Hinter den feindlichen Linien - Season 5

Cattaneo
Tyr

Ein riesiger Flottenträger der Pegasus-Klasse driftete aus seinem Flugvektor, während zahllose Kampfflieger der Akarii und der TSN ihn umschwärmten und sich auf kürzeste Entfernung einen tödlichen Nahkampf lieferten. Ein weitere Salve Atomsprengköpfe besiegelte das Schicksal des Trägers, riss seine Außenhülle auf, ließ ihn in einer Kette blendender Explosionen vergehen. Der Bildschirm wurde dunkel. Ein dumpfer Trommelwirbel begleitete die Katastrophe, und wurde von einer dunklen, harten Stimme überlagert: „Der Angriff kam ohne Vorwarnung. Ohne Grund und ohne Kriegserklärung überfielen uns die Streitkräfte des Akarii-Imperiums, und drangen tief in das Territorium der Republik vor. In dieser dunklen Stunde schien nichts ihren Vormarsch aufhalten zu können.“
Jetzt setzte wieder die Musik ein, angeführt von einer Trompete, die zum Sammeln zu blasen schien: „Vor die Wahl gestellt, zu kämpfen, oder uns zu unterwerfen, wählten wir die Schlacht. Und stellten uns dem Aggressor entgegen.“
Ein Flottenträger der Zeus-Klasse verließ das Dock, leichte TSN-Kriegsschiffe rückten vor, in einem Hangar wurden Jäger und Jagdbomber startfertig gemacht. Männer und Frauen in Raumfliegeranzügen eilten zu ihren Maschinen.
Die Musik wurde schneller, jetzt setzte wieder der Trommelwirbel ein, schlug einen schnellen Angriffmarsch: „Angeschlagen, schwer verwundet aber unbesiegt, fanden wir die Kraft, den Vormarsch der Akarii zu stoppen. Und den Krieg, den die Akarii gegen uns entfesselten hatten, trugen wir nun zu ihnen zurück, weit hinter die feindlichen Linien.“
Die Musik steigerte sich immer weiter, wurde noch schneller und drängender. TSN-Kampfflieger starteten, rasten aus allen Rohren feuernd durchs All. Eine Bloodhawk wurde förmlich pulverisiert. Ein Akarii-Frachter brach auseinander, zwei TSN-Zerstörer schossen Sperrfeuer. Ein Kreuzer der Kilo-Klasse erzitterte unter dem Einschlag dutzender Atomraketen, verging in einer gigantischen Explosion. Durch die Explosionswolke stieß ein volles Dutzend TSN-Kampfflieger, während die Musik ihren Höhepunkt erreichte. Dann wurden die Raumjäger überlagert von dem Bild einer geflügelten Frau in mehr als spärlicher Kleidung, die ein blankes Schwert in der Hand hielt. Und dem Schriftzug ‚Angry Angels – Redemption’.

Dann war der Film zu Ende.
John Tyler lächelte amüsiert: „Wir müssen feststellen, ob Ihr Engel nicht den Jugendschutz verletzt.“
„Aber das ist das Original.“ Das war Captain Tennet vom NIC, der gleichzeitig auch die Interessen der TSN vertrat. Tennet hatte Erfahrungen im Bereich Public Relation, kannte Tyler schon seit etlichen Jahren, und stand dem FRIS und seinen Belangen aufgeschlossener gegenüber als die viele Navy-Offiziere, die Propaganda für eine brotlose Kunst hielten. John Tyler brauchte die Unterstützung der TSN, und deshalb hatte er darauf geachtet, von Anfang an einen alten Bekannten mit an Bord zu holen.
„Wann hat das je eine Rolle gespielt? Sie wissen doch, wir könnten in jeder Folge eine ganze Division Akarii abschlachten. Aber eine nackte Brust zur falschen Zeit…“
Lydia Velasco vom Innenministerium überging das mit einem Augenrollen: „Wenn ich für jeden deiner faulen Witze zwei Credit bekommen würde, dann wäre ich…
Aber Spaß beiseite. Das ist genau das, was wir brauchen. Die Einleitung ist vielleicht ein klein wenig pathetisch, aber zurzeit stehen die Leute darauf.“
Auch Julien Aboni vom Außenministerium nickte zustimmend. Da die Konföderation immer noch einen beachtlichen Teil seines Kulturprogramms aus der FRT bezog, wollte auch diese Behörde bei dem mehrere dutzend Millionen Credits schweren Projekt mitreden.

Spätestens seit dem Erfolg von ‚Brennendes All’ hatte der FRIS auch das Kino für die Kriegsanstrengungen mobilisiert. Man hatte gewisse Themen und Sujets gesponsert, und wo nötig kooperationswilligen Filmemachern die notwendigen Kontakte zum Militär vermittelt, um ihren Filmen den nötigen ‚authentischen Touch’ zu verleihen, und um Berater und Ausrüstung zu stellen. Allerdings hatten die meisten der gesponserten Filme frühere Kriege oder imaginäre Schlachten gegen Akarii und andere außerirdische Feinde thematisiert. An den immer noch tobenden Krieg hatten sich nur Wenige herangewagt. Das sollte jetzt anders werden.
Es war sogar ein Film zu Manticore in Produktion. Ein Film der, so jedenfalls war die Absicht des Regisseurs und auch John Tylers, der einen Gutteil der nötigen Geldmittel locker gemacht hatte, die Wahrheit zeigen sollte. Die Wahrheit, dass die aus dem Hinterhalt angegriffene TSN eine schwere Niederlage erlitten hatte, doch gleichzeitig dem Feind so verheerende Verluste zugefügt hatte, dass dessen Offensivplanung durcheinander geriet.
Nicht umsonst nannte man Manticore das ‚Pearl Harbour des Siebenundzwanzigsten Jahrhunderts’. Auch diese Schlacht war ein scheinbarer Sieg des Angreifers gewesen, hatte aber nicht den gewünschten Erfolg gehabt.

Der Film über Manticore war erst der Anfang. Und die ‚Angry Angels’, das berühmteste Elitegeschwader des Akarii-Krieges, boten sich für eine Instrumentalisierung geradezu an. Keine andere Einheit wurde in einem vergleichbaren Umfang von der öffentlichen Meinung mit den Siegen der TSN verknüpft. Unmittelbar nach Manticore formiert, hatten sie an fast allen wichtigen Raumschlachten teilgenommen, und standen was Abschüsse und vernichtete Kriegsschiffe anging ziemlich an der Spitze. Ihre Geschichte bot alles, was eine erfolgreiche Propagandastory benötigte. Oder, wie es ein namenloses FRIS-Mitglied ausgedrückt hatte: ‚Durch Leiden und Blut zum Sieg.’
Und deshalb würde sich an den Manticore-Film eine ganze Serie anschließen. Die erste Season sollte von der Reaktivierung der REDEMPTION bis zu ihrem Untergang bei Jollahran laufen. Das waren drei größere längere Feindfahrten, die jeweils drei bis vier Folgen dauern sollten. Allerdings würde die zweite Feindfahrt im Fernsehen ein klein wenig anders verlaufen als die Realität. Auch wenn die Wahrheit die beste Propaganda war, keiner wäre auch die Idee gekommen, die Troffen-Operation wahrheitsgemäß darzustellen. Das wäre mehr als dumm gewesen, nachdem es dem NIC derartige Schwierigkeiten bereitet hatte, die wuchernden Gerüchte zu unterdrücken.
Es hatte auch Bedenken gegeben, dass die Serie mit einer Niederlage beginnen und mit dem Ende der REDEMPTION enden sollte, aber Tyler hatte sich durchgesetzt. Es kam nur darauf an, dem Untergang des alten Trägers den richtigen Sinn zu geben. Immerhin galt Jollahran als die erste große Raumschlacht, bei der die TSN immerhin so etwas wie ein Patt erzielen konnte. Außerdem war das natürlich nur die erste Season. Wenn das Konzept aufging, sollten weitere folgen.
Natürlich war es nicht unumstritten gewesen, dass man eine reale Einheit zum Thema einer Unterhaltungsserie machen sollte, auch wenn nach John Tylers offen geäußerter Meinung die Werbe- und Rekrutierungsstreifen der TSN etwa soviel Realitätsgehalt hatten, wie eine Soap Opera. Andererseits konnten sich auch konservativ eingestellte Admiräle ausrechnen, wie sich populäre Filme auf die Rekrutierungszahlen auswirken konnten.

„Also gut, nehmen wir diesen Vorspann. Aber etwas fehlt da noch.“
„Wir haben noch Freiraum gelassen für die Hauptcharaktere. Bisher sind nur die Rollen beim Boden- und Schiffspersonal vergeben. Da aber die Besetzung der Kampffliegerstaffeln noch nicht sicher ist…“
Tyler wechselte einen Blick mit Captain Tennet, der mit den Schultern zuckte: „Es gibt immer noch gewisse…Unstimmigkeiten betreffs der geeigneten Hauptcharakter.“
„Einige Leute in der TSN wollen nur makellose Helden. Was die Auswahl bei den ‚Angry Angels’ einigermaßen einschränkt. Sie haben wohl noch nicht begriffen, dass die Leute nur eine begrenzte Anhäufung von Klischees vertragen. Und wenn sie Superhelden wollen, dann sollten sie jemanden in eine rote Unterhose stecken und über das Senatsgebäude hüpfen lassen.“
Tennet schnaubte amüsiert: „Sehr eloquent, aber du solltest deine Metapher mal entstauben. Du musst schon zugeben, dass etliche der Angels nicht gerade eine Zierde für uns sind.“
„Sie schießen massenhaft Akarii ab. Ich dachte, das ist es, was die TSN braucht. Und es sind gerade die kleinen Fehler und Unzulänglichkeiten, die eine Rolle realistisch, glaubhaft…menschlich wirken lassen.“
„Du kennst die Richtlinien der TSN.“
„Ich weiß, ich weiß. Die Navy soll makellos bleiben. Keine groben Fehler bei den Führungsstäben, kein defätistisches Gerede. Pro Season darf maximal ein Hauptcharakter fallen. Beziehungen zwischen Flottenmitgliedern sind erlaubt, aber kein Sex während der Feindfahrt.“
Aboni presste die Fingerspitzen gegeneinander und fixierte darüber hinweg den FRIS-Direktor für Terra: „Immerhin ist die Serie auch für den Export gedacht. Wir müssen den richtigen Eindruck machen.“
„Danke, dass Sie mich daran erinnern, wie ich meine Arbeit zu machen habe.“
„Jederzeit.“
„Nun ja, wir haben immerhin die Dienstakten von etwa einhundert Leuten. Da wird es doch genug Material geben.“
„Das Problem ist, dass die Fluktuation bei den ‚Angry Angels’ so hoch ist. Eine erkennbare Primärgruppe zu formieren, ist schwierig, zumal einige der Überlebenden nicht unbedingt lupenreine Helden sind.“
„Tja, es sind eben immer die Besten, die zuerst fallen.“
Wieder lachte Tennet: „Dein Gift solltest du vor einer anderen Tür abladen. Ich mache die Regeln nicht, ich befolge sie nur. Und es ist doch nur eine Unterhaltungsserie. Wo die Wirklichkeit zu unschön ist, da…glätten wir sie einfach.“
„Aber nicht so weit, dass dann das ganze Geschwader aus austauschbaren Abziehbildern besteht. Immerhin soll sich der Streifen auch verkaufen.“
„Um Cunningham werden wir jedenfalls nicht herum kommen. Egal was einige Admiräle von ihm halten, der Junge ist ein verdammter Held. Es besteht die Möglichkeit, dass Rodney Buzz sich für die Rolle interessiert…“
„Ja, das würde zu ihm passen.“ John Tylers Stimme klang ätzend: „Lieber lasse ich mir die Mandeln durch die Ohren entfernen, als dass dieser Typ bei meinen Filmen mitmacht!“
Lydia Velasco beugte sich zu Captain Tennet: „Was hat denn Tyler gegen Buzz? Der Typ ist ein selbstverliebter Idiot, aber ich verstehe nicht…“
Der NIC-Mann grinste: „Erinnern Sie sich nicht an Buzz ‚Wir werden eure Töchter vergewaltigen’-Tirade 2634, als ‚Brennendes All’ in die Kinos kam? Das ging damals durch alle Medien. Die Friedensbewegung hat ziemlich darauf herumgetrampelt, und auch das Außenministerium war nicht amüsiert. Und Tyler hasst Leute, die in seiner Branche wildern. Er hat gesagt, wenn es nach ihm geht, kann Reynolds in Zukunft noch bei den Xeno-Pornos mitmachen, aber er würde auf keinen Fall noch einmal einen seiner Filme sponsern. Eher friert die Hölle zu.“
Die sonst eher etwas unterkühlte Mitarbeiterin des Innenministeriums verzog angewidert den Mund: „So was gibt es? Halt, vergessen Sie, dass ich gefragt habe.“
Aber jetzt schaltete sich John Tyler ein: „Sie sollten die menschliche Psyche doch besser kennen, Velasco. Die Akarii haben da ganz neue Gebiete erobert, sozusagen. Wenn wir schon einem scheinbar übermächtigen Gegner gegenüberstehen…dann muss er natürlich auch noch scharf auf unsere Frauen sein. Alte Propagandaregel. Nichts zieht so sehr, wie die bedrohte Weiblichkeit. Und wir wären keine Menschen, wenn wir daraus nicht Kommerz machen würden. Und auf der anderen Seite ist es die ultimative Demütigung eines Gegners, wenn man seine Frau und seine Tochter schändet. Am Besten vor seinen Augen. Wenn man einmal den Zivilisationslack abkratzt, sind wir Menschen ziemlich primitiv. Und es gibt genug Leuten, die an derartigen Phantasien verdienen wollen.“
„Das ist ja widerlich!“
„Ich mache diese Regeln nicht…“
„Wollen Sie etwa sagen, das FRIS sponsert solche Schweinereien?!“
„Natürlich nicht. Das wäre ziemlich dumm und kontraproduktiv. Aber dadurch, dass wir uns nicht mit so etwas die Finger schmutzig machen, wird es nicht weniger wahr.“
„Können wir diesen faszinierenden Ausflug in die Sexualpsychologie des Krieges vielleicht abkürzen und zu unserem Thema zurückkehren? Sie wollen also sagen, dass Sie Rodney Buzz nicht dabei haben wollen.“
„Todsicher will ich das nicht. Außerdem würden seine Gagen unser Budget sprengen, vor allem wenn wir ihn gleich von der ersten Season an einsetzen wollen. Wir wären von ihm abhängig, könnten ihn wohl kaum so einfach auswechseln. Also wird er nicht den Cunningham machen.“
„Sie finden doch immer eine Möglichkeit, ihre persönlichen Vorlieben zu rationalisieren.“
„Natürlich. Ich bin schließlich Propagandaexperte.“
„Was ist mit Ashley Croft? Gegen die dürften Sie ja wohl weniger haben.“
„Wie könnte ich? Immerhin hat sie Buzz in aller Öffentlichkeit eine geklebt. Außerdem ist sie unproblematischer. Aber auch ihre Gagen sind etwas hoch. Wir stehen in Verhandlungen. Aber ich denke, wir warten noch ein wenig, bis wir mit dem Dreh der ersten paar Folgen angefangen haben und bringen sie dann rein. Das gibt uns eine etwas stärkere Verhandlungsposition. Croft…würde eine gute Verstärkung sein. Wir haben da schon eine passende Rolle. Sie wird eine hervorragende Russin abgeben.“ John Tyler winkte einem seiner Untergebenen knapp zu, und das Logo der Serie wurde von einem reichlichen Dutzend Gesichter ersetzt, Männer und Frauen, einfache Piloten und Staffelkommandeure, Weiße, Schwarze und Asiaten: „Diese alle kommen in die nächste Wahl. Einige sind inzwischen tot, andere versetzt worden. Jetzt müssen wir nur das passende Gesicht für diese Leute finden, die geeigneten Schauspieler.“
„Könnte es rechtliche Probleme geben?“
Velasco tauschte einen kurzen Blick mit Captain Tennet, und schüttelte den Kopf: „Von dieser Seite bestehen keine Bedenken. Der Dienstvertrag unserer Soldaten gibt es problemlos her, sie haben keine Regress- oder Beteiligungsansprüche.“
Aboni, der der ganzen Idee immer noch etwas skeptisch gegenüber stand, nickte knapp: „Wenigstens etwas. Sie sollten geschmeichelt sein. Immerhin machen wir sie unsterblich. Was sind da schon irgendwelche Gewinnansprüche…“
„…an der Serie, dem Computerspiel, den Büchern, den Fan-Artikeln…“ vervollständigte Tyler amüsiert.
„Wollen Sie das wirklich so breit aufstellen?“
„Wenn die Serie Erfolg hat. Es wäre eine schöne Überraschung, wenn einer unserer Filme mal Gewinn macht.“
„Abwarten. Es überrascht mich, dass die TSN diesen Rummel mitmachen will.“
„Die TSN verkauft ja auch überschüssiges Material und Uniformen. Zum Beispiel an irgendwelche Militaria-Idioten. Ich sehe nicht, wo da der Unterschied ist. Und wenn ihr Mannschaftsnachschub gesichert wird, dann würde die TSN-Führung auch durch einen Reifen springen.“
„Danke.“
„Nimm es nicht persönlich, so sind wir doch alle. Jeder von uns springt durch irgendeinen Reifen.“
„Da wir schon dabei sind…“
„Ja, ich weiß, ich weiß. Curtis Long wird dabei sein. Natürlich können wir den toten Helden aus Admiralshaus nicht einfach weglassen, egal was er für ein Typ war.“
„Und natürlich werden wir ihn auch nicht so darstellen, wie er wirklich war.“
„Natürlich. SO menschlich kann man die schimmernde Wehr der FRT ja kaum zeigen. Wenn wir die Wahrheit lange genug verbiegen, können wir ihn vielleicht zu einem liebenswürdigen Schlingel hochedeln. Wäre das akzeptabel?“
„Wäre es.“
Tyler zuckte mit den Schultern. Solche Kompromisse gehörten zum Geschäft: „Ich weiß, dass wir nicht die Wahrheit zeigen können und werden, aber die Leute sollen es wenigstens glauben WOLLEN. Was mich zum letzten Punkt auf der Liste bringt. Es wäre ideal, wenn wir jede neunzigminütige Folge mit ein paar Originalsätzen einleiten können, gesprochen von ECHTEN Piloten. Am besten Piloten, die in der Serie eine Rolle spielen.“
„Die TSN wird dir da entgegenkommen. Vorausgesetzt, die Fragen werden vorbeugend eingereicht und die Antworten vom Zensor überprüft. Zur Not könnt ihr sie doch immer noch problemlos zurechtschneiden.“
„Du hast ja keine Ahnung. Aber unsere Leute sollten sich wohl besser beeilen, sonst ist bei der Ausfallrate der ‚Angry Angels’ bald keiner mehr übrig, der in die Kamera sprechen kann und noch auf der REDEMPTION dabei war.“
„Und wann soll diese Serie starten?“
John Tyler grinste: „Wenn alles glatt geht, in weniger als einem Jahr. Ich gehe davon aus, dass die TSN und die Akarii den Krieg solange am Laufen halten können. Andernfalls verschieben wir den Start halt auf die Siegesfeierlichkeiten.“ Das mokante Grinsen des FRIS-Direktors sagte nichts darüber aus, WESSEN Sieg er nun eigentlich meinte.
Cattaneo
Ace

Es gab Tage, an denen hätte ich meine Rechte zur Faust ballen können, um sie dem erstbesten Arschloch in die Fresse zu schlagen. Die meisten dieser Tage wäre mein primäres Ziel Skunk gewesen, oder wie er mit bürgerlichem Namen hieß, Harvey Jones.
Er hatte so eine Art, mit den Schrecken des Krieges umzugehen, die mich einfach nur ankotzte. Seine Frauenfeindlichkeit, seine Gewaltbereitschaft, sein überhebliches Gehabe, seine Auffassung davon, was eine Freundschaft war, all das disqualifizierte ihn in meinen Augen von dem Job, den er machte. Er war wahrscheinlich der schrecklichste Staffelchef der COLUMBIA, und ohne fähige Stellvertreter wie Helen und mich wäre er alleine an der Verwaltungsarbeit erstickt. Wenn ihm nicht ein erboster Marine mal wieder das Fell gegerbt hätte. Es hatte mehr als einen Vorfall diese Art gegeben, und angeblich fehlte Skunk nur noch ein einziger Marsch in den Bunker, um degradiert und seines Kommandos enthoben zu werden. Leider tat uns der Egomane nicht den Gefallen.
Seine Vorstellung davon was gutes Fliegen war, was gute Menschenführung war, grenzte an blanke Ironie, um nicht zu sagen, an Wahnsinn. Die Tage und Wochen, in denen er im Krankenrevier verschwunden war, hatte ich genutzt, um die Staffel wieder einigermaßen zusammen zu flicken, unterstützt von meiner verlässlichen Squad. Obwohl der Tod von Trajan uns schwer getroffen hatte. Cartmell hatte sein Bestes gegeben, um mich als Staffelführer, interim, zu unterstützen, und nun wo feststand das Kali in die Etappe zurückgeschickt wurde und ich den Posten als stellvertretender Staffelchef permanent erhalten würde, war ich mir sicher, dass sich Noname letztendlich als Nummer drei der Roten etabliert hatte.
Wir hatten drei permanente Verluste in der Schlacht gegen Jor und seine Flotte gehabt. Kali und Too-Tall würden den Heimweg antreten. Kali wegen ihrem schwer verletzten linken Arm, Too-Tall wegen seines Unterdrucksyndroms, das ihm anscheinend ein paar Nervenenden kalt frittiert hatte. Nichts was die moderne Medozentren auf Marsport nicht wieder hinkriegen würden. Aber erst einmal führte kein Weg daran vorbei. Und er musste eben nach Marsport gebracht werden.
Als Ausgleich und im Blick auf die baldige Genesung unseres geliebten Staffelführers hatte man uns drei neue Leute versprochen, sowie vier neue Nighthawks, nachdem wir fünf unserer Mühlen unrettbar im Wirrwarr der letzten Schlacht verloren hatten. Ein Grund dafür, warum im Moment nur zwei Sektionen einsatzbereit waren und meine Piloten immer dann Däumchen drehten, wenn wir uns keinen Vogel von den anderen leihen konnten. Die neuen Mühlen würden zusammen mit den Entsatzpiloten eintreffen, und dank Skunks wundervoller Arbeit würde ich statt des geplanten einen Jungfischs gleich zwei abholen müssen.
Nach El Tigres spektakulärem Freitods war die Gelbe Griphen-Staffel aufgelöst worden. Man hatte Piloten und Maschinen auf die anderen Staffeln verteilen wollen. Zwei Gelbe hatten zu uns kommen sollen, was meines Erachtens nach gut für die Schlagkraft gewesen wäre, denn jeder Pilot, der diese Schlacht erfolgreich hinter sich gebracht hatte – vor allem lebend – war eine Bereicherung für jedes Team. Juliane, die Anführerin der Blauen, hatte nur einen Gelben erhalten sollen, denn mit nur drei Toten und drei Totalausfällen hatte das blaue Team erheblich weniger gelitten als die anderen Staffeln. Zwei Jungpiloten hatten die Aufstellung später ergänzen sollen.
Nun, Skunk war, kaum genesen, zu der Ansicht gekommen, dass die Gelben genau solche Schlappschwänze, Feiglinge und Antagonisten wie DeLaCruz sein mussten. Grund genug für Craig zu versuchen, seinen Vorgesetzten ungespitzt in den Boden zu rammen.
Das Ende vom Lied war gewesen, dass die Blauen nun zwei ehemalige Gelbe hatten, während Brandon ,Unicorn' Craig von Skunk mit offenen Armen empfangen worden war.
Und deshalb musste ich nun hier vor dem Shuttlehangar stehen und Nachwuchstalente empfangen.

„Warum muss ich das machen? Du bist der Staffelchef, hast du das vergessen?“, hatte ich Skunk gefragt.
Aber das alte Raubtier hatte nur schief gegrinst und gemeint: „Ist ja wohl ein offenes Geheimnis, dass du mit Kindern besser umgehen kannst als ich. Sieht man ja an Kali. Ich wäre nicht so nett gewesen, sie nicht anzurühren.“
„Wenn du nicht aufhörst mir die Wange zu tätscheln, breche ich deine Hand!“, hatte ich missmutig gebrummt, und Skunk hatte tatsächlich aufgehört. Was mich, zugegeben etwas irritiert hatte.
Auf meinen fragenden Blick hin war Skunk erstaunlich ehrlich geworden. „Was denn, was denn? Bist du dir nicht bewusst, dass die meisten Piloten hier Schiss vor dir haben? Wenn sie nicht ohnehin glauben, dass du ein Geist, ein Zombie oder ein Vampir bist, der sie irgendwann alle man in den Tod führt, dann glauben sie du wärst ein Übermensch, ein Gott, oder dergleichen. Natürlich nicht im Fliegen.“
„Na, danke.“, hatte ich bissig gemurmelt. „Und warum?“
„Hast du dir mal in letzter Zeit einen Blick in die Akte gegönnt? Du hast die Explosion einer Antischiffsrakete überlebt, warst im Camp Hellmountain, wo du unter primitivsten Bedingungen mit multiplem Krebs behandelt wurdest, hast Monate der Rekonvaleszenz auf der Erde verbracht und dir wieder deinen Weg in die Ränge und deine Schwingen zurückerobert. Hallo? Arschloch, sieh dich mal an! Mit kastriertem Arm, mehr Krebs im Körper als ein zweihundert Jahre alter Raumfahrer und dem was wir im Hellmountain gesehen haben, wären die meisten Leute nur noch Wracks gewesen. Bessere Halbtote, die in Erinnerung an die Entbehrungen, Strapazen, das Leiden und das Sterben dahin vegetiert wären. Sie würden sabbernd, heulend, greinend – hatte ich sabbernd schon? – im Lehnstuhl sitzen, sich füttern lassen, ab und an von einer Schwester einen blasen lassen und niemals auch nur im Traum daran denken, wieder fliegen, geschweige denn kämpfen zu wollen. Ace, du bist nicht normal. Okay, das war wohl jedem klar der dich jemals kennen gelernt hat, aber du bist noch unnormaler als nicht normal. Sieh dir Fish an, der ist einfach nur ein Backfisch, der keine Ahnung vom Ernst des Lebens hat und fliegt weil er glaubt er kann es. Du aber bist weit merkwürdiger. Wo sind deine Depressionen? Wo deine Anfälle? Deine Beratungsgespräche mit den Schiffspsychologen? Deine Schuldgefühle? Wieso wachst du nicht nachts auf und wimmerst bei der Erinnerung an die schreckliche Atomexplosion direkt vor deinen Augen?
Stattdessen stehst du hier und tust was? Fliegen, kommandieren. Und unfairerweise hast du deine Eier noch. Nicht, dass sie dir was nützen, aber eigentlich wird jedem halben Strahlentoten der Sack amputiert. Wundert mich, dass sie noch nicht angefangen haben, deine übergroße Hingabe für die Flotte auszuschlachten. Dich auszuschlachten. Gegen das was du tust sind Liljas Narben ja nur ein kosmetischer Eingriff. Jedenfalls, du Übermensch, wenn du unbedingt kämpfen willst, dann tu was ich dir sage und empfang unser Frischfleisch an der Schleuse.“ Überlegen lächelnd hatte Skunk erneut angesetzt um mich zu tätscheln, es dann aber doch sein gelassen. „Ach, und danke, dass du Noname gewählt hast. Er bleibt Nummer drei und kriegt Kalis Sektion. Ich gehe zum Magazin und inspiziere die Ersatzmühlen, die sie uns mitgebracht haben.“
Mit diesen Worten hatte er mich stehen lassen.

Ich seufzte tief und innig. Damals, als ich nach meiner Evakuierung kurzfristig in Alexanders Stab gedient hatte, da hatte man mich das Gespenst genannt, den Zombie, oder auch in Anspielung auf meine schwere Verletzung den One Arm Bandit. Die letzten beiden Jahre, die ich auf der COLUMBIA gedient hatte, hatte ich jedenfalls nicht so empfunden als hätten die anderen Piloten Angst, Panik oder mehr Respekt als nötig vor mir.
„Kaffee?“, erklang eine bekannte Stimme neben mir. Huntress lächelte mich an und hielt mir einen Pappbecher entgegen.
„Danke, du rettest mir das Leben.“ Ich deutete auf das Schott. „Was hält sie auf?“
„Soweit ich das mitgekriegt habe, hat der Shuttlepilot verrissen und muss einen neuen Anflug machen. Dauert noch zehn Minuten, bevor wir unseren Nachwuchs sehen.“ Sie seufzte ehrlich und tief. „Eigentlich müsste ich ja Skunk dankbar sein, dass er Northwind aus deinen Roten vergrault hat. So kann ich wenigstens einen Flight mit Griphen aufstellen und muss mich nur mit einem Egomanen herumschlagen, der glaubt er könne den Krieg gegen die Akarii alleine gewinnen. Mein Beileid zu deinen zwei Küken, Ace. Ich wusste, Harvey würde es dir an die Backe pinnen.“
„Was zu beweisen war.“, murmelte ich halb amüsiert, halb verärgert. „Weißt du schon was über dein Küken?“
„Oh, ich kriege ein Mädchen. Die Akte liest sich gut, aber sie scheint eher von der stillen Sorte zu sein. Zurückhaltend, überlegt, scheint so als würden sie in Marsport nicht mehr die Hitzköpfe bevorzugen, sondern jene die überleben und weiterkämpfen wollen.“
„Oder die anderen Staffeln haben uns das Beste weg geschnappt. Meine zwei sollen auch ziemlich ruhige Zeitgenossen sein. Ein Junge und ein Mädchen.“
Huntress prustete. „Du klingst wie ein stolzer Papa vor dem Kreissaal.“
„Hat ja auch was von einer Geburt, oder? Immerhin beginnt für die Kids hier das neue Leben.
Wen hast du als Nummer drei ausgesucht? Das letzte was ich mitbekommen habe war, das Chip aufrückt und Stellvertreter wird.“
„Ich habe mich für Rebel entschieden. Sie war auch unter El Tigre schon Wingleader. Nun muss sie halt ’nen Flight kommandieren.“
„Was hast du gegen Sneaker? Sie fliegt doch auch schon ein paar Jahre mit dir, oder? Und sie ist mittlerweile First Lieutenant.“
„Ich weiß. Aber ich brauche noch ein paar Reserven. Jemand der von unten nachrücken kann, falls ich, Chip oder Rebel ausfallen.“, erwiderte sie gepresst. „Ich werde nicht den Fehler machen und meine Staffel führerlos zurück lassen. Nicht in einem Gewühl wie wir es gegen die KORAX erlebt haben, Ace.“
Ich nickte verstehend. Und anerkennend. Für Eleni Sourakis war es sicherlich ein schweres Brot zu akzeptieren, dass sie derart übergangen worden war. Andererseits war sie nie sehr ehrgeizig oder aktiv gewesen. Dass sie es zum First Lieutenant geschafft hatte, war schon erstaunlich genug gewesen. Andererseits wuchs man mit seinen Aufgaben, fand ich.

Nach einigen Minuten belangloser Diskussion über Nachschub, Fortbildungslehrgänge und dergleichen hatte sich die Kammer gut gefüllt. Vor allem mit Leuten, die ihre neuen Piloten abholen würden. Wir wechselten alle ein paar belanglose Grußworte miteinander, für ein wirkliches Schwätzchen wie ich es mit Huntress führte, fehlte allen die Luft. Immerhin bekamen wir frischen Fisch, wie Zyniker wie Skunk wohl gesagt hätten.
Als dann die Schleuse auffuhr, ging so etwas wie eine Welle erleichterter Emotion über die Vertreter der verschiedenen Staffeln. Nach und nach traten die jungen Piloten hervor und wurden von einem Petty Officer an den richtigen Offizier verwiesen.
Eine stämmige Europäerin salutierte vor Huntress und stellte sich mit ruhiger, beherrschter Stimme, aber vor Aufregung zitternden Händen bei der neuen Staffelführerin als Second Lieutenant Lenie Marinasdottir vor. Ich fand es interessant, das die Isländerin keine blonden Haare hatte, konnte mich dieser Beobachtung aber nur kurz widmen.
„Sir, Second Lieutenant Nguyen Thi Dao, Callsign Petal, und Second Lieutenant Rouven van der Rozen, Callsign Tulip, melden sich zum Dienst.“
Indigniert hob ich die rechte Augenbraue. Ich hatte schon einige junge Piloten erlebt. Vor nicht ganz sechs Jahren hatte ich meine eigenen Karriere in diesem Krieg als hoffnungsvoller junger Pilot mit Ambitionen bis zum Trägerkommandeur begonnen, und nicht ahnen können, was das Schicksal mir alles in den Weg würde legen können, um es mir schwer, schwerer, am schwersten zu machen. Daraus hatte sich eine Angewohnheit ergeben, in der ich mir die Enthusiasten stets besonders genau vornahm und zurechtstutzte. Zum Beispiel hatte meine Flügelfrau Artist mich die ersten acht Monate gehasst wie die Pest. Erst nach dem ersten wirklichen Kampf hatte sie verstanden was ich ihr hatte beibringen wollen.
„Ich dachte, ich sollte Piloten erhalten. Stattdessen schickt man mir was?“ Ich betrachtete die beiden Second Lieutenants vor mir. Nguyen war eindeutig Asiatin, vom Namen her kam sie wohl aus dem Bundesstaat Siam. Van der Rozen war vom Namen her Holländer, allerdings war seine Haut beinahe schwarz. Sie war eine kleine, zarte, beinahe kindliche Frau mit viel zu weichen Zügen, und er schien ein zu hoch geschossener kleiner Junge zu sein, vor allem mit dem ewigen Lächeln auf den Lippen. „Man schickt mir Kinder!“
Beide Piloten zuckten bei dieser Feststellung zusammen.
„Sir, bei allem Respekt, aber…“, begann Nguyen, doch ich unterbrach sie mit einer wirschen Handbewegung. „Wie alt sind Sie, Second Lieutenant?“
„Einundzwanzig, Sir.“
Ich grunzte auf eine Art, die ich mir von Darkness abgeschaut hatte. Sie konnte ebenso Zustimmung wie Ablehnung bedeuten und war bestens dazu geeignet, Leute zu verunsichern, die einen noch nicht kannten. „Und Sie, junger Mann?“
Verlegen ging seine Hand zur Stirn um sich zu kratzen, aber er bemerkte sein Fehlverhalten schnell genug. „Einundzwanzig, Sir.“
Ich senkte in stiller Verzweiflung den Kopf. „Die Navy verlangt von jedem Piloten drei Jahre Grundausbildung. Früher waren es mal mehr. Wie viele Jahre haben Sie erhalten, bevor man Sie entsandt hat?“
„Volle drei Jahre, Sir!“, entgegnete Nguyen mit fester Stimme. „Ich habe bereits mit siebzehn in einem Sonderprogramm angefangen! Ich habe vielleicht noch keine Kampferfahrung, aber ich kann fliegen. Natürlich kann ich das nicht von Tulip behaupten, aber...“
Dies brachte ihr den Protest des Schwarzen ein, den ich spontan auf eine der holländischen Westindieninseln einordnete.
„Schweigen Sie!“, blaffte ich. „Schweigen Sie beide! Das ist keine Antwort auf meine Frage! Ich nehme an, Sie hatten auch drei Jahre, Lieutenant van der Rozen?“
„Ja, Sir.“
„Immerhin hat man uns keine vollkommenen Kinder geschickt“, brummte ich in einem leicht verärgerten Ton. „Mein Name ist First Lieutenant Clifford Davis. Ich bin der XO der Roten Staffel. Wir fliegen den Überlegenheitsjäger Nighthawk, von dem Sie sicherlich schon einmal gehört haben.“
Die beiden Piloten räusperten sich verlegen.
„Eventuell glauben Sie zwei sogar, ihn fliegen zu können. Und genau das werden wir herausfinden. Ich will Ihnen zwei Dinge mit auf den Weg geben. Erstens, unser Staffelchef ist hart, aber ungerecht. Er wird sie testen, fliegen lassen, wieder testen, ungerecht behandeln, zusammenstauchen und wieder ungerecht behandeln. Wenn Sie also wissen wollen wo sie stehen, achten sie auf zwei Dinge: Entweder auf den Befehl, wieder nach Hause zu fliegen, oder auf das was ich sage. Ich bin nicht ganz so hart und sehr viel objektiver als Commander Jones.“
Die beiden Piloten nickten zum Zeichen, das sie verstanden hatten.
„Und die zweite Sache ist...“ Ich streckte den beiden die Hand entgegen. Ein dünnes Lächeln zierte meine Lippen. „Willkommen an Bord, Lieutenant Nguyen, Lieutenant van der Rozen. Versuchen Sie einen guten Job zu machen, ihr fliegerisches Können zu verbessern und am Leben zu bleiben. Bei allem versuche ich Ihnen beiden zur Seite zu stehen.“
„Es freut uns, auf der legendären COLUMBIA dienen zu dürfen, Sir“, erwiderte die Siamesin mit etwas atemloser Stimme.
Ich erwog ernsthaft, dass ich tatsächlich zu den beiden Piloten durchgedrungen war. Das ich mit ihnen kein Fiasko erleben würde wie damals in der ersten Zeit mit Shaka und... Andererseits war ich zu alt, um mich in Tagträumereien zu verlieren.
„Nehmen sie ihr Gepäck auf und folgen sie mir.“
„Ja, Sir.“
Andererseits hätte es schlechter beginnen können. Ich hakte den Empfang unter positiv ab.

***

Colonial Confederation

Kal Ilis war vor allem eines: alt.
Man sagte über den Admiral drei Dinge. Erstens, dass er mit dem Kaiser auf der Flottenakademie studiert und sich mit ihm einen Raum geteilt hatte.
Zweitens, dass seine Strategien und Schriften, die heutzutage nicht geachtet wurden, in der Nachwelt größte Beliebtheit erfahren würden.
Und drittens, dass er, wenn er sich erst einmal ein Ziel gesteckt hatte, alles tat um dieses zu erreichen. Selbst den absoluten Verlust all seiner Streitkräfte, seines eigenen Lebens ordnete er dann dem Ziel unter. Er war, wie die Terraner sagen würden, ein Vertreter der Last Man Standing-Strategie. Und auch in dieser Operation würde er genau diese Strategie wieder benutzen.
Der Kommandierende Admiral Ersten Ranges Ilis sah in die Runde der Männer und Frauen, die sich um ihn geschart hatten, hier im Besprechungsraum der QUARSAR, seinem Flaggschiff.
Natürlich war dies nicht der Namensgeber der Schiffsklasse, wie der Name implizierte. Vielmehr war nach der Zerstörung des Stammvaters der Trägerklasse der Name neu vergeben worden. Akarii scheuten sich nicht wie Terraner, mehreren Schiffen den gleichen Namen zu geben. Ha, als wenn sich die Akarii jemals nach den Terranern richten würden.
Damit dies niemals geschah, saß er hier, im Kreis von drei Admirälen Ersten Ranges, fünf Generälen und neun Admirälen Zweiten Ranges. Vierzehn von ihnen hatten eigene Kommandos, die anderen waren zuständig für Versorgung, Verwaltung und Geheimdienst, wichtige Stützpfeiler jeder Armee.
„Ich will es kurz machen“, sagte der alte Mann und tippte mit seinem Sirash, dem traditionellen Stahlschwert in der Holzscheide, auf den Besprechungstisch. „Wir wissen alle, in welch furchtbarer Lage unsere Heimat steckt. Über ein Drittel unseres angestammten Herrschaftsgebietes wurde von der Hauptwelt getrennt oder besetzt, und die Marine der Republik bewegt sich frei zwischen den Sternen, die auf uns Akarii und unsere Hilfsvölker scheinen sollten – nicht aber auf Menschen!“
Einige der Anwesenden schmunzelten bei diesen Worten. Es war ein offenes Geheimnis, dass Ilis weder politisch noch sozial engagiert war. Er hatte vor Jahrzehnten aus taktischen Gründen eine Familie gegründet und mittlerweile fünfzehn Kinder, Enkel und Urenkel, aber selbst sie mussten hinter der Flotte stets und immer zurückstehen. Diesen Mann interessierte nichts außer einem guten Kampf. Wenn er also derart tief in die Rhetorikkiste griff, dann nur um die Admiräle ruhig zu stellen.
„Deshalb werden wir dafür sorgen, dass sich die Terraner aus unserem Gebiet wieder zurückziehen müssen.“
„Verzeihen Sie mir, dass ich Ihnen ins Wort falle, Admiral.“, meldete sich Admiral Ersten Ranges Yon Ataki zu Wort. Die jüngste Admirälin in diesem Rang, der die Kampfgruppe YONDER mit dem gleichnamigen Quarsar-Träger unterstand, hatte respektvoll den Blick gesenkt, was ihren rohen offenen Worten natürlich Hohn sprach.
„Nur zu, Ataki. Wir sind nicht hier um den Vorträgen eines alten Mannes zu lauschen, sondern um die Welt zu verändern.“
Die Admiräle und Generäle am Tisch lachten. Das lockerte die Atmosphäre merklich.
„Admiral, ich weiß, wir sind uns alle bewusst, dass wir hier an der Verteidigungslinie zur Colonial Confederation stehen. Wir alle wissen, wie verbissen sich die Colonials wehren und wie sehr wir kämpfen müssen, um wenigstens die zwei Welten zu halten, die wir ihnen bisher haben abnehmen können. Wir alle wissen, wie sehr die Admiralität das Diadochenreich der Menschheit unterschätzt hat, immerhin halten sie sogar Welten, die sie dem Reich geraubt haben. Um es auf den Punkt zu bringen, wir brauchen hier jeden Kreuzer, jeden Träger und jeden Matrosen, um überhaupt den Status Quo aufrecht zu erhalten. Wie also sollen wir dann von hier aus die Terraner aus dem Imperium vertreiben? Wir können und dürfen unsere Streitkräfte nicht ausdünnen! Selbst mit der Unterstützung von Admiral Ersten Ranges Borani und der Kampfgruppe SCHOSTER haben wir zu wenig Streitkräfte und… Verzeihen Sie mir, Admiral, ich habe zu viel gesagt.“
Ilis sah die Frau an, die in ihren Fünfzigern stand. Für Akarii kein Alter. „Sehen Sie mich an, Ataki.“
Gehorsam sah die Frau auf.
„Sie sollten ruhiger werden und sich die Auszeit nehmen, um eine Familie zu gründen. Es wäre eine Schande, wenn künftige Generationen der Akarii ohne Ihre hervorragenden Gene auskommen müssten.“
„Ich bitte Sie, mich nicht zu verspotten, Admiral.“
„Ich verspotte Sie nicht. Im Gegenteil. Ich mache Sie zu meinem Stellvertreter für die kommende Operation. Sollte ich fallen, obliegt das Kommando Ihnen, Ataki.“
„Ich… ich weiß nicht was ich sagen soll. Admiral Borani ist dienstälter als ich, und…“
„Es ist in Ordnung. Yon, Ihre Flotte ist größer, hat mehr Erfahrung gesammelt und kennt die Region wie keine zweite. Meine Truppe ist eine Hinterland-Mannschaft. Und wenn nicht vor Jahren mal ein paar Terraner über ein irreguläres Wurmloch vorbei geschaut hätten, würden alle meine Kapitäne nur den Kampf gegen Piraten und Läuse kennen.“
Wieder wurde gelacht, aber diesmal, um Cylom Borani zu würdigen.
„Ich danke Ihnen für die offenen Worte, Admiral Borani. Ich werde mich meiner Position würdig erweisen.“
„Natürlich werden Sie das, Ataki.“ Ilis nickte einem Adjutanten zu. Der trat an den Konferenztisch heran und aktivierte die Holoprojektion. „Und als erstes zeigen Sie mir die Fehler meiner Strategie auf. Dies ist der Plan, um die Terraner zu vertreiben. Ich nenne ihn aufsteigender Mond – Demer Kal.
Und dies ist die Aufstellung an Truppen, die an der Operation teilnehmen wird.
Neben dem Trägerverband QUARSAR werden dies sein die Trägerverbände YONDER und SCHOSTER. Damit haben wir drei Träger der Quarsar-Klasse samt Begleitverband.
Dazu kommen vier Jagdverbände, die um die vier Trägerkreuzer BILHEIM, LOGDEN, ZYRNATIR und TEKRAKATI aufgestellt sind. Damit kommen wir auf die beachtliche Zahl von drei Quarsar-Trägern, vier Kreuzer-Trägern, vierzig Schweren Kreuzern, dreißig Leichten Kreuzern, dreißig Zerstörern sowie fünfundzwanzig Fregatten und Korvetten. Des Weiteren stehen dem Verband Trossschiffe in ausreichender Zahl zur Verfügung, unter ihnen als Truppentransporter umgebaute Frachtschiffe der Albatros-Klasse, von denen wir über zehn verfügen. Sie alle sehen, wir sind mehr als gerüstet für den Kampf. Und wir werden kämpfen, das steht außer Frage. Die Frage, die sich jedoch nun stellt ist folgende: Was wollen wir zuerst zerquetschen, Herrschaften?“

***

Es gab drei Möglichkeiten, um über ein feindliches Wurmloch einzudringen. Nummer eins war ein vorsichtiges Vortasten mit Vorauskommandos, also kleinen Schiffen wie Korvetten und Fregatten, die nach einem Klar-Zeichen die restliche Flotte nachkommen ließen.
Nummer zwei war, einen gemischten Verband zu schicken, der einige Zeit selbst standhalten konnte, um notfalls aus eigener Kraft zurück zu kehren. Dies hatte gegenüber dem ersten Fall den Vorteil, dass die Späherschiffe nicht vernichtet wurden.
Nummer drei war die radikalste, aber auch verwundbarste Form.
Und Admiral Ilis hatte sich dafür entschieden. Zuerst brachen die Schweren Kreuzer aus dem Wurmloch hervor. Ihnen folgte eine Mischung aus Zerstörern und leichteren Einheiten.
Dann folgte der Pulk der Träger, Trägerkreuzer und Frachtschiffe, flankiert von weiteren leichten Einheiten. Den Abschluss bildeten die leichten Kreuzer, bis die Armada von einhundertachtundfünfzig Schiffen den Sprung geschafft hatte. Ihre Aufgabe war es dann, in einem Notfall die Positionen zu halten und den Rückzug der anderen Einheiten bis zum Ende zu decken.
„Meldung von der ARTIC, Admiral“, sagte der Adjutant zackig und salutierte vor dem Admiral und seinem Schiffskapitän. „Keine Feindaktivitäten erkennbar, keine Minen erkennbar.“
„Gute Nachrichten“, sagte Guldan Skor, der Kapitän der QUARSAR. „Ich empfehle dennoch, die Jagdflieger auszuschleusen und die nähere Umgebung abzusuchen. Wir sind nicht die einzigen Intelligenzen, die intelligente Minen bauen, Admiral.“
Ilis nickte dazu beiläufig. „Nachricht an alle Trägerschiffe: Patrouillen aussenden, auf getarnte Schiffe und Minen achten.“
„Jawohl, Admiral!“
„Die erste Hürde haben wir genommen.“, sagte Skor erleichtert. „Aus dieser Position haben die verfluchten Menschen wirklich keinen Angriff erwartet. Hoffen wir, dass die nächste Passage ebenso einfach wird.“
„Oh, das wird sie nicht. Glauben Sie mir, das wird sie nicht.“ Beinahe hätte Skor geglaubt, der alte Mann würde amüsiert lachen.
Nie würde er die Mentalität jener Soldaten verstehen, die den Krieg liebten. Für ihn war er ein notwendiges Übel. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings ein Übel, in dem er gut war. „Staffel Vrita und Staffel Logis übernehmen die Patrouillenflüge“, befahl er.

***

Vom Standpunkt der Akarii aus gesehen marschierten sie durch unbewohnte Systeme, die über Wurmlochverbindungen verfügten. In diesem Raumgebiet war damit zu rechnen, dass die Sprungpunkte überwacht wurden, wahrscheinlich waren sie schon beim ersten Sprung in potentiell feindliches Gebiet entdeckt worden. Für Ilis war deshalb vor allem eines wichtig: Schnelligkeit. Nur wenn sie schnell und hart zuschlugen, konnten sie ihr Ziel erreichen.
Und genau deshalb befahl er für den nächsten Sprung die gleiche Taktik wie für den letzten Wurmlochdurchgang.
Erneut setzten die Schweren Kreuzer als Erste zum Sprung an, diesmal in ein bewohntes System, welches wohl einen Hauch von Widerstand bieten würde.
Admiral Ilis verfolgte den Sprung der Kreuzer aus halb geschlossenen Augen mit. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte. Der alte Mann mit seinem traditionellen Schwert wirkte nicht alt, nicht müde, nicht einmal abgelenkt. Er war mehr wie ein Fels der Ruhe in der stürmischen Brandung der aufgestauten Akarii-Emotionen. Und es schien nichts zu geben, was ihn überraschen konnte. Nichts, was ihn töten konnte.
Skor erschauderte bei diesen Gedanken.
„Wissen Sie, Guldan, dass es nur dieses System ist, das uns von ihrer Zentralwelt Hannover trennt?“, klang plötzlich die Stimme des Admirals auf. „Dies ist die dünnste Verteidigungslinie, über die die Confederation verfügt. Auf allen anderen Routen erfolgen vier, teilweise fünf Sprünge durch bewohntes System, bevor man sie erreichen kann. Über London hingegen schaffen wir es in einem einzigen Sprung. Es wäre unverantwortlich zu glauben, dass der Gegner das nicht auch weiß.“ Kal Ilis öffnete die Augen einen Spalt. „Wenn Sie Oberbefehlshaber der Marine der Confederation wären, wie würden Sie London sichern?“
„Die Welt wäre bei einem massiven Angriff nicht zu halten. Ich würde versuchen den Gegner zu verzögern, so gut ich kann und gleichzeitig die Hauptwelt warnen. Jede Stunde die ich erkaufe, ermöglicht es, mehr Schiffe zusammen zu ziehen.“
„Dem stimme ich zu. Und wie würden Sie die angreifenden Akarii-Flotte verzögern, wenn Sie Menschenoffizier wären?“
„Ich würde Minengürtel legen. Tief gestaffelte, intelligente Minengürtel, um die Schäden von Anfang an hoch zu halten. Letztendlich ist es ihr verwundbarster Punkt und sie wissen es. Wahrscheinlich würde ich selbst im System noch Dutzende Minenfelder legen, nur um auf Nummer Sicher zu gehen.“
Neben dem alten Admiral begann Erster Admiral Kardis zu lachen. Der Geheimdienstoffizier tauschte einen amüsierten Blick mit Ilis aus.
„Was, wenn wir die Position der Minenfelder kennen, Kapitän Skor? Was wenn loyale Akarii, die sich als Bürger der Confederation tarnen, sämtliche Minenfelder erkundet haben?“
„Das wird uns nichts beim Sprung ins System nutzen. Einem statischen Minenfeld um ein Wurmloch kann man nicht ausweichen.“
„Nein. Man kann nur durchbrechen. Mit den stärksten Einheiten, mit den besten Schirmen“, sagte Ilis. „Und notfalls muss man ein paar opfern, alles nur um Hannover schneller zu erreichen als die Verstärkung, die zweifellos unterwegs ist.“
Bisher hatte Skor nicht viel über die Strategie nachgedacht, solange sie den Trägerkrieg nicht betraf. Aber jetzt kam ihm zum ersten Mal zu Bewusstsein, dass der alte Ilis seinen Ruf als Hasardeur vielleicht zu Recht trug.

***

Die Spitze des Sprungs in das London-System hatte die HRAMBUR übernommen. Der Schwere Kreuzer der Kalantir-Klasse wurde von einem jungen Commander befohlen, der in seinem Rang noch relativ neu war. Zudem hatte er ein Schiff zugeteilt bekommen, dessen Name weniger nach dem Kriegshelden klang, nach dem es benannt war, sondern nach einem fernen menschlichen Siedlungsort. Die Crew der HRAMBUR war beinahe genauso jung wie er. Aber alle brannten sie darauf, auch endlich in die Kämpfe eingreifen zu dürfen, die zwischen Akar und Terra tobten. Hier, fernab der Hauptfront hatten sie nur zusehen oder zuhören können, von gelegentlichen Feldschlachten im statischen Konflikt mit der Confederation einmal abgesehen. Aber wenn sie sich hier bewiesen, würden sie die Republik, würden sie Terra fortan in der Flanke packen können. Eventuell.
Für die Sturmspitze hatte Yuuna Jorn sich freiwillig gemeldet. Damit war nahezu sicher, dass seine Crew als erste auf den Minensperrgürtel treffen würde, der von den akariischen Spionen im System gemeldet worden war. Nun würde sich zeigen, ob Ortung und Feuerleitstand so exzellent zusammenarbeiteten, wie er nach dem harten Drill der letzten Monate hoffen konnte. Oder ob ein paar Minen die HRAMBUR einfach zur Hölle schicken würden. Als Belohnung winkte der Status einer Veteranenmannschaft und die Beförderung des Commanders zum Captain. Für denjenigen Kreuzerkommandeur, der den Sprung ins Hannover-System als erster wagte, winkte sogar eine Beförderung über zwei Rangstufen, darüber hinaus die Versetzung jedes einzelnen überlebenden Besatzungsmitgliedes nach eigenem Wunsch. Aber so sehr wollte Jorn sein Glück nun auch nicht herausfordern. London reichte ihm als Herausforderung.
Das Problem waren ja nicht einmal die Minen. Das Problem war, dass eine Minensperre grundsätzlich überwacht war. Das bedeutete, dass Schiffe, die angeschlagen aus dem Minenfeld hervor kamen, leichte Beute der Jagdgeschwader wurden, die für genau diesem Zweck wie Jagdhunde kreuzten und lauerten, um ihre angeschlagene Beute zu reißen. Aber wenn sie durchbrachen, wenn sie der Flotte einen Weg schlugen, dann würde dieses System fallen. Der Rang eines Captains war ihm einfach schon durch den Sprung sicher. Der alte Ilis wusste, wie er seine Leute motivieren konnte.
„Zeit bis zum Sprung?“, fragte er und ärgerte sich über die Verzögerung.
„Hundertachtzig bis zum erreichen der Sprungsschwelle“, meldete der Ortungsoffizier.
„Begleitende Schiffe?“, hakte der Kapitän nach.
„Schwerer Kreuzer LIFURT, Schwerer Kreuzer TAKI, Schwerer Kreuzer NOMAN in der ersten Welle, vierzehn weitere in der zweiten Welle.“
Das war es also. Die HRAMBUR würde als erstes springen, zuerst auf die Minen treffen und als erstes von den Fledder-Kommandos der Colonials angegriffen werden. Ein Teil der Angriffe würde sich auf die drei Schwesternschiffe aufteilen. Und wenn der Gegner damit beschäftigt war, den vermeintlich schweren Erkundungsverband zu vernichten, würden zuerst die vierzehn schweren Kreuzer der zweiten Welle unter dem Kommando der AVIR springen, und danach die ganze Flotte. Deshalb lautete der Befehl auch, so viele Minen wie möglich zu orten und wenn möglich zu vernichten. Sie würden mit dem herumgepinge der Aktiv-Ortung sicherlich das ganze London-System verrückt machen, aber das Wissen über das Wo würde sich als schlachtentscheidend erweisen. Und wenn es dann die HRAMBU noch gab, war er Captain, und seine Crew eine Veteranenmannschaft. Veteranen bezogen nicht nur mehr Sold, sie wurden auch ganz anders angesehen. Die Aufstiegschancen aller Besatzungsmitglieder schossen geradezu in die Höhe. Yuuna Jorn lächelte zynisch. Falls sie überlebten. Andernfalls würde seine Familie die Hinterbliebenenpension eines Captains erhalten und die Angehörigen seiner Mannschaft Veteranenpensionen. Außerdem würde der Ruhm, den die HRAMBU hier erwarb, vielleicht dazu reichen, um in einer kurzen Passage über diese Attacke erwähnt zu werden, in ein oder zwei Zeilen.
„Sprung!“, meldete das Ruder. Jorn schlug auf den großen Alarmknopf und forderte damit noch einmal volle Aufmerksamkeit aller.
Hinter ihnen, leicht versetzt wegen dem freien Schussfeld, zogen die anderen Kreuzer ebenfalls ins Wurmloch.
„Jetzt gilt es.“, murmelte der Akarii-Offizier.

Nach dem Austritt eröffnete Jorn das Musikstück. Er befahl der Ortungsabteilung den Einsatz aktiver Ortung. Die empfindlichen Messinstrumente sendeten ihre lichtschnellen Aktivimpulse in die vermeintliche Leere, und wurden mit den Echos einiger hundert Objekte belohnt. Hinter ihnen brachen die anderen drei Kreuzer hervor, leicht seitlich versetzt.
„Einschlag! Schirm der TAKI um dreißig Prozent reduziert!“
„Ortung der Minen liegt vor. Initiiere automatisches Feuer!“
Nicht nur auf seiner HRAMBUR , auch auf der schon leicht angeschlagenen TAKI, der NOMAN und der LIFURT setzte das Abwehrfeuer ein; eigentlich für den Kampf gegen Jäger gedachte Geschosse und Abfangraketen nahmen ihre Arbeit auf, dazu alle kleineren Geschütze. Nun, Jorn hätte auch die Hauptgeschütze eingesetzt, wenn es ein Garant für die Vernichtung der Minen gewesen wäre. Sicherlich hätten sie mehrere hintereinander stehende Minen auf einmal erwischt. Oder mehrere, die eng beieinander standen. Leider taten die Minen ihm diese Gefallen nicht.
„Einschlag auf der LIFURT! Schilde um zwanzig Prozent reduziert!“
„Ausschau halten nach Sicherungsverband der Colonials“, schnarrte der Commander.
Ja, der Sicherungsverband. So wie die Akarii-Schiffe hier ihre Anwesenheit geradezu hinaus schrieen, wussten die Colonials sicher längst, womit sie es zu tun hatten. Im Gegenzug hatten die Akarii ihre Gegner erst noch zu finden.
„Ortung, Fregatte, Ferregut-Klasse, oberhalb der Minen-Ebene. Nimmt Kurs auf LIFURT!“
„Ortung, Leichter Kreuzer, Hunley-Klasse, unterhalb der Minen-Ebene. Nimmt Kurs auf die LIFURT!“
„Warnt die LIFURT! Und haltet weiter die Augen auf. Da draußen müssen noch mehr Schiffe sein!“
Neben, über und unter der HRAMBUR explodierte das All. Die Abwehrwaffen fassten nach den Minen und brachten eine nach der anderen zur Detonation. Dabei ergab sich ein Gesamtbild für Jorn. Sie waren eng gestaffelt, aber standen nicht eng genug beieinander, um sich gegenseitig ins Verderben zu reißen. Eine gute organisatorische Arbeit der Colonials, fand der Kapitän. Andererseits war es wohl die falsche Zeit, dies anzuerkennen, während man selbst drin steckte.
„Ortung! Kreuzer, Hunley-Klasse! Nimmt Kurs auf LIFURT! Feuert Waffen auf LIFURT! Treffer auf LIFURT!“
„Einschlag auf TAKI. Schilde um siebzehn Prozent reduziert!“
„Zwischenstand der Erfassung der Minen?“
„Logisches Raster erstellt zu fünfunddreißig Prozent!“
Wenn die Rechner die Position von fünfzig Prozent der Minen errechnet hatten, schwor sich Jorn selbst, wollte er sein Schiff wenden lassen und den anderen zu Hilfe kommen. Falls er bis dahin nicht schon selbst in Bedrängnis war.
„Ortung! Kreuzer, Hunley-Klasse! Hält auf uns zu! Eröffnet Feuer!“
Die HRAMBUR wurde durchgeschüttelt, als die ersten Treffer in die Schirme seines Kreuzers einschlugen. „Raster?“, blaffte er hektisch.
„Achtunddreißig Prozent!“
„Verdammt! Wir erwidern das Feuer mit den Hauptgeschützen! Schiffsraketen Feuer frei!“
Wieder wurde die HRAMBU durchgeschüttelt. „Minentreffer!“, klang der Ruf auf, den Jorn die ganze Zeit befürchtet hatte. „Bugschilde um dreiundvierzig Prozent reduziert!“
Im Kapitän überschlugen sich die Gedanken. Wenn er eindrehte, bot er dem Gegner die stärkere Flanke an, bewegte sich aber eventuell mitten in noch unentdeckte Minen. Außerdem verzögerte er den Abschluss der Ortungsaufgaben erheblich. Drehte er nicht ein, hatte der Gegner eine gute Chance, den Bugschild zu durchschlagen und der HRAMBUR weh zu tun, richtig weh zu tun.
„Kurs halten! Nachricht an Maschinenraum: Wir brauchen den Bugschild!“ Erneut ruckte das Schiff, diesmal aber durch den Abschuss von acht Schiff-Schiff-Raketen. „Frontabwehr von der Vernichtung der Minen abziehen“, befahl er ernst. „Auf feindliche Raketen achten.“
„Raketen, zehn, Kurs auf HRAMBUR!“, meldete die Ortung.
„Abfangen“, befahl Jorn. Befriedigt registrierte er, dass seine eigenen Raketen auf einem guten Kurs lagen. Und alle die nicht trafen, hatten immer noch die Möglichkeit, ein paar Minen zu zerstören.“
Dann waren die feindlichen Raketen heran. Die Flugabwehrlaser und die Abfangraketen traten in Aktion, vernichtete acht der Raketen, aber Jorn wusste nur zu gut, dass der lädierte Frontschirm der Urgewalt von zwei Atomexplosionen nicht standhalten würde.
„Vor Einschlag warnen!“, gellte sein letzter Befehl auf.
Darauf folgte ein Blitz – und lange Zeit gar nichts mehr.
Als sich die Live-Bilder auf den Schirmen wieder etablierten und die neuesten Orterdaten hinzu kamen, sah Jorn, wie sich zwei Schwere Kreuzer an seinem Schiff vorbei schoben und den gegnerischen Hunley schwer in die Zange nahmen.
Sie mussten die Raketen abgefangen haben, bevor die HRAMBU hatte getroffen werden können.
„Zwischenbericht“, forderte Yuuna Jorn und wunderte sich über die Sicherheit in seiner Stimme, die er innerlich überhaupt nicht fühlte.
„LIFURT versenkt,“, meldete die Ortung: „TAKI treibt. NOMAN ist beschädigt, aber meldet Kampfbereitschaft.“
„Wie steht es mit dem Raster?“
„Wir sind bei dreiundachtzig Prozent. Übermitteln Raster an verbündete Schiffe.“
Jorn seufzte erleichtert. Es hätte schlimmer kommen können.
„Nachricht von der AVIR: Gute Arbeit und Glückwunsch zur Beförderung, HRAMBUR !“
„Anfrage von Flaggschiff YONDER, direkt von Admiral Ataki: Situation im London-System?“
„Antworten Sie...“ Jorns Blick ging über die Ortung. Über die beiden Schweren Kreuzer vor seinem Schiff und die anderen zwölf Schiffe der zweiten Welle, die über die Verteidiger her fielen, während bereits Träger und Trägerkreuzer, unterstützt von Dünnschiffen ins System sprangen. „Antworten Sie: London gehört Ihnen, Admiral Ataki.“
Cattaneo
Cattaneo

Die letzte Bastion

Der Auftritt von Rear-Admiral Jacqueline Bouisseau war keineswegs so gesetzt und würdevoll, wie man es von einer Offizierin ihres Ranges hätte erwarten sollen, als sie in den unterirdischen Besprechungsraum platzte. Die Uniform war offensichtlich eilig übergeworfen worden, nicht einmal alle Knöpfe waren gleichmäßig geschlossen. Von einem ordentlichen Make-up konnte auch keine Rede sein, folglich war ihr anzusehen, dass sie wohl gerade geschlafen hatte, als man sie hierher zitierte. Unter normalen Umständen hätte sie sich in Grund und Boden geschämt, so auch nur einem Wachposten unter die Augen zu treten, geschweige denn an einem direkten Gespräch mit dem Generalgouverneur, dem Befehlshaber der Flotte, seinen Stabsmitgliedern und dem Armeechef teilzunehmen. Videoverbindung mit den Vizeadmirälen Stennet Brand und Ly Telak – den Befehlshabern der Independence und John Paul Jones, der schweren Träger der Home Fleet – und ihren Untergebenen nicht zu vergessen. Aber offenbar bemerkte keiner, wie es um ihr Erscheinungsbild bestellt war – einige der anderen Anwesenden schienen ebenfalls aus ihren Betten gerissen worden zu sein, weil auf ihrem Teil des Planeten gerade tiefste Nacht geherrscht hatte, als der Ruf zu den Fahnen erklang.
Sie stürzte auf den ihr zustehenden Platz und bestätigte mit einer gemurmelten Entschuldigung – die keiner richtig wahrnahm, nicht einmal ihre unmittelbaren Nachbarn – ein letztes Mal ihre Identität.
Jaqueline Bouisseau, Rear-Admiral, war zurzeit Befehlshaberin der Reserve- und Ausbildungseinheiten der Jagd- und Kampfflieger auf Hannover. Sie war „von Haus aus“ selber Jägerpilotin mit Meriten in den Scharmützeln mit Piraten, die sich bis kurz vor Ausbruch des Krieges mit den Akarii hingezogen hatten, und dem Ehrgeiz, einmal selbst einen Träger zu kommandieren, eignete sich also für diesen Posten. Und nachdem sie an Bord ihres ersten eigenen Übergangskommandos, eines Zerstörers, im heldenhaften Einsatz gegen die imperialen Streitkräfte verletzt worden war, war sie bis auf weiteres auf Hannover gestrandet. Natürlich wäre ihr ein Träger der Majestic oder Hunley-II-Klasse lieber gewesen. Zum Teufel, sie hätte sogar mit einem der Hilfsträger Vorlieb genommen. Aber da man sie gerade befördert hatte, kam letzteres nicht in Frage, und von ersteren war keiner frei. Kommandeursplätze auf Trägern waren selten, und am Ende war sie froh, wenigstens diesen Posten erhalten zu haben. Immerhin war es eine ausgezeichnete Startposition für ihr Wunschziel. Hatte sie zumindest gedacht.
Und deshalb war sie nun hier – in Gegenwart von Generalgouverneur Edward Cochrane und seines Stellvertreters Gerold Holmes. Dazu kamen Flottenchef Admiral Norun Kalad, ein altgedienter Haudegen – der übrigens Akarii war, ebenso wie Vizeadmirälin Telak. Letzteres hatte schon manchen Vertreter der TSN und des diplomatischen Korps der Bundesrepublik in gewisse Verwirrung gestürzt, schließlich waren die Echsen der Feind, und nicht nur in den Mannschaftsrängen der TSN gab es sehr dezidierte Meinungen über die Akarii insgesamt.
Und dann war da noch General Derrick Brenner, Kommandeur der Bodentruppen auf Hannover, mithin einer der wichtigsten Armeeangehörigen der CC. Die niederen Ränge des Flottenstabes – etliche ihr an Rang ebenbürtig – kamen noch hinzu. Kurz und gut, es blitzte und funkelte nur so von Schulterstücken und Rangabzeichen. Die Gesichter freilich boten einen weitaus weniger erfreulichen Anblick – übernächtig, zum Teil auch geschockt oder ungläubig, am Rande der Panik. Sie alle kämpften sichtlich darum, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen, aber offenbar war dies noch nicht jedem gelungen. Viele der Anwesenden tuschelten miteinander, tauschten Mutmaßungen und „Neuigkeiten“ aus – wie gesichert diese auch immer seien mochten. Kurz und gut, der Gesamteindruck war nicht der Beste.

Die Stimme von Admiral Kalad brachte das Gemurmel abrupt zum Verstummen: „Meine Damen und Herren – ich will mich kurz fassen.“ Wie immer nahm er den direkten Weg, hielt sich nicht mit höflicher Vorrede auf. Einige Leute hatten ihn deshalb in der Vergangenheit schon für einen sturen Kommisskopf gehalten, einen Nur-Soldaten, der von Politik keine Ahnung hatte. Kluge Menschen und Akarii wussten es jedoch besser. Er war eine der treibenden Kräfte der Colonial Confederation, wenn es um die Führung des Krieges ging – und zwar militärisch, propagandistisch, politisch und wirtschaftlich. Er war schon lange vor dem Angriff des Imperiums ein wahrer Meister darin gewesen, den Gouverneuren die Mittel für die Flotte aus der Tasche zu ziehen, und jetzt, im Krieg, trug er das seine dazu bei, dass sie bei der Stange blieben. Angeblich hatte er auch seine Finger bei den günstigen Deals mit der FRT im Spiel gehabt, als die CN billig Massen an älterem Militärmaterial erhielt.
„Die Lage gebietet sofortiges Handeln. Die Akarii haben mit einer überwältigenden Übermacht im London-System angegriffen. Schätzungen sprechen von drei schweren Trägern, drei bis vier Golf-Hybridkreuzern sowie etwa 60 Kreuzer und 50 kleineren Einheiten. Wir haben inzwischen jeden Kontakt nach London verloren, müssen aber davon ausgehen, dass die imperialen Flotteneinheiten in Kürze angreifen werden – UNS angreifen werden. Etwas anderes wäre wohl kaum dieses Wagnis wert. Sie riskieren mit ihrem Vorstoß, zwischen unseren Frontverbänden, den Einheiten der zweiten Linie und der Vierten Flotte der TSN zerquetscht zu werden. Es gibt keine andere Möglichkeit – sie zielen auf Hannover.“
Die knappe Stimme des Admirals klang brutal in ihrer Deutlichkeit. Einer der Flottenoffiziere würgte erstickt, fing sich aber nach einem vernichtenden Blick seines Vorgesetzten. In der ganzen Runde zeigte nur der Generalgouverneur keine Überraschung – vermutlich war er bereits vorher informiert worden. Sein Stellvertreter war da weniger ruhig: „WAS? Die größte Flotte die an diesem Kriegsschauplatz bisher von den Echsen aufgeboten wurde, und wir erfahren das JETZT? Wie konnte das geschehen? Schläft denn unsere Aufklärung?“
Der Admiral blieb gelassen, fast beleidigend ruhig. Er gehörte zu den wenigen, die sich derartiges, natürlich nur in so einer Situation, erlauben durften, denn ansonsten achtete man in der CC darauf, dass das Militär nicht selbstherrlich oder überheblich wurde: „Ich würde vorschlagen, wir verschieben die Suche nach Schuldigen bis NACH der Krise. Wenn der Gegner entschlossen nachstößt, ist er in 8 bis 12 Stunden, oder, selbst wenn wir Glück haben, in spätestens 36 Stunden hier. Ich kann nur sagen, dass unsere Aufklärung offenbar durch falsche Agentenmeldungen, fingierten Funkverkehr und dergleichen getäuscht wurde. Alles deutete auf eine umfassende Umstrukturierung der feindlichen Flotte hin, um auf eventuelle politische Unruhen und weitere Offensiven der TSN reagieren zu können. Man rechnete mit der Verlagerung mehrerer feindlicher Einheiten an die Zentralfront.“ Auch wenn er sich keine Emotionen anmerken ließ, war doch klar, dass dafür Köpfe rollen würden. Möglicherweise im wörtlichen Sinne. Wenn es einen Schuldigen gab, der die Verlagerung der größten Imperiums-Flotte an diesem Frontabschnitt während des ganzen Krieges verschlafen hatte...
Aber dafür war später Zeit.

Ohne sich weiter um den Stellvertreter seines Regierungschefs zu kümmern, nahm der Admiral den Faden wieder auf: „Wie Sie alle wissen, tritt damit der Fall Karthago in Kraft.“ Mehr als einer der Zuhörer unterdrückte mit Gewalt ein Aufstöhnen. ,Fall Karthago' war die totale Mobilmachung Hannovers im Falle eines direkten feindlichen Angriffes. Pikanterweise war der Plan ursprünglich sowohl mit Rücksicht auf eine Offensive der imperialen Streitkräfte wie der TSN entworfen worden. In der CC ging man eben auf Nummer sicher, und man hatte beiden Nachbarn nicht getraut. Der Name des Planes erinnerte an die Geschichte einer antiken Stadt auf der Erde. Nach mehreren großen Kriegen am Ende ihrer Kraft, hatte sich Karthago ein letztes Mal gegen ein unmögliches Diktat aufgelehnt. Fast ohne Waffen und Verbündete hatte es den Kampf mit einer der besten Armeen der bekannten Welt aufgenommen, aus den Haaren seiner Frauen Bogensehnen gefertigt und für alle seine Schätze Söldner und Waffen gekauft. Nach mehreren Jahren erbitterter Kämpfe nahmen die Angreifer Karthago Haus um Haus, machten es dem Erdboden gleich, säten Salz aus und belegten das Gebiet der Stadt mit einem Fluch. Deshalb mochte sich jetzt mancher fragen, ob der Codename nicht unglückverheißend war.
Der Generalgouverneur nickte knapp. Obwohl er sich vor die größte Herausforderung gestellt sah, die von der CC jemals zu bewältigen gewesen war, blieb er dennoch scheinbar gelassen: „Können Sie die Angreifer aufhalten, Admiral?“
„Zu den einzelnen Notmaßnahmen komme ich noch – ich gehe davon aus, dass jeder hier seine entsprechenden Aufgaben kennt. Wir rechnen also mit bis zu 70 Großkampfschiffen und 50 kleineren Einheiten, dazu etwa 450 Jäger. Dem stehen auf unserer Seite unsere zwei Orbitalforts – an Kampfkraft jedem noch so großen Kriegsschiff mindestens ebenbürtig – und die Independence und die John Paul Jones gegenüber. Dazu kommen die kleineren Einheiten. An Kreuzern vier Ticonderogas, drei Kirow, acht Hunleys, und unsere Zerstörer, Fregatten und Korvetten, insgesamt etwa 70 an der Zahl. Jäger haben wir einschließlich der auf Trägern, Kampfstationen und in bodengebundenen Flottengeschwadern stationierten mehr als 500 fronttaugliche Maschinen. Ich brauche wohl nicht auszuführen, dass wir den imperialen Einheiten in einem direkten Schlagabtausch vor allem in Bezug auf die Linien-Stärke, das heißt ihre Kreuzer, unterlegen sind. Ihrer Jäger und kleineren Einheiten können wir uns noch am ehesten erwehren – wenn wir unsere Kräfte konzentriert einsetzen.“
„Ich will von Ihnen eigentlich wissen, ob Sie meinen, die Welt halten zu können.“
Der Admiral richtete sich auf: „Generalgouverneur,“ seine Stimme klang ungewöhnlich förmlich, fast feierlich: „im Krieg gibt es keine absoluten Sicherheiten. Wenn jeder Mann und jede Frau ihre Pflicht tut, haben wir eine Chance – ja. Es wird bitter und verlustreich werden, aber damit mussten wir immer rechnen, seitdem Jor und Konsorten uns angegriffen haben. Ich versichere Ihnen eines. Wir werden Hannover retten, oder bei dem Versuch sterben.“
Das Gesicht des obersten Politikers der Colonial Confederation wurde bleich bei diesen Worten. Vielleicht dachte er an das, was hinter dieser Ankündigung stand. Zehntausende tote Flottenangehörige. Hunderttausende toter Soldaten und Zivilisten. Eine Welt in Trümmern, die Städte geschleift, der Himmel verdunkelt von Asche, das All um den Planeten ein einziger Friedhof. Doch dann nickte er: „Ich nehme Sie beim Wort, Admiral.“
Er schaute sich um: „Ich denke, Sie alle sollten es als erste erfahren. Die Regierung der der Confederation wird nicht fliehen. Wir werden unsere Welt nicht im Stich lassen. Zudem könnten wir es nicht vor den Bürgern rechtfertigen – dass wir, die sie gewählt haben, fliehen, während sie zurückbleiben müssen.“ Der Blick zu den Chefs von Armee und Flotte unterband jeden Einwand von dieser Seite. Es war leicht erkennbar, dass diesen eine Evakuierung der politischen Spitze lieber gewesen wäre. Viele der niederen Dienstränge aber schienen Mut zu schöpfen.
„Wir – ich persönlich – werde mich binnen kurzem mit einer direkten Ansprache an das Volk wenden. Das Innenministerium hat bereits Anweisungen, dass der Notstand ausgerufen wird. Die Polizeikräfte werden binnen kurzem in Bereitschaft sein, um Unruhen und Plünderungen zu verhindern. Bei Annäherung feindlicher Boden- und Landungsverbände gehen sie automatisch in die Machtbefugnis des Militärs über.“

Der Generalgouverneur bemühte sich um Gelassenheit: „Wir werden die wichtigsten Städte räumen lassen, für den Fall, dass die Flotte geschlagen wird oder feindliche Einheiten durchbrechen, und die Akarii uns bombardieren oder landen. Mehr können wir nicht tun.“ Er brauchte nicht auszuführen, dass in diesem Fall unzählige Menschen dennoch sterben würden, auch wenn sie außerhalb der Reichweite der Raketen und Bordgeschütze der Angreifer blieben, immer vorausgesetzt, die Evakuierung glückte in der knappen Zeit. Egal wie gut man vorbereitet war – man konnte nicht Millionen und Abermillionen aus den Städten aufs offene Land verlagern und dort angemessen versorgen und unterbringen. Mangelnde medizinische Hilfe, Krankheiten und Unterernährung würden, wenn eine solche Krise länger als einige Wochen dauerte, zahllose Opfer fordern, vor allem wenn die geräumten Bevölkerungszentren verwüstet waren, wenn Fall-out und Meteoritenschwaden von Schiffstrümmern die Flüchtlinge plagen sollten.
„Admiral, Sie sprachen von weiteren Maßnahmen?“
„Ja, Sir. Wir werden jedes Schiff, das sich im System befindet, umgehend für militärische Belange beschlagnahmen. Hilferufe an unsere Nachbarsysteme, die Flotte und die TSN sind selbstverständlich bereits abgesetzt – offenbar auch durchgekommen. Rear-Admiral Bouisseau?“

Jacqueline Bouisseau musste sich Mühe geben, um nicht für alle hörbar nach Luft zu schnappen. Was wollte der Alte denn von IHR? Warum sollte SIE jetzt und hier sprechen, wo doch so viele höherrangige Offiziere anwesend waren? Dann fiel es ihr auf einmal ein. Karthago – Natürlich! Glücklicherweise schien keiner der Anwesenden ihre Überraschung richtig zu bemerken. Die meisten waren wohl in Gedanken bei ihren eigenen Aufgaben, oder bei ihrem Testament. Mit einer fahrigen Bewegung rief sie die entsprechende Datei auf. Vor Jahren angelegt, ständig aktualisiert, aber niemals ernsthaft in Erwägung gezogen, warteten hier die Informationen auf sie, die jetzt gefragt waren: „Aktivierung sämtlicher Schul- und Reservemaschinen wird mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt. Zivile Piloten, Einheiten in Privatbesitz, ebenso gewerbliche oder private Shuttles. Geschätzter Gewinn – etwa 12 bis 13 Staffeln größtenteils veralteter Kampfflieger, vor allem Jäger, einige Jagdbomber. Dazu vielleicht 100 bewaffnete oder in der kurzen Zeit aufrüstbare Shuttles. Mindestens 200 unbewaffnete Shuttles, ein Viertel davon aufrüstbar mit Tank- und SAR-Ausrüstung.“ Der Admiral nickte: „Gut. Holen Sie zur Not die Piloten aus den Altersheimen, die Maschinen aus den Museen. Ich will, dass nicht EINE Maschine oder EIN Pilot am Boden bleibt, wenn es so weit ist!“
„Jawohl, Sir!“
„Sie übernehmen das direkte Kommando – auch über das bodengestützte Geschwader. Die raumgestützten Einheiten und die Geschwader der Kampfstationen erhalten eigene taktische Kommandos. Einsatzleitung Jäger gesamt übernimmt Vizeadmiral Brand. Er hat auch den taktischen Befehl über die Flotte. Das Flottenoberkommando bleibt im Kommandobunker und dirigiert von dort – aber die Vizeadmiräle haben im Falle des Verlustes der Kommunikation volle Handlungsfreiheit.“ Er wartete, bis die Flottenoffiziere bestätigten.
„Wo wollen Sie den Feind stellen?“
„Eine Schlacht direkt beim Sprungpunkt scheidet aus. Wir könnten unsere boden- und stationsgestützten Maschinen nur mit stundenlangem Anflug einsetzen, zumal wir nicht wissen wann der Gegner genau kommt. Und ich möchte verhindern, dass wir das ganze Wurmloch sprengen – das könnte das halbe System in Schutt und Asche legen. Die dabei erzeugten Energien sind einfach unberechenbar. Wir werden unsere Großkampfschiffe in maximaler Schussweite des Sprungpunktes massieren, also etwas über eine halbe Lichtsekunde entfernt, gut 180.000 Kilometer. Die Umgebung des Punktes wird vermint – wir haben da ein paar Überraschungen vorbereitet. Wir werden alles an Metallschrott abkippen was wir kriegen können – das dürfte ihre Sensoren beschäftigt halten. Mit ein bisschen Glück krachen ein paar Feindjäger gegen Trümmerteile – das wird uns nicht viel helfen, aber jedes bisschen zählt…
Sobald die Angreifer ins System springen, greifen wir sie mit koordinierten Salven an. Die große Distanz erleichtert den Echsen natürlich die Abwehr, aber sie dürften wie gesagt mit Minen beschäftigt sein, vielleicht sind einige beschädigt. Sie müssen sich entscheiden ob sie räumen oder fechten. Außerdem ist geplant, dass mehrere Schiffe ihr Feuer konzentrieren. Wir ziehen uns feuernd in den Schutz der Kampfstationen zurück. Die Imperialen können so ihre Havaristen nicht einsetzen – die Schiffe, die beschädigt werden von Minen und unseren Raketen. Ein Teil der Minen wird auf Transportersignaturen eingestellt, so können wir vielleicht einen Bodenangriff verzögern.

Bei unseren Raumstationen werden auch die bewaffneten Shuttles und Frachter massiert – als Behelfsflak. An diesem Punkt stellen wir den Feind, mit allen unseren Jägern. Während des Rückzuges auf die Kampfpositionen kann der Gegner nur mit seinen Frontschiffen angreifen, die zudem auf Minen achten müssen. Seine Jäger müssten erst gestartet werden und brauchen für die Entfernung einiges an Zeit. Außerdem glaube ich nicht, dass sich unsere Gegner so verzetteln wollen.“
Er schien für einen Augenblick fast so etwas wie Trauer zu zeigen – was aber natürlich nicht sein konnte, nicht bei ihm.
„Ich weiß, dass bei einem Gefecht in Planetennähe die Gefahr von Sekundärschäden besteht – fehlgegangene Raketen, Raumtrümmer und so weiter. Aber wenn wir Hannover nicht ganz verlieren wollen, müssen wir dieses Risiko eingehen. Wir haben keine andere Wahl – diese Frage ist mit Karthago bereits geklärt. Wir müssen den Feind direkt vor unsere Stadtmauer ziehen, und ihn dort vernichten.“
Er schwieg für einen Moment. Dann nickte er General Brenner zu: „Was die Bodenverteidigung angeht – das ist Sache der Armee.“

General Brenner war ebenfalls kein Mann vieler Worte – bei ihm gehörte dies freilich wirklich zum Wesen, denn er galt nicht unbedingt als politisch begabter Kopf. Als Truppenführer hatte er jedoch seine Qualitäten, darüber hinaus jedoch war er niemals besonders aufgefallen.
„Wir haben drei komplette Jagdgeschwader mit je 120 Kampffliegern, dazu zwei Jagdbomber- und ein Bombergeschwader. Nehmen wir die Trainingseinheiten und Reservemaschinen dazu, kommen wir auf ein weiteres gemischtes Geschwader von 120 Maschinen. Insgesamt also über 800 Kampfflieger. Sie alle sind einem Raumjäger zwar im Schnitt unterlegen, aber meine Piloten sind gut ausgebildet für den Kampf in der Atmosphäre. Wenn die Imperialen ausreichend dezimiert sind und etwaigen Landungsverbänden keine Luftsicherung mehr geben könne, reißen unsere Bomber sie spätestens am Boden in Fetzen. Reserveflugplätze sind bereit, Informationen über Ausweichpisten werden ausgeteilt. Verfügbare Bodentruppen sind zwei Panzer- und sechs Infanteriebrigaden. Dazu Sondereinheiten und Reserveverbände in Stärke von zwei weiteren gemischten Brigaden, darunter auch die Presidents Storm Infantry. Ein Bataillon von ihnen ist für den direkten Schutz der Regierung eingeteilt – zusammen mit dem 1. Elitebataillon der Marineinfanterie, das den Flottenstab schützt.“
Natürlich wollte sich die Flotte nicht von den „Fußlatschern“ bewachen lassen, deshalb waren gleich zwei Eliteverbände auf Hannover stationiert.
„Allerdings können wir nicht sicher sein, wo der Gegner genau landen wird. Schwerpunktbildung ist deshalb kaum möglich. Wir können die Truppen nur an den nahe liegenden Zielen stationieren – läuft erst einmal die Landung, ist eine Verlagerung wegen Orbitalbeschuß und Luftangriffen nur noch schwer möglich. Wir verfügen überdies über Kurz- und Mittelstreckenraketen mit konventionellen Sprengköpfen und einige Einheiten der taktischen Marinereserve, die konventionelle Marschflugkörper von Unterseebooten abfeuern können. Die Vorbereitung für die Ausgabe von Waffen an die Zivilschutzverbände läuft – Lasergewehre, Raketenwerfer, SAM-Werfer.“ Er lächelte grimmig: „FFI- und Bilderkennungsraketen, also besteht keine Gefahr dass sie unsere eigenen Jäger runterholen.“ Das nervöse Gelächter wirkte kaum weniger gekünstelt als der Witz selber. Der Zivilschutz war zum Großteil eine Art Katastrophenhilfe, aber er hatte auch einen bewaffneten Arm – Männer und Frauen mit einer improvisierten Kurzausbildung im Häuserkampf, ehemalige Soldaten und dergleichen mehr. Die CC hatte eine Invasion immer für möglich gehalten, und wollte für einen Partisanenkrieg gerüstet sein.
„Ebenso liegen ausreichend Signalzünder und Bilderkennungsminen in den Depots – sie werden an die Sprengkommandos verteilt. Wir geben auch Präzisionsgewehre aus – alles was wie ein imperialer Offizier aussieht, sollte den Kopf einziehen.“ Der Admiral nickte knapp: „Hoffentlich machen sie DABEI keine Fehler.“ womit er darauf anspielte, dass er selber Akarii war. Wieder lachten einige.
„Wie viele Männer und Frauen dürften das in etwa sein?“
„Je nachdem wie schnell die Imperialen anrücken, rechne ich mit 50. bis 100.000 Männern und Frauen, die zumindest eine Grundausbildung im infanteristischen Schießen, Häuserkampf und so weiter haben. Die Armee des Imperiums hat den Jungs der FRT zwei Jahre auf Wron standgehalten. Wenn nötig, halten wir ebenso lange durch. Unsere Truppführer haben Pläne der Städte, auch der Kanalisationen und Wartungsgänge, und sie haben gelernt sich dort zu bewegen. Wir geben auch Nachtsichtgeräte und Sprengmittel aus. Wenn der Gegner landen will, wird er für jeden Meter bluten müssen.“

Der Generalgouverneur hatte sich inzwischen wieder gut unter Kontrolle. Niemand konnte der Gedanke gefallen, eine ausgewachsene Schlacht auf dem Planeten zu erleben. Aber vielleicht schöpfte er Trost aus der Tatsache, dass eine Invasion des Feindes auf schwer überwindbare Hindernisse stoßen würde. Und dass man hoffen konnte, der Gegenseite sei das klar. Falls sie nicht wie bei Manticore einfach alles mit Atomwaffen vernichteten.
„Da wäre freilich noch etwas, Generalgouverneur. Dieser Punkt ist in Fall Karthago nicht geklärt.“
Die Miene des Generals wirkte unbehaglich, aber entschlossen, als er fortfuhr: „Wie steht es mit dem Einsatz von Atomwaffen?“ Für einen Augenblick herrschte fassungsloses Schweigen. Auch viele Militärs starrten Brenner schockiert an, nicht nur der Generalgouverneur. Es entging Jacqueline Bouisseau allerdings nicht, dass der Admiral nicht dazugehörte. Entweder er war so kaltschnäuzig, oder er hatte etwas gewusst.
Der Generalgouverneur zeigte diesmal wirklich Nerven. Er hatte sich bisher hervorragend gehalten, aber das war denn doch zuviel. Er explodierte nicht gerade, aber viel fehlte auch nicht mehr: „Wollen Sie etwa Hannover in eine Wüste verwandeln?“
„Ich rede nicht von Megatonnen-Raketen wie den Exocet, Harpoon oder Maverick. Nur von subtaktischen Sprengköpfen, vielleicht bis zu fünf Kilotonnen. Sie sollten sich fragen, ob eine Brigade kaiserliche Marines – oder mehr – nicht größeren Schaden anrichten kann als eine Atombombe.“
Cochrane war anzusehen, dass er sich langsam fragte, ob seine Militärs in ihrer Kampfbereitschaft nicht etwas zu weit gingen. Er war bereit für die Freiheit der Confederation zu tun, was getan werden musste, vermutlich zumindest theoretisch den Verlust seines eigenen Lebens mit eingeschlossen – die Frage war nur, ob das auch die Zerstörung Hannovers beinhaltete. Er machte es sich jedoch nicht einfach.

„Lassen Sie ein Dutzend taktischer Kommandos zusammenstellen. Je zwei Jagdbomber und zwei Rotten Jäger. Die Einheiten erhalten pro Jagdbomber zwei Fünf-Kilotonnen-Bomben. Und zwei U-Boote sollen ebenfalls je zwei Sprengköpfe erhalten. Verteilung der Kommandos obliegt Ihnen, sorgen Sie dafür, dass die möglichen Landungszonen möglichst effektiv abgedeckt sind. Ich bestehe aber darauf, dass jeder Einsatz vorher von mir oder meinem Stellvertreter abgesegnet wird.“
„Sir, wenn das Kommandozentrum oder die Kommunikation ausfallen sollte…“
„Es wird darüber nicht mehr diskutiert. Sie haben meinen Entschluss gehört.“
General Brenner hielt für einen Moment Augenkontakt. Dann verneigte er sich leicht: „Jawohl, Sir.“
Der Generalgouverneur straffte sich. Er schien aus dieser – sicher schmerzhaften – Entscheidung wieder etwas Kraft geschöpft zu haben: „Meine Damen und Herren – Sie kennen Ihre Aufgaben. Das Parlament und mein Kabinett werden sich unter den Schutz der Presidents Storm Infantry und der Marines begeben, und dem Flottenstab zur Seite stehen.“ Außerdem verfügte das Hauptquartier der Flotte über die besten Kommunikations- und Schutzeinrichtungen auf ganz Hannover.

Ehe er aber die Sitzung formell aufheben konnte, damit sich jeder an seine Aufgaben machen konnte, meldete sich die Kommandeurin der Reserveflieger zu Wort. Sie war sich später nicht ganz sicher, was zu diesem gelinden Größenwahn geführt hatte. Der Gedanke, der ihr gekommen war, schien ihr im ersten Augenblick selber ungeheuerlich. Aber sie erinnerte sich daran, was auf dem Spiel stand. Sie selbst würde binnen kurzem buchstäblich hunderte Piloten in den fast sicheren Tod schicken müssen. Scheiterten sie, mochten noch viel mehr Menschen und Akarii sterben, wenn der Feind Hannover direkt angriff.
„Admiral, Generalgouverneur, General – ich bitte darum, mir das Wort zu erteilen.“ Sie schwankte nicht, als sich auf diese Worte hin die Augen der Anwesenden auf sie konzentrierten. Nun ja, wenigstens schwankte sie nicht viel…
„Was denn, Rear-Admiral? Sollten Sie das nicht lieber mit der Flotte besprechen?“ Das kam von General Brenner.
„Nein, Sir. Ich halte es für wichtig, weil es Sie alle betreffen könnte.“
Der Generalgouverneur und der General schienen wenig zur Geduld geneigt – immerhin hatten sie eine ganze Welt auf einen Angriff vorzubereiten. Aber der Admiral nickte seiner Untergebenen knapp zu: „Ich denke, wir sollten uns das anhören, meine Herren – aber fassen Sie sich kurz!“
„Jawohl Sir. Ich wollte vorschlagen, dass wir einen Aufruf zur Ausstellung eines Sonderangriffsverbandes herausgeben – Freiwillige, die sich mit ihren Maschinen auf feindliche Großkampfschiffe stürzen. Die Erfahrungen der Schlacht von Tukama zeigen, dass so durchaus Erfolge erzielt werden können. Wenn wir nur einen ihrer Träger vernichten oder schwer anschlagen können, schwächt das die Stärke der Angreifer enorm, ihre Moral möglicherweise ebenso…“
Jacqueline Bouisseau registrierte sehr wohl die verdutzten, bestürzten, ja teilweise feindseligen Mienen, die ihre Worte hervorriefen. Ein solcher Vorschlag war in der individualistischen Colonial Confederation mehr als ungewöhnlich, ja ungehörig. Das Ideal der Selbstaufopferung – immer verbunden mit der Unterordnung unter ein Kollektiv, eine Sache – wurde auf Grund mancher Erfahrung in der Vergangenheit nicht frei von Skepsis und Misstrauen betrachtet.
Die Admirälin sprach schneller, fast als fürchtete sie, man könnte ihr das Wort verbieten: „Ich würde vorschlagen, Jagdbomber mit überschweren Atomsprengladungen – nicht mit Standardraketen – zu bestücken. Wenn sie im Schutz unserer übrigen Jäger angreifen, haben sie gute Chancen, durchzukommen.“
Der Generalgouverneur machte eine knappe Handbewegung, als wolle er ihr das Wort abschneiden: „Das ist undenkbar. Wir fordern doch unsere Soldaten nicht zum Selbstmord auf. Wir sind doch nicht das Kaiserreich.“
„Sir – ich rede natürlich nicht davon, dass wir unsere Soldaten unter Druck setzen. Es wäre auf rein freiwilliger Basis. Sir, wir kämpfen um das Überleben der Confederation. Sie alle wissen, wie viele unser Soldaten – und Zivilisten – in dieser Schlacht unweigerlich sterben werden. Sollten wir nicht versuchen, die Zahl dieser Opfer so gering wie möglich zu halten? Wir müssen einfach den Feind von Hannover fernhalten, damit wir ihm nicht am Boden gegenübertreten müssen. Wir müssen Zeit gewinnen, so lange bis die Vierte Flotte oder unsere eigenen Schiffe eintreffen. Und ich würde vorschlagen, dass man vielleicht mit dem Versprechen einer postumen Beförderung um ein oder zwei Ränge mit entsprechender Hinterbliebenenrente und einem entsprechenden Orden – dem Confederation Cross in Gold oder dergleichen – die Wertschätzung für diese Bereitschaft ausdrücken könnte…
Generalgouverneur, zwei Dutzend Kamikaze haben bei Tukama mehrere Kreuzer der TSN schwer beschädigt oder vernichtet. Wenn uns ähnliches mit den feindlichen Trägern gelingt…“
„Genug. Wir dürfen nicht so tief sinken wie unsere Gegner. Wie solches Gedankengut in unserer Flotte gedeihen kann, ist mir ohnehin schleierhaft. Die Streitkräfte Jors und Eliaks mögen so weit gehen, totalitäre Regime mögen in der Vergangenheit auf diese Idee gekommen sein. Aber es ist schlimm genug, dass wir unsere Männer und Frauen in die Gefahr schicken. Ich werde niemanden sehenden Auges in den Tod befehlen, und dabei an Ruhmsucht, oder an wirtschaftliche Interessen appellieren. Ist das klar?“
„Aber Sir, es wäre geradezu töricht…“
„Ich sagte GENUG!“
„Ja…Sir.“

Die Rear-Admirälin setzte sich. Sie registrierte, dass mehrere ihrer Nachbarn von ihr abzurücken schienen. Nicht unbedingt aus Abscheu, aber es war klar, dass sie soeben zumindest ein paar Jahre ihrer Karriere geopfert hatte. Das Militär der CC hatte keine Tradition darin der Politik zu diktieren. Dergleichen hatte man aus gutem Grund abgelehnt. Ganz besonders hatte man nicht zu entscheiden was töricht war und was nicht, wenn man ein junger Rear-Admiral war.
Der Generalgouverneur warf einen letzten Blick in die Runde. Offenbar betrachtete er das Thema als erledigt: „Damit wäre im Moment das wichtigste wohl entschieden. Ich erwarte, dass Sie alle erreichbar bleiben. Meine Damen und Herren – wir haben eine Welt zu retten.“
Und wie ein Mann salutierten die Uniformierten. Dann machten sie sich auf den Weg.
Jacqueline Bouisseau blieb für einen Moment noch sitzen. Kein Grund, das Gedränge noch zu vermehren. Kein Grund auch, ihrer Karriere eine Träne nachzuweinen, die sie soeben wohl in den Wind geschossen hatte. Nun, das sollte wohl in den nächsten 48 Stunden ihr geringstes Problem sein – und danach gab es für sie vielleicht ohnehin keine Probleme mehr. Sie hatte eine eigene Maschine, eine ausrangierte Typhoon der TSN. Sie liebte die agile Maschine, die den Eigenbauten der CC überlegen war. Lokalpatriotismus in Ehren, aber die TSN hatte einfach die besseren Mittel. Nun, es würde wohl anzunehmen sein, dass man von ihr erwartete, dass sie ihre Untergebenen in den Kampf führte. Außerdem lag ihr letzter richtiger Luftkampf schon lange genug zurück, auch wenn sie sich in Form gehalten hatte. Und besser, von einem Imperiumsjäger gegrillt, als im Kommandobunker von einer Imperiumsbombe verdampft zu werden.
„Rear-Admiral…“
Die trockene Stimme riss sie geradezu von ihrem Sitz hoch. Vor ihr stand der Flottenbefehlshaber. Wenn er ihr wegen ihres Vorschlages gram war, dann zeigte er dies nicht. Aber das war eigentlich keine Überraschung, denn der Admiral zeigte ohnehin selten Emotionen.
Sie salutierte zackig: „Sir!“
Er nickte ihr zu: „Ich erwarte von Ihnen umgehend Meldung, wie viele Maschinen Sie zusätzlich klarmachen können. Wenn der Augenblick der Entscheidung kommt, werden Ihre Jäger ein Drittel unserer Kampfflieger ausmachen. Sicher nicht das modernste und beste, aber dennoch von großer Bedeutung.“
„Jawohl, Admiral.“ Dann, obwohl er den Eindruck erweckte, es sei nichts vorgefallen, fügte sie hinzu: „Und ich wollte mich entschuldigen…“
Aber wieder wurde ihr das Wort abgeschnitten: „Unnötig. Eigentlich haben wir keine Zeit, doch lassen Sie mich Ihnen ein paar Worte auf den Weg mitgeben. Es gibt nichts, wofür Sie sich bei mir zu entschuldigen hätten – und meiner Meinung nach auch nicht bei jemand anderem. Ihr Vorschlag war…interessant, und angesichts der Eile und der Umstände sogar bemerkenswert. Wenn wir unsere Kampflieger auf diese Flotte loslassen, schicken wir sie in den fast sicheren Tod. Warum nicht an die Bereitschaft der Männer und Frauen appellieren, mit ihrem Leben das ihrer Mitmenschen zu erkaufen? Dies geschieht im Krieg Tag für Tag – wir alle sind aufgerufen, unser Leben zu wagen, es zu geben, um andere zu beschützen. Der Vorschlag wurde abgelehnt – aber das heißt nicht, dass er falsch war. So lange Kriege geführt werden, so lange wird man darüber streiten, WIE man sie zu führen hat. Haben Sie das verstanden? Gut. Denken Sie immer daran – gerade ich als Akarii kann es nicht hinnehmen, dass wir wieder unter die Herrschaft des Imperiums fallen. Wir sind nicht grundlos ausgewandert. Und wenn wir unser Leben einsetzen müssen, um zu verhindern, dass dies umsonst war...“
Damit drehte er sich um und ging. Die Offizierin atmete tief durch. Ihr Vorschlag war abgelehnt worden – ob zu Recht oder zu Unrecht, musste offen bleiben.. Vielleicht würde sie niemals ein eignes Kommando bekommen. Aber sie würde dennoch ihre Pflicht tun – etwas anderes stand außer Frage.
Sie setzte sich wieder an ihren Platz: „Hier Rear-Admiral Bouisseau, ein Trabsportshuttle für mich bereitmachen. Verbinden Sie mich mit der Kommunikationszentrale – Fall Karthago-Sieben, Befehle ausgeben. Und dann möchte ich, dass Sie mir ein Dossier anhand der Personalunterlagen von Hannover zusammenstellen – alle Männer und Frauen mit Pilotenausbildung. Und ich meine ALLE. Und dann tanken Sie meinen Jäger auf und bestücken Sie ihn…dann lassen Sie das halt jemanden veranlassen!“
Auf ganz Hannover liefen die Vorbereitungen an. Der Feind mochte bald kommen, und mit überwältigender Macht, lange eher für Hannover Verstärkung eintraf. Aber er würde keine leichte Beute vorfinden.
Cattaneo
Cunningham

In der CIC der Hongkong war es ruhig. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Das gedämmte Licht, welches dafür Sorge trug, dass die Offiziere und Gasten sich auf ihre erleuchteten Computerbildschirme konzentrierten, sorgte für eine gespenstische Atmosphäre.
Rearadmiral Benk Schepens war über den Kartentisch in der Mitte gebeugt. An den anderen drei Seiten des Tisches standen Captain Lee Min-Joo, die Kommandantin der Hongkong, ihr erster Offizier, Schepens Stabschef, seine Nachrichtendienstoffizierin und der CAG der Hongkong.
Das Bild, welches sich dem Admiral bot, war nicht dazu geeignet seine Stimmung zu heben.
Kaum drei Stunden nach den Befehlen der 2. Flotte, Stellung zu halten und auf Columbia und Wasp zu warten, waren die Akarii in Karrashin eingefallen.
Die verfluchten Echsen hatten seine beiden Vorpostenfregatten einfach überrannt und anschließend drei Versorger aufgebracht, die zu weit entfernt waren, um sich in den Schutz seiner Flotte zu flüchten.
Bei den hereinkommenden Meldungen hätte Schepens am liebsten selbst das Hasenpanier ergriffen. So aber hatte er seine Flotte etwas verstreut und Schleichfahrt und Funkstille befohlen. Die Hongkong selbst stand im Radarschatten von Karrashin V, mit nur einigen wenigen Dickschiffen zur Begleitung.
Eine äußerst ungünstige Situation, sollten die Akarii um den Planeten herum kommen, aber ein größerer Verband wäre den Akarii sicherlich nicht verborgen geblieben.
So hatten sie einige Tage blind und taub im System gelegen, ehe Schepens sich dazu durchgerungen hatte, einzelne Griphen mit Aufklärungspods hinauszuschicken.
Jede dieser sechs Maschinen war ein Risiko gewesen. Ihre Entdeckung hätte nicht nur zum wahrscheinlichen Tod des Piloten geführt, sondern den Akarii auch noch mitgeteilt, dass hier noch ein Erdträger herumlungerte.
Das Risiko hatte sich gelohnt, vor allem da alle sechs Piloten heil wieder nach Hause gekommen waren.
„Also, Meinungen?“
„Ziemlich klein für eine Angriffsflotte dieses Kalibers. Da fehlen doch sicherlich gut ein Dutzend Kreuzer oder mehr.“ Die Nachrichtendienstlerin deutete auf die Akariiflotte im Orbit von Karrashin III. „Die haben ja sogar Zerstörer zur Innensicherung herangezogen.“
„Ebenso ist der Flugbetrieb recht eingeschränkt.“ Merkte Commander Robert Tyler, der CAG, an. „Der Patrouillenraum scheint mir ein wenig dünn besetzt zu sein.“
Captain Lee trommelte nervös mit den Fingern der linken Hand auf der Glasplatte herum: „Haben die Akarii nicht ihre Manticoreflotte gefleddert, um ihre Hauptflotte einsatzbereit zu halten?“
Schepens nickte: „Sie glauben also, die sind nur unzureichend ausgerüstet?“
„Es deutet alles darauf hin.“ War ihre Antwort. „Vielleicht sollten wir schon aktiv werden und eine Art Guerilla-Kampagne gegen die Akarii führen. Wir könnten ihre äußeren Patrouillen mit einer Überlegenheit unserer Jäger angreifen und Schritt für Schritt den Feind schwächen.“
„Das halte ich für keine gute Idee.“ Warf Tyler ein. „Selbst wenn die beiden Uniform sechzig Prozent an Jägern und Bombern an Bord haben, sind sie uns maschinentechnisch drei zu eins überlegen. Im schlimmsten Fall haben wir es mit einer fünf zu eins Übermacht zu tun. Wenn wir aktiv werden, finden die uns und dann sind wir geliefert. Wir sollten auf die Columbia warten.“
„Ganz genau.“, stimmte Schepens Stabschef mit ein, „Dabei sollten wir natürlich so viele Informationen über den Feind sammeln, wie es nur geht.“
Schepens dachte kurz nach: „Wir warten auf die Columbia. Hoffentlich kommt sie bald.“

**********

„Die Oberkommandierende.“
Höflich erhoben sich die Offiziere rund um den Besprechungstisch. Lay Rian marschierte um diesen herum und nahm am Kopf Platz.
In den zwei Monaten, in denen sie das Kommando über die akariische Flotte innehatte, war das Alter im Admiralstab stark gestiegen. Nur die fähigsten Offiziere aus Jors Zirkel waren noch auf ihrem Posten.
Mit Argusaugen beobachtet.
„Myladys, Mylords Admirals…“, begann Lay, „Ich werde Ihnen nun die genauen Pläne offerieren, die ich für unsere Flotten habe.“
Leises Gemurmel wurde laut, Stühle wurden nochmal zurechtgerückt, bevor gespanntes Schweigen aufkam.
„Unseren nachrichtendienstlichen Erkenntnissen zufolge stehen wir zurzeit drei terranischen Flottenträgern gegenüber. Grundsätzlich eine Streitkraft, die wir brechen können. Aber: Die Terraner verfügen derzeit über die Möglichkeit, schnell Verstärkungen heranzuführen, so dass wir selbst bei einem erfolgreichen Angriff auf die Große Armada uns einem unaufhaltsamen Gegenschlag gegenüber sehen.“
Sie ließ ihre Worte kurz wirken. Trotz der vielen Zyklen, die sie schon hinter sich gebracht hatte, besaß die alte Admiralin immer noch eine kraftvolle Stimme und eine erhabene Statur.
„Von daher werden wir den Gegner bedrängen und abwarten, bis seine potentiellen Verstärkungen gebunden sind. Um dies zu bewerkstelligen, werden wir ein strategisches Ziel angreifen, welches für den Gegner von ultimativer Bedeutung ist. Für die Versorgung seiner Fronteinheiten, genauso für seinen nationalen Fortbestand.“
Auf dem Wandbildschirm erschien ein Sternensystem: „Unsere Kartographen haben dem System den Codenamen Parrak gegeben. Parrak ist für die Terraner in etwa so wichtig wie ihr Heimatsystem, und unseren Schätzungen zufolge werden sie wenn nötig alle verfügbaren Streitkräfte aufbieten, die ihnen zur Verfügung stehen. Sobald wir Parrak entsprechend bedrohen, werden wir die Große Armada angreifen und sie schlagen.“
Hares Logg hob den rechten Arm: „Mylady Großadmiral, mit welchen Kräften gedenkt Ihr Parrak zu bedrohen? Admiral Ilis' wurde gegen die Konföderation in Marsch gesetzt und zwei der Träger bei Manticore sind jetzt schon im Hinterland der Großen Armada.“
„Ich habe vor einigen Stunden ein Kurierschiff in den Draned Sektor geschickt und Einsatzbefehle an Admiral Taran geschickt. Wenn die Meldungen aus Draned stimmen, dann haben wir zwei weitere voll einsatzfähige Flottenträger.“
„Und Sie meinen, Taran wird Parrak ernst genug zusetzen können?“ Hakte Logg nach.
„Nun, ich habe für ihn noch Verstärkung aus einigen Systemverteidigungsverbänden zusammenziehen lassen. Dazu ein Trägerkreuzer aus der Heimatflotte und einen weiteren Dummie, der die Anwesenheit eines dritten Trägers simulieren wird. Ich bin sicher, Taran wird die ihm gestellten Aufgaben zufrieden stellend absolvieren.“
„Wenn wir dann die so genannten Große Armada stellen ......“

**********

Der CAG auf einem Träger hat keinen Dienstplan, nachdem er sich richten konnte. Genauso wie der Captain eines Kriegsschiffes, der Erste Offizier und der stellvertretende Geschwaderführer hatte ein CAG 24-Stunden-Rufbereitschaft.
Lone Wolfs Arbeitstage hatten früher sechzehn bis zwanzig Stunden gedauert. Angefangen mit dem normalen Pilotendienst, vor dem er sich mit Berufung auf seinen Posten hätte drücken können, doch er war zu sehr Kampfpilot. Dann waren die vorbereitenden Arbeiten für die Einsätze des Geschwaders, nachrichtendienstliche Besprechungen, Überprüfung der Geschwaderlogistik, Aufklärungs-, Gefahren-, Einsatz- und Patrouillenanalyse, Personal- und Gesundheitsmanagement. Nicht, dass er von einer dieser Aufgaben die Hauptarbeit machte, doch er hatte auf jeder dieser Hochzeiten tanzen müssen.
Die Flottenverwaltung würde sicherlich einen kollektiven Gehirnschlag erleiden, wenn ein CAG es jemals versäumen würde, unter die Formulare für die regelmäßigen und unregelmäßigen Drogentests seiner Piloten seine Unterschrift zu setzen.
All diese Aufgaben hatten Lone Wolf in der Vergangenheit auf Trab gehalten.
Nun zog die Columbia wieder in den Kampf und Lucas saß an seinem Schreibtisch in seiner Kabine. Sein Arbeitsplatz war aufgeräumt wie nie zuvor.
Die Tage auf einem Träger konnten wirklich eintönig und langweilig sein, wenn man keine Aufgabe hat. Natürlich hatte es etwas Positives, zum ersten Mal seit zehn Jahren schlief er mal wieder acht, neun oder zehn Stunden am Stück. Ein unerhörter Luxus auf einem Kriegsschiff.
Auch konnte er endlich wieder regelmäßig essen. Früher hatte sein ungesunder Lebensstil dafür gesorgt, dass er rank und schlank blieb, doch jetzt wo ihn kein Stress auf den Beinen hielt, hatte er schon sechs Pfund zugenommen.
Wenn er nicht aufpasste, musste er tatsächlich mit Sport beginnen. Darüber hinaus hatte sich sein Tabakkonsum mindestens verdoppelt.
Vor dem Krieg hatte er ein halbes Jahr gebraucht, um von den Zigaretten los zu kommen. Die Aufregung des Krieges hatte ihn wieder anfangen lassen. Jetzt rauchte er aus Langeweile.
Auf dem Monitor, der in die Tischplatte integriert war, flimmerte das Bild von seiner Frau. Es war ihre letzte V-Mail. Er hatte die Nachricht schon viermal gesehen und hatte sie nur aufgerufen, um Melissas lächelndes Gesicht zu sehen.
Tja, als CAG hatte er wenig Zeit gehabt, Freundschaften an Bord zu knüpfen. Nicht, dass er je großartige Versuche gemacht hatte. Fast alle seine Piloten waren ihm fremd, unabhängig vom jeweiligen Dienstgrad. Abgesehen von Donovan Cartmell, aber dieser war nun wirklich der letzte Mensch auf Erden, mit dem er reden wollte.
Commander Richard Schönberg, der Schiffsseelsorger, und der Chefarzt Peter Langenscheid waren gute Bekannte, aber auch keine geeigneten Gesprächspartner.
James Waco war eigentlich der einzige an Bord, mit der er entspannt und offen reden konnte. Doch der Captain der Columbia hatte gerade jetzt überhaupt keine Zeit. Chief Dodson konnte er zwar gut leiden, kannte ihn aber noch nicht lange genug, um ihn mit seinen Sorgen zu belasten.
Was ihm tatsächlich fehlte war eine Schulter zum anlehnen, und näher als auf dem Computerbildschirm würde er Melissa nicht kommen.
Betrübt lehnte er sich zurück. In wenigen Minuten würden sie springen. Er nahm sich vor, während der nächsten Gefechte in der CIC zu sein.
Cattaneo
Cattaneo

Der Countdown

Die neue Kommandeurin der Grünen Schwadron stand einsam auf dem „Promenadendeck“ der Columbia und starrte in die Weiten des Alls. Für einen Augenblick verzichtete sie auf die energische Strenge, die sonst ihr Auftreten kennzeichnete. Sie stand vornübergebeugt an einem der Fenster, die Arme gespreizt um sich am „Rahmen“ abzustützen, und starrte in die Dunkelheit hinaus. Ihren Gesichtsausdruck hätte man beinahe als wehmütig bezeichnen können, hätte eine solche Sentimentalität zu ihr gepasst.
Momentan war es hier ungewöhnlich leer, doch es war nicht die Abgeschiedenheit, die Lilja suchte. Das Schiff, oder vielmehr die ganze Flotte, bereitete sich auf einen Gefechtssprung vor, der sie in ein unbekanntes Schicksal hineintragen würde. Auch sie selber würde sich in wenigen Minuten zu ihrer Staffel – und jetzt IHRE Staffel im ureigensten Sinne des Wortes – begeben müssen, die im Bereich der Hangars in Bereitschaft war. Vermutlich war man im Augenblick gerade dabei die Kampfflieger der Schwadron aufzutanken und mit Raketen zu bestücken, so dass sie im Notfall sofort starten konnten, sobald die Columbia bei Karrashin ankommen würde. Die Piloten hatten bereits Karten des Systems erhalten, um sich über die möglichen natürlichen Gefahren informieren zu können, wie Meteore, Gravitationsverhältnisse und dergleichen mehr. Die Streber unter ihnen, die neue Kommandeurin voran, hatten die Unterlagen selbstverständlich schon studiert.
Denn niemand konnte genau sagen, was sie darüber hinaus in dem System erwartete. Ein Zusammenstoß mit dem Feind wurde zwar im Augenblick nicht fest erwartet, war aber möglich, wenn die Akarii von Drawn aus weiter vorgestoßen waren. Das wäre ein gewagtes Unternehmen gewesen, selbst für zwei Uniform-Träger, aber wer konnte sagen, was sich die Echsen in ihrem wiedergefunden Angriffsgeist zutrauen mochten? Lilja wusste mit Sicherheit, dass neue Kämpfe bevorstanden, neue Herausforderungen – und für so manche von ihnen der Tod. Die Angaben über die Stärke des Feindes waren ungenau, zumindest die Informationen, die man ihr gegeben hatte. Aber in jedem Fall würden sie es wohl bald mit zwei Flottenträgern der Akarii und ihren Begleitschiffen zu tun bekommen.
Vielleicht würden die feindlichen Geschwader ja unterbesetzt sein, nicht gerade Elitestatus haben, und die Geleitschiffe wären der menschlichen Flotte nicht gewachsen – wenn sie Glück hatten. Aber Lilja rechnete nicht damit. Schon seit dem Schock der ersten Kriegswochen, spätestens aber seit der Schlacht von Jollahran, erwartete sie lieber das schlimmste, als dass sie sich auf optimistische Schätzungen verließ. Wohl einer der Gründe dafür, dass sie immer noch am Leben war.
Gewiss war nur, es würde vermutlich ein harter Kampf werden. Lilja machte sich da keine Illusionen, und sie wusste, das galt auch für ihre Untergebenen. Der Gegner, auch ein so starker, war besiegbar, das hatten die Angry Angels mehr als einmal bewiesen. Sie waren nicht allein, die Geschwader der Wasp und Hongkong standen ihnen zur Seite, und diese hatten ebenfalls so manchen Sieg an ihre Fahnen geheftet. Auch die Kreuzer der Columbia waren kampferprobt und hatten in den letzten Jahren ein ums andere Mal ihren Wert bewiesen. Doch viele Siege waren in der Vergangenheit teuer erkauft worden. Diesmal würde es kaum anders werden.

Und dennoch, obwohl sie eigentlich im Moment bei ihrer Staffel seien sollte, und mit ihren Gedanken bei der kommenden Schlacht, hatte sie sich ein wenig ihrer knappen Zeit reserviert, um hierher zu kommen. Ihre Augen suchten den einen fernen, entschwindenden Stern inmitten unzähliger anderer, welcher der Grund für ihre Anwesenheit war, und bei dem ihre Gedanken verweilten. Dieses Flackern, das inmitten der Lichter des Alls und den künstlichen Sternen der versammelten Flotte beinahe unterging, wurde von den Triebwerken eines Flottentransporters hervorgerufen. Er war nur ein Nichts inmitten von über siebzig Kriegsschiffen, und dennoch konnte sie ihre Augen nicht von ihm abwenden. Das Schiff strebte bereits entschlossen dem Sprungpunkt entgegen, während die Flotte noch abwartend verharrte. Sein Weg würde ihn zu einem anderen Ort bringen als dem Ziel der Flotte. Er flog nach Hause, in Sicherheit – wenn es das in einem Krieg überhaupt gab. Die Russin fühlte eine bittere Traurigkeit, doch nicht so sehr, weil sie sich selbst zurück zur Erde wünschte und gerne an Bord des Schiffes gewesen wäre. Das konnte warten, bis der Krieg vorbei war. Nein, ihr Herz wurde vielmehr schwer wenn sie daran dachte, was das Schiff mit sich trug.
Vor dem Gefechtssprung hatte man sich entschieden, einiges an „Ballast“ loszuwerden. Und damit waren nicht nur gut 900 gefangene Akarii auf dem Weg in die Lager im Hinterland gemeint, sondern auch die Schwerverwundeten der Flotte und des Geschwaders. Unter ihnen war auch Liljas Vorgängerin, und unwillkürlich fragte sich die Pilotin, ob sie ihre Vorgesetzte und Freundin jemals wiedersehen würde. Lightning war schwer verwundet worden und lag noch immer im Koma. Von dem Silver Star, der ihr verliehen worden war, wusste die Britin noch nichts. Erst wenn sie wieder erwachen würde, konnte sie die Auszeichnung selber in Empfang nehmen. Es schmerzte Lilja, mehr als sie zuzugeben bereit war, dass es ihr verwehrt bleiben würde, in diesem Moment ihrer Freundin zur Seite zu stehen. Der Orden wurde nicht oft vergeben, und sie selber hatte immer davon geträumt, ihn eines Tages zu erringen. Jetzt wurde er verdientermaßen einer guten Kameradin verliehen, und sie konnte ihr nicht einmal gratulieren.
Doch das war natürlich noch nicht alles. Sie war selber mehr als einmal verletzt worden und schon vor Lightnings Verletzung hatte mehr als einer ihrer wenigen Freunde seinerseits schwere Wunden an Leib und Seele davongetragen. Vielleicht waren sie deshalb auch ihre Freunde – weil sie soviel verband und weil sie einander verstanden. Sie würde es natürlich anderen gegenüber nicht zugeben, aber sie wusste nur zu gut um die Bedeutung, welche die Gegenwart eines nahestehenden Menschen bei der Genesung solcher Verletzungen spielen konnte. Gesellschaft gab Mut und Halt, bot Abwechslung und Ablenkung, und sie zwang auch dazu, sich nicht dem Schmerz zu ergeben. Jetzt würde es ihr unmöglich sein, ihrer Freundin diesen Dienst zu erweisen, sich mit ihr über die hohe Auszeichnung zu freuen, ihre Genesung zu unterstützen. Sie würde nicht...

Mit einem unterdrückten Seufzen, ängstlich bedacht, dass aus der Trauer nicht mehr wurde, zwang sich Lilja dazu ihre Gedanken weiterwandern zu lassen. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass sie in letzter Zeit schandhaft oft sentimental wurde.
,Was zum Teufel kommt denn als Nächstes? Fängst du an, irgendeinem Typen mit feuchten Augen hinterher zu starren…? Reiß dich zusammen, Mädchen!‘ dachte sie selbstkritisch.
,Na ja, irgendwann zeigst du wohl auch selber Nerven. Es waren ja auch ein paar harte Schläge in letzter Zeit. Aber nun beiß die Zähne zusammen – oder beiß besser noch einen Akarii‘.
In der Tat, es war viel auf sie eingestürzt in den letzten Wochen, mehr als sie erwartet hätte. Als wäre es nicht schlimm genug, war Lightnings geschundener Körper nicht das einzige an Bord des Transporters, das ihr Sorgen machte. Die Briefe an ihre Familie und Bekannten, die sie mit dem Schiff in die Heimat schickte, waren eher ein Quell des Trostes, aber unter der Post waren auch zwei Botschaften, an die Lilja nur mit Unbehagen dachte, obwohl sie diese mit eigener Hand und erst nach gründlichem Nachdenken verfasst hatte. Die Familien Michansky und Star – insbesondere Einar Hauglands Kinder aus seiner geschiedenen Ehe – waren sicher bereits vom Personalbüro der Flotte vom Tod ihrer Angehörigen informiert worden, als man die Liste der Gefallenen nach der Schlacht von Tukama ins Hinterland abschickte. Doch das hatte Lilja nicht ihrer Verantwortung enthoben. Die Hinterbliebenen verdienten auch eine persönliche Nachricht von der Staffelkommandeurin. Lilja wusste selbst nicht, was sie sich davon erhoffte, was sie eigentlich damit bezweckte. Würden ihre Briefe die Wunden nicht von neuem aufreißen, die immer noch frisch waren und vielleicht gerade erst anfingen zu verheilen? Würde überhaupt irgendein Trost in ihren Worten zu finden sein? Wahre Worte, dessen war sie sicher, aber eben nur Worte. Abgesehen davon, dass sie mit Menschen ohnehin oft ihre Probleme hatte.
Es war nicht das erste Mal, dass Lilja eine solche Pflicht übernehmen musste. Das war zu Anfang des Krieges der Fall gewesen, und auch später gelegentlich. Aber egal wie oft sie es auch tat, sie empfand stets so etwas wie ein schlechtes Gewissen dabei, Unbehagen, dass sie diese Worte zu Papier bringen konnte, in das Aufzeichnungsgerät sprach, während die Männer und Frauen, deren Nachruf sie gerade verfasste, oft nicht einmal ein Grab hatten. Natürlich – das gehörte zu den Pflichten eines Offiziers und Kommandeurs, aber es tat noch immer weh, so sehr sie sich auch bemühte, ihr Herz gegen den Schmerz zu panzern...
Lilja biss sich auf die Lippen, bis es wehtat. Sie konnte es sich nicht leisten, weich zu werden, nicht jetzt. Lightning würde sich wieder erholen – sie musste sich wieder erholen! Und die Familien der Toten mochten in ihren Worten Trost oder nicht, zumindest sollten sie wissen, dass ihr Opfer nicht ignoriert wurde.
Sie wusste aber auch, es war ihr nicht erlaubt, zu lange bei dem zu verharren, das ihr etwas bedeutete, im Guten oder im Schlechten, wenn es hier und jetzt viel dringendere Probleme gab. Ihre Verantwortung galt den Lebenden – ihren Leuten.
Sie warf einen letzten Blick dorthin, wo sie den Transporter vermutete. Der flackernde Stern war inzwischen nicht mehr auszumachen in der Unendlichkeit des Alls. Es gab keinen Blitz, nichts, das darüber Auskunft gab, dass das Schiff gesprungen war. Es war einfach weg, so als hätte es nie existiert. Lilja verdrängte die düsteren Gedanken. Auf sie wartete Arbeit.

Sie brauchte nicht lange zu den Hangars. Jetzt, kurz vor dem Sprung in ein möglicherweise umkämpftes System, vibrierte alles vor Geschäftigkeit. Die Startrampen waren bestückt, weitere Jäger wurden bereitgemacht, damit man im Notfall schnell eine größere Zahl an Kampfliegern starten konnte. Die Piloten der verschiedenen Schwadronen hielten sich in Bereitschaft – nicht strikt voneinander getrennt, aber doch zumeist die Staffelkameraden auf einem Haufen. Man riss Witze und zog den anderen auf, mutmaßte darüber, warum welche Staffel als erstes, zweites oder letztes starten würde – kurz, man versuchte der Anspannung Herr zu werden.
Eine anschmiegsame Computerstimme betete die aktuelle Bestückung der Jäger herunter, und informierte über die Zeit bis zum Sprung. Dies geschah natürlich ungeachtet dessen, dass die meisten Piloten beides vermutlich auswendig kannten – im Falle der Bewaffnung von Staffel Grün zwei Sidewinder, zwei Amraam und vier Sparrow, im Falle der Zeit bis zum Sprung noch…zehn Minuten. In unmittelbarer Nähe zu Liljas Haufen lungerten die Butcher Bears herum. Offenbar waren dort die Veteranen dabei, die ehemaligen Griphen-Piloten aufzuziehen, indem sie ihnen indirekt unterstellten, sie müssten erst mal lernen, eine wirklich moderne Maschine zu fliegen...
Ohka behielt seine Untergebenen im Auge, hielt aber – vermutlich weniger aus eigenem Wunsch als vielmehr aus Einsicht – Abstand zu seiner Schwester. Er wirkte so undeutbar wie immer – aber Lilja, die ihn vergleichsweise gut zu kennen meinte, hatte den Eindruck, dass irgendetwas an ihm nagte. Vermutlich hatte er ähnliche Sorgen wie sie, würde er doch zum ersten Mal eine komplette Staffel ins Gefecht führen.
Die meisten Piloten der zwei Staffeln nahmen Liljas Ankunft eher beiläufig zur Kenntnis. Imp grinste in ihre Richtung, Sokol winkte seiner zweitbesten Freundin zu – die meisten anderen registrierten sie, wenn überhaupt, mit einem knappen Nicken. Hier und jetzt legte Lilja allerdings auch keinen besonderen Wert auf Dienstvorschriften. Sie war ohnehin nervös genug – es war zwar nicht der erste Staffeleinsatz, den sie führte, denn sie hatte schon ein paar Mal nach einem Ausfall von Lightning die Schwadron kommandiert. Aber die Jagd auf die Akarii-Flotte von Manticore würde ihre erste „richtige“ Mission als reguläre Staffelchefin werden. Wohl auch deshalb meinte sie in Ohkas Miene die Gefühle zu erkennen, die sie selbst bewegten. Und wenn sie an die hohen Verlust bei Tukama dachte, war ihr, als hätte sie eine Billard-, nein besser eine Bowlingkugel aus Eis verschluckt. Aus sehr kaltem Eis, das rein gar nicht tauen wollte. Und dann war ja noch daran zu denken, dass sie nicht recht wusste, woran sie bei der neuen CAG war. Wenn sie ihre Sache nicht gut machte – wer wusste schon, was in Ravens Macht lag? Sie konnte ohne weiteres zu dem Entschluss kommen, die Russin zu ersetzen, sobald es Nachschub an erfahrenen Offizieren gab.

Eine der wenigen Ausnahmen in der allgemeinen Teilnahmslosigkeit ihr gegenüber bildete Taruc, der in seinem Übereifer vorbildlich salutierte, ebenso wie Marine, die in der Hinsicht auch nach mehreren Jahren bei den Fliegern immer noch wie eine echte…Marine eben…handelte, und überraschenderweise auch Knight. Ihr Flightkamerad Dragon hingegen begnügte sich mit eine kurzen Senken des Kopfes – was freilich bei ihm alles Mögliche heißen konnte, von Gleichgültigkeit über Anerkennung bis zu Ehrerbietung. Sie war, trotzdem sie schon eine ganze Weile zusammenarbeiteten, noch nicht in jeder Hinsicht schlau aus ihm geworden. Lilja fragte sich mit einem Blick auf Knight, was der ehemalige Bewährungspilot mit seinem offenkundigen Diensteifer bezweckte. Allerdings erinnerte sie sich, dass ihm in seiner Dienstakte eine gute Disziplin bescheinigt worden war. Vermutlich war sie von ihren Erfahrungen mit Noname vorgeprägt.
Die Russin meinte beinahe einen sauren Geschmack im Munde zu verspüren, als sie Marine und deren neuen Schützling Shoki betrachtete. Sie hatte Second Lieutenant Taylor die dritte Sektion unterstellt, die aus ihr, Shoki, Knight und Fidai bestand. Eigentlich hätte sich ja Sokol dazu angeboten, aber sie hatte sich mit ihm unterhalten und dann dagegen entschieden. Lilja wollte um jeden Preis den Eindruck vermeiden, sie würde nur ihren Freunden Verantwortungspositionen zuschieben. Marine war zudem noch länger bei der Staffel, und inzwischen war sie von ihren Leistungen in jedem Fall soweit, auch wenn Sokol ihr im Rang überlegen und in den Fähigkeiten ebenbürtig war. Ihr Landsmann hatte es gelassen genommen, nachdem sie es ihm erklärt hatte. Er war nicht über die Maßen ehrgeizig, und vor allem vertraute er Lilja. Wenn sie der Meinung war, dass er an seinem jetzigen Platz besser aufgehoben war, dann akzeptierte er dies. Er behandelte seine alte Kameradin gewiss nicht unterwürfig, aber er war stolz auf die Karriere, die sie gemacht hatte. Er hatte allerdings gewitzelt, dass die „Weiberherrschaft“ in der Schwadron jetzt offenkundig sei – mit einer Frau als Staffelchefin, XO und Sektionskommandeurin. Lilja hatte damit gekontert, dass dies der Qualität sowohl der Umgangsformen als auch des überlegten Vorgehens davon nur profitieren könnte.

Nach diesen Veränderungen bestand die dritte Sektion also aus zwei Veteranen und zwei Neulingen – auch wenn der Fidai nicht mehr ganz so grün war wie der jüngste Nakakura-Spross und schon zwei Jäger abgeschossen hatte. Allerdings hatte er auch schon zwei eigene Maschinen verschlissen, eine davon durch einen Unfall. Er hatte gute Anlagen, musste aber noch viel lernen. Shoki hingegen hatte zwar ebenfalls gute Noten, aber noch keine Erfahrung. Lilja hoffte, sie würde ihrem Bruder nicht in so weit nacheifern, dass sie gleich bei ihrem ersten Gefecht in der Krankenstation landete. Es hätte natürlich eigentlich ihrem Naturell entsprechen müssen, etwas anderes zu wünschen – immerhin hatte Ohka bei seiner „Antrittsvorstellung“ gleich zwei Akarii mitgenommen. Aber bei dem Gedanken, ihm vielleicht vom Tod seiner Schwester erzählen zu müssen, fühlte Lilja eine beinahe körperliche Übelkeit.
Über Knight war sie sich noch nicht ganz sicher, aber von den reinen Abschüssen und der Erfahrung her war er in jedem Fall eine Bereicherung. Und nach ihrem Warnschuss schien er sich gegenüber den Frauen in der Staffel zurückzuhalten. Vielleicht hatte sie ihm auch Unrecht getan und zu sehr auf das Geschwätz seines bisherigen Vorgesetzten gehört – dem er möglicherweise die Freundin oder Wunsch-Freundin ausgespannt hatte.
Aber nein, sie würde sich sicher nicht selbst ein schlechtes Gewissen einreden wegen ihrer harschen Worte ihm gegenüber. Wo Rauch war, war auch Feuer, und besser sie sorgte gleich zu Anfang für klare Verhältnisse. Außerdem, dass er sich innerhalb der Staffel zurückhielt, bedeutete ja nicht, dass die Gerüchte über ihn nicht wahr waren. Wenn sie ihn nämlich genauer beobachtete...

Lilja tat die unbehaglichen Gedanken an Knights Privatleben und die möglichen Auswirkungen auf den Dienstbetrieb mit einem Schulterzucken ab. Es würde ihr wie ihm nicht gerecht werden, wenn sie ihm dauernd über die Schulter schaute. Sollte es Probleme geben, würde sie sich bei Gelegenheit darum kümmern. Dann aber mit aller Entschlossenheit.
Sie würde die dritte Sektion folglich mit Bedacht einsetzen müssen. Aber dergleichen war seit Anfang des Krieges ein ständig wiederkehrendes Problem gewesen. Stets mussten, zumal nach härteren Schlachten, Akademieabgänger oder Piloten aus anderen Geschwadern integriert werden.
Das Unbehagen der Russin rührte ohnehin weniger von mangelndem Vertrauen in die Leistung ihrer Piloten als vielmehr daher, dass sie Marine beiseite genommen und darum gebeten hatte, in den kommenden Gefechten ein Auge auf Shoki zu haben. Das war an und für sich keine große Sache, denn es war nicht unüblich, dass Neulinge nach Möglichkeit erst einmal etwas kürzer traten, damit sie sich eingewöhnten. Und Marine war zudem ohnehin eine bedächtige Pilotin, einer der Gründe, aus denen sie noch hier war. Und immer noch nur Second Lieutenant, denn auf diese Weise leistete man zwar gute, sogar exzellente Arbeit, aber man fiel nicht so sehr ins Auge, dass man außer der Reihe befördert wurde. Inzwischen waren von den zwölf Piloten, aus denen die Grüne Staffel bei Indienststellung der Columbia bestanden hatte, nur noch drei an Bord – Imp, Marine und Lilja. Vier andere waren gefallen, der Rest versetzt oder schwer verwundet repatriiert worden. Dass Marine es so lange durchgehalten hatte, war Glück – und mehr als das. Lilja hoffte, dass etwas von diesem Glück auf Shoki abfärben möge.

Aber sie musste immer daran denken, dass sie nicht für alle würde sorgen können, die ihr etwas bedeuteten. Sie konnte nicht jedem sagen, er solle auf sich Acht geben. Wie aber sollte sie auswählen, wen sie schonte und wen sie rücksichtslos einsetzte? Es wäre unverantwortlich, geradezu kriminell gewesen, hätte sie sich entschlossen, Imp oder Sokol zu schonen. Denn wer gab ihr das Recht dazu? Auch die anderen Piloten hatten Menschen, denen sie lieb und teuer waren. Und diese beiden gehörten zu den erfahrensten Piloten der Schwadron.
Es war ihre Verantwortung, ihr Vorrecht und ihre Last – immer, wenn sie sich entschied, den einen Piloten für eine gefährliche Mission auszuwählen, aber nicht den anderen, spielte sie im Grunde ein wenig Gott. Sie hatte zwar – noch – niemanden direkt und sehenden Auges in den Tod geschickt. Aber sie entschied wer sich welcher Gefahr aussetzte. Kanos Bitte hatte deshalb einen wunden Punkt berührt. Handelte sie richtig, wenn sie auf Shoki Acht gab, auch wenn damit vielleicht andere gefährdet wurden? Aber wäre es besser, wenn sie auf die die zwar talentierte aber unerfahrene junge Pilotin keinerlei Rücksicht nahm, nur damit sie um jeden Preis objektiv handelte? Vergab sie damit nicht eine Chance, eine Pilotin mit Ohkas Geschick – und vielleicht etwas mehr Vorsicht – heranzuziehen, eine Pilotin des Schlages, wie sie die TSN dringend benötigte? Es gab darauf keine einfache Antwort. Und überhaupt vor dieses Dilemma gestellt zu sein war etwas, das sie ihrem ehemaligen Flightkameraden durchaus übel nahm.

Die Piloten der schwarzen und grünen Staffel tauschten sich derweil über ihre Ansichten aus, warum welche Staffel wann starten würde, und wie gut sie wohl im nächsten Gefecht abschneiden würden. Einige stellten Mutmaßungen über den zu erwartenden Gegner an, ausgehend von dem, was man über die feindlichen Träger und ihre Geschwader wusste. Aber da es sich dabei um bloße Gerüchte handelte, die aus den ersten Kriegstagen stammten, als die zwei Flottenträger bei der Schlacht von Manticore gekämpft hatten, kam nicht viel dabei heraus. Die Neulinge beider Staffeln, die zusammen ja immerhin ein Drittel ausmachten, waren schnell integriert worden. Die ehemaligen Piloten der Gelben Staffel gehörten ohnehin zu den Angels, Taruc war unkompliziert, Knight eigentlich auch, und Shoki hatte den Familien-Bonus, obwohl niemand so unhöflich war, ihr das offen zu sagen. Aber natürlich würde kaum jemand die kleine Schwester eines Staffelchefs schikanieren... Und sie hatte einen wesentlich angenehmeren Charakter als manch anderer, der in den beiden Staffel Dienst getan hatte. Lilja rechnete freilich mit Schwierigkeiten, sobald Shoki herausbekommen würde, dass ihr großer Bruder ihr auch ohne direktes eigenes Eingreifen manche Dinge leichter machte.
Vielleicht hielten einige Piloten der schwarzen Staffel einen gewissen Abstand zu Knight, denn nicht jeder würde sich mit einem ehemaligen Häftling gemein machen wollen. Aber das fiel nicht auf, und die Art des Wasp-Veteranen zeigte deutlich, dass er sich nicht irgendwie unbehaglich fühlte. Wer nicht so viel mit ihm zu tun haben wollte – nun, den ließ er eben links liegen, ohne ihm etwas übel zu nehmen. Im Augenblick gab er gerade die Geschichte seines letzten Abschusses zum Besten – Lilja hatte sie sich schon während der Feier anhören dürfen.

„…Und er beharkt mich also mit seinem Rückenturm. Zugleich setzt der Mistkerl andauernd seinen Raketenwerfer auf dem Bauch ein. Ich komme vor lauter Ausweichmanövern kaum noch dazu, auf ihn zu schießen. Vier Raketen habe ich schon abgefeuert – alles Sidewinder – aber der Typ hat es doch tatsächlich geschafft, eine abzuschießen und zwei mit Störkörpern abzuhängen. Seine Schilde sind zwar etwas lädiert durch meinen Treffer, aber noch nicht hin. Klar, so ein Fox' – 'Tschuldingung Fox – ist ja eigentlich kein echter Gegner für eine Falcon. Aber seine Kanoniere und Piloten verstehen ihre Sache. Ich denke mir also, den musst du überraschen, sonst vernascht der dich noch zum Nachtisch. Ich trete also auf den Nachbrenner, bin in einem Satz an ihm vorbei. Dann im Von-Bein herum – das erste Mal, dass ich das Manöver überhaupt anwende, ausgerechnet gegen so eine fette, lahme Ente – und dann eine volle Breitseite gegen ihn, gleich noch mit meinen restlichen Raketen hinterher, mitten in die Schnauze, Amraams und Sparrows. Tja, diesmal haut es hin, er hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich so etwas bei ihm versuche. Er kurbelt noch den Geschützturm herum, als meine Salve ihn erwischt. Zunächst eine Explosion, eigentlich ganz normal – und dann, 'ne Sekunde später, fliegt das ganze Shuttle hoch wie eine verdammte Atombombe! Oder mehr als eine. Ihr habt ja sicher schon mal gesehen, wie ein Tankshuttle hochgeht – das ist nichts dagegen! Ich versuche gleich einen zweiten Von Bein, um dann mit Nachbrenner auf Anschlag abzuhauen, aber da erwischt mich die Explosion schon. Tja, ich schwöre, auch ohne künstliche Schwerkraft des Jägers hätte ich durch meine Eigenrotation welche bekommen. Und ich muss aufpassen, dass ich mir nicht den Anzug versaue, weil mein Magen dem Rest meines Körpers hinterherhinkt.“
Die anderen Piloten fielen in Knights Gelächter ein, zumal er seinen Vortrag mit Gesten und Mienenspiel untermalte.
„Nun, anschließend wurde es richtig unangenehm – Sekundärexplosion, Funkenflug, Kabinenbrand, größter Teil der Bordsysteme im Eimer, das volle Programm um einem den Abend zu versauen. Mein Raumanzug sah dann auch aus wie ein angeschmorter Schweizer Käse, als sie mich später 'rauspellten, aber glücklicherweise ist die Löschautomatik rechtzeitig angesprungen. Musste mich einsammeln lassen, denn aus eigener Kraft kam ich zur Wasp nicht mehr zurück – mein Motor wäre wohl die Hutschnur, und nicht nur die, hochgegangen, wenn ich ihn noch einmal gekitzelt hätte. Und das wollte ich dann doch nicht riskieren. Ich bekam also meinen sechsten Stern auf meinem Jäger, und man heftete mir den Silbernen Löwen an. Mein Staffelchef sagte, er würde mir gerade noch einmal verzeihen, dass ich einen Jäger gegen ein Shuttle verloren hatte und mein Wingman ebenfalls weitestgehend Schrott war. Meine Kiste war nämlich vollkommen hinüber, und seine mussten sie langwierig reparieren, nachdem die Echse ihm zu Anfang zwei Raketen verpasst hatte. Von dem Foxtrott blieb nichts übrig, das größer als eine Fingerkuppe gewesen wäre, wenn überhaupt. Ich schätze mal, das muss wohl einer ihrer Minentransporter gewesen sein. Sie schicken die Dinger manchmal solo oder in Paaren los, vermutlich mit fünf, sechs leichten Raumminen an Bord.“
Crusader grinste: „Tja, das nennt man wohl Glück im Unglück. Oder Unglück im Glück – sieh es mal so: Dadurch, dass die Minen noch an Bord waren, hast du dem einen oder anderen unserer Frachter Probleme erspart. Du bist doch ein echter Märtyrer, der sich für andere aufopferte.“
Knight bleckte die Zähne in gespielter Entrüstung: „He – soll ich mich etwa auch freuen, wenn der Feind mit Raketen auf mich schießt, weil sich damit seine Munitionsvorräte verringern?“ Das führte zu weiterem Gelächter. Wäre Ohka nicht in der Nähe gewesen, hätte es sicher auch wieder ein paar Bemerkungen über den Spitzenpiloten von Staffel Schwarz gegeben. Er hatte zwar bisher die meisten Abschüsse nach Cunningham und Darkness, aber er hatte auch die meisten Jäger verschlissen. Die Staffel führte darüber genau Buch und angeblich liefen sogar Wetten, wann der nächste Bruch fällig wäre.
„Farbige Geschichte jedenfalls. Du könntest direkt Chip von den Blauen Konkurrenz machen, wenn du noch etwas an deiner Lyrik arbeitest. Die Phantasie hast du jedenfalls.“ spöttelte La Reine.
Knight lachte: „Höre ich da etwa Zweifel? Ich könnte euch ja meine Narben zeigen, aber...“ Der lautstarke Protest der Anwesenden vor dieser optischen Zumutung gab ihm Recht in Bezug auf seine Bedenken, diese Art des Beweises anzutreten.
„Tja, da bist du sicher froh, wieder nach deiner langweiligen Zeit in der Etappe wieder im echten Einsatz zu stehen. Da kannst du von echten Profis lernen.“
Die anderen lachten wiederum. La Reine war nicht eben für ihre Bescheidenheit bekannt – aber sie lieferte auch entsprechende Leistung.
Knight zuckte nur mit den Schultern: „Na ja, was die Freude angeht - ehrlich gesagt ist mir ein Bombenshuttle immer noch lieber als ein, zwei Reaper. Aber warten wir es ab – will jemand von den Profis gegen mich wetten beim nächsten Gefecht? Ich wette, wenn wir Feindkontakt haben, schieße ich mindestens einen Gegner ab und steige NICHT aus.“
„Und wenn du verlierst, wer zahlt dann?“
„Ich kann ja einen Passus in meinem Testament vermerken...“
Die nigerianische Pilotin lachte: „Weißt du nicht, dass das Unglück bringt?“
„Tja, deshalb sage ich ja auch nicht, wer sonst noch was erbt – ich will ja keinen in Versuchung bringen, nachzuhelfen...“

Die Computerstimme wählte genau diesen Moment und meldete sich freundlich zu Wort: „Sprung in fünf Minuten. Roter Alarm. Wiederhole Roter Alarm bis auf Widerruf.“
Die meisten Piloten verstummten abrupt, und ihre Gesichter wurden schlagartig ernst. Ihre Blicke wanderten unwillkürlich zu den startbereiten Jägern. Der dichte Pulk fächerte etwas auf – einige wollten in jedem Fall in kürzester Zeit bei ihrer Maschine sein, wenn der Befehl zum Alarmstart kommen würde, und anderen war auf einmal nicht mehr nach Gesellschaft zumute. La Reine war noch nicht bereit, das Thema aufzugeben: „Willst du wirklich wetten?“
Knight nickte ernsthaft: „Interessiert?“ Dann lächelte er schief: „Ich habe schon von deiner Wette mit Crusader gehört – und dass ihr euch bis heute nicht einig seid, wer eigentlich gewonnen hat...“
„OK – ich wette gegen dich, dass ich besser abschneide als du, und ebenfalls nicht abgeschossen werde!“
„Gut – sagen wir einen Zwanziger, und der Verlierer erklärt seine Niederlage öffentlich?“
Knight bot der Pilotin die Hand an: „Gemacht!“ Eine Sekunde später fügte er hinzu: „He, Vorsicht, ich brauch meine Finger noch...“
Dann warf er der sich entfernenden Pilotin noch einen interessierten Blick hinterher. Sie war ziemlich hübsch, auch wenn sie leicht reizbar seien sollte, aber das störte ihn nicht…
So tief in Gedanken versunken, bemerkte er die grimmige Miene Liljas offenbar nicht.
Die Computerstimme meldete sich erneut: „Eine Minute bis zum Sprung. Countdown beginnt in 50 Sekunden...“
Cattaneo
Tyr

Der Speisesaal der KAHAL war geräumig, und so füllten die jetzt hier versammelten Männer und Frauen ihn nicht einmal zur Hälfte. Es war eine recht exklusive Runde, die sich auf dem Flaggschiff der Rikata-Kampfgruppe versammelt hatte. Angesichts der Nachricht von einer ganzen Reihe für sie alle völlig unerwarteten Offensiven gegen die Konföderation und die Republik hatte es Admiral Zweiten Ranges Taran für angemessen gehalten, diese Überraschung entsprechend zu feiern. ‚Denn wir haben beinahe vergessen, wie sich das anfühlt.’
Vielleicht war es noch etwas verfrüht. Aber in dem Bestreben den Männern und Frauen unter seinem Kommando Mut und Zuversicht einzuflößen, wollte sich Taran nicht durch zu große Vorsicht und Kleinmütigkeit einschränken lassen.

Momentan standen sie tief in Akarii-Territorium, in einem halb vergessenen System ohne vernunftbegabtes eingeborenes Leben. Keine feindliche Flotte konnte sie hier unbemerkt angreifen. Den ganzen Draned-Sektor überzog inzwischen ein ständig dichter werdendes Netz aus Vorposten- und Patrouillenschiffen, bemannten und unbemannten Spähposten und Wachsatelliten. Und außerdem wurde das System, in dem sich die Kampfgruppe versammelt hatte, durch Shuttle- und Jäger-Langstreckenpatrouillen überwacht. Deshalb hielt es Taran für hinreichend ungefährlich, die Kommandeure seiner Flotte auf einem einzigen Schiff zu versammeln. Dazu kamen die Ersten Offiziere der Kreuzer und Träger, die Kommandeure der Trägergeschwader und die hochrangigsten Mitglieder von Tarans Kommandostab. Insgesamt waren sie über einhundert Männer und Frauen, die meisten davon im Rang eines Captains, viele mehrfach ausgezeichnet. Die Orden und Abzeichen der Galauniformen funkelten im Licht der Deckenlampen.
Wenn der Umstand, dass viele der Anwesenden höher dekoriert waren als er, dem Admiral etwas ausmachte, dann verbarg er es ziemlich gut. Im Gegenteil, momentan gab er sich gelöst und humorvoll – Eigenschaften, die er zwar besaß, im Dienst aber eher weniger nutzte, sah man von einem recht bissigen Humor ab.

Thera Los hatte überrascht festgestellt, dass ihr Vorgesetzter sogar charmant sein konnte. Aber natürlich war er am Akarii-Hof groß geworden. Taran hatte, wie jeder der auch nur entfernt mit der kaiserlichen Familie verwandt war, eine hervorragende Erziehung genossen. Aber die de facto Strafversetzung in die Provinz, die permanent renitenten T’rr, die generell schwierige Situation im Draned-Sektor, und später die Verantwortung, eine Flottenkampfgruppe gegen die Interessen der Standortkommandanten und Provinzgouverneure zu mobilisieren und zusammenzuhalten, hatten wohl dafür gesorgt, dass der Zivilisationslack etwas abgeblättert war. Heute Abend aber gab er sich wieder fast wie der frischgebackene und lebenslustige Generalstabsoffizier, der er gewesen sein musste, bevor er sich von ein paar Jahren an der Fronde gegen Jor beteiligt hatte.

Die Verpflegung in der Akarii-Flotte war in der Regel deutlich besser als bei der Marineinfanterie oder den Bodentruppen, aber diesmal hatte sich die Bordküche selber übertroffen. Zu der wahrhaft ‚imperialen’ Abfolge von Gängen wurden Spirituosen gereicht, die inzwischen im Draned-Sektor kaum noch zu haben waren, was die Stimmung zusätzlich hob. Ein Toast wechselte den anderen ab – auf die kommenden Siege, auf die verschiedenen Befehlshaber der Akarii-Flotten, auf den Imperator, die Prinzessin und ihre noch lebenden Verwandten, auf den Kriegsminister. Kein Toast jedoch auf den unlängst verstorbenen Kronprinzen oder seinen politischen Mentor.
‚Und wer weiß? Vielleicht werden wir bald auf eine neue Imperatorin anstoßen? Obwohl... Das war seit unerdenklichen Zeiten nicht mehr geschehen. Dann würde es wohl doch eher ihr Ehemann sein. Man sagte Tobarii Jockham einen ziemlich grenzenlosen Ehrgeiz nach. Oder vielleicht doch eine anderer?’ Taran verscheuchte den Gedanken, so wie er seine zwei Leibwächter vor der Tür zurück gelassen hatte. Wenigstens jetzt wollte er nicht an die Intrigen denken müssen, die in diesem Augenblick mit tödlicher Sicherheit auf Akar gesponnen wurden, und die vielleicht auch bis in den Draned-Sektor reichen mochten.

„Haben Sie Ihre Privatreserven geplündert?“ Thera Los sah in ihrer Galauniform einfach umwerfend aus, wie meistens. Admiral Taran, der von den Kapitänen der beiden Flottenträger flankiert würde, lächelte amüsiert: „Eigentlich war dieser Tropfen für den Tag reserviert, an dem unsere Invasionsfähren den Himmel von Hannover verdunkeln oder wir die COLUMBIA den Göttern des Dunklen Alls zum Opfer bringen…“
„Ich wusste nicht, dass Sie zu dieser Glaubenrichtung tendieren.“ Der Glaube an die Götter des Weltraums hatte sich gerade in der Handels- und Kriegsmarine früher, während der letzten großen historischen Expansionsphase des Imperiums, einer gewissen Beliebtheit erfreut, war inzwischen aber weitestgehend aus dem offiziellen Bewusstsein verschwunden, bis auf ein paar Erwähnungen in den Geschichtsbüchern, Historienfilmen, der Trivialliteratur, und einige inzwischen etwas archaisch wirkende Bräuche und Traditionen.
„Das tue ich nicht. Aber Sie müssen zugeben, die Vorstellung hat etwas Verführerisches. Besonders wenn es um das Schicksal unserer Feinde geht. Und welchem Raumfahrer gefällt nicht die Vorstellung von einer zweiten Dienstzeit, jenseits des Todes?“ Für ein paar Augenblicke gewann das Tarans Lächeln eine etwas beunruhigende Schärfe und Grausamkeit.
Thera Los konnte das nicht überraschen. Sie wusste inzwischen, dass der Admiral darauf brannte, sich gegen die TSN zu beweisen. Manchmal machte ihr das Sorgen. Es wäre einfacher gewesen, wenn sich sein Ehrgeiz und Verlangen auf näher liegende und weniger gefährliche Dinge konzentrieren würde: „Nun, was noch nicht ist, kann ja noch werden.“
„Für den Fall habe ich noch ein paar Flaschen Siegesreserve zurückgehalten.“

Rinat Lukat, Kapitän der CHA’KAL, führte eine Scheibe gebratenes Taki-Herzfleisch zum Mund und seufzte zufrieden: „Eigentlich das einzig wirklich Erhaltenswerte, was je von T’rr gekommen ist. Ich wusste ja gar nicht, dass wir solche Köche in unserer Flotte haben.“
Wor Matir, Kapitän der KAHAL, grinste: „Ich eigentlich auch nicht.“
Taran lachte: „Ich habe mir mal erlaubt, in den Personal-Unterlagen zu blättern. Der Chefkoch für unsere Siegesfeier kommt nicht von der KAHAL. Offenbar hatte der Küchenchef des leichten Kreuzer VIRAK eine steile Kariere im Gastronomiesektor vor sich, bevor er sich veranlasst sah, dem Ruf der Feldzeichen zu folgen.“
„Ein begnadeter Koch UND Patriot? Das ist ja schon fast zuviel des Guten.“
„Wie es aussieht sah er sich einer ziemlich umfangreichen Unterschlagungs- und Betrugsklage gegenüber, und sein Anwalt hielt ein derart patriotisches Ansinnen seines Mandanten für günstig bei der Bestimmung des Strafmaßes. Offenbar hat es funktioniert. Ich weiß aber nicht, ob er diese Taktik vorher mit seinem Klienten abgesprochen hat.“
Der Admiral erntete allgemeines Gelächter – der unfreiwillige ‚Freiwillige’ war ein beliebtes Thema. Taran zuckte nonchalant mit den Schultern: „Wie auch immer es um seine Ehrlichkeit bestellt ist, kochen kann er jedenfalls.“
„Und nichts Anderes interessiert uns im Augenblick.“

Und so ging es weiter. Im Laufe des Abends wurde das Lachen immer lauter, einige der Trinksprüche wiederholten sich, oder wurden etwas undeutlich vorgebracht. Einige der Witze und Bemerkungen wurden…schlüpfriger. Kurz empfand Thera Los ein seltsames Gefühl der Irrationalität. Offensiven hin oder her, der Gegner hielt immer noch ganze Raumsektoren des Imperiums unter seiner Kontrolle oder bedrohte sie. Und sie hier waren immer noch vom Rest des Imperiums abgeschnitten.
Alle bisher durchgeführten ‚offensiven’ Operationen der Rikata-Kampfgruppe beschränkten sich auf kurze Erkundungsvorstöße schneller Zerstörerverbände in ehemals zum Imperium gehörende System, wo sie nach feindlichen Stationen und Streitkräften suchten und Minen legten. Was eigentlich alles aussagte. Taran rechnete fest damit, dass die Menschen zurückkehren würden.
Und jetzt lärmten und feierten sie hier wie Kadetten beim Abschlussfest am Ende ihrer Ausbildung. Die junge Akarii war Zynikerin genug, um sich nicht so sehr wie die meisten der Anwesenden davon einfangen zu lassen. Sie roch an dem Glas, indem der schwarzorange Schnaps im Licht der Deckenlampen zu leuchten schien. Prompt begannen ihre Augen zu tränen. ‚Das ist sicher eine Erklärung. Aber es ist nicht nur der Alkohol. Es ist der ungewohnte Geschmack des Vormarsches, der uns berauscht. Die Hoffnung auf den Sieg, wo wir in den letzten Jahren nur zu oft Rückzüge und Niederlagen hinnehmen mussten.’

Der Admiral erhob sich von seinem Platz, hob Ruhe gebietend sein Glas. Er hielt sich gerade und wirkte sicher, aber der Glanz in seinen Augen war vermutlich auch auf die recht reichlich genossenen Spirituosen zurückzuführen. Und seine Worte bestätigten Thera Los in ihrer Vermutung: „Ich bin mir sicher, wir haben inzwischen auf so ziemlich jeden getrunken, der es würdig ist, geehrt zu werden…“, angesichts der Tatsache, dass noch niemand auf Prinz Jor oder Kanzler Relath Gor getrunken hatte, war das eine gefährliche Bemerkung, und Tarans nächste Worte machten es auch nicht besser, „…doch angesichts der Offensiven, die unsere Kameraden in den letzten Tagen begonnen haben, können wir endlich wieder mit Zuversicht in die Zukunft sehen. Und mit Stolz unsere Uniformen tragen.“
Thera Los biss die Zähne zusammen. ‚Dieser verdammte, betrunkene Dummkopf! Er geht zu weit!’ Ein Blick in die Runde zeigte ihr, dass die meisten der versammelten Offiziere dem Admiral zuzustimmen schienen. Einige aber wirkten verunsichert oder irritiert. Einige wenige schienen regelrecht brüskiert. Zwar hatte der Admiral noch keine Namen genannt, aber das brauchte er auch nicht. Jeder wusste, an wen sich die gar nicht einmal so sehr versteckte Kritik richtete. Und Taran war offenbar nicht in der Stimmung, aufzuhören: „Ich möchte auf die Männer und Frauen an Bord der KORAX MA RAH trinken. Auch wenn sie nicht siegen konnten, sie haben den verdammten Menschen wenigstens noch einmal bewiesen, wie Akarii zu Sterben verstehen. Bis zum letzten Atemzug kämpfend, die Zähne in die Kehle des Feindes geschlagen.“
Das war kaum besser. Die Mannschaften zu loben, ohne ihren Kriegsherren und Oberbefehlshaber ausdrücklich mit zu nennen oder besser noch voranzustellen, das war schon beinahe Majestätsbeleidigung. ‚Er muss damit aufhören!’ Wer wusste schon, wer hier noch mithörte…
Aber natürlich hörte Admiral Taran nicht auf: „Dieses Opfer wird nicht in Vergessenheit geraten, solange Schiffe mit dem imperialen Wappen auslaufen werden. Was ist gegen diesen Geist das Versagen und der fehlgeleitete Ehrgeiz…“
Das war zuviel. Ohne auszuholen, aber mit voller Wucht, trat die junge Offizierin ihrem Vorgesetzten gegen das Schienbein. Der Admiral zuckte sichtlich zusammen, verlor den Faden, stockte. Er warf einen Blick in die Runde, registrierte die unbehaglichen, alarmierten oder sogar empörten Blicke seiner Untergebenen, das Schweigen, das sich wie ein giftiger Nebel ausgebreitet hatte. Endlich schien er zu begreifen, dass er zu weit gegangen war.
Immerhin, das musste Thera Los zugeben, der Admiral fing sich schnell: „…der am Ende das einzige sein wird, was jenen Verrätern bleibt, die auf der Seite unserer Feinde fechten, und die wir nicht länger mehr als Akarii ansehen können. Was bleibt ihnen anders, als sich vor den Menschen im Staub zu wälzen, während sie doch bereits ahnen, dass der Tag der Abrechnung naht?“
Thera Los atmete erleichtert aus. ‚Er trägt jetzt vielleicht etwas dick auf, aber immerhin, er hat rechtzeitig die Kurve genommen. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn er doch noch auf Jor trinken würde. Aber eher beißt er sich die Zunge ab.’
„Aber Heute ist nicht der Tag, um von Verrätern zu reden. Dieser Tag, dieser Wendepunkt der Gezeiten des Krieges, er gehört den Lebenden und den Toten, die ihn ermöglicht haben. Und ich bin sicher, es werden weitere, strahlende Siege folgen.“ Der Admiral zögerte kurz, dann hatte er offensichtlich eine Möglichkeit gefunden, zum Schluss zu kommen: „Am heutigen Tag haben wir außerdem die Nachricht erhalten, dass in ein wenigen Tagen zwei weitere Hilfsträger unsere Kampfgruppe verstärken werden. Die Schiffe werden den Namen NAHIL KOO und TORVA RAT erhalten, nach den unvergessenen Großadmiralen, die dem Reich treu und lange dienten. Ich trinke auf die gefallenen und die lebenden Helden. Auf die wachsende Stärke unserer Kampfgruppe, auf vergangene und auf künftige Siege! Wir werden sie erleben!“
Erleichterter Beifall ertönte. Die Erleichterung auf vielen Gesichtern kam allerdings wohl nicht in erster Linie daher, dass die Rikata-Kampfgruppe in Zukunft mit ihren zwei Flotten- und drei Hilfsträgern und einem Flugdeckkreuzer fast die Schlagkraft von drei normalen Flottenträgern vereinte. Da die kleineren Einheiten praktisch ausschließlich Jäger an Bord hatten, würde die Kampfgruppe ein exzellentes Abwehrpotential gegen die gefürchteten feindlichen Bomber und Jagdbomber haben.
Nachdem Admiral Taran ausgetrunken hatte, nahm er wieder Platz, wobei er Thera einen undeutbaren Blick zuwarf. Nun hielt er sich allerdings mit dem Trinken zurück und achtete darauf, das Gespräch in unverfänglichen Bahnen zu halten. Allerdings wirkte seine Heiterkeit jetzt etwas künstlich. Aber niemand sprach ihn darauf an.
Cattaneo
Tyr

Einige Stunden später

Der Türsummer riss sie aus dem Schlaf. Mit einem unterdrückten Stöhnen richtete sich Thera Los auf. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass ihr Schlaf wieder nur ein paar wenige Stunden gewährt hatte. ‚Wenigstens einmal möchte ich wieder einmal acht, neun Stunden am Stück schlafen können. Aber eher macht mir der Admiral einen Heiratsantrag.’
Wieder ertönte der Türsummer, und diesmal hörte gar nicht mehr auf. Wer auch immer vor der Tür stand, offenbar hatte er es eilig.
‚Gefechtsalarm kann es jedenfalls nicht sein. Dann hätten mich die Sirenen geweckt.’
Das enervierende Summen hielt an.
„Ja doch, verdammt!“ Hastig streifte sie ihre Uniform über. Im Gegensatz zu dem, was viele Junioroffiziere glauben mochten, hatte sie alleine geschlafen. Angesichts ihres Arbeitspensums und nach dem reichlichen Essen und Alkoholkonsum bei der Feier hätte sie etwaige Gesellschaft ohnehin nicht richtig genießen können.
Immer noch ertönte der Dauerton von der Tür.
Mit einem wütenden Schnauben schlug sie auf den Türöffner: „ICH BIN WACH!“
Der Marineinfanterist, der vor der Tür stand, ließ sich von diesem Ausbruch nicht irritieren. Sie erkannte ihn, denn er gehörte zu den Leibwächtern des Admirals. Der Soldat salutierte knapp, aber er entschuldigte sich nicht: „Sie sollen zum Admiral. Sofort. Dienstuniform.“
Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu, offenbar war Taran in seinen Anordnungen sehr bestimmt gewesen. Also schluckte die junge Offizierin ihren Ärger herunter: „Also dann, gehen wir!“

Die Gänge der KAHAL wirkten fast wie ausgestorben. Zwar waren alle wichtigen Stationen rund um die Uhr besetzt, aber auch die Mannschaften hatten gestern ETWAS feiern dürfen. Außerdem operierte die Flotte momentan nur im Bereitschaftsmodus. Während sie dem schweigenden Soldaten folgte, fragte sich Thera Los, was zur Hölle der Admiral von ihr wollte.
Hatte er vor, sich für den Fußtritt zu revanchieren? Manche Leute verziehen es niemals, vor einem Fehler bewahrt worden zu sein. Jor zum Beispiel…
‚Aber er ist nicht Jor. Außerdem wäre das wirklich etwas kindisch.’ Und ansonsten…
Nun ja, wenn sie mitten in der Nacht zu einem männlichen Vorgesetzten zitiert wurde, gab es natürlich auch noch eine andere Möglichkeit. Aber bisher hatte Taran sich nie auf diese Art und Weise für sie interessiert, nicht einmal die entsprechenden Signale ausgesandt.
Nicht, dass das so schlimm gewesen wäre. Sie hatte schon früher aus solchen Schwächen ihrer Vorgesetzten ihren Nutzen gezogen. Und Taran war immerhin weder unattraktiv, noch zu alt, oder mit irgendwelchen charakterlichen Defekten oder absonderlichen Vorlieben gesegnet. Jedenfalls keinen, von denen sie wüsste.
‚Aber selbst wenn er sich jetzt genug Mut angetrunken hat, um mir die Hand unter die Bluse zu schieben, warum hat er dann ausgerechnet einen Marine als Boten losgehetzt? Ein Anruf hätte doch auch gereicht…’
Das alles ergab keinen Sinn. Außer natürlich, das alles war mal wieder ein Produkt des manchmal etwas schwierigen Humors ihres Vorgesetzten.

Dann waren sie beim Quartier des Admirals angekommen. Ein Marineinfanterist hielt Wache, ließ sie aber ohne Umstände ein. Die beiden Marines wechselten einen Blick, den Thera Los aber nicht genau identifizieren konnte. Spott? Oder ein verstecktes, anzügliches Wissen?
Sie straffte sich unwillkürlich, verfluchte den kurzen Augenblick der Unsicherheit, und trat ein.
Das Admiralquartier war nicht opulent, aber dennoch kostspielig eingerichtet. Zweifellos war ein Teil der Möbel mit Taran an Bord gekommen. Sein Kunstgeschmack erschöpfte sich allerdings größtenteils in 3-D-Bildern und Holoprojektionen von historischen Gefechten und Kriegsschiffen, ob auf der Oberfläche eines Planeten oder im Weltraum. Vermutlich waren diese Werke auch ausgewählt worden, um dem Besucher einen gewissen Eindruck zu vermitteln.
Wer allerdings nicht in diesem Raum anwesend war, das war der Admiral.
„Sir?“
„Ich bin hier, Captain.“ Die Stimme ihres Vorgesetzten drang aus dem Nachbarraum. Dem Schlafzimmer. Eine gewisse Vermutung, die in Thera Los Kopf herumgespukt hatte, erhielt neue Nahrung. Wollte er am Ende doch nur…

Als sie den Raum betrat, saß Admiral Taran auf dem Bett. Gerade legte er einen Schnellinjektor beiseite, wie er zu jedem Erste-Hilfe-Pack gehörte. Ungeachtet der fortgeschrittenen Stunde, des schweren Essen und des reichlichen Alkoholkonsums schien Taran vor Energie geradezu zu vibrieren. Die Stabsoffizierin bezweifelte, dass in dem Injektor nur ein Mittel gegen Erkältung gewesen war.
„Gut, dass Sie schon hier sind. Die anderen werden gleich da sein.“
Diese Eröffnung traf sie denn doch etwas überraschend: „Äh…Sir?“
Der Admiral sah sie an, runzelte die Stirn, und lachte dann laut auf: „Sie haben das offenbar falsch verstanden. Ich bin nicht in DIESER Weise an Ihnen interessiert. Was das betrifft, sind Sie absolut vor mir sicher.“
So offen heraus hatte er das noch nie gesagt. Das Aufputschmittel, oder was auch immer er sich injiziert hatte, machte ihn ungewöhnlich redselig: „Wollen Sie wissen, warum? Keine Sorge, es ist auch keine Vorliebe für Offiziersanwärter und Kadetten. Den Skandal kann ich der Flotte ersparen.“ Der Admiral kam auf die Beine, langte in eine Schublade, und warf seiner Untergebenen mit einer schnellen Bewegung ein Drei-D-Bild zu. Thera Los hatte Mühe, es aufzufangen. Das Bild zeigte einen vielleicht ein paar Jahre jüngeren Admiral in Ausgehuniform, neben sich eine junge Akarii. Nach Thera Los Meinung war das Mädchen zwar recht hübsch, aber längst nicht so gut aussehend wie sie selber.
Wenn man sich allerdings das Foto so ansah...: „Ihre Frau, Sir?“
„Noch nicht. Meine Verlobte. Nahil Koos jüngste Enkeltochter Ciara.“

JETZT begriff Thera Los. Eine solche Verbindung konnte Admiral Taran bei seiner weiteren Kariere nur nützen. Es gab im ganzen Kaiserreich immer nur einen einzigen Großadmiral, und auch wenn Koos schon mehrere Jahre tot war, sein Ansehen war weitestgehend ungeschmälert geblieben. Im Gegensatz zu dem seines Nachfolgers. Der alte Mann, ein enger Vertrauter und Freund des Imperators, war rechtzeitig genug gestorben, dass sein Name nicht zum Synonym für Niederlagen und endlose Rückschläge geworden war. Außerdem hatte man auch für frühere Rückschläge dieses Krieges insgeheim eher Jor verantwortlich gemacht, der den alten Großadmiral immer weiter an den Rand gedrängt hatte.
Koos Familie hatte bestimmt nichts dagegen, einen Flottenoffizier mit kaiserlichem Blut in den Adern in ihre Reihen aufzunehmen…
Beide Seiten brachten also wahrscheinlich beträchtliche politische Ambitionen und finanzielle Mittel in diese Ehe. So etwas sagte man aber nicht gegenüber einem Vorgesetzten. Vermutlich lag es an der fortgeschrittenen Stunde, dass Thera Los erst einmal nur eine der üblichen Floskeln einfiel: „Sie lieben sich sicherlich sehr.“
Der Admiral grinste kurz, um zu zeigen, was er von solchen Gemeinplätzen hielt. Vermutlich wusste er genau, welche Schlüsse sie gezogen hatte. Deswegen kamen sie in der Regel so gut miteinander aus: „Sagen wir mal so, wir beide wissen, was wir aneinander haben werden.“
„Und deshalb…“
„Sie hat mir immerhin die Treue gehalten, als mich mein verzogener Cousin in die Wüste geschickt hat. Die Verlobung ist nicht gelöst worden, obwohl das zu diesem Zeitpunkt sicherlich opportun erschien. Sicher, die Offiziersfronde, die sich gegen Jor formierte, hat mich vielleicht auch wegen dieser Verlobung aufgenommen, aber eine Aufkündigung des Verlöbnisses wäre eine ziemlich deutliche Positionierung der Familie Koos auf Seiten des Prinzen gewesen. Und das zu einer Zeit, als er noch alle Fäden in der Hand hatte, es keine Alternative gab. Diese Missgeburt!“ Der Admiral stockte, und registrierte Thera Los Gesichtausdruck. Auch wenn sie derselben Meinung sein mochte, solche Reden…
„Ich rede mal wieder zu unverblümt, nicht wahr?“
„Nicht viel mehr als vorhin bei dem Bankett.“
„Schon gut, schon gut. Ich werde nicht vergessen, dass Sie mit diesem Tritt vielleicht meine Kariere gerettet habe. Ich hätte mich um Kopf und Kragen reden können.
Wie dem auch sei, es ist wohl angemessen, dass ich mindestens ebenso loyal bin, wie Ciara. Und das heißt auch, keine Affären. Außerdem gibt es sicherlich genug Freunde der Familie, die mich für so einen Fehltritt lebendig häuten würden.“
Unter diesen in leicht ironischem Ton gehaltenen Worten glaubte Thera Los bei Taran allerdings eine gewisse Nervosität spüren zu können. Der Admiral machte sich tatsächlich Sorgen – allerdings bestimmt nicht darüber, dass sie seine voreheliche Treue gefährden konnte.
Natürlich, angesichts seiner unausgesprochenen Befürchtungen über eine Säuberung am kaiserlichen Hof war das nur zu verständlich. Eine politische Verbindung wie die von ihm geplante konnte in Zeiten wackelnder Throne und gezückter Dolche leicht falsch verstanden werden…
Aber damit musste er schon selber fertig werden: „Ist sie auch in der Flotte?“
„Nein, in der Zivilverwaltung. Sie ist die Stellvertreterin des Vizegouverneurs von Damar Zwei.“

Thera Los pfiff unwillkürlich durch die Zähne. Damar Zwei lag nahe bei Akar. Die ‚Blumenwelt’, wie sie halb spöttisch, halb schwärmerisch genannt wurde, war relativ dicht besiedelt, und trotz einer eher durchschnittlichen Industrie sehr wohlhabend. Mehrere ausgedehnte, zu großen Teilen naturbelassene Inselarchipele in den tropischen und subtropischen Breiten waren Touristenmagneten, die sich auch während des Krieges bleibender Beliebtheit erfreuten. Ein ziemlich hoher Posten für eine Akarii dieses Alters. Nun ja, Beziehungen waren alles: „Und weswegen haben Sie mich dann gerufen? Und wer kommt noch?“
„Die Kommandeure der Flottenträger. Der Rest meines Stabes. Und weswegen…Das erfahren Sie, sobald alle da sind. Ich will mich nicht wiederholen müssen.“
„Und warum in Ihrem Privatquartier?“
Der Admiral winkte etwas gereizt ab: „Warum wohl? Weil dieser Raum weitestgehend abhörsicher ist. Dafür habe ich gesorgt.“
„Sir…“
„Als Sie damals mein Angebot angenommen haben, die Leiterin meines Stabes zu werden, da müssen Sie doch geahnt haben, dass wir auch mal in etwas gefährlicheren Gewässern kreuzen werden. Keine Angst, ich will keinen von Ihnen zum Hochverrat anstiften…“, Thera Los entspannte sich etwas, „…allerdings KÖNNTEN einige Leute es als Hochverrat ansehen…
Kommen Sie schon. Die anderen sollten uns wohl besser nicht im Schlafzimmer antreffen. Sie KÖNNTEN die falschen Schlüsse ziehen.“ Der Admiral lachte gallig.
Cattaneo
Tyr

Ungefähr anderthalb Stunden später

„…So sieht es also aus.“
Kapitän Wor Matir, Kommandeur der KAHAL, wiegte zweifelnd den Kopf: „Das wird der Armee nicht unbedingt gefallen.“
„Wann hätte uns das jemals abgehalten? Und im Übrigen bin ich mir sicher, es wird auch genug Generäle geben, die dankbar sein werden, wenn wir ihnen eine Hand hinstrecken, um sie aus dem Morast zu ziehen, in dem sie festsitzen.“
„Aber viele von den Gouverneuren werden toben.“
„Anzunehmen. Immerhin beschneidet das direkt ihre Macht. Und im Gegensatz zur Ausrufung des Ausnahmezustandes und des Kriegsrechts wäre diese Veränderung von Dauer.“
„Das können Sie laut sagen. Es würde den ganzen Draned-Sektor betreffen, und sogar darüber hinaus…“
„Warten wir doch noch damit, unseren Platz in den Geschichtsbüchern zu bestimmen. Zuerst einmal muss ich wissen, ob Sie mich unterstützen werden. Vor acht Stunden habe ich den Gouverneuren meine Vorschläge zugeschickt. Wenn sie so schnell reagieren, dann bedeutet das nichts Gutes. Ich brauche Ihre Unterstützung.“
Die Offiziere des Admiralsstabs bereiteten Admiral Taran kein Kopfzerbrechen. Immerhin hatte er sie ausgewählt. Die Kommandeure der KAHAL und CHA’KAL hingegen…
Beide besaßen deutlich mehr Kampferfahrung als Taran, und ihre Stimmen hatten deshalb Gewicht. Vor kurzem hatte Taran Kapitän Lukat von der CHA’KAL zu seinem Stellvertreter ernannt. Die Gründe dafür waren einfach gewesen. Wenn Taran ausfiel, dann würde das mit fast absoluter Sicherheit bedeuten, dass auch die KAHAL schwer getroffen worden war. Aber Wor Matir sah das vielleicht ein wenig anders…
Aber die beiden älteren Kapitäne wechselten nur einige zögernde, etwas unbehagliche Blicke, und kamen dann ziemlich zeitgleich zu einer Entscheidung. Allerdings klang die Stimme Kapitän Matirs etwas kühl: „Meine Loyalität gehört in erster Linie dem Reich und der Flotte. Solange kein direkter Gegenbefehl des Imperators, der Admiralität, oder des Kriegsministers eingeht…“
„Ich bin dabei, Sir.“
Admiral Taran atmete langsam aus: „Ich danke Ihnen. Ich weiß, dass ist Ihnen nicht leicht gefallen. Aber wir können es uns nicht leisten, unsere Kräfte in sinnlosen Kleinkriegen zu verschleißen.“
Kapitän Matir winkte ab: „Schon gut, wir haben ja zugesagt. Bringen wir das hinter uns, bevor wir uns eines besseren Besinnen. Immerhin bewegen wir uns gefährlich nahe am Rande eines Militärputsches.“
Admiral Taran nickte einem der Stabsoffiziere zu, der an die Kommunikationseinrichtung trat, die eine Seite des Zimmers fast völlig ausfüllte: „Es dauert nur ein paar Minuten.“

Thera Los ließ ihre Augen noch einmal kurz über die versammelten Offiziere schweifen. Jetzt begriff sie auch, warum der Admiral nur seine Dienstuniform anhatte, wie auch der Rest der Versammelten. Die schlichtere, zweckmäßige Kleidung betonte unauffällig die Tatsache, dass sie sich im EINSATZ befanden, Taran einen kampfbereiten Flottenverband befehligte.
Außerdem wurden nur die allerhöchsten Auszeichnungen zur Dienstuniform getragen. Keiner der anwesenden Offiziere besaß einen derart hochrangigen Orden. So verschleierte Taran die Tatsache, dass er wesentlich weniger Auszeichnungen hatte, als einige rangniedere Offiziere. Und es ging ihm dabei nicht nur um Eitelkeit.

Dann leuchtete der Bildschirm auf und enthüllte das hager und ausgezehrt wirkende Gesicht des Generalgouverneurs des Draned-Sektors. Offiziell war Colar Ras der ranghöchste Zivilbeamte im gesamten Sektor, und damit Admiral Taran fast gleichgestellt. Aber Colar Ras war keine starke Persönlichkeit, war es nie gewesen. Lange vor Ausbruch des Krieges war der alte Mann, angeblich wegen irgendeinem politischen Fauxpas, auf diesen wichtigen, aber sehr peripheren Posten abgeschoben worden. Schon vor dem Krieg war er nicht in der Lage gewesen, die Gouverneure und Standortkommandeure mit fester Hand zu regieren. Der T’rr-Militärbezirk unterstand bereits damals bestenfalls nominell seiner Kontrolle. Um seine Gesundheit stand es schon seit längerem nicht mehr zum Besten, und scharfsichtige Beobachter in Verwaltung, Geheimdienst und Militär warfen ihm vor, dass er von der neuen Zeit und den Katastrophen der letzten Jahre überfordert würde, und immer mehr in Erinnerungen und Träumereien an eine bessere Zeit abzugleiten drohte. Die Tatsache, dass der Krieg bis in die Provinz des Imperiums vorrückte, Teile des Draned-Sektors vom Feind besetzt, von Rebellionen erschüttert, und von den zum ersten Mal seit Menschengedenken ernsthaft geschlagenen Akarii-Streitkräften geräumt werden mussten, hatten Colar Ras schwer getroffen. Zweimal hatte er deswegen seinen Amtsitz verlegen müssen.

Die Gouverneure, die Standortkommandeure und auch Taran hatten über den alten Mann hinweg Politik gemacht und Krieg geführt – und Taran war sich sicher, dass Colar Ras auch diesmal nur das Sprachrohr der Sektorgouverneure sein würde.
Aber natürlich hielt er sich ans Protokoll. Weitestgehend: „Ich grüße Sie, Generalgouverneur. Ich danke Ihnen für die schnelle Reaktion. Ich melde Ihnen die Rikata-Kampfgruppe einsatzbereit.“
Das war natürlich eine Floskel, die Kampfgruppe unterstand momentan alleine dem Admiral.
Der Generalgouverneur nickte langsam. Seine Stimme klang müde: „Admiral Taran. Ich wende mich an Sie im Namen der Gouverneure meines Sektors. Es erfüllt uns mit Stolz und Zuversicht, dass Sie in so kurzer Zeit eine derart schlagkräftige Flotte zusammenziehen konnten. Angesichts der veränderten Gesamtlage scheint endlich der Tag gekommen, um den Krieg wieder ins feindliche Territorium zu tragen. Und wir sind sicher, Ihre Flotte…“ Während sich Colar Ras etwas weitschweifig weiter über die neuen Offensiven der letzten Zeit und die der Zukunft ausließ, beschlich Taran ein ungutes Gefühl. Er war für Lob durchaus empfänglich, aber unter diesem Zucker glaubte er Gift zu schmecken. Selbst wenn der alte Mann seine Worte ernst meinen mochte, er sprach damit auf keinen Fall für alle Gouverneure. Und wenn diese einer solchen Lobeshymne zugestimmt hatten, konnte das nur heißen, sie planten irgendetwas. Etwas, das Taran nicht gefallen würde. ‚Aber mich sollen die Dämonen der Sternenleere holen, wenn ich mich einlullen lasse!’

Und tatsächlich, jetzt kam es: „…ist die Gefahr einer Invasion als gebannt anzusehen. Deshalb halten wir es für angemessen, dass das für den gesamten Sektor ausgerufene Kriegsrecht und der verhängte Ausnahmezustand der neuen Lage angepasst werden. Eine Lockerung der bestehenden sehr rigiden Regelungen erscheint angeraten, um Unzufriedenheit, unnötige Befürchtungen und Härten für unsere Zivilbevölkerung und auch die Kolonialvölker zu vermeiden. Natürlich wird die Versorgung und Aufrüstung unserer Streitkräfte fortgesetzt werden, zumal die Verbindung zum Kernimperium…“
DAMIT hatte Admiral Taran nicht gerechnet. Das war eine nicht ungeschickt eingefädelte Gegenoffensive, die direkt auf ihn zielte. Die Aufhebung des im ganzen Sektor ausgerufenen Kriegsrechtes und Ausnahmezustandes würde ihm einen Großteil seiner Machtmittel entwinden. Nicht länger mehr würde er direkt in die Belange der Planetenverwaltungen eingreifen können, und auch viel von seiner Kontrollmacht über die örtlichen Garnisonen, Verbände und Militäreinrichtungen verlieren. Sein Nachschub würde sehr viel stärker als vorher von dem zweifelhaften Wohlwollen der Gouverneure und Standortbefehlshaber abhängen.
Der Kapitän der KAHAL hatte vorhin von einem Putsch gesprochen. Nun ja, das hier war nicht viel weniger – ein Zivilputsch, wenn es denn so etwas gab.

‚Nicht so schnell.’ Mit zusammengebissenen Zähnen wartete der Admiral auf eine Gelegenheit, und ergriff dann – zur Hölle mit dem Protokoll – das Wort: „Bei allem Respekt, die Gouverneure verkennen offenbar die Situation, wenn sie mit einem solchen Anliegen an Sie herantreten, Exzellenz. Die Ausrufung von Kriegsrecht und Ausnahmezustand im gesamten Draned-Sektor geschah nicht aus einer Laune heraus oder auf eigene Verantwortung. Die entsprechenden Befehle wurden von Kriegsminister Tobarii Jockham ausgegeben.“, damit dehnte Taran die Wahrheit ein wenig, tatsächlich hatten Tobarii Jockhams Befehle Interpretationsspielraum gelassen, „Solange ich keine entsprechenden Gegenbefehle erhalte, sehe ich weder Handhabe noch Veranlassung, an dem herrschenden Rechtszustand etwas zu ändern. Eine derartige Eigenmächtigkeit könnte man als Befehlsverweigerung ansehen. Und sollte der Feind wieder vorrücken…“
Colar Ras überraschte den Flottenbefehlshaber, indem er ihm erstaunlich entschieden ins Wort fiel: „Ich denke nicht, dass diese Gefahr besteht. Die Menschen sind offensichtlich zurückgeschlagen worden. Auf keinen Fall werden sie…“
Etwas in seiner Stimme ließ Taran aufhorchen. Der Generalgouverneur glaubte tatsächlich, dass bereits mit der Eröffnung der beiden Offensiven die Gefahr für den Draned-Sektor, für das gesamte Imperium, gebannt sein würde. Oder vielmehr wollte er daran glauben.

Die Stimme des Admirals klang hart: „Bei allem Respekt IHNEN gegenüber, ich kann diese Analyse der allgemeinen Situation nicht teilen. Wir haben noch keinen größeren Sieg errungen. Der Krieg ist noch lange nicht gewonnen. Die Menschen werden wohl kaum tatenlos zusehen, wenn wir versuchen die Verbindung zum Imperium wieder herzustellen. Und ich werde keine Kräfte in ein Unternehmen werfen, das zum Scheitern verdammt ist. Wir haben momentan weder die Truppen noch die Kriegsschiffe, um die Verbindung zum Kernreich zu erzwingen und auf Dauer zu halten. Ganz bestimmt nicht, wenn wir im Glanz einiger noch unvollendeter Offensiven in unserer Wachsamkeit und der Mobilisierung aller verfügbaren Ressourcen nachlassen.“
Kurz war sich Taran der Ironie bewusst, jetzt genau dieselben Offensiven zu relativieren, die vor ein paar Stunden als Anlass für eine regelrechte Siegesfeier gedient hatten.
„Aber Großadmiralin Lay Rian…“
„Ich bete für Ihren Sieg. Aber solange die feindlichen Streitkräfte ihr Offensivpotential behalten, wäre es fahrlässig, Kriegsrecht und Ausnahmezustand aufzuheben. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern, dass die Menschen in der Lage waren, aus einer wesentlich ungünstigeren Ausgangslage wieder in die Offensive zu gehen.“
Unter der Asche des Alters loderte offenbar immerhin noch ein kleiner Funken: „Sie sollten ihren Kameraden etwas mehr Vertrauen entgegenbringen! Sie überschätzen die Glatthäute gewaltig. Und dabei haben Sie noch nicht einmal im Kampf gegen die Menschen gestanden. Vielleicht glauben Sie deshalb…“
Admiral Taran fletschte unwillkürlich die Zähne. Die Sache drohte zu eskalieren: „Muss ich Sie daran erinnern, dass noch vor kaum einem Monat ein EINZIGER TSN-Träger fast ungehindert im Draned-Sektor operieren, die KORAX MA RAH vernichten und sich dann auch noch unbehelligt zurückziehen konnte?!“
Der Generalgouverneur verengte die Augen. Seine Stimme schwankte, hatte aber gleichzeitig auch einen fast lauernden Unterton: „Wollen Sie den Kommandeuren der KAHAL und CHA’KAL etwa fehlenden Kampfgeist vorwerfen? Oder zielen Ihre Beschwerden auf jemanden anderen? Der Kronprinz…“
„Ich sehe keinen Sinn daran, die Toten anzuklagen. Und was die Befehlshaber der KAHAL und CHA’KAL angeht, so wäre es ein unverantwortliches Risiko gewesen, wenn einer der beiden verbliebenen Flottenträger auf eigene Faust eine Kampfgruppe angegriffen hätte, die die KORAX vernichten konnte. Aber keiner der Sektorgouverneure war fähig oder willens, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die uns zur Verfügung stehenden Raumeinheiten zu konzentrieren. Sie waren ganz einfach unfähig, über die Grenzen ihrer Systeme hinweg zu blicken!
Und ich werde ganz bestimmt nicht einen Gegner unterschätzen, der fast ein Dutzend unserer Flottenträger vernichtet hat, der die Mobilisierung der Heimatflotte nötig machte, UND DER IMMER NOCH TIEF IM TERRITORIUM DES IMPERIUMS STEHT!!“
„Der Imperator…“
‚Jetzt habe ich dich.’
„Ich bin nicht in der Lage zu erahnen, was der Wille des Imperators ist. Aber ich weiß, was die Admiralität, die Großadmiralin und der Kriegsminister von mir erwarten. Dass der Draned-Sektor mit allen Mitteln – mit ALLEN – aufgerüstet und verteidigungsbereit gemacht wird. Dass die verbliebenen Flotteneinheiten zusammengezogen und verstärkt werden. Und dass so bald wie möglich die unter meinem Kommando befindlichen Einheiten zu Offensivoperationen in der Lage sein werden. Wir haben bereits mit offensiven Mineneinsätzen begonnen. Erkundungsvorstöße und Raids sind in Planung. Wenn Sie oder die Gouverneure bei einer der mir übergeordneten Instanzen oder direkt beim Imperator eine Aufhebung des Ausnahmezustandes beantragen wollen, so steht ihnen das natürlich zu. Von mir aus können Sie auch meine Ablösung verlangen. Ich kann Sie nicht daran hindern. Bis dahin aber gehe ich davon aus, dass die Gouverneure die Flotte weiterhin im vollen Umstand unterstützen werden, und deshalb ein Rückgriff auf die mir zur Verfügung stehenden Mittel unnötig ist.“

Der Generalgouverneur war bleich geworden. Aber auch Taran fühlte sich nicht besonders gut. Er hatte sich mit seinen Worten gefährlich weit aus dem Fenster gelehnt. Er hatte fast unverhüllt mit dem Einsatz der Streitkräfte gedroht. Jetzt kam es darauf an, wer von ihnen beiden die Nerven behielt.
Doch Taran hatte richtig kalkuliert. Der Generalgouverneur war kein Mann, der aufs Ganze ging. Einige der Gouverneure wären vielleicht standfester gewesen. Doch Colar Ras, sichtlich geschockt von der Vision eines Militärputsches, hatte nicht die Nerven, alles auf eine Karte zu setzen.
„Wir…Ich werden einen Antrag auf Aufhebung des Ausnahmezustandes nach Akar senden. Doch es war nicht in unserer Absicht, die Anstrengungen der Streitkräfte gering zu schätzen, oder Ihre Kompetenz anzuzweifeln. Bis die Entscheidung gefallen ist, werden die planetaren und die Systemverwaltungen selbstverständlich weiterhin unsere Streitkräfte mit allem Notwendigen versorgen, damit sie in der Lage versetzt werden, den Sektor zu verteidigen und gegen den Feind offensiv zu werden. WIR kennen unsere Pflicht.“
Admiral Taran verstand das Ultimatum. Der Generalgouverneur war vor einem offenen Konflikt zurückgeschreckt, erwartete aber im Gegenzug Erfolge. Wenn Taran sich bei der Verteidigung des Sektors Fehler erlaubte, oder nicht bald einige Erfolge aufzuweisen hatte…
Dann konnte er sehr schnell das Erreichte verlieren, zurückgestuft, abgesetzt, oder sogar unter Anklage gestellt werden.
Und Colar Ras würde dann bestimmt nicht zu seinen Gunsten intervenieren.

„Ich danke Ihnen für das Vertrauen, dass Sie und die Gouverneure in mich setzen.“ Falls der Admiral diese Worte sarkastisch meinte, so merkte man das seiner Stimme nicht an: „Ich hoffe, diese Unterstützung gilt auch für die politischen Maßnahmen, die ich Ihnen und dem Rat der Gouverneure unterbreitet habe.“
Der Generalgouverneur wirkte unglücklich. Unter anderen Umständen hätte er sich vielleicht regelrecht gewunden. Offenbar befand er sich in einem Zwiespalt. Taran rief sich in Erinnerung, was er von Colar Ras wusste. Der alte Mann war kein Hardliner wie viele der Gouverneure und Standortkommandeure. Am liebsten wäre ihm sicherlich gewesen, wenn alles so bleiben würde, wie in der guten alten Zeit.‚Aber die hat es so niemals gegeben. Nicht einmal in der guten alten Zeit.’
Vor allem wollte Generalgouverneur Ras Frieden und Ruhe. Und das machte ihn in diesem Punkt zu fast so etwas wie einen Verbündeten Tarans. ‚Aber natürlich wird er sich nie gegen die Hardliner stellen.’

„Hören Sie, Taran, Ich und auch viele der Gouverneure können nicht verstehen, warum Sie ausgerechnet JETZT einen derart schwerwiegenden Schritt wagen wollen.“
„Ich will es jetzt wagen, WEIL wir in die Offensive gehen. Wir sind in einer Position der Stärke. Die Erwartung unserer Feinde, im Gebiet des Imperiums nach Belieben operieren zu können, dürfte nun etwas gedämpft sein. Wir siegen. Der Vormarsch der TSN stoppt. Wir müssen die Gelegenheit nutzen, solange wir die Oberhand haben. Zögern wir, kann es zu spät sein.“
„Sie wollen behaupten…“
„Seien wir doch realistisch. Wir haben die Initiative ergriffen. Endlich. Das ist fast so gut, wie eine gewonnene Raumschlacht. Und wir WERDEN Schlachten gewinnen. Aber wir haben nicht den Krieg gewonnen. Lieber lasse ich mir später vorwerfen, dass ich zu vorsichtig war, als dass ich mich durch falsche Hoffnungen zur Untätigkeit verurteilen lasse.
Der halbe Draned-Sektor steht im Aufstand gegen die Herrschaft des Imperiums oder ist zumindest Terroranschlägen und Kommandoaktionen ausgesetzt. Im gesamten Sektor gibt es kein halbes Dutzend Welten, auf denen die Akarii mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung stellen. Dutzende Divisionen, hunderte Atmosphärenjäger und Kampfflieger und viel zu viele Kriegsschiffe werden durch sinnlose Kleinkriege und Sicherungsaufgaben gebunden. Von den Schäden für Handel, Transport, Industrie und Landwirtschaft einmal abgesehen. Schäden, die sich direkt auf unser Verteidigungspotential auswirken.
Das können wir uns nicht länger leisten. Nur ein Narr kämpft in einem brennenden Haus.
Wir haben weder die Kräfte noch die Zeit, alle Aufstände militärisch zu gewinnen. Alleine T’rr bindet mehrere Armee- und Marinekorps – Frontlinientruppen, die wir im Kampf gegen die Menschen gut gebrauchen könnten. Stattdessen sind sie damit beschäftigt, Dörfer zu verbrennen und einen unsichtbaren Gegner zu jagen.“
„Sie wollen uns verhandeln mit diesen…diesen Verbrechern?! Mit T’rr-Rebellen?!“
„Wenn das möglich wäre, jederzeit. Vor dem Aufstand waren einige der Kolonialdivisionen der T’rr in ihrer Leistung fast ebenbürtig mit einigen unserer besten Armeeeinheiten. Aber die T’rr werden uns nicht so schnell vertrauen. Es ist zuviel Blut geflossen. Aber immerhin, vielleicht kann über die Loyalisten…so etwas wie ein Waffenstillstand ausgehandelt werden.“
„Und auf so einen…Wisch hin würden Sie Truppen abziehen?“
„Natürlich nicht. Aber wenigstens müssten wir dann vielleicht nicht weiterhin unsere Bodentruppen und Luftstreitkräfte sinnlos verschleißen. Vielleicht würde dann der Nachschub reibungslos funktionieren. Die Werften, die Rohstoffproduktion und –verarbeitung weniger stark unter Sabotage und Angriffen leiden. Ich denke, das wäre es wert.
Und was die anderen rebellischen Völker angeht… Die meisten hassen uns nicht so sehr, wie es die T’rr tun. Man kann mit ihnen verhandeln. Die meisten wollen nicht einmal die Unabhängigkeit.“
„Dergleichen lag bisher immer in der der Kompetenz der Gouverneure, und vor allem des Innenministeriums.“
„Einige Gouverneure haben ja auch bereits Erfolge erzielt. Ich will diese ersten Ansätze systematisieren und den Zugriff verbreitern. Wir können nicht länger darauf warten, dass das Innenministerium die Initiative ergreift. Der Ausnahmezustand gibt uns das Recht, zu handeln wie es nötig ist.
Überlegen Sie es sich! Wir können den Draned-Sektor befrieden. Und gestärkt durch diesen Frieden können wir all unsere Kräfte in den Kampf gegen die Menschen werfen. Und mit jedem weiteren Sieg wird unsere Position gegenüber den Kolonialvölkern gestärkt. Was wollen die meisten dieser Rebellen denn? Die Senkung einiger Steuern, gerechtere Gesetze, irgendeine Form der Selbstverwaltung? Wenn dafür die Kämpfe auch nur etwas nachlassen, wäre das schon ein gutes Geschäft.“
„Sie rütteln damit an den Grundfesten unserer Kolonialverwaltung. Was, wenn unsere Untertanen anfangen, an der Überlegenheit der Akarii zu zweifeln?“
„Sie haben bereits damit begonnen, auf unsere Soldaten und Zivilisten zu schießen. Und sie haben von unseren Niederlagen gegen die Menschen gehört. Ich glaube nicht, dass unser Ansehen durch die Eröffnung von Verhandlungen noch weiter geschwächt werden könnte. Und besser, wir geben jetzt etwas nach, als später, falls die Menschen wieder vorrücken sollten.“
„Nein! Das werden sie nicht!“
„Dieser Krieg wird noch Jahre dauern, Generalgouverneur. Ich hoffe…und glaube, dass wir letztendlich siegen werden. Aber der Weg zum Sieg wird hart, blutig, und von Entbehrungen geprägt sein. Und auch von Verzicht. Wir können nicht mehr zurück. Es ist zu viel Akarii-Blut geflossen. Zu viele Planeten sind verloren gegangen. Wenn wir die Augen vor den Tatsachen verschließen und unseren Gegnern in diesem Bereich die Offensive überlassen, dann werden weitere Rebellionen ausbrechen. Auf Dutzenden Planeten. Nicht nur im Draned-Sektor.“
Fast hätte Taran der Generalgouverneur Leid getan. Der alte Mann sträubte sich instinktiv gegen die Worte des Admirals. Wollte sie nicht wahrhaben. Doch gleichzeitig fehlte ihm die Kraft für entschiedenen Widerstand.
„Aber…der Imperator…“
„Um sein Reich zu erhalten, müssen wir Opfer bringen. Glauben Sie denn, ich hätte diese Entscheidung leichtfertig getroffen?“
„Die Armee…“
„Für jeden General, der diesen Kampf bis zum Letzten fechten will, gibt es zwei, die ein Ende dieses sinnlosen Schattenkrieges wollen. Das ist eine Tatsache. Offiziere und Mannschaften verstehen ohnehin nicht, warum man sie auf irgendwelchen Kolonialwelten verbluten lässt, während der Feind auf Akar vorrückt. Die Verluste bei den Konterguerillaaktionen seit Beginn des Krieges betragen fast dreißig Prozent der Kampfverluste unserer Bodentruppen durch die Menschen.“
„Haben Sie denn ihre Ideen schon mit der Armeeführung besprochen?“
„Ich habe das Oberkommando des T’rr-Militärbezirks informiert. Und natürlich Rücksprache mit den Generälen gehalten, die im Kampf mit anderen Aufständen stehen. Die Resonanz ist…insgesamt eher positiv. Und fast die Hälfte der unmittelbar betroffenen Gouverneure sind wohl ebenfalls zu Zugeständnissen bereit. Nicht, dass wir auf sie unbedingt angewiesen sind, aber das macht es leichter. Interessanterweise dürfte der vehementste Widerstand von Gouverneuren und Standortbefehlshabern kommen, deren Welten nicht mal eine größere Aufstandsbewegung haben.“
„Was erwarten Sie? Man fürchtet, dass Ihre Idee Schule macht. Im Übrigen glaube ich, dass auch Gouverneur Maran wohl kaum ein Freund Ihrer Pläne ist.“
„Und dabei will ich auf T’rr maximal einen indirekten Waffenstillstand erreichen. Aber ich schätze, Maran hat auch…persönliche Gründe für seine Opposition.“
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum das der Fall sein könnte.“ Der alte Generalgouverneur musterte den jungen Admiral aus misstrauischen, halb geschlossenen Augen. Seine Stimme klang leise: „Sie haben also schon erkundet, wie die wichtigsten Gouverneure und Befehlshaber zu ihren Plänen einer Verhandlungsoffensive stehen. Das muss Wochen gekostet haben… Lange bevor Lay Rian ihre Offensive begann.
Sie sind ein gefährlicher junger Mann. Nun gut, ich werde mich Ihrer Kopfgeburt nicht entgegenstellen. Aber glauben Sie etwa, Sie wären der Erste, der den Draned-Sektor befrieden will? Es hat hier schon Aufstände gegeben, lange bevor Ihr GROSSVATER geboren wurde.“
„Vielleicht ist man bisher einfach noch nicht weit genug gegangen. Und keiner konnte bisher auf ein sektorweit geltendes Kriegsrecht und den allgemeinen Ausnahmezustand als Druckmittel zurückgreifen.“
Colar Ras schüttelte ein wenig fassungslos den Kopf: „Sie sind sehr ehrgeizig. Vielleicht sind Sie zu schnell und zu hoch gestiegen. Passen Sie auf, dass Sie nicht über ihre hochfliegenden Pläne stolpern. Ich werde Sie dann ganz bestimmt nicht auffangen können.“
Der Admiral lächelte kalt: „Wir leben alle in gefährlichen Zeiten. Und umso größer das Risiko ist…“
Colar Ras runzelte die Stirn: „Wir werden sehen. Also gut, Sie haben, was Sie wollen. Enttäuschen Sie uns nicht. Andernfalls…“ Allerdings klang die Drohung nur halbherzig. Im Gegensatz zu Taran wollte der Generalgouverneur nicht austesten, wieweit er sein Gegenüber unter Druck setzen konnte.
„Ich danke Ihnen, Generalgouverneur.“
Der alte Mann nickte müde und unwirsch, dann wurde der Bildschirm schwarz. Admiral Taran drehte sich um. Seine Stimme klang leise, als würde er zu sich selber sprechen: „Nun, das lief ja besser, als gedacht.“
Thera Los hätte beinahe ungläubig geschnaubt: „Meinen Sie das ernst, Admiral? Er wird sich an Akar wenden, und ich bin bereit zu wetten, dass die Bitte um die Aufhebung des Ausnahmezustandes gleich noch mit dem Vorschlag kombiniert ist, Sie gefälligst abzulösen und einen anderen Admiral zu schicken.“
Taran lächelte bissig: „Sie meinen einen Älteren? Einen erfahrenen Admiral? Es gibt nicht mehr allzu viele, die frei verfügbar sind. Dafür hat die Fronde gegen den Kronprinzen gesorgt. Es kann natürlich sein, dass man jetzt die verstoßenen Söhne und Töchter aus dem Exil holt.“
Der Kapitän der Kahal grinste fast bösartig. Ihm gefiel die Situation immer noch nicht: „So wie Sie?“
Kapitän Lukat schaltete sich besänftigend ein: „Ich würde vorschlagen, wir lenken das Gesprächsthema in etwas konstruktivere Bahnen. Für heute Abend haben einige von uns wohl schon genug…Voreiliges gesagt.“
Der Admiral nickte: „Entschuldigen Sie. Aber was Ihre Frage angeht, Matir – weder die Admiralität noch der Kriegsminister werden mich ohne größere Not von meinem Posten abziehen. Nicht, solange wir vom Imperium isoliert sind, und sie nicht sofort einen Ersatzmann einsetzen können.“
„Und Sie denken nicht, dass ihre Friedensinitiative der geeignete Anlass sein könnte?“
„Nur wenn ich gleichzeitig in der Schlacht versage, oder die Rebellion sich ausweitet. Alle Augen sind auf den Krieg gegen die Republik und die Konföderation gerichtet. Was in unserem eigenen Hinterhof passiert, das interessiert den Kriegsminister, die Admiralität und wohl auch den Imperator nur dann, wenn es sich negativ auf die Kriegsanstrengungen auswirkt.“
„Ihr Selbstvertrauen möchte ich haben.“
„Danke. Aber wir kommen nicht weiter, wenn wir uns von Befürchtungen oder Zweifeln hemmen lassen. Deshalb habe ich auch diese Runde gegen Ras gewonnen.“
Thera Los dachte im Stillen, dass das ziemlich kühne Worte waren, wenn man bedachte, dass Taran sich insgeheim fragte, wann ihm seine ‚Cousine’ vielleicht einen Attentäter auf den Hals schickte.
Aber davon wusste in dieser Runde nur sie, und sonst niemand. Und Taran verstand sich ziemlich gut darauf, seine Befürchtungen und Ängste vor weniger erfahrenen Beobachtern zu verbergen, und sie durch ein betont forsches Auftreten, durch ein forsches Auftreten und seinen bissigen Humor zu kaschieren.
Allerdings konnte er sich nicht selber belügen.
‚Und was wird sein, wenn er mal eines Tages wirklich die Karten auf den Tisch legen muss?’

Aber für heute Nacht, oder vielmehr Morgen, war das alles. Die nächste Krise, das nächste Problem, die nächste Intrige würde bestimmt bald kommen, aber vielleicht erst morgen. Taran nahm sich die Zeit, jeden der Anwesenden mit einem Händedruck und ein paar Worten zu verabschieden. Er wusste nur zu gut, was auf dem Spiel gestanden hatte. Und dass neben den recht vagen Richtlinien des Kriegsministers nur die Flotte und einige wenige Gouverneure und Standortkommandeure seinen Sturz verhindern konnten. Er hatte sich in kurzer Zeit viele Feinde gemacht…

Keiner der Männer und Frauen sah, dass der scheinbar so selbstsicher auftretende Admiral sich wenig später unruhig auf seinem Bett hin und her warf. Er konnte keinen Schlaf finden, egal wie müde er war. Er hatte zu viele Sorgen, um zu schlafen…
Cattaneo
Ace

Hannover, wisperten die Matrosen auf den Decks. Hannover, raunten die Piloten in ihren Cockpits. Hannover, flüsterten die Infanteristen ehrfürchtig. Das London-System war gefallen, ein einem Viertel der Zeit, die selbst Optimisten für wahrscheinlich angenommen hatten. Und nun standen die Akarii unter Ilis davor, das Hauptsystem der Confederation zu nehmen und den Krieg zumindest in diesem Abschnitt der Galaxis zu beenden. Jahrelang hatten die Glatthäute exzellenten, energischen Widerstand geleistet, aber nun würde der alte Ilis einen Schnitt durch die Kehle setzen, am weichsten, verwundbarsten Punkt. Mit der Zentralwelt in Akarii-Hand würde auch die große Entlastung für die Hauptfront gegen die Republik kommen, und dem folgte entweder der Endsieg, oder ein von Akar diktierter, harscher Friede.
Stolz erfüllte die Männer und Frauen an Bord der Schiffe, denn ihnen oblag es nun, die Geschichte zu ändern.
Den Angriff auf London hatten vier freiwillige Mannschaften Schwerer Kreuzer auf sich genommen und einen unglaublichen Erfolg erzielt. Den Namen Juuna Yorn sprach man mittlerweile ehrfürchtig aus, und man hörte ihn an Bord jedes einzelnen Schiffs. Der junge Kommandeur der HRAMBU war für seine Heldentat zum Kapitän befördert worden, und seine Schiffsmannschaft mit Ehren und Würden sowie dem Titel „Elite“ belohnt worden.
Nun rissen sich die anderen Kommandanten um die Ehre, die Himmelfahrtsmission auf Hannover selbst anzuführen, denn hinter soviel Heldenmut wollte niemand zurück stehen.
Kal Ilis aber hatte seinen hervorragenden Ruf nicht von ungefähr. Er hatte es Zeit seines Lebens geschafft, Risiken im richtigen Maß gegeneinander abzuwägen. Zwar hatte er den Ruf eines kompromisslosen Soldaten, der das Leben seiner Soldaten und Offiziere einforderte und sie bedenkenlos opferte wie eine Handvoll Sand, die er ins Meer warf, doch achtete er immer darauf, dass kein Soldat sinnlos verheizt wurde. Für die Toten war es reichlich egal, denn tot war tot und verlangte keine Entschuldigung. Aber Ilis opferte lieber an einem Tag fünftausend Mann, um am nächsten Tag das Leben von zwanzigtausend zu retten, in dem Punkt war er hart wie Schiffsstahl.
In diesem speziellen Fall aber hatte er eine der schwersten Entscheidungen seines Lebens zu treffen.
Yon Ataki sah ihren Admiral ernst an. Sie hatte den Vorschlag gemacht, und Kal Ilis hatte lange darüber nachgedacht. Schließlich und endlich erhob er sich. „Ein guter Plan. Der Nutzen ist fraglich, aber dennoch ein guter Plan.“ Er aktivierte eine Verbindung zur Brücke seines Trägers QUARSAR, und zog einige der wichtigsten und beschäftigsten Leute ab, die eigentlich bis zum Hals in den Vorbereitungen der Invasion steckten.

***

Wieder übernahmen die schweren Kreuzer die Vorhut, um die härtesten, brutalsten und tödlichsten Schläge der Colonials über sich ergehen zu lassen. Wieder standen sie an vorderster Front, waren sie das Bollwerk, das für den Sieg gestanden hatte. Aber diesmal würde einiges anders sein.
Sie flogen mitten ins Herz der ColCon, und diese würde bereit sein, ihre Existenz bis aufs Messer zu verteidigen, auch ohne dass die Flotten der Republik ihnen zur Hilfe eilen konnte.
Die acht Kapitäne der Ersten Welle wussten, dass sie in ein Gemetzel flogen. Umso überraschter waren die Männer und Frauen des Todeskommandos, als Prisenmannschaften eine Reihe erbeuteter kolonialer Schiffe vor das Wurmloch schleppten. Tender gingen längs und versorgten sie. Dann positionierten sich die ColCon-Schiffe in der ersten Linie noch vor dem Todeskommando.
Als die Zeit für die Operation auf unter eine Stunde geschrumpft war und mehr und mehr Schiffe der Invasionsflotte Bereitschaft meldeten, kam eine offene Ansage von Admiral Erster Klasse Kal Ilis direkt vom Flaggschiff. In knappen Worten erklärte er den Sinn und Zweck der fünf Fregatten, drei Korvetten und neun Frachter, die sie im London-System von der gegnerischen Flotte erbeutet hatten. Nun wurde einiges klarer. Leichter wurde die Mission des Todeskommandos dadurch aber nicht.

***

Kapitän Ellan Hradas führte die LEVATES, ein altes Schiff mit bewährter Crew und eingespielten Offizieren. Man sagte, die LEVATES war eine Admiralsschleuder: Jeder Kapitän, der dieses Schiff kommandierte, wurde automatisch Admiral mit der Zeit. Heute aber schien diese selbst erfundene Tradition an ihre Grenzen zu stoßen, denn die LEVATES führte die Todesmission an. Er machte sich da keinerlei Illusionen. Zwar würde die geniale Idee Admiral Atakis ihnen Luft verschaffen, aber dennoch würde es eine lange, blutige und brutale Schlägerei auf engstem Raum werden. Und sie würden die ersten Opfer sein, nur mit viel Glück überleben.
Als die LEVATES den Sprung durch das Wurmloch begann, ahnte er mit schwitzigen Händen, dass die Hölle auf ihn und seine Crew sowie die anderen sieben Kampfschiffe der Vorhut wartete, aber er hätte nicht voraus zu sagen gewusst, dass die Hölle mittlerweile wahnsinnig geworden war.
Die LEVATES kam aus dem Sprung und gelangte in ein mittleres Inferno. Multiple Anzeigen zeichneten schwere Explosionen zu allen Seiten auf, direkt in Fahrtrichtung stand sekundenlang eine kleine Sonne und malträtierte die Schirme der LEVATES mit harter Strahlung, und hunderttausende Kleinstreflexe machten seinen Ortungsfachleuten das Leben schwer.
Der Plan hatte also funktioniert. Wie gut würde er nun herausfinden müssen.
„Ortung! Gebt mir ein Ziel!“, rief er. „Irgendwas, was die Brander hier übrig gelassen haben!“
Brander, das war ein alter Begriff, der noch aus einer Zeit stammte, als die Jagdflieger noch nicht existiert hatten und alle Schlachten Schiff gegen Schiff ausgetragen worden waren. Damals war es durchaus üblich gewesen, ein eigenes Schiff mit großkalibrigen Bomben voll zu stopfen und mitten in eine feindliche Flotte zu schicken. Vorzugsweise in gekaperten Schiffen des Feindes, um sie noch näher heran kommen zu lassen und DANN, in einem großen Knall, all die Waffen detonieren zu lassen, und die umliegenden Schiffe zu vernichten oder wenigstens brennen zu lassen.
Und genau das war hier geschehen, vielleicht mit der Einschränkung, dass nicht die gegnerischen Schiffe, die hier zweifellos auf der Lauer gelegen hatten, das Ziel gewesen waren, sondern die versteckten Minenfelder.
Nach dem Sprung waren die ColCon-Einheiten darauf programmiert gewesen aufzufächern, um einen möglichst großen Bereich von Minen und gegnerischen Schiffen zu säubern. Dass das nicht vollkommen geklappt hatte, sah man alleine daran, dass sich im Kurs der LEVATES mehrere Wrackreste befanden. Dennoch waren gigantische Minenfelder vernichtet worden, viele von ihnen durch Sekundärexplosionen.
„Ortung! Kreuzer, Hunley-Klasse! Eröffnet Feuer auf MIRHAL!“
Die MIRHAL war am rechten Ende des Fächers, den die acht Kreuzer bildeten, die LEVATES war die Mitte. „Etwas Näheres, bitte. Meinetwegen ein paar Minen.“
Hradas war nervös, und er wurde mit jeder Sekunde nervöser, die der eigentliche Kampf auf sich warten ließ. Oh, er war bereit gewesen, bereits in der ersten Sekunde nach dem Durchgang im Kampf zu stehen, sein Leben zu lassen, dafür aber so viele Feinde wie möglich mit zu nehmen, und nun befand er sich bereits seit einer Minute im Feindsystem und hatte nicht einmal eine adäquate Ortung vom Gegner.
„Neue Ortung, multiple Schiffsklassen, Distanz fünfhunderttausend Kilometer.“
„Auf mein Holo“, befahl Hradas. „Ebenso alle weiteren Ortungen.“
Sein Hologramm veränderte sich und zeigte die fernen Ortungsschatten ein. Der Bordcomputer vervollständigte identifizierte Schiffe mit ihren Namen und ihren Klassen, aber das Wichtigste waren ihre Positionen. Selbst heutzutage waren beinahe zwei Lichtsekunden eine erhebliche Entfernung und wollten erst überwunden werden. Zudem schien ein intakter Sperrriegel auf ihn und die anderen Schiffe zu lauern, mit nicht weniger als zwanzig Schiffen aller Klassen.
Die Brander hingegen hatten einen Bereich unmittelbar um das Wurmloch frei geräumt, und dabei vor allen über und unter der planetaren Ebene gegnerische Schiffe versenkt oder schwer beschädigt, aber was wichtiger war, Minen vernichtet.
Langsam ergab alles für Hradas einen Sinn. Die Brander hatten einen Korridor von Minen geräumt, der dreitausend Kilometer breit, eintausend hoch und fünftausend tief war. Dabei hatten sie schätzungsweise fünftausend zum Teil schwere Antischiffsminen vernichtet.
Direkt über und unter der planetaren Ebene waren die Minengürtel dünner, darüber hinaus hatten dort Kampfschiffe gelauert und taten es immer noch, die Feindschiffe beharkten, welche von Minenfeld malträtiert wurden. Aber es waren nicht viele.
Wenn er das gleiche von den knapp zwei Lichtsekunden entfernten Einheiten annahm, dann musste er zu dem Schluss kommen, dass entweder die ganze Strecke bis zu ihnen vermint war, oder ein starker Sperrgürtel von diesen Schiffen überwacht wurde.
Kurz dachte er über einem Ausbruch nach oben, unten oder zu den Seiten nach, dort wo die Minenfelder schwach sein mussten, um die eigenen Schiffe nicht zu gefährden wie den Hunley, der sich ein Ferngefecht mit der MIRHAL lieferte. Aber das würde Ilis entscheiden müssen. Allerdings formulierte er einen kurzen Bericht, der zuerst der YONDER und danach der QUARSAR zugeschickt werden würde, in der er auf die Möglichkeit einer Umgehung hin wies, auch wenn das bedeutete, zwei bis drei Stunden für den Angriff auf Hannover zu verlieren. Bis dahin tat er seine Pflicht. Und das war, das von den Brandern geräumte Gebiet zu sichern, damit die nachfolgende Flotte sicher springen konnte. Dabei konnte es nicht schaden, Jagd auf überlebende Minen zu machen und die Räumung weiterer Minen durchzuführen sowie sich um die wenigen Einheiten zu kümmern, die oberhalb und unterhalb der planetaren Ebene lauerten.
Gut, sie waren nicht in einem Feuersturm vernichtet worden. Sie hatten mittlerweile sieben Minuten im Sonnensystem überlebt. Aber wie der Sperrriegel der ColCon bewies, hatten sie diese Möglichkeit in Betracht gezogen und den direkten Anmarschweg nach Hannover gesperrt.
Nun, es würde noch genügend andere Möglichkeiten zum sterben geben, ging es ihm bitter durch den Kopf. Denn selbst wenn sie den Sperrgürtel der ColCon-Navy umgingen, würden sie den dort stationierten Schiffen wunderbar ihre Flanke präsentieren, und das roch verdächtig nach Abnutzungs- und Rückzugsgefecht. Brachen sie aber durch die Minen, dann mussten sie sich der Gefahr aussetzen, von der Sperrfront beschossen zu werden, während rings um sie Schiffe in heftigen Explosionen zerstört wurden... Warum war er nur Soldat geworden?
„Ortung! Weitere Einheiten kommen aus dem Wurmloch! Vorneweg die YONDER!“
„Grüßen Sie die YONDER und schicken Sie meinen Rapport mit“, befahl der Kapitän. Dann knetete er nervös seine Hände. Neun Minuten im System, und sie hatten noch nichts gefunden, worauf zu schießen sich gelohnt hätte.
Cattaneo
Cattaneo

Start in den Tod

Flotten-Ersatzflugplatz CCNR-43, Hannover

Rear-Admiral Jacqueline Bouisseau rannte. Wie schon zuvor, als man sie vom Angriff der Akarii auf das London-System unterrichtet hatte – vor so kurzer, so unendlicher langer Zeit – war ihre Uniform alles andere als mustergültig. Sie hatte eben ein wenig Schlaf gefunden, als der befürchtete Anruf gekommen war. Die Admirälin trug jetzt einen Pilotenanzug, und der klobige Helm drückte sie in die Seite, während sie durch die endlosen unterirdischen Flure des Notflughafens hastete. Ihr Atem flog und Adrenalin brannte in ihren Adern. Einmal musste sie ausweichen, als ihr ein Trupp Techniker entgegenkam. Die Männer und Frauen, die vermutlich vor wenigen Tagen noch vor Ehrfurcht erstarrt wären, wenn sie einer Person ihres Ranges begegnet wären, beachteten sie jetzt kaum. Ihre Gesichter wirkten unnatürlich blass, die Augen geweitet, und in den Händen trugen sie mit einer grotesk anmutenden Vorsicht klobige Lasergewehre oder schultergestützte Raketenwerfer. Natürlich – auch die nachrangigen Dienste von Marine und Armee wurden „durchkämmt“, und wer immer eine Waffe halten konnte und nicht unersetzlich war, wurde den Infanterieverbänden zugewiesen. Die Logik dahinter war einfach – beträchtliche Teile der normalen Logistik würden die Streitkräfte in dieser Schlacht ohnehin nicht brauchen, und selbst nachrangige Flotten- und Heeressoldaten waren mindestens so gut ausgebildet wie die Zivilschutzangehörigen, die man gerade mobilisiert hatte.
Erst als die Admirälin die Tore des Hangars vor sich hatte, bremste sie sich etwas, atmete ein paar Mal tief durch und trat dann schwungvoll und mit zumindest etwas wie der angemessen Würde ein. Ihre Piloten erwarteten sie.

Als schließlich die Nachricht vom Eintreffen der imperialen Flotte am Sprungpunkt von Hannover gekommen war, war dies keine Überraschung mehr gewesen. Nur ein hoffnungsloser Optimist hätte hoffen können, dass die Verteidiger des London-Systems den Angreifer stoppen oder ausreichend schwächen würden, die TSN rechtzeitig zu Hilfe käme, oder die kaiserliche Flotte etwas anderes als einen Großangriff auf das Zentralsystem der Colonial Confederation vorhatte. Und hoffnungslose Optimisten waren in diesem Krieg eine aussterbende Gattung, mehr noch als selbstlose Helden. Einige der Piloten mochten jetzt sogar mit einer gewissen Erleichterung reagieren. Nicht etwa, weil sie so begierig auf den Kampf waren, sondern vielmehr, weil das quälende Warten nun endlich ein Ende hatte. Kein Mensch hielt die Anspannung ewig durch: zu wissen, dass sich eine drohende, ja übermächtige Gefahr nähere, aber nichts dagegen tun zu können. Erst jetzt, in dem Augenblick wo die Meldung vom Eintreffen der feindlichen Vorhut kam, konnten die Piloten zumindest ein bisschen ihr Schicksal selbst bestimmen. Oder vielmehr redeten sie sich das ein.

Dazu kam jene schwer definierbare Mischung von Motiven, die für Truppen in einer solchen Situation üblich war: die Angst um die Heimat und die Familien, Hass auf den Feind und Furcht vor den Verwüstungen und Gräueltaten, die er angeblich oder wirklich im Falle seines Sieges anrichten würde, anerzogener Patriotismus und in einigen Fällen auch noch ein Rest von jugendlichem Überschwang, Ehrgeiz oder Abenteuerlust. Deshalb waren die Piloten wie ihre Admirälin aus den Bunkerquartieren gestürzt, in denen sie die letzten Stunden totgeschlagen hatten, falls sie nicht ohnehin die ganze Zeit in den eingebunkerten Hangars bei „ihren“ Maschinen verbracht hatten. Eingewiesen vom inzwischen stark reduzierten technischen Personal und Bewaffneten in einem Sammelsurium aus Uniformteilen – der Zivilschutz ersetzte hier bereits reguläre Truppen – formierten sie sich nun zu so etwas ähnlichem wie einem Block, angetreten vor ihren Kampffliegern. Es war ein bunter Haufen, vielleicht 50 Männer und Frauen. Die ältesten der Piloten waren sicher Ende 50 oder sogar darüber, die jüngsten deutlich unter 20, Kadetten die geradezu noch pubertäre Pickel oder Babyspeck zeigten. Mehr als einer der älteren Piloten war offensichtlich verwundet worden und erst auf dem Weg der Genesung, und die wenigstens verfügten über die Abzeichen und Routine, wie man sie von erfahrenen Einsatzpiloten erwartete.

Ihre Maschinen boten ein nicht minder buntes Bild. Da waren zunächst die inzwischen zwar alten, aber immer noch fronttauglichen Jäger der TSN, allesamt requirierte Reservemaschinen oder Maschinen der Fortgeschrittenenausbildung. Es gab einige Phantome und Griphen, vor allem aber Typhoon-Abfangjäger. Als besonderer Bonus und gewissermaßen optischer Leckerbissen fungierte ein Dutzend moderner Tomahawk-Maschinen der CN mit den prachtvollen Abzeichen der Ersten Gardestaffel, der Confederation-Eagles. Eigentlich eine Einheit für Kunstflüge, aber auch ausgebildet um bei Staatsbesuchen das Schiff des Generalgouverneurs zu eskortieren und für ähnliche Protokollaufgaben. Normalerweise wäre ihr Platz auch jetzt beim Generalgouverneur gewesen, aber dieser hatte sich ja entschlossen zu bleiben und würde sie nicht mehr brauchen. Zudem war klar, sollte er sich entschließen, doch noch zu fliehen, war es sicher klüger ihm eine Staffel kampferprobter Veteranen mit nicht besonders gekennzeichneten Maschinen mitzugeben, oder eine Geheimdiensteinheit – nicht die offizielle Gardestaffel.
Aber daneben gab es auch fast ein Dutzend alte Mustang-Jäger, die eigentlich schon bei Kriegsausbruch jeder Akarii-Maschine in Angriffsbewaffnung, Schutz, Geschwindigkeit oder Wendigkeit unterlegen waren – von der Elektronik ganz zu schweigen. Diese Maschinen hatte man vorher zur Grundausbildung neuer Rekruten verwendet, bis jetzt, zur wohl dunkelsten Stunde der Confederation. Und dabei war dies hier die Admiralsgruppe des Reservegeschwaders, mithin nicht die schlechtesten Maschinen des Reservegeschwaders.

Die junge Admirälin hatte sich – wie sie nicht eben selbstkritisch fand – geradezu selbst übertroffen und in der kurzen Zeit, die ihr seit der entscheidenden Besprechung geblieben war, noch einige zusätzliche Flieger und Piloten zusammenkratzen können. Insgesamt mochten es inzwischen etwa 150 Jäger und Jagdbomber und 320 Shuttle aller Sorten und Variationen unter ihrem Kommando stehen. Sie waren natürlich nicht an einem Punkt konzentriert – kein Grund, die Treibstoffvorräte und ohnehin stark angespannten logistischen Dienste zu sehr zu strapazieren, und es eventuellen Saboteuren zu leicht zu machen. Zudem hätte das die Gefahr von Zusammenstößen noch einmal dramatisch erhöht.

Ihre gesamte Streitmacht war planmäßig in sechs Gruppen gegliedert, je drei Jäger- und Shuttleeinheiten. Da gab es zunächst den Admirals-Wing, den sie selber führen würde. Dann war da noch der Reserve-Wing, ebenfalls gut 50 Jäger, aber zu drei Vierteln marode Mustangs. Ihr graute jetzt schon bei dem Gedanken, dass diese sich mit modernen Bloodhawks und Reapern anlegen würden. Und schließlich noch der Wing, der ihrer Meinung nach in der ohnehin blutigen Schlacht die vielleicht bitterste Aufgabe würde übernehmen müssen: der Angriffs-Wing. Für diesen hatte sie mobilisiert, was sie an kampfkräftigen Maschinen zusammenkratzen konnte.
Zwei Dutzend der Maschinen waren Jagdbomber, so gut wie sämtlich Mirage A- und B- aus der Ausbildung, die einigen Witzen zufolge älter waren als selbst die ältesten ihrer Piloten und Copiloten zusammengenommen. Der Rest der Einheit bildeten das Gros der Phantome- und Griphenjäger, die sie hatte ,lockermachen’ können – letztere zum Teil mit den ungelenkten Kurzstreckenraketen der TSN bewaffnet. Während der Admirals- und der Reserve-Wing rein defensive Aufgaben haben würden, war der Angriffs-Wing dazu ausersehen – oder verdammt, die Rear-Admirälin war sich da nicht so sicher – den geplanten konföderierten Jägerangriff auf die Imperiumsflotte zu begleiten. Selbst die ehrgeizigen Planer rechneten von vorneherein damit, dass diese alten Maschinen mit ihren unerfahrenen, blessierten oder überalterten Piloten nicht bis ins Herz der feindlichen Flotte kommen würden. Sie sollten lediglich helfen, den Weg freizumachen, und die Außensicherung des Feindes angreifen. ,Und vermutlich ein paar feindliche Raketen und Jäger auf sich ziehen’ dachte die Admirälin verbittert.

Jacqueline Bouisseau wusste, wie die Chancen für diese Piloten, ja für ihr ganzes „Geschwader“ aussahen. Es hörte sich ja ganz eindrucksvoll an, 150 Maschinen und ca. 180 Piloten und Bordschützen, auch wenn man berücksichtigte, dass die Jäger nahezu alle veraltet waren. Aber zu den bekannten Mängeln kam noch, dass die Piloten nur zu einem Teil überhaupt formationstauglich waren, und etliche hatten nicht einmal einen eingespielten Flightkameraden. Man konnte eben nicht einfach zwei Piloten, die sich noch nie zuvor gesehen hatten, zusammenstecken und dann darauf hoffen, dass sie sich gut ergänzen würden. Nicht umsonst sagte man, dass zwei aufeinander eingespielte Piloten soviel wert waren wie vier Einzelkämpfer.

Und wenn ihr schon die Jäger Sorgen bereiteten, so wollte sie gar nicht erst an die Shuttles denken. Sie hatte schon fast Gewissensbisse, dass sie sich um diese nicht noch mehr sorgte – aber sie war nun einmal Jägerpilotin und würde die Jäger begleiten. Sie hatte immerhin… ach ja, nach diesem fatalen Absturz bei der Überführung waren es noch genau 107… bewaffnete Shuttles zusammengekratzt oder unbewaffnete aufrüsten lassen, und sie an das Flottenkommando übergeben. Hörte sich auch nicht schlecht an, denn das bedeutete ein paar hundert Laserkanonen und Raketenwerfer, die den schweren Schiffen und Stationen der Flotte zusätzlichen Schutz gegen Jäger und wenn möglich auch Raketen bieten sollten. Wenn ihre Elektronik so schnelle Ziele überhaupt erfassen konnte. Zudem hatten viele der Besatzungen ihre Waffen das letzte Mal vor Jahren abgeschossen, und das eher im Manöver oder um sich mit der Zerstörung von Weltraumschrott zu amüsieren. Wenn überhaupt…
Dazu kamen etwa 60 Tank- und SAR-Shuttle, die ebenfalls im Einsatz waren und helfen würden, die CN-Jäger möglichst schnell wieder einsatzbereit zu machen und Verletzte zu bergen. Die gut 160 unbewaffneten Shuttles, die sie noch übrig hatte, und für die weder Waffen noch Ausrüstung oder ausreichend geschulte Besatzungen vorhanden waren, karrten im Moment Schrott und Minen in die Umlaufbahn. Wenn man genau darüber nachdachte, war es gerade dieses Improvisieren, das bewies, wie verzweifelt die Lage wirklich war.

Die Admirälin spürte einmal mehr eine unterdrückte Wut in sich aufsteigen. Sie war Patriotin und Soldatin zugleich, aber zum ersten Mal fragte sich, ob einige ihrer militärischen und zivilen Vorgesetzten das Opfer überhaupt wert waren, das sie und ihre Männer und Frauen zu bringen im Begriff waren. Dass ihr letzter verzweifelter Vorschlag abgelehnt worden war, nagte noch immer an ihr. Nicht so sehr, weil sie begierig war, Piloten auf den Flug ohne Wiederkehr zu schicken. Aber nichts anderes würde sie jetzt ohnehin tun, und in den letzten Stunden war ihr die Größe der Gefahr überhaupt erst richtig zu Bewusstsein gekommen. Nun fragte sie sich, ob dieses ohnehin unvermeidliche Opfer nicht hätte mehr bewirken können und sollen. Sie machte sich keine Illusionen. Die Imperialen würden natürlich auch Mustangs oder marode Mirage nicht verschonen – jeder betriebsbereite Jäger und mehr noch jeder Jabo war eine Gefahr und musste eliminiert werden, das verlangte die militärische Logik, und die Akarii des Imperiums waren geradezu erschreckend logisch, abgesehen davon, dass sie die wahnsinnige Entscheidung getroffen hatten, diesen Krieg überhaupt anzufangen. Folglich würden ihre oft unerfahrenen und schlecht ausgerüsteten Piloten in Scharen den Frontlinie-Truppen der Kaiserlichen zum Opfer fallen, vermutlich ohne sehr viel bewirken zu können. Wenn man nun einige von ihnen als Kamikaze losgeschickt hätte, wenn sich Freiwillige gefunden hätten…
Die Admirälin war sich sicher, dass mancher der älteren Piloten sehr genau wusste worauf er sich einließ, und mancher der jungen das eigene Leben gering genug geachtet hätte. Gott, die Vorstellung war gewiss abscheulich, aber würden sie nicht ohnehin sterben? Warum nicht ihrem Tod einen Sinn geben und noch so viele Feinde wie möglich mitnehmen? War der Verzicht auf ALLE möglichen Mittel nicht schon eine halbe Kapitulation? Menschen, die am verhungern und verdursten waren, die ertranken, verbrannten – konnten die wählerisch sein? Das alles ging ihr im Kopf herum. Aber sie war Soldatin genug, einen erteilten Befehl nicht zu missachten. Sie schuldete den militärischen und zivilen Vorgesetzten Gehorsam. Auch wenn sie einige vielleicht nicht sonderlich achtete. Aber jetzt war es ohnehin zu spät – war es vielleicht schon gewesen, als der erste kaiserliche Kreuzer das London-System erreicht hatte. Jetzt konnte sie nur aus dem Vorhandenen das Beste machen.
Vor der Front ihrer Untergebenen nahm sie Haltung. Sie rief sich zur Ordnung, denn was sollte es schon bringen, wenn man ihr die Zweifel anmerkte? Sie würde ihre Aufgabe erfüllen, so gut es ging. Sie gestikulierte knapp zu einem Techniker hinüber – ihre Worte würden auch an die anderen Standorte des „Geschwaders“ übertragen werden, überall dorthin wo sich die Männer und Frauen bereit machten, ihre Maschinen zu besetzen und zu starten.

„Männer und Frauen des Reservegeschwaders der Colonial Navy! Ich brauche euch nicht zu erklären, wie ernst die Stunde ist. Der Feind greift in Übermacht unsere Heimat, das Herz der Konföderation an. Ich will nicht sagen, die Lage sei verzweifelt, denn Verzweiflung ist nur etwas für jene, die ihr Ende unabwendbar vor Augen haben. Es gibt noch Hoffnung – Hoffnung auf die Schiffe unserer Flotte, die in diesem Augenblick herbeieilen, um Hannover zu schützen, Hoffnung auch auf die TSN, die bereit ist, uns ebenso zur Seite zu stehen wie wir ihr zur Seite gestanden haben. Und vor allem Hoffnung auf unsere eigenen Fähigkeiten und die unserer Kameraden in Heer, Zivilschutz und Flotte. Denn so stark der Feind auch sein mag – er ist nicht unbesiegbar. Wir haben in den letzten Jahren oft genug erlebt, wie wir und die TSN in scheinbar auswegloser Lage den Sieg erkämpft haben. Nicht etwa, weil wir es wollten, weil wir begierig waren auf diesen grauenhaften Wettkampf, sondern weil uns der Feind keine andere Wahl ließ. Das Kaiserreich hat sich entschlossen, diesen Krieg zu führen, und bis zu dem Tag an dem es endlich geschlagen ist, bleibt uns nichts anderes als jedes noch so große Opfer auf uns zu nehmen. Denn wer will schon verhandeln, und auf das Ehrenwort einen Feindes vertrauen, der erbarmungslos und heimtückisch seine Nachbarn überfällt und rücksichtslos Massenvernichtungswaffen einsetzt? Das Imperium hat seine eigene Ehre mit Füßen getreten, und so bleibt uns nichts, als um unser eigenen Ehre, Leben und vor allem Freiheit willen einmal mehr in den Kampf zu ziehen.

Ihr fragt euch vielleicht, was ihr erreichen könnt – eine Handvoll Piloten in zum Teil veralteten Maschinen, gegen einen Feind mit hunderten von Jägern und Kriegsschiffen. Nun, ihr steht zu keiner Zeit allein. Mit uns sind nicht nur unsere Kameraden der Flotte, sondern auch das Heer und der Zivilschutz. Sie haben wie wir die Aufgabe, Hannover und seine Bevölkerung, und damit auch unsere Regierung, zu beschützen. Und es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der Flotte, dass der Feind nicht auf Hannover landen kann – außer als Weltraumstaub! Jeder Kaiserliche den wir töten, ist einer weniger der unsere Bodentruppen angreifen kann. Jeder Jagdbomber, Korvette oder Zerstörer die wir vernichten ist eine weniger, die Tod und Vernichtung über unsere wehrlosen Mitbürger bringen. Jede Minute die wir erkämpfen gibt unseren Angehörigen die Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen, ermöglicht es unseren Kameraden vom Heer sich auf den Bodenkampf vorzubereiten, und gibt unseren Brüdern und Schwestern in der Flotte und TSN Zeit, Hannover zu Hilfe zu kommen. Wenn wir scheitern, dann sind Jahrhunderte Fleiß, Verstand und Liebe umsonst, und werden von den Kaiserlichen ausgelöscht werden, so wie sie Manticore auslöschten. Dann wird man der Konföderation das Herz aus der Brust reißen. Dann sind alle Welten unserer Heimat in Gefahr, und wir wissen, dass sie von den Imperialen nichts als Tod, Verwüstung und Sklaverei zu erwarten haben. Dann wird auch die Bundesrepublik wanken – und am Ende wird niemand mehr da sein, der gegen das Kaiserreich antreten kann. Wie ein Leichentuch wird sich seine Fahne über die Galaxis legen. Es liegt auch in unserer Hand, dies zu verhindern. Ich glaube fest daran, dass nicht nur das Recht auf unserer Seite ist, sondern auch Mut, Entschlossenheit und wahre Treue zur geliebten Heimat.
Ich will euch nichts vormachen – dieser Kampf wird hart werden. Er wird von uns das Äußerste fordern, und manche werden ihn wohl nicht überleben. Aber letztlich bleibt uns keine Wahl – und kein Mensch oder Akarii oder sonst einW esen mit einem Funken Gewissen könnte anders, als sich bei uns einzureihen. Ja, ich sage bewusst Akarii, denn gerade die Akarii in unseren Reihen sind es, die uns beweisen, wofür wir kämpfen. Sie, die ihre ursprüngliche Heimat verlassen haben, wissen, was auf dem Spiel steht. Heute zählt es nicht ob jemand Mensch oder Nichtmensch ist, arm oder reich, jung oder alt, Mann oder Frau. Wir – wir alle auf Hannover – sind hier als Bürger der Konföderation, und letztlich als Vertreter für alle freiheitsliebenden Wesen der Galaxis. Und wir werden nicht versagen.“

Sie sah es an den Gesichtern ihrer Untergebenen, dass diese sie verstanden haben. Da war mitunter Begeisterung – es war eine große Sache, zum Stellvertreter für alle „Freiheitsliebenden“ befördert zu werden. Und Vorschußlorbeeren waren auch nicht schlecht. Aber auch jene, die dagegen immun waren, sahen wie sie, dass es im Grunde keine Wahl gab. Die Art wie dieser Krieg begonnen hatte und wie er geführt wurde, ließ eine Kapitulation nicht in Frage kommen. Man hatte erlebt, dass der Gegner zu schlagen war – natürlich wusste man auch um die Kosten. Aber im Augenblick stand die Konföderation da, wo vielleicht das größte – und manchmal auch das sinnloseste – Heldentum entsteht: mit dem Rücken zur Wand und ohne einen erkennbaren Ausweg. Wenn man nur gut genug kämpfte, nur lang genug aushielt…
Die Admirälin zögerte einen Moment, doch dann gab sie sich einen Ruck – warum auch nicht?
„Soldaten – Brüder und Schwestern. Ich verlange Schweres von euch, doch nichts Unmögliches. Unsere Heimat entstand, um frei zu sein. Dafür stehen wir hier, um all das zu verteidigen, was uns teuer ist. Wir werden uns nicht beschämen lassen von den gehorsamen Sklaven des Imperators. Wenn die Kaiserlichen nicht weichen – auch weil sie um die Schwere ihrer Verbrechen wissen – dann werden wir das noch weniger tun! Als die TSN den Hauptkriegsschuldigen Prinz Jor stellte, da stürzten sich seine Piloten auf die terranischen Schiffe und beschädigten oder zerstörten mehrere von ihnen. Die imperialen Heerestruppen auf Wron hielten fast anderthalb Jahre einer Übermacht stand. Sollten freie Männer und Frauen weniger entschlossen und unerschütterlich kämpfen als unser Feind? Ich weiß, wie ich werdet ihr dafür einstehen, dass dies niemals der Fall sein wird. Denkt immer daran, wofür und wogegen ihr kämpft.“
Sie holte tief Luft: „Brüder und Schwestern – ich bin stolz, euch führen zu dürfen. An die Maschinen!“
Es gab Jubel – bei weitem nicht von allen. Aber alle machten sich bereit, rannten zu ihren Kampffliegern. Was zu sagen war, war gesagt worden. Im Grunde waren es Dinge, die jeder von ihnen bereits wusste oder zumindest geahnt hatte. Begeisterung konnte kaum aufkommen, dafür sahen zu viele zu klar, was die nächsten Stunden bringen würden. Aber es gab auch keine Verzweiflung – selbst bei jenen nicht, die in der Tat ihr Ende als sicher vor ihrem inneren Auge sahen. Denn es blieb die Hoffnung, dass die Colonial Navy und die TSN rechtzeitig kommen würden. Wenn man ihnen nur genug Zeit erkaufte und die Angreifer genug schwächte…
Und für einen Augenblick war das Schicksal wohl auf ihrer Seite – vielleicht nur, um sie kurz darauf um so sicher dem Untergang zu weihen. Denn in dem Augenblick, in dem die Admirals-Typhoon zum Start rollte, meldete sich mit einem Knirschen der Geschwadersprechfunk: „Achtung, Achtung, Meldung des Flottenoberkommandos. Soeben sind zwei schwere und ein leichter kaiserlicher Kreuzer von Minen und Langstreckenraketen vernichtet worden. Weitere feindliche Schiffe beschädigt.“ Es war genau die Sorte Meldung, die man gebraucht hatte. Das begeisterte Geheul ließ die Lautsprecher vibrieren, und die Rear-Admirälin jubelte keinen Deut weniger als der jüngste Kadett, obwohl sie wusste, dass dieser Erfolg im Grunde nicht viel besagte. Tränen liefen über ihre Wangen, doch diese waren ihrer Stimme nicht anzumerken.
„Geschwader…STARTEN!“
Überall auf und über Hannover starteten die Kampfflieger und Shuttle, setzten sich die Kriegsschiffe und bewaffneten Frachter in Bewegung, bereit, für ihre Heimat in die Schlacht zu ziehen. Sie flogen in den Tod.
Cattaneo
Ace

Im Weltall hört man niemanden schreien, sagten die Menschen. Nun, das war richtig, fand Jor Legar. Die Erfahrungen in seiner Bloodhawk bestätigten das. Man hörte die Laserschüsse der Terraner nicht, man hörte die Abschüsse der Raketen nicht, und wenn eine terranische Railgun zur Jägerabwehr auf die eigene Maschine feuerte, hörte man die Abschüsse der Laserkanone nicht.
Man hörte niemanden schreien, zumindest keine Gegner. Aber dafür füllten andere Geräusche die Luft in den Kabinen. Die Kommunikation mit seiner Staffel, die Anweisungen des Flugleiters an ihn, die Geräusche, mit denen Energieblitze in seine Schirme einschlugen und Resonanzen in der künstlichen Atmosphäre seiner Kanzel verursachten. Die Geräusche der Schildprojektoren, wenn sie kurzfristig dazu veranlasst wurden, über ihre Hundert-Prozent-Marke zu gehen...
All das verursachte eine enorme Geräuschkulisse, die geringere Akarii in den Wahnsinn treiben konnte.
Jor Legar orientierte sich. Mit zwanzig Jägern hatte er diese Schlacht begonnen, nun waren es nur noch sechs. Acht waren vernichtet, zwei ohne Hinweis von seinem Monitor verschwunden, vielleicht havariert, vielleicht in einer Minenexplosion verschlungen, vielleicht desertiert, er konnte es nicht sagen, ohne dass die Flugleitung die Logs der überlebenden Jäger auswertete. Weitere vier waren auf die YONDER, sein Heimatschiff, zurückgeschlichen und hatten es hoffentlich geschafft. Zwei Ersatzjäger standen bereit für wagemutige Piloten, die sich erneut in diesen Wahnsinn werfen wollten. Und es war Wahnsinn, das sah der Staffelführer in diesem Moment größer und klarer als je zuvor.
Es gab keine Frontlinie, es gab keine Ordnung. Koordination war ebenfalls nicht vorhanden, und schon seit über einer Stunde konnte er froh sein, dass sein Flügelmann noch immer an seiner Seite war. Die anderen vier aktiven Kämpfer seiner Staffel waren irgendwo hier drin.
Hier drin, das war der Sperrriegel der Colonial Navy hinter dem Minenfeld, welches sie zum Wurmloch nach London gelegt hatten. Hier drin, das waren einhundertsiebzehn Akarii-Schiffe aller Klassen, dazu zweihundertneunzig Jäger und Jagdbomber, die mit aller Macht, aller Gewalt auf neunzig Colonial-Schiffe und über vierhundert Jagdflieger aller Klassen gestoßen waren; einhundert weitere Schiffe waren auf dem Weg hierher, unter ihnen umgebaute Hilfsträger, aufgerüstete Frachter und dergleichen. Die Linien waren verschmolzen, die Schiffe lagen teilweise Bug an Bug. Friendly Fire war die Regel, nicht die Ausnahme. Und dennoch war ihnen allen klar, dass Demer Kal, wie die Operation hieß, hier an diesem Punkt Erfolg hatte oder scheitern würde.
Die Colonials wehrten sich verbissen, ließen die Akarii tief in ihre Formation eindringen und stoppten dann die Bewegung, eine Taktik, welche es zuvor noch nie gegeben hatte. Somit wurden die einher drängenden Akarii-Schiffe dazu gezwungen, entweder aus dem Kampf zu bleiben oder in die sie umgebenden Minenfelder auszuweichen, um den Feind angreifen zu können. Dutzende Schiffe hatten diesen Weg gewählt, und die Explosionen ungezählter Minen, teilweise durch Zerstörung, teilweise weil Schiffe auf sie aufgelaufen waren, erfüllten die eisige Schwärze des Alls.
Geschwindigkeit war der Trumpf, Geschwindigkeit entschied über Gelingen oder Niederlage. Wenn sie hier durchbrachen, würde Hannover vor ihnen liegen, schwer verteidigt, aber verletzlich. Dann war die Stunde der Raumfahrer vorbei und die Zeit der Marines stand bevor. Die kaiserlichen Garden, die besten Truppen, die je die Ehre gehabt hatten das kaiserliche Zeichen in der Standarte zu führen, würden mit vierzigtausend bestens ausgerüsteten Bodentruppen, Infanteristen wie Panzerfahrern, atmosphäregebundenen Fliegern wie Artilleristen den Planeten im Sturm nehmen. Und wenn das geschehen war, würde dieser Teil des Krieges zu Ende sein, endlich zu Ende. Dann blieb nur noch die Republik, und irgendwann in ferner Zukunft würde auch das ein Ende finden. Wenn sie standhielten. Wenn sie hier durchbrachen.
Ein Gedanke huschte durch sein Bewusstsein, während er seine Bloodhawk in eine Schleife warf, um den Sidewinder einer Typhoon auszuweichen, einem jener halbwegs modernen Jäger, welche die ColCon von der Republik erhalten hatte: Wäre dies ein Drama, und wäre er der Hauptakteur, dann wäre dies der Moment, wo sein Blick zum Bild seiner Familie gehen würde, das er zwischen den Instrumenten befestigt hatte. Er würde die Hand ausstrecken und das Abbild seiner Söhne berühren und sich schwören, für ihre Leben bis zum Tode zu kämpfen. Aber ironischerweise war er nicht verheiratet, hatte keine Kinder. Und der Held der Handlung war er sicher auch nicht. Im Gegenteil. Also streckte er nicht die Hand aus, ließ sich nicht von den Anzeigen ablenken und erkannte deshalb die Eröffnung, die der Gegner ihm bot, um eine volle Salve Laser in seinem für einen Moment nicht mehr schildgeschützten Rumpf zu versenken. Es erleichterte ihn ein wenig, den Gegner aussteigen zu sehen, und es entsetzte ihn über alle Maßen, dass der Körper von einer Nighthawk, die viel zu nahe an ihm vorbei flog, vom Schirm in Fetzen gerissen wurde. Eine Nighthawk, die sich nun ihm stellte. Eine Nighthawk, die er besiegen musste, um diesen Kampf zu beenden, um zum nächsten Kampf zu kommen.
„Bar Ilak, bist du noch da?“, rief er seinen Flügelmann.
„Ich bin wie immer an deiner Seite. Die Nighthawk hat einen Partner, sei vorsichtig.“
„Das werde ich.“ Er warf einen kurzen Blick auf das Taktikdisplay. Direkt in Flugrichtung beharkten sich zwei Kreuzer aus allernächster Distanz. Die AKEEM prügelte sich mit der KONVAR, was in dieser Umgebung nichts Ungewöhnliches war. Kleine und kleinste Gefechte innerhalb dieses riesigen Battle Royal fanden zu jeder Zeit statt. Nur flog er mit seinem Flügelmann und den beiden gegnerischen Nighthawks mitten in diesen Mahlstrom hinein. Eine explodierende Delta zeigte das Schicksal jedes Piloten auf, der dieses Wagnis einging.
Auch sein Gegner hatte dies erkannt. Und wie in einer stillen Übereinkunft zog Jor mit seinem Flügelmann unter der KONVAR hindurch, während sein Gegner mit seinem Flügelmann über die AKEEM hinweg zog.
Sie verloren einander aus den Augen. Und Jor bezweifelte, dass sie in diesem Wust je wieder aufeinander treffen würden. Vielleicht lebten sie alle gar nicht mehr lang genug, um einander auch nur zu orten. Aber darauf kam es nicht an. Das war nicht das Ziel. Sie mussten hier nur durchbrechen, die zahlenmäßige Überlegenheit bei den Dickschiffen ausnutzen und hier einmal siegen. Und danach den ganzen Weg bis Hannover siegen, siegen, siegen. Sein Tod war dabei bedeutungslos. Er musste nur lange genug leben um genügend Gegner mit sich zu nehmen.
„Lang lebe der Kaiser“, murmelte er in einem Anflug aus Trotz und stürzte sich auf den nächsten Gegner.

***

Kal Ilis beobachtete die Schlacht aus halb geöffneten Augen. Sein Stahlschwert stand vor ihm auf dem Boden, seine Hände ruhten beide auf dem Knauf. Spötter hatten einmal behauptet, er würde in dieser Pose wirken wie ein japanischer Daimyo während einer Schlacht. Nun, Kal hatte die Spötter zuerst bestraft, dann recherchiert was ein japanischer Daimyo war und sich anschließend geschmeichelt gefühlt, als derart vollendeter Krieger angesehen zu werden. Allerdings nicht geschmeichelt genug, um den Spöttern zu vergeben, denn zwischen Lob und Spott war noch immer ein Unterschied. Andererseits hatte ihn die Erkenntnis inspiriert. Er hatte Erdenliteratur zum Krieg studiert, vor allem die Kämpfe in dem altterranischen Inselstaat Japan und die Geschichte der Samurai. Vom Denken und Fühlen kamen diese Menschen den Soldaten der Akarii am nächsten, und Kal weinte bitterlich um die vergebene Chance, sich jemals mit solchen Soldaten messen zu dürfen. Andererseits konnte er froh sein, dass nicht die ganze terranische Flotte von der Disziplin und Ethik der Samurai durchdrungen war, sonst hätten sie diesen Kampf schon vor langer Zeit verloren oder mit einem brutalen Vernichtungsfeldzug früh gewinnen müssen.
Vielleicht übertrieb er. Vielleicht maß er mit dem falschen Maß. Vielleicht irrte er auch. Aber all das war egal, denn vor ihm tobte die Schlacht. Und wenn ihn jemand mit dem Anführer einer Armee aus Samurai und Bushi verglich, so war es ihm Recht, und so war es ihm Unrecht. Beides egal, dahin gesagt und hier und jetzt nichts wert. Vor ihm tobte eine Schlacht, die vielleicht Wichtigste in seiner Karriere. Die vielleicht Wichtigste im Leben all dieser Männer und Frauen. Vielleicht die Wichtigste für das ganze Reich der Akarii. Und das war es letztendlich, was er hier tat, warum er hier kämpfte. Das Reich musste bestehen bleiben. Die Gründe, die zum Kampf geführt hatten, die Gründe die ihn weiter andauern ließen, all das war hier und jetzt egal. Er war Soldat, er hatte sich selbst hier positioniert, und er würde kämpfen und siegen – oder beim Versuch sterben.

Seine Augen, wachsam und flink, erfassten jedes Detail der Schlacht, schienen auf jedem Mann und jeder Frau an Bord der QUARSAR einmal kurz zu ruhen, schienen aufzusaugen was hier geschah. Er sah, was passierte, sah wie seine Truppen sich mit ihrer schieren Übermacht durch die stehende Mauer der Verteidiger walzte, sie zurückdrängte, fortdrückte, und im Kielwasser nichts hinterließ als koloniale und akariische Wracks und Trümmer, Gräber für Abertausende, die sich ins kalte All gewagt hatten und hier ihr Grab gefunden hatten.
Einzelne Schicksale? Wer würde sie ermessen können? Wer sie beschreiben wollen, wenn so viel passierte? Wenn hunderte von Jägern aufeinander prallten, wenn hunderte von Schiffen dies taten, wenn manche Stellen des Hologramms tiefrot aufleuchteten, weil sich die vielen Schiffsnamen und taktischen Informationen sowohl seiner Einheiten als auch des Gegners derart überlappten, dass man sie nicht mehr übersehen konnte?
Wen interessierte es schon, dass die Black Hornets, eine Elite-Staffel des Trägers HANOVER einen gewagten Angriff auf die YONDER ausgeführt hatte, den Träger seiner Stellvertreterin Yon Ataki? Wen interessierte es, dass die Menschen bis zum letzten Mann abgeschossen wurden, aber im Gegenzug den Angriff einer Staffel Crusader erlaubten, denen es schließlich gelang, die Steuerbordseite des Trägers zu verheeren und damit die Start- und Landebahnen auf dieser Seite?
Wen interessierte es, wenn die HRAMBU, das Schiff, welches ihnen den Weg nach London geebnet hatte, bereits den vierten Gegner in Folge in dieser Schlacht Bug an Bug anging und sich erneut anschickte, Sieger zu sein? Wen interessierte es, dass über einhundert Terraner und koloniale Akarii in veralteten Mustang-Jägern mit dem Mut der Verzweiflung und mit ihrer schlichten Zahl in diesem Wirrwarr kämpften, ihre Leben riskierten, um Hannover sicher zu wissen? Wen interessierte schon, dass die LEVATES das Ende des Sperrriegels erreicht hatte, dass sie an der Spitze eines Keils aus sieben Akarii-Schiffen aller Klassen hindurch stieß und so vielleicht den entscheidenden Durchbruch schaffte, trotz flackernder Schilde, trotz des wütenden, zornigen, allgegenwärtigen Beschuss durch die Colonials? Wen interessierten schon die LYGHET und die SELMOR, beides Fregatten, die den Weg durch die Minenfelder genommen hatten und dabei zerstört worden waren? Eines Tages, eines fernen oder nahen Tages, würden sich Menschen und Akarii daran setzen und diese Schlacht analysieren, katalogisieren, berechnen, nachspielen, verwerfen, erneut berechnen, Entscheidungen bewerten und zu einem Fazit kommen. Dann würden Schiffsnamen genannt, einzelne Personen gewürdigt werden, aber keinesfalls früher. Bis dahin gab es nur ein Schicksal, nur eine Aufgabe: Durchbrechen nach Hannover.
Und wen würde es interessieren wenn er hier und heute fiel – und mit ihm dreitausend Männer und Frauen der Streitkräfte? Hier, in diesem Chaos, sicherlich niemanden, wo es jedem um das eigene Leben und das Erfüllen der Aufgabe ging. Jeder hatte seine Aufgabe, so auch er.

Kal Ilis stampfte mit der Spitze des Silash, des traditionellen Stahlschwerts mit der Holzscheide auf dem Boden auf. „Warum berichtet mir niemand, dass Admiral Ataki ihre Flagge auf der YONDER gestrichen hat?“
Konsterniert sahen die Soldaten ihren Admiral an. Dann senkten die Verantwortlichen beschämt die Köpfe. Der alte Mann sah alles, wusste alles und hörte alles.
Admiral zweiter Klasse Rylang Arem, der Kapitän der QUARSAR, trat leise zu ihm und sagte: „Die YONDER ist schwer beschädigt. Ataki hat sich dazu entschlossen ihre Flagge auf der RYSSAL zu hissen, ihrem neuesten Trägerkreuzer, und das Kommando von dort aus weiter zu führen.“
„Gut, gut.“, murmelte der Admiral zufrieden. Er hatte sich in der jungen Frau nicht geirrt. Sie tat was sie tun musste. Und beim Kommando über ihre Flotte wagte sie sich immer weiter nach vorne und nahm immer mehr persönliches Risiko auf sich. Kal Ilis mochte Soldaten mit einer gewissen Portion Todesverachtung im Blut. „Sagen Sie ihr, sie soll die Bresche vergrößern, welche die LEVATES mit ihrer Flottille geschlagen hat.“
„Jawohl, Admiral.“
Ilis´ Hände ruhten ruhig und gelassen auf dem Knauf seines Silash. Er sah alles, er hörte alles. Und den Rest fühlte er. Es war beruhigend für ihn, als die QUARSAR endlich die Minenfelder hinter sich ließ. Es war berauschend, als der Träger den Kampf gegen einen gegnerischen Zerstörer aufnahm und ohne Jägerunterstützung gewann. Und es war erleichternd, als Yon Ataki ihm meldete: „Admiral Ilis, wir sind durchgebrochen! Die Colonial Navy gibt den Sperrriegel nach und nach auf und zieht sich Richtung Hannover zurück. Befehle?“
„Sammeln Sie Ihre Schiffe, sortieren Sie die kampffähigen Einheiten aus und bereiten Sie sich auf den Vorstoß nach Hannover vor.“
„Aber mein Admiral, ich hätte den Befehl zum Vorstoß erwartet!“, protestierte sie.
„Waren meine Anweisungen missverständlich? Der Yonder-Verband hat sehr stark gelitten. Wieder einmal. Wie schon über London und beim Durchbruch in dieses System. Auch der QUARSAR-Verband hat viel einstecken müssen. Beide Einheiten brauchen ein paar Stunden Ruhe, die Chance, sich zu sortieren.“
„Diese Stunden werden aber auch den Colonials zugute kommen“, merkte sie an.
Ein freundliches Lächeln umspielte den Mund des alten Akarii. „Nein, werden sie nicht. Der Schoster-Verband hatte bisher geringe Verluste. Das war von mir so kalkuliert. Er ist stark genug, um die fliehenden Navy-Schiffe bis nach Hannover zu verfolgen und ihre dortige Verteidigung zu penetrieren. Admiral Borani, Sie haben Ihren Befehl.“
„Ich schenke Ihnen Hannover dafür, Admiral.“
Mit halb geöffneten Augen sah Ilis dabei zu, wie die Schiffe des Schoster-Verbands, um die ehrwürdige SCHOSTER selbst gruppiert, als organisierte Kampfgruppe durch den Riegel brach und Kurs auf Hannover nahm. Yonder-Verband und Quarsar-Verband würden ihm schon sehr bald folgen.

***

Der gesamte Flugverkehr der YONDER war auf die ISISS umgeleitet worden, einen der begleitenden Kreuzerträger. Jor Legar wunderte es nicht. Die YONDER selbst war schwer getroffen worden, in der Steuerbordseite brannten etliche Feuer, die von der Mannschaft unter Kontrolle gebracht werden mussten; im Moment starteten die Jäger und Jagdbomber nur, Landungen waren nicht erlaubt. Admiral Ataki hatte ihre Flagge neu gehisst, und es war fraglich, ob der stolze Quarsarträger in dieser Schlacht noch einmal eine Rolle spielen würde.
Über eine Stunde dauerte es, bevor Jor die Landung genehmigt wurde, zuvor war er vom Flugleiter bereits gebrieft worden und hatte eine neue Aufgabe erhalten. Er sollte aus den Überresten von vier Staffeln der YONDER eine neue formen. Alle überlebenden Piloten würde er auf der ISISS finden, selbst kurz briefen und dann erneut in die Schlacht führen. Was hatte dieser Kampf doch nur für Wunden geschlagen... Kurz, nur einen Moment erlaubte er sich die ketzerische Frage, wofür er all das tat, wo der Sinn lag, sich gegenseitig tausendfach umzubringen. Wo der Wert in alldem lag, wo sich doch Akarii und Menschen so viel geben konnten, so viel austauschen konnten, und, wie die Confederation bewies, sogar in friedlicher Kooperation existieren konnten. Aber der Moment währte nur kurz, würde nichts an der Erfüllung seiner Aufgaben ändern.
„Bar Ilak, bist du noch da?“, fragte er den Äther. Er erhielt keine Antwort mehr, schon seit einer halben Stunde nicht. Heimlich und leise begann er zu weinen.
Cattaneo
Cunningham

Die CIC der Columbia beherbergte eine professionelle Anspannung. Offiziere, Unteroffiziere und Gasten saßen an ihren Stationen. Um den Kartentisch herum standen George Long, der erste Offizier des Trägers, die CAG der Angry Angels und der Zweite Signaloffizier, Lieutenant 1st Class Walther Remington.
Admiral Wulff und der Captain befanden sich auf der Brücke, wie beide es von Zeit zu Zeit handhabten, auch wenn alle beide eigentlich in die CIC gehörten.
Die Lautsprecher des Combatinformationcenters des Trägers übertrugen den Funkverkehr vom Träger zu den anderen Schiffen der Kampfgruppe.
Sämtliche Computerbefehle, die von der Brücke aus gegeben wurde, verifizierten die Redundanzsysteme der CIC und zeigten sie an den Zweitstationen an.
Die Sensoren meldeten die Rückkehr eines der Schiffe, welche die Vorhut bildeten.
„TRS Orinoko für TRS Columbia: Der Sprungpunkt ist soweit sauber und wird von zwei Zerstörern gehalten, die zur Kampfgruppe der Hongkong gehören. Das System ist HEISS. Ich wiederhole HEISS. Starke Akariiverbände im System. Hongkong-Trägergruppe verstreut und auf Schleichfahrt. Position von Hongkong klar. Over“
„Hier Columbia, haben verstanden Orinoko. Frage: Konnte Sprung unentdeckt durchgeführt werden? Over.“
„Negativ Columbia, die Akarii haben uns sicherlich entdeckt. Konnten in maximaler Reichweite der Scanner ein Akarii-Shuttle aufzeichnen. Wahrscheinlich ein Langstrecken-Scout. Over.“
Die Lautsprecher schwiegen und gerade als Raven etwas zu Long sagen wollte, gellte zweimal eine Sirene und die Lautsprecher erklangen wieder.
„Gefechtsstation! Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtsstation!“ Es war die Stimme des Zweiten Offiziers der Columbia. „Ich wiederhole: Gefechtsstation! Gefechtsstation! Alle Mann auf Gefechtsstation!“
Da die gesamte Crew der Columbia schon in Bereitschaft war, dauerte es nur wenige Augenblicke, bis der Flottenträger klar Schiff war.
Raven nahm die Gegensprechanlage auf: „CIC für Flugdeck! Für Grüne Staffel: Nach dem Sprung je eine Sektion für innere und äußere Raumverteidigung starten. Dritte Sektion für Alarmstart fünf bereithalten.“
„Flugdeck für CIC: Grüne Staffel wird für den Einsatz vorbereitet.“


Auf der Brücke der Columbia war die Anspannung sofort gestiegen, nachdem die Meldung über feindliche Verbände in Karrashin eingetroffen war.
„Signaloffizer: An Flotte: Gefechtsformation einnehmen!“
Wulffs Befehl wurde sofort bestätigt. Die Ausführung hingegen dauerte einige Minuten. Die schweren und lichten Kreuzer formierten sich in einer Keilformation vor der Columbia. An deren Steuerbordseite befand sich der leichte Träger Wasp, der wie ein Jungtier neben der Mutter schwamm.
Die Flakkreuzer bildeten zusammen mit einigen leichten Kreuzern die Innenverteidigung. Die Flanken und das Heck wurden von Zerstörern abgesichert. Fregatten bildeten die Lückenfüller. Die Korvetten der Kampfgruppe waren bei den Frachtschiffen und Versorgern geblieben.
„Astrogator!“ Befahl Waco, nachdem die Flotte in Formation war. „Berechnen Sie Massentransit nach Karrashin!“
„Aye, aye, Sir.“
Zwei Schritte und Waco war bei der Admiralin angelangt: „Das hätte eigentlich besser laufen können. Wie konnten die Akarii nach ihrem Desaster bei Beta Borealis derartig schnell uns diese Träger in den Rücken schicken?“
Wulff zuckte mit den Schultern: „Wahrscheinlich hat Jor diese Aktion vor unserem Angriff auf Borealis angeleiert. Jetzt stehen wir ganz schön doof da.“
„Oder die Echsen.“ Meinte Waco. „Ich meine, wenn die Zahlen aus Axion übertrieben sind und hier zwei Flottenträger operieren, die auf Unterstützung von Jors Hauptflotte warten, die nicht kommt, könnte ein Sieg für uns bei den Akarii wirklich verheerende Wirkung zeigen.“
„Und wenn diese alte Akarii-Dame, die unseren Chef so erschreckt hat, wirklich ihren Ruf wert ist, stehen wir mit heruntergelassenen Hosen da, Jim.“
James Waco überkam ein Schauder. Wenn Wulff ihn mit Vornamen anredete, machte sie sich sicherlich große Sorgen.
„Sir,“ meldete der Astrogator, „Flotte bereit für Massentransit, alle Navigationscomputer für Sprung synchronisiert.“
Wulff nickte Waco zu.
„Massentransit einleiten.“
Von einer Sekunde auf die andere war die Flotte verschwunden.
Für die über zehntausend Männer und Frauen an Bord der Schiffe faltete sich die Zeit zusammen und dehnte sich zur Unendlichkeit aus.
Und in derselben Sekunde befand sich die Flotte in Karrashin.
Wulff befeuchtete sich die Lippen: „Signaloffizier: An die Flotte: Kurs auf Karrashin V. Verbandsbeschleunigung äußerste Kraft voraus. Danach Signal an Hongkong: Text: An Rearadmiral Schepens: Wir sind unterwegs, treffen uns in Umlaufbahn von Karrashin V. Dort ist der Sammelpunkt für alle Einheiten. Gezeichnet Wulff, Viceadmiral.“
Der Captain der Columbia schmunzelte.
„Möchten Sie mich an Ihrem kleinen Witz teilhaben lassen, Captain?“
„Nun Admiral, Admiral Schepens wird nicht sehr erfreut sein, dass wir hier angerauscht kommen wie die Kavallerie.“
„Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir uns mit so einer Flotte nicht in ein System schleichen können. Die Akarii werden Späher im System haben, irgendwer wird den Sprungimpuls messen.“
„Die Patrouillen wurden gestartet Ma'am.“ Kam die Meldung vom Kommunikationsoffizier.
Cattaneo
Cattaneo

Gesicherte gegenseitige Vernichtung

Zeit und Raum hatten für Rear-Admirälin Jacqueline Bouisseau schon lange jede Bedeutung verloren. Sie wusste nicht mehr genau wie lange die Schlacht schon tobte – es konnte eine halbe oder mehrere Stunden sein, und so müde wie sie sich fühlte wären auch zwei Tage denkbar gewesen. Um sie herum war nichts als reines, destruktives Chaos. Sie weinte nicht, trotz aller Verluste an Jägern und Kriegsschiffen die sie miterlebt hatte, denn sämtliche Tränen der Welt hätten nicht gereicht, um all dem Leid gerecht zu werden. Ebenso wenig fluchte sie, denn wie sollten Worte dem gerecht werden, was sie fühlte und mit ansehen musste? Es gab kein Wort, keine Beschreibung und keine Erklärung in den Sprachen der Menschen, Akarii oder anderer Rassen, die dem hier gerecht werden konnten.
Sie wusste jedoch sehr genau, dass von den etwa 100 Jägern ihres Wings und des Reservewings, die sie direkt kommandierte, bereits mehr als die Hälfte ausgefallen waren, abgeschossen oder so schwer havariert, dass sie notlanden mussten. Wie lange auch der Kampf gedauert haben mochte, 62…nein, jetzt 63 von 100 Jägern hatten ihn nicht überstanden. Fast alle der alten Mustang-Jäger waren zerstört worden, eine leichte Beute für die modernen Kampfflieger des Feindes. In einer besseren Welt oder einem Film hätten sie den Imperialen hohe Verluste zugefügt und so mit ihrem Opfer das ihre zur Rettung ihrer Heimatwelt beigetragen.
Aber dies war kein Film und keine bessere Welt, in denen Männer und Frauen mit Entschlossenheit aber schlechten Maschinen und ungenügendem Training den kampferprobten Angreifer schlagen konnten. Sie hatte zugelassen, dass genau diese Hoffnung in den Herzen ihrer Untergebenen Wurzeln geschlagen hatte, denn ohne jede Hoffnung konnten Menschen nicht kämpfen – zumindest nicht viele. Doch es war ihr von Anfang an klar gewesen, wie müßig diese Hoffnung bei nüchterner Betrachtung erscheinen musste.
Sie konnte zufrieden sein, dass ihre Jäger vielleicht 40 Feinde zerstört oder kampfunfähig gemacht, und bei der Beschädigung einiger leichter Kriegsschiffe assistiert hatten. Mehr – das war ihr klar – war einfach nicht zu erwarten gewesen, nicht mit diesen Maschinen, nicht mit diesen Piloten, vor allem nicht gegen diesen Gegner. Sie selber hatte eine Bloodhawk und eine voll beladene Avenger abgeschossen, wobei sie auf letzteres besonders stolz war, hatte der Feind doch seine todbringende Last nicht mehr ins Ziel bringen können. Aber es war schon jetzt abzusehen, dass dies nicht reichen würde, egal was sie oder ihre Untergebenen taten, egal welche Opfer sie brachten.
Die Angreifer waren unbeirrt immer weiter vorgestoßen und hatten die Konföderierten stetig zurückgetrieben, wenn auch unter hohen Verlusten. Von Bouisseaus drittem Wing, dem Angriffswing, war erwartungsgemäß nicht mehr als ein Viertel vom Angriff auf den feindlichen Verband zurückgekehrt. Sie hatten einen feindlichen Zerstörer und zwei Korvetten vernichtet oder zu kampfunfähigen, sterbenden Wracks geschossen und eine Anzahl feindlicher Jäger zerstört – aber was bedeutete das, wenn der Angriff der anderen konföderierten Bomber und Jagdbomber nicht durchschlug, wenn der Vormarsch der Kaiserlichen nicht gestoppt werden konnte? Was nützte die Beschädigung des feindlichen Flottenträgers Yonder zum Preis von fast zwei Dutzend Maschinen, wenn damit der feindliche Wille nicht besiegt war?
Sie hatte das gute halbe Dutzend überlebender Griphen und Phantome des Angriffsverband in ihre Wings eingereiht, und den wenigen verbleibenden Jagdbombern befohlen zu landen und aufzumunitionieren. Die uralten Mirage waren im Kampf gegen Jäger fast nutzlos, doch wenn sie noch einmal voll aufmunitioniert wurden, dann konnten sie vielleicht noch einen Beitrag leisten… Vorausgesetzt natürlich, bis dahin gab es noch so etwas wie eine konföderierte Flotte, gab noch so etwas wie eine Schlacht und nicht mehr nur noch ein Schlachten.
Sie alle konnten nicht mehr tun, als die Kosten der Imperialen nach oben treiben, ihre Flotte ausbluten in der Hoffnung, dass sie vielleicht im Orbit um Hannover doch noch von Raumstationen und bodengestützter Verteidigung gestoppt wurden – eine zweifelhafte Hoffnung. Viel wahrscheinlicher war, dass sie nur Vorarbeit leisteten, um den Konföderierten und Föderierten den Sieg zu ermöglichen, wenn diese zur Verstärkung kamen. Nicht mehr um Hannover zu retten, sondern um es zu rächen. Das war es, was sie aufrecht hielt. Und wenn sie alle hier fielen – wenn der Gegner genug geschwächt wurde, dann würde die Konföderierte Flotte und die Vierte Flotte der Bundesrepublik Terra die Siegesfeier der Kaiserlichen in ein Totenfest verwandeln.

Hektisch suchten ihre Augen das Schlachtfeld ab. Es mangelte nicht an Zielen – schwierig war eher zu entscheiden, welchen sie sich mit ihren abgekämpften Jägern widmen sollte. Direkt vor ihren Augen schob sich ein feindlicher leichter Kreuzer durch das Dunkel des Alls. Seine Raketenwerfer zerschmetterten einen konföderierten Zerstörer, der sich ihm entgegen geworfen hatte wie David Goliath, nutzlos natürlich. Die Lasergeschütze des imperialen Kriegsschiffs spießten eine leichte Korvette auf, dann wanderten sie scheinbar beiläufig weiter und schlitzten einen „Hilfskreuzer“ – einen bewaffneten Frachter – auf. Doch dies sollte der letzte Sieg des kaiserlichen Schiffes gewesen sein. Es war durch die Verteidigung der Konföderierten gebrochen und zog nun die volle Aufmerksamkeit der Raumstationen auf sich. Eine mörderische Salve Atomraketen überlasteten die Abwehr der Akarii, zerschlug seine Schilde, riss seine Panzerung auf. Rachsüchtige Kampfflieger der Verteidiger schwärmten aus und überzogen den verletzten Giganten mit einem Spinnennetz von Energiebahnen, die sich tiefer und tiefer in seinen Leib gruben. Die Admirälin lächelte nicht, als sie das Sterben des Feindes verfolgte. Sie verspürte nicht einen Moment Mitleid mit den sterbenden Gegnern, aber ihr blieb einfach keine Zeit zur Freude. Die nächste Angriffswelle war im Anmarsch.
„Kampfwings eins und zwei – sammeln. Feindliche Schiffe und Kampfflieger im Anflug!“ Dann beschleunigte sie, suchte sich einen Gegner.
Die Typhoon stieg und fiel, drehte sich, beschleunigte, bremste ab. Gefangen in einer Schlacht, in der sich eigenes und feindliches Feuer mischten, schien es mehr als einmal keinen Ausweg mehr zu geben – nur Glück rettete sie, so wie Glück und Pech Kameraden oder Feinde zum Leben oder zum Tode bestimmte. Feinde und Kameraden detonierten, taumelten als zerschundene Wracks durch das All, ihre Insassen dem Wahnsinn der Schlacht ausliefernd, ob sie nun in ihnen gefangen oder ausgestiegen waren.
Sie schoss eine Reaper an, verlor den Feind aber aus den Augen, als er durch ein Trümmerfeld davonraste, das einmal ein kaiserlicher Zerstörer gewesen war. Dann wurde sie selber gehetzt von einem Deltavogel. Sie hängte den Feind ab, schoss sich mit einer Bloodhawk herum, die von einer Mustang ihres Geschwaders vernichtet wurde, zehn Sekunden bevor die Mustang ihrem Opfer folgte, zerstört von den Geschützen eines feindlichen Kreuzers, der gleich darauf einen Hilfskreuzer zusammenschoss, nur um seinerseits durch drei konföderierte Fregatten schwer getroffen zu werden. Nichts als pures, reines, destruktives Chaos.

Eine halbe Ewigkeit später – oder fünf Minuten, was machte das schon für einen Unterschied? – hatte sie noch etwa 30 Jäger unter ihrem Kommando. Die Konföderierten waren auf dem Rückzug, in den Schutz der Raumstationen, dort, wo sich weitere bewaffnete Frachter und Shuttles als letzte Verteidigungslinie sammelten. Selbst die Kaiserlichen, die unablässig nachgedrängt hatten, schienen langsam Zeichen der Erschöpfung zu zeigen, denn viele ihrer Schiffe blieben zurück, anstatt die Verfolgung aufzunehmen. Doch dies galt nicht für alle.
Längst leuchtete die Warnleuchte, die der Admirälin signalisierte, dass ihr Treibstoff bald aufgebraucht sein würde. Es reichte vielleicht noch für einen Anflug… doch war fraglich, ob die Angreifer ihnen Zeit geben würden, die Tankshuttles zu kontaktieren.
Die Stimme in ihrem Lautsprecher klang in etwa so erschöpft wie sie sich fühlte: „Feindlicher Träger, als Schoster identifiziert, und Begleitgeschwader hält Angriff aufrecht, andere Feindträger und Geschwader bleiben zurück. Sammeln bei Raumstationen für Gegenangriff.“

Die Admirälin verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. Ihre Kehle brannte, so viel Wasser hatte sie ausgeschwitzt. Manchmal glaubte sie bereits die ersten Anzeichen von Ohnmacht oder Halluzinationen wahrzunehmen, Folgen der extremen Anstrengungen der letzten Stunden. Ihr Blickfeld verengte sich, trübte sich an den Rändern ein. Oder lag es an den Aufputschmitteln, die sie – mehrfach – eingenommen hatte? Aber sie wusste, dass sie sich jetzt keine Schwäche erlauben durfte. Wie sagte man so schön? Ausruhen konnte sie, wenn sie tot war – also vermutlich ziemlich bald.
Der Schachzug der Kaiserlichen, den Angriff nur mit einem reichlichen Drittel ihres Verbandes fortzuführen war einerseits klug – die Menschen kamen so nicht zur Ruhe, konnten vor allem ihre Kampfflieger nicht in Ruhe auftanken und aufmunitionieren. Andererseits war es auch ziemlich dumm, denn so riskierten die Akarii Verluste, die nicht nur die eigene Flotte schwächten, sondern auch die Moral der Angreifer untergraben und die der Verteidiger stärken konnten. Wenn sie nur noch ein paar Raketen und mehr Sprit gehabt hätte…Aber es musste eben auch so gehen.
Vor ihren Augen entrollte sich das Panorama der Schlacht. Die fliehenden Konföderierten – mehr als einer wurde noch auf dem Rückzug abgeschossen – sammelten sich bei den Raumstationen, um die bewaffnete Shuttles und aufgetankte Jäger wimmelten wie Mücken um Sumpflichter. Dazwischen schoben sich die Rümpfe bewaffneter Frachter. Raketensalven der Kaiserlichen hämmerten auf die Stationen ein und löschten Frachter geradezu mühelos aus, aber zugleich schlugen die Kriegsschiffe und vor allem die Raumstationen erbarmungslos zurück. Auf wen sie sich konzentrierten, der würde kaum noch Gelegenheit haben, den Sieg über Hannover mitzuerleben. Die Raumstationen waren schon vor langer Zeit als letzte Verteidigungslinien gegen eine feindlichen Landung entworfen worden, und man hatte sie ständig modernisiert. Sie nahmen es an Feuerkraft mit jedem Kriegsschiff auf, und vor allem ihre Verteidigung – Schilde, Panzerung, Impulslaser und leichte Raumkampfraketen – war exzellent. Und jetzt, da die Angreifer ihre optimale Feuerdistanz erreichten, schlugen sie mit aller Gewalt zurück. Von der konföderierten Flotte über Hannover war höchstens noch die Hälfte übrig, vielleicht auch nur noch ein Drittel, und viele der Schiffe waren schwer angeschlagen. Die Independence, einst Stolz der konföderierten Flotte, war nichts mehr als ein zerbrochenes Wrack inmitten der Trümmer der Schlacht, die John Paul Jones hatte fast die Hälfte ihres Geschwaders verloren und war selber beschädigt. Und wie diesen ging es vielen Schiffen der Konföderation. Doch sie feuerten unablässig weiter. Und die Jägerleitzentralen taten ihr Bestes, die verbliebenen Kampfflieger zu sammeln. „Reservegeschwader…“ der Sprecher schien kein Problem damit zu haben, ein paar verstärkte Staffeln als Geschwader anzureden „…hier neue Direktiven…“

Die Admirälin bestätigte gehorsam ihre eben erhaltenen Befehle. Alles was jenseits der Schlacht lag – inklusive ihr Streit mit dem Regierungschef – schien ihr inzwischen unwirklich, geradezu irreal, als hätte es nie eine andere Realität gegeben als den brutalen Nahkampf im All über Hannover.
Man hatte ihr einen Auftrag erteilt, und den würde sie umsetzen, oder bei dem Versuch sterben. Es mochte nichts bringen – aber welche Wahl blieb ihnen denn? In diesem Augenblick wurde sie ein weiteres Mal kontaktiert:„Admiral Bouisseau – Angriffswing meldet Bereitschaft.“ Für einen Moment war die Geschwaderchefin wie erstarrt. Angriffswing? Der existierte doch gar nicht mehr…
Doch dann erkannte sie, dass der Funkspruch von den 5 überlebenden Mirage-Bombern kam, die sie zurückgeschickt hatte. Eine Sekunde lang erschien ein vollkommen unpassendes Grinsen auf ihrem Gesicht – hatten es diese Himmelhunde also doch geschafft, sich wieder einsatzbereit machen zu lassen. Sie atmete tief durch: „Reservegeschwader herhören, Admirälin an alle! Unsere Kampfflieger unternehmen einen Angriff auf die Schoster mit allem, was noch fliegt. Unsere Jabos sind mit von der Partie. Wir müssen sicherstellen, dass sie durchkommen. Wenn die Schoster fällt, müssen ihre Jäger zurück zu den anderen Trägern, und mindestens einer von denen ist schwer getroffen. Die Imps werden also ihre Kampfflieger nicht mehr optimal einsetzen können. Denkt an eure Familien – und drauf!“ Es gab keinen Jubel, nicht mal eine Bestätigung, aber die Kampfflieger formierten sich um sie. Sie wusste, im Grunde betrog sie ihre Soldaten gerade ein weiteres Mal. Wer mochte schon sagen, ob selbst eine zerstörte Schoster den Angriff der Kaiserlichen aufhalten konnte, egal wie demoralisierend so ein Verlust wirken musste. Die imperialen Kampfflieger waren nur ein Teil ihres Arsenals, und bei den hohen Verlusten des Gegners vermutlich bald kein wesentlicher mehr. Aber es gab keine Alternative – nicht hier und jetzt.
Es waren vielleicht noch 200 oder etwas mehr konföderierte Jäger, Bomber und Jagdbomber, die den Angriff vortrugen – von zu Beginn der Schlacht über 600. Der Rest war havariert oder ausgefallen. Die Großkampfschiffe konnten selber nicht in den Nahkampf übergehen, denn sie waren erst dabei, sich wieder zu sammeln, nach schweren Verlusten. Doch sie feuerten unablässig mit ihren schweren Raketenwerfern, visierten ein feindliches Schiff nach dem anderen an. Das Geschwader der Schoster, selber bereits durch die Kämpfe über London und Hannover dezimiert, konnte den Angriff der Konföderierten zwar schwächen, aber nicht aufhalten.

Jacqueline Bouisseau flog auf volles Risiko. Sie wusste, ihr Treibstoff würde bald aufgebraucht sein, und längst war ihr Jäger nicht mehr in guter Verfassung. Aber sie hatte eine vergleichsweise moderne Maschine, und sie war eine vergleichsweise erfahrene Pilotin. Sie registrierte kaum, dass sie bei diesem Angriff ihren dritten Abschuss erzielte – eine bereits beschädigte Bloodhawk, die sich ihr gestellt hatte, fest entschlossen ihr Mutterschiff zu verteidigen.
Neben ihr detonierte eine Maschine ihres Geschwaders, dann eine zweite. Eine dritte musste beschädigt abdrehen, und so ging es fort, ein wildes Durcheinander von eigenen und feindlichen Verlusten. Ihr linker Buglaser gab den Geist auf, beschädigt durch einen Treffer oder wegen Überlastung. Zwei der fünf Mirage, die sie eskortierten, wurden abgeschossen, ehe sie zum Schuss kamen. Doch dann, endlich, kam der befreiende Ruf: „Raketen auf dem Weg!“
Das Reservegeschwader hatte nicht die Schoster selber angepeilt, sondern den schweren Hybridkreuzer an ihrer Seite, dessen Geschütze und Raketen die Angreifer dezimierten. Die Kreuzer der Golf-Klasse, nach Ansicht einiger Flottenexperten einer der gelungensten Entwürfe der Raumkriegsgeschichte, verdienten jedes bisschen ihres Rufes und mehr. Doch auch sie waren nicht unbesiegbar. Die sechs Mavericks der Mirage-Jagdbomber fanden ihr Ziel – ein Ziel, das durch zahlreiche Treffer bereits geschwächt worden war. Sie rissen ihm die Flanke auf, wie ein Schwerthieb den Leib eines ungepanzerten Gegner. Das Abwehrfeuer des todgeweihten Kreuzers wurde schwächer, verstummte schließlich. Und über seine aufgerissenen Flanken hinweg rasten die Kampfbomber der Konföderation, im direkten Anflug auf die Schoster. Jetzt konnte sie keiner mehr aufhalten.

Als Rear-Admiral Jacqueline Bouisseau ihren Maschinen den Rückzug zu den Blockadepositionen befahl – weg von der vernichteten Schoster, dem sterbenden Golf, den anderen zerstörten kaiserlichen Schiffen, von agilen Korvetten bis zu mächtigen Kreuzern – da flogen von den einstmals 150 Maschinen ihres Geschwaders noch 23, darunter eine einzige Mirage B. Das Begleitgeschwader des zerstörten Trägers aber gab seinen Angriff noch nicht auf – trotz des erbarmungslosen Gegenfeuers der Konföderierten. Doch jetzt verlangten die Gesetze der Physik unerbittlich ihren Tribut – schon waren ein, nein zwei Maschinen des Geschwaders mit leeren Tanks liegen geblieben. Die nächste Viertelstunde der Schlacht würde ohne die letzten Reste des Reservegeschwaders stattfinden.
„Tankshuttles – Reservegeschwader benötigt Spritnachschub.“
Die Admirälin biss die Zähne zusammen. Ein Träger vernichtet – blieben noch zwei. Und diese Schlacht wurde erst enden, wenn der letzte Verteidiger tot war, oder die Kaiserlichen abdrehten. Sie ahnte, was zuerst eintreten würde.
Die Überlebenden sammelten sich bei den Kampfstationen, wo sie von bewaffneten Shuttles verstärkt wurden. Es war unwahrscheinlich, dass die Konföderation noch einen Angriff auf so ein kapitales Ziel würde durchführen können. Was blieb war die Verteidigung der Stationen, unterstützt von den bewaffneten Shuttles und Frachtern, bis die feindlichen Jagdbomber und Jäger abgeschossen waren, während gleichzeitig die überlebenden Kriegsschiffe, bewaffneten Frachter und die Raumstationen ihre Geschütze und Raketenwerfer einsetzten um die feindlichen Großschiffe abzuwehren. Zusammen mit der Bodenverteidigung mochte ihnen das vielleicht gelingen. Bis die Akarii aufgaben. Bis die Vierte Flotte oder konföderierte Verstärkung kam. Bis Gott – unter welchem Namen und in welcher Gestalt man ihn auch verehrte – ein Einsehen hatte. Andere Hoffnung gab es nicht.
Rear-Admiral Jacqueline Bouisseau steuerte ihren beschädigten Jäger neben ein Tankshuttle, wie so viele eines derjenigen, die sie im Rahmen ihre Aufgabe zwangsrekrutiert hatte. Sie hatte nicht die Zeit, auf ihr vergangenes Leben zurückzublicken – aber irgendetwas sagte ihr, dass der Blick auf das ihr noch verbleibende nicht viel Zeit brauchen würde.
Cattaneo
Tyr

Brigadegeneral Lincoln Travis von der Armee der Colonial Confederation hatte seinen Kommandoposten vor acht Jahren in dem sicheren Wissen angetreten, dass er wahrscheinlich niemals einen echten Einsatzbefehl würde geben müssen. Er hatte seine Beförderung als einen Karriereposten angesehen, nachdem er für den aktiven Felddienst langsam zu alt geworden war.
Er hatte erwartet, seine Tage mit routinemäßig angesetzten Manövern, gelegentlichen Alarmübungen und dem unvermeidlichen Papierkram zu verbringen. Niemals würden seine Truppen einen scharfen Schuss abfeuern müssen. Denn ihm unterstand die Brigade der mobilen Atomstreitkräfte auf Hannover.

Früher einmal, noch bevor die Menschheit sich daran gemacht hatte neue Welten zu besiedeln, waren die Raketenstreitkräfte die Elite und der Stolz der Supermächte gewesen. Ihre Existenz, ihre Schlagkraft und ständige Einsatzbereitschaft hatte das Überleben riesiger Nationen bestimmt, indem sie jeden Angriff dem Risiko eines nuklearen Gegenschlages aussetzten.
Diese Zeiten waren lange vorbei. Inzwischen hatten die Raumstreitkräfte die Rolle der Interkontinentalraketen und mit Nuklearwaffen bestückten Bomberflotten übernommen. Und jeder Flottenverband verfügte über mehr atomare Schlagkraft als die Einheiten, die Travis befehligen konnte. Acht schienengestützte und vier motorisierte Batterien mit jeweils sechs Raketenträgern war alles, was ihm zur Verfügung stand. Das war ein Witz. Frühere Verteidigungskonzepte hatten auch noch starke, stationäre Raketenbatterien und U-Boot-gestützte Lenkwaffen beinhaltet, doch waren all diese kühnen Konzepte zugunsten der Raumstreitkräfte zusammengestrichen worden. ‚Und das nutzt uns jetzt ja sehr viel.’ Was übrig geblieben war, war ein Pappensstiel.
Wenigstens hatte die Führung der CC die Weisheit besessen, die Raketenstreitkräfte für den Einsatz in der Atmosphäre aufzurüsten. Die Raketen konnten deshalb sowohl Ziele im Orbit als auch auf dem Boden von Hannover bekämpfen. Ohne diese Investition wären die Raketenstreitkräfte allerdings ohnehin schon vor Jahren sang- und klanglos aufgelöst worden.
‚Und jetzt sollen wir kämpfen. Zeit, unseren Wert zu beweisen.’
Travis machte sich allerdings keine Illusionen. Die Schlacht im Raum um Hannover lief nicht gut. Die Raumstreitkräfte der CC waren auf die Orbitalstationen zurückgefallen. Andernfalls hätte Travis Brigade ja auch gar nicht in die Kämpfe eingreifen können. Er hätte gerne auf diese Chance verzichtet.

Momentan befand er sich in einem der unterirdischen Schutzbunker, die schon vor Jahrzehnten für genau so einen Fall konzipiert worden waren. Ironischerweise damals in der Furcht, dass die Raumschiffe und Landungsschiffe der Republik der Gegner der Zukunft sein würden. Mehrere Bildschirme zeigten den Verlauf der Schlacht und die Position der Raketenbatterien. Die geringe Anzahl der Einheiten und die Größe von Hannover stellten Travis vor ein Problem, das nur teilweise durch die große Reichweite der Raketen hatte kompensiert werden können. Der Brigadegeneral war davon ausgegangen, dass der Angriff von ‚Außen’, also nicht von der Tagseite des Planeten erfolgen würde, und hatte seine Truppen entsprechend in Bewegung gehalten. Er hatte sich nicht getäuscht. Dennoch war nur ein Teil seiner Streitkräfte in der Lage zuzuschlagen, als der befürchtete Befehl kam. Travis wäre ein Phantast gewesen, wenn er etwas anderes erwartet hätte. Dennoch war er verärgert und verfluchte insgeheim das ungenügende Budget: „Also, wie viele?“
„Fünf schienengestützte und zwei unserer mobilen Batterien. Also insgesamt zweiundvierzig Werfer.“
„Nicht eben üppig. Wir werden einen Alphaschlag auslösen. Das wird hoffentlich die Abwehr der Imperialen überlasten, außerdem haben sie so keine Chance, sich auf diese Gefahr einzustellen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.“ ‚Und wenn sie einen Vergeltungsschlag auslösen, haben die Einheiten wenigstens einmal schießen können.’
„Die Einheiten melden gefechtsbereit in…zehn Minuten.“
„Nicht eben schnell. Wie bald können die übrigen Verbände eine geeignete Feuerposition erreichen?“
„Es sieht nicht gut aus, Sir. Mindestes acht bis maximal vierzehn Stunden.“
„Verdammt…“, Bis dahin würde die Schlacht so oder so bereits entschieden sein. Sie würde jedenfalls nicht mehr im Orbit von Hannover stattfinden: „Das ist zu spät. Wir müssen diese fünf Einheiten so schnell wie möglich von Straße und Schiene runter und außer Sicht bringen. Es hat keinen Sinn, wenn sie für jeden verdammten imperialen Kampfflieger sichtbar herumkutschieren, wenn diese Hunde bereits gelandet sind. Besser, sie tauchen ab. Dann haben wir noch etwas in der Hand, zusätzlich zu den taktischen und subtaktischen Nuklearwaffen. Es sind ohnehin wenig genug. ‚Allerdings bezweifle ich, dass jemand den Mumm haben dürfte, die schweren Atomraketen auf der OBERFLÄCHE von Hannover einzusetzen.’
„Glauben Sie, die Akarii werden einen Gegenangriff fliegen? Noch während die Schlacht im Gange ist?“
„Wir sollten lieber mit dieser Möglichkeit rechnen.“

**************

Zweite mobile Raketenbatterie, irgendwo auf Hannover

Die sechs Gleiskettenfahrzeuge waren schon vor mehreren Stunden in Stellung gegangen. Tarnnetze verbargen die schweren Fahrzeuge, die jeweils zwei Marschflugkörper trugen. Die Durchschlagskraft dieser Lenkwaffen war allerdings begrenzt, sie entsprach etwa der einer Maverick-Rakete. Die schweren schienengestützten Batterien hingegen verschossen Marschflugkörper, die es mit einer Exocet aufnehmen konnten.
Major Duran hatte alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, dennoch fühlte er sich in dem gepanzerten Kommandofahrzeug ziemlich verwundbar. Der blau-weiße Himmel über seiner Stellung wirkte auf einmal bedrohlich.
Die Mannschaften der mobilen Werfer hatten ihre Fahrzeuge für den Einsatz vorbereitet, und sich dann zurückgezogen. Der Abschuss der Raketen würde automatisch erfolgen, dirigiert über die kilometerlangen Glasfaserkabel, die die Werfer mit dem Kommandofahrzeug verbanden. Natürlich hätte eine Fernsteuerung per Funk seine Vorteile gehabt, doch Funksignale konnte man stören, manipulieren, und man konnte sie orten. Deshalb setzten die Raketenstreitkräfte in diesem Fall auf altbewährte Methoden.

Das Kommandofahrzeug befand sich nicht in der Mitte des unregelmäßigen Sechsecks, das die Raketenwerfer bildeten, sondern etliche Kilometer außerhalb. Auch das war eine Vorsichtsmaßnahme, für den nicht unwahrscheinlichen Fall eines feindlichen Gegenschlages.
Letzten Endes war das allerdings möglicherweise vergebliche Mühe. Wenn die Imperialen mit einem schweren Nuklearschlag antworteten, dann würde jedes Leben im Umkreis von Dutzenden Kilometern zu nuklearer Schlacke verbrennen.
Die ebenfalls in der Umgebung in Stellung gegangenen FLAK- und FLAR-Panzer würden daran nichts ändern können.

„Major, die Dateneinspeisung ist abgeschlossen. Alle Werfer sind im grünen Bereich.“
„Gut.“ Die Stimme des Majors klang abwesend, während er den Radarschirm musterte, auf dem der Verlauf der Raumschlacht zu sehen war. Es sah es nicht gut aus. Die Imperialen setzten die Reste der konföderierten Flotte immer stärker unter Druck und schlossen immer dichter zu den schweren Orbitalstationen auf, die den letzten Ring der Raumverteidigung von Hannover bildeten. Und wenn dieser Ring zerbrochen wurde…
‚Dann bleiben nur noch wir. Und die Atmosphärenjäger. Und dann die Bodentruppen. Wie konnte es nur so weit kommen.’
„Major, offenbar versuchen die Imperialen ein Zangenmanöver bei der Station VICKSBURG.“
‚Vielleicht hätte man doch besser einen anderen Namen wählen sollen.’
„Ich will, dass die Werfer nachgeladen werden, sobald wir die erste Salve abgefeuert werden.“
Der angesprochene Lieutenant wirkte etwas unsicher: „Sir, sollten wir nicht lieber…“
„Sie haben ihre Befehle, Lieutenant.“
„Ja, Sir.“

*****************

„General Travis, wir haben grünes Licht.“
Der Brigadegeneral nickte seltsam unsicher, holte dann zischend Luft und straffte sich. Unwillkürlich überprüfte er den Sitz seiner Uniform. Seine Stimme klang kratzig und rau: „An alle Einheiten – FEUER!“
Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis der Befehl von dem Kommunikationsoffizier über die weit außerhalb der geheimen Befehlsstellung befindliche Sendeanlage weitergegeben wurde. Und dann eröffneten zweiundvierzig Raketenwerfer das Feuer und schickten vierundfünfzig Marschflugkörper auf den Weg. Für die Menschen der CC, die in der Nähe der Abschussstellungen lebten, musste der Anblick der steil in den Himmel steigenden Rauch- und Feuersäulen gleichzeitig beruhigend wie auch beängstigend sein.
Beruhigend, weil sie sich falsche Vorstellungen über die Durchschlagskraft der Boden-Raum-Verteidigung machten. Und beängstigend wegen der Gefahr eines imperialen Gegenschlages, wegen dem unübersehbaren Beweis, dass der Krieg Hannover erreicht hatte, und jetzt auch die Oberfläche des Planeten erfasste.

Die Raketen brauchten weit über eine Minute, um ihr Ziel zu erreichen. Dennoch reagierten die Akarii-Streitkräfte nur langsam auf die neue Bedrohung. Man hatte sich zu sehr auf die Orbitalstationen und die verbliebenen Raumschiffe der Confederation konzentriert. Die Marschflugkörper, die aus der Atmosphäre auftauchten, waren eine unangenehme Überraschung. Koordiniert auf einige ausgewählte Ziele abgefeuert, richtete der Nuklearschlag beachtliche Schäden an. Und die durch den neuen Angriff beschädigten Schiffe zogen das verstärkte Feuer der Raumstreitkräfte und Orbitalstationen der CC auf sich.

„Sobald die Einheiten nachgeladen haben, sollen sie wieder feuern. Jetzt kennen die Imperialen unsere Stellungen. Ich will jede Rakete so schnell wie möglich in der Luft sehen.“
„Ja, Sir.“ Natürlich wusste Brigadegeneral Travis, dass die Feuerkraft seiner Einheit begrenzt war. Es gab gerade einmal zwei Gefechtsätze für die Schienenbatterien, und vier Kampfsätze für die mobilen Einheiten. In etwa einer Viertelstunde würden seine Raketenwerfer ihren letzten Schuss abfeuern. Einmal mehr rächten sich die Budgetkürzungen für die bodengestützte Raketenwaffe. Sie konnten ein paar kräftige Schläge austeilen, nicht mehr.
Mit einem merkwürdig distanzierten Gefühl verfolgte der Brigadegeneral die Auswirkung seiner ersten Salve. Die Bildschirme mit den Radarsignalen der im Orbit tobenden Schlacht waren der einzige Beweis für den Kampfeinsatz seiner Brigade. Er selber sah weder den Feind, noch seine Einheiten, oder die Wirkung seiner Waffen mit eigenen Augen. Genauso gut hätte er auch an einem Manöver, einer Computersimulation teilnehmen können.
Er sah, dass einige Radarsignale unter dem Einschlag der Nuklearraketen an Geschwindigkeit verloren, einige sogar aus der Ortung verschwanden, oder sich in einem diffusen Ortungsschatten auflösten, von den Marschflugkörpern in Fetzen gerissen.
Er spürte keinen Triumph. Es war nicht genug.
„Sir, die Schienenbatterien feuern wieder.“
Der Brigadegeneral nickte abwesend: „Die Akarii?“
„Einige beschädigte Einheiten scheinen sich etwas zurückfallen zu lassen. Aber sie bringen offenbar dafür andere Einheiten nach Vorne…Bisher noch keine Anzeichen für einen Gegenschlag.“
‚Vermutlich wissen sie, dass uns ohnehin bald die Munition ausgehen wird.’: „Verlagern Sie das Feuer auf die neu nach Vorne geführten Einheiten.“

Zehn Minuten später war es vorbei. Die letzte Rakete stieg in den Himmel. Sie erreichte allerdings ihr Ziel, einen angeschlagenen Zerstörer, nicht mehr, sondern wurde vorher von den Abwehrgeschützen des Kriegschiffes zusammengeschossen.
Das Feuer der Raketenstreitkräfte hatte nicht länger als zwanzig Minuten gedauert, und für die Anzahl der abgefeuerten Marschflugkörper – sechzig Exocet und sechsundneunzig Maverick – war die Wirkung enttäuschend. Eine Anzahl leichter bis mittlerer Einheiten war vernichtet oder beschädigt worden. Die schwerste Einheit, die den Boden-Raum-Raketen zum Opfer gefallen war, war ein leichter Kreuzer. Und unbeirrt trommelten die imperialen Streitkräfte nach dieser kurzen Unterbrechung weiter auf die verbliebenen Raumstreitkräfte der Confederation und die teilweise bereits schwer angeschlagenen Orbitalstationen ein.
„Mein Gott. Wer soll sie denn jetzt noch am Landen hindern?“
Brigadegeneral Travis drehte sich nicht nach dem Sprecher um. ‚Wer sie noch am Landen hindern soll? Niemand.’

**********

Die CCS NAUTILUS kreuzte in einer Tiefe von einhundert Metern. Die Maschinen arbeiteten auf Schleichfahrt. Ein dicht unter Wasseroberfläche treibender Empfänger informierte den U-Boot-Kommandanten pausenlos über den Verlauf der Kämpfe. Es sah nicht gut aus.
Die Gedanken eines jeden Manns, einer jeden Frau an Bord richteten sich auf die nuklearen Marschflugkörper, die in den Rohren Eins und Drei warteten.

**************

Der Hangar war sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus kaum wahrzunehmen. Der gesamte Fliegerhorst war in den Felsen gegraben worden, die Start- und Landebahn erweckte von Oben den Eindruck einer spärlich bewachsenen Grasebene. Die Atmosphären-Jagdbomber waren betankt, ihre Piloten in Alarmbereitschaft. Jede der zwölf Maschinen war mit Vakuum-, Streu-, Brand- und Aerosol-Bomben, mit Kassettenwerfern oder Lenkwaffen bestückt. Aber die mit diesen Waffen versammelte Vernichtungsmacht war gar nichts gegen die Zerstörungskraft der Bomben, die unter den Tragflächen zweier weiterer Maschinen warteten, die in einem Nebenhangar auf den Einsatzbefehl warteten. Wenn der Einsatzbefehl kam, wenn sie starteten, würden sie in der Lage sein, ein ganzes gelandetes Armeekorps in die nukleare Hölle zu senden.
Cattaneo
Cunningham

Wenn dereinst Gelehrte über unsere Taten richten, werden sie vergessen, wie verzweifelt wir waren. Sie werden vergessen, dass wir unter enormen Druck standen. Ich habe erlebt, wie ein Pilot vor einer Routinepatrouille (sofern es im Krieg so was wie Routine geben kann) zwei riesige Hamburger verdrückte und sich auf dem Weg zum Flugdeck einfach übergab. Sich dann den Mund abwischte und in die Maschine stieg. Ich sah, wie ein Pilot nach einem Gefecht aus der Kanzel kletterte, sich auf die unterste Stufe der Leiter setzte und weinte wie ein kleines Kind. Zehn Minuten später scherzte er wieder mit seinen Kameraden.
Ich hörte wie ein Pilot die Existenz seines Stubenkameraden verleugnete, obwohl dieser gerade zwei Stunden tot war.
Krieg ist Kampf. Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute, ja sogar jede Sekunde. Kampf gegen den Feind, Kampf gegen die Angst, Kampf gegen die Langeweile zwischen den Einsätzen, Kampf gegen die Entmenschlichung und Kampf gegen den Wahnsinn.
Ja, dereinst werden Gelehrte über uns richten, und ob ihr Urteil uns nun zu Helden oder zu Ungeheuern macht, so wird ihr Urteil falsch sein. Denn nie wird jemand, der nicht mit dabei war begreifen, dass wir nur eine Bande armseliger Hunde sind, die darum kämpfen in diesem Sog von Gewalt, Wahnsinn und langer Weile nicht zu ertrinken.

P-21-A: Nachschubbezeichnung für einen Piloten


Die Trägerkampfgruppen Columbia, Hongkong und Wasp hatten sich über Karrashin V vereinigt. Knapp drei Stunden Flugzeit von ihnen entfernt lagen zwei akariische Trägergruppen im Orbit von Karrashin III.
Karrashin III war anders als sein Bruder, der zur Klasse der Gasriesen gehörte, für Menschen wie auch Akarii bewohnbar. Auf Karrashin III. lebten etwa sechs Millionen Akarii. Die TSN hatte bei ihrem Vormarsch ins Sternenimperium die Raumverteidigung von Karrashin III. pulverisiert und die Raumhäfen mehrere Stunden lang bombardiert.
Die akariischen Kolonisten hatten kapituliert und all ihr Kriegsgerät verschrottet, damit es nicht in die Hände des Feindes fallen konnte. Seitdem hatte ein leichter Träger der TSN im System Wachdienst gehabt und immer ein waches Auge auf die Kolonisten geworfen. Karrashin war zu einem Teil der Hauptversorgungslinie der Erdflotte geworden. Nun befanden sich die Kriegsanstrengungen der letzten anderthalb Jahre in ernster Gefahr.
Bianca Wulff war sich sehr wohl bewusst, dass der Verlust von Karrashin zum Rückzug der 2. Flotte führen würde: “Vorschläge?”
“Ich denke, wir sollten die Akarii stellen, so lange sie noch im Orbit sind.” Raven markierte die feindliche Flotte mitsamt Karrashin III. “Das gibt ihnen weniger Raum zum manövrieren. Die Aufklärung der Hongkong ergibt eine extrem dünne Verteidigungslinie, die wir mit der geballten Angriffskraft unserer drei Träger überwinden können, um dann gezielt die Träger aufs Korn zu nehmen.”
Sie zeichnete mit einem Lichtgriffel den Anmarschweg der Angriffsverbände der drei Erdträger ein.
“Wir nehmen sie aus drei Seiten in die Zange, sie können nicht zurückweichen, da der Planet im Weg ist. Schwadron Bronze teilt sich auf und räumt uns den Weg frei. Anschließend greifen je zwei Schwadronen Jagdbomber die beiden Primärziele an. Sobald die beiden Flottenträger neutralisiert sind, ziehen wir uns gemeinsam und schnell zurück. Wir werden aufmunitionieren und auftanken, während die Akariijäger im offenen All herumhängen.”
Raven machte eine kurze Pause: “Wenn wir dann aufgefrischt zurückkommen, werden die Akarii sicherlich noch mit Bergungseinsätzen beschäftigt sein. Die Jäger werden fast keinen Treibstoff mehr haben, was für uns bedeutet, dass wir leichtes Spiel mit Ihnen haben.”
“Und wenn die Jäger auf Karrashin III landen, Commander?” George Long hatte sich angewöhnt den Advocatus Diaboli zu spielen.
“Es gibt auf Karrashin keine Raumhäfen mehr, höchstens noch einige behelfsmäßige Flugfelder. Wenn die Akarii-Piloten tatsächlich auf dem Planeten landen, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nicht wieder starten können.
Ebenso sollten uns diese Flugfelder nicht entgehen, wenn dort Akariijäger stehen, aber für den Fall lassen wir unsere Griphens beim zweiten Angriff mit Smartbomben ausrüsten und die Jäger am Boden zerstören lassen.”
“Das klingt nach einem Jägerangriff alter Schule”, bemerkte Wulff und bedachte Raven mit einem kritischen Blick.
“Wir wissen immerhin nicht, ob noch mehr von den Akarii nach Jors Tod scharf darauf sind, uns in Form von Kamikaze anzugreifen, Ma’am.”
“Das ist richtig, Commander, instruieren Sie die anderen Geschwaderführer und Ihre Piloten.”
“Aye, aye, Ma’am.” Die beiden Frauen salutierten voreinander, dann verließ Raven das CIC der Columbia.
Ihr erster selbst ausgearbeiteter Schlachtplan, und er war gleich abgenickt worden.


Eine Stunde nach der Stabsbesprechung beobachtete Lone Wolf sein ehemaliges Geschwader beim Start. Er stand in der CIC und lauschte dabei dem Funkverkehr.
“Mother-Eagle für Papa-Hawk, können Sie jetzt sehen, reihen Sie sich beim Vorbeiflug ein.” Mother-Eagle war der Code für Raven.
Papa-Hawk war der Geschwaderführer der Hongkong, Mother-Falcon stand für die Geschwaderkommandantin der Wasp.
Lucas wusste, dass beide Piloten Einsprüche gegen Ravens Führung gehabt haben, war sie doch die rangjüngste CAG der drei.
Admiral Wulff hatte alle Proteste in den Wind geschlagen und mit Ravens höherer Kampferfahrung gekontert.
Der Angriffsverband bestand aus zwölf Schwadronen, von denen zwei unterbesetzt waren. Nach allem was er von dem Angriffsplan gehört hatte, war dieser gut.
Etwas anderes hatte er von Raven auch nicht erwartet.
Leise knirschte er mit den Zähne. Ballte und öffnete die Fäuste. Fast alles würde er dafür geben, jetzt mit Raven tauschen zu können.
Das da draußen war sein Geschwader, das war seine Schlacht. Es war seine Bestimmung und doch saß er hier an Bord fest.
“Was halten Sie von dem Plan, Sir?”
Lucas drehte sich um und sah sich George Long gegenüber. Die Ähnlichkeit zu Radio war rein körperlich und in der Hinsicht war sie so brutal, dass es fast schmerzte ihn anzusehen.
Das Auftreten des älteren Longs war ernsthaft, pflichtbewusst und in jeder Hinsicht korrekt.
“Er ist gut.” Er musterte den XO der Columbia. “Nicht ohne Risiko, aber gut.”
“Kein Plan ist ohne Risiko, Sir.” Erwiderte Long.
“Richtig. Jeder Plan der gelingt ist gut. Jeder Plan der schief geht, ist schlecht. Dazwischen gibt es nicht viel. Sieg bedarf keiner Erklärung und Niederlage erlaubt keine.” Der ehemalige CAG blickte zum Kartentisch.
“Ist es wirklich so einfach?”
“Nein, leider nicht, Commander.”
Die beiden Offiziere traten an den Kartentisch. Die Flotte war eng um die drei Träger gruppiert. Jeder der Träger hatte Abfangjäger in Bereitschaft und eine Combat Air Patrol war ebenfalls draußen im All.
Gott verdammt, wäre er doch nur ebenfalls da draußen. Wieder schloss und öffnete Lucas die Fäuste. Wie hielt Waco das Warten nur aus?
Cattaneo
Tyr

Die Maschinen der Schwarzen Staffel waren bereit für die Schlacht. Sie waren betankt und mit Raketen bestückt worden. Momentan trugen die Überlegenheitsjäger vier schwere Phoenix-Raketen und je zwei Amraam-, Sparrow-, und Sidewinderraketen. Das war zwar vielleicht nicht die effizienteste und schlagkräftigste Bestückung, aber wohl eine der vielseitigsten.
Die zwölf Maschinen boten momentan ein ungewohnt uneinheitliches Bild. Nur die Hälfte zierte die charakteristische Bärenkopf-Bemalung der Staffel, der Rest war im eintönigen Navy-Grau gehalten. Diese Maschinen waren erst kürzlich an Bord gekommen, um die Verluste der letzten Wochen zu ersetzen. Es war noch keine Zeit gewesen, sie zu bemalen.
Im gewissen Sinne war die Staffel in einem ähnlichen Zustand. Fast die Hälfte der Piloten war erst vor ein paar Wochen zu den Butcher Bears gestoßen, und erst vor ein paar Tagen auf die Nighthawk umgestiegen.
‚Und der Staffelchef ist nur Lieutenant und wird den Posten möglicherweise nicht lange behalten.’ Kano Nakakura verdrängte diesen unangenehmen Gedanken. Wenn er sich momentan etwas nicht leisten konnte, dann war es Unsicherheit und Selbstzweifel. Vor allem durfte er diese Gefühle nicht offen zeigen.
Er musterte die elf übrigen Piloten. Nur ein halbes Dutzend von ihnen kannte er wirklich gut. Der Rest…

Wenigstens waren es alles erfahrene Soldaten. Und auch wenn Tiburon, Fox und Grizzly ihm möglicherweise immer noch gram waren, sie würden ihre Pflicht tun. Glaubte er.
Die Stimme des Staffelführers klang rau, aber fest: „Sie alle kennen die Bedeutung der Schlacht, die vor uns liegt. Ohne dieses System können wir die Zweite Flotte nicht mehr ausreichend versorgen, und wir werden uns zurückziehen müssen. Die Erfolge von mehreren Jahren wären bedroht, wenn die Zweite Flotte sich zurückziehen müsste. Das können wir nicht hinnehmen. Wir sind die Ersten, die die Chance haben, die Akarii bei ihrer Offensive aus dem Tritt zu bringen. Wenn wir diesen Arm ihrer Zangenbewegung kappen, den Nachschub für die Zweite offen halten und die Vereinigung der feindlichen Flotten unterbinden… Dann schwächen wir nicht nur die Schlagkraft der Akarii, sondern können ihren Vorstoß ins Leere laufen lassen. Und sie unsererseits in die Zange nehmen und einzeln vernichten. Es steht also viel auf dem Spiel…“, Kano überraschte seine Untergebenen mit einem knappen Lächeln, „…aber das ist für uns ja nichts Neues. Das haben wir alle schon einmal gehört.
Ich weiß nicht, ob die Akarii bereits von unserem Sieg bei Takuma gehört haben, und was das für sie bedeutet. Ob sie Rache wollen, ob sie demoralisiert sind – oder ob sie sich freuen, Prinz Jor endlich los zu sein.“ Das sorgte tatsächlich für einige gedämpfte Lacher. Nicht weil der Witz gut war, sondern einfach weil so etwas von der unterschwelligen Spannung abgebaut werden konnte. Cunningham hatte diesen Kunstgriff besonders gut beherrscht: „Aber angesichts der Tatsache, dass die Akarii so kurz nach Takuma bereits in der Lage sind, eine Großoffensive zu starten, können wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Diese Akarii haben ihren Kampfgeist noch nicht verloren. Sie werden uns eine harte Schlacht liefern. Wir können und wir werden siegen – aber es wird nicht einfach sein.“
Langsam, mit kontrollierten, aber energischen Bewegungen schritt der Lieutenant vor den Männern und Frauen seiner Staffel auf und ab. Er durfte jetzt nicht nervös wirken, zog aber so die Aufmerksamkeit stärker auf sich, als wenn er einfach nur stehen geblieben wäre: „Seit der Aufstellung dieser Staffel haben die Butcher Bears immer zu den Besten des Geschwaders gehört.“ Wieder das knappe Grinsen, diesmal etwas selbstironisch gefärbt: „Ich will mich…noch…nicht in eine Reihe mit Lone Wolf und Darkness stellen. Jedenfalls nicht, bevor ich nicht Geschwader-XO bin. Aber das kann ja noch werden.“ Kanos Gesicht wurde wieder ernst. Das fiel ihm ohnehin leichter als das aufgesetzte Lächeln: „Aber hier geht es nicht um mich. Es geht um uns. Wir sind gut. Jeder von uns hat bereits Erfahrung im Kampf. Das gibt uns einen Vorteil, den wir nutzen müssen. Einige von uns sind neu in dieser Staffel und sind erst vor kurzem auf die Nighthawk umgestiegen. Aber all das wird mehr als kompensiert von unserem Können und unserer Erfahrung. Zusammen, gemeinsam werden wir die Tradition der Butcher Bears fortsetzen. Wir sind bisher noch immer siegreich geblieben. Wir sind immer durchgekommen. Und das wird auch so bleiben, das weiß ich. Weil ich mich auf Sie verlassen kann. Auf jeden Mann und jede Frau. Weil wir als Einheit agieren. Und dadurch als Ganzes stärker sind, als die Summe der Teile. Wir werden das Vertrauen, das man in uns setzt, nicht enttäuschen. Wir werden siegen. Wir werden die Zange der Akarii aufbrechen. Und wir werden zurückkehren. Viel Glück.“
Mehr hatte er nicht mehr zu sagen. Die Piloten zerstreuten sich. Einige waren auf dem Weg zu ihren Maschinen, andere würden sich im Bereitschaftraum ausruhen, oder ihren Freunden und Bekannten in den anderen Staffeln schnell noch einmal einen kurzen Besuch abstatten. Man konnte ja nie wissen, was die Zukunft bringen würde…

Crusader blieb neben Kano stehen. Er grinste amüsiert: „Was ist eigentlich aus der ‚für-den-Kaiser-und-die-Republik-Banzai’-Rede geworden, auf die ich gewartet habe?“
Kano lächelte etwas verzerrt: „Ich dachte, ich versuche es doch lieber mit einem anderen Ansatz.“
„Entspann dich, du wirst es schon schaffen. Und wenn du einen Ratschlag hören willst…“
„Nicht unbedingt…“
„…Rede nicht immer von Lone Wolf und Darkness. Das ist die Vergangenheit. DU führst jetzt die Staffel, nachdem sie Cunningham die Treppe hinauffallen lassen haben. Du solltest mal aus seinem Schatten hervortreten.“
Gegenüber Crusader, seinem einzigen wirklich engen Freund in der Staffel, erlaubte Kano es sich, kurz die Maske fallen zu lassen. Normalerweise tat er das nur bei Kali, aber sie war nicht mehr an Bord und hatte es ohnehin schon schwer genug. Dass sie die COLUMBIA hatte verlassen müssen, während nur die Götter wissen konnten, ob sie hierher zurückkommen würde – dieses Schicksal schwebte über jedem Piloten. Aber sie hatten es verdrängt, genauso wie die Möglichkeit, zu fallen. Wieder regten sich Gewissenbisse in Kano. Er hätte sich mehr um sie kümmern sollen. Aber jetzt war es zu spät. Sie war auch für ihn überraschend verlegt worden, und er hatte das Gefühl, dass es noch vieles zu sagen gegeben hätte. Er war genauso wenig wie Kali vorbereitet gewesen auf diese Trennung. Und dabei hatte er nicht auch noch eine monatelange, schmerzvolle Rekonvaleszenzzeit vor sich. Ja, Kali war stark – sie würde schon klarkommen. Aber dennoch hatte er das Gefühl, sie irgendwie im Stich gelassen zu haben. Zu viele vertraute Gesichter waren in den letzten Tagen aus dem Geschwader verschwunden. Manchmal hatte Kano das Gefühl, das Alles irgendwie zu zerfasern, sich aufzulösen begann. Es hatte seine ganze Willenskraft und Disziplin gekostet, weiterzumachen wie bisher, seine Einheit und seine sonstigen Pflichten nicht zu vernachlässigen. Das konnte und durfte er sich jetzt nicht leisten. Nicht ausgerechnet vor dieser Schlacht. Nicht in seiner momentanen Position. Das hatte er sich häufig genug gesagt. Aber es drohte ihn zu zerreißen. Wegen der Arbeit mit der Staffel hatte er sie vernachlässigt, ihr nicht die Zeit gewidmet, die sie verdient hätte. Er musste das wiedergutmachen. Wenn das möglich war. Wenn sie sich wieder sahen. Wenn er überlebte.

Jetzt zuckte Kano nur erschöpft mit den Schultern: „Aus Cunninghams Schatten treten? Das fällt schwer. Vor allem, solange ich nur Staffelführer auf Probe bin, und mich noch nicht in der Schlacht bewährt habe. Ich muss erst beweisen, dass ich diesen Posten VERDIENE. Dann kann ich vielleicht aus Lone Wolf und Darkness Schatten treten…“
„Das siehst du falsch. Du HAST dir diesen Posten verdient, verdammt. Dass man ihn dir gegeben hat, beweist es. Und wenn du immer die Leistungen unserer alten Männer beschwörst, dann redest du dich selber klein. Du wirst es schaffen, das weiß ich.“
„Und was macht dich da so sicher?“
„Mal sehen…wir haben die letzten paar Wochen fast nur im Simulator oder im All verbracht. Alle Piloten haben Kampferfahrung, und auch ohne Lone Wolf, Goliath und Monty haben wir ein halbes Dutzend Fliegerasse in der Staffel. Das ist sogar für die Angry Angels ein Rekord. Und wir haben jetzt auch für alle Piloten anständige Maschinen, keine vergammelten Griphen. Außerdem würde Monty dich aus dem Jenseits heraus verfolgen, wenn du Mist baust. Lone Wolf würde wahrscheinlich deinen Kaffee vergiften. Und Elaine würde dir den Kopf abreißen, wenn du mich nicht sicher durch den Krieg bringst. Du siehst also, du hast gar keine andere Wahl.“ Elaine war Crusaders Frau.
Kanos schiefes Lächeln wirkte nun doch echt: „Danke. Das werde ich im Kopf behalten.“

Sein Freund nickte knapp, und klopfte ihm noch einmal kräftig auf die Schulter. Dann ging er. So sah er nicht mehr, wie Kanos Lächeln erstarrte. Egal was Crusader sagte, Kanos Zweifel konnte er nicht völlig ausräumen. Die Zweifel, ob er für diese Aufgabe schon bereit war, und ob er an die beiden schon zu Lebzeiten legendären Fliegerasse herankommen konnte, die seine Vorgänger gewesen waren. Oder auch nur an Monty.
Außerdem wusste der japanische Pilot, dass er bei seiner Rede nicht die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte gesagt, dass sie zurückkehren würden. Und das war eine Lüge gewesen. Jemand würde Draußen bleiben, das wusste Kano mit einer seltsamen, kalten Gewissheit. Die Frage war nur, wer. Und ob es seine Schuld sein würde…
Aber auch das war eine Angst, eine Ahnung, die er zurückdrängen musste. Es durfte für ihn nur die Mission geben, und die Bereitschaft, für ihre Erfüllung alles zu tun, was in seiner Macht lag. Raven verließ sich auf ihn, und Cunningham hatte ihm, aus welchen Gründen auch immer, seine Staffel anvertraut. Dieses Vertrauen würde er nicht enttäuschen…
Cattaneo
Cattaneo

Vergebliche Hoffnung Teil I

Kampfflieger der Grünen Staffel, CV Columbia, am Rande der vereinigten Flotte über Karrashin V

„...ist Ihre Zone. Haben Sie verstanden?“ „Bestätige, Gefechtsvektor verstanden, Commander Schwimmer. Grün Eins, Ende.“ Lilja unterbrach die Verbindung zur Kommandozentrale des Trägers, noch unwirscher als sie es sonst gemeinhin tat. Sie fand diese komischen Codenamen mitunter ein wenig albern, vor allem da sie der Meinung war, die Akarii würden sich kaum davon täuschen lassen, wenn sie den Funkverkehr schon abhören und die Verschlüsselung knacken konnten, aber nicht das war der Grund für ihre knappe Antwort. Auf ihren Befehl hin fächerten die zwölf schlanken Abfangjäger ihrer Staffel auf und verteilten sich. Zwei Sektionen blieben etwas dichter bei den Trägern, während ihre eigene Sektion zum Rand der terranischen Formation vorstieß, um Außenpatrouille zu spielen. Nicht einmal das erhebende Gefühl der rasanten Beschleunigung, welche die Jäger mit 300 Kilometern in der Sekunde durchs All schießen ließ, konnte heute ihr Unbehagen lindern. Soeben hatten sie und ihre Staffel ihren endgültigen Platz bei der sich anbahnenden Schlacht von Karrashin zugeteilt bekommen, wieder einmal eines der entscheidenden Gefechte, wie es hieß. Und offenbar war es eher der Platz eines Zuschauers. Ihre Staffel würde die Ehre haben, den Jägerschutz der Träger der TSN zu übernehmen. Dabei würden sie die rote Schwadron der Bushpilots, die Jayhawkers, und die grünen Staffel der Guardsmen, auch genannt Iron Knights, unterstützen. Beide Staffeln flogen wie ihre Einheit schnelle Falcon-Abfangjäger, beide Staffeln hatten bereits Jäger im Raum, und der Rest wartete nur auf einen Befehl, um sofort und im Sekundentakt zu starten.

Der Rest der Kampfflieger der drei Träger, immerhin gut 140 Maschinen, würden die Akarii angreifen – und zwar solo, ohne Kreuzer- oder Zerstörerunterstützung. Lilja konnte sich gut vorstellen, dass dies einigen nicht schmeckte. Nicht nur bei den Kampffliegern, die natürlich nie offen eingestanden hätten, dass sie etwas Hilfe gerne angenommen hätten. Aber auch bei den Kommandeuren der großen Kriegsschiffe, namentlich der Kreuzer, würde es nach ihrer Einschätzung wegen dieser Entscheidung Unzufriedenheit geben. Dort allerdings würde sich der Unmut wohl weniger verdeckt zeigen, denn nach allem was sie wusste machten diese Herren (und Damen) für gewöhnlich kein Geheimnis daraus, dass sie den Beitrag ihrer Schiffe für mindestens ebenso wichtig hielten wie den der Piloten.
Lilja ihrerseits wusste selber nicht recht, was sie von der ganzen Sache halten sollte. Mit nur einer Staffel Crusader und vier Dutzend Jagdbombern als ‚Nussknackern’ zwei feindliche Träger anzugreifen, war gelinde gesagt riskant. Und es schien zweifelhaft, dass man beide auf einen Schlag würde ausschalten können, selbst wenn die Überraschung gelang. Nicht, dass sie ähnliche Husarenritte nicht schon selber mitgemacht hatte, zuletzt in ähnlicher Form bei Tukama, wo es nur drei Bomber- und Jagdbomberstaffeln gegen einen Akariiträger und einen Hybridträger gewesen waren – doch solche Erinnerungen zählten nicht unbedingt zu den angenehmsten. Bei Tukama hatten zumindest auch die eigenen Kreuzer Unterstützung geleistet, und tatsächlich hatten diese dann ja auch einen Gutteil der „Schlächterrechnung“ bestritten, etwa den feindlichen Golf. Das würde hier also wegfallen.
Beim Briefing hatte es sich ja ganz gut angehört – feindlicher Flugbetrieb reduziert, Kreuzerbestückung der feindlichen Flotte mangelhaft. Und es machte auch Sinn, sich nur mit den Kampffliegern anzupirschen, denn größere Schiffe fielen nun einmal leichter auf, selbst wenn man alle Tricks anwandte und sich aus der Deckung anschlich. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Akarii-Admiral ohne zumindest einen Teilersatz für seine fehlenden Großkampfschiffe losgeschlagen hatte. Immerhin ging es hier offenbar um so etwas wie eine richtige Offensive, nicht nur einen Störangriff. Denn wäre es nicht so gewesen, dann wären die Echsen schon längst wieder auf dem Rückzug.
Oder sollte die Chefechse tatsächlich so geistig minderbemittelt sein und ohne vernünftige Aussicherung in einem für die terranische Kriegführung so zentralen System tief im feindlichen Angriffskorridor herumsitzen? Das wäre denn doch zuviel verlangt gewesen…
Vielleicht hatte er oder sie ja vergleichsweise viele Flakschiffe unter den Zerstörern und Fregatten, obwohl wenigstens von einem Golf bisher nichts zu sehen war. Wenn der feindliche Kommandeur kein Feigling oder vollkommener Idiot war, und das waren die wenigsten Akarii-Admiräle, würde er zudem jede Gelegenheit nutzen, zurückzuschlagen, schon um seiner Flotte etwas Luft zu verschaffen. Mit anderen Worten, es war zu erwarten, dass sie selbst zumindest einige Arbeit bekommen würde, wenn die Echsen einen Gegenschlag versuchten. Diese Erkenntnis war freilich nicht eben dazu geeignet, sie froh zu stimmen, so gerne sie auch normalerweise Akarii tötete.

Denn auch jetzt noch – vielleicht gerade jetzt, nach all den Jahren des Krieges – brauchte sie nur die Augen zu schließen, um vor sich die lodernden Scheiterhaufen zu sehen, die vom Tod menschlicher Schiffe kündeten, strahlend im endlosen Dunkel des Alls, Totenlichter, Grabfackeln – oder wie immer man sie nennen wollte. Es waren Bilder, so deutlich, als wäre es erst gestern geschehen. Sie erinnerte sich nur zu gut an das Sterben der Fregatten, Zerstörer und Kreuzer, die von feindlichen Bombern vernichtet worden waren, nachdem diese den Abfangschirm – IHRE Abwehr – durchbrochen hatten. Zunächst über ihrer ersten „Heimat“ in den frühen Tagen des Krieges, dem Außenposten Deliak IV mit vier kleinen Kriegsschiffen. Dann bei Erebus, und schließlich, kurz vor ihrem Zusammenbruch, über Henan III. Das alles war noch zu Beginn des Krieges gewesen, als sie ihre ersten vier Abschüsse erzielte und dennoch – natürlich – das Blatt ebenso wenig wenden konnte wie unzählige andere Piloten, von denen viele einen noch höheren Preis für ihre Bemühungen zahlten als sie.
Später dann die Wracks bei Troffen, Jollahran, Corsfield, Graxon und vor allem Beta Borialis, als die Terraner vor ihren Augen zwei Flottenträger verloren. Es waren inzwischen so viele Schlachten, dass es ihr mitunter schwer fiel, sie im Rückblick auseinander zu halten. Die Bilder waren, bei allen Unterschieden, immer wieder dieselben gewesen, ungeachtet aller Bemühungen, ungeachtet all der Feinde die sie abgeschossen hatte. Ebenso wie die Gefühle dieselben gewesen waren: Scham, ohnmächtige Wut, Hass und Trauer und schließlich – nach der Schlacht – eine resignierte und zugleich entschlossene Müdigkeit, wusste sie doch, dieser Krieg würde noch lange dauern, war jedoch unbedingt notwendig.
Und dann, zuletzt und vielleicht deshalb noch besonders schmerzhaft in ihrer Erinnerung, die brennenden Kreuzer bei Tukama, vernichtet oder verstümmelt von den Selbstmordfliegern der Akarii. Vielleicht diese Erinnerung besonders, weil inzwischen Hoffnung darauf bestand, dass der Sieg in greifbarer Nähe lag und jeder menschliche Tod umso sinnloser erschien. Gleichgültig ob in den verzweifelten Schlachten am Anfang des Krieges oder in den Siegen der letzten Jahre – irgendjemand von den Feinden kam immer durch, und selbst einige wenige Kampfflieger der Akarii konnten unzählige Leben vernichten. Deshalb wäre es ihr, so sehr sie auch danach gierte sich als Staffelchefin zu beweisen und noch ein paar Echsen zu ihren Ahnen zu schicken, lieber gewesen, wenn sie in der kommenden Schlacht nichts zu tun bekommen hätte. Wenn die Akarii überrascht worden wären. Dann hätte sie sich auch nicht den Kopf wegen ihrer Neulinge zerbrechen müssen.
,Und wenn du dabei bist, kannst du dir ja gleich wünschen, den Roten Baron büchsengerecht vor die Flinte zu bekommen.` dachte sie sarkastisch. Als ob es jemals eine Rolle gespielt hatte, was sie sich wünschte!

Lilja hatte es einerseits ein Stück weit als Vertrauensbeweis betrachtet, dass man ihre Staffel zurückgelassen hatte, immerhin war sie damit wesentlicher Bestandteil des Schildes des Mutterschiffes. Sie hatte sich jedoch auch gefragt, ob es nicht zugleich, vielleicht sogar an Stelle dessen, eine Zurechtweisung war. Immerhin war ihre…nennen wir es Distanz…zur neuen Geschwaderchefin kein Geheimnis, und bei aller Professionalität fiel es ihr selber schwer, ihrer Vorgesetzten gegenüber mehr als den notwendigen Respekt aufzubringen, obwohl sie eigentlich niemals Streit mit Raven gehabt hatte. Sie nahm es der neuen Geschwaderchefin jedoch sehr übel, wie sie in ihr Amt gekommen war, an Stelle von zwei Menschen, die sie sehr geachtet hatte. Zudem blieb für Lilja insgeheim die Frage offen, ob die ,Neue’ bezüglich des alten Commanders nicht etwas nachgeholfen hatte…
Aber das war eben noch etwas, wo es nicht nach ihren Wünschen ging.
Immerhin sah es bisher nicht so aus, als ob die Verteidigung wirklich notwendig sein würde. Nicht, wenn die Informationen stimmten und der Gegner nicht irgendeine Überraschung vorbereitet hatte.

Doch dann hatte sie sich ihre Abkommandierung rationell erklärt. Ihre Staffel hatte immerhin drei ihrer erfahrensten Piloten verloren, und zudem an deren Stelle mehrere Frischlinge – oder höchstens Jährlinge, wie sie säuerlich dachte – anzulernen. Nicht unbedingt das, was man im Kreuzfeuer feindlicher Großkampfschiffe tun sollte, wenn es sich vermeiden ließ. Andererseits – gab es dafür in diesem Krieg überhaupt einen guten Platz? Und dazu kam, dass sie sich durchaus bewusst war, dass bei all ihren Bemühungen, die hart am Rande der Schikane lagen, die Staffel bisher einfach noch nicht in der Lage gewesen war ihre Zusammenarbeit so zu perfektionieren, wie sie das gerne gehabt hätte. Vielleicht verstand sie jetzt ein wenig wie sich die gelbe Staffel gefühlt haben musste, die diese ehrenvolle Aufgabe normalerweise hatte ausführen dürfen. Große Triumphe waren so nur selten zu erzielen. Allerdings – sie würde ihre Staffel niemals so feige im Stich lassen wie es der Chef der Gelben getan hatte, zumindest DAS hatte sie in der Hand. Aber wenn ihre Staffel in Zukunft häufiger Reserveaufgaben würde übernehmen müssen, war abzusehen, dass die Moral darunter leiden würde.
Nun, das war noch ein Grund, ihre Sache mal wieder so gründlich wie möglich zu machen, um zu zeigen, dass sie für jede Aufgabe qualifiziert waren. Sie öffnete wieder einen Kanal und ließ sich mit der Flugleitzentrale verbinden: „Grün Eins hier – dürfte ich fragen, wo die Shuttles bleiben?“ Ihr Sarkasmus war gerade soweit abgemildert, dass es noch erträglich war, aber momentan war sie einfach in der Stimmung, ihre schlechte Laune zu teilen und sicherzustellen, dass sich auch andere unbehaglich fühlten.
Die Antwort klang dementsprechend auch leicht verschnupft: „Werden gerade ausgeschleust. Gedulden Sie sich noch eine Minute, Commander.“
Die Russin lächelte schief unter ihrem Helm. Sie hatte darauf bestanden, dass ein zusätzliches SAR-Shuttle ausgeschleust wurde – eigentlich hatte man auf der Columbia nur zwei für ihre Staffel und havarierte Heimkehrer der anderen Einheiten vorgesehen. Aber Lilja hatte insistiert, ebenso wie sie auf der Bereitstellung zweier Tankshuttles bestanden hatte. Sie war vermutlich damit nur deshalb durchgekommen, weil die höheren Offiziere gerade Wichtigeres zu tun hatten, als dass ihnen zu Bewusstsein gekommen wäre, wie sehr Lilja die niederen Dienstgrade in der Flugleitzentrale nervte. Als Lieutenant Commander und Staffelchefin hatte sie gewisse Möglichkeiten. Ihre Anforderung war von oben abgenickt worden, schließlich wollte sich ja keiner hinterher sagen lassen, er habe etwas übersehen oder berechtigte Anforderungen verweigert.
Sollten Feindflieger kommen, dann war sie so gut darauf vorbereitet, wie es ging.
Ihr Blick schweifte hinüber zu der sich entfernenden Flut von kleinen Lichtpunkten, verursacht von den Triebwerken der anderen Kampfflieger.
,Gute Jagd – ich beneide euch nicht allzu sehr um eure Chance auf Ruhm.’
Sie öffnete die Staffelfrequenz:„Staffel Grün – Augen aufhalten. Wenn da draußen auch nur EIN Akarii ist, will ich es rechtzeitig wissen!“
Mit einer Grimasse glich sie mit einem leichten Druck auf den Steuerknüppel die Gravitation aus. Ihr Jäger reagierte gehorsam. Die Erdschiffe hatten sich bei Karrashin V formiert, während die Akarii sich in der Umlaufbahn von Karrashin III befanden. So konnten sich die terranischen Jäger und Bomber in Deckung der Planeten an den Gegner anschleichen. Das erhöhte die Chancen der Menschen auf einen Überraschungsangriff, aber es bedeutete auch, dass man die Gravitation – sowohl hier als auch über dem Ziel – im Hinterkopf behalten musste. Wenn man aus diesem Grund einmal zu langsam reagierte, oder wenn der eigene Jäger beschädigt wurde und in den eisernen Griff der Anziehungskraft der Planeten geriet...
Nun, keine Art zu sterben war schön, und im All schon gar nicht, aber aus eigener Dummheit ums Leben zu kommen gehörte sicher zu den unangenehmsten Dingen, die einem passieren konnten.

**********

Schwerer Kreuzer TRS Relentless, im Inneren der vereinigten Flotte über Karrashin V

Commodore Mithel hätte auf einen ungeübten Beobachter gelassen, ja gleichgültig gewirkt. Er rekelte sich nicht gerade in seinem Kapitänssitz, denn jede Laxheit war ihm persönlich zuwider, aber im Augenblick schien ihn nichts aus der Ruhe bringen zu können. Gelassen nahm er die Klarmeldungen der verschiedenen Stationen entgegen und ließ sich die Sensorergebnisse durchgeben. Die Wirklichkeit lag jedoch wieder einmal ein wenig anders als der Augenschein. Mithel sah einfach keinen Sinn darin, sich wie ein Rekrut vor seinem ersten Kampfeinsatz die Aufregung anmerken zu lassen, die er trotz seiner vielen Dienstjahre immer noch verspürte, wie stets vor einem ,echten’ Gefecht. Er wusste, es konnte noch eine Weile dauern, bis sein Einsatz gefordert war. Die Kriegsschiffe der Columbia und Wasp waren ins System gesprungen, und schon bald von der Hongkong kontaktiert worden. Von ihr hatten sie erfahren, wer bereits auf sie wartete. Der Schlachtplan war in aller Eile ausgearbeitet worden – immerhin hatte man ursprünglich nicht mit dieser Entwicklung gerechnet. Wie die Chefin der Grünen Staffel der Columbia ohne sein Wissen ganz richtig vermutete, passte es ihm nicht sonderlich, dass die Kreuzer oder überhaupt die größeren Kampfschiffe vorerst keine Rolle spielen würden, außer vielleicht als Flakplattformen im Falle eines Bomberangriffes. Das lag weniger an seinem – unzweifelhaft gut entwickeltem – Ehrgeiz. Aber ihn erinnerte der geplante Angriff allein mit Kampffliegern auf einen nur unvollständig aufgeklärten Gegner unangenehm an die Schlacht von Jollahran, nach der Schlacht von Manticore eine der demütigensten Erinnerungen seiner langen Laufbahn. Und dass man – dem Vernehmen nach – auch noch die dienstjüngste CAG als Schöpferin des Plans akzeptiert hatte, ohne etwa ihn in die Vorbesprechung einzubeziehen, wurmte ihn gleichfalls. Natürlich war im Moment keine Zeit für lange Debatten, aber es schien doch etwas überhastet entschieden, und ob das Personal das am besten qualifizierte gewesen war…

All das beunruhigte ihn nicht wenig. Wenn die Akarii genug Flak-Schiffe hatten, bestand zumindest die Gefahr, dass sie zusammen mit ihren eigenen Jägern die Angreifer abschmettern konnten, selbst wenn die Bordgeschwader der feindlichen Träger keine volle Stärke hatten. Das Überraschungsmoment war dann natürlich verloren, auch wenn die Akarii mit Sicherheit Federn lassen würden – oder besser, Schuppen. Die Erfahrungen im Krieg hielten sich in etwa die Wage – zwischen dem alten Spruch „Bomber kommen immer durch“, was natürlich Geleitschutz voraussetzte, und der Wirksamkeit der „Flakhölle“, gestützt durch Abfangjäger. Für beides fanden sich Beispiele. Mithel hatte sich deshalb dafür eingesetzt, zumindest eine kampfstarke gemischte Schwadron Fregatten und Zerstörer für einen Anflugangriff zur Unterstützung mitzuschicken, damit sie den Bombern helfen konnten, sich einen Weg ins Herz des feindlichen Verbandes freizuschießen, etwa indem sie die Außensicherung des Feindes unter Druck setzten. Aber offenbar hatten sich mal wieder die Puristen durchgesetzt, denn dieser Vorschlag war nicht einmal beantwortet, geschweige denn berücksichtigt worden. Nun, das war deren Sache, solange der Einwand korrekt vermerkt worden war. Wie auch die Frage danach, welcher Geschwaderchef eigentlich wo das Sagen hatte, beziehungsweise wem das operative Kommando vor Ort zukam – bei drei Kampffliegerverbänden doch ein gewisses Problem, denn schon Napoleon hatte gewusst, dass ein schlechter General besser war als zwei gute auf einmal. So etwas wäre besser schon vorher und einvernehmlich entschieden worden, ehe es im Einsatz vielleicht Animositäten gab. Die ad-hoc-„Beförderung“ der neuen Chefin der Angry Angels zur gesamtverantwortlichen Jägerkommandeurin machte zwar Sinn, denn immerhin kommandierte sie den größten, schlagkräftigsten und wohl auch besten Verband. Aber es war gelinde gesagt undiplomatisch gegenüber ihren dienstälteren Kollegen, und der Faktor Mensch war und blieb auch im Raumkrieg von kaum zu unterschätzender Bedeutung.
Angesichts des Schlachtplans erinnerte sich Mithel an eine der Gelegenheiten, bei der er einmal mit einem Flottenvertreter der CN gesprochen hatte, ein Commodore mit dem merkwürdigen Namen Vor’kat, doch das erklärte sich daraus, das dieser tatsächlich Akarii gewesen war. Der ,Colonial’ war offenbar wie Mithel Vertreter der Flottenfraktion gewesen – kein Wunder, wenn man bedachte, dass die CN einfach aus Notwendigkeit kombinierte Kriegsführung praktizieren musste, da ihr zumeist die nötigen Einheiten für den reinen Trägerkrieg fehlten. Er hatte eine Metapher aus dem Schachspiel benutzt: „Wer nur mit Jäger angreift, ist wie ein Spieler der nur seine Bauern einsetzt!“

Nun, Mithel hatte sich jedenfalls an seine Anweisungen gehalten. Die Kreuzer bildeten einen inneren Verteidigungsring, während sich die leichteren Einheiten um sie herum postierten, die Korvetten als „Außenfeger“. Sollten die feindlichen Bomber und Jagdbomber zum Angriff kommen, stand ihnen einiges bevor. Außerdem würde man so rechtzeitig vorgewarnt sein, sollten sich vom feindlichen Flottenverband Großkampfschiffe lösen, um einen direkten Angriff zu wagen. Das war eigentlich nicht unbedingt zu erwarten, immerhin hatten die Akarii offenbar nur eine Handvoll Kreuzer und dazu einiges an kleineren Einheiten – dem gesunden Menschenverstand nach zu wenig für einen Angriff mit Aussicht auf Erfolg. Aber das hieß ja nicht, dass sie dies genau so sahen.

Der Commodore befehligte einen Großteil der über Karrashin V versammelten Kreuzer – insgesamt kam die kombinierte Kampfgruppe der drei Träger auf sieben schwere, elf leichte und vier Flakkreuzer. Davon waren nicht weniger als fünf schwere, neun leichte und zwei Flakkreuzer Teil von Mithels kombinierter Schwadron. Allerdings waren mehrere „seiner“ Schiffe in den vergangenen Gefechten beschädigt und im Schnellverfahren wieder repariert worden. Auch hatte er immer noch seine Zweifel was die Kami mit ihrer unerfahrenen Besatzung anging. Und zusätzlich war er NICHT autonom oder auch nur lediglich „seiner“ Admirälin unterstellt – Rearadmiral Schepens von der Hongkong hatte hier auch noch ein Wörtchen mitzureden.
,Da kann ich ja fast froh sein, dass ich noch nicht befördert worden bin, obwohl ich hoffe, es kommt langsam mal dazu – das würde die Sache im Augenblick NOCH komplizierter machen...' dachte er mit einer ordentlichen Portion Selbstironie. Natürlich wartete er auf den Tag, an dem man ihn in den Rang der Admiräle erheben würde, und er rechnete sich gute Chancen aus, dass es bald soweit sein würde. ,Nun, abwarten.'
,Und als wäre das noch nicht genug, kauen unsere Freunde von den Marines ja auch noch auf den Trensen, weil sie gerne selber ein wenig Ruhm sammeln würden, wo es bei Tukama nicht geklappt hat.'
Wäre es nach Mithel gegangen, hätte man die Reste des 217'ten Regiments als Schiffsverteidigungstruppen und zur Schadensbekämpfung eingeteilt, aber die Jarheads und die Admiralität schienen zu glauben, man könne mitten in einer Schlacht immer noch Enterkampf spielen. Oder sie wollten ihre Vorzeigehelden nicht zu sehr vor den Kopf stoßen. Mithel hielt davon unverändert nichts – solche Strategien war etwas für optimale Verhältnisse, und die traten im Krieg so gut wie nie ein. Ohne diese war Entermanöver eher etwas für nach der Schlacht, gegen Havaristen. Und selbst das barg so seine Risiken...
Natürlich hatte er die erfolgreichen Beispiele für Enterangriffe studiert. Der Kommandeur „seiner“ Kreuzer-Marines arbeitete gut mit ihm zusammen, sie hatten sich aneinander gewöhnt, und Mithel war kein Kommandeur, der nicht aus allen Werkzeugen das Beste herausholte – aber mit Hammersmith und seinen Leuten war es etwas anderes.
In fast allen Fällen einer Enterung während des Krieges wäre nach Mithels Einschätzung eine Zerstörung des Ziels mindestens ebenso effektiv und machbar gewesen. Die wenigen Gegenbeispiele – Angriffe auf Stationen und Werften in erster Linie – rechtfertigten in seinen Augen nicht das enorme Risiko, das die Mutterschiffe oft eingehen mussten.
,Sollen sie doch ein eigenes Gefechts-Mutterschiff entwerfen, wenn sie so scharf auf Kampfeinsätze sind. Oder der Armee bei den Bodenkämpfen noch etwas mehr helfen.' dachte er, nicht ohne eine gewisse Gehässigkeit. Das war vielleicht nicht ganz gerecht, aber immerhin bildete ER sich ja auch nicht ein, den Marines vorzuschreiben, wie sie Nahkämpfe zu führen hätten. Dann sollten sie gefälligst auch ihre Finger von Raumtaktik lassen – die fiel nun einmal in den Zuständigkeitsbereich der Flotte.

Aber was hätte es gebracht, seine Unruhe, die ihn quälenden Fragen und unangenehmen Gedankengänge zu zeigen? Nichts, es hätte nur die Untergebenen kopfscheu gemacht. Nun, eigentlich bestand die Gefahr ja inzwischen nicht mehr, Mithel hatte seine Offiziere gut erzogen. Aber Nervosität wäre einfach würdelos gewesen.
Der Commodore hatte einen großen Bildschirm eigens für die Kampfflieger der Columbia, Wasp und Hongkong reservieren lassen – dort war gut zu erkennen, wie sie ihrem Ziel entgegenstrebten. Eine zweite Anzeige gab die Informationen über den feindlichen Flottenverband wieder. Jetzt konnte man nur noch abwarten.
Cattaneo
Ace

Kal Ilis´ Hände ruhten wie immer auf dem Holzgriff seiner antiquierten Stahlwaffe, dem Sirash-Schwert, während er unter halb geöffneten Augen Admiral Erster Klasse Cylom Borani musterte. „Nun?“
Admiral Borani, unter seiner Uniform stark blutend, lachte rau. „Die verdammten Colonials benehmen sich wie in die Ecke getriebene Tarkeds – bissig und um jeden Zentimeter kämpfend. Viele von ihnen sind von unserem Volk, was man als Erklärung akzeptieren könnte, aber das erklärt nicht die Tapferkeit und die Todesverachtung all ihrer Krieger.“
„Nun“, erwiderte Ilis mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen, „sie verteidigen ihre Hauptwelt und ihre Familien. Jedes andere Verhalten wäre von mir als Feigheit gewertet worden und hätte in ihrer Vernichtung geendet.“
Wieder lachte der alte Admiral. „So gesehen war es ein gutes Gefecht. Ich wünschte, ich könnte es bis zum Ende miterleben, aber die SCHOSTER wurde von ihnen übel zusammen geschossen. Ich lasse sie gerade evakuieren. Nur eine kleine Mannschaft aus Freiwilligen und Schwerverletzten wird an Bord bleiben.“
Ilis runzelte die Stirn. „Du wirst deine Flagge nicht auf einem anderen Schiff hissen?“
Cylom Borani lachte diesmal abgehackt und rau – und das erste Mal ehrlich und aus voller Seele. „Und mir den größten Spaß meines Lebens entgehen lassen? Mir selbst den Platz in der Geschichte versagen? Kal, es ist wie du immer sagst: Manchmal muss man mit gutem Beispiel voran gehen. Und das tue ich jetzt, im wahrsten Sinn des Wortes.“
Kal Ilis erhob sich. Ein Verhalten, das in der Zentrale der QUARSAR einen mittleren Aufruhr auslöste. Er zog sein Sirash blank und salutierte es vor Borani. „Hast du einen Wunsch, deinen Nachfolger betreffend?“
„Ich habe einen Wunsch, ja. Ich wünsche mir, dass die Quarsar-Kampfgruppe meine Arbeit beendet. Was meine Schiffe und Mannschaften angeht, unterstelle sie Yon Ataki. Sie kann die kleine Stärkungsspritze gebrauchen, nachdem unsere beiden Flotten zu einer geschrumpft sind.“
„Ich verspreche dir, ich nehme Hannover ein“, sagte Ilis ernst. „Nachdem du deine letzte Fahrt angetreten hast.“
Wieder lachte Borani, wurde aber von einem Hustenanfall unterbrochen. Er spuckte eine Unze Blut zu Boden und sah seinen Kommandeur mit vor Jugend strahlenden Augen an. Augen, die das Unmögliche sehen wollten. „Wir werden uns eines Tages wiedersehen, alter Freund.“
„Das werden wir. Vielleicht früher als du denkst“, orakelte der alte Admiral dem Kameraden.
„STILLGESTANDEN!“, gellte der Ruf von Kapitän Guldan Skor, dem Skipper der QUARSAR, durch die Zentrale. Die Offiziere und Mannschaften sprangen auf. „SALUTIERT DER SCHOSTER!“
Über einhundert Akarii-Hände flogen nach oben und boten der SCHOSTER den traditionellen Respektsgruß.
Borani honorierte dies mit einem eigenen Salut. Dann deaktivierte er die Verbindung.
„Da geht er hin. Ein alter, tapferer Mann…“, flüsterte Skor ergriffen.
„Hoffen wir, dass das Ergebnis diesen Verlust wert ist.“, raunte Ilis zurück.

Im Weltall bot sich die Situation wie folgt. Die Kämpfe verlagerten sich mehr und mehr von Fort Vicksburg nach Celle, einer der kleineren Plattformen, die aber direkt über der Hauptstadt schwebte. Zurück blieben etliche Wracks und Trümmerstücke. In einer Art stillen Übereinkunft verschwendeten beide Seiten keine Munition, um Wracks den Rest zu geben. Die Colonials, weil sie keine Zeit hatten, die Akarii, weil sie ihre Munition noch brauchten. Diese Nachlässigkeit rächte sich nun. Die SCHOSTER, die schon vor einer Viertelstunde vom letzten Rettungsboot verlassen worden war, erwachte übergangslos zum Leben. Heftige Explosionen erschütterten das Schiff, als überlasteter Reaktor nach überlastetem Reaktor explodierte. Die Flugdecks verwandelten sich erneut in flammende Infernos, und selbst am Antrieb gab es Explosionen. Dennoch baute sich wie durch ein Wunder der starke Frontschild der SCHOSTER auf, pünktlich genug, um die ersten zaghaften Abwehrschüsse von Vicksburg abzufangen. Der Beschuss intensivierte sich, das gleiche tat aber auch die Geschwindigkeit des Quarsar-Trägers.
Immer schneller werdend näherte sich der Raumgigant der Orbitalstation, und der Kurs machte klar, was passieren würde. Das Akarii-Schiff war auf Kollisionskurs.
Auf Vicksburg starteten Kampfflieger, die eigentlich gerade erst zum aufmunitionieren gelandet waren, Raketenwerfer feuerten im steten Stakkato und die großen Tachyonenwerfer schleuderten ihr tödliches blaues Licht auf den Träger.
Schnell kollabierte der Schirm der SCHOSTER. Erste Waffenstrahlen und Raketen schlugen ein, verheerten die Arbeit voriger Stunden weiter. Dutzende Raketen wurden vom Träger abgeschossen, und die wenigen noch funktionierenden Waffen erwiderten den Beschuss. Dennoch gab es keine Ruhepause für die Schilde, um sich zu regenerieren. In der Folge trafen vier Antischiffsraketen das ungeschützte Gigantschiff. Vier gewaltige Atomexplosionen, gigantisch genug, um die Schilde der Vicksburg zu beeinträchtigen, verwandelten das einstmals stolze Schiff in ein Wrack, das nie wieder den Kurs ändern würde. Und genau dieser Kurs zielte weiterhin auf Vicksburg.
Als die Trümmer der SCHOSTER, stetig beschleunigt und mit starker Bewegungsenergie ausgestattet, auf die Schirme Vicksburgs trafen, wurden etliche Generatoren überlastet. Die Schilde gaben nach und ermöglichten es den restlichen Trümmern, Tod und Verderben über die Verteidigungsplattform zu bringen. Nun war es die Navy-Plattform, über der die mächtigen Explosionen leuchteten. Ein Viertel wurde gleich vernichtet, etliche Sektionen verwüstet. Nur dem ausgeklügelten Sicherheitssystem an Bord war es zu verdanken, dass es nach dem Impakt überhaupt Überlebende gab.
Admiral Winterbottom, einer der Überlebenden, fasste schließlich den bitteren Entschluss, dass Vicksburg zu räumen war. Ein gnädiger Treffervektor trieb die Reste der stolzen Plattform aus dem Orbit, zumindest würde sie nicht auf Hannover fallen und unaussprechliche Verwüstungen anrichten. Aber sie war verloren, vernichtet vom selbstmörderischen Angriff eines sterbenden Trägers, dem schwersten Schiffstyp, der in diesem Krieg noch im Einsatz war.
Celle alleine würde den Schiffen und Jägern nicht lange die Unterstützung liefern, die sie brauchen würden, um Hannover dennoch zu halten. Vicksburg evakuierte.

Als die QUARSAR zwei Stunden später mit den noch relativ frischen Schiffen der Quarsar-Gruppe in den stationären Orbit über die Hauptstadt ging, war Celle schon lange Vergangenheit, niedergekämpft und erobert. Die dritte und letzte Flotte der Akarii massierte sich nun an diesem Ort, umgeben von allen aktiven Raumjägern, für die die QUARSAR nun der wichtigste Hafen geworden war.
Kal Ilis betrachtete die Situation wieder von seinem Platz aus. Er nickte ernst. „Ebnet sie ein“, befahl er.
Der Waffenoffizier bestätigte, und nach ihm die Funker, welche den Befehl an ausgewählte Kreuzer des Verbandes weiter leiteten. Kurz darauf begann das Trommelfeuer auf die Hauptstadt. Rund um das Regierungsviertel wurde ein regelrechter Ring heraus gefräst, der über drei Kilometer Stärke hatte. Diese von Verteidigern befreite Position würde der Ausgang für den folgenden Bodenkampf sein. Nach innen, zum Regierungsviertel hin, und nach außen. Hannover hatte mit Orbitalraketen, atomaren Orbitalraketen nach ihnen gegriffen. Es war geradezu gnädig von Kal Ilis, nicht mit einem flächendeckenden Bombardement auf alle großen Städte zu antworten. Nein, ihm ging es um die Hauptstadt. Und um die Regierung. Flotten eroberten Systeme, aber Infanteristen und Panzerfahrer mussten sie halten. Je weniger sie halten mussten, desto besser.
„Die Lufthoheit.“, befahl Ilis nach dem ersten Feuersturm, der bereits etlichen atmosphäregebundenen Jägern ein Ende bereitet hatte. Nun stießen Jäger, Jagdbomber und sie begleitende Ortungsshuttles auf den Planeten, auf die Hauptstadt nieder. Sie eroberten die Lufthoheit in wenigen Minuten, aber atmosphäregebundene Verstärkung war bereits auf dem Weg, um sie zurück zu erlangen.
Ilis lächelte dünn. „Festigt die Luftüberlegenheit.“
Zerstörer und Fregatten gingen nieder, tauchten in die Atmosphäre ein und dienten als Flakplattformen.
„Infanterie.“
Jerrig Maktakaleluta, seines Zeichens General und Ilis direkt unterstellt, salutierte vom großen Bildschirm, bevor er den Befehl gab, seine Divisionen direkt in den Trümmergürtel zu bringen. Der Kampf um das Herz der Confederation war entbrannt, als vierzigtausend Infanteristen, Panzerfahrer, Artilleristen und Sturmpioniere in ihren Shuttles dem Erdboden Hannovers entgegen sanken.

***

Als die ersten Fregatten in die Atmosphäre nieder stiegen, war das Schicksal Hannovers eigentlich schon besiegelt. Die großen, dennoch agilen Kampfschiffe dienten als Kampf- und Luftabwehrplattformen und würden mit nahezu allem fertig werden, was die Colonials in der Atmosphäre ihres Heimatplaneten abzufeuern bereit waren. Ihre Schilde, ausgelegt um Antischiffsraketen zu widerstehen, konnten nur durch viele kleine oder einen großen Schlag ausgeschaltet werden. Hunderte zur Verteidigung der Hauptstadt heran eilende, atmosphäregebundene Jäger sollten genau diese vielen kleinen Schläge führen.
Doch die ersten von ihnen, praktisch die ganze erste Welle der Verstärkung, traf auf eine eilig aufgezogene, aber konsequente Luftabwehr. Rund um die Hauptstadt waren die Shuttles mit den Infanteristen, Artilleristen und Panzerfahrern nieder gegangen. Nachdem ihre Landezonen gesichert waren, hatten die Regimentskommandeure zuerst die Außensicherung gegen angreifende Flugzeuge etabliert. Beschützt von einigen schnellen leichten Panzerkompanien entstand ein hastig aufgezogener Ring von Luftabwehrstellungen, bestehend aus weit vorgeschobenen, getarnten Außenposten, die per Kommunikationsdraht ihre Beobachtungen des Luftraums weitermeldeten, sowie den eigentlichen Kerneinheiten, jeweils sechs weit verteilten Abwehrgeschützen, teils auf Raketenbasis, teils munitions- oder lasergestützt. Durch die erworbene Vorwarnzeit erreichte die Verlustquote der ersten Welle annähernd einhundert Prozent, da die Luftabwehr schon feuern konnte, bevor die Kampfflieger der Colonials überhaupt eine Ortung erhielten. Im Gegensatz zum Einsatz im Raum gab es im Bodenkampf wesentlich weniger Dimensionen. Der Erdboden schied grundsätzlich aus, und von oben kam kaum ein atmosphärengebundener Jäger.

Nach der Etablierung der Lufthoheit und der Vernichtung der ersten Welle befahl Jerrig Maktakaleluta den Angriff auf die Hauptstadt. Leichte und schwere Panzerbataillone machten sich zu ersten Kampferkundungen auf und drangen unter schwerem Abwehrfeuer über Ausfallstraßen in die Stadt ein. Der Gegner erwies sich als findig, es reichte immerhin ein einzelner Soldat, um wenigstens eine einzige Antitank-Rakete auf einen Gegner abzufeuern. Allerdings waren auch die Akarii nicht auf den Kopf gefallen und hatten diese Form des Kampfes schon kennen- und abwehren gelernt. Die Luftabwehrpanzer, welche die Bataillone begleiteten, erfüllten in diesem Szenario mit ihren empfindlichen Ortungsanlagen die Erspähung potentieller Gegner. Die eigentlichen Kampfeinheiten übernahmen dann das Abwehrfeuer, sodass die Colonials nicht auf den Gedanken kamen, wer ihre tapferen, aber schlecht getarnten Soldaten aufgedeckt und liquidiert hatte. Die Ausfallstraßen, deren Seitenwege und die entsprechenden Gebäude waren alsbald zerschossen. Brände brachen aus, und einige stürzten in sich zusammen. Zivilisten verließen in Panik die Gebäude, und wäre es nicht die Kaiserliche Garde gewesen, hätte es ein Massaker gegeben, als aus der Menge der Flüchtenden gewitzte Colonials das Feuer eröffneten. Aber die Garde behielt die Ruhe und ertrug dieses unstete Feuer genauso stoisch wie die Raumflotte die blutige Erde der Raumschlacht.
Anstatt sich von diesen Zeckenbissen aufhalten zu lassen, sicherte die Garde Knotenpunkt auf Knotenpunkt der Großstadt und näherte sich so nach und nach dem Ziel.
Ihr auf dem Fuß folgte die Infanterie. Sie besetzte die zerschossenen Häuser am Wegesrand und reinigte sie von gegnerischen Infanteristen und Snipern. Das Gros der Infanterie jedoch folgte bald dichtauf den Panzern an der Front. Ihr Vorhaben wurde schnell deutlich. Die Kaiserliche Garde suchte so schnell wie möglich die Konfrontation mit den Verteidigern des Regierungsviertels.
Zwar hatte dieser erste Schlag das Antlitz der Hauptstadt geschändet, aber in den Seitenstraßen und Hinterhöfen, in denen nicht gekämpft worden waren, genossen die Zivilisten eine gewisse Sicherheit. Von hier gab es auch vereinzelte Vorstöße gegen die Nachschubwege der Akarii auf den Hauptstraßen, aber diesmal saß die Akarii-Infanterie in den Häusern und deckte die grauen Uniformen der Colonial Militia mit Feuer ein.
Schon bald kam es mitten in der Stadt zur ersten Panzerschlacht, als Verteidiger und Angreifer in der Bannmeile das erste Mal aufeinander trafen.

Mittlerweile hatten die Miliz-Kommandeure ihre Taktik geändert. Nahe Feldflughäfen wurden zum Sammelpunkt für die atmosphäregebundenen Jäger sowie eine Handvoll raumtauglicher Maschinen, die sich hierher verirrt hatten. Alistair King, noch vor kurzem Major, übernahm kurzerhand das Kommando und analysierte mit einem hastig zusammen gestellten Stab die Abwehrtaktik der Akarii. Dank der Aufzeichnungen, die viele der abgeschossenen Maschinen hatten senden können, erkannten sie klar den Schwachpunkt in der Verteidigung der Luftabwehrigelstellungen: Die Kommandozentren, in denen alles zusammen lief. Gelang es, bis zu ihnen vorzudringen, konnte die gesamte Kompanie ausgehoben werden.
Die einzige Möglichkeit, das zu erreichen war das Emu, ein auf Bodenangriffe spezialisiertes Kampfflugzeug mit Bodenwellenradar und einer operationellen Flughöhe von unter zwei Metern. Fünfzig dieser wendigen und schwer bestückten kleinen Schlachtschiffe standen King zur Verfügung. Genug um in die Luftabwehr rund um die Hauptstadt eine prächtige Schneise zu schlagen. Genug, damit wenigstens rund die Hälfte der Emus ihren Auftrag ausführen konnten. Genug um eine Lücke zu schaffen, in der die mittlerweile sechshundert Jäger den Einbruch in den Luftraum der Hauptstadt wagen konnten. Das würde reichen, um die übermüdeten und abmunitionierten Akarii-Jäger hart zu treffen und den Luftraum über der Stadt zurück zu erobern.
Der Plan wurde besprochen, abgesegnet und in aller Hast vorbereitet. In zwei Wellen sollten jeweils fünfundzwanzig Maschinen ihre Gegner bekämpfen. Die zweite Welle würde dann hoffentlich ausputzen, was der ersten nicht gelungen war.
Den jeweils zwei Piloten pro Emu wurde eingeschärft, dass das vermeintliche Zentrum oftmals eine Falle war, um Angriffe wie diesen in die Irre zu leiten. Die Aufgabe von Pilot und Kommandant würde es sein, während des Anflugs mögliche Positionen aufzudecken, in denen sich das HQ alternativ verbarg, während ein Dummy in der eigentlichen Mitte saß. Dann jagten fünfzig Maschinen mit insgesamt einhundert gut ausgebildeten und bis aufs Blut gereizter Miliz-Piloten auf die Feindstellungen zu.
Mit unter zwei Metern Flughöhe entgingen die Emus natürlich jedem Radar, solange die Erdkrümmung mitspielte. Und an dem Zeitpunkt, an dem sie zu orten sein würden, hatten die Akarii ihren Langstreckenvorteil eingebüßt und konnten genauso beschossen werden wie die Colonials.
Die Taktik ging nicht vollends auf. Sieben Maschinen wurden von den vorgeschobenen Posten gemeldet und beschossen, drei gingen beim Anflug verloren und mindestens fünf wurden abgeschossen, weil sie aufgrund von Bodenwellen zu hoch aufstiegen und erfasst wurden. Die restlichen zehn Maschinen erfassten ihre Ziele und vernichteten sie. Dabei perforierten sie den Abwehrschirm jedoch nur, zu wenig für eine ordentliche Schneise.
Die zweite Welle bekam detaillierte Informationen von ihren tapferen Vorreitern, und obwohl Angriffsplan und die Anwesenheit der Emus auf den Schlachtfeld nun bekannt war, hätte der Miliz der große Schlag gelingen können.
Wieder gingen neun Maschinen im Angriff verloren oder drehten beschädigt ab. Die restlichen sechzehn Einheiten nutzten teilweise die von ihren Vorreitern geschlagenen Breschen, bevor sie sich ihren eigentlichen Zielen zuwandten. Dies aber hatten die Akarii erwartet. Die tapferen Angreifer flogen direkt in den Feuerkreis frisch aufgestellter VTOL-Kompanien. Die Akarii-Hubschrauber der Armee hielten blutige Ernte unter den Miliz-Maschinen, und nur fünf konnten ihren Auftrag erfüllen. Die Bresche verbreiterte sich, aber war unmöglich ohne großes Risiko zu passieren. Zudem eilten drei Fregatten herbei, um genau diese Breschen zu schließen.
Einsam auf sich gestellt musste King nun entscheiden, ob er die unsicheren Breschen nutzte und vielleicht alle seine Piloten in den sicheren Tod schickte. Letztendlich entschied er sich gegen einen sofortigen Anflug, sehr zum Missfallen vieler Untergebener. Aber wahrscheinlich hatte er sowohl die Zerstörungskraft der Fregatten als auch die daraus resultierenden Chancen besser kalkuliert als sie: Die Anwesenheit der Fregatten, zudem ungeschützt oder schlecht geschützt vom Netzwerk der Abwehr, bot sehr viele und Erfolg versprechende Möglichkeiten.
Fakt war, dass die Kaiserliche Garde ihren Abwehrgürtel entweder ausdünnen oder den Radius reduzieren musste, nachdem sie empfindlich getroffen worden war. Die Garde entschied sich für ausdünnen.

Auf einem Nebenschauplatz des Gefechts um die Hauptstadt standen die beiden Raumhäfen. Beide wurden nur schwach verteidigt und waren bald von den Akarii eingenommen. Auf dem King George-Raumhafen jedoch ließen Saboteure die Tanks mit Flugsprit detonieren. In der entstehenden Feuerwalze wurden zwei Kompanien Panzer und Infanterie involviert und erlitten schwere Verluste.
Der Piccadilly-Raumhafen fiel den Angreifern unbeschädigt in die Hände, ebenso die Tanks mit dem Treibstoff.
Die Schlacht um Hannover trat in ihre entscheidende Phase.
Cattaneo
Cunningham

Hölle? Was weiß Joseph Jedermann schon von der Hölle? - Ich war dort. All die Jahre lang, Tag um Tag um Tag.

Lieutenant Lars “Komet” Reinhardt,


Selbstbeherrschung. Es war ein eigener kleiner Krieg, den Raven mit ihrer Selbstbeherrschung focht. Die Akarii hatten das Angriffskontingent aggressiv abgefangen und in schnelle, brutale Kämpfe verwickelt. Die leichten Jäger und Sturmjäger der Akarii werteten den Schutzschirm der Flotte dermaßen auf, dass es kaum noch denkbar war, die Träger anzugreifen.
Der gewünschte Erfolg war ausgeblieben. Bronze war abgeschlagen worden und hatte nur zwei Akariizerstörer in Fetzen schießen können. Das Fehlen vieler Veteranen der vorangegangenen Schlachten zeigte sich deutlich.
Immer wieder wurden die Bomber und Jagdbomber vom Feind abgedrängt, während die schnellen Bloodhawks und Reaper mit den Erdjäger in wildes Ballett aufführten.
“Skunk, Ohka, beide Schwadronen vom Feind lösen. Beschreibt einen leichten Bogen und geht die Akarii direkt von vorne an! Vielleicht ergibt sich dadurch für uns eine Öffnung.”
Raven wechselte den Kanal, noch ehe die Schwadronenführer bestätigten: “Mother-Falcon, Mother-Falcon, lassen Sie Ihre Jabos zurückfallen, falls die Echsen den Köder nicht schlucken, sollen diese Eagle-Schwarz und Rot folgen!”
“Verstanden Mother-Eagle.”
Wieder ein Kanalwechsel: “Für alle Hawk und Eagle Einheiten, wenn die Akarii ihre Linie ausdünnen, greifen Hawk-Silber und Eagle-Gold und Silber konzentriert an. Hawk wird die Flankenverteidigung des führenden Uniform angreifen, Eagle greift den Uniform direkt an. Haltet die Jäger beschäftigt.”
“Wegbrechen, Boss!” Gellte von hinten ihr RIO.
Raven trat in die Ruderpedale und führte eine Schellrolle aus. Für eine Mirage mit Mavericks unter den Flügeln ein unmögliches Manöver. Die Thunderbolt bockte heftig, machte das Manöver jedoch mit.
Die Energiesalve der Bloodhawk, die sich von hinten genähert hatte, ging ins Leere.
Schnell war eine Falcon, von welchem Geschwader wusste sie nicht, zur Stelle und vertrieb den Akarii.


Aus dem Looping kommend ließ Skunk die komplette Energiebewaffnung seiner Nighthawk sprechen. Die Akarii-Reaper vor seinem Visier bockte kurz, wurde in Stücke zerrissen und Sekundärexplosionen vernichteten jedes Anzeichen ihrer Existenz. Der Pilot hatte keine Chance gehabt.
Der gelernte Killer registrierte den Abschuss, schob den Triumph beiseite und verschaffte sich einen erneuten Überblick.
Ravens Plan schien aufzugehen. Die Akarii setzten die beiden Nighthawk-Schwadrone stark unter Druck. Eine gute Taktik. Den Gegner isolieren und dann mit überlegener Stärke niederkämpfen. ,Und wir haben ihm auch noch in die Hände gespielt. Verdammt.’
“Skunk an alle roten und schwarzen Eagle, weiter zurückfallen lassen, aber nicht so schnell, dass die Schuppenflechten den Kampf abbrechen. Zieht sie schön hinter Euch her.”
Der Raketenwarner sprang an. Ohne die Richtung der Gefahr zu peilen gab Skunk Vollgas und manövrierte wild. Dazu ließ er ein par Täuschkörper fallen.
“Roter Eagle für Silber Falcon, schmeißt Eure verdammten Mav’s ab und bereitet Euch vor, für uns den Amboss zu spielen.”
“Roger, Roter Eagle.” Dem Anführer der Mirage Staffel der Hongkong war etwas Nervosität durchaus anzumerken. Dennoch versuchte er äußerst professionell zu klingen.
,Ich könnte kotzen vor Freude.’ Skunk knirschte mit den Zähnen. Der Raketenangriff hatte ihn näher an den Planeten gebracht und eine Dreiergruppe aus Bloodhawks kam auf ihn zu.
,Scheiße, Scheiße, Scheiße!’ Einen Frontalangriff würde er nicht überstehen und wohl nicht mal eine Echse mitnehmen. Einzig die auf einmal sehr verlockend aussehende Wolkendecke des Planeten versprach ihm Rettung.
,Wo ist dein beschissener Wingman wenn Du ihn mal brauchst?’ Als er seinen Jäger wendeten, eröffneten die beiden führenden Bloodhawk das Feuer auf ihn.
Er drehte den Nachbrenner voll auf und ritt durch die Atmosphäre.
Kaum war er durch die ersten Wolken gebrochen, drehte er in einem engen Slide und ging die Dreiergruppe von links an.
Die vorderste Bloodhawk wurde von Treffern erschüttert und taumelte. Die zweite brach steil nach oben aus und die dritte wendete direkt auf ihn zu und eröffnete das Feuer.
Die Nighthawk wurde von mehreren direkten Treffern brutal durchgeschüttelt. Skunk brach aus, kurvte herum und versuchte die angreifende Bloodhawk ins Schussfeld zu bekommen. Kurz bevor er sie erfasst hatte, griff die nach oben geflüchtete Bloodhawk wieder an, und nur mit Mühe schaffte er es ihr Schussfeld zu kreuzen ohne getroffen zu werden.
Dabei überzog er seine Maschinen. Der entsprechende Alarm schlug an und die Nighthawk richtete ihre Nase gen Planenoberfläche.
Skunk erhöhte den Schub und brachte seine Maschine wieder unter Kontrolle. Das Statusdisplay leuchtete wie ein Weihnachtsbaum. Er fluchte unterdrückt. Durch den zusätzlichen Schub und die schweren Treffer hatte sein rechtes Triebwerk Feuer gefangen. Skunk stabilisierte die Nighthawk wieder und schaltete das brennende Triebwerk aus. Sein Radar flackerte bedrohlich.
Das machte nichts, genau über sich sah er eine der drei Bloodhawks kreisen, ein genauer Angriff und der Feind wäre Geschichte.
Er zog den Steuerknüppel zu sich heran, und der Vogel hob die Nase gen Himmel.
Dann schnappte die Zeit fast förmlich aus. Aus einer Wolke vor ihm brach eine weitere, schwer beschädigte Bloodhawk.
Trotz der wenigen Sekunden die vergingen, konnte er den Akarii in der Maschine erkennen und sah auf seinen Zügen fassungsloses Entsetzen.
Skunk versuchte nach rechts auszubrechen, aber seine schwer beschädigte Maschine reagierte zu träge.
Der Akarii versuchte ebenfalls auszuweichen, zog jedoch nach links, so dass beide Maschinen in die gleiche Richtung auswichen.
Als sich die Jäger ineinander bohrten, gab es einen Knall, der lauter war, als alles was Skunk zuvor gehört hatte.
Nighthawk und Bloodhawk verloren jeweils eine Tragfläche. Der Akariijäger fing Feuer, bog weiter hart nach links und richtete seine Nase immer mehr auf die Planetenoberfläche und stürzte dieser einen feurigen Schweif hinter sich her ziehend entgegen.
Skunks Jäger drehte sich mehrmals um die eigene Achse und wirbelte dabei ebenfalls dem Planeten entgegen.
Unter Aufbietung all seine Kraftreserven, um die ihn viele Marines beneidet hätten, packte Skunk nach dem D-Ring zwischen seinen Beinen. Beherzt zog er daran und sein Kanzeldach sprengte sich ab. Sekunden später zündeten die Raketen seines Schleudersitzes.
Die Messinstrumente des Rettungsmechanismus registrierten, dass Skunk sich in der Atmosphäre eines Planeten befand und lösten den Fallschirm aus.
Der Pilot, der sich immer noch um die eigene Achse drehte, wurde so hart stabilisierte, dass er augenblicklich bewusstlos wurde.

Raven fluchte. Verdammte Aufklärung. Die Träger waren nicht unterbesetzt, sondern eher überbesetzt. Ihnen standen gut zweihundert Abfang- und Raumüberlegenheitsjäger gegenüber. Vom Bomberverband, den die Akarii in Karrashin eingesetzt hatten, war noch nichts zu sehen. Der Feind hielt seine Raptor-Jagdbomber sicherlich als Reserve zurück. Diese älteren Maschinen waren den Thunderbolts als Überlegenheitsjäger eindeutig unterlegen, den Mirage jedoch mehr als ebenbürtig.
Dass die Bomber vom Typ Avenger nicht in die Verteidigungsschlacht geschickt wurden, war logisch.
Skunk und Ohka schienen gute Arbeit zu leisten, der Jägerschirm der Akarii wurde dünner. Der feindliche Kommandant legte es drauf an, das kleinere Detachment aus Nighthawks und Mirage an seinem Bug einfach zu zermalen. Er hoffte sicherlich, dass seine restlichen Jäger dem Ansturm lange genug standhielten.
Vielleicht würde er auch seine Raptoren jetzt in die Schlacht schicken.
Dem galt es zuvor zu kommen.
“Mother-Eagle für Hawk-Silber und Eagle-Bronze, räumt uns den Weg frei, jetzt oder nie, wir folgen Euch in dreißig Sekunden.”
“Verstanden Mother-Eagle!” Bestätigte der Führer der Mirageschwadron von der Wasp.
“Wir gehen mit allem rein, was noch Raketen trägt.” Meldete sich Irons McGill von den schweren Crusader Bombern der Columbia.


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Palast der Einigkeit,
Die ewige Stadt von Pan'chra, Akar

„Lord Dero: Die Prinzess-Regentin empfängt Sie jetzt.“ Der Blick des imperialen Haushofmeisters ließ klar die Verachtung erkennen, die er für Dero empfand.
Dieser richtete sich zu seiner vollen Größe auf und entgegnete diesem mit dem höflichsten Lächeln, das er auf Lager hatte. Schon mit jungen Jahren hatte Dero gelernt Feindseligkeit, Wut und Verachtung auf diese Art und Weise zu begegnen.
Ein unterwürfiges oder freundliches Lächeln zur rechten Zeit und die Verteidigung des Gegners war offen. Hoch erhobenen Hauptes schritt er durch die reich verzierten Türen in das Büro Eliak IX., welches nun von seiner Tochter in Beschlag genommen wurde.
So lange, bis man einen Nachfolger für den alten Imperator gefunden hatte.
Linai Thelam saß hinter dem Schreibtisch, von dem aus hundert Generationen ihrer Vorfahren die Geschicke von Akar und des ganzen Imperiums gelenkt hatten.
Als sie aufstand, erstrahlte sie in aller Erhabenheit.
Dero umarmte die akariische Prinzessin herzlich.
„Ich hoffe die Reise war angenehm, mein Freund.“
Dero lächelte beglückt: „Ja, sehr, ich habe keinen Grund zur Klage, und wie geht es Dir? Du schriebst, es sei dringlich.“
„Bitte setzt Dich doch erstmal,“, sie deutete auf eine Couchgarnitur und klatschte zweimal in die Hände, „Barran, Lord Dero wünscht sicherlich eine Erfrischung.“
„Sehr wohl, Eure Hoheit“, antwortete der livrierte Diener, der auf ihr Klatschen herbeigeeilt war.
Dero wartete bis sich der Diener wieder entfernt hatte: „Wie schlägt sich Tobarii als Kriegsminister, ist er Dir eine Stütze?“
Enttäuschung machte sich auf ihrem Gesicht breit.
„Was ist,“, fragte er entsetzt, „hat er sich etwa eine Geliebte genommen? Ich wollte diesen Gerüchten nicht glauben.“
„Nein. Nein, er hat keine Geliebte. Er kommt seinen Pflichten als Ehemann nach. Aber du weißt genauso gut wie er und ich, es ist nur eine politische Ehe. Auch kommt er seinen Pflichten als Kriegsminister nach. Doch auch nur, weil er muss. Das Ministerium wird in Wirklichkeit von Admiral ersten Ranges Reiik Latasch geführt. Tobarii würde am liebsten eher heute als morgen zu seinen Studien zurückkehren.
Aber er kennt seine Pflichten,“, sie blickte beiseite, „und zumindest erspart er mir irgendwelche Peinlichkeiten.“
„Verstehe,“, er versuchte ein aufmunterndes Lächeln, „aber die Aussicht, Vater eines zukünftigen Thronerben zu werden, hat ihn doch sicherlich beflügelt.“
Ihre Antwort war ein abfälliges Schnaufen.
„Aber du hast mich doch nicht nur als Seelentröster herbestellt, oder?“
„Wäre das nicht Grund genug?“, wollte sie wissen.
„Doch, an sich schon,“, Dero lächelte gewinnend und pausierte kurz, als der Diener mit Früchten und Wein wiederkam, „aber das würde nicht zur Kalleeh* von Akar passen. Da gibt es doch noch etwas und es ist nichts Privates.“
„Nein, in der Tat nicht.“
Sie stand auf und machte ein paar Schritte in Richtung Schreibtisch und wieder zurück: „Ich brauche einen Friedensbotschafter.“
„Einen Friedensbotschafter? Ich habe ja davon gehört, dass ein paar Menschenlinge nach Manticore gekommen sind, aber dass Du ernsthaft in Erwägung ziehst ... nach Jors Tod ...“
„Nicht mit der Republik,“, entgegnete sie, „wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir mit den Konföderierten in Ehren Frieden schließen können.“
„Ich verstehe nicht ganz.“
„Unsere Flotte steht über ihrer Hauptwelt, ihr Generalgouverneur ist unser Gefangener. Der Angriff hat uns aber viel gekostet und wir müssen generös sein beim Frieden. Dadurch verschaffen wir uns eine Pufferzone zwischen uns und der Cheleste-Front zu den Menschenlingen. Wenn wir hier nicht schnell genug handeln und sich die Flotte der Republik und die überlebenden konföderierten Streitkräfte organisieren, sind wir bedroht überrannt zu werden.“
„Aber dort hatten wir noch nie ein Bedrohung für Akar.“
„Über Hannover steht uns nur noch die Quarsar zur Verfügung, und im Hinterland haben wir die Altischkoo als Reserve. Schlecht ausgerüstet und eigentlich reift für die Werft. Hinzu kommen vier Träger/Kreuzer.“
„Gegen die ganze 4. Erdflotte?“
„Und gegen die überlebenden Konföderierten. Wir müssen stark aber generös auftreten. Wir, das Imperium braucht dort Frieden. Um jeden Preis. Ich möchte, dass du ihn aushandelst, Dero. Die Dokumente sind schon ausgestellt, du hast imperiale Vollmachten. Eile dich.“
„Mit wem werde ich dort zu tun haben, von unserer Flotte meine ich?“
„Die Quarsar steht unter dem Kommando von Kal Ilis.“
Er verzog schmerzhaft die Schnauze.
„Du verstehst, warum ich dich mit der Aufgabe betraue?“
Dero verneigte sich charmant: „Eure Hoheit, verlasst euch auf mich, ich werde dem Imperium den Frieden bringen, den es benötig.“
Sie nickte und die beiden Freunde umarmten sich zum Abschied.

Vor dem Büro wartete schon Linais Privatsekretär und übergab ihm einen Aktenkoffer mit Datendiscs und Dokumenten. Auf dem Weg nach draußen redete der Sekretär unablässig um ihn zu briefen.
Dero hörte ihm nicht zu.
Linai hatte durchaus Recht, mit der Konföderation Frieden zu schließen. Dies konnte zum Überleben des Imperiums von existenzieller Bedeutung sein. Aber es würde dazu führen, dass Flotte und Regentin, nein, dass Armee und Regentin sich dauerhaft von einander entfremden würden.
Das akariische Militär war stolz und die Glatthäute hatten seinen Stolz empfindlich getroffen.
Ein Frieden mit der Konföderation, besonders ein generöser Frieden, würde das Militär empfindlich demütigen. So sehr, dass es diese Schmach Linai niemals verzieh.
Man würde die Möglichkeit sie unter Kontrolle zu bringen nicht abschlagen. Man würde nach einer starken Hand suchen, um die eigenen Interessen durchzusetzen.
Tobarii Jockham war nicht diese Hand. Er war ein Gelehrter, ein Träumer, ein Philanthrop. Außerdem war er der Prinzessin viel zu pflichtergeben gegenüber. Er liebte sie zwar nicht, aber er kannte seine Pflicht und würde diese erfüllen.
Aber bei diesem Problem würde das Militär sicherlich Abhilfe wissen, und er, Dero, würde der trauernden und bedrängten Linai zur Seite stehen. Endlich Liebe in einem von Pflicht erfüllte Alltag. Dann würde er die Geschicke des Reiches lenken und wenn die Republik erst geschlagen war, konnte man die konföderierten Welten in ihrem eigenen Blut ersäufen, um die Schande des Burgfriedens auszumerzen.
Ja, so würde er auch Kal Ilis Ohr erreichen, und was Tobarii anbelangte, er musste unbedingt mit seinem Vater sprechen, bevor er Akar verließ.


*akariische Pflanze, Gegenstück zur Rose.
Cattaneo
Tyr

Der Flug im Ortungsschatten des Planeten war langwierig und aufreibend gewesen. Zwar waren sie so – theoretisch – vor einer frühzeitigen Entdeckung durch den Feind geschützt, doch dafür verlangte die verhältnismäßig enge Formation äußerste Wachsamkeit. Raumpiloten flogen normalerweise in einem Gefechtsfeld ohne echte Begrenzung, sah man von ihren Sauerstoff- und Treibstoffreserven ab. Die Oberfläche des Planeten unter ihnen engte sie ein und wurde von einigen nicht als Trost empfunden, sondern fast als beunruhigend. Ungefähr so mochte sich ein Haifisch fühlen, der aus dem offenen Meer in einen Flussarm geraten war.
Und ob der Schleichflug etwas brachte, würden sie erst dann wissen, wenn sie den Gegner erreicht hatten.

Endlich tauchte der feindliche Trägerverband auf den Radarschirmen der Butcher Bears auf. Kano war stolz auf die Männer und Frauen unter seinem Kommando, die den stundenlangen Flug nahezu perfekt absolviert hatten. Kein Laut der Überraschung, kein Zeichen von Verunsicherung oder Zögern angesichts der zahllosen Radarechos, die über die Schirme flimmerten. Sie waren Veteranen, ausnahmslos. In der besten Bedeutung dieses Wortes. Sie würden nicht versagen. ‚Genauso wenig wie ich.’
Vor Kanos Augen schlüsselte die Bordelektronik die Radarsignale auf. Der Korax-Verband hatte aus fast fünfzig Raumschiffen bestanden. Dieser Verband war größer, fast doppelt so stark.
‚Ein Flottenträger… nein, es sind zwei. Zerstörer…’ Während die Liste der feindlichen Einheiten präzisiert wurde, fühlte Kano, wie ein ungutes Gefühl sich in seinem Magen breit machte. Da stimmte etwas nicht. Wo waren die Kreuzer? Das ergab keinen Sinn. Ein derartig großer Verband musste von mindestens zwei Dutzend leichter und schwerer Einheiten dieser Klasse begleitet werden. Hier aber waren höchstens zehn Kreuzer versammelt. ‚Haben die etwa schon so schwere Verluste erlitten?’
Das Fehlen der schweren Einheiten würde natürlich den Angriff der TSN-Kampffliegern erleichtern. Aber wenn die feindlichen Großkampfschiffe nicht vernichtet waren – wo waren sie dann? Fragen, auf die er jetzt keine Antwort geben konnte.

Kano konzentrierte sich lieber auf die zahllosen winzigen Radarsignale, die zwischen den feindlichen Raumschiffen aufleuchteten. Die Kampfflieger.
‚Hauptsächlich mittlere Jäger, vermutlich Bloodhawk. Noch zu weit, um das genau festzustellen. Dazu ein paar Gruppen…Reaper. Und Sturmjäger. Deltas. Eine ganze Menge Deltas.’ Es waren unangenehm viele Feindjäger hier versammelt, erheblich mehr als zu der TSN-Angriffswelle gehörten. Außerdem hatten die Akarii natürlich die Unterstützung der bordgeschützten Flugabwehrwaffen, während die TSN-Flieger ohne die Hilfe ihrer Großkampfschiffe auskommen mussten.
‚Unser legendärer Ruhm sollte heute lieber besonders strahlend leuchten. Ansonsten wird das ein ziemlich kurzer Flug.’ Wenigstens waren auch die Flieger der leichten Träger zu einem großen Teil im Kampf erfahren. ‚Während diese Akarii in den letzten Jahren wohl vor allem Garnisonsdienst geschoben, und höchstens Bodenangriffe und Raumpatrouillen geflogen haben.’ Das versuchte er sich jedenfalls einzureden.

Kurz wanderten Kanos Gedanken zur Columbia – und der Grünen Staffel, die den Träger sichern würde. Er war froh, dass Liljas Staffel diese Aufgabe erhalten hatte. Auch wenn ihnen die Russin und ihre Leute beim Angriff fehlen würden. Wenigstens war Sakura in Sicherheit, so weit das in einer Raumschlacht überhaupt möglich war.

Dann musterte Kano wieder den feindlichen Verband. ‚Ravens Plan, so wie sie ihn dargestellt hat, klingt nicht schlecht. Alles auf die Träger konzentrieren. Das könnte kostspielig werden, aber sie sind der Schlüssel. Und da relativ wenig Kreuzer bei dem Verband sind…Angriffe auf Zerstörer und Fregatten sind nur Verschwendung.’ Der japanische Pilot lächelte flüchtig: ‚Wenn ich das Kommando hätte, würde ich wahrscheinlich eine, maximal zwei Staffeln Jabos vorschicken, um den Weg freizumachen und für Verwirrung zu sorgen. Und dann mit gesammelter Macht gegen einen der Uniform losschlagen. Wenn ich das Kommando hätte….
Eins nach dem anderen. Erst einmal muss ich diese Staffel führen können.
Wo sind bloß die übrigen Kreuzer?’

Doch seine Stimme war genauso, wie er es gehofft hatte. Ruhig und emotionslos: „Achtung. Schwarze Staffel. Wir…“
Er zögerte kurz, runzelte die Stirn, als er sah, wie die feindlichen Jäger sich formierten. ‚Was haben die denn vor?’ Dann hatte er begriffen. Wenn ihm eine ähnliche Mischung aus schnellen und schweren Jägern zur Verfügung gestanden hätte, er hätte wahrscheinlich genauso gehandelt. Einen Fluch unterdrückend, öffnete er einen Funkkanal zu der Geschwaderkommandeurin: „Commander, die feindlichen Jäger…“
„Ich sehe es. AN ALLE! Wie es aussieht werden die Bloodhawks und Reaper versuchen, uns zu binden, damit die Deltas zu den Bombern durchbrechen können. Das darf ihnen nicht gelingen! Wir werden…“

Kano wusste, die Akarii hatten genügend Maschinen, um dieses Manöver durchzuführen. Die Bloodhawks und leichten Abfangjäger hatten gute Chancen, in konzentriert geflogenen Angriffen die Abfangjäger zu zersprengen, zu binden, und dann niederzukämpfen. Ohne diesen Schutz würden die Bomber und Jabos der TSN trotz ihrer guten Bewaffnung keine Chance haben. Nicht gegen eine solche Übermacht. Die schweren Delta-Sturmjäger hätten im Nahkampf gegen Falcons, Nighthawks und die neueren Modelle der Griphen wegen ihrer geringeren Wendigkeit und Geschwindigkeit einen verdammt schweren Stand gehabt. Aber gegen Bomber und Jagdbomber waren sie mit ihren sechs schweren Geschützen und bis zu zehn Raumkampfraketen von geradezu mörderischer Durchschlagskraft. Selbst wenn sie nicht alle Bomber und Jabos abschießen konnten, es reichte, wenn sie den Angriffsverband zersprengten, die Bomber und Jabos der TSN zum verfrühten Notabwurf der schweren Nuklearraketen zwangen, und so einen konzentrierten und koordinierten Angriff der TSN-Staffeln verhinderten.‚Wir müssen sie abfangen.’
„Sektion Eins und Zwei – ihr zieht die feindlichen Jäger auf euch und bindet sie. Haltet sie beschäftigt.
Sektion Drei – wir knöpfen uns die Deltas vor. Sie dürfen nicht durchkommen. Lasst euch nicht auf Kurvenkämpfe mit den Bloodhawks ein. Unser Ziel sind die Sturmjäger.“
„Verstanden.“ Crazy klang nicht sehr optimistisch.
„Bestätigung.“ In Crusaders Stimme vibrierte immer noch die alte Jagdleidenschaft. Manche Dinge änderten sich zum Glück nie.
„Habe verstanden.“ Submarine, die zurückhaltende Pilotin von Europa, klang ruhig. Sie war kein Freund offen zur Schau getragener Emotionen.
Kano atmete unwillkürlich tiefer ein, und stieß die Luft wieder aus. Die Würfel waren gefallen.
„Feindliche Jäger jetzt in Angriffsreichweite!“

**********

Gegen die feindlichen Sturmjäger einen Direktanflug bis auf Bordwaffenreichweite zu wagen, wäre zu riskant gewesen. Kano hatte dieses Manöver schon ein paar Mal durchgeführt, und dabei auch einige Abschüsse erzielt. Aber mindestens einmal hatte es ihn seine Maschine gekostet, und mehrmals war sein Jäger dabei erheblich beschädigt worden. Andere Piloten waren bei solchen Manövern gestorben. Das konnte er sich jetzt nicht leisten, es stand zuviel auf dem Spiel.
Auf Kanos Befehl hin, und kurz bevor sie in die Reichweite der gegnerischen Mittelstreckenraketen gerieten, lösten die vier Jäger der Schwadron ihre schweren Phoenix-Flugkörper aus, aktivierten ihre Nachbrenner und beschleunigten auf Abfanggeschwindigkeit. Während die anderen beiden Sektionen binnen Sekunden in einen wütenden Kurvenkampf mit den feindlichen Abfangjägern verwickelt wurden, ging Kanos Schwarm eine zahlenmäßig fast dreifach überlegene Gruppe von Sturmjägern an.

Trotzdem es eine Weile her sein musste, dass die feindlichen Delta-Piloten mit TSN-Maschinen gekurvt hatten, sie hatten ihre Ausbildung offenbar nicht vergessen. Erwartungsgemäß fächerten sie auf und stießen dabei ganze Wellen von Störkörpern aus, um dem Raketenangriff auszuweichen. Allerdings konnten die mit Bilderkennung ausgestatteten Langstreckenraketen nur sehr schwer abgelenkt werden. Mit grimmiger Befriedigung sah Kano, wie die Radarsignale von ein paar gegnerischen Maschinen flackerten, als sie von Raketen getroffen wurden. Selbst die Deltas mit ihren starken Schilden und der schweren Panzerung hatten gegen eine Phoenix-Rakete einen schweren Stand. Ein, zwei der Sturmjäger wurden von dem Einschlag mehrerer Langstreckenraketen förmlich zerfetzt. Die Formation des Gegners war immer noch stark, aber sie war nicht mehr geschlossen, und verwundbar geworden.
Da die Nighthawks ihre Nachbrenner aktiviert und auf 1300 Kilometer pro Sekunde beschleunigt hatten, überbrückten sie die Entfernung, die sie von den feindlichen Sturmjägern trennten, binnen weniger Augengblicke, um sich auf die Deltas zu stürzen. Sie hatten den Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht. Jetzt wollte Kano ihm das Genick brechen.

Aber auch wenn die Delta-Schwadron zeitweilig verstreut und angeschlagen war, sie waren alles andere als wehrlos. Mindestens vier der Akarii feuerten ebenfalls ihre Raketen ab und nahmen die Nighthawks aufs Korn.
Ein schriller Doppelton warnte Kano, dass mindestens zwei der Flugkörper an ihn adressiert waren. Seine Reaktion erfolgte beinahe automatisch. Kano ließ seinen Jäger in einer engen Spirale aufsteigen, während er ein halbes Dutzend Störkörper ausstieß, die die Lenkwaffen verwirren sollten. Eine Doppelexplosion irgendwo hinter ihm zeigte ihm, dass das Manöver erfolgreich gewesen war.

Allerdings blieb ihm keine Zeit, sich zu freuen, denn schon wieder schrillte der vertraute Alarmton. ‚Verdammter Hund! Der ist aber hartnäckig!’ Natürlich war auch das im gewissen Sinne ein Erfolg, denn solange der feindliche Sturmjäger seine Raketen auf die Nighthawks verschwendete, waren die Bomber und Jabos der TSN vor ihm sicher. Doch Kano wollte nicht nur als eine Art bemannte Zielboje dienen: „CRAZY! SCHAFF MIR DEN VOM HALS!!“
„BIN AN IHM DRAN!!“ Die Stimme von Kanos Flügelmann überschlug sich.
Kano hatte inzwischen genug eigene Probleme. Offenbar hatte der Gegner diesmal Raketen mit Bild- oder Freund-Feind-Kennung-Suchköpfen abgefeuert, denn die Flugkörper ignorierten die vier ausgestoßenen IR- und Radar-Störkörper und blieben an Kanos Maschine dran. Ein erneutes Korkenzieher-Manöver verschaffte ihm nur ein paar Sekunden Zeit, denn die Raketen behielten ihn stur in der Ortung.
‚Ich habe nicht so viel Zeit!’ Er musste diese Raketen loswerden – wenn möglich, ohne dabei zerfetzt zu werden. Ein Blick auf die Entfernungsanzeige – die Raketen näherten sich weiter mit gnadenloser Zielstrebigkeit. Kano presste unbewusst die Lippen zusammen. ‚Bleibt noch… Ich muss es riskieren.’ Er packte den Steuerknüppel fester und stieß zischend die Luft aus.
Ein Zug am Steuerknüppel drehte seine Maschine in einem sauberen Von-Bein-Manöver um 180 Grad. Der Schub der Hauptantriebsdüsen verlangsamte die Maschine ruckartig, presste Kano trotz der auf Höchstleistung laufenden Andruckabsorber tief in den Pilotensitz, und ließen ihn nach Atem ringen. Ein Hieb auf den Nachbrennerhebel schleuderte die Maschine vorwärts, scheinbar direkt auf die sich mit rasender Geschwindigkeit nähernden Akarii-Raketen zu. Und an ihnen vorbei.
Wieder einmal waren die Zielerfassung und die Steuerelektronik der feindlichen Flugkörper von diesem Manöver überfordert. Der schrille Warnton verstummte, als Kanos Maschine die feindlichen Raketen passierte.
Dann explodierten die beiden Flugkörper und überschütteten die TSN-Maschine mit einem Hagel aus Schrapnellen und einer doppelten Schockwelle. ‚Verdammt!’ Der Jäger wurde heftig durchgerüttelt, und die Schutzschilde flackerten. Noch hielten sie, doch ein Blick zeigte Kano, dass die vorderen und seitlichen Schutzschilde um etwa zwanzig Prozent gesunken waren. Ein weiterer Blick auf das Taktikdisplay verriet ihm, wie es momentan um seine Staffel stand.
Die erste und zweite Sektion kurvten mit etlichen Bloodhawks und einem Reaperpaar. Sie konnten sich noch halten, standen aber sichtlich unter Druck. Indem sie sich gegenseitig Rückendeckung gaben, kamen die Akarii zu keinem Abschuss. Andererseits aber schränkten die TSN-Flieger so auch ihre eigene Operationsfähigkeit ein.

Und was Kanos Sektion anging…
Sieben der Sturmjäger folgten weiter stur dem einmal eingeschlagenen Kurs, der sie mit den Bombern und Jabos des Columbia-Verbandes zusammenführen würde. Nur noch wenige Augenblicke, und sie würden ihr gesamtes Arsenal an Mittel- und Kurzstreckenraketen zum Einsatz bringen, um dann mit den Geschützen nachzusetzen, die sich in ihrem Rumpf und den Flügelwurzeln verbargen. ‚Verdammt!’
Die Heckgeschütze der Sturmjäger feuerten pausenlos und woben ein tödliches Netzt in den Raum. Die Deltas waren keine leichte Beute.
Ein achter Sturmjäger, der, vermutlicht beschädigt, etwas zurück hing, wurde währenddessen von Crusader und Submarine ins Kreuzfeuer genommen. Vor Kanos Augen zerschlugen die acht schweren Strahlenkanonen die Heckschilde des Deltas und verwüsteten die Rumpfpanzerung. Der feindliche Pilot versuchte ein Von-Bein-Manöver, doch noch in der Drehung blitzte es ein-, zweimal auf, dann zerriss ein expandierender Feuerball die Maschine.
„FLIGHT ZWO! ZERSPRENGT IHRE FORMATION! REISST SIE AUSEINANDER!!“
„Bestätigung.“ Das Jagdfieber ließ Crusaders Stimme brüsk klingen.

Crazy hatte sich offenbar mal wieder auf eigene Faust von seinem Flügelmann entfernt und näherte sich mit rasender Geschwindigkeit dem Pulk der Sturmjäger, fast als wolle er sie rammen. Seine Buggeschütze eröffneten das Feuer: „CRAZY! Wir nehmen sie in die Zange!“ Ohne auf die Bestätigung zu warten, richtete Kano den Bug seiner Maschine auf die feindliche Formation, drückte noch einmal den Nachbrennerhebel nach vorne und wartete auf das Signal, dass seine Sidewinder ihr Ziel erfasst hatten. Er wusste, er verbrauchte zuviel Treibstoff mit diesem Manöver. Aber er hatte keine Wahl. Fast gleichzeitig feuerten Crusader und Submarine ein halbes Dutzend Raketen ab und nahmen damit eine weitere Delta aus dem Spiel.
Die Reaktion der Deltas erfolgte ebenso schnell wie überraschend. Während drei der Maschinen ihren Kurs hielten und ihre Nachbrenner aktivierten, kurvten die anderen vier mit einer überraschenden Schnelligkeit und Anmut ein, um die Verfolger anzunehmen. Oder zumindest drei von ihnen. Der vierte Delta…
Es war die Maschine, die Crazy aufs Korn genommen hatte, und die, das erkannte Kano erst jetzt, vorher vier Raketen auf ihn abgefeuert hatte.
Jetzt absolvierte der Akarii ein lupenreines Von-Bein-Manöver und eröffnete noch in der Drehung das Feuer aus seinen Bordwaffen. Crazys Nighthawk flog mitten hinein in ein tödliches Sperrfeuer. Als wollte er Rache nehmen für seine vor wenigen Sekunden vernichteten Kameraden, entfesselte der Akarii die geballte Vernichtungskraft seiner Maschine. Als Crazys Maschine den Feind passierte, drehte der Akarii einfach mit, brachte seine Maschine damit auf seinen ursprünglichen Kurs zurück, und hielt währenddessen die Zielerfassung seiner Bordwaffen auf Crazy gerichtet. ‚Verdammt, ist der gut!’
„OHKA! ICH BRAUCHE HILFE! ICH KANN NICHT… STEIGE AUS!!“ Im buchstäblich letzten Augenblick schoss sich Crazy aus der zum Tode geweihten Maschine, die von den schweren Strahlenwaffen des Akarii förmlich in Einzelteile zerfetzt wurde.
‚Verdammter Hund! Das war dein letzter Abschuss!’ Kano wollte auf den Akarii einkurven, als Crusaders Hilferuf wie ein Messer durch seine Wut schnitt: „OHKA! WIR BRAUCHEN…“
Die beiden Nighthawks wurden von insgesamt drei Deltas angegriffen und steckten offenbar in Schwierigkeiten. Raketen hatten Submarines Maschine schwer und Crusaders Jäger leicht beschädigt. Drei zu zwei überlegen, konnten die Sturmjäger ihre geringere Wendigkeit und Geschwindigkeit weitestgehend kompensieren, und die beiden TSN-Maschinen in die Zange nehmen. Es sah nicht gut aus.
Wieder aktivierte Kano den Nachbrenner, und der zusätzliche Schub trug ihn mitten hinein in den Kurvenkampf. Als eine Delta in seiner Zielerfassung aufleuchtete, drückte er fast unbewusst die Feuerknöpfe der Bordwaffen und schickte gleichzeitig zwei Amraams auf den Weg. Der feindliche Jäger wurde schwer getroffen, doch noch ehe Kano ihm den Rest geben konnte, wurde er selber zum Ziel, und zog seine Maschine mit einem Looping aus der Zielerfassung der Delta, die plötzlich an seinem Heck aufgetaucht war. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er den Steuerknüppel bis zum Anschlag zurück und vollendete den Looping. Jetzt tauchte die Delta in seiner Zielerfassung auf.
‚Jetzt bin ich dran!’ Die vier Bordkanonen hämmerten los und trommelten auf die Heckschilde des Akarii ein. Das wütende Gegenfeuer des Heckschützen konnte Kano jetzt nicht mehr abschrecken. Als knapp drei Sekunden später ein heller Glockenton verkündete, dass die Sidewinder-Raketen ihr Ziel erfasst hatten, schoss er sie ab, ohne das Feuer seiner Bordwaffen zu unterbrechen.
Eigentlich war die Sidewinder nicht gerade seine Lieblingswaffe, denn sie hatte eine lange Aufschaltzeit und nur eine kurze Reichweite. Außerdem waren ihre Infrarotsuchköpfe leicht zu täuschen, und im Raumkampf musste man sie auf das Heck des Gegners abfeuern. Aber dafür war diese Rakete beschleunigungsstark, schnell und durchschlagskräftig – auf kurze Entfernungen tödlich.
Das schrille Heulen des Bordalarms und das Flackern seiner Heckschilde verrieten Kano, dass eine andere Delta ihn inzwischen aufs Korn genommen hatte. Aber diese Hilfe kam für den Akarii zu spät, den der japanische Pilot angegriffen hatte, genauso wie die in letzter Sekunde abgefeuerten Störkörper. Die Doppelexplosion der Sidewinder durchschlug die ohnehin schon fast zusammengebrochenen Schilde des Akarii und verwandelten den Sturmjäger in einen Haufen expandierenden Weltraumschrott.

Die beiden jetzt in der Unterzahl befindlichen Deltas gaben Fersengeld. Kano wollte den Befehl zur Verfolgung geben, als er sich plötzlich wieder an den Befehl der Geschwaderführerin erinnerte. Ihre Aufgabe war es nicht, Feindjäger abzuschießen. Sie sollten die Bomber durchbringen: „Aufschließen und folgen!“ Es gab genug andere Ziele für die drei verbliebenen Jäger seiner Sektion.