Thorsten Kerensky
27.10.2359, 17:54 TNZ
Hoheitsraum der Terranischen Föderation
Nachschubkorridor „Delta“
Gemächlich schob sich die Gettysburg durch die endlosen Weiten des Weltalls, durchkreuzte ein Panorama aus Sternen und Planeten, die trügerisch friedlich wirkten. Der mächtige Rumpf war mit Kampfnarben überseht, das Schlachtschiff war ein alter Veteran im Dienste der Erd-Streitkräfte und auf dem Weg nach Terra zur Generalüberholung. Obwohl sie beinahe achtzehn Monate ununterbrochen im Einsatz gewesen war, bot sie ein majestätisches Bild, als sie sich mit Vollschub vorwärts wälzte, flankiert von den beiden Fregatten Bremen und Kiel, die ihr die ganze Zeit über als Geleitschutz gedient hatten, seit sie von der Front aufgebrochen war, um ihrer Besatzung der lange versprochenen Heimaturlaub und dem Schiff einen Besuch in der Werft zu gönnen.
Auf der Kommandobrücke des Schiffes verschränkte Großkapitän Dane Blight seine Arme vor der Brust und ließ seine Gedanken treiben. Die Gettysburg hatte schon sieben Kommandanten gehabt und bei allen war es Tradition gewesen, dem Schiff nach jedem Fronteinsatz einen Sinnspruch einzugravieren. Bei Erreichen der Werft würde es Danes fünfter Eintrag werden und damit läge er nur noch einen Einsatz hinter dem ersten Kapitän des Schlachtschiffes. Dane hatte die Gettysburg übernommen, nachdem ihr letzter Kommandant befördert worden war und die alte Lady, wie die Matrosen sie nannten, zugunsten eines neueren, größeren Schiffes verlassen hatte.
Auf der Brücke ging es ruhig zu, so kurz vor der Heimat, ein Großteil der 3.469 Leute der Schiffsbesatzung wurde nicht gebraucht, solange das Schiff nicht im Kampf stand und weder die mächtigen Waffenbatterien bemannt waren, noch der Jägerhangar versorgt werden musste.
Leutnant Timo Krupp spürte das majestätische und tiefe Summen und Dröhnen der gigantischen Triebwerke unter seinen Füßen kaum noch, als er sein Quartier verließ und die wenigen Meter zur Brücke zurücklegte. Die Offiziers-Kabinen lagen nahe am Kommando-Stand, damit sie im Notfall schnell auf ihre Positionen kamen.
Allerdings war die Bezeichnung etwas irre führend, denn auf dem Schiff gab es duzende Offiziere, von denen die meisten allerdings nicht hier oben eingesetzt waren, sondern verstreut über das ganze Schiff. Im Kampf befanden sich nur die Wach-Offiziere im Kommandostand, die Männer und Frauen, die im Notfall das Kommando über die Gettysburg übernehmen konnten und in der Rangfolge nur unter dem Kapitän standen. Timo war noch recht jung, gerade erst 23 geworden und er war derzeit dritter Wachoffizier von den sechs Wachoffizieren des Schiffes, eine Position, die er dem Umstand zu verdanken hatte, dass in den letzten Monaten zwei höher stehende Offiziere gefallen waren und so den Platz für seinen Aufstieg frei machten.
Der junge Deutsche war vorher erster Wachoffizier der Bremen gewesen und wurde aufgrund seines Talentes von Großkapitän Blight an Bord der Gettysburg geholt.
Er erreichte die Brück, salutierte kurz vor dem Kapitän und dann vor der noch jüngeren Amy Smith, dem rangniedrigsten Wach-Offizier, deren Schicht jetzt zu Ende ging. Die beiden waren recht gut befreundet, da sie die jüngsten in der Offiziersbesatzung waren und er konnte nicht leugnen, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.
Timo verdrängte diesen Gedanken und ging den Statusbericht durch, den sie ihm in die Hand gedrückt hatte. Alles verlief normal und er bereitete sich auf sechs langweilige Stunden vor.
Während nun auch der Rest der Brücken-Crew abgelöst wurde, ließ er sich auf dem Kommando-Sessel nieder und ließ seinen Blick über das Sternenpanorama vor ihm schweifen.
„Ah, Mr. Krupp, ein wunderschöner Anblick, oder?“, ertönte die Stimme des Kapitäns neben ihm.
Timo wandte seinen Blick und erwiderte den Blick des Kommandanten mit dem angemessenen Respekt. „Aye, Sir. Aber ich freue mich noch viel mehr auf den Anblick der Heimat. Nur noch drei Tage.“
Dane lachte, wobei seine tiefe Stimme klang wie ein Bär. „Ja, nach achtzehn Monaten haben wir uns das verdient. Sie haben gute Arbeit geleistet dort draußen, ich werde sie der Admiralität für ein eigenes Kommando vorschlagen. Eine kleine Korvette, was halten sie davon? Vielleicht eine von den neuen, vor denen haben sogar unsere Fregatten Respekt.“
Timo guckte etwas überrascht und grinste dann breit. „Danke, Sir, das wäre mir eine Ehre.“
„Wusste ich’s doch. Eine angenehme Schicht wünsche ich noch, ich werde mich ein wenig hinlegen, bei ihnen weiß ich die alte Lady in guten Händen.“
Der junge Leutnant stand auf, nahm Haltung an und salutierte, dann verschwand der Kapitän und auf der Brücke kehrte wieder Ruhe ein. Das stete Piepsen des Radars, ein paar leise Gespräche, das monotone Brummen des Triebwerkes, nichts Ungewohntes.
Die erste Hälfte der Schicht verstrich ohne Zwischenfälle und Timo hatte Zeit, seine Gedanken kreisen zu lassen. Ein eigenes Kommando brachte Verantwortung, noch mehr als er nun trug und es bedeutete, dass er aus dem Kreis seiner Vertrauten gerissen wurde.
Plötzlich veränderte sich das Piepsen des Radars und Unruhe kam auf. Timo stand auf und drehte sich um. „Mister Hardy, Bericht!“
„Sir, unidentifiziertes Schiff hält auf uns zu.“
„Funken sie es an!“
„Keine Antwort, Sir.“
Der Leutnant überlegte nicht lange, die Vorschriften in diesem Fall waren klar und vernünftig. „Erneut versuchen, Alarmstufe gelb, lassen sie kampfbereit machen!“
Die Brücke brach in organisiertem Chaos aus, als die Sirene aufgellte und die gesamte Mannschaft aus dem Schlaf riss.
„Sir, das Schiff setzt einen Torpedo ab und beschleunigt!“
„Alarmstufe rot, sofort Jäger ausschleusen und Waffenbatterien scharf machen!“, befahl Timo und setzte sich wieder. „Auf Einschlag vorbereiten und sofort die Bremen und die Kiel vorausschicken, wir nehmen unseren Freund in die Zange.“
„Weise Entscheidung.“, kommentierte der Kapitän vom Eingang der Brücke.
„Sir!“, Timo stand auf und begab sich auf eine sekundäre Kommandostation, von wo aus er das Feuer der Steuerbord-Batterie leiten konnte. Er war froh, die Verantwortung nun an den Kapitän abgeben zu können.
„Weitermachen, wie Leutnant Krupp angeordnet hat, halten sie auf unseren Gegner zu und bringen sie mir einen Bericht über seine Größe, mögliche Bewaffnung und warum zum Teufel er soweit hinter den Linien auftauchen kann!“
Die Gettysburg kämpfte sich aus ihrer Marschroute und drehte sich hart nach rechts, um Kurs auf den Aggressor zu setzen, links und rechts flankiert von den beiden Fregatten. Der Torpedo des Gegners nahm Fahrt auf und raste in den Rumpf des Schlachtschiffes, wo er geringe Schäden verursachte.
„Sir! Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen Crucis-Kreuzer, bestückt mit Torpedos und Bombern, gebaut, um langsame und schwere Schiffe aufzubringen. Ich schätze, er ist auf uns angesetzt worden.“
Der Kapitän fluchte, als der Kreuzer zwei weitere Torpedos losschickte. „Wie lange noch, bis unsere Waffen geladen sind?“
Timo und Mary Collins, zweiter Offizier der Wache und zuständig für die Backbord-Batterien, antworteten fast synchron: „Drei Minuten, die Bremen meldet zwei Minuten und die Kiel ist bereits feuerbereit.“
In der Tat beschleunigte das kleinere Schiff bereits und löste sich aus der Formation, um in Reichweite für seine Waffen zu gelangen, während zwei weitere Einschläge im Bug die Gettysburg erzittern ließen. Der gegnerische Kreuzer reduzierte nun seine Geschwindigkeit und erhöhte dafür seine Feuerrate, denn diesmal jagten direkt vier der großen Anti-Schiffs-Sprengkörper los, um das Schlachtschiff aufs Korn zu nehmen.
Noch bevor die Torpedos einschlugen, wurde die Gettysburg hart getroffen und durchgeschüttelt.
„Bericht!“, brüllte Dane über den Lärm hinweg.
„Treffer im Heckbereich, die Sensoren verzeichnen einen zweiten Crucis-Kreuzer backbord achteraus!“
„Verdammt, geben sie der Bremen den Befehl, sich den Kerl zu kaufen und jagen sie unsere Jäger dorthin, wir halten mit der Kiel weiter auf den ersten Kreuzer zu!“
Weitere Einschläge dröhnten durch das Schlachtschiff und jemand meldete einen ersten Hüllenbruch im Bug.
Durch das Fenster zum Bug des Schiffes sah Timo, wie die Kiel in Waffenreichweite gelangte und aus allen Rohren das Feuer auf ihren Gegner eröffnete. Das Abwehrfeuer des Kreuzers fiel eher gering aus, aber er hatte die stärkere Panzerung und die Fregatte würde ihn alleine nicht knacken können.
Wieder schlugen Torpedos in den Rumpf der Gettysburg ein, mindestens einer der Treffer saß gefährlich nahe an der Brücke, denn das Knirschen und Kreischen von getroffener Panzerung drang bis in die Kommandozentrale und jagte Timo einen Schauer über den Rücken.
Dann schaltete seine Kontroll-Tafel auf grün. „Sir, Steuerbord-Batterie feuerbereit!“
Mary meldete nur einen Augenblick später die Bereitschaft der Backbord-Geschütze.
Der Kapitän nickte grimmig, während das Schlachtschiff erneut getroffen wurde. „Das Ziel ist klar, Feuer frei!“
Das Donnern der Geschütze übertönte die nächsten Torpedo-Einschläge und das anschließende Zischen verkündete den Start unzähliger Raketen aus ihren Magazinen. Die volle Breitseite bohrte sich in ihr Ziel und rissen klaffende Löcher in den Kreuzer. Die Raketen folgten, fanden ihren Weg durch die offene Tür und drangen tief in das Schiff ein, das dabei querschlug und keine weiteren Aktivitäten verströmte.
Jubel hallte über die Brücke, wurde aber jäh unterbrochen, als die Gettysburg erneut von Torpedos erwischt wurde.
„Sir, die Bremen hat einen Treffer am Antrieb kassiert und dreht ab, sie ist wehrlos!“
„Schicken sie die Kiel mit Vollschub dahin und bringen sie uns in die andere Richtung! Waffen sofort wieder bereit machen, alle Langstrecken-Waffen haben Feuererlaubnis!“
Ein weiterer Torpedo-Treffer ließ das Schiff erzittern, und kurz flackerte das Licht auf der Brücke, ehe das Schiff sich herumwälzte, um seine Richtung komplett zu ändern. Die Raketen-Batterien des Schlachtschiffes nahmen bereits wieder ihre Arbeit auf und schickten ihre Körper in Richtung des Feindes, ohne auf die Entfernung eine ernsthafte Bedrohung darzustellen.
Der große Nachteil der Gettysburg war, dass sie kaum Waffen für extreme Reichweiten hatte, so verfügte sie hauptsächlich über Laser-Geschütze und die leichten Raketen, allerdings nur über zwei Torpedo-Rampen. Dadurch konnte sie lange im Einsatz bleiben, ohne neu bestückt zu werden, aber auf lange Kampfdistanzen fehlte ihr die Kampfkraft und sie war nicht schnell genug, um diese Distanzen leicht zu überwinden. Linkerhand zog die Kiel am mächtigen Rumpf des Schlachtschiffes vorbei und beschleunigte noch weiter, während erneut Torpedos in die Gettysburg hämmerten. Langsam wurde es selbst für den gigantischen Schiffsleib ernst und gefährlich, das wusste jeder der Anwesenden, lediglich der Kapitän strahlte Ruhe und Zuversicht aus.
Dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Ein Torpedo überwand die Distanz zwischen dem Crucis-Kreuzer und seinem Ziel und schlug nur wenige Meter über der Brücke ein.
Timo wurde von der Wucht des Aufpralls gepackt und umgeworfen, so wie alle anderen um ihn herum. Ein Teil der Decke gab nach und krachte auf die Offiziere und die Brücken-Crew, riss dabei einen Wulst aus Leitungen und Kabeln mit sich. Es kam zu Kurzschlüssen, kleinere Feuer loderten auf, in die Schlachtgeräusche mischten sich nun auch die Schreie von Verwundeten.
Timo war einer der Ersten, die wieder auf die Füße kamen, er selber hatte Glück gehabt und war unverletzt geblieben, aber viele hatten dieses Glück nicht gehabt.
Ein kurzer Blick in die Runde verriet ihm, dass er der ranghöchste Offizier war, der zur Zeit auf den Füßen war, also war es an ihm, zu handeln. Neben ihm kam ein Mann auf die Beine, der am Radar gearbeitet hatte. Da der Radar zertrümmert war, schickte Timo ihn los, um Sanitäter zu holen. Danach griff er sich einen Funk-Techniker und wies ihn an, Kontakt zur Bremen und zur Kiel herzustellen.
Ein weiterer Treffer irgendwo im Rumpf sagte ihm, dass der Kampf noch tobte, nur sah er nichts mehr, da ein Deckenteil die Aussicht durch das Fenster versperrte.
Amy Smith trat zu ihm und wirkte verzweifelt. „Der Kapitän ist schwer verletzt. Mary Collins ist tot und den ersten Offizier kann ich nicht finden.“
Timo schüttelte sie. „Kannst du mit den Geschütz-Kontrollen umgehen?“
Sie nickte. „Ja, aber...“
„Kein aber, du gehst jetzt da hin und kümmerst dich um die Geschütze!“
Er sah ihr kurz nach und wandte sich dann einem Sanitäter zu, der auf die Brücke stürmte. „Bringen sie die Verwundeten hier raus und Bergungsteams dafür her! Pronto!“
Der Mann nickte und verschwand wieder im Schutt-Staub. Langsam wurden wieder alle Positionen besetzt. „Bericht!“, forderte Timo.
„Die Bremen meldet schwere Schäden, die Kiel liegt im engen Kampf mit dem Feind und wir sind vom Kurs abgekommen, aber in Reichweiter der Backbord-Batterien!“
„Leutnant Smith, sie haben es gehört! Feuer frei!“, brüllte er Amy an, die langsam in Panik zu verfallen schien. Kein guter Zeitpunkt dafür. Er trat neben sie und sah ihr fest in die Augen. „Reiß dich zusammen.“, zischte er ihr zu. „Du bist Offizier, benimm dich auch so, du kannst nach dem Kampf immer noch durchdrehen!“
Sie nickte und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, dann führte sie seine Befehle aus.
Die Geschütze der Gettysburg begannen, auf den Kreuzer einzuschlagen und es dauerte nur Augenblicke, bis das Feindfeuer verstummte und ein Funkspruch einging.
„Feuer einstellen an alle Schiffe!“, befahl Timo. „Stellen sie ihn durch, nur Audio!“
Er wollte nicht, dass der gegnerische Kapitän sah, dass er es nur mit einem Offizier zu tun hatte und mit einem so jungen noch dazu.
Die Stimme des Feindes klang blechern und war von einem statischen Rauschen begleitet. Eines der Schiffe hatte Probleme mit dem Funk, entweder der Kreuzer oder die Gettysburg.
„Kapitän des terranischen Schlachtschiffes, wir ergeben uns! Wir haben keine Energie mehr und unzählige Verwundete und bitten sie um Gnade und Hilfe!“
Timo dachte kurz nach. „Nennen sie mir ihren Namen und ihren Rang und akzeptieren sie eine Prisen-Crew auf ihrem Schiff, dann sehe ich, was ich für sie tun kann.“
„Hier spricht Junior-Leutnant Simon Hope, Mitglied der Streitkräfte der Allianz. Die ganze Brücken-Besatzung ist tot oder verwundet und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.“ Verzweiflung schwang in der Stimme mit und Timo verglich sie automatisch mit Amy, die wohl ähnlich reagiert hätte. Auf dem Kreuzer musste es schlimm aussehen, nach dem Beschuss durch die Gettysburg.
Timo deutete dem Funker an, die Verbindung zu beenden. „Sagen sie der Kiel, sie soll ein paar Leute rüberschicken, die Crew gefangen nehmen und den Verwundeten Feinden helfen. Aber unsere Leute haben Vorrang! Fragen sie an, ob die Bremen Hilfe braucht und schicken sie einen Entertrupp auf den anderen Kreuzer. Außerdem will ich wissen, wo der erste Offizier ist!“
Ein Sanitäter schob sich an ihm vorbei, auf dem Weg zu einem weiteren Verletzten. „Den haben wir tot geborgen, Sir!“
Timo murmelte einen leisen Fluch. „Gut, dann will ich in zehn Minuten einen vollständigen Bericht und alle überlebenden Wach-Offiziere im Besprechungsraum sehen!“
Sie waren nur noch zu dritt, als sie sich zur Besprechung einfanden. Neben Timo und Amy war auch noch Steve Randall anwesend, vierter Offizier der Gettysburg und ein Jahr älter als Timo.
Der junge Deutsche musterte die beiden kurz und nickte dann knapp. „Also, unsere Lage ist nicht direkt rosig. Drei der Wachoffiziere sind tot, der Kapitän so schwer verletzt, dass wir froh sein können, wenn er bis zur Werft überlebt. Unsere Brücke ist schwer getroffen worden, ebenso hat der Bug einiges einstecken müssen, da arbeiten unsere Leute schon dran. Wir haben vier Jäger verloren, insgesamt 63 Tote und 42 Verwundete zu beklagen. Und uns geht es noch gut.
Die Kiel ist recht glimpflich davongekommen, zwei Tote, drei Verletzte, keine ernsthaften Schäden, beide Male waren wir gerade rechtzeitig, um Schlimmeres zu verhindern.
Anders sieht es bei der Bremen aus. Der Antrieb ausgefallen, diverse Hüllenbrüche, mit 81 Toten und 31 Verletzten ist über die Hälfte ihrer Besatzung ausgefallen, außerdem ist kein einziger ihrer Offiziere einsatzbereit.
Ich habe die Kiel bereits angewiesen, auszuhelfen und ihr erster Offizier ist mit ein paar Technikern auf die Bremen gewechselt und bereits dabei, das Schiff wieder fahrtüchtig zu machen.
Wir haben zwei Kreuzer erobert, einen davon mussten wir sprengen, er hatte seine Atmosphäre verloren und war nicht mehr zu retten. Die Besatzung des anderen Feindschiffes ist unter Arrest auf der Kiel und wird noch in dieser Stunde auf unser Schiff wechseln. Allerdings brauchen wir auch auf dem Kreuzer eine Prisen-Crew und die müssen wir stellen, weil unsere Fregatten keinen Mann entbehren können.“
Timo atmete kurz durch und gab seinen beiden Untergebenen einen Augenblick, um all diese Informationen zu verdauen, bevor er fortfuhr.
„Als ranghöchster Offizier bleibe ich auf der Gettysburg und mehr als einen von ihnen kann ich nicht entbehren. Ich denke, es ist nur fair, wenn ich Leutnant Randall das Kommando über den Kreuzer gebe, suchen sie sich eine Crew zusammen, nehmen sie genug Techniker mit, um den Kahn flott zu machen und halten sie sich bereit. Die Fähren der Kiel bringen sie dorthin, sobald sie die Gefangenen hier abgeliefert haben. Ich will in zwei Tagen alle Schiffe mobil sehen, dann brechen wir auf und nehmen Kurs auf die Werft-Anlage. Wir haben bereits Verspätung angemeldet, allerdings noch keine Antwort erhalten.“
Timo seufzte leise und fühlte das Gewicht der Verantwortung auf seinen Schultern liegen. Dane hatte von einem kleinen Kommando geredet, nun hatte er plötzlich eine Flottille zu befehligen und war für die Sicherheit von über viertausend Menschen verantwortlich.
Steve und Amy erhoben sich und salutierten, dann verschwand Randall, um seine Leute auszuwählen. Amy blieb jedoch stehen und schien Timo noch etwas sagen zu wollen. „Sir?“
„Wir sind unter uns, ‚Timo’ reicht vollkommen.“
„Vorhin auf der Brücke ... ich habe die Kontrolle über mich verloren. Ich war total überfordert.“
Der Deutsche seufzte erneut. „Wenn das jetzt darauf hinausläuft, dass du dein Offizierspatent zurückgeben willst, muss ich ablehnen. Ich brauche dich, ich habe sonst keine Offiziere mehr und einmal passiert das jedem Offizier. Die Situation war schlimm und es ist ja dadurch kein größeres Unglück entstanden, als eh schon vorhanden war. Du bist Offizier und bleibst es auch und gerade im Moment bist du meine Stellvertreterin auf diesem Pott. Wenn du beim nächsten Mal wieder die Nerven verlierst, denk ich noch mal darüber nach. Bis zur Werft hast du im Gegenzug Zeit, dich zu entscheiden, ob du weiterhin Offizier bleiben willst oder nicht. Einverstanden?“
Sie nickte. „Ist dir so was auch mal passiert?“
Timo trat zu ihr und legte den Arm um sie. „Ja, ist es.“ Er drückte sie kurz. „Ich weiß, wie das ist, ich hätte damals fast einen Trupp Soldaten draufgehen lassen und es gab mächtig Anschiss, aber seit dem ging alles glatt.“ Er ließ sie los und nickte ihr zu. „War das alles?“
„Ja. Und danke.“
„Schon okay. Und jetzt wieder an die Arbeit, es gibt viel zu tun, ich erwarte den Kapitän der Kiel in Kürze mit den Gefangenen und hier an Bord wartet auch noch einiges an Arbeit.“
---
3.11.2359, 12:19 TNZ
Hoheitsraum der Terranischen Föderation
Herkules-Werften bei Terra
Als sie eine Woche später in Sichtweite der Herkules-Werften kamen, brach auf allen vier Schiffen Jubel aus. Irgendwie hatten sie es wirklich geschafft, in zwei Tagen die Antriebe der Bremen und des gekaperten Kreuzers wieder in Gang zu setzen. Statt der ursprünglichen drei Tage, hatten sie für die Strecke zur Werft fünf Tage gebraucht, aber nun waren sie endlich da. Mühsam quälten sich die havarierten Schiffe die letzte Strecke bis in die großen Werftanlagen, dann schließlich schoben sie sich in die riesigen Docks. Es wurde ungewöhnlich ruhig an Bord der Gettysburg, als die gewaltigen Reaktoren herunterfuhren und die Besatzung auf Erlaubnis von Timo ihren Urlaub antrat.
Amy sah zu Timo auf, sie waren so ziemlich die letzten auf der Brücke und beiden war anzusehen, dass sie heilfroh waren, ohne weitere Zwischenfälle angekommen zu sein. „Wir haben es geschafft.“
„Ja, endlich Ruhe. Mal schauen, was jetzt passiert, definitiv wird es Veränderungen geben. Ein neuer Kapitän, vielleicht neue Posten, wir werden sehen. Ich habe uns Zimmer organisiert, gut gelegen.“
„Wie hast du das gemacht?“
Er grinste. „Geheimnis. Aber direkt nebeneinander. Ich bring dich hin, ok?“
Sie lächelte und nickte. „Danke.“
Timo griff nach seinem Seesack mit seinen persönlichen Besitztümern und ging zum Ausgang, wo er auf sie wartete. Danach verließen sie gemeinsam die Gettysburg.
Durch die Wände des gläsernen Andock-Steges konnten sie die schwer gezeichnete Bremen sehen, die gerade die letzten Meter ins Dock geschleppt wurde, weil ihre Manövrier-Triebwerke zu beschädigt waren, um auf so engem Raum zu steuern.
Nach achtzehn Monaten war es die letzte Woche gewesen, die am anstrengendsten für sie alle gewesen war und jetzt hatten sie den Urlaub verdient. Als sie die Raumstation betraten, die direkt mit der Werft verbunden war, blieb Timo kurz stehen, um einen Weg-Plan zu studieren. „Hm ... okay, also Richtung A5.“ Er deutete auf einen Turbo-Lift, der sie zu den Wohnbereichen bringen würde. „Wir haben übrigens in einer Stunde ein Treffen mit Admiral Byron vor uns.“
„Echt?“
„Ja, also solltest du aus deinen Sachen eine Ausgehuniform raussuchen, dich frischen machen und so und zwar recht zügig.“
Amy nickte. „Wusste gar nicht, dass ein Admiral hier ist.“
„Ich hab sein Schiff gesehen. Die Texas, ein riesiger Pott. Gutes Stück länger als die Gettysburg und erst letztes Jahr vom Stapel gelaufen. Sah aus, als würde sie bald wieder auslaufen. Deswegen wahrscheinlich auch diese Eile.“
Sie erreichten ihre Quartiere, geräumige 3-Zimmer-Wohnungen mit allem, was man zum Leben brauchte. Fernseher, Dusche, Küche und angenehm weichen Betten. In solchen Quartieren würde der Urlaub angenehm werden.
Kurze Zeit später waren sie beide umgezogen und in ihrer Ausgehuniform auf dem Weg zu dem Teil der Anlage, der dem Militär vorbehalten war. Im zivilen Bereich verkehrten zwar auch fast nur Soldaten, aber dort verbrachten sie ihre Freizeit.
Die Räume, die der Admiral als Büro nutzte, waren spartanisch eingerichtet, zwei große Reisekisten zeigten, dass der hohe Militär bald aufbrechen würde.
Admiral James Byron war ein Mann, der die 60 lange überwunden hatte, sein Haar war ergraut, aber seine Augen strahlten noch immer ein lebhaftes und intensives blau aus. Er war nicht besonders groß, wirkte aber agil und energie-geladen. „Leutnant Krupp und Leutnant Smith, nehme ich an?“
Timo salutierte, Amy tat es ihm gleich. „Aye, Sir!“
„Reife Leistung von ihnen, ihre Flotte wieder zurückzubringen, wenn meine Kapitäne so wären, wie sie, hätte ich den Krieg längst gewonnen.“
„Danke, Sir!“ Timo verfolgte den Vorgesetzten mit seinen Augen, als dieser sich erhob und vor die beiden jungen Offiziere trat.
„Ich musste sie so dringend sprechen, weil wir nicht viel Zeit haben. Der Krieg flammt wieder auf und der Angriff auf ihr Schiff zeigt, dass der Feind stärker wird. Ich breche noch heute mit meiner Flotte auf, um einen Gegenangriff zu führen und auch die Gettysburg muss so schnell wie möglich wieder in die Schlacht.“
„Sir?“
„Ja, es tut mir leid, ihren Urlaub muss ich leider streichen, ich kann es mir nicht leisten, ein Schlachtschiff ruhen zu lassen, weil seine Crew sich besaufen möchte. Ich habe nur ein kleines Problem.“
Timo und Amy antworteten nicht, sondern warteten einfach ab.
„Ich kann der Gettysburg keinen Kapitän abstellen, weil ich selber keine übrig habe und jeden erfahrenen Offizier brauche. Ich kann ihnen zwar ein paar Wachoffiziere zuteilen, aber das löst die Kommando-Frage nicht. Zumal ich Steve Randall das Kommando über die Bremen bestätigt habe.“
Amy trat ein wenig vor. „Bitte um Erlaubnis, frei zu sprechen.“
„Erteilt.“
„Sir, Leutnant Krupp ist mehr als befähigt, die Gettysburg zu kommandieren, das hat er bewiesen. Wenn Leutnant Randall ein Kommando bekommt, obwohl er im Rang tiefer stand, wäre es nur fair, auch Leutnant Krupp zu befördern, Sir!“
„Soso, wäre es das? Nun, der Kapitän der Kiel hat zumindest abgelehnt und ich habe nicht viele Alternativen. Leutnant Krupp, fühlen sie sich der Verantwortung gewachsen, vom dritten Offizier zum Flottillenkommandanten befördert zu werden?“
„Sir, ja, Sir!“
Byron lächelte leicht. „Gut, dann befördere ich sie mit sofortiger Wirkung zum Großkapitän mit dem direkten Kommando über die Gettysburg und dem weiteren Kommando über ein kleinere Schiffsgruppe, bestehend aus der Gettysburg, der Bremen, der Kiel und dem erbeuteten Crucis-Kreuzer, dem sie noch einen Namen geben müssten.“
Timo salutierte. „Danke, Sir. Wenn sie nichts dagegen hätten, würde ich den Kreuzer gerne auf den Namen Blight taufen.“
„Nach ihrem alten Kapitän? Sie müssen ihn ja sehr geschätzt haben.“
„Sir, er war einer der Besten, das wissen sie sicher auch.“
Byron lachte leise. „Ja. Und ich denke, er hat sich seinen Tod so vorgestellt. Auf seiner Brücke, im Kampf getötet zu werden ... das passt zu ihm.“
„Es wäre mir trotzdem lieber gewesen, wenn er nicht gestorben wäre. Und ein dreitägiger Todeskampf ist sicher nicht erstrebenswert.“
Der Admiral seufzte. „So ist der Krieg, mein Sohn. Nun, ich habe nicht ewig Zeit, ihr werde sofort Order für sie aufsetzen, sie verlassen die Werft, sobald ihre Schiffe repariert und aufmunitioniert sind. Viel Glück, Kapitän!“
„Danke, Sir!“
„Auch ihnen viel Glück, Leutnant Amy Smith. Sie werden wohl auch im Rang ein gutes Stück klettern.“
„Danke.“
Die beiden drehten sich zur Tür, aber Byrons Stimme hielt sie noch einmal zurück. „Achja, Kapitän Krupp ... ich lasse ihnen ein paar gute Offiziere hier, ihre Mannschaften können sie hier in den Werften problemlos auffüllen. Die Leute werden sich spätestens morgen bei ihnen melden, sie haben genug Posten zu besetzen, aber so viele Männer und Frauen kann ich nicht entbehren. Sie werden sehen müssen, woher sie fähige Offizieren nehmen.“
„Ja, Sir.“ Die beiden salutierten erneut und verließen dann das Büro.
Amy sah Timo an. „Kapitän bist du jetzt also. Und jetzt?“
„Nun, ich dachte daran, dass wir beide jetzt zusammen Essen gehen.“
„Nur wir beide?“
Timo lachte. „Nein, alle Offiziere der Gettysburg.“
„Also nur wir beide.“ Sie grinste breit, sie und Timo waren sich in der letzten Woche noch ein gutes Stück näher gekommen und in der Mannschaft machten Gerüchte die Runde, dass sie ein Liebespaar wären. Keiner von beiden zweifelte daran, dass es möglich wäre und beide waren dem Gedanken nicht abgeneigt, aber der Dienst auf dem Kriegsschiff hatte sie bis jetzt davon abgehalten und eine tiefere Beziehung verhindert. Aber jetzt hatten sie ein paar Tage frei, vielleicht auch ein paar Wochen, je nach Länge der Reparaturarbeiten. Das schaffte Zeit für ein Privatleben.
Die beiden jungen Offiziere sahen sich an und grinsten breit.
---
15.11.2359, 14:03 TNZ
Hoheitsraum der Terranischen Föderation
Herkules-Werften
Timo empfand tiefen und ehrlichen stolz, als er durch das Fenster auf die vier Schiffe sah, die in der Werftanlage ruhten. Leichtes Bedauern meldete sich in ihm, wenn er daran dachte, dass die Arbeiten nun abgeschlossen waren und er mit seiner Flottille noch heute die Werft würde verlassen müssen. Die Verantwortung für seine Mission, seine Schiffe und seine Untergebenen lastete auf seinen Schultern und die letzten Tage war sie immer drückender geworden. Aber er hatte die Laufbahn als Offizier im Kriegsdienst nicht eingeschlagen, um jetzt zu zögern, wo man ihm so eine Chance anbot.
Er straffte sich und strich sich die Paradeuniform glatt, die er trug, um diesen Tag zu würdigen. Amy neben ihm sah auf. „Geht es los?“
Timo nickte und lächelte leicht. „Aye. Lass die Mannschaft antreten!“
Die junge Frau stand auf und salutierte zackig, ein Grinsen auf ihrem hübschen Gesicht, dann eilte sie davon und man hörte eine Trillerpfeife ertönen, gefolgt von der kräftigen Stimme des Senior-Feldwebels McAngus. Der Senior-Feldwebel war ein großer, bärtiger Schotte, dessen Statur alleine schon ausreichte, um Disziplin zu lehren. Er war der dienstälteste und ranghöchste Nicht-Offizier der Flotte und diente so gleichzeitig als Sprachrohr für die Mannschaft, wie auch als Verbindung zwischen Offizieren und dem Rest der Crew. Die Männer und Frauen respektierten ihn und solange sie sich richtig verhielten, war er für sie eher ein Vater, als ein Vorgesetzter. Nur Disziplinlosigkeit duldete er nicht.
Als Timo das kleine Aussichts-Zimmer verließ und auf den Gang trat, der zur Gettysburg führte, fand er seine Mannschaft angetreten und akkurat ausgerichtet links und rechts seines Weges vor. Als Bryan McAngus ihn sah, salutierte er zackig. „Kapitän im Raum!“, meldete er mit einer Stimme, die Geschützfeuer übertönte.
Wie ein Mann nahm die Mannschaft Haltung an und hob die Hand zum Salut.
Voller Stolz schritt Timo durch die Reihen, nickte ein paar bekannten Gesichtern zu, salutierte kurz vor dem Senior-Feldwebel und setzte dann einen Fuß auf die Gangway, die zu einem der Eingänge auf die Gettysburg führte.
Der Spielmannszug des Schiffes stimmte eine feierliche Hymne an und der kurze Gang bis zu dem Schott wurde zu einem Symbol für die Veränderungen in der Führung und der Flotte erhoben.
Timo blieb vor dem Schott stehen und die Leute unter ihm bezogen eine neue Aufstellung. Sie drängten sich nun in eine Formation, die er mit einem Blick erfassen konnte und Bryan McAngus trat erneut vor. „Sir, im Namen der gesamten Mannschaft möchten wir sie als Kapitän auf der alten Lady begrüßen. Es gibt einen Brauch auf dem Kahn.“ Er verbesserte sich nach kurzem Zögern. „... auf dem Schlachtschiff. Nach jeder Feindfahrt hat der amtierende Kapitän einen Spruch irgendwo im Schiff eingraviert. Es heißt, dass diese Stellen vom Feind nicht mehr getroffen werden können. Da es den alten Blight aber erwischt hat, bevor er diese Zeremonie durchführen konnte, haben wir uns die Freiheit genommen und selber einen Spruch angebracht.“
Timo musterte die ganze Mannschaft und räusperte sich. „Danke. Mit euch als Mannschaft können wir gar nicht verlieren! Ich bin stolz, dass ich von euch begleitet werde, denn ihr seid nicht nur gut, ihr seid auch noch aus dem richtigen Holz geschnitzt. Lasst uns unseren Feinden zeigen, dass die Gettysburg weder alt noch schwach ist. Wenn wir schon unseren Urlaub für diesen Krieg opfern müssen, dann lasst uns losziehen, um ihn zu gewinnen!“
Die Leute begannen teilweise zu jubeln, aber in der Menge verlor sich dieser Ansatz wieder, was Timo nur darin bestätigte, dass er kein geborener Redner war.
Der Senior-Feldwebel drehte sich zu der Crew um. „Was das Jubel? Zeigt mal, was ihr wirklich könnt!“
Als die Mannschaft lostobte, wie ein Fußballstadion beim Führungstor der Heim-Mannschaft, konnte sich Timo ein Grinsen nicht verkneifen und er salutierte dankbar vor seinen Leuten. Dann wandte er sich um und betrat als erster das Schiff.
Als das Schott sich öffnete, gab es den Blick frei, auf den Spruch, den die Crew eingraviert hatte, so dass ihn jeder lesen musste, der diesen Eingang benutzte. „Semper Fidelis“, stand dort – Immer Treu!
Der junge Kapitän lächelte. Ein Versprechen für Crew und Kapitän gleichermaßen, ein Vertrauensbeweis, aber auch eine Mahnung an ihn.
Amy trat neben ihn und legte ihm einen Arm um die Hüfte. Er drehte sich halb zu ihr um und schüttelte den Kopf. „Wir sind wieder im Dienst, Leutnant. Sympathiebeweise müssen bis zum dienstfrei warten.“
Sie ließ ihn los und nickte. „Aye, Sir!“
Timo deutete auf den Weg zur Brücke. „Begleiten sie mich zum Kommandostand, Leutnant. Lassen sie uns die Einheit von Kapitän und erstem Offizier demonstrieren.“
Die beiden gingen durch das Schiff, auf dem sich nun hektische Aktivität entfaltete und erreichten schließlich den Kommandostand.
Dort wirkte nichts mehr wie früher. Nach den schweren Beschädigungen war dieser Bereich komplett erneuert worden und wirkte nun viel heller und übersichtlicher. Timo beschloss, nach dem Einsatz einen Spruch hier einzuarbeiten, um weitere Treffer solcher Art zu vermeiden. Die Brückenbesatzung nahm Haltung an, bis ein Wink von ihm ihnen erlaubten, ihre Arbeit fortzusetzen.
Sehr zu seiner Freude war Bill Hardy wieder auf seinem Posten als technischer Brückenchef tätig, er hatte seine Verletzungen auskuriert und war wieder einsatzbereit. Wenigstens ein vertrautes Gesicht.
„Mister Hardy, Bericht!“
„Sir! Die beiden Fregatten haben ihre Reaktoren hochgefahren, die Blight ist fast bereit. Die Schiffe wollen uns beim Auslaufen allerdings den Vortritt lassen, sie meinten, diese Ehre gebühre dem Flaggschiff.“
Timo grinste. „Gut, dann bringen sie unseren Reaktor mal in Fahrt! Alle Mann auf Stationen und die gesamten Geschütze leer laden zum Salut schießen.“ Leer laden bezeichnete in etwa das, was früher einem reinen Pulver schießen gleich gekommen wäre. Es gab viel Lärm und Licht und sah toll aus, richtete aber keinerlei Schäden an.
Dann spürte Timo wieder das dumpfe Dröhnen des Schiffs-Reaktors, als die mächtige Maschine langsam ihre Arbeit aufnahm. Er hatte dieses Gefühl vermisst, dass vom ganzen Schiff Besitz ergriff und in den nächsten Wochen und Monaten wieder die Grundlage seines Lebens werden würde, die einzige Konstante auf einem Kriegsschiff.
Die anderen Offiziere traten nun nach und nach auf die Brücke, insgesamt waren wieder vier Wachoffiziere an Bord. Damit fehlten noch zwei bis zur Sollbesetzung, aber da auch die Bremen und die Blight Offiziere brauchten, mussten alle vier Schiffe der Flottille mit einer derartigen Unterbesetzung klarkommen.
„Sir, Maschinen hochgefahren und bereit, alle Mann auf Stationen, wir warten auf ihr Kommando!“, ließ Bill Hardy vermelden.
Timo drehte sich zu dem Sichtschirm, durch den er die Werft und dahinter die Sterne sah. „Die Verbindung zur Werft ist gelöst?“
„Aye, Sir!“
„Also dann ... bringen sie uns hier raus! Jedes Geschütz, dass das Werft-Ende passiert, soll Salut feuern!“
Mit einem majestätischen Dröhnen stieg der Schub der gewaltigen Triebwerke langsam an und die Gettysburg schob sich aus dem Dock. Erst nur Zentimeter für Zentimeter, dann schneller, bis sie die maximale Geschwindigkeit erreichte, die in einer Werft vertretbar war. Die ersten Geschütze begannen, dumpf aufzubellen, das Donnern arbeitete sich durch das ganze Schiff vor bis zu den Heck-Batterien, die ein letztes Dröhnen in die Ehrerweisung einwarfen.
Dann war das Schlachtschiff frei und verhaltener Jubel kam im ganzen Rumpf auf. Es ging wieder los, wieder in die unendlichen Weiten des Weltalls.
„Sir, die Bremen und die Kiel verlassen die Werft, gefolgt von der Blight. Alle Schiffe geben Salut und schließen zu uns auf.“
„Dankeschön, Leutnant Smith. Geben sie neuen Kurs durch: direkte Route auf Valhalla!“
„Aye, Sir! Direkt nach Valhalla!“
Daniel Fitzpatrick, neuer dritter Offizier des Schiffes räusperte sich. „Das führt uns nicht zur Front, Sir.“
Timo drehte sich um und musterte den Engländer kritisch. „Glauben sie mir, ich war achtzehn Monate an der Front, so toll ist es da nicht.“ Leises Gelächter erklang von den Veteranen des letzten Einsatzes. „Leutnant Fitzpatrick, ich weiß ihr Nachdenken zu schätzen, aber ich habe meine Befehle, so wie sie ihre haben und fürs erste reicht es für sie zu wissen, dass wir Kurs auf Valhalla setzen. Ich weiß selber, dass das nicht an der Front liegt und Admiral Byron weiß das vermutlich auch, deswegen wäre ich ihnen fürs Erste zu Dank verpflichtet, wenn sie meine Befehle nicht in Frage stellen würde.“
„Aye, Sir!“
Der junge Deutsche klatschte in die Hände. „Meine Damen und Herren, sie wissen, was zu tun ist. Mister Hardy, sie können die Männer jetzt von den Stationen abziehen, normaler Schicht-Wechsel, Minimal-Besetzung an allen Stationen, ich erwarte keine Feindaktivitäten.“ Dann drehte er sich zu seinen Wach-Offizieren. „Meine Damen und Herren, ich würde sie gerne um 16 Uhr in meiner Kabine sehen, um die Einsatzbefehle mit ihnen zu erörtern. Leutnant Smith, sie geben ihre Wache dann an einen der Fähnriche ab, die zu uns an Bord gekommen sind, Mister Hardy, sie behalten dann hier alles im Auge und rufen mich, sollte etwas vorfallen. Bis dahin entschuldigen sie mich, ich habe eine Kabine neu einzurichten.“
Timo deutete einen Salut an und verließ die Brücke. Das Schiff war wieder unterwegs und der Weltall hatte ihn wieder. Er brauchte erst mal einen Augenblick Zeit, um die letzte halbe Stunde zu verdauen. Glücklicherweise war er der Kapitän und durfte sich diese Zeit einfach nehmen.
Eine Stunde später waren die Werftanlagen bereits seit einiger Zeit nicht mehr zu sehen und das Schiff hatte sich schon auf den Alltag im All eingestellt. Die Quartiere waren bezogen, die Paradeuniformen gegen die bequemeren Bord-Uniformen getauscht und die erste Wache hatte das Schiff gut unter Kontrolle. Timo sah auf, als es klopfte und auf sein Bitten hin die Wachoffiziere in sein Quartier traten. „Ah, meine Damen und Herren, sie sind pünktlich, das ist erfreulich.“
Er deutete auf ein paar Stühle, die um einen Holo-Tisch herum platziert waren. Über dem Tisch schwebte eine Sternenkarte, die derzeit die Route von den Herkules-Werften bis nach Valhalla anzeigte.
Die Offiziere nahmen Platz und Timo setzte sich dazu. „Möchte jemand von ihnen Wein oder Bier oder irgendwas anderes zu trinken?“
„Ein Bier wäre nicht schlecht.“, ließ sich Alexej Borov, zweiter Offizier der Gettysburg vernehmen.
Fitzpatrick stimmte dem Russen zu. „Dem wäre ich auch nicht abgeneigt.“
„Sonst noch jemand?“
Die anderen beiden Offiziere – Amy und eine junge Italienerin namens Isabella Ferro – lehnten ab. Timo zuckte mit den Schultern und öffnete seinen Kühlschrank, um drei Flaschen Bier aus seinem persönlichen Vorrat auf den Tisch zu stellen.
„Kommen wir also zur Sache. Das ist das erste Mal, dass ich mit ihnen zusammentreffe, sieht man von den knappen Gesprächen vor zwei Wochen einmal ab. Ich möchte ihnen von daher erst mal ein paar Dinge sagen, deren Einhaltung ich von ihnen ab sofort erwarte.“
Die Augen der Neuen fixierten ihn und er sah ihnen an, dass die nächsten Minuten entscheidend waren, weil sie sich nun eine Meinung von ihm bilden würden.
„Zuerst einmal möchte ich, dass sie jederzeit ihre Meinung unumwunden äußern, ich bilde mir nicht ein, alles fehlerfrei zu meistern und bin für Kritik zugänglich. Allerdings heißt das nicht, dass sie mich vor Unteroffizieren und Mannschaften kritisieren dürfen, denn ich bin und bleibe der Kapitän und habe nicht nur mehr Verantwortung zu tragen, sondern stehe auch höher als sie.
Außerdem lege ich großen Wert darauf, dass sie sich mit dem Schiff vertraut machen und ihre Freizeit dazu nutzen, die Schwachstellen von Schiff und Besatzung kennen zu lernen. Haben sie diese beiden Dinge verstanden?“
Die Anwesenden nickten.
„Fein, dann sehe ich keine Probleme auf uns zukommen. Unsere ersten Befehle sind recht einfach und deutlich.“ Timo verschwendete keine Zeit, sondern kam direkt zur Sache. „Wir sind auf schnellstem Wege unterwegs nach Valhalla, wo ein weiteres Schiff zu uns stoßen wird, eventuell auch noch neue Offiziere, aber das wage ich eher zu bezweifeln. Außerdem treffen wir in Valhalla eine Kontaktperson, die wir an Bord nehmen. Näheres weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, ebenso wenig kann ich ihnen sagen, was wir danach machen, denn die weiteren Befehle wird uns diese Kontaktperson übergeben oder mitteilen. Fragen dazu?“
Fitzpatrick räusperte sich. „Sir, sollten wir nicht an der Front sein und unseren Kameraden helfen? Nur um ein Schiff aufzulesen, ist Valhalla meines Erachtens ein zu großer Umweg. Was will der Admiral mit solchen Befehlen bezwecken?“
Timo runzelte die Stirn. „Ich habe Admiral Byron nur kurz gesprochen, aber er wirkte auf mich wie ein kompetenter Mensch und Stratege. Ich gebe zu, dass mich diese Marschroute selber verwirrt, aber wir werden unseren Befehlen Folge leisten. Ist ihre Frage damit geklärt?“
„Ich denke schon, Sir.“
Isabella Ferro, die auf Timo wirkte, als würde sie einen fähigen vierten Offizier abgeben, schaltete sich ein. „Um was für ein Schiff handelt es sich bei unserer Verstärkung?“
„Auch darüber weiß ich nicht sehr viel. Der Name des Schiffes lautet Deliverance, aber das einzige Schiff, das meinem Wissen nach diesen Namen trug, wurde längst ausgemustert. Wir werden uns wohl überraschen lassen müssen. Weitere Fragen?“
Keiner der Anwesenden meldete sich. „Dann wär’s das fürs Erste. Leutnant Smith, sie können den armen Fähnrich jetzt wieder ablösen gehen. Fitzpatrick, Borov – spielen sie Skat?“
Die beiden Offiziere schüttelten den Kopf. „Oh, dann werde ich es ihnen beibringen, Feindfahrten neigen dazu, über neunzig Prozent der Zeit langweilig zu sein, das werden wir schon zu verhindern wissen. Außerdem würde ich meine Offiziere gerne besser kennen lernen.“
Isabella Ferro salutierte knapp, murmelte eine Entschuldigung und verließ den Raum, wurde von den drei Männern aber kaum wahrgenommen, als sie sich an dem Tisch etwas umsetzten und Timo ein Kartenspiel zu Tage förderte.
Hoheitsraum der Terranischen Föderation
Nachschubkorridor „Delta“
Gemächlich schob sich die Gettysburg durch die endlosen Weiten des Weltalls, durchkreuzte ein Panorama aus Sternen und Planeten, die trügerisch friedlich wirkten. Der mächtige Rumpf war mit Kampfnarben überseht, das Schlachtschiff war ein alter Veteran im Dienste der Erd-Streitkräfte und auf dem Weg nach Terra zur Generalüberholung. Obwohl sie beinahe achtzehn Monate ununterbrochen im Einsatz gewesen war, bot sie ein majestätisches Bild, als sie sich mit Vollschub vorwärts wälzte, flankiert von den beiden Fregatten Bremen und Kiel, die ihr die ganze Zeit über als Geleitschutz gedient hatten, seit sie von der Front aufgebrochen war, um ihrer Besatzung der lange versprochenen Heimaturlaub und dem Schiff einen Besuch in der Werft zu gönnen.
Auf der Kommandobrücke des Schiffes verschränkte Großkapitän Dane Blight seine Arme vor der Brust und ließ seine Gedanken treiben. Die Gettysburg hatte schon sieben Kommandanten gehabt und bei allen war es Tradition gewesen, dem Schiff nach jedem Fronteinsatz einen Sinnspruch einzugravieren. Bei Erreichen der Werft würde es Danes fünfter Eintrag werden und damit läge er nur noch einen Einsatz hinter dem ersten Kapitän des Schlachtschiffes. Dane hatte die Gettysburg übernommen, nachdem ihr letzter Kommandant befördert worden war und die alte Lady, wie die Matrosen sie nannten, zugunsten eines neueren, größeren Schiffes verlassen hatte.
Auf der Brücke ging es ruhig zu, so kurz vor der Heimat, ein Großteil der 3.469 Leute der Schiffsbesatzung wurde nicht gebraucht, solange das Schiff nicht im Kampf stand und weder die mächtigen Waffenbatterien bemannt waren, noch der Jägerhangar versorgt werden musste.
Leutnant Timo Krupp spürte das majestätische und tiefe Summen und Dröhnen der gigantischen Triebwerke unter seinen Füßen kaum noch, als er sein Quartier verließ und die wenigen Meter zur Brücke zurücklegte. Die Offiziers-Kabinen lagen nahe am Kommando-Stand, damit sie im Notfall schnell auf ihre Positionen kamen.
Allerdings war die Bezeichnung etwas irre führend, denn auf dem Schiff gab es duzende Offiziere, von denen die meisten allerdings nicht hier oben eingesetzt waren, sondern verstreut über das ganze Schiff. Im Kampf befanden sich nur die Wach-Offiziere im Kommandostand, die Männer und Frauen, die im Notfall das Kommando über die Gettysburg übernehmen konnten und in der Rangfolge nur unter dem Kapitän standen. Timo war noch recht jung, gerade erst 23 geworden und er war derzeit dritter Wachoffizier von den sechs Wachoffizieren des Schiffes, eine Position, die er dem Umstand zu verdanken hatte, dass in den letzten Monaten zwei höher stehende Offiziere gefallen waren und so den Platz für seinen Aufstieg frei machten.
Der junge Deutsche war vorher erster Wachoffizier der Bremen gewesen und wurde aufgrund seines Talentes von Großkapitän Blight an Bord der Gettysburg geholt.
Er erreichte die Brück, salutierte kurz vor dem Kapitän und dann vor der noch jüngeren Amy Smith, dem rangniedrigsten Wach-Offizier, deren Schicht jetzt zu Ende ging. Die beiden waren recht gut befreundet, da sie die jüngsten in der Offiziersbesatzung waren und er konnte nicht leugnen, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.
Timo verdrängte diesen Gedanken und ging den Statusbericht durch, den sie ihm in die Hand gedrückt hatte. Alles verlief normal und er bereitete sich auf sechs langweilige Stunden vor.
Während nun auch der Rest der Brücken-Crew abgelöst wurde, ließ er sich auf dem Kommando-Sessel nieder und ließ seinen Blick über das Sternenpanorama vor ihm schweifen.
„Ah, Mr. Krupp, ein wunderschöner Anblick, oder?“, ertönte die Stimme des Kapitäns neben ihm.
Timo wandte seinen Blick und erwiderte den Blick des Kommandanten mit dem angemessenen Respekt. „Aye, Sir. Aber ich freue mich noch viel mehr auf den Anblick der Heimat. Nur noch drei Tage.“
Dane lachte, wobei seine tiefe Stimme klang wie ein Bär. „Ja, nach achtzehn Monaten haben wir uns das verdient. Sie haben gute Arbeit geleistet dort draußen, ich werde sie der Admiralität für ein eigenes Kommando vorschlagen. Eine kleine Korvette, was halten sie davon? Vielleicht eine von den neuen, vor denen haben sogar unsere Fregatten Respekt.“
Timo guckte etwas überrascht und grinste dann breit. „Danke, Sir, das wäre mir eine Ehre.“
„Wusste ich’s doch. Eine angenehme Schicht wünsche ich noch, ich werde mich ein wenig hinlegen, bei ihnen weiß ich die alte Lady in guten Händen.“
Der junge Leutnant stand auf, nahm Haltung an und salutierte, dann verschwand der Kapitän und auf der Brücke kehrte wieder Ruhe ein. Das stete Piepsen des Radars, ein paar leise Gespräche, das monotone Brummen des Triebwerkes, nichts Ungewohntes.
Die erste Hälfte der Schicht verstrich ohne Zwischenfälle und Timo hatte Zeit, seine Gedanken kreisen zu lassen. Ein eigenes Kommando brachte Verantwortung, noch mehr als er nun trug und es bedeutete, dass er aus dem Kreis seiner Vertrauten gerissen wurde.
Plötzlich veränderte sich das Piepsen des Radars und Unruhe kam auf. Timo stand auf und drehte sich um. „Mister Hardy, Bericht!“
„Sir, unidentifiziertes Schiff hält auf uns zu.“
„Funken sie es an!“
„Keine Antwort, Sir.“
Der Leutnant überlegte nicht lange, die Vorschriften in diesem Fall waren klar und vernünftig. „Erneut versuchen, Alarmstufe gelb, lassen sie kampfbereit machen!“
Die Brücke brach in organisiertem Chaos aus, als die Sirene aufgellte und die gesamte Mannschaft aus dem Schlaf riss.
„Sir, das Schiff setzt einen Torpedo ab und beschleunigt!“
„Alarmstufe rot, sofort Jäger ausschleusen und Waffenbatterien scharf machen!“, befahl Timo und setzte sich wieder. „Auf Einschlag vorbereiten und sofort die Bremen und die Kiel vorausschicken, wir nehmen unseren Freund in die Zange.“
„Weise Entscheidung.“, kommentierte der Kapitän vom Eingang der Brücke.
„Sir!“, Timo stand auf und begab sich auf eine sekundäre Kommandostation, von wo aus er das Feuer der Steuerbord-Batterie leiten konnte. Er war froh, die Verantwortung nun an den Kapitän abgeben zu können.
„Weitermachen, wie Leutnant Krupp angeordnet hat, halten sie auf unseren Gegner zu und bringen sie mir einen Bericht über seine Größe, mögliche Bewaffnung und warum zum Teufel er soweit hinter den Linien auftauchen kann!“
Die Gettysburg kämpfte sich aus ihrer Marschroute und drehte sich hart nach rechts, um Kurs auf den Aggressor zu setzen, links und rechts flankiert von den beiden Fregatten. Der Torpedo des Gegners nahm Fahrt auf und raste in den Rumpf des Schlachtschiffes, wo er geringe Schäden verursachte.
„Sir! Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen Crucis-Kreuzer, bestückt mit Torpedos und Bombern, gebaut, um langsame und schwere Schiffe aufzubringen. Ich schätze, er ist auf uns angesetzt worden.“
Der Kapitän fluchte, als der Kreuzer zwei weitere Torpedos losschickte. „Wie lange noch, bis unsere Waffen geladen sind?“
Timo und Mary Collins, zweiter Offizier der Wache und zuständig für die Backbord-Batterien, antworteten fast synchron: „Drei Minuten, die Bremen meldet zwei Minuten und die Kiel ist bereits feuerbereit.“
In der Tat beschleunigte das kleinere Schiff bereits und löste sich aus der Formation, um in Reichweite für seine Waffen zu gelangen, während zwei weitere Einschläge im Bug die Gettysburg erzittern ließen. Der gegnerische Kreuzer reduzierte nun seine Geschwindigkeit und erhöhte dafür seine Feuerrate, denn diesmal jagten direkt vier der großen Anti-Schiffs-Sprengkörper los, um das Schlachtschiff aufs Korn zu nehmen.
Noch bevor die Torpedos einschlugen, wurde die Gettysburg hart getroffen und durchgeschüttelt.
„Bericht!“, brüllte Dane über den Lärm hinweg.
„Treffer im Heckbereich, die Sensoren verzeichnen einen zweiten Crucis-Kreuzer backbord achteraus!“
„Verdammt, geben sie der Bremen den Befehl, sich den Kerl zu kaufen und jagen sie unsere Jäger dorthin, wir halten mit der Kiel weiter auf den ersten Kreuzer zu!“
Weitere Einschläge dröhnten durch das Schlachtschiff und jemand meldete einen ersten Hüllenbruch im Bug.
Durch das Fenster zum Bug des Schiffes sah Timo, wie die Kiel in Waffenreichweite gelangte und aus allen Rohren das Feuer auf ihren Gegner eröffnete. Das Abwehrfeuer des Kreuzers fiel eher gering aus, aber er hatte die stärkere Panzerung und die Fregatte würde ihn alleine nicht knacken können.
Wieder schlugen Torpedos in den Rumpf der Gettysburg ein, mindestens einer der Treffer saß gefährlich nahe an der Brücke, denn das Knirschen und Kreischen von getroffener Panzerung drang bis in die Kommandozentrale und jagte Timo einen Schauer über den Rücken.
Dann schaltete seine Kontroll-Tafel auf grün. „Sir, Steuerbord-Batterie feuerbereit!“
Mary meldete nur einen Augenblick später die Bereitschaft der Backbord-Geschütze.
Der Kapitän nickte grimmig, während das Schlachtschiff erneut getroffen wurde. „Das Ziel ist klar, Feuer frei!“
Das Donnern der Geschütze übertönte die nächsten Torpedo-Einschläge und das anschließende Zischen verkündete den Start unzähliger Raketen aus ihren Magazinen. Die volle Breitseite bohrte sich in ihr Ziel und rissen klaffende Löcher in den Kreuzer. Die Raketen folgten, fanden ihren Weg durch die offene Tür und drangen tief in das Schiff ein, das dabei querschlug und keine weiteren Aktivitäten verströmte.
Jubel hallte über die Brücke, wurde aber jäh unterbrochen, als die Gettysburg erneut von Torpedos erwischt wurde.
„Sir, die Bremen hat einen Treffer am Antrieb kassiert und dreht ab, sie ist wehrlos!“
„Schicken sie die Kiel mit Vollschub dahin und bringen sie uns in die andere Richtung! Waffen sofort wieder bereit machen, alle Langstrecken-Waffen haben Feuererlaubnis!“
Ein weiterer Torpedo-Treffer ließ das Schiff erzittern, und kurz flackerte das Licht auf der Brücke, ehe das Schiff sich herumwälzte, um seine Richtung komplett zu ändern. Die Raketen-Batterien des Schlachtschiffes nahmen bereits wieder ihre Arbeit auf und schickten ihre Körper in Richtung des Feindes, ohne auf die Entfernung eine ernsthafte Bedrohung darzustellen.
Der große Nachteil der Gettysburg war, dass sie kaum Waffen für extreme Reichweiten hatte, so verfügte sie hauptsächlich über Laser-Geschütze und die leichten Raketen, allerdings nur über zwei Torpedo-Rampen. Dadurch konnte sie lange im Einsatz bleiben, ohne neu bestückt zu werden, aber auf lange Kampfdistanzen fehlte ihr die Kampfkraft und sie war nicht schnell genug, um diese Distanzen leicht zu überwinden. Linkerhand zog die Kiel am mächtigen Rumpf des Schlachtschiffes vorbei und beschleunigte noch weiter, während erneut Torpedos in die Gettysburg hämmerten. Langsam wurde es selbst für den gigantischen Schiffsleib ernst und gefährlich, das wusste jeder der Anwesenden, lediglich der Kapitän strahlte Ruhe und Zuversicht aus.
Dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Ein Torpedo überwand die Distanz zwischen dem Crucis-Kreuzer und seinem Ziel und schlug nur wenige Meter über der Brücke ein.
Timo wurde von der Wucht des Aufpralls gepackt und umgeworfen, so wie alle anderen um ihn herum. Ein Teil der Decke gab nach und krachte auf die Offiziere und die Brücken-Crew, riss dabei einen Wulst aus Leitungen und Kabeln mit sich. Es kam zu Kurzschlüssen, kleinere Feuer loderten auf, in die Schlachtgeräusche mischten sich nun auch die Schreie von Verwundeten.
Timo war einer der Ersten, die wieder auf die Füße kamen, er selber hatte Glück gehabt und war unverletzt geblieben, aber viele hatten dieses Glück nicht gehabt.
Ein kurzer Blick in die Runde verriet ihm, dass er der ranghöchste Offizier war, der zur Zeit auf den Füßen war, also war es an ihm, zu handeln. Neben ihm kam ein Mann auf die Beine, der am Radar gearbeitet hatte. Da der Radar zertrümmert war, schickte Timo ihn los, um Sanitäter zu holen. Danach griff er sich einen Funk-Techniker und wies ihn an, Kontakt zur Bremen und zur Kiel herzustellen.
Ein weiterer Treffer irgendwo im Rumpf sagte ihm, dass der Kampf noch tobte, nur sah er nichts mehr, da ein Deckenteil die Aussicht durch das Fenster versperrte.
Amy Smith trat zu ihm und wirkte verzweifelt. „Der Kapitän ist schwer verletzt. Mary Collins ist tot und den ersten Offizier kann ich nicht finden.“
Timo schüttelte sie. „Kannst du mit den Geschütz-Kontrollen umgehen?“
Sie nickte. „Ja, aber...“
„Kein aber, du gehst jetzt da hin und kümmerst dich um die Geschütze!“
Er sah ihr kurz nach und wandte sich dann einem Sanitäter zu, der auf die Brücke stürmte. „Bringen sie die Verwundeten hier raus und Bergungsteams dafür her! Pronto!“
Der Mann nickte und verschwand wieder im Schutt-Staub. Langsam wurden wieder alle Positionen besetzt. „Bericht!“, forderte Timo.
„Die Bremen meldet schwere Schäden, die Kiel liegt im engen Kampf mit dem Feind und wir sind vom Kurs abgekommen, aber in Reichweiter der Backbord-Batterien!“
„Leutnant Smith, sie haben es gehört! Feuer frei!“, brüllte er Amy an, die langsam in Panik zu verfallen schien. Kein guter Zeitpunkt dafür. Er trat neben sie und sah ihr fest in die Augen. „Reiß dich zusammen.“, zischte er ihr zu. „Du bist Offizier, benimm dich auch so, du kannst nach dem Kampf immer noch durchdrehen!“
Sie nickte und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, dann führte sie seine Befehle aus.
Die Geschütze der Gettysburg begannen, auf den Kreuzer einzuschlagen und es dauerte nur Augenblicke, bis das Feindfeuer verstummte und ein Funkspruch einging.
„Feuer einstellen an alle Schiffe!“, befahl Timo. „Stellen sie ihn durch, nur Audio!“
Er wollte nicht, dass der gegnerische Kapitän sah, dass er es nur mit einem Offizier zu tun hatte und mit einem so jungen noch dazu.
Die Stimme des Feindes klang blechern und war von einem statischen Rauschen begleitet. Eines der Schiffe hatte Probleme mit dem Funk, entweder der Kreuzer oder die Gettysburg.
„Kapitän des terranischen Schlachtschiffes, wir ergeben uns! Wir haben keine Energie mehr und unzählige Verwundete und bitten sie um Gnade und Hilfe!“
Timo dachte kurz nach. „Nennen sie mir ihren Namen und ihren Rang und akzeptieren sie eine Prisen-Crew auf ihrem Schiff, dann sehe ich, was ich für sie tun kann.“
„Hier spricht Junior-Leutnant Simon Hope, Mitglied der Streitkräfte der Allianz. Die ganze Brücken-Besatzung ist tot oder verwundet und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.“ Verzweiflung schwang in der Stimme mit und Timo verglich sie automatisch mit Amy, die wohl ähnlich reagiert hätte. Auf dem Kreuzer musste es schlimm aussehen, nach dem Beschuss durch die Gettysburg.
Timo deutete dem Funker an, die Verbindung zu beenden. „Sagen sie der Kiel, sie soll ein paar Leute rüberschicken, die Crew gefangen nehmen und den Verwundeten Feinden helfen. Aber unsere Leute haben Vorrang! Fragen sie an, ob die Bremen Hilfe braucht und schicken sie einen Entertrupp auf den anderen Kreuzer. Außerdem will ich wissen, wo der erste Offizier ist!“
Ein Sanitäter schob sich an ihm vorbei, auf dem Weg zu einem weiteren Verletzten. „Den haben wir tot geborgen, Sir!“
Timo murmelte einen leisen Fluch. „Gut, dann will ich in zehn Minuten einen vollständigen Bericht und alle überlebenden Wach-Offiziere im Besprechungsraum sehen!“
Sie waren nur noch zu dritt, als sie sich zur Besprechung einfanden. Neben Timo und Amy war auch noch Steve Randall anwesend, vierter Offizier der Gettysburg und ein Jahr älter als Timo.
Der junge Deutsche musterte die beiden kurz und nickte dann knapp. „Also, unsere Lage ist nicht direkt rosig. Drei der Wachoffiziere sind tot, der Kapitän so schwer verletzt, dass wir froh sein können, wenn er bis zur Werft überlebt. Unsere Brücke ist schwer getroffen worden, ebenso hat der Bug einiges einstecken müssen, da arbeiten unsere Leute schon dran. Wir haben vier Jäger verloren, insgesamt 63 Tote und 42 Verwundete zu beklagen. Und uns geht es noch gut.
Die Kiel ist recht glimpflich davongekommen, zwei Tote, drei Verletzte, keine ernsthaften Schäden, beide Male waren wir gerade rechtzeitig, um Schlimmeres zu verhindern.
Anders sieht es bei der Bremen aus. Der Antrieb ausgefallen, diverse Hüllenbrüche, mit 81 Toten und 31 Verletzten ist über die Hälfte ihrer Besatzung ausgefallen, außerdem ist kein einziger ihrer Offiziere einsatzbereit.
Ich habe die Kiel bereits angewiesen, auszuhelfen und ihr erster Offizier ist mit ein paar Technikern auf die Bremen gewechselt und bereits dabei, das Schiff wieder fahrtüchtig zu machen.
Wir haben zwei Kreuzer erobert, einen davon mussten wir sprengen, er hatte seine Atmosphäre verloren und war nicht mehr zu retten. Die Besatzung des anderen Feindschiffes ist unter Arrest auf der Kiel und wird noch in dieser Stunde auf unser Schiff wechseln. Allerdings brauchen wir auch auf dem Kreuzer eine Prisen-Crew und die müssen wir stellen, weil unsere Fregatten keinen Mann entbehren können.“
Timo atmete kurz durch und gab seinen beiden Untergebenen einen Augenblick, um all diese Informationen zu verdauen, bevor er fortfuhr.
„Als ranghöchster Offizier bleibe ich auf der Gettysburg und mehr als einen von ihnen kann ich nicht entbehren. Ich denke, es ist nur fair, wenn ich Leutnant Randall das Kommando über den Kreuzer gebe, suchen sie sich eine Crew zusammen, nehmen sie genug Techniker mit, um den Kahn flott zu machen und halten sie sich bereit. Die Fähren der Kiel bringen sie dorthin, sobald sie die Gefangenen hier abgeliefert haben. Ich will in zwei Tagen alle Schiffe mobil sehen, dann brechen wir auf und nehmen Kurs auf die Werft-Anlage. Wir haben bereits Verspätung angemeldet, allerdings noch keine Antwort erhalten.“
Timo seufzte leise und fühlte das Gewicht der Verantwortung auf seinen Schultern liegen. Dane hatte von einem kleinen Kommando geredet, nun hatte er plötzlich eine Flottille zu befehligen und war für die Sicherheit von über viertausend Menschen verantwortlich.
Steve und Amy erhoben sich und salutierten, dann verschwand Randall, um seine Leute auszuwählen. Amy blieb jedoch stehen und schien Timo noch etwas sagen zu wollen. „Sir?“
„Wir sind unter uns, ‚Timo’ reicht vollkommen.“
„Vorhin auf der Brücke ... ich habe die Kontrolle über mich verloren. Ich war total überfordert.“
Der Deutsche seufzte erneut. „Wenn das jetzt darauf hinausläuft, dass du dein Offizierspatent zurückgeben willst, muss ich ablehnen. Ich brauche dich, ich habe sonst keine Offiziere mehr und einmal passiert das jedem Offizier. Die Situation war schlimm und es ist ja dadurch kein größeres Unglück entstanden, als eh schon vorhanden war. Du bist Offizier und bleibst es auch und gerade im Moment bist du meine Stellvertreterin auf diesem Pott. Wenn du beim nächsten Mal wieder die Nerven verlierst, denk ich noch mal darüber nach. Bis zur Werft hast du im Gegenzug Zeit, dich zu entscheiden, ob du weiterhin Offizier bleiben willst oder nicht. Einverstanden?“
Sie nickte. „Ist dir so was auch mal passiert?“
Timo trat zu ihr und legte den Arm um sie. „Ja, ist es.“ Er drückte sie kurz. „Ich weiß, wie das ist, ich hätte damals fast einen Trupp Soldaten draufgehen lassen und es gab mächtig Anschiss, aber seit dem ging alles glatt.“ Er ließ sie los und nickte ihr zu. „War das alles?“
„Ja. Und danke.“
„Schon okay. Und jetzt wieder an die Arbeit, es gibt viel zu tun, ich erwarte den Kapitän der Kiel in Kürze mit den Gefangenen und hier an Bord wartet auch noch einiges an Arbeit.“
---
3.11.2359, 12:19 TNZ
Hoheitsraum der Terranischen Föderation
Herkules-Werften bei Terra
Als sie eine Woche später in Sichtweite der Herkules-Werften kamen, brach auf allen vier Schiffen Jubel aus. Irgendwie hatten sie es wirklich geschafft, in zwei Tagen die Antriebe der Bremen und des gekaperten Kreuzers wieder in Gang zu setzen. Statt der ursprünglichen drei Tage, hatten sie für die Strecke zur Werft fünf Tage gebraucht, aber nun waren sie endlich da. Mühsam quälten sich die havarierten Schiffe die letzte Strecke bis in die großen Werftanlagen, dann schließlich schoben sie sich in die riesigen Docks. Es wurde ungewöhnlich ruhig an Bord der Gettysburg, als die gewaltigen Reaktoren herunterfuhren und die Besatzung auf Erlaubnis von Timo ihren Urlaub antrat.
Amy sah zu Timo auf, sie waren so ziemlich die letzten auf der Brücke und beiden war anzusehen, dass sie heilfroh waren, ohne weitere Zwischenfälle angekommen zu sein. „Wir haben es geschafft.“
„Ja, endlich Ruhe. Mal schauen, was jetzt passiert, definitiv wird es Veränderungen geben. Ein neuer Kapitän, vielleicht neue Posten, wir werden sehen. Ich habe uns Zimmer organisiert, gut gelegen.“
„Wie hast du das gemacht?“
Er grinste. „Geheimnis. Aber direkt nebeneinander. Ich bring dich hin, ok?“
Sie lächelte und nickte. „Danke.“
Timo griff nach seinem Seesack mit seinen persönlichen Besitztümern und ging zum Ausgang, wo er auf sie wartete. Danach verließen sie gemeinsam die Gettysburg.
Durch die Wände des gläsernen Andock-Steges konnten sie die schwer gezeichnete Bremen sehen, die gerade die letzten Meter ins Dock geschleppt wurde, weil ihre Manövrier-Triebwerke zu beschädigt waren, um auf so engem Raum zu steuern.
Nach achtzehn Monaten war es die letzte Woche gewesen, die am anstrengendsten für sie alle gewesen war und jetzt hatten sie den Urlaub verdient. Als sie die Raumstation betraten, die direkt mit der Werft verbunden war, blieb Timo kurz stehen, um einen Weg-Plan zu studieren. „Hm ... okay, also Richtung A5.“ Er deutete auf einen Turbo-Lift, der sie zu den Wohnbereichen bringen würde. „Wir haben übrigens in einer Stunde ein Treffen mit Admiral Byron vor uns.“
„Echt?“
„Ja, also solltest du aus deinen Sachen eine Ausgehuniform raussuchen, dich frischen machen und so und zwar recht zügig.“
Amy nickte. „Wusste gar nicht, dass ein Admiral hier ist.“
„Ich hab sein Schiff gesehen. Die Texas, ein riesiger Pott. Gutes Stück länger als die Gettysburg und erst letztes Jahr vom Stapel gelaufen. Sah aus, als würde sie bald wieder auslaufen. Deswegen wahrscheinlich auch diese Eile.“
Sie erreichten ihre Quartiere, geräumige 3-Zimmer-Wohnungen mit allem, was man zum Leben brauchte. Fernseher, Dusche, Küche und angenehm weichen Betten. In solchen Quartieren würde der Urlaub angenehm werden.
Kurze Zeit später waren sie beide umgezogen und in ihrer Ausgehuniform auf dem Weg zu dem Teil der Anlage, der dem Militär vorbehalten war. Im zivilen Bereich verkehrten zwar auch fast nur Soldaten, aber dort verbrachten sie ihre Freizeit.
Die Räume, die der Admiral als Büro nutzte, waren spartanisch eingerichtet, zwei große Reisekisten zeigten, dass der hohe Militär bald aufbrechen würde.
Admiral James Byron war ein Mann, der die 60 lange überwunden hatte, sein Haar war ergraut, aber seine Augen strahlten noch immer ein lebhaftes und intensives blau aus. Er war nicht besonders groß, wirkte aber agil und energie-geladen. „Leutnant Krupp und Leutnant Smith, nehme ich an?“
Timo salutierte, Amy tat es ihm gleich. „Aye, Sir!“
„Reife Leistung von ihnen, ihre Flotte wieder zurückzubringen, wenn meine Kapitäne so wären, wie sie, hätte ich den Krieg längst gewonnen.“
„Danke, Sir!“ Timo verfolgte den Vorgesetzten mit seinen Augen, als dieser sich erhob und vor die beiden jungen Offiziere trat.
„Ich musste sie so dringend sprechen, weil wir nicht viel Zeit haben. Der Krieg flammt wieder auf und der Angriff auf ihr Schiff zeigt, dass der Feind stärker wird. Ich breche noch heute mit meiner Flotte auf, um einen Gegenangriff zu führen und auch die Gettysburg muss so schnell wie möglich wieder in die Schlacht.“
„Sir?“
„Ja, es tut mir leid, ihren Urlaub muss ich leider streichen, ich kann es mir nicht leisten, ein Schlachtschiff ruhen zu lassen, weil seine Crew sich besaufen möchte. Ich habe nur ein kleines Problem.“
Timo und Amy antworteten nicht, sondern warteten einfach ab.
„Ich kann der Gettysburg keinen Kapitän abstellen, weil ich selber keine übrig habe und jeden erfahrenen Offizier brauche. Ich kann ihnen zwar ein paar Wachoffiziere zuteilen, aber das löst die Kommando-Frage nicht. Zumal ich Steve Randall das Kommando über die Bremen bestätigt habe.“
Amy trat ein wenig vor. „Bitte um Erlaubnis, frei zu sprechen.“
„Erteilt.“
„Sir, Leutnant Krupp ist mehr als befähigt, die Gettysburg zu kommandieren, das hat er bewiesen. Wenn Leutnant Randall ein Kommando bekommt, obwohl er im Rang tiefer stand, wäre es nur fair, auch Leutnant Krupp zu befördern, Sir!“
„Soso, wäre es das? Nun, der Kapitän der Kiel hat zumindest abgelehnt und ich habe nicht viele Alternativen. Leutnant Krupp, fühlen sie sich der Verantwortung gewachsen, vom dritten Offizier zum Flottillenkommandanten befördert zu werden?“
„Sir, ja, Sir!“
Byron lächelte leicht. „Gut, dann befördere ich sie mit sofortiger Wirkung zum Großkapitän mit dem direkten Kommando über die Gettysburg und dem weiteren Kommando über ein kleinere Schiffsgruppe, bestehend aus der Gettysburg, der Bremen, der Kiel und dem erbeuteten Crucis-Kreuzer, dem sie noch einen Namen geben müssten.“
Timo salutierte. „Danke, Sir. Wenn sie nichts dagegen hätten, würde ich den Kreuzer gerne auf den Namen Blight taufen.“
„Nach ihrem alten Kapitän? Sie müssen ihn ja sehr geschätzt haben.“
„Sir, er war einer der Besten, das wissen sie sicher auch.“
Byron lachte leise. „Ja. Und ich denke, er hat sich seinen Tod so vorgestellt. Auf seiner Brücke, im Kampf getötet zu werden ... das passt zu ihm.“
„Es wäre mir trotzdem lieber gewesen, wenn er nicht gestorben wäre. Und ein dreitägiger Todeskampf ist sicher nicht erstrebenswert.“
Der Admiral seufzte. „So ist der Krieg, mein Sohn. Nun, ich habe nicht ewig Zeit, ihr werde sofort Order für sie aufsetzen, sie verlassen die Werft, sobald ihre Schiffe repariert und aufmunitioniert sind. Viel Glück, Kapitän!“
„Danke, Sir!“
„Auch ihnen viel Glück, Leutnant Amy Smith. Sie werden wohl auch im Rang ein gutes Stück klettern.“
„Danke.“
Die beiden drehten sich zur Tür, aber Byrons Stimme hielt sie noch einmal zurück. „Achja, Kapitän Krupp ... ich lasse ihnen ein paar gute Offiziere hier, ihre Mannschaften können sie hier in den Werften problemlos auffüllen. Die Leute werden sich spätestens morgen bei ihnen melden, sie haben genug Posten zu besetzen, aber so viele Männer und Frauen kann ich nicht entbehren. Sie werden sehen müssen, woher sie fähige Offizieren nehmen.“
„Ja, Sir.“ Die beiden salutierten erneut und verließen dann das Büro.
Amy sah Timo an. „Kapitän bist du jetzt also. Und jetzt?“
„Nun, ich dachte daran, dass wir beide jetzt zusammen Essen gehen.“
„Nur wir beide?“
Timo lachte. „Nein, alle Offiziere der Gettysburg.“
„Also nur wir beide.“ Sie grinste breit, sie und Timo waren sich in der letzten Woche noch ein gutes Stück näher gekommen und in der Mannschaft machten Gerüchte die Runde, dass sie ein Liebespaar wären. Keiner von beiden zweifelte daran, dass es möglich wäre und beide waren dem Gedanken nicht abgeneigt, aber der Dienst auf dem Kriegsschiff hatte sie bis jetzt davon abgehalten und eine tiefere Beziehung verhindert. Aber jetzt hatten sie ein paar Tage frei, vielleicht auch ein paar Wochen, je nach Länge der Reparaturarbeiten. Das schaffte Zeit für ein Privatleben.
Die beiden jungen Offiziere sahen sich an und grinsten breit.
---
15.11.2359, 14:03 TNZ
Hoheitsraum der Terranischen Föderation
Herkules-Werften
Timo empfand tiefen und ehrlichen stolz, als er durch das Fenster auf die vier Schiffe sah, die in der Werftanlage ruhten. Leichtes Bedauern meldete sich in ihm, wenn er daran dachte, dass die Arbeiten nun abgeschlossen waren und er mit seiner Flottille noch heute die Werft würde verlassen müssen. Die Verantwortung für seine Mission, seine Schiffe und seine Untergebenen lastete auf seinen Schultern und die letzten Tage war sie immer drückender geworden. Aber er hatte die Laufbahn als Offizier im Kriegsdienst nicht eingeschlagen, um jetzt zu zögern, wo man ihm so eine Chance anbot.
Er straffte sich und strich sich die Paradeuniform glatt, die er trug, um diesen Tag zu würdigen. Amy neben ihm sah auf. „Geht es los?“
Timo nickte und lächelte leicht. „Aye. Lass die Mannschaft antreten!“
Die junge Frau stand auf und salutierte zackig, ein Grinsen auf ihrem hübschen Gesicht, dann eilte sie davon und man hörte eine Trillerpfeife ertönen, gefolgt von der kräftigen Stimme des Senior-Feldwebels McAngus. Der Senior-Feldwebel war ein großer, bärtiger Schotte, dessen Statur alleine schon ausreichte, um Disziplin zu lehren. Er war der dienstälteste und ranghöchste Nicht-Offizier der Flotte und diente so gleichzeitig als Sprachrohr für die Mannschaft, wie auch als Verbindung zwischen Offizieren und dem Rest der Crew. Die Männer und Frauen respektierten ihn und solange sie sich richtig verhielten, war er für sie eher ein Vater, als ein Vorgesetzter. Nur Disziplinlosigkeit duldete er nicht.
Als Timo das kleine Aussichts-Zimmer verließ und auf den Gang trat, der zur Gettysburg führte, fand er seine Mannschaft angetreten und akkurat ausgerichtet links und rechts seines Weges vor. Als Bryan McAngus ihn sah, salutierte er zackig. „Kapitän im Raum!“, meldete er mit einer Stimme, die Geschützfeuer übertönte.
Wie ein Mann nahm die Mannschaft Haltung an und hob die Hand zum Salut.
Voller Stolz schritt Timo durch die Reihen, nickte ein paar bekannten Gesichtern zu, salutierte kurz vor dem Senior-Feldwebel und setzte dann einen Fuß auf die Gangway, die zu einem der Eingänge auf die Gettysburg führte.
Der Spielmannszug des Schiffes stimmte eine feierliche Hymne an und der kurze Gang bis zu dem Schott wurde zu einem Symbol für die Veränderungen in der Führung und der Flotte erhoben.
Timo blieb vor dem Schott stehen und die Leute unter ihm bezogen eine neue Aufstellung. Sie drängten sich nun in eine Formation, die er mit einem Blick erfassen konnte und Bryan McAngus trat erneut vor. „Sir, im Namen der gesamten Mannschaft möchten wir sie als Kapitän auf der alten Lady begrüßen. Es gibt einen Brauch auf dem Kahn.“ Er verbesserte sich nach kurzem Zögern. „... auf dem Schlachtschiff. Nach jeder Feindfahrt hat der amtierende Kapitän einen Spruch irgendwo im Schiff eingraviert. Es heißt, dass diese Stellen vom Feind nicht mehr getroffen werden können. Da es den alten Blight aber erwischt hat, bevor er diese Zeremonie durchführen konnte, haben wir uns die Freiheit genommen und selber einen Spruch angebracht.“
Timo musterte die ganze Mannschaft und räusperte sich. „Danke. Mit euch als Mannschaft können wir gar nicht verlieren! Ich bin stolz, dass ich von euch begleitet werde, denn ihr seid nicht nur gut, ihr seid auch noch aus dem richtigen Holz geschnitzt. Lasst uns unseren Feinden zeigen, dass die Gettysburg weder alt noch schwach ist. Wenn wir schon unseren Urlaub für diesen Krieg opfern müssen, dann lasst uns losziehen, um ihn zu gewinnen!“
Die Leute begannen teilweise zu jubeln, aber in der Menge verlor sich dieser Ansatz wieder, was Timo nur darin bestätigte, dass er kein geborener Redner war.
Der Senior-Feldwebel drehte sich zu der Crew um. „Was das Jubel? Zeigt mal, was ihr wirklich könnt!“
Als die Mannschaft lostobte, wie ein Fußballstadion beim Führungstor der Heim-Mannschaft, konnte sich Timo ein Grinsen nicht verkneifen und er salutierte dankbar vor seinen Leuten. Dann wandte er sich um und betrat als erster das Schiff.
Als das Schott sich öffnete, gab es den Blick frei, auf den Spruch, den die Crew eingraviert hatte, so dass ihn jeder lesen musste, der diesen Eingang benutzte. „Semper Fidelis“, stand dort – Immer Treu!
Der junge Kapitän lächelte. Ein Versprechen für Crew und Kapitän gleichermaßen, ein Vertrauensbeweis, aber auch eine Mahnung an ihn.
Amy trat neben ihn und legte ihm einen Arm um die Hüfte. Er drehte sich halb zu ihr um und schüttelte den Kopf. „Wir sind wieder im Dienst, Leutnant. Sympathiebeweise müssen bis zum dienstfrei warten.“
Sie ließ ihn los und nickte. „Aye, Sir!“
Timo deutete auf den Weg zur Brücke. „Begleiten sie mich zum Kommandostand, Leutnant. Lassen sie uns die Einheit von Kapitän und erstem Offizier demonstrieren.“
Die beiden gingen durch das Schiff, auf dem sich nun hektische Aktivität entfaltete und erreichten schließlich den Kommandostand.
Dort wirkte nichts mehr wie früher. Nach den schweren Beschädigungen war dieser Bereich komplett erneuert worden und wirkte nun viel heller und übersichtlicher. Timo beschloss, nach dem Einsatz einen Spruch hier einzuarbeiten, um weitere Treffer solcher Art zu vermeiden. Die Brückenbesatzung nahm Haltung an, bis ein Wink von ihm ihnen erlaubten, ihre Arbeit fortzusetzen.
Sehr zu seiner Freude war Bill Hardy wieder auf seinem Posten als technischer Brückenchef tätig, er hatte seine Verletzungen auskuriert und war wieder einsatzbereit. Wenigstens ein vertrautes Gesicht.
„Mister Hardy, Bericht!“
„Sir! Die beiden Fregatten haben ihre Reaktoren hochgefahren, die Blight ist fast bereit. Die Schiffe wollen uns beim Auslaufen allerdings den Vortritt lassen, sie meinten, diese Ehre gebühre dem Flaggschiff.“
Timo grinste. „Gut, dann bringen sie unseren Reaktor mal in Fahrt! Alle Mann auf Stationen und die gesamten Geschütze leer laden zum Salut schießen.“ Leer laden bezeichnete in etwa das, was früher einem reinen Pulver schießen gleich gekommen wäre. Es gab viel Lärm und Licht und sah toll aus, richtete aber keinerlei Schäden an.
Dann spürte Timo wieder das dumpfe Dröhnen des Schiffs-Reaktors, als die mächtige Maschine langsam ihre Arbeit aufnahm. Er hatte dieses Gefühl vermisst, dass vom ganzen Schiff Besitz ergriff und in den nächsten Wochen und Monaten wieder die Grundlage seines Lebens werden würde, die einzige Konstante auf einem Kriegsschiff.
Die anderen Offiziere traten nun nach und nach auf die Brücke, insgesamt waren wieder vier Wachoffiziere an Bord. Damit fehlten noch zwei bis zur Sollbesetzung, aber da auch die Bremen und die Blight Offiziere brauchten, mussten alle vier Schiffe der Flottille mit einer derartigen Unterbesetzung klarkommen.
„Sir, Maschinen hochgefahren und bereit, alle Mann auf Stationen, wir warten auf ihr Kommando!“, ließ Bill Hardy vermelden.
Timo drehte sich zu dem Sichtschirm, durch den er die Werft und dahinter die Sterne sah. „Die Verbindung zur Werft ist gelöst?“
„Aye, Sir!“
„Also dann ... bringen sie uns hier raus! Jedes Geschütz, dass das Werft-Ende passiert, soll Salut feuern!“
Mit einem majestätischen Dröhnen stieg der Schub der gewaltigen Triebwerke langsam an und die Gettysburg schob sich aus dem Dock. Erst nur Zentimeter für Zentimeter, dann schneller, bis sie die maximale Geschwindigkeit erreichte, die in einer Werft vertretbar war. Die ersten Geschütze begannen, dumpf aufzubellen, das Donnern arbeitete sich durch das ganze Schiff vor bis zu den Heck-Batterien, die ein letztes Dröhnen in die Ehrerweisung einwarfen.
Dann war das Schlachtschiff frei und verhaltener Jubel kam im ganzen Rumpf auf. Es ging wieder los, wieder in die unendlichen Weiten des Weltalls.
„Sir, die Bremen und die Kiel verlassen die Werft, gefolgt von der Blight. Alle Schiffe geben Salut und schließen zu uns auf.“
„Dankeschön, Leutnant Smith. Geben sie neuen Kurs durch: direkte Route auf Valhalla!“
„Aye, Sir! Direkt nach Valhalla!“
Daniel Fitzpatrick, neuer dritter Offizier des Schiffes räusperte sich. „Das führt uns nicht zur Front, Sir.“
Timo drehte sich um und musterte den Engländer kritisch. „Glauben sie mir, ich war achtzehn Monate an der Front, so toll ist es da nicht.“ Leises Gelächter erklang von den Veteranen des letzten Einsatzes. „Leutnant Fitzpatrick, ich weiß ihr Nachdenken zu schätzen, aber ich habe meine Befehle, so wie sie ihre haben und fürs erste reicht es für sie zu wissen, dass wir Kurs auf Valhalla setzen. Ich weiß selber, dass das nicht an der Front liegt und Admiral Byron weiß das vermutlich auch, deswegen wäre ich ihnen fürs Erste zu Dank verpflichtet, wenn sie meine Befehle nicht in Frage stellen würde.“
„Aye, Sir!“
Der junge Deutsche klatschte in die Hände. „Meine Damen und Herren, sie wissen, was zu tun ist. Mister Hardy, sie können die Männer jetzt von den Stationen abziehen, normaler Schicht-Wechsel, Minimal-Besetzung an allen Stationen, ich erwarte keine Feindaktivitäten.“ Dann drehte er sich zu seinen Wach-Offizieren. „Meine Damen und Herren, ich würde sie gerne um 16 Uhr in meiner Kabine sehen, um die Einsatzbefehle mit ihnen zu erörtern. Leutnant Smith, sie geben ihre Wache dann an einen der Fähnriche ab, die zu uns an Bord gekommen sind, Mister Hardy, sie behalten dann hier alles im Auge und rufen mich, sollte etwas vorfallen. Bis dahin entschuldigen sie mich, ich habe eine Kabine neu einzurichten.“
Timo deutete einen Salut an und verließ die Brücke. Das Schiff war wieder unterwegs und der Weltall hatte ihn wieder. Er brauchte erst mal einen Augenblick Zeit, um die letzte halbe Stunde zu verdauen. Glücklicherweise war er der Kapitän und durfte sich diese Zeit einfach nehmen.
Eine Stunde später waren die Werftanlagen bereits seit einiger Zeit nicht mehr zu sehen und das Schiff hatte sich schon auf den Alltag im All eingestellt. Die Quartiere waren bezogen, die Paradeuniformen gegen die bequemeren Bord-Uniformen getauscht und die erste Wache hatte das Schiff gut unter Kontrolle. Timo sah auf, als es klopfte und auf sein Bitten hin die Wachoffiziere in sein Quartier traten. „Ah, meine Damen und Herren, sie sind pünktlich, das ist erfreulich.“
Er deutete auf ein paar Stühle, die um einen Holo-Tisch herum platziert waren. Über dem Tisch schwebte eine Sternenkarte, die derzeit die Route von den Herkules-Werften bis nach Valhalla anzeigte.
Die Offiziere nahmen Platz und Timo setzte sich dazu. „Möchte jemand von ihnen Wein oder Bier oder irgendwas anderes zu trinken?“
„Ein Bier wäre nicht schlecht.“, ließ sich Alexej Borov, zweiter Offizier der Gettysburg vernehmen.
Fitzpatrick stimmte dem Russen zu. „Dem wäre ich auch nicht abgeneigt.“
„Sonst noch jemand?“
Die anderen beiden Offiziere – Amy und eine junge Italienerin namens Isabella Ferro – lehnten ab. Timo zuckte mit den Schultern und öffnete seinen Kühlschrank, um drei Flaschen Bier aus seinem persönlichen Vorrat auf den Tisch zu stellen.
„Kommen wir also zur Sache. Das ist das erste Mal, dass ich mit ihnen zusammentreffe, sieht man von den knappen Gesprächen vor zwei Wochen einmal ab. Ich möchte ihnen von daher erst mal ein paar Dinge sagen, deren Einhaltung ich von ihnen ab sofort erwarte.“
Die Augen der Neuen fixierten ihn und er sah ihnen an, dass die nächsten Minuten entscheidend waren, weil sie sich nun eine Meinung von ihm bilden würden.
„Zuerst einmal möchte ich, dass sie jederzeit ihre Meinung unumwunden äußern, ich bilde mir nicht ein, alles fehlerfrei zu meistern und bin für Kritik zugänglich. Allerdings heißt das nicht, dass sie mich vor Unteroffizieren und Mannschaften kritisieren dürfen, denn ich bin und bleibe der Kapitän und habe nicht nur mehr Verantwortung zu tragen, sondern stehe auch höher als sie.
Außerdem lege ich großen Wert darauf, dass sie sich mit dem Schiff vertraut machen und ihre Freizeit dazu nutzen, die Schwachstellen von Schiff und Besatzung kennen zu lernen. Haben sie diese beiden Dinge verstanden?“
Die Anwesenden nickten.
„Fein, dann sehe ich keine Probleme auf uns zukommen. Unsere ersten Befehle sind recht einfach und deutlich.“ Timo verschwendete keine Zeit, sondern kam direkt zur Sache. „Wir sind auf schnellstem Wege unterwegs nach Valhalla, wo ein weiteres Schiff zu uns stoßen wird, eventuell auch noch neue Offiziere, aber das wage ich eher zu bezweifeln. Außerdem treffen wir in Valhalla eine Kontaktperson, die wir an Bord nehmen. Näheres weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, ebenso wenig kann ich ihnen sagen, was wir danach machen, denn die weiteren Befehle wird uns diese Kontaktperson übergeben oder mitteilen. Fragen dazu?“
Fitzpatrick räusperte sich. „Sir, sollten wir nicht an der Front sein und unseren Kameraden helfen? Nur um ein Schiff aufzulesen, ist Valhalla meines Erachtens ein zu großer Umweg. Was will der Admiral mit solchen Befehlen bezwecken?“
Timo runzelte die Stirn. „Ich habe Admiral Byron nur kurz gesprochen, aber er wirkte auf mich wie ein kompetenter Mensch und Stratege. Ich gebe zu, dass mich diese Marschroute selber verwirrt, aber wir werden unseren Befehlen Folge leisten. Ist ihre Frage damit geklärt?“
„Ich denke schon, Sir.“
Isabella Ferro, die auf Timo wirkte, als würde sie einen fähigen vierten Offizier abgeben, schaltete sich ein. „Um was für ein Schiff handelt es sich bei unserer Verstärkung?“
„Auch darüber weiß ich nicht sehr viel. Der Name des Schiffes lautet Deliverance, aber das einzige Schiff, das meinem Wissen nach diesen Namen trug, wurde längst ausgemustert. Wir werden uns wohl überraschen lassen müssen. Weitere Fragen?“
Keiner der Anwesenden meldete sich. „Dann wär’s das fürs Erste. Leutnant Smith, sie können den armen Fähnrich jetzt wieder ablösen gehen. Fitzpatrick, Borov – spielen sie Skat?“
Die beiden Offiziere schüttelten den Kopf. „Oh, dann werde ich es ihnen beibringen, Feindfahrten neigen dazu, über neunzig Prozent der Zeit langweilig zu sein, das werden wir schon zu verhindern wissen. Außerdem würde ich meine Offiziere gerne besser kennen lernen.“
Isabella Ferro salutierte knapp, murmelte eine Entschuldigung und verließ den Raum, wurde von den drei Männern aber kaum wahrgenommen, als sie sich an dem Tisch etwas umsetzten und Timo ein Kartenspiel zu Tage förderte.