Ace Kaiser
BattleTech: Two Worlds
von Tiff
Prolog: Als die Innere Sphäre bezeichnete man jenes Gebiet, welches die Menschheit nach einem Jahrtausend interstellarer Expansion besiedelte. Zumindest jene Länder, die nicht unter dem Zerfall des riesigen Menschenreiches litten und in eine Primitivität gefallen waren, die jedes Relikt der einst hoch stehenden Technik zu einem Stück göttlicher Schöpfung machte.
Fünf Länder teilten sich die annähernd kreisrunde, dreidimensional gesehen leicht bauchige Region: Die Liga Freier Welten, die Konföderation Capella, das Vereinigte Commonwealth (welches aus den einstigen Teilstaaten Vereinigte Sonnen und Lyranisches Commonwealth bestand) und das Draconis-Kombinat, von dem sich ein weiterer Staat abgespalten hatte: Rasalhaag.
Krieg hatte es immer gegeben in der Inneren Sphäre, seit der Machtbesessene Tyrann Stefan Amaris die größte Schöpfung der Menschheit, den Sternenbund vernichtete und die Teilstaaten des Bundes in einen Bürgerkrieg riss. In dieser Zeit ging das wichtigste Reich unter: Die Terranische Hegemonie, die das Kerngebiet mit Terra im Herzen gebildet hatte. Im Zuge dieses Krieges führte Alekzandr Kerensky, Lordprotektor der mächtigen Sternenbund-Verteidigungsstreitkräfte einen Großteil seiner Trupppen aus der Inneren Sphäre heraus, damit die Menschheit von dieser geballten Vernichtungskraft nicht in die Steinzeit zurückgebombt wurde. Nun, die Fürsten der Teilstaaten schafften das allein mit ihren Haustruppen und verwüsteten in Vier Nachfolgekriegen die halbe Innere Sphäre.
Doch sollte das einundreißigste Jahrhundert ein besonderes seit dem Ende des Sternenbundes sein, denn erstmals striffen die Menschen die Geissel des Vergessens von sich ab, entdeckten verlorengeglaubte Techniken und Wissenschaften aus der vergangenen Ära und schwangen sich vorsichtig wieder auf alte Höhen zurück.
Aber es kam, wie es immer kam: Die Nachfahren Kerenskys kamen zurück, um die Innere Sphäre im Namen des Sternenbundes zurückzuerobern! Sie waren technisch besser ausgerüstet als die Haustruppen, die sich ihnen entgegen warfen, und sie trugen die feste Überzeugung in sich, rechtens zu handeln. Was sie nicht daran hinderte, damit zu beginnen, die Innere Sphäre ab 3049 mit Krieg zu überziehen...
1.
Roadside, Angriffsfront Clan Jadefalke, Kontinent Shriver,
Mergon-Hochebene, 31.02.3051
„Eichhörnchen, hier Feldmaus. Befinden uns nun beim Höllentanz.“
„Verstanden, Feldmaus. Beginnen Sie Suche nach Überlebenden. Laut Hauptmann Lacroix gibt es Hoffnung, daß Kommandant Scholz aussteigen konnte, bevor sein Kampftitan zerstört wurde. Dasselbe gilt für Leutnant Müller und Korporal Janard.“
„Eichhörnchen, gibt es Anzeichen für Clanaktivität in diesem Sektor?“
„Negativ, Feldmaus. Der Binärstern Elementare hat den Operationsbereich verlassen. Es sind keine Omnijäger, ich wiederhole, keine Omnijäger in der Luft. Warten Sie einen Moment, Feldmaus....
Schlechte Neuigkeiten. Der 104. Sturmsternhaufen der Jadefalken ist durchgebrochen und auf dem Weg zum Raumhafen. Die gesamte Dritte Lyranische Garde hat den Befehl zum Rückzug bekommen. Die Elfte Crucis wird gerade eingeschifft. Das gibt Ihnen nur ein Operationsfenster von sieben Minuten. Wenn Sie bis dahin nichts gefunden haben, ziehen Sie sich zurück. Verstanden, Feldmaus?“
„Verstanden, Eichhörnchen. Feldmaus Over und out.“
Leutnant Jennings von der Dritten Lyranischen Garde schüttelte sich. Sieben Minuten Operationsfenster, um nach Überlebenden der letzten Schlacht zu suchen. Was erwarteten die hohen Offiziere in ihren BattleMechs von ihr? Wunder?
Hier, in diesem Gebiet war das Zweite MechBataillon der Dritten Lyraner und zwei Binärsterne der Jadefalken aufeinander getroffen. Sechsunddreißig Innere Sphäre – Mechs gegen zwanzig Maschinen der Clans.
Sie hatten die Falken aufgehalten, aber um welchen Preis? Von den Mechs waren nur drei zurückgekommen, fünf Piloten ohne ihre Maschinen zurückgebracht worden. Neun waren laut der Aussage der Überlebenden mit Sicherheit tot. Angeblich waren drei von den riesenhaften Elementaren, den Infanteristen der Clans verschleppt worden. Über das Schicksal der anderen sechzehn MechKrieger einschließlich Kommandant Scholz wusste man nichts. Aber General Whitworth hielt es für möglich, daß einige es doch geschafft hatten.
Höllentanz, so hatte Kommandanthauptmann Deveraux, ihr Kompaniechef bei der mobilen Infanterie der Dritten Lyraner das Schachtfeld genannt. Wie treffend. Direkt vor ihr ragten die Beine eines Kampfschützen in den Himmel. Der Rumpf lag rings um die Mechbeine verstreut. Daneben lag ein Eismarder. Die leichte Clansmaschine hatte die Beine derart verdreht, dass man für einen Moment an ein verendetes Tier dachte und nicht an einen waffenstarrenden Metallkoloss. Und so ging es weiter. Dort lag ein Thor, ein fünfundsiebzig Tonnen schwerer ClansMech, daneben ein Henker. Im Rücken der Clanner lagen die Wracks eines Atlas und zweier Orion. Die überschweren SturmMechs hatten die Binärsterne in die Zange genommen und an der Verteidigungsphalanx ihrer Kameraden zerquetscht. Sie hatten dafür den Preis bezahlt.
„Eichhörnchen, Eichhörnchen, hier Feldmaus. Ich melde ClanTech, etwas angeschossen vielleicht.“
„Hier Eichhörnchen. Wie viel ClanTech?“
„Jede Menge. Hier liegt genügend Schrott herum, um vier, fünf ClanMechs zusammenzubasteln. Ich denke, es wäre das Risiko wert.“
„Okay, hergehört, Feldmaus. Sie bekommen neue Prioritäten. Nur noch die Hälfte Ihrer Leute soll nach Überlebenden Ausschau halten. Den Rest setzen Sie ein, um das Gelände zu überwachen und den Mechschrott vorzusortieren. Ich schicke Ihnen ein Landungsschiff der Union-Klasse. Sie werden mit an Bord gehen und Ihre Schweber zurücklassen. Sorgen Sie außerdem dafür, dass nur die besten Stücke mitgenommen werden. Die UNITY hat noch ungefähr zweihundert Tonnen Spiel, diesen Platz sollten wir nicht vergeuden. Den Rest zerstören Sie mit Handgranaten, verstanden?“
„Verstanden, Eichhörnchen.“
„Ach, noch was, Feldmaus. Wenn sich die Clanner für Sie zu interessieren beginnen, hauen Sie ab. Ich will kein Landungsschiff verlieren, verstehen Sie mich? Der Kapitän der UNITY hat übrigens Befehl, Sie im Falle eines Falles zurückzulassen. Dann müssen Sie die Harte Strecke zurück bis zum Raumhafen schaffen. Das sind vierzig Kilometer.“
Jennings schluckte trocken. „Jawohl, Sir. Bekomme ich ein größeres Operationsfenster?“
„Nochmal elf Minuten, bis die UNITY da ist. Tun Sie, was Sie können, Jennings. Eichhörnchen Ende.“
Der Leutnant schüttelte sich. Wenn die UNITY noch zweihundert Tonnen Spiel hatte, dann mußte es eine halbe Kompanie der Dritten Lyraner erwischt haben. „Also, Ihr habt den Hauptmann gehört. Gruppe Richter und Gruppe Ternai suchen nach Überlebenden, wie besprochen. Gruppe Tanaka sortiert die Mechs vor und Gruppe White sichert auf Hügel l34 im Norden, Anhöhe 123 im Südwesten und beim Takatafluß im Osten.“
Mit einem allgemeinen Jawoll auf der Frequenz des Zuges bestätigten ihre Leute und sprangen von den Schwebern ab.
Sie selbst gesellte sich zu Gruppe Tanaka und besah sich die zerstörten Mechs genauer. Sie erschauerte beim Anblick der zerschossenen Metallkolosse, die sie vor nicht einmal einer Stunde noch in Aktion gesehen hatte.
Ein BattleMech der Clanner hatte einen Gefechtsvorteil von eins zu eins Komma vier gegenüber einem Mech der Inneren Sphäre. Das war eine Faustformel. Sie resultierte aus der technischen Überlegenheit der Invasoren. Der Gegner verwendete leichtere Panzerungen, leichtere Stahlskelette, leichtere und dennoch leistungsfähige Reaktoren, leichtere Myomermuskeln zum Bewegen der Gliedmaßen, sie hatten eine bessere Kühlflüssigkeit und ihre Wärmetauscher brachten eine höhere Leistung. Den freien Platz und die besseren Kühlkapazitäten nutzten die Clans natürlich, um die Mechs mit zusätzlichen Waffen auszustatten, und natürlich waren diese Waffen ebenfalls verbessert.
Und mit dieser technischen Überlegenheit hatten die Clans nichts Besseres zu tun, als geradewegs in die Innere Sphäre zu kommen und dort eine riesige Schneise von eroberten Welten zu schlagen.
In Richtung ihres Angriffkeils lagen drei Reiche, der lyranische Teil des Vereinigten Commonwealth, die Republik Rasalhaag und das Draconis-Kombinat. Obwohl, Rasalhaag bestand nur noch zu einem Drittel. Clan Wolf und Clan Geisterbär hatten den Rest fast ohne ernstzunehmenden Widerstand im Handstreich genommen.
Ähnlich sah es bei den Draconiern aus. Ein riesiger Brocken aus dem Militärdistrikt Pesht wurde nun von Geisterbären und der weit größere Teil von Clan Nebelparder kontrolliert.
Und bei ihnen, im Commonwealth... Da gab es die Jadefalken und die Stahlvipern, die sich ein wahrhaft gigantisches Stück der Mark Tamar einverleibt hatten.
Und sie stand gerade auf einem Planeten, der in diesem Moment zum neuesten militärischen Erfolg der Jadefalken werden sollte.
„Hey, Leutnant, der Thor sieht noch gut aus. Ist sogar noch der Pilot drin. Ich hoffe, Sie mögen Mechkrieger gut durchgebraten!“ scherzte Korporal Hims, als er vor ihr vom Fuß des Thor sprang.
„Das sind fünfundsiebzig Tonnen. Vermerkt. Bleiben noch hundertfünfundzwanzig.“
„Äh, was sollen wir mit dem gegrillten Clanner machen?“
Jennings zuckte die Achseln. Im Cockpit zu verbrennen, was für ein Alptraum. Sie wußte aus erster Hand, daß MechKrieger nichts so sehr fürchteten wie den Feuertod. Und vielleicht noch, in einem Heuschreck gegen einen hundert Tonnen schweren Daishi anzutreten. Das war japanisch und bedeutete Großer Tod, und Jennings fand, mit diesem Namen hatten die Dracs den Charakter dieses ClanMechs wunderbar getroffen. „Schnallen Sie ihn ab und legen Sie ihn auf einer freien Fläche ab. Decken Sie ihn zu und machen Sie es ordentlich. Die Clanner werden ihn schon holen kommen, wenn sie die Zeit dafür haben. Dann sollen sie sehen, daß wir anständig mit ihren Gefallenen umgehen. Ich hoffe, sie tun das auch.“
„Verstanden, Sir“, brummte der Korporal.
Die Offizierin machte sich nichts vor. Am liebsten hätte Hims jedem Clanner eine Pistole an den Kopf gehalten und abgedrückt. Und nach all dem, was die Clans bei ihrem unaufhaltsamen Vormarsch schon getan hatten, konnte Jennings es dem Bengel nicht einmal verübeln. Aber anscheinend sah er ein, daß es sinnlos war, sich an einem toten Clanner zu rächen. Wenigstens hoffte sie das.
„Der Atlas sieht auch noch gut aus, so auf den ersten Blick“, murmelte Jennings leise. „Aber der Chef will eindeutig nur ClanTech haben. Hey, Tanaka, wenn Sie den Eismarder durch haben, suchen Sie nach Armwaffen, die wir vielleicht gebrauchen können. Alles, was sich leicht abtrennen läßt, okay?“
Der Unteroffizier winkte ihr zu und bedeutete ihr, daß er verstanden hatte.
Die Rettungsteams, die ihre Verwundeten und Toten eingeholt hatten, waren sehr gewissenhaft gewesen, die Mechs zu filzen. Sie mußten also nicht befürchten, irgendwo in einem ihrer eigenen Mechs des Dritten Bataillons eine im Cockpit angeschnallte Leiche zu entdecken. Wenigstens hoffte sie das. Aber immerhin hatte alles sehr schnell gehen müssen, und es wurden immer noch sechzehn Krieger vermißt. Wenn erst einmal die Zeit war, die GefechtsROM der zurückgekehrten Mechs einzusehen, würde sicherlich noch so mancher Tote hinzu kommen, und sicher noch einige Piloten, die ebenfalls von den Clannern kassiert worden waren, aber einige Schicksale würden nie geklärt werden können.
Jennings biß sich auf die Unterlippe. Gerade hatte es so gut ausgesehen in der Inneren Sphäre! Rasalhaag, ein ehemaliger Militärdistrikt des Draconis-Kombinats hatte sich selbstständig gemacht und war so zu einem natürlichen Puffer zwischen ihnen und den Dracs geworden. Zumindest in diesem Abschnitt der Grenze wäre es sehr lange ruhig geblieben. Die Liga Freier Welten hatten gerade erst begonnen, sich vom letzten Krieg zu erholen und auch die Konföderation Capella leckte noch immer die fürchterlichen Wunden, die ihnen Hanse Davion im Dritten Nachfolgekrieg geschlagen hatte. Selbst in den Regionen außerhalb der Inneren Sphäre, in den Peripherie-Staaten war es einigermaßen ruhig. Verdammt, verdammt, verdammt.
„Äh, ist was, Leutnant?“ kam die nervöse Anfrage vom Funker ihres Schwebers.
„Schon gut, Leclerc, ich habe nur laut gedacht. Was sagen die Suchteams? Haben sie irgendwelche Spuren gefunden?“
„Richter hat einen toten MechKrieger gefunden, der noch auf seiner Liege festgeschnallt war. War aber ein Clanner. Ansonsten nichts Neues.“
„Gut. Er soll weitersuchen und vorher den Clankrieger abdecken. Er soll den Fallschirm der Pilotenliege nehmen oder so was.“ Jennings machte eine Pause und lehnte sich gegen den verbeulten Torso des ATLAS. „Das Gelände ist ein einziger Alptraum für Suchkommandos, überall Buschwerk und auf keiner Karte eingezeichnete Bodenmulden. Richter sollte sich vor allem auf die Infrarotortungen verlassen. Was sagt White? Haben wir Ruhe?“
„Kein Mech in Sicht. Über den Jundlandbergen kreisen ein paar Luft/Raumjäger, aber er konnte nicht erkennen, ob es sich um unsere oder Clanmühlen handelt.“
„Jundland wird seit gestern von den Jadefalken kontrolliert. Werden wohl Clanner sein. White soll sie im Auge behalten.“
Ein leises Krachen ließ sie herumfahren. Was war das? Es hatte metallisch geklungen. Vielleicht die Panzerung des Mechs? Von Laserstrahlen getroffenes Metall dehnte sich aus und kontraktierte oft, wobei es zu Spannungen kam, die diesen Lärm erzeugten, wenn zwei Platten aneinander schabten. Aber nein, das Metall schien kalt zu sein. Vielleicht war etwas gesprungen? Eventuell aber hatte niemand den Atlas untersucht, als die Bergungsteams hier waren, und ein verzweifelter lyranischer Soldat versuchte gerade, ihre Aufmerksamkeit zu erregen?
Sie schalt sich eine Närrin. Die Wahrscheinlichkeit hierfür war in etwa ebenso groß wie ihre Chancen, jemals selbst einen dieser Metallgiganten in die Schlacht führen zu können. Trotzdem war ihre Neugier geweckt. Das Geräusch war aus Richtung des Cockpits gekommen. Sie kletterte über den weit ausgestreckten Arm des ATLAS. Neugierig näherte sie sich dem Cockpit.
Die Frontscheibe war geborsten, die Ränder nicht gesprungen, sondern zerschmolzen. Es schien, als hätte ein sehr genauer Cockpittreffer mit einem Schweren Impulslaser dem Piloten des Atlas ein frühes Ende bereitet. Sie las den Namen, der unter dem aufgemalten Totengrinsen des Mechkopfes stand: Lt. Hilda Müller. Sie gehörte zu denen, die definitiv tot waren.
Einen Moment musste sich Lieutenant Jennings sammeln. Sie wandte sich ab, um den hundert Tonnen schweren, waffenstarrenden Koloss nicht mehr sehen zu müssen, verschränkte die Rechte vor der Brust und stützte ihr Kinn auf die Linke. Himmel, was war dieser Job frustrierend.
„Stravag Freigeburt!“, hörte sie eine männliche Stimme hinter sich knurren!
Eine Sekunde später fühlte sie eine Hand an ihrer Kehle. Jennings reagierte ohne zu denken. Sie griff nach der Hand, zog sie nach vorne und damit den ganzen Angreifer und warf ihn über die Schulter. Er schlug hart auf dem Boden auf und stöhnte, halb überrascht, halb vor Schmerz. Jennings hielt seinen Arm gestreckt, winkelte die Hand rechtwinklig an und drehte sie nach außen. Ein Schmerzensschrei bewies ihr, wie gut der Griff funktionierte.
Erst jetzt begann die erfahrene Infanteristin, die Lage mit ihrem Verstand zu erfassen. Was war passiert? Sie hatte sich nur kurz vom Atlas abgewendet. Danach hatte dieser Typ sie angegriffen. Und jetzt lag er vor ihr am Boden, fest in ihrem Griff. Er musste sich im Cockpit versteckt haben, daher das metallische Geräusch, machte die Offizierin sich klar. Der Mann trug Kühlweste, Shorts und schwere Stiefel. Ein MechKrieger. Auf der Weste war das Jadefalkensymbol eingenäht. Aha, einer von denen.
Sie fingerte mit der freien Hand nach ihrem Helmfunk. „Jennings hier. Ich stehe neben dem Atlas. Leclerc, schicken Sie sofort ein paar Leute rüber. Im Moment halte ich einen Clankrieger in Schach, der sich im Mechwrack versteckt hatte.“
„Jesus, wie bitte? Okay, ich schicke Campbell und Jost rüber.“
Der Leutnant verstärkte den Druck soweit, dass der Jadefalke unterdrückt aufstöhnte. „Und beeilen Sie sich.“
„Ja, Ma´am.“
Okay, was jetzt? Sie hatte den verdammten Bastard im Griff, aber sie spürte, wie er sich darin sträubte und langsam aber sicher aus ihrer Hand heraus glitt. Wieder verstärkte sie den Druck, was einen lauten Schmerzensschrei und ein leises Knacken im Arm ihres Gefangenen zur Folge hatte. Sie besah sich den Knaben genauer. Und je deutlicher sie hinsah, desto bewusster wurde ihr, dass Knabe eine passende Beschreibung für ihn war. Er sah aus, als wäre er gerade frisch von der Akademie, also nicht mal Mitte zwanzig. Aber das sollte bei den Clannern nichts heißen. Sie hatte natürlich schon davon gehört, dass die Clanner gerne jung starben. Und jung Karriere machten. Hätte sie nicht gewundert, wenn dieser Mistkerl hier SternCommander oder SternCaptain war, was Leutnant oder Hauptmann entsprach.
Endlich kamen die beiden Infanteristen zur Unterstützung heran. Gut, denn ihre Hände begannen rutschig zu werden. Und sie ahnte, wenn sie diesen Jadefalken losließ, würde es sehr viel schwerer werden, ihn zu überwältigen als vorhin.
Die beiden lyranischen Soldaten fackelten nicht lange und griffen hart zu. Jennings ließ den Falken los und trat einen Schritt zur Seite.
Infanterist Jost drehte dem Falken die Arme auf den Rücken, Campbell legte ihm Manschetten an.
„Netter Fang, Leutnant. Wirklich eine tolle Beute. Sie wissen doch, was man über die Clanner sagt?“, kommentierte Jost, während er mit Armen, so groß wie Jennings Oberschenkel den Clanner im Griff hielt.
„Was genau?“
„Na, sie nehmen besiegte Krieger als Leibeigene in ihren Clan auf. Da müssen sie dann dem dienen, der sie zu Leibeigenen gemacht hat. Wenn der Geheimdienst mit ihm fertig ist, haben Sie hier einen super Stiefelknecht!“
Campbell lachte. Es klang nervös und Jennings konnte sehen, wie der junge Rekrut mit der Sicherung seines Sturmgewehres spielte.
„Ach, Quatsch! Nehmen Sie den Kerl und bewachen Sie ihn gut. Wir nehmen ihn mit. Geplante Ankunftszeit des Landungsschiffes in vier Minuten“, erwiderte Jennings.
„Leutnant, hier Tanaka. Da ist noch ein gut erhaltener Feuervogel, dem nur ein Bein und das halbe Cockpit fehlen. Wenn wir ihn mit den Resten des Nova kombinieren, können wir vielleicht einen Mech zusammenschustern.“
Jennings rechnete in Gedanken nach. Damit dürfte ihre Tonnage so gut wie erreicht sein. „Der Feuervogel ist gebucht. Haltet weiter nach Waffen Ausschau, die wir mitnehmen können. Aber nur Dinge, die wir schnell bergen können.“
„Verstanden, Ma´am“, meldete Tanaka und schaltete ab.
Soweit, so gut, dachte Jennings bei sich und sah dem ClanKrieger nach, der abgeführt wurde. Jost hielt ihn zusätzlich im Griff.
Wenn so ein kleiner Junge einen Mech führen durfte, warum dann nicht auch sie? Doch Jennings schob diesen Gedanken weit beiseite. Es war eben so und würde so bleiben, ihr Leben lang. Denn sie taugte einfach nicht zum MechKrieger...
Dreieinhalb Minuten später sah sie das Landungsschiff näher kommen. Vier Luft/Raumjäger, leichte Maschinen vom Typ Drossel schossen an ihm vorbei und sicherten die Ebene zu den Jundlandbergen.
Der Stahlgigant setzte auf, die riesigen Hangartore öffneten sich und entließen drei humanoide BattleMechs. Jennings schüttelte sich, als sie die teilweise schweren Beschädigungen an den Maschinen ihres Regiments sah. Der Kampf musste verdammt hart gewesen sein.
„Okay“, brüllte sie in ihr Helmmikro, „wir nehmen den Nova, den Feuervogel und die Nemesis. Dazu kommen noch ein paar Tonnen Armwaffen. Teamleader weisen die zur Bergung eingeteilten Mechs ein. Danach zerstört den Rest mit den Handgranaten. Ich will keine Verschwendung! Schmeißt die Eier in die MechCockpits, die sind verwundbar. Auf der Außenpanzerung hinterlassen sie nur Kratzer.“
Nacheinander bestätigten ihre Leute.
„Hier UNITY. Feldmaus, hören Sie mich?“
„Hier Feldmaus, ich höre Sie.“
„Sorgen Sie dafür, dass die Sache schnell über die Bühne geht. Nehmen Sie lieber weniger als mehr mit. Ich habe siebzehn Schwerverwundete an Bord, die ich lieber heute als Morgen aus dem System schaffen würde.“
„Wir bleiben mit der Bergung im Zeitrahmen. Außerdem habe ich noch eine Überraschung für Sie. Wir haben einen Clanspiloten erwischt, der sich in einem der Wracks versteckt hatte.“
„So? Sehr untypisch für die Falken, einen ihrer Krieger zurückzulassen. Unser Gegenangriff muss sie kalt erwischt haben.
Na dann bringen Sie den Knaben mal an Bord und lassen Sie ihn in ein verdammt tiefes Loch sperren, bis wir ihn den Geheimen übergeben können.“
„Feldmaus verstanden.“ Hinter ihr klangen kleine Explosionen auf.
„Feldmaus, was war das?“
„UNITY, ich habe Befehl gegeben die Cockpits der Mechs, die wir nicht mitnehmen können, zu sprengen. Ich glaube zwar nicht, dass die Jadefalken unsere waffentechnisch unterlegenen Mechs gegen uns benutzen werden. Aber wer weiß, ob sie nicht das eine oder andere Ersatzteil ausbauen wollen.“
„Verstehe. Sehr umsichtig. Hören Sie, der erste Mech wird gerade an Bord geschleppt. Halten Sie Ihre Leute auf dem Sprung. Die Landung meines kleinen UNION hat in etwa soviel Aufsehen erregt wie ein Zungenkuss zwischen Tormana Liao und Tomoe Sakade. Kann sein, dass wir hier schnell weg müssen. Und ich meine schnell.“
„Verstanden, UNITY.“ Jennings wechselte die Frequenz. „Feldmaus, hier Feldmaus. An alle Teams. Wer nicht an der Bergung der Mechs beteiligt ist, zieht sich sofort an Bord der UNITY zurück. Und damit meine ich auch die Beobachtungsposten. Ausführen.“
Wie um ihre Befehle zu bestätigen feuerte der UNION seine Geschütze ab.
„UNITY, was war das? Bekommen wir Besuch?“
„Negativ, Feldmaus. Das war nur ein angeschlagener Subutai auf dem Weg nach Hause. Wir haben ihm einen Abschiedsgruß mitgegeben. Unsere Piloten halten mit den Clans ganz gut mit.“
„Beruhigend zu wissen.“
Der zweite Mech, der Feuervogel wurde an Bord geschafft. Kurz darauf folgte der Nemesis.
„Okay, Gentlemen, das war es! Alles an Bord, was keine Miete zahlt!“
Jennings schritt langsam auf die Rampe zu, während der Kreuzritter mit dem Nemesis im Arm die Schleuse passierte. Neben und vor ihr rannten ihre Infanteristen die Rampe hinauf.
Sie flohen. Ja, sie flohen. Mit der UNITY würden sie zum nächsten lyranischen Sprungschiff fliegen und damit das System verlassen. Verdammt. Sie ließen eine lyranische Welt in Stich.
Oben auf der Kante der Rampe drehte sie sich noch mal um. Wieder feuerten die Geschütze der UNITY. Die Schleuse schloss sich langsam.
„Ich komme wieder“, murmelte sie leise.
2.
Kikuyu, Central City, Robert Steiner Gedächtniskaserne,
29. 5. 3051
„Leutnant Sonja“, sagte der junge Mann in dem vollkommen verdreckten Techoverall und klopfte auf das Mechbein, in das die Offizierin bis zur Hüfte verschwunden war.
Aufgrund der Anrede brauchte Leutnant Jennings nicht einmal nachzusehen oder die Stimme zu identifizieren, um zu wissen, wer da gerade ihre Arbeit an dem Nemesis störte.
„Was gibt es, Ruven?“, fragte sie.
Der Lebeigene Jadefalke war von ihr auf Roadside im Zweikampf besiegt worden. Nachdem der Geheimdienst sicher gewesen war, alles Wissenswerte über Clan Jadefalke aus ihm herausgeholt zu haben, hatte man den MechPiloten zurück an sie überwiesen.
Eine ungewöhnliche Taktik, denn normalerweise wanderten gefangene Gegner in ein POW-Camp.
Doch Ruven war kein normaler Gefangener. Er war ein Clanskrieger. Und bei den Clans war Verschwendung eines von den Dingen, die man hasste. Einen Gegner gefangen zu nehmen und dann sinnlos durchzufüttern war eine Variante von Verschwendung. Stattdessen adoptierten die Clans Krieger, die ihnen würdig erschienen und gaben ihnen die Gelegenheit, sich wieder als Krieger zu beweisen.
Ruven hatte es ihr bestimmt hundertmal erklärt, aber das machte es nicht logischer für sie.
Auch hatte sie ein wirkliches Problem damit, den jungen Jadefalken als ihren Leibeigenen zu betrachten. Sie bevorzugte es, ihn seit der Übergabe durch den Geheimdienst als Untergebenen anzusehen. Als Untergebenen, der ihr nicht mehr von der Seite wich.
„Ich habe die Reparaturen am linken Bein des Kampfschütze abgeschlossen. Ich wollte dich frage, ob du bei dem Nemesis meine Hilfe brauchst, Leutnant Sonja.“
Da war sie wieder, die typische Clannereigenschaft. Jennings lächelte nur noch darüber. Ein ClanKrieger wurde zwar mit einem Nachnamen geboren. Aber das Recht, ihn auch zu führen, ein so genanntes Bluterbe zu erlangen, musste er sich erst erkämpfen. Entsprechend irritierend war es für Ruven gewesen, als er hatte feststellen müssen, dass die Freigeborenen in der Inneren Sphäre alle Nachnamen trugen. Manche sogar zwei, ohne sie sich auch nur ansatzweise verdient zu haben. Deshalb sprach er alles und jeden mit Vornamen an. Ein Umstand, der ihr mehr als einmal einen Besuch im Büro von Kommandant Strauss eingebracht hatte.
Jennings lavierte sich aus dem Mechbein heraus und setzte sich auf den Mechfuß. Sie sah auf ihre Armbanduhr. „Es ist schon spät. Du bist bereits zwölf Stunden auf den Beinen. Geh schlafen, Ruven.“
„Bei allem Respekt, Leutnant Sonja, aber du bist schon genau so lange auf wie ich und arbeitest immer noch.“
Das war ein Argument. Seit sie auf den relativ sicheren Welt Kikuyu eingetroffen waren, arbeiteten die Überreste ihrer Einheit daran, wieder gefechtsklar zu werden. Es hatte sie stark gebeutelt und sie waren von einem vollen Regiment mit ehrenvoller Geschichte auf ein unterzähliges Bataillon geschrumpft.
Aber es sah gut aus. Seit zwei Monaten trafen die Überreste weiterer versprengter Einheiten auf Kikuyu ein, die darauf brannten, es den Jadefalken heim zu zahlen und die Reihen der 3. aufzufüllen.
Dabei hatten sie auf Kikuyu einen Logenplatz auf den Angriff der Jadefalken. Ein Sprung nur, und sie waren mitten im Angriffskorridor der Clans. Es war reines Glück, dass sie hier auf Kikuyu noch nicht angegriffen worden waren.
Langsam streckte sie sich. Es knackte vernehmlich in ihrem Rücken. Himmel, war sie wirklich erst fünfundzwanzig, oder bewegte sie sich rapide auf die fünfzig zu. „Was willst du mir sagen, Ruven? Das ich auch aufhören soll zu arbeiten?“
„Nun, Leutnant Sonja, das wäre ein Kompromiss, oder? Ich erkenne Ihre harte Arbeit für die Einsatzbereitschaft der Einheit an. Aber da wir bereits achtzig Prozent wieder hergestellt haben und nicht mit einem Angriff durch Clan Jadefalke zu rechnen ist, ist ein körperlicher Raubbau an den Kräften… Nun, sie ist nicht die klügste Entscheidung.“
„Diplomatisch ausgedrückt“, brummte Jennings leise, wohl wissen, dass sie den ehemaligen MechKrieger mit dem unvollständigen Satz ärgerte. Er hasste schludrige Aussprache.
Ruven bot ihr die Hand zum aufstehen. Jennings griff zu und ließ sich hoch ziehen. Gemeinsam verließen sie den MechHangar. Himmel, sie waren wirklich die letzten hier. Bis auf die Nachtwache am Tor war sonst niemand mehr anwesend. Eigentlich kein Wunder, denn sie alle hatten fast zwei Monate mit Hochdruck gearbeitet.
In den Waschräumen bezog sie die Umkleidekabine für Frauen und begann sich aus dem Overall zu pellen, als ihr Regel Nummer eins mit Ruven wieder einfiel. Sie wandte sich um und sah tatsächlich den Jadefalken, wie er sich ebenfalls auszog.
Wütend griff sie zu, erwischte ein Ohrläppchen und zog den Krieger hinter sich her.
Den Protest überhörte sie einfach. Draußen auf dem Gang deutete sie auf die Nachbartür. „Es ist mir scheißegal, ob Ihr bei den Clans gemischte Duschen habt. Und ich will von dir auch nicht den Rücken gewaschen bekommen. Du gehst da rein. Siehst du das Piktogramm? Das soll einen Mann darstellen! Mann!“, rief sie und stieß Ruven den Zeigefinger hart auf die Brust, bevor sie auf den Männerumkleideraum deutete.
„Frau!“, rief sie, deutete auf ihre Brust und auf den Frauenumkleideraum. „Kapiert?“
Ruven nickte. „Langsam glaube ich, du hast eine körperliche Unzulänglichkeit, die du vor mir verbergen willst, Leutnant Sonja“, brummte der Jadefalke und trottete auf die Männerumkleidekabine zu.
In Jennings kochte die Wut gerade über. Nun, sie war gewiss nicht besonders prüde. Aber es gab Vorschriften, an die sie sich halten musste. Vorschriften, die auch für Ruven galten. Nicht auszudenken, wenn der Jadefalke mal ohne sie Dienst schob und selbstständig zum duschen ging.
Obwohl… Gönnen würde sie ihm die Tracht Prügel von zehn oder mehr hysterischen Frauen schon.
Als Ruven endlich verschwunden war, rauschte sie zurück in ihre Umkleidekabine. Frustriert und wütend zerrte sie am Overall, zog ihn aus und ließ BH und Slip folgen. Sie verstaute alles in ihrem Spind, schnappte sich ihr Duschzeug und stapfte immer noch sauer in den Duschraum. „Körperliche Unzulänglichkeit, eh? Bei mir sitzt alles da, wo es sein soll.“
Als der erste Tropfen heißen Wassers auf sie nieder ging, verrauchte der Ärger, als hätte es ihn nie gegeben. Sie genoss das heiße Wasser, die Massage des harten Strahls sehr. Und für einen Moment wünschte sie sich, dieser Moment würde niemals enden. Kein Ärger mehr wegen dem sturen und uneinsichtigen Kommandant Strauss, keine Beschwerden mehr wegen Ruvens Verhalten. Kein VerCom-Heer und keine Invasorclans. Nur das heiße Wasser und sie.
Langsam kroch bleierne Müdigkeit ihre Beine hoch und verursachte ein Kribbeln im Magen. Sie hatte es übertrieben, wieder einmal, das wusste sie auch. Ihre Tage hatten sich erneut verschoben und sie begann, Muskeln aufzubauen, die sie an der Stelle überhaupt nicht sehen wollte. Alleine ihr Bizeps war in den letzten Wochen kräftig angeschwollen. Von ihrem Bauch, der auch das letzte Gramm Fett verloren hatte und nun drei Zweierreihen stahlharter Muskeln freigab, ganz zu schweigen. Dazu kam der Stress. Der widerliche, allgegenwärtige Stress.
Ihre Einheit war aufgelöst worden, ihre Infanterie auf andere Einheiten aufgeteilt. Zurück geblieben war ein Leutnant ohne Kommando. Wenn man mal von Ruven absah. Stattdessen durfte sie Mechs reparieren und anschließend au ihre Funktionalität prüfen. Sprich sie Gassi führen. Ihr Leibeigener war dabei eine große Hilfe. Er hatte sie mit Sensorpflastern, Neurohelm und der Kombination zwischen Gleichgewichtssinn und Gyrokreisel vertraut gemacht.
Was der Kommandant damit bezweckte, wusste sie nicht. Wohl aber, dass zwei der BeuteMechs, die sie auf Roadside vom Schlachtfeld gestohlen hatte, beinahe wieder einsatzbereit waren. Der Nova und der Nemesis brauchten nur noch etwas Politur und hier und da eine Prüfung der Macken. Dann konnten sie wieder in die Schlacht stoßen. Und das würde früher oder später wieder sein. Die Jadefalken würden eine feindliche Einheit an ihrer Flanke niemals dulden. Nicht, wenn sie klug waren.
Aber was sollten sie tun? Das ganze Bataillon hatte acht Mechs, ein Dutzend Panzer und zwei Kompanien Infanterie.
Ihnen fehlten aber Panzerbesatzungen und vor allem MechKrieger. Sie hatten fünf Piloten. Fünf für acht Mechs.
Seufzend schaltete sie die Dusche wieder aus und begann sich abzutrocknen. Es war alles so frustrierend. Sie verloren Welt auf Welt an die Falken und bekamen keinerlei Gelegenheit, zurück zu schlagen. Im Gegenteil. Die Streitkräfte reagierten nur noch.
Nachdem Jennings sich angezogen hatte, verließ sie die Umkleidekabine wieder. Sie hatte jetzt maximal eine Stunde Freizeit und danach fünf Stunden Schlaf, bevor ihr Dienst erneut begann.
Ruven erwartete sie bereits. Der junge Mann lächelte sie mit seinem hübschen Gesicht an, und beinahe glaubte sie wie in einem schlechten Film ein Funkeln von seinen weißen Zähnen ausgehen zu sehen. Natürlich wartete er bereits auf sie. Schließlich wollte er sie auf keinen Fall verpassen.
Er weckte sie auch jeden Morgen und begleitete sie zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Abendbrot… Wenn Jennings es mal ernsthaft sah, dann war der Mann vor ihr der einzige Grund, warum sie überhaupt ihre Mahlzeiten einhielt.
Schweigend ging sie an Ruven vorbei und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Aber das hätte er sicher auch so getan.
Und wenn sie ehrlich war, dann hatte sie sich längst daran gewöhnt.
„Morgen machen wir Pause“, sagte sie zu dem Jadefalken.
„Ich verstehe nicht, Leutnant Sonja“, erwiderte Ruven. „Was soll das bedeuten, wir machen Pause?“
„Das bedeutet, dass wir uns Morgen unseren längst überfälligen freien Tag nehmen, unsere überquellenden Soldtüten und mal einen Tag Freizeit verbringen. Außer natürlich, du hast an deinem freien Tag etwas Besseres zu tun, als ihn mit mir zu verbringen.“
Der Jadefalke dachte einen Moment nach. „Nun, R&R ist mir natürlich bekannt. Aber ich befürchte, es wird sich hier in der Inneren Sphäre stark von dem unterscheiden, was ich kenne. Das Prinzip, für den ehrenvollen Dienst als Krieger bezahlt zu werden, überfordert mich bereits“, gab er zu.
„Na, dann wird ein Shopping-Nachmittag deine Grenzen noch einmal tüchtig erweitern“, spottete sie. Einen Moment hielt sie an und legte den Kopf schräg. „Ich gehe gleich ins Büro vom Kommandant und reiche für uns zwei Urlaub ein. Für Morgen stelle ich aber ein paar Regeln auf.
Regel eins: Du weckst mich nicht vor zehn. Und du schläfst so lange wie möglich. Da wir nicht in der Kaserne frühstücken werden, haben wir auch kein Problem mit der Kantine.
Regel Nummer zwei, du trägst Zivilkleidung.“
„Zivilkleidung? Ich habe keine Zivilkleidung“, beschwerte sich Ruven.
Jennings winkte ab. „Keine Panik, keine Panik, ich kümmere mich darum.
Regel Nummer drei: Du redest mich den ganzen Tag nicht mit Leutnant an. Und Regel Nummer vier, du hörst auf mich. Hast du das verstanden, Ruven?“
Der Jadefalke runzelte die Stirn. „Ich bin nicht sicher, ob ich es verstehen will, Leutnant Sonja.“
Böse starrte Jennings ihn an. Erschrocken hob Ruven beide Arme und taumelte einige Schritte zurück, bis die nächste Wand ihn stoppte. „Pos, Leutnant Sonja, Pos. Ich habe verstanden.“
„Und Regel Nummer fünf: Du lässt das Ding da Zuhause“, bestimmte sie und deutete auf die Kordel an seinem linken Handgelenk.
Ruven starrte auf seine Leibeigenenkordel und wollte schon zu einer Erklärung ansetzen.
Doch Jennings winkte ab. „Durchschneiden lässt du sie mich nicht, weil du dich noch nicht für würdig genug fühlst, meinetwegen. Aber ich laufe Morgen nicht durch die Stadt und lasse jeden Trottel mit ein wenig Ahnung wissen, dass du mein Leibeigener bist. Du kannst sie hier in der Kaserne wieder anlegen, frapos?“
Der junge Krieger rang sichtlich mit sich, bevor er sich zu einem dünnen Pos durchrang.
„Na also. Dann Morgen um zehn in meinem Quartier.“
von Tiff
Prolog: Als die Innere Sphäre bezeichnete man jenes Gebiet, welches die Menschheit nach einem Jahrtausend interstellarer Expansion besiedelte. Zumindest jene Länder, die nicht unter dem Zerfall des riesigen Menschenreiches litten und in eine Primitivität gefallen waren, die jedes Relikt der einst hoch stehenden Technik zu einem Stück göttlicher Schöpfung machte.
Fünf Länder teilten sich die annähernd kreisrunde, dreidimensional gesehen leicht bauchige Region: Die Liga Freier Welten, die Konföderation Capella, das Vereinigte Commonwealth (welches aus den einstigen Teilstaaten Vereinigte Sonnen und Lyranisches Commonwealth bestand) und das Draconis-Kombinat, von dem sich ein weiterer Staat abgespalten hatte: Rasalhaag.
Krieg hatte es immer gegeben in der Inneren Sphäre, seit der Machtbesessene Tyrann Stefan Amaris die größte Schöpfung der Menschheit, den Sternenbund vernichtete und die Teilstaaten des Bundes in einen Bürgerkrieg riss. In dieser Zeit ging das wichtigste Reich unter: Die Terranische Hegemonie, die das Kerngebiet mit Terra im Herzen gebildet hatte. Im Zuge dieses Krieges führte Alekzandr Kerensky, Lordprotektor der mächtigen Sternenbund-Verteidigungsstreitkräfte einen Großteil seiner Trupppen aus der Inneren Sphäre heraus, damit die Menschheit von dieser geballten Vernichtungskraft nicht in die Steinzeit zurückgebombt wurde. Nun, die Fürsten der Teilstaaten schafften das allein mit ihren Haustruppen und verwüsteten in Vier Nachfolgekriegen die halbe Innere Sphäre.
Doch sollte das einundreißigste Jahrhundert ein besonderes seit dem Ende des Sternenbundes sein, denn erstmals striffen die Menschen die Geissel des Vergessens von sich ab, entdeckten verlorengeglaubte Techniken und Wissenschaften aus der vergangenen Ära und schwangen sich vorsichtig wieder auf alte Höhen zurück.
Aber es kam, wie es immer kam: Die Nachfahren Kerenskys kamen zurück, um die Innere Sphäre im Namen des Sternenbundes zurückzuerobern! Sie waren technisch besser ausgerüstet als die Haustruppen, die sich ihnen entgegen warfen, und sie trugen die feste Überzeugung in sich, rechtens zu handeln. Was sie nicht daran hinderte, damit zu beginnen, die Innere Sphäre ab 3049 mit Krieg zu überziehen...
1.
Roadside, Angriffsfront Clan Jadefalke, Kontinent Shriver,
Mergon-Hochebene, 31.02.3051
„Eichhörnchen, hier Feldmaus. Befinden uns nun beim Höllentanz.“
„Verstanden, Feldmaus. Beginnen Sie Suche nach Überlebenden. Laut Hauptmann Lacroix gibt es Hoffnung, daß Kommandant Scholz aussteigen konnte, bevor sein Kampftitan zerstört wurde. Dasselbe gilt für Leutnant Müller und Korporal Janard.“
„Eichhörnchen, gibt es Anzeichen für Clanaktivität in diesem Sektor?“
„Negativ, Feldmaus. Der Binärstern Elementare hat den Operationsbereich verlassen. Es sind keine Omnijäger, ich wiederhole, keine Omnijäger in der Luft. Warten Sie einen Moment, Feldmaus....
Schlechte Neuigkeiten. Der 104. Sturmsternhaufen der Jadefalken ist durchgebrochen und auf dem Weg zum Raumhafen. Die gesamte Dritte Lyranische Garde hat den Befehl zum Rückzug bekommen. Die Elfte Crucis wird gerade eingeschifft. Das gibt Ihnen nur ein Operationsfenster von sieben Minuten. Wenn Sie bis dahin nichts gefunden haben, ziehen Sie sich zurück. Verstanden, Feldmaus?“
„Verstanden, Eichhörnchen. Feldmaus Over und out.“
Leutnant Jennings von der Dritten Lyranischen Garde schüttelte sich. Sieben Minuten Operationsfenster, um nach Überlebenden der letzten Schlacht zu suchen. Was erwarteten die hohen Offiziere in ihren BattleMechs von ihr? Wunder?
Hier, in diesem Gebiet war das Zweite MechBataillon der Dritten Lyraner und zwei Binärsterne der Jadefalken aufeinander getroffen. Sechsunddreißig Innere Sphäre – Mechs gegen zwanzig Maschinen der Clans.
Sie hatten die Falken aufgehalten, aber um welchen Preis? Von den Mechs waren nur drei zurückgekommen, fünf Piloten ohne ihre Maschinen zurückgebracht worden. Neun waren laut der Aussage der Überlebenden mit Sicherheit tot. Angeblich waren drei von den riesenhaften Elementaren, den Infanteristen der Clans verschleppt worden. Über das Schicksal der anderen sechzehn MechKrieger einschließlich Kommandant Scholz wusste man nichts. Aber General Whitworth hielt es für möglich, daß einige es doch geschafft hatten.
Höllentanz, so hatte Kommandanthauptmann Deveraux, ihr Kompaniechef bei der mobilen Infanterie der Dritten Lyraner das Schachtfeld genannt. Wie treffend. Direkt vor ihr ragten die Beine eines Kampfschützen in den Himmel. Der Rumpf lag rings um die Mechbeine verstreut. Daneben lag ein Eismarder. Die leichte Clansmaschine hatte die Beine derart verdreht, dass man für einen Moment an ein verendetes Tier dachte und nicht an einen waffenstarrenden Metallkoloss. Und so ging es weiter. Dort lag ein Thor, ein fünfundsiebzig Tonnen schwerer ClansMech, daneben ein Henker. Im Rücken der Clanner lagen die Wracks eines Atlas und zweier Orion. Die überschweren SturmMechs hatten die Binärsterne in die Zange genommen und an der Verteidigungsphalanx ihrer Kameraden zerquetscht. Sie hatten dafür den Preis bezahlt.
„Eichhörnchen, Eichhörnchen, hier Feldmaus. Ich melde ClanTech, etwas angeschossen vielleicht.“
„Hier Eichhörnchen. Wie viel ClanTech?“
„Jede Menge. Hier liegt genügend Schrott herum, um vier, fünf ClanMechs zusammenzubasteln. Ich denke, es wäre das Risiko wert.“
„Okay, hergehört, Feldmaus. Sie bekommen neue Prioritäten. Nur noch die Hälfte Ihrer Leute soll nach Überlebenden Ausschau halten. Den Rest setzen Sie ein, um das Gelände zu überwachen und den Mechschrott vorzusortieren. Ich schicke Ihnen ein Landungsschiff der Union-Klasse. Sie werden mit an Bord gehen und Ihre Schweber zurücklassen. Sorgen Sie außerdem dafür, dass nur die besten Stücke mitgenommen werden. Die UNITY hat noch ungefähr zweihundert Tonnen Spiel, diesen Platz sollten wir nicht vergeuden. Den Rest zerstören Sie mit Handgranaten, verstanden?“
„Verstanden, Eichhörnchen.“
„Ach, noch was, Feldmaus. Wenn sich die Clanner für Sie zu interessieren beginnen, hauen Sie ab. Ich will kein Landungsschiff verlieren, verstehen Sie mich? Der Kapitän der UNITY hat übrigens Befehl, Sie im Falle eines Falles zurückzulassen. Dann müssen Sie die Harte Strecke zurück bis zum Raumhafen schaffen. Das sind vierzig Kilometer.“
Jennings schluckte trocken. „Jawohl, Sir. Bekomme ich ein größeres Operationsfenster?“
„Nochmal elf Minuten, bis die UNITY da ist. Tun Sie, was Sie können, Jennings. Eichhörnchen Ende.“
Der Leutnant schüttelte sich. Wenn die UNITY noch zweihundert Tonnen Spiel hatte, dann mußte es eine halbe Kompanie der Dritten Lyraner erwischt haben. „Also, Ihr habt den Hauptmann gehört. Gruppe Richter und Gruppe Ternai suchen nach Überlebenden, wie besprochen. Gruppe Tanaka sortiert die Mechs vor und Gruppe White sichert auf Hügel l34 im Norden, Anhöhe 123 im Südwesten und beim Takatafluß im Osten.“
Mit einem allgemeinen Jawoll auf der Frequenz des Zuges bestätigten ihre Leute und sprangen von den Schwebern ab.
Sie selbst gesellte sich zu Gruppe Tanaka und besah sich die zerstörten Mechs genauer. Sie erschauerte beim Anblick der zerschossenen Metallkolosse, die sie vor nicht einmal einer Stunde noch in Aktion gesehen hatte.
Ein BattleMech der Clanner hatte einen Gefechtsvorteil von eins zu eins Komma vier gegenüber einem Mech der Inneren Sphäre. Das war eine Faustformel. Sie resultierte aus der technischen Überlegenheit der Invasoren. Der Gegner verwendete leichtere Panzerungen, leichtere Stahlskelette, leichtere und dennoch leistungsfähige Reaktoren, leichtere Myomermuskeln zum Bewegen der Gliedmaßen, sie hatten eine bessere Kühlflüssigkeit und ihre Wärmetauscher brachten eine höhere Leistung. Den freien Platz und die besseren Kühlkapazitäten nutzten die Clans natürlich, um die Mechs mit zusätzlichen Waffen auszustatten, und natürlich waren diese Waffen ebenfalls verbessert.
Und mit dieser technischen Überlegenheit hatten die Clans nichts Besseres zu tun, als geradewegs in die Innere Sphäre zu kommen und dort eine riesige Schneise von eroberten Welten zu schlagen.
In Richtung ihres Angriffkeils lagen drei Reiche, der lyranische Teil des Vereinigten Commonwealth, die Republik Rasalhaag und das Draconis-Kombinat. Obwohl, Rasalhaag bestand nur noch zu einem Drittel. Clan Wolf und Clan Geisterbär hatten den Rest fast ohne ernstzunehmenden Widerstand im Handstreich genommen.
Ähnlich sah es bei den Draconiern aus. Ein riesiger Brocken aus dem Militärdistrikt Pesht wurde nun von Geisterbären und der weit größere Teil von Clan Nebelparder kontrolliert.
Und bei ihnen, im Commonwealth... Da gab es die Jadefalken und die Stahlvipern, die sich ein wahrhaft gigantisches Stück der Mark Tamar einverleibt hatten.
Und sie stand gerade auf einem Planeten, der in diesem Moment zum neuesten militärischen Erfolg der Jadefalken werden sollte.
„Hey, Leutnant, der Thor sieht noch gut aus. Ist sogar noch der Pilot drin. Ich hoffe, Sie mögen Mechkrieger gut durchgebraten!“ scherzte Korporal Hims, als er vor ihr vom Fuß des Thor sprang.
„Das sind fünfundsiebzig Tonnen. Vermerkt. Bleiben noch hundertfünfundzwanzig.“
„Äh, was sollen wir mit dem gegrillten Clanner machen?“
Jennings zuckte die Achseln. Im Cockpit zu verbrennen, was für ein Alptraum. Sie wußte aus erster Hand, daß MechKrieger nichts so sehr fürchteten wie den Feuertod. Und vielleicht noch, in einem Heuschreck gegen einen hundert Tonnen schweren Daishi anzutreten. Das war japanisch und bedeutete Großer Tod, und Jennings fand, mit diesem Namen hatten die Dracs den Charakter dieses ClanMechs wunderbar getroffen. „Schnallen Sie ihn ab und legen Sie ihn auf einer freien Fläche ab. Decken Sie ihn zu und machen Sie es ordentlich. Die Clanner werden ihn schon holen kommen, wenn sie die Zeit dafür haben. Dann sollen sie sehen, daß wir anständig mit ihren Gefallenen umgehen. Ich hoffe, sie tun das auch.“
„Verstanden, Sir“, brummte der Korporal.
Die Offizierin machte sich nichts vor. Am liebsten hätte Hims jedem Clanner eine Pistole an den Kopf gehalten und abgedrückt. Und nach all dem, was die Clans bei ihrem unaufhaltsamen Vormarsch schon getan hatten, konnte Jennings es dem Bengel nicht einmal verübeln. Aber anscheinend sah er ein, daß es sinnlos war, sich an einem toten Clanner zu rächen. Wenigstens hoffte sie das.
„Der Atlas sieht auch noch gut aus, so auf den ersten Blick“, murmelte Jennings leise. „Aber der Chef will eindeutig nur ClanTech haben. Hey, Tanaka, wenn Sie den Eismarder durch haben, suchen Sie nach Armwaffen, die wir vielleicht gebrauchen können. Alles, was sich leicht abtrennen läßt, okay?“
Der Unteroffizier winkte ihr zu und bedeutete ihr, daß er verstanden hatte.
Die Rettungsteams, die ihre Verwundeten und Toten eingeholt hatten, waren sehr gewissenhaft gewesen, die Mechs zu filzen. Sie mußten also nicht befürchten, irgendwo in einem ihrer eigenen Mechs des Dritten Bataillons eine im Cockpit angeschnallte Leiche zu entdecken. Wenigstens hoffte sie das. Aber immerhin hatte alles sehr schnell gehen müssen, und es wurden immer noch sechzehn Krieger vermißt. Wenn erst einmal die Zeit war, die GefechtsROM der zurückgekehrten Mechs einzusehen, würde sicherlich noch so mancher Tote hinzu kommen, und sicher noch einige Piloten, die ebenfalls von den Clannern kassiert worden waren, aber einige Schicksale würden nie geklärt werden können.
Jennings biß sich auf die Unterlippe. Gerade hatte es so gut ausgesehen in der Inneren Sphäre! Rasalhaag, ein ehemaliger Militärdistrikt des Draconis-Kombinats hatte sich selbstständig gemacht und war so zu einem natürlichen Puffer zwischen ihnen und den Dracs geworden. Zumindest in diesem Abschnitt der Grenze wäre es sehr lange ruhig geblieben. Die Liga Freier Welten hatten gerade erst begonnen, sich vom letzten Krieg zu erholen und auch die Konföderation Capella leckte noch immer die fürchterlichen Wunden, die ihnen Hanse Davion im Dritten Nachfolgekrieg geschlagen hatte. Selbst in den Regionen außerhalb der Inneren Sphäre, in den Peripherie-Staaten war es einigermaßen ruhig. Verdammt, verdammt, verdammt.
„Äh, ist was, Leutnant?“ kam die nervöse Anfrage vom Funker ihres Schwebers.
„Schon gut, Leclerc, ich habe nur laut gedacht. Was sagen die Suchteams? Haben sie irgendwelche Spuren gefunden?“
„Richter hat einen toten MechKrieger gefunden, der noch auf seiner Liege festgeschnallt war. War aber ein Clanner. Ansonsten nichts Neues.“
„Gut. Er soll weitersuchen und vorher den Clankrieger abdecken. Er soll den Fallschirm der Pilotenliege nehmen oder so was.“ Jennings machte eine Pause und lehnte sich gegen den verbeulten Torso des ATLAS. „Das Gelände ist ein einziger Alptraum für Suchkommandos, überall Buschwerk und auf keiner Karte eingezeichnete Bodenmulden. Richter sollte sich vor allem auf die Infrarotortungen verlassen. Was sagt White? Haben wir Ruhe?“
„Kein Mech in Sicht. Über den Jundlandbergen kreisen ein paar Luft/Raumjäger, aber er konnte nicht erkennen, ob es sich um unsere oder Clanmühlen handelt.“
„Jundland wird seit gestern von den Jadefalken kontrolliert. Werden wohl Clanner sein. White soll sie im Auge behalten.“
Ein leises Krachen ließ sie herumfahren. Was war das? Es hatte metallisch geklungen. Vielleicht die Panzerung des Mechs? Von Laserstrahlen getroffenes Metall dehnte sich aus und kontraktierte oft, wobei es zu Spannungen kam, die diesen Lärm erzeugten, wenn zwei Platten aneinander schabten. Aber nein, das Metall schien kalt zu sein. Vielleicht war etwas gesprungen? Eventuell aber hatte niemand den Atlas untersucht, als die Bergungsteams hier waren, und ein verzweifelter lyranischer Soldat versuchte gerade, ihre Aufmerksamkeit zu erregen?
Sie schalt sich eine Närrin. Die Wahrscheinlichkeit hierfür war in etwa ebenso groß wie ihre Chancen, jemals selbst einen dieser Metallgiganten in die Schlacht führen zu können. Trotzdem war ihre Neugier geweckt. Das Geräusch war aus Richtung des Cockpits gekommen. Sie kletterte über den weit ausgestreckten Arm des ATLAS. Neugierig näherte sie sich dem Cockpit.
Die Frontscheibe war geborsten, die Ränder nicht gesprungen, sondern zerschmolzen. Es schien, als hätte ein sehr genauer Cockpittreffer mit einem Schweren Impulslaser dem Piloten des Atlas ein frühes Ende bereitet. Sie las den Namen, der unter dem aufgemalten Totengrinsen des Mechkopfes stand: Lt. Hilda Müller. Sie gehörte zu denen, die definitiv tot waren.
Einen Moment musste sich Lieutenant Jennings sammeln. Sie wandte sich ab, um den hundert Tonnen schweren, waffenstarrenden Koloss nicht mehr sehen zu müssen, verschränkte die Rechte vor der Brust und stützte ihr Kinn auf die Linke. Himmel, was war dieser Job frustrierend.
„Stravag Freigeburt!“, hörte sie eine männliche Stimme hinter sich knurren!
Eine Sekunde später fühlte sie eine Hand an ihrer Kehle. Jennings reagierte ohne zu denken. Sie griff nach der Hand, zog sie nach vorne und damit den ganzen Angreifer und warf ihn über die Schulter. Er schlug hart auf dem Boden auf und stöhnte, halb überrascht, halb vor Schmerz. Jennings hielt seinen Arm gestreckt, winkelte die Hand rechtwinklig an und drehte sie nach außen. Ein Schmerzensschrei bewies ihr, wie gut der Griff funktionierte.
Erst jetzt begann die erfahrene Infanteristin, die Lage mit ihrem Verstand zu erfassen. Was war passiert? Sie hatte sich nur kurz vom Atlas abgewendet. Danach hatte dieser Typ sie angegriffen. Und jetzt lag er vor ihr am Boden, fest in ihrem Griff. Er musste sich im Cockpit versteckt haben, daher das metallische Geräusch, machte die Offizierin sich klar. Der Mann trug Kühlweste, Shorts und schwere Stiefel. Ein MechKrieger. Auf der Weste war das Jadefalkensymbol eingenäht. Aha, einer von denen.
Sie fingerte mit der freien Hand nach ihrem Helmfunk. „Jennings hier. Ich stehe neben dem Atlas. Leclerc, schicken Sie sofort ein paar Leute rüber. Im Moment halte ich einen Clankrieger in Schach, der sich im Mechwrack versteckt hatte.“
„Jesus, wie bitte? Okay, ich schicke Campbell und Jost rüber.“
Der Leutnant verstärkte den Druck soweit, dass der Jadefalke unterdrückt aufstöhnte. „Und beeilen Sie sich.“
„Ja, Ma´am.“
Okay, was jetzt? Sie hatte den verdammten Bastard im Griff, aber sie spürte, wie er sich darin sträubte und langsam aber sicher aus ihrer Hand heraus glitt. Wieder verstärkte sie den Druck, was einen lauten Schmerzensschrei und ein leises Knacken im Arm ihres Gefangenen zur Folge hatte. Sie besah sich den Knaben genauer. Und je deutlicher sie hinsah, desto bewusster wurde ihr, dass Knabe eine passende Beschreibung für ihn war. Er sah aus, als wäre er gerade frisch von der Akademie, also nicht mal Mitte zwanzig. Aber das sollte bei den Clannern nichts heißen. Sie hatte natürlich schon davon gehört, dass die Clanner gerne jung starben. Und jung Karriere machten. Hätte sie nicht gewundert, wenn dieser Mistkerl hier SternCommander oder SternCaptain war, was Leutnant oder Hauptmann entsprach.
Endlich kamen die beiden Infanteristen zur Unterstützung heran. Gut, denn ihre Hände begannen rutschig zu werden. Und sie ahnte, wenn sie diesen Jadefalken losließ, würde es sehr viel schwerer werden, ihn zu überwältigen als vorhin.
Die beiden lyranischen Soldaten fackelten nicht lange und griffen hart zu. Jennings ließ den Falken los und trat einen Schritt zur Seite.
Infanterist Jost drehte dem Falken die Arme auf den Rücken, Campbell legte ihm Manschetten an.
„Netter Fang, Leutnant. Wirklich eine tolle Beute. Sie wissen doch, was man über die Clanner sagt?“, kommentierte Jost, während er mit Armen, so groß wie Jennings Oberschenkel den Clanner im Griff hielt.
„Was genau?“
„Na, sie nehmen besiegte Krieger als Leibeigene in ihren Clan auf. Da müssen sie dann dem dienen, der sie zu Leibeigenen gemacht hat. Wenn der Geheimdienst mit ihm fertig ist, haben Sie hier einen super Stiefelknecht!“
Campbell lachte. Es klang nervös und Jennings konnte sehen, wie der junge Rekrut mit der Sicherung seines Sturmgewehres spielte.
„Ach, Quatsch! Nehmen Sie den Kerl und bewachen Sie ihn gut. Wir nehmen ihn mit. Geplante Ankunftszeit des Landungsschiffes in vier Minuten“, erwiderte Jennings.
„Leutnant, hier Tanaka. Da ist noch ein gut erhaltener Feuervogel, dem nur ein Bein und das halbe Cockpit fehlen. Wenn wir ihn mit den Resten des Nova kombinieren, können wir vielleicht einen Mech zusammenschustern.“
Jennings rechnete in Gedanken nach. Damit dürfte ihre Tonnage so gut wie erreicht sein. „Der Feuervogel ist gebucht. Haltet weiter nach Waffen Ausschau, die wir mitnehmen können. Aber nur Dinge, die wir schnell bergen können.“
„Verstanden, Ma´am“, meldete Tanaka und schaltete ab.
Soweit, so gut, dachte Jennings bei sich und sah dem ClanKrieger nach, der abgeführt wurde. Jost hielt ihn zusätzlich im Griff.
Wenn so ein kleiner Junge einen Mech führen durfte, warum dann nicht auch sie? Doch Jennings schob diesen Gedanken weit beiseite. Es war eben so und würde so bleiben, ihr Leben lang. Denn sie taugte einfach nicht zum MechKrieger...
Dreieinhalb Minuten später sah sie das Landungsschiff näher kommen. Vier Luft/Raumjäger, leichte Maschinen vom Typ Drossel schossen an ihm vorbei und sicherten die Ebene zu den Jundlandbergen.
Der Stahlgigant setzte auf, die riesigen Hangartore öffneten sich und entließen drei humanoide BattleMechs. Jennings schüttelte sich, als sie die teilweise schweren Beschädigungen an den Maschinen ihres Regiments sah. Der Kampf musste verdammt hart gewesen sein.
„Okay“, brüllte sie in ihr Helmmikro, „wir nehmen den Nova, den Feuervogel und die Nemesis. Dazu kommen noch ein paar Tonnen Armwaffen. Teamleader weisen die zur Bergung eingeteilten Mechs ein. Danach zerstört den Rest mit den Handgranaten. Ich will keine Verschwendung! Schmeißt die Eier in die MechCockpits, die sind verwundbar. Auf der Außenpanzerung hinterlassen sie nur Kratzer.“
Nacheinander bestätigten ihre Leute.
„Hier UNITY. Feldmaus, hören Sie mich?“
„Hier Feldmaus, ich höre Sie.“
„Sorgen Sie dafür, dass die Sache schnell über die Bühne geht. Nehmen Sie lieber weniger als mehr mit. Ich habe siebzehn Schwerverwundete an Bord, die ich lieber heute als Morgen aus dem System schaffen würde.“
„Wir bleiben mit der Bergung im Zeitrahmen. Außerdem habe ich noch eine Überraschung für Sie. Wir haben einen Clanspiloten erwischt, der sich in einem der Wracks versteckt hatte.“
„So? Sehr untypisch für die Falken, einen ihrer Krieger zurückzulassen. Unser Gegenangriff muss sie kalt erwischt haben.
Na dann bringen Sie den Knaben mal an Bord und lassen Sie ihn in ein verdammt tiefes Loch sperren, bis wir ihn den Geheimen übergeben können.“
„Feldmaus verstanden.“ Hinter ihr klangen kleine Explosionen auf.
„Feldmaus, was war das?“
„UNITY, ich habe Befehl gegeben die Cockpits der Mechs, die wir nicht mitnehmen können, zu sprengen. Ich glaube zwar nicht, dass die Jadefalken unsere waffentechnisch unterlegenen Mechs gegen uns benutzen werden. Aber wer weiß, ob sie nicht das eine oder andere Ersatzteil ausbauen wollen.“
„Verstehe. Sehr umsichtig. Hören Sie, der erste Mech wird gerade an Bord geschleppt. Halten Sie Ihre Leute auf dem Sprung. Die Landung meines kleinen UNION hat in etwa soviel Aufsehen erregt wie ein Zungenkuss zwischen Tormana Liao und Tomoe Sakade. Kann sein, dass wir hier schnell weg müssen. Und ich meine schnell.“
„Verstanden, UNITY.“ Jennings wechselte die Frequenz. „Feldmaus, hier Feldmaus. An alle Teams. Wer nicht an der Bergung der Mechs beteiligt ist, zieht sich sofort an Bord der UNITY zurück. Und damit meine ich auch die Beobachtungsposten. Ausführen.“
Wie um ihre Befehle zu bestätigen feuerte der UNION seine Geschütze ab.
„UNITY, was war das? Bekommen wir Besuch?“
„Negativ, Feldmaus. Das war nur ein angeschlagener Subutai auf dem Weg nach Hause. Wir haben ihm einen Abschiedsgruß mitgegeben. Unsere Piloten halten mit den Clans ganz gut mit.“
„Beruhigend zu wissen.“
Der zweite Mech, der Feuervogel wurde an Bord geschafft. Kurz darauf folgte der Nemesis.
„Okay, Gentlemen, das war es! Alles an Bord, was keine Miete zahlt!“
Jennings schritt langsam auf die Rampe zu, während der Kreuzritter mit dem Nemesis im Arm die Schleuse passierte. Neben und vor ihr rannten ihre Infanteristen die Rampe hinauf.
Sie flohen. Ja, sie flohen. Mit der UNITY würden sie zum nächsten lyranischen Sprungschiff fliegen und damit das System verlassen. Verdammt. Sie ließen eine lyranische Welt in Stich.
Oben auf der Kante der Rampe drehte sie sich noch mal um. Wieder feuerten die Geschütze der UNITY. Die Schleuse schloss sich langsam.
„Ich komme wieder“, murmelte sie leise.
2.
Kikuyu, Central City, Robert Steiner Gedächtniskaserne,
29. 5. 3051
„Leutnant Sonja“, sagte der junge Mann in dem vollkommen verdreckten Techoverall und klopfte auf das Mechbein, in das die Offizierin bis zur Hüfte verschwunden war.
Aufgrund der Anrede brauchte Leutnant Jennings nicht einmal nachzusehen oder die Stimme zu identifizieren, um zu wissen, wer da gerade ihre Arbeit an dem Nemesis störte.
„Was gibt es, Ruven?“, fragte sie.
Der Lebeigene Jadefalke war von ihr auf Roadside im Zweikampf besiegt worden. Nachdem der Geheimdienst sicher gewesen war, alles Wissenswerte über Clan Jadefalke aus ihm herausgeholt zu haben, hatte man den MechPiloten zurück an sie überwiesen.
Eine ungewöhnliche Taktik, denn normalerweise wanderten gefangene Gegner in ein POW-Camp.
Doch Ruven war kein normaler Gefangener. Er war ein Clanskrieger. Und bei den Clans war Verschwendung eines von den Dingen, die man hasste. Einen Gegner gefangen zu nehmen und dann sinnlos durchzufüttern war eine Variante von Verschwendung. Stattdessen adoptierten die Clans Krieger, die ihnen würdig erschienen und gaben ihnen die Gelegenheit, sich wieder als Krieger zu beweisen.
Ruven hatte es ihr bestimmt hundertmal erklärt, aber das machte es nicht logischer für sie.
Auch hatte sie ein wirkliches Problem damit, den jungen Jadefalken als ihren Leibeigenen zu betrachten. Sie bevorzugte es, ihn seit der Übergabe durch den Geheimdienst als Untergebenen anzusehen. Als Untergebenen, der ihr nicht mehr von der Seite wich.
„Ich habe die Reparaturen am linken Bein des Kampfschütze abgeschlossen. Ich wollte dich frage, ob du bei dem Nemesis meine Hilfe brauchst, Leutnant Sonja.“
Da war sie wieder, die typische Clannereigenschaft. Jennings lächelte nur noch darüber. Ein ClanKrieger wurde zwar mit einem Nachnamen geboren. Aber das Recht, ihn auch zu führen, ein so genanntes Bluterbe zu erlangen, musste er sich erst erkämpfen. Entsprechend irritierend war es für Ruven gewesen, als er hatte feststellen müssen, dass die Freigeborenen in der Inneren Sphäre alle Nachnamen trugen. Manche sogar zwei, ohne sie sich auch nur ansatzweise verdient zu haben. Deshalb sprach er alles und jeden mit Vornamen an. Ein Umstand, der ihr mehr als einmal einen Besuch im Büro von Kommandant Strauss eingebracht hatte.
Jennings lavierte sich aus dem Mechbein heraus und setzte sich auf den Mechfuß. Sie sah auf ihre Armbanduhr. „Es ist schon spät. Du bist bereits zwölf Stunden auf den Beinen. Geh schlafen, Ruven.“
„Bei allem Respekt, Leutnant Sonja, aber du bist schon genau so lange auf wie ich und arbeitest immer noch.“
Das war ein Argument. Seit sie auf den relativ sicheren Welt Kikuyu eingetroffen waren, arbeiteten die Überreste ihrer Einheit daran, wieder gefechtsklar zu werden. Es hatte sie stark gebeutelt und sie waren von einem vollen Regiment mit ehrenvoller Geschichte auf ein unterzähliges Bataillon geschrumpft.
Aber es sah gut aus. Seit zwei Monaten trafen die Überreste weiterer versprengter Einheiten auf Kikuyu ein, die darauf brannten, es den Jadefalken heim zu zahlen und die Reihen der 3. aufzufüllen.
Dabei hatten sie auf Kikuyu einen Logenplatz auf den Angriff der Jadefalken. Ein Sprung nur, und sie waren mitten im Angriffskorridor der Clans. Es war reines Glück, dass sie hier auf Kikuyu noch nicht angegriffen worden waren.
Langsam streckte sie sich. Es knackte vernehmlich in ihrem Rücken. Himmel, war sie wirklich erst fünfundzwanzig, oder bewegte sie sich rapide auf die fünfzig zu. „Was willst du mir sagen, Ruven? Das ich auch aufhören soll zu arbeiten?“
„Nun, Leutnant Sonja, das wäre ein Kompromiss, oder? Ich erkenne Ihre harte Arbeit für die Einsatzbereitschaft der Einheit an. Aber da wir bereits achtzig Prozent wieder hergestellt haben und nicht mit einem Angriff durch Clan Jadefalke zu rechnen ist, ist ein körperlicher Raubbau an den Kräften… Nun, sie ist nicht die klügste Entscheidung.“
„Diplomatisch ausgedrückt“, brummte Jennings leise, wohl wissen, dass sie den ehemaligen MechKrieger mit dem unvollständigen Satz ärgerte. Er hasste schludrige Aussprache.
Ruven bot ihr die Hand zum aufstehen. Jennings griff zu und ließ sich hoch ziehen. Gemeinsam verließen sie den MechHangar. Himmel, sie waren wirklich die letzten hier. Bis auf die Nachtwache am Tor war sonst niemand mehr anwesend. Eigentlich kein Wunder, denn sie alle hatten fast zwei Monate mit Hochdruck gearbeitet.
In den Waschräumen bezog sie die Umkleidekabine für Frauen und begann sich aus dem Overall zu pellen, als ihr Regel Nummer eins mit Ruven wieder einfiel. Sie wandte sich um und sah tatsächlich den Jadefalken, wie er sich ebenfalls auszog.
Wütend griff sie zu, erwischte ein Ohrläppchen und zog den Krieger hinter sich her.
Den Protest überhörte sie einfach. Draußen auf dem Gang deutete sie auf die Nachbartür. „Es ist mir scheißegal, ob Ihr bei den Clans gemischte Duschen habt. Und ich will von dir auch nicht den Rücken gewaschen bekommen. Du gehst da rein. Siehst du das Piktogramm? Das soll einen Mann darstellen! Mann!“, rief sie und stieß Ruven den Zeigefinger hart auf die Brust, bevor sie auf den Männerumkleideraum deutete.
„Frau!“, rief sie, deutete auf ihre Brust und auf den Frauenumkleideraum. „Kapiert?“
Ruven nickte. „Langsam glaube ich, du hast eine körperliche Unzulänglichkeit, die du vor mir verbergen willst, Leutnant Sonja“, brummte der Jadefalke und trottete auf die Männerumkleidekabine zu.
In Jennings kochte die Wut gerade über. Nun, sie war gewiss nicht besonders prüde. Aber es gab Vorschriften, an die sie sich halten musste. Vorschriften, die auch für Ruven galten. Nicht auszudenken, wenn der Jadefalke mal ohne sie Dienst schob und selbstständig zum duschen ging.
Obwohl… Gönnen würde sie ihm die Tracht Prügel von zehn oder mehr hysterischen Frauen schon.
Als Ruven endlich verschwunden war, rauschte sie zurück in ihre Umkleidekabine. Frustriert und wütend zerrte sie am Overall, zog ihn aus und ließ BH und Slip folgen. Sie verstaute alles in ihrem Spind, schnappte sich ihr Duschzeug und stapfte immer noch sauer in den Duschraum. „Körperliche Unzulänglichkeit, eh? Bei mir sitzt alles da, wo es sein soll.“
Als der erste Tropfen heißen Wassers auf sie nieder ging, verrauchte der Ärger, als hätte es ihn nie gegeben. Sie genoss das heiße Wasser, die Massage des harten Strahls sehr. Und für einen Moment wünschte sie sich, dieser Moment würde niemals enden. Kein Ärger mehr wegen dem sturen und uneinsichtigen Kommandant Strauss, keine Beschwerden mehr wegen Ruvens Verhalten. Kein VerCom-Heer und keine Invasorclans. Nur das heiße Wasser und sie.
Langsam kroch bleierne Müdigkeit ihre Beine hoch und verursachte ein Kribbeln im Magen. Sie hatte es übertrieben, wieder einmal, das wusste sie auch. Ihre Tage hatten sich erneut verschoben und sie begann, Muskeln aufzubauen, die sie an der Stelle überhaupt nicht sehen wollte. Alleine ihr Bizeps war in den letzten Wochen kräftig angeschwollen. Von ihrem Bauch, der auch das letzte Gramm Fett verloren hatte und nun drei Zweierreihen stahlharter Muskeln freigab, ganz zu schweigen. Dazu kam der Stress. Der widerliche, allgegenwärtige Stress.
Ihre Einheit war aufgelöst worden, ihre Infanterie auf andere Einheiten aufgeteilt. Zurück geblieben war ein Leutnant ohne Kommando. Wenn man mal von Ruven absah. Stattdessen durfte sie Mechs reparieren und anschließend au ihre Funktionalität prüfen. Sprich sie Gassi führen. Ihr Leibeigener war dabei eine große Hilfe. Er hatte sie mit Sensorpflastern, Neurohelm und der Kombination zwischen Gleichgewichtssinn und Gyrokreisel vertraut gemacht.
Was der Kommandant damit bezweckte, wusste sie nicht. Wohl aber, dass zwei der BeuteMechs, die sie auf Roadside vom Schlachtfeld gestohlen hatte, beinahe wieder einsatzbereit waren. Der Nova und der Nemesis brauchten nur noch etwas Politur und hier und da eine Prüfung der Macken. Dann konnten sie wieder in die Schlacht stoßen. Und das würde früher oder später wieder sein. Die Jadefalken würden eine feindliche Einheit an ihrer Flanke niemals dulden. Nicht, wenn sie klug waren.
Aber was sollten sie tun? Das ganze Bataillon hatte acht Mechs, ein Dutzend Panzer und zwei Kompanien Infanterie.
Ihnen fehlten aber Panzerbesatzungen und vor allem MechKrieger. Sie hatten fünf Piloten. Fünf für acht Mechs.
Seufzend schaltete sie die Dusche wieder aus und begann sich abzutrocknen. Es war alles so frustrierend. Sie verloren Welt auf Welt an die Falken und bekamen keinerlei Gelegenheit, zurück zu schlagen. Im Gegenteil. Die Streitkräfte reagierten nur noch.
Nachdem Jennings sich angezogen hatte, verließ sie die Umkleidekabine wieder. Sie hatte jetzt maximal eine Stunde Freizeit und danach fünf Stunden Schlaf, bevor ihr Dienst erneut begann.
Ruven erwartete sie bereits. Der junge Mann lächelte sie mit seinem hübschen Gesicht an, und beinahe glaubte sie wie in einem schlechten Film ein Funkeln von seinen weißen Zähnen ausgehen zu sehen. Natürlich wartete er bereits auf sie. Schließlich wollte er sie auf keinen Fall verpassen.
Er weckte sie auch jeden Morgen und begleitete sie zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Abendbrot… Wenn Jennings es mal ernsthaft sah, dann war der Mann vor ihr der einzige Grund, warum sie überhaupt ihre Mahlzeiten einhielt.
Schweigend ging sie an Ruven vorbei und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Aber das hätte er sicher auch so getan.
Und wenn sie ehrlich war, dann hatte sie sich längst daran gewöhnt.
„Morgen machen wir Pause“, sagte sie zu dem Jadefalken.
„Ich verstehe nicht, Leutnant Sonja“, erwiderte Ruven. „Was soll das bedeuten, wir machen Pause?“
„Das bedeutet, dass wir uns Morgen unseren längst überfälligen freien Tag nehmen, unsere überquellenden Soldtüten und mal einen Tag Freizeit verbringen. Außer natürlich, du hast an deinem freien Tag etwas Besseres zu tun, als ihn mit mir zu verbringen.“
Der Jadefalke dachte einen Moment nach. „Nun, R&R ist mir natürlich bekannt. Aber ich befürchte, es wird sich hier in der Inneren Sphäre stark von dem unterscheiden, was ich kenne. Das Prinzip, für den ehrenvollen Dienst als Krieger bezahlt zu werden, überfordert mich bereits“, gab er zu.
„Na, dann wird ein Shopping-Nachmittag deine Grenzen noch einmal tüchtig erweitern“, spottete sie. Einen Moment hielt sie an und legte den Kopf schräg. „Ich gehe gleich ins Büro vom Kommandant und reiche für uns zwei Urlaub ein. Für Morgen stelle ich aber ein paar Regeln auf.
Regel eins: Du weckst mich nicht vor zehn. Und du schläfst so lange wie möglich. Da wir nicht in der Kaserne frühstücken werden, haben wir auch kein Problem mit der Kantine.
Regel Nummer zwei, du trägst Zivilkleidung.“
„Zivilkleidung? Ich habe keine Zivilkleidung“, beschwerte sich Ruven.
Jennings winkte ab. „Keine Panik, keine Panik, ich kümmere mich darum.
Regel Nummer drei: Du redest mich den ganzen Tag nicht mit Leutnant an. Und Regel Nummer vier, du hörst auf mich. Hast du das verstanden, Ruven?“
Der Jadefalke runzelte die Stirn. „Ich bin nicht sicher, ob ich es verstehen will, Leutnant Sonja.“
Böse starrte Jennings ihn an. Erschrocken hob Ruven beide Arme und taumelte einige Schritte zurück, bis die nächste Wand ihn stoppte. „Pos, Leutnant Sonja, Pos. Ich habe verstanden.“
„Und Regel Nummer fünf: Du lässt das Ding da Zuhause“, bestimmte sie und deutete auf die Kordel an seinem linken Handgelenk.
Ruven starrte auf seine Leibeigenenkordel und wollte schon zu einer Erklärung ansetzen.
Doch Jennings winkte ab. „Durchschneiden lässt du sie mich nicht, weil du dich noch nicht für würdig genug fühlst, meinetwegen. Aber ich laufe Morgen nicht durch die Stadt und lasse jeden Trottel mit ein wenig Ahnung wissen, dass du mein Leibeigener bist. Du kannst sie hier in der Kaserne wieder anlegen, frapos?“
Der junge Krieger rang sichtlich mit sich, bevor er sich zu einem dünnen Pos durchrang.
„Na also. Dann Morgen um zehn in meinem Quartier.“