Cattaneo
Cunningham
CNS Vanguard CA 108
Ashal Maiin, terranisch-konföderierte Besatzungszone,
Sternenimperium von Akar
„.... mit tödlicher Gewalt beantwortet. Girad Ende.“
Lieutenant Commander Theodore McKean blickte sich auf der Brücke der Vanguard um. Die wachhabenden Offiziere um ihn herum sahen genauso verwirrt aus, wie er sich fühlte.
„Chief, wecken Sie augenblicklich den Captain und den Ersten Offizier.“, bestimmte McKean.
„Hey, Teddy,“, meldete sich Martino Delarossi zu Wort, „einer der Truppentransporter der Feds startete Shuttles, eine ganze Menge sogar.“
McKean war der Taktische Offizier der Vanguard und Veteran vieler Schlachten, doch jetzt fühlte er sich eindeutig überfordert: „Ja, spinnen denn die Terries?“
„Also ich kann sie verstehen,“, bemerkte Albar Torrik, der akariische Master Chief Petty Officer, der als Chief of the Ship, kurz COS, der Vanguard fungierte, „die denken, wir machen uns aus den Staub und überlassen sie dem Krieg.“
Die Meinung des COS war in der Colonial Navy sehr gewichtig, wie bei der TSN die Meinung des Bosuns, dem Gegenstück des COS.
Torrik hatte nun schon dreißig Jahre Dienst auf dem Buckel und war einer der am längsten gedienten Unteroffiziere der CN. Noch dazu war er Akarii. Von den vielen Akarii die in den Streitkräften der Colonial Confederation dienten, waren zwischen achtzig und neunzig Prozent Offiziere.
Es dauerte recht lange, bis Captain George Brubaker auf der Brücke der Vanguard erschien. Der Alte hatte einen gesunden festen Schlaf.
„Meldung!“, wie üblich gab er sich nicht mit irgendwelchen Floskeln ab.
„Die Feds haben den Admiral und große Teile seines Stabes gefangen genommen,“, meldete Joskani Gress die akariische XO der Vanguard, die eine ganze Weile früher als der Captain auf der Brücke erscheinen war, „wir wurden unterrichtet, dass wir geentert und interniert werden, Sir.“
„Einen Teufel werden wir!“, knurrte Brubaker, „Wie ist der Status der Flotte.“
„Das reinste Chaos“, antwortete diesmal McKean, „die Altani funkt seit der Meldung die Pegasus an und verlangt mit Admiral Yukono zu sprechen.“
Der Captain blickte kurz auf den Kartentisch und atmete tief durch: „XO, klar Schiff zum Gefecht!“
„Sir?“, die Offiziere auf der Brücke sahen ihren Kommandanten fassungslos an.
„Kein verfluchter Terrie wird mein Schiff entern. Machen Sie klar Schiff!“
„Aye-aye, Sir!“, Gress drückte den Alarmschalter und aktivierte die Lautsprecheranlage: „Gefechtsstation! Gefechtstation! Alle Mann auf Gefechtsstation! Das ist keine Übung!“
Noch während die Besatzung des Hunley-Kreuzers auf die Gefechtsstationen hastete, aktivierte Captain Brubaker erneut die Sprechanlage: „1-MC, hier spricht der Captain: Die Flotte der Bundesrepublik hat unseren kommandierenden Admiral verhaftet und versucht nun unsere Schiffe unter Kontrolle zu bringen. Beide Aktionen sind unrechtmäßig und stellen einen unprovozierten kriegerischen Akt dar. Wir werden uns nicht von terranischen Marines entern lassen. Wir werden nicht zulassen, dass die Vanguard beschlagnahmt oder dass wir interniert werden. Niemand von uns möchte Kampfhandlungen mit Schiffen der Republik, aber sollte es doch dazu kommen, so verlasse ich mich darauf, dass jeder einzelne von Ihnen sich genauso ins Zeug legt wie gegen das Sternenimperium der Akarii. Brubaker Ende.“
„Captain, von Achtern kommt die Triomphant auf, Günter Jansens Schiff“, der Radargast blickte seinen Kommandeur verunsichert ab.
„Machen Sie gefälligst anständig Meldung und deklarieren sie den Feind!“, schnauzte Gress, bevor Brubaker für einen Anschiss die nötige Luft gesammelt hatte.
„Aye-aye, Ma'am, zeichne feindlichen Kreuzer, Ticonderoga-Class, Identifiziert als TRS Triomphant, aufkommend von Achtern, auf sechs-eins-acht, näher kommend. Ziel markiert als Tango eins.“
„Signaloffizier, stellen Sie mich auf Breitband durch.“, befahl Brubaker.
„Sie sind auf Breitband, Sir.“
„Terranischer Kreuzer, Terranischer Kreuzer, hier ist die CNS Vanguard, Captain Brubaker, brechen Sie augenblicklich das Abfangmanöver ab. Ich wiederhole: Brechen Sie augenblicklich das Abfangmanöver ab. Sollten Sie sich auf unter zwanzigtausend Kilometer nähern, werden wir das Feuer eröffnen. Vanguard Ende.“
„Sie werden doch nicht auf die Triomphant schießen, Captain?“, McKean wirkte schockiert, „Das sind unsere Verbündeten. Wir waren bei Jansen an Bord zu Gast.“
„Die Zeiten sind vorbei, TO.“
„ … nähern werden wir das Feuer eröffnen. Vanguard Ende.“
Captain Günter Jansen blickte seinen Ersten Offizier erstaunt an: „Glaubt der wir wissen nicht, wer er ist? Der spinnt doch. Wir sind längst in Schussreichweite und sind im Gegensatz zu ihm schon auf Gefechtsstation.“
„Captain: Die Vanguard beschleunigt.“, meldete der Sensoroffizier.
„Pearce,“, wandte sich Jansen an seinen Signaloffizier, „stellen Sie mich mal zu Vanguard durch.“
„Aye, Sir.“ Eine kurze Pause. „Die Vanguard antwortet nicht.“
„Dann auf Breitband.“
„Sie können sprechen, Sir.“
Jansen nahm den Hörer: „Verdammt George, mach keinen Quatsch. Wir sind hier gefechtsbereit und verdammt noch mal, keiner ist hier scharf darauf, dass geschossen wird. Die Situation wird sich schon klären, also drossle die Maschinen und lass ein paar meiner Marines an Bord. Major Gilford freut sich schon auf die Küche der Vanguard. Ich würde ja gerne selbst kommen.“
Aus dem Deckenlautsprecher erklang Brubakers Stimme: „TRS Triomphant: Versuchen Sie nicht uns zu entern. Sollten Sie sich uns weiter nähern, werden wir das als kriegerischen Akt auffassen und das Feuer eröffnen. Vanguard Ende.“
Der Kanal wurde geschlossen.
„Was machen wir nun?“, fragte Commander Lukas Wagner, der XO der Triomphant.
„Vielleicht wird er ja vernünftig, wenn wir ihm zeigen, wie bereit wir sind.“, meinte Jansen zweifelnd, „Öffnen Sie die Mündungsklappen für die Exocets.“
„TO,“, gab Wagner den Befehl weiter, „Mündungsklappen für Antischiffraketen Ober- und Unterdeck öffnen.“
„Aye-aye, Sir, sollen wir auch eine Peilung vornehmen und eine Lösung errechnen?“
„Negativ, TO.“
Einen Augenblick geschah gar nichts.
„Captain, die Vanguard hat gefeuert.“, meldete der Taktische Offizier aufgeregt, „Eine einzelne Sparrow-Rakete ist unterwegs und fliegt direkt auf uns zu.“
„Haben die uns denn gepeilt gehabt?“
„Negativ Sir, keine Peilung der Vanguard, Rakete hat uns nicht erfasst.“
„Auf den Schirm“, befahl Wagner.
Der Schirm wurde gerade noch rechtzeitig zugeschaltet, dass die Offiziere sehen konnten, wie die Sparrow sich vier Kilometer vor der Triomphant selbst sprengte.
„Das war ein Warnschuss.“, bemerkte jemand überflüssiger weise.
„Signaloffizier rufen Sie die Vanguard.“
„Sie sind drauf, Captain.“
„CNS Vanguard, CNS Vanguard, hier spricht Captain Günter Jansen von der Triomphant: Stoppen Sie augenblicklich ihre Maschinen. Deaktivieren Sie ihre Waffensystem und lassen Sie uns an Bord kommen.“
„TRS Triomphant“, antwortete Brubaker, „dies war unsere letzte Warnung. Kommen Sie nicht näher oder sie werden vernichtet.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
„Der spinnt, der spinnt total!“, Jansen war fassungslos. Wie sollte er jetzt reagieren? Dass da drüben waren doch eigentlich die Verbündeten. „XO, aktivieren Sie die Zielerfassung und geben Sie die Feuerleitlösung ein.“
„Wir werden doch nicht auf die Vanguard schießen.“
„Gott bewahre uns davor.“
In der CIC der Pegasus hatte man das Gespräch zwischen den beiden Kreuzern verfolgt. Während die Marineinfanterie innerhalb der ersten Stunde der Aktion etwa fünfzehn Schiffe der Konföderation geentert und gesichert hatte, ohne das ein Schuss gefallen war, spitzte sich die Lage immer mehr zu.
Nach der Vanguard verweigerten immer mehr konföderierte Schiffe die Kooperation. Die Altani funkte immer noch wie verrückt und es drohte alles in ein Desaster umzuschlagen.
„CAG, starten Sie den Bomber.“, entschied Girad.“
„Zu Befehl, Ma'am.“
Girad ging kurz vor dem Kartentisch auf und ab: „Signaloffizier: Verbinden Sie mich mit der Triomphant.“
„Aye-aye, Ma'am, Verbindung steht.“
„Captain Jansen, hier ist Admiral Girad, was läuft da schief?“
„Der Captain der Vanguard ist ein sturer Hund. Er weigert sich, uns an Bord zu lassen, hat uns schon einen Schuss vor den Bug gegeben und macht klar Schiff. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht mehr weiter Admiral.“
Girad wollte gerade antworten, da unterbrach sie Jansen: „Er hat eben ein zweites Mal gefeuert … verdammt, die Sparrow hat uns gepeilt und ist in unser Bugschild geknallt.“
„Irgendwelche Schäden?“
„Negativ Ma'am.“
„Gut, Günter,“, sie fing schon an ihm beim Vornamen zu nennen, „wir müssen hier schnell und entschlossen handeln. Feuern Sie.“
„Ma'am, das sind unsere Verbündeten.“
„Die Vanguard hat zweimal auf Sie geschossen, Günter, erwidern Sie das Feuer.“
Pause.
„Ich, mit Verlaub Ma'am, ich kann nicht.“
„Wir sind an einem sehr kritischen Punkt dieser Operation angelangt.“, Girad sprach ruhig und eindringlich. Ohne Wut oder Tadel in der Stimme.
„Ma'am, ich kann nicht auf die Vanguard feuern. Ich verweigere diesen Befehl.“
Vanessa Girad wusste, wann jemand eine endgültige Entscheidung getroffen hatte. Egal was sie sagte, die Chancen Günter Jansen umzustimmen waren minimal.
„In Ordnung, geben Sie mir Ihren Ersten Offizier.“
„Zu Befehl, Ma'am.“
„Commander Wagner hier.“, meldete sich eine andere Männerstimme.
„Commander, wie ist Ihr Vorname?“
„Lukas, Ma'am.“
„In Ordnung, Lukas,“, begann Girad eindringlich, „hören Sie mir gut zu, wenn sich die Vanguard noch viel länger ihrem Zugriff entzieht, werden es andere Schiffe der Colonial Navy auch versuchen. Dann wird hier geschossen. Viele Menschen werden sterben, Lukas. Es ist wichtig, dass wir jetzt ein Zeichen setzen. Die Vanguard hat uns herausgefordert und auf die Triomphant geschossen. Zweimal.
Ihr Captain hat sich geweigert das Feuer zu eröffnen. Ich verstehe das, aber die Vanguard muss jetzt ausgeschaltet werden. Lukas, ich möchte dass Sie jetzt das Kommando auf der Triomphant übernehmen und die Vanguard stellen. Haben Sie mich verstanden? Wenn nicht, werden viele Menschen sterben. Sie haben jetzt das Kommando auf der Triomphant und ich erteile Ihnen hiermit den Feuerbefehl. Ich übernehme die volle Verantwortung. Feuern Sie.“
„... Ich übernehme die volle Verantwortung. Feuern Sie.“
Lukas Wagner blickte aus den Augenwinkeln zu seinem Captain, der leicht den Kopf schüttelte. Wenn er den Feuerbefehl gab, würden die siebenhundert Männer der Vanguard sterben. Wenn er es nicht tat, was würde dann passieren, würden dann die beiden Flotten in den nächsten Minuten übereinander herfallen?
Er ließ die Sprechverbindung zum Flaggschiff aktiv, während er sich zum Signaloffizier umdrehte: „Lieutenant Commander Olic: Auf Befehl von Admiral Girad, CO 4. Flotte übernehme ich mit sofortiger Wirkung das Kommando über die Triomphant. Tragen Sie Uhrzeit und Datum ins Logbuch ein.“
Er schloss die Augen und wünschte sich irgendwo anders zu sein: „TO: Raketenwerfer eins und zwei, Direktfeuer auf Ziel Hotel-eins, drei Salven auf mein Befehl.“
„Aye-aye, Sir.“
„Rudergänger, zehn Grad Backbord, Drehung Z-Achse zwanzig Grad Steuerbord.“
„Zehn Grad Backbord, Z-Achse zwanzig Grad Steuerbord, aye-aye, Sir“, bestätigte der Rudergänger.
Die Triomphant legte sich langsam auf die Seite und brauchte ihre Hauptwaffen in Schussposition.
„Feuer!“
In der CIC der Pegasus beobachtet man das kurze Gefecht zwischen den beiden Kreuzern.
Feuerleitsysteme und Armierung der Triomphant waren ihrem Gegner eine Generation voraus, wenn nicht sogar zwei.
Der konföderierte Kreuzer wurde mit der ersten Salve kaum fertig. Die zweite klopfte ihn weich und die dritte verkrüppelte ihn.
Die Triomphant hingegen erhielt ein paar deftige Treffer durch die zweite und schon letzte Salve der Vanguard. Die erste Raketensalve wurde von den Abwehrsystemen des Erdkreuzers einfach aus dem All gefegt.
Dann schloss der Ticonderoga zu dem kleineren Hunley auf.
Als er in Energiewaffenreichweite kam, forderte Lukas Wagner die Vanguard nochmals zur Kapitulation auf, welche auch prompt ausgesprochen wurde.
„Admiral, Captain Novachec von der Altani, jetzt droht er uns, er verlangt mit Ihnen oder Admiral Yukono zu sprechen.“, der Signaloffizier der Pegasus wirkte unglücklich.
„Stellen Sie ihn zu mir durch.“, sie nahm den Hörer auf, „Captain Novachec, hier spricht Admiral Girad.“
„Sind Sie wahnsinnig geworden? Sie haben soeben ein Schiff der Konföderation zum Wrack schießen lassen. Pfeifen Sie augenblicklich ihre Bluthunde zurück oder ich schwöre ihnen, ich werde das Tor der Hölle aufstoßen! Was bilden Sie sich eigentlich ein?“
„Captain Novachec, Sie werden augenblicklich alle ihre Einheiten anweisen sich zu ergeben und meine Marines ungehindert an Bord kommen zu lassen.“
„Einen Scheiß werde ich machen. Jedes verdammte Sturmshuttle, dass sich uns nähert, wird abgeschossen. Haben Sie das verstanden.“
„Captain Novachec, Pavel,“, Girad versuchte so ruhig wie möglich zu sprechen, „Sie wissen, dass ich drei Sektionen Crusader Bomber draußen habe. Wenn Sie nicht innerhalb von fünf Minuten vollständig kapituliert haben, erhalten diese Bomber den Befehl die CNS Carl Lindon zu vernichten.“
Schweigen.
„Die Lindon hat fast siebentausend Marines an Bord. Das können Sie nicht machen.“
„Pavel,“, antwortete Girad, „ich werde tun, was immer nötig ist, um die Sicherheit der Bundesrepublik Terra zu gewährleisten. Kapitulieren Sie. Bitte, von einem Soldat zu anderen, ich bitte Sie inständig, kapitulieren Sie und lassen sie meine Marines an Bord kommen. Lassen Sie es nicht noch mehr ausarten als es schon ist.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Girad verschränkte die Hände auf dem Rücken und fixierte die Uhr in der CIC. Die Minuten verstrichen. Eine, dann zwei und letztlich drei.
„Admiral, die Altani funkt auf Flottenkanal eins.“
„Durchstellen.“
„Hier spricht Captain Pavel Novachec, als dienstältester Kommandant übernehme ich hiermit das Kommando über die Flotte. Ich weise alle konföderierten Einheiten an, die Maschinen zu stoppen und die Gefechtsbereitschaft aufzuheben.
Lassen Sie die terranischen Marines an Bord und leisten Sie keinen Widerstand. Ich wiederhole: Lassen Sie die terranischen Marines an Bord und leisten Sie keinen Widerstand. Altani Ende.“
Girad entspannte sich und vergrub ihr Gesicht in den Händen: „Gott sei Dank.“
Cattaneo
Tyr
Akarii-Träger KAHAL
„Haben Sie eine Ahnung, was Akar sich dabei gedacht hat?“ Admiral Tarans Stimme klang verwundert. Und sogar ein klein wenig beunruhigt.
Thera Los zuckte mit den Schultern. Auch sie war ratlos.
Die Nachricht kam von der Hauptwelt des Imperiums. Schon das war genug, um das Interesse des Admirals zu wecken. Der Kontakt mit Akar war bestenfalls sporadisch zu nennen. Und in letzter Zeit hatte er manchmal den Eindruck gewonnen, man hätte den Draned-Sektor am kaiserlichen Hof vergessen. Was ihm allerdings nicht ganz unrecht gewesen war.
Auffällig war außerdem, dass die Nachricht nicht von der Admiralität kam, sondern aus dem Hauptquartier des imperialen Geheimdienstes. Normalerweise wandte sich der Chef der ‚Schattenmänner’, wie man den Geheimdienst umgangssprachlich nannte, nicht direkt an den Oberkommandierenden eines Sektors.
Ein paar Augenblicke hatte Taran gefürchtet, dass der Geheimdienst seine Truppen für irgendeine ‚interne Angelegenheit’ anfordern würde – einen Putsch zum Beispiel. Wenn es eine Organisation außerhalb der Streitkräfte gab, der man zutraute, sich derart gewaltsam in die Thronfolge einzumischen, dann war es der Geheimdienst.
Aber nichts dergleichen Hochverräterisches. Die Botschaft wirkte seltsam unpersönlich, war kein ‚Angebot, das man nicht ablehnen durfte’, keine Drohung, keine Erpressung. Anscheinend auch keine Falle. Offensichtlich waren zeitgleich ähnliche Instruktionen an eine Reihe anderer Sektorenbefehlshaber gesendet worden.
Und zu allem Überfluss sollten diese Weisungen dann an alle Spähposten, Patrouilleeinheiten und Wachstationen weitergeben werden. Allerdings als versiegelte Order, die nur im Ernstfall geöffnet werden durften. Das alles war mehr als ungewöhnlich.
Und dann war noch der für den Funkspruch benutzte Code. Dieser Geheimdienstcode war reserviert für Notfälle. Vielleicht nicht gerade für die Routenplanung eines Kronprinzen, aber es fehlte nicht viel.
‚Das passt alles nicht zusammen.’ Und dann war da noch die Botschaft selber.
Auf den ersten Blick waren die Befehle ziemlich eindeutig. Wann immer ein Patrouilleschiff, ein Spähposten oder ein Konvoiwachschiff den Erdfrachter COPERNIKUS sichtete, sollte sofort Meldung gemacht werden. Man sollte sich dem Schiff nicht nähern, und auf keinen Fall sollte man an Bord gehen. Und falls die COPERNIKUS einen Sprung vorbereiten sollte, dann musste es vernichtet werden. Das war alles. Es gab keine Begründung für diese Befehle, keine weiterführenden Richtlinien.
Der Admiral wurde nicht schlau aus diesen Anordnungen. Und er mochte keine Rätsel: „Was ist so wertvoll an diesem Schiff? Und warum diese Quarantänebefehle?“
„Vielleicht handelt es sich um eine terranische Geheimwaffe? Einen Biokampfstoff? Oder es ist ein feindlicher Geheimdienstfrachter. Und die Besatzung im Besitz wertvoller Informationen. Oder aber es handelt sich um Überläufer oder Deserteure der TSN, aber der Geheimdienst traut ihnen nicht so richtig.“
„Und dann hätten sie ausgerechnet ein solches Fossil gekapert? Sogar die Altair-Klasse ist moderner, größer, schneller und besser gepanzert und bewaffnet.“
Thera Los grinste ein wenig spöttisch: „Bettler können nicht wählerisch sein. Und wenn es eines von UNSEREN Geheimprojekten ist, bei dem etwas schief gegangen ist? Ein Kaperschiff, auf dem es eine Meuterei gab, ein mobiles Bio- oder Genwaffenlabor…“
Tran schnaubte amüsiert: „Sehr witzig. Aber die Wirklichkeit ist kein Horror-Trid. Ganz zu schweigen davon, dass ich mir ein besser passendes Vehikel vorstellen könnte, als einen verrotteten, antiken Erdenfrachter.“
„Sehen Sie das Ganze doch mal aus einem cineastischeren Blickwinkel.“
„Ich vermute, es gibt doch eine plausiblere Erklärung als ein genetisch modifiziertes Ungeheuer, dass die Laborbesatzung massakriert hat und jetzt auf Beutezug ist.“
„Vielleicht werden wir das ja noch herausfinden können.“
Taran starrte durch das Sichtfenster in die Dunkelheit des Alls. Irgendetwas stimmte da nicht, das fühlte er. Aber er konnte dieses Gefühl nicht richtig in Worten fassen. Unwillkürlich fröstelte ihm: „Ich weiß nicht. Vielleicht will ich das auch gar nicht.“
Cattaneo
Tyr
Im republikanischen Raum, irgendwo zwischen Terra und Sternentor
Das penetrante Schrillen des Türsummers riss sie aus dem Schlaf. Automatisch fuhr ihre Hand zu dem Holdout-Laser, der unter ihrem Kissen verborgen lag. Solche Waffen erwartete man bei Kriminellen, bei Agenten – und, als Zweitwaffe, bei Angehörigen des Sicherheitsdienstes. Jean Falkner war das alles gewesen. War es immer noch, im gewissen Sinne.
Jean fluchte herzhaft. Sie konnte sich vorstellen, wer da draußen Sturm läutete. Und wie sie Andrew Tremane kannte, war der nicht nur vor ihrer Tür erschienen, weil er sich heute Nacht einsam fühlte. ‚Ich muss verrückt gewesen sein, dieser Versetzung zuzustimmen. Und dann auch noch mit DEM etwas anzufangen…’
Trotzdem betätigte sie den Türöffner. Der zum Personentransporter umgebaute Laboe-Frachter hatte nicht einmal stimmgesteuerte Ambientefunktionen in den Quartieren. Man musste SCHALTER benutzen. ‚Der reinste Truppentransporter.’
Jean Falkner machte sich nicht die Mühe, sich extra noch weiter anzuziehen. Ihr Vorgesetzter hatte schon erheblich mehr von ihr gesehen.
Natürlich war es Tremane: „Guten Morgen, Jean.“ Mit diesen Worten drängte sich der schlanke NSC-Offizier an ihr vorbei. Seine schwarzen, streichholzlangen Haare standen wild durcheinander, als wäre er eben erst aus dem Schlaf hoch geschreckt und hätte sich nicht die Mühe gemacht, sich um seine Frisur zu kümmern. Die dunkelbraunen Augen hingegen funkelten regelrecht. Das hatte Jean Falkner gefürchtet. Tremane war mal wieder auf dem Kriegspfad.
„Guten Morgen? Es ist mitten in der Nacht!“ Die durchtrainierte Einsatzagentin fuhr sich mit der Hand über die im Marines-Stil kurz geschnittenen, weißblonden Haare, und gähnte ausgiebig. Auch ihre eisblauen Augen funkelten. Allerdings Unheil verkündend.
„Technisch gesehen IST es bereits Morgen. Laut Standart-Bordzeit ist es Zwei Uhr.“ Bei diesen Worten drehte sich Tremane nicht einmal um, sondern konzentrierte sich ganz auf Jeans Laptop, dessen er sich ungefragt bemächtigt hatte.
Das scharf geschnittene, ausdrucksstarke Gesicht seiner Untergebenen verfinsterte sich noch mehr: „Wenn du mir nicht sofort sagst, was los ist, dann knall ich dir eine, Andrew!“
Nicht einmal Tremane war so dickfellig, diese Warnung zu ignorieren. Er hob beschwichtigend die Hand und lächelte kurz: „Nur mit der Ruhe, Jarhead. Johann Steinmark hat sich gemeldet. Und er hat interessante Neuigkeiten.“
„Ich dachte, du hast das EAD-Greenhorn ins Archiv verbannt.“
„Ich habe ihn dorthin gestellt, wo er für uns am nützlichsten ist.“ Tremane klang fast ein wenig selbstgefällig. Falkner hingegen fragte sich unbehaglich, was der junge Datenanalytiker ausgegraben hatte. Tremane bewegte sich schon normalerweise an der Grenze zur Besessenheit. Wenn er jetzt so aufgeräumt war...: „Wenn du endlich mal Klartext reden würdest?“
„Wie es aussieht hat Steinmark noch einige Querverweise zu der Ladung der COPERNIKUS gefunden.“
„Wenn du mich jetzt wegen ein paar über hundert Jahre alten Frachtlisten rausgeklingelt hast…“
„Offenbar hatte die COPERNIKUS nicht nur Handelsgüter an Bord. Und sie war nicht nur auf einem normalen Transitflug. Sie hatte einen Passier an Bord.“
„Und? Falls der nicht später irgendwo wieder aufgetaucht ist…“
„Der Mann hieß Lucas McGregor. Er war Archäologe für außerirdische Kulturen.“
„Gehörte er zum Naval Scientific Corps der TSN? Oder zur Extraterrestrial Archaelogy Division des TIS?“
Tremane schüttelte den Kopf: „Die EAD gab es damals noch nicht. Und obwohl er früher zum NSC gehörte, zum Zeitpunkt seines Verschwindens hatte McGregor den Dienst quittiert. Wie es aussieht, arbeitete er auf eigene Rechnung. Aber hat weiterhin seine Fundberichte an das NSC geschickt.“
„Und warum haben wir dann nicht schon früher von diesem…McGregor gehört? Ich dachte, du hättest jede Zeile der offiziellen Untersuchung dreimal untersucht und analysiert. Das kann dir doch nicht entgangen sein.“
„Die COPERNIKUS hatte keine offizielle Passagierliste. Außerdem hat das NSC geschlampt. Verdammte Bürokratie. Irgend so ein Schreibtischtäter hat McGregors Berichte ungelesen unter ‚Korrespondenz mit Pensionierten’ entsorgt. Das muss man sich mal vorstellen! Deshalb tauchte nichts davon bei den offiziellen Untersuchungen des Vorfalls auf.“
Langsam glaubte Jean Falkner zu begreifen: „Hatte der Mann irgendwelche Artefakte an Bord der COPERNIKUS gebracht? Und auf welchem Planeten hat er Ausgrabungen durchgeführt?“
„Nein zur ersten Frage. Und er hat keine Ausgrabungen auf Planeten oder Monden durchgeführt.“
Jetzt hatte sie langsam genug: „Jetzt reicht es, Tremane! Es ist ZWEI UHR NACHTS. Normalerweise bin ich um diese Zeit nur auf, wenn ich auf einer Party bin, bei einer Observation, oder jemanden umbringen muss!“, sie überlegte kurz und fügte dann hinzu: „…oder vielleicht, wenn ich mit einem Kerl im Bett bin.
Aber wenn du dir weiter jede verdammte Einzelheit aus der Nase ziehen lässt, dann benutz in Zukunft den beschissenen Dienstweg!“
„Schon gut, schon gut. McGregor hatte sich auf die Bergung außerirdischer Artefakte im Weltraum spezialisiert. Du weißt schon – Satelliten, Sonden, Raumschiffwracks und die Überreste von Raumstationen. Sogar die Rekonstruktion und Entzifferung früherer Radiosignale. Das war damals, vor einhundert Jahren, noch ziemlich revolutionär und unkonventionell. Die alte Archäologie tat sich mit solchen Ideen ziemlich schwer. Und außerdem mussten unsere Eierköpfe erst einmal anerkennen, dass andere Völker schon Jahrtausende vor uns in den Weltraum vorgestoßen waren. Dass die menschliche Geschichte nicht den Maßstab vorgibt für die Eroberung des Alls.“ Tremanes Stimme klang abfällig. Aber das überraschte Jean Falkner nicht. Sie wusste, was eine seiner Lieblingstheorien über das Verschwinden der COPERNIKUS war. ‚Sollte er am Ende doch Recht behalten?’
Währenddessen fuhr Tremane fort: „McGregor hat sogar so etwas wie einen Forschungsplan an die NSC geschickt. Leider ziemlich vage, aber dennoch…deutlich mehr, als wir bisher hatten. Jetzt wissen wir, was McGregor in diesem Teil der Galaxis wollte. Wir wissen genauer, wo die COPERNIKUS verschwunden ist. Und vielleicht…vielleicht sogar WARUM.“
Falkner schnaubte leicht ungläubig: „Na dann erleuchte mich mal.“
Tremane lächelte triumphierend: „Offenbar interessierte sich McGregor speziell für den Bifröst-Asteroidengürtel. Der liegt im Asgard-System.“
„Ich weiß, wo er liegt.“ Aber trotzdem war sie überrascht. Und mehr als ein bisschen alarmiert: „Was hoffte McGregor denn dort zu finden? Das System ist doch von einem Ende bis zum anderen durchkämmt worden. Man hat nichts gefunden.“
„Du vergisst, die COPERNIKUS ist vor über einhundert Jahren verschwunden. Zu diesem Zeitpunkt war das Asgard-System noch weitestgehend unerforscht.“
Das System mit dem Namen des altnordischen Götterwohnsitzes gehörte auch heute noch zu den Randsystemen der Republik. Der blutrote Stern wurde von drei Planeten umkreist. Zwei davon waren Gasriesen, und der dritte war eine vereiste Felskugel, nur viermal so groß wie der irdische Mond, ohne Leben oder Atmosphäre.
Die einzige Besonderheit des Systems war der gigantische Asteroidengürtel, der den ersten Planeten umkreiste. Seit Jahrzehnten hielt sich bei Raumfahrern und bei gewissen Populärwissenschaftlern das Gerücht, das riesige Labyrinth aus Metall-, Stein-, und Eisbrocken bestände aus den Überresten eines vierten Planeten, der vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden einer gigantischen kosmischen Katastrophe zum Opfer gefallen sei. Einer Naturkatastrophe – oder einer bewusst zum Einsatz gebrachten, unbekannten Kraft.
Die merkwürdig unregelmäßige Umlaufbahn des ersten Planeten um Asgard galt als einer der ‚Beweise’ für diese Theorie. Sie widersprach nach Ansicht einiger allerdings umstrittener Experten auf geradezu spektakuläre Art und Weise den üblichen astronomischen Gesetzmäßigkeiten. Nicht weniger chaotisch erschien die Rotation der Asteroiden um Asgard I. Der Gürtel war extrem instabil, Zusammenstöße kleinerer und größerer Asteroiden praktisch an der Tagesordnung. Das machte jede Erforschung des Gürtels mit Drohnen oder gar Raumschiffen zu einem fast unkalkulierbaren Risiko. Eine weitere Folge war der beständige Asteroidenregen, der auf Asgard I niederging. Beim Eindringen in die dichtere Gasatmosphäre zogen Asteroiden aus Eis einen Schweif hinter sich her, der – je nach ihrer Zusammensetzung – in den verschiedensten Farben des Regenbogens leuchtete. Es war ein spektakuläres Schauspiel, das dem Asteroidengürtel zu seinem Namen verholfen hatte. Bifröst war die Regenbrücke gewesen, die die Götter und die gefallenen Helden nach Asgard geführt hatte. Aber der Bifröst-Gürtel war nicht nur aus ästhetischen Gründen bekannt…
„Hör mal Andrew, du glaubst doch nicht diese alten Schauergeschichten?“
„Ich weiß, dass die Zusammensetzung etlicher der Asteroiden, die enthaltenen Spurenelemente und Metalle, astrogeologisch unmöglich ist. Ich weiß, dass man Trümmerstücke gefunden hat…“
„Das ist doch Blödsinn! Man hat nichts entdeckt, was diese Gerüchte bestätigt hätte. Und wenn du von diesen lächerlichen Attrappen redest… Das war doch nur ein etwas geschickterer Versuch, mit der Leichtgläubigkeit der Leute Geld zu verdienen!“ Vor etwa fünfzig Jahren waren einige Trümmerstücke aufgetaucht, die angeblich ein freier Prospektor im Asteroidengürtel gefunden hatte. Allerdings war die Authentizität der Fundstücke umstritten. Ebenso wie ihr Alter – die Schätzungen reichten von einem bis viertausend Jahren. Jedenfalls bestanden sie aus Metalllegierungen, wie sie den republikanischen Wissenschaftlern bisher unbekannt gewesen waren. Doch war es sogar umstritten, ob diese Legierungen natürlichen oder künstlichen Ursprungs waren. Inzwischen waren die ‚Bifröst-Trümmer’ so übel beleumdet, dass kein seriöser Fachmann sie noch untersuchen wollte. Und trotz diverser privater und auch vom NSC gesponserten Untersuchungen hatte man bis zum heutigen Tag keine weiteren ähnlichen Funde im Asteroidengürtel gemacht. Nicht einen einzigen: „Ich sage es dir noch einmal – DA IST NICHTS!
Inzwischen will man sogar eine kommerzielle Freizeitstation für betuchte Touristen in der Nähe des Gürtels bauen. Mit garantierter Aussicht auf den Asteroiden-Regenbogen und so…“
„Vielleicht sollten sie sich das noch einmal überlegen. Wie auch immer…
McGregor war der Meinung, dass der Gürtel eine nähere Untersuchung wert sei. Wenn man die letzten Funksprüche der COPERNIKUS mit der Durchschnittsgeschwindigkeit dieser Klasse vergleicht…Dann hatte sie Zeit genug, den Bifröst-Gürtel zu erreichen und etliche Erkundungsflüge durchzuführen. Sie haben dort etwas gesucht.
Und vielleicht, vielleicht haben sie es auch gefunden. Oder…etwas hat sie gefunden.“
Jean Falkner unterdrückte gewaltsam den kalten Schauer, der ihr über den Rücken lief: „Wie kommt es eigentlich, dass du nicht sofort mit gezogener Laserpistole zum Kapitän dieses Rattenfrachters marschiert bist, und eine Kursänderung verlangt hast? Ich hätte gedacht, dass du sofort Kurs auf das Asgard-System nehmen willst. Oder der Familie von McGregor auf die Pelle rückst.“
Tremane winkte verärgert ab: „Bevor ich die Mittel für eine gründliche Untersuchung des Asteroidengürtels bekomme, muss erst dieser idiotische Krieg zu Ende gehen. Kannst du dir vorstellen, dass das NSC oder der TIS die nötige Ausrüstung, Mannschaft und ein Schiff zur Verfügung stellt, um ein System zu erforschen, das längst zur Republik gehört?“
„Eher nicht.“
„Eben. Natürlich gäbe es immer noch die Möglichkeit, einige Projekte etwas…umzuwidmen. Ich glaube, im TIS wissen sie inzwischen selber nicht mehr, wofür sie alles Geld ausgeben…“ Tremane sah seine Untergebene bei diesen Worten direkt an. Aber die schüttelte entschieden den Kopf: „Oh nein. Wir sind schon beim letzten Mal beinahe erwischt worden. Und falls du es vergessen hast, nach meinem Abgang aus dem TIS wegen dieser blödsinnigen Aktion mit dem Gefangenlager habe ich meinen Kredit ziemlich ausgereizt. Meine verbliebenen Kontakte…das sind keine Milchkühe, die man einfach melken kann. Ich höre vielleicht Dinge, die jenseits unserer Geheimhaltungsstufe sind. Vielleicht kann ich ein wenig bei unserem Budget drehen. Aber nicht in dieser Größenordnung. Wir reden immerhin von etlichen Millionen!“
Tremane blickte sie kurz an, dann schien er ihre Äußerung erst einmal zu akzeptieren: „Nun, wir werden sehen. Vielleicht findet sich noch eine Gelegenheit. Immerhin muss der NSC seine neuesten Spielzeuge auch irgendwo erproben. Und der Bifröst-Gürtel wäre ein geeignetes Ambiente für den Test von modernen Sensoren und Spähdrohnen, findest du nicht?“
Jena Falkner zuckte mit den Schultern. Das klang schon besser: „Vielleicht….Und was ist dem persönlichen Nachlass von McGregor? Der Kerl muss doch Familie haben.“
„Hat er nicht. Einzelkind. Seine Frau starb ziemlich früh bei einem Unfall. Und sein Sohn… verschwand zehn Jahre später im Randsektor der Republik. Er war auf der Suche nach der COPERNIKUS.“
Tremanes Stimme hatte bei den letzten Worten merkwürdig geklungen. Ein abwesender, fast verlorener Ausdruck lag auf einmal in seinen Augen. Seine Untergebene konnte sich gut vorstellen, warum. Für einen Mann wie Tremane, der in Jean Falkners Augen ohnehin gefährlich empfänglich für derartige Anwandlungen war, musste das Schicksal von McGregors Sohn eine fast schicksalhafte Analogie seiner eigenen Suche sein. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie Tremane ihr einmal gesagt hatte, er rechne damit, dass die COPERNIKUS eines Tages auch sein Leben fordern würde. Natürlich war er bei diesem Geständnis betrunken gewesen.
Am liebsten hätte sie ihm den Arm um die Schulter gelegt. ‚Aber dazu ist er vielleicht ein wenig zu alt. Er muss schon selber damit fertig werden.’ Außerdem…dass man mit jemandem geschlafen hatte, bedeutete noch nicht, dass man ihn wirklich verstehen konnte. Und sie hatte auch keine Lust, ausgerechnet DEN Part zu spielen.
Ein paar Sekunden verstrichen, dann verschwand der seltsame Gesichtsausdruck aus Tremanes Gesicht. Seine Stimme klang wieder geschäftsmäßig: „Der Nachlass von McGregor ist in alle Winde verstreut. Das ist eine Aufgabe für Datenanalysten und Trödelsucher. Wir haben wichtigere Aufgaben. Und außerdem gibt es noch einen Grund, warum ich es für klüger halte, wenn wir an unserem ursprünglichen Plan festhalten. Ich brauche die Aussage von Parker. Vielleicht hat sie etwas bemerkt, was Lincoln entgangen ist. Für irgendetwas muss ihr höherer Rang doch gut gewesen sein. Und Davis ist mir auch noch ein paar Antworten schuldig. Genauso wie der Rest von seiner Familie. Es ist mir wieder eingefallen, als ich von McGregor gehört habe. Sein Onkel Dean Davis hat auch mit Antiquitäten gehandelt. Ich glaube nicht an Zufälle.“
Für Jean Falkner klang das allerdings eher nach einem von Tremanes berüchtigten Ahnungen und Gedankensprüngen: „Na und?! Der Mann war ein verdammter SCHMUGGLER. Er hat auf der STARDANCER alles Mögliche transportiert. Exotische Tiere, Gewürze…Waffen und Drogen, das möchte ich wetten. Und früher vielleicht sogar Sklaven. Er scheint der Typ dafür.“
Tremane winkte ab: „Ich bin nicht bereit, dass so einfach zu ignorieren. Und wenn ich dazu die COPERNIKUS zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit erklären muss…“
„Überschreiten wir damit nicht ein klein wenig unsere Kompetenzen?“
„…ich will den Nachlass von diesem abgehalfterten Schmuggler Dean. Und wenn ich dazu jedes Haus und jedes Schiff im Besitz der Familie durchsuchen und jedes Mitglied der Familie verhören muss. Und bei ihrem Heldenjüngelchen fangen wir an. Klopfen wir ein wenig auf den Busch. Zum Teufel, zur Not würde ich ein verdammtes Medium anheuern.“
„Ja, das kann ich mir vorstellen.“ Aber natürlich sprach sie zu tauben Ohren. Tremane war mal wieder in DIESER Phase. Jeans Vorgesetzter war schon wieder auf den Beinen: „Jedenfalls, ich wollte, dass du es weißt. Die Daten sind auf deinem Gerät. Ich würde vorschlagen, dass du dich damit vertraut machst. Vielleicht entdeckst du etwas, was mir entgangen ist. Ich weiß deinen Blickwinkel zu schätzen.“ Das hatte sie aber ganz anders in Erinnerung.
Inzwischen war Tremane schon wieder auf dem Weg nach draußen: „Es gibt viel zu tun.“ Im Türrahmen hielt er noch einmal kurz inne, drehte sich aber nicht um: „Und…schlaf noch gut.“ Und damit war er draußen. Das geschleuderte Kissen klatschte zusammen mit einem lauten Fluch nur noch gegen die sich schließende Tür.
Jean Falkner schaute auf die Uhr: ‚Zwei Uhr Zwanzig.’ Und sie war hellwach und wütend. Dann konnte sie sich genauso gut an die Arbeit machen. Schlaf würde sie sowieso nicht mehr finden. Mit einem letzten Fluch kam sie auf die Beine und wechselte in die Nasszelle.
*************
Irgendwo
Der Frachter bewegte sich völlig lautlos. Im Weltall gab es keine Geräusche. Und an Bord des Raumschiffes herrschte die Stille des Grabes. Normalerweise hätte man das Summen der Luftumwälzungsanlage, das kaum wahrnehmbare Brummen der Maschinen gehört. Schritte, Stimmen, das Atmen der Mannschaft.
Doch hier regierte seit vier Generationen das Schweigen.
Langsam aber unbeirrt folgte die COPERNIKUS dem Kurs, den sie vor über 100 Jahren eingeschlagen hatte. Der Kurs, der sie in einen Mythos verwandelt hatte. In eine Sage, wie sie seit Jahrtausenden erzählt wurde, seitdem ein von beseelten Wesen geschaffenes Fahrzeug zum ersten Mal ins Ungewisse vorgestoßen war. Seitdem das erste Mal ein Schiff gesichtet worden war, seeklar und mit gesetzten Segeln – und von der Mannschaft verlassen. Sie war zur Summe der Ängste geworden, die jeder Sterbliche bewusst oder unbewusst empfinden musste, der sich in die endlose Leere des Alls wagte.
Die Gänge und Räume waren in Dunkelheit getaucht. Die kleinen Sichtluken wirkten wie schwarze Augen, die in die Endlosigkeit hinaus starrten. Die nichts preisgaben.
Hätte es einen Beobachter gegeben, etwa den Piloten eines Kampffliegers, vielleicht hätte er für einen Augenblick geglaubt, er hätte in einer dieser Luken etwas gesehen. Eine flüchtige, huschende Bewegung, einen Schatten, einen schwarzen Umriss in der Dunkelheit.
Wahrscheinlich aber hätte er geglaubt, dass er einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen wäre, dass ihn seine übermüdeten Augen genarrt hätten. An Bord dieses Schiffes konnte nichts Lebendes sein.
Die COPERNIKUS setzte ihren Flug fort.
„SOS...schiff...ikus...wurde...te..lfe...or...brauchen...lichst...sicht...“
...
Cattaneo
Cunningham
Wollt Ihr etwa, dass Napoleon Euer König wird? - Nein!
Wollt Ihr eine Guillotine auf dem Piccadilly? - Nein!
Wollt Ihr, dass Eure Kinder die Marseillaise singen? - NEIN!
Master and Commander von Patrick O'Brian
Klar Schiff zum Gefecht
Hinter dem Schutzwall aus Kreuzern, Zerstörern und Fregatten lag die Hongkong, ihres Zeichens ein leichter Träger, in der Konvergenzsenke des Sprungpunktes.
Über zwei Drohnenrelais erhielt sie die Sensormeldungen der Dauntless und der anderen Vorpostenschiffe. Die eigenen Sensoren und Radare waren auf ein Mindestmaß heruntergefahren.
Warten, die Hälfte seines Lebens verbringt der Soldat mit warten.
Er wartet und raucht. Er wartet und isst. Er wartet und betet. Und er wartet und bereitet sich vor.
Senior Master Chief Petty Officer Audrey Pike war Deckchief der Hongkong. An und für sich ein ruhiger Job. Sie hatte ihre Crew gut trainiert und seit dem Verlust der Wasp konnte sie sogar eine Mannschaftsquote von hundertzwanzig Prozent aufweisen. Was bedeutete, sie hatte in einigen Bereichen fast vierzig Prozent mehr Leute zur Verfügung als sonst.
“Hergehört, Leute,”, Pike erhob die Stimme, zehn Jahre Dienst als Unteroffizier hatten ihr ein kräftiges und trainiertes Organ verschafft, “wenn es los geht, werden wir mit doppelter Last fahren. Wir müssen nicht nur unser Geschwader im Einsatz halten, sondern ein zweites Geschwader, hauptsächlich aus Jabos und schweren Jägern. Für uns bedeutete das ein Heidenstress. Damit müssen wir fertig werden. Wenn es wirklich übel wird, kommt alle zwei Minuten ein neuer Vogel rein, der notdürftig geflickt, aufgetankt und neu munitioniert werden muss. Mehr als zehn Minuten darf er nicht hier auf dem Deck stehen. Edwards, Kagashima, Ihr beide macht die Vordiagnose. Jeder Vogel, der nicht innerhalb von zehn Minuten wieder startbereit ist und dann eine Einsatzbereitschaft von fünfundsiebzig Prozent vorweisen kann, wird beiseite genommen.”
Die beiden Seniorchiefs nickten.
“Bevor wir jedoch unsere eigenen Maschinen starten möchte ich, dass sich die Muntechs nochmal die Fahrstühle für die Raketen ansehen. Nummer B scheint immer noch seine Macken zu haben. Ansonsten werden wir jetzt damit beginnen, das gesamte Geschwader an Deck zu bringen, soweit das möglich ist, und alle Jäger für den Start vorzubereiten.”
Es dauert achtzehn Sekunden einen vorbereiteten Jäger nach Erhalt der Starterlaubnis zu starten. Fünf Sekunden um die Maschinen aufzudrehen und zur Kommunikation mit dem KAT-Offizier. Dreizehn Sekunden für den Abschuss mit dem Katapultschlitten. Dieser braucht dann fünfundzwanzig Sekunden um zurückgezogen und neu arretiert zu werden. Weitere dreißig Sekunden sind nötig, um einen neuen Jäger aufs Katapult zu ziehen und startbereit zu machen.
Wenn das gesamte Geschwader gestartet wird, werden mit jedem Katapult vierundzwanzig Jäger ins All befördert. Alle zehn Jäger muss der Schlitten neu justiert werden, was fünfzig Sekunden in Anspruch nimmt.
Das würde bedeuten, dass in dreißig komme acht Minuten ein komplettes Geschwader im All wäre. Jedoch wird das zweite Katapult immer mit zwei Sekunden Verzögerung gestartet, was zu einer Gesamtzeit von einunddreißig Komma sieben Minuten führt, in der ein Träger der Pegasus oder Majestic Class sein Bordgeschwader ins All befördert hat.
Bei einer gut trainierten Crew und ohne irgendwelche Fehler oder Fehlfunktionen.
Aber Pike war zu lange in der Navy, um sich Hoffnungen zu machen. Natürlich würden Fehler auftreten und irgendwelche Geräte würden streiken.
Und beides würde in den ungünstigsten Situationen geschehen. Wahrscheinlich dann, wenn beschädigte Maschinen hereinkamen. Vielleicht sogar brennende Wracks, wenn Piloten aus den Cockpits geborgen werden mussten oder wenn eine Rettungsfähre landen musste, mit Schwerverletzten an Bord.
Sie steckte sich eine Zigarette an. Sie hasste das Rauchen. Der Mund schmeckte danach wie ein Aschenbecher, die Finger verfärbten sich gelblich. Aber es erleichterte das Warten ungemein.
Und nun hieß es für sie warten.
Raven hatte die Augen geschlossen. Die entsandten Jäger der Columbia waren an Punkt H eingetroffen und von den Tankern der Hongkong mit Treibstoff und frischer Atemluft versorgt worden.
Langsam, ganz langsam hatte sie die innere Nervosität verdrängen können. Achtundvierzig Jäger und Jagdbomber lagen antriebslos im Weltall.
Man hatte alle Systeme heruntergefahren, die man abschalten konnte.
Hinter sich hörte sie Earl Hässler gleichmäßig atmen, fast als würde ihr RIO schlafen. Das war nicht so. Hässler schnarchte grauenvoll. Auch ging sein Atem heute eher stoßweise. Auch er war von Adrenalin durchflutet, und das noch ehe die Schlacht begann.
Vor jedem Soldaten tauchte irgendwann ein Berg auf, den es zu erklimmen gilt. Es galt ihn zu besteigen. Anschließend konnte man auf der anderen Seite hinuntergehen und alles würde einem leichter fallen. So heißt es zumindest.
Sie, wie alle anderen Piloten unter ihrem Kommando, hatten mehr als einmal dem Tod ins Auge geblickt. Doch heute war es anders. Zumindest für sie, Samantha Burr, selbst.
Es war zum ersten Mal die reelle Angst, nicht mehr zurückzukommen.
Der psychologische Berg, über den es zu klimmen galt, schien auf der anderen Seite keinen Weg mehr hinab zu besitzen. Das machte ihn so furchteinflößend.
Man kann einem Menschen fast alles abverlangen, solange er noch Hoffnung hatte. Doch was war, wenn alle Hoffnung versiegte?
Es gab Menschen, die dann “Noch einen von den Bastarden mitnehmen” wollten.
“Wir haben da etwas auf dem Radar, Boss.”, meldete sich Earl zu Wort.
“Geht es auch etwas genauer?”
“Sorry, ist am äußersten Rand und scheint aufs Wurmloch zuzuhalten, ich nehme an, es ist die Columbia. Beunruhigendes Gefühl, dass die alte Lady nicht dabei ist, wenn es hier zur Sache geht.”
“Sie sagen es, Earl.”
Wenige Minuten nach dem ersten Sensorkontakt stieg die Thetastrahlung des Wurmloches kurz an. Die Columbia und ihre Begleitschiffe waren verschwunden.
Ihre Heimat der letzten Jahre war einfach aus dem System gesprungen.
Heimat, das sollte eigentlich ein Stück Land auf einem Planeten sein, oder von mir aus auch ein ganzer Planet, dachte Raven. Wenn man ein Schiff schon als Heimat betrachtete, war man definitiv zu lange im All. Das war so, als wenn ein Soldat seinem Gewehr einen Frauennamen gab.
Aber es führte kein Weg daran vorbei, Raven hatte wie die meisten Piloten der Columbia seit Jahren keinen Planeten mehr betreten. Keine ungefilterte Luft geatmet und kein ungefiltertes Wasser getrunken.
Die sechs Wände des Trägers waren die Begrenzung ihrer Welt. Nur von den Stunden im Cockpit unterbrochen.
Wie lange mochte es wohl dauern, bis die Akarii jetzt auftauchten? Wenn sich die Echsen zuviel Zeit ließen, würden die Piloten weiter ermüden, außerdem mussten dann die Tanker der Hongkong nochmal ran und den Sauerstoffvorrat erneut nachfüllen, was ein Sicherheitsrisiko darstellen würde.
Hoffen und bangen hieß es nun. Hoffen, bangen und warten.
Die CIC der Hongkong wurde von den Monitoren und Instrumenten erleuchtet.
Rear-Admiral Benk Schepens wanderte vor dem Kartentisch auf und ab. Seine Stabsoffiziere und die Ressortoffiziere der Hongkong arbeiteten ununterbrochen daran, den Kartentisch zu aktualisieren.
Die Flotte der Akarii kam in leichter Fächerformation auf den Sprungpunkt zu.
An der Spitze der Akariiformation befand sich ein Wall aus Zerstörern.
“Da werden unsere Jäger nicht durchkommen”, knurrte Schepens, “spätestens am inneren Kreuzerkreis werden die Jabos abprallen.”
Aber er würde den ersten Schachzug nicht mehr ändern. Mithel konnte mit einem schnellen Angriff viel Schaden anrichten.
Und wenn die Jäger der Columbia angriffen, würden die Akarii vielleicht davon ausgehen, dass man das Pulver verschossen hatten. Wenn Mithel dann zurückweichen würde, könnten die Jäger und Jagdbomber der Hongkong noch einmal ein Trumpf darstellen.
Er entschied sich, seine Jäger zurückzuhalten. Die Akarii waren noch etwa fünfzig Minuten entfernt. Es war eigentlich der Zeitpunkt die Maschinen zu starten.
Mithel und Raven würde er informieren, wenn der Commodore angriff. Vorher konnte er die Funkstille nicht brechen. Es war ein Glücksspiel.
Das Überleben in der Schlacht wurde allzu oft vom puren Glück und vom Zufall entschieden.
Ein bisschen Glück wäre jetzt das richtige für uns.
Warten: Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens.
Lucas nahm den Kaffee entgegen und nippte. Er verzog das Gesicht: “Haben Sie den Kaffee gemacht?”
Der Ensign nickte.
“Ja, unser Mister Fowler versteht was von starken Kaffee.”, meinte George Long diebisch grinsend.
“Fowler, legen Sie das nächste Mal etwas mehr Kaffeepulver auf.”, meinte Lone Wolf und wandte sich wieder dem Kartentisch zu.
Die Columbia und die wenigen Schiffe ihrer Begleitschwadron hatten sich in einem auseinander gezogenen Defensivring am Sprungpunkt postiert.
Trisha McGill, die nun als Interimsgeschwaderführerin tätig war, stand ebenfalls am Kartentisch und studierte den Inhalt ihrer Kaffeetasse skeptisch.
“Wie ist der Status unseres Geschwaders?”, wollte Cunningham wissen.
“Wir haben vier Falcons und zwei SWACS im hinteren Bereich als Patrouille. Ansonsten habe ich so vielen Piloten wie es geht Ruhe verordnet. Die Bodencrews arbeiten noch an den Maschinen, um soviel wie möglich einsatzbereit zu bekommen. Ebenso wurden die Griphen startbereit gemacht.”
“Wie viele Maschinen haben wir?”
McGill schnalzte mit der Zunge: “Mit den Griphen und wenn Dodson und seine Crews weiter so ranklotzen, einundsechzig. Bei nicht ganz vierzig Besatzungen. Aber da sind der Doc und ich uns noch uneinig. Einige von den Piloten, die er nicht rausrückt, würde ich ganz klar als kampftauglich einstufen.”
“Sind sie es?”, fragte Cunningham nach.
“Spielt das eine Rolle, wenn die Akarii durch den Sprungpunkt kommen?”
Man konnte an den Gesichtern in der CIC sehen, dass es keine Rolle spielte.
Dann war alles vorbei.
Cattaneo
Cattaneo
Der erste Schachzug
Tiefer Raum am Sprungpunkt des Karrashin-Systems
Im Normalfall waren es meist die Kampfflieger, die eine Schlacht eröffneten. Oft kam die zweifelhafte Ehre auch den Waffenoffizieren an Bord der großen Schiffe zu, die es in ihrer Hand hatten, den Weltraum im Umkreis von fast einer Lichtsekunde um ihre fliegenden Festungen in eine Todeszone zu verwandeln. Doch diesmal, in der zweiten Schlacht von Karrashin, würde dies nicht der Fall sein. Die Ehre und die Last des ersten Schlages gebührten einer Handvoll Männer und Frauen, die im Grunde weder von den Kampfpiloten noch von den Brückenoffizieren ganz voll genommen wurden – den Besatzungen der TSN-Shuttles. Sie waren nicht viele, doch in dieser Schlacht würden diese wenigen eine wichtige Rolle spielen. Ihre Ortungsspezialisten durchforschten aufmerksam die endlose Weite des Raums. Sie hielten ständigen Kontakt zu den eigenen Großkampfschiffen, die sich weit hinter ihnen, in Nähe des Sprungpunktes, zur Schlachtflotte formierten. Dabei achteten sie sorgsam darauf, den Feind nicht zu dicht an sich herankommen zu lassen. Die Strahlung des Sprungpunktes verschleierte die Position der terranischen Hauptflotte, störte jedoch zugleich die eigene Ortung. Dennoch hatten Schepens und Mithel sich dazu entschlossen, dieses Versteck zu nutzen, um den Gegner umso sicherer in die Falle gehen zu lassen, doch dafür brauchten sie die Shuttles als Augen und Ohren.
Dabei blieb freilich die Frage offen, wer am Ende der Sieger bleiben werden würde. Die Rolle von Jägern und Gejagten konnte schnell wechseln, wenn die Kräfte so ausgeglichen waren. Erst wenn sich die Akarii näherten, würden die menschlichen Kriegsschiffe angreifen. Sie würden, alarmiert von den Shuttles, ihre Deckung verlassen und sofort zuschlagen. Die Hongkong aber würde weiterhin aus der Deckung der Strahlungszone operieren, in der Hoffnung, auf diese Weise feindlichen Gegenschlägen entgehen zu können.
So kam es, dass die SWACS-Shuttles im Moment die Augen, Ohren, Hände und Zähne der Flotte waren.
Das Sturmshuttle R-3 gehörte nicht zu diesen „Auserwählten“, doch First Lieutenant Robert Stanford lauschte dennoch aufmerksam jedem Funkspruch. Seine Maschine war Teil der „Nachrichtenstafette“, welche die Außenspäher mit der Hauptflotte verband. Das ernste Gesicht des Briten wirkte hochkonzentriert. Nur gelegentlich verdrehte er gespielt genervt die Augen, da seine Copilotin vor Nervosität mit ihren Fingernägeln einen wahren Trommelwirbel auf ihren Armaturen veranstaltete. Das lag weniger daran, dass sie Angst oder Unsicherheit verspürte, und das unterschied sie möglicherweise von ihrem Vorgesetzten. Doch Abwarten war nie ihre Stärke gewesen, und bedachte man, wie sie wieder und wieder die Feuerknöpfe streichelte…
Stanford leierte monoton die Meldungen herunter, die er auffing und weiterleitete, einmal weil es seine Aufgabe war, und außerdem, weil er wusste, dass er mit diesem Tonfall seine Untergebene nervte: „Akarii-Flotte geortet. Stärke sechs, möglicherweise sieben Einheiten der K-Klasse, geschätzt drei bis dreieinhalb Dutzend F/D-Klasse, keine Träger, keine leichteren Einheiten, Jäger mindestens 60. Feindflotte enge Formation, Außenpatrouillen drei bis vier Sektionen Abfangjäger. Koordinaten nach Gefechtsdiagramm folgen…Einspielung in Zielcomputer läuft. Gesamtmarschgeschwindigkeit 110. Mehrere Schiffe abgesondert, Kurs Karrashin-V.“
An diesem Punkt reichte es seiner Copilotin: „Ich kann es nicht mehr hören! Wann tun wir endlich was!“
Ihr Vorgesetzter grinste nur lakonisch: „Oh, diese Ungeduld der Jugend. Ich fürchte, du bekommst bald genug Möglichkeit, neue Abschussmarkierungen anzubringen.“ Maria Hernandez murmelte etwas über den Lethargie des Alters, ehe sie ihren Trommelwirbel wieder aufnahm. Dann „kaperte“ sie kurz entschlossen die Funkverbindung und warf ihren Vorgesetzten einfach aus der Leitung, ohne sich um seine eher halbherzige Proteste zu kümmern: „Hier R-3, Anfrage an R-9. Peilsignale von Spaziergängern über Karrashin-V?“ Die Antwort kam umgehend: „Positiv – wir haben nicht alle eingesammelt.“
Mit „Spaziergängern“ waren die schiffbrüchigen Akarii gemeint, die Überlebenden der vernichteten kaiserlichen Kreuzer. Die menschliche Flotte hatte vor ihrem eiligen Rückzug so viele der feindlichen Rettungskapseln und wracken Shuttles geborgen, wie sie in der kurzen Zeit hatte finden können. Natürlich war dies nicht aus humanitären Gründen geschehen. Gefangene waren eine Waffe im Propagandakrieg, sie waren effektiv dem Kriegseinsatz für den Gegner entzogen, konnten wertvolle Informationen bieten – und vermutlich dachten manche Offiziere auch über ganz andere Möglichkeiten nach. Aber man hatte nicht die Zeit gehabt, jede Kapsel aus dem All zu fischen, zumal einige der Echsen ihre Transponder zeitweilig ausgeschaltet hatten, bis sie die Menschen weit genug entfernt wähnten. Die Bergung der eigenen Schiffbrüchigen und Notreparaturen an den Kriegsschiffen hatten für ausreichend Beschäftigung gesorgt. Folglich war es einer ganzen Anzahl Akarii gelungen, sich unter dem Radar „durchzuschmuggeln“. Jetzt funkten sie, und der kaiserliche Flottenverband hatte die Signale aufgenommen. „Wenn es nicht so böse wäre…“ Marias Stimme klang so staubtrocken, dass man einmal mehr nicht sagen konnte, ob sie es ernst oder sarkastisch meinte: „…hätte man den Echsen ein paar atomare Überraschungen in Rettungskapseln hinterlassen können.“
Ihr Vorgesetzter musterte ihr „sturmumwölktes“ Gesicht und lachte: „So hübsch und doch so blutgierig? Nein, gib keine Antwort, ich weiß, dass sich das nicht ausschließt, ganz bestimmt nicht bei dir.“ Übergangslos wurde er ernst: „Nun, wir wollen den Echsen sicher keinen Vorwand für Vergeltungsmaßnahen geben, oft genug sind ja unsere Leute draußen – und außerdem sind wir ja die Guten…“ Das letzte, hinzugefügt mit einem leicht sarkastischen Unterton, wurde von der Offizierin nur mit einem zynischen Grunzen quittiert. Dann beugte sie sich vor, und begutachtete die Anzeigen. Irgendwo in der Ferne blitzte es auf, und selbst die vergleichsweise primitiven Sensoren des Sturmshuttles registrierten die Eruption.
Lieutenant Stanford machte sich nicht einmal die Mühe, sich für einen besseren Überblick vorzubeugen. Er kniff lediglich ein Auge zusammen, klang aber nur gebremst enthusiastisch: „Sieht so aus, als wäre eine unserer Minen hochgegangen.“ Der Pilot machte sich keine Illusionen. Die wenigen Minen, die noch in den Magazinen der Flotte zu finden gewesen waren, hatte man über einen zu großen Raumabschnitt verteilen müssen. Schließlich wusste man nicht genau, welchen Weg die Akarii nehmen würden.
So konnte man nicht viel erreichen, aber bekam mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest ein paar Treffer. Die Sprengkörper hatten zwar eine beträchtliche Vernichtungskraft, aber immer noch musste ein Schiff relativ direkt „auflaufen“, um einen Erfolg zu garantieren. Aktivminen hatte die Flotte noch weniger dabei gehabt, nicht mehr als ein Dutzend. Die Akarii orteten sicher, was das Zeug hielt, und schickten womöglich auch noch Kreuzer voraus. Deren Schilde waren in der Lage, einen Minentreffer relativ problemlos wegzustecken, und ihre schwere Bewaffnung ermöglichte es, geortete Sprengkörper in Sekunden auszuschalten – etwa, wenn eine Zielsuchmine aktiviert wurde.
Stanfords Stimme war deshalb mit viel Übung eine gewisse Nervosität anzumerken: „Ich frage mich, ob die Echsen nicht langsam anfangen neugierig zu werden, was aus ihren ganzen Kreuzern geworden ist. Das müssen ja nach ihrer Einteilung gut vier bis fünf Divisionen gewesen sein, also zwei unserer Schwadronen.“
Der First Lieutenant war zwar ein erfahrener Soldat, doch frei von Furcht war er nicht. Dass er im Augenblick halbwegs gekonnt den eiskalten Profi mimte, lag daran, dass ihnen momentan wenig unmittelbare Gefahr drohte. Er machte sich freilich wenig Hoffnung, seine Copilotin täuschen zu können.
Die Akarii würden niemals mit Atomraketen auf Shuttles schießen, und ihre Jäger und leichten Waffen waren weit genug weg. Im Moment jedenfalls noch – die feindliche Flotte näherte sich mit mehr als 6.500 Kilometern in der Minute. Nur wenige Sekunden später registrierte er eine weitere Explosion, vermerkte sie routinemäßig, doch da flammte bereits eine zweite, stärkere auf. Seine Copilotin sprang wie von der Tarantel gestochen hoch: „Fange Sekundärexplosion auf!“ bellte sie, ihren Vorgesetzten einfach übergehend. Ihre Finger huschten über die Anzeigen, mit einem Blick wertete sie die Daten aus, die ihr von den Spähshuttles zugesandt wurden: „Explosionsindex deutet auf eine Fregatte hin. Streiche…F/D Rot 17 aus feindlichen Flottenmuster!“ Sie grinste übermütig, wurde aber sofort ernst: „Eine Echse in der Kiste, 45 noch draußen.“ Ihr Vorgesetzter betrachtete sie mit säuerlicher Miene: „Ich werde hier wohl noch ganz überflüssig, was?“ Dann, wie um sich gleichsam zu beweisen, dass dem doch nicht so war, aktivierte er die Steuerung und gab langsam Schub. Es war Zeit, noch etwas Abstand zwischen sich und die näher rückenden Akarii zu bringen. Im nächsten Augenblick fluchte er halblaut: „Schau mal einer an – da kommt ja noch jemand zur Party!“
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Brücke des Schweren Kreuzers Relentless, TSN-Hauptflotte am Sprungpunkt bei Karrashin V
Commodore Chris Mithel hatte vor seinem Kommandosessel Haltung angenommen. Er hielt sich aufrecht, und bot mit seiner makellosen Uniform, dem markanten Gesicht und den grauen Haaren einen würdevollen Anblick. Der Commodore salutierte mustergültig, mit einer Straffheit, die zu einem jüngeren Mann gepasst hätte – ebenso wie sein Gegenüber, Rear-Admiral Schepens, der im Moment sprach: „Ich übergebe hiermit den taktischen Befehl über den Angriffsverband an Commodore Chris Mithel. Ich erwarte, dass jeder Mann und jeder Frau in der kommenden Schlacht seine Pflicht erfüllt. Schepens Ende!“
Der Kapitän der Relentless behielt noch einen Augenblick Haltung, obwohl sein Vorgesetzter bereits die Verbindung gekappt hatte. Dann nahm er Platz und schnallte sich an. Sein Gesicht verriet nichts, doch er hatte sich noch niemals so einsam gefühlt wie in diesem Moment, als er in seinem Kommandosessel darauf wartete, rund 30 terranischen Kriegsschiffen den Feuerbefehl erteilen zu können. Er war ein hoch dekorierter Offizier und hatte an vielen Schlachten teilgenommen. Vom ersten Augenblick des Krieges an hatte er als Kapitän gedient, auch wenn an diesem Tag der Kommandosessel der Hydra noch besudelt gewesen war vom Blut seines Vorgängers, die Brücke ein einziges Chaos aus Schreien, Rauch und Entsetzen. Er hatte erst einen einzelnen Kreuzer, dann einen ganzen Verband in die Schlacht geführt, hatte gespürt, wie sich sein eigenes Schiff unter den Schlägen des Gegners aufbäumte, wie es stöhnte und schauderte, dem Tod nahe. Er hatte die Symphonie der Vernichtung, das Feuer der Raketen und Geschütze, dirigiert und gegen den Feind gelenkt, hatte das Sterben stolzer Schiffe und tausender Menschen miterlebt und war zum Henker von tausenden fühlenden und denkenden Wesen geworden.
Doch so seltsam es klang, dies war das erste Mal, dass er einen vollständigen kombinierten Verband im Gefecht kommandierte – in einer wichtigen Schlacht, nicht nur in einem unwichtigen Scharmützel. Und nicht nur eine improvisierte Kampfgruppe oder eine taktische Untereinheit, ein untergeordnetes Geschwader. Diesmal würde er nicht nur autonom, sondern ganz und gar unabhängig agieren.
Nun, wenn man ehrlich war, zumindest würde er das zeitweilig tun. Admiral Schepens würde mit der Hongkong zurückbleiben im „Radarsmog“ am Sprungpunkt, um seinen leichten Träger nicht zu exponieren. Der Commodore hätte gerne die zusätzliche Feuerkraft im direkten Einsatz zur Verfügung gehabt, aber er konnte nachvollziehen, dass der neue Kommandeur des Verbandes nach dem Verlust der Wasp und der Beschädigung der Columbia vorsichtig war. Schepens wollte den Träger als Operationsbasis für die Kampfflieger und als letzten Trumpf aufheben. Deshalb sollte der erste Schlag von den Kriegsschiffen unter Mithels Kommando geführt werden. Allein von ihnen.
Die Kampfflieger würden auf eine günstige Gelegenheit warten, denn laut dem Schlachtplan war es ihre Aufgabe, die feindlichen Träger zu stellen, und damit die verbleibende Offensivkraft der Akarii zu vernichten. Auch das konnte der Commodore verstehen, obwohl er eigentlich den Starkult um die feindlichen Träger ablehnte. Doch eine unbemerkte Annäherung der Jäger an den Feind war schwierig, und die Kampfflieger mussten näher heran als seine Schiffe, um zuschlagen zu können. Sollten die Träger des Gegners aber nicht auftauchen…nun, für die selbsternannte Elite der Flotte fand sich mit Sicherheit eine Beschäftigung.
Das Kreuzerschwert des feindlichen Kommandeurs war bereits zerbrochen worden, und seine zweite Klinge, die Kampfflieger, musste nach dem Verlust der meisten Jagdbomber und Bomber stumpf oder zumindest schartig geworden sein. Jetzt noch ein paar Treffer auf den feindlichen Trägern…und der gegnerische Verband war auf die leichten Kriegsschiffe reduziert. Die waren zwar alles andere als ungefährlich, allein aber weder militärisch noch psychologisch in der Lage, der terranischen Hauptflotte gefährlich zu werden. Waren erst zwei Drittel der feindlichen Streitmacht vernichtet oder beschädigt, dann würde die sinkende Moral der Echsen keine waghalsigen Aktionen mehr gestatten. Ihre Schiffe wären dann überfüllt mit Verletzten, mit leeren Magazinen, beschädigt. Wie so oft ging es eben auch um Psychologie. Sie würden sich zurückziehen müssen. Ein vernichtender Schlag gegen die „Amboß“-Formation der Akarii mochte die Echsen insgesamt dazu bewegen, sich ihren ganzen Angriffsplan noch einmal zu überlegen – und selbst wenn sie zuschlugen, der Verlust so vieler Schiffe würde die Siegesgewissheit des Feindes untergraben.
Selbst mit Hilfe der Dauntless, die als Feuerleitzentrale und Kommunikationsschaltstelle für die gesamte Flotte fungieren würde, war eine verlässliche Verbindung zur Hongkong unter den herrschenden Umständen nicht garantiert. Zum Radarsmog würden die Begleiterscheinungen der Schlacht kommen – Funktäuschkörper, ECM, Explosionen, Strahlung, Trümmer. Also würde er, Commodore Chris Mithel, die Flotte anführen, bis Schepens es sich anders überlegte. Das mochte nicht lange dauern, aber dennoch, es war eine hohe Verantwortung.
Mithel fürchtete die Verantwortung nicht, oder den Tod in der Schlacht. Mit beiden Möglichkeiten hatte er sich schon lange arrangiert. Wer einen Dienstweg wie den seinen einschlug, musste dergleichen lernen, oder er kam nicht weit. Jedenfalls nicht in diesem Krieg, der die besten wie die schlechtesten Offiziere gleichermaßen hinweg nahm. Dieser Konflikt war die ultimative Herausforderung für jeden Soldaten – der Kampf gegen einen ebenbürtigen, wenn nicht gar überlegenen Gegner. Das hieß nicht, dass Können das Überleben oder gar den Sieg garantierte, aber ohne Können starb man noch umso gewisser.
Mithel hatte in den letzten Jahren genug Erfahrung auf dem Gebiet der Kriegsführung gegen einen ebenbürtigen Gegner gesammelt, und er hasste es. Sportsgeist ging ihm vollkommen ab, wenn die „Punkte“ in Schiffen gezählt wurden, und jeder Treffer des Feindes dutzende, wenn nicht hunderte Leben kostete. Ihm wäre es zehnmal lieber gewesen, einen unterlegenen Feind zusammenzuschlagen. Nun, das war müßig. Heute würde er die ihm unterstellten Schiffe ins Gefecht führen – mit reduziertem Munitionsvorrat, abgekämpften Besatzungen, mitunter nur notdürftig reparierten Schäden, gegen einen Feind, der ihm vermutlich ebenbürtig war. Blieb nur zu hoffen, dass diese große Stunde nicht seine letzte wurde – oder, wenn dies schon sein musste, dann sollte es zumindest auch die letzte Stunde des Manticor-Verbandes der Akarii sein.
Was er eher fürchtete als Verantwortung und Tod, das war die Schande des Scheiterns. Wenn er heute versagte, würden alle seine bisherigen Leistungen, alle Auszeichnungen, Beförderungen und lobenden Eintragungen bedeutungslos sein. Dann würde er als der Mann dastehen, der die Schlacht verloren hatte. Admiral Wulff war tot und damit außerhalb jeder Kritik. Schepens würde die Verantwortung für eine Niederlage auf ihn und Cunningham abwälzen können. Mithel hatte sich persönlich für diesen Einsatz stark gemacht, und da er Cunningham im Rang über war, würde ein Gutteil der Schuld bei ihm landen, sollte etwas schief gehen. Wenn er hingegen siegte… Nun, der Sieg hatte natürlich viele Väter, und zu Recht. Doch ein Triumph der TSN würde so viel Ruhm einbringen, dass für Schepens, ihn und Lone Wolf mehr als genug abfiel.
In diesem Augenblick meldete sich sein erster Sensoroffizier zu Wort: „Commodore, Sir – Prioritätsmeldung von der Außenaufklärung. Sensoren erfassen feindliche Träger! Sie schließen hinter dem feindlichen Hauptverband auf. Geleitschutz ein halbes Dutzend Fregatten oder Zerstörer, mindestens drei Staffeln Kampfflieger. Sprengkommando erwartet Anweisungen!“ Auf den Bildschirmen tauchten in blutigem Rot die Symbole der feindlichen Großkampfschiffe auf.
Mithel warf einen prüfenden Blick auf die Anzeigen. Das sah nicht optimal aus, aber etwas anderes war wohl kaum zu erwarten gewesen. Es war von Anfang an unwahrscheinlich gewesen, dass die Akarii die Freundlichkeit haben würden, brav in die gestellte Falle zu tappen. Nun, das änderte im Grund nur wenig. Er konnte nicht warten, bis auch die Träger in Reichweite der Sprengfallen waren, denn dann hätten die feindlichen Kampfschiffe seinen Verband orten und angreifen können. Wollte er den Überraschungsvorteil nutzen, musste er bald zuschlagen. Und wenn sie hart und entschlossen genug zuschlugen, dann waren die feindlichen Träger mit ihren dezimierten Geschwadern ohnehin nur noch von geringem Wert. Außerdem konnten sich die TSN-Kampfflieger vielleicht diesmal den Lohn verdienen, den sie so selbstverständlich für sich in Anspruch nahmen.
Der Commodore atmete ein paar Mal tief durch. Er warf einen Blick in die Runde, auf seine Brückenoffiziere, auf das Gesicht seiner Stellvertreterin auf der Ersatzbrücke und die Bilder der anderen Kommandeure, die auf Bildschirmen eingeblendet waren. Sie alle erwarteten seine Befehle. Es war nicht Zuneigung oder Verehrung, die er sah – Mithel war nicht jemand, den viele Untergebene oder Kollegen mochten oder gar liebten. Aber er sah Professionalismus, Gehorsam und Respekt. Sie verließen sich auf ihn, und auf den Plan, an dem er mitgewirkt hatte. Seine Stimme klang kalt und gelassen: „Funkspruch an Sprengkommando – Schlagen Sie los, sobald feindlicher Hauptverband in Reichweite. Meldung an die Kampfflieger – neue Ziele werden angeben. Vorbereiten zum Angriff auf Trägerverband, Koordinaten folgen. Flotte bereit zum Gefecht!“
Er wusste, bei diesen Worten strafften sich auf Dutzenden Schiffe die Brückenbesatzungen. Sie warteten, warteten auf seine nächsten Worte. Langsam hob er die Hand: „Ganze Flotte…Triebwerke aktivieren, Kurs Null, 20 Kilometer die Sekunde…Ab JETZT.“ Er spürte, wie unter ihm die gewaltigen Triebwerke des Ticonderoga-Kreuzers zum Leben erwachten, wie das Schiff vibrierte, sich zu bewegen begann. Oder vielleicht meinte er auch nur, es zu spüren. Überall um ihn herum begannen die anderen stählernen Giganten sich zu bewegen, langsam erst, dann mit wachsender Geschwindigkeit. Eine mittelmäßiger Kapitän und noch mittelmäßigerer Lyriker, den er einmal gekannt hatte, hatte diesen Moment mit dem Anblick eines Hais verglichen, der mit erst langsam, dann immer schneller schlagender Schwanzflosse zu seinem Opfer aufschließt, das Maul geöffnet, die Zähne gebleckt. Mit einem Adler, der mit ausgestreckten Fängen herabstieß. Nun, hier zog eine ganze Flottille von stählernen Haien und Adlern dahin.
Auf den Bildschirmen veränderten sich die Anzeigen. Die Markierungen, welche die maximale, wahrscheinliche und sichere Ortung auf beiden Seiten angaben, den Punkt, ab dem die Großkampfschiffe sich unweigerlich erfassen würden, begannen sich zu verändern, glitten aufeinander zu. Bald würden sie verschmelzen. Der Commodore gestikulierte, und sein Waffenoffizier begann einmal mehr die Liste der Primärziele aufzuzählen. Gestützt auf die Sensordaten der Shuttles und die Feuerleitcomputer des Flakkreuzers würden die Schiffe der Flotte blind feuern, unmittelbar bevor sie „aus dem Schatten traten“. Mithels Stimme ließ nichts von seinen Zweifeln erkennen, als er sich an seinen Untergebenen wandte: „Primärbewaffnung auf Einsatz vorbereiten – auf mein Zeichen warten.“ Er bemerkte noch, wie sich ein pulsierendes rotes Leuchten um die Ortungsanzeige eines feindlichen leichten Kreuzers legte, das Ziel seines Schiffes. Zahlenkolonnen liefen über ein eingeblendetes Fenster – die Kinugasa erfasste den Kreuzer gleichfalls. Dann aktivierte der Commodore die Sprechverbindung zur Flotte. Er wusste, seine Stimme würde nicht ohne Rauschen und Zischen ankommen, deshalb formulierte er seine Befehle so knapp und deutlich wie möglich. Seine Stimme klang absolut emotionslos: „Ziele nach Peilung anvisieren, Beschussgruppen vorbereiten…Flotte mit 40 Kilometern Voraus!“
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R-3, im näheren Umfeld des Sprungpunktes
First Lieutenant Robert Stanford musste ein paar Mal schlucken, um seine ausgetrocknete Kehle zu befeuchten. Auf seinen Anzeigen rückten sowohl die Akarii als auch die menschlichen Schiffe vor. Die Ortungsbereiche näherten sich einander mit unerbittlicher Geschwindigkeit. Die feindlichen Träger waren inzwischen besser auf den Anzeigen zu erkennen. Es waren gigantische Kampfschiffe, das ließen sogar die Sensoranzeigen erkennen. Obwohl ihr Geleitschutz geradezu lächerlich gering wirkte, sie hatten etwas an sich, das sie fast unbezwingbar erscheinen ließ. Die Echsen hielten noch immer Kurs auf die Todeszone, das Gebiet, in dem die Menschen Sprengkörper ausgelegt hatten.
Die Akarii waren nur noch ein Schatten dessen, was ihre Flotte vor weniger als 48 Stunden gewesen war. Die meisten Kreuzer fehlten, die Träger hielten sich etwas zurück, die Kampfflieger waren dezimiert worden. Dennoch, mit ihren verbleibenden Großkampfschiffen und den flinken und aggressiven Fregatten und Zerstörern, den Schwärmen an spurtschnellen Angriffsjägern, den Trägern im Hintergrund, bereit zum Zuschlagen… Ja, sie boten wahrlich noch immer einen mehr als bedrohlichen Anblick, Unheil verkündend und tödlich.
Vor allem, wenn man nur einige Dutzend Tonnen Stahl unter dem Hintern hatte wie die Besatzung von R-3. Da drüben zogen gut fünfundvierzig gegnerische Schiffe heran, umschwärmt von Dutzenden von Kampffliegern. Und obwohl sie die Menschen auf der Flucht wähnten, hielten sie ihre Formation aufrecht. Beide Seiten konnten einander noch nicht sehen. Die Terraner waren nur deshalb besser informiert, weil ihre Spähshuttle und die Dauntless zusammenarbeiteten. Aber lange würde dieser Vorteil nicht mehr vorhalten, dann würden die Echsen erkennen, was sich anbahnte.
Weitere Minen waren explodiert, während die Echsen vorgerückt waren, aber es waren beklagenswert wenige gewesen, und sie hatten kaum weitere wirksame Treffer anbringen können. Die feindlichen Schiffe waren zu vorsichtig, zu gut abgesichert, und die Menschen hatten zu wenige Minen gelegt. Ein letzter Trumpf blieb ihnen noch, dann würden die Geschütze und Atomraketen entscheiden. Die Minengefahr trug wenigstens dazu bei, die Akarii beschäftigt zu halten. Sie versuchten so sehr, die Schlange im Gras zu finden, dass sie den schleichenden Tiger im Moment noch übersahen. Aber nicht mehr lange…
R-3 war inzwischen bis zum Rand des Störfeldes am Sprungpunkt zurückgewichen. Es würde sich damit zwischen den angreifenden Akarii-Kampffliegern und Shuttles und der eigenen Flotte befinden, auf einem Logenplatz, sozusagen.
Der Lieutenant wiederholte ungefähr zum vierten Mal die Anweisungen für den näher rückenden Ernstfall: „OK, wenn es losgeht, fallen wir sofort zurück zu den anderen Shuttles. Wir geben dem Chef Flankenschutz.“ Er registrierte den Gesichtsausdruck seiner Untergebenen und grinste reumütig: „Ist ja gut, ich weiß, dass haben wir schon ein paar Mal durchgekaut. Ich bin aber kein Jagdpilot, gönn’ mir ein wenig Nervosität vor der Schlacht.“ Die rangjüngere Offizierin lächelte sanft, ausnahmsweise mal nicht zynisch, spöttisch oder gespielt geringschätzig, sondern mit aufrichtiger Sympathie, die auch ihrer Stimme anzuhören war. Dies war nicht ihre erste gemeinsame Schlacht: „Wir haben schon Landungstruppen zu angeschossenen Dickschiffen geflogen, Jäger mitten im Raumkampf betankt, Bergungseinsätze unternommen, während Munitionskammern und Reaktoren der Havaristen brannten, und du hast eigenhändig einen renitenten Akarii-Piloten niedergeschlagen, nachdem wir ihn aus dem All gefischt hatten. Wir sind zweimal praktisch zum Wrack geschossen worden und hatten einmal ein Mikroloch im Heckbereich. Wir haben erst kürzlich ein Shuttle des Gegners abgeschossen – nicht unser erster Sieg übrigens. Mit den zwei Reapern und der Bloodhawk sind das schon vier. Warum bist du eigentlich so nervös? Das ist doch nicht das erste Mal.“
Stanford konnte der Gelegenheit nicht widerstehen, die sich ihm so unverhofft bot, obwohl er wusste, er würde das bereuen, und sie verdient es eigentlich nicht. Aber dafür war die Vorlage zu perfekt. Er warf ihr einen beleidigend direkten Blick von Kopf bis Fuß zu und grinste breit: „Mit dir? Hm, lass mal sehen...“ Als er den Ärger in den Augen seiner Copilotin aufblitzen war, hob er entschuldigend die Hände: „Schon gut, schon gut, du hast ja Recht, das war bescheuert von mir. Das dumme Gequatsche ist doch nur eine Möglichkeit, Nervosität loszuwerden. Ich bin es nur nicht gewöhnt, von Anfang an eine solche exponierte Rolle zu spielen. Es ist leichter, wenn sich das Risiko einfach ergibt, als offenen Auges hineinzurennen. Und wir stehen mal wieder mit dem Rücken zur Wand.“ Doch Second Lieutenant Hernandez schnaubte nur verächtlich. So leicht ließ sie ihn nicht vom Haken, auf den er sich selbst manövriert hatte. Eine Entschuldigung und eine verspätete anscheinend aufrichtige Antwort waren eindeutig nicht genug. Sie klang ehrlich gekränkt, und das war schlimmer als jede Bosheit aus ihrem Munde: „Wenn du nicht mal auf eine gut gemeinte Frage einfach vernünftig antworten kannst, Robert Stanford…“
Doch was immer sie sagen wollte, sie brachte es nicht mehr heraus. Denn in diesem Augenblick gellte ein Warnschrei über die Funkkanäle: „Zero! Zero! Zero!“. Zero war der Nullpunkt – der Moment der Zündung. Und fast zeitgleich flammte der Weltraum vor ihnen auf, obwohl sich die Sichtfenster sofort automatisch verdunkelten. Trotzdem er gewusst hatte, was kam, kniff der First Lieutenant die Augen zusammen. Es war, als hätte ein zorniger Gott oder ein Höllenfürst in das Dunkel hinausgegriffen und die Leere mit atomarem Feuer gefüllt. Die Spähshuttles hatten ihre Sprengladungen gezündet. Dutzende von Feuerbällen loderten auf, tasteten nach den Akarii, hüllten sie ein. Die entfesselten Gewalten hätten einen ganzen Planeten in eine postnukleare Wüste verwandeln können.
Für einen kurzen, wunderbaren, unbeschreiblichen Augenblick sah es so aus, als hätte die gewaltige Kette von Explosionen den feindlichen Verband vernichtet, oder zumindest sein Zentrum zerfetzt. Sah es so aus, als hätte der erste Schlag die Schlacht bereits entschieden. Die Schockwelle traf das Shuttle. Mikrotrümmer hämmerten auf die Schilde, doch konnten sie R-3 nicht ernsthaft beschädigen. Die beiden Insassen wurden in ihre Sitze gedrückt, doch der Trägheitsabsorber, Schilde und solide Sicherheitsgurte bewahrten sie zuverlässig vor Schlimmeren als einem Moment der Übelkeit. Stanford spähte hinaus in die Weiten des Alls, wo das Dunkel einmal mehr über das Feuer siegte. Er spürte, wie sich sein Herz zusammenzog, hörte, wie seine Copilotin ein Gebet und einen gotteslästerlichen Fluch zugleich flüsterte, als müsse sie sich im Himmel wie in der Hölle beschweren oder aber rückversichern.
Denn vor ihnen schoben sich die Akariischiffe unerbittlich heran. Einige waren beschädigt worden, der eine oder andere Feind sogar zerstört, brannte, oder trieb als brennendes Wrack dahin. Doch es waren wenige, sehr wenige, und nur kleine Schiffe. Mehr Erfolg hatte der heimtückische Anschlag der Menschen wohl bei den feindlichen Jägern gehabt, doch selbst diese waren bestenfalls dezimiert, nicht ausgelöscht. Und in diesem Augenblick erklang über Breitband eine harte, kalte menschliche Stimme, auf anderen Frequenzen war ein wütendes Zischen in den Sprachen der Akarii zu hören, auch dies ein psychologischer Angriff: „Hier Commodore Mithel, an den Flottenverband…ANGRIFF!“
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Brücke der Relentless, am Rande des Störfeldes
„Befehl an die Flotte – volle Kraft voraus!“ Mithel spürte, wie ihn die Fliehkräfte leicht in den Sessel drückten, als die Relentless beschleunigte. Der Waffenoffizier seines Kreuzers hatte nur auf die Feuererlaubnis gewartet, wie auch die Offiziere auf den anderen Schiffen. Allein vertrauend auf die Sensoranzeigen der Spähshuttles und die Computer der Dauntless feuerten sie auf ihre Gegner, eine einzige, gigantische Breitseite. Um eine vergleichbare Schlagkraft zu versammeln, hätte die TSN etwa 30 Staffeln Crusader-Bomber in den Einsatz schicken müssen. Der Commodore ließ seine Hand durch die Luft sausen wie ein Richtschwert: „Zweite Salve folgen lassen, dann Schiff vorbereiten zum direkten Schlagabtausch!“
Mithel rechnete damit, dass die zweite Salve bestenfalls noch einige Glückstreffer anbringen konnte. Die Echsen würden sich schnell von dem Schlag und ihrem Schock erholen – immer vorausgesetzt, sie hatten einen Schlag erlitten und waren wirklich geschockt. Dann würde man die Sache mit offenem Visier austragen müssen. Aber, wenn sie Glück hatten, mit einem deutlichen Startvorteil für die Menschen. Die Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten, während der schwere Kampfkreuzer mit mehr als 350.000 Stundenkilometern durchs All raste. Jetzt, während dort vor ihnen hunderte, ja vielleicht sogar volle eintausend Atomsprengköpfe detonierten, tausende Megatonnen Sprengkraft, war an Ortung nicht mehr zu denken. In diesen Sekunden waren sie wahrhaft blind, ohne Verbindung auch zur Hongkong.
Ein Einschlag, dann ein zweiter schüttelte die Relentless mit brutaler Gewalt durch, das Schiff seufzte und stöhnte, wie ein alter Seelenverkäufer in seinem letzten Sturm. Der Commodore wusste noch vor der Meldung seines Ortungsoffiziers, was geschah: „Gegner schießt Sperrfeuer!“ Eine zweite Meldung gellte durch das Durcheinander: „Schilde am Bug 20 Prozent gefallen, bauen wieder auf!“ Mithel straffte sich: „Kommandeur an Flottenverband – KURS HALTEN! Um jeden Preis Kurs halten! VOLLE KRAFT VORAUS!“ Gegen feindliches Blindfeuer gab es kein Gegenmittel – man musste die Todeszone durchqueren, wenn man sie nicht umfahren konnte. Irgendwo da draußen gab es einen heftigen Lichtblitz, über diese Entfernung ein scheinbar harmloses Phänomen, doch die Anzeigen besagten, dass dort der TSN-Zerstörer Wrangel den Feuertod starb, getroffen von vier auf gut Glück abgefeuerten Atomraketen des Gegners. Weitere Treffer folgten, auf mehr als einem menschlichen Schiff. Jeder Moment schien eine Ewigkeit zu währen, in der man auf den nächsten, tödlichen Treffer des Gegners wartete. Und dann, mit einem Mal, erwachten die Anzeigen wieder zum Leben, zeigten den feindlichen Verband in seiner aktuellen Position, kampfbereit. Mithels Stimme schnitt durch das Stimmengewirr auf der Brücke: „Ziele auffassen – Kinugasa Feuer der Relentless unterstützten, Kami und Repulse zweites Paar, Feuer frei nach eigenem Ermessen!“
In einem Film oder einer Geschichte hätte der Plan von Commander Cunningham die Entscheidung gebracht. Die Akarii wären vernichtend geschlagen worden, überrascht durch die Sprengladungen und dem von den Shuttles und den Hochleistungscomputern der Dauntless gelenkten Raketenfeuer. Doch dies hier war kein Film. Die Echsen hatten ein, höchstens zwei Schiffe durch Minen verloren. Die Sprengfallen und das terranische Sperrfeuer hatte sie weitere Schiffe gekostet, drei, vier, insgesamt vielleicht sogar ein halbes Dutzend. Das bedeutete eine Reihe von Schiffen die jetzt nicht mehr kämpfen konnten, oder die angeschlagen ins Gefecht zogen. Geschlagen aber war die imperiale Flotte noch lange nicht, und bei den Opfern handelte es sich zumeist um Fregatten, bestenfalls Zerstörer. Die Akarii hatten auf den überraschenden Angriff wirkungsvoll mit Abwehrfeuer und Ausweichmanövern reagiert, so dass die zweite Salve fast vollständig im Weltraum verpufft war. Und nun stellten sie sich zum Kampf. Ihre schweren Schiffe schlossen die Reihen, die durch die Hinterlist der Menschen Lücken aufwiesen, ihre leichten Jäger stießen flankierend vor, um die frechen Herausforderer in die Zange zu nehmen. Dann kamen ihre schweren Raketen geflogen, und diesmal waren sie gut gezielt.
Mithel sah es, und er erkannte die Vorzeichen: „Funkspruch an die Jäger – aufschließen und unterstützen. Ihre Aufgabe sind die Träger, wiederhole, die Träger! Wir können nicht gleichzeitig die feindliche Flotte und die Kampfflieger abwehren. Schafft sie uns vom Hals!“ Er wusste, damit schickte er viele Piloten in den Tod. Doch Commodore Mithel vertraute darauf, dass sie die feindlichen Kampfflieger binden, vielleicht sogar einen der gegnerischen Träger vernichten oder andere schwere Schiffe beschäftigen würden. Er verschwendete keinen Blick auf die beschleunigenden menschlichen Jäger und Bomber.
Seine Hauptverantwortung in dieser Schlacht galt den Schiffen unter seinem Kommando, von denen das kleinste mehr Besatzungsmitglieder hatte als die fast hundert Jäger, Jagdbomber und Bomber der TSN zusammengenommen. Den Kampffliegern konnte er nicht mehr helfen, außer indem er dafür sorgte, dass die Großkampfschiffe des Hauptverbandes sie nicht angreifen konnten. Und, bei Gott, das würde er tun! Seine erste Schlacht in Eigenverantwortung – und er fragte sich immer mehr, ob er sie gewinnen würde. Oder überleben.
Der erste Schachzug war zugunsten der Menschen gegangen. Jetzt waren alle Figuren auf dem Brett, wenn auch nicht unbedingt im Spiel. Die Partie konnte beginnen.
Cattaneo
Ace
CA KAMI, Karrashin-Kiralu Wurmloch, Karrashin-Seite,
Im Deckschatten der Emissionen, während der Schlacht
Als Justus Schneider seinen Blick über die Brücke der KAMI schweifen ließ, sah er eine Menge bekannter Gesichter. Gesichter, die ihn seit der Indienststellung der KAMI begleiteten. Gesichter, die mit ihm waren, in Schlachten, über die man noch in den Geschichtsbüchern lesen würde. Und nun würden sie ihn in die dritte und letzte Karrashin-Schlacht begleiten.
Er hatte hier einige der besten versammelt, mit denen er je gedient hatte. Fachlich waren sie der KAZE, seiner alten Fregatte mit dem Bodensatz der 2. Flotte als Besatzung, hoffnungslos überlegen. Aber auch das Herz dieser Leute, eine Sache, in der die KAZE-Leute nie zu schlagen waren, schlug annähernd heftig wie das seiner alten Crew. Er wusste, er würde sich auf diese Leute verlassen können, wieder und wieder. Vielleicht bis dieser Kreuzer unterging, was vielleicht gar nicht mehr so weit in der Zukunft lag.
Er wollte aufstöhnen, ächzen, vielleicht seufzen, aber das hätte die Männer und Frauen in der Zentrale nur irritiert. Stattdessen beließ er es mit einer hochgezogenen Augenbraue. "Mr. Henrik!"
"Sir?" Der Commander sah zu ihm herüber.
"Machen Sie die Minen scharf, Mr. Henrik."
"Aye, Aye, Skipper. Mache die Minen scharf." Er sah mit ernster Miene zu seinen Untergebenen herüber. "Scharf machen." "Aye, Sir."
In diesem Augenblick wurden die Sprengladungen von über dreißig improvisierten Minen aktiviert. Diese Minen waren eigentlich nichts weiter als die Köpfe akariische Antischiffsraketen, aus den Wracks über Karrrashin V geborgen und anschließend mit externen Funkzündern versehen worden. Die Installation eines Annäherungszünders wäre zu zeitaufwändig gewesen, deshalb hatte sich Schneider dazu entschieden, Funkzünder zu verwenden, welche mit hochfrequenten Befehlen gezündet werden würden. Selbst der allgegenwärtige Hintergrundlärm eines Wurmlochs ließ sich übertönen. Wenn man die Funkanlagen der KAMI hatte.
Also würden sie je nach taktischer Situation darüber entscheiden, welcher Atomsprengkopf wann und wo gezündet werden würde. Sicherheitshalber waren auch die Zerstörer- und Kreuzerkommandeure, die mit der KAMI zusammen an der Flanke Wache hielten, über Position und potentielle Explosionskraft der Minen informiert worden. Dazu kamen natürlich noch die restlichen Minen der Zerstörer. Alles in allem sollten die Schuppenhäute hier mehr als eine Überraschung erleben.
"Zweitbrücke soll on kommen", befahl Schneider. "Primärkontrolle verbleibt auf der Brücke."
"Aye, Sir." "Zweitbrücke ist on. Override liegt bei der Hauptbrücke", meldete Henrik.
Schneider nickte zufrieden.
Er überdachte die taktische Situation, die sich ihnen hier bot. Sie waren die äußerste Flanke. Das letzte Restlein an terranischer Zivilisation in der langen Schlachtreihe der terranischen Schiffe, die ihre akariischen Gegner in eine Falle ohne Wiederkehr locken wollten. Der Plan sah vor, den Gegner zu überraschen, zum Kampf zu stellen und anschließend nach Kiralu zu springen, wo die COLUMBIA mit ausgeruhter Crew und kampfbereiten Begleitschiffen wartete, um den möglicherweise hinterher einbrechenden Akarii ein für allemal klar zu machen, wer der Herr im Ring war.
Knackpunkt der Operation war natürlich, wie viele Schiffe die Akarii für diesen Angriff aufboten, wie viele Träger und wie viele Jäger sie aufbringen konnten. Es bestand durchaus die Gefahr, dass die TSN im Karrashin-System einen zweiten Träger verlor, weil die Echsen potenter waren als die Herren Admiräle vermutet hatten. Es war auch gut möglich, dass sie alle dabei drauf gingen. Aber Hey, dafür wurden sie schließlich bezahlt.
Die Flankenposition, welche die KAMI deckte, war einerseits ein Geschenk an das Schiff, ausgehändigt von Mithel persönlich. Die äußerste Flanke war ein Schonplatz für angeschlagene Pötte, wie die KAMI einer war, solange die Echsen keine Dickschiffe einsetzten. Andererseits konnte eine Akarii-Streitmacht, die es über diese Flanke schaffte, die gesamte Kampfreihe der Terraner von hinten aufrollen und die Einheiten auf dieser Seite des Wurmlochs komplett ausradieren, bevor überhaupt jemand dazu kam, nach Kiralu zu fliehen. Aber es war illusorisch zu glauben, die Akarii würden ausgerechnet bei ihm durchzubrechen versuchen. Immerhin hatte die Schlachtreihen der Menschen zwei Flanken, dazu ein oberes und ein unteres Ende. Den Rücken bildete das Wurmloch, aber der Rest, also die übrigen fünf Richtungen, waren dem Feind gegenüber geöffnet.
Natürlich mussten sie die Flanke halten, das stand außer Frage. Einmal hier aufgerollt würden sie die Echsen nicht wieder aus der Sprungzone des Wurmlochs raus bekommen. Natürlich würde der schlimmstmögliche Fall darin bestehen, dass Akarii-Einheiten zwischen der Flotte und dem Gebiet standen, von dem aus terranische Schiffe ins Wurmloch springen konnten. Und natürlich würde Justus einen Teufel tun und nicht vom schlimmsten Fall ausgehen. Aber wahrscheinlich war es nicht. Dennoch rechnete der Skipper mit einigen heftigen, energiereichen Angriffen, hauptsächlich vorgenommen von Dünnschiffen, die verhindern sollten, dass seine Flanke plötzlich in den Rücken der Akarii schwenkte, was gleichbedeutend mit schweren Verlusten für die Schuppenhäute gewesen wäre. Es war ein interessanter Gedanke, aber Justus verwarf ihn sofort wieder. Das hätte bedeutet die Flanke zu entblößen, und wie die Unionstruppen im amerikanischen Sezessionskrieg vor Gettysburg den Little Round Top als Flanke tapfer verteidigt hatten, so würde auch er halten, solange die Schlacht tobte. Zumindest bis der Rückrufbefehl kam.
Glücklicherweise bedeutete es nämlich, die Flanke zu sein, rein rechnerisch der Sprungzone näher zu sein als die Schiffe in der Mitte. Alle unbeschädigten Schiffe der Flanke würden schnell und zügig springen können, sobald der Befehl für Teil zwei der Mission kam – hoffentlich nachdem sich die Echsen schon blutige Nasen geholt hatten.
"Klar Schiff zum Gefecht", befahl Justus ruhig. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, eine besondere Rede zu halten, aber diese Männer und Frauen brauchten keine Motivation. Sie brauchten eher jemanden, der sie zügelte. Dieser Gedanke ließ ein Lächeln über sein Gesicht huschen.
"Aye, Aye, klar Schiff zum Gefecht!", rief der Signalgast. Kurz darauf riefen die Sirenen alle Crewmitglieder auf ihre Posten.
Die KAMI und ihre Crew waren bereit.
***
"Drauf, verdammt!", brüllte der Skipper. Die Antwort kam sofort, als die schweren Partikelwerfer akariischer Fertigung zum Untergang des bereits schwer angeschlagenen Charly-Zerstörers mit der Codenummer achtzehn führten. Der Bastard war ein alter Bekannter, der schon während der Trafalgar-Schlacht registriert worden war. Wäre er besser mal im Manticore-System geblieben, ging es Schneider durch den Kopf, als das Schiff, auf einem Drittel der Oberfläche rot glühend, zur Seite gierte. Augenblicke darauf starteten die ersten Rettungskapseln und Shuttles. Doch bevor die letzte eine ausreichende Entfernung aufbauen konnte, verging der Zerstörer in einer Reaktorexplosion.
Nachdem der Bordcomputer der KAMI die Aufbereitung erledigt hatte, konnte man auf den Bildschirmen deutlich erkennen, dass das Heck sauber abgetrennt worden war. Nur noch der Bug, mittlerweile nicht mehr als ein verdrehter Haufen Stahl, taumelte um alle drei Achsen raus aus dem Gebiet rund um das Wurmloch.
"Schadensbericht!"
"Zu den Hüllenbrüchen auf Deck zwei und drei sind keine weiteren Schäden hinzugekommen. Handelt sich um alte Ecken, die wir nach Karrashin V notdürftig geflickt haben", meldete Commander Henrik. "Die Schadensteams sind bereits an der Arbeit. Noch haben wir keine Räume verloren."
"Hoffentlich bleibt das so.", knurrte Schneider.
Seit einer gefühlten Woche tobte die Schlacht. Nach anfänglichen Überraschungserfolgen hatten sich allerdings zwei Dinge als äußerst hinderlich erwiesen. Erstens, die angreifenden Truppen waren nicht nur zahlenmäßig überlegen, sie hatten sich auch nur kurzfristig täuschen lassen.
Zweitens, sie setzten zwar das Gros in der Mitte der terranischen Verteidigungslinie auf Höhe der RELENTLESS an, aber es blieben immer noch genügend Dünnschiffe übrig, um einen Umgehungsangriff vorzunehmen. Und diese Korvetten, Fregatten und Zerstörer waren hartnäckig. Zu hartnäckig, als dass Justus entschieden hätte, die Flanke getrost den Zerstörern überlassen zu können. Im Gegenteil. Jede Sekunde befürchtete er einen massiven Angriff, der ihre Flanke umrollen konnte. Allerdings war die gemeinsame Linie bereits dreimal von Mithel zurück genommen worden, um die Kampfkraft besser konzentrieren zu können und um die Akarii tiefer in den Störbereich des Wurmlochs zu locken.
Die Verdichtung der Reihen hatte den Nachteil der stationären Abwehr teilweise wieder aufgehoben, und Justus musste zugeben, dass drei oder sogar vier Dünnschiffe, die gemeinsam angriffen, keine Chance gegen ihre Phalanx hatten. Genau deshalb befürchtete er einen massiveren Angriff. Entweder durch alle Dünnschiffe, welche die Akarii hier an dieser Flanke hatten, oder durch eine unbekannte Anzahl an Leichten und Schweren Kreuzern, die hier Tatsachen schaffen sollten. Allerdings beurteilte er die Reserven der Akarii als nicht so üppig, als dass der feindliche Kommandeur mehr als zwei oder drei Dickschiffe detachieren konnte. Es hätte dennoch gereicht, durch die terranische Linie zu brechen. Ein Umstand, der Angst machen konnte.
Von den Geschenken, die Justus´ Leute großzügig verteilt hatten, gab es noch siebzehn. Knapp die Hälfte hatte Schäden beim Gegner verursacht oder zumindest zu seiner Verwirrung beigetragen. Und er hatte nicht vor, die pure Gewalt der Sprengkörper zu verschwenden. Er würde sie in jedem Fall sprengen lassen sobald sie ins Wurmloch hüpften, selbst wenn keine lohnenden Ziele in Sicht waren.
Verschnaufpause. Die vorgeschobenen Shuttles – Jäger standen keine zur Verfügung, weil die sich ja unbedingt mit ihren Kollegen von den zwei Uniform-Trägern prügeln mussten – meldeten für den Moment keinen Kontakt, was bei der Strahlungssuppe nicht viel heißen sollte. Aber immerhin bot es eine oder zwei Minuten Ruhe und fünfzehn Sekunden Vorwarnzeit für die KAMI und die terranischen Einheiten.
"Wir sind die Flanke. Wir dürfen nicht fallen.", murmelte er leise vor sich hin, ein Zitat aus einem Sachbuch über die Schlacht von Gettysburg. Vielleicht war das wahr, vielleicht überschätzten sie sich hier. Auf jeden Fall aber hielten sie Stand. Das war das, was Mithel von ihnen verlangte. Dennoch, im Anbetracht der terranischen Verluste hätte Justus nichts dagegen gehabt, wenn Mithel ihn mehr in die Mitte befohlen hätte. Die KAMI war zwar angeschlagen, geschwächt, halb aufgerissen und sicher nicht gut in Schuss, aber sie war immer noch ein Kreuzer. Dennoch, die Zeiten, in denen er intuitiv gehandelt hätte, auf sein Bauchgefühl vertrauend, waren lange vorbei.
Sein Blick ging über den Kaffeebecher zur taktischen Anzeige der Raumschlacht. Hunderte kleiner Symbole blinkten dort um die Wette. Sie stellten die verschiedenen Schiffe, Shuttles und Jäger dar, blau für Terra, rot für Akar. So gesehen war die TSN hoffnungslos in der Übermacht. Aber auch nur, weil die meisten Akarii-Kontakte immer wieder im Strahlungsschauer des Wurmlochs verschwanden. Teufel auch, dass eine nichtradioaktive Strahlung solche Schwierigkeiten bedeuten konnte, war ärgerlich. Zudem war sie auch ein Teil von Cunninghams Plan. Wobei Plan, Cunningham und Befehl drei Dinge waren, die Justus ein raues Kratzen im Hals verursachten. Es gab einfache Pläne und es gab komplizierte Pläne. Cunningham neigte zu komplizierten Plänen. Und komplizierte Pläne scheiterten meistens an Vielschichtigkeiten. Je komplizierter sie waren, desto schneller. Cunninghams Pläne waren sehr kompliziert. Und offenkundig gescheitert, denn die Akarii hatten sich weit genug in die Hauptstreitmacht verbissen, um sogar die HONGKONG auf den Plan zu rufen, den einzigen terranischen Träger im System. In dem Moment, in dem der Gigant in die Linie flog, musste allen klar sein, dass Flucht nur noch wenigen Einheiten gelingen konnte. Nun hieß es stehen und stehen bleiben, oder sterben.
"Skipper!", rief Henrik nervös herüber.
"Aus welchem Vektor?", fragte Justus mechanisch.
Commander Henrik schüttelte den Kopf. "Keine neuen Feindschiffe. Noch nicht. Es hat die DAUNTLESS erwischt!"
"Was? Das ist doch unmöglich...", murmelte Justus hastig, während er seine taktische Anzeige durchforstete. Die DAUNTLES, nicht die DAUNTLESS. Der Flakkreuzer hatte sie beim Angriff auf Jor beschützt, hatte ihnen mehrfach den Arsch gerettet, und war über Karrashin V mehrfach der rettende Engel für die KAMI gewesen. Ausgerechnet Gonzales sollte es jetzt erwischt haben? Das war nicht zu glauben. Ebenso gut hätte man sagen können, Mithel hätte das Kommando dem Schiffsjungen übergeben und würde sich in seiner Kabine ein Kissen über den Kopf ziehen, um dort zu warten bis alles vorbei war: Es ging einfach nicht.
Doch die Daten sprachen für sich. Multiple Explosionen nach diversen Einschlägen. Justus schluckte trocken. Er konnte nur hoffen, dass es der größte Teil der Crew von Bord geschafft hatte. Zudem war ihre Situation ohne den Flakkreuzer noch schwieriger geworden, noch unhaltbarer. Bald würden sich einzelne Kapitäne absetzen, vielleicht befahl Mithel auch eine Nachhut und ließ sie bis zum Ende kämpfen. In jedem Fall war die HONGKONG zu kostbar, um hier geopfert zu werden.
Wenn es eine Nachhut geben würde, wenn es Schiffe geben musste, die das Risiko auf sich nahmen, für die Flucht der anderen zerstört zu werden, würde Justus die KAMI melden. Das waren sie ihren Kameraden von der DAUNTLESS schuldig.
"Neuer Kontakt. Sierra III-Klasse, Eigenname ARTUBERT, fährt mit schneller Fahrt auf die ANDREW zu. Mine sieben ist in Reichweite auf sieben... fünf... drei... eins..."
"Zünden", befahl Justus ernst und leise.
Die akariische Antischiffsrakete explodierte im gleichen Augenblick, in dem er den Befehl gab. Sie entfaltete die typische Wirkung einer Wasserstoffbombe und riss den Schutzschirm von der ARTUBERT wie der Wind einen dünnen Seidenschleier von einem Baldachin fetzen konnte, wenn er stark genug war. Teile der Explosionsenergie stießen durch und verwüsteten die Backbordflanke des Schiffs.
Die ANDREW reagierte auf diese offensichtliche Aufforderung dankbar, und Sekunden darauf waren zwei Antischiffsraketen auf dem Weg zum angeschlagenen Akarii. Es gelang dem schutzlosen Schiff, eine Rakete abzuschießen. Die zweite jedoch ging durch und traf den Bug frontal. Den Rest der Verwüstung besorgten die Geschütztürme der ANDREW.
Doch dies war nur der Startschuss für einen weiteren Angriff gewesen, weitere Schiffe stießen in die Librationszone am Wurmloch hinein, wurden unmittelbar für die KAMI ortbar. Das Ziel der acht Schiffe, drei Zerstörer und fünf Fregatten, war klar: Die KAMI, der schwerste Brocken auf dem Hof. Dummerweise benutzten sie Routen, auf denen ihre Schwesternschiffe beschädigt oder versenkt worden waren, in der nicht unberechtigten Hoffnung, dort nicht mehr auf Minen treffen zu müssen. "Zuerst einer der Sierra!", befahl Justus kalt und sah Yvette Dumas dabei zu, wie sie Sierra III siebzehn als Ziel auswählte.
"Neue Ortung, multipel!", rief Henrik herüber. "Ortung liegt hinter uns, Transponder laufen ein! Sir, die COLUMBIA und ihre Begleitschiffe sind soeben wieder ins System gesprungen!" Der Commander sah auf seine Anzeigen und pfiff anerkennend. "Unsere Gegner zeigen sich angemessen beeindruckt und unterbrechen ihren Angriffsflug."
"Nicht nachfassen.", befahl Justus. "Wir halten." Okay, vielleicht gab es doch kein Nachhutkommando. Vielleicht hatten sie jetzt wenigstens die Chance, die terranischen Schiffe weit genug aus der Umklammerung der Akarii zu lösen, um allen überlebenden Einheiten den Sprung zu ermöglichen. "Wir halten, bis der Befehl zum absetzen kommt.", befahl Justus mit fester Stimme. Manchmal entwickelten sich die Dinge doch, wie man sie sich heimlich wünschte.
Cattaneo
Tyr
Anfangs hatte es so ausgesehen, als sei Lone Wolfes Strategie voll aufgegangen. Die Akarii hatten den Köder geschluckt, und wurden nun nahe dem Sprungpunkt in die Zange genommen.
Aber die Bügel der sich langsam schließenden Falle waren zu schwach. Zu schwach, um auch nur die Spitze der Akarii-Formation einzukreisen und aufzureiben. Die terranischen Verbände hatten bereits in der ersten Schlacht von Karrashin ernste Verluste hinnehmen müssen. Nach Monaten fast ununterbrochenen Einsatzes waren die Schiffe nicht mehr im besten Zustand. Und auch die Vorräte an atomaren Marschflugkörpern und leichten Anti-Jäger-Raketen waren besorgniserregend zusammengeschrumpft.
Die Akarii ließen sich durch den Überraschungsangriff nicht aus dem Konzept bringen. Der feindliche Kommandeur reagierte schnell und entschlossen. Keiner seiner Untergebenen verfiel in Panik. Einmal mehr bewiesen die Akarii, dass ihr intergalaktisches Reich kein bloßer Zufall war. Binnen weniger Minuten bildeten die Führungsdivisionen der imperialen Streitkräfte eine bewegliche Defensivformation. Sie schlossen ihre Reihen, die durch Minen und Feindfeuer an einigen Stellen gefährlich aufgerissen worden waren. Durch konzentriertes Sperrfeuer der Werfer und Bordgeschütze verlangsamten die Echsen den Sturmlauf der TSN-Einheiten. Die Flottenträger der Akarii hielten sich, von Flugabwehr- und Flottenzerstörern beschützt, etwas außerhalb der Reichweite der vorpreschenden Feindeinheiten. So bildeten sie eine mobile Reserve, die je nach Bedarf ihre schweren Atomraketen ins Spiel bringen konnte, gleichzeitig aber auch als eine letzte Auffanglinie fungierte.
Auch die verbliebenen Akarii-Kampfflieger konnten so immer noch aufmunitionieren, auftanken, und sich zurückziehen. Ironischerweise erfüllte die HONGKONG auf der anderen Seite eine ähnliche Aufgabe. Den Kampffliegern und Kriegsschiffen der TSN fehlte die Schlagkraft und Zahl, um bis zu den imperialen Flottenträgern vorzustoßen.
Die verbliebenen Kreuzer, Zerstörer und Fregatten der Manticore-Flotte gingen inzwischen mit wütendem Elan zum Gegenangriff über. Sie waren fest entschlossen, sich nicht noch einmal den Sieg entreißen oder gar einkesseln zu lassen. Schnell verwandelte sich das, was im Idealfall ein recht einseitiges Abschlachten hätte werden sollen, in eine verbissen geführte, blutige Raumschlacht.
In diesen Hexenkessel aus explodierenden Raketen, sich kreuzenden Energiebahnen, aus kämpfenden und sterbenden Raumschiffen stießen die Butcher Bears.
Auf den ersten Blick wirkten sie nicht viel widerstandsfähiger, als ein Blatt in einem Wirbelsturm. Obwohl die Nighthawks die schlagkräftigsten einsitzigen Maschinen der TSN waren, im Vergleich zu den Feuerstürmen, die die stählernen Titanen entfachten, wirkten ihre Feuerkraft und ihre Schilde lächerlich unzureichend.
Aber die feindlichen Kriegsschiffe waren auch nicht ihr Hauptziel. Denn auch wenn die schweren Überlegenheitsjäger als veritable Schlachtflieger galten, für den Einsatz gegen unbeschädigte feindliche Kriegsschiffe waren sie eigentlich nicht konzipiert. Auch wenn die Butcher Bears sich mit solchen Angriffen bereits einen Namen gemacht hatten, die Verluste waren jedes Mal hoch gewesen, und außerdem verschossen die Piloten dabei regelmäßig den gesamten Kampfsatz an Raketen bei ein oder zwei Anflügen.
Diesmal hatten die Piloten der Schwarzen Staffel allerdings eine etwas weniger ambitionierte Aufgabe. „Butcher Bears, herhören! Unser Primärziel sind die feindlichen Jäger. Haltet sie von unseren Jabos fern.“ Kanos Stimme klang ruhig. Er wusste selber nicht ganz genau, wie viel davon vorgespielt war, und wie viel dieses seltsame, unbeschreibliche Einssein mit seiner Maschine und dem Feind war, das er manchmal zu spüren glaubte. Sekunden konnten sich in solchen Augenblicken zu Stunden dehnen, während Angst, Erschöpfung und Anspannung ihn nicht mehr einschränkten, eine andere Person zu belasten schienen.
„Wusste nicht, dass da noch genug übrig sind, damit sich die Aufgabe lohnt!“ Tiburons Stimme klang rebellisch. Derartig an die langsameren Kampfflieger gefesselt zu werden, behagte ihm offenbar nicht. Möglicherweise war er als ehemaliger Pilot der Gelben Staffel solche Einsätze einfach nicht gewöhnt.
„Ein Grund mehr, auf sie aufzupassen, Tiburon.“ Kanos Stimme blieb ruhig, gewann aber kurzzeitig eine etwas autoritärere Note. Er konnte den Piloten verstehen. Aber Tiburon war ein zu rebellischer Geist und Kanos Position als Staffelführer noch zu frisch, als das er ihm irgendwelche verbalen oder realen Freiheiten zu gestatten gewillt war.
Mit kühler, fast gleichgültiger Stimme gab er die Ziele durch, während er seine eigenen Flugkörper auf den Feind ausrichtete.
Die einleitende Phoenix-Salve bewies die teuflische Durchschlagskraft dieser Raketen, deren präzisen Bilderkennungssysteme durch Täuschkörper kaum verwirrt werden konnten. Ein Quartett aus Bloodhawks wurde von dem koordinierten Beschuss der sechs Nighthawks förmlich auseinander gesprengt. Zwei der feindlichen Maschinen explodierten, während eine dritte schwer beschädigte aus ihrer Bahn gerissen wurde. Nur der vierte Akarii entkam leicht beschädigt, drehte aber sofort ab. Der Pilot hatte offenbar wenig Interesse daran, auf eigene Faust die terranischen Jagdbomber anzugreifen.
Der Eröffnungsschlag der Akarii gegen die Butcher Bears hingegen war schlecht koordiniert, außerdem hatten die Imperialen keine Raketen mit einer vergleichbaren Reichweite geladen. Deshalb konnten die Nighthawks den Flugkörpern fast mühelos ausweichen, sich neu formieren und nachstoßen.
Kano erlaubte sich ein kurzes, geisterhaftes Lächeln. Wenn das so weiterging...
Die Euphorie über den guten Einstand ließ ihn fast vergessen, dass sein eigenes Ziel davon gekommen war. Er suchte bereits nach neuen Zielen für seine Halbstaffel. Sie hatten noch zwölf Phoenix-Raketen auf Lager.
Geführt von Kano stießen die Nighthawks weiter vor. Die Schlacht hatte inzwischen auch unter den Großkampfschiffen ihre ersten Opfer gefordert. An der Spitze der Akarii-Formation war ein schwerer Kreuzer von den Eröffnungssalven der TSN-Kriegsschiffe binnen weniger Minuten zusammengeschossen worden, und löste sich jetzt langsam in seine Einzelteile auf. ‚Noch eine kombinierte Salve auf die Jäger, dann Auflösen in Rotten. Kein Sinn, in diesem Hexenkessel eine zu enge Formation zu halten.’
In diesem Augenblick schrillte ein Alarm los. Kanos Jäger war von dem Strahl eines feindlichen Raketenzielsuchradars aufgefasst worden. Und ein Blick auf die Instrumente zeigte, dass er nicht der Einzige war: „AUSWEICHMANÖVER! FEUERBLÜTE!“
Die sechs Nighthawks spritzten auseinander wie ein Makrelenschwarm, in den ein Haifisch eingebrochen war. Während die Maschinen mit Höchstgeschwindigkeit in alle Richtungen auseinander stoben, stießen sie ganze Schwärme von Radar-, Infrarot-, Blend- und Transpondertäuschkörpern aus. Aus der Entfernung und einem bestimmten Blickwinkel betrachtet, konnte ein Beobachter tatsächlich den Eindruck haben, dass sich im All eine kurzlebige, gleißende Blüte öffnen würde. So war das Manöver zu seinem poetischen Namen gekommen. Auf jeden Fall erfüllte es seinen Zweck.
Die zwölfschüssige Raketensalve, die ein feindlicher Flakzerstörer auf maximale Reichweite ausgelöst hatte, verpuffte zu einem großen Teil wirkungslos. Nur Grizzlys Maschine kassierte einen direkten Treffer, während Kano durch zwei Nahtreffer die Backbordschilde und einen Teil der Panzerung verlor. Die anderen Nighthawks kamen mit geschwächten Schilden davon.
Doch mit dem Ausweichmanöver hatten sie wertvolle Zeit eingebüßt. Auf einen knappen Befehl hin aktivierten die Butcher Bears die Nachbrenner und eilten den TSN-Kampffliegern hinterher. Inzwischen waren überall Nahkämpfe zwischen republikanischen und imperialen Kampffliegern entbrannt. Kano musste das erkennen, als ein Quartett Reaper mit feuernden Laserkanonen ihre Formation passierte, noch ehe eine der Nighthawks die schnelleren Maschinen aufs Korn nehmen konnte. Allerdings vermieden es die leichten Abfangjäger merkwürdigerweise, durchzubrechen und die terranischen Jabos anzugreifen: „Die sind nur ein Köder. Sie wollen uns von den Kampffliegern weglocken. Formation beibehalten!“
In diesem Augenblick weckte ein Breitbandfunkspruch Kanos Aufmerksamkeit und drohte seine Konzentration zu durchbrechen. Beunruhigt blickte er auf den Radarschirm, fand seine Befürchtungen bestätigt, und aktivierte einen speziellen Funkkanal: „Raven, ich empfange einen Hilferuf von der CAULAINCOURT. Sie bitten um Unterstützung.“
„Denken Sie, ich bin taub?! Sie kennen Ihren Auftrag.“
Normalerweise hätte Kano es dabei bewenden lassen. Aber da es um die ausgerechnet diesen Zerstörer ging...: „Bitte trotzdem um die Erlaubnis, zu reagieren. Die CAULAINCOURT bildet zusammen mit der HOCHE die Spitze des flankierenden Zerstörergeschwaders. Wenn Sie wegfällt wird die NEY die Lücke füllen müssen. Die NEY ist nicht voll einsatzfähig, ein Teil der Bordwaffen…“
„Wer hat Sie zum Flottenstrategen gemacht?! Ach verdammt, von mir aus. Sie können mit zwei Rotten eingreifen. Aber nicht mehr. Sie schlagen schnell zu, putzen diese Parasiten weg, und schließen wieder auf, verstanden?!“
„Verstanden.“ Bevor Raven ihren Entschluss überdenken konnte, kappte Kano die Verbindung und wandte sich an seine Untergebenen: „Grizzly, Sie kommen mit. La Reine – du bleibst bei den Jabos.“
Kurz fragte er sich, warum Raven so schnell nachgegeben hatte. Vielleicht fing sie ja jetzt wie Lone Wolf an, sich im Gegenzug für Gefälligkeiten eine kleine Gruppe loyaler Untergebener zu rekrutieren. ‚Auch wenn Cunningham damit am Schluss wohl nicht mehr allzu erfolgreich gewesen ist.’ Vielleicht teilte sie aber auch Kanos Analyse. Wahrscheinlicher war allerdings, dass sie sich nicht von den Kapitänen der Dickschiffe unterlassene Hilfeleistung vorwerfen lassen wollte. Das Verhältnis war sowieso nicht ganz problemlos.
Eine Sektion Raptor-Jagdbomber unterstützte zwei Fregatten vom Typ Sierra III bei ihrem Schlagabtausch mit der CAULAINCOURT. Es sah nicht gut für das TSN-Kriegsschiff aus. Und die acht bis zwölf Atomraketen der feindlichen Kampfflieger konnten bei diesem Duell durchaus den Ausschlag geben. ‚Warum ausgerechnet die CAULAINCOURT?!’ Kanos Bruder diente auf diesem Schiff.
Die Raptoren hatten sich inzwischen getrennt, um den Zerstörer von zwei Seiten aufs Korn zu nehmen. Kano schätzte kurz die Entfernung und den Flugvektor des Gegners ab und teilte seine zwei Rotten ebenfalls auf. Es würde ohnehin nur einen Angriff geben, der zudem auf maximale Entfernung geführt werden musste: „Phoenix-Raketen! Ziele sind…“
Die CAULAINCOURT schien unter dem Beschuss der Fregatten zusammenzuzucken, während die Akrii-Kampfraumer blutgierig nach stießen. ‚Verdammt! Haltet nur noch ein bisschen aus. Wir sind gleich da…’
„RAKTEN LOS! LOS!“ Kano ließ seinen Worten Taten folgen, und schickte seine beiden verbliebenen Phoenix auf den Weg.
Der Angriff richtete nur moderaten Schaden beim Gegner an, war von der Wirkung her aber dennoch ein voller Erfolg. Einer der Jagdbomber explodierte, ein anderer wurde beschädigt. Mitten in seinem Ausweichmanöver erwischte ihn eine Raketensalve der CAULAINCOURT. Die beiden verbliebenen Raptoren lösten ihre Marschflugkörper im Notabwurf und suchten das Weite. Gegen vier Nighthawks rechneten sie sich keine großen Chancen aus.
Auf Kanos gebrüllten Befehl hin absolvierten seine und Grizzlys Rotte sofort eine Einhundertachtzig-Grad-Wende und stießen auf die vorderste der Sierra-Fregatten nieder.
Der Bordwaffenangriff überraschte das feindliche Kriegsschiff, das bereits während des Kampfs mit der CAULAINCOURT einige heftige Schläge hatte hinnehmen müssen. An mehreren Stellen waren die Schilde geschwächt oder sogar partiell zusammengebrochen. In diese Schwachstellen stießen jetzt die Strahlenbahnen der Bordkanonen und bohrten sich in die Rumpfpanzerung.
Die Nighthawks richteten keine schweren Schäden an, aber der von dem überraschenden Angriff entnervte feindliche Kommandeur ließ die Geschwindigkeit drosseln, und konzentrierte für wertvolle Sekunden sein Feuer auf die heranbrausenden TSN-Jäger.
„Gut gemacht! Das Ganze noch…“
Ein gellender Schrei schnitt durchs Kanos Worte. Die andere Akarii-Fregatte hatte auf die scheinbare Notlage ihres Kameraden reagiert. Drei ihrer Lasergeschütztürme hatten – ob durch das Schicksal oder eine fähige Hand gelenkt – Grizzlys bereits angeschlagene Maschine aufs Korn genommen und spießten die Nighthawk regelrecht auf. Der Jäger drehte sich mit irrwitziger Geschwindigkeit um die eigene Achse, als der Pilot den Steuerknüppel herumriss. Doch mit eiskalter Präzision folgten die gleißenden Strahlenbahnen ihrem Ziel. Geblendet, überrascht, und mit bereits geschwächten Schilden und Panzerung, hatte auch der erfahrene Veteran keine Chance. Während sein Jäger wie in einem Hochofen zusammengeschmolzen wurde, betätigte Grizzly den Schleudersitz.
Der Pilot wurde aus dem todgeweihten Kampfflieger geschleudert – mitten hinein in die Garbe eines Geschützturms hinein. Wahrscheinlich begriff der Pilot nicht einmal, was mit ihm geschah. Sein Körper verglühte, Sekundenbruchteile bevor sein Jäger einen ähnlich feurigen Tod starb.
„AUFFÄCHERN! ABSETZEN, MAXIMALSCHUB! GENERALKURS DREISSIG-ZWANZIG-ACHTZIG!!“
Die verbliebenen Nighthawks aktivierten ihre Nachbrenner und entkamen dem Kreuzfeuer. Inzwischen stieß endlich die HOCHE zu der angeschlagenen CAULAINCOURT, gefolgt von der NEY. Die beiden Fregatten befanden sich plötzlich in der Unterzahl. Jetzt sahen sie der Vernichtung entgegen. Sie gaben Gegenschub, um sich in den Schutz ihrer Schwesterschiffe zurückzuziehen. Kano warf noch einmal einen kurzen Blick hinüber zu der beschädigten CAULAINCOURT. ‚Viel Glück, Bruder. Ich hoffe, du überlebst die nächste Stunde.’
Später würde sich Kano Vorwürfe machen. Fragen, ob Grizzlys Tod seine Schuld gewesen war. Aber in diesem Augenblick verschwendete er keinen Gedanken an dieses Später. Er funktionierte einfach: „Tiburon, bis auf weiteres fungierst du als mein zweiter Katschmarek, verstanden?“
Tiburon hatte Grizzly natürlich besser gekannt. Vielleicht antwortete er deshalb nicht auf Kanos Anweisung. Aber der Staffelführer der Schwarzen Staffel registrierte, dass Tiburon aufschloss.
Cattaneo
Tyr
Kano blickte sich um. Rings um ihn herum tobte die Schlacht mit äußerster Härte, aber zumindest im Augenblick schien niemand auf die drei Nighthawks zu achten. Obwohl die Butcher Bears bisher bei einem eigenen Verlust drei Feindmaschinen hatten ausschalten können, war Kano noch nicht selber zu einem Abschuss gekommen. Es war an der Zeit, das zu ändern. Zuerst einmal mussten sie zu den eigenen Jagdbombern aufschließen.
Dann sah er plötzlich vor sich das Feuer von Bordwaffen aufflackern. ‚Was ist denn das? Das kann doch keiner unserer Jabos sein.’
Tatsächlich handelte es sich um einen Kampf unter Jägern. Noname und ein einzelner Flieger der HONGKONG waren offenbar in einen wütenden Kurvenkampf mit vier Reapern verwickelt. ‚Sind das etwas unsere Freunde von vorhin?’ Die wendigeren Abfangjäger umtanzten die schweren Jäger förmlich, und überschütteten sie mit Salven aus ihren leichten Laserkanonen. Nur die Tatsache, dass die Akarii wahrscheinlich bereits ihre wenigen Raketen verschossen hatten, hatte die beiden Nighthawks bisher vor der Vernichtung bewahrt. Die Kanonen der Reaper waren nicht besonders durchschlagkräftig. Es kostete Zeit, die starken Schilde und die schwere Panzerung einer Nighthawk zu durchbrechen. Vor allem wenn der Pilot der Nighthawk nicht einfach stillhielt und etwas von seinem Geschäft verstand.
Kano aktivierte die Richtfunkverbindung zu seinen Flügelmännern: „Crusader, Tiburon, wir nehmen sie in die Zange! Ihr greift von Backbord an. Und wir gehen kalt ran. Sie sollen sich sicher fühlen.“
Kano setzte auf das Chaos der Rumschlacht. Die Akarii sollten sie erst dann bemerken, wenn es bereits zu spät war. Aus diesem Grund würden sie sich auch ‚kalt’ nähern – mit sparsamen Gebrauch der Triebwerke und Zielerfassung erst im letzten Augenblick.
Die Nighthawks beschleunigten und trennten sich. Ein letzter Blick auf den Radarschirm – momentan schien kein anderer Feindjäger in der Nähe – dann konzentrierte er sich auf den Kurvenkampf vor ihm. Zweifellos verstanden auch die Akarii etwas von ihrem Geschäft. Bisher teilten sie mehr aus, als sie einsteckten. Aber der Kampf verlangte offenbar ihre volle Aufmerksamkeit. Sie bemerkten nicht die Gefahr, die sich an ihren Flanken näherte.
Längst waren die feindlichen Jäger im Wirkungsbereich seiner Strahlenkanonen. Doch immer noch schwebte sein Daumen reglos über den Feuerknöpfen der Bordwaffen. Crusader und Tiburon würden erst das Feuer eröffnen, wenn er angriff. Hoffte er. Der erste Schlag sollte sitzen.
„OHKA! AUSWEICHMANÖVER!“ Er reagierte ohne nachzudenken, warf die Maschine in eine brutale 90-Grad-Kurve. Im selben Augenblick schrillte der Raketenwarnalarm los. Während Kano eine Serie Täuschkörper ausstieß, versuchte er, sich zu orientieren.
Da war sein Verfolger. Ein einzelner, anscheinend bereits angeschlagener Deltavogel, der in dem einzelnen TSN-Jäger offenbar eine leichte Beute gesehen hatte. ‚Das war dein Fehler, Echse.’
„CRUSADER, TIBURON! AUSFÜHRUNG WIE BEFOHLEN!“ ‚Und um den da kümmere ich mich selber.’
Kano zwang seinen Jäger in eine scharfe Zweihundertsiebzig-Grad-Wende, während er gleichzeitig zwei weitere Störkörper abfeuerte. Eine der gegnerischen Raketen ließ sich davon ablenken und explodierte in sicherer Entfernung. Die andere allerdings brach durch und traf Kanos Maschine am Heck. Die Explosion schleuderte seinen behelmten Kopf vorwärts, während sich die Sicherheitsgurte schmerzhaft in seine Schultern pressten. Ein fiepender Warnton informierte Kano, dass seine Heckschilde praktisch aufgehört hatten zu existieren. ‚Das hat gesessen.’
Allerdings konnte der Deltavogel seinen Treffer nicht ausnutzen. Dem schwerfälligen Sturmjäger war es nicht gelungen, Kanos schnelles Manöver nachzuvollziehen. Sein Wendemanöver brachte den Akarii jetzt genau vor den Bug der Nighthawk. Mit zusammengepressten Lippen drückte Kano die Auslöser der Bordwaffen und schickte gleichzeitig zwei Amraam-Raketen auf den Weg.
Der Deltavogel wurde voll getroffen. Die vier Bordgeschütze trommelten auf die Steuerbordschilde ein, die durch die Zwillingsexplosion der leichten Raumkampfraketen vollständig kollabierten. Die pausenlosen Salven der Bordwaffen verwüsteten den rechten Flügel des Delta und wanderten langsam vorwärts. Doch bevor die schweren Strahlengeschütze den Rumpf und das Cockpit durchlöchern konnten, absolvierte der Akarii ein fast perfektes ‚Halbes-Von-Bein’, und wandte nun Kano seinen Bug zu. Die vorderen Schilde des Delta waren noch nicht zusammengebrochen. Selbst beschädigt konnte der schwere Sturmjäger eine Feuerkraft entfesseln, die auch einer Nighthawk gefährlich werden konnte. Sofort gab Kano Vollschub, während er seine beiden letzten Amraams auf den Weg schickte. Seine Rechnung ging auf. Abgelenkt durch den Versuch, den Raketen auszuweichen, konnte der Akarii sein Feuer nicht aufrecht halten. Ungehindert passierte der japanische Pilot die gegnerische Maschine, gab vollen Gegenschub und ging nun seinerseits in ein Von-Bein. Diesmal reagierte der Deltapilot zu langsam. Noch in der Drehung trafen die Salven der vier schweren Bordgeschütze seine immer noch ungeschützte Flanke. Die schwere Panzerung rettete dem Akarii das nackte Leben. Im letzten Augenblick betätigte er den Schleudersitz. Ein paar Sekunden später explodierte der Deltavogel.
Kano hielt sich nicht lange damit auf, den Sieg und damit seinen siebenunddreißigsten Abschuss zu feiern. Stattdessen gab er Vollschub, um endlich seinen Untergebenen und Cartmell zu Hilfe zu kommen.
Wie er erkennen musste, war das nicht mehr nötig. Die Reaper hatten zwei Maschinen verloren und mussten nun auf einmal damit rechnen, einer deutlich überlegenen Anzahl Gegner gegenüberzustehen. Angesichts dieser Aussicht entschied der Kommandeur der Akarii, den Kampf an anderer Stelle fortzusetzen. Einer der Abfangjäger konnte sich dank seiner unerreichten Geschwindigkeit problemlos absetzen. Der andere allerdings war anscheinend beschädigt worden, und flog mit deutlich verringerter Schubleistung. Das machte ihn zu einem verlockenden Ziel. Zu verlockend für Tiburon. Der junge Pilot aktivierte seinen Nachbrenner und setzte dem Reaper nach.
„Tiburon, lassen Sie den laufen. Wir haben Wichtigeres zu tun.“
„Ich kann ihn erwischen! Nur eine Minute…“
„Sie haben keine Minute. Wir müssen zu den Jabos aufschließen. Zurück in die Formation! TIBURON!“
Die Nighthawk ignorierte auch diesen Befehl, beschleunigte noch stärker. Genauso gut hätte Kano auch eine Wand anbrüllen können: „Zurück in die Formation, Tiburon! DAS IST EIN BEFEHL!“
„…bindung schlecht…nicht verstanden…wieder da!“
„ PALLARDO!“ Das Kano jetzt Tiburons echten Nachnamen benutzte, war ein Verstoß gegen die Einsatzrichtlinien. Und außerdem war es nutzlos. Die Nighthawk des anderen Piloten schien eher noch mehr zu beschleunigen. Kano knirschte mit den Zähnen und rang den Impuls nieder, seine Wut hinauszubrüllen. Das hatte irgendwann geschehen müssen. Er hatte es kommen sehen! Tiburon war kein Mann, der sich von einem vorläufig zurückgehaltenen Eintrag in der Dienstakte, einer Standpauke und einem Alkoholverbot einschüchtern ließ. Er musste unbedingt seine Grenzen austesten. ‚Ganz wie du willst. DAS war die verdammte Grenze. Diesmal bist du zu weit gegangen, Junge.’ Natürlich konnte es auch sein, dass der indianische Pilot sich einfach von seinem Jagdfieber hatte mitreißen lassen. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr.
Kanos Stimme klang bemüht ruhig. Aber immerhin brüllte er nicht mehr: „Crusader, wie sieht es aus?“
„Etwas angesengt, aber alle Systeme im grünen Bereich. Und bei dir?“
„Ungefähr so ähnlich.“ Er musste allerdings darauf achten, keinen Akarii in seinen Rücken kommen zu lassen. ‚Na ja, das ist dann ja wohl Crusaders Aufgabe.’ Ein knapper Dank Cartmells für die Unterstützung, dann trennten sie sich.
Etwa fünf Minuten später fand sich Kano in einer wüsten Kurbelei mit einigen feindlichen Abfang- und Sturmjägern wieder. Die Bloodhawks und Deltas hatten versucht, die Jabos der TSN abzufangen. Das war ihnen teilweise auch geglückt. Zusammen mit dem Flugabwehrfeuer der Kriegsschiffe war es den Akarii gelungen, die anfliegenden Kampffliegerverbände zu zersplittern. Einige der republikanischen Jagdbomber hatten ihre Atomraketen vorzeitig abgefeuert. Statt sich auf einzelne Schiffe wie die Kreuzer oder gar die im Hintergrund positionierten Flottenträger zu konzentrieren, wie ursprünglich vorgesehen, griffen die Thunderbolts und Mirages der TSN jetzt ziemlich wahllos die Spitze der feindlichen Formation an. Raven hatte angesichts der feindlichen Übermacht an Jägern den Angriff auf die Träger abbrechen müssen. Natürlich richteten die TSN-Kampfflieger immer noch Schaden an. Aber sie hatten nicht die Geschlossenheit und Schlagkraft, um die Formation des Gegners aufzubrechen.
Auch für Kano sah es nicht gut aus. Obwohl die Deltas schwerfälliger und auch langsamer waren als die Nighthawks, wurde das durch die Bloodhawks mehr als ausgeglichen. Zum Glück hatten sich auch die Akarii bereits ziemlich verschossen. Das war allerdings auch nicht verwunderlich – das Gefecht dauerte bereits mehr als eine halbe Stunde. Angesichts der Erbitterung, mit der beide Seiten kämpften, verfügten die meisten Piloten nur noch über Reste ihres Raketen-Kampfsatzes.
Bisher war es Kano gelungen, die feindlichen Jäger aus seiner Sechs herauszuhalten. Aber auf die Dauer konnte das nicht gut gehen. Auch seine Backbord- und Steuerbordschilde waren inzwischen empfindlich geschwächt worden. Crusader ging es nicht viel besser. Die beiden Nighthawks versuchten, sich so gut es ging gegenseitig den Rücken zu decken. Aber gegen eine feindliche Übermacht, die entweder schlagkräftiger oder wendiger war, erwies sich das als schwierig. ‚Das bringt doch nichts.’ Kano traf eine Entscheidung: „CRUSADER! Das Wrack auf Drei Uhr…“
„Verstanden.“
Der Kurvenkampf hatte sie zu dem zusammengeschossenen Akarii-Kreuzer geführt, der immer noch seinen langsamen, qualvollen Tod starb. Die ins All lodernden Flammen und der Strom aus Trümmern, der aus der geborstenen Hülle strömte wie Blut aus einem verwundeten Körper, hatten das Wrack mit einer gefährlichen Korona umgeben. Ein gutes Versteck.
„Drei, Zwei, Eins – JETZT!“ Die beiden TSN-Maschinen aktivierten ihre Nachbrenner. Allerdings gelang die Absetzbewegung nicht so problemlos, wie sich Kano das erhofft hatte. Sein Flügelmann musste einige schwere Schläge hinnehmen, und Kanos geschwächte Schilde waren dem Passierfeuer einer Bloodhawk nicht mehr gewachsen. Die schwere Maschine wurde brutal durchgerüttelt, und mehrere Signaltöne informierten Kano davon, dass seine Heckpanzerung durchschlagen worden war. Des Weiteren meldeten die Instrumente einen zehnprozentigen Abfall der Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit. Offenbar war eine Manöverdüse getroffen worden.
Die Akarii setzten den beiden Flüchtlingen mit feuernden Bordwaffen nach. Doch dann tauchten die Nighthawks in den Schatten des ausgeweideten Kreuzers ein, und das Feuer der Verfolger schwächte sich schlagartig ab, war weniger gut gezielt. Selbst dieses begrenzte Trümmerfeld verwirrte die Ortungs- und Zielerfassungssysteme der Verfolger deutlich, und verringerte ihre Feuerkraft.
Allerdings verlangte das Manövrieren in der unmittelbaren Umgebung des Wracks äußerste Wachsamkeit und Präzision. Die kleineren Trümmerstücke würden problemlos von den Schilden und der Panzerung der Nighthawks geschluckt werden. Aber größere Wrackteile, die teilweise mehrere Meter im Umfang maßen und bis zu eine Tonne schwer waren, würden die angeschlagenen Schilde gefährlich schwächen, vielleicht auch durchschlagen können. Ein solcher Zusammenprall konnte genauso tödlich wirken, wie ein Head-on-Head mit einem Deltavogel.
Dennoch erlaubte es sich Kano nicht, Angst zu verspüren. Auch Angst konnte töten. Er hatte bereits einen Funkspruch an die anderen Maschinen der Butcher Bears abgesetzt. Wenn es ihm und Crusader gelang, ihre Verfolger noch ein wenig länger zu binden, dann würden es die Akarii sein, die in die Zange genommen wurden. Eine Miniaturausgabe von Lone Wolfs Schlachtplan. Kano tauchte unter einer massiven, durch das All rotierenden Metallstrebe hindurch, die im nächsten Augenblick durch die Salve eines Deltavogels zusammengeschmolzen wurde. ‚Das war knapp.’
Am Ende aber sollte auch Kanos Strategie nicht aufgehen. Ein unterdrückter Aufschrei aus seinen Kopfhörern informierte ihn von Crusaders Notlage: „Die haben mich in der Zange! Scheiße, der schießt aber gut! Kann sie nicht abschütteln! Steige aus…“
„CRUSADER!“
Er erhielt keine Antwort. Und auch die anderen Maschinen der Butcher Bears ließen auf sich warten. Damit hätte er rechnen müssen. Wann wäre in einer Raumschlacht schon einmal alles nach Plan verlaufen? Jetzt war Crusader abgeschossen, möglicherweise tot. Und er selber war allein.
Die feindlichen Jäger konnten sich jetzt Zeit lassen und völlig auf ihn konzentrieren. Das bedeutete, er konnte hier nicht bleiben. Aber wenn er die Flucht ergriff, würden die Akarii ihr ganzes Feuer auf ihn richten. Den Bloodhawks würde er nicht entkommen können. Und seine Heckschilde lagen momentan gerade einmal noch bei zwanzig Prozent.
‚Ich kann nicht fliehen, und ich kann hier bleiben. Oder doch?’ Langsam nahm in seinem Kopf so etwas wie Plan Gestalt an. ‚Das kann doch niemals klappen. Das ist blanker Wahnsinn…vielleicht klappt es ja, WEIL es Wahnsinn ist.’ Ehe er sich eines Besseren besinnen konnte, aktivierte er die Triebwerke.
Die Akarii wurden von dem Ausbruchsversuch überrascht, aber sie reagierten schnell. Zwei der Maschinen, die gerade in einer günstigen Schussposition waren, eröffneten sofort das Feuer, während die anderen flankierend aufschlossen.
Allerdings wurden die Akarii ein zweites Mal überrascht, als der terranische Pilot ein Von-Bein-Manöver durchführte, und sofort Maximalschub gab. Die Maschine schoss auf den zusammengeschossenen Akarii-Kreuzer zu, dessen Ortungsschatten er eben verlassen hatte. Während die Akarii noch versuchten, ihre Zielerfassungssysteme auf die Nighthawk aufzuschalten und den Terraner mit schlecht gezieltem Sperrfeuer überschütteten, tauchte dieser wieder in die Trümmerwolke ein, die das Wrack umgab. Eine gleißende Explosion blitzte auf.
Als sie verblasste, war der TSN-Jäger verschwunden.
Cattaneo
Tyr
Ania ‚La Reine’ Obasanjo fluchte leise aber nachdrücklich. Die Schlacht verlief nicht so, wie es Lone Wolf geplant hatte. ‚Na, was für eine Überraschung!’ Der Angriff der Thunderbolts und Mirages hatte den Gegner bluten lassen, aber keine tödlichen Wunden geschlagen. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn man das Fehlen der Crusaders und die geringe Zahl der Jagdbomber bedachte.
Auch die Kriegsschiffe der TSN hatten den Feind nur anschlagen können. Gleichzeitig hatten sie selber bittere Verluste hinnehmen müssen. Von La Reines Blickwinkel sah es so aus, als liefe die zweite Schlacht von Karrashin auf ein brutales, stupides Abschlachten hinaus. Hier war kein Platz mehr für geniale taktische Schachzüge und Manöver. ‚Außerdem fehlt uns dafür sowieso der geeignete Kommandeur.’ Verstärkungen konnten weder die Akarii noch die TSN erwarten. Und genauso wenig schien einer der Kontrahenten bereit, sich zurückzuziehen. Die Schiffe und Kampfflieger tauschten auf kürzeste Entfernung Gefechtssalven aus, deren kombinierte Feuerkraft vermutlich ausreichte, einen kleinen Mond zu sprengen. ‚Das ist doch Wahnsinn! Oder soll das hier erst enden, wenn das letzte unserer Schiffe den letzten Imperialen vernichtet? Oder umgedreht.’
Und für ihre Staffel sah es nach einem viel versprechenden Start auch nicht viel besser aus. Tiburon reagierte nicht auf Funksprüche, war allerdings wohl immer noch im Spiel. Grizzly hingegen war offenbar ausgefallen, und jetzt waren auch noch die Transponder von Ohkas und Crusaders Maschinen verstummt. Nur der letztere sendete das Breitbandfunksignal, das den Standpunkt eines ausgestiegenen Piloten anzeigte. Von den anderen beiden…gar nichts.
Und zu allem Überfluss befand sich ihr ausgestiegener Pilot auch noch gefährlich nahe an einem auseinander fallenden Akarii-Kreuzer und unangenehm weit von den TSN-Kriegsschiffen entfernt. ‚Dort draußen fischt ihn keiner von uns auf. Das läuft genauso wie bei Crazy. Und solange nicht ein Wunder geschieht, und wir das Schlachtfeld behaupten…Ach Scheiße!’ Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie würde Crusader nicht hängen lassen. Ihn der Wahl zwischen Gefangenschaft und Ersticken ausliefern. Sie würden ihn da rausholen.
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„…ist zu riskant! Ohne eine adäquate Unterstützung durch Kampfflieger wäre es Selbstmord!“
„Hör mal, du Arschloch, WIR sind deine beschissene Eskorte! Also beweg deinen SAR-Arsch und komm in die Gänge!“
„Haben Sie überhaupt die Kompetenz, um einen solchen Einsatz zu befehlen? Welchen Rang…“
Jetzt reichte es La Reine. Mit einem leichten Tippen des Steuerknüppels richtete sie den Bug ihrer Maschine auf das SAR-Shuttle. Noch ein Knopfdruck…
Wenn der Pilot der Rettungsfähre seine Instrumente im Auge behielt, dann würde er jetzt feststellen, dass die Nighthawk ihn mit ihrem Zielsuchradar erfasst hatte: „Entweder du tust deine Scheißpflicht, oder es werden nicht die Akarii sein, die deinen bleichen Arsch aus dem All schießen! Habe ich mich jetzt verständlich ausgedrückt?!“
„Bist du wahnsinnig geworden?! Das werde ich melden!“
„Was du nach der Schlacht machst, ist mir scheißegal. Aber zuerst holst du Crusader an Bord. Verstanden?!“
Diesmal kam keine Antwort, aber das Shuttle aktivierte die Schubdüsen. ‚Na bitte, warum nicht gleich so.’
Es wurde ein Höllenflug. Zwar stellten zwei Nighthawks eine schlagkräftige Eskorte dar, aber sie flogen mitten hinein in eine Raumschlacht. Zwei-, dreimal mussten sie La Reine und Bunny feindliche Jäger abdrängen, steckten sie oder die SAR-Shuttle schwere Schläge ein. La Reine verschoss ihre letzten Raketen. Eine beschädigte Bloodhawks bezahlte ihren Passierflug mit der erbarmungslosen Vernichtung. Und sie kamen durch.
Sie konnte das Wrack bereits mit bloßem Auge erkennen, als zwei Bloodhawks es noch einmal wissen wollten. Die feindlichen Maschinen teilten sich auf und nahmen sie in die Zange. Normalerweise wäre das Verhältnis für die TSN günstig gewesen, und sogar das Bergungsshuttle hatte Bordgeschütze. Allerdings waren die terranischen Maschinen nicht mehr unbeschädigt. Auch La Reine und Bunny teilten sich auf, um die Angreifer abzufangen, während der Shuttlepilot den ausgestiegenen Piloten anpeilte.
Genau auf diese Gelegenheit hatte die dritte Bloodhawk gewartet, die sich mit abgeschalteten Triebwerken hinter dem Wrack verborgen hatte. Jetzt gab sie Vollschub, beschleunigte und stürzte sich aus allen Rohren feuernd auf das überraschte SAR-Shuttle. Das hektische Gegenfeuer der beiden leichten Laserkanonen wirkte erbarmungswürdig unzureichend.
In diesem Augenblick fühlte sich die Bloodhawk von einer unsichtbaren Riesenfaust gepackt, und wurde erbarmungslos durchgerüttelt. Irgendwie war ein Gegner in seinem Rücken aufgetaucht, und nun war der Imperiale zur Beute geworden. Während der Bordschütze des Shuttles sich langsam einschoss, trommelte das gut gezielte Dauerfeuer auf die Heckschilde der Bloodhawk ein. Jetzt rächte es sich, dass der Akarii-Pilot die gesamte Energie auf die Bugschilde konzentriert hatte. Schon schlugen die ersten Tachyonen- und Plasma-Strahlen durch die Schilde. Die einzelne Sparrow-Rakete besiegelte das Schicksal des Akarii-Jägers. Der mit einem Bilderkennungssystem ausgestattete Flugkörper ließ sich von den abgefeuerten Störkörpern nicht verwirren. Die Rakete traf das Triebwerk der Bloodhawk. Die folgende Sekundärexplosion zerriss den schlanken Raumjäger.
„Woher kommst du denn her?“ La Reine hatte die hoffnungslose Verfolgung des flüchtenden Akarii aufgegeben und musterte einigermaßen konsterniert den ziemlich übel zugerichteten Nighthawk, der dicht neben dem Shuttle im All schwebte.
Kanos Stimme klang fast fröhlich. Noch eine Überraschung: „Nachdem sie Crusader aus der Maschine geschossen hatten, musste ich mich irgendwie unsichtbar machen. Das, oder kämpfend sterben. Fliehen wäre keine Option gewesen, nicht mit Bloodhawks in meinem Rücken. Also habe ich den Transponder ausgeschaltet, ein kleines Ablenkungsmanöver geflogen und meine vorletzte Rakete abgefeuert. Die Explosion und die Trümmer überlasteten die Sensoren der Akarii – gerade genug Zeit, um die Triebwerke abzuschalten und mich mit den Manöverdüsen in einen Parkorbit zu begeben.“
„Klingt ja ziemlich einfach.“ In La Reines Stimme schwang mehr als ein wenig Sarkasmus mit. Kano lachte kurz auf: „Ja, wenn du es einfach nennst, eine Nighthawk praktisch IN dem aufgerissenen Rumpf eines Kreuzers zu parken, während ein paar Akarii hinter dir her sind, deine Schilde zu kollabieren drohen, und irgendwelche Wrackteile gegen deine Hüllenpanzerung krachen.“
„Sieht dein Vogel deshalb so beschissen aus?“
„Zum Teil. Ich habe auch vorher schon einiges abbekommen.“
Jetzt schaltete sich der Shuttlepilot ein: „Wenn ihr endlich mal damit fertig seid, euch gegenseitig auf die Schultern zu klopfen, könnten wir uns vielleicht endlich absetzen. Euren Kumpel habe ich eingeladen. Hoffentlich war er die ganze Scheiße wert!“
„Wie geht es ihm?“
„Unterkühlt, aber unverletzt. Machen wir, dass wir hier wegkommen!“
Diesmal blieben sie von Angriffen weitestgehend verschont. Inzwischen hatten die Kriegsschiffe der TSN ihre Linien zumindest zeitweilig etwas weiter nach vorne schieben können und die Akarii zu einer Umgruppierung gezwungen. Die wenigen immer noch fliegenden Bomber und Jabos beider Seiten hatten sich verschossen, und waren auf dem Rückflug zu ihren Trägern, um sich wieder aufzumunitionieren. Kurzzeitig ließ die Heftigkeit des Kampfes ein wenig nach, und niemand interessierte sich für die drei angeschlagene Nighthawks und ein SAR-Shuttle.
„Was neues von Tiburon?“
La Reine konsultierte ihren Radarschirm: „Wie es aussieht, hat er sich den Roten angeschlossen. Aber das könntest du doch auch selber feststellen.“
„Kann ich nicht. Langstreckenfunk und -sensoren sind offline gegangen. Ich kann niemanden anfunken oder erfassen, der weiter weg als einen Steinwurf ist.“
„Das heißt dann wohl, dass du erst mal aus dem Spiel bist.“
„Sieht so aus. Außer, sie haben auf der HONGKONG noch einen Jäger frei. La Reine, bis auf weiteres hast du das Kommando.“
„Ich bin jetzt temporärer Staffelführer? Glaubst wirklich, dass ich schon so weit bin? Diese Verantwortung…“
„Du redest zu viel. Sieh zu, dass du Bunny und Tiburon sicher heim kriegst. Für diesmal haben wir wirklich genug geblutet!“
„Gibt es etwas, was ich Tiburon von dir ausrichten soll?“
„Das werde ich ihm schon noch persönlich sagen!“ Kano klang ausnahmsweise wirklich wütend. La Reine grinste. Der Neue konnte sich auf etwas gefasst machen. Ohka verlor sehr selten die Beherrschung. Aber nach allem was sie gehört hatte, war das Ergebnis durchaus sehenswert und hatte den Staffelführer schon einmal in eine Arrestzelle gebracht: „Na dann, guten Heimflug. Ich gehe mal den verloren Sohn einsammeln.“
„Viel Glück. Und gute Jagd.“
Die Abschiedsworte des Shuttle-Piloten waren wesentlich weniger herzlich. Kano kam zu dem Schluss, dass wahrscheinlich bald eine Beschwerde über La Reine auf seinem Schreibtisch liegen würde. Als hätte er nicht schon genug Disziplinarprobleme. Das würde ihn nicht gut aussehen lassen. Ein Staffelführer, dessen Untergebenen ständig gegen die Dienstvorschrift verstießen, war ein Staffelführer, der seine Leute nicht im Griff hatte. Zusammen mit Tiburons Insubordination und der Prügelei in der Messe würde das der dritte Vorfall binnen weniger Wochen sein. Keine sehr gute Bilanz.
Der Flug zur HONGKONG gab ihm bei dieser Geschwindigkeit genug Zeit, um sich dessen bewusst zu werden. Und zu überlegen, was er vielleicht zu Tiburon sagen würde. ‚Vielleicht nimmt mir Raven die Staffel wieder ab. Aber vorher breche ich diesen arroganten Hund auf die richtige Größe herunter. Ich will verdammt sein, wenn mir das nicht gelingt!’
Allerdings musste er diese Gedanken bald zurückstellen und sich stattdessen auf die Steuerung konzentrieren. Er verlor anscheinend weiter Treibstoff, und außerdem machten die Manöverdüsen immer mehr Schwierigkeiten. Offenbar hatten einige Trümmerteile nicht nur seine Panzerung angekratzt. ‚Schon wieder eine Maschine ruiniert?’ Das war noch so ein Rekord, den er aufgestellt hatte. Im Geschwader war er eines der Asse mit den meisten Abschüssen in der kürzesten Zeit – 38 Abschüsse in vier Jahren, ausnahmslos Akarii. Und wahrscheinlich war er auch unangefochten führend bei der Zahl der Gefechtsverletzungen und der verlorenen und irreparabel beschädigten Maschinen. Zumindest in so kurzer Zeit.
Er brachte seine Maschine nahe dem Sprungpunkt in einen Parkorbit. Die Strahlung würde ihn genauso verbergen wie die HONGKONG. Ein kurzer Richtfunkspruch mit dem Träger informierte ihn, dass man offensichtlich nicht gewillt war, ihm einen neuen Jäger zu geben.
„Meine Staffel braucht mich da draußen!“
„Immer mit der Ruhe, Jockey. So wie Ihre Mühle aussieht, haben sie für heute genug abbekommen. Zeit, es etwas ruhiger anzugehen.“
„Ich bin Staffelführer! Und deshalb muss ich…“
„Und wenn Sie der wiedergeborene von Bein wären, wir haben keinen Jäger frei. Also hören Sie auf, sich so aufzuplustern, und bringen Sie diesen Schrotthaufen rein!“
Entweder der leichte Träger hatte keine Reservemaschinen übrig, oder der Commander des Geschwaders wollte seine kostbaren Jäger nicht mit dem Piloten eines Flottenträgers teilen. Innerhalb des zahlenmäßig überschaubaren Fliegerkorps der TSN gab es erhebliche Spannungen.
Die boden- und raumstationgestützten Staffeln stritten sich, wer die besseren Piloten waren. Die Trägerpiloten insgesamt sahen in ihren ‚stationären’ Brüdern bestenfalls so etwas, wie die zweite Wahl. Die Piloten der Hilfsträger galten bei ihren ‚regulären’ Kollegen wenig und wurden als ‚Piratenfänger’ und ‚Etappenflieger’ bezeichnet. Und die Flieger, die auf den Majestic-Einheiten dienten, nahmen ihren Kameraden von den Pegasus- und Lexington-Trägern ihre ‚wir-sind-die-Superlöwen-der-Löwen’-Attitüde übel.
Aber man war immerhin bereit, ihn landen zu lassen. Nach kurzem Überlegen nahm er das Angebot an. Er hasste es, an Bord eines Trägers zum passiven Zuschauer degradiert zu werden. Aber mit dieser Maschine war er ohnehin nicht mehr voll kampffähig. Außerdem riskierte er, dass sich der Zustand des Jägers noch verschlimmerte, weitere Systeme ausfielen und seine Tanks endgültig trocken fielen. Dann würde er so oder so aus dem Spiel sein, und man würde ihn außerdem mit einem Shuttle abschleppen müssen. Falls ihn nicht doch ein zufällig hier aufkreuzender Akarii im Vorbeiflug erledigte. Also würde er auf der HONGKONG landen. Starten würde er allerdings wohl erst wieder mit einem Shuttle, das ihn auf die COLUMBIA zurückbrachte. ‚Oder wenn die HONGKONG jeden Piloten für ihre eigene Verteidigung braucht.’ Aber nicht einmal Kano war so versessen auf weitere Bewährungsproben, dass er sich DIESES Szenario wünschte.
Wie die Schlacht inzwischen verlief, das konnte er nur raten. Selbst wenn seine Langstreckensensoren funktioniert hätten, die starke Strahlung hinderte auch ihn an einer genauen Radarortung. Das war der Nachteil an solchen Verstecken. Man war verborgen, aber auch ahnungslos.
Er ließ sich Zeit mit seinem Anflug. Nur zu gut erinnerte er sich an den Tod von Monty und Renegade. So wollte er nicht enden. Er würde dem ATLS die Hauptarbeit überlassen.
Langsam rückte die kantige Hülle des MAJESTIC-Trägers näher. Kano glaubte sogar, die Stellen erkennen zu können, an denen die massive Rumpfpanzerung rußgeschwärzt und beschädigt worden war. Auch die HONGKONG hatte heute einige schwere Treffer hinnehmen müssen.
Im Vergleich zur COLUMBIA und sogar der alten REDEMPTION wirkte der leichte Träger fast zierlich. Aber Kano wusste, die Schiffe der Majestic-Klasse waren gut gepanzert und was ihre Geschwindigkeit und Wendigkeit anging einem leichten Kreuzer ebenbürtig. Trotzdem wollte er nicht an Bord der HONGKONG sein, wenn die feindlichen Zerstörer in Geschwaderstärke durchbrachen. Wozu es durchaus kommen konnte.
‚Erst einmal landen. Dann kann ich immer noch versuchen, irgendjemandem eine flugfähige Maschine abzuschwatzen. Und wenn es eine Griphen oder eine Mirage ist.’
Cattaneo
Ironheart
Karrashin-Kiralu-Wurmloch
Karrashin-System
Donovan „Noname“ Cartmell hatte nun schon einige Schlachten in diesem Krieg geschlagen, mehr als ihm eigentlich lieb war. Jedes Mal wenn er draußen war, hatte er seinen eigenen Tod oder seine Verwundung verdrängt, und das war auch gut so. Im Cockpit eines Überlegenheitsjägers wie der Nighthawk war kein Platz für Sorgen und Zweifel, denn jeder Bruchteil einer Sekunde konnte über Leben und Tod entscheiden.
Und der Tod hing in dieser Schlacht wie ein gewaltiges Damokles-Schwert über ihren Häuptern. In diesem wilden Hauen und Stechen hatte Noname im Augenblick nur eine einzige Aufgabe: Den Hintern von Ace absichern, koste es was es wollte.
Donovan hatte kein Problem damit gehabt, einen Wingleader zu akzeptieren, erst Recht nicht einen so guten Piloten wie Ace. Hinzu kam, dass es für ihn zum Glück nicht ungewohnt war ein Flügelmann zu sein, auch wenn er nun schon seit einiger Zeit mindestens Wingleader war und seit Kalis Ausfall sogar Sektionsführer. Doch Donovan gehörte zu den Flügelführern, die – anders als manch andere Wingleader – auch mal ihre Flügelleute nach vorne ließen. Fish hatte es auf diese Art und Weise auf insgesamt vier Abschüsse gebracht gehabt und so manche Maschine so reif geschossen, die wiederum Noname hatte abstauben können, sobald Fish leer geschossen war. Doch ausgerechnet in der letzten Schlacht war Fish abgeschossen worden und dieser Stachel saß tief bei Noname. Er hatte vor, alles zu tun, dass er zusammen mit Ace aus dieser Hölle wiederkehren würde.
Ace und Noname waren bislang noch nie in einem Tandem zusammen geflogen, doch in diesem Falle war ein vorheriges Training gar nicht nötig gewesen. Sie waren beides Veteranen, sie wussten beide was zu tun war und sie taten alles fast schon mechanisch und sehr erfolgreich, auch wenn sie bislang noch keinen Abschuss zu verzeichnen hatten. Doch immerhin hatten sie ihr Primärziel erfüllt, nämlich zu zweit ein Quartett von Bloodhawks beschäftigt und damit von ihren Jabos ferngehalten.
Noname kannte auch sehr wohl den Grund dafür, warum er und Ace fast schon blind harmonierten ohne je gemeinsam als Wing gekämpft zu haben. Es gab einen guten Grund dafür und jetzt, mitten in dieser mörderischen Schlacht blitzte die Erkenntnis in seinem Kopf für einen Bruchteil einer Sekunde auf.
Sie beide – sowohl er als auch Ace – hatten von den Besten gelernt!
Ace war lange Zeit Justin „Darkness“ McQueens Schüler gewesen, einem der besten Jagdpiloten in der Geschichte der gesamten TSN. Und auch wenn Noname es hasste es zuzugeben, auch er hatte von Lone Wolf und Skunk immens viel gelernt und auch diese beiden zählten unbestritten zur Elite der terranischen Raumjagdflieger.
Während er und Ace synchron den Schüssen zweier Bloodhawks auswichen und sicher hinter einer dritten einkurvten – die vierte hatte offensichtlich einen Triebwerkstreffer abbekommen und war schon vor geraumer Zeit mit 50prozentiger Leistung zurückgefallen – musste Noname an seinen früheren Flügel- und Staffelführer Skunk denken. Dieser verdammte Bastard fehlte ihm, und zwar gewaltig. Während er zeitgleich mit Ace eine seiner Sidewinder hinter der bedauernswerten Bloodhawk herjagte, die das Pech gehabt oder die Dummheit besessen hatte, sich mit Ihnen anzulegen, fragte er sich, wo er Harvey Jones wieder sehen würde: Im Leben oder in der Hölle!?
Die beiden Sidewinder jagten hinter der Bloodhawk her und obwohl diese mit wilden Manövern und Täuschkörpern alles versuchte um ihnen zu entwischen, geschah das ungewöhnliche: Beide Raketen schlugen zeitgleich ein, zerfetzten die Schilde und vernichteten den akariischen Jäger mitsamt seinem Piloten.
„Guter Schuss, Noname, der Abschuss gehört dir.“
„Nein, Nein, zu freundlich, der Herr! Der Abschuss gehört dir, die erste Sidewinder hatte ihn eh schon geknackt.“ gab Noname witzelnd zurück. Ihm waren die Anzahl seiner Abschüsse herzlich egal, obwohl er mit knapp zwanzig Abschüssen innerhalb des Geschwaders mittlerweile unter den Top Ten rangierte.
„Nicht doch, einigen wir uns auf halbe-halbe?“ witzelte Ace, auch wenn seine Stimme die Anstrengung der Ausweichmanöver nicht verhehlen konnte. Die beiden anderen Bloodhawks waren immer noch hinter ihnen und jagten den beiden Terranern umso vehementer hinterher, um ihren gefallen Kameraden zu rächen.
„Halbe-halbe? Wie klingt das denn bitte? `Wie viele Abschüsse hast du? 23 ein halb!` Nein, lass gut sein, ich schenk dir diesen und du lädst mich beim nächsten ein, o. k.!?“
„Witzbold.“ keuchte Ace, da einige Treffer der Akarii-Lasergeschütze ihm einen guten Teil seiner Heckschilde kosteten. „Doppeltes Von Bein, 5 Sekunden Versatz, volle Laserbreitseite auf Blood 3 in 3-2-1-jetzt.“
Simultan zu Ace führte Donovan wie angesagt ein einwandfreies Von-Bein-Manöver aus, womit beide Nighthawks abrupt wendeten und auf ihre Verfolger zu preschten. Donovan richtete wie abgesprochen seine Laserkanonen auf die linke Bloodhawk aus, genau wie sein Flügelcommander.
Die Gegner waren keine Anfänger, und so krachten einige Treffer in seine eigenen Frontschilde während er die angesagte Bloodhawk anvisierte. Doch während die beiden Akarii ihre Schüsse auf die beiden Nighthawks aufteilten, konzentrierten Ace und er ihren Beschuss auf einen der Jäger, knackten seine Frontschilde und beschädigten die Maschine, wenn Sie sie auch nicht abschießen konnten. Sie hatten sie gerade passiert, da war der fünfsekündige Versatz wie von Ace berechnet verstrichen.
Wieder vollführten sie beide simultan ein perfektes Von-Bein-Manöver, um sich hinter die Akarii zu setzen. Einer der beiden Akarii durchschaute das Manöver und setzte sich ab, doch Nummer drei – der eben schon ordentlich durchgerüttelt worden war – reagierte zu langsam.
„Noname nach vorne, Phönix Marsch.“ gab Ace durch. Clifford hatte seine Raketen bereits alle verschossen, während Donovan noch eine seiner Raketen hatte. Ohne zu zögern aktivierte er seine Zielerfassung und jagte die Rakete los, als er kurz darauf den entsprechenden Glockenton vernahm.
Jetzt war Ace sein Flügelmann und schirmte ihn ab. Seine Phönix jagte der Bloodhawk hinterher, kroch heran und erwischte den feindlichen Jäger trotz dessen Fluchtversuchen schließlich doch. Der gegnerische Pilot stieg rechtzeitig aus, doch der Abschuss war Donovan nicht mehr zu nehmen.
„Yiehaa, den hab ich jetzt und du kriegst den von vorhin, abgemacht?“
„Abgemacht,“ antwortete ihm Ace „aber lassen wir den anderen ziehen, wir sind leer geschossen und sollten uns erstmal wieder auf munitionieren, oder?“
Donovan blickte auf seinen Radar um die letzte Bloodhawk aufs Korn zu nehmen, doch diese machte sich per Nachbrenner bereits schlauerweise auf den Heimweg. Ace hatte Recht, sie hatten ihre jetzige Aufgabe erledigt, und alleine auf weiter Flur hatte der Akarii entschieden, dass es wohl gesünder war, den Heimweg anzutreten machte sich daher aus dem Staube.
„Alles klar.“ antwortete Donovan und damit machten sie sich ebenfalls auf den Rückweg zu ihrem derzeitigen Träger, der Hongkong.
Die Schlacht war noch lange nicht vorüber, aber Donovan hatte den Eindruck, dass er und Ace unverwundbar waren, wenn sie so weiter zusammen fliegen würden.
Er wusste in diesem Augenblick noch nicht, wie sehr er sich damit irren würde.
***
Primärbrücke der Vo Nguyen Giap, Am Kiralu-Karrashin-Wurmloch
Kiralu-System
Igor Maleetschev saß in seinem Kommandantensessel und kniff die Augen zusammen. Er hatte in den letzten 48 Stunden gerade einmal sechs Stunden geschlafen und die Müdigkeit begann nun Überhand zu nehmen. Sie waren vor einigen Stunden zusammen mit dem Columbia-Sicherungsverband in die Sicherheit des Kiralu-Systems gesprungen, während auf der anderen Seite dieses Wurmloches der Rest ihrer zusammengewürfelten Einsatzgruppe ums Überleben kämpfte. Igor hoffte, dass der von Cunningham ausgeklügelte Plan funktionieren würde. Lucas und er waren seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der Dolphin Freunde, aber das bedeutete auch, dass Igor sehr wohl wusste, wie seine Pläne in der Regel ausgesehen hatten.
Offensiv, waghalsig, mutig, sagten diejenigen, die ihm wohlgesonnen waren. Selbstmörderisch, halsbrecherisch, rücksichtslos, sagten diejenigen, die ihn nicht leiden konnten.
Und das waren nicht gerade wenige.
Zudem war die Columbia nun auf der anderen Seite des Wurmloches und damit in scheinbarer Sicherheit, während die übrigen Schiffe und Jägerstaffeln seinen Plan ausführten. Igor brauchte nicht viel Fantasie um sich auszumalen, dass das von vielen als Feigheit ausgelegt werden würde.
Igor wusste, dass dem nicht so war. Lucas kribbelte es in den Fingern die Columbia zum Einsatz zu bringen, und da war er nicht der einzige. Auch Igor hätte sich zu gerne an der Schlacht beteiligt, zumal er mittlerweile sicher war, dass die Giap voll einsatzfähig war.
Stolz erfüllte ihn bei dem Gedanken daran, was seine Mannschaft in den letzten zwei Tagen geleistet hatte. Sie hatten sich von einem angeschlagenen und demoralisierten Kriegsschiff mit 60prozentiger Einsatzbereitschaft wieder auf 90 Prozent gesteigert.
Jedes einzelne Mitglied seiner Crew – von seinem XO John Vickers bis hin zum einfachen Seaman – hatte bis zur totalen Erschöpfung gearbeitet.
Die Marines hatten zusammen mit den Schiffsicherungstrupps alle Löcher in der Außenpanzerung der Giap geschlossen und so gut wie alle Sektionen waren wieder im vollen Einsatz. Die Männer und Frauen unter seinem Kommando hatten repariert, was zu reparieren war. Einzig die Sekundärbrücke war definitiv nicht wieder instand zu setzen gewesen, zumindest nicht mit Bordmitteln. Sie würden mit einer Brücke auskommen müssen und im Grunde war das Igor auch lieber so. Denn es fehlten ihnen immer noch knapp 60 Bordmitglieder, doch durch das Fehlen der Sekundärbrücke fiel dieses Manko nicht zu sehr ins Gewicht.
„Sir, Commander Vickers und Lieutenant Kayalar baten mich Ihnen die folgende Aufstellung zu geben.“ Eine junge Ensign aus dem taktischen Stab reichte ihm ein Datenpad, welches den aktuellen Status der Waffensysteme aufzeigte und holte Maleetschev damit aus seinen Gedanken. Die Zahl 100 Prozent am Ende des Berichts entlockte ihm ein müdes, aber durchaus zufriedenes Lächeln. „Danke, Ensign…“ Igor lugte schnell auf ihr Namensschild „.. Poletto“. Doch statt sich wieder an die Arbeit zu machen, blieb die junge Frau stehen und lächelte etwas schüchtern. Sie schien etwas auf dem Herzen zu haben, aber nicht sicher zu sein, ob sie es sagen sollte. Gerade als Sie sich wieder wegdrehen wollte, hakte Igor nach. „Haben Sie etwas auf dem Herzen, Ensign?“
„Nein, nein, Captain. Nichts, es ist… nichts…“ Es war offensichtlich, das sie log und das noch nicht mal sonderlich gut.
Igor schmunzelte und zog die Stirn kraus. „Ts,Ts,Ts. Miss Poletto…? Kommen Sie schon, Ensign. Geben Sie mir eine Chance Ihnen zu helfen. Oder sagen Sie mir ehrlich, wenn ich etwas falsch gemacht haben sollte, denn nur so kann ich an mir arbeiten und mich verbessern.“
Überraschung blitzte in ihren Augen auf und sie runzelte kurz die Stirn. Dann trat sie unvermittelt etwas näher an ihn heran und senkte ihre Stimme. „Captain Maleetschev, verstehen Sie mich nicht falsch, Kapitänin Nieminnen war eine gute Frau, eine erfahrene Offizierin – aber Sie, Skipper, sie sind…“ Igors Augen verengten sich einen kurzen Augenblick, sorgte er sich doch, was jetzt kommen würde. Hatte er doch selbst dieselben Zweifel gehabt. Wer war er denn schon, dass er dachte, eine so erfahrene Offizierin wie seine Vorgängerin in kurzer Zeit ersetzen zu können. Jetzt würde er die Antwort auf seine bohrende Frage bekommen, ob die Mannschaft IHM vertraute.
Die junge Soldatin fuhr fort „… Sie sind ….“ Sie sprach nicht zu Ende und jetzt schüttelte sie den Kopf. „Etwas falsch gemacht, Sir? Sie scherzen, oder? Nehmen mich auf den Arm, weil ich so leicht aussehe? Oder so unbedarft?“ Sie fing an zu lächeln und nun war es an Igor irritiert zu gucken. Doch bevor er nachfragen konnte, fuhr die Ensign fort.
„Sir, ihre Rede im Hangar war besonders, sie war inspirierend, sie war… wow. Ich habe jetzt noch eine Gänsehaut. Und ich bin nicht die Einzige, Sir. Das ganze Schiff redet darüber. Was glauben Sie denn, warum wir alle arbeiten, bis zum Umfallen? Bevor Sie kamen, waren wir am Boden zerstört, waren geschlagen und fertig. Und dann – Bumm – kommen Sie hier rein und reißen alle vom Hocker. Selbst Bosun Worthington hat gesagt, dass er selten eine solche Ansprache gehört hat. Sie haben die Latte ganz schön hoch gelegt, denn wenn Sie auch nur annähernd so gut kämpfen und befehlen können, wie sie gesprochen haben, dann Gnade den Akarii.“
Sie hielt inne, offensichtlich selbst überrascht und peinlich berührt über ihren Gefühlsausbruch. „Ich… Sir, ich bin glaube ich etwas zu weit gegangen in meiner Begeisterung, entschuldigen Sie.“
Sie war deutlich jünger und viel niedriger im Rang als er, aber offensichtlich mutig genug so mit ihrem neuen Captain zu reden. Maleetschev schüttelte breit grinsend den Kopf. „Nein, Ensign Poletto, kein Grund sich zu entschuldigen. Im Gegenteil, vielen Dank für die offenen Worte. Lob hört jeder von uns gerne, auch ein Captain!“ `Und erst recht ein so unerfahrener wie ich!` dachte Igor weiter, sprach es aber nicht aus.
„Gern geschehen, Sir.“ Und damit machte sie sich wieder an die Arbeit.
Igor blickte ihr noch einen Augenblick nach. Seine Rede hatte also gezündet, er hatte offenbar den richtigen Ton getroffen. Doch würde das reichen? Wie würde seine Crew unter Feuer reagieren?
Im Kiralu-System – einem strategisch wichtigen Transitsystem, welches zwar über keinen bewohnten akariischen Planeten verfügte, aber in dessen weitläufigen Asteroidenfeldern früher einmal Tantal und höherwertige Metalle geschürft wurden, die von einer Supernova in der Nähe stammten. Das bedeutete, dass die angeschlagene Columbia und ihr Sicherungsverband zumindest für den Augenblick in Sicherheit war.
Doch Igor hatte nun lange genug gedient, um zu wissen, dass es so etwas wie Sicherheit in diesem Krieg nicht gab.
Der Hinterhalt bei Pasumata III während der Operation Magellan oder Admiral Kjani Raus Angriff auf die Clemenceau waren gute Beispiele dafür, dass jederzeit Gefahr drohen konnte und Sicherheit nur eine Illusion war.
Wieder erfasste Igor eine Woge der Müdigkeit und er massierte seine Augen. Was hatte Ensign Poletto eben gesagt? Die Mannschaft arbeitete bis zum Umfallen? Igor richtete sich auf und wandte sich an seinen frisch gebackenen Kommunikationsoffizier. „Mr. Grabber – bitte geben Sie mir 1MC und geben Signal für einen Captains Call!“
„Aye, Sir, 1MC – Captains Call.” Selbst diese einfache Aufgabe schien der repatriierte Flottenoffizier mit Innbrunst ausfüllen zu wollen. Eine Signalfolge gab der Crew der Giap das Zeichen, dass ihr Kapitän etwas zu sagen hatte.
Igor schnappte sich das Sprechgerät, konzentrierte sich und seine Stimme erschallte durch das Schiff. Es war das zweite Mal und wieder lief ihm ein wohliger Schauer der Aufregung den Rücken herunter. Er hoffte wider besseren Wissen, dass dieses erhabene Gefühl nie in Routine umschwenken würde.
„Ladies and Gents, ich erfahre so eben, dass Sie alle – die Crew der Vo Nguyen Giap – bis zum Umfallen gearbeitet haben.“ Bei diesen Worten drehte sich Ensign Poletto sorgenvoll um, doch Igor lächelte nur kurz um sie zu beruhigen. „Die Statusmeldungen, die ich hier vor mir liegen habe, bestätigen diese Aussage nachdrücklich. Die Systemchecks zeigen 95prozentige Einsatzbereitschaft. Die Testmanöver, die wir in den einzelnen Bereichen durchgeführt haben, waren positiv. Mein Dank und mein Kompliment an die gesamte Crew.“
Igor ließ sein Kompliment an seine Besatzung einen Augenblick sacken. „Auch wenn wir hier im Kiralu-System vorerst sicher sind, kann sich dieser Zustand jeden Augenblick ändern. Unsere Kameraden kämpfen in diesem Augenblick für uns auf der Karrashin-Seite dieses Wurmloches. Und es wäre fatal, wenn wir bei einem Durchbruch der Akarii aufgrund von Müdigkeit versagen würden. Daher ordne ich hiermit rotierende Ruhe für die gesamte Bordbesatzung an. In den nächsten 24 Stunden will ich dass jedes Crewmitglied acht Stunden Schlaf und Ruhe gehabt hat! Ruhen Sie sich aus, das hier ist die Ruhe vor dem Sturm! Danke – Maleetschev Over and Out.“
Sein Blick traf wieder Ensign Poletto deren Worte ihn erst dazu gebracht hatten seiner Crew eine wohlverdiente Pause zu gönnen. Igor nahm sich vor, so häufig es ging das Gespräch auch mit „niedrigen“ Diensträngen zu suchen.
Kurz erwiderte er ihr Lächeln um sich dann 1st Lieutenant Grabber zuzuwenden, der sich neben seinem Kommandantensessel aufgebaut hatte.
„Mr. Grabber? Was kann ich für Sie tun.“
„Wann haben Sie das letzte Mal geschlafen, Sir?“
Igor seufzte „Vor einer Weile, Mr. Grabber, vor einer Weile.“
„Gut, ich werde den XO rufen, damit er Sie ablöst!“
„Bitte?“
„Sie haben es selbst gesagt, Sir! Wir können es uns nicht leisten aufgrund von Müdigkeit unsere Aufgaben zu gefährden. Und mit Verlaub, Sir, Sie sehen müde aus.“
Igor nickte, sein Kommoffizier hatte Recht, er war müde, so müde wie schon lange nicht mehr.
„Ist gut, Lieutenant, Sie haben Recht. Aber lassen Sie den XO seine Aufgaben in Ruhe erledigen.“
Er stand auf und verließ seinen Kommandoposten. „Lt. Grabber, die Brücke gehört Ihnen, sagen sie Mr. Vickers, dass er mich in acht Stunden wecken lassen soll!“
Der Stolz in Grabbers Gesicht war offensichtlich. Jahrelang in akariischer Gefangenschaft und nun durfte er die Brücke einnehmen, auch wenn es nur für ein paar Stunden war.
Auf dem Weg in seine Kabine sinnierte er über seine Crew. Sein XO hatte das Potential ein guter Kommandant zu werden, seine Führungscrew zeigte überdurchschnittliches Engagement und selbst untere Dienstgrade wie Chief Pan und Ensign Poletto zeigten Leistungsfähigkeit und –willen. Igor hatte Glück gehabt, enormes Glück, vor allem wenn er an seinen Start auf der Repulse nachdachte. Sein Gefühl sagte ihm, dass sich mit so einer Mannschaft großes Erreichen lassen konnte.
Jetzt musste er nur noch dafür sorgen, dass er selbst den Anforderungen genügte und sein Schiff und seine Crew nicht enttäuschen würde.
Und mit diesem Gedanken legte er sich in seine Koje und hoffte, dass ihn in den nächsten Stunden niemand wecken würde.
Cattaneo
Cattaneo
Das dritte Treffen
Krankenstation der Columbia
Zu behaupten, Lilja würde sich langweilen, wäre nicht ganz zutreffend gewesen. Wer an Langeweile litt, der wusste nicht so recht etwas mit seiner Zeit anzufangen, es fehlte ihm – aus eigener Schuld oder nicht – einfach an einer interessanten Beschäftigung. Die Russin hingegen wusste genau, was sie tun wollte und sollte, doch genau daran hinderte man sie. Allerdings aus gutem Grund, wie sie teilweise einsah. Sie war aber einfach nicht dafür geschaffen, in der relativen Ruhe der Krankenstation abzuwarten. Nicht, wenn die Hälfte der Staffel und die meisten Schiffe der Flotte in einen mehr als gefährlichen Einsatz geschickt wurden. Sie war schon während des Rückzugs zum Sprungpunkt immer nervöser geworden, und inzwischen war sie vor lauter Ungeduld nahezu unerträglich. Sie hatte sich überhaupt nur deshalb dazu überreden lassen mit Hilfe einer Schlaftablette etwas auszuspannen, weil sie eine Krankenschwester fast schon beim Leben der Eltern hatte schwören lassen, sie im Falle einer kritischen Entwicklung zu wecken. Inzwischen war die Wirkung der Tablette verflogen, und die Russin wurde von Nervosität förmlich aufgefressen.
Dass ihre Verletzung sie irgendwie bremste, konnte man wahrlich nicht sagen, eher noch das Gegenteil. Das lag freilich auch daran, dass Lilja Realistin war. Wenn in der kommenden Schlacht nicht alles nach Plan verlief – und diesbezüglich waren die bisherigen zwei Gefechte über Karrashin III und Karrashin V wenig geeignet, Hoffnungen zu wecken – dann kam auch auf die Columbia selbst noch einiges zu.
So war sie von Anfang an nervös gewesen, doch nachdem die Columbia gesprungen war, hatte sich das noch einmal gesteigert. Die Russin war nicht gewillt, der Ruhe zu pflegen. Wenn man es Ruhe nennen konnte, in einem überfüllten Zimmer mit mehreren leicht und mittelschwer verletzten Flottenangehörigen und Piloten festzusitzen. Nachdem die Staffelchefin-im-zeitweiligen-Ruhestand das dritte Mal einen anderen Patienten angefaucht hatte, und zwar jedes Mal mit heftigeren Flüchen, ließ ihre Zimmergenossen sie in Ruhe – auch wenn sie im Moment alle mehr oder weniger gleich waren, so hatte sie eben immer noch der höchste Rang, und schon morgen würde sie vielleicht wieder in vollem Besitz ihrer Befugnisse sein. Nichts anderes wollte die Russin. Sie wartete einen günstigen Augenblick ab, nachdem der zuständige Krankenpfleger seine Visite gemacht hatte. Im Grund konnte er ohnehin nicht viel tun. Das medizinische Personal wurde – wie die Krankenbetten – für die Schwerverwundeten gebraucht, die man von anderen Schiffen auf die Columbia evakuiert hatte. Deshalb überließ man die nur leicht blessierten Patienten weitestgehend sich selbst, nachdem man sie verarztet und mit Schmerzmitteln versehen hatte. Oft ging man sogar so weit, in eigentlich unverantwortlicher Art und Weise die Einnahme der Medikamente den Patienten zu überlassen.
Diese erzwungene Vernachlässigung ermutigte die Pilotin, die sich ihr bietende Chance zu nutzen. Lilja peilte kurz die Lage, dann requirierte sie kurzerhand das Paar Krücken, das den Patienten zur Verfügung stand, falls einer das Zimmer verlassen wollte. Einer ihrer Zimmergenossen quittierte ihr entschlossenes Vorgehen mit der vorsichtigen Frage: „Wo soll es denn hingehen, Commander?“ Die Pilotin zuckte nur mit den Schultern. Schon ihr kühler Tonfall legte nahe, es sei keine gute Idee, weitere Fragen zu stellen: „Ich habe zu tun. Wird vielleicht ein Weilchen dauern.“ Obwohl sie deutlich vor Einmischung gewarnt hatte, meinte ein vierschrötiger Marine, der einen ausgerenkten Arm und schwere Blutergüsse aufzuweisen hatte: „Lass dir nicht zuviel Zeit – wir brauchen die Dinger auch noch.“
Lilja drehte sich langsam zum Sprecher um und starrte ihr Gegenüber einen Augenblick so intensiv an, dass sich ihr Blick eigentlich durch ihn hätte hindurch brennen müssen. Ihre Stimme troff vor Sarkasmus: „Das heißt – Lassen SIE sich BITTE nicht zuviel Zeit, wir brauchen die Dinger auch noch, COMMANDER!“
Ehe der Mann, der mit Sicherheit zwanzig Zentimeter größer und vierzig Kilogramm schwerer war, etwas entgegen konnte, fügte sie in demselben ätzenden Tonfall hinzu: „Wenn ihr die Dinger braucht, und ich kann mir nur einen Grund vorstellen, aus dem ihr augenblicklich aus dem Bett müsst, dann pinkelt meinetwegen in die Flasche – ihr seid ja alle krank, also müsst ihr nicht woanders hin. Geniert euch nur nicht, die einzige Frau seid ihr ja jetzt los! Und wenn einer von euch Kerlen auf die Idee kommt, mich bei den Stationsdrachen zu melden, hänge ich ihm einen Vorwurf wegen sexueller Belästigung an, dafür reichen schon eure üblichen Witze.“ Sie warf noch einen drohenden Blick in die Runde, dann marschierte sie ab. Ehe die Tür ins Schloss fiel, hörte sie noch den Marine: „Frau? Die meinte wohl Furie…“ Das hätte fast gereicht, ein Grinsen auf ihr Gesicht zu zaubern.
Sie hatte schnell gefunden, was sie brauchte. Auf der Krankenstation konnte man unter normalen Bedingungen nicht so einfach herumlaufen, aber im Moment herrschten keine normalen Umstände. Normalerweise wäre Lilja, nur bewaffnet mit Krücken, Krankenkluft und Entschlossenheit, schnell aufgefallen. Aber die Ärzte und Sanitäter hatten beide Hände voll zu tun – und auch noch die Zehen dazu – um sich um den Ansturm von Verbrannten und Verstrahlten, Männer und Frauen mit multiplen Brüchen, Schädeltraumata, inneren Verletzungen und offenen Wunden zu kümmern, der sie fast überrollte. So nahmen jene, welche die Gestalt in Weiß überhaupt wahrnahmen, an, es wäre eine Leichtverletzte, die Erlaubnis hätte, die Krankenstation zu verlassen. Schon längst war man in der TSN in Krisensituationen dazu übergegangen, die weniger schweren Fälle einfach in ihre Quartiere oder in Behelfskrankenzimmer zu verlegen. Lilja schritt so aus, als hätte sie jedes Recht dazu, und ihr Gesichtsausdruck war bewaffnet mit aller Autorität, die sie sich im Laufe der Jahre antrainiert hatte. Sie bewegte sich sehr gewandt für ihren Zustand, was ihr zusätzlich half, nicht aufzufallen. Nun, wie sie etwas säuerlich dachte, sie hatte inzwischen genug Erfahrung im Umgang mit Krücken und anderen Hilfsmitteln. Sie wusste nur zu gut, wie man Schwäche und Schmerz unterdrückte, und trotz Behinderungen weitermachte. Zudem hatte man ihr eine wirksame Lokalanästhesie verpasst, die, wie man so sagte, so gut war, dass man ihr das Bein hätte abschneiden können, und sie hätte es erst gemerkt, wenn sie versucht hätte, ein Fahrrad zu benutzen. Im Grunde erschien ihr das Bein wie ein zusätzliches totes Gewicht, nichts, was sie wirklich betraf. Sie wusste aber auch, dass die Mittel ihren Gesamtzustand beeinflussten, und deshalb war sie ständig darauf bedacht, nicht gedanklich abzudriften. Langjährige Übung und Erfahrung halfen ihr.
So erreichte sie schnell ihr Ziel, nämlich den Aufenthaltsraum des Krankenpersonals. Im Moment war das Zimmer natürlich leer. Sie schaute sich kurz um, dann schloss sie die Tür hinter sich und blockierte sie kurzerhand. Ein weiterer prüfender Blick überzeugte sie, dass sie für einen flüchtigen Betrachter einen akzeptablen Eindruck machen würde. Gewiss, ihre Augen blickten etwas verschleiert und umschattet, ihr Haar war glanzlos und die Frisur etwas derangiert, aber das war nichts, was man nicht mit dem Stress und der Erschöpfung einer Raumschlacht erklären konnte. Sie atmete noch ein, zweimal tief durch. Probte noch mal den eisig-autoritären Blick, den sie so gerne kultivierte. Probte ihn ein zweites Mal. Dann aktivierte sie ihre Bordsprechanlage und ließ sich verbinden. Sie positionierte sich sorgfältig so, dass man nur ihr Gesicht in Großaufnahme auf dem Bildschirm sehen konnte, ein etwas einschüchternder Anblick. Wie sie erwartet hatte, war die interne Kommunikation momentan ein wenig überlastet. Umso besser, dann konnte keiner wissen, dass sie eigentlich im Augenblick zwangsweise beurlaubt war:„Verbinden Sie mich mit Master Chief Dodson…Hören Sie, wenn ich plaudern wollte, würde ich den Pfarrer anrufen! Dann suchen Sie ihn eben! Ist mir egal, dass er zu tun hat, denken Sie, ich mache gerade Erholungspause? Sie haben zwei Minuten, dann holen Sie ihn mir an ein Gerät! Nein, Haltung brauchen Sie nicht gleich anzunehmen, aber machen Sie verdammt noch mal hin!“
Eric Dodson hatte etwas Zeit gebraucht, um den Tod des Kapitäns und der Admirälin zu verdauen. Nun, soviel Zeit man ihm gelassen hatte. Natürlich, zwischen ihm und „denen da oben“ lagen Welten. Aber dennoch, beide hatten ihn eigentlich immer anständig behandelt. An den Tod von Piloten war er gewöhnt, das brachte der Krieg so mit sich, aber die Brückencrew war etwas anderes. Ihm war natürlich keine Zeit geblieben, darüber nachzudenken, oder sich Gedanken darüber zu machen, was die Todesfälle bedeuteten. Oder darüber, ob denn nun Lone Wolf eine triumphale Rückkehr vorbereitete. Er hatte jedenfalls schnell gemerkt, dass die neue Geschwaderchefin mindestens so nervig sein konnte wie jeder andere Offizier. Obwohl das ja nicht nur ihre Schuld war. Seid Beginn der Schlacht, oder besser schon kurz zuvor, hatte er unablässig rotieren müssen. Erst etwa 100 Jäger und Shuttles startklar machen, dann auch noch einige Reservemaschinen, nachdem Lilja ihn darum gebeten hatte. Dann noch mehr Reservemaschinen, als die ersten Havaristen heimgehinkt kamen. Schadensicherung bei den ersten Heimkehrern, denn schon eine einzelne Tankexplosion oder Spannungsentladung konnte fatale Folgen haben. Und dann kamen Massen an beschädigten Jägern, eigene und fremde. Von denen hatte man dann erneut vier Dutzend auftanken und bestücken müssen, damit sie für den neuen Schlachtplan zu Verfügung standen. Und jetzt sollte er noch jede Maschine flugklar machen, die sich an Bord ließ. Und reparieren, was ging. Und die Kampfbestückung nicht vergessen. Es war eigentlich zum Verzweifeln. Für die Techniker hatte es kaum eine freie Stunde gegeben, seitdem sie ins System gesprungen waren. Ein Wunder, dass bei der Eile noch kein Unglück passiert war. Wie üblich verlangten manche Piloten, dass man für sie Unmögliches erledigte, damit sie selber Unmögliches in Angriff nehmen konnten. Und schlimmer noch, jetzt trieben sich noch ein paar zusätzliche Fliegeroffiziere auf dem Schiff herum, und diese hoch dekorierten Wichtigtuer kannte er nicht einmal, anders als die einheimischen Wichtigtuer. Nun, inzwischen waren die Jäger des Angriffsverbands gestartet, das bedeutete für seine Leute zumindest eine kurze Pause. Die Columbia war durch das Wurmloch gesprungen und damit sicher – theoretisch. Natürlich konnten die Akarii immer noch hinterherkommen, wenn die Schlacht nicht gut lief. Dann würde man die verbleibenden Jäger starten müssen. Nun, wenigstens war Skunk inzwischen ein Problem weniger, um das man sich künftig Sorgen machen musste, aber das war eben nur ein sehr dünner Silberrand einer sehr dunklen Gewitterwolke. Deshalb hätte der Chief um ein Haar den Techniker angeknurrt, der ihm ein dringendes Gespräch ankündigte. Aber nur um ein Haar, immerhin konnte ja nicht er selber noch seinen armen Soldaten zur Last fallen. Außerdem konnte es ausnahmsweise ja wirklich wichtig sein. So bemühte er sich um einen geduldigen Gesichtsausdruck, und baute sich vor dem Bildschirm auf: „Dodson hier.“
Er erkannte sein Gegenüber sofort. Er und Lilja hatten im Verlauf der letzten Monaten mehr als ein Streitgespräch geführt – oder besser, sich angegiftet, könnte man auch sagen, obwohl die Russin zumeist ihren höheren Rang schamlos ausgenutzt hatte und damit auf unfaire Weise ihrem Gegenüber Fesseln anlegte. Doch zugleich hatte sie auch mitgeholfen, dass er den Bronzestar erhielt, und mehr als einmal um seine Hilfe gebeten. Ihr Verhalten zueinander war gelinde gesagt kompliziert, und die anspruchsvolle und barsche Art der Offizierin passte ihm gar nicht. Aber er wusste auch, dass sie zu den Piloten gehörte, die von den Bodendiensten nicht mehr forderten, als von ihren eigenen Leuten und von sich selbst. Das allerdings war oft unmögliches.
Die Russin kam sofort zur Sache: „Ich frage erst gar nicht, ob Sie wissen, was gerade vor sich geht – das wissen Sie vielleicht besser als ich, Chief. Hören Sie, es war erstklassige Arbeit, dass Sie den Piloten Reservemaschinen zur Verfügung gestellt haben, ich bin sicher, einige meiner Leute konnten nur deshalb ein zweites Mal aufsteigen. Falls Sie sich Sorgen machen, dass sich wieder so ein Erbsenzähler auflegt, kann ich Ihnen das auch gerne schriftlich geben.“ Der Chief mustere die Pilotin misstrauisch. Lilja meldete sich normalerweise nicht einfach so, um sich zu bedanken, oder gar um uneigennützig anderen zu helfen. Und er meinte sich erinnern zu können, dass sie diesmal nicht auf gewohntem Wege zum Träger zurückgekehrt war, nämlich mit ihrem Jäger. Natürlich kannte er nicht jede Maschine, aber an die der Staffelchefs und Asse erinnerte er sich. Vor allem, weil es nicht selten genau diese Offiziere waren, die Druck ausübten.
„Aber…“ meinte er deshalb nur skeptisch.
Lilja verzog leicht ihre Lippen: „Nun, ich denke, ich brauche Ihnen die Situation nicht zu erklären. Die Hälfte unserer Jäger gestartet, um sich in den Hinterhalt zu legen. Der Rest bleibt bei der Columbia, die sich durch das Wurmloch zurückzieht. Die Akarii sollen glauben, wir wären alle getürmt, und uns verfolgen – und die Falle schnappt zu. Aber Sie wissen, wie knapp das wird. Ich meine, Sie sind kein Flottenstratege, aber sie haben mehr Dienstjahre als einige Kapitäne. Die Echsen haben zwar viele Schiffe verloren, aber sie haben auch noch eine Menge übrig, vor allem mittlere Klasse, und jede Menge Kampfflieger. Sollten sie sich gegen unseren Angriffsverband durchsetzen, oder den Entschluss fassen, dass sie der Columbia noch etwas hinterherschicken können, und seien es nur ein paar Zerstörer – dann wird es schlimm. Wir haben ja kaum ausreichend kampfstarken Begleitschutz…“ Auch Lilja hielt nicht sehr viel von der Schlagkraft der Flakkreuzer – nicht, wenn es zum Nahkampf kam.
Sie räusperte sich: „Nun, genug theoretisiert. Ich eigne mich weder dazu, einfach so auf den Ausgang der Schlacht zu warten, noch will ich die Hände heben und in Gefangenschaft gehen, FALLS es dazu kommen sollte. Ich glaube noch immer – wäre ich gläubig, würde ich darum beten – dass der Plan funktionieren kann. Aber ich denke, wir sollten uns für alle Eventualitäten vorbereiten. Und nein, ich meine natürlich nicht, dass ich unverzichtbar bin, aber wenn ich draußen bin und ein, zwei Akarii abschieße oder beschädige, kann ich damit ein paar Dutzend von unseren Jungs retten – und damit meine ich auch unsere Leute auf der Columbia. Ich kann nicht regulär aufsteigen, ich bin ein wenig lädiert…“ so wie sie aussah, war es wohl mehr als nur ein wenig „…und deshalb brauch ich Ihre Hilfe.“
Der Chief musterte sie misstrauisch. Er war kein Mediziner, aber wenn selbst Lilja so erledigt aussah, war davon auszugehen, dass sie wahrlich nur noch auf dem Zahnfleisch kroch, und das, obwohl sie sich eigentlich hatte etwas ausruhen können: „Halten Sie das für eine gute Idee?“
Die Russin lächelte sarkastisch, eine ihrer typischen Gefühlsregungen: „Wir haben nun einmal Krieg, wie Sie wissen. Der war von Anfang an keine gute Idee, wie inzwischen auch die Echsen gemerkt haben dürften. Und so lange er dauert, reicht eine halbgute Idee auch. Ich kann es Ihnen nicht befehlen – oder besser, ich will es nicht, weil ich denke, das letzte, was wir brauchen, sind Offiziere die sich darum streiten, wer gerade das Sagen hat. Wir wollen das ja nicht bis zur Brücke tragen. Ich BITTE Sie – aufrichtig und ehrlich – nur darum, dass Sie zusehen, welche Maschinen noch zusätzlich kampfbereit gemacht werden können. Und mir helfen, nötigenfalls an eine heranzukommen. Wirklich vollkommen egal welche. Hauptsache, sie können fliegen und kämpfen. Wenn es zum Äußersten kommt – nun, ich denke, ich werde nicht die einzige Pilotin sein, die lieber den Tod in Kauf nimmt, als sich zu ergeben.“ Sie holte tief Luft. Ihre Stimme klang wirklich flehentlich, als sie noch einmal hinzufügte: „Bitte – helfen Sie mir und anderen, und vielleicht auch sich selbst.“ Dodson musste ein leichtes Schaudern unterdrücken. Die Russin sah nicht so aus, als wäre das „lieber sterben als sich ergeben“ für sie eine leere Floskel. Ihre Augen glänzten geradezu unnatürlich, als sie den Chief fixierte. Sie hatte die Lippen leicht verzogen, als müsste sie den Geschmack erst auskosten, einen Untergebenen um etwas zu bitten. Der zögerte kurz, doch dann nickte er knapp. Dankbarkeit gegenüber Lilja spielte sicher eine Rolle, aber er war auch Pragmatiker. Wenn es so weit kam, dass die Akarii in den Nahkampf gingen, würde eine kleine Regelübertretung sein geringstes Problem sein, und bei einem Commander etwas gut zu haben, konnte nie schaden. Außerdem war es allein das Schauspiel wert, Lilja um etwas bitten zu sehen: „Ich sehe, was ich machen kann. Sehen Sie, ich soll sowieso alles klarmachen, was fliegen kann. Schwierig wird es nur, wen man zu den Maschinen vorlässt. Ich sehe zu, dass ich mir einen Weg für Sie ausbaldowere – und für noch ein, zwei andere. Beten Sie, dass keiner zu sehr nachfragt, im Moment haben wir etwas Freiraum. Erwarten Sie nicht zuviel, und im Zweifelsfall sage ich einfach, ich habe nur Ihrem Rang gehorcht...“ Die Russin strahlte ihn trotz dieser alles andere als umfassenden Zusage an, was bei ihrem Gesicht ziemlich makaber wirkte – in etwa wie eine enthusiastische, übermüdete und vernarbte Entzugspatienten. Wenn sie lächelte, schienen ihre Narben gleichsam weniger deutlich: „Vielen Dank, das vergesse ich Ihnen nicht.“ Dann grinste sie beinahe übermütig, auch das ein absoluter Sonderfall: „Zumindest bis zu unserem nächsten…Disput! Lilja Ende.“ Der Techniker schüttelte nur den Kopf. Wie jemand so scharf darauf seien konnte, mit einem zerbrechlichen Jäger und offenbar nicht gerade in Bestform wieder in die Schlacht zu fliegen, würde er nie verstehen…
Im Aufenthaltsraum drehte sich Lilja vom Bildschirm weg und humpelte zur Tür. Offenbar gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Augenblick betätigte jemand den Summer und rüttelte an der Tür. Sie deaktivierte die Verriegelung. Der eintretende Sanitäter starrte sie verdattert an, offenbar hatte er nicht mit so etwas gerechnet: „Was machen Sie denn hier? Sollten Sie nicht…Wer sind Sie überhaupt?“ Die Offizierin klang eiskalt und so autoritär wie eh und je, der Tonfall, den sie aufsetzte, wenn sie Untergebene abkanzelte: „Lieutenant Commander Pawlitschenko – ich hoffe mal, DAS sagt Ihnen etwas. Und ich habe zu tun, wie Sie auch. Dringlichkeitsbefehl von der Brücke, und streng vertraulich. Wie Sie sehen, bin ich zwar momentan nicht voll diensttauglich, aber durchaus in der Lage mich zu bewegen. Und jetzt geben Sie mir eine Liste der auf der Station liegenden bordeigenen und auswärtigen Piloten mit der Schwere ihrer Verletzungen.“
Der Sanitäter wirkte ein wenig überfahren von den Forderungen: „Aber hören Sie, da müsste ich erst den leitenden Bordarzt…“
Doch Lilja ließ ihn gar nicht ausreden, geschweige denn nachdenken: „Ich will Ihre Intelligenz nicht beleidigen mit dem Hinweis, dass der wie alle Ärzte momentan bis über beide Arme mit Notoperationen beschäftigt ist, und der vollkommenen Erschöpfung nahe. Ich rate, ich befehle Ihnen, ihn nicht zu stören. Jede Sekunde kann dabei über Leben und Tod entscheiden, gerade Sie sollten das wissen. Geben Sie mir einfach die Liste, und zwar umgehend.“
Der Mann schien noch einmal über Widerstand nachzudenken, aber die Reflexe, die man sich in einer Armee nun einmal angewöhnte, das Ritual von Befehl und Gehorsam, zeigte Wirkung. Er konnte sich wohl auch nicht vorstellen, so dreist belogen zu werden. Deshalb nahm er eher reflexartig als bewusst Haltung an: „Jawohl, Commander. Einen Augenblick – ich schau gleich im Computer nach.“ Das triumphierende Lächeln Liljas bekam er nicht mit. Mit etwas Glück war sie wieder im Spiel. Und wenn sie noch ein oder zwei andere leichter verletzte Piloten rekrutieren konnte… umso besser.
Wurmloch Karrashin, Zentrum der Schlacht
Knight hatte einen üblen Geschmack im Mund, wie von Galle. Er kannte die Anzeichen, Folgen andauernder Hochgeschwindigkeitsmanöver. Der Pilot nahm die Stimme von Jacques Renard, dem momentanen Chef der Grünen, nur gedämpft wahr, wesentlich deutlicher kamen ihm die Warnsignale und roten Anzeigen in seinem Cockpit zu Bewusstsein. Er fragte sich, ob man die zusammengestückelte Einheit aus Maschinen dreier Träger unter dem Namen einer Staffel zusammenfassen konnte, während er mühsam seinem neuen Chef mental zu folgen versuchte: „Achtung, Sektion Columbia. Bereitmachen um Angriff zu unterstützen. Auf Sidewinder schalten – Sokol, Marine, eure Rotten geben Feuerschutz.“ Der Brite hätte beinahe hysterisch gelacht – er hatte inzwischen nur noch zwei seiner Raketen, die Schilde waren um 30 Prozent herunter, und bei den anderen Maschinen sah es mit Sicherheit nicht besser aus. Überhaupt bestand ihre „Staffel“ nur noch aus zehn Maschinen, zwei Kameraden hatten sie schon eingebüßt. Glücklicherweise niemanden von den „echten“ Grünen. Und damit sollten sie nun angreifen. Dennoch zwang er sich zu einem „Bestätige – Angriffsvektor zuweisen.“ Und er Schwachkopf hatte sich freiwillig für diese Selbstmordmission gemeldet!
Die Schlacht hatte wahrlich nicht gut begonnen für die Kampfflieger. So lange sich die Hongkong-Piloten zurückhielten, waren sie in der Unterzahl, und auch wenn die Akarii selbst gleichfalls gelitten hatten, sie hatten einen schweren Stand. Die Streitmacht der TSN wurde langsam aber sicher zurückgedrängt. Die meisten ihrer Jagdbomber hatten sich verschossen – wenn sie Glück hatten und nicht zu Raumschrott degradiert worden waren. Was noch blieb, kämpfte Seite an Seite mit den Jägern der Columbia, nicht mehr um ein reales Kampfziel wie die Vernichtung der feindlichen Träger zu erreichen, sondern ganz einfach ums Überleben.
Der ehemalige Bewährungspilot schluckte herunter, was ihm auf der Zunge lag – es hätte ihm vermutlich mindestens eine Rüge eingebracht. Er lauschte auf die Bestätigung von Sokol, dann beschleunigte er seine Maschine gehorsam und hängte sich „über“ seinen Kameraden. Die Energiebahnen der Kriegsschiffe kreuzten sich in der Schwärze des Alls, ganze Raketenschwärme stoben vorbei, Trümmerstücke, brennende Wracks von Jägern, Akarii wie Menschen. Nur der Umstand, dass sich der größte Teil der Feuerkraft der großen Schiffe gegeneinander richtete, erlaubte den Jägern ein Überleben. Doch auch eine zufällige Begegnung mit einer Breitseite eines Zerstörers konnte töten.
Vascos Stimme gellte aufgeregt aus dem Kopfhörer: „Reaper, acht Stück, auf Abfangkurs!“ Knight erkannte schnell die wendigen Abfangjäger, die flankierend zu den Menschen aufschlossen. Sokol, der momentan das Kommando über die Schutzsektion innehatte, blieb gelassen: „Aufteilen, nehmt ihre Spitze in die Zange – auf mein Zeichen feuert jeder was er noch an Raketen hat! Nachbrenner – JETZT!
Während bis eben die Akarii noch die Grüne Staffel als kompaktes Ziel wahrgenommen hatten, verteilten sich ihre Ziele nun. Die sechs Maschinen Renards hielten Kurs auf einen angeschlagen Flottenzerstörer, der gerade dabei war, sich zurückfallen zu lassen. Falcons waren gegen Schiffe dieser Größenklasse im Normalfall wenig nützlich, aber dieser Gigant – und im Verglich zu den Jägern war er gewiss einer – war bereits schwer gezeichnet, seine Schilde zum Gutteil ausgefallen. Ein paar Sidewinder am richtigen Platz mochten da Wunder wirken. Wenn sie denn hinkamen. Das Abwehrfeuer war recht sporadisch, auch weil der gegnerische Kapitän sich gegen Langstreckenbeschuss terranischer Schiffe verteidigen musste.
Die Reaper hatten die Wahl, entweder Renards Jäger anzugreifen, oder den vier Falcons von Sokol zu folgen. Sie handelten folgerichtig – eine Sektion übernahm die Rückendeckung, die anderen beschleunigten zum Spurt auf Renards Maschinen.
Sokols Stimme klang beinahe gelassen, als er ein einziges Wort sagte, aber ein entscheidendes: „ANGRIFF!“
Blitzartig beschleunigten die vier Jäger. Sie rasten auf die Sicherung der Gegner zu – doch ihre Raketen, zwölf an der Zahl, zielten auf die Spitzegruppe.
Knight erkannte fast seine eigene Stimme nicht wieder, die ein unartikuliertes Triumphgeheul ausstieß, als sein Ziel explodierte, eine weitere Reaper scherte getroffen aus. Vasco an seiner Seite scheuchte eine Reaper vor sich her, die deutlich Schäden aufwies und mit Hilfe ihrer überlegenen Geschwindigkeit offenbar nur noch aus dem Kampf fliehen wollte. Doch ehe der Brite sich recht an seinem Erfolg freuen konnte, wurde seine Maschine schon von dem wütenden Rachefeuer eines Akarii durchgeschüttelt. Die Deckungsgruppe war auf Blut aus. Der Brite ließ seine Maschine in einem Korkenzieher stürzen, dabei Täuschkörper aller Art ausstoßend – nicht, weil er feindliche Raketen fürchtete, denn die Reaper war bekanntlich in dieser Hinsicht seit jeher sehr schwach bestückt. Aber er war sich sicher, dass er so den Feind für eine Sekunde verwirren könnte, was auf den Anzeigen denn wirklich der Feind war. Und tatsächlich – als er die Maschinen in einer Kehre hochriss, passierte der Gegner in geringer Entfernung seinen Bug – und Knight feuerte.
Die Energiebahnen ließen die Schilde des Feindes aufleuchten und kollabieren. Panzerungsfetzen flogen, und für einen Augenblick glaubte der Pilot schon, seinen zweiten Abschuss in der Tasche zu haben. Doch der Akarii war zu gut – eine Betätigung der Antriebs- und Manöverdüsen, und die Maschine kurvte geradezu unglaublich scharf ein, um sich erneut an Knight zu hängen. Der sah nur noch einen Ausweg: „VASCO! Schaff mir den vom Hals!“ Ihm blieb nicht Zeit hinzuzufügen, dass er sonst selbigen gebrochen bekäme.
Dann beschleunigte er, den Akarii bereits wieder im Nacken. Ein schneller Blick zeigte ihm, dass Renards Einheit offenbar ihren Anflug fortsetzte. Die verbliebenen fünf halbwegs einsatzbereiten Reaper schlugen sich mit Knight und seinen Kameraden herum, zwei weitere Maschinen des Gegners waren offenbar auf dem Rückzug.
Vascos Eintritt in das Duell zwischen Knight und seinem Gegner vollzog sich spektakulär in einem Hagel von Energieblitzen. Nur der Umstand, dass der Gegner noch so etwas wie Heckschilde hatte, bewahrte ihn vor der Vernichtung. Knight machte sich bereit, sofort einzukurven, sobald der Akarii wegbrechen würde. Dann hätten sie ihn in der Zange. Doch als er einen Blick auf die Anzeigen warf, fühlte er, wie sich eine eiserne Faust um seine Kehle legt: „Nein!“
Hinter ihm wirbelte der feindliche Jäger herum – ein perfektes Von Bein-Manöver, besser ausgeführt, als jede menschliche Maschine es gekonnt hätte, durchexerziert von der schnellsten, wendigsten Kampfmaschine des bekannten Universums. Dann sprachen die Laserwaffen des gegnerischen Abfangjägers. Eigentlich waren die Kanonen der Reaper nicht sehr stark, aber auf kurze Entfernung und im Dauerfeuer konnten sie mit ihrer hohen Feuergeschwindigkeit schwere Schäden anrichten, vor allem wenn sie von einem erfahrenen Piloten bedient wurden. Vascos Schilde waren bereits geschwächt, und in der Schocksekunde über dieses unerwartete Manöver reagierte er instinktiv – und damit berechenbar, und tödlich falsch. Er brach zur Seite aus, die klassische Reaktion eines zweidimensional denkenden Menschen. Der Akarii folgte ihm, als hätte er vorausgeahnt, wohin sich sein neues Opfer wenden würde. Gleißende Lichtblitze schlitzten die Flanke der Falcon auf, erreichten den Treibstofftank. Der Schrei des Piloten, mehr fassungsloser Schrecken als echter Schmerz, gellte nur für einen Sekundenbruchteil durch das All, weiter getragen von seinem Funkgerät. Nur eine Sekunde, die letzte eines Lebens, doch Knight war sich sicher, dass er diesen Laut nie vergessen würde, so wenig wie die anderen Todesschreie, die er schon hatte mit anhören müssen. Dann verging der Jäger von Vasco in einem Feuerball und löschte jede Erinnerung und jede Spur des Piloten aus.
Ohne Fluch, ohne Gebet oder einen anderen Laut schob Knight den Steuerknüppel nach vorne und aktivierte den Nachbrenner. Seine Maschine schoss auf den Akarii zu. Doch der kaiserliche Pilot hatte bereits zur Genüge bewiesen, dass er kein Anfänger war. Er verharrte nicht, um sich an seinem Sieg zu weiden, sondern ging sofort in ein Ausweichmanöver, auf die Wendigkeit seines Jägers vertrauend. Als Knight das Feuer eröffnete, ging ein Großteil der Salve daneben, allerdings reichten die verbleibenden Treffer immerhin, die Schilde des Reaper vollkommen zu ruinieren. Wenige Sekunden später führten die zwei Abfangjäger ein tödliches Ballett auf. Mal dicht beieinander, mal weit von einander getrennt, umkreisten sie sich, stürzten, stiegen, vollkommen unabhängig von der Schwerkraft und anderen Naturgesetzen. Sie tauschten Salve um Salve aus, versuchten unter dem Beschuss des jeweils anderen hinwegzutauchen, stets auf einen winzigen, entscheidenden Fehler beim Gegner hoffend.
Knight löste eine weitere Salve aus und registrierte, wie ein Streifschuss über den Heckbereich seines Gegenübers fetzte, seine Panzerung verwüstete. Das waren im Augenblick seine Vorteile – er hatte zumindest noch so etwas wie Schilde, auch wenn die höchstens noch mit 25 Prozent Sollleistung liefen, und bei seinem augenblicklichen Energieverbrauch keine Chance hatten, sich zu erholen. Sein Jäger hatte eine bessere Bewaffnung, dafür war der Gegner noch um einiges wendiger. Ausgeglichene Chancen also – es hing alles vom Piloten ab. Immer wieder warf er hektische Blicke auf seine Anzeigen um sicherzugehen, dass kein Akarii die Gunst der Stunde zu nutzen versuchte und ihm von hinten den Fangschuss gab. Bisher schienen alle Feinde beschäftigt, doch es konnte nicht ewig so weitergehen. Er spürte bereits, wie seine Kräfte nachließen. Dieser erbarmungslose Tanz am Rande des für Mensch und Maschine möglichen zehrte an seinen Kräften. Er musste sich etwas einfallen lassen, er musste…
Doch wie so oft im Krieg entschied nicht Können, sondern bloßes Glück den Kampf. Eine vernichtende Breitseite eines Zerstörers, abgefeuert auf ein ganz anderes Ziel, zerriss den Weltraum zwischen den beiden Piloten. Kleinere Trümmerstücke, die dem Energiegewitter im Weg waren, wurden ganz einfach verdampft. Der Akarii wurde nicht direkt getroffen, aber er war für einen Augenblick abgelenkt, sicherte gegen diese neue potentielle Gefahr. Und Knight nutzte seine Chance.
Die Kanonen der Falcon hämmerten auf den fragilen imperialen Abfangjäger ein. Der Akarii riss seine Maschine in eine Kurve, feuerte zurück. Knights Jäger wurde seinerseits durchgeschüttelt, ein Warnlämpchen nach dem anderen erwachte flackernd zum Leben. Der Brite fluchte, während er ein weiteres Mal den Nachbrenner einschaltete. Sollte ihm diese verdammte Echse etwa schon wieder durch die Lappen gehen? Doch durch pures Glück hatte einer seiner Schüsse den gegnerischen Antrieb beschädigt. Der Reaper wich im Vergleich zu vorher geradezu träge aus, und Knight konnte ihm folgen, wenn auch knapp. Er erkannte sehr deutlich, dass seine eigene Maschine ebenfalls am Rande des Zusammenbruchs war – abgesehen davon, dass der Treibstoffvorrat zu Ende ging. Doch er ignorierte das, nicht so sehr aus Siegeswillen, sondern weil er wusste, diesem Feind durfte er einfach nicht den Rücken zukehren. Ein weiteres Trommelfeuer, Treffer auf beiden Seiten, während die zwei Duellanten sich umkreisten. Dann ein letztes Ausweichmanöver, der Feindjäger legte sich auf den Rücken – eine Explosion, und der Reaper war vernichtet. Im letzten Moment hatte sich der Akarii hinauskatapultiert, sein letztes Ausweichmanöver hatte ihm die nötigen Sekundenbruchteile erkauft.
Für einen Moment zögerte Knight. Er war kein Fanatiker, und er kämpfte sicher nicht aus purem Hass auf die Echsen, wie seine Staffelchefin. Denn so kurz er sie erst kannte, soviel hatte er schon mitbekommen. Liljas Hass auf die Geschuppten war ebenso bekannt wie legendär. Andererseits empfand er selbst auch keinerlei Sympathie oder Achtung für die Akarii. Dafür war ihm sein eigenes Leben zu wichtig, und die Echsen hatten ein paar Mal zu oft versucht, ihn umzubringen. Er wusste, oder ahnte zumindest, dass bei weitem nicht jeder TSN-Pilot einen geschlagenen Gegner respektierte und schonte.
Vasco war nicht sein Freund gewesen, noch nicht einmal ein guter Kamerad, dafür hatten sie sich noch nicht lange genug gekannt. Aber er hatte ihm, Knight, gerade eben das Leben gerettet. Dann war er gestorben, durch denselben Akarii, der auch Knight beinahe umgebracht hatte. Für einen Augenblick schwebten seine Finger über den Feuerknöpfen. Dann beschleunigte er – ohne zu schießen. Es war weniger Menschlichkeit und gewiss keine Sympathie gegenüber dem besiegten Feind. Aber vielleicht würde er ja eines Tages selbst da draußen hängen, und da mochte es nicht schaden, beim Schicksal etwas gut zu haben. Außerdem war seine Dienstakte ohnehin nicht die beste.
Sokols Stimme klang noch immer so ruhig wie zuvor, obwohl der Jäger des Russen aussah, als sei er fast schon reif für den Schrottplatz: „Aufschließen und abrücken. Wir ziehen uns zurück.“ Mit keinem Wort erwähnte er Vascos Tod. Es gab auch nichts zu sagen. Renards Maschinen schlossen zu den drei verbleibenden Grünen der Columbia auf. Sie hatten eine weitere Maschine eingebüßt, eine weitere schlich flügellahm hinterher. Von den zwölf Jägern von Renards Einheit waren binnen kurzem vier vernichtet worden, zwei weitere waren schwer beschädigt. Ob sie es bis zur Hongkong schaffen würden, war ungewiss.
Obwohl er wusste, dass man ihn hören konnte, vermochte Knight es sich nicht zu verkneifen, mit ätzendem Spott – und einer Portion Selbsthass – zu lästern: „Wenn das nächste Mal ein Geschwaderchef einen tollen Plan hat, und dann nach Freiwilligen gefragt wird, erinnert mich, dass ich lieber mit Raketentreibstoff gurgele als mich zu melden!“ Für einen Augenblick dachte er, es sei zu weit gegangen, doch dann meldete sich Marine: „Weißt du was? Vielleicht bin ich dann mit von der Partie.“
Schlachtlinie der terranischen Großkampfschiffe
Eine Raumschlacht, so hatte es jemand einmal ausgedrückt, das war pures Chaos und Entropie, zusammengepresst auf vergleichsweise engen Raum. Befehle, Strategien und Direktiven versuchten dieses Chaos zwar zu bändigen und zu lenken, doch sie griffen fast immer zu kurz, wie generell die menschliche Wahrnehmung im All immer wieder an ihre Grenzen stieß. Andere hatten eingewandt, diese Tatsache gälte eigentlich für jede Form von Schlacht, und wenn man schon dabei wäre, für das menschliche Zusammenleben im Ganzen gleich auch. Auch wenn darin ein Körnchen Wahrheit liegen mochte, so hatte das Aufeinandertreffen zweier Flotten in einem dreidimensionalen Raum, der so lebensfeindlich, endlos und schlicht unbegreiflich war wie das Weltall, eine besondere Note, die unverwechselbar war. Nur leider kamen die Teilnehmer eben nicht dazu, dies wirklich wahrzunehmen oder gar zu genießen. Für sie war es vor allem Arbeit, Konzentration, hin und wieder auch Triumph – und purer Schrecken.
Auf der Brücke des leichten Kreuzers Dauntless herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Meldungen mischten sich mit Signaltönen und Kommandos. Dem Schiff kam eine besondere Aufgabe zu, denn es hatte als Feuerleitzentrale und Kommunikationsrelais zu funktionieren. Die Brücke der Dauntless-Schiffe glich ohnehin noch mehr einem Space-Net-Cafe* als die ohnehin elektronisch überfrachteten Kommandostände der normalen Kriegsschiffe. Die Spezialisten an den Monitoren und Feuerleitkontrollen waren Meister ihres Fachs, sorgfältig ausgewählt und erfahren auf ihrem Gebiet. Sie hatten die Dauntless in den letzten Jahren durch mehr als eine schwere Schlacht begleitet. In mancherlei Hinsicht waren sie ebenso wichtig wie der Kapitän, mitunter sogar noch wichtiger, denn ihre Informationen und ihr Geschick entschieden nicht nur über das Schicksal des Schiffes, sondern oft auch über das von ganzen Flottenverbänden.
Nicht, dass Captain Gonzales ihnen die ganze Arbeit und den ganzen Spaß überlassen hätte. Er saß hoch aufgerichtet in seinem Kommandosessel, und seine – inzwischen erloschene – Zigarre gehörte ebenso zu seinen unverwechselbaren Markenzeichen, wie seine lebhaften Gesten. Sein Schiff mochte bei weitem weniger Schlagkraft als ein Ticonderoga- oder auch ein regulärer Achilles-Kreuzer haben, aber das hieß nicht, dass es nichts erreichen konnte, auch wenn es eher im defensiven Bereich glänzte. Aber gerade bei einer Schlacht wie dieser, in der das überlegene Radar und Computer von entscheidender Bedeutung seien konnte, gab es genug zu tun.
Dies brachte freilich mit sich, dass ihm recht wenig Bewegungsfreiheit blieb. Unablässig musste das Feuer der terranischen Kriegsschiffe koordiniert werden. Und die Zielanweisungen gab die Relentless. Aber es gab auch so noch genug zu tun.
Captain Gonzales musste das Kunststück bewältigen, die einkommenden Informationen auszuwerten, sich an seine Direktiven zu halten, und dann auch noch die eigenen Spielräume sinnvoll auszunutzen. Im Moment tat er das, was er am besten konnte – angreifen. Er ließ seine Faust durch die Luft sausen: „Bugbatterie, Feuer frei!“ Mit einer Mischung aus grimmiger Befriedigung und gelindem Grausen registrierte er, wie die Lasergeschütze seines Schiffes gewaltige Energiemengen ausspieen und einen übermütig gewordenen Zerstörer des Feindes, der sich etwas zu weit nach vorne gewagt hatte, schwer trafen. Die Bugbatterien des Gegners, die es an Feuerkraft fast mit denen eines leichten Kreuzers aufnehmen konnten, verstummten abrupt, und der Akarii trat hastig den Rückzug an, gezeichnet von Einschlägen. Zumindest in einer Hinsicht genoss Gonzales weitestgehend Handlungsfreiheit, nämlich wenn es zum Nahkampf kam. Es deutete einiges darauf hin, dass er heute noch genug zu tun bekommen würde.
„Wo bleiben diese verdammten puteros von der Hongkong!“ Die rhetorische Frage blieb leider unbeantwortet. Die Schlacht hatte nur im ersten Augenblick gut für menschliche Flotte begonnen. Sie hatten die Akarii hart treffen können, doch inzwischen drohte sich das Blatt zu wenden. Die Echsen drängten die terranischen Schiffe immer weiter zurück, und schlugen erbarmungslos zu. Schon klafften Lücken in der Front der Menschen – fiel ein Zerstörer, schleppte sich ein weiterer angeschossen und mit letzter Kraft hinter die eigenen Linien zurück, brach eine Fregatte auseinander. Auch das Geschwader 2.3 hatte bluten müssen. Die Kreuzer waren das Rückgrat der Flotte, ihr Schwert und Schild – zumindest stellten sie sich gerne so dar. Natürlich schlugen auch die Akarii genau aus diesem Grund vor allem auf sie ein. Die schweren und leichten Kreuzer der Menschen hatten den Angriff angeführt, und sie hatten schwere Verwüstungen anrichten können, aber nicht ohne selbst Verluste zu erleiden. Der leichte Kreuzer Ptolemaios, einer der Überlebenden des früheren Geschwaders 2.7, war einem koordinierten Schlag des Feindes erlegen. Auch die Dauntless hatte ihn nicht retten können, als zwei Kilo und vier Zerstörer ihr Feuer konzentrierten. Raketen hatten die Hülle aufgerissen, Laserkanonen das Zerstörungswerk vollendet. Was blieb, war eine Wolke von Trümmern und Rettungsbooten, aber selbst die konnten sie nicht alle bergen. Nicht, wenn sie Schritt für Schritt zurückgetrieben wurden. Die Shuttles der Terraner taten ihr Bestes, als Retter, Helfer und sogar als Kämpfer, aber manchmal war das Beste eben nicht gut genug.
Der Kapitän der Dauntless fluchte nicht zum ersten Mal gotteslästerlich, während er sein Schiff in die Schlacht führte: „Distanzfeuer – dort, auf die Sturmjäger! Leichte Raketen, Abwehrschirm!“ Das war der Nachteil der Dauntless, auf große Distanz konnte sie gegen schwere Gegner nicht viel ausrichten. Ihre Langstreckenraketen hatten bei weitem zuwenig Feuerkraft. Ging sie aber näher heran, um ihre exzellente Strahlenartillerie ins Spiel zu bringen, wurde die Effektivität ihrer Abwehrbewaffnung gegen feindliche Atomraketen reduziert. Außerdem war sie nun einmal nicht für den Kampf gegen Kilo- und Yankee-Kreuzer geschaffen. Was nicht hieß, dass man dies nicht schaffen konnte, es war jedoch ein Glücksspiel. Er biss die Zähne zusammen, als eine feindliche Atomrakete den eigentlich sehr wirkungsvollen Abwehrschirm der Dauntless durchbrach und sein Schiff erschaudern ließ. Selbst die zahlreichen Waffen der Flakkreuzers waren überlastet, wenn ECM und Radarsmog den Empfang störten, und der Gegner ganze Salven abfeuerte. Doch bisher hatte der Feind dem Schiff nicht wirklich gefährlich werden können. Seine schweren Einheiten kämpften mit den menschlichen Kreuzern, seinen Zerstörern und Fregatten fehlte es etwas an Feuerkraft und Koordination. Vermutlich fiel es den Akarii auch schwer, die Rolle der Dauntless korrekt einzuschätzen, ein weiterer Vorteil des Durcheinanders.
In diesem Augenblick meldete sich erneut die kalte, befehlsgewohnte Stimme des „Allmächtigen“ über Funk: „Dauntless, sofort 1.000 Kilometer zurückfallen, zentrale Positionierung!“ Mithel hatte von Anfang an klar gemacht, dass er nicht vorhatte, noch mehr Flakkreuzer in diesem System zu verlieren. Zwei waren seiner Ansicht nach mehr als genug. Und er wollte seine Feuerleitzentrale nicht riskieren.
Mit einem unterdrückten Fluchen wollte Captain Gonzales schon bestätigen, obwohl er es mit der Realisierung nicht eilig hatte, als sich die Ereignisse überstürzten. Die Akarii stießen nach, direkt in den Radarsmog des Wurmlochs hinein. Selbst die leistungsfähigen Ortungsgeräte der Dauntless bekamen Schwierigkeiten. Mehr als eines der Spähshuttles, den zusätzlichen Relais der menschlichen Aufklärung, war ausgefallen. Bildschirme begannen zu flackern, Befehle kamen nur noch verstümmelt durch. Schiffe des Feindes und eigene verschwanden für Sekunden, um hunderte Kilometer entfernt wieder „aufzutauchen“. Menschen und Echsen beschossen sich erbarmungslos, je nachdem wer dem anderen gerade vor den Bug lief. Es war ein Wunder, dass sich die Schiffe einer Seite nicht gegenseitig aufs Korn nahmen. Gonzales nutzte die Gelegenheit, um die Langstreckenraketen auf einen angeschlagenen Kreuzer des Feindes feuern zu lassen. Sie machten zwar nur wenig Schaden, aber dieser Gegner hatte fast keine Schilde mehr. Mithels Stimme erklang erneut, schärfer, doch zugleich besorgt: „Dauntless, Rück…hole…zug – sofort! Ich …warte…!“ Das Knirschen in der Übertragung kam vermutlich nicht nur von reiner Statik und ECM, denn die Relentless stand unzweifelhaft unter schwerem Beschuss.
Langsam schob sich der leichte Kreuzer Redemption zwischen die Dauntless und die Akarii. Captain Raffarin war inzwischen nicht mehr die Schiffs-XO von Chris Mithel, aber in der Flottille scherzte man, der Commodore würde weit eher sie als rechte Hand betrachten, als das, was sich am Ende seines Armes befand. Die Raketenwerfer und Geschütze des Achilles-Kreuzer feuerten auf den fernen Feind.
„Wo verdammt noch mal bleibt die Hongkong!“ brüllte Gonzales, nicht das erste Mal. Er dachte nicht daran, Mithels Befehl sofort zu befolgen, obwohl er wusste, das war ein gefährliches Spiel. Wenn es etwas gab, das der Commodore nicht akzeptierte, dann Insubordination. Aber er konnte doch nicht einfach zurückweichen!
Im nächsten Augenblick gellten die Warnsirenen auf, und noch eher Gonzales oder jemand anderes reagieren konnte, packte eine riesige Faust das Schiff und schüttelte es durch. Nur mühsam unterdrückte der Captain ein schmerzerfülltes Stöhnen, als er in seine Gurte gepresst wurde, ein Zentnergewicht an ihm zerrte – da war mindestens ein Bluterguss fällig. Die Stimme eines Offiziers gellte über die Brücke, sich fast überschlagend: „Bugschilde bei zehn Prozent!“ Direkt vor der Dauntless, zwischen ihr und der Achilles, waren auf einmal vier feindliche Fregatten aufgetaucht. Die Akarii hatten tatsächlich das allgemeine Durcheinander genutzt, um einen begrenzten Vorstoß zu starten, geschützt durch ihre eigene Abschirmung, die Störemissionen des Wurmloches und einen alten Trick, den man „kalter Vormarsch“ nannte. Dabei machte man sich den Umstand zu nutze, dass im Weltraum ein einmal beschleunigter Körper seine Geschwindigkeit weitestgehend beibehielt, auch wenn die Triebwerke deaktiviert wurden. Auf diese Weise waren Schiffe kaum aufzuspüren, vor allem in einer Umgebung wie dieser. Dies aber mit vier Schiffen auf einmal zu praktizieren, war ein wahrer Geniestreich, oder das Glück des Törichten. Eine der Fregatten hatte der Dauntless eine volle Breitseite verpasst, Laserkanonen, leichte und schwere Raketen. Die anderen konzentrierten sich auf die Redemption. Der Weltraum wurde einmal mehr von Explosionen erhellt.
„Sir – werden erneut erfasst!“ bellte der Ortungsoffizier. Gonzales reagierte, aber nicht so wie erwartet: „Impulslaser volles Abwehrfeuer, alles auf die Bugschilde – Laserkanonen konzentrieren auf Fregatte Rot Eins, Raketen Sperrfeuer vor Redemption!“ Nur der Umstand, dass die Besatzung ihren Kapitän kannte und schätzte, garantierte, dass der Befehl ausgeführt wurde.
„Vampire im Anflug!“
Gonzales krampfte sich an seinem Sitz fest. Er registrierte, wie die Laserkanonen der Dauntless erbarmungslos auf die anvisierte feindliche Fregatte einhämmerten. Die Redemption, selbst offenbar abgeschlagen, mischte sich ein und feuerte mit Schiff-Schiff-Raketen und Kanonen. Gegen diesen Feuersturm hatte der Gegner keine Chance. Das Sperrfeuer der Dauntless schützte zusammen mit den Abwehrwaffen der Redemption den Achilles-Kreuzer vor weiteren Raketentreffern.
Die Fregatten der Akarii hatten ihren Gegner unterschätzt. Was ein Überraschungsschlag werden sollte, wurde zu einem erbitterten Vernichtungskampf. Eine Fregatte wurde förmlich tranchierte, eine zweite taumelte brennend und zu Tode getroffen durch den Raum. Doch auch die Schilde der Dauntless waren praktisch zerschlagen, die Redemption brannte an mindestens zwei Stellen. Die Stimme von Captain Raffarin klang erstickt, als sie Befehle brüllte. Sie gab nicht auf, aber nur noch wenige Treffer, und das Schicksal ihres Schiffes würde besiegelt sein.
„Volle Kraft voraus!“ Gonzales spürte, wie sein Kreuzer beschleunigte. In diesem Augenblick meldete sich jemand, den er beinahe vergessen hatte, wieder zurück: „Dauntless, seitlich abtauchen, Backbordschilde zum Feind…ab JETZT!“ Und diesmal ließ Mithels Stimme keinen Raum für Diskussionen. Der leichte Flakkreuzer scherte aus, unablässig feuernd. Direkt aus seiner rückwärtigen Position zogen gut anderthalb Dutzend Atomraketen ihre Bahn – eine Breitseite der fernen Relentless. Als sich „der Rauch legte“, war nur noch eine Fregatte der Akarii einsatzbereit und zog sich zurück. Die drei anderen waren zerschmettert, brennende Wracks, die evakuiert werden mussten. Erst langsam, dann immer schneller zog auch die Redemption sich zurück – angeschlagen, aber immer noch ein stolzes Schiff.
Auf dem Bildschirm war Mithels Abbild zwar verkleinert, aber der Gesichtsausdruck war unschwer zu erkennen: „Ich hatte Rückzug für die Dauntless befohlen, CAPTAIN.“ Gonzales lächelte matt. Sein ganzer Körper schmerzte: „Es hat funktioniert, Commodore.“ Mithel schwieg kurz. Dann lächelte er dünn: „Das hat es. Wieder einmal. Doch ich rate Ihnen dringend, den Tag nicht zu überleben, an dem ihnen der Erfolg nicht Recht gibt. Schließen Sie auf – die Akarii ziehen sich vorerst zurück.“ Gonzales wusste nicht recht, ob er sich über dieses seltene Zeichen von bissigem Humor freuen sollte. Wenn Mithel solche Emotionen zeigte, musste es schon ziemlich dick kommen. Doch im nächsten Moment wurde der Commodore wieder ernst: „Raffarin – fallen Sie zurück. Wenn möglich, schließen Sie sich achterlich an den Joker an. Ich leite Shuttles zu Ihnen um zu Versorgungszwecken.“
Die Französin bestätigte mit müder Stimme. Sie klang so erschöpft, wie sich Captain Gonzales fühlte. Der Captain der Dauntless ließ sich erschöpft in seinen Sessel sinken. Sein ganzer Körper schmerzte. Aber wenn es so weiterging, konnten sie vielleicht noch siegen. Die Kreuzer, Zerstörer und Fregatten der Menschen formierten sich neu. Manche Lücke klaffte in ihrer Formation, Schiffe waren zerstört worden oder zogen sich zum Wrack geschossen zurück. Und die Schlacht war noch lange nicht geschlagen.
* Space-Net: Interrepublikanisches Kommunikations- und Nachrichtennetzwerk, vergleichbar dem primitiven terranischen Internet des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts.
Cattaneo
Cunningham
Für den König!
Für die Heimat!
Für die Beute!
Master und Commander von Patrick O'Brian
Der erste Schlag der terranischen Flotte schreckte Raven auf. Trotz der präzisen Planung begann die Schlacht für sie überraschend.
“Mother-Eagle für alle Eagle: Wir greifen wie geplant an!”
Earl Hässler blickte von seinen Instrumenten auf: “Da kommt ein Funkspruch von der Hongkong rein. Aber es ist kaum mehr als ein verstümmeltes Signal.”
“Stell es trotzdem durch.”, Raven beschleunigte ihre Thunderbolt auf Maximalgeschwindigkeit. Hinter und neben ihr beschleunigten die übrigen Jagdbomber, Thunderbolts und einige wenige Mirage.
Die Jäger vom Typ Falcon und Nighthawk überholten die langsameren Jabos schnell.
Als Earl den Funkspruch der Hongkong auf die Lautsprecher legte, war tatsächlich nur statisches Rauschen zu hören.
“Kannst Du irgendwas filtern, Earl?”
“Negativ, Skipper, das Wurmloch stört zu doll.”
“Dann versuch die Relentless zu erreichen, die haben den Funkspruch sicherlich deutlicher Empfangen.”
“Wird gemacht, Skipper.”
Raven schaltete wieder auf den Staffelkanal: “Also, wie geplant versuchen wir die Verteidigungslinie der Echsen von Steuerbord zu durchbrechen. Mithels Angriff sollte ein Großteil ihrer Jäger abgezogen haben. Die restlichen werden sich auf uns und das Geschwader der Hongkong aufteilen müssen. Wir gehen den flankierenden Träger direkt von Steuerbord an. Die Linie der Dickschiffe sollte durch ihre Reorganisation entsprechend geschwächt sein.”
Von den Sektionsleitern kam die Bestätigung.
Mit eintausendzweihundert km/s beschleunigte das Geschwader auf die Akariiflotte zu.
Die flankierenden Schiffe wurden immer größer, bald würden sie in Schussweite der feindlichen Raketensysteme sein.
“Nachricht von der Relentless,”, meldete Earl, “Angriff abbrechen, Angriff abbrechen!”
“Was? Verdammt!”
Der Raketenwarner schlug an, als der Akariizerstörer, der ihnen am nächsten war, die erste Raketensalve abgab.
“Abbruch! Abbruch! Geschwader ausschwärmen!” Raven riss den Steuerknüppel zu sich heran und ließ mehrere Täuschkörper fallen.
“Mother-Eagle an alle: Wir greifen die rechte vordere Flanke an! Neu formieren und angreifen!”
Immer mehr Schiffe der Akarii eröffneten das Feuer, und die Sensoren zeigten an, dass sich um die Flottenträger der Akarii ein ansehnlicher Jägerschirm gebildet hatte.
Die Angry Angels rasten an den flankierenden Dickschiffen des zweiten Akariitrosses vorbei. Außerhalb der Energiewaffenreichweite aber innerhalb der effektiven Reichweite der Abwehrraketen.
Als die Jägerformation den Wirkungsbereich der Schutzwalls um die Träger herum verlassen hatte, fehlten fünf der achtundvierzig Jäger, ohne dass die Terraner einen Schuss abgegeben hatten.
Raven schwenkte auf den zweiten Zerstörer ein, der vor ihr auftauchte. Drei, nein vier weitere Thunderbolt schlossen sich ihr an, während sich Razor mit weiteren drei Jagdbombern vor sie setzte und den ersten Zerstörer aufs Korn nahm.
Weitere Jagdbomber erweiterten die Angriffslinie und visierten eine Akariifregatte an.
Von den Jägern der Hongkong war weit und breit auch nichts zu sehen.
“Wo bleiben die nur?”
“Wer?”, fragte Earl, und fügte hinzu: “Die Guardsmen werden zurückgehalten, in der Hoffnung, die Akarii nochmal kräftig zu überraschen, wenn Mithel einen Schritt zurück macht.”
Raven unterdrückte einen Fluch und konzentrierte sich darauf, den Zerstörer im Visier zu halten: “Halt uns die Raketen der Echsen vom Hals!”
“Roger, Boss!”
An Backbord verschwand eine Thunderbolt in einem grellen Feuerball, während der Signalton für die Feuerleitlösung in Ravens Helm immer intensiver wurde.
Der Ton wurde durchgehend und sie feuerte beide Mavericks gleichzeitig.
Ihre Begleiter eröffneten ebenfalls das Feuer. Eine Thunderbolt feuerte gerade noch rechtzeitig, ehe auch sie die Verteidigungsbatterien des Zerstörers erwischten.
Dafür drangen alle acht Mavericks durch und verwüsteten die Flanke des Dickschiffes. Explosionsblumen erschienen auf der gesamten Steuerbordflanke, und der Zerstörer begann zu driften. Ähnlich erging es seinem Begleiter, welcher auch auf der ganzen Seite von Flammen geziert wurde. Die Akariifregatte verging in einem Feuerball.
Aber da waren auch schon die Jäger der Akarii zur Stelle.
Die Jagdbomber der Terraner fächerten sich auf. Raven und ihr Flügelmann zogen schräg am Zerstörer hoch, kippten auf den Backbordflügel und tauchten hinter dem Akariischiff wieder ab. Vor ihnen erschien ein Paar Bloodhawks. Raven feuerte eine Amraam auf die führende Maschine, ihr Flügelmann auf die zweite Bloodhawk.
Die beiden Akariijäger trennten sich. Der Führer brach nach Backbord weg, der Flügelmann nach Steuerbord.
Raven drehte um hundertachtzig Grad auf der Z-Achse und folgte dem Flügelmann, für den sie und ihr Partner den besseren Winkel besaßen.
In dem Versuch, der Rakete zu entkommen, schlug der Akarii einen Haken und ließ mehrere Täuschkörper fallen.
Dabei passierte er ihren Vektor, und Raven drückte ab. Die vier Frontgeschütze der Thunderbolt legten los, Lichtbolzen zuckten auf den Akarii zu und ließen seine Schilde bläulich aufleuchten.
Panisch zuckte der Akarii wieder in die entgegengesetzte Richtung und der Suchkopf der Amraam, der schon einen Störkörper gepeilt hatte, fand sein eigentliches Ziel wieder.
Die Rakete traf den Jäger von schräg unten am Heck. Die geschwächten Schilde kollabierten und große Teile der Panzerung verglühten oder platzten ab.
Raven drückte noch einmal ab. Energiegeschütze ihres Jagdbomber fraßen sich tief in den kleineren Akariijäger. Das Hauptleitwerk explodierte und die Bloodhawk begann zu trudeln – zu twisten in der Raumfahrersprache.
Sie konnte nicht erkennen, ob die Echse den Schleudersitz nahm, ehe die Maschine ganz explodierte.
“Wir bekommen Gesellschaft! Da ist der Anführer wieder.”, meldete ihr Flügelmann. Tim 'Bull' Bullock klang routiniert wie eh und je.
“Bull: Brich nach rechts weg, ich ziehe nach links, wenn wer sich hinter mich setzt, scherst Du ein und holst ihn Dir!”
“Copy!”
Sie gab ihrem Jagdbomber die Sporen und jagte einen der brennenden Akariizerstörer vorbei. Jetzt waren sie nah genug um wirklich mitzubekommen, wie die Relentless und die verbliebenen Dickschiffe den Akarii kräftig einheizten, während sie sich schon wieder in den Strahlungsgürtel des Wurmlochs zurückzogen.
Raven machte sich keinerlei Hoffnung, dem schnelleren und wendigeren Jäger der Akarii zu entkommen, und schon bald teilte ihr der Raketenwarner mit, dass die Echse versuchte sie anzupeilen.
Earl gab ein paar ungezielte Schüsse aus den Heckkanonen der Thunderbolt ab. Man mochte gar nicht denken, dass der Veteran schon vier Echsen erledigt hatte.
“Da kommt die Kavallerie!”, jubelte Earl und wurde treffsicherer.
Mit flammenden Geschützen tauchte Bull auf die Bloodhawk herab, welche die eigene Geschwindigkeit gedrosselt hatte, um Raven anzupeilen und aus den eigenen Bordgeschützen zu beharken.
“Fox two!”, gab Bull bekannt und eine Sidewinder löste sich von seiner Thunderbolt. Die kleine wärmesuchende Rakete hatte einen verheerenden Sprengkopf an Bord, jedoch musste sie im All direkt auf Wärmeabstrahlung des Triebwerks und somit auf das Heck eines Jägers abgeschossen werden. In erdähnlichen planetaren Umgebungen konnte man sie wie die anderen Raketen im Arsenal der Erdflotte aus jeder Richtung auf einen Feind abschießen.
Trotz dieser Einschränkung erfreute sich diese Raketen bei vielen Piloten großer Beliebtheit, weil sei einen in den direkten Nahkampf mit dem Gegner zwang. Der Königsdisziplin des Raumkampfes, der sich auch Raven als stolze Bomberpilotin nicht entziehen konnte.
Der Akarii brach nach links aus und warf zwei Störkörper ab, auf die die Sidewinder sofort hereinfiel.
Um Earls Sperrfeuer zu entgehen, musste die Echse eine sehr enge Kehre ziehen und verlangsamte dadurch stark. Bull hatte scheinbar damit gerechnet und ebenfalls die Geschwindigkeit gedrosselt. Ihr Flügelmann eröffnete erneut das Feuer mit seinen Frontgeschützen.
Der Akarii zog wieder leicht nach rechts und drehte die Triebwerke voll auf, um Earls Sperrfeuer schnell zu durchqueren, Raven zu überholen und sich dann durch seine überlegene Geschwindigkeit von den beiden Jagdbombern zu lösen.
“Fox two!”, meldete Bull den Abschuss seiner zweiten und letzten Sidewinder, kaum dass die Triebwerksdüsen ihres Gegners aufglühten.
Die Sidewinder sprengte sich durch den Rest an Heckschild und die Panzerung darunter. Die Bloodhawk explodierte sofort.
Raven war sich sicher, dass der Pilot nicht mehr hatte aussteigen können.
“Mother-Eagel an alle: Wir ziehen uns kämpfend mit den Dickschiffen zurück. Sobald wir im Strahlungsschatten sind, lösen wir uns Divisionsweise vom Feind und munitionieren auf der Hongkong frisch auf. Bis dahin legen wir so viele Echsen um, wie wir können!”
Ein Schwall von Bestätigungen trafen bei ihr ein. Jedoch weit weniger als die achtundvierzig mit denen sie gestartet war.
Auf der Flaggbrücke des Flottenträgers Margag nar Garlaan stand Admiral Merello Hagun und betrachtete die taktische Lage auf dem Kartentisch. Um ihn herum versuchten seine Offiziere die Schlacht zu lenken.
Der Angriff der Terraner war mustergültig gewesen. Doch selbst die Umläufe, die er und seine Offiziere über dem dreckigen Staubball Manticore verbracht hatten, hatten nicht dazu geführt, dass ihre Disziplin und ihr Können nachgelassen hatten.
Beinahe hatte der Jägerangriff seine vorderen Reihen in Unordnung gebracht. Beinahe!
Jetzt zogen sich die Menschenlinge zurück und würden sich wohl neu formieren oder sogar versuchen, vom Inneren des Strahlungsgürtels aus zu springen.
Es gab auf beiden Seiten der Front wagemutige Offiziere, die ein solches Manöver durchführten. Zwei Kreuzerkommandeure aus Illis’ Flotte hatten dies so durchgeführt, nachdem sie einen Flottenträger der Menschenlinge zerstört hatten, dem sie im Strahlungsschatten aufgelauert hatten.
“Befehl an die vordersten Einheiten,”, knurrte er, “sie sollen den Kontakt zum Feind nicht abreißen lassen und sie ständig unter Feuer halte, nicht dass diese frechen Kreaturen uns doch noch entwischen.”
Sie hatten versucht ihn in eine Falle zu locken. Ihn, den Sieger von Manticore. Auch wenn der Ruhm für diesen desaströsen ersten Sieg, der die Akarii weit mehr gekostet hatte als die Verlustvorausrechnungen für den ganzen Krieg vorgesehen hatten, Jor zugeschrieben worden war. Immer wieder in den letzten Jahren hatte sich Hagun gewünscht, er wäre dem Kronprinzen damals nicht zu Hilfe geeilt, sondern hätte darauf gewartet, dass sich die Flotte des Prinzen und die der Menschenlinge gegenseitig aufrieben. Doch solch ein Verhalten hätte er den einfachen Soldaten gegenüber niemals an den Tag legen können. All jenen, jenen Heiligen, die ihr Leben für das Reich gaben, jenen, die für die Aufrechterhaltung der Doktrin Borelliaris antraten und dem Reich die ihm zustehende Stellung sicherten.
Ja, Jor hatte Recht gehabt, der Krieg mit den Menschenlingen war nötig, er war wichtig und er war richtig. Jeder Zyklus, den diese Spezies Widerstand leistete, war Beweis für die Richtigkeit dieses Krieges. Jor war nur der falsche Akarii an der Spitze dieses Feldzuges gewesen.
Die Doktrin Borelliaris besagte, dass der Starke den Schwachen dominiert. Der Starke, der Weise, der Fortschrittliche, der Akarii also, stand an der Spitze der denkenden und fühlenden Spezies.
Er muss sich fortwährend bewähren um seine Position zu beweisen, und die Akarii sorgten für die unbegrenzte Ausdehnung, für ihren Stand in der Kette der Spezies. Am Anfang dieser Kette.
Ansonsten würde eine andere Rasse sie dominieren, und das wäre für das heilige Volk von Akar undenkbar, schlicht unmöglich.
Die Menschenlinge hatten die Doktrin Borelliaris verstanden. Das hatten die Beobachtungen in den Umläufen vor dem großen Krieg deutlich gemacht.
Bündnis- und Handelspolitik, Intrigen, kolonisatorische Vormacht und so genannte Entwicklungshilfe hatten dem Menschentum eine Hegemonialmacht in ihrem Arm der Galaxis eingebracht.
Früher oder später wäre es zu einer Konfrontation zwischen der auserwählten Rasse der Akarii und den Menschenlingen gekommen. Und je früher, desto besser, denn je früher, desto weniger Einfluss hatten diese Kreaturen.
Nach Haguns Meinung kam der Krieg fünf Umläufe zu spät. Fünf Umläufe früher, und Nahil Koo hätte die Flotte nach Manticore geführt und Jor wäre noch ein williger Schüler gewesen. Koo und Hagun hätten den jungen Prinzen das Kriegshandwerk beigebracht und dafür gesorgt, dass er der größte Feldherr der akariischen Geschichte würde, statt sich als eitler Geck zu gebärden.
Ja, dies war der erste Tag, wo die auserwählte Rasse wieder ihren Platz einforderte, und ihr Triumphgebrüll würde erneut die Galaxis erzittern lassen.
Das All würde brennen, damit die akariische imperiale Marine ihre Genugtuung erhalten würde. Die Schmach der letzten Jahre würde mit dem Blut der Menschenlinge abgewaschen werden.
Hier und heute würde der Triumphzug wieder aufgenommen werden und der Starke, der Akarii, würde wieder herrschen.
Die ersten Akariizerstörer, die in den Strahlungsschatten eindrangen, wussten gar nicht wie ihnen geschah, als die Guardsmen der Hongkong mit ihrem Angriff begannen.
Die Raumjäger der Margag nar Garlaan hatten gemeldet, dass sie sich immer noch im Gefecht mit dem feindlichen Geschwader befanden.
Die Mirage und Griphen der Hongkong, letztere waren mit Hydra Werfern bestückt, zerrissen die beiden vordersten Zerstörer beim ersten Anflug.
Danach hatten sie ihr Pulver verschossen, aber ihnen gelang, was bisher niemand in Karrashin gelungen war, die Reihen der Akarii gerieten in Unordnung und die ersten Schiffe zogen sich wieder aus dem Strahlungsgürtel zurück.
Mithels Dickschiffe beschädigten einen weiteren Zerstörer schwer, ehe er aus der Feuerreichweite heraus war, und eine Akariifregatte wurde einfach zusammengeschossen.
Sie brach in der Mitte durch, das Heck explodierte und der Bug taumelte davon.
Die frischen Jäger der Guardsmen warfen sich alsdann auf die akariischen Raumjäger und erlaubten es Ravens Geschwader sich abzusetzen und durch die ausgelegten Bojen zur Hongkong zu gelangen, um dort aufgetankt und aufmunitioniert zu werden.
Der erste Sturm auf das Wurmloch war abgeschlagen worden.
Von den achtundvierzig Jägern und Jagdbombern der Columbia kehrten gerade mal siebenundzwanzig zur Hongkong zurück.
Cattaneo
Ironheart
Karrashin-Kiralu-Wurmloch
Karrashin-System
Nach dem euphorischen Beginn dieser Schlacht waren Ace und Noname in eine wilde Kurbelei geraten. Eine Sektion der Guardsmen war von einer kompletten Staffel Reaper attackiert worden, und Noname und Ace waren ihren Kollegen als Erste zu Hilfe geeilt. Für einen der Guardsmen kam jede Hilfe zu spät, und somit waren sie fünf zu zwölf unterlegen gewesen. Unter diesem Druck hatten Ace und Noname ihre enge und damit äußerst erfolgreiche Formation aufheben müssen. Aus den Augenwinkeln hatte Donovan noch wahrgenommen, wie Ace es alleine mit vier Reapern hatte aufnehmen müssen und von ihnen abgedrängt wurde. Donovan hatte versucht zu ihm durchzubrechen, war aber selbst von vier Reapern attackiert worden. Während Ace also alleine mit seinen Gegnern tanzen musste, schloss sich Donovan notgedrungen mit einem der Guardsmen-Piloten namens Joker zusammen, und auch sie wurden von den beiden anderen übrig gebliebenen Guardsmen getrennt. Somit kämpften Noname und Joker gegen vier Reaper, als ihnen Ohka und seine Leute zu Hilfe eilten.
Mit der Unterstützung der Butcher Bears gelang es schließlich die Akarii in die Flucht zu schlagen, Crusader holte sich einen der Reaper und Joker konnte einen zweiten Abschuss machen.
Noname ging diesmal leer aus, weil sich sein angeschlagener Gegner vom Schlachtfeld schlich, wobei das „Schleichen“ eines angeschlagenen Reapers immer noch eine recht zügige Angelegenheit war. Donovan hatte von ihm abgelassen, um seine Langstreckensensoren zu überprüfen.
Überrascht hatte er gesehen, dass einer von Ohkas Leuten, es war wohl Tiburon, trotzdem dessen Verfolgung aufnahm. Das würde Ohka wahrscheinlich gar nicht schmecken. Er baute eine Eins-zu-eins-Verbindung zum momentanen Staffelführer der Schwarzen auf, doch musste er ein paar Augenblicke warten.
„Hier Ohka, was gibt’s?“ Wie erwartet klang Kanos Stimme ziemlich gereizt. Donovan beschloss nicht drauf einzugehen und kein Wort von Tiburons offensichtlichem Fehlverhalten zu erwähnen. Mittlerweile kannte er den kleinen Japaner schon gut genug um zu wissen, dass er in solchen Situationen nicht zu Scherzen aufgelegt war. Und im Augenblick war Donovan auch nicht zum Scherzen zumute.
„Erstmal Danke für Hilfe, ohne euch wären wir jetzt wohl futsch. Und zweitens, kannst Du vielleicht Ace auf deinen Langstreckensensoren ausmachen?“
„Wieso, ist er nicht bei dir?“
Noname knirschte mit den Zähnen. „Nein, wir sind getrennt worden… er hatte vier Reaper am Hals, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Also, kannst Du ihn orten?“
Ohka sagte nichts und schien seine Sensoren zu prüfen. Alleine gegen vier feindliche Maschinen zu stehen war kein Zuckerschlecken. Die Nighthawks waren robust und zäh, aber die Reaper schneller und wendiger. Auch ein Rudel Wölfe konnte einen Bären erledigen, sagt man. Dann nach einer kurzen Weile antwortete Ohka: „Nein, leider nichts.“
„Okay. Danke, er wird schon wieder auftauchen.“ Noname versuchte sich seine Sorge nicht anmerken zu lassen. „Und danke nochmal für eure Hilfe. Ich muss meine Maschine betanken und aufmunitionieren lassen. Gute Jagd.“
„Gute Jagd, Donovan. Und mach dir um Ace nicht zu viele Sorgen. Du weißt doch: Unkraut vergeht nicht! Ohka – Out.“ Kano versuchte souverän zu klingen, doch auch in seiner Stimme schwang Beunruhigung mit.
Cartmells neuer Flügelmann von den Guardsmen meldete sich jetzt. Wie es schien hatte das Schicksal die beiden für den Augenblick zusammengeschweißt. „Noname von Joker. Ich flieg jetzt zur Hongkong zurück, keine Ahnung wo mein Sektionsleader abgeblieben ist. Wie sieht’s bei dir aus?“
Donovan überlegte. Sein Blick fiel auf die Tankanzeige, dann auf die Munitionsanzeige, die Schadensanzeige und schließlich auf die von Störungen überlagerte Raumkarte.
„Mein Wingleader ist noch da draußen alleine gegen vier Reaper, ich muss ihm helfen.“
„Gut, und wo genau ist er?“
Donovan musste zerknirscht zugeben, dass er es nicht wusste.
„Und wie willst du ihm helfen, wenn Du nicht mal weißt in welcher Richtung du suchen musst?“
„Hör zu, Junge, Ace ist mein Partner, und ich kann ihn ja wohl nicht einfach so zurücklassen, oder?“
Joker ließ sich nicht beirren. „Ich versteh dich, aber so wirst du ihm nicht helfen können.“
Auch wenn er es nicht zugeben wollte, so hatte der Guardsmen wahrscheinlich Recht. Frustriert überprüfte Noname zum wiederholten Male seine Langstreckenradarsensoren. Nichts – keine Spur von Ace.
Noname hatte seinen Partner im Getümmel dieser verdammten Schlacht verloren und die ohnehin durch das nahe Wurmloch eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Sensoren machte eine Peilung unmöglich. Es war wie der Versuch in einem 50-Meter Schwimmbecken ein einzelnes Barthaar zu finden – und das Ganze bei Nacht… und ohne Taschenlampe!
Joker hatte Recht, er hatte keine andere Möglichkeit als zur Hongkong zurückzukehren und darauf zu hoffen, dass Ace sich alleine durchschlagen würde.
Verdammt! Erst Skunk, dann Fish und jetzt auch noch Ace!
Und auch wenn es schmerzte, schon wieder einen Kameraden hinter den feindlichen Linien zurücklassen zu müssen, so verdrängte er für den Augenblick den Gedanken an seinen Staffelführer und setzte den Kurs auf die einzige Heimat die ihnen hier in dieser Hölle geblieben war.
Cattaneo
Cunningham
Trisha McGill seufzte dankbar als Lucas Cunningham seine Zigarettenschachtel zusammenknüllte und frustriert auf den Kartentisch warf.
Es hatte fast so ausgesehen, als ob der ehemalige CAG der Angels einen unerschöpflichen Vorrat an Lucky Strikes besaß.
Sie vermutete, dass er jetzt damit beginnen würde, an den Fingernägeln zu kauen. Innerlich schüttelte sie mit dem Kopf. Lone Wolf würde einen armseligen Trägerkommandeur abgeben oder auch nur einen wenig mehr als mittelmäßigen Schiffskommandanten.
Es war fast eine bizarre Studie am Menschen, wie er sich innerhalb von Stunden in ein eingesperrtes umherpirschendes Tier verwandelte.
Sie wusste nicht, dass Cunninghams Gedanken in eine ähnliche Richtung gingen. Stunden! Es waren doch nur Stunden vergangen, seit man das Wurmloch passiert hatte, und doch konnte er es kaum noch aushalten.
Kein Wunder, er hatte gut drei Kannen Kaffee intus und anderthalb Schachteln Zigaretten in wenigen Stunden geraucht. Das Tagespensum in einem Viertel der üblichen Zeit etwa.
Aufgeputscht bis zum es-geht-nicht-mehr.
Pinpoints Stimme erklang in seinem Kopf und fragte ihn, ob man an einer Überdosis Nikotin abkratzen konnte.
Eine Frage, auf die Lucas keine Antwort wusste. Noch vor zweihundert Jahren waren Menschen an Lungenkrebs und ähnlichem gestorben. Heute gab es Medikamente dagegen.
Aber an einer Überdosis, das war kurios, und warum fragte ihn das Pinpoint?
Lone Wolf Cunningham hatte gerade die letzte Lucky aus der Packung nehmen wollen, als sich die Stimme seines lang verstorbenen Flügelmanns, seines Freundes, eingeschaltet hatte.
Statt die Zigarette zu nehmen und anzustecken, hatte er die Packung einfach zerknüllt. Heute würde er mit dem Rauchen aufhören. Wieder einmal.
Das letzte Mal hatte er ein halbes Jahr gebraucht. Es war damals Frieden gewesen. Nur, wenn man ihm jetzt wirklich ein eigenes Schiffskommando geben würde, hätte er sich sicherlich schneller zu Tode geraucht, als dass er Medis dagegen einwerfen konnte.
,Ich muss etwas tun. Ich muss verdammt nochmal wissen, was auf der anderen Seite vor sich geht.'
Rückblende
TRS Dolphin DD-109
„Ich bin mir absolut sicher, dass der Drohneneinsatz klappen wird, Lucas.“
Der Angesprochene funkelte Igor Maleetschev wütend an. Die Simulatorbrücke der Dolphin war als Zerstörerbrücke für die Norfolk-Class hergerichtet worden. Jede beliebige Brücke konnte an Bord der Dolphin simuliert werden, um den angehenden Kommandanten alle möglichen Einsätze üben zu lassen. Dies war eine Sprungpunktaufklärungsmission.
Lucas war der Captain und Igor Maleetschev war sein erster Offizier. Es wurde eigentlich darauf geachtet, dass die Bewohner einer Kabine nicht gemeinsam in den „Einsatz“ gingen, doch diesmal hatte es sich ergeben, dass Maleetschev ihm als erster Offizier zugeteilt wurde.
Der Jagdpilot hatte beständig darauf geachtet, dass bei den Gefechtssimulationen korrekte Umgangsformen gepflegt wurden, auch wenn er sich sonst die mit den meisten Kursteilnehmern duzte.
Maleetschev war ein Tüftler und hatte ihm schon seit Tagen mit seiner Idee für die Sprungpunktaufklärung in den Ohren gelegen. Sein Zimmergenosse hatte gehofft bei dieser Übung selbst den Kommandantenposten inne zu haben, oder zumindest mit Obafeme Bashoron oder Yanne de'Orville den Einsatz durchführen zu dürfen.
Die beiden Spitzenreiter ihrer Klasse waren für neue Möglichkeiten immer offen. Ganz im Gegensatz zu dem bodenständigen Kurzzeitpragmatiker, der Lucas als Schiffskommandant war.
Lucas bevorzugte schnelle, klare Ergebnisse, wenn er das Kommando über ein Schiff innehatte. Jedem Kriegsschiff ging die Eleganz und Vielseitigkeit eines Raumjägers ab. Wo ein Jäger oder gar Geschwader wie ein chirurgisches Instrument agieren konnte, war ein Kreuzer, ein Zerstörer oder auch nur eine Fregatte ein plumpes unbewegliches Breitschwert, und so führte er es.
Commodore Hiroyuko Obuchi hatte ihr Urteil schon nach der ersten Übung gefällt: „Typischer Jetjockey.“
Der für einen Japaner recht große Mann, so wusste Lucas, hatte jedoch die Wette verloren, dass er nach nur acht Wochen entweder gehen oder gegangen würde.
Und mit Maleetschevs Idee an den Hacken war Lucas jetzt in einer Zwickmühle. Würde er rundheraus ablehnen, wäre Obuchis Urteil einmal mehr bekräftigt.
Andererseits hielt er nicht allzu viel von der Idee an sich. Eine Drohne mit dem Traktorstrahl an das Wurmloch heranzuführen, mittels Sprungantrieb das Raumzeitkontinuum aufreißen und die Drohne auf die andere Seite zu schieben… er wusste nicht.
„Mr. Palmer, Ihre Meinung bitte.“
Gorden R. Palmer, der als Lucas Operationsoffizier fungierte, war ursprünglich schiffstechnischer Offizier gewesen und daher für Lone Wolf heute die maßgebliche Autorität.
Der blasse aber hoch intelligente Offizier kaute kurz auf der Unterlippe und stützte sich auf den Kartentisch: „Bei einem konstanten Spuhlenausstoß sollten wir den Riss beständig halten können und die Möglichkeit haben mit dem Tracktorstrahl zu operieren und die Drohne über den Ereignishorizont zu schieben. Jedoch halte ich das Sheldon III-Leitsystem der Drohne für zu leistungsschwach, um uns durch die Thetastrahlung hindurch ein Signal zu senden. Wir müssten die Drohne wieder zurückziehen und dann die Daten auswerten. Der Vorteil wäre jedoch, dass wir uns nicht auf ein Gefecht mit dem Feind einlassen müssten, sondern seine Position bestimmen können, ohne dass er uns ins Visier bekommt.“
,Na toll, wenn ich jetzt nein sage, bin ich der reaktionäre Knochen.'
„Gut, beginnen Sie beide zusammen mit dem Astrogator und dem LI mit den Berechnungen,“, entschied Lucas, „eine Sprungpunktaufklärung ohne Feindkontakt, das wäre mal was Neues, Gentlemen.“
„Aye, Skipper.“, antworteten die beiden unisono.
Die angeordneten Berechnungen dauerten nicht lange, was Lukas nicht verwunderte. Igor Maleetschev hatte schon eine ganze Zeit an seiner fixen Idee gearbeitet.
Ebenso dauerten die Vorbereitungen auch nicht lange, die Barracuda-Aufklärungsdrohne war schnell in Position gebracht.
„Alles für den Drohneneinsatz bereit, Captain.“, meldete Maleetschev schließlich förmlich.
„In Ordnung!“, begann Lucas, „Rudergänger: Sprungantrieb hochfahren und für einen Energieausstoß von acht komme zwo sieben vorbereiteten. TO: Erfassen Sie die Drohne mit dem Traktorstrahl und bereiten Sie sich darauf vor, sie in das Wurmloch zu schieben.“
Die Offiziere bestätigten und begannen mit den Vorbereitungen.
Kurz darauf wurde ihm Vollzug gemeldet.
„Dann fangen Sie mal an mit der Show, XO!“
Maleetschev grinste: „Aye-aye, Skipper.“
Die Sprungspuhlen wurden mit geringer Aktivität gefahren und öffneten einen kleinen Riss im Raum-/Zeitkontinuum. Der Traktorstrahl schob die Aufklärungsdrohne in das Wurmloch.
Einen Augenblick passierte gar nichts, dann fluchte Maleetschev: „Wir haben die Drohne verloren.“
Lucas knirschte mit den Zähnen: „Ihre Analyse?“
„Die Schwerkraftverzerrungen beim Raumzeitübergang auf der anderen Seite müssen die Drohne zerrissen haben.“
„Und haben wir irgendwelche Daten erhalten?“
„Negativ, der Signalgeber ist nicht durchgekommen.“
Lucas erhob sich aus seinem Kommandosessel: „Gut, dann müssen wir es wohl auf die bewährte Art und Weise versuchen: Klar Schiff zum Gefecht! Sprungantrieb auf maximale Leistung hochfahren.“
Maleetschev packte sein Mikrophon: „Gefechtsstation! Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtsstation!”
„Astrogator:“, rief Lucas über die Brücke, „berechnen Sie Sprung und Notfallrücksprung!“
„Aye-aye, Sir!“
Schnell und eingespielt gingen die Offiziere und Mannschaften der Dolphin auf ihre Stationen.
„Sprünge berechnet, Sir, Schiff klar zum Gefecht!“, meldete Maleetschev schließlich.
„Ausgezeichnet XO, führen Sie den Sprung durch.“
„Aye, Sir“, Maleetschev wandte sich der Steuerkonsole zu, „Rudergänger: Sprungantrieb aktivieren, ein Drittel voraus!“
„Sprungantrieb aktivieren, Maschinen ein Drittel voraus, aye-aye, Sir.“
Das Schiff tauchte in den Raumzeitriss des Wurmloches ein, und auch wenn man für Menschen den Wurmlochsprung nicht simulieren konnte, so zeigten die elektronischen Systeme die entsprechenden Dissonanzen.
Fast drei Sekunden, dann brach auf der Brücke die Hölle los.
„Reinkommende Raketen von neun-vier-zwo zu elf-null-null. Nehmen Peilung auf!“
„Zeichne mehrere Ziele: Fregatte, Kennzeichnung Sierra-eins, Entfernung: Zwo-zwo-fünf-K, Position: neun-vier-acht zu elf-eins-eins. Fregatte, Sierra-zwo, Entfernung: Zwo-zwo-acht-K, Position: drei-drei-acht zu zehn-zwo-null. Zerstörer, Hotel-eins, Entfernung drei-neun-neun-K, Position vier-vier-eins zu drei-sieben-zwo.“
„Multiple Raketenstarts.“
„Ruder hart backbord! Klar für Rücksprung!“, befahl Lucas.
„Täuschkörper ausstoßen!“, brüllte Maleetschev, seine Pflicht als XO erfüllend.
Im gleichen Moment eröffnete die Nahbereichsabwehr der Dolphin das Feuer, doch die ersten Raketen schlugen schon ein.
Der Zerstörer bockte unter den Einschlägen.
„Schadensbericht!“, Maleetschev trat zum MSD hinüber.
An der Ruderstation arbeitete der Astrogator hastig daran, den Rücksprung durchzuführen.
„Hotel-eins in Feuerreichweite. Feindliche Raketen auf dem Weg. Hotel eins gibt Sperrfeuer!“
Lucas wandte sich dem Astrogator zu: „Wir müssen springen oder ausweichen! Können wir rechtzeitig springen?“
„Negativ, Captain!“
„Rudergänger: Kurs neun-vier-acht, äußerste Fahrt voraus!“, befahl Lone Wolf Cunningham, ehe er sich an den TO der Dolphin wandte: „Feuer auf Sierra-eins konzentrieren, und halten Sie uns dem Beschuss der anderen beiden vom Hals.“
Die Dolphin beschleunigte auf das kleinere Akarii-Schiff zu.
„Sierra-zwo wendet auf uns zu und geht auf Abfangkurs, Hotel-eins beschleunigt und folgt uns.“
„Raketen nähern sich! Abwehrraketenschirm durchbrochen, Punktverteidigung eröffnet das Feuer! Vorbereiten auf Einschlag!“
Die Offiziere, welche die Brückenposten der Dolphin einnahmen, waren wirklich allererste Garnitur.
So etwas bekam man diese Tage nicht mehr im Felde.
Die Dolphin feuerte ihre erste Salve Raketen ab, kurz bevor die nächsten Raketen der Akarii sie erreichten. Am Heck des Zerstörers leuchteten die Schilde auf. Panzerung verformte sich und ein Ruck ging durch das gesamte Schiff.
„Sprungantrieb ausgefallen. Heckschilde auf zweiundsechzig Prozent gefallen.“
„Kurs halten und weiterfeuern!“, bellte Cunningham.
Erneut wurde die Dolphin von Treffern erschüttert.
Die Akariifregatte, auf welche sie zuhielten, stellte sich frech zum Kampf und vereitelte somit Lucas Plan einfach durchzubrechen und den Feind zu seinen Bedingungen zu stellen.
Alle drei Akariischiffe feuerten so schnell sie konnten ihre Raketen auf den Erdzerstörer ab.
Der konzentrierte Beschuss überlastete die Eloka und die Verteidigungsbatterien des Zerstörers recht schnell.
Lucas wandte sich dem Main Ships Display zu. Auf dem MSD leuchteten immer mehr Systeme und Sektionen rot.
Er fletschte die Zähne und gab einen Befehl auf seiner Kommandokonsole ein.
Eine Mehrfachsirene ging durch das Schiff.
Die Evakuierung eines Schiffes war immer eine diffizile Sache. Eine kontrollierte Evakuierung war unter Feindbeschuss so gut wie unmöglich. Den Befehl das Schiff aufzugeben zu früh zu erteilen, konnte vor dem Kriegsgericht als Feigheit ausgelegt werden.
Die Brückenoffiziere der Dolphin hasteten zum Schott hinauf, während Lucas sitzen blieb und nachdenklich das Kinn auf die rechte Hand stützte. ,Wie zahle ich Dir das heim, Igor?'
Noch ehe der letzte seiner Führungsoffiziere nach draußen verschwunden war, wurde die Simulation abgebrochen. Die Lichter gingen wieder auf normales Niveau.
„Welch pathetische Geste.“, Hiroyuko Obuchi betrat die Simulatorbrücke und fixierte Cunningham, „Und, würden Sie bei einem echten Gefecht auch so ruhig sitzen bleiben?“
„Wohl eher nicht, Sir.“
Der Commodore schüttelte den Kopf: „Dabei war das die erste richtige Entscheidung an diesem Tag. Der Einsatz war gescheitert, sobald Sie die Sprungtriebwerke angeworfen hatten und nicht gesprungen sind.
Die Echsen konnten den Thetastrahlenanstieg messen und erfassten die Drohne, kurz bevor diese zerstört wurde. Sie sind also mitten in einen vorbereiteten Feindverband gesprungen. Glanzleistung, Mister Cunningham.“
Lucas war an dem Commodore vorbei einen bösen Blick zu Maleetschev.
Heute
TRS Columbia
Kiralu, terranische Besatzungszone
„Commander Long?“, Lucas starrte auf die zerknüllte Zigarettenschachtel.
„Ja, Sir?“
„Was für Drohnen haben wir an Bord?“
„20 Spector Aufklärungsdrohnen der Marke Dornier sowie 27 COMSAT-Relaisdrohnen zur Translichtübertragung und konventionellen Funkunterstützung.“
Lucas legte den Kopf schief: „Die Spector ist nicht zufällig stark genug um durch die Thetabandverzerrung eines Wurmloches zu senden?“
„Nein, aber die COMSAT sollte dazu in der Lage sein.“
„Ausgezeichnet.“, Cunningham wandte sich seinem Signaloffizier zu, „Lieutenant, stellen Sie mich zur Vo Nguyen Giap durch.“
„Aye, Sir.“
Lucas brauchte nicht lange zu warten, dann nahm ein Lieutenant Vickers den Funkspruch entgegen.
„Commander Cunningham hier, CO der Columbia, geben Sie mir ihren Captain.“
„Captain Maleetschev ist derzeit nicht auf der Brücke, Sir, kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?“
Für einen Augenblick wirkte Lucas überrascht.
„Was sind Sie, seine Sekretärin? Geben Sie mir augenblicklich Captain Maleetschev und falls es hier Ungereimtheiten gibt, das war keine Bitte.“
Vickers „Aye, Sir.“ klang nach purer Insubordination, dennoch meldete sich kurz darauf ein verschlafener Igor Maleetschev: „Ich hoffe es ist wirklich wichtig und geht nicht nur um alte Zeiten.“
„Sowohl als auch,“, entgegnete Lucas, „ich brauche die Berechnungen für eine Hyperraumöffnung, um zwei Drohnen nach Karrashin zu schicken.“
„Was?“
„Ich habe zwar deinen blöden Aufsatz noch irgendwo auf meiner Festplatte, aber ich brauche jetzt die Berechnungen für einen Sprungspuhlenausstoß um eine sechs Tonnen schwere Spector MK II. Aufklärungsdrohne, die an eine acht Tonnen schwere COMSAT geflanscht ist, mittels Traktorstrahl durch das Wurmloch zu schieben.“
„Bist du bescheuert,“, Maleetschev klang gereizt, „auf der Dolphin hast du mir zwei Wochen lang vorgehalten, ich sei ein Idiot. Darüber hinaus haben sämtliche Simulationen ergeben, dass die Akarii die Drohnen sehen werden.“
Lucas stöhnte: „Wir gehen hier von anderen taktischen Variabeln aus. Die Szenarios, die wir ...“
„Was heißt hier WIR?“
„... die du durchgespielt hast, gehen von einer wartenden Streitmacht aus, die das Wurmloch sondiert und den Auftrag hat auf einkommende Feinde zu achten.
Hier geht es darum, dass die Akarii auf dem Weg zum Sprungpunkt sind, um uns zu folgen. Entweder sie sind noch zu weit entfernt und suchen nach Minen in ihrem Weg, oder sie sind schon in Kämpfe verwickelt. In beiden Fällen ist die Chance, dass die Akarii unseren Drohneneinsatz bemerken im schlimmsten Falle höchstens gering.“
Nach einem kurzen Schweigen antwortete Maleetschev: „Gib mir die genauen Spezifikationen der Drohnen und du hast in circa zwanzig Minuten deine Antwort.“
Sein alter Perisher-Kamerad klang schon viel wacher.
Cattaneo
Tyr
Als Kano seine zerschossene Maschine auf der HONGKONG gelandet hatte, schien niemand an Bord des Trägers gewillt zu sein, ihn noch einmal in die Schlacht zu schicken. Er war zu einem Beobachter degradiert worden, der mit einem gewissen Gefühl der Frustration tatenlos zusehen musste, wie Jäger und Jagdbomber in einem scheinbar pausenlosen Karussell aus Landung und Start rotierten. Der leichte Träger war Mutterschiff für Maschinen aus drei Geschwadern geworden und operierte am Rande seiner Leistungsfähigkeit. Die Kampfflieger aufzutanken und wenn möglich auch mit Raketen und Marschflugkörpern aufzumunitionieren, verlangte den technischen Diensten das Äußerste ab. Kano hatte einige Maschinen der Angry Angels gesehen, ohne jedoch mehr als einen flüchtigen Blick auf seine Kameraden werfen zu können.
Der erste Vorstoß der Akarii auf den Sprungpunkt war im Kreuzfeuer der Kriegsschiffe und der Guardsmen liegen geblieben und verblutet. Aber nicht einmal der größte Optimist konnte glauben, dass das schon Alles war. Die Akarii würden wiederkommen.
In diesem Chaos aus Tank-, Wartungs-, Med- und Munitionscrews, aus startenden und landenden Kampffliegern, interessierte sich niemand für einen Piloten ohne Maschine.
Ungefähr eine halbe Stunde nach seiner Ankunft änderte sich das allerdings. Die Zweite Schlacht von Karrashin trat in eine neue Phase.
Vielleicht hatten die Akarii endlich die richtigen Schlüsse aus der Tatsache gezogen, dass dutzende Feindmaschinen zwischen dem Gefechtsfeld und dem Strahlungsschatten des Sprungpunkts rotierten, und dass die TSN-Flieger sich immer wieder mit gefüllten Tanks und neu bestückten Raketenpylonen in den Kampf warfen. Vielleicht wollten sie auch den langsam zurückweichenden Kriegsschiffen der Terraner endgültig den Rückweg abschneiden.
Oder der feindliche Admiral folgte der Maxime, sich durch einen Fehlschlag nicht entmutigen zu lassen, und es unbeirrt noch einmal zu versuchen. Was auch immer der Grund war, die imperialen Streitkräfte erneuerten ihren etwas ins Stocken geratenen Vormarsch. Und wieder zielten sie direkt auf den Sprungpunkt.
Dorthin, wo die HONGKONG lag.
„Nakakura! Bist du das?“
Kano drehte sich um. Vor ihm stand ein hagerer, blondhaariger Second Lieutenant und musterte ihn aus blassblauen Augen nicht unbedingt allzu wohlwollend.
„Ja.“
Der Offizier schnaubte spöttisch: „Du warst das doch, der unbedingt einen neuen Flieger wollte. Na bitte, jetzt kriegst du deine Chance, Superheld. Wird auch Zeit, dass du mal
WIRKLICH was für den Sieg tust, statt immer nur ein paar Blechmücken durchs All zu scheuchen.“
Kano fand den Mann ziemlich ungehobelt. Aber wenn er dadurch wieder in den Raum kam, dann war das ein geringer Preis: „Ich verstehe nicht ganz, was Sie…“
„Genug gequatscht. Komm schon, sonst steigt die Party ohne dich. Also wenn das mit dem wieder rausgehen nicht nur heiße Luft war, dann schwing gefälligst deine Hufe, Schlitzauge.“
‚Arschloch.’ „Na dann, worauf warten Sie noch, Second Lieutenant?“
Der Lieutenant, der dem Aufnäher auf seiner Kombination nach das Callsign Knock Out trug, schnaubte noch einmal abfällig, und drehte sich um. Eine knappe Minute später stand Kano vor einem kleingewachsenen, dunkelhäutigen Lieutenant Commander, dessen sorgfältig getrimmter Schnurrbart ihn irgendwie an Monty erinnerte. Offenbar flog der Mann unter dem Namen Zapata. Der spanische Akzent war schwach, aber unüberhörbar: „Lieutenant Nakakura, mein Name ist Thomas Aznar. Können Sie auch eine Mirage fliegen, Lieutenant?“ Ein reichliches Dutzend Männer und Frauen hatte sich um Aznar versammelt. Während einige den Neuankömmling mit einer Mischung aus schwachem Interesse bis Gleichgültigkeit zu betrachten schienen, waren andere offenbar eher skeptisch.
„Ich wurde auch an Jagdbombern ausgebildet. Außerdem habe ich regelmäßig an den vorschriftsmäßigen Simulator-Auffrischungsübungen teilgenommen. Ja, ich kann eine Mirage fliegen.“
Knock Out schnaufte einmal mehr, aber sein Vorgesetzter überging das: „Ich habe mir Ihre Akte angesehen. Wie es aussieht haben Sie eine gewisse Erfahrung mit Angriffen auf größere Schiffe. Ihre Staffel scheint überdurchschnittlich häufig an direkten Angriffen auf Frachter und Kriegsraumer teilgenommen zu haben.“
Kano ignorierte Knock Outs Augenrollen:„Unser alter Staffelführer war immer der Meinung, dass die Nighthawk ein gutes Potential als Schlachtflieger hat.“
„Vielleicht passen Sie ja doch zu uns. Eine unserer Maschinen musste schwer beschädigt landen. Der Pilot, Scylla, wurde schwer verwundet, der RIO ist aber noch voll einsatzfähig. Hat nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Und wir haben immer noch eine Reservemaschine im Hangar stehen. Aber momentan fehlt uns ein geeigneter Pilot. Ich habe keine Zeit zu warten, bis ein anderer Jabo hier einschwebt, der nicht mehr einsatzfähig ist, dessen Pilot aber noch kämpfen kann. An dieser Stelle kommen Sie ins Spiel. Sie sind nicht gerade meine erste Wahl, aber das Beste, was gerade zu haben ist. Also, sind Sie dabei, Jagdpilot?“
Kano zögerte nicht. Er wusste, was von ihm erwartet wurde: „Selbstverständlich.“
Knock Out schnaufte schon wieder: „Gott steh uns bei. Ein verdammter Held.“ Kano machte es den anderen Piloten und Bordschützen nach. Er ignorierte den Mann.
„Ihr Callsign ist Ohka, richtig?“
„Ja, Sir.“
„Also gut Ohka. Willkommen bei den Eagle Warriors. Wir starten in fünf Minuten. Wenn Sie also noch etwas zu erledigen haben…“
„Zum Beispiel pinkeln gehen, oder deinen letzten Willen verfassen, Hotshot…“, schaltete sich Knock Out ein. Wieder wurde er ignoriert.
„…dann sollten Sie sich besser beeilen.“
Langsam ging der Blondschopf Kano wirklich auf die Nerven. ‚Das ist der Beweis für parallele Evolution. Der Typ ist genauso ein Arschloch wie Skunk.’ Unter anderen Umständen hätte er versucht, den Mann einmal gründlich zusammenzustauchen. Aber in dieser Staffel war er ein Neuling. Also blieb er stumm, während der Staffelführer mit leiser Stimme die anderen Mitglieder der Einheit vorstellte.
Kano sah sich suchend um: „Wo ist mein Bordschütze?“
Der Lieutenant Commander verzog das Gesicht, als wäre ihm etwas peinlich, und Knock Out lachte hämisch auf: „Wir warten auch auf Charybdis. Die Dame macht sich gerade rar.“
Jetzt wurde es Aznar offenbar auch zu bunt: „Halts Maul, Knock Out. Hör auf, schmutzige Wäsche vor Fremden zu waschen.“
„Aber es ist doch wahr! Warum erlauben wir der Lady ihre Sondertouren?!“
Eine Pilotin schaltete sich ein, deren Callsign offenbar Tank lautete: „Aus dem gleichen Grund, warum dir noch keiner die Zähne ausgeschlagen hat, Schandschnauze. Kümmere dich doch um deinen eigenen Dreck.“ Die stämmige Frau mit den braunen Augen und dem dunkelblonden Haar schien ihren Kameraden nicht eben ins Herz geschlossen zu haben.
„Oho! Geht unsere fehlende RIO etwa fremd und hat sich einen neuen Fan geangelt? Dann musst du mir mal erzählen…“
Kano blendete den aufflackernden Streit aus und wandte sich an Aznar, der offenbar nicht gewillt war, für Ordnung zu sorgen. Nun ja, andere Staffeln, andere Sitten: „Also Scylla…und Charybdis? Irgendwie klingt das…“
Leider hatte Knock Out ihn gehört: „Das war meine Erfindung. Man bekommt die beiden nämlich niemals einzeln zu sehen. Und um zwischen die beiden zu gekommen, hättest du dich schon mit Gleitcreme einschmieren müssen. Außerdem war Scylla der Sage nach ein ziemlich hässliches Ungeheuer und Charybdis…“, er streckte die Zunge heraus und machte eine saugendes Geräusch. Als er Tanks angewidertes Gesicht sah, lachte er schallend.
„Du bist echt ein Schwein.“
„Das zeige ich dir gerne mal bei einer Runde Mattengymnastik…“
Noch einmal wurde Aznar laut: „Jetzt reicht es aber! Knock Out, musst du eigentlich jeden Augenblick deines Lebens ein Arschloch sein?“ Er drehte sich zu Kano um, der den Schlagabtausch mit mühsam kaschierter Konsterniertheit verfolgte. Ja, eindeutig so wie Skunk.
„Solange Sie bei uns fliegen, werden Sie sich daran gewöhnen müssen, Knock Out zu ignorieren. Das tun wir anderen auch. So ist er immer vor einem Start.“ Der Blondschopf grinste, als hätte man ihn belobigt.
In der Bemühung, ihn auszublenden, memorierte Kano noch einmal das, was er von der Maschine wusste, die er fliegen würde. Egal was er gesagt hatte, es war doch schon eine ganze Weile her.
Die Mirage hatte nach der Einführung von Nighthawk, Thunderbolt, Falcon und Griphen D zunehmend den Ruf bekommen, wie die Typhoon eine Maschine der ‚vorletzten Generation’ zu sein. Das hieß, sie galt inzwischen eindeutig als veraltet. Im Vergleich zu ihrem Nachfolger, der Thunderbolt, schnitt sie in allen Bereichen schlechter ab. Obwohl sie als Jagdbomber firmierte, hatte sie gegen die meisten Feindjäger keine sonderlich guten Chancen, vor allem wenn sie mit Mavericks oder HARM-Flugkörpern bestückt war. Die meisten Akariis konnten sie mühelos auskurven und abhängen.
Die beiden Neutronenkanonen und das Paar Plasmageschütze im Bug gaben der Mirage eine zufrieden stellende Offensivkraft, aber die beiden Heck-Laserkanonen wurden von vielen Piloten als zu schwach angesehen, um die fehlende Wendigkeit auszugleichen. Die Mirage konnte einen Deltavogel auskurven, doch selbst die modernen Akarii-Jabos waren ihr überlegen. Und natürlich waren die Akarii-Maschinen erheblich besser bewaffnet. Dennoch fungierte die Mirage in vielen Geschwadern immer noch als leichtes ‚Arbeitspferd’, auch wenn ihre Ablösung durch die Thunderbolt längst beschlossene Sache war. Im Gegensatz zur Griphen, die man einer Verjüngungskur unterzogen hatte, war bei der Mirage das Ende der Fahnenstange erreicht. Es würde keine neue Baureihe mehr geben.
Die Maschinen, die Kano jetzt vor sich aufgereiht sah, waren ziemlich einheitlich bestückt worden. Bis auf eine einzelne Mirage, die zwei radarsuchende HARM-Marschflugkörper geladen hatte, trugen sie alle Maverick-Atomraketen. Dazu kamen noch zwei Sidewinder, zwei Sparrows und ein Paar Amraams. Diese Armierung verlieh den Mirages eine respektable Feuerkraft gegen die feindlichen Großraumer, ermöglichte ihnen aber auch, sich gegen feindliche Jäger zur Wehr zu setzen.
‚Und mit denen werden wir es ganz bestimmt zu tun bekommen.’ Da die feindlichen Bomber und Jabos während der ersten Schlacht von Karrashin schwer zusammengeschossen worden waren, würden sich die verbliebenen Akarii-Jäger ganz auf die Verteidigung der imperialen Kriegsschiffe konzentrieren.
Wieder sah sich Kano suchend um. Wo bei den kami war sein RIO?
Aber es war natürlich Knock Out, der die näher kommende Bordschützin als erster bemerkte: „Die Prinzessin gesellt sich zum einfachen Volk!“
„Leck mich am Arsch.“ Die schlanke Frau wirkte mit den kurz geschorenen schwarzen Haaren und den hellblauen Augen ziemlich jung, und ihre Kombination mit den Abzeichen eines Second Lieutenant schien ihr ein wenig zu groß. Aus der Ferne hätte man sie für einen Jungen halten können, der sich in den Hangar verirrt hatte. Es war für Kano nicht gerade gewöhnlich, jemandem zu begegnen, der fast einen Kopf kleiner als er war, und kein Asiat. Allerdings hatte er keine Zweifel, dass sich diese Frau nicht leicht einschüchtern ließ. Sie schien ihre zierliche Erscheinung durch eine gewisse Aggressivität zu kompensieren.
Knock Out grinste anzüglich und zupfte an seiner Hose herum: „Klingt verlockend. Aber ich dachte, dazu müsste ich mich erst mal umoperieren lassen.“
„Dir etwas abzuschneiden wäre schon mal ein Schritt in die richtige Richtung…“
„Ruhe, ihr beiden!“ Aznar klang ungeduldig: „Wir haben schon genug Zeit verplempert. Charybdis, das ist Lieutenant Nakakura, Callsign Ohka. Er kommt von den Angry Angels. Ihr werdet zusammen fliegen.“ Die junge Frau musterte Kano frostig. Sie schien nicht beeindruckt. Aber da war noch etwas anderes. Auch wenn Charybdis sich gut im Griff zu haben schien, glaubte Kano zu erkennen, dass sie ziemlich aufgewühlt war. Unter anderen Umständen hätte er vermutet, dass sie kürzlich geweint hatte. Aber was verstand er schon von Frauen?
Aznar fuhr fort: „Damit sind wir wieder zehn Maschinen. Unsere Aufgabe ist ganz einfach. Wir müssen den Vorstoß der Akarii stoppen. Schon wieder. Zu den Trägern kommen wir nicht durch, aber da die sich im Hintergrund halten und der Feind keine Bomber und Jabos mehr hat, sind sie sowieso nicht so wichtig. Unsere Primärziele sind Yankees, Kilos und Führungszerstörer. In dieser Reihenfolge. Ansonsten hat zu gelten, dass kein feindliches Schiff, das in die Strahlungszone vorrückt, zurückkehren darf. NICHT EIN EINZIGES. Noch Fragen?“
Tank hob die Hand: „Bekommen wir Geleitschutz?“
„Soviel, wie sie freimachen können. Aber die Angry Angels haben bereits hohe Verluste erlitten. Erwarten Sie nicht zu viel. Dadurch, dass die Einheiten bei der Betankung rotieren und wir ständig unter Druck stehen, können wir keinen richtigen Sturmverband formieren. Wir verzetteln uns. Wir…“ Aznar stockte, schüttelte den Kopf: „Egal. Sie kennen Ihre Aufgabe. Wir sind schon über der Zeit. Aufgesessen!“ Ob des Gebrauchs dieses anachronistischen Begriffs hätte Kano fast gelächelt.
Als er sich umwandte, um den Befehl Folge zu leisten, sah er wie Aznar seinen RIO zurückhielt. Der Lieutenant Commander sprach leise, aber Kano konnte ihn dennoch verstehen: „Wie sieht es aus?“
„Scheiße, das weißt du doch. Der linke Arm ist viermal gebrochen. Dazu kommen zwei gesplitterte Rippen, ein punktierter Lungenflügel und die Vergiftung durch den verdammten Rauch. Von wegen sichere Luftversorgung! Scheiße!“
„Schaffst du es?“
„Ich bin kein verdammtes Baby! Und wenn du an mir zweifelst, warum steckst du mich dann mit einem Jägerjockey ins Cockpit?!“ Charybdis sah auf, bemerkte Kanos Blick, und fauchte sofort los: „Hast du nichts zu tun?!“
Kano hielt es für klüger, nicht auf seinen höheren Dienstrang zu verweisen, sondern zu schweigen.
Das Cockpit der Mirage unterschied sich deutlich von dem eines normalen Jägers. Auch wenn die meisten Instrumente und Knöpfe an ihrem – genormten – Platz waren, Kano vergewisserte sich lieber noch einmal, dass seine Erinnerung ihm keinen Streich spielte. Der größte Unterschied war natürlich der hinter dem Piloten befindliche Sitz des Bordschützen, von dem Charybdis die Heckgeschütze fernsteuern und im Fall eines Ausfalls des Piloten die Steuerung der Maschine übernehmen konnte. Tatsächlich war genau das offenbar bereits einmal geschehen. ‚Hoffentlich wiederholt sich das nicht.’
Auch wenn Charybdis aussah, als hätte sie noch nicht einmal die Akademie abgeschlossen, ihre Handgriffe waren ruhig und routiniert.
Was allerdings garantiert nicht zu dem üblichen Startprozedere gehörte, war das Foto, dass sie neben ihrem Sitz befestigte. Kano verrenkte kurz den Hals, um zu erkennen, was darauf zu sehen war. Die Aufnahme zeigte zwei Personen, die in die Kamera grinsten. Eine war Charybdis. Die andere war eine hoch gewachsene Frau, deren dunkle Hautfarbe und Augen auf eine Herkunft aus Südeuropa, dem Balkan oder dem Nahen Osten zu deuten schien. Die etwa handlangen schwarzen Haare hatte sie in ziemlich auffälliger Art und Weise in zahllose dünne Zöpfe geflochten. ‚Das muss ziemlich lange gedauert haben.’ Dann registrierte Kano die Abzeichen eines First Lieutenant und das Namensschild auf der Dienstuniform. Scylla. ‚Hm…bei der Frisur wäre Medusa vielleicht passender gewesen.’ Und im Gegensatz zu Knock Outs Behauptung war die Pilotin auch nicht wirklich hässlich. Scyllas Gesicht hatte Ausstrahlung und Charakter, auch wenn die Nase vielleicht etwas zu ausgeprägt war, um den geltenden Schönheitsidealen zu entsprechen.
Dann erst realisierte Kano, wie die beiden Frauen die Köpfe zusammensteckten, und erinnerte sich daran, was Knock Out noch gesagt hatte. Und er fühlte, wie er rot wurde. Das war wahrscheinlich der Nachteil einer ziemlich traditionellen Erziehung.
Er bemerkte, dass Charybdis ihn musterte. Das Helmvisier verbarg das Gesicht, aber ihre Stimme klang ungehalten: „Ist etwas?“
Kano räusperte sich: „Meinen Namen kennen Sie, Charybdis. Aber ich würde auch gerne erfahren wie Sie heißen, wenn wir schon zusammen fliegen.“
„Charene Ticano. Und ich hasse diesen Spitznamen. Nenn mich von mir aus Charene oder Ticano.“
„Wie Sie wünschen, Lieutenant Ticano.“
Die Bordschützin schnaubte, als würde sich Kano mit seiner förmlichen Anrede über sie lustig machen: „Na bestens. Also, den Vogel fliegen werden Sie ja wohl können. Das ist nichts neues, auch wenn die Mirage etwas fauler reagiert als ein Einsitzer. Ich übernehme die Radarortung, die Einstellung der Atomraketen und natürlich Ihre Rückendeckung. Die Mavericks abfeuern ist Ihre Aufgabe. Ich kann das aber immer noch machen, wenn Sie Mist bauen. Aber verlassen Sie sich nicht darauf. Mit den beiden Eiern müssen wir nahe an den Gegner ran – mindestens 30.000 Klicks – und wir müssen die Zielerfassung mindestens zwölf Sekunden lang stabil halten. Das heißt also, für eine Viertelminute keine heftigen Ausweichbewegungen oder sonstige Kunststücke. Haben Sie das verstanden?“
„Natürlich.“
„Na hoffentlich. Was sind Sie bisher geflogen? Und wie viele Sterne haben Sie auf ihrer Maschine?“
„Einschließlich Heute? Achtunddreißig Abschüsse. Geflogen bin ich Typhoon und Nighthawks.“
„Ein gottverdammter Held…“. Vermutlich hätte es Ticano nicht gefallen, wenn er ihr gesagt hätte, dass Knock Out das gleiche gesagt hatte, „…hören Sie mal, Sie Ass – das hier ist kein Nighthawk. Sogar eine Phantom ist wendiger. Wir Jabos überleben nur, indem wir uns gegenseitig den Rücken freihalten. Also keine Alleingänge oder Abfangjäger-Kunststücke. Haben Sie verstanden?“
Das Startkatapult hatte den Jagdbomber erfasst, und schleuderte ihn ins All.
Cattaneo
Tyr
Im Strahlungsgürtel des Sprungpunkts zu operieren, war etwas ganz anderes, als der Flug durch den freien Raum. Die Sensoren und der Funkverkehr waren in ihrer Reichweite eingeschränkt, und wurden zudem immer wieder durch Störungen überlagert.
Außerdem war es ein etwas beunruhigendes Gefühl, durch eine Strahlungszone zu fliegen. Vor allem, wenn man damit rechnen musste, eventuell ‚unfreiwillig nach Außenbord zu gehen’. Gewiss, der Sauerstoffvorrat eines ausgestiegenen Piloten war so begrenzt, dass er längst erstickt sein würde, bevor die Strahlendosis tödliche Werte erreichte. Aber es war dennoch kein sehr angenehmer Gedanke, vor allem, wenn man schon einmal ein Opfer der Strahlenkrankheit gesehen hatte.
Vor allem aber würde die Strahlung die Ortung ausgestiegener Piloten erschweren. Die Furcht, vergessen und zurückgelassen zu werden, sie war eine der Urängste, die in jedem Piloten lauerte. Keiner starb gerne allein, in der eisigen Dunkelheit des Alls.
Kano musste schnell feststellen, dass die Steuerung eines Jagdbombers etwas ganz anderes war, als der Flug mit einem Abfang- oder Überlegenheitsjäger. Da war zuerst einmal die unvertraute Präsenz eines zweiten Menschen in seinem Rücken, auch wenn Ticano sich sehr still verhielt. Außerdem bildeten die Mirages eine erheblich engere Formation, als er es gewöhnt war. Ein paar Mal musste er seine Flugbahn korrigieren, um nicht zu nahe an einen der anderen Jabos heranzukommen, oder um in die Formation zurückzukehren. Natürlich ließ sich Knock Out die Gelegenheit nicht nehmen, ein paar bissige Bemerkungen loszuwerden. Kano würdigte ihn keiner Antwort und konzentrierte sich lieber auf die Steuerung.
Die Mirage reagierte relativ faul, aber langsam griffen wieder die Lektionen, die er früher einmal auf der Phantome und auch der Mirage absolviert hatte. Dazu kamen seine gelegentlichen Jabo-Simulatorübungen. Er hatte Aznar natürlich nicht gesagt, dass er an diesen Übungen auch mit der etwas naiven Hoffnung teilgenommen hatte, sich dadurch vielleicht für eine Beförderung zu qualifizieren. Diensteifer und Vielseitigkeit spielten bei der Beurteilung ebenso eine Rolle, wie Einsatzleistungen. Und Beziehungen.
Müßige Eitelkeiten.
Im Augenblick hatte der Gegner sie offenbar noch nicht entdeckt, allerdings blieben auch die Akarii außerhalb ihrer Ortungssysteme. Informationen über die Bewegungen der imperialen Kriegsschiffe erhielten die Mirages nur über die Funkverbindung mit der HONGKONG, die wiederum auf die Sensoren der außerhalb oder am Rande des Strahlungsgürtels operierenden TSN-Kriegsschiffe angewiesen war. ‚Wird nicht lange mehr so ruhig bleiben.’
„Eagle Warriors, herhören! Wir greifen die linke obere Flanke der feindlichen Formation an. Herzstück der feindlichen Gruppierung ist ein Yankee, der unser Primärziel darstellt. Er wird begleitet von etwa einem halben Geschwader Zerstörer, Hotel- und Echo-Klasse, sowie ein paar Fregatten Typ Sierra. Eine der Fregatten gibt dem Yankee Nahsicherung, die anderen Einheiten rücken aufgefächert vor.
Ohka, Knock Out, ihr setzt euch an die Spitze und greift die Sierra an. Der Rest folgt mir. Wir schlagen einen Bogen und greifen den Kreuzer an.“
Während Kano den Befehl knapp bestätigte, hatte Knock Out seine eigene Meinung: „Moment mal! Warum darf ich Babysitter für diesen Jockey spielen, während ihr mit dem großen Kolcher spielt?!“
„Weil ich es befehle. Es wäre schön, wenn du wenigstens im Einsatz mal einfach das tust, was ich dir sage! Ihr spielt einfach ein bisschen Ablenkung. Ich möchte nicht, dass die beiden Akarii ihr Feuer auf uns konzentrieren.“
„Stattdessen sollen sie mich und diesen Newbie aus dem All pusten, richtig?“
Irgendjemand murmelte, „…und wer würde dich schon vermissen…“, aber Aznar blieb sachlich: „Genug gequatscht. Ausführung! Wir verlassen den Strahlungsgürtel in fünfzehn Sekunden!“
Kano beschleunigte und setzte sich befehlsgemäß etwas von dem Hauptpulk ab. Im nächsten Augenblick hatte ihn Knock Out überholt: „Nicht so stürmisch, Greenhorn!“
Der japanische Pilot biss auf die Zunge. Sich von einem rangniedrigeren Offizier derart bevormunden zu lassen, der vermutlich nicht einmal ein Viertel von Kanos Abschüssen auf seinem Konto hatte, fiel ihm schwer. Aber im Augenblick gab es Wichtigeres zu tun, als jemanden wie Knock Out auf seinen Platz zu verweisen.
Auf Kanos flackernden Radarschirm tauchten endlich die vorderen feindlichen Einheiten auf. Immer wieder huschten Störsignale über das Bild und erschwerten die Identifizierung. Dennoch, er sah den Yankee. Und dieses kleine, fast verdeckte Symbol daneben, das musste sein Ziel sein: „Ticano, die Mavericks…“
„Entsichert und schussfertig.“
In diesem Augenblick ließen sie die Strahlungszone endgültig hinter sich und stießen in den freien Raum vor. In der Ferne glaubte Kano, sich scheinbar in Zeitlupe bewegende, schwach leuchtende Lichtpunkte zu sehen, die beinahe von der fernen Sonne Karrashins und den Sternen überstrahlt wurden. Jeder dieser Lichtpunkte war ein imperiales oder ein republikanisches Kriegsschiff. Hier, dort, an mehren Stellen gleichzeitig loderten die grellweißen Feuerblumen explodierender Atomraketen auf, zuckten die gleißenden Strahlenbahnen der Schiffsgeschütze durch die Dunkelheit des Alls.
Und direkt vor ihnen lag der feindliche Schwere Kreuzer der Yankee-Klasse. Fast einen halben Kilometer lang, 27.500 Tonnen schwer, etwa 700 Mann Besatzung. Nach den feindlichen Flottenträger und den weitestgehend ausrangierten Schlachtschiffen die größte Einheit in der imperialen Flotte.
Die feindliche Geleitfregatte hingegen war um mindestens ein Drittel kleiner und leichter als ihr ‚großer Bruder’. Ihre Feuerkraft war nicht einmal annähernd zu vergleichen mit der Vernichtungskraft, über die der Kapitän des Yankees verfügte.
Und dennoch eröffnete die Fregatte als erste das Feuer.
„Verfluchte Scheiße!“ Das war Knock Out, der seine Maschine ein Ausweichmanöver fliegen ließ. Kano blieb stumm, er hatte genug damit zu tun, die ziemlich schwerfällige Maschine in eine Halbwende zu zwingen und Knock Outs Manöver nachzuvollziehen. Der Pilot mochte eine Schandschnauze sein, aber er beherrschte die Mirage.
„Ich orte acht, wiederhole ACHT Lasergeschütztürme und vier leichte Mehrfachraketenwerfer bei der Sierra. Dazu mehrere Impulslaser.“ Ticanos Stimme klang ruhig und kalt, als lese sie die Treibstoffanzeige bei einem Transitflug ab.
„Eine Flugabwehrfregatte.“ Das machte Sinn. Deshalb hielt sich die Sierra so nahe an dem Kreuzer. Im direkten Schlagabtausch mit einer terranischen Flottenfregatte hatte sie keine guten Karten. Aber als zusätzliche Flaksicherung des Yankee-Kreuzers konnte sie einen Jagdbomberangriff zu einem Höllenritt machen.
„Wir gehen ran, Newbie! Zangenbewegung!“ Knock Out ließ seinen Worten Taten folgen, und wieder hatte Kano Mühe, das Manöver nachzuahmen. Die Maschine war so schwerfällig!
„Peilung steht!“
„Einspeisung läuft!“
Wenigstens waren bisher noch keine feindlichen Jäger aufgetaucht. Die Kampflinien hatten sich immer weiter auseinander gezogen. Und die Akarii-Flieger hatten bereits ordentlich bluten müssen, dafür hatten die Flugabwehrschützen der TSN und die terranischen Piloten gesorgt. Da die Akarii außerdem auch noch ein paar Staffeln zum Schutz ihrer Flottenträger zurückhalten mussten, waren ihre Kampfflieger trotz zahlenmäßiger Überlegenheit ziemlich dünn gesät.
‚Wo bleiben Zapata und der Rest?’
Als hätte sie diesen Gedanken gehört, brachen die acht übrigen Mirages in einer offenen Formation aus dem Strahlungsgürtel hervor.
Fast im selben Augenblick informierte Kano ein schriller Alarmton, dass die Akarii ihn erneut aufs Korn genommen hatten.
„Wir werden angepeilt, Raketenradar. Da kommen sie.“ Jetzt klang Ticanos Stimme nicht mehr ganz so ruhig, aber sie blieb professionell: „Sechs Raketen, Einschlag in zehn Sekunden!“
Kano zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen und gab Gegenschub. Momentan hielt er sich außerhalb der Reichweite der feindlichen Schiffsgeschütze Es würde knapp werden. Zwölf Sekunden brauchten die Mavericks, um ein Ziel verlässlich aufzufassen – im Gefecht der Kampfflieger eine halbe Ewigkeit. Und solange die Mavericks sich einpeilten, solange war er dazu verdammt, die Maschine wie ein rohes Ei zu fliegen. Jedes radikalere Flugmanöver drohte, die Zielerfassung weiter zu verzögern. ‚ Es kann klappen. Es muss klappen!’
Er brachte seine Maschine in eine leicht gebogene Bahn: „Störmittel.“
Vermutlich war der Befehl überflüssig, jedenfalls feuerte Ticano eine ganze Salve von Täuschkörpern ab. Allerdings machte sich Kano keine Illusionen. Ohne ein paar radikale Flugmanöver würden die meisten feindlichen Raketen sich wohl kaum so einfach abschütteln lassen.
Er schaltete die Amraams und die Sparrows auf die feindliche Fregatte auf. Aber das war eine ziemliche sinnlose Geste. Zwar war er nahe genug, um sie abzufeuern, aber gegen den Schutzschild der Fregatte würden diese vier leichten Raketen nicht viel ausrichten. Er konnte sie erst abfeuern, wenn die gegnerischen Schilde bereits weitestgehend ausgeschaltet waren. Und das bedeutete… ’Das wird verflucht knapp!’
„Da kommen sie!“
Im selben Augenblick ertönte der erlösende Glockenton, und Kano schlug auf den Knopf für die Atomraketen, die Sparrows UND die Amraams. ‚Mal sehen, wie euch das schmeckt!’ „Raketen, Los! Los! Los!“ Gleichzeitig riss er den Steuerknüppel zu sich heran, während Ticano eine weitere Serie von Störkörpern abfeuerte. Dann löste sie die Heckgeschütze aus, und versuchte die rasch näher kommenden Flugkörper aufs Korn zu nehmen.
Der japanische Pilot betätigte den Nachbrenner und beugte sich instinktiv nach vorne, als könnte er so der Maschine eine noch größere Geschwindigkeit abzwingen. Die feindlichen Raketen mussten am Rande ihres Aktionsradios operieren. Wenn er nur ein wenig schneller war…
„EINSCHLAG!“ Die Doppelexplosion verwandelte Kanos Abschwung in einen Looping, und ein paar Augenblicke wusste er nicht mehr genau, wohin er eigentlich flog. Das schrille Heulen mehrerer Alarme zeigte, dass die Schilde der Mirage zumindest teilweise durchschlagen worden waren. Aber noch flog die Maschine, reagierte auf den Steuerknüppel. Kano erkannte, dass ihn sein Kurs auf die feindliche Flakfregatte zutrug, und automatisch flog er eine scharfe Kehre: „Ticano?!“
„Ich lebe noch. Ist nicht dein Verdienst! Wenn ich die eine Rakete nicht erwischt hätte…“, Die Bordschützin murmelte etwas, was Kano nicht verstand – vermutlich einen Fluch – und fuhr etwas ruhiger fort: „Eine Maverick abgefangen. Zweiter Marschflugkörper, Einschlag – jetzt.“ Irgendwo in der Dunkelheit des Alls blühte eine kurzlebige grellweiße Lichtblume auf. Das war alles. Wenige Sekunden später folgte eine zweite Explosion. Kano fühlte, wie eine Welle Adrenalin durch seine Adern flutete: „Ticano, was war das – eine Sekundärexplosion?“
Er glaubte zu spüren, wie sie den Kopf schüttelte: „Das war Knock Out. Hatte wohl auch nicht viel mehr Erfolg als wir.“ Offenbar hatte sie die Funkverbindung zu dem anderen Piloten geöffnet: „Knock Out, Wirkungstreffer?“
Der Second Lieutenant fluchte mörderisch: „So eine gottverfickte Scheiße, der Wichser kann aber einstecken! Hey, Newbie, vielleicht hättest du deine Eier mal etwas näher am Korb legen sollen?! Wenn du immer so früh abspritzt, kommst du nie bei einer Lady zum Zug!“
Ticano schnaubte abfällig: „Da kennst du dich wohl aus! Und ich habe nicht gesehen, dass du näher rangegangen bist!“
Kano räusperte sich. Er hatte noch etwas Schwierigkeiten, sich nach dem Adrenalinrausch des Angriffs auf die Manöverkritik zu konzentrieren: „Versuchen wir noch ein Anflug?“
„Und womit, Hotshot?! Wir haben kein Ass im Ärmel! Falls du mit deinen Bordkanonen etwas anrichten willst, dann viel Vergnügen!“
Kano schluckte die Erwiderung herunter, die ihm auf der Zunge lag, und konzentrierte sich auf seinen Radarschirm. Offenbar hatten er und Knock Out doch einigen Schaden angerichtet. Die Fregatte schien einen Großteil ihrer Schilde verloren zu haben und hatte die Geschwindigkeit gedrosselt. Aber immer noch feuerte sie aus allen Rohren – allerdings diesmal auf die Mirages, die Zapata gefolgt waren. Offenbar hatten auch diese ihr Ziel nicht erreicht. Laut Kanos Anzeigen war der schwere Kreuzer zwar angeschlagen, aber immer noch einsatzbereit. Unbeirrt, wenn auch mit gedrosselten Maschinen, rückte er vor. Die verringerte Geschwindigkeit der Führungsschiffe erlaubte es den etwas zurückhängenden Akarii-Zerstörern, aufzuschließen. Und wenn ihn seine Sensoren nicht täuschten…“Anfliegende Feindmaschinen, vier bis sechs Stück, vermutlich Bloodhawk.“
Aznars Stimme klang müde: „Rückzug, wiederhole, Rückzug! Wir müssen aufmunitionieren. Sammeln und Absetzen.“
Es widersprach Kanos Ausbildung und Naturell, einem zahlenmäßig unterlegenen Gegner den Rücken zuzukehren. Aber, wie er sich einmal mehr bewusst machen musste, er saß nicht in einer Nighthawk, und er hatte hier auch nicht das Kommando. Also sah er lieber zu, dass er zum Pulk der Mirages aufschloss. Jetzt waren sie nur noch neun. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass einer der Jagdbomber abgeschossen worden war. Er wusste nicht einmal, wer der Pilot war. Und es wäre irgendwie nicht…richtig gewesen, zu fragen.
Ein Blick zurück zeigte ihm, dass die Akariipiloten sich offenbar nicht nur auf die Nahsicherung ihrer Kriegschiffe beschränken wollten. Es waren vier Bloodhawks, die die Verfolgung aufgenommen hatten. Einige andere waren vielleicht bei dem Kreuzer zurückgeblieben – inzwischen erschwerte die Nähe des Strahlungsgürtels wieder die Ortung. Irgendwo an Steuerbord schossen ein paar TSN-Zerstörer und eine einzelne Fregatte aus allen Rohren auf die vorrückenden Akarii, wichen dabei allerdings immer weiter zurück. ‚Sie treiben uns in die Enge.’
„Ohka, aufschließen!“ Zapatas Stimme klang angespannt.
„Verstanden.“ Kano drehte den Kopf zu Ticano um: „Wie nah sind sie schon?“
Vielleicht lächelte die Bordschützin diesmal unter ihrem Helm: „Entspann dich, Ohka. Ich sag Bescheid, wenn sie uns im Nacken sitzen.“
„Beruhigend.“ Jetzt verfluchte er es, dass er die meisten seiner Raketen auf die Fregatte verschossen hatte. Die Sidewinder waren ausgesprochene Kurzstreckenraketen. Außerdem hatten sie eine unangenehm lange Aufschaltzeit, mussten auf das Heck des Gegners abgefeuert werden, und waren zudem mit konventionellen Täuschkörpern ziemlich leicht abzuschütteln. Nicht gerade die Waffe der Wahl, wenn man mit einer Mirage gegen eine Bloodhawk antreten wollte.
„Eagle Warriors, herhören! Die Bloodhawks sind auf 20.000 Klicks heran. Sie haben noch keine Raketen abgefeuert. Und sie haben uns auch nicht in der Raketenzielerfassung. Und das heißt…“
„Die haben sich verschossen!“ Das war Tank.
„Na toll, wir auch!“ Natürlich hatte Knock Out mal wieder etwas zu meckern: „Und was soll das?! Sollen wir uns gegenseitig die Pilotenhelme an den Kopf knallen, oder was schwebt dir vor, Chef?!“
„Um ihre Kanonen ins Spiel zu bringen, müssen sie sehr nahe ran. Wir machen folgendes…“
Kano war überrascht. Aber natürlich hatte Aznar Recht. Den Bloodhawks konnten sie nicht entkommen, und die HONGKONG war zu weit weg, um ihnen zu helfen. Es gab keine Reserven, keine freien Kräfte. Alles war an der Front. Nichts in der Hinterhand. Wo hatte er das bloß schon einmal gehört…
„Gegner 10.000 Klicks entfernt, schnell abnehmend.“ Ticano tippte leicht auf ihre Armaturen, und ein leichtes Summen informierte Kano, dass sie die Heckgeschütze ausgerichtet hatte: „8.000 Klicks.“
„JETZT!“ Die Jagdbomber spritzten auseinander, ähnlich wie bei einem staffelweise geflogenen Ausweichmanöver. Allerdings diente dieses Manöver nicht der Flucht, sondern dem Angriff. Kano hätte das Von-Bein-Manöver fast verpatzt, weil er immer noch mit der vergleichsweise trägen Steuerung zu kämpfen hatte, aber dann erklang doch der leise Signalton der Zielerfassung und er drückte auf die Feuerknöpfe der Bordkanonen. Die Jagdbomber nahmen paarweise die mit Höchstgeschwindigkeit heranjagenden Akarii-Jäger aufs Korn, die von diesem Manöver kalt erwischt wurden. Dem Sperrfeuer von sechsunddreißig Bordgeschützen ausgesetzt, waren die agilen Bloodhawks auf einmal in einer ziemlich ungünstigen Lage.
Aber auch die Akarii waren keine Anfänger. Ihre Schilde waren aufgeladen, und auch die Mirages hatten kaum noch Raketen.
Die Akariis flogen keine Kehre. Stattdessen aktivierten sie ihre Nachbrenner, um so schnell wie möglich die Feuerzone zu überbrücken. ‚Die wollen in den Nahkampf!’ Kano aktivierte die Steuerdüsen und versuchte, die Maschine um ihre eigene Achse zu drehen, ohne dabei den Feindjäger aus der Zielerfassung zu verlieren. Auf der Typhoon oder der Nighthawk hatte er dieses Manöver perfektioniert. Aber natürlich klappte es diesmal nicht. Er verlor die angeschossene Bloodhawk aus dem Visier. Beinahe hätte er den Kopf gegen die Cockpitverglasung gestoßen, als Ticano hinter ihm die beiden Heckgeschütze auslöste und eine lang gezogene Salve ins All jagte. Als einer der Feindjäger die Mirage passierte, eröffnete der feindliche Pilot seinerseits das Feuer, und einmal mehr wurde Kanos neue Maschine brutal durchgeschüttelt. Der misstönende Chor der Alarmtöne schien sich noch zu verstärken. Als Kano endlich den Bug seiner Maschine wieder in Deckung mit dem Feindjäger gebracht hatte, entfernte der sich schon mit Höchstgeschwindigkeit – zu weit für einen präzisen Schuss. Aber da waren noch die Sidewinder. Kano wartete ungeduldig, bis die Raketen das Ziel erfasst hatten, dann schickte er sie raus.
Das Ergebnis entsprach allerdings seinen skeptischen Erwartungen. Eine der mit Infrarotsuchköpfen ausgestatteten Raketen explodierte an einem IR-Täuschkörper. Die andere Rakete hingegen vollzog das Ausweichmanöver des Akarii nach, schloss zu der davon rasenden Feindmaschine auf…
Und verschwand auf Nimmerwiedersehen im All, als der Akarii sich mit einem weiteren Ausweichmanöver und dem Einsatz des Nachbrenners aus der Reichweite der Sidewinder katapultierte. ‚Drecksdinger.’
Wie von Zapata vorher angeordnet, bildeten die Mirages währenddessen eine offene Abwehrformation. Sie setzten den feindlichen Maschinen nicht nach. Das wäre aussichtslos gewesen, außerdem hätten die Mirage dabei leicht ihren einzigen Vorteil verlieren können – ihre Geschlossenheit.
Kano sah, wie die Akarii einen Bogen flogen, sich wieder näherten – abrupt abdrehten und mit Höchstgeschwindigkeit dem Rand des Strahlungsgürtels entgegenstrebten. Der Pilot lächelte kurz, fast verwundert: „Die Imperialen sind aber auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so leicht aufgeben.“
Ticano schnaubte kurz: „Orientiere dich mal kurz nach Zwei Uhr.“
Erst jetzt registrierte Kano die neuen Signale, die auf dem wieder von Störungen überlagerten Radarschirm aufgetaucht waren. Ein Quartett Raumjäger, und dahinter der unverwechselbare, kantige Rumpf der HONGKONG.
Der japanische Pilot lächelte kurz, doch dann runzelte er die Stirn: „Aber wenn die HK auf unseren Radarschirmen zu sehen ist…“
„Ja. Dann haben auch die Akarii sie gesehen. Sie konnten sich vermutlich sowieso denken, dass hier irgendwo einer unserer Träger steht, aber jetzt WISSEN sie es. Und sie wissen auch, WO. Ich denke, dass die Akarii deshalb den Kampf abgebrochen haben. Sie werden ihre Großkampfschiffe alarmieren und sie einweisen. Vielleicht mobilisieren sie sogar ihre Reserven.“
‚Das macht Sinn. So würde ich es machen. Jetzt haben sie ein Ziel. Gewiss, sie haben nicht mehr genug Bomber und Jabos, um die HONGKONG auszuschalten. Aber sie haben immer noch ihre Kriegschiffe. Und wenn sie schnell genug hier einen Schwerpunkt bilden können…’
Offenbar war Aznar zu einem ähnlichen Urteil gekommen, denn seine Stimme klang hart: „Maximalschub. Ich will diese Staffel in ein paar Minuten wieder im Raum haben. Und dann sollte jemand wohl besser die HONGKONG informieren. Es wird knapp.“
Diesmal hatte nicht einmal Knock Out noch eine Bemerkung auf Lager.
Cattaneo
Cattaneo
Der Tod muss müde sein
Sturmshuttle R-3, im Nahbereich des Sprungpunktes
Die Explosion schüttelte das kleine Raumschiff brutal durch. Eigentlich sollten die Sicherheitsgurte verhindern, dass Piloten wie First Lieutenant Robert Stanford mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett knallten, was meistens Fleischwunden, oft auch eine gebrochene Nase oder Schlimmeres bedeuten konnte. Doch der Brite hatte die Gurte gelockert, um sich besser bewegen zu können – die Manöver, die er in der letzten halben Stunde geflogen war, verlangten herkulische Kräfte und die Beweglichkeit eines Akrobaten, vor allem da selbst ein Sturmshuttle für diese Pirouetten eigentlich nicht geschaffen war. Sein Entschluss, Sicherheit der größeren Beweglichkeit zu opfern, rächte sich nun. Mit einem vagen Gefühl des unwirklichen Schreckens sah der Pilot das Armaturenbrett auf sich zurasen, und schloss unwillkürlich die Augen vor dem zu erwartenden Schlag. Der blieb jedoch aus. Während er noch misstrauisch zögerte, die Augen wieder zu öffnen, erhielt er einen groben Knuff gegen den Oberarm. Die Stimme seiner Copilotin klang in etwa so erledigt, wie er sich fühlte, aber voll gewohnter Bissigkeit: „Wenn du dich entschlossen hast, ein Nickerchen zu machen, dann hättest du das sagen sollen – dann hätte ich mir die Mühe sparen können, dich festzuhalten!“
Der First Lieutenant machte gehorsam die Augen wieder auf. Tatsächlich – seine Kollegin hatte ihm mit einem blitzschnellen Griff vor Schlimmerem bewahrt. Er grinste matt: „Danke. Offenbar bedeute ich dir wirklich etwas.“
Maria Hernandez schnaubte nur: „Wenn du dir schon die Nase brechen und ein paar Zähne verlieren willst, dann übernehme ich das lieber persönlich.“
Unvermittelt wurde sie wieder ernst: „Das war die letzte verdammte Rakete.“ Stanford atmete gequält aus: „Einhundert sind ja auch wirklich genug.“ Das war natürlich übertrieben, aber seitdem sie an einem koordinierten Angriff auf die Radarshuttles der Akarii teilgenommen hatten, bei dem die „Behelfskämpfer“ der Relentless zwei feindliche Einheiten abschossen, waren die Echsen endgültig auf die neue Taktik der Menschen aufmerksam geworden. Ihre Jäger und Flakschiffe konzentrierten sich zwar noch immer auf die Kampfflieger, aber sie reagierten weitaus aufgeschlossener als zuvor auf die Chance, ein menschliches Shuttle abzuschießen. R-3 hatte sich gerade so von einem feindlichen Zerstörer absetzen können. Der gegnerische Kapitän hatte offenbar gemeint, einige leichte Raketen für Stanford und seine Kameradin verschwenden zu können. Inzwischen war R-3 außer Schussweite seines Gegners, sah aber ziemlich wüst aus. Nicht nur, dass die Hälfte der Schilde ausgefallen waren, und erst langsam wieder aufbauten. Auch die Panzerung hatte einiges abgekriegt, und die Manövrierfähigkeit des Shuttles war um 20 Prozent gesunken. Normalerweise wäre das Grund genug für den Rückzug gewesen – aber was war in diesem Krieg, dieser Schlacht schon normal?
Commodore Mithel hatte seine zusammengewürfelte Streitmacht erneut gesammelt, nachdem der erste Angriff der Akarii abgeschlagen worden war. Dem Commodore war klar gewesen, dass ein erneuter Vorstoß des Gegners nur eine Frage der Zeit war. Es wäre vernünftig gewesen, sich zurückzuziehen, obwohl das Gedränge am Sprungpunkt für einen energischen Verfolger immer eine Verlockung war, und man nie sicher seien konnte, wie schnell der Feind hinterherkam. Aber Mithel ging es hier vor allem darum, den feindlichen Flottenverband als Bedrohung für das menschliche Hinterland auszuschalten. Zu dieser Strategie hatte man sich entschlossen, und Wankelmütigkeit gehörte nicht zu der nicht eben kurzen Liste von Untugenden des Commodore. Deshalb hatte er die schwer angeschlagenen Schiffe in die zweite Reihe beordert, erneut Vorpostenshuttles losgehetzt, und die Kampflinie auseinander gezogen. Er plante, den feindlichen Vorstoß ins Zentrum zu lenken, den Gegner dann von den Flanken zu umfassen und ihn mit Hilfe der aufmunitionierten Jäger zurückzuschlagen. Drei der Aufklärungsshuttles waren verloren gingen, aber um den Preis ihres Verlustes waren die Menschen vorgewarnt und kannten den ungefähren Angriffsvektor der kaiserlichen Schiffe. Noch immer hatten die Einheiten der TSN einen Informationsvorteil durch die Dauntless. Aber dieser Vorteil allein sicherte noch lange nicht den Sieg, ebenso wenig der Umstand, dass auch die Echsen abgekämpft und geschwächt waren.
Als die Akarii erneut anrückten, entschloss sich der Commodore, jede Rücksicht fallen zu lassen. Natürlich nicht Rücksicht auf den Feind – die kannte er ohnehin nicht, jenseits dessen, was im Dienstreglement stand. Aber auch für seine eigenen Untergebenen ging er jetzt aufs Ganze. Die kampffähigen Shuttles der Fregatten, Zerstörer und Kreuzer bekamen nun wirklich ihren Platz an vorderster Front. In Jagdgruppen von jeweils einem halben Dutzend sollten sie anfliegende Raketen, Bomber und wenn möglich auch Sturmjäger bekämpfen.
Das war ein mehr als riskantes Unterfangen, denn die gegnerischen Schlachtflieger waren nicht nur wendiger als jedes TSN-Shuttle, sie waren auch wesentlich besser bewaffnet. Nur in Punkto Panzerung und Schilden konnten die Sturmshuttles und ihre Verwandten mithalten. Außerdem waren ihre Piloten bei weitem nicht so gut für diese Art Kampf ausgebildet. Dafür waren sie etwas ausgeruhter als die Akarii, die inzwischen den zweiten oder dritten Kampfeinsatz in relativ kurzer Zeit hintereinander flogen.
R-3 hatte sich zwar bisher keinen vollwertigen Abschuss gesichert, aber bei der Vernichtung eines Akarii-Spähshuttles assistiert und sogar – zum nicht geringen Stolz von Maria Hernandez, die wie stets als Bordschützin fungierte – während des ersten Angriffs der Akarii drei feindliche Marschflugkörper aus dem All fegen können. Was sich mehr anhörte, als es wirklich war, denn selbst ein Zerstörer der TSN oder der Akarii konnte theoretisch ein paar Dutzend dieser Geschosse in der Minute abfeuern.
Robert Stanford bemühte sich, wieder einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen. Im Augenblick befand er sich in einer kampffreien Zone, die Gefechte hatten sich etwas verlagert. Der Vorstoß der Akarii gewann immer mehr an Raum, aber noch gab es etwas Bewegungsfreiheit. Blieb die Frage, wie lange noch. Die ständige Maximalbelastung und das Fliegen unter Adrenalin zehrten an seinen Kräften, wie die schnellen Flugmanöver am Treibstoffvorrat seiner Maschine. „Hier R-3, ich rufe die übrigen Maschinen der R-One. Frage Status?“
Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann kamen die Antworten. Als erstes meldete sich der Chef der Staffel. Sebastian Lefranque klang noch so frisch wie zuvor: „Sollte das nicht mein Text sein? Nur weil du mein Vize bist, Rob, heißt das noch lange nicht, dass du meinen Job haben kannst.“
Aber selbst die betont lässige Professionalität des Commanders konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dieser bis zum Äußersten erschöpft war. Eines seiner „Kampfshuttles“ war zerstört worden, ein zweites wurde vom Copiloten zurückgeflogen, ob die Pilotin durchkam, war ungewiss. Unter den anderen, Lefranques Maschine eingeschlossen, gab es keines, das nicht schon die eine oder andere Blessur aufgewiesen hätte. Der Munitionsvorrat der Raketenwerfer war empfindlich zusammengeschmolzen.
Die anderen Shuttles bestätigen mit etwas Verspätung gleichfalls ihre Einsatzbereitschaft – was das auch immer bedeuten sollte. Der Commander zögerte nur für einen Augenblick, dann erklang seine Stimme wieder so souverän wie immer: „Also, Abfangformation an der Sprungpunktseitigen Flanke der Formation. Rob, an meine Seite. Feuerbefehl abwarten – Beschleunigen auf mein Zeichen hin. Drei…Zwei…Eins – LOS!“
Die gedrungenen Shuttles setzten sich in Bewegung, kampfgezeichnete Veteranen auf dem Weg zum nächsten Gefecht, das vielleicht ihr letztes werden würde.
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Träger Hongkong
Second Lieutenant Sir Evan Harold Alexander alias Knight bot momentan einen Anblick, den man kaum als ersprießlich bezeichnen konnte. Der hoch gewachsene und sportliche Pilot hockte wie ein Häufchen Elend auf einem Stuhl, in eine Heizdecke gehüllt, und klapperte nach Kräften mit den Zähnen. Das war offensichtlich nicht nur eine leichte Unterkühlung. Seine Gesichtsfarbe war unnatürlich bleich und seine Hände bandagiert. Um die Augen lagen Schatten, die von mehr als Erschöpfung kündeten. Eigentlich hätte es nicht so kommen sollen. Er hatte seinen wracken Jäger sicher zur Hongkong zurückgebracht, nun ja, zumindest fast. Ein paar Dutzend Kilometer vor dem Schiff hatte der Antrieb versagt, schlagartig waren die Systeme an Bord ausgefallen. Die Gefechtsschäden hatten sich letzten Endes als zu schwer erwiesen. Glücklicherweise hatte es nur ein paar leichte Kurzschlüsse gegeben, als sich die Elektronik verabschiedete, keinen Stromschlag oder Kabinenbrand. Aber der Jäger war klinisch tot gewesen.
Knight hatte die Anweisung bekommen auszusteigen, um sich aufsammeln zu lassen. An eine Bergung des Jägers war im Moment nicht zu denken. Die Shuttles hatten genug zu tun. Zähneknirschend hatte der Pilot gehorcht. Er gab den eigenen Jäger nicht gerne auf, außerdem würde er so seine Wette gegen La Reine verlieren. Aber Befehl war Befehl, und er konnte nachvollziehen, dass die Hongkong im Moment bestimmt keinen weiteren schrottreifen Havaristen im Hangar brauchte. Bergungseinsätze kosteten Zeit. Er war also ausgestiegen, schön vorsichtig – und hatte sich kurz darauf verflucht. Denn das Shuttle, das ihn einsammeln sollte, war nicht gekommen. Wie man ihm später erklärt hatte, hatte es dringend zu einem anderen Einsatzort fliegen müssen. Offenbar war ein Zerstörer havariert gewesen und hatte dringend Hilfe benötigt. In dem allgemeinen Durcheinander hatte man ihn einfach vergessen, so unglaublich das klang. Erst als Marine an Bord der Hongkong beim Klarmachen ihres Jägers nach Knights Verbleib gefragt hatte, war sein Fehlen aufgefallen. Und erst dann, unmittelbar vor dem zweiten Angriff der Akarii, hatte man ihn aufgefischt. Zu dem Zeitpunkt hatte er sich bereits eine schwere Unterkühlung und leichte Erfrierungen zugezogen, denn seine Heizung musste bei seinem Ausstieg etwas abbekommen haben.
Ohne die gute Isolierung des Anzuges…er mochte gar nicht daran denken. Im All zu sterben war schon schlimm genug, aber dann auch noch an Vergesslichkeit eines anderen – das war der Gipfel! Marine hatte ihn nur kurz angesehen, und dann fürs erste „beurlaubt“. Es waren sowieso nicht genug Jäger für alle Piloten da, und einen Flieger, dessen Körper und Nerven am Ende waren, konnte sie nicht gebrauchen. Damit bestand ihre Sektion nur noch aus ihr und Sokol, zwei von vorher vier Maschinen. Aber die hatte sie erneut in den Kampf geführt. Knight blieb nichts als Untätigkeit. Er war kein Feigling, denn Feiglinge wurden nicht zu Assen. Aber er brauchte nur die Augen zu schließen, um die schwarze Leere des Alls zu sehen, durch das er trieb. Und diesmal kam keiner, um ihn zu holen…
Der Gedanke genügte, um ihm den Schweiß auf die Stirn zu treiben und seine Knie weich werden zu lassen, obwohl er doch gleichzeitig vor Kälte zitterte. Second Lieutenant Sir Evan Harold Alexander spürte Todesangst, viel mehr als in irgendeinem Luftkampf oder während seiner Dienstzeit auf Pandora.
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Zentrum der terranischen Schlachtlinie
In gewisser Weise bildeten die zwei Kreuzer Dauntless und Relentless in dieser Schlacht ein Zwillingspaar, auch wenn jeder der Kapitäne diese Unterstellung strikt von sich gewiesen hätte. Es gab wenige Kommandeure, die weniger gemeinsam hatten, als Commodore Mithel und Captain Gonzales. Wo die Relentless ein Schiff einer inzwischen bekannten und bereits bei Kriegsausbruch verbreiteten Klasse war, da war die Dauntless Prototyp einer neuen Reihe gewesen. Und wo die Relentless ein Kämpfer war, der hart austeilte und viel einstecken konnte, inzwischen mit einer ganzen Reihe beeindruckender Siege, war die Dauntless ein eher elegantes Werkzeug, unübertroffen in dem, wofür sie entworfen worden war, nämlich dem Einsatz gegen Jäger und Marschflugkörper. Folge dieser Spezialisierung war freilich eine Schwäche in anderen Dingen, wie dem direkten Kampf gegen Großkampfschiffe. Seite an Seite jedoch waren sie ein fürchterliches Gespann. Der Commodore hatte das erkannt, und deshalb das Zentrum der Schlachtlinie um dieses Gespann herum aufgebaut. Flankierend standen die übrigen schweren Kreuzer, die Kami, Repulse und die Kinugasa, unterstützt durch die leichteren Kreuzer, die Fregatten und Zerstörer. Die Schlachtlinie war weit auseinander gezogen worden, aus Notwendigkeit wie aus Kalkül. Mithel hatte sich dafür entschieden, eine Wiederholung des Sieges über die Kreuzer der Akarii zu versuchen. Er rechnete mit einem wuchtigen Stoß im Zentrum seiner Formation, da schon die erschwerte Kommunikation es für den Gegner ratsam erschienen ließ, sich eng beieinander zu halten. Sein Zentrum sollte daraufhin zurückweichen, und so den Flügeln Gelegenheit für einen Flankenangriff bieten. Falls die Akarii nicht auf ähnliche Gedanken kamen...
Dabei setzte der Commodore auf die überlegenen Sensoren und Kommunikationstechnik der terranischen Flotte, und auf die angeschlagene Kampfmoral der Akarii, die inzwischen die meisten ihrer Kreuzer durch Vernichtung oder schwere Beschädigung verloren hatten.
Doch es würde knapp werden, sehr knapp. Mehr als eines der menschlichen Schiffe war ebenfalls bereits in den vergangenen Gefechten beschädigt worden und musste sich nun zurückhalten. Die angeschlagenen Einheiten gänzlich zurückzuziehen, das konnte sich Mithel jedoch einfach nicht leisten. Sie würden aus der zweiten Linie vor allem mit ihren Langstreckenraketen eingreifen, eventuell gelenkt von Zielangaben ihrer Kameraden. Ein Stück weit nach hinten versetzt stand das, was der Commodore als letzte Reserve für den Flankenstoß zurückhalten wollte. Oder als „Triarier“, als dritte Schlachtreihe, die im letzten verzweifelten Augenblick ins Treffen geworfen werden konnte.
Zentrum dieses „Verbandes“ war die Lupo, ein schwerer Kreuzer des Hongkong-Verbandes, der durch einen Norfolk-Zerstörer und zwei Perry-Fregatten unterstützt wurde. Das war nicht viel, im Grunde eigentlich so gut wie gar nichts bei einer Schlacht dieser Größenordnung. Aber der Commodore hatte es sich einfach nicht leisten können, mehr als diese Schiffe zurückzuhalten. Ein zusätzlicher leichter Kreuzer, mehr Zerstörer – das war einfach nicht drin. Sie standen nun etwas seitlich der Hongkong, bereit, nötigenfalls den Träger zu unterstützen oder zum Sturmangriff vorzustoßen. Die Hongkong selbst war gewissermaßen auch Teil der letzten Reserve, hatte sie doch eine Feuerkraft, die sich fast mit der eines leichten Kreuzers messen konnte, und war gut mit Schilden und Panzerung geschützt. Das Schicksal der Wasp und von so manch anderem Majestic-Träger bewies jedoch mehr als deutlich, dass dieser Schutz oft nicht ausreichte.
Die Aufgabe der zwei Kreuzer in der kommenden Schlacht war klar. Wo sie standen, würde der feindliche Angriff mit voller Wucht erfolgen. Mithel hatte sonst keine Hemmungen, im Interesse operativer Effektivität andere Schiffe zu exponieren, auch wenn er nicht aus gewöhnlicher Angst so gehandelt hätte. Doch diesmal hatte er sich – nicht zum ersten Mal – entschlossen, die gefährlichste Aufgabe selbst zu übernehmen, ungeachtet der Risiken und des Umstandes, dass sein Ausfall für die Koordination der menschlichen Flotte negative Folgen haben konnte.
Aber er traute der Repulse und der Kami nicht so, wie er seinem eigenen Schiff traute. Außerdem war die Kami über Tukama beschädigt und seitdem nicht wieder vollständig repariert worden. Die Lupo und ihren Kapitän kannte er zu wenig, und die Kinugasa war ein schon älteres Modell und an Kampfkraft seinem eigenen Schiff unterlegen. Der Einsatz der Relentless war deshalb einfach eine logische Schlussfolgerung. Außerdem bot diese Position der Vorteil, mit der Dauntless an seiner Seite bestmöglich geschützt zu sein und dank ihrer Sensoren und Kommunikationsanlagen einen geringfügigen Trumpf im Ärmel zu haben. Er würde früher als sein Gegner wissen, wo sich etwas tat, und er würde schneller darauf reagieren können, mit geringerem Risiko, dass ECM und natürliche Störungen seine Befehle abfingen. Wie zuvor würden Sensorshuttles als Relaisposten fungieren. Die gewählte Strategie bedeutete allerdings ein erhebliches Risiko, doch dies war bei dieser Operation von Anfang an der Fall gewesen. Und sein Plan kettete ihn gewissermaßen an die Dauntless. Würde diese ausfallen, wäre die Kommunikation zu den Flanken und Reserveschiffen bestenfalls zweifelhaft. Die Spähshuttles alleine konnten höchstens notdürftig den Flakkreuzer ersetzen – vielleicht aber auch gar nicht.
Commodore Mithel wusste dies alles mit Sicherheit, und Captain Gonzales begriff es ebenfalls. Obwohl sie nie so etwas wie Freunde gewesen waren und wohl auch nie werden würden, arbeiteten sie schon seit Jahren zusammen, wenn auch nicht immer ohne Spannungen. Beide wussten, was sie vom jeweils anderen zu erwarten hatten.
An Bord der Dauntless herrschte das übliche geschäftige Durcheinander, während die Anzeigen auf den Bildschirmen und Taktikdisplays sich ständig veränderten. Alarmsignale heulten auf, Feuerbefehle wurden gegeben und bestätigt, Erfolgsmeldungen liefen ein. Einmal war so etwas wie ein gequältes Aufstöhnen zu hören, als auf den Bildschirmen das Symbol des Zerstörers Westmoreland aufflackerte und erlosch. Eine Sekunde und der quasi synchrone Einschlag eines halbes Dutzend von Atomraketen hatte das stolze Schiff einfach ausgelöscht. Aber sofort ging der Dienstbetrieb weiter, für Trauer war keine Zeit. Die Dauntless hieb um sich, allerdings glich sie im Moment eher einem Kämpfer, der mit wirbelndem Schild und Schwert Pfeile und Wurfgeschosse des Gegners aus der Luft pflückte – um selbst zuzuschlagen fehlte die Zeit. Die Laserkanonen wurden gebraucht, um Raketen des Feindes abzuwehren, nicht nur zum Selbstschutz, sondern mehr noch, um die Relentless und andere Schiffe zu unterstützen. Ungeachtet der feindlichen ECM und der ungünstigen Umgebung hatte die Dauntless ein relativ gutes Bild vom feindlichen Flottenverband, der jetzt unerbittlich erneut vorstieß, hinein in die „blinde Zone“ des Wurmlochs.
Diesmal sah es nicht so aus, als ob sie vorhatten, sich noch einmal stoppen zu lassen. Die Langstreckenraketen des Flakkreuzers wurden schon längst nicht mehr gegen feindliche Großkampfschiffe eingesetzt. Ihre Feuerkraft war zu gering, und man würde sie noch dringend gegen Raketen und Jäger brauchen. Die Echsen hatten die vergangene reichliche halbe Stunde genutzt, und ihre verbleibenden Kampfflieger zumindest teilweise wieder aufmunitioniert und aufgetankt. Wütend griffen sie an die verbliebenen terranischen Jäger an, schossen sich mit den TSN-Shuttles herum oder attackierten angeschlagene Großkampfschiffe.
Aber die wichtigste Rolle in diesem Gefecht lag bei den Kriegsschiffen des Imperiums.
Wie immer hatten die Marschflugkörper das Gefecht eröffnet, obwohl sich die Vorräte auf beiden Seiten langsam dem Ende zu neigten. Es gab diesmal keine vorausfliegenden Bombergeschwader, die den Kriegsschiffen den Weg bereiteten. Beide Seiten hatten viele, zu viele ihrer Bomber verloren. Die leichten Jagdbomber, von denen Akarii und Menschen noch einige hatten, wurden eher auf Punktziele eingesetzt und kämpften angesichts der Vielzahl von großen und gut bewaffneten Schiffen um ihr Leben. Inzwischen waren sogar mehr Shuttles unterwegs, als Jagdbomber und Bomber.
Captain Gonzales hatte eine vergleichbare Szenerie schon oft erlebt. Gut, diesmal war die Sensorreichweite vielleicht reduziert und die Schlacht ziemlich ausgewogen. Er wusste, hier gehörte er hin, in den Sessel eines Kreuzers. Mochten andere nach dem Posten eines Commodore und mehr streben, das interessierte ihn vergleichsweise wenig. Je höher man aufstieg, desto mehr musste man sich mit Verwaltungskram beschäftigen, verlor den Kontakt zu den Untergebenen, lebte nur noch für die Intrigen in der Flotte und Politik, die manchmal so unerbittlich toben konnten wie der Überlebenskampf im Dschungel von Pandora. Nein, das war nichts für ihn. Seine Befehle hier genügten ihm, denn sie bewirkten noch etwas. Und er kannte die Gesichter der Männer und Frauen um ihn.
„Gegner im direkten Angriffskurs!“ bellte einer der Ortungsoffiziere. Auf dem Bildschirm schoben sich zwei Kilo-Kreuzer nach vorne. Ihre Strahlengeschütze trommelten auf die Relentless ein, während die Werfer Dutzende von Raketen spieen.
Gonzales warf nur einen kurzen Blick auf die Anzeigen, da gab er auch schon seine Befehle: „Laserkanonen und Mittelstreckenraketen – Sperrfeuer auf meinen Befehl – JETZT!“ Die leichten Werfer der Dauntless konnten 60 Amraam auf einmal abfeuern, dazu kamen 15 schnellschießende Laserkanonen. Gekoppelt mit den Zielcomputern des Flakkreuzers war dies eine beeindruckende Feuerkraft. Die feindlichen Marschflugkörper flogen in einen wahren Vernichtungssturm, der von der Relentless und ihren Shuttles noch verstärkt wurde. Gonzales grinste in seinen Bart – das musste ziemlich frustrierend für den Feind sein, seine kostbaren Atomraketen so zu verschwenden. Doch sein kurzzeitiger Triumph verging schnell, als ein Alarmschrei über die Brücke gellte: „Zielerfassung Feindkreuzer läuft!“
Die zwei Kilo hatten sich leicht gedreht. Längst waren ihre Schilde vom erbarmungslosen Feuer der Relentless geschwächt, doch sie steckten nicht zurück. Sie verzichteten darauf, ihre Atomraketen gegen die Dauntless einzusetzen. Stattdessen füllte sich der Raum zwischen den drei leichten Kreuzern mit einmal mit Energiebahnen. Die Kilo waren für Kreuzer ihrer Klasse gut bewaffnet, und verfügten nicht nur über je zwölf schwere Laserkanonen, sondern auch über vier Tachyonengeschütztürme. Die Schiffsvariante dieser Geschütze hatte zwar eine geringere Reichweite als die normalen Schifflaser und lud langsamer nach, was sie zur Jägerabwehr disqualifizierte. Aber sie waren sehr durchschlagskräftig. Nur die Partikelgeschütze der kaiserlichen Marine hatten eine noch größere Feuerkraft.
„Ausweichmanöver!“ brüllte Gonzales, während er sich gleichzeitig an seinen Sessel klammerte. Die Manöver- und Schubdüsen der Dauntless leuchteten auf und katapultierten das gewaltige Schiff mühelos durch den Raum. Es schoss nicht nur nach vorne, nein, mitten in der Bewegung drehte es sich in einer Korkenzieherrolle zur Seite weg, unablässig Täuschkörper ausstoßend. Das leistungsfähige ECM tat sein Bestes, die feindliche Zielerfassung zu verwirren. Der tödliche Taychonenbeschuss der Akarii – die diese Geschütze auf maximale Entfernung abgefeuert hatten – ging daneben, so sehr die Kanoniere auch versuchten, ihren Fehler auszugleichen. Und auch ein Teil der Laser trafen nur leeren Raum – und ein Shuttle der Menschen, das mit brutaler Beiläufigkeit aufgeschlitzt wurde wie ein kleiner Fisch durch einen Messerhieb. Die Energielanze des Tachyonengeschützes ging einfach durch Schilde, Panzerung und Hülle durch und schnitt das kleine Raumschiff praktisch in zwei Hälften.
Weder Captain Gonzales noch seine Brückencrew waren noch dadurch zu beunruhigen, dass sich die Anzeigen auf dem Monitor, der die feindlichen Schiffe im Verhältnis zur Schiffsachse zeigte, in einer Art und Weise veränderten, die auch starke Männer und Frauen umgehauen hätte. Die Dauntless trieb momentan kopfüber durch den Raum, rotierte dann weiter, so dass die feindlichen Schiffe seitlich wegdrifteten. Gonzales nahm dies nicht einmal mehr bewusst wahr. Was er sehr wohl wahrnahm, war die pure, reine Energie, welche die Flanken seines Schiffes einhüllte. Nicht alle feindlichen Kanoniere hatten ihr Ziel verfehlt. Durch die Eigenrotation der Dauntless verteilte sich das Feuer auf verschiedene Schilde, doch ewig würde dies nicht funktionieren. Die Einschläge, der Zusammenprall von Waffen- und Schildenergie ließ das Schiff zittern wie in einem epileptischen Anfall: „Lasergeschütze –Ziel auf den vorderen Feindkreuzer – auf mein Zeichen feuern! Achtung…ab…“ In diesem Moment erklang die Stimme Mithels über den Bordfunk: „Dauntless, Feuererfassung Rot eins, aber noch nicht schießen!“ Gonzales knurrte irgendetwas eindeutig nicht druckreifes, doch er gestikulierte zum Waffenoffizier: „Feuerfreigabe abwarten!“ Eine weitere Salve des Feindes erschütterte die Dauntless, Alarmschreie gellten auf: „Schilde auf zwanzig Prozent! Fünfzehn – und weiter fallend!“ Der Captain öffnete schon den Mund, um eigenmächtig den Angriff zu befehlen, doch da war schon Mithels Stimme zu hören: „Auf mein Zeichen – FEUER!“
Die Geschütze der Dauntless machten den Auftakt zu einem wahren Konzert der Vernichtung. Sie erfassten den Akarii-Kreuzer, ließen seine geschwächten Schilde kollabieren. Die Breitseiten der Relentless stießen hinterher, und dann mischten sich auch noch zwei Zerstörer ein. Zugleich schossen die Zerstörer und Mithels Schiff eine Salve Atomraketen nach der anderen auf den zweiten Kilo-Kreuzer ab. Der konnte nicht mehr tun, als nach Möglichkeit auszuweichen. Seinem Kameraden helfen konnte er nicht mehr.
Als eine Atomrakete die Schilde teilweise durchschlug, ließ der feindliche Kommandeur sein Schiff rotieren, so dass es den Menschen die noch intakte Seite zuwandte, und zog sich zurück – allerdings nicht weit. Dabei feuerte er unablässig weiter.
Der andere Kreuzer hatte nicht soviel Glück. Die Laserkanonen der Dauntless, Relentless und der Zerstörer zerrten an ihm wie Hunde an einem Stück Wild. Und dann hatten sie ihr Opfer zu Boden gerungen. Trümmerteile, vielleicht auch gefrierende Körper, trieben in das Dunkel des Alls hinaus, Geysiren gleich strömte die Atemluft aus dem aufgerissenen Leib. Rettungskapseln lösten sich in dem Versuch, dem sterbenden Koloss zu entfliehen. Das vordere Drittel des Akarii begann sich vor den Augen der Betrachter praktisch aufzulösen. Entlang der Schnittstellen, wo Laserstrahlen wie glühende Messer durch Stahl, Kunststoff und Fleisch geschnitten hatten, platzte die Außenhülle auf, interne Explosionen und die Dekompression rissen die Hülle noch weiter auf.
„Sir – Vampire peilen uns an!“ Captain Gonzales riss sich schlagartig von dem Anblick des besiegten Gegners los. Natürlich – die Schlacht war ja noch nicht vorbei. Schon war zu erkennen, wie feindliche Zerstörer vorstießen, den zweiten Akarii-Kreuzer aufzunehmen. Sie und der Flüchtling schossen – mindestens zwanzig Marschflugkörper befanden sich auf dem Weg zur Dauntless, und es wurden immer mehr. Der Captain der Dauntless lächelte nur geringschätzig. Er hatte erlebt, wie sein Schiff schon mit wesentlich schwierigeren Umständen fertig geworden war. Wenn sie ihre volle Feuerkraft auf die Abwehr konzentrierte, konnte die Dauntless mehr als 60 Raketen und 20 Energiewaffen aufbieten, koordiniert von einem leistungsfähigen Zielradar: „Zielerfassung – SM-System aufschalten. Impulslaser und Lasergeschütze bereit…!“
Die Langstreckenraketen des Flakkreuzers eröffneten als erstes das Feuer, doch schon bald fielen die anderen Waffen ein. Eine nach der anderen wurden die Marschflugkörper aus dem All gefischt, mit einer geradezu routinierten Lässigkeit. Es war schon abzusehen, dass kaum einer durchkommen würde. Der Kapitän nickte einmal mehr zufrieden: „Auf volle Kraft gehen – aufschließen zur Relentless.“ Doch noch bevor die Bestätigung kam, heulte der Zielerfassungsalarm auf. Einer der Ortungsoffiziere drehte sich um, das Gesicht bleich: „Feuererfassung, 5.000 Kilo…“ Weiter kam er nicht mehr. Draußen, in der Dunkelheit des Alls, hatten zwei mit je drei radarsuchenden Atomraketen bestückte Raptoren sich an die Dauntless herangeschlichen. Die Marschflugkörper der Zerstörer und Kreuzer hatten ihnen die Ablenkung geboten, die sie brauchten. Die so trefflich konstruierten, wirkungsvollen Sensoren der Dauntless, ihr perfekt konstruiertes Zielradar, das sie ihren Feinden überlegen machte und ihr so oft zum Sieg verholfen hatte, es wurde jetzt ihr größter Feind. Ein, zwei Impulslaser fassten noch automatisch die neuen Ziele auf, feuerten, zerstörten eine Rakete. Doch die anderen fünf zogen weiter ihre Bahn, unerbittlich und unaufhaltsam.
Gonzales öffnete den Mund, um den Befehl zum Feuern, zum Ausweichen zu geben. Doch mit einer unerbittlichen Klarheit erkannte er, dass es bereits zu spät war: „Achtung Einschl…!“
Die erste Rakete explodierte, dann die zweite und die dritte. Schon diese Treffer, direkt über der Hauptsensorenphalanx der Dauntless, überlasteten die geschwächten Schilde, auch wenn die Waffen der Jagdbomber bei weitem weniger Durchschlagskraft hatten als die Marschflugkörper von Kreuzern und Zerstörern. Der schützende Energieschirm flackerte ein letztes Mal auf und kollabierte. Die vierte und fünfte Rakete zerfetzten Panzerung und Sensoren der Dauntless, rissen den Rumpf auf und öffneten ihn auf zwei dutzend Metern der tödlichen Kälte des Weltraums.
Schmerz war das erste, was Captain Gonzales verspürte, als er wieder sehen konnte. Das letzte, woran er sich erinnerte, war das Gefühl gewesen, ein Rammbock hätte seine Seite getroffen. Der Captain war sicher, dass ihm nur für Augenblicke die Sinne geschwunden waren, aber ebenso gut hätten es auch Stunden seien können. Er bemerkte, dass er auf dem Boden lag, von der Wucht des Einschlags gegen eine Konsole geschleudert. Um ihn herum wogte schwarzer, stinkender Rauch, der in seiner Kehle kratzte. Laute drangen an sein Ohr, die er nicht einordnen konnte, obwohl sie ihm vertraut erschienen – Husten, Stöhnen, das Heulen von Alarmsirenen, das Zischen der automatischen Löschanlage. Nur langsam klärte sich sein Blick.
Irgendetwas war nicht in Ordnung, auch mit ihm selbst, aber er war sich im ersten Moment nicht ganz sicher, was. Da war Schmerz, in seinem Gesicht und seinem Rücken, aber er schien irgendwie fern, als beträfe er jemand anderen. Die Brücke hatte sich in wenigen Augenblicken vollkommen verändert. Die meisten Bildschirme zeigten nur noch Störrauschen, andere waren zersprungen. Einzelne Flammen loderten noch aus Displays oder Konsolen, während auf einigen Schalttafeln noch hektisch Lampen flackerten. Die Löschautomatik hatte gute Arbeit geleistet und die meisten Flammen erstickt, doch ein bitterer, metallisch schmeckender Rauch hing noch immer im Raum. Der Luftaustausch arbeitete nur stockend und langsam. Doch dies war nicht das Schlimmste. Überall lagen die Körper der Brückenbesatzung. Einige bewegten sich taumelnd, kamen langsam auf die Beine, doch viele lagen reglos da. Gebrochene Augen starrten blicklos zur Decke, manche der Leiber waren auf eine Art und Weise verrenkt, dass der Anblick Übelkeit bereitete. Blut sickerte auf den Boden in immer größer werden Lachen. Doch bei aller Brutalität wirkte die Szenerie auf eine merkwürdige Art und Weise steril, irreal, alle Geräusche gedämpft. Gonzales holte tief Luft: „Status? Hallo?“ Doch dann bemerkte er, dass seine Stimme nicht mehr klare Worte formulieren konnte. Da war Blut in seinem Mund, Blut und abgebrochene Zähne. Nur ein Gurgeln entrann sich seiner Kehle. Niemand der taumelnden Offiziere zeigte auch nur andeutungsweise, dass sie ihren Captain gehört hatten. Ein Ortungsoffizier blickte sich langsam um. Blut sickerte aus einer Kopfwunde, doch er machte keine Anstalten, es abzuwischen, obwohl sein Gesicht aussah, als würde er eine rote Maske tragen. Die Augen starrten leer und betäubt, nahmen nicht mehr wahr, was sich vor ihm befand. Erst jetzt realisierte Gonzales, dass eine einzelne klare Stimme zu hören waren: „Captain? Captain? Hier XO Turner! CAPTAIN?“ Der Kapitän der Dauntless räusperte sich. Er versuchte zu antworten, doch noch immer kam kein vernünftiges Wort über seine Lippen. Aber er wusste, würde erst einmal seinen Kommandosessel erreichen, würde er sich bemerkbar machen können, dann würde es wieder so sein wie immer. Er wollte sich aufrichten, doch er fiel sofort zurück. Ungläubig starrte er auf seinen eigenen Körper hinab. Unterhalb der Hüfte konnte er sich nicht mehr bewegen. Die Schmerzen, die bisher eher ein fernes Bohren gewesen, nahmen schlagartig zu. Mit Übelkeit erregender Deutlichkeit wurde ihm klar, dass seine Wirbelsäule verletzt, er vielleicht sogar dauerhaft gelähmt war. Er war hilflos, und Beistand war hier nicht zu erhalten.
Mit einem Mal war da Panik, wie er sie noch nie gefühlt hatte, nicht einmal, als sein Schiff vor Jahren einen Rammtreffer durch einen Akariijäger erhalten hatte. Er hörte Turners Stimme, immer verzweifelter, doch noch immer konnte er nicht antworten. Und dann hörte er ein an- und abschwellendes Warnsignal, das mühelos alle anderen Laute übertönte – die Dauntless wurde soeben von einem feindlichen Zielsuchradar erfasst. Mühsam hob er den Kopf. Über ihm schwebte scheinbar ein Bildschirm, der wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war. Mitten durch das vergrößerte Bild schob sich ein Akariizerstörer der Charlie-Klasse, den Bug auf die Dauntless gerichtet. Geschickt wich er einer Salve von Marschflugkörpern aus oder schoss sie ab. Er manövrierte, drehte leicht bei, um zu seinen Kameraden zurückzukehren, mit einer wundervollen Geschmeidigkeit, wie ein Haifisch, der schwerelos im Meereswind über dem Riff schwebte. Und dann feuerte die Bugbatterie. Das letzte, was Captain Enrique Eduardo Emilio Gonzales, genannt Tripple-E, im Leben wahrnahm, war ein gleißendes Licht auf dem Bildschirm. Danach war nur noch Dunkelheit. Er starb schweigend, unfähig, auch nur einen Laut von sich zu geben. Acht gebündelte Laserkanonen bohrten sich in den Leib der nun schutzlosen Dauntless. Der Lichtstrahl brannte sich bis zur Brücke durch, wanderte weiter, zerteilte Mannschaftsquartiere und Maschinenraum. Schließlich erreichte er die Munitionskammern. Der tödlich getroffene Flakkreuzer bäumte sich ein letztes Mal auf, geschüttelt von der Explosion der eigenen Waffen.
Die Dauntless starb nicht schnell, denn ihre Munitionsvorräte bestanden nicht aus Dutzenden Atomraketen wie auf anderen Schiffen, und selbst konventionelle Raketen waren nur noch wenige vorhanden. Doch es reichte, um den Rumpf noch weiter aufzureißen. Rettungskapseln schossen davon, als der XO den Befehl zur Evakuierung gab – oder als die Besatzungsmitglieder selbstständig die Flucht antraten. Eine zweite, gut gezielte Salve des feindlichen Zerstörers, der bereits den Rückzug angetreten hatte, vollendete das Vernichtungswerk. Die Dauntless wurde quasi in der Mitte durchgeschnitten. Was einstmals ein stolzes Schiff unter einem erfahrenen, wenn nicht gar berühmten Kapitän gewesen war, war jetzt nicht mehr als Weltraumschrott – und ein Massengrab. Eines von vielen, menschlichen und kaiserlichen.
Auf der Relentless herrschte für einen Augenblick atemloses Schweigen, als das Symbol des leichten Kreuzers erlosch. Doch dann schnitt Mithels Stimme durch die Stille, so kalt und gelassen wie immer: „Schiffe um 2.000 Klicks zurückfallen, neu formieren! Verbindung zu den Spähshuttles – Kommunikation wiederherstellen. Und Funkspruch an die Lupo – bereithalten zum Entlastungsstoß!“ Die terranische Flotte löste sich von den Akarii, deren Spitze ebenfalls schwer zusammengeschlagen worden war.
Für einen Augenblick schien selbst der Tod müde von so reichlicher Arbeit, doch sein Werk an dieser Stelle und an diesem Tag war noch lange nicht getan. Das Zentrum der menschlichen Formation war aufgerissen, angeschlagen, und es war offen, ob sie sich noch einmal würden sammeln können.
Die menschliche Flotte fiel etwas zurück, zusammengehalten durch Erfahrung, die Erkenntnis, dass es keinen anderen Ausweg gab, und durch die pausenlosen Befehle ihres Kommandanten, dessen Kreuzer mit erbarmungsloser Wut um sich schlug. Sie schlossen die Lücke, die durch den Verlust der Dauntless entstanden war, so als wäre nichts geschehen. Die Relentless passierte ihre kleine, sterbende Schwester, ohne ihr auch nur einen zweiten Blick zu gönnen. Keiner der Offiziere nahm sich auch nur die Zeit, ein Gebet zu sprechen, ein paar letzte Worte. Sie alle wussten, ihre Aufgabe in diesem Moment galt den Lebenden, nicht den Toten. Die Relentless war bereit, erneut Vernichtung zu speien. Die Kommunikationslinien waren gefährdet, und Mithel war mit einem Mal so kurzsichtig wie sein Gegner. Ein wichtiger Teil seiner Überlegenheit war dahin, ein Schiff, das seit Jahren Seite an Seite mit der Relentless gekämpft hatte, war vernichtet, das Schicksal seiner Besatzung ungewiss. Aber der Commodore zögerte keinen Moment. „Ziel ist feindlicher Spitzenkreuzer – Spruch an die Zerstörer, Angriff unterstützten. Auf mein Zeichen…FEUER!“ Doch einmal mehr fragte er sich, ob er nicht heute auf einen überlegenen Feind getroffen war.
Cattaneo
Tyr
Das Chaos im Hangar der HONGKONG schien Kano diesmal noch hektischer als bei seiner ersten Landung. Vielleicht lag es daran, dass nun auch das Bordgeschwader des Trägers im Dauereinsatz stand. Dennoch wirkte der Lärm gleichzeitig irgendwie…gedämpft. Was vermutlich daran lag, dass Kano erst gar nicht aus dem Cockpit heraus kam. Oder an der Tatsache, dass die Männer und Frauen an Bord der HONGKONG wussten, wie es um sie stand. ‚Oder vielleicht bin ich auch einfach nur müde…’
Lieutenant Commander Aznar sah offenbar keinen Grund, die wenigen Minuten, die die Betankung und Aufmunitionierung der Eagle Warriors kostete, mit Nichtstun zu vergeuden: „Wir müssen es noch einmal versuchen. Der Yankee muss da weg. Mit dem Rest können es unsere Flankenverbände aufnahmen.
Die Akarii machen an der gesamten Frontlinie Druck, besonders im Zentrum. Wenn sie uns jetzt auch noch überflügeln und vom Sprungpunkt abdrängen, während sie in der Mitte durchbrechen, dann haben sie die HONGKONG in der Zange. Und wir sitzen hier fest.
Also müssen wir den Yankee aus der Rechnung nehmen. Und zwar JETZT. Und wir haben nicht die Zeit, Schiffe vom Zentrum oder dem anderen Flügel abzuziehen. Der Commodore hat eine Flottenfregatte, die SECUTOR, als Verstärkung freigestellt. Außerdem erhalten wir Geleitschutz durch anderthalb Sektionen Jäger. Das ist alles.
Wir sind also nicht sehr stark, und wir haben nicht viel Zeit. Es kommt darauf an, schnell und präzise zuzuschlagen. Soviel wir wissen hat der Kreuzer immer noch Nahsicherung durch die Flakfregatte. Dazu kommen jetzt noch ein bis zwei Sektionen Raumjäger und ein Zerstörer der Echo-Klasse. Es wird nicht einfacher werden.
Um den Kreuzer zuverlässig auszuschalten, müssen wir nahe ran. Und das heißt, wir müssen zuerst die Flakfregatte ausschalten.
Knock Out, Flipper, Ohka – diese Aufgabe übernehmen Sie. Sie erhalten Deckung durch zwei Jäger. Sie werden wie folgt vorgehen…“
Mit kurzen, präzisen Worten umriss Aznar seinen Einsatzplan. In gewissem Sinne war es eine Variante des ersten Angriffs. Allerdings deutlich riskanter und komplexer. Abgesehen von Knock Outs launiger Frage, seit wann sich jeder verdammte Staffelführer als ein verfluchter Großadmiral gebärden müsse, gab es keine laut geäußerten Einwände.
Zumindest nicht von einem der Piloten.
Als Kano allerdings die Funkverbindung abbrach, meldete sich Ticano mit einem gedämpftem Fluch zu Wort: „Aznar spekuliert wohl auf den Silver Star. Das ist doch Wahnsinn! Wir sind nur eine verdammte Handvoll, und jetzt sollen uns auch noch aufteilen…“
Wütend fuhr sie sich durch die kurz geschnittenen, schweißgetränkten Haare. Den Helm hatte sie abgelegt und wirkte durch den Kontrast zwischen der klobigen Einsatzmontur und dem schmalen Gesicht irritierend jung.
Kano zuckte unbehaglich mit den Schultern. Ihm gefiel der Plan auch nicht. Vor allem, weil auch von ihm ziemlich viel abhängen würde. Normalerweise sah er so etwas als Herausforderung und Bewährungsprobe an, aber auf einer unvertrauten Maschine...: „Ich kann mich nicht erinnern, dass du vorhin etwas gesagt hast. Ein bisschen spät, um Bedenken anzumelden.“
„Als ob dieser Macho auf mich hören würde! Oder überhaupt auf einen läppischen RIO. Wir sind doch keine echten Flieger…
Außerdem ist die TSN eine verdammte Flotte und keine Demokratie. Hat sich schon mal einer deiner Vorgesetzten von vernünftigen Argumenten umstimmen lassen?“
Kano überlegte kurz: „Das ist vorgekommen.“
„Muss eine Frau gewesen sein. Aber dir ist doch wohl klar, warum du zu der Abteilung gehörst, die die Fregatte angreift?! Glaub bloß nicht, dass mit uns der ganze Angriff steht und fällt. Ansonsten hätte er uns wohl ein paar Jäger mitgegeben und die WIRKLICHEN Asse ins Rennen geschickt. Knock Out kann gut fliegen, obwohl er ein Arschloch ist. Aber er ist nicht gerade unsere Nummer Eins, Gott sei dank. Flipper fliegt seinen Jabo wie einen Abfangjäger, hat aber eine unterdurchschnittliche Trefferbilanz mit den Mavericks. Und dann kommst auch noch du dazu. Vor zehn Minuten der erste scharfe Maverick-Abschuss. Tolle Einsatzerfahrung! Wir sind nur Köder. Wir sollen die Echsen ablenken. Wenn sie hinter uns herknüppeln, können sie nicht den Yankee schützen.“
Kano zuckte wieder mit den Schultern. Seinem ausdruckslosen Gesicht konnte man die Unsicherheit nicht ansehen: „Dann werden wir eben diese Aufgabe erfüllen. Ein Befehl muss mir nicht gefallen, damit ich ihn ausführe. Ich muss ihn nicht einmal verstehen. Ich habe der Republik einen Eid geschworen…“
„Scheiß auf den Eid! Und Scheiß auf die Republik! Soll ich dir sagen, warum ich diesen Schwachsinn mitmache?“ Ticano stieß ihre Hand wütend gegen die geschlossene Cockpithaube. Dann begriff Kano, sie zeigte in eine bestimmte Richtung: „Abia liegt da drüben im Lazarett.“
„Wer…“
„Scylla, du Idiot! Du hättest wenigstens mal fragen können, wessen Platz du einnimmst!
Sie ist nicht transportfähig. Das heißt, sie wird sterben, wenn die HONGKONG draufgeht. DESHALB bin ich noch dabei! Die Schlacht, Lone Wolfs beschissene Pläne, die verdammte Republik…ist mir scheißegal! Wann hätte die sich mal um mich gekümmert?! Warum sollte ich also für Terra sterben wollen?! Ich mache das nicht, damit Birmingham weiter in ihrem Stuhl kleben und ein Haufen Lamettahengste sich ein paar neue Schmuckstücke an die Brust kleben können!“
Kano warf einen kurzen Blick auf die Einstellung der Bordfunkanlage. Gut, sie waren momentan offline. Er beglückwünschte sich selber zu seiner Selbstbeherrschung. Unter anderen Umständen wäre er jetzt ebenfalls laut geworden. Aber vielleicht war er einfach zu müde. Außerdem gehörte Ticano nicht seiner Staffel an, und wahrscheinlich hatte sie Grund für ihre Verbitterung: „Fühlen Sie sich jetzt besser, Lieutenant Ticano?“
Die Bordschützin schnaubte abfällig. Aber es war kein Feuer mehr in ihrer Stimme: „Sie haben keine Ahnung, was ich meine.“
Kano schüttelte den Kopf: „Da irren Sie sich. Ich verstehe Sie. Besser, als Sie denken. Aber das spielt im Augenblick keine Rolle. Es ist nicht so wichtig, warum Sie kämpfen. Wichtig ist nur, DASS Sie es tun.“
Eine schrille Sirene heulte los. Der erste der Jagdbomber wurde von dem Katapult ins Weltall geschleudert. Kano schloss kurz die Augen, atmete aus. ‚Sollte es heute soweit sein, dann sehen wir uns in Yasukuni wieder…’
Der Katapulthaken rastete ein.
**************
Die SECUTOR gehörte zur Perry-Klasse, was sie zu einer der modernsten Fregatten der TSN machte. Dennoch musste den Männern und Frauen an Bord klar sein, dass sie in einem direkten Schlagabtausch mit einem imperialen Zerstörer keine sehr guten Chancen hatten – geschweige denn gegen einen feindlichen Kreuzer.
Die Fregatte flog deshalb keinen direkten Abfangkurs. Stattdessen verließ sie den Strahlungsgürtel in einer leicht gebogenen Kurve, die sie an den feindlichen Linien entlang führte. So blieb sie immer noch im Schutz des Strahlungsgürtels, konnte sich problemlos wieder zurückziehen, falls es für sie kritisch wurde.
Die schweren Exocet-Raketen hatten eine vorzügliche Aufschaltzeit, Reichweite und Durchschlagskraft. Aber leider verfügte die SECUTOR über gerade einmal vier Abschussrohre. Und das bedeutete, die feindlichen Schiffe hatten gute Chancen, die Raketen abzufangen, zu stören oder ihnen auszuweichen. Zumindest, solange sie sich auf die SECUTOR konzentrieren konnten…
„Ticano, Frage Feindjäger?“
„Vier bis sechs bei dem Yankee. Vier weitere halten sich dicht bei der Fregatte.“
‚Damit werden wir fertig.’
Offenbar war Knock Out der gleichen Meinung: „Flipper, Newbie – ANGREIFEN!“
‚Und wer hat dem Affen das Kommando gegeben?!’ Aber dennoch gab Kano sofort Vollschub. Die fünf Maschinen – drei Mirages und zwei Falcons – lösten sich aus dem fragwürdigen Schutz des Strahlungsgürtels und stürzten sich auf die feindliche Fregatte, die eben im Begriff war, in die Sprungpunktzone vorstoßen. Die TSN-Flieger bildeten eine selbst für Jagdbomber ungewöhnlich enge Formation. In Kombination mit den unregelmäßigen Strahlungswerten in der Randzone würde das ihre Ortung erschweren.
Außerdem trug Flippers Maschine statt den Mavericks oder HARMS ein Paar Hydra-Werfer als Primärwaffen unter den Tragflächen. Diese Kampfkraftminderung war nötig gewesen, damit die Maschine noch zwei sperrige ECM-Pods tragen konnte.
‚Sie werden wissen, dass wir kommen, aber nicht, WAS sie angreift. Es kann klappen.’ Die Jagdbomber setzten bedenkenlos ihre Nachbrenner ein, um die Entfernung mit Höchstgeschwindigkeit zu überbrücken. Der Treibstoffverbrauch spielte jetzt keine Rolle. Ein Anflug, höchstens noch ein zweiter – mehr würden sie so oder so nicht haben.
„Feindjäger auf Abfangkurs. Bloodhawks.“
‚Na dann kommt.’
Kano aktivierte die Zielerfassungssysteme der Raumkampfraketen. Er würde mit den Sparrows den Kampf einleiten.
Beide Seiten eröffneten fast gleichzeitig das Feuer. Aber im Gegensatz zu den Bloodhawks, die weit entfernt von ihren Trägern operierten, waren die TSN-Maschinen voll bestückt. Ausnahmsweise erwies es sich als Vorteil, dass die Linien der TSN bis zur Position der HONGKONG zurückgeworfen worden waren. Während die Akarii gerade einmal vier Raketen losmachen konnten, antworteten ihre Gegner mit einer vollen Salve von zehn Flugkörpern.
Kano hörte auf Ticanos jetzt wieder monotone Stimme, die ihn über das Näher kommen der feindlichen Raketen informierte. Ein schnelles Korkenziehermanöver und ein paar Täuschkörper, dann war er wieder auf Zielkurs und drückte die Knöpfe der Bordwaffen.
Davon ließ sich der gegnerische Pilot allerdings nicht abschrecken. Auch er eröffnete das Feuer mit den Bordkanonen. Die Schilde der Mirage flackerten. Er durfte nicht vergessen, dass die Maschine bereits einige ernste Treffer abbekommen hatte. Kano ließ die Maschine nach unten wegsacken, rette sich so kurz aus der Zielerfassung der Bloodhawk, während Ticano die Heckkanonen ins Spiel brachte. Die Bloodhawk kurvte hinter Kano ein, kassierte einige weitere Treffer durch Ticano – und verlor den halben Backbordflügel, als eine der beiden Falcons aus ihrer Sechs das Feuer eröffnete.
Der Akarii rette sich mit einem radikalen Abschwung, den Kano einer derartig schwer beschädigten Maschine nicht zugetraut hätte. ‚Der hat was drauf.’
Aber im Augenblick waren die Menschen im Vorteil. Den beiden Falcons gelang das Kunststück, im Verbund mit dem wütenden Feuer der Mirages die vier Bloodhawks kurzzeitig abzudrängen. Und während die TSN-Jäger mit bitterem Fatalismus den überlegenen Gegner angingen, gaben die drei Jagdbomber noch einmal Vollschub und griffen die feindliche Fregatte an. Es sah so aus, als würde Aznars Rechnung aufgehen. Das feindliche Flugabwehrfeuer erschien ungenau und halbherzig. Offenbar hatte der Gegner in der Randzone des Strahlungsgürtels Schwierigkeiten, die ECM der Jagdbomber zu neutralisieren und die Maschinen anzupeilen. Außerdem hatten die Mirages sich noch nicht aufgeteilt, um das gegnerische Kriegschiff von mehreren Seiten anzugreifen. Dieses merkwürdige Verhalten musste die Akarii zusätzlich verwirren.
Jetzt endlich eröffnete die Flakfregatte aus allen Rohren das Feuer. Zu spät. „Mavericks – LOS, LOS!“
Die drei Jagdbomber spritzten auseinander, während in Kanos engen Cockpit die Zielerfassungs- und Raketenalarme losschrillten. Ein bewährtes Korkenziehermanöver, gefolgt von einem Abschwung, der in einen Halblooping überging und mit einem Nachbrennerschub beendet wurde, verschaffte ihm etwas Luft.
Dennoch musste er einige Treffer hinnehmen, und der Volltreffer einer feindlichen Rakete ließen die Steuerbordschilde kollabieren.
Aber die Flakfregatte wurde ungleich schwerer getroffen. Die Jagdbomber hatten diesmal ihre Mavericks auf kurze Entfernung und fast gleichzeitig abgefeuert. Die beiden Treffer waren zuviel für die geschwächten Schilde.
Massive Panzerplatten verdampften binnen Sekundenbruchteilen, während die Gewalt der Explosionen die Flanke der Fregatte aufriss. Wie ein harpunierter Wal drehte sich das Kriegsschiff auf den Rücken und driftete schwerfällig aus seinem Flugvektor. Flipper hatte sich an das Heck der Fregatte gehängt und verwüstete mit seinen Bordkanonen und den Hydra-Kassettenwerfern die Antriebssektion. Während Rettungskapseln aus dem Rumpf des Kriegschiffs schossen, zerriss eine rotweiße Sekundärexplosion das Heck. Die Fregatte war dem Tod geweiht.
„Der geht mit dem Arsch auf Grundeis!“ Das war Flipper, der immer noch gefährlich nahe am brennenden Heck des Akarii klebte.
Kano hörte nur mit halbem Ohr zu, konzentrierte sich stattdessen auf die SECUTOR, die jetzt auf ihrem Passierflug gefährlich nahe an den Yankee herangekommen war. Während sie hastig eine Raketensalve auslöste, gab der Captain Gegenschub, um den Abstand zu dem übermächtigen Gegner wieder zu erhöhen.
Aber nicht nur die Exocets rasten auf den feindlichen Kreuzer zu.
Die sechs Jagdbomber unter Aznars Kommando hatten sich die ganze Zeit im Schatten der SECUTOR verborgen. Mit deaktivierten IFF-Sendern und auf passiv geschalteten Sensoren waren sie der feindlichen Ortung entgangen. Jetzt, da die feindliche Flakfregatte ausgefallen und der Gegner kurz verunsichert war, sahen sie ihre Chance gekommen.
Die Falcons, die sich im Gegensatz zu ihren schwerfälligeren Schützlingen schon vorher hatten frei bewegen können, waren bereits in einen wütenden Kurvenkampf mit den gegnerischen Jägern verwickelt. ‚Viel Glück und gute Jagd.’
Kano wandte sich kurz wieder seinem eigentlichen Ziel zu. Das Feuer, das das Heck der Fregatte erfasst hatte, schien sich nun langsam zum Bug vorzuarbeiten. Der Exodus der Rettungskapseln ebbte ab. ‚Entweder sie sind alle von Bord – oder alle tot.’
Knock Out lachte wiehernd: „…mit dem Arsch auf Grundeis, Flipper?! Der hat gar keinen Arsch mehr! Erinnere mich daran, niemals mit dir zusammen zu duschen!“
Kano verzog abfällig die Lippen. Das musste er sich nicht unbedingt anhören: „Ticano…“
„WEGBRECHEN!“ Der Warnruf der Bordschützin ging fast unter im Hämmern der Heckgeschütze. Dennoch reagierte Kano instinktiv, flog eine scharfe Linkskurve, die er sofort mit einem Von-Bein konterte. Ein, zwei Treffer schüttelten die Maschine durch, dann raste die Bloodhawk vorbei, während Ticano wieder und wieder die Laserkanonen abfeuerte.
Flipper hatte nicht so viel Glück. Von einem Gegner aus nächster Nähe aufs Korn genommen, der sich mit kalter Berechnung von unten genähert hatte, verwandelte sich die Mirage binnen Sekunden von einem Wunderwerk menschlicher Technik in einen Schrotthaufen. Ein einzelner Schleudersitz löste sich aus der todgeweihten Maschine. Dann war da nichts mehr. Nur ein kurz aufloderndes Feuer, das von dem flammenden Untergang der Fregatte überstrahlt wurde.
Die Bloodhawks hatten ihre Chancen kühl erwogen und dann gut genutzt. Während eine von ihnen die einzelne Falcon beschäftigt hielt, hatten sich die anderen beiden ihrerseits mit heruntergeschalteten Sensoren und Schleichflug an die Jagdbomber herangepirscht. Sie kamen zu spät, um die Fregatte zu retten. Aber immer noch rechtzeitig, um sie zu rächen.
Kano aktivierte die Manöverdüsen und ließ seinen Jagdbomber weiter um die eigene Achse rotieren, bis er den Gegner wieder in der Zielerfassung hatte. ‚Feuer! Feuer!’ Die Bloodhawks musste einige weitere Treffer kassieren, Laut Kanos Sensoren wurden die feindlichen Schilde mehrmals durchschlagen, verwüstete seine Salve die Flanke des agilen Akarii-Jägers. Aber seine Maschine war zu langsam, die Bordgeschütze zu schwach, um die Bloodhawk zu vernichten. Währenddessen warf sich Knock Out mit einem unartikulierten Wutschrei auf den Akarii, der Flipper vernichtet hatte.
Mit fast arroganter Leichtigkeit wich der feindliche Pilot aus und kurvte auf den schwerfälligeren Jagdbomber ein.
‚So nicht.’ Auch wenn die knappe Stunde ihrer flüchtigen Bekanntschaft bereits ausgereicht hatte, um in Kano eine intensive Abneigung gegenüber Knock Out entstehen zu lassen, er reagierte sofort.
Während Kano Vollschub gab, schaltete er auch schon seine Sidewinders auf den Gegner auf. Die Gelegenheit war günstig, die Entfernung gering, und der Akarii wandte ihm seinen Rücken zu. ‚Das ist ein schwerer Fehler…’ „Ticano, Wo ist unser Freund?“
„Hat abgedreht.“
Kano eröffnete das Feuer und schickte gleichzeitig die Sidewinders auf den Weg. Aber noch einmal bewies die Bloodhawk ihre überlegene Wendigkeit. Dem eng geflogenen Korkenziehermanöver konnten die Raketen nicht folgen. Stattdessen ließen sie sich von der Garbe Täuschkörper verwirren, die der Akarii abfeuerte. Und Kanos Bordgeschützen fehlte die Durchschlagskraft, um den Gegner zu vernichten.
Dennoch, für den Augenblick hatten die beiden Jagdbomberpiloten sich etwas Luft verschafft. „Wir stoßen zu Spade!“ Spade war das Callsign des überlebenden Falcon-Piloten. Kano ließ seinen Worten sofort Taten folgen. Er wartete nicht darauf, dass Knock Out ihm folgte.
Was dieser schließlich auch tat. Wenn auch fluchend: „Wer hat dich hier zum Oberzampano gemacht, Newbie?!“
Kanos Stimme klang eisig: „Fünf Jahre Erfahrung und achtunddreißig Abschüsse, SECOND LIEUTENANT! Aber wenn Sie wollen, dann können Sie gerne alleine zurückfliegen!“
Er ignorierte das, was danach über die Funkverbindung kam.
Ihr Auftauchen vertrieb die Bloodhawk. Die überlebende Falcon schloss sich mit einem knappen Dankeschön den beiden Jagdbombern an. Das kurze Gefecht hatte sie eine Mirage und einen Abfangjäger gekostet, während der Gegner eine Bloodhawk verloren hatte. Und natürlich eine Fregatte. So gesehen war das Ergebnis ziemlich gut.
Die drei verbliebenen Akarii hatten sich ihrerseits zusammengetan. Aber auch sie waren beschädigt, eine der Bloodhawks hing deutlich zurück. Im Augenblick hielten sie Abstand. ‚Die haben wohl auch genug.’
Was aber wahrscheinlich am Wichtigsten war, Aznars Angriff hatte Erfolg gehabt. Zwar schwebte der Yankee immer noch in einem Stück im All. Aber das auch das Beste, was man über ihn sagen konnte. Die Schilde waren fast vollständig zusammengebrochen, die schwere Panzerung an mehreren Stellen durchschlagen worden. Ganze Partien der Oberfläche, Sensorphalangen und Geschützbatterien mussten von dem atomaren Feuer zusammengeschmolzen worden sein. Der Kreuzer hatte seine Fahrt gestoppt, aus Rissen im Rumpf drang Gas und Atemluft ins All. ‚Der kämpft heute nicht mehr mit.’
Kurz fragte sich Kano, warum Anzar nicht noch einen Angriff befahl. In seinem momentanen Zustand konnten selbst Bordkanonen und Raumkampfraketen dem Kreuzer schwere Schäden zufügen. Ihn vielleicht sogar vernichten, falls sie einen Glückstreffer im Maschinenraum landeten.
Dann aber beantwortete Ticano unaufgefordert seine lautlose Frage: „Anfliegende Feindjäger. Mindestens ein halbes Dutzend. Bloodhawks.“
Das änderte das bisher relativ ausgeglichene Kräfteverhältnis. Aznars Jabos und ihre Jägereskorte kurbelten immer noch mit den Akarii herum, die den Yankee beschützt hatten. Die Mirages und Falcons zogen sich langsam zurück, aber die schnelleren Bloodhawks verhinderten, dass die TSN-Flieger auf Höchstgeschwindigkeit gingen. ‚Das wird knapp.’ Offenbar versuchte Aznar, sich zu der SECUTOR zurückzuziehen. Auch wenn die Fregatte kein Flakschiff war, die Laserbatterien und Raketenwerfer stellten eine wertvolle Unterstützung gegen die Bloodhawks dar.
Kurz überlegte Kano, ob er zu seinen Kameraden stoßen sollte. Aber zwischen ihm und Aznars Verband hing immer noch der Yankee im Raum, während der feindliche Zerstörer ihn umkreiste und auf die ferne SECUTOR feuerte. Und da waren auch noch die drei Bloodhawks, mit denen sie sich herum geschossen hatten. ‚Die werden wohl kaum tatenlos zusehen, wie wir quer über das Schlachtfeld fliegen und dem Yankee vielleicht noch ein paar Passiertreffer verpassen.’
Das gab den Ausschlag: „Wir setzen uns ab. Rückflug zur HONGKONG.“
„Zum letzten Mal, Newbie…“
Kano unterbrach die Verbindung und gab Maximalschub. ‚Rutsch mir den Buckel runter.’
************
Weiter als ein, zwei Flugminuten kamen sie allerdings nicht. Vielleicht hatten die feindlichen Piloten neue Befehle bekommen. Vielleicht wollten sie auch nicht, dass die Mirages in fünfzehn Minuten neu bestückt und aufgetankt das nächste imperiale Kriegsschiff angingen. Oder aber, sie witterten die Schwäche ihres Gegners wie Bluthunde. Wie Haifische.
Während sich die schwer beschädigte Feindmaschine im Hintergrund hielt, teilten sich die beiden anderen Bloodhawks für ein klassisches Zangenmanöver.
Knock Out fluchte wütend: „Tolle Idee, Hotshot! Jetzt geht die Scheiße von vorne los! Mitkommen, Newbie – wir knöpfen uns den auf neun Uhr vor! Spade, du schnappst dir den anderen!“
Kano folgte Knock Outs Befehl, weil es sinnvoll erschien. Unter diesen Umständen wäre ein defensiver Flugstil sinnlos gewesen. Sie mussten sich den Weg so schnell wie möglich freischießen, ehe weitere Akarii in das Spiel einstiegen.
Der feindliche Pilot, der sich nun zwei Gegnern gegenüber sah, reagierte schnell, aber nach dem Drehbuch. Er wich dem Bordwaffenfeuer aus, und kurvte hinter Knock Out ein. ‚Ist der denn blöd?’ Kano flog eine scharfe Kurve, um seinerseits den Akarii aufs Korn zu nehmen. Auf diese Entfernung konnte er sich mit dem Zielen Zeit nehmen…
„WEGBRECHEN. LINKS!“ Noch einmal rettete ihn Ticanos Wachsamkeit. Die dritte, beschädigte Bloodhawk hatte sich offenbar doch noch entschlossen, in den Kampf einzugreifen. ‚Oder das war von Anfang an geplant.’ Kano kurvte gegen, konnte allerdings nicht verhindern, dass seine Maschine erneut mehrere Treffer kassierte. Die Schilde kamen gar nicht mehr heraus aus dem roten Bereich.
„OHKA! Schieb deinen gelben Arsch hierher!“ Knock Out konnte offenbar nicht einmal dann aus seiner Haut, wenn er um Hilfe rief.
„ICH HABE ZU TUN!“ Kano versuchte mit einem Abschwung aus der gegnerischen Zielerfassung herauszukommen. Ticano schoss Dauerfeuer, ohne dass sich der Akarii allerdings durch die Treffer abschrecken ließ: „WIR KÖNNEN IHN NICHT ABSCHÜTTELN!“
‚Ich muss alles auf eine Karte setzen.’ Im selben Augenblick, als er zu dieser Erkenntnis kam, handelte Kano. Während er die Maschine mit einem Von-Bein-Manöver um die eigene Achse rotieren ließ, lenkte die verbliebene Energie in die Bugschilde.
Direkt vor dem Bug seiner Maschine tauchte die feindliche Maschine auf. Ein Kopf-an-Kopf-Duell mit einer beschädigten Maschine wurde im Allgemeinen als eine gute Möglichkeit zum Selbstmord angesehen.
Kano gab Vollschub, und die Mirage schoss auf den Gegner zu. Der Akarii musste wissen, wie es um die Schilde der Mirage stand. Er nahm die Herausforderung an.
Der Kollisionsalarm heulte los und gesellte sich damit zu dem Dutzend anderer Warntöne, die durch das Cockpit schrillten. Treffer schüttelten die schwere Maschine durch, aber davon ließ sich Kano jetzt nicht mehr ablenken.
„BIST DU WAHNSINNIG?!“
Kanos Finger krampften sich um den Steuerknüppel. Noch ein wenig…
Dann löste er die beiden Amraams aus. Die Raketen schossen unter den Tragflächen hervor, überbrückten im Bruchteil von Sekunden die mit rasender Geschwindigkeit schwindende Entfernung zwischen den beiden Jägern. Bohrten sich in die geschwächten Schilde des Akarii.
Explodierten.
Kano riss den Steuerknüppel nach rechts, während der Kollisionsalarm immer schriller heulte. „TRÜMMERSCHLAG!“
Die zerfetzten Überreste der Bloodhawk trafen die Flanke der angeschlagenen Mirage mit mörderischer Geschwindigkeit. Die Maschine wurde aus ihrer Bahn geworfen, überschlug sich mehrmals. Auf Knock Outs wütend gebrüllte Anfrage antwortete niemand.
Cattaneo
Tyr
Kano wusste nicht, wie lange er das Bewusstsein verloren hatte. Sekunden, Minuten, Stunden?
‚Keine Stunden. Dann würde ich in einer Akarii-Zelle oder auf der anderen Seite des Lebens erwachen.’ Aber wie es aussah, war er immer noch im Cockpit seiner Maschine. Und er war nicht tot – dazu hatte er viel zu viele Schmerzen.
Da war ein salziger, metallischer Geschmack in seinem Mund. Blut. Hoffentlich hatte er sich nur auf die Lippen oder die Zunge gebissen. Er atmete langsam, bewusst ein und aus. Gut. Seine Lunge war nicht verletzt.
Dafür war ihm schlecht. Immer wieder schienen Nebelschleier über seine Augen zu ziehen. Seine Augen hatten Schwierigkeiten, sich auf die Instrumente zu konzentrieren. Quer über das durchsichtige Helmvisier zog sich ein langer Riss. Aber das durchsichtige, stoßfeste Material schien nur angeknackst, nicht gebrochen. Noch war der Anzug dicht. ‚Gut.’
Eine unbedachte Handbewegung und die darauf folgende Schmerzwelle lenkte seine Aufmerksamkeit auf seinen rechten Arm. Die letzten beiden Finger standen in einem unnatürlichen Winkel von der Hand ab. Kano biss sich auf die blutigen Lippen, um ein Stöhnen zu unterdrücken. Warum taten Brüche immer erst dann richtig weh, nachdem man sie bemerkt hatte?
Die gute Nachricht war, dass der Kampfflieger immer noch flugfähig war. Die Steuerdüsen reagierten schwerfällig auf seine fahrigen Bewegungen. ‚Muss…hier…weg.’ Nach zwei vergeblichen Versuchen stabilisierte er die immer noch langsam um die eigene Achse rotierende Maschine.
Dann erst registrierte er die Stimme, die aus seinen Kopfhörern drang: „…wiederhole, melden Sie Ihren Status. SOFORT!“
Das war…Aznar. Lieutenant Commander Aznar. Zapata. Warum hatte Aznar Zeit, nach seinem Befinden zu fragen? Und wo waren die Akarii?
Seine eigene Stimme kam ihm seltsam vor, schwerfällig und dumpf. Jedes Wort schmerzte. Er hatte sich wohl wirklich auf die Zunge gebissen: „Schilde…zusammengebrochen. Antrieb bei fünfzig Prozent. Bugbewaffnung ausgefallen…“
„Wie geht es Ihnen beiden?!“
„Mir…geht es gut.“ Den Umständen entsprechend stimmte das sogar. Aber warum sprach Aznar von ‚Ihnen beiden’?
Dann erinnerte er sich. Die Mirage. Ticano.
Er drehte den Kopf zu hastig um, kurz wurde ihm wieder schwarz vor Augen. Seine Bordschützin saß auf ihrem Platz. Natürlich. Aber irgendetwas stimmte da nicht. Obwohl ihr Rücken die Lehne berührte, schien sie sich irgendwie…vorwärts zu beugen.
Dann erst begriff Kano, dass Ticanos massiver Sitz aus seiner Halterung gerissen und nach vorne gekippt worden war. Ihr regloser Körper wirkte seltsam winzig: „Lieutenant? Ticano?!“
Dann sah er das leichte Zucken ihres linken Arms. Registrierte, dass sich ihre Brust unter dem Anzug leicht hob und senkte. Sie atmete. Sie lebte.
„Schrei…nicht so. Ich bin…nicht taub.“
„Geht es dir gut?“
Sie hustete kurz. Vielleicht lachte sie ja auch: „Was…ist denn…das für eine bescheuerte …Frage? Das kann…echt nur ein…Mann fragen…“
„Bist du verletzt?“
„Ich…weiß nicht.“ Ein stöhnender Atemzug: „Meine Rippen…verdammt, tut das weh. Nein... Ich glaube, die…sind nicht gebrochen.“ Wieder dieses keuchende Lachen/Husten: „Mir…tut zuviel weh. Ich weiß…gar…nicht, was…nur ein blauer Fleck, und was…“
„Ist dein Anzug noch dicht?“ Das war eine der ersten Fragen, die sich jeder Pilot nach einem Treffer stellte. War der Schutzanzug erst einmal beschädigt, dann war jeder Mikroriss, jedes noch so kleines Leck im Cockpit ein Todesurteil. Jeder Flieger wusste, was das Vakuum des Weltalls mit einem Menschen anstellte. Es hieß, dass mancher sich lieber mit der eigenen Laserpistole in den Kopf geschossen oder den Selbstzerstörungsmechanismus seiner Maschine aktiviert hatte, als diesen Tod zu sterben.
„Glaube…schon.“ Ein dumpfes Stöhnen: „Oh, verdammt.“
„Was…“
„Ich weiß nicht. Ich kann…meine Füße nicht fühlen. Sind…sind eingeklemmt. Aber wenigstens…tun sie nicht weh.“
Für Kano klang das gar nicht beruhigend. Er aktivierte wieder den Funk: „RIO möglicherweise verwundet. Selber…nur leicht verletzt. Aber flugfähig. Müssen landen.“
„Wir geben Ihnen Geleitschutz. Ein Wunder, dass der Vogel noch fliegt.“
„Danke.“ Kano konzentrierte sich auf den Radarschirm, und nach einigen Augenblicken konnte er sich auch endlich wieder daran erinnern, was die Symbole und Kennziffern bedeuteten. Jetzt begriff er auch, warum die Akarii den wracken Jagdbomber noch nicht in eine andere Wirklichkeit geschossen hatten. Auf ihrem Rückzug hatten die SECUTOR und Aznars Flieger einen Bogen geschlagen und die Überlebenden von Kanos Gruppe aufgesammelt. Knock Outs Maschine sah übel aus, und auch Spades Falcon war ziemlich zusammengeschossen worden: „Hatten Sie Verluste, Sir?“ Er konnte die hin- und herhuschenden Radarimpulse der terranischen Jagdbomber und Abfangjäger nicht eindeutig zählen und zuordnen. Es ging einfach nicht. Hinter seiner Stirn pochte ein stechender, bohrender Schmerz, der jeden Gedanken zur Qual machte.
„Einen Jäger, eine Mirage. Die haben sich ganz schön gewehrt.“ Aznars Stimme klang grimmig. Damit hatten die bereits dezimierten Eagle Warriors in etwas mehr als einer Stunde drei weitere Maschinen verloren, und ihr Geleitschutz zwei Jäger in einer halben Stunde. Mit den bisherigen Verlusten war Aznars Schwadron bereits auf fünfzig Prozent ihrer Sollstärke zusammengeschrumpft. Und die Schlacht war noch nicht vorbei. Kano starrte auf die Hand am Steuerknüppel, die gebrochenen Finger. Wieder schienen Schatten über seine Augen zu huschen. ‚Und ich werde heute wohl auch nicht noch einmal rauskommen.’
Ticano schluchzte jäh auf. Der unterdrückte Schmerzlaut brach jäh ab. Vermutlich hatte sich die Bordschützin auf die Lippen gebissen. Kano drehte den Kopf um: „Ticano?“
„Jetzt…jetzt tun sie doch…weh.“
Jede Sekunde des Fluges wurde zur Folter. Selbst die kleinste Bewegung des Steuerknüppels schickte eine neue Schmerzwelle durch seinen Körper, während es erbarmungslos hinter seinen Augen pochte und stach. Erst als er die linke Hand zu Hilfe nahm, fiel ihm die Steuerung etwas leichter. Er versuchte den Schmerz weg zu schieben, seine innere Ruhe zu finden, den Geist zu leeren. Aber es gelang ihm nicht. Diese Erleichterung wurde ihm versagt. Immer wieder zerfaserten seine Gedanken und seine Konzentration. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er wegdämmerte, wie Instrumente und Anzeigen vor seinen Augen verschwammen. Hin und wieder musste er mit dem Drang kämpfen, sich zu übergeben. Das war nun wirklich das letzte, was er gebrauchen konnte.
Aber die Luft, die aus den Sauerstofftanks in seine Lungen strömte, schmeckte widerlich abgestanden, vermischte sich mit dem Geschmack seines eigenen Blutes und dem Geruch von Magensäure.
Doch Ticano ging es zweifellos noch wesentlich schlechter. Sie hielt sich gut. Wie ein Mann, wenn man eine alte Redensart anwenden wollte. Allerdings hatte Kano spätestens seit seiner Zeit mit Lilja gelernt, dass das eine ziemlich dumme Redensart war.
Ticano verbiss sich den Schmerz. Sie verbiss sich den Schmerz und versah ihre Pflicht, obwohl ihre Lippen vermutlich längst blutig waren. Aber innerlich mussten sie ihre Schmerzen zerreißen. Er sah es an den ruhelosen Bewegungen ihrer Arme. Er kannte den Drang, den Schmerz hinauszubrüllen, ihm zu entfliehen. Sie konnte keines von beiden. Aber sie hielt durch.
Und er konnte nichts für sie tun. Gar nichts. Das Cockpit der Mirage war viel zu beengt, als dass er ihr helfen, oder ihr auch nur die Hand hätte halten können.
Also redete er. Belangloses Zeug. Wie weit es noch bis zum Träger war. Was für gute Arbeit sie geleistet hatten. Es ging nicht so sehr darum, was er sagte, sondern dass er überhaupt etwas sagte.
Er hatte das selber schon einmal erlebt, damals, als man ihn halbtot aus seinem Jäger gezogen hatte.
Die Akarii hatten ihren Vormarsch kurzzeitig unterbrochen, sich um den wrackgeschossenen Yankee und die Überreste der Fregatte versammelt. Zweifellos überdachte der feindliche Divisionskommandeur seine Strategie neu. Ließ die Rettungskapseln einsammeln. Leitete den Rückzug des angeschlagenen Kreuzers ins sichere Hinterland ein. Und forderte wahrscheinlich Verstärkung an.
Die SECUTOR wechselte noch einige eher halbherzige Salven mit einem feindlichen Zerstörer, dann reihte sie sich in die dünne, weit auseinander gezogene Schlachtlinie der TSN ein. Für sie war die Schlacht noch nicht vorbei. Kurz fragte sich Kano, ob Aznar und die Überlebenden seiner Staffel ebenfalls wieder in die Schlacht zurückkehren würden. ‚Wahrscheinlich. Was sollen sie auch sonst tun.’
„Da ist schon die HONGKONG! Siehst du sie, Charene? Nur noch ein kleines Stückchen, ein paar Minuten, hörst du?!“
Schweigen. Er verrenkte den Kopf und verfluchte sich selber. Schon wieder ein Schwindelanfall. Er wurde doch nicht etwa raumkrank, nach mehr als drei Jahren Dienst im All? „Charene?! Charene!“
„Ja,…verdammt. Ich bin noch nicht…tot.“ Ihre Stimme klang leise, aber irgendwie teilnahmslos. Das war gar nicht gut. Kano aktivierte sein Komlink: „Hier Ohka für HONGKONG Flugkontrolle! Habe eine Verletzte an Bord! Maschine schwer beschädigt! Muss sofort landen! Erbitte Anflugvektor und Medteam im Hangar. Wiederhole, muss sofort landen…“
„Wir haben Sie verstanden. Ihre Maschine ist zu schwer beschädigt. Wenn wir Sie jetzt langsam reinholen, dann halten Sie den Flugverkehr auf. Falls Sie uns nicht in den Hangar oder die Rumpfpanzerung krachen. Das Risiko ist zu groß. Steigen Sie aus. Ein SAR-Shuttle nimmt sie auf und bringt Sie…“
Und da geschah etwas, was wirklich Seltenheitswert hatte. Kanos Selbstbeherrschung versagte: „BAKA! Welcher Idiot sitzt da verdammt noch mal am Funkgerät?! Haben Sie nicht verstanden?! Ich habe eine VERWUNDETE an Bord. Ich habe keine Zeit, auf ein SAR-Shuttle zu warten. Also entweder Sie geben mir JETZT den Anflugvektor, oder ich bringe Sie vor ein Kriegsgericht!“
„Hör mal, du Stückchen Weltraumscheiße, wir haben Wichtigeres zu tun, als um uns um jeden Weltraumjockey zu kümmern, der einen Fingernagel verloren hat! Während ihr an der Flanke herumgespielt habt, ist der Feind im Zentrum unser Linie durchgebrochen. Das hier wird eine verdammte KRIEGSZONE!“ Wie um das zu unterstreichen, wurde ein Quartett Jäger ausgeschleust, während eine dezimierte Sektion zur Landung ansetzte.
Kano fluchte: „Wir könnten längst an Bord sein! Ich habe keine Zeit zum Schwatzen. Also geben Sie den Weg frei, oder ich gehe auf eigene Faust rein!“
„SIE BLEIBEN WO SIE SIND! Sie werden NICHT LANDEN! Oder SIE sind es, die vor ein Kriegsgericht kommen!“
‚Hatten wir das nicht schon irgendwie mal…’
„Was zur Hölle ist da los?!“ Aznar schaltete sich in den Streit ein.
Der Flugleitoffizier klang reichlich geladen: „Ich habe Ihrem Weltraumjockey nur gesagt…“
„Wenn wir nicht landen können, dann STIRBT Ticano vielleicht!“ Kano erinnerte sich daran, dass La Reine vor einem ähnlichen Dilemma stand. Er würde jetzt nicht kneifen. Allerdings hatte La Reine das Recht und die Rangtabelle auf ihrer Seite gehabt. Er hingegen hatte nichts…: „Lieutenant Commander Aznar. Ticano muss sofort in die Medic-Station. Bitte! Sie gehört zu IHRER Staffel…“ Er würde nicht zulassen, dass noch jemand starb, der unter seinem Kommando stand. Er würde es nicht zulassen!
Aznars Stimme klang wütend: „Erzähl mir nicht, was ich für meine Staffel tun soll! Und jetzt Ruhe, alle beide! Ich kümmere mich darum.“
Der Flugleitoffizier hatte bestimmt keine Lust, das ‚Gespräch’ fortzusetzen. Und Kano…
Er konnte nicht viel mehr tun, als mit den Zähnen zu knirschen und mit ohnmächtiger Verbitterung zuzusehen, wie andere Maschinen starteten und landeten, während er neben der HONGKONG durchs All driftete. Sogar die noch einsatzfähigen Maschinen der Eagle Warriors kurvten zum Landeanflug ein. Die wenigen Begleitschiffe des leichten Trägers nahmen Fahrt auf und bewegten sich zielstrebig in Richtung Front. Die Kampfzone rückte näher. Und die Zeit verrann. Ticanos Zeit. ‚Verdammt! Verdammt! VERDAMMT!’
„Ticano, alles klar?“
„Alles…gut. Tut…schon…gar nicht mehr…weh.“
„AZNAR!“
Aber es war nicht Aznar, der ihm antwortete. Es war der Flugleitoffizier. Seine Stimme klang angespannt, voller unterdrückter Wut: „Sie haben einen, genau EINEN Anflug. Wenn Sie den vergeigen, dann können Sie da draußen von mir aus einfrieren. Ist mir scheißegal! Und wenn Sie Mist bauen…wenn Sie den Hangar oder die Außenhülle beschädigen…Dann lassen wir Sie erschießen! Verstanden?!“
Kano fragte sich, welche Strippen Aznar hatte ziehen müssen, damit Ticano diese Chance bekam. Was galt schon ein einzelnes Leben? „Geben Sie mir einfach den Anflugvektor und sagen Sie dem ATLS-Team Bescheid!“
„Arschloch.“
Er ignorierte den Schmerz, der durch seine Hand und seinen Arm pulsierte. Ignorierte den bohrenden Kopfschmerz. Ignorierte die grauschwarzen Eintrübungen am Rande seines Blickfeldes. Das alles war nicht wirklich hier, betraf einen anderen Menschen. Genauso wie die pfeifenden Atemzüge Ticanos.
Jetzt gab es nur noch ihn. Die Maschine. Und das gähnende Hangartor der HONGKONG. ‚Nur ein Versuch.’
Er kam zu schnell rein, hatte viel zu viel Schub. Kano verdrängte die Worte, die aus seinen Kopfhörern drangen, gab stattdessen vollen Gegenschub. Die Maschine bockte wie ein störrisches Pferd, und ein weiterer Alarmton schrillte los.
Für einen Augenblick glaubte Kano, dass er sich verschätzt hatte, dass er die Kontrolle über den Jagdbomber verloren hatte. Dass er ungebremst in die Rumpfpanzerung des Trägers oder – schlimmer noch – in den Hangar rasen würde. Er hatte erlebt, wie das Renegade passiert hatte. An diesem Tag war Monty gestorben.
Aber in diesem Augenblick packte der unsichtbare Griff des ATLS den Jagdbomber, und hielt ihn fest. Mit einem Stoßseufzer und einem lautlosen Gebet deaktivierte Kano den Antrieb, und ließ sich von den Traktorstrahlen in den Hangar tragen.
Kurz wurde ihm wieder schwarz vor den Augen. Jetzt konnte er sich das erlauben. Trotz der ausgefallen Heizung war er schweißgebadet.
Mit einem leisen, fast sanften Klappern setzte die Mirage auf. Kano riss sich den Helm von Kopf und ließ die Cockpithaube aufgleiten. Für mehr fehlte ihm ganz einfach die Kraft.
Dann waren auch schon die Bodenmannschaften heran: „Sani! Hierher, Bewegung, los, los!“
Kano richtete sich auf, drehte sich in seinem Sitz um – und wäre beinahe aus dem Cockpit gekippt. Einer der Medtechs musste ihm auf den Boden helfen, wo der Pilot in die Knie sackte. Das Deck rings um ihn schien zu schwanken, wie auf einem echten Schiff.
Er wollte den Medtechs helfen, die um die Mirage herumschwirrten schienen, wie Fliegen um einen Kadaver, aber er war einfach zu schwach. Jedes Mal, wenn er sich aufrichten wollte, wurde ihm wieder schwindlig.
Also sah er zu, wie man einen Kranhaken einsetzen musste, um den zentnerschweren Bordschützensitz zurückzuziehen. Ticano blieb stumm. Das war schlimm. Besser wäre es gewesen, wenn sie geschrieen hätte.
Dann zog man sie aus der Maschine, ließ sie langsam auf eine Bahre gleiten. Noch einmal versuchte Kano auf die Beine zu kommen. Und diesmal schaffte er es. Ein schlanker Medtech half ihm dabei. Er wusste nicht mal seinen Namen.
Etwas stimmte mit Ticanos Beinen nicht. Die Hosenbeine beulten sich unnatürlich weit aus, schienen sich schwerfällig zu blähen und zu verformen, wann immer jemand sie berührte. Dann begriff Kano, dass es Blut sein musste, das da langsam hin- und herschwappte. Ticanos Blut.
„Charene?!“
Tatsächlich, sie schien ihn gehört zu haben. Er sah, wie die junge Bordschützin den Kopf zur Seite drehte. Ihr Gesicht wirke unnatürlich weiß, fast kalkig. ‚Blutverlust.’
Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Die junge RIO lächelte. Es war ein unheimliches, gespenstisches Lächeln, weil es auch ihre müden, aufgerissenen Augen erreichte und gleichzeitig so fürchterlich fehl am Platz wirkte. Unnatürlich: „Ich…hab Abia versprochen,… …dass ich sie nicht…alleine lasse. Tja…sieht so…sieht so aus…als…wäre sie nicht die…Einzige…die…in die Etappe…muss.“
Kano folgte ihrem Blick. Dort wo Ticanos Füße sein mussten…ihre Füße waren regelrecht zermalmt worden, wie in einer Maschinenpresse.
„Sofort in den OP! Bluttransfusion! Sofort zwei Einheiten!“
„Herzschlag und Puls...“
„Vitalfunktionen sind…“
Die Rücken der Medtechs und Ärzte versperrte Kano die Sicht auf seine Bordschützin.
Noch ein paar Augenblicke, dann war er allein. Nun ja, so alleine, wie man das im Hangar der HONGKONG sein konnte.
„Sir?“
Er drehte den Kopf zur Seite. Neben ihm stand immer noch der namenlose Medtech und musterte ihn mit professioneller Fürsorge: „Sie sollten auch in die Med-Abteilung. Neben ihren gebrochenen Fingern haben Sie mindestens noch eine ordentliche Gehirnerschütterung. Vielleicht auch einen Haarriss. Wir müssen Sie röntgen.“
Kano nickte mechanisch. Doch dann drehte er sich noch einmal um, und musterte seinen zusammengeschossenen, rußgeschwärzten Jagdbomber. Sah hinüber zu den neu bestückten Mirages, einem erbärmlich zusammengeschmolzenen Haufen, die neu bestückt zum Start rollten. Der Medtech folgte seinem Blick, und verstand ihn falsch: „Sie haben für heute genug getan, Lieutenant.“
Kurz huschte so etwas wie ein Lächeln über Kanos Lippen. Langsam, mit schwerfälligen Bewegungen folgte er dem Medtech.
Das war es nicht, was er gedacht hatte. Aber trotzdem, der Mann hatte Recht. Was auch immer geschah, was auch immer der HONGKONG bevorstand. Für ihn war die zweite Schlacht von Karrashin vorbei.
Cattaneo
Cunningham
Uns wen'ge, uns beglücktes Häuflein Brüder:
Denn welcher heut sein Blut mit mir vergießt,
Der wird mein Bruder; sei er noch so niedrig,
Der heutge Tag wird adeln seinen Stand.
Und Edelleut in England, jetzt im Bett,
Verfluchen einst, dass sie nicht hier gewesen,
Und werden kleinlaut, wenn nur jemand spricht,
Der mit uns focht am Sankt Crispianustag.
Heinrich der V. - Shakespeare
Nur die Toten haben das Ende des Krieges erlebt.
Der griechische Philosoph Plato
Was als ein schneller Angriff geplant war, um den Feind zu entmutigen, hatte sich in eine brutale Abnutzungsschlacht verwandelt. Eine Abnutzungsschlacht, welche sie unmöglich gewinnen konnten. Die Akarii hatten mehr Schiffe, mehr Jäger, und zwei Flottenträger um die kleine Erdflotte einfach zu zerdrücken.
Rearadmiral Benk Schepens starrte auf den Kartentisch in der CIC der Hongkong. Zweimal war es seinen Streitkräften gelungen die Akarii abzuschlagen.
Die Kosten waren enorm. Sein CAG war gefallen, ebenso Commander Renard von den Bushpilots, der sich vier Bloodhawks in den Weg gestellt hatte, um einer Bombersektion den Weg zu ebnen.
So blieb nur Samantha Burr von den Angry Angels übrig, welche die drei verschiedenen Geschwader mit absoluter Hingabe und Aufopferung anführte.
Schepens war sich sicher, solange Raven flog, würden die Jagdflieger weiterfliegen.
„Wir haben gerade Meldung erhalten, dass Commander Aznar und seine Jabos den vorgeschobenen Yankee soweit beschädigt hat, dass die Echsen ihn aus der Schusslinie bringen.“, der Signaloffizier grinste hoffnungsvoll, „Commander Burr meldet, dass sich mehrere Akariizerstörer im Sektor Rot formieren und zusammen mit den beiden leichten Kreuzern einen Angriffskeil bilden. Es sieht so aus, als ob die Echsen jetzt auf unser Zentrum vorstoßen. Commodore Mithel versucht seine Schiffe neu zu gruppieren. Jedoch meldet der Commodore, dass bei einigen seiner Kreuzer die Munitionsreserve auf zwanzig Prozent geschrumpft ist.“
„Verdammt.“
Lee Min-Joo, die Kommandantin der Hongkong, trat mit betretenen Gesichtsausdruck an den Kartentisch heran: „Es sieht auch so aus, als ob der Feind sich jetzt dazu entschlossen hat, seine beiden Träger in Angriffsposition vorrücken zu lassen. Das negiert zum einen unseren Vorteil der voll bestückten Jäger, zum anderen haben wir nichts, was einen Angriff auf einen Flottenträger durchführen kann. Jedes dieser beiden Schiffe ist soviel wert wie zwei von Mithels Kreuzern, wenn diese unbeschädigt und voll bestückt sind.“
Schepens atmete tief durch und starrte auf den Kartentisch. Die Hongkong war unbeschädigt und hatte noch gut achtzig Prozent ihrer Raketenlast. Er durfte nicht mehr lange zögern, dann musste er den Träger einfach in die Linie beordern.
Doch dann würden wieder die Jäger und die Jagdbomber fehlen.
Verdammt, verdammt, verdammt. Cunninghams Plan hatte sich angehört als hätte er klappen können, und jetzt verpuffte nach und nach die gesamte Kampfgruppe.
Wenn er noch Janzek und ihre zusammengewürfelte Division aus kampfgezeichneten Zerstörern und Fregatten von der Flanke ins Zentrum beorderte, konnte er den nächsten Angriff sicherlich noch stoppen, ohne die Hongkong zu exponieren.
Aber den übernächsten Angriff? Nein, sicherlich nicht mehr. Auch nicht durch Einsatz der Hongkong.
„Captain Lee, bewaffnen Sie alle Jagdbomber und Jäger die in den nächsten dreißig Minuten reinkommen nochmal auf. Anschließend nehmen wir Fahrt auf und übernehmen das Zentrum.“
„Aye, Sir.“
Lucas Cunningham saß an einer der seitlichen Arbeitsstationen der CIC der Columbia und las sich nochmal den nicht eingereichten Aufsatz von Igor Maleetschev zum Thema Sprungpunktaufklärung durch. Als sie beide den Perisher absolvierten, war das eine fixe Idee von Igor gewesen.
Kurz bevor sie die Aufsätze hatten abgeben müssen, hatte Igor eine nie da gewesene Panikattacke bekommen und einen anderen Aufsatz geschrieben.
An diesem war Lucas maßgeblich und unfairer Weise beteiligt gewesen. Durch Unmengen starken Kaffee, mit dem er Igor zwei volle Tage wach gehalten hatte.
Andererseits war ein panischer Igor einfach unerträglich gewesen, so war die Mithilfe eher eine Art Selbstverteidigung gewesen, entschied Lucas erneut.
Die Berechnungen waren, wie nicht anders von Maleetschev zu erwarten gewesen, exakt.
Das Problem war nur, dass diese Form der Aufklärung bisher weit weniger nützlich war, als einfach in das System zu springen und zu sehen, was passiert.
Das Problem war zum einen, eine wartende Streitmacht hielt ein Wurmloch unter strengster Beobachtung und jeder Anstieg der Thetastrahlung, den ein Sprung auslöste, wurde registriert und würde Alarm auslösen.
Die alten Barracuda-Sonden waren nicht stabil genug, wurden im Regelfall einfach beim Transit zerquetscht und kamen im anderen System nur noch als Bruchteil von Atomen an.
Wenn jetzt aber am Sprungpunkt ein Kampf tobte oder eine Flotte auf ihn zu hielt, deren größte Gefahr zurückgelassene Minen darstellten, wer würde schon auf einen kleinen Strahlungsanstieg achten, den es mit sich brachte einen Mikroriss im Raum zu öffnen um eine stabilere Spector Drohne kurz über den Zeithorizont des Wurmloches blinzeln zu lassen?
„Sir, Lieutenant Commander Hauenstein meldet, dass die beiden Drohen ausgesetzt wurden.“
Lucas drehte sich zu Irons um. Ihr Stellvertreter von der Bronzenen Schwadron war mit einer Rafael draußen und leitete den Drohneneinsatz vor Ort.
Ein SWACS der Angels würde den Traktorstrahl stellen. Die Columbia selbst würde das Wurmloch erzeugen, da der Träger knapp in Sprungreichweite war.
„Ausgezeichnet, und sagen Sie Count, er soll es nicht vermasseln, wir spielen hier mit fast einer Million Real an Ausrüstung herum.“
McGill hob eine Augenbraue: „Jede verdammte Maverick, die wir abfeuern, kostet fast eine Million. Krieg ist teuer in diesen Tagen.“
Er warf noch ein Blick auf das MSD. Das Statusdisplay zeigte ihm, dass die Columbia soweit einsatzbereit war, wie es ohne ein Trockendock möglich war. Das Backbordschild würde halten. Fürs erste.
„Sprungantrieb aktivieren, Mister Stüve, und speisen Sie die Daten der Giap ein.“
„Sprungantrieb aktivieren, aye-aye, Sir.“
McGill, Long und Cunningham standen um den Kartentisch herum und starrten gebannt auf das Bild, welches eine Nahaufnahme der wartenden Rafael, des SWACS und der beiden Sonden zeigte.
„Sir!“, meldete sich der Signaloffizier, „Wir erhalten einen Dringlichkeitsruf der Kip Thorne, Captain Rawlings möchte wissen, warum wir den Sprungantrieb aktiviert haben.“
Die drei Commander um den Kartentisch sahen sich an.
„Sagen Sie, Lone Wolf,“, wollte McGill wissen, „haben Sie sich nicht mit den anderen Schiffskommandanten abgesprochen? Nichtmal mit Rawlings?“
Lucas blinzelte überrascht: „Sagen Sie Captain Rawlings, dass wir ein Aufklärungsmanöver unternehmen.“
„Aye, Sir.“, antwortete der Signaloffizier unsicher, wandte sich aber wieder seinen Instrumenten zu.
„Sprungantrieb bereit!“, meldete Stüve.
„Dann mal los.”
„Sprungspuhlen aktiviert, Energieausstoß sieben komme neun drei, Raum-/Zeitriss hat sich gebildet.“
Gebannt blickte Lucas auf Kartentisch, wo zu sehen war, wie das SWACS die beiden Drohnen mittels Traktorstrahl von sich weg schob. Ein eingespielter neongrüner Trichter stellte den unsichtbaren Riss da.
Dann verschwand die Spector Aufklärungsdrohne und kurz darauf die COMSAT.
„Datenübertragung noch stabil“, meldete der Pilot des SWACS.
„Bestätigt,“, kam es von Count in der Rafael, „wir sollten gleich über den Zeithorizont hinaus sein.“
Wenige Augenblicke verstrichen ehe sich der Count erneut meldete: „Wir bekommen jetzt Daten von drüben.“
„Dringlichkeitsruf von der Kip Thorne, Sir!“, der Signaloffizier blickte unglücklich zu Cunningham.
Auf dem Hangardeck der Hongkong war die Hölle los.
Trash und Ferret hievten eine Sidewinder in die äußerste Waffenhalterung unter dem rechten Flügel, und einer der Waffentechniker befestigte die Raumkampfrakete mit geübten Handgriffen.
„Als ich sagte, ich habe die Nase voll von den Angriffen auf diese verdammten Dickschiffe, hatte ich nicht gemeint, dass ich unbedingt Jagdschutz gegen Bloodhawks fliegen wollte.“, knurrte Trash. Trotz mehrstündigen Einsatz schien der junge Pilot noch voll da zu sein.
Sein RIO antwortete lakonisch: „Tja, so wie wir hier rausgeholzt haben, scheinen uns doch tatsächlich die Mavs ausgegangen zu sein. Außerdem brauchen Jabos eben irgendwie noch Jagdschutz. Und wenn ich hier schon draufgehe, dann sollten wir uns noch ein paar vernünftige Abschüsse besorgen.“
Trash und der Petty Officer zuckten zusammen.
„Wir werden hier nicht sterben.“, murmelte Trash wenig überzeugend. Er hatte nicht wirklich vor in diesem Krieg zu sterben. Zumindest hatte er es nicht vorgehabt. Im Gegensatz zu vielen anderen empfand er die Möglichkeit eines Kriegsgefangenenlagers weit weniger schlimm als zu sterben. Aber als Killer von Prinz Jor, war es da nicht besser bis zum letzten Bluttropfen zu kämpfen? War das nicht auch ein wenig Verpflichtung für einen Helden? „Was mir mehr Sorgen macht, ist mit einem Begleitjäger drei Jagdbomber zu beschützen.“
„Sieht aus, als bekommen wir einen Wingman.“, Ferret deutete auf eine Mirage, die zu ihnen hingezogen wurde. Der ältere Jabo sah aus, als wäre er ziemlich durch die Mangel gedreht worden und gerade eben erst gelandet.
Die beiden Piloten zwängten sich aus dem Cockpit, noch ehe die Mirage zu stehen kam oder die Leiter angelegt worden war.
„Komm, helfen wir mal bei der Bestückung.“
Trash zuckte mit den Achseln und folgte dann seinem RIO.
„Was soll heißen wir sollen wieder zum Jagdschutz heraus, und vor allem für wen?“ Der Pilot schien alles andere als begeistert.
Der RIO drehte sich zu den beiden Angels um. Auf seinem Pilotenhelm stand das Callsign: Zombie. Er nahm seinen Helm ab, und es kam wirklich ein bleicher, fast ausgemergelter Kerl zum Vorschein und stupste seinen Piloten an.
Ein drahtiger Kerl, auf dessen Helm Knock-Out stand, drehte sich um: „Och-neee, nicht noch mehr Helden von den Angels. Mit Euch hat man nur Ärger.“
Die beiden Angels guckten sich an und Trash antwortete dann: „Keine Bange Kleiner, wir passen schon auf deinen Arsch auf, egal in welchen Ärger wir kommen.“
„Oh, dann bin ich aber ECHT beruhigt.“
Ein Techniker kam mit einem Munitionskarren angeschoben, auf dem je vier Sparrows und vier Sidewinder lagen.
„Los, hör auf Maulaffen feil zu halten und pack mit an.“, meinte Ferret, und begann dem Techniker zu helfen, die erste Sparrow aus ihrer Halterung am Wagen zu heben.
Die vier Piloten und der Waffentechniker bestückten die Mirage so schnell sie konnten. Währenddessen wurden zwei weitere Mirage mit Mavericks und HARMs bestückt.
Kaum waren sie fertig, kam Razor angetrabt: „Okay, hergehört: Wir rücken aus und schlagen einen kleinen Bogen, während die Hongkong die Mitte verstärkt. Es ist an uns, die rechte Flanke der Akarii zu bedrohen und auszudünnen, dort stehen nur ein paar Fregatten. Die Akarii sollen denken, dass wir dort den erneuten Gegenangriff vorbereiten und dann die rechte Flanke mit einigen Schiffen aus der Mitte verstärken. Sobald das geschieht, greift der Rest unserer Jabos zusammen mit der Hongkong und den restlichen Dickschiffen das feindliche Zentrum an.“
„Klingt ja nach einem echten Meisterstück. Ich wette, Custers Last Stand hat auch so begonnen.“
Alle Augen richteten sich auf Knock-Out.
Razors Gesicht wurde weich: „Lieutenant, wir sind nun mal hier, zum Weglaufen ist es für UNS jetzt zu spät. Wir brauchen Sie da draußen. Geben Sie Ihr Bestes, Junge.“
„Und dann kommen wir vielleicht hier raus?“
„Wer weiß das schon? Wir stehen mit dem Rücken zur Wand und unsere einzigen Möglichkeiten sind uns entweder zu ergeben oder zu kämpfen. Und so wie ich Mithel kenne, ist ergeben keine Möglichkeit, also heißt es zu kämpfen ...“
„... und zu sterben“, vollendete Knock-Out tonlos.
„Ja, so könnte es für uns alle ausgehen. Also, sitzen Sie auf.“, Razor drückte ihm die Schulter.
„Aye, Sir.“
„Vorwärts Herrschaften: Alles aufsitzen!“, der Lieutenant Commander trabte zu seinem Jagdbomber.
Innerlich schüttelte er den Kopf. Dass sich diese Kids immer so an das eigene Leben klammerten.
Ein Bangen und ein Zittern. Die Suche nach Unsterblichkeit.
Wahre Unsterblichkeit gab es nur im Tod: JJ Jennings, Victor von Bein, Bach, Brahms, Einstein, Patton und George Armstrong Custer, und wenn es ihn selbst endlich erwischen würde, dann auch Martin Durfee, der große Akarii-Killer. Immer wenn er an die zigtausenden Akarii-Infanteristen dachte, die er auf dem Gewissen hatte, bekam er das Bedürfnis sich zu duschen.
Nun, vielleicht heute …
Der Zerstörer Montgomery war eines der wenigen terranischen Schiffe in Karrashin, das noch ohne einen Treffer war. Das lag nicht daran, dass die Montgomery sich zurückgehalten hatte. Ganz im Gegenteil, der ältere Duquesne-Class Zerstörer war wann immer es ging in der ersten Linie gewesen.
Nun gehörte er zum Flankendetachement und stand an der äußersten rechten Flanke von Mithels ausgedünnter Schlachtreihe.
Commodore Helena Janzek beobachtete auf ihrem Kartentisch die reinkommenden Informationen. Sollten Schepens und Mithel fallen, würde sie die gesamte Aktion erben.
Janzek war jung, ehrgeizig und selbstbewusst, doch zweifelte sie daran, dass wenn die beiden anderen Flaggoffiziere fielen, noch etwas Verwertbares von der Flotte übrig war.
Zu allem Überfluss befehligte sie jetzt die Montgomery wieder persönlich. Ihr Flaggkommandant war auf einen leichten Kreuzer geschickt worden, der seinen Captain und XO verloren hatte. Ihre wenigen Stabsoffiziere waren ebenfalls abkommandiert worden, um anderweitige Lücken zu schließen.
Trotz all ihrer Abgebrühtheit erschreckte sie die Situation. Chris Mithel hatte die Shuttles an die Front befohlen. War es Hoffnung, Verzweiflung oder konnte man es letztlich als Mord bezeichnen?
Was mochte jetzt in den Besatzungen jener zerbrechlichen kleinen Schiffe vorgehen? Wie weit ging die Pflicht? Wie weit hielt die Vaterlandsliebe? Welche Opfer war man bereit zu bringen?
Was, wenn keine Hoffnung mehr vorhanden war? War man als Kommandeur dann nicht verpflichtet, seinen eigenen Leuten das Leben zu retten? Wann war es statthaft zu kapitulieren? Wie lange konnte man von den einfachen Soldaten, den Unteroffizieren und den jüngeren Offizieren, den Ensigns und Lieutenants verlangen standzuhalten?
Wie lange war der Befehl zum Sterben anzutreten rechtens? Steckte man schon so tief im Blut der Gefallenen, dass der Krieg bis aufs Messer geführt wurde? Hatte Lucas Cunningham das schon erkannt, als er angedeutet hatte, dass man die Rettungskapseln der Korax ma Rah notfalls abschießen müsste?
Wo war der Schlussstrich?
Als Janzek als junger Ensign ihre Karriere begonnen hatte, waren ihr die Captains und Flaggoffiziere so erhaben vorgekommen. So unfehlbar und ohne den Anschein eines Zweifels. Jederzeit und überall.
Was war das doch nur für ein Irrtum gewesen. Mit keinem neuen Streifen am Ärmel waren die Zweifel weniger geworden oder waren die wirklich wichtigen Fragen beantwortet worden.
Sie wusste nicht mehr über richtig und falsch als zu Beginn ihrer Karriere.
Also Offizier der Flotte hatte sie dieser gegenüber eine Pflicht. Es galt die geschriebenen wie ungeschriebenen Gesetze der Terran Space Navy zu befolgen, zu ehren und zu beschützen.
Benk Schepens kämpfte hier, Chris Mithel kämpfte hier, und sollte es soweit kommen würde sie nach ihnen hier kämpfen. So lange sie musste, so lange sie konnte.
Recht oder Unrecht hatten dabei kein Platz, entschied sie. Männer und Frauen, Historiker, Leute, die heute nicht hier waren, würden in ein paar Monaten, vielleicht erst in einem Jahr oder in zehn Jahren über sie alle hier urteilen und ihre Handlungen als richtig oder als falsch beurteilen, aber das spielte hier und jetzt keine Rolle.
Heute und hier galt es nur die besten Traditionen der Flotte zu ehren.
Alles andere würde sich zeigen …
„Commander Cunningham: Ich frage Sie allen Ernstes, sind Sie wahnsinnig geworden?“
Der Offizier, dessen Bild auf den Kartentisch projiziert wurde, sah aus, als ob er diese Option wirklich in Erwägung zog.
„Nein, Captain, bin ich nicht.“, Lucas blickte zu seinem Operationsoffizier hinüber. Richard Nissler saß an einer Konsole und wertete die von der Sonde aufgefangenen Daten aus. Keine zwanzig Sekunden hatte die Sonde durchgehalten, ehe sie von den Gravitationsverzerrungen des Wurmloches zerquetscht worden war.
Diese zwanzig Sekunden aber hatte sie brav ihre Daten übermittelt, welche die COMSAT, die ebenfalls nicht viel länger durchgehalten hatte, an das SWACS weiter übermittelt hatte.
Lucas betete innerlich, dass die Daten für eine schlüssige Analyse reichen würden.
„Sie starten ohne meine Genehmigung ein Aufklärungsversuch mit einer unerprobten und aller Wahrscheinlichkeit nach verräterischen Methode? Möglicherweise haben Sie den gesamten Hinterhalt in Gefahr gebracht.“, Miles Rawlings beugte sich vor, um so bedrohlicher zu wirken.
Jedoch ging dem sommersprossigen Rotschopf durch sein jugendliches Äußeres jegliches Drohpotential verloren: „Sie befehligen kein Geschwader mehr, sie haben ein Schiff unter ihrem Kommando, dessen Integration in einen Verband von elementarer Bedeutung für jegliche strategische wie auch taktische Operation ist.“
Fast wortwörtlich aus dem Diensthandbuch. Lucas musste sich bemühen nicht mit den Augen zu rollen: „Captain, ich versichere Ihnen, dass gerade in diesem strategischen Szenario eine Entdeckung unserer Aufklärung so gut wie ausgeschlossen ist.“
„Was heißt hier so gut wie ausgeschlossen? Dies ist nicht der Augenblick für Experimente!“
Nissler erhob sich und kam an den Kartentisch.
Neben dem Bild von Rawlings wurden zwei Sensorergebnisse eingespielt. Ohne auf den Captain der Kip Thorne zu achten, begann Wulffs ehemaliger Nachrichtendienstoffizier: „Hier links haben wir eine Messung unserer bordeigenen Sensoren, der Sprungpunkt von Karrashin, kurz bevor wir gesprungen sind.“
Der Nachrichtendienstler markierte einige Strahlungsspitzen.
„Die rechten Ergebnisse stammen von unserer Sonde. Stahlungs- und Gravitationsverwerfungen im ganzen systemeinwärtsgerichteten Bereich. Die großen Ausschläge bis über die Messgrenze hinaus deuten auf multiplen Einsatz von Atomwaffen hin. Die Gravitationsverwerfungen hier und hier…“, er deutete auf zwei Punkte nahe des Mittelpunktes, „dürften mehrere Schiffe sein. Bei der kleineren Verzerrung handelt es sich mit Sicherheit um ein einzelnes Schiff, mit einer Masse von mindestens über fünfunddreißigtausend Tonnen. Ich denke, dass ist die Hongkong, die gerade Fahrt aufgenommen hat.“
Lucas blickte kurz auf den Monitor mit Rawlings Gesicht darauf und dann zu McGill: „Irons, holen Sie alle Patrouillen zurück. Captain Rawlings, ich informiere Sie hiermit, dass die Columbia nach Karrashin zurückspringen wird, um ins Gefecht einzugreifen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich uns anschließen würden. Signaloffizier: Informieren Sie den Rest des Geschwaders!“
„Commander Cunningham,“, fuhr Rawlings auf, „ich verbiete Ihnen nach Karrashin zu springen. Unsere Befehle sind eindeutig. Darüber hinaus haben Sie keine festen Beweise über die Lage in Karrashin. Sie werden die Columbia nicht riskieren.“
„Ich werde nicht hier herumsitzen, während unsere Kameraden im Gefecht sind.“, entgegnete Cunningham ruhig.
„MISTER Cunningham, ich befehle Ihnen Position zu halten.“
„Sie haben mir nichts zu befehlen, Rawlings.“
Der Mund des Captains öffnete sich und schloss sich wieder: „Ich bin Ihr kommandierender Offizier! Ich sollte mich besser nicht wiederholen müssen.“
„Bei allem nötigen ...“, Lone Wolf stockte kurz, „Sie sind im Irrtum, Sie sind ranghöher, aber weder sind Sie mein vorgesetzter noch mein kommandierender Offizier. Als Kommandeur eines Flottenträgers unterstehe ich dem Trägergruppenkommandanten, und dieser ist, wenn ich recht informiert bin, Commodore Chris Mithel. Columbia Ende!“
Lucas blickte Irons an: „Holen Sie die Patrouillen zurück und machen Sie das Geschwader startklar.“
„Aye, Sir.“, Irons salutierte andeutungsweise und trat ab. Sie wusste genauso gut wie er, dass seine Argumentation gegenüber Rawlings auf tönernen Füßen stand. Er wählte die schiffstechnische Abteilung an: „LI, wie steht es um unsere Schilde, kann ich das Schiff ins Gefecht führen?“
Am anderen Ende der Leitung schnaubte es: „Ich glaube ja nicht, dass einer von euch Fliegerjockeys in der Lage ist, einen Einkaufswagen durch ein leeres Geschäft zu führen, aber die Columbia ist einsatzbereit. Das Backbordschild ist gut genug geflickt, dass wir einige Treffer aushalten sollten.“
„Sir,“, meldete sich George Long, „die Thorne hat uns wieder angefunkt. Captain Rawlings hat mir befohlen, ihn auf Lautsprecher zu stellen.“
Mit diesen Worten aktivierte der XO der Columbia das Lautsprechersystem der CIC.
Lucas funkelte ihn wütend an.
„Commander Long, bin ich auf Lautsprecher?“
„Ja, Captain, sind Sie.“, Long stützte sich auf dem Kartentisch ab.
„Ausgezeichnet, Commander.“, Rawlings räusperte sich, „Commander Long, ich befehle Ihnen, Commander Cunningham seines Postens zu entheben und das Kommando über TRS Columbia zu übernehmen.“
Die beiden Commander starrten einander an. Die Arbeiten in der CIC wurden eingestellt und alle Offiziere und Gasten starrten in die Mitte zum Kartentisch.
Alle waren sich der Komplikationen bewusst. Eine falsche Entscheidung, und die Karriere des Betreffenden war im Eimer, egal wie rechtmäßig er gehandelt haben mochte.
„George,“, meinte Cunningham und deutete auf Nisslers Analyse auf dem Kartentisch, „Sie sehen die Beweise. Unsere Kameraden sind im Gefecht und wir sitzen hier rum. Wir sollten, nein wir müssen eingreifen. Jetzt, ehe es zu spät ist.“
„Commander Long,“, tönte es aus den Lautsprechern, „die Beweise sind nicht mal dürftig zu nennen. Darüber hinaus verstößt schon die Aufklärungsmission die Mr. Cunningham durchgeführt hat, gegen die Befehle des kommandierenden Admirals und gegen den Einsatzplan.“
„Ich habe diesen Einsatzplan gemacht, aber nun liegt es an Ihnen, George“, Lucas nahm einen Schluck kalten Kaffee und blickte auf die Analyse des Karrashin-Sprungpunktes.
Ruhig und gelassen, wie ein Pokerspieler mit zwanzig Jahren Erfahrung oder eben ein Feldoffizier im Fronteinsatz. Jemand, der dem Tod ins Gesicht geblickt hatte.
Long blickte zurück. Er entstammte einer langen Ahnenreihe von Navyoffizieren, die sich stets durch vorbildlichen Dienst an der Flotte und der Republik ausgezeichnet hatten. Väterlicher- wie auch mütterlicherseits konnte er auf Admirale und Schiffskommandanten zurückblicken, auf Kommandanten wichtiger Stützpunkte und Ressortleiter der Flotte.
Auf ihm lag in diesem Moment nicht nur die Last der eigenen Karriere, die Last der Entscheidung und das Leben seiner Kameraden. Auf seinen Schultern lag das Vermächtnis von acht Generationen von Marineoffizieren.
Er dachte an eine Szene seiner eigenen Vergangenheit zurück, an eine Kapelle in Lunapolis auf dem Mond, zusammen mit einem Vater stand er vor dem Altar und dem Bild der Heiligen Maria, er hatte sich hingekniet und geschworen: „Ich, George William Long, schwöre hier im Angesicht Gottes, des Universums, unser aller Herr, all mein Streben dahin auszurichten ein guter Soldat zu sein. Der Bundesrepublik Terra in Treue zu dienen.
Und meine persönliche Verantwortung für den Schutz ihrer Verfassung, Kolonien und Bürger zu tragen, so gut ich es vermag.
Ich schwöre der Navy die Treue zu halten, ihre geschriebenen wie auch ungeschriebenen Traditionen zu achten, zu ehren, zu stützen und zu verteidigen.
Bei meiner unsterblichen Seele gelobe ich die Fackel der Tradition aufzunehmen und weiterzuführen. Bis zu dem Tag an dem mich unser Herr zu sich beruft und über meine Taten richtet. So wahr mir Gott helfe.“
Pathetisch, ja, doch diesen Schwur hatten acht Generationen vor ihm ebenso abgelegt. Sein Brüder, auch das Schwarze Schaf der Familie Curtis, seine Cousins und Cousinen.
Es gab wichtigeres als die eigene Karriere.
Er unterbrach die Verbindung zur Thorne, verschränkte seine Arme hinter dem Rücken und fixierte Cunningham: „Ihre Befehle, Captain?“
Der Kommandant, der Captain, der Columbia nickte zufrieden: „Sprungantrieb auf volle Leistung, volle Gefechtsbereitschaft, Geschwader klar zum Alarmstart nach dem Sprung. Die Flottenastrogation soll einen Massentransit berechnen und an das Geschwader durchgeben.“
„Aye-aye, Sir!“, Long gab Alarm und die CIC erwachte wieder zum Leben.
„Sir, die Kip Thorne ruft uns erneut.“, meldete der Signaloffizier.
Ehe Lucas antworten konnte befahl Long: „Ignorieren!“
Auf dem Flugdeck der Columbia brach von einer Sekunde auf die nächste Hektik aus. Die Katapulte waren schon besetzt mit zwei Crusadern in der Mitte und zwei Falcons auf den Katapulten eins und vier.
Nun hasteten die verbliebenen Piloten zu ihren Maschinen, die von Traktoren aus dem Wartebereich in Startreinfolge gezogen wurden.
Matt Dodson stand neben einer Griphen neuester Generation. Fabrikneu, bewaffnet und aufgetankt. Er hatte sich nicht ausruhen können. Er war zu überdreht und zu aufgeputscht. Zu nervös um sich hinzulegen und die Augen zuzumachen, obwohl er bleich und übermüdet war. Dunkle Ringe zierten seine Augen.
Da er sich, obwohl alle Arbeit beendet worden war, nicht hingelegt hatte, hatte er der Griphen mit der Flossenmarkierung acht-null-eins eine Pilotenmarkierung verpasst. Unter dem Cockpit stand jetzt Lt.-Cmd. Tatjana 'Lilja' Pawlitschenko. Ob die Russin nun wirklich kommen würde oder nicht stand theoretisch in den Sternen. Wenn einer der Docs sie wieder eingefangen hatte…
Nein, eigentlich rechnete er nicht damit, dass sie sich schnappen lassen würde.
Und tatsächlich, da kam sie. Humpelnd, auf Krücken. Er verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Sie wirkte bleicher als sonst und ein kleiner Schweißfilm stand auf ihrer Stirn.
Irgendwie schaffte sie es, dass ihr nicht der Helm herunterfiel.
„Sie sind doch bekloppt.“, begrüßte er sie.
Liljas Gesichtsausdruck machte deutlich, dass sie all ihre Selbstbeherrschung brauchte, um die passende, ihrer Meinung nach sicherlich angemessene Antwort herunterzuschlucken.
Kritisch betrachtete sie die schmale Leiter zum Cockpit der Griphen.
Einige von Dodsons Bodencrew kamen hinzu und tuschelten verwundert.
„Sie sagten, Sie werden mir helfen!“ Ihre Stimme war ein raues Fauchen.
Dodson steckte die Hände in die Taschen seines dreckigen Overalls: „Mit dem Bein kommen Sie nichtmal die Leiter hoch. Wie haben Sie es eigentlich geschafft in den Raumanzug zu kommen?“
„Ich bin im Raumanzug, ich komme auch ins Cockpit!“
Der Master Chief schüttelte nochmal den Kopf: „Wissen Sie was, bevor Sie hier versuchen mir mit einer Ihrer Krücken den Schädel einzuschlagen, helfe ich Ihnen lieber dabei sich selbst umzubringen.“
„Zu gütig, Chief.“
„Harry, hol mal einen Hebewagen für die Mavericks!“
„Klar, Boss.“
Er nahm Lilja den Helm ab und half ihr ihn aufzusetzen. Fachmännisch verschloss er den Kragen und überprüfte dann ihren Raumanzug, ob dieser auch wirklich vollkommen dicht war. Arm- und Stiefelverschlüsse, Sauerstoffanschluss. Auf die Kontrolle des Urin- und Fäkalauffang verzichtete er. Immerhin berührte er die bissigste Frau an Bord schon an Stellen, an denen er sie niemals hatte berühren wollen und sie ganz sicher auf Berührungen seinerseits gut und gerne verzichten konnte. Das konnte man deutlich aus ihrer Steifheit erkennen.
„Und, alles dicht?“
Er grinste: „Ganz im Gegensatz zur Trägerin, ja.“
Sie knurrte wie ein Wolf.
Harry kam derweil mit dem Hebewagen für die Maverick-Anti-Schiff-Raketen an.
„Draufsetzen, Stan und ich heben Sie dann ins Cockpit rein.“
„Ich heiße Steve.“
Dodson zuckte mit den Schultern und kletterte über die Leiter auf die Griphen, während Harry den Hebemechanismus in Gang setzte.
Als der Hebewagen nicht mehr weiter konnte, war Lilja fast auf gleicher Höhe mit dem Cockpit der Griphen. Dodson und Steve packten jeweils einen Arm von ihr und hoben sie hoch und ins Cockpit.
Als sie mit dem gebrochenen Bein gegen dessen Seitenwand stieß, keuchte sie stark auf.
Steve verschwand sofort und Dodson half ihr beim Anschnallen.
„Sind Sie verrückt geworden? Hören Sie augenblicklich mit dem Unsinn auf!“
Beide blickten nach unten und sahen neben dem Raketentrolli einen ziemlich aufgebrachten Peter Langenscheid. Von der Technikercrew war weit und breit nichts mehr zu sehen.
„Sie sind nicht diensttauglich!“, bestimmte der leitende Arzt der Columbia, „Chief, diese Frau wird unter keinen Umständen starten! Ist das klar?“
Lilja funkelte den Schiffsarzt wütend an: „Wir ziehen in die Schlacht und ich werde meinen Platz einnehmen!“
„Hören Sie Doc,“, versuchte es Dodson sachlicher, „dass sie hier im Cockpit sitzt, sollte doch Beweis genug sein, dass ...“
„Sie werden dem Lieutenant Commander sofort wieder da raus helfen!“
Der Cheftechniker der Angels biss sich auf die Unterlippe und blickte die Russin bedauernd an.
Lilja fluchte ausgiebig auf Russisch und aktivierte dann ihr Helmfunkgerät: „Griphen acht-null-eins für CIC: ich erbitte Starterlaubnis!“
„Hier CIC, wir werden nach dem Sprung alle Jäger und Bomber starten.“
Lilja wunderte sich über die Irritation in der Stimme des Offiziers am anderen Ende der Leitung, dann fiel ihr ein, dass der ja keine Ahnung von der Situation hatte.
„Hier spricht Lieutenant Commander Pawlitschenko, ich muss sofort mit dem CA … Captain sprechen.“
„Skipper, ich habe hier eine Pawlitschenko, es scheint wohl sehr dringend zu sein.“
Lucas unterdrückte einen Fluch und nahm den Hörer am Kartentisch ab: „Kommandant!“
„Sir,“, ein seltsam erleichterter Unterton war in der Stimme der Russin zu vernehmen, „ich sitze hier in einer Griphen, doch Doktor Langenscheid will mich nicht starten lassen.“
„Ist der Arzt auf dem Flugdeck?“
„Ja, Sir.“
Tiefe Furchen bildeten sich auf der Stirn von Lone Wolf Cunningham: „Warum will er Sie nicht starten lassen.“
„Er hält mich für nicht diensttauglich,“, ein kleiner Augenblick des Zögerns, „ich habe ein gebrochenes Bein, Sir, aber es ist doch so … wir brauchen doch jeden Piloten da draußen.“
,Es ist doch so wichtig', hallte es in Lucas Geist wieder.
„Ihre ehrliche Meinung als erfahrene Pilotin. Sind Sie flugtauglich?“ ,Ich habe keine Zeit für so einen Quatsch.'
„Ja, Sir, ich bin flugtauglich.“
„Würden Sie einen anderen Piloten in ihrer Verfassung starten lassen?“
Ein kurzes Schweigen. Dann: „Nein.“
„Nicht wenn ich eine andere Wahl hätte und einen anderen Piloten in die Maschine setzen könnte.“, fügte Lilja hastig an.
„Ich lasse Sie starten, Lilja, die Flugkontrolle erhält Order, Sie als letzte auszuschleusen und auch wieder als letzte, als allerletzte, wieder an Bord zu holen. Viel Glück.“
Eine neue Stimme mischte sich auf den Funkkanal ein: „Verdammt, Commander Pawlitschenko kann nicht fliegen, es ist ein Wunder, dass sie überhaupt ins Cockpit gekommen ist. Als leitender medizinischer Offizier verbiete ich, den Einsatz der Lieutenant Commander!“
Lucas knurrte kurz: „Lieutenant Commander Langenscheid: Die Columbia wird in wenigen Minuten in eine Kampfzone springen. Sie werden sich augenblicklich auf Ihren Posten zurückbegeben.“
„Verdammt, Lucas, ….“
„SOFORT!“
Ein kurzes Schweigen, dann meldete sich wieder Lilja: „Danke, Sir, es gibt da noch zwei weitere Pi ...“
Der Kommandant der Columbia hängte einfach auf: „TO: Sobald wir gesprungen sind, nehmen Sie das kleinste Akariischiff in unserer Nähe unter Feuer.“
„Das kleinste, Sir?“
„Geht am schnellsten kaputt, und wir machen dann am meisten Eindruck.“
„Aye, Sir.“
Long salutierte vor ihm: „Schiff klar zum Gefecht, Geschwader startklar. Flottille meldet Sprungbereitschaft.“
„Auch die Thorne?“
„Ja, Sir, auch die Kip Thorne, hat als allerletzte Sprungbereitschaft gemeldet.“
„Astrogator übernehmen, Massentransit!“
„Massentransit, aye-aye, Sir.“
„Habe ich das richtig mitbekommen,“, raunte Long ihm zu, „eine Ihrer Pilotinnen hat sich mit gebrochenem Bein in einen Jäger geschleppt.“
„Jepp, wenn sie drauf geht, werden ich sie für einen Orden vorschlagen.“
„Und wenn sie überlebt?“
Lucas blähte die Backen: „DAS weiß ich noch nicht.“
Der Sprungalarm ertönte.
Custers Last Stand, so war die Schlacht am Little-Big-Horn bekannt. Zweitausend Indianer, amerikanische Ureinwohner, schlachteten ein paar hundert amerikanische Kavalleristen ab. George Armstrong Custer, Lieutenat-Colonel der United States Army, Brevet General-Major der United States Volunteers, Held des amerikanischen Bürgerkrieges, hatte seine Truppen in eine Schlacht geführt, die sie nicht hatten gewinnen können.
Benk Schepens fragte sich, als die Hongkong Fahrt aufnahm, ob man ihn eines Tages mit Custer in einen Topf werfen würde.
Es schien fast so. Die Hongkong hatte Fahrt aufgenommen, um Chris Mithels Zentrum zu verstärken. Nach einem kurzen Ablenkungsangriff an der rechten Flanke würde er den Angriff befehlen.
Er wusste, dass er moralisch damit im Unrecht war. Es wäre eigentlich der Zeitpunkt gewesen die Waffen zu strecken. Die Schiffe aufzugeben und zu sprengen und die Männer und Frauen unter seinem Kommando in die Kriegsgefangenschaft zu retten.
Doch mehrere Faktoren hatten dazu geführt, dass er sein Gewissen überstimmt hatte. Der erste Grund war, dass er dem Feind soviel Schaden zufügen musste wie er konnte. Er war einfach gezwungen, Karrashin für die Akarii zu einem Pyrrhussieg zu machen, wenn es ihm schon nicht möglich war, den Echsen eine Niederlage beizubringen.
Der zweite Grund für den Angriff waren die zur Neige gehenden Raketenreserven der Dickschiffe. Sobald diese aufgebraucht waren, war eine Verteidigungsschlacht undenkbar und die Akarii würden sie aus der Entfernung zusammenschießen können. So hoffte er noch einmal großen Schaden beim Gegner anrichten zu können.
Der dritte Grund konnte ihm selbstsüchtig ausgelegt werden. Wenn er hier fallen sollte, zusammen mit seinen Soldaten, so sollte es im Angriff sein.
Ein ehrenvoller Tod, nach den besten Traditionen der Streitkräfte. Ein Beispiel für die Generationen, die nach ihm kamen.
Als Offizier, der sogar im Angesicht der sicheren Niederlage die Nerven behalten hatte und versucht hatte, durch eine Offensive das Schicksal abzuwenden.
„Admiral! Strahlungsverwerfung, da kommen Schiffe durch den Sprungpunkt!“
Mit offenen Mund starrte er auf das Bild auf dem Kartentisch. Nein, unmöglich!
In der CIC der Columbia kamen die Feindmeldungen fast schneller als Lucas sie verarbeiten konnte. Die Echsen waren viel näher als er sich gedacht hatte.
Er hoffte nur, dass die Akarii überraschter waren als er.
„Hart Backbord, fünfundzwanzig Grad Drehung auf der Z-Achse nach Steuerbord. Feuer frei.“
Der Bug der Columbia schwenkte herum, so schnell es eben bei einem über siebzigtausend Tonnen schweren Flottenträger möglich war.
So schnell es ging wurden Bomber und Jäger ausgeschleust.
Noch in der Drehbewegung wurde die erste Salve Marschflugkörper abgeschossen.