Hinter den feindlichen Linien - Season 5

Cattaneo
Cunningham

Rückblende
TRS Enterprise, Flaggschiff 2. Flotte
Manticore, 4. September 2632


„Alles hergehört, Herrschaften. Mal abgesehen, dass die letzte Übung gegen die Jungs und Mädels von der Moskau einfach nur Scheiße verlief, hat diese Schwadron es zum ersten Mal seit zwei Jahren nicht geschafft, den Platz für die Flugvorführung über Manticore zu erringen.“ Lieutenant Commander Norman „Norm“ Kober, Chef von VF-201, einem der beiden Nighthawk Schwadronen der Blue Angels, musterte seine Piloten finster.
„Die Admiralin hat die Enterprise viel zu defensiv eingesetzt.“ Der Kommentar war nur gemurmelt, aber Norms Piloten scherzten manchmal, er könne das Gras wachsen hören. Heute hatte er wirklich keine Lust, sich von Angeberman persönlich auf der Nase herumtanzen zu lassen.
„Wie bitte? Nun, Lieutenant, möchten Sie nicht uns alle an ihrem allumfassenden Wissensschatz in Sachen Flottenführung teilhaben lassen?“ Keine Antwort. „Was ist, Lone Wolf, warum auf einmal so schüchtern?“
„Die Admiralin wird es ja eh nicht zu hören bekommen.“ Antwortete Cunningham etwas lahm. Norm schien echt miese Stimmung zu haben.
„Warum geben Sie's mir nicht schriftlich? Ich sorge schon dafür, dass Madame Ihren geistigen Dünnpfiff auf den Schreibtisch bekommt.“ Der Staffelkommandant stemmte die Hände in die Hüften. „Was ist? Möchten Sie den schlechten ersten Eindruck nicht noch weiter vertiefen? Nein? Hab ich mir fast gedacht.“
Norm blätterte auf seinem Klemmbrett eine Seite weiter, während er vor seinen Piloten auf und ab tigerte.
Er hörte einige über die Standpauke an Cunningham kichern. Irgendwer, wahrscheinlich Jazzman, klopfte seinem Kumpel auf die Schulter.
„Schau an, etwas Ehre können wir für unsere Staffel doch noch in Anspruch nehmen.“ Er blickte wieder Lone Wolf an. „Sie haben den Soloflug, Cunningham. Wenn Sie das versauen, binde ich Ihre Gedärme und das übergroße Ego an meine Heckflossen, Mister.“
Das Lächeln des Lieutenants zeugte von Selbstvertrauen; „Keine Sorge, Skipper, ich lege Ihnen da schon eine entsprechende Show hin.“
„Ich will's hoffen.“
Lucas drehte sich zu dem schräg hinter ihm sitzenden Darkness um und grinste den älteren Piloten frech an.
Justin McQueen beugte sich zu Lucas vor: „Wir beide wissen, wer von uns der bessere Pilot ist, Lone Wolf.“
„Ganz genau Darkness, das wissen wir.“
Die Antwort des Älteren wurde von einer Sirene übertönt:
„Gefechtsstation! Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtsstation! Dies ist keine Übung! Ich wiederhole: Gefechtsstation! Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtstation! Dies ist keine Übung!“
Die Nighthawkpiloten waren auf den Beinen und unterwegs zu ihren Maschinen.

Wenige Stunden später:
Lucas Lone Wolf Cunningham saß in seiner Nighthawk, welche auf Katapult Nummer drei der Enterprise gespannt war. In wenigen Minuten würde es losgehen.
Die erste große Schlacht des wenige Stunden alten Krieges zwischen Menschen und Akarii. Und er würde mitten drin sein. Er zitterte. Furcht?
Er horchte in sich hinein. Nein, zumindest nicht über das gesunde Mindestmaß hinaus. Nein, es war Ungeduld. Er wollte raus, in den Weltraum. Lucas wollte tätig werden.
Die Lautsprecher in seinem Helm knackten: „An die ganze Flotte, hier spricht der kommandierende Admiral: In wenigen Minuten werden wir die Streitkräfte der Akarii stellen. Wir befinden uns im Krieg. Dies sind die Aufgabe und der Moment, für die ihr immer trainiert wurdet. Dies ist die große Prüfung, die ein Soldat über sich ergehen lassen muss, wenn es ernst wird.
Ich bin überzeugt davon, dass ihr alle dieser Prüfung gewachsen seid. Aber von nun an, bis zum Ende dieses Krieges, wird kein Tag so leicht sein wie derjenige, der hinter uns liegt. Viel Glück und gute Jagd. Mannheim Ende.“
Sekunden später kam das Startsignal. Der Startschlitten schoss aus seiner Halterung und zog die Nighthawk mit sich. Lucas wurde in den Sitz gepresst.
Die Blue Angels vereinigten sich mit den Geschwadern der leichten Träger Midway und Invincible und beschleunigten im eng gestaffelten Angriffskeil auf die Akariiflotte zu.
Eine riesige Armada mit einem Kern von Flottenträgern, furchteinflößend in ihrer Zahl.
VF-201, die Rote Schwadron der Blue Angels, bildete zusammen mit den Nighthawks der Blauen Schwadron unter der CAG und den Schwadronen Grün der Midway und der Schwadron Schwarz der Invincible, beide in älteren Phantomen, sowie der Schwadron Grau der Moskau, wie die Blue Angels mit Nighthawks ausgerüstet, den Kern der Angriffsformation.
Hinter den Raumüberlegenheitsjägern waren drei Schwadronen schwere Bomber vom Typ Crusader und vier Schwadronen Jagdbomber vom Typ Mirage gestaffelt. Diese wurden durch vier Schwadronen Griphen gedeckt.
Die Flanken, links wie rechts, stellten je zwei Schwadronen Typhoon-Abfangjäger.
Also insgesamt zwanzig Schwadronen. Zweihundertvierzig Angriffsmaschinen. Die acht Rafale der Enterprise und der Moskau dazu gezählt zweihundertachtundvierzig Maschinen.
Die Akarii konnten mit wie viel dagegen halten? Lucas fröstelte – etwa tausend Jagdmaschinen.
Auch wenn der Lieutenant seit Tagen nicht gut auf die Konkurrenz von der Moskau zu sprechen war, hätte er gerne mehr als nur die Hälfte der Gray Hornets dabei gehabt.
Das Bordgeschwader des leichten Trägers Diabolo war gar nicht mit von der Partie. Verflucht.
„Hergehört!“ Erklang die Stimme der CAG. Amazon klang nicht anders als auf einem Routineflug. „Da kommt schon ihre erste Welle Abfangjäger. Alle Nighthawks mir nach. Linker Flügel und rechter Flügel rücken mit je einer Schwadron an uns vorbei und nehmen die Echsen in die Zange. Räumen wir auf, Herrschaften!“

Wie ein flammendes Schwert zerteilten die Nighthawks den Pulk der leichten Akariijäger. Der Beschuss mit Phönix-Langstreckenraketen dünnte die vorderste Front aus und ermöglichte es den Erdjägern, die feindliche Formation aufzubrechen.
Die beiden Seiten verbissen sich in einen wilden Tanz, der schwere Verluste forderte. Die Flankenbewegung der Typhoonjäger und das kurz darauf über sie herfallende Hauptkontingent der Erdjäger waren tödlich für die erste Abfangwelle der Akarii.
Die Terraner mussten aber ebenfalls schwere Verluste hinnehmen. Das erste Scharmützel im Krieg kostete sie achtundzwanzig Maschinen. Davon einige mit den besten Piloten ihrer Flotte.
Einer dieser Verluste war Lucas erster Flügelmann im Krieg. Jack „Rush“ Scalzi, ein junger Lieutenant und begnadeter Deflektionsschütze.
In der Schlacht von Manticore sollte Lucas „Lone Wolf“ Cunningham noch zwei weitere Flügelmänner verlieren.
Gegen die mehr als dreifache Übermacht gelang es den Bombern des Erdverbandes, durch die Verteidigung der Akarii durchzubrechen. Gegen den Verlust von dreiundsechzig Bombern und Jagdbombern schossen sie einen Träger der Quarsar-Klasse ab, beschädigten einen so schwer, dass er nicht mehr am Gefecht teilnehmen konnte, und einen dritten beschädigten sie leicht.
Darüber hinaus wurden drei schwere Kreuzer und fünf Zerstörer der Akarii vernichtet. Acht weitere Schiffe wurden unterschiedlich schwer beschädigt.
Einundzwanzig Bomber und Jagdbomber der ersten Welle kehrten zu ihren Trägern zurück. Von den hundertvierundvierzig Jagdmaschinen der Erdflotte kehrte etwa die Hälfte wieder zurück. Diese landete auf ihren Trägern, wurde aufgetankt und neu bestückt, um im Anschluss wieder ins All geschickt zu werden, um den Gegenangriff der Akarii abzuwehren.

„Nein! NEIN! NEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIINNNNNNNN!“ Der lang gezogene Sterbensschrei berührte Lucas nur ganz weit hinten im Unterbewusstsein.
Während er mit zwei Bloodhawks kurbelte, war er von seinem Flügelmann getrennt worden.
Thessa „Tess“ Morani schrie noch den letzten Funken Leben aus sich heraus, als ihre Nighthawk von der Breitseite einer Bloodhawk einfach zerrissen wurde.
Lucas feuerte zwei Sidewinder auf den nächsten Gegner ab und wendete in einem engen Slide auf den anderen zu.
Er hatte Tess gemocht. Für heut' Abend waren sie beide eigentlich in ihrer Kabine verabredet gewesen. Nun musste er den flammenden Geschützen einer anderen Bloodhawk ausweichen.
Der schnelle Schwenk ließ ihn einen Haufen orangener Lichter sehen. Das Aufblitzen von Explosionen, sterbender Jäger und Piloten.
Die Akarii waren viel zu dicht herangekommen. Die Invincible hatte es bereits erwischt. Danach hatten die Akarii zwei Angriffsflüge auf die Enterprise unternommen.
Der erste konnte noch abgewehrt werden, der zweite hingegen hatte gut gesessen, auch wenn der Träger immer noch fuhr.
Seitlich von Lone Wolf verging einer seiner Gegner in einer Explosion. Eine Nighthawk mit Darkness Bugbemalung schoss an ihm vorbei.
„Hol mir die Klette vom Heck, Wolf!“ Der ältere Pilot klang mehr als wütend.
Lucas wollte den Gefallen von Darkness nicht allzu lange unbeantwortet lassen und hielt kurz vor, drückte zweimal ab, und die Bloodhawk drehte brennend ab. Er zog kurz nach und feuerte noch zwei leichte Feuerstöße. Abschuss.
Ein blendender Einschlag auf der nahen Enterprise.
Feuer von Steuerbord oben. Lucas musste wenden und feuerte eine Amraam ab. Feind und Rakete schossen aufeinander zu. Als die beiden aufeinander trafen, eröffnete Cunningham das Feuer.
Der Akarii stieg aus.
„Allgemeiner Rundruf, hier Amazon: Ich habe die Verbindung zur Enterprise verloren. Irgendwer soll mal einen Überflug machen, ich will ’ne Statusmeldung.“
„Hier Lone Wolf, ich seh’ mir die Lady mal an.“ Bestätigte er den Befehl seiner Geschwaderführerin. Er zog die Maschine im weiten Bogen auf die Steuerbordseite der Enterprise zu. Was er sah, ließ sein Herz bluten.
„Lone Wolf für Amazon, hören Sie mich?“
„Hier Amazon. Bericht, Lieutenant.“
„Die alte Lady brennt. Auf der ganzen Seite schlagen Flammen aus aufgebrochenen Stellen. Die Aufbauten scheint es auch ziemlich erwischt zu haben. Die Unterlichtsender hat es auf jeden Fall erwischt.“
Lucas drosselte ein wenig die Triebwerke und stieg über den Träger.
„Die sind durchgebrochen!“ Brüllte irgendjemand, Lone Wolf konnte die Stimme nicht einordnen, über den allgemeinen Kanal.
Ein erneuter Einschlag auf der Backbordseite der Enterprise blendete ihn. Dann noch einer und noch einer.
„Oh verflucht.“ Hauchte Lucas und wollte Gas geben. Die Enterprise zerriss es in einer Miniatursonne. Mit ihr starben viertausend Männer und Frauen. Lucas Heim der letzten Jahre. Seine alte Sammlung Exter-Jazz, alles. Das sich automatisch tönende Visier seines Helms kam gegen die Helligkeit nicht an, die zwei vergehende Nuklearreaktoren erzeugten. Atommeiler, von denen einer dazu in der Lage wäre, den Mond über Jahre hinweg mit Strom zu versorgen.
Die der Lichterscheinung folgende Druckwelle riss den kleinen Jäger einfach so mit sich.
Lucas blinzelte Tränen der Blendung weg. Verdammt, verfluchte Scheiße. Alles weg.
Er führte einen weiten Slide aus und schwang wieder aufs Gefecht zu.
Es knackte in der Leitung: „Hier spricht Admiral Renault: Ich übernehme das Kommando über die Flotte. Ich befehle den allgemeinen Rückzug. Ich wiederhole: Allgemeiner Rückzug.“


TRS Moskau
Manticore, 4. September 2632

Auf dem Flugdeck des Flottenträgers war die Hölle los. Maschinen wurden notdürftig geflickt und wieder aufbewaffnet. Piloten wurden mit Aufputschmitteln versorgt.
Lucas kam sich etwas überflüssig vor. Sein Blick begegnete dem von Darkness, der nur wenige Meter entfernt stand.
Es fröstelte ihm. Der Blick des älteren Piloten kam ihm tot vor. Bar jeder Regung. Wie der Tod persönlich stand Darkness da. Den Helm unter dem linken Arm geklemmt, die Beine leicht gespreizt. Er hatte die Aufputschmittel abgelehnt.
Lone Wolf brach den Blickkontakt. Atmete tief durch. Schloss kurz die Augen. Nur Sekunden, oder waren es doch Minuten? Dann setzte das Zittern wieder ein, ganz leicht, Aufregung, Anspannung. Der Wunsch nach Aktivität. Er wollte wieder hinaus ins All.
Der junge Lieutenant drehte sich nach links und prallte mit einem älteren Mann zusammen.
Er trug ebenso einen Fliegeranzug. Auf dem Helm, den er bei sich hatte, stand Ranger. An den Schultern glitzerten die silbernen Eichenlaubblätter eines Commander.
„Sir.“ Murmelte Lucas und blickte dem Geschwaderführer der Moskau in die Augen.
Dieser musterte ihn kurz: „Blue Angels? Sie fliegen eine Nighthawk?“
Die beiden Fragen waren eher Feststellungen, doch Lucas antwortete: „Aye, Sir, das ist beides korrekt.“
Ranger nickte und blickte kurz auf Lucas Pilotenhelm, las das Callsign: „Gut, Lone Wolf, dann sind Sie jetzt Lieutenant Commander. Nehmen Sie sich diese zwölf und bilden Sie eine Schwadron. Es geht bald wieder raus.“
Die Geste des Geschwaderkommandanten umfasste eine unbestimmte Versammlung von Piloten. Er drückte Lucas goldenes Eichenlaub in die Hand und wandte sich ab.
„Wen hast Du da gerade befördert, Boss?“
„Irgend einen von den Blue Angels, keine Ahnung, den erstbesten, den ich finden konnte.“ Lucas hörte das Gespräch zwischen Ranger und einem seiner Schwadronenkommandanten nur fetzenweise. Er schnappte sich Darkness, dessen Mundwinkel sich spöttisch bogen und zehn andere Nighthawkpiloten, derer er habhaft werden konnten.
Es geht bald wieder raus, hatte Ranger versprochen. Die Akarii hielten sein Versprechen ein.

Es kam Lucas immer noch wie ein Wunder vor, dass man es geschafft hatte, sich mit der Endeavour und der Akagi zu vereinigen. Ein weiteres Wunder war, dass er noch flog. Seit über einer Stunde griffen die Akarii Welle um Welle an. Griffen an und zogen sich zurück, in einem fort.
Noch schossen die Erdpiloten mehr Jäger ab als die Akarii, lange jedoch konnten sie das nicht mehr durchhalten.
Ein Gegenschlag wäre vielleicht die Rettung, aber die Echsen ließen nicht zu, dass die Menschen sich soweit organisieren konnten.
Aufgeregtes Geplapper in der Comleitung. Lone Wolf legte den Kopf schräg, während er eine Schellrolle flog, um die wichtigen Informationen herauszufiltern.
„Ranger? RANGER? Verflucht, er war zu nahe an der Explosion, ich glaube er trudelt. Er antwortet nicht.“
Eine weibliche Stimme: „Die Bomber brechen durch, nähern sich Sektor vier. Mitten ins harte Getümmel.“ Kurzes Schweigen. „Anweisungen?“
Stimmengewirr. Sektor vier, das war hier, wo die akariischen Bloodhawks und Reaper ihnen stark zusetzten. Aber die Bomber würden hier ohne Begleitschutz durchkommen.
„Lone Wolf an ALLE!“ Er befeuchtete sich die Lippen: „LONE WOLF AN ALLE JÄGER IN SEKTOR VIER!“
Ein kaum verständliches „Wer?“ Rauschte über den Kanal.
„Von den feindlichen Jäger lösen, schnappt euch die Bomber!“
„Aber hier sind die Jäger, die werden uns nicht einfach ziehen lassen. Das ist Wahnsinn.“ Tönte eine Stimme, die er nicht kannte.
„Da kommen Bomber.“ Antwortete er harsch. „Bomber, mit wenig Sprit. Bomber die UNSERE Träger wieder angreifen werden, wenn sie heimkommen. Wir müssen sie JETZT fertig machen. Alle Mann: Schnappt Euch die Bomber! Das ist ein Befehl!“
Zum Glück schien niemand eine Diskussion über seine Befehlsgewalt im Sinn zu haben und die Erdjäger lösten sich so gut es eben ging von den Akarii.
Er durchsuchte die Comsignale, wer der Pilot gewesen war, der um Befehle bezüglich der Bomber gebeten hatte: „Jinx: Sie und Ihre Leute folgen den Bombern. Wir werden einen Haufen Schuppenflechten am Hintern haben und könnten dann gut Unterstützung gebrauchen.“
„Aye, Sir!“
Die Akariibomber kamen, und als sie sahen, wo sie hineingeraten waren, da war es zu spät. Nighthawks, Phantome, Typhoone und Griphen standen ihnen im Weg.
Die Akarii starben im rötlichen Sperrfeuer aus Energiegeschützen und Raketen.
Dies war die erste richtige Kommandoentscheidung Lucas Cunninghams. Wie viele, die noch kommen sollten, war sie erfolgreich und wie alle folgende kostete sie Leben.
Lone Wolfs dritter Flügelmann in der Schlacht von Manticore fand nun den Tod. Es war ein junger Nighthawkpilot von den Gray Hornets, dem Trägergeschwader der Moskau.
Lucas schob fast lässig seinen Namen beiseite, als er den Schrei aus Schmerz und Wut mitbekam.
Der Junge war gut gewesen. Sehr gut. Noch während die zwei Reaper ihn in Fetzen schossen hielt der Erdpilot den Abzug der Energiewaffen gedrückt und vernichtete einen schweren Bomber vom Typ Avenger. Ebenso schaffte er es noch seine beiden letzten Raketen abzuschießen.
Die Akarii verloren mit einem Schlag ein Drittel ihrer Bomber und Jagdbomber.
Das Eintreffen der zweiten Welle Erdjäger machte die Falle, eine Entscheidung, die in der Hitze des Gefechts getroffen wurde, perfekt.
Das Kontingent Akariijäger, das nun leichte Beute witterte und auf Rache für die Bomber sann, fand sich nun ebenfalls Auge in Auge mit angreifenden Feinden gegenüber.
Die Echsen entschieden sich für den klügeren Teil der Tapferkeit und zogen sich mit ihren überlebenden Bombern zurück.

Auch die Jäger der Erdflotte landeten wieder auf ihren Trägern. Zum Auftanken und um sich neu zu munitionieren.
Lucas kletterte aus seiner Nighthawk. Das Adrenalin und die im Kampf ausgeschütteten Endorphine klang ab und er fühlte sich wie ein Junkie nach dem Trip.
„Sind Sie Lone Wolf Cunningham?“ Ein großer Master Chief des technischen Personals baute sich vor ihm auf.
„Ja. Ja, der bin ich.“
„Sie sollen sich in der CIC melden, aber pronto.“ Der Chief zeigte mit dem Daumen über die Schulter.
„In der CIC? Warum?“
„Was weiß ich? Wäre aber besser, wenn Sie die Beine in die Hand nehmen, Sohn.“
Lone Wolf tat wie der alte Knabe ihm geraten hatte. Er blickte sich noch kurz im Hangar um. Er konnte Darkness nicht finden. Angst breitete sich in seinem Magen aus. Nicht auch noch Du.
Die Moskau stand jetzt effektiv zehn Stunden in Gefecht und Lucas sah den Mannschaftsmitgliedern, denen er begegnete, die Belastung deutlich an.
Um den Kartentisch der CIC waren viele Gesichter gebeugt. Jean-Baptist Renault war leicht zu erkennen. Er war der kleinste der anwesenden Offiziere, war der einzige, der zwei Sterne am Kragen trug und bei weitem der gelassenste. Der Hüne neben dem Admiral, mit dem Adlerabzeichen am Kragen, musste Valentin Schill sein. Der Captain der Moskau.
Renault zeigte ein Zähnefletschen, das mit viel Wohlwollen als Grinsen bewertet werden konnte.
Dann richtete der Admiral seinen Kopf auf und blickte Lucas direkt an: „Sind Sie Cunningham?“
„Ja, Sir.“ Er trat an den Kartentisch.
Der kleinwüchsige Franzose, Angela Mannheim sollte ihn in einem Wutanfall als Schrumpfnapoleon bezeichnet haben, musterte ihn kurz und eindringlich: „Laut einer Meldung hat Ranger Sie vor kurzem zum Lieutenant Commander befördert.“
Lucas nickte.
„Sind Sie für das Schlachtfest an den Akariibombern verantwortlich?“
Ein Lächeln stahl sich auf Lucas Gesicht. Voll Kälte und Triumph: „Ja, dafür bin ich verantwortlich, Admiral.“
„Gut.“ War Renaults Antwort. „Ich brauche einen neuen CAG. Ranger ist tot. Wahrscheinlich. Kriegen Sie das noch mal hin? Ich meine, den Akarii so in den Arsch zu treten?“
Auf die Frage gab es nur eine Antwort und selbst, wenn das eine Lüge war, der Tod wartete nach dem nächsten Katapultstart: „Natürlich, Sir.“
„Ausgezeichnet.“ Renault schubste eine kleine schwarze Schachtel über den Tisch. Rangabzeichen. „Machen Sie schon auf.“
Natürlich waren es die silbernen Eichenlaubblätter eines Commanders. Das konnte man doch Karriere nennen.
„Wir werden folgendes machen: Einen gezielten Flankenangriff mit all unseren Bombern und schweren Jagdmaschinen gegen das Zentrum. Und zwar so massiert, dass die Akarii all ihre Jäger zum Abfangen heraus schicken. Gleichzeitig werden wir mit unseren schweren Kreuzern die Front ihrer Flotte bedrohen. Das zwingt die Akarii sich an den beiden Punkten zu massieren.
Wenn alles klappt, dann kann unser Trumpf direkt durch die Hintertür reinspazieren und kräftig abräumen.“
Auf der taktischen Karte blinkten zwei große blaue Symbole für Trägergruppen auf. Designation: CBG, Carrier Battle Group, 25 und 31. Die Melbourne und die Gettysburg, mit samt ihren Begleitschiffen.
Lucas grinste wie sein Namenspatron, der Wolf. Die Stunde der Vergeltung.
„Wer ist der Operationsoffizier?“ Wollte der frisch gebackene CAG wissen.
„Ich, Sir.“ Antwortete eine junge Lieutenant Commander.
„Geben Sie bitte dem Crewchief durch, er möchte die Jabos mit Raumkampfraketen bestücken.“
„Wieso das?“ Wollte Valentin Schill wissen. „Ihr Ziel sind die feindlichen Träger.“
„So wie sich die Beschreibung des Admirals anhörte soll ich dafür sorgen, dass die Geschwader der Melbourne und der Gettysburg so wenig Jägerkontakt haben wie möglich und in aller Ruhe das gegnerische Zentrum zerfetzen können.“
Der Captain der Moskau runzelte kurz die Stirn, gab jedoch nach: „Sie haben den CAG gehört, Jagdbewaffnung für die Jabos. Signaloffizier, geben Sie das auch an die Akagi und die Endeavour weiter.“
„Dann bereiten Sie Ihr Geschwader mal vor, CAG.“
„Sir!“ Lucas salutierte zackig.

Der letzte Akt der Schlacht um Manticore sollte trotz des Verlustes der Endeavour und Akagi und schwerer Schäden an der Moskau zu einem Erfolg für die Erdflotte werden.
Die Akarii erlitten empfindliche Verluste und wurden zutiefst gedemütigt. Jean Baptist Renault, Lucas Cunningham und viele andere erhielten den Heldenstatus für ihre Leistungen. Lucas „Lone Wolf“ Cunningham erhielt nicht nur den Silver Star, sondern auch den Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde, für den Flottenoffizier mit der kürzesten Zeit zwischen zwei Beförderungen.
Renault soll kurz nach der Schlacht gesagt haben: „Ich brauchte Ersatz für meinen eigentlichen CAG, Ranger war gefallen. Cunningham war in dem Moment der richtige Mann für den Job. Ich wollte noch mal sein Selbstvertrauen stärken, was nicht nötig war. Ferner war die Chance gut, dass dieser junge Mann den nächsten Einsatz nicht überlebte. Dann sollte er aber auch im entsprechenden Rang sterben. Das wäre nur recht und billig.“




Gegenwart:
Lucas saß entspannt in der Sitzecke seines Quartiers. Von sitzen konnte eigentlich keine Rede sein. Eigentlich lümmelte er sich geradezu auf der Couch. Die Beine hochgelegt, den Kopf in ein Kissen versenkt.
Aus den Lautsprechern schallte Exterr-Jazz von Christoff Burke, einem Interpreten der frühen Marskolonisation.
Der rechte Fuß zuckte leicht im Takt. Auf dem Tisch stand ein Whiskeybecher aus Kristall. Zur Hälfte mit Eire Rocks Single Malt von New Boston gefällt. Der zweitbeste Whiskey im bekannten Weltall, gleich nach Antigua Single Malt. So sah es zumindest Lucas.
In den Händen hielt er ein Buch. Die Aufzeichnungen von Montgomery Davis, dem Großvater eines seiner Piloten. Nein, eines der Piloten seines ehemaligen Geschwaders.
Diese Buch stellte die Grundlage für viele der heute noch geltenden Normen und Standards für Trägeroperationen dar und war daher zumindest in groben Zügen beim Kommandantenlehrgang durchgenommen worden.
Über die Schlussfolgerungen des alten Davis konnte man vortrefflich streiten. Lucas hatte gegenüber seinem Ausbilder an Bord der TRS Dolphin sehr stark die Überarbeitung einiger dieser Schlüsse propagiert.
Lucas hatte sich das Buch in einem Anfall von Sentimentalität besorgt, als er erfahren hatte, dass sich elf der zwanzig Kapitel mit der Redemption befassten. Der alte Flottenträger der Zeus-Class war ein Rosteimer gewesen, der er keine Träne nachweinen würde, wenn ... tja, wenn er dort nicht seine zukünftige Frau kennen gelernt hatte.
Wenn er dort nicht Thomas „Pinpoint“ Andrews kennen gelernt hätte, nach seinen Kameraden bei den Blue Angels sein einzig wahrer Freund.
Was würde er vermissen, wenn er morgen die Columbia verließe?
Das Läuten an der Tür riss ihn aus den in die Trübsinnigkeit absinkenden Gedanken.
Mit einem Stöhnen hievte er sich aus seiner bequemen Lage hoch und hätte beinahe schon seinen ungebetenen Gast hereingebeten. stoppte aber noch rechtzeitig.
Er schlüpfte in die Schuhe und knöpfte sein Hemd richtig zu.
„Herein.“
Donovan Cartmell betrat den Raum. Die Hände unmilitärisch in den Hosentaschen: „Skunk sagte, Du wolltest mich sehen.“
Cunninghams persönlicher Problemfall blickte verwundert auf die unordentliche Couch.
Dessen Antwort auf diese Eröffnung viel ein wenig dümmlich aus: „Huh?“
„Skunk sagte, ich soll mich bei Dir melden. Also was willst Du?“
„Gar nichts, was sollte ich von Dir woll ... was hat Skunk genau gesagt?“
Cartmell schnaufte: „Ich solle ...“
„Was genau?“
„Cartmell: Melde Dich beim CAG. Pronto!“
Lucas Miene verdüsterte sich: „So, ganz ohne Einleitung?
„Ja, verdammt.“
Der ehemalige CAG knurrte wütend: „Nun, dann wird es Dir sicherlich ein Vergnügen sein, es von mir persönlich zu hören, aber ich bin nicht länger Kommandant der Angry Angels.“
„Wie? Echt jetzt?“ Ein leichtes Grinsen erschien auf Cartmells Gesicht.
Lucas Antwort wurde von einer Lautsprecherdurchsage unterdrückt: „Medizinisches Personal und Bordpolizei zu Kabine 14 Deck F. Dies ist ein Notfall.“
Der Commander blinzelte, das war der gleiche Korridor, in der seine Kabine lag.
Er stürmte an Cartmell vorbei aus seinem Quartier.
Drei Türen weiter rechts sah er einen bleichen Kevin Schwimmer in der Tür stehen.
Der junge Lieutenant Commander drehte sich vom Eingang der Kajüte 14 weg und erbrach sich.
„Schwimmer, sind Sie in Ordnung?“ Die beiden Piloten gingen auf ihn zu.
Der Nachrichtendienstler deutete in das Quartier, in dessen Tür er stand und schüttelte leicht den Kopf.
Das Bild, welches sich Lucas bot, hätte man leicht mit moderner Kunst verwechseln können. Tja, nun hatte es moderne Kunst aber an sich, dass die verwendeten Leichen nicht echt waren.
Ganz im Gegenteil zu dieser.
Soweit der Commander beurteilen konnte, war von Santiago DeLaCruz' Gesicht nichts mehr übrig: „Donovan, ruf auch Raven.“
„Huh?“
„Sie ist der neue CAG, sie sollte wissen, was hier los ist.“
Als Lucas sich umdrehte um die Kabine wieder zu verlassen, fiel sein Blick auf das Beförderungsschreiben. Das amüsierte Schnaufen konnte er nicht mehr verhindern.
„Scheiße, was?“ Murmelte Schwimmer.
Lucas zuckte viel sagend, nichts sagend die Schultern. Tja, Scheiße was.

Kurz darauf erschienen einige Marines mit den Armbinden der Bordpolizei, doch ihr Auftreten wirkte unschlüssig.
Weniger unschlüssig doch genauso hilflos war das medizinische Personal. Man konnte nur noch Tigres Tod feststellen.
Erst Raven brachte etwas Organisation in die Angelegenheit. Ließ das Quartier absperren und verständigte den Nachrichtendienst.
Sie blickte nachdenklich den Gang hinunter, als Cartmell sie ansprach: „Sie wollten mich sprechen, CAG?“
„Was?“ Raven blinzelte überrascht. Dann wurde ihr klar, das Cartmell sie meinte und dass dieser laut genug gesprochen hatte, dass Cunningham ihn ganz sicher hören musste. Ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht.
Vor allem, da Cartmell in die Richtung von Lone Wolf blickte, um dessen Reaktion mitzubekommen.
„Nun Lieutenant, es ist zwar nicht der beste Augenblick, aber Ihre Beförderung ist durch. Zum Lieutenant 1st Class. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben es sich vielfach verdient.“
Cartmell nahm die ausgestreckte Hand: „Danke, Ma'am.“
Sie zuckte verlegen mit den Schultern: „Leider habe ich jetzt Ihre neuen Rangabzeichen nicht dabei.“
„Kein Problem Ma'am, ich habe eh schon welche.“ Auf ihr erstauntes Gesicht hin erklärte er: „Radio hatte mir damals seine vermacht.“
„Verdammter Feigling.“ Lone Wolf hatte unbeabsichtigt gesprochen und beinahe hätten weder Raven noch Cartmell gehört.
Nun jedoch fuhr die Pilotin herum: „Was haben Sie gerade gesagt?“
Der ehemalige CAG blickte überrascht auf: „Huh?“
„Sie haben doch eben etwas zum Besten gegeben.“ Raven verzichtete auf irgendwelche Höflichkeiten.
„Oh, ich meinte ihn.“ Lucas deutete auf DeLaCruz' Quartier und die Überraschung in seinen Augen wich Verachtung.
Dann stieß er sich von der Wand ab und ging in seine eigene Kabine zurück. Als er an Cartmell vorbei ging, murmelte er noch einen Glückwunsch.
Cattaneo
Tyr


Der Sieg über Prinz Jor schien sich zumindest in Kanos Wahrnehmung im Verlauf der letzten Wochen mehr und mehr als eine Art Phyrrussieg zu entpuppen. Es war, als ob der vermutlich auch von vielen seiner Untergebenen unbeweinte Thronfolger des Akarii-Imperiums an seinen Bezwingern nun aus dem Jenseits Rache nahm, auf eine schattenhafte, langsame, heimtückische Art und Weise.

Die Verluste der ‚Angry Angels’ waren teilweise horrend gewesen, mehrere Staffeln regelrecht ausgeblutet. Die Grüne Staffel zum Beispiel war schwer zusammengeschossen worden, und ihre Kommandeurin war ausgefallen. Allerdings würde Lilja als erfahrene Staffel-XO vermutlich den inneren Zusammenhalt und den Kampfgeist der Staffel erhalten und wieder festigen können. Andere Einheiten hatten da weniger Glück im Unglück gehabt. Vor allem die Gelbe Staffel hatte hohe Verluste erlitten. Vier Piloten waren in einer einzigen Raumschlacht gefallen. Das war eines der höchsten Blutopfer, das eine Jägerstaffel während eines einzigen Gefechtes hatte entrichten müssen. Gewiss, die ‚Gelben’, die aus inzwischen in Vergessenheit geratenen Gründen vor Jahren den Spitznamen ‚Buß- und Betstaffel’ erhalten hatten, hatten bei dem geschwaderinternen Abschussranking nie an der Spitze gestanden. In ihren Reihen fehlten zumeist die Spitzenasse und medienwirksamen Kriegshelden. Und sie flogen noch immer die inzwischen ziemlich veraltet wirkenden Griphen-Vielzweckjäger. Aber sie hatten sich dennoch den Ruf erworben, zuverlässig ihre Arbeit zu erledigen und den ‚Stars’ den Rücken freizuhalten. In mancher Schlacht hatten sie sich sogar ausgezeichnet, vor allem in den ersten Jahren des Krieges. Es erschien zweifelhaft, ob sie dazu in Zukunft noch in der Lage sein würden. Vor allem, nachdem sich ihr Kommandeur eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte, kurz nachdem man ihn zum Geschwader-XO ernannt hatte.
Dieser weitere Schicksalsschlag hatte die ‚Gelben’ vermutlich völlig demoralisiert. Und auch im übrigen Geschwader hatte der Selbstmord zu einem weiteren Absacken der Moral geführt. Piloten waren nun einmal abergläubisch und sehr empfänglich für schlechte Ohmen.
Auch Ravens Position als Geschwaderführerin war durch Tigres Freitod nicht unbedingt besser geworden. Jetzt musste sie nicht nur gegen den Schatten ihres legendären (und immer noch an Bord befindlichen) Vorgängers antreten, sondern auch noch mit einer echten Motivationskrise fertig werden. Es kursierten bereits bösartige Witze und Gerüchte darüber, dass der von ihr persönlich ausgewählte Geschwader-XO praktisch postwendend Selbstmord begangen hatte.
Was Tigres Freitod anging, so hielt Kano den Zeitpunkt zwar für unglücklich gewählt, konnte sich aber im Gegensatz zu anderen Piloten nicht dazu durchdringen, den Toten zu verurteilen oder gar zu verachten. Lieutenant Nakakura entstammte einer Kultur, die in einem Selbstmord nichts Sündhaftes oder Unehrenhaftes sah. Vielmehr war der Tod durch eigene Hand ein traditioneller Ausweg aus einer hoffnungslosen Lage, der von vielen gewissermaßen akzeptiert, und in einigen Fällen sogar bewundert wurde. Mit einem Tod von eigener Hand konnte man verübte Sünden und Fehler sühnen, oder auch ein politisches Statement abgeben.
Tigre hatte offenbar keinen anderen Ausweg mehr gesehen, und er war den einmal eingeschlagenen Weg entschlossen zu Ende gegangen. Vermutlich hatte er geglaubt, versagt zu haben. Daraus und aus den katastrophalen Verlusten der Raumschlacht hatte er die Konsequenzen gezogen. Es spielte keine besonders große Rolle, ob er tatsächlich versagt, oder sein Tun angemessen gewesen war.
Natürlich war nicht jeder Pilot so verständnisvoll wie Kano. Die neue Kommandeurin der Grünen Staffel zum Beispiel hatte einmal mehr ihre hohen Maßstäbe und das mangelnde Mitgefühl unter Beweis gestellt, für die sie bekannt und berüchtigt war. Lilja hatte sich nicht sehr respektvoll darüber geäußert, von wie viel Sorge um die eigenen Staffelkameraden und das Geschwader der Freitod von Tigre zu diesem Zeitpunkt ihrer Meinung nach kündete. Immerhin habe dieser noch alle Glieder gehabt, und sei sogar eben erst befördert worden, was ein Vertrauensbeweis und eine Verpflichtung gewesen sei. Als ihr einer ihrer Gesprächspartner vorhielt, dass der Chef der 'Gelben' ja gerade erst ein paar gute Freunde verloren habe, hatte sie erklärt, dann hätte sie sich zu Kriegsbeginn gleich mehrfach erschießen müssen...

*****

Aber Kano hatte ohnehin genug näher liegende Probleme, die ihm den Schlaf raubten.
Die Schwarze Staffel hatte zwar in der Schlacht nur zwei Piloten permanent und einen Piloten zeitweilig verloren, aber schon Goliaths Verschwinden vor der Schlacht und dann Montys Tod waren ein schwerer Verlust gewesen, hatte die Staffel doch damit zwei erfahrene Veteranen verloren, die nicht so leicht ersetzt werden konnten. Und als wäre das nicht genug gewesen, hatte Admiralin Wulff, noch bevor die COLUMBIA wieder die eigenen Linien erreicht hatte, Commander Cunningham für ‚höhere Aufgaben’ ausgewählt und ihn aus dem aktiven Dienstbetrieb genommen. Jedenfalls vermuteten die Piloten, dass der Befehl direkt von der Kommandantin der COLUMBIA-Kampfgruppe kam. Niemand sonst hatte nach der Meinung der ‚Butcher Bears’ die nötige Autorität. Zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort hätten optimistische Seelen vermutlich angenommen, dass der Commander tatsächlich für ein neues Kommando ausgewählt worden sei. Vielleicht für einen hohen Posten im Marinestab, das Kommando über das Bordgeschwader eines neu vom Stapel laufenden LEXINGTON-Trägers, eine hochkarätige Spezialoperation, oder sogar den ersehnten Posten eines Träger-Kommandanten. Immerhin hatte der Commander ja den Perisher-Kurs erfolgreich absolviert, und war damit für solch einen Posten qualifiziert.
Aber wenn ein Kriegsheld wie Cunningham zu DIESEM Zeitpunkt auf DIE Art und Weise aus dem Spiel genommen wurde, ohne Angabe plausibler Gründe…
Dann war etwas faul.
Und Kano wusste nur zu gut, dass diese Ahnung stimmte. Auch wenn er nicht wirklich verstand, warum Admiralin Wulff den Commander unbedingt derart hart hatte bestrafen müssen. Gewiss, die geplante Liquidierung Prinz Jors hatte den geltenden Kriegsregeln Hohn gesprochen. Aber der Plan war nie zur Ausführung gekommen. Es gab wahrscheinlich nichts als einige unverwirklichte Absprachen und teilweise sehr vage formulierte Anweisungen. Dafür einen Helden wie den Commander derart offensichtlich zu schassen, war in Kanos Augen weder angemessen noch klug. Sondern ein Schlag gegen die Moral und Einsatzbereitschaft des Geschwaders.
Außerdem hatte Cunningham den Plan zu Jors Ermordung auf keinen Fall auf eigene Faust entwickelt. Kano war sich sicher, dass der Commander nur einem Befehl entsprochen hatte, der vermutlich von ziemlich weit oben gekommen war. Ansonsten hätte er wohl niemals so ein Risiko eingegangen. Ihn jetzt dafür zu bestrafen, war in den Augen des japanischen Piloten ein Fehler.
Aber ihn hatte natürlich niemand gefragt. Und wahrscheinlich konnte er von Glück reden, wenn er nicht von Lone Wolfs Absturz mit in die Tiefe gerissen wurde. Kano wusste nicht, was er getan hätte, wenn man ihn auf diese Art und Weise aus dem Dienst genommen hätte. Zumal man bei ihm sicher noch weniger ‚rücksichtsvoll‘ vorgegangen wäre, als bei einem Kriegshelden, Commander und Träger des Silver Star und Flight Cross in Silber.
Commander Cunningham war kein Mann, den man unbedingt mit den Worten ‚von seinen Untergebenen geliebt und bewundert’ charakterisieren konnte. Seit dem Weggang von Darkness hatte er im Geschwader nur noch wenige gute Freunde gehabt. Einige der Neulinge bewunderten ihn wegen seiner Leistungen, und Lilja war nicht die einzige, die ihm wegen seiner Unterstützung unerschütterlich die Treue hielt. Dennoch – richtige Freunde gab es nicht viele. Aber er wurde respektiert. Nur wenige zweifelten sein Können an. Er hatte die ‚Angry Angels’ von Sieg zu Sieg geführt, und war auch in der Niederlage standhaft geblieben.

Und die Schwarze Staffel war seit ihrer Gründung immer die Einheit des Geschwader-XO oder sogar des Geschwaderchefs gewesen. Damit war es jetzt wohl erst einmal vorbei, wahrscheinlich für lange Zeit. Und zu allem Überfluss würde von nun eine Jabo-Pilotin an die ‚Angry Angels’ kommandieren. Das schmerzte.
Die früheren Kommandeure der Schwarzen Staffel hatten zu den Top-Assen der TSN gehört, mit jeweils mehr als fünfzig Abschüssen. Diese Männer und auch Monty hatten die Staffel über Jahre hinweg mit Energie und Können geführt, hatten an die Piloten wie an sich selber höchste Ansprüche gestellt, und sie dann auch verwirklicht. Sie waren vielleicht nicht beliebt gewesen, aber sie wirkten unverwüstlich, als ob der Krieg sie zwar bedrohen, aber nicht ihren Mut und ihren Willen beschädigen konnte. Die ‚Butcher Bears’ gehörten zu den Besten des Geschwaders. Das wussten sie, und waren stolz darauf.
Doch binnen ein paar Wochen war die Staffel praktisch enthauptet worden. Mit Lone Wolf, Monty und Goliath waren die drei Männer ausgefallen, die für den Posten des Staffelführers am Besten geeignet gewesen waren.
Zwar gehörte Kano zu den besten Nachwuchspiloten des Geschwaders, und nach Cunninghams Wegfall würde zumindest die ungeschriebene Tradition gewahrt bleiben, dass der Führer der ‚Butcher Bears’ zu den Spitzenassen der ‚Angry Angels’ gehörte.
Aber wem machte er etwas vor? Kano war nur der Beste, der übrig geblieben war. Kaum ein paar Wochen Staffel-XO, ein Posten der ihm ohnehin nur wegen Montys Tod und Goliaths Ausfall zugefallen war, sollte er jetzt auf einmal das Kommando über die Reste der Schwadron übernehmen. Und in die Fußstapfen von Darkness und Lone Wolf treten. Das war ein schweres Erbe. Aber wenn er es nicht wenigstens versucht hätte, hätte er am Morgen nicht mehr in den Spiegel blicken können. Er schuldete es den Lebenden wie auch den Toten.

****

‚Tigre hat keinen Ausweg mehr gesehen. Aber so weit bin ich noch lange nicht.’ Während dieser Gedanke durch Kanos Kopf schoss, hatte er sein Ziel erreicht. Das Besprechungszimmer wirkte viel zu leer. Statt elf Piloten warteten gerade einmal sechs Männer und Frauen auf den Staffelchef. Drei Männer waren tot oder vermisst. Sugar befand sich immer noch im Lazarett, und Cunningham nahm nicht mehr an den Besprechungen teil, wofür Kano ihm insgeheim dankbar war. Es wäre für ihn mehr als unangenehm, für die anderen Piloten belastend, und für den Commander selber demütigend gewesen.
Die Blicke, die sich auf ihn konzentrierten, waren zwar nicht feindselig, aber auch nur selten vertrauensvoll. Das Einzige, was er den anderen voraus hatte, waren seine Abschüsse und etwa ein Jahr Kriegserfahrung. Allerdings war er dafür auch häufiger abgeschossen und verwundet worden, als jeder andere in diesem Raum. Er hatte überlebt, aber oft nur sehr knapp. Kano war nur First Lieutenant, und von denen gab es selbst jetzt noch drei weitere in der Staffel. Normalerweise hatten der Staffelführer und oft auch der XO den Rang eines Lieutenant Commander. Außerdem war es noch vollkommen ungewiss, ob Kano diesen Posten behalten würde, oder ob er nur als ‚Sesselwärme’“ für einen neuen Staffelführer fungierte, der nach der Rückkehr der COLUMBIA zur 2. Flotte an Bord kommen würde. Wenn jemand sogar den Geschwaderchef einfach aus der Einheit herauslösen konnte, dann war eigentlich alles möglich. Kano wusste, für Leute in seiner Position, die den Posten überraschend und nur auf ungewisse Zeit erhielten, gab es verschiedene Spitznamen, und keiner davon war schmeichelhaft. Man nannte solche Offiziere gerne ‚Sternschnuppe’ oder aber ‚lahme Ente’. Momentan sah es zwar nicht danach aus, dass Kano bald von einem anderen Offizier ersetzt werden würde, aber unmöglich war es trotzdem nicht.

„Zuerst die gute Nachricht. Sugar ist endgültig über den Berg. Sie bleibt bei uns. Spätestens bei der nächsten Feindfahrt ist sie wieder voll einsatzfähig.“ Das kam gut an. Sugar war eine Draufgängerin und spielte manchmal auch innerhalb der Staffel mit ziemlich harten Bandagen. Aber sie gehörte dazu, im Gegensatz etwa zu Renegade, dem kaum jemand nachtrauerte.
Was jetzt kam, war schon wesentlich weniger gut: „Fürs Erste besteht die Schwarze Staffel nur noch aus zwei Sektionen. Sektion Eins wird von First Lieutenant Obasanjo kommandiert, der First Lieutenant Kranz und Second Lieutenant Lenoir unterstellt werden. Sie fliegen als Dreier-Formation. Ich will keinen alleine rausschicken.“ Normalerweise hätte sich Kano zwar bereit erklärt, diesen Part zu spielen, aber jetzt war er Staffelführer. Er musste den Überblick bewahren, statt sich als Einzelkämpfer in die Schlacht zu stürzen. Wenn er gleichzeitig alleine fliegen und die Staffel führen wollte, würde wahrscheinlich entweder er abgeschossen werden, oder aber diejenigen, die er führen sollte. Die Zusammensetzung der ersten Sektion war nicht optimal, da zwei der Piloten ziemliche Draufgänger waren, aber Red war eben nur Second Lieutenant, La Reine hatte von den drei Piloten die meiste Erfahrung, und Kano musste ihr auch noch aus einem anderen Grund den Posten einer Sektionschefin geben.


„Die zweite Sektion untersteht mir. Die Zusammensetzung bleibt die alte. Second Lieutenant Roberts ist mein Flügelmann. First Lieutenant Kyle und Second Lieutenant Gore fliegen weiter zusammen.“
Dieser scheinbar harmlose Vorgang, die Reorganisation der Staffel, enthüllte schonungslos die Lücken, die die letzten Wochen in die Schwarze Staffel gerissen hatten. Außerdem war das bereits die vierte Reorganisation im Verlauf dieser Feindfahrt.
„Haben Sie etwas über Lone Wolf gehört?“ Natürlich war es La Reine, die den Finger in die offene Wunde legen musste. Kanos Antwort klang zurückhaltend und zielte offensichtlich darauf ab, etwaige Diskussionen im Keim zu ersticken: „Sie haben die entsprechende Dienstmeldung gelesen. Weiter gibt es dazu nichts zu sagen.“
„Was denn, sollen wir am Ende dankbar sein, dass wir dadurch seine Maschine für uns freibekommen?“
Kanos Stimme klang noch kühler: „Wenn Sie das tröstet, von mir aus. Ansonsten würde ich vorschlagen, dass Sie sich auf ihre Pflicht konzentrieren.“ Ein wortloses Duell der Blicke endete mit einem knappen Sieg für Kano. Der neue Staffelführer erlaubte es sich allerdings nicht, aufzuatmen. Er war noch nicht fertig: „Ihre Dienstpläne bleiben weitestgehend die selben wie bisher. Das gilt selbstverständlich auch für die Sonderschulung an den Akarii-Maschinen. Außerdem habe ich einige Staffelübungen angesetzt.“
„Ich wüsste nicht, dass man bei dieser Einsatzstärke noch von Staffel reden kann.“ bemerkte La Reine halblaut zu Red. Sie legte es nicht direkt darauf an, Kanos Autorität zu untergraben, aber wie die anderen Piloten war sie verunsichert und auch aufgebracht.
Kano ignorierte ihre Bemerkung: „Übergangsweise bestimme ich außerdem First Lieutenant Kyle zum XO der Staffel.“ Es entging ihm nicht, dass La Reine bei diesen Worten instinktiv zusammenzuckte. Sie und Crusader waren von Anfang an Rivalen gewesen. Und auch wenn die beiden Piloten inzwischen Freunde geworden waren, Kanos Entscheidung traf sie offenbar. Am liebsten wäre sie jetzt wahrscheinlich laut geworden. Aber vermutlich wollte sie nicht vor versammelter Mannschaft eine Szene abziehen, bei der sie am Ende doch den Kürzeren zog. Soviel hatte sie inzwischen begriffen – eine Lehre, die Leute wie Radio oder Renegade nie gelernt hatten. Der Blick, den sie Ohka zuwarf, hätte allerdings Quecksilber gefrieren lassen können.
Kano zögerte kurz, und fuhr dann fort: „Wir haben für unseren Sieg einen hohen Preis zahlen müssen. Und es ist keine Schande, die Verluste zu betrauern. Aber wir sind noch nicht zu Hause. Der Sieg ist noch nicht gesichert. Und deshalb dürfen wir jetzt nicht nachlassen. Wenn unser Sieg einen Sinn haben soll, dann nur durch das, was wir aus ihm machen, in was wir ihn verwandeln können. Das schulden wir unseren Kameraden, ob sie nun leben oder tot sind. Das schulden wir unseren Angehörigen und unserer Heimat. Das schulden wir UNS. Dazu kann es keine Alternative geben.
Es ist müßig, jetzt von Pflicht zu reden. Sie alle kennen ihre Pflicht. Deshalb sind wir schließlich hier. Wir haben dem Feind den Kopf abgeschlagen, und diesen Sieg lassen wir uns nicht nehmen. Von niemanden. In vier Stunden ist eine erste Staffelübung angesetzt.
Das ist alles.“
Als die Piloten den Raum verließen, fragte sich Kano unbehaglich, ob seine Worte die Richtigen gewesen waren. Insgeheim bezweifelte er das. Er war nun einmal kein besonders guter Redner. Er konnte nur hoffen, durch Taten und Einsatz dieses Manko wieder auszugleichen.

Es war keine Überraschung für Kano, dass La Reine im Raum geblieben war. Die hoch gewachsene Schwarzafrikanerin hielt sich sehr gerade, und überragte ihren Vorgesetzten deutlich. Und sie war sichtlich aufgebracht: „Warum?! Liegt es daran, dass er Ihr Flügelmann war? Dass ich eine Frau bin?! Ich habe genauso viele Abschüsse wie er!“
Ein anderer Staffelführer hätte diese Frage einfach abbügeln können oder wäre sogar laut geworden. Aber Kano wusste, das kam für ihn nicht in Betracht. Er musste antworten. Er brauchte La Reine: „Das ist Unsinn. Ich habe nie behauptet, dass Sie eine schlechtere Pilotin als Crusader sind. Es geht einfach darum, dass Sie zu…hitzköpfig sind.“
„WAS?“
„Wir haben schwere Verluste erlitten. Und längst nicht jeder in unserer Einheit kann das so einfach wegstecken wie Sie.“
„Hör auf, mir Honig ums Maul zu schmieren!“
Kano überging die etwas zu vertrauliche Ausdrucksweise. Davon ließ er sich jetzt nicht aus dem Konzept bringen: „Sie sind eine gute Pilotin. Aber Sie haben keine Geduld mit anderen. Crusader ist einfach umgänglicher. Er springt nicht gleich jedem ins Gesicht, den er für einen Idioten hält.“
La Reine grinste kurz: „Tja, das Familienleben hat ihn weich gemacht…“, sie stockte und runzelte die Stirn: „Heißt das, Sie geben Crusader den Job, weil ich keine Lust habe, irgendwelchen Schlappschwänzen den Arsch zu tätscheln?“
Kano hätte beinahe die Augen verdreht: „Sehr eloquent. Aber wenn Sie es so nennen wollen. Sie gehören zu den Veteranen unserer Staffel. Also sollten Sie es noch am Besten verstehen.“ Was er ihr nicht sagte, sie sich aber möglicherweise denken konnte, war noch etwas anders. Er würde ziemlich schnell die Zügel anziehen müssen, wenn die Leistung der Schwadron nicht zu sehr absacken sollte. Und wenn er den Posten behielt, und der Ersatz für die Verluste an Bord kam, dann mussten diese Männer und Frauen ebenfalls schnell in die Staffel integriert werden. Es würden zum Großteil Neulinge sein, frisch von der Akademie. Kano würde hohe Anforderungen stellen. Und dann würde es gut sein, wenn ein etwas umgänglicher XO die Wogen glätten konnte. Zwar war Crusader früher fast genauso ein Draufgänger gewesen wie La Reine es immer noch war, aber er war doch etwas ruhiger. Und zeigte mehr Geduld mit anderen Menschen. Andernfalls wäre wahrscheinlich seine Ehe schon längst in die Brüche gegangen, wie die Ehen so vieler TSN-Angehöriger.
Damit hatte Kano an La Reines durchaus vorhandenen gesunden Menschenverstand appelliert, jetzt kam das Zuckerbrot an die Reihe: „Ihre Sektion werden Sie jedenfalls behalten. Wenn Sie es schaffen, Marat an der Kandare zu halten. Wir haben schon genug Feuerköpfe in der Staffel.“
La Reine überdachte ihre Optionen. Kano hatte sich ungewöhnlich entgegenkommend gezeigt, und die eigene Sektion war schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn sie zu sehr Druck machte, würde der japanische Pilot seine Führungsposition in der Staffel beweisen müssen. Und dabei würde er die besseren Karten haben. Hinter der zurückhaltenden, manchmal etwas schüchtern wirkenden Fassade Kanos verbarg sich Granit. Ein Machtkampf wäre außerdem nicht gut für die Staffel, und gegen Crusader zu intrigieren, das wäre schäbig gewesen. Also würde sie wohl das Beste aus dem machen müssen, was ihr geboten wurde: „Mir gehört die Sektion auch weiterhin, wenn ich Marat an der Leine halte? Kein Problem. Der Franzmann wird nicht mal mehr ohne meine Erlaubnis aufs Klo gehen, wenn es das ist, was du willst.“
„Wenn er sich endlich zuverlässig in die Formation einfügt, würde mir das schon reichen.“
Cattaneo
Cattaneo

Die Sorgen der Sieger

Man sagt, es gibt Menschen, die werden mit ihrer Arbeit nie ganz warm, auch wenn sie diese ihr ganzes Leben lang ausüben. Egal wie lange sie ihrer Tätigkeit auch nachgehen, egal wie perfekt sie die handwerklichen Aspekte beherrschen, es wird für sie immer eben nur ein Job und nie mehr sein. Andere benutzen ihre Arbeit als Sprungbrett für sozialen und materiellen Aufstieg und lieben weniger die Sache an sich, als vielmehr ihre Früchte. Und dann gibt es noch jene, so sagt man, die förmlich in ihrer Aufgabe aufgehen, in ihr Erfüllung finden – manchmal sogar etwas zu viel, so dass andere Belange des Lebens darunter leiden. Lieutenant Commander Pawlitschenko gehörte eindeutig eher zur dritten Kategorie, denn für sie war ihre „Arbeit“ eine Herzensangelegenheit geworden. Egal, was sie Ace gesagt hatte über den Krieg, den sie langsam leid sei – Pflichtgefühl, der Wunsch nach Rache und auch ein Stück Stolz auf die eigenen Leistungen und uneingestandene Freude am Nervenkitzel der Schlacht und daran, den Feind zu vernichten, all dies verband sich und sorgte dafür, dass sie sich nichts mehr wünschte, als ihre Aufgabe als Pilotin und Offizierin mustergültig zu erfüllen. Das alte russische Sprichwort, dass der ein schlechter Soldat sei, der nicht davon träume, General zu werden, traf auf sie definitiv nicht zu. Sie war glücklich als Angehörige der fliegenden Dienste, und das Höchste was sie sich für ihre Zukunft vorstellen konnte – und auch das erschien ihr in weiter Ferne und kaum erreichbar – waren das Kommando über ein Geschwader und ein Platz unter den republikanischen Top-Assen. Dass sie so glücklich mit ihrem Beruf war, mochte auch daran liegen, dass sie über Alternativen noch nie gründlich nachgedacht hatte. Sie war eben Soldatin aus Beruf und Berufung zugleich.
Jedenfalls waren die Stunden am Tag, die sie im Cockpit eines Jägers verbringen konnte – sei es real oder virtuell – ihr immer noch die liebsten. Nicht, dass sie ihre anderen Aufgaben vernachlässigt hätte, aber an diesem Ort fühlte sie sich wirklich mit sich selbst im Einklang. Vorzugsweise im Gefecht mit den Akarii, aber auch ohne das war es ein gutes Gefühl. Taktische Entscheidungen zu fällen, zu fliegen und zu kämpfen – das war einiges leichter als der Umgang mit Menschen.
So war es jedenfalls normalerweise, doch obwohl sie im Moment nirgendwo anders war als in der Pilotenkanzel eines Jägers, drückte ihre Miene im Augenblick reine Frustration aus. Sie atmete mehrmals tief durch, um sich zu entspannen, und schloss halb ihre Augen. Dann begannen ihre Finger erneut über die Anzeigen zu wandern. Aber schon bald stellte sie ihre Bemühungen ein und hämmerte wütend mit der Faust auf das Armaturenbrett des Jägers: „Drecksding!“ Sie wiederholte den Vorgang noch ein paar Mal, weniger in dem Glauben, es würde etwas fruchten, als vielmehr um ihrer Verärgerung Ausdruck zu geben. Allerdings achtete sie sehr wohl darauf, keinen Schaden anzurichten. Dann schließlich gab sie mit einem Blick auf die Uhr und einem weiteren gemurmelten Fluch nach und kletterte aus dem Cockpit. Dabei bedachte sie Sokol, der mit einem leichten Lächeln auf sie wartete, mit einem finsteren Blick, der seine beabsichtigte Wirkung jedoch vollkommen verfehlte.

Der russische Pilot grinste nicht gerade über beide Ohren, aber seine Belustigung war ihm anzumerken. Wie sie trug er Pilotenkluft, wirkte aber weit weniger „zerknittert“ als Lilja im Augenblick: „Du siehst mal wieder aus, als würdest du am liebsten jemanden ermorden. Den Konstrukteur? Oder den Instrukteur? Oder beide?“
Lilja gab ein wütendes Fauchen von sich: „Immerhin werde ich ja fürs Ermorden bezahlt! Den Konstrukteur schon mal auf jeden Fall! Und was den Lehrer angeht…!“
Der Grund für ihre Verärgerung war die Maschine, aus der sie gerade herauskletterte – ein Jäger vom Typ Bloodhawk. Es war die Beutemaschine, die ihr und Sokol zum Training zugeteilt worden war. Lilja hatte durchgesetzt, dem Kampfflieger den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Koza“ zu verpassen, was soviel wie Ziege bedeutete. Die Aufschrift prangte jetzt in kyrillischen Buchstaben auf der Schnauze des Jägers. Schon darin spiegelten sich ihre bestenfalls zwiespältigen Gefühle der Neuerwerbung gegenüber wieder. Natürlich kam ihr nicht in den Sinn, ihre Beteiligung an der Sonderschulung abzubrechen oder es an Arbeitseifer fehlen zu lassen, obwohl beides in ihrem Ermessensspielraum gelegen hätte. Sie stand zu ihrem Wort, und zudem waren ihr die Vorteile klar, die dieser Jäger und seine Schwestermaschinen im Falle eines Kampfes bieten konnten. Und ebenso klar war die Notlage, die nahe legte, auf diese Möglichkeiten nicht zu verzichten, denn immerhin stand die Columbia immer noch tief in Feindesland, und ihr Geschwader war zusammengeschmolzen. Das hieß aber nicht, dass sie sonderlich begeistert von der Idee war.

Für ihre Haltung gab es eine Vielzahl verschiedener Gründe. Zum einen – noch ihre geringste Sorge – war ihr Zeitplan auch so schon angefüllt genug. Ihre Arbeitsethik führte dazu, dass sie wenig schlief und viel arbeitete, auch wenn ihr Körper ihr zu verstehen gab, dass sie kürzer treten sollte. Das hatte zur Folge, dass sie im Moment nicht sonderlich geduldig war, ohnehin keine ihrer Primärtugenden. Weitaus mehr ins Gewicht fiel jedoch, dass das Cockpit und die Armaturen nicht unbedingt für die menschliche Anatomie konstruiert worden waren. Und das machte das Training zu einer nervenaufreibenden Angelegenheit und zehrte an ihrem Stolz. Schließlich war sie eine Veteranin, und da sollte sie sich von einer Feindmaschine blamieren lassen?
Menschen und Akarii ähnelten sich zwar anatomisch gesehen genug – aber sie hatten immer noch ausreichend Unterschiede, um für Probleme zu sorgen. So hatten die Echsen mit ihren langgestreckten Schnauzen eine ganz andere Art zu sehen als Menschen, und auch wenn ihre Arme und Hände denen der Terraner ähnelten, abgesehen von der Fingerzahl, so war bei ihnen die „logische“ Anordnung der wichtigsten Armaturen doch etwas anders. Und selbst geringe Unterschiede konnten ins Gewicht fallen, wenn man in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen musste. Ein erfahrener Pilot – egal welcher Rasse – bediente seine Maschine reflexartig. Wie beim Gehen, Schwimmen, oder viel mehr noch beim Atmen dachte er bei vielen Vorgängen nicht darüber nach was er gerade tat, sondern handelte. Er wusste – ohne noch nachschauen zu müssen – wo welcher Schalter saß. Dies jetzt bei einem Feindjäger zu lernen war, als würde man zum Beispiel ein Fahrrad benutzen, dessen Lenker einen viertel Meter breiter und dessen Pedale zehn Zentimeter tiefer waren, als beim eigenen. Man konnte es fahren – aber nicht besonders gut, und nicht nach dem Instinkt, sondern rein mit dem Verstand. Und Lilja fragte sich, ob im Gefecht genug Zeit blieb, um selbst bei Dingen, die bei einem Erdjäger fast im Unterbewusstsein erledigt wurden, nach dem Verstand zu handeln. Ob nicht sie oder ein anderer Pilot unwillkürlich in die Routine seiner alten Maschine verfallen würde und einen fatalen Fehler machen konnte. Zumal die Akariimaschine etwas anders auf den Steuerknüppel reagierte. Dass die Armaturen und Anzeigen auch noch in einer anderen Sprache beschriftet waren, machte alles noch schlimmer. Man konnte in ein paar Wochen die Bedeutung erlernen – aber würde man sie im Gefecht auch angemessen schnell auswerten können? Wenn man die Ergebnisse mental „übersetzen“ musste, ehe man sie auf reagierte – kostete das nicht wertvolle Zeit, die oft über Leben und Tod entschied?
Und überhaupt, der Sprachunterricht… Lilja schätzte es nicht sehr, sich von einem First Lieutenant – auch oder besser gerade, wenn es DIESER war – etwas sagen zu lassen. Zudem hatte sie gemeint, ihre Schulzeit sei langsam vorüber. Sie hätte zwar Dünkel empört geleugnet, aber uneingestanden war sie doch recht stolz auf ihren Rang, denn wie so vieles war ihr dieser nicht in den Schoß gefallen. Sie hatte sich gut genug unter Kontrolle, um sich nicht außerhalb des Sprachunterrichts bei Ace zu „revanchieren“, obwohl sie manchmal darüber nachgedacht hatte.
Zudem war es ihr generell zuwider die Sprache des Gegners zu lernen. Sie verabscheute die Akarii nun einmal aus ganzem Herzen, und das bedeutete, dass sie ihre Sprache nicht weniger abscheulich fand. Diese Laute standen für das, was sie hasste und wogegen sie seit Jahren kämpfte. Allein diese fremdartigen Worte und Silben zu hören, und vor allem sie nachsprechen zu müssen, ekelte sie an. Sie wollte gar nicht ihren Gegner verstehen lernen – nicht verbal und natürlich erst recht nicht emotional.
Oder, wie sie es ausgedrückt hatte: „Ich kommuniziere mit den Akarii primär durch meine Bordwaffen. Bisher haben sie das auch verstanden!“
Doch das war noch nicht alles. Ihr missfiel vor allem die Symbolik der Situation. In ihren Augen war diese der Ausdruck gleich mehrere Miseren. Zum einen, dass die TSN und die Republik an sich offenbar nicht in der Lage waren, zu angemessener Zeit und in angemessener Menge ausreichend moderne Kampfflieger bereitzustellen – das Theater mit dem Akarii-Sprit war ja nicht besser gewesen. Das aber bedeutete in ihren Augen, dass die Heimat in mancher Hinsicht den Krieg immer noch nicht für ganz für voll nahm, sich ihres Sieges zu sicher war oder sonst wie ihre Pflicht versäumte. Was nach ihrer Meinung jetzt, nach fast fünf Jahren und hunderttausenden Opfern, ein Skandal war.
Und uneingestanden ärgerte es sie, dass die Menschen mit Mühe und Not gerade dabei waren, mit den Akarii technisch gleichzuziehen, anstatt ihnen etwas voraus zu haben. Dass ein Feindjäger immer noch den meisten menschlichen Maschinen etwas voraushatte, traf sie härter als sie eingestehen wollte – die hochmoderne Falcon kam der „Ziege“ zwar an Geschwindigkeit und Beschleunigung gleich, war aber in Hinsicht auf die Bewaffnung und wohl auch den Schutz leicht unterlegen. Und die gleichfalls recht neue Nighthawk war zwar besser bewaffnet, doch einiges langsamer und plumper. Vom rein technischen Standpunkt war ihr klar, dass die Bloodhawk eine Maschine war, in die man sich verlieben konnte. Sie war stark, schnell, gut geschützt und verlässlich. Aber sie war eben ein feindlicher Jäger.

All das zusammengenommen, und ergänzt durch ihre unterdrückte Verbitterung über den Führungswechsel im Geschwader und seine Gründe, sorgte dafür, dass sich Lilja definitiv unbehaglich fühlte. Da sie aber als frischgebackene Staffelchefin keine Möglichkeit hatte, Dampf abzulassen, und dies ihrer Meinung nach auch mit ihrer Stellung unvereinbar war, war sie im Augenblick keine besonders angenehme Zeitgenossin. In dieser Hinsicht, das musste sich Lilja insgeheim eingestehen, war es ein Glücksfall, dass ihre Beziehung zur neuen Geschwaderchefin bisher noch nicht ernsthaft auf die Probe gestellt worden war. So gereizt wie die Russin momentan war, hätte sie sich vielleicht erstmals einer Vorgesetzten gegenüber im Ton vergriffen. Im Kontakt gegenüber ihren Untergebenen federte die neue XO der Grünen Staffel vieles ab. Es war für niemanden eine Überraschung gewesen, dass Imp den Posten bekommen hatte. Nun, für niemanden, vielleicht mit einer Ausnahme, denn Imps Flügelmann Vasco hatte sich von Anfang an nur widerwillig mit einer weiblichen Vorgesetzten abgefunden. Aber an der „Weiberherrschaft“, wie Imp es nannte, würde sich wohl vorerst – hoffentlich – nichts ändern. Die neue Stellvertreterin Liljas hatte ihre Beförderung mit der launigen Bemerkung angenommen, Alterspräsidentin der Staffel sei sie ja ohnehin schon. Das war für sie eine ungewohnt zynische Äußerung, aber selbst Imps Humor war zu diesem Zeitpunkt etwas angeschlagen gewesen. Sie war inzwischen die letzte, die allerletzte Pilotin, die noch von Anfang an dabei gewesen war. Alle anderen Angehörigen der Grünen Staffel bei Gründung der Angry Angels waren abkommandiert, verletzt oder gefallen. Inzwischen aber hatte sie sich etwas erholt und ergänzte Lilja perfekt. Nicht, dass Lilja eine reine Zuchtmeisterin gewesen wäre. Aber wenn jemand in der Staffel eine Schulter zum Ausweinen bräuchte – Originalton Imp – war es eben einfach besser jemanden zu haben, dessen Gesicht und Stimme einem nicht gleich den Angstschweiß ins Gesicht trieben. Es war wohl nicht zuletzt der XO zu verdanken, dass die Grüne Staffel über die Verluste der letzten Schlacht hinweggekommen war. Und über den Verlust des Geschwaderkommandeurs. Nicht, dass alle ihn uneingeschränkt bewundert hätten, aber es hatte Gerede gegeben, und solches Gerede konnte Gift für die Einsatzmoral sein.
Was Lilja nicht wusste – auch ihre eigene unerschütterliche Art hatte das ihre dazu beigetragen, dass die Staffel so schnell über all diese Umbrüche hinweggekommen war. Ihre Untergebenen würden sie wohl nie so lieben wie Lightning, aber die Russin mit ihrem vernarbtem Gesicht, der leicht kratzigen Stimme, der bissigen Art und ihrem festen Glauben an den Sieg und ihre Mission war ein Stück Kontinuität und Rückhalt. Etwas, woran man sich in den letzten Jahren gewöhnt hatte. Sie war ein Beweis dafür, was man alles überleben und erreichen konnte. Ganz anders war es etwa in der Gelben oder Schwarzen Staffel, wo die zentralen Bezugspersonen ausgefallen waren.

Die Russin musterte ihren Landsmann fast etwas neidisch, während dieser nun seinerseits zu einer „Trockenrunde“ ins Cockpit der Maschine kletterte. Er schien weitaus besser klarzukommen als sie, auch wenn er ihr als Pilot vielleicht etwas unterlegen war. Aber er lernte die Sprache der Akarii offenbar viel leichter. Was verwunderlich war, denn er hatte nicht weniger Grund, die Echsen zu hassen. Lilja bestand darauf, die Simulatorsitzungen durch Übungen in den Maschinen zu ergänzen, und Sokol hatte dagegen nichts einzuwenden gehabt. Blieb abzuwarten, ob die Geheimdienstler zustimmen würden, die Jäger schon mal für einen richtigen Probeflug zu verwenden. Das würde gegen die eigentlich gewünschte Geheimhaltung sprechen, aber Lilja war sich sicher, dass niemand von den Piloten erwartete, die Kampfflieger im Ernstfall einzusetzen, ohne sie vorher schon mal wirklich geflogen zu haben, Simulatorsitzungen hin oder her. Akarii-Sprit war ja da, aber ein scharfes Probeschießen mit Raketen zum Beispiel war so gut wie vollkommen ausgeschlossen, denn in der Hinsicht sah es sehr düster mit Reserven aus. Man hatte einige von den Beutemaschinen und einige baugleiche Raketen auf den havarierten Großkampfschiffen gefunden, aber das reichte nicht weit. Sie hatte verhaltenes Bauchgrimmen bei dem Gedanken an einen Probeflug, und erst recht wenn sie an den Ernstfall dachte. Sie wusste, sie war eine gute Pilotin, schon der Umstand, dass sie noch lebte sprach dafür. Aber dennoch, sie traute der Maschine eines Akarii nicht viel mehr als einer lebenden Echse. Aber wenn diese verdammte „Ziege“ ihr helfen, noch ein paar Akarii mehr abzuschießen, und den Angry Angels einen Weg aus einer Falle zu bahnen... Dann musste sie es eben versuchen.

Sie kontrollierte noch rasch ihre Frisur – ein paar Haare hatten sich gelöst – und den Sitz ihrer Uniform. Auch da gab es einiges zu bekritteln. Nun, sie hatte gerade genug freie Zeit, um sich dieses Problems anzunehmen. Denn für heute hatte sie noch einen weiteren Punkt auf ihrer Liste, und den wollte sie keinesfalls verpassen. Also machte sie sich mit energischen Schritten auf den Weg. Sie nahm ihren Weg über die allseits zugänglichen Bereiche des Hangars. Die geschäftige Atmosphäre wirkte wie so oft auf sie beruhigend – wenigstens hier war man emsig bei der Arbeit. Sie grüßte einige Bekannt und nickte dem Master Chief zu, der gerade mit einigen seiner Untergebenen diskutierte. Ihre berufliche „Beziehung“ zu ihm war kompliziert und alles andere als unproblematisch. In der Vergangenheit hatten sie mehr als einmal miteinander gestritten. Lilja forderte nicht selten das (fast) unmögliche für ihre Untergebenen, und zögerte nie, ihren Dienstrang in die Waagschale zu werfen, wenn sie glaubte es würde etwas nützen. Immerhin musste sie ihre Leute in die Schlacht schicken, und nicht selten ging es dabei um die Sicherheit der Columbia, um die gestellte Mission oder das Leben von Piloten anderer Staffeln. Und Lilja gehörte zu den „Nervensägen“ unter den Staffelchefs, denn sie bewies nicht selten eine penetrante Ausdauer in ihren Anfragen und Forderungen.
Eric Dodson wiederum war inzwischen zwar daran gewöhnt, dass die Piloten oft meinten, sie müssten nur lange genug Druck machen, um ihren Willen zu bekommen. Dass sie damit aber sein Urteil anzweifelten und seine Untergebenen in unzulässiger Weise antrieben, war eine konstante Quelle der Frustration. Wenn etwas nicht ging, dann ging es eben nicht! Andererseits konnte er an erster Stelle verfolgen, wie viele Maschinen zerschossen zurückkehrten oder für immer „draußen“ blieben. Er wusste nur zu gut, dass man seinerseits oft genug den Piloten Dinge abverlangte, die eigentlich auch nicht gingen.
Da beide nur ihr Bestes für ihre Untergebenen und ihre jeweiligen Aufgaben wollten, waren sie nicht immer einer Meinung, und da beide nicht die geduldigsten waren, war nicht jede Diskussion mit ruhiger Stimme und Augenmaß geführt worden...
Andererseits hatte Lilja nach Tukama den Chief für eine Belobigung und den Bronce Star vorgeschlagen, da er ihrer Meinung nach mit der Bereitstellung der Reservemaschinen dazu beigetragen hatte, vielen Menschen das Leben zu retten und nicht wenigen Akarii selbiges zu nehmen. Ein derartiger Vorschlag, ob er angenommen wurde oder nicht, wog nicht eben leicht, allerdings hatte es Lilja keineswegs getan, um etwaige frühere Streitigkeiten zu sühnen. Ihrer Meinung nach verdienten Dodsons Leistungen in der letzten Schlacht eine Würdigung, und in solchen Fällen war sie durchaus bereit, vergangene Konflikte zu vergessen. Außerdem hoffte sie so, dass er auf diesem Weg keine Probleme bekommen würde, weil er gegen die Vorschriften verstoßen hatte.

Auf dem Flugdeck ging es in der Tat betriebsam wie immer zu. Noch immer stand man ja tief im Feindesland, und niemand konnte sagen, ob die Echsen nicht zurückschlagen würden. Und deshalb mussten die zusammengeschmolzenen Staffeln den Flugbetrieb ungebrochen aufrechterhalten. Der Lieutenant Commander der Grünen Staffel fiel nicht sonderlich auf in dem geordneten Durcheinander, denn immer noch wurden Reparaturen ausgeführt, Reservemaschinen bereitgemacht und Patrouillenflieger gestartet oder nach der Landung weggeschafft. Wenigstens waren die Folgen und Spuren des Unfalls, der Renegade und Monty das Leben gekostet hatte, inzwischen beseitigt worden. Man hatte sogar die Brandflecken überpinselt – technisch gesehen eigentlich eine unnötige Arbeit, aber in psychologischer Hinsicht dringend ratsam. Kein Pilot wollte daran erinnert werden, dass der Tod auch hier zuschlagen konnte. Und es hatte genug Gerüchte gegeben, denn zu Anfang des Krieges hatten die Angry Angels schon einmal mit Sabotage zu tun gehabt. Kein Wunder, dass sich einige fragten, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen war.
Die Russin erwischte im letzten Augenblick einen sich bereits schließenden Aufzug und presste sich an die Wand, um genug Platz für einen Materialkarren zu lassen, der den größten Teil der Kabine einnahm. Wenn die zwei Techniker daran gedacht hatten, die Mitfahrerin anzusprechen, dann überlegten sie sich dies nach einem Blick auf die Rangabzeichen und das verschlossene Gesicht anders.

Eine halbe Stunde später

Liljas Aussehen hatte sich binnen nicht viel mehr als zwanzig Minuten vollkommen verändert. In kürzester Zeit die Montur zu wechseln und sich frisch zu machen gehörte zu den ersten Dingen, die ein Soldat lernte. Sie trug jetzt ihre weiße Galauniform, und alle Abzeichen und Auszeichnungen, die sie im Laufe des Krieges erhalten hatte. Und das waren inzwischen einige – Bronzestern, Flying Cross, Verwundeter Löwe in Silber, Raumfahrtabzeichen in Silber und Bronze, Kampagnespangen der meisten Operationen der 2. Flotte und so weiter. Das Metall und die farbigen Bänder hoben sich ebenso wie die zweieinhalb goldenen Ringe ihres Ranges perfekt von der weißen Uniform ab. Die weiße Mütze saß vorschriftsmäßig gerade auf dem schwarzen Haar, das wie so oft energisch zu einem Zopf zurückgebunden war. Die flachen Schuhe blitzen natürlich nicht weniger vor Sauberkeit als das Metall ihrer Abzeichen. Sie bewegte sich zielstrebig und ihr Gesicht wirkte entschlossen, doch was hinter ihren Augen vorging, war wie so oft nicht zu erkennen. Als Lieutenant Commander machten ihr die anderen Passanten zumeist den Weg frei, und viele salutierten auch, wenngleich zumeist eher etwas nachlässig. Man war ja nicht in der Etappe. Aber man wusste auch nie wie die Offizierin reagierte, und so schien es zu gefährlich, ganz auf einen Gruß zu verzichten. Sie hatte es freilich nicht sehr weit zu ihrem Ziel. Einem anderen wäre vielleicht der Gedanke gekommen, dass es ein wenig viel Aufwand war für diesen Zweck, aber Lilja sah das eben anders. Sie nahm ihre Aufgabe überaus ernst.
An ihrem Ziel angekommen holte sie ein paar Mal tief Luft, dann straffte sie sich und betätigte den Summer.

Eine ganze Weile geschah erst einmal nichts. Lilja überlegte kurz, dann klingelte sie erneut, und diesmal energischer. Sie konnte sich vorstellen, dass der Bewohner des Zimmers vielleicht momentan nicht in der Stimmung war, mit irgendjemanden zu sprechen. Ihr wäre es jedenfalls so gegangen, wäre sie in einer vergleichbarer Situation gewesen. Aber sie hatte nicht vor sich abwimmeln zu lassen.
Schließlich erklang eine eher verdrießlich klingende Stimme: „Herein...“

Die Russin öffnete, trat ein und schloss die Tür wieder hinter sich. Dann machte sie einen Schritt von der Tür weg und salutierte zackig: „Sir!“
Der Anblick, der sich ihr bot, war etwas anders als erwartet, und für Lilja eine wirkliche Überraschung. Commander Cunningham bot momentan keinen sehr erhebenden Anblick. Das war wirklich untypisch, denn normalerweise legte er großen Wert auf gepflegtes Auftreten. Seine khakifarbene Dienstmontur war ziemlich nachlässig angelegt, und er hatte sich offenbar nur recht flüchtig rasiert. Seine Mütze lag neben der Couch auf dem Boden, und sowohl ein dort platziertes Glas als auch ein gewisser Geruch besagten, dass er zwar nicht betrunken, aber auch nicht mehr ganz nüchtern war. Er hatte den Kopf leicht schiefgelegt und die blaugrauen Augen musterten vielleicht etwas überrascht die Besucherin. Im Hintergrund war Musik zu hören, irgendwelche Blasinstrumente. Normalerweise hätte sich Liljas Zehennägel bei diesen Klängen gekringelt, aber im Moment bemerkte sie die Musik gar nicht. Sie schien in ihrer Habachtstellung erstarrt, aber anders als sonst schaute sie dem Commander direkt in die Augen. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ob aus Verlegenheit, Ärger oder warum sonst war für einen Außenstehenden schwer zu sagen.
Für einen Augenblick schien sich das Schweigen auszudehnen und fast physische Präsenz annehmen zu wollen. Dann gab sich der Commander einen Ruck, obwohl er noch immer etwas ratlos wirkte: „Rühren...Lilja.“ Die Russin folgte seiner Erlaubnis, ohne sich allerdings wirklich zu entspannen. Sie nahm sie ihre Mütze und klemmte sie sich unter den Arm und holte noch einmal Luft. Und immer noch hielt sie Augenkontakt. Als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme bestimmt, aber mit einem Unterton, der schwer einzuschätzen war, aber von emotionaler Anteilnahme kündete. Sie sprach fast etwas überhastet, als fürchte sie, die Worte würden ihr ausgehen oder er könne ihr in die Rede fallen: „Sir, bitte verzeihen Sie die Störung, aber ich wollte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen zu sagen, wie leid mir alles tut. Ich...Ich wollte Ihnen sagen, dass viele Piloten des Geschwaders die Entscheidung von Admiral Wulff nicht billigen, egal ob sie nun die Beweggründe des Admirals ahnen oder nicht. In meinen Augen – und nicht nur in meinen – gibt es keine Rechtfertigung für das, was der Admiral getan hat. Sie haben das Geschwader seit seiner Entstehung fast ununterbrochen geführt, in bitteren Stunden und zu unseren größten Siegen, und uns zu einer Eliteeinheit gemacht. Und dafür bin ich – sind viele Ihnen dankbar. Meiner Meinung nach kann sich das Geschwader keinen besseren Kommandanten wünschen. Sie waren nur bereit zu tun, was notwendig ist, und dafür gebührt Ihnen Respekt, und keine Strafe.“
Für einen Augenblick schien der Commander ehrlich überrascht. Er hatte nicht mit einer solchen Lobeshymne gerechnet, schon gar nicht von dieser Seite. Er wusste, dass Lilja ihm gegenüber loyal war, aber dennoch...
Aber offenbar meinte sie es so, wie sie es sagte. Etwas zu gewinnen gab für sie nicht, im Gegenteil, eine deutliche Solidarisierung mit ihm würde ihr Verhältnis zu Raven nicht unbedingt verbessern. Und er kannte sie zwar nicht wirklich gut, aber genug um zu wissen, dass sie wohl nicht hier war aus Sorge, er würde Tigres Vorbild folgen. Und schon gar nicht aus falsch verstandener Pietät. Aber er wusste beim besten Willen nicht, wie er darauf reagieren sollte. Es überraschte ihn nicht, dass Lilja über den Grund seiner Amtsenthebung Bescheid zu wissen schien. Da Wulff den Vorgang nicht unter vier Augen abgewickelt hatte, war klar gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis andere davon erfuhren. Und in Liljas Fall, die ja selber zumindest indirekt beteiligt gewesen war, konnte man erst recht nicht von einer Überraschung sprechen.
„Nun...danke, Lilja. Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.“ Seine leicht zynische Ader siegte, und er fügte mit einem schiefen Grinsen hinzu, auch weil er nicht recht wusste, was er noch sagen sollte: „Aber insgeheim schauert mir, wenn ich Ihre Worte höre, denn das klingt ja fast wie eine postume Würdigung. Ganz so weit ist es ja nun wieder auch nicht.“ Insgeheim wollte er die Hoffnung für seine weitere Karriere noch nicht aufgeben, obwohl er sich fragte, ob er nicht zu viel Vertrauen in diejenigen setzte, die ihn erst in diese Lage gebracht hatten. Dem Vernehmen nach wäre er nicht der erste Offizier in der Geschichte der Navy gewesen, der von seinen Vorgesetzten erst vorgeschickt und dann im Regen stehen gelassen worden war. Die Gefahr – wie auch die Chancen – waren ihm von Anfang an klar gewesen, und Wulff hatte es ja nicht an Deutlichkeit fehlen lassen.
Seine frühere Untergebene schien sich etwas unsicher, ob sie ihm glauben sollte. Vermutlich hatte sie auch nicht damit gerechnet, dass er es so relativ gut verkraften würde. Natürlich – hätte man sie ihres Postens enthoben, wäre für sie vermutlich eine Welt zusammengebrochen.
Dann aber schien sie zu dem Schluss zu kommen, dass Menschen eben verschieden mit Rückschlägen umgingen. „Ich musste daran denken, wie Sie mir nach meiner Beförderung Mut gemacht haben...“ Sie errötete erneut. Lone Wolf verstand sie sehr gut. Lilja war auch hier, um eine Schuld einzulösen. Sie dachte vermutlich, er könnte etwas Zuspruch brauchen. Nun, die Russin stand generell im Ruf, Schulden auf Heller und Pfennig zu begleichen.
Diese aufrichtige Dankbarkeit kam freilich etwas überraschend für den ehemaligen Geschwaderchef, denn das gehörte nicht zu dem, was er gewöhnt war. Und schon gar nicht von jemandem wie Lilja. Er flüchtete sich in den Humor – immer noch das sicherste Ufer: „Ich bringe Sie jetzt nicht in Verlegenheit, indem ich frage, wie viele Leute Ihnen zustimmen werden.“ scherzte er. Lilja blickte etwas betreten zu Boden. Natürlich, der Commander hatte im Geschwader nicht nur Freunde, und etlichen war der Wechsel wohl ganz einfach egal. Aber im nächsten Augenblick straffte sie sich und drückte die für einen Augenblick leicht herabhängenden Schultern wieder durch: „Diejenigen, auf die es ankommt, Sir. Was geschehen ist, ich meine, was Ihnen geschehen ist, war falsch. Und wenn es etwas gibt, das ich für sie tun könnte...“ Die Russin schwieg unsicher. Ziviler – oder gar militärischer – Ungehorsam gehörte nicht zu den Dingen, in denen sie Übung hatte. Ebenso der Versuch, jemanden Trost zu spenden – der offenbar auch keinen brauchte.
Im Augenblick stand die Loyalität zum Commander dem Respekt gegenüber, den sie der neuen Geschwaderchefin und der Admirälin schuldete, und das war für sie kein kleines Dilemma.

Lone Wolf schien Augenblick zu überlegen. Natürlich gab es die Möglichkeit, auf dem Dienstweg Beschwerde einzulegen. Dann schüttelte er den Kopf: „Danke, aber ich denke, es ist besser, wenn wir die Sache im Augenblick auf sich beruhen lassen.“ Lilja verstand nur zu gut, was gemeint war. Ihre eigene Position als Mitglied in der Truppe der potentiellen „Prinzenmörder“ machte auch sie angreifbar, selbst wenn es keine definitiven Beweise gab. Natürlich war es nicht nur Sorge um die Untergebene, die Lone Wolfs Entscheidung diktierte. Von unten war hier nichts zu erreichen – wenn, dann musste man sich beim Kommando der Zweiten Flotte seiner entsinnen. Ein widerborstiger Lieutenant Commander könnte da nur hinderlich sein. Dann würde Wulff sich am Ende rechtfertigen müssen, und das bedeutete eine offizielle Untersuchung. In der TSN lief vieles auch heute noch im Untergrund, und nach Meinung vieler Traditionalisten war das auch besser so.
Lilja neigte den Kopf: „Wie Sie wünschen. Aber ich stehe zu meinem Wort, sollte Sie ihre Meinung ändern – und ich möchte sagen, es war, es ist mir eine Ehre, in Ihrem Geschwader zu dienen!“ Und Commander Cunningham wusste, welche Antwort die richtige war: „Es war gut, eine Untergebene wie Sie zu haben Lilja. Und – aufrichtig – danke.“
Die Russin neigte leicht den Kopf. Für einen Augenblick lächelte sie. Dann salutierte sie erneut, zackig, wie gegenüber einem Geschwaderchef angebracht: „Sir!“
Dann drehte sie sich um und ging. Draußen nahm ihr Gesicht wieder die alte emotionslose Entschlossenheit an. Sie meinte jedes ihrer Worte so, wie sie es sagte, und sie bedauerte es, dass sie nichts für den Commander tun konnte, dem sie ihrer Meinung nach viel verdankte. Aber vielleicht würde ihm ihr Besuch wenigstens ein gewisser Trost sein.
Dann verscheuchte sie die düsteren Gedanken. In ein paar Minuten fing die nächste Sitzung Sprachunterricht an. Wenn sie sich beeilte, wenn sie sich SEHR beeilte, hatte sie vielleicht noch genug Zeit, wieder ihre Dienstuniform anzulegen. Essen würde sie irgendwann später...
Cattaneo
Tyr

Kanos Staffel profitierte zweifellos am meisten von dem, was Skunk respektlos ‚Notschlachtung’ genannt hatte. Die fünf Griphen-Piloten der Gelben Staffel würden die Butcher Bears wieder auf volle Einsatzstärke bringen. Außerdem hatte die Schwarze Staffel jetzt endlich wieder genug Jäger für alle Piloten und sogar eine Griphen-Ersatzmaschine, auch wenn das bedeutete, dass einer der Nighthawk-Piloten mit einer Griphen fliegen musste. Bettler durften eben nicht wählerisch sein.
Kano hatte sich sofort in die Personalakten der ‚Gelben’ vertieft, als er von der geplanten Aufteilung der Staffel erfahren hatte. Er hatte sein Möglichstes gegeben, um die Piloten seiner Wahl zu bekommen. Die Verhandlungen waren ziemlich langwierig gewesen, denn natürlich wollte auch die Rote Staffel den Rahm abschöpfen. Normalerweise hätte Kano als einfacher Lieutenant und provisorischer Staffelführer wenige Chancen gehabt. Aber Raven konnte, wie die meisten Frauen und auch viele der Männer an Bord, Skunk nicht ausstehen. Sie war dem provisorischen Kommandeur der Schwarzen Staffel ungewöhnlich weit entgegengekommen. Vielleicht war das auch ihr Versuch gewesen, sich mit der Schwarzen Staffel in ein etwas besseres Benehmen zu setzen. Zum größten Teil hatte er bekommen, was er sich gewünscht hatte.

*******

Der Papierkrieg allerdings drohte ihn langsam aufzureiben. Die ständigen Umbesetzungen und Neuformierungen erschwerten die Koordination im Einsatz. Wie sollte man die unmittelbare Zusammenarbeit innerhalb der Untereinheiten intensiv üben, wenn sich alle paar Wochen deren Zusammensetzung änderte?
In den letzten Tagen war er manchmal kaum zum Essen gekommen. Sie flogen auf ‚Alarmstufe’ Gelb – vier Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf, zwölf Stunden Dienst. In Kanos Fall waren es allerdings oft eher vierzehn bis sechzehn Stunden gewesen. Von Freizeit konnte da keine Rede sein, und er fürchtete, dass er auch Kali etwas vernachlässigt hatte. Und das ausgerechnet jetzt, da sie ihn besonders brauchte. Auch die Ausbildung an den Akarii-Maschinen litt unter seinem übervollen Arbeitsplan.

In dem kleinen Büro, das ihm als provisorischen Staffelchef zumindest zeitweise zustand, fühlte er sich immer noch etwas fehl am Platz. Aber egal wie er sich fühlte, Kano musste von den ‚Neuen’ als Vorgesetzter akzeptiert werden. Andernfalls konnte er auch gleich aufgeben.
Der Türsummer erwachte zum Leben. Unwillkürlich straffte sich der japanische Pilot, überprüfte noch einmal den Sitz seiner Uniform, räusperte sich: „Herein!“

Als erstes trat Grizzly ein. Er war der einzige überlebende First Lieutenant der Gelben, und es war nicht einfach gewesen, ihn für die Butcher Bears zu beanspruchen. Aber Kano würde den massigen, hünenhaften Piloten brauchen. Er glaubte diesen Typus zu kennen – nicht brillant oder besonders ehrgeizig, aber dafür zuverlässig. Kano würde ihm das Kommando über die zweite Sektion geben, die vorerst vollständig aus Griphen bestehen würde. Es war vielleicht nicht die optimale Lösung, den Großteil der ‚Neuen’ in einer Sektion zu konzentrieren, aber immerhin waren sie bereits teilweise miteinander geflogen. So würden sich auch die Veränderungen für die überlebenden Butcher Bears in Grenzen halten. Außerdem wollte Kano keine unnötigen Experimente bei der ‚Paarung’ von Griphen und Nighthawk. Wenn er Grizzly richtig einschätzte, dann würde der ihm keine Probleme machen und nicht versuchen, aus seinen alten Kameraden eine eigene ‚Hausmacht’ zu formieren. Der Mann hatte nicht das Zeug zum Rebellen.
In einigen kurzen, knappen Sätzen umriss Kano den zukünftigen Aufbau der Schwarzen Staffel und Grizzlys wichtigste Aufgaben in den nächsten Tagen. Der neue Sektionsführer schien zufrieden. Das war gut, denn Kano brauchte ihn genauso, wie er die Unterstützung von La Reine und Crusader brauchte. Ein paar unverbindliche Worte, noch einmal ein kurzer Händedruck, dann war Kano mit Gizzly fertig.

Auch Shotos Antrittsbesuch dauerte nicht lange. Sie und Kano kannten sich bereits aus der Sporthalle. Wie Crusader und Cartmell gehörte auch die junge, ein wenig zurückhaltende Japanerin zu den wenigen Kendo-Fechtern an Bord. Sie würde Kano wahrscheinlich keine Probleme machen, dazu hatte sie viel zu viel Respekt vor Vorgesetzten. Falls Respekt die richtige Bezeichnung dafür war. Sie musste einige ziemlich unangenehme Erfahrungen mit höhergestellten Offizieren gemacht haben. Er würde sie im Auge behalten, für den Fall dass irgendein anderer First Lieutenant, und insbesondere ein ganz spezieller Lieutenant Commander, sie aufs Korn nehmen sollte. Sie war eine nur mittelmäßige, aber kaltblütige Pilotin, die die ihr gestellten Aufgaben prompt erledigte. Sie würde Grizzly verlässlich den Rücken decken. Immerhin, sie war Japanerin.

Babur ‚Bunny’ Shibab entsprach nicht einmal im Entferntesten den Erwartungen, die man mit seinem Callsign verbinden mochte. Der hoch gewachsene, sehr beherrscht wirkende Pilot mit persischen Vorfahren war ein fähiger, pflichtbewusster Pilot, und nach der Ansicht seines verstorbenen Vorgesetzten und auch Kanos Meinung auf dem besten Weg zum Fliegerass und zum First Lieutenant. Deshalb würde er von nun an eine Rotte kommandieren. Es war an der Zeit, dass die kriminellen Exzesse von Baburs Bruder und sein etwas schwaches Abschneiden bei der Abschlussprüfung nicht länger mehr sein Vorrankommen beeinflussten. Dass Babur wegen seiner Reserviertheit, der ausgeprägten Schüchternheit gegenüber Frauen und seiner Abstinenz offenbar häufig das Ziel von Witzen und zweifelhaften Scherzen war, spielte da keine Rolle. Es wurde Zeit, dass er ein etwas größeres Selbstbewusstsein entwickelte. Bei diesem abschließenden Gedanken ertappte sich Kano bei einem dünnen Lächeln. Er war gerade der richtige, um jemanden zu ermutigen, mehr aus sich herauszugehen…

Bunnys zukünftige Flügelfrau Elisabeth ‚Fox’ Lisiewicz war eine gute, aber ein wenig zu schematisch und lehrbuchhaft fliegende Pilotin. Aber sie würde Babur vermutlich gut ergänzen, und wegen ihrer etwas kühlen Art und Weise sich wohl auch nicht an Bunnys Zurückhaltung stören. Kano hatte Gerüchte gehört, dass die hoch gewachsene, rothaarige Second Lieutenant eine heimliche Bewunderin der gefallenen XO der Gelben Staffel gewesen war. Vielleicht, weil ‚Lady Death’ eben jene Tollkühnheit und fliegerische Kreativität besessen hatte, die Fox fehlten. Der Tod ihrer Vorgesetzten hatte Fox angeblich schwer getroffen, zumal sie auch noch völlig überraschend ihren Rottenführer verloren hatte. Denn das war Tigre gewesen, und Fox mochte sich jetzt zusätzlich fragen, warum sie die Vorzeichen nicht rechtzeitig erkannt hatte. Bunnys zurückhaltende, aber verlässliche Art und Weise würden ihr vielleicht ganz gut tun.

‚Das ist überhaupt eine Bezeichnung, die bei den ‚Gelben’ ziemlich häufig zutrifft. ‚Verlässlich’. Nun ja, es gibt schlechtere Charaktereigenschaften. Wir werden sie brauchen, wenn wir die Schwarze Staffel wieder an die Spitze führen wollen. Obwohl…’, musste Kano einschränken, ‚…nicht alle von ihnen sind verlässlich zu nennen.’
Und damit war er beim letzten der Neuzugänge angelangt. Er hatte ihn absichtlich bis zuletzt aufgespart. Wenn die Sache aus der Hand gehen sollte, dann würde keiner der übrigen ‚Gelben’ vor der Tür warten und Zeuge werden. Außerdem fühlte Kanos sich jetzt beruhigt in dem Wissen, dass er sich auf immerhin vier von fünf Neuen verlassen konnte. Und es war auch eine Machtdemonstration gewesen. Vielleicht war das ein Fehler, aber Kano vermutete, dass er in diesem Fall ohnehin sofort zeigen musste, wer das Heft in der Hand hielt: „Herein!“

Der letzte der Neuzugänge überragte Kano deutlich. Er war nicht unbedingt muskulös, aber seine federnden, fast aggressiven Bewegungen verrieten innere Kraft, Ehrgeiz und eine unterschwellige Wut, die schnell auflodern und sich entladen konnte. Frauen mochten den hageren Indianer mit der verblassten Messernarbe vielleicht sogar gut aussehend nennen. Aber auch wenn Kano Tiburons Akte nicht gelesen hätte, er hätte dennoch sofort gesehen, dass dieser Mann Ärger versprach. Tiburon war ein Fliegerass, ein guter, aber auch unbeherrschter Pilot. Und eine disziplinarische Katastrophe. War es schon gewesen, als er noch Shuttlepilot gewesen war. Aber die TSN hatte verzweifelt Piloten gebraucht, und deswegen hatte Tiburon seine Chance bekommen, Jagdflieger zu werden. Das hatte ihn nicht ruhiger werden lassen, und sein ohnehin ansehnliches Selbstwertgefühl noch weiter vergrößert. Dieser Mann war bereit, in die Sonne zu spucken, wenn sie ihn blendete. ‚Warum muss es eigentlich IMMER so jemanden in der Staffel geben? Aber wenigstens kann er fliegen, im Gegensatz zu Renegade.’
Tiburons Gruß war lässig bis an den Rand der Insubordination. Kano fühlte, wie er die Lippen zusammenpresste. Dennoch gab er dem Piloten die Hand, legte aber in weiser Voraussicht seine ganze Stärke in diesen Griff. Tiburon, der offenbar etwas Ähnliches beabsichtigt hatte, wurde kalt erwischt. Überrascht musste er feststellen, dass der Japaner anscheinend deutlich stärker war, als er vermutet hatte. Kano ließ Tiburons Hand allerdings los, bevor sich das Ganze zu einem richtigen Wettkampf entwickeln konnte. ‚Das Spiel kann ich auch.’ Er hatte Darkness und vor allem Commander Cunningham aufmerksam beobachtet.
Kanos Stimme klang kühl, allerdings nicht feindselig: „Willkommen bei den Butcher Bears. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. Als Fliegerass sind Sie auf jeden Fall eine Bereicherung für unsere Reihen. Sie werden in der alten Sektion Eins fliegen. Momentan kommandiert First Lieutenant Obasanjo diesen Schwarm. Ihr Rottenführer wird First Lieutenant Kranz sein, der im Einsatz ebenfalls eine Griphen fliegen wird. Haben Sie noch Fragen?“
Tiburon runzelte die Stirn: „Moment, was ist mit meinen Kameraden?“
„Die bilden die Sektion Zwei.“
Das Stirnrunzeln verstärkte sich: „Und warum muss ich dann verdammt noch mal eine Extrarunde fliegen?“
Kano erwiderte Tiburons wütenden Blick, ohne auch nur zu blinzeln. Tiburons Verärgerung schien einfach abzuprallen: „Weil ich es will. Lieutenant Kranz ist ein guter Pilot, und wie Sie Fliegerass. Er hat auch Flugerfahrung mit der Griphen. Sie werden ihm den Rücken decken. Ich sehe nicht, was es da zu diskutieren geben sollte.“
„Aber…“ doch Kanos gleichmäßige aber bestimmte Stimme schnitt durch Tiburons Protest, noch bevor er ihn ausformulieren konnte: „Des weiteren habe ich bereits ein Staffelmanöver angesetzt. Die Blauen und ein paar von den Grünen werden uns dabei Gesellschaft leisten. So bald es die Nachschubslage erlaubt, werden Sie und ihre Kameraden ebenfalls Nighthawk-Maschinen erhalten. Sie sehen also, wir haben viel zu tun. Das war Alles. WEGGETRETEN!“

Derartig abgefertigt konnte Tiburon tatsächlich nicht viel anderes tun, als sich umzudrehen, und zu gehen. Er sah nicht, wie sein Vorgesetzter erleichtert die Luft ausstieß. Die erste Runde war an Kano gegangen. Aber es würde bald eine neue geben. ‚Als ob ich nicht schon genug Probleme hätte!’
Cattaneo
Cattaneo

Frischfleisch

Flotten- und Versorgungsverband Wasp, auf dem Marsch nach Bantam, mehrere Sprünge vor dem Ziel

Das Heulen der Alarmsirenen schnitt wie eine glühende Klinge durch das Stimmengemurmel auf dem zentralen Aussichtsdeck der Wasp. Die Mannschaftsmitglieder, Piloten und Marines, die hier ihre freie Zeit verbrachten, sprangen wie von einer Tarantel gestochen von ihren Tischen auf. Derartige Reaktionen waren ihnen in den letzten Jahren zum selbstverständlichen Reflex geworden. Einer der Männer riss vor Schreck ein Holo-Schach-Spielbrett um, aber auch der Besitzer achtete nicht darauf, als die Projektionsfläche auf den Boden polterte.
Die dienstfreien Piloten des Trägers – Neulinge und Veteranen – machten in ihrem Verhalten keine Ausnahme. Auch sie schauten sich argwöhnisch um, abwartend, ob sie ein Befehl über das Interkom im nächsten Moment zu ihren Maschinen senden würde. Sie hatten sich etwas für sich gehalten und zwei Tische okkupiert. Dies geschah nicht unbedingt aus Standesdünkel, aber anders als die meisten Besatzungsmitglieder und Marines waren sie eben Offiziere, und das trennte sie von den anderen. Es war ein gemischter Haufen, der sich hier versammelt hatte. Ursprünglich hatte man vorgehabt, die frischgebackenen Akademieabgänger, die als Nachschub an die Zweite Flotte gehen sollten, auf dem Transporter Aurelius einzuquartieren. Aber dann hatte man sich auf der Wasp überlegt, dass die jungen Piloten während des Fluges nach Bantam genauso gut die fehlenden Plätze auf der Wasp auffüllen könnten. Der leichte Träger hatte in fast jeder Staffel Plätze frei, und Quartiere für die drei Dutzend Männer und Frauen ließen sich ohne weiteres finden. Außerdem konnte man so im Auge behalten, wer von ihnen sich dafür eignete, für den eigenen Träger „schanghait“ zu werden – wenn die Wasp schon Veteranen an die Columbia abgeben sollte und dafür ein paar Neulinge behalten durfte, wollte man sehr genau hinsehen, was man hergab und was man selber behielt.
So waren die „Aurelianer“, wie sie von den Veteranen der Wasp genannt worden waren, mit einem Shuttle an Bord des leichten Trägers gebracht worden. Da man sie aber noch etwas zögerlich zum regulären Dienst einsetzte und dieser ohnehin während des Marsches reduziert worden war, hatten sie viel freie Zeit. Und die meisten verbrachten diese Zeit hier, wo sie sich unterhielten und über ihre Zukunft rätselten, teils mit, teils ohne Gesellschaft der Wasp-Piloten.

Einer der Pilot, der aufgesprungen war, war jedoch offenbar kein Neuling. Er mochte gut und gerne um die 30 Jahre alt sein, mit markanten, attraktiven Zügen. Seine Rangabzeichen wiesen ihn als Second Lieutenant aus. Er blickte – anders als seine unerfahrenen Kameraden – nicht auf die flackernden Alarmlampen oder die Fenster, sondern auf den großen Bildschirm an einer der Wände. So konnte er in aller Deutlichkeit sehen, was für seine Kameraden nur ein Aufflackern in der Ferne war. Und anders als sie erkannte er sofort, worum es sich handelte.
„Minenexplosion auf der Seki Yukyo.“. Seine Stimme klang nicht einmal besonders angespannt.
Die anderen Piloten beobachteten einen Augenblick das Schauspiel, teils durch die Fenster, teils auf dem Bildschirm. Sie schienen sich weit weniger sicher, so als ob sie erwarteten, dass dies der Auftakt für einen Angriff der Akarii wäre. Es wäre für sie der erste Feindkontakt gewesen – und für einige vielleicht der letzte. Einer von ihnen, ein halbes Kind noch, wie es schien, ein kleingewachsener Second Lieutenant mit breitem Gesicht und dunkelbrauner Haut, machte sogar ein paar Schritte auf die Lifttüren zu. Der ältere Mann winkte ab: „Kein Grund zu Eile, Abat. Wenn sie euch brauchen – oder mich – werden sie es uns schon mitteilen.“ Der so angesprochene Pilot schwankte kurz, dann drehte er sich um und kam zurück. Er betrachtete besorgt die Anzeigen auf dem Schirm. Sein Nebenmann, ein schlaksiger Schwarzer, der ebenfalls noch nicht ganz trocken hinter den Ohren wirkte, erkundigte sich in einer Mischung aus gespielter Forschheit und Sorge: „Was glaubt ihr, geht da jemand mit dem Arsch auf Grundeis?“
Diese Äußerungen brachten einige seiner Kameraden – Abat etwa, ebenso eine Asiatin, die sogar noch eine halbe Spanne kleiner war als dieser – dazu, die Augen zu verdrehen. Die junge Frau murmelte leise, aber laut genug, das alles es verstehen konnten: „Patrice könnte wirklich mal was für seine Sprache tun.“ Dass ihr Kamerad nicht für alle sichtbar rot wurde, lag wohl nur daran, dass man dies bei ihm nicht ohne weiteres erkennen konnte.
Der ältere Pilot grinste nur schief, überging den Einwurf aber: „Unwahrscheinlich. Die Seki ist ein Zerstörer der Norfolk-Klasse, und die Mine vermutlich nur eine leichte. Du siehst das auch an den Anzeigen – die Seki scheint noch mit intakter Hülle zu fliegen. Die Mine muss von einem ihrer verschissenen Shuttles gelegt worden sein – damit ärgern die Echsen uns immer wieder.“
Die Asiatin grinste leicht, nicht ohne Bosheit: „Du musst es ja wissen, Knight.“
Eine Weile lang beobachteten die Piloten den Bildschirm und warteten, ob vielleicht doch noch Durchsagen für sie kommen würden – Alarmstart, Bereitschaft bei den Maschinen oder dergleichen mehr. Aber nichts dergleichen geschah. Offenbar handelte es sich bei der Mine um einen Einzelgänger, und die „Seki Yukyo“ hatte keine ernsteren Beschädigungen davongetragen. Dann kam die Entwarnung – der Zerstörer hatte offenbar wirklich nur leichte Schäden davongetragen, und auf der Wasp hatte man sich entschieden, nicht weiter auf den Zwischenfall zu reagieren. Natürlich dürften die Sensoroffiziere jetzt noch wachsamer ins All hinausspähen, aber davon merkte man auf dem Aussichtsdeck nichts.

Knight hatte nur die Aufhebung des Alarms abgewartet, dann erwiderte er das Lächeln der Asiatin freundlich. Seine Stimme klang milde und voll edler Nachsicht: „Wenn das eine Anspielung auf meine bedauerliche Begegnung mit einem der Shuttles der Echsen gewesen seien soll, von der du unzweifelhaft gehört hast, Shoki-chan, dann solltest du daran denken, dass es unfein ist, auf frühere Verletzungen von Kameraden anzuspielen.“
„Und was ist mit sexueller Belästigung und erbärmliche Witze, sind die etwa erlaubt?“ entgegnete die Pilotin gutgelaunt, die ihr Gesicht nur einen Augenblick wegen seines verballhornten Japanisch und seiner grässlichen Aussprache verzog. „Aber apropos frühere Erfahrung und so – es ist ja sehr schön, dass Ihr uns endlich habt wissen lassen, warum Ihre Lordschaft seine Zeit mit uns Frischlingen verschwendet.“
Knight verneigte sich leicht vor ihr: „Du meinst, außer auf Grund des Vergnügens, das mir die Gesellschaft deines unübertrefflichen Intellekts und der Anblick deines wunderschönen Körpers sowie der Klang deiner glockenklaren Stimme verursacht?“
Die anderen Piloten grinsten vor sich hin, obwohl dies offenbar nicht die erste Vorstellung dieser Art war.
Shoki verneigte sich ihrerseits: „Ich bin von soviel Lob mehr als geschmeichelt, ebenso wie von der Aufmerksamkeit eurer Lordschaft. Aber ich muss sagen, ich bevorzuge Männer, die meiner Generation entstammen, und nicht Altersgenossen meines Vaters. Zudem wäre meine Familie gewiss nicht einverstanden, würde ich mich für eine nachrangige Rolle in Harem eurer Lordschaft entscheiden.“
Knight griff sich, scheinbar tief getroffen, an die Brust, stimmte dann aber in das aufflackernde Gelächter ein: „Du hättest selbstverständlich eine herausgehobene Stellung. Nun, und Erfahrung kann auch etwas sehr reizvolles sein, nicht nur für Piloten...“
„Vielleicht. Aber ich denke, mit Männern ist es wie mit Käse – wenn sie älter werden, fangen sie irgendwann an zu stinken.“

Ehe dieses Geplänkel noch sehr viel weiter gehen konnte, mischte sich einer der anderen Piloten ein: „Wenn du schon weißt, dass du mit uns auf die Columbia kommst, kannst du dann wenigstens auch sagen, wer hier bleibt? Und wer von deinen Leuten ´rübergeht?“ Knight zuckte mit den Schultern: „Du glaubst doch wohl nicht, dass man das mit mir besprochen hat? Wenn die anderen ihr Glück bekannt geben wollen, werden sie das sicher tun. Aber bisher weiß ich es von keinem genau.“ Er klang etwas sarkastisch, als er das Wort ,Glück´ betonte, denn obwohl die Angry Angels als Elitegeschwader galten, wären nicht wenige Piloten der Wasp vermutlich lieber bei ihrem alten Haufen geblieben, als den Träger zu wechseln. Das Gerücht, dass nicht etwa alle Neulinge auf den Pegasus-Träger wechseln würden, sondern nur einige, verstärkt durch ein paar Veteranen der Wasp, hatte sich von oben nach unten mit rasender Geschwindigkeit ausgebreitet. Knight, der selber seit gut zwei Jahren auf der Wasp gedient hatte, war der erste gewesen, der sich „geoutet“ hatte. Für ihn war diese Versetzung keine Überraschung gewesen. Er gestand sich selber ein, dass er nicht zu den besten der Veteranen des Trägers gehörte, und so wenig die meisten seiner Kameraden und der Großteil seiner Vorgesetzten inzwischen auf seine Herkunft aus einer Bewährungseinheit gaben – bei einer Abwägung wer bleiben und wer gehen sollte, wog dies sicher schwer.
„Aber ich weiß was fast ebenso Gutes: ich kann euch etwas über eure Zukunft erzählen.“
Shoki, die Knights Motiven offenbar nicht uneingeschränkt vertraute, konnte nicht umhin zu meckern: „Das ist aber die schlechteste Anmache, die ich bisher von dir erlebt habe.“, doch ihre Kameraden überstimmten sie.
„Ja, oh wundervolle Kirschblüte, ich weiß, dass du einen Bruder auf der Columbia hast. Du kannst mich ja gerne ergänzen.“ gestand ihr Knight gutgelaunt zu. Er nahm wieder Platz und wartete, bis sich auch seine Kameraden setzten. Dann begann er zu erzählen.
„Also, vom Geschwaderchef habt ihr ja wohl schon gehört. Lone Wolf ist ja schon auf Grund seines Silberkreuzes bekannt, denn wir haben ja nicht allzu viele seines Schlages, die noch leben. Und man erfährt ja auch sonst so einiges. Er ist natürlich ein erstklassiger Pilot – anders kriegt man keine fünfzig Echsen zusammen, inzwischen sind es eher 60 oder mehr – aber nach allem was ich weiß, ist er auch als Vorgesetzter nicht übel. War bei den Blue Angels, als es losging, und bewährte sich bei Manticore. Dann Chef eines neuen Geschwaders, eben der Angry Angels. Es heißt, er sei ziemlich hinter seiner Karriere hinterher, aber wer ist das nicht? Nicht gerade ein Kumpel, mit dem man Bier trinkt, dazu ist er zu ehrgeizig, und wohl auch zu stolz. Meint vermutlich, er sei zu Höherem berufen. Aber es gibt Schlimmeres. Hat den Perisher, schielt also vermutlich auf ein Kommando. Nun, das ist sicher sein größtes Manko...“ Knight schien zu denen zu gehören, die dergleichen als zweiten Sündenfall betrachteten, denn dann konnte man in den seltensten Fällen noch fliegen.
Shoki nickte bei seiner Beschreibung zustimmend: „Er schickt seine Leute oft dorthin, wo es wirklich gefährlich ist – aber sein Erfolg hat ihm bisher immer Recht gegeben.“
Knight grinste grausam, während er mit seiner Aufzählung fortfuhr, in etwa so wie ein Erzähler, der gerade eine Gespenstergeschichte zum Besten gibt und nun zum gruseligen Teil kam. Er musterte dabei seine Kameraden, als suche er jemanden, der Schwäche zeigte: „Ihr könnt es wirklich schlechter treffen, als in seiner Staffel zu fliegen. Der Chef der zweiten Nighthawk-Staffel, Skunk, zum Beispiel, der ist ein wirkliches Arschloch, nach allem was man hört. Gnade euch Gott, wenn ihr in seine Staffel kommt. Ich will nicht sagen, dass er in der ganzen Flotte berüchtigt ist, aber angeblich arbeitet er daran. Die Leute, die mal an Bord der Columbia gedient haben, erinnern sich sehr gut an ihn – so wie an den Schulschläger von zu Hause. Nicht direkt ein Schleifer oder Korinthenkacker im eigentlichen Sinne, einfach nur ein Dreckschwein mit Leib und Seele. Zeigt bei ihm eine Schwäche und er wird sie euch von hier bis zum Jüngsten Gericht unter die Nase reiben. Einer von denen, die Gesichter gerne in die Scheiße drücken, weil sie sich gut dabei fühlen und ihnen der Anblick gefällt. Der lebende Beweis, wie schwer uns die Akarii getroffen haben, dass so etwas Staffelchef wird. Sein einziger Pluspunkt ist, dass er sich angeblich gerne mit Marines rauft. Hat in seiner Zeit auf der Wasp zweimal im Lazarett und dreimal im Arrest gesteckt deswegen.“ Shoki fügte hinzu: „Er ist zwar ein ganz guter Pilot, aber mein Bruder meinte auch, er sei ein Ekel.“ Sie lächelte spöttisch: „Das will aus seinem Munde etwas heißen. Skunk hat in seiner Staffel übrigens den halb-adoptierten Protege von Ex-Admiral Alexander, nach allem was ich gehört habe.“ Knight, der sehr wohl wusste, dass sich dies auch auf ihn bezog, machte nur eine abwehrende Handbewegung: „Die alte Dame kenne ich ja gar nicht. Ich muss schon sagen, mit deinem hübschen kleinen Näschen kriegst du ja wirklich fast alles heraus...
Früher galt es als schick darauf hinzuweisen, dass man weitläufig mit ihr verwandt ist, aber die hat ihr Ansehen so gründlich ruiniert, wie es nur geht. Heute wollen nicht mal meine alten Leute sie mehr kennen.“
„Du meinst, so wie dich.“ stichelte Shoki, die nicht lange gebraucht hatte, um nach ihrer Ankunft auf der Wasp den Bordklatsch über die Piloten durchzugehen und die besonders pikanten Details herauszufiltern. Der ältere Pilot nahm die Anspielung mit Gelassenheit, wohl auch weil er sich in den letzten Jahren noch viel Schlimmeres hatte anhören müssen.
„Jedenfalls werde ich mit diesem Ace – so nennt er sich, ganz offenbar auch so eine Egomane – nicht um die Gunst von Urgroßtante um zehn Ecken wetteifern. Sie hat ja höchstens noch den Penny zu vererben, den ihr Ansehen in der Nachwelt wert ist. Dafür kann er sich gerne interessieren.“ Keiner seiner Kameraden nahm ihm diese harschen Worte übel, obwohl die Familie sonst als heilig galt. Knight machte aus seiner „edlen Abstimmung“ kein Geheimnis, sprach aber stets mit gewisser Verachtung darüber. Und Admiral Alexander war für die meisten Flottenangehörigen „die Stümperin, die Manticore verloren hat“. Wer sich von ihr distanzierte, durfte auf Zustimmung rechnen.
„Dann hätte er ja so wenig gesunden Menschenverstand wie du...“ Shoki konnte es nicht lassen. Die Retourkutsche kam prompt: „Du scheinst dir ja direkt Sorgen um mich zu machen. Und mein Verstand leidet nur an unerfüllter Liebe zu dir, oh herrliche...“ Einer von Knights Kameraden verpasste ihm einen Stoß in die Rippen, ehe das Gespräch zu sehr abdriftete.

Shoki übernahm kurz seine Rolle als Berichterstatter:„Tja, was wäre noch zu sagen? Dieser Ace war Kriegsgefangener und galt als KIA. Noch was, das er mit der Admirälin gemeinsam hat. Wurde von seinen eigenen Leuten wieder rausgeholt, bei Graxon. Soll auch ein wirklich guter Pilot sein, ordentlich dekoriert. Aber aus irgendwelchen Gründen mögen ihn etliche nicht, habe ich gehört. Vielleicht glauben einige von euch weißen Barbaren ja, Alexanders Pech klebe an ihm...“ Das wurde wieder mit Gelächter quittiert.
Knight nahm den Faden wieder auf. Er wollte sich offenbar nicht aus der Gesprächsleitung drängen lassen: „Nun, sie haben auch sonst noch einige illustere Persönlichkeiten. Ihre Jagdbomberchefs, und nicht nur die Chefs, sollen echte Asse sein. Samantha Burr und Martin Durfee gehören zu den Spitzen-Killern auch innerhalb der Zweiten Flotte. Zumindest unter den Piloten, die noch laufen können. Durfee soll alleine ein ganzes Armeekors Akarii gefriergetrocknet haben, als er ihre Transporter abschoss. Und Burr hat mit ihren Leuten mehr als einen Kreuzer abgetakelt, ist seit Anfang Husar dabei. Durfee hat das Fliegerkreuz in Gold – gibt nicht viele wie ihn. Soll aber gesundheitliche Probleme haben, habe ich läuten hören. Ich habe mich mal mit einem unterhalten, der drei Monate auf der Columbia diente, bevor sie ihn nach einer Verwundung auf die Wasp geschickt haben. Er sagte, Durfee war monatelang in der Etappe – warum genau, weiß ich nicht. Also wer von euch zu den Kriechern versetzt wird...“ diese verächtliche Bezeichnung der Jagdbomber rief empörtes Gemurmel bei einigen der Neulingen hervor „...der kann bei den Besten des Fachs lernen. Zwei ihrer Jungs haben die Chefechse bei Tukama abgetakelt – das ist doch mal was. Also denen würde ich sogar was ausgeben, auch wenn es keine Jägerpiloten sind!“ Die angehenden Angehörigen der Staffeln Gold und Silber grinsten. Dergleichen war wirklich selten aus dem Mund eines Falcon-Piloten. Knight konterte aber sofort, und seine Stimme klang ungewöhnlich ernst: „Aber nehmt euch in Acht – die Jabos haben auch ganz schön bluten müssen, von Anfang an. Durfee ist der vierte Kommandeur seiner Staffel. Und zwei der anderen sind kaltes Fleisch.“ Diese Worte schienen bei manchem der Piloten die Wirkung nicht zu verfehlen. Das war ein Aspekt, der nicht besonders gerne in der Öffentlichkeit thematisiert wurde. Aber wer Auge hatte, um zu sehen, der erkannte schnell, dass viele der Bilder in der Ehrengalerie hochdekorierter Abgänger der Fliegerakademie schwarze Rahmen hatten. Und immer wieder wurden Bilder ausgetauscht, und bei den Lebensdaten unter den Bildern kam eine zweite Zahl zum Geburtstag hinzu...
Die Medien mogelten sich gerne darum herum, dass so manche Heldengeschichte, die sie aufbauten, einige Wochen oder Monate später als Tragödie weitergeschrieben wurde. Aber innerhalb der Streitkräfte sprach sich dergleichen herum.
Knight sagte das nicht, um seine künftige Kameraden zu verschrecken. Aber er hatte eine recht nüchterne Sicht der Dinge: „Tja, die anderen Chefs... Über McGill kann ich nicht viel sagen. Verlässliche Crusader-Chefin. Ist wohl seit Graxon/Corsfield dabei, als es den alten Chef erwischte.“ Knight war Pilot eines Abfangjägers. Deshalb zollte er vielleicht noch den Piloten von Jagdbombern Respekt – aber von Bomberfliegern hielt er nicht viel. Das mochte auch daran liegen, dass er nie auf einem Schiff mit Crusadern gedient hatte. Für ihn und seinesgleichen waren die Bomber in erster Linie so etwas wie hilfsbedürftige Halbkrüppel, die man über eine Straße begleiten musste.
„Auch über den Chef der Griphen kann ich nicht viel sagen. Kommt aus der Etappe und war bei der Magellan-Sache dabei. Aber ich wüsste nicht, dass er sich irgendwo besonders hervorgetan hat. Soll aber ganz gut auf seine Leute aufpassen. Die Chefs der letzten zwei Staffeln – Falcons – benannt blau und grün, sind schon anderes Kaliber. Die erste wird von einer ,Kraut` geführt, LC Volkmer. Ist auf dem besten Weg zu Silber, würde ich sagen. Früher auf der Maryland und schon damals an der Spitze. Die anderen Falcon, die 3. Geleitschutzstaffel, führt Lieutenant Commander Diane Parker, die Geschwader-XO. Soll angeblich mit dem Chef nicht ganz grün sein.“ Das brachte ihm einige kritische Zwischenrufe ein – das Wortspiel war nun nicht SO originell. Er ließ sich aber nicht stören: „Neben ihm und Burr die einzige Staffelchefin, die von Anfang an noch beim Geschwader dabei ist. Sie kümmert sich gut um ihre Leute und ist eine wirklich patente Pilotin. Der Junge, von dem ich das alles habe, hat ein Vierteljahr unter ihrem Kommando gedient. Man könnte meinen, er sei fast etwas in sie verschossen gewesen. Aber ich nehme an, nach der Ausbildung war es ein Erlebnis, mal einen menschlichen Chef zu haben...
Na ja, wer so lange in einem Frontgeschwader fliegt, der muss gut sein – Manticore, Jollahran, Graxon/Corsfield, Carbash, Groshen, Velorha Eins und Zwei, Beta Borialis, und jetzt Tukama. Die zweite in der Hackordnung ist ähnlich gut, hat vielleicht sogar noch mehr Abschüsse. Eine Russin, soweit ich weiß, LC Pawlitschenko. Sie hat den Burschen einmal zusammengefaltet, weil er zu spät zum Dienst kam – soll angeblich so kalt wie Weltraumeis sein. Vernarbtes Gesicht und einen Blick, der einen glatt kastriert.“ Das veranlasste einen seiner Kameraden zu der Bemerkung: „Das bräuchten wir für dich...“
Knight winkte nur ab: „Jedenfalls ist sie mehrfach ausgezeichnet und dekoriert, hat mehr als 30 gegrillte Akariis auf der Flanke ihres Jägers.“ Das war selbst nach all diesen Schlachten keine Alltäglichkeit. Shoki lächelte spöttisch: „Dir ist klar, dass du eine Eins-zu-eins-Chance hast, in einer Staffel mit ihr zu landen?“ Knight spitzte die Lippen, als wollte er sie küssen: „Tja, so lange ich mit dir zusammen seien kann...“ Shoki wischte sich übers Gesicht, als müsse sie etwas Schmutziges entfernen: „Du könntest eine gewisse Operation wirklich gebrauchen...“

In diesem Augenblick meldete sich das Interkom. Da es nun einmal ein militärisches Gerät war, klang die Stimme barsch und knapp, als müsse sie mit jeder Silbe sparen: „Die Lieutenants Alexander, Nakakura, Taruc, Chin-So sofort in den Bereitschaftsraum. Schiff wird in einer halben Stunde springen. Vor-Sprung-Alarm.“
Die angesprochenen Piloten erhoben sich. Nakakura – Shoki – und Taruc – Abat – brachten tatsächlich Diensteifer zustande. Second Lieutenant Alexander alias Knight wirkte da wesentlich gesetzter. First Lieutenant Chin-So war ein stämmiger Chinese ungewissen Alters, dessen Gesicht so aussah, als hätte es jemand mit einem Messer bearbeitet. Höchstens die Gemessenheit seiner Bewegungen verriet, dass er Veteran war. Er hatte das Gespräch schweigend verfolgt. Niemand wusste bei ihm, warum er sich zu seinen Kameraden gesellte, denn er sprach wenig, und es war unklar, ob er auf der Wasp bleiben oder auf die Columbia wechseln würde.
Die vier Piloten machten sich auf den Weg, die Neulinge voran. Als Shoki und Abat den Lift gerade erreicht hatten, öffnete sich die Tür vor ihnen. Sie mussten hastig beiseite springen, sonst wären sie umgerannt worden.
Der Grund für den Beinahe-Unfall war eine junge Frau. Sie hatte blonde, kurze Haare und grüne Augen, die wütend funkelten. Ihre Abzeichen wiesen sie als Petty Officer First Class der technischen Dienste aus. Obwohl sie die an und für sich nicht sehr kleidsame Dienstuniform trug, war leicht zu erkennen, dass sie mehr als nur attraktiv war. Die zwei jungen Piloten brachten sich nach rechts und links in Sicherheit, während der Neuankömmling sich vor Knight aufbaute. Sein chinesischer Kamerad trat demonstrativ zwei Schritte zur Seite, um zu zeigen, dass ihn das Ganze nichts anging.
Wenn Knight die Situation unangenehm war, dann überspielte er das geschickt: „Hallo Sarah.“ Weiter kam er nicht, denn die Frau fiel ihm ins Wort: „Wann hattest du eigentlich vor, es mir zu sagen? Bevor oder nachdem es schon das GANZE Schiff weiß?“
Der Pilot zuckte nur ungerührt mit den Schultern: „So wichtig war es doch nun wieder auch nicht...“ aber da wurde er schon wieder unterbrochen. Ihre Stimme vibrierte in einer Mischung aus Ungläubigkeit, Schock und kaum gezügelter Wut: „Nicht so wichtig? Wir sind ein halbes Jahr zusammen und du hältst mich nicht für wichtig genug, dass ich es als erste, zweite oder meinethalben zehnte zu erfahren, wenn du das Schiff wechselst?“
„Warum auch? Du bleibst ja sowieso hier, und bei Bantam liegen wir ja lange genug, dass ich es dir noch sagen kann. Und außerdem ist es ja nicht so, dass ich dir was versprochen hätte... Und irgendwann ist eben alles Mal vorbei.“ Seine Stimme klang immer noch so unbekümmert wie zuvor.
Die Technikerin starrte ihn an. Für einen Augenblick schienen in ihren Augen Tränen zu schimmern. Das ganze Oberdeck beobachtete die Szenerie, teils offen neugierig, teils peinlich berührt. Abat schien sich an einen anderen Ort zu wünschen – vielleicht in eine gemütliche Arrestzelle oder einen anderen behaglicheren Ort. Lieutenant Chin-So ließ sich überhaupt nichts anmerken, und Shoki schien in Gedanken in ihrem Notizbuch Eintragungen vorzunehmen. Sie wollte sich offenbar nichts entgehen lassen.
Der Augenblick endete, als die Technikerin einen Schritt vortrat. Dann ging alles sehr schnell. Von einem Augenblick auf den anderen fluchte Knight unterdrückt auf und sprang zurück, wobei er nur mit Mühe das Gleichgewicht hielt. Sarah, die ihm mit voller Wucht ihre Ferse auf den Fuß platziert hatte, wirbelte herum und marschierte mit wütenden Schritten hinaus.
Im ersten Moment herrschte Schweigen, dann begann irgendjemand zu lachen. Es lag wohl eine gewisse Schadenfreude darin, vielleicht auch etwas Unbehagen. Aber es war immerhin ein Lachen, und andere fielen ein. Zu ihrer aller – und vielleicht zu seiner eigenen – Überraschung schloss sich Knight an, während er zur Tür humpelte – möglicherweise übertrieb er noch, was ihm weitere Lacher einbrachte: „Ich wusste ja nicht, dass sie es SO persönlich nimmt – nächstens passe ich besser auf, dass es bei meiner Maschine nicht zu einem Unfall kommt.“ Der Witz war an und für sich gesehen ziemlich dürftig, aber das kümmerte in dieser Situation nicht. Shoki und Abat hingegen schienen wenig belustigt, und sie waren nicht die einzigen. Der kleingewachsene Filipino schwieg, aber Shoki murmelte deutlich vernehmbar: „Manchmal bist du wirklich ein Schwein.“ Damit ging sie. Knight zuckte mit den Schultern: „Frauen...“
Cattaneo
Cunningham

TRS Gettysburg,
Flaggschiff 2. Flotte, Beta Borealis

Jean Baptist Renault hatte zur Admiralstabsbesprechung geladen. Neben seiner Stellvertreterin Maike Noltze waren die Trägerkampfgruppenkommandeure der Gettysburg, der Melbourne und der Corsfield anwesend. Die Kampfgruppenkommandeure der leichten Trägergruppen Galileo, Tarawa und Mercury und die höchsten Geschwaderkommandanten.
Alles in Allem zwei Vizeadmirale, fünf Konteradmirale und drei Commodore.
Die 2. Flotte hatte also mehr als genug Dekor zur Verfügung.
Renault blickte seine Stabschefin an und nickte kurz.
Maike „Battleaxe“ Noltze war gut darin mit Zahlen zu jonglieren. Sie hätte diesen Vortrag auch einen ihrer subalternen Offiziere halten lassen können, aber das tat sie nicht.
Sie hatte die Zahlen persönlich aufgearbeitet und die Besprechung vorbereitet.
„Das Bild, welches uns der Aufklärungseinsatz des Zerstörers Drake vermittelt, ist alles andere als positiv.“ Eine wenig ermunternde Eröffnung, wenn sie aus dem Mund eines Vier-Sterne-Admirals kommt. „Laut den Sensoraufzeichnungen haben wir dort zehn Flottenträger stehen. Zehn große böse Quarsars. Den Antriebskennungen zufolge stammt keiner dieser Träger aus Manticore. Es ist anzunehmen, dass wir es hier mit der kompletten Homefleet der Akarii zu tun haben.“
Sie wechselte das Diagramm an der Monitorwand: „Darüber hinaus konnten wir vier Trägerkreuzer der Golf-Class identifizieren und etwa sechzig weitere Kreuzer unterschiedlicher Klassifizierung.
Den extrapolierten Daten und unseren Hochrechnungen über die letzten Verluste der Akarii nach muss es sich hierbei größtenteils um Einheiten der Homefleet handeln.“
Die Admiralin befeuchtete sich die Lippen: „Darüber hinaus konnte die Drake beinahe hundert kleinere Transponder entdecken: Zerstörer, Fregatten und Korvetten. Es ist anzunehmen, dass diese Flotte von einem Tross von über hundert Versorgern, Minenjägern und Minenlegern begleitet wird.“
Noltze blickte finster den Kommandeur der Gettysburgträgergruppe an, der die Hand zur Frage hob: „Admiral Kowalski?“
„Ist es sicher, dass keiner der Träger als einer derjenigen identifiziert werden konnte, die zur Manticoreflotte der Akarii gehören?“
Noltze nickte: „So gut wie sicher.“
„Wissen wir wer von den Echsen dort das Kommando hat?“ William Carlson von der Melbourne machte sich nicht die Mühe, sich zu melden. Es machte ihm Spaß, Noltze zu ärgern. Sie war Renaults erster Protege, und diesen konnte Carlson überhaupt nicht leiden.
Respektieren ja, leiden: Nein.
„Commander Mendez.“ Noltze gab die Frage an den Nachrichtendienstler aus Renaults Stab weiter.
„Laut den abgefangenen Meldungen handelt es sich bei der Flottenkommandantin um Lay Rian. Soweit wir wissen, ist sie erst kurz nach der Schlacht von Beta Borealis reaktiviert worden. Sie war laut offizieller Meldungen für das Akariidebakel bei Corsfield verantwortlich.“
Auf einigen Gesichtern bildete sich ein Schmunzeln.
„Das ergibt doch wenig Sinn.“ Rear-Admiral Jefferson B. Clarke erhob das Wort. „Ich meine, wenn sie so eine Versagerin ist wie allgemein geglaubt wird, warum sollte man sie jetzt wieder in solch eine Position bringen?“
„Ihre Frage hört sich an, als ob Sie daran zweifeln, dass Rian eine Versagerin ist.“ Noltze fixierte den kleineren Mann.
„In der Tat, als ich die Redemption befehligte, hatte ich durchaus mit ihr zu tun. Sie scheint verschlagen, heimtückisch und sehr tüchtig zu sein. Darüber hinaus sehr charismatisch und skrupellos, um sich durchzusetzen.“
„Jeff, ich will jetzt keinesfalls unhöflich sein oder Ihre Leistungen in Frage stellen,“, sagte Carlson milde, „aber Sie haben keinesfalls den Ruf eines Genies. So wie Sie von dieser Frau reden, könnte man meinen, die hätte Sie dran kriegen müssen.“
„Das Glück ist mit betrunkenen, kleinen Kindern und Raumschiffen namens Redemption.“ Antwortete Clark ungerührt. „Wenn Rian dort das Kommando hat, sollten wir auf der Hut sein. Auch wenn meine Einschätzung etwas übertrieben sein mag, so hat sie mehr Mumm als der Rest der Akariiadmiralität.“
„Schön und gut, haben die Echsen eben einen vernünftigen Ersatz für Jor gefunden. Aber der Punkt ist doch der, wie gehen wir jetzt weiter vor?“ Viceadmiral Kira van der Graff, Kommandantin der Corsfield Trägerkampfgruppe, beugte sich aggressiv vor. „Warten wir erst auf die Columbia und unsere leichten Träger, oder gehen wir jetzt schon rein und treten die Akarii aus Axion raus, ehe sie sich richtig eingenistet haben?“
„Die Echsen sind und zurzeit drei zu eins überlegen.“ Carlson wirkte nachdenklich. „Selbst mit der Columbia, und wen haben wir noch da draußen?“
„Die Wasp, welche sich in einigen Tagen mit der Columbia vereinigt, und die Hongkong bei Karrashin.“ Antwortete jemand.
„Na, selbst damit kommen wir höchstens auf eins zu eineinhalb. Ich bin mir nicht sicher, ob wir da so schnell rein sollten.“
„Was ist Carlson, werden wir auf die alten Tage noch zögerlich?“ Van der Graff blickte sich um. „Wir sollten jetzt zuschlagen, schnell und brutal.“
„Und was ist mit den Trägern von Manticore? Hat wer an die gedacht?“ Wollte Carlson wissen.
Renault erhob sich und ließ ein strategisches Bild auf der Monitorwand erscheinen: „Wissen Sie, was ich mit drei Trägern machen würde, die ich im Rücken des Feindes habe?“
Und tatsächlich, bei einfacher Betrachtung konnte man von Manticore aus der 2. Flotte in den Rücken fallen.
„Drawn, Karrashin und Je-Taw.“ Hauchte Kowalski. „Uns den Nachschub abschneiden und den Rückzug blockieren. Für Lians Flotte den Amboss spielen.“
Schweigen.
„VERDAMMTE SCHEIßE!“ William Carlson hatte die Hände zu Fäusten zusammengepresst.
„Wie viel Zeit haben wir, bis die Manticoreflotte der Akarii ins Geschehen eingreifen kann?“ Fragte ein Commodore aus der hinteren Reihe.
„Leider gar keine mehr.“ In der Tür stand Renaults Stabssignaloffizier. „Wir haben eine Meldung von Drawn erhalten. Zwei Akariiträger sind dort aufgetaucht und haben die Garnison überrannt.“
„Wie alt ist die Meldung, Dennis?“ Renault verschränkte die Hände auf dem Rücken.
„Vor keinen zwanzig Minuten hereingekommen, Sir.“
„Hm-Hm.“ Der Kommandant der 2. Flotte wandte sich wieder an seine Kampfgruppenkommandeure: „Möglichkeiten?“
Van der Graff war die erste die antwortete: „Wir schlagen sofort gegen Axion zu.“
Das brachte ihr einige erstaunte Blicke ein.
„Wir könnten es der 1. Flotte überlassen, sich mit den Akarii in unserem Rücken zu befassen, und graben uns hier ein. Verschanzen uns am Sprungpunkt, und wenn die Echsen durchkommen: BOOM.“ Kowalski ließ die Rechte zur Faust geballt in die offene linke Hand klatschen.
„Diese beiden Träger bei Drawn, die werden doch unterbesetzt und schlecht ausgerüstet sein, oder?“ Carlson zündete sich seine Pfeife an. „Deren Ziel wird doch sein, unseren Nachschub lahm zu legen. Deren Ziel ist doch sicherlich Karrashin, dort läuft unsere Hauptnachschublinie durch. Darum steht dort die Hongkong mit einem anständigen Begleitgeschwader.“
„Damit würden die uns nicht nur den Nachschub abschneiden, sondern auch unsere Rückzugslinie bedrohen.“ Stimmte Rear-Admiral Clark ein. „Die sind nicht stark genug uns ernsthaft zu gefährden, aber wenn die plötzlich als Verstärkung auftauchen ...“ Er brauchte den Satz nicht zu beenden.
„Darüber hinaus sind die stark genug um uns zu binden, bis die Akariiflotte uns eingeholt hat, wenn wir stiften gehen.“
„Aber kommen wir doch zum Punkt.“ Carlson wedelte energisch mit der Pfeife. „Wir lassen uns nach Karrashin zurückfallen, stellen die beiden Träger bei Drawn, fegen diese aus dem All und springen nach Manticore. Von dort aus bedrohen wir dann die akariische Heimatwelt und diktieren ihnen unsere Bedingungen.“
„Das wird Rian nicht zulassen.“ Warf Maike Noltze ein.
„Was will sie aber dagegen machen?“ Schoss Carlson zurück.
Noltze zählte an den Fingern ab: „Erstens: Fakt ist, die Akarii wissen, dass ihre beiden Träger dort aufgetaucht sind. Zweitens: Sie wissen, dass dieser Angriff uns zum Handeln zwingt. Drittens: Wird man sich im Klaren darüber sein, dass wir unsere 1. Flotte nicht vor einem geschlossenem Wurmloch stehen lassen. Viertens: Weiß man, dass wir über ihre Flottenstärke in Axion bescheit wissen.“
„Daraus folgt fünftens: Lay Rian wird handeln.“ Jefferson B. Clark sprach diese einfache Feststellung wie ein Gottesurteil aus. „Jetzt und in diesem Augenblick.“
„Damit sind unsere Handlungen wohl auf zwei Möglichkeiten zusammengeschrumpft.“ Fasste Renault zusammen. „Kämpfen oder weglaufen.“
„Wir haben ein Stärkeverhältnis von zehn zu viereinhalb.“ Murmelte Kowalski. „Wenn wir genaueres über den gegnerischen Materialstand wüssten!“
„Der ND hat bei zweien der Träger Merkwürdigkeiten festgestellt.“ Dozierte Noltze. „Die Akarii versuchen sie wie Uniforms aussehen zu lassen. Zumindest für unsere Sensoren. Aber das sind keine, definitiv nicht. Wahrscheinlich handelt es sich um das neueste in ihren Arsenalen.“
Der letzte Nova-Class Flottenträger der Akarii war zwanzig Jahre vor dem Erstkontakt mit den Menschen ausgemustert worden. Niemand in der terranischen Flotte konnte ahnen, dass die Akarii technisch veraltetes Gerät ins Feld führen würden.
Renault verschränkte die Arme vor der Brust: „Wir räumen die Stellungen. Wir ziehen uns zurück und vereinigen uns mit der 1. Flotte. In den nächsten elf Wochen werden in Sol drei weitere Lexingtons vom Stapel laufen, und jetzt, wo das Rüstungsprogramm synchronisiert sind, werden auch die Geschwader zu dem Zeitpunkt einsatzfähig sein. Keine Entscheidung auf biegen und brechen.“
Der Blick des Admirals streifte über seine Befehlshaber und blieb bei seinem Flottenversorgungsoffizier stehen: „Commodore Abane: Schicken Sie all Ihre Minenjäger und Minenleger zum Sprungpunkt. Ich weiß, wir haben nicht viele, aber schmeißen Sie an Minen was geht.“
„Aye, Sir.“
Er konnte an den Gesichtern seiner Offiziere erkennen, dass seine Entscheidung nicht auf Gegenliebe stieß.
Admiral Carlson hob die Hand. Renault signalisierte ihm mit einem Nicken, er möge sprechen.
„Was ist mit den beiden Trägern bei Drawn?“
Ein wenig erstaunt darüber, dass seine größte Opposition in der Flotte seine Entscheidung nicht in Frage stellte, blinzelte Renault: „Wir werden die Columbia und die Wasp nach Karrashin befehlen, um dort mit der Hongkong die beiden Akariiträger zu stellen.“
Admiral van der Graff hob den Arm: „Wie erklären wir das unseren Männern?“
Die Terran Space Navy zog viele Traditionen aus der Marine der ehemaligen Vereinigten Staaten und der einst berühmten Royal Navy Großbritanniens, und zu andern Zeiten, noch bevor die ersten Dampfschiffe die Ozeane der Erde durchpflügten, hätten die hohen Herren der Admiralität sich nicht darum geschert, was die Mannschaften dachten.
Heute war man sich nur zu gut bewusst, was die Moral für die Einsatzbereitschaft einer Flotte bedeutete.
„Wir laufen nicht weg.“ Sagte Renault mit einer Bestimmtheit, die seine inneren Gedanken Lügen strafte. „Wir lassen uns zurückfallen, vernichten auf dem Rückweg alles, was für die Echsen von Wert sein könnte und locken sie direkt vor die Geschützläufe von Admiral Thomsens 1. Flotte. Wenn sie sich nicht locken lassen, gehen wir gemeinsam mit Thomsen wieder in die Offensive und überrennen sie, während sie dabei sind, sich wieder häuslich einzurichten.“
Die anderen Admiral blickten sich gegenseitig an. Nicht alle mochten Renault. Sein Rückzug bei Manticore war sehr umstritten gewesen. Einige waren auch der Meinung, dass er und nicht Admiral Alexander die Verantwortung hätte übernehmen müssen.
So waren sie sich aber auch alle einig, dass er einer der flexibelsten Flottenstrategen ihrer Zeit war. Jemand der Chancen sah, wenn sie sich boten und der sie wahrnahm. Ein scharf kalkulierender Geist.
Unter van der Graff oder Carlson wären sie vielleicht unter dem Mantel ihres Rufes nach Axion vorgedrungen. Selbstüberschätzung, Stolz und gepflegte Eitelkeit hatte schon mehr als eine Schlacht entschieden.
Nein, sie waren sich nicht einig. Aber sie alle waren gewillt dem Instinkt dieses Mannes zu vertrauen.


Bantam Sternensystem,
terranischer Korridor


Die Columbia lag nun fast einen Tag im Orbit von Bantam III und wartete auf die Wasp und den Versorger. Die Moral des Bordgeschwaders war aus verschiedenen Gründen gedrückt. Die technische Abteilung schob schon seit der Schlacht von Tukama Überstunden, und nun mussten Dodsons Leute in voller ABC-Schutzkleidung in die riesigen Tanks der Columbia klettern, diese vom Akarii-Sprit reinigen und dekontaminieren.
Die Columbia hatte vier Tanks, jeder davon war in der Lage, das Geschwader eine Woche im Dauerflugbetrieb zu halten. Bei rund einhundert Maschinen, die Shuttles nicht zu vergessen, bedeutete das wirklich große Tanks. Dennoch war die Columbia damit im Kriegsfall auf regelmäßige Versorgung durch die Flotte angewiesen.
Nun jedoch standen dem letzten Tank nur noch wenige Maschinen gegenüber. Die Jagdbomber vom Typ Mirage, die vier Akariimaschinen, die Raven zum Einsatz herangezogen hatte und die natürlich auch besonderer Wartung bedurften, und einige wenige Abfangjäger.
Die schweren Crusaderbomber und die Jabos vom Typ Thunderbolt standen schon umgerüstet im Hangar. An der Kette sozusagen.
Die Nighthawks und Griphens waren in der Umrüstung. All das bedeutete Arbeit über Arbeit für die Bodencrews oder Deckaffen, wie manche Piloten sie abfällig nannten.
Aber all das interessierte Dodson zurzeit nicht, während fünfzig seiner Mechaniker in fünfunddreißig Kilo schweren ABC-Anzügen durch die Tanks turnten.
Tatsächlich stand er zurzeit mit den Händen in den Hosentaschen vor dem Hauptventil der Betankungsanlage der Columbia. Äußerlich ruhig und gelassen.
In seinem Inneren fand jedoch gerade eine Atomexplosion statt. Natürlich hatte das Akarii-Gesöff nicht nur die Zuführungsleitungen in den Jägern verdreckt und deren Ventile verklebt.
Man musste nicht nur die Tanks der Columbia säubern. Nein, die gesamte Tankanlage des Trägers war kurz davor den Geist aufzugeben.
Verstopfte Leitungen: Etwa dreihundert Meter. Verklebte Ventile: Wahrscheinlich fünfzig. Durch geschmorte Ansaugstutzen: Zwölf.
„Chief?“ Fragte eines seiner Kids zaghaft.
„Weißt Du, Steve ...“
„Stan, Chief.“
„Wie auch immer,“, Dodson seufzte theatralisch, „eigentlich sollten sie den Kahn sprengen und uns ’nen neuen geben.“
„Chief?“
Und wo war Skunk, wenn man mal jemanden zum ermorden sucht?


Skunk saß gerade an der Bar des Offizierskasinos. Cartmell, der neben ihm saß, konnte seinem Staffelführer ansehen, dass dieser frustriert war.
Skunks Maschine stand unten im Hangar zur Umrüstung. Einen Akariivogel hatte man ihm nicht zugeteilt und in eine Mirage würde er sich nicht setzen, auch wenn die Alternative ein erdgebundener Interceptor wäre.
„Hey, wir haben ein paar Tage frei, was willst Du mehr?“ Cartmell hielt Skunk sein Bier zum Anstoßen hin. Tatsächlich hatten die paar freien Tage und seine neuen Rangabzeichen für die letzten Tage ein Lächeln auf sein Gesicht gezaubert. `Wie merkwürdig`, dachte Noname bei sich, während Skunk anstieß und sie beide einen tiefen Schluck nahmen. Dann drehte sich der Staffelkommandant auf dem Stuhl so um, dass sein Rücken zum Tresen zeigte. Cartmell blickte sich über die Schulter um und sah, dass Skunk einen Tisch mit den Griphenpiloten fixierte, die mittlerweile der Schwarzen Staffel zugeteilt worden waren.
Raven hatte die Gelbe Staffel kurz nach Tigres Beisetzung aufgelöst und auf die übrigen Staffeln aufgeteilt. Die neue CAG hatte das Militärbegräbnis würdig gestaltet. Bei Lone Wolf wäre Tigre sicher nicht so davongekommen. Aber zum Teufel mit Lone Wolf.
Donovan hatte Tigre etwas gekannt, schließlich war der Südamerikaner zwischenzeitlich sein Staffelkommandant gewesen, als Donovan aus dem Knast gekommen und der berüchtigten Dirty Bunch zugewiesen worden war. Sie hatten keine enge Beziehung zueinander gehabt, aber was auch immer Tigre zu diesem Schritt geführt hatte, er war ihm stets mit Respekt begegnet und das war in der Regel mehr, als die meisten anderen Piloten gegenüber Cartmell aufgebracht hatten.
Die Griphenpiloten stießen an und murmelten irgendetwas über Tigre.
Im selben Augenblick war Skunk auf den Beinen und Donovan schwante bereits Übles.
Er rutschte ebenfalls vom Stuhl, und da erklang auch schon die Stimme seines Staffelkommandanten, allerdings in einem ungewohnt liebenswürdigen Ton.
„Entschuldigt bitte, aber auf wen habt ihr da gerade getrunken?“
Die vier blickten sich unschlüssig an.
„Auf unseren ehemaligen CO, Sir“ antwortete Shoto, die ebenfalls an dem Tisch saß, wie Donovan jetzt erst verdutzt bemerkte. Sie hatte zwar mit dem Rücken zu ihm gesessen, doch Cartmell wunderte sich, dass er sie vorher nicht wahrgenommen hatte. Eine Erklärung dafür und für die Tatsache, dass das Schiff ziemlich schweren Seegang zu haben schien, konnte aber natürlich auch darin liegen, dass sowohl er als auch Skunk inzwischen schon jeder sechs Biere intus hatten.
„Hast Du damit ein Problem?“ Der Sprecher war ein großer Indianer, Esteban „Tiburon“ Pallardo, der noch an seinem Ruf als Schläger arbeitete und auch entsprechend aussah.
„Nein, ganz und gar nicht,“ Skunk klang überrascht ob der rüden Worte des anderen Piloten „es ist immerhin eine althergebrachte Sitte, dass man auf seine GEFALLENEN Kameraden anstößt. Auf jene, die DRAUSSEN geblieben sind. Oder die wir nur noch TOT BERGEN konnten.“
Der Indianer erhob sich jetzt langsam und bedrohlich, zumindest in Cartmells Augen.
Der zweite männliche Pilot am Tisch, der noch größer war als der Indianer und die Rangabzeichen eines Lieutenant 1st Class trug, fixierte Skunk: „Ob nun Lieutenant Commander oder nicht, ich an deiner Stelle würde mich jetzt ganz schnell zur Bar zurückziehen.“
Im Casino war es merklich stiller geworden. Donovan trat gerade neben Skunk und wollte ihn schon mit einem leicht gelallten „Nu, komm schon, Skunk, lass gut sein.“ zur Bar zurückschieben. Doch genauso gut hätte er sich vor eine Exocetrakete stellen können. Skunk schob ihn bestimmt zur Seite und sprach schon den Satz, der zum Ausbruch offener Feindseligkeiten führen sollte: „Sicher tätest Du das, Grizzly. Aber Du erhebst ja auch das Glass auf einen feigen Sack, dessen größte Leistung es war, sich selbst in den Kopf zu schießen.“
Tja, ein Tisch wurde umgeworfen, Grizzly, der Indianer und eine rothaarige Pilotin warfen sich förmlich auf sie. Aus dem Augenwinkel sah Cartmell, dass zumindest Shoto zurücktrat. Immerhin würde er sich also nicht mit IHR schlagen müssen, schoss es ihm durch den Kopf, als er innerhalb von Sekundenbruchteilen versuchte, den Alkohol aus seinem Schädel zu schütteln und sich zwischen Skunk und den beiden Hünen zu werfen, die sich auf das alte Stinktier stürzten wie zwei tasmanische Teufel auf ihre Beute.
Doch ehe er Skunk zu Hilfe eilen konnte, hatte ihn Fox, die rothaarige Pilotin, am Kragen gepackt und ins Gesicht geschlagen. `Böse Idee` dachte er, drehte sich trotz seines Alkoholpegels aus ihrer Umklammerung und versetzte ihr einen satten Hieb in die Niere. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Too-Tall seinem CO zu Hilfe gekommen war, sonst hätten die beiden Griphenpiloten Skunk wohl einfach überrannt.
So entwickelte sich ein kräftiges Durcheinander. Zwei weitere Tische wurden umgeschmissen, genauso wie Stühle.
Donovan brachte gerade einen Schwinger in den Magen bei seiner überraschend wendigen Kontrahentin an und holte für einen Schlag ins Gesicht aus, da endete die Prügelei so prompt wie sie begonnen hatte.
„ACHTUNG STILLGESTANDEN! CAPTAIN AN DECK!“
Die sechs Beteiligten waren für einen Augenblick in einem grotesk anmutenden Anblick in ihrer Schlägerei eingefroren, um sich dann eilig in Linie aufzustellen und Haltung anzunehmen.
Die anderen Gäste des Casinos schienen alle einen Schritt zurückzutreten.
`Warum lande eigentlich immer ich in so einer Scheiße?` dachte Donovan noch und harrte der Dinge, die jetzt unwiderruflich kommen würden.

James Waco war als Captain der Columbia nicht direkt für die Piloten verantwortlich. Dennoch war er der Captain dieses Trägers und seit Urzeiten gab es neben Gott dem Herren nur eine Autorität auf einem Schiff, den Captain. Und auch hier musste Gott immer mal wieder zurücktreten.
Waco war bei seiner Besatzung sehr beliebt. Seine fachliche Kompetenz hatte nie in Frage gestanden und nie vergaß er, dass er Menschen befehligte.
Er befahl wenn nötig, bat aber wenn möglich. Er scherzte mit seinen Offizieren, wie auch mit den Unteroffizieren und Mannschaften, ohne sich je jemanden anzubiedern.
„Ihr elendigen Operettenoffiziere.“ Er legte die Hände auf den Rücken und blickte jedem der sechs kurz in die Augen.
„Jeder von Ihnen tut an Bord jeden Tag seine Pflicht, wie alle anderen es tun, wie alle anderen es getan haben. Jeder von uns ist ein Individuum.“ Er hatte nicht gefragt, doch schien er ganz genau zu wissen, weswegen die Piloten sich geschlagen hatten. „Jeder von uns geht mit der Belastung der Pflicht anders um. Tag für Tag treffen Offiziere Entscheidungen. Und zu Kriegszeiten ist die Konsequenz jeder Entscheidung der Tod von Untergebenen. Bei richtigen Entscheidungen sterben weniger. Manchmal. Ihr ehemaliger CAG weiß das. Die Akarii haben ihn diese Lektion bei Manticore zur Genüge beigebracht. Ihre jetzige CAG weiß dies auch, tief im Inneren. Ich bin fest überzeugt, dass sie die wahre Erkenntnis dieser Lektion meistern wird.“
Waco pausierte kurz: „Commander DeLaCruz ist an dieser Lektion zerbrochen. Er ist ein Individuum und wie jeder von Ihnen geht er mit Erkenntnissen anders um als der nächste. Er IST ein Opfer dieses Krieges, denn es gibt mehr Wunden, als jene durch Laserfeuer. Genauso ist es verständlich, dass einige derjenigen, die die gleichen Strapazen durchgemacht haben und heute und morgen und übermorgen wieder auf sich nehmen, sein Ende als einen Ausdruck von Feigheit sehen. Wir alle haben unterschiedliche Blickwinkel.“
Noch einmal blickte er allen in die Augen: „Und jetzt machen Sie hier Ordnung!“
Die Piloten fingen gerade an, die Tische aufzustellen, als der Lautsprecher knackte: „Lieutenant Commander Pawlitschenko, Lieutenant Commander Jones, Staffelführer Grün und Rot: In der Flugleitzentrale melden! Ich wiederhole: Lieutenant Commander Pawlitschenko, Lieutenant Commander Jones, Staffelführer Grün und Rot: In der Flugleitzentrale melden!”
Skunk machte sich schleunigst aus dem Staub, bekam jedoch mit, wie Waco eine Lokalrunde ausgab. ,Predigt ja schlimmer als Mutter Theresa, der Alte.'


Raven blickte noch mal auf den Monitor. Die Ergebnisse gefielen ihr nicht besonders. Ganz und gar nicht. Leider war es zu erwarten gewesen, dass die Leistung des Geschwaders absinkt.
Das änderte jedoch nichts daran, dass das Geschwader seine Aufgaben zu erfüllen hatte. Als Jagdbomberpilotin hatte sie bisher nicht allzu viel davon mitbekommen. Natürlich hatten die die Thunderbolts und Mirage den Nighthawks unter die Arme gegriffen, doch gehörten sie nach den Crusadern zu der Hauptoffensivstreitkraft des Geschwaders.
Jedoch hatte das Geschwader rund um die Uhr für Patrouillen zu sorgen, um als Auge der Kampfgruppe zu dienen. Rund um die Uhr musste eine Kampfpatrouille in der Nähe des Trägers geflogen werden und Jäger mussten für den Alarmstart bereit stehen.
All das hatte sie gewusst, ehe sie diesen Posten angetreten war. Jedoch hatte sie es nie verinnerlicht gehabt.
Sie schnaubte, als sie daran denken musste, wie Lightning und sie zu Beginn ihrer Zeit bei den Angels hinter Cunninghams Rücken über ihn hergefallen waren.
Es war als durchfuhr sie ein Stich, als sie an die anderen Pilotin dachte, die jetzt eigentlich diesen Job machen sollte.
Lightning hatte sich stark verändert in der Zeit, als sie zuerst unter Darkness dem Geschwader als XO diente und dann unter Cunningham. Die Blickwinkel ändern sich mit der Verantwortung.
Als erstes kommt der Träger, dann die Mission, dann das Geschwader. Wer immer diese Prämisse formuliert hatte, gehörte eigentlich erschossen, doch letztlich stimmte sie.
Der Träger war die Heimat des Geschwaders und ohne ihn würde man nie wieder die heimatlichen Gefilde erreichen. Die Missionsziele zu erreichen, nun, das war die oberste Pflicht eines Soldaten. Beides musste strategisch über den Fortbestand des Geschwaders stehen. Raven wusste nicht, jetzt wo sie vor diesem Problem stand, ob sie wirklich einen Großteil der Piloten opfern konnte, um den Sieg zu erringen. Sie mochte viele ihrer Piloten aus der Goldenen Staffel und hatte Freunde unter den Piloten der anderen Staffeln.
Aber sie hatte vor dem Krieg von ihren Vorgesetzten gelernt: Vergiss niemals, dass die, die Du befehligst, auch nur Menschen sind.
Der letzte Rat ihres CAGs auf Sterntor Base, als sie zur Redemption versetzt worden war.
Menschen, die von ihr verlangten, dass sie sie jetzt anführt.
„Skipper, ich habe hier den Fortschrittsbericht über die Umrüstung der Bomber.“ Lieutenant Commander Vladimir „Dragan“ Czemek, ihr XO bei der Goldenen Staffel, lächelte freundlich, als er ihr das Datapad überreichte.
„Danke Vlad.“ Sie konnte froh sein, einen tüchtigen Stellvertreter wie den Tschechen zu haben, der ihr fast alle Arbeit auf Staffelebene abnahm.
Da die Flugleitzentrale der Mittelpunkt des Flugbetriebes der Columbia war, konnte sie von jedermann betreten werden und so stand plötzlich Lilja vor ihr.
Der Salut fiel mustergültig aus, nichts anderes konnte man von der Russin erwarten.
„Einen Augenblick noch, wir warten noch auf Skunk.“ Raven zeichnete den Bericht gegen und reichte ihn an Dragan zurück.
Danach nahm sie ein anderes Datapad zur Hand und überflog es, während Lilja ruhig abwartete.
Als Skunk die Zentrale betrat, blickten beiden Frauen ihn verwundert an.
Der grobschlächtige Pilot stank nach Alkohol und wischte sich Blut von der Lippe.
„Was haben Sie angestellt?“ Platzte es aus der CAG raus.
„Der Debattierklub hat nur mal wieder etwas blumigere Argumente hervorgekramt.“ War die freche Antwort.
„Wie auch immer.“ Sie wollte sich jetzt nicht damit auseinander setzen. „Durch unsere Verluste wird unsere Einsatzbereitschaft nachlassen. Ebenso ist uns einiges an Erfahrung verloren gegangen.“
Raven musterte die beiden Staffelführer. Cunningham hatte es immer seinen Staffelführern überlassen, die Einsatzbereitschaft aufrecht zu erhalten. Wenn diese mal nicht seinen Ansprüchen genügte, hatte er auch genau dort angesetzt. Wie Raven jetzt feststellte, einer der Gründe, warum er bei seinen rangniedrigeren Piloten beliebter war als bei seinen Senioroffizieren.
„Und sie wird weiter nachlassen. Die Schlacht von Tukama hätte ein großartiger Sieg werden können, wären uns nicht im Nachhinein solch unnötige Verluste zugestoßen.“ Sie blickte die beiden an. „Ohne lange um den heißen Brei herumzureden: Wir müssen die Jungs und Mädels in Bewegung halten. Sie beide haben reichlich Erfahrung darin Leute auszubilden und zu beschäftigen. In zwei Tagen möchte ich ein Trainingsprogramm für das Geschwader. Bedenken Sie bitte dabei, dass wir in einigen Tagen neue Piloten bekommen und beziehen sie das mit ein. Aber zögern Sie nicht, unsere jetzt am Boden festsitzenden Piloten in die Simulatoren zu scheuchen. Ich erwarte, dass wir wieder einsatzfähig sind, wenn wir zur Flotte zurückkehren.“
Skunk fuhr sich nachdenklich über das Gesicht, während Lilja aussah, als ob ihr Geist schon Simulatorübungen entwarf.
„Fragen?“
Lilja: „Nein, Ma'am.“
Skunk: „Nope.“
Cattaneo
Ace

Mit einem frustrierten Schnauben sah sich Admiral Alexander in ihren ehemaligen Privatgemächern um. Das war es also. Die kleine Dienstwohnung mitten in der Innenstadt, nur fünf Minuten Fußweg vom Flottenhauptquartier – dem ehemaligen terranischen und jetzigen akariischen – entfernt. Es hatte lange Zeit Prinz Jor als Zuhause gedient, aber seit der terranischen Gegenoffensive war er nicht mehr hier gewesen. Seine Eingriffe waren marginal.
Wieder seufzte sie unzufrieden, geradezu beleidigt.
„Was denn, was denn?“, ließ sich ihr Begleiter vernehmen. Commodore Davis stellte einen Koffer mit Habseligkeiten der Admirälin in den Flur. „Jetzt sag nicht, du bist sauer.“
„Sauer ist nicht das richtige Wort. Ich hätte nie gedacht, jemals wieder hierher zurück zu kommen. Und jetzt stehe ich hier, und die Begleitumstände könnten schlechter nicht sein. Hätten sie mich doch besser gleich erschossen.“
Davis ging an der Ranghöheren vorbei und gab ihr einen Klaps auf den Hintern. „Hör auf so zu reden, Mel, oder ich lege dich übers Knie. Sei lieber froh, dass es so ausgegangen ist. Wir hätten auch alle dabei sterben können.“
Melissa Alexander zuckte heftig zusammen und warf dem Commodore einen bösen Blick hinterher. „Du kannst es wohl nicht lassen, Monty. Wann gibst du mich endlich auf?“
„Das war kein Klaps, um die anzubaggern, Mel. Das war einer um dich wieder in die Realität zurück zu holen.“
Interessiert untersuchte Montgomery Davis die Bar des Wohnzimmers und förderte eine halb geleerte Flasche Antigua Single Malt Black Label zutage. „Junge, Junge, du hast aber echt verstanden zu leben.“
„Die Flasche war voll, bevor die Akarii gekommen sind. Jor, dieser Bastard. Hat einen dreißig Jahre alten Whisky halb vernichtet.“, brummte Alexander beleidigt. Sie ärgerte sich ein wenig über ihre eigenen Worte, aber was hätte sie auch in dieser Situation anders machen können? Gar nichts. Höchstens einen Akarii-Offizier um seine Dienstwaffe bitten, sie ansetzen und... Nein, das war falsch. Früher hätte sie das getan, damals im Camp Hellmountain oder kurz danach, bevor sie sich ihre persönliche Ehre mit der Schlacht in Graxon zurückgeholt hatte. Ihre Dienstehre war verloren, das hatte sie schon lange akzeptiert. Aber sie hatte es aufgegeben, sterben zu wollen. Erstens war da immer noch ein junger Pilot, der auf sie vertraute, sie wollte mindestens so lange leben, wie er überlebte. Und zweitens wollte sie unbedingt, und wenn es ein zweites Mal ihre Karriere kostete, den Bastard schnappen, dem sie diesen Mist verdankte und ihn abknallen wie einen räudigen Hund! Nun, vielleicht gab sie sich auch mit einem Kriegsgericht zufrieden. Allerdings würde sie sich selbst für das Erschießungskommando melden, das schwor sie sich.
„Es könnte schlimmer sein. Er könnte die ganze Flasche getrunken haben.“ Vorsichtig füllte Davis zwei Bleischwenker mit einem Fingerbreit voll und reichte einen der Admirälin. „Machen wir das Beste aus der Situation.“
„Ich hasse es wirklich, wenn du Recht hast.“, murrte Alexander und nahm den Whisky entgegen. „Du hast nämlich Recht. Es könnte schlimmer sein. So sind nur unsere Gespräche gescheitert, wir beide wurden zum Hausarrest verdonnert, Kapitän Soleil hat ihr Schiff verloren, die Crew wurde interniert und Senator Mansfield... Das ist eine gute Frage. Was werden sie mit ihm machen? Er wird wohl kaum so luxuriös untergebracht werden wie wir beide hier.“
„Luxuriös würde ich das nicht nennen. Immerhin müssen wir zwei uns deine Wohnung teilen.“, wandte Montgomery mit Schalk in den Augen ein.
„Monty“, tadelte die Vize-Admirälin. „Ich dachte, damit geht für dich ein Traum in Erfüllung.“
„Noch nicht.“, erwiderte der Commodore und lächelte sie über den Rand des Glases an. „Aber später vielleicht.“
„Du bist unmöglich.“
„Und genau deshalb sind wir Freunde. Cheers.“
Sie stießen an und nahmen jeder einen kleinen Schluck. Danach setzten sie sich auf die Couch. Mit enervierender Gründlichkeit fuhr Alexander den Rahmen des Tisches ab. Sie fand keinen Staub. „Gut.“, brummte sie zufrieden.
„Staub ist deine einzige Sorge?“ Davis schüttelte den Kopf.
„Ich habe Stauballergie, schon vergessen? Wäre hier nicht regelmäßig sauber gemacht worden, würde ich mir jetzt die Seele aus dem Leib niesen.“
„Banalisierst du unsere Situation nicht gerade damit?“
„Hör mal wer da spricht.“, spottete Alexander und lehnte sich in der Couch zurück, bis sie bequem lag. Kurz darauf verkündeten regelmäßige Atemzüge, dass sie eingeschlafen war.
Monty erhob sich von seinem Platz und ging zum nahen Fenster. Die Wohnung gehörte zu einem Gebäudekomplex für Flottenangehörige. Die Akarii hatten die meisten Wohnungen in Beschlag genommen, aber für die Familien der internierten Offiziere Ersatzwohnraum in schlechterer Lage, aber gleicher Qualität zur Verfügung gestellt. Am ersten Tag ihrer Ankunft hatten sie das Vergnügen, von Kapitän Sattala herumgeführt zu werden. Der Kapitän der NABUKO, dem Schiff, das sie empfangen und bis Manticor eskortiert hatte, war als Verbindungsoffizier abgestellt worden. Solange wie es gut gegangen war.
Und nun sah Commodore Davis aus dem neunzigsten Stock eines Hochhauses auf eine Stadt nieder, die leidlich unter semiterranischer Verwaltung funktionierte, während zehntausende arbeitsfähige Männer und Frauen die Zeit in großen Gefangenenlagern totschlugen. Umgeben von dreitausend Akarii-Offizieren, die jene frei gewordenen Wohnungen bezogen hatten. Eigentlich der perfekte Ort, um eine Handvoll Offiziere der Republik unter Hausarrest zu stellen. Die Nacht brach herein, langsam, gemächlich, und spottete dem tropischen Klima der Stadt, die durch einen warmen Äquatorstrom hier oben im Norden aufgeheizt wurde. Das bedeutete angenehme lange Sommertage und lange, aber milde Winternächte.
Diese Stadt hatte Mel beschützen müssen, aber sie hatte versagt. Nun war sie hierher zurückgekehrt, um die Verhandlungsbereitschaft der Akarii zu prüfen – und war betrogen worden.
Mit Unwillen dachte Davis an die ersten Tage zurück.

***

Es war ein merkwürdiges Gefühl für Admiral Melissa Alexander, mit einer terranischen Fregatte mit akariischem Namen auf einem Flottenhafen der Terraner unter akariischer Verwaltung zu landen und von einem akariischen Volladmiral begrüßt zu werden.
Der Empfang war frostig, informell, aber schwerstens bewacht und zudem bestens abgeschirmt.
Den Terranern wurde nicht gestattet, das Landefeld zu betreten. Ein geschlossener Bus holte sie an einer Schleuse ab und fuhr sie bis zum Terminal, wo die Abordnung der Akarii wartete.
Der alte Akarii, der furchtlos in der ersten Reihe stand, musste Zorgeste Davlin sein. Dem wenigen nach, was sie über ihn wussten, war er als Kadett schon bei der Unterwerfung der T´rr dabei gewesen. Also war die Schuppenechse vor ihnen wirklich sehr, sehr alt. Konnte man das wirklich als repräsentativ dafür sehen, welchen Stellenwert das Oberkommando Manticor zuordnete oder für wie sicher man diese Eroberung hielt?
Melissa Alexander salutierte zuerst. Der Akarii erwiderte den Gruß ohne Liebe.
„Ich würde Sie gerne willkommen heißen, Admiral Alexander, aber lieber wäre mir, Sie an Ort und Stelle zu erschießen.“
Aufgeregtes Raunen aus den Reihen der Offiziere erfolgte und unwillkürlich trat Commodore Davis einen Schritt vor, um sich notfalls schützend vor Alexander stellen zu können.
„Ich wäre durchaus bereit Ihnen diesen Akt der Gnade zu bereiten, aber es scheint, als seien Sie nicht hergekommen, um Ihre Ehre wiederherzustellen.“, fügte die Echse hinzu.
Melissa verstand. Manticor war ihr altes Kommando, und mit dem Verlust eines ganzen Systems hätte sie eigentlich sterben sollen. Von eigener Hand, durch ihre Untergebenen. Für einen Akarii hatte sie keinerlei Wert mehr als Offizier. Dementsprechend waren die Worte des Admirals durchaus eine Ehre gewesen.
Spöttisch verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Wir Terraner können uns so einen Luxus nicht leisten. Wir müssen mit fähigen Offizieren pfleglicher umgehen. Es kann ja immer mal sein, dass man einen alten Vize-Admiral für eine Friedensmission braucht, die kein anderer übernehmen kann.“
„Friedensmission?“ Der alte Admiral verzog sein Echsengesicht zu einem Grinsen. „Sie bombardieren eine unserer Welten mit einer Antimateriewaffe und erwarten, dass wir eine Friedensmission akzeptieren?“
Alexander ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. „Die Vernichtung der Stahlfestung auf Wron war eine direkte Antwort auf die Eskalation durch die Akarii. Nachdem ihr uns gezeigt habt, dass ihr Wurmlöcher verschließen könnt, so wie die Manticor-Texas-Verbindung, waren wir gezwungen zu zeigen, dass wir ebenfalls Antimaterie-Waffen haben. Sie verstehen, Admiral Davlin, quitt pro quo.“
„Ein anderes terranisches Zitat erscheint mir da angebrachter zu sein: Auge um Auge. Aber bedenken Sie, es waren die Terraner, die zuerst ein Wurmloch verschlossen haben.“
Alexander entfaltete die Arme wieder und winkte ab. „Ich bitte Sie, erstens war das ohnehin ein instabiles Wurmloch, und zweitens war dies auf Gebiet der ColCon. Schließen Sie doch Wurmlochverbindungen zu denen, wenn Sie eine Antwort fürchten.“
„Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische, Admiral“, sagte Senator Mansfield und trat einen halben Schritt näher heran, „aber sollten so Friedensgespräche beginnen?“
„Und Sie sind, Mensch?“
„Ja, ein Mensch bin ich.“, erwiderte der Zivilist und offenbarte damit eine garstige Bissigkeit, die dem Akarii offensichtlich gefiel. „Senator Mansfield. Ich bin der zivile Berater von Admiral Alexander. Ich darf Ihnen versichern, Admiral Davlin, dass wir es ernst meinen.“
Der alte Akarii fixierte seinen Gegenpart. „Wie ernst, Admiral Alexander? Was kann ich mir von solch einem Gespräch erhoffen? Wo liegen die Vorteile des Imperiums? Sie wissen, so schnell wie Sie unter Parlamentärsgesetz angereist sind kann ich Sie auch wieder zurückschicken.“
Alexander grinste bissig. „Vielleicht zeigt Ihnen das am besten das persönliche Geschenk von Präsidentin Birmingham an die Akarii-Garnison von Manticor.“ Sie wandte sich halb um. „Leutnant Hallas!“
Hinter der terranischen Delegation traten nun fünf Gestalten aus dem Bus und kamen in die Halle. Sie wurden von unbewaffneten Marines eskortiert und ihr Anblick erfüllte die Halle mit erstauntem Raunen.
An einer bestimmten Stelle blieben die Marines stehen, und die fünf, allesamt Akarii, gingen weiter. Vor Admiral Davlin blieben sie stehen. Der Vorderste salutierte. „Admiral Davlin, Leutnant Ry Hallas, ehemals Träger NAKOBI. Ich melde mich und vier Begleiter zurück zum Dienst.“
„Sehen Sie das als Zeichen des guten Willens von der Präsidentin der Republik.“, fügte Alexander hinzu.
Der alte Admiral war sichtlich beeindruckt. Mürrisch wandte er sich erst wieder Alexander zu, dann halb an Mansfield. „Also gut, reden wir.“
Dies war der Moment, an dem alles schief lief. Einer der Marines preschte vor, brach durch die fünf eskortierten Akarii und erreichte den Admiral, bevor seine Begleiter reagieren konnten. Es folgte ein kräftiger Schlag auf den Schädel des alten Mannes, begleitet von einem wirklich bösen Knirschen, bevor der Mann niedergeschossen wurde.
Sofort rissen die anwesenden Akarii ihre Waffen hoch, aber ein hoher Offizier rief aufgebracht: „Nicht schießen! Um des Imperators Willen, nicht schießen! Ruft sofort Sanitäter!“ Der Mann kniete neben dem Admiral. Dann erhob er sich mit sichtlichen Anzeichen der Bestürzung. „Die Terraner kennen die Position des Graborg.“, sagte er tonlos.
Er blickte Admiral Alexander ernst an. „Admiral Davlin ist tot. Sie werden verstehen, dass es nach diesem Mordanschlag keine Gespräche geben wird.“
„Ich versichere Ihnen, dass...“
„Ich weiß, dass der Anschlag nicht auf Ihr Bestreben erfolgte. Aus diesem Grund verzichte ich darauf, weitere Terraner über den Attentäter hinaus zu töten. Aber ich muss Sie bitten, mir Ihr Schiff zu übergeben. Diese Anordnung gilt bis auf weiteres. Eine Untersuchung wird ergeben, ob wir Anklage wegen Spionage und Mord erheben werden oder nicht. Bis dahin werden die Besatzung der PROMMA interniert und Sie und Ihre Begleiter unter Hausarrest gestellt.“
„Was bedeutet bis auf weiteres?“, hakte die Admirälin nach.
„Bis auf weiteres bedeutet solange ich dies will oder der Imperator etwas anderes sagt. Himmel, ein Admiral wurde ermordet durch den Schlag auf einen winzig kleinen Knochen in der Schädelrinde, der nur von akariischen Spezialeinheiten beherrscht wird! Wir werden einiges zu untersuchen haben, und ich bin schon jetzt sicher, das Ergebnis wird nicht sehr befriedigend für uns ausfallen.“
„Darf ich eine Bitte äußern?“ Mansfield trat vor. „Dürfen Admiral Alexander und ich uns ein Bild von der Lage der terranischen Zivilbevölkerung machen? Außerdem lagern an Bord der PROMMA terranische Versorgungsgüter, die wir an die Kriegsgefangenen und ihre Familien verteilen wollten. Sehen Sie es als Gegenwert für die Freilassung von Leutnant Hallas und seine vier Begleiter.“
Der Akarii rang sichtlich mit sich.
„Als Vertrauensbeweis für diesen Akt übergebe ich Ihnen die PROMMA.“, bot Alexander an.
Darauf wandte sich ihr Gegenüber ab. „Genehmigt. Entschuldigen Sie mich jetzt. Ich muss das Begräbnis für einen großen Mann vorbereiten, eine Garnison übernehmen und einen angemessenen Gegenschlag ausarbeiten.“ Dann verließ der Akarii sie.
„Wir haben gar nicht nach seinem Namen gefragt.“, raunte Davis.
„Wir werden ihn noch früh genug hören, spätestens wenn sein angekündigter Gegenschlag erfolgt.“, erwiderte Alexander. „Senator, was hat das zu bedeuten?“
„Ich bin genauso überrascht wie Sie, was den Mord angeht. Es scheint als hätte jemand Zuhause entschieden, dass die Möglichkeit unseres Todes für die Ermordung von Davlin kein geringer Preis ist.“ Der Senator ballte die Hände zu Fäusten. „Dafür werde ich mich revanchieren.“
„WIR werden uns dafür revanchieren.“, sagte Alexander fest. Dann aktivierte sie ihre Kommunikation und befahl der PROMMA die Übergabe an die Akarii.
Cattaneo
Tyr

Die vier Piloten standen in Habacht-Stellung. Mehr oder weniger. Normalerweise hätte Kano nicht so genau hingesehen. Aber heute…
Kano erhob sich ruckartig und knallte die flachen Hände auf die Tischplatte. Befriedigt bemerkte er, dass Fox zusammenzuckte, und Grizzly wenigstens den Anstand hatte, betreten zu blicken. Tiburon hingegen…er erwiderte trotzig Kanos Blick. ‚Zur dir komme ich noch, Freundchen…’

Kano hatte selber drei- oder viermal diese Prozedur über sich ergehen lassen müssen. Gut, das letzte Mal war er unschuldig gewesen. Aber er erinnerte sich dennoch nur zu genau an diese spezielle Mischung aus Scham, Wut und unterschwelliger Angst, die er damals empfunden hatte. Diese Erinnerung stimmte ihn allerdings nicht milder. Die Stimme des provisorischen Staffelkommandeurs war leise und erstaunlich ruhig: „Fujimori, Sie haben sich richtig verhalten. Ich danke Ihnen. Sie können stolz auf sich sein. Sie haben wie ein Offizier gehandelt. Sie können sich wieder Ihren Pflichten zuwenden. Dieser…Vorfall betrifft Sie nicht.“ Die so angesprochene Pilotin zuckte leicht zusammen und wirkte überrascht. Offenbar hatte sie nicht mit einem Lob gerechnet. Sie warf ihren drei Kameraden einen unsicheren Blick zu. Wahrscheinlich wäre sie lieber noch hier geblieben, aber natürlich wagte sie es nicht, zu widersprechen. Sie erwiderte Kanos Gruß etwas fahrig und ging. ‚Das war der einfache Teil.’
Kano drehte sich zu den verbliebenen Piloten um, und übergangslos wurde er lauter, gewannen seine Worte eine schneidende, eiskalte Qualität: „Sind Sie eigentlich völlig verrückt geworden?! Wollen Sie so das Andenken Tigres achten?! Indem Sie im Kasino eine Massenprügelei anfangen?!“

Natürlich war es Tiburon, der das Wort ergriff: „Dieses Schwein hat…“
„Was LIEUTENANT COMMANDER JONES gesagt oder getan hat und was Sie von ihm persönlich halten, das spielt hier keine Rolle! Es interessiert mich nicht. Es geht darum was Sie getan haben! Sind Sie wirklich so dumm?! Ist Ihnen eigentlich klar, in was für einer Lage Sie sind?! Sie waren nicht auf Freigang! Die COLUMBIA liegt nicht im Dock. Wir haben Alarmstufe Gelb. Wir sind im Einsatz! Man hätte Sie vor ein Krieggericht stellen können!“
Das entsprach den Tatsachen, auch wenn es wenig wahrscheinlich war. Kano hatte selber einmal wegen eines ähnlichen Vergehens zum Rapport erscheinen müssen. Er war mit Arrest und einem Eintrag in die Akte davongekommen. Hoffentlich wusste keiner der drei Delinquenten von dieser alten Geschichte.
„Ist es DAS, womit Sie Tigres Ansehen ehren wollen?! Dann können Sie nur froh sein, dass er tot ist. Denn er würde sich SCHÄMEN, Sie so zu sehen!“ Diesmal war es Fox, die den Mund öffnete, aber Kano schnitt ihr das Wort ab: „Halten Sie den Mund! Sagen Sie nichts, KEIN WORT!“ Das war ein direkter Befehl, und zu Kanos Erleichterung gehorchten die Piloten sogar. Sie wussten, sie waren in keiner sehr günstigen Position.
„Es geht nicht darum, was IRGENDJEMAND gesagt hat. Es spielt keine Rolle. Es darf keine Rolle spielen. Vergessen Sie es. Spucken Sie darauf. Sie kennen die Wahrheit über Ihren alten Staffelchef. Die kann Ihnen niemand nehmen. NIEMAND, egal wie viel Ringe er auf den Ärmeln trägt! Tigre kann es nicht mehr verletzen. Aber wir sind im Krieg. Und es spielt eine Rolle, wie Sie HANDELN! Sie sind jetzt Teil der Schwarzen Staffel. Und ich werde nicht zulassen, dass Sie das Ansehen der Einheit beschmutzen. Oder den Angry Angels Schande machen. ICH WERDE ES NICHT ZULASSEN!“ Der provisorische Staffelführer war kleiner als seine Untergebenen, doch er kompensierte das durch seine Haltung und sein Auftreten. Noch etwas, was er im Laufe seiner Militärzeit gelernt hatte. Monty war in dieser Kunst ein Meister gewesen.

Kanos Stimme wurde jetzt wieder leiser, verlor aber nichts von ihrer Kälte und Schärfe: „Und zu allem Überfluss mussten Sie sich auch noch vor Captain Waco produzieren! Ihr Glück ist, dass er nicht auf einer exemplarischen Bestrafung bestand. Es wäre sein gutes Recht gewesen. Aber glauben Sie nicht, dass er ihr Verhalten damit gutheißt. Sollten Sie seine klaren Worte nicht hinreichend verstanden haben, dann werde ich dafür sorgen, dass Sie sie sich zu Herzen nehmen.“ Kano zögerte kurz und fuhr dann fort, während in seinem Inneren Wut und Beschämung miteinander rangen. Jedes Vergehen seiner Untergebenen fiel letztendlich auf ihn zurück: „Ihr Fehlverhalten ist auch der CAG zu Ohren gekommen. Sie konnte an Ihrem Verhalten nichts Amüsantes und wenig Entschuldbares finden. Genau wie ich. Dennoch wurde angesichts der Umstände und unseren Verlusten entschieden, keine unmittelbaren Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. Sie alle erhalten einen Eintrag in Ihrer Dienstakte, der allerdings vorerst zurückgehalten wird. Sie bekommen also die Chance, sich zu bewähren. Ihre Akte…makellos zu erhalten. Beweisen Sie, dass Sie etwas gelernt haben, und dieser Vorfall wird nie stattgefunden haben. Leisten Sie sich noch einmal so ein Kunststück…“ er führte das nicht weiter aus, doch die Drohung stand für alle sichtbar im Raum.
„Außerdem haben Sie für den gesamten Resteinsatz ein striktes Alkoholverbot.“
Kano persönlich war der Meinung, dass man Cartmell und vor allem Skunk dieselbe Strafe hätte auferlegen sollen. Der Zustand dieser beiden Delinquenten hatte wohl auch zu Ravens Milde beigetragen. Dass ein Staffelchef und ein frisch beförderter First Lieutenant sich bei Alarmstufe Gelb in aller Öffentlichkeit betranken und dann eine Prügelei im Offizierskasino provozierten, war selbst für Skunk ein starkes Stück. Kam es aber noch einmal zu einem ähnlichen Vorfall, dann würde Raven ungeachtet der Umstände wahrscheinlich hart durchgreifen, schon um ihre Stärke und Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen. Und Kano wollte nicht, dass die Schwarze Schwadron zum Gegenstand von Ravens Kraftprobe mit dem Geschwader wurde. Es waren SEINE Piloten. Und SEINE Verantwortung.
„Sie werden also glimpflich davon kommen. DIESES EINE MAL. Ich weiß nicht, an was für einen Führungsstil Sie gewöhnt sind, aber glauben Sie nicht, dass das Los noch einmal an Ihnen vorbeigeht. Wenn Sie denken, ich wäre nicht Willens und in der Lage, mit ein paar renitenten Möchtegernpiloten fertig zu werden, dann täuschen Sie sich! Das nächste Mal…ein nächstes Mal wird es nicht geben!“ Langsam schritt er die drei Piloten ab und fixierte sie der Reihe nach. Es war eine Frage des Willens, sagte er sich, nicht der Größe oder des Alters. Er musste ihnen beweisen, dass er jetzt die Schwarze Staffel führte. Diesen drei Piloten, und damit auch den anderen Butcher Bears. Und dem Rest des Geschwaders.

Fox war die erste in der Reihe. Ihre Rolle war nur unbedeutend gewesen. Sie hatte sich weder an dem einleitenden Streit beteiligt, noch die Prügelei angefangen: „Ich dachte, Sie hätten sich besser im Griff. Denken Sie daran, es ist keine Kameradschaft, wenn Sie bei jedem Blödsinn mitmachen, den andere anfangen. Weggetreten.“
Wieder kam ihm die Erinnerung an eine ähnliche Szene. Das war vor einer halben Ewigkeit gewesen. Damals war er der Delinquent gewesen. Nun gab er weiter, was er damals von Cunningham und McQueen gelernt hatte.

Jetzt war Tiburon an der Reihe. Was für eine Überraschung, der Indianer erwiderte Kanos Blick weitaus rebellischer als seine Kameradin. Kanos Stimme wurde schärfer: „Was Sie auf Freigang machen, interessiert mich nicht, solange Sie damit nicht der Kampfkraft der Schwadron schaden. Aber wenn Sie noch einmal so etwas veranstalten, während Sie unter meiner Verantwortung stehen…
Ich schwöre Ihnen, ich werde mein Möglichstes tun, damit Sie in Zukunft nicht mal mehr ein Shuttle fliegen dürfen! Diesmal sind Sie davon gekommen, weil Commander Burr und Captain Waco Gnade vor Recht ergehen lassen. Aber ich werde lieber mit einem Neuling fliegen, oder einer unvollständigen Staffel, als mit einem Piloten, der sich nicht im Griff hat. Beten Sie, dass Sie niemals herausfinden müssen, wie ernst es mir damit ist!“ Der derart gemaßregelte Pilot schien vor Wut zu vibrieren, aber er hielt sich irgendwie zurück. Vermutlich wusste selbst Tiburon, dass er seine Kariere als Jagdpilot endgültig würde vergessen können, wenn er ausgerechnet jetzt seinen direkten Vorgesetzten angriff. Kano hatte zwar keine Angst vor einer direkten Konfrontation, denn er war sich ziemlich sicher, sich zumindest seiner Haut wehren zu können. Aber wie dem auch sei, er war froh, dass sich der Indianer beherrschte. Er brauchte jeden einzelnen Piloten. Doch wenn es nötig war, dann würde er genau das tun, was er Tiburon angedroht hatte. Er hatte da keine Wahl: „Weggetreten!“

Damit war nur noch Grizzly übrig. Er hatte denselben Rang wie Kano und war etliche Jahre länger im Dienst. Außerdem war er fast einen Kopf größer als sein Vorgesetzter und gut doppelt so breit. Andererseits war Kano der Staffelführer und hatte mehr Feindmaschinen abgeschossen. Und vor allem war er im Recht, und dass wussten sie beide: „Ich habe Ihnen die Sektion Zwei anvertraut, weil ich Ihnen vertraue. Weil ich Ihre alte Staffel und das Vertrauen ehren wollte, dass Tigre in Sie gesetzt hat. Weil ich dachte, dass Sie und Ihre Kameraden lieber gemeinsam und unter einem ihrer eigenen Leute fliegen wollen. Wollten Sie mir beweisen, dass ich mich damit geirrt habe?! Ich habe gedacht, dass Sie ein guter Offizier sind. Aber so benimmt sich überhaupt kein Offizier!“
Grizzly wirkte tatsächlich zerknirscht: „Sir, so war das nicht…“
Aber so leicht konnte ihn Kano nicht davonkommen lassen. Wenn er bereits einen Status wie Darkness oder wie Monty gehabt hätte…
Nein, Monty hätte den Piloten so oder so zusammengestaucht. Er hätte die Butcher Bears jetzt führen sollen: „Wenn Sie die Führung einer Sektion überfordert, so dass Sie auf diese Art und Weise Dampf ablassen müssen, dann werden Sie vielleicht mit der Führung einer Rotte oder als Flügelmann besser ausgelastet sein! Ich habe noch zwei weitere First Lieutenants. Die wissen, wie man sich benimmt. Einer davon ist mein XO. Ich habe ihm die Sektion nicht gegeben, die er sich verdient hat, weil ich Ihnen entgegenkommen wollte. Aber wenn Sie Entgegenkommen mit Schwäche verwechseln, dann sollten Sie mir das besser hier und jetzt sagen, damit wir Ihren Irrtum ein für alle Mal klären können!“
Vermutlich, nein todsicher, stieß es dem hünenhaften Piloten sauer auf, derart von einem anderen First Lieutenant abgekanzelt zu werden. Aber Grizzly wusste selber, dass er Mist gebaut hatte: „Es wird nicht wieder vorkommen.“
„Nein, das wird es nicht. Weggetreten.“

**************

Jetzt, da es überstanden war, fühlte sich Kano wie ausgewrungen. Er brauchte auf jeden Fall ein neues Hemd. Vermutlich würde es noch einige Zeit dauern, bis er in einem solchen Fall auch innerlich so ruhig und entschlossen war, wie er nach Außen zu wirken versuchte. Der japanische Pilot blickte auf seine Armbanduhr. Er würde erst einmal den Schreibkram erledigen müssen, der aus dieser unglücklichen Geschichte erwachsen war. Und dann würde er sich ausnahmsweise Mal endlich wieder eine dreiviertel Stunde Zeit nehmen, um in die Sporthalle zu gehen. Heute war einer der Tage, an denen sich die wenigen Kendofechter an Bord der COLUMBIA trafen. Vielleicht würde er im Kampf die nötige Ruhe und Ausgeglichenheit finden können. Außerdem wollte Kano ein paar Worte mit Cartmell wechseln. Und da auch Shoto da sein würde, könnte er ihr vielleicht noch einmal klar machen, dass sie sich richtig verhalten hatte.

Ach ja richtig, Cartmell und Shoto. Nun ja, nicht einmal Kano selber hätte von sich behauptet, dass er ein Casanova war. Aber wenn Cartmell sich wirklich für die Griphen-Pilotin interessierte, dann hatte er eine merkwürdige Art und Weise, es zu zeigen.
Aber Kano verstand ja auch nicht, warum Cartmell mit Skunk abhing. Oder warum das überhaupt jemand tun sollte. Der Mann war so schwierig wie Brawler, Monty und Cunningham zusammengenommen, und wies in Kanos Augen keine von deren menschlichen Qualitäten auf. Mit einer lautlosen Verwünschung an die Adresse des allgemein unbeliebten Kommandeurs der Roten Schwadron wandte sich Kano wieder dem Papierkram zu.
Cattaneo
Cattaneo

Die Schlacht von Drawn

Tiefraumpatrouille bei Drawn, Fregatte der Brandenburg MK II Klasse „Bartholomeus Roberts“

Auf der Brücke der Fregatte „Bartholomeus Roberts“ herrschte aufmerksames Schweigen, als der Stewart eintrat. Es war Fünf Uhr Nachmittags, und den Offizieren stand Tee oder Kaffee zu, je nach Wunsch. Solche Rituale wurden selbst im Feindesland gepflegt, und noch viel mehr berücksichtigte man sie dort, wo man sich relativ sicher fühlte.
Verglichen mit dem Kommandostand eines Kreuzers oder gar eines der großen Träger waren die Verhältnisse hier überaus beengt, und die Brückenbesatzung bestand nur aus einer Handvoll Offiziere. Aber das machte Commander Pierre Auphan nichts aus. Dies hier war sein Schiff, und das genügte ihm. Die sparsamen Meldungen und Bewegungen seiner Offiziere, die Hintergrundgeräusche der Geräte, das Flackern der Anzeigen – all das unterstand seinem Befehl und kündete von eingeübter Routine und Professionalität. Dieses Schiff war sein erstes Kommando, und das machte aus ihm etwas Besonderes.
Die Anzeigen boten ihm von seinem Befehlsstand einen guten Überblick über das System. Einige hundert Kilometer seitlich neben ihm marschierte das zweite Schiff der Patrouille, in mehr als in einer Hinsicht die Schwester seiner Fregatte. Die „Benjamin Hornigold“ entstammte nicht nur derselben Klasse, sie gehörte auch zur selben Bauserie – eine Gruppe von zwölf Fregatten, die sämtlich die Namen großer Freibeuter der menschlichen Geschichte erhalten hatten. Wie immer man das auch beurteilen mochte…
Es war wirklich manchmal erheiternd zu beobachten, woher man sich in der Flotte die Namensgeber suchte. Aber zum Zeitpunkt der Fertigung, Anfang der 20'er Jahre, über ein Jahrzehnt vor dem Ausbruch des Krieges gegen die Akarii, hatten Piraten wirklich noch ein ernstes Problem dargestellt, und irgendein Witzbold hatte wohl gedacht, diese Geste könne Glück bringen.
Doch Commander Auphan verband noch mehr mit der anderen Fregatte. Er hatte den Kapitän des anderen Schiffes während seines Perisher-Lehrgangs kennen gelernt und sich mit ihm angefreundet. Jean-Jacques Baptiste war ein Landsmann, das verband, und er war zudem ein guter Freund geworden. Nun gemeinsam mit ihm Dienst zu tun, war ein unverhoffter Bonus. Im Augenblick hatte er, Auphan, eine gewisse Kommandoposition, da sein Schiff Patrouillenführer war.
Der Kapitän der „Roberts“ nahm seine Pflicht gewiss nicht auf die leichte Schulter, so unwahrscheinlich laut der offiziellen Einschätzungen ein Angriff auch war. Die Akarii waren weit zurückgeschlagen worden, aber sie waren noch nicht besiegt. Ihre Kreuzer und Zerstörer beunruhigten die Nachschublinien der Menschen ununterbrochen. Nicht nur Akarii-Admiral Rau hatte sich als wahrer Meister des Kreuzerkrieges entpuppt, er hatte auch einige gelehrige Schüler gefunden. Und auch die leichten Kriegsschiffe der Akarii, die Korvetten und Minenleger, drangen immer wieder in die besetzten Gebiete vor und hinterließen den Menschen manch unliebsame Überraschung.

Der Commander nahm die für ihn bestimmte Tasse Kaffee entgegen – schauderhaft, diese Sitte Tee zu trinken – und lehnte sich wieder zurück. Im Geist ging er die nächsten Punkte in seinem Terminkalender durch. Er hatte noch eine Stunde Brückendienst vor sich, dann den üblichen Schreibkram, und dann endlich ein wenig Zeit, sich auszuruhen. Als Kapitän war man wahrhaftig dauernd im Einsatz. Nun blieb zu hoffen, dass…
Der Aufschrei des Ortungsoffiziers ging einher mit einem wilden Aufflackern der Instrumente. Was eben noch gelassene Routine gewesen war, verwandelte sich in ein chaotisches Durcheinander.
„Sprungsignaturen aufgezeichnet – mindestens zwei, nein drei Dutzend Schiffe, Zahl erhöht sich laufend!“
„Feindliches ECM stört Ortung, ungewöhnlich stark…“
„Funkspruch vom Hauptquartier wegen…“
„Brauchen unsere Hilfe, dringend nach…“
„Jägerstarts auf einem, korrigiere zwei der feindlichen Schiffe registriert!“
Für einen Augenblick wirkte Commander Auphan wie versteinert. Das war undenkbar – ein Angriff mit solcher Stärke und hier…
Dann aber griffen die antrainierten Reflexe. Der Kapitän der „Roberts“ war jung, relativ unerfahren – aber er hatte nicht umsonst den Perisher bestanden, hatte vorher mehrere Jahre als Brückenoffizier auf einem Kriegsschiff gedient.
„Alarm Rot – Volle Kraft voraus Kurs…“
Das Schiff machte förmlich einen Satz nach vorne. Die Kaffeetasse, die er bei Beginn des Alarms achtlos abgestellt hatte, flog zu Boden. Sie zerbrach nicht – nur ein Narr hätte zerbrechliches Geschirr verwendet – aber der schwarze Inhalt spritzte über den Fußboden. Der Kapitän bemerkte das nicht einmal.
Ein Blick auf die Anzeigen ließ ihn für einen Moment zögern. Die Akarii schoben sich bereits zwischen die beiden Patrouillenschiffe und Drawn, wo der Rest der terranischen Flotte stand. Angesichts der Stärke des Gegners stand der Ausgang des Gefechts wohl bereits jetzt fest. Bei Drawn lagen nur eine Handvoll Fregatten und Zerstörer – auf Seiten der Akarii griff eine komplette Schlachtflotte an. Die beiden Fregatten würden es nie bis Drawn schaffen, und was sie ausrichten konnten, war abzusehen.
Wenn er versuchte, einen anderen Sprungpunkt zu erreichen, dann könnten sie vielleicht…
Aber die Entscheidung wurde ihm bereits vom Gegner abgenommen.

Das Gesicht des Ortungsoffiziers war eine Maske aus Konzentration und unterdrückter Furcht: „Feind schleust soeben zwei Staffeln in unsere Richtung aus. Signaturen unklar.“
Der Commander atmete krampfhaft ein. Damit war die Entscheidung gefallen. Feindlichen Schiffen hätte er vielleicht noch davonlaufen können – Jägern nicht.
„Funkspruch an die Hornigold – Feuer koordiniert eröffnen, auf mein Zeichen. Flankierender Vorbeiflug zum gegnerischen Flottenverband.“
Das Gesicht von Commander Baptiste füllte den primären Kommunikationsschirm aus, als die „Roberts“ eine Verbindung öffnete. Über seinem schwarzen Schnurrbart wirkte das Gesicht sehr bleich. In den Augen flackerte Angst, aber auch die Erkenntnis, dass es kein Entrinnen mehr gab. Commander Auphan fragte sich unwillkürlich, ob sein Gesicht einen ähnlichen Anblick bot. Aber die Antwort seines Freundes war die einzig mögliche:
„Wir sind bereit.“
Die Werfer der zwei Fregatten eröffneten das Feuer. Angesichts der Größe der feindlichen Armada war dies nicht viel mehr als eine Geste. Die Akarii nahmen sich nicht einmal die Zeit, das Feuer zu erwidern. Sie konzentrierten sich vollkommen auf den terranischen Hauptverband. Hinter den Staffeln ihrer Kampfflieger, die dahin schossen wie Vögel in einem gewaltigen Schwarm, schoben sich ihre Kriegsschiffe auf Drawn zu. Der Ortungsoffizier sang dreißig feindliche Schiffe aus, vierzig, dann fünfzig. Die „Hornigold“ und die „Roberts“ konnten jede zwei Exocet-Raketen mit einer Salve starten. Was war das, angesichts einer solchen Streitmacht?
Commander Auphan verfolgte mit einer Mischung aus Entsetzen und Fassungslosigkeit, wie die Akarii die Garnison beiseite fegten. Die Hälfte der menschlichen Schiffe war schon vernichtet oder kampfunfähig, ehe die feindlichen Jagdbomber und Bomber überhaupt das Feuer eröffneten. Marschflugkörper der terranischen Zerstörer und Fregatten, die in Schwärmen auf ihr Ziel zuschossen, wurden von der Akarii-Abwehr aus dem All gepflückt, weggewischt wie lästige Moskitos. Mal hier, mal dort durchbrach eine der Raketen die Abwehr, detonierte an Schilden. Aber es war kaum anzunehmen, dass dabei ernster Schaden entstand. Selbst wenn – das feindliche ECM unterband jede genaue Ortung und erschwerte die Zielerfassung zusätzlich.

Die zwei Fregatten der Patrouille taten, was ihnen möglich war – doch dies bedeutete wenig angesichts einer solchen Stärke. Und das Strafgericht für diese Frechheit nahte bereits.
Unablässig riefen ihre Funker in die stille Einsamkeit des Alls hinaus, flehten um Hilfe, warnten vor der Stärke des Gegners – der Kontakt mit der übrigen Flotte bei Drawn war längst abgebrochen. Dort hatte man anderes zu tun, falls überhaupt noch jemand in der Lage war, ein Funkgerät zu bedienen.
„Commander – feindliche Jäger schließen auf!“
„Funkspruch von der Hornigold – Vorschlag zurückziehen und Gegner mit sich locken.“
Auphan überlegte kurz: „Akzeptiert. Weiterfeuern!“
Die Zwillingswerfer der Fregatte spuckte erneut Exocet-Raketen auf, die sich auf den Weg in die gewaltige Formation des Gegners machten. Irgendwo dort flackerte eine Explosion auf, offenbar war ein feindliches Schiff getroffen worden – wie schwer, das war nicht zu sagen.
„Feindjäger – welche Kennung?“ „Identifiziert als Deltavögel, korrigiere, vier der Maschinen haben kein klares Profil – alles Sturmjägerklasse!“
Der Kapitän fluchte unterdrückt. Die Sturmjäger allein waren schlimm genug. Aber wenn er mit seiner Vermutung Recht hatte…
„Feuereröffnung auf die vier Unbekannten, sobald positive Erfassung!“
Aber noch ehe die Akarii in Reichweite der leichten Raketen und Bordgeschütze erreichten, griffen sie an.
Jede der vier unbekannten Maschinen feuerten vier Marschflugkörper ab. Dazu kamen leichte Langstreckenraketen, die von ihren Begleitern in ganzen Schwärmen gestartet wurden. Zwölf der schweren Raketen zielten auf die Hornigold…
Die Stimme des Kapitäns der „Roberts“ strahlte eine Autorität und Sicherheit aus, die er längst nicht mehr empfand, als er seine Befehle erteilte: „Feuer, Feuer – Bordgeschütze und Raketen Feuer auf die Vampire der Hornigold, Impulslaser Eigenschutz!“
Der Waffenoffizier starrte Commander Auphan ungläubig an, erst als ihn sein Vorgesetzter anschrie, gehorchte er. Der Kommandant sah sich gezwungen, eine Erklärung nachzuliefern:
„Das ist ein Trick – sie wollen unsere Abwehr verzetteln!“ Er ignorierte, dass auch vier Raketen für eine Fregatte ziemlich gefährlich werden konnten, vor allem wenn sie nur über zwei Impulslaser verfügte. Und dann gab es ja auch noch die leichten Raketen des Gegners, die in dieser Zahl gleichfalls gefährlich werden konnten. Auphan fühlte Wut in sich aufflackern, als er daran dachte, dass die Akariijäger aus sicherer Entfernung feuern konnten – 50, 60.000 Kilometer entfernt, ohne dass er etwas gegen sie unternehmen konnte. Sie waren zu sehr aufgefächert, um die schweren Atomraketen als überdimensionale Flak einzusetzen, wie gelegentlich im Krieg praktiziert. Und für die leichteren Waffen waren sie noch zu weit weg.

Das Abwehrfeuer der Fregatten lag gut im Ziel, dennoch brachen einige der Raketen durch. Die Hornigold wurde durchgeschüttelt, und ihrer Schwester ging es nicht besser. Leichte und schwere Flugkörper hämmerten auf die Schilde ein, ließen das eine oder andere kollabieren. Auphan musste sich festhalten, um nicht aus dem Sitz gerissen zu werden. Fahrig angelte er nach dem Verschluss seines Sicherheitsgurtes und arretierte ihn.
Das Bild von Commander Baptiste flackerte im Takt der Einschläge. Der Offizier lächelte schief: „Danke…Pierre…gerettet. Jetzt…eigenen Hintern…Jagd!“
Auphan hatte keine Zeit für eine Entgegnung. Sein Ortungsoffizier meldete ihm: „Sturmjäger fächern auf, nähern sich, Entfernung 40.000 fallend!“
Das erste Mal überhaupt in diesem Gefecht hatte die „Roberts“ Gelegenheit, mit Aussicht auf Erfolg zurückzuschlagen: „Feuer frei auf Feindjäger!“
Die Raketenwerfer und Geschütze der Fregatten schlugen zu, sobald der Gegner in Reichweite war. Aber die Akarii nutzten ihre Beweglichkeit und ihre Stärke und Zahl voll aus. Sie hatten sich aufgeteilt, und je eine Staffel griff einen der schon geschwächten Gegner an. Es änderte nichts, dass Raketen und Laser den einen oder anderen Feind anschlugen oder vernichteten. Es blieben genug übrig. Und die unzähligen Energiewaffen und Raketen trommelten auf die Schilde und Panzerungen ein, rissen tiefe Wunden in die Flanken.
Die Laserkanonen der „Roberts“ verbrannten einen Deltavogel zu Asche, ihre Raketen zerschmetterten einen der…Doomhammer, ja es waren vier dieser mysteriösen Jagdbomber, die zugeschlagen hatten. Doch zugleich fiel auf dem Schiff eine Waffe nach der anderen aus. Explosionen, Sirenen und Schreie erfüllten die Luft mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Die Brückenoffiziere mussten sich festhalten, um nicht von ihren Stühlen gerissen zu werden.
„Hüllenbruch auf Deck Zwei!“ … „Laserkanone vier und fünf zerstört…“ … „Werfer eins reagiert nicht…“
Dann, ein Aufschrei: „Explosion auf der Hornigold!“
Commander Auphan kämpfte darum, nicht den Überblick zu verlieren. Auf den Anzeigen dominierte längst Rot, dazu viel Gelb, aber kaum noch Grün. Längst war der Kommunikationsbildschirm erloschen. Er sah, wie das Schwesterschiff seitlich wegdriftete, während Feuer und Wrackteile ins All entwichen.
„Hornigold! Commander Baptiste! Jean, verdammt!“
Für einen Augenblick flackerte der Bildschirm. Doch er zeigte nicht das Bild seines Freundes. Die vagen Formen verdichteten sich zum Bild einer Frau. Blut rann ihr über die Stirn, das Gesicht war rußverschmiert.
„…ist gefallen. Auf der Brücke sind alle tot. Waffen und Schilde ausgefallen, kein Antrieb mehr… Akarii-Jäger, hier TRS Hornigold, wir kapitulieren!“ Sie wiederholte ihre Worte in der Sprache des Gegners.

Commander Auphan sackte in seinen Sessel zurück. Das war das Ende. Jean-Jacques war tot, die Hornigold war geschlagen. Sein Schiff starb. Wie durch einen Schleier hörte er die Worte: „Akarii formieren sich neu, beide Staffeln… Rufen uns über…“
Eine raue Stimme bellte in das Durcheinander der Meldungen: „Menschenfregatte, kapitulieren!“
Der Commander nahm das kaum noch war. Er spürte, wie ihm Tränen über die Wangen liefen, und er schämte sich ihrer nicht. Seine Stimme war mehr ein flüsterndes Schluchzen, aber wie durch ein Wunder war sie stark genug, dass man sie hören konnte:
„Alle Mann von Bord. Schiff aufgeben – Selbstzerstörung aktivieren.“
Als er in Richtung Rettungskapsel stolperte, kümmerte es ihn nicht, dass er nicht wusste, ob er nun im Feuer der Akarii sterben oder in Gefangenschaft gehen würde. Er war geschlagen, sein Schiff verloren. Und er fragte sich, wie lange dieser Krieg wohl noch dauern würde.

Büro von Vize-Admiral Wulff, COLUMBIA

Auch die Verkleinerung auf dem Bildschirm konnte Commodore – vermutlich bald Rear-Admiral Mithel – nichts von seiner Steifheit nehmen. Und so klang auch seine Stimme, entschlossen, aber zugleich auch etwas distanziert. Und dies, obwohl die Videokonferenz wirklich nur eine Sache zwischen ihm und Wulff war. Es waren keine Untergebenen anwesend, die man zu beeindrucken hatte. Und die Uhr zeigte an, dass es längst Zeit zum Schlafen gewesen wäre. Aber sie kannte seinen Ruf.
„...wären damit soweit es geht wieder einsatzbereit. Ich weise an dieser Stelle aber noch einmal darauf hin, dass mehrere der Kreuzer des Geschwaders nicht voll funktionsfähig sind. Einige der Schiffe haben strukturelle Schäden erlitten. Diese sind mit Bordmitteln nicht vollständig zu beheben und könnten bei einem erneuten Gefecht zu Schwachpunkten werden. Außerdem ist die Bewaffnung in einigen Fällen nicht mehr voll einsatzbereit.“
Wulff war erfahren genug, um dem Commodore gegenüber keine Grimasse zu schneiden, obwohl ihr danach war. Mithel hatte recht schnell und effizient die Lücke ausgefüllt, die der Tod von Rear-Admiral Mullins hinterlassen hatte. Die Lücken, welche die verloren Schiffe hinterließen, konnte niemand füllen. Wulff nahm nicht an, dass er sie nur deshalb informierte, um im Falle eines fatalen Versagens einer der Kreuzer hinterher sagen zu können, er habe sie ja gewarnt. Natürlich beherrschten auch viele Navy-Offiziere das alte Spiel, den eigenen Hintern bedeckt zu halten und jede fatale Verantwortung nach oben oder unten weiterzureichen. Aber der Commodore machte sich offenbar wirklich Sorgen.
Sie seufzte: „Sie wissen genau, dass ich Ihnen nicht das Vierteljahr Dockliegezeit verschaffen kann, das Sie bräuchten.“
Mithel zeigte keine Regung. Wenn er Verärgerung empfand, unterdrückte er sie gut. Er hatte vermutlich nichts anderes erwartet: „Der Vorrat an Exocet-II Raketen ist inzwischen ebenfalls beträchtlich zusammengeschmolzen. Wir können den Verbrauch momentan noch mit Hilfe unserer Flottentransporter kompensieren, aber sollte es zu weiteren Gefechten mit Großkampfschiffen kommen, könnte es eng werden. Zumindest in der Hinsicht wäre Ersatz dringend angeraten. Vielleicht wäre es ja dann ratsam, von den leichteren Schiffen und der Columbia einige Raketen zu verlagern.“ Die Admirälin runzelte die Stirn: „Wollen Sie die Columbia entwaffnen?“
Der direkte Gefechtseinsatz von Trägern war eine Seltenheit und keinesfalls Teil der Flottendoktrin, kam aber immer wieder vor. Die Majestic bei Jollahran, die Saratoga und Peking beim Gefecht gegen den Gleitschutz des Groshen-Konvois – man war geraten, dies nicht zu vergessen.
Der Schwadronschef schüttelte leicht den Kopf: „Die meisten unserer Fregatten und Zerstörer haben seit Beta Borialis nicht im Einsatz gestanden. Ihre Magazine sind voll. Ich schlage vor, nötigenfalls ihre Reserven lediglich ein wenig auszudünnen. Dasselbe gilt für die Columbia. Ansonsten wäre zu befürchten, dass meine Schiffe bei einem oder gar mehreren zukünftigen Gefechten dann mitten in der Schlacht keine Munition mehr haben werden. Denken Sie bitte darüber nach – ich lasse Ihnen eine Denkschrift meines Waffenoffiziers dazu zukommen.“
Er lächelte knapp: „Glücklicherweise schließen wir ja bald zur Zweiten Flotte auf, und dort wird man sicher genug Nachschub haben. Dann erledigt sich das Problem von selbst. Ich wollte Sie jedoch auf dieses mögliche Problem hinweisen, da es die Einsatzbereitschaft der Kreuzer direkt betrifft.“
„Und wie steht es um die Moral der Besatzungen?“ erkundigte sich Wulff. Dies war nicht direkt ihre Sache, aber als Kommandeurin der Trägergruppe war es ratsam, solche Dinge im Auge zu behalten.
Mithels Stimme klang weiterhin gelassen: „Die geretteten Matrosen haben sich in den Bordbetrieb eingefügt, und ich kann sagen, dass wir die Verletzten und psychisch schwerer Angeschlagenen ausreichend verteilt haben, damit keines der Schiffe an Überbelegung leidet. Die schwersten Fälle werde ich an die Aurelius und ihre Begleitung übergeben, zum Abtransport in die Heimat. Einsatzmoral ist als gut zu bezeichnen. Die Männer und Frauen sehen den Sieg bei Tukama auch als ihren Verdienst an.“
Für einen Augenblick wirkte Mithel müde, geradezu menschlich. Es war direkt erstaunlich, dass er sich, wenn auch nur für einen Moment, so eine Blöße gab: „Ich weiß nur nicht, ob dieser ganze Presserummel der letzten Jahre und jetzt wieder sich nicht zum Bumerang entwickeln könnte. Man hat in der Flotte so oft davon geredet, dass wir nur die Anführer der Echsen ausschalten müssten, und schon wäre alles in Ordnung. Wenn der Frieden nicht bald kommt, könnte enttäuschte Hoffnungen bei einigen Leuten zu Stimmungsschwankungen führen.“ Das war vermutlich noch milde ausgedrückt.
„Die Verhöre der Akarii haben einiges an interessanten Neuigkeiten ergeben. Die Moral des Gegners ist wohl wirklich nicht mehr die beste. Es gibt Gerüchte, der Imperator habe sich seit Ewigkeiten nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Einzelne meinen wohl, er sei regierungsunfähig. Nur Gerede, und die wirklich wichtigen Leute verhört immer noch der NIC.“ Er lächelte erneut trocken, hatte sich offenbar wieder im Griff: „Da müssen Sie schon die Geheimdienstler fragen, wenn Sie Einzelheiten wissen wollen. Mir Normalsterblichen verraten die Herren auch nicht alles. Und vermutlich ist ein Teil der Gerüchte nur halbgares Zeug oder schon lange bekannt. Ich nehme an, Sie werden die Gefangenen mit der Aurelius loswerden?“ Wulff nickte. Ihr Gegenüber schien ehrlich erleichtert: „Offen gesagt bin ich froh, dass wir sie bald los sind. Neunhundert Feinde auf einem Transporter sind für meinen Geschmack etwas zu viele, Marines hin oder her.“ Mithel sprach es nicht aus, aber vermutlich wäre er auch nicht allzu traurig gewesen, auf diese Weise gleichfalls auch einen Teil des 217. Regiment loszuwerden. Gerüchten zufolge war das Verhältnis zwischen ihm und dem Regimentschef Hammersmith nicht das Beste, und nicht wenige der Flottensoldaten lästerten angeblich über die „nicht zahlenden Unterdeckpassagiere“, mit denen man um die spärlichen Vergnügungen und Platz konkurrierte. Natürlich hatte sich daneben auch so manche Freundschaft oder Techtelmechtel entwickelt, immerhin waren an Bord der Repulse, Kami und Relentless gut 1.000 Männer und Frauen zusätzlich stationiert worden. Aber diese Soldaten waren ein ganz anderes Kaliber und ein anderer Schlag als die alten „grunts“, die bordeigenen Kompanien, die man zum Teil schon seit Jahren kannte. Aber Mithel war höflich und zurückhaltend genug, dies nicht direkt anzusprechen.
Admiral Wulff musste inzwischen schon darum kämpfen, ein Gähnen zu unterdrücken. Es war spät, und ihr Tag hatte zuviel Arbeit und zuwenig Stunden. Deshalb war sie froh, als der Commodore anscheinend zu einem Ende kam.
„Nun, ich schicke Ihnen die Berichte als Datei zu Einsicht.“ Vermutlich würde sie kaum dazu kommen, alles durchzulesen, aber bei der Navy musste eben Ordnung herrschen, also kamen die Berichte zu den Akten.
„Ich wäre Ihnen dankbar, Admiral, wenn Sie mir die Berichte der anderen Schwadronskommandanten zukommen lassen würden.“ Es war nicht klar, was Mithel damit bezweckte. Wollte er einfach nur Einblick in das Gesamtbild haben, sie vielleicht entlasten oder ging sein Ehrgeiz weiter? Sie wusste, dass Mithel sich als Vertreter der Kreuzerfraktion sah, und deshalb auch stets die ,kleinen Brüder` im Auge behielt. Aber was es auch war, es schien nicht unbillig.
„Ich lasse es Ihnen zukommen, Commodore.“
„Vielen Dank. Ich wünsche eine geruhsame Nacht. Mithel Ende.“
Cattaneo
Cattaneo

Ein neues Zuhause

Als das Shuttle der Wasp den Hangar des Trägers verließ, hielt es nur wenige der Piloten auf ihren Sitzen. So gut wie alle Neulinge und auch einige der Veteranen drängten sich an den Sichtluken. Die ehemaligen Piloten der Wasp, um noch einen Blick auf ihr früheres Zuhause zu werfen, die jungen Rekruten, um einen ersten Blick auf die Columbia zu erhaschen. Kaum einer von ihnen hatte bisher einen Pegasus-Träger aus solcher Nähe gesehen. Sie kannten natürlich Aufnahmen, aber das war mit der Wahrheit nicht zu vergleichen. Und jetzt sollten sie an Bord dieses Schiffes Dienst tun, dort leben und kämpfen. Und natürlich war auch zu erwarten, dass sie, zumindest einige von ihnen, dort sterben würden. Aber daran dachte wohl kaum einer, viel mehr mochten davon träumen, an Bord dieses Schiffes Ruhm und Anerkennung zu ernten.
Der eine oder andere der Akademieabgänger starrte auch fasziniert auf das Schauspiel, welches die unzähligen Großkampfschiffe boten, die sich um die beiden Träger gruppiert hatten. Immerhin waren hier fast eineinhalb Dutzend Kreuzer und fast drei Dutzend kleinerer Kriegsschiffe versammelt, und mit Ausnahme einiger Vorposten befanden sich fast alle Schiffe der Kampfgruppen Wasp und Columbia momentan in unmittelbarer Nähe. Selbst wenn das noch nicht ausgereicht hätte, um einen eindrucksvollen Anblick zu bieten, spätestens der Tanz der Kampfflieger, die zwischen den Giganten hin und her schossen, stellte sicher, dass kaum einer der Neulinge unbeeindruckt blieb. Die Veteranen der Wasp hatten dergleichen – und mehr – schon während ihres Dienstes bei der Zweiten Flotte gesehen, aber auch für sie war es ein bewegender Moment. Viele von ihnen hatten lange Monate oder gar Jahre an Bord des leichten Trägers verbracht, und der Abschied fiel den meisten nicht eben leicht. Vor ihnen lag eine Zukunft in einem anderen Geschwader, neue Möglichkeiten und neue Gefahren.

Doch nicht jeder ließ sich von der Aufregung anstecken. Knight zum Beispiel blieb wo er war, lässig platziert auf einem der wenig bequemen Sitze, die das Shuttle zu bieten hatte. Mit einem leichten Grinsen beobachtete er das Treiben seiner Kameraden.
„Schaut euch nur an, wie groß Sie ist!” Das kam von Abat. Im nächsten Augenblick wurde ihm offenbar klar, wie das auf die abgeklärteren unter seinen Kameraden wirken musste, denn sein Gesicht lief dunkel an.
Einer seiner erfahreneren Kameraden lachte, etwas von oben herab: „Ja, eine stolze Dame, die Columbia. Nicht ganz so groß wie ein Lexington, aber dennoch der Stolz der Flotte. Du kannst ja ein Foto machen. Aber pass auf, dass man dich an Bord nicht für einen Touristen hält. Und nimm dich in Acht – das Mädchen ist ein Miststück, das dir das Herz und dein Genick brechen kann und die Reste wieder ausspuckt. Vielleicht etwas zu groß für dich...” Das Gelächter der anderen Piloten verschlimmerte Abats Pein noch zusätzlich. Auch die anderen Neulinge lachten, froh, nicht selber Ziel des Spotts zu sein.
Schließlich hatte Knight Erbarmen: „Ich glaube aber, hier hat eben noch manch anderer mit offenem Mund hinaus gestarrt. Beim ersten Mal ist es eben immer etwas Besonderes...” Er ließ das wie irgendetwas Anrüchiges klingen.
Einige seiner Bordkameraden, die ihn schon länger kannten, verdrehten nur die Augen.
Der Pilot lächelte Shoki an, die sich als ziemlich einzige unter den Neulingen nicht an einem der Fenster drängte: „Überhaupt nicht neugierig auf dein neues Zuhause?”
Er bekam nur einen spöttischen Blick: „Ich denke, diese Außenansicht werden wir in den nächsten Tagen noch oft genug zu sehen bekommen.” Sie grinste ironisch: „Und gib es doch ruhig zu, du willst doch nur, dass ich aus dem Fenster sehe, damit du mir währenddessen unbemerkt auf den Hintern starren kannst! In deinen Träumen vielleicht...”
Knight lachte: „Ach, ich Armer. Ständig unterstellt man mir Schlechtes. Obwohl, wo wir schon dabei sind...also was meine Träume angeht, da habe ich ein sehr gutes Bild von deinem...”
„Kannst du nicht einmal eine Minute damit aufhören?” fauchte die Japanerin ihn an.
Der Brite grinste: „Du hast doch angefangen... Und zum einen ist es so schwer in deiner Gegenwart nicht daran zu denken, oh schöne Fremde. Und zum anderen muss ich meine Fähigkeiten trainieren, damit ich eines Tages vielleicht auch dein steinernes Herz erweichen kann.”
In diesem Augenblick meldete sich der Shuttlepilot: „Alle Mann auf ihre Plätze und anschnallen – wir landen. Bitte stellen Sie die Rückenlehnen auf und hören Sie mit dem Rauchen auf.” Offenbar ein Witzbold.
Begleitet von dem beeindruckten Gemurmel der jungen Piloten wurde ihr kleines Raumschiff vom ATLS des Trägers erfasst, durchbrach den Atmosphärenschild und setzte schließlich auf.
Der Pilot meldete sich ein letztes Mal: “Ich hoffe Sie hatten einen angenehmen Flug und werden uns in Zukunft weiterempfehlen.” Die meisten Piloten lachten, während sie die Rampe hinab marschierten. Weniger aus echter Belustigung als vielmehr aus Aufregung – und das galt für Veteranen wie Neulinge gleichermaßen.
Nach der trotz aller Gespräche doch verhältnismäßig ruhigen Atmosphäre des Shuttles wirkte die Geräuschkulisse auf dem Flugdeck geradezu überwältigend. Hier herrschte im Moment das übliche Durcheinander mit dem dazu gehörigen Lärm, einer Mischung aus Stimmen, Sirenen, und Motorengeräuschen. Offenbar bereitete man sich auf die Landung mehrerer Kampfflieger vor. Die Shuttlepassagiere wurden schnell beiseite gewunken und am Rand des Landefeldes im Empfang genommen. Ihre neuen Vorgesetzten hatten offenbar für ihre Ankunft Sorge getragen: „First Lieutenant Chin-So, Second Lieutenant Petrow – hierher zu Staffel...!”
„Antreten in einer Linie, Beeilung, Beeilung, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit...”
„...sobald Sie ihr Gepäck gefasst haben, begeben Sie sich zu Aufzug Drei – folgen Sie den Einweisungen zu Ihrem Quartier, in einer halben Stunde müssen Sie...”
Zwar wurde hier nicht so gebrüllt wie bei der Armee und den Marines, aber das Ergebnis war dennoch ohrenbetäubend.

Es dauerte dann auch nicht lange, bis sich die Piloten verteilt hatten. Gepäckstücke wurden geschultert oder auf Transportkarren weggeschafft. Zuletzt blieben nur drei zurück, für die sich zunächst keiner zu interessieren schien. Shoki, Knight und Abat, denn um diese drei handelte es sich, sahen sich etwas suchend um – doch in diesem Augenblick kam auch schon jemand auf sie zu. Der Neuankömmling trug die Abzeichen eines Second Lieutenant. Er war eher schlank gebaut, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen. Er bewegte sich vielleicht etwas schwerfällig, doch das fiel wohl nur einem guten Beobachter auf.
„Die Lieutenants Alexander, Nakakura und Taruc? Ich bin Lieutenant al-Balad.”
Knight verzichtete auf eine launische Bemerkung, von wegen dass es Zeit würde. Es gab wenig Wichtigeres als den ersten Eindruck, und er wollte bestimmt nicht als Großmaul auffallen. Also nahm er Haltung an, wenn auch nicht so korrekt wie Shoki oder so übereifrig wie Abat. Eine Ehrenbezeugung war gegenüber einem gleichrangigen Offizier unnötig.
Al-Balad neigte leicht den Kopf. Ein anderer hätte vielleicht Shoki angestarrt, aber aus irgendeinem Grund vermied der Pilot dies.
„Lieutenant Commander Pawlitschenko leitet im Moment ein zwei-Staffeln-Manöver. Sie wollte Sie nach ihrer Landung hier begrüßen.”
Der Lieutenant schien nicht zu der sonderlich gesprächigen Sorte zu gehören, denn weiter sagte er erst einmal nichts. Die meisten anderen hätten ihre neuen Kameraden gelöchert, versucht, Neuigkeiten oder zumindest etwas über ihren Hintergrund zu erfahren. Nicht so al-Balad. Erst als Abat sich neugierig erkundigte: „Wird Commander Parker später Zeit für uns haben?”, zeigte er eine Reaktion. Für einen Augenblick lag so etwas wie Trauer in seinen Zügen: “Lightning – Commander Parker – wurde bei Tukama schwer verletzt und wird repatriiert. Lieutenant Commander Pawlitschenko, Lilja, ist jetzt Staffelchefin.”
Knight unterdrückte ein Pfeifen – er musste daran denken, was er auf der Wasp zum Besten gegeben hatte. Nun, dann eben so...
Seine beiden Kameraden schienen für einen Moment fast etwas bestürzt, hatten sich aber bald wieder unter Kontrolle. Für einige Augenblicke standen sie alle vier in distanziertem Schweigen. Die Neulinge, um sich keine Blöße zu geben, al-Balad aus eigenem Entschluss. Knight dachte bei sich, dass sie ein wenig wie eine Gruppe Touristen mit Führer wirkten – jeder der drei hatte einiges an Gepäck neben sich. Das war natürlich nicht ihre ganze Habe, nur die Dinge, die man auf keinen Fall den Händen Fremder überlassen wollte. Eigentlich ein Kuriosum, aber die Menschheit war zwar zu den Sternen aufgebrochen – doch Gepäckstücke gingen immer noch verloren oder wurden beschädigt.

Schließlich brach der Brite das Schweigen: „Ich hoffe, es geht dir schon wieder so weit gut, dass du bald wieder fliegen kannst.“ Das brachte ihm drei überraschte Blicke ein. Er zuckte nur abwiegelnd mit den Schultern: „Ich weiß, wie sich ein Verletzter bewegt, zumal nach den Folgen eines Weltraumspaziergangs. Nach Velorha hatte die halbe Staffel das Problem...Tukama, nehme ich an?“ Erst jetzt lächelte al-Balad: „Ja. Ein Reaper – aber ich habe auch einen abgeschossen. Und Lilja hat die Bomber sicher ins Ziel gebracht. Sie sagen, spätestens in einer Woche oder so bin ich wieder voll einsatzbereit.“ Er machte eine knappe Handbewegung: „Im Einsatz bin ich Fidai.“ Damit war das Eis erst einmal gebrochen, und die drei Neuen stellten sich mit ihren Callsigns vor. Doch ehe sie Gelegenheit hatten, einige Informationen von ihrem neuen Bekannten zu erfragen, gellten die Sirenen los – Landealarm. Fidai gestikulierte hastig und formierte die drei zu einer Linie, dann reihte er sich selber ein.
Die ersten Maschinen, die landeten, waren Nighthawk, doch dann folgten rasch hintereinander Abfangjäger der Falcon-Klasse, etwas über ein halbes Dutzend insgesamt. Etliche der Maschinen wiesen zehn und mehr Abschußmarkierungen auf. Die meisten der Piloten versammelten sich am Rande des Landedecks, beide Staffeln vermischt, und kommentierten lautstark ihre höchst eigene Meinung über den Ausgang der Übung. Offenbar hatten die Nighthawks einen Angriff und die Falcon die Abwehr simuliert, und die Abfangjäger hatten sich knapp halten können.
Als letztes landete eine Falcon, der anzusehen war, dass man sie nach einem harten Raumkampf wieder in Schuss gebracht hatte. Direkt unter dem Cockpit prangte eine weiße Blüte, die Flanken waren mit fast drei Dutzend Abschußmarkierungen verziert. Drei davon waren noch frisch. Das Kanzeldach öffnete sich und der Pilot kletterte hinaus. Am Boden blickte er – oder besser, wenn man genauer hinsah, sie – sich suchend um. Der schweigende Blick wirkte etwas verstörend, denn der Helm gab ihr ein beunruhigend fremdartiges Aussehen. Dann nahm sie ihren Helm ab, sie hatte offenbar gefunden, was sie suchte. Sie wechselte ein paar Worte mit den Technikern, die sich um die Maschine kümmerten, rief den anderen Übungsteilnehmern noch etwas zu und kam dann auf direktem Weg auf die Vier zu, die am Rande des Landedecks Aufstellung genommen hatten.

Unmittelbar vor ihnen blieb sie stehen und musterte einen Moment die Second Lieutenants. Für einen Augenblick zuckte etwas in ihrem Gesicht, fast so etwas wie ein misstrauischer Blick, aber dieser war sofort wieder verschwunden. Fidai schien einen Moment unsicher, dann meldete er, während er salutierte: „Lieutenant Commander – ich melde, die Second Lieutenants Sir Evan Harold Alexander, Sakura Nakakura und Marcos Taruc als Ersatz von der Wasp. Es meldet Second Lieutenant al-Balad.“ Die drei anderen salutierten ebenfalls zackig, was von ihrer neuen Vorgesetzten erwidert wurde.
Der Grund für Liljas Überraschung lag in der Anordnung ihrer Untergebenen. Fidai hatte sich zwischen Knight auf der einen, und Abat und Shoki auf der anderen Seite platziert – streng nach Dienstalter und Erfolgen, nach denen er den beiden Neulingen überlegen, Knight aber unterlegen war. Zufälligerweise aber führte diese Anordnung dazu, dass die vier im Augenblick strickt nach ihrer Größe ausgerichtet waren – von dem mindestens durchschnittlich gewachsenen Knight bis zu Shoki, die eher zierlich zu nennen war.
Die Staffelführerin hatte für einen Augenblick böse Absichten gemutmaßt, dies dann aber verworfen. Fidai war so ziemlich der letzte, von dem solches zu erwarten war. Die Offizierin straffte sich: „Piloten – Ich heiße Sie willkommen in der 3. Geleitschutzstaffel, der Einheit VF 1272 Flying Stallions, der grünen Schwadron der Angry Angels.“
Sie nahm sich noch einen Augenblick Zeit, die Neulinge zu mustern, bevor sie fortfuhr. Nicht, um sie besser kennen zu lernen – sie hatte ihre Akten bereits gelesen, und es war mehr als unwahrscheinlich, dass ihr hier und jetzt etwas auffallen würde, was über diese Informationen hinausgehen könnte. Aber sie sollten das Gefühl haben, dass ihre Offizierin sie sah, als Personen – nicht als austauschbare Zuhörer. Sie würde sie nötigenfalls in den Tod schicken, würde mit ihnen arbeiten, sie nötigenfalls aufbrauchen, als wären sie leblose Dinge. Kostbar zwar – aber nicht unbezahlbar, nicht unersetzlich. Sie würde ihr Leben der Mission unterordnen. Aber hier und heute verdienten sie es, als Individuen begrüßt zu werden.
„Ihre Begrüßung wäre eigentlich die Aufgabe von Lieutenant Commander Parker gewesen. Leider wurde sie in unserer letzten Schlacht so schwer verletzt, so dass ich diesen Posten übernehmen musste. Die grüne Staffel war unter ihrem Kommando eine der besten Einheiten unseres Geschwaders, und ich bin fest entschlossen dafür Sorge zu tragen, dass wir dies auch weiterhin bleiben. Natürlich resultierte dieser Elitestatus nie allein aus den Leistungen der Staffelführerin, obwohl sie eine große Rolle dabei spielte. Sie hat uns geschickt und entschlossen geführt, hat stets mehr als ihren Anteil am Kampf geleistet, ist uns vorangegangen und hat uns motiviert und zusammengehalten. Aber von ebenso entscheidender Bedeutung waren stets die Leistungen der einzelnen Piloten – und ebenso entscheidend wird Ihre Rolle sein.“
Lilja lächelte dünn: „Die TSN versteht sich als eine Armee von Profis, und innerhalb der Flotte beanspruchen wir Piloten eine herausgehobene Stellung. Ob nun die Angry Angels wirklich das beste Geschwader der Flotte sind, wie wir nicht selten behaupten, wie auch Sie es bald behaupten werden – wer weiß? Aber wir alle sind Teil einer Elite. Wir sind nicht selten die Lieblinge der Medien, man dreht – mehr oder weniger gelungene – Filme über unsere Taten und man verleiht unseren Kameraden die höchsten Orden der Republik. Wir alle haben eine langjährige Ausbildung durchlaufen, an der viele gescheitert sind. Wir, die Kampfflieger, und besonders die Abfangjäger, sind die ersten, wenn es gegen den Feind geht, und oft die letzten, wenn wir zurückkehren. Wir bahnen unseren Bombern den Weg ins Herz des Feindes, wir schlagen die feindlichen Angriffe zurück und schützen unsere Schiffe. Wenn wir versagen, gibt es keinen Sieg. Ich will keineswegs die Leistungen der Flotte, der Marines und der Armee schmälern, doch denke ich, wir können zu Recht von uns sagen, dass wir, die Piloten, und besonders die Abfangjäger, an den Siegen dieses Krieges einen großen Anteil haben – an Jollahran, Graxon, Corsfield, Carbash, Velorha, Groshen, Beta Borialis und Tukama. Ohne Zweifel – wir wären nie so weit gekommen ohne unsere Brüder und Schwestern von der Flotte, aber es waren unsere Geschwader, welche die Elite der feindlichen Flottenträger vernichteten. Es waren Piloten, die einen der Hauptverbrecher der Akarii töteten. Und egal wie lange der Krieg noch dauern wird – wir müssen und wir werden den Aufgaben gerecht werden, die uns erwarten.“
Shoki und Fidai zeigten bei Liljas Worten ruhige, ausdruckslose Gesichter, die ebenso gut auch Masken hätten seien können. Knight blickte ebenfalls starr geradeaus. Ob auf Grund seiner Disziplin oder weil er auf Wartemodus geschaltet hatte, war nicht zu erkennen. Nur Abat grinste begeistert und verfolgte jede Bewegung seiner neuen Vorgesetzten, ohne zu merken, dass sie dies inzwischen anfing zu irritieren. So sehr Lilja an ihre eigenen Worte glaubte, sie war es kaum gewohnt, dass jemand denselben Enthusiasmus zeigte. Nicht mal unter den Neulingen.
„Ich bin fest überzeugt, dass Sie an den kommen Schlachten und den kommenden Siegen Ihren Anteil haben werden. Aber vergessen Sie nie – unsere Siege waren stets mit Opfern erkauft, mit großen Opfern. Ich will weder Ihre Begeisterung und Ihren Einsatzwillen schmälern oder ersticken, noch will ich Ihnen Angst machen – doch ich darf Sie auch nicht belügen. Der Dienst an der Front, erst recht der Dienst in einem Fliegergeschwader, ist gefährlich, egal wie sicher die Niederlage des Feindes scheint. Unser Dienst ist vielleicht gefährlicher als irgendein anderer Posten in diesem Krieg. Man wird von Ihnen in Zukunft erwarten, dass Sie ihre Pflicht tun, auch angesichts dessen, dass Ihre Rückkehr manchmal zweifelhaft ist. Das ist etwas, dem wir uns alle stellen müssen. Wenn Sie das nicht könnten, wäre Sie jetzt nicht hier.“
Die Russin ballte ihre rechte Hand zu einer Faust: „Ihr Dienst in der grünen Staffel wird nicht einfach werden. Ich stelle hohe Anforderungen an meine Piloten, doch noch viel höhere stellt der Krieg. Ich erwarte, dass Sie sich problemlos in Staffel einfügen und zeigen, dass Sie dem Vertrauen, welches man in Sie setzt, würdig sind. Nicht nur, weil ich es von Ihnen erwarte. Sondern, weil Ihre Kameraden und Ihre Heimat ein Recht darauf haben. Ich gehe davon aus, dass Sie ihre Sache gut machen, und eine wertvolle Bereicherung für unsere Staffel seien werden.“

Sie stoppte, und starrte Abat an, der immer noch grinste: „Was ist denn eigentlich?“ In Ihrer Stimme schwang eine gewisse Irritation und Frustration mit. Der junge Pilot erwiderte ihre Blick, immer noch strahlend: „Ich bin stolz, unter Ihrem Kommando dienen zu dürfen – obwohl ich natürlich Commander Parkers Verwundung bedaure. Sie beide werden für uns würdige Vorbilder sein!“
Die Russin glaubte im ersten Moment, er mache sich über ihn lustig. Sie hatte dergleichen immerhin schon ein paar Mal erlebt. Dann erst wurde ihr klar, dass der junge Filipino es tatsächlich ernst meinte. Sie räusperte sich betreten. Eine solche Heldenverehrung war nicht gerade das, was sie gewohnt war, oder womit sie umgehen könnte: „Ähm...danke Lieutenant.“
Sie atmete einmal tief durch und warf den anderen Piloten einen warnenden Blick zu. Shoki und Fidai zeigten keinerlei Reaktionen. Nur Knight biss sich kaum merklich auf die Unterlippe, als wolle er ein Kichern oder Grinsen unterdrücken, während seine Miene ansonsten stoische Gelassenheit ausstrahlte. Lilja überging das stillschweigend:
„Nakakura, Taruc – Second Lieutenant al-Balad wird Ihnen jetzt Ihre Quartiere zuweisen. Nakakura, Sie teilen sich ihre Stube mit Second Lieutenant Taylor. Sie ist eine Veteranin, seit dem zweiten Kriegsjahr dabei. Taruc, Sie werden das Quartier mit Second Lieutenant Ming teilen. Er ist mein Flügelmann. Sie haben eine Stunde Zeit um sich einzurichten – dann findet eine Staffelbesprechung statt, auf der ich Sie mit den anderen Piloten bekanntmachen und ihre Position in der Einheit bekannt geben werde. Ansonsten – wenn Sie jemals einen Rat brauchen sollten oder Hilfe, werde ich mein möglichstes tun.“ Sie selber wusste, dass sie weder den Ruf noch sonderliches Geschick hatte, jemandem als Ratgeber zu dienen, vor allem wenn es um außerdienstliches ging. Aber sie hatte eine Verpflichtung gegenüber ihren Untergebenen.
„Das wäre erst einmal alles. Lieutenant Fidai, Lieutenant Taruc, Lieutenant Nakakura – Weggetreten. Second Lieutenant Alexander, einen Augenblick!“
Lilja schien Wert darauf zu legen abzuwarten, bis die anderen Piloten außer Hörweite waren. Einem geübten Beobachter konnte kaum verborgen bleiben, dass zumindest Shoki anzusehen war, dass sie gerne Mäuschen bei dem kommenden Gespräch gespielt hätte. Aber nach so einer formellen Verabschiedung hatte sie keine Möglichkeit dazu.

***

Die drei jungen Second Lieutenants schwiegen weitestgehend, während sie sich ihren Weg durch die Korridore des Schiffs suchten. Taruc war anscheinend noch immer überwältigt von dem Umstand, dass er jetzt wirklich auf einem Flottenträger der ersten Linie war, und Fidai war wieder zu seiner alten Verschlossenheit zurückgekehrt, sobald Knight aus der Gruppe ausgeschieden war. Er vermied es, Shoki anzuschauen. Diese wiederum sah sich neugierig um, wenngleich sie das wesentlich dezenter tat als ihr Kamerad. Nur gelegentlich gab Fidai kurze Erläuterungen und Hinweise.
Auf den Gängen herrschte ziemlicher Betrieb. Die Piloten der an der Übung beteiligten Staffeln waren auf dem Weg zu ihren Quartieren, andere kamen vermutlich von Patrouillenflügen zurück oder waren im Begriff zu einem aufzubrechen. Und natürlich mussten die anderen Neulinge eingewiesen und einquartiert werden.
Man mochte deshalb von einem Wunder sprechen, als zwei bestimmte Gruppen einander in dem Durcheinander sofort bemerkten. Die eine bestand aus den Second Lieutenants Taruc, al-Balad und Nakakura, die andere aus zwei erfahreneren Offizieren. Sie traten gerade aus einem Lift, als die drei den Gang entlang kamen – ein gutaussehender hochgewachsener blonder Mann, der seine Haare nackenlang und zusammengebunden trug, und ein schlanker, etwas kleinerer Asiat. Sein Blick fiel sofort auf die Neuankömmlinge und er blieb wie erstarrt stehen. Ihm fiel vielleicht nicht gerade die Kinnlade herunter, aber viel fehlte dazu nicht mehr. Sein Kamerad machte ein paar Schritte, eher er registrierte, dass er auf einmal allein war. Er blickte sich verwundert um, während sein Kamerad immer noch wie versteinert dastand.
In dem Augenblick kamen die drei jungen Piloten beim Lift an. Fidai salutierte, und nach ihm auch seine Begleiter. Aber Shoki beließ es nicht dabei. Mit einem breiten Lächeln verbeugte sie sich vor dem schweigenden Asiaten: „Hallo, dritter Bruder.“

***

Crusader sollte später mit seiner Geschichte die Lacher in der Bar auf seiner Seite haben, so oft er sie erzählte: „Und dann packt er sie doch tatsächlich im Arm und bugsiert sie in den Aufzug zurück, wortlos – und lässt mich, den armen Fidai und den anderen Neuling, Abat, zurück wie die Ölgötzen...! Also das ist wohl jenseits der versammelten Home Fleet das Einzige, was Ohka wirklich sprachlos gemacht hat.“

***

Im Hangar war Lilja inzwischen offenbar der Meinung, dass sie und Knight eine ausreichend private Atmosphäre für das Gespräch hatten, das sie im Sinn hatte. Der Gesichtsausdruck der Russin hatte sich verändert, jetzt eher nachdenklich als entschlossen. Man könnte sogar sagen, sie wirkte ein wenig unsicher, aber das war normalerweise nichts, was man mit ihr in Verbindung gebracht hätte. Jedenfalls nicht gegenüber Gleichrangigen oder gar Untergebenen. Knights unterdrückte Heiterkeit war wieder durch schweigende Gelassenheit ersetzt worden.
Doch dann gab Lilja sich offenbar einen Ruck: „Ehrlich gesagt würde ich es vorziehen, gewisse Dinge nicht zur Sprache bringen zu müssen. Aber ich denke, es ist besser, das hier und jetzt zu tun, als es aufzuschieben.“
Knight unterdrückte ein Seufzen: „Wenn Sie meine Vergangenheit meinen...“
Doch die Russin schüttelte nur den Kopf: „Nein – oder zumindest nicht den Teil, den Sie vermutlich meinen. Ihre Verurteilung, der Aufenthalt in einem Gefängnis, die Strafeinheit...natürlich steht das in Ihrer Akte. Ich denke jedoch, es sollte keine Rolle mehr spielen, auch wenn ich natürlich nicht versprechen kann, dass dies für jeden an Bord dieses Schiffes der Fall sein wird. Solche Dinge bleiben selten lange geheim. Aber nein, darum ging es mir nicht. Was das angeht, hat Ihr Verhalten im Dienst in den letzten Jahren gezeigt, dass Sie ihre Lektion gelernt haben. Sie haben sich zudem ihre zweite Chance durch vergossenes Blut verdient. Ihr eigenes wie das der Akarii, und letzteres ist mindestens ebenso wichtig wie ersteres.“
Sie holte tief Luft: „Lieutenant – ich habe nicht nur Ihre Akte gelesen, sondern auch ein beiliegendes inoffizielles Schreiben ihres Vorgesetzten. Ich nehme an, Sie können sich denken worum es geht.“
Lilja wartete nicht erst ab, bis Knight etwas zugab oder ihr beipflichtete: „Beziehungen zwischen Angehörigen der TSN sind während des Dienstes – und damit ist auch der Aufenthalt auf Raumschiffen gemeint – verboten.“ Sie hob die Hand, wie um einen Protest zu ersticken: „Ich weiß, es ist eine an sich unsinnige Regelung, und ich handhabe sie keineswegs strikt. Ich kann vieles tolerieren. So lange sich dergleichen diskret abspielt und nicht den Dienst beeinflusste, werde ich keine Einsprüche erheben.“ Sie fixierte den Piloten. Ihre Stimme klang ernst.
„Aber ich kann es nicht hinnehmen, dass dadurch der Zusammenhalt der Staffel oder die Einsatzbereitschaft beeinträchtig werden. Ich will keine Gefühlsdramen, keine Eifersucht, und niemanden, der in Tränen ausbricht oder schlimmeres. Ihr...ihr bisheriges Verhalten...ist...“ Sie suchte scheinbar nach Worten, murmelte einen Fluch: „Sagen wir es einfach – wenn Sie sich hier wieder eine Technikerin, eine Pilotin oder eine Marine oder meinethalben jemanden aus dem Flottenstab anlachen und sie dann eiskalt abservieren, kriegen Sie es mit mir zu tun, sobald das Auswirken auf Ihren Dienst oder den der betreffenden Frau hat.“ Sie lächelte – vermutlich um ihr eigenes Unbehagen zu überdecken: „Wie Sie sicher wissen wäre das bei einer Marine freilich noch ihr geringstes Problem... Ich hoffe, Sie verstehen mich? Ich will keine Probleme an Bord des Schiffes, schon gar nicht auf Grund von Piloten, für die ich die Verantwortung trage. Ich kann das nicht zulassen.“

Der Pilot musterte seine Vorgesetzte. Er wirkte nicht im Geringsten dadurch beleidigt, dass sie sich anmaßte, ihm Vorhaltungen über sein Privatleben zu machen – vielleicht weil er ähnliches gewöhnt war, vielleicht weil er sich gut unter Kontrolle hatte. Er schaute sie einfach ruhig an. Dann lächelte er. Es war keineswegs ein unbehagliches Lächeln. Vermutlich hatte er schon mehr als eine Frau so angesehen. Einige mehr als eine. Sein Lächeln wirkte nicht im Geringsten begierig, oder unverschämt, oder schmachtend. Einfach das Lächeln eines Menschen, dem an der guten Meinung seines Gegenübers etwas lag – und dem gefiel, was er in der anderen Person sah. Seine Stimme klang freundlich, sympathisch, aber keineswegs zu vertraulich, angesichts dessen, dass er Lilja eben erst kennen gelernt hatte: „Glauben Sie wirklich all die Schauergeschichten, die Ihnen mein Chef vermutlich aufgetischt hat? Denken Sie, ich bin SO schlimm?“
Die Russin wollte das Lächeln schon erwidern, doch dann stutzte sie. Von einem Moment zum anderen war auf einmal Eis in ihrer Stimme. Diamantklares, scharfes Eis: „Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Auch hier gilt, dass ich Menschen primär nach ihrem augenblicklichen Verhalten beurteilte. Ich werde meine Meinung über jemanden, der sechs Akarii abgeschossen hat, nicht durch solche Gerüchte bestimmen lassen. Ihr Verhalten auf diesem Träger ist es, das entscheidet.
Aber wenn Sie noch einmal versuchen Ihren Charme bei mir einzuschalten, um mich zu beeinflussen, wie gerade eben...“ Sie schaffte es, diese Worte überaus drohend klingen zu lassen.
„Ich versichere Ihnen, Commander, ich wollte keineswegs...“
„Natürlich wollten Sie. Halten Sie mich nicht für dumm! Ich mag ja nicht mehr besonders anziehend aussehen inzwischen, aber denken Sie wirklich, Sie sind der erste?“
Ihre Stimme, wiewohl leise, nahm einen spöttischen, schneidenden Ton an: „Der Lieutenant Commander hat ja ohnehin nicht viel Auswahl, mal sehen, was man bei ihr erreichen kann. Sie kann ja dankbar sein, dass sie jemand auch in dieser Hinsicht wahrnimmt...“
Ihre Augen funkelten wütend: „Oh ja, das haben einige versucht im Laufe der Zeit – nicht zuletzt, weil ich als jemand gelte, der sich um solche Dinge nicht viel Gedanken macht.“
Sie schien sich etwas zu beruhigen, aber ihre Stimme klang immer noch ernst: „Vielleicht tue ich Ihnen ja Unrecht – aber versuchen Sie so etwas nie. Niemals. Ist das klar? Und denken Sie darüber nach, was ich Ihnen gesagt habe. Wir sind keine große Familie, aber wir sind aufeinander angewiesen. Und wenn es darauf ankommt darf nichts zwischen uns stehen – am wenigsten wir selbst.“ Dann trat sie einen Schritt zurück. Ihre Stimme klang neutral: „Ich bringe Sie jetzt zu Ihrem Quartier – Staffelbesprechung in einer dreiviertel Stunde.“
Sie lächelte grimmig: „Und willkommen in Ihrem neuen Zuhause, Lieutenant.“
Cattaneo
Cunningham

Bantam,
CIC, TRS Columbia

Raven trat neben Commander George Long an den Kartentisch, an die der Admiralin gegenüberliegenden Seite, und salutierte.
Wulff blickte kurz von ihrem Klemmbrett auf und erwiderte den Gruß: „Wie geht es voran, CAG?“
„Gut, Ma'am. Wir haben alle Jäger übernommen und im Hangar verstaut. Der Chief hat schon begonnen die Abfangjäger für den Flugbetrieb vorzubereiten. Ebenso wird an das Tanksystem der Columbia letzte Hand angelegt.
Auf dem Flugdeck stehen sämtliche alten Griphens, Razors Mirage und die Akariijäger aufgetankt in Bereitschaft. Alles in allem einundzwanzig Maschinen.“
„Das gefällt Ihnen nicht. Oder, CAG?“
„Nein, Ma'am, natürlich nicht. Ich fühle mich wie auf dem Präsentierteller. Kein Jagdflieger mag dieses Gefühl.“
Die Admiralin schnaufte und wandte sich wieder ihren Papieren zu.
Ravens Blick wanderte zu einer der Computerstationen der CIC, wo Lone Wolf über den Stuhl gebeugt hinter einem der Offiziere stand und sich angeregt unterhielt.
Fragend blickte sie zum ersten Offizier der Columbia.
„Der treibt sich seit einigen Tagen hier herum.“ Antwortete Long. „Beobachtet die Flottenoperationen, das Zusammenspiel der Schiffe und scheint die gesamte Dynamik eines Trägerkommandos in sich aufzusaugen.“
„Dann stimmen die Gerüchte?“
„Was für Gerüchte?“ Wulff blickte wieder auf.
„Na, dass Cunningham einen eigenen Träger bekommt.“ Raven blickte unsicher von einem zu anderen. „Das erzählt man sich teilweise im Geschwader.“
„Nicht, dass ich wüsste, Commander.“ Die Admiralin blickte etwas verärgert zu Cunningham hinüber. „Aber bei seinen Beziehungen zu Renault, wer weiß.“
„Ma'am.“ Raven salutierte erneut vor Wulff und trat dann ab.
Diese fixierte Long: „Also, George, dann wollen wir doch mal unsere drei leeren Tanks auffüllen.“
„Aye-aye, Ma'am.“ Der XO drehte sich zu den Kontrollstationen der CIC um. „Mr. McGraw: Meldung an Brücke, CIC übernimmt Schiffskontrolle.“
„Aye-aye, Sir, CIC übernimmt Schiffskontrolle.“ Der Offizier vom Dienst gab die Befehle an die Gasten der CIC weiter.
Meldungen wurden ausgetauscht und Befehle weitergegeben.
Long spürte plötzlich jemanden neben sich.
Es war Lucas Cunningham. Der ehemalige CAG trug die normale Dienstuniform. Da er aber nicht mehr zum Borddienst eingeteilt war, trug er all seine Ordens- und Kampagnenbänder über der linken Brusttasche.
„XO: CIC hat die Kontrolle.“ Lautete schließlich McGraws Meldung.
Long griff zur Bordsprechanlage: „1-MC! Hier spricht der XO: Gelber Alarm für alle Stationen. Ich wiederhole: Gelber Alarm für alle Stationen. Schiff Klar für Dockmanöver zur Treibstoffübernahme.“
Er hängte den Hörer wieder ein: „Rudergänger: Geschwindigkeit drosseln, 10 kp/s.“
„Aye-aye, Sir, Geschwindigkeit 10 kp/s.“
Einige Sekunden verstrichen, dann erfolgte die Rückmeldung: „10 kp/s liegt an.“
„Ausgezeichnet, Mrs. Dröger.“ Long grinste etwas geistesabwesend. „Singnaloffizier: Meldung an Aurelius: Aufkommen von Backbord, wir passen Geschwindigkeit an. Tankgeschwindigkeit 15 kp/s.“
„Aye-aye, Sir. Aufkommen vom Backbord, Tankgeschwindigkeit 15 kp/s.“
Die Aurelius näherte sich der Columbia von hinten an.
„XO: Die Aurelius erreicht Beschleunigungsmarke in fünf, vier, drei zwei, eins ...“
„Beschleunigen auf 15 kp/s, Mrs. Dröger.“
„Aye-aye, Sir, beschleunigen auf 15 kp/s.“ Erwiderte die Rudergängerin.
Als der Frachter die Columbia eingeholt hatte, hatte diese ihre Geschwindigkeit soweit gesteigert, dass beide Schiffe nebeneinander fuhren.
„Meldung von der Aurelius, Sir.“ Meldete der Signaloffizier. „Schiff klar für Tankmanöver.“
„Ausgezeichnet, dann möchten sie doch bitte beginnen.“
„Aye-aye, Sir.“
Das Auffüllen der drei gesäuberten Tanks dauerte fast eine Stunde, dann lösten sich die beiden Schiffe wieder voneinander, in dem Bewusstsein, morgen erneut ein Tankmanöver durchzuführen.
„Commanders.“
Long und Cunningham drehten sich zur Admiralin um.
„Denken Sie daran, in einer halben Stunde auf dem Flugdeck. Blaue A-Dress-Uniform.“
„Aye, Ma'am.“ Antwortete Long.
Cunningham beschränkte sich auf ein Nicken.


Raven betrat die Flugleitzentrale. Dort warteten schon Kano und Skunk.
Der ältere Pilot grinste wissend. Das Gesicht des Japaners wer kaum zu deuten.
Die CAG trat an den beiden vorbei und setzte sich. Sie faltete die Hände und nahm beide erst dann zur Kenntnis: „Mir ist da etwas zu Ohren gekommen. Der Captain musste im Casino eine Predigt halten.“
Raven deutete auf Skunk: „Sie und zwei Ihrer Raufbolde waren daran beteiligt.“
Dann blickte sie zu Kano: „Ebenso wie drei oder vier Ihrer Piloten, Mr. Nakakura. Wie sind Sie mit denen verfahren?“
Der Asiat blickte kurz zu Boden, fixierte sie jedoch sofort wieder und erzählte dann von der Strafpredigt, die er seinen Männern gehalten hatte.
Als er geendet hatte, nickte Raven: „Ausgezeichnet, Lieutenant, gute Arbeit.“
Dann wanderte ihr Blick zu Skunk, der diesen mit trägen Grinsen erwiderte: „Und Sie haben vermutlich Cartmell und Too-Tall anerkennend auf die Schulter geklopft, was?“
Skunk schnaubte amüsiert: „Tja, daran habe ich noch gar nicht gedacht.“
„Sie jetzt hier zur Sau zu machen, hätte wohl wenig Sinn, oder?“
„Wenn Sie glauben, mich dabei mehr beeindrucken zu können als Lone Wolf, dann nur zu.“
Raven schmunzelte leicht: „Nein, ich glaube nicht. In Ausgangstellung und dreihundert Liegestütze, Lieutenant Commander.“
„Huh?“ Skunk blinzelte überrascht.
„Sie haben den Befehl verstanden, Lieutenant Commander.“ Raven hob erwartungsvoll die Augenbraue.
Der Veteran schnaufte nochmal, verzog das Gesicht zu einem Grinsen und ging dann in Ausgangsposition und begann Liegestütze zu machen.
Die CAG ließ ihn kurz gewähren, bevor sie ihn nochmal ansprach: „Commander Jones, wir sind hier in der Flotte, Liegestütze werden mitgezählt, bitte von vorne.“
„Eins.“ Ertönte es von jenseits des Schreibtisches. „Zwei!“
Auch hier ließ Raven ihn erstmal machen.
„Lieutenant Nakakura, ich kann die Liegestütze von hier aus nicht richtig beurteilen, führt Commander Jones sie auch ordentlich aus?“
„Ma'am?“
„Berührt seine Nase das Deck?“
„Nein, Ma'am.“
Raven seufzte theatralisch und ging um den Schreibtisch herum.
Sie blickte auf Skunk hinunter und setzte ihm den rechten Fuß ins Genick.
„EINS!“ Mit diesem Wort drückte sie ihn runter. Nach fünf ließ sie von ihm ab.
Dreihundert Liegestütze später erhob sich Skunk schnaufend, auf seinem Gesicht stand ein leicht verwundertes Lächeln.
„Wir verstehen uns für die Zukunft, Commander?“
Skunk nickte.
„Gut, dann können Sie beide wegtreten, Gentlemen, und denken Sie daran. In zwanzig Minuten auf dem Flugdeck, im großen Dienstanzug.“
Der Lieutenant Commander schnaufte nochmal: „Könnte ich die Aufstellung der Bushpilots haben?“
Raven hob fragend eine Augenbraue.
„Ich möchte wissen, ob noch einer meiner Freunde auf der Wasp dient.“
„Sie und Freunde? Tschuldigung Skunk, natürlich.“ Die CAG übergab ihm einen Computerausdruck.
Kano und Skunk verließen die Flugleitzentrale. Der Lieutenant Commander sah schon die Liste durch und murmelte schließlich laut genug, dass Kano es hören musste: „Nakakura, Nakakura ...“
Ohka, der jetzt ebenfalls auf den Ausdruck blickte, ließ geräuschvoll die Luft aus.
„Du kennst sie?“ Skunk war Menschenkenner genug, um das Verziehen der Augen zu deuten. „Deine Schwester, ist sie hübsch?“
Der böse Blick, mit dem ihn der Asiat bedachte, ließ den alten Veteran auflachen.
Wortlos trennten sich die beiden Piloten.


„ACHTUNG! STILLGESTANDEN!“
Lucas nahm zusammen mit den Ressortoffizieren der Columbia Haltung an. Er stand am linken Ende der Reihe an vorletzter Position. Links von ihm stand nur noch Eric Dodson, der sich in der dunkelblauen Uniform und mit Schlips sehr unwohl zu fühlen schien.
Der ehemalige Geschwaderkommandant hatte einen guten Blick auf die Angry Angels. Die Formation, die das Geschwader im Stillgestanden abgab, war gelinde gesagt saumäßig. Aber wie die meisten Piloten gab Lucas keinen Cent auf Formaldienst.
Auch ihr Formationsflug könnte besser sein. Aber die Angels waren darin gut, worauf es ankam: Die Akarii zu fleddern.
Zu den blauen Uniformen wurden die Kampagnenbänder und die Ribbons der Orden getragen. Die Angels konnten eine beeindruckende Sammlung davon aufweisen. Zumindest die meisten.
Die Piloten, die vor wenigen Stunden von der Wasp übergesetzt hatten, waren allein daran gut zu erkennen. Zumindest bei den meisten
Vor dem Geschwader stand Raven. Ihr Sakko zeigte schon die drei vollen Streifen eines Commanders, der Hut war eichenlaubverziert.
Frische Wut überkam Lone Wolf.
„Guten Abend, meine Damen und Herren, bitte rühren Sie.“ Wulff war ans Pult getreten und ließ ihren Blick über das Hangardeck schweifen. „Die Schlacht von Tukama ist nur wenige Wochen her und schon Teil des Geschichtsbuches. Uns nachfolgende Generationen werden im Schulunterricht davon lesen und unsere Taten beurteilen. Unsere Vorgesetzten haben dies schon jetzt getan und so wollen wir heute die Ergebnisse dieser Beurteilungen aushändigen und Piloten wie Besatzungsmitglieder für ihre Handlungen Ehren: Master Chief Petty Officer Dodson, treten Sie bitte vor.“
Ein Adjutant überreichte Wulff die erste Urkunde:
An: Die gesamte Flotte
Von: Admiral Jean-Baptist Renault, CO 2. Flotte

Betreff: Ordensverleihung

Das Oberkommando der Terran Space Navy verleit Master Chief Petty Officer Eric Dodson am 9. April 2637 den Bronce Star.

Chief Petty Officer Dosen hat sich in der Schlacht von Tukama durch größte Eigeninitiative und entschlossenes Handeln hervorgetan und somit zum Sieg über das Geschwader des feindlichen Flaggschiffs über die Pflicht hinaus beigetragen.
Sein Handeln entspricht den besten Traditionen der Navy.


Ein anderer Adjutant reichte der Admiralin die Ordensschatulle und Wulff steckte dem Chief den Orden über die Bandschnallen an die Brust. Dann reichte sie ihm die Hand und wechselte noch ein paar Worte mit ihm.
Nach dem er sich wieder neben Cunningham eingereiht hatte, wurde der nächste Ordensempfänger vorgerufen. Dodson schüttelte leicht den Kopf und raunte: „So schnell geht das doch normalerweise nicht bei Unteroffizieren.“
Dem Chief folgten die Lieutenants Loic Dupree und Thomas Brody, die für den Abschuss Prinz Jors den Victory Star erhielten. Dazu die Beförderung zu Lieutenants 1st Class.
Ebenso erhielt Trisha „Irons“ McGill den Victory Star für den Abschuss der Korax ma Rah.
Lieutenant Commander Martin Durfee und die neue CAG erhielten den Bronce Star für den Angriff auf die Begleitschiffe des Akariiträgers. Ebenso Juliane Volkmer für den Begleitschutz der Jagdbomber. Himmel, war man heute Großzügig.
Diane Parker wurde der Silverstar verliehen. Diesen musste Lilja für die im Koma liegende Pilotin übernehmen.
Lucas wurde schon ganz müde vom langen Stehen, da wurde er vor die Front gerufen.
Wulff steckte ihm doch tatsächlich das Navy Cross an. Für die Planung und Ausführung des Angriffs auf die Korax ma Rah. Anschließend bedankte sie sich auch noch für seine gute Arbeit als Geschwaderführer der Angels und wünschte ihm viel Glück für die Zukunft.
,Scheinheilige Schlampe.'
Dann wurden die Verwundeten Löwen in Silber verteilt und die Ordensverleihungen für die Silver Stars von Captain Justus Schneider und, wieder einmal, Trippel E. Gonzales vorgelesen.
Wulff erhielt noch eine Urkunde und Cunningham fragte sich allmählich, wer denn noch einen Orden oder eine Beförderung erhalten würde.
„An: Alle Streitkräfte“, las Wulff vor.
„Von: Ihrer Exzellenz der Präsidentin, Oberbefehlshaberin der Streitkräfte

Betreff: Ehrung

In meiner Eigenschaft als Präsidentin der Bundesrepublik Terra verleihe ich dem 127th Fighter Wing am 9. April 2637 die Presidential Unit Citation.

Das als Angry Angels bekannte Geschwader hat sich seit dem Kriegsausbruch kontinuierlich durch Einsatz, Tapferkeit und Erfolg ausgezeichnet und die Vernichtung der Korax ma Rah und Tötung Prinz Jors sind nur seine letzten erwähnenswerten Taten.
Die Angry Angels sind maßgeblich am Erfolg unserer Raumstreitkräfte beteiligt. Ihre Taten, ihre Leistungen, ihre Opfer und ihr Mut gehen weit über die Pflichterfüllung hinaus und stehen in den allerbesten Traditionen der Terran Space Navy und der gesamten Streitkräfte.”
Nachdem Wulff geendet hatte, herrschte absolutes Schweigen auf dem Flugdeck der Columbia.
Lucas merkte entrückt, dass sein Mund offen stand und schloss ihn mit hörbarem Klacken.
Da die Piloten noch immer wie betäubt schwiegen, war das Geräusch gut zu hören.
Es war Eric Dodson, der den Bann brach. Der Unteroffizier trat einen Schritt vor: “HIP, HIP, HURRA!”
Und Jubel erscholl. Jegliche militärische Ordnung war vergessen. Die Veteranen der Angry Angels beglückwünschten sich gegenseitig und fielen sich in die Arme. Man hatte die höchste Ehrung errungen, die einer Einheit zuteil werden konnte.

Wulff verließ das Pult.
“Soll ich wieder Ordnung herstellen lassen, Ma'am?” Wollte einer ihrer Adjutanten wissen.
Die Admiralin schüttelte den Kopf: “Nein, verteilen Sie nur die Ribbons für die Auszeichnung der Präsidentin, lassen wir sie feiern.”
Schmerzlich war sie sich der Einsatzalarmmitteilung bewusst, die in ihrer Tasche steckte.
Cattaneo
Cunningham

Leareon, zweiter Mond von Akar
Hauptquartier der imperialen Raumstreitkräfte der Akarii

Hahdas Gren stand mit durchgedrücktem Rücken am Fenster. Seine dunkelblaue Galauniform war über und über mit Gold verziert. Er hatte alle Orden und Ehrenabzeichen angelegt, die er im Laufe seiner Karriere erhalten hatte.
Nun gab es keine Karriere mehr. Keine Zukunft. Nur noch ...
Die Tür glitt zischend auf und unterbrach den Admiral.
Der Offizier der eintrat, trug die Rangabzeichen eines Captains. Keelan, Thushio Keelan, der Schoßhund Lay Rians.
Der Stabsoffizier funkelte ihn böse an, sagte jedoch nichts, bis sich die Tür hinter ihm schloss.
„Ich habe eine persönliche Nachricht der Großadmiralin für Sie.“
,Respektloser kleiner Wurm’ schoss es Gren durch den Kopf: „Was hat Ihre Herrin Ihnen aufgetragen?“
„Wortwörtlich: Narr! Idiot! Trottel!“
Gren stellte den Kamm auf und fauchte wütend, doch Keelan war noch nicht fertig: „Eine Verschwendung von Potential, die wir uns nicht leisten können, und das für ein altersschwaches Fossil, welches den nächsten Winter eh nicht überlebt hätte. Da drängt sich die Frage auf, wie diese armselige Erscheinung vom Dümmsten der Dummen, nur ein so begabter Offizier sein konnte. Das waren ihre Worte.“
Der Captain schluckte wütend: „Und sie hat mit jedem Wort recht. Wie kann man nur so dumm sein, den Kanzler des Imperiums zu vergiften, in einem solchen Stadium. Darüber hinaus: Ist unsere Uniform noch nicht beschmutzt genug?“
„ER IST SCHULD!“ Brach es aus Gren hervor. „ER! ER UND SEINE SPEICHELLECKER HABEN JOR VERDORBEN!“
Der Admiral unterdrückte ein paar Tränen: „Sie haben ihn verführt, ihm die Flausen dieses Krieges in den Kopf gesetzt. Ihm eingeimpft er sein unbesiegbar und ihn gegen seine Kritiker aufgebracht. SIE haben gute Offiziere in Misskredit gebracht. Relath Gor hat meinen Freund auf dem Gewissen und das auf zweierlei Art. Er hat keinen Ruf mehr. Sein Name wird noch in zehntausend Jahren mit dem ultimativen Versagen dieser Flotte in Verbindung gebracht werden. Und sie haben ihn direkt an die Front geschmeichelt, wo er gefallen ist.
Dafür musste Gor büßen.“
Gren drehte sich wieder zum Fenster um: „Und ich musste verhindern, dass es seinem Nachfolger ebenso ergehen würde.“
„Ich werde es der Großadmiralin ausrichten.“ Antwortete Keelan. „Aber nun, da Sie diese Bürde auf sich genommen haben, tun Sie Ihre Pflicht. Bis zu Ende.“
Mit diesen Worten legte der Captain eine Pistole auf einen Beistelltisch. Dann verließ er den Raum.
Hahdas Gren blickte lange aus dem Fenster, ehe er sich zu der Pistole umdrehte.
Er musste gar nicht erst herantreten, um sie in Augenschein zu nehmen. Er wusste, dass es sich dabei um seine Dienstwaffe handelte. Die Dienstwaffe, die man ihm abgenommen hatte, als man ihn unter Arrest gestellt hatte.
Gemessenen Schrittes ging er zu dem Tischchen hin und betrachtete die mattschwarze Waffe. So war es Sitte in der intrigenreichen Welt des imperialen Hofes.
Die Schuldigen brachten sich selbst um, ehe sie durch einen öffentlichen Prozess Sympathie für sich weckten. Oder ehe sie ihre Komplizen ausplaudern konnten.
Lay Rian fürchtete um ihr Offizierskorps. Sie konnte sich nicht erlauben, jetzt durch Grabenkämpfe ihre fähigsten Admirale zu verlieren. Sei es nun, weil sie mitschuldig waren oder weil sie für ihn, Hahdas Gren, in die Bresche sprangen.
Ein Offizier übernimmt die Verantwortung für seine Taten. Ein Offizier schützt die Flotte. Ein Offizier erfüllt seine Pflicht um jeden Preis. Das höchste Gut für einen jeden aufrechten Akarii war die Pflichterfüllung an seiner Nation, seinem Volk und seiner Rasse.
Er hatte einen Teil seiner Pflicht erfüllt, er hatte Relath Gor getötet und somit verhindert, dass der alte Mann weiterhin die Führung des Reiches durch seinen Einfluss vergiftet. Nun musste er den zweiten Teil seiner Pflicht erfüllen: Die Sache zu einem sicheren Ende zu bringen.
Nach kurzem Zögern nahm er die Waffe und ging zum Schreibtisch hinüber. Er setzte sich dahinter und begann zu schreiben:
,Ich, Hahdas Gren, gesund an Geist und Körper, gestehe, seine Exzellenz Relath Gor, Kanzler seiner Majestät Eliak IX., getötet zu haben.
Ohne fremde Mithilfe habe ich die Tat geplant und ausgeführt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser alte Dieb jetzt, wo unser Imperator im Koma liegt, nicht mehr gezögert hätte, der Prinzessin Linai Thelam hinterher zu steigen und sie in sein Gemach zu zerren. Nach dem Heldentod Prinz Jors sah ich es als meine Pflicht an, die Prinzessin, die zeitlebens wie eine Schwester für mich war, vor diesem Scheusal zu beschützen.
Es war meine heilige Pflicht! Ich bereue nichts!'
Mit schnörkeliger Handschrift unterschreib er den Brief. Es gab genügend Leute, die ihm selbst nachsagten, Interesse an der Prinzessin gehabt zu haben.
Auch seine Verbundenheit zu Jor und auch zu Linai und dem Imperator selbst würde man als Indizien nehmen, um diesen Brief als Wahrheit hinzunehmen. Weil man es glauben wollte. Aus etwas Distanz würde man das Motiv als ein wenig dürftig betrachten, aber die Untersuchungsbeamten würden sich damit zufrieden geben. Weil sie wussten, dass man es glauben wollte.
Er hob die Waffe und schaltete auf Drei-Schuss-Salve, hielt sich den Lauf an die Schläfe und drückte ab.
Pflichterfüllung!


Das Bordcasino der Columbia war gut gefüllt. Fast das gesamte Geschwader war dort und feierte. Überall hatten sich kleine Gruppen gebildet. Ein bis zwei Veteranen, die von den Neulingen belagert wurden. An der Bar standen Trash und Ferret, umgeben von einer größeren Gruppe Piloten, Neulinge wie Veteranen, um sich deren Story anzuhören.
Trash versuchte gerade die entscheidende Szene nachzustellen, hatte dafür aber mindestens drei Hände zuwenig.
Lucas schnaufte und wandte sich wieder der Bar zu.
Wie so häufig stand Skunk hinter dem Tresen. Ungefragt stellte der breitschultrige Pilot dem ehemaligen CAG ein Bier hin: „Nicht zu fassen oder? Da klauen Ihnen zwei Bomberjocks den Abschuss des Jahrzehnts.“
„Hmpf, mir bleibt immer noch die Rote Echse.“
Skunk grunzte belustigt: „Glauben Sie echt, den zu schaffen, Lone Wolf?“
„Ich bin seit Manticore besser geworden. Ebenso seit Corsfield.“ Lucas nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier.
„Glauben Sie, Jor war besser als die Rote Echse?“ Skunk grinste bösartig. „Nein, ich denke nicht. Für mich klingt das gerade irgendwie nach dem Gejammer von jemanden, der verdammt leer ausgegangen ist.“
Der ehemalige CAG war drauf und dran Skunk einfach den Mund zu verbieten, doch er war nicht mehr CAG, und als einfacher Pilot hatte er dieses Spiel mindestens genauso gut beherrscht wie das Stinktier ihm gegenüber.
„Wissen Sie, Skunk“, sagte er mit süffisantem Grinsen, „für einen Piloten der zweiten Liga reißen Sie ganz schon das Maul auf.“
Skunk blinzelte überrascht: „Zweite Liga? Vielleicht sollte ich Ihnen Ihr selbstgerechtes Grinsen mal aus dem Gesicht wischen.“
Einige der umstehenden Piloten blickten schon interessiert drein.
Lucas schnaufte abfällig: „Wie wollen Sie das denn schaffen? Indem Sie mir erst einen Arm brechen, ehe Sie mich in den Flugsimulator zerren?“
Der Lieutenant Commander umklammerte sein eigenes Bierglas: „Vielleicht breche ich Dir ja auch nur den Arm.“
Tja, dem hatte Lone Wolf Cunningham nichts entgegen zu setzen. Zumindest nicht körperlich, so wie er Skunk einschätzte, war dieser durchaus in der Lage ihn in der Mitte durchzubrechen.
„Sie klingen tatsächlich eher wie ein halbstarker Punk, als wie ein Pilot, Skunk.“
„LADIES! GENTLEMEN! Ich bitte einen Augenblick um Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.“ Raven hatte sich an die Tür des Casinos gestellt, so dass sie niemanden den Rücken zudrehte.
Tja, wieder mal gerettet vom Gong. Cunningham drehte sich von Skunk weg und blickte in Richtung Raven.
„Seit Beginn dieses Krieges steht dieses Geschwader an vorderster Front und hat an den bedeutendsten und schwersten Gefechten teilgenommen. Zu jeder Zeit, ob nun in den schweren Stunden nach Jollahran oder in den strahlensten Siegen, hatte der Krieg eine Konstante für uns. Wir standen unter der Führung eines erfahrenen Piloten, der uns stets beispielhaft voranging: Mit Mut, Entscheidungsfreudigkeit und nicht zuletzt mit dem Können eines Topasses.
Commander Cunningham, bitte erlauben Sie mir, dass ich mich im Namen aller Angry Angel für Ihre Leistungen als unser Kommandant bei Ihnen bedanke.“
Die Piloten klatschten und Raven winkte ihn zu sich. Als er sich von der Bar abstieß, spuckte Skunk ihm hinterrücks in das zurückgelassene Bier.
„Glotz nicht so, Fisch.“ Zischte das Ekel seinem jüngsten Piloten zu.
Raven schüttelte Cunningham herzlich die Hand.
„Woher kommen auf einmal diese ganzen netten Worte, Raven?“ Raunte Lucas.
Sie flüsterte zurück: „Oh, ich konnte Ihnen von Anfang an zusehen, wie Sie sich immer und immer wieder Stuss und Lügen abgerungen haben. Hier ein schönes Wort, dort ein schönes Wort, kostet ja nichts. Spielen Sie einfach mit. Wird nicht wehtun.“
Lucas lächelte in die Runde: „Nun, Ladies und Gentlemen, ich verlasse dieses Geschwader zum zweiten Mal. Wenn Sie Glück haben, auch zum letzten Mal.
Gelächter antwortete ihm, obwohl der Witz nicht wirklich gut war. Der Alkohol trug wohl mächtig dazu bei.
„Vielen von Ihnen halten dies für einen denkbar schlechten Zeitpunkt, nach den schweren Verlusten gegen die Korax ma Rah. Wenn Sie daran denken, halten Sie sich bitte immer vor Augen, gegen wen Sie geflogen sind. Das Bordgeschwader der Rah war die Elite der akariischen Raumfliegertruppe. Die Besten der Besten, die der Feind aufzubieten hatte. Faktisch erwiesen: Piloten, die besser ausgebildet wurden als wir und mit besserer Ausrüstung. Die Rah ist Geschichte. Ebenso ihr Bordgeschwader und der akariische Prinz.
Sie, die Angry Angels, sind immer noch eine kampfbereite Einheit. Führen Sie sich das stets vor Augen, wenn Sie zweifeln.
Darüber hinaus haben Sie eine erfahrene Anführerin, die seit Beginn dieses Krieges in diesem Geschwader dient. Noch nie abgeschossen wurde und jede Schlacht mitgemacht hat, die dieses Geschwader bestritten hat. Sie sind in guten Händen, Ladies und Gentlemen, in wirklich guten Händen.“
Einen Augenblick überlegte er, wie dick er auftragen sollte, aber ein stielgerechter Abgang sollte es schon sein: „Ferner möchte ich sagen, dass ich sehr stolz bin, mit Ihnen geflogen zu sein, und über alle Maßen, zweimal die Ehre gehabt zu haben, diesem Geschwader als Kommandeur zu dienen.“
Er nickte in die Runde und erneut wurde applaudiert.
„Sie sind absolut schamlos, Lone Wolf.“ Raunte Raven und deutete auf die Bar. Etwas lauter: „Darf ich Ihnen einen Drink ausgeben, Commander.“
„Gern.“ Antwortete er wahrheitsgemäß und etwas leiser. „Ich kann Sie doch schlecht als bessere Lügnerin davonkommen lassen.“
Cattaneo
Tyr

Auch wenn Kano die Würdigung des Geschwaders durch die Präsidentin mit Stolz erfüllte, er war nicht unbedingt in der Stimmung, sich zu amüsieren. In den letzten Tagen hatte er viel zu lange gearbeitet, und das rächte sich jetzt. Die Erinnerung an die Schlacht weckte außerdem automatisch wieder die Zweifel, ob er seiner neuen Aufgabe auch gewachsen sein würde. Es gab im Geschwader nur wenige, die er als Freunde bezeichnen konnte. Und bei den Butcher Bears war die Stimmung immer noch ein wenig...problematisch. Es gab zu viele fremde Gesichter, als dass Kano sich hätte entspannen können. Und einige der Neuen waren momentan nicht gerade gut auf ihn zu sprechen. Kali hatte natürlich nicht an der Feier teilnehmen können. Er vermisste sie und erkannte, dass er sie in den letzten Tagen sehr selten gesehen hatte. Er hatte einfach keine Zeit gefunden.
Natürlich hatte er Commander Cunningham gratuliert. Und sich über die lobenden Worte gefreut, die Raven für den Commander gefunden hatte. In Kanos Augen waren sie nämlich gerechtfertigt. Gerechtfertigt war wohl auch Cunninghams Lob für Raven, aber Kano war dennoch nicht glücklich über den Wechsel, auch wenn er davon profitierte.

Das Navy Cross, das Lone Wolf endlich erhalten hatte, war eine Auszeichnung, die nur relativ selten verliehen wurde. Und diese Ehrung ließ Cunninghams Ablösung noch unbegreiflicher wirken. Hatte man ihm am Ende doch für einen neuen Kommandoposten vorgesehen? Aber dazu passten manche der Blicke nicht, die einige der Kommandooffiziere wechselten. Und die überhaupt nicht mit den Worten harmonisierten, die sie füreinander fanden. Nun ja, es ging auch darum, das Gesicht zu wahren. Wenn Kano etwas verstehen zu können glaubte, dann dieses Bestreben. Die Ehre bedeutete viel. Fast alles. Alles.

Wenn die Situation anders gewesen wäre, dann hätte Kano vielleicht jetzt versucht, sich durch ein paar Drinks in Feierlaune zu bringen und den Druck abzubauen, den er auf sich lasten fühlte. Aber morgen würde er früh raus müssen. Außerdem hatte er sich bisher nur sehr selten betrunken, und es anschließend meist zu bedauern gehabt.
Zudem gab es heute noch zwei weitere Gründe, die ihn zur Mäßigkeit anhielten.
Einer der Gründe waren Grizzly, Tiburon und Fox. Die drei hatten striktes Alkoholverbot, und das galt auch heute. Entsprechende Anweisungen waren ausgegeben worden, und Kano musste jetzt wohl oder übel auch darauf achten, dass sie eingehalten wurden. Da Skunk hinter der Bar stand, war die Situation unklar. Vielleicht würde er die ausgegebene Richtlinie mit Freuden befolgen. Oder aber aus irgendeinem merkwürdigen Grund bewusst ignorieren und den drei die Möglichkeit geben, sich vollaufen zu lassen. Das würde ihm Kano ganz bestimmt nicht verbieten können, dazu hatte er nicht den Rang. Aber er konnte es seinen Piloten verbieten, ein eventuelles Angebot anzunehmen. Verbote, die nicht befolgt wurden, waren sinnlos. Also war es ratsam, nüchtern zu bleiben – auch um den drei Delinquenten mit gutem Beispiel voranzugehen.
Der Grund Nummer Zwei war bei den Piloten der grünen Schwadron zu finden, auch wenn Sakura Nakakuras zierliche Gestalt in der dicht gedrängten Menge regelrecht unterging. Es mochte lächerlich klingen, aber Kano konnte sich wohl kaum betrinken, wenn er seine jüngere und einzige Schwester im Auge behalten wollte. Er erinnerte sich noch sehr gut an ihr ‚Begrüßungsgespräch’…

*******************************

„Ich weiß nicht, ob ich dich umarmen oder dir eine runterhauen soll.“ Kano war sich ziemlich sicher, so etwas noch zu keiner Frau gesagt zu haben.
„Versuch es erst gar nicht. Keins von beidem. Nimm mich doch einfach so wie ich bin, Bruderherz.“ Sakura lächelte strahlend, als könne ihr nichts die Laune verderben: „Ich habe dir doch gesagt, dass ich es schaffen würde. Und jetzt bin ich hier. Seit deinem letzten Brief hat sich aber einiges geändert bei euch.“
„Nicht nur unbedingt zum Besseren. Und dann musst auch noch du hier auftauchen!“
„Das kannst du mir jetzt aber nicht vorwerfen! Und um mich brauchst du dir keine Sorgen machen.“
„Egal was du sagst, das werde ich immer, kleine Schwester.“
Die so Angesprochene verzog den Mund, fuhr dann aber fort: „Und ich werde also jetzt dieser Pawlitschenko unterstehen. Es sind ja nicht gerade viele Offiziere der ersten Garnitur übrig geblieben. Ist Sie wirklich so, wie du geschrieben hast und wie sie sich gibt?“
„Sie ist eine hervorragende Offizierin. Aber…eher ist sie noch härter.“
„Na wenn du das so sagst, dann sollte ich vielleicht langsam mal...“
„Versuch jetzt bloß nicht, vom Thema abzulenken. So leicht kommst du mir nicht davon. Wie kommst du hierher?“
„Ich bin Kampffliegerin, dies ist ein Flottenträger, also…“
„Hör auf, mich für dumm zu verkaufen! Es widerspricht der TSN-Doktrin, dass Familienmitglieder in einer Einheit dienen. Man will Begünstigungen und Vetternwirtschaft vermeiden. Und es gibt andere Gründe…“
Es wurde als propagandistisch ungünstig angesehen, wenn gleichzeitig mehrere Familienmitglieder in einer Schlacht fielen. Man nannte das den ‚Sullivan-Faktor’, auch wenn die Herkunft dieser Terminologie inzwischen wohl nur noch einigen wenigen Historikern bekannt war.
„Ich bin halt sehr hartnäckig. Du kennst mich ja. Und als Vater einsah, dass ich mich nicht in die Reserve drücken lasse, wie ihr es gerne gesehen hättet, da hat er vielleicht auch ein paar Beziehungen spielen lassen, damit ich hierher komme. Du weißt schon, er kannte jemanden, der jemanden kennt...“
„So weit reichen seine Beziehungen nicht. Und warum sollte er ausgerechnet wollen, dass du hierher versetzt wurdest?“
„Natürlich damit du auf mich aufpassen kannst.“ Die junge Japanerin schnaubte abfällig, um zu zeigen, was sie davon hielt. Dann nestelte sie einen zusammengefalteten Briefumschlag aus der Tasche ihrer Uniformjacke hervor und reichte ihn an ihren Bruder weiter. Kano öffnete den Brief, überflog die ersten Zeilen. Irgendetwas an den Formulierungen kam ihm bekannt vor. Er riss den Kopf hoch: „Du hast ihn geöffnet!“
Sakura dachte nicht daran zu leugnen: „Immerhin geht es um mich, oder? Außerdem hat das der NIC auch gemacht. Einmal mehr oder weniger macht da doch keinen Unterschied mehr. Zudem…“, und sie lächelte spitzbübisch, „…weißt du doch, dass ich noch nie einem Geheimnis widerstehen konnte.“
Kano lächelte etwas säuerlich. Natürlich kannte er seine Schwester. Und ihre Neugier: „Ich wundere mich, dass du dich nicht bei einem der militärischen Nachrichtendienste oder dem TIS beworben hast.“
„Vielleicht bin ich ja undercover hier. Aber ich mag keine Schreibtischarbeit. Ich bin lieber dort, wo es etwas Action gibt. Und deine Geschichten über den Raumkampf…
Ich bin gut. Ich habe deine Abschlussnoten im Kopf – was meinst du wohl, wer von uns mehr Punkte hat? Ich sage dir…“
Im Gesicht ihres Bruders zuckte es. Seine Stimme klang angespannt: „Ich hätte den Mund halten sollen! Sakura, das hier ist kein Spiel! Und es geht auch nicht darum zu beweisen, dass du genauso viel kannst wie ich oder Ioura! Das ist der Krieg – du kannst sterben!“
Sakuras Stimmung schlug genauso schnell um wie das Wetter an einem Apriltag: „Das weiß ich! Ich bin kein Kind mehr! Ich kann ein genauso guter Pilot sein wie du!“
„Und was soll ich Vater – und was unserer Mutter – sagen, wenn du fällst?! Wie soll ich ihnen dann noch unter die Augen treten?!“ Das war ein ziemlicher Tiefschlag, den er nicht geplant hatte. Er hatte auch nicht geplant, seine Schwester anzubrüllen.
Sakura erbleichte. Aber, wie eigentlich immer, sie weigerte sich, klein beizugeben: „Das ist nicht fair! Lass Mutter und Vater aus dem Spiel! Das ist mein Leben! Ich entscheide, was ich damit mache! Ich brauche keinen Aufpasser! Schon lange nicht mehr!“ Und damit drehte sie sich um, und rauschte nach draußen. Kanos gedämpftes „Warte!“ ignorierte sie.
Kano war mit einem schlechten Gewissen und einer Sorge mehr zurück geblieben. Das hatte er ja gut hingekriegt…

**********************************************

Im Gegensatz zu ihm schien sich Sakura jetzt prächtig zu amüsieren, aber das war eigentlich schon immer so gewesen. Kano beneidete seine Schwester insgeheim ein wenig um die Leichtigkeit, mit der sie mit Menschen umgehen konnte, mit der sie das Leben nahm – und dennoch meistens das erreichte, was sie sich vorgenommen hatte.
Aber dann schaffte er es doch, sie alleine in einem abgelegenen Winkel nahe der Theke abzupassen. Sie machte es ihm nicht gerade leicht und wartete mit hoch gezogener Augenbraue, bis er sich tatsächlich so etwas wie eine Entschuldigung abgerungen hatte. Er war zwar nicht der Meinung, dass seine Einstellung falsch war, aber gleichzeitig wollte er auch nicht mit Sakura streiten. Als er endlich fertig war, da lachte sie nur und küsste ihn auf die Wange. Natürlich musste genau in diesem Augenblick ein ohnehin bereits reichlich angeheiterter, aber offenbar auf Kriegspfad befindlicher Skunk sich über die Theke in ihre Richtung beugen: „Sag mal, weiß deine Mata Hari eigentlich, dass du es hier in aller Öffentlichkeit mit so einer heißen…“
Skunk stoppte kurz, vielleicht weil ihm doch noch die Symmetrie ihrer Gesichtszüge aufgefallen war.

Der ältere Pilot musterte Kanos Schwester eingehend von Kopf bis Fuß und grinste dabei auf eine Art und Weise, die in Kano unwillkürlich die Frage aufkommen ließ, was es für einen Eindruck bei Raven machen würde, wenn diesmal Kano eine Prügelei anfing.
Der Kommandant der roten Schwadron lächelte überschwänglich: „Sagen Sie mal, Miss Nakakura, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie verdammt hübsch sind? Oder besser gesagt, heiß wie ein Reaktor kurz vor der Notabschaltung? Oder…“ Seine Stimme war so laut, dass jeder, der im Umkreis von etwa sechs Schritten stand, alles mitbekommen musste.
Die zierliche Japanerin lächelte süßlich: „Nur jeder zweite Mann, dem ich auf der WASP und der COLUMBIA begegnet bin. Sie werden sich also anstellen müssen. Und ich gebe meine Telefonnummer nur ab dem Commander-Rang aufwärts.“ Sprach es und schwebte davon. Das brachte sogar Kano zum Lächeln. Sie musste eben immer das letzte Wort haben.

Seine kurzfristig sich aufhellende Stimmung erhielt allerdings einen Dämpfer, als er Lilja sah. Sie lauschte mit anscheinend ungerührtem Gesicht einer Geschichte, die einer ihrer neuen Piloten – Knight hieß er wohl – gestikulierend zum Besten gab. Als sie Kanos Blick bemerkte, presste sie kurz die Lippen zusammen.
Noch jemanden, den er heute wahrscheinlich vor den Kopf gestoßen hatte, und das aus ähnlichen Gründen…

**************

Er hatte die neue Befehlshaberin der Grünen kurz nach seinem ‚Gespräch’ mit Sakura aufgesucht. Zuerst hatte sie nicht verstanden, was er wollte, und dann wäre sie beinahe wütend geworden: „Wollen Sie etwa, dass ich…“
„Nein, natürlich nicht. So etwas würde ich nie verlangen, erst Recht nicht von Ihnen. Es geht nicht darum, Sakura aus etwas heraus zu halten. Oder dass Sie ihre Pflicht verletzen. Ich wollte…Sie nur darum bitten, Sie ihm Auge zu behalten. Sie ist…manchmal etwas ungestüm. Vielleicht muss sie…gezügelt werden. Durch einen…besonnenen Rottenführer.“
Liljas Stimme klang ungehalten und etwas defensiv: „Ich stelle nicht erst seit gestern Rotten und Sektionen zusammen. Dabei brauche ich ganz bestimmt keine Hilfe. Außerdem ist Shoki schließlich Jagdpilotin. Mehr noch, ihre Noten und Bewertungen sind exzellent. Also…“
„Bitte. Sie…ist meine Schwester.“ Das wusste Lilja natürlich. Aber sie verstand auch, was ihr ehemaliger Rottenführer damit sagen wollte. Der Bruder der russischen Pilotin diente an Bord eines TSN-Kriegsschiffs. Kurz wirkten ihre Züge ein wenig weicher: „Ich verstehe. Also gut, ich werde sehen, was ich tun kann.“ Und damit meinte sie wohl nicht nur die Wahl des geeigneten Rottenführers für Sakura. Ganz wohl schien sie sich mit diesem Versprechen nicht zu fühlen. Dann allerdings huschte ein kurzes Lächeln über Liljas Gesicht: „Und was würde Ihre Schwester von dem halten, was Sie mir hier erzählt haben?“
Kano zuckte mit den Schultern: „Sie würde mit wahrscheinlich den Kopf abreißen.“

******************************

Ja, das würde sie tun, sollte sie jemals etwas davon erfahren. Aber das spielte genauso wenig eine Rolle wie Sakuras Wunsch, ihren Weg alleine zu gehen. Er würde dennoch nicht aufhören, sich Sorgen zu machen. So weit es ihm möglich war, würde er sie beschützen und über sie wachen, ob sie es wollte oder nicht. Er würde die Zeit dazu finden, ihr jene Kniffe und Erfahrungen beizubringen, die er im Lauf der letzten Jahre gelernt hatte und für die er mit Blut und Schmerzen bezahlt hatte. Sie war seine Schwester…
Cattaneo
Cattaneo

Feier mit düsteren Gedanken

An Bord der Columbia ging es – mal wieder – hoch her. Das Fest auf dem Träger war inzwischen im vollen Gange, doch nicht alle Gäste schienen wirklich in der Lage, es zu genießen. Piloten, Besatzungsangehörige und Gäste von anderen Schiffen hatten sich inzwischen untereinander verteilt und feierten relativ einträchtig: Man war ja immer noch eine Familie, gewissermaßen miteinander verwandt, anders als etwa die Außenseiter von der Army oder dem Corps, die definitiv nicht dazugehörten. Außerdem halfen der angesichts dieser Feierlichkeit ausgegebene Alkohol und der diesmal reichlich verteilte Siegeslorbeer, gewisse Hemmungen abzubauen. Die Besatzung und das Geschwader der Columbia bildete natürlich das Gros der Feiernden. Die anderen Schiffe feierten „zu Hause“. Auch auf ihnen, zumindest bei den Kreuzern, die anders als die kleineren Schiffe an der Schlacht von Tukama teilgenommen hatten, war manche Auszeichnung an Offiziere und Mannschaftsdienstgrade verliehen worden. Anwesend an Bord der Columbia waren lediglich einige Kapitäne und höhere Offiziere. Commodore Mithel war freilich vor Ort – immerhin wurden hier zwei seiner Untergebenen ausgezeichnet. Da konnte er schwerlich fehlen, selbst wenn er es gerne getan hätte. Das lag weniger daran, dass die Ausgezeichneten ausgerechnet diejenigen waren, die er persönlich von allen seinen Kapitänen am wenigsten schätzte. Sie passten eben beide nicht ganz in sein Bild vom Flottenoffizier, und sie gehörten auch nicht zum Kreis seiner Vertrauten.
Das war jedoch, soviel stand fest, keineswegs der Grund, aus dem das Gesicht der Commodore verschlossen blieb. Er war in Begleitung seines Waffenoffiziers erschienen – sein Erster Offizier war natürlich an Bord der Relentless geblieben. Mithel hatte jedoch seinen Begleiter quasi sofort an dessen ebenfalls anwesende Ehefrau „abgetreten“. Der Commodore, wiewohl selber im Privatleben Single und ein ausgesprochener Einzelgänger, war Menschenkenner genug um zu wissen, wie belastend es sein musste, eine Ehe primär mittels Funkkontakt zu führen. Obwohl er normalerweise in Sachen Vorschriften Purist war, freute ihn doch insgeheim der Anblick seiner zwei Untergebenen und Vertrauten, wie sie miteinander lachten, und wie Captain Raffarin beiläufig ihren Mann an der Schulter berührte...

Nein, auch das war es gewiss nicht, was ihn von den Feiernden trennte. Der Grund war vielmehr weitaus ernster. Die Meldung via Bordfunk war für ihn vollkommen überraschend eingetroffen. Sein Kommunikationsoffizier hatte ernst geklungen, selbst wenn man bedachte, dass er schon seit über drei Jahren unter Mithels Fuchtel lebte und arbeitete.
„Sir – ich bitte Sie, diese Meldung nur über einen gesicherten Kanal entgegenzunehmen...“
Der Commodore hatte sich der Bitte gefügt ohne nachzufragen, wohl wissend, dass Lieutenant Commander Fuchida dergleichen niemals ohne Grund getan hätte. Schon in diesem Augenblick hatte er so etwas wie eine böse Vorahnung gehabt. Vielleicht hatte ihm auch seine Erfahrung verraten, was Miene und Tonfall seines Untergebenen ankündigten. Er hatte einen gesicherten Kanal auf der Brücke über Kopfhörer geöffnet und seinen Kommunikationsoffizier zum Reden aufgefordert.
Fuchida war gleich zur Sache gekommen: „Ich danke Ihnen, Sir. Wir haben soeben einen Breitband-Notruf von Drawn erhalten. Die Außenposten der dortigen Flotte sind offenbar in diesem Augenblick im Begriff, überrannt zu werden. Nach ihren Meldungen spricht alles dafür, dass ein starker feindlicher Verband, möglicherweise die bei Manticore lokalisierten Einheiten, in unser Gebiet vorgestoßen ist. Soweit man es uns noch mitteilen konnte, handelte es sich offenbar um zwei Flottenträger, mindestens zwei Dutzend Kreuzer und etwa drei bis vier Dutzend kleinere Schiffe.“
Fuchida war anzumerken, wie sehr ihm die Nachricht zu schaffen machte. Es war nicht schwer, sich auszumalen, welches Schicksal die Streitkräfte bei Drawn im Augenblick ereilte oder bereits ereilt hatte. Mithel hatte mit keiner Regung den Schock verraten, den er verspürte, obwohl er sofort auch an die mittelbaren Konsequenzen gedacht hatte. Wenn das mehr als ein Stipp-Angriff war, sondern Teil einer groß angelegten Gegenoffensive...
„Bisher etwas von der Zweiten Flotte?“
„Negativ. Keine Breitband-Ruf, keine Durchsage an uns. Möglicherweise funken sie direkt an Vizeadmiral Wulff.“
Der Commodore hatte sich unter Kontrolle, obwohl er einen bitteren Geschmack im Mund zu spüren meinte: „Schon gut, Commander – ich danke Ihnen. Benachrichtigen Sie den Schwadrons-XO. Gefechtsbereitschaft für die kombinierten Schwadronen 2.3 und 2.7 – und lassen Sie den anderen Schwadronschef die Nachricht ebenfalls zukommen.“
„Jawohl, Sir – auch der Columbia und der Wasp?“
Mithel zögerte einen Augenblick: „Negativ. Das kann ich auch gleich selber erledigen. Und je mehr Leuten wir Bescheid sagen, desto eher ist es Gesprächsstoff für die ganze Flotte. Außerdem wette ich, sie erhält als erste Meldung. Und sagen Sie den Dauntless-Kreuzern – sollte mich wundern, wenn die noch nicht Bescheid wissen – sie sollen gefälligst reinen Mund bewahren.“
Der Slang-Ausdruck war das einzige Anzeichen, dass die Nachricht den Commodore getroffen hatte.
„Und lassen Sie mir und dem Schwadrons-XO die Unterlagen für die benachbarten Systeme zukommen. Drawn, Karrashin...“
„Meinen Sie, Sir...“
Mithel zeigte das erste Mal Ungeduld – und Nerven: „Natürlich werden wir mit ihnen fechten müssen. Wenn nicht dort, dann hier.“
Er milderte die Zurechtweisung, die eher aus seiner Resignation und Verbitterung als aus echtem Ärger über seinen Untergebenen herrührte, etwas ab: „Ich verlasse mich auf Sie, dass Sie das kleinste Anzeichen bemerken, wenn sich etwas tut. Notrufe, Flottenfunksprüche, Akarii-Funk – alles. Nötigenfalls rufen Sie mich auf der Columbia an.“

Selbstverständlich war er trotzdem zur Feier erschienen – in vollem „Ornat“, mit all den zahlreichen Auszeichnungen und Orden, die er sich im Laufe der Zeit verdient oder „ersessen“ hatte. Aber seine Gedanken waren natürlich ganz woanders. Er überlegte fieberhaft, was diese neue Entwicklung für die Columbia-Flotte, ja für die ganze „Große Armada“ bedeuten mochte. Wenn das mehr war als ein lokaler Vorstoß, dann bedrohten die Akarii unmittelbar den Nachschub der Terraner. Was nur Sinn machte, wenn sich ihre verbleibende Flotte für einen Gegenangriff rüstete, denn die zwei Träger bei Drawn, oder wo immer sie auch von dort aus auch vorstoßen mochten, hätten gegen die Zweite Flotte keine Chance gehabt. Wenn sie aber Teil eines groß angelegten Plans waren... nun, in dem Fall konnten sie der Amboss für den Hammer werden, welchen die feindliche Hauptflotte darstellte.
Noch war es freilich zu früh, um Aussagen über die wahren Absichten der Akarii zu treffen. Vielleicht wollten die Echsen ihren Gegner auch nur dazu zwingen, sich umzugruppieren. Aber wenn nicht...dann, wie es sein Vorgesetzter und Vorgänger in der Schwadron, Henning Schupp, ausgedrückt hatte „würden die Raben bald Aas zu zerhacken finden“. Das konnte die nächste große Schlacht in diesem schier endlosen Krieg bedeuten – und sicher nicht die letzte.
,Das hat ja nicht lang gedauert, bis die Echsen den ach so katastrophalen Schock von Jors Tod verdaut haben. Der Teufel soll doch den Generalstab und die Regierung holen, wenn sie unsere Flanken so weit offen lassen.’ Mithel wusste natürlich, dass dies zum Teil ungerecht war. Auch Regierung und Generalstab konnten sich keine Schiffe aus den Rippen schneiden. Aber es hatte schon früher Warnungen gegeben, dass der terranische Vorstoß zwar stark an der Spitze, aber an der Basis und den Flanken gefährlich überdehnt war. Es mangelte nicht nur an neuen Trägern und Kampffliegern – auch wenn sich da bald etwas ändern sollte – sondern auch und vor allem an modernen Großkampfschiffen. Zerstörer und Kreuzer hatten in diesem Krieg bitter bluten müssen. Und wenn nicht genug neue Schiffe geliefert wurden, konnte man eben keine schlagkräftige Reserve in der Hinterhand behalten. Dafür waren freilich eigentlich auch die anderen Flotten zuständig.
Mithel hatte nach seiner Ankunft auf der Columbia zwar nicht auf den ersten, wohl aber auf den zweiten und dritten Blick erkannt, dass Vizeadmiral Wulff offenbar inzwischen sehr wohl Bescheid wusste – und dass sie ahnte, dass sie nicht die einzige war. Aber noch schien sie zu warten. Freilich, die Aussicht auf die nächste Schlacht hätte wohl den Glücklichsten ernüchtert. Und für viele mochten es die letzten frohen Stunden ihres Lebens werden.

So blieb dem Commodore auch nichts anderes übrig, als gute Miene zum zwar nicht bösen, aber doch insgeheim bitteren Spiel zu machen. Mithel hatte freilich nicht vor, vollkommenes Stillschweigen zu bewahren, ebenso wenig wie er eine Breitbanddurchsage plante. Langsam und gemessen schritt er vorbei an den Feiernden, die auf Grund seines Rangs und seines Auftretens meistens Abstand wahrten. Er schaute sich suchend um. Irgendjemand musste es doch geben, der nicht vollkommen mit Feiern beschäftigt war und ihm helfen konnte.
Während Mithel dies dachte, hatte er auch schon eine Kandidatin entdeckt. Die junge Frau mit den Abzeichen eines Lieutenant Commanders war kaum zu übersehen, da sie relativ isoliert erschien. Als sie den Blick des Commodore spürte, erstarrte sie in einer vorbildlichen Ehrenbezeugung. Obwohl sie vermutlich fast jung genug war, um seine Tochter zu sein, bot sie einen kaum weniger prächtigen Anblick, was die Abzeichen betraf.
„Commodore...Sir!“
Für einen Augenblick überlegte Mithel, ob er sie einfach mit einem Nicken und einer knappen Frage abtun sollte. Aber immerhin war sie eine Veteranin, und das wäre grob unhöflich gewesen. Er fasste sie genauer ins Auge. Irgendetwas an ihr kam ihm bekannt vor.
„Lieutenant Commander...Pawlitschenko.“ antwortete er auf ihren Gruß – kein Kunststück, da sie ein Namensschild trug. Aber der Name brachte bei ihm eine Erinnerung auf. Keine gute, aber er wusste sehr wohl warum er ausgerechnet jetzt an diese Zeit zurückdenken musste.
„Sie waren nach Jollahran an Bord der Relentless – ich erinnere mich an Sie vom Abschiedsappell.“
Die junge Frau lächelte, offenbar etwas geschmeichelt, obwohl auch ihre eigenen Erinnerungen sicher nicht angenehm waren: „Jawohl, Sir. Verwundet im Jägergefecht und an Bord Ihres Schiffes gebracht bei Aufgabe der Redemption.
Ich möchte Ihnen sagen, dass mich der Erfolg Ihrer Schwadron freut, und ich froh bin, dass Ihre Schiffe uns auch weiterhin zur Seite stehen.“
Der Commodore legte den Kopf leicht schief. Seine Stimme klang leicht ironisch, aber nicht bitter: „Erstaunlich – Lob von einer Pilotin. Ich danke Ihnen.“
„Nun Sir – mein Bruder dient an Bord eines Zerstörers. So bleibt es letzten Endes in der Familie, wenn Sie mir den Ausdruck erlauben. Und schließlich muss man blind sein, um nicht zu sehen was Ihre Schiffe leisten.“ Sie lächelte etwas nervös „Obwohl wir natürlich unseren entscheidenden Anteil beitragen.“
Mithel verzog die Lippen amüsiert angesichts des dezenten Spottes. Der Lieutenant Commander schien ein etwas vorsichtigeres Benehmen zu kultivieren, als einige ihrer Kollegen. Oder sie hatte einfach Respekt vor seinem Rang.
„Könnten Sie mir sagen, wo ich Commander Cunningham finde?“
Die Offizierin schaute sich kurz um, dann nickte sie: „Bitte folgen Sie mir.“
Sie schien der Meinung zu sein, dass man einen Commodore nicht einfach in eine Richtung schickte, sondern begleitete.

Das Ziel der Suche befand sich an der Theke, und wirkte so glücklich wie jemand, der gerade eine hohe Auszeichnung bekommen hatte. Zumindest auf den ersten Blick. Mithel registrierte die...Sorge?...die für einen Augenblick im Gesicht von Lieutenant Commander Pawlitschenko auftauchte, als sie ihren ehemaligen Vorgesetzten musterte. Aber diese Regung war so schnell verschwunden, dass sich Mithel nicht einmal sicher war, was er gesehen hatte.
„Commander?“
Der Angesprochene drehte sich um. Er grinste schief, als er den Kopf leicht neigte. Seine Stimme klang so aufrichtig und ehrlich glücklich, dass es nur gespielt seien konnte: „Commodore...Lieutenant Commander...Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, um mir zu gratulieren. Mir fallen die Arme ab vom vielen Händeschütteln.“
Die Pilotin blickte für einen Augenblick betreten drein, während Mithel die Worte mit einem trockenen Lächeln quittierte: „Ich sehe, Sie sind ganz der Alte, Lone Wolf.“ Das konnte man sehen wie man wollte, wenn man daran dachte, wie sich die beiden Männer kennen gelernt hatten – bei Cunninghams Ehrengericht auf der Perseus-Station. Eine Ewigkeit war es inzwischen her. Es wäre zu viel gesagt zu behaupten, dass sie seitdem in regelmäßigem Kontakt gestanden hätten. Aber Mithels Kreuzer hatte die Angry Angels spätestens seit Jollahran unablässig begleitet. Und das verband irgendwie.
Mithel war noch nicht fertig: „Ich würde Ihnen ja einen Drink ausgeben – auch wenn Sie davon sicher auch inzwischen genug haben. Aber ich würde sowieso zur Mäßigung raten. In erhöhter Alarmbereitschaft ist Trinken ja ohnehin verboten.“
Spätestens jetzt war er sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer gewiss.
„Das sollte erst einmal unter uns bleiben – aber ich habe einen Funkspruch von Drawn erhalten. Unsere Garnison dort wurde ausgelöscht. Die Akarii sind mit zwei Flottenträgern und vielleicht fünf Schwadronen kleinere Schiffe von Manticore aus vorgestoßen.“
Lieutenant Commander Pawlitschenko zischte ein Wort, bei dessen Klang sich Mithels Augenbrauen hoben. Er hatte lange genug mit einem russischen Kapitän zusammengearbeitet um zu wissen, was sie gerade gesagt hat. Die Russin lief rot an. Commander Cunningham wirkte für einen Augenblick wie ein altes Schlachtross, das den Klang der Trompeten hört, die es zur Wallstatt rufen. Dann entkrampfte er sich wieder: „Tja – leider bin ich nicht mehr dafür zuständig.“
Mithel verzog die Lippen: „Nicht der beste Augenblick für einen Wechsel in der Kommandospitze, möchte ich meinen. Aber ich dachte, Sie sollten es wissen.“
Der Lieutenant Commander musterte den Commodore verwundert: „Warum haben Sie sich nicht an den...“ sie zögerte, fuhr nach einem Seitenblick auf den Commander aber fort: „…neuen Geschwaderchef gewandt?“
„Weil sie es sowieso weiß – wenn Wulff es ihr mitteilen will. Denn die wiederum weiß es ganz sicher. Aber ich dachte, es kann nicht schaden, wenn Sie es auch erfahren, Lone Wolf. Immerhin dürften Sie das Geschwader besser kennen als sonst jemand. Ich wüsste gerne von Ihnen, wie Sie es einschätzen – jetzt. Denn eines scheint mir sicher.“ Er machte eine kleine Pause, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen: „Wenn das nicht nur ein örtlich begrenzter Vorstoß ist, um uns nervös zu machen – und das glaube ich nicht, nicht bei zwei Quarsar-Trägern, da die Akarii gerade bei Beta Borialis und Tukama einige eingebüßt haben oder sie zumindest langwierig instand setzen müssen – dann werden wir bald, sehr bald, wieder im Gefecht stehen!“
Er musterte seine Gesprächspartner, und machte eine knappe Handbewegung: „Ich verstehe Ihre Unruhe, Lieutenant Commander. Aber ich muss Sie doch bitten, noch Stillschweigen zu bewahren.“ Die Pilotin wirkte ob dieser Worte ehrlich zerknirscht – ihr war anzusehen, dass sie am liebsten losgestürmt wäre und ihre Piloten am Kragen gepackt hätte, um sie an weiterem Alkoholkonsum zu hindern. Oder um sie in die Trainingssimulatoren zu verfrachten. Dann fixierte er den ehemaligen Commander: „Nun? Was meinen Sie?“
Cunningham seufzte: „Eigentlich hat mich das ja nicht mehr zu interessieren – ich wildere damit in fremden Revier.“
„Aber es war für ein paar Jahre Ihr Revier.“
Der Commander schien seine Optionen abzuwägen: „Ich halte das Geschwader für einsatzbereit. Aber uns fehlen mindestens drei unserer besten Piloten, wenn man mich mitrechnet. Und Monty, Lightning und ich, wir waren ja zugleich in Führungspositionen. Dazu der Selbstmord des designierten XO...“
Er sah, wie Mithel die Stirn runzelte. Der Commodore hatte darüber wohl nur wenig Genaues gehört.
„Alles in allem würde ich sagen, mit der Wasp sind wir in der Lage, uns dem Feind zu erwehren, falls der hier auftaucht – zumindest bis wir zum Rest der Flotte aufschließen können. Aber sie besiegen, mit 11 Staffeln gegen vielleicht 18 oder 19 – das wird schwer. Wir können uns nicht die zwei Wochen nehmen, die wir bräuchten, um die Neulinge richtig einzuarbeiten. Ich hoffe deshalb, die Führung schickt uns nicht im Vertrauen auf unseren Ruf mit der Wasp solo gegen die Echsen. Wir könnten eine Blockformation bilden, aber offensiv werden – das bezweifle ich.“
Cunningham studierte die Mienen seiner Gesprächspartner. Mithel wirkte nachdenklich, aber nicht im Geringsten überrascht. Lilja zeigte eine verbissene Entschlossenheit. Wenn man ihr den Befehl gab, würde sie die Akarii angreifen, egal wie die Chancen standen.
„Hmm...“ meinte der Commodore nachdenklich: „in etwa das hatte ich erwartet. Ja Lieutenant Commander, Sie wollten etwas sagen?“
Die Pilotin hatte ihre Stirn gerunzelt: „Wir wissen bisher nichts von den Trägern im Draned-Sektor, richtig? Besteht nicht die Gefahr, dass diese ebenfalls eingesetzt werden, sollten die Akarii einen koordinierten Angriff starten.“ Mithel dachte kurz nach: „Sehr gut überlegt. Ich habe sie noch gar nicht berücksichtigt. Sie haben natürlich Recht – wir können nur hoffen, dass unser Vorstoß und die Unruhen sie von einem offensiven Vorgehen abhalten. Ich glaube nicht, dass der neue Befehlshaber der Akarii auf diese Verbände bereits vollen Zugriff hat. Es wundert mich überhaupt, wie schnell sie reagieren, angesichts der angeblich schwer angeschlagenen feindlichen Moral.“ Pawlitschenko schnaubte nur verächtlich: „Vermutlich müssen wir außer der Chef-Echse wohl doch noch ein paar hunderttausend andere umbringen, bevor sie kapitulieren.“ Sie gehörte offensichtlich nicht zu den Prinz-Jor-ist-das-Problem-und-die-Lösung-Enthusiasten.
„Wie dem auch sei“ nahm Mithel den Faden wieder auf: „ich rechne damit, dass sich die Lage binnen der nächsten 24 Stunden klärt – und ich rechne nicht mit einer Entschärfung. Unter uns gesagt – die Angry Angels können sich auf die Schwadronen 2.3 und 2.7 verlassen. Ich hoffe, das gilt auch im umgedrehten Fall.“ Er lächelte schmal, während er die beiden Piloten musterte: „Dann werde ich mich wieder an die Arbeit machen. Ich denke, es dauert nicht mehr lange, bis wir genaueres wissen.“
Lone Wolf schien jedoch noch eine Frage zu haben: „Wieso sind Sie denn nun eigentlich zu mir – oder zu uns – gekommen?“
Mithel zuckte mit den Schultern: „Was Sie angeht, Commander, so muss ich sagen, ich habe das Gefühl. dass Sie noch eine Karriere vor sich haben. Und ich weiß gerne, woran ich bin. Ich war mir nicht sicher, ob ich vom neuen Geschwaderchef die Wahrheit höre – immerhin hat sie etwas zu beweisen. Nun, nachdem das geklärt wäre...Guten Abend.“
Commander Cunningham blickte dem Commodore hinterher, der sich zielstrebig entfernte – vielleicht auf der Suche nach Vizeadmiral Wulff: „Tja, DAS war doch mal interessant...“ Er bemerkte, dass Lilja offenbar bereits auf den Trensen kaute: „Nun, ich will Sie nicht aufhalten.“ Sie salutierte – genau wie früher, nicht nur vor einem höheren Dienstgrad, sondern vor ihrem Geschwaderchef: „Ich kümmere mich um meine Staffel – und ich werde auch Ihrer Bescheid geben.“ Dann drehte sie sich um und marschierte los.
Lone Wolf musterte nachdenklich seinen Drink. Tja, wenn er ein guter Mensch gewesen wäre, hätte er wohl Mitleid mit Raven gehabt. So kurz nach ihrer Beförderung schon so eine Herausforderung. Andererseits, er war ja auch damit fertig geworden...
Cattaneo
Tyr

Terra

Paris war auch 2637 immer noch eine Reise wert. Andere Städte mochten ja die politischen und militärischen Zentren sein, aber in Paris (und das nicht nur nach Ansicht der Franzosen) verstand man es, zu leben. Der Krieg hatte die Tourismusschwärme eher noch anschwellen lassen, denn Interstellarreisen waren deutlich teurer und schwieriger geworden. In Zeiten der Not und der Gefahr wuchs der Drang, sich abzulenken und zu unterhalten. Paris bot diese Möglichkeit nicht nur den zahllosen Touristen, sondern als immer noch wirkungsmächtiges kulturelles Zentrum im Bereich Mode, Film und bildender Kunst, eigentlich der ganzen Republik.
Zwar war schon vor Jahren der republikweite Notstand ausgerufen, ein allgemeiner Preis- und Lohnniveaustop verkündet und die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen fast zur Staatsangelegenheit erklärt worden. Die Grundversorgung funktionierte gut, fast reibungslos, und niemand brauchte mehr Not zu leiden, als vorher. Aber dennoch war im Laufe der Zeit auch ein grassierender Schwarzmarkt für seltene und exotische Luxuswaren, Lebensmittel und Gerätschaften entstanden, der sich so gar nicht nach den festgeschriebenen Preisen richtete. Und auch dieser Handel florierte in der Seinemetropole, die längst ihre historischen Grenzen überwuchert hatte. Ja, Paris war eine Reise wert.
Aber Tremane und Falkner waren nicht als Touristen hier. Sondern als Agenten des TIS. Und ihr Auftrag war es, einen Feigling und Verräter zu verhören und eine Botschaft zu überbringen.

********

Statt der Ausweise des TIS oder der Uniform der Flotte, die beide sonst mit der gleichen Selbstverständlichkeit gebrauchten wie einen falschen Namen, trugen Falkner und Tremane jetzt allerdings Zivilkleidung und gefälschte ID’s einer der bekannteren Zeitungen, die gegenüber der Kriegspolitik der Republik etwas skeptisch eingestellt war. Diese Verkleidung war immer noch die beste Möglichkeit, um ihre Zielperson zum Reden zu bringen. Gegenüber Uniformierten oder gar TIS-Agenten hätte der Mann sofort dicht gemacht, oder wäre ausfallend geworden. Wenn man nicht zu robusteren Mitteln greifen wollte, und dazu waren sie nicht autorisiert worden, war die „Journalisten-Masche“ immer noch die beste Möglichkeit..

Ihr Ziel lag außerhalb des historischen Stadtkerns, in einer der „Schlafstädte“, wo sich gleichförmig aussehende Apartmenthäuser aneinanderreihten, die sich nur in der Farbgebung unterschieden.
Die letzten Jahre waren für Jonathan Ward nicht besonders vorteilhaft gewesen. Einstmals hatte er zu einer kleinen Elite gehört. Die Zahl der TSN-Träger war begrenzt, in den Reihen ihrer Kapitäne kannte praktisch ein jeder den anderen. Ein Reporter mit mehr Phantasie als Augenmaß hatte die Trägerkapitäne einmal als die ‚neuen Ritter der Tafelrunde’ bezeichnet.
Umso tiefer war Wards Sturz gewesen. Nach der Entziehung seines Kapitäns-Patents war er erst einmal auf einen subalternen Schreibtischjob abgeschoben worden, einen unbedeutenden Verwaltungsposten. Doch das war nicht lange gut gegangen. Ward kam mit seiner Degradierung einfach nicht klar, und seine neuen Kollegen verachteten und schnitten ihn. Schon früher hatte er wenige Freunde gehabt, und nun war er völlig vereinsamt. Ein Jahr nach der verhängnisvollen Schlacht von Jollahran war Ward aus der TSN ausgetreten und damit nur knapp einer Entlassung zuvorgekommen. Einige Zeit hatte versucht, in der zivilen Raumfahrt unterzukommen, doch auch dort fand er keine Erfüllung. Ohne das Kapitäns-Patent durfte er auch kein Frachtschiff führen, zumal die meisten etablierten Firmen jemanden mit seiner Reputation nicht in ihren Reihen wissen wollten. Die zivilen Raumfahrtunternehmen fühlten sich vielfach auf das Wohlwollen der TSN angewiesen…
Ward war nichts anderes übrig geblieben, als sich an Firmen zu wenden, deren Geschäftspraktiken dubios bis fragwürdig und deren Einstellungsstandards niedrig waren. Mit seinen neuen „Kollegen“ war Ward, der die Ansprüche der TSN gewöhnt war, meist nicht besonders gut klar gekommen, zumal seine Verbitterung und paranoide Anwandlungen für zusätzliche Verstimmung sorgten. Und selbst hier war ihm der Posten des Kapitäns verwehrt, konnte er maximal als Bordoffizier arbeiten. Für den ehemaligen Kommandeur eines leichten Trägers war es kaum erträglich, von dem Skipper eines Frachttransporters Befehle entgegenzunehmen. Der nächste Schritt wäre vermutlich der Beginn einer Schmuggler- oder sogar Piratenkarriere gewesen, doch Ward war nach Informationen des TIS und des NIC zumindest bisher noch nicht so tief gesunken.
Dafür hatte er angefangen zu trinken. Zu diesem Zeitpunkt war auch seine Ehe bereits längst gescheitert – ein weiterer Schicksalsschlag, für den Ward die TSN verantwortlich machte.
Es war fast logisch, dass er sich irgendwann der Friedensbewegung zuwandte, und sei es auch nur, um seine Verachtung für die Navy zu zeigen, und um sich zu rächen. Dort hatte man ihn bereitwillig aufgenommen – es gab nicht viele Ex-Captains in ihren Reihen. Allerdings begriffen die Friedensaktivisten schnell, dass man den Mann mit Bedacht anfassen und gebrauchen musste. Tiraden gegen die Streitkräfte konnten sich sehr schnell als kontraproduktiv erweisen, da der Pariser Pakt auch Soldaten und Navy-Mitglieder für sich gewinnen wollte. Wards persönliche Kränkungen und Probleme interessierten weder die Friedensbewegung noch die Leute, die zu ihren Veranstaltungen kamen oder sie ansahen. Ward fühlte sich also immer noch missverstanden und zu wenig beachtet. Und an dieser Stelle würden Tremane und Falkner ansetzen.

Tatsächlich war Ward nur zu bereit, seine persönliche Leidensgeschichte zu erzählen und sich ausführlich über seine letzte Feindfahrt auszulassen. Zweimal hatte es allerdings eine kritische Situation gegeben.
Ganz zu Anfang hatte Ward in einer kurzen Anwandlung von Paranoia – oder vielleicht auch gesundem Misstrauen – die Identität seiner ‚Gäste’ angezweifelt. Er war regelrecht aggressiv geworden. Aber ein Comm-Anruf beim Verlagshaus hatte ihn beruhigt. Er hatte nicht wissen können, dass Falkner mit einer solchen Möglichkeit gerechnet hatte, und der Anruf abgefangen und zu einem TIS-Angestellten weitergeleitet wurde, der sich darauf verstand, Wards Bedenken zu zerstreuen.
Etwas später hatte sich Ward an Tremanes doch etwas ungewöhnlichem Interesse an einem bestimmten Vorfall beim Rückmarsch Richtung Heimat gestoßen. Falkner war ihrem Kollegen schließlich ziemlich barsch über den Mund gefahren und hatte verkündet, die Redaktion sei nicht an Geschichten über Geisterschiffe interessiert. Immerhin würde Ward wohl kaum vermuten, dass der TIS oder ein militärischer Dienst sich ausgerechnet für den in Wards Augen relativ unspektakulären COPERNIKUS-Zwischenfall interessierte.

Insgesamt aber war Tremane enttäuscht von dem Ergebnis der Befragung: „Der Kerl ist eine Kakerlake. Ich konnte es schon nicht mehr hören, wie grausam die böse TSN mit ihm umgesprungen ist. Nicht, dass ich unsere Blaujacken bewundere…“
Falkner zuckte mit den Schultern: „Er ist halt ein Mann auf einem persönlichen Rachetrip…“, sie lächelte boshaft, „…kommt dir das nicht irgendwie bekannt vor?“
„Im Gegensatz zu dieser Schnapsleiche bilde ich mir nicht nur etwas ein. Das war pure Zeitverschwendung. Der Typ wusste ja praktisch gar nichts. Ich glaube, er hat nicht mal die paar Zeilen Einsatzbericht gelesen, die Lieutenant Commander Parker und der wachhabende Offizier verfasst haben.“
„Vermutlich hatte Ward zu diesem Zeitpunkt genug um die Ohren. Zum Beispiel musste er sich überlegen, wie er das Debakel von Jollahran und seine nicht sehr ruhmreiche Rolle dabei erklären konnte. Nicht, dass ihm das irgendetwas gebracht hat.“
„Auf jeden Fall hätte die COPERNIKUS vermutlich vor seiner Nase vorbei treiben können, ohne dass er es bemerkt hätte.“
Falkner lachte amüsiert auf: „Dann haben sie deswegen überlebt. Weil ihr Captain zu selbstbezogen und antriebsschwach waren, und weil zwei Piloten die Hosen gestrichen voll hatten. So kann es kommen…“
„Das reicht mir nicht!“ Tremanes Stimme war so laut, dass sich ein paar andere Fahrgäste der innerstädtischen Magnetschwebebahn irritiert umdrehten.
„Nur die Ruhe. Eins nach dem Anderen. Vergiss nicht, wir haben noch einen Auftrag…“

****************************

Einige Stunden später

Isabella Pavon, Kongressabgeordnete, Generalsekretärin der IPKP und Führerin des ‚Pariser Paktes’, presste die Finger ihrer rechten Hand gegen die müden Augen. Früher hatte sie ganze Nächte durcharbeiten können. Aber sie wurde nicht jünger, und nach ihrer schweren Verwundung bei einem Attentat hatte sie nie wieder ganz zu ihrer alten Form zurück gefunden. Ihre Reden waren immer noch zündend, provozierend und prägnant, und sie arbeitete immer noch härter als viele ihrer Untergebenen. Aber manchmal meldete sich ihr Körper gebieterisch zu Wort und verlangte von ihr, kürzer zu treten. Vielleicht war auch ein Teil ihres inneren Feuers damals erloschen, als sie mit dem Tode gerungen hatte. Manchmal fühlte sie sich regelrecht ausgebrannt, erschien ihr ihre Arbeit sinn- und hoffnungslos.

Immerhin, sie hatte die Parteien des ‚Pariser Paktes’ in den letzten Jahren zusammenhalten können. Gegen die Vorstöße einiger opportunistischer Führungsmitglieder hatte sie an den Punkten festgehalten, auf die man sich vor etwa drei Jahren geeinigt hatte.
Die Friedensbewegung forderte einen Frieden ohne Kontributionen und Annektionen, einen vollständigen Gefangenenaustausch, und die Schaffung einer übergeordneten, interstellaren Verhandlungsinstanz, die den Ausbruch neuer Kriege in Zukunft verhindern sollte. Eine Organisation sollte geschaffen werden, die den Diplomaten der Akarii, der Republik, der Konföderation und der anderen freien Völker erlauben sollte, Konflikte friedlich zu lösen. Außerdem forderte die Friedensbewegung, dass endlich die längst überfälligen Neuwahlen abgehalten würden. Die Administration hatte bei Kriegsbeginn die Zusammensetzung der Regierung und der Repräsentantenhäuser praktisch eingefroren. Nur im Todesfall eines Abgeordneten waren auf lokaler Ebene Neuwahlen erlaubt. Bei einiger dieser Wahlen hatte der Pakt beachtliche Erfolge erzielen können.
Des weiteren prangerte die Friedensbewegung unbeirrt Fehler und Pannen bei der Versorgung von Truppen und Zivilisten an, geißelte die Profite der Kriegsgewinnler und kritisierte Vetternwirtschaft und Gefälligkeitskungelei bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen und Versorgungslizenzen an. So etwas kam immer gut an. Allein die exorbitanten Gewinne der wichtigsten Werften für Kriegsschiffe boten reichlich Material.
Die Erfolge der TSN gaben den Expansionisten und der „Siegfrieden“-Fraktion Aufwind und unterstützten Präsidentin Birminghams ‚lange Regierung’. Die Rache- und Hassgefühle gegenüber den Akarii waren im Laufe des Krieges kaum schwächer geworden, von einigen spektakulären Beispielen abgesehen.
Andererseits war immer noch kein Ende des Krieges in Sicht, und die Verluste besonders der Bodentruppen stiegen. Die Akarii hatten auf die ‚Angebote’ der Präsidentin, einen Frieden zur Bedingung der Republik zu schließen, nicht einmal geantwortet. Die Akarii-Regierung war nicht gestürzt, und die Akarii-Streitkräfte mochten moralisch angeschlagen sein, kämpften aber immer noch weiter. Selbst Amateurstrategen erkannten, dass die Linien der TSN dünn waren, dass das Vorstoßen in den Akarii-Raum auch gewisse Risiken barg.
Aber insgesamt hatte die Friedensbewegung einen sehr schweren Stand. Gegen den Vorwurf, der ‚Truppe in den Rücken zu fallen’, kam man weder mit logischen noch mit emotionalen Appellen richtig an. Aber sie machten weiter.

Das Comm erwachte piepsend zum Leben. Der Mann der sich meldete, gehörte zum Sicherheitsdienst: „Einer unserer Kontaktleute hat einen sprachgesicherten Datenchip erhalten. Wir haben ihn so gut es geht gescannt, wahrscheinlich enthält er weder einen Virus, noch ein Sabotage- oder Spionageprogramm. Aber es bleibt ein Restrisiko.“
„Warum sagen Sie mir das?“
„Weil der Chip auf Ihre Stimme codiert ist, Generalsekretärin Pavon.“ Damit hatte er Pavons Interesse geweckt: „Ich komme sofort.“

Wenige Minuten später war sie in der Sicherheitszentrale. Nach dem Attentat und einigen anderen Anschlägen und Vorfällen war diese Abteilung der IPKP deutlich erweitert worden. Privaten Unternehmen traute Pavon nicht mehr, seitdem sie sich derart mit der Regierung angelegt hatte.
Der Chip sah recht gewöhnlich aus, ein völlig durchschnittlicher Datenträger, wie er leicht im normalen Handel erworben werden konnte. Diese Geräte wurden zu Millionen hergestellt.
„Haben Sie sonst noch etwas herausgefunden?“
„Die Seriennummer wurde weg gebrannt. Der Chip lässt also nicht mehr zurückverfolgen. Jedenfalls nicht mit unseren Mitteln.“
„Wer uns dieses Ding geschickt hat, er ist also ein Profi. Und er traute offenbar nicht dem Comm, sonst hätte er einfach angerufen.“
„Wenn Sie die Autorisierung geben, können wir den Chip abspielen. Wir benutzen natürlich ein nicht vernetztes Datenlesegerät, so dass unser Netzwerk nicht infiziert werden kann.“
„Also gut, machen Sie es.“

Sechzig Sekunden später lehnte sich Pavon sichtlich erschüttert zurück. Ihre Müdigkeit war vergessen. Und der Sicherheitschef sah aus, als hätte man ihm in den Unterleib getreten.
„Kann das stimmen?“
„Einiges können wir vielleicht nachprüfen. Aber nicht alles. Aber wenn es tatsächlich stimmt…“
Pavon hätte beinahe gelacht. Da forderte sie seit Jahren die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit dem Akarii-Imperium, und jetzt schwenkte die Birmingham-Administration auf einmal klammheimlich ebenfalls auf diese Linie ein. Aber auf was für eine Art und Weise! Die Namen Melissa Alexander und Mansfield waren Pavon ein Begriff. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, den alten Senator für die Friedensbewegung zu rekrutieren. Aber er hatte freundlich aber bestimmt abgelehnt. Jetzt wusste sie, weshalb.
Und was Melissa Alexander anging…
‚Ich hätte von Birmingham etwas mehr erwartet, als eine abgehalfterte Vizeadmiralin als Botschafter. Aber vielleicht will sie ja gar nicht, dass die Verhandlungen etwas bringen. Eine Einigung in Bezug auf Manticore hätte die Regierung vielleicht unter Zugzwang gesetzt, auch eine Verhandlungslösung für den ganzen Konflikt zu suchen.’
Was Pavon zu der Frage brachte, was sie mit diesem Wissen machen sollte. Sollte sie es veröffentlichen, um zu beweisen, dass auch die Regierung nach einer Verhandlungslösung suchte? Aber das konnte sich schnell als Bumerang erweisen. Außerdem blieb da noch zu klären, wer und warum ihr diesen Leckerbissen hatte zukommen lassen…
Oder sollte sie das unter Verschluss halten und ihr Wissen als politisches Faustpfand benutzen? Das musste sorgfältig überlegt werden…
Pavon blickte ihren Sicherheitschef an. Er gehörte zu den wenigen, auf die sie sich völlig zu verlassen können glaubte: „Das bleibt vorerst unter Verschluss. Kein Wort zu Niemanden.“
„Natürlich“

************

Etwa zur gleichen Zeit, nicht weit entfernt

„Und es interessiert dich überhaupt nicht, was auf diesem Chip war und warum wir ihn ausgerechnet bei den Kommis abliefern sollten?“
Tremane schüttelte den Kopf: „Solange es nichts mit der COPERNIKUS zu tun hat, interessiert es mich nicht...“
„Natürlich. Dumme Frage.“
„Lässt du mich mal ausreden? Ich habe es schon lange aufgegeben bei diesem politischen Blindekuhspiel die Übersicht zu behalten. Wir wissen doch beide, dass die Friedensbewegung keine Chance hat….
Aber diese ganze Reise war eine Zeitverschwendung. Ich hoffe nur, dass die Befragung von Parker, Pawlitschenko und Davis mehr ergibt.“
„Den hast du also immer noch im Visier. Und unsere Chefs haben dir tatsächlich diese Reise genehmigt? Bis in die vorderste Front?“
„Vielleicht nicht bis in die vorderste Front, aber immerhin bis in die vorderste Etappe. Morgen Abend fliegt unser Shuttle. Wir haben also…“
„Warte, warte. Morgen schon?“
Tremane zuckte wieder mit den Schultern: „Das ist doch deine Maxime? Wozu Zeit verschwenden.“
Jean Falkner schüttelte mit einem schiefen Grinsen den Kopf: „Vermutlich sollte ich dir eine knallen. Aber das würde meine Dienstakte nicht überleben. Du willst mir also sagen, dass du planst, dass wir in irgendeinem mit Ungeziefer verseuchten Nachschubsfrachter Richtung Front schippern. Nur um drei Piloten zu verhören, die inzwischen vielleicht gefallen sind, und deren Träger möglicherweise wer weiß wo operiert. Und dass wir nur noch etwa vierundzwanzig Stunden haben, bevor es losgeht.“
„Im Prinzip…ja.“
„Aha. Gut das geklärt zu haben. In dem Fall…“ Und damit änderte sie abrupt den Kurs und zerrte ihren Vorgesetzten dabei mit sich.
„Dort lang geht es aber nicht zum Hauptterminal Paris.“
„Das weiß ich. Aber wenn wir schon auf diesen verrückten Trip gehen müssen, und wenn wir nur noch vierundzwanzig Stunden haben, und wenn wir dann auch noch in Paris sind…
Dann sollten wir das Beste aus der Situation machen, oder?“
Tremane bemerkte das fast gefährliche Glitzern in ihren Augen, und instinktiv erwiderte er ihr Lächeln: „Hört sich gut an.“
Cattaneo
Ace

Schwarzer Peter nannte man das wohl. Befehlskette. Oder etwas in der Art. Lange Zeit hatte ich nicht gewusst, ob ich Skunk wirklich an die Kehle gehen sollte. Die Alternative wäre gewesen, meine Dienstwaffe zu ziehen und ihm einen direkten Kanal zwischen Stirn und Hinterkopf zu verpassen. Wie konnte er mir das antun? Ausgerechnet mir? Mir, mir, mir? Himmel, Kali war meine Freundin! Mehr noch, sie war Familie!
Ich sah in das Gesicht des Staffelführers der Roten, und ausnahmsweise lächelte er sein schmieriges Lächeln nicht. Das war der einzige Grund, warum ich ihm nicht zeigte, was mir ein Geheimdienstmann mal im Boxring auf die harte Tour beigebracht hatte.
„Sie ist meine Freundin“, sagte ich tonlos und erschüttert.
„Meinst du, sie fühlt sich besser, wenn sie es vom Chefwichser aufgesagt kriegt? Komm schon, ich weiß doch wie ihr mich nennt. Immerhin habe ich es darauf angelegt.“
Mein Blick ging zu Cartmell. „Noname...“
Abwehrend schossen die Hände des Piloten hoch. „Ace, verdammt, schnalle mir ’ne Bombe um, schiebe mir ’ne Sidewinder in den Arsch und schick mich gegen den Feind, aber verlange nicht so etwas von mir.“
Skunk legte mir eine Hand auf die Schulter. „Verdammt, Ace, gerade weil du ihr Freund bist, sollst du es tun. Wen soll ich es sonst machen lassen? Ohka vielleicht? Oder Lilja? Ja, Lilja, das ist eine sehr gute Idee.“
Ich sah auf meine Hände, und sie zitterten. Vielleicht war das die beste Lösung. Vielleicht war das der beste Weg. Vielleicht... Es war ja nicht so als würde ich sie umbringen, ihr ihre Rangabzeichen abreißen oder etwas in der Richtung. Ich spürte meine Augen feucht werden. Stattdessen würde ich ihr ihre Flügel klauen. Oh, ich konnte mich noch sehr gut erinnern, als man mir die Flügel weggenommen hatte. Ich wusste noch wie es sich anfühlte, Schritt für Schritt auf dem langen Weg zu gehen, sie zurück zu bekommen. Heutzutage steckten sie halb ausgebildete Kids in die Maschinen der Miliz, aber ein verletzter Toppilot ging durch die Hölle, um wieder eine Flugerlaubnis zu bekommen und... „Okay. Ich tue es. Ich sage Kali, dass sie mit dem nächsten Flug zurück in die Etappe muss.“ Als ich diese Worte sprach, krampfte sich mein Magen zusammen. Ich hustete, und in meinem Speichel war tatsächlich etwas Blut. Scheiße.

***

Man sagte, wenn man mit seiner Flamme Schluss machte, sollte man gut angezogen sein. Also dresste ich auf. Gala-Uniform, alle Orden inklusive der Defense Meritorious Service Medal, die ich damals nach Jollahran posthum erhalten hatte... Als alle dachten, ich hätte die Antischiffsrakete gerammt, anstatt sie abzuschießen... Daneben prangte der Silberne Löwe, den ich im Austausch für den Goldenen erhalten hatte, ebenfalls posthum verliehen und wieder aberkannt, nachdem festgestellt worden war, dass ich noch lebte. Nicht unbedingt ein Grund für mich, darauf böse zu sein. Auf der Liste der Empfänger des Goldenen stand ich trotzdem. Einzig die Flügel, das Wahrzeichen eines jeden Piloten, hatte ich entfernt, aber meine goldenen First Lieutenant-Ringe mit Haarspray auf Hochglanz gebracht. So schritt ich, die weiße Schirmmütze auf dem akkurat frisch knapp rasierten Kopf – seit der Schweinerei auf dem akariischen Agrarplaneten Troffen ließ ich mein Haar nicht mehr wachsen – durch die Gänge der COLUMBIA. Auf dem Weg zur Krankenstation kam ich an einigen Besatzungsmitgliedern vorbei, die mich kannten und interessiert musterten. Aber ich gab mit starrer Miene zu verstehen, dass ich zu keiner Erklärung bereit war.
„Nanu? Wenn das mal nicht Cliff Davis ist. Für wen hast du denn dich so schick gemacht?“, klang eine bekannte Stimme hinter mir auf. Ich wandte mich um und erkannte meine kleine Schwester, die es mittlerweile zum Sergeant geschafft hatte. Angeblich arbeitete sie daran, ein Offizierspatent zu erhalten, und im Krieg war das keine so schwere Aufgabe, wenn die Verluste stimmten. Ha, wenn die Verluste stimmten. Düster sah ich Jean an. „Pilotensachen“, erwiderte ich kurz angebunden.
„Pilotensachen? Hast du wieder irgendjemand ein Ehrengericht angehängt?“, scherzte sie.
Ich erstarrte für einen Moment. Ich hätte nicht gedacht, dass diese alte Sache zwischen mir und Radio noch immer kursierte. Ich erinnerte mich genau an den Tag, an dem es die Aussage des jungen Long war, die Lone Wolf zu einem Ehrengericht geführt hatte. Und ich erinnerte mich auch gut daran, wie ich Lilja gezwungen hatte, einem Ehrengericht für Curtis Long vorzustehen. Seitdem hatte der Bursche mich als Drahtzieher gehasst. Aber er war nun tot, und er war in dem Glauben gestorben, mich am Styx zu treffen. Pech für ihn. Da musste er noch ein wenig warten. Wie lange lag an den Akarii. „Halte die Klappe, Jean.“
Fassungslos starrte sie mich an. Noch nie hatte ich hart, laut oder befehlend mit ihr gesprochen, weder mit ihr noch mit Ian. Ich war immer der allmächtige, unverwundbare große Bruder für die beiden gewesen, der Berg, den es zu erklimmen galt, das gottgleiche Wesen, mit dem es sich zu messen galt. Und nun war ich ihr das erste Mal über den Mund gefahren.
„Ist... die Pilotensache so schlimm?“, fragte sie, und war für einen Marine gegenüber einem Navy-Offizier sehr mitfühlend.
„Schlimmer. Ich schicke Kali nach Hause.“
„Oh.“ Sie verstummte. Aber in ihren Augen sah ich, dass sie verstanden hatte. Langsam ging sie auf mich zu und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Wortlos wandte sie sich ab und ging ihren eigenen Dingen nach.
Manchmal war ich doch verwundert, wie stark meine Schwester wirklich war und wie intelligent. Vielleicht wäre sie die Schlauste in der Familie gewesen, wenn sie nicht zu den Schlammstampfern gegangen wäre...
Ernst wandte ich mich um und ging weiter.

Die Oberschwester, ein Drache, den siebzig Prozent der Piloten schon kannten und innig liebten, gestattete mir fünfzehn Minuten mit Helen Mitra, First Lieutenant, Raum neun, als sie meine Uniform sah. Sie wusste wohl, was das bedeutete. In jedem Fall aber hatte es mit Tod und Unglück zu tun, wenn sich jemand für einen solchen Krankenbesuch derart aufbretzelte.
Ich dankte und betrat ihr Zimmer. In der Tür nahm ich die Dienstmütze ab und barg sie in der linken Armbeuge. „Hallo, Kali.“
„Ace.“ Ihr Gesicht hellte sich merklich auf, als sie mich sah. Dann aber runzelte sie die Stirn. „Ist was mit Kano?“
„Kano geht es gut. Er hat nur viel um die Ohren, um die Schwarzen wieder auf Vordermann zu bringen.“
„Dann ist irgendwas Zuhause passiert?“, argwöhnte sie, und ihre Rechte krallte sich in ihr Überbett.
„Bei dir Zuhause ist alles in Ordnung.“
Nur langsam entkrampfte sich ihre Rechte wieder.
Ungefragt setzte ich mich zu ihr aufs Bett.
„Sag mal, Ace, irgendwas ist doch los. Ist bei dir alles in Ordnung? Schlechte Neuigkeiten über Darkness? Oder sind es wieder die Geheimdienstfritzen? So wie damals, als sie unser Quartier verwanzt haben?“ Sie lachte gekünstelt in Erinnerung an die Zeit, als wir gezwungen gewesen waren, uns auf der alten RED ein Offiziersquartier zu teilen.
„Kali, ich...“ Tief einatmen, tief ausatmen, und nicht hinterm Berg halten. „Du fliegst zur Rekon in die Etappe, Kali“, sagte ich ernst.
Konsterniert sah sie mich an. „Das ist ein Witz.“
Ich schüttelte den Kopf. „Der Befehl trägt Ravens Unterschrift. Mit dem nächsten Transport geht es für dich nach Texas, und danach nach Terra. Sie hat gesagt, sie versucht dir einen Platz auf der COLUMBIA frei zu halten, und außerdem erhältst du die kompletten Urlaubstage, die du die letzten Jahre angespart hast, auf einen Schlag, abgesehen von der Rekonvaleszenz. Und...“ Ich sah weg, als sich Kalis Augen mit Tränen füllten. Sie hatte sehr gut verstanden, was hier vorging, was ich eigentlich sagte. Sie hatte sehr gute Chancen, für den Rest des Krieges nie mehr auf die COLUMBIA zurück zu kehren. Das würde bedeuten, ihre Staffel, ihre Freunde, mich und vor allem Ohka für eine sehr lange Zeit nicht wieder zu sehen. Nicht dabei sein zu können, wenn sie vielleicht starben. Wochen, vielleicht Monate später erst erfahren können, wenn ihnen etwas passiert war.
Kali brach in Tränen aus und drängte sich an mich. „Helen“, hauchte ich und drückte sie an mich.
Die junge Frau weinte ohne Scham in meine Uniformjacke. Und auch meine Augen röteten sich erneut. Ich wusste, was sie nun fühlte. Ich war es auch durchgegangen, damals, als ich in die Etappe geschickt worden war. Und ich hatte mich mies gefühlt, und vor allem unnütz.
„Ich weiß, das ist kein Trost“, sagte ich leise und mit tränenschwangerer Stimme, „aber der Mars hat Interesse an einer Ausbilderin von den Angry Angels angemeldet. Und auch Darkness hat schon signalisiert, dass er eine gute Pilotin gebrauchen kann. Außerdem hat Raven gesagt, sie will dir ja was frei halten. Und dann ist da immer noch Cunningham. Er kriegt ein neues Kommando. Und dort ist immer ein Platz für dich. Es wird gut. Es wird alles wieder gut.“
„Ich will hier nicht weg“, schluchzte sie. „Hier ist mein Platz. Hier ist meine Familie. Hier sind meine Freunde. Hier sind so viele Menschen, die ich liebe. Nur wegen euch bin ich noch nicht verzweifelt. Nur hier wurde mir wiedergegeben, was ich mir weggenommen glaubte. Ich will hier bleiben, Clifford.“
Ich drückte sie noch ein wenig fester an mich. „Befehl ist Befehl, Helen. Ich rücke auf deinen Job nach, und Cartmell macht meinen. Wenigstens das ist geklärt. Und zusammen mit dem was wir von den Gelben gekriegt haben, stellen wir wieder eine Staffel auf die Beine.“
„Und ich werde vielleicht nie wieder hierher zurück können.“ Wieder weinte sie, wieder drückte sie sich an mich, und ich wurde mir bewusst, dass ich immer noch Gefühle für diese Frau hatte. Allerdings auf einer Ebene, die mir nie wirklich bewusst geworden war. Sie war so sehr ein Teil von mir geworden, dass ich sie beinahe als eine Verlängerung meiner selbst ansah. So gut kannte ich sie mittlerweile. „Flieg nach Hause“, raunte ich ihr ins Ohr. „Gehe im indischen Ozean baden. Bleibe bei deiner Familie für ein paar Wochen. Genieße diese seltene Chance. Und danach werde der beste Pilot auf der Rekonvaleszenzliste, und sie ordnen dich dem besten Geschwader zu. So war es damals mit mir und der COLUMBIA.“
„Okay“, hauchte sie und schniefte. „Okay.“
„Ohka weiß es noch nicht. Ich werde es ihm nachher sagen.“ Ich wusste, dass es für sie zu schwer werden würde, ihn derart zu enttäuschen, also würde ich alles aufnehmen was er danach von sich geben würde. Angst. Verzweiflung. Stoik. Wut. Hass. Trauer. Egal was, für ihn würde ich den großen Bruder geben und sein Halt sein. Selbst wenn er wieder den undurchschaubaren Mann ohne Gefühle spielte.
„Können wir noch etwas so bleiben?“, fragte Kali unvermittelt.
„Okay“, antwortete ich schlicht.

***

Ich hatte es Ohka gesagt, und er hatte seine stoische Miene aufgesetzt. Doch dann hatte er stockend, aber tonlos über seine Gefühle für Kali berichtet, und wir hatten lange darüber diskutiert. Zumindest so lange, wie unser enger Flugplan es zugelassen hatte. Aber ich hoffte, es würde ihm nun besser gehen.
Nach einem Erkundungsflug als Zwischensequenz befand ich mich nun erneut in voller Sonntagsuniform auf dem Weg zu Lone Wolf. In der Hand hielt ich einen kleinen schwarzen Kasten, dessen Inhalt genau genommen illegal an Bord war.
Als ich klopfte und eingelassen wurde, war Lucas Cunningham ausgeschlafener als ich ihn je als CAG erlebt hatte. Aber Wut und Ärger hatten dafür deutliche Furchen in sein Gesicht getrieben.
„Was wollen Sie, Ace?“, fragte er ernst.
„Ich will mit DIR reden, Lucas.“ Bedächtig öffnete ich die Schachtel und zog eine bauchige Flasche hervor.
„Wie reden Sie mit...“, begann er aufzubrausen. „...einem Ranghöheren?“ Die kurze Pause und die nachfolgende Abschwächung sagten genug über das aus was er hatte sagen wollen. Aber immerhin warf er mich nicht hinaus. Noch nicht. „Ist das Alkohol? Ace, Sie stehen auf dem Flugplan.“
„Antigua Single Malt. Zwanzig Jahre alt.“, erwiderte ich und kramte aus Cunninghams Wandschrank zwei schwere Bleikristallgläser hervor. Bedächtig und großzügig schenkte ich sie halb voll. „Ich bin für sechzehn Stunden vom Dienstplan runter, keine Sorge.“, beschwichtigte ich meinen alten CAG.
Interessiert schmunzelte Cunningham. Er setzte sich zu mir und ergriff eines der Gläser. „Zwanzig Jahre? Wozu das alles? Warum verschwendest du das an einen alten Adler ohne Flügel, Cliff?“, fragte er mit matter, allzu rauer Stimme, in der all die Frustration durch klang, die er die letzten Tage aufgebaut hatte.
„Ich habe mich nie wirklich dafür bedankt, dass SIE mich in die Angry Angels zurückgeholt haben, Sir.“, sagte ich ernst und stieß sein Glas an. „Aber ich bin nicht nur deswegen hier.“
Wir nahmen beide einen kurzen Schluck.
„Tatsächlich zwanzig Jahre…“, sagte Cunningham mit einem genießerischen Ton in der Stimme. „Normalerweise würde ich das als versuchte Bestechung werten.“
„Es ist ja auch eine.“ Ein kurzes Lächeln huschte über mein Gesicht. „In Ihrer Niederlage liegt für mich eine Riesenchance.“
„Na, na, nun wollen wir mal nicht frech werden, junger Mann. Und sprich bitte nicht so abfällig darüber, was Wulff mit mir angestellt hat.“
Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so zwanglos mit Lucas Cunningham geplaudert zu haben, auch wenn ich wieder in das für ihn angenehmere Sie gewechselt hatte. Das Du schwebte immer noch zwischen uns. Und es würde vielleicht nie wieder der Fall sein.
Er musterte mich ernst. „Also, mein Sohn, was willst du von mir? Du glaubst also, dass meine Ablösung für dich eine Riesenchance ist? Sorry, aber Raven ist nun CAG.“
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass der Geheimnisträger von Troffen, der Sieger von Jollahran und der Stratege von Corsfield, und, und, und, auch nur einen Tag länger als nötig ohne Kommando bleiben wird? Es folgt ein neues Geschwader, vielleicht sogar ein Träger. Ein leichter Träger ist durchaus im Bereich des Möglichen.“
„Einen Hilfsträger vielleicht, erbaut aus irgendeinem schrottreifen Tanker.“, erwiderte Cunningham frustriert und nahm einen sehr langen und tiefen Schluck aus seinem Glas.
„Wenn Sie auf einem Hilfsträger Skipper werden, will ich CAG sein.“
Überrascht musterte Cunningham mich. „Will ich wissen, was in deinem kleinen, durch radioaktive Strahlen durchgebratenen Synapsen gerade vor sich geht, Cliff?“, fragte er barsch.
„Ich bin mit mir selbst im Reinen, Lucas. Sie haben heute beschlossen, Kali zur Rekon nach Hause zu schicken, und deshalb wird auch mir eine Veränderung gut tun. Lucas, ich will eine eigene Staffel. Ehrliche Arbeit und ehrliches Töten, nicht so einen Mist wie bei den Schlapphüten und über Troffen. Ich will sie, und das bald. Nehmen Sie mich mit und setzen Sie mich ein wie immer Sie wollen. Wenn ich nur das Ziel vor Augen sehe, meine eigene Staffel zu leiten.“
„Nanu? Woher dieser Realismus? Ich hätte jetzt erwartet, dass der allmächtige Ace, vor dem sogar der Tod kapitulieren musste, jetzt etwas sagt wie: Wirst du CAG, will ich dein Stellvertreter sein. Wirst du Skipper, lass mich dein CAG sein.“
„Wenn Sie glauben, ich schaffe diesen Job, dann lassen Sie ihn mich machen, Lucas. Aber ich will endlich tun, wofür ich mich berufen fühle. Und wenn Sie denken, dass ich ein kleines Licht in einer Staffel bleiben soll, weil dies meinen begrenzten Fähigkeiten entspricht, dann sagen Sie es mir jetzt und hier.“
„Technisch hast du die Fähigkeiten zu mehr.“, wandte Cunningham ein. „Aber weißt du was es bedeutet, ein CAG zu sein? Ein Geschwader zu leiten? In meiner besten Zeit habe ich sechs Stunden Schlaf bekommen, in den üblen Zeiten zwei, vielleicht zweieinhalb. Dazu der Ärger mit all den Primadonnen, mit dem Skipper, mit den Admirälen. Die Toten, die Neuen, der Kampf mit Akarii-Assen, das allgegenwärtige Sterben, die letzten Briefe... Das kann einen Mann töten.“
„Sie hat es nicht getötet, Lucas.“, wandte ich ein.
„Doch, das hat es. Schon vor langer Zeit hat es mich getötet. Das ist der einzige Grund, warum ich diesen Job machen kann, Cliff.“ Lucas seufzte. „Und das ist vielleicht der Grund warum du Recht hast und ich eine neue Aufgabe kriegen werde.“
„Dann werde ich sterben. Ich war schon einmal tot, ein zweites Mal wird mir nicht wesentlich schwerer fallen.“ Ernst sah ich ihn an. „Nehmen Sie mich mit, Lone Wolf.“
Bedächtig schenkte Cunningham uns beiden nach. „Hast du nicht ein Mädchen auf diesem Schiff?“
„Haben Sie nicht eine Frau, die einen Zerstörer kommandiert?“
„Wahrscheinlich bald schon einen Kreuzer.“, erwiderte er pikiert. „Also gut, ich denke drüber nach. Aber könnten wir den Rest dieses herrlichen Göttermanas vielleicht trinken, ohne übers Geschäft zu reden?“
„Mehr wollte ich nicht. Danke, Lucas.“
„Vorsicht, Junge. Nach dem Krieg erlaube ich es dir vielleicht. Aber jetzt und hier ist der einzige Ort, an dem du mich ungestraft beim Vornamen nennen kannst.“, sagte er und drohte mir gespielt mit dem Zeigefinger.
„Dann muss ich es bis zur Neige auskosten, Lucas.“, erwiderte ich verschmitzt.
Cunningham lachte und klopfte mir auf die Schulter. „Ich habe diese penetrante Art an dir immer gehasst. Aber Junge, du konntest immer fliegen, und das habe ich bewundert.“
„Ich habe Post von Darkness bekommen.“, warf ich unvermittelt ein.
„Echt? Was schreibt der alte Windhund?“
Nach einem kräftigen Schluck aus meinem Glas begann ich zu berichten, wohl wissend, dass Lucas Cunningham längst entschieden hatte und ich nichts tun konnte, um ihn noch einmal zu beeinflussen. Wie würde seine Entscheidung aussehen? Ich würde es früh genug wissen.
Cattaneo
Tyr

T’rr

Schon unter Normalbedingungen war der Flugverkehr in der Atmosphäre und in der unmittelbaren Umgebung des Planeten ein organisatorischer Albtraum. Mehrere Orbitalstationen und Werftanlagen mussten versorgt, diverse Überwachungssatelliten und automatische Wachstationen gewartet und die Aufklärungs- und Einsatzflüge der gegen die Rebellen kämpfenden Akarii-Streitkräfte koordiniert und mit dem immer noch recht umfangreichen zivilen Fracht- und Personenverkehr harmonisiert werden. Der für T’rr charakteristische Kometenschauer und die teilweise auch im Raum aktiven Rebellen und die Schmuggler verkomplizierten die Lage zusätzlich. Als vor einigen Wochen eine Gruppe feindlicher Raumjäger nahezu unbemerkt in den Orbit eindringen und ihn dann auch noch fast vollzählig wieder verlassen konnte, waren die Lücken in dem automatischen Überwachungssystem der Akarii auf demütigende Art und Weise offensichtlich geworden. Seit Beginn des Krieges mit den Menschen und der Intensivierung des Bodenkrieges auf T’rr klagten die für das planetare Überwachungssystem zuständigen Akarii-Einheiten über Materialknappheit, fehlendes Personal, Angriffe und Sabotageaktionen.
Seitdem auch noch die Rikata-Kampfgruppe im Orbit des Planeten zusammengezogen wurde, war die Situation völlig chaotisch geworden. Zehntausende Akarii-Soldaten mussten nun zusätzlich versorgt und dutzende Schiffe gewartet, ausgerüstet oder repariert werden. Admiral Zweiten Ranges Mokas Taran trieb seine Untergebenen gnadenlos an, verlangte Überstunden und Höchstleistungen, drohte, bat und forderte. Solange seine Flotte im T’rr-System blieb, stand er unter Beobachtung. Auf dem Planeten, da war er sich sicher, operierten nicht nur die verdammten Rebellen, sondern auch Agenten oder Spezialeinheiten der Republik.

Die Versorgung der Orbitalstationen und Raumschiffe stellte eine besondere Herausforderung dar, da die nötigen Shuttleflüge eigentlich ausschließlich von einigen wenigen, sorgfältig überprüften Firmen ausgeführt werden sollten, die Akarii-Piloten einsetzten. Es hatte in den letzten Jahren zu viele Verräter und Sabotageanschläge gegeben, als dass man selbst vermeintlich loyale T’rr in das Cockpit eines Versorgungsshuttles und in die Nähe der Raumstationen gelassen hätte. Jetzt aber, angesichts der Truppen- und Flottenmassierung im System, stießen diese halbstaatlichen Versorgungsfirmen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Aushilfsweise setzte man die Shuttles und Mannschaften der Kriegsschiffe ein. Aber sich überschneidende oder unklare Kompetenzen, Animositäten zwischen Zivilisten und den einzelnen Waffengattungen, und teilweise erheblich divergierende Einsatz- und Befehlsstrukturen führten immer wieder zu Verwirrungen, Pannen und Beinaheunfällen. Auf dem Boden wie im Orbit lagen die Nerven blank.

Und dieses Chaos, so hoffte Goliath jedenfalls, würde ihnen vielleicht erlauben, diese verrückte Aktion tatsächlich zu überleben.
Das alles war nicht seine Idee gewesen. Im Gegenteil, als man ihm die Grundzüge der Operation mitgeteilt hatte, da hatte er den Plan für verrückt erklärt. Aber die T’rr-Guerillas wollten nicht wissen, OB die Operation möglich, sondern WIE sie durchzuführen war. Wenn er nicht helfen konnte, nun, dann würden sie es eben auf eigene Faust durchziehen. Und wahrscheinlich würden sie lieber Mann für Mann und sehenden Auges in den Untergang marschieren, als zurückzustecken.
Am Ende hatte er natürlich keine Wahl gehabt. Er war auf die Guerillas angewiesen, sehr viel stärker als sie auf ihn. Sie duldeten den notgelandeten Piloten, aber er erinnerte sich noch sehr gut daran, dass auch seine sofortige Exekution oder der Verkauf an die Loyalisten anfangs zur Debatte gestanden hatten. Er musste sich bewähren, seine Nützlichkeit beweisen.
Außerdem gefiel es ihm nicht, dass ein paar gelbäugige, kaltblütige Dschungelkämpfer sich einbilden mochten, dass sie entschlossener waren als ein Ex-Marine und Kampfpilot der TSN. Und da ausgerechnet auch noch Arima mit von der Partie sein würde, konnte er wohl kaum nein sagen, oder? Dass eine halbwüchsige Eingeborene, die noch nicht einmal ihre Dolmetscherausbildung richtig abgeschlossen hatte, mutiger war als er, das konnte er nun wirklich nicht zulassen, nicht wahr?

Und deshalb hatte er vor knapp anderthalb Wochen zusammen mit eben jener halbwüchsigen Beinahe-Dolmetscherin und sechs in seinen Augen völlig identisch aussehenden, schweigsamen Guerillakämpfern die Tunnelfestung verlassen, die in den letzten Monaten so etwas wie seine Heimat geworden war. Zwei der anderen T’rr gehörten zu den Kampfkommandos, die übrigen vier sah er jetzt zum ersten Mal.
Goliaths Wunden und Krankheiten waren inzwischen verheilt. Gnadenlos angetrieben von Arima und seinem eigenen Stolz glaubte er, inzwischen wieder seine alte Form erreicht zu haben. Und tatsächlich, auch wenn ihn der mehrtägige Nachtmarsch erschöpft hatte, er hatte mithalten können. Sie hatten Glück gehabt und waren weder aus der Luft bombardiert worden, noch in eine der loyalistischen Patrouillen oder eine der zahlreich abgeworfenen Sensorpacks, Selbstschussanlagen und Minenfelder gelaufen. Aber das war ja auch der leichte Teil der Aktion gewesen.

Bei einer sehr improvisierten, aber gut getarnten Dschungellandebahn erwartete sie das Herzstück der ganzen Operation – ein älteres, aber noch recht gepflegt wirkendes Transportshuttle. Die weitere Ausrüstung, die sie benötigen würden, war bereits angekommen, und musste nur noch eingebaut werden. Goliaths Überzeugung, dass diese ganze Operation bestenfalls verrückt zu nennen war, hatte das allerdings keinen Abbruch getan.

Schon zwei Wochen bevor sie aufgebrochen waren, hatte er Arima gefragt, warum man ausgerechnet ihn als Piloten wollte. Sie hatte ihm recht ungeduldig erklärt, dass die Akarii und Loyalisten ein wachsames Auge auf Zivilisten hatten, die als Shuttle-Piloten ausgebildet waren. Natürlich verfügten die Guerillas über eigene Piloten, aber nur sehr wenige. Auf seine Frage, warum sie sich nicht einen Piloten von einer anderen Widerstandszelle ‚ausliehen’, hatte Arima sehr schweigsam reagiert. Offenbar war es eine Prestigefrage. Außerdem schien sie und wohl auch die anderen T’rr ihren ‚Waffenbrüdern’ nur begrenzt zu trauen. Also hatte er sein Bestes getan, um in der kurzen Zeit das Fliegen eines Shuttles zu lernen. Zum Glück hatten die Rebellen einige kommerzielle Trainingsprogramme gehabt, die ihm dabei geholfen hatten, seine Fähigkeiten etwas aufzufrischen und sich an die Anordnung der Instrumente zu gewöhnen.

Goliath wusste, dass gleichzeitig zu ihren Vorbereitungen noch mindestens zwei weitere Kampfkommandos in ihre Angriffsstellungen vorrückten. Würde auch nur eine dieser beiden Gruppen versagen, oder etwas durchsickern lassen, dann war er wahrscheinlich so gut wie tot. Er wusste nicht, ob die Kämpfer in den anderen Kommandos überhaupt wussten, aus welchem Grund sie ihre Ziele angreifen würden. Er wusste fast gar nichts. Abgesehen davon, dass selbst die Fremdenlegion einen solchen Auftrag abgelehnt hätte.

*****************

Die Nacht war hereingebrochen. Goliath betete, dass es nicht seine letzte sein würde. Das Shuttle war einsatzbereit, die Ausrüstung installiert. Wieder und wieder hatte er sich mit den Konsolen und Bedienungselementen vertraut gemacht. Im gewissen Sinne war es ein Vorteil, dass die Steuerung des Shuttles weitaus genormter war, als etwa das Cockpit eines Jägers. So hatte er weniger lernen müssen. Außerdem besaß er Erfahrung im Fliegen von Shuttles und kannte einige Modelle, die diesem erstaunlich ähnlich waren.
Arima hatte das Funkgerät des Shuttles okkupiert und lauschte mit einem abwesenden, aber gleichzeitig hochkonzentrierten Gesichtsausdruck auf die teilweise kodierten Meldungen in T’rr und Sekurr. Ihre Sprachkenntnisse waren einer der Gründe, warum sie mitgekommen war.
Goliath war sich nicht sicher, ob er erleichtert oder verzweifelt sein sollte, als sie auf einmal aufblickte: „Es hat angefangen.“ Inzwischen verstand er ziemlich gut T’rr – oder jedenfalls das verknappte, von einzelnen Akarii-Wörtern durchsetzte Idiom, das die Guerillas benutzten. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
„Ich muss verrückt sein.“ Da er das auf Englisch sagte, konnte Arima ihn nicht verstehen. Aber ihr amüsiertes Zähneklicken verriet ihm, dass sie seinen Tonfall verstanden hatte. Wenigstens war das Wetter ideal. Der für die tropischen Regionen T’rrs übliche gewitterartige Niederschlag war heute besonders heftig. Am Himmel musste die Hölle los sein. Heftige, ständig wechselnde Winde die Orkanstärke erreichen konnten, dichte Bewölkung, strömender Regen und Blitzschläge würden das Fliegen zu einer Herausforderung machen, gleichzeitig aber die Luftraumüberwachung der Akarii und Loyalisten behindern.

Im Inneren des Shuttles stank es nach Kühlflüssigkeit und nach nassem T’rr und Mensch, aber davon ließ sich Goliath nicht ablenken. Er und Arima waren alleine im Cockpit. Die übrigen T’rr hatten andere Aufgaben. Lautlos murmelte der ehemalige Marinepilot ein kurzes Gebet, dann startete er die Triebwerke. Die junge T’rr hatte es sich inzwischen auf dem Copilotensitz bequem gemacht und beobachtete den Menschen neugierig. Falls sie Angst hatte, dann zeigte sie es nicht.

*************

Während das Shuttle startete und gefährlich dicht über den Baumwipfeln beschleunigte, gellten in den Kasernen der nahe liegenden Provinzstadt Abarran Alarmsirenen los und rissen die Soldaten aus ihrem Schlaf. Zwei Gruppen Rebellen hatten offenbar in einer simultan geplanten Aktion Granatenangriffe auf den Flughafen und die zentrale Garnison gestartet. An mehreren anderen Stellen in der Stadt explodierten kurz vor oder kurz nach diesen Angriffen Sprengladungen, die eine Reihe von Toten forderten und teilweise schwere Schäden anrichteten. Aber das alles waren nur Ablenkungsmanöver.
Ein weiterer Angriff blieb völlig unbemerkt, da er nicht physisch erfolgte, sondern nur elektronisch. Zwar hatten die Rebellen kaum die Chance, in die militärischen Informations- und Kommunikationsnetzwerke der Akarii einzudringen, doch bei einer der Firmen, die die Flotteneinheiten über dem Planeten versorgten, war ihnen ein Einbruch gelungen. In Verbindung mit der durch die Angriffe verursachten Verwirrung und begünstigt durch das schlechte Wetter, war es so möglich, dass ein einzelnes Transportshuttle sich in den stetigen Fährenstrom schmuggeln konnte, der zwischen der Planetenoberfläche und dem Orbit hin- und her floss.
Cattaneo
Tyr

Akarii-Kommandostation im T’rr Orbit

Seitdem die ersten, bruchstückhaften Informationen über den völlig überraschenden Beginn der neuen Akarii-Offensive in den Draned-Sektor durchgesickert waren, war Mokas Tarans Anspannung stetig gewachsen. Was bedeutete die Lay-Rian-Zangenbewegung für ihn? Würde jetzt doch noch der Marschbefehl für die Rikata-Kampfgruppe eingehen? Die zwei Flottenträger und ihre Begleitschiffe konnten bei einer Raumschlacht die Entscheidung bringen. Einerseits sehnte Admiral Taran die Gelegenheit herbei, sich in einer Schlacht zu beweisen. Andererseits wollte er sein Kommando nicht abgeben und hatte wenig Lust, sich dem alten Drachen Lay Rian unterzuordnen.

Außerdem wusste Taran natürlich, was auf dem Spiel stand. Wenn es Lay Rian gelang, das Ruder herumzureißen, wenn sie die Zweite Flotte der Menschen zurücktreiben oder gar vernichten konnte, dann konnte das die lang ersehnte Wende des Kriegsglücks sein. Scheiterte sie aber…
Dann konnte es gut sein, dass damit das Schicksal des Imperiums endgültig besiegelt sein würde, egal wie lange die übrig gebliebenen Flotteneinheiten dann noch Widerstand leisten mochten. Von einer solchen Schlappe würde sich die ohnehin demoralisierte Raummarine nicht noch einmal erholen können.

Und als er dann aus einem offiziellen Nachrichtenbulletin von Relath Gors Tod erfahren hatte, da waren noch ganz andere Befürchtungen in dem jungen Admiral wach geworden. Gewiss, offiziell war der alte Mann an einem Herzanfall gestorben. Aber zusammen mit dem ‚Schweigen’ des Imperators, Prinz Jors Schlachtentod, und dem Aufstieg von Prinzessin Linai und ihres Ehemanns, zeichnete sich da ein für Mokas Taran äußerst beunruhigendes Muster ab. ‚Was hast du bloß vor, Cousine?’
Konnte es sein, dass das alles nur Teile einer Palastintrige waren? Würden als nächstes die anderen Thronprätendenten aufs Korn genommen werden? Gewiss, blutmäßig stand er ziemlich weit hinten – aber nicht viele Prinzen und Prinzessinnen hatten wie Taran direkten Zugriff auf einen schlagkräftige Flottenverband, zahlreiche Bodentruppen, die Ressourcen eines kompletten Raumsektors (zum T’rr-Militärsektor kamen die übrigen Raumregionen, die zusammen mit dem Militärbezirk den Draned-Sektor bildeten) und waren außerdem ziemlich autonom in ihrem Kommando. Die an Linai und ihren Ehemann gerichtete, formal gehaltene Ergebenheitsadresse mochte da vielleicht nicht genügen, wenn die Prinzessin wirklich auf Blut aus war und all jene Triebe abhacken wollte, die zu weit nach Oben ragten. Wenn er sich hingegen zu sehr bei Linai oder ihrem Ehemann Tobarii Jockham anbiederte, dann würde er sich automatisch all jene zu Feinden machen, die die verschiedenen potentiellen Thronanwärter favorisierten. Vielleicht würde Linai auch befürchten, dass er durch demonstrative Ergebenheit seine eigenen Ambitionen und Winkelzüge maskieren wollte. Oder, denn Linai und Jockham führten den Gerüchten nach nicht gerade eine Liebesehe, einer der beiden konnte anfangen zu glauben, dass der jeweils andere sich mit Hilfe von Taran eine private Hausmacht schaffen wollte.
Manchmal war es ein Nachteil, so nahe des kaiserlichen Hofes groß geworden zu sein. Man verlernte das geradlinige Denken, sah überall Schatten, Gefahren, Falltüren und Intrigen. Aber wie sagte man doch? ‚Bloß weil du in jeder Ecke einen Cha’kal zu sehen glaubst, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht wirklich hinter dir her sind.’
Das Sprichwort erhielt seinen besonderen Biss durch die Tatsache, dass die ‚Cha’kal’ sowohl mythische Ungeheuer, als auch des Imperators höchstpersönliche Spezialkommandos waren.

Letztendlich entschied sich Taran, erst einmal gar nichts zu tun, außer seiner Pflicht. Das war immer noch am unverdächtigsten und konnte ihm nur schwer zur Last gelegt werden, egal wer sich am kaiserlichen Hof durchsetzen würde.
Allerdings hatte er auch persönlich ein halbes Dutzend Marineinfanteristen ausgewählt, die von nun an seinen persönlichen Schutz übernehmen würden. Nur zur Sicherheit.

Momentan war allerdings keiner dieser Männer anwesend. Taran war nicht so paranoid, einen Mordanschlag während einer Stabssitzung zu befürchten. Die eingehenden Berichte waren recht gemischt. Die überall im Draned-Sektor aufflackernden Aufstände brannten weiter, auch wenn sie sich zumindest nicht ausbreiteten. Die sektorweite Verhängung des Kriegs- und Ausnahmezustandes schien zu wirken, auch wenn es bei weitem zu früh war, um von einer Wende zum Besseren zu reden. Aber letztlich würden auch diese Guerillakriege im Weltraum entschieden werden. Mit dem Sieg oder der Niederlage der Akarii-Flotten.
In ein oder zwei Tagen würde die Rikata-Kampfgruppe endlich auslaufen können. Die Schiffe, die jetzt noch im Dock lagen, waren für die System-Verteidigungsstreitkräfte bestimmt.
Er hatte zusätzlich befohlen, dass die Kampfgruppe von zwei Flottillen Minenräumern und Minenlegern begleitet werden sollte, doch hatte es sich als schwierig erwiesen, die dafür notwendigen Schiffe aufzutreiben. Wenn Taran Glück hatte, würde er vielleicht eine Flottille zusammen bekommen, der Rest würden Umbauten und Hilfsschiffe sein.
Das war bedauerlich, denn er hatte eigentlich vorgehabt, das Zurückweichen der Menschen zu einigen Minenlegeoperationen in den Systemen zu nutzen, die der Feind vorläufig hatte räumen müssen. Taran hatte nicht die Kräfte, um diese Systeme dauerhaft zu sichern. Aber er konnte wenigstens versuchen, sich für ein erneutes Vorrücken der TSN zu wappnen, und ihr ein paar Steine in den Weg zu legen.
Allerdings waren auch die Vorräte an Raumminen begrenzt. Er führte teilweise einen Krieg des armen Mannes...

Die Umstellung auf Kriegsproduktion und der Ausbau des Verteidigungspotentials liefen nur sehr langsam an. Wesentlich langsamer, als Taran es erhofft hatte. Gerade bei den planetaren Gouverneuren gab es immer einige, die sich taub stellten. Deshalb verzögerte sich auch der geplante Umbau von zwei Fünfzehntausendtonnern zu Hilfsträgern immer weiter. Taran hatte gehofft, so seiner Kampfgruppe in absehbarer Zeit auf Kosten einiger Garnisonseinheiten vier weitere Staffeln Kampfflieger hinzufügen zu können. Aber offenbar hielten andere Leute nicht so viel von der Idee, weswegen die Umrüstung nicht einmal annährend nach dem Zeitplan verlief. Bei der Ausrüstung von Hilfskreuzern, die zur Systemverteidigung gedacht waren, gab es keine derartigen Probleme. ‚Irgendwann muss ich vielleicht doch mal ein Exempel statuieren. Andererseits…vielleicht brauche ich sie noch.’
Wenigstens funktionierte die Versorgung der Flotte inzwischen weitestgehend reibungslos.

************

Etwas außerhalb der Akarii-Kommandostation im T’rr-Orbit

„…haben Sie das verstanden, Shuttle-249?“
„Verstanden. Wir warten so lange.“ Arimas Sekurr war offenbar gut genug, um den Akarii-Offizier zu täuschen. Was allerdings auch daran liegen mochte, dass sie das Funkgerät gezielt so manipuliert hatte, dass die Übertragungsqualität schlecht war.
„Etwas anderes will ich euch Zivilisten auch nicht geraten haben. Und eure Kommunikationsanlage solltet ihr ´mal dringend überholen lassen.“

Goliath erlaubte sich ein erleichtertes Ausatmen. Es schien tatsächlich zu klappen. Der Flug war die Hölle gewesen. Erst der Sturm und die ständige Gefahr, durch ein zu langes Zögern, einen unbedeutenden Steuerungsfehler abzustürzen. Dann die sich schier endlos hinziehenden Minuten des Fluges zu der Akarii-Raumstation. Jeden Augenblick hatte der TSN-Pilot erwartet, dass ihre Tarnung auffliegen und feindliche Kampfflieger auf Abfangkurs auftauchen würden.
Doch das war nicht geschehen, und Arima hatte mit erstaunlicher Ruhe und Professionalität den nötigen Funkverkehr abgewickelt. Ihr Tonfall hatte sich auf subtile, aber beeindruckende Art und Weise verändert, war anscheinend mühelos dem Jargon der Akarii-Soldaten gefolgt. Wieder einmal hatte Goliath erkennen müssen, dass er eigentlich kaum etwas über Arima wusste. Denn gleichzeitig hatte sie noch Zeit gefunden, ihm bei seiner Arbeit zu helfen. Immerhin hatte sie keine Schwierigkeiten, die Instrumentenanzeigen zu lesen.

Trotzdem die Fracht-Shuttles nur von bestimmten, speziell akkreditierten Firmen betrieben wurden, waren die Sicherheitsvorkehrungen beim Anflug auf die Raumstation umfassend. Die Shuttles waren unbewaffnet und sendeten einen speziellen Transpondercode. Wie die T’rr an diesen gelangt waren, das konnte Goliath nicht einmal vermuten. Er musste in sicherer Entfernung zur Station die Maschinen stoppen, und wurde dann mit einem Traktorstrahl zu einer Frachtluke gezogen, wo das Shuttle andockte. Jedes Hochfahren der Triebwerke, jede ungewöhnliche Energiesignatur, so hatte Arima erzählt, konnte die sofortige Vernichtung des Shuttles zur Folge gehabt. Dass die Shuttles nicht im Hangar landeten, sondern an den Frachtluken andockten, war ebenfalls Teil der Sicherheitsprozedur. Sollte das Shuttle oder eine Bombe an Bord explodieren, so würde dies außerhalb der Station geschehen, und die gigantische Werft, Kommandozentrale und Kampfstation immer noch von ihrer schwer gepanzerten Außenhülle geschützt werden.
Außerdem erlaubte diese Methode der Frachtentsorgung, die Ladung zu scannen, während sie automatisch entladen wurde. Jede Waffe und jeder Sprengstoff würde sofort entdeckt werden.
Goliath lehnte sich in seinem Sitz zurück, der für einen wesentlich schmaler gebauten Akarii konzipiert worden war – und fuhr zu Arimas Erheiterung jedes Mal zusammen, wenn im Frachtraum ein metallisches Summen oder lautes Pochen von der Arbeit der Entladeroboter kündete.
„Beruhige dich, Goliath. Sie hätten uns niemals so weit kommen lassen, wenn sie etwas ahnen würden.“
Der Pilot nickte mechanisch. Nein, das würden die Akarii bestimmt nicht tun: „Bleibt nur zu hoffen, das ihre Scanner nicht deutlich besser sind, als ihr annehmt.“
Arimas Stimme klang fatalistisch: „Dann schießen sie uns ab, wenn wir weit genug weg von der Station sind. Aber das wird nicht geschehen. Also entspann dich, Mensch. Es wird schon gut gehen.“
„DAS habe ich schon mal gehört…“
„Aber diesmal stimmt es.“
Und tatsächlich wurde der Entladevorgang nicht abrupt unterbrochen, eröffnete keines der zahlreichen Geschütze das Feuer, als das Shuttle wieder Kurs in Richtung des Planeten nahm.

Goliath erlaubte sich ein angespanntes Lächeln. Das war geschafft. Jetzt mussten sie es nur noch wieder zurück schaffen, einen ‚Triebwerksschaden’ simulieren und ‚abstürzen’. Und dann natürlich schnell genug verschwinden, bevor die Akarii vor Ort waren. Eigentlich ein Kinderspiel.
Cattaneo
Tyr

Akarii-Kommandostation im T’rr-Orbit, Frachtraum 22

Auch bei den Akarii gab es ein Sprichwort, dessen sinngemäßer Inhalt verkündete, dass eine Armee auf ihrem Magen marschierte. Die logistische Versorgung einer Raumflotte war eine hochkomplexe Angelegenheit, die auf ständigen Nachschub oder eine fehlerfreie Bevorratungsstrategie angewiesen war. Es ging nicht nur darum, die Mannschaften am Leben zu erhalten. Wichtig war es auch, eine abwechslungsreiche Kost zu bieten, um Fehlernährung und ein Absinken der Moral zu verhindern.
Die Frachträume der Station hatten gigantische Ausmaße. Hier lagerten unter anderem hunderte Tonnen Lebensmittel. Fertiggerichte, gefriergetrocknetes Obst und Gemüse. Und Fleisch, viel Fleisch. Jeden Tag verschwanden ganze Herden von Schlachttieren in den Mägen und den Vorratsräumen der sich für den Aufbruch rüstenden Rikata-Kampfgruppe.

Die Container, die aus dem Shuttle mit der Kennnummer 249 entladen worden waren, hatten ihren Weg in die Lagerräume gefunden und waren in einem der Kühlräume verschwunden. Den Etiketten nach enthielten sie tief gefrorene Taki-Viertel. Das Taki war ein bis zu neun Meter großes und fünf Tonnen schweres, Pflanzen fressendes Reptil, dass einstmals in endlosen Herden die Ebenen T’rrs durchstreift hatte. Die T’rr hatten die Taki bis an den Rand der völligen Ausrottung bejagt. In freier Wildbahn waren die Tiere sehr selten geworden. Aber gleichzeitig hatte man das Tier auch domestiziert, und auch wenn man es heute kaum noch als Arbeitstier nutzte, sein Fleisch war immer noch bei T’rr und Akarii beliebt.
Die Sensoren in der Frachtschleuse hätten es sofort registriert, wenn in den Containern Waffen oder Sprengstoff verborgen gewesen wären. Aber in der Fracht, die entladen worden war, war kein Sprengstoff – allerdings auch kein Taki-Fleisch.

*****

Stunden waren vergangen. Kein Licht brannte in der Kühlhalle. Hier herrschte die lichtlose Dunkelheit des Grabes, war das einzige Geräusch das leise Knacken der Eiskristalle und das schwache Summen der Kühlanlage.
Ein dumpfes Knirschen kam von einer der der neu eingelieferten Container, unnatürlich laut in der Stille. Dann knallte irgendetwas gegen die Innenseite des Metallbehälters. Einmal, zweimal. Mit einem ächzenden Schaben öffnete sich der Verschlussklappe des Containers, schwach drang Licht in die Dunkelheit der Kühlhalle. Und dann schob sich eine schuppenbedeckte Klauenhand durch den schmalen Spalt…

Wenige Minuten später hatten sich die Kommandos aus ihrem eisigen Versteck befreit. Kein Wort wurde gewechselt. Sie wussten, sie hatten nicht viel Zeit, um sich aus der Kühlhalle zu befreien. Die T’rr waren Reptilien. Bei extrem niedrigen Temperaturen verfielen sie in eine Kältestarre, in der sie sogar einige Tage bei Temperaturen überleben konnten, bei denen Akarii und auch Menschen ohne die entsprechende Ausrüstung längst erfroren wären. Der Stoffwechsel und auch die Atmung waren während dieser Starre stark verlangsamt. Bei ihrem kurzlebigen Eroberungsfeldzug über die Grenzen ihres Systems hinaus hatten die T’rr diese Fähigkeit genutzt, um Fußtruppen in großer Zahl zu transportieren.
Die T’rr des Kommandotrupps hatten sich wie die Soldaten der Vergangenheit planvoll einfrieren lassen – allerdings nur für ein paar Stunden. Das Timing war entscheidend gewesen, denn zu einem bestimmten Zeitpunkt wurde den ‚Schläfern’ automatisch ein spezieller Drogencocktail in die Adern gepumpt, der sie aus der Kältestarre erwachen ließ. Jetzt blieben ihnen ein paar Minuten, um die Kältekammer zu verlassen. Gelang es ihnen nicht, dann würden die Drogen ihre Wirkung verlieren, und sie wieder erstarren.

*********************

Taktikzentrale an Bord der Kommandostation

Thera Los unterdrückte ein Gähnen und versuchte sich auf den vor ihren Augen flimmernden Bildschirm zu konzentrieren. Als persönliche Adjutantin des Admirals musste sie Doppelschichten machen. Jedenfalls kam ihr es so vor. Wenn der Admiral eine Frage hatte, dann musste sie sie beantworten, oder wenigstens wissen, wer das konnte. Taran stellte ziemlich hohe Ansprüche und war auch nicht sehr geduldig. Wenigstens war er höflicher als Jor. Und nicht so selbstverliebt. Und…
Als sie hinter sich ein Geräusch hörte, drehte sich die Offizierin um, froh über die kurze Ablenkung: „Sie sind es. Ich dachte, Sie hätten sich bereits für die Nacht zurückgezogen.“
Admiral Taran schüttelte den Kopf: „Ich kann jetzt keinen Schlaf finden. Wie sieht es mit Ihnen aus?“
„Ich wünschte, ich hätte Zeit dazu. Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann?“ Der Admiral musterte sie kurz, und die Offizierin fragte sich, wie er die Frage verstanden haben mochte. Immerhin kannte sie ihren eigenen Ruf.
„Momentan nicht. Ich…sehe mich nur noch etwas um.“ Der Vizeadmiral wanderte langsam von Konsole zu Konsole und ließ seinen Blick über die Anzeigen wandern. Die Dienst habenden Offiziere drehten sich nicht um, sondern versahen weiter ihre Arbeit.
Thera Los war sich nicht sicher, ob sie den Ausdruck in den Augen des Admirals richtig deuten konnte. Da waren Stolz und wohl auch fast so etwas wie Ehrfurcht. Es war für Taran wohl immer noch ein neues Gefühl, über eine derartige Feuerkraft zu verfügen, das militärische Kommando über fast den gesamten Draned-Raumsektor einschließlich des T’rr-Militärsektors zu haben. ‚Hoffentlich lässt er sich das nicht zu sehr zu Kopf steigen…’
Aber da war noch etwas in Tarans Augen.
Wachsamkeit.

*********************************

An Bord der Station, irgendwie zwischen Frachträumen und Wertbereich

Der Akarii-Tech starb fast lautlos. Der einzige Laut war das Kratzen seiner Klauen auf dem Boden, und ein röchelndes Pfeifen, als er vergeblich versuchte, mit durchschnittener Kehle zu Atmen. Der T’rr-Guerilla hielt sich nicht damit auf, seine Klinge zu säubern, sondern wandte sich um, um den anderen Mitgliedern des Kommandos zu folgen. Da ließ ihn ein unterdrückter Aufschrei herumfahren. Ein Akarii in der Uniform eines Lieutenants der Raummarine war aus einem der Seitengänge getreten und starrte überrascht auf den niedergemetzelten Tech. Und auf den T’rr. Der Guerilla reagierte sofort, ließ die Hand mit dem Messer nach Vorne schnellen. Aber entweder hatte er schlecht gezielt, oder der Lieutenant hatte im letzten Augenblick ausweichen können – die gebogene Stahlklinge traf den Akarii nur in der Schulter, riss ihn halb herum. Mit gefletschten Zähnen und ausgestreckten Krallen warf der Guerilla sich auf seinen verwundeten Gegner. Im nächsten Augenblick schien ein Blitz vor seinen Augen zu explodieren, und er fand sich am Boden wieder. Dann wurde es dunkel um ihn.
Der Akarii feuerte wieder und wieder, bis der leichte Handlaser in seiner Hand leer geschossen war. Dann ließ er die Waffe fallen, als hätte er sich verbrannt. Er hatte die Waffe auf dem Schwarzmarkt gekauft, als er seinen Stationierungsort erfahren hatte, sie aber in den letzten fünf Jahren noch nie im Ernstfall einsetzen müssen. Bis jetzt.
Sein linker Arm ließ sich nicht mehr bewegen und hing als totes Gewicht herab. Ihm war übel, und er fürchtete sich übergeben zu müssen. Beinahe stolperte er über den toten T’rr, als er zur gegenüberliegenden Wand taumelte, und seine geballte rechte Faust auf den Alarmknopf knallen ließ.

****************************

Taktikzentrale an Bord der Kommandostation

Der Alarm schnitt durch die gedämpfte Stille des Raums wie ein Messer: „Feueralarm auf Deck Achtzehn!“
„Sicherungstrupp Vierzehn ist alarmiert und rückt aus.“
„Frage Abriegelung?!“
Der diensthabende Offizier blickte unsicher zu Admiral Taran, der entschieden den Kopf schüttelte: „Deck Achtzehn…dort befinden sich keine sensiblen Bereiche. Lassen Sie noch nicht abriegeln. Sehen wir erst einmal, was da eigentlich los ist. Was ist mit der Atemluft?“
Ein paar Augenblicke herrschte Schweigen, dann hatte Thera Los die unbesetzte Konsole erreicht: „Sauerstoffgehalt ist konstant, chemische Zusammensetzung unverändert. Keine Gas- oder Rauchentwicklung…“ Sie verstummte verwirrt, und auch Taran wirkte irritiert: „Wie kann es dann ein Feuer geben? Oder sind die Geräte defekt?“
„Die Sensoren arbeiten einwandfrei.“
„Sicherheitsoffizier, ist der Bereich kameraüberwacht?“
„Nur teilweise…“
„Dann schalten Sie eben die Kameras auf, die am Nächsten dran sind.“
Doch noch während der Sicherheitsoffizier sich über seine Konsole beugte, hatte der Sicherungstrupp sein Ziel erreicht.

Admiral Taran lauschte dem Bericht und musste gegen ein starkes Gefühl der Irrationalität ankämpfen. T’rr – hier?! Das war doch unmöglich. Warum ausgerechnet jetzt? Was wollten sie hier? ‚Sind sie etwa gekommen, um…
Reiß dich zusammen! Fang nicht an so zu denken, wie Jor. Auf keinen Fall sind sie hier, nur um dich zu töten! Sie könnten gar nicht wissen, wo du gerade bist. Was sie aber wissen müssen, ist die Tatsache, dass du von Offizieren und Soldaten umgeben bist. ALSO HABEN SIE EIN ANDERES ZIEL!’
Taran war stolz darauf, seine Stimme ruhig halten zu können: „Geben Sie stationsweiten Alarm. Sicherheitskräfte und Marineinfanterie sollen alle Hangars, Kampfstationen, Munitions- und Waffenlager und die Treibstoffdepots sichern. Das hat Vorrang.
Befehl an die Jägerpatrouillen und Geschütze – jede Maschine, die die Station ohne Autorisierung verlässt, wird abgeschossen.“
Der Admiral drehte sich zu der Konsole des Sicherheitsoffiziers um, der sich im Augenblick ganz eindeutig an einen anderen Ort wünschte: „Können Sie mir sagen, wie das passieren konnte?!“ Taran wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich an die Kommunikationsoffizierin: „Informieren Sie endlich die Besatzung. Alle momentan im Dienst befindlichen Soldaten haben ihre Stationen zu sichern, oder sich sofort zu ihnen zu begeben. Alle anderen bleiben gefälligst in den Quartieren und den Freizeiträumen. Ich will weder Alleingänge, noch ein Durcheinander.“ Taran wandte sich wieder zu dem Sicherheitsoffizier um: „Sobald alle sensiblen Punkte gesichert sind, bilden Sicherheitskräfte und Marines Fünf-Mann-Patrouillen und beginnen mit dem Durchkämmen der Station. Sie sollen auf Alles schießen, was auch nur vage wie ein T’rr aussieht.“
„Vielleicht sollten wir die Station abriegeln…“
Der Admiral schnaubte abfällig: „Diese Station ist etwa hundert Jahre alt, ein verdammtes Labyrinth. Eine vollständige Abriegelung der einzelnen Etagen ist kaum möglich, wenn wir nicht jede verdammte Sicherheitstür schließen wollen. Außerdem wissen wir nicht, wo die verfluchten Terroristen sich gerade aufhalten. Oder was sie dort tun. Wenn wir eine Totalverriegelung befehlen, dann kann es Stunden dauern, bis wir alle sensiblen Punkte gesichert haben. Wollen Sie den T’rr soviel Zeit lassen? Nein? Das dachte ich mir!“
Langsam, für Thera Los Geschmack viel zu langsam, gingen die Meldungen der Sicherheits- und Marinetrupps ein. Offenbar hatte man noch zwei weitere tote Akarii gefunden, doch von den T’rr fehlte weiter jede Spur. Auch die Kameras der Sicherheitsabteilung zeigten nur leere Gänge, oder Akarii.
„Wo sind sie, verdammt?“ Thera Los realisierte erst, dass sie ihre Frage laut gestellt hatte, als ihr der Sicherheitsoffizier antwortete. Der Mann war wahrscheinlich zu der Erkenntnis gekommen, dass es für ihn ohnehin nicht mehr schlimmer kommen konnte, und hatte zu einer fatalistischen Ruhe gefunden: „Vielleicht sind sie in den Lüftungs- und Wartungsschächten unterwegs. Die sind nicht kameraüberwacht. Und mit den Röhren der Fracht- und Personenaufzügen können sie sogar…“
Der Kopf des Admiral fuhr herum: „Verdammt, warum sagen Sie das nicht gleich?! Technischer Offizier – Fernsteuerung der Aufzüge! Lassen Sie alle momentan nicht aktiven Aufzüge einmal ihre komplette Route absolvieren.“ Der Admiral lächelte grimmig: „Vielleicht bringt das etwas.“ Nervös klopfte er mit den Klauen seiner rechten Hand auf den Tisch, an dem er stand: „Seien Sie wachsam – sie alle! Ich will über jede Anomalie an Bord dieser Station informiert werden. Aus irgendeinem Grund müssen diese Terroristen doch an Bord gekommen sein!“
Der Sicherheitsoffizier, als ein Mann, der ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, brach als erster die Stille: „Sir, glauben Sie…“
„Still. Ich muss nachdenken. Die Hangars, Waffenlager, die Munitions- und Treibstoffdepots sind gesichert. Im Reaktorbereich wimmelt es von Soldaten und Techs. Also sind die Möglichkeiten der Terroristen begrenzt. Ich glaube nicht, dass sie viel Sprengstoff mitgebracht haben. Natürlich können sie einige Luftschleusen öffnen, aber das erfahren wir hier sofort, und können die entsprechende Sektion abriegeln lassen. Das kann nicht ihr Ziel sein. Diese ganze Aktion muss monate- oder jahrelang vorbereitet worden sein. Also wo finden Sie genügend Feuerkraft oder Energie, um uns zu schaden zu können? Denken Sie daran, sie wollen uns am liebsten alle in die Luft jagen. Und dabei ist es ihnen egal, was mit ihnen passiert. Sie kommen hier sowieso nicht mehr weg.“
Thera Los musste schlucken, als ihr ein sehr unschöner Gedanke kam: „Vielleicht wollen sie etwas freisetzen – ein Gas, oder einen Krankheitserreger?“
Der Sicherheitschef schüttelte den Kopf: „Wozu dann überhaupt sich über zwei Decks bewegen? Außerdem hätten dann unsere Instrumente Alarm gegeben. Luftzusammensetzung und –inhalt werden ständig überwacht.“
„Sie meinen, wie Sie auch den Zugang auf die Station überwachen?!“ fauchte Admiral Taran wütend. Dann hielt er inne: „Das ist es. Sie wollen zur Werftsektion.“ Taran blickte auf, grimmiger Triumph lag in seiner Stimme: „Das muss es sein. Jetzt haben wir sie.“

Während der Sicherheitsoffizier den in der Nähe befindlichen Patrouillen befahl, sich in Richtung Werft zu bewegen, wandte sich Thera Los an Admiral Taran. Sie flüsterte nur: „Glauben Sie, die wollen ein Schiff stehlen?“ Noch während sie das fragte, erkannte sie ihren Irrtum.
Mokas Taran schüttelte den Kopf: „Nicht stehlen. Zerstören. Wenn es ihnen gelingt, eines der Schiffe im Dock zu sprengen, kann das die gesamte Station in Stücke reißen. Auf jeden Fall würden die Werften vernichtet. Diese gerissenen Hunde…
Haben Sie schon etwas gefunden?“
„Nein, Sir. Die Patrouillen rücken vor...“
„Sir! Bei der Korvette RAXIN wurde soeben das Triebwerk aktiviert!“
„Sind noch Truppen an Bord?“
„Nein, die Korvette ist unbemannt.“
„Räumen Sie sofort das Dock! Räumen! Und dann klinken Sie die RAXIN aus! Befehl an Werft-ATLS, schaffen sie mir diese verfluchte Bombe vom Hals!“
„Sir, wir können immer noch einen Stoßtrupp…“
„Nein, verdammt! Ein ‚Kann’ ist mir nicht genug. Es ist nur eine Korvette.“ Tarans Stimme ließ keinen Widerspruch zu.

Mit angehaltenem Atem verfolgten die Offiziere in der Kommandozentrale, wie die Dockklammern aufsprangen, die die RAXIN festhielten, wie das ATLS der Dockanlagen die Korvette packte und quälend langsam von der Station wegschoben.
„Verdammt noch mal, warum dauert das so lange?! Sobald das Schiff außerhalb der Station ist, aktivieren Sie die Schilde!“
„Sir, aber dann verlieren wir die RAXIN aus dem ATLS. Sollten wir nicht lieber…“
„Wir haben nicht ewig Zeit! Da draußen wird gerade ein Reaktor der Kategorie Zwei überlastet!“ Das entsprach der Sprengkraft einer schweren Raummine: „Alle Stationen! Vorbereiten auf Einschlag und mögliche Hüllenbrüche.“
„Sir, die Energiesignatur der RAXIN liegt bei achtzig Prozent, steigt schnell weiter!“
„Was ist, wenn sie das Schiff nicht sprengen, sondern damit die Station rammen wollen?!“
„Das ist doch Unsinn! Das sind Terroristen, keine Kommandos! Und erst Recht können sie kein Schiff führen!“
„Ruhe! Signal an die am Nächsten stehenden Einheiten unserer Flotte. Hier spricht Admiral Taran - die RAXIN mit Langstreckenwaffen angreifen und vernichten!“
Aber der Vizeadmiral wusste, das würde zu lange dauern. Die Zähne wütend gefletscht starrte er auf die scheinbar harm- und steuerlos im All driftende Korvette.
„Schilde der Station werden aufgebaut.“
„Sir, Energiesignatur der RAXIN inzwischen bei einhundertzehn Prozent, weiter ansteigend! Sie überlasten den Reaktor!“
Admiral Taran nickte mechanisch: ‚Also doch.’ Unwillkürlich duckte er sich, während die Kommunikationsoffizierin mit täuschend ruhiger Stimme die Besatzung der Station warnte: „Achtung, externe Explosion steht unmittelbar bevor. Vorbereiten auf Trümmereinschlag und Schockwelle.“
„Die RAXIN ist bei Einhundertfünfzig Prozent! Das Kühlsystem versagt! Kernschmelze steht unmittelbar bevor.“

Und dann ging am Himmel über T’rr ein neuer Stern auf. Die RAXIN verschwand, als hätte sie nie existiert, verging in einem grellen Lichtblitz, der die externen Sensoren der Raumstation überlastete. Die Bildschirme erloschen, und nur Sekundenbruchteile später traf die Schockwelle der Explosion die riesige Raumstation. Wäre die Korvette im Dock, innerhalb der Schutzschilde, explodiert – die Schäden und Verluste wären katastrophal gewesen. Aber auch so reichten die Schockwelle, die expandierende Trümmerwolke und der Strahlenbeschuss, um die veralteten Schilde der Station teilweise zu durchbrechen. Unter Tarans Füßen bäumte sich das Deck auf, wie ein Schiff unter Beschuss. Beinahe wäre er gestürzt.
Ein halbes Dutzend Alarmsignale heulten beinahe synchron los: „Hüllenbruch auf Deck Zehn und Vierundzwanzig!“
„Luftschleuse Dreizehn ist kollabiert!“
„Druckabfall in Sektion Drei! Keine Meldung über Lecks, aber die Hüllenintegrität muss…“ Und doch hätte Admiral beinahe gelacht. Sie hatten es geschafft. Sie hatten überlebt.

********************

„Bericht.“
Thera Los musste sich räuspern. Ihr Bericht würde Taran nicht gefallen: „Wir haben bisher achtzehn Tote und sechzig Verwundete, aber es kommen immer noch neue dazu. Einige sind in einem sehr kritischen Zustand. Zwei Sektionen der Station mussten evakuiert und abgeriegelt werden. Und offenbar entweicht über irgendwelche Risse oder Kabelschächte immer noch Luft in die versiegelten Sektionen. Aber wir haben das im Griff.
Es gab insgesamt ein halbes Dutzend größerer Hüllenbrüche… Es sind bereits Teams auf der Außenhülle unterwegs, um sie zu lokalisieren und zu schließen. Die Werftanlage hat nur leichte Schäden davongetragen, und sollte in ein paar Tagen wieder einsatzbereit sein.“
„Und wir haben eine Korvette von zehntausend Tonnen verloren.“ Tarans Stimme klang abwesend. Zumindest im Augenblick schien er nicht geneigt, auf den Überbringer der schlechten Nachricht zu schießen. Allerdings war er schließlich auch nicht Jor.
„Die RAXIN sollte zur Garnisonsstreitmacht von T’rr gehören. Wollen Sie anstatt…“
„Nein. Ich werde meine Kampfgruppe nicht noch weiter schwächen. Auch nicht um eine einzige Korvette. Gouverneur Maran muss mit dem zurechtkommen, was er hat. Die Sicherung und die Logistik am Boden lagen in SEINER Kompetenz! Und in der des militärischen Standortkommandanten. Ich werde sie nicht auch noch für die Folgen ihrer Inkompetenz entschädigen.“
„Wollen Sie das auch so sagen?“ Damit wagte sich Thera Los ziemlich weit vor, aber es funktionierte. Der Admiral schien bemüht, den in ihm brodelnden Zorn etwas zu zügeln: „Nein, natürlich nicht. Ich werde Maran jede mir zur Verfügung stehende Hilfsmöglichkeit anbieten – solange das nicht eines meiner Schiffe einschließt. Einer der im Umbau befindlichen Hilfskreuzer wird die RAXIN ersetzen, sobald die Umrüstung abgeschlossen ist. Und ich werde keine Schuldzuweisungen in Marans Richtung machen, sondern ein paar Bauernopfer aussuchen. Zum Beispiel die Sicherheitsabteilung der Station. Dadurch bleibt auch der neue Befehlshaber der Garnison aus der Schusslinie. Ich habe schon so genug Feinde. Aber es wird eine Untersuchung geben. Vermutlich auch ein Kriegsgericht. Es geht nicht anders. Das hat uns zu viel gekostet. Es müssen Köpfe rollen.“
„Glauben Sie, das reicht? Ihre Position bei den Gouverneuren…“
„Ist nicht sehr gut, ich weiß. Besonders außerhalb des Militärbezirks. Aber weiter komme ich ihnen nicht entgegen. Irgendwo ist Schluss. Ich werde jetzt ganz bestimmt nicht zu Kreuze kriechen. Und wenn doch jemand – ob Standortkommandant oder Gouverneur – meint, er könne sich etwas herausnehmen…
Wenn jemand denkt, ich sei schwach…Dann lasse ich ihn erschießen!“ Offenbar hatte Taran seine Wut doch noch nicht ganz unter Kontrolle. Aber er fing sich schnell wieder: „Ich werde froh sein, wenn ich diese verdammte Dreckskugel endlich verlassen kann. Bis dahin müssen wir halt aufpassen, dass uns in den paar Tagen nicht der ganze Planet um die Ohren fliegt.“
„Sir, wollen Sie immer noch...“
„Ich sagte, ich werde Maran nicht ein einziges meiner Schiffe geben. Und ich werde auch den Abmarsch der Kampfgruppe nicht verschieben. Nicht einmal um einen einzigen Tag. Jetzt erst Recht nicht. In dreißig Stunden springen wir aus dem System.“
„Das wird aber…“
„Welch ein Glück, dass ich jetzt sowieso nicht mehr schlafen kann. Kommen Sie schon. Wir haben noch viel zu tun.“ Und schon war er auf den Beinen. Vor der Tür warteten bereits die beiden Leibwächter, die gerade Dienst hatten. Thera Los war sich nicht sicher, ob die Energie des Admirals auf Adrenalin oder ein Aufputschmittel zurückzuführen war. Aber ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie hätte jetzt gut schlafen können, vermutlich die ganzen dreißig Stunden bis zum Aufbruch der Kampfgruppe. Sie unterdrückte ein Gähnen, überprüfte hastig den Sitz ihrer Uniform, und versuchte zu dem Admiral aufzuholen. Manchmal fragte sie sich wirklich, ob ihre Karriere das wirklich wert war…
Cattaneo
Tyr

Wenn jemand die Frage stellte, welches Ministerium, welche Regierungsbehörde am stärksten das Leben der Bürger der FRT (Federal Republic of Terra) beeinflusste, dann votierten die meisten wahrscheinlich für das Innen- oder das Wirtschaftsministerium. Für das Verteidigungsministerium und die Streitkräfte. Oder, wenn man Verschwörungstheoretiker war, für den TIS.
Aber kaum jemand würde den FRIS nennen. Der Federal Republic Information Service war eine der am meisten unterschätzten Regierungsbehörden. Und gleichzeitig die republikanische Behörde mit dem umfassendsten und langfristigsten Zugriff auf die Bürger der FRT.
Denn der FRIS war verantwortlich für praktisch sämtliche Aspekte dessen, was man gemeinhin „Propaganda“ nannte – auch wenn die Behörde beharrlich behauptete, nicht Propaganda zu betreiben, sondern zu „informieren“.
Der FRIS war im Laufe der letzten Jahrhunderte immer weiter gewachsen und hatte sich gleichzeitig immer weiter differenziert. Jeder Wahlbezirk eines Senators oder Ministerpräsidenten bildete eine semiautonome Abteilung. Die übrigen, schwächer besiedelten Welten waren je nach Raumregion und Sektor ebenfalls zu solchen FRIS-Abteilungen zusammengefasst. Natürlich hatten diese Abteilungen ihrerseits ebenfalls Unterabteilungen, bis hinunter zur Ebene planetarer Kontinente und Regionen. Ein Sonderfall war Pandora, die nur mäßig besiedelte, aber äußert rebellische Kolonialwelt nahe der Grenze zur Konföderation. Pandora bildete eine eigene Sonderabteilung des FRIS, und galt entweder als Bewährungsprobe oder Strafposten für die entsandten Propagandaexperten. Allerdings waren auf Pandora auch noch die Streitkräfte und Geheimdienste auf dem Gebiet der „Information“ tätig, und nicht immer verliefen die gleichzeitigen Bemühungen harmonisch.
Zusätzlich war der FRIS nicht nur vertikal, sondern auch horizontal untergliedert, je nach dem Medium, mit dem man die Leute „informieren“ wollte: Printmedien, Radio, Film, Ausstellungen, kulturelle Aktivitäten/Austauschprogramme und so weiter. Der FRIS hatte Einfluss auf die lokalen Unterhaltungs- und Nachrichtenprogramme, auf Schulen, Universitäten, Abendkurse, Theater und Museen, versorgte diese zu verdächtig günstigen Preisen mit Material, Transportmitteln und technischem Gerät. Fast ohne Gegenleistung…

Die Aufgaben des FRIS waren ebenso umfangreich, wie schwierig. Er sollte den Bürgern der FRT die eigene Regierung und ihre Politik „nahe bringen“, Maßnahmen und Erfolge „erklären“, Spannungen abbauen, die lokalen Verwaltungen unterstützen, die Stimmungen, Meinungen und Einstellungen der Menschen ebenso feststellen und analysieren, wie sie im Sinne der FRT zu beeinflussen.
Eine weitere Aufgabe des FRIS war es, andere Regierungsbehörden und auch die Streitkräfte betreffs der psychologischen Auswirkungen ihres Handelns zu beraten und propagandistische Irrläufer zu vermeiden. Diese Aufgabe war ein Quell ständiger Querelen zwischen den Beamten des FRIS und den Mitgliedern anderer FRT-Organisationen. Niemand ließ sich gerne in seine Arbeit hereinreden, besonders beim Militär.
Entgegen dessen, was böse Zungen behaupteten, entsprachen die Meldungen und Botschaften des FRIS im Großen und Ganzen der Wahrheit. Meistens. Der Grund dafür lag nicht in dem Altruismus der Behörde, sondern der uralten Propaganda-Weisheit, dass Lügen sich langfristig nicht bezahlt machten, und die Wahrheit die beste Propaganda war. Natürlich waren es keine Lügen, wenn man manche Dinge verschwieg, und andere besonders hervor hob…

War der FRIS schon in Friedenszeiten mehr als ausgelastet gewesen, so hatte die Behörde nach Kriegsbeginn noch zusätzlich an Bedeutung und Aufgabenfeldern dazu gewonnen. Immerhin musste den Menschen im nunmehr sechsten Kriegsjahr erklärt werden, „warum wir kämpfen“, und dass der Sieg vielleicht Opfer erfordern und jeden dazu zwingen mochte, seinen Beitrag zu leisten, letztlich aber nicht in Frage stand.
Und so weiter…

Der FRIS hatte außerdem ihre bereits bestehenden Aktivitäten in der Konföderation ausgeweitet und tat alles was möglich war, um die ungewöhnlich guten Beziehungen am Leben zu erhalten, sie auszubauen, und den Menschen auf beiden Seiten der Grenze die Notwendigkeit des Bündnisses einzuhämmern. Irgendwelche Aktionen von Separatisten wie auf Pandora, oder kontraproduktive Äußerungen desillusionierter Offiziere und ewig gestriger Veteranen des „Kalten Krieges“ zwischen der FRT und der Konföderation sollten nicht zu viel Aufmerksamkeit erhalten.
Zusätzlich waren zwei völlig neue Abteilungen dazu gekommen. Kurz nach dem Kriegsausbruch hatte der FRIS den Auftrag erhalten, künftig auch den Akarii und den von ihnen unterworfenen Völkern die Wahrheit zu verkünden. Der FRIS hatte dabei Neuland betreten, lange Zeit hatte es sowohl an verlässlichen Informationen wie auch an griffigen Themen für das neue Publikum gemangelt. Es gab nicht mal genug Übersetzer.
Aber nach knapp sechs Jahren hatte der FRIS Beachtliches geleistet. Inzwischen sendete er fast rund um die Uhr in den Akarii-Raum, nicht nur auf Drom, Sekurr und Hara, sondern auch in den Sprachen einiger der wichtigeren Kolonialvölker des Imperiums.
Außerdem bearbeitete der FRIS auch noch die Kriegsgefangenen und Akarii-Zivilisten, die im Laufe des Krieges unter Kontrolle der FRT geraten waren. Das war allerdings wieder ein Feld, bei dem die Streitkräfte und der TIS eigene Pläne verfolgten, und wo bürokratische Streitigkeiten keine Seltenheit waren.
Kurz nach der Schlacht von Jollahran hatte der FRIS endlich auch den Auftrag erhalten, gegenüber den anderen raumfahrenden Völkern aktiv zu werden. Das war gleichfalls völliges Neuland gewesen, und viele der jungen Beamten der Propagandaorganisation waren voller Enthusiasmus zu neuen Ufern aufgebrochen. Wie effizient sie allerdings darin waren, bei Alienvölkern, die vielfach noch fremdartiger und rätselhafter waren als die Akarii und ihre Vasallen, Verständnis und sogar Sympathie für den Kampf der FRT zu wecken, das war schwer abzuschätzen. Propaganda brachte selten schnelle und eindeutige Ergebnisse.

Aber die Hauptaufgabe des FRIS blieb es, die Menschen der FRT zu „informieren“ und bei Laune zu halten.

*******************

Terra

John Tyler war der verantwortliche FRIS-Direktor für Terra. Das bedeutete, dass er der Stellvertreter des leitenden Direktors der Organisation war. Darüber kam nur noch der Präsident, genauer gesagt die Präsidentin, und dann Gott.
Tyler hatte sich im Laufe seiner Karriere einen beachtlichen Ruf erworben. Angefangen hatte er als Journalist und Berichterstatter. Dann hatte ihn der FRIS rekrutiert. Schnell war er aufgestiegen, auch wegen seiner Bereitschaft, Risiken einzugehen und auch unangenehme und gefährliche Aufträge zu übernehmen. Er hatte auf Pandora gearbeitet, sich in der für die Konföderation verantwortlichen Abteilung bewährt, und war dann zur Terra-Abteilung des FRIS gewechselt. Inzwischen war er sechsundfünfzig, und es galt als sicher, dass er zum leitenden Direktor der gesamten Behörde werden würde, sobald der alte Direktor in den Ruhestand treten würde. Er hatte gute Beziehungen zum Militär und auch zum Außenministerium. Die ‚POW-Krise’ vor einigen Jahren hatte er souverän gemeistert und den Prestigeschaden für Streitkräfte, Geheimdienste und Regierung auf das unvermeidbare Minimum beschränkt. Damals hatten ein paar NIC- und TIS-Mitglieder den abenteuerlichen Plan gefasst, durch die Verlagerung von kriegsgefangenen Akarii nach Terra die Kriegsbereitschaft der Erdbevölkerung zu stärken. Die Sache war völlig aus dem Ruder gelaufen, sicherheitstechnisch und vor allem psychologisch. Bis heute rätselte John Tyler im Kreise seiner engsten Mitarbeiter, wie gestandene Geheimdienstler nur auf eine derart blödsinnige Idee hatten kommen können, und was nun genau ihr Operationsplan gewesen war. Falls sie überhaupt so etwas gehabt hatten.
Im FRIS war John Tyler nicht unbeliebt, galt aber auch als Original. Sein manchmal ätzender Humor war teilweise nicht leicht zu ertragen, und er stellte hohe Anforderungen. Außerdem war er berüchtigt für seine Blitzbesuche bei den FRIS-Außenstellen.

Heute befand sich John Tyler allerdings in der FRIS-Zentrale für Terra. Bis vor ein paar Tagen schien der Krieg gut zu laufen. Prinz Jors Tod hatte die Nachrichtenkanäle beherrscht. Aber schlagartig hatte sich die Situation geändert, als die Akarii scheinbar aus heiterem Himmel eine Gegenoffensive gestartet hatten, mit einem Schwung, den man ihnen nach etwa drei Jahren blutigen Rückzuggefechten nicht mehr zugetraut hatte. Zwar war die Lay-Rian-Offensive der Öffentlichkeit noch nicht bekannt gegeben worden, doch Tyler wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis etwas durchsickerte. NIC und Geheimhaltungsklauseln zum Trotz, Matrosen redeten immer. John Tyler hatte deshalb bereits an einer Videodringlichkeitssitzung der FRIS-Direktoren teilgenommen. Eine Reihe Sofortmaßnahmen war eingeleitet worden, um den zeitweiligen militärischen Rückschlag psychologisch abzufedern.
Am letztendlichen Sieg der TSN zweifelte John Tyler inzwischen nicht mehr, aber ihm war klar, der Krieg konnte noch lange dauern. Und nach dem triumphal verkündeten Sieg über Prinz Jor würden das viele nicht verstehen wollen. Die Siege der letzten Jahre hatten eine etwas zu optimistische Erwartungshaltung geschürt, an welcher der FRIS nicht ganz unschuldig war, die sich jetzt aber als Bumerang zu entpuppen drohte. Oder wie es Tyler auf der Konferenz formuliert hatte. „Wenn wir immer wieder einen entscheidenden Sieg erringen, und der Frieden seit inzwischen drei Jahren in greifbare Nähe rückt…dann fragen sich die Leute irgendwann, warum sie immer noch ihre Jungs und Mädels in Metallkisten zurückgeschickt bekommen.“
Man würde also das durch die TSN Erreichte noch einmal hervorheben, gleichzeitig aber den Zivilisten in Erinnerung rufen, mit wem man es hier zu tun hatte, und warum der Kampf mit unverminderter Härte und Einsatz weitergehen musste. Tyler hatte auch das bei der Konferenz mit seiner Vorliebe für bissige Bemerkungen auf den Punkt gebracht, als er geäußert hatte, man brauche mal wieder ein Akarii-Kriegsverbrechen, um die Öffentlichkeit auf Linie zu bringen.

Immerhin, jede Wolke hatte ihren silbrigen Rand. Dass die Akarii weiterhin verbissenen Widerstand leisteten, war gewissen Leuten bei den Streitkräften, den Geheimdiensten und auch einigen Ministerien sicherlich nicht ganz unrecht. Der Krieg spülte Unmengen an Geld in die Kassen kriegswichtiger Behörden und Organisationen. Und der FRIS gehörte dazu.
Auch John Tyler hatte einige Programme laufen, die in Friedenszeiten niemals bewilligt worden wären, und die man todsicher einstellen würde, wenn die Akarii morgen um Frieden nachgesucht hätten. ‚Also nur weiter mit dem Krieg, ob er nun gut läuft oder nicht. Nur weitergehen muss er…’ Doch solche zynischen Sarkasmen behielt John Tyler denn doch lieber für sich.