Hinter den feindlichen Linien - Season 5

Cattaneo
Cattaneo

Vergebliche Hoffnung - Teil II

Kampfflieger der Grünen Staffel

Der schlanke Abfangjäger erzitterte leicht, als er sich auf eine sanfte Bewegung des Steuerknüppels hin zur Seite neigte und einen neuen Kurs einschlug. So schnell die Maschine im Moment auch war, weitaus schneller als die schweren Kriegsschiffe, in Wahrheit flog sie momentan gewissermaßen im Schneckentempo, um Treibstoff zu sparen. Die Kampfflieger patrouillierten an den Flanken des Flottenverbandes, stets bereit, binnen Sekundenbruchteilen zu beschleunigen. Lilja konnte den Angriff ihrer Kameraden auf die Akarii natürlich nicht mitverfolgen – ihre Sensoren und Anzeigen waren mit ihrer eigenen Aufgabe, jeglichen näher kommenden Feind aufzuspüren, vollkommen ausgelastet. Sie konnte nur die Ohren offen halten nach dem, was über die Geschwaderfrequenz hereinkam. Offenbar waren die Angry Angels, die Guardsmen und die Bushpilots kurz davor, loszuschlagen. Es war nur noch eine Frage von Minuten, vielleicht sogar nur Sekunden, bis sie die Deckung des Planeten und ihres ECM verlassen und die Akarii sie erblicken würden. Und dann würde das Töten beginnen. Lilja spürte wie sich ihre Hände verkrampften. Es war trotz allem nicht leicht, hier gleichsam untätig zurückzubleiben, aber es war nun einmal ihre Aufgabe. Sie hörte die Klarmeldungen der Staffeln, die sich auf den Angriff auf die Akariischiffe vorbereiteten.
,Nun, wenn...’
Aber sie kam nicht mehr dazu, diesen Gedanken zu Ende zu verfolgen, denn in diesem Augenblick spürte sie, wie sich ihre latente Unruhe schlagartig verdichtete.
,Moment mal...ist das nicht...' Aber noch ehe sie sich Gewissheit verschaffen konnte, bestätigte schon eine barsche Stimme, der man die Aufregung anmerkte, ihren Verdacht: „Rot Fünf, Rot Fünf – Feind-ECM geortet, Tiefraum 60 Grad, kommt schnell näher.“ Fast zeitgleich erklang eine kühle Frauenstimme: „Hier TSN-Korvette Austerlitz, melde Ortungskontakt, schnell näher kommend, Tiefraum 55 Grad – mindestens drei, korrigiere vier Dutzend schnelle Kontakte. Zahl weiter steigend.“
Mancher wäre von dieser Entwicklung überrascht, geradezu paralysiert gewesen, aber obwohl Liljas Verstand einen Augenblick brauchte, um das Überraschende aber nicht Unerwartete zu verarbeiten, reagierte sie auf Grund ihrer Erfahrung binnen Sekundebruchteilen, verdrängte die Erinnerung an andere, ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit: „Grün Eins an Grüne Staffel – Kurskorrektur, Daten folgen… Sektion Eins – Nachbrenner einschalten, Kurs 60, ab jetzt!“ Sie handelte sofort, ohne noch auf die Klarmeldung zu warten, wurde mit einer inzwischen schon vertrauten Brutalität in ihren Sitz gedrückt, als die Maschine beidrehte und beschleunigte. Fast sofort reagierten ihre Untergebenen – zuerst die Veteranen, aber die Frischlinge waren ihnen dicht auf den Fersen. Dies war natürlich kaum Liljas Verdienst – sie profitierte immer noch von Lightnings ausgezeichneter Arbeit als Kommandeurin. Doch vielleicht wäre solch ein Urteil etwas ungerecht gewesen, denn immerhin hatte die Russin in den letzten Jahren eine immer größere Rolle in der Staffel gespielt, in dem Maße, wie Lightning als Geschwader-XO in Anspruch genommen worden war.
Lilja warf einen schnellen Blick auf die Anzeigen. Die Jäger der Wasp und der Hongkong waren ebenfalls dabei sich zu sammeln und schlossen schnell auf. Letzte Nachzügler wurden gerade ausgeschleust und beschleunigten unter Einsatz ihrer Nachbrenner. Mit etwas Glück würde es also kein allzu verzettelter Angriff werden. Die Sektionen Zwei und Drei ihrer eigenen Staffel hatten sich bereits auf den Weg gemacht, um sich den näher kommenden Akarii zu stellen. Liljas Sektion, die durch einen dummen Zufall natürlich ausgerechnet im falschen Sektor gestanden hatte, als die Echsen ankamen, schloss in einem spitzen Winkel auf, während die Triebwerke Sprit in Rekordgeschwindigkeit verbrannten. Noch ein kleines bisschen, dann würde sie die Staffel halbwegs beisammen haben…Ja, JETZT war es soweit.

Ihre Stimme klang absolut emotionslos – ihre Killerstimme, wie einige sagten: „Grüne Staffel, T-Angriffsformation: Sektion Eins rechter Flügel, Zwei linker, Drei folgen und Rückendeckung geben. Ziele paarweise auffassen und vernichten.“ Auf diese Weise zog sie die Front ihrer Jäger auseinander, aber so konnte sie versuchen den gegnerischen Angriff gleichsam abzufangen. Es war keine sonderlich elegante Formation, kein Vorstoß ins Herz der feindlichen Formation, vielmehr ein brutaler Frontangriff. Genau das, was jetzt notwendig war. Sie registrierte zugleich, wie auch die Abfangjäger der Wasp und der Hongkong ihren Kurs änderten, und zu den Schiffen der Außensicherung aufschlossen. Es sah so aus, als würden ihre Maschinen den linken Flügel der terranischen Jägerformation bilden.
Mindestens vier Staffeln feindliche Kampfflieger, so sagten es ihr die Sensoren, vielleicht mehr – das war eindeutig zuviel für eine Kampfpatrouille, andererseits für einen kompletten Angriffsverband nicht sehr viel, wenn man ein Ziel wie diese terranische Flotte angreifen wollte. Immerhin standen hier drei Träger und mehr als zwanzig Kreuzer, von den kleineren Einheiten ganz zu schweigen. Aber in jedem Fall konnte das kein Zufall sein – niemand schickte einen solchen Verband einfach so auf Verdacht los, dazu noch mit aktiviertem ECM.
„Hier Flugleitzentrale – Abfangjägerstaffeln Außensicherung verstärken, Feuerleitcomputer des Flakkreuzer Leander koordiniert Vorgehen.“ Der Stimme Schwimmers war keine Unruhe anzumerken. Vielleicht sah er die Akarii angesichts der geringen Zahl und der eigenen Stärke nicht als ernstzunehmende Bedrohung an, denn immerhin kam mehr als ein terranisches Großkampfschiff auf jeden Akarii. Wobei er möglicherweise vergaß, dass die Angry Angels bei Tukama gleichfalls mit nicht mehr als einer Handvoll Bomber einiges Unheil angerichtet hatten. Und die Akarii natürlich auch…
Die Leander, der Begleitkreuzer der Wasp, setzte sich ein wenig vom Hauptpulk der terranischen Dickschiffe ab, schloss zur Außensicherung auf, wo die Korvetten sich formierten. Der Flakkreuzer machte sich bereit, seine gegen Jäger überaus wirkungsvollen Sensoren und Langstreckenwaffen zum Einsatz zu bringen.

Lilja bestätigte den Befehl Schwimmers, musste aber im nächsten Augenblick mit Gewalt einen wüsten Mutterfluch unterdrücken. Ihre Anzeigen flackerten, die Sensoranzeigen schwankten, Symbole tauchten auf und verschwanden. Zugleich wurde das Stimmenwirrwarr des Funkgerätes von statischem Stottern und Rauschen überlagert, durch das sich nur einzelne Stimmen sporadisch durchsetzen konnten. Sie kannte das Symptom und auch seine Ursache – feindliches ECM, und zwar starkes. Mehrere der feindlichen Bomber oder Jagdbomber mussten entsprechend modifiziert worden sein. Natürlich, anders hätten die Echsen sich auch nicht so nahe an ihr Ziel heranschleichen können, nicht durch den leeren Raum. Und ein Angriff gegen vier Dauntless und zahlreiche weitere Großschiffe wäre ohne diese Hilfe kompletter Selbstmord gewesen. Sie versuchte, ein genaueres Bild vom feindlichen Verband zu bekommen, aber das feindliche ECM unterband ihre Bemühungen. Die Echsen hatten sich offenbar mal wieder etwas einfallen lassen, vielleicht ihre Technik wieder einmal ein bisschen verbessert, obwohl ihre ECM-Bomber und Jabos eigentlich schon immer exzellente Maschinen ihrer Gattung gewesen waren. Doch normalerweise lieferten die Sensoren mit Unterstützung eines Dauntless bessere Ergebnisse. Aber vermutlich verzerrte der nahe Planet die Ergebnisse zusätzlich.
„Commander – Gegner feuert!“ Fidais Stimme überschlug sich beinahe vor Aufregung.
Tatsächlich, drüben bei der Formation des Gegners blitzte es auf. Lilja warf einen Blick auf die Anzeigen: Entfernung noch 25.000 Kilometer bis zum Feind. Ihr war klar, was das bedeutete: „Ausweichmanöver initiieren, Front 100 Prozent auffächern, nach Beschuss wieder schließen – Langstreckenbeschuss! Mindestens 50 anfliegend – nein, mehr!“
Einmal mehr verfluchte sie den Umstand, dass der Gegner Waffen mit einer Reichweite hatte, mit der es ihre Falcon nicht aufnehmen konnte.
,Aber wartet nur, bis wir ran sind!’
Lilja wusste, dass die feindlichen Langstreckenraketen zumeist mit Bilderkennung arbeiteten, genau wie ihre terranischen Gegenstücke, die Phönix. Nur waren sie, natürlich – und möge das schwarze All alle Echsen verschlingen, in diesem Fall besonders ihre verdammten Wissenschaftler – noch etwas stärker, schneller und „klüger“ als ihre menschlichen „Brüder“. Die typischen Täuschkörper, die falsche Freund-Feind-Kennungen ausstrahlten, Radarerfassung störten oder IR-Signaturen imitierten, waren gegen diese Art Waffen nur von begrenztem Nutzen. Man konnte versuchen, die optische Erfassung zu stören, und der Rakete einfach lange genug aus dem Weg gehen, bis die sie als Endläufer detonierte oder ihr Ziel verlor, aber dies war stets ein riskantes Spiel.
„Nachbrenner deaktivieren – drei Sekunden vor Eintreffen der Feindraketen einschalten und auffächern nach Manöver Delta-4, Blitzkörper werfen.“
Sie spürte, wie ihre Handflächen unter dem Raumanzug nass von Schweiß waren. Das behinderte sie jedoch glücklicherweise nicht in der Handhabung des Jägers. Aber es war jedenfalls ein scheußliches Gefühl. „Vier…Fünf…Drei…“ sie verfolgte misstrauisch die Anzeigen ihrer Ortungsgeräte: „Zwei…Eins…JETZT!“

Knight befolgte den Befehl aufs Wort genau. Er hielt wohlweißlich den Mund geschlossen, nicht dass der Andruck bei Einschlägen oder Ausweichmanövern dazu führte, dass er sich in die Zunge biss. Er hatte einmal eine Geschichte gehört, wie jemand, der ein bisschen zu viele falsche Filme gesehen hatte, bei einem besonders gewagten Manöver irgendeine launige Bemerkung gemacht hatte. Der Pilot hatte sich, so erzählte man, die Zunge abgebissen und war verblutet, ehe man ihn bergen konnte.
Das Triebwerk heulte protestierend auf, als er den Nachbrenner bis zum Anschlag ausreizte. Gleichzeitig hämmerte er zweimal, dreimal auf den Feuerknopf für die Täuschkörper. Er kniff die Augen zusammen – Blitzkörper und Raketenexplosionen neigten dazu, die automatische Verdunklung zu überlasten, und er wollte nicht einmal eine Sekunde lang desorientiert sein. Die Beschleunigung beutelte ihn – aber das war gar nichts gegen den Stoß, den ihm die feindliche Rakete verpasste, als sie, durch den Lichtblitz eines der Täuschkörper verwirrt, blind explodierte. Sein Jäger überschlug sich mehrfach, und nicht das erste Mal fragte er sich, ob die künstliche Schwerkraft den Preis wert war, als sein Magen revoltierte.
,Scheiße, das ist ja wie damals bei dem verdammten Bomben-Shuttle’ dachte er, nicht ganz zutreffend. Er brachte die Maschine nach einem kurzen Kampf wieder unter Kontrolle und warf einen Blick auf die Schildanzeigen. 30 Prozent Energieverlust, wurde bereits wieder ausgeglichen. Das war unangenehm, aber nicht katastrophal. Er erinnerte sich an seine Pflichten.
„Fidai – alles in Ordnung?“ Die Stimme seines Kameraden klang matt. Der jüngere Pilot antwortete mit einigen Worten in einer kehligen Sprache, die Knight nicht verstand, ehe er sich offenbar besann und zum Englischen wechselte: „Alles…in Ordnung. Leichte Schildschäden.“ Im nächsten Augenblick peitschte Liljas holde Stimme aus dem Funkgerät: „Hellcat ist ausgestiegen, Marine beschädigt – umkehren Grün Neun, lassen Sie die Reservemaschinen klarmachen, und zwar alle – sagen Sie, ich hätte es angeordnet.“ Marine wollte widersprechen, vermutlich um bei ihren Leuten zu bleiben, aber Lilja überging das einfach. Sie bellte: „So havariert nützen Sie keinem. Befehl ausführen! Knight, Sie übernehmen Sektion Drei. Aufschließen.“ Der Brite brauchte nur eine Sekunde, um sich einen Überblick zu verschaffen, und er empfand gewiss keine Freude über seine Gefechtsbeförderung…
Reflexartig drückte er auf den Feuerkopf, als seine Sparrow-Bilderkennungsraketen fast auf maximale Distanz einen feindlichen Raptor erfassten – beide Kampffliegerverbände hatten sich mit Höchstgeschwindigkeit, zum Teil auch mit aktiviertem Nachbrenner, einander immer weiter angenähert. Die zwei Flugkörper machten sich auf den Weg.
Es sah nicht gut aus. Die Akarii – genauer gesagt zwei ihrer wohl insgesamt drei Jagdbomberstaffeln, den Rest des feindlichen Angriffsverbandes bildeten zwei reichliche Dutzend Avenger-Kampfbomber – hatten mit zwei schnellen Salven gut 100 Langstreckenraketen abgefeuert. Ein Teil davon war auf die Austerlitz gezielt gewesen, zusammen mit mindestens zwei schweren Marschflugkörpern. Die Korvette hatte auf Grund des allgemeinen Durcheinanders von leichten und schweren Raketen die Schiff-Schiff-Raketen nicht abfangen können und so ihre Schilde verloren. Die leichten Langstreckenraketen der Echsen hatten vermutlich schon Strukturschäden angerichtet. Und jetzt, während er noch zusah, beendeten Mittelstreckenwaffen das Vernichtungswerk. Das leichte Kampfschiff war von den massierten Salven kalt erwischt worden. Flackernd erlosch der Antrieb, eine nach der anderen schwiegen die Waffen, erste Rettungskaseln wurden ins All geschleudert. Das Kriegsschiff driftete seitlich weg, gab den Weg für die Akarii frei. Wo Luft aus der aufgerissenen Hülle entwich, leckten Flammen in den Weltraum hinaus. Die meisten feindlichen Langstreckenraketen waren jedoch auf die terranischen Jäger gezielt gewesen. Und die hatten bei weitem nicht alle ausweichen können. Mindestens ein halbes Dutzend der 36 Falcons war abgeschossen oder schwer havariert. Schlimmer noch, anscheinend war mindestens einer der Staffelchefs ausgefallen, und die Formation der Guardsmen und Bushpilots durcheinander geraten. Die offenbar als Geleitschutz eingesetzten zwei Jagdbomberstaffeln des Feindes feuerten zudem ständig weitere Mittelstreckenraketen ab, die es den Menschen schwer machten, sich neu zu formieren. Natürlich war das Gefecht nicht ganz einseitig – die Raketen der Leander, zum Teil wohl auch anderer Flakkreuzer und inzwischen auch die Mittelstreckenraketen der terranischen Jäger schlugen zurück, und bald hier, bald da flackerten Explosionen in der feindlichen Formation auf – nicht alle durch Täuschkörper verursacht. Aber das Feuer der Dauntless-Schiffe war nicht einmal annähernd so effektiv wie wünschenswert gewesen wäre – das feindliche ECM, wie wohl auch die ungewohnte Umgebung im Gravitationsschatten des Gasriesen zeigten ihre Wirkung.

Liljas Stimme vibrierte vor kaum unterdrückter Wut: „Guardsmen und Bushpilots neu formieren! Davaj! Vorwärts, ihr Schweinehunde! Staffel Grün greift Begleit-Jabos an. Schnappt ihr euch die anderen! Lasst uns hier nicht allein!“ Im nächsten Moment war sie bereits wieder ganz kühle Gelassenheit, als sie sich an ihre Untergebenen wandte: „Staffel Grün – Auffächern auf ganze Breite des Feindgeleits, Frontalangriff – Nachbrenner und Alphaschlag!“ Den Piloten der Grünen Staffel blieb keine Möglichkeit, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Ihre neue Chefin schien nicht warten zu wollen, bis sie eine Bestätigung bekam. Im festen Vertrauen darauf, dass man ihr folgen würde, im Vertrauen auch auf das, was Lightning und sie die Piloten gelehrt hatten, beschleunigte sie ihren Jäger, raste auf die feindlichen Raptor-Jagdbomber zu. Ohne sich darum zu kümmern, dass sie wieder einmal ihre Untergebenen gegen einen zahlenmäßig überlegenen Feind führte, und ohne abzuwarten, ob die anderen Staffeln ihrer freundlichen Einladung nachkamen. Sie verdrängte die Erinnerung an das ganz ähnliche Manöver gegen die feindlichen Reaper über Tukama, als ihre Staffel hatte bluten müssen.
Natürlich war Lilja nicht wirklich so blindwütig, wie sie erscheinen mochte. Sie behielt sehr wohl die Anzeigen im Auge, und es entging ihr nicht, dass ihre verbliebenen Staffelkameraden in der Tat dem Befehl folgten – sogar Shoki und Abat, die Neulinge. Im Grund blieb ihnen auch keine andere Wahl, denn ein Angriff auf die feindlichen Bomber mit dem gegnerischen Geleitschutz im Nacken war ebenfalls beinahe Selbstmord, aller Überheblichkeit gegenüber Jagdbombern im Raumkampf zum Trotze.
Was Lilja gerade angeordnet hatte, nannte man in der TSN mitunter auch „Todesritt“, denn dazu konnte es ohne weiteres werden, wenn der Gegner seine Karten richtig ausspielte. Eine andere Bezeichnung war „Barbarenhorde“. Es war eine machtvolle Attacke – aber zugleich auch ein großes Risiko. Man beschleunigte stark, um die Entfernung zum Gegner möglichst schnell zu überbrücken. Dann, auf kürzeste Entfernung, bremste man brutal ab und eröffnete das Feuer mit allem was man hatte, Bordwaffen, Raketensalven, wild durcheinander. Wenn alles glatt ging, reagierte der Feind einen Sekundenbruchteil zu spät und wurde durch die schiere Wucht des Angriffs aus der Bahn geworfen, vor allem wenn eine Staffel oder mehr synchronisiert angriff. Behielt der Gegner aber die Nerven und reorganisierte sich, dann konnte es für die teilweise leer geschossenen und durch das halsbrecherische Manöver erschöpften Piloten gefährlich werden.

Lilja drückte sich in den Sitz ihrer Maschine. Jede Sehne, jeder Muskel ihres Körpers war angespannt, während sie lautlos die Sekunden herunterzählte. Einmal wurde ihr Jäger durch eine Nahexplosion durchgeschüttelt, doch der Gegner hatte ungenau gezielt, und sie hielt Kurs. ‚Gleich…gleich…JETZT!’
Brutal bremste der Kampfflieger ab. Die Russin unterdrückte ein Stöhnen, als die Fliehkräfte den künstlichen Trägheitsdämpfer überlasteten und die Faust eines Riesen sie gegen die Gurte presste, die sich schmerzhaft in ihr Fleisch schnitten, trotz Fliegermontur und Polsterung. Ihre Augen huschten über die Anzeigen. Perfekt! Dann hämmerte sie auf die Feuerknöpfe. Die Bordwaffen ihres Jägers spieen Energie, zwei, vier, sechs Raketen rasten los, erfassten ihre Ziele. Dann erhellten Explosionen den Weltraum.
Lilja hatte hoch gepokert, doch diesmal hatte sich das Wagnis ausgezahlt. Natürlich – das sollte ihr später klar werden – hatte sie auch Glück gehabt. Der feindliche Geleitschutz war selber bereits durch das Feuer von Jägern und Flakkreuzern angeschlagen worden. Außerdem hatten die Akarii sich zum Gutteil bereits auf größere Entfernung verschossen und waren gerade dabei gewesen, sich auf den Nahkampf mit den drei menschlichen Staffeln einzustellen. Der Parforceritt der Grünen Staffel erwischte sie etwas unvorbereitet – wenn auch nicht wehrlos.
Liljas erste vier Raketen zerfetzten einen Raptor förmlich, ihre Bordwaffen und Rakete fünf und sechs schlugen einen weiteren an. Gegenfeuer beutelte sie, konnte aber ihre Bugschilde nicht – noch nicht – durchbrechen. Schon längst ging ihr das Töten – das Vernichten von Maschine und Pilot, der erbarmungslose Beschuss, bis der Feind in einem todbringenden Feuerball aufging – leicht, ja direkt routiniert von der Hand. Jahrelange Erfahrung und Übung sowie erbarmungsloses Training gaben ihr eine Überlegenheit, mit deren Hilfe sie fast jedes Gefecht bisher für sich entschieden hatte, wenn auch oft nur um Haaresbreit. Doch aus den Jägern, die sie aufs Korn nahm wie diesen Jagdbomber eben stieg selten jemand aus – und wenn, dann rettete ihn das nicht vor ihrem Hass und ihrer sicheren Hand.

Um sie herum erstrahlte der Weltraum einmal mehr in Explosionen – sterbende Jäger, detonierende Raketen von Kampffliegern und Kriegsschiffen. Ihre Maschine wurde durchgeschüttelt, rotierte, doch mit einer brutalen Anstrengung zwang sie den Jäger wieder unter Kontrolle. Ihre Stimme überschlug sich beinahe: „Druck aufrechterhalten! Verwickelt die Fritzen in Nahkämpfe! Gegner um jeden Preis binden!“ Denn darauf kam es im Moment vor allem an, die feindlichen Eskortflieger in Kämpfe zu verwickeln, damit die anderen Falcons an ihre Ziele herankamen.
Auch Sokol, Imp und Shoki kamen gleich zum Anfang zum Schuss. Die Staffel selber büßte in den ersten hektischen 30 Sekunden des Nahkampes nur einen weiteren Jäger ein – Spitfire musste aussteigen, als zwei lädierte Raptoren ihr Feuer konzentrierten.
Lilja, die unablässig den Feuerknopf betätigte, biss sich auf die Lippe, schmeckte salziges Blut, als ein feindlicher Heckschütze sie traf – doch sie wich nicht von ihrem Ziel ab, einem Raptor, der sich mit seinem Flügelmann den Bushpilots in den Weg stellen wollte. Mit einem neuerlichen gotteslästerlichen Fluchen wartete sie, bis ihre letzten Raketen, es waren Sidewinder, das Ziel erfasst hatten, dann löste sie die Geschosse aus, fasste mit den Bordwaffen nach – noch ein gegnerischer Jagdbomber starb den jähen Tod, sein Kamerad suchte das Weite.
Dieser Triumph wäre um ein Haar ihr letzter gewesen, denn in diesem Moment heulte gellend der Raketen- und Annährungsalarm auf. Sie leitete sofort ein Ausweichmanöver ein und gab Buntfeuer aus verschiedenen Störkörpern – umsonst, eine feindliche Rakete beutelte ihren Jäger. Lilja ließ ihre Maschine kreisen, warf die Falcon in einen Überschlag mit jähem Abschwung, ohne jedoch ihren Gegner loszuwerden. Ein weiterer Jagdbomber hatte sie aufs Korn genommen, und sein Treffer hatte ihre Schilde kollabieren lassen. Nun jagte er sie mit einer Geschicklichkeit, die für sein Können und das Geschick der Konstrukteure sprach, die einen Jagdbomber geschaffen hatten, der fast so leistungsfähig war wie ein schneller Abfangjäger. Wie ein Hase auf der Flucht vor dem Habicht schlug Lilja Haken, links, rechts, wieder links, oben, unten, gejagt von den scheinbar unfehlbaren Schüssen des Gegners, die ihre Panzerung verdampften und mehr und mehr Warnlampen aufleuchten ließen. Doch dann, von einer Sekunde zur anderen verstummte das feindliche Feuer mit einmal, während auf den Ortungsschirmen abrupt ein Symbol erlosch. Ein knappes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr Feind hatte den ältesten und tödlichsten Fehler aller Jagdflieger gemacht, sich zu sehr auf sein Ziel konzentriert, genau wie sie gehofft hatte: „Guter Schuss, Dragon! Dafür schulde ich dir was.“ Ihr Wingman klang fast nervös, ziemlich ungewöhnlich für ihn: „Jederzeit NICHT wieder – das war meine letzte Rakete.“

Lilja verschaffte sich einen schnellen Überblick über das Gefecht. Ihre zehn verbleibenden Jäger – jetzt waren es noch neun – hatten den fast doppelt überlegenen Gegner effektiv gebunden und ihn, auch dank der Flakkreuzer, schwer dezimiert. Viele Akarii waren zerstört oder zumindest so schwer angeschlagen, knapp an Treibstoff und hatten sich verschossen, so dass sie nach Hause schleichen mussten. Der Rest des Geleitschutzes – immer noch fast ein Dutzend Jagdbomber – sammelte sich gerade, entweder um Staffel Grün den Rest zu geben oder um ihren Kameraden zu Hilfe zu kommen. Allerdings hatte Liljas eigene Staffel schon jetzt – wieder einmal – zwei Maschinen Totalverlust, wenn auch die Piloten hatten aussteigen können, und Marine und jetzt auch…Abat…mussten schwer havariert abdrehen. Ansonsten…sie schaute genauer hin.
Doch der Triumph, den Lilja eben noch empfunden hatte, verwandelte sich schlagartig in ohnmächtige Wut und Hass. Die Falcons der Wasp und Hongkong hatten ihr Möglichstes getan, ihrer Aufgabe gerecht zu werden – aber der Gegner war dabei sie kalt abblitzen zu lassen. Bomber und Jagdbomber der Akarii gaben Sperrfeuer mit Bordwaffen und schossen eine leichte Rakete nach der anderen ab. Die terranischen Falcons, von der Eröffnung der Schlacht noch leicht verunsichert, desorientiert und durch den Verlust eines Staffelchefs geschockt, konnten nicht durch das generische Feuer brechen und den feindlichen Verband auseinander reißen. Trotz Verlusten durch Flak und Jäger – die Echsen waren wieder einmal dabei durchzubrechen. Wer von den Gegnern zurückblieb war unzweifelhaft verloren, aber es war schon jetzt abzusehen, dass viele, zu viele der Bomber durchkommen würden. Vor Liljas Augen explodierte eine, zwei, drei Falcons in dem mörderischen Beschuss, flog ein reichliches halbes Dutzend Jagdbomber einen Bilderbuchangriff. Ungeachtet dessen, dass erst eine, dann eine zweite feindliche Maschine ausfiel, hielten sie Kurs, dann feuerten drei der Jagdbomber. Sechs Marschflugkörper visierten die Korvette Sluis an, die nach dem Ausfall der Austerlitz in die Bresche gesprungen war. Vier trafen, und ließen von dem Schiff nichts als eine Miniatursonne, die Sekunden später wieder in sich zusammenfiel. Die anderen Jagdbomber zielten offenbar auf die Leander…

Lilja spürte nicht, dass sich ihrer Kehle ein schmerzerfülltes, verzweifeltes Stöhnen entrann. Nein, nicht schon wieder! Nicht schon wieder! Das Wagnis war umsonst, jeder Erfolg nutzlos – wenn die Akarii durchkamen. Sie hätte ihre eigene Stimme vermutlich nicht wieder erkannt, wenn sie später eine Aufzeichnung gehört hatte – rau, kratzig, tonlos bis auf einen Anflug Verzweiflung: „Grüne Staffel – sammeln! Grüne Staffel – Angriff auf den Feind! Stoppt die Bomber!“
Die acht verbleibenden Jäger von Staffel Grün beschleunigten, schossen durchs All wie angreifende Falken, um ihren Kameraden zu Hilfe zu kommen. Doch es waren zu wenige Falken, zu schwer waren sie angeschlagen – der feindliche Geleitschutz war nicht so geschwächt, als dass er diese neue Gefahr nicht erkannt und gekontert hätte.
Liljas Jäger vibrierte, und es war schwer zu sagen, ob die mörderischen Flugmanöver oder das feindliche Feuer ihn mehr mitnahmen. Längst waren die nur zum Teil wieder regenerierten Schilde erneut ausgefallen. Lilja versuchte verzweifelt auf Kurs zu bleiben – sie mussten die feindlichen Bomber aufhalten, das war der Gedanke der sie nicht losließ. Kamen sie durch, dann bedeutete das Versagen, bedeutete den Tod von Dutzenden, vielleicht hunderten Menschen. Aber ob sie nun aus Pflichtgefühl oder mit einer verzweifelten Hoffnung auf Erfolg gehandelt hatte – die Realität scherte sich nicht um das, was sie wünschte. Als sie getroffen wurde, ging es blitzschnell, schneller als ein Blitz, ein Gedanke. Eine mörderische Salve aus den Buggeschützen eines Raptors schmetterte in ihren Jäger. Nur ein Stück weiter vorne, und das Cockpit wäre durchschnitten worden wie ein toter Fisch durch ein scharf geschliffenes Messer. So war „nur“ das Heck getroffen worden. Doch das genügte für einen finalen Systemausfall. Von einem Augenblick zum anderen war der elegante und todbringende Jäger nicht mehr als totes Metall auf seiner Bahn in den Untergang – Antrieb und Steuerdüsen fielen sofort aus. Die Russin handelte mehr instinktiv als bewusst, als sie auf den Knopf drückte, der sie aus der wracken Maschine katapultierte, die sich im Todeskampf schüttelte und um die eigene Achse drehte. Das Cockpitdach flog weg, und mit Sessel, Trümmerstücken und Innenluft wurde sie ins All hinaus geschleudert. Gleichfalls instinktiv presste sie die Arme an den Körper und versuchte die Beine anzuziehen, sie an den Sitz zu pressen – in diesem Augenblick hängen zu bleiben oder mit einem Teil der Maschine zusammenzustoßen war eine tödliche Gefahr. Sie hätte es beinahe geschafft, doch ihr todgeweihter Jäger schüttelte sich in Todeskrämpfen wie ein lebendes Wesen, als wäre er mehr als eine verlässliche Maschine, die nun das Ende ihres langen Weges erreicht hatte. Liljas linkes Bein streifte den Cockpitrand – nur ein flüchtiger Kontakt, nicht mehr als eine Zehntelsekunde. Doch das war schon genug. Mit einem grauenhaft deutlichen Knacken, das sie im ganzen Körper hörte und vor allem spürte, brach ihr Oberschenkel. Ein Schmerz wie eine brennende Lanze schoss durch ihren Körper. Adrenalin, Schock und Schmerz waren zuviel, selbst für Liljas trainierten Körper, und die Russin erbrach sich mit einem schluchzenden Gurgeln in den Helm, während sie hilflos dahin trieb. Ein kleines bisschen – mit dem Teil ihres Selbst, den sie als schwach verachtete – war sie froh, dass ihr Schmerz und die Scham über ihren eigenen Körper und seine Schwäche sie davon ablenkte, was die fernen Explosionen bedeuten mochten, die sie selbst auf diese Entfernung und ohne jede Vergrößerung wahrnehmen konnte.

TRS Relentless

Commodore Mithels Stimme war weder Zorn noch Resignation anzuhören, seine Worte vermittelten nichts als Entschlossenheit und verlangten sofortigen Gehorsam – und den bekam er auch: „Volle Kraft voraus, 30 Grad rechts weisend – Repulse, Kami, Kinugasa und Merciless folgen. Auf mein Zeichen bereithalten zum Feuern.“
Der schwere Kreuzer reagierte gehorsam auf die Steuerbefehle, mit einer Eleganz die seine Masse von 30.000 Tonnen Lügen strafte. Mithel hatte praktisch von einem Logenplatz den Anflug der Akarii mitverfolgen können. Trotz Sperrfeuers der Großkampfschiffe und Angriffen der terranischen Jäger war der Feind durchgebrochen. Die feindlichen Jagdbomber hatten nacheinander zwei Korvetten abgeschossen, dann war die Leander an der Reihe gewesen. Vier Anti-Radarraketen hatten die große Stärke des Flakkreuzers, seine guten Ortungssysteme, in seine größte Schwäche verwandelt. Die viel gelobte Abwehrbewaffnung hatte auf Grund des feindlichen ECM zu spät reagiert und nur zwei der Marschlugkörper anfangen können. Die anderen hatten getroffen und den Weg für vier konventionelle Jäger-Schiff-Atomraketen bereitet. Die Leander hatte ihr Heck verloren und der Kapitän hatte sein Schiff unter ernsten Verlusten aufgeben müssen. Die nunmehr leer geschossenen Akarii-Jagdbomber waren dabei ihren schwereren Kameraden den Weg ins Herz des menschlichen Verbandes zu bahnen, allen Verlusten zum Trotz.
„Volle Breitseite auf maximale Reichweite…JETZT!“
Die Bordwaffen und Raketenwerfer der Relentless und ihrer Schwesterschiffe spieen Tod und Verderben, doch Mithels Schiffe waren, dies war unschwer festzustellen, zu weit vom Ziel der Echsen entfernt, um wirklich wirkungsvoll eingreifen zu können, zumal das feindliche ECM die Zielerfassung der Geschütztürme und Raketen störte..
„Avenger abgeschossen…jetzt eine zweite!“ meldete der Waffenoffizier.
Mithel respektierte den Jubel, der aufkam, aber er teilte die Begeisterung nicht.
Todesmutig warf sich die Ziethen, ein Duquesne-Zerstörer, zwischen die Akarii und ihr Ziel und wütete mit seinen Kanonen und Raketen unter ihnen. Er konnte einen Begleit-Raptor und zwei weitere Avenger abschießen, eher zwei der schweren Bomber ihn mit vollen 16 Marschflugkörpern eindeckten. Jetzt rächte es sich, dass sich die Zerstörer dieser Klasse nur mit ihren Raketen und Lasergeschützen gegen solche Angriffe wehren konnten, denn Impulslaser hatten sie nicht. Es kamen genug Raketen durch, um der Ziethen das stählerne Rückrat zu brechen, sie auseinander zu reißen wie ein leichtes Ruderboot unter dem Schwanzschlag eines wütenden Wales. Kurz darauf teilte die Fregatte Husar dieses Schicksal, vernichtet von einer einzigen Avenger.
Mithels Stimme war scharf: „Maschinenraum, ich sagte VOLLE KRAFT!“ Er wusste, er tat seinen Untergebenen Unrecht, aber hier aus Distanz zuzusehen war schwer.
Die Kreuzer näherten sich den Akarii, aus allen Rohren schießend, doch die hatten ihr Ziel inzwischen erreicht. Die letzten noch einsatzfähigen Avenger des Feindes – jene, die noch nicht durch Jäger und Flak vernichtet worden waren oder ihre tödliche Last bereits abgefeuert hatten – hielten unbeirrbar Kurs, egal wie nah der menschliche Beschuss ihnen auch kam. Die Columbia, als großer Flottenträger das edelste Wild im Raumkrieg, vor Augen, behielten die Angreifer die Nerven. Sie waren nicht mehr viele, und Ziele gab es wahrlich genug, aber die Angreifer wussten, was zu tun war.
Sie warteten den rechten Moment ab, dann klingten sie ihre Raketen aus.
„Vampire auf Columbia auf dem Weg!“ kam die Meldung von den Ortungsoffizieren. „Sperrfeuer zwischen Blue One und Akarii!“ bellte der Commodore, obwohl ihm klar war, dass seine Gegenmaßnahmen vermutlich zu spät kamen. Die Akarii hatten erst aus kurzer Distanz gefeuert – das bedeutete hohes Risiko für die Angreifer, und viele würden gar nicht dazu kommen, ihre Raketen zielgenau abzufeuern. Aber die, die feuern konnten, reduzierten die Abwehr auf ein Minimum. Die gewaltigen Lasergeschütztürme seines Kreuzers schleuderten Energiemengen ins All, die eine ganze Stadt in rauchende Trümmer hätten verwandeln können, Raketenwerfer spuckten Dutzende Geschosse aus. Sie pflückten ein Ziel nach dem anderen aus dem Raum, dezimierten den Strom der Raketen, der auf die Columbia zuhielt, unerbittlich, unaufhaltsam. Doch Mithel konnte bestenfalls jene abfangen, die im Notwurf vorzeitig abgefeuert worden waren. Ein Tropfen auf den heißen Stein, mehr nicht.

Mithel schloss für einen Moment die Augen. Er wusste, was jetzt kam. Die Stimme des Ortungsoffiziers verriet nichts von dem Schrecken, den er verspüren musste: „Einschlag Blue One – zähle mit. Eins, zwei, vier – fünf – Achtung, Columbia hat Schilde partiell verloren, Kommunikation ausgefallen!“
Vor den Augen der Brückenbesatzung der Relentless marterten die Einschläge der Akarii den gigantischen Flottenträger. Die Funkrufe des Kommunikationsoffiziers an das Flaggschiff der Flotte von Admiral Wulff blieb unbeantwortet. Niemand konnte sagen, wie schwer der Träger wirklich getroffen war. Die Columbia taumelte wie ein Boxer nach einem tödlichen Knockout. Nur eine einzelne Stimme flüsterte einen erstickten Fluch, die anderen Offiziere blieben stumm.
Mithel fing sich als erster: „Meldung Columbia?“ „Kommunikation ausgefallen – Hülle scheint aber zu halten.“ Mithel nickte knapp, ohne darauf einzugehen, dass diese Schadensmeldung einigermaßen unverständlich war, denn wenn die Hülle intakt war, wieso waren dann die Schilde zum Teil ausgefallen, und wieso schwieg das Schiff? Doch darum kümmerte sich der Commodore im Moment nicht: „Uhrzeit notieren – Kontakt zu Admiral Wulff verloren, setze Gefechtseinsatz fort. Geben Sie Bescheid, falls sich dort jemand meldet.“ Wenn er Zeit gehabt hätte, hätte er wohl einen Gedanken darauf verschwendet, dass dies der zweite Admiral der Columbia-Kampfgruppe war, der in kurzem Abstand ausfiel, ob dauerhaft oder nur für kurze Zeit musste offen bleiben. Vielleicht hätte er auch die sterbenden Besatzungsmitglieder gedacht. Aber diesen Luxus gönnte er sich nicht, alles was er sich erlaubte, waren ein paar knappe Befehle: „Shuttles aussetzen für Rettungseinsatz – auch Jägerbergung.“ Sollte die Columbia härter getroffen sein als angenommen, dann waren die Shuttles die einzige Hilfe für Rettungskapseln und havarierte Jäger.
Der Commodore behielt jedoch vor allem die Schlachtentwicklung im Auge: „Abfangkurs korrigieren – 20 Grad rechts weisend, Maschinen 110. Warnung an eigene Jäger – Flakfeuer vermeiden. Todeszone berechnen und weitergeben.“
„Sir, Explosion innerhalb des Verbandes – Zerstörer, Depottreffer, Reaktorüberlastung oder Selbstsprengung!“
Mithel registrierte diese Neuheit nur mit einem knappen Kopfnicken: „Das soll ihr letztes Opfer gewesen sein - holen wir sie uns!“
Jetzt war die Stunde der Abrechnung gekommen. Die Akarii hatten sich verschossen, und nun mussten sie fliehen. Doch die Menschen, die jetzt nicht mehr Angst vor den feindlichen Marschflugkörpern haben mussten, konnten sie in aller Ruhe anvisieren. Die fünf schweren Kreuzer schnitten den fliehenden Akarii förmlich den Weg ab, und wer an ihnen vorbei wollte, der flog durch ein tödliches Netz, das 60 Lasergeschütztürme und 20 Raketenwerfer webten. Und wer dort durchkam, auf den warteten die Geschütze der Außensicherung aus leichten Schiffen, den erfassten die weit reichenden Raketen der verbliebenen Flakkreuzer, die Vergeltung für ihren gefallenen Bruder nahmen. Auf die Nachzügler warteten die verbleibenden Falcons der Columbia, Wasp und Hongkong. Nur wenige der vielleicht 60 angreifenden Akarii würden heimkehren.

Der Commodore genoss das Gemetzel nicht, obwohl Mitleid oder Sportsgeist dem Gegner gegenüber nicht zu seinen Gepflogenheiten gehörten. Seine scharf geschnittenen Züge zeigten keine Regung, während er die Schiffe seiner kombinierten Schwadron kommandierte und ihnen möglichst gute Schussvektoren zuwies. Es war notwendige Arbeit, die Akariiflieger auszumerzen, nicht mehr. Jeder der hier ausfiel, konnte nicht mehr aufmunitioniert werden und zurückkehren. Überdies war es seine Pflicht und Schuldigkeit, den Gegner zu vernichten. Längst zweifelte Chris Mithel daran, dass der Angriff der Angry Angels, Guardsmen und Buspilots auf den feindlichen Trägerverband den gewünschten Erfolg haben würde. Zu gut war der Gegner vorbereitet gewesen, zu entschlossen hatte er reagiert.
Das Ende der verbleibenden Akarii war inzwischen abzusehen. Der Commodore war gedanklich bereits bei etwas anderem, dies hier war nur noch ein Aufwischen. Er wandte sich an seinen Kommunikationsoffizier: „Daten der Jagdgeschwader einspielen und Kontakt herstellen zu…“ Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick registrierte er wie seine Untergebenen, dass ein neues Symbol auf den Bildschirmen der Brücke aufgetaucht war, ein Symbol in leuchtendem Rot, das einen blutigen Schimmer auf die Gesichter der Ortungsspezialisten warf.
„Ortungssignal im planetaren Orbit Karrashin V, kommt soeben aus dem Planetenschatten, mehr als 20.000 Tonnen! Halt – warten Sie…!“
Cattaneo
Cunningham

An: Alle konföderierten Streitkräfte
Von: Admiral Narun Kalad, CO Colonial Confederation Fleet


Admirals Order: 27909-RED-DELTA-2



Hannover liegt unter schweren Angriffen und eine Niederlage auf unserer Hauptwelt ist wohl nicht mehr abzuwenden. Die Residenz des Generalgouverneurs ist schon in feindliche Hände gefallen und das Flottenhauptquartier wird bald ein ähnliches Schicksal ereilen.


Hiermit werden alle Streitkräfte angewiesen bis zum letzten Mann, bis zur letzten Rakete und bis zum letzten Tropfen freien Blutes Widerstand gegen die imperialen Streitkräfte zu leisten.
Formieren Sie sich neu, schließen Sie sich mit der TSN zusammen. Planen und führen Sie den Gegenschlag.
Sie sind die Fackel der Freiheit in dieser dunklen Stunde unserer Konföderation. Stehen Sie aufrecht und kämpfen Sie. Unsere Hoffnungen ruhen auf Ihren Schultern.


Dies ist unsere letzte Übertragung.


gez. Kalad
Admiral, CO




***********************************************


In der CIC der Columbia herrschte Stille. Lucas blickte zum Deckenlautsprecher, aus dem Wacos ruhige Befehle kamen.
Erneut schloss Lucas Cunningham die Hände zu Fäusten, nur um festzustellen, dass dort kein Steuerknüppel war. Resigniert befeuchtete er sich die Lippen.
Es waren sechzig angreifende Jäger, die gut drei Dutzend terranischen Abfangjägern gegenüber standen. Die verdammten Echsen hatten ihre Jagdbomber und Bomber ohne Eskorte hier raus geschickt.
Für Lone Wolf war die logische Schlussfolgerung, dass die meisten Jagdbomber mit Raumkampfraketen bewaffnet waren. Niemand war so blöd seine Bomber ungedeckt loszuschicken. Oder etwa doch?
Die drei Abfangjägerschwadronen der Erdflotte waren weit verteilt. Dass wäre nicht weiter schwerwiegend gewesen, wenn der Rest der Geschwader an Bord der Träger gestanden hätten. Aber diese griffen gerade die feindliche Flotte im Orbit von Karrashin III an.
Lucas sah die Jägergruppen aufeinander treffen. Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten. Er wollte Befehle brüllen. Seine Leute anspornen. Letztlich überkam ihm das Zittern, wie es ihn jedes Mal vor der Schlacht packte. Fühlte sich so ein Junkie auf Entzug?
Dies war wirklich nicht sein Element.
Der Deckenlautsprecher der CIC verkündete immer noch ruhig Wulffs und Wacos Befehle. Die beiden schienen durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Wie Jim Waco wohl als Jagdpilot gewesen war?
Dann eröffneten die Columbia und ihre Begleitschiffe das Feuer auf die reinkommenden Bomber und Jagdbomber. Es war den Echsen gelungen den ersten Verteidigungsschirm zu überwinden.
Eine Korvette wurde in ihre Atome zerlegt.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, waren einige der Akarii in der Formation der Erdflotte.
Das Schussfeld für die riesigen Schiffe war plötzlich stark eingeschränkt. Es bestand nun die Gefahr sich gegenseitig zu treffen. Was die schweren Geschütze eines Zerstörers oder Kreuzers mit einer ihrer flankierenden Fregatten machen konnten, wollte Lucas sich lieber nicht vorstellen.
Ein roter Blip in ihrer Nähe.
Die Offiziere und Gasten in der CIC zuckten zusammen als der Raketenwarner des Trägers ansprang. Zwei Akarii-Bomber hatten aus nächste Nähe gefeuert.
Die schweren Anti-Schiff-Raketen beschleunigten mit unzähligen km/s. Die Backbordimpulslaser nahmen die Abwehr auf. Für die Amraam Raketen waren die feindlichen Schiffskiller viel zu nahe.
Eins, zwei, drei Raketen verschwanden im Sperrfeuer der Abwehrgeschütze.
Doch mehrere der Raketen kamen durch. Von einem Megatonnen-Tornado getroffen glühte das Backbordschild des Trägers auf. Auf der ganzen Flanke des Trägers glühten grelle Lichtblitze auf, die von atomarer Sprengkraft kündeten.
Zuerst unbeeindruckt nahm die Columbia diesen Angriff hin.
Die Schilde der Pegasus-Klasse Flottenträger waren dazu gedacht schwersten Angriffen stand zu halten und waren denen auf der Quarsar-Klasse der Akarii fast ebenbürtig.
Was folgte, sollte eigentlich nicht geschehen. Für Flottenträger der Erdstreitkräfte galt die Faustregel, für eine Woche Dienst im Weltall musste der Träger einen Tag ins Dock zur Überholung. Die Columbia hatte zu ihrer Taufe das letzte Mal ein Dock gesehen, das war nun fast dreieinhalb Jahre her. Seitdem war die Wartung nur von der eigenen, unterbesetzten Crew zwischen den Schlachten vorgenommen worden. Die Crew der Columbia war exzellent, doch ersetzte sie nicht die Überholung im Trockendock.
Als die drei Anti-Schiff-Raketen der Akarii einschlugen, kam es zu einer Rückkopplung des Impulswellenleiters für den Hauptschildemitter für die Backbordseite. Ein Kondensatorrelais schmorte durch, das zweite hatte auf einmal die doppelte Energiemenge zu verarbeiten und explodierte. Beide Kondensatorrelais waren dreieinhalb Jahre im Einsatz. Ihr Ersatz hätte zwei Stunden Arbeit und fünf Real fünfundvierzig gekostet.
Die Explosion des zweiten Kondensatorrelais tötete zwei Mann und verletzte zwei weitere schwer.
Das waren die weniger schlimmen Folgen.
Fünf Raketen waren durch die vielschichtige Verteidigung der Columbia gekommen. Drei waren am Schutzschild zerplatzt und hatten für die Rückkopplung gesorgt.
Zwei passierten das eben zusammengebrochene Backbordschild. Eine schlug weit vorne ein, auf den Decks dreizehn, vierzehn und fünfzehn, und zerfetzte die drei Meter dicke diamantgehärtete Titanpanzerung auf sechsunddreißig Quadratmetern. Die zweite schlug zwei Meter unterhalb der Hauptbrücke der Columbia ein.
Ein Ruck ging durch den Zweiundsiebzigtausend-Tonnen-Koloss. Die primären Kommunikations- und Ortungsantennen zerschmolzen in atomaren Feuer.
Ein elektromagnetischer Impuls überlastete viele der nahe gelegenen Elektronika. Panzerung und Stahlträger wurde nach innen gedrückt. Rohrleitungen und Kabel platzten und rissen unter dem unverstellbaren Druck. Bolzen wurden aus ihren Halterungen gesprengt.
Kurzschlüsse ließen auf Deck eins nicht lange auf sich warten. Eine elektrische Rückkopplung ließ den Kartentisch auf der Hauptbrücke explodieren.
Offiziere und Mannschaften schrieen auf.
Ein zerquetschter und zurückgedrückter Deckenträger sprang aus der Halterunge und knallte zu Boden. Er riss dort Deckplatte auf und zerschnitt die darunter liegenden Stromleitungen. Ein Funkenregen erhellte die Kommandozentrale, auf der eben sämtliche Lichter ausgefallen waren.

James Waco war wie alle Trägerkommandanten einst ein Jagdflieger gewesen. Vor dem großen Krieg, wie ihn manche schon nannten. Er hatte nie an großen Jägeroperationen teilgenommen.
Sein Abschusskonto bestand aus sechs abgeschossenen Piraten.
Seinen Namen hatte er sich später als Schwadron- und Geschwaderführer gemacht. Seine Bewertungen als Offizier waren immer erstklassig gewesen.
Den Perisher hatte er im Mittelfeld seines Jahrgangs abgeschlossen und seine Beurteilung als Erster Offizier war hervorragend gewesen.
Mangels Gelegenheit waren ihm irgendwelche großen Orden oder Ehrungen verwehrt geblieben, und auch als Captain der Columbia war er kaum mehr als ein Busfahrer für das Bordgeschwader. Oft genug hatte er die Piloten und höheren Geschwaderoffiziere beneidet. Um ihre Arbeit und den Ruhm, den sie als Angehörige der Jägertruppe erhielten.
Captain James Waco hatte es nie zum Helden im eigentlichen Sinne gebracht. Doch seine Offiziere und die Mannschaft der Columbia verehrten ihn.
Mit ein oder zwei Auszeichnungen, wie dem Navy Cross oder dem Silver Star, wäre er das Musterexemplar für den gewünschten Raumoffizier gewesen.
Nun, als um ihn herum seine Brücke explodierte, nutzte er die Chance auf Heldentum. Er warf sich herum und über seine Admiralin, um sie vor dem explodierenden Kartentisch zu retten.
Als der Deckenträger aus seiner Verankerung gerissen wurden, knallte ein Metallbolzen heraus. Dieser wurde vom Kartentisch abgefälscht, durchschlug Waco und drang in den Oberkörper von Admiralin Bianca Wulff ein. Zerfetzte dort Blutgefäße, Adern und die Lunge.
Jim Waco wurde vom Schock augenblicklich ohnmächtig.
Ihm blieb erspart mitanzusehen, wie die unter ihm liegende Wulff innerhalb weniger Minuten innerlich verblutete.


In der CIC war der Schlag auch zu spüren. George Long wurde von den Beinen gehoben und ein erstickter Fluch erklang. Lucas konnte sich nur mit Mühe am Kartentisch festhalten.
Die Beleuchtung flackerte kurz und kehrte dann wieder zurück.
Stille.
Unheilvoll blickte Lone Wolf zum Deckenlautsprecher auf. Dieser war verstummt.
Commander Long betastete sein linkes Handgelenk und verzog schmerzhaft das Gesicht.
„Sir, keine Kommunikation mit der Brücke.“ Meldete ein Lieutenant, der die Funkeinrichtung der CIC befehligte.
Long betastete noch immer seine Hand.
Lucas zählte im Stummen: einundzwanzig.
Der erste Offizier rappelte sich auf und stöhnte schmerzhaft.
Zweiundzwanzig.
Die Blicke der Offiziere und Gasten wechselte zwischen den beiden Commandern hin und her.
Dreiundzwanzig.
George Long befeuchtete sich die Lippen.
„Schadensbericht Mr. Long!“ Befahl Lucas. Ehe Long reagieren konnte, wandte sich der ehemalige Geschwaderführer der Angry Angels an den Rudergänger. „Irgendwelche Steuersignale von der Brücke?“
„Negativ, Sir, ich glaube das Brückenruder ist offline.“
„Übernehmen Sie die Ruderkontrolle, Mr. ...“
„Kyle,“, half ihm der junge Lieutenant aus, „übernehme Ruderkontrolle, Sir.“
Im Hintergrund war Long zu hören, wie er sich mit der Schadenskontrolle beschäftigt.
„Signaloffizier!“
„Aye, Sir?“
„Stellen Sie Kontakt mit der Brücke her.“ Lucas trat rüber zur Signalstation.
„Dort antwortet niemand, Sir.“ Meldete der Signaloffizer nach mehrmaligen Versuchen.
„In Ordnung, Lieutenant ...“
„Castilliano, Sir, Zweiter Signaloffizier.“
„In Ordnung, Lieutenant Castilliano, ich übernehme hiermit das Kommando über das Schiff, vermerken Sie Urzeit und Datum im Logbuch.“
„Aye-aye, Sir.“
„Commander!“ Long kam mit einem weiblichen Lieutenant Commander der Schiffssicherung im Schlepptau an.
„Wir haben zwei schwere Treffer erhalten“, fuhr der Lieutenant Commander dem Ersten Offizier übers den Mund.
„Das habe ich gemerkt, wie ist der Zustand?“
„Das Backbordschild ist untern, externe Kommunikation ist ausgefallen, interne Kommunikation zu den Decks eins bis sechs ist ausgefallen oder eingeschränkt, Geschütztürme fünf und sechs offline, zwei Oberdecksmanöverdüsen scheinen auch beschädigt zu sein, ebenso die automatische Brandbekämpfung auf Deck eins ...“
„Commander Levitt: Das Backbordschild baut sich nicht wieder auf!“ Rief ein Mann von der Schadenskontrollstation.
Levitt griff nach dem Mikrofon des Kartentisches: „CIC für STC.“
„Hier STC, wir hören.“
„STC, leiten Sie Hilfsenergie und Notstrom auf den Backbordschildemitter um.“
„Aye-aye, Ma'am!“ Eine Kurze Pause. „Leiten jetzt die Energie in den Schildprojektor.“
Levitt drehte sich zur Schadenskontrolle um: „Reaktion?“
„Negativ, Commander!“
Lucas trat zusammen mit Lieutenant Commander Levitt zur Schadenskontrollstation und begutachtete das Main Ships Display.
Bug-, Heck-, Ober- und Unterdeck- sowie Steuerbordschilde zeigten hundert Prozent Leistung. Das Backbordschild war nicht vorhanden.
„Rudergänger!“ Bellte Cunningham. „Z-Drehung, hundertachtzig Grad.“
„Z-Drehung, hundertachtzig Grad. Aye-aye, Sir.“
In diesem Moment wurde einer der flankierenden Zerstörer schwer am Heck getroffen. Die Steuerborddüsen der Davout fielen aus und das kleinere Kriegsschiff driftete stark nach Steuerbord.
In der CIC der Columbia gellte der Kollisionsalarm.
Lucas blickte kurz auf den Schirm und schrie dann den Rudergänger an: „Befehl zurück! Hart Backbord, volle Kraft voraus! VOLLE NEIGUNG!“
Der junge Lieutenant verzichtete darauf den Befehl zu bestätigen. Stattdessen drückte er den Steuerknüppel nach links vorne.
Der Alarm wurde lauter und drängender. Wenn die Columbia mit dem kleineren Duquesne-Class Zerstörer zusammenstoßen würde, wäre es für beide Schiffe das Ende.
Unter normalen Umständen wäre es fast unmöglich, dass zwei Schiffe zusammenstießen. Wenn es genug Raum zum manövrieren gab, würde ein einfacher Seitenschub genügen, um eine Kollision zu verhindern.
Aufeinander zufahrende Raumschiffe würden beide nach Steuerbord ausweichen, so dass die Schiffe einfach aneinander vorbeifuhren. Bei Schiffen, die sich im Verband bewegten, musste das Schiff, welchem Gefahr drohte, vom Verband weg ausweichen.
So tat es die Columbia jetzt. Der zweiundsiebzigtausend Tonnen schwere Flottenträger beschleunigte von achtzig km/s auf einhundertzehn km/s, neigte sich in Fahrtrichtung nach unten und rollte sich auf die linke Seite. Er tauchte quasi unter der Davout durch.
Die Besatzung der CIC blickte gebannt auf den Hauptschirm. Rettungskapseln wurden von dem Zerstörer ausgeschleust.
Lone Wolfs Hände vergruben sich in den Sessel des Rudergängers. Die Davout lief Gefahr, manövrierunfähig in die Flotte zu driften. Sie hatte den Flottenträger fast passiert, da wurde die Selbstzerstörung von einem mutigen Besatzungsmitglied ausgelöst.
Die Feuersbrunst verschlang die letzte Rettungskapsel, die sich von ihrem Mutterschiff gelöst hatte.
Kleine Wrackteile der Davout schlugen in die Heckschilde der Columbia ein, welche dem Bombardement mühelos standhielten.
Im hinteren Bereich der CIC übergab sich jemand geräuschvoll.
Der stechende Geruch und das widerliche Würgen sorgten auch bei Lucas dafür, dass sich sein Mittagessen den Weg durch die Speiseröhre hinauf wand. Krampfhaft schluckte er die halbverdaute Masse herunter.
„Signaloffizer: Meldung an Hongkong: Flottenkommandant ausgefallen!“ Dann wandte er sich an die Schadenskontrolloffizierin: „Ich brauche Kontakt zur Brücke oder muss zumindest wissen, was dort oben los ist. Und wir brauchen das Backbordschild!“
„Aye, Sir.“
Cattaneo
Tyr

Unerbittlich wurde klar, dass der Schlachtplan der TSN so nicht aufging. Die Akarii waren keineswegs überrascht worden, und ihre Flugabwehr auch nicht so einfach durch den ersten Angriff zu zerschlagen oder zu durchbrechen. Bestenfalls konnte man sie beschädigen, nach einer Schwachstelle suchen. Und dieser Vorstoß, wie auch der folgende, kosteten Blut, Schweiß, Raketen und Treibstoff. Dezimierte und erschöpfte Piloten, die mit rasch schwindenden Treibstoffreserven operierten, waren anfälliger für Fehler, eine leichtere Beute. Die Akarii konnten auf Zeit spielen – sie hatten einen ganzen Flottenverband zur Gefechtsunterstützung in der Hinterhand, und zwei Träger in unmittelbarer Nähe. Die Menschen hingegen waren mehrere Flugstunden von derartiger Hilfe entfernt.

Die Schwarze Staffel war bisher von weiteren Totalausfällen verschont geblieben, doch hatte Kano nach Submarine auch noch Grizzly mit schwer angeschlagener Maschine zurückschicken müssen. Auch wenn man von ihm sagte, dass er seinen Flieger so lange flog, bis er unter ihm weggeschossen wurde, Kano sah keinen Sinn darin, Maschinen mit zusammengebrochenen Schutzschilden und zerschossener Panzerung, mit abrasiertem Backbordflügel oder einem nur noch auf dreißig Prozent laufenden Hauptantrieb im Einsatz zu halten. Außer es ging unmittelbar um das Überleben der COLUMBIA. Die Butcher Bears hatten schon genug gelitten in den letzten Wochen. Hohe – sinnlos hohe – Verluste konnten eine Einheit genauso schnell vernichten, wie ein Flakkreuzer. Als Staffelführer lag es auch in seiner Verantwortung, seine Einheit nicht ausbluten zu lassen.
Außer, er bekam einen entsprechenden Befehl. Außer, es war unbedingt nötig.

Aber momentan war es klüger, die zusammengeschossenen Maschinen zurückzuschicken, und die Piloten in die Reservemaschinen zu stecken. Man würde sie noch brauchen können.
Mit den verbliebenen neun Jägern seiner Schwadron und einem rasch schwindenden Vorrat an Raketen hatte sich der japanische Pilot wieder und wieder in den Kampf geworfen. Er hatte bisher keinen weiteren Abschuss erzielen können. Und, sehr viel schlimmer, sie kamen einfach nicht durch. Was nützte es, wenn zwei feindliche Zerstörer von Atomraketen zerfetzt wurden, und die Angry Angels sich ein paar weitere Dutzend Abschussmarken auf ihre Maschinen würden malen können? Unbeschädigt, ja scheinbar unverwundbar hielten die feindlichen Flottenträger ihre Stellung.

Dann übertönte auf einmal Ravens kühle Stimme das dumpfe Vibrieren des auf Maximalleistung arbeitenden Triebwerks: “Skunk, Ohka, beide Schwadronen vom Feind lösen. Beschreibt einen leichten Bogen und geht die Akarii direkt von Vorne an! Vielleicht ergibt sich dadurch für uns eine Öffnung.”
Raven wechselte den Kanal, noch bevor Kano bestätigen, geschweige denn etwas zu diesem Befehl sagen konnte. Die Rote Schwadron war bereits ähnlich abgekämpft wie die ‚Butcher Bears’.
‚Glaubt Raven wirklich, die Akarii machen sich wegen nicht einmal zwei Dutzend Nighthawks ohne Raketen und mit schwindenden Spritreserven Sorgen? Und selbst wenn… Unsere Jabos und Bomber haben sich doch ohnehin schon teilweise verschossen. Wenn sie nicht ganz einfach abgeknallt wurden.’ Die Tatsache, dass es seine Pflicht gewesen wäre, dies zu verhindern, machte die Erkenntnis noch bitterer.
Aber Befehl war Befehl. Ein verzerrtes, fatalistisches Lächeln huschte kurz über Kanos Gesicht. ‚Ob wir nun Köder spielen sollen, Rammbock oder letztes Aufgebot…
Es spielt keine Rolle. Es ist nicht so wichtig, was wir erreichen. Wichtig ist nur, dass wir alles getan haben, was in unserer Macht lag. Nicht alleine das Ziel ist entscheidend, sondern der Weg dorthin.’ Und in diesen Worten, die einer seiner Ausbilder ihm einmal mitgegeben hatte, lag auch ein gewisser Trost: „SCHWARZE STAFFEL! Ihr habt gehört, was Raven will. Liefern wir ihr für ihr Geld eine schöne Show!“ Falls sich einige der Piloten über diese ungewohnt lockeren, fast flapsigen Worte wunderten, zeigten sie es nicht: „Staffelführer Rot – wir schließen auf! Wir sind an eurer Seite.“
Skunk lachte schneidend: „Immer noch besser, als an meinem Arsch, Schwarz!“ Andere Piloten stimmten kurz mit ein, und sogar Kano spürte merkwürdigerweise, wie seine Mundwinkel kurz zuckten. Noch etwas, das ihm ein anderer Ausbilder auf den Weg gegeben hatte: ‚Wir, die wir dem Tod geweiht sind, lachen über fast Alles.’

Die knapp zwanzig Nighthawks entzogen sich mit aktivierten Nachbrennern ihrem Feind, formierten sich in einem an ein lautloses Ballet erinnernden Wirbel zu einer offenen Formation, schlugen einen Bogen, und stürzten sich zurück in die Schlacht.
Mitten hinein in den Schlund der Hölle.
Denn die Akarii schluckten Ravens Köder mit Kiefern aus Feuer und Stahl. Zusätzlich zu den aggressiv vorstoßenden Reapern und Bloodhawks mischten sich jetzt auch noch die Bordkanonen und Flugabwehrraketen der vorderen Akarii-Kriegsschiffe mit ein.
Kano war schon oft durch den Feuerzauber einer Raumschlacht geflogen. Doch all diese Erfahrung nahm dem Schauspiel nichts von seiner schrecklichen, angsteinflößenden Großartigkeit. Oder Tödlichkeit. Binnen Sekunden war von einer Gefechtsordnung nicht mehr viel übrig, zerfiel der Kampf der beiden Staffeln in ein chaotisches Durcheinander von Duellen und scheinbar regellosen Kampfbegegnungen kleiner Gruppen. Das Geschwader, die Staffel, spielte in diesem Hexenkessel nur noch eine nachgeordnete Rolle.
Kano hatte sich mit dem verbliebenen Jäger seines Schwarms zusammengetan und Shoto befohlen, sich Bunny anzuschließen. Die stille Japanerin passte ganz gut zu dem beherrschten Perser, und zu Fox, die leider nur gutes Mittelmaß war. Die drei würden keine Dummheiten machen und sich zuverlässig den Rücken decken.
Aber wie man es auch drehte, wendete und schönredete – damit bestanden die drei Sektionen der Butcher Bears nur noch aus insgesamt neun Maschinen. Und die Schlacht war noch nicht vorbei.

Momentan befanden sich die verbliebenen Jäger der dritten Sektion in einem wütenden Kurvenkampf mit zwei Reapern. Die schnellen, aber nur leicht bewaffneten Feindjäger setzten voll auf ihre überlegene Geschwindigkeit und Beschleunigung. Schon zweimal war es ihnen so gelungen, sich dem Zugriff der schwerer bewaffneten Erdmaschinen zu entziehen. Kanos Raketenbewaffnung war auf zwei Sparrow zusammengeschmolzen, die er nicht auf ein so agiles und kleines Ziel wie die Reaper verschwenden wollte. Nicht, so lange noch irgendeine Hoffnung auf einen möglicherweise entscheidenden Angriff der eigenen Bomber bestand.
Schließlich verlor Kano die Geduld. Mit vollem Gegenschub brachte er seine Maschine zum Halt, und ließ sie alleine mit den Manöverdüsen um die Horizontal- und Vertikalachse rotieren. Das machte ihn selber zwar zu einem guten Ziel für die Reaper, doch konnten ihre leichteren Bordwaffen die starken Schilde der Nighthawk nicht durchbrechen. Sein Gegenfeuer hingegen rasierte einem Feindjäger den halben Steuerbordflügel ab. Im letzten Augenblick konnte der Reaper wegziehen – und geriet damit genau in Crusaders Sperrfeuer. Der Akarii stieg aus, und sein Kamerad entzog sich mit dem Einsatz des Nachbrenners dem Gefecht.
‚Auf die Idee hätten sie früher kommen sollen.’
Im nächsten Augenblick sah sich Kano in einem regelrechten Käfig aus Energiebahnen gefangen, als einer der Akarii-Zerstörer eine volle Breitseite abfeuerte. Ein schriller Warnton und das Flackern der Anzeigen informierten ihn, dass seine Schilde auf unter 50 Prozent gesunken waren. Mit einem halb erstickten Fluch gab er Vollschub und ließ die Maschine in einer engen Spiralbewegung aus dem feindlichen Feuervektor steigen.

Das rettete ihn vor dem Zerstörer, brachte ihn aber mitten hinein in einen heftigen Schlagabtausch zwischen zwei Nighthawks der Roten Schwadron und einem Quartett von ebenfalls bereits schlachtgezeichneten Bloodhawks. Die meisten Piloten der Roten und Schwarzen Schwadron hatten, wie ihre Gegner, ihre Raketen bereits verschossen. Das Chaos der Raumschlacht und die von beiden Seiten eingesetzten Störsender erschwerten die Zielerfassung. Deshalb tobte der erbitterte Kampf auf kürzeste Entfernung.
Kano eröffnete das Feuer, noch bevor die Bordelektronik die Zielauffassung meldete. Als der feindliche Pilot versuchte, durch einen halben Looping aus Kanos Visier zu steigen, ließ sich der japanische Pilot davon nicht verunsichern, sondern blieb am Heck seines Gegners hängen und feuerte unbeirrt weiter, während er seine Maschine in die Rückenlage brachte.
Eine andere Bloodhawk pirschte sich an Kanos Heck heran, nur um ihrerseits von Crusader aufs Korn genommen zu werden. Eine der Akarii-Maschinen wurde von einem Piloten der Roten Staffel abgeschossen, und eine zweite musste schwer beschädigt abdrehen, bevor sich die Kämpfer wieder trennten.

Ein schneller Feuervorstoß einiger Bloodhawks zwang Kano zu einem schnellen Abschwung gefolgt von einer Fassrolle, um sich aus der Zielerfassung der Akarii zu lösen. Eine Pokryschkin-Hochgeschwindigkeitswende brachte den Bug der Nighthawk wieder in Richtung der Feindjäger. Während Crusader den Gegner von Unten aufs Korn nahm, eröffnete Kano das Feuer, nur um im nächsten Augenblick den Nachbrenner zu aktivieren, die Feindjäger zu passieren und mit einem sauberen Von-Bein-Manöver den Kampf fortzusetzen.
Davon überrascht fächerten die Bloodhawks auf, und suchten den Kurvenkampf.

Etwa vierzig Sekunden später, und mitten in einem chaotischen Kurbeln drei zu sechs, unterbrach Skunks Stimme einen lautlosen Fluch Kanos, der versuchte einen Haken schlagenden Akarii aufs Korn zu nehmen, ohne gleichzeitig selber zum Opfer zu werden. Die Stimme des Führers von Staffel Rot war von Störsignalen und Statik verzerrt, nur schwer zu verstehen: „…an alle roten und schwarzen…zurückfallen lassen,…nicht so schnell, dass die Schuppenflechten den Kampf abbrechen. Zieht sie schön....”
‚Wer hat diesen Idioten zum Kommandeur BEIDER Staffeln ernannt?! ‚Nicht so schnell’?! Wir müssen die Akarii von unseren Kehlen weg schlagen! Dass sie den Kampf abbrechen?! Es sieht nicht so aus!’ Kanos Stimme klang hart und wütend: „Ohka an Eagle Schwarz – langsam Absetzen! Sektion Eins – wir brauchen etwas Hilfe hier, La Reine!“
Sich ‚langsam’ abzusetzen, das war riskant – denn es bedeutete, weitestgehend auf den Einsatz der Nachbrenner zu verzichten. Und das hieß wiederum, es kam alleine auf die Kurvenfähigkeit und die Zusammenarbeit der Piloten an. Bei einer eindeutigen zahlenmäßigen Unterlegenheit und gegen Bloodhawks war das ein gefährliches Manöver.

Sie schafften es, aber nicht alle. Reds Maschine wurde mitten in einem Vertigo-Abschwung durch die Strahlenkanonen von drei nachsetzenden Bloodhawks regelrecht aufgespießt. Der Pilot hatte gegen das entfesselte Energiegewitter nicht den Hauch einer Chance. Binnen weniger Sekunden wurde seine Maschine zerfetzt, ohne dass er aussteigen konnte. Ein flüchtiges Aufflackern, dann nichts mehr. Nicht einmal ein Schrei.
Es blieb keine Zeit, ihn zu rächen. Wie Kano es erwartet hatte, dachten die Akarii nicht daran, den Kampf abzubrechen, sondern setzten wütend nach, scheinbar wild entschlossen, die Nighthawks zu vernichten.

Genauso, wie es Raven beabsichtigt hatte.
Ihre Rechnung schien aufzugehen, auch wenn die Rote und Schwarze Staffel dafür bezahlen mussten. Aber in ihrem Ehrgeiz, die Nighthawks zu vernichten, dünnten die Akarii ihre Verteidigung gefährlich aus, und schufen so eine Lücke in ihrem Abwehrschirm. Wie ein Schwertkämpfer, der, im Bestreben den Gegner zu vernichten, die eigene Deckung vernachlässigte.
Und in die so entstandene Lücke stießen die Bomber und Jagdbomber der TSN. Kurzzeitig waren die sichernden Akarii-Maschinen in der Unterzahl, und wurden von den Angreifern regelrecht beiseite gefegt. Dann, in einem fast lehrbuchhaft geflogenen Angriff, löste ein Quartett Jabos ihre Atomraketen und setzten aus allen Rohren feuernd nach. Einer der Schweren Kreuzer, die den führenden Akarii-Träger sicherten, wurden von der Heftigkeit und Plötzlichkeit dieses Angriffes kalt erwischt. Jetzt rächte sich der vergleichsweise dünne Sicherungsschirm an Großkampfschiffen. Binnen Sekunden stand der Yankee in Flammen, driftete aus seiner Blockadeformation, während aus zahllosen Hüllenbrüchen Sauerstoff ins All entwich.

Die Bomber setzten nach, um den scheinbar ungeschützten Flottenträger aufs Korn zu nehmen. Aber auch so war das riesige Kriegschiff keine leichte Beute. Die Flugabwehrgeschütze und leichten Raketenwerfer entfesselten ein mörderisches Sperrfeuer, während die am Nächsten stehenden Akarii-Einheiten Fahrt aufnahmen, und mit Höchstgeschwindigkeit zu Hilfe eilten. Zwei Zerstörer nahmen in einer fast anmutig wirkenden Zangenbewegung die Stelle des ausgefallenen Yankee ein. Offenbar waren diese Schiffe speziell als Flugabwehrschiffe gebaut worden. Was ihnen an SSM fehlte, wurde im Kampf gegen feindliche Kampfflieger und Marschflugkörper durch zusätzliche Laserbatterien und Impulslaser wettgemacht. Hinter dem davon driftenden, wrackgeschossenen Yankee tauchten plötzlich zwei Sektionen Reaper auf, und warfen sich auf die Angreifer.
Und die Akarii-Jäger, die eben noch wie im Blutrausch die Nighthawks der Roten und Schwarzen Staffel angegangen waren, wendeten, und beschleunigten auf Höchstgeschwindigkeit, in dem entschlossenem Versuch, den angreifenden Thunderbolts, Crusaders und Mirages in den Rücken zu fallen.

Doch ihre bisherigen Gegner waren zwar angeschlagen und zurückgedrängt worden, aber noch nicht aus dem Spiel. Kano hatte kaum Zeit gehabt, die Meldung von Skunks Ausfall zu realisieren, als er erkannte, dass die Situation möglicherweise im Umkippen begriffen war. ‚Nicht so schnell!’
„ACE! Wir müssen sie stoppen! EAGLE ROT UND SCHWARZ – ANGRIFF, NACHSTOSSEN!!“
Er hielt sich nicht damit auf, festzustellen, ob die Rote Schwadron folgte, und beschleunigte auf Abfanggeschwindigkeit.
Nun rächte sich der Angriffsgeist der Akarii, die bei ihrem Angriff auf die Nighthawks zu weit vorgestoßen waren. Denn als sie sich jetzt abzusetzen wollten, boten sie den Piloten der TSN ein gutes Ziel, und bezahlten das mit hohen Verlusten. In wenigen Augenblicken fielen so mehr Maschinen aus, als während des minutenlangen Kurvenkampfes zuvor.

Auch Kano war erfolgreich. Eine feindliche Bloodhawk überholte seine Maschine mit Höchstgeschwindigkeit – allerdings nicht schnell genug. Der japanische Pilot brachte den Bug seiner Nighthawk mit einem leichten Tippen gegen den Steuerknüppel in die richtige Position, und drückte die Knöpfe der Bordkanonen. Das Salvenfeuer der vier schweren Bordgeschütze war zuviel für die bereits geschwächten Schilde des leichteren Jägers. Die Einschläge zerfetzten das Heck der Bloodhawk, wanderten nach vorne und erreichten das Cockpit vielleicht eine Sekunde nachdem der Akarii-Pilot ausgestiegen war. Die folgende Explosion riss den Rumpf auseinander und ließ einen der Flügel als wertlosen Weltraumschrott davon wirbeln. ‚Den schleppt keiner mehr ein!’ Kano visierte bereits das nächste Ziel an, und drückte einmal mehr den Nachbrennerhebel nach Vorne. Jetzt ging es ums Ganze. Und es gab viel zu tun.

Doch egal, mit welchem Kampfgeist sich die Nighthawks und ihre Kameraden auf die Akarii-Jäger stürzten, egal wie verbissen die Bomber und Jagdbomber der TSN angriffen, es war nicht genug. Sie kamen nicht durch.

Und noch während Raven sich mit ohnmächtiger Wut dazu zwingen musste, diese bittere Realität zu akzeptieren, musste sie erkennen, dass es jetzt nicht mehr nur um einen fehlgeschlagenen Angriff auf die Akarii-Flotte ging. Jetzt ging es darum, eine totale Katastrophe zu verhindern. Ihr eigener Flottenverband war von feindlichen Bombern angegriffen worden. Die Columbia war schwer getroffen. Und die fehlenden Akarii-Kreuzer waren jetzt plötzlich auf dem Schlachtfeld aufgetaucht – mit Angriffskurs auf den angeschlagenen TSN-Verband.

Wenn jetzt auch noch die beiden feindlichen Trägereinheiten und ihre Geleiteinheiten als operativer Verband einsatz- und angriffsfähig blieben, dann konnte sich Karrashin für die TSN zu einem kleinen Cannae entwickeln. ‚Das kann ich nicht zulassen!’ Ihre erste Schlacht durfte nicht in einem solchen Desaster enden. Die Admirälin, die Kapitäne der Schiffe, die Männer und Frauen unter ihrem Kommando – sie alle verließen sich auf sie. Sie würde Cunningham nicht einmal im Tode die Genugtuung gönnen, hier zu versagen. Die Angry Angels waren mehr als Lone Wolf, sein Glück und sein gigantisches Ego. SIE war jetzt die Angry Angels.
Und dennoch…langsam glaubte sie manche der taktisch unsinnigen, idiotisch riskanten Aktionen Lone Wolfs besser verstehen zu können. Manchmal musste man va Banque spielen, alles auf eine Karte setzen: „Mother Eagle an Eagle, Falcon und Hawk Gold, Silber und Bronce! Freier Angriff! ICH WILL DIESEN TRÄGER! MOTHER EAGLE AN ALLE JÄGER- GEBT IHNEN DECKUNG! Sie müssen durchkommen! SIE MÜSSEN!!“
Noch während sie diese Worte herausbrüllte, beschleunigte sie ihren Jagdbomber auf Angriffsgeschwindigkeit.

Noch einmal warfen sich die verbliebenen Maschinen der drei Geschwader in den Angriff Von etwa 140 TSN-Maschinen waren bereits fast ein Drittel ausgefallen – abgeschossen, beschädigt nach Hause gehinkt, hoffend, dass sie es noch so weit schafften. Die meisten der verbliebenen Jäger und unangenehm viele der Bomber und Jagdbomber hatten sich bereits verschossen, waren beschädigt, oder flogen mit der letzten Kampfreserve in ihren Treibstofftanks. Einen weiteren Grossangriff würde es nicht geben.
Während Raven ihre Männer und Frauen in den Angriff führte, ihre Maschine steigen, ausbrechen, vorstoßen und feuern ließ, versuchte sie verzweifelt, in dem rasenden Chaos aus Kampffliegern, Kriegsschiffen, Raketen, Strahlenbahnen und Explosionen die Übersicht zu bewahren, und Befehle zu geben.

Die Kampfflieger der Angry Angels wurden ihrem Ruf gerecht, selbst das Tor der Hölle stürmen zu können, und ihre Kameraden von den Bushpilots und den Guardsman standen ihnen in nichts nach.
Ein weiterer Yankee verging im Feuer von einem halben Dutzend Atomexplosionen und einer ganzen Reihe von Sekundärexplosionen. Von den hunderten Akarii an Bord entkam nicht mehr als eine kleine Handvoll. Einer Fregatte wurde regelrecht das Rückgrat gebrochen, und eine Korvette verwandelte sich in eine nukleare Sonne, die jäh aufloderte und genauso schnell wieder erlosch. Und das waren nicht die einzigen Opfer, die der Akarii-Verband bringen musste.
Mehrere Raketen trafen den feindlichen Führerträger schwer, durchschlugen teilweise seine Schilde und auch die schwere Panzerung. Der Uniform musste bluten, aber er starb nicht. Zwar verlor er an Fahrt, und aus mehreren Lecks schossen Gasgeysire in den Weltraum. Doch der schwere Flottenträger war ein weitaus härterer Gegner als ein Kreuzer. Und mit jeder verstreichender Sekunde mischten sich mehr Akarii-Jäger in den Kampf um den Träger ein, überwanden sie den Schock über den rücksichtlosen Sturmangriff der TSN-Kampfflieger, nutzten ihre zahlenmäßige Überlegenheit, und nahmen die terranischen Maschinen einzeln aufs Korn. Immer mehr der anderen Akarii-Kriegsschiffe konnten aufschließen und brachten ihre schwere Bewaffnung ins Spiel. Wie ein angegriffenes Rudel scharrten sie sich um den verwundeten Kameraden und schlugen erbarmungslos auf die Angreifer ein, die es gewagt hatten, einen der Ihren zu verletzten.

Am Ende waren es ganz einfach zu viele Akarii – zu viele Jäger, zu viele Kriegschiffe, zu viele Raketen und Kanonen. Und zu wenig Flieger der TSN, zu wenig Feuerkraft. Die Angry Angels, die Bushpilots und die Guardsmen hatten Alles auf diesen letzten Angriff gesetzt, jeden verbliebenen Kampfflieger, jede Atomrakete. Es war nichts mehr in der Hinterhand, keine Reserven mehr übrig. Und es war nicht genug
Hätte sie nur noch ein halbes Dutzend Atomraketen mehr gehabt, sie hätten es schaffen können. Raven hätte einen erneuten Angriff auf den Uniform befohlen – und zur Hölle mit dem Risiko, das wäre es wert gewesen. Aber sie hatte sie nicht.
Die Stimme der Geschwaderführerin klang brüchig und rau, als sie sich an die verbliebenen Flieger der Angriffsgeschwader wandte: „Mother Eagle an Alle! Vom Gegner lösen! Wir…wir ziehen uns zurück.“ Und sie glaubte den bitteren Geschmack der Niederlage auf den Lippen zu spüren.
Cattaneo
Cattaneo

Hannibals Erben I

Kampfflieger der Grünen Staffel

„…bestätige Abschuss Shoki – gute Arbeit, und Fidai auch.“ Knight gratulierte seinen jungen Kameraden, die sich an der Jagd auf die fliehenden Akarii beteiligt hatten. Dieses Lob beruhigte Fidai so weit, dass er seine „Allahu Akhbar!“-Rufe für eine korrekte Antwort unterbrach: „Danke, Knight.“
Shoki hatte natürlich wieder etwas zu bekritteln, trotz ihres ersten Abschusses: „Das brauchst du aber nicht so gönnerhaft zu sagen.“ Ihre Stimme klang etwas undeutlich, war aber dennoch zu verstehen. Ein Raptor hatte ihr eine volle Breitseite verpasst und ihre Schilde überlastet, genau in dem Augenblick in dem sie ihn zu seinen Ahnen geschickt hatte auf eine Art und Weise, die auch ihrem älteren Bruder Ehre gemacht hätte. Dennoch hatte der Treffer einen ihrer Bildschirme explodieren lassen, und ein Splitter hatte ihr die Wange aufgerissen. In Shokis Jäger sah es ziemlich wüst aus – Wunden wie diese bluteten stark – aber sie hatte etwas künstliche Haut aufgetragen und die Blutung gestoppt. Das Grinsen, das in ihren Worten mitschwang, wirkte bei dem blutverschmierten Gesicht wohl ziemlich makaber. Nur gut, dass Ohka sie so nicht sehen konnte.
Die Stimme Imps klang nicht im Geringsten lobend oder fröhlich: „Funkdisziplin, ihr Klatschmäuler, ALLE miteinander, oder ich verpasse euch Maulkörbe!“ Normalerweise war sie bei weitem lockerer und ihre neue Position als XO hatte in der Staffel nichts an ihrer Beliebtheit geändert. Aber der Ausfall von Lilja und der Treffer auf der Columbia hatten ihr sonst so fröhliches Naturell vorläufig überschattet, während die anderen Piloten diese Rückschläge für einen Moment vergessen hatten, auch weil sie selber noch lebten und gesund waren.

Ina Richter wusste nicht, ob ihre Freundin überhaupt noch lebte, auch wenn Dragon sie hatte aussteigen sehen – Dragon, dessen Wangen vermutlich noch von der ,Zigarre’ glühten, die Imp ihm, nicht ganz gerechtfertigt, verpasst hatte. Und sie wusste auch nicht, wer an Bord des Trägers gestorben war. Wer wie sie viele Freunde hatte, war zwar nie einsam – aber er verlor auch schnell welche. Deshalb klang ihre Stimme ungewöhnlich grimmig.
„Sammeln und bereitmachen zum Auftanken – wir wissen nicht, ob die Echsen noch ein paar Jagdbomber in der Hinterhand haben. Oder Sturmjäger.“ Deltavögel konnten, obwohl sie selber keine Atomraketen einsetzen konnten, einen Havaristen wie die Columbia schwer anschlagen.
In diesem Augenblick mischte sich eine barsche, autoritäre Stimme in den Funkverkehr der Jäger und ihre Worte ließen den letzten Rest von Erleichterung oder Freude unter den Piloten ersterben, um so mehr als die Meldung unter Auslassung des Codenamens erfolgte – offenbar wollte da jemand sichergehen, dass jeder Zuhörer wusste woher die Meldung kam, selbst wenn er nicht jede Codebezeichnung kannte: „Achtung, Achtung, hier TRS-Kreuzer Relentless, Commodore Mithel, Prioritätsmeldung Alpha an alle. Feindkreuzer im Anflug aus planetarem Orbit, Position und Zahl folgen. Leiten Gegenmaßnahmen ein.“

Kreuzer TRS Relentless über Karrashin V

An Bord der Relentless herrschte Chaos, wenn auch ein geordnetes. Schon unter normalen Umständen ging es im Gefecht auf der Brücke eines Kampfkreuzers vor allem für einen ungeübten Beobachter akustisch drunter und drüber – ständig trafen Meldungen ein und wurden weitergegeben, Befehle wurde gebrüllt, Sirenen und Signaltöne heulten die Tonleiter hinauf und hinunter, jede einzelne Sequenz mitunter von großer Bedeutung für den Zuhörer. Dazu kamen die Erschütterungen von Einschlägen und die Vibrationen eines Schiffs im Gefecht, wenn es mit voller Kraft manövrierte und seine Geschütze abfeuerte. Doch das war noch gar nichts im Vergleich zu dem Schauspiel das sich bot, wenn besagter Kreuzer auch noch gut anderthalb Dutzend andere Schiffe zu befehligen hatte. Unablässig kamen jetzt die Meldungen: „Korrigiere, jetzt fünf Sensorechos, im Steigflug befindlich!“ „Erste drei Echos identifiziert – Kilo Eins und Zwei, Yankee Eins…“
„Korrigiere auf zehn Echos, identifiziere Kilo Eins bis Fünf, Yankee Eins bis Drei…“
„Kilo Eins in 30 Sekunden in Feuerabstand…“
Dazu kamen die Befehle, mit denen Mithel versuchte seinen Verband zu ordnen, seinen eigenen Kreuzer gefechtsbereit zu machen und Kontakt zu den Kommandeuren der anderen Schwadronen zu halten – alles das kam gleichzeitig und durcheinander, sich gegenseitig zum Teil übertönend.
„Leichte Kreuzer Schwadron 2.3 formieren sich, Abfanggürtel vor Bau Eins bis Drei…“
„Schwere Kreuzer auf Angriffskurs – noch 25 Sekunden bis maximale Feuerdistanz zu Kilo Eins!“ „Meldung von Janzek – Ihr Geschwader, Trattis Division plus leichte Schiffe der Hongkong und Wasp versuchen massierten Entlastungsangriff…“ „Korvetten fallen zurück auf inneren Verteidigungsgürtel, bereit zur Nahbereichsabwehr…“
Der Angriff der gegnerischen Bomber war schon für sich genommen besorgniserregend gewesen und hatte einige schwere Treffer verursacht, die hunderte Todesopfer gefordert haben mochten. Aber man musste kein taktisches Genie sein um zu erkennen, dass diese neue Entwicklung aus einem harten Kampf eine Schlacht um das nackte Überleben gemacht hatte. Inzwischen waren gut anderthalb Dutzend feindliche Kreuzer zu erkennen, die in perfekter Angriffsformation aus dem Orbit von Karrashin V aufstiegen, und ständig wurden weitere Angreifer gemeldet oder identifiziert. Es war ein Bild, wie geschaffen für ein Gemälde oder einen Kriegsfilm, die Kampfgiganten vor dem Hintergrund des gewaltigen Gasriesens, über sich das schwarze All mit fernen Sternen. Dies war einer der raren Augenblicke, in denen die Wirklichkeit jede Fiktion übertraf, vor allem für jene, die ein solches Schauspiel miterlebt hatten – und sich später daran erinnern konnten.

Der Commodore hatte sich leicht in seinem Sessel vorgebeugt, die Arme lagen auf den Lehnen. Er lächelte grimmig, als müsste er an etwas denken, das in ihm bittere Erheiterung weckte. ,Einmal so eine Macht und so eine Gelegenheit zu meiner Verfügung…’ dann wurde sein Lächeln noch etwas bitterer: ,Nun, ich HABE beinahe solche Mittel und eine solche Gelegenheit – genau jetzt…’
In diesem Augenblick wurde er unsanft daran erinnert, dass er nicht allein agierte oder gar kommandierte: „Commodore, Funkspruch von Schepens – Kreuzer Verteidigungslinie bilden, leichte Träger geben Unterstützungsfeuer und schließen auf.“ Mithel nahm dies mit einem knappen Nicken entgegen, dem nichts von seiner Verärgerung anzumerken. Die leichten Träger in die Schlachtlinie zu befehlen war ein sinnvoller Schachzug, denn sie hatten eine Feuerkraft, die durchaus beachtlich war, wenn auch der eines Ticonderoga-Kreuzers nicht ebenbürtig. Zudem bewies es Mut, und dieser Beistand würde die Kreuzer anfeuern und bei ihrer Ehre packen, denn sie konnten natürlich nicht hinter den „Flyboy-Taxis“ zurückstehen. Aber er hätte lieber freie Hand für den Einsatz seiner Schiffe gehabt, als Befehle abwarten zu müssen, die gleichsam über Etappen weitergegeben wurden.
Nun, dem war eben so…
Er richtete sich auf. Jedes Zögern, jeder momentane Schock war aus Stimme und Miene gewichen: „Mithel an Flottenverband – bereitmachen zum Angriff. Feuer konzentrieren, Ziele paarweise auffassen, Zuweisung folgt – Relentless gibt erste Salve ab, von da an Feuer nach eigenem Ermessen. Nachzügler Feuer integrieren.“ Dann nickte er seinem ersten Waffenoffizier zu, der ihn seit Anfang des Krieges begleitet hatte. Der erhabene Anblick der gegnerischen Formation reduzierte sich in seinen Augen auf Ziele, auf Gefahren und Siegeschancen: „Sobald der Gegner in Reichweite ist – Feuern Sie.“

Wenn er gekonnt hätte, hätte Mithel den Gegner massiert angegriffen, um seinem Sturmlauf im Sperrfeuer ermatten zu lassen. So aber war ein Teil seiner Kreuzer noch nicht in Feuerreichweite. Der terranische Verband hatte sich zu Beginn der Schlacht in einer Formation zur Rundumverteidigung positioniert. Das war nur logisch gewesen, wie der Angriff der feindlichen Bomber bewiesen hatte. Aber es bedeutete auch, dass einige Schiffe erst aufschließen mussten, um sich zwischen die näher kommenden Angreifer und ihr Ziel – offenbar die Träger – zu stellen. Vor allem hatte man den gegnerischen Angriff nicht gerade aus dem planetaren Orbit erwartet. Der Commodore konnte sich glücklich schätzen, dass er im Augenblick vier leichte und fünf schwere Kreuzer zu seiner direkten Verfügung hatte – die restlichen fünf Achilles-Kreuzer und die beiden Flakkreuzer der Schwadron schlossen so schnell auf wie sie konnten. Und auch die Kreuzer der Wasp gingen gerade erst in Blockadeformation. Sie alle würden feuern, sobald sie in Reichweite waren. Bis dahin musste er mit dem auskommen, was er hatte. Und hoffen, dass der Angriff der leichten Einheiten ihm Zeit erkaufte.
Sein Verstand, der in langen Jahren des Friedens und des Krieges geschult worden war, arbeitete unermüdlich, bewertete die einkommenden Meldungen, filterte Informationen heraus und traf Entscheidungen. Doch unwillkürlich fragte er sich, wie so oft in so vielen Schlachten, wie lange er noch die richtigen Entscheidungen treffen würde, und wann er auf einen Gegner treffen würde, der ihm durch Geschick oder Zufall überlegen war. Sollte heute dieser Tag sein?

Man konnte den Zerstörern und Fregatten der Menschen wahrhaft nicht mangelnden Angriffsgeist vorwerfen. Dank ihrer höheren Geschwindigkeit konnten sie sich schneller sammeln und umgruppieren als die schweren Einheiten, und sie zogen jedes bisschen Vorteil aus ihrer Beweglichkeit. Sie wussten, dies waren ihre Chance und ihre Stunde. Einige Kommandeure mochten dem Ruhm hinterher jagen, der auf so leichten Schiffen nur selten zu erlangen war. Die Fregatten und Zerstörer der Columbia, die das Gros der Einheiten ausmachte, hatten bei Tukama nicht viel tun können, und mancher mochte hoffen dies jetzt ausgleichen zu können. Die meisten aber handelten weil es ihnen befohlen war und weil die Akarii direkt ins Herz der terranischen Flotte zielten. Fast 40 leichte Kriegsschiffe griffen an ,Mit eingelegter Lanze’, wie man im Kavalleriejargon sagte, oder ,Auf Rammkurs’ wie es in der Flotte genannt wurde.
Für ungefähr zehn scheinbar endlose Sekunden bot sich dem Betrachter ein fast ästhetisch zu nennendes Bild. Die Akarii – inzwischen 20 an der Zahl – die in Keilformation aus dem Orbit aufstiegen, ihnen entgegen strebte die Frontlinie der leichten terranischen Schiffe, und dahinter die schweren Einheiten und die Korvetten. Dann öffneten sich die Abschussrohre der schweren Raketenwerfer, die gigantischen Geschütztürme erwachten zum Leben. Gut Fünfzigtausend Menschen an Bord von Trägern, Kreuzern, Zerstörern, Fregatten und Korvetten und mehr als zehntausend Akarii trafen aufeinander, mit dem sicheren Wissen, dass es für die eine Seite, die glückliche, nur den Sieg und den Schmerz geben würde – für die andere jedoch gar nichts mehr. Die Schlacht um Karrashin V hatte erst jetzt wahrhaft begonnen.

Die Computerlogbücher und Sensorspeicher der Schiffe zeichneten auf, was jeden lebenden Beobachter, Akarii oder Mensch, überfordert, vielleicht gar in den Wahnsinn getrieben hätte. Sie kannten keine Parteilichkeit, keine Emotionen und keine Hoffungen oder Befürchtungen, neutral wie die fernen Sterne und das Dunkel zwischen den wenigen Lichtern des Alls. Sie taten ihren Dienst, bis ihr Mutterschiff vernichtet war, reduziert auf einen Haufen Schrott und eine Handvoll traumatisierter Überlebender. Manchmal blieb nicht einmal das.
Wie ferne Götter betrachteten sie das Schlachtgeschehen, eher noch mitleidloser, denn selber Götter, so berichten die Sagen, konnten Erbarmen oder Mitleid empfinden angesichts des Leides der Sterblichen.
Es begann mit einem Regen von Feuer – hunderte von schweren Raketen, die einander entgegenstrebten, sich etwa in der Mitte zwischen den Flottenverbänden begegneten. Sie flogen aneinander vorbei, ihrem Ziel entgegen. Und dann erblühten neben der Sonne Karrashins und ihren Kindern, den gewaltigen Gasriesen, auf einmal unzählige neue Sterne im System, unerträglich hell, doch künstlich geschaffen und nur vergänglich. Und dann begann das Sterben.
Das erste Schiff der Raumschlacht, das ausfiel war die Fregatte Chaireddin Barbarossa. Durch einen unglücklichen Zufall hatte das Schicksal sie an der Spitze der terranischen Formation platziert, und gleich zwei feindliche Kreuzer schossen sich auf sie ein. Der Todeskampf des stolzen Schiffes währte ganze 45 Sekunden, dann durchschlug eine Rakete den Bugschild und zerfetzte das vordere Drittel des Schiffes. Ein kaiserlicher leichter Kreuzer teilte fast zeitgleich ihr Schicksal – die Fregatten und Zerstörer der Menschen hatten in Erkenntnis ihrer Schwäche ihre Feuer konzentriert. Fast drei Dutzend Marschflugkörper waren auch für einen Kilo-Kreuzer zuviel. Die Explosion zerriss das Schiff und ließ es auseinander brechen. Sofort griffen die Gravitationskräfte von Karrashin V begierig nach ihrem ersten Opfer und zogen das Wrack, das vor wenigen Sekunden noch zielstrebig aus ihrer Umarmung aufgestiegen war, wieder hinab. Es sollte nicht das letzte Opfer bleiben.

Salve um Salve schickten die Angreifer hinaus. Die Akarii griffen koordiniert an. Ihre Kreuzer gaben einander Schutz, Impulslaser, Lasergeschütze und leichte Raketen fegten die Salven der Menschen aus dem Raum, wenn auch nicht immer mit vollem Erfolg. Schwere Schiffsgeschütze und vor allem die Schiff-Schiff-Raketenwerfer der kaiserlichen Schiffe schlugen auf die Formation der leichten menschlichen Schiffe ein wie ein Schmied auf ein Stück glühenden Stahl, um ihn in die gewünschte Form zu hämmern, oder, wie hier, zu zerbrechen.
Die ungenügende Abwehrbewaffnung und geringere Schildstärke der menschlichen Einheiten waren ein schwerer Nachteil in dieser Art Kampf, und ihre Waffen reichten kaum aus, um mit ähnlich tödlicher Wucht zurückzuschlagen. Wie wütende Jagdhunde den Keiler nahmen die kleinen menschlichen Schiffe ihre kapitalen Gegner an. Doch diese Keiler hatten Sehnen aus Stahl, eine eisengepanzerte Haut und messerscharfe Hauer. Sie schleuderten ihre Angreifer bei Seite, spotteten ihrer Bisse, schlitzten Wagemutigen die Bäuche auf oder brachen ihnen in Sekundenschnelle das Genick. In der fünfundneunzigsten Sekunde der Schlacht erkannte der schwere Akariikreuzer Shok’Tar, dass der Angriff eines Großteils der feindlichen Fregatten von der Perry-Fregatte Ulan aus koordiniert wurde. Das gigantische Schiff schlug zu wie ein wütender Löwe, trommelte mit seiner Bugbatterie auf den kleinen und wendigen Gegner ein. Captain Alberto Tratti’s Flagschiff versuchte vergeblich auszubrechen und wurde durch das erbarmungslose Sperrfeuer aufgerissen wie eine alte Konservendose – Schilde versagten, dann stießen Schwärme leichter Raumkampfraketen vor, fanden die Breschen, schleuderten Panzerplatten und Rumpfteile hinaus ins All. Die Shok’Tar hielt es nicht einmal für nötig, ihre Primärwerfer gegen das feindliche Flaggschiff einzusetzen. Was von der Ulan blieb, waren nichts als auseinanderdriftende Trümmer und eine Handvoll Rettungskapseln. Der Kommandeur der Schwadron 2.12 fiel auf seinem Posten, seine letzten Worte waren ein gebrülltes: „FEUER!“
Das kleinere Begleitschiff der Shok’Tar, die Nar’Hutar, die zu der Klasse von Kriegsschiffen gehörte welche die Menschen Kilo nannte, wehrte sich gegen vier Fregatten gleichzeitig, zerstörte eine, beschädigte eine zweite schwer und jagte die beiden verbleibenden Gegner davon.
Der menschliche Zerstörer Wellington, selber bereits schwer gezeichnet durch feindliches Feuer, rammte – ob aus Absicht oder durch einen Zufall, das würde niemand jemals mit Sicherheit sagen können – die bereits beschädigte Ta’Schian, einen schweren kaiserlichen Kreuzer, und riss seinen Feind mit in den Tod.
Im Chaos der Schlacht gab es Helden und Schurken, Versager und Sieger, und die Rollen konnten binnen weniger Augenblicke wechseln. Doch so tapfer die leichten menschlichen Einheiten auch kämpften, gegen diesen Gegner hatten sie keine Chance. Schiff um Schiff fiel aus, zusammengeschossen, zerschlagen, im wahrsten Sinne des Wortes atomisiert. Als zehn Fregatten und Zerstörer vernichtet oder zum Wrack geschossen worden waren, als mehrere andere schwere Schäden einstecken mussten, wandten sich die Überlebenden zur Flucht. Der Befehl der Rearadmirals, zurückzufallen und sich neu zu formieren, konnte nur legitimieren, was ohnehin geschehen wäre.
Es war nicht Feigheit oder Versagen – die menschliche Psyche erträgt nur ein gewisses Ausmaß an Rückschlägen, und anzugreifen im Bewusstsein des eigenen nicht nur möglichen sondern sogar sicheren Todes, das vermochten nur wenige. Die Fregatten und Zerstörer hatten es – auch mit Hilfe der eigenen schweren Einheiten, die bereits in den Kampf eingriffen – vermocht, zwei leichte und einen schweren Kreuzer zu zerstören und eine ganze Reihe anderer Schiffe anzuschlagen. Vor allem aber hatten sie ihren Kameraden Zeit erkauft, wenn auch zu einem hohen Preis. Fast 2.000 Menschen – Männer und Frauen aller möglichen Rassen, Religionen und geographischer, kosmischer oder sozialen Herkunft – waren in diesen wenigen Minuten der Schlacht gefallen. Und dies war erst der Auftakt des Mordens.

Mithel sah dies alles, ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte zu viele Schlachten erlebt um nicht zu wissen, wie es an Bord der getroffenen Zerstörer und Fregatten aussehen musste. Er hatte ähnliches dem Gegner angetan, hatte aber auch oft genug miterleben müssen, wie eigene Einheiten zurückgeschlagen worden waren. Und er war erfahren genug um zu wissen was die Überlebenden fühlen mussten. Aber Mitleid hatte zu warten – oder Trauer. Jetzt ging es ums Überleben der Schiffe seiner Schwadron – und um seinen eigenen Kreuzer.
Die schweren Kriegsschiffe der Menschen griffen ins Gefecht ein, eine Schlachtlinie die von Geschützen und Raketenwerfern nur so starrte.
„Sir – Meldung von der Columbia!“ Der Kommunikationsoffizier wartete nicht auf Freigabe, denn in dieser Stunde hielt es Mithel nun wahrlich nicht so genau mit dem Protokoll.
„Lone Wolf hat das Kommando übernommen – Primärzentrale ist ausgefallen. Er befielt den Träger in die Schlachtlinie.“
Mithel lächelte knapp. Gewagt, aber der Stunde angemessen. Und augenblicklich – die eigenen Kampfflieger waren weit verstreut, die gegnerischen Kriegsschiffe sehr nahe – mochte es die einzige Chance auf Überleben sein. Fiel die Schlachtlinie, würde auch die Columbia fallen. Eine Flucht war kaum zu erhoffen, und bis die eigenen Kampfflieger zurückkehrten und wieder aufgetankt und bewaffnet werden konnten, würde es noch eine Weile dauern.
„Nachricht an Columbia: Herzlich willkommen – bitten um Feuerunterstützung. Stelle schweren Kreuzer Repulse und die Dauntless als direkten Flak- und Feuerschutz ab.“ Mithel tat dies nicht aus Sentimentalität oder um Lone Wolf einen Gefallen zu erweisen – aber er wusste, dass der Träger nicht nur eine enorme Feuerkraft hatte, sondern auch tausende von Menschen beherbergte. Sollte er vernichtet werden, würden unzählige von ihnen sterben. Das konnte und wollte der Commodore – bei aller sonstigen Abneigung gegen die hervorgehobene Rolle die man den Träger zudachte – nicht verantworten. Außerdem verlangte der Mut dieses Weltraumjockeys nach Anerkennung.

Gleichauf mit der Columbia, die nun Seite an Seite mit Wasp und Hongkong focht, hatten sich die überlebenden Korvetten formiert. Sie konnten nur Abwehrfeuer geben – für den Kampf gegen Schiffe wie die Kreuzer der Klassen Kilo und Yankee fehlte es ihnen an Robustheit, schweren Geschütztürmen und Schiff-Schiff-Raketen. Einen direkten Schlagabtausch mit Bordgeschützen würden sie gegen Kreuzer keine Minute überleben. Hier, neben den Trägern, konnten sie mehr leisten, indem sie feindliche Raketen abschossen. Doch auch das war ein gefährliches Brot, denn die Akarii rückten immer näher. Eine Breitseite eines leichten Kreuzers vernichtete die Maiwand, von der nichts blieb als ein rasch verblassendes Nachbild. Die Lützen hatte mehr Glück, wenn man es denn so nennen wollte – gegnerische Kreuzergeschütze schnitten sie förmlich entzwei, während sie verzweifelte auf die Angreifer feuerte, doch konnten zumindest einige der Besatzung das todgeweihte Schiff verlassen.
Auch Mithels Schwadron erlitt erste Verluste. Die Merciless, das Schwesterschiff der Relentless unter dem Kommando seines Second in Command Jorge Caneira, erhielt Dutzende von Geschütz- und Raketentreffern. Das Schiff war alt und verdient, doch es hatte schon in der Schlacht um Tukama bluten müssen. Vielleicht war es dieses bisschen weniger an Feuerkraft und Standhaftigkeit, diese noch nicht ausgeheilten Wunden, die ihr Schicksal besiegelte. Als eine Rakete der Akarii die Flankenschilde durchschlug – ein Angriff auf extreme Reichweite von der anderen Seite des Schlachtfeldes, der jedoch nicht mehr hatte abgewandt werden können, da man selber im Nahkampf stand – war das Schiff verloren. Etwa die Hälfte der Besatzung schaffte es in die Rettungskapseln, bevor eine Geschützbreitseite der Nar’Hutar es endgültig vernichtete.
Doch die die Menschen schlugen nicht weniger brutal zurück. Mithel thronte auf seinem Kommandosessel, den rechten Arm ausgestreckt, die Finger wie Krallen gekrümmt. Seine Befehle lenkten Dutzende Raketen und Lasergeschütze, die seines Schiffes und die der ihm unterstellten Kreuzer. Wo er hinschlug, da kollabierten Schilde, schmolzen Panzerplatten, öffnete sich das Innere der Schiffe dem kalten Weltall, das begierig Atemluft und Leben hinaussaugte in seinen unersättlichen Schlund. Jetzt, in diesem Moment des Mordens und Sterbens, verlor er für Sekunden die Selbstbeherrschung, auf die er sonst sorgsam achtete. Wie ein rachsüchtiger Schlachtengott deutete er auf den Feind, der soeben dem Schiff seines Stellvertreters den Todesstoß versetzt hatte: „Dieses Schiff anpeilen – ich will es JETZT vernichtet sehen!“ Doch noch ehe sein Befehl befolgt werden konnten, schlugen die Gegner erneut zu.
„Achtung – Kilo fünf und sechs feuern auf uns. Zähle 30, korrigiere 38 Vampire, Gegenmaßnahmen eingeleitet!“ Mithel spannte sich an, umfasste die Lehnen seines Kommandosessels: „Auf Einschlag vorbereiten – Abwehrfeuer koordinieren.“ Er zauderte kurz, doch dann erteilte er schon den nächsten Befehl: „Bringen Sie uns näher an das zerborstene Wrack der Merciless heran.“ Indem er das Wrack des gefallenen Kameraden als Deckung benutzte, hoffte der Commodore, vielleicht die eine oder andere feindliche Rakete abzulenken. Es war ein würdeloser Einsatz, kaum der richtige Respekt vor einem toten Mitstreiter, doch Mithels Verantwortung galt den Lebenden, nicht den Toten oder ihrem Gedenken. Noch im selben Augenblick, ohne sich um die Gefahr zu kümmern, die ihm selber drohte, wies er den übrigen Kreuzern seines Geschwaders schon wieder Ziele an: „Funksprüche an folgende Kreuzer: Dauntless – vorrücken, Bordgeschütze einsetzen – Kami, beschleunigen auf Flankengeschwindigkeit, koordinieren Sie Feuer mit Repulse und Kinugasa.“
Währendessen erwachten die Geschütze und leichten Raketenwerfer der Relentless zum Leben und erfüllten den Weltraum mit einem ebenso grandiosen wie tödlichen Feuerwerk, das nach den anfliegenden feindlichen Marschflugkörpern tastete, und einen nach dem anderen in einer Explosion vergehen ließ – viele von ihnen, doch nicht alle. Selbst der erfahrene Kommandant umfasste die Armlehnen des Kommandosessels, kniff die Augen leicht zusammen in Erwartung des unvermeidlichen Schlages. Und dann traf ihn etwas mit der Wucht eines Vorschlaghammers.
Cattaneo
Ace

Aus den Gefechten war Statik geworden. Seit vierundzwanzig Stunden stand die Kaiserliche Garde auf dem Boden von Hannover, focht ihren Kampf mit den Truppen des Regierungsviertels aus, während Sprenggürtel und Raumhäfen von ihren Kameraden souverän verteidigt wurden. Die Situation war ernst und verfahren, und Admiral Ilis entschied schließlich, weitere zwanzigtausend Mann zu landen. Allerdings verstärkten diese die Häfen und die Verteidigungsstellungen im von den Kreuzern zerbombten Gürtel rund um die Bannmeile. Nicht einmal ein Bataillon, geschweige denn eine Kompanie, wurde abkommandiert, um der Garde beim Sturm zu helfen.
Auf eine vorsichtige Anfrage des Oberbefehlshabers der Garde bei General Jerrig Maktakaleluta antwortete dieser spöttisch: „Schafft die Garde es nicht alleine?“
Diese Worte des Zweifels wurden Worte des Ansporns, und die achttausend Mann der Kaiserlichen Garde drangen in den nächsten drei Stunden unter hohen eigenen Verlusten bis in die Tiefenbunker der Admiralität vor.
Entgegen anders lautenden Gerüchten war den Garden der Generalgouverneur Edward Cochrane noch nicht in die Hände gefallen, wohl aber sein Stellvertreter Gerold Holmes, der sich auf seine eigene Zeit als Major der Infanterie besonnen und eine Kompanie der Stormin´ Presidents bei einem Ausfall angeführt hatte. Die Akarii hatten rechtzeitig mit dem Schießen aufgehört, um wenigstens etwas von ihm ins Lazarett zu stecken, solange es noch lebte. Die Propaganda-Abteilung hatte diese äußerst erfreuliche Neuigkeit jedoch sofort vermarktet und diverse Zivilisten der Hauptstadt dazu zwangsverpflichtet, die Identität des Vize-Gouverneurs zu bestätigen. Die Szenen die sich dabei abgespielt hatten tumultartig zu nennen, war maßlos untertrieben. Ein altes Akarii-Mütterchen hatte sich plötzlich als Kommandosoldat gebärdet und versucht Holmes mit Hilfe eines scharfen Küchenmessers und einer überrumpelten Geisel freizupressen. Es gelang dem Vize-Gouverneur mit der Frau zu reden und sowohl ihr Leben als auch das des eingeschüchterten Sanitäters zu retten. Aber es war bezeichnend, dass eine alte Akarii-Frau ihr Leben für einen menschlichen Politiker riskiert hatte. Letztendlich hatte man versucht sie gehen zu lassen. Als sie dies nicht wollte, hatte man die alte Dame mit dem nötigen Respekt zurück in die Stadt gebracht.
Mittlerweile waren die Pioniere nicht untätig gewesen. Auf dem Raumhafen und im Trümmergürtel waren kleine Lager entstanden. Auf vielen der Container und Zelte prangte der rote Blutstropfen, das Akarii-Zeichen für Feldlazarette. Auch Akarii hatten rotes Blut, wenngleich es ein wenig dicker als das der Menschen war.
Zugleich wurde Nichtkombattanten gestattet, eigene Versorgungsanlagen aufzubauen, sowie akariischen Kombattanten und Zivilisten erlaubt, die auf ihre Physiognomie eingestellten akariischen Lazarette des Kaisers aufzusuchen. Alle Einrichtungen waren gut bis sehr gut besucht. Letztendlich waren die meisten Gebäude, die einplaniert worden waren, nicht evakuiert gewesen, und unter den Trümmern wurden noch immer Überlebende vermutet. Alleine die Tatsache, dass die Bausubstanz in der Region um das Regierungsviertel ohnehin mit Parks durchsetzt war, hatte ein richtiges Massaker verhindert, doch die Kämpfe hatten dennoch einen hohen Blutzoll unter der Bevölkerung gefordert. Nicht wenige Zivilisten protestierten beinahe schon gewalttätig gegen diesen Akt der Barbarei, aber sollte man wirklich Protest von den Bewohnern eines Planeten akzeptieren, dessen Soldaten von der Planetenoberfläche mit Atomwaffen geschossen hatten? Nach allen Regeln der Kriegskunst - so wie die Kaiserlichen sie verstanden - hätten die Akarii den Beschuss mit gleichen oder sogar stärkeren Waffen erwidern können. Sie hatten es nicht getan. Dennoch schien es nicht danach auszusehen, als würden die Bewohner der Hauptstadt und die Soldaten des Kaisers Freunde werden.
Und dann, unvermittelt, plötzlich und mit der Schlagkraft eines gewaltigen Hammers, heulten die Sirenen der Garde über dem Kampfgelände, über die Raumhäfen King George und Piccadilly... Das Signal kannte jeder Soldat des Kaisers zu genau. Und während es einige gab, die wütend nicht bereit waren den Sinn des Signals zu akzeptieren, so atmete die Mehrheit jedoch erleichtert auf. Das Signal hieß Waffenstillstand.

***

Col Basik war stolz auf seinen Rang, nicht unbedingt auf seine Einheit. Er war Captain der 4. Kompanie der Presidents Storming Infantry, einer gemischten Einheit aus Menschen und Akarii, die angeblich die Elite der Streitkräfte darstellte. Um diesen Haufen anzuführen hatte er sein altes Kommando abgeben müssen. Angeblich sollte die Versetzung eine Ehre gewesen sein. Basik jedoch war sich sicher, dass nur kein anderer Offizier mit Grips in der Birne bereit gewesen war, einerseits unter ihrer berüchtigten Kommandeurin Colonel Ursaja Chabib zu dienen, der Verrückten aus dem Eurydike-Nebel, und andererseits einen Haufen Idioten zu kommandieren, denen man eingeredet hatte, die Besten der Besten zu sein. Und diese Trottel glaubten das auch noch. Nun gut, sie hatten sich recht wacker geschlagen seit die Kaiserlichen gelandet waren, aber das war immerhin auch noch keine zwei Tage her. Sie standen noch vollkommen am Anfang, und man würde sehen, was Schlafentzug, Anspannung und Todesgefahr in einer Woche oder einem Monat aus den Leuten machen würden.
Als die Sirene erklang, gestattete sich Basik ein kurzes Aufatmen. Er rutschte aus seiner Beobachtungsposition und ließ sich gegen die nächste Wand sinken. Er öffnete den Mund und wünschte sich einen Zahnkamm gegen den schlechten Geschmack im Rachen. „Jeresik, Nachricht ans Innere. Waffenstillstandssirenen beim Gegner.“
Der kleine, frettchengesichtige Mensch nickte ernst. „Ja, Sir. Waffenstillstandssirenen, Sir? Davon hat uns keiner was gesagt.“
„Gewöhnen Sie sich dran.“, murmelte Basik, nahm den Helm ab und strich sich über die sich sträubenden Schuppen auf seinem Schädel. „Die Kaiserlichen sind so arrogant, dass sie keine zweite Partei brauchen, um einen Waffenstillstand zu haben. Sie verkünden ihn einfach. Und sie reagieren sehr empfindlich darauf, wenn man ihn bricht. Sie merken sich dein Gesicht, dein Abzeichen, deinen Namen, und wenn wieder gekämpft wird, widmen sie sich dir mit Wonne. Sie lassen dich langsam sterben, denn für sie bist du ein ehrloses Stück Fleisch.“
„Sehe ich das richtig,“, hakte Bouzil nach, „dass die Akarii – tschuldige, Cap – dann auch unsere Waffenstillstandssirenen akzeptieren würden?“
„Nun, wenn ihnen danach ist, sicherlich. Akarii sind noch ein klein wenig komplizierter als Menschen.“ Er verzog sein Echsengesicht zu einem Grinsen. „Nicht viel, immerhin.“ Er seufzte und setzte den Helm wieder auf. „Nutzen wir die Zeit. Bou, stelle zwanzig Mann zusammen. Unbewaffnet. Dazu alle Sanitäter, die du finden kannst. Jede Sekunde müsste er kommen.“
„Zwanzig Mann? Unbewaffnet? Und wer muss kommen?“, fragte Bouzil irritiert.
„Da kommt einer.“, zischte Patril aufgeregt. „Den Abzeichen nach ein Offizier. Ein verdammt hoher Offizier. Darf ich ihn ausknipsen?“
„Nein, darfst du nicht. Das ging schnell.“ Basik stand auf. „Abmarschbereit in zwei Minuten, Bou. Wir erhalten gleich die Erlaubnis, unsere Toten und Verwundeten zu bergen. Und mit etwas Glück dürfen wir sie sogar aus der Stadt raus bringen.“ Im Anbetracht der natürliche Limitation der Vorräte der Admiralität wäre es tatsächlich mittelfristig ein Segen, die Verwundeten außerhalb der Stadt versorgen zu können.
Der große Akarii kam so nahe, bis er einen am Boden liegenden Marine der ColCon anstubsen konnte. „Mein Name ist Oberst Bleigh von der Kaiserlichen Garde!“
„Scheiße, verdammte, ich wusste es! Wir haben es mit der Garde zu tun! Ich dachte es mir doch gleich, dass ich diese Abzeichen kenne.“, fluchte Jeresik und meldete die Erkenntnis weiter.
Basik erhob sich. „Captain Basik, Stormin´ Presidents, Delta-Kompanie. Sie haben uns einen guten Kampf geliefert, Oberst Bleigh.“
„Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben.“ Die kalten Augen des Akarii schienen sich zu verengen. „Allerdings sollte man das bei einem akariischen Kommandeur auch erwarten. Sie haben Ihre Leute gut trainiert.“
„Es liegt nicht am Kommandeur,“, erwiderte Basik ernst und viel zu schnell, „sondern daran was sie hier verteidigen.“
Der Oberst zuckte leicht mit dem Kinn, sein einziges äußerliche Zeichen von Missbilligung der Worte des ColCons. „Sie haben die Sirene gehört?“, fragte er stattdessen.
„Ja, Sir, das haben wir.“
„Dann erlaube ich Ihnen“, fuhr der Akarii in leicht unterkühltem Ton fort, „jetzt nach Ihren Toten und Verwundeten zu suchen.“
„Erlaubt uns? Was für ein aufgeblasener Kerl! Wir sollten ihn...“
„Ruhig, Bou, so geht das Spiel nun mal.“, zischte Basik. „Im Gegenzug, Oberst Bleigh, erlauben wir Ihnen, nach den Ihren zu suchen.“
Der Kaiserliche senkte bestätigend den Kopf. Er sah nach hinten und rief etwas. Kurz darauf kamen die ersten Suchmannschaften und Sanitäter der Akarii heraus.
„So, jetzt können wir auch. Etwas schneller, bitte, sonst glauben sie noch, wir trauen ihnen nicht.“
„Gibt es irgendeinen Grund ihnen zu trauen, Cap? Immerhin haben sie angefangen, und nicht wir.“
„So geht das Spiel nun mal, Bou. Ich habe die Regeln nicht gemacht, aber sie funktionieren. Lasst uns jetzt endlich unsere Kids holen.“ An der Spitze seiner Leute verließ Basik die Schanze.

Eine gute Stunde später standen Col Basik und Lein Bleigh auf einem kleinen Hügel beisammen und tauschten Zigaretten aus. Gönnerhaft schenkte Basik dem Armeeoberst eine halbe Packung Lucky Strike. Schon zuvor war das terranische Rauchwerk ein teurer Luxusartikel im Akarii-Reich gewesen. Heutzutage aber musste es fast unerreichbar und kaum zu bezahlen sein.
Im Gegenzug schenkte Bleigh ihm nicht ganz so kostbare Zigarillos, eine noch nicht angebrochene Achterpackung. „T´rr Classic Blend, Dschungelhauch. Die besten Zigarillos, die je ein Akarii geraucht hat.“
Basik pfiff anerkennend. Innerhalb des Imperiums kursierte das Gerücht, T´rr und seine wilden Bewohner seien nur erobert worden, weil die Akarii ungehinderten Zugang zu den auf dem Planeten angebauten Tabakpflanzen hatten haben wollen. Nach allem was Basik über Kaiserliche wusste, gab er dieser Möglichkeit eine Chance von achtzig Prozent.
Schweigend standen sie beisammen und rauchten, während rund um sie nach der Bergung der Toten und Verwundeten die ersten Transporte fertig gemacht wurden. Akarii-Marines wurde der Zugang zu kaiserlichen Feldlazaretten gewährt, aber es wunderte Basik nicht, dass kaum ein Verwundeter diese Chance ergriff, obwohl diese quasi um die Ecke standen. Sie blieben lieber bei ihren verwundeten menschlichen Kameraden. Wenn der Krieg auch nicht viel Gutes gebracht hatte, so doch wenigstens eines, nämlich dass die rassistischen Ressentiments zwischen Menschen und Akarii in den Streitkräften ein für allemal Geschichte waren. Zumindest für einige Zeit.
„Wie hoch sehen Sie die Möglichkeit,“, begann Basik und blies Rauchringe in die Luft, „dass dieser Waffenstillstand länger anhält? Vielleicht bis zum Abend? Vielleicht bis zum Morgen?“
Bleigh lächelte dünn. „Sie können Sekurr, Col? Ich bin erstaunt.“
Basik erwiderte das Lächeln. „Es gab in meiner Familie sechs Generationen, die nur aus Mädchen bestanden. Sechs Generationen, können Sie sich das vorstellen? Meine ehrenwerte Familie, ehemals ein Kriegerhaus, wurde dadurch beinahe zerrissen, weil viele der Frauen in die Clans ihrer Gatten überwechselten. Also beschloss die Clanherrin eines Tages, die Regeln zu ändern. Wir zogen um und kamen auf Lettic an, wo es egal war, ob Frauen oder Männer ein Haus beherrschten. Wie durch ein Wunder wurden in der nächsten Generation wieder Jungen geboren – jetzt wo es egal war. Aber die Traditionen und die Sprache haben sich erhalten. Ich bin die vierte Generation in der ColCon, Lein.“
„Interessant. Lassen Sie auch Ihre Frauen in Ihre Armee, Col?“
„Natürlich. Es wäre ein Verbrechen auf ihre Kampfkraft zu verzichten. Haben Sie sich nie gefragt, warum wir und die Republik so lange durchhalten konnten? Hier liegt die Antwort. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wie lange, glauben Sie?“
Bleigh schnaubte amüsiert. „Frauen sollen Kinder kriegen, aber keine Kriege führen. Ich war schon immer gegen diese Unsitte, vor allem seit sie sogar die kaiserlichen Streitkräfte zu kontaminieren begann.
Wie lange? Unbestimmt. Auf jeden Fall aber mindestens bis morgen früh.“
„Ich bin versucht, das auszunutzen.“
„Sind Sie nicht. Sie wissen zu gut, was darauf folgen würde. Und glauben Sie mir, wir HABEN taktische Atomgranaten.“, zischte Bleigh amüsiert. „Also bitte, seien Sie nett zu uns, solange wir es auch sind. Gegenfrage: Was ist Ihnen lieber, Krieg oder Frieden?“
„Die Antwort mag Sie verwundern, aber obwohl ich Berufssoldat bin, schicke ich lieber einmal pro Jahr einen Idioten im Blechsarg nach Hause, der an Dummheit gestorben ist, als einmal pro Woche ein Dutzend, weil die andere Seite mehr Feuerkraft hatte. Natürlich Frieden, Lein.“
„Oh, da freut mich zu hören. Diese ganze Geschichte dauert schon viel zu lange.“ Mit dem Stummel seiner Lucky zündete er sich die nächste an.
„Sie wissen doch hoffentlich, dass ein Aufzeichnungsgerät mitläuft, oder?“
„Natürlich. Ich wusste, dass die Offiziere der Stormin´ Presidents mehr sein müssen als Ledernacken, denen man die Richtung zeigt und die Farbe der Uniform erklärt, auf die sie schießen dürfen.“
„Na, danke.“, erwiderte Basik auf dieses zweifelhafte Kompliment.
„Noch eine Frage, gegen Belohnung“, sagte Bleigh und zog einen weiteren Achter Zigarillos hervor, „Ihr Gouverneur, hält er sein Wort? Und wenn er dazu nicht in der Lage ist, ist Norun Kalad noch Akarii genug, um seines zu halten?“
„Was für eine merkwürdige Frage. Ich hatte bisher nie den Eindruck, dass ich am alten Eddie Cochrane zweifeln sollte. Er ist ein Politiker, aber man nennt ihn auch den ehrlichen Eddie. Man hat ihn noch nie bei einer Lüge erwischt. Was natürlich nicht heißen soll, dass er...“
„Schon klar“, versicherte Bleigh. Er reichte die zweite Packung an Basik weiter. „Sie wollen doch sicher wissen, warum wir die Waffenstillstandssirene angeschmissen haben, oder?“
Basik riss verwundert die Augen auf. Er machte sich klar, dass er vielleicht in den nächsten Sekunden einen Platz in den Geschichtsbüchern erhielt, wenn das wahr war, was er vermutete.
„Ein Sondergesandter des Kaisers ist heute ins System gesprungen. Sein Schiff ist mit Alarmfahrt auf dem Weg hierher.“
Basik brannte plötzlich die Zeit unter den Nägeln. Das waren Informationen, die sofort – SOFORT – dem Gouverneur und dem alten Kalad weitergereicht werden mussten. Die Tragweite war nicht abzusehen. Wenn die Akarii wirklich zu Verhandlungen bereit waren, und alles deutete darauf hin, konnte der Waffenstillstand noch sehr lange dauern. Allerdings hatte Col nicht den Hauch einer Ahnung, warum sie dazu bereit waren, jetzt, so kurz vor dem Ende seines Heimatlands.
„Entschuldigen Sie mich, Lein. Ich muss die Wachen einteilen.“
„Natürlich, Col. Ich denke, wir werden uns morgen sehen.“ Der Akarii salutierte seinem Artgenossen, als dieser vom Hügel herabstieg.

Auf halbem Wege fing Sergeant Bouzil seinen Captain ab. „Na endlich. Ich habe schon Pläne geschmiedet, um dich mit einer handverlesenen Truppe von da oben zu retten, Cap. Ich dachte schon der will dich als Pfand für den Waffenstillstand mitnehmen, und...“
„Sei still, Bou.“, brummte Basik mit gebieterischer Handbewegung. „Was ich da oben gehört habe, muss ich unbedingt weiter melden!“
„So schlimm?“
„Meine Ohren brennen davon.“, erwiderte der Captain und unterdrückte das Verlangen danach zu laufen.

***

Als das Kurierschiff an der QUARSAR andockte, straffte sich Dero unwillkürlich. Erinnerungen an seine Pflichtzeit beim Militär überfielen ihn. Da er nicht vorgehabt hatte, sich ein Leben lang an die kämpfende Truppe zu binden, war er den Weg des Rekruten gegangen und hatte lediglich die Pflichtzeit absolviert. Er hatte dieses Experiment mit dem passablen Rang eine Unteroffiziers abgeschlossen, was auf eine steile Karriere hinwies, und auf diese Weise hatte er das Militär aus einer völlig neuen Perspektive kennen gelernt, abseits der Bälle, der Stabsbesprechungen und der feinen Gesellschaft der Admiräle und höheren Söhne und Töchter in Uniform. Er war durch den Schlamm gerobbt, hatte sich brechen und wieder neu aufbauen lassen und war schließlich der geworden, der seinerseits die Jungen ran genommen hatte, bis sie sich übergaben und sich überschlugen, um nur einen einzigen Laut Anerkennung aus seinem Mund zu erhalten. Aus dieser Zeit resultierte seine feste Meinung, dass die Terraner Recht hatten: Das Schmerzhafteste bei der Beförderung eines Soldaten zum Offizier war das Gehirnabsaugen. Je höher sie stiegen, desto mehr wurde entfernt. Und die nächsten Tage würde er mit einigen Leuten verhandeln müssen, deren Gehirn bis auf winzige Reste extrahiert worden war – auf beiden Seiten – und die vom Leid und der Not, ja von der Opferbereitschaft der einfachen Soldaten nicht viel oder auch gar nichts wussten. Nein, dies alles nahmen sie mit einer Selbstverständlichkeit hin, die auch ihm versucht wurde anzutrainieren, die er sich aber nie zu Eigen gemacht hatte. Es war niemals gut, seine Augen vor Tatsachen zu verschließen. Niemals.

Dero straffte sich. Strich sich ein letztes Mal über seine Kleidung, während die kleine Ehrenwache des Kuriers für ihn Aufstellung nahm. Narhita Candras, seine persönliche Sekretärin, stand zwei Schritte schräg rechts hinter ihm und wartete mit der Geduld eines lauernden Behemoths und dem Lächeln einer Priesterin auf das Kommende.
„Lord Dero,“, wisperte sie ihm zu, „wie ich gehört habe wird die YONDER zum Sprung aus dem System vorbereitet. Sie soll über London ins Dock gebracht und für den Heimsprung notdürftig repariert werden.“
Dero nickte ernst. „Das darf nicht passieren, bevor die Verhandlungen beendet sind. Die YONDER soll hier bleiben. Sorgen Sie dafür. Notfalls nutzen Sie die kaiserlichen Vollmachten aus, die Prinzessin Linai mir verliehen hat.“
„Sehr wohl, Mylord.“ Die junge Frau, eine Eliteschülerin der kaiserlichen Diplomatenakademie, senkte wieder Blick und Stimme. Eine gefährliche, ehrgeizige Frau. Und mit ziemlicher Sicherheit seine Aufpasserin. Dero lächelte schwach. Er lebte gefährlich, kaum das er angekommen war. Was für ein Unterschied zu seiner beschaulichen Kanzlei im Hinterland Akars. Andererseits konnte kein Mann von adligem Blut erwarten, dass man ihn sein ganzes Leben herumspielen ließ. Vor allem nicht wenn man ein ehemaliger Spielkamerad von Jor und Linai war und zudem die akademische Qualifikation hatte, um dem Reich auch zu dienen. Eigentlich verwunderte es Dero, erst in höchster Not von Linai aktiviert worden zu sein, andererseits stieß es sicherlich Dutzenden hohen Herrn sauer auf, dass sich die Prinzessinregentin auf einen Unteroffizier verließ.
Aber das waren müßige Gedanken, denn er hatte die Vollmachten, er hatte eine Strategie und er hatte eine Chance, die jenseits all dessen war, was er jemals zu erhoffen gewagt hatte. Er konnte sich hier in zweierlei Hinsicht unsterblich machen, auf ewig in die Geschichtsbücher eingehen. Die Frage war halt nur, ob er sich lieber mit dem schlimmsten Massaker der Geschichte oder dem geschicktesten Friedensschluss unsterblich machen wollte. Das Massaker hatte sicherlich mehr Potential, lange gelehrt und hundertfach thematisiert und verfilmt zu werden. Nun, er würde sehen was er tun und erreichen konnte. Der große Knall, um alles zu enden, war Szenario fünf in seinen Gedanken.

Die Schleuse zur QUARSAR öffnete sich, erlaubte den Blick auf livrierte Wachsoldaten, die von einem schneidigen Hauptmann kommandiert wurden. Die kleine Wachmannschaft des Kurierboots nahm sich gegen die angetretene Kompanie geradezu lächerlich klein aus. Harte Befehle gellten auf, und beide Formationen gingen in Hab acht.
Nun, zumindest wusste Kal Ilis sich mit seinem beschränkten militärischen Verstand zu benehmen. Vielleicht gelang es ihm leicht, zu diesem Mann Zugang zu erhalten, wenn er seine Karten nur richtig ausspielte.
„Gehen wir.“, murmelte Dero ernst.
Zu zweit setzten sie sich in Bewegung, wohl dosierte Schlichtheit demonstrierend, wie eine in aller Eile zusammengestellte Delegation, die quasi die absolute Elite darstellte, in Hast ausgesandt, und auf das Allerbeste reduziert, was das Kaiserreich zu bieten hatte.
Ein Kapitän empfing in mit einem schneidigen Salut. „Lord Dero, mein Name ist Kapitän Guldan Skor. Ich kommandiere die QUARSAR.“
Dero unterdrückte den alten Reflex, den Gruß zu erwidern. Stattdessen deutete er auf seine Begleiterin. „Meine Begleiterin, Narhita Candras. Ihre Stimme ist meine Stimme.“
Der Kapitän nickte verstehend.
„Sagen Sie, Skipper, ich habe Admiral Rylang Arem erwartet. Ich befürchte, ich bin nicht auf dem neuesten Stand...“
Skor lächelte dünn. „Admiral Zweiter Klasse Rylang Arem wurde Admiral Yon Ataki als Stabschef zugeteilt, nachdem die Yonder-Gruppe und die Schoster-Gruppe zusammengelegt wurden. Ich wurde vom Eins O zum Kapitän befördert. Es war alles etwas turbulent und geschah sehr rasant, aber seien Sie unbesorgt. Ich habe die QUARSAR sicher durch die Schlacht im Orbit von Hannover gebracht.“
„Oh, ich habe nicht IHRE Fähigkeiten angezweifelt. Eher die Fähigkeiten jener, die mich instruiert haben und so ein wichtiges Detail vergaßen.“
Kurz nur kontraktierten die Augenmuskeln des Kapitäns, dann entspannten sich seine Züge wieder. Seine Stimme wurde sehr entgegenkommend, geradezu freundlich. „Bitte hier entlang, Mylord. Admiral Ilis steht Euch zur vollen Verfügung.“
Dero wechselte einen kurzen Blick mit seiner Sekretärin. Die lächelte und nickte leicht. Skor hatte er für sich eingenommen. Die Frage war nur, ob Ilis und Ataki ebenso leicht zu beeindrucken waren. Vielleicht hing das Leben von mehreren Millionen Akarii davon ab, dass es ihm gelang.

Skor führte sie zu einem Elektrowagen, der sie sicher und schnell zur Admiralskabine brachte. Besatzungsmitglieder, die ihnen begegneten, grüßten voller Respekt. Die Frage war nur ob ihr Salut dem Lord oder dem Skipper galt. Dero beschloss, sich auf den Gedanken einzulassen, dass es Halbe-Halbe war.
Zwei Ehrenwachen, bullige, breitschultrige Akarii, empfingen den Bevollmächtigten mit korrektem militärischen Salut am Flaggbüro und ließen die drei sofort ein.
„Verzeihen Sie mein Eindringen, Admiral, aber...“, begann Dero mit gewinnendem Lächeln auf den Lippen, als er als erster eintrat, aber er verharrte sofort im Wort, als er sah, dass Kal Ilis beschäftigt war. Der alte Admiral kniete vor dem Bild eines hoch dekorierten Soldaten und betete leise mit gesenktem Kopf. In einem Hologramm neben dem Bild wurden in schneller Abfolge Kampfschiffe und Portraitfotos aus Personalakten gezeigt. Sowohl das Bild als auch das Hologramm waren von einem gelben Rahmen umgeben. Gelb wie die Wüste, die Verschlingende, die nichts mehr hergab, was sie einmal in sich aufnahm. Gelb, die Farbe der Trauer.
Dero trat einen weiteren Schritt ein, um seine Begleiter ebenfalls in die Kabine zu lassen, dann neigte er bedächtig das Haupt und begleitete den Admiral bei seinem Gebet.
Endlich erhob sich der alte Mann, allerdings mit einem Schmerzenslaut, der Skor aufschreckte. Sofort eilte der Jüngere zum Schreibtisch des Admirals und brachte ihm das Sirash, das traditionelle Nahkampfschwert in der Holzscheide.
„Danke, mein Junge.“, murmelte der alte Mann und ging mit leicht gebeugtem Rücken zurück zu seinem Schreibtisch. Mit einer herrischen Handbewegung bedeutete er dem neu angekommenen Pärchen, vor dem Schreibtisch auf vorbereiteten Stühlen Platz zu nehmen. „Setzt Euch, Mylord. Und schaut mich nicht so mitleidig an. Ich habe zwei Tage gesessen, da ist es vollkommen normal, dass ich mich nicht mehr hinknien und wieder aufrichten kann wie ein junger Spund wie Ihr.“
Über Deros Züge huschte ein Schmunzeln. Eine geniale Eröffnung. Hatte Ilis das geplant? Ihn mit dieser privaten Trauerzeremonie aus dem Konzept zu bringen und dann mit seiner Persönlichkeit zu erschlagen? Der alte Mann war nicht umsonst Admiral Erster Klasse und der Wächter des Reichs auf der Seite der Confederation. Im Gegensatz zu den wesentlich zahlreicheren Streitkräften an der republikanischen Front hatte er nicht mehr als einen geringen Einbruch des Gegners zugelassen, im Gegenteil, er hielt sogar drei ColCon-Welten. Und das mit einer wesentlich kleineren Flotte, im direkten prozentualen Vergleich. Allerdings waren auch seine Gegner wesentlich schwächer und im Fall der Konföderierten auch zumeist schlechter ausgerüstet gewesen. Nun hatte er Hannover und London erobert und seinen Erfolg damit komplett gemacht.
Dero war gesandt worden, um daraus mehr zu machen als den momentanen Wimpernschlag einer gewonnenen Schlacht, deren Erfolge am nächsten Tag eine Niederlage wurden.
Ilis setzte sich schwer, legte das Sirash neben sich auf den Schreibtisch und wartete bis seine Gäste Platz genommen hatten. Kapitän Skor trat hinter seinen Admiral.
War das Schwert auf dem Tisch eine Drohung, oder war der alte Mann nur praktisch veranlagt? Vielleicht ein wenig von beidem.

Dero beschloss, die Initiative an sich zu reißen, solange er es noch konnte. „Admiral Ilis, ich bringe schlechte Nachrichten.“
„Es gibt keine schlechten Nachrichten.“, erwiderte Ilis ernst. „Es gibt nur neue Informationen. Also, was hat mein Kaiserlicher Herrscher mir mitzuteilen?“
„Der Kaiser... Erholt sich von der Trauer und dem Schock, den der Tod von Prinz Jor durch die Hand der Angry Angels in ihm ausgelöst hat. An seiner Stelle hat Prinzessin Linai die Regentschaft per Interim übernommen und spricht in seinem Namen.“
„Und das nennen Sie schlechte Neuigkeiten?“ Der alte Mann grinste höhnisch. „Es wurde höchste Zeit, dass die alte Raubechse der nächsten Generation Platz macht, damit er von seinem Ruhestand wenigstens noch etwas hat. Zeit seines Lebens habe ich ihm gesagt, dass Regieren nicht alles ist, dass er sich besinnen soll, zur Ruhe kommen. Aber er hat ja auf mich nicht gehört, zu spät geheiratet, und dann Jor bevorzugt, anstatt Linai zu vertrauen. Man sollte den Menschen beinahe dankbar dafür sein, dass sie diesen Fehler korrigiert haben. Die Piloten, die ihn abgeschossen haben, sollten einen akariischen Verdienstorden erhalten.“
Neben Dero schnaubte Narhita auf. War es erschrocken? Amüsiert? Verwundert? Es war nicht zu identifizieren, aber definitiv eine Reaktion auf die Worte des Admirals.
„Also,“, begann Ilis und beugte sich interessiert vor, „was will die kleine Linai von ihrem Onkel Kal? Womit kann ich der schönsten Blume Akars dienen?“
Initiative, ha! Kal Ilis, der alte Fuchs, lenkte ihn wie es seiner Herrschaft, dem Admiral, beliebte. Dero beschloss, ihn mit einem Schock zu kurieren. Kurzerhand legte er sein kaiserliches Siegel neben sich auf den Schreibtisch, so wie Ilis´ Sirash neben ihm ruhte. Der Admiral reagierte nicht auf dieses kostbare und machtvolle Zeichen, aber Kapitän Skor raunte erschrocken auf.
„Meine Stimme ist die des Kaisers.“, sagte Dero ernst.
„Das sehe ich, Dero. Oder denken Sie ich bin blind und erkenne SEIN Siegel nicht mehr?“ Kleine, wachsame Augen blinzelten ihn an, und sehr wohl verstand der junge Lord die Intention, mit der Ilis ihn nicht mit seinem Titel angesprochen hatte.
„Wenngleich dies im Moment eher Linai ist. Aber so weit waren wir schon. Also, was will Linai? Was soll ich für sie tun?“
Dero beschloss alles auf eine Karte zu setzen. „Meine Herrin, die Prinzregentin, wünscht sich Frieden an unserer Grenze zur Colonial Confederation, Admiral Ilis. Ein lang andauernder Frieden, ein stabiler Frieden, der Schiffe und Truppen für den Kampf mit der Republik frei macht, der andererseits uns aber vor Angriffen durch die republikanische Vierte Flotte sichert. Ein Frieden, der uns Zeit und Kraft gibt und eine Bedrohung beendet. Kurz und gut, ich soll vollenden, was Sie so meisterlich begonnen haben, Admiral Kal Ilis.“
„Und wie will der Kaiserliche Gesandte dies erreichen?“
Wieder diese kleinen, scharfen Augen. Wieder dieser Blick, der ihn nach und nach bis zur Seele erkannte. „Die Vorkriegsgrenzen. Wir ziehen uns bis auf die Vorkriegsgrenzen zurück.“
„Wir lassen uns zurückfallen?“, rief Kapitän Skor entrüstet. „Wir haben gekämpft, geblutet, sind tausendfach gestorben, haben gesiegt, und jetzt ziehen wir uns zurück?“
„Schweigen Sie, Guldan.“, versetzte der Admiral ernst. Er musste nicht deutlicher werden oder seine Worte wiederholen. Der Skipper der QUARSAR biss die Zähne zusammen und trat nach hinten.
„Wie wollt Ihr das bewerkstelligen, Mylord? Unsere Streitkräfte stehen über Hannover, London und auf drei Planeten der ColCon. Wir können uns nicht zurückziehen, ohne uns zutiefst zu demütigen. Ohne die ColCon und ihre Verbündeten dazu zu animieren, seinerseits uns zu jagen. Und sie hätten eine Chance, nachdem wir so einfach aufgegeben haben.“
„Ich werde ihnen keine Chance geben, dies zu tun. Im Gegenteil. Jede Aktion, die sie gegen uns richten, wird sie international ächten. Andererseits, sollte einmal die Notwendigkeit dafür bestehen, das... Ergebnis unseres Feldzugs zu verbessern, so wird jemand aus dem Umfeld der Prinzessin sicher auf sie einwirken können. Zu einer besseren Zeit. Zu einem besseren Verhältnis an Kampfschiffen. Falls wir wirklich müssen.“
„Von wem könnte dieser Einfluss kommen?“
„Vielleicht von ihrem Ehemann? Zumindest dem, den sie dann hat, und nicht diesem kleinen Akademiker ohne Visionen und Ansprüche, der sie jetzt belastet?“
Ilis lächelte leicht. „Redet weiter, Mylord. Und dieser Prinzregent... Nein, dieser neue Imperator, wird uns eine Revanche verschaffen?“
Automatisch wollte Dero antworten, seinem Drehbuch folgen, welches er aufgestellt hatte, um den alten Haudegen auf seine Seite zu ziehen, bis ihm ins Bewusstsein sickerte, was der Admiral ihm gerade gesagt hatte. Beide Hände sausten auf den Tisch, während er aufsprang und sich über den Tisch beugte. „Ich werde Linai nicht hintergehen oder ihr Anrecht auf den Thron usurpieren.“, zischte er gefährlich leise. „Und es gefällt mir überhaupt nicht, dass Sie es mir suggeriert haben, Admiral Ilis!“
Skor trat einen Schritt näher, die Hand an der Waffentasche. Doch das leise, sonore Lachen des Admirals hielt ihn auf. Zuerst war es nur leise, doch dann wurde es laut und offen. Kal Ilis griff nach seinem Sirash und nahm es vom Tisch. „Zuerst war ich beunruhigt, als ich Eure Pläne vernahm, Mylord. Auch ich denke, dass Linais Ehemann den Anforderungen seines neuen Amtes nicht gewachsen ist. Und ich denke, der Mann muss sich ändern, oder ein Mann muss etwas ändern. Allerdings hätte ich Euch in diesem Raum getötet, wenn Ihr Linai in irgendeiner Weise gefährdet hättet, Dero. Es freut mich zu hören, dass Ihr loyal seid. Nun gut, ich akzeptiere Euch als Kaiserlichen Gesandten und als Stimme des Kaisers. Der Kaiser wünscht Frieden, den Rückzug auf die alten Grenzen? Ich stimme ihm zu.“
„Admiral!“, rief Skor verzweifelt.
„Allerdings“, fügte der Admiral scharf an, „wird sich seine Lordschaft sehr bemühen müssen, um eine Lösung zu finden, die uns unser Gesicht bewahrt. Und ich rede hier nicht von einer Farce, sondern von einer wirklichen Lösung. Ich habe nicht vor, noch einmal gegen die ColCon antreten zu müssen, oder es einem meiner Nachfolger zumuten zu müssen. Gegen Akarii zu kämpfen ist noch schlimmer als gegen Menschen anzutreten. Sie zum Gegner zu haben ist furchtbar.“
Dero erholte sich langsam von dem Schock, den der Admiral ihm versetzt hatte. Langsam nahm er wieder Platz. „Nun, Admiral Ilis, ich werde diesen Krieg beenden. Ich werde einen Sieg daraus machen. Und wir werden uns auf die Vorkriegsgrenzen zurückziehen, ohne dass Flotte und Heer ihre Gesichter verlieren.“
„Und wie wollt Ihr das erreichen, Mylord?“, fragte Skor ärgerlich.
„Mit der Ehre der Kaiserlichen Streitkräfte“, erwiderte Dero lapidar. „Die Kaiserlichen Streitkräfte haben doch Ehre, oder?“
„Ich bin sehr gespannt“, murmelte Ilis amüsiert. „Legt mir Eure Pläne offen, Mylord.“
Dero lächelte erleichtert und zugleich freundlich. „Stimmt es, dass der Generalgouverneur in unserer Hand ist?“
„Das ist leider falsch, Mylord.“, meldete sich Skor erneut zu Wort.
„Wie... unvorteilhaft.“, murmelte Narhita Candras neben Dero.
Ein Grinsen huschte über die Züge des Skippers der QUARSAR. „Aber wir haben den Vize-Gouverneur in unserer Hand. Er liegt in einem unserer Feldlazarette.“
„Interessant.“ Ein undefinierbarer Ausdruck legte sich auf Deros Züge. „Wurde der Waffenstillstand ausgerufen?“
„Wie es üblich ist seit der Ankunft des Sondergesandten im System, Mylord.“, erwiderte der alte Admiral.
„Gibt es jemanden in Ihrem Stab, der gegen den Waffenstillstand protestiert hat?“
„Admiral Erster Klasse Yon Ataki war davon nicht sehr erbaut. Verständlich, wenn man bedenkt, wie sehr ihre Yonder-Gruppe gelitten hat.“
„Gut, sie wird mein Amboss sein.“
„Eher eine Raubkatze an Eurer Kehle, Mylord, wenn sie hört zu welchen Bedingungen wir uns zurückziehen sollen.“
„Mag sein, aber sie wird meine Raubkatze sein. Und bevor die Verhandlungen beendet sind, wird sie mir um die Beine streichen und aus meiner Hand fressen.“, prophezeite der Sondergesandte.
Cattaneo
Cattaneo

Hannibals Erben Teil II

Shuttle R-5 der TRS Relentless – Irgendwo im Nirgendwo

Der leitende Sanitäter des Shuttles wich hastig vor dem wütenden Blick und den gefletschten Zähnen seines Gegenübers zurück. So etwas hatte er während des ganzen Krieges noch nicht erlebt. Wenigstens waren…noch…keine Waffen gezogen worden.
Lieutenant Commander Tatjana Pawlitschenko alias Lilja, wie sie sich vorgestellt hatte, bot einen gelinde gesagt grotesken Anblick. Im Moment trug sie nur eine leichte Kombination – was man eben unter einem Raumanzug anhatte, und selbst da war ihr eines Hosenbein aufgeschlitzt worden, um Platz für einen Fixierverband zu machen. Ihr Gesicht wirkte unnatürlich bleich, Blut und Reste von Erbrochenem waren darin verschmiert. Die Augen flackerten, Zeichen von Wut, Angst, Enttäuschung und der Schmerzmittel, die man ihr verabreicht hatte – sowie der Aufputschmittel, die sie sich selber ‚verschrieben’ hatte. Beides unterdrückte offenbar erfolgreich die Schmerzen in ihrem gebrochenen Bein. Die Muskeln ihrer Arme traten deutlich hervor, weil sie sich mit dem einen abstützte und mit dem anderen wie wild gestikulierte. Ihre Stimme schwankte irgendwo zwischen einem Schrei und einem Röcheln.
„Ist das denn so schwer zu verstehen? Ich will doch nur, dass ihr verdammt noch mal auf einem der Träger landet, damit ich einen beschissenen Jäger kriege, um mich an dieser verfluchten Schlacht beteiligen zu können!“
Der Sanitäter schlug einen Tonfall an, wie er für offenbar potentiell gefährliche Geisteskranke reserviert war – wohlweißlich außerhalb der Reichweite der Verrückten, die sie gerade eben aufgefischt hatten: „Hören Sie, Lieutenant Commander, wir können im Moment nicht landen. Die Träger stehen im Nahkampf, sie können doch nicht einfach die Schilde senken. Dazu brauchen wir eine Landeerlaubnis, und wer sollte die uns jetzt erteilen können? Die Wasp ist ausgefallen, die Columbia getroffen – und in Ihrem Zustand können Sie ohnehin nicht fliegen. Setzen Sie sich bitte…“
Diese weisen Worte schienen Lilja jedoch kaum zu bremsen, vielleicht eher noch das Gegenteil: „Mein ZUSTAND? Ich brauch mein verdammtes Bein nicht, um zu fliegen, wir haben ja keine Pedale zu treten!“
Dann, auf einmal, als erkenne sie die Sinnlosigkeit ihres Wutausbruchs, oder als sei der Vorrat an Adrenalin aufgebraucht, der sie unter Strom gehalten hatte, ließ sie sich gegen die Wand sacken. Ihre Stimme klang jetzt eher wie ein Flüstern: „Können wir denn gar nichts tun? Habt ihr eine Kanone oder so…“
Der Sanitäter warf seinem Assistenten einen fragenden Blick zu. Ausgerechnet die Frau an die Kontrollen einer Waffe…
Der Kommandeur des Shuttles mischte sich vom Cockpit aus ein: „Reißen Sie sich zusammen, Lieutenant Commander – wir haben auch noch anderen zu helfen. DAS ist unsere Aufgabe, und ich will verdammt sein, wenn ich mich dabei von Ihnen behindern lasse!“ Die Stimme klang scharf, doch das schien besser bei der Russin zu wirken als die freundliche Tour. Für einen Augenblick schwieg der Pilot, dann fügte er fast zögernd hinzu: „Wir werden bei der Columbia anfragen, ob wir Sie und andere Verwundete dort absetzen können. Und jetzt setzen Sie sich und seien Sie ruhig, Sie behindern die Sanitäter bei der Arbeit.“

Lilja humpelte – oder besser hüpfte – zur Seite, wo sie sich einen sicheren Platz suchte, mit einem Eifer, der schon fast komisch anzusehen gewesen wäre, wäre nicht der Tod auch hier allgegenwärtig gewesen. Das Shuttle hatte bereits einiges an Verwundeten aufgesammelt, abgeschossene Jagdpiloten, Überlebende von zerstörten Großkampfschiffen, deren Rettungskapseln Prioritäts-SOS gefunkt hatten, als Zeichen, dass sie Schwerverletzte an Bord hatten. Und nicht immer konnte die Hilfe rechtzeitig kommen. Blut, Schweiß, verbranntes Fleisch, Erbrochenes und Exkremente – der Gestank, der in der Luft lag, war selbst durch die leistungsfähige Luftreinigungsanlage des SAR-Shuttles nicht abzubauen. Das Wimmern, Stöhnen, Röcheln, Beten und Fluchen bildete eine wahrhaft höllische Geräuschkulisse. Blut machte den Boden rutschig, ungeachtet dessen, dass der Fußboden eine Unterlage aus besonders saugfähigem Material erhalten hatte. Ein Leichnam – ein Pilot der Bushpilots – lag an der Wand des Laderaums, und jeder, auch Lilja, bemühte sich, nicht in seinen Helm zu schauen, um sich den Anblick eines Mannes, der an Dekompression krepiert war, zu ersparen. Diesen Mann hatten sie zu spät geborgen – sein Anzug musste beim Ausstieg ein Leck bekommen haben. Er war nicht der einzige Tote an Bord.

Die Copilotin des Shuttles warf ihrem Vorgesetzten einen fragenden Blick zu: „Hältst du das für eine gute Idee? Mal ganz abgesehen davon, ob sie uns überhaupt landen lassen, was soll die denn an Bord eines Trägers? Das verdammte Weibsstück ist doch hysterisch.“ Dann schwieg sie abrupt, denn das verdammte hysterische Weibsstück steckte in dem Augenblick ihren Kopf durch die Cockpittür. Offenbar hielt sie nichts auf ihrem Platz, und da sie den Sanitätern nicht auf die Nerven gehen sollte, hatte sie sich dafür andere Ziele ausgesucht. Der Pilot, First Lieutenant Robert Stanford, dämpfte die Stimme zu einem Murmeln: „Man wird nicht Staffelchef, wenn man nichts kann. Und ich habe sie lieber nicht im Laderaum, FALLS wir auch ein paar Akarii aufsammeln sollten…Dort kann sie sowieso nichts machen. Und auf einem Träger nicht viel schaden. Außerdem müssen wir dringend ein paar der Verwundeten loswerden – es gibt ohnehin noch genug zum Einsammeln, wir haben bald keinen Platz mehr.“
Shuttle R-5 beschleunigte, unablässig funkend, auch weiterhin auf der Suche um jene zu retten, die immer noch durchs All trieben, seiner zweifelhaften Gnade auf Gedeih und Verderb ausgesetzt.

Kampfflieger der Grünen Staffel im terranischen Kampf um Karrashin V

„Grüne Staffel, formieren, auffächern – abwarten auf mein Kommando zum Angriff!“ Imps Stimme klang gelinde gesagt nervös. Gefechtsbeförderung zur Staffelkommandeurin, Treffer auf dem eigenen Träger, möglicher Verlust einer guten Freundin und jetzt auch noch die Aussicht, sich in eine wüste Kaschemmenschlägerei zwischen betrunken Elefanten zu mischen – das war doch etwas viel auf einmal. Aber sie wusste, ob lebend, tot oder sonst wo zwischen Himmel und Erde, weder Lilja noch Lightning hätten ihr jemals verziehen, wenn sie jetzt versagen sollte.
Auf der Habenseite stand nicht viel – eigentlich nur, dass Marine und sogar Abat wieder bei der Truppe waren, mit aufmunitionierten Reservemaschinen. Wenigstens das war beruhigend, denn es bedeutete, dass der Schaden auf der Columbia weniger schwer als befürchtet war. Die beiden Piloten wussten es auch nicht so genau, wer eigentlich an Bord das Sagen hatte, doch die technischen Dienste im Hangar taten offenbar nach der ersten Verwirrung unbeirrt ihren Dienst, und irgendwer musste die Columbia ja in die Feuerlinie befohlen haben. Das war aber nur ein gelinder Trost, denn schon der Anblick reichte, um Imps Kopfschmerzen zu potenzieren. Denn jetzt kam zu den quälenden Gedanken an den Treffer während des Bomberangriffs noch die Frage hinzu, ob der Träger auch den Angriff der feindlichen Kreuzer überstehen würde. Gerade eben war die Meldung gekommen, dass wer auch immer das Kommando hatte den Träger in die Schlachtlinie befohlen hatte. Das ließ ihr eigentlich keine Wahl – nicht, dass raushalten ohne dies ernsthaft zur Debatte gestanden hätte.
„In Ordnung, Grüne – wir gehen ran. Ziel folgt. Achtet auf Flakfeuer.“ Vasco war der einzige, der Protest anmeldete. Nicht, dass es ihm an Mut gebrach, aber er sprach oft ehe er nachdachte, und zudem hatte er mit der „Weiberherrschaft“ in seiner Schwadron so seine Probleme: „Aber gegen die verdammten Kreuzer…“
„Funkdisziplin!“ schnappte Imp: „Wir können wohl kaum warten bis die Akarii uns wieder Jäger zum Spielen schicken. Willst du zuschauen wie die Kreuzer unsere Basis zertrümmern? Also, ich sagte, wir gehen als Einheit ran – auch DU Vasco, oder ich komme eigenhändig rüber und schmeiß dich aus dem Cockpit – und köpfen uns angeschlagene Gegner vor. Seht zu, wo Lücken in den Schilden klaffen. Feuer auf feindliche Geschützstellungen, Werfer und Strukturschäden.“
Mehr konnten sie wohl kaum tun. Im Abfangen von Marschflugkörpern waren Jäger nicht sehr effektiv, vor allem wenn die Piloten nicht sehr gut waren. Man konnte mit Falcons zwar Frachter und mit etwas Glück, Mut und Wahnsinn auch Korvetten bekämpfen, aber alles Größere war eigentlich zu gut geschützt. Aber wenn der Feind gerade abgelenkt oder bereits beschädigt war und sich eine gute Gelegenheit bot…
Vielleicht konnte man den Gegner ja wenigstens ablenken.
Die junge Pilotin atmete ein paar Mal tief durch, um ihren Puls wenigstens etwas unter Kontrolle zu bekommen, mit geringem Erfolg. Dann öffnete sie wieder die Verbindung zu ihren Untergebenen: „Den leichten Kreuzer auf Ein Uhr – Kilo Fünf – Auf mein Kommando…JETZT!“
Insgeheim fragte sich Imp, wie wahnsinnig sie war, mit neun größtenteils leergeschossenen Jägern in eine Kreuzerschlacht einzugreifen. Aber dieser Gedanke verschwand wie weggewischt, als ihr Jäger beschleunigte, und sie dem ersten nach ihr tastenden Lasergeschütz ausweichen musste. Es gab viel zu tun.

An Bord der Columbia, Schlachtlinie über Karrashin V

Es fiel Lilja nicht leicht, auf den Beinen zu bleiben, als sie die Rampe des Shuttles hinunterhumpelte. Es war freilich nicht das erste Mal, dass sie gezwungen war, sich verwundet zu bewegen. Nein, dies war das…ja, vermutlich das vierte Mal, dass sie hatte aussteigen müssen, und zugleich ihre vierte ernsthaftere Verletzung. Irgendwie gewöhnte man sich nie richtig daran.
Sie achtete sorgsam darauf, ihren Blick geradeaus zu richten, auf ihr Ziel, wollte sich um keinen Preis ablenken lassen. Sie musste Acht geben, um von den Sanitätern nicht über den Haufen gerannt zu werden, die sich beeilten, die Schwerverletzten von Bord von R-5 zu bergen, damit das Shuttle möglichst schnell wieder starten konnte. Das Andockmanöver war überhaupt nur möglich gewesen, weil der schwere Träger sein Hangartor im Augenblick nicht den feindlichen Schiffen zugewandt hatte, und weil mehrere SAR-Einheiten zugleich Aufnahme erbeten hatten. So spuckten jetzt gleich drei Shuttles – R-5 von der Relentless, ein Shuttle der Columbia und eines der vernichteten Wasp – ihre Mitleiderregende Fracht aus. Keine Beschreibung und wohl auch kein Film, der hoffen wollte vor den Augen der Zensur Gnade zu finden, konnte so erschreckend sein wie die Wirklichkeit, die sich in diesem Moment auf dem Flugdeck entfaltete. Tote Körper – Verletzte, die nach Verlassen ihres Jägers, an Bord ihrer Rettungskapseln oder nach der Aufnahme durch die Shuttles gestorben waren – wurde einfach an der Seite aufgestapelt wie überflüssiger Ballast. Für Pietät war jetzt keine Zeit, und den Sanitätern und Helfern kam wohl gar nicht in den Sinn, dass dieses Stück totes Fleisch vor kurzem noch Träume und Wünsche gehabt hatte, dass es andere Menschen geliebt hatte und von ihnen wiedergeliebt wurde. Im Augenblick waren die Leiber einfach unnützer Ballast. Man räumte das knappe Dutzend lebloser Körper einfach zur Seite und bereitete sich vor, erneut zu starten. Niemand machte sich auch nur die Mühe, die zum Teil erschreckenden Wunden abzudecken, den Toten die Augen zu schließen. Die Verwundeten nahmen wohl nicht einmal wahr, was mit ihren ehemaligen Kameraden geschah, und das Flugdeckpersonal und die medizinischen Dienste hatte einfach zuviel zu tun.
All diese Schrecken, als das Grauen und Chaos, sei es optischer, akustischer oder anderer Natur – der Geruch allein war ausreichend um einen starken Mann umzuwerfen – schienen jedoch von Lilja abzuprallen, wie auch ihre eigene Verwundung. Mit einem eiskalten Gesichtsausdruck bahnte sie sich ihren Weg, sie schaute nicht einmal nach, ob unter den Toten und Verletzten jemand war, den sie kannte. Es war weniger der Mangel an Gefühlen, den viele ihr zuschrieben, der sie dazu befähigte, vielmehr die Fähigkeit, einfach gewisse Dinge auszublenden, und sich auf das „Wesentliche“ zu konzentrieren. Sie verstand es, im Notfall einfach „überflüssige“ Gefühle beiseite zu schieben, sich hinter ihrem eigenen Idealbild von einer pflichtbewussten Soldatin zu verschanzen, und hinter ihrer Wut. In solchen Augenblicken wiederholte sie in Gedanken, inzwischen ohne es wirklich wahrzunehmen, ihr Mantra des Hasses gegen die Akarii. Damit hatte sie einen Schuldigen, einen Auftrag – und die Möglichkeit, Rache zu nehmen, und das bewahrte sie davor, unter dem Druck von Trauer, Entsetzen und Verzweiflung zusammenzubrechen. Sie hatte diese Kunst bereits zu Anfang des Krieges erlernt und inzwischen zur Perfektion entwickelt. Einige ihrer Kameraden, denen das nicht gelungen war, waren seelisch am Krieg zerbrochen.

Doch nicht alles hatte die Russin so gut in der Hand wie sich selbst. Sie hatte eigentlich vorgehabt, sich von einem niederen medizinischen Dienstgrad ein paar zusätzliche lokalanästhetische Mittel und genug Aufputschmittel für einen schläfrigen Elefanten zu besorgen, und dann wieder ins Gefecht zurückzukehren, vorzugsweise an Bord eines Reservejägers ihrer eigenen Staffel – zur Not hätte sie sich natürlich auch jede andere Maschine unter den Nagel gerissen, die gerade frei war. Aber sie musste natürlich unbedingt einem der Ärzte über den Weg laufen, der ihr Rangmäßig fast ebenbürtig war, und den sie nicht so leicht rumschubsen konnte wie einen einfachen Gefechtssanitäter. Das an und für sich hätte sie vielleicht noch bewältigen können, indem sie ihn einfach schamlos angelogen hätte, sie würde sich sofort selber zur Krankenstation begeben. Aber dummerweise wurde sie in genau dem Augenblick beinahe von einem Transportwagen überfahren, der Raketen zu einem Kampfflieger brachte. Lilja wich gerade noch aus, doch dabei verlor sie natürlich das Gleichgewicht und schlug lang hin, wobei sie den Arzt mitriss. Als der ihre glasigen Gesichtsausdruck bemerkte – Lilja ließ sich nichts von dem Schmerz anmerken, ihr Bein war ohnehin mit Schmerzmitteln vollgepumpt – ordnete er sofort ihre Einlieferung auf der Krankenstation an. Und ehe die geschwächte Pilotin sich versah, lag sie schon in einem Krankenbett. Und das in dem sicheren Bewusstsein, dass sie noch nicht mal so schnell behandelt werden würde, denn die Ärzte hatten genug mit den lebensgefährlich verletzten Patienten zu tun. Also konnte sie nur die Schwester davonjagen, die ihr eine Breitbandbetäubung setzen wollte, und ordnete einfach an, man sollte ihr genug Mittel liefern, um den Schmerz unter Kontrolle zu behalten. Und ihr einen besseren Stützverband anlegen. Und eine Uniform besorgen. Und Krücken, nicht vergessen!
Sie wusste, wann sie geschlagen war – in ihrem jetzigen Zustand konnte sie nicht einfach auf dem Flugdeck aufkreuzen. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich geschlagen gab. Denn sie war sich sicher, es war noch lange nicht vorbei.

Schwerer Kreuzer Relentless

Mithel klammerte sich mit beiden Händen an seinen Sessel – oder besser, seinen derzeitigen, denn eigentlich war es der seiner Stellvertreterin. Er ignorierte das Blut, das sein Gesicht mit einer klebrigen Schicht überzog, ebenso wie andere unwichtige Dinge, die ihn abzulenken drohten, wie etwa die Blutstropfen, das Erbrochene oder kleinere Trümmerteile, die über die Brücke schwebten. Die gegnerische Salve war durch das wütende Abwehrfeuer gerade noch einmal ausreichend abgeschwächt worden, so dass sie die Schilde nicht durchschlagen hatte. Die Erschütterungen der detonierenden Raketen, die nicht abgefangen worden waren, hatten den Kreuzer jedoch geschüttelt wie ein wütender Hund eine Ratte. Ein gigantischer Hund musste es gewesen sein, immerhin war die Ratte ein mehrere hunderte Meter langer Stahlriese. Es war zu einigen internen Explosionen gekommen, der Fliehkraftabsorber war wieder mal überlastet worden, und Mithels Kommandosessel war aus der Verankerung gerissen worden und gegen die Wand gekracht, wobei sich der Commodore mit viel Glück nur eine Platzwunde und einige Prellungen zugezogen hatte. Er war gezwungen gewesen, den Sitz seiner Ersten Offizierin, die augenblicklich auf der Reservebrücke die Stellung hielt, zu okkupieren. Um das Maß voll zu machen, war auch noch fast gleichzeitig die künstliche Schwerkraft ausgefallen, so dass man aufpassen musste, dass man mitten im Gefecht nicht über die Brücke schwebte – bei den abrupten Manövern ein gefährlicher Spaß, und überdies der Würde eines Offiziers wohl kaum angemessen. Und auch der Magen manches Brückenoffiziers war dem nicht ganz gewachsen gewesen – Null-G-Training gehörte zwar zur Ausbildung, aber so etwas im Ernstfall zu erleben, war eben etwas ganz anderes.
Aber der Commodore ließ sich von allen Widrigkeiten nicht sonderlich beeindrucken. Der Einsatz der menschlichen Kreuzer zeigte inzwischen Wirkung, und das Eingreifen der Träger trug ebenfalls das ihre bei. Die Akarii sahen sich einem Gegner gegenüber, der bis zum äußersten entschlossen war, auch weil ihr Angriff ihn mit den Rücken zur Wand gedrängt hatte – und sie waren inzwischen in der Unterzahl, auch was die Kampfkraft anging. Ihre Gegner nutzten dies weidlich aus. Während das Zentrum der Akarii weiter vorrückte, quälend langsam inzwischen, kamen die Flügel ihrer Formation, an denen vor allem leichte Kreuzer standen, nicht mehr von der Stelle.

Inmitten all des Chaos, des Stimmgewirrs, in das sich längst auch Schmerzenslaute mischten, taten die Offiziere auf der Brücke ihre Pflicht, so wie sie es gelernt hatten. Seit den Tagen von Jollahran oder schon länger waren sie durch eine unerbittliche Schule gegangen, angetrieben, ermutigt und oft auch gedemütigt von ihrem Kapitän, und das bewährte sich jetzt. Marek Rogulski, der leitende Waffenoffizier auf der Relentless, gehörte zu den Menschen, die eine Chance erkannten, wenn sie vor sich hatte und er wusste sie auch zu nutzen – wie er immer sagte, waren genau das auch die Gründe, aus denen er verheiratet war. Und als er jetzt einen Blick auf die Sensoranzeigen warf, und den Meldungen seinen Kollegen lauschte, wusste er, das war so eine Gelegenheit. Und er nutzte sie: „Gesamte Bugbatterie, auf mein Kommando Ziel Kilo Fünf, rechter Bugbereich…FEUER!“ Die schweren Lasergeschütztürme folgten seinem Befehl, drehten sich synchron und spieen Tod. Sie entfesselten ein erbarmungsloses Gewitter, das die feindlichen Schilde vollkommen überlastete. Die Nar’Hutar – denn um diese handelte es sich – hatte dem nicht mehr viel entgegenzusetzen. Ihre kampfgeschwächten Schilde kollabierten, und die Laserstrahlen tranchierten den leichten Kreuzer gleichsam. Abrupt schwiegen seine Bugwerfer und -kanonen, Wrackteile und Luft schoss in Geysiren ins All hinaus. Geschmolzenes Metall warf Blasen, sofern es nicht augenblicklich verdampfte, erstarrte aber in der Eiseskälte sofort wieder. Das Durcheinander ausnutzend, stieß eine Handvoll terranischer Kampfflieger vor und überschütteten den taumelnden Giganten mit Beschuss, fügten ihm weitere Wunden zu. Leichte Laserkanonen und einzelne Raketen vergrößerten den schweren Schaden der Geschütze der Relentless noch. Staffel Grün nutzte jede Chance, einen Beitrag zu leisten, nicht weniger als ihre Kameraden von der Wasp und Hongkong. Sie flogen mit ihren zerbrechlichen Jägern in eine Hölle aus Stahl, Energie und Explosionen.
Auf der Brücke der Relentless hielt sich Chris Mithel währenddessen mit einer Hand fest, während er mit den Gesten der anderen seine Befehle untermalte. Seine Lippen verzogen sich in diesem Moment zu einem bitteren, fast grausamen Lächeln. Er sah, dass sich die Schlacht langsam wendete – und er sah auch, dass er Rache nehmen konnte für den Verlust der Merciless. Doch er kannte seine Pflicht, und wenn dies erforderte…
„Funkspruch an Kilo Fünf, Standartübersetzung – Akarii-Schiff, sofort kapitulieren!“ Er hätte diesen Gegner gerne vernichtet gesehen, aber ein aufgebrachter Kreuzer bot mitunter wertvolle Beute, und eine Kapitulation sparte Zeit und Munition. Vernichten konnte man ihn ja später immer noch.
Doch der Akarii hatte anderes im Sinn, als aufzugeben.
„Sir, Feindschiff beschleunigt! Kollisionskurs!“
Der Commodore hämmerte mit seiner Faust auf seine Armlehne – im nächsten Moment musste er eilig das linke Bein um das Standbein des Sessels legen, sonst wäre er dank der unbedachten Geste davon geschwebt. Seine Stimme überschlug sich fast, als sie versuchte mit seinen Gedanken Schritt zu halten: „Kurskorrektur Volle Kraft, 90 Grad vertikal negativ. Traktorstrahlen maximale Abstoßung auf vorderes Drittel Kilo Fünf auf mein Zeichen… drei… zwei… eins… EINSATZ!“
Der menschliche Kreuzer kippte nach vorne ab, Triebwerke und Manöverdüsen flammten auf und trugen ihn aus der Bahn des jetzt rasch beschleunigenden Akarii. Die Relentless feuerte nicht – auf diese kurze Entfernung wäre ein Einsatz der Atomraketen zu gefährlich gewesen, und selbst die Lasergeschütze hätten eine verheerende Sekundärexplosion beim Gegner hervorrufen können. Unter normalen Umständen hätte die Nar’Hutar ihr Ziel treffen können, war sie doch einiges beweglicher. Doch das Schiff war bereits beschädigt, und Mithel hatte schnell genug reagiert. Für einen Augenblick sah es noch so aus, als würde der zerschmetterte Bug des Kilo das Heck der Relentless treffen. Auf der Brücke tasteten zahlreiche Hände nach Griffen und Gurten, um sich auf das vorzubereiten, wofür es eigentlich keine Vorbereitung gab – doch dann kam der schwere Kreuzer gerade noch frei. Der Feind passierte die Relentless, sie knapp verfehlend. Die letzten verbleibenden Geschütze und leichten Werfer des Kilo schlugen auf die Schilde des Erdkreuzers ein, durchbrachen sie sogar an einigen Stellen, zernarbten die Panzerung. Doch dies war keine Fregatte, und kein Havarist – die Relentless war stark genug, diesem Beschuss standzuhalten. Einen Moment später sprachen erneut die Bordgeschütze des schweren Kreuzers.
„Multiple Treffer im gegnerischen Heckbereich, Kilo Fünf verliert an Geschwindigkeit – scheint schwer getroffen. Frage Feuerpause?“ Manchmal – auch in diesen Tagen – gewährte man einem geschlagenen Gegner Zeit, um zu evakuieren. Doch in Mithels Stimme war weder Mitleid noch Achtung vor dem Feind zu finden: „Sie hatten ihre Chance. Heck- und Flankenbatterien weiterfeuern – reißt sie auseinander.“ Dann, als hätte er das Ziel seiner Wut schon vergessen, dessen Vernichtung er eben noch herbeigesehnt hatte, gab er schon wieder neue Befehle: „Primärer Bugwerfer, neue Ziele erfassen. Funkverbindung zu den Schwesterschiffen, neue Ziele synchronisieren.“ Die Relentless suchte sich ein neues Opfer, während die Nar’Hutar einen ähnlich grausamen Tod starb wie ihre früheren Opfer. Und wie ihr ging es manch anderem Akariikreuzer.

Doch die Menschen zahlten einen hohen, einen sehr hohen Preis für diesen und andere Siege.
Raketen zerschlugen Schilde und Rumpf der Wasp. Hier, im Zentrum der Schlacht, standen die schweren Einheiten der Akarii, kampferprobte Schiffe. Sie mochten in den letzten Monaten und Jahren wenig Einsatz gesehen haben, doch sie erinnerten sich noch gut an die Siege der ersten Tage. Und wenn sie diese Zeit schon nicht zurückholen konnten, so konnten sie den Menschen doch jeden Glauben an einen leichten Sieg nehmen. Der leichte Träger taumelte brennend durchs All, in alle Richtungen flohen die Rettungskapseln, doch nicht für alle würde es ein Entkommen geben, nicht nur auf diesem Schiff. Die Obliterator unter Captain Solveig Sturlasdottir, die an der rechten Flanke focht und dort den leichten Einheiten des Gegners entgegengetreten war, fiel zurück, nur noch ein zerschlagenes Wrack. Ihre letzten Geschütze und Werfer, nicht mehr als eine Handvoll, feuerten unablässig, ungeachtet der Brände, die an Bord des Schiffes wüteten, der tiefen Wunden in seinem Rumpf. Doch schon jetzt war abzusehen, dieses Schiff würde nirgendwohin fliegen, auch wenn es noch kämpfte, bestenfalls würde man den geschundenen Rumpf nach Ende der Schlacht evakuieren und ihm den Fangschuss verpassen können. Die Helena und die Centaur, leichte Kreuzer des ehemaligen Geschwaders 2.7, verloren den Nahkampf gegen die angreifenden Akarii – die Centaur ereilte dabei das wohl schrecklichste Schicksal, denn sie verging in einer gewaltigen Explosion, als feindliches Laserfeuer sich tief in ihren geschundenen Leib bohrten und ein Magazin mit Atomraketen trafen. Schon der explodierende Raketentreibstoff war ausreichend, den Kreuzer auseinander zu reißen. Und nicht weniger bluteten die Kreuzer der Wasp und der Hongkong.
Cattaneo
Cattaneo

Hannibals Erben III

Grüne Staffel

Ina Richter musste blinzen, um der Tränen Herr zu werden, die ihr in die Augen schossen, Tränen der Trauer und der unterdrückten Wut. Die Schlacht stand auf des Messer Schneide, schien sich langsam zu ihren Gunsten zu wenden. Doch in ihr war gewiss keine aufrichtige Freude. Sie waren nur noch zu acht. Eben noch hatten sie im Tiefflug gewütet, einen feindlichen Kreuzer mit wütendem Feuer überschüttet. Diese Raumschlacht war ein Stückweit der pure Wahnsinn. Erbarmungslos hämmerten die schweren Kriegsschiffe aufeinander ein. Gefahr bestand für die Jäger weniger durch gezieltes Feuer – im Moment gab es wichtigere Ziele für die Akarii. Aber bei den hunderten Strahlenbahnen und Raketen, die zwischen den gegnerischen Flottenverbänden hin und her flogen, war ein tödlicher Zufallstreffer, eigentlich eine mathematisch gesehen kaum wahrscheinliche Möglichkeit, eine sehr reale Bedrohung. Normalerweise konnte man ja den Bordcomputer und die Sensoren benutzen, um sich rechtzeitig warnen zu lassen, aber bei einer derartigen Vielfalt von möglichen Variablen und den ECM, die beide Seiten einsetzen, war es fast besser sich auf Augenmaß zu verlassen als auf die geblendeten Helfer.
Doch es war weder ein Zufallstreffer noch ein gezielter Angriff gewesen, der Grün Zwei, Liljas Flügelmann, zum Verhängnis geworden war, nicht einmal friendly fire. Eine Sekundärexplosion an Bord des feindlichen Kreuzers hatte eine ganze Sektion abgesprengt, und Dragon war mit seinem Jäger, dessen Schilde ohnehin bereits geschwächt waren, mitten in die Trümmer gekracht. Er hatte nicht mal Zeit für einen Schrei gehabt – Imp hoffte, es hatte auch zum Begreifen nicht mehr gereicht – da war seine Maschine mit den Trümmern verschmolzen in einem Feuerball. Von dem jungen Chinesen mit der zahlreichen Familie, der von sozialem Aufstieg in den Streitkräften geträumt hatte, und der in der Staffel wegen seiner direkten Vorgesetzten immer etwas bemitleidet worden war – was er mit stoischem Lächeln ertragen hatte – war nichts geblieben, ebenso wie sein Symbol auf dem Ortungsschirm von einem Moment zum anderen spurlos verschwunden war. Sie hatte immer geahnt, dass es hart war eine Staffel zu führen, immerhin kannte sie zwei Staffelführerinnen gut. Aber wie weh es tat, wenn man Kameraden verlor, und sich fragen musste, ob man nicht selber daran schuld war – darauf konnte man sich einfach nicht vorbereiten. Sie wusste aber auch, dass jetzt nicht die richtige Zeit war. Sie versuchte mühsam, ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen: „Grüne Staffel…neues Ziel…“

Brücke der Relentless

Commodore Mithel gehörte, wie allgemein bekannt, nicht zu den Menschen, die sich ihre Gefühle, Nöte und Sorgen normalerweise anmerken ließen. Jetzt, als die Schlacht um Karrashin in ihre entscheidende Phase zu treten schien, zeigte jedoch sogar er langsam Zeichen von Erschöpfung. Er immerhin keine zwanzig oder auch nur dreißig oder vierzig mehr. Und dieser Kampf hatte ihnen alles abverlangt. Mehrere Angehörige der Brückencrew waren ausgefallen – Brüche, multiple Prellungen und Quetschungen, Gleichgewichtsprobleme. So gesehen hielt sich der Kapitän besser als viele jüngere Untergebene. Immer noch behielt er das Kampfgeschehen im Auge, reagierte auf jedes Manöver des Feindes, auf Erfolge oder Verluste seiner Kampfgefährten. Und er wusste, dass es nicht nur auf die Erfolge oder Verluste in unmittelbarer Nähe ankam. In diesem Hexenkessel konnten noch ganz andere Faktoren eine Rolle spielen.
„Frage Sensorstation – irgendetwas vom feindlichen Hauptverband oder Kampffliegern?“ Das war seine geheime Furcht. Wenn der Feind jetzt mit zwei Dutzend leichter Einheiten nachlegte, oder doch noch mit einem halben Hundert Sturmjäger angriff, würde es blutig werden. „Negativ – auch nichts von den Flakkreuzern.“ Der Commodore nickte knapp. Die Flakkreuzer…nun, er gab weit weniger als andere auf ihre überlegene Technik, und hier hatten sie ja schließlich auch gezeigt, dass sie für eine solche Art Schlacht nicht unbedingt geeignet waren. Und die Akarii schienen in Bezug auf ihre ECM ebenfalls ein Gegenmittel gefunden zu haben, wie zu erwarten gewesen.
Im direkten Nahkampf reduzierten sich ohnehin die Vorteile der Dauntless-Kreuzer, und das Fehlen einer schweren Primärbewaffnung an Schiff-Schiff-Raketen kam unter solchen Bedingungen voll zum tragen. Zwar war ihre Abwehrbewaffnung exzellent, und sie hatten schwere Batterien von Lasergeschützen. Aber das konnte ihre anderen Schwächen nicht ausgleichen. Das hatte nach der Leander noch einem weiteren Flugabwehrkreuzer den Untergang gebracht, und die zwei verbleibenden – die Dauntless und ihr Schwesterschiff Devastator, beides Schiffe unter Mithels Kommando – hatten vermutlich ihr Glück erstmal aufgebraucht. Aber er hoffte darauf, dass sie ihn rechtzeitig warnen würden, falls der Gegner doch noch seinen hart bedrängten Kreuzern Verstärkung schickte. In dem Fall würde wohl nichts als die Flucht bleiben. Nun, das mochte auch der Fall sein, wenn sie hier siegten, es sei denn, die terranischen Kampfflieger hatten sich im Angriff auf den feindlichen Hauptverband selbst übertroffen, was er bezweifelte. Darum würde man sich zu gegebener Zeit kümmern müssen.

Etliche der ihm unterstehenden menschlichen Kreuzer waren bereits von den Kämpfen schwer gezeichnet, ihre zerschundenen Flanken und zerstörten Batterien sprachen eine beredte Sprache. Doch ihren Gegnern ging es nicht besser. Es war nun abzusehen, wie die Schlacht enden würde. Die Akarii waren bereits jetzt zahlenmäßig unterlegen, ihr Vorstoß gestoppt. Die leichten Einheiten der Menschen hatten sich inzwischen wieder soweit gefangen, dass sie die Angreifer aus der Ferne unter Feuer nahmen. Die erste Panik war auch bei ihnen überwunden, und auch das setzte den Akarii immer mehr zu. Die Hoffnung, die den Angreifer zu Anfang noch angetrieben hatte, seinem Sieg über die Wasp noch einen Triumph über die Hongkong oder gar die Columbia – oder vielleicht beide – hinzufügen zu können, hatte sich zerschlagen. Zu geschickt verteidigten sich die Menschen, zu geschwächt waren die Angreifer. Und vor allem die Columbia teilte ihrerseits ordentlich aus, und auch die Hongkong blieb dem Gegner nichts schuldig. Indem die Träger in die Schlachtlinie beordert worden waren, war zudem der psychologische Druck auf die anderen Kriegsschiffe erhöht worden – wie durch den Heerführer, der selber Schwert und Feldzeichen ergriff und sich in vorderste Front begab.
,Der feindliche Kommandeur hatte eine gute Idee, aber er hat nicht die nötigen Mittel eingesetzt, um sie verwirklichen zu können.’ dachte Mithel.
Wenn die Akarii ein paar Schiffe mehr eingesetzt hätten, etwa noch eine Division Zerstörer, und wenn der Angriff von Bombern und Kreuzern noch besser koordiniert gewesen wäre…Aber im Krieg zählte nicht das ,Was wäre wenn?’
Der Commodore musterte angespannt das digitale Abbild des Schlachtfeldes. Wohl zeichnete sich der Sieg der Menschen ab, doch die Akarii vollkommen zu schlagen, würde Zeit und Verluste kosten. Sie hatten wenig Hoffnung, wenn sie sich zur Flucht wandten, denn der Planet unter ihnen schränkte ihre Beweglichkeit ein, und es war klar, dass die Menschen sie nicht einfach so ziehen lassen würden. Sie würden vielmehr…
Der Gedanke durchzuckte Mithel wie ein Blitz – das könnte funktionieren! Vor seinem inneren Auge rollte eine taktische Simulation ab, die er vor langer Zeit einmal gesehen hatte.
„Verbindung zur Hongkong!“

Als das abgespannte und erschöpfte Gesicht von Rear-Admiral Schepens auf dem Bildschirm erschien, nahm der Commodore unwillkürlich Haltung an – ohne sich dessen bewusst zu sein wie grotesk dies angesichts der Situation und seines eigenen Aufzugs im Grunde wirkte. Aber so war es eben Brauch, und Mithel respektierte das Protokoll: „Sir, Ich schlage vor, leichte Einheiten flankierender Sturmangriff auf die Akarii. Wir kesseln sie ein und reiben sie völlig auf.“ Er gestikulierte, ließ eine improvisierte taktische Simulation überspielen. Die menschlichen Zerstörer und Fregatten, je mehr als ein Dutzend an beiden Flanken des Schlachtgeschehens, formierten sich darin, und schlugen auf die geschwächten Flanken ein, umfassten sie, kesselten den Gegner ein. Eine Abwandlung des großen Sieges des karthagischen Feldherren Hannibal bei Cannae in Italien.
Schepens zögerte nur einen Augenblick – vielleicht, weil er sich nicht sicher war, ob die leichten Einheiten nach dem brutalen Knockout-Angriff der Akarii zu Beginn der Schlacht noch zu so einer Operation in der Lage waren. Doch dann straffte er sich: „Halten Sie ihre Kreuzer zu einem letzten Sturmangriff bereit – wir lassen es hier und jetzt enden.“ Dann, ohne erst die Verbindung zur Relentless zu kappen, wandte er sich an seinen Kommunikationsoffizier: „Prioritätsspruch, Janzek und alle anderen Einheiten.“
„Multiverbindung in fünf Sekunden, vier, drei, zwei, eins – Steht!“
„Achtung, Achtung, Durchsage an leichte Einheiten. Befehl – Generalangriff auf gegnerische Flanken, Feuer koordinieren je fünf Einheiten auf einen Gegner. Kreuzer und Jäger unterstützen frontal.“ Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch für alle aufmunternden Worte blieb keine Zeit. Der Krieg wartete auf niemanden, nicht auf die Lebenden, und schon gar nicht auf die Toten. Deshalb blieb dem Rear-Admiral in diesem entscheidenden Augenblick, in der vielleicht größten Schlacht seiner Karriere, nur Zeit für einen knappen Satz: „Für alle unsere gefallenen Kameraden – Angriff!“
Und dann erklangen seine Befehle an sein eigenes Schiff, und sogleich wurden dieselben Befehle auch auf den anderen schweren Kriegsschiffen, einem nach dem anderen, wiederholt:
„Schiff auf Volle Geschwindigkeit – Angriff unterstützen!“
Einen Augenblick lang schien alles noch in der Schwebe. Wenn nur die schweren Einheiten angriffen, wenn nur sie in den Nahkamp gingen, dann konnte es noch einmal verlustreich werden, bis der letzte Akarii vernichtet war. Doch dann begannen sich auf den taktischen Anzeigen die Symbole für die menschlichen Zerstörer und Fregatten zu verlagern – auf die Akarii zu, in die Flanken ihrer Formation hinein. Der Befehl zum Angriff wurde aufgenommen. Die feindlichen Kreuzer, bereits unter schwerem Druck stehend, waren diesem Ansturm nicht mehr gewachsen. Eine halbe Stunde später war alles vorbei.

Shuttle R-5, inmitten der Schlacht

Das Shuttle der Relentless war inzwischen wieder zu seiner traurigen Pflicht zurückgekehrt, all die Verwundeten und Geschlagenen einzusammeln, die diese Schlacht in ihrem Kielwasser zurückließ. Schon bald staute sich das Leid, die Verwundeten, das Blut und der Gestank wieder an Bord des leichten Schiffes, kamen die Sanitäter an die Grenzen des Menschenmöglichen. Und auch das fliegende Personal musste an seine Grenzen gehen, und auch darüber hinaus. Glücklicherweise schoss keiner absichtlich auf sie, was keine Selbstverständlichkeit war, denn in solchem Durcheinander feuerte mancher erst einmal, und sah dann genauer hin. Außerdem gab es – vermutlich auf beiden Seiten der Front – genug Geschichten über „No mercy!“-Soldaten, Piloten und Bordschützen, die jede Maschine des Gegners als Feind ansahen, die erst abließen, wenn auch der ausgestiegene Jagdpilot, die Rettungskapsel des sterbenden Schiffes vernichtet waren. Aber natürlich musste man sich auch ohne das vor dem Sperrfeuer in Acht nehmen, und mehr noch vor Blindläufern, Raketen, die ihr Ziel verloren hatten, und nun ein neues suchten. Second Lieutenant Maria Hernandez, die Copilotin des Shuttles, bediente nebenher die Bordwaffen und Täuschkörperwerfer des S-41, und hatte sie auch mehr als einmal einsetzen müssen. Und man musste natürlich den Trümmern ausweichen, keine Leichtigkeit, wenn man ganz nah an Havaristen heranflog, um defekte Rettungskapseln zu bergen.
Doch im Augenblick gönnte sich Lieutenant Stanford eine kleine Atempause, zudem war sein Shuttle bereits wieder voll beladen. Das war jedoch nicht der eigentliche Grund, denn normalerweise hätte er nicht aufgehört, bis auch der letzte Winkel vollgestopft gewesen wäre, denn das konnte Leben retten. Nein, es hatte einen anderen Grund.

Selbst mit seiner nicht sehr leistungsfähigen Sensoranlage und dem im Vergleich zu den Kreuzern erbärmlich kleinen Taktikdisplays konnte er erkennen, was sich im Moment abspielte. Die Zerstörer und Fregatten waren dabei, das Werk der menschlichen Kreuzer zu vollenden. Was ihnen an Feuerkraft fehlte, machten sie durch ihre Zahl wett, waren sie doch den verbleibenden Akarii fast doppelt überlegen – und die waren, anders als zu Anfang der Schlacht, angeschlagen, entmutigt, und im Kampf gegen einen ohnehin ebenbürtigen Gegner gebunden. Die Echsen wehrten sich verbissen – aber jedes ihrer Schiffe, das seine Waffen gegen die leichten Einheiten der Menschen richtete, öffnete eine Lücke im Abwehrfeuer gegen die Kreuzer und Träger. Die Akarii waren wie ein Kämpfer mit Schild und Schwert, der sich gegen zwei Gegner zugleich schützen musste – wen er auch parierte, er gab sich unweigerlich gegenüber dem anderen Feind eine Blöße. Für einen Moment schien es, als würden die Akarii bereit sein, zu fechten und zu fallen, wo sie standen. Doch dann wandten sie sich zur Flucht, die imperialen Kreuzer begannen zu manövrieren, wie schwerfällige Walfische, die aus einer engen Meeresbucht entweichen wollten. Aber die Killer waren unablässig hinter ihnen und an ihren Flanken, schlugen zu mit ihren Zähnen, rissen an ihren Feinden, die sie jetzt verwundbar fanden. Nichts fachte den Mut erschöpfter Soldaten so sehr an, wie den verhassten Gegner auf der Flucht zu sehen.

Doch die Echsen flohen nicht kopflos, und wehrhaft waren sie immer noch. Mehr als ein Angreifer würde sie in den Tod begleiten. Doch auch wenn noch ein, zwei, drei leichte Einheiten vom gegnerischen Feuer zerfetzt oder schwer angeschlagen wurden, wenn auch noch ein Kreuzer zurückfiel, verwundet oder zu Tode getroffen – es änderte nichts mehr. Ein Schiff der Akarii nach dem anderen wurde massiert angegriffen, seine Abwehr zerschlagen, sein Rumpf aufgerissen, bis es vernichtet war. Als sich schließlich die heimkehrenden Kampfflieger der Träger in den Kampf eingriffen, obwohl selber dezimiert und angeschlagen, war die Schlacht endgültig entschieden. Keiner von des Kaisers Kreuzern, die vor so kurzer Zeit – unermesslich lange her – kühn und angriffslustig aus dem Ortungsschatten von Karrashin V hervorgekommen war, würde heimkehren.

Doch noch war es nicht soweit. Und die Akarii, die so erbittert um den Sieg gekämpft hatten, fochten jetzt nicht minder entschlossen um ihr Leben – oder um wenigstens noch ein paar Feinde mit in den Tod zu nehmen. Und da war ihnen jedes Mittel recht, um sich zu retten, sich zu rächen oder wenigstens Einigen das Entkommen zu ermöglichen.
Es war Lieutenant Stanford, dem das zweifelhafte Vergnügen bevorstand, das als erstes herauszubekommen. Der Shuttlepilot von R-5 runzelte die Stirn, während er seine Sensoranzeigen musterte. Das Durcheinander hätte vermutlich jeden überfordert – immer noch Dutzende Großkampfschiffe, mehr als 100 Jäger, dazu Shuttles, Trümmerteile, Raketenschwärme, Täuschkörper, Laserstrahlen, alles sich stets verlagernd, umeinander tanzend. Aber aus so kurzer Entfernung bemerkte selbst er mit seiner nicht sehr leistungsfähigen Anlage, dass hier etwas Merkwürdiges vor sich ging: „Schau dir das mal an…“ Seine Cockpitkameradin warf ihm einem neugierigen Blick zu, dann runzelte auch sie die Stirn. Der Pilot klopfte auf die Anzeigen – die Gebrauchsanweisung ignorierend, dass man so mit einem Bildschirm nicht umging: „Sieht so aus als hätten die Akarii eine ganze Menge Shuttles gestartet…ich zähle zehn, vielleicht auch mehr.“
Die Copilotin verzog das Gesicht zu einer Grimasse: „Wollen wohl stiften gehen. Keine Lust auf Heldentod.“ Die Verachtung in ihrer Stimme war mehr als deutlich, denn auch wenn sie im Augenblick als Samariterin vom Dienst unterwegs war, gerade die Fracht im Rumpf ihres Schiffes war nicht eben geeignet, freundliche Gefühle für die Akarii zu wecken.
Im nächsten Augenblick beugte sich ihr Vorgesetzter irritiert nach vorne und musste an sich halten, um dem Bildschirm nicht einen zweiten sanften Hieb zu verpassen: „Was bei allen Supernovae MACHEN DIE DENN?!“

,Die’, das waren einige der Shuttles der Akarii, die sich in diesem Augenblick etwas von den anderen abgesondert hatten. Für einen Augenblick fragten sich die Beobachter, die beide den Todeskampf des Geschwaders der Korax ma Rah miterlebt hatten, ob es vielleicht Kamikaze-Einheiten waren. Lieutenant Stanford war kurz davor, die entsprechende Code-Warnung herauszugeben – nach den Ereignissen in Tukama hatte Mithel dafür Sorge getragen, dass extra ein Codewort für Selbstmordflieger geschaffen wurde. Doch dann überlegte er es sich anders. Nein – obwohl die gegnerischen Shuttles mit ihrem Gewicht, und im Falle eines Tankshuttles mit dem explodierenden Treibstoffs auch mit der Explosion, einigen Schaden anrichten könnten, es fehlte ihnen die rasante Geschwindigkeit und die atomare Sprengladung, um einen Schaden vergleichbar der Tukama-Kamikaze anzurichten. Und es war einfach keine Zeit gewesen für die Echsen, die Schiffe extra zu bestücken und zu präparieren.
Außerdem hätten sie sich gewiss andere Ziele ausgesucht, angeschlagene Kreuzer zum Beispiel – sie hätten es nicht mal weit gehabt, als sie starteten. Bisher hatte es vielmehr so ausgesehen, als ob die kleinen Transporter relativ unbelästigt entkommen könnten. Sowohl menschliche Großkampfschiffe als auch Jäger hatten genug anderes, edleres aber auch wehrhafteres Wild zur Auswahl. Nur ein Shuttle war – ob aus Zufall oder Absicht war unklar – von einem Laserstrahl, unzweifelhaft ein schweres Schiffsgeschütz, vielleicht gar ein Zwillingsturm, förmlich aufgespießt und in zwei Teile zerrissen worden.
Die zwei Menschen im Cockpit von R-5 verfolgten – vielleicht als einzige – konsterniert den Kurs der „Ausbrecher“ im Konvoi der imperialen Shuttles. Es war jetzt zu erkennen, es waren vier. Sie entfernten sich immer weiter vom Kurs ihrer Brüder, beschleunigten, hielten auf zwei menschliche Schiffe zu, einen Zerstörer und eine Fregatte, die beide damit beschäftigt waren, auf die verbleibenden Kreuzer des Gegners zu schießen. Und dann begannen die Akarii im letzten Moment abzubremsen…
Die Copilotin stieß einen wüsten Fluch aus, in ihrer Stimme mischte sich Schrecken mit ungläubiger Wut: „Diese verdammten pajeros wollen unsere Schiffe nicht rammen, die wollen sie ENTERN!“
Und mit einmal machte alles Sinn. Die beiden menschlichen Schiffe waren definitiv schon angeschlagen, in ihrer Manövrierfähigkeit wie ihrer Verteidigung eingeschränkt, zumindest partiell waren die Schilde ausgefallen, zudem waren sie momentan mehr als beschäftigt. Ein feindliches Entershuttle konnte – wie sein menschliches Gegenstück – bis zu einer kompletten Kompanie imperialer Marines befördern. Und bedachte man, ein wie schlechtes Bild viele normale Flottensoldaten normalerweise im Nahkampf gegen solche Cracks boten, und wie viele Marines die meisten Zerstörer und Fregatten an Bord hatten…
Natürlich war so ein Manöver immer noch ziemlich wahnwitzig und ein richtiges Himmelfahrtskommando, denn selbst wenn die Akarii Erfolg hatten, würde ihnen das nicht viel bringen. Enterangriffe während einer Raumschlacht, gegen zumindest noch teilweise bewegliche und kampfbereite Schiffe, waren für sich genommen schon ziemlich riskant, selbst wenn diese Schiffe angeschlagen und im Augenblick abgelenkt waren. Die Akarii würden niemals die Schiffe übernehmen und mit ihnen fliehen können, und die anderen menschlichen Schiffe konnten genug Marines für einen Gegenangriff schicken. Aber wenn die Echsen Erfolg hatten, konnten sie zumindest schwere Schäden anrichten, vielleicht gar eines der Schiffe sprengen…

Der Pilot von R-5 handelte sofort, kaum dass auch er die Absicht des Gegners erkannte: „Funkspruch an beide Schiffe: „ENTERFÄHREN IM ANFLUG! Achtung, an alle Einheiten, feindliche Enterfähren, bitte um Hilde, dringend um Hilfe!“ Er tastete nach dem Steuerknüppel, um sein eigenes Schiff zu beschleunigen, ein Abfangmanöver zu fliegen – und fluchte dann unterdrückt. Er wusste, dass ihm im schlimmsten Fall Kriegsgericht drohte, wenn er mit einem Bergungsshuttle in die Kämpfe eingriff, das ja als Rotkreuzeinheit gekennzeichnet war. Und außerdem hatte er den Laderaum voller Verwundeter und war ohnehin schlechter bewaffnet als seine Gegner. Doch während er noch mit sich rang, handelte der Gegner.
Die Warnung von R-5 kam zu spät für die „Lady Ching“, eine Fregatte, die wie viele ihrer Schwesterschiffe nach einem berühmten Piraten benannt war, in diesem Fall nach einer überaus erfolgreichen chinesischen Seeräuberfürstin, Herrin über 1.500 Dschunken und 80.000 Kämpfer, die ihr Leben als Großmutter in Frieden und Wohlstand beschlossen hatte. Die Akarii waren schon zu nah, das Schiff reagierte zu langsam, angeschlagen wie es war. Seine Geschütze eröffneten das Feuer, doch die Akarii wichen geschmeidig aus, bremsten abrupt ab, synchronisierten ihre Bewegung mit denen des Schiffes, dockten an, wo die ausgefallenen Schilde ihnen Zugang gewährten. Dann verrichteten Sprengsätze und Schneidlaser ihr Werk, fraßen sich in den Rum der Fregatte, bahnten den kaiserlichen Marines den Weg ins Schiffsinnere. Der Nahkampf würde entscheiden – in jedem Fall war das Schiff fürs erste ausgefallen.
Auf dem Zerstörer Vo Nguyen Giap, dem zweiten als Opfer auserkorenen Schiff, erwachte jetzt langsam die Abwehr, allerdings musste man sich dort auch noch vor gelegentlichem Beschuss von den Akarii-Kreuzern in Acht nehmen, und das beanspruchte dummerweise genau die Waffen, die gegen Shuttles am effizientesten waren – Lasergeschütze und leichte Raketenwerfer.
Angesichts dessen konnte Lieutenant Stanford einfach nicht untätig bleiben: „Maria – Radar auf volle Kraft! Harte Ortung auf Shuttle Beta!“ Die Sensoreinrichtung des S-41 war in den verschiedenen Konfigurationen ziemlich identisch, abgesehen natürlich vom Sensorshuttle, variiert wurden bei der Herstellung zumeist nur die Rumpfmodule. Das hieß, die Sensorausstattung eines Bergungsshuttles glich dem einer Tankfähre – und dem eines Landungsbootes. Folglich musste der Akarii den Eindruck haben, dass er von einem Shuttle, das allerdings intergalaktische Sanitätscodes sendete, in die Zielerfassung genommen wurde. Was ihn berechtigte, zurückzuschießen…
Stanford wartete kaum die Meldung seiner Vize ab: „Gegner erfasst uns seinerseits!“, da beschleunigte er schon sein Schiff brutal. Er war kein ausgebildeter Jagdpilot, aber mit seinem Allzweck-Shuttle musste er vielseitige Fähigkeiten besitzen. Man verlangte von ihm, waghalsige Bergungsmanöver durchzuführen, Betankung inmitten eines Raumgefechtes, wobei manche seiner „Kunden“ auch noch beschädigt waren, und natürlich den Todesritt, wenn es darum ging, Entertruppen durch gegnerisches Abwehrfeuer zu einem Ziel am Boden oder im Raum zu bringen. Er kannte folglich seine Maschine und ihre Möglichkeiten. Und auch die Shuttlecrews der Relentless hatten eine harte Schule hinter sich.
Das menschliche Shuttle schloss schnell folglich zu den Enterfähren auf, vor allem weil der Pilot flog, als hätte er einen unendlichen Treibstoffvorrat. Doch die warteten nicht, bis er sie erreicht hatte.
Die Stimme seiner Copilotin war die erste Warnung auf eine Reaktion des Gegners: „Feindshuttle richten Raketenwerfer aus!“ Dann, wenige Sekunden darauf, kam die befürchtete Meldung: „Zielerfassung des Gegners steht!“ Lieutenant Stanford ließ sein Shuttle in dem Moment abtauchen, in dem der Gegner das Feuer eröffnete. Vierlingslaserstrahlen der feindlichen Maschinen zuckten durchs All, suchten wie tödliche Finger nach R-5, es nur knapp verfehlend. Und dann zündeten vorne bei den Akarii die Raketen, vermutlich erbost über die Heimtücke, von einer Sanitätseinheit „angegriffen“ zu werden.
„Täuschkörper!“ brüllte der Pilot, während seine Copilotin wie wild auf den Abwurfknopf hieb und das Arsenal an Ködermitteln in atemberaubendem Tempo leerte. Aus den Laderaum kam das Geschrei der überraschten Passagiere, und eine Sekunde später tauchte der Sanitäter in der Cockpittür auf: „Was zur Hölle soll das…“ Er reagierte zu spät auf das gebrüllte „Deckung – Festhalten!“ von Stanford – im nächsten Augenblick lag er flach auf dem Boden. Direkt vor dem Shuttle war eine feindliche Rakete detoniert und rüttelte es erbarmungslos durch. Die Schilde hielten, zumindest im Moment noch. Der Sani brüllte auf, vor Schmerz, Wut und Überraschung, durch den Blitz zeitweilig geblendet, außerdem hatte er sich vermutlich etwas geprellt.
Stanford hielt sich jedoch mit Mitleid oder Hilfe nicht lange auf und schrie lediglich, ohne auch nur den Kopf zu drehen: „Keine Zeit – verschwinde nach hinten und sorg dafür, dass sie sich so gut wie möglich festhalten!“ Der Sanitäter verschwand auf allen Vieren wieder nach achtern, zum Aufstehen fehlte ihm wohl im Moment das nötige Gleichgewicht. Second Lieutenant Hernandez hämmerte an ihrer Konsole wie wild auf die Feuerknöpfe und schaffte es tatsächlich, eine gegnerische Rakete abzuschießen. Zwei weitere explodierten an Täuschkörpern. Dann verlagerte die Copilotin das Feuer unerbittlich auf das eine der gegnerischen Shuttles und begann auf seine Schilde einzuhämmern. Sie hatte Mühe, das Ziel im Auge zu behalten, denn Stanford flog das S-41, als wäre es ein leichter Jäger. Die Akarii bekamen nun zunehmend Probleme, denn die Giap wandte ihre Aufmerksamkeit der neuen Bedrohung zu. Aber der Gegner hatte sein Ziel schon fast erreicht. Eines der Shuttles kassierte einen Streifschuss von einem Schiffsgeschütz, wich dem Geschützfeuer aber gekonnt aus und hielt weiter auf das Ziel zu. R-5 balgte sich derweil mit dem anderen herum. Wie einander ebenbürtige Boxer hieben beide Gegner aufeinander ein, und ebenbürtig waren sie einander wirklich. Der Akarii war besser bewaffnet, musste aber stets auch die Giap im Auge behalten und hatte ein Ziel zu erreichen. R-5 konnte schon von Sieg sprechen, wenn es den Feind lange genug hinhielt, bis der Zerstörer sich seiner annahm oder ein Jäger vorbeischaute. Sturmshuttles der Akarii waren robuste, gut bewaffnete und gut verteidigte Gegner, selbst für Kampfflieger, aber einem geübten Jagdpiloten in einer guten Maschine zumeist nicht gewachsen.

„Wir müssen näher ran!“ keuchte die Copilotin. Der Stress und die Anspannung verlangten ihren Tribut – immerhin hatten sie schon einiges an aufreibender Arbeit während ihrer Bergungsoperationen hinter sich, und in diesem Umfeld erforderte jedes Manöver ein Höchstmaß an Präzision.
Lieutenant Stanford verbiss sich die Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag – näher ran auch noch, na sehr schön! Es reichte offenbar nicht, dass sich der Akarii mit größter Begeisterung daran versuchte, Löcher in den Rumpf von R-5 zu ballern, er sollte es ihm auch noch leichter machen. Und dabei natürlich den feindlichen Raketen ausweichen, denn sein Shuttle konnte BESTENFALLS noch eine verkraften.
,Ich hoffe, drüben kotzen sich die Marines die Seele aus dem Leib. Das ist ein Bild, das mal einer malen müsste…‘ dachte er, während er versuchte aus seiner Maschine noch einmal nicht etwa 105, sondern 110 oder 120 Prozent Leistung zu kitzeln. Er ignorierte die Warnsignale und die nicht minder alarmierenden Geräusche, die Maschine und Rumpf des Shuttle längst von sich gaben – und die Stimme des gesunden Menschenverstandes, die ihm rieten, es der Giap zu überlassen sich mit den Akarii anzulegen, anders als die Ching hatte sie ja etwas mehr Marines an Bord.

Mit einer brutalen Wende legte er das Shuttle auf den Rücken, tauchte unter den Gegner, sich dabei um die eigene Achse drehend, so dass seine Geschütze jetzt wieder den Bauch des Feindes beharken konnten. Maria betätigte unter Triumphgeheul die Feuerkontrollen, jagte eine Salve nach der anderen aus der Zwillingskanone heraus, durchschlug die Schilde des Foxtrott, malträtierte seine Panzerung. Doch der Gegner hatte nicht vor, sich geruhsam den Bauch aufschlitzen zu lassen. Er rotierte seinerseits, zeigte R-5 seinen Rücken und feuerte zurück. Das S-41 erbebte, eine Konsole versprühte Funken, die Abdeckungen von Anzeigen flogen heraus, und hätte nicht die Copilotin geistesgegenwärtig den kleinen Feuerlöscher eingesetzt, der neben ihrem Sitz verstaut war… Nun, es war gut, dass sie ihn benutzte.
Aber der Feind hatte etwas zu überhastet reagiert, zu stark gegengesteuert. Das Shuttle des Gegners drehte sich, vom eigenen Schwung getrieben, weiter um die eigene Achse. Brems- und Manöverdüsen zündeten zwar, aber um eine Sekunde zu spät. Das Foxtrott präsentierte erneut seine schutzlose vernarbte, wunde Unterseite. Und mit einem Schrei, der nicht viel menschliches mehr an sich hatte, ein sich überschlagendes Triumph- und Wutgeheul, jagte Second Lieutenant Hernandez erst eine, dann eine zweite Salve hinein. Die Energiestrahlen durchschlugen die zerschundene Panzerung der Landungsfähre, bahnten sich ihren Weg ins Innere. Eine Sekundärexplosion, dann flog das Akarii-Shuttle auseinander.

Doch an Bord von R-5 blieb wenig Zeit zum Feiern, denn jetzt reagierte der andere Akarii, der sich inzwischen im direkten Anflug auf die Giap befand. Sein Raketenwerfer feuerte – nun musste er keine Angst haben, dass ein Fehlläufer seinen Kameraden treffen könnte.
Stanford spürte, wie ihm der Steuerknüppel aus der von Schweiß glitschigen Hand zu gleiten drohte. Längst protestierten seine Muskeln gegen die unerbittlichen Anstrengungen der letzten Minuten. Zwei Bergungsmissionen in einem Durcheinander aus Tod und Feuer, und dann auch noch dieser verrückte Raumkampf, das war einfach etwas viel auf einmal. Dennoch zwang er sich zu den Ausweichmanövern, obwohl diese dem Shuttle und auch ihm selber langsam aber sicher mehr abforderten, als sie zu leisten vermochten. Er drehte bei, um die Entfernung zum Gegner zu erhöhen und seine noch zumindest rudimentär vorhandenen Heck- und Flankenschilde ins Spiel zu bringen, zündete noch einmal den Nachbrenner. Neben ihm unterstützte die Copilotin seine Abwehrmaßnahmen. Der ersten Rakete konnten sie noch durch Glück und Geschick ausweichen – sie detonierte an einem ihrer letzte Täuschkörper. Doch dann krachte es auf einmal vernehmlich im Heck des Shuttles, stotternd setzte das Triebwerk aus, und das Stimmenchaos im Laderaum schwoll schlagartig an. Shuttle R-5 war, wie man so sagte, gesegelt worden, bis die Planken barsten. Irgendjemand brüllte weiter hinten etwas von Feuer, und die Copilotin rappelte sich mühsam auf, um mit ihrem Handfeuerlöscher zu Hilfe zu kommen. Doch mitten in der Bewegung stoppte sie, als das Warngeheul des Annäherungsalarms ertönte. Dann drehte sie sich langsam zum Bugfenster um. Die zweite Rakete war unterwegs.
Lieutenant Stanford öffnete den Mund. Er war sich sicher, das waren seine letzten Worte an seine Kameraden und das Universum, das letzte was von ihm bleiben würde. Es war erstaunlich, dass er überhaupt einen deutlichen Satz herausbrachte, denn ihm blieb kaum mehr Zeit dafür: „Ach, Scheiße!“
Dann schlug die Rakete ein.

Die leichte Rakete explodierte an der Flanke des Shuttles. Die geschwächten Schilde leuchteten auf und brachen zusammen, dann erreichte die Explosion die Panzerung. Das Shuttle überschlug sich mehrmals – glücklicherweise machte das normalerweise im Weltraum weniger aus als in der Atmosphäre, solange die künstliche Gravitation noch funktionierte. Doch diesmal war der Trägheitsdämpfer definitiv überfordert, und so fand sich Lieutenant Stanford mitsamt seiner Copilotin in einem Knäuel an der Wand des Shuttles wieder. Die Bildschirme im Cockpit flackerten ein letztes Mal und erloschen dann.
Der Pilot des Shuttles brauchte fast eine halbe Minute, ehe ihm wirklich klar war, dass er noch lebte, so sehr klingelte ihm der Kopf. Der Rumpf von R-5 hatte gehalten, wenn auch nur gerade so, doch das verstand Lieutenant Stanford im ersten Moment noch nicht. Erst als seine Untergebene ihm im Versuch sich aufzurappeln ihre Handfläche ins Gesicht knallte, kam er wieder etwas zu sich. „He, Maria, Vorsicht.“ Die fluchte nur unterdrückt etwas auf Spanisch. Dann kam noch ein lauter, derberer Fluch. Offensichtlich hatte sie sich bei dem Sturz ein blaues Auge geholt. Erst als Stanford in ihr schweißüberströmtes, verzerrtes und leicht beschädigtes Gesicht starrte, begriff er langsam, dass er NICHT verdampft, von Splittern zerrissen, verbrannt oder durch den Unterdruck und Sauerstoffmangel getötet worden war. Er lebte noch, und würde weiterleben. Seine spontane Reaktion überraschte ihn, auch später im Rückblick, selber – er umarmte seine Copilotin und gab ihr einen stürmischen Kuss. Im nächsten Moment sah er Sterne, und zwar erheblich mehr, als das Cockpitfenster eigentlich zeigte. Lieutenant Hernandez hatte ihm die geballte Faust ans Kinn geknallt – nicht eben sehr damenhaft. Sie klang ziemlich atemlos, wenn auch vermutlich eher aus Entrüstung und Überraschung.
„Du gottverdammter putero, bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?!“
Stanford grinste nur schief, und hob entschuldigend die Hände. Im Vergleich zu den Alternativen, mit denen er für sein künftiges Schicksal gerechnet hatte, war ein Kinnhaken die reinste Erholung. Dann wandte er aber lieber den Kopf ab: „Tschuldigung, du siehst einfach hinreißend aus mit deinem blau...“ doch dann hielt er lieber den Mund davon, ehe er sich einen zweiten Schlag einfing: „Komm, lass uns hinten nachsehen…“ Und damit rappelte er sich auf – diesmal respektvoll Abstand von seiner Untergebenen wahrend – und taumelte ins Heck seines Shuttles. Draußen, im Weltall vor dem schwer havarierten Shuttle, schwebte der menschliche Zerstörer. An seiner Flanke klebte, wie ein überdimensionaler Blutegel, das zweite Akarii-Shuttle, schwer beschädigt, aber am Ziel. Die Giap hatte es zwar anschlagen, aber nicht vernichten können. Die kaiserlichen Piloten hatten ihr Ziel trotz eines partiellen Hüllenbruchs im Heck – der den Marines in ihren Kampfanzügen freilich nicht so viel ausmachte, wie vielleicht wünschenswert gewesen wäre – erreichen können, auch wenn sie ein Viertel ihrer Passagiere verloren hatten. Die anderen würden es mit den Marineinfanteristen und Flottensoldaten an Bord der Giap zu tun bekommen. Shuttle R-5 hatte zumindest sichergestellt, dass die menschlichen Soldaten in der Übermacht seien würden, alles Weitere lag, wie so oft, in der Hand des Zufalls.

Schwerer Kreuzer Relentless

„Sir – Meldung von allen Einheiten, gegnerischer Widerstand zusammengebrochen – kein Schiff entkommen.“ Mithel nickte knapp: „Ausgezeichnete Arbeit – an Alle, auch an die Schiffe des Geschwaders. Vorbereiten auf Bergemaßnahmen, Reparaturtrupps sollen sich primär um die Schwerkraft kümmern. Wir werden vermutlich nicht genug Zeit haben, die schwer angeschlagenen Einheiten zu bergen, also müssen wir uns auf die Aufnahme von Besatzungen vorbereiten, darunter auch Schwerverletzte, Strahlung und so weiter…“
Er verstummte, als er den Gesichtsausdruck seines Kommunikationsoffiziers bemerkte: „Was denn noch?“ „Meldung – Akarii haben zwei unserer Schiffe geentert, Fregatte und Zerstörer.“
Mithel fluchte unterdrückt: „Verbindung zu Hammersmith und den Bataillonschefs – können die endlich was für ihr Geld tun!“
„Sir – Hongkong ruft uns…Dinglichkeitsfunkspruch.“
Der Commodore atmete tief durch. Natürlich – es war noch lange nicht vorbei. Noch gab es da draußen zwei feindliche Träger mit einer Vielzahl leichterer Einheiten.
„Schiffe bleiben weiterhin kampfbereit. Verbindung zur Hongkong in zwanzig Sekunden…“
Er fing einen Blick seines Waffenoffiziers aus. Der gebürtige Pole wirkte nachdenklich: „Was wird, wenn die Akarii noch einmal angreifen?“
Mithel warf einen Blick auf die Bildschirme. Sie zeigten den Gasriesen Karrashin V, und in seiner Umlaufbahn zahllose Wracks und Trümmerteile. Viele, sehr viele menschliche Schiffe, doch von den Akarii war offenbar keiner entkommen. Vier, vielleicht fünf Kreuzergeschwader der kaiserlichen Flotte hatten angegriffen, und waren vollkommen vernichtet worden.
Seine Stimme klang gelassen und kalt, als spüre er all die Strapazen nicht, als kümmerten ihn all die Verluste seiner eigenen Flotte wenig.
„Sollen sie es versuchen!“
Cattaneo
Tyr

Sie flogen als Geschlagene zurück. Nachdem die Hitze des Gefechtes abgeklungen war, sie das Chaos der Schlacht hinter sich gelassen hatten, blieb kein Platz mehr für Selbsttäuschungen und Illusionen. Sie hatten ihr Ziel nicht erreicht, sie hatten versagt. Die Zerstörer und Kreuzer, die sie vernichten, die Jäger die sie hatten abschießen können, all das entschied keine Schlachten. Nicht, solange die feindlichen Flottenträger überlebten, der Akarii-Verband operationsfähig blieb. Nicht, wenn ihr eigener Verband am Rande der Vernichtung zu stehen schien. Die COLUMBIA war schwer getroffen worden, das wusste inzwischen jeder der überlebenden Kampfflieger. Das Schicksal des Flottenträgers war ungewiss, die leichten Träger bedroht – und damit auch ihr eigenes Überleben. Wenn die COLUMBIA vernichtet wurde, wenn die feindlichen Kreuzer das von den Akarii-Kampffliegern begonnene Vernichtungswerk zu Ende führten…
Dann würde wohl keiner der Piloten dieses System verlassen können. Außer als Kriegsgefangener.

Dazu kam ein Gefühl des Versagens und der verzweifelten Dringlichkeit. Der TSN-Verband rang um sein Überleben. Und sie waren nicht zur Stelle, um in diesem Kampf mitzukämpfen. Es mochte eine Selbsttäuschung sein, eine Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und Kampfkraft. Und dennoch glaubten die meisten insgeheim, dass es nie so weit hätte kommen können, wenn sie bei der Verteidigung des Verbandes zur Stelle gewesen wären. Und dass sie das Blatt immer noch wenden konnten – wenn sie jetzt nur schnell genug waren.

Einige der Männer und Frauen hatten allerdings auch weitaus persönlichere Gründe für ihre Sorgen und Gewissensqualen – all diejenigen, die einen Freund oder einen geliebten Menschen an Bord eines der Kriegsschiffe wussten. Auch wenn die meisten Piloten sich wenig mit den technischen Diensten und den Mannschaften ihrer Träger gemein machten, es kam vor.
Kano war von solchen Gedanken gleich zweifach in Anspruch genommen. Er wusste seinen Bruder an Bord der CAULAINCOURT – und wie es Sakura ging, das konnte er nur vermuten. Die grüne Staffel hatte zusammen mit zwei weiteren, unterbesetzten Schwadronen den Angriff eines fast doppelt überlegenen Feindes abwehren müssen. Er hatte seine Schwester bei der COLUMBIA in Sicherheit geglaubt, dumm wie er war.

Trotzdem jede Sekunde sich wie eine Stunde zu dehnen schien, flogen die TSN-Kampfflieger nur mit Marschgeschwindigkeit. Raven wusste, dass viele Maschinen durch den langen Hinflug und den verbissenen Kurvenkampf über Karashin III einen Großteil ihrer Treibstoffreserven verbraucht hatten. Es machte keinen Sinn, wenn sie irgendwo zwischen Karashin III und V mit leeren Tanks liegen blieben. Ob die Akarii-Jäger sie einholten, oder sie sich an dem Kampf gegen die feindlichen Kreuzer beteiligen wollten, sie würden mit dem Treibstoff auskommen müssen, der jetzt noch in ihren Tanks war. Es würde so schnell keine Gelegenheit zum Nachtanken geben.

Bisher hatten die Akarii-Jäger noch nicht wieder zu ihnen aufgeschlossen. Raven vermutete, dass der feindliche Admiral durch die schweren Verluste seiner Jäger, durch die Vernichtung einer ganzen Reihe von Kampfschiffen und die schwere Beschädigung eines seiner kostbaren Flottenträger verunsichert war. Er war offensichtlich nicht bereit, alles auf eine Karte zu setzen und den bereits erzielten Abwehrerfolg durch eine rücksichtslose Verfolgung aufs Spiel zu setzen. Diese Chance hatte er verpasst, und jede weitere Minute, die die Akarii zögerten, war ein Gewinn für die TSN. Außerdem war einer der feindlichen Träger wahrscheinlich erst einmal ausgefallen, oder arbeitete nur noch mit halber Kraft. Die feindlichen Jäger aufzutanken und neu zu bestücken, würde Zeit kosten. Wenn der COLUMBIA-Verband die feindlichen Kreuzer abwehren konnte, und nicht zu schwere Verluste erlitt, dann war vielleicht wenigstens noch ein Patt drin, statt einer Niederlage.

Wie wahrscheinlich jeder noch lebende Pilot der drei Geschwader lauschte Raven angespannt der knappen, manchmal verstümmelten Funksprüche, die ihr den Verlauf der Raumschlacht über Karashin V verrieten. Als wollten sie beweisen, dass nicht alleine die Kampfflieger die Schlacht entschieden, hatten sich die Sicherungsverbände der drei TSN-Träger schneidig in die Schlacht geworfen, und waren den überlegenen Kreuzerverband mit wütendem Elan angegangen.
Aber nichts anderes hatte Raven erwartet. Was sie allerdings überraschte, das war die Art und Weise, wie die angeschlagene COLUMBIA in die Schlacht eingriff. Und als sie dann auch noch Cunninghams vertraut arrogante Stimme hörte, musste sie sich auf die Lippen beißen, um einen Fluch zu unterdrücken. Wie kam der abgehalfterte Ex-CAG eigentlich dazu, sich das Kommando über den Träger anzumaßen? Gab es denn niemanden, der geeigneter war?
Offenbar nicht.
Es waren eben immer die Besten, die zuerst starben. Wenn Lone Wolf das hier überlebte, dann würde er todsicher eine Möglichkeit finden, ein weiteres Kapitel in seiner höchstpersönlichen Heldendsaga zu schreiben, und sich zum rettenden Engel des Flottenverbandes stilisieren. Manche Leute fielen immer auf die Füße. Wenn auch nicht unbedingt auf die eigenen…

Konteradmiral Schepens plagten derartige Gedanken anscheinend nicht, er war froh über jede Laserkanone und jeden Raketenwerfer, den er in die Kampflinie einreihen konnte. Die Akarii waren zu weit vorgestoßen. Sie hatten schwere Schläge ausgeteilt – doch jetzt wurden sie in die Zange genommen. Der Konteradmiral wollte nicht einen einzigen der feindlichen Kreuzer entkommen lassen, egal wie verbissen sie kämpften. Inzwischen mussten die Angreifer erkannt haben, dass sie in der Falle saßen. Doch das ließ sie nur noch wütender um sich schlagen, wie ein Hai, der in einem Netz gefangen war.
„Mandschu für Mother Eagle – ich schicke Ihnen die verbliebenen Abfangjäger. Ich will, dass Sie dabei helfen, den Sack zuzumachen. Unterstützen Sie die leichten Einheiten bei ihrem Zangenangriff. Staffelweises Angreifen. Wenn Sie auch nur noch einen verdammten Knallfrosch unter ihren Tragflächen haben – bringen sie ihn an den Feind. Ich will, dass keiner dieser Hurensöhne hier herauskommt. Verstanden?! NICHT EIN EINZIGER!“

„Verstanden, Mandschu.“ Diesmal musste Raven ein Stöhnen unterdrücken. Ihre ohnehin angeschlagenen Piloten auch noch zum Angriff auf feindliche Kriegsschiffe hinzuzuziehen, erschien ihr nicht besonders weise. Aber sie hatte keine andere Wahl, und Schepens hatte guten Grund, wütend zu sein. Bevor sich das Blatt wendete, hatten die Kreuzer übel gehaust. Mehrere der TSN-Kreuzer, eine ganze Reihe kleinerer Einheiten und leider auch die WASP waren ihnen zum Opfer gefallen. Der leichte Träger hatte seit Kriegsbeginn tapfer und unermüdlich seinen Dienst versehen, und nicht nur die Piloten der Bushpilots traf die Nachricht von seinem Ende schwer.
„Mother Eagle an Alle – Ihr habt es gehört! Staffelweise angreifen, Piranha-Taktik. Wer noch Raketen hat, setzt sie jetzt ein. Zielt sorgfältig, und sucht euch eure Opfer gut aus. Keinen Sinn, die Feuerkraft an intakte Schilde zu verschwenden.“ Kurz fragte sie sich, ob ein Gebet angebracht wäre, dann wandte sie sich näher liegenden Problemen zu: „Eagle Rot und Blau greifen…“

************

Kano hatte schon vor einiger Zeit in Erfahrung gebracht, über wie viele Raketen seine Staffel noch verfügte. Die Antwort war wenig überraschend. Abgesehen von seinen zwei Sparrows hatte nur noch Tiburon zwei Sidewinder unter seinen Tragflächen hängen.
‚Acht Maschinen, vier Raketen – und dann ein Angriff auf feindliche Großkampfschiffe. Sogar die Kamikaze…’ Doch eine ebenso unerwartete wie angenehme Überraschung unterbrach diesen düsteren Gedanken: „Grizzly für Ohka! Grizzly für Ohka! Ohka, kommen!“
„Grizzly…Submarine – woher kommt ihr denn?“
„Sie haben uns in einer Gefechtspause an Bord geholt. Wir sind gleich mit den Ersatzmaschinen wieder gestartet und wollten uns den Grünen anschließen, als ihr hier aufgetaucht seid. Erlaubnis, wieder zur Staffel aufschließen zu dürfen?“
Kano lächelte befreit: „Jederzeit…Moment, Grizzly – die Ersatzmaschinen?! Das heißt, ihr seid voll armiert?“
„Das ganze Programm.“
„Tiburon, Grizzly, Submarine – sammeln bei meiner Maschine. Folgender Plan…“

****************

Der Angriff der Kampfflieger verwandelte die erbitterte Raumschlacht endgültig in einen Hexenkessel. Wie ein Schwarm blutgieriger Raubfische schwärmten die Nighthawks, Falcons, Mirages, Griphen, Thunderbolts, Crusaders und Rafales aus. Ihren Waffen fehlte die Feuerkraft, um ein voll aufgeladenes Kreuzerschutzschild zu durchbrechen, aber die wenigsten der verbliebenen Akarii-Kreuzer hatten noch intakte Schilde. Wo sich eine Schwachstelle zeigte, da griffen die Piloten an, hämmerten auf die Schilde und Panzerung ein, nahmen Geschütze, Sensorphalanxen und Aufbauten aufs Korn. Sie agierten wie die Plänkerer früherer Heere, die den Gegner verwirrten, demoralisierten und schwächten, während die schweren Linientruppen geschlossen vorrückten. Oder wie es später ein Beteiligter in einem Anfall von Unbescheidenheit ausdrücken sollte: „Kennen Sie Cannae? Also wir Flieger, wir waren die numidischen Reiter. Wir haben für die Akarii den Sack zugemacht.“

Weniger als die Hälfte der Kreuzer war noch einsatzfähig gewesen, als sich die Akarii endlich zur Flucht wandten, und jetzt schwand ihre Zahl stetig weiter. Während die TSN-Kampfflieger zusammen mit den Zerstörern und Fregatten an den Flanken der feindlichen Formation zerrten, die Akarii-Kreuzer schwächten und verlangsamten, rückten die terranischen Kreuzer langsamer, aber koordiniert vor, und löschten diejenigen Gegner aus, die zurückfielen, wobei sie von den verbleibenden Trägern unterstützt wurden. Langsam aber unerbittlich verwandelte sich die Schlacht in ein erbarmungsloses Schlachten. Nicht, dass sich jemand in der republikanischen Flotte daran gestört hätte. Sie alle hatten geblutet – jetzt war es an der Zeit, die Rechnung wieder etwas auszugleichen.

„Ohka, wo bleibt ihr?! Das Arschloch heizt uns ganz schön ein!“
„Aushalten! Wir sind gleich da!“
Die vier Nighthawks flogen im Ortungsschatten der Fregatte CONDOR, die sich mit Flankengeschwindigkeit am Rande der zurückweichenden Akarii-Formation bewegte. Kanos Augen klebten förmlich an dem Ortungsschirm, der das von ihm ausgewählte Opfer zeigte – einen Leichten Kreuzer vom Typ Kilo I, das älteste Modell dieser Klasse, das noch bei den Fronteinheiten der Akarii Dienst tat. Vermutlich hatten die Imperialen einfach keine Zeit gefunden, die zur Garnisonsflotte von Manticor gehörende Einheit zu modernisieren.
Der feindliche Kreuzer hatte bereits etliche schwere Treffer einstecken müssen, doch war es ihm durch seine überlegene Geschwindigkeit gelungen, den tödlichen Schlägen der nachdrängenden terranischen Kreuzer zu entkommen. Er war beschädigt, seine Panzerung teilweise durchschlagen, und er verlor aus mindestens zwei Hüllenlecks Sauerstoff. Er hatte mehrere Geschützbatterien verloren. Aber er war noch nicht geschlagen.

„EAGLE SCHWARZ FÜHRER! Wo bleiben Sie, verdammt noch mal?! Die Einladung galt auch für Sie!“ Das war Ravens energische Stimme, der die Abwesenheit der vier Nighthawks irgendwie aufgefallen war.
„Bin…fast…da!“ Es war keine Zeit, der CAG die Einzelheiten seines Plans zu erklären. Die übrigen sechs Maschinen der Butcher Bears hatten bereits ihren ersten Anflug auf den flüchtenden Kreuzer absolviert, passierten den Kilo I, wendeten, und griffen ihn jetzt von Vorne an. Dabei richteten sie nur geringfügigen Schaden an, doch das war nicht so wichtig. Sie sollten das Kriegsschiff nicht beschädigen, sondern es vor allem ablenken. Als das halbe Dutzend Maschinen den Kreuzer jetzt von Vorne nach hinten überflog, und dabei aus allen Rohren feuerte, konzentrierte sich das Abwehrfeuer wie erwartet auf die Nighthawks.
Trotz der bereits erlittenen Schläge, und der ständigen Bedrohung durch die nachstoßenden Kreuzer, Zerstörer und Fregatten der TSN, war der Kreuzer immer noch eine ernste Bedrohung für die ihn umkreisenden Kampfflieger.
Das wurde überdeutlich, als zwei Flugabwehrraketen die Maschine von Fox trafen und sie aus ihrer Flugbahn rissen. Ein, zwei Laserbahnen tasteten nach der trudelnden Maschine – die Pilotin stieg aus, kurz bevor die Strahlenbahnen den Rumpf durchschlugen, als bestünde er aus Blech.
‚Verdammt!’ Das war der dritte Pilot der Butcher Bears, der heute aussteigen musste – aber wenigstens würde man Fox aufsammeln können. Crazy hingegen, auch wenn er seinen Ausstieg überlebt hatte, würde im besten Fall in Gefangenschaft geraten.
„OHKA, VERDAMMT...!“ Kano blendete die Stimme aus, und schätzte noch einmal die Entfernung zu dem Kilo I ab. Er presste kurz die Lippen zusammen: „Los!“
„Ohka…“
„Wir sind da.“ Das Quartett Kampfflieger schossen aus dem Schatten der Fregatte heraus, beschrieben einen eleganten Bogen, beschleunigten weiter und stürzten sich auf den angeschlagenen leichten Kreuzer. Sie griffen von schräg vorne an, so dass die Geschwindigkeit der terranischen und der Akarii-Einheit sich addierten, und der Kreuzer gleichzeitig ein gutes Ziel bot.
Der Anflug überraschte die Abwehrstationen und Sensoroffiziere des Kilo, die sich auf die anderen Kampfflieger und die nachdrängenden Großkampfschiffe konzentrierten. Es war zu spät, um das Flugabwehrfeuer umzulenken oder die Bugschilde zu verstärken.
Und genau darauf hatte Kano gehofft.

Der Abstand zwischen den Nighthawks und dem Kreuzer schwand mit jeder Sekunde. Längst hatten Kanos Sparrows ihr Ziel erfasst, und dennoch schoss er nicht, schwebte sein Zeigefinger weiter reglos über dem Feuerknopf. ‚Noch ein paar Sekunden…Sekunden…Noch nicht…gleich…gleich…...JETZT!’
„FEUER! FEUER FREI!!“
Die vier Maschinen schossen ihre Raketen fast gleichzeitig auf kürzeste Entfernung ab. Nur ein paar Sekunden später waren sie auch in Bordwaffenreichweite, und sechzehn schwere Bordkanonen eröffneten praktisch gleichzeitig das Feuer. Strahlenbahnen überholten die auf den Kreuzer zurasenden Flugkörper und trommelten auf die schon teilweise zusammengebrochenen Bugschilde, die an mehreren Stellen bereits durchschlagene Panzerung ein. Einige Herzschläge später schlugen vierundzwanzig Raumkampfraketen fast gleichzeitig in den verwüsteten Rumpf des Kilo I ein. Alleine hätte selbst eine Phoenix-Rakete gegen ein solches Ziel nur wenig Schaden anrichten können. Doch die zusammengefasste Vernichtungskraft der Raumkampfraketen überstieg sogar die Explosionskraft eines Maverick-Flugkörpers. Und gegen einen bereits schwer angeschlagenen Gegner war die Wirkung verheerend. Binnen weniger Sekunden büßte der leichte Kreuzer praktisch seine gesamte Bugarmierung ein und erlitt zudem mehrere Hüllenbrüche. Die vorderen Sensorphalanxen wurden förmlich zusammengeschmolzen. Das war zwar nicht genug, um dem verwundeten Koloss den Todesstoß zu versetzen, aber genug, um ihn zu verlangsamen und aus seiner Bahn zu reißen.
„CONDOR, JETZT!!“ Aber der Kommandant der Fregatte der Perry-Klasse hatte bereits die sich ihm bietende Chance erkannt, und schickte ein Quartett Exocett-Marschflugkörper auf den Weg. Sobald die Schnellladeanlage der Fregatte grünes Licht gab, folgte eine weitere Salve.
Normalerweise hätte selbst ein alter Kilo I einen solchen Angriff problemlos überstehen und mit vernichtender Kraft zurückschlagen können. Aber der schwer gezeichnete Kreuzer reagierte zu langsam. Zwar ließ der Akarii-Kommandeur beidrehen, um der Fregatte seine besser geschützte und noch weitestgehend unbeschädigte Steuerbordflanke zuzuwenden und die dort massierten Waffen zum Einsatz zu bringen, doch das beschädigte Schiff war nicht schnell genug. Vielleicht waren auch Kommandant oder Steuermann verwundet, ausgefallen, oder ganz einfach geschockt durch den Überraschungsschlag.
Zwei Atomraketen der ersten Salve durchbrachen die Abwehrmaßnahmen, und die angeschlagenen Schilde und beschädigte Panzerung erwies sich nun als zu schwach gegen die entfesselte Vernichtungskraft. Der Rumpf des Kreuzers wurde förmlich ausgeweidet, während die Jäger den todgeweihten Koloss umschwärmten und gnadenlos weiterfeuerten.
Die ersten Rettungskapseln lösten sich von dem wracken Kriegsschiff, in dem verzweifelten Versuch, dem Todeskampf zu entrinnen.
„Butcher Bears – Abdrehen!“ Auf Kanos Befehl lösten sich die Nighthawks von ihrer Beute und zogen sich in einer lockeren Formation zurück. Ihre Arbeit war getan. Wenige Sekunden später schlug die zweite Salve der CONDOR ein, und verwandelte den Kilo I in ein auseinanderdriftendes Feld Weltraumschrott.
„CONDOR für Butcher Bears – Danke für die Hilfe. Das war gute Arbeit.“
„Ohka für CONDOR. Danke. Jederzeit wieder – wenn wir neu bestückt sind.“
Mit einem leisen Lachen meldete sich der Funker der Fregatte ab. Jetzt erst fand Kano Zeit, sich wieder auf den allgemeinen Verlauf der Schlacht zu konzentrieren.
Es lief gut. Verstärkt durch die Kampfflieger hatten die leichten Kampfschiffe der TSN den Ring geschlossen. Wenn es für die Akarii die Hoffnung auf ein Entkommen gegeben hatte, so hatten sie sie nicht nutzen können. Nun war es zu spät. Von allen Seiten durch einen erbitterten, nun auch an Feuerkraft überlegenen Gegner unter Beschuss genommen, hatten sie keine Chance.

Manche der Akarii-Schiffe vergingen in einer Explosion, die der Geburt einer neuen Sonne glich. Andere starben langsam, qualvoll, von Bug zum Heck in Feuer und austretende Gasgeysire gehüllt, langsam sich selber verzehrend. Aber am Ende starben sie alle. Kano sah es, und zählte die untergehenden Schiffe. Zählte, bis er wusste, dass keiner mehr übrig war, dass auch der letzte Akarii-Kreuzer sein Ende gefunden hatte. Angesichts dieses gleichzeitig atemberaubenden wie grausamen Schauspiels fühlte er Erleichterung, Triumph, aber auch eine seltsame Wehmut und Erbitterung. Der Sieg über Karashin V hatte einen schlechten Beigeschmack, und der Kampf über Karashin III schmeckte noch bitterer. Vielleicht hatte die TSN eine Niederlage in ein knappes Patt verwandeln können, aber sie würden sich hier nicht halten können, das sah sogar er. Die Akarii würden selbst im günstigsten Fall das Schlachtfeld für sich behaupten können. Und das verwandelte die Schlacht von Karashin in einen taktischen, vielleicht auch in einen strategischen Sieg des Gegners. Die von der TSN vernichteten Kriegsschiffe und der beschädigte Träger waren nur eine unbefriedigende Entschädigung für die Vernichtung der WASP und die Beschädigung der COLUMBIA.
Und wieder einmal hatten die Kampfflieger bluten müssen. Die Schwarze Staffel hatte zwei Piloten verloren, darunter seinen Flügelmann, und drei Maschinen – und gehörte damit wahrscheinlich noch zu den Glücklicheren.
„Ohka an Alle. Wir fliegen zur COLUMBIA zurück. Crusader, versuch’ in Erfahrung zu bringen, was mit Fox ist. Sie müsste es geschafft haben…“ Kano brach ab. Auch so konnte noch viel schief gehen, bevor die ausgestiegene Pilotin sicher auf der Krankenstation war. ‚Nur nichts berufen.’ Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu seinen Geschwistern, die er ebenfalls da Draußen wusste. Die CAULAINCOURT hatte überlebt, das hatte er schon feststellen können. Aber zur Grünen Staffel hatte er nur eine offene Funkverbindung. Als Staffelkommandeur konnte er aber wohl kaum über diesen Kanal nach dem Wohlbefinden von Sakura fragen, auch wenn ihn die Ungewissheit quälte.

Mit einem leichten Knacken meldete sich der stellvertretende Staffelchef der Butcher Bears über einen privaten Kanal. Normalerweise war Crusader ein Optimist, der fast jeder Lage noch etwas Gutes abgewinnen können. Aber jetzt klang auch seine Stimme müde, erschöpft, und ausgebrannt: „Wir haben ganz schön was abbekommen, was?“
„Sag mir etwas, was ich noch nicht weiß.“ Kano rief sich selber zur Ordnung. Es hatte keinen Sinn, einen seiner wenigen verbliebenen Freunde anzufahren: „Ich schätze, wir müssen heute vielleicht noch mal raus.“
„Ja. Wenn die Akarii der Meinung sind, dass sie eine dritte Runde wollen. Und ich will nicht wissen, wer dann ausgezählt wird.“
„Ich glaube nicht, dass Schepens noch einmal in den Kreis treten will.“
„Dass heißt ‚Ring’, du Heide. Und ich glaube es eigentlich auch nicht. Ein Mann mit Verstand, dieser Admiral.“
Kano warf einen Blick hinüber zu der beschädigten COLUMBIA, die die leer geflogenen Kampfflieger nur mit quälender Langsamkeit aufnahm. Nein, Schepens würde keine dritte Runde wollen. Diesmal hatten die Akarii gewonnen – sie hatten den Angry Angels den Schneid abgekauft.
Und während er die verbliebenen Flieger seiner Schwadron zu ihrem angeschlagenen Mutterschiff führte, fragte sich Kano insgeheim, ob die Wellen des Kriegsglücks nicht im Wechsel begriffen waren…
Cattaneo
Cattaneo

Überlebende

Hannover, geheimer Luftwaffenstützpunkt CCNR-100b

Die Bildschirme in der Kommandozentrale zeigten nur Flackern, wenn es sich nicht gerade um interne Statusanzeigen oder Überwachungskameras handelte. Die Datenverbindungen zu anderen Anlagen und höherrangigen Stäben waren ausgefallen, entweder weil an Ort und Stelle nichts mehr senden konnte, oder weil die Verbindungskabel und Funkanlagen beschädigt waren beziehungsweise gestört wurden. Außerdem wollte Rear-Admirälin Jacqueline Bouisseau es den Kaiserlichen nicht zu einfach machen, ihren augenblicklichen Schlupfwinkel zu finden. Und das bedeutete möglichst keine Spuren hinterlassen, anstatt sich auf Verschlüsselung oder Nebenfrequenzen zu verlassen. Die veraltete Technik der CC konnte mit den Möglichkeiten der Aggressoren nicht mithalten, ebenso wenig wie die konföderierten Schiffe und Jäger ihren Kriegsmaschinen gewachsen waren. Ihr stand nur ein Kommunikationszentrum in der Größe einer Hundehütte zur Verfügung, wie sie wenig respektlos gemeint hatte, und jedes bessere Reisebüro war vermutlich moderner ausgerüstet, wie sie hinzufügte. Wenn sie an die letzten Tage zurückdachte, dann musste sie zugeben, dass sie mit jedem Umzug ein Stück weiter herabgesunken war. Sie hatte im Moment nur eine simple Telefonverbindung als Kontakt in die Hauptstadt, und die verband sie nicht etwa mit irgendeinem Hauptquartier, sondern mit der Wohnung ihres Nachbarn, eines 82-jährigen invaliden Ex-Majors der Armee. Seine einzige verbleibende Leidenschaft waren Vogelbeobachtungen, immerhin musste man die Zeit im Ruhestand ja irgendwie herumkriegen, denn im Gegensatz zu anderen Kollegen neigte er nicht dazu, dem Militär nachzutrauern. Doch er hatte ein gutes Fernrohr, mit dem er von der 15. Etage des Apartmenthochblocks in einem besseren Viertel am Stadtrand der Hauptstadt, in dem er und die Admirälin Wand an Wand wohnten, das Panorama weitum einsehen konnte. Sie kannte ihn als verlässlich – und verlässliche Informationen waren momentan selten.
„Sieht so aus, als seien sie jetzt erfolgreich gelandet. Ist natürlich nicht sehr viel zu erkennen bei all dem Staub und Qualm, aber es blitzt nur noch selten am Boden, und die Landungsschiffe werden kaum noch beschossen. Auf den Straßen gibt es immer noch Kämpfe, es scheint aber, als ob die Imperialen weitere Verstärkung nicht mehr durchlassen, Angriffe der Jagdbomber und Bomber kommen nicht mehr durch. Sie haben in den letzten Stunden sicherlich hundert von unseren Maschinen abgeschossen, und das sind nur die, die ich gesehen habe. Haben offenbar eine starke Abwehr am Boden wie in der Luft. Ich habe Gardeabzeichen gesichtet, Luftabwehrpanzer.“ Die Admirälin nickte schwerfällig, doch sie bemühte sich, ihrer Stimme noch immer einen festen Klang zu geben: „In Ordnung – ich rufe Sie in Kürze wieder an, und melden Sie, sobald es etwas Neues gibt.“ Sie zögerte kurz: „Es wäre vielleicht besser, Sie machen sich doch noch davon. Wir wissen nicht, was die Kaiserlichen noch vorhaben. Und wenn wir zurückschlagen…“ Die Stimme ihres Gesprächspartner blieb gelassen: „Wo sollte ich schon hingehen? Für den Guerillakrieg bin ich doch wohl etwas überaltert, und ich ziehe es nötigenfalls vor, in meiner Wohnung zu sterben, wenn die Imperialen es darauf anlegen. Nein, hier helfen ich Ihnen noch am besten.“
Die Admirälin spürte ein Kratzen im Hals, aber sie brachte nicht mehr heraus als:„Verstanden, und Danke. Ende.“
Die Stimme des alten Mannes hatte während ihres Gespräches beinahe unnatürlich ruhig geklungen, vor allem angesichts dessen, was er in den letzten Minuten und Stunden berichtet hatte. Die Landung der Kaiserlichen hatte unbeschreibliche Verwüstungen angerichtet, als sie erhebliche Teile der Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt hatten. Natürlich hatte man schon vor Beginn der Kämpfe begonnen, die Hauptstadt zu evakuieren, ebenso wie andere große und wichtige Städte. Aber ebenso natürlich war dies schon logistisch gar nicht machbar gewesen in der kurzen Zeit, zumal der Zivilschutz zugleich die Verteidigung unterstützen musste. Dazu kam, dass viel zu viele Leute sich mit dem typischen Individualismus und Starrsinn der Konföderierten geweigert hatten, ihr Heim zu verlassen. Die Charaktereigenschaften, die Taufpate bei der Geburt der Konföderation gestanden hatten, vertrugen sich schlecht mit großen angeordneten Aktionen wie Evakuierungen. Zudem hatten nicht wenige wohl gar nicht das Undenkbare für möglich halten und sich darauf einstellen können – dass ihr Himmel, ihre Welt nicht mehr ihnen gehörte. Die weiteren Begleitumstände der Kämpfe, die erbitterten Gefechte am Boden, Brände, Fehlschüsse, Splitter abgefangener Raketen und Marschflugkörper, abstürzende Maschinen und Schiffe von Angreifern und Verteidigern, all das hatte die Verheerungen noch verschlimmert. In Panik waren die Menschen an den Grenzen des zerstörten Bereichs geflüchtet. Unzählige weitere mussten dabei gestorben sein bei Unfällen auf Grund der Panik. Sie wurden überfahren, zertrampelt, eingeklemmt, oder bei Luftangriffen durch feindliche Kampfflieger getötet. Die Imperialen mochten die zivilen Verluste nicht absichtlich vergrößern, teilweise wiesen sie den Zivilisten sogar Fluchtkorridore mit Lautsprechern zu – ein etwas schizophrenes Verhalten angesichts dessen, wie viele tausend Menschen und Nichtmenschen sie mit ihrem Orbitalbombardement noch kurz zuvor abgeschlachtet hatten. Aber der kaiserliche Flottenstab neigte wohl dazu, sich selber in die Tasche zu lügen, was ihre eigene „Ehrenhaftigkeit“ anging.
Nein, Verluste, hohe Verluste, auch unter Zivilisten, waren einfach unausweichlich gewesen. Man konnte nicht einen Nachtbar grundlos überfallen, jahrelange Krieg gegen ihn führen, seine Hauptwelt angreifen und ein Stadtviertel umpflügen, ohne sich die Hände blutig zu machen. Und natürlich befolgte bei weitem nicht jeder kaiserliche Offizier die Befehle wortwörtlich.

Wie viele konföderierte Soldaten der regulären und irregulären Verbände gefallen waren, war nicht abzusehen. Nach allem was bekannt war, hatten selbst Polizeiverbände und wohl auch zivile Freiwillige versucht mit Handfeuerwaffen oder aufgesammelten Militärmaterial gegen die Angreifer zu kämpfen. Das Ende war jedoch ebenso blutig wie vorhersehbar gewesen. Eine Reihe von Einheiten war wohl auch auseinander gelaufen angesichts der Überlegenheit der Kaiserlichen, geschockt von der Niederlage der Flotte und der Vernichtungskraft der imperialen Schiffsgeschütze. Mit dem Regierungsviertel gab es keinerlei Kontakt mehr. Es war davon auszugehen, dass dort nur noch versprengte Restverbände und verbitterte Einzelkämpfer Widerstand leisteten. Vermutlich sah es im Rest der Hauptstadt nicht sehr viel besser aus. Was natürlich nicht hieß, dass es für die Imperialen einfacher würde. Die Militärgeschichte hatte in den letzten Jahrhunderten mehr als einmal bewiesen, dass der Sieg auf dem Schlachtfeld noch keineswegs ein Ende des Krieges bedeutete. Zwei Mann mit einem Schnellfeuerlaser, ein konföderierter Akarii mit einem Raketenwerfer, ein Halbwüchsiger mit einer Sprengladung – all das konnte im Augenblick des fast sicheren Sieges noch hohe Verluste verursachen.

Das Nachlassen der Kämpfe in der Hauptstadt war nur ein letzter Rückschlag in einer ganzen Reihe gewesen. Die Admirälin hatte im Augenblick vielleicht noch das Kommando über ein reichliches Dutzend einsatzbereiter Jäger von einstmals 150. Natürlich waren nicht ALLE anderen Maschinen ihres Geschwaders abgeschossen worden, aber schwer beschädigte Jäger nützten ihr im Moment nichts. Dazu kam eine Handvoll Maschinen anderer Einheiten, die dasselbe Mauseloch wie sie gefunden hatten, und die sie kurzerhand in ihre „Streitmacht“ eingereiht hatte. Mit diesen kam sie vielleicht auf 20 Raumjäger und einige Atmosphärenmaschinen. Einsatzbereite Piloten hatte sie momentan gar keine mehr, denn nach Stunden und Stunden unerbittlicher Kämpfe waren die Männer und Frauen unter ihrem Kommando längst an den Grenzen des Menschen- oder Akarii-Möglichen angelangt. Unter normalen Umständen hätte man vermutlich die ganze Einheit einschließlich ihrer eigenen Person an den Armeepsychologen überweisen müssen, denn nach Verlusten von mehr als 50 Prozent in der Einheit waren laut Lehrmeinung die wenigsten Soldaten noch stabil zu nennen. Vermutlich waren etliche Verluste der letzten Einsatzstunden auf Übermüdung oder ein Übermaß an eingeworfenen Aufputschmitteln zurückzuführen gewesen, oder auf den stillschweigenden Entschluss, einfach nur noch kämpfen zu wollen, ohne Schonung für das eigenen Leben. Einige ihrer Untergebenen hatte man praktisch aus dem Cockpit tragen müssen.
Sie hatte buchstäblich alle ihre alten Mustangs sterben sehen, und verfügte nur noch über eine eigene und eine requirierte Tomahawk. Der Rest ihrer Maschinen waren ehemalige TSN-Maschinen, Typhoons, Phantoms und Griphens. Von den etwa 180 Menschen und Akarii unter ihrem Kommando waren nach ihrer Schätzung etwa 80 bis 100 gefallen, die meisten anderen waren vermisst, versprengt oder verwundet. Schon das wäre genug gewesen, um von einer Katastrophe zu sprechen, aber es war nur eine Nuance in diesem Universum des Schmerzes und Schande, das sich vor ihr wie vor der ganzen Konföderation aufgetan hatte.
Die schwere Station Vicksburg war verloren, die John Paul Jones hatte das Schicksal der Independence geteilt – nicht ohne in ihrem Todeskampf mit ihren Geschützen und Raketen noch zwei schwere Kreuzer des Feindes und einen Zerstörer zu zerschmettern, zusätzlich zu den Hektakomben an Opfern, die sie und ihr Geschwader bereits vorher gefordert hatten. Die zwei alten Träger der Konföderation hatten gekämpft, wie es sich für ehemalige Schlachtschiffe gehörte, bis zum letzen Atemzug. Ly Telak galt als verschollen, ebenso General Brenner. Und Admiral Kalads letzte Botschaft ließ auch keinen Raum für Hoffnungen. Sie wusste nicht, was aus Admiral Winterbottom, Kommandeur der stationären Raumverteidigung, geworden war, und von der politischen und militärischen Führung im Regierungsbunker war auch nichts mehr zu hören gewesen. Unter Umständen war sie sogar die ranghöchste noch einsatzfähige Offizierin der Flotte der Konföderation auf Hannover – eine Admirälin ohne Stab, Soldaten, Waffen oder Verbindung zu den Truppen. Die Raumflotte der Konföderation über Hannover war buchstäblich bis zum letzten Schiff vernichtet worden – nur sehr wenige Kriegs- und bewaffnete Handelsschiffe schienen kapituliert zu haben. Flucht war ohnehin kaum eine Option gewesen. Vielleicht hatten es einige „Hilfskreuzer“ und beschlagnahmten Frachter aus dem System geschafft, mehr aber gewiss nicht. Die meisten konföderierten Raumjäger waren abgeschossen worden oder verbargen sich wie das Reservegeschwader – jetzt trotz „Verstärkung“ eigentlich nur noch zwei unterbesetzte Staffeln – und leckten ihre Wunden. Die Bodenstreitkräfte waren gelähmt, solange der Feind Kommunikation und Luftraum blockierte. Vermutlich würden die Heeres-Raketeneinheiten nicht eingreifen können, denn der Einsatz von Atombomben über der eigenen Hauptstadt kam nicht in Frage, erst Recht ohne Autorisierung vom Oberkommando. Einige taktische Batterien konnten vielleicht mit konventionellen Marschflugkörpern zuschlagen, da der Feind nur im unmittelbaren Umkreis um die Hauptstadt die Lufthoheit hatte. Aber auch wenn seine Kampfflieger nicht überall waren – seine Raumschiffe konnten aus dem Orbit Abschüsse mit Sicherheit orten, und ihre Waffen reichten ohne Probleme bis auf den Erdboden.
Die einzigen konföderierten Einheiten, die vielleicht noch wirkungsvoll zuschlagen konnten, waren die strategische Flottenreserve, die U-Boote, die auch getaucht konventionelle oder atomare Marschflugkörper abfeuern und vor Gegenangriffen in die Tiefe der Meere Hannovers ausweichen konnten. Sie waren dafür konzipiert, ohne Kommunikation und Logistik Wochen oder gar Monate getaucht zu operieren. Doch was sollten diese paar Schiffe mit begrenztem Munitionsvorrat schon erreichen?

An all das dachte die Admirälin, während sie sich in Gedanken ein Bild von der Lage in der Hauptstadt machte. Sie spürte nicht einmal wirklich Schmerz und Trauer, denn all das wirkte so ungeheuerlich, dass es eigentlich nicht real seien konnte. Konnten wirklich weit mehr als 100 – vielleicht 150, vielleicht noch viel mehr – Schiffe der Konföderation, vom mächtigen Träger bis zum bewaffneten Frachter, vom alten Kampfkreuzer bis zum leichten Minenräumer, vernichtet worden sein? Konnten wirklich 400 bis 500 Jäger zerstört worden sein, dazu hunderte Shuttles und Atmosphärenjäger? Konnten zehn-, vielleicht gar hunderttausende Soldaten und Zivilisten gestorben sein, das Herz der Hauptstadt der Konföderation nur noch eine rauschgeschwärzte Kraterlandschaft? Und konnte all dies innerhalb von nicht einmal 24 Stunden geschehen sein? Es schien undenkbar, und doch wusste sie, dass dem so war.
Aber jetzt war keine Zeit, sich dem wirklich klar zu werden. Sie musste das Undenkbare in kleine Scheiben schneiden, so dass aus einem tödlichen Schlag viele kleine würden. Ein Problem nach dem anderen angehen, nur um nicht an die Konsequenzen denken zu müssen. Jetzt musste sie handeln.
Ja, HANDELN – wenn sie doch nur etwas gehabt hätte, WOMIT sie hätte handeln können!
Für einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, in wörtlicher Auslegung des letzten Befehls des Oberkommandos mit den ihr zur Verfügung stehenden Kräften einen verzweifelten, glorreich-sinnlosen Angriff zu starten. Sie hatte noch…21 Raumkampfflieger, und dazu 17 bodengestützte Jäger und Jagdbomber, die sich in diese geheime Anlage – wie lange noch geheim, blieb abzuwarten – gerettet hatten. Wenn die Maschinen mit Raketen und Bomben aus den Magazinen beladen wurden, und sich dann im direkten Anflug auf den Feind stürzten, auf Truppenmassierungen, auf seine verdammten Flakschiffe…
Aber sie verwarf den Gedanken schnell. Das hätte Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn es als koordinierter Angriff erfolgt wäre, gemeinsam mit anderen abgekämpften Resteinheiten, oder viel früher, noch in der Schlacht im Raum. Jetzt war die feindliche Abwehr schon zu stark geworden, und sie hatte keinen Kontakt zu anderen Einheiten. Sie würde mit ziemlicher Sicherheit auch eigene Leute treffen – denn was von den Konföderierten noch kämpfte, hatte die besten Chancen, Schaden anzurichten, wenn sie dicht am Gegner blieben, so dass er seine schweren Waffen nicht einsetzen konnte. Auch Zivilisten musste es dort noch geben, die Kaiserlichen würden ja wohl nicht alle umgebracht haben. Weder ihre Untergebenen noch die Armeepiloten waren im Moment in der Lage, vernünftige Leistung zu bringen. Etliche waren ohnehin zusammengebrochen, auf Grund der Erschöpfung, der psychischen Belastung oder weil sie sich zu lange mit Aufputschmittel in „Topform“ gehalten hatten. Sie hingen am Tropf, damit ihr Kreislauf sich zumindest wieder etwas normalisierte. Mit diesen abgekämpften „Zombies“ war kein Staat mehr zu machen. Sie selber hielt sich ja nur noch mit Mühe aufrecht. Und der Feind würde so einen isolierten Angriff schnell bemerken und abschmettern.
Aber konnte sie hier sitzen und warten, bis die Kaiserlichen an die Bunkerschotts klopften, und sich dann vielleicht in den Tunneln mit ihnen herumschießen oder alles in die Luft jagen? War dies sinnvoller? Nun, es klang nicht unbedingt so.

Glücklicherweise bot ihr Kalads letzte Anordnung einen ehrenhaften und vor allem sinnvollen Ausweg. Ein Stück weit klammerte sie sich freilich auch nur an ihre Überlegungen, um nicht an das denken zu müssen, was mit ihrer Welt, ihrer Flotte, ihrem ganzen Dasein geschehen war. So lange sie etwas tun konnte, planen, handeln, agieren, so lange musste sie nicht der Verzweiflung nachgeben, die sie niederzudrücken drohte. Ja, es gab noch eine Alternative…
,Wir können natürlich auch erst einmal abwarten. Die Kaiserlichen werden zunächst noch etwas anderes zu tun haben, als uns zu suchen – sie haben genug beschädigte Schiffe, die sie retten müssen. Wir können unseren Bodentruppen im Moment einfach nicht helfen, nicht, ehe die Kaiserlichen sich nicht mehr verteilen und verwundbar werden. Der Orbit und der tiefere Raum müssen allerdings voll sein mit imperialen Wracks und Schiffbrüchigen, viele ihrer Schiffe brennen vermutlich noch. Sie haben sicher auch hohe Verluste in den Bodenkämpfen. Sie können also im Moment gar nicht nach uns suchen. Und lange dürfte es ja nicht mehr dauern, dann müssen sie da sein, unsere Flotte und die terranische Flotte. Die Imperialen können einfach nicht so viele Kräfte zurückbehalten haben, um auch die Frontlinien zu bedrohen. Ich habe ihre Träger erkannt und auch etliche der anderen schweren Einheiten, und ich kenne diese Namen aus unseren Feindinformationen – sie können an unserer Front nicht mehr viel in der Hinterhand haben. Und weder wir noch die Bundesrepublik können es uns leisten, so einen Angriff zu ignorieren. Eine Gelegenheit, zwei oder drei komplette Flotten der Imperialen tief in unserem Gebiet abzufangen – das ist zu verlockend. Mal abgesehen davon, dass jeder Konföderierte herbeieilen wird, und wenn er laufen muss. Sie haben schon nach dem Fall Londons Bescheid gewusst, und vor allem unsere Frontflotte muss einfach reagieren, und auch bei den Terranern kann es nicht viel länger dauern. Sie werden kommen, spätestens in ein paar Tagen. Meine Leute sind nicht vor sechs Stunden einsatzbereit, eher noch acht. Und bis dahin haben sich diese Mistkerle ordentlich eingegraben, und bei ihrer Überlegenheit komme ich einfach nicht an sie heran.’
Ja, das klang vernünftig. Und wenn die Flotten kamen, dann würde das die Gelegenheit sein, ein paar offene Rechnungen zu präsentieren, lange, blutige Rechnungen. Dann konnten sie mit ihrem Einsatz und – die Admirälin machte sich da wenig Illusionen – vermutlich auch ihrem Tod etwas bewirken. Ihre Leute und ihre Maschinen brauchten diese Ruhe. Und sie musste versuchen, zu anderen Versprengten Kontakt herzustellen…
Andererseits, es fiel ihr und sicher auch ihren Untergebenen sehr schwer, bis dahin daneben zu stehen und den Bodenkampf um die Hauptstadt seinen Gang gehen zu lassen. Sie machte sich keine Hoffnung, mit ihren Maschinen dort eine Wende herbeiführen zu können – wenn die feindliche Abwehr so stark war, dass hunderte konventionellen Kampfflieger nicht durchkamen, würde ihr versprengter Haufen nicht viel mehr anrichten können, zumal die Imperialen sicher ihre Abwehr ausbauten.
,Ach verdammt – was sollen wir denn schon erreichen? Ich kann es nicht riskieren, meine Leute zu opfern, ohne irgendetwas zu erreichen. Ich brauche verdammt noch mal genauere Informationen, ehe ich etwas unternehme. Denn wir haben nur EINEN Schlag, sind wir erstmal gestartet, werden die Imperialen uns orten, spätestens beim Rückflug. Und dann fräsen sie unser kleines Versteck aus dem Felsen.’
Jetzt konnte man ja froh sein, dass die Konföderation eine ganze Reihe solcher kleinen Bunkerkomplexe geschaffen hatte, ursprünglich in erster Linie für den Fall eines Angriffs der TSN. Jetzt dienten die Anlagen vermutlich etlichen Dutzend Raum- und Atmosphärenjägern Unterschlupf, genau wie ihrer Einheit. Und wenn sie mit denen Kontakt aufnehmen konnte…
Hm, was hatte sie denn? Also zunächst einmal genug Waffen und Sprengstoff für einen mittleren Guerillakrieg. Inklusive konventionellen lasergesteuerten Bomben, Spreng- und Napalm. Und genügend leichte Lenkraketen für den Raum- und Atmosphärenkampf. Einsatzbereit konnte sie ihre Maschinen auf jeden Fall machen, zumindest für einen Einsatz – und mehr würde sie nicht haben. Dazu Lebensmittel, medizinischer Bedarf, auch einiges an Ersatzteilen, alles säuberlich eingemottet und regelmäßig erneuert. Tja, Paranoia hieß eben nicht, dass sie nicht eines Tages doch von Nutzen seien konnte. Und sie hatte auch ein paar Fahrzeuge, zumindest, wenn sie sich an das erinnerte, was sie über die geheimen Stützpunkte der Konföderation wusste. Als Chefin des Reservegeschwaders war es ihre Aufgabe gewesen, die Wartung solcher Anlagen wie dieser zu überprüfen. Man hatte darauf geachtet, dass jeder der Stützpunkte auch anderen Waffengattungen helfen konnte. Da musste sich doch eigentlich was machen lassen…

Die Admirälin schnappt sich den Fernsprecher: „Achtung – Mannschaftsquartiere? Gut, hören Sie, Sergeant, ich brauche den Lieutenant, und zwar SOFORT. Ich warte.“ Kurz darauf: „Also, suchen Sie sich unter ihren Techniker die heraus, die etwas Erfahrung mit Fahrzeugen haben. Zweiräder und Schweber wenn möglich. Und fragen Sie auch bei den Wachmannschaften nach. Sagen sie denen, sie sollen sich bereithalten, ich habe eine Aufgabe für sie… Wir schicken sie jeweils zu zweit los. Die sollen sehen, was sie finden können, ich gebe ihnen die Koordinaten der anderen Stützpunkte in der Gegend, und wenn sie unterwegs was finden… Ja, ich kenne die Lage der Stützpunkte – was denken Sie denn, was ich gemacht habe im Stab? …Nein, wo GENAU die Anlagen sind, weiß ich auch nicht, da werden wir eben ein wenig suchen müssen… Also hören Sie, die sollen dort die Leute meinem Kommando unterstellen. Ja, sie bekommen Order und Vollmacht von mir – meinethalben können sie renitente Offiziere auch ERSCHIESSEN! Ich will nicht, dass einer von denen angreift, ehe ich es nicht befehle, und wer über Aufgabe nachdenkt, den soll der Teufel holen!“ Sie war sich nicht im Klaren darüber, aber indem sie Aktionismus entfaltete, bewahrte sie sich und ihren Leuten ein Stück weit die Illusion, etwas bewirken zu können. Illusionen aber waren seit jeher gute Waffen gegen die Verzweiflung – nur blieben sie eben Illusionen…
Keine Stunde später, die Admirälin war endlich in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf gesunken, machten sich ihre Kuriere auf den Weg. Sie waren getarnt als Zivilisten – wie Jacqueline Bouisseau gesagt hatte, es wäre ihr egal, ob sie sich als Ambulanz eines Kindergartens ausgaben oder als was auch immer, wenn sie nur ihr Ziel erreichten – und sollten Schleichpfade benutzen. Wenn es im Umkreis von ein paar hundert Kilometern noch Kampfgruppen gab, wollte sie es wissen.

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Zehn Stunden später, Kommandozentrale des geheimen Luftwaffenstützpunktes CCNR-100b, Hannover

Jacqueline Bouisseau gehörte nicht zu den Menschen, die normalerweise an übernatürliche Mächte und ihr Wirken glaubten. Jedenfalls nicht so richtig. Es gab das Reale, und keine übernatürliche Macht mischte sich da ein. Und doch, manchmal fragte sie sich, ob da nicht irgendjemand mit einem perversen Sinn für Humor im Universum die Würfel austeilte und schüttelte.
In der Zwischenzeit waren ihre eigenen Piloten wieder halbwegs einsatzbereit, die Maschinen ebenfalls. Sie war davon ausgegangen, dass in ähnlichen Einrichtungen in der näheren Umgebung vielleicht noch eine Handvoll anderer Kampfflieger untergekommen waren – wenige, aber vielleicht ausreichend für einen Angriff, der wirklich etwas erreichen konnte. Immerhin würde sie nur eine Chance haben. Und wenn die Überlebenden sich verzettelten, würden sie gar nichts erreichen, außer einer theatralischen Geste.
Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, viel mit ihrer Suchaktion erreichen zu können. Ihre Kuriere hatten mit ihren Bodenfahrzeugen nur eine begrenzte Reichweite, und der Planet war GROSS. Was sich von den Raumjägern und konventionellen Maschinen hatte retten können, war sicher weit verteilt. Zudem musste man die Stützpunkte auch erst mal finden. Nun, das Ergebnis war das zu erwartende gewesen. Drei Standorte waren unauffindbar geblieben, vermutlich weil die Angaben ungenau oder fehlerhaft waren. Zwei weitere waren nur noch rauchende Krater – offenbar hatten die Imperialen Flüchtlinge geordnet, die versucht hatten, dort unterzuschlüpfen, und ein paar Mal draufgehalten. Die Geschütze eines Kreuzers reichten, um meterdicke Stein- und Betondecken zu zerschmettern, und wenn so ein Yankee ein paar Salven abfeuerte…

Einige der anderen Stützpunkte waren leer gewesen, abgesehen von der Rumpfbesatzung, meist ein Lieutenant, zwei Sergeants und ein Trupp Soldaten und Techniker – bessere Hausmeister, wie man vor dieser Katastrophe gefrotzelt hatte. In einem Bunker hatten drei konventionelle Jäger und zwei uralte Mirage Unterschlupf gefunden, und die hatte sie in ihre Streitkräfte problemlos einreihen können. Dann war da noch die 117th Independent Field Artillery, über die einer ihrer Kuriertrupps praktisch gestolpert war. Das waren vier Raketenwerfer, wohlgemerkt nur für taktische Schläge, mit konventionellen Marschflugkörpern, unterstützt durch zwei Flakpanzer. Die Einheit hatte sich in Marsch gesetzt, als sie erfuhr, dass die Hauptstadt angegriffen wurde, und hatte zufällig denselben Schleichweg gewählt, wie ihre Kuriere. Jetzt hatte man sie zu einem der Schlupfwinkel gelotst, wo sie immerhin Telefonverbindung zu ihr hatten. Die Admirälin konnte nicht fassen, dass die Kaiserlichen nicht schon längst daran arbeiteten die totale und umfassende Luftüberlegenheit zu erkämpfen, aber offenbar beschränkten sie sich darauf, die Hauptstadt zu verwüsten und hatten dort ihre Raumjäger massiert. Falls man da noch von „Massierungen“ reden konnte, es waren mit Sicherheit nicht mehr viel. Die imperialen Streitkräfte nahmen sich nicht die Zeit, nach dem Lehrbuch vorzugehen – das hätte bedeutet, Feldflugplätze für konventionelle Maschinen anzulegen, die ihnen den Luftraum sicherten. Allein aus dem Weltraum war das einfach nicht zu gewährleisten. Aber vermutlich wussten die Gegner, dass ihnen nicht viel Zeit blieb.

Rechnete man alles zusammen, dann war das sogar noch etwas mehr, als sie gehofft hatte. Viel mehr, um genau zu sein. Denn in einem der Stützpunkte, CCNR-99e, hatten ihre Leute überdies zwei einzelne Jagdbomber entdeckt. Zwei Atmosphärenflieger, die gar nicht an dem großen Angriff auf die Hauptstadt und die gelandeten Angreifer teilgenommen hatten. Aus gutem Grund…
Seit dem Beginn der menschlichen, ja der gesamten intergalaktischen Geschichte hatte nur der Zugriff zur Antimaterie den fühlenden Wesen mehr Macht und Zerstörungskraft verliehen, als die Entdeckung der destruktiven Möglichkeiten, die einem die atomare Struktur des Universums boten. Eine Kraft, die in so vielen Kriegen schon eingesetzt worden war, die aber immer noch ein gewisses Geheimnis umgab – die Macht der Atomwaffen. Sie hatte zwei Jäger des geheimen Atomschlagkorps entdeckt, das unmittelbar vor dem Angriff der Kaiserlichen aufgestellt worden war. Eines von einem Dutzend Kommandos. Es war offenkundig, das keine der Einheiten bisher eingesetzt worden war – und ebenso offensichtlich war auch, wieso. Denn der Angriff der Imperialen hatte sich auf die Hauptstadt konzentriert, und offenkundig war das konföderierte Oberkommando nicht mehr fähig, zu agieren, und wohl auch nicht willens. Wer wäre auch schon auf die Idee gekommen, eine Atomwaffe in der eigenen Hauptstadt einzusetzen, selbst wenn es „nur“ um eine taktische ging. Die Admirälin fühlte, wie es ihr kalt den Rücken herunter lief. Natürlich, keiner hätte daran gedacht. Aber keiner hätte daran gedacht, dass es so kommen würde, wie es gekommen war. Die Trümmer der Gebäude, die von den Schiffsgeschützen zerstört worden waren, mussten noch rauchen. Die besten Offiziere und Soldaten der Konföderation waren gefallen, ihre stolzesten Schiffe zerstört, unzählige Zivilisten teilten ihr Schicksal. Wenn sie jetzt eine Atombombe warf, würde das tausende weitere Tote kosten, Kriegsgefangene und Zivilisten – aber es würde auch zehntausende Imperiale töten. Und wenn die Kaiserlichen ihre Landstreitkräfte verloren…
Was würden sie tun? So wie sie die Massenmörder der Imperators – mochten ihm die Augen verfaulen, nebst einigen anderen Körperteilen – einschätzte, würden sie sich nicht zu schade sein, unter dem Vorwand, sie seien „angegriffen“ worden, jedes Bevölkerungszentrum einzuäschern und zu fliehen, ehe die Entsatzverbände sie stellten und in den Trümmern Hannovers kreuzigten. Wenn sie Glück hatten, und man sich nicht etwas… Interessanteres… für sie überlegte. Und dennoch, hier war sie, die Macht, ein ganzes Armeekorps Angreifer auf einmal auszulöschen…

Jacqueline Bouisseau merkte, dass sie bereits Überlegungen anstellte.
,Wenn wir unsere Jäger im Tiefflug losschicken, die Atombomben mitten im Schwarm… Wenn wir die vier Bomben auf vier Maschinen aufteilen – die Mirage können sie auch tragen – und uns nur darauf konzentrieren, dass die zwei durchkommen… Die Kaiserlichen können nicht viele Atmosphärenjäger mehr übrig haben, nach all diesen Kämpfen. Und ihre bodengestützte Flak hilft ihnen da nicht viel, wenn wir im Tiefflug angreifen, und ihre verdammten Flakschiffe sind in Bodennähe auch nicht so wirksam…Und wenn wir sie dann zünden, im Zentrum, mitten über ihren Truppen…Natürlich, wir selber kommen auch nicht mehr weg. Wer da `reinfliegt, im Tiefflug, den erwischt die Atomexplosion… Und bringt es etwas?’
Oder sollte sie die Waffen anders einsetzen? Würde überhaupt die Chance bestehen, einen EMP-Schlag zu starten, würden die Kaiserlichen das Geschoss nicht abfangen? So ein Einsatz würde mit Sicherheit nicht ihre verdammten Flakschiffe anschlagen, aber bei den feindlichen Bodentruppen sah die Sache schon anders aus. Ihre Panzer, ihre gesamte Elektronik, würde mit etwas Glück versagen. Und das wäre tödlich. Aber auch das würde für die Konföderation schlimme Folgen haben, allein wegen des Fall-outs. Außerdem war auch dann die Reaktion der Imperialen nicht abzusehen. Aber etwas musste man doch unternehmen! Sie konnte doch nicht auf den Bomben einfach sitzen bleiben, bis die Sache ausgestanden war!

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Noch einmal vier Stunden später, geheimer Heeresluftwaffenstützpunkt CCNR-99e

Ein Mitglied der Stabsbesprechung vor dem Angriff der kaiserlichen Flotte hätte die Rear-Admirälin nicht wieder erkannt, hätte er sie in diesem Augenblick gesehen. Sie trug statt Uniform und Rangzeichen eine Art Räuberzivil, dafür aber eine schwere Laserpistole. Ihr Gesicht war dreckverschmiert, wie ihre Kleidung. Und es war etwas in den Augen, das vorsichtig ausgedrückt beunruhigend wirkte. Vor ihr standen zwei Akarii und zwei Menschen in Heeresuniformen, und wirkten sehr, sehr unsicher. Sie hatte sich entschlossen, wieder einmal etwas auf unorthodoxe Weise zu erledigen. Von Angesicht zu Angesicht. Also war sie persönlich losgebraust, auf einem Zweirad. Und hatte natürlich das Glück gehabt, vor dem wohl einzigen kaiserlichen Jäger, der sich so weit „draußen“ herumtrieb, in den Straßengraben verschwinden zu müssen. Das hatte ihrem Outfit nicht eben gut getan. Aber jetzt war sie hier – dort, wo ihre kostbarsten „Neuerwerbungen“ verborgen waren. Offenbar hatte man sie hier platziert für den Fall, der Feind könne in der Nähe der Hauptstadt eine Landezone etablieren. Dass die Kaiserlichen so rücksichtslos vorgehen würden, wie sie es getan hatten, damit hatte wohl weder der Generalgouverneur, noch der Generalstab gerechnet. Nun, die Atomwaffen waren hier, ihre Piloten waren hier, und jetzt war sie selber auch hier – trotz aller kaiserlichen Jäger. Blieb das nächste Problem…
„Ich weiß, Sie haben ihre Befehle – kein Einsatz ohne persönliche Freigabe. Aber diejenigen, die uns etwas befehlen könnten, sind vermutlich schon tot. Sie haben den Befehl des Admirals gehört. Er und ihr Oberkommandierender hatten sich ausdrücklich für die Bereitstellung dieser Option stark gemacht. Mir gefällt der Gedanke ebenso wenig, wie Ihnen. Doch wenn die traditionellen Instanzen ausgefallen sind, müssen andere in die Bresche springen. Ich sage Ihnen, die Kaiserlichen haben in unserer Hauptstadt ganze Straßenzüge und Viertel ausradiert. Wir haben vielleicht nur DIESE Möglichkeit, sie zu treffen, sie hart zu treffen. Wenn unsere Flotte am Sprungpunkt auftaucht, will ich unsere Hauptstadt nicht als Geisel in der Hand des Feindes sehen – lieber riskiere ich, auch einige Unschuldige zu töten, als dass wir ALLES verlieren. Stellen Sie sich nur vor, was die Imperialen mit so einer Geisel alles fordern können, mit einer ganzen Stadt!“
Einer der Akarii verzog sein Gesicht zu einer sehr menschlich wirkenden Grimasse: „Aber Ma’am, Sie können doch nicht ernsthaft vorhaben, eine Atombombe AUF unsere Hauptstadt zu werfen. Da leben doch Millionen Zivilisten!“
Jacqueline Bouisseau bleckte die Zähne in einem verächtlichen Lächeln: „Inzwischen sind es vermutlich ein paar zehntausend weniger, wie Sie sehr wohl wissen. Und wir reden hier nicht von einer Maverick oder Exocet, sondern lediglich von einem leichten taktischen Sprengkopf. Wenn wir den auf das Gros der feindlichen Streitkräfte werfen, auf ihre Garde und Reservestellungen, dann verdampfen wir praktisch die gesamte Invasionsstreitmacht. Und kommen Sie mir nicht mit Konventionen, die Kaiserlichen haben dieses Krieg ohne formelle Erklärung angefangen, und Sie wissen, was die auf Manticor gemacht haben, und nicht nur dort. Wenn wir diese Leute einzeln aus den Ruinen holen müssen, wird es noch mehr Opfer geben. Wenn die Kaiserlichen für einen Funken Ehre hätten, würden sie die Zivilisten ohnehin evakuieren, die nicht schon geflohen sind. Und wenn sie keine haben, können wir für unsere Leute ohnehin nichts mehr tun!“

Die drei anderen Piloten und Bordschützen schienen keinen Deut weniger erfreut, aber vor allem wirkten sie unsicher. Unter normalen Umständen hätten sie sich so einem Ansinnen schlichtweg verweigert, wenn nicht gar die offensichtlich wahnsinnige Rear-Admirälin festgenommen. Aber das waren eben keine normalen Umstände. Die Welt stand auf dem Kopf, lag in Trümmern, und nichts war mehr so, wie vordem. Menschen – und Akarii – in solchen Situationen waren empfänglich für starke Stimmen, für Befehle, die ihnen Halt gaben, und mochten es für die bedenklichsten, wenn nicht gar verderblichen Ziele sein. Selbst wenn sie Konföderierte waren, und damit dem Individualismus verpflichtet, dem Gehorsam zu den zivilen Instanzen. Doch für eine Situation wie die jetzige gab es einfach kein Lehrbuch.
Die Admirälin sah sehr wohl, dass ihre neuen Untergebenen unsicher wurden: „Hören Sie – ich sage ja nicht, dass wir die Waffen unbedingt einsetzen werden. Herrgott im Himmel, der Gedanke allein dreht mir schon den Magen um. Aber wir dürfen uns diese Möglichkeit nicht aus der Hand nehmen lassen, nur weil wir mehr Skrupel haben, als der Gegner. Wollen Sie wirklich, dass DIE damit durchkommen? Denken Sie mal, was das für die ganze Konföderation bedeutet.“
„Aber das wäre glatter Mord…“
„Ja – und nein. Sie wissen genau, im Krieg muss man manchmal abwägen. Man kann nicht immer alle retten. Manchmal muss man einige opfern, um den Rest zu retten. Ein Staffelchef, ein Kompanieführer, der einige Untergebene in den sicheren Tod schickt, um den anderen Überleben und Sieg zu sichern. Der Flottenkommandeur, der eines seiner Schiffe opfert, um den anderen Zeit für Flucht oder Sieg zu erkaufen. Der Admiral, der eine Scheinoffensive anordnet, um den Gegner in Sicherheit zu wiegen – in wie weit ist das weniger Mord? Nur weil jene, die er losschickt, selber Waffen haben? Sie wissen so gut wie ich, dass in solchen Augenblicken Waffen wenig bedeuten, nur ein Alibi sind. Ich sage nicht, vernichten wir unsere eigene Hauptstadt. Doch wir müssen bereit sein, im äußersten Notfall einen Teil davon zu opfern. Den Teil, den die Aggressoren bereits in Schutt und Asche gelegt haben, den sie mit ihrer Gegenwart besudeln. Wenn wir daraus ein Massengrab der Blüte der kaiserlichen Armee machen – wäre es das nicht wert? Wir kämpfen um unser Leben, und das ist KEINE leere Worthülse. Ich brauche ihre Hilfe dafür. Ja, ich werde ALLES in meiner Macht stehende tun, damit es nicht so weit kommt. Aber nein, ich kann es Ihnen nicht ersparen, dass es auch auf Ihren Schultern liegt zu entscheiden, ob Sie mir alle Mittel dafür in die Hand geben. Wenn es sein muss, fliege ich den Bomber selbst ins Ziel, und bleibe dort – dann kommt es ohnehin nicht mehr darauf an.“

Ein Stückweit erschrak die Admirälin selbst vor dem, was sie sagte und plante. Nein, sie hatte nicht wirklich vor, eine subtaktische Bombe auf die Hauptstadt der Konföderation zu werfen. Aber sie wollte sich diese Option nötigenfalls offenlassen. Wenn es zum schlimmsten kam, wenn es keine Rolle mehr spielte, wenn nur damit der Sieg erreicht werden konnte…
Dann würde sie es tun, vielleicht mit ihren eigenen Händen.
Sie streckte ihre Hand aus, mit einer gebieterischen Geste, die keine Wahl ließ. Hoch aufgerichtet überragte sie die entmutigten, verwirrten Piloten, optisch, wie auch als rein psychische Präsenz. Und dann ließ der eine der Piloten die Codekarte in ihre Hand fallen, dann der zweite, der dritte…
Bis sie alle vier Codekarten hatte. Je zwei davon würden die Bomben eines Jägers scharfmachen. Sie wogen nur ein paar Gramm, und doch schienen diese unscheinbaren Stückchen Plastik mehr Gewicht zu haben als ein Berg. Der Admirälin fröstelte ein wenig, auch aus Furcht vor ihr selbst, Furcht vor dem, was sie vielleicht bereit seien würde, zu tun. Einer der Piloten, ein stämmiger Akarii, machte mit einmal eine Bewegung, als wollte er seine Karte wieder an sich nehmen. Doch sie fing seinen Blick mit ihren Augen auf. Einen Augenblick starrten sie sich nur wortlos an. Dann senkte er den Kopf, und trat zurück.
Die Admirälin nickte langsam, beinahe schwerfällig: „Sehr gut. Ich verspreche Ihnen, ich werde keinen falschen Gebrauch davon machen. Und nun kommen Sie mit, in die Kommunikationszentrale. Wir haben sichere Leitungen zu insgesamt fast vier Dutzend Maschinen, und einer taktischen Batterie. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht eine kleine Überraschung für unsere neuen Gäste vorbereiten können!“
Cattaneo
Cunningham

Auf der Hongkong hatte man das Manöver der Columbia entsetzt mitangesehen. In der CIC wagte kaum einer zu atmen.
Wenn die beiden Schiffe mit über achtzig Kilometer pro Sekunde kollidiert wären... Nun, niemand von den beiden Besatzungen hätte es überlebt.
„Admiral! Meldung von der Columbia: Admiral Wulff ist ausgefallen!“ Das junge Gesicht des Singnalgasten zeigte Aufregung, die er fast aus seiner Stimme verbannt hatte.
Benk Schepens nickte ruckartig: „Signal an die Flotte: Übernehme das Kommando. Operationen unverändert fortsetzen. Gezeichnet Schepens.“
„Aye-aye, Sir.“
Mit distanzierter Zufriedenheit sah er wie die Großkampfschiffe jetzt unter den Akarii-Jägern ein Gemetzel anstellten.
„SIR! Aus dem niedrigen Orbit steigt irgendwas auf. Empfange fünf Bogeys PLUS!“
„Auf den Kartentisch, Mr. Holden!“ Schepens befeuchtete sich die Lippen. Wenn etwas schief geht, dann gründlich.
„Aye-aye, Sir.“
Der Rearadmiral und seine Offiziere staunten nicht schlecht, als sich die Bogeys als zwei akariische Kreuzerformationen entpuppten.
„Signaloffizier: An Flotte: Wende hart Steuerbord! Gefechtsformation Alpha zwo! Schwadronen sollen selbstständig angreifen.“
„Aye-aye, Sir!“
„Danach Signal an die Wasp, aufschließen zu den schweren Kreuzern.“ Schepens wandte sich zum ersten Offizier der Hongkong um. „Befehl an den Captain, wir schließen ebenfalls in die Gefechtslinie auf.“
„Zu Befehl, Sir.“
Nun konnte er nur noch zusehen, wie sich die Bestien aufeinander stürzten. Schon nach den ersten Schusswechseln bestätigte sich dem alten Dickschifffahrer, dass die Jägerjockeys Unrecht hatten.
Die Piloten der kleinen und wendigen Maschinen sahen ihr Handwerk als die Königsdisziplin des Raumkampfes an.
Doch die Herrscher dieses dreidimensionalen Schlachtfeldes waren die großen Schiffe. Die Kreuzer und Zerstörer, ja auch die Fregatten und Korvetten.
Das Salvenfeuer der Geschütze erhellte die Rümpfe der zigtausend Tonnen schweren Giganten. Es war ein erhabener Anblick, wenn ein Ticonderoga erst seine Raketen und anschließend seine Bordkanonen abfeuerte.
Es konnte einem Mann das steinerne Herz erweichen, wenn ein solcher Leviathan beschädigt wurde. Wenn die Raketen seine Schilde sprengten und sich die Energiestrahlen tief in sein Inneres bohrten. Es war als wenn dieses Schiffe bluteten, wenn sie Sauerstoff und andere Gase oder gar Menschen ausspieen.
Welch grausiges Bild, wenn Panzerplatten und ganze Schiffsstücke durch Explosionen herausgesprengt wurden.
„ADMIRAL! Die Columbia manövriert sich ebenfalls in die Schlachtlinie!“ Der Radargast klang ungläubig.
„Was zur Hölle…? Ich brauche eine Direktverbindung zur Columbia.“


„Commander! Admiral Schepens will Sie sprechen, Sir.“ Lieutenant Castilliano deutete auf den Hörer am Kartentisch.
Lucas nahm ab: „Cunningham.“
„Haben Sie dort das Kommando? Wo ist Waco?“ Das Englisch war mit einem schweren Akzent durchsetzt und der Tonfall des Admiral war barsch.
„Ja, Sir, ich habe das Kommando über die Columbia. Captain Waco wird vermisst.“
„Dann verraten Sie mir doch mal bitte, wieso Sie den Träger in die Schlachtreihe bringen.“ Auch wenn es nicht ausgesprochen wurde, konnte Lone Wolf das 'Sie Vollidiot' deutlich vernehmen.
„Nun, Sir, ich brauche an Backbord Deckung einiger Großkampfschiffe und die stürzen alle den Akarii entgegen. Darüber hinaus gedenke ich den Echsen meine Raketen zu fressen zu geben, SIR!“
„Halten Sie sich an der linken Flanke, Cunningham. Schepens Ende.“
Der frisch gebackene Trägerkommandant hängte wieder ein.
Keine zwei Luftzüge konnte er nehmen, da stand schon der nächste Offizier neben ihm. Long nickte grüßend: „Der Captain wurde geborgen. Man bringt ihn runter in die Krankenstation, er ist schwer verletzt, aber am Leben.“
„Tja, wir müssen wohl schon für Kleinigkeiten dankbar sein.“ Lucas winkte den zwoten Taktischen Offizier der Columbia an den Kartentisch. „Schepens hat uns an die linke Flanke beordert. Also geben wir kaum mehr als Unterstützungsfeuer.“ Lucas markierte mit dem Lichtgriffel eine kleine Formation eigener Zerstörer. „Koordinieren Sie unser Feuer mit diesen Schiffen.“
„Aye, Sir.“
„Und geben Sie deren Kommandanten zu verstehen, dass wir Backbord verdammt gefährdet sind.“
Der Lieutenant Commander trat ohne zu grüßen ab.
„Was sagt die Schiffssicherung, George?“
„Wir haben jetzt ein genaues Bild über die Schäden. Die Brücke ist ein Totalschaden. Dreiundzwanzig Tote. Darunter Admiral Wulff, unser zwoter Offizier, der Trägergruppeneinsatzoffizier, unsere gesamte Brücken-Alpha-Schicht. Der Captain wird gerade zum Not-OP gebracht. Zwei weitere Überlebende gibt es noch. Commander Schwimmer wird behandelt, Commander Nissler konnte unverletzt geborgen werden und ist auf dem Weg hierher.“
Einen Moment drohte ein gemeines Grinsen sich auf Lucas Gesicht auszubreiten. ,Wulff ist tot, Wulff ist tot, Wulff ...'
„Commander!“, brüllte der TO von seiner Station. „Wir sind in Feuerreichweite.“
„Alle Batterien: Feuer frei!“
„Aye, Sir.“ Er wandte sich wieder seinen Leuten zu. „Ziele auswählen und Feuer nach eigenem Ermessen. Defensivstationen bereithalten für Gegenfeuer.“
Lucas legte sich eine Waffenstatusanzeige auf den Kartentisch. Die beiden Exocetwerfer auf dem Oberdeck feuerten im Siebensekundentakt.
Die Besatzungen der Defensivsysteme der Columbia waren weit besser als die an den Offensivsysteme. Ein einfacher Fakt, der daran lag, dass der Träger sich öfter verteidigen musste, als dass er zum Angriff überging.
Nun gab es für ihn kaum etwas zu tun. Die Taktische Abteilung der Columbia arbeitet völlig autark. Es wurden nur gelegentlich Meldungen an ihn weitergegeben.
Für ihn war es ein merkwürdig entrückendes Erlebnis. Mitten in der Schlacht zu stehen und doch nichts zu tun. Gut, er musste geistig die Meldungen und das Geplapper der Offiziere und Gasten um ihn herum filtern.
Aber niemand brauchte hier wirklich seine Anweisungen. Selbst der rangniedrigste Petty Officer beherrschte hier sein Handwerk so eingespielt, dass Kommentare, Befehle oder Hinweise von Lucas eher störend als hilfreich gewesen wären.
Das automatisch anmutende Geschwätz der Crew in der CIC hatte ihn schon fast eingelullt.
„VAMPIR! VAMPIR im Anflug! Vector zwo-null-neun, drei, korrigiere, fünf Stück! Täuschkörper backbord und steuerbord ausstoßen!“ Der TO blickte angestrengt auf seinen Schirm und Lucas war wieder voll da. „Impulslaser FEUER!“
Kurze Stille.
„Zwei kommen durch! KOLLISIONSALARM! Einschlag in ... fünf, vier, drei, zwei ....“
Ein Ruck ging durch den Flottenträger. Lucas prallte mit der Hüfte gegen den Kartentisch. Zischend ließ er die Luft zwischen den Zähnen ausweichen: „Meldung!“
„Zwei direkte Treffer an Steuerbord. Schilde halten, keine Schäden.“
„Zustand der Waffen?“, wollte er wissen.
„Feuern weiter.“
Auf dem Bildschirm des Kartentisches leuchtete ein leichter Akariikreuzer wie eine neugeborene Sonne auf.
Die Taktische Abteildung jubelte kurz auf, obwohl es sicherlich nicht ihr Abschuss war. Der Trott ging weiter.
Cattaneo
Cunningham

Der leichte Träger wurde von einer Serie Explosionen erhellt. Über die ganze Flanke schlugen atomare Gefechtsköpfe der Akarii ein. Die Wasp bockte heftig. Panzerplatten splitterten und oder wurden in ganzen Stücken vom Rumpf gerissen.
Atemluft wurde frei gesetzt und entzündete sich. Eine Meter hohe Stichflamme schlug aus der Steuerbordseite der Wasp.
Der Majestic-Class-Träger bockte erneut und begann zu schlingern. Eine Sekundärexplosion riss einen großen Teil des Oberdecks ab. Das vordere Drittel des Trägers begann sich nach unten zu biegen, während die Triebwerke noch mit hoher Leistung liefen.
Der vordere Teil der Wasp knickte immer weiter ein, da lösten sich schon die ersten Rettungskapseln von ihr.
Eine weitere Welle feindlicher Raketen schlug in das Erdschiff ein. Mehr und mehr wurde die Hülle in Fetzen geschossen. Weitere Explosionen drangen von innen nach außen.
Das vordere Drittel der Wasp sackte noch weiter ab, und dann brachen die letzten Holme. Die Triebwerke erstarben und immer mehr Rettungskapseln lösten sich von der Wasp.
Auf die finale Explosion wartete man vergeblich. Aus Dutzenden von Löchern blutend trudelte der in zwei Teile gespaltene Träger und wurde langsam von dem Planeten, in dessen Umlaufbahn sich der Kampf abspielte, angezogen.

Benk Schepens öffnete die Augen. Er saß in seinem Büro, hinter der CIC der Hongkong. Der Untergang der Wasp hatte sich in seinem Geist eingebrannt.
Fast fünfhundert Besatzungsmitglieder der Wasp hatten die Vernichtung ihres Schiffes überlebt. Ein wahres Wunder. Sie waren nach der Schlacht geborgen worden. Genauso wie fast tausend andere Raumfahrer der TSN.
Ein junger Flaggleutnant trat ein: „Sir, wir haben soeben die Verlustliste der Columbia erhalten: 23 tot, 19 verletzt. Admiral Wulff ist gefallen, Captain Waco ist schwer verletzt und wird zur Zeit operiert.“
Schepens nickte: „Danke, Mr. Bergmann.“
„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Sir?“
„Eine Tasse Kaffee wäre jetzt nicht schlecht.“
„Aye, Sir.“
Damit war die Columbia noch glimpflich davongekommen. Die Geschwader der beiden überlebenden Träger waren auch noch einsatzbereit, weil man ein Großteil der Verluste aus den überlebenden Piloten der Wasp ersetzen konnte.
Fast alle Schiffe unter seinem Kommando waren mehr oder weniger beschädigt. Eine der wenigen Ausnahmen bildete die Hongkong selbst, die nur wenige Treffer abbekommen hatte, die das Schild abgefangen hatte.
Fast schon komisch erschien die Situation auf der Columbia. Der Träger war so gut wie unbeschädigt, aber noch immer war das Backbordschild ausgefallen und ein Kampfeinsatz kam somit so gut wie nicht in Frage für das riesige Schiff. Geschweige denn, dass Schepens es unter einem unerfahrenen Raumschiffkommandanten wie Cunningham ins Gefecht geschickt hätte.
Die ganze Situation ließ eigentlich nur eine Möglichkeit offen.

Raven stand am Kartentisch der CIC. Neben ihr stand Jaques Renard, der ehemalige Geschwaderführer der Wasp. Ihnen beiden gegenüber befand sich Lucas Cunningham. Immer wieder wurde der ehemalige CAG der Columbia von Offizieren bedrängt, die entweder nur eine Meldung machen wollten oder auf eine Anweisung warteten.
Der gesamte Befehlsstab der Columbia reorganisierte sich zur Zeit. Raven war frustriert. Zum einen war ihr erster Einsatz als CAG der Angry Angels mächtig in die Hose gegangen. Beide feindlichen Träger fuhren noch.
Punkt zwei ihrer Beschwerdeliste war Cunningham. Irgendwie kam sie wohl nicht von ihm los. Sie hatten die Columbia gerade mal fünf Stunden verlassen, und schon war der Scheißkerl wieder ihr Vorgesetzter.
„Nein, Lieutenant, Sie scheinen mich nicht zu verstehen,“, knurrte Cunningham in die Gegensprechanlage, „das Schild muss wieder funktionieren,“ kurze Pause, Raven konnte den Offizier aus dem Maschinenraum nicht hören, „nein, ich habe keine Ahnung, wie Sie das flicken sollen, flicken sie es einfach. Geben ... geben, geben Sie mir einfach den LI.“
Cunningham nahm den Hörer vom Ohr und nahm einen Bericht entgegen. Er überflog ihn höchstens, nickte zufrieden und gab ihn dem Petty Officer zurück: „Ah, LI, ja, ich weiß, Sie sind schwer beschäftigt, aber ... aber das Schild hat oberste Priorität... -“, eine längere Pause, bei der Cunninghams Gesicht immer düsterer wurde, „jetzt passen Sie mal auf, Mister, ihr Dr. in Raumfahrttechnik ist mir scheißegal, schustern sie was zurecht, erfinden sie etwas, stellen sie sich von mir aus die Ersatzteile her. Die Sache hier ist noch nicht beendet und wenn wir zum zweiten Waffengang ansetzen, dann brauchen wir das verdammt Schild. Also klotzen Sie ran.“
Cunningham wandte sich an die beiden Piloten: „Wie ist der Status unserer Jäger?“
„Wir kommen auf dreiundachtzig Maschinen,“, antwortete Raven, „mit etwas Glück bekommt der Chief noch zwei weitere flugfähig.“
„Unser eigentliches Problem sind unsere Piloten“, warf Renard ein, „viele sind verletzt und die, die es nicht sind, leiden unter starker Erschöpfung. Sie sind demoralisiert und abgekämpft. Viele gute Leute, vor allem aus Schlüsselpositionen, sind tot oder ausgefallen.“
„Gut, sehen Sie beide zu, dass ihre Piloten sich ausruhen und lassen sie die Maschinen für einen zweiten ...“
Die Ankunft Doktor Langenscheids unterbrach ihn. Der Chefarzt der Columbia trug noch seine Operationsmontur. Auch er wirkte erschöpft.
Sein Erscheinen war überraschend und ungewöhnlich für die Offiziere der CIC und es wurde Still.
„Der Captain ist tot.“, brach es aus ihm heraus.
Ravens Blick wanderte zu Cunningham. Aus diversen Gesprächen mit James Waco als neue CAG der Angels wusste sie, dass der Captain und Lone Wolf Cunningham sich recht nah stehen, gestanden haben.
Cunningham blinzelte: „Wie bitte?“
Es hätte wie eine einfache Frage klingen können, doch der Klang und die Haltung des aktuellen Kommandeurs der Columbia machte daraus eindeutig einen Rüffel.
Langenscheid schluckte: „Sir, es ist meine Pflicht mitzuteilen, dass Captain James Waco um achtzehn Uhr zweiundzwanzig Zulu-Zeit verstorben ist.“
Raven beobachtete fasziniert, wie aus Cunninghams Gesicht das gesamte Blut entwich und seine Haut die Farbe von Papier annahm.
Kurz schloss der ehemalige Kommandant der Angry Angels die Augen, richtete sich aber sofort wieder auf und ergriff den Hörer der Gegensprechanlage am Kartentisch.
Aus allen Lautsprechern an Bord der Columbia erklang das charakteristische Pfeifen: „1-MC, hier spricht der kommandierende Offizier! Es ist meine traurige Pflicht, Sie vom Tode Captain James Wacos zu informieren. Vor knapp fünfzehn Minuten ist unser Captain seinen schweren Verletzungen erlegen. Diese waren so verheerend, dass all das Können unserer medizinischen Abteilung nicht ausgereicht hat. Ich weiß, viele von Ihnen haben unter James Waco hier an Bord ihre Karriere bei der Navy begonnen und sie alle möchten jetzt einen Schritt beiseite treten, um diesen schmerzlichen Verlust zu verarbeiten. Doch diesen Luxus können wir uns jetzt nicht leisten. Gerade jetzt müssen wir mit aller Kraft weiterarbeiten und Schiff und Geschwader auf die nächste Feindberührung vorbereiten. In dieser schweren Stunde für unser Schiff und für die Navy verlasse ich mich auf Sie, auf jeden einzelnen von ihnen, wie es Captain Waco getan hätte. Ich weiß, dass Sie trotz aller Erschöpfung, Trauer und Angst so weiterarbeiten, als ob der Captain in diesem Augenblick hinter ihnen stehen würde, um ihre Arbeit zu begutachten. Dies ist sicherlich die Art, die sich Captain Waco gewünscht hätte, sein Andenken zu ehren. Cunningham Ende.“
Cunningham hängte ein und wandte sich an einen anderen Offizier: „Signaloffizier, melden Sie Admiral Schepens, dass Captain Waco gefallen ist.“
„Aye, Sir.“
Dann blickte er wieder Raven an: „Wo waren wir gerade stehen geblieben?“
Den immer noch in der CIC stehenden Langenscheid ignorierte er.
Raven blickte den Chefarzt an: „Alles in Ordnung, Doktor?“
„Ja, ja ich denke schon.“, der Arzt blickte Cunningham an und schien den Tränen nahe zu sein.
„Commander,“, unterbrach der Signaloffizer, „die Hongkong gibt den Rückzugsbefehl.“
Wie ein wütendes Raubtier fuhr Lone Wolf herum, seinem Namensvetter ähnelnd: „Was? Geben Sie mir Admiral Schepens.“
Cattaneo
Cunningham

Wenn Raven das Gespräch nicht mitangehört hätte, hätte sie es nicht geglaubt. Cunningham hatte auf Schepens eingeredet, gebeten und geradezu gebettelt. Dabei hatte er sich einen Plan aus den Fingern gesaugt, der für den normalen cunninghamschen Wahnsinn zwar etwas kompliziert, aber ganz und gar Cunningham war.
Nein, das war nicht fair, Chris Mithel hatte auch noch sein Scherflein dazu beigetragen. Der Commodore hatte gerade mit Schepens gesprochen, als Cunningham sich quasi zum Admiral durch gedroht hatte. Der Interimskommandeur der Columbia hatte Schepens Stabschef die Hölle auf Erden versprochen, wenn er nicht durchgestellt werde.
Die beiden Flaggoffiziere waren natürlich alles andere als begeistert über die Störung durch einen Commander, und Schepens hatte dies lauthals kundgetan und Cunningham sogar mit der Brigg gedroht.
Aber Lone Wolf hatte nicht klein bei gegeben und als Mithel dann angefangen hatte den entstehenden Plan des Commanders zu ergänzen, hatte der Admiral zugehört.
Zur Überraschung aller in der CIC und vor allem Ravens war daraus ein Operationsplan zustande gekommen.
Dieser sah vor, die Columbia, einen gottverfluchten Flottenträger, als Köder für die Echsen zu verwenden. Die Hongkong hatte sich mit einem Großteil der verbliebenen Kreuzer und Zerstörer abgesetzt und schlich von dannen.
Die Columbia fuhr mit hundertfünfzehn Prozent Leistung und machte soviel Krach, dass die Akarii sie nicht übersehen konnten.
Und für den Fall, dass doch, hatte man das fast intakte Wrack einer Fregatte in Schlepp genommen. Die Beschädigungen waren dermaßen groß, dass man den Reaktor des kleineren Kriegsschiffes sah.
Da kamen auch schon die nächsten Akteure in Cunninghams großen Schauspiel.
Raven schüttelte innerlich den Kopf.
Colonel Hammersmith und einer seiner Unteroffiziere betraten die CIC der Columbia.
Der Marine baute sich am Kartentisch gegenüber von Cunningham auf: „Also? Ich sollte mich hier melden.“
Cunningham blickte auf: „Ist das Ihr Sprengstoffexperte?“
Hammersmith nickte abgehackt: „Staff Sergeant O'Rourke, ein Landsmann von ihnen.“
„Wo kommen Sie her, O'Rourke?“
Der Staff Sergeant schien einen Augenblick überlegen zu müssen: „Kentucky, Sir.“
Zufällig wechselten Cunningham und Raven Blicke. Die beiden Piloten schienen das gleiche zu denken: Sprengstoffexperte?
Lone Wolf holte ein Bild der Fregatte auf den Kartentisch: „Wir wollen eine Reaktorexplosion auf der Columbia simulieren, dazu muss die Fregatte von innen gesprengt werden.“
Dies war Mithels Idee gewesen.
„Dafür brauche ich aber mehr als was Konventionelles,“, der Mann aus Kentucky schwieg einen Moment, „soll doch mächtig strahlen oder, Sir?“
„Natürlich, je mehr desto besser.“
„Dann brauche ich zwei Atomsprengköpfe aus Ihren Exocets. Die sollten wir mit unseren Null-G-Tragen rüber bekommen und auch anschließen können.“
„Sollen Sie haben, O'Rourke.“, Lone Wolf wandte sich an seinen TO, „Lassen Sie sich von Dodson ein paar seiner besten Raketentechniker geben und verschaffen sie mir zwei Atomsprengköpfe.“
„Aye, Sir.“
Cunningham tippte zweimal mit dem Lichtgriffel auf den Kartentisch: „Hammersmith ...“
„Colonel Hammersmith,“, erwiderte der Marine, „ich bin es gewohnt von rangniedrigeren Offizieren mit dem nötigen Respekt angesprochen zu werden.“
Raven seufzte.
„Colonel Hammersmith“, sagte Cunningham jedoch, „wenn Sie bitte ihren besten EVA-Experten nehmen würden ...“
„Alle meine Männer sind Experten was den Allspaziergang angeht, wir sind Entertruppen.“
„ ... und schaffen mir dann die Sprengköpfe auf die Fregatte.“
„Mit größten Vergnügen, Commander.“
Lucas spießte den Colonel der Marines mit einem tödlichen Blick auf, der den kleineren Mann jedoch nur noch mehr amüsierte. Am liebsten hätte er Schlüter den Auftrag erteilt, aber Hammersmith war der Experte für solche Missionen.
Er wandte sich an seine Ressortoffiziere: „Also folgendes: Sobald wir zweifelsfrei aus dem Radarschatten von Karrashin V raus sind, werden wir die Fregatte losmachen und sprengen. Anschließend drosseln wir die Geschwindigkeit auf fünfundneunzig Prozent und steuern direkt aufs Wurmloch zu.
Die Akarii sollten das als Einladung betrachten, uns den Rest zu geben.“
„Ist denn sicher, dass die Echsen nichts über unseren wirklichen Zustand wissen,“, Hammersmith klang jetzt geschäftsmäßig und nüchtern, „die werden sich doch wundern, wo Hongkong, Relentles und der Rest des schweren Gerät geblieben sind?“
„Da wir wissen, dass keiner der Akariikreuzer einen Funkspruch an die Flotten abgeben konnte, wissen die Akarii nicht, wie es um uns bestellt ist,“, warf Richard Nissler ein, „es wäre ja auch beinahe so gekommen, wie wir ihnen jetzt glauben machen wollen.“
Schweigen kehrte in die Runde ein. Mehr als einer dachte an die zurückliegende Schlacht.
Es war Cunningham, der das Schweigen brach: „Raven, Sie wissen, was für ... ihr Geschwader ansteht?“
Renard neben ihr sah alles andere als glücklich aus, sie hingegen nickte: „Ich werde meine Piloten gleich instruieren.“
„Gut, hat sonst noch jemand Fragen?“
„Ja“, antwortete Hammersmith, „wer zum Teufel hat Sie hier eigentlich zum CO gemacht?“
„Abtreten!“

„Das ist unser Todesurteil. Dieser Einsatzbefehl ist schlicht und ergreifend Mord, wieso haben Sie nichts gesagt?“ Renard klang irgendwie schrill in Ravens Ohren.
„Ich meine, es mag ja in diesem Geschwader so üblich sein, wie die Lämmer an der Schlachtbank anzutreten.“
Raven drehte sich zu dem anderen Commander um. Ihre Gedanken zu Cunninghams Plan lauteten natürlich ähnlich und früher hatte sie ihm solches schon ins Gesicht gesagt: „Halten Sie ihr Maul!“
„Wie bitte?“
„Sie haben mich schon verstanden. Es ist mir ehrlich gesagt scheißegal, wie Sie über Cunningham denken, wie sie über mich denken und was ihnen zum Namen Angry Angels einfällt, aber sie werden hier nicht in aller Öffentlichkeit rumplärren.“
Irgendwie hörte sie Cunninghams Worte aus sich raussprudeln: „Wir haben hier einen Job zu erledigen und dieser Job beinhaltet auch, dass wir sterben könnten. Und wenn Sie gleich unseren Piloten entgegentreten, will ich, dass sie ihnen das Gefühl geben, sie könnten es mit dem ganzen Universum aufnehmen.“
Renard stand mitten im Gang da wie mit einem Waschlappen geschlagen; „Und was halten Sie von dem Plan?“
Raven schnaufte: „Verdammte Scheiße. Aber die Angels haben schon größeren Mist durchgestanden.“
„Und er sitzt hier im Träger, weit ab vom Schuss.“
„Ja, heute, zum ersten Mal.“
„Sie meinen, er wäre lieber mit von der Partie?“, Jacques Renard blickte sie zweifelnd an.
„Bieten Sie ihm doch ihr Cockpit an.“
Damit drehte sie sich um und betrat den Briefingroom des Geschwaders.
„Achtung, CAG an Deck.“
„Nehmen Sie bitten Platz, Damen und Herren.“, Raven ging zum Pult vor dem großen Wandbildschirm und blickte auf die Piloten, die zum Großteil von den Angels stammten, aber nun auch welche von der Wasp beinhalteten.
Renard nahm in der ersten Reihe Platz. Er befehligte nach Liljas Ausfall erstmal die grüne Schwadron und fungierte als Ravens XO.
Sie spielte die taktische Situation der 2. Flotte ein. Es wurde ein Gebiet von fast hundert Lichtjahre im Quadrat sichtbar. Es zeigte die bekannten Positionen aller Flottenteile.
„Wie Sie sehen sind wir die hintere linke Flanke der zweiten Flotte,“, verwendete sie Cunninghams Worte, die Schepens Ohren geöffnet hatten, „wir sind der linke Flügel, hinter uns steht nichts mehr, wie einst Lawrence Chamberlain bei Gettysburg, Ernst Bühler bei Buenos Aires und wie Xao-Lang bei Keswille Ridge auf Proxima II sind wir das Ende der Formation.
Wenn die Akarii hier durchbrechen, könnten sie hinter der 2. Flotte in Stellung gehen und für die Hauptstreitmacht des Feindes den Amboss spielen. Uns vom Nachschub und vom Rückzug abschneiden. Um es kurz zu sagen, wir stehen mit herunter gelassener Hose vor dem Pinkelbecken und die bösen Jungs stürmen mit gezückten Kanonen den Lokus.“
Die Piloten vor ihr lachten auf.
„Unser Job sieht als folgendermaßen aus: Die Columbia soll die Akarii anlocken und zum Sprungpunkt führen. Dorthin haben sich die Hongkong und ein Großteil unseres schweren Gerätes schon zurückgezogen und im Strahlungsgürtel versteckt.
Wenn die Akarii der Columbia folgen, wird diese durch den Sprungpunkt flüchten und wenn die Echsen sich ebenfalls für den Sprung bereit machen, wird Schepens über sie herfallen.“
Sie pausierte kurz und spielte die Simulation am Wandschirm ab.
„Das kann der Admiral nicht alleine schaffen. Zu diesem Zweck wird eine Abteilung unserer Jäger und Jagdbomber sich zu Punkt H begeben.“
Auf dem Bildschirm leuchtete ein Punkt auf, der sich rechts hinter den Akarii befand, wenn die am Sprungpunkt ankommen würden.
„Dort werden wir von Tankshuttles der Hongkong erwartet. Zehn Minuten nachdem Admiral Schepens die Echsen angegriffen hat und diese versuchen sich zu reorganisieren, greifen wir an. Unser Ziel ist wie zuvor einer der beiden Träger. Nachdem wir den Echsen den Tag versaut haben, wird je nach Zustand des Feindes entweder die Columbia zurückgerufen um den Feind den Rest zu geben, oder wir landen auf der Hongkong und ziehen uns zurück. Auf jeden Fall darf der Feind nicht mehr in der Lage sein, unserer Hauptflotte in die Quere zu kommen.“
,Wir sollen mit achtundvierzig Jägern zusätzlich zu den achtundvierzig der Hongkong auf dem kleinen Kahn landen?’ Hatte Raven Cunningham gefragt.
Zur Antwort hatte der Commander sie nur angeblickt. Sein Gesicht hatte mehr gesagt als tausend Worte: Es würden keine achtundvierzig mehr übrig sein, wenn sie auf der Hongkong landen würden.
„Wir werden mit achtundvierzig Maschinen starten. Ich möchte so viele Jagdbomber wie möglich mitnehmen, wir werden die Feuerkraft brauchen. Die restlichen Maschinen sollten fifty-fifty Begleit- und Überlegenheitsjäger sein. Wir kämpfen aus einer schlechten Position und in Unterzahl. Einzig das Überraschungsmoment wird auf unserer Seite sein, und das in zweifacher Hinsicht. Aber dieser Kampf ist notwendig, wir müssen die Akarii hier stoppen,“, sie machte eine kurze Pause und würde nun Worte aussprechen, die Cunningham nie in den Mund genommen hatte, „dennoch, dieser Einsatz ist freiwillig.“
Ihr Blick fiel auf den leeren Platz, den ansonsten Lilja belegte. Sie war sich sicher, dass die Russin sonst als erste aufgesprungen wäre, während jetzt die Piloten unsicher Blicke wechselten.
Schließlich war es Trash, der als erstes aufstand und seinen RIO mit hochzog.
Dann erhob sich Kano und mit ihm fast simultan Noname und diesem folgte dann Ace.
Nach dem blauhaarigen Piloten erhob sich Irons: „Falls Sie nicht genug Jabo-Piloten zusammenbekommen.“
Nach diesen Worten erhob sich Razor. Nach und nach erhoben sich immer mehr Angels und auch die ersten Bushpilots standen auf.
Sie musste an ihr Gespräch mit Cunningham denken, als er ihr den Plan detailliert erklärt hatte.
„Dieser Plan ist echt Ihr Meisterstück, Lone Wolf,“, hatte sie giftig gefragt, „sind jetzt sämtliche Hemmungen von Ihnen ab gefallen, wo sie nicht mehr das Kommando über die Angels inne haben?“
Seine Antwort war ungewöhnlich sanft ausgefallen: „Sie kennen die taktische Situation genauso gut wie ich. Wir können die Akarii hier nicht Boden gewinnen lassen. Nicht hier, nicht heute.“
„Vom sicheren Platz eines Trägers aus lässt sich das leicht sagen, CAPTAIN.“, war ihre Entgegnung gewesen, den Rang hatte sie ihm wie eine Beleidigung an den Kopf geworfen.
Da war er wieder, dieser Blick, unbarmherzig wie ein Raubtier, voller Wut, ja nackter Aggression und Gewalt. Er war einen Schritt an sie herangetreten und sie hatte schon damit gerechnet, dass er sie schlagen würde. Sie wusste, dass sie diesmal zu weit gegangen war. Jedoch nicht wie weit zu weit: „James Waco war auch auf seinem sicheren Träger, als Sie da draußen waren, Raven. Sie wollen den Einsatz nicht? Dann bleiben Sie hier, lassen Sie Renard das Kommando führen oder noch besser, wir beide funken Schepens an, Sie jammern ihm was vor und machen wieder für mich Platz, dass ich meine Piloten ins Gefecht führen kann. Ich hatte damals recht, als die ... als Admiral Wulff mich absägte, oder? Wenn Sie nicht in der Lage sind, dann treten Sie von meinem angestammten Platz ab!“
Sie hatte wütend eingeatmet und gezischt: „Dies ist nicht Ihr Platz und nicht Ihr Geschwader. Es gehört mir. Ja, verdammt, ich habe Mist gebaut mit den beiden Trägern, ich hätte Mithels Kreuzer mitnehmen sollen, aber dies ist jetzt mein Geschwader!“
Er hatte lässig die Arme verschränkt: „So, finden Sie? Gut, wir würden dieses Gespräch nicht führen, wenn Sie Mithel und seine Kreuzer mit zu in die Schlacht genommen hätte, aber ob die Alternative so gut wäre?“
„Wie meinen Sie das?“
„Die zwanzig Akariikreuzer hätten unsere drei Träger weggeputzt und die leichten Kriegsschiffe einfach so aus dem All gefegt. Wir wären alle tot oder in Kriegsgefangenschaft.“
„Ja, schon möglich, aber die Flanke unserer Hauptflotte wäre nicht mehr in Gefahr.“
„Sie sehen, wir können alle Versäumnisse noch nachholen,“, war seine lapidare Antwort, „sowohl das Sterben als auch die Träger.“

Sie blickte über die stehenden Piloten. Die wenigen noch sitzenden Piloten versuchten sich so klein wie möglich zu machen: „Okay, alle Jagdbomber-Besatzungen sind gekauft, Sie können wegtreten. Irons, danke für das Angebot, aber Ihre Bomber passen im Zweifel nicht auf die Hongkong, die Bomberstaffel kann auch wegtreten.“
Dann kam sie vom Pult herunter und ging durch die Reihen der Piloten und suchte ihre Freiwilligen von Hand aus. Natürlich waren Ohka, Ace und Noname dabei. Huntress verabschiedete sie, die würde die leichten Jäger auf der Columbia kommandieren müssen, und entschied sich dafür Renard mitzunehmen. Die blonde Staffelführerin versuchte sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Aber auf weniger als einen Meter, Aug in Aug, konnte Raven diese unmöglich übersehen.
Sie wählte vornehmlich von den Angels, aber auch einige Bushpilots.
Cattaneo
Ironheart

An Bord der Columbia
Im Orbit über Karrashin V, Karrashin-System

Da stand er nun, inmitten der Schar von Freiwilligen, fast wie ein Vorbild für die jungen Piloten des Geschwaders, akzeptiert als ebenbürtig von den alten Hasen. Neben ihm standen Ohka, Ace, Renard und weitere andere Piloten und diskutierten über den bevorstehenden Einsatz.
Doch Donovan war in seinen eigenen Gedanken versunken

Warum hatte er das getan? Warum war er aufgestanden, als Raven nach Freiwilligen für dieses Himmelfahrtskommando gesucht hatte?
Er hätte sitzen bleiben können, zumindest hätte sich keiner darüber gewundert, wenn er es getan hätte. Die Mehrheit des Geschwaders sah in ihm immer noch einen Außenseiter, einen Freak oder zumindest einen Querulanten. Und auch jetzt hätte er schwören können, dass er mindestens ein Zweifeln und Stirnrunzeln über einige der Gesichter hatte huschen sehen. Aber dann rief er sich zur Räson.
`Hör auf dich in den Mittelpunkt zu stellen!` sagte er zu sich selbst. Er lernte diese Lektion erst allmählich und er begriff, dass es sich hier nicht im ihn drehte, nicht im geringsten. Die Zeiten in denen er im Mittelpunkt stand, waren längst vorbei – wenn er überhaupt je im Mittelpunkt gestanden haben sollte. Jetzt und hier hatten seine Kameraden andere Sorgen und Gedanken als sich zu Fragen, ob Donovan sich nun freiwillig meldete oder nicht.

Aber woher kam auf einmal dieser innere Drang? Woher kam dieses plötzliche Pflichtbewusstsein?
War es der langsame, stetige Erfolg, der ihn als aufstrebenden Piloten zeigte? Über Tukama hatte er sich 3 Abschüsse geholt, genau so wie während der verhängnisvollen Schlacht über Karrashin III, womit er sein Konto jetzt auf 21 Abschüsse gesteigert hatte. Noch war er weit entfernt von solchen Assen wie Lone Wolf, Lilja, Ohka, Huntress und Ace, aber er holte stetig auf. Vor den Schlachten um Tukama and Karrashin war er in den internen Simulatorturnieren mindestens unter die Top 20 gekommen, immer häufiger auch unter die Top 10. Aber war sein langer, stetiger Aufstieg als Pilot für seinen Sinneswandel verantwortlich?
Wohl kaum!

Oder war es seine Beförderung zum 1st Lieutenant gewesen, der diesen mentalen Wechsel begünstigt hatte? War er so einfach zu manipulieren gewesen? Er hatte ein paar Tage gebraucht, bis er kapiert hatte, wem er diese Beförderung zu verdanken hatte. Erst hatte er gedacht, dass Raven ihn quasi als erste Amtshandlung befördert hatte, aber dann hatte es ihn wie einen Blitzschlag getroffen: Warum sollte eine gerade erst frisch beförderte CAG ausgerechnet ihn als eine der ersten Maßnahmen befördern? Es sei denn Raven hätte sich gewünscht, dass er sich genauso wie Tigre – der ja die erste Beförderung unter Ravens neuem Regiment erhalten hatte – ebenfalls das Gehirn rausgepustet hätte.
Aber nein, Donovan wusste mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit, dass Lone Wolf für seine Beförderung verantwortlich gewesen war. Donovan hatte seinen ehemaligen Wingleader nicht darauf angesprochen, aber das brauchte er auch nicht. Lone Wolf hatte offensichtlich eine alte Schuld begleichen wollen, auch wenn er sich in den Augen von Noname niemals von dieser Schuld würde reinwaschen können.
Nein, die reine Tatsache, dass er zum 1st Lt. befördert worden war, war auch nicht der Grund. Genauso wenig wie seine Tätigkeit als Interims-Staffel-XO. Die hatte er schon über Tukama inne gehabt, als Skunk, Kali und Mantis verletzt ausgefallen waren. Und nach anfänglichem Ächzen hatte ihm die Tätigkeit sogar Spaß gemacht. Offensichtlich war er ein Masochist, denn die administrativen Aufgaben eines Staffel-XO – über die viele anderen Piloten maulten – hatte er ohne Murren erledigt und nach einer Weile sogar eine solche Routine aufgebaut, dass Skunk und Ace auch nach Skunks Rückkehr aus dem Lazarett ihn weiter für den Schreibkram missbraucht hatten. Mantis hatte zwar kurz darüber aufgemuckt, aber nachdem sie es selbst eine Woche lang probiert hatte, hatte Skunk sie förmlich mit einem Arschtritt wieder zurück ins Glied gejagt.

Skunk, Skunk, Skunk. Bei dem Gedanken an dieses elende Stinktier fiel Donovan auf, dass er sich ständig nach dem größten Arschloch der Columbia umdrehte, nur um zu merken, dass dieser nicht da war. Stattdessen führte der blauhaarige Ace die Rote Staffel an, was an sich nicht schlimm war, aber irgendwie hatte Noname bislang noch keinen richtigen Zugang zu ihm finden können. Und das obwohl auch Ace so was wie ein Freak war, jemand der innerhalb der Angry Angels extrem polarisierte.
Ohnehin schien Donovan das Talent zu haben, bei seinen Feind-/Freundschaften an die merkwürdigsten Leute zu geraten.
Seine Kendo-Gruppe um Ohka, Crusader und Shoto mal ausgenommen, hatte Noname von Anfang an eine Art Hassliebe zu den verrücktesten Typen des Geschwaders aufgebaut. In manchen Fällen war es deutlich mehr Hass als Liebe, wie bei Lone Wolf, Lilja und seinem verstorbenen, ehemaligen Stubenkotzbrocken Tyr Haugland.
In anderen Fällen hatte sich nach anfänglicher tiefer Abneigung doch irgendwie eine verquere Art von Freundschaft entwickelt.
Sein früherer Staffelkommandant Radio war so einer gewesen – und er war tot.
Sein früherer Wingleader/Sektionsleader/Staffelführer Skunk war so einer gewesen – er war jetzt vermisst, vermutlich auch tot.
Und sein Flügelmann Fish war so gewesen – ebenfalls vermisst, ebenfalls vermutlich tot oder in Gefangenschaft.

Auch wenn Donovan niemals den Fanatismus der Eisprinzessin Lilja entwickeln würde – soooo verrückt war er nun auch wieder nicht – dämmerte ihm nun allmählich, was ihn mittlerweile trieb.
Es war sein Wunsch nach Rache.
Die Erinnerung an die Bomberpilotin, in die er sich verliebt hatte während seiner ersten Zeit bei den Angry Angels und die nach einer Schlacht schwer verletzt in seinen Armen gestorben war, stieg in ihm hoch. Aber wie hieß die Pilotin noch mal…??? Er kam nicht mehr drauf. Und es traf ihn jetzt wie einen Schlag. Er war wie Lone Wolf geworden, er konnte sich auch nicht mehr an die Piloten erinnern, die vor ein paar Jahren draufgegangen waren. Lone Wolf hatte ihm prophezeit wie es werden würde, wenn man den ersten Untergebenen zurücklassen musste. Wie lange würde es also wohl dauern, bis er Fish vergessen würde?

Nein, jetzt wusste er es, er wusste es genau: Sein Motiv sich freiwillig zu diesem Himmelfahrtskommando zu melden, war nichts weiter als Rache gewesen. Wenn er Rache übte für den Verlust all der Kameraden – mochten sie auch noch so merkwürdig gewesen sein – dann würde er sie vielleicht nicht vergessen.
Oder er würde dabei sterben – und dann würde das Vergessen auch keine Rolle mehr spielen.

***

CIC der Columbia
Im Orbit um Karrashin V, Karrashin-System

Colonel Sean Hammersmith, Kommandeur des 217ten Sturmregiments, konnte es nicht fassen.
Die Fregatte „LADY CHING“ und der Zerstörer „VO NGUYEN GIAP“ waren mitten in einem Raumgefecht geentert worden und befanden sich nun höchstwahrscheinlich in der Hand des Feindes.

Die Akarii hatten genau das ausgeführt, was er seit seinem Eintreffen bei der Columbia-Kampfgruppe gepredigt hatte. Und die Akarii hatten mit nur 4 Großraumshuttles und entsprechend maximal einer Kompanie pro Shuttle zwei Schiffe gekapert. Und dabei war sogar eines der Akarii-Shuttle vorher vernichtet worden. Hammersmith ballte vor Wut die Fäuste, wenn er daran dachte, was seine Einheit mit seinen drei Bataillonen an Elite-Truppen hätte erreichen können, wenn man sie nur von der Kette gelassen hätte. Stattdessen hatten sie ihre Zeit als Wachmannschaft verplempert und hatten lediglich bei Evakuierungen, Schiffssicherungen und vereinzelt als Schadensbekämpfungsteams unterstützt. Alles deutlich unterhalb der Ehre und Fähigkeiten des 217ten.
Das war in etwa so gewesen, als hätte man die Columbia als Frachter missbraucht und die Jäger als Kurierflieger.
Sein Frust hatte so tief gesessen, dass er sogar um die Versetzung seiner Einheit gebeten hatte. Sie wären mit den akariischen Gefangenen Richtung Erde zurückgekehrt, um sich einer anderen Einheit anzuschließen, wo man ihre Fähigkeiten und Verdienste vielleicht mehr zu würdigen wusste.
Aber die Admiralität hatte seinen Antrag ohne Begründung abgelehnt.
Und somit war die 217te auf den Schiffen der Relentless, der Repulse und der Kami geblieben.
Doch jetzt war Admiral Wulff tot und Hammersmith weinte ihr keine Träne nach.
Allerdings wusste er nicht, ob das seine Karten und Chancen bei dem jetzigen Leiter der Kampfgruppe – Admiral Schepens – gesteigert hatte oder nicht. Schepens war nicht anwesend, was nicht unbedingt dafür sprach, dass der kommende Einsatz eine hohe Priorität in Augen des Admirals besaß.
Doch darum würde sich Hammersmith später kümmern müssen.
Es waren gerade einmal zwei Stunden seit ihrer ersten Besprechung in der CIC der Columbia vergangen, Sergeant O´Rourke und sein Team waren an der Arbeit, um die Exocet an Bord der beschädigten Fregatte zu schaffen und zu präparieren.

Somit konnten sie sich nun um die beiden gekaperten TSN-Schiffe kümmern. Hammersmith stand nun mit seinem Stellvertreter Major Hue Xha Bao in der CIC der Columbia, ihm gegenüber standen Lone Wolf, Raven, Long und Nissler, und die Commodore Mithel und Jenecek waren über Bildschirmverbindungen zugeschaltet. Hammersmith wandte sich an Commander Nissler, der eben seine Ausführungen über die Umstände der Kaperung und die aktuelle Situation geschildert hatte.
„Wissen wir, mit was für Einheiten wir es hier zu tun haben?“
Der Nachrichtendienstoffizier der Columbia schüttelte den Kopf, wenn auch recht langsam. Sein Kopf war dick bandagiert, die Platzwunden getackert und die Gehirnerschütterung, die er sich zugezogen hatte, musste höllische Kopfschmerzen verursachen. Doch Nissler hatte sich geweigert auf der Krankenstation zu bleiben. „Nein. Vermutlich kaiserliche Marines. Keines der beiden Schiffe antwortet auf unsere Rufe, obwohl wir davon ausgehen können, dass sie antworten könnten, aber nicht antworten wollen. Jedenfalls wissen wir dadurch nichts Genaueres. Wir wissen nur, dass sie äußerst professionell vorgegangen sind – in mehrfacher Hinsicht. Sie haben das Chaos der Schlacht genutzt, sich an die beiden Schiffe angeschlichen und dann eiskalt zugeschlagen. Es hat keine 20 Minuten gedauert, da haben wir den Kontakt zur LADY CHING verloren. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die LADY CHING gerade mal ein Platoon gegen zwei volle Kompanien zu setzen gehabt hat.“
„Was ist mit der GIAP?“
„Die GIAP hat ein bisschen länger ausgehalten, hier standen zwei Platoons gegen eine Kompanie und der Rest der Besatzung wird sich sicher am auch Widerstand beteiligt haben, aber…“
Hammersmith nickte, wusste er doch nur selber zu gut, was schwer bewaffnete und gepanzerte Marines mit leicht bewaffneten und gepanzerten Matrosen anstellen konnten. Der Anblick war wahrlich nicht schön.
„Trotzdem, ein Zerstörer der Norfolkklasse trägt mehr als 600 Mann, davon knapp 60 Marines. Damit müsste man schon maximal 120 Akariische Marines aufhalten können, oder?“ Commander Long schüttelte bei seiner Aussage den Kopf.
„Nun, 120 Mann, die ihr Handwerk verstehen, können verheerend sein für jedes Schiff. Schlachten werden nicht durch reine Übermacht gewonnen, sondern durch die besseren Soldaten, die bessere Taktik, die bessere Ausrüstung… Im Übrigen ist das genau das Szenario, welches ich schon seit geraumer Zeit predige, aber im eigenen Lande zählt der Prophet ja bekanntlich nichts.“
Offen sichtbar rollte Cunningham mit den Augen und wandte sich an Nissler. „Wie ist der Zustand der Schiffe?“
„Beide Schiffe haben beschädigte Schilde, die aber inzwischen wieder hochgefahren worden sind. Das lässt darauf schließen, dass die Akarii bei beiden Schiffen mindestens die Primarbrücken in ihren Händen halten. Die LADY CHING ist zumindest manövrierfähig, sie hat sich jedenfalls bereits mehrfach bewegt, um in der Nähe des gekaperten Zerstörers zu bleiben. Aber die VO NGUYEN GIAP scheint antriebslos zu sein, das heißt entweder ist sie beschädigt oder der Maschinenraum ist noch in der Hand unserer Männer – was sogar wahrscheinlich sein sollte, wenn die Akarii nur mit 120 Mann oder weniger gelandet sein sollten. Aber wenn sie die Maschinen nicht bald wieder in Gang kriegt, wird sie in knapp vier Stunden in die Atmosphäre von Karrashin V fallen.“
„Das wäre unschön.“ kommentierte Commodore Mithel aus seinem Bildschirm trocken.
„In der Tat, vor allem für die Besatzung an Bord, falls Sie nicht rechtzeitig rauskommen sollte.“
Commander Long stellte die nächste Frage. „Wie sieht es mit der Offensiv- und Defensivbewaffnung der Schiffe aus?“
Nissler zuckte mit den Schultern. „Sie haben bislang noch nicht gefeuert, aber bereits mehrfach passierende Schiffe und Jäger angepeilt.“
„Wie können die Akarii…?“
Nissler ließt Long nicht ausreden. „Wir vermuten, dass sie die Brückenbesatzung als Geiseln genommen haben um die notwendigsten Befehl umzusetzen. Bei einer Raumschlacht gegen unsere Schiffe hätten Sie nicht die geringste Chance, da unsere Leute an Bord der gekaperten Schiffe sicher nicht alle Befehle ausführen würden.“
„Nun, diese Option fällt aus.“ Mithels energischer Tonfall sagte klar, dass unter seiner Wache keine TSN-Schiffe auf andere TSN-Schiffe feuern würden, vor allem wenn noch Angehörige der Marine lebend und an Bord sein dürften.
„Also müssen wir die Schiffe stürmen. Das 217te hat drei Bataillone, das heißt sie sind dem Gegner drei zu eins überlegen. Also müsste es ja wohl das einfachste sein, Sie bemannen ihre Shuttles und nehmen die Schiffe ein?“ fragte Raven und schaffte es dabei doch tatsächlich ein klein wenig naiv zu klingen.
Hammersmith schüttelte den Kopf „Commander, die Schilde sind aktiv, der Feind könnte uns vermutlich mit seiner Defensivbewaffnung pflücken wie reife Kirschen ohne dass auch nur einer meiner Leute einen Fuß aufs Außendeck setzen würde…“

Commander Cunningham, der selbsternannte Captain der Columbia, meldete sich nun räuspernd zu Wort: „Wenn das 217te sich diesen Angriff nicht zutraut, müssen wir die Schiffe wohl zurücklassen.“ Einen Augenblick herrschte Totenstille in der CIC, da Cunningham mal wieder das ausgesprochen hatte, was andere zwar dachten, aber dann doch nie aussprechen würden.
„Warum nicht doch gleich in die Luft jagen, Commander?“ fragte Hammersmith mit einem sarkastischen Tonfall und bewusst den Umstand ignorierend, dass Cunningham als Captain oder zumindest als Skipper hätte angesprochen werden sollen. „Das 217te ist im Übrigen sehr wohl in der Lage…“
„Ach wirklich? Wie genau wollen Ihre Wärtereinheiten das denn bewerkstelligen.“ Hammersmith holte tief Luft, offenbar im Begriff auf diese gezielte Beleidigung Cunninghams mit Lautstärke zu reagieren, doch er kam nicht dazu, denn Commodore Mithel unterbrach die beiden Streithähne, indem er sich an den kleinen asiatischen Major wandte, der dem Treiben bislang schweigend zugehört hatte. „Major Hue, was ist Ihre Meinung? Ist die 217te in der Lage den Angriff auf beide Schiffe gleichzeitig zu erfüllen, die Schiffe zurück zu erobern und das alles in weniger als vier Stunden?“
Alle Augenpaare – auch die wütend funkelnden von Hammersmith und Cunningham – drehten sich nun zu Major Hue um.
Wenn dieser von der direkten Ansprache Mithels überrascht worden sein sollte, so ließ er sich zumindest nichts anmerken. Er war der randniedrigste in der Runde und innerlich musste Hammersmith dem Commodore Respekt zollen für diesen Schachzug. Major Hue war ein hochdekorierter Experte, der sich seinen Ruf über Pasumata, Beta Borealis und Velorha erarbeitet hatte. Cunningham konnte Hammersmiths Kompetenz anzweifeln, doch Hues Expertenmeinung hatte zweifellos Gewicht.
Dieser blickte ein paar Augenblicke auf den Holo-Kartentisch, der die beiden Kriegsschiffe in stark verkleinerter Form zeigte. Ohne ein Wort zu zeigen, drehte er die Schiffe um ihre Achse, schien einen bestimmten Punkt zu fixieren und begann dann leise und bedächtig zu antworten.
„Commodore Mithel, ich bin mir sicher, dass Ihnen Colonel Hammersmith folgenden Plan präsentieren wird: Eine Sektion Rafale mit EMC-Störsendern sollte für genügend Sensor-Verwirrung sorgen um die Zielerfassung der beiden Schiffe zu beeinträchtigen.“ Raven nickte nur kurz um dem Major seine Vermutung zu bestätigen. „Selbst wenn die beiden Schiffe in der Lage sein sollten zu schießen, würden sie es dadurch schwer haben. Die Sturmfähren des 217ten sind, wie Sie ja wissen, keine Großraumshuttles wie sie die Akarii benutzen, sondern kleinere, schnellere und spezielle Versionen, die aber dafür auch jeweils nur ein Platoon tragen und schwächer gepanzert sind. Diese Schnelligkeit und Wendigkeit sollten wir nutzen.“
„Und wie stellen Sie sich das vor?“ Mithels Stimme klang interessiert.
Es war das erste Mal, dass Major Hue ein Grinsen zeigte. „Lassen Sie mich es Ihnen einfach zeigen.“ Und damit demonstrierte Hue Xha Bao mit seinen Händen flink einen Schlachtplan, den er gerade selbst entwickelte.
Hammersmith war auf der einen Seite stolz auf seinen Untergebenen, doch auf der anderen Seite wurmte es ihn, dass der Commodore Hammersmiths Stellvertreter den Plan erläutern ließ und es damit offensichtlich wurde, wer das eigentliche Gehirn der 217ten war. Hammersmiths Ehrgeiz führte dazu, dass er mit grimmigem Blick lauschte und sich darauf einstellte, etwaige Einwände seitens Cunningham oder Mithels beiseite zu wischen.
Doch es kamen keine, womit Mithel die Runde mit den Worten „Doch, doch, das klingt machbar. Machen wir uns an die Arbeit, wir haben nur noch vier Stunden…“ beendete.
Auch wenn sein Stellvertreter im Augenblick die Vorschußlorbeeren für einen Plan erhielt, nahm sich Hammersmith vor, daran zu arbeiten, dass er als eigentlicher Urheber des Planes dastehen würde.
Doch erst nach dem Angriff.
Denn wenn dieser ein Reinfall werden würde, dann würde Hammersmith auch genauso klar dafür sorgen, dass dieser Plan nicht von ihm sondern von Major Hue kam.
So oder so, Colonel Hammersmith verließ die CIC der Columbia in der festen Erkenntnis, dass er hierbei nicht verlieren konnte. Sie würden die beiden Schiffe befreien und damit das 217te endlich auch in dieser Kampfgruppe die Anerkennung erhalten, die ihnen so lange verwehrt worden war.
Und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er seinen Generalsstern erhalten würde.

***

Donovan betätigte den Türsummer und trat in Skunk ehemaliges Quartier ein, als er ein leises `Herein` hörte. Hier hatte Ace das provisorische Staffelbüro der Roten weitergeführt, auch wenn er nicht hier schlief. Solange Clifford Davis nicht offizieller Staffelführer und vor allem Lt. Cmdr. war, hatte er kein Anrecht auf das Zimmer. Zwar hätte keiner etwas gesagt, wenn Ace dort auch übernachtet hätte, aber seine Entscheidung hatte auch pragmatische Gründe. Auf diese Weise konnten er und Noname sich die Führung der Staffel teilen, wobei Noname im Augenblick sogar eher mehr Zeit hier verbrachte als Ace.
„Was machst du denn hier?“ fragte Ace und blickte auf die Wanduhr im Zimmer. „Wir haben 16 Stunden Regenerationszeit, nutze sie.“
„Und du, Ace?“ fragte Donovan mit einem Grinsen. „Sieht nicht so aus, als könntest du schlafen.“
„Nein, mein schlechtes Gewissen hat mich hierher verschlagen.“
„Schlechtes Gewissen?“
„Donovan, du hast in der letzten Zeit den meisten Papierkram erledigt, also wollte ich nach unserer letzten Schlacht auch ein wenig…“
Noname grinste. „Nicht nötig, Ace!“
„Doch, ich finde schon, dass…“
„Nein, du verstehst nicht, Chef.“ Noname musste bei dem `Chef` grinsen, war er doch ein gutes Stück älter als der blauhaarige Kampfpilot. „Die Formulare sind bereits ausgefüllt.“
Ace blinzelte etwas ungläubig. „Wie, echt? Wie hast du das so schnell…?“
Donovan lächelte milde und zuckte mit den Achseln. „Tja, wie es scheint hat jeder Mensch ein Talent, nicht wahr? Und mir scheint wohl dieser Kram im Blut zu liegen.“
„Na, zum Glück gehört auch das Fliegen zu deinen Talenten, oder? Aber du verfügst nicht zufällig auch über das Talent einen leckeren Whisky aus dem Ärmel zu zaubern, oder?
„Wieso?“
„Nun, einer meiner früheren Wingleader…“
„Darkness?“ riet Donovan.
„Ja, genau, Darkness. Jedenfalls Darkness und ich pflegten ab und zu einen kleinen Whisky zu uns zu nehmen, nach getaner Arbeit versteht sich.“
Donovan Grinsen wurde noch etwas breiter. Er trat an Skunks Schreibtisch, öffnete die unterste Schublade und holte einen unscheinbaren Heftordner heraus. Als er ihn aufklappte kam eine halbvolle Flasche Antigua Single Malt und zwei Kristallgläser zum Vorschein, die an Stelle von anderem Inhalt in eigens dafür angefertigten Halterungen im Ordner eingehängt waren.
„Wow, ist das etwa Skunks Geheimvorrat?“
„Nein,“ Donovan schüttelte den Kopf „das ist nicht Skunks Flasche, sondern meine – oder besser gesagt eine der letzten Flaschen aus Radios Erbe.“ Noname goss ihnen beiden ein und hob dann sein Glas.
„Auf den alten Hurensohn Skunk.“ Donovan hob sein Glas.
„Na wenn’s so ist… auf Skunk“ Ace trank und genoss den wärmenden rauen Geschmack des Whiskeys. „Glaubst Du, er hat`s überlebt?“
Donovan zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, die Gefechtsaufzeichnungen zeigen, dass es ihn in die Atmosphäre von Karrashin III verschlagen hat, kurz nachdem er von Cosmos getrennt worden war. Er ist von dort nicht wieder aufgetaucht.“
„Tja, ich frage mich, ob wir ihn je wieder sehen werden?“
„Manchmal kommen sie wieder! Ich würde sagen, gerade wir beide sollten das doch wissen, oder?“
Ace lachte laut auf. „Tja, da hast du wohl Recht. Du als Pirat und ich als Zombie.“
Beide Piloten lachten einen Augenblick herzhaft und genossen den Whisky. Ein seltener Augenblick der Ruhe und Gelassenheit schien im Raum zu schweben. Dann richtete sich Ace auf. „Gut. Also wie sieht’s aus mit unserer Staffel?“
„Nicht gut, aber es könnte deutlich schlimmer sein. Skunk und Fish sind vermisst, Unicorn ist tot, er hat’s nicht mehr rausgeschafft. Das heißt wir haben drei von zwölf verloren.“
„Das geht grad noch, wenn man bedenkt durch welche Hölle wir geflogen sind. Wie schlägt sich denn die Neue in deiner Sektion, diese Petal? Sie kam von Siam, oder?“
„Ja, Nguyen “Petal” Thi. Hat ihre Ausbildung auf Mars als eine der Besten abgeschlossen. Hätte überall hingehen können, wollte aber unbedingt zu den Angry Angels.“
„Ein Groupie, he?“
Die Angry Angels hatten sich mittlerweile einen enorm hochgejazzten Ruf in den Streitkräften erarbeitet, so dass es schon einige Piloten gab, die explizit wünschten zu den Angels gehören zu dürfen. Die alten Hasen – bzw. diejenigen wenigen, die davon noch übrig waren – konnten das nur teilweise verstehen. Denn letztlich war der Blutzoll immens gewesen. Es war erschütternd, dass selbst Donovan, der dieser Staffel vielleicht seit der Hälfte des Krieges angehörte, mittlerweile zu den alten Hasen gezählt wurde.
Donovan schüttelte den Kopf „Ich weiß nicht recht, sie ist eher ein kommender Popstar. Die Kleine war am Anfang etwas nervös, hat aber definitiv was auf dem Kasten, fliegt sehr gut und hat sich als Rookie gleich einen eigenen Abschuss vor Karrashin III geholt. Sie ist zwar wie gesagt anfänglich etwas ruhig gewesen, aber sie ist smart, intelligent, hilfsbereit, gutaussehend, freundlich…“
„Hör auf, mir wird schlecht… – gib's zu, du hasst sie doch auch schon, oder?“
„Abgrundtief…“ Donovan und Ace lachten wieder beide laut auf und Donovan goss ihnen noch einmal nach. „Wir können froh sein, dass auch solche Piloten nachkommen, oder?“
Ace nickte. „Ja, leider haben nicht alle soviel Potenzial. Tulip hat sich bislang noch nicht geöffnet, fliegt eher mäßig und hat immer noch viel zu lernen.“
„Ja, seine Leistungen sind eher mittelmäßig, sowohl auf der Akademie als auch jetzt. Wie kommst du mit ihm zurecht als neuem Flügelmann?“
Tulip hieß mit richtigem Namen Rouven van der Rozen und stammte von den Westindischen Inseln auf Terra.
Ace seufzte. „Naja, es geht. Ich denke, er hatte schon ganz schön die Hosen voll vor Karrashin III. Aber er hat es irgendwie überlebt und mir den Rücken freigehalten. Ich hätte zwar lieber deine Petal bekommen, aber das konnte ich deiner eh schon schwach besetzen Sektion ja nun wirklich nicht zumuten, oder?“
„Oh. Danke! Zuuuu güüütig, Sire!“
„Jaja, schon gut. Nun stoppe Er das huldigen…“
Wieder grinsten die beiden, doch wurden sie schnell wieder ernst. „Wenn wir beide jetzt also diesen freiwilligen Einsatz fliegen…“ Donovan runzelte seine Stirn und sein vorläufiger Staffelführer führte den Gedankengang, der in der Luft stand weiter, zu Ende. „Das heißt wir überlassen den Rest der Staffel an Mantis! Schafft Sie das?“
Donovan zuckte mit seinen Schultern. Die innige Abneigung der beiden war allen bekannt, doch Donovan bemühte sich eine neutrale Stimme beizubehalten. „Haben wir eine andere Wahl? Skunk ist nicht mehr da, Too-Tall ist noch lange nicht soweit und wir beiden Verrückten mussten uns ja freiwillig melden.“
Ace und Noname hatten sich zwar nicht als einzige Ihrer Staffel zu diesem Einsatz gemeldet, aber Raven hatte nur diese beiden Piloten ausgewählt, weil sie für diesen Einsatz die besten Piloten der Angry Angels und Bushpilots auswählen wollte. Und das waren bei den Roten nach dem Ausfall von Kali und Skunk nun mal Ace und Noname. Mantis, Artist und Too-Tall hätten sich zwar durchaus mit ein paar der gewählten Piloten messen können. Aber da Cosmos sich schon seit einiger Zeit am Rande eines Nervenzusammenbruchs bewegte, Leth noch viel zu unerfahren und Petal und Tulip noch halbe Kinder waren, hatte Raven beschlossen, es bei Ace und Noname zu belassen. Bei anderen Staffeln, wie zum Beispiel der Schwarzen und Grünen der Angels, war sie nicht ganz so zimperlich gewesen. Aber das lag sicher auch daran, dass diese Staffeln immer noch über eine gute Basis von Piloten verfügten, während die Roten in den letzten Schlachten hatten überdurchschnittlich bluten müssen und sich in ihrem jetzigen Zustand daher nicht mehr auf Augenhöhe mit den anderen Staffeln befanden.
Und dennoch, Ace und Noname trauten nicht mal jetzt ihrer Nummer drei – Mantis – zu, diese Staffel in ihrer Abwesenheit zu führen.
Doch schließlich zuckte der blauhaarige Interims-Staffelführer der Roten ebenfalls mit den Schultern. „Wir haben wohl keine andere Wahl, oder?“
„Ja“ gab Donovan trocken zurück. „Und dass heißt dann wohl, dass ich also dein Flügelmann bin?“
Ace nickte. „Ich könnte mir keinen Besseren wünschen.“
Donovan wusste nicht so Recht, ob er Ace glauben sollte. Bislang hatten sie noch kein so enges Arbeitsverhältnis zu einander gehabt, von Kontakten außerhalb der Arbeit ganz zu schweigen. Ace hatte sich nach seiner Rückkehr ihm gegenüber zwar stets neutral verhalten, und da er Donovans erste Zeit auf der Columbia nicht miterlebt hatte, war er vielleicht tatsächlich vorurteilsfrei.
Statt darauf zu antworten, goss Donovan Ihnen noch einmal ein.

„Danke Donovan, und danke auch noch mal, dass Du dich dem Rest unserer Staffel angenommen hast! Ich werde jetzt wieder Gas geben, jetzt nach Skunks Ausfall erst recht, aber auch davor hatte ich vor mich wieder stärker einzubringen. Ich war nur in letzter Zeit nicht ganz… na ja … bei der Sache.“
„Ich weiß!“ gab Noname ungerührt zurück.
„Wie, du weißt…? Du weißt was?“
Donovan musste Grinsen. „Komm schon, Ace! Es ist ja nun wirklich kein Geheimnis, was Du für sie empfunden hast.“
Ace schaute ein wenig verdattert aus der Wäsche. „Für wen empfunden? Huntress ist doch noch da…?“
„Von Huntress rede ich auch gar nicht!“
„Sondern?“
Donovan legte den Kopf schief und sagte erstmal gar nichts mehr.
Der blauhaarige Pilot schaute seinen älteren Staffel-XO erst etwas verwirrt an und dann dämmerte es ihm erst, worauf dieser anspielte. „Nein.“ Ace schüttelte den Kopf. „Nein, Nein, da ist nichts mehr… Sie war… nein, ich meine sie ist… glücklich mit Ohka…“
„Und deswegen hast Du sie fast täglich besucht, während sich Ohka nur deutlich seltener bei ihr hat blicken lassen?“
„Er war halt stark beschäftigt mit seiner Staffel. Das hat aber gar nichts zu bedeuten…“
„Und deswegen, hast DU ihr die Nachricht von ihrer Repatriierung überbracht und nicht Skunk – dessen Job es eigentlich gewesen wäre? Und nicht Ohka – dessen Pflicht es durchaus gewesen wäre?“
„Nein, nein, so kannst du das nicht drehen. Skunk wollte nicht, also musste ja wohl ich…“
Donovan hob die Augenbrauen und runzelte die Stirn. „Du musstest? Wieso? Du hast alle möglichen Leute gefragt, sogar mich. Aber auf die Idee Ohka zu fragen, bist du nicht mehr gekommen? Warum, Ace?“
„Ohka… Er hätte es ihr nicht sagen müssen! Wir sind Freunde und da habe ich ihn in Schutz genommen.“ Donovan runzelte die Stirn, offenbar nicht überzeugt. „Und außerdem, ich dachte Ohka ist auch dein Freund?“ Jetzt ging Ace in die Gegenoffensive.
Donovan lehnte sich zurück. „Ja, ich mag Ohka. Aber das ändert nichts daran, dass er sich Kali gegenüber falsch verhalten hat.
„Und warum hast DU ihm das nicht gesagt.“
Jetzt war es an Donovan verlegen zu gucken, dann nickte er. „Ja, Du hast Recht, ich hätte ihm was sagen sollen. Oder zumindest ihn darauf hinweisen sollen, dass ich sein Verhalten merkwürdig fand. Aber ICH kenne weder Ohka noch Kali so gut und so lange wie…“
„Wie ich…?“ Aus Ace Stimme war die Lockerheit – die noch vor ein paar Minuten da gewesen war – komplett gewichen.
Ein paar Augenblicke starrte Ace stur gerade aus und Donovan konnte seine Gedanken in keinster Weise deuten. Dann stand der blauhaarige Pilot auf und murmelte nur noch ein: „Ich muss jetzt ins Bett, wir sehen uns später auf dem Flugdeck.“

Und damit war er fort und Donovan blieb alleine zurück. `Na Klasse` dachte er bei sich `da hast Du die Gelegenheit neue Freundschaften zu knüpfen und musst es mal wieder versauen…` Was mischte er sich auch in dieses Thema ein! Was ging es ihn an, ob Ace immer noch in Kali verliebt war oder nicht? Am Ende brachte es allen Seiten nur Schmerz, Ace, Kali, Ohka und Huntress mussten diese Sache schon selbst klären.
Er nahm sich vor in Zukunft seine Klappe zu diesem Thema zu halten und machte sich wieder an die Arbeit.

***

Primarbrücke Zerstörer VO NGUYEN GIAP
Im Orbit um Karrashin V, Karrashin System

2nd Lieutenant Xavi Flores versuchte sich seine Angst nicht anmerken zu lassen und nicht über seine Schulter blickend auf den Kapitänssessel der GIAP zu schauen. Dort wo normalerweise Kapitänin Nieminnin saß, hatte ein Akarii in voller Rüstung Platz genommen. Flores hatte in seinem Leben bislang noch keinen Akarii leibhaftig zu Gesicht bekommen, und er hätte nicht gedacht, dass diese Echsen so furchterregend aussehen würden.
Er wusste nicht, was mit seiner Kapitänin war, er hatte nur gesehen, wie sie verletzt davon geschleppt worden war, so wie auch der Großteil der Brückenbesatzung jetzt mittlerweile tot oder verletzt war. Die Akarii hatten ihr Schiff gestürmt und die Besatzung der VO NGUYEN GIAP hatte Ihnen so gut es ging Widerstand geleistet. Sie hatten zwar versucht ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, aber diese Biester hatten ihre Verteidigung ganz schön auseinander genommen, auch wenn die TSN-Angehörigen eigentlich in der Überzahl gewesen waren. Die Primärbrücke war gefallen, ebenso wie die Sekundärbrücke. Nur Chief Panagagupta hatte den Maschinenraum der GIAP hermetisch abgeriegelt und hielt mit ein paar Marines offenbar weiterhin die Stellung, denn die GIAP war weiterhin manövrierunfähig.
Dies war ein schwacher Trost für Flores, aber immerhin ein Trost. Ein stechender Schmerz zuckte durch seine Seite, denn er war verletzt, da ein Akarii ihn wie eine lästige Fliege gegen eine der Armaturen geschmettert hatte, als sie das Brückenschott gesprengt und die Brücke gestürmt hatten. Wahrscheinlich hatte er sich eine Rippe angeknackst, aber zumindest war er noch am Leben, auch wenn er unter Schmerzen an den Sensorkontrollen des Schiffes saß.

Verstohlen blickte Flores über seine Schulter und betrachtete den Menschen, der neben dem Akariischen Kommandeur stand. Der kleinwüchsige Mann diente offenbar als Übersetzer des Akarii und hatte eine schmucklose khakifarbene Uniform, aber ohne irgendwelche Insignien oder Rangabzeichen an.
Die eingefallenen Augenringe und das verhärmte Gesicht sprachen nicht gerade dafür, dass der Mann seinen Aufenthalt an Bord der GIAP genoss, aber Flores wunderte sich natürlich trotzdem über seine Anwesenheit. Als sich ihre Blicke trafen, zuckte Flores ruckartig zusammen und blickte wieder auf seine Anzeigen.
In diesem Augenblick betrat ein akariischer Soldat die Kommandobrücke und zischte seinem Kommandeur etwas zu, worauf eine hitzige Debatte zu entbrennen schien. Flores hoffte, dass es schlechte Kunde aus dem Maschinenraum war und drückte dem Chief und den Marines weiterhin die Daumen. Der Verhärmte nutzte diese Gelegenheit und trat an die Seite des Sensoroffiziers der VO NGUYEN GIAP.

„Irgendwelche Anzeichen von Aktivität unserer Flotte?“
Flores blickte düster. „Warum sollte ich das einem Verräter wie dir sagen?“
Der Verhärmte blickte einen kurzen Augenblick verletzt, fing sich aber schnell wieder. „Ich kann verstehen, dass Du verwirrt bist. 1st Lt. Milton Grabber – ehemals TRS SIERRA LEONE.“ Er stellte sich leise vor, fast schon flüsternd, um nicht die Aufmerksamkeit des Akarii-Kommandeurs zu wecken, der immer noch beschäftigt war.
Flores kräuselte die Stirn „SIERRA LEONE? Ist das nicht einer der Kreuzer gewesen, die während des Angriffs auf Manticore vernichtet wurden?“ Auf der Akademie, die Flores zwei Jahre nach dem Manticore-Debakel beendet hatte, hatten sie jedes verfügbare Detail dieser verlorenen Schlacht x-Mal durchgekaut, so dass jeder Kadett die beteiligten und zerstörten Schiffe einzeln runterbeten konnte
Grabber nickte kurz. „Ja, ich wurde mit ein paar Kameraden in einer Rettungskapsel aufgegriffen. Dann kam das Internierungslager auf Trafalgar, und dann wurde ich ausgewählt, wie ein paar hundert andere auch, und wir wurden in das Innere des Akarii-Reiches verschleppt. Wir wurden gefoltert und sie haben versucht uns zu brechen.“ Grabbers Blick enthielt Grauen und Flores musste schlucken bei dem Gedanken, was dieser Mann in den letzten Jahren wohl hatte erleben müssen. „Einige haben es nicht überlebt, aber diejenigen die es geschafft haben – so wie ich – sind zu Übersetzern ausgebildet worden.“ Grabber schien das Bedürfnis zu haben sich zu rechtfertigen. „Diejenigen, die sich geweigert haben, haben diese Bestien…“ Er schüttelte den Kopf und sprach nicht weiter. Und Flores wollte es im Grunde auch nicht hören. „Ich will nur wieder frei sein. Und jetzt bin ich so nah an unsere Flotte und doch so weit weg…!!?“
Flores blickte auf die Sensoren, dann entschloss er Grabber zu glauben. „Nein, leider derzeit keine Aktivität. Die Flotte scheint sich nach der Schlacht zu sammeln und die Rettungskapseln einzusammeln. Aber keines der Schiffe nähert sich uns derzeit…“
„Scheiße…“
Die Art und Weise wie Grabber das sagte, beunruhigte Flores. Vor allem, da er sich nicht ausmalen wollte, was mit ihm selbst geschehen konnte, sollte die Flotte entscheiden, sie hier zurückzulassen.
In diesem Augenblick erkannte Flores, dass die Schweren Kreuzer der Kreuzerdivision 2.3 scheinbar auf langsamen Passierflug gingen. Zumindest konnte er das anhand ihres Anflugvektors vermuten, kurz bevor die Sensorsysteme auszufallen schienen. Der akariische Offizier schien die fiependen Geräusche der Sensoranzeige zu kennen und noch bevor sich Flores darüber wundern konnte, stand er schon hinter Ihnen. Er zischte ein paar Brocken zu Grabber, der ihm in dieser merkwürdig klingenden Sprache antwortete. Der Akarii schien darüber überhaupt nicht erbaut zu sein und brüllte ein paar Befehle.
„Schiff klar machen zum Gefecht. Peilt die Kreuzer an.“ Flores überlegte fieberhaft, ob er irgendetwas tun konnte. Aber von seiner Position an den Sensoren konnte er gar nichts machen.
Der akariische Kommandeur stand immer noch bedrohlich hinter ihm und betrachtete die vorbeifliegenden Kreuzer. Jetzt konnte man auch ein paar kleine Objekte vorbei zischen sehen, Flores identifizierte sie schnell als Jäger der Columbia, ungefähr in der Stärke einer gemischten Staffel. Den Schwierigkeiten seiner Sensoren entsprechend musste es sich um ein paar Raffales mit ECM-Störsendern handeln. Aber warum setzten sie Rafales ein? Die Kreuzer waren für die Sensoren der GIAP immer noch erkennbar, wenn auch mittlerweile nur noch grob. Es sei denn, sie wollten etwas Kleineres schützen…? Dann schoss ihm die Antwort durch seinen Kopf und noch bevor er es realisieren konnte, hatte er schon „Entermanöver“ gehaucht. Noch während Flores es ausgesprochen hatte, merkte er, welchen Fehler er gemacht hatte und blickte hinüber zu Grabber. Dieser schaute ihn nur ausdruckslos an, dann zuckte kurz ein diabolisches Grinsen um seinen Mund und er drehte sich zu dem Akarii-Offizier um und sagte etwas in deren Sprache und der Akarii-Kommandeur antwortete.

Wut stieg in Flores auf, wie hatte er nur so dumm sein können. Dieser Grabber war also doch ein Verräter, ein Überläufer und hatte die Akarii gewarnt. Flores wollte schon aufspringen und seinen Fehler damit wieder gutmachen indem er Grabber den Hals umdrehte und vielleicht damit auch noch ein paar Sekunden Zeit schinden konnte, auch wenn das wahrscheinlich seinen Tod bedeuten mochte. Doch bevor er noch etwas tun konnte, wandte sich Grabber an den Signalgasten, einen einfachen Matrosen, dessen Namen Flores noch nicht einmal kannte.
„Verbindung zum vordersten Kreuzer – Kennung RELENTLESS – aufbauen.“
Der Matrose tippte ein paar Tasten und das Gesicht des kommandierenden Offiziers des Kreuzers erschien auf dem Hauptbildschirm. „Terranische Kreuzer, im Namen von Oberst Tuk Matak, Kommandeur der Kaiserlichen 672ten Akarii Space Marines Regiments: Stellen Sie augenblicklich die Annäherung an die VO NGUYEN GIAP und die LADY CHING ein oder er lässt das Feuer eröffnen.“
„Hier spricht Commodore Mithel, Kommandant der RELENTLESS. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das – selbst wenn Sie dazu in der Lage wären – ein sinnloses Unterfangen wäre. Ich fordere die VO NGUYEN GIAP und die LADY CHING auf, augenblicklich ihre Schilde zu senken und zu kapitulieren oder WIR eröffnen das Feuer.“ Grabber übersetzte die Worte des Kommandanten der Kreuzergruppe 2.7 simultan an Oberst Matak, der wiederum zischend und grollend antwortete.
Flores war verwirrt. Hatte Grabber womöglich dem Akarii doch nicht seine Vermutung mitgeteilt?
Grabber übersetzte inzwischen simultan, was wiederum für einen Augenblick zu einem Stirnrunzeln auf Mithels Gesicht führte. „Oberst Matak glaubt, dass Sie bluffen. Er hat auf beiden Schiffen mehr als 800 TSN-Angehörige in seiner Hand, die bei ihrem Beschuss sterben werden. Ziehen Sie wieder ab, wenn Ihnen das Leben ihrer Kameraden lieb ist.“
Mithel schüttelte kaum merklich seinen Kopf. „Es tut mir leid, mein Sohn, aber das kann ich nicht tun. Mithel Ende – und viel Glück.“
Flores schluckte, denn er ahnte, was jetzt passieren würde. Kaum war die Verbindung zur RELENTLESS unterbrochen, da registrierte er auf seinen Sensorbildschirmen die Raketenabschüsse der Kreuzer. Es waren allerdings nur 2 Schiff-Schiff-Raketen, die jeweils auf die GIAP als auch die CHING abgefeuert wurden. Flores hielt diesmal die Klappe, doch es dauerte nicht lange, bis es dem feindlichen Oberst auch so aufgefallen war.
Grabber rief im Namen des Oberst ein paar Befehle, doch allen in der Kommandobrücke war klar, dass sie gegen diese Feuerkraft nicht das Geringste ausrichten konnten. Keine zehn Minuten später hatten die Kreuzer eine fast chirurgische Meisterleistung vollbracht und die Schilde der beiden gekaperten Schiffe zum Kollabieren gebracht, ohne dass allzu großer zusätzlicher Schaden entstand.
Wenige Augenblicke später lösten sich aus dem Ortungsschatten der Kreuzer aus kosmischer Sicht gesprochen minimalsten Abstand ein Schwarm von kleinen Raumobjekten. Durch den Einsatz der Eloka-Störsender waren diese kaum zu identifizieren, aber ihre Geschwindigkeit und ihr Anflugwinkel ließen keinen Zweifel daran, worum es sich handelte.
Die Sturmshuttles waren innerhalb kürzester Zeit heran, so dass der Akarii, den der Oberst an die Waffenkontrollen gesetzt hatte, mit dem Feuer der Lasertürme keinen großen Schaden hatte ausrichten können. Erleichtert stellte Flores fest, dass ein einziges Shuttle zerstört wurde und selbst dieses hatte kurz vor der Zerstörung die Fracht und Besatzung ausstoßen können. Alle anderen Shuttles – wenn auch einige von Ihnen angeschlagen – konnten an beide gekaperten Schiffe andocken. Flores Blick wanderte hinüber zu Grabber und dem akariischen Offizier. Dieser fletschte seine Zähne und setzte seinen Helm auf. Dann war er fort und Grabber stand nun wieder neben Flores.
„Jetzt können wir nur noch hoffen, dass unsere Marines besser sind als ihre!“
„Du hast ihnen ein paar Sekunden erkauft, indem du meine Vermutung nicht ausgeplappert hast…“
Grabber nickte, doch er antwortete nicht. Angst war in seinem Blick zu erkennen, die Angst weiter in Gefangenschaft und Sklaverei leben zu müssen.
Dieser Blick ließ Flores frösteln und noch nie in seinem Leben hatte er den Marines so sehr die Daumen gedrückt.

***

Sturmshuttle 217-11, Angedockt an die LADY CHING
Im Orbit um Karrashin V, Karrashin System

Die Sturmshuttles des 217ten Assault Regiments waren in jeglicher Hinsicht auf die Enterung feindlicher Schiffe ausgelegt. Und eines der wichtigsten Utensilien dieser Sturmshuttles war die Fräsenschleuse. Diese Innovation war speziell für das Assault Regiment entwickelt worden und konnte wie ein Rüssel zu dem Schiff, das geentert werden sollte, ausgefahren werden. Am unteren kreisförmigen Teil der Fräsenschleuse befand sich eine leistungsfähige, kreisrunde Hochleistungslaserfräse, die in wenigen Minuten ein annähernd zwei Meter im Durchmesser messendes Loch in den Schiffsrumpf fräsen würde.
Wie genau das funktionierte, wusste Gunnery Sergeant Ramon Garcia nicht. Es war ihm aber als Zugführer des 1. Platoons der Utah-Company, 2. Bataillon des 217ten Sturmregiments, auch egal. Hauptsache das Ding würde möglichst bald ein Loch in den Rumpf der LADY CHING fressen, durch das dann er und Lance Corporal Holden als erste in das Schiff springen würden.
Die Fräsenschleuse erzeugte einen unglaublichen Lärm und enorme Vibrationen, die selbst noch durch Garcias Kampfpanzerung hör- und vor allem spürbar waren.
„Hey Gunny!“ Holden nickte ihm zu und reichte ihm den Enterschild, den Garcia auch dankend annahm. Die 217ten waren Elitesoldaten, aber sie waren auch nicht dumm. Selbst wenn die Fräse schnell war – es dauerte trotzdem mehrere Minuten, bis sie ihr Werk vollendet würde – hatten die Verteidiger Gelegenheit sich zu formieren und würden sicher auf alles schießen, was aus dem Loch fallen würde. Und daher hatten die Sturmtruppen zwei Enterschilde, die genauso gekrümmt waren, wie das Loch, das in diesem Augenblick gefräst worden war.
Mit einem lauten Knall fiel die Panzerung in den darunterliegenden Gang. Garcia hoffte, dass der Pilot seine Arbeit ordentlich gemacht hatte. Nichts wäre ärgerlicher gewesen als wenn sie das Loch über eine Mauer geöffnet hätten. Aber in diesem Fall war wohl tatsächlich ein Gang unterhalb des Loches.
Vier Marines traten an das Loch, entsicherten jeder jeweils entweder eine Hand- oder eine Blendgranate und warfen diese jeweils mit einem lauten „Fire in the hole!“ nach links und nach rechts in den Gang. Noch bevor die Granaten zündeten stellten sich Garcia und Holden Rücken an Rücken über das Loch und Garcia zählte von drei runter.
„Drei…“ – Keinerlei Nervosität war ihm anzumerken, dies war sein insgesamt sechster Kampfeinsatz, Garcia war seit Gründung des 217ten dabei, hatte die schwere, monatelange Ausbildung auf Fort Currahee im Orbit der Venus überstanden. Er hatte die Velorha-Werften gestürmt, die DEUTSCHLAND freigesetzt, den schweren Kreuzer TRAK MUUL erobert… Es gab nichts worüber er sich Sorgen machen musste, er war wie immer bereit.
„Zwei…“ – Mehrere wummernde Geräusche drangen gedämpft durch seinen Helm an sein Ohr. Wenn Akarii in der Nähe des Loches gewesen sein sollten, dann würden Sie jetzt wahrscheinlich verletzt oder geblendet sein. Vielleicht auch beides. Doch Garcia wusste, dass er sich darauf nicht verlassen konnte, denn die Akariische Marines waren in aller Regel ebenfalls keine Anfänger.
„Eins!“ – Die Detonationen waren kaum verhallt, doch es waren weder Schüsse noch Schreie zu hören. Sollten sie vielleicht gar einen leeren Abschnitt erwischt haben? Es wäre schon eine Überraschung, denn es waren wohl zwei Kompanien auf der CHING, das hieß bis zu 8 Züge Infanterie, also knapp 240 Mann. Das Zweite und das Dritte Bataillon des 217ten unter Major Hue und Captain Johansson verfügten insgesamt über 19 Züge, was in diesem Falle knapp 570 Elitesturmtruppen bedeutete. Die Wahrscheinlichkeit, dass sein Zug einen leeren Abschnitt erwischt haben sollte, war gering. Doch gleich würde er es ohnehin wissen.
„SPRUNG!“ – Holden und Garcia ließen sich gleichzeitig fallen und landeten mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. Sie hatten den Boden kaum berührt, da prasselten schon die ersten Geschosse und Laserstrahlen auf Garcias Schirm ein.
`Soviel zum Thema leerer Abschnitt…` dachte Gunnery Sergeant Garcia und drehte sich zu seinem Corporal um. Dieser schaute nur ganz kurz über seinen Schild und ging gleich wieder in Deckung.
„Meine Seite ist leer.“ gab Holden über Funk durch und noch bevor Garcia etwas sagen konnte, drehte er sich mitsamt seinem Schild einmal um seine Achse und stellte sich damit ebenfalls der Schusslinie. Garcia erhob sich aus seiner Deckung und feuerte eine kurze Salve aus seinem H&K 322X Sturmgewehr und ging dann sofort wieder in Deckung, ohne zu sehen, ob er überhaupt getroffen hatte. Ohne Abstimmung gingen beide Marines mit ihren Schilden zwei Schritte nach vorne. Holden stand auf und schoss, dann Garcia, dann wieder Holden. Aus dem Augenwinkel erkannte der Gunnery Sergeant, dass der Rest seines Platoons jetzt einer nach dem anderen sprang und sich zu ihnen gesellte. Alles war eingeplant und einstudiert und Garcia und Holden hoben nun ihre Schilde und stießen weiter vor. Die hinter ihnen stehenden Marines feuerten aus allen Rohren, und das Gegenfeuer der Akarii wurde immer schwächer. Auch auf Seiten des 217ten waren Verluste zu verzeichnen, doch Garcia drängte die Sorge um die Getroffenen zurück, auch als Holden neben ihm getroffen und nach hinten geschleudert wurde. Ein Sanitäter kümmerte sich zügig um ihn und ein anderer Marine nahm sofort Holdens Platz am mittlerweile recht ramponierten Enterschild ein.
Der Kampf in dem Gang schien jetzt einen verzweifelten Höhepunkt zu erreichen. Zwei Granaten der Akarii flogen über seine Schilde und wurden von knapp dreimal so vielen Granaten der Marines gekontert. Die Explosionen forderten auf beiden Seiten Tote und Verletzte, so dass Garcia den Befehl zum Sturm gab.
Als erstes gingen zwei Privates in die Knie und formten mit ihren Armen eine Räuberleiter. Corporal Lukaschenko stieg mit dem Fuß auf und wurde noch oben an die Decke geschleudert, so dass er mit dem Bauch nach oben gegen die Decke zu knallen schien.
Was für Außenstehende wie ein missglückter Sprung über den Schild aussehen musste, war in Wahrheit ein häufig trainiertes Spezialmanöver der 217ten Sturmtruppen, vor allem in engen Gängen. Corporal Lukaschenkos Kampfpanzer hatte über seiner gesamten Front leistungsstarke Magnete verteilt, so dass er zwar gegen die Decke knallte, aber nicht wieder runterfiel.
Auch die Akarii waren über dieser Tatsache offensichtlich ziemlich verwirrt. Lukaschenko konnte daher unbedrängt und unbeschossen das Feuer aus seinem schweren Impulslasergewehr eröffnen.
Die Marines am Boden warfen nun auch die beiden fast zerlöcherten Schilde zu Boden und preschten feuernd und sich gegenseitig Deckung gebend vorwärts.
Das war zuviel für die verteidigenden Akarii, so dass das Gegenfeuer relativ schnell verstummte.

Als der Rauch sich verzogen hatte, überprüfte Garcia erstmal ob die Akarii ihnen nicht ein paar Ostereier zurückgelassen hatten, dann gab er das Signal Grün für seine Landezone an Major Hue durch.
Dann wandte er sich seinem eigenen Platoon zu. „Corporal Lukaschenko, wie sieht’s aus?“
„Sektor Grün, Sarge. Wir haben 15 Akarii erwischt, 3 von Ihnen leben noch.“
„Eigene Verluste?“
„Vier KIA, sechs WIA, davon 3 leicht.“
Garcia nickte. „Holden?“
„Er wird durchkommen, Sarge. Es hat Pitrelli, Hakonen, White und Donkins erwischt.“ Der großgewachsene Mexikaner nickte. Es mochte unfair den anderen Soldaten seines Platoons gegenüber wirken, wenn Garcia sich nur nach Holden erkundigt hatte, doch dieser war – wie er selbst und auch Lukaschenko – einer der wenigen Veteranen des 1. Zuges der Utah-Company die noch übrig und auf den Beinen waren. Sie waren insgesamt nur noch zu acht, der Lt. des Platoons – Sofia Pancheeva – war während des Angriffs auf die DEUTSCHLAND gefallen. Die anderen konnten sich noch so sehr anstrengen, sie würden ewig Ersatzleute bleiben. Unwillkürlich war Garcia nach hinten zu den Sanis gegangen und hatte nach den Verletzten geschaut.
Als er bei Jack Holden ankam, nahm Garcia seinen Helm ab
„Sorry, Gunny, ich hab Scheiß gebaut…“
„Schhh, schh, das wird wieder Jack, ist nur eine Fleischwunde. Du bist bald wieder auf dem Damm.“ Garcia versuchte die tiefe Brust- und Schulterwunde nicht anzuschauen. Ja, Holden würde durchkommen, aber ein Sturmgewehr würde er in diesem Krieg nicht mehr tragen können.
„Ich weiß, Sarge. Ein zwei Wochen Training und wir stehen wieder Seite an Seite… nicht wahr?“
Garcia nickte nur, konnte aber nicht antworten, denn seine belegte Stimme würde seine Worte nur Lügen strafen. Stattdessen drückte er Holdens Hand und machte sich wieder an die Arbeit.
Noch waren sie nicht fertig, noch hatten sie das Schiff nicht in ihrer Hand. Erst dann würde er die Trauer über die Gefallenen und Verwundeten an sein Herz lassen.

***

Kommandobrücke LADY CHING
Im Orbit um Karrashin V, Karrashin System

Major Hue Xha Bao gehörte zu der Art von Soldat, die sich nur schwer damit abfinden konnten, dass sie nicht mehr an vorderster Front stehen durften. Doch das brachten sein Rang und seine Rolle nun mal mittlerweile mit sich. Er konnte es sich nicht mehr erlauben, sein Leben für Ruhm und Ehre zu riskieren und dabei eventuell zu fallen. Denn sein Bataillon brauchte Führung und so manche Schlacht wurde verloren, weil es dem Gegner gelang den Kopf einer Einheit abzuschlagen. In diesen Fällen trat häufig Chaos an die Stelle von Ordnung, und Chaos war der Feind eines jeden Schlachtplans.
Und somit hatte sich Hue wieder mal zurückhalten müssen, während seine Männer vorbildlich vorgestürmt waren. Das Zweite und Dritte Bataillon hatten sich gemeinsam die LADY CHING vorgenommen, die von insgesamt zwei vollen Akarii-Kompanien geentert worden waren. Das 217te hatte gezeigt wozu es fähig war und hatte volle Arbeit geleistet. Von den knapp 240 akariischen Soldaten hatten gerade einmal 50 überlebt, davon etliche schwer verwundet. Doch sie hatten sich ihr Leben auch teuer verkauft, auch wenn sie bereits die Eroberung einiges an Verlusten gekostet hatte.
Das Zweite und Dritte Bataillon unter seiner und Captain Johanssons Führung hatten zwar nur moderate Verluste erlitten, aber von den knapp 310 Mann Besatzung hatte das 217te nicht mal die Hälfte lebend retten können. Kapitän Burgess war gefallen, kaum einer seiner Offiziere war noch am Leben, geschweige denn unverwundet.
Und was mindestens ebenso schlimm war: Die CHING war innerlich nur noch ein Wrack! Meter um Meter hatte die 217te ihren Gegner zurückdrängen müssen, es gab kaum einen Gang, kaum eine Unterkunft in der nicht gekämpft worden war.
Die Primärbrücke war verwüstet worden, die Sekundärbrücke gesprengt. Der Maschinenraum brannte und das Feuer drohte auf den Munitionsraum mit dem eingelagerten Rest der Schiffsraketen überzuspringen.
Die CHING war nicht mehr zu halten, das wusste Hue und doch hatte er die Brücke noch nicht verlassen.
Auch die VO NGUYEN GIAP war von dem Ersten Bataillon des 217ten erstürmt worden, aber dort waren sie weit erfolgreicher gewesen. Ihnen war nicht nur der gegnerische Kommandeur lebend – wenn auch verwundet – in die Hände gefallen. Sie hatten die Mahrzahl der Besatzung lebend und das Schiff auch weitestgehend intakt erobert. Der einzige Wermutstropfen war, dass sie auch an Bord der GIAP die Kommandeurin Kapitänin Nieminnen nur noch tot hatten bergen können.
Jetzt war Hue auf der Primärbrücke der CHING und starrte auf den einzigen intakt geblieben Bildschirm auf der Brücke auf dem sein Vorgesetzter flackernd zu sehen war.
„Major Bao, warum sind Sie immer noch an Bord der LADY CHING?“
„Nun, Kapitän Burgess ist tot und das macht mich zum ranghöchsten Offizier an Bord.“
„Trotzdem kein Grund mal wieder den gottverdammten Helden zu spielen, Bao. Sehen Sie zu, dass sie ihren Arsch da raus bekommen, bevor die CHING in die Luft fliegt oder die Flotte ohne Sie abzieht. Der Marschbefehl ist vor einer halben Stunde rausgegangen und Sie haben nur noch eine weitere halbe Stunde um hier an Bord zu sein.“
Hue nickte knapp. „Ich weiß, Sir. Sobald meine Männer die letzten Verwundeten und Überlebenden evakuiert haben, werde ich das Schiff verlassen.“
„Gut Bao, ich gebe Ihnen noch zehn Minuten, sonst komme ich selbst rüber und zerr sie da raus, verstanden?“
Hue grinste und schloss die Verbindung.
„Er hat Recht, Sir, wir sollten uns auf den Weg machen. Oder wollen Sie noch erstmal durch die Gänge streifen ob da nicht doch noch jemand ist, den Sie auf ihren Schultern heraustragen und retten können?“ Sergeant Major Bill Hancock, der Hue schon seit Operation Magellan begleitete und mit seinem letzten Satz auf ihren Einsatz auf der Pasumata Raumstation anspielte, grinste von einem Ohr bis zum anderen.
„Vielleicht sollte ich Ihnen ins Bein schießen, um Sie dann raus zu tragen und mir dafür noch einen Orden abzuholen, hä?
„Wenn ich Sie damit hier rausbekomme, dann gerne, Sir!“
„Warum denkt eigentlich jeder von mir, dass ich ständig irgendwelche Heldentaten vollbringen will?“
„Weil es auf Ihrer Stirn steht! Kommen Sie nun mit, oder muss ich einen Krampf vortäuschen…“
„Jaja, ist ja gut.“
Major Bao drehte den blutbeschmierten Schlüssel des verstorbenen Kapitäns in dessen Konsole um und schloss damit das elektronische Logbuch der LADY CHING. Das einst so stolze Schiff würde bald entweder auseinander fliegen oder in die Atmosphäre des Gasriesen fallen.
Einen kurzen Augenblick gedachte Hue den Gefallenen, die an Bord dieser Fregatte ihr Leben verloren hatten und die er nicht hatte retten können. Dann drehte er sich um und folgte seinem Sergeant und verließ mit diesem in aller Ruhe das sterbende Schiff.
Cattaneo
Tyr

Die sechs Nighthawks waren voll getankt und mit Raketen bestückt worden. Sie waren bereit zum Start. Theoretisch.
Der für die Maschinen verantwortliche technische Offizier schien zwischen Wut und Fassungslosigkeit zu schwanken. Wenn Blicke hätten töten können, dann wäre von seinem Gegenüber wohl nicht viel mehr übrig geblieben, als ein Paar qualmende Stiefel: „Was haben Sie gesagt?“ Die Stimme des breitschultrigen Unteroffiziers war ein dumpfes Grollen.
Das Ziel seiner Frustration war fast einen Kopf kleiner, ließ sich davon aber nicht beirren. Kano Nakakuras Stimme blieb ruhig: „Sie haben mich verstanden. Ich will, dass die Raketenbewaffnung der Jäger gemäß meinen Vorgaben umkonfiguriert wird. Und zwar möglichst schnell. In einer knappen Stunde starten wir nämlich.“
„Ich weiß verdammt genau, wann ihr Raumjockeys startet!“
„Dann wissen Sie ja auch, was unser Auftrag ist. Wir sollen mit knapp neunzig Maschinen und den Resten unserer Kriegsschiffe einen wahrscheinlich zahlenmäßig überlegenen Gegner angreifen. Während unser Träger – mit Ihnen an Bord – sich über den Sprungpunkt absetzt.“
„Was wollen Sie damit verdammt noch mal…“
„Ich will Ihnen nur klar machen, dass wir jeden Vorteil brauchen, den wir bekommen können. Wenn wir scheitern, dann sitzen wir und unsere Großschiffe in der Falle. Dann wird die COLUMBIA ziemlich alleine nach Hause fliegen müssen.“
„Sie wollen mir doch nicht ernstlich weiß machen, dass das ein paar Raketen liegen soll!“
„Aber diese paar Raketen können über unser Leben und unseren Tod entscheiden. Ich will, dass meine Piloten mit optimaler Ausrüstung starten können. Und dazu gehört auch eine nach ihren persönlichen Wünschen konfigurierte Raketenbestückung. Wir haben uns schließlich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet. Ich denke, dass ist man uns ganz einfach schuldig. Also tun Sie uns jetzt den Gefallen, oder verplempern wir weiter sinnlos Zeit?“ Natürlich hätte Kano auch ganz einfach den Vorgesetzen herauskehren können. Aber dann hätte sein Gegenüber sich vielleicht auf den Dienstweg besonnen oder gar einen Vorgesetzten eingeschaltet. Manchmal konnten die Deckmannschaften ziemlich zickig werden – und das, obwohl man sonst vor allem den Piloten Starallüren unterstellte.

„Na schön. Aber Ihre freiwilligen Helden helfen uns bei der Umrüstung.“
„Selbstverständlich.“ Kano winkte die wartenden Piloten näher, die sich mehr oder weniger enthusiastisch an die Arbeit machten.
Kano hatte Verständnis für einige der langen Gesichter. So kurz vor einem derart riskanten Einsatz hatte mancher vermutlich Besseres zu tun, als mit hochexplosiven Flugkörpern zu hantieren. Aber was er gesagt hatte, das stimmte. Und wenn er dafür seine Untergebenen in die Pflicht nehmen musste, tja dann…

Kurz musterte er die fünf Piloten, die ihn bei seinem Einsatz begleiten würden. Die Bezeichnung ‚Freiwillige’ war möglicherweise ein wenig großzügig – letzten Endes hatten sie keine so große Wahl gehabt. Auf die eine oder andere Art und Weise hätten Cunningham, Raven – und auch er selber – schon dafür gesorgt, dass die richtigen Leute mitmachten. Diese Mission war zu wichtig, als dass man irgendwelche Jungspunde nur deshalb hätte mitnehmen können, weil sie sich unbedingt freiwillig melden wollten. ‚Allerdings gibt es in unserer Staffel momentan kaum noch echte Neulinge. Wie auch – sogar die Veteranen fallen aus wie die Fliegen.’ Mit dem Ausstieg von Crazy und Reds Tod summierten sich die Verluste der Staffel Schwarz auf katastrophale fünfzig Prozent. Drei Piloten waren tot, zwei vermisst, Sugar immer noch im Lazarett. Und sie waren noch lange nicht zu Hause. Die Ausfälle waren durch die Piloten der aufgelösten Staffel Gelb teilweise ausgeglichen worden. Dennoch bewegten sich die Butcher Bears unweigerlich auf den Punkt zu, an dem der innere Zusammenhalt zerbrechen, die Staffel nur noch als ‚ausgebrannt’ oder ‚abgeflogen’ bezeichnet werden konnte. Wenn der Blutzoll zu groß wurde, wenn die Rotten und Schwärme zu häufig umformiert und neu gebildet werden mussten…Die menschliche Psyche vertrug das nur in begrenztem Ausmaß.
Aber noch war es nicht so weit. Noch nicht. Auch wenn Kano für diese Mission schon wieder neue Rotten hatte bilden müssen.

Da waren zuerst einmal La Reine und Bunny. Der ausgeglichene, zurückhaltende Pilot würde seiner aggressiven Rottenführerin den Rücken decken und hoffentlich dafür sorgen, dass sie auch diesmal mit heiler Haut davon kam. Aus einem ähnlichen Grund – der Hoffnung, dass sich die unterschiedlichen Charaktere gegenseitig ausglichen – hatte er Grizzly und Tiburon zusammengelegt. Obwohl Tiburon der bessere Pilot war, sollte Grizzly die Rotte führen. Hoffentlich würde sein hitzköpfiger Kamerad seine Pflicht als Flügelmann nicht vernachlässigen. Immerhin, die beiden waren beide Überlebende der Gelben Staffel. Sie kannten ihre jeweiligen Stärken und Schwächen, und vielleicht gab das Grizzly auch die nötige Autorität, den aggressiven Tiburon im Zaum zu halten.
Und zum Schluss waren da noch Kano selber und Crusader. Sie beide gehörten inzwischen zu den Veteranen der Schwarzen Staffel, waren längere Zeit im selben Schwarm, ja derselben Rotte geflogen. In dieser Zeit waren sie – nach einigen Startschwierigkeiten – Freunde geworden. Und was noch wichtiger war, sie ergänzten sich gut, waren ein eingespieltes Team.
Das zählte viel. Allerdings hatte ihre Freundschaft auch Nachteile. Kano wusste, dass Crusader verheiratet war, und mit seiner jungen Frau zwei Kinder hatte. Auch wenn der Pilot inzwischen unnötige Risiken unterließ, er flog immer noch am Rande des Todes. Wie sie alle. Aber durch das Wissen um Crusaders Familienverhältnisse und ihre Freundschaft fühlte sich Kano irgendwie in die Pflicht genommen. Er wollte und er würde sein Möglichstes geben, damit nicht er es war, der eines Tages Elaine Kyle den Verwundeten Löwen in Gold zuschicken musste.

Gleichzeitig aber musste er sich fragen, ob solche Gedanken und Wünsche ihn nicht gewissermaßen für jenen Rang disqualifizierten, den er anstrebte. Ein Geschwaderchef musste bereit sein, seine Untergebenen bedenkenlos einzusetzen und notfalls zu opfern. War er dazu in der Lage? Würde er es je sein?
„Stimmt etwas nicht? Du machst ein Gesicht, als würde jemand auf deinem Grab tanzen.“ Kano drehte sich zu Crusader um, dessen Maschine inzwischen bereits voll bestückt war: „Ich habe diese Metapher nie so ganz verstanden. Aber wenn ich mir die Parameter unserer Mission ansehe, dann bin ich wohl nicht der Einzige, der sich Gedanken um sein…Grab macht.“ Crusader sah ihn überrascht an. Sonst äußerte sein Freund und Vorgesetzter sich nicht so offen: „Eliteschicksal. Wir sind halt einfach zu gut. Und mach dir keine Sorgen. Bis auf Bunny sind wir alle Fliegerasse, einige sogar mehrfach. Wir haben die besten Maschinen der TSN. Es wird schon glatt gehen.“
„DAS habe ich schon mal gehört. Erinnerst du dich noch? Und mich nennen sie einen verrückten Japs mit Todessehnsucht.“
Crusader sah sich kurz um und flüsterte dann grinsend: „Der Unterschied ist eben, dass du deine Stunts immer selber durchziehst. Würdest du anderen Piloten so etwas BEFEHLEN, dann wärst du ein schneidiger, innovativer Befehlshaber. Na ja, vermutlich wollte Lone Wolf einfach beweisen, dass er auch außerhalb der Pilotenkanzel das härteste Arschloch in der Flotte ist. Vielleicht hat er Raven gegenüber etwas auszugleichen. Und übrigens nicht nur bei ihr. Vielleicht will er nicht die Treppe hinauf fallen und in der Etappe versauern. Jeder ist seines Glückes Schmied und so. Immerhin, der Kapitänsposten für die COLUMBIA ist jetzt wieder vakant. Du weißt doch, unser kühner Führer hat große Pläne. Tja, das Jucken am Hals…“
Kano murmelte etwas auf Japanisch. Sein Gesichtsausdruck war nicht gerade froh. Die Verantwortung, seine Piloten schon wieder in den Kampf zu hetzen, lastete schwer auf ihm. Freiwillige oder nicht, letztendlich würde er verantwortlich sein, wenn sich einer seine Untergebenen überschätzte und nicht mehr zurückkehrte. Wenn auch nicht vor einem irdischen Gericht, dann doch vor sich selber. Vor den Hinterbliebenen. Und den Toten.
„Was war das? Du weißt schon, es ist unhöflich, in einem Gespräch eine Sprache zu benutzen, die der andere nicht versteht.“
„Dann solltest du vielleicht mal richtig Japanisch lernen. Wir kennen uns schließlich schon lange genug. Ich habe schließlich auch Englisch gelernt. Das…war eine Zeile aus einem alten Gedicht. ‚Nur Staub ist geblieben, von den Träumen der Krieger.’“
Crusader grinste schief: „Also wenn du jetzt philosophisch wirst, dann verschwinde ich mal lieber. Und es wundert mich, dass du unseren Alten so offen kritisierst.“
Kano zuckte unbehaglich mit den Schultern: „Vielleicht würde ich es nicht tun, wenn er selber mitfliegen würde.“
„Du hast dich aber auch freiwillig gemeldet.“
„Ich habe mich gemeldet, WEIL ich die Sache für reichlich riskant halte.“ ‚Nicht, dass ich eine Wahl gehabt hätte. Wie hätte ich denn vor meinen Kameraden, meinen Untergebenen dagestanden? Wie hätte ich denn dann erwarten können, dass sich andere Piloten der Butcher Bears freiwillig melden? Wie hätte ich hier in Sicherheit bleiben können, während sie in den Einsatz fliegen, vielleicht sogar in den Tod?’ „Ich bin kein…wie sagt man? Kein Schönwetter-Loyalist.“ Kano lächelte spöttische: „Außerdem…wenn diese Aktion doch gelingen soll, dann braucht Raven die besten Piloten des Geschwaders.“
„Bescheiden wie immer.“
Kano zuckte mit den Schultern. Er kannte seinen Wert. Zumindest als Pilot, seinen Wert als Staffelführer würde erst noch beweisen müssen.

Inzwischen war auch seine Maschine umgerüstet worden. Jetzt war sie mit vier Phoenix-Langstreckenraketen, vier Amraams und zwei Sparrows bestückt. Kano konnte jetzt den Kampf auf weite Entfernung eröffnen, und war trotzdem exzellent für den Kurvenkampf ausgerüstet. Hätten die Nighthawks eher die Rolle von Schlachtfliegern übernehmen sollen, dann hätte er statt der Amraams und Sparrow wahrscheinlich Hydra-Kassettenwerfer und Sidewinders bevorzugt, aber die gegnerischen Kampfflieger waren noch nicht vollständig ausgeschaltet. Wahrscheinlich würde es zu heftigen Jägergefechten kommen. Vielleicht wäre es klüger gewesen, statt einiger Raketen Zusatztanks anzubringen, aber Lone Wolf und Raven schienen der Meinung, dass die Tankshuttles die knapp fünfzig Kampfflieger der COLUMBIA rechtzeitig und zügig genug versorgen würden. Hoffentlich hatten sie da richtig kalkuliert. Ein Jäger ohne Sprit war ein toter Jäger.

Dann drehte er sich plötzlich um. Die junge Frau, die sich ihm leise genähert hatte, stockte kurz: „Du hast aber gute Ohren, Bruderherz.“
Kano musterte seine Schwester: „Du bist verletzt worden?“
Sakura fasste verärgert nach der kleinen Wunde an ihrer Wange. Sie hatte den Schnitt bereits mit Kunsthaut versiegelt, aber natürlich hatte sie damit ihren Bruder nicht täuschen können: „Entspann dich. Ist nur ein Kratzer. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Dafür gibt es nicht mal den Silbernen Löwen. Meine Chancen auf dem Hochzeitsmarkt werden davon jedenfalls nicht beeinträchtigt, falls es das ist, was dich beunruhigt.“
„Red’ keinen Unsinn. Und du solltest das besser nähen lassen.“
„Zeit dafür habe ich ja jetzt genug!“ fauchte Sakura ‚Shoki’ Nakakura wütend. Ihr Bruder zuckte mit den Schultern: „Ich habe gehört, du hast deinen ersten Akarii abgeschossen. Glückwunsch.“
„Danke, wie großzügig. Es ist natürlich nicht dasselbe, als ob ich bei meinem ersten Gefecht gleich zwei Feindjäger abgeschossen hätte!“
„Dafür musstest du auch nicht aussteigen und die nächste Woche auf der Krankenstation verbringen. Du willst nicht wirklich mit mir auf DIESEM Gebiet gleichziehen.“
„Was denn, glaubst du etwa, Frauen könnten so etwas nicht so leicht wegstecken wie Männer?“
„Ich bin mit Lilja geflogen, schon vergessen? Und was bei den Kami ist eigentlich dein Problem?“
Shoki zuckte mit den Schultern: „Sie lassen mich nicht starten.“
Kano grinste kurz: „Gut.“
„Gut?! Ich hör wohl nicht richtig?! Hast du etwas damit zu tun?! Wenn du irgendwelche Strippen gezogen hast…“
„Wenn du mich jetzt umbringst, dann werden einige Akarii aber schwer enttäuscht sein. Außerdem überschätzt du mich. Da müsste ich schon ein paar Streifen mehr auf dem Kragen haben.“
Sakura musterte ihren Bruder ein paar Augenblicke, als wollte sie den Wahrheitsgehalt seiner Behauptung prüfen. Kano achtete darauf, sein Gesicht ausdruckslos zu halten. Außerdem hatte er die Wahrheit gesagt. Ja, er hatte Lilja gebeten, auf Sakura aufzupassen. Doch auf die Auswahl der Piloten, die jetzt starten sollten, hatte er keinen Einfluss gehabt: „Du musst nicht gleich eine Verschwörung vermuten. Überleg doch mal. Du bist immer noch neu im Geschwader. Vielleicht bist du besser als ein paar der alten Hasen – aber du hast nicht ihre Erfahrung. Es geht schließlich nicht nur um Talent. Es geht auch um Teamwork. Darum, mit dem Rottenflieger, mit der ganzen Sektion als EINHEIT zu agieren. Das kann auch die Akademie nicht lehren. Das musst du unter Frontbedingungen lernen. Was meinst du, warum ich bei meinen ersten beiden Kampfeinsätzen so zusammengeschossen wurde? Weil ich alles alleine machen wollte. Ich war gut, schon damals. Andernfalls hätte ich nicht überlebt. Aber ich habe ziemlich auf eigene Faust gekämpft…“, Kano fasste unbewusst nach seiner Schulter. Manchmal bildete er sich ein, die alte Wunde zu spüren, „… Deshalb haben sie dich nicht mitgenommen. Du bist gut. Du wirst ein Ass werden. Aber bei dieser Operation…dafür bist du einfach noch nicht bereit. Falls es dich tröstet – du wirst noch genug Gelegenheit dazu bekommen, vorzutreten.“
Sakura schnaubte: „Vielen Dank für diese Weisheiten. Das hilft mir wirklich. Wie soll ich etwas lernen, wenn ich hier rumhocke?“
Kano presste kurz die Lippen zusammen: „Wenigstens wirst du noch die Gelegenheit dazu bekommen!“
„Du bist nicht mein Vater!“
Den Streit hatten sie in gewissen Variationen schon mehrmals durchgespielt, seitdem Kano von Sakuras Entschluss gehört hatte, sich zu den Streitkräften zu melden. Meistens behielt sie das letzte Wort ihm gegenüber: „Warum streiten wir uns eigentlich? Ich habe dich schließlich nicht hier festgebunden.“
Jetzt lächelte seine Schwester, auch wenn das Lächeln etwas spöttisch wirkte: „Aber du würdest es gerne. Und wir streiten uns, WEIL du mein älterer Bruder bist. Und damit automatisch an ALLEM schuld.“ Aber damit war die Angelegenheit erst einmal erledigt: „Und, wie viele Abschüsse kannst du jetzt auf deine Maschine malen?“
Kano lächelte: „Zwei. Das ist ein ziemlich guter Schnitt. Nummer Fünfunddreißig und Sechsunddreißig.“
„Peilst du schon das Silberne Fliegerkreuz an? Wenn es in dieser Geschwindigkeit weitergeht….“
„Ja, diese Feindfahrt war ziemlich erfolgreich. Sieben Maschinen, und wer weiß…“, Kanos Lächeln erstarb und seine Stimme wurde ernster, „…aber wir haben auch verdammt bluten müssen dieses mal. Die Hälfte der Schwarzen Staffel sind jetzt Fremde.“
„Ich habe davon gehört. Ihr habt drei Flieger verloren.“
„Fox ist bald wieder einsatzbereit. Aber Red…Red hat es erwischt. Und Crazy…wenn ihn sein Glück nicht verlassen hat, dann ist er jetzt ein Kriegsgefangener. Und bei euch…“
„Dragon war einer von den Alten. Ich habe ihn nicht gekannt. Und Lilja…na ja, du kennst sie besser als ich.“
Kano lächelte bitter: „Ich weiß nicht, ob ich Lilja gut kenne. Ich weiß auch nicht, ob sie selber das tut.“
Sakura schürzte die Lippen: „Ich bin kein gajin. Du brauchst also nicht den unergründlichen Japaner spielen.“, sie zögerte, „Pass auf da draußen, O. K.? Wenn du dich jetzt abschießen lässt…dann bring ich dich um.“
Kano lachte jäh auf: „Ich werde dran denken.“
Seine letzten Worte gingen im gellenden Heulen einer Sirene unter. Die erste Welle Kampfflieger war startbereit. Sakura verzog kurz das Gesicht. Mit einer jähen Bewegung klopfte sie ihrem Bruder auf die Schulter und wich dann zurück. Unter anderen Umständen hätte sie ihn vielleicht umarmt, aber so etwas gehörte sich natürlich nicht für eine echte Kampfpilotin. Kano winkte ihr noch einmal zu, dann wandte er sich zu seiner Maschine um und erklomm die schmale Metallleiter. Er spürte bereits das vertraute Gefühl des Adrenalinschubs. Die Müdigkeit und düsteren Gedanken würden davon weggewaschen werden. Es waren noch zehn Minuten bis zum Start: „Black Eagle One an Butcher Bears. Bereit zum Start?“
Er kannte die Antwort.
Cattaneo
Ace

„Nein!“, gellte der scharfe Ruf einer weiblichen Stimme durch den Konferenzraum.
„Admiral Ataki, das ist keine akzeptable Antwort.“, erwiderte Lord Dero frostig.
Wütend sah die Admirälin Erster Klasse den Abgesandten an. Sie fühlte sich weder jung noch alt, weder unangemessen in ihrem Rang noch auf der Karriereleiter zurückgelassen, wenngleich sie gegenüber Admiral Ilis und dem verstorbenen Cylom Borani sicherlich noch nicht mehr als ein verzogener Fähnrich war. Aber dieser da, dieser junge Heißsporn und Nichtsnutz, das war ein Kind gegen sie! Und kindisch war auch, was er forderte!
„Der Kaiser erwartet...“
„Sie meinen Prinzessin Linai erwartet, oder, Lord Dero?“, giftete sie wütend. Heimlich sah sie in Richtung des alten Admirals, doch der saß nur am Kopfende der Tafel, hatte beide Hände auf den Knauf seines Sirash gelegt und schien sich königlich zu amüsieren.
„Ich meine den Kaiser.“, zischte Dero wütend. „Wollen Sie dem Kaiser die Gefolgschaft verweigern?“
„Lassen Sie mich mal nachdenken. Wir haben hier mit drei Flotten, drei Trägern und vier Kreuzerträgern angegriffen, ein Großteil der Colonial Navy in Stücke geschlagen und dabei einen Quarsar verloren, ein zweiter ist beschädigt. Unser Blutzoll war riesig. Nicht so groß wie der den die Verteidiger leisten mussten, aber um hierher zu kommen haben sehr viele Akarii ihr Leben gelassen! Und jetzt kommen Sie mit einer Nachricht von Prinzessin Linai, mit der Sie fordern, dass wir uns auf einen Friedensvertrag einlassen sollen? Nein, sage ich! Nein, im Namen von Admiral Borani und den vielen Toten! Nein! Nein! Nein!“
„Wenn Sie noch einmal widersprechen, dass ich vom Kaiser autorisiert bin, lasse ich Sie inhaftieren.“, erwiderte Dero ärgerlich. „Ein paar Tage in der Brigg machen Sie vielleicht zugänglicher.“
Erschrocken sah sie den Verhandlungsführer an. Dann ging ihr Blick zu Ilis, aber der alte Mann schien sich noch immer gut zu amüsieren. Nein, von hier war keine Hilfe zu erwarten.
„Mein Schiff braucht eine Werft, dennoch verweigern Sie der SCHOSTER die Abreise nach London.“, brummte sie, vorsichtiger geworden. „Außerdem weiß jeder, dass seine Kaiserliche Majestät nach Prinz Jors Tod... Er hat sich zurückgezogen.“
„Und Prinzessin Linai führt in seinem Namen das Tagesgeschäft aus.“, bestätigte Dero. „Was Ihr Schiff angeht, es kann abfliegen, wenn wir alle abfliegen, als Verbündete der Colonial Confederation.“
Ataki stieß die Luft mit einem frustrierten Schnauben aus der Lunge. „Mylord, haben Sie mir nicht zugehört? Für was sind wir hier gestorben, wenn wir jetzt nach Hause fahren? Was ist hier passiert, wenn all diese Toten umsonst waren?“
„Alle Toten in diesem Krieg waren umsonst,“, erwiderte Dero ernst, „und von ihnen kann niemand mehr nach Hause fahren. Missgönnen Sie es den Überlebenden so sehr, dass sie Glück gehabt haben oder besser waren als die Toten?“
„Kommen Sie mir nicht so!“, fauchte Ataki erneut. „Sie wissen ganz genau was ich meine!“
„Und Sie widersprechen immer noch, wenn auch nur indirekt!“ Wütend sah der junge Diplomat die ältere Frau an. „Aber ich sehe drüber hinweg.“

Dero erhob sich, verschränkte die Arme auf dem Rücken und begann im Konferenzraum auf und ab zu gehen. „Dieser Krieg ist ein riesiger großer Irrsinn, vom Anfang bis zum Ende. Wir haben Schiffe verloren, Mannschaften verloren, Stolz eingebüßt, die Kriegsindustrie und die Versorgung unserer Truppen, die nichts produzieren aber viel verlangen, stiehlt unseren Kindern das Essen vom Brot. Was Prinz Jor uns angetan hat, als er uns einen leichten Sieg versprach, war ein Krieg. Nach dem traumatisierenden Ergebnis in Manticore hätten Frauen und Männer wie Sie, Ataki, aufwachen müssen, protestieren müssen, anstatt einem jungen Hitzkopf wie Jor in diesen Krieg zu folgen, der weiter und weiter ging.“ Dero klopfte Admiral Ilis auf die Schulter, was dieser erstaunlicherweise nicht mit einem Hieb seines Sirash, sondern mit einem Lächeln beantwortete. „Dieser Mann hat es richtig gemacht. Man schlägt einem Tabuk das Haupt ab, und all seine natürlichen Waffen sind nutzlos. Wir haben fünf Jahre gebraucht, um für solch eine Mission die Erlaubnis zu kriegen. Wäre Jor damals Manns genug gewesen, hätte er zuerst Texas genommen, und dann Terra. Dann hätten wir uns zurücklehnen können, um einen Frieden zu diktieren. Aber nein, was hat er stattdessen gemacht? Als die ersten Terranerverbände im Hinterland operierten, begann er sie persönlich zu jagen – anstatt auf seine Eroberung Trafalgar zu achten oder einem der anderen bedrohten Systeme zu Hilfe zu eilen! Als Pilot mochte er überragend gewesen sein, aber Dank den Terranern, dass wir diesen Großadmiral los sind! Kal, alter Freund, erinnern Sie mich daran, dass ich seinen beiden terranischen Bezwingern über die Diplomatenpost zwei Neutronenstern-Medaillen zukommen lasse – natürlich mit Belobigungen auf terranisch!“
Während Kal Ilis lachte als hätte er einen guten Scherz gehört, wusste Yon Ataki nicht, ob sie atmen konnte, durfte, musste! Nicht nur das dieser Mann gegnerische Piloten mit der dritthöchsten Feldmedaille des Kaiserreichs ehren wollte, er hatte sogar vor die Ernennungsurkunden auf terranisch verfassen zu lassen! Für die elitäre Kriegerkaste, die auf ihr Heklar sehr stolz war, ein unglaublicher... Unglaublicher was? Es war ohnehin anzunehmen, dass die Terraner bestenfalls ein wenig Drom verstanden, vielleicht etwas Hara, was an der Grenze zur ColCon oft gesprochen wurde und deshalb die Belobigungen überhaupt nicht lesen konnten.
Wütend schüttelte sie den Kopf. Der wahre Affront war doch, dass es hier um Jors Bezwinger ging! Andererseits war dieses Ende vielleicht das Beste für ihn gewesen. Zu sehr hatte er die Marine gehemmt, zu oft waren seine Strategien nicht aufgegangen. Und er hatte seinen Posten im Manticore-System verlassen, das stand außer Frage.
Indes führte Dero seinen Monolog fort. „Wir wurden in ein militärisches Abenteuer gezerrt. Wir sind es gewohnt unsere Nachbarn als hegemonischer Staat zu dominieren, und dies seit vielen Jahren. Auch diesmal haben wir den Versuch gewagt, die Terraner zu unterwerfen. Doch dies geschah meines Erachtens einhundert Jahre zu früh, bevor wir sie richtig kennen gelernt und eingeschätzt hatten. Aber Jor wollte ja unbedingt seinen Krieg zu Lebzeiten. Und es stellte sich heraus, dass dieser Brocken zu groß zum kauen war. Und zu allem Übel haben wir auch noch die Konföderation mit hinein gezogen! Akarii! Nun, nicht alle sind Akarii, aber sie hätten uns kaum so lange standgehalten, wenn ihre Soldatenränge nicht mit unseren Artgenossen durchsetzt gewesen wären.“
Yon Ataki räusperte sich leise und ein klein wenig amüsiert. Eigentlich unfair den Toten gegenüber, ging es ihr durch den Kopf. Andererseits war dieser ganze Krieg nicht fair.
„Ich sage Ihnen was, Admiral: Linai HAT mich geschickt. Aber sie dient dem Kaiser. Der Kaiser ist nicht ihr verzweifelter alter Vater, der nicht über den Tod seines törichten, verspielten Sohnes hinweg kommt, sondern die Männer und Frauen da draußen in unseren Schiffen, jene auf unseren Heimatwelten, auf unseren Kolonien, selbst unsere Toten auf Planeten wie Troffen! Das ist UNSER Kaiser! Und dieser Kaiser befiehlt mir, an dieser Flanke endlich Frieden zu schließen! Und ich werde meinen Kaiser nicht enttäuschen! Ich werde Frieden schließen, und es wird ein Siegerfrieden sein!“
„Hören Sie ihm aufmerksam zu, Yon. Jetzt kommt nämlich der interessante Part dieses kleinen Dickschädels.“, warf Ilis amüsiert ein.
Lord Dero grinste breit. „Darf ich Ihnen erläutern wie ich die Dinge sehe, Mylady Admiral?“

***

Eine Stunde später landete der offizielle Gesandte des Kaisers in der Kampfzone. Der Landeplatz war taktisch geschickt gewählt und lag nahe dem unzerstörten Stadtbereich nahe am Zentrum.
Als der junge Lord dem Shuttle entstieg, schienen ihm die Augen aus den Höhlen quellen zu wollen. „Beim Pulsar von Nraxas, was ist HIER passiert?“
„Eine taktische Entscheidung meinerseits. Wir haben einen Großteil des Geländes rund um die Bannmeile von Regierungssitz und Flottenstab eingeebnet, um den Kampf kurz zu halten.“, informierte Ilis sachlich. „Dankenswerterweise scheinen die Planer dieser Stadt diese Möglichkeit bedacht zu haben. In dieser Gegend befanden sich zumeist Einzelgebäude, also Villen reicher Einwohner, Parks und Einkaufsgroßgeschäfte. Wir rechnen bisher mit nicht mehr als einigen tausend Toten unter der Zivilbevölkerung, vielleicht weniger.“
„Einige tausend?“ Dero räusperte sich vernehmlich. „Wissen wir, ob die Bewohner haben evakuiert werden können?“
„Teilweise war das wohl der Fall. Tatsächlich evakuieren wir die Stadt nun selbst, zumindest die Zonen rund um unsere Stellungen. Nachdem die Bodeneinheiten orbitale Atomraketen eingesetzt haben ist nicht auszuschließen, dass sie auch ein paar ihrer Eier hierher zu schmeißen versuchen. Wir können Schutzschilde über unsere Truppen spannen, aber nicht über die Zivilgebäude. Nicht über alle Zivilgebäude.“
„Ich verstehe.“ Der Blick des Lords ging weiter zur Straße, auf der eine Kompanie kaiserlicher Feldpolizisten einen Strom von Zivilisten aus der Stadt halfen. „Wissen sie, warum sie ihre Häuser verlassen müssen? Verstehen sie, was eine Atombombenexplosion mit ihren Häusern anrichtet?“
„Ich denke nicht, dass sie es wirklich begreifen können, Mylord. Ihre Welt ist zusammengebrochen als die ersten Waffenstrahlen auf die Hauptstadt niedergingen. Sie werden Wochen oder Monate brauchen um all das zu verarbeiten. Eigentlich müssten wir jeden einzelnen verdammten Psychologen dieses Planeten anfordern, um diese Zivilisten zu betreuen. Es kam schon gehäuft zu Selbstmorden.“
„Dann tun Sie das, bitte, Admiral.“
„Bitte was, Mylord?“
„Rufen Sie sämtliche Psychologen zur Betreuung dieser Menschen zusammen. Richten Sie Sammellager ein. Helfen Sie bei Transport und Versorgung, aber überlassen Sie die Koordinierung den Colonial-Streitkräften und ihren zivilen Hilfseinrichtungen. Helfen Sie wo Sie können. Und sorgen Sie dafür, dass verstreute Familien wieder zusammen geführt werden. Wir schulden den Eltern, den Brüdern und Schwestern und den Kindern unserer Gegner so unendlich viel. Wir sollten hier anfangen.“
„Jawohl, Mylord.“
Sie waren gehört worden. Natürlich waren sie gehört worden. Und auch wenn Dero und Ilis Sekurr gesprochen hatten, die Kriegersprache, war er sich sicher, zumindest von den Akarii sehr genau verstanden worden zu sein. Die Saat war gelegt, und nun würde sich zeigen ob und wie sie aufgehen würde. „Bringen Sie mich jetzt zum Vize-Gouverneur.“
„Jawohl, Mylord. Hier entlang bitte, Mylord.“

***

Gerold Holmes hörte dem fremden jungen Akarii mit dem kaiserlichen Siegel so gut zu wie er konnte, kommentierte aber nichts, bis der Sondergesandte endlich am Ende angekommen war.
„Und wie, Mylord, wollen Sie das alles erreichen?“, fragte der Politiker skeptisch.
„So wie ich alle meine Ziele erreiche. Durch Ausdauer, Beharrlichkeit und jemanden auf den ich notfalls zeigen kann um zu rufen: Ich war es nicht! Er war es!“
Holmes lächelte dünn. „Sie haben Recht. Der Krieg muss ein Ende haben.“
Dero nickte nur. „Kal?“
„Sicher, Mylord. Unsere Soldaten ziehen sich auf rückwärtige Stellungen zurück. Die Pioniere stellen die Stromversorgung zur Admiralität wieder her, und unsere siegreichen Einheiten haben das Parlamentsgebäude soeben der Polizei übergeben. In diesem Moment beginnt auch die Rückführung der ersten ColCon-Soldaten.“
„Gibt es Zwischenfälle?“, fragte Dero, plötzlich nervös werdend.
„Es gibt hier und da Einzelkämpfer oder kleinere Gruppen, die sich nicht an unseren Waffenstillstand halten. Man kümmert sich auf die angemessene Weise um sie.“, schloss der alte Admiral, und für einen Moment zogen eine Reihe brutaler Gräuel vor Deros innerem Auge vorbei. Er war mal Unteroffizier gewesen. Er kannte die Methoden der Soldaten.
„Dann lassen Sie uns beginnen.“, schloss Dero ernst.

***

„Ich kann nicht glauben, dass wir dem zugestimmt haben!“, zischte Edward Cochrane, regierender Generalgouverneur, seinem nahesten Begleiter zu.
Admiral der Flotte Norun Kalad lachte leise dazu. „Sie hatten überzeugende Argumente, oder nicht?“ Die Fahrstuhltür glitt auf und entließ sie mit Blick auf das Erdgeschoss der Admiralität. Zwei volle Kompanien der Presidents Storming Guard erwarteten sie, ungewöhnlicherweise in sauberen Uniformen und mit auf Hochglanz polierten Stiefeln. Die meisten hatten breite Ringe unter den Augen, aber keiner gab sich die Blöße, trotz der Strapazen der letzten Tage zu schwanken oder gar einzuschlafen.
Auf einen scharfen Befehl des Kommandeurs salutierten sie, während Generalgouverneur, Chef der Flotte und ein gutes Dutzend Mitglieder aus Stab und Regierung das Spalier passierten. Diese Männer und Frauen, Akarii wie Menschen wirkten aufgeweckt, bedrohlich wachsam und kampfbereit. Würde es zum Äußersten kommen, würden sie da hinaus stürmen und versuchen den Generalgouverneur unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu erreichen und zu bergen. Im Moment war er die Regierung, ihr höchstes Gut, und es wäre Wahnsinn gewesen, ihn beispielsweise zu einer Konferenz mit den Terranern zu schicken. Die hätten zugeschlagen und nach dem Vize auch noch den Chef kassiert. Bei Akarii konnte man sich angeblich darauf verlassen, dass sie ihr Wort auch hielten. Aber der Ausbruch des Krieges hatte auch diese Ansicht grundlegend geändert. Doch in der Not...
„Warum, Norun, machen wir das gleich noch mal?“, raunte Cochrane.
„Weil wir Zeit schinden wollen. Jede Minute, jede Stunde, jeder Tag bringt unsere Verstärkungen näher, bringt die Terraner näher. Diese Konferenz sollte Stunden dauern, besser noch Tage.“
„Gutes Argument.“, murmelte Cochrane.
Er stutzte. „Sie haben die Rampe geräumt, wie ich sehe.“
„Und einen roten Teppich ausgelegt.“ Kalad lachte abgehackt. „Sie gehen entweder auf unsere Gewohnheiten ein, oder sie haben den Teppich drüben im Parlament gefunden.“
„Wie dem auch sei, vielleicht ist diese Konferenz doch mehr als ein lausiges Kapitulationsangebot.“, brummte der Generalgouverneur.

Sie verließen die Anlage über eine aufwärts führende Rampe. Cochrane wusste, dass hinter ihnen Scharfschützen auf der Lauer lagen, um ihnen im Notfall Deckung zu geben. Aber das beruhigte ihn nicht sonderlich, denn die Gegenseite hatte sicherlich eigene Scharfschützen, die vielleicht längst auf ihn zielten. Wäre er der Kommandeur gewesen, er hätte es so gemacht.
„Ach du lieber Himmel.“, entfuhr es Kalad erstaunt. „Was haben wir denn da?“
Cochrane, der sich auf die Suche nach den eigenen Schützen umgedreht hatte, folgte dem Erstaunen in Kalads Stimme – und stockte im Schritt. „Norun, sagen Sie mir, dass ich das nicht sehe!“
„Würde ich das tun, wäre es eine Lüge.“, brummte der Akarii ernst.
Sie gingen weiter, und die erstaunten Ausrufe pflanzten sich fort, entfuhren jedem, der die Rampe verließ und sah was vor ihnen lag.
„Das sind Kaiserliche Garden.“, stellte Kalad fest. „Tadellose Ausgehuniformen.“ Er schielte nach den Kragenabzeichen. „Die haben gestern noch im Kampf gestanden.“
„Dafür sehen sie viel zu gut aus.“, zischte Edward Cochrane missmutig.
Ungefähr in dreihundert Meter Entfernung erwarteten sie Gardetruppen, in einem fein aufgereihten Spalier, welches den roten Teppich eskortierte, direkt auf ein großes Zelt hinzu, das mitten auf planierten Trümmern aufgebaut worden war. Vor dem Zelt waren fünf Fahnenmasten aufgestellt worden. Die Fahne in der Mitte war jene des Kaiserreichs. Links davon wehten die Fahne von Armee und Marine der Akarii. Als sie das Spalier betraten, gellte ein scharfer Befehl auf, und die Soldaten des Gegners salutierten ihrem Feind, während Sonderkommandos mit unerhörter, roboterhafter Präzision die Fahne der Colonial Confederation und der Navy hissten.
Wieder erklang der scharfe Befehlston, und vollkommen synchron begannen die Kaiserlichen Gardisten zu brüllen.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Cochrane unsicher.
Konsterniert sah Kalad ihn an. „Sie lassen uns hochleben. Was ist hier los, verdammt noch mal? Warum bejubeln sie uns?“
Als die Abordnung das Zelt erreichte war es niemand geringerer als Admirälin Erster Klasse Yon Ataki, welche sie empfing. Man sagte von den Akarii, dass man den Rang der Gäste am Rang ihres Empfangschefs beurteilen konnte. Wenn man wirklich einen Admiral Ersten Ranges dafür abgestellt hatte, wer erwartete ihn dann dort drin? Der Kaiser?
„Exzellenz, Admiral, im Namen des Kaisers danke ich für Ihr Kommen. Der Gesandte seiner Majestät erwartet Sie.“ Nach einem Salut machte sie eine einladende Geste ins Innere des Zelts, während die Gardisten noch immer ihr monotones Gebrüll erklingen ließen, solange sich auch nur ein Colonial zwischen ihnen im Spalier befand.
„Was wird hier gespielt, Yon?“, fragte Norun Kalak scharf. „Warum stürmen Sie nicht einfach unseren Tiefenbunker oder werfen ein paar Bunkerknacker auf uns? Warum dieser Pomp?“
„Nun, ich hätte es sicherlich so gemacht.“, erwiderte Yon Ataki mit einem bitterlich-säuerlichen Zug um die Lippen. „Und ich kann es immer noch machen!“
Die beiden Männer, der Mensch und der Akarii, erstarrten für einen Moment. Worauf hatten sie sich hier eingelassen?

Als die Vertreter der ColCon eintraten, wandten sich alle Anwesenden ihnen zu. Applaus erklang und ließ die Verwirrung der Colonials noch steigen.
„Mylord Gouverneur, Admiral, Sir, Vertreter von Admiralität und Regierung, haben Sie herzlichen Dank, dass sie unserer Einladung gefolgt sind.“ Kal Ilis, seit Jahrzehnten der Wächter an ihrer Grenze, war jedem Politiker und jedem Soldaten wohl bekannt, und von ihn derart freundlich, wohlwollend begrüßt zu werden, schien ein gutes Zeichen zu sein. „Darf ich vorstellen? Der Sondergesandte Lord Dero. Er spricht mit der Stimme des Kaisers.“
Dero verneigte sich vor den Colonials. „Es ist mir eine Freude, nein, eine Ehre, die Häupter der wehrhaften, kampfstarken und treuen Confederation treffen zu dürfen. Bitte, nehmen Sie Platz. Wir haben viel zu besprechen.“
Mehrere Dutzend Akarii-Offiziere aller Waffengattungen waren anwesend. Einige waren verletzt, und die Auszeichnungen, die sie an promovierter Stelle an ihren Uniformen trugen, schienen neu zu sein. Es waren auch einige Offiziere der Colonial Navy anwesend. Die meisten schienen ebenfalls verletzt zu sein, zudem schienen sie vor dem Eintreffen der Delegation – als diese verstand Cochrane ihren Auftritt mittlerweile – im Gespräch miteinander vertieft zu sein.
„Das ist Kion Nari. Eines ihrer Fliegerasse, und wahrscheinlich ihre gefährlichste Pilotin im Sektor. Wer immer dafür gesorgt hat, dass sie den rechten Arm im Stützverband tragen muss, sollte einen Orden erhalten.“, raunte Kalak von der Seite. „Links daneben steht Commander Süttorf vom Bordgeschwader der INDEPENDENCE. Die letzten Meldungen besagten sie sei gefallen. Aber anscheinend hat sie es aus ihrer Maschine raus geschafft, und die Akarii haben sie aus dem All gefischt. Sie hat anscheinend Vakuumverbrennungen erlitten. Die Verbände sprechen für sich.“
„Ich kenne Melanie Süttorf“, erwiderte Cochrane ebenso leise. „Die Frage, die sich mir stellt ist nur, was sie hier tut? Ist sie eine Geisel? Sind unsere anderen Offiziere und Piloten Geiseln?“
„Natürlich nicht, Exzellenz.“, rief Lord Dero entrüstet. „Wir haben ihnen lediglich gestattet, den Verhandlungen beizuwohnen. Ihre Tapferkeit, ihre Opferbereitschaft und ihre Kampfkraft haben uns dazu veranlasst. Selbstverständlich können sie sich jederzeit einem Transport anschließen, der sie repatriiert.“
Cochrane und Kalak wechselten einen schnellen Blick. Wahrscheinlich war der Tisch unter ihnen verwanzt und erlaubte dem jungen Mann, jedes Wort zu hören, das sie wechselten.
„Wir danken Ihnen für Ihre Großzügigkeit, Mylord.“
Links und rechts von Dero nahmen Ataki und Ilis Platz.
„Meine Damen und Herren, bitte lassen Sie uns anfangen. Lassen Sie uns vom Frieden reden.“
Erstauntes Geraune ging durch das Zelt.
„Vom Frieden reden?“ Verblüfft sah Kalak den Diplomaten an.
„Natürlich. Warum sonst sollten Sie hier sein?“ Dero machte eine weit ausholende, alles umfassende Geste. „Was uns angeht, haben wir alles erreicht, was wir erreichen wollten. Wir stehen auf Hannover. Wir sind da wo wir hin wollen. Und nun wollen wir wieder fort.“
Kalak stieß Cochrane unter dem Tisch mit dem Knie an. Beide tauschten einen Blick voller Warnungen und Misstrauen. „Mylord, wie genau soll dieser Friede aussehen?“
„Sie erklären sich für neutral, und wir fliegen wieder ab.“, sagte Dero in einem nonchalanten Ton, als würde er übers Wetter plaudern.
„Was, bitte? Und das sollen wir Ihnen glauben? Dem sollen wir zustimmen? Nach all dem was ihr uns angetan habt? Nach fünf Jahren Krieg?“, rief Cochrane aufgebracht.
„Was können wir denn dazu? IHR habt uns doch dazu gezwungen!“, erwiderte Dero im gleichen Ton.
„Wir haben EUCH gezwungen? Das ist ja ein starkes Stück! Die größte Frechheit, die ich je gehört habe! Und die peinlichste Ausrede für einen Überfall, die wohl je ausgesprochen wurde!“, zischte Kalak.
„Ja, IHR habt UNS gezwungen! Jahre, Jahrzehntelang habt ihr in Angst und Schrecken vor der Republik gelebt, einen unsicheren Frieden erhalten, immer darauf gefasst, irgendwann von ihnen überrannt zu werden. Und dann, als es darauf ankam, verbündet ihr euch mit ihnen? Mit jenen, die ihr am meisten fürchtet? Wir hatten bereits Beziehungen aufgenommen, diplomatische Kontakte, Militärattachés! Wir wären euer bester und erster Partner gewesen! Und was ist passiert? Ihr lasst euch mit eurem Todfeind ein! Was, denken Sie, Admiral Kalak, hätten wir tun sollen, nachdem wir Manticore und seine Hauptwelt Trafalgar angegriffen haben? Den wichtigsten Verbündeten ebenfalls attackieren, oder darauf hoffen, dass er sich in die Gefechte nicht einmischt?“
„Vom militärischen Standpunkt haben Sie ja Recht.“, lenkte Kalak ein. „Ich hätte es genauso gemacht, und wahrscheinlich jeder andere Truppenkommandeur ebenfalls. Aber...“
„Aber dennoch haben unsere Diplomaten bis zum Schluss versucht, eine Neutralitätserklärung zu bekommen. Haben wir versucht, eine zweite Front an dieser Grenze zu verhindern. Die Colonial Confederation aus diesem Krieg heraus zu halten. Aber ihr wolltet euch ja nicht neutral erklären.“
Unsicher wechselte Kalak einen Blick mit Cochrane. Der Generalgouverneur räusperte sich. „Nun, es gab zwar diese Geheimverhandlungen, aber man hat uns nicht gesagt, dass wir angegriffen werden würden, wenn wir uns nicht neutral erklären würden.“
„Ja, Himmel, hätten wir es euch SAGEN sollen?“ Fassungslos hielt sich Dero den Kopf mit der rechten Hand. „Der Verhandlungsführer, Lord Iketas, wäre beinahe hingerichtet worden, weil er euch mehr als einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben hatte, und wie habt ihr reagiert?“
„Wieso komme ich mir getadelt vor?“, brummte Cochrane ärgerlich. „Wir haben nichts getan, was andere freie Nationen nicht auch getan hätten.“
„So wie es die freie Nation des Imperiums der Akarii getan hat.“, wandte Dero nüchtern ein.
Der große Akarii erhob sich und sah zu seinen beiden Primärgesprächspartnern herüber. „Es ist gut. Es ist genug. Wir wollen nicht länger auf Akarii und ihre Partner schießen müssen. Wir wollen das beenden. Wir müssen den Krieg vielleicht mit der Republik ausfechten, aber keiner kann von uns verlangen, dass wir bis in alle Ewigkeit die Confederation mitbluten lassen.“ Er streckte die Hände aus und hielt sie wie eine Schale vor sich. „Der Kaiser bietet der Confederation Frieden an. Nehmen Sie ihn aus meinen Händen. Oder lassen Sie es.“
Unruhiges Raunen ging durch die Delegation der ColCon.
„Mittlerweile denke ich, wenn der Bursche da mir sagen würde das Kühe fliegen, ich hinaus eilen würde, um mich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass es tatsächlich wahr ist.“, raunte Minister Terrence Fisher vom Wirtschaftsministerium.
„Die Alternative wäre die Vierte Flotte der Terraner,“, sagte Dero ernst und begann am Tisch entlang zu gehen, „sowie die Schiffe und Flottillen, die sich zum Entsatz dort draußen sammeln. Ich schätze, in frühestens zwei Wochen werden sie über die Wurmlöcher nach Hannover springen. Wenn sich der terranische Befehlshaber genötigt sieht eine feinere Taktik anzuwenden, drei bis vier Wochen, um alternative Sprungsysteme zu erreichen. Wir rechnen mit insgesamt zweihundert Kampfschiffen und Tross-Schiffen, hauptsächlich leichte Einheiten. Admiral Ilis?“
„In zwei Wochen haben wir achtzig Prozent unserer Schiffe kampfbereit, mit Fertigkeiten zwischen sechzig bis neunzig Prozent. Des Weiteren werden wir rund zwanzig Beuteschiffe kampftauglich bekommen. In zwei Wochen sind das einhundertdreißig Schiffe, davon mehr als ein Viertel schwere und schwerste Einheiten, dazu über dreihundert Jäger. Und das alles ohne unsere Kampfschiffe aus London herbei zu rufen. Vierzigtausend Soldaten, Bodentruppen, ein großer Teil davon die Elite des Kaiserreichs, die Garden, haben dann zwei Wochen Zeit gehabt, um sich zu befestigen. Und sie werden das hier tun, in der Hauptstadt, anstatt den Kampf auf das Umland zu tragen, wie ihre Truppen es fälschlicherweise versucht haben. Dazu kommen noch eine ganze Reihe Raumminen unterschiedlicher Kaliber, die immer noch aktiv an den Sprungpunkten ruhen und die wir problemlos mit eigenen Produkten ergänzen können. Man sagt, bei einem Angriff sollte der Angreifer dem Verteidiger, was Zahl und Technik angeht, im Verhältnis drei zu eins überlegen sein. Ich sage, die Angreifer werden es nicht sein. Und es wird sie viel kosten. Sehr viel. Vielleicht alles. Die Vierte Flotte zu vernichten und die Flanke der Republik weit zu öffnen wäre einen solchen Kampf mehr als wert.“
„Danke, Admiral Ilis. Das sind natürlich nur strategische Gedankenspiele. Niemand hier in diesem Zelt hat es vor, es so weit kommen zu lassen, oder?“
„Sie erwarten doch nicht ernsthaft, dass wir vergeben und vergessen, weil Sie lieb bitte sagen, Mylord? Wir befinden uns hier auf den Trümmern einer Stadt, die durch ihr Orbitalbombardement eingeebnet wurde!“, blaffte Kalak auf.
„Allerdings, und ich finde, das Admiral Ilis noch ausgesprochen nett war! So nahe am Regierungsviertel gab es natürlich keine Wohnkasernen, und auch keine Hochhäuser. Wer verschafft schon Attentätern und Spionen freiwillig eine gute Einsicht auf sein Ziel? Die Verluste halten sich im Rahmen. Ich würde sie sogar akzeptabel nennen.“
„Akzeptabel?“, rief Cochrane ironisch.
„Vorsicht, Exzellenz, vergessen Sie nicht die Relation. Admiral Ilis hätte auch ganz anders handeln können! Immerhin waren Sie es, die den Boden-Raum-Beschuss mit atomaren Raketen gestattet haben! Nach allen bekannten Regeln der Kriegskunst hätte keine Nation der Galaxis unser Recht angezweifelt, die Raketenstellungen mithilfe eigener taktischen Atomgranaten auszuschalten! Stellen Sie sich die Verwüstungen vor, die angerichtet worden wären! Aber nein, Admiral Ilis hat beschlossen, die Schläge hinzunehmen, und sich auf ein rein taktisches Vorgehen beschränkt, kein blutrünstiges!“
„Orbitale Atomraketen sind eine anerkannte Waffe.“, wandte Kalak ein.
„Das mag sein, aber wir haben immerhin nicht mit einem atomaren Bombardement geantwortet.“, versetzte Dero giftig. „Im Gegenteil, wir haben auch diese Handlung der Streitkräfte der Confederation als ehrenvolle Handlung interpretiert, im verzweifelten Kampf um ihre Heimatwelt. Wir ehren einen Gegner, der so voller Hingabe und Opferbereitschaft kämpft.“
„Lassen Sie uns über den Frieden reden. Das gefällt mir irgendwie besser als eine Vision von einem erneuten Kampf im Orbit, oder gar ein Bodenkampf hier an dieser Stelle.“, sagte Minister Fisher, wohl wissend, das er seine Karriere riskierte. „Wie sähe diese Friede aus? Und was würde er uns kosten?“
Dero breitete erneut die Arme aus. „Nicht viel mehr als ein wenig Ehre, ein Zeichen und die Neutralität sowie die vertragliche Zusicherung, die Republik in keinster Weise zu unterstützen.
So wie wir es sehen wurden wir durch die Umstände gezwungen, gegen die Confederation anzutreten. Ein wenig von Ihnen, ein wenig von Prinz Jors, nun, voreiligem Plan. Wir haben diesen Waffengang nicht gerne begonnen. Aber wir haben ihn beendet. Wir stehen hier auf Hannover, und wir konnten uns davon überzeugen, dass unsere Akarii-Brüder ihr Herz nicht verloren haben, dass sie noch immer schreckliche Gegner sind. Das gilt auch für ihre menschlichen Waffenbrüder. Wir haben ein ehrenvolles Duell gefochten, das wir hier an dieser Stelle siegreich beenden wollen. Wir nehmen den Ruhm über diesen Sieg mit nach Hause, die Gewissheit, in der Confederation vielleicht einen künftigen sicheren und wehrhaften Partner finden zu können und unsere soldatische Ehre. Es war ein langer, ein blutiger, aber ein guter Kampf. Beide Seiten haben sich Ruhm erworben, die Colonial Navy nicht zuletzt durch diesen tapferen Opfergang. Es wäre eine Schande, das vergossene Blut ihrer Männer und Frauen nicht zu würdigen und der Confederation nicht mit Respekt und Anerkennung zu begegnen. Wir wollen Sie ehren für all das was sie gezeigt und getan haben. Wenn Sie uns denn lassen.“ Langsam setzte sich Dero wieder auf seinen Sitz.
„Und als Gegenzug verlangen Sie die Neutralität.“, sagte Kalak mit monotoner Stimme.
„Zuallererst bitten wir darum, dass die Admiralität ein sofortiges ,Feuer einstellen’ befiehlt. Zu angemessener Zeit müssen die besetzten imperialen Welten geräumt werden. Außerdem fordern wir die Colonial Confederation zur vollen Neutralität in diesem Konflikt auf. Sowohl im Bezug auf Terra als auch auf uns bezogen. Der Kaiser wird nicht verlangen, dass die Navy auf unserer Seite in den Krieg eintritt. Das verspricht der Kaiser durch mich mit seinem Wort.“
Kalak erschauderte für einen Moment. „Niemand zweifelt an der Aufrichtigkeit des kaiserlichen Worts. Aber haben Sie das Recht, es zu verpfänden, Mylord?“
Wortlos legte Dero sein Siegel auf den Tisch. Ein erschrockenes Raunen der Wissenden ging durch das Zelt. „Meine Stimme IST die des Kaisers, Admiral.“
Dero nickte ihnen zu, bevor er das Siegel bedächtig wieder zu sich heran zog. „Des Weiteren weiß die Admiralität des Imperiums das auf beiden Seiten vergossene Blut zu schätzen. Es darf nicht verschwendet sein. Wir sollten diesen Konflikt als das betrachten was er war – ein blutiges Gemetzel auf beiden Seiten. Aber zugleich sollten wir den Kampfeswille, die Opferbereitschaft und den Mut der Soldaten auf beiden Seiten ehren.“
Cochrane schnaubte leise. „Sie wollen, dass wir ebenfalls ehrenvoller Soldat spielen und mit Gardetruppen und Hurra-Rufen winken, wenn Sie abfliegen.“
„Ja. Oh ja. Wirklich, eine grandiose Idee. Wie könnte man den gegenseitigen Respekt auch besser ausdrücken? Wunderbar formuliert, Exzellenz. Ja, ich denke, so können wir es machen. Habe ich schon erwähnt, dass wir die drei besetzten Welten selbstverständlich räumen werden? Wir hatten ohnehin nie vor uns dort festzusetzen. Ein Abzug dauert lediglich ein paar Tage.“
Wieder wurde geraunt, doch diesmal erfreut, beinahe euphorisch.
Fisher unterdrückte ein Lachen. „Und Schweine fliegen jetzt auch schon. Wenn wir ihm zwei Minuten länger zuhören, beginnen sogar die Elefanten mit ihren Ohren zu schlagen und sich in die Lüfte zu erheben.“ Ein amüsanter Zug legte sich um die Lippen des Ministers. „Sie sind ein gefährlicher Mann, Lord Dero. Denn ich tendiere dazu, Ihnen zu glauben.“
„An mir ist nur etwas gefährlich, wenn Sie Frieden und Ordnung in der Confederation für gefährlich halten, Minister Fisher.“, erwiderte der Sonderbevollmächtigte ernst, aber mit einem Glimmen tief in den Augen.
„Und was ist das für ein Zeichen der Neutralität, das Sie verlangen?“, fragte Kalak und lenkte das Gespräch wieder in alte Bahnen.
Entschuldigend zuckte Dero mit den Achseln, in einer natürlichen terranischen Geste der Verlegenheit. „Verzeihen Sie mir, Admiral, aber wir sind die Sieger. Und die Sieger bekommen nun mal die Beute. Wir brauchen einen Beweis, einen weithin sichtbaren Beweis, dass wir gewonnen haben. Das wir nicht nach Hause geschlichen kommen, geschlagen und demontiert, sondern erfolgreich nach einem Kampf mit einem ehrenwerten Gegner. Admiral Ataki?“
„Sie wollen unsere drei Akarii-Welten.“, hauchte Cochrane und wurde kreidebleich.
Yon Ataki erhob sich. „Wir haben da etwas Bestimmtes ins Auge gefasst. Monumente der Kampfkraft, der Bedeutung und des Stolzes. Tatsächlich haben wir sogar schon die Zustimmung erhalten, dass unsere Forderung nicht unerfüllbar ist.“ Admiral Ataki nickte einer Wache zu, die daraufhin ein Stück Plane einschlug und einen Pfleger mit einem Schwebestuhl herein ließ. Und auf dem Stuhl saß ein bandagierter Mann mit einem stillen Lächeln im Gesicht.
„Gerold!“, rief Cochrane überrascht. „Aber wie...“
„Ich habe, dein Einverständnis vorausgesetzt, bereits zugestimmt, Eddie.“, sagte der Vize-Gouverneur. „Hör ihr zu, es lohnt sich.“
„Du hast drei unserer Welten verkauft? Gerold, ich...“, begann Cochrane aufbrausend.
„Bitte, Exzellenz, das führt doch zu nichts!“, warf Dero ein. „Ablehnen können Sie immer noch. Bitte, Admiral Ataki.“
„Wir wollen die CNS INDEPENDENCE und die CNS JOHN PAUL JONES als Beute! Wir werden sie wieder sprungfähig machen, nach Akar schaffen und als Beweise für unseren Waffengang im Orbit verankern. Lord Dero hat bereits suggeriert, dass man auf den Schiffen Museen einrichten könnte, welche diesen Krieg behandeln. Außerdem wäre eine permanente Vertretung der Colonial Confederation wünschenswert. Sie könnte auf einem der Schiffe eingerichtet werden. Ich habe auch schon daran gedacht, die Überführung von Ihren Leuten durchführen zu lassen, Admiral Kalak. Als Zeichen des Respekts, den wir füreinander empfinden.“
Wieder wechselten die beiden Männer einen Blick. Vielsagend, angespannt.
„Das ist mein Angebot für Sie, im Namen des Kaisers. Nehmen Sie es an, oder lassen sie uns kämpfen.“, schloss Dero. Aufmerksam musterte er den Generalgouverneur und den Flottenchef.
„Wer sagt uns, dass die Akarii nicht eines Tages wiederkommen, wenn sie die Zeit, die Schiffe und die Gelegenheit dazu haben?“, fragte Cochrane bitter.
Dero schnaubte amüsiert. „Akarii kämpfen nicht gegen Akarii. Was dabei herauskommt haben wir ja gesehen. Der Widerstand der Colonial Confederation war erstaunlich. Ich wüsste keinen Admiral, der diese Erfahrung freiwillig am eigenen Leib verspüren will. Versprechen kann ich Ihnen nichts, Exzellenz. Ich bin nicht der Kaiser, nur seine Stimme. Aber wenn wir heute im Respekt scheiden, dann ist dieser Respekt etwas wert. Mehr als Verträge. Mehr als die Personen, die sich heute gegenübersitzen. Dann wird er der Garant für Frieden zwischen unseren Nationen. Ein kluger Terraner hat einmal gesagt, es kann zwischen Personen Freundschaft geben, aber nicht zwischen Nationen, weil diese sich das gar nicht leisten können. Wir hingegen können uns keinen zweiten Confederation-Krieg leisten. Ich füge dem noch etwas hinzu: Wenn wir die Geschichte ganz nüchtern betrachten, hat das Kaiserreich keinen Grund, die Confederation anzugreifen, solange sie neutral bleibt. Das ist der Kern der Wahrheit.“
„Ich glaube, Pinguine können jetzt auch fliegen“, brummte Cochrane schroff.

***

Es geschah nicht sehr oft in meiner Karriere als Flieger, aber ab und an passierte es eben. Momente, in denen ich einfach nur funktionierte, zur Maschine degradiert wurde. Zugegeben, ich war effizient, aber all meine Erlebnisse, alles was um mich herum geschehen war, erschien mir dann hinterher wie ein böser Traum. So war es über Karrashin III, beim unseligen Anflug auf den Gegner. Im Nachhinein konnte man natürlich gutes wie böses am gescheiterten Angriff finden, aber ich persönlich fragte mich doch manchmal, ob ein Angriff nur von den Fliegern durchgeführt bei der erwarteten Truppenstärke des Gegners nicht unweigerlich ins Fiasko geführt haben musste – was er dann ja auch getan hatte.
Ich erinnerte mich an unsere Verluste, an die verzweifelte Situation bis zum Rückzugsbefehl, sah Skunk in die Atmosphäre stürzen, und spürte diesen einen, diesen einzigen Gedanken: Mist, jetzt habe ich die Roten.
Ich funktionierte, ich kommandierte, ließ mich nicht erschüttern. Wie denn auch? Ich war bar jeder Emotion, da war nichts was erschüttert werden konnte. Genauso hielt ich die Roten zusammen, genauso führte ich sie im Rückzug, zur nächsten großen Schlacht, in der unsere Dickschiffe steckten. Waren wir die Rettung? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall aber war unser Angriff nicht verkehrt und definitiv nicht zur falschen Zeit gekommen.

Lange nach der Schlacht, als alles getan war, als alle Formulare ausgefüllt gewesen waren, als die Verwundeten versorgt, die Maschinen im Gewahrsam der Reparaturteams und der Rest in den Kojen war, da hatte ich den Moment, jenen winzigen kostbaren Augenblick, in dem die Realität wieder einsetzte. Ich wälzte gerade die Funkprotokolle, eine äußerst sinnentleerte Tätigkeit, die eher zur vernachlässigbaren Routine gehörte und die hätte warten können, wenn ich nicht von so viel innerer Unruhe erfüllt worden wäre, dass an Schlaf nicht zu denken war.
Tatsächlich stieß ich auf einen Funkanruf von Ohka, mit dem er mich und meine Roten in den letzten Angriff befohlen hatte. Abgesehen von der Chuzpe, mir etwas befehlen zu wollen und seiner tiefen Angst, ich hätte die Situation nicht selbst bereits gesehen, zeigte sich hier etwas, was mich mit dieser neuen Arroganz des Freundes versöhnte. Der kleine Dummkopf hatte die Staffelfrequenz nicht gewechselt. So gesehen war es reines Glück, dass wir zusammengearbeitet hatten, und kein Wunder, dass ich ihn nicht gehört hatte. Ich war ja nur auf Staffelführerfrequenz gewesen. Als Zweitsequenz hatte ich Einspeisungen meiner Roten gehabt. Nun, im Nachhinein war alles so gut gelaufen wie es immer möglich war. Wenngleich ich drei zu Tode erschöpfte Piloten meiner Roten hatte fünfzig Liegestütze machen lassen, weil sie sich positiv über Skunks Abschuss geäußert hatten. Auch das war vollkommen mechanisch geschehen, funktionell. Aber es war notwendig gewesen, sehr notwendig, denn ich selbst wusste als erster, welches Schicksal Kriegsgefangenen blühte.
Ich hielt inne, schnaufte frustriert und warf einen weiteren Blick auf den Bildschirm. Mein Killboard stagnierte knapp unter der dreißig, auch diesmal war nur ein Abschuss hinzugekommen. Das war eine beachtliche Menge an Abschüssen, aber auch mit meiner Gefangenschaft und zwei Jahren Reha-Pause immer noch etwas wenig. Ohka war bei sechsunddreißig, Lilja und Huntress sogar schon drüber und kratzten bald an den legendären fünfzig. Doch es war wohl richtig, dass nur schlechte Staffel- und Sektionsführer viele Abschüsse hatten. Die Guten hatten ihre Flügelleute noch an der Seite. Dementsprechend konnte ich mich darüber freuen, dass Artist ihren achtzehnten Abschuss hatte feiern können. Auch der Rest der Staffel hatte sich gemacht. Okay, Skunk, Fish und Hacker waren nicht zurück gekommen, im besten Fall ausgestiegen, aber ich war mir sicher, dass in der kommenden Schlacht das Schicksal den Blutzoll einfordern würde, den es in Karrashin von der Roten Staffel der Angry Angels noch verlangen würde. Wenn nicht bei ihm und Cartmell sowie den freiwilligen Roten, dann von Mantis und ihrem Teil der Staffel, die auf der anderen Wurmlochseite auf den Einsatz warten würden.
Ich atmete heftig aus und ein. Nickte mir selbst zu. Und dankte in Gedanken Noname dafür, dass er bereits einen Großteil der Verwaltungsarbeit erledigt hatte. Ich würde mich noch bei ihm entschuldigen müssen, ich hatte ihn verschreckt und an mir zweifeln lassen, nachdem er mir die offensichtliche Frage gestellt hatte: Ob ich noch etwas für Kali spürte.
Ich schnaubte amüsiert und ein wenig erschrocken. Natürlich liebte ich sie noch immer. Das war ein so tiefes Gefühl in mir, das ich es niemals ganz aus meinem Herzen reißen konnte. Aber es war nicht mehr die Begeisterung aus den ersten Tagen gewesen, auch nicht die falsche Ritterlichkeit, mit der ich sie behandelt hatte, nicht mehr dieses jugendliche Verlangen aus Lust und Faszination. Würde jemals etwas aus uns werden? Gewiss nicht, das wusste ich tief in meinem Herzen. Ich und die Inderin, nein, der Zug war abgefahren. Aber sie war etwas Besonderes und würde es immer bleiben. Denn nachdem ich als Pilot auf den Träger zurückgekehrt war – wusste der Teufel, was Lone Wolf für Knöpfe gedrückt haben musste, damit ich nicht in ein anderes Geschwader versetzt wurde, und hier auch noch einen sehr ansprechenden Platz erhielt – war sie die einzige, die mich nicht abergläubisch, ängstlich oder übertrieben freundlich behandelt hatte. Na ja, Maho hatte mich ebenfalls freundlich empfangen, aber die junge Brückenoffizierin hatte schließlich auch nur den One Arm Bandit gekannt, nicht den genesenen Elite-Piloten mit zwei Armen und kurz geschorenem, aber wenigsten vorhandenem Haar. Ein wenig fragte ich mich, ob sie in mich verliebt sein mochte. Und wenn es der Fall war, wie sollte es weiter gehen?
Meine Gedanken gingen zu Huntress, zur deutschen Pilotin, die bereits so hoch aufgestiegen war, so viel Verantwortung hatte tragen müssen. Früher einmal waren wir so etwas wie ein Paar gewesen, vor meinem "Tod" in der Schlacht von Jollahran. Als ich Jahre später zurückkehrte, war Huntress immer noch Huntress, aber in ihrem Leben gab es keinen Platz mehr für einen Clifford Davis auf ihrer Bettkante. Der Druck, die Belastung, ihre Verluste, all das hatte sie effizienter werden lassen, aber auch unsicherer, kühler, ernster. Ich war mir sicher, dass sie nach mir keinen anderen Liebhaber gehabt hatte. Und dass ich es nicht wieder werden würde. Zu wenig Zeichen kamen von ihr, und ich selbst war verunsichert, was sie betraf, meine Gefühle für sie. War es die Mühe noch wert? War sie nicht eigentlich alle Mühen wert? Aber sie war so verdammt anders. Kali hingegen hatte mich normal behandelt.
Nein, Stopp, das stimmte nicht. Das stimmte hinten und vorne nicht. Es gab eine weitere Frau, die ihr Verhalten mir gegenüber auch nicht geändert hatte. Im Gegenteil, die mich seit meiner Verwundung mit einem Hauch von Wohlwollen behandelte: Tatjana.
Das war eine wundervolle Konstante in meinem Leben, eine sichere Bank.
Sie war in der Schlacht verwundet worden und lag – der alte Dauergast – wieder mal im Revier. Es hieß, der einzige Pilot, dem immer ein Bett freigehalten wurde war Ohka, aber auch Lilja sollte mittlerweile ihren Platz blind finden. Allerdings nur den Weg raus, denn hinein kam sie nur sehr ungern. Ich zuckte die Achseln. Vielleicht war ein Besuch bei ihr eine gute Idee, wenn ich sie etwas abkühlte und damit dem Personal der Krankenstation das Leben erleichterte. Und dies geschah am besten indem man ihr etwas zu tun gab. Also lud ich ein Pad mit allen Daten zu beiden Schlachten über Karrashin III und V und steckte es ein.

Mein Gang führte mich in die Gemeinschaftsstube, in der Lilja lag. Die letzte Schlacht hatte aus Einbettzimmern Zweier gemacht und aus Zweiern Viererzimmer. Zudem waren sie bunt gemischt, was normalerweise den einen oder anderen Moralwächter auf die Barrikaden gerufen hätte. Aber ich wusste, hier war alles sicher. Lilja würde den Männern nichts tun, solange sie sich ruhig verhielten.
"Hitzkopf", sagte ich als allererstes, als ich eintrat.
Dies brachte mir den ersten bösen Blick der Russin ein, die tatsächlich gerade versuchte, ihre Dienstjacke anzuziehen. "Was willst du, Potemkin?", brummte sie.
Potemkin, in ihrer persönlichen Sicht der Welt bezog sich das auf die potemkinschen Dörfer, die fraglicher Minister seiner Zarin gezeigt hatte, um sie vom Wachstum des Landes zu überzeugen. Es waren Attrappen gewesen, und ein sehr deutlicher Hinweis auf meine Zeit als Gespenst der COLUMBIA, als ich mich meinen Kameraden vom Flugdeck noch nicht zu erkennen gegeben hatte. Sie hatte noch mehr solcher Namen für mich, und die meisten waren nicht sehr nett. Aber man musste Lilja eben so nehmen wie sie war. "Versuch gar nicht erst, aus dem Bett zu kommen", triezte ich sie und ergriff das Paar Krücken, um es neben den Eingang zu stellen. Unerreichbar für die Russin. Sie zischte wütend, höchst verärgert.
Ich warf ihr den Datenträger zu. "Du hast zu tun, Schatz. Hier, alle Aufzeichnungen von der Schlacht. Und da soll noch mal einer sagen, wir wären unversöhnliche Feinde."
Dankbar nahm sie den Datenträger entgegen. Sie sah mich interessiert an. "Unversöhnliche Feinde? Wer behauptet so etwas? Wir sind doch keine Feinde, Fritzen. Wir sind nur unterschiedlicher Meinung. Du liebst die Akarii, ich töte sie, das ist alles."
Ich lachte leise auf, was einer der anderen Kranken, ein schnorchelnder Marine, mit einem Schnauber kommentierte. Also senkte ich die Stimme. "Ein unvoreingenommener Beobachter könnte darauf kommen, Schatz. So wie du mich immer behandelst..."
"Wie behandle ich dich denn? Ich kann mich nicht erinnern mit dir schärfer ins Gericht gegangen zu sein als mit einem meiner Leute. Gut, gut, deine Einstellung stinkt mir. Aber irgendwo hast du mir bewiesen, dass du zum Akarii-töten taugst. Auch wenn du immer noch von Friede und Eierkuchen säuselst, du tust deinen Job und bringst sie um." Sie sah auf das Datapad. "Ich respektiere so etwas, Fritzen."
Ich fühlte, wie mir ein merkwürdiger Schauer über den Rücken rann. Fühlte ich mich... gelobt? Akzeptiert? Und warum freute mich das so?
"Und überhaupt,", begann sie erneut zu sprechen, "du hast deine Verwundung und die Reha gut weggesteckt. Das alleine wäre schon Grund genug, um dich nicht zu hassen, als wertvollen Kameraden an meinem Flügel." Sie sah auf und Spott stand in ihren Augen. "Fühle dich gelobt, Cliff. Das hast du von mir aber auch nur gehört, weil ich unter Drogen stehe."
Abwehrend hob ich die Hände. "Genug, genug, Lilja. Sonst gewöhne ich mich noch daran, von dir gelobt zu werden und verfalle dir ganz und gar."
Eines ihrer seltenen Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Wird nicht wieder vorkommen, Lieutenant, versprochen." Sie sah mich über den Rand ihres Datapads an. "Du bist in der primären Angriffsgruppe?"
Ich nickte. "Habe mich als Dritter gemeldet. Irgendwie habe ich erwartet, dass du zuerst aufstehen würdest, als Raven Freiwillige haben wollte, sonst wäre ich Erster gewesen."
"Oh, ein Kompliment von dir. Ich fühle mich im höchsten Maß geehrt, Blauhaar."
"Irgendwie bin ich froh, dass du diesmal nicht mit fliegst. Es könnte knapp werden für uns. Dann ist einer von den Alten der REDEMPTION wenigstens noch hier, sollte ich fallen", sagte ich in einem Anflug von Panik und Sarkasmus. "Und das bedeutet mir etwas."
Sie musterte mich offen, sachlich. Und sehr ernst. "Wage es nicht, diesmal zu sterben, Clifford Davis. Dir würde ohnehin niemand glauben, dass du tot bist. Und... Ich würde es vermissen, wieder einen alten Kameraden der REDEMPTION weniger um mich zu haben. Ich habe bereits um dich getrauert, also kriegst du keine Extras."
"Du hast um mich getrauert? Wie rührend."
"Ich habe das ernst gemeint, Cliff. Letztendlich sind wir Kameraden, und entgegen meiner ersten Befürchtungen schießen wir in die gleiche Richtung. Ich vertraue dir, und es ist ein Verlust nicht nur für die Roten, wenn du fallen solltest."
Ich antwortete nicht. Wie auch, es ging ja gar nicht. In meinem Hals steckte ein dicker Kloß. Es bedeutete mir sehr viel, von Lilja anerkannt zu werden, von ihr akzeptiert zu sein. Mir war ein wenig so, als würden all unsere Kabbeleien wirklich nicht mehr als Kabbeleien sein, als würden wir endlich tatsächlich in eine gemeinsame Richtung schießen.
"Hrm,", machte sie, "ich werde es später bereuen, aber... Komm mal heran, Towarischtsch."
Arglos und bar jeder Abwehr trat ich zu ihr. Sie langte nach meinem Nacken, zog mich zu sich herab und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. "Nipucha nipira, Towarischtsch." Ernst, stolz und ein wenig erschrocken über sich selbst nickte sie mir zu.
"Spaciba, Towarischtsch Masha", erwiderte ich, nickte ihr zu und ging.

Auf dem Gang spürte ich wie mir die Beine weg sackten. Himmel, sie hatte mich gerade geküsst! Nicht, dass es für sie mehr bedeutete, als einem guten Kameraden Glück zu wünschen, russische Soldaten waren in dem Punkt immer ein klein wenig merkwürdig und kussfreudig. Aber ich sah die Anerkennung, die ich dadurch erfahren hatte, ich, den sie Fritzen und Akarii-Freund nannte. Doch da war noch mehr, denn obgleich es nicht gerade ein Zungenkuss gewesen war, jenseits soldatischen Protokolls, so war er mir doch durch Mark und Bein gegangen. Ich stützte mich hilflos an der nächsten Wand ab und rang um Atem. Flüssiges Feuer rann durch meine Adern, und ein Hochgefühl ging als wohliges Kribbeln durch meinen Körper.
Verdammter Mist, ich war verliebt. Warum suchte ich mir für so etwas eigentlich immer die falschen Frauen aus? Als meine Beine mich wieder trugen, verließ ich das Revier. Seltsam beschwingt und erleichtert zugleich, so als hätte ich etwas erlebt, was lange überfällig gewesen war. Ich konnte es nicht beschreiben, aber es war leicht, warm und schön. Nur war Lilja dafür eine denkbar schlechte Partnerin, und da war immer noch Sokol und... Aber, verdammt noch mal, ich war Pilot, bereits einmal tot und hatte nichts in dieser Welt zu verlieren. Wenn ich diese Schlacht überlebte, warum also nicht?

***

Eine große Spannung hatte das Schiff ergriffen. Nach unserer abgewendeten vollständigen Vernichtung, dem Angriffsdebakel unserer Schwadron und diversen Kleinigkeiten, die uns das Leben zur Hölle gemacht hatten, steckten wir nun mitten in den Vorbereitungen einer weiteren genialen taktischen Raffinesse von Lone Wolf. Spötter behaupteten, man könne Cunningham entweder nur lieben oder nur hassen. Nach langen Jahren an seiner Seite kam ich zu der Erkenntnis, dass Hass in Bezug auf Lone Wolf auch ein positives Gefühl war.
Raus gehen, dem Feind auflauern, ausschlachten was die Raketen und Minen übrig lassen würden. Das klang einfach, aber jedem einzelnen Piloten der Freiwilligenmission war klar, was ihm bei einem Ausstieg drohte. Über Karrashin III war dieses Schicksal klar gewesen und hatte uns einige gute Piloten und Skunk gekostet, die, wenn sie noch lebten, nun in Gefangenschaft waren. Wenn sie Pech hatten. Was Akarii-Gefangenschaft bedeutete konnte ich wohl am besten sagen. Ich und Trajan, aber der Junge hatte seinen letzten Flug schon hinter sich. Wer also am Wurmloch aussteigen musste oder es nicht rechtzeitig auf die HONGKONG oder eines der Begleitschiffe schaffte, der musste mit Spucke, Draht und Glauben mal schnell einen Sprungkonverter für seinen Jäger zusammenbasteln oder sich mit den Akarii anfreunden. Ich hatte mich trotzdem freiwillig gemeldet, allerdings nicht als Erster. Irgendwie hatte ich wirklich, wirklich erwartet, dass Lilja aufspringen würde, aber verletzt wie sie war durfte sie nicht fliegen. Diese Frau konnte man nicht mit Wunden, Brüchen oder Schmerzen aufhalten, nur mit der Dienstvorschrift. Und genau diese Vorschrift verwehrte ihr den nächsten Kampf. Ich hoffte wirklich, der Bordarzt hatte daran gedacht ihr ein Frustholz zu verschreiben, in das sie beißen konnte. Sobald wir... Wenn wir zurückgekehrt waren, hatte sie es wahrscheinlich durchgebissen.

Letzte Vorbereitungen, Check der Maschinen, der Waffen, der eigenen Ausrüstung. Ich ging die Liste mit meinem Tech durch, dann kam das Signal: Eine Stunde bis zum Einsatz. Für mich wurde es Zeit, aber auf eine andere Art. Langsam ging ich zu Noname rüber und klopfte ihm auf die Schulter. "Wem soll ich Glück wünschen? Dir oder den Akarii?", scherzte ich.
Unsicherheit floss über sein Gesicht, und ich fühlte mich genötigt hinzuzufügen: "Das war ein Scherz, Topass!"
"Du bist nicht sauer auf mich?", fragte Cartmell und bezog sich auf unsere Unterhaltung, die nicht sehr erfreulich für mich geendet hatte. Wahrheiten konnten schmerzen.
"Nein, warum sollte ich? Im Gegenteil, ich bin dir dankbar. Es wurde Zeit, dass mir jemand so etwas ins Gesicht sagt. Wir sehen uns vor dem Abflug." Noch einmal klopfte ich ihm auf die Schulter, dann verließ ich den Hangarbereich.
Wie erwartet hatte sich Mantis am Rand der Halle gegen die nächste Wand gelehnt und beobachtete das Treiben unter halb geschlossenen Augen.
"Nicole.", sagte ich ernst und erntete nun ihre volle Aufmerksamkeit.
First Lieutenant Shaw musterte mich ein wenig überrascht. Ihre Augen sagten sehr deutlich: Was willst du?
"Wenn ich und Noname wieder kommen, würden wir gerne eine einigermaßen intakte Staffel vorfinden. Schaffst du es, die Roten zusammen zu halten?"
Sie schnaubte, halb frustriert, halb amüsiert.
"Du willst wissen warum ich Cartmell zur Nummer drei gemacht habe und nicht dich? Ich will es dir sagen: Er ist besser als du."
Darauf folgte ein frustriertes Schnauben.
"Allerdings nicht viel besser, sonst hätte ich entweder Cartmell befohlen, bei der Staffel zu bleiben, oder einen fähigeren Menschenführer aus einer anderen Staffel angefordert."
"Na, danke.", murrte sie und sprach damit das erste Mal.
"Außerdem musste ich daran denken, dass derjenige, dem ich die Roten überlasse, eventuell, und vielleicht sogar sehr wahrscheinlich entweder XO oder Staffelchef wird. Und da bist du die einzige, der ich es zutraue, den Job in den Griff zu kriegen. Viel hast du gerade nicht zu kommandieren, aber wenn wir es hier raus schaffen, dann wird es wieder eine Staffel sein. Und du wirst sie dann vielleicht anführen."
Sie gab ihre starre Haltung ein wenig auf und stieß sich von der Wand ab.
"Und du hast unsere grünen Kids dabei. Achte ein wenig auf sie. Wer macht deinen XO?"
"Unicorn. Für einen Griphen-Treiber hat er ein gutes Auge für das Ganze."
"Gute Wahl." Ich streckte Nicole die Hand hin. "Guten Flug, Pilot."
Sie ergriff die Hand und flüsterte: "Wage es ja nicht, da draußen zu bleiben, Ace. Der Papierkrieg ist die Hölle."
Ich lächelte sie an und schlug ihr burschikos auf die Schulter. Dann ging ich weiter.

Im Bereitschaftsraum fand ich die Frau, die ich suchte: Juliane Volkmer, in ein sachliches Gespräch mit Chip vertieft. Als ich eintrat sah sie kurz auf. Ihr Gesicht war ernst, und erst nach mehreren Sekunden erschien ein kurzes, dünnes Lächeln auf ihren Zügen.
"Huntress, hast du Zeit für mich?"
"Natürlich. Entschuldige mich, Chip."
Wir setzten uns abseits, und Juliane musterte mich ein wenig ängstlich. "Darf ich dir zur eigenen Staffel gratulieren? Oder haben Raven und Lone Wolf dir einen Strich durch die Rechnung gemacht?"
"Meine Staffel wurde halbiert. Noch gehört sie mir, und ich habe Hoffnung, dass sie es bleibt, wenn nach dieser Schlacht noch etwas übrig ist, was sich zu kommandieren lohnt."
"Du hast Mantis hier gelassen. Anscheinend hast du meine Worte befolgt, nach denen man immer gute Leute in der zweiten Reihe haben muss, die übernehmen können, wenn es sein muss. Wie kompensierst du deine fehlenden Leute? Und das Fehlen von Skunk?"
"DAS ist ja wohl eher eine positive Entwicklung.", erwiderte ich voller Sarkasmus.
"Ich fliege wie immer mit Artist, und Cosmos begleitet Noname. Der Rest hört auf Mantis. Kann ich dich darum bitten, ihr etwas zur Hand zu gehen, wenn es sein muss? Ich weiß nicht wo ich sein werde, wenn die HONGKONG zurück springt und die Falle zuschnappt."
"Falls sie zuschnappt.", erwiderte Juliane ernst.
"Ja, falls sie zuschnappt. Also?"
Sie lächelte warm. "Ich tue was ich kann. Wie immer, Ace."
Ihre Hände krampften sich. "War es das? Oder gibt es noch mehr?"
"Da ist noch was. Das ist allerdings privat. Ich... Es ist eigentlich unmöglich, aber... Es gibt da jemanden..."
Was immer ich an Reaktionen erwartet hatte, diese sicher nicht. Sie sah auf, und in ihren Augen war ein Strahlen. "Oh. OH! Wer ist es? Diese niedliche Second Lieutenant von der Brücke? Oder hast du deine Augen auf Frischfleisch von der Akademie geworfen?"
"Langsam, langsam. Ich will erst grandios scheitern, bevor ich da mehr sage. Ich will vorher alles getan haben, genauso wie wenn ich fliege. Ich rechne nicht mit einem Abschuss." Ich beäugte sie misstrauisch. "Nicht, dass ich von dir erwartet habe, in Tränen auszubrechen oder so. Aber du nimmst das doch sehr gefasst auf."
Sie knetete ihre Hände und sah fort. "Ace, ich... Cliff, du musst verstehen, du bist nicht mehr der der du damals warst. Und ich bin nicht mehr die, die ich damals war. Ich... Wir... Uns... Gibt es denn noch ein uns? Ich bin mir nicht sicher, aber ich hatte immer das Gefühl, für dich... Erreichbar zu sein. Verstehe mich nicht falsch, zwischen uns ist noch etwas, definitiv, aber weder der alte Hunger von früher, noch etwas neues. Ich bin froh, wenn du sagst, dass du deine Augen auf jemanden gerichtet hast. Vielleicht wäre ich auch froh gewesen, wenn ich es wieder geworden wäre, vielleicht aber auch nicht. Ich..." Sie sah mit einem wehmütigen Lächeln auf ihre Hände. Dann seufzte sie lang und schwer. "Ich will schon seit Ewigkeiten was mit Chip anfangen, weißt du?"
"Das ist jetzt keine Ausrede oder einfach Verlegenheit, oder?", fragte ich ernsthaft irritiert.
"Du bist nicht der einzige, der nicht gerne stehen bleibt, Kleiner", erwiderte sie. "Ich habe mich nur immer gehindert gefühlt, solange du... existierst, Ace. Ich weiß, das klingt gemein, aber du bedeutest mir genug, damit ich all die lange Zeit, all die Jahre das für dich tue. Aber es ist gut, wenn es jetzt vorbei ist. Ich... Ich will dein Freund sein, Cliff. Ich weiß, dass wir das füreinander sein können. Aber ich will nicht mehr die Verantwortung für dich bürden. Nicht mehr."
Ich nickte lange und müde. "Ich verstehe. Ich soll mehr an den Rand rücken."
"Und ich bin froh, dass ich bei dir auch an den Rand rücke.", erwiderte sie. In ihren Augen lag nun Glanz, Zufriedenheit. Erleichterung und ein wenig Freude. "Also, wer ist es? Kenne ich sie?"
"Später.", erwiderte ich, noch immer gefangen von einem Gespräch, das ganz und gar nicht ausging, wie ich es gedacht hatte. "Ich stürze mich in diese Verzweiflungstat, nachdem die jetzige Verzweiflungstat hinter mir liegt. Okay?"
"Natürlich. Immer eine Unmöglichkeit nach der anderen." Sie erhob sich und ergriff meine Hände. Sanft zog sie mich in die Höhe. Ihr Kuss war ein Zungenkuss, aber eher der alten Zeiten wegen geschuldet als wirklich mit tieferen Bedürfnissen oder gar Gier verbunden. "Wir sehen uns draußen im eisigen All, Ace."
"Pass auf dich auf, Huntress.", erwiderte ich, brachte in einem Anflug von Schabernack ihre blonden Haare nachhaltig durcheinander und flüchtete anschließend vor ihrem Zorn. Ich fühlte mich erneut beschwingt. Viel, viel besser. Endlich war da wenigstens wieder ein Verhältnis zwischen mir und Huntress. Mehr. Mehr Leben. Mit dieser Stimmung, mit diesem Wollen würde der kommende Einsatz ein Kinderspiel werden.

Als wir aufsaßen, ging ich ein letztes Mal zu Ohka herüber. Ich schlug ihm härter als gewöhnlich auf die Schulter. "Wann verlobst du dich endlich mit Kali, alter Gauner?"
Sein Blick war eine Mischung aus Entsetzen und Faszination. "Was, bitte?"
"Du hast schon richtig gehört."
"Hör mal, wir fliegen hier in einen teuflischen Einsatz, und du fragst mich so was?"
"Keine Sorge, du wirst schon wieder kommen, wie immer."
"Darum geht es mir nicht! Wir fliegen in einem Kampf, in dem Leben ausgelöscht werden."
"Es wird immer Kämpfe geben, in denen Leben ausgelöscht werden. Aber wie lange, meinst du, wird Helen warten? Warten auf mehr als deine Liebe? Auf einen Beweis darüber hinaus?" Ich klopfte ihm erneut hart auf die Schulter. "Denk drüber nach, falls dir der Kampf auf Leben und Tod dafür Zeit lässt."
"Aho.", brummte er, aber es fehlte dem Wort der Biss für einen deftigen Fluch.
"Ach, und noch etwas, Superpilot,", sagte ich und legte meinen rechten Arm um seine Schulter, "wenn du mir das nächste Mal glaubst einen Befehl geben zu müssen – sei sicher, dass ich dich auch hören kann. Du warst nicht auf meiner Frequenz, Kano."
Mit einem Lacher ließ ich ihn stehen und ging zu meiner eigenen Maschine. Drei Minuten noch.
Ich nahm meinen Helm entgegen, stieg ins Cockpit, schnallte mich an, stellte die Anschlüsse her. Die Elektronik checkte ich zweimal. Man sollte es den Akarii nie zu leicht machen und seinerseits die Wehrhaftigkeit einschränken. Außerdem konnte man nie wissen, für was reibungslose Subroutinen letztendlich gut sein würden.
Endlich schloss sich das Cockpit, die Katapultmannschaft jagte die Freiwilligen der Schwarzen raus. Danach kam meine Sektion dran. Ich grüßte euphorisch in Richtung Hangarchief, dann war ich draußen. Teufel, heute würde ich es sogar gegen einen Quarsar alleine aufnehmen können.
Cattaneo
Cunningham

CNS Altani CV 08, Task Force 25
Ashal Maiin, terranisch-konföderierte Besatzungszone,
Sternenimperium von Akar


Vice Admiral Benjamin Yukono rieb sich die Augen. Er saß an seinem Schreibtisch hinter der CIC der Altani, dem zweiten Flottenträger der Hunley-Class, den die Konföderation in Dienst gestellt hatte. Er war froh, wieder auf der Altani zu sein. Sechs Stunden Stabsbesprechung mit Admiral Girad an Bord der Pegasus hatten ihn geschlaucht.
Die TSN hatte reagiert, als die Meldungen von London und dann von Hannover hereingekommen waren. Schneller als Yukono es für möglich gehalten hatte.
Vanessa Girad hatte all ihre Reserven mobilisiert, die Pegasus vom Flottenhauptquartier in Deneb abgezogen und war über Xenios nach Ashal gekommen.
Zusammen mit drei Truppentransportern voll mit Raumlandetruppen, fast ein ganzes Corps war mobilisiert worden.
Yukono hatte es nicht für möglich gehalten, nach Jahrzehnten kühler Beziehungen, welche Anstrengungen die Terraner unternahmen, um seine Heimatwelt zu befreien. Terraner, er selbst war ein Mensch und konnte seine Ahnenreihe bis zu den ersten Auswanderern Terras zurückverfolgen, doch Terraner, nein, das war er nicht.
Ein Blick auf die taktische Karte ließ Hoffnung aufkeimen: Die Task Force bestand aus den terranischen CBG 25 und 44, aufgebaut um die TRS Pegasus und den neuen Lexington-Class Träger Yamato mit einer beachtlichen Zahl an Begleitschiffen von je zwanzig Kreuzern und Zerstörern, sowie mehreren Schwadronen Fregatten. Abgerundet wurde der terranische Verband durch die drei großen Truppentransporter und nicht weniger als zwölf Trossschiffe.
Die Konföderierten stellten mit den CBG 7 und 8 zwei ihrer Flottenträger zur Verfügung. Mit der Altani, ihrer neuesten Hunley MK II, und mit der uralten Liberty, einem alten Träger der Zeus-Class.
Diese wurden von je einem gemischtem Verband Kreuzer und Zerstörer, sowie drei weiteren Schwadronen Fregatten abgeschirmt. Die 8. Confed Marines Expeditionary Brigade wurde auf einem eigenen Truppentransporter mitgeführt, der von sechs Trossschiffen umringt wurde.
Alles in Allem achtundfünfzig Kriegsschiffe der Konföderation und hundertzwölf terranische Kriegsschiffe, den Tross nicht mitgezählt.
Auf der anderen Seite der Konföderation würden sich die terranische CBG 31 um den Flottenträger Kiev herum mit der CBG 6 um den Flottenträger Judgement der Konföderierten zur Task Force 6 zusammenschließen und Hannover direkt angreifen.
Ebenfalls würden sich die drei leichten terranischen Träger Warspite, Hornet und Napoleon der Task Force 6 anschließen. Alles in allem noch einmal fast hundert Kriegsschiffe.
Eigentlich hatte sich noch die CNS Torr Naross, ehemals TRS Berlin, der zweiten Task Force anschließen sollen, aber der alte Zeus-Träger hatte die Werft über New Ontario nicht verlassen können. Um einen weiteren Angriff der Akarii auf konföderiertes oder republikanisches Gebiet zu verhindern, hatte man die letzten beiden Flottenträger der Konföderation, die CNS Titan – ehemals TRS Titan – und die CNS Admiral Babcock, sowie die übrigen vier leichten Träger der beiden Mächte, Tripoli und Prince of Wales von der TSN und die CNS Gatram und CNS Westminster, an strategischen Abfangpositionen stationiert, so dass eine mögliche Reserve der Akarii nicht ungehindert durchmarschieren konnte.
Der Angriffsplan war relativ simpel: Task Force 25 würde über Farpoint nach London springen und die dortigen Akariischiffe stellen und vernichten. Gerade die Yamato mit ihren zehn Schwadronen, von denen drei aus Bombern vom Typ Crusader bestanden, war da eine Macht.
Anschließend würde man entweder komplett nach Hannover springen, um dort zusammen mit Task Force 6 die dortigen Akariiverbände zu vernichten, oder sich aufteilen und versuchen die hinteren und jetzt wohl schlecht geschützten Linien der Akarii anzugreifen. Nach Möglichkeit sogar bis zum Sektorenhauptquartier vordringen und es samt den Werftanlagen vernichten.
Der Admiral wusste, dass dies alles ein risikoreiches Spiel war, aber bei allen Göttern des Universums, jetzt waren die Imperialen zu weit gegangen. Für Hannover würden das Imperium büßen.
In drei Tagen würde die Task Force 25 ausrücken und in zehn Tagen wäre man in Hannover, spätestens. Drei Tage warten, aber man musste der Tast Force 6 die Möglichkeit geben sich zu sammeln und zu organisieren. Dann wäre Zahltag.
Der Türsummer meldete sich und riss den Admiral aus seinen Gedanken. Er löschte die taktische Karte vom Wandschirm: „Herein!“
Ein junger Offizier trat herein: „Sir, wir haben eine Nachricht vom Flottenhauptquartier auf Hannover bekommen! Zweifach verschlüsselt. Die Nachricht ist mit dem korrekten Identifikationscode versehen, Commander Riiak ist davon überzeugt, dass sie authentisch ist. Aber er überprüft die Nachricht nochmal.“
Yukono nahm den Ausdruck entgegen.



An: Alle konföderierten Streitkräfte
Von: Admiral Narun Kalad, CO Colonial Confederation Fleet

Admirals Order: 27909-RED-DELTA-2

Sicherheitsauthentifizierung: Constellation-Fargo-Rubicon-Theta-2-2-Xander


Die Akarii haben vor drei Tagen einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen.
Alle konföderierten Einheiten werden angewiesen die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen. Sämtliche offensiven Operationen sind ausgesetzt. Allen Einheiten wird auf Befehl des Generalgouverneurs befohlen ihre Positionen beizubehalten.

Die imperiale Regierung hat Kontakt zu uns aufgenommen. Heute Morgen haben Friedensverhandlungen begonnen.

Es gilt ab sofort Einsatzprotokoll Green-Xander-2.


gez. Kalad
Admiral, CO




„Lieutenant, sagen Sie dem Commander bitte, dass ich gleich da bin.“
„Aye, Sir.“
Als der Lieutenant gegangen war, legte Yukono den Befehl beiseite und ließ sich in den Sessel sinken. Green-Xander-2 besagte, dass das HQ alle zwölf Stunden ein Bestätigungssignal schicken würde, dass immer noch Waffenruhe galt. Würde das Signal ausbleiben oder sich verspäten, ging der Krieg weiter.
Eigentlich sollte sich der Admiral freuen, doch das tat er nicht. Ein Gefühl der Angst und der Beklemmung machte sich breit.
Die TSN und die CCN hatten große Verbände zusammengezogen um Hannover zu befreien und die Akarii bis hinter Hakantar zurückzuwerfen.
Er atmete tief durch, erhob sich langsam und ging in die CIC.
Dort hatten sich schon sein Stab eingefunden. Menschen wie Akarii blickten ihn erwartungsvoll an.
„Ich nehme an, Sie alle wissen schon welche Nachricht eben bei uns eingegangen ist?“
Allgemeines Nicken.
„Riaak, ich nehme an die Stoppuhr läuft schon?“
„Selbstverständlich, Sir.“, antwortete ein kleiner Akarii, der am unteren Ende des Kartentisches stand.
Der Admiral blickte die Männer und Frauen rund um den Tisch an. Neben Riaak, seinem Stabschef, waren noch der Trägergruppenkommandeur, der Kommandeur der Altani, der CAG des Trägers, sein Operationsoffizier und verschiedene anderes Stabsspezialisten anwesend.
„Was tun wir?“, war die einfach Frage, die Yukono stellte, auf die es aber keine einfache Antwort gab. Oder doch?
„Der Befehl ist absolut authentisch.“, begann Riaak, „Wir haben hier einen eindeutigen Befehl, dem wir, auch wenn es uns nicht gefällt, Folge leisten müssen.“
Commander Jessup Young, der CAG, erhob die Stimme: „Und was erzählen wir den Terranern?“
„Der Spruch kam doppelt verschlüsselt rein,“, entgegnete der Nachrichtendienstoffizier, „die Terrys dürften gar nichts davon wissen. Darüber hinaus ist der Befehl geheim.“
„Thatcher hat Recht, außerdem haben wir noch drei Tage Zeit, ehe wir uns mit Girad und ihren Leuten auseinandersetzen müssen. Bis dahin könnten die Verhandlungen ja schon längst gescheitert oder erfolgreich gewesen sein.“, warf Rearadmiral Colhon Gar ein, der Kommandeur der Altani Trägergruppe.
„Und was ist mit den terranischen Trägern, die sich mit der Judgement treffen sollen? Die werden bald Funkstille halten, und dann kommt für die ein Abbruchbefehl zu spät.“ Dieser Einwand kam vom Captain der Altani.
„Dann sind alle Friedensgespräche hinfällig, dann fliegt die Scheiße durch den Ventilator.“, Commander Young nahm sich einen Becher Kaffee, trank jedoch nicht davon.
„Signaloffizier“, entschied Yukono, „ich brauche eine sicher Leitung zu Admiral Girad.“
„Aye-aye, Sir.“



TRS Pegasus, Flaggschiff 4. Flotte, Task Force 25
Ashal Maiin, terranisch-konföderierte Besatzungszone,
Sternenimperium von Akar

Vanessa Girad zog sich die Decke bis über den Kopf und stöhnte laut. Sie hatte sich gerade mal vor knapp einer Stunde hingelegt und war sofort eingeschlafen.
Doch auch diese Taktik brachte den Summer der Interkom-Anlage nicht zum Verstummen.
„Verdammt!“
Aber wenn sie nicht gleich rangehen würde, würde die CIC jemanden vorbeischicken um nach dem Rechten zu sehen. Missmutig warf sie die Decke beiseite, ging zum Schreibtisch und drückte die Taste 'nur sprechen': „Ja, Girad?“
„Hier Lieutenant Esteban, Ma'am, wir haben ein Signal von Admiral Yukono, er bitten um ein persönliches Gespräch. Er ließ sich nicht abwimmeln und sagte, es sei dringend.“
„Geben Sie mir fünf Minuten, Raul, dann stellen Sie ihn bitte durch.“
Der junge Lieutenant schien sehr überrascht zu sein, dass seine Admiralin ihn mit Vornamen ansprach. Aber Girad hatte ein hervorragendes Namensgedächtnis und hatte vor Jahren angefangen, ihre Untergebenen mit Vornamen anzusprechen. Unabhängig, ob sie Unteroffiziere oder Offiziere waren. Das schaffte ein Vertrauensverhältnis. Die Leute fühlten sich beachtet und dankten es ihr entsprechend.
„Aye, Ma'am.“
Schnell schlüpfte Girad aus ihrem Schlafanzug zurück in ihre Uniform und schaffte es hinter ihrem Schreibtisch zu sitzen, als der rangälteste konföderierte Offizier in ihrem Verband durchgestellt wurde.
„Entschuldigen Sie die späte Störung, Admiral, aber es ist wirklich dringend.“, begann Yukono.
Sie lächelte ihn an: „Keine Ursache Benjamin, wer braucht schon Schlaf. Aber worum geht es?“
„Wir haben eine Nachricht von Hannover erhalten.“
„Das ist großartig, wie ist die Situation? Welche Truppen können sich noch halten? Hat man eine Schätzung der gegnerischen Truppenstärke durchgegeben?“
„Was ich Ihnen jetzt sage, Admiral, verstößt gegen die Geheimhaltungsvorschriften, die in der Funkbotschaft integriert waren. Vor jetzt fast zweiundsiebzig Stunden hat meine Regierung mit der Regierung der Akarii einen Waffenstillstand vereinbart. Mir wurde befohlen, in Position zu bleiben und unter gar keinen Umständen offensiv tätig zu werden.“
Girad schluckte: „Ich nehme an, dieser Befehl ging an die gesamten konföderierten Streitkräfte?“
Diese Frage war eigentlich überflüssig.
„Ja, Admiral.“
„Ich verstehe, danke, dass Sie mich informiert haben, Benjamin.“
Der konföderierte Admiral nickte: „Ich melde mich, sobald ich etwas genaueres weiß.“
„Danke.“
Das Gespräch war beendet.
Einen Moment blickte Vier-Sterne-Admiral Vanessa Girad fassungslos auf den Monitor, wo eben noch ihr Kollege von der Konföderation zu sehen gewesen war. ,Scheiße.’
Sie schaltete das Aufzeichnungsgerät aus und wählte auf dem Intercom das Quartier ihres Stabschefs an: „Robert, kommen Sie sofort in mein Quartier.“
„Aye, Ma'am.“
Es dauerte fast eine Viertelstunde, dann stand Commodore Robert Dale vor ihrem Schreibtisch. Der kleine, gedrungene Mann wirkte verschlafen. Er war kurz nach ihr ins Bett gegangen.
Girad hatte die Zeit genutzt sich selbst nochmal frisch zu machen.
Sie spielte ihm das Gespräch mit Yukono nochmal ab.
„Heilige Mutter Gottes, wir müssen die Kiev und die anderen Träger zurückbeordern!“
„Sieht so aus, wir stehen hier vor einem echten Dilemma. Ich möchte, dass Sie folgendes tun: Wecken Sie den gesamten Stab, Robert. Einzeln, und klären Sie jeden über die Situation auf. In einer halben Stunde treffen wir uns in der CIC zur Lagebesprechung. Und als erstes wecken Sie Boris, von dem brauche ich den OP-Status unserer Einheiten.“
„Aye, Ma'am.“
Cattaneo
Cattaneo

Nach der Schlacht ist vor der Schlacht

Flottenträger Columbia, Bereitschaftsräume Haupthangar

First Lieutenant Ina „Imp“ Richter hatte in den letzten Stunden wahrlich viel mitgemacht. Sie hatte einen Untergebenen verloren, mehrere andere, darunter ihre beste Freundin, waren verwundet worden. Und nun sollte sie die Hälfte der noch einsatzbereiten Piloten ihrer Staffel – wenn man das noch so nennen konnte – für einen Einsatz verabschieden, der sogar für die Verhältnisse der Angry Angels gefährlich war. Dass unter den Piloten eine weitere Freundin und ihr Geliebter waren, kam noch hinzu. Andere Menschen hätten sich davon niederdrücken lassen, aber die Interimschefin der Grünen Staffel gehörte nicht zu dieser Sorte Leute. Inzwischen hatte sie sich wieder gefangen, schon um ihren Untergebenen ein gutes Beispiel zu sein. Und so saß sie mit den „Auserwählten“ und „Zurückgebliebenen“ zusammen in einem der Bereitschaftsräume des Hangars und frotzelte über das Treiben, das sie bei anderen Staffeln beobachtet hatten. Ihre Falcons waren bereits einsatzbereit, würden aber zuletzt starten, auch weil sie die schnellsten Maschinen waren, zugleich aber nicht gerade über die größte Reichweite verfügten. Natürlich lag ein gewisser Ernst in manchen Worten, zumal mit Dragon ein seit langem vertrautes Gesicht für immer fehlen würde. Aber angesichts anderer Staffeln, die noch mehr Piloten als Tote oder Vermisste verloren hatten, und angesichts dessen, dass die Columbia wieder dem Tod von der Schippe gesprungen war, wollte man nicht dem Schwermut nachgeben. Zudem hatte sich Staffel Grün kaum etwas vorzuwerfen. Captain Wacos Tod wurde wie der von Admiral Wulff zwar bedauert, aber keiner hier hatte die Offiziere auf der Brücke wirklich näher gekannt.
Sokol und Marine hatten sich sofort für den geplanten Angriff auf die feindlichen Verbände gemeldet – sie gehörten zu diensteifrigsten Piloten der Staffel, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Imp akzeptierte das schon lange, und sie wäre die letzte gewesen, die Sokol weniger Einsatzbereitschaft abverlangt hätte. Vasco hatte ebenfalls nicht gezögert. Er war ehrgeizig, und wollte unbedingt ein anerkanntes Ass werden. Das Flying Cross in Bronze war inzwischen für ihn durchaus erreichbar geworden. Damit waren es schon drei Piloten gewesen. Imp hatte gemeint, vier wären notwendig, weniger würden andere Staffeln zu stark belasten. Fidai, Abat und Shoki hatten sich natürlich sofort bereiterklärt, im Überschwang der Jugend sozusagen, zumal Fidai und Shoki beim letzten Einsatz „gepunktet“ hatten und jetzt auf weiteres Blut aus waren. Aber hier hatte Imp ein Machtwort gesprochen, und die drei hatten sich, wenn auch nicht gerade enthusiastisch, gefügt. Die Staffelchefin hatte erklärt, ehe man sich für solche Unternehmen melden konnte, musste man entweder schon ein Ass oder in der Staffel richtig „eingeflogen“ sein, und das seien vor allem Abat und Shoki noch nicht. Damit hatte sie freilich Knight unter erheblichen Zugzwang gesetzt. Der ehemalige Bewährungspilot hatte zunächst keinerlei Anstalten gemacht, sich zu melden. Offenbar hielt er solche Freiwilligenaktionen für Dinge, die eher anderen passierten. Erst als ihn Imp, die eine aufmerksame Beobachterin war, unter sanften Druck gesetzt hatte, indem sie darauf hinwies, dass La Reine unter den Fliegern der Schwarzen Staffel war, und dass Knight doch wohl nicht seine Wette verlieren wollte, hatte er es sich anders überlegt. Sie hatte auch mit einem freundlichen Lächeln darauf hingewiesen, wie es aussah, wenn sich ein „Bronze-Pilot“, ein einfaches Ass, zurückhielt, während Frischlinge nach vorne drängten. Auf ihre Art konnte die Deutsche ebenso penetrant wie Lilja sein – wenngleich sie weitaus charmanter war, und säuselte, wo Lilja losfauchte. Sonderbarerweise erreichten beide fast immer, was sie wollten. Warum Knight sich wirklich hatte breitschlagen lassen, war wohl sein Geheimnis – aus Pflichtbewusstsein, Imponiergehabe, vielleicht auch, um nicht in seiner neuen Staffel gleich von Anfang als Drückeberger zu gelten. Immerhin hätte ihn das gegenüber den „Anfängern“ disqualifiziert. Besser also, man hatte Pfunde, mit denen man künftig wuchern konnte. Aber er wirkte nicht gerade enthusiastisch, obwohl er sich wacker hielt. Der Lieutenant hatte natürlich den Finger auf die Wunde gelegt, dass Imp selbst beim Träger blieb, nicht ganz ernst gemeint, aber immerhin. Die Staffelchefin hatte nur lapidar gemeint, irgendjemand müsse ja auch den Schutz der Columbia koordinieren, und die meisten Staffelchefs des Geschwaders waren ausgefallen oder flogen im Angriffsverband. Besser noch ein guter Pilot – er sei doch einer? – als ein weiterer Staffelchef mit einer unterbesetzten Teilstaffel. Die anderen Piloten hätten ihr das nie zum Vorwurf gemacht. Sie wussten, wie oft Imp die schwierigsten Missionen mitgemacht hatte, verwundet oder abgeschossen worden war. Sie war „die letzte, die noch auf den Beinen stand“ – die letzte, die von Anfang an dabei war, seit die Grüne Staffel gebildet worden war.

Momentan hatten die Piloten nicht viel zu tun, und wie immer in solchen Momenten kauten sie die verschiedensten Variationen des Bordklatsches durch – wer mit wem oder künftig ohne wen, wer wie viel beim Pokern verloren hatte, wer wann wohin befördert würde, wer von welchem Offizier im Auge behalten wurde, und dergleichen mehr. Es war das klassische, reichlich niveaulose Geschwafel, dem Soldaten wohl seit jeher in Kampfpausen frönten. Als der Bildschirm an einer der Wände mit einem Piepton erwachte, blickten sich wohl alle verwundert um – dienstliche Durchsagen kamen sonst immer über Lautsprecher. Auf der Bildwand erschien das Gesicht einer offenkundig leicht überarbeiteten Ensign der Verwaltung: „Achtung, Grüne Staffel, ich habe hier ein Prioritätsgespräch der medizinischen Abteilung.“ Imp runzelte die Stirn. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, worum es dabei ging. Der Vorrat an Aufputschmitteln, den Piloten in die Schlacht mitnahmen, besonders bei solchen Doppeleinsätzen, hatte sie bereits ergänzt und überprüft. Und keiner der Verwundeten der Staffel ging es so schlecht, dass mit einer Hiobsbotschaft zu rechnen war. Dann zuckte sie innerlich mit den Schultern: „Stellen Sie durch.“
Im nächsten Augenblick sah sie direkt in das bleiche, verkniffene Gesicht Liljas. Die Russin lag offenbar auf einer provisorischen Feldliege – die Betten waren für schwere Fälle requiriert worden, nicht die von der Columbia, sondern von zerstörten Großkampfschiffen. Es waren um so mehr, als der Flottenträger im nächsten Einsatz als sicher galt, und viele Offiziere von Kriegsschiffen ihre Krankenstationen möglichst leer sehen wollten.
„Hallo Imp, hallo, ihr anderen. Ich muss mich kurz fassen, sonst merken die noch, dass ich momentan nur bedingt befugt bin, Befehle zu erteilen.“
Sie biss die Lippen zusammen, wie um den Schmerz zu unterdrücken. Ihre Haare waren schweißverklebt, sie wirkte übermüdet und abgekämpft. Aber Miene und Stimme waren so kampfbereit und entschlossen wie immer.
„Ich habe gerade gehört, was als nächstes kommen soll. Das wird keine Kleinigkeit. Aber ich weiß, dass ich auf euch zählen kann – auf euch alle. Imp ist eine fabelhafte Chefin, und ihr werdet sie nicht enttäuschen. Das gilt vor allem den Leuten vom Einsatzverband…“ Lilja war offenbar irgendwie vom bevorstehenden Einsatz informiert worden. Kein Wunder, die Gerüchte waren vermutlich wie der Blitz durchs ganze Schiff gefahren.
„Denkt daran, es kommt hier nicht so auf Abschüsse an. Wichtig ist, unsere Bomber kommen durch – dann schießen wir den Schuppenschweinen ihr Zuhause unter den Ärschen weg. Kann mir nicht vorstellen, dass sie selbst noch viele Bomber haben, da haben wir kräftig abgeräumt. Ich wollte euch zumindest Glück wünschen, wenn ich nicht schon dabei seien kann. Schießt ein paar Fritzen für mich ab.“ Sie schwieg einen Augenblick erschöpft. Die letzten Stunden mussten sie ziemlich mitgenommen haben. Imp grinste schief: „Was machst du auch für Sachen – lässt dich einfach so aus der Maschine schießen. Lilja, Lilja, du wirst alt…“
Die Staffelchefin bleckte ihre Zähne in einer gespielt wütenden Grimasse: „Vorsicht, Madame. Du bist mich nur für ein paar Tage los, und dann befehle ICH wieder…“
Übergangslos wurde sie wieder ernst: „Ich weiß, dass es ziemlich haarig werden kann – für uns alle. Schlagen wir die Akarii nicht zusammen, werden sie die Columbia verfolgen. Und dann hat der Träger einen schweren Stand. Ihr MÜSST es einfach schaffen. Und das könnt ihr auch – Sokol, Marine, ihr seid erfahrene Piloten in unserer Staffel, und unsere Staffel ist eine der besten der Zweiten Flotte.“ Tja, Bescheidenheit war nicht Liljas Stärke, so lange es nicht um sie selbst ging. Und sie war mit ihrer Lobeshymne noch nicht fertig: „Vasco, du holst dir hier dein Flying Cross. Du bist verdammt schnell aufgestiegen – du hast es dir ehrlich verdient. Und Knight – du bist schon Ass, du hast deinen Feinden viel voraus.“ Sie hob Arme, die Hände zu Fäusten geballt: „Zweiundzwanzig Kreuzer sind schon weg – erledigen wir auch den Rest!“
Imp salutierte – ein Mittelding zwischen liebevollem Spott und Ehrbezeugung, vor allem aber aufrichtig empfundene Zuneigung. Die anderen Piloten murmelten ihre Genesungswünsche. Selbst Vasco, der Lilja persönlich nun gar nicht mochte, schloss sich an. Ihr Lob – etwas, das er selten genoss – musste bei ihm runtergehen wie Öl. Vor allem aber zählte, dass die Staffelchefin, obwohl selber verletzt, um ihre Untergebenen sorgte. Freilich eine sehr Lilja-typische Art der Sorge, immer auf den Kampfauftrag bedacht. Dann erlosch der Bildschirm.
In einem Film wäre jetzt der Befehl gekommen. Die Wirklichkeit folgte der Fiktion mit fünfundvierzig Sekunden Verspätung.
„Piloten Angriffsverband Grüne Staffel – Start in drei, wiederhole drei-null Minuten, alle Piloten zu Maschinen, alle Piloten zu den Maschinen…“
Die vier „Auserwählten“ sprangen auf. In Imps Gesicht war nichts von der Angst zu sehen, die sie spüren musste: „Viel Glück.“

Schwerer Kreuzer Relentless, Zentrum des Gefechtsverbandes über Karrashin V

Auf der Brücke des schweren Kreuzers Relentless herrschte beinahe Stille. Nur gelegentlich wurden halblaut Meldungen weitergegeben, langsam wanderten die Symbole über die Bildschirme, welche Karrashin V und sein Umfeld zeigten – alle blau, noch war kein rotes, feindliches Symbol aufgetaucht. Nur auf einigen Nebenmonitoren wurden Projektionen gezeigt, wo sich der feindliche Verband befinden könnte, je nachdem mit welcher Geschwindigkeit er sich bewegt haben mochte. Man hatte längst die Probleme mit der künstlichen Schwerkraft behoben, und auf der Brücke „rein Schiff“ gemacht. Beschädigte Stühle und Bildschirme waren ersetzt worden, Blut und Erbrochenes weggewischt, verletzte Offiziere ersetzt. Leise meldete der Waffenoffizier: „Minenmaterial ausgelegt.“ Mithel nickte knapp. Einer der Bildschirme zeigte an, wo die Relentless und andere Schiffe Minen gelegten hatten. Es waren beängstigend wenige. Jetzt bedauerte der Commodore, dass sein Kreuzer nicht mehr Atomminen mitführte, wie generell der gesamte Verband nur wenige der Sprengkörper in seinen Magazinen hatte. Warum hätte man auch die Vorräte auffüllen sollen? Was man hatte, wurde gerade ausgelegt, auf der prognostizierten Anmarschroute der Akarii. Mehr als raten konnte man freilich nicht. Doch auch das war Teil der Täuschung, sollte für die Verfolger den Eindruck erwecken, die TSN ziehe sich zurück und versuche dabei, sich Zeit zu erkaufen. Wenn natürlich auf diese Weise ein paar Schiffe der Echsen zerstört oder beschädigt wurden, umso besser.
Commander Liu Shan-Lee, die Erste Offizierin des Kreuzers, stand im Moment noch schweigend hinter dem Sitz des Kapitäns. Bald würde es Zeit für sie sein, sich auf die Ersatzbrücke zu begeben, um im Notfall das Kommando übernehmen zu können, sollte die Gefechtszentrale ausfallen. Ihre dunklen Augen wanderten unablässig über die Anzeigen. Nur einmal atmete sie praktisch unhörbar tief ein und aus und verlagerte leicht ihr Gewicht von einem Bein auf das andere, ansonsten hätte man sie für eine Statue halten können. Und dennoch wandte sich Commodore Mithel mit einmal zu ihr um. Seine kühle Stimme klang beinahe freundlich, ein Tonfall, den er nur gegenüber wenigen Menschen anschlug: „Sie haben eine Frage, Commander?“
Die Asiatin zeigte keine Überraschung, immerhin kannte sie ihren Vorgesetzten schon seit einiger Zeit: „Keine Frage, Sir. Nur leichte Verwunderung.“
Der Commodore lächelte leicht: „Lassen Sie mich raten… Sie dachten daran, dass unser Verband schwer angeschlagen ist, dass unsere kombinierte Schwadron nur noch bestenfalls drei Viertel seiner vorherigen Stärke hat, und dass man mich ersucht hat, meinen zweiten Flakkreuzer abzugeben, um die Columbia zu unterstützten, die in der kommenden Schlacht nicht einmal Zuschauer spielen wird, wofür ich nicht mehr als die vage Zusage habe, der Schwadron zwei Zerstörer zu unterstellen. Nicht zu vergessen, dass es unseren leichten Schwesterschwadronen noch schlechter geht, und unsere Jäger dezimiert sind, während wir es mit einem Gegner zu tun haben, der zwar seine Kreuzer zu mehr als 80 Prozent verloren hat, dessen Zerstörer- und Fregattengeschwader aber noch weitestgehend intakt sind, und der über eine verstärkte Division leichter Kampfflieger verfügt.“
„Ja Sir, etwas in der Art kam mir in den Sinn.“
Das Lächeln des Commodore wurde noch ein wenig breiter: „Und natürlich fragen Sie sich, warum ich nicht nur nicht auf dem Rückzugsbefehl bestanden habe, sondern sogar diesen…innovativen…Plan befürworte.“
Der Schwadronschef musste wissen, dass längst die meisten anderen Offiziere schweigend, aber nichts desto trotz überaus aufmerksam, die Unterhaltung verfolgten. Mehr als einer von ihnen mochte sich genau das fragen, wenn auch nicht unbedingt mit so gewählten Worten.
Die Erste Offizierin erwiderte das Lächeln, wenn auch ziemlich schief: „Auch darin haben Sie Recht, Commodore.“
Mithel lehnte sich etwas in seinem Kapitänssessel zurück. Er klang ernsthaft, fast eindringlich, und zweifelsohne sprach er nicht nur zu ihr.
„Nun, ich will ehrlich zugeben, dass mir dergleichen durchaus in den Sinn kam. Unsere Soldaten – Flotte und Kampfflieger – sind erschöpft. Sie haben Übermenschliches geleistet, besonderes die Flotte.“ Das mochte wie Eigenlob klingen, hatte aber seinen wahren Kern. Nicht die Kampfflieger waren es gewesen, die den Angriff von 20 kaiserlichen Kreuzern abgeschlagen hatten, sie hatten bestenfalls geholfen, die Reste aufzuwischen. Der Angriff der Kampfflieger der Columbia, Wasp und Hongkong auf die Akarii, die eigentliche Aufgabe der Geschwader, war weitaus weniger erfolgreich verlaufen, als gehofft.
„Wir könnten sagen, wir haben genug getan, und dass unser Feind schon schwer genug getroffen ist. Aber, Commander, das wäre ein Irrtum. Möglicherweise ein fataler.“
Der Schwadronschef gestikulierte leicht in Richtung eines Bildschirms, der einen Ausschnitt der galaktischen Sektionskarte zeigte, namentlich die von den Menschen besetzten Teile des Akarii-Imperiums.
„Sie wissen, gegen wen wir hier kämpfen. Die Echsen haben ihre Schiffe von Manticore hierher geschickt. Und sie haben das sicher nicht nur getan, um uns zu ärgern. Dazu sind sie zu stark, und sie haben sich nicht schnell genug wieder zurückgezogen. Ich vermute stark, sie hatten wesentlich ehrgeizigere Pläne, als uns aufzuschrecken und ein paar drittklassige Garnisonen zu zerschlagen. Nein, Commander, die sind gekommen, um hier zu bleiben, zumindest eine Zeit lang. Ich kann mir auch denken, wieso. Von hier aus hätten sie die Möglichkeit, unsere Nachschubslinien permanent unter Druck zu setzen, wenn nicht gar zu kappen. Wir könnten keinen Konvoi mit ausreichendem Begleitschutz ausstatten, nicht, so lange hier noch ein halbwegs intakter Trägerverband steht – und so stark sind sie allemal noch, ungeachtet unserer Erfolge. Eine Bedrohung wie diese könnte unsere Flotte niemals hinnehmen. Wir müssen uns diese Läuse aus dem Pelz schütteln, und das schleunigst.“
Er machte eine wegwerfende, ironische Handbewegung: „Nun könnte man natürlich sagen, wir haben wahrlich genug geleistet. Erst bei Tukama Prinzenjäger gespielt, und jetzt den Akariiverband praktisch halbiert. Sollen andere sich darum kümmern…“
Mithels Stimme wurde übergangslos wieder ernst. Er registrierte sehr wohl, dass ihm längst die ganze Brückenbesatzung lauschte. Dies war auch seine Absicht. Soldaten kämpften dann am besten, wenn sie wussten, warum. Was nicht hieß, dass er gezögert hätte, sie im Unklaren zu lassen oder gar zu belügen, wenn er oder seine Vorgesetzten das für „notwendig“ befunden hätten.
„Die Zweite Flotte ist bereits nach der letzten Schlacht stark geschwächt. Sie müssten mindestens einen Flotten- oder zwei leichte Träger detachieren, dazu natürlich ausreichend Kreuzer und leichte Einheiten, um sich dieser Kampfgruppe anzunehmen. Damit aber würden wir unsere Hauptflotte empfindlich schwächen. Wir können auch nicht warten, bis die anderen Flotten uns Verstärkung gegen diese Raider schicken, denn bis dahin würden sie unseren gesamten Nachschub bedrohen. Doch wenn wir die Zweite Flotte schwächen, verzögern wir nicht nur die Fortsetzung unserer Offensive – wir geben den Akarii auch eine, zugegeben geringe, Chance für einen erfolgreichen Gegenangriff. Eine schwere Niederlage der Zweiten Flotte aber können wir uns einfach nicht mehr leisten. Die Akarii sind erschöpft, aber wir sind es auch. Unsere Offensive darf einfach nicht aus dem Tritt kommen. Wir hingegen, die Columbia und Hongkong, wir würden ohnehin zur Reparatur und Auffrischung ins Hinterland verlegt werden. Das heißt, mit uns kann die Flotte ohnehin fürs erst nicht rechnen. Uns UND einen Jagdverband zu verlieren, das könnte genau die Gelegenheit sein, auf die Jors Nachfolger, wer immer es auch ist, gerade wartet. Wir wissen zuwenig über die Pläne der Echsen, die Machtverhältnisse – aber friedensbereit sind sie noch lange nicht.“
Er straffte sich, und warf einen raschen Blick in die Runde: „Wir müssen diesen Dolch im Rücken der Zweiten Flotte einfach beseitigen. Wenn wir das jetzt nicht tun, dann kann uns das eine Verlängerung des Krieges um ein halbes, vielleicht sogar ein ganzes Jahr kosten. Sobald wir siegen – und daran habe ich keinen Zweifel, denn unsere Flotte hat eben erst bewiesen, was sie vermag – haben wir der Zweiten Flotte wieder Handlungsfreiheit verschafft. Und wir strafen die ab, die Manticore weiterhin in Ketten legen, geben vielleicht sogar unseren Kameraden die Möglichkeit, dort zum Befreiungsschlag anzusetzen.“
Der Commodore konnte erkennen, was dieser Gedanke bei seinen Untergebenen auslöste. Die Schmach von Manticore saß tief, bei Offizieren wie Mannschaften. Viele Flottenmitglieder hatten Freunde, Bekannte, Verwandte in dieser ersten und vielleicht blutigsten Schlacht des Krieges verloren. Und so lange Manticore nicht wieder befreit war, würde die Schmach dieser Niederlage nicht weichen wollen.
„Deshalb, Commander, habe ich für diesen Plan gestimmt.“ Er lächelte etwas boshaft: „Man kann ja nicht alles den Jägern überlassen – von denen ich hoffe, sie finden etwas zu ihrer angeblich üblichen Form zurück, wenn es hier losgeht…“ Die letzte Bemerkung wurde mit leichtem Lachen quittiert. Die Rivalitäten zwischen Flotte und Fliegerkorps waren so langjährig wie bekannt, und wurden gehätschelt, ungeachtet dessen, dass man sich schon mehr als einmal gegenseitig aus der Klemme geholfen hatte.
„Nun – beantwortet das Ihre Frage, die keine ist?“
Die Erste Offizierin neigte leicht den Kopf: „Ich verstehe Ihre Ansichten. Ich wünschte nur, die Zweite Flotte hätte manchmal ein anderes bestes Pferd…“
Der Commodore nickte zustimmend: „Nun, wichtig ist eben, dass wir das Rennen machen.“
Dann wurde er mit einem Mal wieder ernst und förmlich, die menschliche Anwandlung war vorbei: „Commander – Melden Sie sich ab zur Sekundärgefechtsstation.“ Die Asiatin salutierte: „Ja, Sir – und wir werden den Dolch zerbrechen!“

Hangar der Relentless

Wohl nur jene, die sich ernsthaft mit dem Dienstbetrieb eines schweren Kreuzers der Erdstreitkräfte beschäftigten, wussten, dass auch dieser eine Bordstaffel hatte. Keine von der Art, wie sie es in die Nachrichten schafften, mit strahlenden Helden, schmissigem Namen, schnittigen Jägern und Jagdbombern, die Flanken nur so übersät mit Abschussmarkierungen. Nein, die 376. Transportstaffel war keine Einheit, die jemals einen Chronisten zu Höhenflügen anspornen würde. Denn sie waren „nur“ Shuttlepiloten, und das bedeutete, in der öffentlichen Wahrnehmung galten sie ebenso wenig, wie innerhalb des Fliegerkorps. Es stimmte natürlich nicht, dass man dort nur jene nahm, die für echte Jäger nichts taugten. Aber der Dienst in einer solchen Einheit war wirklich nichts, was Träume und Karriere beflügelte. Der Dienst war kaum weniger gefährlich als der an Bord eines Trägers – ihr Zuhause befand sich immer in vorderster Linie, und sie selbst mussten natürlich in jeder Schlacht fliegen, ungeachtet der Gefahr. Sie transportierten Marineinfanterie zu ihren Einsätzen, organisierten Nachschub und Personenverkehr zwischen den Schiffen, bargen Schiffbrüchige, tankten Jäger auf, betrieben Langstreckenaufklärung und elektronische Kriegsführung. Ihre Maschinen waren zumeist schlecht bewaffnet und vergleichsweise langsam, so dass nicht wenige Jagdpiloten einen Shuttleabschuss gar nicht voll zählten. Was nicht hieß, dass sie sich solche Gelegenheiten entgehen ließen, Akarii wie Menschen gleichermaßen. Die Staffel der Relentless hatte folglich in den Jahren des Krieges schon so manchen Piloten kommen und gehen sehen. Als Staffelmitglieder betrachteten sich vor allem die Vollzeitbesatzungen, aber ein Stück weit auch die Techniker und Radarspezialisten, die dauerhaft an Bord der Shuttles Dienst taten. Der schwere Kreuzer verfügte über nicht weniger als zehn S-41 Shuttles, zwei davon Sturmboote der Marineinfanterie, ein weiteres ehemaliges Sturmboot, das als VIP-Transporter diente, zwei SAR-, ein Tank- und vier Transportshuttle, auch dies ehemalige Sturmboote. Dazu kamen noch zwei E-21 B SWACS-Radarshuttle, insgesamt also zwölf Stück. Dafür dass Mithel ein Mann war, der von den Jagdfliegern weitaus weniger hielt als diese von sich selbst, achtete der Commodore erstaunlich aufmerksam darauf, dass seine „Beiboote“ auch zurückschießen konnten, wenn sie mussten. Die Normstärke der Einheit betrug 24 Piloten und Copiloten. Doch während des Krieges waren nicht weniger als elf Männer und Frauen gefallen, mehrere weitere waren verwundet worden. Andere hatte man bei Auskämmungsaktionen zur Kampffliegertruppe versetzt und durch Neulinge ersetzt, auch wenn Mithel sein Bestes gegeben hatte, um derartiges zu verhindern. Doch es gab noch einige Veteranen, die vom ersten Tag des Kreuzers an dabei gewesen waren. Lieutenant Commander Sebastian Lefranque, der Staffelchef, hatte sogar die Schlacht von Manticore mitgemacht, damals natürlich auf einem anderen Schiff. Er galt als einer der wenigen Piloten des gesamten Shuttlekorps, die sich mit Fug und Recht Asse nennen konnten, denn er hatte während seiner Laufbahn sechs feindliche Jäger abgeschossen, und dazu kamen zwei feindliche Shuttles. Für seine Untergebenen war er nicht nur ein Vorgesetzter, er war auch Glücksbringer und „Kriegsbarometer“ in einem. Wenn er nervös war, wussten sie, dass es „dicke Luft gab“, dick genug zum Schneiden, und wenn er ein Liedchen pfiff, entspannten sich alle. Deshalb war der sorgenvolle Gesichtsausdruck des Kommandanten nicht eben geneigt, die Staffelmitglieder zu beruhigen.

Der Lieutenant Commander platzierte sich neben seinem höchst eigenem Gefährt, dem VIP-Shuttle der Relentless, musterte seine wackere Schar einen Augenblick, dann zuckte er leicht mit den Schultern: „Also, Jungs und Mädchen, ihr wisst, worum es geht. Eure Einsatzbefehle habt ihr ja gerade erhalten. In fünf Minuten starten unsere Transportshuttles, ebenso die von der Kinugasa, Repulse und Kami. Jedes hat zwei Sprengköpfe von Exocet-Raketen an Bord. Geht vorsichtig mit den Dingern um, sie sind zwar noch nicht scharf, aber dennoch – das ist genug Sprengkraft, um eine Fregatte zu zerlegen. Unsere Techniker haben die Sprengkörper aus den Raketen ausgebaut, und sie mit einer Signalzündung versehen. Ihr bleibt hinter unserer Flotte zurück, unterstützt von drei E-21. Sobald die Radarshuttle den Gegner aufgefasst haben, und wir eine Vorstellung haben, wo er sich anpirscht, werdet ihr die Sprengkörper legen, und dann macht ihr euch so schnell es geht davon. Wir hinterlassen die Eier ungefähr dort, wo wir uns die Echsen dann zur Brust nehmen wollen. Die E-21 bleiben auf maximale Radardistanz – kommt ein feindliches Schiff einem der Sprengkörper nahe…“
Blitzartig ließ er seine Handflächen aufeinander klatschen. Einige seiner Untergebenen, vor allem die Neulinge, sprangen hoch, als habe er sie mit einer Nadel gestochen. Der Commander grinste hämisch, und fuhr unbeeindruckt fort:
„Danach schließen sich die Transportshuttles der taktischen Gefechtsgruppe an, dazu komme ich noch. Tankshuttle und SAR – na ja, eure Aufgabe ist ja wohl klar. Ihr helft unseren Jägern, wenn sie sich leer geflogen haben, und wenn es mitten in der Schlacht ist! Ihr fischt unsere Jungs und Mädchen aus dem All, egal ob Dickschiffmatrosen oder Raumjockeys. Akarii können warten, die stehen auf meiner Prioritätsliste unterhalb der Fürsorge für bekennende Alkoholiker.“ Es war bekannt, dass der Lieutenant Commander dem Alkohol, namentlich dem Weine, recht zugetan war, aber nichts von Leuten hielt, die dabei nicht Maß halten konnten.
„Das zweite E-21 – damit meine ich euch – unterstützt den Flottenverband elektronisch. Ihr werdet euch mit der Brücke koordinieren. Wir können jedes Quäntchen Information brauchen, das ihr kriegen könnt. Gebt dem alten Eisenfresser die Informationen, die er braucht.“ Das war eine nicht sehr spektakuläre, aber gefährliche und wichtige Aufgabe, ebenso wie die üblichen Langstreckenmissionen der SWACS. Man kam damit bestimmt nicht in die Analen der Kriegsgeschichte, doch man machte sich zum legitimen Ziel. Der einzige Trost war, dass man gebraucht wurde. In Zeiten der Dauntless-Kreuzer hatten die Radarshuttles etwas an Bedeutung im Gefecht verloren, sie wurden zunehmend zur Koordinierung von Jägerangriffen und auf Langstreckenmissionen eingesetzt, nicht mehr so oft in der Schlachtlinie. Aber Mithel war Traditionalist, vor allem traute er den Flakkreuzern keine lange Überlebensdauer im Nahkampf zu. Nicht, dass er sie nicht zu schätzen wusste, die Dauntless würde in der kommenden Schlacht helfen, das Feuer der Kreuzer zu koordinieren. Die Devastator, ihr Schwesterschiff, würde der Columbia beistehen. Der Commodore hatte sich entschieden dagegen ausgesprochen, so wenig er sonst von den Flakkreuzern im direkten Kampf hielt. Doch auch Flakkreuzer hatten Geschütze. Er hatte sich jedoch nicht durchsetzen können. Mithel hatte sich im Gegenzug lediglich zwei Zerstörer zur direkten operativen Unterstellung erhalten.

Lefranque war jedoch noch nicht fertig, er kam gerade erst auf Touren: „Der interessanteste Punkt zuletzt: Ich, natürlich in der VIP-Kutsche, und unsere Sturmboote plus die leeren Transportshuttles bilden die taktische Gefechtsgruppe. Mein Vize ist Robert…“ er grinste den Piloten an: „Maria und du, ihr werdet noch zu den Jägern versetzt werden, wenn es so weitergeht…“ Die Copilotin lachte nur gallig: „Also für mich keine Degradierung!“
„Ihr übernehmt diesmal ein Sturmboot statt des SAR – da ihr ja ohnehin ein SAR wie ein Sturmboot fliegt. Wir halbes Dutzend Heldenpaare sollen unser Mutterschiff direkt unterstützen. Das heißt, wir kleben der Relentless am Arsch wie die Schmeißfliege der Kuh…“ offenbar war Lefranque trotz aller aufgesetzten Munterkeit SEHR nervös, denn immer dann wurde er vulgär „Der alte Akariikiller hat uns befohlen, ein wenig Feuerunterstützung zu geben. Wir sollen schießen, so gut es geht – auf Flugkörper und auf Bomber. Koordiniert euer Feuer, ihr habt gute Waffen und Sensoren, nutzt sie auch. Unser SWACS wird uns helfen. Und wenn wir ein Sturmshuttle oder ein SWACS der Echsen sehen, sollen wir es uns ebenfalls vorknöpfen. Ich weiß, das ist nicht unsere normale Aufgabe. Aber Mithel will auf Nummer Sicher gehen. Ihr habt alle eine gründliche Ausbildung absolviert, und ihr wisst ja, was für eine Sauerei gerade eben passiert ist, mit diesen Echsen-Marines – der Alte will nicht, dass so etwas einem Schiff seiner Schwadron passiert. Echsen kommen ihm nur als Gefangene an Bord, oder gegrillt, und dafür sollen wir sorgen.“
First Lieutenant Robert Stanford seufzte nur, sich in sein Schicksal ergebend: „Da hätte ich ja gleich zu den Jägern gehen können, da könnte ich für den gleichen Job mehr protzen.“
Sein Vorgesetzter nickte gleichmütig: „Aber du würdest nur halb so viel WIRKLICH nützliche Arbeit machen.“ Das war nicht nur scherzhaft gemeint, immerhin hatten Stanford, seine Copilotin und das Sanitätsteam ihres SAR in der letzten Schlacht einigen Dutzend Menschen das Leben gerettet, und das nicht zum ersten Mal.
Der Commander verpasste seinem Shuttle einen aufmunternden Klaps, und seine Worte waren vermutlich sowohl an die Maschine wie an seine Untergebenen gerichtet: „Ich weiß, ich weiß, wir sind keine Jäger, und wir sollten das nicht von euch verlangen. Aber diesmal muss es eben sein.“ Er drehte sich ein letztes Mal zu seinen Leuten um: „Wer einen Flugkörper abschießt, oder ein Shuttle, der darf mit seinem Copiloten zwei Flaschen Wein seiner Wahl auf meine Rechnung trinken.“
Maria Hernandez lästerte halblaut: „Wäre mir lieber, der Alte würde zwei Flaschen SEINER Wahl weniger trinken…“ Was besagter „Alter“ ihr offenbar nicht übel nahm. Lieutenant Stanford hingegen war bereits beim wesentlichen: „Gilt das Versprechen auch rückwirkend für den ersten Teil der Schlacht?“ Der Commander lachte nur spöttisch.
„Also dann – an die Maschinen!“
Die Staffelmitglieder verstreuten sich und hasteten zu ihren Shuttles. Robert Stanford ertappte seine Untergebene, wie sie in dem Augenblick, in dem sie das Cockpit betraten, für einen Augenblick innehielt, die Hände gefaltet und den Kopf in den Necken gelegt. Dann küsste sie ein kleines Kreuz, das sie um den Hals trug. Ihr Gesichtsausdruck warnte vor Kommentaren. Folglich überging er diese religiöse Anwandlung mit Schweigen. Stattdessen meinte er nur mit nachdenklicher Miene: „Weißt du, das dürfte eine ziemliche heikle Sache werden – vielleicht die heikelste, bei der wir bisher mitgemacht haben.“
Seine Untergebene grunzte nur etwas nicht ganz Jugendfreies: „DAS höre ich so ziemlich jedes Mal, wenn es ernst wird. Könntest du nicht mal eine andere Platte drauflegen?“
Der Pilot kicherte spöttisch: „Du bist aber auch noch stachliger als sonst. Nun, wir haben wohl alle unsere Art, damit umzugehen. Aber wenn du unbedingt eine andere Platte willst…“ Er legte den Kopf schief und blickte sie aus den Augenwinkeln an: „Ich sag dir was, wenn alles gut geht, und wir das hier heil überstehen, versuche ich vielleicht noch einmal, dich zu küssen.“
Maria Hernandez wurde nicht einmal rot. Ihre Stimme war in etwa so trocken und kühl wie die nächtliche Wüste von Syria Planum auf dem Mars, ihrer Heimat: „Wenn alles gut geht, und wir das hier heil überstehen, bringe ich dich deshalb vielleicht auch nicht um.“ Damit ließ sie sich in ihren Sitz sinken. Ihre Stimme klang kein bisschen wärmer oder aufgeregter, als sie ihre Konsole aktivierte: „Waffen einsatzbereit.“
Die Shuttles starteten, eines nach dem anderen, um ihrem Mutterschiff in der Stunde der Not beizustehen.
Cattaneo
Ironheart

An Bord der REPULSE,
Im Orbit über Karrashin V

Commander Igor Maleetschev überprüfte noch einmal kurz seine khakifarbene Arbeitsuniform, bevor er an der Kabinentür von Captain Jamal Atkins klopfte. Er hatte keine Ahnung, warum ihn der Kapitän des schweren Ticonderoga-Kreuzers zu einem Gespräch in seiner Kabine einberufen hatte, zumal sie ihre Stabsbesprechung vor nicht einmal zwei Stunden bereits abgehalten hatten.
Als er in die Kapitänskajüte eintrat, bat ihn Captain Atkins Platz zu nehmen und bot ihm Kaffee und Gebäck an.

Atkins war mit seinen 50 Jahren deutlich älter als Maleetschev und er hatte auch entsprechend viel Erfahrung. Atkins war in Nordamerika aufgewachsen und hatte eine typische Karriere bei der Navy hingelegt. Er hatte schon lange Jahre vor Kriegsbeginn als Flottenoffizier auf Kampfschiffen Kommandopositionen inne gehabt und war schon zu Beginn des Krieges auf dem schweren Kreuzer REPULSE Kapitän gewesen. Atkins war kein karrieregeiler Captain und legte es nicht auf besondere Heldentaten an, daher genoss er einen soliden Ruf innerhalb des Geschwaders 2.3. Atkins war stolz auf sein Schiff und auf seine Crew und er machte seine Arbeit gründlich, vorschriftsmäßig und vorbildlich. Er hatte genügend Erfahrung und Routine um sein Schiff gut im Griff zu haben, und er scheute sich nicht Aufgaben an seine Untergebenen zu delegieren.

Und trotzdem machte sich Maleetschev so seine Gedanken über seinen Vorgesetzten. Er war äußerst ruhig, manchmal zu ruhig, und Igor hatte den Eindruck gehabt, dass er seine Probleme mit seinen Junioroffizieren allein auf Igors Schultern abgeladen hatte. Aber er hatte die Aufgabe ohne zu Murren übernommen. Er hatte sich mit den vier großmäuligen Offizieren angelegt und sie einen nach dem anderen gezähmt. Freunde hatte er sich damit nicht gemacht, aber das war ihm von vornherein klar gewesen. Er würde sicher immer noch das eine oder andere Mal mit ihnen zusammenrasseln, aber seit der vorübergehenden Suspendierung von Sayn-Bismarck und spätestens seit sich Vickers auf seine Seite geschlagen hatte, waren die Dinge an Bord so geregelt, wie es von vornherein hätten sein sollen. Mittlerweile waren die Ergebnisse der REPULSE in allen Belangen deutlich gestiegen, und auch in dem vergangenen Schlachten hatte sich der Kreuzer kontinuierlich gesteigert. Und das war auch bitter nötig gewesen, nach den starken Verlusten und herben Ausfällen der letzten Gefechte.

Atkins hatte seinem XO mittlerweile einen Kaffee eingegossen und höflicherweise gewartet, bis dieser einmal daran genippt hatte.
„Commander Maleetschev…“ Schon dieser Anfang ließ Igor innerlich zusammenzucken. Irgendwas stimmte hier nicht, wenn ihn sein Captain auf einmal mit Rang und Namen ansprach …“Danke, dass Sie gekommen sind.“
Igor versuchte sich seine leichte Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. „Selbstverständlich, ich bin so schnell ich konnte gekommen, Skipper.“ Ein kleiner Versuch ein wenig Lockerheit in den Raum zu bringen. Ohne großen Erfolg, im Gegenteil. Atkins seufzte erstmal schwer bevor er fortfuhr. „Sehr schön, Commander.“
Wieder eine Pause und so langsam wandelte sich Igors Verunsicherung in Sorge. `Was war bloß los? Hatten die Akarii gerade die Columbia zerstört? War Terra verloren? War Spacemen Moskau wieder nicht Terranischer Raumhockey Meister geworden?`
Fast wären diese Fragen aus ihm heraus gesprudelt, aber er konnte sich noch beherrschen. Wieder vergingen ein paar Sekunden, die Maleetschev wie eine Ewigkeit vorkamen.
Dann endlich schien sich Atkins ein Herz zu fassen. „Commander Maleetschev, zunächst einmal möchte ich beginnen, indem ich Ihnen danke. Ich hatte Sie mit der Aufgabe betreut, die Ihnen unterstehenden Offiziere auf den Dienst an Bord dieses Schiffes bestmöglich vorzubereiten. Ich weiß, dass das nicht einfach gewesen ist, ich habe Sie während der gesamten Zeit eng beobachtet, wahrscheinlich enger, als es Ihnen selbst bewusst ist.“ Igor nickte nur knapp und fragte sich dennoch unwillkürlich, wen der Captain konsultiert hatte, oder ob diese Beobachtung nur auf der persönlichen Wahrnehmung des Captains beruhte.
Als hätte er Igors Gedanken gelesen fuhr Atkins lächelnd fort: „Nein, keine Sorge, ich habe nicht den NIC eingeschaltet.“
Obwohl Maleetschev spürte, dass dies tatsächlich ein Witz gewesen war, wusste er auch, dass es durchaus in Atkins Macht gelegen hätte. „Aber ich habe meine Quellen, und meine eigenen Beobachtungen haben die Meldungen bestätigt. Es ist nicht so, dass die ich die Ihnen gestellte Aufgabe nicht auch hätte selbst bewerkstelligen können, aber ich wollte sehen, wie Sie die Sache angehen.“
Atkins lächelte und seufzte leicht. „Als Kapitän eines Schiffes wie der REPULSE habe ich eine Verantwortung für die Frauen und Männer, die hier ihren Dienst tun, ich bin aber auch auf meine Junior- und Senioroffiziere angewiesen. Und Sie haben ihre Sache gut gemacht.“
Wieder entstand eine kleine Pause, und es schwang ein großes ABER im Raum, das Igor mit einem „Ähm, Sir, danke, das ist sehr nett…“ überbrücken oder zumindest hinauszögern wollte.
Doch Atkins war schneller „Ja, Commander Maleetschev. Umso schwerer fällt es mir, Ihrer Versetzung zustimmen zu müssen und…“
Igor hatte den Eindruck, dass die Temperatur in der Kapitänskajüte innerhalb von Sekundenbruchteilen auf den Gefrierpunkt gefallen war. „Versetzung…?“ fragte Igor fassungslos.
„Ja, genau darüber will ich ja mit Ihnen…“
Maleetschev ließ seinen Kapitän nicht ausreden. „Sie wollen mich versetzen lassen? Jetzt, da das Schiff endlich wieder auf Vordermann ist, wollen Sie mich abschieben…?“ Grenzenlose Enttäuschung wurde schnell von Wut vertrieben und Igor holte tief Luft um loszupoltern.

Doch Atkins gebot ihm mit einer herrischen Geste Einhalt und schmunzelte. „Commander Maleetschev, bevor Sie sich hier eventuell um Kopf und Kragen reden, wollen Sie nicht vielleicht wissen, wohin Sie versetzt werden?“
Igor schnaubte und nickte schließlich. Vielleicht war der neue Posten ja tatsächlich nicht so schlecht. Doch wo sollte er hingehen? Hatte Mithel ihn auf das Flaggschiff der Kreuzergruppe beordert? Aber dort war kein XO ausgefallen. Wollte ihn Cunningham – sein Stubenkamerad während des Perishers – etwa auf die Columbia holen? Nein, Commander Long war dort noch als XO aktiv und Igor traute sich diesen Posten auch nicht zu. Und jeder andere Posten wäre – auch an Bord der COLUMBIA – eher ein Rückschritt in Igors Karriere gewesen. Aber was war es dann?
„Gut, Commander, Sie werden auf den zurückeroberten Zerstörer VO NGUYEN GIAP beordert um dort…“
„Auf einen Zerstörer?“ Wieder bahnte sich die Frustration in Maleetschevs Stimme Bahn. „Das kann doch nicht ihr Ernst sein?“
Atkins lächelte irritiert. „Wieso, was ist an einem Zerstörer denn auszusetzen?“
„Sir, mit Verlaub, aber warum sollte ich meinen Posten auf einem so stolzen Schiff wie der REPULSE aufgeben… für… für einen Zerstörer?“ Igor war am Boden zerstört. Auf der einen Seite sagte ihm sein Captain, dass er gute Arbeit geleistet hatte, aber auf der anderen Seite schob man ihn auf einen Zerstörer ab. Oder sollte das etwa doch die späte Rache der vier Promi-Offiziere gewesen sein? Jetzt dämmerte es Igor und er sprach seine Vermutung offen aus.
Jetzt schien Atkins verwirrt und schüttelte den Kopf. „Nein, nein, wie kommen Sie denn darauf? Vickers wird Sie im Übrigen begleiten und ihr XO sein…“
„Mein XO?“ Es dauerte ein paar Augenblicke ehe Igor begriff.

Und auf einmal wurde ihm ganz heiß auf der Stirn und sein Herz begann zu pochen. `Ein eigenes Kommando` schoss es ihm durch den Kopf. `Ist es nicht das, worauf du all die Jahre hingearbeitet hast?`
So schlagartig wie sein Gemütszustand sich eben noch verdüstert hatte, so schnell zauberte sich jetzt ein breites Grinsen auf sein Gesicht. „Wenn ich bedenke, was ich Ihnen gerade fast an den Kopf geworfen hätte…“. Auch Atkins lachte jetzt laut auf. „Keine Sorge, mein Sohn! Es hat Spaß gemacht, Sie ein wenig zappeln zu lassen.“ Beide Offiziere lachten jetzt lauthals und eine große Anspannung viel aus dem Raum.
Doch dann kamen Maleetschev die ersten Zweifel. War er schon so weit? Konnte er schon ein eigenes Kommando übernehmen und WOLLTE er das denn auch? Auch wenn der Navy aufgrund des Krieges fähige Kapitäne fehlten, war er der richtige jetzt und an dieser Stelle? Die GIAP war angeschlagen, das Schiff selbst war intakt, aber die Kämpfe während Eroberung und Rückeroberung hatten vor allem bei der Mannschaft tiefe traumatische Spuren hinterlassen. Würde Igor diese tiefen psychologischen Risse in so kurzer Zeit kitten und ein funktionsfähiges Schiff mitsamt Crew in die Schlacht führen können?
Er teilte seine Sorgen mit seinem wohl ehemaligen Kapitän, welcher während dieses Gedankenganges von Igor nickte. „Es freut mich zu sehen, dass Sie hierüber ins Grübeln geraten, Commander. Es hätte mich auch ehrlich gesagt in meiner Einschätzung Ihrer Person gewundert, wenn Sie ohne Zögern und Abwägen geantwortet hätten. Sie wissen aber, in welcher Lage wir stehen. Wir haben viele Schiffe verloren, viele Kapitäne sind gefallen und ein Schiff wie die VO NGUYEN GIAP wird dringend gebraucht. Wir können auf das Schiff in der bevorstehenden Schlacht nicht verzichten.“ Atkins lächelte milde, doch seine Augen waren hart wie Stahl. „Commander, ein Nein können wir in dieser Lage nicht akzeptieren. Wir alle wünschten, wir könnten Ihnen ein besseres Kommando übergeben, doch Sie müssen mit den Karten spielen, die Ihnen gegeben werden! Wir glauben, dass Sie der richtige Mann für diese Position sind. Kriegen Sie das hin, mein Sohn?“
Maleetschev nickte nur einmal energisch. Atkins stand auf und damit auch Maleetschev. „Commander Maleetschev, hiermit übergebe ich Ihnen im Namen der Bundesrepublik Terra und der Terran Space Navy das Kommando über den Zerstörer TRS VO NGUYEN GIAP. Herzlichen Glückwunsch, Commander!“ Und damit übergab er Igor eine altertümliche Papierrolle und eine moderne Speicherdisk. Igor salutierte feierlich und brachte nur noch ein „Danke, Sir! Danke für alles!“ heraus. Mehr Worte bedurfte es auch auf beiden Seiten nicht.

Nur wenige Minuten später – Igor hatte noch nicht einmal seine Sachen gepackt, die ihm nachgeschickt werden würden – hatte Maleetschev zusammen mit seinem XO John Vickers und weiteren gut 30 erfahrenen Crewmitgliedern bereits ein Shuttle bestiegen, welches ihn zu seinem neuen Schiff bringen würde. Ihm blieb nicht viel Zeit das leicht beschädigte Schiff auf Vordermann zu bringen, seine Crew kennen zu lernen und die GIAP wieder kampffähig zu machen. Es waren gerade mal 24 Stunden seit der Schlacht um Karrashin V vergangen und sie hatten vielleicht gerade mal genauso viel Zeit ununterbrochenen Arbeitens vor sich.
Doch Igor strahlte voller Freude. Er hatte sein eigenes Kommando!
Und nur ganz klein in seinem Hinterkopf regte sich die Frage, wie lange er denn angesichts der bevorstehenden Schlacht dieses Kommando haben würde. Doch er wischte, seine Sorgen beiseite, denn jetzt war die Zeit des Handelns, nicht des Zauderns.

***

Kurz darauf landete das Shuttle im Hangar des Zerstörers Vo Nguyen Giap.
Als sich die Luken der Fähre öffneten, drang Igor sofort der latente Geruch von Feuer, Rauch, verschmorten Kabeln und verbranntem Fleisch in die Nase. Das Abluftreinigungssystem des Schiffes arbeitete sicher auf Hochtouren, aber auch die modernste Luftreinigungsanlage konnte nicht verbergen, dass auf diesem Schiff noch vor kurzem gekämpft worden war.
Erbittert gekämpft worden war.

Das Erste, was Igor auf seinem Schiff zu sehen bekam, war ein Berg von Leichen. Die getöteten Akarii waren in der Nähe der begehbaren Ausgangsschleuse aufgehäuft worden und warteten offenbar darauf, „entsorgt“ zu werden. Igor wusste, dass das unvermeidlich war. Platz an Bord von Kriegsschiffen war in der Regel Mangelware, und das Krematorium an Bord verfügte in der Regel nur über einige wenige Plätze. Um eventuelle Seuchen unter der noch lebenden Besatzung zu vermeiden war es unbedingt nötig, die Leichen der Akarii so bald wie möglich zu entsorgen. Als er die kurze Rampe hinunter schritt, dämmerte ihm, dass er selbst es sein würde, der in nicht allzu weiter Ferne die Gefallenen der Terraner auf ähnliche – aber würdevollere Weise – der unendlichen Weite des Weltalls würde anvertrauen müssen. In Gedanken machte er sich eine Notiz, diese leidvolle Aufgabe so bald wie nur irgend möglich hinter sich zu bringen. Doch dann konzentrierte er sich wieder auf den Augenblick.

Es war ein bunt gemischter Haufen, der ihn als Empfangskomitee erwartete. Die Bataillonskommandeure Major Hue Xha Bao und Captain Carl Johansson erkannte er ebenso sofort wie Colonel Sean Hammersmith, den kommandierenden Offizier des 217. Sturmregiments. Allerdings sah er diese zum ersten Mal in voller Rüstung und musste anerkennen, dass die Sturmmarines in diesen ziemlich eindrucksvoll und furchteinflössend erschienen. Die Kämpfe an Bord waren erst vor kurzem beendet worden und die 217. machte sich offenbar abmarschbereit.
Neben den Marinesoldaten standen noch einige wenige überlebende Offiziere des Zerstörers. Igor hatte sich auf dem Anflug in aller Schnelle die Dossiers der wenigen Offiziere angesehen, die den Angriff der Akarii und den Gegenangriff der Marines unbeschadet überstanden hatten.
Die Kapitänin war genauso wie der XO gefallen. Die Waffenoffizierin hatte ihrer Funktion alle Ehre gemacht und zwei akariische Marines getötet, bevor sie selbst zerfetzt worden war. Knapp die Hälfte der Brückenbesatzung war tot, die Sekundärbrücke zerstört. Der einzige Lichtblick war der Maschinenraum und die Waffenkammern gewesen. Master Chief Panagagupta hatte sich mit einigen Marines unter der Leitung des Platoonleaders der Bordmarines, Sergeant Shane Murphy, dort verschanzt und bis zuletzt die Stellung gehalten. Trotz mehrfachen Ansturms der Akarii hatten sie bis zuletzt standgehalten und somit Schlimmeres verhindern können.
Doch trotz dieses kleinen Funkens Licht war auch so klar, dass Igor eine Menge Arbeit bevorstand. Ihm war bewusst, dass der durch die Akarii verursachte Schaden primär psychologischer Natur war.

Als er das Empfangskomitee erreicht hatte, trat Colonel Hammersmith vor und salutierte knapp, eine Geste die Igor schon fast instinktiv erwiderte.
„Commander Maleetschev. Hiermit übergebe ich Ihnen das Kommando über den Zerstörer Vo Nguyen Giap.“ Hammersmith hatte offensichtlich das Kommando übernommen, obwohl er das als Nicht-Flottenoffizier eigentlich gar nicht gedurft hätte. Doch ein Blick in die verstörten und niedergeschlagenen Gesichtsausdrücke der überlebenden Brückenbesatzung zeigte Maleetschev, das wohl keiner unter den Schiffsoffizieren gewesen war, der freiwillig das Kommando übernehmen wollte. Die Deprimiertheit war in allen Gesichtern überdeutlich abzulesen.
In allen Gesichtern außer in einem.
Der Mann mit den leuchtenden Augen trug aber irritierenderweise keine Uniform und sein Gesicht konnte Maleetschev auch keinem der Offiziere aus den Dossiers zuordnen. Doch bevor er sich weiter um diesen Mann kümmern konnte, musste er erst Colonel Hammersmith verabschieden.
„Danke, Colonel! Sie kehren zurück auf die Relentless?“
„Nein, wir wurden auf die Columbia beordert. Man hat entschieden, dass das 217. in der anstehenden Schlacht mal wieder nicht von Nutzen sein könne und wir euch von der Flotte nur im Weg rumstehen würden.“ Der Ärger war Hammersmith deutlich anzusehen, während Major Hue eine wie immer ausdruckslose Miene an den Tag legte. „Nun gut, wie dem auch sei, bis wir wieder gerufen werden um verloren gegangene Schiffe zurück zu erobern, werden wir auf der Columbia bleiben, da diese sich auf Cunninghams Initiative hin aus den baldigen Kampfhandlungen raushalten darf.“ Hammersmiths Stichelei gegen Lucas unterstrich, wie wenig begeistert Hammersmith davon war, an Bord eines Schiffes stationiert zu werden, auf dem Lucas Cunningham jetzt das Kommando innehatte. Hatten sich die beiden schließlich von Anfang an gegenseitig angegiftet und bekämpft wo sie nur gekonnt hatten. Innerlich musste Igor ob dieser Ironie des Schicksals grinsen und drückte Cunningham die Daumen, äußerlich ließ er sich nichts anmerken.
„Naja, wenigstens habe ich ein kleine Trophäe, die ich mitbringe.“ Er deutete hinüber zu einem großgewachsenen Akarii, der in Handschellen von vier Marines bewacht wurde. „Schließlich kann man nicht alle Tage einen Oberst der Kaiserlichen Space Marines mit nach Hause bringen.“

Hammersmith senkte seine Stimme ein wenig und trat an Igor heran. „Captain,“ es war das erste Mal, dass Igor an Bord seines Schiffes so genannt wurde „ auf ein Wort?“
Igor nickte, wandte sich nur kurz an John Vickers, seinen XO. „John, bitte lassen Sie die gesamte Mannschaft in fünf Minuten im Hangar versammelt antreten!“
Ohne zu zögern bestätigte Vickers diesen ungewöhnlichen ersten Befehl von Igor. „Aye Sir. Mannschaft sammeln in fünf Minuten. Darf ich empfehlen, den Rudergänger und den Kommunikationsgasten als Minimalbrückenbesatzung von diesem Befehl zu entbinden?“
Igor nickte nur knapp und schon war Vickers an die Bordsprechanlage getreten. Während also Vickers über 1MC die gesamte Schiffsbesatzung ausrief, gingen Colonel Hammersmith und er ein wenig abseits.
„Hören Sie, Maleetschev, ich beneide Sie nicht um diese Aufgabe. Die Moral der Besatzung ist am Boden zerstört und man kann die Verunsicherung förmlich mit den Händen greifen. Daher habe ich mich entschlossen, Ihnen ein Geschenk zurück zu lassen“ sagte Hammersmith und zeigte hinüber zu seinem Stellvertreter. „Major Hue und das zweite Bataillon werden an Bord der Giap bleiben, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Captain. Ich denke, es dürfte die Moral und Selbstsicherheit Ihrer Crew stärken, wenn das ursprüngliche Marineskontingent damit um das vierfache erhöht wird. Aber ich habe eine Bedingung dafür.“
„Und die wäre?“
„Ihr Sergeant Murphy und seine Männer scheinen geeignet für das 217. zu sein. Ich denke, es wäre mehr als fair, wenn wir unsere Ausfälle auf diese Weise wieder etwas kompensieren könnten. Also, was sagen Sie?“
Igors Blick huschte hinüber zu Major Hue, den er schon seit der Operation Magellan kannte. Er selbst fühlte sich schon viel sicherer, wenn er wusste, dass Hue und seine Männer an Bord waren. „Abgemacht!“
„Gut. Das 217. hat für dieses Schiff geblutet, Skipper. Ich hoffe Sie und ihr Schiff erweisen sich diesen Opfern würdig!?“
„Das werden, wir Colonel, das werden wir!“
Hammersmith salutierte noch einmal, dann verschwanden er und der Großteil seiner Männer in einige der Sturmshuttles des 217. und flogen hinüber zur Columbia.

Währenddessen hatte sich der Shuttlehangar der Vo Nguyen Giap mit den Überlebenden gefüllt. Igor wusste bereits, dass ein knappes Drittel der Schiffsbesatzung entweder gefallen oder verwundet worden war. Damit blieben ungefähr 400 Besatzungsmitglieder übrig, die jetzt den Hangar füllten. Mit seinen 30 Ersatzleuten von der Repulse konnte Igor die Lücken bei weitem nicht schließen. Doch in den nächsten Stunden würden noch weitere Ersatzmannschaften von anderen Schiffen eintreffen, so dass Igor zuversichtlich war, binnen kurzem eine 80-90 prozentige Mannschaftsquote erreichen zu können.
Da er von seinem Platz aus seine zukünftige Crew nicht komplett sehen konnte und diese ihn auch nicht, kletterte er kurzerhand ein paar Kisten hoch, behielt aber das Sprechgerät des Bordfunks in seiner Hand.
Es dauerte ein paar Augenblicke, doch dann verstummte das Gemurmel der Mannschaften. Wenn man das 2. Bataillon des 217. mitzählte waren nun mehr als 600 Augenpaare auf ihn gerichtet.
Jetzt galt es.
Igor wusste, dass er nur diese eine Chance haben würde, diesen demoralisierten und verunsicherten Haufen wieder zu einer Einheit werden zu lassen. Wie und was er jetzt sagen würde, würde entscheidend sein. Als er auf den Kisten stand und in die erwartungsvollen Augen blickte, holte er einmal tief Luft, verdrängte seine Aufregung und aktivierte 1MC, obwohl bis auf zwei Mann auf der Brücke der Rest der Schiffsbesatzung im Hangar war. Doch für das was Igor jetzt zu sagen hatte, brauchte er die geballte Lautstärke des Bordfunks.

„Ladies and Gents, hier spricht Commander Igor Maleetschev, ich stamme aus Moskau, Terra, bin 39 Jahre alt und ab jetzt Ihr neuer Kapitän. Ich habe den Perisher absolviert und war seitdem Erster Offizier der Repulse. Aber bevor irgendwelche falschen Gerüchte aufkommen: Das hier ist nicht mein erstes Kommando! Vor knapp zwei Jahren habe ich die TRS Ontario während der Operation Magellan übernommen, nachdem der Captain ausgefallen war. Ich bin also mit einer ähnlichen Notfallsituation wie Sie sie im Augenblick erleben vertraut.
Aber womit niemand von uns vertraut sein kann, ist der Tod.
Krieg ist die Hölle, der Tod umgibt uns jeden Augenblick und kann uns jederzeit treffen. Genauso wie es Sie in den letzten zwölf Stunden getroffen hat. Sie alle haben Kameraden verloren, viele von Ihnen sogar Freunde. Aber damit müssen wir uns alle abfinden, die Zeit des Trauerns um die Toten wird kommen, doch im Interesse der Lebenden müssen wir nach vorne blicken.“
Igor holte tief Luft und blickte sich um. Noch konnte er keinen Funken in diesen Augen sehen, noch hatten seine Worte nicht gezündet. Doch unbeirrt fuhr er weiter.
„Wir müssen uns fragen: Warum sind wir hier? Warum nehmen wir den Tod in Kauf, warum arbeiten wir bis zur Erschöpfung, warum???
Ist es der Ruhm, ist es die Ehre, ist es der Heldenmut, der uns vorantreibt, der uns kämpfen lässt und der uns das kostbarste riskieren lässt, das wir haben – unser Leben?
Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber ich will nicht sterben, ich will LEBEN. Aber für WAS will ich leben?“
Er ließ diese rhetorische Frage für einen Augenblick im Raum hängen.
„Für die FREIHEIT!“
Jetzt sah er, wie sich ein paar Köpfe langsam erhoben, wie einige Besatzungsmitglieder nur leicht wahrnehmbar nickten. Und damit wusste Igor, dass er auf dem richtigen Weg war.
„Wir kämpfen um unser Recht in Freiheit zu leben!
Und nicht nur für unsere eigene Freiheit, nicht nur für die Freiheit unserer Kameraden an Bord dieses Schiffes, nicht nur für die Freiheit unserer Kameraden an Bord unserer Schwesterschiffe. Wir kämpfen für die Freiheit und das Leben aller Menschen!
Wir kämpfen hier und jetzt gegen die Akarii, um Ihnen mit einem mächtigen Tritt in ihren schuppigen Arsch zu zeigen, dass Sie uns unser Leben nehmen können, aber niemals unsere Freiheit!“
Die Körpersprache der Besatzung änderte sich zunehmend und deutlich. Auch wenn dies hier kein billiges Holovid war und die Männer und Frauen an Bord der Giap nicht in lauten Jubel ausstießen, so nickten jetzt fast alle, einige richteten sich auf, andere ballten sichtbar die Fäuste und manch einem entrann ein “Ja“ von den Lippen. Ein kalter Schauer lief Igor über den Rücken, als er sich an Rear-Admiral Samantha Cutchins auf der Dolphin erinnerte. Sie hatten damals einige dieser Augenblicke simuliert und in Rollenspielen geprobt. Und Admiral Cutchins hatte immer wieder betont, wie wichtig es war, die Macht der Worte niemals zu unterschätzen, wenn es um Motivation ging. Igor setzte nun zu seinem Schlusstext an, um diesen wertvollen Augenblick nicht durch die Finger gleiten zu lassen.
„Und darum werde ich Ihnen allen nicht befehlen, die nächsten 48 Stunden ohne Unterlass daran zu arbeiten, die Vo Nguyen Giap wieder gefechtsbereit zu bekommen. Ich werde Sie auch nicht bitten, sich sowohl mental als auch körperlich bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu verausgaben. Nein, ich weiß, dass es nicht nötig sein wird, Sie darum zu bitten, denn sie werden von sich aus wissen, was zu tun ist und was wir von uns selbst erwarten müssen. Denn für was kämpfen wir?“
Ein paar zaghafte „Freiheit!“ erschallten – und Igor hätte schwören können, das irgendein Witzbold in den hinteren Reihen Freibier gerufen hatte, doch er ignorierte das.
„Für WAS kämpfen wir?“
„Für die FREIHEIT!“ erschallte es nun sehr viel lauter und selbst einige Marines stimmten ein in den Chor.
„DANN AN DIE ARBEIT!“ rief Igor und eine vielstimmiges „Jawohl!“ zeigte ihm, dass zumindest der Großteil der Besatzung seine Rede angenommen hatte und nun an ihre jeweiligen Positionen strebte. Als Igor von seinem Stapel herunterstieg, konnte er in einigen Gesichtern neue Hoffnung und noch viel wichtiger neue Entschlossenheit erkennen.

Als er unten ankam wurde er von seinen momentanen Senioroffizieren empfangen „Eindrucksvolle Rede, Sir!“ Vickers schien tatsächlich beeindruckt zu sein, einige weitere Offiziere nickten begeistert, ein paar weitere Offiziere schienen noch nicht ganz so überzeugt zu sein. Doch darum würde sich Igor aber später kümmern müssen.
„Danke, XO – sind alle Brückenoffiziere anwesend?“
„Ja, Sir, wir erwarten noch ein paar weitere Mannschaften von anderen Schiffen, aber die Führungsoffiziere sind alle hier.“
„Gut. Ladies und Gents, ich werde jetzt nicht noch eine langatmige Rede halten,“ ein Grinsen bildete sich auf den Gesichtern einiger von Ihnen „ich denke, Sie alle wissen, welche Verantwortung auf uns allen in den nächsten 48 Stunden lasten wird. Wir sind vorübergehend dem Sicherungsverband der Columbia zugeordnet worden, das heißt wir werden in genau zwei Tagen aus diesem System springen, vielleicht sogar schon in 36 Stunden. Wir sind jetzt bei 60 prozentiger Einsatzbereitschaft. Ich will, das wir bis dahin bei 90 Prozent liegen.“
Ein paar der Offiziere schnappte kurz nach Luft, doch Igor ignorierte das. „Ich weiß, dass das möglich ist. Besonders wenn ich mir den Bereich von Chief Panagagupta anschaue.“
„Tun Sie mir bitte einen Gefallen, Skipper, und nennen Sie mich einfach nur Pan!“
„Pan?“
„Ja, wie der mit der magischen Flöte.“ Der hochgewachsene Inder erinnerte Igor an seinen früheren Captain und Mentor Vijad „Terrific“ Singh, und das Gelächter in das die Gruppe ausbrach, war herrlich befreiend.
„Gut, Chief Pan, Sie haben zusammen mit Sergeant Murphy einen fantastischen Job getan. Ich möchte, dass Sie die Schäden reparieren und ihre Abteilung so bald wie möglich auf 100 Prozent bringen. Ist das möglich?
Pan nickte. „Ja, das werden wir hinkriegen. Und ehrlich gesagt, Sir, die Ehre gehört Sergeant Murphy alleine, ohne ihn und seine Männer hätten wir die Kontrolle über den Maschinenraum innerhalb von Minuten verloren.“
`Auch noch bescheiden` dachte Igor und nahm sich vor möglichst bald persönlich mit Pan zu sprechen.
„Major Hue, das 217. hat diesem Schiff einen großen Dienst erwiesen, aber sie haben auch einige Löcher in unsere Außenhülle gerissen.“ Hues Blick blieb wie immer eine unlesbare Maske. „Gleichzeitig verfügen Sie mit ihren Raumanzügen über das Equipment um uns beim Flicken der Löcher…“
Igor brauchte nicht weiter zu sprechen, denn Hue verstand ihn auch so auf Anhieb.
„Das 2. Bataillon des 217. steht Ihnen zur Verfügung, Skipper.“
„Danke, Major. Gut, ich denke, Sie haben alle ihre Orders, aber eine Sache bleibt da noch: Wir haben derzeit noch keinen leitenden Kommunikationsoffizier und werden wohl auch keinen bekommen. Gibt es Vorschläge, wer diese Position zusätzlich übernehmen könnte?“
Igors Blick ging fast automatisch zu seinem XO, John Vickers, da es fast selbstverständlich war, das dieser die Lücke würde füllen müssen. Doch zu seiner Überraschung meldete sich einer seiner anderen Offiziere schneller.
„Sir, ich möchte 1st Lieutenant Milton Grabber vorschlagen.“ Den 2nd Lieutenant, der sich gemeldet hatte, ordnete Igors Gedächtnis direkt als Sensoroffizier Flores ein. Doch hatte er nirgends den Namen Grabber unter seinen Offizieren gesehen.
Bevor er fragen konnte meldete sich aber der NIC-Offizier Söderström. „NEIN, Grabber gehört zunächst einmal überprüft, verhört, interniert!“
„Ohne Milton hätten wir wahrscheinlich noch einige Marines des 217. verloren…“
„Das ist mir egal, er wird jedenfalls nicht…“
Igor unterbrach den lautstarken Disput seiner Leute. „Halt, halt, halt. WER ist Milton Grabber?“
„Das bin ich, Sir.“ meldete sich der Mann ohne Uniform, der Igor schon vorhin aufgefallen war. Der Mann trat vor, neben ihm einer der Bordmarines als Bewachung. „1st Lieutenant Milton Grabber, Sir, ehemaliger Kommunikationsoffizier der TRS Sierra Leone.“
Igor Blick ging hinüber zum NIC Offizier Söderström. „Sir, Mr. Grabber war die letzten fünf Jahre in akariischer Gefangenschaft und war an der Kaperung unseres Schiffes beteiligt. Ich empfehle ihn in Gewahrsam zu nehmen, bis wir sicher sein können, auf wessen Seite er steht.“
Wieder trat Flores vor, offenbar überzeugt von Grabbers Unschuld. „Captain Maleetschev, Sir! Milton hat unter Einsatz seines Lebens den akariischen Offizier beim Anflug des 217. in die Irre geführt. Er hat sein Leben für uns riskiert und ich verbürge mich für Ihn…“
„Obwohl Sie ihn nicht wirklich kennen?“
Flores blickte hinüber zu Grabber. Doch es war Grabber, der antwortete. „Sir, mein Schiff ist vor Manticore vernichtet worden, ich habe Freunde verloren und war fünf Jahre in der Hölle. Bitte geben Sie mir eine Chance, mich bei den Akarii zu revanchieren, bitte!!! Sie werden es nicht bereuen…“
`Na klasse, kaum fünf Minuten an Bord und schon die erste knifflige Entscheidung. Doch wer hat gesagt, dass ein eigenes Kommando einfach werden würde!?`
Igor blickte von Flores zu Grabber, von Grabber zu Söderström. Er blickte hinüber zu seinem XO Vickers und zu Major Hue, aber konnte nichts in ihrem Gesicht lesen.
Erst in diesem Augenblick wurde ihm zum allerersten Mal bewusst, welche gewaltige Last und Verantwortung auf seinen Schultern lastete. Selbst so eine Kleinigkeit konnte enorme Auswirkungen auf das gesamte Schiff haben. Was wenn Grabber mittlerweile ein Agent der Akarii war? Was wenn er die nächstbeste Gelegenheit nutzen würde, um den Akarii irgendwie zu helfen.
Er blickte in die flehenden Augen des Lieutenant und erinnerte sich an einen Satz seines Mentors „Terrific“ Singh: `Jede einzelne Entscheidung eines Captains ist einsam. Exakt die Hälfte deiner Leute wird dafür sein, die andere Hälfte dagegen. Der Trick besteht darin, ständig Entscheidungen zu treffen, so dass deine Leute gar keine Zeit haben, die getroffenen Entscheidungen zu hinterfragen.’
„Mr. Grabber, willkommen an Bord! Wir können jede Hand gebrauchen und ich verlasse mich auf Ihr Wort und ihren Händedruck.“ Ohne zu Zögern ergriff Grabber die ausgestreckte Hand. Und noch bevor Söderström protestieren konnte, fuhr der frischgebackene Captain fort. „Lt. Söderström, Sie werden Mr. Grabber im Auge behalten. Sollten berechtigte Zweifel an seiner Gesinnung aufkommen, werden Sie sich direkt mit mir in Verbindung setzen, o.k.?“ Söderström nickte, allerdings nicht besonders zufrieden. „Und Sie, Lt. Flores, Sie bürgen für Mr. Grabber. Sollte er scheitern, scheitern Sie auch, verstanden?“
„Aye, Sir!“

Igor atmete durch und wandte sich jetzt wieder an den Rest seiner Crew. „Gut, damit ist unsere Kommandobrücke komplett. Wir haben alle viel zu tun in den nächsten 48 Stunden. Also wünsche ich und allen viel Erfolg, Weggetreten!“
Maleetschevs Offiziere salutierten zackig und machten sich augenblicklich an die Arbeit.
Igor hoffte nur, dass ihnen noch genug Zeit bleiben würde, sonst würde sein erstes wirkliches eigenes Kommando nur wenige Stunden angedauert haben.
Cattaneo
Cunningham

Im Orbit von Karrashin V.


Mit stoischer Ruhe hatte sich Peter O'Rourke ins Innere der fast zerstörten Fregatte Jack Rackham vorgearbeitet. Er und zehn weitere seiner Experten waren in voller Raumgefechtsrüstung ausgerückt und hatten die letzten Hindernisse weggeschnitten, um den Reaktor der Fregatte zu bergen.
Jetzt mussten nur noch die Ingenieure der Flotte ihren Teil der Arbeit machen.
Langsam umrundete er mit den Flüssigsauerstoffdüsen seiner Rüstung den Reaktor, um Punkte zu finden, wo er die Sprengköpfe der Exocets anbringen konnte.
Der Mann aus Kentucky hatte eine Eigenschaft, die für Feuerwerker, wie er sich selbst nannte, von elementarer Bedeutung war: Geduld.
Er überdachte die Möglichkeiten gründlich und sprach mit leiser Stimme Notizen auf das Tonband seines Raumanzuges.
Zum Glück waren die Techniker, die ihm der LI der Columbia mitgegeben hatte, äußerst kompetente Leute. Es gab drei Dinge, auf die konnte man sich bei der Navy verlassen: Nicht gerechtfertigter Stolz, solide Unteroffiziere und gutes Essen. Überall und zu jeder Zeit.


Lucas hatte die CIC der Columbia verlassen und sie der Obhut von George Long überlassen. Eigentlich hatte er sich zwei Stunden hinlegen wollen, doch einmal im Bett hatte er keine Ruhe gefunden und war bald wieder aufgestanden. In weniger als einer Stunde würde die Columbia Fahrt aufnehmen, im Schlepp einen Fusionsreaktor, der mit mehreren Atomsprengköpfen versehen war.
Unter dem Schutz der kontrollierten Sprengung würde sich ein Großteil der Angry Angels vom Träger absetzen, um die Akarii in die Zange zu nehmen.
Er würde erneut an Bord der Columbia bleiben. Nun, wenigstens fühlte er sich nicht mehr so unnütz wie zu dem Zeitpunkt, als Raven die Angels zum ersten Mal ins Gefecht geführt hatte.
Nun hatte er die Verantwortung für den ganzen Träger und die viertausend Mann Besatzung, die auf ihm fuhren. Im letzten Gefecht waren seit langer Zeit wieder direkt auf der Columbia Menschen gestorben. Dreiundzwanzig Männer und Frauen, viele der wichtigsten Offiziere des Trägers.
Lucas „Lone Wolf“ Cunningham ging langsam durch die provisorische Leichenhalle des Schiffes.
Neben den toten Besatzungsmitgliedern der Columbia hatten sich hier noch über hundert Tote von den anderen Schiffen eingefunden.
In der hintersten Ecke der Halle lagen sogar einige Akarii. Einige achtlos hingeworfen, andere wieder aufgebahrt wie ihre menschlichen Leidensgenossen.
Im Tode sind sich Freund und Feind so ähnlich.
Lucas trat an einen der abgedeckten Leichnahme heran und lüftete den Tuch über dem Kopf. James Waco sah friedlich aus. Die Augen geschlossen, das Gesicht gesäubert. Die Haare etwas wirr.
„Tja, Captain, sieht so aus, als ob ich Dein Schiff geerbt hätte.“, Er schluckte, „Ich ... ich war noch nie gut darin, mit Toten umzugehen. Manche würden sagen, ich hätte nicht mal ein Händchen für die Lebenden.
Mein Geschwader geht bald wieder raus. Meine Jungs ... und Mädels. Ich vermisse es mit ihnen zu fliegen, auch wenn ich ihnen nie gezeigt habe, wie viel ... dass sie mir etwas bedeuten. Ich habe in diesem Krieg fast vierhundert meiner Leute in den Tod geführt, und jetzt habe ich einen Plan entwickelt und kann sie nicht begleiten.
Bisher habe ich alle Risiken mit ihnen geteilt. Ich war an der Ausführung meiner Pläne beteiligt, und wenn wir da draußen angetreten sind, dann stand ich immer in erster Linie.
Ich konnte meinen Angels bisher immer offen in die Augen blicken, und nun werde ich hier an Bord der Columbia in Sicherheit sein. Ich fühle mich schrecklich und frage mich, wie Du es ausgehalten hast.“
Die Toten haben keine Antworten parat. Lucas deckte Waco wieder zu und schickte sich an zu gehen. Doch dann trat er an die nächste Bahre heran und lüftete dort auch die Decke.
„Es tut mir leid, Admiral.“
Auch diese Leiche deckte er wieder zu und verließ die Leichenhalle.

Sein Weg führte ihn zur Kommandantenkabine. Dort angekommen nahm er seine Erkennungsmarke ab und steckte diese mit dem Chip in das Lesegerät des Türpanels. Der Bordcomputer der Columbia forderte ihn auf sich zu identifizieren: „Lucas Cunningham, Commander, Kommandierender Offizier.“
Die Tür glitt auf.
Wacos Kabine war sauber und aufgeräumt. In den Regalen standen einige Bücher, welche der Captain sehr geschätzt hatte. Mehrere Bilder von seiner Frau, ein Bild wo die beiden zusammen standen, und ein Bild von Waco und seinem früh verstorbenen Bruder.
Lone Wolf hatte diese Bilder schon hundertmal gesehen, und doch kam er sich im Moment wie ein Voyeur vor. Er öffnete eine Schranktür und erblickte den Kommandantensafe. Auch in dessen Chipleser führte er seine Erkennungsmarke ein und wurde wieder zur Identifikation aufgefordert: „Lucas Cunningham, Commander, Kommandierender Offizier.“
Der Safe verlangte nach der Dienstnummer.
„Zwö-drei-sieben-acht-null-neun-Charlie-Lima-vier-acht-sieben.“, anschließend legte er den Daumen auf den Abdruckscanner.
Der Panzerschrank knackte kurz, die Tür öffnete sich und Lucas entnahm ihm den gesamten Inhalt.
Der amtierende Kommandant des Trägers setzte sich an Wacos alten Schreibtisch und verteilte den Safeinhalt über die Schreibfläche.
Ein Teil davon war geheimer Funkverkehr, nur für die Augen des Captains bestimmt. Ein Codebuch für spezielle Funksprüche des Flottenkommandos. Für Lucas am interessantesten waren mehrere Plastikbehälter, jeder enthielt einen Zettel. Sie waren rötlich gehalten und fast milchig, dass man nicht lesen konnte, was auf den Zetteln stand.
Es waren vier Behälter, die linear nummeriert waren. Lucas legte die Nummern zwei bis vier beiseite und nahm den mit der Nummer eins in beide Hände und brach die Versiegelung auf.
Es war ein Zettel doppelt so groß wie eine Visitenkarte. Überschrift: Reservecode für die Selbstzerstörung (geheim).
Lucas prägte sich den Code ein und holte sein Zippo hervor. Noch zweimal ging er im Geiste den Code durch und verbrannte dann den Zettel.
Als er den Rest des Safeinhalts zusammenräumte, fiel sein Blick auf zwei private Briefe. Einer war für Wacos Frau Margareth. Der andere war überraschenderweise für Lucas Cunningham bestimmt.
Er öffnete ihn:

Lieber Lucas,

wenn Du diesen Brief erhältst, bin ich gefallen und Du noch am Leben. Aber das weißt Du ja bereits. Jedoch ist es, wenn man unsere Jobs miteinander vergleicht, ein kleines Wunder oder etwa nicht?
Was möchte ich Dir auf den Weg geben, Lone Wolf, an sich Dinge, die ich Dir nicht zu Lebzeiten zu sagen vermochte, weil wir Freunde waren.
Du warst mir ein Freund und hast mir geholfen, die Isolation, die einen Captain oft umgibt, in den Zeiten größter Not zu überstehen und dafür danke ich Dir sehr.
Ich wünschte ich wäre Dir ein ebenso guter Freund gewesen, aber irgendwie konnte ich es nicht über mich bringen, Dir dann wenn es wichtig war zu sagen, was für ein Holzkopf Du manchmal bist.
Ich wollte Dich nicht als meine Stütze verlieren und habe somit als Freund versagt.
Du bist ein exzellenter Pilot, ein mutiger und kühl agierender Stratege und eine Autorität auf dem Gebiet der Raumtaktik. Aber Dir fehlt der Kontakt zu Deinen Piloten.
Immer wieder scheinst Du zu vergessen, dass Du Menschen ins Gefecht führst und Menschen brauchen mehr als nur einen guten Strategen und Taktiker als Anführer.
Eine gewisse Zeit kann es gut gehen, wenn man nur durch Stärke und Erfolg führt. Ich weiß, dass es Piloten unter an Angels gibt, die würden Dir bis in die Hölle und zurück folgen, wenn Du voranstürmst. Der Rest wird von diesen Piloten mitgezogen, aber was ist, wenn diese Piloten wegbrechen?
Eine Gemeinschaft braucht mehr als eine starke Hand. Sie braucht Anerkennung von ihrem Anführer, Verständnis und Mitgefühl.
Stärke, Mut, Aufopferungsbereitschaft ist die eine Seite der Medaille. Sie wird durch die andere Seite angespornt, das Gefühl mehr zu sein als nur ein Name auf den Flightboard.
John Paul Jones schrieb einst an das Marinekomitee der Nordamerikanischen Rebellenarmee: '... keine gute Tat eines Soldaten, sei sie auch noch so klein, darf unbelohnt bleiben und sei es nur durch ein anerkennendes Wort des kommandierenden Offiziers.'
Du bist für Deine Piloten ein Vorbild. Zu jeder Zeit und in jeder Lebenslage. Du zeigst Mut, Einfallsreichtum und Härte, Du bist bereit Dich aufzuopfern und ich bin der festen Überzeugung, wenn Du Deinen inneren Schweinehund überwindest, kannst Du Deinen Piloten noch viel mehr geben. Ich glaube an Dich und wünsche Dir für die Zukunft alles Gute, viel Glück und Gute Jagd.

Dein Freund

James

Lucas wusste in diesem Moment nicht, was er empfinden sollte. Wut? Rührung? Er fühlte sich einfach nur leer.
James Waco war gegangen. Justin McQueen diente Lichtjahre entfernt auf einem anderen Träger. Melissa, seine über alles geliebte Melissa, war genauso weit entfernt wie Justin.
Wem würde er so einen Brief hinterlassen, wenn es ihn erwischen würde?
Langsam sackte er in dem Stuhl zusammen. Seine Freunde von der Enterprise waren mit Ausnahme von Justin und einer Hand voll anderer gefallen.
Seitdem war er als Geschwaderführer im Einsatz und als solcher hatte man zum einen viel zu tun und zum anderen freundete man sich nicht mit seinen Piloten an. Zumindest nicht sehr eng.
Zu der Hälfte seiner Senioroffiziere pflegte er eher seinen Privatkrieg.
Der Deckenlautsprecher fiepte: „Kommandierender Offizier, Commander Cunningham, bitte in die CIC! Ich wiederhole Kommandierender Offizier, Commander Cunningham, bitte in die CIC!!



Emergency Action Message:

An: Alle Einheiten 4. Flotte
Von: Admiral Vanessa Girad, CO 4. Flotte

Betreff: Operation Thunderchild

Sicherheitsauthentifizierung: Tango-Uniform-Lima-Hotel-Hotel-Alpha


ABBRUCH! ABBRUCH! ABBRUCH!


Gezeichnet
Vanessa Girad
Admiral, CO 4. Flotte



Emergency Action Message:


An: Rearadmiral Klaus Schubert, CBG. 31
Von: Admiral Vanessa Girad, CO 4. Flotte

Betreff: Colonial Confederation

Sicherheitsauthentifizierung: Tango-Uniform-Lima-Hotel-Hotel-Bravo


Admiral,

die Konföderation hat Friedensverhandlungen mit dem Sternenimperium der Akarii aufgenommen. Ziehen Sie ihre Einheiten schnellstmöglich nach Hellsteadt-Station zurück.
Arretieren Sie augenblicklich ihren konföderierten Verbindungsoffizier.
Konföderierte Schiffe sind als möglicherweise feindlich einzustufen.
Erarbeiten Sie einen Angriffsplan für die ihnen unterstellten Einheiten auf die großen konföderierten Rüstungszentren in Denguin, Gardel und Orpheus.

Anliegend erhalten Sie den neuesten durch uns geknackten konföderierten Funkcode.


Gezeichnet
Vanessa Girad
Admiral, CO 4. Flotte
Cattaneo
Cunningham

Samantha „Raven“ Burr blickte hinaus aufs Flugdeck der Columbia. Die Technikercrews legten noch letzte Hand an die Maschinen an. Es standen ihr siebzehn Jagdbomber zur Verfügung. Fünfzehn moderne Thunderbolts der Columbia und zwei ältere Mirage der Wasp.
Anspannung lag in der Luft. Die Piloten scherzten nicht, wie sie es sonst vor den Einsätzen taten. Die Freiwilligen für die nächste Schlacht hatte ihren düsteren Schatten voraus geworfen. Als sich die Bomberbesatzungen freiwillig gemeldet hatten, war es für sie alle Ehrensache gewesen, das stolze Banner der Angry Angels erneut in den Kampf zu tragen.
Jetzt hatten die meisten von ihnen realisiert, was auf sie zukommen würde. Fast alle rechneten mit dem baldigen Tod, und wenn Raven ehrlich mit sich selbst war, glaubte auch sie nicht daran, das nächste Gefecht zu überleben.
Verdammter Cunningham! Mit seinem Scheißplan! Cunningham, der sie in den fast sicheren Tod schickte, während er daheim blieb. Aber konnte man ihm das vorwerfen? Sie lehnte sich an den Türrahmen und dachte an die verschiedenen Schlachten, die hinter ihr lagen.
Drei Fahrten auf der guten alten Redemption. Alle drei unter Cunninghams Kommando. Wenn die Fetzen flogen, hatte Cunningham immer vom Cockpit aus geführt. Bei Jollahran hatte er den Sturmangriff auf die feindlichen Transporter befohlen, Sekunden nachdem er seine eigenen Nachbrenner gezündet hatte.
Anschließend hatte er zu den letzten gehört, die sich aus der Redemption gerettet hatten. Bei der Doppelschlacht von Graxon und Corsfield hatte Lone Wolf beide Male an vorderster Front gekämpft. Die Zeit unter Justin McQueen als CAG war keinesfalls weniger anspruchsvoll als der Dienst unter Cunningham, aber irgendwie angenehmer gewesen. Dann hatten die beiden einfach die Plätze getauscht und der Stress war wieder losgegangen. Die harten Schlachten waren gekommen.
Velorha, Beta Borealis und Tukama. Bei Tukama hatte der damalige CAG sein eigenes Leben in die Waagschale geworfen und sich zusammen mit den Staffeln Schwarz, Rot und Gelb der mehr als zweifachen Überzahl feindlicher Flieger gestellt und diese lange genug beschäftigt, bis die Bomber sich den großen Preis geholt hatten. Raven musste schmunzeln, die Bomber hatten sich beide großen Preise geholt.
Man konnte Lucas Cunningham viel vorwerfen, aber Feigheit gehörte nicht dazu.
Manchmal muss man sich auch an schlechteren Menschen ein Beispiel nehmen.
Sie atmete tief durch und versuchte das innere Zittern unter Kontrolle zu bringen, dann trat sie hinaus aufs Flugdeck zu ihren Bomberpiloten: „Bullock: Haben Sie immer noch den Edding?“
Der angesprochene Thunderboltpilot aus ihrer Staffel Gold blickte etwas verwirrt: „Ja, Skipper, warum?“
„Kann ich ihn haben, ich möchte den Echsen noch ein paar nette Worte auf die Raketen schreiben.“
Die Piloten sahen sich untereinander an, während Victor Bullock den Stift aus seiner Fliegerkombi herauskramte.
„Danke.“, mit diesen Worten ging sie entschlossenen Schrittes auf ihre Thunderbolt zu. An der Maschine arbeiteten sowohl Master Chief Dodson als auch ihr RIO, Lieutenant Erwin Hässler.
„Und, Earl, wie schaut es aus?“
„Die Maschine ist Eins-A in Schuss,“, antwortete der RIO, „die Seitensteuerung will auch wieder. Der Chief hat ausgezeichnete Arbeit geleistet.“
Dodson hob fragend eine Augenbraue. Soviel Nettigkeit, selbst von den vergleichsweise harmlosen Bomberjockeys, kannte er nicht. ,Denen scheint ja mächtig der Arsch auf Grundeis zu gehen.'
Er bemerkte, dass die anderen Jagdbomberpiloten der Angels langsam hinter Raven her gedackelt kamen, und die frischgebackene CAG des Geschwaders mit einem Stift etwas auf die schweren Anti-Schiff-Raketen unter den Flügeln ihrer Thunderbolt schrieb.
Der Master Chief Petty Officer musste grinsen.
'Akarii: Wenn Du dies hier ließt, bist Du gleich tot!' und 'Hab keine Angst Akarii, fürchte Dich sehr!'
Einige der Piloten begannen zu grinsen.
„Hey, Skipper, darf ich auch? Habe den Schuppenflechten auch noch etwas mitzuteilen.“, meinte Trash böse lächelnd.
„Hier,“, Raven warf ihm den Stift zu, „hat sonst noch jemand den Echsenärschen etwas mitzuteilen?“
Mehrere Hände reckten sich in die Höhe.
„Dann schnell Herrschaften, es geht gleich los. In wenigen Minuten wird die Columbia den in Schlepp genommenen Reaktor in die Luft jagen, dann ist es für uns Zeit, uns abzusetzen.“
„Was ist, CAG,“, wollte Razor wissen, „keine große Rede?“
„Wieso? Hat hier jemand vor zu sterben?“, Hielt Raven dagegen, „Wir treten hier an, um zu gewinnen. Es ist an der Zeit, den Echsen zu zeigen, mit wem sie sich hier in Karrashin angelegt haben. Also Ladies, aufgesessen, wir sehen uns in einigen Stunden hier wieder.“
Sie ließ die teils verdutzten Piloten hinter sich stehen und kletterte ins Cockpit ihrer Maschine. Erwin 'Earl' Hässler schloss sich ihr an.
Die Bomberpiloten aus drei zusammengeschossenen Schwadronen machten sich daran, ihre Raketen zu beschriften, und bestiegen dann ebenfalls ihre Maschinen. Lange brauchten die Piloten der Angry Angels und Bushpilots nicht mehr warten, dann kam von Cunningham die Durchsage, dass man mit dem Start beginnen würde, sobald der Reaktor hochgejagt worden war.
An Bord der Columbia bekam sie nichts von der Explosion im All mit. Dann begann der Start der Jagdbomber und der Überlegenheitsjäger. Als letztes wurden die Abfangjäger gestartet.
Mit etwas unter hundertfünfzig km/s schlichen sich die achtundvierzig Jäger davon. In der Hoffnung, dass die Columbia und die verbliebenen zehn Begleitschiffe sowie die schwere Explosion, die einen Maschinenschaden an dem Flottenträger simulieren sollte, die Aufmerksamkeit der Akarii auf sich lenken würden.



In der CIC der Columbia überwachte Lucas 'Lone Wolf' Cunningham die komplette Operation. Der Rudergänger verlangsamte von hundertsiebzehn Kilometern die Sekunde, was über der Sicherheitsgrenze für die Pegasus-Class lag, auf langsame dreiundachtzig km/s.
In etwa einer halben Stunde würden sie die Geschwindigkeit weiter drosseln und erst kurz vor dem Sprungpunkt die Triebwerke wieder aufdrehen.
Es blieb nur zu hoffen, dass die Akarii das Schauspiel auch schluckten und auf Teufel komm raus hinter ihnen herjagen würden.
,Ihr müsst einfach’, dachte Lucas bei sich. ,Dies ist die Columbia, mit den Angry Angels an Bord. Wir haben euren Prinzen geschlachtet. Uns zu vernichten muss doch etwas zählen.
Prestige, Ruhm und Anerkennung.’
„Begleitflottille verlangsamt ebenfalls.“, meldete Commander George Long. Der Erste Offizier des Trägers ließ nicht erkennen, ob er sich übergangen fühlte oder von Lucas verdrängt. Es war wohl unter der Würde eines Longs, so etwas öffentlich zu zeigen.
Der gefallene Bruder von George, Lieutenant Commander Curtis D. 'Radio' Long, war da ein ganz anderes Kaliber. Er war ein Klatschmaul sondergleichen. Ein Schwarzmarkthändler, wie Lucas später erfahren hatte, ein Demagoge und Querschläger.
Ein Pilot erster Garnitur, der während seiner Zeit bei den Angels siebzehn Abschüsse erzielt hatte und aufgrund seines Namens beim Wiederaufbau des Geschwaders zum Lieutenant Commander befördert worden. Er war Lucas' XO der roten Staffel gewesen.
Zu Lebzeiten hatte er sich keinen schlechteren Offizier als Radio vorstellen können. Sein Tod vor Jahren hatte ihn nicht berührt. Aber Radio war ein Freund von Thomas Andrews gewesen. Lucas erstem Flügelmann als CAG der Angels.
„Sie sehen Ihrem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten aus.“, warum er das gesagt hatte, war dem amtierenden Kommandeur der Columbia gar nicht klar.
„Sie meinen Curtis?“
Lucas nickte: „Ja, er ist der einzige ihrer Geschwister, den ich kannte.“
„Curtis war der jüngste von uns, er sah mir wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Aber ich glaube, dass war schon alles, was er und ich teilten.“
Der XO klang etwas verbittert, als wäre ihm der Gedanke an seinen toten Bruder zuwider.
„Er war das schwarze Schaf Ihrer Familie,“, stellte Cunningham fest, „wie auch das meines Geschwaders. Vermissen Sie ihn?“
„Er war mein Bruder, natürlich vermisse ich ihn. Seine große Klappe, sein schrilles Hawaiihemd und seine sorglose Art. Vermissen Sie ihn etwa?“
„Ich habe seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht. Doch jetzt, als Sie mir so im Profil gegenüberstanden, da war sein Gesicht plötzlich wieder da. Wie ein Geist.“
George Long blickte ihn einen Augenblick durchdringen an: „Haben Sie ihn gemocht?“
Das war keine rein rhetorische Frage: „Nein.“
„Ihr Brief, den Sie an meinen Vater geschrieben haben, klang aber so. Als ob Sie sein Freund gewesen sind und als ob es eine Seite an ihm gab, die wir nicht kannten. Dass er tief im Innern ein ganzer Soldat gewesen sei.“
„Sir, wir bekommen eine Meldung von der Devastator,“, unterbrach sie der Wachhabende Signaloffizier, „auf Maximalentfernung versucht uns ein Späher der Akarii zu folgen.“
Lucas grinste und sah sich die Daten auf dem Kartentisch der CIC an, die der Flakkreuzer übermittelte: „Schau an, schau an. Sieht aus, als ob man uns noch nicht abgeschrieben hat.“
„Womit würden Sie uns folgen?“, fragte Long.
„Wenn ich nur die Infos hätte, die wir wollen, dass sie der Feind hat, würde ich mit all meinen Einheiten so schnell wie möglich hinterher hetzen, um der Columbia den Rest zu geben. So eine Beute würde ich mir nicht entgehen lassen wollen.“
„Daran sollten Sie vielleicht denken, wenn Sie mal einem Akarii-Verband auf den Fersen sind, Skipper.“, Trisha McGill gesellte sich zu den beiden Commandern an den Kartentisch.
Long und Cunningham warfen sich einen langen Blick über den Kartentisch zu.



TRS Pegasus, Flaggschiff 4. Flotte, Task Force 25
Ashal Maiin, terranisch-konföderierte Besatzungszone,
Sternenimperium von Akar




Admiral Vanessa Girad hatte den letzten Befehl des konföderierten Oberkommandos auf ihrem Schreibtisch liegen. Offiziell hatte man sie noch nicht in Kenntnis gesetzt.
Der Funkspruch war verschlüsselt gewesen und der Nachrichtendienst der 4. Flotte hatte ihn entschlüsselt, nachdem er vor wenigen Tagen den neuesten Code der Konföderierten geknackt hatte.
Die Botschaft war recht umfangreich. Die Friedensgespräche zwischen dem Imperium und der Konföderation waren sehr positiv gelaufen. Die Imperialen baggerten sehr darum, dass sich die Konföderation aus dem Krieg zurückzog. Es waren nahezu generöse Zugeständnisse.
Dieser Frieden war für die Kriegsanstrengungen der Bundesrepublik Terra ein schwerer Schlag an dieser Front. Viele Sprungruten ins Imperium liefen über konföderiertes Gebiet.
Die Akarii hätten eine enorme Pufferzone. Und obwohl Girad die genauen Einzelheiten nicht kannte, war sie sich sicher, dass es für die TSN noch übler kommen würde.
Hatten die Echsen auf einmal Zugriff auf die Reparaturbasen der Konföderation? Würden Kriegsschiffe als Reparation verlangt? Oder würde man die Technik studieren können, die die Bundesrepublik der Konföderation zur Verfügung gestellt hatte?
All dies waren Möglichkeiten, über die sich die Admiralin Gedanken machen musste.
Würden die konföderierten Schiffe, die jetzt noch neben denen der Vierten Flotte fuhren, demnächst gegen sie eingesetzt werden?
Risiken, Unsicherheiten, Ängste. All dies führt zu Entscheidungen. Entscheidungen, man trifft sie und man lebt mit ihnen, ein Leben lang.
Vor sechs Stunden war der Funkspruch des konföderierten Oberkommandos eingegangen und noch immer hatten Benjamin Yukono sie nicht informiert.
Als sie vor drei Stunden um eine Besprechung auf der Pegasus gebeten hatte, hatte Yukono zugestimmt. Anscheinend wollte er sie von Angesicht zu Angesicht informieren, dass er den Befehl erhalten hatte, seine Flotteneinheiten zurück auf konföderiertes Gebiet zu bringen und dass die Konföderation der TSN verbot, ihr Territorium zu passieren.
„Admiral,“, meldete ein junger Lieutenant von der Sensorstation der CIC, „Admiralsshuttle legt von der Altani ab. Laut Passagierliste sind Admiral Yukono, sein Stabschef, sein ND und die Trägergruppenkommandeure der Altani und der Liberty an Bord.“
„Ach?“, da kommen ja mehr als gedacht. Admiral Girad nahm den Hörer der Sprechanlage auf: „Signaloffizier: Per Laserverbindung an alle Schiffe.“
„Aye-aye, Ma'am“, sie brauchte nicht lange zu warten, „Laserverbindung steht.“
„An alle Einheiten der 4. Flotte. Hier spricht Admiral Girad: In wenigen Minuten werde ich ihnen den Einsatzbefehl geben gegen unsere Verbündeten vorzugehen. Ich weiß, dass niemand von Ihnen sich eine derartige Situation wünscht, aber die Geschehnisse der letzten Wochen in der Konföderation zwingen uns zu diesem Schritt. Wir müssen diese Schiffe beschlagnahmen und die Besatzungen internieren um sicherzustellen, dass weder Schiffe noch Soldaten der Colonial Navy gegen uns eingesetzt werden. Alle Einheiten: Klar Schiff zum Gefecht!“
Die Minuten vergingen.


„Was glauben Sie, wie Girad das aufnehmen wird?“, fragte Riiak seinen Kommandeur.
Benjamin Yukono blickte seinen Nachrichtendienstler nachdenklich an: „Ich weiß es nicht. Sie wird aber sicherlich nicht erfreut sein.“
„Viele unserer Jungs sind auch nicht einverstanden.“, warf Rearadmiral Mario Costello, der Kommandeur der Liberty-Trägergruppe ein, „Es sind schon Gerüchte bei mir angekommen, dass sich einige Piloten freiwillig bei den Feds melden wollen.“
Die Offiziere der Colonial Navy, die in dem Admiralsshuttle saßen, schwiegen sich betreten an.
„Wie würden Sie sich denn fühlen, wenn ihre Verbündeten sich plötzlich aus dem Konflikt herausziehen?“, fragte Yukonos Stabschef, „man stelle sich nur mal vor, die Feds hätten einen Separatfrieden mit den Akarii geschlossen und wir stünden plötzlich allein auf weiter Flur da.“
„Dann wären wir richtig in den Arsch gekniffen.“, antwortete Riiak. Der akariische Offizier wirkte sehr angespannt. Als liege ihm was auf dem Herzen.
Das Shuttle setzte zur Landung an und die Offiziere blickten aus den Fenstern. Ein Träger der Pegasus-Class war immer wieder eine Augenweide. Die Konföderation besaß nur einen einzigen Flottenträger des Typs Pegasus, die Judgement.
Nachdem die Raumfähre aufgesetzt hatte, wurde sie von einem Traktor in eine der hinteren Landebuchten des Trägers gezogen. Der Druckausgleich wurde vorgenommen und der Pilot ließ die Rampe ausfahren.
Yukono erhob sich und mit ihm seine Offiziere. Commander Riiak räusperte sich: „Sir, ich werde nicht mit Ihnen zurückkommen. Ich werde Admiral Girad und der TSN meine Dienste anbieten.“
„Wie bitte?“, der Admiral war regelrecht überrumpelt.
„Sir, ich halte diesen Separatfrieden für falsch. Seit über einem halben Jahrzehnt kämpfen wir an der Seite der Terraner,“, Riiak wich dem Blick seines Vorgesetzten aus, „ich halte es für falsch jetzt die Hände in den Schoß zu legen und den Göttern zu danken, dass es vorbei ist. Denn wenn die Republik unter dem Sturm der Imperialen zusammenbricht, dann ist es auch um uns geschehen. Und selbst wenn die Republik standhält und in keine Ahnung wie vielen Jahren Frieden mit dem Imperium schließt, gibt es keine Schutzmacht mehr, die uns beiseite steht, sollten die Imperialen wieder auf die Idee kommen, die Konföderation sei doch ein schöner Trostpreis.“
„Herrje, Giliad, ich verstehe Sie, aber sie haben doch Frau und Kinder zuhause.“
Der Akarii blickte den Menschen jetzt doch direkt an: „Eben drum, Sir, der Krieg ist für mich noch nicht beendet. Dieser Frieden bringt meiner Familie nicht die ersehnte Sicherheit.“
Die beiden Offiziere traten die Rampe hinunter auf das Landedeck des schweren Flottenträgers hinaus.
Das charakteristische Summen von entsichernden Energiewaffen erklang.
„Keine Bewegung! Hände hinter den Kopf!“
Eine Horde Marines umschwärmte die konföderierten Offiziere. Die Soldaten der Republik hatten leichte Gefechtspanzerung angelegt und die Waffen auf die Konföderierten gerichtet.
„Was zur Hölle hat das zu bedeuten?“, Yukono trat energisch auf einen der Unteroffiziere zu. Seine Autorität und sein Rang hatten deutlich Wirkung auf den jungen Sergeanten. Dieser trat einen Schritt zurück und senkte den Lauf seiner Waffe.
Doch statt dem Sergeant antwortete Captain Franklin Poole, der Kommandeur der Marines der Pegasus: „Admiral Yukono, auf Befehl der Kommandeurin der 4. Flotte stehen Sie und Ihre Offiziere unter Arrest!“
„WAS?“, brüllte Rearadmiral Costello, „Ist die Frau wahnsinnig geworden?“
Poole ging nicht auf den Ausbruch ein: „Lieutenant Müller, durchsuchen Sie die Gefangenen und setzen Sie sie in Offiziermesse Nummer drei fest.“
„Aye-aye, Sir.“
Yukono konnte den Offizieren und älteren Unteroffizieren deutlich ansehen, dass es ihnen unangenehm war, die konföderierten Stabsoffiziere so zu behandeln.
Die jüngeren Soldaten waren sichtlich verunsichert. Das Marineinfanteriekontingent der Pegasus war reichlich unerfahren. Sämtliche erfahrenen Soldaten waren schon seit Jahren an der Front.
Captain Poole aktivierte sein Helmmikrophon: „Poole für CIC, der konföderierte Stab ist in unserer Hand und wird jetzt inhaftiert.“
Yukono konnte die Antwort nicht hören, doch Poole schien sichtlich erleichtert: „Verstehe, zu Befehl.“
Der Captain wandte sich an seine Leute: „Anweisung von oben, Admiral Yukono und seine Offiziere werden mit größtmöglichen Respekt behandelt, keine Handschellen.“
„Ich scheiße auf Ihren Respekt!“, wütete Costello.
„Ganz ruhig, Mario.“, versuchte Yukono zu beschwichtigen, ehe er sich Poole zu wandte, „Major, ich muss unbedingt mit Admiral Girad sprechen, bevor sich das Ganze zu einer Katastrophe entwickelt. Das hier ist ganz übel, Junge.“
Poole nickte: „Poole für CIC, Admiral Yukono wünscht Admiral Girad zu sprechen, ich denke Sie sollte sich die Zeit nehmen. Ja, verstehe, fragen Sie bitte nochmal nach. Jawohl, zu Befehl.“
„Tut mir leid, Sir, Admiral Girad ist im Moment nicht zu sprechen. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“
Die konföderierten Offiziere wurden durch die Gänge des Trägers geführt.
Wie und warum es nun genau passierte, konnte Yukono nicht wirklich erklären. Einer der Marines musste Costello etwas geschubst haben und der bärbeißige Admiral war dem jungen Mann gleich an den Hals gefahren.
Riiak ging dazwischen, um die beiden zu trennen. Ergriff den Lauf des HK-Sturmgewehres des Marines und drückte diesen auf die Erde.
Ein weiterer Marine, er war höchstens zwanzig Jahre alt, machte zwei Schritte seitwärts. Yukono wollte noch etwas brüllen, doch auch wenn sich der junge Terraner wie in Zeitlupe bewegte, war er viel zu schnell, als dass der konföderierte Admiral ihn mit Worten oder Taten erreichen konnte.
Der Marine riss den Lauf seines Gewehrs hoch. In dieser Bewegung legte er den Sicherheitsbügel um und brachte die Waffe in einer flüssigen Bewegung feuerbereit in Anschlag.
Yukono konnte nur Präzision und Ausbildung des jungen Mannes bewundern. Dann ertönte das elektrische Knistern, welches für das Sturmgewehr so charakteristisch war und der Gang wurde von drei Lichtblitzen erhellt.
Riiak schlug der Länge nach hin. Seine graue Uniform war aufgerissen und verbrannt, genauso wie der Oberkörper darunter.
Stille. Langsam breitete sich der Gestank nach verbranntem Fleisch und Ozon aus.
„Sanitäter! Medizinischer Notfall auf Deck vierundzwanzig, Korridor B-zwölf! Ein verletzter, Akarii!“, brüllte Poole in sein Funkgerät.
Costello kniete sich neben Riiak nieder: „Ganz ruhig, ganz ruhig mein Freund, das wird schon wieder.“
Der Kommandeur der Liberty-Trägerkampfgruppe irrte sich. Riiak zuckte noch zweimal, dann erschlaffte sein Körper.




„Poole für CIC, der konföderierte Stab ist in unserer Hand und wird jetzt inhaftiert.“
Vanessa Girad atmete tief durch, als sie die Meldung vernahm: „Signaloffizier, Laserspruch an alle Schiffe: Domino!“
„Aye-aye, Ma'am. Pegasus an 4. Flotte. Einsatzbefehl: Domino! Wiederhole: Domino.“
„Ausgezeichnet, Lieutenant,“, lobte Girad, „dann legen Sie mich bitte auf Flottenkanal eins.“
„Zu Befehl, Sie sind auf Flottenkanal eins … Jetzt!“
Die Admiralin nahm den Hörer auf und sprach: „Konföderierte Schiffe, konföderierte Schiffe, hier spricht Admiral Girad, Kommandeur der 4. Terranischen Flotte. Uns sind die Befehle Ihrer Regierung bekannt und der bevorstehende Kriegsaustritt der Colonial Confederation.
Wir können nicht zulassen, dass Ihre Schiffe und Ihre Kampfkraft in die Hände unseres Feindes fallen. Hiermit beschlagnahme ich alle Ihre Schiffe. Sie werden interniert! Ihre Flottenkommandeure sind bereits an Bord der Pegasus interniert worden.“, sie machte eine kurze Pause, „Bereiten Sie sich darauf vor, geentert zu werden. Ich wiederhole: Bereiten Sie sich darauf vor, geentert zu werden. Jeglicher Widerstand wird mit tödlicher Gewalt beantwortet. Girad Ende.“