Cattaneo
Tyr
Sterntor-System
„Dieser…dieser Junge soll der Oberbefehlshaber des Draned-Sektors sein? Und Kommandeur eines Angriffsverbandes?“ In Chris Mithels Stimme klang mehr als ein bisschen Verwunderung und offene Geringschätzung mit.
Admiral Vanessa Girad unterdrückte ein Grinsen. Sie hätte darauf wetten können, dass der Konteradmiral so reagieren würde. Mithel gehörte zur alten Schule. Um zu seinem momentanen Rang aufzusteigen hatte er die ‚Ochsentour’ durchlaufen – den langsamen Weg vom Flotterekruten, der sich durch seine Leistungen zum Offiziersanwärter qualifizierte, dann Lieutenant der Brückencrew und über den Rang eines Zweiten und Ersten Offiziers, das Kommando eines Zerstörers, den Posten des Eins-O an Bord eines Kreuzers…
Mithel hatte bei seinem Aufstieg keine ‚Abkürzungen’ genommen. Und deshalb misstraute er ‚Wunderkindern’ und Senkrechtstartern: „Sind die Akarii so knapp an Offizieren, dass sie ihre Kommandeure jetzt schon frisch von der Akademie rekrutieren? Wie alt ist dieses…Bürschchen? Zwanzig?“
Der vortraghaltende NIC-Lieutenant Commander räusperte sich irritiert: „Anfang Dreißig, Admiral. Wenn ich fortfahren dürfte?“ Dabei blickte er allerdings die kommandierende Admiralin de Kerr an, die mit einer bestätigenden Handbewegung reagierte. Allerdings wies sie Mithel nicht zurecht. Vielleicht, weil sich ein alt gedienter Flottenveteran so einen Ausbruch nun einmal herausnehmen konnte. Oder weil sie möglicherweise seine Vorbehalte teilte. Girad war sich da nicht so sicher. Und was das…Bürschchen anging…Die Qualität der Holoaufnahme war nicht unbedingt die Beste, aber der schlanke Akarii mit den ungewöhnlich dunkel gefärbten Schuppen und dem schwarzen Hornkamm wirkte wirklich sehr jung. Dennoch…
Inzwischen fuhr der NIC-Offizier fort. Girad war sich nicht sicher, ob seine etwas raue und abgehackte Sprechweise aus einer leichten Verärgerung über die Unterbrechung resultierte, oder aus dem Bewusstsein, dass Zeit knapp war.
Die zivilen und militärischen Geheimdienste der Republik hatten schon lange vor dem Krieg damit begonnen, Dossiers über ranghohe Offiziere des Gegners anzufertigen. Nach dem Beginn der Kampfhandlungen war diese Aufgabe natürlich noch wichtiger geworden. Allerdings konnte man sich nur auf eine überschaubare Anzahl von Quellen stützen. Die Zahl der Agenten im imperialen Raum war mehr als begrenzt, und die Befragung von Kriegsgefangenen zeitaufwendig und anfällig für Falschinformationen und Fehlinterpretationen. Natürlich hörte man auch die offiziellen Nachrichten- und privaten Kommunikationskanäle der Imperialen ab, doch diese Datenflut zu sieben, zu übersetzen, zu analysieren und interpretieren war eine Sisyphusarbeit. Die verlässlichsten Informationen lieferten die militärischen und geheimdienstlichen Kommunikationskanäle und Datenbänke der Imperialen. Nur waren die schwer zugänglich und bestens verschlüsselt. Die Nutzung der gewonnenen Informationen wurde durch die hysterischen Sicherheitsbestrebungen der terranischen Dienste erschwert. Deswegen war diese…Informationsrunde ja auch an eine Sitzung des Verteidigungsstabes angehängt worden.
„Mokas Taran. Alter Zweiunddreißig oder Dreiunddreißig. Stammt aus altem imperialen Adel. Die Taran-Familie beruft sich auf Wurzeln in der Akarii-Antike und stieg angeblich aufgrund militärischer Leistungen in den Hochadel auf. Sie stellte eine lange Reihe von Kommandeuren und Kriegsherren – von der antiken Einigungsphase bis zu den großen interstellaren Expansionswellen der letzten zwölfhundert Jahre. Die Tarans haben Verwandtschaftsbeziehungen zu vielen anderen Adelsfamilien. Vor allem aber kam es wiederholt zu Heiraten mit Abkömmlingen der kaiserlichen Blutlinie. Allerdings in der Regel mit nachgeborenen oder…illegitimen Kindern.“
„Verstehe. Die Tarans haben das bekommen, was niemand sonst wollte. Ein kleiner Happen für die getreuen Bluthunde.“ spöttelte Mithel, wurde dann aber übergangslos ernst: „Haben Sie eigentlich mal versucht, diese Verbindung in eine…na ja, in eine direkte Herrschaftsrolle umzumünzen?“
„Nicht, so weit wir das wissen. Anscheinend waren sie zumindest gegenüber der Thelam-Linie loyal. Allerdings sind die Überlieferungen lückenhaft und…“
„…wurden ohnehin vom Sieger geschrieben.“ vollendete Girad den Satz. Sie registrierte die ein wenig abschätzigen Mienen einiger Anwesenden. Diese Reaktion überraschte sie nicht. Die Akariis waren Jahrhunderte vor den Menschen ins All vorgestoßen und ihnen immer noch technisch überlegen. ‚Obwohl längst nicht so weit, wie der Zeitraum es vermuten lassen würde. Aber ob das wirklich ein Zeichen für eine gewisse…mentale und gesellschaftliche Degenration ist?’ Das wäre ein wenig zu bequem und klang ihr ein wenig zu sehr nach Translatio Imperii* und Manifest Destiny** für den Weltraum.
Die Art und Weise jedoch, wie sie ihre Entscheidungen und politischen Lager durch Abstammungslinien und familiäre Beziehungen bestimmen ließen, wie sie einer einzelnen Familie quasi gottgleiche Rechte zuerkannten, ließ sie in den Augen vieler Menschen reichlich…mittelalterlich wirken. Oder antik. Ebenso wie die Art und Weise, in der Hofintrigen, Bürgerkriege und Putsche immer wieder ihre Geschichte bestimmt hatten. Shakespeare hätte die Akariis geliebt.
„Taran wuchs am kaiserlichen Hof auf. Persönliche Kontakte zur kaiserlichen Familie sind wahrscheinlich.“
„Na dann ist ja wohl klar, warum er so eine Blitzkarriere hinlegte.“ schaltete sich wieder Mithel ein.
Der NIC-Offizier presste kurz die Lippen zusammen und fuhr fort: „Absolvierte die kaiserliche Flottenakademie, offenbar mit sehr guten Noten.“
„Offenbar?“ hakte de Kerr nach.
Der Lieutenant Commander räusperte sich: „Er wurde fast sofort in den Planungsstab der Admiralität übernommen und nach weniger als einem Jahr zum Lieutenant ersten Ranges befördert. Weitere Beförderungen folgten rasch. Wir schließen daraus…“
„Was? Dass er die richtigen Verbindungen hat?“
„Wir sollten lieber nicht davon ausgehen, dass es das alleine war.“ schaltete sich Girad ein. Mithel presste die Lippen zusammen und nickte dann widerwillig.
„Kurz vor Beginn des Krieges bekleidete er offenbar den Rang eines Captains. Wahrscheinlich gehörte er zu der Planungsgruppe, die den ersten Entwurf der Manticore-Offensive anfertigte.“
„Heißt das, er neigt zu Größenwahn?“ meldete sich Admiral Auson zu Wort.
Der NIC-Offizier zuckte mit den Schultern: „Leider liegt uns besagter Entwurf nicht vor. Angeblich war er…weniger ambitioniert als die von Prinz Jor bewilligte Variante. Und verlangte nach einer stärkeren Konzentration der Truppen.“
„Hmm.“ Es war Auson nicht anzusehen, was er daraus abzuleiten zu können glaubte.
„Offenbar gehörte Taran zum persönlichen Stab von Großadmiral Koo. 2634 oder 2635 verlobt er sich mit einer Enkelin des Großadmirals.“
„Seine strategische Planung lässt zu wünschen übrig.“ spöttelte Chris Mithel: „Er setzte auf einen sinkenden Stern.“
De Kerr schüttelte den Kopf: „Das kann man auch anders sehen. Die Koo-Familie hatte beste Verbindungen zum alten Imperator...“
„Der inzwischen auch tot ist…“
„Und dass Nahil Koo Taran einer solchen Protegierung für würdig hielt, sollte uns zu denken geben. Auch wenn Jor zu diesem Zeitpunkt bereits einen Großteil der imperialen Operativ- und Planungskompetenz in seinen Händen vereinte.“
„Spätestens seit 2635 muss von einer Zugehörigkeit Tarans zur Offiziersfronde ausgegangen werden.“ Mit diesem charmant-altmodischen Label bezeichnete man jene Gruppierung im Akarii-Militär, die sich nach den ersten schweren Rückschlägen gegen die zentrale Führungsrolle des Kronprinzen zusammengeschlossen hatte und seine Strategie – und teilweise auch seine Kriegsziele – ablehnte.
„Abgesehen davon ist seine Beteiligung an der Ausarbeitung der Rau-Offensive wahrscheinlich.“ Die ‚Rau-Offensive’ war die umgangsprachliche Bezeichnung für einen massierten imperialen Vorstoß in das republikanische Hinterland. 2635/36 hatte der aus fünfzehn Kreuzern und Zerstörern bestehende Verband des Admirals Kjani Rau schwere Verwüstungen anrichten, einen TSN-Flottenträger vernichten und die Offensivplanung an der CC-Front durcheinander bringen können.
„Langsam verstehe ich, warum sie diesen Mann schicken.“ Auson nickte bedächtig, als sähe er eine Vermutung bestätigt.
„Anfang 2636 wurde Taran zum Admiral zweiter Klasse befördert. Er gehörte zu jenen, die im Mai desselben Jahres offen gegen Jor auftraten und seinen Rücktritt von allen politischen und militärischen Kommandoposten forderten. Abgesehen von seiner Eigenschaft als Kronprinz natürlich.“
De Kerr lächelte flüchtig: „Unser Glück, dass das nicht gelungen ist.“
„Ja, aber auf einmal entdecke ich einen sympathischen Zug an unserem Senkrechtaufsteiger.“ bemerkte Mithel sarkastisch: „Mich wundert allerdings, dass sie nicht versucht haben, diese Kröte Jor ganz einfach umzubringen.“ Er hielt inne und fixierte den Lieutenant Commander vom NIC: „Was ist?“
Der zögerte kurz, zuckte dann mit den Schultern und antwortete: „Es gab…Gerüchte über eine Art ‚inneren Zirkel’ innerhalb der Verschwörung, der angeblich eine…dauerhaftere Lösung des Problems Jor anstrebte. Seine Inhaftierung, oder…“
„Und warum hören wir erst jetzt davon?“ De Kerr hatte sich aufgerichtet. Es war ein Klischee – und deshalb häufig nicht wahr – dass Militärs sich nicht für Politik interessierten.
Vanessa Girad verdrehte unwillkürlich die Augen. Die Intrigen am Akariihof klangen manchmal wirklich mehr nach Macbeth und Richard III, als nach einer Zivilisation, die über ein Sternenimperium regierte.
„Es war nur ein Gerücht. Aber nach dem Tod von Kanzler Relath Gor erscheinen solche Vermutungen…“
Admiral Auson winkte ab: „Das bringt doch nichts. Leider – oder für uns zum Glück – hat sich Jor ja durchsetzen können. Ohne verhaftet oder erdolcht zu werden.“
„Ja, weil Papi ihm die Hand gehalten hat. Dabei hätte der Mann doch eigentlich alt genug sein müssen, um auf eigenen Beinen zu stehen.“ Mithels sarkastischer Einwurf sorgte für gedämpftes Lachen.
„Vermutlich wegen Tarans Herkunft – und seiner Beziehungen zum Großadmiral – wurde er nicht degradiert oder entlassen. Stattdessen versetzte man ihn auf den Posten des Flottenkommandeurs des Draned-Militärbezirks.“
„Ein wichtiger Posten. Mit vielen Schiffen und Truppen.“ urteilte Auson: „Eine etwas seltsame Form der Degradierung.“
De Kerr schüttelte den Kopf: „Das ist ein Schleudersitz. Im Kampf gegen Rebellen und Schmuggler ist kaum Ansehen zu gewinnen. Von dem letzten halben Dutzend Männern und Frauen auf diesem Posten wurden nach meinem Wissen drei nach kurzer Zeit auf deutlich weniger prestigeträchtige Posten oder in ein Frontkommando versetzt, einer unehrenhaft entlassen. Und einer wurde ermordet.“
Admiral Auson lächelte flüchtig: „Zugegeben, das klingt schon eher nach Jor.“
„Und wie hat es Taran dann geschafft, zum Oberbefehlshaber des gesamten Draned-Sektors aufzusteigen?“ fragte Girad.
„Zum Teil wohl nur durch Zufall. Nach der gescheiterten Offiziersfronde mussten in der Flotte und der Admiralität viele Posten neu besetzt werden. Die hohen Verluste der letzten Jahre und die Notwendigkeit, Garnisonsverbände als Ersatz für ausgeblutete Fronteinheiten zu mobilisieren führte zu einer zusätzlichen…Ausdünnung im Führungssektor. Viele hochrangige Offiziere, die ursprünglich im Draned-Sektor stationiert waren, gehörten zum Beta-Borealis-Verband.“
„Von dem wir nicht viel übrig gelassen haben.“ De Kerrs Stimme klang fast wehmütig. Die Schlacht von Beta Borealis hatte für einen kurzen Augenblick – für ein paar wundervolle Monate – den Eindruck entstehen lassen, dass der Sieg in greifbare Nähe gerückt war.
„Einige fielen in den drauffolgenden Gefechten, wurden gefangen genommen oder von der vorrückenden Front überrollt. Andere waren im Verlauf des Rückzugs in das Gebiet des Kernimperiums zurückgewichen…“
„Und hatten vermutlich keine Lust, in den Draned-Sektor zurückzukehren.“
Diese Bemerkung Ausons sorgte für sarkastisches Gelächter.
„Und dazu kamen die Separationsbewegungen. Nach unserem Wissen wurde mindestens ein Admiral in Absentia degradiert, weil er gemeinsame Sache mit einem der Aufrührer machte. Und ein anderer starb unter ungeklärten Umständen.“
„Also war Taran was…der einzige Admiral, der in dem Gebiet übrig war?“ fragte Auson.
Girad wiegte nachdenklich den Kopf: „Immerhin, er hat es offenbar geschafft, aus den Überresten der Beta-Borealis-Flotte und Garnisonsverbänden einen schlagkräftigen Verband zu formen. Und das im Verlauf von wenigen Monaten. Er hat seine Macht sehr schnell gesichert und ausgebaut.“
Chris Mithel zuckte mit den Schultern: „Ich kann ja glauben, dass der Junge Talent für die Stabsarbeit hat. Und politisches Geschick. Aber was ist mit seinen KOMMANDO-Fähigkeiten? Hat er jemals auf der Brücke eines Kriegsschiffs gestanden und es in der Schlacht geführt?“
Der Vertreter des NIC schüttelte den Kopf: „Nicht, soweit wir es wissen. Jedenfalls nicht im Kampf gegen terranische Verbände. Er absolvierte zwar einige Einsätze an Bord von Großkampfschiffen, aber immer nur für ein paar Monate, maximal ein halbes Jahr.“
Mithel winkte ab: „Karriereposten. Damit er die unbedingt notwendige Borddienstzeit vorweisen kann, um weiter befördert zu werden. Aber das waren ganz bestimmt keine echten Kampfposten.
Was haben wir also? Einen politischen Admiral, möglicherweise mit strategischem und administrativem Talent, doch ohne Kampferfahrung. Und so jemanden schicken sie in die Schlacht. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich als wenig initiativefreudig erweist. Und unter Druck leicht nachgibt. Seine…Planspiele im Stab dürften ihn kaum auf die Realität einer Raumschlacht vorbereitet haben.“
De Kerr wiegte den Kopf „Dieser ‚Bursche’ scheint sich immerhin auch auf T’rr ganz gut bewährt zu haben. Jedenfalls machen die Rebellen anscheinend keine Fortschritte. Die Kämpfe scheinen eher…abgeflaut zu haben.“
„Vielleicht hat er sich ja ihr Stillhalten erkauft.“
„Oder er weiß, wie man Prioritäten setzt. Auch wenn die T’rr und die Akarii sich schon seit über einhundert Jahren gegenseitig massakrieren, es dürfte ja wohl klar sein, wer eine größere Bedrohung für das Imperium ist. Und Lai Rian wird ganz bestimmt nicht beabsichtigen, uns ein Geschenk zu machen, indem sie diesen Mann schickt.“
Mithel zuckte mit den Schultern: „Möglicherweise hatte sie keine Wahl. Nachdem wir Jor weggeschossen haben, ist Tarans Stern vielleicht wieder im Steigen begriffen. Und es braucht Zeit, einen geeigneten Kommandeur zu finden und in den Draned-Sektor zu schicken. Und dort müsste er sich natürlich erst einmal durchsetzen, die Truppen auf sich einschwören… Vielleicht hatte sie Angst, dass Taran in einem solchen Fall die Seiten wechselt, mit den Separatisten gemeinsame Sache macht?
Gott, was für spätrömische Zustände…“
Auson grinste schief: „Warum spinnen Sie diesen Gedanken nicht weiter? Bei seiner Herkunft und seinen Verbindungen wundere ich mich direkt, dass er nicht auch noch Ambitionen auf den Thron meldet.“
Chris Mithel lachte jäh: „Vielleicht hofft er ja, dass seine Truppen ihn nach einem Sieg im Sterntorsystem zum Imperator ausrufen.“
De Kerr schnaubte: „Wenn Sie das amüsant finden…“
Mithel machte eine wegwerfende Handbewegung: „Diese Idee ist genauso gut wie die meisten anderen Vermutungen, die wir aufbauend auf dieser ziemlich dünnen Datenlage aufstellen können. Seien wir ehrlich – wir raten. Für ein fundiertes psychologisches Profil haben wir einfach zu wenig.“
„Sie sollten etwas mehr Vertrauen in unsere Analysten haben. Zu welchem Urteil kommt der Nachrichtendienst, Lieutenant Commander?“
Der NIC-Offizier räusperte sich kurz: „Es wird als wenig wahrscheinlich angesehen, dass der Admiral bei seinem Angriff alles auf eine Karte setzt. Seine bisherige Karriere, die Bedeutung, die sein Verband für die Sicherung des Draned-Sektors hat und das, was wir von seiner Arbeit im Flottenstab wissen, lässt eher darauf schließen, dass er sich einen Ausweg freihalten wird. Allerdings sollten Sie nicht davon ausgehen, dass dies bedeutet, dass Taran zu einer Verzettelung seiner Verbände neigt. Das Gegenteil ist wahrscheinlich.
Wuchtige Schläge gegen die Infra- und Produktionsstruktur des Systems sind zu erwarten.“
Konteradmiral Mithel zuckte mit den Schultern: „Das Profil könnte man für achtzig Prozent ALLER Akarii-Kommandeure verwenden. Wenn man von solchen Hasardeuren wie Jor, Ilis und diesem Idioten absieht, der den Karrashin-Verband kommandiert hat. Ich habe vergessen, wie sein Name war.“
„Taran ist – wie Sie sehr richtig bemerkt haben – jung, ehrgeizig aber auch recht…unkonventionell. Erwarten Sie nicht, dass er streng nach dem Handbuch vorgeht. Seine Loyalität gehört wahrscheinlich eher Idealen und Personen, als Institutionen – sein Verhalten gegenüber Jor hat das gezeigt. Auch wenn er offenbar dazu neigt, politische und militärische Entscheidungen reiflich zu überlegen, ist er in der Lage, unbequeme Entscheidungen zu treffen und dann auch zu ihnen zu stehen.“
Chris Mithel lachte jäh auf: „Gute Eigenschaften für einen Usurpator. Vielleicht sollte der TSN sich ja mal in die Spur begeben, und den Akarii vorgaukeln, dass unserer Senkrechtaufsteiger auf mehr spekuliert als eine Beförderung. Das würde doch zu den Schlapphüten passen.“ Das war eine von Mithels Schwächen – oder Stärken. Er machte selten ein Geheimnis aus seinen Überzeugungen. Und Antipathien.
De Kerr winkte ab: „Ein verlockender Gedanke, aber das überlassen wir mal lieber unseren Experten für schmutzige Tricks. Ich schlage jedenfalls vor, dass Sie sich das Gehörte zu Herzen nehmen. Ich weiß, dass es nicht viel ist – aber in dem was wir wissen kann sich der Schlüssel zu der Strategie und dem Verhalten unseres Gegners liegen. Es wäre dumm, diese Ressource nicht zu nutzen.“
„Ja, wenn wir uns nicht dadurch selber in die Irre führen.“ bemerkte Mithel: „Mir verrät der Anflugvektor der feindlichen Kreuzerverbände, die Positionierung der Trägerschiffe und die Zusammensetzung der Angriffsspitzen mehr, als dieses…Psychogewäsch.“
„Und das, nachdem Sie aus seiner Herkunft abzuleiten zu können glaubten, dass es sich bei Taran um einen politischen Admiral handelt, der seinen Aufstieg vor allem seinen Verbindungen verdankt?“ spöttelte Vanessa Girad.
Der ältere Offizier lächelte flüchtig: „Zugegeben. Aber ich hatte ja nicht vor, mein Leben auf diese Annahme zu setzen.“
De Kerr lächelte bitter, während sie an ihr reichlich unerfreuliches Gespräch mit den Repräsentanten von Masters erinnerte: „Auf die eine oder andere Art und Weise tun wir es doch. Irgendwie.
Ich überlasse es Ihnen, was Sie von dem Gehörten an ihre Untergebenen weitergeben. Es kann sicherlich nicht Schaden zu wissen, gegen wen wir antreten. Aber ich will auch keine falsche Siegesgewissheit, weil wir den Gegner unterschätzen. Gehen wir davon aus, dass sich der Gegner etwas dabei gedacht hat.“
Um Mithels Mundwinkel zuckte es: „Ich sagte es doch. Wir raten.“
„Ja. Das nennt man Krieg.“
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* mittelalterliche Vorstellung von dem ‚Wandern’ des weltlichen Herrschaftsanspruchs und –auftrags von den Griechen, über das Römische Imperium auf das Reich Karl des Großen usw.
** neuzeitliche Konstruktion eines „göttlichen“ Expansions-, Zivilisierungs- und Herrschaftsauftrags der Vereinigten Staaten von Amerika.
Cattaneo
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Sterntor-System
Platz war ein rares Gut an Bord eines Raumschiffs. Selbst wenn es sich um einen Flottenträger der PEGASUS-Klasse handelte. Es hatte seinen Grund, warum selbst Offiziere bis zum Lieutenant sich in der Regel ihr Quartier mit einem Kameraden teilen mussten und die Unteroffiziers- und Mannschaftsdienstgrade zu viert, zu sechst und bei einigen älteren Schiffen auch zu acht in einem recht knapp bemessenen Raum wohnten. Wären die Schiffe nicht für Langstreckeneinsätze konzipiert worden und hätte nicht selbst das Militär inzwischen zur Kenntnis genommen, dass man zumindest ein gewisses Maß an Bequemlichkeit bieten musste, um die Mannschaft einsatzbereit halten und genug junge Männer und Frauen für den Dienst in der Flotte begeistern zu können…vermutlich hätte sich die Mannschaft der COLUMBIA mit Massenquartieren, Fertigmahlzeiten und im Wechsel benutzten Kojen begnügen müssen, wie sie über Jahrhunderte hinweg für Kriegsschiffe üblich gewesen waren.
Dennoch blieb die räumliche Konzeption eines Kriegsschiffes eine knapp kalkulierte Sache, bei der der absolut unerlässliche Komfort gegen die Platz- und Energieanforderungen der Offensiv- und Defensiveigenschaften und die gewünschte Kompaktheit der fliegenden Kampfmaschine abgewogen wurde.
Aber zumindest in einer Hinsicht hatte man nicht gespart. Die an Bord befindlichen Einrichtungen zur Körperertüchtigung stellten das Angebot mancher Kleinstadt in den Schatten. Es gab mannschaftssporttaugliche Hallen, Krafträume und Dojos – nicht zu vergessen die großzügige Schießbahn, allgemein als Jarhead-Spielwiese bezeichnet.
Aber wenn es darum ging, die körperliche Leistungs- und Belastungsfähigkeit von Menschen zu erhalten, die über mehrere Monate an Bord dieses Schiffes eingesperrt blieben, dann wäre es töricht gewesen, an der falschen Stelle zu sparen.
Jetzt, da die COLUMBIA ‚vor Anker’ lag, war die Benutzung dieser Anlagen deutlich zurückgegangen. Zuerst, weil man das Schiff geräumt hatte und es auf Seafort und an Bord der gigantischen VICTORIA-Raumstation ohnehin ein weitaus breiteres Freizeitangebot gab. Und inzwischen, da die COLUMBIA wieder bemannt wurde…hatten die meisten gar nicht die Muße, um ihre Zeit für so etwas Triviales wie Sport zu vergeuden. Wenn selbst Essen und Schlafen oft zu kurz kamen…
Natürlich gab es Ausnahmen. Die Marines zum Beispiel, und der kleine Prozentsatz Fitness-Fanatiker, die sich den Aufenthalt in der Sporthalle oder an den Kraftmaschinen buchstäblich vom Mund absparten.
Im gewissen Sinne gehörte auch Kano dazu. Obwohl seine Kendo-Runde momentan weitestgehend ruhte und er auch beim Kampfsport notgedrungen Einschränkungen hatte vornehmen müssen, hin und wieder gelang es ihm doch, eine halbe oder dreiviertel Stunde zwischen seine zahlreichen Pflichten und Verantwortungen zu schieben.
Heute ging das auf Kosten seiner Nachtruhe. Er hatte sich extra einen Zeitpunkt ausgesucht, an dem hoffentlich auch ein Großteil der übrigen Mannschaften an der Matratze horchte, denn er wollte kein Publikum haben. Zwar erregten Kendo-Fechter inzwischen kaum noch besonderes Aufsehen – nicht mal, wenn sie das aggressivere, weniger formalisierte und mit mehr Körpereinsatz verbundene Neo-Kendo praktizierten. Aber die Übung, die ihm heute vorschwebten…
Doch als er den kleinen Dojo erreichte, musste er feststellen, dass er offenbar nicht der erste war, der diese fortgeschrittene Stunde für Kampfsportübungen nutzen wollte. Durch die geschlossene Tür hörte er deutlich das Geräusch schneller, wuchtiger Schläge oder Tritte. Wer sich da auch immer an einem Sandsack oder einem Sparringpartner abmühte, er (oder sie) hatte offenbar einiges abzuarbeiten. Kano lauschte kurz und musste ein Grinsen unterdrücken. ‚Kein Sparringpartner. Denn wenn der nicht aus Eisen ist, müssten ihm diese Treffer ein paar Rippen brechen.’
Allerdings war seine Erheiterung nur kurzlebig. Er hatte gehofft, ungestört sein zu können, doch anscheinend würde das ein Wunschtraum bleiben. Es sei denn…
Im Augenblick war die Schießhalle leer. Die Anlage war sowohl für Laser- als auch Feuerwaffen geeignet, auch wenn letztere in den regulären Streitkräften nicht mehr eingesetzt wurden. Auf jeden Fall war hier genug Platz. ‚Ich muss nur hoffen, dass niemand hier reinkommt. Und sich kaputtlacht.’ Dann schob Kano diesen Gedanken beiseite. Wenn er sich DARUM Gedanken machte, dann würde er ganz bestimmt nicht die erhoffte Konzentration und innere Ruhe finden.
Der blanke Boden fühlte sich merkwürdig unter seinen nackten Fußsohlen an, aber das war nur eine unbedeutende Irritation. Langsam, mit sorgfältigen, fast behutsamen Bewegungen wickelte Kano den länglichen Gegenstand aus, den er bisher eng am Körper getragen hatte.
Zum Vorschein kam ein langes, leicht gebogenes Kampfschwert. Ein Akarii-Dreeh.
Länger als ein Katana und mit einer längeren Spitze, aber genauso elegant und anmutig wie eine japanische Klinge. Kano wusste, dass es Leute gab, die Degen, Rapiere, Säbel oder gar die Nachbauten mittelalterlicher Schwerter bevorzugten. Aber für ihn gab es nichts, was mit der Führung eines Katanas – oder eines Dreeh – zu vergleichen war. DAS war die Krönung der Kampfkunst. Das war die Essenz des Schwertkampfes.
Die eine Hand am Griff der Waffe, die andere an ihrer Scheide, ließ er die Waffe langsam sinken, während er die Augen schloss und sich sein Atem beruhigte. Ein paar Sekunden – fünf, zehn, vielleicht fünfzehn - stand er einfach nur da. Ohne sich zu regen, fast ohne Lebenszeichen, wenn man von den langsamen und flachen Atemzügen absah.
Nichts durfte jetzt noch eine Rolle spielen – nicht die unangenehm kalte Luft in der nur schwach geheizten Halle, nicht der unvertraute Boden. Nicht die Pflichten, die auf ihn warteten. Nicht die Befürchtungen, Ängste und Sehnsüchte, die ihm manchmal den Schlaf raubten. Und auch nicht die Erinnerung daran, dass er mit dieser Waffe zwei Menschen getötet hatte.
Die Klinge zischte aus der Schneide, während Kanos Körper sich um die eigene Achse drehte und sich zu einer leicht nach vorne gebeugten Kampfhaltung duckte. Der erste, diagonale Hieb, der einem Gegner den Leib von der Hüfte bis zur Schulter aufschlitzen sollte, verwandelte sich in einen waagerechten Schnitt in Kehlhöhe. Die Klinge wurde über die rechte Schulter zurückgezogen, um in einem abwärts gerichteten Stich nach vorne zu schnellen, der von einer Parade abgelöst wurde. Und so ging es weiter.
Mit geschlossenen Augen absolvierte der junge Pilot eine verwirrende Abfolge von Paraden, Ausweich- und Ausfallschritten, Hieben und Stichen, die mal ein- und mal zweihändig ausgeführt wurden.
Anfangs hatte ihm die Handhabung des Dreehs Schwierigkeiten bereitet. Nach jener…ersten Nacht, als er die Waffe bei einem ECHTEN Kampf mit einer Sicherheit, Schnelligkeit und Brutalität gehandhabt hatte, die ihn immer noch ein wenig erschreckte, hatte es lange gedauert, bis er es gewagt hatte, das Dreeh wieder aus der Scheide zu ziehen.
Natürlich war das Unsinn – er hatte diese Männer getötet und nicht das Schwert. Aber dieses Wissen hatte nichts an der Beklemmung ändern können, die er jedes mal verspürte, wenn er die Waffe ansah, die täuschend dekorativ an der Wand seiner Kabine hing. Auch wenn er das Blut abgewaschen hatte, das Klinge und Heft gerötet hatte, die Erinnerung daran ließ sich nicht so einfach entfernen. ‚Wie hieß es doch? Nicht alles Wasser des Meeres könnte…’
Aber irgendwann hatte er diese Scheu dann überwunden. Danach hatte es noch einige Zeit gedauert, bis es ihm gelungen war, seinen Kampfstil der neuen Waffe anzupassen. Das Dreeh war weder ein Katana noch ein No-Dachi. Von den Kampfstilen der Akarii wusste er beschämend wenig – kaum mehr, als dass die Akarii einen sehr schnellen und aggressiven Kampfstil bevorzugten. Ein ‚echter’ Dreeh-Kämpfer hätte über ‚japanisierte’ Form der Klingenführung vermutlich den Kopf geschüttelt. Oder gelacht. ‚Vielleicht wäre das aber auch sein letztes Lachen…’
Dieser Gedanke ließ Kano fast lächeln, und mit einem schattenhaften Gefühl des Verdrusses fühlte er, wie seine Konzentration zerbrach. Es wäre vermutlich nur einem erfahrenen Beobachter aufgefallen, aber seinem nächsten Schritt, dem nächsten Block fehlte der Rhythmus. Es war nicht nur der ablenkende Gedanke gewesen. Da war auch noch…
Kano vollendete die Körperdrehung, legte auch die linke Hand an den Griff des Drehs, senkte die Klinge in Richtung Boden und hielt inne.
Langsam atmete er aus und öffnete die Augen, eher über sich selbst verärgert als über die Störung. Eigentlich hätte er es bemerken müssen…: „Wie lange sind Sie schon hier?“
Die Antwort war ein leises Auflachen und die Standartantwort: „Lange genug. Ich gebe Ihnen acht Punkte. Der Schluss schien irgendwie nicht mehr ganz rund.“
‚Das hast du also bemerkt. Ich sollte dich nicht unterschätzen.’ „Vielen Dank, Lieutenant Agyris. Ich weiß Ihr Urteil zu schätzen.“
Maria ‚Huntress’ Agyris lehnte mit entspannter und gleichzeitig irgendwie provozierend wirkender Lässigkeit an einem der Tische, auf denen die Schützen ihre Waffen ablegen konnten. Im Gegensatz zu Kano, der Kampfsportkleidung trug, war ihr Outfit wesentlich knapper und körperbetonter gehalten – ein enges Sporttop und Shorts, die wirklich wenig der Fantasie überließen. In dem kalten Licht der Sportanlage glänzten einige Schweißtropfen auf ihrer Haut, während ihre grünen Augen amüsiert funkelten.
„Und was treibt Sie zu dieser Zeit in diese Ebene des Schiffs?“
„Nicht das, was Sie vielleicht denken.“
„Und wie haben Sie mich eigentlich gefunden?“
„Die meisten vergessen, dass unsere Handgelenkkomms eine Peilfunktion haben.“
Kano musterte seine komplizierte Untergebene kurz. ‚Jedenfalls bist du nicht nur wegen mir hier. So wichtig bin ich nicht. Schließlich bin ich nur dein Vorgesetzter.’ „Sie waren das in dem Dojo. Ich habe Ihre Akte gelesen. Sie sind eine ziemlich gute Kickboxerin.“
„Die meisten tippen ja eher auf Freistilringen. Ich weiß nicht, warum. Aber wo kann man schon einem Kerl in die Fresse treten, und das auch noch Sport nennen?“
‚Und das glaube ich dir aufs Wort.’ „Sollten Sie nicht lieber schlafen? Ihr nächster Einsatz startet in sechs Stunden.“
„Sollte ich das? Was ist mit Ihnen? IHR Flug ist in vier Stunden.“
„Das Privileg des höheren Rangs. Stand Ihnen der Sinn nur nach ein wenig Plauderei, oder wollen Sie etwas Bestimmtes von mir?“
Es zuckte kurz um Agyris Mundwinkel: „Jedenfalls nicht das, was Sie sich vielleicht erhoffen. Aber da Sie schon so direkt fragen…Ich will meine eigene Sektion.“
„Und das ist alles?“
„Vorerst. Natürlich auch meine eigene Staffel und mein eigenes Geschwader, aber das liegt nicht in Ihrer Macht. Also beschränken wir uns vielleicht darauf, WAS Sie mir geben können.“
„Ich habe bereits zwei Sektionskommandeure.“
„Ach hören Sie doch auf. Sie wissen, dass meine Leistungen besser als die von La Reine sind. Und ich bin mindestens genauso gut wie Crusader.“
Kano wusste, dass Huntress nicht ganz Unrecht hatte. In einigen Parametern überflügelte sie La Reine tatsächlich, und trotz ihrer kürzeren Karriere hätte sie auch für Crusader einen ernsthaften Konkurrenten abgeben können. ‚Oder auch für mich – wenn man von den Abschüssen absieht.’
„Beide haben deutlich mehr Akariis abgeschossen als Sie. Und sind auch schon länger dabei.“
„Seit wann sagt DAS denn etwas darüber aus, ob jemand als Kommandant geeignet ist? Meine Beförderung zum First Lieutenant habe ich jedenfalls schneller bekommen, als die beiden.“ Die unausgesprochenen Worte ‚Und auch schneller als Sie…’ schwangen in dem letzten Satz mit.
„Erstaunlich, bei Ihrer Begabung für zwischenmenschliche Kommunikation. Sie stoßen die Leute zu schnell vor den Kopf.“
„Natürlich ganz im Gegenteil zu Ihnen, der Sie ein Ausbund aus Offenheit und Charme sind….“, Kano musste ein kurzes Grinsen unterdrücken, während Agyris fortfuhr, „…und wenn es danach gehen würde, dann hättet ihr ein paar Helden eures Geschwaders aber hochkant rausschmeißen müssen, ihr Superflieger.“
Kano konnte sich so ungefähr vorstellen, auf wen diese Beschreibung zutraf: „Nehmen Sie die lieber als Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Und was erwarten Sie eigentlich von mir? Sie können doch nicht ernstlich glauben, dass ich so einfach einen meiner Sektionsführer zurückstufe, um Ihnen Ihren Wunschposten freizumachen. Und das alles nur, weil Sie es gerne so hätten?“
Die Pilotin musterte Kano mit einem seltsamen Lächeln. Fast ein wenig lauernd. Ihre Stimme war leise, fast nur ein Flüstern, während sie einen Schritt auf ihn zumachte: „Unter keinen Umständen…?“
Kano blinzelte verwirrt und presste dann verärgert die Lippen zusammen: „Hören Sie mit diesen Spielchen auf. Das würden Sie niemals tun. Dafür sind Sie zu stolz. So sind Sie einfach nicht. Ich weiß das, Sie wissen es – und Sie wissen auch, dass ich es weiß.“
Es zuckte kurz um Agyris Lippen. Dann blinzelte sie mit glaubwürdig gespielter Unschuld: „Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon Sie reden.“
„Oh, ich denke doch. Sie wissen nämlich außerdem, dass ich Ihre Akte gelesen habe. Und einige Ihrer früheren Kameraden und Vorgesetzen waren…ziemlich eindeutig in ihrem Urteil. Was aber nicht heißt, dass sie Recht hatten.“
„Danke schön. Glaube ich. Sie sind nicht wirklich der erste Typ, der zu wissen glaubt, wie ich ticke. Aber meistens waren die in ihrer Einschätzung nicht so freundlich.“
Kano zuckte mit den Schultern: „Es war nicht meine Absicht, freundlich zu sein.“
„Eben.“
Langsam kam er sich mit dem Schwert in der Hand ein wenig dämlich vor. Aber er würde es jedenfalls nicht einfach auf den Boden legen oder gar wie eine Krücke an die Wand lehnen: „Aber um auf Ihr…Anliegen zurückzukommen. Sollte einer der anderen Sektionschefs versetzt werden, dann stehen Sie ziemlich an der Spitze der Anwärterliste. Solange Sie es nicht schaffen, sich dabei selber im Weg stehen. Aber das müssen Sie doch schon gewusst haben.“
Immer noch spielte um Maria Agyris Lippen dieses besondere Lächeln, das vermutlich schon mehr als einen Mann in den Bann gezogen hatte – und aus dem er nicht schlau wurde: „Bei Ihnen? Bei Ihnen bin ich mir ganz und gar nicht sicher. Sir.“
„Danke schön. Glaube ich.“
Jetzt lachte sie offen. „Also wenn Crusader oder La Reine versetzt werden, ist das meine Chance. Und was ist, wenn Sie aus…anderen Gründen ausfallen?“
Kanos Miene versteinerte: „Darüber sollten Sie nicht einmal nachdenken.“
„Aber so ist der Krieg, habe ich mir sagen lassen. Wissen Sie, dass die englische Navy dafür einen ganz speziellen Trinkspruch hatte? ‚Auf einen blutigen Krieg oder eine Saison voller Krankheiten.’“
„Darüber macht man keine Witze.“
„Warum nicht? Sie sind doch nicht etwa abergläubisch? Ob wir leben und sterben, hängt nicht davon ab, ob wir darüber reden.“
„Ihre Kameraden könnten eine weniger philosophische Einstellung gegenüber solchen Spekulationen und…Witzen haben. Sie wollen ihr Verhältnis zu den anderen Piloten der Staffel sicherlich nicht auf dieser Basis aufbauen.“
„Ich sehe hier keine Piloten. Außer uns beiden natürlich. Und ich nehme mal an, Sie werden mich nicht verpetzen.“
Kano winkte ab. Manche mochten diesen Schlagabtausch genießen, aber er war ganz einfach müde: „Nehmen Sie von mir aus an, was Sie wollen.“
Huntress beobachte schweigend, wie er die Schwertscheide aufhob, die Klinge in der Scheide barg und die Waffe dann in eine Stoffbahn wickelte.
„Sie wollen nicht, dass jemand sieht, wie sie mit dieser Klinge trainieren. Warum eigentlich nicht? So schlecht sind Sie nun wieder auch nicht.“
Kano zuckte mit den Schultern: „Ich bin mir nicht sicher, ob der Umgang mit solchen Waffen so gerne gesehen wird.“
„Warum nicht? Jeder Pilot hat schließlich eine verdammte LASERPISTOLE bei sich. Im Vergleich dazu ist ein Schwert so harmlos wie eine Käsereibe. Außerdem…die Marines machen doch auch dauernd mit ihren Klingen rum.“ Die Geste, die Agyris dabei machte, war ebenso eindeutig wie obszön. „Jarheads. Egal. Ob Schwert oder Kampfdolch – nutzlos ist das eine genauso wie das andere. Als ob es noch eine Rolle spielt…
Haben Sie schon mal davon gehört, dass jemand der einen Laser hat von jemandem mit einer KLINGE besiegt worden wäre?“
‚Du hast ja keine Ahnung…’ Kano musste sich Mühe geben, seine Miene ausdruckslos zu halten. Er hatte so etwas ERLEBT. Er selber war der Mann mit der Klinge und irgendein namenloser Schläger der Mann mit der Laserpistole gewesen. Der Typ hatte die Gefahr, die von einem Schwert ausgehen konnte, völlig unterschätzt. Das hatte ihm seine Waffe und sein Leben gekostet. Kano dachte nicht gerne daran zurück: „Wenn ich in aller Öffentlichkeit mit einer echten Waffe übern würde, könnte irgendein Dummkopf auf die Idee kommen, es ebenfalls zu versuchen. Und wenn er sich dann verletzen würde, wäre das meine Schuld.“
„Sie haben eine ziemliche hohe Meinung von Ihren Fähigkeiten.“
Kano lächelte frostig. Es war nicht mehr als das kurze Verziehen der Lippen, das die Augen nicht erreichte: „Sie sollten sich in dieser Beschreibung wieder finden. Und ansonsten…ich bin nicht der beste Offizier und vielleicht auch nicht der beste Pilot in diesem Geschwader. Obwohl man das wohl erst noch wird herausfinden müssen. Es gibt unter den Marines und wahrscheinlich auch den Piloten eine Reihe von Männern, die bessere Kampfsportler sind. Aber niemand – niemand – an Bord dieses Schiffes kann es mit mir im Schwertkampf aufnehmen.“
„Sind Sie der Meinung, deshalb stolz sein zu können?“
„Das ist keine Frage des Stolzes, sondern eine Tatsache. Eine Frage des Trainings, der Konzentration. Eine Frage von Jahren. Ich habe angefangen zu fechten, als ich kaum größer war als diese Waffe hier. Niemand sonst an Bord hat den Umgang mit der Klinge so zu einem Teil seines Lebens gemacht.“
„Weil diese Fähigkeit heutzutage nicht mehr viel wert ist. Sondern genauso antiquiert wie…sagen wir mal die Feuersteinbearbeitung.“
Kurz zuckte es um Kanos Lippen: „Was täte ich wohl ohne solche wertvollen Einsichten? Eine Klinge zu führen ist mehr als die Fähigkeit, einen Mann zu töten.“ ‚Auch wenn das manchmal ebenso notwendig wie nützlich sein kann.’ „Den Schwertkampf darauf zu reduzieren wäre nicht nur falsch, sondern auch dumm. Es geht nicht nur darum, kämpfen und töten zu können. Es geht auch nicht nur um die Hand-Augen-Koordination, um Kondition, schnelle Reflexe und Körperbeherrschung. Es geht um Selbstbeherrschung und Selbstkontrolle. Es geht um Verantwortung. Um die Fähigkeit, mit der Klinge eins zu werden.“
„An dieser Stelle klinke ich mich aus, Sensei. Ihr Japaner…Sind Sie sich eigentlich klar darüber, wie viele Klischees Sie damit bedienen.“
Kano überraschte sie, indem er flüchtig lächelte: „Noch einmal – Sie sollten sich in dieser Beschreibung wiederfinden. Wir alle spielen unsere eigene Rolle. Und wenn wir Glück haben, dann können wir sie auch ausfüllen und mit uns selber einig sein.“
„Sind Sie nicht noch ein wenig jung für solche Weisheiten? Müssten Sie sich dazu nicht auf einen hohen Berg zurückziehen und so…“
Kano registrierte, dass sie wieder bei dem gewohnten Schlagabtausch angelangt waren und ermahnte sich, nicht zu viel Spaß daran zu haben. Wenn Agyris ein Mann gewesen wäre…
Aber das war sie nun einmal eindeutig und unübersehbar nicht. Und bei ihrem Ruf – ob er nun berechtigt war oder nicht – war es allemal das Beste, einen gewissen Abstand zu halten: „Falls Sie keine weiteren konstruktiven Vorschläge haben…“
„Nun wenn Sie schon fragen…“
„…würde ich vorschlagen, Sie versuchen noch ein paar Stunden zu schlafen. Sollten die Akariis doch noch ins System springen, müssen Sie ausgeruht sein. Und ich auch. Also gute Nacht.“
Und mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen. Allzu weit kam er allerdings nicht, bevor ihn ihre herausfordernde Stimme innehalten ließ: „Ich mache Sie nervös, kann das sein?“
Der Japaner zuckte mit den Schultern: „Wenn Sie das glauben wollen, mich und sechzig Prozent der Besatzung. Also warum suchen Sie sich kein einfacheres Ziel und lassen mich meine Arbeit tun?“
Und mit diesen Worten ging er endgültig. Deshalb hörte er auch nicht mehr Agyris halblaute Antwort, die allerdings nicht für seine Ohren bestimmt war: „Du hast dir deine Frage selber beantwortet, mein Samurai.“ Dann lachte sie kurz und winkte ab. Eigentlich war Kano nicht unbedingt nach ihrem Geschmack – etwas zu kleingewachsen und viel zu ernst. Aber die Art und Weise, wie er ihre eher halbernsten Avancen abblockte, reizte sie andererseits, ab und zu einen neuen Vorstoß zu unternehmen.
Andererseits war er trotz seines enervierenden Pflichtbewusstseins, seinen gnadenlosen Drillmethoden und der unterschwelligen Angry-Angels-Arroganz ein relativ unkomplizierter Vorgesetzter. Solange Sie ihre Pflicht tat, gab Kano wenig auf den Bordklatsch. UND er hatte sich bei dieser Geschichte mit ihrem Callsign auf ihre Seite geschlagen. ‚Vielleicht sollte ich das lieber nicht aufs Spiel setzen, weil ich die Herausforderung liebe.’ Es gab schließlich genug andere Ziele.
Egal. Alles in allem konnte sie zufrieden sein. Eine gute Session am Sandsack und ein Schlagabtausch mit ihrem Vorgesetzten. Es gab noch eine angenehmere Art, seine Freizeit auszufüllen, aber für heute reichte es erst mal. ‚Und was meine Beförderung angeht…Der Krieg wird eine Gelegenheit schaffen. So oder so. Und jemand mit meinen Fähigkeiten und meiner Herkunft wird sie zu nutzen verstehen.’
Cattaneo
Cunningham
TRS Columbia
Äußere Werftanlagen Victoria Station
Sterntor, FRT
27. Juni 2637, 11:32 Flottenzeit
„Ma’am, melde TRS Columbia klar zum Auslaufen.“, meldete Captain Ahn Ho-Yun formell.
Mit einem inneren Schmunzeln nahm Vanessa Girad dies zur Kenntnis und antwortete ebenso formell: „Vielen Dank, Captain, dann bringen Sie uns bitte raus aus dem Dock, unsere Einsatzgruppe wartet.“
Die beiden Offiziere waren auf der völlig restaurierten Brücke. Diese war nach den neuesten Maßstäben der Flotte wieder aufgebaut worden und unterschied sich um Welten von den altmodischen Konsolen, welche auf Girads altem Flaggschiff, der TRS Pegasus, die Brücke dominiert hatten. Und das obwohl die Pegasus im Laufe ihrer Dienstzeit mindestens zweimal runderneuert und mit modernsten Upgrades versehen worden war.
„Aye-Aye, Ma’am.“, Ahn drehte sich von dem Kartentisch zum vorderen Teil der Brücke um, „Vordere Manöverdüsen fünfzehn Prozent!“
„Vordere Manöverdüsen fünfzehn Prozent, aye, Captain!“
„Backbord- und Steuerbordmanöverdüsen für Schwebezustand austarieren!“
Wieder bestätigte der Rudergänger, ein altgedienter Master Chief Petty Officer, die Order. Trotz Fachkräftemangel in allen Bereichen achtete die Navy immer noch darauf, dass ihr Stolz nur von den fähigsten Rudergängern gesteuert wurde, die sie aufbieten konnte.
Die Offiziere der kleineren Flotteneinheiten sahen das als pure Verschwendung von Talent, da gerade die Flottenträger weit weniger gefährliche Manöver als Fregatten, Zerstörer oder gar Kreuzer fahren mussten.
„Schwebezustand eingeleitet, Ma’am.“
„Dockschläuche freigeben und einfahren lassen!“
„Dockschläuche freigegeben…werden eingefahren, Ma’am.“
Das Trockendock zog die riesigen Zugangsröhren von den Luftschleusen der Columbia ab.
Der Signaloffizier meldete sich zu Wort: „Werft meldet, Dockschläuche eingefahren und gesichert, Wert klar zum Verankerung lösen.“
Ahn nickte abwesend und betrachtete einen der Deckenmonitore, der ein Innenbild der Werft wiedergab: „Verankerung vorn und achtern lösen!“
„Verankerung vorn und achtern gelöst, Ankerkabel werden eingezogen.“
„Ankerkabel von Werft eingezogen und gesichert, Captain.“
„Verankerung mittschiffs lösen!“
„Verankerung mittschiffs gelöst, Ankerkabel werden eingezogen, Ma’am.“
„Verankerung vollständig gelöst, Schiff im Schwebezustand, Geschwindigkeit zur Werft relativ null, Captain.“, meldete der Rudergänger.
„Ausgezeichnet, Herrschaften.“, lobte Ahn kurz ihre Mannschaft. Eigentlich hätte dieses ganze Manöver einer ihrer Offiziere durchführen können, doch das erste Mal, da wollte sie ihr Schiff aus der Werft rausbringen.
„Mr. Wilson,“, sprach sie erneut den Rudergänger an, „Schub auf vordere Manöverdüsen, Geschwindigkeit auf 20 km/h relativ zum Dock!“
„Geschwindigkeit erhöhen auf 20 km/h, relativ zum Dock, Aye-Aye, Captain.“
Erst langsam, dann immer schneller setzte sich der zweiundsiebzigtausend Tonnen schwere Flottenträger in Bewegung. Noch immer wurde an der Columbia gearbeitet, Techniker und Ingenieure legten auf vielen Decks noch Hand an. Kabel wurden verlegt, Kabinen neu eingerichtet, Schotten wurden ersetzt und vieles mehr.
Es war nur der modernen Modularbauweise zu verdanken, dass die Columbia in weniger als drei Monaten wieder die Werft verlassen konnte.
Dennoch gab es immer noch viel zu tun, sodass noch über achtzig zivile Techniker an Bord waren. Demgegenüber stand ein Defizit von fast achthundert Mann Besatzung, die fehlten.
„Rudergänger an Captain: Schiff frei vom Dock!“
„Ausgezeichnet, Mr. Wilson. Wende Steuerbord, Kurs drei-null-eins. Signaloffizier, melden Sie der Blücher, dass wir längsseits kommen zum Aufmunitionieren unserer Magazine.“
Ihre Befehle wurden Bestätigt.
Geschwaderbereitstellungsräume
127. Fighter Wing (Angry Angels),
Victoria Station, Sterntor, 12:00 Uhr Flottenzeit
„Jetzt, da wir alle versammelt sind,“, begann Raven, als Lucas als letzter den Besprechungsraum für die Staffelführer betrat, „kann ich Ihnen ja die frohe Kunde mitteilen: Wir kehren nach Hause zurück.“
Sie blickte kurz in die Runde. Alle ihre Kommandanten, einschließlich Ivan Arrosew von der Versorgungsschwadron, trugen ihre Flightsuits.
Cunningham hatte als einziger einen veralteten Pilotenhelm letzter Generation unter dem Arm. Die Helme waren ansonsten wie auch die Flightsiuts des Geschwaders nagelneu, aber während des ausgedehnten Urlaubs hatten die meisten Piloten schon Zeit gefunden, ihre Helme individuell zu gestallten.
Sie selbst hatte zwar die weiße Standardfarbe beibehalten, aber rechts auf der Stirn waren die beiden gekreuzten Raketen, das Zeichen der Harpooners, und links ein kreischender Rabe.
Irons hatte ihren in royal Blau färben lassen mit goldenen Highlights, während Lone Wolf den obligatorischen Wolfskopf auf seinem Helm hatte und Kano die Aufgehende Sonne des alten imperialen Japans stilisiert hatte.
Auf den Gesichtern ihrer Offiziere erschien ein Lächeln, und selbst Cunningham schien die kameradschaftlichen Gefühle für die Columbia zu teilen.
„Die alte Lady ist noch etwas angeschlagen. Dodson teilte mit, dass Kat 4 beim Probeschuss den Stabilisator des Schlittens verloren hat. Der Schlitten muss jetzt neu installiert werden, der genaue Fehler muss noch gefunden werden, damit das nicht nochmal passiert. Kat 4 ist also erst mal offline. Als nächstes wurde ich informiert, dass das ATLS noch nicht vollständig installiert ist. Die Software macht Probleme. Dies wird als eine manuelle Landung.“
Es waren einige lange Gesichter zu sehen.
„So, das waren die guten Nachrichten, was ist mit den schlechten?“ witzelte Razor und hatte dafür die Lacher auf seiner Seite.
„Die Columbia ist ansonsten noch nicht ganz fertig und wir haben noch eine ganze Reihe ziviler Techniker an Bord. Aber sei es, wie es sei.“, Raven blickte nochmal in die Runde, „Lilja: Die grüne Staffel wird als erste CAP dienen. Lone Wolf: Staffel Rot übernimmt Alarmstart fünf und fünfzehn, jeweils Standard-Aufstellung. Ab sofort gilt Alarmstufe Zwei, das sollte uns etwas Erholung geben. Wir starten in dreißig Minuten: Irons, Deine Bomber als erstes, dann sind Eure dicken Hintern aus dem Weg, wenn es heiß her geht. Ivan: Ihre Tanker müssen vor der Landung die grünen mit Sprit versorgen, ein SWACS wird als vorgeschobener Raumüberwacher eingesetzt.“
Die Befehle wurden von den verschiedenen Staffelführern bestätigt.
Zufrieden entließ Raven ihre Leute und kümmerte sich dann um ihre eigene Staffel. Trotz der neuen Gesichter hatten sich die Harpooneers zu einer verschworenen Gemeinschaft entwickelt, in der ein überwiegend kameradschaftliches und gutes Arbeitsverhältnis herrschte.
Und trotz anfänglicher Schwierigkeiten hatten sich selbst Knock-Out und Zombie als gute Ergänzung der Staffel gezeigt, der eine – Zombie – mehr, der andere – Knock-Out – weniger. Doch über die fliegerischen Leistungen ließ sich nicht meckern, und die Staffel war auf dem besten Weg wieder auf den Bereitschaftsstatus von vor Karrashin zu kommen.
Allgemein war das Geschwader wieder am Wachsen. Rot und Schwarz konkurrierten miteinander ebenso wie Grün und Blau. Mit Lone Wolf und Lilja war es auffallend, dass gerade die rangälteren Staffelführer sehr verbissen an die Sache herangingen.
Was bei den beiden Charakteren nicht verwunderlich sein durfte, dennoch ins Auge fiel.
Raven hoffte inständig, dass sowohl Ace als auch Kano daran wuchsen, das Richtige aus dieser Lektion mitnahmen und nicht die falschen Schlüsse zogen. Vielleicht musste sie auch in dieser Hinsicht ein Auge auf Lone Wolf haben, aber das würde warten müssen, bis die aktuelle Situation sich gelöst hatte. Wie auch immer das auch sein würde.
TRS Columbia
Sterntor, FRT
27. Juni 2637, 13:09 Flottenzeit
„Bestückung beendet, Verankerung zum Versorger gelöst, Schiff klar zum freien Manöver, Captain.“
Ahn Ho-Yun nickte bei der Meldung ihres ersten Offiziers einmal: „In Ordnung, Mr. Long, bringen Sie uns aus der Ekliptik von Seafort und signalisieren Sie dem Begleitgeschwader, es soll uns bei eins komme acht zwo null treffen. Und bereiten Sie das Schiff auf den Waffentest vor, den Admiral de Kerr angeordnet hat.“
„Aye-Aye, Captain!“
Der Monitor, auf dem das Abbild ihres XO zu sehen war, erlosch. Kurz darauf übertrugen die Deckenlautsprecher der CIC die Befehle, die auf der Brücke erteilt wurden.
Anhand des Kartentisches konnte Ahn sehen, wie der Flottenträger den Versorger hinter sich ließ und aus dem Schatten des Planeten herauskam.
Dann ertönten die Sirenen und Longs professionelle Stimme wurde schiffsweit übertragen: „Gefechtsstation! Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtsstation!“
Während der Bestückung der Columbia war Vanessa Girad in die CIC gewechselt, und Ahn Ho-Yun war ihr gefolgt. Das Leitzentrum des Flottenträgers war weitaus besser gesichert als die Brücke, und hätten sich bei Karrashin Admiral und Captain hier befunden, wären beide noch am Leben.
Ein interessanter Gedanke, wie Girad fand. Der Tod dieser zwei Offiziere hatte ihr und ihrem Captain die Chance gegeben weiter zu kommen, was die Karriere anging.
Bei ihr um genau zu sagen dafür gesorgt, dass es überhaupt so etwas wie eine Karriere gab.
Während um sie herum Leute zu ihren Stationen hasteten und Gefechsstationen besetzt wurden, sann die Admiralin darüber nach, was sie über die beiden toten Offizierskolegen wusste.
Nach allem was sie gehört und gelesen hatte, waren beide mehr als kompetente Offiziere und Kommandeure, deren Tod als schwerer Verlust für die TSN gelten musste.
Aber der Tod des einen war nunmal Chance des anderen.
Die Displays über dem Kartetisch signalisierten eines nach dem anderen Bereitschaft. Raketenwerfer, Flugdeck, Maschinenraum, Laserartillerie und immer so weiter, bis die gesamte Besatzung auf ihren Stationen war, die Druckschotten geschlossen und luftdicht versiegelt waren.
In der CIC wechselte die Beleuchtung von taghell auf blau.
„Alles Stationen klar zum Gefecht! General Quarters bestätigt!“
„Verstanden!“ Bestätigte Ahn: „Zieldrohnen aussetzen und mit dem Geschütztest beginnen!“
„Aye-Aye, Captain!“
Die Beschussübung dauerte fast eine halbe Stunde und jede Bordwaffe des Trägers wurde einmal abgefeuert.
Die beiden Frauen standen nebeneinander am Kartentisch und beobachteten auf den eingespielten Bildschirmen genau das Manöver.
Ahn machte sich dabei Notizen und nahm immer wieder die Zeit mit einer Stoppuhr.
„Zufrieden, Captain?“
„Nicht im geringsten, Ma’am, die Zeit zum Bemannen der Gefechtsstation war erbärmlich. Die Geschützgenauigkeit ebenfalls.“
„Immer ruhig Blut, Ho-Yun, die Besatzung ist nur zu drei Viertel an Bord und die zivilen Techniker sind nicht im geringsten trainiert.“
„Natürlich, Admiral, aber wenn die Akarii durch einen der Sprungpunkte kommen, ist für Fehler und schlechte Leistung kein Spielraum mehr.“
Girad klopfte der kleinen Asiatin auf die Schulter: „Sehen Sie zu, wie sie die Crew auf Fordermann bringen. Das wird schon werden.“
„Darauf können Sie sich verlassen, Ma’am.“
„Einkommendes Geschwader, Captain.“, meldete der Wachhabende Sensorgast, „Identifikation, es sind die Angry Angels. Das Bordgeschwader kommt nach Hause.“
„In Ordnung,“, Ahn nahm das Sprechgerät zur Hand, „Flugdeck auf Manöverstation! Schiff klar zum Aufnehmen von Jägern!“
„Aye-Aye, Captain!“
Sterntor
27. Juni 2637, 13:46 Flottenzeit
In enger Formation drehte die rote Schwadron auf die Columbia ein.
„Spirit eins-null-neun, von Harponeer drei-null-null, sind Sie da Lone Wolf?“
„Roger, Harponeer, ich verstehe Sie laut und deutlich, Raven.“
„Gut, ausgezeichnet“, antwortete die CAG, „ein Teil der Rawhides sind schon gelandet. Laut Arossew ist der Traktorstrahler einsatzbereit, aber auch etwas rucklig.
Bringen Sie ihre Schwadron runter, damit sie Alarmstart besetzen können.“
„Harponeer drei-null-null, Spirit eins-null-neun, verstanden, wir leiten Landevorgang ein.“, Lucas wechselte auf die Wachfrequenz der Columbia.
„Watchtower, Sprit eins-null-neun, rote Schwadron bereitet die Landung vor. Erbitten Leitstrahl.“
„Spirit eins-null-neun, Watchtower, Flugdeck bereit zur Landung. Alle Systeme auf grün. Fliegen Sie von Sektor grün drei an.“
„Watchtower, Sprit eins-null-neun, verstanden, beginne Landeanflug.“
„Mantis von Lone Wolf, wir sind die Ersten die landen, Sie machen den Hirtenhund und achten Sie darauf, wie sich unsere Schäfchen machen.“
Mantis grunzte bestätigend: „Schäfchen…das ist gut, vom Wolf.“
„Spirit eins-null-neun, Watchtower, nähern Sie sich mit zwanzig km/s, steigen sie um drei Grad.“
Lucas bestätigte mit zweimaligen Klicken des Mikrophons.
Er drosselte seine Triebwerke und korrigierte den Steigwinkel.
Auf dem HUD wurde der Gleitpfad eingeblendet. Noch zweimal musste er den Anflugwinkel leicht anpassen.
Der zweiundsiebzigtausend Tonnen schwere Flottenträger wurde größer und größer. All seine Pracht schien trotz der noch in Reparatur befindlichen Schäden nicht gelitten zu haben.
Schließlich erfasste ihn der Traktorstrahl. Ein leichter Ruck ging durch die Nighthawk.
Schon bei der ersten Berührung durch den Strahl konnte Lucas erahnen, dass etwas nicht stimmte. Über hunderttausend Flugstunden und fast zweitausend fehlerfreie Landungen auf Trägerschiffen gaben ihm die Erfahrung und das Gefühl für derartige Situation.
„Traktorstrahl bricht zusammen!“ brüllte eine Stimme über Funk.
Lucas identifizierte ihn als einen der altgedienten LSO’s der Columbia.
„Abbrechen! Landung abbrechen!“
Die Sensoren schlugen an und der Annäherungsalarm fiepte. Der Traktorstrahl brach zusammen und die Nighthawk schlingerte unkontrolliert dem Träger entgegen. Die sich im Leerlauf befindliche Düse zu zünden konnte jetzt fatale Folgen haben.
„Triebwerk durchstarten!“ brüllte jemand.
„Aussteigen! Aussteigen!“
Der Überlegenheitsjäger war eigentlich bereit zur Landung: Maschinen gedrosselt, Fahrwerk ausgefahren, Waffen gesichert. Der Annäherungsalarm jaulte wie verrückt.
Jetzt auszusteigen konnte ihn retten. Vielleicht. Aber die Nighthawk würde ins Heck der Columbia stürzen.
Die Geschütze waren nicht bemannt, sonst hätte man ihn einfach abgeknallt - oder die neue Kommandantin hatte nicht den Schneid dazu.
Lucas riss am Steuerknüppel und gab so sanft wie möglich Schub auf die Steuerdüsen. Nach steuerbord ging nicht, dafür musste er zu viel Schub geben, als dass er seinen schlingernden Jäger unter Kontrolle bringen konnte.
Ein wenig nach backbord, nur ein kleines Stückchen würde genügen. Hoffentlich.
Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie klein die Landerampe des Flottenträgers eigentlich war. Noch etwas weiter nach backbord, bitte Baby, mach schon.
Er musste noch Gegenschub geben, wenn er nicht unkontrolliert auf dem Flugdeck einschlagen wollte, wie Monty nach der Jagd auf Jor. Zerdrückt und verbrannt im eigenen Cockpit.
,Bitte! Bitte! Bitte! Kleine Maschine, rette uns beide!'
Er passierte das Kraftfeld, er war drin, im Träger, unkontrolliert, zu schnell, rotierend. Lucas riss den Steuerknüppel nach rechts und gab ganz sanft Schub auf die Manöverdüsen, ehe er alle Energie auf die vorderen Triebwerke umleitete und Bremsschub gab.
Mit lauten Donnern kam die Nighthawk auf und schlitterte weiter in das automatisch gespannte Haltenetz.
Schmerzhaft schnitten sich die Gurte in seine Schultern, als der Jäger abrupt zu stehen kam.
Sein Herz hämmerte und pumpte Blut durch die Adern als gäbe es kein Morgen mehr. Adrenalin flutete seinen Organismus.
Lucas atmete stoßweise und starrte gerade aus über das Flugdeck, während Bordfeuerwehr, Rettungsmannschaften und Techniker auf seinen Jäger einströmten.
Ein beeindruckender Apparat setzte sich in Bewegung. Wirklich beeindruckend, beeindruckend nutzlos.
Mit einem Schlag auf den Verschluss öffnete seine Gurte. Bevor er die Kanzel öffnete deaktivierte Lucas noch geistesgegenwärtig den Schleudersitz.
Eine Leiter wurde gegen das Flugzeug gelehnt und helfende Hände wollten ihm aus dem Cockpit helfen.
Wütend schlug er die angebotenen Hände weg und kletterte ungeschickt die Rettungsleiter hinab. Unten verhinderte nur ein schnelles Zupacken an der Führstange, dass er nicht in den Knien zusammenklappte.
„Warten Sie, Lone Wolf, ich helfe Ihnen mit dem Helm.“, Matt Dodson sah besorgt aus.
Kurz war der ehemalige CAG der Angry Angels davor seinen Helm aufs Deck zu feuern, doch er besann sich eines besseren und drückte ihn Dodson in die Hände: „Wer ist für diese Scheiße verantwortlich? Wer hat das verdammte Landesystem installiert?!“
„Ich fürchte, dass war einer meiner Leute, Sir,“, gab Dodson kleinlaut zu, „die legen hier überall mit Hand an.“
„WAS? Die lassen einen Ihrer Schmieraffen ans ATLS! Wegen so einer Scheiße sind auf alten Zeus-Trägern über hundert Mann gestorben! Welcher Vollidiot sitzt denn in der Schiffstechnik am Hebel?“
„Hey, ganz ruhig, Lone Wolf, meine Jungs sind Flugzeugmechaniker, ich nehme mir den Knaben vor, okay?“
Lucas‘ Antwort wurde vom 5-MC-Lautsprecherkreis, den Flugdecklautsprchern, unterbrochen: „Flugdeck räumen und für Landung vorbereiten! Ich wiederhole: Flugdeck räumen und für Landung vorbereiten!“
Für einen Augenblick war Cunningham versucht, dem LSO’s in der Flugleitzentrale den Mittelfinger zu zeigen, doch die Beobachtungskanzel war zu weit entfernt, als dass die Geste wirklich Sinn machten. Wortlos drehte er sich um und holte seinen Seesack aus der Maschine und stakste vom Flugdeck, während die Techniker sich daran machten, seinen Jäger in den Hangar unter dem Flugdeck zu verfrachten.
Im All wurde die Landung, tatsächlich war es mehr ein kontrollierter Absturz, mit Erschrecken und Entsetzen beobachtet.
„Watchtower, Harponeer drei-null-null, wie ist Ihr Status? Wie ist der Status meines Piloten?“
„Harponeer drei-null-null, Watchtower, ATLS ist ausgefallen, ihrem Piloten scheint es soweit gut zu gehen. Wir räumen jetzt das Flugdeck. Bereiten Sie sich auf eine manuelle Landung vor.“
„Verdammt!“ Raven hatte vergessen den Funk auszustellen und knurrte wütend: „Watchtower, Harponeer drei-null-null, verstanden. Melden Sie sich sobald Sie klar sind zu Landung. Einigen meiner Vögeln geht der Saft aus.“
„Harponeer drei-null-null, Watchtower, rechnen Sie mal mit zwanzig Minuten Verzögerung!“
Raven wechselte die Frequenz und funkte Mantis an: „Spirit eins-null-fünf, Harponeer drei-null-null, wie es aussieht, ist das ATLS zusammengebrochen.“
„Und Lone Wolf?“ kam es über die Staffelfrequenz der roten Schwadron.
„RUHE im Äther!“ blaffte Mantis.
„Spirit eins-null-fünf, Harponeer drei-null-null,“, überging Raven das interne Gebalge von Lone Wolfs Schwadron, „Ihr Staffelführer ist soweit in Ordnung, aber wir werden manuell landen müssen. Sie sind die erste, Mantis, anschließend wird die rote Staffel wie geplant den Alarmstart besetzen.“
„Harponeer drei-null-null, Spirit eins-null-fünf, verstanden. Das wird ein Spaß!“ in Mantis‘ Stimme troff Sarkasmus.
Mit einer halben Stunde Verspätung begannen die Jäger der Columbia mit der Landung.
Als Raven die Füße aufs Deck stellte, kam es sich wie eine Heimkehr vor: „Hallo alte Lady.“
Auf dem Flugdeck war hektische Betriebsamkeit. Die Bomber und Jagdbomber wurden in den Hangar unter dem Flugdeck geschafft, die Nighthawks der roten Schwadron wurden auf die Bereitschaftspositionen gezogen.
Eine auf Katapult 3, eine zweite direkt dahinter. Bewaffnet, aufgetankt und bemannt. Vier weitere Nighthawks in Warteposition für Alarmstart-15, bewaffnet und aufgetankt, die Piloten in einem Bereitschaftsraum.
Sich streckend ging sie zur Seitenlinie und beobachtete das Beenden des Landevorganges.
Irons Bomber rollte langsam aus und die Kanzel öffnete sich.
Die ältere Pilotin und ihr RIO gurteten sich los und kletterten aus der riesigen Maschine.
Raven winkte die beiden zu sich.
„Was gibt’s, Skipper?“
„Sehen Sie zu, dass alle unsere Jungs ins Bett kommen und etwas Schlaf nachholen, ich muss in die Fly-Ops, bevor Lone Wolf da ein Massaker anrichtet.“
„Na dann viel Glück, Skipper.“, Irons salutierte andeutungsweise und zog dann ihren RIO im Schlepptau von dannen.
Cattaneo
Tyr
Irgendwo im republikanischen Raum
Das unbeständige, rötlich-gelbe Flackern einer kaum fußhohen Flamme war die einzige Lichtquelle, die den Raum erleuchtete. Eigentlich war offenes Feuer an Bord eines Raumschiffs streng verboten – erst Recht in den Quartieren.
Aber in diesem speziellen Fall musste man eine Ausnahme machen. Und das nicht nur, weil es der kommandierende Admiral des Flottenverbandes und der Kapitän des Schiffes waren, die gegen die Vorschriften verstießen. Es gab auch andere, ältere Gründe.
Kapitän Wor Matir unterdrückte den Impuls, eine Grimasse zu schneiden. Die selten benutzte Galauniform scheuerte unangenehm an seinen Halsschuppen. Der Griff des Drehhs drückte in seine Seite. Und außerdem empfand er die Notwendigkeit, in einer knienden, quasi reglosen Haltung verharren zu müssen als zunehmend unbequem. Aber das war ein Opfer, das er bringen musste. So verlangte es die Tradition. Aus den Augenwinkeln musterte er den Kommandeur der an Bord der KAHAL stationierten Marineinfanteristen. Ihm war natürlich nichts anzumerken. Aber die imperialen Marines waren ja ohnehin dafür bekannt, dass sie auf Befehl hin auch auf der Schneide einer blankgezogene Schwertklinge Platz nehmen würden.
Die dritte im Raum anwesende Person war die einzige, die sich im Augenblick bewegen durfte. Auch Admiral Mokas Taran kniete am Boden, doch während seine Untergebenen in wie versteinert wirkender Reglosigkeit verharren mussten, wiegte er den Oberkörper langsam vor und zurück, die Hände vor der Brust zu Fäusten geballt, während seine Lippen lautlose Worte flüsterten, deren genaue Bedeutung er wahrscheinlich nicht einmal selber genau verstehen konnte. Obwohl Alt-Heklar immer noch zum Lehrpensum eines hochgeborenen Adligen zählte, vergaßen die meisten jungen Akarii die erlernten Lektionen schnell.
Aber auch wenn er die einzelnen Worte nicht verstand, er kannte natürlich ihren SINN. Die Bitte um Unterstützung und Führung in der Schlacht. Das Versprechen, das Blut der Feinde zu vergießen. Ein Gebet, das seit Jahrtausenden gesprochen wurde, bevor die imperialen Streitkräfte in die Schlacht zogen. Tatsächlich war es sogar älter als das Imperium selbst.
Jetzt breitete der Admiral die Arme aus, die Hände immer noch zu Fäusten geballt, ohne mit seinen wiegenden Verbeugungen innezuhalten, ohne aus dem Takt zu kommen. Er beherrschte die notwendigen Gesten und Bewegungen gut – verdächtig gut für jemanden, den Matir eigentlich immer eher zum progressiven Flügel der Streitkräfte gezählt hatte. Eigentlich war der Glaube an die alten, blutgierigen Götter und Dämonen der Sternenleere eher bei einigen Traditionalisten und Teilen des expansiven Flügels des Militärs beliebt, während der Rest die Rituale mehr schlecht als Recht befolgte oder sie gar völlig vernachlässigte. Steckte am Ende doch mehr hinter Tarans Angewohnheit, gelegentlich bei den Entitäten des Dunklen Raums zu fluchen und zu schwören?
‚Aber vielleicht ist er auch einfach nur ein guter Schauspieler.’ Natürlich hatte Taran den Vorteil, bei seinen Bewegungen nicht durch ein Drehh behindert zu werden. Das hatte jedoch keine zeremoniellen sondern persönliche Gründe. Wie allen Offizieren war Taran bei seiner Aufnahme in die imperialen Streitkräfte ein Schwert überreicht worden.
Doch nachdem die gegen Prinz Jor gerichtete Offiziersfronde zerschlagen worden war, hatte man Taran nicht nur aus dem Flottenstab nach T’rr abgeschoben, man hatte ihn außerdem aufgefordert, die Ehrenwaffe zurückzugeben – eine höchst symbolische und ziemlich demütigende Forderung. Normalerweise war eine solche Aufforderung Bestandteil einer unehrenhaften Entlassung oder zumindest einer Degradierung. Den Gerüchten zufolge hatte Taran sein Ehrenschwert eigenhändig zerbrochen und mit der lakonischen Bemerkung abgeschickt, die Klinge sei leider bei seinem Dienst für das Imperium geborsten. Dieselben Gerüchte besagten des Weiteren, dass ihn nur die Fürsprache von Großadmiral Koo davor bewahrt hatte, danach doch noch aus den Streitkräften ausgestoßen zu werden.
Wie dem auch sei, seitdem hatte der Admiral selbst bei formellen Anlässen niemals eine Klinge an seiner Seite getragen. Selbstverständlich hätte er sich ein Drehh kaufen, aus den Arsenalen seiner Familie kommen lassen oder wie einige Offiziere statt dem langen Kriegerschwert ein Sirash, ein Infanterie-Nakampfschwert tragen können. Aber er hatte darauf verzichtet – fast als ob er stolz auf seine ‚Schande’ war.
Jetzt öffnete der Admiral den Schrein, auf dem die Opferflamme brannte und hob den ‚Herzstein’ des Schiffs über seinen Kopf. Der Stein, der bei der Namensgebung der KAHAL ausgewählt worden war, war etwa halb so groß wie eine geballte Faust und schimmerte in einem seltsamen weißblauen Feuer, das von dem gelbroten Glanz der Opferflamme überschattet wurde.
Wor Matir wusste, dass die Offiziere früherer Jahrhunderte angeblich ihr eigenes Fleisch – und das Fleisch und Blut anderer – der Flamme als Opfer dargebracht hatten. Angeblich erfreuten sich in gewissen Kreisen sogar heute noch Blutopfer und rituelle Duelle einer gewissen Beliebtheit. Aber offensichtlich war Taran nicht SO traditionell.
Wie die meisten, die – ob aus Gewohnheit, aus Respekt vor der Vergangenheit oder handfesten politischen Gründen – noch überhaupt etwas auf die alten Bräuche gaben, beschränkte er sich darauf, seine um den Stein geschlossene Rechte blitzschnell ein-, zwei-, dreimal durch die Spitze des Feuers gleiten zu lassen, während er die traditionellen Anrufungsformeln hervorstieß.
Und diesmal konnte auch Wor Matir einige der gemurmelten Worte hören. Der Kapitän unterdrückte ein Erschaudern. Er war nicht abergläubisch, aber in dem ungewissen, flackernden Licht der Opferflamme klang die Stimme des Admirals ungewöhnlich dumpf, schwerfällig. Fremd.
Wor Matir war mit Geschichten über die Wesenheiten groß geworden, denen diese Worte galten – unheimliche Geschichten von Stimmen, die aus den Flammen antworteten, die von den Betenden Besitz ergreifen oder sie verbrennen konnten, wenn ihnen danach gelüstete. Die Götter der Sternenleere rief man niemals leichtfertig oder ohne triftigen Grund an – und niemals ohne Gefahr.
Jedenfalls den Legenden nach. ‚Und als nächstes glaube ich noch, dass es Cha’kal und Gibit wirklich gegeben hat – und nicht nur als Namensgeber für unsere Schiffe.’
Aber natürlich geschah nichts. Falls die Götter der Sternenleere je in der Lage gewesen waren zu antworten, so zogen sie es diesmal jedenfalls vor, zu schweigen. ‚Vielleicht liegt es ja daran, dass wir ihnen kein Blut mehr opfern.’ Wor Matir unterdrückte ein Grinsen. Wahrscheinlich wäre es allerdings ohnehin eine ziemlich schiefe Grimasse geworden.
Inzwischen hatte der Admiral den ‚Herzstein’ des Trägers wieder in dem Schrein verstaut. Seine leise flüsternde Stimme klang unangenehm rau und spröde, während er mit vor der Brust geballten Fäusten und zum Boden gerichteten Augen die letzten Gebete murmelte, eine gewölbte Metallglocke ergriff und sie mit einer blitzschnellen Bewegung über das Feuer stülpte und damit den Raum in völlige Dunkelheit hüllte.
Ein paar Sekunden waren die Atemzüge der drei anwesenden Offiziere der einzige Laut. Natürlich war es der Admiral, der als erster das Wort ergriff: „Licht, Schwache Intensität.“
Als die Beleuchtungsanlage der Aufforderung folgte, stellte Kapitän Wor Matir fest, dass sich der Flottenchef bereits erhoben hatte. Ein ironisches Lächeln geisterte über die schmalen Gesichtszüge des Admirals zweiter Klasse: „Ich frage mich, ob Großadmiral Jor vor der Schlacht von Manticore auch diese Gebete gesprochen hat.“
Wor Matir hatte da seine Zweifel. Auch wenn Jor ein Expansionist reinsten Wassers gewesen war, so schien er im Gegensatz zu einigen seiner Gefolgsleute nicht allzu gläubig gewesen zu sein. Es hätte Matir nicht überrascht, wenn der Kronprinz insgeheim jene seiner Anhänger verachtet hätte, die tatsächlich GLAUBTEN. Auch wenn unzählige Generationen Akarii-Krieger mit dem Namen der blutgierigen Herrscher der Sternenleere auf den Lippen in die Schlacht gezogen waren.
Aber bevor Matir eine entsprechende Bemerkung machen konnte, beantworte Mokas Taran seine Frage selber: „Natürlich hat er das. Immerhin haben wir gewonnen.“ Seine Stimme triefte von Sarkasmus: „Das furchtbarste Geschenk, dass SIE geben konnten.“
Der Kapitän räusperte sich unbehaglich. Seiner Meinung nach war das nicht gerade das richtige Thema für ein Sechs-Augen-Gespräch.
Taran winkte ab: „Entspannen Sie sich, Matir. Wir befinden uns tief im feindlichen Hinterland. In ein paar Tagen wird diese Flotte in ein System springen, in dem es wahrscheinlich von feindlichen Flotteneinheiten, Minenfeldern, Kampfstationen und Abwehrsatteliten wimmelt. Glauben Sie wirklich, dass ich mir wegen ein paar Worten Sorgen machen sollte?“
„Mein Lord…“
„Schon gut. Ich habe nicht vor, die herausragenden Taten des Kronprinzen durch meine Worte zu verdunkeln.“ Tarans Tonfall sagte alles. Aber zum Glück konzentrierten sich seine Gedanken nun auf ein anderes Thema: „Ich frage mich außerdem, auf wie vielen Schiffen dieses Ritual heute noch vollzogen wird?“
„Vermutlich auf den meisten. Ob man ein wahrer Gläubiger ist oder nicht…“
„Es kann nicht schaden, meinen Sie? Nun, wer weiß. Wenn ich mich richtig erinnere, dann war IHNEN ein offener Feind immer noch lieber als ein falscher Gläubiger.“
Der Kommandant der Marines schnaubte kurz: „Na, dann wissen wir auch, warum der Krieg so schlecht läuft. Weil wir den wahren Glauben verloren haben…“
Bei dieser sarkastischen Bemerkung zuckte es um Taran Mundwinkel: „Und genau das ist es, was vermutlich einige unserer Traditionalisten und die…eher religiös unterfütterten Vertreter der Expansion glauben und womit sie die Rückschläge der letzten Jahre erklären. Da wir unsere alten Traditionen vergessen und die heilige Beta Borelialis-Doktrin verraten haben, da der Pakt mit den Göttern gebrochen wurde…“
„Aber sicher doch. Und wenn wir zu unseren Wurzeln zurückkehren, dann werden SIE mit unseren Truppen in die Schlacht ziehen und die Seelen der Feinde im Schwarzen Feuer verbrennen.“
„Nun, wenn es jemals einen Kampf gab, in dem wir eine solche Unterstützung gebrauchen könnten, dann jetzt. Aber egal was unsere Priester behaupten, diesen Kampf werden wir alleine führen müssen.“
„Wie auch sonst…Kommen Sie mit, Admiral? Los müsste inzwischen die Auswertung der letzten Alarmübung fertig haben. Und dann wäre noch die Analyse der möglichen Rückmarschrouten…“
Taran nickte langsam. Er hielt es für dumm, sich erst dann Gedanken über einen Rückzug zu machen, wenn der Befehl dafür gegeben wurde. Einen solchen Luxus hatte man sich vielleicht früher leisten können. Doch jetzt nicht mehr…„Ich komme gleich nach, Matir.“
„Selbstverständlich, Sir.“
Taran wartete bis ein leises Schaben hinter ihn davon informierte, dass seine Untergebenen den Raum verlassen hatten. Mit einem seltsam nachdenklichen, fast ein wenig verlorenen Ausdruck hielt er seine Hände über die Glocke, mit der er die Opferflamme abgedeckt hatte. Die Hitze, die das Metall ausstrahlte, ließ ihn beinahe zusammenzucken.
Er wollte sich abwenden…dann zögerte er. Im nächsten Augenblick hielt er eine dünne Klinge in der Hand, die in einer schmalen, in seine Uniform integrierten Tasche verborgen gewesen war. Wie die Mini-Laserpistole, die er üblicherweise bei sich trug, war diese Waffe ein Überbleibsel aus seiner Frühzeit auf T’rr. Damals, als man ihn vom Flottenstab in den berüchtigten Militärbezirk zwangsversetzt hatte. Es waren nicht nur die Geschichten über T’rr-Attentäter und Hinterhalte gewesen, die ihn dazu veranlasst hatten, sich zu bewaffnen. Insgeheim hatte er auch mit der Möglichkeit gerechnet, dass seine Beteiligung an der Offiziersfronde…recht direkte Folgen für seine Gesundheit haben könnte. Wenn bekannt geworden wäre, was für Pläne einige der Verschwörer entwickelt oder zumindest angedacht hatten…
Aber die Attentäter waren ausgeblieben – genauso wie später, als der Tod des Imperators zumindest zeitweilig in Taran die Befürchtung aufkeimen ließ, dass einer der Thronprätendenten in ihm eine Bedrohung sehen könnte, derer man sich entledigen müsse.
Entweder hatte er Erfolg damit gehabt, sich aus der Schusslinie zu halten…oder er hatte sich einfach zu wichtig genommen. ‚Diese Möglichkeit solltest du niemals vergessen. Das hilft dir, Jors Fehler zu vermeiden.’
Aber wie dem auch sei, die Waffen hatte er behalten und nun…
Nachdenklich wog er die schmale, kurze Waffe in der Hand. Dann packte er den Griff fester und führte die Klinge kurz aber ohne zu zögern über seine Handfläche.
Der kurz auflodernde Schmerz war kaum der Rede wert und der Schnitt schmal wie mit einer Rasierklinge gezogen. Aber er war tief genug, um sofort Blut aus der Wunde fließen zu lassen. Blut, das auf das glühende Metall der Glocke tropfte, und zischend verkochte.
‚Da, wenn es euch denn gibt. Wenn ihr nicht schlaft. Sauft euch satt an meinem Blut. Und an dem unserer Feinde. Es wird genug sein, um euren Hunger zu stillen. Das verspreche ich.’
Cattaneo
Cunningham
TRS Anzac,
Sprungpunkt Alpha, Sterntor, FRT
29. Juni 2637, 17:13 Flottenzeit
Knapp innerhalb der Feuerreichweite von TRSF – Terran Republic Space Fort – Masters hingen die beiden Carrier Strike Groups Anzac und Midway in relativer Bewegungslosigkeit.
Die beiden verstärkten Einsatzgruppen lagen in loser Verteidigungsformation, um sich wenn nötig schnell neu zu gruppieren.
Zusammen mit dem Geschwader von Fort Masters konnten die beiden Träger fast hundertsiebzig Jäger ins All bringen.
Beide Träger hatten als Begleitschutz jeweils einen Flak-Kreuzer, zwei schwere und einen leichten Kreuzer, sowie eine kombinierte Schwadron aus acht Zerstörern und vier Fregatten.
Abgerundet wurde die Streitmacht durch eine zusätzliche Kreuzer- und eine Zerstörerschwadron
Alles in allem sechzig Schiffe, die über eine Satellitenkette und Kommunikationsrelais über die Vorgänge im Systeminneren auf dem Laufenden gehalten wurden.
Domenico Zini saß in seinem Büro und betrachtete die eingespielten taktischen Karten auf den Wandbildschirmen. Die drei Träger von de Kerr über Seafort waren in ebenfalls lockerer Formation aufgereiht. Ziemlich asymmetrisch bildete die Triumphe das Zentrum mit ihrer Strikegroup, die Derflinger stellte den rechten Schenkel dar, während der Flottenträger Columbia mit einer Eskorte, die ebenfalls einer Strikegroupe und keiner Battlegroup entsprach, den linken Flügel stellte.
Im Zentrum etwas nach hinten verlegt waren zwei schwere Kreuzerschwadronen positioniert, welche sich um die James Knox, das Flaggschiff, gesammelt hatten. Zerstörergruppen sicherten über und unter der Flotte, während Fregatten als Aufklärer dienten.
Eine zusammengewürfelte Einsatzgruppe stellte die Reserve/Schocktruppe dar.
Alles in allem gut hundertzwanzig schwere Einheiten und hundertneunzig Jäger. Hinzu kamen das Jagdgeschwader von Victoria Station und der 64. Marine Fighter Wing auf Seafort und drei zusammengezogene Replacement-Squadrons.
Durch die Auflösung der Peacemakers von der Nimitz waren zumindest alle Staffeln der Navy auf Sollstärke.
Wobei, wenn es nach ihm ginge, er lieber die Nimitz im All wissen würde.
Darüber hinaus machte er sich einige Sorgen. Von all den Flaggoffizieren der 5. Flotte verfügte er über so etwas wie Kampferfahrung. Auch wenn man seine Antiguerillaeinsätze auf Pandora als Angehöriger der SEAS – Sea Earth Air and Space Commandos – der TSN nicht als wirkliches Aushängeschild für seine Erfahrung als Flottenkommandeur nutzen konnte.
Mit einem Seufzer nahm er seine Lesebrille ab und begann seine Pfeife zu stopfen. Wäre er doch nur Kredithai geworden wie sein Vater, statt die blöde Empfehlung seines Geschichtslehrers zu nehmen, um sich an einer Marineakademie zu bewerben.
Aber als Absolvent einer Offiziersakademie hatten ihm damals alle Tore offen gestanden. Er gehörte zum Club und war nicht einer dieser Teilzeitoffiziere, die aus den Reserveoffiziers-Trainingscorps der Colleges und Universitäten. Damals, als gerade mal zehn Prozent des Offizierscorps aus dem Manschaftsstand kamen.
Heutzutage hatte sich gerade letzte Quote nur gehalten, weil das Offizierscorps sich um ein vielfaches vergrößert hatte. Einigermaßen geeignetes Personal flutete die Ausbildungslehrgänge und wurde stellenweise schon nach acht monatiger Ausbildung als Ensign auf die Menschheit losgelassen.
Unteroffiziere wurden stellenweise ohne Besuch eines Lehrgangs stande pede zum 2nd Lieutenant befördert.
Die guten Zeiten waren eindeutig vorbei.
Seine in den Schreibtisch eingelassene Computerkonsole teilte ihm mit, dass die Brücke ihn erreichen wollte.
Stöhnend legte er die Pfeife beiseite und öffnete den Kanal: „Zini!“
„Admiral, Commander Friedrichs hier, soeben ist eine Einsatzgruppe aus dem Erd-System gekommen. TRS James Windsor, ihre Strikegroupe sowie zwei Zerstörergruppen als Ablösung für uns.“
„Ausgezeichnet, geben Sie mir die Windsor auf den Bildschirm runter und wecken sie den Flottenastrogator, wir verlegen Anzac und Midway System einwärts.“
Während er die Aufstellung des Ablösungsverbandes inspizierte, wurde ihm klar, dass in Terra nur noch ein weiterer leichter Träger stationiert war. Andererseits verfügte die terrane Verteidigung noch über acht Jagdgeschwader und eine gute Reserve an Kriegsschiffen. Aber vielleicht waren die Echsen ihnen diesmal tatsächlich zu nahe gekommen.
Die Frage, was nur geschehen war, musste man sich zwangsläufig stellen. Die Echsen hatten doch schon in den Seilen gehangen, waren möglicherweise angezählt gewesen.
Man war immer weiter vorgerückt, hatte einen riesigen Streifen Weltraum unter seine Kontrolle gebracht. Auf den wenigsten Welten der Akarii war man gelandet. Nur auf strategisch wichtigen Welten hatten die terranen Streitkräfte auch den Bodenkrieg eröffnet.
Auf einigen Welten hatten sich die Bewohner einfach ergeben. In der Regel waren dies aber Welten, die nicht von den Akarii als Bewohner dominiert worden.
Von diesen Welten hatten einige, T’Ker NaMur zum Beispiel, den Antrag gestellt, der FRT beizutreten. Das diplomatische Corps des Außenministeriums, das Ministerium für koloniale Belange und viele andere Behörden waren jetzt in dieser Angelegenheit tätig.
Die NaMur waren keine Kolonie der FRT, aber konnte man ihnen die Vollmitgliedschaft im Senat gewähren?
Und würde man nicht einen Präzedenzfall schaffen, wenn man den NaMur die gleichen unveräußerlichen Menschenrechte gewährte, wie den Menschen? Auf einmal wären all die schönen politischen Schlupflöcher dahin, was den Umgang mit nichtmenschlichen Nationen anging.
Verfluchte Politik und verfluchter Renault, jetzt zog er sich aus einem Gebiet zurück, dass er zwar kontrolliert hatte, was aber weitestgehenst nicht besetzt war, und die Akarii konnten einmarschieren und den ganzen Laden wieder übernehmen.
Zini wechselte auf dem Wandmonitor die Kartendarstellung. Wie er seine über alles geliebte Navy kannte, hatte man nicht genügend Minen geliefert, um wenn nötig die Wurmlochrouten dicht zu machen, weil niemand damit gerechnet hatte, dass die Echsen einen Gegenschlag ausführen könnten. Natürlich hatten andere Ausrüstungsgüter Vorrang genossen.
Mit etwas Glück könnte Admiral Jensen mit der 1. Flotten von Keastes bis nach Vorquallis einen Sperrriegel aufbauen und die Akarii aufhalten, bis man eine neue Offensive in Gang setzen kann.
Alles Spekulation, es sah aus, als würden die Karten neu gemischt.
TRS Intrepid, Flaggschiff 3. Flotte
Sternensystem LP-304
Terranische Besatzungszohne
29. Juni 2637, 09:31 Flottenzeit
Es waren Tage wie diese, die Miles Long seine Lebenskraft brachten. Die ersten achtzehn Jahre seines Lebens hatte er damit verbracht, auf den besten Schulen Europas die Noten zu erhalten, um aus eigener Kraft und nicht durch seinen Namen einen Platz an einer der berühmten Marineakademien auf der Erde zu erhalten. Und so hatte er sich seine Akademie aussuchen können. Anapolis in den Vereinigten Staaten, B(R)NC in Dartmouth, England, die Marineakademie Livorno in Italien oder die militärische ingenieurtechnische Universität Sankt Petersburg.
Selbstverständlich hatte er seine dreijährige Ausbildung in England absolviert und als einer der Besten seines Jahrgangs als Second Lieutenant abgeschlossen.
Jetzt, über vierzig Jahre später, war er alt und verbraucht, und an vielen Tagen war es schwer aufzustehen. Der dröge Dienstalltag war nur noch stete Routine, kaum mit aufbauenden Momenten gespickt.
Der Tod eines Sohnes und zweier geliebter Nichten sowie eines Cousins lasteten schwer auf ihm. Eine Schwester wurde vermisst und war möglicherweise in Kriegsgefangenschaft, ein Bruder war dienstunfähig aus der Flotte entlassen worden.
Bei noch einmal dem doppelten an Verwandtschaft im aktiven Dienst, war es nicht verwunderlich, dass man sagte, wirf auf einem Schiff einen Stein und Du triffst einen Long.
Es gab Tage, da kam es ihm so vor, als ob es seinem Stab lieber wäre, ihn in eine Ecke zu setzen, mit Keksen und Tee, damit er ihnen nicht im Weg war.
Aber Tage wie dieser hier, wie die letzten paar... Die 3. Flotte bereitete sich auf die Schlacht vor. Man wollte sich mit Renaults 2. vereinigen um den Akarii direkt entgegen zu treten.
Es wurde geplant, organisiert, Berechnungen über auch nur kleinste Wahrscheinlichkeiten wurden aufgestellt. Er lebte, er war frisch, er fühlte sich wie ein Dirigent, der die absolute Kontrolle hatte. Mit vorfreudigem Kribbeln sprang man aus dem Bett und abends konnte man vor Aufregung kaum einschlafen. Es war wie eine Droge.
Auf dem Kartentisch zeigte sich die strategische Situation. Die Erfolge hatten die TSN unvorsichtig werden lassen, das wurde jetzt mehr als deutlich.
Die zusammengezogene Entlastungsstreitmacht aus den Flottenträgern Intrepid und Alexander von Humboldt, sowie der leichte Träger TRS Terrible, entblößten die Flanke zum Draned Sektor schon fast kriminell.
Mit einem Flottenträger und einem leichten Träger konnte diese Grenze so gut wie nicht gehalten werden.
Wenn die Echsen dort so einen Stunt wie bei Karrashin durchzogen, konnte es gefährlich eng werden. Wirklich, wirklich eng.
„Admiral, EAM vom Hauptquartier 5. Flotte, Sterntor.“
Long nahm die Meldung von dem jungen Lieutenant Commander entgegen. Um den Kartentisch in der CIC der Intrepid war es plötzlich sehr leise geworden.
„Angriff auf Sterntor mit überlegenen Kräften erwartet, bitte um Unterstützung, gezeichnet de Kerr, Admiral, 5. Flotte TSN.“, las er vor.
Nahad Madani kurrte einen arabischen Fluch und wechselte ungefragt die taktische Darstellung auf dem Kartentisch.
Seine saudiarabische Stabschefin zeichnete eine Route von Draned nach Sterntor nach: „Ich wette es handelt sich um unseren Freund aus Draned, und bestimmt hat er sich durch den Melacquai-Graben geschlichen und sich durch LP-404 gequetscht.“
„Nein, nein, Ma’am,“, warf Longs Stabsastrogator ein, „wenn er durch LP-404 durch wäre, könnte er auch die Peshten Region bedrohen, dann wäre nicht gesichert, dass er Sterntor angreifen würde.“
„Das ist doch auch gar nicht sicher,“, antwortete Madani, „eben drum musste er durch LP-404 durch, damit er Sterntor bedroht, gleichzeitig aber andere wahrscheinliche Ziele in Reichweite hat.“
„Wie dem auch immer sei, wir dürfen nicht zulassen, dass die Akarii in Sterntor Fuß fassen. Wir können weder Ivan von der Draned-Grenze abziehen noch können wir gleichzeitig Sterntor und die 2. Flotte verstärken. Vorschläge?“ Long blickte in die Runde.
„Wir sollten Aufklärer nach Thalasna Irridia schicken, um zu überprüfen, ob die Akarii nicht doch ein anderes Ziel angreifen, und uns in Abfangposition für beide Möglichkeiten bringen.“, schlug Rearadmiral Carlos Vincente, Kommandant der Intrepid-Trägergruppe vor.
„De Kerr sollte in der Lage sein, lange genug gegen wen auch immer durchzuhalten, sollten die Echsen tatsächlich Sterntor angreifen. Falls sie ihnen nicht durch die ganzen Stützpunkte überlegen ist.“
Long ging nochmal die taktische Karte durch, alle Positionen der eigenen Verbände, vermutete Feindaufstellung, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten: „Gut, wir bringen die Flotte in Neuheim in Position und entsenden eine Division Fregatten nach Thalasna Irridia zur Aufklärung.
Nahad, informieren Sie die Admirale Jensen und Renault über unsere geänderten Pläne.“
Um den Kartentisch herum wurden die Befehle bestätigt und die rangjüngeren Offiziere zogen sich nach Rücksprache mit Viceadmiral Mandani zurück.
TRS Columbia
Sterntor, FRT
30. Juni 2637, 19:57 Flottenzeit
Lucas Lone Wolf Cunningham stand in der Preflight, dem Tower der Columbia, und beobachtete die Monitorreihe über den Fenstern zum Flugdeck hin.
Einer seiner Piloten, The Kid Laramy, eigentlich sein Flügelmann, der heute mit Too-Tall draußen gewesen war, hatte man schon zweimal abwinken müssen.
Auch wenn die meisten Systeme der Columbia wieder arbeiteten, eines der wichtigsten des Trägers hatte man noch nicht repariert, das ACLS, welches die Traktorstrahlen steuerte um die Landung von Jägern automatisch durchzuführen. Seit zwei Tagen also schon mussten die Piloten der Columbia manuell landen.
In heutigen Zeiten schon fast ein anachronistischer Vorgang und eine ziemliche Belastung für die Piloten.
Wobei The Kid dieses Manöver eigentlich recht gut handhabte. Aber aus der Flugausbildung wusste Lucas, dass solche Dinge auch immer wieder Veteranen passiert waren, auf den ersten Zeus-Trägern, vor Entwicklung des modernen ACLS, war es immer wieder vorgekommen, das Piloten das Zittern bekamen.
Neben Lucas stand der schon gelandete Too-Tall, in seiner vollen Fliegermontur, einen etwas penetranten Schweißgeruch verbreitend. Während Too-Tall ebenfalls die Monitore beobachtete, bewegten sich in stummer Anfeuerung seine Lippen, während der LSO, Landesystemoffizier, seinem Flügelmann die Landeinstruktionen durchgab.
„Lone Wolf, ich warte auf den ATO für morgen.“, sprach ihn die eben eingetretene Raven an.
Der Führer der roten Staffel zuckte leicht zusammen, drehte sich zum Tisch hinter sich um und reichte Raven ein Data-Pad, ohne kaum seine Augen von den Monitoren zu nehmen.
„Einer Ihrer Leute?“
„Ja, The Kid, mein Flügelmann.“, bestätigte Lucas.
Raven nickte und verschwand dann dankbarerweise wieder aus der Preflight. Wahrscheinlich würde sie sich die Angelegenheit auf irgendeinem anderen Bildschirm angucken, doch jetzt neben ihm als Staffelführer stehen zu bleiben wäre ein Zeichen für mangelndes Vertrauen.
Ein wütendes Knurren entwich Lone Wolf, als der LSO The Kid erneut abbrechen ließ. Too-Tall ballte die Hände zu Fäusten.
Der Miniboss, Coopers Stellvertreter, der gerade Dienst als Chef im Tower hatte, gab Anweisungen einen Tanker zu starten, um The Kid mit neuem Treibstoff zu versorgen.
Lucas war sich eigentlich sicher, dass sein Pilot nicht gemeldet hatte, dass er neuen Sprit brauchte.
Als er seinen Blick sah, trat der Miniboss an ihn heran: „So kann sich der Kleine einen Moment auf etwas anderes konzentrieren und den Kopf klar bekommen. Vielleicht klappt es gleich besser.“
Im Bereitschaftsraum der roten Schwadron knurrte Titan laut: „Oh, dieser Kackstiefel! Kann er nicht endlich landen!“
Die Blondine schlug auf die Plexiglastafel, wo die Flugergebnisse mit einem Fettstift notiert wurden. Auf dieser Tafel wurden von den Roten auch die Ergebnisse ihrer direkten Konkurrenten, den Butcher Bears notiert.
Dog Schäfer blickte hinüber zu Arrow, der eine Reihe weiter hinten Platz genommen hatte. Der Streber jedoch machte keine Anstalten seinen Freund in seiner Nighthawk da draußen zu verteidigen.
Also zuckte er innerlich mit den Schultern und drehte sich wieder nach vorne und flüsterte halb zu Cartmell: „Wir könnten ja Huntress die Reifen zerstechen, dann geht diese Eskapade ganz sicher unter.“
Der ältere Pilot musste grinsen: „Und wie willst Du das bei den Reifen schaffen? Mit Deinem Taschenmesser kannst Du ja versuchen das Profile abzukratzen, aber wenn Du dafür nicht Monate investieren willst, weiß ich nicht, wie Du selbst das hinbekommen solltest.“
Eigentlich hätte sich Donovan Cartmell nicht für die stark gestiegene Rivalität zwischen den beiden Nighthawk Schwadronen interessiert. Als jemand, der seit seiner Reaktivierung in der roten Schwadron diente, war er gewohnt hinter den Bears zu stehen, die seit der Schlacht von Corsfield die Staffel des CAG gewesen war.
Mit Skunk als Staffelführer waren sie zwar nie zu kurz gekommen, hatten sich aber auch nie wirklich mit den Bears angelegt. Und mit Skunk, Ace, Kali und ihm selbst waren immer genug erstklassige Piloten da gewesen, dass man nicht drohte abgeschlagen zu werden.
Es war recht angenehm gewesen, man stand nicht ständig unter Darkness oder Lone Wolfs Aufsicht und vor allem nicht unter Monty’s strenger Knute. Man hatte mehr Freiheiten genossen.
Lone Wolf hatte natürlich den Ehrgeiz besser zu sein, als die Bears. Mantis rackerte sich einen ab, weiß Gott warum, und die neuen Jungen waren natürlich ehrgeizig und wollten weiß Gott nicht hinter den Bears hinterherhinken.
Tatsächlich war der Elan, den Sonnyboy und The Kid an den Tag legten, geradezu ansteckend. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, war es Dog, der ihn inspirierte.
Der junge Pilot aus der Janos-Kolonie hatte einen boshaften Sinn für Humor, den er nur zu gern an der schwarzen Staffel ausließ. So hatten sie am Stammtisch der schwarzen Staffel den Zucker und das Salz in den Behältern vertauscht. La Reines Gesicht bei gesalzenem Kaffee war einfach großartig gewesen.
„Aber Dog, was hält Du davon La Reine, Sugar und Huntress Liebesbriefe zu schreiben und sie dann in einer Woche alle zum gleichen Treffpunkt zu bestellen?“, er wusste selbst, dass dies nur zu kindisch wäre, doch ihm war danach das Leben wieder etwas mehr zu genießen.
„Dafür bräuchten wir aber drei unterschiedliche Handschriften, falls sich die Hühner austauschen.“
„Fragen wir doch Too-Tall.“
In Dogs Augen funkelte es boshaft: „Fragen wir doch Titan, was männlicheres findest Du bei uns in der Staffel nicht.“
„Was habt Ihr beiden da zu tuscheln?“ Titan hatte offenbar ihren Namen mitbekommen.
Während Donnovan sich aufsetzte, machte Schäfer sich etwas kleiner: „Wir haben uns nur gefragt, ob man Dich schon mal mit einem Mann verwechselt hat.“
Es wurde etwas eisiger im Raum, einzig Mantis vorne am Computerterminal zog eine belustigte Grimasse.
„Nein, und Euch beiden Pappnasen?“
Damit hatte die muskulöse Pilotin die Lacher auf ihrer Seite.
„Whooo, Touchdown!“
Irons McGill blickte von ihren Unterlagen in der Operationszentrale des Geschwaders auf. Einer der Monitore zeigte die Nighthawk auf dem Flugdeck: „Na, das wurde aber auch Zeit, was so ein Zwischenstopp an der Tanke alles bewirken kann.“
Die altgediente Bomberpilotin zeichnete zwei Berichte ab und schob dann ihr Datapad beiseite, ehe sie ihr Gegenüber wieder zur Kenntnis nahm.
Natürlich hätte sie den Lieutenant zu sich in ihr Büro, das Teil ihres Quartiers war, zitieren können, aber er hatte sie angepisst. Sprichwörtlich. Natürlich könnte man das auf die Erziehung schieben, dazu müsste man seinem vorherigen Staffelführer zugestehen, zu so etwas wie Erziehung fähig zu sein, und das tat sie bei Skunk nicht.
„Also, Ace,“, knurrte sie fast, „ich kann ja verstehen, dass Sie etwas … ungehalten darüber sind, dass Chief Dodson die Staffel von Commander Pawlitschenko bei der Wartung bevorzugt. Aber Sie verstehen doch sicherlich die Hackordnung: Commander – Lieutenant; Commander – Lieutenant; Commander – Lieutenant …“
„Dodson klüngelt schon seit Karrashin mit Lilja herum.“, entfuhr es dem blauhaarigen Piloten.
Irons nickte: „Kommen wir zum nächsten, ich glaube nicht, dass Skunk jemals an Lightning vorbei zu Lone Wolf gerannt wäre, oder irgendein anderer Staffelführer.“
„Hören Sie Irons, Sie sind nicht Lightning und Raven ist nicht Lone Wolf …“, der jüngere Pilot stockte, als erwartete er, unterbrochen zu werden, fuhr dann aber überrascht fort, „Raven hat mich wegen meiner Staffel zusammengeschissen und jetzt bin ich auf dem Wege den Blauen, … meinen Jungs wieder die alte Stärke zurückzugeben und nun wird mir hier ein Bein gestellt.“
„Richtig, ich bin nicht Lightning, ich bin jetzt hier DCAG* und als solcher schätze ich es gar nicht übergangen zu werden! Wenn Sie also ein Problem mit einem anderen Staffelführer haben oder mit dem Chef unserer Schmierfinken und es nicht allein lösen können, kommen Sie gefälligst zu mir, ehe Sie unseren CAG belästigen! Ist das angekommen?“
„Ja, Ma’am.“
„Darüber hinaus, Cliff“, schlug sie einen versönlicheren Tonfall an, „sollten Sie vielleicht die Freiräume, die unsere Streberin ihnen mit ihrem egoistischen Verhalten schaufelt, nutzen. Ihre Piloten haben sich gut entwickelt und wurden hart rangenommen. Gönnen Sie ihnen etwas Ruhe. Der Drill ist jetzt vorbei, wir haben jetzt den Ernstfall. Bringen Sie etwas Ruhe rein. Sehen Sie sich Lone Wolf an, vor der Verlegung hat er seine Roten gescheucht wie es nur geht und den Schwarzen Übungszeit geklaut, wo er nur konnte, jetzt drückt er Okha die Hauptlast der Arbeit auf und seine Leute haben etwas Ruhe.“
„Und hat sich Okha schon beschwert?“
„Was glauben Sie?“
„Nein, natürlich nicht, Okha beschwert sich nie.“
Irons nickte: „Ja, und hier muss der Berg zum Propheten gehen, sonst geht die Erkenntnis möglicherweise an dem Kleinen vorbei und er grummelt vor sich hin. Wie macht sich Chip?“
„Ganz gut, er wächst. Er ist ein guter XO. Gut, nicht perfekt, aber das wird noch.“
„Gut. Das ist gut. Sie und Okha sind unsere jüngsten Staffelführer, Rot und Blau sind unsere Problemkinder. Raven und ich lassen Sie nicht straucheln. Weder Sie beide noch die Staffeln.“
*DCAG - Deputy Commander Air Group, stellvertretender Geschwaderführer.
Cattaneo
Tyr
Kapitän Wor Matir blickte durch die Brückenfenster der KAHAL, und ein seltenes Lächeln spielte um seine dünnen Lippen. Es war ein lange und schmerzlich vermisster Anblick, der sich seinen Augen bot. Eine schlagkräftige imperiale Kampfgruppe, tief in feindlichem Gebiet, bereit zum Angriff. Fast wie in den alten, den glorreichen Tagen.
Zwei Flottenträger, der riesige Pseudoträger GIBIT, zwei Flugdeckkreuzer und drei Hilfsträger. Dreihundertsechzig Kampfflieger. Sechsundzwanzig schwere und leichte Kreuzer. Vierundsechzig Zerstörer, Fregatten und Korvetten. Genug Feuerkraft, um Meere verdampfen zu lassen und die Oberfläche eines Planeten bis auf den nackten Fels herunterzubrennen.
Und inmitten dieser konzentrierten, imperialen Feuerkraft, wie ein bizarrer Scherz, schwebte ein republikanischer Raumtransporter der Altair-Klasse. Veraltet, dünn gepanzert, kaum bewaffnet. Und doch möglicherweise der Schlüssel für ihren Sieg in der bevorstehenden Schlacht - und das Überleben der Kampfgruppe.
Eine leise Unruhe hinter ihm informierte den Trägerkapitän, dass Admiral Taran die Brücke betreten hatte. Wie fast immer trug der Flottenkommandeur eine schmucklose, aber sorgfältig gearbeitete Dienstuniform. Und wie fast immer begleitete ihn Kapitän Thera Los, leise wie ein Schatten. Allerdings ein ziemlich hübscher Schatten. Früher dritte Offizierin an Bord der KAHAL, war sie inzwischen aus dem normalen Bordbetrieb ausgegliedert und zur Befehlshaberin des Flottenstabs aufgestiegen. Einige ihrer früheren Kollegen vermuteten, dass sie sich diese Beförderung durch sehr…persönliche Überzeugungsarbeit verdient hatte. Matir war anderer Ansicht, auch wenn er sich über die junge Karriereoffizierin wenige Illusionen machte. Kapitän Los hatte, abgesehen von ihrem Körper, auch noch andere Qualitäten. Obwohl Taran selber ein Karriereadmiral war, der seinen Aufstieg auch seiner Herkunft und den Beziehungen seiner Familie verdankte, er war nicht dumm. Und auf jeden Fall zu klug, um sich bei seiner Beförderungspolitik von persönlichen Gelüsten leiten zu lassen.
Außerdem hatte Matir zwischen den beiden niemals diese…gewisse Verbindung gespürt. Diese besondere Atmosphäre, die ihm sagte, dass zwei Offiziere etwas miteinander hatten. Wenn also Thera Los gelegentlich spätabends zu dem Admiral gerufen wurde, dann ging es dabei ganz sicher nicht um irgendwelche Schlafzimmerspielchen.
Was natürlich nicht heißen musste, dass diese Treffen harmlos waren. Taran war für Matirs Geschmack viel zu sehr in die politischen Winkelzüge und die Intrigen des fernen Kaiserhofs verwickelt. Seine Befriedungspläne für den Draned-Sektor, seine Beziehungen zu den Überresten der gegen Prinz Jor gerichteten Offiziersfronde und seine anscheinend ein wenig unklare Position betreffs der drohend heraufdämmernden Thronstreitigkeiten…
Aber nichts davon war jetzt wichtig. Der Kapitän drehte sich langsam um, und grüßte vorschriftsmäßig: „Admiral.“
Taran nickte knapp: „Was ist mit dem Frachter? Die Klarmeldung hätte bereits vor fünfzehn Minuten erfolgen sollen.“
„Die HELEN OF TROY hat immer noch einige kleine Probleme mit der Aktualisierung der Kommunikationseinrichtung und dem Transpondercode. Der Kapitän will noch einen Probelauf durchführen. Aber er hat versichert, dass der Test binnen fünf Minuten abgeschlossen sein wird.“
Die Stimme des Admirals klang ungewöhnlich scharf: „Das will ich auch hoffen. Wir können uns weder Fehler noch weitere Verzögerungen leisten. Immerhin hängt das Gelingen unseres Plans nicht zuletzt von dieser Software ab. Und von der Einhaltung des Zeitplans.“
Matir ignorierte den harten Tonfall. Es war nur natürlich, dass Taran jetzt Nerven zeigte. Die letzten Tage und Wochen waren für sie alle nicht leicht gewesen. Der Anmarsch ins Zielgebiet hatte weitaus länger gedauert, als ursprünglich prognostiziert. Ihre Marschroute hatte sie weit von den drei günstigsten Sprungrouten fortgeführt. Die Kampfgruppe war nur langsam vorangekommen, die Maschinen auf die geringste Triebwerksemission heruntergefahren. Sie hatten Funkstille gehalten und ein paar Mal Sprungpunkte benutzt, die als gefährlich instabil galten. Nicht selten waren die Schiffe dabei dem tödlichen Strahlenbombardement namenloser Sonnen gefährlich nahe gekommen. Einmal hatten sie sich sogar eine volle Woche im Ortungsschatten der Korona eines sterbenden Sterns versteckt. Sie hatten interstellare Nebel gekreuzt, und sich in das gefährliche Labyrinth unbekannter Asteroidenfelder gewagt. Material und Mannschaften hatten oftmals am Rande der Belastbarkeit gestanden. Es war ein Wunder, dass sie mit leichten Schäden an einigen kleineren Einheiten und ein paar zerstörten Raumjägern davongekommen waren. Wenigstens war keines der Kriegsschiffe zum Totalverlust geworden.
Und jeder Augenblick, jeder der sich endlos dehnenden Tage und Wochen war überschattet gewesen von der Furcht vor der Entdeckung. Auch wenn sie jeden Gegner unterhalb einer kompletten TSN-Trägerflotte mühelos vernichten konnten, eine vorzeitige Sichtung der Kampfgruppe hätte das Scheitern der Mission bedeuten können. Dazu kamen die Zweifel, die der Admiral in Bezug gegenüber Großadmiralin Rians Strategie hegte. Nach Tarans Meinung erfüllte die Rikata-Kampfgruppe ihren Hauptauftrag – das Binden feindlicher Einheiten und die Verunsicherung der terranischen Führung – genauso gut, wenn sie im feindlichen Hinterland kreuzte und eine ständige aber ungewisse Bedrohung darstellte. Sobald sie sich stellte, wäre diese Diversionswirkung hinfällig geworden. Im besten Fall konnte sie dann dem Gegner einige mittelschwere Schläge verpassen. Im schlimmsten Fall würde sie aufgerieben werden, was die Moral der Menschen stärken, die der imperialen Streitkräfte schwächen und den Draned-Sektor zu einer leichten Beute machen würde. Den feindlichen Aufmarsch zu behindern, Kräfte zu binden, Angst und Verunsicherung zu verbreiten – das war ihnen den abgefangenen Funksprüchen nach bereits gelungen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern. Aber wenn sie erst mal im Parrak-System auftauchten, dann waren die Menschen am Zug. Dann verlor Tarans Verband einen wichtigen Verbündeten – die menschliche Angst und Phantasie, die aus einem taktischen Angriffsverband mittlerer Größe eine Invasionsarmada gemacht hatte. So war es jedenfalls Rians Plan gewesen – ein Plan, der aufgegangen war. Aber diese Erwartungen und Befürchtungen konnte die Kampfgruppe nur enttäuschen. ‚Auch wenn wir wie Unsterbliche kämpfen – wir können das Parrak-System weder erobern, noch halten.’
Taran hätte wahrscheinlich viel lieber einige schwächere Ziele angegriffen und mit der Kampfgruppe Kreuzerkrieg im großen Stil betrieben. Ausgerechnet dort anzugreifen, wo der Feind besonders stark war und höchstwahrscheinlich – wenn alles nach Rians Plan verlief – mit dem Angriff RECHNETE, widersprach den strategischen Maximen, denen der Admiral folgte. Aber er hatte letztendlich keine Wahl. Er musste gehorchen – oder meutern.
Matir fragte sich manchmal, wie Tarans Entscheidung ausgefallen wäre, wenn immer noch Jor das Oberkommando gehabt und einen ähnlichen Befehl weitergegeben hätte…
Wenigstens wussten die Menschen nicht, WOHER und WANN sie zuschlagen würden. Und selbst bei dem WO und dem WIE konnten sie nicht völlig sicher sein, auch wenn die Menschen scheinbar dem schlimmstmöglichen Szenario den Vorzug gaben. Der genaue Marschweg der Kampfgruppe war unentdeckt geblieben. Glaubten sie jedenfalls.
Und jetzt standen sie noch einen Sprung von Parrak entfernt.
Wor Matir registrierte, dass Admiral Tran etwas gesagt hatte: „Mylord?“
„Ich sagte, dass wir vielleicht einen anderen Namen für den Erdfrachter hätten wählen sollen.“
„Der Geheimdienst hat die Wahl nach den uns offen stehenden Möglichkeiten getroffen. Ich verstehe nicht ganz…“
„Schon gut. Das war nur eine kleine…anthropologische Betrachtung.“ Der Admiral zweiter Klasse lächelte flüchtig, und wandte sich dann dem Sichtfenster zu. Schweigend schien er die Linien der HELEN OF TROY zu studieren.
***
Bis vor kurzem hatte das Schiff noch die simple Codebezeichnung Q-4852 getragen. Im Auftrag des imperialen Geheimdienst hatte der erbeutete Erdenfrachter im frontnahen feindlichen Hinterland Aufklärungsaufgaben durchgeführt, hatte Agenten und Spezialeinheiten transportiert und geheime Vorposten versorgt, die sich vom Gegner hatten überrollen lassen. Der Geheimdienst hatte im ganzen Draned-Sektor nur drei ehemalige Erdenschiffe für derartige Aufgaben zur Verfügung, und er hatte sich nicht freiwillig von Q-4852 getrennt. Aber letztendlich hatte sich Taran durchgesetzt.
Die Flotte hatte das Schiff übernommen. Man hatte die Triebwerksignatur verändert und die Sensorphalangen und Kommunikationseinrichtung aufgerüstet. Soweit dies möglich war, ohne das Äußere zu verändern. Außerdem hatte man den geräumigen Laderaum gemäß Tarans Wünschen umgebaut.
Zuletzt waren zwei Rettungskapseln modifiziert worden. Jetzt hatten sie einen eigenen Antrieb, der ihnen eine begrenzte Manövrierfähigkeit und eine akzeptable Marschgeschwindigkeit verlieh. Ihr Ortungsbild war so gut es ging verringert worden, und die Kapazität der Lebenserhaltungssysteme vergrößert worden. All das war natürlich auf Kosten des Platzes gegangen – die beiden Kapseln konnten nun insgesamt gerade einmal zehn Mann aufnehmen. Aber das machte nichts, denn die Besatzung der HELEN OF TROY bestand jetzt nur noch aus einer Rumpfmannschaft von sechs Akarii. Vermutlich waren die Modifikationen der Rettungskapseln vergebliche Liebesmühe gewesen, aber Matir wusste, dass nur wenige Soldaten wirklich bereit waren, sehenden Auges in den Tod oder die Gefangenschaft zu gehen, und gleichzeitig ihre Aufgabe zuverlässig zu erfüllen. Es war wichtig, den Soldaten einen Ausweg zu bieten – oder ihn ihnen zumindest vorzugaukeln.
***
Einer der Kommunikationsoffiziere drehte sich um: „Sir, die HELEN meldet sich.“
„Auf den Hauptschirm.“ Mit einem leichten Flackern erschien das Bild der Frachterbrücke. Im Vergleich zu der Kommandozentrale der KAHAL wirkte sie winzig, heruntergekommen, fast antik. Die Bildqualität war schlecht, immer wieder überlagerten optische Störungen die Übertragung. Auch die drei im Erfassungswinkel der Kamera befindlichen Bordoffiziere wirkten ziemlich verwahrlost. Sie trugen eine krude Mischung aus Techoveralls und Zivilkleidern. Außerdem waren es keine Akarii. Es waren Menschen.
„Statusbericht, Major Natok?“ Wor Matir hatte nicht bemerkt, dass Taran herangetreten war, und zuckte deshalb leicht zusammen, als die kühle, sorgfältig modulierte Stimme des Admirals direkt neben seinem Ohr ertönte.
Einer der ‚Menschen’ blickte auf, und lächelte. Wor Matir glaubte, eine kleine Verzögerung bei der Übertragung erkennen zu können. Doch er war sich nicht sicher, ob er sich das nicht nur einbildete. Denn dieser ‚Mensch’ war in Wirklichkeit ein Akarii, über dessen Aufnahme ein modernes Geheimdienstsimulationsprogramm das Bild eines irdischen Raumfahrers ‚zeichnete’. Von der Leistungsfähigkeit des Programms und den Englischkenntnissen des Offiziers würde das Gelingen dieser Operation abhängen. Möglicherweise das Schicksal der gesamten Kampfgruppe.
„Alle Systeme laufen einwandfrei. Und was die Masken-Software angeht, ich nehme an, Sie konnten sich jetzt selber ein Bild von ihrem Funktionieren machen.“
**
Natok war kein Flottenoffizier wie der Rest seiner Mannschaft, obwohl er befähigt und ausgebildet war, Raumschiff bis zur Fregattengröße zu führen. Er gehörte auch nicht zur Armee, obwohl er eine Infanterieausbildung hinter sich hatte. Natok war Mitglied des imperialen Geheimdiensts. Eigentlich war er zu wertvoll, um sein Leben bei einem solchen Himmelfahrtskommando zu riskieren. Aber es gab in Tarans Flotte sonst niemanden, der ähnlich qualifiziert war. Natok hatte bereits zahlreiche Einsätze hinter feindlichen Linien hinter sich. Er kannte die Gepflogenheiten und Gebräuche der irdischen Raumfahrer und Handelsfrachter angeblich besser, als viele Menschen. Gerüchten zufolge war er vor seiner Versetzung in den Draned-Sektor an mehreren Undercovereinsätzen im Grenzgebiet der CC und in der multirassischen Gemeinschaft der Handelspiloten, Schmuggler und Piraten beteiligt gewesen. Manche leicht zu beeindruckenden Akarii nannten ihn eine lebende Legende. Auch wenn Matir nicht alle dieser Geschichten glaubte, er hoffte, dass Natok so gut war wie sein Ruf.
**
Taran nickte knapp: „Die Demonstration war…zufrieden stellend. Aber vielleicht drehen Sie lieber noch ein wenig am Regler. Der Feindempfang sollte nicht ZU gut sein.“
„Wie Sie wünschen.“
„Ich brauche Sie wohl nicht noch einmal daran zu erinnern…“
„Nein, das brauchen Sie nicht. Ich kenne unseren Auftrag. Es wird gut gehen. Vertrauen Sie mir.“
Der Admiral überging ausnahmsweise die Tatsache, dass man ihm ins Wort gefallen war. Er lächelte sogar kurz, wenn auch angespannt: „Ich habe Ihnen dieses Schiff gegeben. Und das heißt dann wohl, dass ich Ihnen vertraue. Also machen Sie ihre Sache gut, und kommen Sie heil zurück. Ich verlasse mich auf Sie. Viel Glück.“
Der ‚Mensch’ salutierte nach Brauch der Akrii, dann wurde der Bildschirm schwarz. Taran schien noch ein paar Augenblicke auf das nun leere Bildfeld zu starren, dann wandte er seinen Kopf zur Seite: „Wie viele Sekunden bis zum Sprung?“
„Fünfzig, Admiral…Vierzig…zwanzig…zehn…neun…acht…“ Kurz leuchtete der gleißende Blitz eines Hypersprungs in der Dunkelheit des Alls auf. Die HELEN OF TROY hatte das System verlassen, um in praktisch demselben Augenblick am Sprungpunkt des Parak-Systems aufzutauchen.
Wor Matir glaubte zu hören, wie der Admiral zischend ausatmete und seine Schultern ein wenig herabsackten. Aber das war auch schon alles. Taran wandte sich nicht um, und er blieb stumm, während die Sekunden quälend langsam vergingen und sich zu Minuten reihten.
Cattaneo
Tyr
„Admiral! Meldung von der HELEN. Operation verläuft planmäßig, Daten werden übermittelt.“ Der eingegangene Funkspruch würde keinen imperialen Verschlüsslungscode verwenden. Auch wenn die Menschen ihn nicht knacken konnten – sein Einsatz hätte ausgereicht, um im Parrak-System sofort sämtliche Alarmsirenen losheulen zu lassen. Stattdessen würde das Spähschiff einen zivilen Terranercode verwenden – veraltet, leicht zu knacken, aber unauffällig und für die TSN so interessant, wie ein ausrangierter Wettersatellit. Wenn alles nach Plan verlief, würde die feindliche Funkabwehr erst gar nicht auf die Idee kommen, den Subtext der Funkbotschaft noch einer Beta-Verschlüsselung zu untersuchen. Aber wie auch immer – es gab jetzt kein Zurück mehr.
Admiral Taran atmete langsam aus: „Matir, sind die Shuttles gestartet?“
„Sie sind sprungbereit.“ Die beiden Spähshuttles waren nur ein kleiner, aber nicht unbedeutender Stein in Tarans Spiel. Sie würden in die Nachbarsysteme von Parrak vordringen, und dort getarnte Spähsatteliten aussetzen. So würde Taran hoffentlich rechtzeitig erfahren, aus welcher Richtung der Gegner Verstärkung erhalten, und wie stark diese sein würde. Er würde wissen, auf welchem Weg sich die Rikata-Kampfgruppe zurückziehen konnte. Baugleiche Satteliten waren auch in dem System verteilt worden, in dem die Flotte sich momentan aufhielt.
Außerdem hatte Taran aber auch noch einen Transmitter-Satteliten aussetzen lassen. Dieser würde auf wechselnden Frequenzen verschlüsselte Funksprüche an die im Parrak-System stehende Kampfgruppe schicken. So würde der Gegner hoffentlich den Eindruck gewinnen, dass weitere Akari-Flottenverbände im Anmarsch waren.
„Gut.“ Jetzt erst drehte sich der Flottenadmiral um. Mit ein paar Schritten hatte er den Kommandosessel erreicht. Aber er setzte sich nicht, sondern blieb hoch aufgerichtet stehen. Unwillkürlich straffte er sich, überprüfte den Sitz seiner Uniform.
Wor Matir wusste nicht, ob Taran innerlich wirklich so ruhig und zuversichtlich war, wie er jetzt den Anschein zu erwecken suchte. Er bezweifelte es. Aber im Augenblick war das nicht wichtig. In diesem Augenblick zählte vor allem, wie ihn seine Untergebenen wahrnahmen. Und jetzt, in diesem Augenblick, war der Admiral zweiter Klasse Mokas Taran - von dem flachen, schwarzen Hornkamm bis zu den vor der Brust verschränkten Armen, von dem engen Kragen der Uniform bis zu den matt glänzenden Stiefeln - ein würdiger Befehlshaber der imperialen Flotte. Taran hatte schon früher nie zur Fülle geneigt. Aber jetzt, nach Monaten voller Anspannung und zu wenig Schlaf, wirkte er hager, fast ausgemergelt. Die graue Schuppenhaut, ungewöhnlich dunkel für das Kind einer alten Zentralwelt-Adelsfamilie, spannte sich über den Knochen. Er wirkte…älter. Härter. Und gefährlicher.
Tarans Stimme gewann einen kalten, metallischen Klang: „Stellen Sie die Verbindung zu den Führern der Angriffsverbände her!“
Der Befehlshaber der Kampfgruppe hatte sich entschlossen, die Flotte in vier Wellen springen zu lassen, im Abstand von jeweils zwölf Sekunden. Normalerweise hätte die Kampfgruppe auch in drei Wellen und im Viersekundentakt springen können, doch Taran hatte sich dagegen entschieden. Die Sprungroute, die sie benutzten würden, litt unter leichten Energiefluktuationen. Taran verstand nicht viel von Sprungpunktastrogation, aber er verließ sich auf die Spezialisten. Außerdem machte es keinen Sinn, wenn sich die Flotte am Parrak-Sprungpunkt staute und bei ihrer Entfaltung selbst behinderte. ‚Auf diesem Weg sollten wir uns wohl besser nicht zurückziehen, wenn uns der Feind im Nacken sitzt…’
„Captain Zanni, ist die erste Welle bereit?“
Die junge Kapitänin des Flugdeckkreuzer KALLEH salutierte schwungvoll: „Wir sind bereit für den Angriff.“ Ihre helle, leidenschaftliche Stimme verriet den Eifer und den Ehrgeiz, der in ihr brannte. Die KALLEH gehörte zu den Schiffen, die aus dem Kernimperium zu Tarans Flotte gestoßen waren. Von den neuen Offizieren war Zanni diejenige mit der besten Beurteilung gewesen. Sie hatte trotz ihrer Jugend bereits Erfahrung im Kampf mit der TSN sammeln können. Und offenbar war es ihr dabei gelungen, sich nicht von dem verbreiteten Defätismus anstecken zu lassen. Sie hatte ihren schweren Flugdeckkreuzer perfekt im Griff, und das Zeug zu einer Flottenführerin.
Zannis erste Welle würde neben der KALLEH aus vier schweren und acht leichten Kreuzern bestehen, die von zwei Minensuchern, vier Flak- und zwölf Flottenzerstörern begleitet wurden. Während die Flugabwehrschiffe und die zwei Jagdstaffeln der KALLEH sich um etwaige feindliche Kampffliegerpatrouillen am Sprungpunkt kümmern sollten und die Minensucher etwaige Minenfelder anpeilten, würden die Kreuzer und Flottenzerstörer mit ihrer überlegenen Feuerkraft feindliche Kriegsschiffe und die stationäre Sprungpunktverteidigungsanlagen beiseite fegen. So würden sie dem Rest der Flotte den Weg ins System bahnen. Taran glaubte sich auf Zanni verlassen zu können. Sie war aggressiv und innovativ genug, um ihre Aufgabe zu erfüllen, aber nicht so unbesonnen, dass sie unnötige Risiken eingehen oder den Generalplan gefährden würde.
Die zweite Welle würde Taran persönlich führen. Sie stellte das Herz des Angriffsverbands dar. Zwei schwere und vier leichte Kreuzer würden die konventionelle Überlegenheit am Sprungpunkt weiter verstärken und eventuelle Verluste der ersten Welle ausgleichen. Dabei würden sie von zwölf Flottenzerstörern, vier Flak- und zwei Flottenfregatten unterstützt werden. Die KAHAL, die CHA’KAL und die GIBIT würden im Zentrum der Kampfgruppe Stellung beziehen. Während die Kampfflieger der beiden Flottenträger für Offensivoperationen zur Verfügung stehen würden, sollte die GIBIT durch regen Funkverkehr, ECM-Maßnahmen und den Einsatz von speziell modifizierten Täuschkörpern den Eindruck vermitteln, dass auch das umgebaute Schlachtschiff ein vollwertiger Flottenträger, ja sogar das Kommandoschiff der Flotte war. Der Pseudoträger würde die Spitze der Dreiecksformation einnehmen, die die drei Einheiten bilden sollten. Dadurch würde diese Einheit näher am vorderen Rande der Flottenformation stehen. Hoffentlich würde dieser Umstand – und eine bestimmte, aufgezeichnete Botschaft, die sie kurz nach dem Eintritt in das Parrak-System über Breitbandwelle in den Äther schicken sollte – die feindlichen Kampfflieger auf die GIBIT ziehen. Außerdem war der Pseudoträger so auch dafür prädestiniert, bei einem eventuellen Rückzug der Träger das Schlusslicht zu spielen. Nicht, dass Taran die Absicht hatte, sich so bald zurückzuziehen.
Die Jagdflieger der ELIAK VIII, der NAHIL KOO, der TORVA RAT und der KORAX II sollten die Sicherung der Rikata-Kampfgruppe übernehmen. Zusammen mit den Jägern der KALLEH würden zehn Staffeln Abfang-, Überlegenheits- und Sturmjäger zur Verfügung stehen, deren einzige Aufgabe der Schutz der Kriegsschiffe war. Koordiniert und eingewiesen von den beiden Flugdeckkreuzern, unterstützt von den Flakschiffen und den Flugabwehrgeschützen der Großkampfschiffe, würden sie jeden Bomberangriff auf die imperiale Flotte in ein Himmelfahrtskommando verwandeln.
„Kapitän Gelek?“
Der hagere Offizier verneigte sich knapp und grüßte mit geballten Fäusten in der rituellen Geste der alten Akarii-Flotte. Damit folgte er einem Ritual, das im Verlauf der letzten einhundert Jahre weitestgehend in Vergessenheit geraten war: „Wir werden unsere Pflicht erfüllen. Oder kämpfend fallen, Admiral.“
Unwillkürlich erwiderte Taran die Geste: „Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann.“
Die dritte Wellte umfasste vor allem die nachrangigen und kleineren Einheiten. Vier Flottenversorger und zwei zu Minenlegern umgerüstete Frachter wurden von vier Flotten- und vier Flak-Korvetten begleitet. Zusätzlich würden vier Flotten- und zwei Flugabwehr-Fregatten zusammen mit acht Zerstörern die Außensicherung der Flotte verstärken. Auch die beiden Schnellboot-Mutterschiffe würden zu dieser Welle gehören. Taran hatte sich entschieden, diese Geheimwaffe erst einmal in der Hinterhand zu behalten.
Außerdem gehörte noch eine Gruppe Truppentransporter zur dritten Welle, schwere Einheiten, die normalerweise ganze Brigaden regulärer Soldaten mitsamt ihrer Ausrüstung in den Einsatz brachten. Aber jetzt waren diese Schiffe leer, die Quartiere und Fahrzeughangar verwaist. Ihre Aufgabe war es, dem Feind die Gefahr einer Invasion vorzugaukeln, um so das gegnerische Oberkommando und den Systemkommandeur von Parrak in Panik zu versetzen. Sie waren ein Köder, der die TSN hoffentlich alle Vorsicht vergessen lassen und jeden verfügbaren Träger zum Parrak-System ziehen sollte.
Taran hatte angeordnet, dass die Einheiten außerdem als Rettungsschiffe fungieren sollten, um havarierte Maschinen und Rettungskapseln aufzunehmen. Ihre geräumigen Shuttlehangars und ihr starkes Fährenkontingent würden bei dieser Aufgabe hoffentlich gute Diente leisten. Natürlich hoffte Taran, dass dieser Einsatz erst gar nicht notwendig sein würde, aber er war Realist. Es würde Verluste geben, und wahrscheinlich würden die anderen Kriegsschiffe dann etwas anderes zu tun haben, als einzelne Jäger, Fähren oder Rettungskapseln aus dem All zu fischen. Zusätzlich würden die Truppentransporter die Nahsicherung des Verbandes verstärken. Relativ gut gepanzert und bewaffnet, mit leistungsfähigen Schilden und Zielerfassungssystemen, waren sie zumindest für feindliche Bomber und Jabos eine ernste Bedrohung. Und zu guter Letzt würden sie als Tarnung für die Schnellbootmutterschiffe fungieren, bei denen es sich um umgebaute Truppentransporter handelte. Sollte der Feind die Zeit und die Kräfte haben, ein paar Bomber gegen die Schnellbootträger zu entsenden, dann würde es ihnen wahrscheinlich schwer fallen, das richtige Ziel zu treffen. Im Zweifelsfall verlor Taran lieber einen leeren Transporter, als ein Mutterschiff.
Gelek war nicht mehr der Jüngste, aber er war ein guter Offizier. Er würde seine wenig herausragende Aufgabe zuverlässig und präzise durchführen.
Taran wandte sich dem Kommandeur der letzten Welle zu: „Kapitän Ka’wal…“
„Ich kenne meine Befehle, Admiral zweiter Klasse.“ antwortete der junge Kapitän. Knapp und in einem unpassenden Tonfall. Wor Matir musterte Ka’wal. Und erkannte die unterdrückte Wut, die in dem jungen Adligen brodelte.
Offenbar war er mit seiner Erkenntnis nicht der Einzige. Die Stimme des Admirals verwandelte sich zu purem Eis: “Ich weiß, dass Sie lieber eine aktivere Rolle bei dem Angriff übernommen hätten. Und Ihr Mut und Ihre Einsatzbereitschaft stehen hier auch nicht zur Debatte. Aber da ich Ihnen das Kommando über die Nachhut gegeben habe, erwarte ich auch, dass Sie diese Aufgabe mit der gebotenen Sorgfalt erfüllen. Es wird für jeden von uns Gelegenheit geben, Ruhm und Ehre zu erringen. Aber nur im Rahmen der von mir vorgegebenen Einsatzrichtlinien und der Gesamtstrategie. Eigenmächtigkeiten und Extratouren wird es nicht geben. Nicht in dieser Schlacht. Und nicht auf einem Schiff, das unter meinem Kommando steht. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, Captain?“
Ka’wal ähnelte Taran in mehr als einer Hinsicht. Er war jung, talentiert, entstammte dem Hochadel, war ehrgeizig und hatte eine steile Kariere vor sich. Seine Herkunft und die Beziehungen seiner Familie hatten ihm den Weg in die Flotte geebnet und rasche Beförderungen garantiert. Während Taran zuerst vor allem im Flottenstab gedient hatte, hatte es Ka’wal immer schon zu den operativen Einheiten gedrängt. Und es gab noch einen, entscheidenden Unterschied zwischen den beiden jungen Karriereoffizieren. Ka’wal war ein glühender Anhänger des verstorbenen Kronprinzen. Er war dieser Überzeugung auch nach Jors Tod treu geblieben und hatte daraus kein Geheimnis gemacht.
Seitdem er als Kommandeur einer Kreuzer-Division zur Rikata-Kampfgruppe gestoßen war, hatte es zwischen ihm und Taran Ärger gegeben. Die Tatsache, dass beide Männer nur schwer zurückstecken konnten und eine hohe Meinung von sich selber hatten, hatte natürlich nicht gerade dazu beigetragen, die Wogen zu glätten. Und dass der Admiral Jors Gefolgsmann dann auch noch den Posten des Verteidigers bei dem gegen den rebellierenden ‚Hochlord’ Qulat einberufenen Kriegsgericht angetragen hatte, war natürlich auch nicht für eine harmonische Arbeitsbeziehung förderlich gewesen. Ka’wal hatte sich selbstverständlich geweigert, denn wenn er etwas noch mehr verabscheute als die gegen Jor gerichtete Offiziersfronde, dann waren das Separatisten. Taran hatte nicht auf seinem ‚Vorschlag’ bestanden, doch bei den meisten Konfrontationen konnte er sich durchsetzen - gestützt auf seinen Rang, die Unterstützung des Oberkommandos und die Loyalität der meisten kommandierenden Offiziere. Allerdings konnte der Admiral Ka’wals Beziehungen und Status auch nicht völlig ignorieren. Also hatte Taran ihm ein eigenes Kommando gegeben. Nämlich die Nachhut.
Unbehaglich fragte sich Matir, ob sein Vorgesetzter mit dieser kaum kaschierten Ohrfeige nicht zu weit gegangen war. Das konnte später noch Probleme machen. Andererseits…Zanni war für das Kommando der ersten Welle bestens qualifiziert, und den Befehl über die dritte Welle hätte Ka’wal wohl für kaum ruhmvoller als sein augenblickliches Kommando gehalten. Und wie hatte es Taran ausgedrückt? ‚Ich formiere doch nicht eine Extra-Welle bloß um das Ego dieses Prinzenlieblings zu streicheln!’
Außerdem hatte Ka’wal mit vier schweren und vier leichten Kreuzern, mit sechs Flotten- und zwei Flak-Zerstörern immer noch eine Ehrfurcht gebietende Feuerkraft unter seinem Kommando. Das hätte dem Stachel, der in Tarans Befehl verborgen war, eigentlich etwas von seiner Schärfe nehmen müssen.
Im Augenblick jedoch sah Ka’wal so aus, als würde er seinen Vorgesetzen am liebsten erwürgen. Aber er wusste auch, dass er jetzt nachgeben musste. Es war Taran zuzutrauen, dass er ansonsten seinen ungeliebten Untergebenen arretieren und einen anderen Befehlshaber für die Nachhut bestimmen würde. Im Gefecht hatte ein Flottenkommandeur fast unbeschränkte Machtbefugnisse. Deshalb gab Ka’wal erst einmal klein bei: „Ich…verstehe, Mylord Admiral. Ich werde natürlich meine Pflicht tun.“
„Nichts anderes erwarte ich von Ihnen.“ Taran hielt den Blick des jungen Flottenoffiziers noch ein paar Sekunden lang fest, dann nickte er langsam.
Die nächsten Worte galten nicht mehr nur Ka’wal: „Denken Sie alle daran, dass wir einem entschlossenen und gefährlichen Gegner gegenüberstehen. Der Feind wird Verstärkung erhalten, während wir auf uns alleine gestellt kämpfen müssen. Greifen Sie nach Möglichkeit nur im Verband, mit Geschwader- und Divisionssalven an. Wir müssen als Einheit operieren und unsere punktuelle Überlegenheit voll ausnutzen. Nur dann werden wir Erfolg haben. Nur dann werden wir siegen.“ Sonst gab es nichts mehr zu sagen.
Als der Bildschirm erloschen war, drehte sich Taran wieder zu Wor Matir um. Seltsamerweise lächelte der Admiral jetzt unmerklich. Es schien, als sei eine schwere Last von seinen Schultern genommen worden. Seine Stimme aber blieb leise und ruhig: „Kapitän, geben Sie Gefechtsalarm. Die KAHAL soll sich auf den Sprung vorbereiten. Und auf die Schlacht.“
Cattaneo
Cunningham
TRS Pierre Le Grand
Sterntor, FRT
2. Juli 2637, 08:21 Flottenzeit
Vor knapp zwanzig Minuten war Alarm gegeben worden und man hatte die Gefechtsstationen besetzt. Wie üblich saß Senior Chief Petty Officer Mathias Henniges an der Hauptkonsole der Signalabteilung.
Die leitenden Offiziere waren alle noch auf ihrer Position, so dass die Le Grand wie eh und je funktionierte. Das einzige, was die Eskapade mit der Emerald Jade ihnen eingebracht hatte, war, dass sie wieder auf Vorposten waren.
Natürlich hatte Commander Rice einen Vermerk in seine Akte bekommen und seine Beförderung zum Captain war somit in unerreichbare Ferne gerückt. Sein eigener Name war ebenfalls in den Berichten und Notizen der untersuchenden Offiziere zu oft vorgekommen, als dass Mathias Henniges sich nochmal Hoffnung auf ein besseres Kommando machen konnte, geschweige denn auf eine Beförderung.
Herrje, wäre kein Krieg, würde man vermutlich in dreizehn Monaten seine Dienstzeit ablaufen lassen und keiner Verlängerung mehr zustimmen. In Friedenszeiten eigentlich ein ziemliches Dilemma, aber jetzt, da hätte er eigentlich nichts dagegen ausgemustert zu werden.
Seit über einem Jahr arbeitete die Regierung Birmingham daran ein Wehrpflicht-Gesetz durch den Senat zu bringen, und es sah auch so aus, als ob man es schaffen würde. Tatsächlich schien jemand rechtzeitig gemerkt zu haben, dass der TSN trotz aller Erfolge gegen die Echsen die Freiwilligen ausgingen.
Seiner Meinung nach sollte dann die Vertreter der Kolonien dagegen votieren, denn letztlich würden wieder die Kolonien den Resourcenbedarf zu decken haben. Da spielte es keine Rolle, dass es diesmal nicht um Rohstoffe, sondern um Humanresourcen ging.
Und Birmingham wäre dann gezwungen, wenn sie wirklich Wehrpflichtige einziehen wollte, auf ihre Sondervollmachten zurückzugreifen. Andererseits standen Wahlen an und Birmingham würde dadurch ihre Wiederwahl stark gefährden.
Henniges schnaufte amüsiert. Er war warscheinlich der einzige Unteroffizier der Flotte, der sich für Politik interessierte.
„Überlichtsensoren messen einen Anstieg der Thetastrahlung am Sprungpunkt.“, meldete einer der Sensorgasten.
Sofort war alle Rouitine verflogen und alle auf der Brücke der Fregaten drehten sich zu den Ortungstationen um.
Commander Rice trat zu dem jungen Spacer, der die Meldung gemacht hatte, und blickte kurz über dessen Schulter. Dann drehte sich der Skipper der Pierre Le Grand wieder weg: „Unaufgefordert weitermelden.“
Wenige Sekunden verstrichen, dann meldete der Sensorgast sich wieder: „Sprung! Einkommende Schiffe! Ich zähle fünfundzwanzig Einheiten Plus! Korrigiere … zweite Welle kommt durch, wow, da sind fette Brocken dabei! … Da kommt noch eine Welle, Captain … und noch eine vierte.“
Rice wartete etwas ab: „Noch etwas?“
„Nein, Sir, vier Wellen. Zähle insgesamt … etwa neunzig bis hundert Schiffe … und weg sind unsere Sensorbojen. Wir sind blind am Sprungpunkt.“
Der Captain blickte zu Ann Reuther: „Ihre Einschätzung XO?“
„Vier Wellen, im Zwölf-Sekunden-Takt. Entweder er ist ein Angeber oder ein Schisser.“
„Ann, Sie vergessen, Delta ist das einzig instabile Wurmloch. Er hat keine Wahl als seine Flotte in Wellen springen zu lassen. Durch die anderen Sprungpunkte, mit Ausnahme von Eta, hätte er einen einzigen Massentransit durchführen können. Ein geschickter Astrogator lässt so eine Flotte im drei, vielleicht sogar im zwei Sekundentakt durchspringen, aber die Akarii kennen dieses Gebiet nicht und haben auch nicht die entsprechenden Messungen. Der ist vorsichtig, Ann, der ist richtig vorsichtig. Vorsichtig, besonnen, gefährlich.“
„Was tun wir jetzt, Skipper?“
„Theoretisch müsste er uns schon gesehen haben…“
„Praktisch sollte aber Delta seine Sensoren verwirren, dass er uns noch nicht sehen kann.“, warf der Astrogator und zweiter Offizier ein, „Zeit genug um noch ein paar Meter zu machen, und zwar viele.“
„Hm, eigentlich würde ich gerne noch einen genaueren Scan der Flotte haben, bevor ich mich absetze.“
„Wie denn, die Echsen haben unsere Bojen zerstört,“, warf der leitende Radartechniker ein, „und unsere Sensoren sind nicht gut genug, um bei den Strahlungswerten da drüben was genaues zu bekommen.“
Henniges meldete sich zu Wort: „Darf ich einen Vorschlag machen, Skipper?“
„Nur zu, Chief.“
„Wir könnten doch ein paar Drohnen zusammen mit einigen Minen und Müll rauswerfen und ihnen eine Zeitschaltung einprogramieren. So, dass die in drei Stunden oder so einen aktiven Scan durchführen und uns die Daten hinterher senden. Die Echsen werden doch wohl nicht am Sprungpunkt sitzen bleiben.“
Reuther nickte: „Und wenn die Echsen denken, es wäre ein Minenfeld, das wir ausgelegt hätten um unseren hastigen Rückzug zu decken, werden sie es umgehen und die Sonden nicht entdecken. Clever.“
„Mr. Dubauer“, sprach Rice seinen Abteilungsleiter für die Ortung an, „Sie haben zwanzig Minuten um Minen und Sonden vorzubereiten, dann machen wir uns aus dem Staub.“
„Aye-aye, Sir!“
Spirit 309,
Sterntor, FRT
2. Juli 2637, 08:40 Flottenzeit
Noch immer war Lone Wolfs Nighthawk von der Wartungscrew nicht freigegeben worden, so dass die rote Staffel mit ihren Rotten durchtauschen musste, so dass Kai Schäfer auch einmal dran kam Rottenführer zu sein.
Eigentlich hätte er mit Arrow fliegen sollen, doch irgendwie hatte der Kerl es geschafft, mit Sonnyboy zu tauschen. Auf den als Flügelmann konnte er verzichten. Denn obwohl Dog schon ein Jahr im aktiven Dienst war, konnte er deutlich sehen, dass der Frischling Arrow Gant im einiges talentierter war als er selbst.
Sonnyboy hingegen konnte er noch was beibringen, und diesen konnte er auch schön durch die Gegend hetzen.
Der Tag hätte so schön werden können, wäre da nicht dieser Frachter aufgetaucht, der meinte er müsse unbedingt durchs Sperrgebiet um den Sprungpunkt nach Terra zu erreichen.
Der Einsatzleitoffizier in einem SWACS-Shuttel hatte sich gut eine halbe Stunde mit dem Captain des Frachters gestritten, doch Dog wusste schon, was auf ihn zukam.
„Spirit drei-null-neun, Rodeo-King, kommen!“
Das wars dann also: „Rodeo-King, Spirit drei-null-neun, bin auf Empfang.“
„Spirit drei-null-neun, Rodeo-King, wir überspielen Ihnen die Position der SS Asimov, fangen Sie die Asimov ab und zwingen Sie sie zur Umkehr.“
„Rodeo-King, Spirit drei-null-neun, verstanden, empfangen die Daten, gehen auf Abfangkurs.“, Dog wechselte auf den Staffelkanal, „Also Sonnyboy, Du hast es gehört, fangen wir die Asimov ab.“
„Verstanden Dog, ich bin an Deinem Flügel.“ Oh Himmel, klang der Junge aufgeregt.
Die beiden Nighthawk Raumüberlegenheitsjäger zogen eine weite Schleife und flogen auf die Asimov zu. Den Daten nach ein zivieler Laboe-Frachter, der ein Zwitterschiff war. Einen Teil seines Frachtraums war für mehrere Passagierdecks ausgebaut worden und laut dem Schiffsmanifest konnte sie gut zweihundert Passagiere befördern.
Der restliche Frachtraum war für die Aufnahme zweihundertfünfzig Tonnen Standartcontainer ausgelegt, die mittels Traktorstrahl hinausgegeben und Transportbarken übergeben werden. Ein LASH-Carrier so zu sagen.
„Spaceship Asimov, Spaceship Asimov, hier ist Navy-CAP null-zwo, Rufzeichen Spirit drei-null-neun auf der allgemeinen Sterntor Wachfrequenz, kommen. Ich wiederhole Spaceship Asimov, Spaceship Asimov, hier ist Navy-CAP nul-zwo, Rufzeichen Spirit drei-null-neun auf der allgemeinen Sterntor Wachfrequenz, hören Sie mich?“
„Spirit drei-null-neun, hier ist die Asimov, ich habe es Ihrem Vorgesetzten schon gesagt, ich habe fast dreihundert Passagiere an Bord, wir werden uns so schnell wie möglich nach Terra absetzen! Ihr Sperrgebiet ist mir scheißegal!“
„SS Asimov, Spirit drei-null-neun, ich fordere Sie auf augenblicklich beizudrehen und ihren Kurs zu ändern! Sie sind in militärisches Sperrgebiet eingedrungen.“, Dog kam sich so ungeheuer originell vor, wo doch der Skipper der Asimov selbst das Sperrgebiet erwähnte.
„Ich sagte schon ich scheiß auf Ihr Sperrgebiet!“
„Und was machen wir jetzt?“, wollte Sonnyboy wissen.
Dog blähte die Backen, tja, gleich einen Warnschuss abgeben wäre dann doch etwas sehr drastisch. Frachtschiffer, einfach zum Kotzen.
„Wir wecken die Leute da drüben mal richtig auf.“, war schließlich seine Antwort und gab Sonnyboy seine Befehle.
Die beiden Nighthawks hielten mit zweihundert km/s auf die Asimov zu. Beide wichen nicht vom Kurs ab. Auch nicht, als der Captain der Asimov sie lauthals anschrieh, sie würden miteinander kollidieren. Der Computer gab schon Annäherungsalarm, da korrigierten beide Nighthawks leicht den Kurs. Während Dog über die Asimov hinweg jagte, tauchte Sonnyboy unter ihr durch. Beide Piloten zündeten ihre Nachbrenner und führten eine Schellrolle aus.
Der Captain der Asimov fluchte in den lautesten Tönen.
Hinter dem Frachter wendeten die beiden Raumüberlegenheitsjäger und gingen auf dessen Sechs Uhr auf Schussposition.
„Rodeo-King, Spirit drei-null-neun, erbitte Waffenfreigabe für einen Warnschuss.“
„Spirit drei-null-neun, Rodeo-King, Waffen für einen Warnschuss frei gegeben. Aber achten Sie darauf, dass es tatsächlich nur ein Warnschuss wird, die Asimov hat viele Zivilisten an Bord. Und beeilen Sie sich, wir haben gerade ihren Rückruf von der Columbia erhalten.“
Dog verdrehte die Augen: ,Das mit den Zivilisten hätte ich jetzt echt nicht gewusst‘.
„Okay, Sonnyboy, wir gehen ganz nach Lehrbuch vor, Du feuerst eine Amramm zweitausend Kilometer vor ihren Bug!“
„Äh, Dog,“, die Stimme seines Flügelmanns klang belegt, „das wäre meine erste im Einsatz abgefeuerte Rakete, ich würde die ungern auf einen von UNSEREN Frachtern abschießen …“
„Jetzt hör aber auf,“, knurrte Dog, „Du bist der Flügelmann und hast damit den Warnschuss abzugeben. Außerdem ist das eine gute Übung für Dich.“
Der Bordcomputer meldete ihm, dass die Asimov ihn versuchte zu erreichen: „SS Asimov, Spirit drei-null-neun, was ist?“
„Spirit drei-null-neun, hier ist die Asimov, wir drehen bei und ändern unseren Kurs, deaktivieren Sie ihre Waffen, BITTE!“
„SS Asimov, Spirit drein-null-neun, verstanden, gleichen Sie ihren Kurs auf vier vier drei an, wir nehmen Eskortposition ein.“, ohne auf eine Bestätigung zu warten, wechselte Dog auf den Kanal des SWACS, „Rodeo-King, Spirit drei-null-neun, wir eskortieren die Asimov in Richtung Victoria Station, die sollen uns eine Ablösung schicken, damit wir zur Columbia zurückkehren können.“
Der Radarkontroller bestätigte.
Den Rest des Fluges verbrachte Dog schweigend. Auch auf Sonnyboys Ausdruck der Erleichterung, dass er nicht schießen musste, antwortete er nicht.
TRS James Knox
Sterntor, FRT
2. Juli 2637, 08:40 Flottenzeit
Floronce de Kerr ließ die Nachricht zurückspulen und spielte sie dann erneut ab:
"Hier spricht Admiral Taran, von den Raumstreitkräften des Sternenimperiums von Akar. An die Mannschaften und Offiziere der Sterntor-Verteidigungsverbände! Ich fordere Sie auf, ihre Waffen und Schutzschilde zu deaktivieren und zu kapitulieren, um sich und der Zivilbevölkerung den sicheren Tod zu ersparen. Dieses System steht von nun an unter der Kontrolle des Sternenimperiums. Wenn Sie sich ergeben und den Anweisungen unserer Streitkräfte Folge leisten, wird Ihnen nichts geschehen. Sollten Sie jedoch Widerstand leisten - werden wir Sie vernichten."
Sie versuchte den Akarii irgendwie einzuschätzen.
Der akariische Admiral blickte in die Kamera und trug seinen Text vor, ohne zu zögern und ohne wirklich erkennbare Regung. Zumindest in ihren Augen.
Was versuchte sie zu finden? Arroganz? Selbstüberschätzung oder Zuversicht?
Drei Flottenträger konnten jemanden schon eine Menge Selbstvertrauen geben. „Wer bist Du, Admiral Taran, und was bezweckst Du mit Deiner Nachricht?“
Ihr Stab blickte sie fragend an.
„Er wird uns doch nicht damit belustigen wollen.“, erklärte sie ihren Offizieren, „Er wird wissen, dass wir uns nicht ergeben. Tatsächlich wird er wissen, dass wir uns hier auch nicht zurückziehen werden. Selbst wenn er hier mit dem Doppelten seiner aktuellen Streitmacht aufgetaucht wäre, würde dieser Akarii wissen, dass wir kämpfen müssen.“
„Vielleicht ist er doch so blöde,“, merkte ihr Stabssignaler an, „vielleicht sollten wir eine Kapitulation vortäuschen und ihm dann so richtig in den Arsch treten.“
De Kerrs Stabschef schüttelte den Kopf: „Und was tun wir dann als nächstes? Schießen wir jeden Akarii ab, der sich versucht zu ergeben? Schießen wir auf Rettungskapseln? Worauf müssen wir uns dann in Zukunft einstellen, dass die Echsen unsere SAR-Shuttles abschießen oder unsere Rettungskapseln?“
De Kerr erhob sich und ging um den Kartentisch herum zu einem großen Wandschirm, der die taktische Situation wiedergab.
„Also, drei Flottenträger.“, sie drehte sich zu ihren Offizieren um, „Also Gentlemen, wir haben folgende Vorteile: Wir kennen das Gelände und wir haben die Möglichkeit die Echsen auf die ein oder andere Weise zu beobachten. Wir wissen wo sie sind. Wir haben ein relativ genaues Bild von ihrer Stärke oder werden es zumindest bald haben.
Die Vorteile der Akarii liegen natürlich auf der Hand: Sie können frei manöverieren und sich ihr Ziel genau aussuchen, während wir theoretisch alles beschützen müssen.
Wir werden den Belt nicht beschützen können. Sollten die Echsen sich entscheiden die Schürfgebiete in den Asteroiden vorzunehmen, können wir uns nicht schnell genug in Position bringen, um die Abbaugebiete oder die Raffinerien zu verteidigen.
Einheiten der Spaceguard und requirierte Zivielschiffe haben sich vor einer Woche auf den Weg gemacht den Belt so weit wie möglich zu evakuieren. Als die Akarii ins System gesprungen sind, wurde die Räumung der Fabriken und Minen begonnen. Sollten die Akarii innerhalb der nächsten sechzig Stunden losschlagen, wird die Evakuierung nicht vollzählig sein.“
De Kerr gab einige Befehle in das Wandterminal ein und der Belt wurde herangezoomt und ein Asteroid leuchtete grün auf.
„Vor zwei Tagen habe ich den Truppentransporter Roger Young mit zwei Korvetten losgeschickt das Militärgefängnis Fort Kent zu evakuieren. Als die Akarii ins System sprangen, wurde der Roger Young und ihrer Eskorte der Befehl erteilt zurückzukehren.
Die beiden Korvetten sind umgekehrt, der Captain der Young hat den Befehl verweigert und hält immer noch auf das Gefängnis zu. Die Akarii können jedoch gegen Fort Kent losschlagen, ehe die Young auch nur in der Nähe des Belt ist.
Die Evakuierungseinheiten der Spaceguard haben kein größeres Schiff mehr frei, welches die fast fünfzig Wachen und die über zweihundertfünfzig Sträflinge evakuieren könnte. Darüber hinaus haben die zivilen Bewohner des Belt Vorrang.“
„Eigentlich wird doch nur ein Schiff gebraucht, dass die Wächter abholt.“, grummelt einer der jüngeren Offiziere in seinen nicht vorhandenen Bart.
Die Admiralin überging diesen Einwurf: „Wie Sie alle wissen, ist Fort Kent von ein paar leichten Waffen zur Asteroidenabwehr unbewaffnet. Major Lawhorn, der Kommandant, bat um Anweisungen, falls die Akarii gegen ihn vorgehen. Ich teilte ihm mit, dass seine Militärpolizisten gemäß der Vorschriften der TSN Noncombatanten wären und ich nicht erwarte, dass er sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Aufruhrbekämpfungswaffen gegen akariische Sturmtruppen zur Wehr zu setzen. Ich habe ihm lediglich aufgetragen so gut wie möglich für die ihm überantworteten Häftlinge zu sorgen.“
Erneut legte sie eine kurze Pause ein, diesmal um einen Schluck Wasser zu trinken: „Was wir nicht aufgeben werden ist Masters! Ich weiß, wir haben nicht die Streitkräfte um beide Planeten zu verteidigen und Seafort können wir unmöglich entblößen.
Wir werden uns in eine direkte Abfangposition von Seafort bringen, so dass die Akarii direkt durch uns durch müssten, wenn sie nach Seafort wollen. Wir werden dann außerhalb der Reichweite der Jäger von Victoria Station sein, aber wenn zu erkennen ist, dass unser Freund es direkt wissen will, können wir uns etwas zurückfallen lassen.
Bei unserer Position werden wir darauf achten, dass wir uns so aufstellen, dass wir die Akarii angreifen können, sollten sie sich dann für Masters entscheiden.
Klartext: Wenn wir Glück haben, wird die Schlacht im Orbit von Masters ausgefochten. Ich weiß, das ist ein zweifelhaftes Glück, wo dort fast eine Milliarde Zivilisten Zeuge dieser Schlacht werden. Dennoch halten wir die Akarii so von den Industriezentren von Seafort und der zweiten Milliarde Zivilisten fern.
Also Gentlemen, informieren Sie die Flotte, wir rücken in zwei Stunden aus.“
Cattaneo
Tyr
Sterntor-System, Akarii-Kampfgruppe
„Admiral, alle Angriffswellen haben den Sprung durchgeführt und sich planmäßig formiert. Bisher kein Feindkontakt.“
Taran nickte knapp: „Meldung Minenräumer?“
„Es gibt einige unklare Sensoranzeigen…aber keine in unmittelbarer Nähe des Sprungpunktes. Erwartete Zeit bis zur Verifizierung der Ortungen – dreißig Minuten.“
„Gut.“ Der Admiral sparte es sich, die genannte Frist willkürlich zu verkürzen. So etwas machte sich vielleicht gut in einem Trideodrama, im wirklichen Leben aber war es meist unklug, die Minensucher zu sehr unter Druck zu setzen. ‚Noch haben wir die Zeit.’ Schweigend wartete er, während die Suchschiffe ihre unspektakuläre aber wichtige Arbeit absolvierten, während die ersten Kampffliegerpatrouillen und Vorpostenshuttles ausgeschleust wurden. Schweigend beobachtete er, wie sich die ihm aus Simulationen, Übungen, Manövern und Befriedungsoperationen vertraute Militärmaschinerie entfaltete. Aber diesmal war etwas anders. Diesmal ging es um sehr viel mehr. Es ging gegen die TSN – einen Gegner, dem er wie viele seiner Untergebenen noch nicht gegenübergetreten war.
Inzwischen musste seine Botschaft bereits die feindlichen Kriegsschiffe und Kommandoschiffe erreicht haben. ‚Deren Gesichter würde ich jetzt gerne sehen.’ Er hatte den Menschen etwas geben wollen, das ihnen zu denken gab. Das ihnen – wenn er Glück hatte – Angst einjagte, sie verunsicherte. Den Eindruck von einer tödlichen Bedrohung des gesamten Systems verstärkte. ‚Falls das Klischee von dem aggressiven, arroganten Imperialen noch etwas von seiner Wirkung behalten hat.’
Und wenn die Menschen es inzwischen verlernt hatten, sich vor den Akarii zu fürchten, wenn sie ihn wegen seiner Drohung verachten, ja über ihn LACHEN mochten, weil seine Worte ihnen nur als eine vermessene Geste erschienen…
‚Dann soll es eben so sein. Denn dann werden sie mich unterschätzen. Und wenn sie das tun…dann werden wir sehen, auf wessen Kosten dieser Witz am Ende geht.’
Außerdem sollte der von der GIBIT ausgesandte Funkspruch die Illusion untermauern, dass der an der Spitze der dreieckigen Trägerformation operierende Pseudoträger das Flaggschiff des Verbandes war.
Und auf eine gewisse Art und Weise befriedigte es ihn auch, sich derart offen anzukündigen, dem Feind sein Gesicht zu zeigen. Wie in den Geschichten und Sagen über die Schlachten vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende. ‚Sie sollen sehen, wer sie herausfordert – hier, an einem Ort, den noch kein imperiales Schiff gesehen hat.’
„Admiral, Nachricht von den Minenräumern. Der Weg ist frei.“
„Ausgezeichnet.“ Allerdings wussten alle, dass der Kampfverband mit dem erfolgreichen Sprung ins System nur eine der Hürden überwunden hatte, die ihn von der Erfüllung seiner Mission und einem taktischen Sieg trennten. Aber immerhin - Sie hatten den Gegner überrascht. Zumindest, was den Ort und den Zeitpunkt ihres Eintreffens anging.
„Frage Kurs?“
Der Admiral wusste, dass er sich jetzt kein langes Zögern leisten konnte. Wer zögerte, der wirkte unsicher. Schwach. Schlimmer noch, ein zu passives Verhalten könnte den Menschen enthüllen, dass die Stärke des Angriffsverbandes zumindest teilweise nur ein Bluff und das Parrak-System nicht das eigentliche Hauptziel der imperialen Strategie war. Je länger die Menschen Zeit hatten, um sich zu sammeln, umso entschlossener würden sie handeln. Umso mehr Verstärkung würden sie erhalten. Man musste sie unter Druck setzen, den Gegner unter Zugzwang setzen, den Druck halten und fallweise erhöhen. Dann würde der Gegner Fehler machen.
Gleichzeitig aber waren den Offensivoptionen der Rikata-Kampfgruppe Grenzen gesetzt. Der Feind war nicht schwach, wenn auch vielleicht nicht so stark wie die imperialen Streitkräfte. Doch wenn sich die Kampfgruppe verzettelte oder auf einen direkten Schlagabtausch mit den feindlichen Flottenverbänden UND den stationären Verteidigungsanlagen einließ…
Wenn man die umfangreichen Anweisungen und Operativrichtlinien auf ihren wesentlichen Inhalt reduzierte, dann war es seine Aufgabe, maximale Verwirrung zu schüren, dem Gegner eine ernste Bedrohung des Parrak-Systems – oder sogar der benachbarten Sternensysteme – vorzugaukeln. Außerdem sollte er so viele feindliche Marineeinheiten wie möglich vernichten und die gegnerische Kriegsindustrie schädigen. ‚Sie konnten sich wohl nicht entscheiden, ob das hier nun ein rein psychologischer oder ein…handfester Auftrag sein sollte.’
Da die TSN sie nicht bereits im tiefen Raum erwartet hatte und vorerst in eher defensiven Positionen zu verharren schien, musste Taran die feindlichen Verbände zu einer Reaktion provozieren, ohne sich dabei zu sehr zu exponieren. Aus diesem Grund verbot sich ein direkter Angriff auf Seafort. Denn in diesem Fall hätte er zu früh alle seine Karten offen auf den Tisch legen müssen. Aus dem gleichen Grund kam auch eine Aufteilung der Kampfgruppe oder ein Vorstoß auf das Terra-Sprungtor nicht in Frage.
Damit blieb nur noch…
„ Captain Los, rufen Sie die Zielzonenanalyse für den Asteroidengürtel auf und gleichen Sie sie mithilfe unserer Sensordaten und der Nachrichtenabteilung ab. In zwei Stunden will ich eine aktualisierte Zielliste haben.“
„Admiral.“
„Signal an die anderen Schiffe, defensive Transitformation. Wir gehen auf maximale Marschgeschwindigkeit. Navigator, berechnen Sie einen optimalen Transitkurs zum Asteroidengürtel. Und einen Passierkurs am Gürtel entlang - wenn möglich über die wichtigsten Produktions- und Minenanlagen der Terraner. Captain Los wird Sie dahingehend instruieren.“
„Zu Befehl.“
„Und wenn wir die erledigt haben...Endziel…Masters.“ ‚Wenn die Vernichtung ihrer Tiefraum-Industrieanlagen die TSN nicht hervorlockt, dann die Bedrohung eines Planeten. Und falls auch das noch nicht reicht…dann werde ich Masters so lange bombardieren, bis der Qualm der brennenden Anlagen und Städte ihnen den Weg weist.’
In diesem Augenblick schnitt ein scharfer, fast metallischer Signalton durch die Geräuschkulisse der Kommandobrücke.
„Wir haben Feindkontakt!“
„Energiesignatur lässt auf eine Fregatte oder einen kleinen Zerstörer schließen. Entfernt sich mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Systemkern.“
Captain Wor Matir unterdrückte einen Fluch: „Zwei Sektionen Jagdbomber sollen die Verfolgung aufnehmen und sie abfangen.“
„Sie werden sie nicht einholen.“ Tarans Stimme war so leise, dass Matir sie beinahe überhört hatte. Er drehte sich um: „Admiral?“
Der winkte ab: „Sie sollen es trotzdem versuchen. Ein gefahrloser Sieg käme uns jetzt gut zupass. Aber schicken Sie auch noch eine Rotte Aufklärer mit. Wenn wir das Vorpostenschiff schon nicht erwischen, dann können wir wenigstens den Weg etwas ausleuchten. Immerhin wollen wir auf unserem Marsch zum Sieg nicht stolpern.“
„Zu Befehl.“
*********************************
Sterntorsystem, an Bord der COLUMBIA
Das, was Milliarden Menschen erwartet und befürchtet hatten, war endlich eingetreten. Eine imperiale Schlachtflotte war an einem der Sprungpunkte aufgetaucht.
An Bord der COLUMBIA war vor weniger als einer Stunde Alarm gegeben worden. Man hatte alle Patrouillenflüge zurückbeordert. Kurz danach hatte der Träger einen neuen Kurs eingeschlagen – einen Kurs, der ihn näher an den Feind heranbringen würde.
In einem der Bereitschaftsräume hatten sich acht Mitglieder der schwarzen Staffel um einen Bildschirm versammelt, auf dem zum wiederholten Mal ein- und dieselbe Aufnahme abgespielt wurde. Die Bild- und Tonqualität war nicht gerade überwältigend, aber das änderte nichts an der brutalen Eindeutigkeit der Botschaft: „…werden wir sie vernichten.“
„Ich habe genug von diesem Mist!“ Maria ‚Huntress’ Agyris richtete sich plötzlich auf, pflückte die Fernbedienung aus den Händen des überraschten Crusaders und schaltete die Wiedergabeeinheit aus, ohne auf die Proteste ihrer Kameraden zu achten.
„Spinnst du? Gib das wieder her!“
Die Pilotin lachte den stellvertretenden Staffelchef frech an und blinzelte ihm dann anzüglich zu: „Komm doch und hol es dir!“ Sie wurde mit einem genervten kollektiven Aufstöhnen belohnt.
Petra ‚Sugar’ Martens verdrehte die Augen: „Du musst es ja echt nötig haben! Und dass du auch noch ausgerechnet einen Verheirateten anlaufen musst. Der Mann hat Kinder!“
„Na das beweist wenigstens, dass er Praxiserfahrung hat. Und wenn ihn seine Frau nach fünf Kriegsjahren noch nicht in die Wüste geschickt hat, kann das bei unseren miesen Gehältern nur heißen, dass er…“
„Da draußen ist eine imperiale Flotte auf Angriffskurs. Wir haben wirklich keine Zeit für deine Spielchen, Huntress.“ Kanos Stimme klang abwesend.
„Ich habe noch gar nicht angefangen zu spielen, Lieutenant. Das war noch nicht mal das Vorspiel.“
Kano winkte nur ab.
Sugar schnaubte höhnisch: „Die Echse nimmt den Mund übrigens ganz schön voll.“
„Das war eine Herausforderung.“ Immer noch klangen Kanos Worte etwas abgelenkt: „Er will uns provozieren. Uns zeigen, dass er keine Angst hat mit offenem Visier zu kämpfen.“
Huntress verzog spöttisch den Mund: „Muss diese Gorillamännchensache sein. Wusste nicht, dass es das auch bei Eidechsen gibt.“
Jin-Ho ‚Spacer’ Lee winkte ab: „Er hat sich dennoch ein bisschen viel vorgenommen. Ich meine, mit wie viel – drei Trägern – gegen die Columbia und fünf Majestic… Und dazu kommen ja auch noch die boden- und stationsgestützten Geschwader. Und bei den Kreuzern und Zerstörern ist er uns wohl auch kaum überlegen. Bisschen dünn für eine ausgewachsene Invasion und DIESE Botschaft.“
„Es sei denn, das ist nur die erste Welle.“ Wie fast immer waren Phuong ‚Flyboy’ Nguyen Ans Worte so leise, dass man sie kaum verstehen konnte.
Huntress quittierte das mit einer wegwerfenden Handbewegung: „Das haben wir doch schon x-mal durchgekaut. Es kommt wie es kommt. Keinen Sinn, das immer wieder durchzugehen. Du erschreckst nur die Kinder, Bambussprosse.“ Das Lachen, mit denen ihre Worte von einigen quittiert wurden, klang allerdings nur halbherzig. Nicht nur neuen Mitgliedern der Schwarzen Staffel – zu denen nebenbei eigentlich auch Huntress zählte – bereitete die Möglichkeit, dass der Verband dieses Admiral Taran nur ein Teil einer kombinierten Angriffsbewegung war, Kopfzerbrechen.
„Und wann werden sie hier sein?“ das war wieder Sugar. IHRE Stimme klang allerdings nicht besorgt. Sondern blutgierig.
Es war Spacer, der ihr antwortete – als ‚Sterngeborenem’ lag ihm die Berechnung von Transitrouten und –zeitspannen im Blut: „Wenn sie mit Höchstgeschwindigkeit fliegen…ich schätze 70 Stunden. Wenn Seafort ihr Ziel ist.“
‚Ja, wenn dieser Taran wie Ilis ist. Wenn er dort zuschlägt, wo wir am Stärksten sind. Wenn er mit dem Kopf durch die Wand geht. Seine Botschaft klingt danach. Warum…warum glaube ich das dann bloß nicht?’ Aber Kano behielt seine Zweifel vorerst noch für sich.
Agyris quittierte Spacers Schätzung mit einem sehr undamenhaften Fluch: „Na toll. Das heißt, dass wir dann wohl endgültig auf dem Zahnfleisch kriechen, wenn es ernst wird. Zumindest, wenn wir weiter auf Alarmstufe Rot rotieren. Die Echse kommt zu früh. Er hätte eine Woche später hier auftauchen sollen. Dann hätten wir wahrscheinlich angefangen, uns gegenseitig aufzufressen.“
„Hasst du Angst um deinen Schönheitsschlaf, Prinzessin?“ stichelte Spacer.
„Wer redet denn hier von Schlafen, du Weltraumzigeuner?“
„Ist das ein Angebot?“
„Nur wenn du noch mindestens einen zusätzlichen halben Ring und ein paar weitere Abschussmarkierungen vorzuweisen hättest. Wir wollen doch ein gewisses Niveau wahren.“
„Was bist du – ein standesbewusstes Fliegerass-Groupie?“
„Klar doch – und die Trauben sind sowieso sauer…“
Kano versuchte sich wieder auf das Geplänkel seiner Untergebenen zu konzentrieren, dass er ein paar Augenblicke verdrängt hatte. Die Mühe hätte er sich sparen können. Es ging immer noch DARUM. Natürlich wusste er, dass das auch nur eine Art war, mit dem Druck und der drohenden Gefahr fertig zu werden. Dennoch…: „Genug mit dem Herumgeschäker. In einer knappen halben Stunde dürfte La Reines Sektion wieder an Bord sein – sie haben die meisten Langstreckenpatrouillen zurückbeordert. Ich glaube nicht, dass sie uns so schnell wieder rausschicken, aber ich will, dass wir auf Nummer Sicher gehen. Nutzt die freie Zeit. Esst, ruht euch aus, schlaft...wie auch immer. Das, was in den nächsten Tagen auf uns zukommt, wird uns die letzten Tage bald als eine Ruhephase erscheinen lassen. Verlasst euch darauf.“
„Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte…“ Huntress Worte sorgten für ein paar Lacher bei einigen ihrer Kameraden und einen bemüht ausdruckslosen Blick seitens ihres Staffelchefs. Aber natürlich ließ sie sich davon nicht beirren, sondern beugte sich vor, um Kano etwas zuzuflüstern. Der bog den Kopf leicht zurück, musterte seine komplizierte Untergebene kurz – und dann huschte so etwas wie ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht: „Einverstanden. Ich werde sehen, was ich machen kann.“
***
Etwa vierzig Minuten später
In dem gigantischen Haupthangar der COLUMBIA herrschte eigentlich fast immer irgendwo Betrieb – zumindest, wenn der Träger nicht gerade im Dock lag. Im Augenblick ging es gerade besonders rege zu, da die Patrouilleflieger eingeholt und gewartet wurden. Allerdings war die Anzahl der Maschinen, die betankt und aufmunitioniert wurden, geringer als sonst – was sich aber in absehbarer Zeit signifikant ändern würde. Die vier Maschinen der Butcher Bears, die als Teil der Sofortstarteinheiten bereit standen, befanden sich im Augenblick in einem der etwas ruhigeren Winkel des Hangars.
„Also gut. Bitte alle schön freundlich.“ Allerdings kam nur etwa die Hälfte der zwölf Piloten, die sich vor dem Nighthawk-Quartett aufgestellt hatten, der Aufforderung nach. Die Gesichter der anderen zeigten eine Mischung aus bemühter Ausdruckslosigkeit und Ernst. Der Tech, den Huntress mit ein paar halblauten Bemerkungen und ihrem berühmten Lächeln als Fotografen rekrutiert hatte, zuckte mit den Schultern und drückte ein paar Mal auf den Auslöser.
Dann wurde ihm das Gerät bereits wieder von Huntress aus der Hand gerissen, die die digitalen Aufnahmen durchging um die – ihrer Meinung nach – beste auszuwählen: „Das nicht…das auch nicht…meine Güte, Lieutenant Nakakura, können Sie eigentlich auch mal etwas lässiger dastehen? Vermutlich sollten wir Ihnen einen Säbel beschaffen, auf den sie sich stützen können. Sie stehen da wie auf dem Exerzierplatz.
Flyboy, könntest du vielleicht etwas mehr wie eine Frau aussehen…“
„Und du vielleicht etwas weniger?“ mischte sich Crusader ein, während er betont Luft holte. Diesmal hatte er die Lacher auf seiner Seite.
„So, das hier passt.“
„Aber wir sollten besser darauf aufpassen, dass keiner von den Roten die Aufnahme in die Hand bekommt. Sonst benutzen sie sie noch für irgendeinen Vodoo-Zauber, damit wir Pech haben.“ La Reines Äußerungen wurde mit einigen Lachern quittiert. Es war kein Geheimnis, dass Lone Wolf die Roten gerne als unumstrittene Führungssquadron sehen würde. La Reine legte nach: „Und bei den Blauen könnte ich mir vorstellen, dass sie zumindest EINE unserer Pilotinnen gerne aus dem Bild haben würden…“
Kano winkte ab: „Das war’s. Wir haben den Techs genug Zeit gestohlen und im Weg gestanden.“ Außerdem wollte er nicht, dass seine Untergebenen derartige Gedanken weiterspannen. Ein Staffelfoto vor der Schlacht war die eine Sache – aber wenn sich die Männer und Frauen unter seinem Kommando etwa zu fragen begannen, wer auf diesem Bild bald schon wieder durchgestrichen werden musste…
Solche Gedanken waren Gift – ganz besonders kurz vor einer Schlacht.
Während die Piloten sich zerstreuten, blieb Kano zurück und musterte die aufmunitionierten und betankten Nighthawks. Gut. Sie waren mit einer Mischung aus Phoenix, Amrams und Sparrows bestückt. Die beiden Sidewinder, nun ja…
Leider waren die versprochenen Arrow-Atomraketen noch nicht in das Arsenal der COLUMBIA aufgenommen worden. Wenn kein Wunder geschah, dann würden die Butcher Bears auch diese Schlacht mit konventionellen Raketen bestreiten müssen. ‚Lassen wir den Thunderbolts und den Crusaders eben auch noch etwas zu tun.’ Bei diesem gegenüber den ‚langsamen Vettern’ der Jagdpiloten etwas unfairen Gedanken hätte Kano beinahe gegrinst. Aber auch wenn die Butcher Bears ohne Arrows in die Schlacht ziehen würden, zumindest bei den ‚normalen’ Raketen bestand diesmal kein Mangel. Und da sie in einem ‚eigenen’ System kämpfen würden und erst kürzlich die neuen, verbesserten Kampffliegerraumanzüge erhalten hatten, standen die Chancen gut, dass sich die Verluste diesmal in Grenzen halten ließen. Zumindest hoffte er das. ‚Hoffen ist müßig. Tu lieber, was in deiner Macht steht, damit es auch so GESCHIEHT.’
*********************
Einige Zeit später
Auch wenn Kano seinen Untergebenen empfohlen hatte, die dringend benötigten Kräfte für die nächsten Tage zu sammeln, wusste er selber, dass er dieser Aufforderung nicht folgen konnte. Zumindest noch nicht.
Er musste sich überzeugen, dass alle Maschinen der Butcher Bears – auch die Ersatzmaschinen – in tadellosem Zustand waren. Da Lone Wolf es geschafft hatte, die alten Maschinen der Roten Staffel zu den Butcher Bears abzuschieben, war dieser Punkt besonders wichtig. Er musste (wenn möglich) herausfinden, was die Angry Angels im Allgemeinen und die Butcher Bears im Besonderen in den nächsten Tagen erwartete. Er konnte sich nicht einfach nur damit begnügen, die Befehle zu befolgen, sobald er sie erhielt. Nicht mehr, seitdem man ihn zum Staffelkommandeur befördert hatte. Nun verlangte man mehr von ihm. Verlangte er selber von sich mehr. Zeit zum Schlafen würde er später finden.
Dennoch nahm er sich ein paar Augenblicke, um eine Einsatzmontur zurechtzulegen, die er später unter dem Raumanzug tragen würde. Alles war griffbereit. Auch die Laserpistole, die zur Ausrüstung eines Kampfpiloten gehörte. Das Hashimaki, das oben auf dem Stapel lag, gehörte allerdings nicht zur Standartausrüstung. Das weiße Stirnband mit dem roten Sonnensymbol und den schwarzen, inzwischen ein wenig ausgeblichenen Schriftzeichen war ein Geschenk seiner Schwester gewesen, die inzwischen selber zu den Angry Angels gestoßen war. Bei dem Gedanken an Sakura lächelte Kano kurz, auch wenn es ein sorgenvolles Lächeln war. Das seine Schwester jetzt auch in den Kampf zog…
Immerhin, er würde sie vor der Schlacht zumindest noch einmal sehen, sich von ihr verabschieden und ihr Glück wünschen können. Natürlich würde er ihr auch einschärfen, vorsichtig zu sein und sich dafür irgendeine verbale Ohrfeige einfangen. Sakura oder ‚Shoki’, Dämon, wie ihr Callsign lautete, schätzte es überhaupt nicht, wenn er ‚den älteren Bruder markierte’.
Von Kali hingegen…von Kali würde er sich nicht verabschieden können. Er konnte ihr nur in Gedanken Glück wünschen. Und versuchen, nicht daran zu denken, dass die Verlustrate der leichten Träger noch höher war, als die der Flottenträger. Die leichteren Einheiten hatten zu oft als Lückenbüßer dienen müssen. Ihnen fehlten die schwere Bewaffnung und die Standfestigkeit der Pegasus- und Lexington-Klasse. Nur Hasardeure wie Lone Wolf setzten schwere Flottenträger in der Schlachtlinie ein, während die leichten Träger bei ihren Einsätzen fast regelmäßig bis auf Raketen-, ja sogar Laser-Reichweite an den Gegner herankamen. Natürlich, die DERFLINGER hatte eine solide Reputation und bisher immer Glück gehabt. Dennoch…
‚Ich kann nur hoffen und beten, dass sie Glück hat. Nein. Dass sie ihr Können und ihre Fähigkeiten nicht im Stich lassen. Das ist besser als Glück.’ Aber er wusste natürlich auch, dass Fähigkeiten und Können oftmals nicht genug waren.
Was ihn selber anging…Kano lauschte ein paar Augenblicke in sich selber hinein, und hakte diesen Punkt dann ab. Es ging ihm gut. Keine übertriebenen Ängste. Keine Unsicherheit – zumindest nicht der Rolle gegenüber, die er in dieser Schlacht würde spielen müssen. Er würde seine Pflicht tun – ruhig und zuverlässig, kompetent und entschlossen. Er würde so klar und kalt sein, wie die Winterluft über dem Berg Fuji.
Crusader grübelte über einem Brief. Er überlegte, was er seiner Frau schreiben konnte, ohne die rigiden Zensurbestimmungen der TSN zu verletzen. ‚Idiotisch – als ob die Akarii unsere Post lesen müssten, um über die Schlachten Bescheid zu wissen, die sie mit uns schlagen.’
Es war für ihn zur Gewohnheit, fast zum Ritual geworden, vor der Schlacht an seine Frau und ihre gemeinsamen Kinder zu schreiben – auch wenn die natürlich noch zu klein waren um wirklich verstehen zu können, warum sie ihren Vater bestenfalls ein- bis zweimal im Jahr sahen. Er vermisste Elaine schrecklich. Aber seine Aussicht auf ein Heimatkommando war praktisch nicht vorhanden – dazu war er einfach zu gut und die TSN zu knapp an Piloten. Und auf einen ‚Heimatschuss’ zu hoffen, das hatte er sich selber verboten. Er wollte das Schicksal nicht herausfordern…
Sugar blickte der kommenden Schlacht ohne Sorge entgegen. Im Gegenteil, sie freute sich sogar. Eine weitere Gelegenheit, Akariis zu töten und sie für den Tod zweier ihrer Brüder bezahlen zu lassen. Den Gedanken an ihre eigene schwere Verwundung vor wenigen Monaten und die Möglichkeit ihres Todes verdrängte die rothaarige Pilotin mit den grünen Augen, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Es war die Erinnerung an Georg und Joachim, die ihr die Tränen in die Augen trieb – Tränen, die sie mit einer wütenden Handbewegung wegwischte. Jetzt war keine Zeit, um weich zu werden.
Phuong ‚Flyboy’ An Nguyen beobachte aus der Deckung ihrer Koje schweigend ihre Zimmerkameradin, die auf ein Holobild ihrer beiden Brüder starrte und wahrscheinlich glaubte, dass Flyboy nicht bemerkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. Oder das es ihr egal war. Sie hätte sie ja gerne getröstet, doch…nein. Wahrscheinlich würde sie das falsch verstehen.
Auch James ‚Jimmy’ Straw hatte sich in seine Koje verkrochen. Aber ihm war es im Augenblick egal, was seinen Zimmernachbarn umtrieb. Er hatte genug mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Der hünenhafte Mann hatte die Beine an den Leib gezogen und presste die Finger zwischen die Knie um sie daran zu hindern, zu zittern. Es würde bald besser werden, das war bisher noch immer der Fall gewesen. Er würde seine Pflicht tun können, seine verdammte Pflicht. Aber nicht mehr. Alles was darüber hinausging…hatte er verloren, als man ihn aus seiner wrackgeschossenen Maschine förmlich hatte herausschneiden müssen. Verdammt, er hätte jetzt etwas zu trinken gebraucht. Aber wenn ihn dieser analfixierte schlitzäugige Schleifer, der diese Staffel kommandierte, mit einer Schnapsfahne erwischte…
Ähnlich wie Sugar freute sich Paul ‚Phoenix’ Jeanpierre auf die kommende Schlacht. Doch es war eine kalte, beherrschte Freude, genährt von dem eisigen Feuer, das in dem ehemaligen Marinekorpspiloten brannte, seitdem er auf Wron beinahe selber in seinem abgestürzten Jäger verbrannt und seine Sektion von den Akariis förmlich zerrissen worden war. Jetzt würde er ihnen die Rechnung dafür präsentieren. Mit Zinsen.
Huntress verschwendete keinen Blick in den Spiegel, bevor sie ihr Quartier verließ. Sie wusste, dass sie umwerfend aussah. Wie eigentlich immer. Sie würde die nächste Stunde ganz bestimmt nicht mit Schlafen verbringen. Mal sehen, ob Knight gerade freihatte. Und wenn nicht…die Sache mit ihm ging sowieso schon fast ein wenig zu lange – einige Wochen…
Cattaneo
Cattaneo
Überraschungen und Eröffnungen
TRS Columbia, Sterntor-System, 3. Juli 2637
An Bord des Flottenträgers herrschte emsiges Treiben. Seitdem die Akarii in das System gesprungen waren, hatte wenigstens die Unsicherheit ein Ende, ob und von wo der Feind kommen würde. Inzwischen war der Kurs des Gegners bekannt – eine Bahn, die ihn durch den Asteroidengürtel führen würde, und die ihn möglicherweise auch in Angriffsreichweite auf Masters brachte. Wie schnell, das hing von der Marschgeschwindigkeit der Echsen ab. Und wie sehr sie sich Zeit nahmen, ein wichtiges Abbaugebiet für die metallurgische Industrie von Sterntor zu verwüsten. Nicht zu vergessen die Möglichkeit, dass die Echsen ihren Kurs noch einmal änderten und stattdessen direkt auf Seafort vorstießen. Die TSN hatte ihre Schiffe in Marsch gesetzt, doch es war noch immer nicht mit letzter Sicherheit zu sagen, welchen der zwei bewohnten Planeten der Gegner letztendlich angreifen wollte. Wenigstens die Gefahr für die Erde schien gebannt. Im Moment „dampfte“ ein Großteil der terranischen Kriegsschiffe mit Höchstgeschwindigkeit der neuen Bereitstellungsräumen entgegen. Allerdings wurde die breite Streuung der TSN-Verbände nun zum Nachteil. Es schien fraglich, ob man alle Schiffe würde an einem Punkt zusammenziehen können.
Für die Piloten gab es im Moment vergleichsweise wenig zu tun. Der Feind war noch deutlich außer Reichweite, dass sich nicht einmal Patrouillen lohnten. Jede Entfernung zwischen zwei Verbänden, die größer war als sechs, maximal acht oder neun Millionen Kilometer, unterband relativ effektiv Gefechte. Selbst die schnellsten Jäger und Bomber brauchten für diese Strecke drei bis fünf Stunden – in eine Richtung. Und das war so ziemlich die Höchstgrenze dessen was man den Piloten zumuten konnte, damit diese und ihre Maschinen anschließend noch kampfbereit waren.
Langeweile kam an Bord allerdings trotzdem nicht auf. Natürlich bereitete sich auch die Stammbesatzung auf einen Gefechtseinsatz vor – nicht nur weil die Columbia zuletzt bei Karrashin direkt in der Schlachtlinie gestanden hatte. So gab es für Flottensoldaten wie Piloten genug zu tun. Nicht nur die Dienstfanatiker trainierten ein letztes Mal die Zusammenarbeit, gingen mögliche Einsatzprofile für das kommende Gefecht durch, überprüften Waffen und Notfallroutinen, konfigurierten ihre Jäger…
Angesichts dessen war die augenblickliche Beschäftigung von Lieutenant Commander Tatjana „Lilja“ Pawlitschenko mehr als ungewöhnlich zu nennen, vor allem wenn man berücksichtigte, wie diensteifrig sie angeblich und tatsächlich war. Sie saß hoch aufgerichtet in ihrem Quartier. Die Russin trug ihre Dienstuniform, die Mütze saß absolut grade, das Haar war wie so oft straff zurückgebunden und in einem Zopf geflochten. Deutlich zeichneten sich ihre Narben auf Gesicht und Hals ab. Um ihre Mundwinkel war der bittere, kalte Zug, der für sie typisch war. Sie blickte geradeaus, mit einer Entschlossenheit, als würde sie einen Feind anvisieren. Ihre Stimme hatte einen scharfen Unterton: „Als ich auf die Redemption kam, wusste ich schon, was Krieg bedeutete. Ich hatte erlebt, wie wir zurückgeworfen worden waren, hatte viele Kameraden verloren. Es war…schwer, sehr schwer…einfach weiter zu kämpfen, wenn man gute Freunde sterben sieht, wenn man unsere Schiffe sterben sieht. Wir mussten durchhalten, egal wie weh es tat, das habe ich mir immer gesagt, doch es war das Schwerste, was ich mir überhaupt vorstellen konnte. Ich hatte gelernt, Verwundungen und Entbehrungen zu ertragen, von denen ich im Frieden nicht einmal wusste, dass es sie gibt.“ Für einen Moment bekam die harte Maske Risse, die sie sonst zur Schau trug. Die Russin wirkte verletzt, fast zerbrechlich. Dann fasste sie sich wieder: „Und ich hatte gelernt zu töten, effizient, kaltblütig, ohne nachzudenken. Doch bei den Angry Angels lernte ich etwas, das mindestens ebenso wichtig war. Ich lernte endlich, wie man siegt. Wie man nicht nur durchhält, sondern triumphiert, den Gegner dort angreift, wo er es am wenigsten erwartet. Das war es, was mich durchhalten ließ – und die neuen Kameraden, meine Kriegsfamilie, die ich hier fand.“
Sie schien zu überlegen, ob sie noch etwas hinzufügen sollte, doch in diesem Moment schrillte der Türmelder los. Mit einem unterdrückten Fluch betätigte sie einige Knöpfe auf einer Fernbedienung, die sie in der Hand hielt, dann öffnete sie die Tür.
Der Neuankömmling platzte in gewohnt direkter Art herein – Ina „Imp“ Richter war keine Frau des dezenten Auftretens: „Tanja, ich wollte…“, doch dann stoppte die XO der Grünen Staffel und schaute sich prüfend um: „Was bei den sieben Höllen und neunundneunzig Raumteufeln treibst du denn hier?“
Lilja spürte, wie sie rot wurde, an und für sich bei ihr sehr ungewöhnlich, und versuchte das zu überspielen: „Ich bin sicher, es gibt Gesetze dagegen, wie du Seefahrer- und Raumfahrerslang missbrauchst.“
Ihre Freundin grinste nur: „Ich bin Offizierin und stehe damit über den Gesetzen des Anstands und der guten Sitten – wie sonst würde man eine so hübsche junge Frau wie mich in eine Flottenuniform stecken können? Und du schuldest mir noch eine Erklärung, was DAS soll.“
DAS – der corpus delicti – war eine Aufzeichnungseinheit, die Lilja vor sich aufgebaut hatte. Die Russin schien zu überlegen, ob sie sich noch irgendwie aus der Affäre ziehen konnte, doch vor den gnadenlos bohrenden Augen ihrer Kameradin wollte ihr einfach nichts einfallen. Also seufzte sie nur: „Okay, ich kapituliere, du gibst ja sowieso keine Ruhe. Das ist eine Hausaufgabe vom Federal Republic Information Service.“
Imp kicherte: „Brauchen die dich für eine Rekrutierungskampagne? Sollten sie da nicht lieber jemanden wie Huntress die Zweite und Hübschere nehmen? Dann rennen die Kerle bestimmt die Türen der Meldezentren ein...“
Lilja reagierte keineswegs beleidigt, obwohl sie bei jemand anderem eine solche Bemerkung vielleicht in die falsche Kehle gekriegt hätte: „Hahaha, sehr witzig die Dame. Nein, diesmal rühre ich nicht die Werbetrommel.“ Die Röte in ihrem Gesicht vertiefte sich etwas, als sie fortfuhr: „Das ist, äh…für einen Film. Du weißt schon, sie drehen doch diese Serie über die Angry Angels. Und offenbar wollen sie, dass einige Original-Piloten für den Einspann ein paar Sätze sagen. Und da soll ich – vermutlich neben ein paar anderen – zur Probe ein paar Dinge vom Stapel lassen.“ Sie merkte, wie unsicher sie sich anhörte und wie sehr das Imp belustigte, konnte aber nichts dagegen tun: „Nicht ZU pathetische Sätze, natürlich auch nichts subversives, es soll authentisch wirken. Sie suchen sich dann aus, ob was Brauchbares dabei ist. Man würde das ja lieber professionell machen, aber so wie es im Moment drunter und drüber geht…“
Imp reagierte diesmal nicht mit Spott – noch nicht – sondern mit gut gelaunter Begeisterung: „Wow, und meine Lieblingsschinderin, Ausheulschulter und Zimmerkameradin darf da ein paar Sätze sagen?“ Ihr Grinsen wuchs in die Breite: „Sag bloß, du bist auch in der Serie drin!“ Der Blick Liljas war Antwort genug, und Ina legte sofort nach: „WAS – wirklich? Und das hast du mir bisher verschwiegen? Seit wann weißt du das eigentlich?!“
Lilja druckste etwas herum, musste jedoch Farbe bekennen: „Na ja…eine Weile nach unserer Ankunft in Sterntor…“
„WAS? UND DU HAST ES MIR BIS HEUTE VERSCHWIEGEN? Wenn ich hier nicht reingeplatzt wäre, ja wohl noch länger! Nimm zur Kenntnis, dass ich mindestens 30 Sekunden lang sauer auf dich sein werde… Und nun lass hören, wer übernimmt denn deine Rolle? Ist die Rolle wichtig?“
Die Russin wehrte etwas lahm ab: „Na ja, es schien mir zunächst noch etwas unsicher, und wir hatten so viel zu tun. Erst ging alles drunter und drüber, und dann nach meiner Rückkehr von meiner Sondermission und so…und ich nehme mal an, ich werde sowieso nur die pflichtversessene Spielverderberin vom Dienst sein, wie im echten Leben…und…“
Ina schnitt ihr die Worte: „Keine Ausflüchte mehr! Oder ich werde ernsthaft sauer! Rede gefälligst, oder ich wasche unsere schmutzige Wäsche künftig vor dem halben Schiff.“
Lilja hob kapitulierend die Hände: „Schon gut, ehe du in meiner Privatpost schnüffelst…“
„Mache ich doch sowieso…“
„Also gut, es heißt, sie wollen Ashley Croft als meine Darstellerin reinbringen, in der fünften Folge, glaube ich.“
Ina pfiff durch die Zähne: „Ist das dein Ernst? Und das erfahre ich erst auf Nachfrage? Sie hat doch Charlene ‚Ice’ Ferrow in ,Brennendes All’ gespielt!“
Lilja nutzte die günstige Gelegenheit, um sich zu rächen: „Du klingst ja wie ein echtes Groupie. Aber erwarte jetzt nicht mehr, dass ich versuche, ein Autogramm für dich rauszuholen.“ Ina zog einen Flunsch.
Die gespielte Verstimmung der Staffel-XO hielt jedoch nicht lange vor. Ein wenig mehr, und ihre Stimme hätte vor Begeisterung geradezu gequietscht: „Na, da kann ich nur gratulieren. Hihi, wenn das gut läuft, landet dein filmisches Alter Ego noch als Pin-up-Girl in allen Schiffen… Eine Lilja zum Anschmachten und…“ Ashley Croft war – wie jeder zugeben würde, Lilja wahrscheinlich als erste – eine echte Schönheit, eine Qualität, mit der das Original nicht mithalten konnte. Doch was Imp im Gesicht ihrer Freundin bemerkte, sah wesentlich ernster aus als „Sorgen“ über solche Eventualitäten.
„Was hast du denn? Man könnte meinen, man hätte dich aus der Staffel raus- statt ’reingeschrieben. Und wie ich dich kenne, hättest du nicht mal dann auf Staatstrauer gemacht.“ Imp feixte niederträchtig, während sie hinzufügte: „Oder gibt es da pikante Einzelheiten, die ich noch nicht weiß? Eine heiße Affäre mit einem anderen Fliegerass für die Film-Lilja? Ich wüsste da schon jemanden…oder nein, das wäre doof…aber vielleicht eher…Oder ist es eine heiße Duschszene mit durchsichtiger Trennwand, oder…“
Doch Ina Richter war nicht nur – wie man so sagte – der Scherzkeks unter den Kommisbroten, sie hatte auch ein gutes Einfühlungsvermögen. Und deshalb bemerkte sie, dass, was auch immer Lilja plagte, etwas wesentlich ernsteres war. Also stoppte sie ihre Vermutungen und starrte die Russin nur fragend an, bis die sich schließlich widerwillig zu einer Erklärung bequemte: „Ach, ich muss nur immer daran denken, dass ich genau darüber mit Diane gescherzt habe, in Beta Borealis, kurz bevor wir zur Jagd auf Prinz Jor aufgebrochen sind. Wir haben darüber gewitzelt, wer immer Jor killt, der hätte eine Gastrolle im nächsten Blockbuster über den Krieg sicher – und wie es aussähe, wenn ich das wäre. Und jetzt kommt mein Alter Ego – und sogar ich selbst für ein paar Sekunden in der Einleitung – auf die Bildschirme, sogar ohne dass ich Jor gekillt habe, und Lightning ist nicht mehr dabei, damit wir darüber lachen und tratschen können.“ Nicht, dass Lilja üblicherweise tratschte. Imp nickte nur kläglich, und blinzelte eine Träne weg. Dianes Verwundung bei Tukama und der schmerzhafte Abschied von der komatösen Staffelchefin…Wenn sie daran dachte, musste sie an sich halten um nicht loszuheulen wie ein Schlosshund. Das Gespräch, auf das Lilja anspielte, war eigentlich gar nicht so lange her gewesen – und doch war soviel seitdem geschehen, im Krieg, mit der Columbia und auch mit der grünen Staffel. Und kaum eine der Erinnerungen war ohne Schmerz.
Aber Imp wäre nicht gewesen wer sie war, wenn sie nicht versucht hätte, die Stimmung wieder etwas aufzuhellen: „Komm schon, du weißt doch, Diane macht sich in der Reha ganz gut. Ihre Nachrichten klingen von Mal zu Mal besser, und inzwischen hat sie auch keine Angst mehr, dass du die Staffel ’runterziehst. Du wirst sehen, bald ist sie wieder topfit, als nächstes wird sie CAG, mindestens auf einem leichten Träger, wenn nicht mehr. Mann, da wird Lone Wolf aber aufheulen…“ Sie registrierte, wie Liljas Miene sich noch etwas verfinsterte – die Russin neigte zu einer tolerierbaren Loyalität verbunden mit einer schwer verständlichen Heldenverehrung, wenn es um den ehemaligen Geschwaderchef ging.
„Ach komm schon, Lilja, schau nicht so sauer. Freu dich, jubele, spring an die Decke, gib dem nächsten Besten einen Kuss – wie man es eben in so einem Fall tun sollte. Das ist soviel wert wie ein Orden, auf jeden Fall! Ich meine, dass sie dich ’reinschreiben ist doch toll – ich würde vor Freunde durch das ganze Schiff steppen, wenn sie es mit mir so machen würden! Und dann auch noch ASHLEY CROFT, ICE, OH MEIN GOTT, OH…“
Lilja lächelte schief und brachte ihre Kameradin mit einem Knuff zum Schweigen. Sie ließ sich aber wie so oft von der guten Laune ihrer Freundin anstecken, auch wenn sie meist nur milde Symptome zeigte: „Also dich ’reinschreiben würden sie ja wohl am ehesten, wenn sie eine Militärsatire drehen…was heutzutage ganz und gar unpatriotisch wäre.“ Imp streckte ihrer Vorgesetzten die Zunge heraus.
„Aber sag mal, hast du Ashley mal geschrieben? Ihr erklärt, wie die echte Lilja ist oder so? Und das Geschwader?“ Imp malte sich dergleichen offenbar lebhaft aus – ausgehend von der Art und Weise, wie Lilja sonst Leute abkanzelte, die sie zu belehren trachtete. Zu ihrer gelinden Enttäuschung schüttelte die Russin den Kopf: „Ich meine, ja, klar wäre es schön, wenn ich, also Ashley, nicht so dasteht wie manche dieser Filmheldinnen – Titten mit Fliegerhelm oder Abziehhelden, die jeder oberhalb des Niveaus eines Dreijährigen total unglaubwürdig findet. Aber…es ist eben ein Film, NICHT die Wirklichkeit. Und vom Film verstehe ich nicht viel. Ich meine, ich würde doch auch nur den Kopf schütteln, wenn mir Ashley erklären wollte, wie ich Akarii zu killen habe. Sie ist Schauspielerin, das ist ihr Job, den macht sie hervorragend, was soll ich ihr da schon sagen? Und ich wette, sie versteht sogar noch mehr vom Raumkampf als ich von Schauspielerei. Sie weiß das alles viel besser, wie man die Wirklichkeit manchmal…anzupassen…hat. Außerdem glaubst du doch nicht, dass der FRIS nicht genau hinschaut, wie wer gespielt wird. Der Film soll ja nicht nur die Wahrheit zeigen, nicht einmal nur gute Kritiken bekommen, sondern auch noch einem guten Zweck dienen.“ Wenn es um den Missbrauch ihrer eigenen Person zu Propagandazwecken ging, hatte Lilja offenbar wenige Hemmungen. Vermutlich hätte sie sogar in einem Werbespot über Gesichtscreme oder atmungsaktive Unterwäsche mitgemacht – wenn der Ertrag der Flotte zugute gekommen wäre.
Ina seufzte resignierend, wenn auch nur mäßig überrascht: „Also dass du sogar da so entsetzlich entsetzlich…äh vernünftig sein musst.“
Lilja seufzte und wurde wieder rot: „Na ja, wenn ich ehrlich sein soll…aber das bleibt unter uns, oder wir sind geschiedenen Leute…also als ich das erste Mal davon erfahren habe, habe ich ihr wirklich geschrieben. Ihr gesagt, wie sehr mich das freut, und was es für eine Ehre sei, dass gerade sie meine Rolle übernimmt, und wenn ich irgendwie helfen kann, werde ich es tun, und…hör sofort auf zu lachen!“
Imp prustete nur lauter: „Wer ist jetzt das Groupie? Ich kann es mir gar nicht ausmalen, Lilja die eiskalte Akarii-Killerin schreibt einen schwärmerischen Fanbrief, also wenn ich den nur in die Finger kriegen könnte…“
„Vergiss es – du würdest ihn doch garantiert das Schiff rauf und runter schicken.“
„Das Schiff? Eher die ganze Vierte Flotte, wo wir schon dabei sind…Und, hat Ice wenigstens geantwortet?“
Erneut verstärkte sich der Rotton im Gesicht der sonst so kalten Russin: „Ja…sogar sehr freundlich. Sie hat gesagt, es sei für SIE eine Ehre, und dass sie großen Respekt vor meinen Leistungen habe – wie vor denen meiner Kameraden. Sie hat mir sogar zu meiner Genesung gratuliert. Und zum Schluss gemeint, ich solle auf mich aufpassen, sie würde für Sterbeszenen einfach nicht taugen – falls sie mehr als eine Staffel drehen und ihr die Rolle noch eine Weile erhalten bleibt.“ Imp behielt ihre Gedanken für sich – offener Zynismus war nicht ihre Art. Wenn es um Anerkennung ging, war Lilja manchmal rührend naiv und fast verzweifelt um Zuspruch bemüht, obwohl sie das natürlich nie zugegeben hätte. Die Deutsche hielt es indes für nicht unmöglich, dass der Antwortbrief von irgendeinem untergeordneten Mitarbeiter verfasst worden war, der solche Sachen für Ashley Croft erledigte. Oder von jemandem vom FRIS. Aber vielleicht auch nicht, und wer war sie schon, ihre Freundin herunterzuziehen?
„Na ja, das entschuldigt zumindest ein wenig, dass du deine Zeit verplemperst, während die Akarii im System sind. Und wir eine Staffel haben, die wohl bald in den Kampf geht und noch einiges nachzuholen hat, ich meine mit den ganzen Neulingen.“ Diese Kritik war natürlich nicht ernst gemeint – Lilja hatte selbstverständlich ihre rare Freizeit für ihre Sprechübungen genutzt. Doch offenbar hatte sie trotzdem ein wenig ein schlechtes Gewissen, unter anderem weil sie auf die Medusa-Mission gegangen war, während Imp den Laden zusammengehalten hatte. Die Staffel-XO hatte sogar mit beachtlichem Erfolg angefangen, die Neuzugänge zu integrieren.
Die Staffelchefin hatte nach ihrer Rückkehr kaum Änderungen vorgenommen, abgesehen von einigen Feinabstimmungen. Sie hatte das bereits akzeptable Zusammenwirken in der begrenzten Zeit und angesichts des engen Dienstplans nicht mehr sehr viel verbessern können. Nicht, dass sie es nicht versucht hatte. Aber es machte sich eben bezahlt, dass Lilja und Imp sich seit Jahren kannten und bestens ergänzten, auch wenn ihre Lebensmottos sehr verschieden waren. Die Russin hatte an den Leistungsparametern der Staffel wenig auszusetzen gehabt – wenn man berücksichtigte, dass die Schlachten von Tukama und Karrashin die Hälfte des Ist-Bestandes gekostet hatten, und die Neuzugänge zum Großteil „Frischfleisch“ waren.
Jedenfalls hatte Liljas Stimme einen geradezu rechtfertigenden Klang, als sie antwortete: „Na ja, im Moment können wir nicht viel tun. Bis wir vernünftig Patrouille fliegen können, vergeht noch eine Weile. Die Akarii sind so weit draußen gesprungen, dass wir noch immer nicht so genau wissen, wo sie hin wollen. Jedenfalls kommen wir noch nicht an sie heran.“ Sie atmete tief durch: „Worüber wolltest du eigentlich ursprünglich mit mir sprechen?“
Ihre Stellvertreterin grinste: „Ich habe wieder genügend Kapazität freimachen können für eine Staffelübung im Simulator. Die Blauen sind etwas später dran – dafür musste ich aber Ace versprechen, dass wir ihm unter die Arme greifen.“ Sie kicherte: „So kurz vor der Schlacht wollen alle noch mal Trockenschwimmen üben, bevor sie planschen gehen.“ Imp war liebenswürdig und hilfsbereit, aber gelegentlich rieb sie den Zielen ihrer Hilfsbereitschaft auch besagte Unterstützung unter die Nase. Vor allem, wenn es sich um eine konkurrierende Staffel handelte.
Liljas Miene erhellte sich schlagartig: „Ausgezeichnet. Kooperation ist etwas, das wir dringend brauchen…“
***
TRS Columbia, Sterntor, eine Stunde später
Manöverkritiken von Lilja gehörten zu den Dingen, die man im Gedächtnis blieb. Egal wie gut man war – irgendwann hatte jeder mal einen schlechten Tag, und dann bekam man das auf das deutlichste unter die Nase gerieben. Lilja respektierte weder Abschüsse noch Rang, Auszeichnungen oder Alter – geschweige denn Stolz. Wer sich nicht mit ihren hohen Ansprüchen messen konnte, und das konnten höchstens die Altgedienten, der konnte sich stets auf ein paar scharfe Kommentare gefasst machen.
Diesmal war es nicht viel anders. An den Veteranen hatte Lilja wenig auszusetzen, aber die Neulinge – besonders die drei erst in Sterntor zum Geschwader gestoßenen – erhielten ein paar Belehrungen.
„Bad Luck, ich erwarte, dass mein Flightkamerad mir IMMER folgt, egal wie schwierig meine Manöver sind. Ich muss nicht nur schießen und kämpfen, sondern auch eine Staffel dirigieren – und dafür brauche ich einen freien Rücken. Es geht nicht, ich wiederhole, NICHT, darum, ob Sie Abschüsse erzielen. Sie sollen es mir erlauben, nicht nur als Kampffliegerin, sondern vor allem als Staffelkommandeurin ungestört zu agieren. Können Sie das nicht, muss ich mir einen anderen Flightkameraden aussuchen und Sie jemanden zuteilen, der Sie bemuttert.“
Die Wangen des hoch gewachsenen Blondschopfs brannten wie Feuer unter dieser Kanonade. Er hatte sich zunächst geschmeichelt gefühlt, als Neuling mit nur einem Jahr Dienst auf einem Hilfsträger und angesichts der unglücklichen Zwischenfälle während seiner Ausbildung zum Flightkameraden der Chefin ausgewählt zu werden. Inzwischen begann er zu begreifen, dass es ein Privileg mit einem extrem hohen Preis war. Lilja hatte ihn angefordert, weil er Flugroutine hatte und sie keine eingespielten Paare auseinander reißen wollte. Jetzt verlangte sie Höchstleistungen von ihm, und das in kürzester Zeit. Nicht, dass man von Lilja nicht viel lernen konnte.
„Crow, das war akzeptabel. Sie und Hellcat geben ein gutes Gespann ab, aber Sie sollten ihre Zusammenarbeit noch besser koordinieren. Ich weiß, das ist nicht leicht, wenn man sich noch nicht lange kennt, aber der Gegner wird Ihnen vermutlich keine Zeit lassen, es gemächlich anzugehen.“ Der junge Asiat kam frisch von der Akademie, in diesem Fall von der Flugschule im Sterntor-System, und er obwohl er inzwischen stolz seinen Schwingen trug, war er immer noch daran gewöhnt, von vorgesetzten Offizieren zurechtgewiesen zu werden. Auch wenn er nicht die Heldenverehrung von Abat kultivierte, er hatte vor Lilja, Imp und anderen Altgedienten gehörigen Respekt. „Hellcat – Sie wissen, warum ich Ihnen einen Flight unterstellt habe. Sie haben meiner Meinung nach wie Marine in naher Zukunft das Zeug für eine Beförderung zum First Lieutenant. Aber dafür müssen Sie zeigen, dass Sie wirklich FÜHREN können.“ Sie sprach es nicht aus, aber ein weiterer Faktor für eine mögliche Beförderung war der Umstand, dass die grüne Staffel viele Offiziere verloren hatte.
Ihre Miene sackte noch einige gefühlte Grade weiter unter den Gefrierpunkt, als sie den letzten Adressaten ihrer Kritik fixierte. Möglicherweise war sie gegenüber höherrangigen Untergebenen noch kritischer als gegenüber solchen, die weiter unten in der Hackordnung standen: „Was Sie angeht, Guardsman, so zeigen Sie gute Leistungen. Ihre Zusammenarbeit mit Fidai ist beachtlich angesichts der kurzen Zeit, die Sie mit ihm üben konnten.“ Ihre Worte wollten nicht so recht zu ihrer Miene passen, doch sie fuhr ungerührt fort: „Jedoch muss ich sagen, dass Sie an der Aggressivität ihres Flugstils immer noch einiges verbessern müssen. Wir haben darüber ja bereits gesprochen und ich ERWARTE, dass meine Bemerkungen als Befehle, nicht als reine Meinungsäußerungen berücksichtigt werden. Zusätzlich zu Ihren sonstigen Leistungen in der Übung haben Sie zweifelsohne gute Bewertungen, und bei den Defensiveinsätzen in Ihrer alten Einheit gut abgeschnitten. Aber wir sind nicht nur ein Verteidigungs-, sondern auch ein Angriffsverband, und dies gilt sowohl für direkte Angriffe als auch für aggressive Eskorten. Das verlangt ein angemessenes Vorgehen, selbst wenn unsere Gegner nicht nur Piraten in veralteten Maschinen sind. Oder Akarii-Raider, die schnell wieder verschwinden wollen. Niemand von uns schätzt sein Leben gering, doch man erwartet von uns, dass wir es riskieren. Tag für Tag. Es ist gewiss kein Verdienst unserer Staffel, hohe Verluste zu haben, sondern eine Tragödie. Und doch verpflichten gerade diese Opfer uns, niemals weniger zu leisten als unsere Kameraden, die verwundet oder getötet wurden. Das hier war lediglich eine Simulation, eine Übung – doch Sie müssen unbedingt ihre Aggressivität weiter steigern. Diese ist unverzichtbar, wenn wir dazu eingeteilt werden, in freier Jagd den Bombern den Weg zu bereiten oder sogar selber schwerere Ziele wie Frachter und leichte Kriegsschiffe oder vielleicht irgendwann einmal in der Zukunft harte Bodenziele anzugreifen. Ich erwarte, dass Sie solche Aufgaben mit unbedingtem Einsatzwillen erfüllen. Vorsicht ist gut, ja lebenswichtig. Aber nicht auf Kosten anderer, seien es Kameraden oder Angehörige anderer Einheiten.“ Sie ignorierte, dass Guardsman bei den harten Worten unter seiner dunkelbraunen Haut erbleichte. „Ich habe Sie Fidai zugeteilt, weil er gute Anlagen gezeigt hat, wenngleich er sich zu Anfang noch hat hinreißen lassen.“ Sie lächelte dünn: „Inzwischen hat er bewiesen, dass er eine wertvolle Ergänzung unserer Staffel seien kann. Es liegt allein an Ihnen, aus diesen Anlagen etwas zu machen. Potential wird in meiner Staffel nicht verschwendet.“
Liljas Gegenüber war mindestens zehn Jahre älter, verheiratet und hatte eine dreizehnjährige Tochter, dazu eine längere Dienstzeit in der Nationalgarde und Jahre im Berufsleben, in denen er Shuttleoperation nicht nur geflogen sondern auch koordiniert hatte. Und jetzt musste er sich von einer deutlich jüngeren Offizierin abkanzeln lassen. Innerlich mochte er mit den Zähnen knirschen, doch er konnte kaum anders antworten als mit einem „Zu Befehl!“ – schon gar nicht im Angesicht der versammelten Staffel. Es war auch schwer, einer Pilotin Widerworte in Bezug auf die Einsatzmoral zu geben, die ein halbes Dutzend mal verwundet worden war, und zumindest innerhalb des Geschwaders dafür bekannt war, ihren letzten Abschuss mit einem gebrochenen Bein erzielt zu haben.
Wenn es nach Lilja gegangen wäre, hätte sie den ruhigen Nationalgardepiloten vermutlich eher einem anderen Piloten unterstellt, oder ihn einfach als Rückendeckung für sich selbst behalten. Dann hätte er keine Wahl gehabt, als ihr zu folgen, und er war gewiss kein schlechter Pilot. Auf sich selbst gestellt – so fürchtete sie – würde er nicht unbedingt den Angriffsgeist zeigen, den sie erwartete und verlangte. Aber bei der geringen Zahl an First Lieutenants war das unmöglich, obwohl sie mit ihrer Ansicht nicht hinter den Berg hielt, dass sie mehrere Second Lieutenants für mindestens ebenso gut wie ihn hielt. Und sie hatte soeben angedeutet, dass sie ihm im Notfall ungeachtet aller damit verbundenen Probleme seinen Posten als Flightleader entziehen würde.
Nach dieser vernichtenden Breitseite mäßigte Lilja sich ein wenig – für ihre Verhältnisse: „Ich kann verstehen, dass es Zeit dauert, sein Flugverhalten bei einer Umstellung wie der Ihren anzupassen. Ihre alte Einheit hatte ein anderes Profil, doch nun müssen Sie sich umgewöhnen, und zwar schnellstens. Ich werde deshalb mit Ihnen im Anschluss noch einige Angriffsroutinen üben, sagen wir ab jetzt in einer Stunde – Imp, du musst unsere Hilfestellung bei den Blauen im Alleingang übernehmen.“
Ina Richter konnte es sich erlauben, über solche Planänderungen zu maulen, meldete aber keinen ernsthaften Widerstand an.
Die Russin musterte noch einmal ihre versammelten Staffel: „Wir machen Fortschritte, daran kann kein Zweifel bestehen. Sie…“, das galt Shoki, Abat und Knight, die erst nach Tukama an Bord gekommen waren, „leisten inzwischen gute Arbeit – woran nicht zuletzt Imp Anteil hat. Für uns alle werden die nächsten Tage unablässige Bereitschaft bedeuten. Eine Bereitschaft, die schließlich in einer Schlacht gipfeln wird, größer und wichtiger als die Gefechte von Tukama und Karrashin. Wir wissen jetzt zwar – und das ist ein Vorteil gegenüber früher – wo der Feind ist. Doch sobald wir uns ihm nähern, wird es für uns keine Ruhe mehr geben. Wir werden Aufklärungseinsätze fliegen müssen, und mit Sicherheit auch Abfang- und Eskortmissionen. Denken Sie daran, dass wir diesmal Welten mit unzähligen menschlichen Einwohnern verteidigen. Wir stehen unmittelbar zwischen ihnen und dem Tod. Die Akarii haben über Hannover bewiesen, zu welchen Bestialitäten sie fähig sind. Eine Wiederholung dieser Verbrechen zu verhindern, ist es, wofür die TSN geschaffen wurde. Deshalb müssen wir die wenige Zeit der Vorbereitung, die uns noch bleibt, optimal nutzen.“ Sie musterte noch einmal Crow, Guardsman und Bad Luck, die erst in Sterntor zu den Angry Angels gekommen waren: „Sie alle haben gute Anlagen und – wenn Sie schon länger dienen – gute Bewertungen. Aber die schwerste Bewährungsprobe steht Ihnen noch bevor, ein Großeinsatz in einer ausgewachsenen Raumschlacht, einem Gefecht von höchster Bedeutung nicht nur für Sie, sondern für Milliarden von Menschen. Vergessen Sie niemals diese Verantwortung, und meistern Sie sie. Ich verlasse mich darauf, dass Sie das Zeug dazu haben, sonst wären Sie nicht hier. Aber Sie müssen dieses Potential auch freisetzen, und das können Sie nur selber tun.“ Sie nickte knapp: „Wegtreten und frischmachen…Knight, einen Moment noch.“
Der ehemalige Bewährungspilot hatte bei diesen letzten Worten seiner Vorgesetzten Haltung angenommen. Wie immer fragte sich Lilja leicht irritiert, ob seine meist vorbildliche Verhaltensweise nun ehrlich gemeint war, oder einfach Theaterdonner. Wie immer tat sie dieses Mysterium mit einem Achselzucken ab. Solange er seine Pflicht tat – und das war der Fall – war es unwichtig. Sie fixierte ihren Untergebenen eine Weile schweigend, doch es war zu erkennen, dass sie ihn damit kaum nervös machen konnte. Wenig verwunderlich, wenn man seine Vergangenheit bedachte. Immerhin hatte er im Gefängnis gesessen und dann in einer Rehabilitationseinheit gedient.
Als Lilja zu sprechen begann, klangen ihre Worte jedoch alles andere als tadelnd: „Ich wollte Ihnen zunächst sagen, dass Ihre Leistungen durchaus zufrieden stellend sind. Seit Ihrer Ankunft in der Staffel haben Sie gute Arbeit geleistet. Sie haben sich in das Staffelkollektiv problemlos eingefügt, Ihr Verhalten hat keinen Anlass zu Beschwerden gegeben. Für jemanden mit Ihrem…Hintergrund…ist das bemerkungswert.“ Lilja sprach es nicht offen aus, aber insgeheim hatte sie Knight sehr zu seinem Vorteil mit anderen Bewährungspiloten verglichen: „Angesichts der Zahl Ihrer Abschüsse und ihres Einsatzwillens bei Karrashin überlege ich mir ernsthaft, ob ich Ihnen nicht in naher Zukunft das Kommando über einen Flight geben soll – oder sogar die Beförderung zum First Lieutenant befürworten.“
Der Brite riss die Augen auf, offenbar hatte er nicht mit SO ETWAS gerechnet. Nicht von Lilja. Noch ungewöhnlicher war, dass die Russin eine Erklärung nachlieferte: „Abgesehen von der einen…Ausnahme…liest sich Ihre Dienstakte beeindruckend. Dienst auf Pandora, und inzwischen auf dem besten Weg zum zweifachen Ass. Was nicht heißt, dass ich der Meinung bin, die Förderung von Geschäften mit Rebellen sei ein Kavaliersdelikt. Aber wie ich Ihnen schon sagte – diesen Fehler haben Sie mit Blut gesühnt. Und ich akzeptiere so etwas, bedingungslos.“
Sie zuckte mit den Schultern: „Wohlgemerkt, ich will Ihnen keine Illusionen machen. Die Ernennung zum Flightführer könnte ich auf eigene Hand anordnen, aber eine Beförderung…Selbst wenn ich Sie vorschlagen würde, heißt das nicht, dass man dem zustimmen würde. Es gibt genug Vorgesetzte, die über die Flecken in Ihrer Akte nicht hinwegsehen werden. Doch wenn Sie ihr Leistungsniveau beibehalten…Sie können übrigens ruhig etwas erwidern.“
Sir Evan Harold Alexander fühlte sich ausgesprochen unwohl in seiner Haut, was ihm eigentlich nur selten passierte. Sicher, gegen Lob von einer überkritischen Vorgesetzten wie Lilja war er nicht immun, und wenn er sich auch nicht um die Ehre und Verantwortung einer Flightleader-Position riss, eine Beförderung erschien mehr als verführerisch. Von dem Ansehen und dem Geld abgesehen – die Möglichkeit, anderen First Lieutenant endgültig auf Augenhöhe begegnen zu können, hatte etwas für sich. Und dann war da noch die Möglichkeit, gegenüber seiner Familie auftrumpfen zu können.
Andererseits hatte er ein schlechtes Gewissen. Die Angst, die ihn seit seinem „Spaziergang“ im Karrashin-System begleitete, hatte er nur vordergründig unter Kontrolle bekommen. Sie war noch immer da, und er fürchtete, dass sie nur auf den ersten scharfen Einsatz wartete, um erneut und mit aller Macht auszubrechen. Mehr als einmal war er in den letzten Nächten von Alpträumen geplagt worden, in denen die schwarze Kälte des Alls eine prominente Rolle spielte. Und auch wenn er inzwischen Simulator- und selbst Übungsflüge problemlos bewältigte, er wusste nicht so recht, wie weit er sich selbst trauen konnte. Zu starten mit der Aussicht, wieder abgeschossen zu werden…Und er wüsste, würde er im Einsatz versagen, würde ihn dieselbe Lilja, die ihn gerade lobte, in Fetzen reißen.
,Ich sollte am besten was sagen, aber was? Danke, Commander, ich weiß nur nicht, ob ich nicht beim nächsten Alarmstart in den Helm kotze und keine Hand rühren kann…?’
Schließlich rang er sich ein: „Danke, Commander. Ich meine – dass Sie mich vor allem nach meinen jetzigen Leistungen beurteilen.“
Die Russin schnaubte: „Nach Leistungen und Verhalten. Und ich erwarte keinen Dank für etwas, was selbstverständlich ist.“ Dann, unvermittelt und ohne ihre Miene zu verziehen, fügte sie hinzu, und es war nicht als Frage gemeint sondern eher eine sachliche Feststellung: „Sie schlafen mit Huntress.“
Knight riss die Augen auf und starrte Lilja fassungslos an. Sowohl der Themenwechsel als auch der Ton der Gewissheit, mit dem seine Vorgesetzte gesprochen hatte, hatten ihn kalt erwischt. So brachte er – und das war ihm hinterher am meisten peinlich – nicht mehr heraus als: „Ich, ähm, also…“
Lilja unterbrach ihn mit einer knappen Handbewegung: „Ich verzichte auf Ausflüchte, und Lügen will ich schon gar nicht hören. Ihre Reaktion ist ja wohl eindeutig genug. Denken Sie etwa, ich kriege nicht mit, was im Geschwader geschwatzt wird, nur weil ich mich nicht aktiv an der Gerüchteküche beteilige? Vor allem, wenn es eine der…sagen wir provokantesten Frauen des Geschwaders betrifft. Also schauen Sie nicht so verdutzt, das ist eine Beleidigung. Ich habe mit Ihnen einmal über das Thema gesprochen…“ Offenbar fiel es beiden nicht auf, dass sie geradezu synchron erröteten – Lilja, weil sie sich damals von einem Lächeln und einer freundlichen Stimme beinahe hätte einwickeln lassen, und Knight, weil er genau damit gescheitert war.
Die Staffelchefin atmete einmal tief durch: „Ich will Sie keineswegs verurteilen oder kritisieren, egal was die Bestimmungen zu dem Thema sagen. Wie ich damals sagte, ich halte das Fraternisierungsverbot innerhalb gewisser Grenzen für unsinnig. Warum ich es trotzdem anspreche…“ Offenbar fühlte sich innerlich etwas unbehaglich: „Ich kenne Ihre Akte. Und ich kenne die von Huntress. In mehr als einer Hinsicht ist sie wie Sie – was Ihnen ja wohl auch klar seien dürfte. Ich habe nichts gegen Ihre…Freundschaft. Aber das eines klar ist – wenn Huntress sich…sagen wir…nach…Abwechslung…umsehen sollte, oder es vielleicht schon tut…Dann will ich nicht, dass das aus dem Ruder läuft. Ihre Reaktion, meine ich.“
Man konnte nicht sagen, dass Knight nicht Erfahrung mit solchen Gesprächen hatte. Er war schon von verschiedenen Vorgesetzten wegen Beziehungsdingen ins Gebet genommen worden. Aber dennoch fühlte auch er sich nicht recht wohl, denn SO EIN Gespräch war noch nicht dabei gewesen. Deshalb klang er etwas unsicher aber auch leicht pikiert, wobei er sich fragte, ob das nicht auch noch andere Gründe hatte: „Ich denke doch nicht, dass ich mich bisher wie ein Pascha benommen habe… ich meine, Huntress ist erwachsen, und ich bin es auch.“
Lilja lächelte, und diesmal lag kein Hohn darin, sondern fast so etwas wie Bedauern: „Natürlich. Aber ich nehme an, Sie wissen, welchen Affenzirkus zum Beispiel Ace aufgeführt hat, als er erfuhr, dass seine Schwester mit einem Kameraden in die Falle hüpft. Nicht das einzige Beispiel wie sich…erwachsene…Männer und Frauen aufführen können. Auch richtige Helden.“ Letzteres klang mehr als nur ein bisschen sarkastisch, fast als spiele die Pilotin auf eine eigene Erfahrung an: „Und nicht jeder Mann…oder Frau…ist so abgeklärt, anderen dieselben Freiheiten einzuräumen, die er oder sie selbst in Anspruch nehmen. Also, sollte es dazu kommen, dass einer von Ihnen die Beziehung beenden will, dann will ich nicht, dass das zur Belastung des Dienstbetriebs wird. Weder in meiner Staffel, noch in der Schwarzen…“ offenbar graute ihr auch ein wenig davor, ausgerechnet so etwas mit Kano diskutieren zu müssen, oder gar vor Raven zitiert zu werden. Eine boshafte Bemerkung konnte sie sich jedoch nicht verkneifen: „…oder wer sonst noch in dem Dreieck oder Viereck verstrickt seien sollte. Sie sagen, Huntress und Sie sind erwachsen. Also, wenn es dazu kommen sollte, dann verhalten Sie sich auch so. Und wenn es unbedingt nicht anders geht – klären Sie das meinetwegen bei einem Simulatorkampf oder in der Sporthalle, aber in ZIVILISIERTEM Rahmen. Sowie der Dienst IRGENDEINES der Beteiligten darunter leidet, gehe ich davon aus, dass Sie meine Anweisungen ignoriert haben.“ Und es war bekannt, dass Lilja bei Dergleichen alles andere als tolerant war. Erheblich erleichtert nickte sie ihrem Untergebenen zu, froh, gesagt zu haben, was sie auf dem Herzen hatte: „Sie können wegtreten.“
Diesmal war Knights Abgang beinahe überstürzt und unbeholfen zu nennen. Ein Lob von Lilja verbunden mit einer so direkten Erörterung seines Intimlebens – das war denn doch etwas viel auf einmal. In seinem Inneren fragte er sich jedoch, wie er wirklich reagieren würde, sollte es zu genau dem kommen, was Lilja gerade angesprochen hatte. Nicht, dass er nicht schon mehr als einmal abserviert worden war – obwohl normalerweise er derjenige war, der „weiterzog“. Aber in diesem Fall…
Er zog eine Grimasse. Offenbar hatte er eine scharfäugige Aufpasserin, die dafür Sorge tragen würde, dass nichts aus dem Ruder lief. Bei den Angry Angels blieb einem aber auch gar nichts erspart!
Cattaneo
Ace
Die Frau, die vom Bildschirm in Jayhawkers Kabine hinein blickte, schien aus irgend einem Grund auf sie herab zu sehen, obwohl sie höher saß als der Monitor. Unwillkürlich fragte sich Sarah Victor, ob sie vor Carol Davis, der CO des DSC, unwillkürlich Schwellenangst verspürte. Schwellenangst, die sie nervös genug machte, um die Pausentaste zu drücken, um durchzuatmen, sich zu beruhigen. Allerdings lief ihr Puls eher schneller, je länger sie nicht wusste, was dieser Anruf zu bedeuten hatte. Himmel, musste diese Frau sich nicht um eine interstellare Firma kümmern, die mit den Terrys paktierte? Irgendwelche Millionengewinne einfahren? Und überhaupt, warum fühlte Jayhawker nur diese Nervosität? Das war die Mutter von Ace, nur die Mutter von Ace. Sicher wollte sie sich nur dafür bedanken, wie gut die Crew der EMERALD JADE ihren ältesten Sohn behandelt hatte. Na, wenn die wüsste. Ansonsten kochte auch eine Davis nur mit Wasser, und hatte auch garantiert ihre eigenen Leichen im Keller. Wie sonst hätte der Konzern so schnell so groß werden können?
Jayhawker atmete tief durch. Sie drückte das Kinn energisch vor, dann beendete sie die Pause. Von Carol Davis würde sie sich nicht beeindrucken lassen. Erst Recht nicht von einer Bildaufzeichnung der Frau.
Augenblicklich schienen die Augen von Carol Davis aufzublitzen. "Hallo, Kapitän Victor. Ich begrüße Sie. Ach nein, lassen wir diesen ganzen formellen Quatsch einfach weg. Von Spacer zu Spacer: Ich bedanke mich aufs Herzlichste dafür, wie gut Sie und Ihre Crew Cliff bei sich aufgenommen haben. Er war voll des Lobes über die Zeit an Bord. Und seither juckt es mir in den Fingern, mich dafür erkenntlich zu zeigen." Sie grinste schief, und beinahe hätte die Kapitänin der EMERALD JADE die Frau vor sich sympathisch gefunden, bevor sie sich daran erinnerte, dass sie es hier mit einer Geldmachmaschine zu tun hatte, die ihr und anderen ehrlichen Spacern mit der Macht ihres Konzerns die Profite ruinierte. Übrig blieben immer nur die schlechten Deals und die Schattengeschäfte. So wie jenes, das ihr Schiff überhaupt erst in die Verlegenheit gebracht hatte, mit Davis' Sohn zu fliegen. Wut. Ja, das war gut, das half ihr, den unnötigen Respekt vor Carol Davis zu verlieren.
"Aber würde ein ehrlicher Spacer etwas anderes akzeptieren als das Ergebnis seiner Arbeit?" Davis lächelte Jayhawker an, auf eine Art, dass sich die Kapitänin der JADE durchleuchtet und ertappt fühlte. Immerhin, diese Frau war schon weit länger im Geschäft als sie. Und sie war erfolgreich gewesen. Erfolgreicher, als sie selbst wohl jemals sein würde, allen Mühen zum Trotz. Außerdem erinnerte sie das Lächeln an eines aus ihrem ganz eigenen Repertoire, mit dem sie Kunden und Zollbeamte zu manipulieren versuchte.
"Wie ich schon sagte, Cliff war voll des Lobes. Und deshalb erlaube ich mir, in Zeiten der Not an Sie heran zu treten." Carol seufzte und sah für einen Augenblick von der Kamera fort. Sie wirkte mit einem Mal beinahe verzweifelt, und unwillkürlich fragte sich Jayhawker, wie sie der Frau helfen konnte. `Verdammtes Biest.´
"Sie sind gerade in New Aden.", stellte Davis fest. Nervös leckte die Frau sich über die Lippen. "Und genau das ist es, was ich jetzt brauche: Einen vertrauenswürdigen Kapitän mit einem leidlich schnellen Schiff, das binnen zweier Tage Borealis Abstrakta erreichen kann. Einer meiner externen Partner hat sich die Mühe gemacht, einem akariischen Raider zum Opfer zu fallen. Sein Schiff, die CONSTANCE, wurde schwer beschädigt, und wird die nächsten drei Monate eine Werft hüten. Was bedeutet, dass sein aktueller Auftrag nicht erfüllt bleibt. Und wie ich das von hier aus sehe, habe ich kein Schiff in Reichweite, das den Job übernehmen kann."
Wieder wechselte Carol Davis die Miene, wirkte nun ein klein wenig verzweifelt. "Ich brauche einen Unterkontraktor, und das sofort! Auf Fort Bragg lagern zwei Komm acht Tonnen industrieller Diamanten, die sofort nach New Boston gebracht werden müssen. Die Navy-Werften warten händeringend auf diese Ware. Ich bin bereit, Ihnen jede Kontraktstrafe auszuzahlen, und das Anderthalbfache der üblichen Frachtpauschale zu bezahlen. Versicherung geht auf mich. Strafzettel für Geschwindigkeitsübertretung sowieso. Und wenn Sie es schaffen, die Fracht in weniger als zweihundertacht Stunden in New Boston abzuliefern, dann lege ich noch einmal vierzig Prozent oben drauf."
Carol Davis rückte der Kamera näher, wurde größer. "Damit wir uns richtig verstehen, ich habe Sie und keinen anderen kontaktiert, weil Cliff in den höchsten Tönen gesprochen hat, als er von Ihrem Schiff berichtet hat. Ich hätte auch jeden anderen freien Spacer in der Region kontaktieren können. Aber Sie haben den ersten Schuss, Jayhawker. Lehnen Sie ab, meinetwegen. Nehmen Sie an und machen Ihre Sache gut, habe ich in naher Zukunft noch mehr Verwendung für ein auf Termingeschäfte spezialisiertes Frachtschiff. Die DSC bezahlt Partner gut, und Freunde noch viel besser. Überlegen Sie sich mein Angebot, und kontaktieren Sie mich noch in dieser Stunde. Tun Sie das nicht, muss ich annehmen, dass Sie mein Angebot nicht interessiert, und dass mein Sohn sich in Ihnen geirrt hat, Jayhawker. Und das wäre wirklich schade."
Die Frau lächelte nun gewinnend. "Ich erwarte Ihren Rückruf, Jayhawker."
Dann wechselte der Bildschirm zur Standard-Ansicht, und ließ eine leicht konsternierte Jayhawker zurück. `Die Frau ist gut`, ging es ihr widerwillig durch den Kopf. `Richtig, richtig gut.´
Cattaneo
Cattaneo
Ein Unglück kommt selten allein
Fort Bragg, Borealis Abstrakta
Wenn man bedachte, wie sehr Kapitän Sarah „Jayhawker“ Victor üblicherweise darauf bedacht war, den Vertretern des Gesetzes aus dem Weg zu gehen, dann konnte man nur konstatieren, dass sie in letzter Zeit eine Menge schlechtes Karma hatte abarbeiten müssen. ,Man fragte sich unwillkürlich, was ich in meinem früheren Leben verbrochen habe. War ich etwa eine Art Fernsehprediger oder etwas ähnlich perverses, dass ich jetzt so leiden muss?’ Binnen einiger Monate waren sie und ihr Schiff vom Zoll festgesetzt, von einem halbirren Geheimdienst-Terry auf eine komplett irre Mission geschickt worden, hatten einen Geisterschiff-Zwischenfall miterlebt, sich mit imperialen Marines herumgeschossen, einen Kameraden beisetzen müssen und waren dann gleich noch einmal von ANDEREN Terries verhaftet worden, ehe man sie schließlich laufen ließ. Und jetzt…
Die Stimme der jungen farbigen Frau, die Jayhawker gegenübersaß, klang auf eine so angenehme Art und Weise eindringlich, dass sie als Werbesprecherin eine Menge Credits hätte verdienen können – und noch mehr auf weniger unschuldige Weise. Leider war sie nichts von all dem, sondern Sonderermittlerin irgendeiner Strafverfolgungsbehörde des Justizministeriums, und anscheinend mindestens zur Hälfte Paramilitär. Die Frachterkapitänin spürte förmlich, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten, als ihr Gegenüber sie musterte: „Kapitän, bitten schildern Sie noch einmal von Anfang an die Ereignisse des 8. Juli 2637…“
Eine Woche zuvor im Weltraum von Borealis Abstrakta
„Quicksilver…! Nana! Wo steckst du, verdammt noch mal!“ Die Schritte der Kapitänin klapperten auf dem Metallboden des zentralen Korridors der Emerald Jade. Sie sah sich suchend um, nachdem sie erst das Quartier ihrer Untergebenen, dann die Küche und schließlich den Maschinenraum abgesucht hatte. Eine Anfrage über die Bordsprechanlage war ebenfalls erfolglos geblieben. Folglich neigte sich ihre Geduld dem Ende zu. Wenn sie auch noch den Frachtraum durchkämmen musste, nur weil das Mädchen auf seinen Ohren saß, dann…
Der Schrei aus dem Nichts traf Jayhawker vollkommen überraschend: „BUH!“
Die Kapitänin und Eigentümerin der Emerald Jade hätte sich beinahe den Kopf an der Decke ihres eigenen Schiffes angeschlagen, als sie herumwirbelte, nur mit Mühe ihre eigenen Beine wieder entwirren konnte und lediglich dank eines stützendes Griffs zur Wand nicht lang hinschlug. Sie brauchte einige Sekunden um sich zu orientieren, öffnete aber ihre Lippen bereits zu einem wütenden Donnerwetter, als sie das schallende – aber irgendwie in der Lautstärke gedämpfte – Gelächter der gesuchten Untergebenen hörte. Das Kichern war so ansteckend, dass die ältere Frau sich spontan dazu entschloss, einzustimmen, obwohl ihr Groll noch nicht ganz verfolgen war: „Was bei allen Raumteufeln machst du denn da? Und warum hast du mich nach dir rufen lassen?“
Die jüngere Raumfahrerin brauchte eine Weile um sich zu beruhigen. Sie bot freilich selbst einen etwas komischen Anblick. Von ihr war nur der Oberkörper zu sehen, der kopfüber aus einem Loch in der Decke hing – ihr Gesicht war etwa auf Augenhöhe der Kapitänin. Die schwarzen Haare waren zusammengebunden und hochgesteckt, obwohl einige Strähnen ihrer Gefangenschaft entkommen waren und sich gen Boden ringelten. Auf den Augen hatte die junge Frau eine Staubbrille, eine Atemmaske bedeckte Mund und Nase. Alle freien Körperpartien und ihr Overall waren von Staub, zum Teil auch mit Schmieröl bedeckt. Als sie die Maske abstreifte, bot die saubere Haut einen deutlichen Kontrast zum Rest des Gesichts: „Tut mir leid, Jay’.“ Das war offenbar gelogen: „Aber ich hatte eine Viertelstunde gebraucht um mich durch die Schächte an mein Ziel zu winden, und das wollte ich nicht noch mal durchmachen, nur um mich bei dir zu melden.“ Triumphierend hielt sie einen Beutel hoch, der zweifelsfrei Kabelreste und ein eindeutig widerlich-organisches Etwas enthielt, offenbar im verkohlten Zustand.
„Da hat wieder mal eine Ratte ein Kabel angeknabbert und den Blitzexpress in die ewigen Jagdgründe genommen.“ An Bord der Emerald waren – wie bei vielen alten Frachtern – nur die wirklich wichtigen Kabel metallummantelt. Viele andere, die für nicht hundertprozentig lebensnotwendige Dinge wie Aufzüge, Innen-Beleuchtung, Bordkommunikation und dergleichen zuständig waren, waren im Grunde zivile Standardmodelle. Leicht und billig zu ersetzen, aber nicht besonders robust – und deshalb nicht gegen suizidwillige Nagetiere gefeit.
Jayhawker zog eine angewiderte Grimasse: „Na prima, dann mach da oben mal wieder Ordnung. Aber beeil dich, in einer Viertelstunde erreichen wir den Delaware-Außenposten. Wenn wir uns für die Frachtaufnahme vorbereiten, brauche ich dich vielleicht.“
Die jüngere Frau nickte eifrig – was angesichts ihrer Position ziemlich komisch aussah. Dann feixte sie breit, als sie einen neuen Grund für ihre notorisch gute Laune entdeckte: „Du meinst die Fracht, die wir zu exzellenten Bedingungen für die Familie von dem Mann transportieren sollen, dem wir angeblich nicht trauen können? Auf die wir erst gar keine Hoffnungen setzen sollten? Den Auftrag, den du gegen die Bedenken einiger Crewmitglieder durchgedrückt hast, obwohl du mehr als einmal dein Misstrauen gegen die DSC zum Ausdruck gebracht hast?“
Jayhawker zog ob dieser Erinnerung einen Schmollmund, dann schoss ihre rechte Hand wie eine zuschlagende Schlange vor und versetzte der Untergebenen einen Nasenstüber: „Werd’ nur nicht vorlaut, junge Dame! Dass ich einen Gaul als Geschenk annehme, heißt ungeachtet verschiedener Sprichworte nicht, dass ich ihm nicht auch ins Maul schaue. Wer weiß was unsere ,Wohltäter’ wirklich vorhaben. Vielleicht wollen sie nur, dass wir abhängig von ihnen werden, um uns dann aufzukaufen. Wäre nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Mit Speck fängt man Mäuse, vor allem hungrige.“
Quicksilver kicherte erneut los: „Als die Paranoia verteilt wurde, hast du wohl die Fracht angeliefert und was mitgehen lassen…Vielleicht sucht Madame DSC nur eine passende Schwiegertochter für ihr Söhnchen und wäre an einer attraktiven und geschäftstüchtigen – wenn auch im reiferen Alter befindlichen – Schiffseigentümerin eher interessiert als an einer narbengesichtigen kaltherzigen Killerin, die nur fliegen und töten kann und deren einziges Gold und Silber ihre Orden sind.“
Das brachte ihr einen zweiten Nasenstüber ein: „Nenn mich noch einmal ,im reifen Alter’, und ich beweis dir in einem Null-G-Boxkampf das Gegenteil!“
„Also wenn wir den nackt veranstalten würden, könnte man fürs Zuschauen Geld verlangen…“
Die Kapitänin ging ungeachtet ihrer angeblichen Eile auf das Geflachse ihrer Untergebenen ein: „Igitt, das stelle ich mir lieber nicht vor. Da würde ich ja eher glauben, dass die Davis’ mir meine bordeigene Witzkanone abheuern wollen, um kleine blauhaarige Komiker zu züchten.“
„Moi? Oh nein, ich bin viel zu jung fürs Heiraten, und außerdem würde mir damit viel zuviel entgehen…So viele Planeten, so viele Schiffe – so viele Kerle…“
Jayhawker schüttelte nur den Kopf: „Wenn man sich mit dir unterhält, weiß man wirklich nie, wo man am Ende landet. Und nun mach dich an die Arbeit. Ach ja – weißt du, wo Yin steckt? Noch jemand von meiner Crew, der sich nicht auf eine Durchsage im Bordkom hin meldet. So riesig ist das Schiff ja nun wieder auch nicht, dass ihr mir dauernd verloren geht. Vorzugsweise wenn Arbeit ansteht.“
Die jüngere Raumfahrerin grinste anzüglich, was ihrem an und für sich unschuldigem Gesicht ein geradezu verruchtes Äußeres verlieh: „Wo Yin steckt? Das solltest du am besten Blanco fragen…ich denke mal, für die beiden dreht sich gerade die Galaxis…oder so. Wo wir schon beim Heiraten und so weiter sind.“
Die Kapitänin schnaufte undamenhaft: „Dann kann ich ja froh sein, dass DU wenigstens eine bessere Ausrede hast, nicht auf meine Anfragen zu hören. Wenigstens arbeitest du.“ Blanco war der Spitzname des Neuzugangs, den sie auf Seafort angeheuert hatten. Er machte seine Arbeit gut und hatte sich bemerkenswert schnell in die Bordgemeinschaft eingefügt – was so weit ging, dass er und Yin inzwischen miteinander ins Bett gingen. Nicht, dass Jayhawker so etwas grundsätzlich missbilligte oder es irgendwelche Bordgesetze dagegen gegeben hätte. Sie hatte eher Mitleid mit jedem Trottel, der so dumm war, sich mit der Frau einzulassen, die auf der Emerald Jade nicht nur als Shuttlepilotin und Kanonierin sondern auch als Schlägerin fungierte, und die für ihr explosives Temperament bekannt war.
„Na egal, wenn wir mit dem Beladen anfangen, sollte sie besser auf Posten sein.“
Quicksilver lachte: „Anstatt nur ,in Position’? Willst du ihr die Tür eintreten und das sagen?“
Jayhawker zeigte ihr einen Vogel: „Dafür ist mir mein Fell doch zu wertvoll. Aber wir haben genug Zeit verplaudert. Mach dich endlich daran, deine Arbeit zu beenden.“ Damit packte sie ihre Untergebene bei den Schultern und stopfte sie, die gedämpften Proteste überhörend, zurück in den Wartungsgang, aus dem heraus Quicksilver sie ,angefallen’ hatte.
Als Jayhawker kurz darauf wieder auf der Brücke ankam, vergewisserte sie sich, dass alles seinen geordneten Gang lief. Toro hatte das Schiff gut im Griff. Der hünenhafte Farbige mochte das Aussehen und Auftreten eines Gangschlägers oder Knastbruders haben – und war vermutlich beides gewesen – doch seinen Job verstand er.
„Was besonderes?“ erkundigte sie sich.
Der Pilot grunzte nur, bequemte sich dann aber doch zu einer Antwort: „Zwei weitere Schiffe im Anflug. Kommen etwa zeitgleich mit uns an, könnte also kleinere Verzögerungen geben. Die Delaware-Station hat sich aber schon gemeldet. Sie haben noch genug freie Kapazitäten an ihrem Andockring. Es geht nur um ein paar Minuten. Wir werden jedenfalls keine Shuttlezubringung durchführen müssen, was sich bei knapp drei Tonnen Fracht auch kaum lohnt. Aber wir werden vermutlich selber mit anpacken müssen, die beiden anderen Frachter dürften die Stations-Crew zum Großteil auslasten.“
Jayhawker nickte. Das war kein Problem, die Besatzung der Emerald Jade hatte schon ganz andere Schwierigkeiten bewältigt. Sie war froh, dass sich Toro diesmal nicht wieder über den Auftrag beschwerte. Er – und nicht nur er – trauten den Motiven der Davis’ noch weniger als die Kapitänin. Das mochte leicht paranoid sein, aber Wohltaten erwies man Leuten wie ihnen selten. „Wer ist denn sonst noch unterwegs?“
Der Pilot schaute kurz auf die Anzeigen: „Starwave, ein Altair. Und die Thunder, ein Laboe. Sollen beide wie wir Fracht aufnehmen – weiß nicht, was genau, und ob sie auch was abliefern. Sind ein bisschen zurückhaltend, als ich plaudern wollte. Na ja, ,anständige Händler im Terry-Dienst’, du kennst die Bande ja. Aber das ist noch im grünen Bereich.“ Die Kapitänin rieb sich nachdenklich das Kinn. Ursprünglich hatte man der Emerald gesagt, sie sollte ihre Fracht auf Fort Bragg abholen, dem Hauptumschlagplatz des Systems. Aber dann war die Meldung gekommen, man hätte die mehr als zwei Tonnen Industriediamanten inzwischen verlagert, zum Delaware-Außenposten, einer kleineren Station. Das sparte etwas Transitzeit. Offenbar hatte irgendwer, vermutlich der Kunde der DSC, auch hier Druck gemacht.
Ausnahmsweise hatte die Kapitänin der Emerald ein gutes Gefühl, während sie die Annäherung ihres Schiffes an die Delaware-Station verfolgte. Mit dem Schiff war alles in Ordnung – der Hauptvorteil bei der letzten beschissenen Mission war eine gründliche Überholung gewesen – die Crew machte ihre Arbeit, ausnahmsweise musste sie sich nicht vor dem Zoll fürchten, und ihre Bedenken wegen der DSC hatte sie erst einmal eingelullt. Es sah noch nicht mal so aus, als ob das Andockmanöver kompliziert oder langwierig werden würde, und die zu erwartenden Fracht war auch kein echter Problemfall. Routiniert ging sie die üblichen Check-ups durch, die an Bord und vor allem im Funkkontakt mit der Zielstation zu absolvieren waren. Die Terries liebten ihre Vorschriften.
„…folgen dem Kurs zu Andockstation…“ Jayhawker musste ein Gähnen unterdrücken, aber sie wusste, die Terries vertrugen keine Gleichgültigkeit gegenüber ihren Prozeduren. Außerdem waren die ja nicht sinnlos: „Verstanden, drossele in 6-0 Sekunden die Fahrt um weitere zehn Prozent, dann Kurswechsel auf…“
Weiter kam sie nicht. Der Wechsel kam ebenso abrupt wie unerwartet. Noch während Jayhawker dabei war, ihren Satz zu Ende zu bringen, brachen die Hintergrundgeräusche des alltäglichen Sprechfunkverkehrs, die in einem bewohnten und geschäftigen System wie Borealis Abstrakta ständig zu hören waren, abrupt ab und machten einem chaotischen Rauschen auf allen Kanälen Platz. Die beiden im Cockpit der Emerald verschwendeten eine Sekunde, um sich anzustarren – sollte das Funkgerät der Emerald ausgefallen sein? Doch die nächsten Momente brachten Klarheit. Synchron heulten mehrere Alarmtöne los, und keiner der beiden vergeudete mehr eine Sekunde – irgendwer hatte ein Zielsuchradar eingeschaltet und auf sie gerichtet. Ehe die Kapitänin noch dazu kam, einen Befehl zu geben, beschleunigte Toro den alten Frachter und ließ ihn um 180 Grad rotieren. Dabei fand er noch genug Zeit, um die Sensoren im Auge zu behalten: „Thunder startet Schiffe – zwei…vier…mehr als ein halbes Dutzend!“
Die Kapitänin verdaute den Schock bemerkenswert schnell, zweifelsohne ein Ergebnis reichhaltiger schlechter Erfahrung. Mit überschlagender Stimme brüllte sie in den Bordfunk: „Raideralarm, wiederhole Raideralarm. Q-Schiff und kleinere Einheiten im System – alle Mann auf Gefechtsstationen!“
An Bord des Frachters brach augenblicklich das Chaos aus. Auch wenn die Emerald kein Kriegsschiff war, an Krisensituationen war man gewöhnt, und dies war nicht der erste Piratenangriff, den das Schiff erlebt hatte. Im zentralen Korridor fiel Quicksilver, die gerade ihre Arbeit beendet hatte, buchstäblich von der Decke. Nur die vorgestreckten Hände bewahrten ihr Gesicht vor einigen Frakturen. Sie rollte über den Fußboden, als Toros Manöver den Trägheitsabsorber überlasteten. Mit einem Überschlag vorwärts kam sie wieder auf die Beine und flitzte in Richtung Maschinenraum davon. Hinter ihr öffneten sich die Türen der Mannschaftsmitglieder, die gerade dienstfrei hatten. Immerhin wusste jeder, was er zu tun hatte – ein Vorteil einer kleinen, aber eingespielten Crew. Yin rannte – nur mit einem Slip bekleidet – praktisch blind über den Gang, während sie ein Hemd überzog. Bei einer der Treppen in den Frachtraum zögerte sie kurz, doch schon sah sie, wie ihr Bruder zum Rückenturm hinaufkletterte. Damit blieb der Bauchturm ihr überlassen. Sie hielt sich nicht mit Stufen auf, sondern sprang von einem Absatz zum nächsten, bis sie auf den Boden des Frachtraums aufschlug, wo sie den Aufprall elegant abfederte. Weniger als dreißig Sekunden nach dem Alarmsignal knallte die Luke der Bodenwanne hinter ihr zu.
Aber gleichgültig wie schnell die Emerald oder die anderen ahnungsloses Crews auch reagierten, wie gut sie vorbereitet waren – sie hatten es mit jemandem zu tun, der ihnen einiges voraus hatte. Die Thunder hatte in wenigen Sekunden sechs, nein acht Kampfflieger und zwei Shuttles gestartet, die offenbar an der Außenwand in Bereitschaft gelegen hatten. Der Frachter beschleunigte mit einer Eleganz und Geschwindigkeit, die zu einem Kriegsschiff gepasst hätte – zweifellos war er erheblich modifiziert worden. Die Kampfflieger teilten sich in vier Paare auf. Während eines zurückblieb, drehten die anderen auf die Station, die Emerald und die Starwave ein.
Im Cockpit der Emerald fluchte Jayhawker unflätig, während ihre Hände über die Armaturen flogen, verzweifelt bemüht, irgendjemanden in Fort Bragg zu erreichen oder aus den Maschinen der Emerald noch ein paar Meter pro Sekunde herauszukitzeln. Sie wusste im Grunde, dass sie kaum Chancen hatten. Den Jägern konnte sie nicht davonfliegen, und wenngleich die Emerald vermutlich mit zwei Gegnern fertig werden konnte – die beiden Kampfflieger, es waren Mustangs, konnten sicher Verstärkung anfordern. Die Kapitänin hatte sich gerade zu dieser unerfreulichen Erkenntnis durchgerungen, als die Kommunikationskonsole anfinge zu piepen. Jayhawker runzelte die Stirn, denn sie hatte immer noch keine Verbindung zu einem anderen Schiff. Dann ging ihr ein Licht auf: „Richtfunk…Saukerle.“ Sie ahnte, wer da mit ihr sprechen wollte. Doch dann aktivierte sie den Bildschirm.
Das Gesicht, das sich aus dem statischen Rauschen schälte, war von einer bedrohlichen Theatralik. Wer immer es auch war, er trug offenbar einen gepanzerten Gefechtshelm, der so modifiziert worden war, dass er etwas an einen alten japanischen Kampfhelm erinnerte. Das war im Grunde Angeberei, aber in dieser Situation wirkte es mehr als einschüchternd. Der Träger saß vermutlich in einem Jägercockpit, soviel war zu erkennen. Die Stimme passte zu dem bedrohlichen Ambiente – künstlich, eigentümlich emotionslos, doch gerade dadurch furchteinflößend. Wer auch immer der Sprecher war, er verwendete offenbar einen Sprachverzerrer, wenn die Worte überhaupt aus einer menschlichen Kehle kamen: „Station Delaware, Frachtschiffe Emerald Jade und Starwave. Hier spricht der Black Buccaneer. Ihr kennt meinen Namen. Ihr wisst, dass ich nicht scherze. Ihr werdet euch unverzüglich ergeben. Deaktiviert alle Waffen- und Defensivsysteme. Versucht nicht, untereinander zu kommunizieren, eine Bodenstation oder ein anderes Schiff zu erreichen. Meine Crew wird Euch entern. Jeder Widerstand, jede Befehlsweigerung…führt zur Vernichtung. Ihr habt zwei Minuten, um zu gehorchen.“ Damit erlosch das Bild wieder.
Die Kapitänin der Emerald Jade stieß einige Worte hervor, die eigentlich sowohl den maskierten Freibeuter wie auch jedes andere menschliche Wesen auf ein Lichtjahr Umkreis hätte einäschern müssen. Ihr Copilot bewahrte die Ruhe: „Was machen wir?“
Jayhawker starrte ihren Untergebenen wütend an, einfach, weil der Zweimeterhüne das beste Ziel für ihren Zorn war: „Was wohl, Idiot? Wir können nicht türmen, verhandeln will die Ratte offenbar nicht, erst recht nicht, wenn er wirklich der ist, der er behauptet zu sein – und kämpfen können wir auch nicht.“ Mit hasserfüllter Stimme fügte sie hinzu: „Noch nicht.“ Sie brauchte es nicht auszusprechen – nicht, solange die Piraten nicht irgendwie beschäftigt waren: „Irgendetwas von Fort Bragg?“
Toro schnaubte, war aber über den Anraunzer offenbar nicht sonderlich verstimmt: „Was denkst du denn von den Terries? Du musst ja ganz schön verzweifelt sein, auf die zu hoffen. Sie werden erst mal in den Dienstvorschriften nachschauen, was sie bei einem Ausfall der Kommunikation machen müssen. Glaube nicht, dass die schon mitgekriegt haben, was hier läuft. Und selbst wenn – sogar Kampfflieger brauchen viel zu lange.“
Die Kapitänin atmete tief durch und griff zum Bordfunkgerät. Es war ihr anzusehen, dass ihr die Worte nicht leicht fielen: „Achtung, herhören. Wir sind mitten in einen Piratenangriff geraten – angeblich der Black Buccaneer. Wir haben einen bewaffneten Frachter draußen, ein reichliches halbes Dutzend Jäger und mehrere Shuttles. Bleibt vorerst auf den Stationen – ich will wissen, wie sich das entwickelt und ob sich eine Chance zum türmen ergibt. Falls wir geentert werden, tauchen Yin, Quicksilver und Wrecker unter. Darüber gibt es keine Diskussion. Jayhawker Ende.“ Toro räusperte sich betont und vielsagend. Die Kapitänin schüttelte den Kopf: „Ich weiß, ich weiß. Ich bin auch eine Frau – aber ich kann einfach nicht in einem Versteck sitzen, wenn es um MEIN Schiff geht.“ Die Maßnahme war keineswegs einem anachronistischen Rollenbild geschuldet. Vergewaltigungen, manchmal auch Entführungen durch Piraten trafen nun einmal eher Frauen.
Toro verzog seine Lippen zu einer Grimasse: „Wäre mir lieber, du würdest mich zum Kapitän erklären und dich unsichtbar machen.“
„Jaja, ich liebe dich auch. Aber sei mal ehrlich – du bringst bei jedem Piraten die bedrohte Männlichkeit ins Spiel, so wie du aussiehst. Und ein Wettbrüllen wo die eine Seite die Knarren hat, können wir nicht brauchen.“
Die Kapitänin sprach ihre wohl größte Furcht nicht direkt aus, doch das brauchte sie auch nicht, jedenfalls nicht vor Toro. Die Emerald befand sich in einer Lage, die zumindest in einem Punkt heikler war als bei einem ‚normalen’ Piratenangriff. Sie hatten keine Fracht oder Bargeld und versprachen auch kein gutes Lösegeld für sich oder das Schiff – Dinge, die Piraten normalerweise interessierten. Ihr Schiff war ihr einziger Aktivposten, denn seit Beginn des Krieges waren selbst gebrauchte Frachter wie die Emerald im Preis gestiegen, dank der Auslastung der Werften mit Rüstungsaufträgen, den gestiegenem Rohstofftransporten, den Verlusten durch Raidern und die Dienstverpflichtungen der Flotte.
Doch noch ehe sich die Kapitänin mit der unerfreulichen Aussicht gründlicher auseinandersetzen konnte, überschlugen sich die Ereignisse ein weiteres Mal. Toro und Jayhawker überschrieen sich förmlich, als sie gleichzeitig die Anzeigen ablasen: „Delaware eröffnet das Feuer!“
Die Frachtstation schien nicht gewillt, die Flagge zu streichen – vermutlich, weil die Besatzung zum Gutteil aus Angehörigen der Nationalgarde bestand, oder weil sie als ,Einheimische’ größeres Vertrauen in ihre Bekannten von der Systemsicherheit setzen. Die Terries hielten sich nicht mit langen Reden auf, sondern eröffneten das Feuer auf die feindlichen Jäger.
Doch wenn sie gehofft hatten, den feindlichen Kapitän auf diese Weise überraschen zu können, so hatten sie sich getäuscht. Natürlich – wenn, dann war von der Station mit Widerstand zu erwarten gewesen. Die beiden Mustangs kippten sofort ab, und die Strahlenbahnen und Raketen der Station gingen zum größten Teil daneben. Wer auch immer in den Jägern saß, er verstand sein Handwerk.
Jayhawker handelte kurz entschlossen, nach einem kurzen Blick auf die Anzeigen. Sie wartete nicht einmal, bis die zweiminütige Bedenkzeit verstrichen war. Mit einem Handgriff, aktivierte sie nicht nur den Richtfunk zur Thunder, sondern peilte auch die feindlichen Shuttles und Jäger an: „Black Buccaneer, Black Buccaneer, hier Frachter Emerald – ERGEBEN UNS, wiederhole, wir ERGEBEN uns!“ Toro riss die Augen vor Überraschung weit auf, aber mit einer knappen Handbewegung brachte seine Vorgesetzte ihn zum Schweigen.
„Die Starwave hat gestoppt – scheint so, als ob sie nichts riskieren wollen…“
Draußen spitzte sich der Raumkampf zu. Während die Delaware-Station sich mit den zwei Mustangs herum schoss, die inzwischen Feuerunterstützung von ihrem Mutterschiff bekamen, schienen die sechs anderen Jäger noch zu zögern – oder besser gesagt, sie koordinierten anscheinend ihr Vorgehen. Die Anzeigen verrieten, dass es sich um zwei Intruder und vier Mustangs handelte. Einer ihrer Kameraden war inzwischen erheblich beschädigt worden und zog sich in den Schutz der Thunder zurück, aber sein Kamerad spielte mit den Raketen und Geschützen der Station Katz und Maus, als gäbe es für ihn nicht mal die entfernte Möglichkeit einer Niederlage. Immer wieder feuerte er auf die Station, löste Raketen aus – der Zahl nach, die er abfeuerte, musste er mit Hydra-Werfern ausgestattet sein, genau die richtige Waffen gegen ein stationäres Ziel, obwohl er selbst mit Unterstützung der üblichen Waffen seines Mutterschiffs nur moderaten Schaden anrichten konnte. Eines der Shuttles des Raiders näherte sich der Starwave, das andere schwenkte langsam auf die Emerald ein – offenbar wollte man die kapitulationswilligen Frachter aufbringen. Was die Piraten mit der Station vorhatten, war unklar. Auch wenn sie gut bewaffnet waren, die Station niederzukämpfen würde Zeit brauchen, und dann mussten sie ja noch immer entern. Wer auch immer der maskierte Pirat war – er ging ein erhebliches Risiko ein und handelte vollkommen unkonventionell.
Jayhawker ließ den Kampf keinen Augenblick aus den Augen, ungeachtet dessen, dass ihr Pilot kurz vor dem Platzen zu stehen schien. Gelassen kalkulierte sie Entfernungen und Kurs der Schiffe, dann öffnete sie einen Bordfunkkanal: „Auf mein Zeichen – Feuer auf Rot-Neun und Ausweichmanöver…JETZT!“ Und zu ihrem verdatterten Piloten: „Flieg…wie noch nie in deinem Leben…FLIEG!“
Der Eintritt der Emerald in den Raumkampf vollzog sich auf ebenso heimtückische wie spektakuläre Art und Weise. Kapitän Sarah Victor gehörte nicht zu der Sorte Menschen, die ein Versprechen sonderlich hoch schätzte, jedenfalls nicht, wenn es um das Wohl ihres Schiffes ging. Die Kapitulationserklärung zu brechen, kostete sie nicht die geringste Überwindung – sie hatte nur so lange gewartet, bis die Aufmerksamkeit der Piraten vollkommen vom Kampf mit der Station gefesselt war.
Rücken- und Bauchturm des Frachters spieen synchron Feuer, während sich die Emerald in einer Spirale drehte und nach ,Unten’ abkippte. Rot-Neun, das Entershuttle, hatte mit Sicherheit nicht mit einem Angriff gerechnet, wo die Jäger der Emerald doch viel näher waren. Die Enterfähre kassierte eine ganze Serie von Volltreffern. Nur Erfahrung und schieres Glück retten sie vor der Vernichtung. Das Shuttle drehte abrupt bei.
Aus dem Bordfunk kam das zweistimmige Siegesgeheul von Yin und Yang – bis die Kapitänin ihnen über den Mund fuhr, melodramatisch untermalt durch die Alarmsignale, als die ersten Schüsse der Jäger die Emerald trafen: „Maulhalten, wir sind noch nicht aus dem Schneider – Feuer auf die Jäger!“
Jayhawker hatte natürlich keinesfalls vor, hier zu bleiben und die Sache auszufechten. Das war wenig heldenhaft oder kameradschaftlich gegenüber der Delaware-Station – oder der Starwave, die gerade geentert wurde. Aber Heldentum konnte man nicht essen, und Sarahs Sinn für Kameradschaft richtete sich primär auf die Leute, die an Bord ihres Schiffes waren. Niemand bezahlte sie gut genug, um mehr zu tun als ihre Haut zu retten – nicht, solange es noch einen Fluchtweg gab.
Die zwei Mustangs, die eigentlich die Enterung der Emerald erzwingen und überwachen sollten, schienen fest dazu entschlossen, Rache für den begangenen Verrat zu nehmen. Sie hatten sich aufgeteilt und nahmen den Frachter in die Zange. Doch jetzt rächte es sich, dass sie primär mit Hydra-Werfern bestückt waren. Das waren gute Waffen gegen vergleichsweise langsame, weiche Ziele – was die Emerald ja war. Sie waren aber nicht entworfen worden für die Bekämpfung eines Schiffes, bei dem ein Irrer – oder zwei – im Cockpit saß. Toro peitschte den Frachter durch Manöver, für die er bestimmt nicht gebaut worden war. Eine Vorausberechnung, wo sich das Schiff in der nächsten Sekunde befinden würde, war so schier unmöglich – eventuell auch für den Piloten selber. Und die ganze Zeit feuerten die Kanonen der Emerald mit bemerkenswerter Präzision, zwangen die Mustangs ein um das andere Mal, ihre Feuerposition aufzugeben. Yin und Yang glichen dank langjähriger Erfahrung gekonnt den Schlingerkurs und die Bewegungen ihrer Ziele aus und überschütteten die Jäger mit Sperrfeuer.
Das alles hätte nichts genützt, wenn sich die schnellere und wesentlich stärkere Thunder in den Kampf eingemischt hätte. Aber das Mutterschiff der Freibeuter war im Kampf mit der Station gebunden, und jede Sekunde brachte fast 100 weitere Kilometer Abstand zwischen die zwei Schiffe. Mehr als ein paar schlecht gezielte Schüsse konnte das Piratenschiff nicht beisteuern.
Ein Zufall brachte schließlich die Entscheidung, wie so oft. Als einer der feindlichen Jäger sich in einer gewagten engen Kurve in eine bessere Schussposition bringen wollte, vollführte Toro aus reinem Zufall ein Manöver, das den Gegner genau in das Schussfeld der zwei Gefechtsstände und damit in ein mörderisches Kreuzfeuer brachte. Die Mustang brach seitlich weg – doch es war zu spät, die Schilde und Panzerungen des veralteten Jägers versagten. In letzter Sekunde brachte sich der Pilot in Sicherheit, dann explodierte seine Maschine. Sein Flügelmann verlor angesichts dessen jegliches Interesse daran, den Kampf fortzusetzen, und drehte bei. Für einige schreckenerregende Sekunden wurde die Emerald von dem sich schlagartig verstärkenden Feuer des gegnerischen Mutterschiffes durchgeschüttelt, als dieses sein Feuer auf den widerspenstigen Frachter verlagerte. Doch mit wachsender Entfernung lag der Beschuss zunehmend ungenau, und die Thunder konnte nicht die Verfolgung aufnehmen, ohne die Jäger im Stich zu lassen, die immer noch die Delaware-Station angriffen. Mit einer letzten Breitseite endete der Angriff der Piraten auf die Emerald.
Der ganze Frachter erzitterte geradezu vom Geschrei der Crew – weniger aus Triumphgefühl als aus schierer Freude über das Überleben. Im Cockpit drosch Jayhawker begeistert auf das Armaturenbrett – das glücklicherweise noch schlimmere Belastungen gewöhnt war. Sie unterbrach ihre private Feier nur, um einen Funkspruch an Fort Bragg und jedes Schiff im System abzusetzen. Inzwischen hatten sie den Bereich verlassen, in dem die Piraten die Funksignale stören könnten. Die feindlichen Jäger und Shuttles waren zerstört oder anderswo beschäftigt, und die Thunder weit zurückgeblieben. Nicht einmal die fassungslose Wut der Terries, die rasch in grimmige Betriebsamkeit umschlug, konnte die gute Laune der Frachterkapitänin dämpfen, im Gegenteil. So wenig sie üblicherweise von der Flotte hielt, es war beruhigend zu wissen, dass sich jetzt jemand der Piraten annehmen würde.
Neben der Kapitänin reckte Toro – den Kopf in den Nacken gelegt – die Fäuste nach oben und brüllte ein atonales Siegeslied in einer Sprache, die nicht für menschliche Kehlen gemacht schien. In ihrer Begeisterung bemerkte Jayhawker erst gar nicht, dass die Kommunikationskonsole hektisch aufleuchtete. Doch dann öffnete sie den Kanal.
Der Anblick, der sich auf dem Bildschirm bot, ließ das Freudengeheul im Cockpit wie abgeschnitten verstummen. Am andere Ende der Verbindung war nicht etwa die TSN – Jayhawker und Toro starrten in das Bild des maskierten Freibeuters. Selbst jetzt blieb die Stimme ohne echte Emotionen, strahlte eher eine tödliche Gelassenheit und Kälte aus: „Emerald. Seht genau zu, seht ALLE genau zu, was es bedeutet, dem Black Buccaneer Widerstand zu leisten.“
Das Bild wechselte abrupt und zeigte die Delaware-Station – irgendwer musste eine extrem leistungsfähige Kamera benutzen. Jäger umschwirrten die kleine Station, Salven von Laserkanonen und die Feuerbahnen von Raketen zuckten durch den Weltraum. Plötzlich blühte eine ganze Reihe von Explosionen auf – erst ein Stück von der Station entfernt, an ihren Schilden, dann auf ihrer Oberfläche – Explosionen, die wesentlich stärker waren als die leichten konventionellen Raumkampfraketen, wenn auch schwächer als bei einem Beschuss mit militärischen Atomraketen. Jayhawker gab ein Gurgeln von sich, während sie das Schauspiel mit fassungslosem Entsetzen beobachtete. Eine neue Reihe von Explosionen, diesmal alle auf der Oberfläche – und mit einmal erloschen die Lichter der Station, ihr Abwehrfeuer, wie eine Kerze, die jemand ausgeblasen hatte. An mehreren Stellen loderten Flammen in das All hinaus, wo die Hülle aufgebrochen war. Das letzte, was die zwei Beobachter in der Emerald sahen, war eine ganze Sektion der Station, die davon driftete. Dann erlosch der Bildschirm.
Fort Bragg, Borealis Abstrakta, Gegenwart
„…und das war es dann. Sie wissen ja wohl, wie es weiterging. Ihre Leute haben uns aufgesammelt – warum, ist mir nicht ganz klar – und hierher gebracht. Die Piraten haben sich noch eine Weile bei der Station rumgetrieben, dann sind sie getürmt, kurz bevor Ihre Wachhunde eintrafen. So wie Sie sich aufführen, gehe ich davon aus, dass es Ihnen leider nicht gelungen ist, diese Missgeburten zu schnappen. Es wäre ja schön, wenn Sie mir mehr darüber verraten könnte – wie dieser Psychopath sich aufgeführt hat, glaube ich nicht, dass er so schnell vergisst, dass wir ihn reingelegt haben.“ Jayhawker hätte viel lieber wesentlich härtere Worte benutzt, doch sie wusste, dass man nie jemanden patzig kommen sollte, der am längeren Hebel saß.
Ihr Gegenüber musterte die die Frachterkapitänin wie etwas, bei dem man überlegte, wie man es möglichst effizient auseinander nahm, um herauszubekommen, wie es funktionierte. Dann bequemte sie sich jedoch zu einer Antwort: „Möglicherweise. Auf rationales Verhalten würde ich bei diesem Buccaneer…“ sie betonte das Wort eigenartig: „nicht verlassen. Wir wissen noch immer nicht, was mit der echten Thunder passiert ist – was hier im System war, war eindeutig ein anderes Schiff. Von der Thunder und ihrer Crew fehlt jede Spur, wie vom Weltall verschluckt. So wie er sich aufgeführt hat, fürchte ich, sie sind alle tot. So jemand hinterlässt keine Zeugen, die ihm einen Coup vermasseln können. Und wissen Sie, warum wir ihn nicht gefasst haben, obwohl die ganze Systemsicherheit hinter ihm her war, einschließlich einer Korvette, eines Hilfskreuzers und einer Jägerstaffel? Weil er mit seinem Schiff auf einer Sprungroute geflohen ist, die als zu unsicher eingeschätzt worden war.“
Jayhawker unterdrückte mühsam ein beeindrucktes Pfeifen. Unsichere Sprungverbindungen galten unter Kapitänen allgemein als eine Art Russisches Roulette. Es konnte passieren, dass der Sprungantrieb ausbrannte, die Verbindung sich nicht öffnete – und manche Schiffe tauchten gar nicht wieder auf, oder nur…Teile…von ihnen. Der maskierte Pirat pokerte wirklich hoch – aber das war wohl kaum anders zu erwarten bei jemandem, der ein Terry-System angriff, wo ihn nur das Überraschungsmoment davor bewahrte, überrannt zu werden.
Die Kapitänin setzte ihre seriöseste Miene auf, ihr Geschäftsgesicht – das sie unter anderem dann verwendete, wenn sie jemanden übers Ohr hauen wollte: „Na ja, dass er nicht ganz dicht ist, hatte ich schon vermutet. Aber das erklärt nun wirklich nicht, was Sie eigentlich noch von MIR wollen. Ich haben Ihren Kollegen dieselbe Geschichte schon dreimal erzählt, alle Aufzeichnungen übergeben – ich helfe der TSN immer so gut ich kann.“ Das sardonische Lächeln der Justizbeamten deutete darauf hin, dass Jayhawker momentan vielleicht etwas zu dick aufgetragen hatte. Nichtsdestotrotz versuchte sie es weiter: „Wir haben einen Piratenjäger abgeschossen und eines ihrer Shuttles beschädigt. Und unsere Fracht war versichert, außerdem sind Sie doch kein Buchhalter für unseren Auftraggeber. Ich meine, ich musste an meine Crew und mein Schiff denken, jeder Kapitän muss das. Wir haben Glück gehabt, dass wir mit angesengten Schwanzfedern davongekommen sind. Also warum halten Sie uns noch fest?“ Das mit der Versicherung stimmte nur zum Teil – die übernahmen Schäden nicht immer voll, und mitunter trieb ein eingetretener größerer Versicherungsfall die zu zahlenden Beiträge etwas nach oben.
Der Blick der dunkelhäutigen Frau war stechend, als sie Jayhawker musterte: „Wieso wir Sie festhalten? Wissen Sie das wirklich nicht? Wir haben hier 27 Tote an Bord der Delaware-Station. Nur ein reichliches Dutzend Besatzungsmitglieder haben überlebt, weil sie beim Atmosphärenverlust der Station gerade ihre Raumanzüge an hatten oder durch puren Zufall durch die Notverriegelung irgendwo eingeschlossen waren, wo sie ausreichend Atemluft hatten, bis die Rettungstrupps eintrafen. Die Station ist an mehreren Stellen aufgebrochen, ganze Sektionen sind zerstört. Die Starwave ist verschwunden, nur diese feige Bande von Besatzung haben die Piraten in die Rettungskapseln gehen lassen.“ Der Blick auf Jayhawker besagte, dass deren Verhalten nur geringfügig besser beurteilt wurde, hatte sie doch gezielt darauf gesetzt, dass die Piraten mit der Station beschäftigt waren, anstatt ihr zu Hilfe zu kommen. Das war natürlich im Grunde ungerecht, Frachtercrews waren keine Flottensoldaten, aber offenbar waren die Terries in ihrer Verbitterung über die erlittenen Verluste nicht unbedingt auf Fairness aus.
„Und wissen Sie, was komisch ist? An Bord der Delaware-Station war nicht nur Ihre Fracht von über zwei Tonnen Industriediamanten. Die Starwave und die Thunder sollten ebenfalls hochwertige Komponenten übernehmen – Titan-Platin-Legierungen, fünf Tonnen Gold, die für den Bau von Leitungen gebraucht wurden und so weiter. Alles Fracht, die auf dem Schwarzmarkt jetzt im Krieg unbezahlbar ist. Und diese Fracht wurde praktisch gleichzeitig zu einem schlecht gesicherten Außenposten dirigiert, wo sie von drei Frachtern abgeholt werden sollte, die nicht etwa versetzt eintrafen, sonder fast gleichzeitig. Soll ich glauben, dass das ein Zufall war? Die Piraten wussten, WO sie WAS erbeuten können, und sie hatten auch klare Pläne für das WIE – von ihrer falschen Thunder bis zu den Waffen, mit denen sie die Station ausschalteten.“
Die Frachterkapitänin brauchte ihre Empörung nicht sehr zu heucheln: „Moment mal! Also plaudern kann doch auch jemand anders. Glauben Sie etwa, auf meinem Schiff UND auf der Starwave hat jemand gesungen? Und wie sollten wir die Fracht verlagern? Ich würde sagen, das war entweder ein Insider hier, oder ein guter Hacker – nur in diesen Fällen kann man verlässlich Informationen rauskriegen UND die Bedingungen manipulieren.“
Die Miene der Ermittlerin deutete an, dass sie das ebenfalls erwogen hatte – aber nicht bereit war, die Emerald vom Haken zu lassen: „Sie sind die einzige Partei, die bei dem Überfall relativ ungeschoren davongekommen ist. Ich brauche wohl auch nicht zu erwähnen, dass Ihr Schiff nicht den besten Ruf hat. Sie – oder ihr Schiff – wurden mehrmals der Steuerhinterziehung und des Schmuggels beziehungsweise der Umgehung von Exportbeschränkungen verdächtigt. Ihre Besatzung ist um es vorsichtig zu nennen…farbenfroh – darunter zwei ehemalige Paramilitärs aus der CC und mehrere Vorbestrafte. Teilnahme an verbotenen Demonstrationen, Sachbeschädigung, Diebstahl, Körperverletzung, Identitätsvergehen…hübsche Liste.“
Jayhawker wahrte die Beherrschung: „Kommen Sie, Sie wissen wie das läuft. Gegen kleine selbstständige Händler wie uns ist man schnell mit Unterstellungen wie Schmuggel bei der Hand, auch von Seiten der Konkurrenz. Die Transportbestimmungen sind ohnehin so verworren, dass nicht mal Ihre Leute immer durchblicken. Niemals hat sich der Verdacht erhärtet, abgesehen von Bagatellen. Und ja, ich beschäftige Leute, die nicht immer eine ganz saubere Weste haben. Aber glauben Sie denn, ich kann mir die Crew aussuchen? Wer will denn schon auf so einem alten Frachter bei so schlechter Heuer fahren! Zum Teufel, selbst die TSN holt doch aus ihren Knästen, was immer brauchbar ist.“
Offenkundig kam ihre Mitleidsschiene nur begrenzt an. Jayhawker machte nicht einmal den Versuch, ihre letzte Mission für die TSN ins Spiel zu bringen. Da diese geheim gewesen war, würde niemand ein gutes Wort für sie einlegen, eher würde man dafür Sorge tragen, dass sie für den Geheimnisverrat noch ein zusätzliches ,Pflaster’ aufgebrummt bekamen. Sie versuchte es auf andere Weise: „Sie glauben doch nicht, dass die Piraten und wir gemeinsame Sache machen, und dann dürfen wir einen ihrer Jäger abschießen, um den Verdacht zu zerstreuen! Wenn ich oder auch nur jemand aus meiner Crew von dem Überfall gewusst hätte, wäre es ein leichtes gewesen, unsere Ankunft um ein paar Stunden zu verzögern, lange genug, dass alles gelaufen ist, ehe wir eintreffen. Das wäre wesentlich weniger gefährlich gewesen, und bei so einem alten Schiff mehr als plausibel. Ich sag es Ihnen, sie sind auf der falschen Spur. Suchen Sie nach einem Insider hier, oder nach Hackerspuren.“
Die Justizbeamte schien das zu erwägen: „Vielleicht sollte ich das. Aber vielleicht auch nicht.“ Sie lächelte vollkommen humorlos: „Sie wissen, dass hierfür jemand bluten muss. Leider nicht der Buccaneer – der ist erst einmal entwischt. Seine Stunde wird kommen, aber bis dahin…Und hier will keiner den Sündenbock spielen. Die freien Frachtercrews hingegen, Ihre oder die der Starwave…das ist eine andere Sache. Ein Notopfer könnte einige Karrieren retten. Und was würde besser passen als ein Schiff wie Ihres – das dazu noch einen Deserteur an Bord hat.“
Diesmal war Jayhawker wirklich sprachlos, oder zumindest so gut wie: „Was?“
Die Justizbeamte genoss es sichtlich, einen Joker ausspielen zu können: „Nun, Ihr Crewmitglied Robert Sanders. Ich weiß, er ist noch nicht lange an Bord – gerade rechtzeitig für diesen hochsensiblen Auftrag. Interessante Koinzidenz, nicht wahr? In Wirklichkeit heißt er Robert Piersen – nicht sein erster Identitätswechsel übrigens – und ist von Beruf her ziviler Frachteroffizier und fahnenflüchtiger Reservist der Nationalgarde. Er hat sich seiner Mobilisierung nach der Schlacht von Troffen entzogen und ist seither untergetaucht. Wie Sie vermutlich wissen. Oder auch nicht, das ändert nicht viel, es sieht jedenfalls nicht gut aus. Was denken Sie denn, wie gut sich Deserteur, Schmuggler und Pirat für ein Gericht reimen werden? Selbst wenn es nicht zu einer Anklageerhebung kommt, wir können Sie hier festhalten, bis Sie schwarz werden. IRGENDETWAS findet man immer, und ich zweifle, dass wir allzu tief graben müssen.“
In Gedanken ging die Kapitänin einige wohlerwogene Beleidigungen durch, die sie Blanco bei nächster Gelegenheit an den Kopf knallen wollte, am besten mit ein paar Schlägen in die Nieren oder an andere schmerzempfindliche Stellen. Es gab an Bord der Emerald ein ungeschriebenes Gesetz, dass man nur dann über die Vergangenheit redete, wenn man wollte – fast jeder an Bord hatte vermutlich seine kleinen oder weniger kleinen Geheimnisse. Aber dass dergleichen sie alle in genau so einem Moment in den Hintern beißen musste…
Sie wollte schon zu einer Verteidigungsrede ansetzen, als sie einen gewissen Ausdruck im Gesicht ihres Gegenübers bemerkte. Einen Ausdruck, den sie sehr gut kannte, und besonders unter solchen Umständen verabscheute. Innerlich wappnete sie sich für das Kommende.
„Sehen Sie Kapitän, es sieht also wirklich übel für Sie aus. Ich sehe da schwarz für Sie. Selbst wenn ich Ihnen glaube, und unter uns, es ist gut möglich, dass Sie die Wahrheit sagen, diesmal, kann ich nichts für Sie tun. Nicht, bis wir nicht alle Fragen geklärt haben.“ Es folgte eine wohl kalkulierte Pause, damit Jayhawker sich ausmalen konnte, was ein Zwangsaufenthalt von einigen Monaten für sie und ihre Crew bedeuten würden, und dann: „Außer…Sie tun etwas für UNS, damit wir etwas für SIE tun können…“
Kapitän Sarah Victor alias Jayhawker biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszufluchen. Es war ja so vorhersehbar! Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was sie in einem früheren Leben verbrochen haben musste, um dieses Schicksal zu verdienen. Dann machte sie sich daran, einmal mehr einen Weg aus einer Misere herauszufeilschen…
Cattaneo
Cattaneo
Bauern auf dem Brett
Nahe des Asteroidengürtels, Sterntor-System, 6. Juli 2637
Es hatte eine Weile gedauert, bis die Analysten der TSN aus den zur Verfügung stehenden Informationen über Kurs, Zusammensetzung und Geschwindigkeit der Akarii eine Vorstellung über die Strategie des gegnerischen Kommandeurs herausgelesen hatten. Nun, man sollte besser sagen eine Vermutung, die plausibel klang. Wenn man keine vernünftigen Hintergrundinformationen über bisherige Einsätze eines feindlichen Kommandeurs, seine engsten Mitstreiter oder Mentoren hatte, war es schwer, verlässliche Aussagen über sein Vorgehen zu treffen. Wie die Überraschung der Colonial Confederation angesichts des mehr als riskanten Angriffes von Kal Ilis bewiesen hatte, der wohl nur aufgrund der Irrationalität des Planes und geradezu unglaublich glücklicher Umstände nicht mit einer totalen Niederlage der Akarii geendet hatte.
Seitdem war man mit Prognosen noch vorsichtiger geworden, schließlich war der Vorstoß nach Sterntor ebenfalls kaum als rational zu bezeichnen. Aber die astronomischen Rahmenbedingungen, die Informationen über Stärke und Fähigkeiten der feindlichen Streitmacht und bekannte Akarii-Einsatzdoktrinen ermöglichten zumindest begründete Vermutungen.
Sobald man also zu einer akzeptablen Vermutung gekommen war, hatte man begonnen zu reagieren. Da nicht eine einzige bestätigte Meldung von weiteren Akarii-Angreifern mit Kurs auf Sterntor oder gar Terra vorlag, konnte man davon ausgehen, die gesamte feindliche Streitmacht oder zumindest ihren Schwerpunkt vor sich zu haben. Ein Durchbruch zum Sprungpunkt nach Terra war inzwischen kaum noch zu erwarten. Zu lange hätten die Akarii gebraucht, um ihr Ziel zu erreichen – und sich durch die gesamte Systemverteidigung durchkämpfen müssen. Was freilich plausibel war, war eine Bedrohung für den Asteroidengürtel und für Masters. Die Wahrscheinlichkeit für einen Direktangriff auf Seafort schwand hingegen mit jeder verstreichenden Stunde, auch wenn solch ein Versuch noch immer nicht ganz auszuschließen war. Das Oberkommando zögerte noch, die Warteposition im weiteren Umfeld von Seafort aufzugeben – was wohl nicht nur militärischer Vernunft geschuldet war, sondern dem Schock des vernichtenden imperialen Angriffs auf Hannover und des barbarischen Bombardements auf die konföderierte Hauptstadt. Etwas Derartiges wollte man nicht noch einmal erleben, jedenfalls nicht auf Seafort. In Folge dessen manövrierte die terranische Flotte nur, abhängig von der Position der Akarii, verlagerte schrittweise ihre Position, aber bei weitem langsamer als es ihr möglich gewesen wäre. Wenigstens gewann man so Zeit, weiter außen stehende Verbände zu sammeln.
Gleich drei Offiziere – eine Staffelchefin der Angry Angels, ein Nationalgardepilot von Seafort und ein Second Lieutenant des taktischen Flottenkommandos – hatten unabhängig voneinander über ihre Vorgesetzten vorgeschlagen, Piloten und Maschinen vom Boden an Bord der Träger zu verlagern, wo sie als Ersatz für Ausfälle fungieren könnten. Übereinstimmend hatte jeder der Appellanten versichert, dass dies in einer Raumschlacht erhebliche Bedeutung gewinnen könne, selbst wenn man nur Freiwillige nehmen würde. Es war noch nicht abzusehen, ob die Zeit dafür reichen würde, und was man „oben“ von so viel Eigeninitiative hielt. Der Vorschlag wäre vor allem dann von Nutzen gewesen, wollte die TSN die Akarii außerhalb der Reichweite der bodengestützten Geschwader stellen. Manche befürworteten dies, denn eine Schlacht in der Nähe des Planeten barg immer die Gefahr, dass die Akarii einige Jagdbomber oder Schiff-Schiff-Raketen mit Atomwaffen für einen Bodenangriff investierten. Und eine einzige Megatonnen-Bombe konnte eine ganze Großstadt ausradieren.
Das war nicht der einzige unorthodoxe Vorschlag gewesen. Rear-Admiral Chris Mithel von der Kreuzerschwadron 2.3 hatte angeregt, auf Zeit zu spielen, die Flotte stärker in Richtung Masters zu verlegen und dem Feind im Asteroidengürtel weitestgehend freie Hand zu lassen, abgesehen vielleicht von einer Art Guerillakrieg. Erst in einer Entfernung von vielleicht anderthalb Millionen Kilometern um Masters sollte eine Schlacht eröffnet werden. Das wäre weit genug, um einen planetaren Beschuss zu verhindern – selbst die schnellsten feindlichen Kriegsschiffe hätten noch einige Stunden Fahrt gebraucht, um sich Masters auf Schussweite nähern zu können – doch die bodengestützten Geschwader der Menschen wären gerade so noch verfügbar gewesen. Aber man zögerte noch, denn noch immer hatte man Angst, bei einem Vorstoß gen Masters Seafort zu entblößen.
Das waren nur einige Gedankenspielchen gewesen, wie man mit dem Gegner verfahren sollte – neben der Head-on-Variante einen massierten Angriffs noch während die Akarii im Belt standen, die einige ehrgeizige Kommandeure und Soldaten bevorzugten. Letzten Endes lief es jedoch vor allem darauf hinaus, dass man Zeit gewinnen musste. Zeit, um soviel wie möglich an Menschen und Material aus dem Belt zu evakuieren, ehe die Akarii in Feuerreichweite waren. Zeit, um so viele Kriegsschiffe wie möglich in ungefährer Marschrichtung des Gegners zu konzentrieren. Zeit, um Masters und Seafort auf den schlimmsten denkbaren Fall vorzubereiten, auf eine Schlacht in unmittelbarer Nähe oder einen Sieg der Akarii in der Raumschlacht, in welchem Fall es ihnen möglich gewesen wäre, die Planeten zu bombardieren. Und schließlich – Zeit, um so gut es ging in Nachbarsystemen Vorbereitungen zu treffen, um aus dem Vorstoß der Akarii unter Admiral Zweiten Ranges Mokas Taran einen Sturmangriff in einen Verbrennungsofen hinein zu machen. Die Echsen hatten sich weit, sehr weit vorgewagt. Das machte sie gefährlich, denn ihre Waffen zielten direkt auf eines der verwundbarsten Ziele der FRT. Aber es machte sie auch selber verwundbar, denn auf Wochen des Marsches gab es momentan keine Werft in Akarii-Hand, jedenfalls keine, die sie ohne ein oder zwei weitere Schlachten hätten erreichen können. Irgendwann würden sie auch wieder abziehen müssen, voraussichtlich mit dezimierten Geschwadern, verringertem Munitionsvorrat und vor allem mit beschädigten Schiffen. Und der Weg nach Hause war lang, vor allem wenn man lahm geschossene Havaristen bei sich hatte. Selbst wenn es so gut wie ausgeschlossen war, schnell genug ausreichend Schiffe zusammenzuziehen, um einer sich zurückziehenden Akarii-Flotte wirkungsvoll den Weg zu versperren – Störangriffe auf Maximalreichweite und offensive Minenfelder konnten Admiral Tarans Verband einen ungemütlichen Heimweg garantieren. Wenn man denn rechtzeitig reagierte, wenn man ein paar Schiffe zusammenkratzen konnte.
Angesichts dessen verwunderte es wenig, dass es sich bei nicht wenigen der augenblicklich eingeleiteten Maßnahmen der Terraner um Versuche handelte, den Vormarsch des Gegners zu verlangsamen, um genau diese dringend benötigte Zeit herauszuschinden.
Ein Teil dieser Maßnahmen befand sich momentan auf dem Weg zu seinem ersten Einsatz im Kampf um das Sterntor-System. Die Ideen waren zum Gutteil von den taktischen Kommandos der Kreuzerschwadron 2.3 ausgeknobelt worden, und diese Einheit kümmert sich auch um einen Gutteil der Umsetzung. Der Grund war einfach – die Kreuzerschwadron wurde von einem der erfahrensten Kommandanten im System kommandiert, und der Rear-Admiral hatte eine gute Hand, um aus seinen Untergebenen das Letzte herauszuholen. Manche sagten, er quetschte auch noch den letzten Rest an Leistung hervor… Außerdem war er alles andere als innovationsfeindlich, vorausgesetzt man preschte nicht vor, sondern hielt sich an den Instanzenweg.
Wie schon bei Karrashin schien Chris Mithel gewillt, seinen Shuttles eine wichtige Rolle zukommen zu lassen. Der Grund dafür war einfach – Shuttles waren deutlich schneller als Großkampfschiffe – hatten aber zugleich eine wesentlich größere Reichweite, Tragkraft und Flexibilität als Jäger und Bomber. Sie waren klein genug, um dem Feind nicht sofort aufzufallen. Böse gesinnte Geister würden hinzufügen, sie standen in großer Zahl zu Verfügung, waren billig und relativ leicht zu ersetzen, die Blutverluste bei ihrer Zerstörung fielen kaum ins Gewicht. Doch damit hätte man Mithel wohl Unrecht getan. Wenn es sein musste, riskierte er Kreuzer so entschlossen wie kleinere Einheiten – und wenn es NICHT seien musste, schonte er große und kleine Schiffe gleichermaßen.
Wie für alle von Mithels Untergebenen hatte der Aufenthalt in Sterntor für die Shuttlecrews neben Möglichkeiten zur Erholung auch eine Menge Arbeit bedeutet. Sie hatten ihre Verluste durch Neuzugänge ersetzen und diese einlernen müssen. Dies galt für die Relentless wie für jeden anderen der Veteranen-Kreuzer. Der Staffelchef des Flaggschiffs, Lieutenant Commander Sebastian Lefranque, hatte sich bemüht, die Neuzugänge organisch einzugliedern. Dies fiel umso leichter, da es sich bei den meisten nicht um Neulinge handelte. So waren die Lieutenants Stanford und Hernandez als „Tutoren“ für zwei neu hinzu gestoßene Besatzungen eingeteilt worden. Bei den ihnen unterstellten Männern handelte es sich fast ausschließlich um Waisen zerstörter Schiffe. Ein Pilot-Copiloten-Paar kam von der Lochinel of Cameron, ein Copilot von der Dauntless. Nur der zweite Pilot war ein Neuzugang, ein Systemveteran aus Sterntor. Den meisten musste man wirklich nichts mehr beibringen über die Einsatzparameter, die man von ihnen erwartete. Eine gewisse Eingewöhnungszeit war jedoch von Vorteil, schon zwecks einer besseren Einarbeitung in die Staffelstruktur. Zumal auf der Relentless einiges anders lief als in anderen Einheiten. Dies war auch der Grund, aus dem die Neuzugänge im Moment noch nicht von der Partie waren. Für Sondereinsätze verwendete man nach Möglichkeit nur eingespielte Teams.
Sturmshuttle R-3 wurde im Moment von so einem eingespielten Team geflogen, auch wenn das ein zufälliger Beobachter kaum geglaubt hätte, wäre er in diesem Moment anwesend gewesen. First Lieutenant Robert Stanford hing alles andere als elegant in seinem nach hinten geklappten Sessel und schlief den Schlaf des mehr oder weniger Gerechten. Seine Co-Pilotin hingegen, Second Lieutenant Maria Hernandez, war wach und beobachtete aufmerksam die Anzeigen, auch wenn sie hin und wieder ein Gähnen unterdrücken musste. Wer sie genauer betrachtet hätte, dem wäre vielleicht aufgefallen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt ihr Verhalten zunehmend aufgeregter wirkte. Ihre Hände huschten über die Armaturen, gelegentlich nahm sie kleine Kurskorrekturen vor, sah sich argwöhnisch um, prüfte immer wieder die Anzeigen. Dennoch blieb sie ziemlich lange stumm. Schließlich wandte sie sich jedoch an ihren schlafenden Vorgesetzten. Ihre Stimme klang direkt freundlich, fast liebevoll: „Rob?...“ Keine Reaktion. Sie wartete einige Sekunden, dann, mit schon etwas lauterer Stimme: „Robert…!“ Wieder erfolgte keine Reaktion. Sie runzelte die Stirn und bellte los: „Stanford, aufwachen!“
Ihr Vorgesetzter schien sich dadurch jedoch nicht stören zu lassen. Er sackte ein wenig zur Seite und schlief offenbar weiter. Das brachte ihm einen Stoß gegen die Schulter ein, dann packte die junge Frau seinen Arm und schüttelte ihn. Doch noch immer gab es keine Reaktion.
Die Copilotin stoppte ihre Bemühungen abrupt. Ihre Stimme war nicht einmal besonders laut, als sie erneut das Wort an ihren Kameraden richtete: „So, das reicht jetzt! Du kannst aufhören, dich zu verstellen. Keiner – nicht mal du – könnte jetzt noch schlafen. Also mach die Augen auf, oder ich trete dich aus dem Sessel.“
Der Pilot antwortete ihr – ohne die Augen zu öffnen und ohne ein Zeichen, dass er eben erst erwacht wäre: „Also wirklich, Maria, das ist unnötig. Vielleicht verwendest du einfach die falsche Technik. Wenn du versucht hättest, mich mit einem Kuss zu wecken, wäre ich sicher sofort aufgewacht.“
Seine Untergebene schnaubte nur: „Davon träumst du vielleicht.“
Ihr Vorgesetzter lächelte strahlend: „Oh, noch von ganz anderen Dingen. Wenn du eine genauere Beschreibung haben…“
Das brachte ihm einen finsteren Blick ein, der ihn eigentlich auf der Stelle hätte verschmoren müssen: „Das nächste Mal geb’ ich dir eine Ohrfeige, DAS wirkt bestimmt.“
Robert Stanford schlug endlich die Augen auf, in denen ein spöttisches Funkeln unübersehbar war: „Gewaltandrohung von einer Untergebenen? Also ich bin sicher, der JAG würde sich dafür sehr interessieren…“
„Was, wie das schwache Geschlecht vom starken unterdrückt wird?“
Der Pilot lachte: „Gut pariert. Na schön – weshalb WOLLTEST du mich den wach sehen – außer wegen des Vergnügens meiner Gegenwart natürlich.“ Letzteres wurde mit einem Augenverdrehen beantwortet. Die Copilotin nahm das Geplänkel jedoch nicht wieder auf, sondern wurde schlagartig sachlich: „Wir nähern uns der Einsatzzone. Ankunft in 15 Minuten.“
Ihr Vorgesetzter zuckte zusammen, offenbar ehrlich überrascht: „Was, so bald? Ich hatte doch gesagt, du sollst mich schon mindestens eine halbe Stunde früher…“ Er verstummte, als er das höhnische Grinsen seiner Untergebenen sah. Sie säuselte spöttisch: „Du sahst so süüüüüß aus, wie du wie ein kleines Baby geschlafen hast, einschließlich dem Sabbern und Schmatzen…“
„Mist, also an deine Mütterlichkeit wollte ich bestimmt nicht appellieren, ich meine, als ich erkannte, dass ich auf die Weise mal neben dir aufwachen kann…“
Maria Hernandez lachte betont boshaft bei den Worten ihres Kameraden, möglicherweise auch, um ein Erröten zu kaschieren, nur um dann wieder ernst zu werden: „Ich hatte den Eindruck, du kannst die paar zusätzlichen Minuten Schlaf gut gebrauchen.“
Robert Stanford wirkte sogar peinlich berührt – nicht, weil er sich mit seiner Müdigkeit eine Blöße gegeben hatte, sondern weil er die Copilotin verspottet hatte, während diese einen Akt echter Selbstlosigkeit vollbrachte: „Ähm…vielen Dank auch…ehrlich. Du hast was bei mir gut.“
Die junge Frau kicherte: „Tja, würdest du nicht dauern versuchen, auf meine Kosten Witze zu reißen, bräuchtest du nicht so oft ein schlechtes Gewissen zu haben. Und jetzt schlage ich vor, du machst dich frisch und checkst die Ladung.“ Einer der großen Vorteile an Bord eines Shuttles im Vergleich zu einem Jäger war, dass man hier nicht auf Drogen als einzige Muntermacher angewiesen war. Man konnte sich die Beine vertreten, das Gesicht waschen, es gab die Möglichkeit, Kaffee oder andere milde Stimulanzien zuzubereiten. Und man schlief auch wesentlich besser.
Wenige Minuten später war der Pilot voll einsatzbereit. Als er seinen Platz im Cockpit einnahm, wirkte er voll konzentriert: „Da hinten ist alles in bester Ordnung.“ Er machte jedoch keinen besonders glücklichen Eindruck. Mit einigen Handgriffen aktivierte er die Notverriegelung des Cockpits. R-3 war vor dem Einsatz hastig mit Bordmitteln umgebaut worden, um seinen neuen Dienstparametern gerecht werden zu können – dem Transport und dem Aussetzen von…heikler…Fracht.
Ein Grund für Roberts Nervosität war leicht zu erkennen, wenn man aus dem Bugfenster schaute. Normalerweise sprach man mit Fug und Recht vom LEEREN Raum. Doch ein Stück vor dem Shuttle, das praktisch mit Höchstgeschwindigkeit dahinraste, war das All alles andere als leer. Sie näherten sich dem Rand des Asteroidengürtels von Sterntor. Nun, die Bezeichnung war eigentlich irreführend, denn es gab im System mehrere Ringsysteme von sehr unterschiedlicher Größe, Dichte und Zusammensetzung. Zum Teil gruppierten sie sich um die unbewohnten Planeten des Systems, ähnlich wie die Ringe des Saturns im Sol-System. Dies hier war jedoch der große materiereiche Ring, der Gesteins-, Eis- und Metallbrocken bis fast zur Größe kleiner Monde beinhaltete und zwischen der Lebenszone des Systems und dem Tiefraum lag und von den Gravitationskräften der Sonne auf seiner Bahn gehalten wurde. Der Ring, der für den systeminternen Bergbau und damit für die Werften und Schwerindustriefabriken von Seafort so wichtig war und damit auch für die Kriegsanstrengungen der FRT. Deshalb nannte man ihn DEN Ring. Und es war DER RING, den die Akariiflotte jetzt in einer Ellipse ,abgraste’ und von allem säuberte, was den Menschen dienlich sein konnte.
Die materiellen Verluste der FRT gingen bereits in die Milliarden, von zu erwartenden Produktionseinbußen ganz zu schweigen, und ein Ende war noch nicht in Sicht. Die TSN war zu weit weg, um die Akarii an ihrem Zerstörungswerk zu hindern, sie hatte genug zu tun, wenigstens die Bevölkerungszentrum zu schützen. Den Belt zu verteidigen war ausgeschlossen, die menschlichen Schiffe waren einfach zu weit entfernt, mit einem Vorstoß hätten sie wohl Seafort und Masters entblößt. Wenigstens hielten sich die Personen- und Schiffsverluste bisher in Grenzen. Aber die TSN war nicht gewillt, vollkommen tatenlos zuzusehen. Zunächst hatte es den Vorschlag gegeben, die Akarii aus dem Schutz des Gürtels mit Gruppen leichter, sensorgetarnter Schiffen anzugreifen. Ein klassischer Torpedoboot-Angriff aus der Deckung – angreifen und zurückziehen, wohin der Gegner sicher seine Kreuzer nur sehr ungern schicken würde. Sowohl Kapitän Friedrich von Habsburg – ein ehemaliger Zerstörerkommandant – von der Kreuzerschwadron 2.3 als auch ein Commodore der Systemstreitkräfte hatten sich dafür stark gemacht. Sie argumentierten, dass die Ortung der Akarii durch das Metall des Belt gestört werden würde, so dass ein Überraschungsschlag möglich sei. Anderthalb oder zwei Dutzend Zerstörer, die überraschend zuschlugen, konnten einigen Schaden anrichten und sich wieder vom Feind lösen, so ihr Argument. Sie machten geltend, dass die schweren Kampfschiffe des Gegners kaum wagen würden, ihren agileren Gegnern in den Belt hinein zu verfolgen.
Der Vorschlag war jedoch abgelehnt worden. Zum einen waren die Sensoren der Akarii den menschlichen mindestens ebenbürtig. Außerdem ging der Feind offenbar sehr systematisch vor, ohne die Eigensicherung zu vernachlässigen, der Effekt wäre also wohl nur begrenzt gewesen. Die drei Flottenträger der Akarii konnten genug Kampfflieger starten, um sich gegen Überraschung abzusichern – und diese mit einem Hagel von Atomraketen zu begrüßen. Zudem setzte der gegnerische Kommandeur offenbar vor allem seine Kampfflieger ein, um industrielle Ziele zu zerstören, ohne jedoch zu viele Maschinen dafür zu detachieren. Und schließlich waren überhaupt noch nicht ausreichend schnelle Raketenträger verfügbar, um sie für so einen riskanten Angriff einzusetzen. Wie alle anderen Großkampfschiffe sammelten sich auch die Fregatten und Zerstörer noch zwischen Seafort und Masters.
Das hieß nicht, dass man untätig bleiben wollte. Und genau da kamen R-3 und seine Kameraden ins Spiel. Man hatte sie – ein kleinere Gruppe handverlesener Spezialisten und Veteranen von verschiedenen Kriegsschiffen – vorausgeschickt. Mit Höchstgeschwindigkeit waren sie der sich versammelnden Flotte vorausgeeilt, hatten unterwegs Treibstoff von mitfliegenden Tankshuttles übernommen, um praktisch die ganze Zeit Vollschub geben zu können – und nun waren sie hier, am Rande des Belts, genau dort, wo allen Berechnungen nach die Akarii in naher Zukunft aufkreuzen würden. Das war wohl der zweite Grund für Roberts Besorgnis, wie seine nächste Bemerkung zeigte: „Irgendetwas von den verdammten Echsen?“
Maria schüttelte den Kopf: „Soweit wir sie überwachen, sind sie noch gut und gerne drei bis vier Millionen Kilometer entfernt.“ Mit grimmiger Stimme fügte sie hinzu: „Und beschäftigt.“ Das bedeutete etliche Stunden Marschfahrt, war aber nur scheinbar ein Grund zur Beruhigung. Jäger schafften die Strecke wesentlich schneller.
Ihr Vorgesetzter räusperte sich: „ Na schön – Meldung von den anderen? Nein?“ Das war wenig überraschend, denn die Shuttles operierten mit großer Streuung – sie sollten ein riesiges Gebiet abdecken. Es gab einfach nicht genug erfahrene Besatzungen und ausreichend Material. R-3 hatte man ,natürlich’ die zweifelhafte Ehre erwiesen, am äußersten Rand der den Akarii zugewandten Seite der Formation zu operieren. Noch ein Grund zur Nervosität. Der Pilot warf einen letzten Blick auf die Anzeigen – der Belt würde zwar die Anzeigen der Akarii stören, aber auch R-3 konnte den Feind so nicht sehen – dann atmete er tief durch: „Gut, dann sehen wir zu, dass wir unsere Eier legen und wieder abhauen können.“
Und mit dem ,Eierlegen’, dem eigentlichen Kern ihrer Mission, war der letzte wesentliche Grund für seine Unruhe genannt. Die Shuttles hatten die Aufgabe, den Akarii ein paar Überraschungen zu bereiten. So gut das mit zwei Dutzend Maschinen eben möglich war. Aber es ging ja nicht darum, dass sie den Feind angreifen oder gar wirklich hart treffen sollten. Sie sollten ihn nur ein wenig…ärgern. Ihn verlangsamen, ein paar Nadelstiche versetzen, vorzugsweise vergiftete.
R-3 zum Beispiel sollte in den Belt vordringen, zu einer Stelle, wo die Metallkonzentration in den Asteroiden verhältnismäßig hoch war. Glücklicherweise wusste die TSN über ihren Hinterhof ziemlich genau Bescheid – der Gürtel war in erheblichen Teilen mit Perspektive auf eine industrielle Ausbeutung erforscht worden, außerdem nutzten ihn die Systemstreitkräfte mitunter als Manövergebiet und für Zielübungen. An der anvisierten Stelle würde das Shuttle mehrere Sender und Täuschkörper aussetzen, die zusammen mit der Metallkonzentration einem vorbeifliegenden Echsenspäher suggerieren sollte, hier gäbe es ein Ziel – eine automatisierte Abbaustation oder dergleichen. Das Profil würde sichtbar sein, aber nicht ZU auffällig, wie eine Anlage, die etwas heruntergefahren war. Die Akarii würden sich, so der Plan, zumindest die Zeit nehmen, alles genauer zu untersuchen. Schon das würde sie Zeit kosten
Sollte der Feind aber etwas dichter heran fliegen oder sogar ein paar Jagdbomber schicken, um das vermeintliche Ziel zu atomisieren, nun, für den Fall hatte man ebenfalls vorgesorgt. Zusätzlich zu den Sendern sollte R-3 einige primitive ,Selbstschussanlagen’ aussetzen. Simple Plattformen, bestückt mit passiven Sensoren und einigen konventionellen Anti-Jägerraketen. Sobald die Zielsuchsysteme der Waffen – zumeist IFF-, Infrarot- oder Bildsucherkennungsraketen – ein Ziel erfassten, würden sie starten und den Gegner zerstören oder zumindest anschlagen. Solche Anlagen waren nicht sehr genau und in einer Raumschlacht kaum von Nutzen – die Gefahr eines Friendly-Fire-Zwischenfalls wäre beträchtlich gewesen. Dennoch hatte man nicht wenige dieser kruden Konstruktionen zusammengeschweißt, als die erste Nachricht über einen möglichen Angriff der Akarii eintraf, damals auch mit dem Gedanken, sie bei der planetaren Verteidigung in definierten ,Sperrzonen’ einzusetzen. Als dann klar wurde, wie die Akarii vorgingen, hatte man einige Dutzend der provisorischen Kampfsatteliten mit Eilshuttles zu den Kreuzern geschafft. Hier, im Gürtel, war die Schussweite und Zielgenauigkeit der Raketen begrenzt. Aber dafür bemerkte man den Angriff auch recht spät, und wenn man beim Ausweichen nicht aufpasste oder Antrieb beziehungsweise Manöverdüsen beschädigt wurden…nun, Asteroiden töteten ebenso gründlich wie Raketen, vielfach sogar noch gründlicher. Egal wie viele Jäger die Akarii so letztendlich verloren oder zumindest als Havaristen bergen mussten – es würde sie Zeit kosten, Material, und es würde sie künftig vorsichtiger machen. Vielleicht entging ihnen dann einmal ein ECHTES Ziel, oder die TSN gewann ein paar Stunden.
Soweit die Theorie, wie erfolgreich sie in der Praxis funktionieren würde, blieb abzuwarten. Nicht alle Shuttles setzten Köder oder Selbstschussanlagen aus. Einige wenige hatten auch Minen an Bord. Normalerweise galt es als ineffizient, Sprengkörper gegen Jäger einzusetzen. Doch hier, wo eine Explosion sich durch die dabei aus der Bahn gebrachten Asteroiden potenzieren konnte und Ausweichmanöver erschwert waren…
R-3 gehörte zur ersten Welle, die den Belt erreichte – nach einem Flug von rund 36 Stunden. Was jetzt vor der Besatzung lag, war Präzisionsarbeit. Auch wenn man gute Karten hatte, ein Flug durch ein Asteroidenfeld wurde niemals Routine. Und nur wenn sie ihre vergifteten Willkommensgrüße gut platzierten, konnten sie ihre Aufgabe erfüllen – ansonsten würden sie schon bald zerschellen, oder die Akarii fanden sie erst gar nicht. Es ging also um Maßarbeit. R-3 wurde langsamer und begann, sich durch den Asteroidengürtel voranzutasten, immer tiefer in das Gewirr aus Gestein und Eis, immer näher an den Feind heran.
Asteroidengürtel des Sterntor-Systems, anderthalb Stunde später
Ein letztes Mal verharrte Shuttle R-3 fast bewegungslos, während es den Rest seiner Ladung aussetzte. Die beiden Besatzungsmitglieder verständigten sich durch Wortfetzen und knappe Gesten. In solchen Momenten verstand man, wie wertvoll es war, wenn ein eingespieltes Team zusammenarbeitete.
Maria Hernandez behielt die Anzeigen im Auge, während sie Anweisungen herunterspulte: „Absatzpunkt in zehn Sekunden…Kurskorrektur um fünf Grad positiv vertikal, zehn negativ horizontal…jetzt geradeaus, noch drei Grad nach unten…drei, zwei, eins…absetzen!“ Es gab einen kaum wahrnehmbaren Ruck, dann beschleunigte das Shuttle behutsam. Der Pilot hatte nur Augen für den Kurs und die bedrohlichen Asteroiden, die in wenigen Kilometern Entfernung dahin trieben. Die Aufsicht über ihre Abwurflast überließ er ganz seiner Untergebenen. Schließlich bestätigte die Copilotin: „In Ordnung, Kampfsatellit ist planmäßig ausgesetzt, Orbit scheint stabil. Schaltet scharf in…fünf Minuten. Position und künftiger Kurs wird berechnet.“ Immerhin wollte man nicht nach dem Abzug der Akarii auf eigene Minen und Selbstschussanlagen laufen.
Ihr Vorgesetzter wischte sich über die Stirn und betrachtete den an seinen Fingern haftenden Schweiß mit einem angewiderten Stirnrunzeln: „Dann sollten wir besser zusehen, dass wir wegkommen.“ Fünf Minuten waren eigentlich eine Menge Zeit, doch in diesem Durcheinander konnte Robert Stanford nur langsam fliegen, sonst konnte er auch gleich freiwillig in einen Steinbrocken parken. Er sah zu, dass er eine wachsende Zahl an Asteroiden zwischen sich und die Kampfsatelliten brachte, denn so ganz traute er den improvisierten Konstruktionen nicht. Seine Copilotin half ihm, indem sie die Umgebung überwachte. Hin und wieder setzte sie die Bordkanonen ein, um kleinere Irrläufer abzulenken – eine Arbeit, die die Fähigkeiten eines Scharfschützen erforderte. Schließlich waren sie weit genug entfernt.
Robert stieß die Luft, die er angehalten hatte, mit einem erleichterten Prusten aus: „Na endlich. Irgendwann müssen wir mal lernen, nicht immer bei solchen Sondermissionen mitzumachen.“ Die junge Frau neben ihm grinste nur. Das hatte er – und sie auch – schon mehrfach gesagt, bei fast jeder derartigen Mission. Aber irgendwie landeten sie eben immer wieder bei den ,Auserwählten’. Andere sprachen lieber von den ,Todgeweihten’ oder – wenn sie gebildeter waren – vom Morituri-Kommando.*
Sie dämpfte jedoch den Optimismus ihres Kameraden: „Wir sind noch nicht zu Hause. Wir haben noch ein einen Tag Flug vor uns.“ Der Rückmarsch würde etwas kürzer sein als der Hinflug, denn natürlich waren die terranischen Großkampfschiffe während der ganzen Zeit nicht auf der Stelle stehen geblieben, auch wenn sie nicht mit voller Kraft marschierten, sondern ihre Position nur schrittweise an den Kurs der Akarii anpassten – doch selbst mit Sparfahrt waren sie allein in den anderthalb Stunden, die der Flug durch den Belt und das Aussetzen der Köder und Selbstschussanlagen gedauert hatte, vermutlich ein gutes Stück marschiert. Und die Akarii…nun, die waren noch ein ganzes Stückchen schneller. Wenn man daran dachte, konnte man Bauchschmerzen bekommen. Auch wenn Akarii und Menschen nicht frontal aufeinander zumarschierten – die Echsen schienen sich momentan eher im Belt zu amüsieren, und die Terraner warteten immer noch ab – näherten sich die Flotten einander doch mit beachtlicher Geschwindigkeit und der Unaufhaltsamkeit und zermalmenden Kraft von Gletschern. Der Sorte Gletscher, die ganze Gebirge abhobelten und alles Leben unter hunderten Metern Eis begruben. Und wenn sie aufeinander trafen…Robert schauderte. Nur zu gut erinnerte er sich an die Doppelschlacht von Karrashin. Er hatte gehofft, nicht so schnell wieder in eine ausgemachte Großschlacht hineinzugeraten. Aber genau danach sah es aus.
Maria hatte währenddessen sinnend die Anzeigen betrachtet. Ihr Schweigen fiel ihrem Vorgesetzten schließlich auf: „Du wirst mir doch nicht einschlafen, Maria? Oder denkst du darüber nach, wie wir uns die Zeit während des Rückwegs vertreiben können?“
Die letzte Bemerkung wurde natürlich ignoriert. Die Copilotin beugte sich stattdessen vor, wie um die Anzeigen besser erkennen zu können: „Ich hätte schwören können, ich hätte da was bemerkt…ein Ortungsecho, oder ein Echo eines Radars…“
Robert warf einen Blick auf einen Sekundärschirm. Seine Stimme klang bemüht optimistisch, fast flehentlich: „Bist du sicher, dass es keine Rückkoppelung hier in dieser verdammten Suppe ist? Unsere Kameraden sind alle noch ein gutes Stück von unserer Position weg.“ Er sprach nicht aus, dass es noch andere Alternativen gab, wer sich hier herumtreiben konnte.
Seine Untergebene schien nachzudenken: „Möglich. Aber…ach, ich bin nicht sicher.“ Dann ließ sie ihre Hände über die Armaturen huschen und aktivierte wortlos den Raketenwerfer des Shuttles.
Die Miene des Piloten war übergangslos grimmig geworden. Er wusste, dass er sich blindlings auf seine Kameradin verlassen konnte, und es wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, ihre Kompetenz ernsthaft in Frage zu stellen, so sehr er sie gelegentlich frotzelte: „Ich mache einen Horizontschleicher durch die Suppe.** Da vorne ist ein breiterer Streifen. Wenn hier jemand ’rumschüffelt, verliert er uns so aus den Augen.“ Das Shuttle beschleunigte etwas. Kurz darauf begann es leicht zu rütteln – die Zusammenstöße mit den Mikrotrümmern der ,Suppe’ ließen die Schilde immer wieder aufleuchten: „Maria – behalt die Schildanzeigen im Auge.“ Die Copilotin nickte nur.
Es dauerte einige Minuten, bis R-3 den Materienebel verließ. Maria hatte die ganze Zeit die Sensoren beobachtet, doch jetzt schien sie sich etwas zu entspannen: „Schilde bei 80 Prozent, bauen wieder auf. Keine Anzeichen für einen Verfolger, keine Aktivortung, scheint so als ob…“
In diesem Moment heulte der Alarm auf.
Alles schien auf einmal gleichzeitig zu geschehen. Das Shuttle machte einen Satz nach vorne, als Robert auf den Nachbrenner hieb, gefolgt von einem brutalen Bremsmanöver und einem Korkenzieher nach unten, dann beschleunigte die Maschine erneut, in eine vollkommen andere Richtung. Er handelte rein instinktiv, noch ehe er die Bedrohung überhaupt bewusst erfasste – und doch behielt er die nahen Asteroiden im Blick. In solchen Momenten bewährte sich die jahrelange Kriegserfahrung. Seine Kameradin hämmerte ebenso instinktiv auf den Feuerknopf für die Täuschkörper. Dann wurde R-3 brutal ein-, zweimal durchgeschüttelt, als irgendwo hinter ihnen etwas explodierte. Die Stimme des Piloten klang fast schrill vor Anspannung: „Raketenexplosionen – aber achtern zurück…“ Er legte das Shuttle sofort in eine weitere Kurve.
Die Copilotin war ebenfalls noch nicht fertig. Mit wenigen Handbewegungen hatte sie die Waffen des Shuttles programmiert, während sie ein paar erklärende Wortfetzen bellte: „Jäger, zwei, von hinten aus Asteroidendeckung…Schilde auf 50 Prozent runter!“ Im nächsten Moment feuerte sie bereits.
Auch der Gegner war nicht untätig – Bordwaffenfeuer flackerte auf, verfehlte angesichts Roberts wahnwitzigen Flugstils jedoch zum Gutteil das Ziel. Dann loderten auf den Anzeigen zwei neue Explosionen auf. Die Raketen von R-3 hatten ihr Ziel getroffen. Maria hatte nicht die feindlichen Jäger anvisiert, dazu hatte sie keine Zeit gehabt. Aber die Raketen waren in einen Asteroiden gekracht, hatten ihn teilweise gesprengt, aus der Bahn geworfen. Der Brocken kollidierte mit seinen Brüdern und schuf so ein chaotisches Durcheinander, das sich nach dem Schneeballsystem immer weiter ausdehnte. Die Akarii mussten sich zunächst mit ihrem Kurs befassen und konnten nicht gezielt schießen.
Währenddessen malträtierte Robert die Steuerung und Manöverdüsen des Shuttles. R-3 raste über die Oberfläche eines größeren Asteroiden, huschte ,hinter’ ihm in Deckung, sprang dann von einem Hindernis zum anderen – ein gefährliches Spiel, denn ein Zusammenprall würde tödlich enden. Die Copilotin hantierte mit dem Funkgerät und bellte einige Satzfetzen hinein, dann wandte sie sich an ihren Kameraden: „Bloodhawks, ich kann nur die zwei entdecken. Müssen uns bemerkt haben und haben sich kalt angeschlichen. Gerissene Schweinehunde.“ Die Akarii hatten ihre Aktivortung erst im letzten Moment eingeschaltet, deshalb hatte die Shuttlecrew sie beinahe zu spät entdeckt.
Robert fluchte: „Wo sind sie jetzt?“
„Warte…Entfernung 2.000 Kilometer, holen auf – kommen gleich wieder in Sicht – dort, DA RÜBER, hinter DEM Brocken findest du Deckung…“
Der Pilot reagierte sofort, während er ungehemmt vor sich hinfluchte: „Wir und unsere verficktes kolossales Glück, über die einzigen verdammten Akarii zu stolpern – los, noch zwei Raketen raus…“
Maria gehorchte sofort, während sie zugleich Täuschkörper ausstieß: „Haben vermutlich nur zwei Raketen abgefeuert weil sie nicht so viele haben, ich meine, Zusatztanks, Sensorpods – und nicht leer hier ’rumstehen wollen, zwei Millionen Kilometer vom Träger…“
„Hoffentlich überlegen sie es sich nicht and…ACHTUNG!“
Irgendwie hatten es die Akarii geschafft, wieder in Feuerposition zu kommen. Sie flogen jetzt aufgefächert, um ihr Opfer in die Zange zu nehmen. Im freien Raum wäre das ein recht kurzer Kampf gewesen, aber in dieser Umgebung gestaltete sich die Jagd ziemlich schwierig. Eine Reihe von Treffern schüttelte das Shuttle durch, während der Vierlingslaser zurückballerte und einen der feindlichen Jäger voll im Bug erwischte. Der Akarii zog zur Seite weg, entging in einem gewagten Manöver der nächsten Salve und brachte sich vor den Raketen des Shuttles hinter einem Asteroiden in Deckung, der prompt auseinander flog.
Maria wechselte sofort das Ziel, während sie mit überschlagender Stimme brüllte: „Achtung, der zweite – DA RÜBER!“
Was nun folgte, war ein schierer Alptraum, vermutlich nicht nur für die Menschen, sondern auch für ihre geschuppten Verfolger. Abwechselnd suchten die Akariis oder das Sturmshuttle Deckung hinter Asteroiden, beharkten sich mit Energiewaffen – und während die Akarii ihre Raketen offenbar nur sparsam einsetzen wollten, kannte Maria keinerlei Hemmungen. Kaum das der Raketenwerfer Bereitschaft meldete, hieb sie schon wieder auf den Feuerknopf. Asteroiden platzten oder taumelten getroffen durchs All, entweder Opfer von gezieltem Feuer oder durch Fehlschüsse angeschlagen. Für einen Moment brach R-3 aus dem Belt, den Gegner kurzzeitig abhängend, denn hier konnte es Vollschub geben – doch als dreißig Sekunden später einer der Akarii die Spur wieder aufnahm, musste die Gejagten wieder in den potentiell todbringenden Irrgarten abtauchen. Die Hatz ging weiter, unerbittlich wie zuvor. Die drei Maschinen tanzten zwischen den Gesteinsbrocken, stiegen auf, stürzten, kurvten nach links oder rechts. Täuschkörper vergrößerten das Durcheinander, so dass sich die Kontrahenten immer wieder aus den Augen verloren – doch über kurz oder lange kreuzten sie wieder die Klingen. Die Copilotin musste unwillkürlich daran denken, wie sie einmal, vor Jahren auf der Erde, gesehen hatte, wie eine Gruppe Habichte ein Kaninchen von Deckung zu Deckung jagte. Ein bisschen konnte sie jetzt nachempfinden, wie dem armen Langohr zumute gewesen seien musste. Sie wusste nicht einmal mehr, wie die Sache damals ausgegangen war. Tja, es sah so aus, als wäre diesmal SIE das Kaninchen. Nein, das stimmte nicht ganz. Dieses Kaninchen hatte Zähne aus Chromstahl, und die Jagd fand inmitten einer Mischung aus Minenfeld und einem Dickicht aus Starkstromkabeln statt. Hier standen die Chancen nur eins zu zwei oder drei gegen sie, dass sie es schaffen würden, einen der Angreifer mitzunehmen und seinen Kollegen damit den Schneid abzukaufen. Immer wieder mussten Verfolger oder Gejagte auf eine günstige Chance zum Abschuss verzichten, weil ihnen ein fataler Zusammenstoß mit einem Asteroiden drohte. In dieser Umgebung konnten die Akarii ihre überlegene Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit nur ungenügend zur Geltung bringen – und anders als R-3 hatten sie eine Alternative. Sie konnten den Kampf abbrechen, während die beiden Menschen buchstäblich um ihr Leben flogen. Das Shuttle kassierte ein Treffer nach dem anderen, doch seine stärkere Panzerung und Schilde bewahrten es vor dem Schlimmsten. Wäre es kein Sturmshuttle gewesen, geflogen von zwei Veteranen, dazu im Moment ohne Nutzlast aber mit noch ausreichend Treibstoff, hätte die Sache sicher anders gesehen. Die Akarii hingegen hatten vermutlich den äußersten Punkt ihrer Langstreckenpatrouille erreicht gehabt, als sie ihr potentielles Opfer orteten. Sie konnten diese Jagd einfach nicht unbegrenzt lange weiterführen. Nicht, dass sie sich keine Mühe gegeben hätten. Eine der Echsen feuerte sogar zwei weitere Raketen ab. Erst in letztem Moment gelang es R-3 durch ein brutales Beschleunigungsmanöver auszuweichen. Eine Rakete explodierte an einem Täuschkörper, eine zweite sprengte eine Asteroiden, so dass ein Trümmerhagel das Heck des Shuttles malträtierte – allerdings musste auch der verfolgende Jäger ausweichen. Eine Lasersalve trommelte auf seine Flanke ein, doch die Echse rotierte um die eigene Achse und brachte die relativ intakten Schilde der Backbordseite ins Spiel, dann drehte sie ab, um gemeinsam mit ihrem Kameraden einen weiteren Anflug vorzubereiten.
Wenn Robert gedacht hatte, er sei vorhin verschwitzt, angespannt und kurz vor dem Nervenzusammenbruch gewesen, während des Aussetzungsmanövers und dem Flug durch den Belt, dann musste er seine Meinung jetzt revidieren. Das war nichts gegen die jetzige Situation. Irgendwann mussten diese verdammten Echsen doch müde werden! Wenn nicht, dann war der Ausgang abzusehen – irgendwann würden diese Mistkerle Erfolg haben. Es musste doch eine Möglichkeit geben…
Ein Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an. Das war ziemlich riskant, aber dennoch…
Das Shuttle jagte über einen besonders großen Asteroiden – fast so groß wie ein kleiner Mond. Einer der Akarii war im Moment zurückgefallen, weit abgeschlagen nachdem er einer Raketensalve weiträumig ausweichen musste. Der andere näherte sich aus der Überhöhung, wobei sein Schild vom Zusammenprall mit kleineren Gesteinsbrocken leuchtete, die von dem Riesen unter ihm abplatzten. Die Energiewaffen der Echse feuerten, trafen aber vor allem den Asteroiden, wo sie ganze Reihen von Kratern heraussprengten. R-3 verschwand hinter der Krümmung des Himmelskörpers, der Akarii, inzwischen im Tiefflug, folgte…
Und wäre beinahe mit dem Shuttle zusammengestoßen, das in einem klassischen Von-Bein-Manöver gewendet hatte, ein Kunststück, für das es eigentlich etwas zu schwerfällig war. Robert stieß ein wildes Kriegsgeheul aus, die Stimme überschlug sich fast vor Wut und Angst – und seine Copilotin stimmte ein, während sie wie wild auf die Feuerknöpfe hämmerte. Eine Rakete und ein Hagel von Laserimpulsen trafen den Akarii voll im Bug – dort, wo seine Schilde durch die Jagd durch das Asteroidenfeld ohnehin bereits angeschlagen waren. Für einen Moment hing alles in der Schwebe. Wenn der feindliche Pilot die Beherrschung behielt, massiv Gegenschub gab und alle seine Waffen und Raketen einsetzte…
Doch die entnervende Jagd durch den Belt hatte offenbar auch bei der Echse an der Substanz gezehrt. Der Gegner beschleunigte noch, während das Feuer des Shuttles Panzerfragmente – und eventuell auch Jägerteile – absprengte. Ein kurzes Hämmern der Bordwaffen, dann raste die Bloodhawk davon. Mit angesichts der Situation bemerkenswertem Geschick wich der Akarii mehreren kleineren Asteroiden aus, doch da seine Bugschilde Geschichte waren, erhielt er durch Kleinsttrümmer mehrere Treffer. Die Maschine schüttelte, ohne Zweifel ernsthaft getroffen, und verschwand außer Sicht.
R-3 schien nicht gewillt, irgendeinen Versuch zu unternehmen, die Sache weiter auszufechten. Irgendwo hier musste sich ja noch eine weitere Bloodhawk herumtreiben. Das Shuttle beschleunigte seinerseits, setzte seinen Hindernislauf fort, von einer Deckung zur anderen huschend, immer gewärtig, erneut unter Feuer genommen zu werden.
Zwei Minuten später sackte Maria förmlich in ihrem Sitz zusammen. Ihre Stimme schwankte zwischen Erschöpfung, Freude und einer Portion Ungläubigkeit, als könne sie ihr Glück nicht ganz fassen: „Sie hauen ab. Ich hab’ sie kurz noch mal ’reinbekommen. Sieht so aus, als ob der eine Akarii seinem Kumpel Geleitschutz gibt – der muss wohl heim hinken.“ Die beiden Offiziere grinsten sich übermütig an. Die Erleichterung, wieder einmal entwischt zu sein, war ihnen ins Gesicht geschrieben. Nach so einer Erfahrung war der Blick aus dem Bugfenster auf die Sterne noch gleich drei- bis viermal so schön.
Robert seufzte übertrieben: „Schade, dass es den flügellahmen Jäger nicht erwischt hat – ich hätte mir gerne eine weitere Abschussmarkierung geholt.“ Das klang aber nicht wirklich ernst gemeint. In Wahrheit war er einfach froh, dass sie es überstanden hatten: „Behalt unsere Sechs aber lieber weiter im Auge – müssen ja nicht die einzigen sein, die hier rumschnüffeln…“
„Si, Commandante.“
Der Pilot schien für einen Moment das Geschehen in Gedanken durchzugehen: „Sag mal, was hast du denn vorhin ins Funkgerät gebrüllt? Ich meine, mit Hilfe hatten wir ja hier draußen nicht zu rechnen.“ Er klang ernsthaft besorgt – offenbar war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, dass seine Untergebene, die er als zwar leidenschaftliche aber hochkompetente Soldatin kannte, auch nur für einen Moment die Beherrschung verloren haben könnte.
Die junge Frau schnaubte: „Also wenn ich hier jemanden um Hilfe bitte, brauche ich dafür keinen Funk. Sei es Gott oder die andere Seite.“ Ihre Art der Gläubigkeit war gewöhnungsbedürftig für alle außer den laxesten Katholiken.
„Aber du hast so gesehen Recht, ich HABE um Hilfe gebeten. Als ein Evakuierungsshuttle einer Bergbauanlage UND mit einer veralteten System-Codierung, die ich mir vor dem Abflug habe geben lassen.“
Robert dachte kurz nach, dann hellte sich sein Gesicht auf: „Du meinst…“
„…genau – wenn ,unsere’ Akarii oder ihre Kollegen das auffangen und vielleicht sogar entschlüsseln, dann haben sie einen Grund mehr, genauer nachzuschauen. Irgendwoher müssen wir ja kommen. Und wenn sie auf die Suche gehen, stolpern sie vielleicht über einen der Kampfsatteliten. Ich würde es hassen, wenn wir ein paar Tonnen Metall und Sprengstoff umsonst durch das halbe System kutschiert haben.“
Der Pilot lachte: „Ausgezeichnet mitgedacht, vor allem in dem Durcheinander. Ich muss mir merken, dass ich dich nie zum Feind haben will. Du bist so fähig wie verschlagen…“
„Vielen Dank.“
„…und natürlich ungemein scharf obendrein.“
„Und damit hast du deinen Moment der Großmut ruiniert. Halt dich mal lieber an deine Vorsätze, sonst demonstrier ich dir demnächst, wie verschlagen ich sein kann.“
Dieses im Grunde ziemlich seichte Geblödel kurz nach einem Gefecht war natürlich zu einem erheblichen Teil der Überdrehtheit von Menschen geschuldet, die gerade so dem Tod von der Schippe gesprungen waren. Robert fragte sich für einen Moment, ob es den Akarii auch so gehen mochte. Dann bemerkte er, wie der Gesichtsaudruck seiner Kameradin förmlich erstarrte, als sie die Anzeigen fixierte.
„Stimmt was nicht?“
Maria gab keine Antwort, jedenfalls nicht mit Worten. Stattdessen aktivierte sie einen der sekundären Taktikbildschirme und blendete eine Raumkarte ein. Das Bild flackerte und stabilisierte sich – offenbar waren das Aufnahmen, die von den Sensoren gemacht worden waren, als R-3 während der Jagd kurzzeitig den Belt in Richtung der Akarii-Flotte verlassen hatte.
Als Robert auf den Schirm blickte, fühlte er, wie sich ein riesiger Eisbrocken in seinem Bauch bildete. Und in seiner Kehle. Und in seinem Herzen. Man musste schon genauer hinschauen und Erfahrung haben, doch die Zeichen waren nicht anders zu deuten. Dort draußen – fern noch, doch unaufhaltsam näher rückend – marschierte die Hauptflotte der Akarii. Drei riesige Flottenträger, Dutzende Kreuzer, Zerstörer und Fregatten sowie – auch wenn sie auf den Anzeigen noch nicht zu sehen waren – hunderte von Jägern.
Sie wussten es beide, und dennoch sprach er es aus: „Die Zeit läuft ab.“ Seine Untergebene nickte leicht. Dann verhärtete sich ihr Gesichtsausdruck: „Wenn es so weit ist – dann werden sie merken, dass wir auf sie vorbereitet sind.“
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* Anspielung auf den Gruß von zum Tode verurteilten Schaukämpfern im antiken Rom: „Ave, Caesar, morituri te salutant!“ – „Heil dir, Kaiser, die Todgeweihten grüßen dich!“ Vermutlich fälschlicherweise oft als Gruß aller Gladiatoren bezeichnet.
** Slangausdruck einiger Piloten für Raumabschnitte, die relativ „dicht“ mit Materie in Form von Mikroasteroiden gesättigt ist. Vor allem bei hohem Metallanteil erschwert ein solches Gebiet die Radarerfassung, greift aber auch die Schilde von durchfliegenden kleinen Einheiten an, da sie unablässig mit den Mikrotrümmern kollidieren.
Cattaneo
Tyr
Sterntor-System
Kapitän Wor Matir hatte seinen Sitz verlassen und patrouillierte mit langsamen, ruhigen Schritten von einer Brückenstation zur anderen – eine Technik, die die Aufmerksamkeit und den Diensteifer der Mannschaften steigern sollte, und die auch Admiral Taran sehr gut beherrschte. Irgendwo im Asteroidenbelt flackerte eine gelbrote Feuerblume auf, um gleich darauf zu einem fahlrötlichen Glühen zu ersterben. Keiner der Brückenoffiziere schenkte dem Vorfall besondere Aufmerksamkeit. Inzwischen waren sie dergleichen gewohnt.
Mehr als einhundert Stunden waren vergangen, seitdem die Rikata-Kampfgruppe in das System eingedrungen war. Knapp fünfzig, seit sie den Asteroidengürtel erreicht – und ihr Zerstörungswerk begonnen hatte.
Wie ein gigantisches hundertgliedriges, gepanzertes Weltraumungeheuer schob sich die Flotte am äußeren Rand des Belts entlang, dabei beständig Arme aus Kampffliegerpatrouillen aussendend, die alles vernichteten, was sie erreichen konnten: Raffinerien, Minenanlagen, Material- und Erzlager…
Bisher waren sie noch auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen. Die meisten der terranischen Stationen und Anlagen waren vor dem Eintreffen der Kampfgruppe evakuiert worden. Die vereinzelten Shuttles oder Frachter, die sich nicht rechtzeitig hatten zurückziehen können, hatten genauso schnell kapituliert, wie die Mannschaften der Stationen, die man nicht mehr hatte evakuieren können. An einigen Stellen hatten die Menschen die Asteroidenabwehrgeschütze der Anlagen in Automatikmodus versetzt, einzelne Abwehrsatteliten stationiert und sogar einige Minen gelegt. Aber die dadurch verursachten Schäden blieben unbedeutend, konnten kaum als Nadelstiche bezeichnet werden. Sie zwangen allerdings zu ständiger Wachsamkeit und einem vorsichtigen Vorgehen. Das kostete Zeit – genauso wie die an einigen Stellen ausgesetzten Sender, die den Angreifern die Präsenz einer terranischen Anlage oder Schiffseinheit vorgaukeln sollten. Da die Geheimdienstinformationen über das Parrak-System nicht unbedingt auf dem neusten Stand waren, funktionierten derartige Ablenkungsmanöver tatsächlich gelegentlich.
Inzwischen hatten die Kampfflieger des Rikata-Verbandes allerdings eine gewisse Routine entwickelt. Spähshuttles oder mit Sensorpods bestückte Kampfflieger bildeten die Vorhut und begleiteten zudem die Bomber- und Jagdbomberverbände bei ihren Einsätzen.
War ein Ziel ausgemacht und identifiziert, so wurde es gegebenenfalls zur Kapitulation aufgefordert. In den seltenen Fällen, in denen eine der Anlagen tatsächlich noch besetzt war, übernahmen nach der Kapitulation ein paar Shuttles mit Marineinfanteristen und Mitgliedern des Geheimdienstes alles Weitere. Die Anlage wurde durchsucht, geräumt und anschließend durch eine Überlastung des Reaktors oder die Sprengung der Treibstoffvorräte vernichtet.
Blieb, wie meistens, eine Antwort aus, da die Anlage bereits geräumt war oder es sich um eine automatisierte Station handelte, so folgte einige schnelle Angriffe mit Bordwaffen und gegebenenfalls der Einsatz von ein bis zwei Atomraketen. Natürlich hätte man auch die verlassenen Anlagen nach Informationen oder geheimdienstrelevanten Material durchsuchen können, aber nach Tarans Meinung war der zu erwartende Nutzen vernachlässigbar, verglichen mit dem nötigen Zeitaufwand und der Gefahr, eine Sprengfalle oder einen Selbstzerstörungsmechanismus auszulösen. Mancher mochte das vielleicht für paranoid halten, aber offenbar war der Admiral nicht bereit, Risiken einzugehen, die er als unnötig ansah.
„Matir.“
Der Kapitän der KAHAL drehte sich zu seinem Vorgesetzten um: „Admiral. Wollten Sie sich nicht etwas ausruhen?“
Taran lächelte flüchtig: „Später vielleicht.“
Der Trägerkapitän unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen, und wechselte einen Blick mit seiner ehemaligen Untergebenen und momentanen Chefin des Flottenstabes, die dem Admiral wie ein Schatten folgte. Natürlich wusste er, was seinen Vorgesetzten wach hielt. Man brauchte schon ein sehr stabiles Nervenkostüm, um schlafen zu können, wenn man die Verantwortung für einen kompletten Flottenverband trug, der in einem feindlichen System operierte. Die Präsenz zahlenmäßig mindestens ebenbürtiger Feindverbände und die ständig drohende Gefahr des Eintreffens weiterer TSN-Einheiten konnte selbst einem Veteranen den Schlaf rauben – erst recht einem Offizier, der das erste Mal eine Schlacht gegen die Terraner zu führen hatte. Addierte man dazu dann noch die Erwartungen und Forderungen der Admiralität und Tarans Sorge um ‚seinen’ Sektor… Aber das ging langsam etwas zu weit: „Es hilft nichts, wenn die Flotte von einem übermüdeten Admiral kommandiert wird, wenn sich der Feind irgendwann doch einmal stellen sollte.“
„Wann haben Sie denn das letzte Mal mehr als vier Stunden am Stück geschlafen, Matir?“
„Ich kommandiere diese Flotte nicht.“
Taran zuckte kurz mit den Schultern. Aber er verkniff sich weitere Widerworte. Das war eine seiner Tugenden – er war bereit, auf Ratschläge zu hören. Vielleicht war er aber auch einfach nur zu müde um zu streiten: „Also gut, Sie haben mich überzeugt. In ein paar Minuten gehört die Brücke wieder Ihnen. Bis dahin…wie machen wir uns?“
Thera Los mischte sich ein, die zusammen mit Matir die undankbare Aufgabe übernommen hatte, auch über das leibliche Wohl des Admirals zu wachen. Einmal mehr gratulierte sie sich dazu, nichts mit ihrem Vorgesetzten angefangen zu haben. Er war schon so strapaziös genug: „Nicht viel anders als vor drei Stunden, Admiral. Es wurden zwei weitere Anlagen vernichtet. Eine automatisierte Asteroidenmine und eine geräumte Sammel- und Veredlungsanlage für Erze.“
„Und die TSN sieht weiter nur zu. Verdammt.“
„Wir haben bereits Material und Anlagen im Wert von Dutzenden von Milliarden…“
„Der Schaden, den die Volkswirtschaft von Parrak nimmt, ist sicherlich ein angenehmer Bonus. Aber wir wissen doch alle, dass das nicht unsere eigentliche Aufgabe ist. Kann sein, dass die Produktivität der Orbitalwerften und der planetaren und orbitalen Fabrikanlagen zurückgeht, weil wir ihren Rohstoffnachschub abschneiden. Aber solange wir besagte Werften und Fabriken nicht auch noch vernichten – was wir nicht können, ohne die gegnerische Flotte und die planetaren Verteidigungsanlagen von Seafort auszuschalten – ist das ein Verlust, den der Gegner verschmerzen wird. Seafort ist wichtig, aber nur ein System unter vielen. Die TSN sieht unsere Aktivitäten im Belt ja anscheinend als für nicht wichtig genug an, um ihre Platzrunde zwischen Seafort und Masters aufzugeben.“
„Vielleicht haben sie ja Angst vor uns.“
„Eine solche Einschätzung erwarte ich vielleicht von Ka’wal. Sie sollten es besser wissen. Nein…sie wissen, dass sie diese Schäden verschmerzen, sie reparieren oder irgendwann ausgleichen können – aber nicht den Verlust ihrer operativen Verteidigungsverbände. Wahrscheinlich glauben sie immer noch, dass wir letztendlich auf Seafort zielen. Sie wollen uns in Planetennähe stellen – mit den Orbitalstationen und den bodengestützten Kampffliegerverbänden im Rücken. Oder…oder sie warten auf Verstärkung.“
„Verstärkung? Mit was?! Die Menschen haben sich überdehnt.“
„Genauso wie wir.“ Der Admiral trat an die funktionale Holoeinheit, die die Brückenbesatzung über die Position und Bewegung der eigenen und der feindlichen Einheiten informierte: „Wir können nicht den ganzen Asteroidengürtel abgrasen. Das kostet zuviel Zeit. Unsere Männer und Frauen ermüden. Oder aber sie werden nachlässig.“
„Laut Geheimdienstinformationen ist mit dem Eintreffen weiterer feindlicher Trägerverbände frühestens in zehn Tagen zu rechnen, selbst wenn…“
„Soviel Zeit können wir uns so oder so nicht lassen. Wir sind schon vier Tage im System. Auch wenn die TSN im Augenblick vielleicht keine weiteren Flottenträger erübrigen kann, wenn sie irgendwie und irgendwo ein paar Kreuzer- und Zerstörerschwadronen mobilisieren könnte…“
„Damit werden wir fertig.“
„Wahrscheinlich. Aber mir wäre es lieber, der TSN ein paar schwere Schläge zufügen zu können, BEVOR sie Verstärkung erhält.“
Keiner von ihnen sprach die offensichtliche Alternative zu dem von Taran halb befürchteten, halb herbei gewünschten Schlagabtausch an – den kampflosen Rückzug der Kampfgruppe. Auch wenn das Hauptziel des imperialen Vorstoßes die Ablenkung und Einschüchterung des Gegners war, es kam nicht in Frage, sich ohne Gefecht zurückzuziehen. Die Befehle der Admiralität waren da ziemlich eindeutig – wie auch die ehernen Traditionen der imperialen Flotte. Ein kampfloser Rückzug könnte die Aufmerksamkeit der Menschen zu schnell wieder auf die imperiale Hauptflotte lenken. Und er wäre als eine Blamage empfunden worden, ja als Niederlage. Nach den demoralisierenden Rückschlägen der letzten Jahre – und den überraschenden Erfolge der letzten Monate – kam so etwas nicht in Frage. Taran MUSSTE sich dem Gegner stellen – auch wenn seine beiden Untergebenen unabhängig voneinander so ihre Zweifel hatten, ob er das wirklich wollte. Außerdem kam da noch ein anderer Faktor ins Spiel. Wenn sie sich kampflos zurückzogen, gab sich der Feind vielleicht nicht damit zufrieden, sie verjagt zu haben, sondern verfolgte sie möglicherweise. Wenn der Feind dies geschickt anstellte, Fühlung hielt und gleichzeitig weitere Verbände in Marsch setzte, konnte das in einem interstellaren Kesseltreiben enden.
Oder ein mit etwas mehr strategischem Sachverstand ausgestatteter menschlicher Admiral zählte Eins und Eins zusammen, und schickte einen kampfstarken Trägerverband in Richtung Draned-Sektor los. Da die Menschen im Gegensatz zu Taran keinen Umweg und keine Schleichroute benutzen mussten, würde sie Zeit genug haben, um Tarans Spiel zu spiegeln und einige grenznahe Systeme zu verwüsten. Die zudem ungleich schwächer verteidigt sein würden, als Parrak. ‚Falls sie das nicht bereits längst in die Wege geleitet haben. Sie mögen ja im Augenblick an der Draned-Front schwach sein – aber wir sind noch schwächer.’
„Es wird Zeit, dass wir die zweite Phase der Operation einleiten. Wie lange bräuchten wir von hier aus bis nach Masters?“
„Mindestens fünfzig Stunden, Admiral.“
„Und wenn wir weiter am Asteroidengürtel entlang bis zum Punkt der größten Annäherung an den Planeten fliegen?“
Der Kapitän überlegte kurz, wandte sich dann zu der Station des Astrogationsoffiziers um wiederholte barsch die Frage. Der diensthabende Lieutenant schnellte in Hab-Acht-Haltung: „Nach fortgesetztem Passierflug von achtundzwanzig Stunden – noch einmal dreißig Stunden.“
Der Admiral nickte knapp: „Und wie sieht es für Seafort aus?“
Diesmal beantworte der Lieutenant die Frage des Flottenkommandeurs sofort, ohne auf die Aufforderung durch seinen Kapitän zu warten: „Achtzig Stunden für Direktanflug, respektive drei Tage Passier- und vierzig Stunden Zielflug.“
„Hmm…Zeit genug, dass die Menschen wieder umgruppieren und uns in die Flanke fallen. Kapitän Los, wie sieht es in beiden Fällen mit der Zielanalyse aus, wenn wir uns am Asteroidengürtel entlang bewegen? Ich würde die Zeit gerne produktiv nutzen.“
Die junge Stabschefin bemühte ihr Datapad um Rat und gab dann etwas weniger zackig als der Astrogationsoffizier Auskunft: „Wenn Masters unser Ziel ist, noch zehn bestätigte und ein halbes Dutzend vermuteter Ziele mittlerer bis geringer Bedeutung. Wenn wir Richtung Seafort marschieren, dann jeweils weniger als ein halbes Dutzend. Da wir umkehren und einen Gutteil der Strecke zurückfliegen müssten...“
„Also dann…wir bleiben bei Masters. Indirekte Annäherung – erst entlang des Asteroidengürtels und dann ein schnelles Einschwenken auf direkten Angriffskurs. Es wäre schön, wenn wir die Menschen damit überraschen würden. Ich will mich ihnen im tiefen Raum stellen. Ob sie uns abfangen wollen oder wir sie beim Transitflug nach Masters erwischen, ist dabei ziemlich gleichgültig. Ich will nur nicht, dass sie uns zwischen ihrer Flotte und den orbitalen und bodengestützten Einheiten von Masters in die Zange nehmen können.
Los, Sie werden sich mit den Befehlshabern unserer Kampffliegergeschwader in Verbindung setzen und in zwölf – nein sagen wir lieber zehn Stunden – einen aktualisierten Plan für einen schnellen Jagdbomberangriff auf Masters abliefern. Unter bestmöglicher Umgehung der orbitalen und bodengestützten Verteidigungsanlagen – soweit wir über letztere Bescheid wissen. Einschließlich einer nach Priorität und Erreichbarkeit gestaffelten Zielliste. Wir wollen die Menschen immerhin dort treffen, wo es wehtut.“
Wor Matir fletschte kurz die Zähne: „Warum werfen wir dann nicht einfach ein oder zwei Atomraketen auf eine ihrer Städte, statt nach Raumhäfen, Militärbasen oder kriegswichtigen Fabriken zu suchen?“
„Sollte das die einfachste Möglichkeit sein, den Menschen mit einem Minimum von Risiko ein Maximum an Schmerz und Schaden zuzufügen, dann werden wir das sicherlich auch tun.“
Thera wirkte jetzt doch etwas konsterniert: „Admiral…“
„Ich habe die Menschen in diesem System mit Vernichtung bedroht. Sollte das die einzige Möglichkeit sein, um die gewünschte Reaktion zu erzielen, werden wir diese Drohung auch wahr werden lassen. Immerhin…“, um Tarans Mund zuckte ein böses Lächeln, „…wäre ich nicht einmal der Zweite, der in diesem Konflikt Atomwaffen gegen Bodenziele einsetzt.“ Tatsächlich hatten sowohl die TSN als auch die Akarii bereits Nuklearwaffen gegen Bodenziele eingesetzt – wenn auch bisher vor allem gegen militärische. Allerdings hielt sich in der Flotte das hartnäckige Gerücht, das die Terraner mindestens einmal Massenvernichtungswaffen gegen Zivilisten eingesetzt hatten. Zwar fehlte eine offizielle Bestätigung, dennoch…
„Und entspannen Sie sich, Los. Sollten sich die Menschen endlich entschließen, sich zu stellen, dann werden wir etwas anderes zu tun haben, als uns durch die planetare Nahsicherung zu schleichen.“
„Wie…beruhigend und ritterlich von Ihnen, mein Lord.“
„Neue Informationen von unseren Sensorsatelliten?“ Diese Frage kam etwas überraschend, auch wenn Matir und Los sich inzwischen an die schnellen Gedankensprünge ihres Vorgesetzten gewöhnt hatten.
Eine kurze Nachfrage bei dem Kommunikationsoffizier brachte die Antwort: „Die letzte Meldung ist zwei Stunden her. Keinerlei Aktivitäten.“
„Hervorragend. Hoffen wir, dass es dabei bleibt.“
Bevor die Rikata-Kampfgruppe ihren letzten Sprung gemacht hatte, hatten sie etliche Spähsatelliten ausgeschleust, die sie davor warnen sollten, falls ein feindlicher Flottenverband in dem System auftauchte, in dem sie sich vor ihrem Sprung nach Parrak verborgen hatte. Und das war nur die zweite der Linien, die verhindern sollten, dass die Flotte auf ihrem Rückflug eine böse Überraschung erlebte. Drei weitere Satelliten waren in anderen Systemen stationiert worden, die man von der letzten Station ihrer langen Reise erreichen konnte. Die von den Sensorsatelliten gesammelten Informationen wurden von einem ebenfalls ausgesetzten Langstreckenkommunikationssatelliten gesammelt und im Subtext der von ihm ausgestrahlten Sendungen verborgen, die dem Gegner das Herannahen eines weiteren Flottenverbandes vorgaukeln sollten. ‚Falls die Sensoren der Menschen überhaupt gut genug sind, um diese Nachrichten aufzufangen.’
Natürlich waren diese Vorkehrungen noch keine Garantie für einen problemlosen Rückzug, vor allem falls ihnen dann eine feindliche Kampfflotte auf den Fersen war, aber die getroffenen Vorsichtsmaßnahmen gaben Taran dennoch ein Gefühl der Sicherheit. War er erst einmal in den Regionen des unbewohnten Raums untergetaucht, der sich in diesem Teil der Galaxis bis zur der Grenze des Imperiums entlang zog, war er schon so gut wie zuhause. Im Augenblick tendierte er – entgegen der üblichen strategischen Logik – dazu, bei ihrem irgendwann natürlich unvermeidlichen Rückzug zumindest am Anfang dieselbe Route zu benutzen, die sie bei ihrem Anmarsch genommen hatten. Aber wer wusste schon, was noch kam – schlimmstenfalls musste er vielleicht doch noch einen Rückmarsch durch feindliches Territorium befehlen. Mancher hätte es vielleicht für etwas defätistisch gehalten, beim Vorrücken bereits an den Rückzug zu denken…
Aber Taran hatte noch nie viel von Generälen, Admirälen und Politikern gehalten, die ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Gedanken an das Nachher nach Vorne preschten. ‚Deshalb musste ich wohl mit Jor aneinander geraten…’
Taran sah sich bei diesen Gedanken durch die Worte des Kommunikationsoffiziers gestört: „Funkspruch von einer unserer Jagdbomberverbände. Eines der angeflogenen Ziele hat auf die Kapitulationsaufforderung mit dem…Ersuchen nach einer direkten Verbindung zu einem weisungsbefähigten Offizier reagiert. Der Patrouillenführer fragt an, ob er das Ziel vernichten soll.“
Kapitän Wor Matir lachte rau: „Typisch Kampfflieger. Vielleicht sollten wir erst einmal feststellen, wer da einen ‚Weisungsbefähigten’ sprechen will.“
Diesmal war Kapitän Los vorbereitet: „Das dürfte…Fort Kent sein. Ein in einen Asteroiden hinein gebautes Militärgefängnis der TSN. Höchste Sicherheitsstufe.“
„Offensichtlich. Warum sollten sie sonst die Kosten für eine permanente Asteroidenstation verschwenden? Das heißt also, wir würden den Menschen einen Gefallen tun, wenn wir diesen Felsbrocken in die Luft jagen.“ konstatierte Matir mit grimmiger Belustigung: „Ist diese Tiefraumstrafbaracke befestigt?“
Der Kommunikationsoffizier schüttelte den Kopf: „Laut Meldung der Kampfflieger nur leichte Schilde und ein paar Asteroidenabwehrgeschütze.“
„Admiral?“
Der überlegte kurz: „Ich denke…wir können es uns leisten ein paar Minuten zu verschwenden. Etablieren Sie eine Audio- und Videoverbindung. Und Lieutenant…“
„Natürlich, Admiral. Die Verbindung wird über die GIBIT geleitet.“ Vermutlich war das eine nutzlose Spitzfindigkeit. Aber da dem Gegner der riesige Pseudoträger als Flottenflaggschiff präsentiert werden sollte…
Zwei Minuten später erwachte einer der bisher dunklen Bildschirme zum Leben und präsentierte einen Offizier, der selbst für Tarans in Bezug auf Menschen nicht gerade umfangreiche Erfahrungen ziemlich übernächtigt wirkte. Immerhin war der breitschultrige Mann mit dem Militärhaarschnitt und dem kurzen, bereits ergrauenden Bart um Haltung bemüht: „Admiral…Taran.“ Das Translatorprogramm mit dem die Kommunikationsstation der KAHAL ausgestattet war, garantierte eine fast verzögerungsfreie wenn auch nicht völlig fehlersichere Übersetzung.
„Major Lawhorn.“
Falls der Kommandeur von Fort Kent dadurch überrascht wurde, dass sein Gegenüber seinen Namen wusste, dann verbarg er es recht gut: „Ich setzte mich mit Ihnen in Verbindung, um die Bedingungen unserer…Kapitulation zu erörtern.“
Admiral Taran, der die Sendung im Stehen entgegengenommen hatte, ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Seine Stimme blieb kalt…ausdruckslos: „Wir wissen, über was für Waffen Ihr Posten verfügt. Und zweifellos können Ihre Sensoren auch feststellen, über welche Waffen WIR verfügen. Sagen Sie mir also, Major – warum sollte ich Ihnen überhaupt irgendwelche…Bedingungen zugestehen? Ihre Wahl scheint ziemlich eindeutig. Eine sofortige, bedingungslose Kapitulation ungeachtet der Konditionen – oder Ihre gesicherte Vernichtung.“
Der Major richtete sich etwas gerader auf, anscheinend um Haltung bemüht. War das Schweiß auf seiner Stirn? Los, die hinter ihrem Vorgesetzten stand, konnte es nicht genau erkennen. Die Bildqualität der Übertragung war zu schlecht.
„Und was ist mit der Kommbotschaft, die Sie ausgestrahlt haben, kurz nachdem Sie in dieses System gesprungen sind? Sie haben versprochen, dass niemandem etwas geschehen wird, wenn wir keinen Widerstand leisten und unsere Waffen und Schilde deaktivieren. Ich bin bereit, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Aber dafür…möchte ich eine Garantie, dass die Männer und Frauen in meiner Obhut human behandelt werden.“
Jetzt zeigte Taran Emotionen – ein nicht sehr schönes, zahnintensives Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf und war gleich darauf wieder verschwunden: „Ich bin mir nicht ganz sicher, was das Wort ‚human’ bedeuten soll…
Doch ich nehme an, Sie wollen damit sagen, dass Sie eine…korrekte Behandlung wollen. Gute Versorgung mit Nahrung, Wasser, Medikamenten und Kleidung. Eine adäquate Unterbringung. Keinerlei körperliche Gewalt und so weiter. Verstehe ich Sie da richtig?“
Thera Los runzelte leicht die Stirn. ‚Spielt er mit ihm?’ Sie war immer schon der Meinung gewesen, dass Taran manchmal auch so etwas wie eine gemeine Ader haben konnte.
„Ja, Admiral. All das.“
„Sie…verwirren mich, Major. Vor allem, wenn Sie sagen ‚für die Männer und Frauen in meiner Obhut’. Wenn ich richtig informiert bin, handelt es sich dabei zu einem Großteil um verurteilte Mörder, Vergewaltiger und andere Schwerverbrecher.“
Der Offizier presste die Lippen zusammen: „Sie unterstehen immer noch meiner Verantwortung. Bis zu dem Augenblick, da sie in die Ihre übergehen. Ihre Freiheit werden sie in den nächsten Jahren so oder so nicht wieder sehen...“
Diesmal wirkte das grimmige Lächeln, das kurz um Tarans Lippen spielte, fast echt. Natürlich hatte Lawhorn Recht. Der Krieg würde noch Jahre dauern.
„…im Übrigen halte ich Sie nicht für einen Mann…einen OFFIZIER, der um einzelne Kontingente feilschen muss. Ich biete Ihnen die Kapitulation von dreihundert aktiven oder ehemaligen Mitgliedern der TSN. Darunter über dreißig Offiziere. Ich hoffe, ein solcher…Fang ist ein Versprechen wert. Ein Versprechen, das Sie bereits gegeben haben.“
Taran lächelte schmal: „Sie haben Glück, dass ich den Wert eines Gefangenen immer noch als höher einschätze, als den eines Toten. Andere Kommandeure – auch in IHREN Reihen – sehen das anders. Also gut, Major Lawhorn. Ich stehe zu meinem Wort. Ich nehme an, Ihre…Schützlinge sind immer noch in den Zellen?“
„Ja.“
„Gut, lassen Sie sie erst einmal dort. Wir schicken eine Staffel Transportshuttles mit Marines um ihre Basis zu sichern und den Abtransport zu überwachen. Lassen Sie Ihre Mannschaften antreten – ich möchte die Übergabe so schnell und…stilvoll wie möglich abwickeln. Ansonsten werden wir üblichen Richtlinien folgen. Sie dürfen Kleidung, Lebensmittel und persönliche Gegenstände mitnehmen – aber keine elektronischen Geräte, Waffen und Sprengmittel.“ Taran lächelte amüsiert wenn auch nicht unbedingt angenehm: „Natürlich wird man sie alle durchsuchen.
Ich rechne damit, dass Ihre Leute UND Ihre…Insassen in jeder Hinsicht kooperieren werden. Widerstand wird nicht toleriert werden – weder von Ihnen, noch von den Strafgefangenen. Vielleicht sollten Sie ihnen das mitteilen. Nach der Evakuierung der Wachmannschaften und Gefangenen werden wir die Basis sprengen.
Wir werden darauf achten, dass Ihre Leute und die Inhaftierten nicht in denselben Quartieren untergebracht werden, falls Sie sich darüber Sorgen machen sollten. Haben Sie sonst noch Fragen?“
„Nein. Ich denke…das war alles.“
„Gut. Leben Sie wohl. Und falls Ihnen das etwas bedeutet – Sie haben das richtige getan.“ Taran salutierte nach Art der Menschen – eine Geste, die sein Gegenüber zu überraschen schien, die dann aber erwidert wurde.
„Lieutenant, Kommunikationskanal schließen. Kapitän Los – Sie werden die Abwickelung dieser Angelegenheit übernehmen.“
„Ich, Admiral?“
„Allerdings. Es wäre wohl etwas zuviel der Ehre, wenn ich mich persönlich bemühen würde, und Matir muss das Schiff führen. Aber Sie haben den gleichen Rang wie er und sind außerdem meine Stabschefin. Das dürfte als Qualifikation genügen.“
„Könnte nicht einer der Offiziere unserer Marineinfanteristen…“
„Auf keinen Fall. Ich will diese Sache niemandem überlassen, der vor allem mit dem Abzugshahn seines Schnellfeuerlasers denkt. Diese Angelegenheit verlangt nach einem…etwas diplomatischeren Charakter. Außerdem sind Sie recht fotogen, Los. Und ich möchte, dass die ganze Angelegenheit aufgezeichnet wird.“
Die Stabschefin wirkte jetzt doch ein wenig konsterniert, während Matir jäh auflachte: „Sie werden noch ein Trideo-Star, Los.“
„Ich verstehe nicht ganz, Admiral…“
„Wir haben genug Aufzeichnungen von explodierenden Anlagen zusammen, um den Menschen etwas zu denken zu geben. Es sollte kein Problem sein, sich noch einmal in die zivilen Kanäle einzuklinken, um ihnen etwas Anschauungsmaterial zukommen zu lassen.“
„Sie werden deswegen wohl kaum kapitulieren.“
„Natürlich nicht. Aber es wird die Menschen auf Masters und Seafort zum Nachdenken anregen, wenn sie mit ihren eigenen Augen sehen, wie der Belt verwüstet wird und ihre Landsleute in Gefangenschaft gehen. Und jenseits des Parrak-Systems…wird es den Terranern noch deutlicher zeigen, wie weit wir inzwischen vorgestoßen sind.“
Matir schnaubte kurz: „Wenn Sie sehen, dass wir ihnen ihre Verbrecher abnehmen, wird sie das wohl kaum demoralisieren oder ärgern. Ich bin ja der Meinung, dass wir diesen Abschaum auch gleich aus der nächsten Luftschleuse schieben könnten. Die werden uns nur Ärger machen. Wir werden sie von den anderen Kriegsgefangenen isolieren müssen – nicht nur jetzt, sondern auch später. Wahrscheinlich wäre es auch ratsam, sie in kleineren Gruppen zu isolieren. Natürlich nach Geschlechtern getrennt. Aber selbst das dürfte wohl kaum ausreichen um zu verhindern, dass sie übereinander herfallen. Um auf Nummer sicher zu gehen, müssten wir sie schon in Einzelhaft nehmen. Und was haben wir davon?“
„Ich glaube, Sie übertreiben etwas. Und vergessen Sie nicht, dass die TSN diese Männer – und Frauen – abgeschrieben hat. Das dürfte sie zum Teil…offener für unsere Fragen machen. Sie haben bereits einmal die Eide verraten, die sie geschworen haben – und die Ehre, der sie sich verpflichtet haben….“
„Was weiß die TSN schon von EHRE…“
„Und vielleicht können wir einige von ihnen auch umdrehen und direkt einsetzen. Aber das ist Sache des Geheimdienstes und der Spezialeinheiten.
Thera. Ich will, dass diese ganze Operation so blutarm wie möglich abgeschlossen wird. Aber das bedeutet nicht, dass Sie nachlässig sein dürfen. Sprechen Sie sich mit dem verantwortlichen Marinesoffizier ab. Wir schicken eine komplette Kompanie los – Sturmshuttles, begleitet von Jagdbombern. Das sollte reichen.“
„Wollten Sie nicht, dass ich diesen Jagdbomberangriff auf Masters vorbereite?“
Aber auch dieser Versuch der Stabschefin, sich um das Außenkommando herumzudrücken, wurde von ihrem Vorgesetzten beiseite gewischt: „Geben Sie den Geschwaderkommandeuren die grundlegenden Richtlinien und überlassen Sie dann erst einmal denen das Feld.
Das hier ist jetzt wichtiger. Denken Sie daran, Sie haben nicht unbegrenzt Zeit. Ich gebe Ihren Leuten maximal acht Stunden, um dieses Fort zu sichern, zu evakuieren – und zu durchsuchen. Anschließend bringen Sie den Reaktor zu Überhitzung. Sie kennen das Prozedere.“
„Ja, Admiral.“
„Natürlich, Sie waren ja beteiligt, als wir es entwickelt haben. Gut. Wenn das dann alles wäre…“
Da darauf keine weiteren Einwände kamen, wandte sich Taran um, um die Brücke zu verlassen. Kapitän Thera Los starrte dem sich entfernenden Rücken ihres Vorgesetzten hinterher: „Angenehme Ruhe, Admiral.“ murmelte sie etwas giftig und wandte sich dann dem Kapitän der KAHAL zu: „Was ist, Matir?“
„Sehen Sie es als eine Chance, Los. Der Admiral ist offenbar der Meinung, dass Sie dieser kleinen PR-Aktion den nötigen Glamour geben können. OHNE dass das Ganze in einer Schießerei endet. Sie sollten sich geehrt fühlen.“
„Ich mag keine Menschen. Und dass ich jetzt ausgerechnet das Kindermädchen für einen Haufen nervöser Schließer und eine Bande psychopatischer Schwerstkrimineller spielen muss…“
„Sehen Sie es positiv – immerhin werden wir die Leute nicht hier an Bord haben.“ Die Gefangenen wurden auf einem der leeren Invasionstransporter konzentriert, die den Menschen die Präsenz von mehreren Sturmbrigaden vorgaukeln sollten.
„Warum muss er ausgerechnet mich da rausschicken?“
„Weil er meint, dass Sie das schaffen.“
*********
Fort Kent, Terran Space Navy Diciplinary Barracks
„Ich halte das immer noch für keine gute Idee, Major.“
Der Kommandant des Gefängnisasteroiden warf seinem Stellvertreter einen ebenso erschöpften wie ungehaltenen Blick zu: „Das hatten wir doch schon alles, Evert. Es wäre Wahnsinn, Widerstand zu leisten – Selbstmord. Und nachdem unser Evakuierungsfrachter doch noch umgekehrt ist…“
Dem Kapitän war auch nichts anderes übrig geblieben. Die Akarii hatten sich zu schnell genähert und letzten Endes hatte er sich entscheiden müssen, ob er sein Schiff retten oder aus Prinzip das Schicksal der Wachmannschaften und Inhaftierten teilen wollte. Insgeheim war Major Lawhorn sogar fast froh darüber, dass der Kapitän diese Entscheidung gefällt hatte. Seine Verantwortung wog schon so schwer genug…
„Da wären immer noch die Rettungskapseln.“
„Die reichen nicht für alle. Und vor allem – wohin sollen wir mit Ihnen? Der Belt ist auf Millionen von Kilometern unter Kontrolle der Akarii. WENN wir die Dinger auf einen sicheren Weg aus dem Belt heraus bringen könnten, WENN der Treibstoff für die Manöverdüsen und vor allem der Sauerstoff zum Atmen reichen würde…
Dann würden wir immer noch am Rande des Systems herumhängen. In bequemer Reichweite der Akarii. Sie könnten uns problemlos aufsammeln – wenn sie uns nicht gleich ins All pusten.
Zu versuchen, mit den Rettungskapseln Masters oder Seafort zu erreichen…also es wäre einfacherer und SICHERER gewesen, in einer verfluchten Ruderjolle durch die Seeschlacht von Trafalgar zu pullen.“
„Und stattdessen sollen wir uns ausgerechnet auf die Gnade der AKARII verlassen?!“
„Diese Chance ist immer noch besser, als gar keine zu haben. Ich denke, ich habe aus diesem Admiral herausgeholt, was möglich war – mehr, als wir erwarten konnten.“
„Wenn er seine Versprechungen nicht bei der nächstbesten Gelegenheit ins All kickt. Und uns gleich mit!“
„Entspannen Sie sich, Evert. Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, wie wir unsere ‚Schützlinge’ an die Akarii übergeben, ohne dass es Probleme gibt. Einige von denen sind bescheuert genug, um Widerstand zu leisten…
Aber sicherlich spielen Sie nicht mit dem Gedanken, sich mit DENEN zu verbünden.“
Everts lachte gallig: „Denen Waffen in die Hand zu geben…
Wenn sie Probleme machen, können wir sie immer noch mit K.O.-Gas ausknocken. Auch wenn ich meine, dass wir das lieber…“
„Werden Sie nicht lächerlich. Wenn die Akarii landen, dann werden Sie es nicht mit ein paar renitenten Häftlingen mit Plastikmessern zu tun haben, die ihre Matratzen in Brand zu setzen versuchen – sondern mit imperialen Schocktruppen in Ganzkörperrüstungen. Diese Anlage ist vor allem dafür gebaut worden, die Insassen DRINNEN zu halten – und nicht jemanden anderen DRAUSSEN.“
„Unsere Marines haben vor ein paar Jahren ein imperiales Gefangenenlager mehr als eine Woche gehalten.“
„Wir haben aber keine Marines. Keine schweren Waffen. Und keine verdammte WOCHE um uns einzubunkern. Abgesehen davon, dass die Akarii diese Anlage zurückerobern wollten. Uns…uns können und werden sie einfach ins All blasen, wenn sie auf Widerstand stoßen. Haben Sie nicht gesehen, was diese Schweinehunde hier im Belt abziehen? Glauben Sie wirklich, die würden ausgerechnet für ein GEFÄNGNIS eine Ausnahme machen? Sie haben diesen Admiral gehört. Die wollen die Anlage sprengen. Die einzige Frage ist, ob wir dann noch hier sind.“
„Wenn Sie das meinen…“
„Wo wollen Sie ihn?“
„Nachsehen, ob einer der Häftlinge seine Matratze anzünden will. Sie können ja schon mal das Lametta rausholen und die Girlanden für unsere neuen ‚Freunde’ rausholen, Sir!“
„Glauben Sie etwa, mir macht das Spaß, Evert?! Glauben Sie das?! EVERT!!“
Major Lawhorns gebrüllte Frage erreichte nur noch eine sich schließende Tür. Mit einer jähen Handbewegung fegte der Kommandant die Platte seines Schreibtischs frei und sandte das Sammelsurium aus Datachips, Kommunikationspads und Wer-Weiß-Was-Noch gegen die nächste Wand: „Scheiße.“
Noch zwei Jahre hatten ihn von der Pensionierung getrennt. Es war ein unangenehmer, wenig angesehener Dienst gewesen – aber ein notwendiger. Und jetzt…
‚Sie sollten mir dankbar sein für meine Entscheidung. Immerhin haben sie so wenigstens eine CHANCE irgendwann ihre Familien wieder zu sehen.’
Allerdings bezweifelte er, dass Everts das erkannte. Und was seine Vorgesetzten, die öffentliche Meinung oder gar die Geschichtsbücher anging…
Cattaneo
Tyr
Die ewige Stadt von Pan'chra, Akar
‚Ein anderer Tag, ein anderes Fest, ein anderes Kleid – dasselbe alte Spiel.’ dieses geflügelte Wort ging Ciara Koo durch den Kopf, während sie sich einen Weg durch die festlich gekleidete Menge suchte. Hier und Heute dominierten zwar die Uniformen, aber angesichts ihrer Herkunft und da die Offiziersränge immer noch zu einem überproportional großen Teil vom Adel dominiert wurden, hatte sie nicht das Gefühl, sich unter Fremden zu bewegen.
Den größten Teil der Anwesenden (und der Uniformträger) stellten die Mitglieder der Wettkampfdelegationen, die von den verschiedenen Randweltakademien entsandt worden waren, um wie jedes Jahr gegeneinander und die Vertreter der kaiserlichen Akademie von Akar anzutreten. Dazu kamen die Eltern, die es sich leisten konnten, ihre vielversprechenden Sprösslinge zu begleiten, bewährte Ausbilder und Lehrer, Angehörige des Hofadels die in offizieller oder privater Funktion teilnehmen wollten, neugierige Neureiche…
Zu dem Treffen der Finalisten eingeladen zu werden, das traditionell vor der Endrunde der Wettkämpfe stattfand, war eine Ehre – und kostete normalerweise eine beträchtliche Summe, wenn man nicht selber ein Wettkampfteilnehmer war. Die Einnahmen waren für einen Stipendiumsfond bestimmt. Dieser Umstand machte die Teilnahme schon zu fast so etwas wie einer patriotischen Pflicht. Hatte früher einmal eine einzelne Saalflucht ausgereicht, so konnte die Veranstaltung inzwischen ein komplettes Gebäude in dem gigantischen Palastkomplex der ewigen Stadt füllen – und das, obwohl die Teilnehmerzahl gewissen Limitationen unterworfen worden war, nachdem die Zahl der Wettkampfteilnehmer im Vergleich zu der Zahl der ‚zivilen’ Anwesenden immer mehr ins Hintertreffen geraten war.
Ciara konnte das natürlich gleichgültig sein. Sie hatte genug Geld, um sich eine Eintrittskarte zu leisten – und angesichts ihres Familiennamens wäre niemand auf die Idee gekommen, sie irgendeiner Eintrittsbegrenzung zu unterwerfen. Ungeachtet ihrer Verwandtschaft mit dem verblichenen aber unvergessenen Großadmiral wurde die junge Akarii allerdings von einigen anderen Gästen bei weitem in den Schatten gestellt.
Beim Durchwandern des Hauptsaales waren ihr bereits mindestens zwei Thronprätendenten aufgefallen. Navarr Thelam zu sehen war keine Überraschung gewesen. Der junge Enkel des verstorbenen Imperators war den Erwartungen seiner Familie gerecht geworden, und hatte es ins Finale geschafft. Dass er sich freilich ‚mit dem Feind gemein machte’ und angeregt mit einer Randweltenkadettin plauderte, deren fast goldfarbene Schuppen deutlich aus den üblichen hellen Farbtönen heraus stach, würden einige seiner Kameraden vermutlich gar nicht gut finden. Aber offensichtlich war der Prinz bereit, dass zu riskieren. Nun ja, bei der Familie…
Warum ausgerechnet Rallis Thelam sich entschlossen hatte, diese Festivität mit seiner Anwesenheit zu beehren… Auch wenn er die kaiserliche Akademie besucht hatte, waren seine Leistungen nie so gut gewesen, um ihn für eine Teilnahme an den Wettkämpfen zu qualifizieren. Nicht weil er dumm war – seine Interessen lagen ganz einfach auf einem anderen Schlachtfeld…
Aber heute war jedenfalls hier. Allerdings war er in Zivil erschienen, ohne die fast obligatorische dekorative Begleitung – und ohne die ihm zustehende Eskorte kaiserlicher Gardisten. Außerdem hatte er auch darauf verzichtet, seine alte Uniform anzulegen – vermutlich in der Erkenntnis, dass er mit seinem Offiziersrang hier nur wenig Staat machen konnte. Rallis hatte es nie zum Admiral geschafft, wie seine Cousins Jor und Karrek. ‚Oder, was das angeht, wie `Kas.’
Aber das machte ihn nicht zu einem weniger gefährlicheren Gegner. Auch wenn man Ciara seit frühester Kindheit beigebracht hatte, wie man das Spiel der Häuser zu spielen hatte, machte es sie doch ein wenig nervös, wenn die wirklich wichtigen Figuren von ihr Notiz nahmen. Gewiss, bei Prinzessin Linai hatte Ciara – auch auf Bitten ihres Verlobten hin – den ersten Schritt getan, aber dass sie dadurch auch das Interesse von Rallis auf sich gezogen hatte… ‚Und wenn jetzt etwa auch noch Karrek anfangen sollte, sich Gedanken über seinen ‚Cousin’ Taran, dessen Verlobte und den Draned-Sektor zu machen…’
Imperiale Geschichte war nicht unbedingt ihr Steckenpferd, aber sie wusste, dass der Hof schon aus geringfügigeren Gründen Männer und Frauen kaltgestellt, in die Verbannung geschickt – oder beseitigt hatte.
Heute allerdings ignorierte Rallis sie, wofür sie dankbar war. Er schien wichtigeres zu tun zu haben, als sie mit einer Mischung aus Anzüglichkeiten, versteckten Andeutungen und politischen Spitzfindigkeiten unter Druck zu setzen. Stattdessen arbeitete er sich durch die Reihen der alt gedienten Militärs und stolzen Eltern, die zu diesem feierlichen Anlass erschienen waren. Er war allerdings offenbar auch nicht darüber erhaben, gelegentlich ein paar wohlwollende Worte an einige der jungen Kadetten zu richten. ‚Er beherrscht es wirklich, Hände zu schütteln.’ Auch wenn bei den Witzen und Anekdoten eines Thelams eigentlich IMMER gelacht wurde – zumindest von den meisten Leuten – bei Rallis lag das auch daran, dass die Leute ihn wirklich geistreich fanden.
Und ebenso würden sie vermutlich auch auf seine Worte hören, wenn bei ausgewählten Gesprächspartnern und in unbeobachteten Augenblicken unter der Maske des Schwerenöters, Charmeurs und politischen Spötters kalter Verstand, kühne Ambitionen und eiserner Machtwille hervorschimmerten. ‚Nur…was ist da eigentlich Maske, und was der WAHRE Rallis? Ich weiß es nicht. Vielleicht weiß er es nicht einmal selbst.’ Rallis selber schien allerdings mit sich selber perfekt im Reinen zu sein. Gewissensbisse, Selbstzweifel oder dergleichen schienen ihn nicht zu plagen. ‚In dieser Hinsicht ähnelt er Jor und Karrek vermutlich mehr, als ihm lieb ist.’
Bevor jemand ihre Musterung des Thronprätendenten bemerken und falsch interpretieren konnte, wandte Ciara Koo den Kopf ab, und suchte in der sie umgebenden Menge nach einem vertrauten Gesicht. Zeit und Ort stimmten. Wo war also...
Sie bemerkte Yelak Taran erst, als er unmittelbar vor ihr stand. Der breitschultrige und muskulöse Bruder ihres Verlobten bewegte sich mit ungewöhnlich steifen, fast abgehakten Bewegungen, die so gar nicht zu seinem üblichen federnden Gang passten. Auch sein sonst eher zu einem Lächeln oder Grinsen neigendes Gesicht trug einen ungewöhnlich wütenden, fast verbissenen Ausdruck.
„Du machst ein Gesicht, als hätte jemand den Drehh-Träger deiner Familie beleidigt.“
„Unwichtig.“
„Ist etwas mit `Kas?“
Yelak unternahm einen nur teilweise erfolgreichen Versuch, ein Lächeln auf seine Lippen zu zwingen: „Nein. Jedenfalls nicht so, wie du denkst.“
„Wenn du nicht bald damit herausrückst, lasse ich dich hier stehen, ‚Schwager’!“
„Das wäre vielleicht gar nicht so dumm…“
„Wirst du jetzt endlich sagen, was los ist?! Ich kriege es doch so oder so noch heraus.“
„Ja, leider. Es…“, Yelak zögerte und verzog kurz den Mund, „Eigentlich ist es lächerlich. Da waren ein paar ‚Kameraden’ aus der Stabsabteilung der Admiralität…Es ging um so ein blödes Gerücht über Dero…
Einer dieser Idioten fand es witzig, zu fragen, ob ich meinen Bruder bei dir auch gut vertreten würde. Und er bot sich an, falls ich…“
Ciara Koo schnaubte abfällig: „Ich kann es mir ungefähr vorstellen, wie das weiterging.“
„Am liebsten hätte ich dieser Missgeburt die Schneidezähne ausgeschlagen!“
„Aber das hast du nicht. Oder? Du hast doch keine Dummheiten gemacht…Irgend so etwas furchtbar antiquiertes wie eine Herausforderung oder so?“
„Sehe ich aus wie einer von Jors und Karreks Speichelleckern, die am liebsten die Tage des alten Imperiums wiederaufleben lassen würden – einschließlich Ehrenduellen auf den Tod? Auch wenn ich diesen Bastard mühelos…“
„Aber das wirst du nicht. Das will ich nicht. Genauso wenig wie deine Eltern oder deine Vorgesetzten. Oder dein Bruder. Du wirst nicht deine Karriere gefährden, weil irgendein Idiot sich für witzig hält, ja?“
„Schon gut…“
„Ich will nicht eines Morgens in den Park der Toten-doch-Unvergessenen kommen müssen, weil dich jemand mit einem Drehh durchbohrt hat. Ja, ja – oder du ihn.
Soldaten…ihr ändert euch doch nie. Zumindest die Kerle unter euch.“
„Das finde ich jetzt irgendwie ziemlich unfair.“
„Anwesende ausgeschlossen. Vorausgesetzt du machst keine Dummheiten.“
„Das hatte ich nicht vor.“
Die junge Akarii musterte ihren Freund kurz und akzeptierte seine Behauptung dann mit einem leicht angespannten Lächeln. Auch wenn sie selber schon mal Zuschauerin bei einem der eigentlich verbotenen Ehrenduelle gewesen war – die Zeiten waren einfach zu ernst für solche Spielereien. Und Yelak war ihr zu wichtig, um ihn so etwas riskieren zu lassen. Auch wenn er ein hervorragender Schwertkämpfer war, besser als sein Bruder…
„Diese Wiederentdeckung antiker und frühneuzeitlicher Bräuche und Traditionen mag ja manchmal ganz charmant sein, aber einige treiben es doch etwas zu weit. Als nächstes werden sie in der Flotte wieder Blutopfer an die Götter der Sternenleere zur Pflicht machen…“
Yelak zögerte kurz, als wollte er etwas sagen, hätte sich dann aber eines Besseren besonnen: „Sieh mal…gerade in solchen Zeiten suchen viele eben Halt. Sie brauchen etwas, in das sie ihr Vertrauen setzen können. Und wenn die Zukunft düster aussieht…dann bietet sich die Vergangenheit an. Sie hat uns groß gemacht. Hat das Imperium über alle Krisen und Bedrohungen getragen…“
„Sehr philosophisch. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich die Finalefeier der Akademiekämpfe damit verbringen würde, mit dem Bruder meines Verlobten über den Aufstieg und Niedergang des Imperiums zu sinnieren…“
Jetzt hatte sie es doch geschafft, aus Yelak ein echtes Lächeln herauszukitzeln: „Du bist doch nicht das erste Mal dabei.“
„In der einen oder anderen früheren Saison…“
„Warst du eigentlich auch hier, als Taran zu der Finalistengruppe der kaiserlichen Akademie gehörte? Ich bin mir nicht sicher…“
„Ja.“ Darauf war ihr Verlobter immer stolz gewesen, auch wenn er nie einen der Preise errungen hatte. Doch alleine so weit zu kommen, war schon eine beachtliche Leistung.
„Und wie war es? Sind sich eure Blicke durch die Menge hindurch begegnet…“
Ciara warf ihrem Gegenüber einen amüsierten Blick zu: „Wohl kaum. Ich war damals gerade einmal vierzehn. Und er ein junger Offizier auf dem Weg nach Oben. Mit der Reputation, früher einer der Herumtreiber um Dero gewesen zu sein, die die üblen Viertel der ewigen Stadt unsicher machten. Was also glaubst du? Aber er war nett zu mir.“
„Tja, was Dero angeht…“
„Hmm?“
„Also ich weiß nicht…“
„Wenn du es mir nicht sagst, dann werde ich wohl diese Idioten fragen, von denen du es gehört hast. Ich tue es nicht gerne…“
„Versuch dein Glück doch lieber bei dem Schlag von Frauen, den diese Reservehelden bevorzugen. Die suchen sie nämlich nicht gerade wegen ihrer Geistesgaben aus…“
Doch als Ciara tatsächlich Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen, hielt sie der Stabsoffizier zurück: „Schon gut, schon gut. Du weißt doch, dass Linai und Dero sich schon ziemlich lange kennen. Und dass unsere Prinzessregentin es war, die diesen menschenliebenden Unteroffizier und Winkeladvokaten zum Sondergesandten ernannt hat. Nun ja, es geht das Gerücht um, dass er diese Chance nicht unbedingt seinen Fähigkeiten zu verdanken hat. Jedenfalls nicht seinen Fähigkeiten als Diplomanten.“
„Na und? Das ist der kaiserliche Hof. Patronage ist eine imperiale Tradition, die…
Oh. Ich verstehe. Und wenn ich den geistigen Horizont deiner ‚Freunde’ aus dem Karrek-Lager bedenke, sollte mich das wohl nicht überraschen. Mich überrascht allerdings, dass du auf so etwas hörst…“
„Überleg doch mal. Linai und Jockham haben keine Kinder. Keiner weiß warum – aber was ist…“, Yelak sah sich sichernd um, „…wenn das zum Beispiel an Jockham liegt. Linais Sohn stände automatisch an der Spitze der Thronfolge. Wenn sie und Dero…“
Ciara Koo stieß zischend die Luft aus: „Das auch nur zu DENKEN... Und solche Gerüchte hörst du von Karreks Entourage? Glaubst du, er…“
„Ich weiß nicht. Das scheint irgendwie nicht zu dem zu passen, was ich bisher von ihm gehört und gesehen habe. Ich kann mir schwer vorstellen, dass Karrek solche Gerüchte streut oder jemanden losschickt, um hinter den Bettvorhängen seiner Cousine zu spionieren. Aber…“, Yelak lachte unbehaglich, wurde dann aber sofort wieder ernst, „…manchmal denke ich, es ist ganz gut, dass `Kas sich momentan nicht am Hof aufhält.“
„Und sich stattdessen mit den T’rr und irgendwelchen Verrätern herumschlagen muss?! Oder warte…richtig, das kann er ja nicht. Weil dieser alte Drache ihn mit irgendeinem verdammten Geheimauftrag ins feindliche Hinterland vorgehetzt hat!“
„Ich mache mir doch auch Sorgen…“
„Ich habe keine Lust Witwe zu werden, noch bevor ich geheiratet habe. Außerdem eigene ich mich nicht für diese Rolle. Und du weißt immer noch nicht, wo sie `Kas hingeschickt haben?“
„Nicht bei meinem Dienstgrad, tut mir leid. Wenn du keine Freunde im Admiralsrang hast…“
„Außer `Kas meinst du? Eigentlich nicht. Aber Großvater hatte viele. Und deshalb…“
Was auch immer Ciara Koo sagen wollte, wurde von einem nur zu vertrauten Trommelwirbel unterbrochen, der aus verborgenen Lautsprechern drang. Der hämmernde, treibende Klang hatte in vergangenen Jahrhunderten den Sturmlauf der angreifenden Infanterie begleitet – damals, als die Heere noch in geschlossenen Kolonnen kämpften. Inzwischen gehörte der Sturmmarsch zu den Signalmelodien, die Sondermeldungen der imperialen Streitkräfte ankündigte. Schlagartig verstummten die Gespräche, die zuvor ein beständiges Hintergrundrauschen gebildet hatten, während sich die Gäste sich verwirrt, beunruhigt oder erwartungsvoll umsahen – je nach dem, wie sie insgeheim die militärische Lage des Imperiums bewerteten. Nun erwachten auch die in den aufwendigen Wand- und Deckenverzierungen verborgen Projektoren zum Leben.
„Hast du eine Ahnung, was das werden soll?“
Yelak schüttelte abwesend den Kopf: „Vielleicht hat Rian endlich die Hauptflotte in Marsch gesetzt…“
Der uniformierte Sprecher des Kriegsministeriums, dessen Holographie jetzt über den Köpfen der Festgäste auftauchte, schien diese Vermutung zu bestätigen, denn neben ihm wurde gleichzeitig eine Simulation der imperial-republikanischen Grenzregionen eingeblendet. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch diejenigen, die nahe genug an der Projektion standen, bemerkten vielleicht das triumphierende Leuchten in seinen Augen. Die Stimme des Sprechers war ruhig, aber mit einem harten Unterton: „Das Kriegsministerium und die Admiralität geben bekannt: die imperialen Streitkräfte sind an einer weiteren Front in die Offensive gegangen. Starke Trägerverbände unter dem Befehl des Admirals Zweiten Ranges Mokas Taran sind weit in das feindliche Hinterland vorgestoßen und haben das Parrak-System angegriffen. Die feindlichen Verteidigungsverbände zogen sich ins Systeminnere zurück, ohne eine Schlacht zu wagen. Unsere Einheiten begannen mit der planmäßigen Zerstörung gegnerischer Stationen und Produktionsanlagen. Großadmiralin Lay Rian erklärte: ‚Dieser Schlag ist Bestandteil unserer erneuerten Offensivstrategie, die sich vor allem auch gegen das feindliche Hinterland richtet. Durch schnelle und wuchtig durchgeführte Schläge gegen kriegswichtige Nachschubs- und Produktionsknotenpunkte werden wir die gegnerische Kriegsmaschinerie lahm legen, seine Frontverbände vom Nachschub abschneiden und Tod und Verwüstung zu den Welten bringen, von denen die Aggression und Kriegshetze gegen das Imperium ausging. Die Kapitulation der Konföderation leitete die Kriegswende ein. Weitere entscheidende Siege werden folgen.’
Die Prinzesstregentin Linai Thelam ließ verlauten: ‚Meine Gedanken und Gebete sind bei unseren Soldaten und ihren Kommandeuren, die in dieser entscheidenden Stunde an vorderster Front stehen. Im vollen Bewusstsein des Mutes, der Tapferkeit, der Fähigkeiten und der Ausrüstung unserer Sturmspitzen weiß ich, dass die Verbände unter Admiral Tarans Kommando weitere Siege an unsere Standarten heften werden. Siege, wie wir sie über Hannover und Karrashin erzielt haben.’“
In der gespannt lauschenden Menge wurde Jubel laut, während der Sprecher anhand der eingeblendeten galaktostrategischen Karte das Vorgehen von Tarans Flotte erläuterte.
Yelak Taran hatte auf einmal ein seltsames Gefühl im Magen. So, als hätte er viel zu lange nichts gegessen und nicht geschlafen. Parrak…
Er wusste, was sich hinter diesem Namen verbarg. Mehr Raumstationen, Werft-, Reparatur- und Produktionsanlagen, als er zählen konnte. Dutzende Wurmlochverbindungen die das System mit fast der gesamten Republik verbanden, starke boden-, orbital- und raumgestützte Garnisonsverbände…
Natürlich hatte Yelak gewusst, dass sein Bruder sich nicht unbedingt für den sichersten Beruf im Imperium entschieden hatte, als er zu den Streitkräften gegangen war. Vor allem, nachdem man ihn in den T'rr-Militärbezirk versetzt hatte, weil er an der gegen Kronprinz Jor gerichteten Offiziersfronde beteiligt hatte.
Yelak hatte auch gewusst, dass die Admiralität die Verbände seines Bruders vor kurzem in das feindliche Hinterland geschickt hatte. Aber SO WEIT und ausgerechnet in DIESES System…
‚Das ist ein verdammtes Todeskommando. Die Terraner können es sich nicht erlauben, dieses System zu verlieren. Oder auch nur Schwäche zu zeigen. Nicht in diesem System. Nicht so nahe an ihrer Hauptwelt. Die Menschen werden alle Dämonen entfesseln, die sie sich für ihre komische Hölle ausgedacht haben. Genauso gut hätte Rian Mokas auch gegen Terra selber schicken können…’
„Yelak? Alles in Ordnung mit dir? Was ist los? Yelak…“, die junge Akarii schien sich nicht sicher zu sein, ob sie sich Sorgen machen sollte oder ihn anschnauzen sollte.
Yelak Taran schüttelte den Kopf und zwang sich zu einer wegwerfenden Handbewegung: „Es ist nichts. Ich ärgere mich nur über mich selbst. Ich hätte wissen müssen, dass es dieses System ist…“
Ciara Koo musterte ihn eindringlich und irgendwie misstrauisch: „Wenn du mir da etwas verschweigst…“, dann unterbrach sie sich und murmelte einen ziemlich rüden Soldatenfluch: „Was es auch ist, ich würde dir raten, es erst mal abzuhaken. Wir haben die ersten Gratulanten.“
Natürlich. Auch wenn keiner von ihnen zu der angesagten Entourage gehörten, die aus der Hofgesellschaft herausragten, gab es dennoch genug Leute, die sie erkannten oder aus ihren Namen die nahe liegenden Schlüsse ziehen konnten. Und wenn sie schon einmal mit einem imperialen Offizier verwandt – respektive verlobt – waren, der namentlich in einem offiziellen Kommunique erwähnt wurde, dann bedeutete das, dass sie automatisch in den Genuss ihrer zehn Minuten Ruhm kamen. Ob sie das nun wollten oder nicht.
Also zwang Yelak Taran sein Gesicht zu etwas, das er für ein ernstes Lächeln hielt, und rief sich das in Erinnerung, was seine Ahnen, seine Eltern und sein älterer Bruder in dieser Situation von ihm erwarten würden.
***
Einige Zeit später, am selben Ort
„Die Popularität der Tarans scheint ziemlich zugenommen zu haben.“
Rallis grinste kurz: „Der flüchtige Ruhm der Schlachten, mein lieber Dan. Und wenn du genau hinsehen würdest, dann würde dir vielleicht auffallen, dass die beiden es anscheinend nicht wirklich genießen können.“
„Meint Ihr?“
„Sie sind ja nicht dumm. Unsere Führung hat diesen jungen Admiral mit etwas vielen Vorschusslorbeeren bedacht. Verdächtigt vielen. Ich bin ja kein Sachverständiger für Strategie und Logistik, aber ich glaube nicht, dass Taran all den Erwartungen gerecht werden kann, die dieses Kommunique wecken soll. Hm…ob das vielleicht Absicht ist? Ein kleiner Kunstgriff, um seine Ambitionen zurechtzustutzen? Ein Verlierer taugt nichts als Thronprätendent. Nicht mal als Rebell. Allerdings…Taran hat sich Linai bereits angedient, glaube ich. Und als Prinzessregentin, mit einem Kriegsminister-Ehemann und diesem alten Fossil Rian, das sie aus der Versenkung hat holen lassen, ist ihr Schicksal so oder so an den Erfolg unserer Streitkräfte gebunden. Sie kann sich Niederlagen noch weniger leisten als Taran. Erst recht nicht den Verlust des Draned-Sektors - und den werden wir verlieren, wenn Taran aufgerieben wird. Also warum haben sie den Jungen so weit nach Vorne geschickt und warum machen sie so ein Tamtam darum?
Ich frage mich, für wen diese Botschaft primär bestimmt war? Nur für das imperiale Publikum – oder für die Menschen?“
Dan Qau sah sich überrascht um: „Die Menschen? Aber Ihr glaubt doch nicht wirklich…“
„Jetzt sei doch nicht dumm. Dieses Kommunique wird schließlich auch an die Randwelten versandt werden. NATÜRLICH werden die Menschen mitbekommen, was meine geliebte Cousine und ihre Schoßgroßadmiralin zu verlauten hatten.“
„Dennoch…“
„Dieser Krieg wird auch mit Worten geführt. Vergiss das niemals. Wenn das nicht so wäre…dann müssten wir ihn nämlich gänzlich solchen Charakterköpfen wie Jor und Karrek überlassen. Und davor mögen uns alle Götter des Imperiums bewahren.
Indem Linai ihren und Rians Namen mit dieser Operation verknüpft hat, hat sie dem ganzen zusätzliche Bedeutung verliehen. Und verhindert, dass jemand anderes in der Admiralität sich diesen Stern an den Brustpanzer heften kann. Jemand wie Karrek beispielsweise. Linai und Rian zusammen…“
„Und warum war ihnen das nicht auch noch ein Zitat von Kriegsminister Jockham wert?“
Rallis Thelam lächelte seinen Untergebenen wohlwollen and: „Dan, du überraschst mich. Du entwickelst ja tatsächlich so etwas wie politisches Gespür. Das ist in der Tat eine Frage, über die es sich nachzudenken lohnt. War das nur ein einfacher Fehler? So etwas kommt vor. Oder hat es mit Tobarii Jockhams Seid-nett-zu-den-Menschen-Fimmel zu tun? Oder…
Ist dir eigentlich schon dieser entzückende Leckerbissen zu Ohren gekommen, der neuerdings am Hof über meine geliebte Cousine, ihren Ehemann und ihren…Spielkameraden kursiert?“
Der politische Adjutant des Prinzen runzelte mit einer Mischung aus Verwirrung und Beunruhigung die Stirn. Dann begriff er, was die Handbewegung bedeutete, mit denen Dan Qaus Vorgesetzter seine Frage begleitet hatte.
„Hoheit, was das angeht…“
„Oh, entspann dich doch. Es ist ja nicht so, als wenn ich persönlich die Sporen ausgesät habe, die jetzt auskeimen. Wer auch immer dieser Spur folgen wird…sie wird irgendwo in Karreks Umfeld enden…“ Rallis Thelam grinste genüsslich: „Ich glaube ja nicht, dass mir einer von Linais Entourage den Gefallen tun, und Karrek deswegen vor die blanke Klinge fordern wird. Oder dass Dero und Tobarii diese…Angelegenheit über die Klinge eines Drehhs hinweg klären. Wir leben halt nicht mehr in der guten alten Zeit. Niemand achtet mehr die alten Traditionen...“
Angesichts der Tatsache, dass Rallis kurz zuvor mit offensichtlicher Zufriedenheit auf jene Gerüchte angespielt hatte, die er selber hatte in Umlauf bringen lassen, war sein Bedauern über den Traditionsverfall in Dan Qaus Ohren doch ein etwas starkes Stück. Aber sein Vorgesetzter hätte vermutlich geantwortet, dass der Einsatz von Verleumdungen, Intrigen und politischen Winkelzügen eine altehrwürdige Tradition des Imperiums WAR.
Dennoch konnte sich Dan Qau eine vorsichtige aber unterschwellig vorwerfende Frage nicht verkneifen. Nicht angesichts all jener stolzer, begeisterter und hoffnungsfroher Akarii, deren Enthusiasmus Rallis Thelam so wenig zu berühren schien: „Aber…freut es euch denn nicht, dass die Flotte in der Offensive ist?“
„Natürlich freut es mich, Dan. Was ist das für eine Frage? Hältst du mich etwa für einen der Dilettanten, die aus der Niederlage des Imperiums ihren Profit ziehen wollen? Das überlasse den Halbpolitikern und Vollidioten, die im Draned-Sektor meutern. Jeder Sieg der Flotte ist eine GUTE Nachricht. Ich will schließlich nicht Herrscher über einen Trümmerhaufen werden.
Der Sieg über die Konföderation hat auch mein Herz höher schlagen lassen. Ich bete darum, dass er noch zur rechten Zeit erfolgt ist. Und ich verspreche dir, ich werde geradezu in Ekstase verfallen, falls Rians neue Offensive tatsächlich Erfolg hat. Aber ich werde misstrauisch, wenn der Sieg schon im Voraus verkündet wird. Sollte meine Vorsicht sich jedoch als verfehlt erweisen…
Dann werde ich gerne der erste sein, der seinen Einfluss bei der Admiralität ausspielt, um unseren wackeren Admiral zu befördern…“ Auch Dan Qau wusste, was sein Vorgesetzter damit meinte. Wenn Rallis Einfluss bei der Beförderung von Taran eine Rolle spielte – dann würde der Admiral in seiner Schuld stehen. „Bis dahin aber, mein lieber Dan, spare ich mir meine Begeisterung aber lieber auf. Und jetzt komm. Ich muss mich wieder unters Volk mischen. Sie sollen sehen, mit welcher Zuversicht mich dieses Flottenkommunique erfüllt. Und mit welcher sicheren Gewissheit unseres Sieges ich in die Zukunft blicke. Natürlich ohne den Traumtänzereien von Karreks Expansionisten zu verfallen.“
Cattaneo
Ace
Gespannte Erwartungen.
Besprechungsraum des Flying Circus
An Bord der DERFLINGER
"So ist die Lage." Papa Bear verschränkte die Hände hinter dem Rücken und marschierte vor der Projektionsfläche auf und ab, welche eine verzerrte symbolhafte Darstellung des Systems zeigte. "Unser Kampfauftrag schließt zur Zeit ein, sowohl Masters als auch Seafort zu beschützen, je nachdem welchem Planeten sich die Akarii unter Taran zuwenden werden. Dass sie es tun werden, daran haben die Admiräle keinen Zweifel mehr, denn die Echse verspielt ihre wertvolle Zeit. Hätte Taran Richtung Terra weiter springen wollen, müsste er längst auf dem Weg zum Sprungpunkt sein, wenn er nicht von der Homefleet im Transit begrüßt werden wollte."
Sie blieb stehen und gab eine leise Anweisung. Die Betrachtung wechselte auf Videos, welche die Aufnahmen automatischer Kameras zeigten. Sie zeigten in deprimierender Regelmäßigkeit explodierende Fabriken und andere Einrichtungen. "Was Ihr hier seht, ist das derzeitige Hobby der Echsen: Die Kapazitäten im Asteroidengürtel vernichten. Taran tut das vor dem Kampf mit uns, solange er noch ungestört ist. Mittlerweile hat er vier Billionen Real an Material vernichtet, und unsere Förderungsmöglichkeiten im System nahezu halbiert. Wie die Sache auch immer ausgeht, Taran hat uns in den Arsch getreten, bevor wir überhaupt einen echten Kampf hatten."
Papa Bear wandte sich wütend ab. "Da der Gegner über drei Flottenträger verfügt, werden wir uns mit ihm nur messen, wenn wir die bodengebundenen Verbände von Masters oder Seafort im Rücken haben. Zur Zeit beschränkt sich das Oberkommando darauf, mit Hilfe der Shuttles kleine Fallen im Gürtel auszulegen, die hier und da auch zu Überraschungserfolgen geführt haben sollen. Aber das sind nur Nadelstiche, die Taran nicht einmal fühlen dürfte. Für uns bedeutet diese Taktik vor allem eines: Warten, bis sich der Admiral bequemt, tiefer ins System zu kommen. Und das wird bald sein, sehr bald. Denn genauso wie er die Chance auf einen Transit mittlerweile verspielt hat, so wird sein Zeitfenster für einen Rückzug immer geringer. Unsere Analytiker gehen nicht davon aus, dass Taran Sterntor nehmen will, oder Seafort auf die gleiche Weise attackiert wie Kal Ilis Hannover genommen hat - Material für Boden. Sein Ziel wird auch hier die Zerstörung von Industrie sein. Vor dem Angriff oder der Eroberung eines Planeten. Andererseits hat er genügend Truppentransporter dabei, um eine Division einzusetzen; ein Überfall am Boden ist also möglich. Wohl gemerkt, Herrschaften, das ist größtenteils meine Meinung."
Sie nahm ihre nervöse Wanderung wieder auf. "Unsere Aufgabe wird es sein, Tarans Verband abzufangen, sobald er sich einem der Planeten zuwendet. Dabei müssen die militärischen und zivilen Einrichtungen um jeden Preis geschützt werden. Es kann durchaus sein, dass sich Taran noch ein Beispiel an Ilis nimmt, und versucht größtmöglichen Schaden anzurichten, auch zum Preis seiner Flotte. Wir wissen, dass Akarii dazu fähig sind. Die genauen Einsatzpläne gibt es beim letzten Briefing vor dem Start, aber ich kann schon jetzt sagen, dass wir durch die bodengebundenen Geschwader zumindest bei den Jägern und Bombern eine leichte Übermacht haben werden, trotz der Trägerüberlegenheit Tarans. Das wird natürlich dadurch minimiert, dass die Verbände von Seafort oder Masters einen weiteren Weg nach Hause haben, beziehungsweise die Tank- und Munitionsshuttles exponieren. Dennoch werden wir diesen Vorteil nutzen, und wir werden verdammt noch mal keinen einzigen Bomber auf Schussreichweite auf eine bewohnte Welt lassen. Das erwarte ich von jedem Mann und jeder Frau im Flying Circus. Fragen?"
Kali beugte sich vor und überlegte für einen Moment, ob sie eine Frage stellen sollte. Aber ihre Kameraden kamen ihr zuvor. Lt. Commander Lubicheque, die Chefin der Fokker-Staffel, rief ihre Frage, während die anderen Piloten noch dabei waren, die Hände zu heben.
Kali ließ sich wieder gegen den Sitz sinken. "Na, das kann ja heiter werden.", murmelte sie.
"Wieso?" Bobcat, die neben ihr saß, runzelte die Stirn. "Ich denke doch, dass wir hier in einer komfortablen Ausgangssituation sind. Mit dem Support durch die Maschinen von Seafort oder Masters wird uns kein Gegner passieren können. Vielleicht kriegen wir auch eines oder zwei ihrer Dünnschiffe. Ich finde, die Situation bevorteilt uns."
"Das ist nicht, was ich meine.", sagte Kali ernst. "Noch merkst du es nicht, aber die Akarii haben bereits einen großen Sieg eingefahren. Das wird sich zeigen, später, in Wochen und Monaten, wenn wir bemerken, was der Verlust der Industrien im Belt für uns bedeutet. Stockender Nachschub, sinkende Qualität, schwindende Reserven, Munitionsmangel. Vier Billionen Real an kriegsproduzierenden Fabriken, Bobcat. Das kann die ganze Republik nicht auffangen, jedenfalls nicht kurzfristig." Kali ballte die Hände zu Fäusten. "Den Belt aufzugeben war eine Riesendummheit. Und eine vergebene Chance, sie im unübersichtlichen Getümmel ordentlich Federn kosten zu lassen. Meines Erachtens spielen die Admiräle zu sehr auf Sicherheit, und das auf Kosten unseres Nachschubs und der Zivilisten, die da draußen für unseren Nachschub arbeiten, für unsere Navy, unsere Republik."
Conti beugte sich vom Sitz hinter ihr vor und klopfte auf ihre Lehne. "Kali, ich stelle fest, wir sind hier einer Meinung. Aber sehen Sie es positiv: Taran ermüdet seine Leute und leert seine Waffendepots, bevor er auf uns trifft. Das wird er noch bitterlich bereuen. Und wenn er ganz viel Pech hat, kosten wir ihn einen oder gar alle Träger, die er mitgebracht hat. Wissen Sie, was dieser Aderlass für die Akarii bedeuten würde?"
"Was uns nur etwas nützt, wenn wir nicht genauso schwer bluten müssen.", erwiderte sie ernst.
"Ja, da liegt das Problem. Aber wieso sollten wir uns davor fürchten, solange die Angry Angels im System sind? Unser Elite-Geschwader wird seinem Ruf schon gerecht werden." Rubenbauer schien für einen Moment nachzudenken. "Auf jeden Fall werden sie ihren Teil beitragen. Genauso wie wir."
"Conti,", erwiderte Kali, und es klang beinahe zufrieden, "jetzt muss ich feststellen, dass wir einer Meinung sind."
Commander Rubenbauer lachte leise und bestätigend.
Wegen ihnen konnten die Akarii kommen.
***
Die Menge war angespannt. Über fünfzehn Augenpaare hingen an dem großen Mann im Cockpit der Falcon, und warteten konzentriert auf sein Urteil. "Gut.", klang die Stimme auf, und ein erleichtertes Raunen ging durch die Techs, Ingenieure und Piloten der Blauen Staffel, genauer gesagt der Zweiten Sektion, als sie das erlösende Wort vernahmen - aus meinem Mund.
Ich stieg wieder aus der Maschine, auf die bereit gestellte Trittleiter, und verließ Rebels Maschine wieder.
Neben einer rigorosen Aufholjagd auf die Grüne Staffel, durch die ich die Blauen gehetzt hatte, waren wir die letzten Wochen vor allem auch über das Material gegangen, wieder und wieder und wieder. Ich hatte nach einer Serie von Komplikationen, ausgelöst durch qualitativ schlechtere Wartung - es schien, der Bosun hatte bevorzugt Nachwuchs an den Maschinen der Blauen feilen lassen, was ich mir natürlich nicht hatte lange ansehen können - die Konsequenzen gezogen, und sowohl Pilot als auch Wartungscrew einer Maschine für den Zustand verantwortlich gemacht. Es gab einen Leistungschart für den Ist-Zustand. Ich vergab für jeden Fehler an der Maschine einen Punkt. Waren zehn Punkte erreicht, bedeutete dies eine Woche Strafdienst für die Piloten, und ein Besuch beim Bosun für die Techniker - nachdem ich bereits drin gewesen und meinem Ärger Luft gemacht hatte. Nach zwei Wochen und fünf Strafdienstwochen hatte sich das System eingespielt, dass ich alle drei Tage in jede Falcon meiner Staffel kletterte und penibel den Zustand überprüfte. Dabei bediente ich mich der üblichen Startroutine, die jeder Pilot an seiner Maschine vornahm, ergänzt durch ein paar Kniffe, die man nun mal mitkriegt, wenn man sein ganzes Leben selbst an solchen Maschinen schraubte. Jeder nicht vergebene Punkt war damit automatisch ein Lob an Pioten und Wartung, und bedeutete für beide Parteien weniger Ärger.
Vor allem bei Chip war mir in den letzten Wochen immer wieder aufgefallen, dass die Maschine schlecht in Schuss gehalten wurde; dass Relais und Aggregate, die während einer simplen Routineprüfung als defekt gelten mussten, noch "drin gelassen" wurden, um sie ins Wartungsbudget der nächsten Woche oder des nächsten Monats zu schieben. Auf Kosten der Blauen Staffel.
Ich machte mir nichts vor, das lag vor allem an Chip und seiner mangelnden Führungserfahrung. Und natürlich daran, dass ich so lange nicht vor Ort gewesen war. Aber ich konnte es mir nicht leisten, das mein Stellvertreter ausfiel. Weder hier noch mitten im Gefecht.
Wobei Letzteres unausweichlich schien, seit Admiral Mokas Taran mit seinem Verband nach Sterntor gesprungen war. Seither fragte ich mich allerdings auch, warum das verdammte Wurmloch auf unserer Seite nicht wenigstens ein klein wenig vermint gewesen war, wenn Dutzende Fregatten und Zerstörer der TSN munter durch das Akarii-Gebiet pendelten, um dort Minen zu verlegen. Um dreißig, vierzig Millionen Real an Kosten zu sparen hatte die TSN nun die immensen Zerstörungen der Industrie im Belt auf dem Konto. Oder vielmehr als rote Zahlen in der Bilanz. Ein schlechter, dummer Tausch.
Ich wandte mich meiner eigenen Maschine zu, von der ich wusste, dass sie absolut in Topform war, seit ich beim ersten Anzeichen von schlampiger Wartung die Techniker an Ort und Stelle in der Luft zerfetzt hatte. Diese simpelste und einfachste aller Aufgaben nicht zu bewältigen grenzte an Unvermögen, an Dummheit, ja an Faulheit. Und der Bosun teilte nicht nur meine Ansicht, er hatte seinerseits die Wartungscrews hart ran genommen, als der Ausmaß des Schlendrians offenbart wurde.
Ich kletterte in mein Cockpit, testete die Systeme an, fuhr einen Stresstest auf dem Bordcomputer - und stutzte. Irritiert fuhr ich die Routine erneut, und stellte schließlich fest, dass ausgerechnet meine Maschine nicht in Ordnung war. Ein Fehler, der gestern noch nicht da war, aber auf ein Verschleißteil hindeutete, das frühestens in einem halben Jahr ersetzt werden musste. Bei meinem letzten Flug vor achtzehn Stunden war das noch nicht der Fall gewesen. "Nicht gut.", sagte ich laut und ernst. Ich kletterte wieder aus dem Cockpit und sprang auf den Boden. "Ein Untersegment der Treibstoffeinspeisungscomputers arbeitet unregelmäßig. Das kann ein Software-Problem sein, das kann Materialermüdung sein. Chief, überprüfen Sie das."
"Ja, Sir."
Ich wandte mich der nächsten Maschine zu. Hinter mir klang Rebels Stimme auf: "Und, Ace, gibst du dir jetzt einen Punkt?"
Ich stockte im Schritt und wandte mich um. "Natürlich nicht, Julienne."
"Aber es ist deine Maschine. Es ist ein Wartungsfehler. Das macht einen Punkt", beharrte sie.
Plötzlich verstand ich. Ich stand hier vor einer gemeinsamen Retourkutsche der Techs und Piloten für die harten Zügel, die ich angelegt hatte. "Bei dir macht es einen Punkt. Bei mir macht es einen Wartungsauftrag für die Techniker. Hast du dich nie gewundert, warum mein Name nicht auf den Fehlercharts ist?"
"Aber... Aber... Das ist nicht fair!"
"Natürlich ist das nicht fair. Wir sind hier in der Navy, da ist einiges nicht fair. Oder logisch. Oder richtig. Oder gerecht und gut. Finde dich damit ab."
Nun brauste sie richtig auf. "Es dürfte aber sehr schlecht für die Moral der Staffel sein, wenn der Chef seine eigenen Regeln nicht einhält."
"Und es dürfte noch schlechter für die Moral der Staffel sein, wenn der Staffel-Chef wirkt, als würde er nicht kommandieren können. Würdest du so einem Chef in die Schlacht folgen?"
"Darum geht es doch gar nicht, sondern..."
"Doch, genau darum geht es. Um nichts anderes. Als nächstes Chips Maschine." Ich wandte mich um und ging los. "Da die Sache hiermit erledigt ist, verzichte ich darauf, ein paar Stunden Überwachungsvideos zu wälzen um zu sehen, wer in wessen Auftrag an meiner Maschine am Heckcomputer gearbeitet hat. Verstehen wir uns?"
Keine Antwort. Ich grinste dünn. Damit war die Sache tatsächlich erledigt.
Während ich Chips Maschine auf Herz und Nieren prüfte, konnte ich einen gewissen Ärger nicht abstellen. Er war nur schwer in den Griff zu bekommen, wie immer wenn mein Ego angeknabbert worden war. Ein paar Tage, vielleicht ein paar Stunden, bevor wir uns mit der Angreiferarmada herum schlagen würden, musste ich meine Zeit für derart banale Scherze verschwenden? Da stimmte das Verhältnis hinten und vorne nicht. Um sie nach Hause zu bringen, um meine Staffel wieder nach Hause zu bringen hatte ich noch längst nicht alles getan, was ich gelernt hatte oder was ich mir ausdenken konnte. Und ich würde sie wieder nach Hause bringen. Kameraden und Freunde zu verlieren würde für mich keine verdammte Gewohnheit werden. Auch wenn sie meckerten, irgendwann würden sie einsehen, dass das Training, die Inspektionen und der Unterricht dazu half, sie überleben zu lassen, egal wie gut sie bereits zu sein glaubten. Und... Immerhin war ich wesentlich netter und weniger streng als Lilja.
Cattaneo
Cunningham
TRS Columbia
Sterntor, FRT
„Durchwärts!“ Raven schlängelte sich durch den Korridor und das nächste Schott ohne wirklich langsamer zu werden. Knapp hinter ihr hörte sie Irons heftig atmen, dass es fast ein Keuchen war.
Die beiden leitenden Offiziere der Angry Angels liefen. Raven bezeichnete es als Jogging, Irons als Hindernislauf. Noch immer wurde an einigen Stellen des Flottenträgers geschraubt.
„Sag mir noch mal, warum wir das nicht in der Turnhalle machen können, Skipper!“
„Ganz einfach,“, antwortete Raven über die Schulter, „dort habe ich nicht das Gefühl voran zu kommen.“
„Das Schiff bewegt sich mit achtzig km/s, selbst wenn wir stehen kommen wir schneller voran, als es auf einen Planeten möglich ist.“
Raven lachte: „Andere Frage, glaubst Du Lone Wolfs Plan kommt bei der Admiralität durch?“
„Niemals, ich wette fünfzig Real und meine letzte Flasche aldebaranischen Vodka*, dass der Plan abgelehnt wird. Was, wie ich zugeben muss, sehr schade sein wird.“
„WAHRSCHAU!“ rief Raven einen Matrosen an, der eine sperrige Kiste über den Gang wuchten wollte und drängelte sich an ihm vorbei. Irons sprang einfach über die eben abgestellte Kiste. Die Flüche des jungen Soldaten ignorierten die beiden Pilotinnen.
„Ich glaube eigentlich, Girad dürfte experimentierfreudig genug sein für so etwas.“
„Ja,“, gestand Irons ein, „die schon, aber spätestens bei de Kerr ist Ende der Fahnenstange. Und weißt Du was der ausschlaggebende Punkt sein wird? Geldverschwendung. Wenn man bedenkt, was so eine Maverick den Steuerzahler kostet, gar nicht so verkehrt.“
Vor dem Maschinenraum am Heck des Schiffes machten die beiden Frauen halt und Raven bekann gleich mit Dehnübungen, während Irons erst mal Luft tankte.
„Du glaubst aber, das könnte klappen?“
Irons nickt: „Ganz klar, den Zielcomputer zu übersteuern, dass wir ohne Erfassung unsere Anti-Schiff-Raketen feuern können ist kein Problem. Diese mitten in der Feindwolke explodieren zu lassen auch nicht. Ich frage mich, warum noch kein anderer als unser Lone Wolf auf solch eine Schnapsidee gekommen ist. Vor allem, warum noch kein Bomberpilot.
Bloodhawks mit Anti-Schiff-Raketen zu jagen; als ob man mit einer Bazooka auf Rattenjagd geht.“
„Meinst Du nicht Taubenjagd?“
„Sind beides Ratten, aber Skipper, hast Du Lone Wolfs Vorschlag so einfach an Girad weitergereicht?“
„Ich persönlich halte Raumüberlegendheit für den ersten Schritt die Akarii wieder aus Sterntor rauszuschmeißen. Das heißt wir müssen den Feind dazu verleiten, uns aggressiv abzufangen, so dass ein Großteil seiner Jäger ohne die Unterstützung der Dickschiffe dasteht und wir sie abschießen können. Nach allem, was der ND weiß, hat unser Freund da drüben weder das beste Material noch die erste Garnitur Piloten zur Verfügung.
Dass einzige, was die Echsen dazu verleiten könnte uns wirklich brachial abzufangen wäre, wenn sie denken, wir versuchen einen Alpha-Strike mit all unseren Bombern und Jabos. Und wenn ihr Crusaderärsche schon mit hinausgeht, könnt ihr auch mal etwas für Eure fürstliche Entlohnung tun.“
„Seit dem Du in der neuen Thunderbolt sitzt, bist Du ganz schön frech geworden, kleine.“
„Warte mal ab, bis ich realisiert habe, dass ich wirklich Chef im Ring bin.“, erwiderte Raven mit gespielt ernster Mine.
„Was habe ich Angst vor der Zeit, wo die Flottenchefs sich dazu entschließen, die Nighthawk auch durch die Thunderbolt zu ersetzen.“
Raven schnaubte: „Ehe die da oben soweit sind und begriffen haben, dass die Jagdbomber die Raumüberlegenheit mit abdecken können, bin ich Admiral... oder, Gott bewahre, Lone Wolf.“
„Und was zeigt der Computer an?“ Matt Dodson betrachtete die an einem Geschirr hängende Nighthawk mit der Nummerierung eins-null-neun.
„Fahrwerk immer noch ausgefahren!“
„Verdammt, wir sind die ganze Verkabelung entlang gegangen,“, Dodson kratzte sich am Kinn und blickte zum Cockpit auf, „ich werde gleich überprüfen, ob das Fahrwerk auch wirklich gesichert ist, obwohl der Computer was anderes anzeigt. Aber letztlich, Commander, kann ich die Maschine nicht für den Einsatz freigeben.“
„Einen Scheiß werden Sie, Dodson!“ Lone Wolf blickte aus seiner Kanzel hinunter zum Cheftechniker des Geschwaders.
Eine Sekunde sah es aus, als würde dieser auf bockig schalten, doch dann schüttelte er nur den Kopf und ging unter den hängenden Jäger: „Werden Sie den Jäger denn selbst fliegen?“
„Wenn Sie keine Ersatzmaschine aus dem Ärmel ziehen können, werde ich das wohl müssen.“
Dodson guckte demonstrativ in einen seiner Ärmel: „Nein, keine da.“
„Wunder oh Wunder,“, knurrte Lone Wolf, „und ist das Fahrwerk nun gesichert oder nicht?“
„So wie es aussieht, gesichert. Was zeigt der Computer?“
„Der zeigt mir immer noch ausgefahren und verriegelt!“
„Scheiße!“ Dodson kletterte zum Cockpit rauf, „Also unter uns Lone Wolf, wenn ich Sie mit dieser Maschine fliegen lasse, dann kann mich das Kopf und Kragen kosten, und, zwar nicht ganz so schlimm, Sie das Leben.“
Dieser blickte den Mechaniker einen Augenblick lang ernst an: „Meinen Sie ernsthaft ich werde diese Schlacht aussitzen oder einen meiner Jungspunde in diese Maschine setzen?“
„Vielleicht sollten Sie einen ihrer Jungspunde aussetzen lassen.“
„Das habe ich mir auch schon überlegt…“
Weiter kam Lucas nicht, da die Deckenlautsprecher anfingen zu trillern: „Alle Stabsoffiziere zur Einsatzbesprechung! Alle Staffelführer zur Einsatzbesprechung!“
Dodson blickte auf die Uhr: „Reichlich spät, oder haben die Echsen doch noch eine Überraschung für uns parat?“
„Egal!“ Lucas wuchtete sich aus dem Cockpit und scheuchte Dodson förmlich die Leiter hinunter.
Unten angekommen rückte er seinen Flightsuit zurecht. Er war sich der besorgten Blicke der Techniker und Piloten, die sich im Hangar aufhielten nur zu gut bewusst. ,Jetzt nur nicht laufen. Alles ist in bester Ordnung.‘
Langsam setzte er sich in Bewegung. Matt Dodson, der das Spiel nur zu gut kannte, wechselte das Thema: „Gerüchte sagen, Sie wären früher mal ein gefürchteter Pokerspieler gewesen.“
„Es geht so, zumindest habe ich mich nicht mit so einem Mädchenpoker abgegeben, wie er jetzt in meine Staffel Einzug gehalten hat.“
„Nur geht so? Und da dachte ich, ich hätte mit Ihnen jemanden, mit dem ich mir mein Geld von Hungry Joe zurückholen könnte.“
Lucas stutzte: „Sind Sie jetzt der nächste, der sich für mein Privatleben interessiert.“
„Mich interessiert tatsächlich nur, wie ich diesem verdammten Bomberjockey fünfhundert Real aus den Rippen schneiden kann.“
„Sie haben sich fünfhundert Real abknöpfen lassen? Ist der Typ wirklich so gut?“
Dodson nickte.
Raven blickte auf, als Lone Wolf und Matt Dodson als letzte den Besprechungsraum für die Staffelführer betraten.
„Hat der Krieg Sie beide bei etwas gestört, meine Herren?“
„Klar, Boss,“, antwortete Dodson selbstbewusst, „davon MEINE Maschinen zu warten!“
Obwohl sie es besser wusste ging Raven darauf ein: „So-so, Ihre Maschinen.“
„Ganz genau, Ihre Weltraumranger fliegen mit ihnen los und machen sie kaputt, und meine Jungs und ich machen dann wieder Überstunden um sie für den nächsten Flug vorzubereiten.“
„Klingt als möchte da jemand den Job tauschen.“, warf Cliff Davis ein.
„Klar, Lieutenant, wenn Sie mir das Fliegen in den nächsten zwölf Stunden beibringen können.“
„Genug davon.“, ermahnte Irons ernst.
Die Staffelführer und der Chefmechaniker blickten nun alle Raven an.
„Ich habe zwei Dinge die zur Zeit anstehen.“, begann diese, „Als erstes werde ich mich dem Unsinn widmen, dann habe ich es hinter mir. Ein Offizier aus Admiral Girads Stab hat sich darüber beschwert, dass immer mehr Piloten in den neuen Raumanzügen in die Messe gehen, statt in, ich zitiere: Ordnungsgemäßer und tadelloser Uniform. Admiral Girad bat mich daher, dass meine Leute die Hauptmesse zukünftig nur noch in Uniform betreten, und sollten sie zum Essen den Raumanzug tragen wollen, sollten sie in die Messe B auf den dritten Vorderdeck gehen.“
Ungläubig blickten ihr ihre Staffelführer entgegen.
„Na, Mensch, und ich dachte wir werden hier wegen dem Krieg zur Einsatzbesprechung gerufen.“, brummte Blackhawk.
„War das jetzt eine Bitte oder ein Befehl, Ma’am?“, wollte Ace wissen.
„Die Bitte eines Admirals.“, war Ravens trockene Antwort.
Dodson räusperte sich: „Kommt da noch eine Pointe oder kann ich mich wieder an meine Arbeit machen?“
„Die Pointe der Geschichte ist, dass der Feind fast rechtzeitig eingeschwenkt hat, dass wir eigentlich außerhalb der Reichweite von Masters auf ihn treffen. Tatsächlich hat das Flottenkommando eine Strategie ausgearbeitet, wie wir zumindest bei einem Gefecht Unterstützung von Masters erhalten werden.
In vierzehn Stunden werden wir zusammen mit den Geschwadern der Derflinger und der Midway ausrücken. Unterstützung erhalten wir durch die Raumüberlegenheitsjäger und Jabos der Triumphe und Anzac. Das Kommando wird Captain Eris Crawford, Rufzeichen Hattrick, von den Fast Eagles stationiert auf der Midway haben.
Ziel ist es den Feind dazu zu verleiten seine Jäger gegen uns zu starten und die Raumüberlegeneheit herzustellen. Das heißt, unsere Crusader und die der Derflinger sind letztlich nur als Köder dabei, und alle Jagdbomber werden für den Kampf gegen Jäger ausgerüstet.
Mit uns werden alle Tanker starten und uns auf halben Weg mit Sprit versorgen. Auf dem Rückweg werden wir uns mit einigen Flottenversorgern treffen müssen, da die Flotte drei Stunden nach unserem Start nach Backbord ausscheren wird um so die Akarii zwischen sich und Masters zu manövrieren und den Feind so unter Zugzwang zu setzen.“
Sie reichte Ausdrucke mit der Flugplanung herum: „Bereiten Sie Ihre Staffeln vor, wegtreten.“
Die Staffelführer erhoben sich. Ein Alpha-Strike eines Flottenträgers bedurfte einiges an Vorbereitung.
„Lone Wolf, einen Augenblick noch.“
Neben Lucas blieb auch Irons zurück.
„Wie steht es um Ihre Staffel, Commander?“
Der ehemalige Geschwaderführer überlegte einen Augenblick ob er seine Maschine unter den Tisch fallen lassen sollte, entschied sich jedoch dagegen: „An sich sind soweit alle meine Neuen eingearbeitet und so bereit es nur geht. Ein Problem ist immer noch meine Maschine, aber damit komme ich schon klar.“
„Sind Sie sicher?“
„Nun, jede Maschine zählt bei diesem Plan, wie es scheint. Hat man irgendetwas zu der Idee mit den Mavericks gesagt.“
„Abgelehnt, wie erwartet,“, mischte sich Irons ein, „die beiden Crusader-Schwadronen werden mit Täuschkörperdrohnen in den Magazinen fliegen und anschließend Jagdschutz für die Tanker spielen.“
„Jagdschutz, unsere Crusader? Admiral de Kerr schein einen merkwürdigen Sinn von Humor zu haben.“
„Humor oder nicht, uns fehlen schon vier Schwadronen leichte und mittlere Jäger, die zur Flottensicherung zurückgelassen werden.“, knurrte Raven, „Haben Sie sonst noch etwas hinzuzufügen, Lone Wolf?“
„Wenn ich das richtig sehe, greifen wir mit fünf Nighthawkschwadronen, drei Schwadronen Thunderbolts, drei Mirage, vier Falconschwadronen und drei Schwadronen Griphens an. Wir sollten zusehen, dass die Nighthawks gut für den Nahkampf gerüstet sind, wenn wir davon ausgehen, dass unsere Thunderbolts Phönix-Raketen untergeschnallt haben werden.“
„Davon können Sie ausgehen, ist immerhin unser einziger Reichweitenvorteil gegenüber den Echsen. Aber in Ordnung, stellen Sie und Okha jeweils eine Sektion ihrer Nighthaws für den Nahkampf ab. Wir werden die Feuerkraft dann brauchen.“
Lucas blätterte etwas weiter in den Unterlagen. Für seinen Geschmack waren die Befehle viel zu detailliert und sauber ausgearbeitet und boten wenig Spielraum für Eigeninitiative: „Und unsere Freunde aus Masters sollen tatsächlich erst so spät eingreifen?“
„Dadurch soll verhindert werden, dass unser Echsenadmiral uns auf den falschen Fuß erwischen kann und uns eventuell seine Reserve auf den Hals hetzt, wenn wir mit leeren Tanks und ohne Munition zu den Versorgern schleichen. Wäre das dann alles?“
Lucas nickte und auch Irons hatte nichts hinzuzufügen.
„Gut, dann kümmern Sie sich um Ihre Staffeln.“
Irons salutierte und Lucas tat es ihr andeutungsweise nach.
Cattaneo
Ironheart
An Bord der Columbia
Sterntor-System
Die Rote Staffel wartete in einem der Besprechungsräume auf ihren Staffelführer und ihre XO um die tägliche Staffelbesprechung abzuhalten. Und wie Donovan „Stuntman“ Cartmell auffiel, rutschten nicht nur die Rookies ungeduldig in ihren Sitzen herum, was sicher nicht an der stickigen Luft im Raum lag.
Die Nervosität war zum Greifen spürbar, die Luft schien förmlich zu knistern.
Alle Piloten der Roten Staffel wussten, dass die Schlacht um Masters unmittelbar bevorstand. Auch wenn die meisten Piloten der Red Sun Spirit nicht aus dem Sterntor-System stammten, geschweige denn je im Belt gewesen waren, brannten sie doch alle darauf den Eindringling endlich zu stoppen. Wenn kriegswichtige Fabriken brannten und Bürger der FTR starben, liess das niemanden kalt. Nichtmal diejenigen die einen möglichst gleichgültigen Eindruck hinterlassen wollten, so wie Cartmell. Er hasste die Akarii zwar nicht so wie vielleicht einige andere Piloten. Aber er empfand starke Wut darüber, dass sie hier nach Sterntor gekommen waren und den Krieg auf das Territorium der FRT getragen hatten. Und noch mehr, da sie das Leben seiner neuen Familie bedrohten. Die DEEP HOLLOW befand sich zwar auf dem Weg von Masters zurück nach Seafort und damit erstmal raus aus der unmittelbaren Bedrohung. Aber da waren ja auch noch Ian, Cliff und Jean, um die er sich Sorgen machen musste. Und da war sie wieder, seine Nervosität nahm besonders zu sobald er an die kleine Davis dachte.
Er verdrängte seine Gedanken an seine neue Flamme und dachte wieder an die Flotte, die auf dem Weg war den akariischen Agressor zu stellen, der seit Tagen den Sterntor-Belt verwüstete.
Es war zwar nur noch eine Frage der Zeit, bis sie die Akarii erreichen würden, aber vielen dauerte es immer noch viel zu lange und genau darin lag das Problem, dachte Stuntman.
Wer Zeit hatte, dachte nach.
Und wer nachdachte, begann sich Sorgen zu machen.
Und wer sich Sorgen machte, wurde nervös.
Und wer nervös wurde, bekam schnell Panik.
Und wer mit Panik flog, überlebte in der Regel nicht lang.
Stuntman und die drei erfahreneren Piloten der Roten Staffel – Titan, Artist und Too-Tall – saßen bzw. lümmelten sich in den hinteren Plätzen und waren von ihrer Körpersprache her etwas ruhiger und abgeklärter als die anderen im Raum. Ihre Anspannung glich eher dem Lampenfieber eines erfahrenen Bühnenstars vor seinem hundertsten Auftritt.
Petal und Tulip hatten sich hingegen in eine andere Ecke des Raumes verzogen und tuschelten still vor sich hin. Dass die beiden seit Karrashin sehr viel Zeit miteinander verbrachten, wussten alle Staffelmitglieder. Dass die beiden mittlerweile ein Liebespaar geworden waren, war da eher eine Vermutung, die Stuntman hegte. Dass Beziehungen an Bord eines TSN-Schiffes aufgrund der potenziellen Probleme offiziell untersagt waren, war allen klar. Und wenn es eine Beziehung zwischen Mitgliedern derselben Abteilung oder Einheit war, dann wurde das noch komplizierter.
Die anderen der Staffel schienen es entweder noch nicht bemerkt zu haben, oder sie hatten es bislang ignoriert. Oder vielleicht hatten sie auch entschieden, bewußt nichts zu sagen, denn zum einen standen sie kurz vor einer womöglich kriegsentscheidenden Schlacht, und zum zweiten war es zwischen Petal und Tulip erst in den letzten Tagen wirklich Ernst geworden.
Oder sie dachten alle wie Donovan: Soll sich doch der CO oder die XO darum kümmern. Doch es würde Donovan nicht wundern, wenn weder Lone Wolf noch Mantis etwas davon mitgekriegt hätten. Ersterer weil er im Moment andere Sorgen und Aufgaben hatte. Und seine Stellvertreterin ohnehin nicht, da sie die Empathiefähigkeiten einer toten Ratte hatte.
Ausserdem wollte Donovan auch nicht mit Steinen werfen solange er im Glashaus saß, denn schliesslich war er auch gerade daran sich Hals über Kopf in Jean zu verlieben, die auch auf demselben Schiff ihren Dienst tat.
Die vier unerfahrenen Zugänge der Roten Staffel – Arrow, Dog, The Kid und Sonnyboy – standen in der ersten Reihe und versuchten erst gar nicht ihre Nervosität zu unterdrücken. Sie wippten nervös von einem Bein auf das andere, diskutierten und schnatterten über alles Mögliche, von der Strategie über den Zustand der Jäger, von der besten Kampftaktik, dem Essen bis hin zur Bemalung der Jäger.
Selbst Arrow, der bislang eine provozierend aufreizende Selbstsicherheit an den Tag gelegt hatte, zeigte sehr deutliche Zeichen der Nervosität.
Die älteren Piloten tauschten Blicke untereinander und rollten ab und an genervt mit den Augen, doch liessen sie die Jungspunde gewähren.
Im Moment sprachen die Piloten über die bevorstehende Schlacht und Stuntman hörte Dog sagen: „Naja, ich bin ja schon froh, dass ich zumindest schon ein paar Einsätze mit der Nimitz auf dem Buckel habe. Das wird dreckig werden, richtig blutig und ihr drei solltet euch echt vorsehen.“
„Was willst Du denn damit sagen?“ The Kid war deutlich anzusehen, dass er so langsam sauer wurde.
„Na gut, du bist wenigstens schon seit einem Jahr von der Akademie runter, aber unsere beiden Greenhorns hier sind ja absolute Jungfrauen.“
„Hey, Dog, reiss dich zusammen.“ Titans Einspruch war nicht wirklich vehement.
„Was denn, glaubt ihr, die Akarii werden etwa beeindruckt von Arrows Eliteschulenabschlüsse sein?“ Arrow blickte Dog böse an, doch dieser war wohl gerade in Fahrt gekommen.
„Naja, immerhin bist du nicht so schlimm dran wie Sonnyboy hier, der gleich von Lone Wolf abgeschoben worden ist. Wahrscheinlich warst du ihm nicht gut genug, Sonnenschein…“
Raumkampfpiloten waren harte Hunde, zumindest standen sie in einem dementsprechenden Ruf. Wenn einer mal etwas sensibler war, dann zeigte er es nicht oder zumindest nicht gegenüber seinen Kameraden.
Doch Sonnyboy war kein harter Hund. Im Gegenteil, er war äußerst sensibel, was ihn auch recht beliebt machte. Dogs Kommentar hatte ihn tief getroffen und man konnte sehen, wie er sich bemühte, aber er konnte es nicht verhindern: Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Er sagte kein Wort, brauchte er auch nicht. Auch so konnten alle sehen, dass Dog einen wunden Nerv getroffen haben musste. The Kid blickte betreten zu Boden, Arrow schaltete auch nicht schnell genug um zu reagieren, denn ihm war ein Verhalten wie es Sonnyboy an den Tag legte absolut fremd.
Dog selbst erkannte, dass er zu heftig gegenüber dem Jungspund gewesen war, aber er war jetzt zu stolz um das Gesagte zurück zu nehmen.
Donovan, Titan, Artist und Too-Tall blickten sich alle vier an. Dieser Disput war nun beileibe nichts, was die Staffel gebrauchen konnte. Weder dass der Streit eventuell eskalierte, noch dass Sonnyboy noch weitere Selbstzweifel bekam.
„Jemand sollte mal da rüber gehen und den Kindergarten wieder beruhigen, oder?“ fragte Artist so leise, dass nur die drei anderen erfahrenen Piloten sie hören konnten.
„Na dann mach doch!“ brummte Too-Tall.
Titan sagte nichts, sondern machte ein Handzeichen in Richtung Donovan, dass er hinüber gehen sollte.
„Na und warum ICH?“
„Weil sie an dir einen Narren gefressen zu haben scheinen, vor allem Dog und The Kid.“
„Titan, du bist Sektionschefin und die Nummer Drei solange Lone Wolf und Mantis nicht da sind, also solltest du hingehen.“
Titan dachte einen kurzen Augenblick nach und nickte. „Ja, du hast Recht, Stuntman.“ Ein raubtierhaftes Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. „Ich bin die Nummer Drei solange die anderen beiden nicht da sind. Und als Nummer Drei befehle ich dir, dort rüber zu gehen und den Streit zu schlichten.“
Artist und Too-Tall grinsten breit, während Donovan gespielt stöhnte und die Augen verdrehte. „Na gut, na gut. Dann werde ich mich mal um den Kindergarten kümmern. Aber dafür schuldest du mir einen Drink, Titan!“
Ein kurzes Blitzen zuckte um Titans Augen, doch dann entschloss sie sich zu einem knappen Lächeln und Nicken.
„Ich hab mich immer noch nicht entscheiden können, ob ich dich leiden kann oder nicht, Stuntman. Aber wenn wir beide diese Schlacht überleben sollten, testen wir das mal über ein paar Drinks aus. Und jetzt beweg deinen Arsch darüber.“
„Na wenn das mal nicht eine motivierende Ansprache war. Selten einen so großen Anreiz gehabt, meinen Arsch nicht abschiessen zu lassen…“ grummelte Stuntman scherzhaft und ging zu den vier Neuzugängen hinüber.
Als Donovan zu den vier Neuzugängen hinüber schlenderte, lehnte Sonnyboy mit dem Rücken an der Wand des Besprechungsraumes, den Kopf gesenkt. The Kid und Arrow standen mit verschränkten Armen vor Dog, der eine Unschuldsmiene aufgesetzt hatte.
„Jungs, Jungs, Jungs, warum hebt ihr euch das Kämpfen nicht für die Akarii auf, hm?“
„Würden wir ja gerne, Stuntman, wenn es denn endlich losgehen würde.“
„Kai, ich denke eine Entschuldigung an deinen Kameraden hier wäre angebracht, oder?“
Dog wippte ungemütlich von einem Bein auf das andere. „Jaaa, na gut. `Tschulligung.“ Richtig überzeugend klang das nicht, doch trotzdem schüttelte Sonnyboy die ihm ausgestreckte Hand.
„Übrigens ist Sonnyboy von Lone Wolf nicht abgeschoben worden, sondern wurde von unserem Staffel-CO bewußt Mantis zugeordnet.“
„Ach echt? Und warum?“
„Na, das liegt doch auf der Hand, oder? Sonnyboy pflegt einen eher defensiven Flugstil, genau wie Mantis. Und unser Cowboy hier ist ein echter Hotshot, so einer wie Lone Wolf selber mal war und auch immer noch ist. Aggressiver Stil, viel Risiko aber auch viel Erfolg.“
Cartmell hatte eigentlich keine Ahnung, warum Cunningham den jungen Burschen an Mantis abgeschoben hatte. Aber seine Spekulationen schienen glaubwürdig rüber zu kommen, denn Sonnyboy nickte leicht und gleichzeitig grinste The Kid von einem Ohr zum anderen.
„He, an deiner Stelle würde ich nicht so breit grinsen, Kid. Du wirst verteufelt gut fliegen müssen um an Lone Wolf dran bleiben zu können. Und ob du deinen risikoreichen Stil überleben wirst, wird sich noch zeigen. Bis dahin tätest du gut daran, deinen Windleader zu schützen so gut du kannst. Und nicht dein eigenes Ding zu machen um dann abgeschossen zu werden.“
„So wie Du, Donovan, oder?“ schallte es vom anderen Ende des Raumes hinüber.
„Ja, Too-Tall, danke für die Erinnerung…“ Der alte No-Name wäre aufgrund dieser frechen Bemerkung an die Decke gegangen und hätte versucht Too-Tall eine zu knallen, um sich dabei höchstwahrscheinlich eine blutige Nase gegen den Riesen zu holen. Der neue Stuntman lächelte aber nur milde. „Damals war ich voller Tatendrang und leichtsinnig. Sie haben mich erwischt weil ich eben nicht auf meinen Wingleader gehört habe.“
Donovan blickte in die jungen Gesichter vor ihm, voller Bangen und Sorge, und konnte es nicht fassen. Er fühlte sich doch tatsächlich für diesen Haufen verantwortlich. Und da kam ihm eine Idee.
„Ok, jetzt hört ihr mir mal zu. Nach der Einsatzbesprechung werdet ihr euch alle vier zum Raum 2-6578 begeben. Das ist ein Befehl, verstanden?“
„Und was sollen wir da?“
„Das werdet ihr schon sehen. Vertraut mir einfach, o.k.?“ Stuntmans Augenzwinkern wurde zwar mit Skepsis begegnet, doch bevor noch weitere Fragen kommen konnten, traten Lone Wolf und Mantis in den Raum.
Als Donovan an seinen Platz zurückkehrte fragte Titan flüsternd. „Was hast du mit ihnen vor?“
„Du hast gesagt, ich soll mich um sie kümmern. Also werde ich das tun.“ Titan hob fragend die Augenbrauen. Doch Donovan schüttelte lächelnd den Kopf. „Wenn du wissen willst, was ich vorhabe, dann musst Du wohl auch kommen.“
***
Eine knappe Stunde später stand Donovan im Raum 2-6578, einem der Sporträume an Bord der Columbia. Der 10 mal 10 Meter große Raum wurde als Dojo genutzt, wobei sich je nach Schiffszeit Anhänger unterschiedlicher Kampfsportarten wie Karate, Judo, Taek-Wan-Do, Caipoiera und Jiu-Jitsu den Raum in einem unterschiedlichen Turnus teilten.
Donovan nutzte den Raum aber zusammen mit ein paar Kameraden für eine andere Sportart: Kendo.
Daher stand er nun in voller Ausrüstung, dem Bogu, vor den vier Neulingen der Roten Staffel, den Helm in einer Armbeuge und den Shinai, den großen Schlagstock, in der anderen Hand.
Neben ihm stand ein weiterer Pilot der Angry Angels, aber da dieser nicht allen Rookies bekannt war, stellte Donovan ihn noch einmal vor.
„Also, das hier ist First Lieutenant Garreth Kyle, Callsign Crusader, von den Butcher Bears. Er hat sich bereit erklärt, mich dabei zu unterstützen euch in die Faszination des Kendo einzuweisen. Danke, Garry, dass Du gekommen bist!“
„Gern geschehen, Donovan. Die Aussicht, dir eine Tracht Prügel verpassen zu können, lasse ich mir doch nicht entgehen. Erst recht nicht am Vorabend einer Schlacht.“ Crusader verbeugte sich ganz leicht und schmunzelnd in Richtung Stuntman.
„Haha, sehr witzig. Vielleicht ist es dir entgangen, aber ich habe ein paar Neulinge aus meiner Staffel mitgebracht und will vor Ihnen nicht das Gesicht verlieren. Ich werde also besonders motiviert sein.“
„Hmmm, schon klar. Willst du sabbeln oder kämpfen?“
„Wie ihr seht ist Kendo vor allem geprägt von gegenseitigem Respekt für die Fähigkeiten des Gegenübers.“ Die anderen Piloten der Roten Staffel lachten leise auf. „Wir überspringen für heute mal die Seiza, die traditionelle Sitzmeditation mit der jedes Kendo-Training eigentlich beginnt und auch wieder endet. Stattdessen werden wir direkt zum Kern des Kendo kommen um euch mal zu demonstrieren, wozu euch ein regelmäßiges Training später einmal befähigen kann.“
Donovan nickte Crusader zu und beide Kontrahenten setzten ihre Masken auf, verbeugten sich vor einander und nahmen die Grundstellung ein. Einen Augenblick fokussierten sie sich und gingen dann fast ansatzlos mit schrillen Schreien in den Angriff über. Die beiden Kendoka bewegten sich trotz des Körperpanzers geschmeidig, blitzschnell sausten die Shinai aufeinander, laut krachend wurden einige Hiebe geblockt und pariert bis schliesslich Crusader mit einem lauten „KOTE!“ einen Treffer auf Stuntmans Brust erzielte.
„Holy Shit…“ entfuhr es The Kid.
“Wenn du denkst, das war schnell, solltest du erstmal Kano sehen…” sagte Donovans gedämpfte Stimme durch die Maske, ehe er wieder in die Grundstellung ging, scheinbar ungerührt durch den Treffer, den er kassiert hatte.
Wieder war es einen Augenblick still ehe sich die beiden Gegner mit lauten Tönen angriffen. Crusader war erneut einen Hauch schneller und verzeichnete wieder einen Treffer. Danach war es allerdings Stuntman der KOTE! brüllen durfte. Nach dem sechsten Angriff beendeten die beiden ihren kurzen Kampf beim Stand von 4 zu 2 für Crusader und verneigten sich wieder voreinander.
Donovan nahm die Maske ab. „Gut und jetzt seid ihr dran. Wer will es mal versuchen?“
„Sieht doch einfach aus, Sir.“ Donovan lächelte milde und winkte Arrow nach vorne.
„Warum bloss war mir schon vorher klar, dass Du das sagen würdest, Gant?“
Diesmal gingen Stuntman und Arrow in Grundstellung. Arrow wartete einen kurzen Augenblick und ging dann ungestüm in den Angriff über. Mühelos blockte Donovan den Angriff ab und ging in einer einzigen fliessenden Bewegung in den Gegenangriff über. Noch bevor Arrow überhaupt seinen vom Gegenblock zitternden Shinai wieder nach oben gezogen hatte, krachte Stuntmans Waffe schon in die Seite des ungeübten Kendoka. Das laute KOTE! unterstrich dabei die Wucht des Treffers, der Arrow zu Seite taumeln ließ.
Dessen spontanes und lautes „Aua!“ ging fast im Gelächter der Anwesenden unter. „Das tut ja weh!?“
Donovan lächelte milde. „Nur wenn man sich nicht geistig schon auf den Aufprall vorbereitet und seinen Körper entsprechend anspannt.“
„Sie bereiten sich darauf vor, getroffen zu werden?“
„Ja, es ist fast wie beim Raumkampf. Ungetroffen kommt man nie aus einer Schlacht zurück. Die Kunst liegt darin immer einmal häufiger auszuteilen als einzustecken.“
Donovan ging wieder in Grundstellung, was Arrow ihm nachmachte, wenn auch diesmal mit deutlich höherem Respekt.
Dieses Mal ging Donovan als Erster in den Angriff. Und obwohl Arrow versuchte den Hieb zu blockieren und auszuweichen, wurde er sofort getroffen.
Donovan trat zurück, verneigte sich vor Arrow und nahm seine Maske ab. „Danke, Arrow, wie du siehst ist das Kendofechten doch nicht so einfach, wie es aussehen mag. Ihr werdet merken, dass es nicht nur körperlich anstrengend ist. Es stählt auch euren Geist, es schärft eure Sinne, schult eure Reflexe und es wird euch helfen, euren Körper besser zu verstehen und einzusetzen. Aber das soll erstmal genug für dich sein, Arrow. Gehe bitte hinüber zu Crusader, er wird dir ein paar Grundübungen zeigen, die ihr erst einmal lernen und beherrschen müsst, ehe wir euch auf einander loslassen können. Ich nehme mir inzwischen den Nächsten vor.“
***
Eine knappe Stunde später schwitzten die vier Rookies mittlerweile deutlich und zeigten schon erste Zeichen der Erschöpfung. Im Angesicht der nahen Schlacht wollte Donovan die vier auch nicht über Gebühr beanspruchen. Er hatte ohnehin schon erreicht was er wollte: Die vier hatten etwas Dampf ablassen können und waren zumindest ein klein wenig abgelenkt worden. Wahrscheinlich würden sie angenehm erschöpft in ihre Kojen fallen und morgen frisch ausgeruht in den Kampf ziehen können.
Mit einem knappen Kopfnicken verständigten sich Stuntman und Crusader, dass sie die Übung nun doch beendeten und Crusader zeigte den vieren nun doch den Seiza, die Meditationsübung mit der jede Kendoeinheit begonnen und beendet wurde.
„Und wann kämpfen wir mal gegeneinander?“ warf The Kid ein und die anderen drei nickten, offenbar willens ihr frisch erworbenes Wissen gleich in der Tat umzusetzen.
„Das nächste Mal! Wenn ihr den morgigen Tag überlebt.“
„O Mann, bitte…!“ Sonnyboy setzte seinen besten Dackelblick auf und auch Crusader musste grinsen.
„Na gut, eine schnelle Runde, Mann gegen Mann, Best of Seven.“ Crusader stellte The Kid und Arrow voreinander auf und Dog und Sonnyboy stellten das zweite Doppel dar. Donovan wollte aufgrund des verbalen Scharmützels zwischen den beiden letzteren Piloten schon vorschlagen, dass lieber eine andere Paarung gewählt werden sollte. Aber dann sah er das Blitzen in Sonnyboys Augen und entschied, dass es vielleicht ganz gut war, wenn der schüchterne junge Pilot eine Gelegenheit bekommen würde, sich für die Stichelei von vorher zu revanchieren.
Die vier Piloten stellten sich gegenüber und begannen mit ihren Kämpfen. Und tatsächlich stellte sich Sonnyboy besonders gut an. Er war hochmotiviert, bewegte sich durchaus geschmeidig und schnell und schlug Dog am Ende mit 4-2 bei diesem kurzen Kampf. Im anderen Kampf hatte Arrow mit The Kid ähnlich wenig Mühe und gewann sogar 4-1.
Natürlich mussten die beiden dann auch noch ein Finale ausfechten, welches diesmal Arrow knapp mit 4-3 für sich entscheiden konnte. Doch es war trotzdem sehr wohl zu sehen, dass Sonnyboy eine ordentliche Portion Selbstbewußstein aufgeladen hatte.
Als die vier Piloten zu den Duschen und Umkleidekabinen gingen, scherzten und flachsten sie miteinander als ob sie nicht in Kürze in einen mörderischen Kampf sondern zu einem spaßigen Picknick aufbrechen würden.
Crusader und Stuntman blickten den vieren zufrieden nach. „Vielen Dank, Garry! Du hast einen bei mir gut.“
Crusader schüttelte den Kopf. „Keine Ursache, Donovan. Es hat Spaß gemacht und tut unserer kleinen Kendotruppe vielleicht auch gut, wenn wir mal wieder etwas frisches Blut reinbekommen.“ Crusaders Blick glitt in Richtung Tür des Dojo, die in Donovans Rücken lag. „Scheint so, als würde sich noch jemand für Kendo interessieren.“
Donovan drehte sich um und erkannte Titan, die die Arme vor der Brust verschränkt hatte und lässig gegen den Türrahmen gelehnt war. „Nein, das ist Titan, neue Sektionsführerin bei den Roten. Sie spielt sich als Nr. 3 auf und schaut nur, dass ich ihren Schäfchen kein Leid zufüge“ flüsterte Donovan, damit es Titan nicht hören konnte.
„Verstehe, das heisst sie hat den Job, den eigentlich du haben solltest?“
„Ja, mein Freund, streu noch ein wenig Salz in die Wunde…“
„Gerne doch.“ grinste Crusader und wurde dann schlagartig Ernst. „Viel Glück morgen, Donovan. Passt auf euch auf.“
„Ihr auch, Garry. Grüß Kano von mir und ich sehe euch nach der Schlacht!“
Dann schlenderte Donovan – immer noch in voller Rüstung – in Richtung Titan während Crusader auch zur Dusche ging.
„Hallo, Titan, wie lange stehst du schon hier?“
„Lange genug um zu sehen, dass du es tatsächlich geschafft hast, diese vier Hitzköpfe auf andere Gedanken zu bringen. Respekt!“
Donovan musste breit lächeln, bei diesem Lob von Titan, die bislang immer sehr abweisend, ja fast schon feindselig ihm gegenüber gewesen war. Wie es schien hatte er also mit dieser Session vielleicht mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er hatte die vier Rookies seiner Staffel zumindest für einen kurzen Augenblick von der bevorstehenden Schlacht abgelenkt. Und vielleicht hatte er den Kendo-Kreis an Bord der Columbia erweitert.
Und der Miene Titans nach zu urteilen, hatte er sich mit dieser Aktion zumindest ihren Respekt erworben. Und das war deutlich mehr als der alte Noname je zustande gebracht hatte.
Er grinste immer noch breit als er fragte. „Na, willst du es auch mal versuchen?“
Abwehrend hob sie die Hände. „Dir eine Chance geben mich mit diesem Stock da zu verdreschen, vergiss es!“
„Es hilft aber sich abzulenken und Aggressionen abzulassen.“
Titan nickte. „Ja, so sieht es aus. Aber da bevorzuge ich entweder einen guten Faustkampf oder eine gute Runde wilden Sex!“
Unwillkürlich riss Donovan die Augen auf und Titan lachte laut auf, offenbar hatte sie genau diese Reaktion provozieren wollen. „Das war kein Angebot, Soldat.“
Ihr Tonfall war von gespielter Strenge, aber sie zwinkerte ihm zu als sie den Dojo verließ.
„Was habe ich da von wildem Sex gehört?“
Erschrocken zuckte Donovan zusammen und wirbelte herum. Hinter ihm stand Jean Davis und funkelte ihn lächelnd aber mit gerunzelter Stirn an. „Was…? Jean, was machst du denn hier? Ähh, das da eben, das war nichts weiter.“ stammelte Donovan ungeschickterweise „Nur ein bisschen Gefrotzel unter Kollegen?“
Jean stemmte die Hände in die Hüften. „Na, das will ich dir auch geraten haben.“
Donovan erwiderte ihr Lächeln, runzelte dann aber seinerseits die Stirn. „Halt, warte mal, bist du etwa eifersüchtig?“
„Ich? Ach was, ich doch nicht.“ Jetzt wurde Jean ein wenig rot und beide blickten sich einen Augenblick tief in die Augen. Donovan unterbrach den Moment als Erster.
„Ähm, was machst du eigentlich hier?“
„Naja, ich dachte, ich schau mal nach dir, bevor wir… na du weisst schon…“
„Bevor wir in die Schlacht ziehen…?“
Jean atmete tief durch, blickte zu Boden und nickte zaghaft.
Donovan verstand. Natürlich war sie besorgt und beunruhigt, Donovan war das auch. Um sein eigenes Leben zu kämpfen war schon schlimm genug. Wenn man sich dann auch noch Sorgen um Freunde und Geliebte machen musste, war dies umso schlimmer.
„Gut, ich gehe kurz duschen und wir treffen uns dann wieder, o.k.?“
Jean lächelte und nickte.
***
Kurz darauf schlenderten die beiden ganz langsam durch die Gänge der Columbia, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Sie wollten einfach noch ein wenig Zeit miteinander vor der Schlacht verbringen. Dass Jean ihn noch vor der Schlacht gesucht und gefunden hatte, war für Donovan ein gutes Zeichen. Es zeigte ihm, dass sie wirklich Interesse an ihm hatte und das war für ihn in vielerlei Hinsicht aufregend.
Jeans reine Anwesenheit war schon mit dem wohligen Gefühl des frischen Verliebtseins verbunden. Und natürlich dachte er auch an sein eigenes Schicksal in dem bevorstehenden Raumkampf, aber nun mischte sich auch noch die Sorge um Jean dazu.
Sie schlenderten nebeneinander her, alberten ein wenig herum und doch war beiden bewusst, dass der Moment des Abschieds unweigerlich kommen musste.
Und wer konnte schon sagen, was die nächste Schlacht ihnen bringen würde. Sie versuchten den Augenblick so lange es ging hinaus zu zögern, aber dann war der Moment endgültig gekommen. Donovan musste zurück zu seiner Einheit und hatte Jean bis kurz vor ihre Unterkünfte gebracht. Nun war es an der Zeit Abschied zu nehmen.
Mit wildem Herzklopfen blickten sie sich beide tief in die Augen und nahmen törichterweise nicht einmal wahr, wer so alles an Ihnen vorbei ging.
„Na dann…“ begann Donovan.
„Ja, also…“ antwortete Jean.
Donovan reichte ihr dämlicherweise die Hand mit einem „Viel Glück.“ und wäre am liebsten gleich im Erdboden verschwunden.
Jean blickte erst auch seine Hand amüsiert an, dann ergriff sie sie, zog ihn an sich und umarmte ihn, wenn auch ein wenig ungelenk.
Donovan erwiderte die Umarmung, löste sich ein kleines bisschen von ihr und war nun ganz, ganz nah an ihrem Gesicht. Er konnte den süsslichen Geruch ihrer Haut wahrnehmen und es schoss ihm durch den Kopf sie zu küssen.
Auch Jean schien daran zu denken und beugte sich ganz langsam näher an ihn heran.
Er zögerte einen Augenblick.
Und wie es sich zeigte einen Augenblick zu lang. Um die Ecke kamen vier Marines aus Jeans Zug und begrüßten sie sofort mit einem lauten „Staff Sergeant!“, so dass sich Jean hektisch von ihm löste und eher peinlich betreten und mit einer verzerrten Miene den Salut ihrer Kameraden erwiderte.
Donovan hätte sich am liebsten in den Hintern getreten bei dieser verpassten Chance, doch jetzt war der günstige Augenblick verflogen, und da sie immer noch in einem belebten Gang der Columbia standen, war auch nicht mehr damit zu rechnen, dass die Gelegenheit so bald wieder kommen würde.
Also würde er sich noch gedulden müssen, aber er war sich sicher, dass das Warten sich lohnen würde.
Jean war es schliesslich, die das etwas unbehagliche Schweigen zwischen Ihnen endlich beendete.
„Pass auf dich auf und komm heil zurück, hörst du? Und nicht wieder so einen Stunt abziehen, verstanden? Und pass auch auf Ace auf, wenn Du kannst?“
„Soll ich auch noch ein Geschenk mitbringen?“
„Ja, warum nicht? Ich finde das sollte ich dir wert sein.“
„Das bist du. Pass auf die Columbia auf, o.k.?“
„Du kannst dich auf die Marines verlassen, Soldat!“
Donovan und Jean lachten beide und sie gaben sich einen flüchtigen, keuschen Kuss auf die Wangen, bevor sie sich endgültig voneinander trennten.
Das erste Mal in seinem Leben war Donovan sich vor einer Schlacht sicher, wofür es sich lohnte zu kämpfen und zurück zu kommen.
Er konnte noch nicht wissen, dass er diesem verpassten Kuss, dieser verpassten Gelegenheit noch lange nachtrauern würde.
Cattaneo
Cunningham
Hilmi Özkök Airbase
Masters, Sterntor
„Also Franky, rückt das alte Schlachtross die Tanker nun raus oder nicht?“
Major Franciska Hellender blickte zu ihrem Vorgesetzen auf. Eigentlich musste der Colonel es besser wissen: „Tut mir leid Boss, aber ich komme nicht mal bis zum General durch. Mich wundert es tatsächlich, dass es noch solch verbissene Muslime gibt, und wie so jemand in den Rang eines Brigadegenerals kommen kann.“
Richard Thundercloud grinste, er selbst war sehr traditionell erzogen worden und hatte von daher in der Kinderstube auch ein klares Rollenbild vermittelt bekommen, welches erst seine Schwester wirklich hatte brechen können, nachdem er sich mit seiner Einstellung selbst bei den Marines fast den Schädel eingeschlagen hatte. Letztlich der Grund, warum er trotz seines Alters erst vor kurzem Voll-Colonel geworden war und auf einem Abstellposten ein Geschwader befehligte: „Der General ist nur wütend, dass dieser Krieg erst begonnen hat, nachdem man ihn aus den regulären Streitkräften entlassen hat und er jetzt bei der Nationalgarde einen Schreibtisch pilotiert, und natürlich, dass er vor einer Frau salutieren muss.“
„Sag ich doch, rückständiger Barbar! Man sollte meinen, solche Leute wären mit dem Beginn der modernen Raumfahrt ausgestorben.“, ereiferte sich Hellender. Der Grund, warum die junge und äußerst talentierte Operationsoffizierin und Pilotin im 45. Marines Fighter Wing Dienst tat, statt in einer Fronteinheit, war dass sie nicht wusste, wann sie die Klappe zu halten hatte.
„Dann werde ich den General wohl selbst anrufen müssen. Sehen Sie nur zu, dass in zwei Stunden alle Staffelführer zur Einsatzbesprechung da sind.“
„Aye-aye, Sir!“
Thundercloud ging in sein Büro und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er warf einen kurzen Blick auf das Foto seiner Schwester an der Wand. Ein schlichtes Foto einer schönen Frau in Uniform der Navy. Darunter die Palamentary Medal of Valor, die er postum für sie in Empfang genommen hatte. Seine Schwester, eine Reaktoringenieurin, hatte sich diesen Orden verdient, indem sie so lange die Explosion ihres Schiffes verhindert hatte bis fast die ganze Crew von Bord gekommen war. Und er als Jagdpilot und Frontkämpfer, was konnte er vorweisen? Einen polierten Schreibtisch und fast zehntausend Flugstunden.
Seufzend aktivierte er das Com-Terminal: „Sergeant, verbinden Sie mich bitte mit Brigadegeneral Obary von der National Air Guard.“
„Zu Befehl, Sir.“
Es dauerte fast fünfzehn Minuten, bis er endlich Obarys Adjutant, einen schneidigen, jungen Major mit silbernen Pilotenschwingen und jeder Menge Gehänge auf der breiten Brust, eins für jede Cocktailparty, am Com hatte.
„Colonel Thundercloud, es tut mir leid, aber der General ist verhindert.“
„Bitte Ibrahim, sagen Sie ihrem Onkel, es ist sehr dringend und es geht um die planetare Sicherheit! Ich weiß, dass Sie ihn kontaktieren können.“
Der Major der National Air Guard zuckte mit keiner Miene: „Der General ist gerade mit der planetaren Sicherheit beschäftigt.“
„Wunderbar, dann wird er mich ja sicher sprechen wollen.“, Thundercloud überging die Respektlosigkeit des Jüngeren und setzte sein eigenes Sonntagslächeln auf.
Das Lächeln mit dem Ibrahim Obary antwortete, ließ sich bestenfalls mit frostig beschreiben: „Ich werden sehen, was ich tun kann.“
Mit einem Mal war Thunderclouds Freundlichkeit wie weggewischt: „Nein, MAJOR, ich sage es Ihnen jetzt zum ersten und allerletzten Mal: Sie werden mich augenblicklich mit Ihrem kommandierenden Offizier verbinden! Als rangältester Offizier des Terran Republic Marine Corps auf diesem Planeten bin ich jemand den man als Kommandeur einer Teilstreitkraft ansehen kann, und als solcher verlange ich augenblicklich den Kommandeur der Luftwaffe der Nationalgarde des Planeten Masters zu sprechen! Sofort! Und sollten Sie es noch einmal wagen, mir den mir durch meinen Rang zustehenden Respekt zu verweigern, werde ich dafür sorgen, dass Sie auf meinen Stützpunkt versetzt werden! Dann, MAJOR, werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass Ihnen das Wasser im Arsche kocht! Bin ich verstanden worden?“
Der Neffe des Generals setzte zweimal zum Sprechen an, ehe er Worte fand: „Ich … äh, ich stelle Sie durch, Colonel…, Sir!“
,Hugh, ich habe gesprochen‘, dachte Richard „Tomahawk“ Thundercloud bei sich. Wohl wissend, dass er sehr dick aufgetragen hatte und seine Drohung im Zweifelsfall sicherlich nicht durchgesetzt bekam.
Kurze Zeit später erschien ein reichlich amüsierter Brigadegeneral Ahmed Obary, der mahnend einen Finger erhob: „Colonel Thundercloud, Sie haben meinen Neffen ja ganz schön aufgeregt.“
„Es tut mir ausgesprochen leid, Sir, zu solchen Mitteln greifen zu müssen, aber ich musste unbedingt mit Ihnen sprechen.“
„Wie Sie sicher wissen, ist im Moment meine Zeit begrenzt. Ich muss meine Raumjagdstaffeln und meine atmosphärischen Kampfeinheiten auf den Kampf gegen die Akarii vorbereiten.“
„Soweit ich die Einsatzbereitschaft Ihrer Staffeln einschätzen kann, sollten die Vorbereitungen keinerlei Schwierigkeiten machen, Sir. Aber warum ich anrufe, ich habe meine Einsatzorder bekommen und möchte Sie um Ihre Tankfähren bitten.“
Der freundliche Smalltalk war sofort Geschichte: „Ich glaube nicht, dass ich irgendwelches Gerät im Moment entbehren kann, Colonel.“
„Sir, wenn wir Ihre vier Raumfähren bekommen könnten, kann fast mein ganzes Geschwader an dem Einsatz teilnehmen.“
„Colonel, mal abgesehen davon, dass ich von Ihnen nur Schrott bekommen habe als sie ihre alten Tankfähren ausmusterten und ich nur drei einsatzbereite raumfähige Tanker habe, ich habe für so etwas keine Zeit, und wenn die Akarii hier ankommen werde ich all meine Tanker brauchen.“
,Ach, als ob mein Gerät wirklich besser wäre‘, dachte Thundercloud bei sich: „Sir, es ist essenziell für den Erfolg meiner Mission, dass ich so viele Jäger wie möglich ins Gefecht führen kann, ebenso für das Überleben meiner Einheit.“
Obary lächelte verständnisvoll: „Colonel, Sie brauchen sich hier nicht erniedrigen, mir sind ihre Bedürfnis voll und ganz bewusst, doch darf ich die Einsatzbereitschaft meiner eigenen Staffeln dafür nicht vernachlässigen.“
„Und wenn ich Ihnen im Gegenzug helfe, ihre Einsatzbereitschaft zu verbessern, Sir?“
„Nun, da frage ich mich, wie Sie das tun wollen, Colonel!“
Thundercloud beugte sich verschwörerisch vor: „Ich gebe Ihnen fünfzig AIM-23 Phönix Langstreckenraketen, wie maßgeschneidert für ihre beiden Phantomstafflen, Sir.“
„Wie Sie wissen, Colonel, sind meine Piloten an diesem Waffensystem nicht ausgebildet, es wäre doch etwas fahrlässig von mir, sie damit ins Gefecht zu schicken.“
,Oh, Du mieser Hund‘: „Dafür, dass Ihre Piloten nicht an diesen Waffensystem ausgebildet sind, Sir, haben sie die Navy im letzten Manöver ziemlich mit dessen Einsatz überrascht.“
Das Lächeln des Generals verwandelte sich in ein Grinsen: „Sie müssen nicht immer alles glauben, was Sie hören, Colonel, ah, sagen Sie, was machen Sie eigentlich mit so vielen Phönix, Sie haben doch keine Maschinen, die diese tragen können.“
„Flottenanweisung,“, Thundercloud spie das Wort förmlich aus, „alle Jagdbomberschwadronen sollen mit einem Bestand an Phönix-Raketen ausgerüstet werden, da die neuen Thunderbolts ja auch für Raumüberlegenheitseinsätze geeignet sind.“
„Sie haben doch gar keine Thunderbolts.“
„Tja, aber Jagdbomberstaffeln, die wohl innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre Thunderbolts zugeteilt bekommen, wenn die Flotte ihre neuen Spielzeuge gegen wieder neue Jabos austauscht, Sir.“
„Gut, Colonel,“, lachte Obary auf, „Sie bekommen meine raumfähigen Tanker, von einem Leidensgenossen zum anderen, wann liefern Sie mir die Phönix‘?“
„Sorry, General, Warenschulden sind Holschulden, ich habe leider keine Transportkapazitäten zur Verfügung, aber Sie können Ihre beiden Phantomstaffeln nach Özkök verlegen, wenn ich mit meinem Geschwader gestartet bin.“
„In Ordnung, Colonel, aber Sie schulden mir noch etwas und ehe ich es vergesse, gute Jagd.“
„Natürlich Sir, danke Sir.“
Obary beendete die Verbindung und Thundercloud blies die Luft aus und überlegte, ob es wohl besser wäre, nicht zurückzukommen, um den Schulden gegenüber dem Brigadegenerals zu entgehen.
Zwei Stunden später betrat Colonel Richard Thundercloud den Konferenzraum, wo sich seine sechs Staffelführer, sein eigener Staffel-XO, der Geschwader-ND, seine Operationsoffizierin und der Cheftechniker eingefunden hatten.
Franciska Hellender wirkte zwischen den ganzen altgedienten Offizieren, zwei Lieutenant Colonels und sechs weiteren Majoren, reichlich jung und verloren. Auch Gunnery Sergeant Joe Parker von der technischen Abteilung änderte das Bild ganz und gar nicht, war er mit seinen einundsechzig Jahren der älteste der Anwesenden.
Seine Offiziere waren in Gespräche verstrickt, und diejenigen die ihn bemerkten, machten sich nicht die Mühe ihn anzukündigen. Normalerweise hatte er kein Problem mit einer derartigen Disziplinlosigkeit, doch jetzt wo die Akarii im System waren, war es an der Zeit wieder Soldat zu sein oder zumindest so zu tun.
Er blieb an der Tür stehen und musterte die Versammlung.
Joe Parker blickte ihm drei oder vier Sekunden entgegen, dann erhob er sich: „Achtung!“
Es war kein lautes Brüllen, wie man es aus einem Kriegsepos kannte. Parker sprach es aus, wie er ‚guten Morgen‘ gesagt hätte. Dennoch verfehlte es seine Wirkung nicht, und die Offiziere von Thunderclouds Stab erhoben sich. Nicht zackig, wie sie es in ihren frühen und späten Zwanzigern gemacht hätten. Sie waren Veteranen des Dienstes, Reservisten die eingezogen worden waren, um die jüngeren Piloten für die Front freizustellen.
„Keine Umstände, Herrschaften,“, sagte Thundercloud, nicht ohne eine gewisse Häme, als er zu seinem Platz ging, „nehmen Sie doch wieder Platz.“
Rund um den Tisch wurden amüsiert die Köpfe geschüttelt.
„Also, was ist der Plan, Boss?“ Es war Lt. Colonel Eamon O’Keefey, Kommandeur einer Schwadron Mirage Jagdbomber und sein Geschwader-XO.
„Die Navy will die Akarii stellen, bevor diese Masters erreichen, und wir nehmen mit sechs unserer sieben Staffeln als Unterstützung an dem Gefecht Teil. Unsere beiden Jagdbomberstaffeln stehen fest, auch unsere beiden Typhoonstaffeln. Meine Griphens stehen ebenfalls fest. Bleibt nur noch die Entscheidung zwischen Rot und Gelb. Gunny, welche Staffel hat eine bessere Einsatzbereitschaft, was das Material anbelangt?“
Gunnery Sergeant Parker blickte kurz zwischen den beiden Staffelführern hin und her: „Die Maschinen von Gelb sind gerade erst durch einen Wartungsintervall durch. Abzüglich der einen Griphen, die ich aus dem Flugdienst nehmen musste, ist Staffel Gelb einsatzbereit.“
„In Ordnung,“, meinte Thundercloud und blickte den Staffelführer Rot an, „Sie werden leider hier blieben, Yuri, und ich werde Ihnen wohl noch den ein oder anderen Jäger klauen.“
„Nur unter Protest, Colonel.“
„Ich werde ihn im Logbuch vermerken, Major.“, dann wechselte der Colonel das Thema, „Franky, fangen Sie bitte mit der Einsatzbesprechung an.“
„Aye aye, Sir.“, Hellender erhob sich und aktivierte den Wandschirm, „Wir werden in etwa zwölf Stunden starten, dazu wird das Regionalkommando einige große Frachter auffahren lassen, in dessen Schatten wir den Planetenorbit verlassen werden. Die Frachter werden eine Absetzbewegung simulieren und uns etwa zwei Stunden lang begleiten, ehe sie nach Masters zurückkehren. Zu dem Zeitpunkt werden wir direkt auf die Kampfzone einschwenken und uns schnell nähern. Um unsere Stärke zu verschleiern werden die beiden Thyphoon- und Griphenstaffeln die einzelnen Wings in so enger Formation fliegen, dass der Feind zwei Maschinen für eine größere, schwerere halten muss. So werden die Echsen uns für vier Staffeln statt für sechs halten.“
Gemurmel kam auf. Selbst mit Computerunterstützung war es ein schweres Manöver so dicht beieinander zu fliegen.
„Der Skipper und ich gehen davon aus, dass jeder unserer Piloten genug Flugstunden auf den Buckel hat, diesen Stunt durchzuziehen.“
„Sie schmeicheln uns, Franky,“, merkte einer der Thypoon-Kommandanten an, „doch Sie wissen doch selbst, dass wir nur noch alte Schlachtrösser sind, Mädchen.“
Hellenders lächeln wurde frostig: „Vielleicht sollten wir dann ein paar Nationalgardisten bitten, uns Stützenhilfe zu geben.“
Der ältere Major schnaufte: „Wenn Sie mich bei den Eiern packen wollen, dafür bin ich zu alt.“
„Ich nicht, Leon,“, meldete sich seine Kameradin, die Kommandeurin der zweiten Typhoonstaffel zu Wort, „ich wette eine Kiste terranischen Whiskey, dass meine Leute das besser hin bekommen.“
„Zurück zum Thema!“ knurrte Thundercloud.
„Alle unsere Maschinen werden für den Jagdkampf bestückt werden,“, fuhr Hellender fort, „unser Job ist es Akarii zu grillen.
Dabei haben wir zwei Punkte auf der Habenseite: Erstens, die Echsen, mit denen wir es zu tun bekommen, sind auch nicht gerade das was man fronterfahren nennen kann. Zwar ist wohl Erfahrung gegen Bodenziele und planetare Jäger vorhanden, aber der letzte richtige Raumkampf sollte für die meisten schon etwas her sein.“
„So wie bei uns.“, knurrte O’Keefey.
„Der zweite Punkt ist, dass wenn wir eingreifen, die Echsen schon ziemlich ausgepumpt sein dürften, nachdem sie sich mit der Navy gebolzt haben. Und unsere Navy schickt nicht irgendwen ins Feld, es sind die berühmt-berüchtigten Angry Angels mit von der Party.“
„Wenn dann keine Frage mehr sind,“, warf Thundercloud ein, nachdem Schweigen eingekehrt war, „instruieren Sie ihre Piloten und sehen Sie zu, dass alle noch etwas Schlaf bekommen. Sie können wegtreten.
Ah, bevor ich es vergesse, Yuri, Sie dürften Besuch von den beiden Phantomstaffeln der Nationalgarde bekommen. Die haben Zugriff auf fünfzig unserer Phönix-Raketen, auf keine mehr. Als Tausch für ihre funktionsfähigen Tankfähren.“
„Warum haben Sie denen nicht gleich alle Phönix‘ gegeben, Sir?“
„Ach,“, meinte Thundercloud leichthin, „vielleicht brauch ich ja noch mal einen Gefallen von denen.“
Tatendrang, das beschrieb seinen Zustand jetzt am ehesten. Wie ein Rennpferd, welches zitternd in der Startbox stand und wusste, dass gleich der Startschuss erklang.
Solch ein Zustand war gefährlich, das wusste Lucas sehr wohl, junge Offiziere konnten ihn missverstehen und selbst nervös werden. Letztlich konnte er aber gegen diese freudige Erregung nicht ankämpfen. Daraus schöpfte er seine Kraft für die nächsten Stunden und betete inständig, dass wenn es zum Kampf kam noch etwas von diesem Hochgefühl übrig war.
Wie viele andere der Piloten war er noch nicht in der Lage sich einfach hinzulegen. Jetzt als fast einfacher Staffelführer war seine Arbeit auch so gut wie erledigt, und auch wenn es ganz gegen seine Gewohnheit war, so hatte sich Lucas Lone Wolf Cunningham zum ersten Mal seit Kriegsbeginn entschieden, etwas zu schwänzen.
Als Staffelführer wurde von ihm erwartet, dass er sich auch direkt um seine Leute kümmerte.
Natürlich hätte er sich einfach mit ihnen hinsetzen können und reden oder gar pokern können, doch hatte dieses widerliche Texas Hold’em in seiner Staffel Einzug gehalten – Mädchenpoker. Brrrrr.
Messe B im dritten Vorderdeck hatte sich sichtlich verändert, seit Raven die Bitte der Admiralin überbracht hatte.
Frech und selbstbewusst, wie Irons Bomberpiloten nun mal waren, hatten sich diese einen Stammtisch ausgesucht und ein großes Staffellogo auf die Tischplatte geklebt.
Irgendwo aus den Wirren des Materiallagers der Columbia war eine Tischdecke aus grünem Filz aufgetaucht und über einen runden Tisch gespannt worden, so dass dieser jetzt fast Ähnlichkeit mit einem Originalpokertisch hatte.
Dieser stand relativ nahe an der Tür und wurde von einer altbekannten Gestall besetzt. Lieutenant Senior Grade Joseph Walzinsky alias Hungry Joe blickte auf, ohne mit dem Mischen der Karten inne zu halten. Ein Grinsen erschien auf dem Gesicht des altgedienten Bomberpiloten: „Na, Lone Wolf, Lust auf ein Spiel? Irgendein Spiel?“
Lucas runzelte die Stirn, kaum jemand sprach ihn mit Callsign an, vor allem kaum ein Lieutenant, und früher hatte auch Joe ihn mit Sir, Commander oder CAG angesprochen. So vergehen die guten alten Zeiten.
„Klar, Five-Card Draw Poker.“, Lucas setzte sich. Scheiße, das war eine Ansage, seine letzte Pokerpartie fand vor der Schlacht von Manticore statt.
„Okay, nur harte Real, keine Chips, ein Real Mindeseinsatz.“, Joe ging dazu über Karten auszuteilen.
„Stop! Abheben ist doch wohl gestattet.“
Das Grinsen des Bomberpiloten wurde breiter und er sammelte anstandslos die Karten wieder ein und mischte neu.
In kürzester Zeit fanden sich noch drei weitere Mitspieler und eine Traube an Zuschauern ein.
„Sie kommen keinen Augenblick zu spät, Lone Wolf,“, meinte Hungry Joe, „man hat hier viel zu schnell einen Ruf weg und nach ein paar Tagen setzen sich nicht mal mehr die Neulingen zu einem an den Tisch.“
„Dann vergessen Sie nicht, mir einen Teil Ihres Gewinns abzugeben, Joe.“, Lucas setzte ein stoisches Gesicht auf, obwohl die Karten, die er bekommen hatte, eher zum Weinen waren.
„Noch jemand eine Zigarre, Joe, Commander?“ Sean Grover legte ein Etui mit Zigarre auf den Tisch.
„Danke nein, ich habe das Rauchen aufgegeben, wie Sie genau wissen.“, murmelte Lucas seine Karten weiterhin studierend.
Zwei Stunden später ließ Lucas eine Zigarre von den rechten in den linken Mundwinkel wandern. Bisher hatte er mehr verloren als er gewonnen hatte.
Wie alle Spieler außer Hungry Joe.
Gewichtig fixierte er Lieutenant Thomas Brody, der versuchte unbeeindruckt zu bleiben, woran er jedoch kläglich scheiterte.
„Weitere zehn.“, Lone Wolf schob die Münzen in die Mitte.
„Sie bluffen… Sir.“, meinte Trash und schob ebenfalls Geld in die Tischmitte, „Ihre zehn und weitere fünf.“
„Ich bluffe nie, Lieutenant.“
„Doch tun Sie, Lone Wolf,“, bemerkte Hungry Joe, der dritte Spieler, der noch aktiv teilnahm, „das gehört zu Ihrer Strategie.“
„Warum gehen Sie dann nicht mit, Joe?“
Dieser blickte erst nochmal in seine Karten, dann erst zu Lone Wolf und schließlich zu Trash Brody: „Hm, warum eigentlich nicht. Ihre zehn, seine fünf und dann will ich sehen.“
Lucas nickte und aschte ab: „Drei Asse, Joe, können Sie da mithalten?“
Die Karofünf und die Pikzwei waren absolut unerheblich.
„Ach, Sie haben mein Herzass, aber sorry, Lone Wolf, Flush.“, Hungry Joe legte fünf Herzen auf den Tisch.
Lucas knurrte und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Sean Grover schüttelte den Kopf: „Wie zur Hölle macht er das nur immer.“
Von hinten stupste Knock Out seinen Freund Trash an, der wie hypnotisiert auf Joes Flush starrte: „Hey, Dein Full House ist höher und Du bist im Spiel!“
„Häh?“
„Drei Zweien und zwo Siebener, Full Hous schlägt Flush.“
Trash blinzelte und schmetterte sein Blatt auf den Tisch: „Ja genau, das ist mein Pott!“
Hungry Joe biss sich auf die Unterlippe: „Fuck!“
Lachend begann Trash sein Gewinn einzustreichen.
„Noch ne Runde?“
Lucas erhob sich: „Was, jetzt wo Sie einmal ordentlich verloren haben, Joe? Niemals, Zeit noch etwas Schlaf zu bekommen.“
„Sie tun ja gerade so als hätten Sie diese Partie gerade gewonnen!“
„Nein Joe, aber es genügt mir, dass Sie verloren haben.“
„Sie sind ein schlechter Verlierer, Commander.“
Lucas nickte: „Ja, ja das bin ich.“
Die Pokerrunde zerstreute sich.
„Naja, man soll es genießen solange man es hat“, murmelte Joe, „noch einen Absacker, bevor man ins Bett schleicht, Lone Wolf?“
Dieser blickte kurz auf seine Uhr: „Na gut, aber nicht mehr so lange, wir sollten alle früh genug wieder aufstehen. Ich glaube unser CAG hätte wenig Verständnis, wenn wir zum Krieg zu spät erscheinen.“
Cattaneo
Ace
Als ich in meinem Bett hochfuhr, war ich für einen Moment desorientiert. Ich wusste nicht wo ich war, ich wusste nicht, wann dieses wo war, und für einen bangen Moment zweifelte ich sogar daran, WER ich war. Der Raum war dunkel, in vollkommene Finsternis gehüllt, wie sie nur an Bord von Raumschiffen herrschen konnte. Ich kannte diese Dunkelheit, seit ich geboren worden war, und bisher hatte sie immer etwas Geborgenes für mich gehabt. Tatsächlich konnte ich mich in absoluter Finsternis besser orientieren als die meisten anderen Raumfahrer. Deshalb fand ich den Schalter für das Kabinenlicht schnell und entriss sie der Finsternis.
Ich war in meiner Stube auf der COLUMBIA. Meiner neuen, einem Einzelzimmer, wie es sich für einen Staffelchef gehörte. Ein kleiner Raum nur, aber mit eigener Waschzelle. Und mein Büro war gleich nebenan. Er war spartanisch eingerichtet; sehr viel mehr als mein Universallesegerät und ein paar Bücher brauchte ich nicht, um glücklich zu sein. Der Rest steckte im Spind.
Ich sah auf die Uhr. Es war sechs Uhr Bordzeit. In glücklicheren Tagen war dies meine Aufstehzeit an der Akademie gewesen, damals, in jenen Jahren, die nach einer kleinen Ewigkeit im Krieg so ungeheuer weit entfernt schien. Die Gewohnheit hatte mich aufwachen lassen. Mist. Und dabei hatte ich erst einige wenige Stunden geschlafen. Mist, Mist, Mist.
Die letzten Tage waren hart gewesen. Ich hatte mit viel Energie, viel Kraft und erheblicher Gewalt darum gekämpft, die Blauen bereit für die Schlacht zu kriegen. Das war auf Kosten von Freizeit und Schlaf gegangen. Ich hatte kurz vor der Entscheidung gestanden, mir Wachmacher einzuwerfen, es dann aber doch gelassen, weil ich die menschlichen Wracks gesehen hatte, die es getan hatten - und die dran zerbrochen waren. Schließlich und endlich hatte ich mir wenigstens einmal sechs Stunden Schlaf am Stück gönnen wollen - und nun war ich putzmunter. Eine verdammte Scheiße war das.
Und das Beste daran: Ich konnte nicht mit einhundert Prozent sagen, dass meine Staffel wirklich bereit war. Im Anbetracht der Tatsache, dass die Akarii im System waren, dass die entscheidende Schlacht mit ihnen augenscheinlich kurz bevor stand, war das keine gute Sache.
Unsere Shuttlepiloten hatten bereits vorgearbeitet und den Asteroidengürtel vermint, in der Hoffnung, Admiral Taran wenigstens ein paar Steine in den Weg zu legen, ihn zu stoppen, ihn umzuforcieren. Oder wenigstens ihm ein paar Nadelstiche zu zu fügen, während er Großindustrie im dreistelligen Milliardenbereich vernichtete. Hauptsächlich Privatindustrie, aber darunter viele Zulieferbetriebe der Rüstung. Bevor die Börse auf Seafort eingefroren worden war, hatte ich glücklicherweise alle meine Fondaktien mit Beteiligungen an Sterntor-Unternehmen zu einem akzeptablen Preis abstoßen können. Nach der Schlacht, so es denn noch eine Börse auf Seafort gab, und sie ihre Arbeit wieder aufnahm, würde ich einen Großteils der Fonds für ein Taschengeld zurückkaufen können...
Merkwürdig, was einem für Dinge durch den Kopf gingen, obwohl man kurz vor einer Schlacht stand, oder?
Da saß ich also, zwei Stunden bevor ich hatte geweckt werden wollen, seit Tagen immer auf dem Sprung, um auf einen überraschenden Gefechtsalarm reagieren zu können, überarbeitet, übermüdet, mit schmerzenden Muskeln und schmerzendem Rücken. Und ich konnte nicht mehr schlafen.
Wie viele meiner Kids würde ich aus der nächsten Schlacht wieder nach Hause bringen? Wie viele Angry Eagles würden den nächsten Kampf überstehen? Was würde mit den Roten sein, meiner vorigen Staffel, der einzigen Kampfstaffel in der ich je gedient hatte? Was würde mit Kali sein, mit der DERFI, auf der sie gerade diente? Und wenn ich schon mal dabei war mir Sorgen zu machen: Was würde der Kampf mit Ohka und Lilja anstellen? Mit all den anderen, die ich Kameraden, und manchmal auch Freunde nannte? Was mit meiner Schwester, die als Marine an Bord diente, und vielleicht zum Entern auf einen havarierten Akarii gesandt wurde? Was mit meinem kleinen Bruder, der auf dem Ticonderoga-Kreuzer KAMI diente? Seltsam, dass das Schicksal die Davis-Geschwister so eng zusammen geführt hatte. So als ob es erst entscheiden wollte, welchen von ihnen... Ich schüttelte diesen Gedanken gewaltsam ab, denn dann kamen mir wieder die Gedanken an Jeans Beinahe-Tod, vor dem sie durch ihren Verlobten gerettet worden war, zum Preis seines eigenen Lebens. Und wie knapp es für mich selbst war, wrackgeschossen, in einem Sonnensystem der Akarii, nur um mit Noname - ach nee, er hieß jetzt ja Stuntman - den verrücktesten Flug meines Lebens zu wagen... Ich schnaubte frustriert und teils auch belustigt aus. Diesen Ritt würde ich nie vergessen. Und ich würde auch nie vergessen, wie tief ich bei Donovan für immer in der Kreide stand. Wenn er jetzt auch noch das Wunder schaffte, meine Schwester aus ihrem tiefen Loch zu holen, in das sie nach dem Tod ihres Verlobten gefallen war, dann gab es keinen Preis, den ich nicht bereit war zu zahlen. Inklusive meiner kleinen Schwester. Beim Gedanken daran, wie heftig es zwischen den beiden funkte, musste ich lächeln. Doch das Lächeln erstarb schnell wieder, weil ich gleich darauf an Kali denken musste. Und an Huntress, meine Huntress, deren Staffel ich jetzt führte. Und im gleichen Atemzug an Lilja, der ich auf Seafort einige Zeit hinterher gejagt war, und mit der ich diese verrückte Mission auf dem charmigen Zivilfrachter durchlebt hatte. Hatte ich immer noch das Gefühl, in sie verliebt zu sein? Nun, seit ich gesehen hatte, wie sie diesen Mann geküsst hatte, damals auf Seafort, verblasste dieses Gefühl nach und nach. Zumindest hoffte ich das.
Aber das Beste war: Ich vermisste die EMERALD JADE, und das sogar ziemlich schmerzlich. Dabei war die Frage, ob ich das Schiff und die Besatzung vermisste, oder ein Crewmitglied im Besonderen.
Nun, solche Gedanken machten mir meinen Job nicht leichter, aber auch nicht schwerer. Aber ich war nun einmal wach, und deshalb konnte ich auch aufstehen. Ich würde mir meine Minuten schon zusammenknapsen. Hier ein Nickerchen im Cockpit, da eine kurze Pause. Und ich würde meine Pflicht trotzdem schaffen, und noch viel mehr.
Ich kratzte mich mit der rechten Hand an der Nase. Mit der rechten, der nachgezogenen Hand, nachdem mir der ganze Arm hatte amputiert werden müssen. Himmel, was hatte ich nicht schon alles erlebt. Was hatte ich nicht schon alles durchgestanden. Was hatte ich nicht alles schon gesehen? Und was würde noch dazu kommen?
In all dem Trubel hatte ich wenigstens eine Konstante: Mein akariischer Freund Ry Hallas war sicher in Kriegsgefangenschaft auf Texas, solange der Krieg dauerte. Und wenn die Akarii tatsächlich bis Texas kommen würden, wovor die Vorsehung uns behüten mochte, würden sie ihn befreien. Das war immer noch eine unsichere Karte, zugegeben, aber auch jene, die mein mieses Blatt am stabilsten hielt. Es beruhigte mich, obwohl ich wusste, dass die Akarii-Kriegsgefangenen öfters nicht mit Samthandschuhen worden waren. Das in Zeiten, in denen akariische Zivilisten oftmals zwangsinterniert wurden, wenn ihr einziges Verbrechen war, an Bord eines zivilen Frachters gereist und einer terranischen Patrouille in die Hände gefallen zu sein. Eine Große Anfrage im Staatsparlament zum Thema Unterbringung und Rechtsstatus von Akarii-Zivilisten in der Republik durch die Opposition hatte die Regierung letzte Woche in erhebliche Verlegenheit gebracht.
Langsam zog ich mich an. Ich hatte ja Zeit. Viel Zeit. Und ich hatte jetzt die Wahl, ob ich in Dienstuniform in die große Kantine ging, oder meinen Pilotenanzug überwarf und direkt in Messe B ging, unserer Dirty Cantina, wie einer der ersten Kosenamen für sie lautete. Für einige von uns eine echte Erleichterung, denn das Wechseln in die Uniform direkt nach dem Flug fiel weg. Man konnte direkt was essen gehen, bevor man duschte und sich schlafen legte. Man musste Girad beinahe dafür danken, dass sie am Pilotenverhalten rum genörgelt hatte.
Trotzdem entschied ich mich gegen Messe B, griff nach der Dienstuniform und machte mich auf zur Hauptmesse.
Dort angekommen blieb ich für einen Moment wie angewurzelt stehen, als ich das sah, was auf den meisten Tellern jener dampfte, die sich für das amerikanische Frühstück entschieden hatten: T-Bone-Steaks. Jedes einzelne gewiss sechshundert Gramm aufwärts.
Die europäischen Menüs waren nicht viel besser: Frische Waffeln, weichgekochte Eier, frischgebackenes Toast, neuer Frischkäseaufstrich, Honig, Marmelade... Ich musste grinsen. Es ging also los, und die Küche hatte es als Erste erfahren, und verwöhnte uns Piloten mit einem erstklassigen Frühstück. Darüber hinaus hing der Geruch von frischem Kaffee in der Luft. Neue Bohnen, frisch geröstet, frisch gemahlen und aufgebrüht, nichts von diesem trockengefrorenen Pulverzeugs.
Ich entschied mich für ein europäisches Frühstück mit Waffeln, Frühstückseiern, einem Pott Kaffee und frischem Toast. Die Brotbeläge waren teilweise recht exotisch, also griff ich nur nach Honig und Marmelade. Ein Obstsalat komplettierte das Menü. Dann suchte ich mir einen Platz in der Messe. Was nicht sehr schwer war. Sie war bestenfalls zu einem Viertel gefüllt, und die Meisten hier begannen ihre Schicht nicht, sondern beendeten sie.
Als ich schweigend zu essen begonnen hatte, wurde die Ahnung zur Gewissheit. Das Essen war viel zu gut, als dass die Navy dafür keine Gegenleistung erwartete. Und zwar schnell. Und zwar heute.
Nun, ich war bereit. Meine Leute waren so bereit wie sie sein konnten. Und ich hatte Chip zumindest so bereit gekriegt, dass er, sollte ich fallen, das Kommando einigermaßen geordnet halten konnte. Dennoch wäre es für die Blauen sehr viel besser, wenn ich eben nicht fiel, ausfiel oder das Gefecht verlassen musste. Aber das lag nicht in meiner Hand, nicht sehr zumindest. Nur so weit wie ich meinen Steuerknüppel bewegen würde. Oh ja, ich war bereit. Wieder einmal.
***
Innerlich nervös, äußerlich aber die Ruhe in absoluter Person, durchschritt Justus Schneider die Gänge der NIKOLAS TESLA, einem von vier Forschungsschiffen der Navy für Gravitationsbasisforschung und Wurmlochexperimente. Seit er vor fast zwei Monaten das Kommando angetragen bekommen hatte, war es für ihn zu einer lieben Angewohnheit geworden, mindestens einmal täglich in den wissenschaftlichen Bereich zu kommen, wo Forscher und Ingenieure an ihren Projekten arbeiteten. Je nach Mission war das Schiff, das auf der Zelle eines leichten Kreuzers erbaut worden war, in der Lage, vierhundert Fachwissenschaftler und -Ingenieure aufzunehmen, zusätzlich zur eigenen Crew von zweihundertfünfzig Leuten, Raumfahrern wie Ingenieuren und Technikern. Schneider hatte den permanenten Stab an Wissenschaftlern in seiner Crew schnell zu schätzen gelernt, koordinierten sie doch die Experimente ihrer Gäste, während ihre Kollegen von der Technikerfront ihre Pendants bei den Gästen im Zaum hielten und Energie und Rechnerzeiten verwalteten.
Alles in allem war der Posten eine sehr aufregende Geschichte für Justus, und bereits das zweite Prestige-Objekt, das ihm zu kommandieren gegeben wurde. Obwohl, die KAMI war eventuell nur als besseres Himmelfahrtskommando angesehen worden, und man hatte nicht den besten Kapitän der TSN verlieren wollen; doch spätestens mit der TESLA sah er sich voll rehabilitiert und belohnt. Nur das Kommando über einen Träger hätte das in seinen Augen toppen können.
Andererseits wäre er auch mit der alten MAGELLAN zufrieden gewesen, aber die Admiräle in ihren Stübchen hatten anders für Justus Schneider entschieden.
Und so hing er hier mit der TESLA in Sol-System, weit in der sicheren Etappe beim Jura-Eisfeld-Wurmloch hinter der Pluto-Bahn, und unterhielt aufwändige Experimente an dem als "einigermaßen stabil, aber für die Raumfahrt nicht nutzbar" geltenden Wurmloch. Wenn es der TSN gelang, dieses Wurmloch mittelfristig für die reguläre Raumfahrt zu öffnen, würde dies bedeuten, zwei Wochen Reisedauer nach Barcelona einzusparen. Und das mochte in diesen Zeiten, in denen man nicht sagen konnte was der ehemalige Verbündete, die Colonial Confederation, als nächstes tun würde, bald ein kriegsentscheidender Faktor sein. Andererseits waren sie noch ganz am Anfang. Die Forschungen zu Wurmlöchern beruhten vor allem darauf, dass sie existierten und dass sie nutzbar waren. Ihre Gravitationskonstrukte waren zu achtzig Prozent unentschlüsselt, was nicht zuletzt daran lag, dass die Messgeräte für diese Strukturen erst durch exzessive Grundlagenforschung entwickelt werden mussten. Die TESLA hatte die erste Generation dieser Geräte an Bord, und Justus schätzte, dass drei oder vier weitere Generationen nötig waren, um überhaupt ein stabiles Wurmloch zu vermessen. Ein instabiles mochte zu viele widersinnige Werte aufweisen. Aber wenn die Grundlagenforschung funktionierte, selbst wenn sie Jahre, Jahrzehnte brauchten, konnten eines Tages vielleicht nicht nur Sprunggeneratoren entwickelt werden, sondern Antriebe, die selbst Wurmlöcher produzierten.
Damit würde die Bundesrepublik zur absoluten, vorherrschenden Macht im ganzen Sektor aufsteigen, wenn ihre Handelsschiffe bessere Routen nutzten als alle anderen, wenn ihre Kriegsschiffe Sonnensysteme anspringen konnten, ohne auf bereits bestehende Wurmlöcher zugreifen zu müssen.
...So gesehen war es vielleicht nicht verkehrt, dass die Grundlagenforschung noch ein paar Jahrzehnte dauerte.
Andererseits, hatten sie die Zeit? Die beinahe stündlich eintreffenden Berichte über Sterntor und die dort wütenden Akarii zeigten den Terranern mehr als deutlich, dass sie auch verwundbar waren. Und dass sogar die legendäre Zweite Flotte, repräsentiert durch die Kampfgruppe der COLUMBIA im System, durchaus vor überlegenen Feindverbänden der Akarii kuschen konnte.
Das war alles nicht gut, und Justus verstand die Admiralität auf Seafort nicht, warum sie es zuließ, dass die Akarii sich im Asteroidengürtel mit der Hochindustrie benahmen, als seien sie dort Zuhause, und es niemanden gab, der sie daran hinderte, Rüstungsindustrie mit Milliardenwerten zu vernichten. Nun, vielleicht hatte der Schutz von Masters und Seafort mit seinen Milliardenbevölkerungen den Vorrang, aber auch so hätte es Sinn gemacht, die leichteren Schiffe auszuschicken, um den Gürtel zur Todesfalle für kleinere Akarii-Einheiten und ihre Jagdflieger zu machen. Diese Schiffe waren stark genug, um mit den Scouts aufzuräumen, und schnell genug, um den größeren Pötten davon zu fahren. Anscheinend aber hatte sich De Kerr lieber für eine Entscheidungsschlacht entschieden. Diese Närrin. Sie ließ die Akarii gewähren und hoffte sicherlich, dass sich ihre Piloten und Soldaten durch die vielen Erfolge müde rackerten, um dann, im entscheidenden Augenblick, eine willfährige Beute zu sein.
Nun, Justus hielt niemanden für eine willfährige Beute, der den Endpunkt einer Schlacht selbst bestimmen konnte, selbst wenn die Initiative beim terranischen Gegner lag.
Für einen kurzen Moment hielt er inne, ballte die Hände und schickte ein Stoßgebet zu Gott, dem Allmächtigen, um Fürbitte für die KAMI, ihren Kapitän und ihre Crew zu leisten. Er hoffte inständig, dass dieses stolze Schiff, der verkannte Hybrid, ebenso wie die Crew überleben würden. Das Gleiche hoffte er auch für die anderen Schiffe, und nicht zuletzt für die COLUMBIA, denn zwei seiner kostbaren Cousins waren dort zu finden, Cliff und Jean. Und natürlich Donovan, den sie herzlich in die Mitte ihrer Familie aufgenommen hatten.
Was ihn wieder an den dritten Davis-Spross erinnerte, Ian, der wohl gerade Haruka auf der Brücke der KAMI die Laune verhagelte. Oder auch nicht, denn der Bengel hatte sich in letzter Zeit von der kleinen besserwisserischen Nervensäge, die am Latz seines Cousins hing, zu einem respektablen jungen Offizier gemausert.
Es tat ihm nicht nur ein kleines bisschen leid, ausgerechnet in diesen Zeiten das Kommando abgegeben zu haben. Aber er wusste die KAMI bei Haruka in sehr guten Händen. Außerdem hatte er ein eigenes Kommando mehr als verdient, vor allem wenn man seine durch den Dienst auf der KAZE erzwungene Beförderungsauszeit einrechnete.
Schneider stockte im Schritt, als er zum Durchbruch kam. Er bewegte sich in der Nordperipherie des Schiffs, knapp unter der Außenhülle. Die Konstrukteure des Schiffs hatten sechs gewaltige Emitterspulen in das Schiff gesetzt, in die Hülle eines bereits existierenden Ticonderoga hinein geplant. Das führte nun dazu, dass die Spulen, die tief in das Schiff zu den Kraftwerken hinab reichten, reguläre Gänge durchbrachen und die Matrosen zu Umwegen zwangen; einige hatten auch erst aus dem Schiffsrumpf geschnitten werden müssen. Für ein Militärschiff war das ein wahrer Albtraum, quasi ein permanenter Gefechtsschaden, aber die TESLA war ein Forschungsschiff, des Militärs zwar, aber ein Forschungsschiff. Und als wissenschaftlich-technisch geschulter Kommandeur sah er die Notwendigkeit dieser Improvisation, damit sie ihre Aufgabe erfüllen konnte. Also nahm er die Unbequemlichkeit in Kauf und wechselte auf einen Nebengang, der auf Kosten eines Bereitschaftraums entstanden war, bevor er wieder auf den Hauptkorridor wechseln konnte. Noch so ein Ding, das ihn nervte. Er galt als wissenschaftlich-technisch geschult. Er hatte einen Ingenieursabschluss und diverse Semester Physik vorzuweisen. Dazu hatte er sich entschieden, weil sein erster Weg in Richtung Werfttechnik gezielt hatte. Ein Davis, selbst wenn es nur ein Schneider war, auf einer der großen Kriegswerften der Navy hätte einen großen Vorteil für die Firma bedeutet. Aber es war anders gekommen, und man hatte Justus nach seinen Fähigkeiten eingesetzt.
Der Nachteil für ihn war: Für die Wissenschaftler an Bord galt er als technischer Fachidiot; für die Ingenieure an Bord galt er als versponnener Eierkopf. Er hatte es noch nicht allen an Bord in die Schädel hämmern können, dass er Offizier der Navy, Kommandeur dieses Schiffes und verflixt nochmal ihrer aller Vorgesetzter war. Aber das würde noch kommen. Das konnte er seiner Crew versprechen.
Als er zwei Crewmen passierte, die hinter einer Gangecke standen, neben einer geöffneten Prorgammierkonsole für einen Knotenpunktrechner, zuckten die Männer zusammen und nahmen Haltung an. Das war ungewöhnlich, denn Schneider hatte sich außerhalb von Gefechtssituationen ausdrücklich einen laxen Umgang mit Formalitäten von seiner Crew erbeten. Die beiden wirkten... ertappt. Also blieb der Skipper der TESLA stehen. Schnell roch er den derben Geruch von Stranson&Mates, Zigarillos, die den Namen nicht wirklich verdienten, aber deren Rauchpartikel in der Regel zu fein waren, um die Feuermelder anschlagen zu lassen, weshalb viele Crewmen sie heimlich an Bord durchzogen, ohne die besonders geschützten Raucherräume aufzusuchen.
Justus konnte diesem Kokosstroh mit Opa-Achselschweiß jedenfalls nichts abgewinnen. Er fixierte die beiden Männer. Sie gehörten zur technischen Crew des Schiffs. Nicht zur Ingenieursmannschaft, welche die Wissenschaftler betreute. Reguläre Crew.
"Rauchen Sie hier etwa, Petty Officer Manony, Petty Officer Lun?"
Die beiden Männer senkten schuldbewusst den Blick, und nach einem weiteren auffordernden Nicken Schneiders holten sie die glimmenden Zigarillos hinter ihren Rücken hervor.
"Machen Sie bitte beide die Kippen aus. Muss ich Ihnen wirklich einen Vortrag über Feuer an Bord eines Kriegsschiffs halten? Oder soll ich das den Bosun besorgen lassen?"
Natürlich, in Zeiten von Stahlschiffen hatte Feuer einiges von seiner Gefährlichkeit eingebüßt, die es noch an Bord von Holzschiffen gehabt hatte. Aber man hatte die überall vorhandenen, brennbaren Materialien durch enge Kamine getauscht, die erstklassige Sauerstoffversorger im Brandfall waren, und für unvorsichtige Crewmen zur Todesfalle werden konnten, spätestens, wenn ein Raucher eine Halon-Flutung in seiner Sektion auslöste. Und es gab eine Faustformel für den Einsatz von Halongas zu Löschzwecken: Ein Halon-Einsatz sind gleich vier Tote.
Die beiden Petty Officers warfen gehorsam die braunen Zigarillos zu Boden und traten sie aus.
"Tschuldigung, Sir, aber es hilft uns beim Denken.", sagte Mahony. "Und wir sind hier gerade am kniffeln."
"Am kniffeln?" Schneider runzelte die Stirn. Wenn er etwas wirklich nicht mochte, dann waren es Ausreden und Rechtfertigungen. Was war aus den guten alten Zeiten geworden, in denen man vor dem Skipper auf dem Bauch gerutscht war, wenn man beim Rauchen erwischt worden war, nur um sich die nächste Kippe anzuzünden, sobald der Alte außer Sicht war? "Vielleicht schildern Sie mir Ihr Problem, und ich könnte Ihnen mit meiner Erfahrung aushelfen."
Die beiden Männer wechselten einen schnellen Blick und ein flüchtiges Grinsen.
"Es ist so, Skipper, wir arbeiten an der Energieversorgung für den vorderen TAHAS. Er interferiert zur Zeit noch mit dem SACAM. Und das verursacht wankende Stromleistung beim PHOR, und Sie wissen ja selbst, wie wichtig eine solide Grundspannung für den PHOR ist, Sir.", sagte Lun ernst.
"Natürlich.", erwiderte Schneider. "Solide Grundspannung für den PHOR."
"Und das alles", ereiferte sich nun Mahony wieder, "bringt nicht nur die Steuermatrix für unsere vier Lasergeschütztürme durcheinander, es schadet auch dem WHAM."
"Dem WHAM?"
"Ja, Skipper, dem WHAM. Sie wissen, was der WHAM ist, Sir?", fragte Lun trocken.
"Ach, der WHAM. Natürlich weiß ich, was der WHAM ist. Hören Sie, ich kommandiere dieses Schiff."
"Selbstverständlich, Skipper. Entschuldigen Sie meine unangebrachte Frage."
Schneider schnaubte trocken. "Ich denke, wir sollten dieses Thema weiter erörtern. Nämlich in meinem Büro. Also melden Sie Ihrem Schichtleiter Ihren Positionswechsel, räumen Sie Ihren Kram ein und folgen Sie mir."
"Skipper?" Mahony sah Schneider erschrocken an.
"Ich muss einen Befehl doch hoffentlich nicht zweimal aussprechen?"
"Nein, Sir, natürlich nicht", erwiderten beide im Chor.
***
Es klopfte an der Tür, und nachdem Schneider herein gebeten hatte, öffnete Master Chief O'Brien, der Bosun, und trat ein. "Sie wollten mich sprechen, Skipper?"
"Allerdings." Schneider deutete auf die beiden Techniker, die in Hab acht vor seinem Schreibtisch standen. "Wissen Sie, Rupert, ich war gerade im Sektor B4 an Tesla zwei unterwegs, da machten mich Ihre beiden Techniker auf ein interessantes Problem aufmerksam. "Wussten Sie, dass die Energieversorgung für die vorderen TAHAS mit der vom SACAM interferiert?"
"Die TAHAS interferieren mit dem SACAM?", fragte O'Brien verblüfft.
"Oh ja, und das ist noch nicht alles. Denn das verursacht wankende Stromleistung im... Wie hieß das Ding doch gleich, Petty Officer Lun?" "PHOR, Skipper."
"Ah, ja, es verursacht Stromleistungsschwankungen am PHOR, und Sie wissen ja, wie wichtig eine solide Grundspannung für den PHOR ist, Bosun."
Der Master Chief musste plötzlich grinsen. "Aber natürlich weiß ich, wie wichtig das für den PHOR ist, Skipper. Gab es weitere Probleme?"
"Aber ja, Bosun. Dadurch ist die Steuermatrix unserer Lasergeschütztürme gefährdet. Und nicht nur das, auch der - wie heißt das Gerät gleich noch mal, Petty Officer Mahony?"
"Der WHAM, Skipper." "Richtig. Auch der WHAM droht Schaden zu nehmen. Und Sie wissen doch, Bosun, wie wichtig der verdammte WHAM für das Schiff ist."
Nun hätte O'Brien beinahe aufgelacht. "Verstehe, Sir. Waren das alle Probleme? Das ist nämlich eine ganz schöne Liste, für die jemand die nächsten zehn Freiwachen opfern wird."
Die beiden Männer schienen in sich zusammen zu sinken.
"Machen Sie zwanzig draus, Bosun. Ich habe die beiden beim Rauchen erwischt."
Nun wurde aus dem Lächeln des Master Chiefs eine recht düstere Miene. "Aye, Skipper. Fünfundzwanzig Freiwachen, habe verstanden."
Schneider nickte zufrieden. "So, das wäre von mir aus alles. Besprechen Sie die Probleme doch bitte ausführlich mit Master Chief O'Brien. Ich bin sicher, er wird Ihnen zu einem stabilerem WHAM verhelfen. Sie können wegtreten."
Die beiden Petty Officer und O'Brien salutierten, letztere mit erheblich bleichen Gesichtern, aber auch erleichtert. Es hätte schlimmer kommen können.
"Eines noch,", sagte Schneider, als sich die drei Männer schon zum gehen gewandt hatten. "Mahony, Lun, die Zigarillos, den TAHAS und das SACAM hätte ich Ihnen ja noch verziehen. Aber da Ihnen anscheinend niemand beigebracht hat, wann es besser wäre aufzuhören, sehe ich mich gezwungen, es Ihnen beizubringen. Haben Sie das verstanden, meine Herren?"
"Jawohl, Skipper.", kam es reichlich dünn von den beiden Männern.
"Gut, dann raus aus meinem Büro."
Die Tür schloss sich hinter den drei Männern, und zweien von ihnen stand ein eklatanter Mangel an Freizeit bevor, das war sicher. Außerdem würde es im Schiff die Runde machen. Schneider hielt nicht viel davon, auf seinem eigenen Schiff gefürchtet zu sein. Aber vielleicht würde man ihn nun als Ingenieur ein wenig ernster nehmen.
Plötzlich musste er grinsen. Ein Knopfdruck verband ihn mit der technischen Abteilung. "Professor Jorgensson, ich habe da eine Bitte."
"Wenn ich sie erfüllen kann, gerne, Skipper."
"Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich eines der Geräte benenne, die Sie gerade entwickeln?"
"Nein, natürlich nicht. Was schwebt Ihnen denn als Name vor, Skipper?"
"Tja, zur Wahl stehen TAHAS, SACAM, PHOR und WHAM."
Der Professor lachte leise. "Hätten Sie die Güte, mir Ihren Wunsch näher zu erläutern?"
Also erzählte ihm Schneider die Anekdote mit den beiden vorlauten Crewmen.
Jorgensson lachte nur noch mehr. "Wissen Sie was, Skipper, ich habe da tatsächlich gerade ein Gerät in der Entwicklung, das schreit geradezu danach ein WHAM zu sein. Ich werde den Namen schnellstmöglich eintragen."
"Sie tun mir einen Riesengefallen damit. Ach, und Professor, vergessen Sie nicht, die Petty Officers Mahony und Lun speziell als erste technische Spezialisten auf dem WHAM zu schulen."
"Garantiert nicht, Skipper. Eine wundervolle Idee."
"Danke, Herr Professor. Geben Sie mir heute beim Abendessen die Ehre?"
"Selbstverständlich. Falls es diesen vorzüglichen Lammbraten gibt."
"An genau den habe ich gedacht. Also, bis heute Abend, Ole."
"Bis heute Abend, Skipper."
Als die Verbindung erlosch, lachte Schneider leise vor sich hin. Die beiden Petty Officers würden Augen machen, wenn sie am WHAM geschult wurden. Und was für Augen sie erst machen würden, wenn sie eines Tages erkannten, was für ein Gefallen ihnen damit erteilt worden war.
Sollte noch mal einer behaupten, Justus Schneider hätte keinen Humor.