Cattaneo
Aufgaben und Pflichten
Die Wachposten nahmen Haltung an, als die Dvensky sie mit seiner Begleitung passierte. Die Gesichter unter den Kampfhelmen waren ausdruckslos, geradezu maskenhaft – wie immer. Nun, wenn man es genau nahm, seitdem der Angriff erfolgt war, und die Gefahr bestand, daß sich in der Umgebung staatsfeindliche Elemente herumtrieben, schienen die bryantischen Elitesoldaten noch ,einen Zahn zugelegt zu haben‘, was Wachsamkeit und Einschüchterung betraf. Egal ob nun Fallschirmjäger oder SMERSCH- beziehungsweise Polizei-Elitekommandos. Viele von ihnen waren zusammen mit anderen Einheiten auf der Jagd, und besonders die Kräfte des Innenministeriums hatten noch Punkte gegenüber der Armee gutzumachen.
Die Gänge waren hier unten wie immer eisig kalt. Dvensky verschwendete selten etwas – und wenn es Besuchern ein wenig fröstelte, um so besser. Sein Gesicht verriet, daß er tief in Gedanken versunken war. Zunächst achteten seine Begleiter seinen Wunsch nach Stille. Aber dann machte sich seine Schwester leise bemerkbar – wenn auch nicht an den Herrscher selber.
„Übrigens Major... Du kannst meine Hand ruhig loslassen, er ist weg.“
Major Tereschkow grinste – was erwidert wurde – und löste den Griff. Doch sowohl er als auch Natalija fuhren überrascht zusammen, als Leonid Dvensky plötzlich bellend auflachte. Offenbar hatte er mehr von seiner Umgebung mitbekommen, als sie vermutet hatten. Er musterte seine Untergebenen: „Ich hatte mich schon gefragt, wann du es ihm sagst. Aber zweifelsohne beherzigt unser wackerer Major nur den Grundsatz, daß man eine Rolle am besten glaubhaft spielt, wenn man sich richtig in sie hinein versetzt.“ Der Panzeroffizier schien ein wenig zu erröten – bei der Kälte war das aber schwer festzustellen – und stimmte in das Gelächter der Geschwister ein. Dann wurde er wieder ernst.
„Was halten Sie von der Sache, Leonid? Ich habe ehrlich gesagt meine Bedenken. Zum einen – entweder dieser Danton hat seine Truppe wirklich nicht im Griff, oder er lügt uns was vor. Zum anderen - mir ist nicht wohl bei dem Gedanken ihm kampffähige Soldaten zu geben.“
Der Herrscher lächelte geringschätzig, wobei seine Verachtung nicht seinem Gesprächspartner galt: „Wie man es nimmt. Ich bin ja auch der Meinung, daß sogar unsere Musterexemplare des Neuen Soldaten, die mit ,Immortal Warrior‘ aufwachsen, GEWISSE Dinge auch irgendwann lernen. Nämlich daß kleine Kinder nicht wie kleine Battle Mechs gebaut werden, und WIE sie entstehen. Und vor allem, wie man sich dagegen vorsieht, daß es zur Unzeit geschieht. Wenn Danton nicht mal dahingehend für Ordnung sorgen kann – und der Wegfall einer Pilotin in einer Truppe ohne Ersatzleute ist kein Kinderspiel – dann sitzt er wirklich nicht fest im Sattel. Oder die Pilotin war nicht die klügste in der Einheit, das soll ja auch mal vorkommen.“
Tereschkow nickte: „Aber wenn es stimmt, und sie ist wirklich schwanger – geben wir ihm dann Ersatz? Wir würden riskieren, daß er so eine Schwächung seiner Truppe, die uns nur gelegen kommen könnte, wieder wett macht. Oder die Gefangenen unter der Hand an die New-Home-Ratten weitergibt. Dann dürfen wir sie beim nächsten Mal wieder abschießen. Bei den Infanteristen ist mir das relativ egal, aber die Mechkriegerin und der Jagdpilot...“
Der Diktator schien dem halb zuzustimmen: „Mag sein. Allerdings, nach der Aktion werden sie nicht viel überschüssiges Material haben drüben. Und Ersatz beschaffen – das kostet Zeit und Geld. Etwas, daß sie bald nicht mehr haben werden, bei den Einbußen. Die Ersatzteile könnten wir gut gebrauchen.“
Natalija mischte sich ein. Sie sah wenig erfreut aus, vielleicht war ihr das Thema unbequem: „Ich denke allerdings, es gibt einige Leute die sich mit unseren Gästen gerne mal unterhalten würden. Und das dauert, oder sie sind für Danton vielleicht nicht mehr ganz... verwendungsfähig.“ Sie verschleierte durch die Euphemismen nur ungenügend ihr Unbehagen. Natürlich wußte sie um die Bryanter Methoden, wenn es darum ging Ergebnisse zu erzielen. Die waren ja weiß Gott nichts ungewöhnliches – MI, ISA, Maskirovka, Secura, LNC, sie alle folterten. Vermutlich mit mehr Einfallsreichtum, aber keinesfalls mit geringerer Skrupellosigkeit. Aber auch wenn so etwas Gang und Gebe war, es mußte ihr ja nicht gefallen.
Major Tereschkow drückte kurz ihre Schulter. Vielleicht teilte er ihre Gefühle, aber die Jahre in Dvenskys Stab hatten ihn den bitteren, aber oft auch verführerisch süßen Geschmack des Wortes „Notwendigkeit“ gelehrt. Anders als Dvensky wußte er wohl nichts von dem Staatstheoretiker, der diesen Begriff als erster zum obersten Gebot erhoben hatte, vor gut 1500 Jahren. Aber er folgte seinen Lehren.
Dvensky registrierte, daß seine Schwester nichts gegen die Berührung zu haben schien. Soso...
Aber das mußte warten. Nun, wenigstens ETWAS, das nach Plan lief.
„Das muß Major Jegorowa entscheiden. Wenn sie denkt, es lohnt sich, etwas nachzubohren, dann kann sich Danton seine Ersatzteile...
Zur Not halten wir ihn noch ein paar Tage hin. Aber kein physischer Zwang, nichts, was dauerhafte Schäden hinterläßt. Und vielleicht kann sie etwas herausfinden oder ausdenken, was uns in Sachen Gefangene weiterhilft.“ Wie oft fungierte Natalija als menschliches Notizbuch. Sie hatte bisher nie den Ehrgeiz gezeigt, WIRKLICH an der Spitze dieses Teils der Regierungsarbeiten zu stehen. Obwohl sie an ihnen teilhatte und von ihnen wußte.
„Glaubst du wirklich, er will jetzt gut Wetter machen?“ fragte sie ihren Bruder.
Der lächelte verzerrt: „Damit ich ihn nicht anfalle, oder damit du ihn ranläßt? Keine Ahnung. Aber ich habe weiterhin meine Zweifel. Immer wenn er einen Schritt nach vorne macht, um uns zu beruhigen, gibt es wieder andere Anzeichen, die ganz was anderes sagen. Wir haben einige Neuigkeiten von diesen jämmerlichen Kreuzrittern gehört. Es scheint, als würden sich die Chevaliers in Leipzig erstaunlich gut auskennen. Man könnte meinen, die ganze Suchaktion sei von langer Hand geplant. Und daß er davon nichts gewußt hat...“
Tereschkow zuckte mit den Schultern: „Er hat ja – wenn es stimmt – nicht mal gewußt, daß einige seiner Piloten noch nicht über das Bienen-und-Blumen-Stadium hinaus sind, oder besser, nur im praktischen Teil...“
Die etwas grobere Sprache entsetzte die einzig anwesende Frau in keiner Weise. Sie hatte schon das ,Vergnügen‘ gehabt mit Leuten zu verhandeln, die in jedem Satz zumindest einmal bei Gott und dem Teufel fluchten. Inzwischen filterte sie Dinge, die ihr nicht gefielen, einfach raus, so lange sie nicht von Belang waren. Jetzt aber kicherte sie. Mit der Art bissigen Humors konnte sie durchaus etwas anfangen – auch wenn ihr das nicht jeder zugetraut hätte, vor allem wenn sie sich arglos gab.
„Was mir Sorgen macht, sind die moralischen Aspekte.“, kam Tereschkow wieder auf den Kern des Problems zurück. „Unser Staat lebt davon, daß wir die Leute schützen. Sie müssen sich sicher fühlen. Wenn wir jetzt das Pack, das versucht hat uns zu überfallen, laufenlassen, wie wird das wirken? Eine Übertretung bedeutet Strafe, und wenn sich DIE einfach so davonstehlen können...“
Dvenskys Gesicht hellte sich auf: „Gesprochen wie ein echter Politiker, meinen Glückwunsch. Du begreifst, wie ich sehe, daß es ein Leichtes ist, eine Schlacht zu führen – im Vergleich zu einem Staat. Aber du machst dich wirklich gut. Muß wohl an der Lehrerin liegen, oder an ihren Methoden.“
Jetzt lief Natalija Dvenskya rot an – wenn auch unnötigerweise, wie sie sich selber sagte. Tereschkow kam ihr zu Hilfe: „Nun, an der Lehrerin ist nichts auszusetzen, aber wir beide lernen bei dir, oh Wolfssonne Bryants.“
Was der Diktator mit einem erneuten Gelächter quittierte. Er schien überhaupt weit lockerer als in den letzten Wochen, verglichen mit seinem üblichen Auftreten. Vielleicht hatte die siegreiche Schlacht – trotz aller Verluste – und die glückliche Rettung seiner Geliebten seine Stimmung beeinflußt.
„Aber du hast Recht.“, nahm er den Faden wieder auf.
„Doch...“, und bei diesen Worten lächelte er leicht: „...jetzt will ich dir zeigen, daß es immer noch etwas zu lernen gibt. Wir werden das Ganze nicht kleinreden, aber auch nicht an die große Glocke hängen. Wir verkünden, die Söldner hätten den Wunsch geäußert, die Gefangenen zu übernehmen. Ich bin bereit das zu gewähren, wenn sie uns dafür tatkräftige Hilfe leisten, die Schäden zu beseitigen und unsere Streitkräfte wieder verteidigungsbereit zu machen. Zwar wäre es wünschenswert, die Gefangenen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, aber das Wohl der Einwohner Bryants geht vor. Deshalb werde ich die Söldner dazu auffordern, im Gegenzug nicht nur Ersatzteile für unser Militär zu liefern, sondern auch die Schäden an Bausubstanz und Infrastruktur zu beseitigen. Überdies werden Strafkommandos verstärkt mitwirken.“ Der Diktator nickte vor sich hin.
„So werden die Söldner uns beim Wiederaufbau helfen, und WIR werden das Lob dafür einfahren. Ich gestehe den Leuten Rachegefühle und den Wunsch nach Gerechtigkeit zu, appelliere aber an ihre Solidarität mit den Streitkräften und vor allem ihren geschädigten Mitbürgern.“
Natalija überlegte: „Das könnte klappen. Ich würde aber vorschlagen, daß wir deinen Plan etwas modifizieren. In Tscheljabinsk haben wir keine Helfer – wie wäre es, wenn wir einen Teil der hiesigen Strafgefangenen verlagern? Am besten die Ausländer, die können auch in Tscheljabinsk nicht auf Hilfe rechnen. Und der Aufbau dort geht dann schneller. Auch wenn wir dort keine Helfer zweifelhafter Verlässlichkeit haben. Zudem kühlen wir die Gemüter ab, die wegen der Flucht aus dem Lager beunruhigt sind.“
Ihr Bruder blickte sie traurig an: „Ich sehe schon, ich werde langsam alt. Bald wird mein kleines Schwesterlein mich beerben.“ Die junge Frau grinste: „Ja, GROßER Bruder.“
Aber die Heiterkeit auf ihrem Gesicht verschwand, als sie sah wie sich die Miene ihres Herrschers und Bruders veränderte: „Wir werden es so machen, wie du gesagt hast, Natalija. Das ist die eine Seite. Aber neben dem Zuckerbrot muß immer auch die Peitsche sein. Es gibt Leute, die warten nur darauf, daß wir Schwäche zeigen. Und denen werden wir eine Lektion erteilen.“
Die Wachposten nahmen Haltung an, als die Dvensky sie mit seiner Begleitung passierte. Die Gesichter unter den Kampfhelmen waren ausdruckslos, geradezu maskenhaft – wie immer. Nun, wenn man es genau nahm, seitdem der Angriff erfolgt war, und die Gefahr bestand, daß sich in der Umgebung staatsfeindliche Elemente herumtrieben, schienen die bryantischen Elitesoldaten noch ,einen Zahn zugelegt zu haben‘, was Wachsamkeit und Einschüchterung betraf. Egal ob nun Fallschirmjäger oder SMERSCH- beziehungsweise Polizei-Elitekommandos. Viele von ihnen waren zusammen mit anderen Einheiten auf der Jagd, und besonders die Kräfte des Innenministeriums hatten noch Punkte gegenüber der Armee gutzumachen.
Die Gänge waren hier unten wie immer eisig kalt. Dvensky verschwendete selten etwas – und wenn es Besuchern ein wenig fröstelte, um so besser. Sein Gesicht verriet, daß er tief in Gedanken versunken war. Zunächst achteten seine Begleiter seinen Wunsch nach Stille. Aber dann machte sich seine Schwester leise bemerkbar – wenn auch nicht an den Herrscher selber.
„Übrigens Major... Du kannst meine Hand ruhig loslassen, er ist weg.“
Major Tereschkow grinste – was erwidert wurde – und löste den Griff. Doch sowohl er als auch Natalija fuhren überrascht zusammen, als Leonid Dvensky plötzlich bellend auflachte. Offenbar hatte er mehr von seiner Umgebung mitbekommen, als sie vermutet hatten. Er musterte seine Untergebenen: „Ich hatte mich schon gefragt, wann du es ihm sagst. Aber zweifelsohne beherzigt unser wackerer Major nur den Grundsatz, daß man eine Rolle am besten glaubhaft spielt, wenn man sich richtig in sie hinein versetzt.“ Der Panzeroffizier schien ein wenig zu erröten – bei der Kälte war das aber schwer festzustellen – und stimmte in das Gelächter der Geschwister ein. Dann wurde er wieder ernst.
„Was halten Sie von der Sache, Leonid? Ich habe ehrlich gesagt meine Bedenken. Zum einen – entweder dieser Danton hat seine Truppe wirklich nicht im Griff, oder er lügt uns was vor. Zum anderen - mir ist nicht wohl bei dem Gedanken ihm kampffähige Soldaten zu geben.“
Der Herrscher lächelte geringschätzig, wobei seine Verachtung nicht seinem Gesprächspartner galt: „Wie man es nimmt. Ich bin ja auch der Meinung, daß sogar unsere Musterexemplare des Neuen Soldaten, die mit ,Immortal Warrior‘ aufwachsen, GEWISSE Dinge auch irgendwann lernen. Nämlich daß kleine Kinder nicht wie kleine Battle Mechs gebaut werden, und WIE sie entstehen. Und vor allem, wie man sich dagegen vorsieht, daß es zur Unzeit geschieht. Wenn Danton nicht mal dahingehend für Ordnung sorgen kann – und der Wegfall einer Pilotin in einer Truppe ohne Ersatzleute ist kein Kinderspiel – dann sitzt er wirklich nicht fest im Sattel. Oder die Pilotin war nicht die klügste in der Einheit, das soll ja auch mal vorkommen.“
Tereschkow nickte: „Aber wenn es stimmt, und sie ist wirklich schwanger – geben wir ihm dann Ersatz? Wir würden riskieren, daß er so eine Schwächung seiner Truppe, die uns nur gelegen kommen könnte, wieder wett macht. Oder die Gefangenen unter der Hand an die New-Home-Ratten weitergibt. Dann dürfen wir sie beim nächsten Mal wieder abschießen. Bei den Infanteristen ist mir das relativ egal, aber die Mechkriegerin und der Jagdpilot...“
Der Diktator schien dem halb zuzustimmen: „Mag sein. Allerdings, nach der Aktion werden sie nicht viel überschüssiges Material haben drüben. Und Ersatz beschaffen – das kostet Zeit und Geld. Etwas, daß sie bald nicht mehr haben werden, bei den Einbußen. Die Ersatzteile könnten wir gut gebrauchen.“
Natalija mischte sich ein. Sie sah wenig erfreut aus, vielleicht war ihr das Thema unbequem: „Ich denke allerdings, es gibt einige Leute die sich mit unseren Gästen gerne mal unterhalten würden. Und das dauert, oder sie sind für Danton vielleicht nicht mehr ganz... verwendungsfähig.“ Sie verschleierte durch die Euphemismen nur ungenügend ihr Unbehagen. Natürlich wußte sie um die Bryanter Methoden, wenn es darum ging Ergebnisse zu erzielen. Die waren ja weiß Gott nichts ungewöhnliches – MI, ISA, Maskirovka, Secura, LNC, sie alle folterten. Vermutlich mit mehr Einfallsreichtum, aber keinesfalls mit geringerer Skrupellosigkeit. Aber auch wenn so etwas Gang und Gebe war, es mußte ihr ja nicht gefallen.
Major Tereschkow drückte kurz ihre Schulter. Vielleicht teilte er ihre Gefühle, aber die Jahre in Dvenskys Stab hatten ihn den bitteren, aber oft auch verführerisch süßen Geschmack des Wortes „Notwendigkeit“ gelehrt. Anders als Dvensky wußte er wohl nichts von dem Staatstheoretiker, der diesen Begriff als erster zum obersten Gebot erhoben hatte, vor gut 1500 Jahren. Aber er folgte seinen Lehren.
Dvensky registrierte, daß seine Schwester nichts gegen die Berührung zu haben schien. Soso...
Aber das mußte warten. Nun, wenigstens ETWAS, das nach Plan lief.
„Das muß Major Jegorowa entscheiden. Wenn sie denkt, es lohnt sich, etwas nachzubohren, dann kann sich Danton seine Ersatzteile...
Zur Not halten wir ihn noch ein paar Tage hin. Aber kein physischer Zwang, nichts, was dauerhafte Schäden hinterläßt. Und vielleicht kann sie etwas herausfinden oder ausdenken, was uns in Sachen Gefangene weiterhilft.“ Wie oft fungierte Natalija als menschliches Notizbuch. Sie hatte bisher nie den Ehrgeiz gezeigt, WIRKLICH an der Spitze dieses Teils der Regierungsarbeiten zu stehen. Obwohl sie an ihnen teilhatte und von ihnen wußte.
„Glaubst du wirklich, er will jetzt gut Wetter machen?“ fragte sie ihren Bruder.
Der lächelte verzerrt: „Damit ich ihn nicht anfalle, oder damit du ihn ranläßt? Keine Ahnung. Aber ich habe weiterhin meine Zweifel. Immer wenn er einen Schritt nach vorne macht, um uns zu beruhigen, gibt es wieder andere Anzeichen, die ganz was anderes sagen. Wir haben einige Neuigkeiten von diesen jämmerlichen Kreuzrittern gehört. Es scheint, als würden sich die Chevaliers in Leipzig erstaunlich gut auskennen. Man könnte meinen, die ganze Suchaktion sei von langer Hand geplant. Und daß er davon nichts gewußt hat...“
Tereschkow zuckte mit den Schultern: „Er hat ja – wenn es stimmt – nicht mal gewußt, daß einige seiner Piloten noch nicht über das Bienen-und-Blumen-Stadium hinaus sind, oder besser, nur im praktischen Teil...“
Die etwas grobere Sprache entsetzte die einzig anwesende Frau in keiner Weise. Sie hatte schon das ,Vergnügen‘ gehabt mit Leuten zu verhandeln, die in jedem Satz zumindest einmal bei Gott und dem Teufel fluchten. Inzwischen filterte sie Dinge, die ihr nicht gefielen, einfach raus, so lange sie nicht von Belang waren. Jetzt aber kicherte sie. Mit der Art bissigen Humors konnte sie durchaus etwas anfangen – auch wenn ihr das nicht jeder zugetraut hätte, vor allem wenn sie sich arglos gab.
„Was mir Sorgen macht, sind die moralischen Aspekte.“, kam Tereschkow wieder auf den Kern des Problems zurück. „Unser Staat lebt davon, daß wir die Leute schützen. Sie müssen sich sicher fühlen. Wenn wir jetzt das Pack, das versucht hat uns zu überfallen, laufenlassen, wie wird das wirken? Eine Übertretung bedeutet Strafe, und wenn sich DIE einfach so davonstehlen können...“
Dvenskys Gesicht hellte sich auf: „Gesprochen wie ein echter Politiker, meinen Glückwunsch. Du begreifst, wie ich sehe, daß es ein Leichtes ist, eine Schlacht zu führen – im Vergleich zu einem Staat. Aber du machst dich wirklich gut. Muß wohl an der Lehrerin liegen, oder an ihren Methoden.“
Jetzt lief Natalija Dvenskya rot an – wenn auch unnötigerweise, wie sie sich selber sagte. Tereschkow kam ihr zu Hilfe: „Nun, an der Lehrerin ist nichts auszusetzen, aber wir beide lernen bei dir, oh Wolfssonne Bryants.“
Was der Diktator mit einem erneuten Gelächter quittierte. Er schien überhaupt weit lockerer als in den letzten Wochen, verglichen mit seinem üblichen Auftreten. Vielleicht hatte die siegreiche Schlacht – trotz aller Verluste – und die glückliche Rettung seiner Geliebten seine Stimmung beeinflußt.
„Aber du hast Recht.“, nahm er den Faden wieder auf.
„Doch...“, und bei diesen Worten lächelte er leicht: „...jetzt will ich dir zeigen, daß es immer noch etwas zu lernen gibt. Wir werden das Ganze nicht kleinreden, aber auch nicht an die große Glocke hängen. Wir verkünden, die Söldner hätten den Wunsch geäußert, die Gefangenen zu übernehmen. Ich bin bereit das zu gewähren, wenn sie uns dafür tatkräftige Hilfe leisten, die Schäden zu beseitigen und unsere Streitkräfte wieder verteidigungsbereit zu machen. Zwar wäre es wünschenswert, die Gefangenen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, aber das Wohl der Einwohner Bryants geht vor. Deshalb werde ich die Söldner dazu auffordern, im Gegenzug nicht nur Ersatzteile für unser Militär zu liefern, sondern auch die Schäden an Bausubstanz und Infrastruktur zu beseitigen. Überdies werden Strafkommandos verstärkt mitwirken.“ Der Diktator nickte vor sich hin.
„So werden die Söldner uns beim Wiederaufbau helfen, und WIR werden das Lob dafür einfahren. Ich gestehe den Leuten Rachegefühle und den Wunsch nach Gerechtigkeit zu, appelliere aber an ihre Solidarität mit den Streitkräften und vor allem ihren geschädigten Mitbürgern.“
Natalija überlegte: „Das könnte klappen. Ich würde aber vorschlagen, daß wir deinen Plan etwas modifizieren. In Tscheljabinsk haben wir keine Helfer – wie wäre es, wenn wir einen Teil der hiesigen Strafgefangenen verlagern? Am besten die Ausländer, die können auch in Tscheljabinsk nicht auf Hilfe rechnen. Und der Aufbau dort geht dann schneller. Auch wenn wir dort keine Helfer zweifelhafter Verlässlichkeit haben. Zudem kühlen wir die Gemüter ab, die wegen der Flucht aus dem Lager beunruhigt sind.“
Ihr Bruder blickte sie traurig an: „Ich sehe schon, ich werde langsam alt. Bald wird mein kleines Schwesterlein mich beerben.“ Die junge Frau grinste: „Ja, GROßER Bruder.“
Aber die Heiterkeit auf ihrem Gesicht verschwand, als sie sah wie sich die Miene ihres Herrschers und Bruders veränderte: „Wir werden es so machen, wie du gesagt hast, Natalija. Das ist die eine Seite. Aber neben dem Zuckerbrot muß immer auch die Peitsche sein. Es gibt Leute, die warten nur darauf, daß wir Schwäche zeigen. Und denen werden wir eine Lektion erteilen.“