch Watte gedämpft und langsam machte sich Angst in ihm breit.
Eine Frau, eindeutig eine Sanitäterin, sagte irgendetwas zu ihm, doch er verstand nicht, dann wurde er aus dem Cockpit gehoben und sein Rücken explodierte vor Schmerzen.
Er schrie auf und Tränen verschleierten ihn die Sicht. Dann wurde ihm schwindelig und im nächsten Moment blickte er zur Hangardecke. Die Halogenlampen waren so grell, fast weiß.
„Was ist das?“
Pinpoint lächelte ihn von oben herab an: ,Vielleicht ist es Zeit für Dich, Boss!‘
„Es tut so weh, Tom, ist das der Tod?“
,Keine Sorge, der Schmerz ist nur kurz, dann ist es vorbei, Lone Wolf, für immer vorbei!‘
Das Licht wurde heller.
Hospital Corpsman 1st Class Marina Baumgartner fummelte am Helm herum: „Wir müssen den Helm abbekommen!“
„Bei den neuen Anzügen ist der Verschluss aber weiter vorn!“
„Das ist aber ein alter Helm! Wo ist der Scheißverschluss.“
Neben Baumgartner ließ sich jemand auf die Knie fallen: „Das ist eine Kombination, der Verschluss ist mittig, lassen Sie mich.“
Der Sanitäter erkannte Matt Dodson, den Chefmechaniker des Geschwaders.
„Darum ist solche Scheiße verboten! Der Helm muss ab, SCHNELL!“
Dodson ließ die Verschlüsse aufklappen und zog langsam und vorschichtig den Helm ab.
Kaum war der Helm ab, schubste Baumgartner den Master Chief Petty Officer beiseite und checkte die Vitalfunktionen gegen, als der Anzug ein Aussetzen des Herzschlages diagnostizierte.
„Defi?” Fragte Hospital Coprsman 3rd Class Ahmed Nagal
„Negativ! Nicht bei den neuen Anzügen. Drei Einheiten Adrenalin, interkardial!“
Lucas schloss die Augen und versuchte den Schmerz über sich ergehen zu lassen. Etwas Ruhe, etwas Frieden, nur etwas Frieden.
,Gleich gibt es Frieden‘, Pinpoints Stimme war so sanft, ,Frieden für alle Zeit.‘
Mit Gewalt wurden seine Augen aufgerissen und sein Blick klärte sich in eine Szenerie, wo mehrere Sanitäter ihr Gesicht über ihn beugten, etwas abseits saß Matt Dodson, seinen Fliegerhelm in der Hand.
Sein Freund, ja Dodson war sein Freund, nach Waco wohl der letzte auf der Columbia, starrte ihn mit sorgenverzerrten Gesicht an.
„Los auf die Trage“, bestimmt Baumgartner, „wir müssen sofort auf die Krankenstation, bevor uns die Lungenflügel kollabieren! Ahmed, informier den Doc für die Not-OP!“
Cattaneo
Ironheart
Relentless
Im Anflug auf Masters
Sterntor-System
Ein paar Stunden vor der dritten Schlacht um Masters
Anthony „Arrow“ Gant fühlte sich auf der Relentless mehr als überflüssig. Da draussen würde bald eine enorme Schlacht toben und er war nicht dabei. Und als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, so hatte er hier an Bord nicht das Geringste zu tun. An Bord der Columbia hätte er sich zumindest in seinen Jägeranzug gesteckt um für den zwar unwarscheinlichen aber dennoch möglichen Ernstfall bereit zu machen, falls doch ein Pilot ausfiel oder einer der halbwracken Jäger doch noch für die Schlacht bereitgemacht werden konnten. Doch hier an Bord der Relentless konnte er nicht mal das tun.
Gant verspürte den unbedingten Drang etwas beizutragen in dieser Schlacht, sich irgendwie nützlich zu machen und sei es auch doch nur ein kleiner Beitrag.
Im Moment war er auf der Krankenstation der Relentless und hatte Too-Tall noch einmal besucht. Aber er konnte ja schlecht die ganze Zeit Händchen halten, zumal die Laune seines Wingleaders auch nicht gerade positiv war und Gant den Eindruck hatte, dass er dem großen Piloten eher auf die Nerven ging als ihm zu helfen.
Also hatte er beschlossen sich bei Master Chief Petty Officer Ogambo zu melden um sich wenigstens für einen der Schiffssicherungstrupps freiwillig zu melden. Besser als Nichtstun war das allemal.
Als er auf dem Weg aus der Krankenstation war, fiel ihm ein Commander auf, der mit einem hochroten Kopf und einem französischen Akzent eine der Ärztinnen anherrschte.
„Was soll das heissen, mein Co-Pilot fällt aus? Mon Dieu, er hat doch nur eine Erkältung!“
Gant blieb abrupt stehen und lauschte interessiert. Hatte der Commander da gerade Co-Pilot gesagt?
„Sir, Lieutenant Yendamoori hat sich einen starken fiebrigen grippalen Infekt eingehandelt. Er hat 40,5 Grad Fieber, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen, Durchfall und erste Anzeichen einer ernsthaften Dehydrierung. Aufgrund dessen hat sich auch sein Kreislauf verabschiedet und er ist auf dem Flugdeck bewußtlos geworden, weil er versucht hat sich trotz seiner Krankheit für den Einsatz bereit zu machen. Eine Grippe ist zwar nicht lebensbedrohlich, aber dennoch ist damit auch nicht zu spaßen.“
„Sie können ihm aber doch ein paar Spritzen geben und ein bisschen Flüßigkeit verabreichen, n`est pas?“
Die Ärztin schüttelte den Kopf. „Sir, das würde vielleicht ein paar Stunden lang helfen, wenn überhaupt. Aber danach können Sie ihn auch gleich in den hinteren Bereich ihres SAR-Shuttles verfrachten!“
„Merde!“ Der Commander schien verärgert, doch bedankte sich dennoch artig bei der Ärztin und wandte sich zum Gehen.
Dieser Commander war also ein SAR-Shuttle-Pilot und so wie es aussah, hatte er einen Piloten zu wenig. Gant zögerte einen kurzen Augenblick, doch dann entschloss er sich dem Commander zu folgen und ihn anzusprechen. Vielleicht lag hier seine Chance sich in sinnvoller Weise nützlich zu machen.
Er folgte dem Commander und hatte ihn fast eingeholt als dieser vor einem Bereitschaftsraum stehen blieb, wo zwei Piloten auf ihn warteten. Gant erkannte sie als die beiden Piloten, die ihn aus dem All gefischt hatten.
Er hörte wie sich Lt. Stanford bei dem Commander erkundigte: „Und wie geht es Prakash? Ist er einsatztauglich.“
„Non!“ grummelte der Commander, offensichtlich der Vorgesetzte der beiden Shuttle-Piloten und demnach der CO der Relentless Shuttles.
„Und was machen wir jetzt?“ fragte Lt. Martinez.
Der Commander seufzte. „Es gibt nur zwei Optionen. Ich bleibe zurück und koordiniere unsere Shuttles von Bord der Relentless aus. Oder ich nehme Ihnen Lieutenant Martinez weg, Robert, und das heisst, sie bleiben hier an Bord zurück.“
Stanford und Martinez wurden beide gleichzeitig kreidebleich bei der zweiten Option. Doch sie waren schlau genug nicht zu widersprechen. „In jedem Falle ist das Ganze sehr ärgerlich, weil wir eines unserer Shuttles zurück lassen müssen. Und das reduziert unsere Bergekapazitäten.“
In diesem Augenblick räusperte sich Gant und näherte sich dem Trio auf dem Flur. Er sprach den Commander in fließendem Französich an: „Excusé moi, Commander. Je suis Lieutenant Anthony Gant, 127eme Fighter Wing. Ich habe von ihrem Problem mit ihrem Co-Piloten gehört. Ich könnte vielleicht helfen!“
„Schön Sie kennen zu lernen, Lt Gant, ich bin Commander Lefranque. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie sie mir helfen können, es sei denn sie kennen einen ausgebildeten Shuttlepiloten an Bord der Relentless, der nicht schon unter meinem Kommando steht.“
„Sir, ich bin vielleicht kein ausgebildeter Shuttlepilot. Aber ich habe während meiner Ausbildung auf den Markham Fields einen Zusatzlehrgang zum Shuttlepiloten gemacht und ihn mit Sehr Gut bestanden. Es ist jetzt zwar mehr als ein Jahr her, dass ich in einem Shuttle-Cockpit saß, aber ich denke, das ist wie Radfahren. Einmal gelernt, für immer gelernt!“
Lefranque runzelte die Stirn. „Warum macht ein Jagdflieger einen Lehrgang als Shuttlepilot?“
„Ich dachte es kann nicht schaden, Sir, wenn man weiß wie ein Shuttle geflogen wird. Nur für den Fall, dass man es als Kampfpilot mal mit einem Shuttle zu tun haben sollte. Und mir war langweilig, Sir!“
„Langweilig!? Auf Markham?“
Gant verzog keine Miene, als ihn der Commander eingehend musterte.
Dann versuchte Lefranque ihn mit einer Frage zu überraschen. „Nennen Sie mir die Basisdaten des S-41 Shuttles Multifunktionsshuttle.“
Arrow überlegte einen kurzen Augenblick, wofür er kurz die Augen schloss und sich konzentrierte. Dann schien er die entsprechende Akte in seinem Kopf gefunden zu haben, denn er legte ohne Pause los: „Sir, das S-41 Multifunktionsshuttle, das am weitesten verbreitete Shuttle der TSN, konzipiert und gebaut von Tribeca Arms Industries auf Terra, Mars und New Boston. Länge: 34 Meter, Masse: 34 Tonnen. Höchstgeschwindigkeit: 180 Kilometer pro Sekunde, Maximale Nachbrennergeschwindigkeit: 460 Kilometer pro Sekunde, Beschleunigung 100 Kilometer pro Sekunde. Besatzung: 2 Piloten plus in der SAR-Bergungsshuttlevariante ein Sanitätsteam a 2 Medic-Marines plus 4 Marines Kampfunterstützung. Hat Raum für 8-10 Liegendverletzte plus bis zu 10 weiteren Leichtverletzten. Maximalzuladung 12 Tonnen, Standardbewaffnung als SAR-Bergungsshuttle: 2 Lasergeschütze. Das S-41 kann auch modular umgebaut werden als Personentransporter, Frachter, SAR- und VIP-Shuttle. Soll ich die jeweilige Besatzungs- und Bewaffnungskonfiguration nennen?“
Lefranque, Stanford und Martinez hatten alle ziemlich überraschte Gesichter drauf, denn mit so einem perfekten Vortrag seitens eines Jagdpiloten hatten sie nicht gerechnet. Lefranque fing sich als Erster.
„Nein, schon gut, schon gut. Die technischen Daten haben Sie drauf, Respekt.“ Er blickte Stanford an seiner Seite auf, welcher sich auch eine Frage überlegt hatte. „Was machen Sie, wenn sie während einer Rettungsaktion von einem feindlichen Jäger attackiert werden?“
„Welchem Jägertyp, Sir?“
Robert Stanford blinzelte verdutzt. „Spielt das eine Rolle?“
„Unter Umständen, Ja, Sir! Die Standardverteidigungsmuster sind pro Feindjäger differenziert anzuwenden.“
Stanford verzog das Gesicht einen kleinen Hauch, sich wohl bewußt, dass ihn hier ein rangniedriger Offizier auf arrogante Art und Weise bloßstellte. „Na gut, sagen wir eine Bloodhawk!“
„Also der Standardjäger. Nun gut, Sir! Schritt 1 ist die Bergung sofort abzubrechen, aber den Bergungsort markieren und an das HQ senden, damit jemand anders die Bergung gegebenenfalls später vollenden kann. Schritt 2 sich sofort mit Höchstgeschwindigkeit vom Gegner lösen in Richtung des Hauptverbandes. Schritt 3 den Akarii anfunken und auf die Funktion des SAR Shuttles hinweisen.“
„Und wenn der Akarii nicht hören will und weiter schiesst?“
„Dann Vollgas geben, Haken schlagen und ausweichen so gut es geht. Lasergschütze einsetzen um vielleicht ein paar Glückstreffer zu landen, aber das ist sekundär. Die Hauptaufgabe ist es die stärkeren Schilde, Panzerung und Treibstoffvorrat des S-41 so lange zu nutzen bis dem Jäger die Lust vergeht, sein eigener Treibstoff zur Neige geht oder man in Reichweite von Unterstützung kommt.“
Stanford nickte bei Gants Ausführungen, doch er verzog ansonsten keine Miene. Stattdessen blickte er hinüber zu seiner Co-Pilotin. Offenbar war sie dran mit ihrer Frage.
„Wenn sie als Co-Pilot fliegen, wo sind im Cockpit die Anzeigen des Nahbereichssonars?“
Anthony Gant schloss wieder die Augen für einen Augenblick, offenbar war dies sein Tick um sich alles visuell vor sein inneres Auge zu führen. Er streckte seine beiden Hände aus und nahm im Geiste die beiden Steuerschubdüsen eines Shuttles in die Hände. Dann nahm er – immer noch mit geschlossenen Augen die rechte Hand und zeigte auf einen Punkte leicht rechts unten vor ihm.
„Hier, Lieutenant.“
Jetzt nickte auch die junge Hispanierin anerkennend, auch wenn sie es Gant nicht zu einfach machen wollte.
„Langstreckenradar?“
„Hier!“
„Schalter für Heckluke? Abwehrmaßnahmen? Fahrwerk?“
„Hier! Hier! Und Hier!“
Martinez ließ nicht locker „Der Schalter für die manuelle Turbinenabschaltung?“
Stanford riss die Augen auf und flüsterte leise: „Das weiss ja nicht mal ich!“
„Psst!“
Gant konnte den Anflug eines Grinsen nicht vermeiden, liess die Augen aber geschlossen und zeigte auf einen Punkt links oben über seinem Kopf. „Hier, Lieutenant.“
Alle drei Shuttlepiloten blickten sich gegenseitig an und schienen nur mit Blicken zu kommunizieren.
Dann nickte Commander Lefranque und streckte Gant mit einem breiten Lächeln seine Hand entgegen.
„Nun gut, Lieutenant Gant, wir haben noch vier Stunden bis zum Start. Ich treffe Sie in einer Viertelstunde auf dem Flugdeck an Bord von Shuttle R-1 und dann werden wir die Maschine zusammen abnehmen.“
„Sir, danke, Sir. Ich…!“
„Halt, Moment! Ich war noch nicht fertig. Wir werden erst noch einen simulierten Flug durchführen. Und erst dann werde ich entscheiden, ob ich Sie wirklich mitnehme. Aber wenn Sie auch nur annähernd so gut fliegen wie sie die Theorie beherrschen, dann…“
„Merci beaucoup, Commander!“
Gant salutierte zackig, glücklich darüber wohl doch eine Aufgabe in der bevorstehenden Schlacht gefunden zu haben.
Als Gant gegangen war, wandte sich Lefranque an die beiden übrigen Shuttlepiloten. „Und Robert, Maria? Was halten Sie von ihm?“
„Ein arroganter, kleiner Besserwisser wenn Sie mich fragen, Sir. Die Theorie scheint er zwar drauf zu haben.“ nickte Stafford mit deutlichem Ärger in seiner Stimme. „Aber kann er auch fliegen wenn es darauf ankommt?“
„Wir werden sehen, Robert, wir werden sehen! Aber immer noch besser als einen von Ihnen hier zurück lassen zu müssen, n`est pas? Wenn Sie wollen, können sie sich ja nachher ansehen, wie sich unser neuer Rekrut so anstellt?“
„Aye, Sir!“
Robert Stanford und Maria Hernandez blickten sich beide kurz in die Augen und auch wenn sie nichts sagten, so waren sie beide natürlich froh, nicht zurückgelassen zu werden. Auch wenn beide den Jagdpiloten nicht mochten, so war Ihnen doch bewußt, dass es ohne Gant für einen von Ihnen bedeuten würde, Zuhause bleiben zu müssen.
Und somit blieb Ihnen nichts anderes übrig als Anthony Gant für seinen letzten Test die Daumen zu drücken.
Cattaneo
Cattaneo
Ein zerbrochener Becher Teil I
Terranischer Angriffsverband, nahe bei Masters
Im Weltall gab es keinen Seegang, keinen Wind, ja selbst die Triebwerke und die ungeheuren Kräfte, die auf Grund der Beschleunigung an den Schiffen zerrten, waren im Normalfall für die Besatzungen der Schiffe nicht zu hören oder zu spüren. Nur schwere Treffer und die brutalsten Wendemanöver im Kampf hatten die Macht, die Trägheitsdämpfer der Raumschiffe zu überlasten, ließen die Stahlgiganten ächzen und erbeben. Deshalb war der Marsch in die Schlacht an Bord der Kriegsschiffe ein Moment von seltsamer, fast steriler Ruhe. Da waren natürlich die Befehle, Meldungen und Signaltöne, das Flackern der Anzeigetafeln und Bildschirme. Reparaturtrupps, gehüllt in Schutzanzüge, unterstützt von schwer bewaffneten Marines in klobiger Panzerung, bezogen ihre Posten an neuralgischen Punkten des Schiffes, um im Notfall schnell auf Störfälle und Angriffe reagieren zu können. Zusätzlich zu den Krankenstationen wurden Behelfsverwundetenstellen eingerichtet, sollte einer der Kriegsraumer schwere Treffer erhalten oder mehrere Shuttles mit verletzten Schiffbrüchigen aufnehmen müssen. In den Hangars wurden Krankentragen bereitgestellt. Für den Fall einer Enterung – bei Karrashin war genau das passiert – wurden Waffen ausgegeben, und als Vorkehrung für mögliche Treffer eine Vielzahl von Durchgängen versiegelt, ganze Bereiche der Schiffe evakuiert, überflüssige Geräte abgeschaltet, lose Teile gesichert. Doch all dies erfolgte nach einer vielfach praktizierten oder zumindest unermüdlich geübten Routine. Abgesehen davon glitten die Schiffe selbst so ruhig dahin, dass sie ebenso gut auch hätten stillstehen können. Außerhalb der Großraumer, in den zahllosen mückenhaft umeinander tanzenden Shuttles und Kampffliegern, sah das schon etwas anders aus.
Rear-Admiral Mithel hatte seinen Platz in der Kommandozentrale eingenommen, tief im Inneren des Schiffes. Wie es vorgeschrieben und bei den abrupten Manövern der Schlacht und schweren Treffern auch notwendig war, hielten ihn stabile Sicherheitsgurte in seinem Sessel, und so wie er es für seine Offiziere angeordnet hatte, ruhte eine schwere Pistole in dem Holster an seinem Gürtel. Seine Arme, die er frei bewegen konnte, regten sich kaum, nur sein Blick wanderte wachsam hin und her, prüfte, analysierte. Hin und wieder gab er knappe Befehle, stellte eine Frage, doch das geschah selten. In dieser Phase der Schlacht gab es für ihn wenig zu tun. Wenn Krieg ein Schachspiel gewesen wäre, dann wäre dies der Moment gewesen, in der die Kontrahenten ihre Bauern zogen und eine Verteidigung aufbauten, auf den ersten aggressiven Zug des Gegners warteten, oder ihrerseits einen Angriff vorbereiteten.
Der altgediente Kommandeur hatte inzwischen alle Bedenken über den Schlachtplan, über seine Untergebenen, über vergangene oder künftige Entscheidungen abgestreift. Das alles konnte warten. Im Moment kam es nur noch auf das Jetzt an, darauf, die Absichten des Gegners zu durchschauen, ihn über die eigenen Absichten zu täuschen, eine schwache Stelle in der feindlichen Formation zu finden.
Mithel hatte einige Vorteile auf seiner Seite. Da war zum einen seine Erfahrung. Er hatte seit dem ersten Tag des Krieges im Einsatz gestanden, und die meisten Schlachten des Krieges nicht nur studiert, sondern an vielen der wichtigsten auch selbst teilgenommen. Er war den Streitkräften des Kaiserreichs als Angreifer wie als Verteidiger gegenübergetreten. Mithel mochte nicht gerade mit den Besten des Gegners die Klinge gekreuzt haben – die Meinungen etwa über Prinz Jors strategische und taktische Fähigkeiten gingen sehr auseinander – aber doch mit zahlreichen Kapitänen und Admirälen des Imperiums, Akarii mit sorgfältiger Ausbildung und zum Teil erheblicher Erfahrung. Er wusste, wozu die Terraner im Stande waren, und was ihre Gegner vermochten.
Darüber hinaus hatte er einen hauchdünnen Vorteil in Sachen elektronische Aufklärung und Kriegführung. Dies hier war menschliches Territorium, und obwohl die Akarii einen beträchtlichen Teil der Überwachungssatelliten bei ihrem Vormarsch zerstört hatten, konnte er sein schiff- und shuttlegestütztes System auf diese Weise etwas ergänzen, ganz abgesehen davon, dass auf Seafort und selbst auf dem bombardierten Masters immer noch einiges an Einrichtungen im Einsatz waren. Zudem war den Menschen das System und seine möglichen Eigenheiten vertraut, und die Akarii waren seit ihrer Ankunft so genau wie möglich überwacht worden, um Anzahl und Art ihrer Schiffe einzuschätzen. Er hatte also eine recht gute Vorstellung von der gegnerischen Formation und ihrer Stärke, zumindest was die Großschiffe anging. Den Mückenschwarm an kleineren Einheiten zu überwachen – was wichtig genug seien konnte, wenn man etwa an diese verdammten neuen Raketenshuttles der Akarii dachte – bekam man wesentlich weniger gut in den Griff.
Es hatte Mithel mit Wut erfüllt zusehen zu müssen, wie die Echsen Masters bombardiert hatten. Er war Realist und sicher alles andere als ein blauäugiger Romantiker, der dem Wahn anhing, Krieg sei eine Art Duell zwischen Gentlemen. Er hatte seinen Kreuzer selber mehr als einmal für orbitale Beschießungen eingesetzt, und im Gegensatz zu manch anderem verschloss er auch nicht die Augen vor den Folgen dieser Einsätze. Aber ein Angriff auf Bürger der FRT war ein Schlag in das Gesicht jedes Mitglieds der Streitkräfte, das seinen Eid ernst nahm.
Die Annäherung seines Verbandes hatten die Akarii dazu gebracht, sich dem neuen Feind zu stellen und von Masters abzulassen. Das war ein Trost, wenn auch ein schwacher. Die Feinde schienen bisher wenig Neigung zu zeigen, ihre Kampfflieger vorzuschicken. Mithel war das nur Recht, denn in diesem Fall wären die „Schiffshalter“ seiner Flotte – die TSN-Kampfflieger, die im Schutz seiner Formation unsichtbar für den Feind vorrückten – zweifellos entdeckt worden. Natürlich wäre es auch erfreulich gewesen, wenn die Akarii ihr Potential verzettelt eingesetzt hätten, denn so würde er es im Nahkampf mit Bombern UND Kriegsschiffen zu tun bekommen. Nun, es war nicht das erste Mal, und mit etwas Glück würden die Echsen dank der TSN-Kampfflieger beschäftigt genug sein.
Der Rear-Admiral hatte die Kursänderung des Gegners für einen letzten Schachzug genutzt – ein Täuschungsmanöver, das ihm persönlich viel abverlangt hatte. Doch das, so gestand er sich verbittert ein, hatte er auch nicht besser verdient.
Er hatte sich mit Masters in Verbindung gesetzt und es tatsächlich geschafft, über einige Relaisstationen zur Ministerpräsidentin durchgestellt zu werden. Das war schon ein kleines Wunder gewesen, bei dem Durcheinander das dort unten herrschen musste, selbst wenn man seinen Rang berücksichtigte.
Er hatte keine wirkliche Hilfe von Masters erwartet, nicht nach dem, was dort geschehen war, und es war ihm auch schwer genug gefallen, Hanifa Jergian dazu zu bringen, wenigstens so zu TUN als würde sie ihn unterstützen. Ihre Wut und Verbitterung waren mehr als deutlich gewesen – nichts, wofür Mithel nicht Verständnis gehabt hätte – und unglücklicherweise war er einer der ersten hochrangigen TNS-Offiziere, der sich nach dem vorläufigen Ende des Bombardements mit der Regierungschefin von Masters in Verbindung gesetzt hatte. So hatte er die volle Wucht ihrer Anklagen ertragen müssen. So etwas war nie leicht, erst recht nicht für jemanden in seinem Alter und Rang, oder wenn man im Grunde nichts dagegenhalten konnte. Dummerweise konnte er sich nicht einmal insgeheim in gekränkter Eitelkeit suhlen und die Anschuldigungen vor sich selbst zurückweisen, und das machte es nur noch schmerzlicher.
Mithel war keiner dieser kleingeistigen, intellektuell verkümmerten Kommissköpfe wie es sie im Militär beklagenswert oft gab, die sich als „Soldaten“ oder gar „Krieger“ für etwas Besseres als die angeblich ach so wetterwendischen und in sicherer Entfernung agierenden „Politiker“ hielten. Natürlich gab es ebenso auch Menschen außerhalb der Streitkräfte, die selbst in hochrangigen Offizieren nur stupide Befehlsempfänger und Metzger sahen. Das eine war so falsch und antiquiert wie das andere. Ein wirklich guter Offizier von höherem Rang hielt sich nach Mithels Vorstellungen nicht nur selbst meistens außerhalb der Schusslinie und hatte eine nüchterne, nötigenfalls erbarmungslos-effiziente Sicht auf den Krieg, er musste ein Stückweit auch selber Politiker, Wirtschaftsfachmann und Wissenschaftler sein. So wie ein guter Politiker in diesen Zeiten eine Ader für militärische, ökonomische und wissenschaftliche Probleme haben musste. Und Wissenschaftler und Industriefachleute…nun, da war es nicht anders. Für einen Krieg wie den jetzigen, einen modernen Krieg, brauchte man sie alle gleichermaßen. Zu tragisch, dass so viele Menschen – innerhalb wie außerhalb des Militärs – das einfach nicht in ihre von Kastendenken vernagelten Schädel bekamen.
Nun, er selbst sah durchaus über rein militärische Dinge hinaus. Seine Erfahrung sagte ihm, dass diese bis in alle Höllen verfluchte Echse Taran mit ihrem barbarischen Angriff auf Masters vielleicht mehr erreicht hatte, als ein paar tausend Menschen zu ermorden und Rüstungsgüter und Infrastruktur im Wert von einigen Milliarden zu zerstören. Ob ihm das selber klar war, musste offen bleiben – vielleicht nicht wirklich, sonst wären die Verwüstungen noch etwas größer gewesen. Natürlich nicht ZU groß, nicht so, dass der Aufschrei über die imperiale Barbarei alles andere überdeckte. Doch so war es schon schlimm genug.
Wenn man – und das galt besonders für die Militärs – nicht sehr aufpasste, dann hatten die Ereignisse der vergangenen 24 Stunden das Potential, noch höhere, verheerende Wellen zu schlagen als die rauchenden Trümmer auf der Planetenoberfläche erahnen ließen. Masters und Seafort waren keine Hinterwäldlerplaneten, welche die Mehrheit der Bürger der FRT nicht einmal auf Sternenkarten finden konnten, sondern Heimat von insgesamt zwei Milliarden Menschen. Wenn ihre Regierungschefs und die Bevölkerung das Vertrauen in die TSN verloren, dann konnten einige Admiräle darüber leichter stürzen als über eine verlorene Schlacht, Kriegsanstrengungen um Monate zurückgeworfen werden. Und wenn sich dieses Misstrauen erst einmal ausbreitete – und Masters und Seafort waren einflussreich genug, dass dies leicht geschehen konnte – konnten die Folgen sogar noch verheerender sein. Blieb zu hoffen, dass Girad oder wer auch immer das Sagen haben würde wenn dieses Schlachten ein Ende nahm, dies auch so klar wie er erkannten. Für Eitelkeit würde da kein Platz mehr sein…
In jedem Fall würde man etwas unternehmen müssen.
Mithel selbst hatte natürlich jetzt nichts Relevantes in dieser Hinsicht tun können, außer Hanifa Jergian recht zu geben, ihre Vorwürfe zu schlucken, egal wie schwer ihm das fiel, und sich dann so weit zu entwürdigen, einen Planeten der schon genug gelitten hatte, um noch mehr zu bitten.
Erstaunlich genug, dass er überhaupt etwas bekommen hatte. Aber begreiflicherweise gab es etwas, was die Ministerpräsidentin noch mehr wollte, als die TSN-Führung für ihr Verhalten zu geißeln. Und das war Admiral Tarans Kopf, vorzugsweise auf einem Speer und in Honig konserviert – wie es Mithels Vorgänger Henning Schupp in seiner Zeit als Kommandeur der Schwadron 2.3 einmal ausgedrückt hatte.
In diesem Moment starteten von Masters erneut Jäger und Shuttles, schlossen sich den drei entkommenen Korvetten der Spaceguard an, die zu ihrem Planeten zurückgekehrt waren, und nahmen Kurs auf den Feind. Hanifa Jergian hatte die Schiffe – vorsorglich auf der dem Feind abgewandten Planetenseite – zurückgerufen, sobald die Akarii abgedreht waren. Die planetaren Verteidigungsstäbe hatten sich früh genug ausrechnen können, dass der Gegner nach einer Schlacht mit der TSN kaum noch einmal mit seinen Kriegsschiffen nach Masters zurückkommen würde – das hätte einfach zuviel Zeit gekostet, und mit Sicherheit würden die Akarii Havaristen im Verband haben. Aber Taran konnte natürlich noch einmal Bomber schicken, um das Zerstörungswerk zu vervollständigen. In diesem Fall waren drei Korvetten nicht zu verachten.
Selbstverständlich waren die startenden Jäger – nicht mehr als ein, zwei Dutzend – und die Shuttles alles andere als kampfbereit. Die überlebenden Maschinen von Masters’ Streitkräften waren auf zwei Dutzend Behelfsflugplätze verteilt, auf den wenigstens gab es ausreichend Möglichkeiten zur Aufmunitionierung, ihre Piloten waren vielfach erschöpft und traumatisiert. Aber das wusste der Gegner natürlich nicht so genau. Alles was er sah waren gute dreißig kleinere Einheiten und drei Korvetten, die drohten, ihm in den Rücken beziehungsweise in die Flanke zu fallen. Wenig genug – aber nach der Erfahrung mit den Kamikazefliegern von Masters würden die Akarii vielleicht doch etwas nervös werden. Sie hatten erlebt, was selbst einige wenige zu allem entschlossene Gegner erreichen konnten. Und wenn die Echsen nur eine Staffel Jäger oder ein paar Zerstörer oder Fregatten abstellten um einen Sicherungsschirm zu bilden, nur ein wenig in ihrer Aufmerksamkeit für andere Dinge nachließen, nur ein bisschen verunsichert oder gar verängstigt waren, dann war dies schon ein kleiner, aber vielleicht entscheidender Vorteil. Masters’ überlebende Verteidiger würden nicht noch einmal kämpfen – sie konnten es einfach nicht mehr. Aber allein ihre Anwesenheit mochte helfen.
Die TSN würde wahrscheinlich den ersten Schlag in der bevorstehenden Schlacht führen, sobald sie auf maximale Feuerentfernung heran war. Auf diese Distanz waren wirkungsvolle Treffer selten, selbst wenn so viele Schiffe zugleich feuerten – die paar zusätzlichen Sekunden für Gegenmaßnahmen machten einen erheblichen Unterschied – aber Mithel wollte den Feind um jeden Preis beschäftigt halten, günstigstenfalls seine Formation etwas durcheinander bringen und erste Breschen vorbereiten. Wenn sie auf anfliegende „Vampire“ achten mussten, entdeckten die Echsen die Kampfflieger der Terraner hoffentlich noch etwas später. Und im Gegensatz zu den Akarii konnte er aus dem Vollen schöpfen, denn ihm stand kein wochenlanger Rückmarsch durch ungesicherte Systeme bevor, und die Magazine von Seafort waren sowohl nah als auch relativ sicher.
Aufmerksam musterte der Admiral die feindliche Flotte, ließ die 3-D-Abbildung der gegnerischen Formation durch knappe Befehle rotieren. Bisher hatten die Akarii sich in einer massiven Formation auf einen Abfangkurs begeben, der sie immer weiter von Masters entfernte und dem TSN-Verband entgegen trug. Offenbar wollten sie nicht in Planetennähe kämpfen. Das war verständlich, denn dort war die Gefahr größer, dass die verbleibenden bodengestützten Luftabwehrstellungen eingriffen. Und kein Admiral ließ sich gerne zwischen einem feindlichen Verband und einem gegnerischen Planeten ‚einklemmen’.
Es störte ihn etwas, dass er an einen relativ starren Schlachtplan gebunden war und nicht aus eigener Entscheidungsfreiheit Crawford und seinen Jägern Befehle erteilten konnte, aber daran ließ sich nichts ändern. Er würde ihnen so gut es ging einen Weg in das Herz der feindlichen Formation bahnen.
,Und dann wird ein Großteil der Arbeit und des Blutvergießens – vor allem des eigenen – wieder mal an uns hängen bleiben!’ dachte er leicht gehässig.
In diesem Moment erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Die feindliche Formation expandierte, faserte auseinander, gruppierte sich um. Der Admiral starrte gebannt auf die Anzeigen, gemeinsam mit seinen taktischen Offizieren. Sie versuchten, ein spezifisches Muster in den Bewegungen zu erkennen, es mit bereits bekannten Akarii-Manövern zu vergleichen. So etwas erforderte ein gutes Gedächtnis, wachsame Sinne und vor allem Erfahrung.
Es dauerte nicht allzu lange, bis der Admiral sich einen Reim aus der feindlichen Taktik machen konnte. Wenn einer seiner Untergebenen vorher auf die richtige Idee gekommen war, hatte er oder sie möglicherweise noch abgewartet, was der Flottillenchef zu sagen hatte.
Die Akarii nannten diese Formation wohl „Becher“ – an das Echsenwort dafür erinnerte er sich im Moment nicht – aber bei den Menschen hatte es noch einige inoffizielle andere Spitznamen. Die phantasievollste aber auch Unheilverkündende war „Blutkelch“, aber einige respektlose Jungspunde hatten auch schon mal eine Bezeichnung wie „Pisspott“ verwendet.
Mithel versuchte sich in den feindlichen Kommandeur hineinzuversetzen. Das war keine sonderlich aggressive Formation, doch für die Abwehr eines konventionellen Angriffes hatte sie ihre Vorteile. Der Rear-Admiral überlegte kurz: „Prioritätsfunkspruch: An die Flotte – Angriffskurs beibehalten, Stoßrichtung gegnerisches Zentrum. Feuereröffnung auf maximale Entfernung gleichmäßig verteilt auf rechte und linke gegnerische Flanke, wenn möglich auf die Kreuzer. Sobald wir auf dreißigtausend Kilometer heran sind, Kurswechsel – gezielter Angriff auf die Masters abgewandte Flanke. Primärziele bleiben die Feindkreuzer.“
Mithel hatte nicht vor, dem Gegner direkt in den Rachen zu fliegen. Sein Vorgehen barg natürlich die Gefahr, dass der andere Flügel ihm in den Rücken fiel, aber damit würde man fertig werden. Vielleicht würde ja der Scheinangriff von Masters aus einige Kräfte auf dieser Seite des Schlachtfelds binden, und sei es nur für einige Minuten.
Wenn man sich wie von ihm angeordnet auf einen „Kelchrand“ stürzte und diesen gegen das feindliche Zentrum drückte, bestand die Hoffnung, so den Kampffliegern im allgemeinen Hauen und Stechen einen kürzeren Weg in die feindliche Formation zu bahnen – mehr jedenfalls, als wenn er das Zentrum direkt angriff und dabei von zwei Seiten Flankenfeuer einsteckte. Wenn die Jagdbomber sich an dem mörderischen Beschuss durch seine Einheiten beteiligten, musste ein Durchbruch einfach gelingen. Auf diese Weise würden seine Schiffe zwar nicht sofort in das Herz des gegnerischen Verbandes vorstoßen können, aber das sollten sie auch nicht unbedingt.
,Nicht, wenn die Jäger und besonders die Bomber ihre Sache gut machen. Ich wünschte, das würden sie auch einmal, aber ich kann nicht sagen, dass ich bisher sonderlich beeindruckt bin – außer vom Angriff der Masters-Piloten.’ Nun, es würde sich zeigen, aus welchem Holz die Angry Angels, die überlebenden Gunriders, der Flying Circus, die Spirit of Samurai und Fast Eagles gemacht waren…
„Admiral, Sir!“ der Sensoroffizier wartete, bis Mithel ihm mit einem Nicken das Wort erteilte: „Noch…zwanzig Sekunden bis maximale Feuerentfernung!“
Chris Mithel richtete sich auf, den Blick wie gebannt auf die Anzeigen gerichtet. Die Ziele waren ausgewählt, jetzt gab es nur noch eines zu tun – eigentlich eher eine höfliche Verneigung vor seiner Person, eine traditionelle Geste, als wirkliche Notwendigkeit. Er wusste, was man von ihm erwartete: „An alle Schiffe…FEUER!“
Cattaneo
Cattaneo
Ein zerbrochener Becher - Teil II
Grüne Staffel der Angry Angels, im Anflug auf das Zentrum des feindlichen Verbandes
Lilja hatte die letzten Minuten des Anfluges genutzt, sich mental auf die Schlacht vorzubereiten. Nicht, dass sie nicht ohnehin höllisch hatte aufpassen müssen – da die TSN-Flieger nicht zu früh entdeckt werden sollten, durften sie nicht so aufgefächert fliegen wie sie es gewohnt und wie es ihnen vermutlich lieb gewesen wäre. Aber sie hatte dennoch genug Muße gehabt, während dieses Fluges, bei dem sie nichts anderes hatte tun können als stupide Kurs und Position halten.
Sie waren inzwischen schon Routine geworden, ihre gedanklichen Selbstgespräche, die sie häufig vor der Schlacht führte, immer wieder, Monat um Monat, Jahr für Jahr, so lange, dass sie sich manchmal fragte, ob es jemals anders gewesen war. Ein Mantra aber wiederholte sie immer und immer wieder, es war ihr gleichsam unauslöschbar ins Gehirn gebrannt – ,ERINNERE DICH!
Erinnere dich, an all die Toten und Verletzten bei den Fighting Stallions und den anderen Staffeln, in denen du gedient hast. An deine Freunde und an die, deren Gesichter und Namen langsam schon verblassen, so viele sind es inzwischen…
Erinnere dich an die Schiffe, die vor deinen Augen gestorben sind, in so vielen Schlachten. Erinnere dich an das, was auf Hannover geschah, und jetzt auch auf Masters.
Erinnere dich, wie sehr du diese…Wesen, diese Bestien, diese TIERE…verabscheust, wie hässliche ihre Reptilienaugen sind, ihre raubtierhaften Schnauzen, wie Ekel erregend sich ihre Stimmen anhören und wie abstoßend es klingt, wenn du selber versuchst etwas mit ihren Worten zu sagen, wie sehr sie sich von dir unterscheiden.
Erinnere dich, was sie so vielen Menschen genommen haben, was sie dir und allen anderen noch nehmen würden, wenn sie nicht aufgehalten werden.
Erinnere dich an jeden Schmerz, jede Wunde, jede Träne, an jede einzelne Sekunde in Angst und Trauer, die du ihnen zu verdanken hast.
Erinnere dich – und dann töte!‘
Mit diesem Mantra im Kopf war es ihr ein leichtes, zu vergessen, dass ihr Gegenüber ein denkendes, fühlendes Wesen war, das Hoffnungen und Träume hatte, die vielleicht nicht einmal so verschieden von den eigenen waren. Dass auf ihre Feinde Eltern, Geschwister und Geliebte warten mochten, dass viele sicher diesen Krieg nicht wirklich GEWOLLT hatten. Jede Empathie mit dem Feind, jedes bisschen Gefühl, der oder die andere könnte ihr ähneln, verstummte vor dem giftigen Zischen der Stimme in ihrem Kopf. Manchmal war es ihr selbst unheimlich, wie leicht sie sich inzwischen in diesen Zustand versetzen konnte, was sie mit dieser Stimme im Hinterkopf gedacht und gesagt, getan hatte. Es hatte in diesem Krieg Momente gegeben, da hatte sie auf die Stimme des Mitleids und der…Menschlichkeit…gehört. Inzwischen aber bereute sie diese Schwäche, nach all dem, was in den letzten Monaten, Wochen, Tagen geschehen war. Menschlichkeit hatte keinen Platz in diesem Krieg, und an die Akarii war sie ohnehin verschwendet.
,Erinnere dich – und dann töte! So wie die knapp drei Dutzend Kampfflieger und fünf anderen Abschüsse bisher in diesem ganzen verdammten Krieg. Töte, töte, töte immer weiter, bis nichts mehr da ist, was vernichtet werden muss…‘
Die ersten Minuten der Schlacht waren für die Kampfflieger eine ziemlich zermürbende Geduldsprüfung gewesen. Die schiffgestützten Langstreckenraketen der Menschen – und kurz darauf der Akarii – hatten das Feuer eröffnet, lange bevor die feindlichen Kampfflieger und Schnellboote sich hervorgewagt hatten. Die TSN-Piloten hatten nur abwarten können, um ihre Tarnung nicht zu gefährden. Es war nicht nur wegen der eigenen Untätigkeit schwer erträglich gewesen, zu warten. Machtlos zuzusehen, wie terranische Schiffe beschädigt oder sogar zerstört wurden, war mehr als Lilja ertragen konnte. Die Abwehr der Terraner war zwar stark, all die Schiffe, ihre Shuttles und dazu die kompetente Feuerleitung durch zwei Flakkreuzer, aber natürlich war das nicht immer genug. Mehrere menschliche Schiffe waren zum Teil schwer getroffen, und mindestens zwei leichte TSN-Einheiten waren zerstört worden. Da tröstete es wenig, dass der Gegner ebenfalls Verluste erlitt.
Dann, ein Stück außerhalb der maximalen Geschützreichweite ihrer Kriegsschiffe, hatten sich die Kampfflieger der Akarii endlich vorgewagt. Und so war der Jägerkampf eskaliert, just in dem Moment, in dem die Kriegsschiffe der TSN und Akarii im Nahkampf aneinander gerieten. Zugleich führte die menschliche Flotte ein Wendemanöver aus, und griff den Masters’ abgewandten Flügel des Feindes an.
Um sie herum tobte der Wahnsinn der Raumschlacht, das Chaos, das ihr inzwischen nur allzu vertraut war. Wie zornige Giganten hieben die Kriegsschiffe aufeinander ein, rasend vor Wut, aber nicht blindlings, während zwischen ihnen das tödliche Ballett der Jäger wirbelte.
Doch ungeachtet ihrer persönlichen Gefühle war Lilja vor allem eines – eine verdammt gute Soldatin und eine…sagen wir zumindest akzeptable Offizierin. In einer von beiden Aufgaben zu versagen hätte den Tod von Kameraden bedeutet, und jene Lügen gestraft, die sie an diese Stelle kommandiert hatten. Das wollte, konnte, würde sie nicht zulassen. So behielt sie ihren Auftrag im Auge – die Bomber der Angry Angels und des Flying Circus. Dies war IHRE Aufgabe, die ihrer Staffel und der von Ace. Und, natürlich, Captain Crawford wieder sicher nach Hause zu bringen.
Sie gönnte ihren Kameraden von den anderen Staffeln die Ehre, als erste mit dem Feind aneinander zu geraten. Vor ihr entfalteten sich die schweren Jäger, dicht dahinter die Jagdbomber und Allzweckjäger, die sich auf Gegner in ihrem Weg konzentrieren sollten. Sie hatten, ebenso wie Mithels Kreuzer auf einem viel höheren Level, im Moment vor allem eine Aufgabe: Die Akarii beschäftigen und Widerstand aus dem Weg zu räumen. Es sah ganz danach aus, als würde das ein höllischer Kampf werden, so wie sich die Griphens und Nighthawks auf ihre Gegner stürzten, die ihnen freilich nichts schuldig blieben. Ein Stück weit machte sie sich Sorgen um die Jagdbomber. Sich bei der Abwehr feindlicher Jäger allein auf ihre eigenen Flugleistungen und pro Staffel eine Rotte mit leichten Raketen bestückte Jabos verlassen zu müssen, klang in ihren Ohren wie ein Rezept für Schwierigkeiten. Die Thunderbolt war der Mirage zwar deutlich überlegen, aber gegen Bloodhawks oder Deltaflügel…
Doch für die Jagdbomber konnte sie im Moment nichts tun. Am liebsten wäre es ihr – ungeachtet allen Hasses und aller Mordphantasien, die ihr Herz erwärmten – gewesen, wenn sie in dieser Schlacht nicht einen Akarii aus der Nähe zu sehen bekommen hätte. Denn das hätte bedeutet, dass die Bomber ohne direkte feindliche Jägerangriffe zum Ziel durchgekommen wären, und konnte es etwas Besseres geben? Aber sie konnte sich ausrechnen, dass sie nicht soviel Glück haben würde.
Nicht, dass die augenblickliche Zurückhaltung des Gegners soviel wie „gefahrlos“ bedeutete. Das feindliche Flakfeuer war von Anfang an mörderisch, und selbst der dümmste Akarii bemerkte irgendwann die mehr als zwei Dutzend Crusader- und Rafale-Maschinen der Staffeln Black Rain/Bronce und Fokker. Der Name der letzteren Einheit, der Bomber des Flying Circus, mit dem ungewohnt harten Klang, hatte bei einigen ihrer Untergebenen zu hämischen Gefrotzel geführt, bei dem sie einfach den zweiten Buchstaben gegen ein „u“ ausgetauscht hatten, was dem ganzen eine etwas…schmutzige…Bedeutung gab.
Es gab wenig, was man gegen das Flakfeuer unternehmen konnte, außer… Lilja aktivierte ihr Funkgerät: „Grüne Staffel – paarweise auffächern. Blitzlichtballett! Und Ace, du kannst dich ruhig beteiligen…“ Crawford hatte die Staffel des Flying Circus und ihren Begleitschutz gewissermaßen auf die Reservebank beordert, aber es war nicht zu erwarten, dass die Akarii das respektieren würden.
Der dienstjüngere Staffelchef der Blauen schnaubte bei Liljas Worten nur: „Ballett ist doch eigentlich eine russische Spezialität. Aber wenn du mich schon mal zum Tanzen aufforderst…“
In der Einsamkeit ihres Helmes verdrehte Lilja die Augen. Sie hielt üblicherweise nicht sehr viel von lockeren Sprüchen im Kampfeinsatz. Aber da sie auf die Zuarbeit der Blauen angewiesen war, verkniff sie sich eine bissige Replik.
,Blitzlichtballett’ war eigentlich kein offizielles Kampfmanöver, vielmehr ein Einfall, den sich Liljas Vorgängerin ausgedacht hatte. Dabei ließ man die wesentlich beweglicheren Begleitjäger auf einem zufälligen Kurs um die zu schützenden Bomber herumirrlichtern, mal beschleunigend, mal abbremsend, und feuerte in unregelmäßigen Abständen abwechselnd Flares der verschiedensten Sorten ab, ein Durcheinander von IR-, Radar-, FFI- oder Blitzlichttäuschkörper. Die Grundidee war es, dem Feind eine Langstreckenerfassung zu erschweren, im Grunde die einzige Hilfe, welche die Falcons ihren Schützlingen gegen Flakfeuer geben konnten. Selbst versierte Richtschützen bekamen Probleme, wenn einem ständig eine Falcon oder Typhoon in die Schussbahn huschte, oder wenn die Zielerfassung durch die Flares gestört wurde. Natürlich durfte man bei all den Kapriolen nicht vergessen, die Umgebung im Auge zu behalten – und den Umstand, dass Flakfeuer auch für einen agilen Abfangjäger tödlich enden konnte.
Es war ausnahmsweise ein Pilot der blauen Staffel, der alle anderen übertraf: „Achtung! Mehrere feindliche Jäger haben sich von der Hauptgruppe getrennt!“
Lilja fiel es nicht schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. Das Gros des Gegners war immer noch weiter vorne gebunden – glücklicherweise schienen die Akarii in den letzten Gefechten so hohe Verluste erlitten zu haben, dass ihre drei Flottenträger plus diverse kleinere Trägereinheiten nur noch über deutlich reduzierte Geschwader verfügten. Oder, sie machten den Fehler, immer noch einige Maschinen zurückzubehalten. Das wäre freilich ziemlich kurzsichtig gewesen. Wahrscheinlicher erschien, dass sie von vorneherein nicht mit voller Kampfstärke in die Schlacht gezogen waren, denn der Draned-Sektor war nicht gerade als Kaderschmiede für Kampffliegerpiloten bekannt.
Aber auch wenn die meisten Echsen zu kämpfen hatten, ein paar Schweinehunde konnten sich immer vorbeimogeln: „An alle! Ich zähle mindestens drei Vierer-Verbände Reaper und…ein halbes Dutzend plus schwere Einheiten, vermute Deltavögel…ja, es dürften etwa acht sein. Auf Abfangkurs gegen uns.“ Sie zögerte kurz: „Ace…meine Leute übernehmen die Reaper, sobald wir die gebunden haben, geht ihr die Deltas an. Lass aber zwei bis vier Maschinen zurück, falls die Crusaders Streuner anziehen. Crawford, Sie und Fidai bleiben ebenfalls hier.“ Es war schon fast ein Wunder zu nennen, dass Ace sich ohne Widerspruch ihren Anordnungen fügte. Nun ja, ein „Wenn ihr Hilfe braucht, braucht ihr bloß zu schreien.“ konnte er sich nicht verkneifen – aber was hatte sie denn schon anderes erwartet?
Immerhin, in diesem Moment war sie nun einmal die ranghöhere, dienstältere und erfahrenere Pilotin, die dazu noch den Chef des gesamten Geschwaderverbandes zu betüteln hatte. Und Davis’ schien ihre Kompetenz zu akzeptieren, es war ja auch erst seine zweite Schlacht als Staffelkommandeur. Sie hoffte nur, die Blauen würden auch unter ihrem neuen Staffelchef weiterhin so akzeptable Leistungen zeigen wie zuvor.
,Nämlich fast so gut wie meine Stallions, natürlich nicht ganz so gut, nein, nicht SO gut, aber doch recht annehmbar.’
Wenn nicht…dann ging die blaue Staffel harten Zeiten entgegen. Acht Falcons gegen acht Deltavögel waren kein gutes Verhältnis.
„Grüne Staffel, auf mein Zeichen Zangenangriff mit Nachbrenner, Alphaschlag…drei, zwei, eins…ABFANGEN!“
Die Beschleunigung des Nachbrenners drückte sie mit einer nur zu vertrauten Gewalt in ihren Sitz. Die zehn verbleibenden Jäger der grünen Staffel fächerten auf und nahmen die Reaper in einem Hagel aus Geschützsalven und Raketen an. Die kleineren Akarii-Jäger waren etwas schneller und vor allem wendiger als die Falcon, aber deutlich schlechter gepanzert und bewaffnet. Sie waren wie für den Kurvenkampf geschaffen, hatten aber im Alleingang schwer zu arbeiten um gut gesicherte Bomberverbände aufzureiben. Deshalb gab man ihnen oft ,Dosenöffner’ wie die Deltavögel mit, eine Kombination, die sich nahezu perfekt ergänzte. So lange die Reaper nicht gebunden waren, wäre es Selbstmord gewesen, ohne Rücksicht auf Verluste die schweren feindlichen Sturmjäger anzugehen. Das hätte geradezu nach einem Angriff aus der Sechs geschrieen, und dann konnten selbst die so gut wie immer paar- oder sektionsweise angreifenden leichten Maschinen eine Falcon oder einen anderen TSN-Jäger in Sekunden ausschalten.
Die Akarii-Jäger ließen sich nicht auf ein Kopf-an-Kopf-Duell ein, sondern spritzten auseinander um hinter den TSN-Maschinen einzukurven. Mindestens eine Reaper schaffte es nicht rechtzeitig und wurde von einer Rakete getroffen. Beschädigt taumelte der Feind zur Seite weg und begann abzumontieren. Er war unübersehbar dem Tod geweiht. Shoki, die damit den dritten Abschuss ihrer Karriere feierte, stieß ein wenig vorschriftsmäßiges Triumphgeheul aus, um gleich darauf den nächsten Feind anzunehmen. Lilja biss ihre Lippen zusammen, dann visierte sie die auseinander brechende feindliche Maschine an und jagte noch einige Salven hinterher. Der wracke Jäger explodierte, noch ehe der Pilot aussteigen konnte. Wenn Lilja es verhindern konnte, würden die Akarii an diesem Tag wenige Piloten zum einsammeln finden…
Sie hatte den kaltblütigen Mord sofort vergessen, als sie sich den übrigen Reapern zuwandte. Bisher hatte sie noch keine Raketen eingesetzt. Schneller, als es die meisten Akarii für möglich gehalten hatten, warf sie ihre Falcon in eine Wende und stürmte frontal auf ein Paar Reaper zu: „Bad Luck…Feuer links!“ Sie bemerkte, wie ihr ausgewähltes Ziel aus dem Fadenkreuz huschte, also fasste sie nur mit den Bordwaffen nach. Sie erzielte einige Treffer, musste aber sofort ihre eigene Maschine ausweichen lassen, als gleich zwei Reaper – vermutlich der Rest dieser Viererformation – Raketen auf sie abfeuerten. Ihre Maschine rüttelte bei den Ausweichmanövern, fast wie es der Namensvetter des Raumjägers über einem sonnebeschienen Feld auf Terra tat, und Lilja hämmerte verzweifelte auf die Feuerknöpfe ihres Flare-Werfers. Zwei feindliche Flugkörper gingen fehl, doch eine traf die Falcon, die andere detonierte so nahe, dass sie die ohnehin angeschlagenen Schilde weiter schwächte. Bad Luck entfesselte einen wahren Feuersturm gegen ihre Gegner und zwang sie dazu, wegzukurven. Lilja nutzte jedoch nicht etwa die sich dadurch bietende Gelegenheit, sondern peilte kaltblütig einen der Deltavögel an, die die vermeintlich günstige Gelegenheit nutzten, um aus allen Rohren feuernd an den TSN-Jägern vorbeizuziehen. Als die Zielerfassung aufleuchtete, löste sie ihre zwei Sidewinder aus, brachte ihre Maschine sofort in ein brutales Wendemanöver und wandte sich wieder den Reapern zu. Mehr im Unterbewusstsein registrierte sie, dass eine der Sidewinder ihr Ziel traf und den schweren Sturmjäger zumindest beschädigte. Dann nahmen die Blauen sich der feindlichen Sturmjäger an.
Lilja hatte ,alle Hände’ voll damit zu tun, den Kampf um die Bomber im Auge zu behalten, deshalb konnte sie nicht feststellen, wie es weiter vorne lief, wo die übrigen Staffeln der terranischen Geschwader kämpften. Immerhin schienen die Blauen halbwegs mit den Deltavögeln fertig zu werden. Sie hätte ihnen auch kaum helfen können, denn die gegnerischen Reaper kämpften unangenehm verbissen und geschickt. Sie mochten nicht gerade Elite-Material sein, aber die Bezeichnung verdiente auch nur die Hälfte der Stallions.
In dem wütenden Kurvenkampf, der inzwischen ausgebrochen war, erlitten beide Seiten Verluste. Schon in den ersten dreißig Sekunden erwischte es Crow. Ein Reaper nahm ihn in einem fast selbstmörderischen Direktangriff aufs Korn und traf mit zwei Raketen. Crow konnte noch aussteigen, und dank der neuen Raumanzüge waren die Chancen gut, dass er unverletzt blieb. Seine Flightkameradin, die ehemalige Pilotin von den Gunriders, schoss den Reaper zusammen, konnte ihm aber nicht mehr den Rest geben, als er sich mit maximaler Nachbrennergeschwindigkeit absetzte.
Lilja konnte da nicht eingreifen, da sie und Bad Luck mit zwei oder drei Reapern kurbelten. Immer wieder kamen die wesentlich wendigeren Akarii zum Schuss, aber die bessere Panzerung und Schilde der Falcons retteten ihr wieder und wieder das Leben. Zudem blieben die Menschen ihren Gegnern nichts schuldig. Die Reaper wanden sich zwar immer wieder aus der Zielerfassung, aber das terranische Geschützfeuer zeigte langsam Wirkung. Als eine der Feindmaschinen für einen Moment abgelenkt war, weil sie einer Rakete von Bad Luck ausweichen musste, visierte Lilja ihren Feind kaltblütig an. Zwei Amraam-Raketen überbrückten die Entfernung in wenigen Sekunden und zerfetzten den schlanken Jäger. Vermutlich hatte die Echse das Ende nicht einmal kommen sehen. Befriedigt stellte die Russin fest, dass der Pilot nicht mehr hatte aussteigen können. Der Kurvenkampf begann sich immer weiter auseinander zu ziehen, und das war Lilja nur Recht. Sie musste verhindern, dass die Reaper den Deltavögeln Deckung geben konnten für einen gezielten Angriff auf die Bomber. Also stürzte sie sich sofort wieder ins Getümmel. Es gab noch viel zu tun.
„Mayday! Mayday!“ Die Stimme von Imp klang panisch, so ganz untypisch für die meist fröhliche und gelassene Staffel-XO, und riss Lilja abrupt aus dem Kurvenkampf mit den verbleibenden Akarii. Imp und Knight waren im Laufe des Gefechtes offenbar weggedriftet, immer mehr vom Hauptverband abgedrängt worden, und wurden inzwischen von mehreren Akarii umkreist. Die zwei Falcons hatten einen Abwehrkreis gebildet. Dabei rotierten die beiden Maschinen in zwei engen gegeneinander um 90 Grad versetzte Kreisbögen und feuerten wild in alle Richtungen. Es war dem Gegner praktisch unmöglich, sich hinter eine der Maschine zu setzen, ohne sofort Beschuss von der anderen Maschine zu riskieren. Aber so etwas war nur ein zeitweiliger Notbehelf, und schon jetzt war abzusehen, dass der Beschuss des Feindes Wirkung zeigte.
Lilja brauchte nur Sekundenbruchteile um die verzweifelte Lage ihrer beiden versprengten Kameraden zu erkennen. Sie blickte sich panisch um. Alles in ihr schrie danach, ihrer Freundin zu Hilfe zu kommen, oder zumindest jemanden zu Hilfe zu schicken. Aber…da waren die Bomber, die sie beschützen musste. Da waren die übrigen Reaper, und jetzt wollten sich offenbar noch einige Bloodhawks einmischen. Von den Blauen war auch keine Hilfe zu erwarten, obwohl Ace und seine Piloten ihre Sache gegen die Deltavögel offenbar recht gut machten. Ihre eigene Staffel aber war in Kurvenkämpfen gebunden, die Formation auseinander gezogen, die Maschinen zum Teil beschädigt. Wenn sie Imp half, entfernte sie sich zu weit von den Bombern…
Lilja dachte an das, was sie vor dem Gefecht gesagt hatte. Es sei unbedingt notwendig, dass die Bomber durchkämen, wichtiger als alles andere.
Dann, mit dem Gefühl des Verrates und des Versagens und mit Tränen der Wut in den Augen, gab sie ihre Befehle.
Imp wusste, dass es diesmal kein Entkommen gab. Die eigene Staffel war viel zu weit entfernt, und eine Flucht vor diesem Gegner war unmöglich. Mit einem erstickten Würgen unterdrückte sie ein verzweifeltes Schluchzen. Wenn es sie schon erwischen musste, dann nicht wie eine jämmerliche Heulsuse! Sie warf einen letzten Blick auf die taktischen Anzeigen. Die blauen Signale der Staffelkameraden – von Knight abgesehen – leuchteten so nah und doch so unerreichbar fern auf dem Bildschirm. Ihre Staffel stand im Kampf, war selbst gebunden und musste auch noch auf die Bomber aufpassen. Von dort war keine Hilfe mehr zu erwarten. Für einen Moment fragte sich Ina Richter, ob sie es Lilja übel nehmen sollte, dass die sie im Stich ließ. Aber andererseits, die Russin musste schließlich an ALLE Piloten denken. Es war unfair, etwas anders zu erwarten.
Immer wieder schüttelten Treffer ihren Jäger, konnte sie sich noch einmal aus dem tödlichen Netz befreien, ein paar Gegentreffer anbringen. Aber das konnte nicht ewig so weitergehen. Irgendwann musste…
Die Laserkanonen von mindestens zwei Jägern trafen Imps Jäger. Die Pilotin versuchte auszuweichen – zu spät! Ihre Schilde kollabierten, ganze Sektionen der Panzerungen flogen weg. Kurzschlüsse tanzten über ihr Armaturenbrett, Lichter flackerten auf und erloschen wieder. Knight, der sich seit Beginn des Gefechtes in bewundernswerter Weise gehalten hatte, unterbrach seinen Kurvenflug und visierte einen der Gegner an. Mit einer einzigen fließenden Salve feuerte er erst seine zwei verbleibenden Amraam-Raketen ab, und dann, als der Feind wendete und dabei sein Heck zeigte, die zwei Sidewinders. Die Reaper wurde voll getroffen und brach langsam auseinander, während der Pilot ausstieg. Fast sofort darauf rasierten Energiebahnen praktisch einen Flügel von Knights Jäger ab.
Imp bekam das nur am Rande mit, denn in ihren Ohren gellten Warnsignale, während ihr Jäger Atmosphäre verlor. Die wracke Maschine taumelte dahin, und mindestens einer der verbleibenden feindlichen Jäger trommelte weiterhin auf sie ein. Wenn sie ausstieg würde sie direkt in sein Kreuzfeuer katapultiert werden. Und sie konnte ihre Maschine auch nicht mehr auf den Rücken drehen, die Steuerung versagte zunehmend. Imp wusste, sie war erledigt. Für einen Sekundenbruchteil überlegte sie, wem sie ihre letzten Worte widmen sollte, Lilja oder Sokol. Sie streckte schon ihre Hand nach dem Funkgerät aus, fragte sich, ob ihr überhaupt noch die Zeit für einen Satz bleiben würde, als…
Yànzis Eingreifen in das Gefecht vollzog sich mit geradezu filmreifer Eleganz, die Imp allenfalls Lilja, Lone Wolf oder einem anderen der Toppasse des Geschwaders zugetraut hätte. Die ehemalige Anzac-Pilotin musste ihren Nachbrenner fast unglaubliche zehn Sekunden lang aktiviert gehalten haben, hatte so die Entfernung zwischen den übrigen Stallions und den beiden Versprengten in einem wahnwitzig zu nennenden Tempo durchflogen, und dennoch den Gegner anvisieren können – und war auch noch bei Bewusstsein geblieben. Sie flog mit einer Perfektion, wie sie nur die allerwenigsten Piloten auszeichnete, und anscheinend vollkommen furchtlos. In nur einer halben Minute schoss sie eine Reaper ab und beschädigte eine weitere, die schleunigst das Weite suchte. Imp und Knight konnten nur ungläubig zuschauen, mehr hätten ihre Maschinen ohnehin nicht hergegeben.
Die Stimme der asiatischen Pilotin klang so ruhig, als würde sie sich in der Kantine aufhalten: „Der Commander will wissen, wie es bei Ihnen aussieht.“
Imps Stimme klang fast hysterisch, wenn auch vor Freude: „Abgesehen, dass ich mich beinahe eingepinkelt habe…mein Jäger ist hin. Ich verliere Treibstoff – aber mein Triebwerk ist sowieso Schrott – und habe keine Luft mehr in der Kanzel. Mein Radar ist dabei sich zu verabschieden, das Fahrwerk ist kaputt. Aber sonst ist alles prima. Ich glaube…ich sollte mich möglichst bald ’raus schießen.“
Knight klang nicht viel besser. Seine Stimme klang belegt, als spräche er unter Wasser, außerdem sprach er so stockend und unsicher, dass man meinen konnte, er würde stottern: „Ich…weiß nicht…www…wie weit…meine Maschine noch macht. Triebwerk stottert, Steuerdüsen re…rechter Flügel ausgefallen. Bewaffn’ng im Eimer…Brand in der Kabine…unter Kon…Kont…Kontrolle.“
Yànzi schwieg kurz: „Ich habe ein Bergungsshuttle angefordert. Vermutlich werden Sie beide aussteigen müssen. Bleiben Sie vorerst hier. Viel Glück.“ Damit wendete sie und kehrte zur Staffel zurück.
Lilja hämmerte wütend auf die Anzeigen, wütend vor allem auf sich selbst. Sie und Staffel Blau hatten die meisten Angriffe auf die Bomber abwehren können – aber eben nicht alle. Die Deltavögel waren abgeschlagen worden, doch sie waren nicht die einzigen Angreifer geblieben. Zwei Dutzend Crusader waren zwar auch selbst alles andere als wehrlos, aber das hatte sie nicht vor Verlusten bewahrt. Feindliche Jäger und Flak hatten bisher schon zwei voll beladene Bomber und eine Rafale zerstört oder zum Wrack geschossen, und sie waren noch nicht einmal annähernd am Ziel. Ein Stück weit fragte sie sich, ob das nicht ihre Schuld war. Wenn sie nicht Yànzi detachiert hätte… Die Gunriderin war gut, verdammt gut, vermutlich ihr mehr oder weniger ebenbürtig. Wenn sie beim Hauptverband geblieben wäre…
Sie versuchte ihr Bewusstsein damit zu beruhigen, dass sie so Imp und Knight gerettet hatte, zwei Piloten, die wertvolle Aktivposten der Staffel waren und zusammen auf über 20 Abschüsse kamen. Aber sie fragte sich, ob sie sich nicht einfach etwas vormachte und vor allem deshalb gehandelt hatte, weil Ina ihre beste Freundin war. Wenn, dann war das menschlich verständlich – soldatisch und als Offizierin aber ein schweres Versagen.
Doch dann verdrängte sie den Gedanken. Dafür war später noch Zeit, und bis dahin konnte sie nur ihr bestes Tun, um jegliches mögliche Versagen durch unermüdlichen Einsatz auszugleichen.
Es schien, als hätten die schweren Jäger inzwischen endlich den Weg freigemacht, eine Chance für die Jagdbomber, und auch für sie und die schweren Bomber. Sie hatten dafür bluten müssen – keine Staffel war mehr vollzählig, und offenbar hatte sich auch Lone Wolf beschädigt absetzen müssen. Lilja sprach insgeheim ein stummes Gebet zu allen Göttern, Dämonen und sonstigen Wesen, die grade zuhören mochten, dass es der ehemalige Geschwaderchef der Angels bis zur Columbia schaffen möge. Sie hätte sich wesentlich ruhiger gefühlt, wenn der Commander im Schutz von Mithels Kreuzern geblieben wäre oder von einem SAR-Shuttle aufgesammelt worden wäre. Auf dem langen Rückweg konnte eine Menge schief gehen, selbst wenn Lone Wolf Geleitschutz hatte. Vermutlich war seine Maschine zu schwer beschädigt gewesen, um beim Verband mitzufliegen, oder er war abgedrängt worden.
Immerhin, der Bruchpunkt des Gegners schien erreicht. Offenbar beurteilte Crawford das ähnlich: „Grüne Staffel, Blaue, Bronce und Fokker – Vorstoßen auf Primärziel!“
Die Russin atmete tief durch und verbannte jeden Gedanken an den Commander, an ihr mögliches menschliches Versagen und alle anderen störenden Erinnerungen aus ihrem Bewusstsein. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen, und Akarii zu töten. Der Rest von Staffel Grün beschleunigte auf ihren knappen Befehl hin, um die überlebenden Bomber bei ihrem Zielanflug zu beschützen. Der nächste Angriff der Akarii schien nicht lange auf sich warten zu lassen.
Der Rand des feindlichen ,Kelches’ war zerbrochen oder zumindest ,eingedellt’ – und nun stießen die Schiffe und Kampfflieger der TSN zu seiner Basis vor. Im Visier…die feindlichen Träger.
Cattaneo
Tyr Svenson
Sterntor-System, TSN-Angriffsverband
Die Nighthawks der Butcher Bears eröffneten ihren Angriff, wie Kano es befohlen hatte – mit einer massierten und koordinierten Salve Langstreckenraketen, kaum dass sie aus dem Schatten des republikanischen Kreuzers auftauchten, der ihnen einen gewissen Schutz geboten und sie hoffentlich vor dem feindlichen Radar verborgen hatte.
Zumindest diese Hoffnung wurde allerdings enttäuscht – falls die Akariijäger von dem Auftauchen der zehn Nighthawks überrascht wurden, zeigte sich das jedenfalls nicht in ihrer Reaktionsfähigkeit.
Dennoch war der Erfolg der konzentrierten Phoenix-Salve beachtlich. Obwohl die Jagdflieger im Verlauf von vielleicht zehn Sekunden fast die Hälfte ihres Raketensatzes loswurden, konnten sie eine ganze Reihe feindlicher Maschinen beschädigen oder vernichten. Auf Sugar und Ohkas Konto ging ein Delta-Sturmjäger, der schwer beschädigt aus seinem Flugvektor driftete.
Kano markierte die Maschine für später, kümmerte sich aber erst einmal nicht weiter um sie. Seiner eigenen Worte eingedenk kommandierte er stattdessen „Nachbrenner – Vollschub!“, um in die entstandenen Lücken der feindlichen Formation zu stoßen. Andere Nighthawk-Piloten hatten offensichtlich die gleiche Idee, während die Akarii mit Höchstgeschwindigkeit vorrückten, um ihre eigene Raketenbewaffnung ins Spiel bringen zu können und die republikanischen Bomber- und Jagdbomberverbände abzufangen. Binnen weniger Minuten war ein erbitterter Nahkampf entbrannt, der durch den Schlagabtausch der Großkampfschiffe noch gefährlicher wurde. Kano hatte nicht die Zeit, dem Kampf der Kriegsschiffe viel Aufmerksamkeit zu widmen, aber es schien, als würde Mithels Kreuzerverband aus mehr als einer Richtung unter schweres Feuer genommen, obwohl die Akarii teilweise zurückzuweichen schienen. Hier, da, scheinbar dutzendendfach, erblühten die auf perverse Art und Weise makellosen Feuerblüten explodierender Atomraketen, während die Strahlenbündel der Schiffsgeschütze nach dem Gegner tasteten.
Und voraus, umgeben von Dutzenden waffenstarrender, aus allen Rohren feuernder imperialer Kreuzer und Zerstörer, schwebte das Herzstück der feindlichen Formation, drei riesige Flottenträger. ‚Die haben dich erst mal nicht zu kümmern. Das übernehmen Mithels Kreuzer und die Bomber. Deine Aufgabe ist es, die Raumüberlegenheit zu sichern.‘ Kurz dachte er an Crawfords Worte – und vor allem seinen TON – zurück und verzog abschätzig den Mund. Es war nicht besonders ehrenhaft, auf diejenigen herabzublicken, mit denen man gemeinsam in die Schlacht zog. Und es brachte auch kein Glück. ‚Meint er etwa, wir könnten das alleine schaffen?’ Kano litt nicht gerade unter falscher Bescheidenheit, wenn es um die Schlagkraft der Angry Angels ging. Aber er war froh, die schweren Kreuzer an seiner Seite zu haben. Eine Einstellung, die anscheinend nicht jeder teilte…
Die ersten Minuten waren chaotisch – der wilde, brutale, scheinbar regellose Zusammenstoß zweier bis an die Zähne bewaffneter und jeweils mehr als einhundert Maschinen starker Angriffsschwärme. Selbst erfahrene Piloten hatten Schwierigkeiten, sich in der Hölle aus Licht, Feuer und Explosionen zurechtzufinden. Laut einer Statistik waren die Verlustraten in den ersten Minuten einer Schlacht oft besonders hoch. Imperiale und republikanische Kriegsschiffe schossen ganze Schwärme von Flugabwehrraketen ab, während ihre Flak wahlweise Ziel- oder Sperrfeuer gaben.
Kano ließ seine Maschine steigen, ausbrechen, feuerte reflexartig sobald die Zielerfassung seines Jägers über eine Akarii-Maschine wanderte, aber in dieser Phase der Schlacht war es schwierig, sich auf einen Gegner zu konzentrieren. Vor allem, wenn man gleichzeitig eine Staffel kommandierte. Auch wenn sein Verhältnis zu Lone Wolf inzwischen etwas…angespannt war und Cunningham viel von der Verehrung verspielt hatte, die Kano ihm früher entgegengebracht hatte – für seine Fähigkeit gleichzeitig zu kämpfen UND zu kommandieren beineidete Kano ihn. ‚Es wäre nur gut, wenn seine Entscheidungen dann auch immer die richtigen wären…’
Auf Kanos Anordnung hin nahmen die Sektionen Zwei und Drei eine bereits dezimierte Jägerschwadron in die Zange, während die Rotte des Staffelführers Rückendeckung leistete. Das erwies sich auch schnell als notwendig, als sich eine Dreierrotte Bloodhawks einmischte.
„Crusader, La Reine, Achtung! Bloodhawks aus Zwanzig-Zehn-Drei! Wir gehen ran!“
Sugar mochte vielleicht hitzköpfig sein, aber sie war gut. Auf Kanos knappe Anweisung hin stürzte sie sich sofort auf den Feind und hätte ihren Rottenchef beinahe hinter sich gelassen. Ihre hastig abgefeuerten Sidewinder gingen allerdings ins Leere, als die aufs Korn genommene Bloodhawk ein perfektes Von-Bein-Manöver absolvierte und Gegenschub gab. Während die beiden anderen Bloodhawks sich in den Kurvenkampf mit La Reines und Crusaders Schwarm stürzten, wechselte Sugars Gegner ein paar unangenehm gut gezielte Salven mit seiner Verfolgerin, und ging dann in eine elegante Kurve, um sich hinter sie zu setzen.
‚Nicht so hastig‘. „Sektion Zwei und Drei, zwei Banditen im Anflug! Wir sind gleich bei euch!!“ Kano gab Vollschub, kurvte hinter der Bloodhawk ein und eröffnete das Feuer mit seinen Bordkanonen – nur um im nächsten Augenblick erleben zu müssen, wie der Akarii mit einer unmöglich eng wirkenden Kurve aus seiner Zielerfassung wanderte und seinerseits versuchte, sich hinter Kano zu setzen. ‚Der ist aber gut!‘ Sein Versprechen an La Reine und Crusader war möglicherweise ein wenig voreilig gewesen.
Ein reflexartiges Gegenkurven verschaffte ihm nur wenig Luft, da der Gegner das Manöver kopierte und schon wieder das Feuer eröffnete. Ein schrilles Piepen informierte Kano, dass der Akarii diesmal ein paar Raketen mit ins Spiel gebracht hatte. Der japanische Pilot zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen, jagte eine Salve Täuschkörper heraus, kurvte erneut gegen, während die Maschine von zwei Raketennahtreffern erschüttert wurde und die Bordinstrumente ihn über einen vierzigprozentigen Verlust der Schildenergie informierten – nur um das Manöver sofort zu wiederholen.
Diesmal bekam er den Akarii kurz in die Zielerfassung, und Kanos vier schwere Bordkanonen eröffneten das Feuer. Aber noch ehe er den Beschuss durch ein paar Raketen abrunden konnte, hatte sein Gegner sich schon wieder dank seiner überlegenen Wendigkeit und Geschwindigkeit aus dem Angriffsvektor gestohlen und entkam mit geschwächten aber intakten Schilden. 'Das dauert zu lange!‘ „SUGAR! Zangenmanöver!“
„Bestät...!“ Die Antwort von Kanos Flügelfrau brach mitten in der Übertragung ab.
„SUGAR!“
„…ketentreffer, Schilde dreißig Pro...Schaff mir diesen Bastard vom…“ Offenbar hatte der Akarii erkannt, dass Sugar sich an ihn heranpirschte, und hatte mit einer vollen Raketensalve reagiert. ‚Viele kann der jetzt aber nicht mehr haben…‘
Das war ein schwacher Trost, denn durch den großzügigen Einsatz seiner Lenkwaffen hatte der Akarii Sugars Jäger zumindest zeitweilig aus der Rechnung genommen, auch wenn er aus zu großer Entfernung gefeuert hatte, um seine Zerstörungsarbeit sofort zu Ende führen zu können.
Stattdessen schien er sich entschieden zu haben, Kano in einem Head-on-Head stellen zu wollen, eine Entscheidung, die den japanischen Piloten angesichts der überlegenen Bewaffnung, Panzerung und Schilde der Nighthawk überraschte.
Tatsächlich, als Kano ihn mit seinem Raketenradar erfasste, brach der Akarii seinen Direktanflug ab, feuerte eine Salve Täuschkörper ab, und versuchte durch einen Nachbrennereinsatz und eine erneute scharfe Kurve hinter Kano zu kommen. ‚Diesmal nicht!‘
Angesichts des Könnens seines Gegners verwarf Kano die Idee, ihm einfach nur zu folgen oder erneut gegen zu kurven. Stattdessen gab er Vollschub auf seine Steuerbordmanöverdüsen, ließ die Maschine in einem ‚von Bein a la Lilja&Nakakura‘ um die eigene Achse herumwirbeln bis er ‚rückwärts‘ flog und drückte auf alle Feuerknöpfe, sobald der Akarii in seiner Zielerfassung auftauchte. Zwei Amram-Kurzstreckenraketen folgten. ‚Jetzt habe ich dich.‘ Er hatte gehört, dass Lone Wolf nicht viel von dem Manöver hielt und junge Piloten davor warnte. Aber um einen agileren Verfolger vor die Rohre zu bekommen, hatte sich Kanos Modifikation von Ace’s Lieblingsmanöver mehr als einmal bewährt.
Der Akarii zeigte erneut sein Können, indem er Vollschub gab und seine Maschine wegsacken ließ. Aber auch Kano war kein Anfänger. Blitzschnell gab er Gegenschub bis seine Maschine fast reglos im All schwebte, während er den Bug der Nighthawk nach unten drückte, die Maschine so um die Horizontalachse drehte und die Bloodhawk im Visier behielt. Eine Sekunde, zwei – die beiden Sidewinder hatten ihr Ziel erfasst und Kano drückte auf den Auslöser, während er gleichzeitig den Nachbrenner betätigte, um dem Akarii zu folgen. Der Abschuss der Raketen erfolgte nicht synchron – die rechte schien erst mit ein paar Sekunden Verspätung zu zünden – aber selbst eine einzelne Sidewinder konnte für eine angeschlagene Bloodhawk verheerend sein.
Kanos Gegner brach zur Seite weg – und flog damit genau in das Sperrfeuer von Sugars Maschine, die sich wieder in den Kampf einmischte. Der Akarii kurvte hastig gegen, verpasste Sugar im Passierflug ein paar gutgezielte Treffer…
Und Kanos Bordkanonen spießten ihn regelrecht auf. Das Doppelpaar Tachyonen- und Plasmageschütze hatte den Jäger voll erfasst und ließ ihn nicht mehr los. Das war zu viel für die geschwächten Schilde. Der Akarii aktivierte den Schleudersitz, kurz bevor seine Maschine in Stücke gerissen wurde. Der Kampf, der sich fast zehn Minuten hingezogen hatte, war so plötzlich zu Ende, dass Kano ein irrationales Gefühl der Enttäuschung verspürte, das er sofort beiseiteschob.
Mit Bedauern stellte er fest, dass sie sich nahe bei einer Akarii-Formation befanden und der feindliche Pilot gute Chancen hatte, von seinen eigenen Leuten aufgesammelt zu werden. ‚Ein Gegner, dem ich nicht noch einmal begegnen möchte…‘ Lilja hätte in dieser Situation wahrscheinlich dafür gesorgt, dass dieser Akarii nie mehr zu einer Bedrohung für die Republik werden konnte. Aber Kano war nicht Lilja.
„Sugar, wie sieht es aus?“
„Geht so. Der Schweinehund hat mich ganz schön frittiert. Eine Plasmakanone ausgefallen, Schilde immer noch bei sechzig Prozent…“, Kano hörte sich die beunruhigend lange Litanei an, während der versuchte, die vergeudete Zeit wieder aufzuholen.
Aber ein Blick auf den Radarmschirm bestätigte seine Befürchtungen. Verstärkt durch die beiden Begleiter von Kanos Gegner hatte die Akarii-Staffel es geschafft, den Klammergriff der Schwarzen Schwadron zu zerbrechen – wenn auch unter Verlusten. Außerdem hatten die Imperialen Zeit verloren, und als sie sich dank ihrer überlegenen Geschwindigkeit endlich von den Butcher Bears absetzen konnten und versuchten, den Bombern der COLUMBIA in die Flanke zu fallen, stießen sie auf die entschlossene Abwehr der Falcon-Abfangjäger.
Allerdings hatten auch die Nighthawk bluten müssen. Marats Maschine fehlte.
„Was ist mit…?“
„Konnte aussteigen. Position durchgegeben.“ La Reines Stimme klang barsch – ob aus Sorge oder Frustration war schwer festzustellen.
Als Kano die Zustandsliste seiner Schwadron überflog, musste er feststellen, dass nicht nur Sugars Maschine Schäden hatte einstecken müssen. ‚Verdammt. Wenn ich schneller gewesen wäre...‘ „La Reine, wir kommen in Ihren Schwarm. Sugar, aufschließen.“ Unter anderen Umständen hätte er seine Flügelfrau mit ihrem angeschossenen Jäger vielleicht zurückgeschickt, aber sie brauchten momentan jede Maschine.
Er ignorierte La Reines gemurmelte Antwort, die offensichtlich nicht erfreut war, das Kommando über ihre Sektion an den Staffelführer abgeben zu müssen. Stattdessen konzentrierte Kano sich auf den Radarschirm, und versuchte sich über seine nächsten Schritte klar zu werden.
Der Kampf hatte sich teilweise in das Zentrum der Akarii-Formation verlagert. Die Imperialen schienen sich darauf zu konzentrieren, den Angriff der republikanischen Bomber und Jagdbomber abzufangen, während ihre Bomber und Atomraketenshuttles kurze, schnelle Vorstöße aus der Deckung der Großkampschiffe heraus unternahmen. Die Jagdbomber der Akarii hatten sich offenbar bereits verschossen – mit welchem Erfolg konnte Kano nicht beurteilen – und waren auf dem Rückflug oder beteiligten sich am Abwehrkampf. ‚Ich frage mich, ob diese Schlacht vorbei ist, bevor sie erneut starten können.‘
Aber wie auch immer, Kanos Entschluss war klar: „Butcher Bears, Maximalgeschwindigkeit. Wir gehen rein.“
Der Kampf war schon vorher chaotisch gewesen, aber was nun folgte, verlieh dem ganzen eine völlig neue Dimension. Beide Seiten konzentrierten einen Großteil ihrer Kampfflieger in einem immer kleiner werdenden Areal, in dem sich auch noch eine beachtliche Anzahl Großkampf- und Flugabwehrschiffe aufhielten. Obwohl die Nighthawks nicht die Primärziele der feindlichen Jagdpiloten und Flakschützen waren, bekamen sie dennoch reichlich Feuer, was Kanos Einheit wiederholt zu Ausweichmanövern zwang.
Ein paar Minuten später entdeckte Bunny eine Formation imperialer Bomber auf dem Rückflug. Obwohl der Gegner zahlenmäßig überlegen war und Kano seinen Primärauftrag damit vielleicht etwas weit interpretierte, war dieses Ziel zu verlockend. Jeder vernichtete Bomber bedeutete eine ausgeschaltete Bedrohung für die republikanischen Kriegsschiffe. Und der Begleitschutz der Bomber würde durch seinen Schutzauftrag in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sein. „Crusader, Zangenmanöver! Wir kommen von Steuerbord, ihr von Backbord.“
„Verstanden und auf dem Weg.“
„Hoffentlich komme ich dann auch mal zum Schuss!“, ließ sich Sugar hören.
„Ich dachte, so etwas hört man nur von Kerlen.“, musste Huntress ihren Senf dazugeben.
Kano verdrehte die Augen: „Sugar, denk daran, dass deine Maschine beschädigt ist. Bleib also hinter mir und gib mir Feuerschutz!“
„Aber…“
„Ausführung!“
Ob Sugar sich seine Worte zu Herzen nahm, konnte er nur raten, denn in diesem Augenblick drehten die Akarii-Begleitjäger bei, und warfen sich Kanos Sektion entgegen.
Offenbar hatten die Akarii-Bomber ihre Schiff-Schiff-Raketen bereits abgefeuert, denn sie erwiesen sich als erstaunlich wendig bei der Verteidigung gegen die wütenden Attacken der Butcher Bears. Der Geleitschutz, einige Bloodhawks und zwei ältere Deathhawk, hatten sich offenbar ebenfalls teilweise verschossen, machten den Mangel an Raketen aber durch ihren Kampfgeist wett. Kanos Versuch, zu den Bombern durchzubrechen, stieß auf verbissenen Widerstand.
Er schaffte es, sich hinter eine Deathhawk zu setzen, die trotz verzweifelter Haken nicht in der Lage, die Nighthawk auszukurven. Die schweren Bordkanonen des Überlegenheitsjägers trommelten auf die Schilde des Akarii ein, ließen sie aufleuchten, flackern…
„OHKA! HINTER DIR!“ Sugars sich überschlagene Stimme ließ ihn in eine enge Kehre gehen, die aber nicht scharf genug war, um nicht ein paar Salven von der anderen Deathhawk zu kassieren, die sich hinter ihn gesetzt hatte. Die erste Deathhawk reagierte blitzschnell, und wollte sich mit einer Höchstgeschwindigkeitswende in den Kampf einschalten. Doch der Akarii hatte seine Rechnung ohne Sugar gemacht, die anscheinend davon ausging, dass Kano mit dem Imperialen in seinem Nacken schon fertig werden würde. Der Kurs, der den anderen Akarii zurück in die Schlacht bringen sollte, führte ihn direkt in Sugars Flugvektor. Beide Piloten eröffneten praktisch gleichzeitig das Feuer, aber selbst beschädigt war die Nighthawk weitaus härter im Nehmen. Und im Gegensatz zu dem Akarii schien Sugar ihre eigene Sicherheit egal zu sein. Während sie mit eiserner Entschlossenheit auf Kurs blieb und die auf ihre Schilde einprasselnden Treffer ignorierte, schickte sie dem Imperialen ihren gesamten verbliebenen Kampfsatz entgegen, die Finger sie fest um die Feuerknöpfe gepresst, dass ihre Hände zitterten.
Im letzten Augenblick versuchte der Akarii ein Ausweichmanöver – zu spät. Sugars Raketen ließen seine Schilde endgültig zusammenbrechen, und die Strahlenbahnen der Tachyonen- und Plasmageschütze weideten den leichteren Jäger förmlich aus. Der Pilot hatte nicht den Hauch einer Chance.
„JIHAA!“
Kanos Gegner, geschockt durch den Verlust seines Kameraden, drehte ab um an anderer Stelle weiterzukämpfen. Noch in der Drehung kassierte er Kanos verbliebene Sparrow-Mittelstreckenraketen. Der veraltete Überlegenheitsjäger überschlug sich regelrecht, und trudelte sich um die eigene Querachse drehend davon. Der Akarii-Pilot stieg aus und konnte nur ohnmächtig zusehen, wie Kanos Kanonen seinen Jäger methodisch zu einem Haufen zerschmolzenen Weltraumschrott zerlegten.
„Sugar, Status? Und wenn du das nächste Mal ein solches Manöver versuchst, solltest du vielleicht eine Maschine verwenden, die nicht bereits ein halbes Wrack ist…“
Der Bericht seiner Flügelfrau bestätigte Kanos Befürchtungen. Ihre Nighthawk hatte es böse erwischt – jetzt waren auch noch beide Tachyonengeschütze ausgefallen, dazu kamen Schäden am Antrieb und den Manöverdüsen, die Schilde waren fast vollständig ausgefallen, die Bordelektronik meldete zahlreiche Fehlfunktionen…
Mit diesem Jäger würde Sugar bei all ihrem Kampfgeist und Können mehr eine Belastung als eine Bereicherung sein – und vor allem ein leichtes Ziel.
„Sugar, du ziehst dich zurück…“
„Aber…“
„Das ist ein Befehl. In dem Zustand nützt du uns nichts, und ich werfe das Leben einer guten Pilotin nicht einfach weg.“ Das ließ sie erst einmal verstummen. Ein solches Wort hatte aus Kanos Mund Seltenheitswert. „Flyboy, du passt auf Sugar auf, bis sie die Kreuzer erreicht hat.“ ‚Ich will nicht noch einen Piloten wie Jimmy verlieren‘, „Der Rest aufschließen. Ich will diese verdammten Bomber!“ Crusaders Sektion schien mehr Glück zu haben, war aber alleine nicht in der Lage, die feindliche Formation zu zersprengen.
Aber was auch immer Kano für Wünsche hatte, für heute hatte das Schicksal andere Pläne für die Butcher Bears. Es war eine ruhige, aber befehlsgewohnte Stimme, die Kanos Vorhaben über den Haufen warf: „…Irons an alle – fordere Unterstützung an. Die Bomber kommen sonst nicht durch. Wiederhole, brauchen zusätzliches Geleit für Bomber im Zielanflug auf feindliches Flaggschiff.“
Das hatte Priorität. Die Vernichtung des feindlichen Kommandoträgers konnte diese Phase der Schlacht entscheiden und war das ausgewiesene Hauptziel des Angriffs. Wenn dieser Träger und der Akarii-Admiral ausfielen…ein solcher Enthauptungsschlag bot sogar die Chance, die ganze Schlacht um das Sterntor-System mit einem Schlag zu gewinnen: „Schwarz Eins an Butcher Bears – ihr habt es gehört. Flyboy…“, Kano zögerte kurz, dann hatte er sich entschieden, „…deine Befehle bleiben unverändert.“
„Bestätigt.“ Überrascht registrierte Kano die hörbare Erleichterung der jungen Pilotin. Flyboy zeigte Emotionen selten so offen. Dann schob er das als unwichtig beiseite. Genauso wie die Frage, ob ihm später jemand seine Entscheidung zum Vorwurf machen würde. ‚Einen fast intakten Jäger wegschicken, um einen beschädigten zu eskortieren…
Egal. Es ist meine Entscheidung. Meine Staffel. Meine Verantwortung.‘
Die verbliebenen sieben Maschinen der Butcher Bears bildeten eine etwas ausgefranzt wirkende Formation und jagten ihrem neuen Auftrag entgegen.
***
Irons hatte nicht übertrieben, die Bomber und Jagdbomber der TSN waren tatsächlich auf erbitterten Widerstand gestoßen. Zusätzlich zu den feindlichen Jagdmaschinen mussten sie auch noch durch eine wahre Flakhölle fliegen. Die Verteidigung der Akariis war zwar angeschlagen, hielt aber immer noch stand.
Das Blatt begann sich zu wenden, als sich neben Kanos inzwischen ziemlich dezimierter Einheit auch Abteilungen von mindestens ein oder zwei weiteren Staffeln einmischten.
Die Butcher Bears leisteten ihren Beitrag durch einen schneidig geflogenen Angriff in die Flanke des gegnerischen Abwehrschirms. Die feindlichen Flieger wurden kalt erwischt und mussten sich hastig neu zu formieren. Diese momentane Verwirrung nutzten die unter dem Schutz der Blauen und Grünen Staffel stehenden Bomber und Jabos eiskalt aus. Sie stießen nach, direkt auf das gegnerische Flaggschiff zu.
„Gute Arbeit, Ohka!“ in Liljas angespannter Stimme schwang eine grimmige Befriedigung mit. Kano fragte sich kurz, wie sie damit fertig wurde, ausgerechnet Captain Crawford in ihrer Einheit zu haben, der sich angeblich während der letzten Einsatzbesprechung mit Cunningham geprügelt hatte. Lilja gehörte zu den wenigen Piloten, die Lone Wolf immer noch rückhaltlos unterstützten und war wahrscheinlich auch nicht gerade glücklich über Crawfords taktisches Agieren während der Langstrecken-Kampffliegerschlacht, die zum Verlust der ANZAC und der KNOX geführt hatten.
Apropos Cunningham…offenbar hatte die Rote Staffel irgendwelche Probleme gehabt und Kano wunderte sich darüber, dass Lone Wolfes vertraute arrogant-selbstsichere Stimme stumm blieb.
Doch bevor er darüber nachdenken konnte, schnitt Crawfords barsche Stimme durch seine Gedanken: „Herhören! Bei der Verteidigungsformation des Gegners gibt es eine Lücke, die ein Vordringen zum gegnerischen Flaggschiff ermöglicht. Begleitjäger – Angriff! Räumt den Weg frei!“
Kano schaute auf den Radarschirm und runzelte die Stirn. Tatsächlich, der Akarii-Abwehrschirm schien an einigen Stellen etwas…dünn. ‚Hatten sie schon so viele Verluste? Ich glaube nicht, dass es daran liegt. Falls sie aber nur ihre Reserven zurückhalten wollten…dann haben sie den richtigen Augenblick verpasst, um sie ins Spiel zu bringen…‘
Auch die imperialen Flugabwehrschiffe waren nicht optimal postiert, um allen drei Trägern den maximalen Schutz zu gewähren. Ob das daran lag, dass die Akarii schlampig waren, oder an dem brutalen Druck, den Mithels Angriffsverband ausübte, konnte Kano nicht beurteilen.
Aber was es auch war, es würde der TSN erlauben, zu dem feindlichen Kommandoträger vorzudringen: „Butcher Bears, auf V-Formation gehen…und ANGRIFF!“
Cattaneo
Cunningham
Irons McGill blickte gespannt auf den Radarschirm. Über, unter, neben, hinter und vor ihr waren Jäger, Jagdbomber und weitere Bomber positioniert.
Weit vor ihr, fast noch außer Sicht hatten die Kreuzer und Zerstörer Admiral Mithels das Feuer eröffnet und die erste Gruppe Nighthawks den Feind angegriffen.
Sie hatten ihren Flug fast unter Funkstille zurückgelegt, selbst mit ihrem RIO hatte sie kaum ein Wort gewechselt, so dass sie zusammenzuckte als der Funk knackte.
„Hattrick für alle Staffelführer: Meldung!“
Sie hatte von dem Zusammenstoß von Lone Wolf und Hattrick gehört, wie zwei Platzhirsche sollten sie wohl aufeinander losgegangen sein.
Kein Wunder, allein schon der Tonfall von Crawford machte deutlich, wie ähnlich sich die beiden waren. Dieser aggressive, kämpferische Unterton, der Juniorpiloten das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Nach und nach meldeten sich die Staffelführer einsatzbereit.
„Wir geben Mithel“, Crawford sprach den Namen mit einiger Verachtung aus, „noch fünf Minuten, dann greifen wir an. Die grüne Schwadron bleibt bei den Crusadern von der Columbia. Ace, Sie und ihre Leute geben weiterhin acht auf die Fokker. Sie beide bilden unsere Reserve und greifen nur auf Anweisung an, oder wenn wir das Flaggschiff der Echsen hochgenommen haben, dann hohlen Sie sich den nächsten Träger.“
Die beiden Staffelführer bestätigten, alles andere als glücklich hier draußen auf die Ersatzbank gesetzt zu werden.
Tatsächlich mussten sie keine fünf Minuten mehr warten, sondern nur drei. Aber drei Minuten konnten sich zur Ewigkeit entwickeln.
Erregung, Kurzatmigkeit, Zittern und Adrenalin. Dann kommt der Startschuss.
„Hattrick für allen Staffeln: Angriff! Angriff! Angriff!“
Nach und nach wurden die Nachbrenner gezündet, leicht nach steuerbord gedreht und Mithels Angriffsverband vor dem Bug gekreuzt.
Die Flanken der Kreuzer und Zerstörer wurden von den kontinuierlichen Raketenstarts immer wieder aufgehellt. Dann blitzten hier und da Impulslaser punktuelle und gezielt auf, während die Hauptbatterien Sperrfeuer gaben.
Zwischen den Dickschiffen huschten Jäger und Shuttles hin und her, um ihre großen Kameraden zu unterstützen.
Etwas voraus zwischen den beiden Flotten waren akariische und terrane Jäger im wilden Gekurbel. Von beiden Seiten abgefeuerte Atomraketen überlagerten immer mal wieder die Scanner.
Irons hoffe auf einen weiteren Vorteil für sie.
Die mit Raumkampfbewaffnung bestückten führenden Mirage-Jagdbomber eröffneten das Feuer auf die im Gefecht stehenden akariischen Jagdverbände. Doch trotz der zugenommenen Kampfkraft wurden die ersten Gruppen schnell in Gefechte verwickelt.
Irons schaltete ihr Feuerleitradar auf und feuerte auf den erst besten Gegner zwei Amraam-Raketen ab. Dann wechselte sie sofort das Ziel und feuerte zwei weitere Raketen ab.
Ihre Flügelmänner taten es ihr gleich, und Liljas Staffel griff jeden Akarii an, der sich für die Bomber interessierte.
Während die für den Angriff auf Großkampfschiffe bestückten Jagdbomber sich bei den Bombern hielten, wurden die Eskorten immer wieder in Kämpfe verwickelt, bis sie die Jägerverbände der Akarii hinter sich ließen.
Da setzten sich die Thunderbolts und Mirages vor sie und begannen mit ihrem Anflug auf die feindlichen Großkampfschiffe.
„Da lösen sich Abfangjäger aus dem Pulk hinter uns!“ meldete The Count.
„Verstanden,“, antwortete Hattrick schroff, „Lilja, senden Sie Ihnen eine Sektion entgegen, Razor, unterstützen Sie mit ihren Eskortfliegern!“
Beide Staffelführer bestätigten und vier Falcons und drei Thunderbolts brachen weg und die Piloten der Mirages riefen ihre Ziele aus.
„Oh, wir bekommen Gesellschaft, Skipper,“, meldete ihr RIO, „die Echsen haben noch etwas Pulver übrig!“
Aus der Flotte tauchte eine Gruppe Abfangjäger auf, in erster Linie Reaper und einige Bloodhawks.
„Augen zu und durch Benny.“, murmelte Irons fast zu sich selbst, während sie mit halbem Ohr den Befehlen von Crawford lauschte. Na zumindest hatte der Pferdearsch etwas mehr als nur heiße Luft in sich drin.
Knock-Out biss sich auf die Unterlippe und versuchte an Trashs Flügel zu bleiben. Die schweren Anti-Schiff-Raketen machten die Thunderbolt ziemlich unbeweglich, aber irgendwie schien Trash dieses Problem nicht zu haben.
Sein Anführer zog elegante Linien.
Von rechts unten zogen grellbunte Blitze über die enge Formation Jagdbomber hinweg, und er warf einen sorgenvollen Blick auf den Sensorschirm. Seit der Schlacht von Karrashin dachte er eigentlich keine Angst mehr zu kennen, doch das Herz pochte ihm bis zum Hals. Der Atem ging schneller und kalter Schweiß lief ihm den Rücken hinunter, bis er sich über den Pobacken sammelte und die Ritze dazwischen hinab lief.
Nur durchhalten. Solange Akarii töten bis keine mehr kommen. Das hatte bei Karrashin auch geklappt.
Er blickte auf, zu der Medal of Valor, die er für seinen Bruder postum in Empfang genommen hatte und die ihn seitdem immer ins Cockpit begleitete.
Raketenalarm! Ausweichen, Nachbrenner zünden, Düppel werfen und stark manövrieren, dann erneut den Nachbrenner zünden und in die Formation zurückkehren.
Tapferkeit, es war so schwer tapfer zu sein, wenn mehrere tausend außerirdische Wesen versuchen einen umzubringen.
Er machte eine halbe Rolle, wich dem Geschützfeuer eines Zerstörers aus, dass gerade eben nur ein halbes Dutzend Schüsse trafen und die Schilde es knapp aushielten. Aus der Bewegung feuerte er eine Amraam auf einen Akarii, die Typenbezeichnung realisierte er kaum.
Der donnernde Puls in den Ohren und das ständige Rauschen des feindlichen ECMs, welches die Funksprüche überlagerte, verhinderte, dass er mitbekam was gerade geschah.
„Die haben Raven abgeschossen.“, keuchte Zombie auf.
„Was?!“
„Bullock meldet, dass Raven abgeschossen wurde, von einer Bloodhawk, mit den Abzeichen eines Geschwaderführes auf der Flanke!“
„Ich seh‘ den Bastard!“ meldete Trash: „Den holen wir uns!“
Sein Rottenführer klinkte die beiden Maverick Anti-Schiff-Raketen aus und verpasste seiner Thunderbolt damit eine Manövrierfähigkeit, die es fast mit einer Nighthawk aufnahm.
Raven, abgeschossen? Die Frau, die ihn trotz all seiner Eskapaden in der Staffel und im Geschwader willkommen geheißen hat! Die mit ihm zu Admiral Auson gegangen war und ihn beruhigt hatte, dass sie zu ihm halten würde und die dann auch für ihn eingestanden war!
Alle Angst war vergesse; wie bei Karrashin oder an dem Tag als sein Bruder starb.
„Ich bin bei Dir, Trash.“, Knock-Out betätigte den Abwurfschalter für die Mavericks, brach hart nach rechts aus und zündete den Nachbrenner um seinem Kumpel zu folgen.
„Holt Euch das Schwein!“ Brüllte Meltdown, Ravens XO, über die Leitung. Damit waren sie offiziell auf Rachemission.
Trash kurbelte schon mit dem feindlichen Geschwaderführer, dessen Flügelmann und einer einsamen Reaper.
Es war fast bewundernswert oder wäre es gewesen, wenn die eine Bloodhawk nicht einen Treffer nach dem nächsten anbringen würde.
Knockout visierte die Reaper an und feuerte seine letzte Amraam ab, um dann auf eine der Bloodhawks umzuschalten.
Zweieinhalb Sekunden später sprang das Fadenkreuz auf rot und signalisierte ihm, dass er in Waffenreichweite war. Sofort nahm er Geschwindigkeit herunter und eröffnete auf Maximalentfernung das Feuer.
Der Akarii konnte zwar den meisten Schüssen ausweichen, aber da er jetzt seine Aufmerksamkeit nicht mehr Trash und Ferret widmen konnte, gelang es Trash sich aus der Umklammerung zu lösen und die verbleibende Bloodhawk ins Visier zu nehmen.
Eine gut palzierte Salve Energeschüsse und eine Rakete ließen den Akarii den besseren Teil der Tapferkeit erkennen und sich aus dem Staub machen.
„Jetzt zu Dir, Du Schweineechse!“ Knurrte Trash über Funk und steuerte auf den Akarii ein, den Knock-Out noch immer unter Feuer hatte und der bemerkenswert gut auswich.
Sie hatten den gegnerischen Geschwaderführer in der Zange. Er leckte sich die Lippen, ,Ja, Du Schweineechse, jetzt bist Du dran.‘
Knock-Out stellte das Dauerfeuer ein und versuchte die Bloodhawk mit gezielten Feuerstößen in Bedrängnis zu bringen, während Trash heranrauschte.
Als sich die beiden Jagdbomber der Bloodhawk näherten, führte der Akarii ein Manöver aus, von dem Knock-Out zwar schon gehört hatte, es aber noch nie im Gefecht gesehen hatte.
Die Bloodhawk schaltete ihr Triebwerk ab, zog die Nase hoch und gab mit den Steuerdüsen im Bauch so viel Gegenschub, dass sie fast im All stehen blieb, dann zog sie weiter und kombinierte die Cobra mit einer Fassrolle im Stillstand, indem sie sich beim weiter hochziehen über den rechten Flügel abrollte. Die Akarii nannten dieses Manöver Nagrokai, und es gehörte zum Kunstflugrepertoire der akariischen Marineflieger.
Während dieser wenigen Sekunden rauschten die beiden Thunderbolts so dicht an der Bloodhawk vorbei, dass alle drei Maschinen beinahe zu kollidieren drohten.
Knock-Out schrie auf, oder war es Zombie?
Dann sah er die Bloodhawk im Hechmonitor mit der Nase auf seine Thunderbolt ausgerichtet und das Triebwerk zünden.
Gleichzeitig, und das konnte er kaum glauben, sah er wie Trash den schönsten ,von Bein‘ ausführte, den er je zu Gesicht bekommen hatte.
Trash und der Akarii feuerten gleichzeitig.
Die volle Waffenlast seines Rottenführers zerfetzten den gegnerischen Geschwaderführer trotz des genialen Flugmanövers innerhalb von Sekunden, während dessen Energiewaffen sich durch Knock-Outs Schild durchfraßen, die Panzerung wegrissen und eines der Triebwerke zerstörten.
Dann schlug Trash Dauerfeuer in die malträtierte Thunderbolt ein.
„Eject! Eject! Eject!“
Knock-Out wollte zu dem schwarz-gelben D-Ring greifen, der ihn und Zombie ins All katapultieren würde, da wurde auch schon das Kanzeldach abgesprengt und er folgte seinem RIO ins Weltall.
Der Angriff stockte im denkbar ungünstigsten Moment. Die Formation der Harpooneers, der Gold Schwadron der Angry Angels, zerbrach innerhalb einer Minute nach der Meldung, dass Raven abgeschossen worden war.
Eine eisige Hand griff nach Irons Herz. Ihre Freundin verwundet oder tot? Ausgestiegen oder zusammen mit ihrer Maschine verbrannt?
Sie aktivierte die Geschwaderfrequenz: „Irons an Alle Staffelführer: Ich übernehmen das Kommando! SitRep!*“
„Lilja hier, wir sind noch an Eurer Seite!“
„Ohka hier, die Butcher Bears sind bei den Kreuzern!“
„Razor hier, wir sind klar und bereit den Angriff fortzusetzen!“
„Ace hier, in Reserve!“
„Mantis hier, wir sind eingekesselt und abgedrängt, mindestens zwei Staffeln Deltavögel!“
„Blackhawk hier, sind ebenfalls bei den Kreuzern!“
Keine Meldung von einem Offizier der Gold Schwadron.
„Meltdown: Wie ist die Lage?“
„Wir sind in schwere Kämpfe verwickelt!“ Kam schließlich die Antwort: „Wir schneiden die verdammten Echsen in Scheiben!“
„Lösen Sie sich aus den Gefechten und formieren Sie sich zum Angriff auf die innere Verteidigungslinie!“
„Das ist ein klares negativ, Irons!“
„LIEUTENANT COMMANDER CZ…“ Irons stockte, als Meltdown einem seiner Piloten Befehle zurief. Dann wählte sie den nächsten Sektionsführer der Harponeers aus: „Lieutenant Kain: Übernehmen Sie das Kommando über die Harponeers und formieren Sie die Staffel für den Angriff auf das akariische Zentrum. SOFORT!“
Auf dem Kanal der Harponeers herrschte plötzlich entsetzte Stille.
„MOMENT, ich bin…“ begehrte Czemek auf.
„Schnauze Meltdown! Lieutenant Kain, bestätigen Sie den Befehl!“
„Aye, aye, Ma’am,“, antwortete Peacemaker ihr gepresst, „alle Gruppen aus dem Gefecht lösen und zurückziehen in die Hauptformation. Sektionen Formation bilden und mir nach!“
Irons lauschte den Bestätigungen der Harponeers, ehe sich auf Crawfords persönliche Frequenz umschaltete.
„Captain, wir müssen etwas unternehmen oder wir werden uns zurückziehen müssen!“
Crawfords Antwort klang gehetzt, wahrscheinlich kurbelte er gerade selbst mit einem Akarii: „Sie klingen als hätten Sie einen Vorschlag, Irons.“
„Ich werde der Reserve befehlen auf ganzer Breite anzugreifen und Ohka herordern um uns eine Bresche zu schlagen, während Razor einen der andern Träger angreift.“
„Ja… ja, machen Sie es so.“, presste Crawford zwischen den Zähnen hervor.
Irons schaltete auf die Geschwaderfrequenz zurück: „Alle Staffelführer herhören! Ace: Bringen Sie die Fokkers ins Gefecht, greifen sie die äußere Verteidigungslinie der Akarii an. Putzen Sie so viel weg wie Sie können!“
„Wird gemacht!“ Damit verschwand Ace aus dem Funkkanal
„Ohka, Sie schließen zu mir auf, im Laufschritt, wir brauchen hier mehr Feuerkraft um durchzukommen! Blackhawk: Sie boxen die Roten raus und ziehen sich gemeinsam zu den Kreuzern zurück!“
Beide Staffelführer bestätigten.
„Razor…“
„Einen der beiden Träger, Irons?“
„Woher wissen Sie das?“
„Habe auch zu lang unter Lone Wolf gedient, da bleibt was hängen.“
Irons schnaufte: „Dann los!“
„Peacemaker, wie ist der Status von Gold?“
„Hier ist Meltdown,“, kam die Antwort von Ravens XO, „wir haben uns vom Feind gelöst und formieren uns gerade neu!“
Czemek klang ziemlich sauer, dabei hatte Irons noch nicht mal begonnen ihm die Eier abzuschneiden: „Ach, schön, dass Sie auch wieder da sind. Wenn Ohka da ist, übernehmen Sie mit ihm die Führung und schießen uns den Weg frei. Ist das angekommen?“
„JA, Ma’am!“
Irons wurde von einem Akariijäger in eine enge Schraube gezwungen, während ihr RIO mit Heck- und Seitenbewaffnung das Feuer eröffnete.
Währenddessen zog einer ihrer Flügelleute hoch und entfesselte die komplette Wut der Frontbewaffnung der Crusader. Grellbuntes Feuerwerk schlug in die Reaper ein und zerschnitt den kleinen Jäger. Keine Chance, dass der Pilot dem Feuersturm entkommen konnte.
Zum Glück hatte Kano die Ansage ‚im Laufschritt‘ wörtlich genommen und seine Staffel so schnell es ging herangeführt.
Die Feuerkraft der schweren Überlegenheitsjäger machte es möglich, dass sich die beiden Jagdbomberschwadronen und Irons Bomber zusammen mit der grünen Staffel lösen konnten.
Na los, Ace, wenn Du jetzt ebenfalls so pünktlich bist… aber sie konnten nicht länger warten.
„Los! Los! Los! Alles zum Angriff!“
Die Bronce Schwadron hatte schon zwei Crusader und eine Rafael verloren, doch die verbliebenen Piloten zündeten die Nachbrenner und folgten ihr ins Inferno der Akarii-Flotte. Brutales Sperrfeuer fegte über und unter ihnen längs.
Die Raketenwarner brüllten fast unentwegt.
Razors verbleibende Jagdbomber brachen aus der Formation aus und beschleunigten nach steuerbord auf die führenden Träger zu, welche immer noch Punkte im Nichts waren.
Radar, Scanner und Komkanäle wurden immer wieder vom Rauschen des akariischen ECMs überlagert.
„Wir greifen jetzt die Eskorten an!“ Meldete Meltdown und die Jagdbomber der Harponeers begannen mit ihrem Zielanflug auf zwei akariische Zerstörer älterer Bauart.
Nur noch wenige Thunderbolts der Gold Schwadron trugen Anti-Schiff-Raketen, doch der Ruf eines Elitegeschwaders war nicht nur in dem Können der Fighterjockeys der Angels begründet.
Alls fünf noch bestückten Jagdbomber feuerten ihre Mavericks sehr spät ab, so dass die Akarii kaum Zeit fanden für Gegenmaßnahmen, und auch wenn beiden Zerstörer im Anschluss noch fuhren, konnte man sehen, dass beide Schiffe in ernsten Schwierigkeiten waren, und das Feuer ließ nach.
„Na los, Black Rain, holen wir uns den Schweinehund!“
„Tod dem Schlächter von Sterntor.“, brüllte einer ihrer Piloten.
Allgemein ließ der Abwehrkampf der Akarii nach und verlegte sich auf die führenden Träger, wo Razors Staffel sich durchboxte und den Anflug auf ihr Ziel ausrief.
Mit halbem Ohr hörte Irons, wie Ace den Angriff der Reserve meldete, mit dem anderen hörte sie das Gemurmel ihres RIOs, der versuchte eine Zielpeilung auf das gegnerische Flaggschiff zu bekommen.
Wo blieben die Notfallrotten, die letzte Verteidigungslinie? Das einsetzende Sperrfeuer?
Über und unter dem gegnerischen Schlachtschiff tauchten die flankierenden Zerstörer der Backbordseite auf und eröffneten das Feuer auf die terranen Jäger.
„Was zum Teufel ist das?“ knurrte Benny.
„Irons an Black Rain: Feuer nach eigenem Ermessen!“
„Feuere Raketen: Eins, zwei, drei, vi…. aaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhh…“
„Was ist das für ein Träger?“
„Feuer! Feuer! Feuer!“
„Target Lock ist Negativ! Das ist kein Träger!“
„Schieß schon verdammt!“
„…. vier, fünf, sechs, alle Raketen sind unterwegs, nichts wie weg hier!“
„TREFFER! HABE IHN! VOLLTREFFER!“
„YEAH, direkt über der Brücke!“
„FRISS SCHEISSE DU ECHSENSCHWEIN!“
„Streicht einen Träger!“
Die Salve der Crusader-Bomber schlug auf kompletter Breitseite des Akarii-Flaggschiffes ein. Die geballte Ladung der Atom-Raketen blendete das Radar für einige Sekunden und die Visiere der Helme polarisierten sich, um die Augen der Piloten zu schützen.
Dann folgte das weiße Aufleuchten einer Antimaterieverbrennung, wie sie für die großen akariischen Schiffe üblich war. Der große Durchbruch in der Antriebstechnik, der den Menschen bisher verwehrt geblieben war, nicht waffenfähige Antimaterie zu raffinieren.
Das halbe Heck wurde weggedampft.
„Das war doch niemals ein Träger,“, merkte eine Pilotin fassungslos an, „Irons, das war kein Träger.“
„Für einen Kreuzer wars zu groß und für’n Frachter zu… zu Kriegsschiffartig!“ Meinte ein anderer.
„Mein Zielsystem konnte den Kahn auch nicht als Uniform identifizieren!“
Irons suchte das sich ausbreitende Trümmerfeld ab. ,Kaum Rettungskapseln, so kalt können wir Euch nicht erwischt haben, oder doch?‘
Dann musste sie wieder dem Feuer eines Eskortzerstörers ausweichen, der sich jetzt wütend durch die Wolke aus Trümmern und Splittern des Trägers schob und die Crusader-Staffel mutig unter Feuer nahm.
Sein Kamerad drehte auch schon ein.
„Nichts wie weg hier! Alle Mann Rückzug!“
Die Akarii verlegten ihre gesamte Verteidigung auf ihre verbliebenen beiden Träger. Offensichtlich hatte Razor sie dort mehr aus den Konzept gebracht als alles andere.
,Na los, Echsen, knickt schon ein, bitte knickt ein, Euer Kommandeur ist weg. Knickt endlich ein.‘ Die Akarii taten ihr diesen Gefallen nicht und schließlich befahl Mithel den Rückzug.
*SitRep = Situations Report (Statusbericht)
Cattaneo
Tyr Svenson
„Nur Staub ist geblieben, von den Träumen der Krieger…“
Aus einem japanisches Gedicht
Imperialer Flottenträger KAHAL
„Admiral, die feindlichen Kampfflieger haben den äußeren Abwehrschirm durchbrochen und halten weiterhin auf die GIBIT zu!“
Taran starrte wie hypnotisiert auf den taktischen Hauptbildschirm. Die Schlacht lief nicht ganz so, wie er es sich erhofft hatte, aber noch war alles möglich. Das Können und taktische Vorgehen der Terraner waren überraschend gewesen, vor allem eingedenk der nicht gerade überragenden Performance der TSN bei ihrer letzten Begegnung. Aber Taran hatte immer noch die zahlenmäßige und qualitative Überlegenheit. ‚Ich hatte Recht. Das ist kein Sturmlauf, keine Alles-oder-Nicht-Attacke. Die Verteidiger von Masters haben…wuchtiger angegriffen, rücksichtsloser. Das hier…hat mehr Finesse und Vorsicht. Sie geben noch nicht Alles. Die Frage ist…was haben sie vor?‘
Hochaufgerichtet, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, bot der Admiral ein Bild kontrollierter Anspannung und überlegener imperialer Selbstsicherheit. Es war wichtig, den richtigen Schein zu wahren: „Sie haben den Köder geschluckt. Auch wenn es mir lieber gewesen wäre, wenn sie erst gar nicht so weit gekommen wären.
Nachricht an Zanni, Sie soll vorsichtig sein. Wir wollen die feindlichen Kampfflieger in die Zange nehmen, dürfen ihnen aber dabei nicht einfach den Weg zur GIBIT freigeben. Sonst merken sie noch, dass etwas nicht stimmt.“ Vermutlich kämpften auch die Jäger teilweise nicht ganz so verbissen. Die GIBIT war eben nur ein nur schwach bemannter Pseudo-Träger und selbst pflichtbewusste imperiale Soldaten wollten nicht bei der Verteidigung eines Dummies fallen.
„Nachricht von Ka’wal, er fordert die Unterstützung durch die Erste Zerstörerflottille an.“
„Schicken Sie ihm die halbe Division. Und die Schnellboote, die ihren Kampfsatz noch nicht verschossen haben. Mehr können wir im Augenblick nicht entbehren. Und sagen Sie ihm…dass er seine Sache gut macht.“ Taran glaubte zwar nicht, dass er so sein angespanntes Verhältnis mit dem jungen Kreuzerkapitän würde kitten können, aber eine gute Leistung nicht anzuerkennen war jedenfalls der falsche Weg.
„Befehl an Zanni! Verstärkter Flankendruck durch die Flugabwehreinheiten. Mal sehen, ob wir die feindlichen Kampfflieger noch etwas mehr zusammendrängen können. Es wäre schön, wenn wir ihnen ein paar Atomraketen in ihren Anflugvektor schicken könnten… Feuereröffnung nach eigenem Ermessen.
Und geben Sie der dritten Zerstörerdivision die Anweisung, einen Passiervorstoß gegen diesen leichten Kreuzer durchzuführen. Zeit, den Flankendruck zu erhöhen.“
„Zu Befehl.“
***
Das imperiale Kreuzfeuer war mörderisch, zumal die feindlichen Flugabwehrschiffe jetzt versuchten, die TSN-Kampfflieger in die Zange zu nehmen. Dennoch, sie konnten den terranischen Vorstoß nur noch bremsen, ausdünnen – stoppen konnten sie ihn nicht mehr.
Die verbliebenen sieben Nighthawks der Butcher Bears gehörten zur Speerspitze des Angriffs. Kano wechselte ein paar Salven mit einer Bloodhawk, beschädigte einen Deltavogel, der einer Falcon der Grünen Staffel zum Opfer fiel, versuchte vergeblich, hinter einem Reaper einzukurven…
Eine feindliche Flugabwehrfregatte nahm seine Sektion aufs Korn und zwang die Butcher Bears dazu, sich aufzufächern. Kanos Korkenziehermanöver brachte ihn aus der Zielerfassung der feindlichen Bordschützen, und sobald der Zielerfassungsalarm verstummte, gab er Vollschub, um sich wieder in den Kampf zu werfen. Die anderen Nighthawks stießen ganze Schwärme von Täuschkörpern aus, während sie das feindliche Schiff passierten, das gleich darauf zwei direkte Atomraketentreffer kassierte und beschädigt aus seinem Flugvektor driftete. Teilweise schienen auch die feindlichen Jäger zurückzuweichen, gaben damit ungewollt den Weg frei.
„Ohka! Hier kommen wir durch! Ich sehe…“
Und in diesem Augenblick öffnete über Crusaders Sektion die Hölle ihre Pforten. Ein gleißender Lichtball zerriss die Dunkelheit des Alls und drohte die Polarisation der Cockpitverglasung und Pilotenhelme zu überlasten.
Falls es ein beabsichtigter Raketenschuss war, dann ein schlecht gezielter. Aber die Wirkung war schlimm genug. Die Schockwelle und der EMP-Impuls warfen Crusaders Sektion aus ihrer Bahn und überlasteten selbst bei Ohkas und La Reines Sektion die Schilde der Jäger teilweise.
Kanos irrationales ‚Nicht schon wieder…‘ wurde abrupt unterbrochen, als er mit dem Kopf gegen die Sitzlehne knallte. Während er benommen Gegenschub gab, um den Jäger zu stabilisieren, überflog er hastig die Anzeigen der Bordinstrumente. ‚Wenigstens ist die Elektronik nicht ausgefallen. Schilde bei vierzig Prozent…‘ „La Reine, Phoenix, Bunny…STATUS?!“
„Ich bin noch da.“ Das war La Reines Stimme, in der eine beunruhigende Verwirrung mitschwang. Dann aber schien sie sich zusammenzureißen: „Schilde bei Zweiunddreißig Prozent, Langstreckenradar ausgefallen, Zielradar hat Aussetzer…“ fast zeitgleich meldeten sich Phoenix und Bunny, die es offenbar nicht ganz so schwer erwischt hatte.
Kano befahl sie in eine lockere Defensivformation, während er beunruhigt auf weitere Meldungen wartete: „Crusader? Wie ist dein Status? Huntress, Submarine? Meldet euch.“ Immerhin hatte er die Maschinen noch in der Ortung. Zerstört waren sie also nicht. Aber wieso antworteten sie nicht…
„Hier…Huntress. So leicht…so leicht wirst du mich nicht los.“
Dann meldete sich auch Submarine, obwohl ihre Stimme durch das Rauschen ihres beschädigten Funkgerätes kaum zu verstehen war.
„Crusader?“
Crusader antwortete nicht. Stumm, und sich langsam um die eigene Längs- und Querachse drehend driftete seine Maschine in Richtung des terranischen Angriffsverbandes.
„Crusader?!“
Immer noch keine Antwort.
Kano biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte. Crusader war mehr als nur sein Stellvertreter, ein guter Sektionschef und Pilot. Er war Kanos Freund, einer der letzten Überlebenden von denjenigen, die vor einer scheinbaren Ewigkeit die neugeschaffene Schwarze Staffel gebildet hatten. ‚Das kann nicht sein…‘
Aber er wusste, dass es eben doch sein konnte. Das war der Krieg. ‚Bei den Göttern. Wenn er tot ist…was sage ich dann seiner Frau?‘
„Crusader, …dammt?! Melde dich, du dämli…loch!“ Das war Crusaders Flügelfrau, der es momentan ziemlich egal zu sein schien, dass ihr Rottenführer einen höheren Dienstrang hatte. Aber auch Submarines von Statik überlagerte Ausbruch blieb ohne Antwort.
„Scheiße,…er…“
„Reißen Sie sich zusammen, Lieutenant.“ Kanos Stimme klang scharf, vielleicht auch, weil er seine eigenen Befürchtungen übertönen wollte: „Ich habe so etwas überlebt, und ich sehe nicht ein, warum das nicht auch Crusader gelingen sollte. Vermutlich hat der EMP seine Kommunikation lahmgelegt. Huntress, Submarine, ich brauche Ihren Statusbericht.“
„Geht so. Haupt…lich Funk…Schilde bauen auf…Aber wie können Sie…Hölle…“
„Die Schlacht ist noch nicht vorbei. Und wir haben immer noch einen Auftrag.“ Es war ein Glücksfall, dass momentan keine imperialen Jäger in der Nähe waren – sie hätten leichtes Spiel gehabt. Allerdings wären die Akarii in diesem Fall vermutlich auch in keinem guten Zustand gewesen. ‚Verdammt, was war das - eine Akarii-Rakete, oder…‘
„…trag…Crusader…?!“ Kano schüttelte frustriert den Kopf, während er sich dazu zwang, die Sorgen um seinen Freund erst einmal in den Hintergrund zu drängen. Mit Crusaders Ausfall hatte sich die Zahl der Maschinen unter seinem unmittelbaren Kommando auf sechs verringert. ‚Und fast keiner hat noch Raketen.‘
Dennoch, Kano kannte seine Pflicht: „La Reine, Sie ziehen sich…“
„Auf keinen Fall! Ich kneife nicht, das kannst du vergessen!“
„Ihre Maschine ist halb blind und das Zielsuchradar funktioniert nicht mehr richtig. Es hat keinen Sinn, Sie weiter einzusetzen. Wenn Sie Glück haben, können Sie sich noch selber verteidigen. Sie sind gut genug, um es alleine zurückzuschaffen. Ich kann Ihnen im Augenblick keinen weiteren Jäger mitgeben…“ Kano hatte einen schlechten Geschmack im Mund. Das erinnerte ihn alles zu sehr an Jimmy. Auch wenn der nicht dagegen protestiert hatte, aus dem Kampf geschickt zu werden, und La Reine im Gegensatz zu Jimmy keinen Begleitschutz wollte. Wie auch immer, er konnte nicht noch einen Jäger als Geleitschutz zurückschicken. Nicht ausgerechnet jetzt, da sie im Begriff waren, zu dem feindlichen Flaggschiff vorzustoßen. Schlimm genug, dass er Flyboy abkommandiert hatte, um Sugar zu eskortieren. Allerdings hatte die auch fast ihre gesamte Bewaffnung und Panzerung verloren und war nicht so erfahren wie La Reine. „Ihr Funkgerät funktioniert ja noch. Funken Sie Flyboy an, sie müsste Sugar inzwischen bis zu den Kreuzern geschafft haben. Vielleicht kann Sie sie geleiten.“
„Ich brauche kein halbverhungertes Kindermädchen! Ich komme alleine klar.“ Schweigen „Aber ich kann Crusader abschleppen. Wenn Kali das bei dir geschafft hat, kriege ich das auch bei ihm hin. Klar, ich vögele ihn nicht, aber das ist ja wohl nicht obligatorisch…“
Kano ignorierte den letzten Satz: „Ich werde Ihnen nicht befehlen, ein Abschleppen zu versuchen. Aber wenn Sie angegriffen werden, wenn eines der Flakschiffe Sie aufs Korn nimmt…dann klinken Sie sich aus. Und DAS ist ein Befehl.“
„…verstanden.“ Ausnahmsweise war La Reines sonst so ausdrucksstarker Stimme nichts zu entnehmen. Falls sie eine Meinung zu Kanos Befehl hatte, so behielt sie sie für sich. ‚Ich hoffe, du kannst mir das vergeben, Garreth. Wenn du noch lebst…‘
„Und noch etwas, La Reine…danke. Und viel Glück.“
Dann wandte sich Kano wieder seiner eigentlichen Pflicht zu – mit fünf mehr oder weniger einsatzfähigen Maschinen an dem Versuch teilzunehmen, die Luftherrschaft zu sichern. ‚Wenn es so weitergeht, wird am Ende niemand mehr übrig sein, der die von uns erkämpfte Lufthoheit ausnutzen kann.‘ Dass die Akarii wahrscheinlich noch mehr bluteten als die TSN, war nur ein schwacher Trost. Und im Augenblick hatten die Imperialen den Vorteil, dass ihre Jäger einen kürzeren Heimweg hatten, und Havaristen und ausgestiegenen Piloten leichter eingesammelt werden konnten.
„Butcher Bears, folgende neue Aufstellung: Phoenix und Bunny bleiben zusammen. Huntress, Submarine fliegt als ihre Flügelfrau.“
„Verstanden. Hey, Sub‘, ich hoffe du passt besser auf mich auf…“
„Du kannst mich mal!“
„Ich glaube, ich kenne eine, die stünde da eher drauf.“
„Ruhe. Wir haben schon genug Zeit verplempert, Huntress.“
Kano war klar, dass er mit seiner ramponierten Halbstaffel keine ambitionierten Manöver mehr unternehmen konnte, wenn er sich den Gegner nicht sehr sorgfältig aussuchte. Aber so etwas war in dem Chaos einer Raumschlacht selten möglich.
Ein Blick auf den Radarschirm verriet ihm, welche Staffeln der Angry Angels gerade in der Nähe waren. „Ace, wir schließen zu den Blauen auf. Ich hoffe, Du kannst etwas Unterstützung gebrauchen.“
„Das hoffe ich zwar eigentlich nicht, aber die Butcher Bears sind willkommen. Am besten, du übernimmst die rechte Flanke, Ohka, dort sind wir etwas ausgedünnt.“
„Bestätigt.“
Auch die Blaue Schwadron hatte Verluste hinnehmen müssen, war aber dadurch nicht so stark betroffen worden, wie Kanos Schwadron. ‚Liegt das am Glück oder am Können?‘ Auch wenn Ace ein herausragender Pilot war, seine Führungsqualitäten wurden von einigen weitaus skeptischer beurteilt. Kanos müßiger Gedanke wurde durch das Schrillen des Raketenalarms unterbrochen.
Auf Davis gebrüllten Befehl spritzten das reichliche Dutzend Jäger auseinander, nur um sich eine Minute später außerhalb der unmittelbaren Gefechtszone des feindlichen Flakzerstörers neu zu formieren.
Gerade rechtzeitig, um den Angriff der terranischen Kampfflieger auf das feindliche Flaggschiff zu unterstützen.
Kanos Halbstaffel befand sich plötzlich ‚oberhalb‘ der Bomberformation, was ihnen einen perfekten Panoramablick auf den Angriff bot. Kano warf einen Blick auf die Anzeige für den feindlichen Träger. ‚Eigenartig. Von der Signatur her sollte es ein Quasar sein, aber diese Silhouette…‘
Er hatte so ein Schiff schon einmal gesehen, vor einer halben Ewigkeit, an einem Tag voller Ruhm, Ehre, Schmerz und Schande – an dem Tag, an dem die alte REDEMPTION gestorben war. Was da vor ihm im All schwebte, sah genauso aus, wie ein imperiales Schlachtschiff. ‚Die Akarii müssen es wie die Konföderation gemacht haben, die unsere alten Schlachtschiffe zu Trägern umgebaut haben. Ich dachte, sie haben gar nicht genug Werftkapazität für so etwas...‘ So ein Umbau konnte normalerweise nicht so viele Maschinen aufnehmen, wie ein normaler Flottenträger. Andererseits bedeutete das, dass der Gegner massiv gepanzert war. ‚Und er sollte eigentlich auch über eine extrem starke Flugabwehr verfügen. Aber es sieht nicht so aus…‘
Kano blieb keine Zeit, seine Überlegungen zu Ende zu führen und die Aussicht zu würdigen, denn die feindlichen Flugabwehreinheiten schienen ihr Feuer erneut zu intensivieren, und auch die imperialen Jagdflieger waren noch nicht aus dem Feld geschlagen.
Die Schwarze Staffel geriet in einen wütenden Nahkampf mit einem gemischten Verband von Bloodhawks und Reaper-Abfangjägern. Die Akarii waren zwar schneller und wendiger als die Nighthawk, doch fehlte ihnen deren Durchschlagkraft und Standfestigkeit. Das rächte sich bitter, als gleich zu Anfang des Kampfes ein Abfangjäger in dem von Kano koordinierten Kreuzfeuer zerplatzte. ‚Möchte mal wissen, wer sich diesen Abschuss gutschreiben kann…‘ Dann waren die feindlichen Jäger heran, und der Kampf löste sich in Einzelgefechte auf. Momentan waren die Nighthawks in einer guten Position – nicht zu nahe an den eigenen Bombern, um dadurch in ihrer Bewegung behindert zu sein, aber nahe genug um davon zu profitieren, dass die Akarii eigentlich ein anderes Ziel hatten.
Kano kurbelte mit einer Bloodhawk und holte das Letzte aus seiner angeschlagenen Maschine. Aber obwohl er seine Maschine Manöver fliegen ließ, für die sie eigentlich nicht gedacht war, kam er einfach nicht in die richtige Position für einen sauberen Abschuss. Langsam machten sich die Schäden und Strapazen der bisherigen Kämpfe bemerkbar. Ein-, zweimal bekam er den Akarii in die Zielerfassung und eröffnete das Feuer, aber dem Gegner gelang es immer wieder, sich nach ein paar Sekunden aus dem Feuerbereich zu stehlen. Kano wusste nicht, ob der feindliche Pilot gut war, oder er selber nachgelassen hatte. Von den anderen konnte er keine Hilfe erwarten, denn die schlugen sich mit den anderen Jägern und einem einzelnen, kampfgezeichneten Delta rum, der sich an den Butcher Bears hatte vorbeistehlen wollen.
Nach mehreren Minuten fruchtlosen Kurbelns begann sich Kanos größere Erfahrung langsam durchzusetzen. Zweimal kurz hintereinander konnte er der Bloodhawk ein paar gutplatzierte Treffer verpassen. Er visierte die Feindmaschine erneut an – und riss die Maschine dann brutal zur Seite. Er wusste nicht, ob es Instinkt gewesen war, oder ein unbewusster Blick auf den Radarschirm, aber der Reaper, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war, traf mit seiner ersten Salve nur den leeren Raum.
Im nächsten Augenblick korrigierte der Akarii allerdings seinen Fehler, indem er die überlegene Wendigkeit seiner Maschine voll ausnutzte. Kanos Nighthawk wurde brutal durchgerüttelt, und eine rote Alarmleuchte informierte ihn, dass seine Heckschilde im Begriff waren, zusammenzubrechen. Er hatte Glück, dass der Akarii bereits seinen gesamten Raketenkampfsatz verschossen hatte.
Kano ließ seine Maschine absacken, während er sich hastig umsah – nein, kein TSN-Pilot war in der Nähe, der ihm diesen Blutsauger vom Nacken klauben konnte. ‚Das wird nicht ganz einfach…‘ Die Reaper ließ sich nicht abhängen, und eröffnete schon wieder das Feuer.
Kano zwang seinen Jäger in einen scharfen Looping, um etwas Luft zu bekommen. Die Reaper bekam er so freilich nicht ins Visier, denn sie stieg mühelos mit und hing an seinem Heck wie festgeklebt.
Wieder rüttelte eine Serie von Treffern den Jäger durch, ließ die Heckschilde zusammenbrechen und kerbte die Panzerung der Nighthawk ein. ‚Jetzt aber!‘ Kano absolvierte seine von Bein-Variation und eröffnete reflexartig das Feuer, sobald die Maschine sich um die eigene Achse gedreht hatte und jetzt ‚rückwärts‘ flog. Der Akarii kassierte eine volle Salve, rettete sich aber durch ein Korkenzieher-Manöver und den Einsatz der Nachbrenner. Als Kano die Maschine wenden wollte, verschätzte er sich, und brauchte fast eine halbe Minute, bis er die Maschine wieder stabilisiert hatte. ‚Du lässt nach.‘ Es war sein Glück, dass niemand diesen Patzer ausnutzte.
Die TSN-Bomber und Jagdbomber hatten inzwischen die Lücken ausgenutzt, die Mithels Kreuzer und die Jagdflieger in den Abwehrschirm der Akarii geschlagen hatten. Endlich stießen sie direkt zu den feindlichen Trägern vor. Obwohl sie teilweise bereits unangenehm hohe Verluste erlitten hatten, waren sie mehr als genug, um Tod und Verderben zu säen. Einige hatten sich bereits verschossen, um den Weg frei zu räumen, oder waren ihre Marschflugkörper im Notwurf losgeworden. Einige nahmen einen der anderen imperialen Träger oder Schiffe der Nahverteidigung aufs Korn. Aber die meisten konzentrierten sich auf das feindliche Flaggschiff und griffen es von allen Seiten an wie ein blutgieriger Schwarm Piranhas. Dutzende Atomraketen wurden fast zeitgleich abgefeuert, und diesem totbringenden Angriff folgten weitere Salven, so schnell die schweren Crusader ihre Magazine leeren konnten. Kano registrierte mit grimmiger Befriedigung die zahllosen Radarechos, die aus verschiedenen Richtungen auf den feindlichen Träger zustrebten, wunderte sich warum das Gegenfeuer des Akarii-Flaggschiffs so schwach und schlecht koordiniert wirkte…
Dann schlugen die Atomraketen ein. Schon die ersten Salven war stark genug, um die Schilde teilweise zusammenzubrechen und dutzende Kubikmeter Schiffspanzerung verdampfen zu lassen. Weitere Einschläge rissen den Rumpf auf. Doch der imperiale Träger weigerte sich, auf dieselbe spektakuläre Art und Weise zu sterben, wie die KORAX. Stumm schob er sich weiter vorwärts, während sein massiver Rumpf eine Rakete nach der anderen schluckte. ‚Verdammt, mit was ist der denn gepanzert?! Er hätte längst auseinanderplatzen müssen!‘ Und wo waren eigentlich die Rettungskapseln? Ja, hier und dort lösten sich ein paar vom Rumpf des sterbenden Giganten, aber es waren so wenig…
Am Heck des Trägers blühte eine Doppelexplosion auf, dehnte sich aus, und zerriss die Triebwerkssektion. Aber immer noch widerstand der vordere Teil des Trägers dem Vernichtungswillen der republikanischen Kampfflieger, die Marschflugkörper und Raumkampfraketen in den aufgerissenen Leib pumpten, während die Bordgeschütze der Bomber und Jagdbomber sich in die bereits geschlagenen Wunden und Brechen bohrten. ‚Warum stirbt er denn nicht?! Und warum stirbt er so…stumm?‘
Doch dann war die Lebensuhr des Giganten endlich abgelaufen. Immer größere Segmente des Rumpfes brachen auseinander und verwandelten das riesige Schiff in ein zerborstenes Wrack, dessen Trümmer auseinanderdrifteten. „JA!“ Kano kurzer Ausbruch ging in dem aufflackernden Triumphgeheul der TSN-Piloten unter. Doch seine Freude war nur kurzlebig. Die Butcher Bears waren mit zehn Fliegern gestartet, jetzt waren sie nur noch zu fünft. Sechs, wenn man Flyboy mitrechnete. Marat hatte aussteigen müssen. Ob La Reine und Sugar es zurückgeschafft hatten, wusste er nicht. Jimmy war vermisst, und Crusader…Crusader war vielleicht sogar tot. Und die Schlacht war noch nicht vorüber. Noch lange nicht.
***
Imperialer Flottenträger KAHAL
Auch wenn die KAHAL etliche Treffer hatte einstecken müssen, waren ihre Schilde und ihre Panzerung in der Lage gewesen, den Träger vor größerem Schaden zu bewahren. Nur die besondere Atmosphäre auf der Brücke hätte einem uneingeweihten Beobachter verraten, dass dies keine Übung war.
„Admiral, der Feind befindet sich im vollen Rückzug.“
„Ausgezeichnet. Offenbar glauben Sie, alles erreicht zu haben, was sie können. Schade, dass unser Gegenüber nicht zu dieser Selbstüberschätzung neigt, die in letzter Zeit bei der TSN so in Mode gekommen ist…
Beordern Sie alle Jäger, Kampfflieger, Schnell- und Kanonenboote zurück an Bord. Sie sollen so schnell wie möglich aufmunitioniert und betankt werden. Wie hoch sind unsere Verluste, Kapitän Los?“
„Wir haben zwei leichte und einen schweren Kreuzer verloren, außerdem drei Zerstörer, zwei Fregatten und eine Korvette. Bergungsmaßnahmen sind angelaufen. Wir versuchen auch, so viele von den terranischen Rettungskapseln wie möglich aufzusammeln.“
„Stellen Sie sicher, dass der Feind keines der Wracks bergen oder ausschlachten kann. Wir kontrollieren das Schlachtfeld – nutzen wir das aus.
Wie sieht es mit den Beschädigungen aus?“
Diese Liste war erheblich länger. Obwohl Admiral Taran um Beherrschung bemüht war, hätte ein guter Beobachter bemerken können, wie er die Lippen zusammenpresste, während er der langen Reihe von Namen lauschte. Erschwerend kam hinzu, dass der Zustand einiger Havaristen als kritisch eingeschätzt wurde. Es war noch unklar, ob man sie würde halten können. Andere würde man möglicherweise in Schlepp nehmen müssen. Und abgesehen von der vernichteten GIBIT, die damit gewissermaßen ihren Daseinszweck erfüllt hatte, hatte auch die CHA’KAL ein paar heftige Treffer abbekommen.
„Soll die Flotte die Verfolgung aufnehmen?“
Der Admiral zögerte, öffnete den Mund, warf einen Blick auf den Datenblock, den ihm seine Stabschefin lautlos zugereicht hatte – und schüttelte dann bedauernd den Kopf: „So gerne ich das befehlen würde, Matir, aber das wird so nicht gehen. Nicht mit der gesamten Flotte. Nicht, wenn wir uns um unsere Havaristen und Schiffbrüchigen kümmern wollen.“
„Sie wollen den Gegner entkommen lassen?“ In Matirs Stimme klang ein Unterton mit, der Taran dazu veranlasste, sich umzudrehen und ihn scharf ins Auge zu fassen: „Sie klingen langsam wie Ka’wal, Kapitän. Ich habe keineswegs diese Absicht. Aber ich werde auch nicht kopflos vorwärtsstürmen und die im Stich lassen, die uns unseren Sieg ermöglicht haben und die in meiner Verantwortung stehen. Der feindliche Kreuzerverband ist immer noch kampfstark, und ihre Verluste waren nicht größer als die unseren. Der Feind ist angeschlagen. Aber noch nicht besiegt.“
„Ein Grund mehr, den Druck aufrecht zu erhalten.“
„Danke, dass Sie mich daran erinnern, Matir.
Ich will, dass alle unbeschädigten Flottenzerstörer die Verfolgung aufnehmen. Unterstützt von den noch einsatzfähigen Flottenfregatten.“
Das schien den Trägerkapitän zu beschwichtigen, aber er wirkte immer noch etwas enttäuscht, während der Admiral seine Frustration darüber, nicht mit voller Stärke nachsetzen zu können, besser kaschieren konnte.
„Wer soll das Kommando übernehmen, Admiral?“
„Was für ein Glück, dass Ka’wals Kreuzer einen leichten Maschinenschaden hat. Jemand wie er wäre denkbar ungeeignet…
Zanni soll den Angriff koordinieren. Die KALLEH ist schnell genug, um mit den Zerstörern Schritt halten und sich auch wieder zurückziehen zu können. Die überlegene Feuerleit-, Kommando- und Kommunikationsausrüstung ihres Flugdeckkreuzers kann ebenfalls von Nutzen sein. Und Sie ist besonnen genug, den Angriff abzubrechen, fall dies notwendig ist. Oder wenn ich es ihr befehle.“
Während der Kommunikationsoffizier einen Kanal zur KALLEH öffnete, wandte sich Kapitän Matir mit einem süffisanten Lächeln an Tarans Stabschefin: „Unser Admiral setzt ziemlich häufig auf Kapitänin Zanni, finden Sie nicht? Nicht, dass Sie eifersüchtig werden…“
Thera Los verdrehte die Augen, aber es war Admiral Taran, der sich plötzlich umdrehte und mit einem sardonischen Lächeln antwortete: „Sowohl Kapitänin Zanni als auch Kapitänin Los leisten in ihrem jeweiligen Aufgabenfeld hervorragende Arbeit, und das sollte wohl der einzige Kriterium sein, das eine Rolle spielt. Vielleicht ist es Ihnen schon aufgefallen, dass unsere weiblichen Offiziere nicht selten besser qualifiziert sind als einige ihrer Kollegen. Ob das daran liegt, dass sie mehr leisten müssen oder daran, dass sie nicht so sehr zu…Kurzschlussaktionen neigen wie manche Kapitäne, die man benennen könnte…“
Kapitän Matir sparte sich eine Antwort. Der Admiral hatte offenbar ziemlich gute Ohren – wahrscheinlich eine Folge seiner Kindheit am imperialen Hof, seiner Teilnahme an der Offiziersverschwörung und seiner Zeit auf T’rr.
Keine Minute später instruierte Taran die Kreuzerkapitänin in knappen, abgehackten Sätzen, die seine Anspannung verrieten: „…keine Nahkämpfe, aber halten Sie den Druck aufrecht. Flankierungsangriffe auf maximale Wirkentfernung, Nachzügler und Havaristen beschießen. Feuern in Divisionsstärke. Vielleicht können Sie den Gegner verlangsamen oder einige Nachzügler ausschalten. Sollte der Gegner sich stellen, zurückfallen. Schickt der feindliche Hauptverband Verstärkung, Rückzug.“
„Und wenn sie uns nur ein Detachement entgegenschicken?“
„Das kommt auf die Stärke an. Im Rahmen der genannten Einsatzparameter haben Sie freie Hand. Ich glaube allerdings nicht, dass die TSN so dumm ist, Sie mit unterlegenen Kräften anzugreifen. Nutzen Sie Ihren Vorteil, Zanni. Die schnellen Einheiten des Kreuzerverbandes sind zu schwach, um Sie zu stellen, und die schweren…sind zu langsam.“
„Viel werden wir aber so nicht erreichen…“
„Aber wenn Sie Glück haben, kosten Sie dem Gegner noch ein paar Schiffe. Oder zumindest Zeit. Genug Zeit, bis wir unsere beschädigten Schiffe wieder in Fahrt gebracht haben und unsere Kampfflieger und Schnellboote wieder einsatzbereit sind.“
Jetzt mischte sich der Verbindungsoffizier zum Bordgeschwader der KAHAL ein, obwohl er wahrscheinlich lieber geschwiegen hätte: „Ich bin sicher, unsere Piloten werden begeistert von dieser Chance sein, dem Gegner weiteren Schaden zufügen zu können. Aber es stellt sich die Frage, ob sie dafür in der richtigen Verfassung sind. Sie haben in den letzten vierundzwanzig Stunden drei Schlachten geschlagen – zwei davon vor kurzer Zeit und dicht hintereinander. Ich fürchte…“
Der Admiral nickte widerwillig: „Ich verstehe Ihre Bedenken. Aber das könnte unsere beste Chance sein, dem Gegner noch ein paar wirksame Schläge verpassen zu können, bevor sich die beiden Verbände wieder vereinigen und ihre Jäger aufgetankt und neu bestückt werden. Ich werde noch einmal die Geschwaderkommandeure konsultieren, aber wir können uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Zanni, sollten wir einen Bomberangriff fliegen, so werden Sie ihn natürlich koordinieren. Und führen Sie gleichzeitig eine flankierende Zangenoperation durch.“
„Wie lange sollen wir die Menschen eigentlich verfolgen?“
„Das kommt darauf an, wie sie auf unseren Vorstoß reagieren. Aber entfernen Sie sich auf keinen Fall weiter als eine Stunde von dem Hauptpulk. Sie müssen in der Lage sein, zurückzukehren, bevor der Gegner seine Kampfflieger wieder losschickt.“
„Admiral.“
Taran drehte sich kurz zu Matir um: „DESWEGEN will ich Zanni für diese Aufgabe. Jemand wie Ka’wal weiß einfach nicht, wann es Zeit ist, zurückzustecken.“
Der Trägerkapitän sah so aus, als wollte er noch etwas sagen, schluckte es dann aber hinunter.
„Gut. Nun zu unseren beschädigten Einheiten. Wenn alles glatt geht haben wir uns Zeit genug erkauft. Die sollten wir optimal nutzen um wieder voll einsatz- und manöverfähig zu sein….“
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Helen ‚Kali‘ Mitra zwang ihre Nighthawk in eine Korkenzieherrolle, die die tödlichen Strahlenimpulse der gegeneinander angetretenen Kriegsschiffphalangen in verwischte Schlieren zu verwandeln schien. Aber es half nichts – das feindliche Raketenquartett blieb hartnäckig an ihr kleben, obwohl Kali sich sicher war, dass ihre alte Phantome von diesem Manöver überfordert gewesen wäre. Auch das feindliche Bordkanonenfeuer war unangenehm präzise. Eigentlich hätte der feindliche Bomberpilot gar nicht so gut schießen DÜRFEN, denn Avengers hatten primär die Aufgabe, feindliche Großkampfschiffe anzugreifen. Kurz überlegte sie, ob sie die Raketen mit einer von Bein-Wende a la Ace oder Ohka überlisten sollte, aber ein Blick auf den gefährlich gesunkenen Energielevel ihrer Schutzschilde ließ sie davon Abstand nehmen. Sie war erst vor etwa einem Monat wieder kv geschrieben worden und hatte nicht den Ehrgeiz, ihren Verlobten bei der Anzahl der Lazarettaufenthalte zu überholen. ‚Aber irgendwie muss ich…‘
Wie als Antwort auf ihre Gebete schlug eine volle Salve bei dem Akarii ein und schüttelte die Maschine mit erbarmungsloser Gewalt durch. Irgendetwas zischte über Kalis Nighthawk hinweg, ging in eine scharfe Kurve und setzte sich mit eleganter Leichtigkeit hinter die feindliche Maschine. Bobcat hatte das befohlene Zangenmanöver gerade im rechten Augenblick ausgeführt. Das gab Kali die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. Geistesgegenwärtig gab sie Gegenschub, während sie die Backbordmanöverdüsen auf Vollschub laufen ließ. Der schwere Überlegenheitsjäger rotierte praktisch auf der Stelle, während sie eine ganze Salve von Täuschkörpern ausstieß. Die meisten der feindlichen Raketen verpufften harmlos im All. Ihre Maschine wurde zwar brutal durchgeschüttelt und die Schilde flackerten bedrohlich, aber sie hielten. ‚Noch mal sollte ich das aber besser nicht versuchen.‘ Dann gab sie Vollschub und hängte sich unter den Akarii-Bomber, der vergeblich versuchte, seine abgedrängte Sektion zu erreichen.
Das Sperrfeuer der beiden Nighthawks durchbrach die Schutzschilde des Avengers und verwüstete die Panzerung ungeachtet des verzweifelten Abwehrfeuers der Heckgeschütze. Irgendetwas explodierte an der Flanke der Feindmaschine, dann wurde mindestens ein Schleudersitz ausgelöst, kurz bevor der Bomber in einer gleißenden Explosion verging.
„JA! Guter Schuss, Bobcat! Ich frage mich, wem die Gefechts-ROMs dann den Abschuss zusprechen.“
Kalis Flügelfrau blieb ungewöhnlich still.
Das Bordgeschwader der DERFLINGER war voller Selbstbewusstsein in die erste Sterntor-Schlacht geflogen. Sie hatten sich gut geschlagen. Vielleicht nicht ganz so wie die Angry Angels, aber sie hatten eine Reihe Abschüsse erzielt – und das bei vergleichsweise geringen Verlusten. Im ersten Einsatz hatte Kalis Staffel nur zwei Maschinen verloren – Silent hatte aussteigen müssen und Flash war mit einer wrackgeschossenen Maschine zurückgehumpelt. Einige andere Maschinen waren mehr oder weniger schwer beschädigt worden. Aber sie hatten alle überlebt.
Kali selber hatte anfangs gefürchtet, dass ihre erst kürzlich verheilte Verwundung behindern würde, aber sie hatte sich selber überrascht. Flashbacks oder Angstanfälle waren ausgeblieben und auch im Einsatz gehorchte ihr geheilter Arm ihr genauso zuverlässig, wie vor der Verletzung.
Umso ernüchternder hatte der brutale Gegenschlag der Imperialen gewirkt. Die Vernichtung der ANZAC, der KNOX und einer Reihe weiterer Schiffe…
Auch die DERFLINGER hatte schwere Treffer hinnehmen müssen. Das hatte die Landung der erschöpften Piloten verzögert und die Wartung und Reparatur der beschädigten Maschinen erschwert.
Was Papa Bear angesichts dieser Schlächterrechnung über Crawfords Entscheidung, die feindlichen Bomber und Jagdbomber erst auf dem Rückflug anzugreifen, gesagt hatte, war nicht druckreif gewesen, gab aber ziemlich genau die Stimmung an Bord wieder.
Und Girads Entscheidung, Masters den Akarii preiszugeben, hatte die Frustration der Piloten noch verstärkt. Dennoch, zumindest für den Flying Circus war die dadurch erkaufte Ruhepause ein Geschenk gewesen. Es hatte Stunden gedauert, bis der Bordbetrieb wieder funktionierte. Kali hatte kaum Zeit gefunden, sich nach den Verlusten der Angry Angels zu erkundigen. Es hatte sie nicht überrascht, dass Kano schon wieder eine Maschine verloren hatte. Hoffentlich fiel er nicht wieder in seine leicht suizidal wirkende Tendenz zurück, bedenkenlos jedes Risiko einzugehen, das zwischen ihm und der Übererfüllung des Einsatzzieles lag…
Der Heldentod der Verteidiger von Masters hatte die Kampfmoral dann wieder gestärkt und den Wunsch nach Rache laut werden lassen. Dass die Dorniers an ‚Mithels Charge‘, an dem Sturmlauf gegen das Herz der feindlichen Flotte teilnehmen sollte, hatten Conti, Kali und ihre Untergebenen mit gutem Grund als Auszeichnung verstanden. Dank der Ersatzmaschinen an Bord der DERFLINGER konnten sie mit elf einsatzfähigen Maschinen antreten. Sie waren mit dem festen Entschluss gestartet, die Akarii für die Verwüstung von Masters zahlen zu lassen – und mit der beruhigenden Gewissheit, dass die beiden zurückbleibenden Staffeln die DERFLINGER beschützen würden.
Kali hatte mit einem stummen Grinsen zugehört, wie Conti und Bobcat Lone Wolf auf die Palme brachten. Ihr früherer Staffelführer und Geschwaderchef war einfach zu selbstverliebt, um mit jemandem wie Rubenbauer gut klarzukommen oder auch nur zeitweilig hinter ihm zu fliegen. Das Lächeln war ihr allerdings bald vergangen.
Als sie sich gemäß ihrer neuen Befehle auf die Kampfflieger der Akarii geworfen hatten, hatte Conti selbstbewusst die Bomber für seine Einheit reklamiert. Allerdings wurde ihr Angriff schnell durch einen wuchtigen Flankenstoß einer Halbschwadron Bloodhawks gestoppt, während sich die feindlichen Bomber als ungewöhnlich wehrhaft und aggressiv erwiesen hatten. Flash und Trasher, die wie üblich mit mehr Elan als kühlem Sachverstand angriffen, kassierten das konzentrierte Abwehrfeuer der Akariis. Nur Sekunden später war von Flashs Maschine nur noch brennender Treibstoff und ein paar zerschmolzene Trümmerteile übriggeblieben – ein brutales und plötzliches Ende, das Flashs Callsign eine grausige Doppeldeutigkeit verlieh. Um ein Haar hätte Trasher das gleiche Schicksal erlitten, aber Conti und Musketeer schafften es, ihn durch den großzügigen Einsatz ihrer Raketen etwas Luft zu verschaffen.
Kalis Sektion hatte die feindlichen Jäger abgedrängt, während Hangman und Contis Schwärme den Angriff auf die Bomber fortführten. Zwei Avenger waren abgeschossen worden, aber die Akarii revanchierten sich, als Alien fast die gesamte linke Tragfläche abrasiert wurde. Unmöglich, dem Kreuzfeuer weiter auszuweichen, hatte sich Alien aus der Maschine katapultiert. Es blieb nur zu hoffen, dass ein terranisches Shuttle als erstes zur Stelle sein würde. Hangman, der ohne seinen Flügelmann fliegen musste, kassierte einige schwere Treffer, blieb aber noch im Spiel.
Immerhin sahen sich etliche Avenger gezwungen, ihre Atomraketen auf Maximalentfernung abzufeuern. Danach hatte sich der Kampf auseinandergezogen, und das hatte Kali endlich erlaubt, sich an der Jagd auf die feindlichen Bomber zu beteiligen. Mit einem bestätigten Erfolg. ‚Aber das wird nicht reichen…‘
Auf beiden Seiten waren die Bomber und Jagdbomber zum Schuss gekommen, auch wenn die Terraner sich momentan noch etwas zurückhielten. Im Gegensatz zu den Akarii hatten sie einen sehr weiten Weg nach Hause und mussten sich den Einsatz ihrer Atomraketen sehr sorgfältig überlegen. Während andere TSN-Staffeln weiter vorgestoßen waren, um zu den feindlichen Trägern durchzubrechen, hatten die Dorniers weiter die feindlichen Bomber und Jagdbomber gejagt, die Mithels Schiffe aufs Korn nahmen.
Das bedeutete allerdings auch, dass sie jetzt etwas im Abseits standen, an einer der hinteren Flanken von Mithels Kreuzerverband. Im Augenblick hatten die Kampfhandlungen hier etwas nachgelassen, da die Akarii sich unter dem Druck der TSN hier etwas zurückgezogen hatte und sich darauf beschränkten, Mithels Einheiten mit Langstreckenfeuer zu beharken. Die feindlichen Bomber und Jagdbomber hatten sich zum größten Teil verschossen, zurückgezogen oder waren anderen Aufgaben zugewiesen worden. Von dem Hauptpulk der übrigen TSN-Flieger trennten sie mehrere Minuten, und deshalb konnten die Dorniers im Augenblick nicht viel tun, während Conti die Piloten seiner Staffel sammelte.
Dass Ace und die blaue Schwadron den Schutz der Fokker übernehmen sollten und beide Staffeln auf der Reservebank landeten, stieß teilweise auf Unverständnis.
„Die Fokker können mehr als das. Und wieso übernehmen die Jokers ihre Absicherung? Das wäre unsere verdammte Aufgabe gewesen!“ protestierte Bombshell wütend, assistiert von einigen anderen Piloten.
„Wir sind nicht da. Noch nicht. Aber das wird sich ändern. Offene Formation, Maximalgeschwindigkeit.“ schaltete sich Conti bestimmt ein: „Außerdem haben die Blauen Jokers eine guten Ruf, fragt Kali…“
Helen wusste, dass die Leistung der Blauen nach Huntress Tod zurückgegangen war, aber sie hatte bestimmt nicht die Absicht, Ace anzuschwärzen.
„Na ja, die wird wohl kaum was gegen ihren Ex sagen…“ stichelte einer der Piloten.
„Ich hatte nie etwas mit ihm. Und wenn du ihm Nichts zutraust, dann kannst du gerne mal gegen ihn in den Simulator steigen, Hangman.“
„Mir würde es schon reichen, wenn er unsere Jungs und Mädels heil rein und wieder raus bringt…“
„Beruhig dich...“, meldete sich wieder Conti zu Wort, „Die Angry Angels schaffen das. Ace schafft das.“
„Und wenn nicht?“
„Dann schlag ich ihm persönlich die Vorderzähne ein…“, flachste Conti und wurde dann fast brüsk: „Genug gequatscht. Vielleicht schaffen wir es noch rechtzeitig. Und bloß weil wir bei der großen Party nicht in vorderster Linie dabei sind, heißt das noch lange nicht, dass wir nachlassen dürfen. Conti für Hattrick…“
Aber sie kamen zu spät, um nur ein paar Minuten. Tatenlos mussten sie mitanhören, wie Raven ausfiel, die Formation der Harponeers zerbrach und Irons die Reserven ins Gefecht warf. Kali biss die Zähne zusammen. Sie hätten mit da vorne sein müssen, verdammt. Nur ein paar Minuten noch…
Mit Stolz in den sich Sorge mischte hörte sie, dass Kanos Staffel den Weg für die Bomber freimachen sollten. Das war eine Aufgabe nach dem Geschmack der Butcher Bears.
Die Fokker warfen sich unterstützt von den Jokers auf die Verteidigungslinie von Kriegsschiffen, die die feindlichen Flottenträger schützte – und gerieten in ein mörderisches Kreuzfeuer.
„DIESER VERDAMMTE GOLF REISST UNS IN FETZEN!“
„STEIGE AUS! STEIGE…“
„DORNIERS HERHÖREN! Angriffsflug auf den Golf! Alles was drin ist auf die Sensorkuppeln!“
„Bist du…“
„AUSFÜHREN!“
Die verbliebenen Dorniers warfen sich heldenmütig auf das feuerspeiende Ungeheuer, das etwas nach hinten versetzt stand und die feindliche Abwehrlinie koordinierte. Jetzt ging es um ihre Kameraden.
Glück, Zufall oder Selbstüberschätzung des Gegners – in den ersten paar kostbaren Sekunden schien der Kommandant des feindlichen Kreuzers sie ganz einfach zu ignorieren, und feuerte unbeirrt weiter auf die Fokker. Die Entfernung zu ihrem Ziel schwand mit atemberaubender Geschwindigkeit, während Kali lautlos die Tatsache verfluchte, dass sie ihre Phoenix-Langstreckenraketen bereits verschossen hatte. Dennoch, es konnte klappen. Die Angry Angels hatten schon mal ein ähnliches Manöver in der Doppelschlacht von Graxxon-Wron durchgezogen. Diesmal…
„Noch nicht…noch nicht…gleich…FEUER FREI!!“
Und dann, fast gleichzeitig mit dem Alphaschlag der Dorniers, erfolgte die Antwort des Akariis. Der feindliche Kapitän schien sein Sperrfeuer nur kurz herumschwenken zu lassen, aber die Wirkung war so verheerend und gebündelt, dass Kali sich hinterher wunderte, warum die feindlichen Raketen und Strahlenwaffen ihre Raketen nicht einfach aus dem All fegten. Eine Lenkwaffensalve schleuderte eine Nighthawk beiseite wie ein Raubtier eine wehrlose Beute. Eine Sekunde nachdem der Pilot ausgestiegen war, zerfetzten weitere Treffer die Maschine.
Die Raketen der Dorniers hämmerten in die Brückenschilde des feindlichen Golf-Kreuzers, ließen sie aufleuchten…
„ALLES WAS DRIN IST! BORDWAFFEN…!!“
Zwei, drei Strahlenbahnen spießten Contis Maschine förmlich auf, zerrissen seine Schilde, bohrten sich in Rumpf und Flügel…
Und Kali glaubte einen gellenden, verzerrten Schrei zu hören, als der Jäger ihres Vorgesetzten auf den feindlichen Kreuzer stürzte und in einer feurigen Explosion verging.
Einer Explosion, durch die sich der Akarii hindurchschob, unbeeindruckt wie ein Haifisch von einem treibenden Tangblatt.
Im selben Augenblick kündigte eine Kakophonie aus triumphierenden aber seltsamerweise auch teilweise verwirrt klingender Stimmen von dem Untergang des feindlichen Flaggschiffs.
Und Kali begriff, dass es jetzt an ihr war, die Dorniers wieder nach Hause zu bringen. Mit rauer, harter Stimme gab sie den Befehl: „Kali an alle – Abbrechen und Rückzug! Ich wiederhole, Rückzug! Sammeln bei den Bombern! Wir geben ihnen Rückendeckung…“
Zum Trauern würde später noch Zeit sein. Jetzt musste sie ihre Staffel hier rausbringen…