Hinter den feindlichen Linien - Season 5

Cattaneo
Cunningham

„ADMIRAL AN DECK!“ Der Ausruf war reichlich lächerlich, da der Offizier, der diese Meldung machte, selbst Rearadmiral war.
Dennoch nahm Lucas Cunningham pflichtschuldigst Haltung an, als Bianca Wulff den Besprechungsraum betrat.
„Bitte setzen Sie sich.“ Wulff überflog ihre Führungsoffiziere. Rearadmiral Mullins, ihr Stellvertreter und Kommandant von Kreuzerschwadron 2.7, neben ihm saß Chris Mithel mit unleserlicher Mine.
Alberto Tratti, der neben Commodore Janzek von den Zerstörern saß, genau Mithel gegenüber, hatte eine übergroße Churchillzigarre zwischen den Zähnen. Dankenswerterweise war diese nicht angezündet.
Links von Mithel hatte sich Cunningham hingesetzt, der leise auf den Commodore einredete. Neben Cunningham saß merkwürdigerweise nicht Diane Parker, sondern eine von Lone Wolfs anderen Schwadronenkommandanten.
Dem CAG gegenüber saß Colonel Hammersmith, der den Commander wütend fixierte, was dieser wohl schon aus purer Boshaftigkeit ignorierte.
Nein, rief sich Wulff zur Ordnung, verfall jetzt bitte nicht in Schubladendenken. Fünfundzwanzig Jahre lang hast Du genau so etwas vermieden und bist damit verdammt gut gefahren.
Die Admiralin nickte noch einmal Captain Waco und Commander Schwimmer, ihrem Operationsoffizier, zu, die sich gerade ebenfalls an den Tisch setzten.
„Nach dem nächsten Sprung werden wir endlich auf Jor und seine letzten Verteidiger treffen. Wie Sie alle wissen, ist unsere Hauptaufgabe Jor gefangen zu nehmen oder zu töten. Wobei letzteres sicherlich einfacher ist.“ Wulff holte tief Luft. „Sie haben mir unterschiedliche Pläne vorgelegt, wie wir dieses Unterfangen bewerkstelligen sollen ...“
„Ma'am entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie unterbreche.“ Cunninghams Begleiterin erhob sich. „Aber in den letzten Stunden haben wir einige Simulationen und Planungen durchgeführt, die Ihre Entscheidung für eine der Möglichkeiten sicherlich beeinflussen werden.“
„Commander!“ Wulff funkelte die ältere Frau wütend an. „Mein Stab hat sich mehrere Wochen mit allen Eventualitäten beschäftigt, also setzen Sie sich bitte wieder hin.“
„Ich finde, Sie sollten sich Commander McGills Argumente zumindest anhören, Admiral.“ Cunningham blickte sie mit purem Selbstvertrauen an. Weder in der Aussage noch in der Betonung lag eine böse Spitze.
„Commander McGills Argumente? Nicht Ihre, Cunningham?“
„Es ist ihr Plan, darum ist sie heute anstelle von Commander Parker dabei.“ Log Cunningham aalglatt. Auch McGill verzog keine Mine.
„Das ist doch jetzt nur der Griff nach dem Strohhalm, nachdem Sie bemerkt haben, dass Ihre anderen Vorschläge keine anständigen Optionen darstellen, Cunningham. Und sowas kurz vor Missionsbeginn, Sie müssen wirklich verzweifelt dem Ruhm nachjagen.“ Hammersmith hatte sich feindselig vorgebeugt.
„Na, na Colonel, wir wollen uns doch zumindest den Anschein von geistiger Flexibilität bewahren.“ Die rangniederen Flottenoffiziere zeigten auf Lone Wolfs Stichelei gegen den Marineinfanteristen deutlich Wirkung.
Tratti grinste offen, während Schwimmer sein Lachen mit einem Husten kaschierte. Waco's Augen lachten ebenfalls mit.
Mullins, Mithel und Janzek hielten es für unter ihrer Würde eine Reaktion auf die Grabenkämpfe außerhalb der Flaggdienstränge zu zeigen. Obwohl Wulff sich sicher war, dass alle Cunninghams schlechte Meinung über Hammersmith teilten, und sei es nur wegen der alten, fast traditionellen Feindschaft zwischen Flotte und Marines.
„Vielleicht hören Sie mir erstmal zu und entscheiden dann, was Sie mit meinen Ideen tun, statt diese von vornherein abzulehnen, Ma'am.“ McGill verschränkte die Hände vor der Brust und sah die Admiralin herausfordern an.
„Vorsicht, Commander.“ Wulff blickte Cunningham an, der sich zurücklehnte und genüsslich die Hände hinter dem Kopf faltete. ,Du Schweinehund.'
Chris Mithel beugte sich zu Cunningham und flüsterte diesem etwas ins Ohr, was zu einem breiten Grinsen auf dem Gesicht des CAG führte.
„Also, McGill, erzählen Sie.“
Irons brachte den Schlachtplan vor, den Cunningham mit ihr und den anderen Staffelchefs ausgearbeitet hatte und zeigte auch die letzten Bilder von Jors Flaggschiff bei Trafalgar.
Die Flottenoffiziere schienen durchweg positiv auf Irons Plan zu reagieren. Einzig und allein Hammersmith schien die Idee ganz und gar nicht zu gefallen.
„Und wenn Ihr Plan fehlschlägt?“ Wollte der Colonel wissen. „Dann kann man gar nicht mehr auf die Idee eines Marinesangriff auf Jors Flaggschiff zurückgreifen.“
„Colonel“, erwiderte Irons kalt, „wenn mein Plan fehlschlägt sind ein Haufen guter Piloten tot, Ihr Regiment kann man aber noch an anderer Stelle einsetzen. Schlägt Ihr Plan fehl, sind sowohl Marines als auch Piloten tot. Was ein weiteres Plus in meinem Plan ist, selbst wenn er fehlschlägt, könnte der Feind weit genug geschwächt sein, dass unsere Kreuzer sich direkt mit den Akarii anlegen können.“
„Das sind alles reine Spekulationen!“
„Natürlich sind es nur Spekulationen, Colonel.“ Erwiderte Mithel anstelle der Bomberpilotin. „Wie jeder Schlachtplan, ehe er ausgeführt wurde.“
„Die Entscheidung ist als gefallen? Prima nocta der Flotte?“ Hammersmith lehnte sich mit verschränkten Armen zurück.
Wulff antwortete nicht, sondern fixierte Cunningham. Eine stille Frage: ,Werden Sie Rettungskapseln abschießen?' Er verstand.
Der Commander schüttelte fast unmerklich den Kopf: ,Nicht wenn es sich vermeiden lässt.' Die Admiralin verstand.
„In Ordnung, die Angels bekommen den Einsatz. Wie vorgetragen wird der Einsatz durchgeführt, mit Kreuzerunterstützung aus einer anderen Richtung, dass die Akarii schön im Kreuzfeuer stecken. Mein Stab wird die genauen Befehle ausarbeiten, Sie erhalten sie in den nächsten vier Stunden. Abtreten, Ladies and Gentlemen.“
Die Offiziere erhoben sich und strebten dem Ausgang entgegen.
„CAG! Kann ich Sie noch einen Augenblick sprechen.“ Wulff erhob sich gerade und trat dann um den Besprechungstisch herum, während sich hinter dem letzten Offizier die Tür schloss.
„Commander, dies wird wahrscheinlich Ihr letzter Einsatz als Kommandant dieses Geschwaders, ich glaube die Kluft zwischen uns beiden ist zu groß, als dass wir in Zukunft noch anständig miteinander arbeiten können.
Ich weiß, dass ist nun auch zum Teil meine Schuld, aber ich denke der Schritt ist notwendig.“
Lucas blickte kurz zu Boden, wirkte nachdenklich, dann kreuzte er die Arme vor der Brust: „Wäre das alles, Ma'am?“
„Nein, das wäre noch nicht alles.“, Wulff hielt ihm die Hand hin, „Gute Jagd Commander, Ihnen und Ihrem Geschwader.“
Er zögerte kurz, dann ergriff er die Hand: „Ich werde es an meine Leute weitergeben.“



Julien Pasteur hatte eine beklemmende Ruhe erfasst, kurz nachdem das Katapult der Unseen ihn ins All hinausgeschossen hatte.
Der Deltavogel den er flog sah äußerlich so aus, wie er sein musste. Er hatte die gleichen Grau- und Grüntöne wie die Jäger im Dienst der Imperialen Akariischen Marine, Geschwaderabzeichen und Abschussmarkierungen, bis aufs I-Tüpfelchen. Selbst der IFF-Transponder konnte ein akariisches Signal ausstrahlen.
Im Innern sah es anders aus. Das Cockpit war zu einem Zweisitzer für Menschen umgebaut worden. Eine Verkleinerung des Tanks und die Drosselung des Motors hatten Platz für weitreichende Aufklärungselektronik gemacht.
Jedoch war der Deltavogel nun noch behäbiger als im Originalzustand.
Back- wie Steuerbord hatten jeweils eine schwarze Nighthawk ohne jegliche Hoheitsabzeichen oder sonstigen Markierungen Flankenposition eingenommen.
Alle drei Maschinen strahlten gut leserliche Transpondercodes der TSN aus.
Wron war vor drei Stunden zur Flugverbotszone für die terranischen Truppen erklärt worden.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm an, dass die Bodentruppen schon den Rückzug angetreten hatten.
In fünfzig Minuten war es dann soweit. Sie würden die Bombe werfen.
„Flight one an Homebase, befinden uns an Wegpunkt Alpha, nehmen jetzt Kurs auf Wegpunkt Bravo, over.“
Ein zweimaliges Klicken in der Leitung bestätigte Julien, dass die Unseen ihn gehört hatte.
„Nie hat jemand über ihnen zu Gericht gesessen.“
Im Rückspiegel sah er wie seine Copilotin ihre Stirn kraus zog: „Wer ist ihnen?“
„Die Piloten, die über Hiroshima und Nagasaki die Atombombe geworfen haben oder über die südamerikanischen Rebellen, die Brasiliens Hauptstadt im letzten irdischen Krieg atomisierten.“
Tracy schmunzelte: „Nun, die amerikanischen Piloten waren Helden und gehörten der Siegerseite an, und die Rebellen, man fand die Täter nie.“
„Du meinst also, wir werden auch nie für dies hier zur Verantwortung gezogen?“ Wollte er wissen.
„Doch, schon, wohl nicht namentlich, aber in fünfhundert Jahren werden sich vielleicht zwei Soldaten über 'die Piloten die Wron bombardierten' unterhalten. Die Geschichte wird uns richten, da mach Dir keine Sorgen Julien, auf die ein oder andere Art und Weise wird über uns gerichtet.“
Er schwieg.
„Das war nicht die Antwort, auf die Du gehofft hast, oder?“
„Ja, doch ... nein ... ich meine, ich weiß es nicht.“

Fast fünfzig Minuten später starrte Lieutenant Colonel Ann McKinley auf den Kartentisch im Hauptquartier der terranischen Bodentruppen auf Wron.
Von den insgesamt zweihunderttausend Mann, die man im Laufe des Krieges nach Wron geschickt hatte, lebten nur noch wenige zehntausend. Die meisten Kommandooffiziere waren in der letzten Frühjahrsoffensive der Akarii getötet oder schwer verletzt worden.
Es hatte fünfzigtausend gute Soldaten gekostet, die Echsen wieder in die Felsenfestung zurückzutreiben, wo man sie am liebsten rausgejagt hätte.
Auf der einen Seite, als diensttuender Kommandeur der Erdstreitkräfte, unterstützte sie die Bombardierung der Felsenfestung von ganzen Herzen. Als Mensch, der die Akarii hassen gelernt hatte, würden heute ihre kühnsten Träume Wirklichkeit werden.
Als Offizier und Gentlewoman, der sie fest überzeugt war zu sein, der sie davon abhielt Kriegsgefangene zu töten, der sie dazu brachte Folter und unsinnige Gewalt zu verabscheuen, als all das, was sie zu einem Menschen mit Ehre und Moral machte, zu einem höheren Wesen, lehnte sie diese Aktion zutiefst ab.
Sie empfand trotz zwei Jahren voller Blut, Leid und Tod Achtung für ihren Gegner, der durch Raffinesse und den puren Willen durchzuhalten den terranischen Invasoren für jeden Meter Erde einen blutigen Preis abforderte.
Nun hatte man ihr befohlen Gelände aufzugeben, das sie mit ihrem eigenen Blut und dem ihrer Männer erkauft hatte. Sie fühlte sich gedemütigt, aber sie musste gehorchen.
„Ma'am, Red Six meldet die letzten Vorposten wurden geräumt. Eventuell Bewegung von Echo zwo, leider unbestätigt.“ Der junge Corporal an der Funkkonsole machte sich nicht die Mühe aufzusehen, als er die Meldung abgab.
Es war egal. In den Schützengräben zählte militärisches Protokoll nicht viel.
„In Ordnung Danny, geben Sie ABC-Alarm.“
Die Sirenen in den Bunkern gingen los.

Der Deltavogel hatte sich von seiner Eskorte getrennt. Kurz davor hatte Julien den Transponder umgeschaltet, dass der Jäger seine Akariikennung ausstrahlte.
„Also ich hätte schon längst auf uns geschossen.“ Murmelte Tracy.
„Hm?“
„Na wenn ich dort unten an der Ortung säße, hätte ich schon längst das Feuer auf den Jäger mit dem eigenen Transponder eröffnet. Viel zu verdächtig, was wir hier machen.“
„Na, dann lass die Jungs da unten mal etwas mehr Skrupel haben als Dich.“ Antwortete Julien. „Wir sind noch im Zielanflug, jetzt noch zu wilden Ausweichmanövern gezwungen zu werden ist nicht drin.“
Er hielt den Deltavogel weiter auf geradem Kurs: „Zielpeilung in fünfzehn Sekunden.“
„Waffe scharf und bereit zum Feuern.“
„Zehn Sekunden.“
Die Zielpeilung wurde lauter, bei neun Sekunden wurde der Deltavogel vom Zielsuchradar der Basis angepeilt. Bei sieben Sekunden begann sein Raketenwarner zu kreischen.
Bei fünf Sekunden rauschte zwanzig Meter vor dem Deltavogel eine Salve aus einem Flakgeschütz vorbei. Eine weitere traf den Jäger an der Unterseite bei zwei Sekunden.
Julien ließ eine ganze Reihe von Täuschkörpern und Störfolie ab, doch der Raketenwarner wurde immer lauter.
„Zielpeilung steht“, meldete Tracy, „FOX ONE!“
Ein kleiner Ruck ging durch die Maschine, als die Thor MK VI losdonnerte.
Sofort zog Julien die Maschine hoch und schaltete die Nachbrenner auf volle Leistung. Der Deltavogel glühte beim Verlassen der Atmosphäre auf und die Boden-Luft- und Boden-Raum-Raketen verloren kurz das Ziel, ehe eine wieder peilte.
Nur Sekunden nach dem Start schlug die Thor in die Felsenfestung ein wie die Faust Gottes. Ein Lichtblitz erhellte die Nacht wie ein Sonnenaufgang.
Felsen, Titanpanzerung, Waffen, Munition und Akarii verbrannten innerhalb von Milisekunden.
Ein Knall ließ die aus Durastahl bestehenden Bunker der Terraner erbeben.
Eine Druckwelle verteilte Staub in der Atmosphäre, entwurzelte Bäume, löste die oberen Panzerungsschichten der Bunker, fegte Behelfshangars und an der Oberfläche belassene Interceptoren hinweg.
Der Sog war von ähnlicher Qualität.
Der Deltavogel wurde noch außerhalb der Atmosphäre durchgerüttelt, die Boden-Raum-Rakete, die ihm folgte, einfach zerquetscht.
Dort, wo einst die Felsenfestung in einem Gebirge residierte, welches bis zu dreitausend Meter in die Höhe ragte, war nun ein Krater von der Größe des Mount Everest.
Wron war endlich erobert worden. Der Widerstand der Akarii war ausgelöscht. Innerhalb von Sekunden.
Cattaneo
Tyr

Als er aus dem Simulator stieg, war Montys Gesicht so ausdruckslos, dass seine schlechte Laune für alle jene, die ihn auch nur ein wenig kannten, offensichtlich war. Als er das provozierende Grinsen von Skunk sah, presste der Lieutenant Commander die Lippen zusammen.
Er konnte den neuen Chef der Roten Staffel nicht ausstehen. Selber nicht gerade ein besonders warmherziger Mensch, fand er Skunks ‚Führungsstil’ skandalös, und seine Umgangsformen für einen Offizier der TSN vollkommen unangemessen.
Die Schwarze Staffel teilte sich mit der Staffel Grün die Geschwaderspitze, dicht gefolgt von der Blauen Staffel. Früher war die Rote Staffel führend gewesen, aber Cunninghams Weggang und die hohen Verluste der Vergangenheit hatten das geändert. Skunk war nicht gerade der beste Führungsoffizier des Geschwaders, wenn auch längst nicht so katastrophal wie manche meinten. Bei einer Simulatorübung schlechter abzuschneiden als die Roten war aber jedenfalls nichts, was Monty auf die leichte Schulter nahm. Vor allem, wenn man bedachte, für welche Mission sie übten.
Gewiss, ihnen fehlte ein Mann, Ohka war erst kürzlich wieder zu ihnen gestoßen, und Renegade war höchstens mittelmäßig. Und der Commander hatte natürlich mal wieder nicht an der Übung teilnehmen können. Aber das war alles keine Entschuldigung.
„Ich hoffe, unter Frontbedingungen schneiden Ihre Teddys besser ab.“ stichelte Skunk.
Montys Stimme klang reichlich unterkühlt: „Überlassen Sie das mir.“ Das war kein Versprechen, sondern eine Linienziehung. Ausnahmsweise respektierte Skunk den Hinweis.
Oder vielleicht hielt er es für wichtiger, seine eigenen Leute ‚ins Gebet zu nehmen’, als sich mit Monty zu streiten.

Der baute sich inzwischen vor den neun verbliebenen Piloten seiner Einheit auf. Wie immer schaffte er es mühelos, seine geringe Körpergröße durch sein Auftreten zu kompensieren. Die Männer und Frauen der Schwarzen Schwadron schwiegen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Nein, nicht alle…
„Das hast du mit Absicht gemacht!“ zischte Renegade Ohka zu, der durch einen unglücklichen Zufall neben ihm stand: „Du hast mich absichtlich nicht gewarnt! Du wolltest, dass ich abgeschossen werde! Genauso wie damals…“
„DAS REICHT JETZT!“ Montys Stimme war das akustische Äquivalent eines Peitschenhiebs. Renegade zuckte zusammen und verstummte. Aber Monty war noch nicht fertig: „Ich habe es SATT! Zum letzen Mal, Lieutenant Nakakura hat korrekt und gemäß der Vorschriften gehandelt. Ich bin Ihrer ständigen Stänkereien müde, Renegade! Sie werden sich wie ein erwachsener Mann und wie ein Pilot der Streitkräfte verhalten, oder ich schicke Sie höchstpersönlich zum Teufel! Beweisen Sie erst einmal, was Sie können! DANN können Sie sich beschweren! Wenn Sie mir noch einmal mit diesen lächerlichen Behauptungen kommen, sorge ich dafür, dass Sie in Zukunft nur noch Shuttles fliegen! Und zwar als Kopilot!“
Renegade lief dunkelrot an, war aber klug genug, den Mund zu halten. Wenn Monty in dieser Stimmung war, war mit ihm nicht gut Kirschen essen.
Montys Augen wanderten zu Kano. Der japanische Pilot hielt sich wie immer sehr gerade. Seine Miene war ausdruckslos, zeigte keine Freude über die Standpauke, die Renegade kassiert hatte. Das war sein Glück, sonst hätte der Lieutenant Commander auch ihn aufs Korn genommen. So aber beschränkte sich Monty auf ein knappes: „Ihre Leistung war akzeptabel, aber recht durchschnittlich. Das können Sie besser! Ob Sie im Lazarett waren oder nicht, in meiner Einheit erwarte ich, dass zu jeder Zeit hundertprozentige Leistung erbracht wird. Ich fliege nur mit Piloten auf die ich mich verlassen kann. Enttäuschen Sie mich also nicht.“
„Sir.“

Und so ging es weiter. Monty hatte an den meisten etwas auszusetzen, auch wenn er meistens fair blieb. Er endete mit der Ankündigung der nächsten Übung und der Aufforderung, beim nächsten Mal besser abzuschneiden.

Die Rote Staffel hatte weniger Glück, sie waren außerdem auch noch zum Patrouillendienst eingeteilt. Diese Aufgabe übernahmen die weit reichenden Nighthawk überdurchschnittlich häufig. Die Schwarze Staffel hatte bei derartigen Flügen den Ruf erworben, besonders häufig auf den Feind zu stoßen. Die Grüne Staffel hingegen wurde nach einigen recht mysteriösen Sichtungen im Verlauf der letzten Jahre von manchen Spöttern schon als ‚Gespensterstaffel’ bezeichnet.
Diesmal würde wie gesagt die Rote Staffel rausgehen. Als Skunk deshalb sah, dass Ohka und Kali die Köpfe zusammensteckten, hielt er es für angebracht, sich einzuschalten: „Findest du nicht, dass die Zeit für `nen Quickie `nen bisschen knapp ist?“
Kali drehte sich nicht einmal um: „Du solltest dir mal was Neues einfallen lassen. Mann, du musst es ja nötig haben, wenn du nur so Dampf ablassen kannst.“
Skunk schnaubte: „Also wenn du mir beim Dampfablassen helfen willst…“
Jetzt drehte sich Kali doch um. Ihre Stimme klang süß: „Nicht wenn du der letzte Mann auf Erden wärst. Eher küsse ich einen Akarii.“
Das brachte einige andere Piloten zum Grinsen. Skunk war nicht gerade beliebt. Kali schon. Als Skunk sah, dass sich jetzt auch Ace durch die Menge schob, Ohka sich ihm ebenfalls zuwandte und Monty mit einer Unheil verkündenden Miene näher rückte, hielt er es für angebracht, erst einmal die Zelte abzubrechen: „In zehn Minuten will ich euch bei den Jägern sehen, verstanden?!“ Damit ging er ab.
„Baka.“ Kanos Stimme klang eher genervt, als wirklich wütend.
„Wenn schon, dann Lieutenant Commander Baka.“ schaltete sich Monty ein. Aber das war die einzige Bemerkung, zu der er sich hinreißen ließ. Wegen Skunks ‚Umgangsformen’ und den gelegentlichen Prügeleien mit Matrosen und Marines oder wer ihm sonst im falschen Moment über den Weg lief, hielt Monty den Mann für eine Schande für das Offizierskorps. Er war nicht der Meinung, dass gute Flugleistungen und gewisse Führungsqualitäten alles entschuldigten.

„La Reine, fürs erste bekommen Sie bei den Übungen Sugar als Flügelfrau. Der Alte will es so. Er kommt selten genug dazu, an den Routineeinsätzen teilzunehmen. Wenn wir einen Großangriff fliegen, werden Sie und Sugar sich an den Commander hängen. Sie werden also zu dritt fliegen.“ Er war sich nicht sicher, ob ihm die Idee gefiel. Dieser organisatorische Wechsel zwischen Standart- und Sondereinsätzen war der reibungslosen Kooperation nicht unbedingt förderlich. Und zwei Flügelmaschinen waren für Cunningham fast schon etwas zu viel. Aber wenn der Commander es so wollte…
La Reine, ich kenne Ihren Stil. Und Sugar, für Sie gilt dasselbe. Hören Sie, ich habe nichts gegen aggressives Fliegen, aber ich will keine verdammten Kamikazestunts.“
„Für die ist Ohka zuständig.“
Crazys Scherz kam bei Monty nicht gut an. Der Lieutenant Commander warf dem jungen Piloten nur einen abfälligen Blick zu und fuhr fort: „Also reißen Sie sich beide am Riemen, oder es setzt etwas! Ich will solide Flugleistungen. Keiner hier braucht zu beweisen, dass er ein toller Flieger ist.“
Crazy schürzte die Lippen und sah zu Renegade, der rot anlief. Ein frostiger Seitenblick von Monty ließ allerdings Crazy von der geplanten Bemerkung Abstand nehmen.

Die Tatsache, dass sowohl La Reine als auch Sugar zu den ‚Feuerköpfen’ der Staffel gehörten, war ein weiterer Grund, warum Monty mit Cunninghams Entscheidung nicht restlos glücklich war. Er traute La Reine zu, alleine keine Dummheiten zu machen.
Aber wenn La Reine und Sugar zusammen flogen, würden sie sich möglicherweise gegenseitig hochschaukeln. Na ja, hoffentlich konnte Cunningham im Ernstfall mit zwei solchen Flügelfrauen klarkommen.

Da die Einsatzparameter des Einsatzes bereits bekannt waren, hatte Monty frühzeitig mit Cunningham die Bestückung der Staffel abgesprochen. Jede der Maschinen würde vier Phönix-Langstreckenraketen mit sich führen, um feindliche Formationen schon auf große Entfernung aufbrechen zu können. Diese Taktik hatte sich bewährt.
Dazu kamen zwei Sparrow-Raketen. Ihre Bilderkennungs-Zielsuchköpfe konnten von den üblichen Radar- und IR-Störkörpern nicht abgelenkt werden, und sie waren zudem recht durchschlagskräftig. Vier Amraam-Raketen würden die Bestückung ablenken. Zwar waren diese Raketen nicht so schnell und durchschlagskräftig wie die Sparrow, und hatten eine geringere Reichweite. Aber dafür war ihre Beschleunigungsrate höher, und sie konnten abgefeuert werden, wenn ein Feindjäger auch nur für Sekundenbruchteile vom Radar erfasst wurde. Das machte sie zur Waffe der Wahl im Kurvenkampf. Und genau das war ja die Aufgabe der Nighthawks. Sie würden sich auf die feindlichen Jäger stürzen, sie in den Nahkampf verwickeln und so neutralisieren. Jedenfalls war so der Plan.
Was Monty überhaupt nicht gefiel, war die dünne Materialdecke seiner Staffel. Es war nicht möglich gewesen, mehr als zwei Maschinen von anderen Staffeln zu ‚borgen’. Das bedeutete, sie konnten einen Piloten, dessen Maschine ausgeschaltet oder schwer beschädigt worden war, wieder rausschicken. Das war knapper kalkuliert, als es Monty lieb war. Denn er erwartete, dass der Kampf heftig und möglicherweise lang sein würde. Immerhin gehörten die Piloten der KORAX zweifelsohne zur Elite der Akarii. Vielleicht würde die Schwarze Staffel mehrfach aufsteigen müssen. Und ausgerechnet jetzt fehlte es an Reservejägern, war die Staffel unterbemannt, und gab es in der Staffel diese idiotischen Spannungen. ‚Die ich auf einen Piloten festnageln könnte!’. Aber Renegade gehörte nun einmal zur Staffel, und er musste endlich seinen Platz bei den ‚Butcher Bears’ finden. ‚Der Junge bringt mich noch mal um.’

„Nakakura.“
Der junge Pilot, der sich angeschickt hatte, Kali zu folgen, hielt inne und drehte sich wieder um: „Sir?“
„Ich muss zu einer Besprechung mit dem technischen Stab. Sie werden die Einsatzpläne und Materialanforderungen für die nächsten achtundvierzig Stunden ausarbeiten. Sie haben genug Vergleichsmaterial, aber das heißt nicht, dass Sie einfach abschreiben! Außerdem will ich, dass Sie die Protokolle der Übung sichten und auswerten. Weggetreten.“
„Zu Befehl, Sir!“ Kano lächelte unmerklich, was bei einem anderen Piloten einem breiten Grinsen entsprochen hätte. Zwar bedeutete dieser Auftrag Mehrarbeit, aber die Implikationen waren eindeutig. Eigentlich waren solche Aufgaben die Sache des XO. Wenn Monty sie Kano überließ, dann wälzte er nicht nur Routineaufgaben ab, sondern er prüfte auch einmal mehr Kanos Kompetenz in Bezug auf seine Befähigung zum XO. Und signalisierte, dass Kano wohl das Zeug dazu hatte – wenn er sich Mühe gab. Und der Posten eines XO war der Trittstein für weitere Beförderungen, und das Kommando über eine eigene Einheit. Es war nicht das erste Mal, dass Monty Kano derartige Aufgaben übertrug. Dass er das jetzt wieder tat, unmittelbar nach Kanos Rückkehr zum Dienst, war auch eine Art Vertrauensbeweis.

Die anderen Piloten der Schwarzen Staffel, die nicht bereits den Raum verlassen hatten, begriffen natürlich auch die Implikationen. Renegade verzog den Mund, hielt aber lieber den Mund. Das Donnerwetter von Vorhin hatte erst einmal genügt. Insgeheim aber schwor er sich, zu beweisen, was er wirklich wert war. Dass aber ausgerechnet Ohka derartig ausgezeichnet wurde…
Crusader zwinkerte hingegen Kano zu und signalisierte mit einer schnellen Geste einen zusätzlichen Rangstreifen auf die Uniform. Die Bedeutung des Zeichens war klar: ‚Bald wirst du befördert.’
La Reine schnaubte etwas abfällig. Sugar, der ihre eigene Kariere ebenfalls sehr nahe lag, nahm es gelassener. Man würde Kano nur dann befördern, wenn er versetzt würde, oder Monty endlich seine eigene Staffel bekäme. Ein solcher Schritt war eigentlich überfällig, wenn man sich Montys Leistungen ansah und ihn mit solchen Schmuckstücken wie Skunk verglich.
Allerdings hatte Monty wesentlich häufiger und nachhaltiger mit Vorgesetzten Schwierigkeiten gehabt, was seiner Karriere nicht gut getan hatte.
Sollte er aber irgendwann endlich diese Schatten der Vergangenheit überwinden, oder Ohka in einer anderen Staffel Karriere machen, dann erhöhten sich Sugars Aufstiegschancen bei den Butcher Bears, weil neue Plätze frei wurden, die durch Frischgemüse aufgefüllt werden würden. Eine kluge Frau musste so etwas im Hinterkopf behalten. Also wünschte sie Ohka viel Erfolg.

Und was Kano selber betraf…
Die Tatsache, dass er vor wenigen Tagen einmal mehr nur knapp dem Tode entronnen war, dass nur sein Glück ihn gerettet hatte, beschäftigte ihn natürlich. Auch wenn er versuchte, sein eigenes Schicksal stoisch zu betrachten, die Möglichkeit des Schlachtentods zu akzeptieren, das gelang ihm nicht immer. Dem Ideal eines japanischen Soldaten zu entsprechen, dem Tod nicht mehr Gewicht beizumessen, als einer Feder im Wind, war schwierig.
Vor allem erschien es nicht fair gegenüber den Menschen, denen er etwas bedeutete. Aber er würde seine Pflicht tun. Das war letztendlich die immer Antwort, auf die es hinauslief, wenn ihn diese Gedanken quälten.
Aber immerhin, seit der Einsatzbesprechung vor einigen Tagen glaubte er, zumindest von einer anderen Sorge befreit zu sein. Nach allem, was er gehört hatte, würde er doch nicht auf Rettungskapseln schießen müssen. Zumindest erschien es angesichts der momentanen Einsatzparameter unwahrscheinlich. Jedenfalls würde eine derartige Operation kaum geheim bleiben können, wenn sich die Schlacht entsprechend der Prognosen entwickeln sollte. Und Kano bezweifelte, dass die Führung der Columbia-Flotte wollte, dass ein derartiges Kriegsverbrechen, denn darauf wäre es hinausgelaufen, in der gesamten Flotte bekannt würde. Geheimhaltung wäre dann unmöglich geworden.
Und auch wenn er seine Pflicht getan hätte, es war keine Aufgabe, die er gerne erfüllt hätte.
Dass Monty ihn schon wieder für fit genug hielt, neben seinen üblichen Pflichten auch organisatorische Aufgaben zu übernehmen, wertete Kano als ein gutes Zeichen. Das würde seine Freizeit zwar noch weiter schrumpfen lassen, und ihm einige ziemlich hektische Tage bescheren. Aber er war sicher, dass er es schaffen konnte. Und Monty war das offenbar auch. Vielleicht hatte er endlich die paar negativen Einträge in seiner Dienstakte überwunden, die seit seiner Anfangszeit auf der Redemption seine Karriere behindert hatten. Und vielleicht waren Monty und auch Lone Wolf endlich zu der Ansicht gekommen, er sei zu mehr fähig, als nur einen Flight oder höchstens eine Sektion zu kommandieren.
Cattaneo
Cunningham

„Achtung an Deck!“
„Setzen Sie sich bitte.“ Cunningham ging zum Pult des Geschwaderbriefingrooms.
Die Augen der Piloten aller acht Schwadronen waren auf ihn gerichtet. Hundertzweiundvierzig Augenpaare warteten auf die Bestätigung der Gerüchte, die besagten, dass die Angels sich des Trägers annehmen dürfen.
„Ohne lange einleitende Worte, Jors Flaggschiff gehört uns.“ Jubel unterbrach ihn kurz, dann fuhr er fort. „Wir werden in weniger als einer Stunde springen. Sobald wir die feindliche Trägerkampfgruppe lokalisiert haben, wird sich die Flotte aufsplitten und in günstige Angriffspositionen begeben. Sobald die Kreuzer bereit sind, werden wir ausrücken, und zwar mit allem was wir haben.“
Erneut kam Jubel auf, diesmal besonders von Tigres gelber Schwadron.
„Die Schwadronen Gelb, Rot und Schwarz werden als erste ausrücken und den Feind dazu bewegen, seine Jäger zum Angriff zu schicken. Wir werden die Feindjäger angreifen und binden, so dass unsere Bomber relativ freien Weg haben. Herrschaften, das wird ein schwieriger Kurvenkampf, gehen wir davon aus, dass die Akarii zu Beginn zwei zu eins überlegen sind.“
Die Piloten der blauen und grünen Schwadron murrten sichtlich.
„Heißt das, wir werden Kindermädchen für die Bomber spielen?“ Ina Imp Richter hatte sich halb erhoben.
„Das ist korrekt, Imp.“ Das Schemata auf dem Wandbildschirm änderte sich und zeigte die Bombergruppen. „Je zwei Sektionen Falcons, wie Sie sich aufteilen ist Ihre Sache, werden eine Staffel Bomber begleiten. Ich weiß, anderthalb bis zwei Bomber pro Begleitjäger ist etwas viel, aber mehr ist diesmal nicht drin. Von daher dürfte das Auffächern für den Drei-Punkt-Angriff recht spät erfolgen.
Die Hauptaufgabe der Thunderbolts und Mirage ist es, den Crusadern den Weg frei zu machen. Raven, Razor: Angriff nach eigenem Ermessen auf die Dickschiffe.“
Die Taktische Karte veränderte sich erneut, der große rote Blip in der Feindformation und einige kleinere waren verschwunden.
„Wenn unsere Jagdbomber die großen Raketen los sind, möchte ich, dass die goldenen Jungs samt Eskorte sofort rüberkommen und uns entlasten.
Silber und Eskorte ziehen sich zur Columbia zurück und munitionieren neu auf: Jägerbewaffnung. Danach kommt ihr wieder raus und bildet eine Linie zwischen der Columbia und den feindlichen Jägern und kommt langsam auf uns zu. Fangt alles ab, was vielleicht an Bombern durchdringen will, kesselt uns ein und schießt alles ab, was versucht durch- oder auszubrechen.“
Die Taktische Karte änderte sich erneut. Die Erdkreuzer, die zu Beginn der Schlacht aus maximaler Entfernung auf die Akariiflotte schossen, waren jetzt viel näher heran.
„Irons Bronze-Schwadron und seine Eskorte zieht sich nach erfüllter Aufgabe auch nach Hause zurück. Auftanken, aufmunitionieren und wieder angreifen. Die Akarii werden hoffentlich so geschockt vom Verlust des Trägers sein und derart mit den Kreuzern zu kämpfen haben, dass wir auch noch den ein oder anderen Pott abkassieren können.“
Wieder zustimmendes Gejohle, seine Leute waren heiß auf diese Trophäe.
„Noch Fragen?“
„Ja, Sir.“ Crusader erhob sich. „Was ist wenn der Prinz wie erwartet in einem Jäger sitzt? Wer darf sich diesen Preis schießen?“
„Der, der ihn zuerst findet“, kam es von weiter hinten.
„Die Liquidierung von Prinz Jor genießt oberste Priorität. Wenn Ihr auf ihn stoßt, geht ihn am besten zu zweit oder zu dritt an.“ Eine dramatische Pause. „Allerdings würde meine Dankbarkeit kaum Grenzen kennen, wenn ich mir diesen Abschuss holen dürfte.“
Fröhliches Lachen antwortete dem CAG. Das Funkeln in seinen Augen sagte jedoch, dass er dies nur halb im Scherz gesagt hatte.
„Wir sehen uns dann auf dem Flugdeck. Gute Jagd Angry Angels, ich will die Fetzen fliegen sehen. IST DAS ANGEKOMMEN?“
„SIR! YES, SIR!“ Hundertzweiundvierzig Kehlen.
„Dann weggetreten.“


Als erstes passierten Alberto Trattis vier Korvetten den Sprungpunkt.
Als fünf Minuten später noch keine Meldung von der anderen Seite kam, führte der Rest der Flotte einen Massentransit durch.
Kreuzer, Zerstörer und Fregatten, dicht um einen einzelnen Träger formiert.
Kaum war die Flotte im neuen System angekommen, da erhielt sie schon ein Signal von Tratties führender Korvette, der Minion.
Ihr Kommandant, ein junger Lieutenant Commander, der wie die Laune des Schicksals es wollte, ebenfalls Drake hieß, meldete deutliche Energiesignaturen gefunden zu haben. Welchen die Seawolf und die Minion mit Höchstgeschwindigkeit und unter maximalen Stealth folgten.
Wulff befahl ein SWACS zu starten und beorderte die beiden Korvetten zurück.
Zur maximalen Sicherheit wurde das SWACS-Shuttle ohne Begleitschutz vorgeschickt.
Drei Stunden später kannte man die exakte Position der gegnerischen Flotte.
Jor hatte seine Schiffe zu einem Gasriesen gebracht, wo diese für ihre Antimateriereaktoren nachtanken konnte.
Das SWACS drang soweit vor, dass man erkennen konnte, welches seiner Schiffe gerade dran waren mit Tanken und mit geöffneten Ansaugschächten über dem Gasriesen hingen.
Ebenfalls konnte die Crew des SWACS die Trümmerreste eines schweren Kreuzers erkennen. Desjenigen, dessen Strahlungslecks die weite Verfolgung erst ermöglicht hatten.
Da die Nähe zum Gasriesen den Akariiscannern das Leben zur Hölle machte, hatte Jor starke Jägerpatrouillen befohlen.
Dies wurde dem SWACS auch zum Verhängnis. Zwei Bloodhawks stolperten wie zufällig über den kleinen Aufklärer und schossen ihn ohne jegliche Gegenwehr ab.
Jor war gewarnt.
Als die letzte Richtstrahlmeldung des Aufklärers die Columbia erreichte, gab Wulff sofort ihre Befehle.
Die Kreuzerschwadronen lösten sich von der Hauptflotte und schlugen einen kleinen Bogen nach Steuerbord, während der Rest der Flotte in einen Backbordbogen auf den Gegner zufuhr. Einzig einer der beiden Flakkreuzer blieb zum Schutz der Columbia bei der Hauptflotte.
Jor hingegen sah sich mit dem Rücken an der Wand. Er formierte seine Flotte in einer aggressiven Defensivaufstellung um sein Flaggschiff und stieß in gerader Linie auf den Punkt zu, wo sich die Columbia befunden hatte, als das SWACS seine letzte Meldung an sie abgab.
Kein Schlachtplan überlebt den Kontakt mit dem Feind.
In dem Moment als es für den unbeteiligten Betrachter so ausgesehen hätte, als würde Jor mit seinen Schiffen direkt zwischen den beiden terranischen Angriffsgruppen durchschlüpfen und sich aus dem System stehlen, tauchte Jors äußere Rechte Flanke, der Zerstörer Almarghen, auf den Scannern der Minion auf, welche die äußerste rechte Flanke der Columbiaträgergruppe bildete und umgekehrt.
Die Minion brach auf Eigeninitiative des Kommandanten aus dem Verband aus und schon wimmelten die Monitore der Korvette vor feindlichen Blips.


Zur gleichen Zeit bereiteten sich die Schwadronen der Columbia auf den Start vor.
Es ging gemütlich zu, da man mit dem Start erst in dreißig Minuten rechnete.
Auch Lucas hatte letztlich Papierkram Papierkram sein lassen und sich zu den Piloten seiner Schwadron gestellt.
Insgeheim belustigt stellte er fest, dass seine Anwesendheit seine Piloten doch etwas zu beunruhigen schien.
Nachdem der CAG mit einigen Piloten das Gespräch gesucht hatte, entspannte sich die Schwarze Schwadron langsam und begann untereinander mit Frotzeleien.
Schließlich landete Sugar bei Renegade. Auf ihrem an sich hübschen Gesicht bildete sich ein gemeiner Zug: „Was ist denn, Pratcher? Du wirkst so nervös. Du hast doch nicht etwa Angst?“
Geübte Offiziere wie Cunningham als auch Monty konnten sehen, dass beide Piloten nervös waren. Renegade stand sicherlich kurz davor sich die Hosen voll zu machen.
„Keine Angst, Kleiner, Lieutenant Commander Terrano wird schon auf Dich acht geben.“
Der Pandoraner schloss die Hände zu Fäusten: „Ich habe keine Angst!“
„Ach, und warum zitterst Du so?“
„Unterdrückte Energie, die darauf wartet freigesetzt zu werden.“
Sugar starrte Cunningham an. Auch auf Renegades Gesicht machte sich Verwunderung breit.
Der Geschwaderkommandant grinste raubtierhaft. „Geht mir auch jedes Mal so. Kurz vor dem Start. Wie ein Rennpferd in der Box. Ungeduld, Tatendrang und Jagdfieber.“
Wie aufs Stichwort trat ein Offizier der Flugleitung an Cunningham heran und reichte ihm ein Comppad.
„In Ordnung, geben Sie es an die anderen Schwadronenführer weiter!“ Dann wandte sich der CAG an seine Schwadron. „Alles aufgesessen, es geht los. Die Echsen haben Lunte gerochen und versuchen zwischen den Kreuzern und uns durchzuflutschen!“
Innerhalb von vier Minuten waren die Staffeln Schwarz, Rot und Gelb gestartet und auf Angriffskurs auf den feindlichen Verband, während die Columbia ihre schweren Bomber startete.
Cattaneo
Cattaneo

Haupthangar der Columbia

Das Flugdeck der Columbia war selten ein ruhiger Ort, und besonders nicht kurz vor einem Kampfeinsatz des gesamten Geschwaders. Dennoch gab es Zonen, die gleichsam Oasen der Ruhe waren – zumindest verhältnismäßig betrachtet und für einen Augenblick. Um die kleine Gruppe von Piloten herum liefen die letzten Vorbereitungen des Starts der Kampfflieger des Trägers. Raketen wurden herangeschafft und montiert, Jäger betankt und zu den Startkatapulten gerollt, brüllend forderte jemand Platz für einen bereits vollständig ausgerüsteten Jagdbomber, unter dessen Rumpf die gewaltigen Mavericks hingen.
Die Sektionen Drei von Grüner und Blauer Staffel waren vollzählig versammelt, einschließlich der augenblicklichen Kommandeurin. Lilja hielt sich aufrecht, den Rücken durchgedrückt, die Haltung straff. In ihrer rechten Armbeuge lag der Pilotenhelm, an der Hüfte trug sie ihre Laserpistole, im Stiefel ihr berühmtes Messer. Die langen schwarzen Haare waren so energisch nach hinten zum Zopf gebunden worden, dass sie die Kopfhaut straff zogen – wodurch die Narben in Liljas Gesicht noch deutlicher waren. Sie lächelte nicht, vielmehr lag ein grimmiger Zug um ihre Mundwinkel. Und das Funkeln ihrer Augen verhieß nichts Gutes – für jeden der ihr in die Quere zu kommen drohte. Im Augenblick sah sie ungefähr so unheilverkündend aus, wie ihr Ruf zum Teil war – eine diensteifrige und rücksichtslose Fanatikerin. Nicht, dass sie im Ruf stand, die ihr unterstellten Menschen für persönlichen Ehrgeiz oder Ruhm zu opfern. Aber falls sie – oder ein vorgesetzter Offizier – es für notwendig befunden hätte...

Die Russin führte die ihr unterstellten Jäger stets dahin, wohin man es ihr befahl, und sie nahm Verluste zwar nicht leichtfertig in Kauf, aber die Mission und die ihr erteilten Weisungen gingen STETS vor. Vor allem bei solch einer Mission. Vor allem, wenn die Idee von Cunningham kam. Vor allem, wenn es darum ging, möglichst viele Echsen umzubringen.
First Lieutenant Christian Harris alias Chip, der Chef der dritten Sektion der Blauen Staffel, betrachtete seine zeitweilige Vorgesetzte nicht unbedingt mit Ablehnung, aber auch nicht mit Begeisterung. Er kannte Lilja inzwischen ziemlich gut, und ebenso ihren Ruf.
Zudem vermisste er etwas Huntress’ lockere Art. Lilja war da ein ganz anderer Typ von Kommandeurin. Sie erwartete zwar nicht gerade, dass man immer stramm stand, wenn sie mit einem redete…Aber es war eben doch etwas anderes. Kein freundliches „Ladies...“ und kaum ein Witz. Statt dessen ein nüchternes: „Die Republik verlangt von uns...“ Manchmal könnte man meinen, Lilja habe sich ihre Mentalität anhand des Mottos zugelegt, das man Neulingen bei der Fremdenlegion einbläute: „Legionäre – Ihr seid hierher gekommen um zu sterben!“ Sie umschrieb es freilich anders, und machte für sich auch andere Wurzeln geltend. Bei ihr hieß es: „Keinen Schritt zurück!“ - zumeist mit dem Zusatz: „Außer auf Befehl der Stavka. “

Die leicht raue Stimme der Russin war nicht minder entschlossen als ihre Miene, und vibrierte förmlich vor Anspannung, während sie mal diesen, mal jenen Piloten direkt anschaute. Das war einer der Tricks, die sie sich im Laufe der Zeit angeeignet hatte. Auf diese Weise fühlte sich jeder direkt angesprochen, wurde gewissermaßen bei seiner Ehre und seinem Ehrgeiz gepackt.
„Ich spare mir irgendwelche Aufforderungen, jeder möge in dieser Schlacht seine Pflicht tun – wenn ich das sagen müsste, hättet ihr hier nichts zu suchen. Außerdem habt ihr ohnehin schon bewiesen, dass ihr das könnt. Nein, ich verlange diesmal noch mehr! Diese Schlacht wird vermutlich von uns allen noch mehr als die übliche Pflichterfüllung erfordern. Das Ziel unserer Mission – Razors Jagdbomber durchzubringen – hat ABSOLUTEN Vorrang. Das heißt vor allem, Vorrang über individuelle Abschüsse – wenn ein Akarii kampfunfähig abdreht, dann hat die Sicherung der Jabos Priorität. Ich will keine individuellen Verfolgungen! Und kein ‚mein Jäger – dein Jäger’! Wer anfliegt, wird abgeschossen, und wenn ihr euren Abschuss durch vier teilen müsst!“ Dagegen erhob sich kein Protest. Natürlich gab es sie noch, Piloten, die fast eifersüchtig darüber wachten, ihr Abschusskonto nach oben zu drücken. Aber solches Verhalten förderte nicht gerade die Beliebtheit, und mancher Pilot dieses Schlages neigte zudem dazu, sich zu sehr auf die Vernichtung EINES Gegners zu konzentrieren – und wurde prompt selber abgeschossen.
Lilja fuhr mit ruhiger, aber kalter Stimme fort: „Das heißt aber auch, dass die Sicherung der Flightkameraden nötigenfalls hinter der eines Jabos zurückzustehen hat.“ Sie musterte ihre Piloten und sah den Widerspruch in so manchem Gesicht – Katana, der ein Veteran war, hielt nichts von solchen Kamikaze-Methoden, und Chip machte sich offenbar Sorgen um seine Piloten. Liljas Stimme kühlte noch ein paar Dutzende Grad ab, während die schwarzen Augen jenen, bei denen sie Widerspruch vermutete, direkt in die Seele zu blicken schienen.
„Die Jagdbomber sind für diese Mission von entscheidender Bedeutung. Können sie ihr Ziel nicht erreichen, können die feindlichen Großschiffe unser Mutterschiff und die Kreuzer angreifen. Und sie werden die Korax beschützen – das Ziel unserer Mission wäre damit in Gefahr. Prinz Jor darf auf KEINEN Fall entkommen, und um dies zu verhindern, müssen wir unseren Teil im Gesamtplan erfüllen. Es stimmt, wir werden noch gebraucht, wenn Silber seine Raketen losgeworden ist – immerhin sollen wir einen Abfangschild für die Columbia bilden. Aber das ist wertlos, wenn wir nicht vorher den Crusaders den Weg ins Herz der feindlichen Formation bahnen. Lone Wolf verlässt sich auf uns, die Flotte verlässt sich auf uns.“ Damit schien für sie ohnehin alles klar zu sein. Ihre Stimme machte klar, dass sie keine Diskussion zulassen würde – dafür war es ohnehin zu spät.
Wenn dies überhaupt möglich war, so straffte sie ihre Gestalt noch mehr. Sie hatte ohnehin keinen Kommentar erwartet, hätte wohl auch keinen zugelassen: „Ihr kennt die Mission, ihr kennt unser Ziel. Heute können wir mit Jor bis auf die letzte Kopeke abrechnen. Alles an die Maschinen – und viel Glück.“ Sie salutierte knapp, nahm sich kaum Zeit den mal mehr, mal minder zögerlichen Salut ihrer Untergebenen abzuwarten, sondern drehte sich abrupt um. Die letzten Meter zu ihrem Jäger rannte sie geradezu. Und hinter ihr verteilten sich ihre Untergebenen. Der eine oder andere mochte mit den Einsatzbefehlen hadern – aber sie würden sie befolgen. Mit einer Routine, die sie sich in langen Jahren der Praxis erworben hatte, kletterte sie die Cockpitleiter empor. Als die Kabinenversieglung aktiviert wurde, setzte sie den Pilotenhelm auf – doch das Gesicht unter dem Plexiglas zeigte nicht viel mehr Emotionen als die Oberfläche des Helms. Kurz berührte Liljas rechter Zeigefinger das Foto, das sie für diese Mission im Cockpit platziert hatte. Viele Piloten hatten Bilder von ihrer Familie oder Geliebten im Cockpit (böse Zungen meinten, Tyr könne dann ja wohl jeden freien Zentimeter seiner Maschine bekleben). Aber Lilja hatte für diesen Einsatz das Foto von ihrer alten Staffel ausgesucht, noch aus der Zeit vor der Redemption. Eine Reliquie, gewissermaßen – und die passende für die Abrechnung mit Prinz Jor.

********

Freier Raum zwischen Columbia und Korax ma Rah

Das Katapult des Trägers spuckte die Jäger in schneller Folge aus. Während sich die Nighthawk und Griphen formierten und den Anflug begannen, warteten die Abfangjäger noch auf den Start der Bomber. Aber anders als auf der alten Redemption – der Träger war schon lange Geschichte, und immer weniger blieben, die sich an ihn erinnerten – konnte die Columbia ihre Staffeln wesentlich schneller starten. So dauerte es nicht lange, bis der ganze Angriffsverband bereit war. Es waren fast 100 Kampfflieger der verschiedensten Typen, von den hochmodernen Thunderbolt und Falcon bis zu den alten Griphen.
Lightning hatte gewissermaßen das Kommando über die „zweite Welle“ des Verbandes – die Bomber und ihren Begleitschutz. Keine leichte Aufgabe, auch wenn sie vermutlich nicht den ersten Ansturm der Akarii aufzuhalten haben würde. Sie mochte es nicht, wenn ihre Staffel wie in diesem Fall aufgeteilt wurde, aber so lautete nun einmal ihr Befehl. Mit zwei Staffeln konnte man drei Dutzend Jagdbomber und Bomber nur ungenügend schützen, auch wenn die Mirage und besonders die Thunderbolt nicht gerade wehrlos waren. Nicht das erste Mal fragte sie sich, wieso die glorreiche Zweite Flotte nicht wenigstens noch einen leichten Träger hatte erübrigen können. Immerhin war die Korax ein – freilich beschädigtes – Flaggschiff, und vor allem eben ein Uniform, ein Superträger der Akarii. Jetzt konnte sie sich noch Sorgen um alle Maschinen ihres Verbandes machen, aber das würde nicht ewig so bleiben. Es würden unweigerlich Jäger den Angriffsschirm der Nighthawk und Griphen durchbrechen. Selbst wenn Cunningham, Tigre und Monty – ganz zu schweigen von Skunk – mit ihren Staffeln so gut wie mit ihrem Ego seien würden, es würde einfach nicht reichen. Und Lightning wusste, wenn erst einmal der Angriff der Akarii begann, würde sie nicht viel mehr tun können, als ihre zwei Sektionen und die ihnen anvertraute Staffel Gold im Auge zu behalten. Es war alles eine Frage des Vertrauens – und sie traute Lilja zu, ihre Aufgabe zu erfüllen. Inzwischen traute sie auch längst Huntress genug, auch wenn sie Lilja insgeheim für die fähigere Soldatin – nicht unbedingt die bessere Menschenführerin – hielt. Doch wie viel es kosten würde, das blieb abzuwarten.
„Kampfflieger – auf Position…JETZT. Schub angleichen…“
Die Maschinen formierten sich, absolvierten ein kompliziertes und doch anmutiges Ballett. Im Zentrum flogen die Crusaders, todbringend, aber für feindliche Jägerangriffe relativ verwundbar. Beschützt von zwei Sektionen der blauen Staffel, sollten sie so in der Lage sein, bis ins Zentrum des feindlichen Verbandes vorzudringen. So der Plan.
Links und rechts und ein Stück voraus davon die Jagdbomber mit ihren Eskorten. Sie würden auf ihrem Weg versuchen, alle feindlichen Dickschiffe aus dem Weg zu räumen. Und wenn sie dies schafften, warteten weitere Aufgaben auf sie…
Die Britin lächelte grimmig, während sie auf die Anzeigen blickte. Die Akarii waren bereits auf den Schirmen zu erkennen – sie schleusten gerade ihre Jäger aus. Der Empfang war freilich nicht der beste – die relative Nähe des gewaltigen Gasriesen störte die Sensoren. Hier würde man Havaristen schnell finden müssen, und wessen Transponder erst einmal ausfiel – der war wohl unrettbar verloren, denn die Gravitationskräfte würden ihn schnell immer weiter von seinem letzten bekannten Punkt fortreißen.
'Tja, da stehen wir nun. Wir Häufchen Brüder, wie man so sagt – aber, zum Teufel, ich wünschte wirklich, wir hätten nur einen Teil von jenen hier, die heut’ in England ohne Arbeit sind, Ehre hin oder her.` dachte sie säuerlich. Aber es spielte im Grund keine Rolle mehr. Man konnte wegen dem jammern, was man nicht haben konnte – wie etwa einen vernünftigen Geschwaderchef – oder man machte das Beste aus dem, was man hatte. Auf die eine oder andere Art und Weise…

Lilja agierte gelassen, mit der Routine, die sie in jahrelangem Einsatz erworben hatte. Ihre Befehle waren knapp, aber präzise, und ihre Augen schienen überall zugleich zu sein. Sie korrigiere die Position von Fidai, vermittelte ihm aber zugleich, dass dies seine Chance war – hier konnte er beweisen, was er gelernt hatte. Sie überzeugte Razor, seine Maschinen etwas auffächern zu lassen. Eine enge Formation bot die Möglichkeit, mittels überlappender Feuerbereiche den Gegner massiert ins Visier zu nehmen, aber sie nahm den Jabos auch ihre Beweglichkeit – sowieso eine Schwachstelle. Sie ließ die Abfangjäger ihre Schützlinge überholen. All dies lief fast automatisch ab, wenn auch nicht gleichgültig. Ein Teil ihres Herzens jubilierte angesichts des machtvollen Angriffsverbandes, von dem sie einmal mehr Teil war, angesichts des Sieges, der greifbar schien. Ein anderer Teil ihres Herzens, und das war der, der ihre Handlungen steuerte, war nichts als eisige Kälte. Die Kälte, mit der sie kämpfte und ihre Feinde exekutierte. Eine Kälte, die nur der endgültige TOD des überwundenen Gegners brechen konnte. Daran hatte auch der weitere Verlauf und die bisherigen Siege des Krieges nichts ändern können, auch nicht der Tod so vieler Akarii durch ihre Hand. Denn dieser Tag kam spät, vielleicht zu spät. So viele waren gestorben, um an diesen Ort zu kommen, und weitere würden sterben müssen, um das Erreichte zu vollenden und zu sichern. Sie fragte sich nicht, woher diese Kälte kam, die ihr Ausdauer und Entschlossenheit gab. Sie wusste es nicht. Sie wollte es nicht einmal wissen. Es reichte, dass diese Kälte da war. Sie war Lilja, eine geübte Kampfpilotin. Sie war eine Heldin – so hatte man ihr gesagt. Sie erfüllte ihre Pflicht – das sagte sie sich selber. Und sie tat das alles aus gutem Grund und für die Menschen die sie liebte – das wusste sie.
Sie verscheuchte alle lästigen Gedanken. So lange sie funktionierte, so lange sie Akarii töten konnte, war alles in Ordnung.

*******

Lightning behielt die Anzeigen argwöhnisch im Auge. Weit vor ihr schossen sich die Griphen und Nighthawks der Columbia mit den Akarii herum, während sich dahinter der gesamte Flottenverband Jors in Bewegung gesetzt hatte. Die Gedanken der Geschwader-XO gingen kurz zu den Männern und Frauen an Bord der Columbia. Wenn die Jagdbomber und Bomber sich nicht selbst übertrafen und die Flanken der menschlichen Flotte nicht schnell aufschlossen, würde die gesamte Akarii-Flotte in Schussweite an der Columbia und ihrer Eskorte vorbeiparadieren – und das schwerste Schiff neben dem Träger war ein einsamer Flakkreuzer. Ziemlich wenig gegen mehr als zweieinhalb Dutzend Akariischiffe, auch wenn etliche davon nur Zerstörer, Fregatten und Korvetten waren, denen die Begleitschiffe der Columbia wohl Paroli bieten konnten. Mit den feindlichen Kreuzern aber sah das anders aus. Es war abzusehen, wie das ausgehen würde, selbst wenn man die Bomber der Akarii herausließ, die sicher auch mitmachen wollten. Lightning war weder grausam noch menschenverachtend, und doch blendete sie jeden Gedanken an die Piloten der Nighthawk- und Griphen-Staffeln aus. Denen konnte sie nicht helfen. Unruhig wanderten ihre Augen über die Anzeigen ihres Jägers – und dann fluchte sie
„Reaper! REAPER! REAPER VON RECHTS!“


TRS Relentless

Commodore Mithel stand aufgerichtet vor seinem Kommandosessel – an und für sich eigentlich ein Sicherheitsverstoß. Aber noch war der Feind allen Meldungen zufolge außer Reichweite, und der Kommandeur der Kreuzerschwadron wusste um den Wert von symbolischen Handlungen und Gesten. So blieb er aufrecht, während über den Bordlautsprecher das Signal „Flotte bereit zum Angriff“ erklang. Eine Tradition, die noch sein Vorgänger Henning Schupp begründet hatte, die Mithel aber beibehalten hatte.
Die sekundären Bildschirme zeigten ihm die Gesichter der anderen Kapitäne. Manche wirkten beinahe ehrfürchtig ergriffen – die Captains Sturlasdottir, Oparin und Bolton. Andere waren unlesbar, aber kampfbereit – Lee, Caneira und Raffarin. Gonzales hielt vermutlich nicht allzu viel von solchen geheiligten Ritualen, und die Captains Atkins und Schneider konnte Mithel noch nicht gut genug einschätzen. Aber sie alle bewahrten Haltung.
Erst als der letzte Ton verklungen war nahm Mithel Platz und befestigte die Sicherheitsgurte, die ihm Gefecht an seinem Platz halten sollten, trotz der starken Fliehkräfte. Die Akarii hatten den ganzen Schlachtplan über den Haufen geworfen. Sie waren selber aktiv geworden und schienen nun zwischen der Columbia und den Kreuzern durchzumarschieren – aber dicht genug am Träger, um ihn in absehbarer Zeit mit ihren Raketen erreichen zu können. Rear-Admiral Mullins hatte daraufhin die Kreuzer mit voller Kraft voraus zum Angriff beordert – und er hatte auch befohlen, Kami und Dauntless zu detachieren, damit sie vorauseilen konnten um die Bomber und die Begleitschiffe der Columbia zu unterstützen. Ein Auftrag, der nur zu leicht das Todesurteil bedeuten konnte, denn wenn die Akarii sich auf die beiden Kreuzer einschossen...

Mithel hatte nicht protestiert, auch wenn er es vorgezogen hätte, die zwei Schiffe stärker in Richtung der Columbia als direkt auf den Feind hin zu verlagern. Rear-Admiral Mullins hatte seine Gründe, und Mithel verstand diese – was er eher in Frage stellte war der Grundplan, Kreuzer und andere Schiffe so weit voneinander zu trennen. Aber es war nun einmal geschehen. Jetzt konnte er sich – ebenso wie Mullins mit der Schwadron 2.7 – nur bemühen, den Kameraden zu Hilfe zu kommen. Die leichten und schweren Kreuzer stürmten voran, die Maschinen längst auf jene „110%“ hochgefahren, die man eigentlich nur kurze Zeit durchhalten konnte. Sie kamen, so schnell sie konnten – doch würden sie schnell genug sein?
Cattaneo
Ace

Skunk grinste von einem Ohr bis zum anderen, als er zu der gemischten Halbstaffel aus Blauen und Grünen herübersah, die gerade von der Eisprinzessin ihr Abendgebet bekam.
„Seht sie euch an. Es fehlt nur noch, dass sie brüllt: Sterbt fürs Vaterland!“
„Etwas, was dir wohl den Rest deines Lebens fremd sein wird.“, versetzte Kali, aber ihren Worten fehlte der nötige Biss.
„Stimmt. Mein Motto ist nicht für mein Vaterland zu sterben. Ich bin dazu da, damit die Schuppenheinis für ihres sterben. Nicht, Ace?“
Der große, im Weltall geborene Mann grinste schief. „Ich habe nicht vor, hier für mein Vaterland zu sterben. Was bist du eigentlich so redselig, Skunk? Gehen dir beide Eier auf Grundeis?“
„Vorsicht, ich habe schon größere Kerle für weniger verprügelt!“, zischte der Staffelchef der Roten.
„Jetzt redest du normal.“, kommentierte Ace und zwinkerte.
Skunk brummelte etwas, was man mit viel Liebe zum Detail als Arschloch identifizieren konnte und wandte sich dann seiner Staffel zu. „Hergehört, ihr Kleinkinder und Echsenficker! Wenn wir da gleich rausgehen, dann stoßen wir in eine Hölle hinein, gegen die Graxon und Corsfield wie ein Wochenendausflug aussehen. Die Schuppenheinis und wir haben zwar weniger Schiffe als damals, aber wir stehen diesmal gegen einen Uniform, und den nennt man nicht umsonst hinter vorgehaltener Hand Moloch.
Ihr seht die beiden Schönheiten neben mir, die freundliche Todesgöttin aus Indien und den blauhaarigen Untoten. Verdammt noch mal, hört auf sie. Unser Job ist es, so viele Jäger wir möglich aus dem All zu putzen, bevor die Blauen und die Grünen mit ihnen spielen müssen.
Dabei ist mir eigentlich egal, wer und wie viele von euch ins Gras beißen. Aber nehmt vorher wenigstens noch genügend Schuppenheinis mit, habt ihr das verstanden?
Es geht in diesem Kampf nicht darum, dass einer von euch zum Schluss das Flying Cross in Silber um den Hals gehängt bekommt. Es geht darum, dass wir unseren Job tun, die Bloodhawks und Raptor vernichten und uns anschließend dieses obergroße Arschloch Jor holen. Wenn ihr in dieser Hölle überleben wollt, geht nicht auf Extratouren, sondern hört auf eure Sektionschefs.“
Skunk wandte sich halb ab, und fügte hinzu: „Ach, noch etwas. Wenn einer von euch Wichsern das Oberarschloch der Akarii auf seinen Schirm kriegt – lasst die Finger von ihm. Der gehört mir, ist das klar?“
Dumpfes Gemurmel antwortete ihm, während er zu seiner Maschine ging.
„Hey, für dich war das ja eine freundliche Rede, Skunk. Wirst du weich oder hast du einfach nur Angst?“, spottete Ace.
Für einen Moment beobachtete Skunk seine zitternden Hände. „Ich glaube, ich werde hier draußen sterben, Cliff.“ Danach setzte er sich wieder in Bewegung und ließ einen verdutzten Clifford Davis zurück. So informell war der bissige Skunk noch nie gewesen.
Ace tauschte einen besorgten Blick mit Kali aus. „Lass ihm ein paar Raketen um die Ohren fliegen, dann taut er schon wieder auf. Und sag den anderen nichts. Jeder darf mal Angst haben, sogar so ein alles fickender Bastard wie Skunk. Und vergessen wir nicht, fliegen kann der Halunke.“
„Da hast du Recht“, erwiderte Ace, aber sein Magen fühlte sich trotzdem flau an.
„Okay, weggetreten zu den Maschinen“, rief Kali. „Und macht den Roten da draußen keine Schande. Wäre doch gelacht, wenn wir den Butcher Bears nicht mal zeigen könnten, woher unsere Staffelfarbe kommt!“
Diesmal war die Reaktion nicht so durchwachsen, beinahe begeistert, wenn das in dieser Mischung aus freudiger Erwartung, Spannung und Angst aufkommen konnte.
Als die anderen Piloten an ihnen vorbei geeilt waren, beugte sich Ace vor und gab der kleinen Inderin einen Kuss auf die Wange. „Du würdest eine tolle Staffelchefin abgeben.“
„Schmeichler. Du willst mich ja nur dazu verführen, dass ich deiner Sektion ein paar Abschüsse zuschustere.“ Sie tätschelte seine Wange und ging an ihm vorbei. „Netter Versuch, Ace. Netter Versuch.“
„Was für eine Frau.“ Ace setzte seinen Helm auf, damit man nicht sah, wie er von einem Ohr bis zum anderen grinste.

Nach dem Ausschleusen formierten sich die Sektionen, bereit zum Abflug.
„Okay, hergehört, dritte Sektion. Wir zeichnen uns durch eine hervorragende Teamwork aus, mit der wir so manchen Akarii gegrillt haben. Ich will nicht, dass das ausgerechnet heute ein Ende findet, habt ihr das verstanden? Artist? Trajan? Leth?“
Dreistimmig kam die Bestätigung herein.
„Das gilt ganz besonders für den Fall, dass Prinz Jor in das Gefecht eingreift. Ich will nicht, und das sollt ihr gefälligst verstehen, ich will nie, nie, niemals nie, dass einer von euch glaubt, er wäre Jor gewachsen! Nach dem Roten Baron ist er wahrscheinlich der beste Akarii-Pilot in diesem Universum, und ich habe wenig Hoffnung, dass er eingerostet ist, seit er Großadmiral ist. Wenn ihr ihn also durch Zufall vor den Bug kriegt, haut ab und erstattet Meldung. Denn es gibt bestenfalls vier, höchstens fünf Piloten, die es mit Prinz Jor aufnehmen können – ihr drei gehört nicht dazu.“
„Das weiß man erst wenn man es probiert hat, Ace“, erwiderte Artist, und die anderen beiden lachten.
„Das ist kein Witz. Das ist ein dienstlicher Befehl, Lydia. Ich will für dich keine Trauerrede halten müssen.“
„Mal ne Frage, oh großer Überlebenskünstler und Akarii-Schreck.“, klang die Stimme von Leth auf. „Gehörst du denn zu den vier, höchstens fünf Piloten, die es mit Jor aufnehmen können?“
„Natürlich.“
„Alter Angeber.“ „Also das hast du vor.“ „Hey, wenn du ihn runterholst, dann kann ich damit angeben, deine Flügelfrau zu sein.“
„Wenn wir Jor wirklich vor die Rohre bekommen“, sagte Ace in mahnendem Tonfall, „dann sind es vier Nighthawk-Piloten, die die Maschinen und das Können haben, die Bloodhawk von Jor zu vernichten. Das sind Lone Wolf, Monty, Skunk und ich. Es würde mich nicht wundern, wenn wir vier zu einer eigenen Sektion zusammengezogen werden, wenn sich Jor zeigt und wenn wir nicht im dicksten Gedrängel stecken, seit der Geleitzugschlacht von Jollahran. Es wäre jedenfalls die beste Gelegenheit, die Echse zu erwischen.“
„Vier gegen einen? Da wäre ich auch gerne dabei.“
„Dummkopf, Artist. Selbst wenn Jor ohne Flügelmann auftritt, du glaubst doch nicht, dass ihm die anderen Akarii die Unterstützung versagen? Er wird wahrscheinlich den bestgeschützten Flieger in diesem Gefecht haben. Falls er auftaucht. Falls er sich nicht auf der KORAX verkriecht.“ Ace sah auf seine Anzeigen. „Herrschaften, es geht los.“

***

Nach einem letzten, flüchtigen Kuss mit Ace trat Huntress vor ihre Staffel. Zumindest das, was Lightning ihr übrig gelassen hatte.
Natürlich haderte sie mit dieser Entscheidung. Was sollte sie auch anderes tun. Aber ebenso natürlich hielt sie die eiskalte Russin für eine gute Pilotin. Nicht unbedingt für eine gute Anführerin, aber es würde wohl für zwei Sektionen reichen.
„Ich denke, ich muss nicht viel erzählen. Jeder kennt die Aufgabe, die vor uns steht. Acht von uns müssen auf zwölf Bomber und drei Rafale von Bronze aufpassen. Und sie müssen dafür sorgen, dass sie auch durchkommen. Das ist heute unsere Priorität. Es gibt keine Alternative dazu. Rapier.“
Annegret Lüding straffte sich. „Wir ihr alle wisst, mussten wir Chip und seine Leute an die Eisprinzessin unterstellen. Das bedeutet, dass unser interner Wettkampf gegen die Grünen heute etwas anders ausfällt. Diesmal zählen nicht die meisten Abschüsse, sondern wer die meisten Bomber durchbringt. Und das werden wir sein, habt ihr mich verstanden?
Lightning meint, ihre Grünen wären die beste Falcon-Staffel. Huntress meint, wir Blauen wären die beste Falcon-Staffel. Eine von beiden hat Recht. Und die andere wird merken wie falsch sie lag. Huntress wird das nicht sein, verstanden?“
„Verstanden!“ „Gut, weggetreten.“
Juliane Volkmer schmunzelte, als die Piloten hoch motiviert an ihr vorbei eilten. „Gute Rede, Rapier.“
„Ich kann Lilja doch nicht den ganzen Pathos überlassen, wenn sie schon bester Junioroffizier wird.“ Die Deutsche lächelte kalt. „Aber auch da gibt es zwei Meinungen und einer von uns beiden wird feststellen sich geirrt zu haben.“
„Na, viel Glück“, brummte Huntress amüsiert und klopfte der Pilotin aufmunternd auf die Schulter.

Langsam ging sie ihrer Staffel zu ihrem Vogel hinterher, den Helm noch lässig in der Armbeuge. Es stimmte wirklich, was man sagte. Je mehr Einsätze man flog, desto mehr Routine entwickelte man. Sogar mit der Angst konnte man besser umgehen. Huntress hatte gehört, dass einige Piloten immer weniger Angst vor dem kalten Abyss und dem Tod hatten, je öfter sie ein Gefecht überlebten. Die Glücklichen. Sie selbst hatte nur noch mehr Angst um ihr eigenes Leben. Noch beherrschte sie diese Angst, nutzte sie, um Wut für die Schlacht aufzubauen. Aber wenn dieses Leben noch länger dauerte, wenn dieser Krieg noch länger dauerte… „Gott, ich brauche ne Pause“, murmelte sie. Hoffentlich wurde es nicht die ewige Pause in der eisigen Umarmung des endlosen Alls.
Drüben bei den Grünen stand Lightning und überwachte ihre Staffel dabei, wie sie die Maschinen bemannten. Wie zufällig sah sie dabei zu Huntress herüber, und um ihre Züge stand ein stolzes Lächeln.
Auch Huntress lächelte. Diese Frau war ihre Mentorin, ihr Vorbild und ihre Freundin. Auch wenn sie einander nie so nahe kommen würden wie Juliane und Helen einander waren, wenn die Staffelchefin der Blauen ehrlich zu sich war, liebte sie Parker wie eine große Schwester. Und mit denen zoffte man sich doch ohnehin von Zeit zu Zeit.
Als Huntress sah, wie die Engländerin ihren Helm aufsetzte, griff wieder eisige Angst nach ihr. Aber diesmal die eisige Angst, sie nie wieder sehen zu können. In dieser Schlacht würde alles möglich sein.
Die Staffelchefin der Grünen schenkte ihr einen optimistisch gehobenen Daumen der Rechten und Huntress salutierte dazu.
Dann setzte sie ihren Helm auf und hoffte, dass niemand gesehen hatte, wie sehr ihre Gesichtszüge aus der Fassung geraten waren.
Es galt eine Schlacht zu schlagen, sie hatte eine Pflicht zu erfüllen. Leider beinhaltete diese Pflicht, gute Freunde auf immer zu verlieren…

***

„Dieser Bastard ist also immer noch für eine Überraschung gut“, brummte Justus Schneider, Kapitän des modifizierten Ticonderoga-Kreuzers KAMI, aber er schmunzelte nicht wie sonst. „Mr. Ichihiro, geben Sie Klar Schiff zum Gefecht.“
„Aye, Sir, Klar Schiff zum Gefecht.“
Nach dem Flottenalarm war das eigentlich unnötig, und Justus Schneider war auch nicht gerade ein Fan der Alarmsirenen. Aber bei dem, was nun kommen würde, brauchte er jeden Mann voll konzentriert auf seiner Position. Da schadete es nicht, ein wenig nachzuhelfen.
„Mr. Henrik, ich brauche eine Übertragung in alle Räume.“
„Aye, Skipper. Steht in fünf, vier, drei, zwei, eins…“
„An alle Besatzungsmitglieder der KAMI. Hier spricht der Kapitän. Wie Sie alle wissen, haben wir gerade den Uniform-Träger KORAX MA RAH und seinen Begleitverband gestellt. So Gott will, werden wir Prinz Jor töten oder gefangen nehmen und dem Kriegsende ein erhebliches Stück näher sein.
Aber die Akarii sind nicht dumm. In diesem Moment versuchen sie, zwischen den Begleitverband der COLUMBIA und unsere beiden Kreuzerschwadronen zu stoßen. Die KAMI und die DAUNTLESS haben Befehl erhalten, mit Höchstfahrt zur COLUMBIA aufzuschließen. Dies tun wir gerade. Wenn alle Werte so bleiben wie sie sind, werden wir damit die ersten sein, die das Akarii-Kontingent erreichen werden, welches versucht, uns von unserem Träger zu trennen. Das bedeutet auch, wir werden die Kampfhandlungen eröffnen und die schwerste Last tragen.
Ich erwarte von jedem Soldaten, dass er seine Pflicht erfüllt. Dies ist unsere große Chance, um den Krieg um Jahre zu verkürzen, und ich will nicht, dass irgendwann in den Geschichtsbüchern steht, der Krieg hätte sich um Jahre verlängert, weil die KAMI ihre Pflicht nicht erfüllt hat!
Ich werde nicht soweit gehen und aus dem Blauen Band zitieren, denn im Gegensatz zu von Bein haben wir etwas, was uns wie ein großer Schutzengel behüten wird, wenn wir es gut behandeln: Die DAUNTLESS und ihr überlegenes Abwehrsystem. Unsere beiden Schiffe, gut koordiniert, werden eine erhebliche Überraschung für die Akarii sein, und wir werden beide hart und gnadenlos zuschlagen, ebenso wie es die Akarii tun werden. Vielleicht überleben wir alle diesen Tag nicht. Vielleicht wird dieses Schiff zerstört. Vielleicht gehen morgen schon die Briefe an unsere Verwandten und Familien raus, die von unserem Tod in der Schlacht berichten. Aber wir sind nach dem feigen Angriff von Prinz Jor auf Manticore nicht so weit gekommen, weil wir Leute von der Navy Angst vor dem Tod haben, im Gegenteil! Wir wissen, dass wir für das Leben und die Freiheit eben dieser unserer Familien kämpfen, während die Akarii nur einen ungerechten und unprovozierten Angriffskrieg führen, für den sie nun die Rechnung bezahlen. Und mit Gottes Hilfe bezahlen sie heute einen noch höheren Preis.
Dieses Schiff, diese Crew ist noch nicht sehr lange zusammen. Dennoch will ich Ihnen sagen, dass ich ihnen allen vertraue. Wir haben ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Pflicht. Und wir haben den Auftrag, die Akarii als erste in ihre Schranken zu verweisen.
Sollte die KAMI in diesem Kampf zerstört werden, dann soll es so sein, dies ist unsere Pflicht als Soldaten. Und wenn sie zerstört wird und wenn wir alle fallen, dann will ich, dass man den Namen Kami und die Namen seiner Besatzungsmitglieder für alle Zeit in Ehrfurcht ausspricht.
Dies ist unsere Pflicht als Soldaten der Republik, als Beschützer der Demokratie, als Verteidiger all dessen, was das Imperium in den Dreck zu treten versucht hat.
Und jetzt lasst uns Akarii töten!“
Eine unheilvolle Atmosphäre hatte die Hauptbrücke erfasst. Bei allem Männern, allen Frauen auf der Brücke war eine Aura der Fatalität zu erspüren, mit der sie sich in ihr Schicksal fügten, und zugleich eine ungeheure intensive Anspannung, die mit Blutdurst nur unzureichend umschrieben werden konnte, weil es für diese Empfindung kaum ausreichte.
Schließlich klopfte einer der Junioroffiziere mit der Faust auf sein Arbeitspult. „Wohl gesprochen, Skipper!“
Bestätigungen kamen von allen Seiten, und verdichteten die fatale Atmosphäre nur noch.
„C2C von der DAUNTLESS, Sir.“, meldete Commander Henrik.
„Durchstellen. So sind wir also auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, Triple-E.“
Auf dem größten Bildschirm lächelte ihnen das Gesicht von Gonzales entgegen. „Ich hätte mir einen schlechteren Partner wünschen können. Keine Sorge, Justus, unser Abfangsystem ist seit vier Jahren nahezu frei von Flöhen. Wir passen schon auf die KAMI auf.“
„Und wir sehen zu, dass sich die Kreuzer für uns interessieren und nicht für die DAUNTLESS.“
Der Lateinamerikaner grinste und verschob seine obligatorische Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen. „Dann wollen wir Jor doch mal ne kleine Überraschung bereiten.“
„Das werden wir, Triple-E. Aber was noch viel wichtiger ist: Wenn mein Schiff das hier übersteht, wenn unsere beiden Schiffe das überstehen, dann verspreche ich Ihnen, fülle ich den Swimmingpool in Ihrem Sportdeck mit Bier auf.“
„Alkoholfrei?“, argwöhnte Gonzales, um seine Überraschung zu überspielen.
„Natürlich nicht.“
„Dann fühlen Sie sich und ihre Leute eingeladen, ihn wieder auszutrinken. Soll ja nicht schlecht werden, das gute Zeug. DAUNTLESS Ende.“
Leises Gelächter ging durch den Raum. Das war auch ein guter Grund, um überleben zu wollen.

„Eingehende Messdaten. Acht Kontakte. Kontakte werden identifiziert. Identifikation für fünf Kontakte steht. Kontakt eins bekannt als Yankee fünnef, namentlich Schwerer Kreuzer PORTEEN. Kontakt zwei bekannt als Golf neun, namentlich Trägerkreuzer ARRAN DA LOXAR. Kontakt drei bekannt als Kilo achtundfünfzig, namentlich Leichter Kreuzer PROMMA MAKI. Kontakt vier bekannt als Yankee acht, namentlich Schwerer Kreuzer ADURN. Kontakt fünf bekannt als Kilo siebenunddreißig, namentlich Leichter Kreuzer FIRGO. Identifikation läuft. Ein Kontakt identifiziert als Yankee-Klasse, Schiff unbekannt. Benenne sie Yankee einhundertsieben. Zwei Kontakte identifiziert als Kilo-Klasse, Schiffe unbekannt. Benennen sie Kilo fünfhundertachtzig bis fünfhunderteinundachtzig.“
„Danke, Mr. Henrik. Ein Golf also?“
„War zu erwarten gewesen, dass Jor wenigstens einen davon dabei hat“, brummte Ichihiro ernst. „Immer für ne Überraschung gut, der Junge.“
„Was ich übrigens sehr interessant finde ist, dass neun Kontakte von uns zum ersten Mal identifiziert wurden. Eigentlich sind die Begleitschiffe der KORAX MA RAH bekannt. Wenn wir diese Kreuzer nicht identifizieren können, bedeutet das…“
„Dass dies Schiffe sind, die Jor requiriert hat, um seinen Begleitschutz aufzustocken.“ Haruka Ichihiro zeigte ein wildes Grinsen. „Mit Garnisonseinheiten werden wir wohl fertig werden!“
„Zielradar der Akarii schaltet auf. Erfassung steht in fünfzehn… Zehn…“
„Da kommen sie. Wir wollen dankbar sein für alles was wir empfangen“, murmelte Schneider ernst, „und es ihnen tausendfach vergelten.“
„Fünf… drei… eins… Multiple Abschüsse, Jäger und Bomber werden vor dem Verband erfasst! Kommen schnell näher!“
„Alle Energie auf die Bugschilde. Feuer auf Maximalreichweite eröffnen. Zeigen wir denen, dass sie es mit ihren eigenen Waffen zu tun haben!“
Dann erwachten die automatischen Abwehrsysteme der KAMI zum Leben…
Cattaneo
Ironheart

An Bord der Repulse
Tukama-System

Commander Igor Maleetschev hatte den Verlauf der Schlacht aufmerksam verfolgt und ihm war nicht entgangen, dass das Gefecht jetzt seinem Höhepunkt entgegen zu streben schien. Die Kampfjäger der Akarii und TSN beharkten sich schon und auf beiden Seiten waren bereits die ersten Ausfälle zu verzeichnen.
Igor „las“ die Schlacht wie ein dreidimensionales, gigantisches Schachbrett. Die Jäger, die die Bauern symbolisierten, bekämpften sich derzeit bis aufs Blut. Die Springer und Läufer – in diesem Fall die Fregatten, Korvetten und Zerstörer brachten sich langsam in Stellung. Die Türme und Damen – sprich die leichten und schweren Kreuzer – waren auch schon in Position um die gegnerischen Könige – bei diesem Spiel waren dies die jeweiligen Flottenträger – in Angriff zu nehmen. Sicher, in diesem Falle hinkte der Vergleich mit dem antiken Schachspiel gewaltig, da einige der Bauern, vor allem die Bomberverbände auf beiden Seiten, genug Feuerkraft besaßen um – anders als die Bauern im Schach – auch die Könige und Damen ernsthaft und aus größerer Entfernung in Bedrängnis zu bringen. Aber letztlich war es nur 3D-Schach mit anderen Regeln.
Igors Gedanken wanderten zu seinen Freunden und Kameraden, die in dieser Schlacht kämpften und einige dieser Schachfiguren verkörperten.
Irgendwo da draußen war Lucas Cunningham unterwegs um sich den Kopf von Prinz Jor zu holen. Auch wenn sie in derselben Trägerkampfgruppe Dienst taten, hatten sie sich seit dem Perisher höchstens bei einer Handvoll Gelegenheiten sehen können. Ihre Dienstpläne und Verantwortlichkeiten als jeweils CAG bzw. XO eines Ticonderoga-Kreuzers waren nicht einfach in Einklang zu bringen. Doch ab und an schickten sie sich noch Nachrichten und Igor hatte Lucas kurz vor dem Sprung ins Tukama-System noch gute Jagd gewünscht. Er hoffte, dass Cunningham auch eine gute Jagd haben würde und vor allem, dass dieser nicht selbst zum Gejagten werden würde.
Er dachte kurz an die übrigen Veteranen der Operation Magellan, an Tigre, Lady Death, Hue Xha Bao und Carl Johannson und hoffte, sie würden alle überleben. Doch er war Soldat genug zu wissen, dass es nicht alle schaffen würden.
Im nächsten Augenblick wurden Igors Gedanken schon auf einen weiteren seiner Freunde gelenkt. Die DAUNTLESS und die KAMI wurden aus dem Verband der Großkampfschiffe detachiert, um die COLUMBIA und deren Sicherungsflotte zu verstärken. Igor hoffte nur, dass Rear-Admiral Mullins schon wusste, was er tat. Doch diese beiden Schiffe alleine ohne Unterstützung dem gegnerischen Flottenverband entgegen zu hetzen, behagte ihm nicht. Nun, Igor kannte Captain Schneider ziemlich gut und von Triple E Gonzales hatte er schon ähnliches gehört. Beide Kapitäne galten als Draufgänger und waren sehr häufig an halsbrecherischen Aktivitäten beteiligt gewesen. Und auch wenn Igor mit Justus Schneider befreundet war, fragte er sich, wann einmal der Zeitpunkt kommen würde, wenn Justus sein Blatt überreizen würde. Und wie es aussah, konnte das dieses Mal durchaus der Fall sein.

Schweigend beobachtete er, wie die Intensität der Kommunikation auf der Hauptbrücke im gleichen Maße wie die Anspannung zuzunehmen schien.
Captain Jamal Atkins aufmerksame Augen verfolgten ebenfalls die Schlacht, und wie Igor schien er auch ein zweites Auge auf die Hauptbrücke zu werfen. Igor beobachtete Atkins Blick, der zu der jungen Türkin Neslihan Kayalar ging, die an den Waffenkontrollen der Repulse das Kommando hatte. Captain Atkins hatte sich nicht zu Igors Entscheidung geäußert, 2nd Lieutenant Kayalar statt des erfahreneren 1st Lieutenant Sayn-Bismarck das Kommando an der Hauptbrücke zu überlassen. Igor war sich nicht 100% sicher, ob Atkins sich nicht eingemischt hatte, weil er ihm vertraute, doch hatte er seine Entscheidung gebilligt. Dennoch, auch Maleetschev hatte leichte Zweifel an seiner eigenen Entscheidung. Wenn Kayalar mit dem Druck nicht zurechtkommen sollte, würde sich das auch auf ihn auswirken. Andererseits hatte sie während der Suspendierung von 1st Lieutenant Sayn-Bismarck erstklassige Arbeit geleistet und durch Anleitung von Lt.Cmdr. Vickers das Fehlen des eigentlich verantwortlichen Waffenoffiziers ausgeglichen. Wenn sie sich jetzt noch bewähren würde, war ihr eine Belobigung sicher.
„XO, Status der Repulse bitte.“ Atkins holte Maleetschev damit aus seinen Gedanken, aber Igor war vorbereitet.
„Alle Stationen melden volle Einsatzbereitschaft, Sir. Schilde sind bei 100 Prozent, Maschinenleistung 110 Prozent.“
„Wie lange können wir noch auf diesem Niveau fahren?“
„Sie kennen ja den Chief, seiner Meinung nach fahren wir schon zu lange auf 110, aber wortwörtlich sagte er „Jo mei, wenn`s denn soa muass.“ Igor versuchte den tiefbayrischen Dialekt von Chief Mayrhuber nachzuahmen, was wiederum ein kurzes Schmunzeln auf Atkins Gesicht zauberte. Doch schon im nächsten Augenblick war er wieder voll bei der Sache. „Wie ist Ihre Einschätzung der Lage?“
„Die Kami und Dauntless werden das Feuer auf sich ziehen und den Trägerverband damit effektiv entlasten, zumal die Akarii ihr Feuer aufteilen müssen. Wenn wir schnell genug aufschließen, können wir ihnen helfen.“
Atkins nickte. „Diese Hilfe werden sie wohl nötig haben.“ In diesem Augenblick übertrugen die Bildschirme die ersten Explosionen an den Schirmen der beiden detachierten Kreuzer. Maleeetschev hoffte nur, sie würden rechtzeitig kommen.

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Als die Schlacht um die Korax ma Rah im Tukama-System für die Jägerverbände begann, schickten alle Piloten der Roten und Schwarzen Staffel ihre Phönix-Langstreckenraketen auf den Weg, die Griphen schlossen sich kurz darauf mit ihren Mittelstreckenraketen an.
Oder besser, alle Griphen bis auf eine: 2nd Lieutenant Donovan „Noname“ Cartmell. Dieser hämmerte wütend auf den Auslöser seiner Raketen, doch nichts geschah.
„Noname, findest du den Scheiss-Schalter für deine Raketen nicht, oder was?“ Skunk war wie immer ein ausgesprochener Witzbold. Doch damit hatte Donovan mittlerweile leben gelernt. Vor ein paar Jahren hätte er jetzt lieber seine Strahlenkanonen auf Skunk gerichtet, als sich auf die Akarii zu konzentrieren, aber mittlerweile wusste er nur zu gut, wie er seinen Staffelführer zu nehmen hatte.
„Nein, Sir“ gab er nüchtern und geschäftsmäßig zurück, „mein Raketensystem zeigt mir an, dass es Probleme mit der Zielerfassung gibt. Strahlenkanonen sind einsatzbereit, aber keine Raketen im Moment.“
„Waaaas. Herrgott, dein Wartungsteam WILL aber von mir in den Arsch gefickt werden, oder?“
„Ist schon notiert…“
„Jaja, sabbel nicht, weich lieber aus.“
Skunk wie ihn alle liebten! Die Raketenwarnung gellte in Donovans Helm, so dass er fast automatisch tat wie ihm geheißen. Als er die Akarii-Langstreckenrakete durch ein entsprechendes Flugmanöver und den Einsatz von ein paar Täuschkörpern losgeworden war, meldete er sich bei seinem Flügelmann. „Fisch, ab nach vorn, ich deck deinen Arsch…“
„Wie jetzt, echt? Ich darf ran?“ Fish war noch nicht trocken hinter den Ohren und entsprechend aus dem Häuschen, denn jetzt konnte er endlich zeigen was er drauf hatte. `Oder unser beider Untergang werden`.
„Ja, meine Dreckszielerfassung rebootet gerade, habe also nur die Strahlenkanonen.“ Wie Skunk bereits sagte, Donovan nahm sich vor seinem Wartungsteam den Arsch aufzureißen und zwar gehörig. Und wenn er dafür geradewegs aus der Hölle kommen musste. ’Was meinst du, wo Du gerade bist’ schoss es ihm durch den Kopf, als die Schlacht um ihn herum vollends losbrach.

Donovan blieb an Fish dran, der sich ziemlich forsch für ein Greenhorn hinter eine einzelne feindliche Bloodhawk gesetzt hatte, die offensichtlich ihren Partner aus den Augen verloren hatte. Der junge 2nd Lieutenant setzte dem Akarii eine Sparrow hinterher und während dieser versuchte der Rakete zu entgehen, hatten sie zu ihm aufgeschlossen um ihn gemeinsam mit ihren Strahlenkanonen zu bearbeiten. Doch auch wenn die Rakete traf und die Bloodhawk ihre Schilde verlor und etliche Treffer einstecken musste, sie konnten sie einfach nicht knacken.
„Abdrehen, Fisch, da sind zwei weitere Bloodhawks die ihrem Kumpel zu Hilfe kommen.“
„Verflucht, ich habe ihn gleich gekna…“
„Abdrehen habe ich gesagt, und zwar JETZT…“
Fish murmelte ein paar Flüche nach dem Motto: ‚Gönnt mir meinen ersten Abschuss nicht’ doch Noname ignorierte das erstmal. Ihr Auftrag lautete, so viele feindliche Jäger wie möglich zu binden und nicht einem Greenhorn seinen ersten Abschuss zu ermöglichen. Donovans Raketenerfassung funktionierte immer noch nicht und die anderen beiden Bloodhawks dieser feindlichen Sektion waren im Augenblick die deutlich größere Bedrohung. Besonders klar wurde das, als zwei Raketen der Bloodhawks sich auf den Weg machten und Ihnen bedrohlich näher kamen. Donovan konnte seine abhängen, doch Fish verlor einen erheblichen Teil seiner Heckschilde. Doch der Junge war besser als sein loses Mundwerk es vermuten ließ. Ohne sich durch den Treffer aus der Ruhe bringen zu lassen – und das sollte für dieses harte Gefecht einiges heißen – kurvte Fish hinter den beiden Bloodhawks ein und jagte der zu hinterst fliegenden in kurzer Reihenfolge zwei Raketen auf den Pelz. Noname hatte die Bloodhawks durch gezieltes Impulsfeuer aus seinen Plasma- und Tachyonengeschützen quasi in Fischs Raketen getrieben, doch trotzdem war er überrascht über Fischs schneller Zielerfassung und seine Kaltblütigkeit. Der von den Strahlenwaffen bereits geschwächte Heckschild wurde durch die erste Rakete zum kollabieren gebracht und noch bevor der Pilot reagieren konnte, riss die zweite Rakete die Bloodhawk auseinander.
Ein laut gezogenes „YIEEEHHAAA“ kündete von 2nd Lt. Jan „Fisch“ Fischers erstem Abschuss und natürlich ließ Donovan ihn gewähren. Auch wenn es eine Ewigkeit her zu sein schien, er konnte sich noch sehr gut an seinen ersten Abschuss und seine Freude darüber erinnern. `Damals war Lone Wolf dein Wingleader gewesen` zuckte es durch Donovans Kopf, doch er verdrängte diesen Gedanken.

Während Fish sich also seinen ersten Abschuss geholt hatte, hatte sich die zweite Bloodhawk mittlerweile hinter sie gesetzt. Noname musste all sein Können aufbringen, um den zwei Raketen der Bloodhawk auszuweichen, doch einige Strahlentreffer hatte er nicht verhindern können. „Fisch, setz dich hinter die Bloodhawk an meinem Arsch, ich werde ihn ihr noch eine Weile präsentieren…“
„Geht klar, Boss“ gab dieser zurück und versuchte erst gar nicht seine Freude und seinen Stolz über seinen ersten Abschuss aus seiner Stimme zu verbannen. Noname hätte fast gegrinst, wenn er nicht so beschäftigt gewesen wäre, seinen Arsch zu retten. Der Akarii bekam aufgrund von Nonames unkonventionellem Flugstil – der ihm mittlerweile auch schon im Geschwader zu einem gewissen Ruf verholfen hatte – offenbar keine saubere Zielerfassung für die Raketen zustande. Doch ein Treffer nach dem anderen mit den Strahlenkanonen hatten Donovans Heckschilde schon auf 60% schrumpfen lassen. Mit all seiner mittlerweile gewonnenen Routine gelang es ihm in kürzester Zeit mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Noch während er der ihn jagenden Bloodhawk auswich, checkte er den Status seiner immer noch nicht einsatzfähigen Raketen, beobachtete den Kurzstreckenradar und erkannte die Bloodhawk, die sie am Anfang gerupft hatten und ihren Wingkameraden, die sich Ihnen näherten.
„Fisch, der zweite kommt von Vektor 2-7, gib Gas…!!“
„Aye, Boss, bin gleich da.“ gab Fish durch und tatsächlich jagte er ziemlich bald darauf der Bloodhawk eine Sparrow hinterher, die – auch wenn sie überhastet abgeschossen worden war – nicht einfach ignoriert werden konnte. Die Bloodhawk brach wild ausweichend Nonames Verfolgung ab.

In diesem Augenblick meldete Nonames Raketensystem endlich wieder volle Einsatzbereitschaft. Donovan verlor keine Zeit und legte sein Fadenkreuz über den sich nähernden Jäger zu, mit dem sie sich zu Beginn gebalgt hatten. Blitzschnell hintereinander feuerte er zwei Amraam auf den noch unbeschädigten Akariijäger und schaltete dann auf seine Sparrows um. Während der Akarii den Amraam mit fast schon panisch anmutenden Flugbewegungen auszuweichen versucht, legte Donovan seine Sparrow auf das Ziel, wartete aber noch auf das Ergebnis seiner beiden ersten Raketen. Als die erste Amraam einschlug und dem eh schon beschädigten Jäger die Schilde und einen Gutteil seines Antriebs raubte, schoss sich der Pilot aus seinem wracken Jäger, noch ehe der zweite Treffer die Bloodhawk vernichtete.

Auch wenn Donovan immer noch nicht ganz im Geschwader angekommen war, sein Ansehen war durch seine fliegerischen Fähigkeiten doch erheblich gestiegen. Immerhin sah man ihn nicht mehr als Abschaum und Paria an, sondern nur noch als Störenfried. Doch selbst seine größten Kritiker konnten nicht umhin, zuzugeben, dass er seinen Job beherrschte und das Zeug dazu hatte, sich zu einem der besten Nighthawk-Piloten des Geschwaders zu mausern. Seitdem er seinen Frieden mit der Navy gemacht hatte und gelernt hatte nicht unter jeder Kritik einen Angriff auf seine Person und seine Vergangenheit zu sehen, hatten sich seine Leistungen deutlich verbessert.
Es war ein merkwürdiges Ballet, dass sie da aufführten, die Menschen und die Akarii. Und er war mittendrin. Und jetzt, da sein Jäger wieder voll einsetzbar war und er sich seinen 18. Abschuss geholt hatte, freute er sich irgendwie wieder auf diesen Tanz. Und er nahm sich vor, einigen Tanzpartnern noch gehörig auf die Füße zu treten.
Cattaneo
Tyr

Kano ‚Ohka’ Nakakura saß neben seinem neuen Jäger. Die Nighthawk hatte ursprünglich der Roten Schwadron gehört und sollte Ohkas über T’rr verlorene Maschine ersetzen. Er hatte noch keine rechte Zeit gefunden, sich an den Jäger zu gewöhnen, und natürlich fehlte auch noch die für die Schwarze Staffel charakteristische Bug-Bemalung.
Manche seiner Kameraden vertrieben sich die Zeit mit nervösen Flachsereien, oder inspizierten ein letztes Mal ihre Jäger. Das war eine Möglichkeit, mit dem Stress und der Anspannung fertig zu werden. Er selbst hatte gelegentlich auch zu ähnlichen Hilfsmitteln gegriffen. Aber nicht Heute.
Sein Atem ging ruhig, die Augen waren geschlossen. Ein unaufmerksamer Beobachter hätte sogar denken können, dass Ohka schlafen würde. Das stimmte natürlich nicht. So gut hatte er sich nicht im Griff, kulturell anerzogene Todesverachtung hin oder her.
Kano versuchte vielmehr, sich auf den bevorstehenden Kampf einzustimmen, jenen speziellen Gefühlszustand zu erreichen, der es ihm erlaubte, mit seinem Jäger eins zu werden. Aber im Augenblick hätte er genauso gut mit einem Sieb Wasser schöpfen können. Vielleicht gelang es ihm später, in der Schlacht, wenn Todesgefahr und der Rausch des Kampfes ihn in ihrem Griff hatten. Wenn nur noch der Augenblick zählte, und der Feindjäger in der Zieloptik. Jetzt aber ging ihm noch zu viel im Kopf herum. Nicht so sehr Sorgen um sich selbst, die hatte er mit gewohnter Routine bereits weitestgehend beiseite drängen können. Aber es gab Menschen, deren Schicksal er nicht so einfach dem Schlachtenglück anheim stellen konnte, wie sein eigenes. Und was an ihm zehrte, wie jedes Mal, wenn er zu einem Einsatz wie diesen startete, war die Tatsache, dass er wahrscheinlich absolut nichts würde tun können, um ihnen zu helfen. Eigentlich hätte er sich inzwischen an diese Gedanken und Tatsachen gewöhnen müssen.
Aber es gelang ihm nicht. Auch wenn er nicht unbedingt gesellig war, mit Menschen Lilja, mit Crusader, Ace und einigen anderen verband ihn nun einmal mehr als bloße Kameradschaft. Sein Bruder stand im Augenblick wahrscheinlich auf der Brücke der Caulaincourt und meldete dem Kapitän, dass alle Waffensysteme gefechtsbereit waren. Und da war natürlich auch Kali…

Wie oft waren sie schon zu Missionen aufgebrochen, die angeblich eine kriegsentscheidende Rolle spielen sollten? Johllaran, Graxon/Corsfield…
Die Erwartungen waren meist größer gewesen, als die tatsächlichen Erfolge – einmal, bei dem Angriff auf den Akarii-Konvoi, in geradezu katastrophaler Art und Weise. Aber auf die Niederlage von Jollahran, den Verlust von zwei Trägern, war der grandiose Sieg in der Doppelschlacht von Graxon und Corsfield gefolgt. Die Gegenoffensive der terranischen Flotte hatte begonnen. Und wenn sie diese Raumschlacht gewannen, wenn sie Jors Flaggschiff tatsächlich vernichten konnten…

In den vergangenen Jahren hatte Kano mehrmals ausgestiegen müssen, und war verwundet worden. Er hatte 31 Feindeinheiten vernichtet, hatte in Dutzenden Raumgefechten gekämpft, hunderte von Flügen mit gut tausend Flugstunden absolviert. Er wusste, die Zahl an Akarii und Menschen, die auf eine ähnliche Erfahrung zurückblicken konnten, war immer kleiner geworden. Dennoch musste er mit sich kämpfen, um zumindest seine äußere Ruhe intakt zu erhalten, und langsam diese Maske des Stoizismus und der Schicksalsergebenheit in sein Herz und sein Hirn sickern zu lassen, bis Ruhe und Gelassenheit mehr waren als nur eine Fassade.

Dann kam das Startsignal, viel früher als erwartet. Lone Wolfs forsche, leicht arrogante Stimme ließ weder Unruhe noch Angst erkennen. Kano aber hatte nicht einmal gezuckt, als das gleichzeitig ersehnte und gefürchtete Kommando durch den Hangar hallte. Ein paar Sekunden verharrte er noch mit geschlossenen Augen, bevor er sie langsam öffnete und aufstand. Zügig, doch ohne Hast ging er zu seinem Jäger. Da er die dritte Sektion der Staffel führte, würde er fast als Letzter starten. Er hatte Zeit genug. Sein Atem blieb ruhig. Er war bereit.

*******

Als auch die letzte der elf Maschinen den Hangar verlassen und sich den Kameraden angeschlossen hatte, die bereits gestartet waren, formierten sich die Butcher Bears und beschleunigten auf Marschgeschwindigkeit. Nur einem geübten Auge fielen die durch den fehlenden Jäger verursachten Unregelmäßigkeiten auf. Wie abgesprochen gesellte sich La Reine zu Renegade und Lone Wolf. Das bedeutete, dass die erste Sektion jetzt aus fünf, und die zweite aus nur zwei Jägern bestehen würde.
Mit den Staffeln Gelb und Rot waren es fünfunddreißig Maschinen, die dem Gegner entgegenjagten. Überwiegend waren es Nighthawk-Überlegenheitsjäger, die stärksten Maschinen der TSN. Die Griphen der Staffel Gelb wirkten daneben fast deklassiert. Hinter ihnen starteten inzwischen die Abfangjäger der Grünen und Blauen Schwadron, denen die Jagdbomber und Bomber der Staffeln Gold, Silber und Bronze folgen sollten.

Die drei Jäger-Schwadronen flogen momentan in einer relativ engen Formation, was die Ortung des Gegners erschweren sollte. Die Triebwerke arbeiteten auf Höchstgeschwindigkeit. Lone Wolf wollte den feindlichen Verband so weit wie möglich von der Columbia entfernt abfangen. Außerdem würde ein aggressiver Flugstil den Gegner vielleicht nervös machen und ihn dazu veranlassen, den Angry Angels überhastet seine Jagdmaschinen entgegen zu werfen. Nachdem Jor versucht hatte, die Initiative in die Hand zu bekommen, war es höchste Zeit, sie ihm wieder abzunehmen.
Wen sie ihn stoppen konnten und die beiden zu den Flanken der Akarii aufschließenden TSN-Verbände ihre Arbeit richtig machten, dann würde dieses Gefecht eine Kesselschlacht werden. Und das verhieß die vollständige Vernichtung des Gegners.

******

„Feindliche Jäger im Anflug. Vor allem Bloodhawk, dann Deltas, und einige Reaper XII.“ Montys Stimme klang unterkühlt und emotionslos wie meistens. Obwohl der Lieutenant Commander selber wahrscheinlich wenig von diesem ‚pseudomystischen Schnickschnack’ hielt, musste ihm Kano zubilligen, dass er es wie nur wenige andere Männer verstand, im Einsatz alle unnötigen Emotionen auszuschalten.
Jetzt schaltete sich Lone Wolf ein: „Die Deltas werden versuchen, uns mit ihren Langstreckenraketen aufzusplittern. Sie kennen unsere Überlegenheit im Kurvenkampf. Sie werden deshalb sehr früh zu schießen anfangen. Formation auflockern und bereit für Ausweichmanöver. Nach Ausweichen lockere Formation bilden. Erste Phoenix-Salve auf mein Kommando. Danach freie Jagd. Aber denkt daran – wir müssen sie binden! Die Bastarde sind uns immerhin zahlenmäßig überlegen…“ Offenbar war er doch etwas nervös. Normalerweise wiederholte er keine Offensichtlichkeiten.
Die leistungsfähigen Gefechtscomputer des Flakkreuzers, der bei der Columbia geblieben war, berechneten aus Kurs, Beschleunigung und Geschwindigkeit der feindlichen Einheiten den optimalen Abfangpunkt und aktualisierten die zu den TSN-Jägern gesandten Daten alle paar Sekunden. Gleichzeitig wurde die Formation des Gegners analysiert und daraus mögliche Einsatzmuster und Manöver der Akarii berechnet. Die Leistungsfähigkeit und taktischen Möglichkeiten dieser Gefechtsfeldelektronik war beeindruckend, dennoch herrschte bei vielen Jagdpiloten immer noch ein gewisses Misstrauen gegenüber den Dauntless-Kreuzern vor. Kein Weltraumjockey wollte zur bloßen Gefechtsdrohne degradiert werden. Außerdem war das System immer noch recht anfällig für ECM-Maßnahmen und litt unter gelegentlichen technischen Schwierigkeiten bei der Übermittlung und dem Empfang von Daten.

Auf diese Entfernung waren die feindlichen Einheiten selbst für die hochauflösenden Zieloptiken der TSN-Raumjäger kaum mehr als Punkte. Kanos Augen konzentrierten sich deshalb fast ausschließlich auf die dreidimensionale Radaranzeige, die ihn über das Vorrücken des Feindes informierte. Da Menschen und Akarii mit maximaler Marschgeschwindigkeit flogen, näherten sie sich einander mit rasender Geschwindigkeit. Beide Formationen schienen bereit und Willens, den Gegner förmlich über den Haufen zu rennen. Ein stetig piepsender Alarmton informierte Kano, dass der Gegner ihn bereits in der Zielerfassung hatte. Das war natürlich nicht überraschend. Kano suchte allerdings noch nach einem Ziel für seine erste Raketensalve. Persönlich zog er den Einsatz der Bordkanonen vor, aber er war nicht so dumm, die Möglichkeiten der Raketenbewaffnung nicht zu nutzen: „Crazy, der Deltavogel auf Ein Uhr, Kennung Nummer Vier. Wir greifen gemeinsam an.“ Deltas waren zwar besser gepanzert, aber auch schwerfälliger als Bloodhawks. Außerdem, wenn er den Kampf mit seinen eigenen Langstreckenraketen eröffneten, dann war der feindliche Pilot im entscheidenden Moment vielleicht abgelenkt.
„Bestätigt. Ich…“
Im nächsten Augenblick alarmierte ein schrilles Pfeifen Kano. ‚Raketenabschuss!’ Der Feind hatte die Schlacht eröffnet. Tatsächlich hatten die schweren Sturmjäger der Akarii ihre Langstreckenraketen auf maximale Entfernung abgefeuert und schickten nur wenige Sekunden später eine weitere Salve auf den Weg. Gleichzeitig gingen die Akarii auf Maximalschub.

Die TSN-Formation öffnete sich wie eine Blume am Morgen, als die Jäger mit einer fast anmutigen Schnelligkeit ihre Ausweichmanöver einleiteten. Hier und da explodierten die ersten der feindlichen Raketen, ob sie nun von Täuschkörpern abgelenkt wurden, oder ihr Ziel gefunden hatten.
Kano hatte seine Maschine nach Oben steigen lassen, um sie dann sofort mit einer Schraubenzieherbewegung in eine neue Richtung zu lenken. Der schrille Pfeifton wurde immer lauter. Kano hieb auf den Nachbrenner und stieß zwei Täuschkörper aus. Das reichte – entweder hatte die feindliche Rakete ihn aus ihrer Zielerfassung verloren, oder ihr war ganz einfach der Sprit ausgegangen.
Offenbar war keine Rakete der zweiten Welle für ihn bestimmt gewesen. Also richtete Kano den Bug seiner Maschine wieder auf die feindliche Formation. Andere Maschinen der Angry Angels hatten das gleiche getan, und auch wenn die Formation jetzt offener als vorher, und einige erste Schäden aufgetreten waren, so leicht waren die Angry Angels nicht aus der Fassung zu bringen. Kano überflog kurz die Anzeigen. Gut, zumindest die Schwarze Staffel war ohne Verluste davongekommen.
„Feuer!“ In Cunninghams Maschine schwang ein fast blutgieriger Unterton mit. Ein schneller Daumendruck, und die ersten zwei Phoenix-Raketen starteten. Da fast gleichzeitig auch Crazy zwei Flugkörper abfeuerte, geriet der Deltavogel in ernste Bedrängnis. Die Phoenix arbeiteten mit Bilderkennungssystemen. Einfache Radar- oder Wärmetäuschkörper konnten sie nicht beirren. Um ihnen zu entkommen konnte ein Pilot sich nur auf sein Geschick verlassen. Oder auf die Schilde und die Panzerung seiner Maschine.
Der Deltavogel-Pilot war nicht schlecht, aber vier Raketen auf einmal waren zuviel für ihn. Die hastig ausgestoßenen Täuschkörper halfen ihm nicht weiter, und die mit Höchstgeschwindigkeit geflogene und von einem Looping gefolgte Halbkehre schüttelte nur zwei der Raketen ab, brachte ihn aber gleichzeitig in die Flugbahn der anderen beiden. Die Doppelexplosion beschädigte die schwere Maschine und ließen ihre Schilde kollabieren.
„FREIE JAGD!!“ Cunninghams Stimme überschlug sich beinahe. Während einige der TSN-Maschinen ihre letzten Phoenix-Raketen abfeuerten, gingen einige bereits in den Kurvenkampf. Da in den letzten Augenblicken beide Seiten mit Höchstgeschwindigkeit geflogen waren, trafen die Maschinen nicht synchron auf den Gegner, sondern je nach ihrer Geschwindigkeit. Cunninghams Plan schien aufzugehen – mit einem Kampfgeist, der nach Jahren des Rückzuges erstaunlich war, gingen die Akarii die berüchtigten Angry Angels an.
Kano widerstand der Versuchung, Gegenschub zu geben. Dadurch konnte er vielleicht verhindern, dass er einen Feindjäger in den Rücken bekam, aber er würde gleichzeitig ein allzu gutes Ziel bieten. Stattdessen passierte er die ausbrechenden Kurvenkämpfe mit Höchstgeschwindigkeit. Dann ging er in eine scharfe Wende, während seine Augen an dem Radarschirm klebten. Perfekt, die Nighthawk kurvte genau hinter einem Quartett Deltas ein, die am Rande des Gefechtsfeldes immer noch unbeirrt ihren bisherigen Kurs hielten – der sich mit dem der Bomber und Jagdbomber der Columbia überschneiden musste. Noch ein Blick auf den Radarschirm – da war Crazys Maschine, leicht versetzt hinter Kanos Jäger. Wie es sich für einen guten Flügelmann gehörte, gab er Kano Rückendeckung.
„Ich gehe ran.“ Der japanische Pilot ließ den Worten sofort Taten folgen, indem er noch einmal Vollschub gab. Wie von einem Magneten angezogen, näherte sich die Maschine dem letzten der Deltavögel. Kano verzichtete vorerst bewusst darauf, das Raketenzielerfassungsradar aufzuschalten. Das hätte den Gegner vorgewarnt, und außerdem hatte Cunningham klargemacht, dass die Nighthawks diesmal nicht noch einmal zum Aufmunitionieren und Tanken zur Columbia zurückkehren würden. Er musste also sparsam sein. Er würde nur zwei Flugkörper abschießen – Amraam-Sofortfeuerraketen. Jetzt war er nahe genug. Die Bordgeschütze der Nighthawk eröffneten den Feuerüberfall, gefolgt von zwei Raketen.

Aber die feindlichen Piloten waren keine Anfänger. Sofort brach ihre Formation auf, als die vier Jäger sich in zwei Paaren trennten und ein fast perfektes Ausweichmanöver flogen. Fast perfekt war es, weil die Maschine, die Kano aufs Ziel genommen hatte, um Sekundenbruchteile zu langsam reagierte. Zwar ging eine der Raketen fehl, und die andere schwächte nur die Schilde. Aber die vier Bordkanonen der Nighthawk, die schwersten die in einem Jäger der TSN untergebracht werden konnten, leisteten ganze Arbeit. Mindestens zwei Salven durchschlugen die Schutzschilde und verwüsteten die Heckpartie des Deltavogels.
Doch der Akarii-Pilot war kein Anfänger, was er unter Beweis stellte, als er seinen Jäger in einem beinahe perfekt kopierten Von-Bein-Manöver herumriss. Im letzten Augenblick konnte Kano seine Nighthawk mit einem Abschwung aus der gegnerischen Feuerlinie bringen, aber ein nur zu vertrauter schriller Signalton informierte ihn, dass der Gegner zwei Raketen auf ihn abgefeuert hatte: „Crazy – HOL IHN DIR!“ Das dauerte alles viel zu lange! Die anderen Deltas würden jeden Augenblick wieder zur Stelle sein.
Aber im Augenblick gab es dringendere Probleme. Fast automatisch ging Kano in eine scharfe Wende, drehte dabei die Maschine halb auf den Rücken und tauchte nach Unten weg, hielt den Steuerknüppel eisern fest und zwang die Nighthawk in einen halben Looping aus der Rückenlage, während er mehrere Störkörper abwarf. Das sollte eigentlich…
Eine nahe, allzu nahe Explosion schnitt den Gedanken ab. Zwar hatte die Rakete die Schilde nicht durchschlagen können, aber sie hatte sie immerhin geschwächt.
Das Manöver richtete den Bug von Kanos Jäger wieder auf den angeschlagenen Deltavogel, der gerade schwerfällig versuchte, seine Bordwaffen auf Crazys weitaus wendigere Maschine zu richten. Kano grinste kalt, visierte den Gegner an – und riss dann die Maschine jäh steil nach links Oben. Rings um die Nighthawk zuckten die Feuerbahnen der akariischen Strahlenwaffen durchs All. Zwei der anderen Deltas meldeten sich zurück, wo die vierte war, konnte Kano momentan nicht feststellen. Die Raketenwarnung blieb stumm, offenbar hatten die Akarii keine Zeit gehabt, ihre Lenkwaffen aufzuschalten. Etliche Treffer schüttelten die Nighthawk durch, aber noch hielten die Schilde. Kanos Ausweichmanöver hatte ihn fast auf Kollisionskurs mit einer der feindlichen Maschinen gebracht. Nicht gut – die Deltas hatten die mörderischste Bugbewaffnung ALLER einsitzigen Akarii-Jäger, nur die Avenger war stärker bestückt. Zwar hatte die Nighthawk ein wenig bessere Waffen, aber momentan stand es Zwei zu Eins. Kano eröffnete das Feuer, nur um gleich darauf seine Maschine in eine scharfe Kurve zu zwingen. Die beiden Feindjäger kurvten ein, waren ihm dicht auf den Fersen. Er wusste, er durfte ihnen keine Gelegenheit geben, sich auf ihn einzuschießen. Seine Schildstärke war auf etwa siebzig Prozent gesunken, Tendenz fallend. Er musste es riskieren.
Diesmal war es Kano, der das Von-Bein-Manöver durchführte. Allerdings gab er sofort Vollschub. Seine Rechnung ging auf – die Akarii hatten nicht damit gerechnet, dass ihr Opfer wenden würde. Deshalb verpassten sie den günstigen Augenblick und gaben auch nicht rechtzeitig genug Gegenschub. Nun befand sich die Nighthawk plötzlich wieder hinter ihnen, kurvte ihrerseits ein und eröffnete das Feuer. Den Deltapiloten blieb nur eine Möglichkeit – sie trennten sich, um den lästigen Menschen in die Zange zu nehmen.

Ringsum fanden gleichzeitig dutzende ähnlicher Begegnungen statt. Auf beiden Seiten standen Veteranen im Einsatz. Die Bloodhawks waren wendiger als die Nighthawks, die wiederum die Deltavögel auskurven konnten, fast so gut gepanzert wie diese und ihren Gegnern waffentechnisch überlegen waren. Allerdings waren die Angry Angels zahlenmäßig unterlegen, und im Kurvenkampf half ihnen auch die überlegene Flugleitfähigkeit des Dauntless-Kreuzers wenig.

Kano hing immer wie ein Bluthund noch an einem der Deltas. Fast pausenlos feuerten die Bordkanonen, überschütteten den bemitleidenswerten Akarii mit Feuer und Vernichtung. Am liebsten hätte er den Gegner mit ein paar Raketen erledigt, aber er hatte schon vier Flugkörper abgefeuert. Sollte er jetzt...
Ein schrilles Piepsen informierte ihn, dass die andere Delta nicht untätig geblieben war. Indem sie die Kurvenmanöver der beiden Jäger ignoriert hatte, hatte sie aufschließen können. Der feindliche Pilot schien sich keine Sorgen um seinen Raketenvorrat zu machen, denn eben hatte er sein Raketenzielradar aufgeschaltet. Gleich…
Im nächsten Augenblick duckte sich Kano unwillkürlich, als irgendetwas von Zwölf Uhr über seinen Jäger hinweg schoss, und dabei pausenlos Feuer spuckte. Der Pilot der verfolgenden Delta verlor die Nerven und drehte ab.
‚Was…’ Dann begriff Kano: „Crazy!“
„Zur Stelle. Hätte knapp werden können…“
„Was ist mit dem anderen Deltavogel?“
„Aus dem Spiel genommen. Mach hin!“
Kano ignorierte den etwas flapsigen Ton seines Flügelmanns. So war Crazy nun einmal. Außerdem hatte er Kano schließlich geholfen. Der japanische Pilot konzentrierte sich wieder voll auf den angeschlagenen Feindjäger vor ihm. Er war ihm nahe gekommen. Sehr nahe. Wieder drückte er auf die Knöpfe der Bordkanonen, und seine Scanner informierten ihn, dass die Heckschilde des Gegners kollabierten. Im nächsten Augenblick schrillte der Raketenalarm los. Der Akarii hatte zwei Raketen auf ihn abgeschossen. Theoretisch war so etwas tatsächlich möglich, aber die Erfolgschancen waren nicht besonders groß. Die Raketen würden einen Bogen fliegen müssen. Vermutlich wollte der feindliche Pilot seinen Verfolger vor allem zum Abdrehen bewegen, etwas Zeit gewinnen. ‚Nicht mit mir. Ich kenne das Spiel.’ Kano presste die Lippen zusammen und erhöhte den Schub – die Nighthawk schloss immer dichter auf, pausenlos feuernd, glich jede Ausweichbewegung des Deltavogels aus. Der Warnton, der in der Pilotenkanzel ertönte, wurde immer schriller. Aber Kano behielt seinen Kurs bei. ‚So nicht!’
Da kamen die Raketen – sie hatten eine weite Kurve beschrieben und waren tatsächlich auf Zielkurs. ‚Verdammt!’
Wieder und wieder feuerte Kano – dann durchschlugen seine Salven endlich die feindliche Panzerung, schlitzten den Rumpf des Deltavogels auf. Der Pilot kam nicht mehr dazu, auszusteigen.
Die Nighthawk pflügte durch die expandierende Trümmerwolke – die im nächsten Augenblick von zwei weiteren Explosionen erhellt wurde. Das waren die Raketen gewesen, deren Zielsystem offenbar durch den explodierenden Deltavogel überlastet worden waren.
Aber auch so waren die Explosionen unangenehm nahe gewesen. ‚Heckschilde dreißig Prozent, Seitenschilde sechzig, Bug fünfzig Prozent. Ich muss vorsichtiger sein.’
„Alles in Ordnung mit dir, Ohka? Bisschen gefährliche Stuntleistung…“
„Schilde geschwächt, aber keine ernsthaften Schäden. Und wir haben keine Zeit, mit ein paar Deltas den ganzen Tag über zu spielen. Wie sieht es bei dir aus?“
„Etwas angesengt, Schub- und Waffenleistung Minus zwanzig Prozent. Das Arschloch war besser, als ich gedacht habe.“
„Aber offenbar nicht gut genug.“ Kano überflog die Anzeigen des Radarschirms. Der Kampf zog sich langsam auseinander, und bisher schienen sich die Angry Angels gut zu verkaufen und dem Gegner insgesamt höhere Verluste zuzufügen, als sie selber erlitten.
Die Schwarze Staffel hatte bisher offenbar einen Verlust erlitten – Marat war aus seiner Maschine geschossen worden. Hoffentlich wurde der Junge bald aufgelesen, und hoffentlich war mit seinem Anzug alles in Ordnung. Momentan konnte Kano nichts für ihn tun. Die anderen Maschinen waren wohl teilweise beschädigt, aber noch alle im Kampf.

Eine wahre Flut neuer Kontakte, die auf dem Schirm auftauchten, ließen Kano beinahe zusammenzucken, doch dann atmete er erleichtert, fast etwas beschämt aus. Natürlich, das war die Richtung der Columbia – und diese gut sechzig Maschinen, die sich mit rasender Geschwindigkeit näherten und die Raumschlacht in ein paar Minuten passieren würden, waren die Falcons, Mirage, Thunderbolt und Raffale der Staffeln Grün, Blau, Gold, Silber und Bronze. Kano ließ seine Maschine in einer aufsteigenden Kurve wieder der mit unverminderter Wucht tobenden Raumschlacht entgegen steigen.
Die Schlacht war noch lange nicht vorbei. Sie ging vielmehr gerade erst richtig los.
Cattaneo
Cattaneo

Ein Weg zu sterben

Die Akarii-Flotte hatte in den letzten Jahren des Krieges viele Rückschläge hinnehmen müssen. Viele ihrer besten Piloten waren gefallen, abgeschossen von menschlichen Jäger und Großkampfschiffen – auch wenn sie oft nicht ohne Begleitung in den Tod gegangen waren. Zugleich waren ihre Gegner immer besser geworden. Viele ältere Typen der menschlichen Jäger waren durch modernere Maschinen ausgetauscht worden. Und auch wenn die Ausbildungszeit der menschlichen Streitkräfte verkürzt worden war, so hatte einige Geschwader der TSN durch die erbarmungslose Auslese des Krieges und durch die Hilfe erfahrener Veteranen inzwischen Elitequalität erreicht, während viele der besten Geschwader der Akarii ausgeblutet waren. Aber die meisten Piloten der Korax ma Rah fochten so gut wie in den ersten Tagen des Krieges – mit dem einzigen Unterschied, dass ihr Gegner nicht mehr derselbe wie zu Anfang des Konflikts war.
Es waren etwa 30 Reaper, bewegliche, agile Abfangjäger, die Lightnings Verband angriffen – die schnellsten Maschinen, die momentan überhaupt flogen. Sie trugen nicht umsonst bei den Akarii den Namen eines Raubvogels der Heimatwelt, denn sie kamen wie ein Schwarm stählerner Falken über die Bomber und Jagdbomber der Columbia. Der Verband hatte das Gefecht zwischen den Staffeln Schwarz, Rot und Gelb der Columbia und den schwereren Akariimaschinen einfach umgangen und einen Haken geschlagen – vermutlich ursprünglich in der Absicht, den Menschen in den Rücken zu fallen. Doch als sie erkannten, dass sich ein Angriffsverband der Menschen ihrem Mutterschiff nähern wollte, reagierten sie sofort. Die pfeilschnellen Abfangjäger beschleunigten und griffen an.
Es war vermutlich nur Zufall – Staffel Silber und ihr Geleitschutz befanden sich einfach an der falschen Seite des Verbandes. Aber der Grund spielte ja eigentlich auch keine Rolle, jedenfalls konzentrierte sich beinahe die Hälfte der Akarii auf die Mirage und ihren Begleitschutz. Die Akarii wussten, dass sie an Feuerkraft unterlegen waren und ihre Maschinen deutlich weniger aushielten. Doch das hielt sie nicht auf...

Liljas Hände verkrampften sich, als sie wieder und wieder die Feuerknöpfe betätigte. Ihr Gesicht war eine Maske eiskalter Konzentration und sie ignorierte den gewaltigen Druck, den der Flug mit Nachbrenner auf ihren Körper ausübte. Ihre Kanonen feuerten unablässig, Energiebahnen schlugen in den fragilen, bereits beschädigten Feindjäger, während sie jede Ausweichbewegung des angeschlagenen Gegners nachvollzog. Und schließlich zerfetzte sie ihn, schlitzte die gegnerische Maschine auf, feuerte weiter bis nichts mehr blieben als Mikrotrümmer. Ihr Gesicht war nass von Schweiß, dabei dauerte der unmittelbare Kampf noch keine fünf Minuten. Hektisch blickte sie sich um, riss ihre Maschine in eine Wende und ging auf Gegenkurs. Neben ihr fegte Katanas Jäger durch den Raum, ebenfalls aus allen Rohren feuernd, doch sein Gegner setzte sich mit Höchstgeschwindigkeit ab, und die Befehle verboten lange Verfolgungsjagden. Für einen Augenblick schien so etwas wie Ruhe zu herrschen. Aber das brachte keine Erleichterung. Ein Blick auf ihre Anzeigen zeigte Lilja schonungslos, was passiert war. Die Akarii – 14 Maschinen in zwei Pulks zu je 5 und einem zu 4 Jäger – hatten beim Angriff kaltblütig ihren kleinsten Teilverband geopfert. Die vier Akarii waren als Sturmspitze aus allen Rohren und mit allen Raketen feuernd durch die zwei Sektionen von Staffel Grün und Blau geschossen. Dahinter folgten die restlichen Akariijäger, die gleichfalls ALLE ihre Raketen abfeuerten, in einem tödlichen Sperrfeuer, insgesamt wohl beinahe 60 Flugkörper. Die vier Akarii an der Spitze hatten ganz einfach jede Bedrohung ignoriert und weitergefeuert, auch als ihre Schilde schon kollabierten. Drei von ihnen waren abgeschossen worden, Lilja selbst hatte einen der Gegner vernichtet. Aber das konzentrierte Feuer der Akarii hatte eine tödliche Wirkung gehabt, gerade weil die Angreifer keinerlei Rücksicht auf die eigene Sicherheit genommen hatten. Die übrigen zehn Maschinen waren mit voller Beschleunigung und eingeschalteten Nachbrennern durch die Mirage und Falcons gejagt und hatten koordiniert ihre Ziele aufs Korn genommen. Ein Verhalten wie das der Akarii war bei jedem längerem Gefecht absolut tödlich – aber für einen kurzen brutalen Sturmlauf reichte es aus. Lilja hatte in Sekundenbruchteilen reagieren müssen und ohne Rücksicht auf Verluste ihre Jäger in die Bahn der Angreifer geworfen. Razors Jagdbomber waren wegen ihrer schweren Atomraketen im Vergleich zu Jägern momentan noch schwerfälliger als sonst gewesen und hatten nur ungenügend reagieren können. Immerhin hatten die Reaper schon unter normalen Umständen eine um ein Drittel höhere Höchstgeschwindigkeit, 140 Prozent Nachbrennergeschwindigkeit der Mirage und eine doppelt so hohe Beschleunigung. Zudem konzentrierten sich die Akarii auf eine Sektion der Jagdbomber und auf alles was ihnen auf dem Weg dahin in den Weg kam.

Fidai war der erste gewesen, der ausgefallen war. Er hatte seine Furcht überwunden und Kurs gehalten, so dass selbst Lilja stolz auf ihn gewesen war, als die Akarii kamen. Er hatte seinen Gegner abgeschossen, getreu dem Befehl, die Sicherung der Jagdbomber habe oberste Priorität und einen zweiten Feind beschädigt – doch zwei feindliche Raketentreffer zwangen ihn zum Aussteigen. Dann war Dragon, Liljas Flügelmann, abgeschossen worden, doch auch er hatte in letzter Sekunde aussteigen können. First Lieutenant Cord Larkin alias Nemesis von Staffel Blau hatte noch weniger Glück. Das Kreuzfeuer von fünf Reapern hatte seine Maschine vollkommen zerfetzt, als er sich ihnen in den Weg gestellt hatte – nichts war von ihm und seinem Jäger geblieben als geschmolzene Metalltröpfchen und eine kurze Explosion. Um den Preis von drei Falcons hatte Lilja den Angriff in so weit aufhalten können, dass den Akarii nur eine Mirage zum Opfer gefallen war und zwei weitere beschädigt wurden, ehe sich die Gegner mit voller Nachbrennergeschwindigkeit abgesetzt hatten. Ihre Beschleunigung hatte die Angreifer vor schlimmerem bewahrt und den Piloten der Mirage und Falcons kaum Gelegenheit gegeben, die Rechnung zu ihren Gunsten zu verändern. Es war im Moment nicht zu sagen, ob die Bomberpiloten es aus ihrer Maschine geschafft hatten.

Lilja spürte wie sich alles in ihr verkrampfte vor Scham und Hass. Sie weinte nicht und sie fluchte nicht, denn das hätte niemals gereicht, um die tonnenschwere Last ihres Versagens zu lindern. Eine Stimme in ihr schien zu schreien, dass sie versagt hatte, schandhaft versagt. Sie hatte die Jagdbomber verteidigen sollen – aber sie war nicht einmal in der Lage gewesen, ihre eigenen Jäger zu schützen! Die Hälfte ihrer Sektion und ein Jäger von Chip waren in dreißig Sekunden einfach aus dem All geschossen worden. Ein Jagdbomber war ausgefallen und zwei angeschlagen worden, ehe sie dem feindlichen Großkampfschiffen auch nur nahe gekommen waren. Was sollte Chip von ihr denken, was Razor, und vor allem, was würden Lightning und Lone Wolf sagen? Wie hatte sie nur so versagen können? Kaum ein Gedanke war bei Fidai, und nur wenige bei Dragon – sie hatte die Abschüsse durchgegeben, aber alles weitere war Sache der Rettungsshuttles. Sie war nicht etwa grausam, aber sie hatte ihre Prioritäten, und das Schicksal eines ausgestiegenen Piloten war jetzt nicht sehr weit oben auf der Liste zu finden.
In diesem Augenblick drang Katanas angespannte Stimme in ihr Bewusstsein. „Commander – sie formieren sich erneut. Commander? Commander!“ Sie spürte die aufkeimende Panik in seinen Worten – vielleicht dachte er, sie wäre durch die Beschleunigung ohnmächtig geworden. Wenn sie jetzt nicht antwortete, würde auch er glauben, sie hätte versagt, sei ausgefallen. Sie musste…
Mit einer beinahe schmerzhaften Willensanstrengung brachte sie auch die quälende Stimme in ihrem Inneren brutal zum Verstummen. Etwas, das sie inzwischen gelernt hatte. Das alles hatte noch Zeit bis nachher – wenn es für sie ein Nachher geben würde. Und wenn man sie für ihr Versagen – was sie als Versagen betrachtete – bestrafen würde, das spielte JETZT keine Rolle. Sie biss wütend die Lippen zusammen. Und wenn sie dabei draufgehen würde, sie würde nicht so einfach aufgeben!
Lightnings Stimme kam klar und deutlich über Funk – ihr Verband drängte gerade die zwei Rudel Reaper ab, die an Staffel Gold herankommen wollten: „Lilja? Brauchen Sie Hilfe?“
Die Stimme der Russin klang ruhig, während zugleich Scham in ihr wie Feuer brannte: „Negativ. Wir halten die Linie Commander! Schützen Sie Staffel Gold.“
Für einen Augenblick schwieg die Staffelchefin. Vielleicht hätte sie unter anderen Umständen anders entschieden, auch wenn sie Lilja keine Vorwürfe machte – dazu war einfach keine Zeit. Doch die Britin sah, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich auch die schwereren Jagdmaschinen des Feindes am Kampf gegen ihren Verband beteiligen würden. Sie konnte einfach niemand entbehren. Der erste Schlagabtausch war auch für sie nicht ohne Verluste abgegangen – Hellcat war abgeschossen worden und Vasco hatte beträchtliche Gefechtsschäden einstecken müssen, war aber noch mit Mühe und Not einsatzbereit. Aber wenigstens hatte sie es – knapp – verhindern können, dass die Goldstaffel Maschinen verloren hatte. Und es waren zwei Akarii abgeschossen worden. Das war ein gutes Ergebnis – aber der Kampf hatte eben auch gerade einmal angefangen. Selbst wenn sie der Meinung gewesen wäre, sie müsse Lilja helfen, sie hätte es gar nicht gekonnt. So beließ sie es bei einem: „Viel Glück! Staffel Silber – aufschließen.“ Wie gesagt – es war eine Frage des Vertrauens.

Lilja biss die Zähne zusammen. Sie hatte das Zögern Lightnings bemerkt, und selbstkritisch wie sie war, sah sie darin ein halbes Misstrauensvotum gegen ihre eigenen Fähigkeiten. Schon deshalb, weil sie selber der Meinung war, versagt zu haben. Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie verfolgte, wie sich die Akarii neu formierten – der Verband, gegen den ihre Maschinen zu kämpfen hatte, bestand immerhin noch aus 11 Jägern, wenn auch einige davon beschädigt waren. Sie selber hatte nur noch fünf Jäger unter ihrem Kommando – und elf Jagdbomber als Begleitung. Was sollte sie...
Ihre Stimme klang gepresst, als sie eine Funkverbindung zu Chip öffnete: „Lilja an Blau Neun. Nehmen Sie ihre Jäger und bringen Sie sie in Vektor Neun Uhr. Offene Abfangformation. Auf mein Zeichen aggressiven Passierflug vorbereiten – vier Raketen pro Jäger auf Ziele nach freiem Ermessen.“ Chips Protest war unüberhörbar: „Aber das bringt uns genau in die Bahn der Akarii! Meine Sektion ist ihnen mehr als drei zu eins...“ Liljas ohnehin eher barsche Stimme gewann noch an Schärfe – wie ein Peitschenknall: „Ganz Recht. Wir sind Abfangjäger, also fangen wir ab. Sie müssen meine Meinung nicht teilen – GEHORCHEN SIE EINFACH!“ Ihre Stimme sagte, dass sie keineswegs bereit war zu diskutieren. In Chips Stimme schwang fast so etwas wie unterdrückter Hass – ob auf die Feinde wegen Nemesis' Tod oder auf Lilja, weil sie bereit war, auch den Rest der Blauen Sektion, offenbar aber nicht ihre eigenen Grünen zu opfern. Aber er beließ es bei dem knappen: „Bestätigt.“ Lilja aktivierte einen Kanal zu Razor: „Lieutenant Commander? Feindanflug aus 10 Uhr. Folgendes Vorgehen...!“

Die Akarii kamen zurück. Sie hatten ihre Raketen verschossen und waren teilweise lädiert – wollten die Sache aber offenbar zu einem Ende bringen. Manchem Akariipiloten mochte es inzwischen egal geworden sein, wo er starb – es war nur noch eine Frage des Wie und wie viele Menschen er mitnehmen wollte. Auch wenn es keinen offiziellen Befehl gab, so war doch für manche der Gedanke unerträglich, die Niederlage des Imperiums noch mitzuerleben. Selbstmord wäre Feigheit und Flucht gewesen – doch ein ehrenvoller Tod in der Schlacht... Dazu kam, dass jeder Jagdbomber den sie hier abschossen, für den Angriff auf ihre Großschiffe ausfiel. Sollten die Bomber der Terraner ihre Aufgabe nicht erfüllen können, dann mochte die Flotte der Akarii es noch einmal schaffen sich einen Weg zu bahnen und zu entkommen. Jeder abgeschossene Jagdbomber oder Bomber konnte also das Leben von Dutzenden, ja Hunderten Akarii retten. Das wussten die Reaperpiloten. Sie jagten heran, näherten sich von der Seite mit Gegenkurs dem menschlichen Verband. Jeder Abschuss würde zählen, sollten sie dabei auch sterben.
Sie konnten nicht reagieren, als die Menschen noch außer Reichweite der Laserkanonen der Akarii-Jäger das Feuer eröffneten. Einer der Reaper wurde von einer Rakete der Blauen Sektion zerfetzt, eine weitere beschädigt. Die Akarii gingen auf Nachbrennergeschwindigkeit, fächerten auf. Ihre Bordkanonen peilten die Ziele an, helle Glockentöne bestätigten die Erfassung...
Wie auf ein Zauberwort brachen die drei menschlichen Jäger plötzlich seitlich weg, während die zwei verbleibenden Falcons, die über den Jagdbombern patrouillierten, überraschend auf die Akarii eindrehten. Und zugleich vollführten die elf Jagdbomber plötzlich eine identische Wende – sie richteten ihren Bug auf die Angreifer. Und dann kam der Tod über die Akarii, als die Jagdbomber das Feuer mit Raketen und Bordwaffen eröffneten.
Sie hatten bewusst gewartet, bis die Akarii relativ dicht heran waren und für Ausweichmanöver kaum noch Zeit blieb, während zugleich die Reaper die Erfassungswarnungen auf den Angriff der drei verbliebenen blauen Falcons bezogen hatten, nicht als Angriffsvorbereitung der Mirage.
Die Mirage feuerten ihre synchron ihre Raumkampfraketen ab – sie behielten nur je ein Paar als letzte Reserve zurück. Sie konnten zwar nicht mit Reapern kurven – aber sie waren gegen das Laserfeuer des Gegners relativ gut geschützt und mit ihren Raketen und Bordwaffen auch erheblich besser bewaffnet. Bei elf Mirage mit oft noch voller Bestückung bedeutete das mehr als 30 Raketen, dazu die Flugkörper der Falcons. Und ihre Ziele waren zwar so agil wie zuvor, aber oft beschädigt. Die Akarii hatten einfach nicht damit gerechnet, dass ihre Gegner SO reagieren würden. Es war ein Verzweiflungsmanöver, das überhaupt nur klappen konnte, da die Akarii keine Waffen größerer Durchschlagkraft mehr hatten. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit hätte es wohl versagt. Doch hier funktionierte es.

Lilja stieß einen unartikulierten Schrei aus. Ihr Jäger wurde wütend durchgeschüttelt, vom Feuer von mindestens zwei oder drei Reapern. Längst war alle Schildenergie auf die Bugschilde geschaltet worden, und dennoch schwanden die Werte alarmierend. Aber sie blieb auf Kurs. Und feuerte, feuerte, feuerte – bis auch dieser Gegner explodierte. Dann ging sie in einen so brutalen Looping, dass sie für einen Augenblick wie besinnungslos war. Ein Volltreffer im Heck aus einer Laserkanone schüttelte ihren Jäger durch, wurde nur mit Mühe von der Panzerung abgehalten – doch die Akarii passierten sie schon und konnten nicht mehr auf ihr ungeschütztes Heck schießen. Wütend hämmerte sie auf den Nachbrenner, setzte den Gegnern nach, aus allen Rohren schießend. Neben ihr hetzten die Mirage in Paaren die Akarii zu Tode – so lange diese noch in Reichweite waren, denn verfolgen konnten sie die schnellen Überlebenden nicht. Lilja bellte Befehle, peitschte die Falcons ihrer zwei dezimierten Sektionen voran...

Die Schlacht zerfiel in Momentaufnahmen, die über Leben und Tod von Menschen und Akarii entschieden. Ein Reaper drehte wieder auf sie ein – doch während sie noch auf ihn schoss und von seinem Gegenfeuer durchgeschüttelt wurde, erledigte ein Heckschütze eines der Miragebomber ihren Feind...
Chip und Shocker jagten einem beschädigten Reaper hinterher, doch der Akarii drehte in einem perfekten „Von Bein“. Seine Laserkanonen rissen Shockers Jäger auf, im letzten Augenblick schoss ihr Schleudersitz aus der expandierenden Wolke von Sauerstoff, brennendem Treibstoff und Metallschrott, während zugleich Chip den lädierten Akarii erledigte...
Katana schoss einen Jäger ab, der sich gerade Kopf an Kopf mit Lilja duellieren wollte...

Und dann war es auf einmal vorbei. Was von den Akariijägern noch übrig war, suchte das Weite. Sie hatten insgesamt vier Falcons und eine Mirage abgeschossen und drei Jagdbomber beschädigt. Liljas Maschine war ebenfalls angeschlagen. Aber die Akarii hatten nicht weniger als neun Jäger eingebüßt, davon vier durch die Mirage, und von den anderen waren mehrere beschädigt worden.
Liljas Stimme ließ nichts von dem Triumph erkennen, den sie verspürte: „Jagdmaschinen – formieren. Razor – wir sind bei dir.“
Die Stimme des Chefs der Silbernen Staffel klang ebenso ruhig wie die Liljas, aber wohl aus anderem Grund – immerhin hatte er zwei Untergebene verloren – vielleicht für immer.
„Bestätige. Holen wir uns die Dickschiffe.“

****************

Lightnings Einschätzung sollte sich als zutreffend erweisen. Sie hatten die Reaper abgeschlagen und rückten in Richtung auf die feindlichen Großkampfschiffe vor – doch das bedeutete, dass sie an dem Durcheinander von feindlichen und eigenen Jägern vorbei mussten. Und unweigerlich gelang es Akarii-Jägern, sich aus dem Nahkampf mit den Griphen und Nighthawks zu lösen und die Bomber und ihren Geleitschutz in Gefechte zu verwickeln.
Die Falcons kurbelten mit feindlichen Bloodhawks in einem tödlichen Tanz, bei dem für den Verlierer oft nur die Vernichtung blieb.
Eine Rakete ließ die Schilde auf ihrer rechten Flanke aufglühen und durchbrach sie fast. Aber einmal mehr konnte sich Lightning davon überzeugen, dass auf ihren Wingman Verlass war. Sein Feuer schlug die Bloodhawk schwer an, doch der Feindjäger zog sich zurück, ehe er ihm den Gnadenstoß versetzen konnte. Sofort betätigte Lightning den Nachbrenner und setzte ihre Maschine hinter einen Deltavogel, einen vom Kampf gezeichneten Feind. Doch der Akarii war nicht gewillt aufzugeben – er feuerte unablässig auf eine Thunderbolt. Die schwere Bugbewaffnung und Schilde des Akarii degradierte das Abwehrfeuer des modernen Jagdbombers zur Bedeutungslosigkeit. Wie ein Haifisch an einem verletzten Gegner, so riss der Akarii-Sturmjäger an seinem Feind. Und während Lightning mit einem wütenden Schrei zwei Amraam abfeuerte, zerplatzte der Thunderbolt – der Deltavogel folgte ihm unmittelbar in den Untergang, als Lightnings Raketen trafen.
Bisher war es den Geleitjägern gelungen, Schlimmeres zu verhindern. Es war nicht mehr weit bis zu den feindlichen Großschiffen – was Flakfeuer bedeutete, aber auch, dass die Jagdbomber ihre schweren Marschflugkörper loswerden konnten. Bisher lief für Lightnings Verband alles mehr oder weniger gut, verhältnismäßig gesehen. Sie hatten „nur“ eine Thunderbolt und zwei Jäger verloren – Hellcat und Vasco, und beide hatten aussteigen können. Lightning hatte etwas Gewissenbisse, dass sie Vasco nicht sofort zurückgeschickt hatte, doch dann sagte sie sich, dass die Dringlichkeit des Auftrages es erfordert hatte, ihn mitzunehmen. Sie hatte diesmal wohl Glück gehabt – aber statt hoffentlich nur mit einer Unterkühlung davonzukommen, hätte der Pilot auch sterben können...
Lightning wusste, dass viele Offiziere sich solchen Dingen kaum um den Schlaf bringen ließen, aber sie bildete sich etwas darauf ein, anders als sie zu sein.

Ihre Stimme klang ruhig, beinahe heiter, als sie sich an Raven wandte: „Zeit bis Angriffscountdown noch eine Minute, korrekt?“ Die Bomberpilotin bestätigte. Ein schneller Rundblick gab Lightning einen Überblick. Die Anzeigen flackerten mitunter – inzwischen waren sie schon recht nahe beim feindlichen Golf-Kreuzer und seinem verdammtem ECM.
Huntress' Verband hatte bisher vergleichsweise wenig Feuer einstecken müssen – die Akarii waren zumeist von den flankierenden Verbänden Liljas und Lightnings abgefangen worden. Die Russin und ihr abgekämpfter Haufen von Jagdbombern und Jägern hingen etwas zurück, schloss aber gerade wieder auf. Es war nicht mehr weit...
Doch in dem Augenblick, in dem Lightning sich ein kleines bisschen entspannen wollte – es stand ja offenbar nichts schlimmeres bevor als ein Flug durch zwei Dutzend Großkampfschiffe, die aus allen Rohren feuern würden – wurde sie auf eine Anzeige aufmerksam. War da nicht etwas...
Waren es vier oder sechs Maschinen, ein ganzes Stück „unterhalb“ des menschlichen Verbandes? Und warum bekam sie keine genauen Signaturen...?
Sie blickte auf die flackernden Bildschirme, glich verschiedene Daten ab...
Und dann wurde ihr Blut mit einmal zu Eis, während eine tödliche Kälte von ihrem Herzen Besitz zu ergreifen drohte. Ihr Schrei fiel mit dem von Huntress zusammen.
„Blaue Staffel – ALARM – DOOMHAMMER von unten! DOOMHAMMER UND ECM-RAPTOREN! Sektion eins und zwei Grün Angriff!“

Die sechs Akarii – vermutlich Maschinen des Golf-Kreuzers oder eine Sonderformation der Korax ma Rah – hatten sich wahrhaft listenreich angeschlichen. Zwei ECM-Raptoren hatten den Verband beinahe perfekt maskiert, so dass Huntress' Abfangjäger sie nicht bemerkt hatten, bis es fast zu spät war. Die vier anderen Maschinen waren Doomhammer. Vermutlich die Maschinen der Echsen mit der größten Feuerkraft überhaupt. Ein einzelner von ihnen hatte beinahe soviel Feuerkraft wie eine Viererrotte Reaper. Selbst jetzt, gut und gerne vier Jahre nach ihrer Einführung bei den Frontverbänden, waren diese Maschinen selten – und todbringend.
Die Falcons tauchten ab wie eine Formation Möwen, die Jagd auf einen Fischschwarm macht. Sie konnten einfach nicht warten, bis der Gegner noch näher kam. Denn diese Fische hatten scharfe Zähne. Die Akarii waren von einer gut doppeltet überlegenen Übermacht gestellt worden – und doch griffen sie an.
Lightning beschleunigte. Sie war ihrer Staffel um zwei Sekunden voraus – zwei Sekunden, oder 2.500 Kilometer. Sie feuerte ihre Raketen ab, schoss unablässig. Der Raketenwarnton jaulte unablässig wie ein lebendes, gequältes Wesen auf, und die Schwärze des Alls füllte sich mit Blitzen, tausendmal tödlicher als jeder Gewitterschlag.
Sie sah wie zwei ihrer Raketen im Bug eines der Doomhammer einschlugen, wie ihre Salven nachsetzen. Die Schilde des Feindes gaben nach, und die Energiebahnen fraßen sich tief in die Panzerung des Akarii, aber mit einer eleganten Bewegung zog der Gegner hoch und brachte seinen Bauch in ihre Schussbahn, wandte ihr so die noch intakten Schilde zu. Das unorthodoxe Manöver überraschte Lightning. Gleichzeitig wurde ihr Jäger gepackt und durchgeschüttelt wie ein Eichhörnchen in den Fängen eines Hundes. Sie spürte einen brennenden Schmerz, tastete nach dem Rettungsknopf. Ihr letzter Gedanke war: „So sieht also das Ende aus...“
Dann war nur noch Dunkelheit.

First Lieutenant Ina „Imp“ Richter musste schlucken, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. Die Doomhammer waren abgeschlagen worden, doch um welchen Preis! Sie wusste nicht, was mit Lightning war. Sie wusste aber, dass die Führung der zwei Sektionen – oder was davon übrig geblieben war – jetzt bei ihr lag: „Grü...Grüne Sektionen eins und zwei – aufschließen und formieren. Gold beginnt mit Anflug...“ Sie dachte an Lilja und sie dachte an Sokol.
,Oh Gott, wenn es dich gibt, dann schütze Lightning und schütze diese beiden. Ich habe dich nie um viel gebeten, aber BITTE, beschütze sie...'
Doch was sie fühlte konnte sie natürlich niemandem zeigen – nicht hier und jetzt. Sie war Offizierin und verantwortlich für ihre Jäger und die Bomber von Staffel Gold. Und es war noch nicht vorbei.

********

Die feindlichen Großkampfschiffe waren immer noch eine Ehrfurcht gebietende Phalanx. Fast drei Dutzend Einheiten, ein reichliches halbes Dutzend davon Leichte Kreuzer oder größer. Sie waren zum Teil noch von der Schlacht von Beta Borialis gezeichnet, aber sie wirkten alles andere als kampfesmüde. Die anfliegenden Bomber und Jäger empfing ein wütendes Abwehrfeuer, auch wenn das Näherrücken der terranischen Kreuzer – oder zumindest eines Teils der Kreuzer – die feindliche Flotte schwächte.
Lilja hatte den Schrei gehört, der vom Ausfall der Staffelführerin kündete. Sie war nicht immun – nicht einmal sie – gegen die Sorge um einen der wenigen Menschen, die sie Freund nannte. Aber sie wusste auch, sie konnte ihr jetzt nicht helfen, außer indem sie ihr Bestes tat, die Akarii zu schlagen, denn dann waren die Chancen besser, einen havarierten Jäger zu bergen und den Piloten zu retten. Oder einen treibenden Pilotensitz zu finden.
Sie spürte es nicht, wie ihr Tränen über das Gesicht rannen – das erste Mal seit Jahren, dass sie um einen Menschen weinte. Doch in ihrer Stimme war nichts davon zu hören, und vielleicht verweigerte sich auch ihr Verstand, die Trauer zur Kenntnis vorzunehmen. Ihre Worte klangen zwar angespannt, aber sonst war nichts zu merken: „Razor? Ist Staffel Silber bereit?“ Und dieser, wohl einer der besten Jagdbomberpiloten der Flotte, jedenfalls einer der größten Akarii-Killer, bestätigte: „Anlauf beginnt!“

Die elf verbleibenden Mirage flogen an. Razor hatte ihnen ihre Ziele zugewiesen. Eine Sektion sollte einen leichten Kreuzer angreifen, der schützend vor der Korax ma Rah marschierte. Das Gros der Akarii, besonders ihre schwereren Einheiten, hatte sich offenbar zur Abwehr der nahenden Kreuzer des Schwadronen 2.3 und 2.7 formiert – aber es blieb noch genug übrig. Beim Zusammentreffen mit der Flotte der Columbia würde dieser Kilo als einer der ersten im Gefecht stehen, und jetzt schossen seine Abwehrwaffen ohne Unterlass, während er eine Salve Raketen nach der anderen in Richtung auf die terranischen Kreuzer abfeuerte. Die zweite Sektion Mirage sollte einen flankierenden Zerstörer der Klasse Hotel-IV angreifen, während das Ziel für die drei letzten Mirage eine Sierra-III Fregatte war. Eigentlich nur ein kleines Schiff, aber gut bestückt für die Abwehr von Bombern.
Die letzten Sekunden des Anfluges waren oft die schlimmsten. Die Möglichkeit für Abwehrbewegungen war eingeschränkt, wollte man sein Ziel nicht verlieren. Jede Sekunde mehr bedeutete eine größere Chance, den Gegner zu vernichten, denn je näher man ihm kam, desto weniger Zeit hatte er, den Marschflugkörper abzuschießen. Aber jede Sekunde war auch eine Sekunde mehr, in der feindliche Geschütze und Raketenwerfer treffen konnten. Die Anspannung wuchs mit jedem Atemzug, bis sie schier unerträglich wurde. Es kam immer wieder vor, dass Piloten zu früh feuerten oder den Angriff abbrachen. Andere warteten zu lange und wurden selber abgeschossen. Es war eine Frage der Routine, der Kaltblütigkeit, und eine Frage des Glücks.
Silber sechs hatte sein Glück offenbar bereits aufgebraucht – ein flankierend postierter Vorpostenzerstörer spießte den Jagdbomber mit zwei Lanzen aus purer Energie auf. Die Piloten stiegen aus – aber ob sie beide noch rechtzeitig weggekommen waren, bevor die explodierende Maschine in einem Feuerball verging, würde man erst viel später sagen können. Doch die Jagdbomber blieben auf Kurs. Sie blieben auch auf Kurs, als kurz hintereinander zwei Raketen Silber zwölf trafen und schwer anschlugen. Der Jagdbomber feuerte seine Marschflugkörper ab und brach weg – doch zu spät. Eine ganze Raketensalve der Fregatte erwischte und vernichtete ihn. Sie flogen ihren Angriff – unerschütterlich, während ringsum der Raum in Feuerbahnen, Explosionen und Wrackteile zerbarst. Raketen der menschlichen Kreuzer – der Kami, möglicherweise auch schon der Führungskreuzer des Geschwaders 2.3 – schlugen auf Akarii-Schilde oder vergingen in gewaltigen Explosionen, wenn die Abwehr der Echsen ihr Ziel traf. Ein Zerstörer der Akarii wurde aufgeschlitzt, aus seiner Hecksektion schlug eine Flammensäule kilometerweit in den Raum, während sich das tödlich getroffene Schiff um seine eigene Achse zu drehen begann und unzählige Rettungskapseln ins All schossen.
Und dann befahl Razor den übrigen Mirage zu schießen. Staffel Silber – inzwischen übel dezimiert – konnte nun ihren Auftrag erfüllen.

Der feindliche Kreuzer hatte keine Chance. Das Feuer der menschlichen Großkampfschiffe hatte ihn bereits angeschlagen. Zudem hatte er wohl bereits bei Beta Borialis Schäden davongetragen. Die acht Mavericks zogen ihre Bahn, pfeilschnell und unaufhaltsam. Abwehrfeuer der Akarii flackerte auf, zerstörte ein, zwei, vier der Raketen. Die anderen aber schlugen ein, eine nach der anderen. Die geschwächten Schilde des Akarii brachen, sein Bug wurde eingedrückt. Das Schiff begann auseinander zu brechen, während die Besatzung versuchte, die Rettungskapseln zu erreichen. Doch dies würde gewiss nicht allen gelingen.
Der Zerstörer hatte mehr Glück, auch weil er nur noch von drei Mirage angegriffen wurde. Sein Abwehrfeuer war stark genug, das halbe Dutzend Mavericks zumindest zum Gutteil abzuwehren, auch wenn gerade diese Zerstörer der Akarii mit nur zwei Impulslasern und Raketenwerfern nicht eben überreichlich mit Abwehrwaffen ausgerüstet waren. Die drei Treffer durchbrachen zwar die Schilde, doch der Atomexplosion der dritten Maverick fehlte die Kraft, den Rumpf auf größerer Fläche aufzureißen und dem Schiff tödliche Wunden zuzufügen. Die gehärtete Titanstahl-Panzerung – oder woraus die Akarii ihre Schiffe bauten – hielt weitestgehend stand. Das Schiff war angeschlagen, aber noch nicht ausgefallen. Jedoch war wenigstens seine Bugbewaffnung vollständig oder zumindest fast vollständig ausgefallen, so dass er die abfliegenden Mirage und Falcons nicht mehr mit rächendem Abwehrfeuer eindecken konnte, als sie sich auf den Rückweg zur Columbia machten. Die Sierra-Fregatte hingegen konnte sich noch am besten halten – aber auch sie erhielt einen schweren Treffer. Das hinderte sie freilich nicht daran, eine weitere Mirage mitzunehmen – ihr letzter verbleibender Bug-Geschützturm zerschmetterte dem Jagdbomber das Triebwerk, doch wenigstens konnte hier die Besatzung aussteigen, bevor der Akarii nachfasste und die waidwunde Maschine vernichtete. Die Mirage und ihre Begleiter waren schwer angeschlagen – vier der acht Falcons und vier von zwölf Mirage waren vernichtet worden. Was aus ihren Piloten geworden war, war oft unklar. Einige hatten es offenbar geschafft, andere nicht. Und bei einigen würde man es erst nach der Schlacht erfahren können. Doch angeschlagen wie sie waren, hatten sie ihr Ziel, ihre Mission doch erfüllt – den Bombern den Weg zur Korax ma Rah freizukämpfen. Die drei feindlichen Schiffe waren ausgefallen oder schwer getroffen und würden nicht mehr zur Abwehr beitragen können.

***********

First Lieutenant Ina Richter hatte die verbleibenden Falcons der ersten und zweiten Sektion um sich versammelt – es waren nur noch fünf Maschinen. Die Jagdbomber von Staffel Gold hatten Glück gehabt. Sie hatten trotz dreier feindlicher Angriffe – zwei Gruppen Reaper, einige Bloodhawks und Deltavögel und schließlich die Doomhammer – bisher nur eine Maschine eingebüßt, auch wenn etliche der Thunderbolts beschädigt waren. Das mochte auch daran liegen, dass sie mit ihrer modernen Sensorik feindliche Jäger oft schon auf weite Entfernung ausmachen und mit ihrer leistungsfähigen Bewaffnung auch bekämpfen konnten, wenngleich das ECM des Golf-Kreuzers der Akarii und die relative Nähe des Gasriesen die Anzeigen verfälschte. Raven hatte Anweisung gegeben, den Angriff auf drei feindliche Zerstörer der Charlie-Klasse zu konzentrieren, die Voraussicherung flogen. Ihre überschweren Bugbatterien waren durchaus auch in der Abwehr von Bombern wie der Crusader effektiv, und sie standen dem Sturmangriff von Staffel Bronze im Weg.
Die Falcons ließen sich ein wenig zurückfallen, um die Jagdbomber gegen Angriffe von den Flanken und von hinten zu schützen – vor Staffel Gold befanden sich kaum noch feindliche Jäger.
Ravens Stimme ließ deutlich ihre Blutgier anklingen – Großschiffe waren schon immer der Jagdbomber liebstes Wild gewesen, und Staffel Gold hatte sich bereits einen beachtlichen Ruf verdient. Zudem litt sie nicht an psychologischen Problemen wie Razor, was das Töten von Akarii anging. Sie mochte Lightning, und der Gedanke, die Geschwader-XO könnte tot sein, steigerte ihren Ehrgeiz noch, ihr zu Ehren ein paar Echsenschiffe zu vernichten. Der Anflug vollzog sich in perfekter Synchronisation, die drei Sektionen fächerten auf...
Doch die Akarii waren noch nicht geschlagen. Die Charlie-Zerstörer drehten elegant bei und brachten ihre volle Breitseite ins Spiel, während zugleich ihre schweren Bugbatterien das Feuer eröffneten – Batterien, die es ohne Probleme mit der eines Yankee- oder Kilo-Kreuzers aufnehmen konnte. Zugleich schoss von der Seite eine schlanke Korvette heran. Der Warnungsschrei Ravens: „Tango, Tango A!“ kam nicht mehr für alle rechtzeitig. Aus einer Entfernung von 12.000 km eröffneten die Raketenwerfer und Lasergeschütze der feindlichen Schiffe – eines davon speziell zur Abwehr von Jägern entworfen – das Feuer. Schon die erste Salve schlug mehrere Thunderbolt schwer an und zerstörte einen der Jagdbomber.

Raven wusste, dass ihr nicht viel Zeit für eine Reaktion blieb – sie musste schnell handeln. Die feindlichen Flakschiffe konnten den Angriff der Crusaders von Staffel Bronze in einen Spießrutenlauf verwandeln. Sie zögerte nicht: „Angriff auf die Feindschiffe! Sektion Eins – Charlie I, Zwei nimmt Tango Eins, Drei Charlie Zwei – und setzt eure leichten Raketen auch noch ein! Imp – ihr kommt mit!“
Es war eigentlich absurd, das Ziel von einem Zerstörer auf eine Korvette umzuändern, aber die Korvetten des Typs Tango-A waren zu Recht bei den menschlichen Piloten gefürchtet. Sie waren gezielt für die Abwehr von Bombern und Jägern konzipiert worden und ihr Radar und ihre Bewaffnung waren auf diese Aufgabe perfekt abgestimmt. Außerdem waren sie beweglicher als Zerstörer und konnten dort eingreifen, wo es nötig war.
Der Angriff der Jagdbomber und Jäger wurde aus nächster Nähe vorgetragen – und beiden Seiten blieb nicht viel Zeit zum reagieren, wenn man sie erst einmal ins Visier genommen wurden. Die Mavericks suchten sich ihre Ziele, während sowohl Thunderbolt als auch Falcons jede Schwachstelle in den feindlichen Schilden mit Bordwaffen und Raumkampfraketen eindeckten. Die waren zwar bei weitem nicht so durchschlagkräftig wie eine Atomrakete, doch wenn erst einmal die Schilde nachgaben, konnten auch sie schwerere Schäden anrichten. Doch nicht alle Angreifer kamen dazu, ihre Waffen einzusetzen. Einer der Jagdbomber konnte sich nur retten, indem er seine Raketen im Notwurf abfeuerte und zur Seite wegbrach – dennoch zerschlug das Feuer der Akarii seine Heckschilde und rasierte ihm einen Flügel ab. Verkrüppelt schleppte er sich davon. Eine Rakete traf Tyrs Jäger und zertrümmerte förmlich das Cockpit, das aufplatzte wie eine Eierschale. Splitter zerfetzten seinen Raumanzug. Die direkten Wunden waren nur geringfügig, doch die Risse im Anzug bedeuteten für ihn das Todesurteil. Die letzten 60 Sekunden im Leben von Einar Haugland waren eine unendlich lang erscheinende Hölle von Schmerzen, während er an Dekompression starb. Er erstickte und wurde zugleich förmlich von innen durch Unterdruck und Kälte auseinander gerissen. Das was übrig blieb, hatte mit einem menschlichen Wesen keine Ähnlichkeit mehr. Wohl wenige Tode waren so abscheulich wie der im All, wenn Laserkanone und Rakete ihr Werk nur unvollständig taten.

Einer der feindlichen Zerstörer wurde von den Treffern förmlich auseinander gerissen. Der zweite Zerstörer hatte geringfügig mehr Glück, doch sobald seine Schilde ausgefallen waren, bot seine eher schwache Panzerung nur noch ungenügenden Schutz. Das Schiff zerbrach langsam in der Mitte. Die automatischen Schotten schlossen sich, doch für viele der Besatzungsmitglieder mochte das zu spät kommen. Die Überlebenden gaben das Schiff auf, doch anders als auf dem ersten Zerstörer würde es zumindest Überlebende geben. Die Korvette überstand den Beschuss durch die Mavericks, doch ihre Hülle wurde von unzähligen Einschlägen von Bordwaffen und Raumkampfraketen malträtiert und riss an etlichen Stellen auf. Keiner der Treffer war für sich gesehen tödlich, aber in ihrer Gesamtheit genügten sie aus, das Schiff weitestgehend kampfunfähig zu machen. Es verlor abrupt an Fahrt, das Feuer verstummte. Während die wracke Korvette seitlich wegdriftete, entwich die Atmosphäre aus Dutzenden von Lecks. Doch nun nahm der überlebende Zerstörer Rache – und einer der Thunderbolts, die bereits Schäden davongetragen hatten, konnten dieser Rache nicht mehr entgehen.
Die überlebenden Thunderbolts – neun Maschinen, von denen jedoch zwei nicht viel mehr als hinkende Wracks waren – und die vier verbleibenden Falcons setzten sich ab. Für sie war die Schlacht gegen den feindlichen Flottenverband zwar vorbei, aber der Kampf mit den feindlichen Jägern war noch nicht zu Ende.
Cattaneo
Cunningham

„Ich bin der fleischgewordene Tod, auf Schwingen aus Feuer und mit Schwertern aus gleißendem Licht durchpflüge ich den schwarzen Himmel! Er ist mein Geburtsrecht!“
Inschrift des Tores der akariischen Pilotenschule

„Ich fliege also bin ich!“
Motto der terranischen Pilotenakademie Markham Fields

There is nothing to fear - except us.
Leitspruch der Angry Angels

Grelle rot/orange Explosionen erhellten die Schwärze des Alls. Unterstrichen durch die Blitze der Energiegeschütze von fast hundert Jägern, die sich gegenseitig umkreisten.
Der Tod hatte zum Tanz gebeten. Akarii und Menschen waren gekommen. Die surreale Stille untermalte den stummen Schrecken umso stärker.
Die Schlacht hatte planmäßig begonnen und Lone Wolf war seine beiden Phönix-Langstreckenraketen schnell losgeworden.
Danach ging es in den Infight, wie er es seit seiner Akademiezeit liebte. Der direkte Nahkampf. Nighthawk gegen Bloodhawk oder Deltavogel. Mensch gegen Akarii.
Zu seiner Überraschung stellte Lone Wolf fest, dass seine beiden Wingmen – oder hieß es politisch korrekt Wingwomen? – ein erstaunlich gutes Team abgaben und die einzelnen Akarii in die Zange nahmen und so sehr bedrängten, dass er in einem schnellen Schnappschuss abstauben konnte.
Nicht gerade fair den beiden Pilotinnen gegenüber, aber Fairness zählte hier draußen nicht, und keine der beiden wäre auch nur annähernd gut genug gewesen, um die nun schon drei Akarii-Piloten, die diesem Verfahren zum Opfer gefallen waren, innerhalb eines kurzen gezielten Vorbeiflugs auszuschalten.
Dazu fehlte beiden die Erfahrung und der ausgeprägte Killerinstinkt, der seit Beginn der Schlacht Lone Wolfs Handeln und Befehle leitete.
Funksprüche waren fast ausgeblendet, übertönt von dem pulsierenden Blut in seinen Ohren.
Kano der aus einer traditionsbewussten Kultur kam, hätte sicherlich eine mystische Erklärung über den Weg des Kriegers parat gehabt.
Lucas hingegen sah sich hier angespornt von Ehrgeiz, geschliffen durch die vorangehenden Schlachten und ständiges Training, mit der Routine von über hunderttausend Flugstunden und mit der Erfahrung von über fünfzig Siegen über feindliche Jagdflieger auf dem Höhepunkt seiner Kondition. Er flog also war er.
Eine enge Kehre und ein geschickter Schlenker brachten seine Nighthawk unbeschädigt durch eine Wand aus gegnerischen Feuer.
Er drückte den Feuerknopf und ein Deltavogel erzitterte unter seinem Geschützfeuer. Einen Haken schlagend um einer Reaper auszuweichen zog er am Deltavogel vorbei und sah aus den Augenwinkeln, wie dieser von einer anderen Nighthawk vernichtet wurde. ,War das Ace's Bugmakierung?'
Eine halsbrecherische Schleife brachte seine Front in Richtung der Reaper und drängte diese vor die Geschützrohre zweier Griphen, von denen eine, kaum dass der eine Feind vernichtet war, im Geschützfeuer einer Bloodhawk explodierte.
Eben jene Bloodhawk schien sich jetzt auch für die Markierung eines Geschwaderführers zu interessieren, die auf Lone Wolfs rechter Tragfläche prangte.


Jor zog schwungvoll den Reißverschluss des Overalls zu.
Der Admiral und ein Haufen Stabsmarionetten sahen ihn betreten an. Sie alle wussten, was mit seinem letzten Flaggschiff geschehen war, nachdem er es in der Schlacht verlassen hatte. Nach so vielen bitteren Niederlagen glaubten sie an schlechte Omen.
Die letzten Wochen waren sehr anstrengend für den Prinzen gewesen. Er hatte kaum geschlafen und wenig gegessen. In den Tagträumen denen er nachhing, besuchten ihn seine Ahnen. Forderten ihn auf seine Ehre wieder herzustellen.
Seinem Ansehen als Krieger wieder Glanz zu bereiten. Den Platz für fähigere Führer zu räumen. Doch für wen?
Er hatte bei Kerzenschein und Weihrauch meditiert, das Ritualmesser geschärft und war bereits zu barbarischen prähistorischen Riten zurückzukehren, um die Götter, an die immer weniger glaubten, durch königliches Blut zu beschwichtigen und um ihren Segen für die zukünftigen Schlachten zu gewinnen.
Drei Stunden hatte er meditiert. Hatte seinen Frieden mit dem Universum geschlossen und sein politisches wie auch sein persönliches Testament gemacht.
Da wurde der terranische Aufklärer entdeckt und abgeschossen.
Noch mit blutenden Handgelenken hatte er Befehle gegeben und nun würde er an vorderster Front kämpfen, wie es sich für königliches akariisches Blut gehörte.
Er legte dem Admiral die Rechte auf die Schulter: „Bitte richte meinem Vater und meiner Schwester aus, dass ich ihnen niemals Schande bereiten wollte.“
„Bitte, Jor.“ Zum ersten Mal ließ sich der Admiral zu so vertraulichen Worten vor anderen herab.
Der Prinz schüttelte den Kopf: „Mein Weg ist hier zu Ende, Kal. Kehre Du siegreich in die Heimat zurück und vielleicht kannst Du ja meinen Körper mit Dir führen, aber wenn nicht, dann überbring einfach meinen Brief. Dir wird schon niemand den Kopf abschlagen.“
„Ich bin Dein Freund, ich mache mir keine Sorgen um meinen Kopf.“ Kalahn Rocjor erhob sich zu seiner vollen Größe. Er wer ein beeindruckender Anblick. Voller Stärke und Charisma, wie Jor wehmütig feststellte. ,Er wäre der Richtige gewesen diesen Krieg zu führen, doch seine Freundschaft und seine Treue zu mir machten das nicht möglich. Genauso wie mein Egoismus und meine Ruhmsucht. Selbst wenn er nun nach Hause kommt, wer wird ihm noch ein Kommando geben? Eine Schande.'
Der Prinz blickte sich zu seinen beiden Flügelmännern um. Beide warteten sie voller Ungeduld, wollten schnellstmöglich zu ihren Kameraden.
Er holte zwei Schulterstücke aus den Taschen seiner Fliegerkombi. Er trug sie als Glücksbringer mit sich. Er würde sie nicht mehr brauchen: „Admiral Kalahn Rocjor, in meiner Eigenschaft als Großadmiral und Oberkommandierender der Flotte und Kronprinz des Sternenimperiums von Akar befördere ich Sie mit sofortiger Wirkung zum Großadmiral und verfüge, dass Sie im Falle meines Ablebens in der Schlacht das Kommando über die Raumstreitkräfte übernehmen.
Er ersetzte die Admiralsabzeichen auf Rocjors Schultern durch seine eigenen Großadmiralsabzeichen und drehte sich dann wortlos um.
Während Jor zu seinem Flieger marschierte und sich den Helm aufsetzte, stand der frischgebackene Großadmiral erstarrt da.
Jor startete in seiner blaugoldenen Bloodhawk, eskortiert von zwei weiteren mit Abschussmarkierungen übersäten Bloodhawks machte er einen Bogen auf das wilde Knäuel zu, welches sich zu Beginn der Schlacht gebildet hatte.


Kalahn Rocjor war ein aufstrebender junger Mann gewesen, dessen revolutionäre Denkmuster und Strategien ihn an die Spitze der Militärakademie gebracht hatten.
Schon mit zweiundzwanzig Jahren hatte er die Flottenschule im Range eines Leutnants verlassen und seine Lehrer hatten vorhergesagt, dass er an der Spitze der Streitkräfte stehen würde.
Niemand hatte dabei seine Freundschaft zu Jor als Hindernis angesehen, wozu sie sich jedoch im Laufe der Jahre entwickelt hatte und wie sie jetzt wieder in Erscheinung trat.
Vergleiche zwischen Kalahn Rocjor und Bianca Wulff Jahre nach dem Krieg zeigten deutlich, dass der junge Großadmiral der menschlichen Frau um ein vielfaches überlegen war.
Von einer überragenden Intelligenz, entscheidungsfreudig und um ein vielfaches flexibler was Taktik und Strategie anging, so wunderten sich Experten, wieso dieser Akarii nicht einfach sein Flotte formiert hatte und die Menschen überrollte, wo ihm Jor nicht mehr im Weg war.
Ein Schwenk von fünfundvierzig Grad nach Steuerbord und volle Kraft voraus und die Akarii hätten zuerst die Bomber und Jagdbomber der Columbia zusammen mit ihrem eigenen Jägerkontingent im Kreuzfeuer gehabt, das den Angriff aller Wahrscheinlichkeit nach abgewehrt hätte. Danach wären sie mit den wenigen Dickschiffen um die Columbia in den Nahkampf gegangen, und jeder, der einmal ein Gefecht Akarii- gegen Menschenkreuzer gesehen hatte, wusste, wie es in vielen Fällen ausgehen wird.
Rocjor hätte die Columbia mitsamt ihrer verbliebenen Eskorte wahrscheinlich vernichtend geschlagen und hätte den Erdkreuzern wegfahren können, ohne dass er sie als Radarschatten wahrgenommen hätte.
Nun saß jedoch ein Großadmiral auf der Flaggbrücke der Korax ma Rah, dessen Gedanken nicht dem Reich, nicht Streitkräften dieses Reiches, ja nicht einmal der kleinen Flotte die er gerade befehligte galten, sondern einzig und allem seinem Freund: Jor.
Er reagierte nicht auf die Fragen seiner Offiziere und die Befehlskette ging durcheinander, bis schließlich der Kommandant der Korax ma Rah Befehle an die Flotte signalisierte, als sei er der Prinz persönlich.
Cattaneo
Ace

Mit halb geschlossenen Augen musterte Kapitän Schneider die Anzeigen, die ihn über Kurs und Geschwindigkeit seiner Gegner informierte. Er überschlug die wichtigsten Zahlen im Kopf und musste lächeln. Die gleichwertigen Waffen der KAMI würden für die Akarii eine erhebliche Überraschung sein. Und der Schild, den die DAUNTLESS gegen Raketen und Flieger aufbauen konnte, war auch nicht zu verachten.
Andererseits flog sein Schiff, ob modifiziert oder nicht, in die sichere Vernichtung hinein. Das einzige was er tun konnte war seine Befehle auszuführen und bis zum letzten Schuss zu kämpfen. Wenn dann dem Kriegsgericht Genüge getan war, dann konnte er versuchen, so viel wie möglich zu retten. Falls er dann noch lebte.
Ebenso flau war ihm bei dem Gedanken, was da an Anti-Schiffsraketen auf ihn zugeflogen kam und wieder abgeschossen wurde.
„Die Zweitbrücke soll online kommen.“
„Skipper, das könnte zu Kommandointerferenzen führen, die…“
„Ich weiß. Aber wir haben vielleicht nicht die Zeit, für drei oder vier Sekunden auf die Kommandofunktionen zu verzichten, ohne wirklich zu Klump geschossen zu werden, Haruka.“
„Aye, Skipper.“
Für einen Moment fühlte sich Justus Schneider versucht, eine Rede voller Pathos zu halten oder aus dem Gedicht über die Leichte Brigade zu zitieren, jenem verhängnisvollen Reiterangriff einer leichten Kavallerieeinheit im Krim-Krieg, die selbst heute noch als Synonym für Disziplin galt – aber eben auch als sinnloses Opfer, also behielt Justus diesen Gedanken für sich.
„Meldung, sobald wir die Jäger des Golf in der Ortung haben“, sagte er stattdessen. Bisher hatten sie Glück gehabt, das Raketenfeuer war noch nicht so intensiv gewesen, dass es das Feuerleitsystem der DAUNTLESS überfordert hätte. Noch war keine Rakete durchgekommen, in den Schirm der KAMI geschlagen. Aber es waren ja auch noch längst nicht alle da. Was für ein ironischer Gedanke, ging es Schneider durch den Kopf, während eine Raketenabwehrstellung selbstständig ein Zwanzigerpack Abfangraketen ausspie.
„Keine Ortung der Jäger und Bomber, Skipper.“
Schneider runzelte die Stirn. Er hatte erwartet, dass der Kommandeur der Kreuzer-Truppe alles was er hatte zwischen die COLUMBIA und die nachrückenden Kreuzer werfen würde, um die Bresche zu öffnen, die letztendlich den Untergang des Trägers herbei führen würde.
Was auch der Grund für die Detachierung der eigentlich lebenswichtigen DAUNTLESS gewesen war. „Melden Sie das weiter. Die Dinger können ja nicht verschütt gegangen sein.“
„Aye, Sir.“
Sie mussten, mussten, mussten verhindern, dass die Kreuzer der Akarii die COLUMBIA zwischen sich und der KORAX MA RAH einschlossen.
Verdammter Wurmlochsprung. Hätten sie eine Handvoll Leichter und Schwerer Kreuzer anstelle der Dünnschiffe voraus geschickt wäre das nicht passiert.
Andererseits hätte es die Gefechtsstärke der Kreuzerflottillen erheblich ausgedünnt und damit andere, gravierende Nachteile gebracht. So oder so, jede verdammte Entscheidung beinhaltete Nachteile.
„Sollen sich doch die Historiker entscheiden, was hier passiert ist“, brummte Justus. Aber nun wurde es erst einmal Zeit, den Akarii ein wenig Unwohlsein zu bereiten.
„Waffenfeuer Exocet und Amraam, wenn bereit, multiple Ziele. Raketenabwehr bleibt verlinkt mit der DAUNTLESS. Jetzt geht es rund.“
Das Schiff schien unter ihm zu rucken, als die Werfer der KAMI in Aktion traten. Multiple Ziele bedeutete, dass der Schwere Kreuzer keinen Gegner ernsthaft anschlagen oder gar vernichten konnte – außer durch einen unglaublichen Glückstreffer, wie er immer wieder mal vorkam und jederzeit auch die KAMI treffen konnte. Aber es würde die Kreuzer verzögern – hoffentlich. Und damit den eigenen Kreuzern die Chance geben, das Ende der COLUMBIA zu verhindern.
Dann ging tatsächlich ein Ruck durch die KAMI.
„Einschlag! Eine hat es in den Schirm geschafft!“
Justus ging seine Befehlspads durch. Gut, nur in den Schilden explodiert, äußerer Schild kollidiert, kein direkter Treffer.
„Zweite Welle abgefeuert.“
„Partikelkanonen Feuer frei wenn Zielerfassung steht“, sagte Justus ernst. „Wir hauen alles raus was wir haben.“
„Aye, Skipper.“
„Wie geht es der DAUNTLESS?“
„Ebenfalls Treffer in den Schirmen, Schiff ist noch unbeschädigt.“
Schneider grinste dünn. „Konzentrieren Sie einen Teil des Feuers auf den Golf, Commander Dumas.“
„Aye, Sir.“
Wieder wurde das Schiff erschüttert. Der neue Ruck war heftiger als der zuvor erfolgte. Dem folgte ein weiteres Beben, neben den charakteristischen Vibrationen, die beim Salvenabschuss der schweren Partikelkanonen erfolgten.
Übergangslos erloschen die Lichter in der Zentrale; die Notbeleuchtung sprang nicht an. Dafür klang aber das charakteristische Zischen von Luft an ihre Ohren.
Vakuumeinbruch.
„Oh Scheiße“, sagte jemand. Nun, Schneider fand, damit war die Situation treffend auf den Punkt gebracht.

***

„In was für einer Hölle sind wir hier gelandet?“ Fluchend wie ein Müllkutscher trat Huntress auf die Slide-Bremse, drehte ihre Falcon ein und gab dem linken ihrer beiden Verfolger zwei Sidewinder zum Frühstück mit. Danach wurde dieses Manöver durch den Beschuss des Flügelmanns zu heftig. Sie musste wieder auf Kurs drehen und eine Schraube fliegen.
Ihre Maschine warf automatisch Abwehrmaßnahmen aus, als die zweite Bloodhawk Raketen auf sie feuerte.
„Ich bin da, Huntress!“
Ihr Flügelmann drängte die zweite Bloodhawk ab und setzte sich dann wieder an ihre Seite.
„Danke, Pain. Die hatten es mit mir persönlich.“ Für einen Moment betrachtete Huntress ihre zitternden Hände. Wachhund für die COLUMBIA zu spielen war eine Sache. Wachhund für ne ganze Staffel Bomber und die Rafale zu spielen war für zwei Sektionen ein aufwändiges Unterfangen. Sie mussten nicht nur aufpassen, nicht selbst abgeschossen zu werden, die großen und plumpen Zielscheiben, die sie begleiteten, wollten auch noch verhätschelt werden.
Okay, Huntress sah ein, dass es unfair von ihr war, die Bomber von Staffel Bronze so herablassend zu titulieren, und sei es nur in Gedanken. Immerhin würden sie es sein, die den entscheidenden Schlag auf die KORAX MA RAH führen würden.
Alles was Staffel Blau und Grün dabei tun mussten war, so vielen wie möglich den Angriff zu ermöglichen. Nun, dieses alles war das Problem. Ein großes Problem.
Kurz checkte sie den Status ihrer geteilten Einheit. Bisher hatte es keine Verluste gegeben, was vielleicht auch daran lag, dass die verdammten Akarii sich zuerst blind auf die Staffel- und Sektionsführer gestürzt hatten. Das hatte ihnen Gelegenheit gegeben, sie mit blutiger Nase nach Hause zu schicken. Bis zu ihrem nächsten Angriff.
Ihr nächster Blick ging zu Chips Sektion. Dort hatte es schon einen Verlust gegeben. Verdammt!
Und dieser dämliche Träger war noch weit, weit entfernt.
„Sie komm…“, klang eine weibliche Stimme auf, dann trat ein unheimliches Kreischen an ihre Stelle.
„Rapier! Sie haben Rapier erwischt! Ihr elenden Schweine!“
Für einen Moment glaubte Huntress, ihr Herz würde stehen bleiben. Nicht Annegret, bitte nicht Annegret! „Waltz übernimmt!“, befahl sie mit einer kalten, geschäftsmäßigen Stimme, die sie kaum als ihre eigene wieder erkannte.
„Kann gerade nicht! Jetzt hängen sie an mir dran! Elfwizard, Tank, holt mir diese Schuppenheinis vom Arsch weg!“
„Ich bin ja schon dran! Bin fast da!“
„Vorsicht, Tank, du hast selbst einen am Heck! Tank, brich weg, hörst du? Brich weg!“
„Erst hole ich Waltz den Raptor vom Arsch! Zuerst…“
„Tank! Tank, steig aus!“
„Danke, das war Rettung in letzter Sekunde! Tank, ich… Tank?“
„Der andere Raptor hat ihn erwischt! Und jetzt nagt er an den Crusaders!“
„Commander, was tun Sie? Ich verliere gerade einen Bomber!“
„Waltz! Elfwizard!“
„Sind schon auf dem Weg!“
Zwei Maschinen in so kurzer Zeit, und dazu noch eine Sektionsführerin! Der Angriff hatte noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht.
„Huntress, da will schon wieder einer zu dir! Schätze, die jagen gerade alles, was Lametta hat.“
Da könntest du Recht haben, Pain.“ Es war noch ein weiter Weg, ein so endlos weiter Weg bis zum gegnerischen Uniform-Träger.

***

Im Kampf gegen Bloodhawks, Deltavögel, Raptor und Deathhawks hatten sich die Nighthawks sehr gut bewährt, ging es mir durch den Kopf. Vor allem mit einem guten Piloten ließ sich da einiges erreichen. Aber im Moment sah es eher nach einer wüsten Massenkeilerei aus, in der Koordination in etwa so effektiv und sinnvoll war wie Sandfegen in der Sahara.
„Bleibt an meiner Seite, verdammt!“, blaffte ich meine Sektionskameraden an. Wenn ich sie in diesem Durcheinander verlor, hervorgerufen durch die zahlenmäßige Überlegenheit, würde ich ihnen nicht mehr helfen können. Außerdem hatten wir es mit der Flugtruppe der KORAX MA RAH zu tun, einer Einheit also, die in den meisten großen Konflikten gekämpft hatte. Sicherlich hatte Jor sich auf seinem Weg durch diesen Teil des Akarii-Reichs schadlos gehalten und rekrutiert wen immer er brauchte, um die Lücken in seinen Reihen zu schließen. Aber die meisten Piloten würden zumindest den Status eines Veteranen erfüllen.
„Du hast schon wieder einen am Arsch, Ace“, meldete Artist. „Scheint so als wäre nicht nur Huntress hinter dir her.“
Ich lächelte geringschätzig. Mein Verhältnis zu meiner Flügelfrau hatte problematisch begonnen, aber mittlerweile vertraute ich ihr blind. Ich hätte ihr nur nicht beibringen dürfen, faule Witze zu reißen. „Wenn er dich stört, dann kümmere dich doch bitte darum“, scherzte ich und warf meine Maschine in eine enge Kehre. Dabei bestand natürlich die Gefahr, dass ich die anderen verlor, aber ich hatte nicht vor, mich allzu weit zu entfernen. Wir waren die Spitze, wir mussten das Tor für die nachfolgenden Falcons und die Bombersektionen öffnen. Und auch wenn wir gegen eine Übermacht antraten, auch wenn viele der gegnerischen Piloten Veteranen waren, der Gedanke, vielleicht Prinz Jor persönlich vor die Läufe zu kriegen war atemberaubend. Elektrisierend. Ich hatte absolut nichts dagegen, dem Schlächter von Trafalgar das Lebenslicht auszublasen, auch wenn das für mich „Echsenfreund“ eine befremdliche Einstellung zu sein schien.
„So, abgedrängt. Aber der kommt wieder, glaub mir das.“
„Solange du bei mir bist, Artist, fürchte ich weder Tod, noch Teufel, noch Skunk.“
Meine Flügelfrau lachte rau auf. „Ich liebe dich auch, du größter aller Flieger.“
„Könnt ihr mal mit dem flirten aufhören? Ich kann nichts mehr sehen, wenn ich mir in den Helm kotzen muss“, rief Trajan schmunzelnd.
„Ach, du bist einfach nur nichts Gutes gewohnt, Jules“, gurrte Leth, aber die Anspannung in ihrer Stimme verriet ihre Fröhlichkeit als aufgesetzt. „Scheiße, die kommen wieder.“
„GRATULIERE! Mensch, Kali, das war der dreißigste! Nicht mehr lange, und du hast die fünfzig voll!“
„Falls der Krieg überhaupt so lange dauert, Too-Tall. Ich habe nichts dagegen, wenn er beendet wird, bevor ich die fünfzig voll kriege“, erwiderte Kali amüsiert.
„Merkt Ihr beiden Nachtschnepfen noch den Unterschied zwischen Tag und Nacht?“, klang die meckernde Stimme von Skunk auf. „Das ist der Staffelkanal! Steig ins Bett mit wem du willst, Kali, aber sülz nicht die anderen damit zu! Das ist hier immer noch ein Akarii-Preisschießen!“
„Arsch!“
„Arsch, Sir, wenn ich bitten darf!“, fauchte Skunk zurück. „Und gratuliere zur dreißig, Kali.“
„Nanu, was ist denn mit dem los? Skunk ist freundlich? Ist hier irgendwo eine Sonne kollabiert?“, spottete Leth.
Auch ich war mehr als verwundert. Noch immer hingen mir die Worte von Skunk in den Gedanken, die er nach seinen üblichen Beleidigungen ausgesprochen hatte: Ich glaube ich werde dort draußen sterben.
Verdammt, dieser arrogante, peinliche Bastard hatte doch nicht wirklich vor, sich hier abschießen zu lassen? Hauptsache Noname und Fish waren auf Zack. Aber wenn die Echsen wirklich Lametta jagten und Cartmell und Fischer von Skunk und Sugar abgedrängt wurden…
„Verdammt, brich weg, Kali, brich weg! Mantis, Hacker, ich komme nicht rüber! Ich habe selbst einen am Arsch und… KALI!“
„TOO-TALL!“
Ein schneller Blick auf meinen Gefechtsmonitor sagte mir, dass ein Symbol der roten Staffel verschwunden war. Aber es war Too-Talls Maschine gewesen, nicht Kalis.
„Ich bin bei dir, Kali! Hacker, deck mir den Arsch!“
„Danke, Leute, den bin ich los. Hat einer gesehen, was mit Too-Tall passiert ist?“
„Darum kümmern sich die SAR-Shuttles!“, giftete Skunk dazwischen. „Frag doch Meister Blauhaar, wie gut die sind. Und außerdem kannst du nichts mehr dran ändern, dass sich ne Echse seinen Skalp geholt hat.“
„Skunk, manchmal wünsche ich mir wirklich, dich würde eine Echse ficken“, zischte Kali wütend.
„YEEEARGH!“
„Skunk! Oh mein Gott, Skunk! Konnte er aussteigen? Hat das jemand gesehen?“
„Disziplin, Noname“, sagte ich ruhig und fest. „Du kannst ihm nicht mehr helfen, und der Rest liegt bei den SAR-Shuttles.“ Oh, wie befriedigend war es doch für mich, die Worte von Lieutenant Commander Harvey Skunk Jones selbst auszusprechen. „Du übernimmst die Erste Sektion. Einwände, Kali?“
„Nein. Er ist der nächste in der Kette. Heißt das etwa, ich habe diesen faulen Haufen jetzt am Hals?“
„Ja, und unser Tag ist noch verdammt lang“, brummte ich. „Wer macht die Meldung an den Alten?“
„Mach du mal, du kannst besser mit ihm, Ace.“
„Okay. Lone Wolf von Ace, kommen.“
„Was gibt es denn, Ace? Ich hatte gerade eine unliebsame Begegnung mit Jor, und konnte mich wirklich noch nicht richtig sammeln.“
„Oh. Dann wird Ihnen das nicht gefallen. Skunk wurde aus seiner Nighthawk geschossen. Kali hat nun das Kommando. Und ich bin ihre Tippse, die den Schreibkram und die Anrufe macht.“
„Noname hat jetzt die Erste Sektion?“
„Ich bin sicher, er schafft das.“
„Da bin ich mir auch sicher. Himmel, zuerst Lightning, dann Skunk. Haben es diese Säcke denn alle auf Lieutenant Commander abgesehen? Jedenfalls viel Glück, Ace. Wir sehen uns nach der Schlacht.“
Lone Wolf deaktivierte die Funkverbindung wieder. Lightning war draußen? Was das für die Falcons bedeutete, welche die Bomberstaffeln eskortierten, konnte ich kaum erahnen.
„Verdammt, ich habe vergessen, den Alten zu fragen, wie seine Begegnung mit Jor ausgegangen ist!“
Cattaneo
Cunningham

Es war nahezu bewundernswert, wie die Falcons es schafften die Jäger der Akarii abzuwehren.
Irons McGill bleckte die Lippen. Neben ihr saß Lieutenant Commander Wolfgang Graf von Hauenberg, genannt Count.
Er bearbeitete nahezu geschäftsmäßig auf die Instrumente. Reine Routine. Sie wünschte sich fast, sie wäre ähnlich ruhig.
Sie konnte über Radar beobachten, wie Gold und Silber zum Angriff auf den Verteidigungsring übergingen. Von den Kreuzern war außer einer lächerlichen Vorhut noch nichts zu sehen.
Doch die Akarii schienen schon etwas auf den Sensoren zu haben, denn ein guter Teil ihrer Flotte hatte sich – aus Irons Sicht – hinter dem Quarsar formiert.


Gold und Silber hatten sich ihre Ziele gut ausgesucht. Sechs Schiffe an der Zahl. Das ergab vier Bomber pro Schiff, so sagte der Schlachtplan und die graue Theorie.
Als sie zum Schuss kamen waren von den vierundzwanzig Jagdbombern noch zwanzig übrig, was eher an dem Abwehrfeuer der Dickschiffe lag, als an etwaigen durchgebrochenen Jägern der Akarii.
Die schweren Maverick Anti-Schiff-Raketen zerfetzten zwei Zerstörer und einen Kreuzer. Drei weitere Schiffe wurden arg mitgenommen.
Es war zu hoffen, dass die Bresche für die Crusader reichen würde.
Aus der Entfernung kaum erkennbar schwenkten die Thunderbolts und ihre Eskorte um. Der tobenden Jägerschlacht entgegen.


Jors Auftritt auf dem Schlachtfeld legendär zu nennen, würde sein Geschick als Jagdpiloten nicht gerecht. Wie ein Mönch war er in der Hitze des Gefechts unbemerkt an das Knäuel aus Menschen- und Akariijägern herangekommen, während Thunderbolts und Falcons wie ein Kavallerieangriff näher stürmten.
Sein erster Abschuss, kaum seinen Fähigkeiten würdig, war eine angeschlagene Griphen. Dieser folgte eine Nighthawk der roten Schwadron und schließlich noch zwei Thunderbolts.
Jors Augenmerk landete auf einer Nighthawk, die von zwei ihresgleichen flankiert wurde und Manöver ausführte, die nur ein Meisterpilot sie vollbringen konnte.
Einen Schlachtruf brüllend stürzte der Prinz vorwärts. Das konzentrierte Feuer zerriss die linke Flankenmaschine seines Gegners.
Der feindliche Formationskommandant hatte wohl den Kopf eines terranischen Ungeheuers unter das Cockpit gemalt sowie ein weiteres Ungeheuer auf der Bugspitze der Maschine und das unverkennbare Zeichen eines Geschwaderführers auf den Tragflächen.
Abschussmarkierungen zeugten von Mut und Können dieses Piloten.
Der terranische Geschwaderführer und sein verbliebener Flankenpilot spritzten auseinander. Jor und Tas Giranka folgten ihm.
Jors rechter Flankenpilot jagte dem terranischen Flügelmann nach.


Sugar musste aussteigen. Von einer Sekunde auf die andere war ihr Jäger nur noch Altmetall.
Lucas hatte die Tatsache kaum registriert, da war 2nd Lieutenant Petra Martens beiseite gedrängt und vergessen, als hätte es sie niemals gegeben.
Eine andere Handlungsweise wäre vielleicht sein Tod gewesen.
Er brach in einer halsbrecherischen Zehn-G-Kurve weg und zog dann steil nach Steuerbord, nur um sich von zwei Bloodhawk verfolgt wieder zu finden.
Der Flügelmann der beiden eröffnete das Feuer, um Lucas weiter nach links zu drängen. Dieser kippte seine Maschine über und zog weiter in Richtung Steuerbord.
Die Führungsmaschine, blau golden bemalt, eröffnete ebenfalls mit Strahlengeschützen das Feuer und versuchte ihr Ziel für die Raketen anzupeilen.
Lone Wolf bockte nochmal nach Steuerbord, dann riss er die Nighthawk in eine brutale Kehre nach Backbord. Darauf folgte eine halbe Schleife mit der unfassbaren Belastung von elf G.
Der Geschwaderkommandant verwünschte sich, dass er die Triebwerke für den Akarii-Sprit hatte drosseln lassen.
Der blau goldene Akarii versuchte immer noch eine Peilung für seine Raketen zu bekommen, während sein Flügelmann mit gut gezielten Geschützsalven versuchte Cunningham vor die Rohre seines Anführers zu schmeicheln.
Viel zu leicht folgten ihm die beiden Bloodhawks durch ein geteiltes S und danach in die Kehre. Die Instrumente zeigten zwölf G an. Wären nicht Druckanzug und Trägheitsdämpfer, wäre Lucas schon längst bewusstlos. Nur wenige Piloten trauten sich derartige G-Kräfte zu “durchfliegen“.
,Das ist dein Ende, Boss.'
Wäre er nicht zu sehr mit seinen Feinden beschäftigt würde sich Lone Wolf fragen, warum der Tod eine die gleiche Stimme hatte wie Thomas “Pinpoint“ Andrews.


„Auffächern!“ Befahl Irons McGill ihrer Schwadron.
Der Anflug auf den Träger hatte sie eine Crusader und eine Rafale gekostet.
Zweimal fünf und einmal vier Maschinen verteilten sich, um den Quarsar-Klasse Träger von drei Seiten anzufliegen. Der Tod für ein Großkampfschiff, selbst für einen Quarsar.
Die ELOKA der Rafale verringerte die Verteidigungseffizienz der Akarii ungemein, so dass die drei Sektionen in Schussposition kommen konnten.
Hundertfach geprobt, war dieser Angriff im Kreuzfeuer vieler Großkampfschiffe doch um einiges schwerer als im Simulator, doch als der Schuss erfolgte, hatte sie nur eine weitere Crusader verloren.
Zehn schwere Bomber bedeuteten sechzig Anti-Schiff-Raketen auf ein einziges Ziel. Die drei Rafael schossen jede zwei ELOKA Drohnen ab, die Abwehrfeuer auf sich und von den Angriffsraketen abziehen sollten.
Kurz nach dem Abschuss der Raketen explodierten zwei weitere Crusader.
„Abdrehen! Nichts wie weg, Leute!“ Brüllte Irons und die überlebenden Maschinen schossen in alle 720 Grad Weltall davon.


Das von Bein war nutzlos bei diesen G-Belastungen. Lucas wusste, dass dieses Manöver die Trägheitsdämpfer seiner Maschine jetzt überlasten würde, und das wäre sein Tod.
Blackout, trudeln und Explosion. Das wäre das Ergebnis eines von Beins, und den einzigen Akarii den er dabei mitnehmen konnte war vielleicht Jors Flügelmann.
„La Reine! Wo zur Hölle stecken Sie!“ Ein böser Unterton hatte sich in seine Stimme geschlichen. Jener Unterton, der in Diktaturen Bestrafung und Folter versprach, wenn der Fragende nicht die Antwort erhielt, die er hören wollte.
Ein atemloses Keuchen kam als Antwort über Funk: „Ich kurbel ... mit dieser verdammten Bloodhawk.“
,Einmal braucht man einen Flügelmann. Ein einziges Mal und dann ist er nicht da', flüsterte sein zynisches Selbst.
Jor starb. Er starb den Tod eines Kriegers und doch ahnungslos, so ahnungslos wie es nur sein konnte. Schmerzen, Schrecken und Erkenntnis konnten sein Gehirn nicht mehr erreichen.
Eine Thunderbolt hatte sich aus dem Getümmel gelöst, war von unten gekommen und hatte einen präzisen Deflektionsschuss auf die verletzliche Unterseite der Bloodhawk gesetzt.
Eine eins Komma acht Sekunden lange Salve aus allen vier Buggeschützen des Jagdbombers hatte die 'Hawk erfasst und diese zerrissen.
Es war keiner der Starpiloten der Angels, der sich Jors Kopf an die Wand hängen durfte. Es waren die jungen Lieutenants Thomas “Trash“ Brody aus Detroit Michagan und sein RIO Loic “Ferret“ Dupree aus Frenchtown auf New Antigua.
In diesem Moment zeigte sich bei Lone Wolf seine wahre Klasse. Die Thunderbolt hatte die Explosion der Bloodhawk noch nicht passiert, da verlangsamte Lucas ein wenig und führte eine enge Halbrolle über der verbliebenen 'Hawk aus und war hinter dem überraschten Akarii.
Zwei Bilderkenner später folgte dieser dann seinem Herren.



Von den sechzig gestarteten Mavericks erreichten knapp die Hälfte ihr Ziel. Doch kein Schiff, auch kein akariischer Flottenträger, vermochtet der Vernichtungskraft von siebenundzwanzig mit Atomsprengköpfen bestückten Anti-Schiff-Raketen zu widerstehen.
Da sie von drei Seiten gleichzeitig getroffen wurde, zerbrach die Korax ma Rah nicht im eigentlichen Sinne.
Explosionen zogen sich durch die Breitseite, Panzer- und ganze Rumpfsegmente wurden von Ober- und Unterseite gesprengt. Sekundärexplosionen von Munitionskammern und Treibstofftanks formten kleine Minisonnen. Als sich die Reaktoren diesen anschlossen, klaffte erst ein Spalt im Schiff auf, dann zog sich der Riss von innen nach außen, als würde ein schwarzes Loch den Träger von innen zu verspeisen.
Moleküle lösten sich auf. Mannschaftsmitglieder wurden von der sich ausbreitenden Vernichtung einfach vaporisiert. Ein letzter Moment unendlicher Schmerzen mit dem Tod als erlösendes Ende.
Jedem, dem die Raumfahrt im Blut lag, musste bei diesem Anblick das Herz leiden.
Die Korax ma Rah war ein prächtiges Schiff. Mit ihr starben fast fünftausend Seelen. Wie Cunningham und McGill versprochen hatten: Keine Rettungskapsel wurde gestartet. Der Militärjargon beschrieb es kurz und flapsig: Totalverlust.
Cattaneo
Cattaneo

Der Krieg der großen Schiffe Teil II

CA Relentless

Im Laufe der letzten Jahre hatte Chris Mithel schon viele Schlachten miterlebt. Da waren die verzweifelten Kämpfe ums Überleben in den ersten Monaten des Krieges, die erbitterten Gefechte, um das Blatt zu wenden, und schließlich der Siegeszug durch das Akariigebiet. Wenn man es so nennen konnte, denn leicht war es natürlich nie gewesen, auch nicht, als die Echsen schon auf dem Rückzug waren. Er hatte Gefechte miterlebt und überlebt, in denen auf jeder Seite zwei und mehr Trägergruppen mit Begleitgeschwadern gefochten hatten, in denen ein gutes halbes Hundert Kreuzer Tod und Vernichtung aufeinander geschleudert hatten.
Und dennoch, obwohl die Schlacht von Tukama weder die größte Schlacht war, an der er teilgenommen hatte und noch teilzunehmen hoffte, noch die, die am meisten auf Messers Schneide stand – kalt ließ Mithel diese Schlacht gewiss nicht. Denn selbst im kleinsten Gefecht, in der scheinbar banalsten Auseinandersetzung stand stets so viel auf dem Spiel. Machte er oder einer seiner Untergebenen einen Fehler, würden hunderte Menschen dafür mit dem Leben bezahlen, wenn nicht noch viel mehr. Und erkannte und nutzte er oder einer seiner Offiziere den kleinen, entscheidenden Vorteil...
In gewisser Weise war es das, wofür er meinte, am besten geeignet zu sein. Er verachtete anders als viele seiner Kollegen nicht die intellektuellen Herausforderungen, die der Flottendienst in der Etappe oder im Frieden mit sich brachte, der Kampf der Gehirne, freilich eher mit den Kollegen und Vorgesetzten als mit dem Feind, das ständige Bemühen, die eigene Besatzung zu einem perfekten Werkzeug für den Ernstfall zu formen. Doch der Einsatz im Kampfgebiet war doch etwas anderes, wenn die Entscheidung über Leben und Tod fiel.
Freilich, diesmal würde die Stunde seiner Kreuzer später kommen. Zuerst würden die Angry Angels ihre Chance bekommen – und die zwei detachierten Kreuzer.
,Und eine Chance auf ein erstklassiges Heldenbegräbnis, zumindest was die Kami und Dauntless angeht’ dachte er gallig.
Aber das waren nur nachrangige Gedanken, während er seine Untergebenen dirigierte. So sehr Mithel selber der Meinung war, man müsse den ihm unterstellten Kapitänen die Möglichkeit zur Eigeninitiative geben, er glaubte an die Wirksamkeit von konzentriertem Feuer. Also dirigierte er die Kreuzer seiner Schwadron, als wären sie Waffenstationen seines eigenen Schiffes. Das ganze war in etwa so, als ob man jonglierte, aber das mit sechs Armen gleichzeitig, und zwar je zwei Arme anders. Und es waren nicht immer die Arme, die zueinander passten.
„Executioner, Druck auf den Feind aufrechterhalten – Obliterator, Sie unterstützen! Primärwerfer – ich will diesen Yankee JETZT vernichtet sehen!“ Seine Arme krampften sich reflexartig um die Lehnen seines Sessels, als er fast im Unterbewusstsein wahrnahm, wie sich der Ton des Aufschlagsalarm änderte, der seit einiger Zeit bereits gellte, ungeachtet aller Bemühungen der Abwehrstellungen – dieser spezifische Klang begleitete die letzten Sekunden vor dem Einschlag der feindlichen Raketen, das, was man in Flottenkreisen ,Lied der Vernichtung’ nannte. Nicht jede feindliche Rakete konnte abgefangen werden.
Schlagartig wurden die Bildschirme abgedunkelt, als die unerträglich helle künstliche Sonne einer feindlichen Atomrakete in unmittelbarer Nähe des Schiffes erblühte. Die gewaltigen Energien nagten am Schild der Relentless, konnten es aber nicht durchbrechen. Der Commodore wurde in seinen Sitz gepresst, als die schier unvorstellbaren Erschütterungen für einen Augenblick den Trägheitsabsorber überlasteten, doch seine Stimme schwankte nicht. Das Schiff ächzte unter den Belastungen, zu denen die Eigenbewegung und die abrupten Wendemanöver das ihrige beitrugen. Jetzt, im Gefecht, ,sprach’ das Schiff mit denen, die seiner Stimme lauschen konnte. Es gab zu verstehen, dass es zu weiteren Anstrengungen bereit war, warnte vor ansteigender Belastung. Nur erfahrene Offiziere und Kapitäne konnten diese Signale und die Anzeigen zu einem Gesamtbild verbinden und ihr Schiff bis zur Grenze des Machbaren führen. Die Unerfahrenen überschritten die Grenzen, hinter denen der Tod auf sie lauern mochte, oder sie reizten die Möglichkeiten von Schiff und Besatzung nicht aus. Beides konnte tödlich enden.

Nicht jeder kam so gut weg wie der Commodore, der sich von dem Einschlag fast unberührt zeigte. Mit einem peitschenden Knall riss ein Sicherheitsgurt, der eine der Waffenoffizierinnen an ihrem Platz hielt. Die Wucht des Einschlags katapultierte sie durch die Luft, und als sie aufschlug war auf der ganzen Brücke das abscheuliche Knirschen zu hören, mit der ihr Armknochen splitterte. Sie stieß einen wimmernden Schmerzenslaut aus, eher vor Überraschung, denn sie hatte noch nicht richtig verstanden, was mit ihr geschehen war. Der zerrissene Gurt schlug wie eine Peitsche durch die Luft und fügte dem Mann neben ihr eine blutige Wunde im Gesicht zu.
Mithel ignorierte all dies. Er kümmerte sich um seine Leute – aber im Moment gab es einfach wichtigeres zu tun. Er blendete alles aus, das Fluchen des verletzten Offiziers, der dennoch weiter die Kontrollen seiner Station bediente, obwohl das Blut auf die Armaturen tropfte, ebenso wie das schmerzerfüllte Keuchen seiner Kameradin, die am Boden lag, und die Stimmen der zwei Sanitäter der Brückenwache, die die Verwundete aufhoben und wegschafften. Einzig wichtig war, dass die Waffenstation auch weiterhin fehlerlos funktionierte. Er durfte für keinen Sekundenbruchteil in seiner Aufmerksamkeit nachlassen. Verpasste er eine wichtige Meldung, gab er einen falschen Befehl…
„Feindzerstörer ist aufgefasst – Einschlag der Raketen Sekundärer Werfer in zehn Sekunden!...Fünf, Vier, Drei, Zwei, Eins – Einschlag! Einschlag! Einschlag! Gegner ausgeschaltet!“
Mithel versagte sich jeden Triumph – auch das hatte Zeit bis später:„Zielerfassung folgen lassen...Neues Ziel ist...“
„Vampire, Vampire, zwölf plus, Abfangmaßnahmen ergreifen!“

Und zugleich nahm er wahr, was währenddessen mit den zwei detachierten Kreuzern geschah – aber auch das wirkte beinahe unwirklich, wie aus großer Distanz. Er konnte ihnen nur ungenügend helfen, einzig und allein damit, dass er den Druck auf die feindlichen Schiffe immer weiter erhöhte und sie durch pausenloses Feuer zermürbte. Die Sensoroffiziere sangen pausenlos neue Meldungen aus. Offenbar machten die Kampfflieger gute Fortschritte, aber noch immer war die Schlacht nicht entschieden. Und die Kami und die Dauntless erhielten Treffer um Treffer. Nur dem Umstand, dass die Kreuzer der Akarii und die sie unterstützenden leichten Schiffe sich nicht wirklich auf die beiden Erdkreuzer konzentrierten, verdankten sie es wohl, dass sie überhaupt noch flogen. Aber das konnte nicht mehr ewig so weitergehen.
„Sir!“ Lieutenant Commander Yato Fuchidas Stimme zeigte den Enthusiasmus, den sich der junge Offizier in den letzten Jahren eigentlich abgewöhnt hatte: „Die schweren Bomber der Columbia beginnen Anlauf auf Korax ma Rah!“
Mithel nickte knapp: „Beide Maschinen AK voraus! Kurs um 30 Grad rechtsweisend voraus! Bereitmachen für Abfangangriff!“
Ob die Angels nun erfolgreich seien würden oder nicht, die Kreuzer würden sich bereithalten, um den Akariiverband zu knacken. Es würde nicht leicht werden, vor allem wenn die Korax noch kämpfen konnte - Mithel verließ sich lieber nicht zu fest auf eine Handvoll Bomber. Diese Uniform-Träger waren auch ohne Jäger exzellente Gegner. Aber er wusste, dass die Akarii zu schlagen waren, zu groß war die Übermacht der Erdschiffe.
Bisher lief es gut...
Cattaneo
Tyr

Kano war sich nicht sicher, wie viel Zeit seit dem Beginn der Schlacht vergangen war. Zwanzig Minuten, eine halbe Stunde? Es spielte keine Rolle. Das einzige was zählte, war der Gegner und die Piloten des eigenen Geschwaders.
Die Akarii schlugen sich erstaunlich gut, besser als die meisten Feindflieger, auf die die Angry Angels in letzter Zeit gestoßen waren. Und sie kämpften auch weiter, als einige Abfangjäger und Jagdbomber des Columbia-Geschwaders zu den hart kämpfenden Nighthawks und Griphen hinzu stießen. Allerdings war die Verstärkung nicht gerade frisch – manche der Einheiten hatten bereits Schäden erlitten, und die meisten hatten nur noch wenige oder gar keine Raumkampfraketen. Aber dennoch verschoben sie das Gleichgewicht zugunsten der TSN.

Es war Kano bisher nicht gelungen, einen zweiten Abschuss zu erzielen. Die meisten Schusswechsel waren nur schnelle Passiergefechte gewesen. In dem langsam expandierenden Gefechtsfeld aus umeinander tanzenden Jägern, Wrackteilen und explodierenden Raketen war es schwierig, sich auf einen einzelnen Gegner zu konzentrieren. Man musste nach allen Seiten aufpassen – von überall konnte ein anderer Feindjäger auftauchen, oder der Hilferuf eines Kameraden ertönen. Die modernen Raumjäger waren außerdem in der Regel gut gepanzert, und verfügten über leistungsfähige Schilde und Abwehrsysteme. Einen Abschuss zu erzielen war deshalb gar nicht so einfach. Vor allem wenn man alleine war, oder die Zusammenarbeit mit dem Flügelmann nicht perfekt klappte. Lone Wolf schien damit keine Probleme zu haben, aber den wütenden Befehlen Montys nach zu schließen, hatte der an Renegades Zuarbeit einiges auszusetzen. Auch wenn Crazy nicht unbedingt Kanos Traumpartner war, so war er doch froh, sich nicht mit dem Pandoraner abgeben zu müssen.
Kano hatte noch vier Raketen abgefeuert, und die Ergebnisse waren nicht gerade die erhofften gewesen. Jetzt hatte er nur noch zwei Flugkörper – Phoenix-Langstreckenraketen, die er zu Beginn der Raumschlacht nicht losgeworden war.

Im Augenblick kurbelten Kano und Crazy mit zwei angeschlagenen Bloodhawks herum, die sich offenbar auch schon verschossen hatten. Das Gefecht wurde ausschließlich mit den Bordkanonen geführt und die Chancen standen deutlich auf Seite der beiden TSN-Piloten. Die Bloodhawks waren zwar wendiger, aber schlechter gepanzert, armiert und mit schwächeren Schilden ausgestattet. Eine aus nächster Nähe abgefeuerte Salve würden sie wohl nur noch schwer wegstecken können.
Genau darauf hoffte und rechnete Kano. Er hatte sich bewusst als Köder angeboten, während Crazy sich kurzzeitig aus dem Kampf zurückgezogen hatte. Tatsächlich hatten die Akarii anscheinend angebissen, denn sie hatten sich sofort auf Kanos Jäger gestürzt. Sie waren allerdings keine Amateure, sondern gaben sich gegenseitig Deckung.
Ein paar Mal hatten sie Kanos Jäger ins Visier nehmen können, trotzdem der seine Maschine flog wie einen Abfangjäger. Die hinteren Schutzschilde der Nighthawk waren schon wieder auf unter fünfzig Prozent gesunken. Wenn er handeln wollte, dann musste er das jetzt tun. Ein prüfender Blick auf den Schirm, um zu sehen, wo Crazy momentan war…
Das Von-Bein-Manöver war bei den erfahrenen Piloten der TSN in den verschiedensten Abwandlungen und Modifikationen ziemlich beliebt, und inzwischen hatten die Akarii sich auch darauf einstellen und passende Abwehrmaßnahmen entwickeln können. Vielfach benutzten sie das Manöver sogar selber. Allerdings verwendeten nur wenige menschliche und akariische Piloten das Von-Bein ohne größere Not auf die Art und Weise, wie Kano es jetzt tat. Denn seine Variante war nicht nur verdammt riskant, sie verlangte zudem eiskalte Nerven und ein sehr sichere Hand für die Bordkanonen.

Die Nighthawk wirbelte mit Hilfe der Steuerdüsen um die eigene Achse, richtete ihren Bug auf die verfolgenden Feindjäger, während die großen Schubdüsen noch in der Drehung verstummten. Jetzt flog die Maschine rückwärts, auf eine Art und Weise, wie sie nur unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit möglich war.
Sobald ein melodischer Glockenton Kano davon informierte, dass seine Bordwaffen den Feind erfasst hatten, eröffnete er das Feuer. Die zwei Tachyonengeschütze und das etwas weniger durchschlagskräftige Paar Plasmakanonen waren auf diese kurze Entfernung von mörderischer Durchschlagskraft. Zwar eröffneten die beiden Verfolger ebenfalls das Feuer, aber sie waren überrascht und mussten zudem wissen, dass ein direkter Schlagabtausch mit einer Nighthawk ein gefährliches Spiel war. Außerdem hatte Kano jedes bisschen verfügbare Energie in die Bugschilde geleitet. Unter dem nur mäßig gut gezielten Sperrfeuer der beiden entnervten Bloodhawk-Piloten leuchteten die Schilde der Nighthawk zwar auf und verloren an Stärke, aber sie hielten.
Die beiden Bloodhawks rasten an dem pausenlos feuernden TSN-Jäger vorbei, zweifellos in der Absicht einzukurven und ihn von Hinten anzugreifen. Kano selber hatte ein ähnliches Manöver zu Beginn der Schlacht an einem Deltavogel durchexerziert. Deshalb wusste er auch, wie er zu reagieren hatte. Mittels der Steuerdüsen drehte sich die Nighthawk mit, als die beiden Akarii-Jäger sie passierten. Kano hatte dieses Manöver schon tausend Mal im Simulator absolviert und mehr als einmal im Gefecht angewendet. Inzwischen beherrschte er seine Maschine so gut, dass er auch bei dieser erneuten Wende sein Ziel nicht aus der Zielerfassung verlor. Die Finger um den Steuerknüppel und die Knöpfe der Bordkanonen verkrampft, ließ er das Feuer der Geschütze nicht abreißen, prasselte ein tödliches Tachyonen- und Plasmagewitter auf den feindlichen Jäger ein.
Die Heckschilde der Bloodhawk begannen zu flackern und brachen schließlich zusammen. Die pausenlos durch das All zuckenden Strahlenbahnen fraßen sich durch die Panzerung des Akarii, schlitzten die rechte Flanke der Bloodhawk auf. Der Jäger wurde aus seiner Bahn geworfen, geriet in eine unkontrollierbare Drehbewegung. Der Pilot betätigte den Schleudersitz, wenige Augenblicke bevor die Treibstofftanks des Akarii-Jägers explodierten.

Kano lächelte kalt und gab Vollschub, nahm die Verfolgung des verbliebenen Akarii auf. Gleichzeitig näherte sich auch Crazys Maschine mit Höchstgeschwindigkeit. Sie würden die Bloodhawk in die Zange nehmen, und sie würden…

Der Angriff erfolgte ohne Vorwarnung. In einem Augenblick war Crazys Jäger noch bei der Verfolgung des verzweifelt fliehenden Bloodhawk. Im nächsten Augenblick war er der Gejagte, als rings um ihn das All im Kreuzfeuer von zwölf Strahlenkanonen aufflammte. Wie aus dem Nichts waren sie aufgetaucht, zwei Akarii-Jäger der Delta-Klasse, und sie waren auf Blut aus.
Vielleicht hatte Crazy im letzten Augenblick ein Ausweichmanöver fliegen wollen, vielleicht war es auch eine Fehlfunktion der beschädigten Manöverdüsen – die Nighthawk überschlug sich förmlich, wie ein Läufer, dem man ohne Vorwarnung die Beine unter dem Leib weggetreten hatte.
Kano biss sich auf die Lippen, als er seine Maschine herumriss. Aber er wusste, dass er zu spät kam. ‚Steig aus! STEIG AUS, VERDAMMT!!’
Und tatsächlich, das Kabinendach öffnete sich, und der Pilotensitz schoss ins All davon, ließ ein hilflos durch das All taumelnde Wrack zurück. Die Akariis verschwendeten keine Zeit an ihren erzielten Abschuss, sondern peilten sofort ein neues Ziel an.

Kano hatte keine Wahl – ein Kopf-an-Kopf-Gefecht wäre Wahnsinn gewesen. Also wendete er, und schob den Nachbrenner-Hebel ganz nach Vorne. Die Maschine machte einen regelrechten Satz und beschleunigte auf Maximalgeschwindigkeit. Allerdings hatte dieses Manöver die Nighthawk auf Konfrontationskurs mit der verbliebenen Bloodhawk gebracht. Und die war diesmal offenbar entschlossen, nicht auszuweichen. Stattdessen eröffnete sie das Feuer.
Kano wusste, worauf der Akarii spekulierte. Wenn er jetzt ein Ausweichmanöver flog, dann würden die Deltavögel aufschließen können. Also hielt auch er seinen Kurs und drückte die Feuerknöpfe der Bordkanonen. Da die beiden Maschinen mit Höchstgeschwindigkeit flogen und keiner der beiden Piloten Zeit hatte, seinen Gegner voll ins Visier zu nehmen, war die Wirkung des Sperrfeuers allerdings nur gering. Die Schilde der Bloodhawk wurden geschwächt, aber nicht durchschlagen. Im Gegenzug schaffte es der Akarii aber immerhin, die Schutzschilde der Nighthawk kurzzeitig kollabieren zu lassen, bevor der TSN-Jäger ihn passiert hatte. Aber die Panzerung bewahrte Kano vor ernsten Schäden.
Der Akarii versuchte das Manöver Kanos zu kopieren und mit einem Von-Bein-Manöver seinen Gegner im Visier zu behalten. Aber dabei verschätzte er sich, gab einen kurzen Augenblick lang zu viel Schub, und der TSN-Jäger wanderte aus seiner Zielerfassung. Als der Akarii seinen Jäger wieder auf Kurs gebracht und Vollschub gegeben hatte, war die Nighthawk bereits außer Reichweite der Bordkanonen.

Kano war noch einmal entkommen, aber nicht ganz unversehrt – an der linken Tragfläche war seine Panzerung praktisch nicht mehr vorhanden. Ein Nahtreffer mit einer Rakete oder ein paar Lasergarben konnten ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Flügel stutzen. Seine Schildkapazität war auf dreißig bis vierzig Prozent gesunken und es sah nicht so aus, als würde er die Zeit haben, bis die Schilde wieder voll aufgeladen waren.

Ein Blick auf den Radarschirm zeigte ihm, dass die Bloodhawk darauf verzichtet hatte, alleine die Verfolgung aufzunehmen. Stattdessen hatte sie sich den langsameren Deltavögeln angeschlossen. Das war vielleicht nicht sehr heldenhaft, aber es war vernünftig. Alleine, mit einem angeschlagenen Vogel in diesem Hexenkessel, das war ein gefährliches Spiel. ‚Aber ein Spiel, das ich wohl vorerst spielen muss’. Am besten war, wenn er Anschluss an andere Jäger des Geschwaders suchte. Als er allerdings noch einmal einen Blick auf die Kennung der beiden Delta-Jäger warf, die Crazy zusammengeschossen hatten, stieß Kano leise die Luft aus. Es klang fast wie ein Zischen. Er kannte diese Maschinen. Das waren die beiden Überlebenden des Delta-Quartetts, das er und Crazy am Anfang der Schlacht dezimiert hatten. Offenbar hatten die Akarii die Gelegenheit genutzt, um die Rechnung wieder etwas auszugleichen. ‚Verdammte Hunde!’
Aber das brachte ihn nicht weiter. Auch wenn rings um ihn der Kampf tobte, ein paar Sekunden hatte er Ruhe, die er dazu nutzte, um sich über den Zustand der Schwarzen Staffel einen Überblick zu machen. Sie hatten bisher zwei Maschinen verloren – Marat und Crazy. Aber immerhin hatten die Piloten aussteigen können.
Kano hatte seine Entscheidung getroffen. Sie wurde erleichtert durch den Anblick einer einzelnen Nighthawk, die versuchte sich zwei Bloodhawks vom Hals zu halten. Offenbar hatte Red nach dem Verlust seines Flügelmanns ziemlich schnell Ärger bekommen. Der Pilot vom Mars war ein fähiger, aber nicht überragender Pilot, der sich mit Kurvenkämpfen manchmal etwas schwer tat. Das waren keine guten Vorraussetzungen für den Kampf mit zwei Bloodhawks.
Ein paar Augenblicke fürchtete Kano, dass er auch hier zu spät kommen würde. Aber offenbar war er nicht der einzige, der Reds Notlage bemerkt hatte. Gedeckt von Renegade flog Monty einen perfekten Überraschungsangriff und schoss eine der Bloodhawks ab. Die andere entkam.
Wie immer klang Montys Stimme leicht unterkühlt: „Ohka, was ist mit Ihrem Flügelmann?“
Kano hoffte, dass man ihm seine Zerknirschung nicht anhörte: „Musste aussteigen. Deltavögel.“
„Hm. Red, Sie schließen sich Kano an, verstanden?“
„Verstanden.“ Falls es den Marsianer wurmte, dass man ihm einem gleichrangigen Piloten unterstellte, dann ließ auch er es sich nicht anmerken. Aber Red ließ sich sowieso kaum aus der Ruhe bringen.
Auf einen knappen Befehl Montys hin formierten sich die vier Jäger und stürzten sich wieder in den Kampf.
Cattaneo
Ironheart

`Skunk hatte es erwischt, verflucht…`
Einen Augenblick wanderten seine Gedanken zu seinem Staffelführer und das Gefühl, das in ihm hochgestiegen war, als er gehört hatte, wie Skunk hatte aussteigen müssen. Dieser Schrei war ihm in Mark und Bein übergegangen und hatte ihn für einen kurzen Augenblick geschockt, doch jetzt hatte er sich wieder im Griff.
Aber was genau hatte ihn daran nur so geschockt? Er hatte in den letzten Jahren doch einige seiner Kollegen auf diese Weise aussteigen und sterben gehört, was war dieses Mal so anders? War es die Erinnerung an Radio, der der erste in diesem Geschwader gewesen war, den er so was wie einen Freund genannt hätte und dessen Schrei kurz vor seinem Tode ähnlich geklungen hatte? War es die Tatsache, dass Skunk trotz all seiner charakterlichen Defekte ein erstklassiger Pilot war und in den fast drei Jahren, die sie nun gemeinsam flogen, noch nie abgeschossen worden war? Oder war ihm dieses nervige, arrogante, großmäulige und handgreifliche Arschloch doch allen Ernstes auf eine vollkommen unerklärliche Weise ans Herz gewachsen?
Donovan wusste es nicht und jetzt war weder die Zeit noch der Ort, um sich zu viele Gedanken oder Sorgen um Skunk zu machen. Die Hölle würde diesen Bastard schon wieder ausspucken.
Donovan musste vielmehr selber zu sehen, das Fegefeuer in dem sie gerade steckten, zu überleben. Er hatte sich erst vor ein paar Minuten den zweiten Abschuss dieser Schlacht durch einen typischen Cunningham-Abstauber geholt, also in dem er einen nichts ahnenden und bereits angeschlagenen Gegner kaltblütig abgeschossen hatte. Dass er sich auf diese Art und Weise, die er sich tatsächlich bei seinem früheren Wingleader abgeguckt hatte, seinen insgesamt 19. Abschuss geholt hatte, ließ ihn zwar gedanklich ein wenig sauer aufstoßen, doch er verdrängte dieses Gefühl augenblicklich wieder. Durch diesen Abschuss hatten er und Fish aber zu ihrem Glück im Augenblick keine Jäger im Nacken und daher einen Moment Zeit das Schlachtfeld zu sondieren. Der Kampf war hart und die Verluste waren auf beiden Seiten erheblich, auch wenn es so schien, als würden die Angry Angels gegen die Eliteflieger der Korax ma Rah langsam und blutig die Überhand gewinnen. Doch irgendwo dort draußen war 2nd Lt. Harry „Cosmos“ Truman – Skunks Flügelmann – jetzt auf sich alleine gestellt und brauchte wahrscheinlich ihre Hilfe. Donovan durchsuchte seine Anzeigen so schnell er konnte.

„Cosmos von Noname, ich hab dich auf dem Schirm“ gab Donovan auf der staffelinternen Frequenz an „ wir kommen zu dir! Fish – Nachbrenner!!!“ Skunks Flügelmann war während des Gefechtes ein ordentliches Stück abgetrieben worden und nun mussten Noname und Fish schnellstens zu ihm aufschließen, um die Sektion wieder zusammen zu bringen.
„Noname, schnell, ich hab ZWEI Banditen auf der Pelle, ich wiederhole ZWEI…“ Cosmos Stimme klang schon panisch und Noname konnte es ihm nachfühlen. Er hatte seinen Wingleader und Staffelführer nicht schützen können und nun hingen ihm gleich zwei feindliche Jäger im Nacken. Für einen jungen und unerfahrenen Piloten war es da durchaus schwer, ruhig zu bleiben.
„Ruhig, Harry, ganz ruhig. Komm in Richtung Quadrant Beta-Vier, Fish und ich sind auf dem Weg! Fisch?“
„Ja, Boss?“ Noname war immer noch leicht irritiert, was ein einzelner Abschuss bereits für eine Gemütsänderung bei seinem Flügelmann ausgelöst hatte, war das Verhältnis zwischen ihm und seinem Flügelmann bislang doch immer mehr als unterkühlt gewesen.
„Nimm du den rechten Banditen, ich schnapp mir den linken, klar?“
„Aye, Sir!“ Gut, dieses `Sir` klang nun schon wieder ziemlich spöttisch. Es war also noch alles in Ordnung bei dem Jungen.
„Macht bitte schnell, meine Heckschilde sind nur noch bei 60 Prozent...“ ein lautes knirschendes Krachen im Funk kündete von einer nahen Raketenexplosion „… Shit, korrigiere 20 Prozent…“
„Alles klar, Harry, wir sind fast da, halt durch Junge, wir sind fast … da… nicht die Nerven verlieren.“ Donovan konzentrierte sich, während er sein Fadenkreuz über den von ihm aus linken Akarii-Jäger zu ziehen versuchte. Aber noch waren sie zu weit entfernt, als dass er eine saubere Zielerfassung bekommen konnte, auch wenn sie sich mit enormer Geschwindigkeit aufeinander zu bewegten und die Entfernung damit rapide abnahm. Außerdem flog Cosmos so wilde Schleifen, um den Strahlenkanonen seiner Verfolger auszuweichen, dass sein Icon sich immer wieder über das der Akariis legte und eine Zielerfassung somit fast unmöglich machte. Donovan behielt den Entfernungsmesser im Auge und berechnete im Kopf den richtigen Zeitpunkt.
`Noch ein Stück, noch ein Stück, mein Junge, halt aus…` Dann war der richtige Abstand fast erreicht.
„Cosmos, wenn ich von fünf runterzähle, brichst du mit dem durchgedrücktem Nachbrenner 90 Grad nach `oben`, verstanden?“
„Alles klar.“ kam ein verzweifeltes Keuchen, doch Donovan hatte schon zu Zählen begonnen. „Fünf, vier, drei, zwei, eins, jetzt…“
Cosmos jagte den Nachbrenner rein und schoss von Noname und Fish aus gesehen nach `oben`. Jetzt war sein Icon nicht mehr auf den beiden Akarii, sondern die beiden Jäger, die Cosmos Kurswechsel kurz darauf kopierten, bildeten nun zwei klare Ziele. Offensichtlich hatten sie die sich nähernde Gefahr noch nicht erkannt. Fast unwillkürlich fletschte Noname die Zähne. Dann pulsierte seine Zielerfassung und Fish meldete gleichzeitig ein „Ziel erfasst“.
Das bedeutete in diesem Augenblick, dass es im Cockpit der beiden Akarii hellauf klingeln musste. Der rechte der beiden Jäger brach auch sofort weg, der linke blieb an Cosmos dran und feuerte weiter mit seinen Strahlenkanonen. Entweder war dieser Pilot abgebrüht oder einfach nur dumm. Während Donovan eine seiner Sparrows scharf machte, funkte er seinen Flügelmann an.
„Fisch, bleib an deinem dran, lass dich aber nicht zu weit wegtreiben, klar?“
„Aye, Boss.“
„Und viel Glück bei der Jagd.“ Dann meldete ihm seine Sparrow, dass sie das Ziel erkannt und gespeichert hatte.
„Fox one…“ Die Rakete war auf dem Weg und jetzt brach die Deathhawk schließlich doch noch weg. Offenbar hatte der Pilot sich auf die Agilität seines Jägers verlassen und versuchte nun der heranjagenden Rakete zu entfliehen.
Noname wollte sich schon an dessen Verfolgung machen, doch in diesem Augenblick klingelte sein eigenes Alarmsystem gellend auf. Jetzt war er selbst erfasst worden, aber von wem? Das konnte doch unmöglich schon Fischs Gegner sein? Instinktiv und blitzschnell brach er die Verfolgung des Deathhawk ab, zog ansatzlos ein Von-Bein-Manöver durch und hielt fast gleichzeitig Ausschau nach seinem neuen Gegner, der aufgrund dieses rasanten Manövers keine Chance hatte eine saubere Zielerfassung zu bekommen.
Mit grimmigem Blick erkannte er, dass zwei weitere Deathhawks sich an sie angeschlichen hatten, während er denselben Trick benutzt hatte um Cosmos aus der Patsche zu helfen. Nun brauchte er selbst Hilfe.
„Cosmos, Fisch, zu mir, rapido…“
Donovans Entscheidung war nicht aus Sorge um sich selbst gefallen. Doch wenn sie es nun mit vier Gegnern zu tun hatten, mussten sie zusammen vorgehen, sonst würden sie einzeln geschlagen werden.
„Och menno…“ maulte Fisch, doch er führte den Befehl aus. Donovan hatte inzwischen ein paar Salven mit den neuen Gegnern ausgetauscht, die sich wiederum mit ihren zwei Kameraden zu vereinigen suchten. Als sich beide Seiten gefunden hatten, ließ Noname einen schnellen Scan über seine Gegner fliegen, während beide Jägergruppen vorsichtig umeinander kreisten. „Gut Jungs, die D-1 ist angeschlagen, D-2 hat keine Heckschilde mehr. Die beiden neuen Spieler sind noch relativ unbeschadet, aber alle vier scheinen schon einen Großteil ihrer Raketen verfeuert zu haben. Fisch, Cosmos, ihr nehmt euch D-3 und D-4 vor, ich halte die beiden anderen in Schach.“
„Den größten Spaß immer für den Chef, was?“ gab Fish wieder ungefragt von sich, doch Noname ließ diesen Anflug von Euphorie durchgehen. Gerade als sie auf die gegnerischen Jäger eindrehten, geschah aber etwas Überraschendes. In einer simultanen Aktion drehten sich alle vier Jäger ab, aktivierten die Nachbrenner und jagten in Richtung ihres Mutterschiffes davon. „Was zum Henker…?“ plapperte Fisch, doch noch bevor er zu Ende sprechen konnte, hatte Noname schon den neuen Kurs der feindlichen Jägersektion erkannt und ging sofort dazwischen.
„Fisch, Cosmos, Nachbrenner an, die wollen unsere Bomber holen.“ Die Crusader waren im Moment im Anflug an die Korax und waren im Moment dieses allgemeinen Chaos besonders verwundbar. Sie mussten unter allen Umständen geschützt werden, damit sie ihre Mission erfüllen konnten. Er preschte jetzt vorneweg, während seine beiden Flügelmänner mit Abstand folgten. Noname funkte die Bomberstaffeln als Warnung an, dass vier Jäger auf dem Weg zu Ihnen waren und dass er und seine Leute sie wohl nicht einholen konnten. Dann legte er sein Fadenkreuz über die bereits beschädigte Deathhawk, doch sie war zu weit weg für seine Sidewinder. Er wechselte auf seine Sparrow, und in diesem Augenblick flog einem der vor ihm fliegenden Deathhawks der Nachbrenner um die Ohren. Blitzschnell wechselte Donovan das Ziel, erfasste den schnell näher kommenden, weil jetzt langsameren Jäger und jagte ihm seine Sparrow hinterher. Der Pilot reagierte und drehte wild kurbelnd ab. „Lasst ihn.“ gab Donovan Anweisung an seine beiden Flügelmänner, nur um sicher zu gehen, dass diese nicht auf dumme Gedanken kommen und ihn verfolgen würden. Dann legte Donovan erneut seine Zielerfassung über den beschädigten Deathhawk, und kurz nachdem er abdrückt hatte, schien alles ganz schnell zu gehen - zumindest war es Donovan so vorgekommen. Erst drehten die Crusader der Angry Angels bei, nachdem sie ihre tödliche Ladung abgeworfen hatten, dann kam die Bestätigung über Jors Abschuss über die Geschwaderfrequenz. Und kurz bevor Nonames Rakete den vor ihm fliehenden Jäger zerfetzte, ging die Korax ma Rah in einem gigantischen Feuerball unter und die zwei übrig geblieben Jäger drehten von den Bombern ab, um sich mit ihren verbliebenen Kameraden zu vereinigen. Während Fish und Cosmos jubelten, dachte Noname – dem der Echsenprinz herzlich egal war, es sei denn er hätte ihn selbst vor der Flinte gehabt – dass es mal wieder eine Ironie des Schicksals war, dass von seinem 20ten Abschuss keiner wirklich Notiz genommen hatte. Einen Augenblick schien die Bitterkeit in seinem Herzen wieder Überhand zu nehmen, doch er unterdrückte dieses Gefühl.
Nein, er durfte diese Empfindung nicht gewinnen lassen, er hatte sich zu lange davon vergiften lassen. Er hatte seine Aufgabe getan, seine Pflicht erfüllt wie Kano sagen würde. Und er hatte diese Schlacht bis jetzt überlebt, was heute wahrlich nicht allen Angry Angels vergönnt gewesen war.
Nun musste er nur noch zusehen, seine Sektion heil zur Columbia zurück zu bringen.
Und er fühlte, dass das schwerer werden würde, als sich die beiden Jungspunde vielleicht dachten.
Cattaneo
Ace

„DISZIPLIN!“, gellte Nasaharis lauter Ruf durch die Zweitbrücke. „Wir übernehmen sofort die Kommandofunktionen! Mr. Davis, führen Sie den letzten Befehl des Skippers aus und detachieren Sie einen Teil des Feuers auf den Golf! Erhöhen Sie die Dosis, je näher wir ihm kommen!“
„Aye, Sir!“
„Miss Denge, ich will permanent über den Zustand der KAMI informiert werden! Und ich erwarte, dass die Leckteams auf Zack sind!“
„Aye, Sir, aber sollten wir nicht zuerst in Erfahrung bringen, was mit der Brücke los ist?“
„Überlassen Sie das den Leckteams! Im Moment ist die Brücke offline und abgeschottet. Mehr brauchen wir jetzt nicht zu wissen!“
Wie zur Bestätigung ging ein schrilles Kreischen durch das Schiff, als der modifizierte Ticonderoga getroffen wurde.
„Nur Partikeltreffer, keine Atomraketen“, meldete Chausiku Denge erleichtert. „Aber wir haben Vakuumeinbrüche in fünf Sektionen, zwei davon in der Nähe der Zentrale.“
„Mr. Spader, rollen Sie das Schiff! Wir brauchen unbelastete Schirmsegmente in Angriffsrichtung!“
„Aye, Sir!“
„Wie sieht es mit der DAUNTLESS aus?“
„Sie fängt mehr ab als sie einsteckt und bleibt knapp hinter uns.“
„Mr. Spader, versuchen Sie, ihr ein wenig Deckung zu geben, aber ohne sie mit Gewalt in unseren Triebwerksstrahl zu drücken.“
„Aye, Skipper!“
Für einen Moment sah der Offizier für Funk und Ortung überrascht in Richtung des Piloten. Dann seufzte er tief. „Für das Protokoll. Ich übernehme hiermit das Kommando über die KAMI.“
„Aye.“
„Und, Mr. Davis, feuern Sie jede verdammte Waffe ab, sobald wir die Maximalreichweite unterschritten haben. Den ganzen Pulk alleine vernichten können wir eh nicht. Wir müssen sie nur etwas binden, damit Commodore Mithel aufholen kann!“
„Aye, Sir.“
Nasahari sah seine Stellvertreterin an. „Sie übernehmen meinen Job, Miss Brown.“
„Aye, Sir.“
Der Inder aktivierte neue Schirme und sichtete die eingehenden Daten.
Die Hauptbrücke war immer noch off, sämtliche Anzeigen für den Bereich waren tot.
Natürlich waren Schadensteams bereits auf dem Weg, aber Nasahari machte sich Sorgen darüber, WAS den Totalausfall auf der Brücke verursacht haben konnte.
Der Mann vom Ereudyke-Nebel galt als mit unglaublich viel Glück gesegnet, was man von seinen Vorgesetzten meistens nicht sagen konnte. Aber der Inder wusste nicht, ob die Beschädigungen in den Sektionen oberhalb der Brücke ein so gutes Zeichen waren.
Verdammt, wie hatte Schneider das tun können? Wie hatte Schneider ihm diesen wahnwitzigen Angriff überlassen können?
Er konnte überhaupt froh sein, dass er zu den Junioroffizieren auf der Zweitbrücke so ein gutes Verhältnis hatte und dass sie ihm zumindest im Moment gehorchten. Genauso gut hätte es auch eine Hysterie geben können, oder ein spontaner Versuch der Versammelten, auf die Hauptbrücke zu kommen. So vieles war möglich, und er sah es als dankbaren Wink der Götter an, dass sie stattdessen weiterkämpfen konnten.
„Achtung!“, meldete Margaret Brown, „PROMMA MAKI, Yankee einhundertsieben und Kilo fünfhundertachtzig gieren in unseren Kurs! PORTEEN, ARRAN DA LOXAR, ADURN, FIRGO und Kilo fünfhunderteinundachtzig laufen weiter auf Kurs!“
„Sie versuchen uns mit den Milizschiffen wegzudrücken, eh? Nicht mit mir, Leute, nicht mit mir! Mr. Davis, ist die ARRAN DA LOXAR in Reichweite unserer Waffen?“
„In zehn Sekunden, Sir!“
„Gut. Feuern Sie alles was Sie haben auf diesen verdammten Golf, haben Sie mich verstanden? Ignorieren Sie die in unsere Richtung detachierten Kreuzer!“
„Sir, ich…“
„Verdammt, Ian, wir sind sowieso im Arsch! Knipsen wir ihnen wenigstens den Golf weg!“
Wieder ging ein Kreischen durch das Schiff. „Wir haben die Außenschilde verloren! Weitere Vakuumeinbrüche von Alpha bis Charly, von Foxtrott bis Hotel! Zwei Exocet-Werfer wurden zerstört, ein leichter Werfer offline! Feuer im Bug, ich wiederhole, Feuer im Bug!“
Ian sah den Inder ungläubig an. Dann nickte er ruhig. „Aye, Sir! Die Schuppenärsche werden gar nicht wissen, was da über sie gekommen ist.“
„So will ich Sie hören, Mr. Davis! Und jetzt verkaufen wir unsere Haut so teuer wie möglich!“

***

Aus dem All betrachtet sah man nicht besonders viel, die Entfernungen im modernen Raumkampf waren zu gewaltig, um die einander bekämpfenden Schiffe direkt zu sehen. Aber die Explosionen der abgeschossenen Raketen, die Explosion derer die durchgekommen waren und das Wirkungsfeuer, das von den Schilden geschluckt wurde, waren deutlich und über zehntausende Kilometer zu erkennen.
Wenn man jedoch etwas mogelte und die Perspektiven und Entfernungen verzerrte, dann konnte man sehen, wie ein Yankee und zwei Kilo ausscherten und sich der KAMI und der DAUNTLESS in den Weg stellten. Die drei Schiffe schossen so schnell es die Werfer hergaben ihre Raketen ab und ließen das Energiewaffenfeuer dichtauf folgen.
Die meisten Energiewaffentreffer schluckten die Bugschilde der KAMI, das Gros der Raketen wurde vom Mk2-System der DAUNTLESS abgefangen. Ein Teil der Raketen schlug in die Schilde des Flakkreuzers, der wesentlich kleinere Teil zerfetzte die Schilde der KAMI.
Aber die agilen Reaktoren akariischer Bauart liefen auf Volllast und die mächtigen Schilde fuhren öfter und schneller wieder hoch als terranische Modelle, nachdem sie zerschlagen worden waren, und retteten das Schiff vor den stärksten Schlägen. Noch.
Dennoch tobte in dem Ticonderoga bereits Brände, Teile der Außenhülle waren abgesprengt worden und manche Bereiche glühten tiefrot durch die Trefferwirkung.
Wieder feuerte die KAMI ihrerseits eine Salve mit den verbliebenen Waffen ab, während Abwehrraketen von KAMI und DAUNTLESS aufstiegen, um die gegnerischen Raketen abzufangen. Automatische Railguns streuten ihre Laserimpulse, um Antischiffsraketen in letzter Sekunde abzufangen und riskierten damit, dass ein Teil der Explosionskraft dennoch auf die Schilde durchschlug.
Die DAUNTLESS wurde etwas öfter getroffen als die KAMI, und das lag daran, dass die Abwehrsysteme mehr für den Ticonderoga arbeiteten als für den Flakkreuzer.
Als sich dann die ARRAN DA LOXAR an den detachierten Kreuzern vorbei schob, konzentrierte sich das Feuer der KAMI ganz auf den Trägerkreuzer, während zugleich die beiden Kilos und der Yankee auf das brennende Schiff einschlugen.
Die schweren Partikelwerfer feuerten Salve auf Salve auf das passierende Schiff ab, die Schiffsraketen ignorierten die anderen Ziele und gaben dem Golf-Kreuzer ordentlich zu tun.
Zugleich aber waren da immer noch ein Yankee-Klasse und zwei Kilo-Klasse, die mit ihrer weit überlegenen Feuerkraft auf den schweren Kreuzer einhämmerten.
Er war mit Akarii-Waffen und Akarii-Schilden modifiziert worden, aber selbst die hielten nicht ewig, sonst hätte ein Krieg gegen dieses Echsenvolk von Anfang an keinen Sinn gemacht.
Die zusammengewürfelte Mannschaft leistete auch ohne ihren Kapitän Bewundernswertes. Zusammengezogen aus vielen Bereichen der Zweiten und der Ersten Flotte waren sie allesamt Könner, Spezialisten und ausdauernde Arbeiter. Zwar arbeiteten und trainierten die Crewmitglieder der KAMI erst wenige Monate zusammen, aber auf ihren persönlichen Gebieten waren sie weit über Durchschnitt.
Die Ingenieure und Techniker im Maschinenraum wandten Dutzende Kniffe an, um ihre Maschinen am laufen zu halten, die Waffentechniker und Bordschützen kitzelten aus jeder Waffe noch ein wenig mehr Leistung heraus und die Schadensteams taten ihr Möglichstes, um vom Vakuumeinbruch bedrohte Sektionen zu sperren und die sich ausbreitenden Brände unter Kontrolle zu kriegen. Nicht selten und wenn sich die Gelegenheit bot, öffneten sie Schotte zu Sektionen, die bereits vom Vakuum leer gesagt worden waren, und brachten so einige der Brandherde unter Kontrolle – während zugleich das Schiff unter schwerstem Feuer lag.
Und auf der Krankenstation lief all das zusammen, was nicht mehr in der Lage oder zu kraftlos war, um noch um das Schiff zu kämpfen. Die Ärzte und Pfleger lagen im erbitterten Kampf um jedes Leben, auch wenn der nächste Treffer das Schiff in eine halbe Million Fetzen schießen konnte.
Die DAUNTLESS hielt sich die ganze Zeit an der Seite des Ticonderoga. Es wäre vielleicht vermessen zu behaupten, dass Gonzales das größere Schiff nicht als Deckung benutzte, aber er und seine Crew taten auch genügend dafür. Gegen Energiewaffen konnten sie naturgemäß nichts ausrichten, aber den Kampf gegen die Raketen gewannen sie oft genug.
Dann verebbte das Feuer an Anti-Schiffsraketen auf beiden Seiten, weil sie einander zu nahe waren, um Atomraketen gefahrlos einsetzen zu können.
Und nur wenige Sekunden später hatten DAUNTLESS und das, was von der KAMI übrig geblieben war, den feindlichen Pulk passiert.

***

Es war als erwache Huntress aus tiefer Trance. Sie sah sich für ein paar Augenblicke selbst zu, als wäre sie weit, weit weg. Sie sah einen Deltavogel unter dem Feuer ihrer Falcon kollabieren, nur Augenblicke später lagen ihre eigenen Hände um die Steuerung und der Jet gehorchte ihr wieder.
„Das war es, Blauer Leader! Wir schmeißen jetzt unsere Eier und machen uns dann davon. Danke, dass Sie auf uns aufgepasst haben.“
Huntress wollte antworten, etwas erwidern, aber zuerst kam nur ein raues Würgen über ihre Lippen. „Gern geschehen, Bronze Leader. Gute Jagd.“
Für einen Moment zitterten ihre Hände, deshalb achtete sie nicht wirklich auf den Angriff auf die KORAX. Sie hatte Annegret Lüding verloren. Sie hatte Daniel Miller verloren. Vor ein paar Sekunden war dann auch noch Eleni Sourakis gezwungen gewesen, mit ihrer Mühle nach Hause zu schleichen. Und Chip hatte ebenfalls zwei Verluste gehabt. Es sah so übel aus, so verdammt übel.
Dann war diese elende Meldung gekommen, dass Skunk und Lightning abgeschossen worden waren. Sie gab nichts auf den arroganten, selbst zentrierten Piloten mit seiner Passion, hauptberufliches Arschloch zu sein. Aber Lightning, das war ein ganz anderes Blatt. Lightning war eine Freundin, eine große Schwester. Lightning war Familie. Musste denn alles Üble immer so ausgehen?
Der laute Jubel ließ sie aufsehen. Er kam über die Staffelfrequenz und über die Geschwaderfrequenz. Ihre Augen suchten den Lageschirm.
Für einen Moment stockten ihr der Atem und das Herz. Die KORAX MA RAH war nicht mehr auf den Anzeigen! Dann erfolgte die offizielle Einspielung vom CIC der COLUMBIA.
Der verlorene Kontakt wurde nun als versenkt bezeichnet.
Sie fühlte sich erleichtert, unendlich erleichtert. Endlich war das vorbei. Endlich hatten sie den verdammten Kahn vernichtet. Und auch wenn eine Menge Raummatrosen und Techniker dabei umgekommen waren, das Ding war endlich Geschichte. Mit ein wenig Glück Jor auch.
Und dann würde sich beweisen, ob Chip in seiner Kolumne Recht behielt und der Tod des Kronprinzen auch den Krieg tötete.
Huntress straffte sich. Die KORAX war Geschichte. Aber der Kampf war noch nicht vorbei, noch lange nicht. „Hergehört, Ladies, die Echsen haben jetzt keinen Platz zum landen mehr, also werden sie besonders bissig sein! Also achtet auf eure Ärsche, ja?“
Zum trauern und zum aufräumen würde später noch Zeit sein. Wieder einmal. Später, die Scherben auflesen und weitermachen. Wie immer.

***

„Verdammt, Leth, brich weg!“
Alles Rufen half nichts. Die Nighthawk der jungen Frau zerstob in einer kurzen Explosion, als die Tanks hoch gingen. Sie hatte sich zu sehr auf ihren sicheren Abschuss gefreut und dabei nicht auf das geachtet was hinter ihr lag.
„Sie ist ausgestiegen, Ace“, sagte Artist mit zittriger Stimme. Seit der Träger dahin war, attackierten die Echsen wie von Sinnen. Vor Leth hatte es Trajan erwischt, und von dem wusste ich nicht einmal, ob er es überhaupt raus geschafft hatte.
Bei den anderen Sektionen sah es nur unwesentlich besser aus. Noname hielt seine beiden Flügelmänner gut beisammen, aber die zweite Sektion war nun auf einen Wing zusammen geschrumpft.
Mein Magen rebellierte, wenn ich an den Grund dachte. Die Echsen nahmen wirklich unsere Anführer als erstes aufs Korn. Sie hatten Kali erwischt, eiskalt und knallhart.
Ich biss mir bei diesem Gedanken auf die Lippe, und der salzige Geschmack in meinem Mund sagte mir, dass ich sie bereits durchgebissen hatte. Und das sehr, sehr tief.
Verdammt, Kali! Warum Kali? Meine Hände wagten es nicht zu zittern, aber sie lösten sich auch nicht von den Sticks. Warum Kali? Ich konnte nur hoffen, nur inständig hoffen, dass es ihr gelungen war auszusteigen. Vielleicht hatte ja etwas von dem Glück, dass Ohka in solchen Situationen zu haben pflegte, auf sie abgefärbt.
Damit war ich seit zehn endlos langen Minuten der Anführer der Roten Staffel. Glückwunsch, Clifford Davis, eine eigene Staffel. Und wenn ich nur lang genug wartete, kam sicherlich auch noch das Geschwader dazu. Vorausgesetzt ich lebte so lange.
„Mantis, Hacker, seid Ihr endlich da?“
„GAZ elf Sekunden, Boss. Ist nicht ganz leicht, in diesem Pulk zu dir durchzukommen.“
„Wieso muss Noname nicht auch zu dir rüberkommen? Wieso darf er mit seinen beiden Kids alleine fliegen?“
„Weil er auf die beiden Kids aufpasst. Und ich muss jetzt auf euch aufpassen. Das schließt dich mit ein, Artist.“
„Was? Aufpassen oder aufgepasst werden?“
„Letzteres.“
„Danke. Ich fühle mich gleich viel sicherer.“
Ich runzelte die Stirn, blinzelte, und biss mir wieder auf die Lippe. Erst Skunk, dann Kali.
Aber was hatte ich erwartet? Das war die KORAX MA RAH! Eines der besten Schiffe, über die unsere Feinde, die Akarii verfügten. Ich hatte gewusst, dass es anstrengend werden würde, ja, blutig. Aber ich hatte nicht erwartet, dass es so viele unserer erfahrenen Leute erwischen würde.
Es war arrogant von mir, dass ich mir diese zynische Denkweise zu Eigen gemacht hatte, aber manchmal dachte ich, dass vor allem die Newbies starben und die Alten, die mit der Erfahrung, durchkamen. Meistens war das auch so, aber diesmal hatten die Asse der Akarii zuerst die Asse der Menschen aufs Korn genommen.
Sollte ich mir jetzt also was drauf einbilden, dass ich nicht abgeschossen worden war? Sie hatten es versucht, aber ich flog noch immer, wenngleich die Raketen abgeschossen waren und mein Sprit sich dem Reservebereich näherte.
Aber ich flog, ich lebte noch, und zwei Drittel meiner Bordwaffen war feuerbereit. Ich war immer noch ein bissiger Gegner.
„Haben die genug? Ich habe keine Anzeigen mehr in Nahreichweite.“
„Ich checke das.“ Mit Gewalt löste ich die Linke von den Sticks und erweiterte die Ortungsanzeige. Da war noch was, aber auf Fluchtkurs. Ich erweiterte noch einmal und sah die ganze Wahrheit. Sein Ziel war der Golf, der im Pulk der anderen Akarii-Schiffe aus dem System schlich.
„Wir bleiben in Alarmbereitschaft. Erlaubnis erteilt für aktive Ortung.“
Es konnten immer noch ein paar oberschlaue Schuppentypen hier auf der Lauer liegen und auf ihre Gelegenheit warten, schnell und überraschend zuzuschlagen. Da ein Golf nicht unbedingt so viel Landemöglichkeiten wie ein Uniform bot, konnte es durchaus sein, dass der eine oder andere Pilot auf diese Weise hoffte, einen ehrenvollen Sieg in dieser grandiosen Niederlage zu erzielen.
Aber die aktiven Signale ergaben nichts, nicht einmal Trümmer des nahen, zum Wrack geschossenen Trägers.
„Roter Leader von Big Basket, kommen.“
Ich räusperte mich ein paar Sekunden, bevor ich mich melden konnte. Es fühlte sich an wie Blasphemie, dass ich mich anstelle von Kali meldete, aber Job war Job und Schnaps war Schnaps. „Roter Leader hier.“
„Bestätigen Sie, dass Sie keine Gegner in der Ortung haben, roter Leader.“
„Big Basket, bestätige, dass wir keine Gegner in der Ortung haben.“
Ein erleichtertes Aufatmen klang über die Leitung auf. „Dann war es das wohl erstmal. Bringen Sie Ihre Staffel näher an die COLUMBIA und bleiben Sie auf Abfangposition, bis wir die Landebahn wieder freigeräumt haben. Ein Tankshuttle und ein Munitionsshuttle werden bereit stehen.“
„Was ist mit der Landebahn?“, fragte ich mit der kreatürlichen Angst jedes Piloten, plötzlich nicht mehr landen zu können.
„Monty ist gecrasht. Seine Nighthawk liegt über der ganzen Strecke verteilt. Wir melden uns, wenn es wieder weitergeht, Roter Leader.“
„Bestätigt, Big Basket.“
Ich seufzte und legte eine Hand auf meinen Helm. Verdammt! Diese Schlacht kostete uns eine Menge guter Piloten! Wenigstens hatte ich noch nichts negatives über Huntress gehört, aber zwei Staffelführer, ein XO und dann auch noch der Geschwader-XO waren ein übler Aderlass, der wirklich, wirklich wehtat. Zudem wusste ich noch nicht einmal, wie es bei den Bombern und den Jagdbombern aussah. Auch dort dienten einige der ältesten und erfahrensten Piloten des Geschwaders.
Der antike Feldherr Phyrrus sollte einmal gesagt haben: Noch so ein Sieg und wir sind verloren.
Er bezog sich damals auf den Verlust an Soldaten und Material.
Und so kam es mir auch diesmal vor. Viele fähige Piloten hatten diese Schlacht nicht beendet, manche von ihnen waren vielleicht tot, einige sicherlich.
Noch so ein Sieg, und es würden nur noch Grünschnäbel für die COLUMBIA fliegen.
Für mich beschloss ich, dem ersten Flottenheini eine reinzuhauen, der mich zum großartigen Sieg beglückwünschte.
Cattaneo
Tyr

An Bord der Korax ma Rah herrschte das wohl vertraute Chaos, das mit der Führung einer Schlacht verbunden war. Die Sturm-, Abfang- und Überlegenheitsjäger starteten im Sekundentakt, während andere Maschinen noch betankt und mit Raketen bestückt wurden.
Dennoch, Morvan Telas, der Kommandeur der Jagdbomber und Bomber, fühlte mit dem Instinkt des alt gedienten Veteranen, dass diesmal alles anders, nichts wie früher war.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Sie hatten geglaubt, das Schicksal einer Galaxie in den Händen zu halten. Und dann war es ihnen entglitten, hatte sich gegen sie gewandt. Längst vergessen waren die Triumphe des ersten Kriegsjahres. Zu viele seiner Männer kannten nur noch den bitteren Geschmack der Niederlage. Seit Jahren war die als unbesiegbar geltende Flotte des Akarii-Imperiums auf dem Rückzug, geschlagen ausgerechnet von einer Rasse weichhäutiger Emporkömmlinge, die niemals zuvor einen richtigen interstellaren Krieg geführt, geschweige denn gewonnen hatten.

Morvan Telas hatte den Krieg vom ersten Tag an mitgemacht. Zweimal war er abgeschossen worden. Elf feindliche Kampfflieger und eine beachtliche Anzahl Frachter waren ihm zum Opfer gefallen, und er hatte aufgehört zu zählen, wie viele Angriffe er auf feindliche Kriegsschiffe geflogen hatte. Doch jetzt war er müde. Und er wusste, dass das auch für die Männer und Frauen unter seinem Kommando galt. Die Bürde der Verantwortung lastete schwer auf dem Mann, der die Bomber und Jagdbomber der Korax befehligte. Und niemals zuvor war die Last so schwer gewesen wie Heute.

Die wochenlange Flucht durch ein halbes Dutzend Systeme hatte der ohnehin angeschlagenen Moral der Piloten nicht gut getan. Dass der Oberbefehlshaber der Flotte – nicht zum ersten Mal – vom Schlachtfeld flüchten musste, war schon schlimm genug. Aber dieses scheinbar ziellose Systemhüpfen und das Wissen, dass feindliche Einheiten sie tief im ehemaligen Akarii-Hinterland verfolgen konnten, dass ein einzelner menschlicher Trägerverband hier anscheinend ungestraft operieren durfte, zeigte nur noch einmal überdeutlich die Ohnmacht der kaiserlichen Flotte.

Die Bomber- und Jagdbomberverbände der Korax ma Rah waren auch materiell nicht im besten Zustand. Die zunehmend defensive Rolle, in die die Akarii-Flotte gedrängt worden war, hatte dazu geführt, dass die Anzahl der an Bord befindlichen Bomber und Jabos schrittweise reduziert wurde. Und in den vergangenen Wochen war es Morvan Telas nicht gelungen, die Verluste der letzten Wochen zu ersetzen. Er hatte sogar einige moderne Maschinen an die Piloten der Deltavogel-Staffeln abgeben müssen, die Ersatz für abgeschossene Maschinen brauchten. Diese verdammten Hunde! Aber da Prinz Jor sich selber als Jagdflieger sah und gerade die feindlichen Kampfflieger ein immer wieder beschworener Schrecken waren, hatte Morvan Telas klein beigeben müssen.
Momentan verfügte er nicht einmal mehr über zwei volle Staffeln, und die Maschinen unter seinem Kommando war ein Sammelsurium der verschiedensten Modelle.
Sieben Avenger waren alles, was von der schweren Bomberstaffel des Trägers übrig geblieben war. Bei den Jagdbombern sah es immer noch, trotz der erzwungenen Abgabe, etwas besser aus. Morvan Telas fünf beste Piloten und er selber flogen Doomhammer-Jagdbomber. Diese Maschine war erst im Verlauf des Krieges in Dienst gestellt worden und deklassierte nach Morvan Telas Meinung sämtliche vergleichbaren Modelle der Akarii und Menschen. Sie verbanden die Agilität und Schnelligkeit eines Jägers mit der Feuerkraft eines Schlachtfliegers UND eines schwer bestückten Jagdbombers – sechs schwere Bugkanonen und bis zu achtzehn Raumkampf- oder vier Schiffs-Schiffs-Raketen machten den Doomhammer zu einem Gestalt gewordenen Albtraum für so ziemlich jeden Gegner.
Die sechs Raptor-Jabos unter seinem Kommando konnten da nicht ganz mithalten. Aber sie waren immer noch gute Maschinen, auch wenn die neuen Thunderbolt-Jäger der Menschen deutlich besser waren.
Und dann war da noch ein einzelner Rex-Schlachtflieger. Diese Maschine, der Vorläufer sowohl des Raptors wie des Deltavogels, war inzwischen ziemlich veraltet. Er konnte gerade mal eine einzige SSM tragen. Normalerweise verwendeten nur noch Garnisons- und zweitrangige Einheiten dieses Modell. Aus genau dieser Quelle hatte Morvan Telas diesen Jabo auch organisiert. Bettler konnten nicht wählerisch sein – es war unmöglich gewesen, eine modernere Maschine zu bekommen. Der Kommandant des ECM/Flugdeckkreuzers Arran da Loxar hatte sich strikt geweigert, einige seiner Jagdbomber abzugeben. Auch die drei Ersatzmaschinen, über die Morvan Telas verfügen konnte, waren Rex-Schlachtflieger. Ein weiterer Beweis, wie es um die Flotte bestellt war.

Und am Ende war die reichlich kopflose Flucht, das erbärmliche Versteckspiel, sinnlos gewesen. Schlimmer noch, die Moral war gesunken, und statt sich in einem gut befestigten System mit der Unterstützung der Garnisonsverbände zu stellen, waren sie jetzt auf sich alleine gestellt, gegen einen überlegenen Gegner, der offenbar vorhatte, die Korax ma Rah-Kampfgruppe einzukreisen. Wenn den Menschen das gelang…

All das war für Morvan Telas bewusst. Er wusste auch, wie ihre Chancen standen.
Die krampfhaft wirkende, laut heraus gebrüllte Kampfbereitschaft der Reaper-Piloten konnte ihn nicht täuschen. Sogar die Piloten der leichten Abfangjäger, die aus ihrer Todesverachtung einen regelrechten Kult machten, hatten die Zeichen erkannt.

Aber dennoch konnte er den Befehl nicht recht glauben, mit dem er endlich starten sollte. Wollte ihn nicht glauben: „Sie wollen…?!“
Der Erste Offizier der Korax ma Rah nickte knapp. Es hätte Morvan Telas sofort klar sein müssen, dass man für einen normalen Einsatzbefehl kein Mitglied der Kommandocrew geschickt hätte. Die Stimme des Flottenoffiziers klang gepresst, aber entschlossen: „Das ist jetzt unsere einzige Chance. Wenn die Menschen uns in die Zange nehmen, wenn ihre Kreuzer voll aufschließen können…“
„Das weiß ich selber! Aber warum befehlen Sie dann nicht einen Großangriff auf den Träger?“
„Wir haben niemand mehr, der Ihre Einheit eskortieren könnte. Unsere Jäger stehen im Abwehrkampf. Es hat bereits die ersten Ausfälle unserer schweren Eskorteinheiten gegeben. Der Gegner kann Kräfte zurückhalten. Sie würden vorzeitig abgefangen, aufgesplittert oder vernichtet werden. Selbst wenn Sie durchkommen, ihrem Angriff würde die nötige Geschlossenheit fehlen. Und dann wären die Feindkreuzer immer noch da. Selbst WENN Sie den Träger erreichen, den Angriff auf die Korax ma Rah könnten Sie wahrscheinlich so oder so nicht verhindern. Die feindlichen Bomber und Jagdbomber werden bereits gestartet. ABER Sie können verhindern, dass wir eingekreist werden.“
Morvan Telas hätte beinahe den Kopf geschüttelt. Jeder Befehl, nur nicht dieser...: „Warum lösen die Jäger sich nicht vom Feind und geben uns den Feuerschutz?! Wir sind dem Gegner immer noch zahlenmäßig überlegen!“
„Unmöglich! Wenn sie sich versuchen abzusetzen, würden sie zusammengeschossen werden. Sie kämpfen mit den Angry Angels!“
Morvan Telas spürte den irrationalen Drang, zu lachen. Natürlich. Die Nachfolger der Blue Angels. Jetzt begriff er. Der Kreis schloss sich. Instinktiv hatte er es immer gewusst.
„Sie müssen es tun! Das ist die einzige Hoffnung. Prinz Jor…er ist selber gestartet.“ Morvan Telas verstand sehr wohl, was der Erste Offizier mit diesen Worten sagen wollte. Er wusste auch, mit welchem Ziel Jor aufgestiegen war. Die Lippen des Veteranen verzogen kurz und verächtlich. ‚Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich diesen Flug ausgerechnet mit DER Begleitung antreten werde.’
Spätere Generationen würden den Prinzen wegen seinem Verhalten am heutigen Tag vielleicht zum Helden erklären. Aber Morvan Telas war der Meinung, dass Jor schon vor ein paar Jahren diesen Weg hätte gehen sollen. ‚Als es noch eine Hoffnung für uns gab. Als das noch etwas gebracht hätte. Einen Strategiewechsel, eine neue Führung…’ Müßige Gedanken, sinnlos. Die Gedanken eines Toten.
Also hatte sich Jor endlich entschlossen, die Konsequenzen zu ziehen. Nun, bei allen Raumgeistern, Morvan Telas würde es nicht zulassen, dass ausgerechnet DIESER missratene Spross des Kaiserhauses ihn beschämte.
„Sie müssen starten. Sofort. Ansonsten könnte es zu spät sein.“
Morvan Telas sah den Ersten Offizier an. Seine Stimme war nur ein Flüstern: „Ich kenne meine Pflicht. Und ich werde sie erfüllen. Sobald meine Maschinen bestückt sind, starten wir.“
Der Offizier nickte – nein, er verbeugte sich. Knapp, aber deutlich. Und Morvan Telas wusste, was diese Geste bedeutete. Also schluckte er die Frage hinunter, ob ihr Angriff tatsächlich noch etwas würde ändern, der Korax ma Rah das Entkommen ermöglichen könnte. Stattdessen salutierte er und verneigte sich ebenfalls. Dann drehte er sich um, während gleichzeitig auch der Erste Offizier sich abwandte. Keiner der beiden drehte sich noch einmal um. Sie wussten, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten.

Wenige Sekunden später stand Morvan Telas vor seinen Untergebenen. Achtundvierzig Männer und Frauen waren hier versammelt. Manche von ihnen kannte Morvan Telas schon seit Jahren, schon aus der Vorkriegszeit. Andere standen erst seit einigen Monaten unter seinem Kommando. Der Akarii-Offizier hatte einen Techniker abgefangen und mit einem ganz speziellen Befehl weggeschickt. Er hatte nur noch wenig Zeit, ein paar Minuten, bis die Bomber und Jagdbomber vollständig bestückt waren. Aber er würde das hier mit der angemessenen Würde abschließen. Das war er seinen Leuten schuldig. Das war er den Toten schuldig.
Zuerst klang seine Stimme nüchtern und kalt: „Wir haben unseren Einsatzbefehl erhalten. Der Auftrag ist, den feindlichen Kreuzerverband anzugreifen und ihn zu verlangsamen, wenn möglich aufzuhalten. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass sie unsere Flotte einkreisen. Von dem Erfolg unserer Mission kann das Überleben unserer Kameraden, der gesamten Trägergruppe abhängen. Man verlässt sich auf uns. Und wir werden dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Der Rex und einer der Raptoren werden mit ECM-Sendern ausgestattet. Zwei weitere der Raptoren tragen Anti-ECM-Raketen. Der Rest wird mit SSM bestückt.“
„Sollen wir rollende Angriffe fliegen? Wie viele Einsätze sind geplant?“ Kalat Yanti, seine Bordschützin, war die Erste, die eine Frage stellte. Das war typisch für die junge Soldatin, die erst seit einem knappen Jahr auf der Korax ma Rah war. Sie war häufig vorlaut und ging nicht selten über das hinaus, was für einen Bordschützen angemessen schien. Aber Morvan Telas schätzte ihren Mut, ihr Selbstbewusstsein, und ihre Fähigkeiten. Unter anderen Umständen hätte sich zwischen ihnen vielleicht mehr entwickelt als bloße Kameradschaft. Jedenfalls stellte er sich das manchmal vor, oder träumte sogar davon. Aber er war ihr Vorgesetzter und dazu auch noch Kommandant der Bomberverbände an Bord. Es war unvorstellbar und wäre zutiefst unehrenhaft gewesen, eine persönliche Beziehung mit einer Untergebenen anzuknüpfen. Und Kalat Yanti hätte immer mit dem Vorwurf leben müssen, sich ihm nur aus Karrierestreben angeboten zu haben. Also war nichts geschehen.
Dennoch, er empfand für sie etwas. Und deshalb fielen ihm die nächsten Worte so schwer: „Es ist nur ein Angriff geplant. Wir wissen nicht, ob bei unserer Rückkehr die Korax überhaupt noch in der Lage ist, uns aufzunehmen.“
Natürlich verstanden sie, was er damit sagen wollte. Es bestand die Gefahr, dass die Korax ma Rah zerstört, oder zumindest schwer beschädigt werden würde. Und das konnte bereits in der nächsten halben Stunde geschehen, vielleicht auch noch früher. Die Korax floh, und es war alles andere als gewiss, ob sie es schaffen konnte.
Morvan Telas Stimme klang brüchig, als er fortfuhr: „Wir haben nur EINE Chance, den feindlichen Kreuzerverband zu stoppen. Diese Chance müssen wir nutzen. WIR MÜSSEN SIE AUFHALTEN! Das einzige, was jetzt noch für uns zählt, ist der Tod unserer Feinde. Alles andere…ist unwichtig geworden.“
Innerlich verfluchte er seine Schwäche. Er konnte es nicht aussprechen. Wenn er es getan hätte, vielleicht hätte er dann die Fassung verloren. Diese Vorstellung war unerträglich. Aber er musste seinen Untergebenen klar machen, was ihr Auftrag war. Und er musste...: „Bordschützen und Copiloten – VORTRETEN!“
Das rief einiges Stirnrunzeln hervor. Aber sie gehorchten. Morvan Telas sah, wie Kalat Yanti den Mund öffnete. Sie kannte ihn zu gut. Sie schien zu wissen, was jetzt kam. Er kam ihr zuvor: „Die feindlichen Jäger sind gebunden. Wir brauchen keine Bordschützen. Und auch keine Copiloten. Nicht auf diesem Flug. Deshalb werdet ihr nicht mitfliegen. Es wäre ein sinnloses Opfer. Darin liegt keine Ehre. Wir anderen aber…sind aufgefordert worden, die letzte Pflicht eines Soldaten zu erfüllen.“
Jetzt war es heraus. Morvan Telas sah in die Gesichter der Männer und Frauen, deren Tod er befohlen hatte. Er sah Begreifen, Entsetzen, Angst – aber auch Stolz und eine bittere, fatalistische Schicksalsergebenheit. In einer besseren Welt hätte er nach Freiwilligen gefragt für diesen letzten Flug.
Er fühlte, dass er noch ein paar Worte sagen musste. Das war noch nicht genug. Wo blieb der verdammte Tech? Hätte er doch Zeit gehabt, seinen Nachlass richtig zu ordnen. Sinnlose Gedanken..: „Ich weiß, welches Opfer damit von euch verlangt wird, Kameraden. Brüder und Schwestern. Aber wir alle haben gewusst, dass dieser Tag kommen könnte, als wir den Eid geleistet haben. Wir haben geschworen, dann nicht zu zögern oder innezuhalten. Wir werden diesen Eid halten! Und ob ich euch seit Jahren oder nur seit ein paar Wochen kenne, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Es ist nicht mehr wichtig. Kameraden! Ihr tut es nicht für mich…“ ‚Und nicht für Jor! Niemals für Jor, verdammt sei er!’ „…sondern für den Kaiser. Für eure Kameraden. Für die Heimat! Zeigen wir dem verfluchten Feind, was ihm noch blüht! Tragen wir wieder die Furcht in ihre Herzen! Auch wenn wir nicht zurückkehren werden, wir werden weiterleben in denen, denen unser Opfer das Leben rettet! In den Gedanken derer, die uns lieben! Und in der Erinnerung unseres Volkes! Wir dürfen nicht scheitern und wir werden nicht scheitern!
ES LEBE DER KAISER! ES LEBE DIE HEIMAT!!“

Und dann wurde der Ruf aufgenommen. Mochte es auch sein, dass einige der Piloten ihre Angst und Verzweiflung und mancher der Zurückbleibenden seine Erleichterung und Scham niederschrieen, ihren Stimmen war das nicht anzuhören.

Währenddessen wurden die letzten der schweren SSM an den Pylonen angebracht. Und wie als Antwort auf Morvan Telas stummes Drängen stürzte endlich auch der junge Tech in den Hangar, den der Kommandeur vor ein paar Minuten losgeschickt hatte. Der Techniker verlangsamte sein Tempo etwas. Als er die angetretenen Fliegersoldaten erreichte, salutierte er vor Morvan Telas, verneigte sich und reichte ihm ein Drehh, ein traditionelles Akarii-Kampfschwert. Einen Augenblick lang erlaubte es sich der Kommandeur, sich von den Erinnerungen überwältigen zu lassen. Er hatte diese Waffe für seine Leistungen über Manticore erhalten. Damals hatte er noch eine Avenger geflogen und seine Sektion war es gewesen, die der Enterprise den Gnadenstoß versetzt hatten. Auch an der Vernichtung der Akagi war er beteiligt gewesen. Dies hatte ihm eine Beförderung, einen Orden und jenes Schwert eingebracht. Prinz Jor persönlich hatte ihn ausgezeichnet. Damals hatte Morvan Telas ihn noch nahezu grenzenlos bewundert. Das war vor der Schlappe über Graxon/Wron gewesen, als der Prinz geflohen war und sich auf Kosten seiner Untergebenen davor gedrückt hatte, sein Versagen einzugestehen. Bevor eine Reihe der besten Armee- und Marinooffiziere wegen ihrer Opposition zu Jor degradiert, abgeschoben oder gar entlassen worden war. In einem anderen Leben.
Morvan Telas kannte auch die Geschichten, die über Prinz Jor Drehh im Umlauf waren – dass er Gefangene mit seinem Schwert geköpft hatte. Das Gerücht erschien glaubhaft. Aber er hatte etwas ganz anderes im Sinn. Das Schwert waagerecht in den Händen halten, drehte er sich noch einmal zu seinen Untergebenen um. Seine Augen wanderte über jene, die ihn begleiten sollten, und die, die zurückbleiben würden: „Was auch immer geschieht, wir werden nicht scheitern! Wir werden nicht zögern. Zusammen werden wir kämpfen und sterben. Und wir werden siegen!“ Die Worte galten seinen Piloten, aber Morvan Telas Blick schloss auch jene ein, denen er befohlen hatte, nicht an dem Einsatz teilzunehmen. Jenen, die leben sollten.
Einen Schritt nach Vorne, und er stand vor Kalat Yanti. Eigentlich wäre einer seiner Piloten geeigneter gewesen. Aber sie würden alle mit ihm starten, zu dem Flug ohne Wiederkehr. Morvan Telas biss die Zähne zusammen. Jäh, mit einer abgehackt wirkenden Bewegung streckte er seiner Untergebenen das Schwert entgegen. In ihrem Gesicht zuckte es, aber sie sagte nichts, als sie die Waffe annahm. Mit einer schnellen Bewegung zog sie Klinge etwa einen Fußbreit aus der Scheide. Ihre rechte Hand schloss sich fest um die blanke Schneide – so fest, dass Blut zwischen ihren Fingern hervorquoll und auf den Boden tropfte.
Kalat Yanti neigte den Kopf, verbeugte sich, genauso wie die Anderen, die zurückbleiben sollten.
„Piloten! Bemannt eure Maschinen!“
Cattaneo
Tyr

Zuerst starteten die schweren Avenger. Während Morvan Telas auf das Freigabesignal für seine Maschine wartete, wunderte er sich über sich selbst. Ein paar Mal in den letzten Jahren, und immer häufiger in den letzten Monaten, hatte er sich heimlich die Frage gestellt, was er wohl empfinden würde, wenn er eines Tages diesen Befehl erhielt.
Zu seiner eigenen Überraschung fühlte er sich ruhig und gelöst, so friedlich und mit sich selbst im Reinen, wie schon lange nicht mehr. Alle Fragen, all die düsteren, quälenden Gedanken waren jetzt verschwunden. Sie spielten keine Rolle mehr. Nur noch ein wenig, und all das würde hinter ihm liegen. Keiner würde von ihm sagen können, dass er nicht Alles getan, was in seiner Macht und seinen Fähigkeiten stand. Er und seine Kameraden mochten versagt haben vor den Erwartungen ihrer Heimat. Aber diese Schuld würde jetzt abgewaschen werden.

Mit seiner Ruhe war es allerdings vorbei, als die Kanzelverglasung sich plötzlich noch einmal öffnete, und eine schlanke Gestalt auf den Bordschützensitz glitt.
„Was bei allen Raumgeistern..?!“
Kalat Yanti schnitt ihm das Wort ab: „Das weißt du ganz genau. Ich werde mitfliegen.“
„Auf keinen Fall. AUF KEINEN FALL!“
„Die Einsatzorder besagte, dass unsere Maschinen einen Angriff fliegen. Es stand nirgendwo etwas davon, dass das nur für die Piloten bestimmt war.“
„Das ist doch Wahnsinn! Ich habe einen verdammten Befehl gegeben!“
„Na und? Was willst du tun – mich deswegen erschießen? Was du vorhin gesagt…Das galt uns allen. Nicht nur den Piloten. Glaubst du wirklich, ich könnte einfach zurückbleiben, und zusehen, wie ihr startet? Nein.“
In Morvan Telas Stimme lag jetzt fast so etwas wie Verzweiflung:„Aber ich will nicht…“
Kalat Yantis Gesicht wurde kurz weicher: „Das weiß ich. Und es bedeutet…“, sie brach ab, und schüttelte den Kopf, fuhr mit angespannter Stimme fort: „Nein. Ich könnte nicht mit diesem Wissen leben. Und außerdem…der Tod kann uns überall finden. Es ist nicht wichtig, wann oder wo wir sterben. Aber es ist wichtig, WIE. Und ich kann mir…kann mir…“ Wieder brach sie ab, biss sich auf die Lippen.
Dann lächelte sie traurig: „Und ihre Herzen verwandelten sie in Schwerter aus gehärtetem Stahl/
Keiner blieb zurück, als sie aufstiegen zum Flug ohne Wiederkehr/
Wie fallende Sterne zogen sie über den Himmel/
stürzten hinab auf den Feind, ihr Leben die Waffe, die sein Herz zerbrechen ließ/
Als die Schlacht endete, war der Himmel blau, und leer…“

Morvan Telas kannte diese Zeilen. Wie jeder Pilot, wie fast jedes Kind auf Akar. Sie stammten aus einem Kriegerepos aus jener Zeit, als der Krieg noch ausschließlich auf der Oberfläche des Planeten ausgefochten wurde. Er begriff auch, was sie ihm sagen wollte. Aber das machte das alles nicht einfacher für ihn. Suchend sah er sich um, blickte hinüber zu den anderen Mitgliedern seiner Einheit, die zurück bleiben sollten. Kurz kniff er die Augen zusammen. Da stimmte doch etwas nicht…: „Und wie viele von den Anderen teilen deine Ansichten?“
„Vielleicht noch ein paar.“
Was auch immer Morvan Telas hatte antworten wollen, es wurde abgeschnitten von dem ihm geltenden Startsignal. Er hatte das nicht gewollt, aber jetzt fehlten ihm die Zeit und auch die Willenskraft. Es war zu spät. Sie würde ihn also begleiten, und dieser Gedanke zerriss ihn innerlich und erfüllte ihn gleichzeitig mit einem seltsamen Glücksgefühl. Fast gleichzeitig begann eine Sirene zu heulen, deren lang gezogene, fast klagende Stimme nichts Gutes verhieß. Jedes Mannschaftsmitglied, vom Kapitän bis zum letzten Hilfstechniker wusste, was diese Tonfolge ankündigte. Feindliche Bomber befanden sich im Anflug auf die Korax ma Rah.
Im nächsten Augenblick schleuderte das Startkatapult den Doomhammer-Jagdbomber ins All hinaus.

In eine erbitterte Raumschlacht. Die feindlichen Kreuzer waren der Nachhut des Korax-Verbandes inzwischen so nahe gekommen, dass sie teilweise bereits das Feuer mit ihren SSM-Werfern eröffnen konnten. Wie es aussah, waren die Bomber gerade noch rechtzeitig gestartet. Es war höchste Zeit.
Zwei feindliche Kreuzer waren ihren Kameraden offenbar weit voraus. ‚Idioten.’ Welcher kluge Befehlshaber würde einen einzelnen Schweren und einen Dauntless-Kreuzer, der auf diese Entfernung weniger Feuerkraft hatte als ein Flottenzerstörer, derart isoliert einsetzen? Der einzige Vorteil dieser Raketenabwehr/Flak-Kreuzer war ihre Fähigkeit, feindliche Jäger und vor allem Raketen abzuwehren – aber sich einer Flotte von dreißig Einheiten zu stellen, war dennoch etwas zu gewagt. Einen solchen Befehl gab man nur, wenn das die letzte Möglichkeit darstellte. Aber umso besser. Dieser taktische Fehler erleichterte Morvan Telas seinen Auftrag. Der Dauntless-Kreuzer würde genug damit zu tun haben, zu überleben. Auf keinen Fall würde er der Kreuzerhauptflotte der TSN helfen können, die Morvan Telas eigentliches Ziel war.

Aber dennoch sah es nicht gut aus. Der feindliche Kreuzerverband bestand immer noch aus einem Dutzend Leichter und fünf Schweren Kreuzern. Für zwanzig Jäger und Jabos war das ein Furcht erregender Gegner, der Angriff eigentlich Wahnsinn. Auch wenn die feindliche Flotte im Eifer der Schlacht etwas aufgefächert hatte und sich natürlich auch dem Antwortfeuer der Akarii-Nachhut erwehren musste. Es war Selbstmord.
Morvan Telas verzog den Mund. Das traf es ja wirklich gut: „Wir werden dem feindlichen Angriff die Spitze kappen. Avenger Eins bis Vier – euer Ziel ist der Schwere Kreuzer an der rechten Flanke Vorne. Fünf bis Sieben – der leichte Kreuzer Nummer Eins, Elf Uhr Vorne. Doomhammer – wir nehmen uns den leichten Kreuzer an der Spitze vor. Raptoren – ihr greift den Leichten Kreuzer Drei an, der den Verband Oben absichert. Denkt daran, wir haben nur diese eine Chance. Wir können uns keine Fehlschüsse leisten. Also geht nah ran, setzt alles ein, was ihr habt. Und dann stoßt ihr nach.“ Die Piloten wussten, was damit gemeint war, „Diese Kreuzer müssen gestoppt werden! Guter Flug – und klares Schussfeld.“

Und im nächsten Augenblick implodierte die Korax ma Rah. Getroffen von zahllosen Atomraketen starb der Akarii-Flottenträger einen grauenhaften, jähen Tod.
Hätte man Morvan Telas ein glühendes Messer in den Leib gerammt, der Schmerz und der Schock hätte nicht größer sein können. Die Korax ma Rah war seit mehr als sieben Jahren sein Zuhause gewesen, weitaus mehr als der ferne Heimatplanet. Sie war sein Schicksal.

Die Gesichter seiner Kameraden brannten sich in sein Gehirn ein. Die Männer und Frauen der technischen Dienste, der Mannschaft und der Kommandocrew. Die Gesichter jener Männer und Frauen, denen er befohlen hatte, zurückzubleiben. Die er damit dem Feuertod überantwortet hatte. Er glaubte ihre Todesschreie zu hören, voller Verzweiflung, voller Wut, und ohnmächtigem Hass. Dann begriff Morvan Telas, dass er es war, der schrie.

„Kommandeur! Morvan!“ Kalat Yantis Stimme ließ ihn wieder zu Verstand kommen. Jäh verstummte er, holte keuchend Luft. Einen Augenblick lang wusste er nicht, was er seinen Leuten jetzt sagen, was er befehlen sollte. Die Korax ma Rah war nicht mehr. Was hatte es jetzt noch für einen Sinn? Sollte er den Rückzug befehlen, die Kapitulation gar?
Aber jenseits dieser Zweifel war ihm instinktiv bewusst, dass ihm eigentlich keine Wahl blieb. Es hatte nie einen anderen Ausweg gegeben. Nicht für ihn. Niemals. Als er wieder sprach war seine Stimme rau. Rau, aber voller Wut, voller eisiger Entschlossenheit und brennendem Hass. Und seine Worte galten ebenso seinen Untergebenen und seinen toten Kameraden, wie ihm selber: „Wir haben einen Befehl erhalten und wir haben einen Eid geschworen. Erfüllen wir ihn. Auf der anderen Seite des Lebens…werde ich euch wieder sehen. Wir greifen an. WIR GREIFEN AN!“
Der Jagdbomber beschleunigte auf Höchstgeschwindigkeit. Morvan Telas blickte nicht zurück, ob die anderen Maschinen seiner Einheit ihm noch folgten. Er hätte den Angriff auch geflogen, wenn er völlig alleine gewesen wäre. Aber er war nicht alleine – denn die neunzehn anderen Maschinen taten es ihm gleich, und stürzten sich wie stählerne Racheengel auf den übermächtigen Feind.

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Schwerer TSN-Kreuzer Relentless

Commodore Chris Mithel folgte dem Verlauf der Schlacht mit vorsichtigem Enthusiasmus. Es sah nicht schlecht aus. Die Raumflieger der Columbia schlugen sich mit Bravour gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner. Dass Rear-Admiral Hulfort Mullins die Kami und die Dauntless voraus geschickt hatte, war kein Befehl, den Mithel gegeben hätte, aber inzwischen schlossen auch die anderen Kreuzer zum Gegner auf, wechselten die ersten SSM-Salven mit der feindlichen Nachhut. Die Akarii wollten sich offenbar absetzen, statt es auszufechten. Das war auch nur vernünftig, denn wenn erst einmal auch die Zerstörer der TSN-Kampfgruppe heran waren, dann säßen die Akarii in einer Todesfalle fest. In dem Bestreben den Feind einzuholen, war allerdings die Formation des Geschwaders 2.7 etwas ausgefranst. Der Rear-Admiral wollte offenbar nicht einen einzigen Akarii entkommen lassen. Mithel war da ein wenig konservativer, aber andererseits wollte er auch nicht, dass die Dauntless und die Kami zu lange den Prügelknaben spielten. Das eine Schiff war noch ziemlich ‚grün’ und das andere nicht gerade sehr schlagkräftig oder besonders gut armiert. Und selbst die hervorragende Abwehr der Dauntless konnte leicht überfordert werden, wenn erst einmal ein oder zwei Dutzend Atomraketen gleichzeitig ihr Ziel suchten.

Als die Korax ma Rah den Atomtod starb, flackerte auch auf der Brücke der Relentless Jubel auf, und Mithels Gesicht verzog sich kurz zu einem grimmigen Lächeln. Die Angry Angels konnten sich einen weiteren Träger gutschreiben und für die Moral der Akarii dürfte dieser Verlust ein entscheidender Schlag sein. Die verbliebenen Feindeinheiten waren zwar immer noch eine Bedrohung, aber das Schlachtenglück neigte sich eindeutig der TSN zu.

Einer der Sensoroffiziere war es, der den neuen Feind meldete: „Sir, anfliegende Einheiten aus Zwölf Uhr.“
‚Die müssen kurz vor der Vernichtung der Korax gestartet sein.’ „Anzahl und Identifikation?“
„Der Feind setzt ECM ein. Geschätzte Anzahl etwa zwanzig. Vermutlich Bomber, Sturmjäger, oder Jagdbomber.“
Chris Mithel verzog abschätzig den Mund. Zwanzig Kampfflieger, die fast ebenso viele Großkampfschiffe angriffen: „Mut der Verzweiflung.“
Aber er hatte nicht so lange überlebt und sein Schiff in zahlreichen Raumschlachten geführt, um jetzt leichtsinnig zu werden: „Informieren Sie den Rear-Admiral. Signal an die anderen Einheiten unseres Geschwaders. Zusammenschließen und Abwehrformation bilden.“
„Sir, sollen wir die Geschwindigkeit reduzieren?“
„Wenn ich das gewollt hätte, dann hätte ich es gesagt!“ Es war nicht ganz ungefährlich, mit Höchstgeschwindigkeit eine relativ enge Abwehrformation zu bilden, aber Mithel vertraute seinen Kapitänen. Dass Mullins so etwas offenbar für unnötig hielt, war allerdings eine andere Sache: „Eine Verbindung zur San Francisco öffnen. Und was ist mit der Koordination durch die Dauntless? Ich will ein Abwehrnetzwerk mit koordinierten Flak- und Flar-Feuer haben. Ich dachte, das ist der Sinn dieser überdimensionierten Flak-Zerstörer.“
„Sir, der feindliche Verband stört unsere Kommunikation. Und dank der ECM-Anlagen der feindlichen Kampfflieger und Großkampfschiffe erhalten wir teilweise widersprüchliche Daten. Außerdem steht die Dauntless…“
„Unter Feindbeschuss, ich weiß, ich weiß.“ Genau so etwas hatte er befürchtet: „Signal an alle Schiffe von 2.3. Flugabwehrfeuer wird auf maximale Entfernung eröffnet.“
Er lächelte noch einmal knapp und kämpferisch. ‚Na, dann kommt doch!’

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Morvan Telas Kampfflieger griffen wütend, aber nicht planlos an. Dazu waren sie zu gut aufeinander eingespielt, auch wenn dieser Angriff ihr letzter sein sollte.
Morvan Telas Doomhammer hatten sich den leichten Kreuzer Executioner als Ziel ausgesucht. Captain Jang-Ho Lee hatte kaum Gelegenheit, die Weisung des Commodore entgegenzunehmen, als auch schon die Abwehr- und Ortungsgeräte Alarm schlugen – feindliche Zielerfassungssysteme hatten den Leichten Kreuzer ins Visier genommen. Aber die Jagdbomber eröffneten nicht sofort das Feuer, sondern teilten sich stattdessen auf, um das Schiff in die Zange zu nehmen.

Fast gleichzeitig griffen die anderen Kampfflieger ihre jeweiligen Ziele an. Die vier Avenger, die den Schweren Kreuzer San Francisco angingen, waren sich nicht der Tatsache bewusst, dass dies das Flaggschiff von Rear-Admiral Mullins war. Aber ihr Angriff hatte etwas Unaufhaltsames an sich. Statt auf maximale Entfernung ihre Raketen abzufeuern, gingen sie auf Nahkampfdistanz heran. Eisern hielten sie den Kurs, auch als endlich die Abwehrbatterien der San Francisco das Feuer eröffnen konnten. Fast gleichzeitig starteten die Avenger ihre Flugkörper – zweiunddreißig Atomraketen jagten auf den Schweren Kreuzer zu, gefolgt von den Avengern. Nur wenige Sekunden, nachdem sie ihre Raketen abgefeuert hatten, wurden zwei der Bomber von der Flugabwehr förmlich zerrissen. Aber da war es auch schon zu spät. Egal wie viele Raketen die Abwehr abfangen konnte, der Feuersturm, der gegen die San Francisco entfesselt wurde, ließ ihr keine Chance. Ihre Waffen waren zudem zumindest teilweise bereits mit der Abwehr von feindlichen SSM gebunden. Binnen Sekunden verwandelte sich das stolze Schiff in ein zusammengeschossenes Wrack. Aus zahllosen Hüllenrissen entwich Luft.

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„Sir! Die Frisco!“
Commodore Chris Mithel starrte auf den taktischen Bildschirm, der mit elektronischer Gleichgültigkeit das Schicksal der San Francisco darstellte. Und – endlich – die Bewegungen und Flugvektoren der feindlichen Einheiten zuverlässig wiedergab. Mithel sah mit einem seltsamen Gefühl der Unwirklichkeit den Kurs, dem die beiden Bomber folgten, die von den Angreifern der San Francisco übrig waren. ‚Das darf doch nicht wahr sein…’
„Schießen Sie sie ab! Abschießen!“ einen Augenblick lang suchte er nach einem Wort, mit dem er die neue Gefahr seinen Untergebenen und der gesamten Flotte klar machen konnte. Und er fand es: „KAMIKAZE!!“
Tatsächlich vernichtete die Abwehr noch einen der Avenger, bevor er sein Ziel erreicht hatte. Aber Avenger Vier bohrte sich in den ungeschützten und bereits an zahllosen Stellen aufgebrochenen Rumpf der San Francisco und starb spektakulär in einem gleißenden Feuerball. Vermutlich wäre die San Francisco ohnehin dem Untergang geweiht gewesen. Aber der neue Einschlag löste eine ganze Kette von Sekundärexplosionen aus, die sich scheinbar in Zeitlupe über den Rumpf des Schweren Kreuzers fortpflanzten. Rettungskapseln starteten von dem brennenden Wrack, das einen langsamen, qualvollen Tod zu sterben schien.

Die Helena, der leichte Kreuzer, den die übrigen drei Avenger der Korax ma Rah angegriffen hatten, hatte mehr Glück. Kapitän Joanna Torres Abwehrbatterien konnten eine Avenger abschießen, bevor sie ihre Raketen abfeuerte, und ein verzweifeltes Ausweichmanöver und das pausenlose Sperrfeuer schalteten die Hälfte der anfliegenden Raketen aus. Dennoch reichten die Explosion von acht Nuklearraketen und der Einschlag von zwei Zwanzig-Tonnen-Bombern, deren Geschwindigkeit siebenhundert Kilometer in der Sekunde überstieg, um die Schilde zusammenbrechen zu lassen und schwere Schäden anzurichten. Der Leichte Kreuzer musste Fahrt wegnehmen und in mindestens zwei Sektionen brachen Brände aus. Sechzig Tote und Schwerverwundete waren der Blutzoll der Helena – aber sie überlebte.

Die Obliterator, die Captain Solveig Sturlasdottir unterstand, war das Ziel der Raptoren. Drei Maschinen wurden gleich beim ersten Anflug vernichtet, wenn es auch einer von ihnen gelang, ihre Raketen im Notwurf loszuwerden. Insgesamt neun Flugkörper wurden auf die Obliterator abgefeuert, aber nur einer der Selbstaufopferungsflieger erreichte sein Ziel. Ein ungünstiges Schicksal bestimmte allerdings, dass die Einschläge sich in der Hecksektion des Leichten Kreuzers konzentrierten. Mit höchstens noch Fünfzig Prozent Normalschub und einem nur zwei Schotts vom Reaktor entfernt auflodernden Brand war die Obliterator dennoch wirkungsvoll aus dem Spiel genommen. Die dreißig Toten und Schwerverletzten des leichten Kreuzers entstammten vor allem der Maschinencrew und den Brandsicherungstrupps.

Die Executioner hatte, abgesehen von der San Francisco, zweifelsohne den schwersten Stand. Die sechs Doomhammer die sie angriffen, hatten vierundzwanzig SSM geladen, und die agilen, mit schweren Strahlenkanonen, massiven Panzerplatten und starken Schilden ausgestatteten Jabos wurden zudem von den besten Jagdbomberpiloten der Korax ma Rah geflogen.
Die Doomhammer hatten sich in drei Paare aufgeteilt und griffen koordiniert an. So zersplitterten sie das Abwehrfeuer der Executioner und machten es ihr auch praktisch unmöglich, ein wirkungsvolles Ausweichmanöver zu fliegen. Auch wenn die Geschütze des Leichten Kreuzers Sperrfeuer gaben, eine Salve nach der anderen die Raketenrohre der Executioner verließ und von den benachbarten TSN-Kreuzern Strahlenbahnen und Abfangraketen nach den angreifenden Jagdbomber tasteten, die Doomhammer ließen sich davon nicht abschrecken oder aufhalten. Einer der Jagdbomber wurde zerrissen, noch bevor er seine Raketen hatte abfeuern können, und ein anderer hatte gerade mal zwei seiner Lenkwaffen gestartet, als die Laserstrahlen von zwei Geschützbatterien ihn zusammenschossen.
Aber die anderen SSM wurden fast synchron auf den Weg geschickt und die verbliebenen Doomhammer folgten ihnen, ohne zu zögern, aus allen Rohren feuernd.

Auf der Brücke der Executioner übertönten die Warnsirenen beinahe Captain Jang-Ho Lee’s Stimme: „AUF EINSCHLAG VORBEREITEN!!“ Der Kapitän krallte seine eigenen Hände in die Lehnen des Kommandosessels und biss die Zähne zusammen, das normalerweise ausdruckslose Gesicht verzerrt.

Die Akarii-Flieger hatten gut gezielt, ein volles Dutzend Atomraketen, auf kürzeste Entfernung abgefeuert, traf die Schilde Executioner oder explodierte in ihrer unmittelbarer Nähe. Einer der Doomhammer wurde Sekunden später von mehreren Fla-Raketen zerrissen, aber zwei andere Jagdbomber bohrten sich in die geschwächten, teilweise bereits durchschlagenen Schilde des Leichten Kreuzers.
Das ließ nur noch einen einzigen Doomhammer-Jagdbomber übrig. Es war Morvan Telas Maschine. Das war nicht seine Absicht gewesen. Ursprünglich hatte er geplant, es wie die anderen zu tun, seinen Jabo gleich beim ersten Anflug zu opfern.
Kalat Yanti hatte ihn nicht enttäuscht. Eiskalt und professionell hatte sie ihre Aufgabe erfüllt, sich um die Zielerfassung und den Abschuss der SSM gekümmert, mit mehreren Serien von Täuschkörpern den Fla-Raketen ihre Arbeit erschwert.
Doch dann hatten doch mehrere Raketen die Maschine erfasst, einige Sekunden, nachdem die schweren Atomraketen abgefeuert worden waren. Und für einen kurzen Augenblick hatten die alten Reflexe gegriffen, hatte Morvan Telas die Doomhammer mit einem rasant geflogenen Ausweichmanöver zur Seite gerissen.
Er brachte den Jagdbomber auf einen neuen Kurs – und die Hand, die sich um den Steuerknüppel krampfte, erstarrte. ‚Was tue ich?’ Ein Blick über die Schulter…Kalat Yantis Gesicht war unter dem schweren Pilotenhelm nicht zu erkennen und ihre Stimme blieb stumm. Morvan Telas biss die Zähne zusammen – und verstärkte den Druck auf den Steuerknüppel, ließ die Maschine ein halbes Looping beschreiben, bis der Bug der Maschine wieder auf den Rumpf des feindlichen Kreuzers zielte. Noch ein Blick über die Schulter. Seine linke Hand wanderte über die Steuerkonsole, drückte zwei Knöpfe: „Einer muss bleiben, um zu berichten…“
„MORVAN!“ Doch dann öffnete sich bereits die Cockpitverglasung und Kalat Yanti wurde zusammen mit ihrem Sitz in den Raum geschleudert.
Morvan Telas drückte den Nachbrennerhebel ganz nach Vorne: „Es tut mir leid. AUF…DER…ANDEREN…SEITE…“ Dann bohrten sich vierundzwanzig Tonnen Stahl und Titan in die Flanke der Executioner.

Zwanzig Sekunden später folgte der einzelne Rex-Schlachtflieger des Kampffliegerverbandes seinem Kommandanten in den feurigen Tod.
Der mit ECM-Pods ausgerüstete Raptor hingegen versuchte zu entkommen. Aber jetzt konzentrierte sich das gesamte Feuer des Kreuzerverbandes auf die einzelne Maschine. Sie hatte keine Chance. Keine sechzig Sekunden nachdem der Angriff der Kampfflieger begonnen hatte, waren von den zwanzig Maschinen nicht viel mehr übrig als Trümmerteile, ein paar zusammengeschossene Wracks und einige wenige im All treibende Piloten, die tatsächlich ausgestiegen waren. Und die Zerstörung, die sie angerichtet hatten.

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Commodore Mithel lächelte nicht mehr. Mit schmalen, zusammengepressten Lippen starrte er auf den Taktikschirm. Kurz kämpfte er mit dem Gefühl, dass ihm jemand die Füße unter dem Leib weggetreten hatte. Seine kalte, befehlsgewohnte Stimme klang wie immer: „Und Rear-Admiral Mullins?“
„Unklar, Sir. Er war jedenfalls nicht auf dem Shuttle, das die San Francisco noch verlassen konnte. Vielleicht befindet er sich in einer von den Rettungskapseln. Aber da die Mannschaftsverluste der San Francisco mindestens vierzig Prozent betragen…“
‚Kann es gut sein, dass er bereits tot ist.’ „Eintrag in das Flottentagebuch. Wegen Ausfall von Flaggschiff San Francisco und Kommandierendem Admiral übernimmt Commodore Chris Mithel, Relentless, das Kommando über die Geschwader 2.3 und 2.7.
Was ist mit der Executioner?“
„Captain Jang-Ho Lee meldet, dass er wenigstens achtzig Tote und Schwerverletzte hat. Die Reaktoren mussten heruntergefahren werden. An mindestens drei Stellen sind Brände ausgebrochen. Zwei Sektionen sind abgeschottet worden. Aber er sagt, eine Evakuierung sei vorerst unnötig.“
Ob die Executioner allerdings jemals wieder eine TSN-Werft erreichen würde, stand auf einem anderen Blatt. Mithel bezweifelte es. Hier draußen gab es weder die nötigen Anlagen, noch Materialien und Fachkräfte, um ein derart schwer beschädigtes Schiff auch nur provisorisch wieder herzurichten.“
„Die Helena und die Obliterator?“
„Beide haben gestoppt, doch es besteht keine unmittelbare Gefahr. Die Schäden dürften mit Bordmitteln zumindest provisorisch behoben werden können, auch wenn ein längerer Werftaufenthalt…“
„Eins nach dem anderen. Informieren Sie Captain Torres und Sturlasdottir, sie sollen die Executioner unterstützen und die Schiffbrüchigen der San Francisco aufsammeln. Und auch die überlebenden Akarii-Piloten.“
„Was? Warum lassen wir die nicht einfach verrecken?!“
Chris Mithel warf dem jungen Wachoffizier, der sich ungefragt eingemischt hatte, einen Blick zu, der den jungen Mann erbleichen ließ. Die Stimme des Commodore war von der Schärfe einer Rasierklinge: „Niemand hat Sie nach Ihrer Meinung gefragt! Also halten Sie den Mund und tun Ihre Pflicht, bis Sie gefragt werden oder eine relevante Meldung machen können!“
Aber Mithel wusste, dass er für seinen Befehl auch einen rationalen Grund liefern musste. Nicht so sehr wegen Jungspunden wie Lieutenant Kendrik, aber die meisten Männer und Frauen der Kreuzerflotte hätten wohl am liebsten die überlebenden Akarii für Zielübungen benutzt. Was das betraf, war er sich auch über seine eigenen Gefühle keineswegs im Klaren, aber er wusste, was er tun musste: „Teilen Sie das auch der Helena und der Obliterator mit. Sie müssen sich dessen bewusst sein, was dieser Angriff bedeutet. Das war keine Verzweiflungstat eines einzelnen Piloten. Das war ein koordinierter, präzise geflogener Kamikaze-Angriff. Und diese Attacke könnte erst der Auftakt sein. Was, wenn die Akarii das nächste Mal dreißig, vierzig, fünfzig Einheiten einsetzen? Wenn sie ihre Garnisonsflieger in Selbstmordeinheiten formieren? Wenn das der Beginn einer völlig neuen Strategie des Gegners ist? Wir brauchen Informationen, um diese Gefahr abschätzen und Gegenmaßnahmen entwickeln zu können. Von der Besatzung der Korax wird uns wohl keiner mehr Rede und Antwort stehen können. Wir BRAUCHEN die Gefangenen. Und geben Sie den Marines Bescheid, sie sollen vorsichtig sein. Vielleicht heben diese Leute nicht einfach brav die Hände. Aber ich will sie LEBEND!“
Mithel stieß ungeduldig die Luft aus. Das dauerte einfach zu lange! Der Angriff der Selbstmordflieger hatte schon zu viel Blut, Material und Zeit gekostet: „Signal an alle Schiffe! Aufschließen und Verfolgung des Gegners wieder aufnehmen. Volle Fahrt Voraus!“

********

Am Ende waren es tatsächlich fünf überlebende Akarii, die man gefangen nehmen konnte. Zwei waren aus ihrem Bomber ausgestiegen, kurz bevor er im Kreuzfeuer der Flugabwehr zerfetzt worden war. Ein Pilot hatte tatsächlich das Kunststück fertig gebracht, sich aus seinem Jabo zu katapultieren, bevor dieser sich in die Helena bohrte. Allerdings war der Akarii schwer verwundet worden und hatte eine extrem hohe Strahlendosis abbekommen. Ob er überleben würde, war mehr als ungewiss. Eine Akarii-Pilotin wurde aus ihrem zusammengeschossenen Jagdbomber geborgen. Die fünfte Überlebende war Kalat Yanti.
Cattaneo
Tyr

Der Untergang der Korax ma Rah und der fast gleichzeitige Tod von Prinz Jor waren der Wendepunkt der Schlacht – zumindest für die Kampfflieger. Zumal die TSN-Streitkräfte unerwartet rasche und schlagkräftige Unterstützung von den zur Columbia zurückgekehrten Resten der Silbernen Staffel und ihrer Gleitflieger erhielten. Entgegen der geltenden Regeln waren alle verfügbaren Jagdbomber- und Abfangjäger-Ersatzmaschinen munitioniert und aufgetankt worden. Die Piloten brauchten einfach nur umsteigen. Binnen kürzester Zeit waren so sechs Maschinen, zwei Jagdbomber und vier Falcons wieder im Raum und begannen, die verzweifelt kämpfenden Akarii-Flieger einzukesseln.
Die Akarii-Piloten wurden von diesen fast simultan erfolgenden Schlägen kalt erwischt. Binnen weniger Minuten zerriss ihr bisher intakt gebliebener Zusammenhalt. Manche der Piloten verloren die Nerven, versuchten sich abzusetzen oder waren wie erstarrt – und damit leichte Ziele für ihre Gegner. Einige wenige Akarii gingen sogar so weit, dass sie sich aus ihren Maschinen katapultierten oder gar ihre Triebwerke ausschalteten und über Breitbandfunk ihre Kapitulation verkündeten. Andere hingegen steigerten sich voller Wut und Verzweiflung in einen Vernichtungsrausch hinein, der sie jedes Risiko und jede Furcht vergessen ließ. Aber das war nur das letzte Aufbäumen – gegen die koordiniert kämpfenden TSN-Kampfflieger, die die Schlinge immer enger zogen, gerieten die Akarii immer mehr ins Hintertreffen. Schließlich kam der längst überfällige Befehl, der den überlebenden Piloten der Korax befahl, sich abzusetzen und zu den verbliebenen Akarii-Kriegsschiffen aufzuschließen. Es war sinnvoller, sie für die Abwehr des nächsten Kampffliegerangriffs aufzusparen. Und der würde bestimmt kommen. Es waren vor allem Bloodhawks und einige wenige Reaper, die sich dank ihrer überlegenen Geschwindigkeit, Wendigkeit und Beschleunigung absetzen konnten. Nur zwei oder drei Sturmjäger schafften es, sich den Weg freizukämpfen.

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Kano hatte an seine früheren Erfolge bisher nicht anknüpfen können. Die geschwächten Schilde und die Schäden an seiner Maschine zwangen ihn zu einer wesentlich vorsichtigeren Flugweise. Außerdem meldeten die Bordsysteme Schäden an einer der Plasmakanonen und einen dreißigprozentigen Leistungsabfall des Triebwerks. Kano erinnerte sich gut daran, wie Renegade seine Maschine wegen eines Triebwerksschadens verloren hatte. Den Nachbrenner sollte er jetzt besser nicht mehr einsetzen. Also hatte er sich schweren Herzens entschlossen, lieber als Flügelmann von Red zu agieren und ihm Rückendeckung zu geben. Tatsächlich war es ihnen so gelungen, eine beschädigte Delta zu vernichten. Red hatte sein Abschuss allerdings die letzten Raketen gekostet.

Als die Korax implodierte, versuchten die beiden Nighthawk-Piloten gerade, zu einem Paar Bloodhawks aufzuschließen. Der Verlust ihres Trägers zerstörte offenbar die Entschlossenheit der beiden Akarii, sie starteten die Nachbrenner und setzten sich Richtung Hauptflotte ab. Selbst mit Vollschub waren sie so nicht mehr einzuholen. Mit einem lautlosen Fluch versuchte Kano, sich einen Überblick über die neue Situation zu verschaffen. Er hatte keine Gelegenheit, den Triumph über die Vernichtung der Korax auszukosten, als ihn ein nur zu vertrautes Schrillen alarmierte. Ohne nachzudenken zog er seine Maschine scharf nach rechts, kippte den Jäger dabei praktisch um fast fünfzig Grad. Die Bloodhawk, die sich hinter Kano gesetzt hatte, schaffte es nicht ganz, seiner Kurve zu folgen, und schoss an der Nighthawk vorbei. Im nächsten Augenblick hatte Kano seinen Jäger herumgerissen und eröffnete selber das Feuer. Und er traf auch. Die Bloodhawk brachte sich mit dem Nachbrenner aus der unmittelbaren Gefahrenzone, stieg steil nach oben und wendete zu einem neuen Anflug. ‚Der ist aber hartnäckig.’ Aber vermutlich wusste der Akarii genau, wie seine Chancen jetzt standen, hatte aber keine Lust, in Gefangenschaft zu gehen.
Angesichts der gefährlich geschwächten Schilde hielt Kano diesmal einen Frontalangriff für unklug, auch wenn der Akarii keine derartigen Bedenken zu haben schien.
„Red! Ich zieh ihn auf mich! Verfolgungsabschuss!“ Kano wartete nicht die Bestätigung ab, sondern ging sofort in eine scharfe Wende, wobei er das Letzte aus der Maschine herausholte.
Gleichzeitig leitete er sämtliche Reserveenergie in die Heckschilde. Erst dann realisierte er, dass Red viel zu weit weg war – auch mit Höchstgeschwindigkeit würde er zu lange brauchen. ‚Verdammt’. Und jetzt hatte Kano den Akarii im Nacken.
Noch war die Bloodhawk nicht auf Schussreichweite herangekommen. Aber der Akarii näherte sich mit rasender Geschwindigkeit. Kano fühlte, wie ihm Schweiß über die Stirn rann, während er seine Maschine stur auf Kurs hielt. Das musste beim ersten Mal klappen. Er hatte nur einen einzigen Versuch. Noch ein wenig…
Dann eröffnete die Bloodhawk das Feuer. Im selben Augenblick drückte Kano auf den Feuerknopf für seine Bordraketen, warf die Maschine auf den Rücken und tauchte nach Unten weg. Seine zwei letzten Raketen, schwere Phoenix-Langstreckenflugkörper, rasten scheinbar ziellos ins All – um dann einen Bogen zu beschreiben und die Bloodhawk aufs Korn zu nehmen.
Kano hatte dieses Manöver im Gefechtseinsatz zum ersten Mal bei Lilja gesehen und seine Nützlichkeit erkannt. Auch die Akarii wussten natürlich, dass man die Raumkampfraketen auch ‚rückwärts’ abfeuern konnte, auch wenn das auf Kosten der Zielgenauigkeit ging. Aber der Pilot der Bloodhawk reagierte ein paar Sekunden zu langsam. Eine der Phoenix erwischte den agilen Akariijäger voll, und ließ seine Schilde kollabieren. Als Kano seine Maschine jetzt auf Kollisionskurs zu dem Akarii brachte, hatte er die Chancen dramatisch zu seinen Gunsten verändert. Die erste, allerdings nur schlecht gezielte Salve verwüstete den rechten Flügel und Rumpf des Feindjägers. Der Akarii wendete allerdings nicht und machte auch keine Anstalten, sich abzusetzen. Stattdessen erwiderte er das Feuer und schoss auch dann noch stur weiter, als Kanos Nighthawk zum Vernichtungsanflug ansetzte. Das Antwortfeuer des Akarii rüttelte den TSN-Jäger brutal durch und kappte den bereits beschädigten Flügel endgültig. Aber davon ließ sich Kano jetzt nicht mehr aufhalten. Das Feuer seiner drei verbliebenen Bordgeschütze schlitzte den Rumpf des Gegners auf, erreichte schließlich die bereits halb geleerten Treibstofftanks. Eine feurige Explosion, und von dem Akarii blieb nichts mehr, als ein paar auseinander driftende Trümmerteile. Der Pilot hatte nicht einmal versucht, auszusteigen.

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Etwa anderthalb Minuten später begannen sich die Akarii abzusetzen. Nicht alle, einige wollten offenbar weiterkämpfen bis zum bitteren Ende, doch etwa zwei Dutzend Feindflieger schafften es, sich abzusetzen. Sie schafften es auch, weil sie sich gegenseitig unterstützten, auch wenn sie wussten, dass das nur ein Aufschub sein würde.
Die verbliebenen Kampfflieger der Columbia verfolgten sie nicht weiter. Auch sie waren zum größten Teil abgekämpft, ihre Tanks gefährlich leer und die meisten Raumkampfraketen verschossen. Als Red ungeduldig anfragte, warum man den Fliehenden nicht den Rest geben sollte, wies ihn Monty gallig darauf hin, wie schnell sie dabei in den Zielerfassungsbereich der Akarii-Großkampfschiffe geraten konnte: „…lieber mal NACHDENKST. Wenn unsere Bomber und Jabos wieder rangehen, um den Hurensöhnen den Rest zu geben, dann brauchen sie ausreichend Geleitschutz. Außerdem können wir mit vollen Tanks und neuen Raketen auch besser austeilen und verfolgen. Wäre doch irgendwie dumm, wenn du mitten im Nirgendwo mit leeren Tanks hängen bleibst – oder dir die nötige Schlagkraft fehlt. Wir sind auf jeden Fall schneller als die großen Pötte. Also kein Grund, es zu überstürzen. Die Akarii-Jäger können weder auftanken, noch aufmunitionieren. Mit jeder Sekunde werden sie schwächer.“
„Das habe ich nicht…“
„Genau. Du hast nicht gedacht.“ Und damit hatte Monty mal wieder das letzte Wort behalten. Kano grinste knapp. Vermutlich hatte der Staffel-XO auch noch einen anderen Grund, auf schnelle Rückkehr zum Träger zu drängen. Bestückt mit schweren Phoenix-Raketen und Hydra-Werfern waren die Nighthawks auch schlagkräftige Schlachtflieger, die einer Korvette beachtliche Schwierigkeiten bereiten und sogar einem beschädigten Zerstörer gefährlich werden konnten. ‚Allerdings gilt das wohl kaum für meinen Jäger…’


Kano wusste, er hatte bei den Techs keinen guten Ruf. Er hatte zu viele Maschinen verloren, und allzu oft waren die, die er zurückbrachte, in einem schlechten Zustand. Heute war das wieder der Fall – von seiner einen Tragfläche war nur noch wenig übrig. Der Schaden war zwar reparabel, aber für einen Kampfeinsatz inmitten von knapp zwei Dutzend Feindeinheiten kam die Nighthawk jedenfalls nicht mehr in Frage. Nicht für die nächsten vierundzwanzig Stunden. ‚Wenigstens komme ich diesmal aus eigener Kraft nach Hause.’
Der Rückmarsch war kein Vergnügen – sein Triebwerk arbeitete immer unzuverlässiger, setzte sogar ein paar Mal für wenige Sekunden aus, und brachte ihn nicht einmal mehr auf Marschgeschwindigkeit. Die Nighthawk blieb immer weiter zurück, was Monty mit der sardonischen Bemerkung quittierte, sie könnten nicht ewig warten, oder sich gar von einem Nachzügler das Tempo bestimmen lassen.
Füglich fand sich Kano nach ein paar Minuten alleine wieder, abgesehen von ein paar anderen angeschossenen Maschinen, die wie er mit gedrosselten Triebwerken heimwärts krochen. Aber ausnahmsweise ärgerte er sich nicht darüber. Er war der Meinung, genug geleistet zu haben in diesem Kampf. Und die Funksprüche, die er von den Kreuzern der Geschwader 2.3 und 2.7 auffing, lenkten seine Gedanken sowieso in eine völlig neue Richtung.
Konnte das sein? War das vorstellbar? Kamikaze?
Wenn es jemanden an Bord der Columbia gab, der Näheres über dieses Phänomen wusste, dann war das Kano. Der Begriff und die damit verbundenen Assoziationen waren, wie die Geisteshaltung und Tradition die den Kamikaze zugrunde lagen, Teil dessen, was Kano als sein kulturelles Erbe ansah.
Immer noch wurde in seiner Familie eines Vorfahren gedacht, der bei dem Geleiteinsatz für die Piloten des ‚göttlichen Windes’ gefallen war. Kano wünschte, er wüsste mehr über die Kultur und die Traditionen der Akarii. War auch für sie die Opferung des eigenen Lebens Teil eines speziellen Kriegerethos? Und warum griffen sie dann gerade jetzt darauf zurück? Er wusste, viele seiner Kameraden würden diesem Phänomen mit Unverständnis begegnen. Mit Verachtung und mit Hass. Er hingegen empfand so etwas wie widerwillige Bewunderung. Auch wenn die Akarii der Feind waren, den er ohne zu zögern tötete und weiter töten würde. Die Tatsache, dass sie bereit waren, sich derart bedenkenlos und entschlossen für den Weg des Todes zu entscheiden, nötigte ihm Achtung ab. Und die Frage, ob er in einer ähnlichen Situation zu einer derartigen Selbstverleugnung und Todesbereitschaft fähig wäre. Wenn die Akarii nicht die TSN-Kreuzer angegriffen hätten, sondern stattdessen die Columbia als Ziel ihres selbstmörderischen Sturmangriffs ausgewählt hätten… Kano bezweifelte, dass man sie dann hätte aufhalten können. Kein Wunder, dass Monty so schlecht gelaunt war.

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Allerdings hatte Lieutenant Miguel ‚Monty’ Terrano auch andere Gründe für seine schlechte Laune. Die Schwarze Staffel hatte ordentlich Federn gelassen. Drei Maschinen waren abgeschossen worden, und zumindest Kanos Maschine fiel vorerst auch aus.
Damit blieben noch sieben teilweise beschädigte Maschinen für den weiteren Einsatz in dieser Schlacht. Ersatzmaschinen hatten sie keine mehr. Und das gegen einen feindlichen Großverband und die verbliebenen Akarii-Jäger, auch wenn denen wohl bald der Treibstoff knapp werden würde. Im Gegensatz zu den Akarii war Monty nicht bereit, die eigenen Leute für einen taktischen Vorteil zu opfern. Allerdings musste er zugeben, dass die Verzweiflungstat des Gegners nur zu gut funktioniert hatte. Die TSN-Kreuzer waren zeitweise aufgehalten worden, hatten teilweise schwere Schäden hinnehmen müssen, und gingen jetzt weitaus konservativer vor. Damit lag es an den Maschinen der Columbia, nun ihrerseits den Feindverband zu dezimieren, aufzusplittern und zu verlangsamen.
Er selber hatte zusammen mit Renegade zwei Maschinen abgeschossen. Eine ging auf sein, die andere auf Renegades Konto. Dazu hatte der junge Pilot allerdings einen ausdrücklichen Befehl ignoriert, war vorgeprescht und hatte unmittelbar nach seinem Raumsieg ziemlich Prügel kassiert, als ein Delta die günstige Gelegenheit nutzte, bei seinem Passierflug die massive Bugbewaffnung ins Spiel zu bringen. Natürlich hatte Monty seinem Flügelmann den Kopf gewaschen, aber er bezweifelte die Nachhaltigkeit seiner Strafpredigt. Jedenfalls waren Renegades Schilde jetzt praktisch nicht mehr vorhanden und auch seine Steuerdüsen hatten wohl auch einiges abbekommen. Zwar behauptete Renegade, dies seien alles nur Kleinigkeiten, aber Monty war fest entschlossen, das selber zu überprüfen, bevor er Renegade wieder starten ließ. Die Maschine des Staffel-XO war auch nicht mehr im besten Zustand. Seine Schutzschilde waren nur noch hauchdünn und die Panzerung an mehreren Stellen beinahe durchschlagen worden. Natürlich würde das IHN nicht davon abhalten, wieder zu starten. Immerhin war er der XO der Schwarzen Staffel.
Dann sah er vor sich den kantigen Rumpf der Columbia auftauchen, und jetzt lächelte auch er. Wie man auch drehte und wendete, dieser Tag hatte den Angry Angels einen weiteren Triumph beschert, den sie vielleicht auch noch ausbauen konnten. Wenn Jor jetzt tatsächlich tot war, konnte das vielleicht sogar dem Krieg eine neue, entscheidende Wendung geben.
‚Eins nach dem anderen.’ Zuerst einmal musste er landen.

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Ausnahmsweise waren Renegade die Tiraden seines Vorgesetzten wirklich egal. Er hatte seinen ersten Akarii abgeschossen. Was kümmerte ihn da Monty und seine Regeln? Das einzige was zählte, war sein Erfolg. Und er wusste, das würde erst der Anfang sein. Weitere Siege würden folgen.
Das einzige, was seinen Triumph etwas schmälerte, waren die Schäden an seiner Maschine. Die Steuerdüsen reagierten irgendwie überempfindlich, und auch sein Haupttriebwerk schien sich etwas launisch zu benehmen. Renegade fühlte sich unangenehm an die Probleme erinnert, die dem Triebwerksbrand vor einigen Wochen vorausgegangen waren. Aber auf keinen Fall würde er jetzt zulassen, dass er sich blamierte. Nicht nach seinem Sieg. Er würde aus eigener Kraft landen und er würde auch an dem Angriff auf die Reste der Akarii-Flotte teilnehmen. Während Ohka mit einer lahmen Maschine zur Columbia zurückkriechen und am Boden bleiben würde. Die Genugtuung, die er bei diesen Gedanken empfand, entschädigte Renegade fast dafür, dass Ohka ihn damals so schmählich im Stich gelassen hatte. Er fühlte die leichten Erschütterungen, als die unsichtbaren Finger des ATLS nach seinem Nighthawk tasteten und gab etwas zusätzlichen Schub, um den Landevorgang zu beschleunigen. Gleich…

**********

Ein wortloser Schrei aus den Kopfhörern war die einzige Warnung. Als Monty den Kopf herumriss, sah er voller Grauen die Flammen, die um das Heck von Renegades Nighthawk loderten. Ob es eine Panikreaktion des Piloten oder eine Fehlfunktion der Steuerdüsen war, plötzlich machte Renegades Jäger einen regelrechten Satz auf Montys Nighthawk zu. ‚Verdammt!’
Instinktiv riss Monty den Steuerknüppel zur Seite, aber seine Maschine war schon zu fest im Griff des ATLS. Der Nighthawk drehte sich nur schwerfällig um die eigene Achse – und bot damit dem außer Kontrolle geratenen Jäger seinen verwundbaren Bauch dar. Nur wenige Meter von der Hangaröffnung der Columbia entfernt kollidierten Renegade und Monty mit mörderischer Wucht. Der linke Flügel von Renegades Nighthawk schlitzte die andere Maschine auf wie ein gigantisches Messer aus Titanstahl, zerfetzte gleichzeitig Treibstoff- und Sauerstofftanks. Die Explosion erfasste beide Jäger, verschlang sie und dehnte sich aus, als auch der Treibstoff und die Sauerstoffvorräte von Renegade zündeten, und den Feuerball expandieren ließen. Keiner der beiden Piloten hatte noch die Zeit, sich seines Schicksals bewusst zu werden. Sie starben schnell.
Das verbogene, rußgeschwärzte Wrack, das einmal Renegades Jäger gewesen war, driftete, sich träge überschlagend, davon. Die zerfetzten Überreste von Montys Maschine aber durchschlugen, immer noch brennend, die Hangarschilde der Columbia und stürzten auf das Landedeck. Jetzt, in der sauerstoffreichen Atmosphäre des Hangars, loderten die Flammen umso heftiger auf.

Das war, neben dem Beschuss mit Atomraketen, einer der Albträume der Trägermannschaften. Feuer im Hangar, wo überall Treibstofftanks, entzündliche Chemikalien und die hochexplosiven Raumkampfraketen lagern konnten. Zu schnell konnte unter diesen Umständen ein verheerender Großbrand entstehen, der dutzende Menschenleben kostete und schwere Schäden anrichtete. Und tatsächlich, die herumfliegenden, glühenden Trümmerstücke durchschlugen einen am Rande des Landedecks liegenden Treibstofftank, der bei der hastigen Betankung der Kampfflieger beiseite gerollt und nur nachlässig gesichert worden war. Die folgende Explosion vergrößerte nur noch das ausbrechende Chaos und füllte den Hangar mit übel riechendem Qualm.
Allerdings reagierten die Sicherungscrews und die automatischen Brandschutzsysteme schnell und effizient. Während viele der Piloten und manche der Techniker angesichts der unerwarteten Gefahr flüchteten, halfen andere den rasch eintreffenden Notfallteams dabei, Treibstofftanks und Raketen in Sicherheit zu bringen, Verletzte zu retten und die Brände einzudämmen. Aus Öffnungen in der Decke ergoss sich Löschschaum über die Brandstellen. Die automatischen Brandschutzsysteme halfen so den Löschtrupps, ein Übergreifen der Flammen zu verhindern. Die Luftversorgungssysteme reagierten ebenfalls wie vorprogrammiert, saugten den Qualm ab und verhinderten, dass die giftigen Dämpfe durch die Umwälzungsanlagen im Restschiff verbreitet wurden. Dennoch kostete der Unfall nicht nur den beiden Piloten, sondern auch drei Mannschaftsmitgliedern das Leben. Mehr als ein Dutzend wurde mehr oder weniger schwer verletzt. Und natürlich war eine planmäßige Landung, die Bestückung oder auch der Start der Bordmaschinen jetzt nicht mehr möglich. Zwar konnten einzelne, schwer beschädigte Maschinen über die Shuttlerampen eingeschleust werden. Mehr aber war nicht zu machen. Wenige Augenblicke, eine Verkettung verhängnisvoller Umstände, versiegelten die Tore des Trägers, verdammten die Piloten der Angry Angels zur Untätigkeit.
Cattaneo
Cattaneo

Die zweite Runde

CA Relentless, eine Minute nach dem Angriff der Bomber der Korax

Die Miene von Commodore Mithel war nur für jene deutbar, die ihn gut kannten.
,Wie schnell sich doch alles ändern kann. Wir Narren, die wir dachten, wir wären auf alles vorbereitet. Doch nein – nichts hat sich geändert! Wir siegen immer noch. Aber der Preis ist noch einmal gestiegen. Aber wie ihr wollt...'
Aber er ließ sich nichts anmerken: „Status der Vorausabteilung?“
„Kami fast nicht mehr einsatzbereit – Brücke ist offenbar ausgefallen. Dauntless schwer beschädigt, Zentralcomputer fällt vermutlich aus. Feindlicher Golf ist ausgefallen im Nahkampf.“ Die Stimme des Sensoroffiziers klang so ruhig wie es sich gehörte. Von Enthusiasmus ließ sich Fuchida vielleicht noch überwältigen – Schock aber hatte er zu meistern gelernt.
Mithel entschied in Sekundenbruchteilen: „Funkspruch an gesamten Verband. An die Kreuzer beider Geschwader – Ziele wie folgend...“ Mit wenigen Sätzen teilte er ihnen die Ziele zu. Die Zeit lief ihnen davon, und wenn sie nicht die feindlichen Kreuzer ausschalteten, bevor diese der Kami und die Dauntless vernichteten...
Er ignorierte die Stimme die ihm sagte, dass die gegnerischen Schiffe und die zwei Erdkreuzer noch sehr dicht beieinander waren, und dass die Explosionen vielleicht den angeschlagenen Kameraden den Todesstoß versetzen würden. Wenn er nicht eingriff, kam es darauf auch nicht mehr an.
Commodore Mithel klang so gelassen wie eh und je, als er den Befehl gab: „Alle Schiffe – FEUER! Laufend weiterfeuern!“ Und die verbleibenden Schiffe der zwei Schwadronen – vier schwere Kreuzer und neun leichte – feuerten mit einem Mal gut 300 Atomraketen ab. Raketen, die gezielt waren auf die feindlichen Schiffe, die sich eben noch mit der Kami und Dauntless herumgeschossen hatten.

Mithel verfolgte scheinbar gelassen mit, wie die Feindschiffe den Atomtod starben, während sie sich zugleich erbittert verteidigten. Unablässig korrigierte er seine Befehle, versuchte, noch das letzte bisschen Vorteil zu sichern. Und er wusste zugleich, dass es nicht genug seien würde, nicht für alle, egal wie gut er befahl, egal wie gut die Kreuzerkapitäne ihre Schiffe führten. Nur wenige Akarii entkamen dem Sperrfeuer und konnten sich ihrem Flottenverband wieder anschließen, oder besser gesagt dem, was Jagdbomber, Bomber und die Großkampfschiffe noch davon übrig gelassen hatten. Wenn die Gegner Glück hatten, wurden ihre Schiffe nur aufgeschlitzt, aber die eine oder andere der feindlichen Einheiten wurde praktisch pulverisiert. Dennoch – sie starben nicht wehrlos. Ein Raumkampf war nie eine einseitige Sache, nicht, wenn der Gegner über eine so schwere Armierung verfügte. Die Akarii waren ihren Feinden an Feuerkraft unterlegen und durch den Verlust ihrer zwei Führungsschiffe vermutlich desorientiert. Die Erdkreuzer konnten ihre Abwehrmaßnahmen besser koordinieren, obwohl der Kamikaze-Angriff auch sie erschüttert hatte. Und dennoch…
Feindliche Raketen trafen die Merciless aus Mithels Geschwader und zerschmetterten den Bug des schweren Erdkreuzers. Die Schotten schlossen sich und verdammten jene, die nicht sofort tot waren, zu einem schnellen, aber qualvollen Sterben. Über 100 Menschen fielen an Bord des Ticonderoga-Kreuzers. Die Annihilator wurde weniger schwer beschädigt, doch auch dort kostete ein Hüllenbruch gut 20 Besatzungsmitglieder das Leben. Die Fearless erhielt schwere Wirktreffer im Maschinenbereich. Kapitän Oparin erkannte, dass eine fatale Kettenreaktion nur eine Frage der Zeit war, und traf einen Entschluss, der wohl zu den schwersten gehörte, die ein Schiffskommandant zu treffen hatte – er ließ das Schiff evakuieren. Doch das rettete nicht mehr die über 80 Besatzungsmitglieder, die beim Einschlag umgekommen waren oder in den am schwersten beschädigten Bereichen des todgeweihten Schiff eingeschlossen waren. Für sie gab es keine Rettung.

Der leichte Kreuzer Kadmos des Geschwader 2.7 hörte einfach auf zu existieren, als ihn drei feindliche Zerstörer aufs Korn nahmen und mit Marschflugkörpern eindeckten. Das Abwehrfeuer der Schwadron konnte ihn nicht mehr retten – zu viele der feindlichen Raketen waren zu bekämpfen. Es konnte auch nicht verhindern, dass das Schwesterschiff der Kadmos, die Labienus, einen Volltreffer in die Flanke erhielt, der das gesamte Marines-Kontingent und 30 Besatzungsmitglieder auslöschte. Sie alle zahlten den Preis für den Sieg bei Tukama, den Preis für die Vernichtung oder Ausschaltung von fast einem Dutzend Feindschiffe unterschiedlicher Größe, die später den Kreuzern der Geschwader 2.3 und 2.7 angerechnet wurde – nicht gerechnet des Golf-Kreuzers, der den Kampf mit der Kami nicht überlebt hatte. Der Gerechtigkeit halber musste man freilich sagen, dass einige der Schiffe bereits von den Jagdbombern der Staffeln Silber und Gold angeschlagen worden waren, doch es waren die Kreuzer, welche ihnen nun den Fangschuss gaben oder die Kapitulation entgegennahmen.

Mithel sah all das. Er sah, wie gute, erfahrene Schiffe beschädigt wurden, wie die Kadmos verglühte, wie die Fearless sich gleichsam von innen verzehrte. Aber wie in jedem Gefecht vorher, weinte er keine einzige Träne. Er hatte nicht geweint, als er am ersten Tag des Krieges das Kommando über die Brücke Hydra übernommen hatte, als neben ihm die Leiche des Kapitäns gelegen hatte, den er respektiert, als Offiziere starben, die er geschätzt hatte. Chris Mithel hatte niemals öffentlich Trauer gezeigt, und er ließ auch jetzt kaum ein Gefühl erkennen. Seine Stimme klang ruhig und voll Autorität, als er die Kreuzer ins Gefecht führte: „Merciless – zurückbleiben, leisten sie den Evakuierten der Fearless Hilfe. Restliche Kreuzer – aufschließen und formieren. Flakkreuzer ins Zentrum. Vorrücken.“ Er wusste, was seine Pflicht war. Man unterbrach einen Angriff nicht, weil man Verluste hatte. Man schloss die Reihen und rückte weiter vor – das war bei den Marines nicht anders als bei den Jagdfliegern oder den Großkampfschiffen.

Flottenträger Columbia

Die Beschleunigung drückte Liljas schlanken Körper in den Pilotensitz, als ihre Maschine startete. Sie ignorierte alle Anzeichen ihres Körpers, die sie nachdrücklich darauf hinweisen, dass sie eben erst von einem aufreibenden Raumgefecht zurückgekommen war. Dank einer innovativen Insubordination von Master Chief Eric Dodson war es ihr möglich gewesen, sofort wieder ins Gefecht zurückzukehren. Die technischen Dienste hatten auf seinen Befehl unter Ignorierung aller Regeln sämtliche verbleibenden Reservemaschinen der Staffeln Blau, Grün und Silber einsatzbereit gemacht – das waren freilich nur noch vier Falcons und zwei Mirage. Aber so konnten die Piloten der Eskorte und auch Razor samt seinem Bordschützen und einem zweiten Paar aus seiner Staffel auf der Stelle starten, anstatt abwarten zu müssen, bis ihre abgekämpften Maschinen wieder betankt und bestückt waren. Ganz abgesehen davon, dass etliche der Maschinen eine längere Überholung nötig gehabt hätten.
Lilja hatte nur einen kurzen Dank herausgebracht – sie hatte freilich vor, dies später noch zu vervollständigen – und keine zwei Minuten nachdem sie auf der Columbia gelandet war, war sie schon wieder draußen im All. Das war bei weitem schneller, als bei einer normalen Neuausrüstung und Betankung ihrer Maschine. Dergleichen ging zwar bei einer geübten Technikercrew schnell – aber in einer Schlacht konnten selbst diese wenigen Minuten entscheidend sein. Also hatte Lilja sich sofort dankbar auf diese Möglichkeit gestürzt und die ihr unterstellten Piloten samt und sonders zu den Maschinen beordert. Razor hatte es nicht anders gehalten. Zugleich arbeiteten die technischen Dienste vermutlich mit Höchstdruck daran, auch die heimgekehrten Mirages und Falcons wieder einsatzbereit zu machen – für den Fall, dass sie gleichfalls noch benötigt wurden. Zumindest Razor hatte – wenn auch mit weniger Begeisterung als Lilja sie gezeigt hätte – seinen daheim gebliebenen Piloten befohlen, zu starten, sobald ihre Maschinen wieder einsatzbereit gemacht worden wären. Lilja hatte sich nicht einmal Zeit genommen, nach ihrem Flightkameraden oder nach Fidai zu fragen, noch hatte sie Chip Zeit gelassen, dergleichen zu tun. Sie wusste, dass viele sie für rücksichtslos hielten, aber jetzt war einfach keine Zeit für solche Gesten. Am Schicksal der ausgestiegenen Piloten konnte sie ohnehin nichts ändern – das lag jetzt in den Händen der Bergungsshuttle. Jede Sekunde des Zögerns bedeutete eine Sekunde mehr, in der die Jäger der Columbia gegen eine Feind kämpfen mussten, der ihnen zumindest noch zahlenmäßig ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen war. Sie hatte noch vor der Landung vom Ende der Korax ma Rah erfahren – und das verbunden mit Lightnings Schicksal allein hätte wohl genügt, um sie selbst mit einem frischen Bruch in den Jäger steigen zu lassen. Eiskalte Wut und brennend heißer Triumph rangen nicht etwa miteinander, sondern verbanden sich zu einem fast rauschhaften Gefühl, in dem sie die Schwächen ihres Körpers – wie so oft – einfach ignorierte.

Ihrer Stimme war dem freilich nichts anzumerken, die klang so kalt wie immer: „Maschinen auf Maximalgeschwindigkeit. Auf mein Zeichen – jeweils 20 Sekunden Nachbrenner aktivieren. Razor – sind Sie dabei?“ Sie wusste, dass sie damit nun ihrerseits eine Dienstvorschrift der Streitkräfte verletzte, denn der Nachbrenner war nicht für den Marschflug gedacht – er verbrauchte zuviel Treibstoff und sein häufiger Einsatz tat den Motoren ohnehin nicht gut. Aber sie wollte ihren Kameraden so schnell wie möglich Hilfe bringen.
Der Jagdbomberkommandant schien Augenblick zu zögern, dann kam ein trockenes: „Bestätige. Überspielen Sie mir Ihre Sensordaten.“ Lilja verzog leicht verärgert die Lippen. Einerseits, weil sie nicht selber darauf gekommen war – die Elektronik der Falcon gehörte zu den modernsten der TSN-Kampfflieger überhaupt, auch weil der Abfangjäger noch nach der Nighthawk entwickelt worden war. Mit Hilfe der Sensoren der Falcons konnten die Mirage ihre Ziele besser anpeilen. Nur bei der Thunderbolt konnte in dem gut anderthalbmal so langen und schweren Rumpf des Jagdbombers mehr Elektronik eingebaut werden, außerdem war sie noch jünger als die Falcon – schade, dass sie nicht auch ein paar Maschinen diesen Typs dabeihatte.
Zum anderen lag ihre Verärgerung daran, dass sie sich – wie schon gelegentlich – einen Augenblick lang fragte, ob Razor eigentlich sein Glück richtig zu schätzen wusste. Das war etwas, was ihr schon seit geraumer Zeit zu schaffen machte. In gewisser Weise bewunderte sie ihn – immerhin war er wohl der Pilot an Bord der Columbia, der die meisten Akarii auf dem Gewissen hatte, und dazu war er hoch dekoriert. Aber er hatte ihre Glückwünsche nie zu würdigen gewusst, ebenso wenig wie die des Geschwaderchefs, und Lilja fehlte jegliches Verständnis für Menschen, die Probleme damit hatten, Akarii zu töten. Sie hätte vermutlich ihre rechte Hand für so eine Chance und so einen Orden gegeben.
Doch dann verdrängte sie – wie immer – diesen Gedanken. Es war egal ob Razor bei seiner Arbeit Freude hatte, so lange er sie nur gut erledigte...

Die Schlacht hatte sich in der kurzen Zeit seit Ausfall der Korax eindeutig nicht zum Besseren entwickelt. Der feindliche Träger war erledigt, doch der letzte Angriff seiner Bomber und Jagdbomber hatte den Vormarsch der terranischen Kreuzer gestoppt. Selbst auf diese Entfernung waren dank der hochempfindlichen Sensoren die Explosionen zu erkennen, die einen der schweren Kreuzer – die San Francisco – erschütterten. ,Rear-Admiral Mullins Schiff.' dachte Lilja ,Mein Gott, das muss ein Massaker gegeben haben an Bord.'
Der Hass übernahm wieder die Oberherrschaft über den Triumph. „Nachbrenner aktivieren...JETZT!“
Die Jäger machten einen Satz nach vorne, rasten förmlich dahin. Sie waren jetzt gut dreimal so schnell wie mit normaler Höchstgeschwindigkeit. Lilja biss die Zähne zusammen, während der Andruck ihre Gesichtszüge verformte. Die Wangenknochen traten hervor, ihre Lippen wichen zurück und entblößten die Zähne. Da die Narben jetzt wegen der angespannten Gesichtshaut besonders deutlich zu sehen waren, bot sie wirklich einen beinahe dämonischen Anblick.
Ihre Stimme klang widerstrebend, als sie den notwendigen Befehl knurrte, um die Maschinen nicht zu überlasten: „Nachbrenner ausschalten in fünf, vier, drei, zwei, eins – jetzt.“
Der „Hüpfer“ hatte sie ein erhebliches Stück an den immer noch tobenden Raumkampf herangebracht. Dicht genug jedenfalls um das Kämpfen, Töten und Sterben beobachten zu können. Ihre Stimme klang so kalt wie das Weltall: „Vorbereiten auf erneuten Sprung. Paarweise Ziele anpeilen und auslöschen. Wir schlagen vom Rand des Kampfes zu, aber bemüht euch, nicht in Kurvenkämpfe verwickelt zu werden. Schießt den Feind mit euren Raketen aus dem Raum, wenn er es am wenigstens erwartet. Razor?“
Der Führer von Staffel Silber schien sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen: „Zielerfassung für die Raketen steht... UND LOS!“


Schlachtfeld von Tukama

Rein statistisch bedeuteten sechs Maschinen eigentlich keinen großen Unterschied in einem Kampf, in dem auf beiden Seiten gut und gerne 60 Maschinen oder mehr verwickelt waren – oder besser, zu Anfang gewesen waren. Aber die Neuankömmlinge hatten einen gewissen Überraschungsvorteil und sie waren voll bestückt. Lilja dankte noch einmal in Gedanken den Technikern, die daran gedacht hatten, vor allem Sparrows und Amraam als Bewaffnung zu verwenden. Die durch Infrarot gesteuerten Sidewinder ließen sich einfach zu leicht täuschen, und sie gehörten zu den Raketen, bei denen es manchmal in einem solchen Durcheinander zu einem friendly-fire-Zwischenfall kommen konnte.
Der Nachbrenner trug ihre Maschine voran, an den Rand des Chaos’ aus Jägern der Akarii und Menschen, in das sich angelegentlich Kriegsschiffe der Echsen einmischten, die ihre Schiffsgeschütze und leichten Raketen auf maximale Entfernung einbrachten – auch das eine tödliche Gefahr für Kampfflieger. Sie war sich Katanas Gegenwart an ihrer Seite bewusst. Ein bitteres Lächeln verzerrte ihre Lippen: „Das ist für Lightning!“ Dann feuerte sie ihre Geschütze ab, während die Zielerfassung ihr anzeigte, dass die Raketen ihr Ziel gefunden hatten. Sofort startete sie zwei Amraam. Die Raketen peilten einen Deltavogel der Akarii an – einer konnte er ausweichen, doch die andere traf und ließ die geschwächten Schilde zusammenbrechen. Und dann feuerte sie noch einmal zwei Raketen. Ihre Kanonen spieen eine Salve aus, und noch eine...

Längst war ihr Gesicht feucht von Schweiß, und die Innenseite ihrer Kombination klebte wie eine zweite Haut am Körper. Sie hatte ihre Raketen abgefeuert, hatte einen Akarii nach dem anderen aufs Korn genommen, ihn geschwächt und damit zu einer leichten Beute für andere Jäger gemacht. Natürlich hatte sie sich nicht auf Dauer aus dem Kurvenkampf heraushalten können – irgendwann hatten die Akarii realisiert, wer ihnen da im Nacken saß. Ab da an war es der übliche Kampf ums Überleben geworden. Am Rande ihres Gesichtsfeldes waren Schatten, die nicht verschwanden, egal wie oft sie den Kopf schüttelte. Die ständige hohe G-Belastung zeigte ihre Wirkung, ebenso wie der zweite aufreibende Kampfeinsatz in kürzester Zeit. Sie riss ihre Maschine in einen brutalen Looping, ignorierte vollkommen die Warnanzeigen ihrer Geräte, ihren Treibstoffverbrauch, die Warnungen ihres eigenen Körpers. Ihre Bordwaffen schleuderten Tod und Verderben auf die angeschlagenen Akarii. Sie stieg, stürzte, brach zur Seite aus. Sie musste Haken schlagen wie ein Hase, der den Habicht auf seiner Spur wusste, und stürzte sich selber wie ein angreifender Raubvogel auf ihren Gegner, um Kameraden zu retten. Die Feuerwechsel verschmolzen miteinander, bis sie nicht mehr genau sagen konnte, mit wem sie eigentlich genau gekämpft hatte. Alle ihre Sinne und Gedanken waren im JETZT, denn sonst hätte es kein SPÄTER mehr für sie gewesen. Aber sie erinnerte sich mit triumphaler Deutlichkeit an das Bild gleich zu Anfang ihres Angriffs, wie der gegnerische schwere Sturmjäger, ein Deltavogel, in einem Sturm aus Feuer unterging. Ihr dritter Abschuss in diesem Gefecht, eine Leistung, die ihr in diesem Krieg erst ein, zwei Mal geglückt war. Die meisten Piloten der Menschen und Akarii lebten und starben, ohne dergleichen zu erleben. Und die wenigsten waren noch besser. Sie wusste nicht mehr, ob noch eine der Echsen hatte aussteigen können – entgegen ihrer üblicher Gewohnheit hatte sie davon Abstand genommen, sich vom Tod ihrer Feinde zu überzeugen, beziehungsweise sicherzugehen, dass sie wirklich tot waren. Es blieb einfach keine Zeit. Sie war sicher, dass sie mindestens noch einen Feindjäger schwer angeschlagen hatte, der dann von Katana erledigt worden war. Dazu hatte sie auch noch den einen oder anderen Gegner beschädigt. Aber sie wusste auch, langsam aber sicher kam sie an ihre Grenzen. Die Sehnen in ihren Händen traten bereits überdeutlich hervor, so krampfhaft umklammerte sie den Steuerknüppel. Ging der Kurvenkampf Minuten, Stunden? Sie wusste es nicht mehr. Sie brauchte inzwischen jedes bisschen an Können und Erfahrung, das sie ihren Gegnern voraushatte. Wenn es noch lange so weiterging…
Ein dünnes Rinnsal Blut war unter dem Klarsichtvisier ihres Helmes zu sehen – sie hatte sich den Kopf angeschlagen, als ihr Jäger eine volle Salve eines schweren Akarii-Jägers kassiert hatte. In dem Augenblick wäre sie um ein Haar ohnmächtig geworden – was wohl ihren sicheren Tod bedeutet hätte. Aber sie hatte sich auf die Zunge gebissen und weitergemacht, und Katana hatte den Feind verjagt. Dennoch, lange würde sie nicht mehr…

Und in dem Augenblick hörte sie über Funk die Stimme des Geschwaderchefs: „Die Akarii ziehen sich zurück. Wiederhole, die Jäger der Akarii ziehen sich zurück!“ Seine Meldung ging im Siegesgeheul der Piloten unter – und Lilja brauchte eine Weile ehe sie begriff, dass sie mitjubelte.
Die Verstärkung hatte geholfen, dem Jägergefecht die entscheidende Wendung zu geben, zusammen mit dem Untergang der Korax ma Rah, dem Tod von Prinz Jor und vor allem der Zähigkeit und des Geschicks der Piloten der anderen Staffeln. Die Moral der Akarii hatte Schlag auf Schlag erlitten. Sie war niemals gänzlich zerbrochen, aber sie zeigte mehr und mehr Risse, ihr Kampfgeist schmolz dahin, Verzweiflung und blinde Wut nahmen ihnen die Möglichkeit, richtig zu reagieren. Diese Wut und Verzweiflung war etwas anderes als Liljas erbarmungslose und eiskalte Rachsucht, geboren in den ersten Wochen des Krieges. Am Ende blieb ihnen nur noch Flucht, Tod oder Kapitulation.

Lilja ließ sich in ihren Sitz zurücksacken. Erst jetzt fühlte sie, wie müde sie wirklich. Aber sie lächelte. Die Akarii zogen sich zurück – aber sie hatten keine sichere Basis mehr. Die Maschinen der Angry Angels würden zum Träger zurückkehren, auftanken – und dann zusammen mit den Großkampfschiffen die restlichen Echsen vernichten. Das hieß natürlich, dass auch auf sie noch einiges an Arbeit zukam...
Lilja aktivierte ihr Funkgerät. Es war Zeit für den Rückflug.
„Grün Neun an Grün Elf – Status?“ Es gab keine Antwort. Sie runzelte leicht irritiert die Stirn.
„Lilja an Katana – ich habe nach dem Status gefragt!“ Sie ignorierte das ungute Gefühl, das sie zu ergreifen drohte.
„Katana?“ Immer noch gab es keine Antwort. Sie kontrollierte ihre Sensoranzeigen. Doch die zeigten die Kennung der sie umgebenden Jäger, die sich entfernenden Akarii – aber nicht Grün Elf. Ihre Stimme schwankte leicht, als sie ein letztes Mal fragte: „Katana? Grün Elf?“ Nichts. „Weiß jemand, wo Grün Elf ist?“
Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann hörte sie Imps Stimme. Die Deutsche klang wie eine Frau, die erheblich mehr Jahre zählte, als ihr Alter in Wirklichkeit betrug. Sie klang wie betäubt.
„Ich glaube...eine Bloodhawk. Seine Heckschilde waren schon hinüber.“ Für einen Augenblick klang es so als müsste sie die Tränen unterdrücken: „Er hat es nicht geschafft.“
Sie sprach es nicht aus, doch Lilja wusste auch so, was ihre Freundin dachte: ,Jetzt bin ich die letzte.’ Imp und Katana waren keine engen Freunde gewesen, aber ihn so zu verlieren, im letzten Augenblick einer Schlacht, die praktisch schon gewonnen war...
Und Lilja dachte dasselbe wie ihre Kameradin, fühlte dasselbe, wenn auch aus anderen Gründen. Jetzt, nachdem Lightning abgeschossen, vermutlich tot oder schwer verwundet war, war Imp die letzte der Piloten ihrer Staffel, die noch von Anfang an bei den Angry Angels dabei gewesen war. Und Lilja war die letzte ihrer Sektion – Dragon und Fidai waren abgeschossen, und Katana – Katana war tot. Alle die ihr anvertraut worden waren, hatten bitter dafür büßen müssen. Chips Sektion und die Mirage waren etwas besser davongekommen, aber eben nur etwas. Und so sehr sie sich auch bemühte – die Frage, ob das nicht ihre, Liljas, Schuld gewesen war, ließ sich nicht abschütteln.
,Und ich habe es nicht einmal mitbekommen, habe nicht einmal zugesehen als er starb. Er war an meiner Seite, ich habe ihn dahingeführt wo er...
Ihr verdammten Schweine...
Und was ist mit mir? Bin ich denn soviel besser als sie? Ich töte keine Menschen, nur Echsen, aber mir war die Mission immer wichtiger als ein Mensch. Auch wichtiger als mein eigenes Leben. Aber wieso bin ich dann noch hier, bin immer noch hier nach all den Jahren und all den Kämpfen, und die anderen...'

Aber dafür war später Zeit. MUßTE später Zeit sein, sonst wäre sie zusammengebrochen. Sie hatte etwas zu erledigen, alles andere musste warten. Zumindest versuchte sie sich dies einzureden, versuchte sich davon zu überzeugen, dass sie überhaupt die richtige war, Menschen zu befehligen.
„Staffel Grün – sammeln! Staffel sammeln. Chip – Absetzen zu Staffel Blau, und viel Glück.“ Sie schauderte unwillkürlich, als sie die Maschinen ihrer Einheit zählte. Da waren noch Imp und Sokol – das war zumindest etwas, wofür sie Gott gedankt hätte, wenn sie denn religiös gewesen wäre. Und da waren Spitfire und Marine. Fünf von vorher zwölf, und was aus den anderen geworden war, wusste keiner genau. Lilja fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog. So wenige noch übrig, und alle abgekämpft, die Maschinen lädiert. Ihre eigene Maschine war ebenfalls kampfgezeichnet. Aber sie wusste auch, wenn Lone Wolf es ihnen befehlen würde, würde sie wieder aufsteigen und die Jäger in den Kampf führen. Denn was konnte sie auch anders tun? Sie konnte nicht aufgeben, nicht sich ausruhen, denn wie sollte sie von anderen verlangen, was sie selber nicht zu leisten bereit war?
Also biss sie die Zähne zusammen – wie so oft: „Formieren. Wir fliegen zurück zur Columbia.“ Dann aktivierte sie eine Verbindung zur Flugzentrale: „Falcons Grün und Blau, die bereits zurückgekehrt sind – überprüfen. Einsatzbereite kampfbereit machen.“ Sie wusste, von den vier Heimkehrern ihrer und Chips' Sektion waren bestenfalls zwei sofort wieder einsatzbereit. Ihre eigene Stimme klang seltsam verwaschen, so dass sie zweimal ansetzen musste: „Kameraden – ihr habt heute außergewöhnlich gut gekämpft. Aber es ist noch nicht vorbei. Wir werden noch einmal starten müssen. Mindestens zwei von uns. Ich gehe noch mal raus. Wer kommt mit?“
Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Lilja fragte sich, ob überhaupt noch irgendjemand in der Staffel bereit seien würde, ihr zu folgen. Selbst Imp oder Sokol...
Aber dann war es Sokol – und Imp gleichauf – die sich meldeten: „Bin dabei.“ „Du weißt, dass du auf mich zählen kannst.“ Dann kam die grimmige Meldung von Marine: „Hab nichts dagegen, noch ein paar Schwanzlutscher-Echsen zu ficken.“ Sie konnte ihre Herkunft vom Corps eben auch jetzt nicht verleugnen. Und auch Spitfire meldete sich nur wenig später. In seiner Stimme war die Erschöpfung deutlich zu spüren – vielleicht auch Erleichterung, denn er wusste, Lilja würde kaum ihn zuerst wählen: „Ich bin bereit.“

Lilja unterdrückte ein Lächeln – ein trauriges zwar, aber immerhin ein Lächeln, und die einsame Träne, die ihre Wange herunter rann war diesmal kein Zeichen der Trauer.
,Verdammt, ich werde offenbar langsam weich. Muss an dieser verdammten Schlacht liegen. Und an dem was Diane...Nein, daran darf ich jetzt nicht denken.'
Sie waren bereit, ihr zu folgen. Trotz allem waren sie bereit. Sie brachte nur ein ersticktes: „Danke“ fertig. Und dann war sie wieder die alte: „Offene Formation. Zustandsmeldung vorbereiten.“
In vielen Staffeln sah es ähnlich aus wie bei den Grünen, auch wenn kaum eine so stark dezimiert worden war. Aber es war immer noch ein harter Kern übrig – vermutlich ausreichend, seinen Teil zur vollständigen Vernichtung der Akarii-Flotte beizutragen. Lilja wusste, auf den Rest der grünen Staffel – wie viel Jäger würden das werden? Drei, Vier? - kam eine Aufgabe zu, die nicht die leichteste seien würde. Sie würden, zusammen mit den Blauen, den Jagdbombern und Schlachtfliegern noch einmal den Weg freikämpfen müssen. Das bedeutete, sie würden antreten gegen die Reste der Akarii-Jäger. Doch auch wenn diese abgekämpft und vermutlich knapp an Treibstoff und ohne Raketen waren, so ging es auch für die Echsen um alles oder nichts. Natürlich waren die noch einsatzbereiten Griphen und Nighthawks schlagkräftig, aber sie würden zum Gutteil sicher mit schweren Sidewindern und ungelenkten Imp-Raketenwerfern bestückt sein, um die feindlichen Dickschiffe anzugreifen. Nicht die richtigen Waffen für einen rasanten Kurvenkampf. Also würde vielleicht ein Dutzend Falcons die Hauptlast der Kämpfe gegen die überlebenden Akarii tragen müssen...
Die Russin fluchte lautlos – nun, sie würde gewiss nicht einknicken! Wenn die verdammten Echsen noch flogen, dann würde sie bestimmt nicht vor ihren Feinden aufgeben. Sie fragte sich, wie viele Maschinen ihrer Staffel wohl diesen letzten Kampf überstehen würden, ob es diesmal vielleicht Sokol oder Imp treffen würde. Verglichen damit schien ihr selbst die Gefahr geringfügig, ihrerseits dem Gegner zum Opfer zu fallen. Sie wollte nicht diese beiden auch noch verlieren!
Und doch wusste sie, sie würde – vor die Wahl gestellt, wen sie mitnehmen sollte – unweigerlich einen ihrer Freunde oder beide wählen, so sehr sie sich innerlich dafür verabscheute. Aber sie glaubte – sie hoffte – dass die beiden das verstehen würden.

Kurz darauf – nahe der Columbia

Der Tod von Monty und Renegade vollzog sich für die fernen Beobachter quasi lautlos, denn selbst das Durcheinander der fassungslosen Stimmen der Zaungäste der Katastrophe setzte erst verspätet ein. Die Falcons von Staffel Grün, nun eher eine Ansammlung kriegsmüder Halbwracks als eine tödliche Phalanx pfeilschneller Abfangjäger, hatten geduldig gewartet, bis sie an der Reihe waren. Mehr als einen erstickten Fluch brachte auch Lilja nicht fertig, als vor ihr Feuer an der Flanke der Columbia aufloderte. Für einen bangen Augenblick fürchtete sie schon, ein gut getarntes Akarii-Schiff hätte eine Atomrakete abgefeuert, doch dann erkannte sie die Wahrheit – und die war schlimm genug. Wie konnte das denn nur geschehen? Ausgerechnet jetzt! Sie wusste fast sofort, wen es getroffen hatte, denn die Anzeigen gaben darüber Auskunft. Doch Lilja sparte sich Fragen nach dem Schicksal der Piloten oder nach dem Zustand auf dem Träger. Nur um jeden Preis vermeiden, irgendjemand in dem Chaos noch zusätzlich abzulenken. Vielleicht war sie auch inzwischen einfach zu müde um sich aufzuregen. Hatte zu viele Kameraden verloren, die ihr näher standen als diese beiden. Ihr ganzer Körper schien nur noch aus gefolterten Muskelsträngen zu bestehen, die bohrenden Kopfschmerzen und das leichte Schwindelgefühl ließen in ihr den Wunsch erwachen, sich einfach nur noch zusammenzurollen und zu schlafen – mindestens ein oder zwei Tage lang. Sie kannte die Anzeichen, aber sie ignorierte sie so gut es eben noch ging – sie wollte nicht darüber nachdenken, was das in einem Gefecht bedeuten würde.
,Na und? Die verdammten Echsen sind bestimmt noch schlimmer dran! Denk an Lightning, denk an Tyr, denk an Katana! Verdammter Waschlappen, reiß dich zusammen!' Fluchte sie innerlich. Das half – ein wenig. Offenbar war sie immer noch in der Lage, sich selber genügend anzuschreien, dass sie gehorchte...

Sie wartete noch ein paar Augenblicke, und zur Sicherheit noch ein paar zusätzlich, dann erst aktivierte sie einen Kanal zur Columbia: „Grün Neun an Leitstelle? Wie sieht es aus? Befehle?“ Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann meldete sich Lieutenant Commander Schwimmer. Er klang leicht überfordert: „Lilja, warten Sie. Wir haben noch keinen Kontakt zum Commander - Halten Sie Stellung und die Jäger vom Schiff fern.“ Die Russin öffnete den Mund, um nach weiteren Anweisungen – und nach dem Commander – zu fragen, doch dann unterließ sie es. Der Gedanke, Lone Wolf könne verletzt worden sein, machte ihr zu schaffen. Sie war nicht gerade mit dem Geschwaderchef befreundet, aber sie bewunderte ihn für seine Leistungen und war ihm gegenüber loyal.
Schwimmer schien sich klar darüber zu sein, dass er den Piloten draußen wohl etwas mehr mitteilen musste: „Lilja...“ er verstummte kurz und fuhr dann auf Breitband fort: „Alle herhören. Alle Maschinen herhören. Wir haben einen Brand auf dem Flugdeck, doch er wird gerade unter Kontrolle gebracht. Es besteht keine, ich wiederhole KEINE unmittelbare Gefahr für die Columbia. Details später. Maschinen auf Parkkurs.“
Das war nicht gerade geeignet, um Liljas Unruhe zu mindern. Was war mit dem Commander? Und was sollte nun geschehen? So atmete sie erleichtert auf, als Schwimmer sich kurz darauf erneut meldete: "Befehl vom Commander – Maschinen Abwehrformation bilden. Achten Sie auf anfliegende Akarii – Möglichkeit von Kamikaze-Angriffen. Bereithalten für Raumbetankung."

Sie lächelte beinahe, als sich Lone Wolf's Nighthawk den Maschinen anschloss, die um die Columbia einen schützenden Abfangschirm bildeten. Unter anderen Umständen wäre sie über ihre eigene Kaltherzigkeit vielleicht bestürzt gewesen, denn ihr war bewusst, dass sie den Tod – etwas anderes schien kaum möglich – von Renegade und Monty so schnell verdrängt hatte. Aber im Vergleich zu den Verlusten ihres Umfeldes schien ihr der Tod der zwei Angehörigen der Schwarzen Staffel wie etwas fast unwirkliches.

Lilja zögerte kurz, doch sie musste fragen: „Frage weitere Befehle? Sollen wir trotzdem...“
Für einen Augenblick schien auch Lone Wolf zu überlegen. Natürlich konnte er der abgekämpften, dezimierten Schar von Maschinen, die hier versammelt war – einige der Überlebenden der Schlacht waren zudem schon gelandet, konnten aber nicht starten – noch einen Angriff auf die Akarii, oder zumindest auf Nachzügler befehlen. Sie hatten vermutlich nicht mehr als ein halbes Dutzend Raketen im ganzen Verband. Bei vielen ging der Treibstoff zu Ende, Schilde und Panzerungen waren geschwächt. Die Maschinen wurden jetzt schrittweise betankt, und langsam kamen aufmunitionierte Maschinen hinzu, die man über die Shuttlestation ausschleuste – aber langsam hieß in diesem Fall zu langsam. In ihrer Masse konnten die Jäger der Columbia durchaus noch gefährlich werden. So etwas konnte Stoff für die eine oder andere Legende werden...
Aber der Nachteil an Legenden war, dass ihre Helden zumeist dabei draufgingen. Und so sehr Cunningham bereit war, das Wohl der Republik – und eng damit verbunden das eigene – über das Leben von Untergebenen zu stellen, so verschwendete er ihr Leben nicht. Vor allem wenn der Erfolg in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen würde. Es war nicht abzusehen, ob die Akarii nicht doch noch so etwas wie bei den Kreuzern versuchen würden. Und wenn ein Kamikaze die Columbia treffen sollte...
Also sprach er mit fester Stimme, und nicht das geringste Zittern verriet etwaige Unsicherheit: „Wir bleiben hier. Die Akarii könnten auf die Idee kommen, unseren Träger mitnehmen zu wollen. Wir haben die Korax erledigt und Jor ist tot – damit haben wir unseren Teil erledigt. Wir würden es ohnehin es zum Gutteil nicht mehr bis zum Feind schaffen, und wir haben nur noch wenige Raketen. Das ist jetzt Sache der Großkampfschiffe.“ Vermutlich dachte er sich dabei, dass er so zugleich eine Ausrede eingebaut hatte – ,Ich habe mich eben auf die Dickschiffe verlassen...'

Lilja warf einen Blick auf die Anzeigen. Die Statusberichte der Maschinen ihrer Staffel kamen eben herein. Sokol – Schilde 50%, Backbord -Photonenkanone nur noch 30% Leistung. Spitfire – Schilde Bug 20%, Heck ausgefallen, Panzerungsschäden. Imp – Schilde inzwischen wieder bei 35 %, aber Verlust der Laserkanonen durch technischen Defekt...
Sie wollte die Akarii nicht davonkommen lassen, aber sie wusste auch, dass die Staffel bis an die Grenzen des Machbaren gegangen war. Ihre Stimme zeigte weder Freude noch Enttäuschung, als sie den Befehl quittierte: „Verstanden Sir – wir halten sie auf, wenn sie kommen. Und schön, dass es Ihnen gut geht.“ Im nächsten Augenblick hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. ,Ich werde wirklich weich!'

Schwerer Erdkreuzer Relentless

Chris Mithel hielt sich noch immer aufrecht. Wie immer wusch die Aufregung und Anspannung des Gefechts jede Spur von Erschöpfung und Alter heraus, befähigte ihn, wie ein junger Lieutenant zu agieren – besser noch, denn er konnte auf lange Jahre der Erfahrung zurückgreifen.
Der Commodore warf einen Blick auf die Anzeigen, deren Aussagen klar waren – der Gegner setzte sich offenbar ab. Das bedeutete...
Und da kam auch schon die Meldung, die er befürchtet, aber zugleich auch erwartet hatte: „Feind wirft Minen und Minenraketen.“ Der Geschwaderchef verkniff sich ein frustriertes Schnauben. Natürlich – die Akarii deckten ihren Rückzug.
„Shuttles ausschleusen – auch die der Marines! Sichern der Akarii-Wracks! Und ich will, dass unseren Schiffen optimale Hilfe geleistet wird.“ Er wusste nicht, ob man die Kami noch würde halten können, ob Captain Schneider noch lebte – aber er musste zusehen, was noch zu retten war.
„Die restlichen Schiffe formieren sich. Maximale Sensorleistung, Sperrfeuer mit Bordkanonen.“ Doch Mithel wusste zugleich, dass es vermutlich zu spät war. Das Opfer der Akarii-Bomber und der Mehrzahl der Großschiffe der Akarii hatte dem Rest eine Chance zur Flucht erkauft. Er spürte bittere Ernüchterung, als er erfuhr, dass auch die hoch gelobten Elitekämpfer der Angry Angels nicht mehr eingreifen würden, das Startdeck des Trägers war ausgefallen.
,Und Admiral Wulff will offenbar nicht, dass die Zerstörer bei der Columbia für ihr Geld auch etwas mehr Arbeit leisten...' dachte Mithel etwas gallig. Natürlich hatte sie auch anderes zu bedenken, wie etwa die Schäden auf der Columbia und den Umstand, dass sie hier tief im Feindesland stand und jede Beschädigung eines Schiffes potentiell tödlich seien konnte, so weit von jeder Werft entfernt, das musste er zugeben. Aber dennoch...
So konnte er nur mit einem Gefühl der Enttäuschung beobachten, wie die Reste der Akarii sich absetzen. Sie hatten die Echsen besiegt – aber es war ein teurer Sieg geworden. Die Verluste der Akarii waren erheblich höher gewesen, aber die Kreuzer hatten keinen geringen Preis zahlen müssen – vor allem, wenn man daran dachte, dass die Zerstörer und Fregatten so gut wie gar nicht am Kampf teilgenommen hatten. Vernichtet waren der Ticonderoga San Francisco und die Achilles-Kreuzer Fearless und Kadmos. Schwer beschädigt und hier vermutlich nicht mehr zu reparieren die Executioner. Wie es mit Kami und Dauntless stand, blieb abzuwarten. Im Vergleich zum Erreichten – der Vernichtung oder Kapitulation von zwei Yankee, einem Golf und zwei Kilo-Kreuzern sowie etlichen leichten Schiffen – kein hoher Preis, immerhin waren dies die Akarii. Aber es waren stolze Schiffe gestorben, die schon so vieles miterlebt hatten, und mit ihnen so viele Männer und Frauen. Und Mithel zweifelte daran, dass der Tod von Prinz Jor den Frieden wirklich in greifbare Nähe gebracht hatte.

Staffel Grün, bei der Columbia

Sie konnten nur zusehen wie die Akarii abzogen. Die menschlichen Kreuzer waren durch den Kamikaze-Angriff der Akarii-Bomber zurückgeworfen worden und hatten im direkten Kampf weitere Schäden und Verluste einstecken müssen. Vermutlich hatten die Akarii im Ablaufen auch noch einige Minen abgeworfen, so dass bei der Verfolgung Vorsicht geboten war. Vorsichtige Vorstöße der Fregatten und Zerstörer der Columbia-Gruppe aber trafen auf wütendes Abwehrfeuer der Akarii. Sie waren immer noch gefährliche Gegner, vor allem die verbleibenden Kreuzer des Gegners. Und offenbar war das Oberkommando nicht bereit, den Träger selbst als Kriegsschiff einzusetzen – verständlich, angesichts des Brandes an Bord und angesichts der Gefahr von weiteren Selbstmordangriffen von feindlichen Jägern oder vielleicht auch Shuttle. So vergrößerte sich der Abstand der feindlichen Schiffe zu den Menschen immer mehr. Lilja konnte nicht anders, als dies mit Bitterkeit zur Kenntnis zu nehmen. Es war nicht nur ihr Hass auf die Akarii, der ihr den Geschmack des Sieges schal werden ließ, auch nicht der Gedanke an die Kosten dieses Sieges. Sie dachte daran, dass diese Akarii vielleicht eines Tages wieder zurückkommen würden, und wer wusste schon, wie viel es dann kosten würde, sie zu vernichten?
Ein feindliches Schiff blieb zurück, konnte dem Verband nicht mehr folgen. Es gab den Kampf gegen die Gefechtsschäden verloren, wie ein harpunierter Wal, der Blut spuckte und sich auf die Seite legte, wenn die Jäger ihn zu Tode gehetzt hatten. Rettungskapseln schossen in alle Richtungen davon. Ehe aber die Menschen daran denken konnten, dem Havaristen den Fangschuss zu geben oder es für sich zu sichern, zerfetzten zwei Atomraketen der Akarii das verlassene Schiff. Ein Teil der Besatzungsmitglieder dürften in überladenen Shuttles zu den anderen Schiffen der Flotte entkommen, doch viele blieben in Rettungskapseln zurück.

Am Ende waren es dreizehn Schiffe der Akarii, die sich den Weg zum Sprungpunkt von Tukama freikämpften. Unter ihnen waren ein schwerer und ein leichter Kreuzer, der Rest waren kleinere Einheiten. Siebzehn Schiffe der Akarii und unzählige Kampfflieger sowie einige Shuttles ließen sie als Wracks oder leere Hüllen hinter sich, falls das Feuer der Schlacht sie nicht in ihre Atome zerlegt hatte. Die menschliche Flotte, siegreich zwar, aber nicht ohne ernste Wunden, blieb zurück. Lilja aber warf den fliehenden Akarii noch einen letzten Blick hinterher. Sie dachte an ihre toten und vermissten Kameraden, an die anderen Staffeln, an die San Francisco und all die anderen beschädigten und zerstörten Schiffe.
,Ihr könnt ja heute fliehen, aber ich schwöre euch, ich werde euch wenn es sein muss bis in die Hölle jagen und mit dem Teufel persönlich kämpfen, bis ihr endlich in die Knie geht.' Dachte sie noch hasserfüllt.
Dann verschwanden die Symbole der Akariischiffe eines nach dem anderen von ihren Anzeigen. Die Schlacht von Tukama war vorbei – doch nicht das Sterben. Und in wie weit diese Schlacht den Verlauf des Krieges beeinflusst hatte – das konnte keiner sagen. Und vielleicht würde man noch in tausend Jahren darüber streiten...
Cattaneo
Cunningham

Nachdem die Akarii sich zu ihren fliehenden Dickschiffen abgesetzt hatten, war Lucas einer der ersten, die gelandet waren. Eigentlich, so wusste er in seinem Inneren, sollte er deprimiert sein. Jor war seine Beute gewesen. Dieser Sieg hätte ihm zugestanden, und doch konnte und wollte er der Besatzung der Thunderbolt nicht böse sein.
Jor und sein Flügelmann hätten ihn getötet. Er wäre sicher nicht ausgestiegen. Noch nie hatte er eine Maschine draußen im All gelassen. Auch nicht jene zerschossene Maschine, welche er nach Pinpoints letzten Flug in das Deck der Redemption gebohrt hatte. Jene Maschine, die man ausgemustert hatte.
Teufel, waren die beiden Akarii gut gewesen. Irgendwie musste er in Erfahrung bringen, wer Jors Flügelmänner gewesen waren. Es mussten Asse der Akarii gewesen sein.
Ein Wunder, dass La Reine noch flog.
Trash und Ferret kletterten aus ihrer Thunderbolt. Wenn keine Ohren im Weg gewesen wären, würden beiden die Schädeldecken vor grinsen abfallen.
Beide kamen sie auf ihn zu, an die Seite des Flugdecks. Er gab erst Trash die Hand, dann Ferret: „Gute Arbeit Jungs, verteufelt gute Arbeit und ... vielen Dank, das war eine echt brenzlige Situation, aus der Ihr mich da rausgepaukt habt.“
„Gern geschehen Skipper.“ Antwortete Trash. „Immer wieder gerne.“
Dafür wurde er von Ferret in die Schulter geknufft.
„Ist schon okay.“, antwortete Lone Wolf. Dann stellten sich ihm die Nackenhaare auf und er blickte in Richtung Landebucht. Der Zeitfluss schien auszuschnappen.
Er sah wie sich die beiden Nighthawk ineinander verkeilten. Ihm war so als könnte er sehen, wie einer der beiden Piloten in sinnloser Geste die Arme schützend vor den Helm und Gesicht hielt. Ohne zu erkennen, welcher seiner Leute das gerade war.
Die beiden Jäger lösten sich voneinander, einer driftete weg vom Schiff. Der andere drehte sich um die eigene Achse, durchbrach das Magnetfeld, welches den Hangar vom luftleeren All trennte und schlug mit den Antriebsdüsen zuerst auf das Deck auf.
Die Zeit schnappte wieder ein. Lucas packte beide Piloten an den Raumanzügen und zerrte sie vom Deck in einen der Seitenbuchten.
Die Nighthawk schlug mit voller Wucht mit ihrer Oberseite aufs Deck. Sekundärexplosionen gingen von dem noch brennenden Vogel aus, während er einige Meter über das Deck rutschte.
Das Cockpit wurde vollständig eingedrückt.
Lucas konnte nun trotz all des Rauchs, der Flammen und des einsetzenden Chaos auf der Seite unter dem Cockpit Monty's Namen lesen.
Trocken flüsterte eine Stimme in seinem Kopf: Menschen sterben. Ganz besonders im Krieg.
Der Feueralarm setzte ein. Die Bordfeuerwehr und das technische Personal reagierten vorbildlich. Die Notsysteme waren exzellent in Stand gehalten worden.
Schnell wurde das Hangardeck abgeriegelt, Treibstoffleitungen verschlossen und Waffenmagazine versiegelt.
Ein Techniker packte Lone Wolf an der Schulter: „Admiral über Bordcom für Sie!“
Der Geschwaderkommandant rannte zum nächsten Intercom und nahm den Hörer: „Cunningham?“
„Was ist zur Hölle los bei Ihnen da unten?“
„Zwei Jäger sind bei der Landung kollidiert.“ Lucas beobachtete wie das Feuer eingedämmt wurde.
„Hören Sie Commander, ich brauche da draußen die Jäger, bewaffnet und abfangbereit.“ Eine nicht zu überhörende Spannung hatte sich in Wulffs Stimme geschlichen.
„Ma'am hier ist gerade die Hölle los. Ein Großteil meiner Maschinen hängt noch im All. Die Raketen verschossen und mit leeren Tanks.“
„Commander“, antwortete Wulff, „die Akarii haben einen Selbstmordangriff auf unsere Kreuzer geflogen. Admiral Mullins ist tot, sein Flaggschiff ist mit einem Großteil der Crew verloren gegangen ...“
„Ich verstehe Ma'am, ich mache mich an die Arbeit.“ Ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten schaltete Lone Wolf vom Sprechkanal auf Lautsprecheranlage Flugdeck: „Chief Dodson, Chief Atti sofort beim CAG melden. Chief Dodson und Chief Atti sofort beim CAG melden.“
Er musste nicht lange warten, bis die beiden ranghöchsten Unteroffiziere der Columbia bei ihm eintrafen. Atti wirkte in seinem gelben Raumanzug klobig. Dodsons' Gesicht war rußgeschwärzt.
„Ohne lange Vorrede: Sämtliche Jäger und Jagdbomber, die sich an Bord befinden, werden aufgetankt und aufmunitioniert. Wir gehen wieder raus. Das ganze ASAP.“
„Also Skipper, ich will ja jetzt nicht quer schießen, aber sehen Sie, was hier los ist? Wir haben noch nicht mal angefangen das Landedeck wieder einsatzbereit zu machen.“ Dodson wirkte sichtlich angeschlagen. „Wir werde einige Jäger über die Shuttleschleusen rein holen müssen. Einige Ihrer Jungs sind wirklich übel zusammengeschossen worden.“
Lucas erzählte ihnen von den Kamikazeangriffen der Akarii.
Selbst Atti wirkte eingeschüchtert.
„Also an die Arbeit. Sie haben fünf Minuten, dann will ich meinen Jäger auf CAT eins sehen, ist das klar? Und Dodson, bevor Sie mit dem Einholen der Wracks beginnen, schleusen Sie die Tankfähren aus, ich will die Leute da draußen zumindest teilweise wieder einsatzfähig sehen.“
„Aye, aye, Sir.“ Die Unteroffiziere machten sich an ihre Arbeit.
Dann nahm Cunningham wieder das Intercom zur Hand: „Flugleitung, verbinden Sie mich mit dem ranghöchsten Piloten da draußen.“
Der Funktechniker bestätigte und Sekunden später hatte er Raven in der Leitung.
„Verdammt, Cunningham, was ist da unten los bei Ihnen? Ich habe hier Maschinen, die fliegen fast schon im roten Bereich.“
„Raven, das ist jetzt verdammt wichtig, überlebenswichtig: Bilden Sie mit allen Maschinen draußen einen Verteidigungsring vor der Columbia.“
Irgendwas in der Stimme des Geschwaderkommandant ließ Raven jeglichen Protest herunter schlucken: „Aye Sir. Was ist los?“
„Einige der Akarii sind total durchgedreht. Die Bomber haben einen auf Kamikaze gemacht. Wenn die Jäger sich daran ein Beispiel nehmen, wird die Columbia wohl ihr Hauptziel sein. Halten Sie draußen die Stellung. In fünf Minuten bin ich bei Ihnen. Wir tanken auf so schnell wir können. Tanker sind unterwegs zu Ihnen. Halten Sie durch.“
Und tatsächlich war in weniger als zehn Minuten seine Nighthawk aufgetankt und bereit zu Start. Unter dem Rumpf und den Tragflächen hingen insgesamt acht schwere Phönix Langstreckenraketen. Die schwerste Bestückung, welche eine Nighthawk tragen konnte. Die so genannte Standoff-Beladung.
Dies war alles andere als seine Lieblingsbestückung, doch wenn jetzt die Akarii angriffen, waren die präzisen und durchschlagkräftigen Langstreckenraketen das beste Mittel dagegen.
Er startete wieder und mit ihm La Reine, Trash und Ferret in ihrer Thunderbolt und eine Griphen in der ersten Unterstützungswelle.
Es dauerte über eine Stunde, bis das Flugdeck wieder für Landungen einsatzbereit war. Die Akarii griffen nicht mehr an.
Als die Angry Angels landeten, liefen die meisten der Piloten schon auf dem Zahnfleisch.