Ace Kaiser
So, wer hat behauptet, ich sei zu weich und es würden immer alle Charaktere bei mir überleben?
Hm. Das hier kam vorhin so über mich und ich werde bei Gelegenheit dran weiter schreiben.
Warnung: Es wird hart, richtig hart.
THE CURSE
„Mein Name ist Jan Seegers. Ich bin verflucht.“
(Jan Seegers gegenüber der Polizei nach seiner Verhaftung.)
Kapitel eins
„Wenn Sie die TV UND RADIO im Abonnement erwerben, bekommen Sie nicht nur zweiundfünfzig Ausgaben frei Haus zum gleichen Preis wie am Kiosk, nein, sie dürfen sich sogar noch eine von drei Prämien aussuchen. Sie haben außerdem ein zweiwöchiges Kündigungsrecht. Die Prämien? Nun, da wäre einmal das Taschenradio, mit dem Sie die Sender empfangen können, deren Sendepläne Sie in unserer tollen Zeitschrift nachsehen können, das dreiteilige Kochtopfset für weniger Arbeit in der Küche und die wirklich nützliche, handliche Kompaktdatenbank komplett mit Touchscreen und fünfhundert Megabyte Speicher.
Ja? Die Datenbank? Ich schicke Ihnen die Unterlagen noch heute raus, Frau Meier, und in einer Woche haben Sie Ihre Prämie und die neueste Ausgabe unserer TV UND RADIO.“
Als Jan auflegte, ließ er sich erschöpft nach hinten sinken. Diese verdammt Arbeit im Callcenter war wirklich die Hölle. Wildfremden Menschen Zeitschriften aufquatschen, was hatte er sich nur dabei gedacht, hier anzufangen? Okay, die Leute hatten nicht wirklich einen Verlust bei der Geschichte. Die TV UND RADIO war vielleicht etwas altbacken, aber an sich eine gute Zeitschrift. Und abgesehen davon, dass die Leute für ein Jahr im Voraus bezahlten, passierte ihnen ja nichts. Dennoch lief ihm jedes Mal der kalte Angstschweiß die Stirn herab, wenn er irgendwo anrief.
„Na, wieder was verkauft? Dein Neunter heute. Wenn du so weitermachst, müssen wir noch Österreich und Luxemburg dazunehmen“, scherzte Herr Wolters, der Abteilungsleiter.
Jan lachte höflich, denn über die Witze der Vorgesetzten hatte man zu lachen, sonst lebte man nicht lange.
„Nein, wirklich. Du hast Talent für den Job. Ich denke, du bist gut genug, um neben der TV auch die gemischten Abos zu verkaufen.“
Erschrocken sah Jan auf. Da war er, der Pferdefuß. Das Callcenter war eben ein Callcenter und lebte von Verkäufen. Nicht nur davon die TV UND RADIO zu verkaufen, sondern auch weitere, populäre Zeitschriften.
Das Schlimmste, was man hier tun konnte, war Kombinationen zu verkaufen. Wer brauchte schon fünf Zeitschriften die Woche? Und bei jeder Kombi war unter Garantie ein Ladenhüter dabei, den man auf anderem Weg nicht loswurde.
„Ja, Herr Wolter“, brummte Jan.
„Nun lächle doch mal. Noch sechs und du hast dein Wochenpensum geschafft.“
Also quälte sich Jan ein Lächeln ab. Nur damit der Vorgesetzte zufrieden war und wieder ging. Okay, er schien Talent für den Telefonverkauf zu haben. Aber wenn er das Geld nicht dringend brauchen würde, dann hätte er längst etwas anderes gemacht.
„Mensch, Jan, wie machst du das nur? Ich habe gerade mal drei zusammen“, beschwerte sich Susanne vom Nebentisch.
Jan lächelte zu ihr herüber. Susanne hatte eine wirklich große Nase. Zum Glück war sie ein südländischer Typ, da fiel das nicht so auf. Hübsch war sie trotzdem nicht. „Eine zuckersüße Stimme reicht da eben nicht“, stellte er fest.
„Ja, kapiert. Was ist nun dein Geheimnis?“
„Nun. Ich hole mir Neins. So viele wie möglich“, fuhr Jan gedehnt fort.
Susanne runzelte die Stirn. „Neins? Was hast du davon, wenn ein Kunde nein sagt?“
„Nun, ist doch klar. Je mehr Nein sagen, desto mehr hast du angerufen. Und lass nur mal jeden zweiten Ja sagen. Das ist doch ein guter Schnitt, oder? Also, nicht von einem Nein aus der Bahn werfen lassen, sondern den Nächsten anrufen. Und danach wieder den Nächsten. Und so weiter. Je mehr du anrufst, desto mehr verkaufst du.“
„Ach, hm. Tja, danke. Guter Tipp. Was machst du eigentlich so nach der Arbeit?“, fragte sie wie beiläufig.
„Ich habe Morgen einen wichtigen Test. Dafür muß ich die Nacht noch ordentlich büffeln“, erwiderte Jan. „Ist nicht besonders lustig.“
„Oh. Tja. Und Morgen?“
„Volleyballtraining. Und bevor du fragst, Übermorgen ist Fußball dran.“
Susanne strich nachdenklich eine Strähne ihres Haares aus der Stirn. „Du willst nicht mit mir weggehen, richtig?“
„Du hast es erfasst.“ Das klang hart, ja, brutal. Aber es war zu ihrem eigenen Wohl. Mit dieser Einstellung fuhr Jan nun mal am Sichersten.
„Also, ich habe Pause. Machst du die zwanzig auf deiner Liste noch?“, wechselte er auf Arbeitsthemen.
„Ja, fünf mach ich noch. Wehe, du machst keinen neuen Kaffee, wenn du den alten leer machst“, erwiderte sie.
Jan legte sein Headset ab und grinste schief. „Ich überleg es mir.“
Na, wenigstens schien Susanne nicht sauer über die Abfuhr zu sein.
Drei Stunden später war Jan auf dem Heimweg. Es war arschkalt und die Nacht würde sternenklar sein. Laut Wetterbericht würden sie mindestens zehn Grad Frost kriegen und seine kleine Wohnung war nicht geheizt. Er stellte die Heizung nur an, wenn er Zuhause war. Leider war es meistens dann erst richtig warm, wenn er morgens wieder raus musste.
Fröstelnd richtete er den Kragen auf und zog sein Baseballcap tiefer herab. Hannover. Eine merkwürdige Stadt.
Schnell fand er den Weg zur nächsten U-Bahn und fuhr zum Kröpke. Auf dem größten Umsteigebahnhof der Stadt fand er schnell seine Linie und fuhr nach Hause in die Südstadt. Nicht gerade die beste Gegend, aber Jan war auch nicht gerade ein hoch bezahlter Top-Manager.
Die Bahn war gut gefüllt. Er hatte nur mit Mühe einen Sitzplatz ergattert. Desinteressiert glitt sein Blick über die anwesenden Menschen. Alle hatten sich gegen die Kälte dick eingepackt und starrten blicklos und leer vor sich hin. Hier und dort unterhielten sich ein paar Bekannte. Eigentlich war es langweilig wie immer.
An seiner Haltestelle stieg er aus, verschwand schnell in den Seitenstraßen. Er war etwas faul an diesem Abend, deshalb lief er nur fünf Blöcke vor und drei quer, um etwaige Verfolger abzuschütteln, bevor er sich seinem eigentlichen Ziel näherte.
Gut, der Van stand noch immer an seinem Platz. Eifrig kramte er seine Schlüssel hervor, öffnete den Wagen und stieg hinten ein.
Dort wechselte er seine Jeans, die dicke Steppjacke und den rauen Pulli gegen einen Geschäftsanzug. Krawattenbinden. Wie er Krawattenbinden hasste.
Danach kletterte er nach vorne und fuhr los.
Er hatte Susanne nicht belogen. Nicht wirklich belogen. Ihm stand wirklich ein wichtiger Test bevor.
Vor seinem Appartementhaus hielt er an, parkte den Van an seinem üblichen Platz. Danach kramte er die Schlüssel für sein Penthouse hervor.
Müde und verspannt stieg er die Treppe hoch. Konnte das alles wahr sein? Musste das alles wahr sein?
„Guten Abend, Jan“, erklang es, als er seine Wohnung betrat.
Der junge Mann lächelte kalt. „Guten Abend. Sie haben es sich anscheinend schon von selbst aus bequem gemacht.“
Die ältere Frau lachte leise und nahm einen Schluck aus ihrem Cognac-Schwenker. „Nun, wenn man wie Sie einen so exzellenten Geschmack hat, dann fällt es mir schwer zu widerstehen.“
Jan grinste und hängte sein Sakko an der Flurgarderobe auf. Danach öffnete er seine Krawatte. „Können wir?“, fragte er leise.
Bedauernd sah die Frau auf den Schwenker und stellte ihn auf dem niedrigen Tisch ab. „Wir können.“
Übergangslos zog sie eine Pistole mit Schalldämpfer. Jan warf sich zur Seite; über ihm wurde ein Bild getroffen. Die Glassplitter regneten auf ihn herab.
Schnell, das Ledersofa als Deckung benutzend, robbte Jan zum Schuhschrank, zog die unterste Schublade auf und holte die Beretta aus dem Zwischenraum hinter der Schublade hervor. Er riss die Waffe gerade rechtzeitig hoch, um die ältere Frau wie eine Furie auf sich niederfahren zu sehen. Jan schoss dreimal. Einmal in den Kopf, zweimal in die Brust.
Da er Weichkerngeschosse verwendete, die sich im Körper verformten und die volle kinetische Energie im getroffenen Objekt entluden, wurde der Körper seiner Angreiferin nach oben geschleudert und dann auf den Rücken geworfen. Gut. Das hielt die Sauerei mit dem Blut in Grenzen.
Verärgert ging er in die Küche und kam mit einer Rolle Haushaltstüchern zurück. Na toll, den Teppich hatte sie schon ruiniert. Den konnte er gleich mit wegschmeißen. Aber das Blut auf dem Parkett war noch frisch genug, um es fort zu wischen. Danach durchsuchte er die Taschen der Sterbenden und förderte einige interessante Dinge zutage. Eine Packung Luckies, ein Zippo, zwei Reservemagazine, mehrere gefälschte Ausweise und einen Ehering.
Neben ihm begann die Sterbende hastig zu atmen. Dann brach ihr Blick und sie war tot.
Jan lächelte kalt und zählte leise bis einhundert. Währenddessen holte er aus einer Abstellkammer Kissen und eine andere Waffe hervor, die im Gegensatz zur Beretta über einen Schalldämpfer verfügte.
Die Kissen drapierte er um den Kopf der Toten. Danach setzte er die Pistole auf ihre Stirn auf.
Als er bei siebenundneunzig angekommen war, schlug die tote Frau plötzlich die Augen auf und fauchte. Jan drückte ab. Der Schädel zersprang wie eine reife Frucht.
„Ich werde alt“, brummte Jan, während er die Reste von Blut und Gehirn, die nicht in den Kissen gelandet waren, vom Ledersofa und der Wand entfernte. Und sein Hemd konnte er ja wohl auch wegschmeißen.
„Ich werde wirklich alt. Früher hätte ich bis hundert auch wirklich hundert Sekunden abgezählt.“
Tja, dieses Versteck war nun das, was man im Allgemeinen verbrannt nannte. Der Feind – irgendeine Partei von den vielen, mit denen er sich angelegt hatte – wusste nun, wo er wohnte. Ihm diese Killerin zu schicken war nicht mehr als ein müder Gruß, bestenfalls eine Warnung. Wenn sein unbekannter Gegner nicht wusste, wer er war und ihn für einen einfachen Agenten hielt, dann klang die Sache schon wahrscheinlicher, dass man geglaubt hatte, ihn mit einem Ghul ausschalten zu können.
Unauffällig erhob er sich, sah heimlich auf die Straße herab und in den Hintergarten. Auf den ersten Blick erkannte er nichts Verdächtiges. Und niemand schien sich am Van zu schaffen gemacht zu haben. Vielleicht war es doch sicher, die Nacht noch hier zu verbringen. Immerhin war er todmüde und hatte sich die Schulter geprellt, als er sich zu Boden geworfen hatte, und der Ghul hatte ihn ja nur Jan genannt und…
Resigniert ließ er den Kopf hängen. Seinen Job im Callcenter hatten sie also auch aufgespürt. Na Klasse.
Langsam griff er zum Telefon. Er rief eine Nummer an, die er nirgends aufgeschrieben hatte. Sie würde auch nur dieses eine Mal zu erreichen sein. Danach nicht wieder.
„Ich bin es“, sagte er, als die nichts sagende Bandansage eines Pizzalieferservice verstummt war. „Mein Versteck ist verbrannt. Ein toter Ghul liegt in meinem Wohnzimmer und meine Nachbarn haben die Schüsse gehört. Außerdem ist meine Tarnidentität auch verbrannt. Ich komme nach Hause.“
Jan legte auf, zündete sich eine Luckie der Toten an und begann wortlos zu rauchen. Packung und Zippo steckte er ein, nachdem er sichergestellt hatte, dass kein Sender darin versteckt war.
Langsam ging er durch die Wohnung. Er würde nicht besonders viel mitnehmen können. In der Einheit hieß es immer: Türme keinen Besitz auf, dann belastet er dich auch nicht.
Aber Jan war schlecht darin, sich auch dran zu halten. Also packte er zwei Koffer mit Anzügen und seinen Lieblingsklamotten voll, montierte die Festplatte aus seinem PC, natürlich nicht, ohne vorher zu prüfen, ob der Ghul hier dran gewesen war und füllte den spärlichen Rest Platz im Koffer mit Büchern, die er mochte oder noch nicht Zuende gelesen hatte.
Danach wusch er sich das Blut der Toten vom Gesicht und zog ein frisches Hemd an.
Schließlich schnappte er sich sein Sakko vom Haken der Flurgarderobe, zog zusätzlich den schweren schwarzen Wintermantel über und steckte drei der hier versteckten Waffen ein, weil sie ihm lieb waren. Lieb wie die Beretta, die ihm wieder mal das Leben gerettet hatte.
Im Treppenhaus empfing ihn ein zorniger Mitmieter. „Also, Herr Schrader, Ihre Waffenliebe in allen Ehren, aber Sie sollten keine scharfe Munition in Ihrer Wohnung aufbewahren. Ich habe Ihnen gesagt, irgendwann geht eine Ihrer Waffen mal los.“
Jan ließ den Mann einfach reden und drückte sich an ihm vorbei.
„Herr Schrader. Hey. Was machen Sie da eigentlich? Wollen Sie verreisen?“
Jan blieb kurz stehen und lächelte zurück. „Ein Meeting der Firma in London. Wird länger dauern. Wir werden uns eine ganze Zeit nicht sehen.“
„Na, dann werden wir endlich mal eine Zeitlang Ruhe in diesem Haus haben“, stellte der Mieter zufrieden fest.
Jan verließ das Haus und stieg in seinen Van. Er zündete sich eine neue Luckies an und starrte zu seinem Appartement hoch. „Wie man es nimmt, Herr Schulze, wie man es nimmt“, antwortete er auf die letzten Worte seines Nachbarn.
Er zog ein kleines Kästchen aus seinem Mantel und drückte die einzige Taste ein. Kurz darauf erfolgte eine kleine Explosion, die fünf Kilo Mehl in der Küche und den umgebenden Räumen verteilte. Danach gab es erst eine kleine Stichflamme. Dem folgte eine Explosion, als die Flamme die fein verteilten Mehlstäubchen als Brennstoff benutzte und durch den vielen Sauerstoff zwischen ihnen zusätzlich genährt wurde. Aus seinem Penthouse flogen die Scheiben raus, lange Stichflammen leckten aus den Löchern hervor.
Bei diesem Anblick lächelte Jan kalt. „Hoffentlich verbrennst du mit, du alter Sack.“
Aber dieser Wunsch würde unerfüllt bleiben. Lediglich seine Wohnung würde brennen. Gut brennen und den Ghul eventuell auch, wenn er Glück hatte.
„Mist“, murmelte Jan, als er den Van in Bewegung setzte. „Wenn ich den Laden sowieso hochjage, wieso habe ich dann überhaupt erst sauber gemacht? Scheiß Gewohnheiten.“
Schnell kam er auf die Hildesheimer Straße und suchte sich seinen Weg zum Fernverkehr.
Raus aus der Stadt. Erst mal.
Hm. Das hier kam vorhin so über mich und ich werde bei Gelegenheit dran weiter schreiben.
Warnung: Es wird hart, richtig hart.
THE CURSE
„Mein Name ist Jan Seegers. Ich bin verflucht.“
(Jan Seegers gegenüber der Polizei nach seiner Verhaftung.)
Kapitel eins
„Wenn Sie die TV UND RADIO im Abonnement erwerben, bekommen Sie nicht nur zweiundfünfzig Ausgaben frei Haus zum gleichen Preis wie am Kiosk, nein, sie dürfen sich sogar noch eine von drei Prämien aussuchen. Sie haben außerdem ein zweiwöchiges Kündigungsrecht. Die Prämien? Nun, da wäre einmal das Taschenradio, mit dem Sie die Sender empfangen können, deren Sendepläne Sie in unserer tollen Zeitschrift nachsehen können, das dreiteilige Kochtopfset für weniger Arbeit in der Küche und die wirklich nützliche, handliche Kompaktdatenbank komplett mit Touchscreen und fünfhundert Megabyte Speicher.
Ja? Die Datenbank? Ich schicke Ihnen die Unterlagen noch heute raus, Frau Meier, und in einer Woche haben Sie Ihre Prämie und die neueste Ausgabe unserer TV UND RADIO.“
Als Jan auflegte, ließ er sich erschöpft nach hinten sinken. Diese verdammt Arbeit im Callcenter war wirklich die Hölle. Wildfremden Menschen Zeitschriften aufquatschen, was hatte er sich nur dabei gedacht, hier anzufangen? Okay, die Leute hatten nicht wirklich einen Verlust bei der Geschichte. Die TV UND RADIO war vielleicht etwas altbacken, aber an sich eine gute Zeitschrift. Und abgesehen davon, dass die Leute für ein Jahr im Voraus bezahlten, passierte ihnen ja nichts. Dennoch lief ihm jedes Mal der kalte Angstschweiß die Stirn herab, wenn er irgendwo anrief.
„Na, wieder was verkauft? Dein Neunter heute. Wenn du so weitermachst, müssen wir noch Österreich und Luxemburg dazunehmen“, scherzte Herr Wolters, der Abteilungsleiter.
Jan lachte höflich, denn über die Witze der Vorgesetzten hatte man zu lachen, sonst lebte man nicht lange.
„Nein, wirklich. Du hast Talent für den Job. Ich denke, du bist gut genug, um neben der TV auch die gemischten Abos zu verkaufen.“
Erschrocken sah Jan auf. Da war er, der Pferdefuß. Das Callcenter war eben ein Callcenter und lebte von Verkäufen. Nicht nur davon die TV UND RADIO zu verkaufen, sondern auch weitere, populäre Zeitschriften.
Das Schlimmste, was man hier tun konnte, war Kombinationen zu verkaufen. Wer brauchte schon fünf Zeitschriften die Woche? Und bei jeder Kombi war unter Garantie ein Ladenhüter dabei, den man auf anderem Weg nicht loswurde.
„Ja, Herr Wolter“, brummte Jan.
„Nun lächle doch mal. Noch sechs und du hast dein Wochenpensum geschafft.“
Also quälte sich Jan ein Lächeln ab. Nur damit der Vorgesetzte zufrieden war und wieder ging. Okay, er schien Talent für den Telefonverkauf zu haben. Aber wenn er das Geld nicht dringend brauchen würde, dann hätte er längst etwas anderes gemacht.
„Mensch, Jan, wie machst du das nur? Ich habe gerade mal drei zusammen“, beschwerte sich Susanne vom Nebentisch.
Jan lächelte zu ihr herüber. Susanne hatte eine wirklich große Nase. Zum Glück war sie ein südländischer Typ, da fiel das nicht so auf. Hübsch war sie trotzdem nicht. „Eine zuckersüße Stimme reicht da eben nicht“, stellte er fest.
„Ja, kapiert. Was ist nun dein Geheimnis?“
„Nun. Ich hole mir Neins. So viele wie möglich“, fuhr Jan gedehnt fort.
Susanne runzelte die Stirn. „Neins? Was hast du davon, wenn ein Kunde nein sagt?“
„Nun, ist doch klar. Je mehr Nein sagen, desto mehr hast du angerufen. Und lass nur mal jeden zweiten Ja sagen. Das ist doch ein guter Schnitt, oder? Also, nicht von einem Nein aus der Bahn werfen lassen, sondern den Nächsten anrufen. Und danach wieder den Nächsten. Und so weiter. Je mehr du anrufst, desto mehr verkaufst du.“
„Ach, hm. Tja, danke. Guter Tipp. Was machst du eigentlich so nach der Arbeit?“, fragte sie wie beiläufig.
„Ich habe Morgen einen wichtigen Test. Dafür muß ich die Nacht noch ordentlich büffeln“, erwiderte Jan. „Ist nicht besonders lustig.“
„Oh. Tja. Und Morgen?“
„Volleyballtraining. Und bevor du fragst, Übermorgen ist Fußball dran.“
Susanne strich nachdenklich eine Strähne ihres Haares aus der Stirn. „Du willst nicht mit mir weggehen, richtig?“
„Du hast es erfasst.“ Das klang hart, ja, brutal. Aber es war zu ihrem eigenen Wohl. Mit dieser Einstellung fuhr Jan nun mal am Sichersten.
„Also, ich habe Pause. Machst du die zwanzig auf deiner Liste noch?“, wechselte er auf Arbeitsthemen.
„Ja, fünf mach ich noch. Wehe, du machst keinen neuen Kaffee, wenn du den alten leer machst“, erwiderte sie.
Jan legte sein Headset ab und grinste schief. „Ich überleg es mir.“
Na, wenigstens schien Susanne nicht sauer über die Abfuhr zu sein.
Drei Stunden später war Jan auf dem Heimweg. Es war arschkalt und die Nacht würde sternenklar sein. Laut Wetterbericht würden sie mindestens zehn Grad Frost kriegen und seine kleine Wohnung war nicht geheizt. Er stellte die Heizung nur an, wenn er Zuhause war. Leider war es meistens dann erst richtig warm, wenn er morgens wieder raus musste.
Fröstelnd richtete er den Kragen auf und zog sein Baseballcap tiefer herab. Hannover. Eine merkwürdige Stadt.
Schnell fand er den Weg zur nächsten U-Bahn und fuhr zum Kröpke. Auf dem größten Umsteigebahnhof der Stadt fand er schnell seine Linie und fuhr nach Hause in die Südstadt. Nicht gerade die beste Gegend, aber Jan war auch nicht gerade ein hoch bezahlter Top-Manager.
Die Bahn war gut gefüllt. Er hatte nur mit Mühe einen Sitzplatz ergattert. Desinteressiert glitt sein Blick über die anwesenden Menschen. Alle hatten sich gegen die Kälte dick eingepackt und starrten blicklos und leer vor sich hin. Hier und dort unterhielten sich ein paar Bekannte. Eigentlich war es langweilig wie immer.
An seiner Haltestelle stieg er aus, verschwand schnell in den Seitenstraßen. Er war etwas faul an diesem Abend, deshalb lief er nur fünf Blöcke vor und drei quer, um etwaige Verfolger abzuschütteln, bevor er sich seinem eigentlichen Ziel näherte.
Gut, der Van stand noch immer an seinem Platz. Eifrig kramte er seine Schlüssel hervor, öffnete den Wagen und stieg hinten ein.
Dort wechselte er seine Jeans, die dicke Steppjacke und den rauen Pulli gegen einen Geschäftsanzug. Krawattenbinden. Wie er Krawattenbinden hasste.
Danach kletterte er nach vorne und fuhr los.
Er hatte Susanne nicht belogen. Nicht wirklich belogen. Ihm stand wirklich ein wichtiger Test bevor.
Vor seinem Appartementhaus hielt er an, parkte den Van an seinem üblichen Platz. Danach kramte er die Schlüssel für sein Penthouse hervor.
Müde und verspannt stieg er die Treppe hoch. Konnte das alles wahr sein? Musste das alles wahr sein?
„Guten Abend, Jan“, erklang es, als er seine Wohnung betrat.
Der junge Mann lächelte kalt. „Guten Abend. Sie haben es sich anscheinend schon von selbst aus bequem gemacht.“
Die ältere Frau lachte leise und nahm einen Schluck aus ihrem Cognac-Schwenker. „Nun, wenn man wie Sie einen so exzellenten Geschmack hat, dann fällt es mir schwer zu widerstehen.“
Jan grinste und hängte sein Sakko an der Flurgarderobe auf. Danach öffnete er seine Krawatte. „Können wir?“, fragte er leise.
Bedauernd sah die Frau auf den Schwenker und stellte ihn auf dem niedrigen Tisch ab. „Wir können.“
Übergangslos zog sie eine Pistole mit Schalldämpfer. Jan warf sich zur Seite; über ihm wurde ein Bild getroffen. Die Glassplitter regneten auf ihn herab.
Schnell, das Ledersofa als Deckung benutzend, robbte Jan zum Schuhschrank, zog die unterste Schublade auf und holte die Beretta aus dem Zwischenraum hinter der Schublade hervor. Er riss die Waffe gerade rechtzeitig hoch, um die ältere Frau wie eine Furie auf sich niederfahren zu sehen. Jan schoss dreimal. Einmal in den Kopf, zweimal in die Brust.
Da er Weichkerngeschosse verwendete, die sich im Körper verformten und die volle kinetische Energie im getroffenen Objekt entluden, wurde der Körper seiner Angreiferin nach oben geschleudert und dann auf den Rücken geworfen. Gut. Das hielt die Sauerei mit dem Blut in Grenzen.
Verärgert ging er in die Küche und kam mit einer Rolle Haushaltstüchern zurück. Na toll, den Teppich hatte sie schon ruiniert. Den konnte er gleich mit wegschmeißen. Aber das Blut auf dem Parkett war noch frisch genug, um es fort zu wischen. Danach durchsuchte er die Taschen der Sterbenden und förderte einige interessante Dinge zutage. Eine Packung Luckies, ein Zippo, zwei Reservemagazine, mehrere gefälschte Ausweise und einen Ehering.
Neben ihm begann die Sterbende hastig zu atmen. Dann brach ihr Blick und sie war tot.
Jan lächelte kalt und zählte leise bis einhundert. Währenddessen holte er aus einer Abstellkammer Kissen und eine andere Waffe hervor, die im Gegensatz zur Beretta über einen Schalldämpfer verfügte.
Die Kissen drapierte er um den Kopf der Toten. Danach setzte er die Pistole auf ihre Stirn auf.
Als er bei siebenundneunzig angekommen war, schlug die tote Frau plötzlich die Augen auf und fauchte. Jan drückte ab. Der Schädel zersprang wie eine reife Frucht.
„Ich werde alt“, brummte Jan, während er die Reste von Blut und Gehirn, die nicht in den Kissen gelandet waren, vom Ledersofa und der Wand entfernte. Und sein Hemd konnte er ja wohl auch wegschmeißen.
„Ich werde wirklich alt. Früher hätte ich bis hundert auch wirklich hundert Sekunden abgezählt.“
Tja, dieses Versteck war nun das, was man im Allgemeinen verbrannt nannte. Der Feind – irgendeine Partei von den vielen, mit denen er sich angelegt hatte – wusste nun, wo er wohnte. Ihm diese Killerin zu schicken war nicht mehr als ein müder Gruß, bestenfalls eine Warnung. Wenn sein unbekannter Gegner nicht wusste, wer er war und ihn für einen einfachen Agenten hielt, dann klang die Sache schon wahrscheinlicher, dass man geglaubt hatte, ihn mit einem Ghul ausschalten zu können.
Unauffällig erhob er sich, sah heimlich auf die Straße herab und in den Hintergarten. Auf den ersten Blick erkannte er nichts Verdächtiges. Und niemand schien sich am Van zu schaffen gemacht zu haben. Vielleicht war es doch sicher, die Nacht noch hier zu verbringen. Immerhin war er todmüde und hatte sich die Schulter geprellt, als er sich zu Boden geworfen hatte, und der Ghul hatte ihn ja nur Jan genannt und…
Resigniert ließ er den Kopf hängen. Seinen Job im Callcenter hatten sie also auch aufgespürt. Na Klasse.
Langsam griff er zum Telefon. Er rief eine Nummer an, die er nirgends aufgeschrieben hatte. Sie würde auch nur dieses eine Mal zu erreichen sein. Danach nicht wieder.
„Ich bin es“, sagte er, als die nichts sagende Bandansage eines Pizzalieferservice verstummt war. „Mein Versteck ist verbrannt. Ein toter Ghul liegt in meinem Wohnzimmer und meine Nachbarn haben die Schüsse gehört. Außerdem ist meine Tarnidentität auch verbrannt. Ich komme nach Hause.“
Jan legte auf, zündete sich eine Luckie der Toten an und begann wortlos zu rauchen. Packung und Zippo steckte er ein, nachdem er sichergestellt hatte, dass kein Sender darin versteckt war.
Langsam ging er durch die Wohnung. Er würde nicht besonders viel mitnehmen können. In der Einheit hieß es immer: Türme keinen Besitz auf, dann belastet er dich auch nicht.
Aber Jan war schlecht darin, sich auch dran zu halten. Also packte er zwei Koffer mit Anzügen und seinen Lieblingsklamotten voll, montierte die Festplatte aus seinem PC, natürlich nicht, ohne vorher zu prüfen, ob der Ghul hier dran gewesen war und füllte den spärlichen Rest Platz im Koffer mit Büchern, die er mochte oder noch nicht Zuende gelesen hatte.
Danach wusch er sich das Blut der Toten vom Gesicht und zog ein frisches Hemd an.
Schließlich schnappte er sich sein Sakko vom Haken der Flurgarderobe, zog zusätzlich den schweren schwarzen Wintermantel über und steckte drei der hier versteckten Waffen ein, weil sie ihm lieb waren. Lieb wie die Beretta, die ihm wieder mal das Leben gerettet hatte.
Im Treppenhaus empfing ihn ein zorniger Mitmieter. „Also, Herr Schrader, Ihre Waffenliebe in allen Ehren, aber Sie sollten keine scharfe Munition in Ihrer Wohnung aufbewahren. Ich habe Ihnen gesagt, irgendwann geht eine Ihrer Waffen mal los.“
Jan ließ den Mann einfach reden und drückte sich an ihm vorbei.
„Herr Schrader. Hey. Was machen Sie da eigentlich? Wollen Sie verreisen?“
Jan blieb kurz stehen und lächelte zurück. „Ein Meeting der Firma in London. Wird länger dauern. Wir werden uns eine ganze Zeit nicht sehen.“
„Na, dann werden wir endlich mal eine Zeitlang Ruhe in diesem Haus haben“, stellte der Mieter zufrieden fest.
Jan verließ das Haus und stieg in seinen Van. Er zündete sich eine neue Luckies an und starrte zu seinem Appartement hoch. „Wie man es nimmt, Herr Schulze, wie man es nimmt“, antwortete er auf die letzten Worte seines Nachbarn.
Er zog ein kleines Kästchen aus seinem Mantel und drückte die einzige Taste ein. Kurz darauf erfolgte eine kleine Explosion, die fünf Kilo Mehl in der Küche und den umgebenden Räumen verteilte. Danach gab es erst eine kleine Stichflamme. Dem folgte eine Explosion, als die Flamme die fein verteilten Mehlstäubchen als Brennstoff benutzte und durch den vielen Sauerstoff zwischen ihnen zusätzlich genährt wurde. Aus seinem Penthouse flogen die Scheiben raus, lange Stichflammen leckten aus den Löchern hervor.
Bei diesem Anblick lächelte Jan kalt. „Hoffentlich verbrennst du mit, du alter Sack.“
Aber dieser Wunsch würde unerfüllt bleiben. Lediglich seine Wohnung würde brennen. Gut brennen und den Ghul eventuell auch, wenn er Glück hatte.
„Mist“, murmelte Jan, als er den Van in Bewegung setzte. „Wenn ich den Laden sowieso hochjage, wieso habe ich dann überhaupt erst sauber gemacht? Scheiß Gewohnheiten.“
Schnell kam er auf die Hildesheimer Straße und suchte sich seinen Weg zum Fernverkehr.
Raus aus der Stadt. Erst mal.