Ace Kaiser
4.
Langsam richtete sich Kenji Hazegawa auf. Die Augen blitzen in dem spitzbübischen Gesicht auf und ließen ein erschrockenes Raunen am Tisch aufklingen. „Full House, meine Herren. Seht her und weint bitterlich.“
Kenji legte zwei Achten und drei Zehner vor sich nieder und griff nach dem beachtlich gewachsenen Pott Spielmünzen in der Mitte.
Misstrauisch sah er in die Runde, kurz bevor er das Spielgeld zu sich heran zog. „Es versucht doch hier wohl keiner, mir meinen Gewinn mit einem höheren Full House oder einem Four of a Kind kaputt zu machen?“
Desinteressiert war Kei Takahara seine Karten ab. „Keine Bange, mein Großer. Ich habe nur einen Round the Corner.“
Goran Kurosz warf sein Blatt ebenfalls hin. „Ein simpler Flush ohne Überraschungen.“
Kenjis Blick ging zum letzten Teilnehmer in der Runde.
Gina Casoli winkte verlegen ab. „Ich habe nur zwei Zwillinge. Siebener und Könige. Damit kann man keinen Staat machen, Kenji-kun.“
„Na also“, brummte der Riese zufrieden und raffte den Gewinn an sich.
„Wollen wir nicht mal um was Richtiges spielen? So wie Patrouillenzeiten?“, fragte Kei in die Runde. „Oder um freie Pizza?“
Gina grinste ihn an. „Dein ganzes Schiff mit Pizza zu versorgen kommt mich etwas teuer, Kei-kun.“
„Mist“, murmelte der mit gespieltem Ernst.
„Patrouillenzeiten wären eine gute Idee. Aber was kriegt Gina, wenn sie uns wieder die Hosen runter zieht?“, fragte Kenji.
„Hm. Gute Frage. Ein paar neue Köche für ihr Restaurant?“
„Na, das ist doch ein Wort, Goran“, freute sich die junge Frau.
„Langsam, langsam, das habe ich doch nur so dahin gesagt, Gina. Du willst doch nicht deine Gäste vergiften, oder?“, wehrte der Mann aus Kroatien ab.
„Du wirst ja wohl noch ein Schnitzel braten können. Das hat ja sogar Mamoru hingekriegt.“ Sie schmunzelte bei dieser Erinnerung. „Apropos. Wollte Mamoru nicht auch kommen?“
„Jetzt, wo du es sagst…“, sagte Kei nachdenklich. Er zog sein Handy aus der Tasche und rief den Freund an. „Nur seine Mailbox. Hm, das ist merkwürdig. Ich weiß ziemlich genau, dass die Slayer gerade draußen im All mit Mechas trainieren. Bei Akane ist er also nicht. Aber die Infanterie übt auch nichts, wo er dabei sein müsste. Wo also steckt der Kerl?“
„Sieht so aus, als würde er dir untreu werden, Gina-chan“, bemerkte Kenji amüsiert.
Ginas Gesicht wurde rot wie eine Tomate. „Toller Witz. Lasst uns lieber weiter spielen. Du hast da ein paar Münzen auf deinem Platz, die wollen zurück zu mir.“
„Okay, meine Dame, meine Herren, wir spielen AURORA-Poker. Es werden erst drei, dann eine und noch eine Karte ausgeteilt. Die letzte Karte liegt offen. Mindesteinsatz ist ein Zehner, die Mindestsumme zum sehen ist fünfzig. Und los geht es.“
**
„Hatschi!“ Mamoru Hatake sah verwundert auf.
„Gesundheit, Hatake-kun“, sagte Futabe-sensei ernst.
„Danke, Sensei. Muss wohl gerade jemand an mich gedacht haben.“
„Damit hat er dir kein gutes Werk getan. Du bist aus deiner Konzentration gekommen“, tadelte der alte Priester den jungen Geheimdienstoffizier.
Beschämt sah Mamoru zu Boden. „Verzeihung.“
Ich trat neben ihm und drückte seine Schulter. „Da gibt es nichts zu verzeihen. Dies hier ist keine Übung, kein Training. Nichts, was du für mich, für jemand anderen erreichen sollst. Dies ist alleine für dich. Wir geben dir nur die Anleitung. Den Weg erkennen und beschreiten musst du selbst.“
„Das sind weise Worte, Akira-kun“, sagte Futabe-sensei ernst. „Warum befolgst du sie dann nicht selbst gleich mal? Dein eigener Weg ist noch sehr weit.“
Ich fühlte mich ertappt. „Ja, Sensei.“
Langsam ließ ich mich zu Boden sinken, richtete meinen Oberkörper auf und legte die Hände in den Schoß. Neben mir schloss Mamoru erneut die Augen und versuchte sich zu konzentrieren.
Er war von der Spitzengruppe, die sich hier versammelt hatte, noch Jahre entfernt. Oder nur ein paar Wochen. Das lag alleine bei ihm, und er musste nur sein natürliches Talent nutzen.
Außer mir, ihm und Futabe-sensei hatten sich weitere Spitzenpiloten versammelt, die hier ihr KI trainierten. Es waren natürlich Yoshi, Doitsu und Makoto, wobei Letzterer ebenso wie Mamoru erst versuchte, die Kontrolle über sein KI zu erlangen.
Doch die Disziplin, über die beide bereits verfügten, würde ihnen den richtigen Weg weisen, da war ich mir sicher.
Leise begann ich zu summen, schließlich zu singen: „Anger never leads to Happyness, it isn´t worth one thougt, it only leads to carelessness and hurt those who you owe…“
Wütend riss Mamoru neben mir die Augen auf. „Akira. Kannst du das nicht lassen?“
Verwundert sah ich den Freund an. „Hä?“
„Na, das rum gesinge. Nichts gegen Joans neuen Hit Anger, aber solltest du nicht versuchen, deinen Geist von jedem Ballast zu befreien?“
„Wie kommst du denn darauf?“, kam es von Doitsu, der immer noch mit geschlossenen Augen im Lotussitz verharrte und wirkte wie seine eigene Statue. „Du glaubst doch hoffentlich nicht den Schwachsinn von wegen den Geist leeren?“
„Ich dachte, so geht das. Erst den Geist leeren, an nichts anderes mehr denken und dann fokussieren“, wandte Mamoru überrascht ein.
Ich grinste schief. „Falsch. Wie du sicher schon gemerkt hast ist es vollkommen unmöglich, an gar nichts zu denken. Du musst eher deinen Geist davon befreien, sich mit zu vielen Dingen zugleich zu beschäftigen, ihn treiben lassen. Und dann, wenn du genügend mentale Kraft gesammelt hast, dann…“ Mein rechter Arm ruckte hoch, mein KI flammte darum auf wie eine Fackel. Die Bewegung war ultraschnell erfolgt, aber Futabe-sensei war noch schneller gewesen. Er stoppte den geworfenen Dolch kurz vor meiner Hand, indem er ihn einfach am Griff packte.
Sofort sprang ich auf, die anderen gingen ebenfalls in Abwehrstellung.
„Wie viele?“, fragte ich ernst und versuchte meinen Gegner oder mehrere in der Tempelanlage zu erkennen.
„Zwei definitiv“, erwiderte Doitsu, wirbelte um die eigene Achse und schlug eine Shuriken beiseite, die auf ihn gezielt gewesen war. „Drei.“
„Wer sind unsere Angreifer?“, fragte Mamoru gehetzt. Neidisch beobachtete er, wie Doitsu, ich, Sensei und Yoshi ihre Arme mit KI verstärkten und eine sichtbare Aura erschufen.
„Gute Frage“, erwiderte Yoshi und parierte zwei Shuriken mit bloßen Händen. „Da wären einmal die elf Attentäter, die es auf Akira und die anderen abgesehen haben. Dann diese Fraktion, von der Doitsu uns sicher noch erzählen wollte.
Und ganz zum Schluss kommen noch Leute, mit denen wir gar nicht mehr gerechnet haben. Einzeltäter, zum Beispiel. Irgendjemand, der wirklich mies auf Akira zu sprechen ist.“
„Akira-san!“, erklang ein lauter Ruf am Tempelaufgang.
„Wenn man vom Teufel spricht!“, rief ich laut und rannte los.
Michi Tora kam gerade durch das Shinto-Tor auf den Tempelvorplatz. Er winkte mit dem rechten Arm herüber. Verdammt, ich hatte ihm KI-Training versprochen. Aber musste er gerade jetzt hier erscheinen?
„Runter!“, brüllte ich den Jungen an.
Erstaunt sah Michi zu mir herüber. „Was?“
Dann ruckte sein Kopf nach Rechts. Seine Augen fokussierten sich und erkannten einen Dolch, der auf ihn zuflog. Seine Beine schienen unter ihm nach zu geben und er rutschte zu Boden. Der Dolch flog auf ihn zu, ging ihm jedoch nur durch die Haare. Das war verdammt gut reagiert. Zahlten sich die ersten Trainingsstunden mit mir etwa schon aus?“
Da war ich aber schon heran, schnappte mir den Dolch, der gerade an mir vorbei rutschte und stellte mich schützend vor den Jungen.
„Was ist hier eigentlich los?“, fragte Michi aufgeregt mit einem Blick auf die vier Männer, von denen drei ihr KI konzentrierten und blankes Metall abwehrten.
„Das wüsste ich selbst zu gerne. Bleib hinter mir, Michi. Die Angreifer sind noch ne Nummer zu groß für dich.“
Wankend kam der Junge auf die Beine. In seinem Körper musste gerade eine beträchtliche Portion Adrenalin wirken und ihn noch eine ganze Zeit zu Höchstleistungen befähigen.
„Wir gehen zu den anderen zurück“, sagte ich ernst und wich nach hinten. Der unbekannte Gegner würde schon noch merken, dass ich auch ohne meinen Hawk ein ernsthafter Gegner war.
Hinter mir kamen die Angreifer aus ihren Deckungen, zogen Klingenwaffen blank und griffen meine Freunde und Sensei an. Ich zählte drei.
Über mir erklang ein Knarren, ich reagierte sofort, drückte Michi mit der Linken hinter mich und riss den Dolch mit der Rechten hoch.
Ein Schatten tauchte über dem Dachrand vor mir auf, stürzte auf mich herab. Ich fixierte die Augen meines Gegners… Und ließ den Dolch wieder sinken.
Der Angreifer war tot.
Ein weiterer Schemen kam vom Dach gesprungen, landete zwischen mir und den anderen. Die Gestalt warf mehrere Shuriken, welche auf die Angreifer gezielt waren. Einer wurde getroffen, die anderen beiden wichen aus, was sie für die Angriffe meiner Freunde und Senseis verwundbar machten.
Sensei zerbrach die Klinge seines Gegners und traf anschließend dessen Schädel mit einer Faust, die vor KI-Energie aufleuchtete wie eine Nova. Der Angreifer wurde vom Boden gehoben und meterweit durch die Luft getragen.
Doitsu schlug beide Hände um die Klinge seines Gegners, stoppte die Waffe so und ermöglichte es Mamoru, dem Feind einen mächtigen Hieb in den Magen zu versetzen. Irrte ich mich oder glomm dabei sogar kurz ein wenig KI auf?
Die Aura mit KI aufleuchten zu lassen war eigentlich mehr eine Spielerei, aber sie kostete nicht viel Kraft, jedoch eine Menge Übung und Talent. Abgesehen davon war sie eine mehr als deutliche Warnung mit den Worten: Legt euch nicht mit mir an.
Der letzte Gegner hatte einen Stern im Bein. Er betrachtete die Lage, dann warf er zwei Dolche, die auf seine Kameraden gezielt waren und sprang fort.
Deutlich konnte ich erkennen, dass er trotz seiner Verletzung KI nutzte, um noch fliehen zu können.
Doch noch im Sprung traf ihn eine ganze Serie von kleinen Messern, schüttelte ihn durch als würde ihn jemand wach rütteln und ließ ihn anschließend wie ein lebloses Bündel zu Boden gehen.
Unser unbekannter Helfer trat auf mich zu, blieb in einem sicheren Abstand stehen. Michi, der sich an mir vorbei nach vorne drängen wollte, wurde von meiner Hand gestoppt. „Noch nicht, Michi-kun.“
Zwei intelligente, rehbraune Augen musterten mich amüsiert. Der Rest des Gesichts war unter einer schwarzen Maske verloren.
„Mann, Mann, Mann“, sagte eine Stimme, die mir merkwürdig bekannt vorkam. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich mehr in Acht nehmen, Akira-chan? Nur weil ich dir erlaube, bis zum Ende der Mission zu leben heißt das doch lange nicht, dass die anderen Attentäter dies tun. Oder dass du es dir nicht auch schon mit anderen verscherzt hast.“
Natürlich. Das war die Frau von neulich, die meinen Stolz nachhaltig verletzt, mir aber auch von den zwölf Attentätern im Dienste des Legats berichtet hatte.
„Das heute war eine Ausnahme, Akira-chan. Ich bin an Bord um dich zu töten. Nicht um dich zu beschützen.“
Sie sah schnell nach hinten, musterte Futabe-sensei für einen Moment.
Danach machte sie ein paar schnelle Gesten mit den Händen und verschwand vor meinen Augen.
„Was war das denn?“, fragte Michi überrascht und rieb sich die Augen. „Würden die anderen nicht noch hier herumliegen könnte man meinen, das haben wir nur geträumt.“
„So kommt es mir auch gerade vor“, murmelte ich. „Was war das gerade?“
Im Hintergrund, als der Stadt heraus erklang Sirenengeheul. Rettungswagen und Polizei näherten sich.
„Der hier lebt noch. Aber lange macht er es nicht mehr“, sagte Doitsu tonlos. „Mamorus Schlag war wohl etwas zu hart für ihn.“
„Entschuldige, dass ich in Todesgefahr mit voller Kraft gekämpft habe“, blaffte der Geheimdienstmann.
„Schon gut, nicht streiten, Jungs“, sagte ich und legte jedem der beiden eine Hand auf die Schulter. „Wir haben eben wirklich super zusammen gearbeitet und vier Feinde vernichtet. Mit einer kleinen Hilfe, zugegeben. Aber das ist etwas, worauf wir stolz sein können. Wenn der da überlebt und wir ihn ausquetschen können, dann ist das ein Bonus. Nur ein Bonus.“
Die beiden atmeten langsam aus und nickten schließlich.
„Ach ja, Sensei. Die Frau, die uns geholfen hat, wie konnte sie verschwinden?“, fragte ich ernst.
„Du hast die Fingerbewegungen gesehen, Akira-kun?“ Futabe-sensei berührte den Leib des Überlebenden und ließ sein KI auf ihn wirken. „Das sind so genannte Seals. Sie ermöglichen den Einsatz einer Kunst, des Ninpo. Auf Grundlage des KI ermöglicht es dir Leistungen, die einem normalen Menschen unmöglich erscheinen. Zum Beispiel, sich von einem Ort zum anderen zu versetzen.“
„Das will ich auch können“, platzte es aus Mamoru heraus.
„Ich auch“, sagte Michi. Bei diesen Worten lag ein fiebriger Glanz in seinen Augen.
„Alles zu seiner Zeit. Alles zu seiner Zeit“, sagte Sensei leise und ich glaubte ein leichtes Schmunzeln zu erkennen.
**
Tetsu Genda verfolgte emotionslos den Bericht der örtlichen Behörden. Selten stellte er eine Frage oder kommentierte leise. Als Kommandant der AURORA fiel alles, was im Innenraum oder den Werften passierte, in seine Zuständigkeit. Und im Moment war es weit mehr als ihm lieb sein konnte.
„Danke für Ihre wertvolle Arbeit, Polizeiintendant Schmitt. Ich finde es in der Tat auch bedrohlich, dass auf dem Tempelgelände ein Attentat möglich war. Danken wir einfach den Engeln, dass es frühmorgens passierte, als noch kein Besucherverkehr war.“
„Mehr wird uns wohl auch nicht übrig bleiben, Genda-sama. Denn wir haben bei dem Verletzten und den Toten keinerlei Hinweise auf ihre Herkunft gefunden, wenn man mal davon absieht, dass sie alle Asiaten sind. Ethnik-Experten sind gerade dabei, die auffälligsten Merkmale zu erfassen und zur Erde zu schicken, um eine Definition und damit eine Herkunft zu ermitteln. Das bringt uns hoffentlich einen Schritt weiter.“
„Eine Analyse der DNS könnte ebenfalls hilfreich sein“, warf Tetsu leise ein.
„Ich habe es bereits in die Wege geleitet. Wenn einer der vier mit seiner DNS in einer Datenbank der Erde gespeichert ist, werden wir seine Identität enthüllen.“ Der ältere Mann auf dem Bildschirm warf Tetsu einen hilflosen Blick zu. „Es ist übrigens sehr bedenklich, dass noch niemand die vier Männer als vermisst gemeldet hat. Ich ging immer davon aus, dass niemand an Bord ist, den wir nicht registriert haben.“
„Mein lieber Polizeiintendant, man hat schon Pferde kotzen sehen“, kommentierte Tetsu recht blumig.
„Ja, und das vor der Apotheke. Ich hätte dran denken müssen, dass dort, wo es Menschen gibt auch Kniffe und Wege existieren, um so gut wie alles möglich zu machen. Schmitt aus.“
Der Bildschirm erlosch und Tetsu lehnte sich zurück. Leise ächzte er. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Wie einfach waren die Zeiten doch, als seine einzige Sorge gewesen war, wie er seine Bande am Leben und die Motorräder am laufen halten sollte.
Nun hatte er Arbeit, Arbeit, Arbeit, ein großzügiges Appartement, einen Waschdienst, volle Versorgung, einen angemessenen Sold, schwebte genauso in Lebensgefahr wie sonst auch und durfte über viertausend Menschen, Anelph und Kronosier kommandieren.
Alles in allem hatte er es doch gar nicht schlecht getroffen.
„Was denkst du, Sakura-chan?“
Sakura Ino erhob sich von ihrem Platz und legte dem Jüngeren eine Hand auf die Schulter. „Ich denke, dass es keinen besseren Mann gibt, um dieses Rätsel zu lösen. Du hast bereits viel zu tief im Dreck gewühlt, um dich noch von irgendetwas überraschen zu lassen, Tetsu. Und du weißt auch genau, wie du jemanden einzuschätzen hast.“
„Dein Vertrauen ehrt mich, Sakura-chan.“
Sie beugte sich vor und drückte dem übergewichtigen Mann einen Kuss auf die Wange. „Akira und die Jungs sind schon dran. Sie werden das Übel an der Wurzel packen. Was du machen musst ist den Überblick bewahren und die Blüten einsammeln.“
Wehmütig sah Tetsu die Admiralin an. „Warum mache ich gleich noch mal diesen Job?“
„Weil du es leid warst, ein kleiner Motorradrocker zu sein?“ Sakura zwinkerte ihm zu. „Oder weil du dadurch in meiner Nähe sein darfst?“
Er schmunzelte ihr zu. „Nun überschätz dich nicht mal so sehr. Es gibt hübschere Frauen an Bord.“
„So? Wen denn zum Beispiel?“, hakte Sakura nach.
„Joan Reilley zum Beispiel. Oder Hina Yamada.“
„Ja, wenn man auf den kleinen Typ Frau mit den großen Augen steht. Wenn es aber um richtige Frauen geht…“
Tetsu zwinkerte ihr zu. „Dann müssen wir noch drei Jahre warten, bis Akari-chan wieder so aussieht wie vor der Marsattacke. Lange Beine, langes, schwarzes Haar. Sie war einfach niedlich.“
Sakura schmunzelte über diesen Dialog. Er bewies die Vertrautheit zwischen ihr und dem Skipper der AURORA. „Schön, dass du so viele schöne Mädchen um dich hast.“
„Ja, schön ist das.“ Der Mars-Veteran rieb sich die Schläfe. „Nur schade, dass ich absolut keine Zeit habe, mich auch nur um eine einzige zu kümmern…“
Er sah auf. „Irgendjemand hat im großen Stil Menschen an Bord geschmuggelt. Und irgendjemand will einige unserer wichtigsten Offiziere töten. Es dürfte an der Zeit sein, zu handeln.“
Sakura schüttelte den Kopf. „Nein, ein massiver Polizeischlag dürfte nur die Menschen in Panik versetzen. Wir sind bereits auf dem Sprung zum Nachbarsystem und können nicht so ohne weiteres zurück, unsere Gegner wissen das. Kein Wunder, das sie frech werden.
Nutzen wir es aus, dass in der Öffentlichkeit niemand etwas über sie weiß. Lassen wir sie hochgehen, bevor sie bekannt werden.“
Tetsu nickte schwer. „Gut. Ich lasse es Akira-sama machen. Vielleicht habe ich danach ja Zeit, mir eine Freundin anzulachen. Die Keyboarderin aus Reilleys Band ist niedlich.“
„Steck deine Ziele mal nicht zu hoch“, tadelte Sakura. „Erst Joan, dann Akari, und jetzt noch Ana Komura.“
Die beiden sahen sich an und lachten.
„Bald“, sagte Tetsu. „Bald kommen wir im Alpha Centauri-System an. Dann kann der ganze Ärger für uns beginnen. Und trotzdem bringen wir uns hier schon den eigenen Ärger mit. Warum kann es nicht mal leicht sein? Wenigstens für eine gewisse Zeit?“
„Weil leicht keinen Spaß macht“, erwiderte Sakura und zwinkerte ihm zu.
„Ich gehe dann mal und rede mit Doitsu. Ich denke, es wird Zeit die Informationen zusammen zu legen.“
Tetsus Blick wurde ernst. „Verstanden, Admiral.“
**
„Akira! Beeil dich!“
„Ich komme!“, rief ich zurück und zog über das weiße Hemd meinen langen schwarzen Mantel, vergewisserte mich, dass mein Katana korrekt auf dem Rücken auflag und trat auf den Flur.
Yoshi musterte mich ernst. „Hast du das schwarze Hemd nicht mehr? Mit dem weißen Ding wirst du leuchten wie eine Neonreklame.“
„Tut mir Leid, dass ich auch mal Sachen in die Wäsche packe“, erwiderte ich gereizt. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass wir heute von Doitsu in den Untergrund geführt werden.“
„Was? Du hast das Hemd nicht in fünffacher Ausfertigung? Wie oft hast du es dann gewaschen, hm? So oft, wie du es in letzter Zeit getragen hast…“
„Was willst du damit sagen, hä?“
„Ruhig, Jungs, ruhig.“ Mamoru trat zwischen uns und sah erst mir und dann Yoshi in die Augen. „Spart euch eure Energie für später. Ihr werdet sie noch bitter brauchen.“
Er sah einmal in die Runde und zählte die Anwesenden auf. „Mamoru. Kenji. Yoshi. Akira. Daisuke.
Gut. Damit sind die besten Nahkämpfer auf der AURORA versammelt.“
„Nahkämpfer?“, fragte Yoshi nach und hielt seinen Bogen hoch.
„Sehr komisch. Du weißt, was ich meine.“
„Sogar ich kann das erkennen“, murmelte Daisuke leise.
Yoshis Miene verzog sich zu einem düsteren Blick. „Hey, das war ein Scherz. Na toll, mit Trauerklopsen in den Einsatz ziehen, das ist genau das, was ich immer wollte.“
„Schluss jetzt!“, sagte Doitsu energisch. „Machen wir lieber, dass wir hier rauskommen, bevor die Frauen merken, was wir vorhaben.“ Er sah erneut in die Runde. „Ich will sie nicht dabei haben.“
In seiner Stimme klangen die Worte mit: Vor allem Hina nicht.
„Das leuchtet ein“, sagte Mamoru und ging voran. Wir anderen folgten.
Vor dem Haus erwartete uns bereits eine Limousine mit Elektromotor. Sie hatte abgedunkelte Scheiben und würde uns bis an unser Ziel bringen. Hoffentlich unerkannt.
„Also noch mal zum mitschreiben“, sagt Kenji, als wir eingestiegen waren. „Doitsu ist was?“
„Er stammt aus einer Yakuza-Familie“, half ich aus.
„Das ist mir klar. Das wusste ich schon, als wir noch Akiras Zorn waren. Mich interessiert was er hier in Fushida ist.“
Doitsu legte eine Hand an seine Brille und schob sie die Nase zurück, was einen schimmernden Reflex auslöste. „Ich bin der Oyabun der AURORA. Der Anführer der hiesigen Yakuza. Es war eine Bitte von Eikichi, dieses Amt zu übernehmen.“
„Aha. Und was machst du so? Das Übliche wie Raub, Mord, Erpressung und so?“
Für einen Moment wirkte es so, als wolle Doitsu Kenji an die Kehle gehen. Doch Daisuke schob sich dazwischen. „Sei nicht albern, Kenji. Wir reden hier über Doitsu! Also ist es nur Mord und Erpressung.“
Für einen Moment war der groß gewachsene Mann mit der Brille sprachlos. Dann verdrehte er in komischer Verzweiflung die Augen und seufzte tief. „Euch ist wirklich nicht zu helfen, Jungs.“
Wir anderen lachten. Es war ein befreiendes Lachen, welches viel von der Anspannung löste, die in uns herrschte, seit Doitsu uns, die Stärksten der Truppe, zusammengerufen hatte.
„Ich kontrolliere mit meinen Kobun, meiner Gesellschaft das Glücksspiel, die Prostitution und die halb legalen Drogen“, erklärte Doitsu. „Es gefällt mir nicht, aber Eikichi hatte Recht. Jemand, auf den sich die UEMF verlassen kann, muß die Hand auf diesem Geschäft haben. Jemand, der Erfahrung in diesem Gebiet hat. Jemand wie ich. Ich hasse es, das zuzugeben, aber ich bin wohl dazu geboren, ein Yakuza zu sein.“
„Mach dir darüber keine Sorgen“, sagte ich ernst. „Wir alle machen Dinge, auf die wir nicht stolz sind, die wir aber können. Aber für jede Sache, die wir tun weil wir es müssen gibt es eine Sache die wir tun weil wir es möchten.“
„Ja, sieh doch dich selbst an“, schmunzelte Yoshi. „Du zeichnest Mangas, und das auch noch erfolgreich. Akira singt neben der Division, die er führt, und das auch noch ziemlich gut.“
„Erinnere mich nicht ans singen! Ich hasse singen!“, warf ich ein, stieß aber auf taube Ohren. Unwillkürlich befürchtete ich einen weiteren Besuch der nächsten Karaoke-Bar.
„Jedenfalls“, nahm Doitsu den Faden wieder auf, „wissen wir nicht, wer die Angreifer vom Tempelplatz waren. Gehörten sie zu den Beherrschern der Grey Zone? Hat das Legat, oder vielmehr das, was von ihm übrig ist, sie geschickt? Oder spielt hier eine dritte, bisher unbekannte Partei mit?“
„Aha. Und um das heraus zu finden gehen wir runter in die Grey Zone und schlagen Krach“, stellte Daisuke leise fest.
Doitsu nickte. „Ja. Wir schütteln den Baum und sehen uns an, was herabfällt.“
Daisuke zog seine Glock19 und lud sie durch. Er grinste schief. „Na, meinetwegen. Ich begann mich schon zu langweilen.“
Kenji nickte dazu. Der große Mann mit den breiten Schultern zog sich ein Paar schwarzer Lederhandschuhe an. „Es wurde sowieso Zeit mal wieder zu zeigen, dass ich eine Sprechrolle habe.“
Als er die verwunderten Blicke der anderen bemerkte, erklärte er: „Was? Kommt euch dieses Leben nicht ab und zu vor als wäre es ein schlechter Roman mit Akira im Mittelpunkt, während alle anderen die schlechteren Rollen und die Statistenplätze abbekommen haben?“
„Hat dich schon mal jemand wegen deinem Akira-Komplex behandelt?“, fragte Yoshi grinsend.
„Bisher noch nicht“, erwiderte Kenji in gespieltem Ernst. Jedenfalls hoffte ich, dass sein Ernst gespielt war.
Als wir ausstiegen, taten wir dies in einer weiträumigen Lagerhalle. Für einen Moment vermisste ich den Sonnenschein, nur für einen Moment. Dann machte ich mir klar, dass die AURORA von Rechts wegen eine ganze Ecke düsterer als eine mondlose Nacht sein sollte, denn ohne die holographischen Künste der Anelph hätte es eine sehr einseitige Lichtverteilung gegeben, vielleicht ewiges Zwielicht.
Im Hintergrund der Halle wartete ein Aufzug. Es war ein Aufzug wie viele, der in ein Kellergeschoss führte, wie es viele in Hallen wie diesen gab. Nur das dieser hier noch eine ganze Strecke tiefer fuhr als die anderen.
Kurz griff ich nach dem Katana auf meinem Rücken. „Ihr, die Ihr hier eintretet“, murmelte ich leise.
„Musst du aus Dantes Inferno zitieren?“, beschwerte sich Doitsu und schlug seinen Mantel nach hinten. Dabei blitzten zwei Wakizashi auf, die auf der Innenseite des Mantels in Futteralen hingen.
„…lasset alle Hoffnungen fahren“, beendete ich stoisch.
Der Freund warf mir einen missbilligenden Blick zu. Anscheinend wertete er dies als schlechte Zeichen.
„Chiba“, sagte er ernst.
Aus dem unscheinbaren Schatten einer schweren Transportkiste schälte sich übergangslos eine Gestalt. „Tono.“
Erschrocken wich ich einen Schritt zurück. „Kann der Kerl nicht anklopfen?“, rief ich, um den Schrecken zu überspielen.
Doitsu überging meine Worte. „Chiba, wie sieht es aus?“
„Keine erhöhte Aktivität, Tono. Ein paar Schleuser, die neue Gäste hinunter gebracht haben, eine gewisse Fluktuation an Stammgästen und einige Warenlieferungen. Nichts, was aus dem Rahmen fällt.“
Daisuke lud seine Glock durch. „Dann können wir also beinahe erwarten, dass da unten keine gezückten und entsicherten Waffen auf uns lauern, was?“
Er trat an den Fahrstuhl heran. Wir anderen folgten ihm.
„Ihr nicht. Yoshi, Akira.“ Doitsu deutete auf einen Schacht an der Wand, der senkrecht im Boden verschwand und ein Gitter in drei Meter Höhe hatte. Er grinste schief. „Wir nehmen einen etwas schnelleren Weg. Die Lüftung. Achtzig Meter im freien Fall abwärts.“
Yoshi starrte den Freund für einen Moment entgeistert an. Dann zuckte er mit den Schultern. „Na, wenn es weiter nichts ist…“
5.
Aria Segeste trank langsam ein paar Schlucke kalten Tees. Er schmeckte furchtbar und war schon lange bitter geworden, aber nach acht Monaten auf Langstreckenpatrouille konnte sie froh sein, überhaupt noch etwas annähernd Natürliches zu bekommen, anstatt komplett aus dem Recycler zu leben, der neunzig Prozent der Nahrung der Besatzung produzierte.
„Nur nicht dran denken, was alles im Recycler verwendet wird“, murmelte sie bei sich, während sie die Berichte durch ging. Dann dachte sie doch daran und würgte kurz, bis sie sich wieder im Griff hatte.
Die TAUMARA war eine imperiale Fregatte der KUNOR-Klasse. Aria hatte sich freiwillig zum Dienst auf diesem Schiff gemeldet, weil sie davon ausgegangen war, dass der Dienst in den Außenbezirken des Imperiums nie langweilig werden würde. Oder zumindest eine gewisse Langeweile nie überschreiten konnte.
Sie hatte sich geirrt.
Die Berichte ihrer Schwadron waren den Umständen entsprechend gut. Nach acht Monaten, die nur mit Übungen und falschen Alarmen gefüllt war, konnte man erwarten, dass die Leistungen massiv abbauten. Aria war froh, dass sich das in Grenzen hielt. Obwohl die Piloten der Banges schon lange vor keiner richtigen Herausforderung mehr gestanden hatten und monotonen Dienst schieben mussten.
Das machte sie ein klein wenig stolz, und sie fragte sich, wie sie ihren dreiundzwanzig Piloten den Dienst ein wenig versüßen konnte.
Vielleicht konnte sie mit Kapitän Gorad reden, die Suche endlich abzubrechen. Sie hatten doch wirklich alles versucht, um die fliehenden Anelph und die drei gestohlenen BAKESCH zu finden. War es nicht irgendwann genug?
Sie beantwortete sich die Frage mit einem Seufzer selbst. Natürlich war es nicht genug. Vor ihr hatte die GANAD nach den drei BAKESCH gesucht. Als sie ohne Ergebnisse zurückgekehrt war, hatte dies den Kapitän sein Kommando gekostet.
Aria war sich sicher, dass Gorad dieses Risiko nicht eingehen würde. Deshalb hatte er selbst die kleinsten Spuren verfolgt und die Mission um geschlagene drei Monate überdehnt.
Wenn das Imperium eine Meuterei nicht wesentlich härter bestraft hätte als eine erfolglose Mannschaft, gestand sich Aria ein, hätten sie wohl längst eine gehabt.
Das Prinzip war relativ einfach, aber unendlich kompliziert in der Anwendung, um die drei BAKESCH und die Begleitschiffe zu finden.
In den Weiten des Alls hinterließen Raumschiffe nur wenige Spuren, eigentlich fast keine. Es gab einfach kein Medium, auf das Spuren permanent oder zumindest für einen längeren Zeitraum aufgeprägt werden konnten. Vakuum war nie so ein treffender Begriff gewesen wie für die Ortung im All.
Es gab Emissionen der Triebwerke, der Kraftwerke und dergleichen, aber die streuten recht schnell und hatten sich bald verflüchtigt.
Blieb also nur noch, indirekt nach den Schiffen auszuschauen. Das bedeutete nachzusehen, wo die Schiffe in dieses System hineingesprungen waren, und wo sie es wieder verlassen hatten.
Eine Zeitaufwändige und komplizierte Aufgabe, denn es gab nur einen kleinen Hinweis darauf, wo dies geschehen war.
Um von System zu System zu springen wurde zwischen Absprungpunkt und Zielpunkt ein Wurmloch etabliert, das beide Bereiche des Raumes verband. Dabei wurden die Schwerkraftlinien rund um Endpunkt und Startpunkt verändert, der Raum gekrümmt. Dies hatte Einfluss auf die umgebende Materie. Sie verließ ihre eigentliche Bahn und begann um den neuen Gravitationseinfluss zu kreisen. Es entstanden so genannte Jump Spots, die sich zwar nach und nach auflösten, aber definitiv auf Jahre vorhanden waren. Die Jump Spots von natürlichen Verwirbelungen zu unterscheiden, die beispielsweise ein Komet verursachte, das war die große Aufgabe eines Ortungsoffiziers.
Ein guter Orter konnte so selbst Wochen nach einem Sprung noch erkennen, wo ein möglicher Absprung stattgefunden hatte. Falls er im günstigsten Fall nicht gleich den Absprungpunkt als winziges Wurmloch fand, was bedeutete, dass das gesuchte Schiff noch im Transit ins Zielsystem war.
Aber nur ein sehr guter Orter konnte dies noch nach Monaten oder Jahren tun, wenn er sehr viel Glück und eine Menge Erfahrung hatte.
Anhand einer Trümmerwolke, die einen imaginären Spot umkreisten auf einen Austrittspunkt zu schließen, war eine Kunst für sich.
Eine Kunst, die Aria sich selbst nicht zutraute. Dazu bedurfte es schon Hellseher oder Schlimmeres.
Jedenfalls war es ein Ding der Unmöglichkeit, hier zwei Jahre nach dem Diebstahl der BAKESCH noch auf irgendeine Spur des Absprungs ins nächste System zu hoffen – wo sie doch schon nicht mal sicher waren, dass die Gruppe überhaupt bis in dieses System gekommen war.
Aber sie würde sich hüten, diesen Gedanken laut auszusprechen. Je länger die Suche dauerte und ergebnislos verlief, desto cholerischer wurde der Kapitän. Und Aria hatte absolut keine Lust, Opfer seiner schlechten Laune zu werden.
Als der Alarm aufgellte, reagierte Aria automatisch. Der Becher mit dem Tee flog im hohen Bogen davon, während sie bereits loslief, um ihren Banges zu erreichen. Die entfernt humanoide Maschine war ein Nahkampfmodell, wie sie es bevorzugte und für den Einsatz im All konfiguriert.
Die Techniker erwarteten sie schon und so beeilte sie sich, in ihrem Kampfanzug zu schlüpfen und in ihren Mecha zu gelangen.
„Information!“, verlangte sie, kaum dass der Helm mit der KI des Banges gekoppelt war.
„Die Ortung meldet einen Austrittspunkt in Ortungsreichweite.“
„Spezifiziere“, verlangte sie von der Künstlichen Intelligenz.
„Die Ortungsoffiziere arbeiten noch daran, aber die ersten Messungen sprechen von einem Objekt mit einer Masse von vierzig Milliarden Jeto, dass in dieses System hineinspringt.“
„Unmöglich. Selbst die TAUMARA wiegt nur zwanzigtausend Jeto!“
„Deshalb rechnen die Orter ihre Ergebnisse ja auch nach“, rechtfertigte sich die Intelligenz des Banges.
„Vierzig Milliarden Jeto.“ Anerkennend pfiff Aria. Wenn die Ortung stimmte – oder vielmehr falls – dann sprang dort gerade das größte Schiff, dass jemals das Universum durchquert hatte, von einem System ins Nächste. Wenn das wahr war, konnten sie es mit einem solchen Giganten aufnehmen?
„Ich will es sehen“, murmelte sie leise zu sich selbst und meldete ihre Maschine bereit. „Ich will dieses Riesending sehen!“
„Wenn Sie Pech haben, werden Sie das“, mischte sich der Kapitän über Funk ein, direkt an sie gerichtet. „Wenn wir alle Pech haben.“
Gorad hatte Recht, aber dennoch zitterte sie, zitterte in atemloser Erwartung. Die Langeweile hatte definitiv ein Ende.
Epilog:
Eikichi Otomo starrte auf das Bild in seiner Hand. Es trug auf der linken oberen Ecke einen schwarzen Trauerflor. „Helen“, murmelte er leise, „ich konnte sie schon wieder nicht beschützen.“
Langsam senkte er die Hand mit dem Bild und stellte es zurück auf den Schreibtisch, der ihm zur zweiten Heimat geworden war. Schon wieder hatte er als Vater versagt. Schon wieder hatte er seine Kinder in den Kampf geschickt, obwohl er doch genau wusste, dass auch andere an ihre Stelle treten konnten. Aber nein, es mussten ja wieder seine sein.
Müde legte er beide Hände vor sein Gesicht und atmete stoßweise aus. Sie hätten es mit einem erfahrenen Admiral belassen, seinetwegen die Hekatoncheiren mitschicken können, aber die Kids in der Erdverteidigung belassen können. Er selbst hätte das Kommando an sich reißen müssen um Sakura daheim zu lassen.
Stattdessen nutzte er die Popularität und die Erfahrung seiner Kinder erneut aus. Wie schon bei den ersten Angriffswellen der Kronosier.
Sein Blick ging zu einem anderen Bild auf seinem Schreibtisch. Es zeigte alle seine Kinder, nicht nur Yohko und Akira.
Auf dem Bild war natürlich noch Akari zu sehen, die langsam aber sicher wieder zu der großen, schlanken und bildhübschen Frau wurde, die sie als Oni dargestellt hatte. Daneben stand Yoshi, von dem Eikichi erwartete, dass er seine Liebe zu Yohko pflegte und sie irgendwann einmal heiratete. Die beiden waren einfach zu sehr füreinander gemacht.
Megumi stand direkt neben Akira, hatte die Augen zum japanischen Lächeln zusammengekniffen, hielt seinen Sohn am Arm und Zeigefinger und Mittelfinger der Linken zum V-Zeichen hoch. Auch sie nannte er seine Tochter, nachdem sie im Krieg ihre Eltern verloren hatte und so lange Akiras riesige Lücke hatte ausfüllen müssen. In den drei Jahren nach der ersten Marsattacke hatte er Megumi weit mehr an sich heran gelassen als er es eigentlich wollte. Und bereits damals hatte er gebetet und gehofft, dass die beiden letztendlich zusammen finden würden. Denn so sollte es sein, davon war Eikichi überzeugt.
Sakura und Makoto standen links im Bild, wobei Sakura vollkommen undamenhaft grinste und sich frech auf ihrem kleineren Bruder abstützte. Das waren seine Kids, seine Familie.
Es fehlten noch einige auf diesem Bild, Doitsu etwa, den er schon seit Jahren förderte und dem er nun das schwerste Amt angetragen hatte, welches sich Eikichi für den jungen Mann mit der Brille vorstellen konnte. Oder Sarah mit Daisuke, die er schätzen und mögen gelernt hatte. Auch Kei, der sich so erschreckend gemausert hatte war nicht auf dem Bild. Und wenn er es recht überlegte, vermisste er die anderen Slayer auch noch.
Joan, natürlich, wie hatte er Joan Reilley vergessen können? Wie ihr verrücktes Verhältnis zu seinem Sohn und die noch verrücktere Beziehung zu Mako-chan?
Eikichi zerdrückte eine Träne im linken Auge. Er hatte sie ausgeschickt. Verdammt, er hatte sie auf die AURORA gepackt und losgejagt. Auf eine Reise in die vollkommene Ungewissheit, vielleicht in den Tod oder in die Gefangenschaft in weiter Ferne.
„Helen“, hauchte er leise, „was habe ich nur getan? Was habe ich nur getan?“
Für einen Moment glaubte Eikichi, die Last eines anderen Körpers auf seinen Schultern zu spüren, glaubte, ihm so bekannte Arme zu fühlen, die ihn umarmten. Meinte, einen ganz bestimmten Geruch zu riechen und die Wärme eines bestimmten Menschen zu spüren. Glaubte, eine geliebte Stimme in sein Ohr hauchen zu hören.
„Sie sind jung. Und sie gehen auf das größte Abenteuer, welches je ein Mensch erlebt hat. Lass sie ziehen und wünsch ihnen das Beste. Alles andere werden sie schon richten. Habe Vertrauen in deine Kinder.“
Eikichi wirbelte herum. „Helen? Helen?“
Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er die Halbjapanerin hinter sich zu sehen, ihm mit zusammengekniffenen Augen zu zulächeln und das V-Zeichen mit der Linken zu formen. Doch dann sah er nur die Wand mit dem Bücherregal seines Büros hinter sich.
Er liebte sie noch immer, das wurde ihm mit schmerzhafter Intensität bewusst. Nun war sie fort, und er gab all die Liebe, die er an sie gegeben hätte, an seine Kinder weiter. Aber diese Kinder hatte er fortgeschickt.
Ekichi Otomo seufzte noch einmal tief. Sein Nachname, Otomo, bedeutete Wache oder Garde. Genau das war er auch. Die Wache der Menschheit. Viele hielten ihn für den mächtigsten Mann der Erde mit seinem Kommando über OLYMP, über die United Earth Mecha Force, mit seinen Anteilen an Firmen und Betrieben auf Erde, Mars und Mond.
Vielleicht war er das auch, der mächtigste Mann. Aber so sah er sich selbst nicht. Er war weniger, viel weniger. Er war ein Diener. Ein Diener an der Menschheit. Durch seine Hände gingen hundert Schicksale, Dutzende Nationen.
Er saß hier in seinem Büro und koordinierte nahezu eine ganze Welt. Damit seine Kinder, die ins Ungewisse aufgebrochen waren, einen Ort hatten, an den sie zurückkehren konnten.
Einen Ort, den sie wieder erkennen würden. Einen Ort, der immer noch ihnen gehörte, der nicht im Blut und Chaos von internen Kriegen versunken war. Eine Heimat.
Eikichi richtete sich wieder auf. Der argentinische Botschafter würde gleich zum Termin kommen. Es ging um eine verstärkte Präsenz der Argentinier in der UEMF.
Doch bis dahin warteten noch andere Projekte auf den Executive Commander der Erdverteidigung.
„Otomo hier“, sagte er ernst, nachdem er die Direktverbindung von OLYMP nach ARTEMIS etabliert hatte. „Jerry, wie weit ist die SCHARNHORST?“
„Das Schiff“, sagte der alte Freund, Mitstreiter und Ausbilder von Akira ernst, „wird in einem Monat fertig sein. Danach rüsten wir die TIRPITZ mit einem Sprungantrieb aus. Mit Hilfe der Dockkragen können wir dann mit zwei Fregatten, einem Zerstörer und fünf Korvetten springen, wenn alle Berechnungen springen.“
„Und damit zum ersten Mal in unserer Geschichte in allen benachbarten Sonnensystemen patrouillieren“, murmelte Eikichi ernst.
Die Menschheit, sie griff nach den Sternen. Und er hatte dabei die Aufgabe dafür zu sorgen, dass es alle taten und das es zum Wohl aller geschah – und nicht zum Wohl einiger weniger Staaten und Personen. Dies tat er – für seine Kinder.
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode acht
1.
Megumi Uno starrte auf das Datapad in ihrer Hand. Dann betätigte sie die Löschen-Taste.
Erneut begann sie zu schreiben, besah sich ihr Werk wieder und löschte erneut.
Als sie dies zum dritten Mal getan hatte, schlug sie vor Wut und Frustration auf den Tisch.
Gina Casoli, die Inhaberin des Restaurants, vor dem Megumi saß und die künstliche Sonne genoss, stellte den bestellten Capuccino vor der UEMF-Offizierin ab und meinte: „Schade, dass unsere Technologie schon so weit fortgeschritten ist. Würdest du deine Berichte noch auf Papier schreiben, dann könntest du sie wenigstens zerreißen, um den Frust zu bekämpfen.“
„Ach, wenn es Berichte wären“, murrte Megumi und warf das Pad auf den Tisch. Es rutschte bis zum anderen Rand und wäre dort beinahe herunter gefallen, wenn Gina es nicht aufgefangen hätte.
„Keine Berichte? Und dann arbeitest du schon seit einer Stunde dran?“
„Ah! Nicht lesen!“, flehte Megumi und versuchte der Italienerin aus Buenos Aires das Pad abzunehmen.
Die fintierte kurz nach Rechts und sprang einen Schritt vom Tisch zurück.
Dann las sie den bisher geschriebenen Text. Mit jeder Zeile wurde aus ihrem Lächeln mehr und mehr ein Grinsen. Doch dieses Grinsen erstarb, als die Erkenntnis dämmerte.
„Ich kenne diesen Stil. Ich kenne diesen Schreibstil genau. Megumi, du bist doch nicht etwa…“
Verlegen sah die Anführerin des Briareos-Regiments zur Seite und drückte die Zeigefinger aufeinander. „I-ich wollte eigentlich nie ein Geheimnis draus machen aber… Mein Verleger liegt mir jetzt schon seit Wochen in den Ohren, ich soll doch an der Serie weiter arbeiten und auch Vorlagen für den Nachfolger der Animeserie liefern und so…“
Überrascht und erstaunt ließ sich Gina gegenüber von Megumi am Tisch nieder. „Ich glaube es nicht. Ich glaube es einfach nicht. Du bist… Du hast die Romanreihe über die Marsangriffe geschrieben? Du hast die Vorlage für den Anime geliefert? Und jetzt schreibst du an einer Fortsetzung mit der Mission der AURORA als Hintergrund?“
„Äh“, machte sie leise. „Ja.“
Gina ließ das Datapad sinken und stützte ihre Stirn mit der Linken ab. „Ich glaube es einfach nicht. Das kann doch nicht wahr sein. Du schreibst tatsächlich die Romane. Ich dachte immer, Yoshi oder Akira selbst hätten die geschrieben. Aber dann stellt es sich heraus, dass es ausgerechnet Lady Death persönlich war.“
„T-tut mir Leid. Ich habe anfangs anonym geschrieben, weil es eigentlich nur ein Hobby sein sollte. Als die Bücher dann so ein Erfolg wurden, habe ich unter Pseudonym weiter geschrieben. Ich wollte einfach nicht, dass das Schreiben mein Leben beeinflusst.“ Betreten sah Megumi zu Boden. „Außerdem hatte ich Angst davor, dass Akira mich kritisiert.“
„Wieso kritisiert? Glaubst du nicht, dass er dir genügend Freiraum lassen würde?“
„Das hast du falsch verstanden. Ich meine meine Texte. Akira ist ein knallharter und grundehrlicher Kritiker. Er bringt sogar Steine zum heulen, glaub es mir. Er zerpflückt deine Texte binnen Sekunden und haut dir pro Satz mindestens fünf Fehler um die Ohren. Aber nichts davon ist an den Haaren herbei gezogen. Es hat alles Hand und Fuß. Deshalb kann man von seiner Kritik nur lernen. Aber wenn man dauernd sehen muß, wie weit der eigene Weg noch ist…“
„Verstehe“, bestätigte Gina nickend. „Dann willst du sicher auch nicht, dass jetzt bekannt wird, dass du diese Romane schreibst. Oder?“
Megumi hob eine Augenbraue. „Willst du mich etwa erpressen, Gina-chan?“
Ein Glitzern trat in die Augen der Italienerin. „Natürlich will ich dich erpressen.“ Sie erhob sich und kam um den Tisch herum. „Als allererstes wirst du nämlich mit mir kommen und meine Sammlung Handsignieren. Danach wollen wir uns mal über die Charaktere unterhalten, die du beschrieben hast. Und dann gehen wir mal auf den Handlungsverlauf ein. Hach, das wird ein Spaß!“
Megumi fühlte sich von Gina mitgezogen. Hastig griff sie nach ihrem Datapad. „Moment, mein Capuccino. Mist, hätte ich doch nur ein Pad genommen, dass auf mich geeicht ist.“
Gina grinste dämonisch. „Hinterher ist man immer schlauer, oder? Komm, wir gehen auf mein Zimmer. Pit und Giancarlo können die Gäste weiterbedienen.“
Megumi seufzte auf. Gegen die spritzige Italienerin kam sie einfach nicht an. Es war in etwa das gleiche wie sich gegen Akari oder Yohko zu wehren, es machte einfach keinen Sinn.
„Oh, Akane. Schön dich zu sehen. Hast du keine Vorlesungen heute?“, klang Ginas Stimme auf.
Megumi sah auf und erkannte tatsächlich Akane Kurosawa, ihren Sempai von der Fushida Oberstufe und eigentlich ganz gute Freundin. Mittlerweile. Irgendwie.
„Akane… Sempai“, sagte Megumi leise.
Akane musterte sie beide und schien sich für einen Moment wegdrehen zu wollen. Dann aber erbarmte sie sich doch und gab eine Antwort. „Nein, ich bin mit meinen Vorlesungen für heute durch. Die Uni nimmt nicht soviel meiner Zeit in Anspruch, wie ich befürchtet habe.
Du solltest vielleicht auch darüber nachdenken zu studieren, Megumi. Man sieht es doch bei der UEMF gerne, wenn ihre Offiziere auch Akademiker sind, oder?“
Megumi senkte den Blick. Nicht, dass sie da nicht schon mal drüber nachgedacht hatte. Sie hatte schließlich die Qualifikation und traute es sich durchaus zu, ein Studium zu beginnen und erfolgreich abzuschließen. Aber die Tatsache, dass Akane es ihr so ins Gesicht sagte, forderte ihren Trotz heraus. Sie zwei hatten eigentlich immer aufeinander reagiert. Und als Akane mit Mamoru zusammen gekommen war, da war es eher schlimmer als besser geworden. Vorher hatte sich Megumi sicher sein können, die einzige in den Gedanken von Herrn Hatake zu sein. Ab da aber hatte sie ihn teilen müssen, und das nicht gerade gerecht Halbe-Halbe. Für jemanden wie sie, der gerade die große Liebe hart und nachdrücklich von sich gestoßen hatte keine gute Idee. „Nicht so sehr wie sie es schätzt, dass ihre Offiziere was von ihrer Arbeit verstehen“, erwiderte sie in neutralem Tonfall. Aber der Wortlaut alleine war ja schon giftig genug. „Aber wo ich dich gerade sehe, wie sieht es eigentlich mit dir und Mamo-chan aus? Ich meine, vertragt ihr euch endlich wieder?“
Akane warf ihr einen wirklich bösen Blick zu. „Du meinst so wie du und Akira?“
Der hatte gesessen. Akane wusste anscheinend viel zu gut, wie unsicher Megumi noch immer war, nachdem Akira eher aus Zufall wieder in ihr Leben zurückgekehrt war. Selbst hier auf der AURORA schlich sie sich nachts heimlich in Akiras Zimmer, um sicher zu sein, dass er dort lag und schlief und nicht einfach wieder verschwunden war. Falls sie nicht ohnehin bei ihm schlief, was aber nicht so oft vorkam wie sie es eigentlich wollte.
„Friede, Friede, Mädels. Überlasst das streiten doch den Kerlen, denen hat Gott aus diesem Grund Testosteron gegeben“, ließ sich Gina vernehmen und machte das Zeichen für eine Auszeit, zwei zum T übereinander gelegte Handflächen.
Megumi sah die Italienerin an und atmete aus. Heftig, nachdrücklich und endgültig. „Hast ja Recht, Gina-chan. Was machst du eigentlich hier, Akane-sempai?“
„Ich? Ich wohne hier. Mir gehört das Dach-Appartement.“
Megumi warf ihr einen überraschten Blick zu.
Akane schien ihre Gedanken ahnen zu können und winkte ab. „Gina-chan ist nach mir eingezogen. Das konnte ich ja vorher nicht ahnen. Das alles konnte ich vorher nicht ahnen.“
„Hey“, beschwerte sich die junge Frau, „du redest ja gerade so, als würden wir zwei nicht miteinander auskommen. Ich bin doch eine gute Nachbarin, oder? Und im Restaurant ist es niemals zu laut.“
Nun war es an Akane verlegen zu sein. „Das wollte ich ja auch gar nicht sagen. Aber ich wollte nur klarstellen, dass ich Mamoru nicht nachlaufe und deswegen in das Haus gezogen bin, in dem er ab und zu kellnert und in der Küche hilft.“
„So? Dann bist du eine Idiotin“, schloss Megumi ernst.
Entgeistert sah Akane die Jüngere an. „Was, bitte?“
„Dann bist du eine Idiotin. Soll ich es für dich buchstabieren? Oder aufschreiben? Oder als Mail schicken? I-D-I-O-T-I-N!“
„Ja, schon gut, ich habe es auch beim ersten Mal kapiert. Aber wieso?“
„Weil du Unsinn redest. Warum solltest du Mamo-chan nicht nachlaufen? Ich meine, er ist übertrieben ernst, streng, zu diszipliniert, manchmal cholerisch und so aufregend wie eine Zwanzigerpackung Schlaftabletten, aber…“
„Nun mach ihn mal nicht zu schlecht“, warf Gina ein. „Ich meine, er ist ja nun mal ein tödlicher Agent mit eiskalter Präzision und der Abgeklärtheit eines Veteran und manchmal so ernst, dass man ihn als Wellenbrecher vor eine Tsunami stellen könnte.“
Akane spürte, wie sich ein Schweißfilm auf ihrer Stirn bildete. „Könnt ihr zwei da nicht mal mit aufhören? Er hat auch seine guten Seiten. Ich meine, er ist loyal, ehrlich, freundlich, höflich, liebenswert, gut im Bett und… Habe ich das wirklich gerade gesagt?“
Gina und Megumi wechselten einen erstaunten Blick und begannen lauthals zu lachen. „Ja, hast du, Sempai“, prustete Megumi. Sie grinste verschlagen und legte einen Arm um Gina und den anderen um Akane. „Mädels, das schreit nach einer zünftigen Aussprache. Wir wollen alle Details wissen! Und ich meine alle!“
„Mo-moment mal, Megumi-chan! Was meinst du mit alle Details? Megumi-chan?“
**
Zwei Stunden und eine Flasche Prosecco aus Ginas Restaurant später saßen die drei Frauen zusammen in Akanes Wohnung und besahen sich lachend ein paar hundert Fotos.
„Waah! Ist das etwa Makoto? So was sehe ich zum ersten Mal. Der Minirock steht ihm ja wirklich gut.“ Gina lachte und trank einen Schluck Wein. Leider prustete sie ihn wieder aus.
„Was ist denn, Gina-chan?“, fragte Akane und trank selbst einen Schluck.
„Ich habe mir nur gerade Mamo-chan oder Yoshi in diesem Rock vorgestellt.“
Nun war es an Akane, ihren Wein wieder auszuprusten.
Megumi lachte dazu. „Das ist noch gar nichts. Glaubt Ihr, Kenji-kun würde dieser Badeanzug stehen?“
Akane sah so ernst sie konnte auf das Foto von Joan Reilley und maß mit Daumen und Zeigefinger. „Einteiler sind einfach nicht sein Stil, denke ich.“
Wieder begannen alle drei Frauen zu lachen.
„Ach ja, die Strandparty. Akiras einzige gute Idee. Danach ging es ja nur noch abwärts. Die Notmannschaft aus halben Kindern für den OLYMP, der Angriff auf den Mars…“, murmelte Akane sentimental.
„Erinnerst du dich noch an den Abend, wo wir diese Fotos gemacht haben?“, sagte Megumi schnell, um das Thema zu wechseln. „Hier, Mako-chan in der Mädchenuniform. Was für ein Anblick, was?“
„Waah? So hübsche Uniformen habt Ihr in Japan? Mann, Makoto sieht darin aber auch süß aus.“
„Tja, unser Mako-chan hat schon so manche Frau in die Verzweiflung getrieben“, bemerkte Akane grinsend.
„Obwohl es für ihn nicht wirklich leicht war“, murmelte Megumi ernst. „Mit diesem hübschen Gesicht gestraft zu sein und so einen tollen, perfekten Körper zu haben – und dann noch eine Schwester, die ihn ständig in irgendwelche Frauenklamotten steckt, nein, das war nicht nett.“
„Und wir haben dabei auch noch mitgemacht“, murmelte Akane tonlos. „Nur Akira und Yoshi haben jemals versucht… Ich meine, wir haben es ja nicht wirklich böse gemeint, aber Rücksicht genommen haben wir auch nicht gerade.“
„Ach, Akira musste ihm ja helfen. Immerhin sind die beiden ja wie Brüder“, bemerkte Megumi leise. „Aber Yoshi, hm, ich glaube, er war ne Zeitlang einfach nur verknallt in Mako-chan.“
„Was, bitte?“, rief Akane erschrocken.
Gina hielt ihr ein Foto von Makoto vor die Nase, auf dem er ein sehr kurzes Sommerkleid trug und leicht vornüber gebeugt posierte. Seine Rotgefärbten Haare kamen sehr schön zur Geltung, er zwinkerte lächelnd in die Kamera und machte mit der rechten Hand das V-Zeichen. „Noch irgendwelche Fragen, warum sich Kerle in Mako-chan verlieben sollten?“
„Äh, nicht wirklich…“ Akane sah für einen Moment betreten drein, dann begann sie laut zu lachen. „Und dann staubt dieser Halunke ausgerechnet Joan Reilley ab. Na, von der Größe passen sie ja wirklich gut zusammen und so. Aber das ausgerechnet die oberniedliche Akirajägerin Nummer eins…“
Megumi räusperte sich vernehmlich.
„Na gut. Akirajägerin Nummer zwei“, gab Akane grinsend nach.
Gina füllte erneut die Gläser der Frauen nach. „Wo wir gerade beim Thema sind. Wo sind die Kerle eigentlich? Akira und Mamo-chan?“
Megumi zuckte mit den Achseln und zog ein weiteres Foto hervor. Es zeigte einen Teil der Bande beim Volleyballspielen am Strand. Hina und die Slayer gegen das Team der UEMF.
„Wo werden sie schon sein? Sie fahren in die Grey Zone runter, um ein wenig Mann zu spielen. Doitsu hat sie und Yoshi, Kenji und Daisuke zusammengerufen, um da unten mal ein wenig aufzuräumen und Bescheid zu geben, wer auf der AURORA das Sagen hat“, sagte Megumi mit einem Seufzer und nahm einen weiteren Schluck Wein.
Erstaunt hob Akane die Augenbrauen. „Du weißt von der Grey Zone? Und von dem Einsatz? Nicht mal ich konnte Sakura-sensei den Zeitpunkt den Angriffs aus der Nase ziehen.“
Wieder seufzte Megumi und nahm noch einen Schluck Wein. „Hey, zwei meiner Bataillonsführer sind gerade nicht zu kontaktieren. Man muß nur zwei und zwei zusammen zählen.“
„Ach, die Grey Zone. Da unten kriege ich erstklassigen Oregano her. Und die Pilze da unten sind auch nur zu empfehlen“, murmelte Gina leise.
„Was? Du kaufst in der Grey Zone ein?“, fragte Megumi.
„Warum nicht? Die haben ein gutes Angebot da unten. Und sobald du eine Geschäftsbeziehung zu den Verkäufern aufgebaut hast, dann senken sie auch die Preise. Denn ein Kunde der immer wieder kommt ist ihnen lieber als ein Kunde, den sie einmal abzocken.“
Akane verdrehte die Augen. „Mich beschäftigt eine andere Frage. Woher weißt du von der Grey Zone?“
„Woher weißt du von der Zone?“, konterte Gina. „Ich bin da einfach mal runter weil mir ein Kunde einen Tipp wegen der Champignons gegeben hat. Wirklich eine lauschige Ecke da unten.“
„Ich weiß von Sakura davon. Sie sagte irgendetwas wie, einen solchen Ort müsste es wohl geben, selbst auf der AURORA.“
„Vielleicht hat sie ja Recht“, murmelte Megumi nachdenklich. „Aber bisher dachte ich, da unten kriegt man nur Drogen, käufliche Liebe und scharfen Alkohol.“
„Ja, das auch“, meinte Gina und winkte ab. „Aber eben auch ne Menge Sachen, die es hier oben nicht gibt. Oder zumindest nicht in der Qualität. Obwohl, einige von der Kerlen, die sich da unten…“
Die Italienerin wurde rot und hielt den Mund.
„Gina!“, tadelte Akane ernst. „Also, wenn du so redest, dann…“
„Dann?“
„Dann sollten wir Mädels unbedingt mal eine Tour da runter machen!“
Die drei begannen wieder zu lachen.
„Und Akira und die anderen wollen da unten aufräumen?“, fragte Gina nach. „Hoffentlich übertreiben sie es nicht. Meine armen Champignons.“
„Nein, nein, so schlimm wird es wohl nicht werden. Wie Sakura schon sagte, einen solchen Ort muß es wohl geben. Aber er muß ja nicht gleich zu einer Rechtsfreien Zone werden.“ Nachdenklich trank Akane einen weiteren Schluck Wein. „Es geht wohl nur darum, den Menschen da unten klarzumachen, dass Doitsu es ist, der die illegalen Spielbetrieb, die käufliche Liebe und den Drogenhandel kontrolliert. Auch da unten.“
„Was macht Doitsu?“, rief Gina überrascht.
Akane und Megumi wechselten einen überraschten Blick.
„Er ist der Oyabun der AURORA. Wusstest du das nicht?“, hakte Megumi nach.
„Oyabun? Hä? Ist Doitsu ein Gangster?“
„So was in der Art. Er ist ein Yakuza. Und die Yakuza haben eine Jahrhundertealte Tradition in Japan. Es gibt natürlich auch brutale Gangster unter ihnen. Aber eben auch solche, die ein Territorium unterhalten und es beschützen, anstatt es auszubeuten. Und Doitsu hat von Onkel Eikichi den Auftrag bekommen, die AURORA zu beschützen.“
„Das klingt zwar schon besser, aber…“ Gina legte beide Arme um sich, als würde sie frieren. „Die arme Hina Yamada. Wenn sie herausfindet, was Doitsu da gerade macht, wird das bestimmt ein schwerer Schlag für sie.“
„Andererseits würde sie eine hervorragende Yakuza-Prinzessin abgeben“, warf Megumi ein. „Ich habe sie mal gegen einen zweihundert Pfund schweren Marine kämpfen sehen. Den hat sie glatt auf die Matte geschickt. Die Frau wirkt immer so harmlos und unschuldig. Aber dabei hat sie es faustdick hinter den Ohren. Der arme Doitsu, der weiß ja gar nicht, dass er bereits einen Meter tief unter ihrem Pantoffel steht.“
„Was für dich und Akira ja auch zutrifft, oder, Megumi-chan?“, neckte Akane.
„So eine bin ich nun aber wirklich nicht. Sempai, erzähl doch so was nicht“, beschwerte sich Megumi, während die anderen beiden Mädchen lachten.
Gina öffnete die zweite Flasche und goss allen nach. „Und jetzt in diesem Moment sind sie da unten in der Grey Zone, ja?“
Megumi nickte. „Akira…“, hauchte sie.
Akanes Lippen formten lautlos einen Namen.
2.
„Hatschi.“
„Gesundheit, Mamoru“, sagte ich, während ich mich mit einer Hand am Schachtrand festhielt, in dem ich, Doitsu und Yoshi die achtzig Meter bis zur Sohle der Grey Zone im freien Fall zurücklegen wollten.
„Danke“, murmelte der Geheimdienstoffizier und schniefte. „Muss wohl jemand an mich gedacht haben.“
Ich nieste ebenfalls. „An mich anscheinend auch.“
„Musste das sein, du Ferkel?“, beschwerte sich Yoshi und kramte nach einem Taschentuch, um sich den Ärmel abzuwischen. Er hing keine Handbreit entfernt von mir ebenfalls am Schacht.
„Tschuldigung. An mich hat wohl auch gerade jemand gedacht.“
„Wie dem auch sei, gebt uns zehn Sekunden, bevor Ihr springt. Dann sollten wir zugleich ankommen“, sagte Kenji und winkte ein letztes Mal, bevor sich die Türen des Fahrstuhls schlossen.
„Macht mal Platz“, erklang Doitsus Stimme. Kurz darauf sprang er und hielt sich nun ebenfalls neben uns fest. „Also, das ist der Plan. Zuerst Akira. Falls er es nicht schafft, landen wir wenigstens weich.“
„Das ist ein guter Plan“, lobte Yoshi. „Und dann? Machen wir alles platt was wir sehen?“
„Nein, wir nehmen Sicherungsstellungen ein, analysieren und stellen und vernichten den Gegner“, erwiderte Doitsu.
„Sag ich doch. Wir machen alles platt was wir sehen.“
Doitsu schlug sich mit einer Hand auf die Stirn. „Gib mir Kraft, Hina-chan. Gib mir Kraft.“
„Zehn“, sagte ich bestimmt und schwang mich in den Schacht. „Los geht es.“
„Wer hat eigentlich gesagt, dass du vorgehen sollst?“, hörte ich Yoshi protestieren, aber seine Stimme verstummte schnell, als ich die ersten Meter im Schacht gefallen war.
Eigentlich war es Wahnsinn, achtzig Meter tief zu stürzen und sich am Ende des Schachts abfangen zu wollen.
Mein Vorteil waren die Gravitation und der Luftwiderstand, die dazu führten, dass ich einfach nicht schneller fallen konnte als acht Meter die Sekunde, was mit der Erde identisch war.
Und natürlich meine KI-Fähigkeiten, die es mir erlauben würden, den massiven Einschlag abzudämmen, zu kanalisieren, bevor er mir Knochen brach und Gewebe zerquetschte.
Dafür aber würde ich die nächsten Tage sicherlich mit einem schönen Muskelkater zu kämpfen haben.
Ich hatte also knappe zehn Sekunden, bevor ich unten ankam. Das war eine Zeitspanne, die sich durchaus zu einer kleinen Ewigkeit dehnen konnte.
Über mir hörte ich ein leises Quietschen, als sich der Nächste in den Schacht warf.
Mist, das bedeutete, ich musste ganz schnell hier wieder rauf, wenn ich nicht wollte, dass mein Nachfolger mir auf den Kopf krachte.
Plötzlich erreichte ich das Ende, der Schacht ging von der Senkrechten in die Vertikale, ich durchstieß die Füße voran das Abdeckgitter, fiel noch einmal drei Meter und landete hart auf den Beinen. Der Schwung trieb mich nach vorne, ich nutzte ihn aus, machte eine Rolle vorwärts und ein klein wenig zur Seite und fing mich zusätzlich mit der Linken ab. Dann sah ich auf und musterte meine Umgebung. Noch während ich dies tat, griff ich nach meinen Katana.
Acht Männer erwarteten uns, und so wie es aussah, waren sie schwer bewaffnet. Ihre Aufmerksamkeit galt den Fahrstuhl, aber den Lärm, den ich bei meiner Landung veranstaltet hatte, hatten sie nicht überhört. Sie wandten ihre Köpfe in meine Richtung, aber nicht ihre Waffen.
Ich grinste kalt. Ihr Fehler.
Hinter mir landete Doitsu. Er kam gut auf den Füßen auf und ich bewunderte für einen Moment seine KI-Beherrschung, die besser austrainiert war als meine. Er taumelte kaum und nutzte den Schwung, um sich sofort auf die acht Gegner zu stürzen. Noch im laufen zog er beide Wakizashis.
Auch ich machte mich nun auf und sprintete aus meiner hockenden Position los.
Nun kam Yoshi an. Er landete auf beiden Füßen und blieb so stehen, als hätte ihn jemand dort festgeklebt. Er war eindeutig am weitestes in der KI-Beherrschung fortgeschritten, wie ich feststellen musste.
Der erste Pfeil verließ seine Sehne schon, bevor ich meinen ersten Gegner erreichte.
Noch war es nicht mein Interesse, jemanden zu töten oder gar schwer zu verletzen. Noch nicht. Also benutzte ich meine rasiermesserscharfe Klinge nicht gegen die Körper meiner Gegner. Doch KI-verstärkt konnte mein Katana durchaus die Heckler&Koch-Sturmgewehre halbieren, mit denen die acht Mann ausgerüstet waren.
Ich zerschlug die erste Waffe und nutzte den Schwung aus, um dem Nächsten meinen Ellenbogen in die Magengrube zu treiben. Ächzend ging dieser zu Boden, während der andere verwundert auf die Reste seiner deutschen Präzisionswaffe starrte.
Neben mir keuchte ein weiterer Gegner erschrocken auf, als ein Pfeil ihm die Waffe aus der Hand schlug.
Doitsu indes trieb einem Gegner die Faust ins Gesicht, was besonders schmerzhaft war, da er den Griff des Wakizashi in der Hand hielt.
Dann ertönte ein leiser Gong, und die Tür zum Fahrstuhl öffnete sich. Kenji Hazegawa sprang hervor, mit dem unwirklichen Brüllen eines Urzeitbiestes und riss gleich drei Gegner um.
Daisuke sicherte mit seiner Lieblingswaffe vom Fahrstuhl aus und gab kurze, präzise Schüsse ab.
Und Mamoru warf sich ebenfalls ins Getümmel.
Man konnte wirklich sagen, wir hatten den Gegner überrascht.
Als der letzte Feind entwaffnet und zu Boden geschickt worden war, nickte Doitsu zufrieden. Wir hatten niemanden getötet, aber das war beim Ausbildungsstand dieser Männer auch nicht notwendig gewesen.
Er griff sich einen von denen, dich noch bei Bewusstsein waren und hob ihn ohne sichtbare Kraftanstrengung auf seine Augenhöhe. „Hey, du. Gehörst du zu der Gruppe, die auf dem Tempelplatz diesen Anschlag verübt hat und hast du uns hier erwartet, um uns auszulöschen?“
Der Mann, ein Kaukasier, sah ihn überrascht an. „Anschlag? Euch erwarten? Nein, Mann, wir warten hier nur auf eine neue Warenlieferung!“
„Oh“, macht Doitsu und ließ den Mann los, woraufhin dieser zu Boden fiel.
Verlegen legte er eine Hand auf den Hinterkopf und meinte: „Waren wohl die Falschen.“
„Macht nichts“, kommentierte Mamoru und verschränkte seine Hände ineinander. „Mir fehlte sowieso etwas Bewegung. Und die Richtigen kommen ja sicher noch.“
„Außerdem“, sagte Daisuke und hob das Gesicht von Doitsus Gesprächspartner an, „kann es ja nicht schaden, wenn die Möchtegerngangster hier unten von vorne herein merken was passiert, wenn man sich mit dem Oyabun der AURORA anlegt. Oder ohne ihn Geschäfte macht.“
Blankes Entsetzen lag in den Augen des Mannes, als Daisuke ihn wieder losließ. Er brummte zufrieden und winkte uns tiefer in die Höhle der Zone hinein. „Gehen wir.“
Doitsu kam schnell auf seine Höhe und knuffte ihm gegen die Schulter. „Hey, Dai-chan, du klingst wie ein richtiger Profi. Willst du nicht bei mir einsteigen?“
„Ich weiß nicht, was zahlst du denn so?“, scherzte Daisuke. Dann winkte er ab. „Lieber nicht. Ich helfe gerne mal aus, aber wenn Sarah rauskriegt, dass ich einen auf Yakuza mache, würde sie mir die Hölle heiß machen.“
Mamoru seufzte verstehend. „Frauen. Du kannst nicht mit ihnen.“
„Aber auch nicht ohne“, komplettierte ich.
Gespielt erstaunt sah mich Mamoru an. „Das habe ich nicht gemeint.“
Wir sahen uns an und begannen zu lachen. Irgendwo hatte er ja Recht, auf eine ganz eigene Art.
„Na los“, murmelte ich grinsend. „Zeigen wir denen hier unten, was es heißt wenn man sich mit der Elite anlegt.“
**
Shawn Winslow, dem ehemaligen Anführer der Marodeure, war noch immer unwohl, wenn er in die Planungszentrale Poseidon kommen sollte. Er wusste, es war Pflicht, nach Einsätzen und Übungen gegenüber dem Admiralsstab und speziell gegenüber Admiral Richards Rechenschaft abzulegen. Aber der Kommandant der NOVEMBER-Fregatte KOWLOON glaubte immer noch, selbst nach über einem Monat, die brennenden Blicke der anderen Offiziere und Mannschaften im Nacken zu spüren, glaubte ihre Gedanken zu lesen, die lauthals herausschrieen: Wir trauen dir nicht!
Und er konnte es ihnen ja nicht einmal verdenken. Nach dem Fall des Mars und nachdem das Legat gefangen oder getötet worden war, da waren er und weitere Schiffskommandanten mit ihren Besatzungen geflohen. Hatten versucht, ihr eigenes Ding aufzuziehen.
Wenn Shawn darüber nachdachte, dann war er wirklich dumm gewesen. Dumm, sich den Kronosiern anzuschließen, dumm ihnen die Treue zu halten, nachdem die UEMF gewonnen hatte. Dumm zu glauben, er würde mit einem pazifistischen, weichen Weg seinen eigenen Lebensstil durchsetzen können. Oder sogar das Legat, Martian City wieder beleben können.
Auch konnte und wollte er nicht glauben, dass… Nein, er wusste nur zu gut, dass die Nachrichten über die Biocomputer keine Propaganda der UEMF waren. Das die Kronosier wirklich einen Weg gefunden hatten, Seelenenergie zu stehlen und zu speichern – zudem für militärische Zwecke zu verwenden.
Das alles wusste er. Das hatte er auch schon damals gewusst, als er die KOWLOON als Kapitän übernommen hatte. Aber er hatte es ignoriert. Mit beiden Händen von sich gewiesen, es als nicht existent betrachtet.
Die anderen, das waren Feinde gewesen, Gegner, die nichts Besseres verdient hatten.
Vor allem Megumi Uno und dieser Teufel Akira Otomo, die ihnen immer wieder so verheerende Verluste zugefügt und jeden einzelnen sorgfältig inszenierten Plan zunichte gemacht hatten.
Wenn er ehrlich sein sollte, er hatte nie damit gerechnet, dass er und seine Leute das Legat würden restaurieren können. Oder das sie wesentlich länger als drei oder vier Jahre leben würden. Es war eine fatale Grundeinstellung gewesen, dass dieser Weg sie irgendwann entweder in die Zerstörung oder in Haft führen würde, dass er nie einen anderen Weg gesehen hatte. Nun gut, es gab noch Plan drei: Genügend Geld mit dem Raub des Helium3 vom Mond zu verdienen, um sämtliche Mitglieder in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken und in einem gemütlichen kleinen Land auf der Erde eine Kolonie zu gründen.
Aber der Pakt mit Argentinien hatte es eindeutig versaut. Ordentlich versaut.
Sie waren zu sehr Werkzeug geworden, hatten sich von der Gier der Argentinier gängeln lassen. Im Grunde war es nur eine beschleunigte Straße zur Vernichtung gewesen.
Und nun stand er hier, seine Vergangenheit quasi aus dem Protokoll gestrichen und trug eine UEMF-Uniform und die Rangabzeichen eines Lieutenant Commanders der Raumflotte.
Nun kämpfte er Seite an Seite mit jenen, von denen er niemals Gnade erwartet, die er vor kurzer Zeit noch bekämpft hatte. Nervös lüftete er den Kragen der Uniform. Die Seeluft und die Hitze schufen eine schwüle Atmosphäre, selbst im dem vollklimatisierten Verwaltungsturm Poseidon. Oder schwitzte er einfach vor Aufregung?
„Commander Winslow?“ Shawn sah auf. Vor ihm stand eine Offizierin aus dem Stabsdienst. Er kannte sie flüchtig, aber hatte kaum ein Wort außerhalb des Dienstes gewechselt. „Lieutenant?“
„Sir, Admiral Ino bittet Sie, in Konferenzraum drei zu kommen.“
Das überraschte ihn doch sehr. Normalerweise hätte er seinen Bericht bei einem der Stabsoffiziere von Richards abgegeben, ein paar Worte dazu gesagt und wäre wieder verschwunden – wofür die UEMF-Halunken ihn mindestens eine Stunde Warteschleife fliegen ließen, normalerweise.
Aber zum Anführer der Einsatzgruppe vorgelassen zu werden war ein Novum.
„Ich komme.“
Der Konferenzraum war für dreißig Leute ausgelegt. Vierzig bevölkerten ihn bereits und weitere folgten ihm und dem Lieutenant hinein.
„Danke, Hitomi“, begrüßte Admiral Ino seine Begleiterin.
Die junge Frau nickte und setzte sich an ein Terminal.
Admiral Sakura Ino hob eine Hand, und die aufgeregten Gespräche verstummten.
Shawn sah sich um und erkannte, dass die Kapitäne sämtlicher Schiffe hier versammelt waren, sogar Commodore Takahara von der SUNDER, dem einzigen Megaschlachtkreuzer der Flotte.
Meine Damen, meine Herren. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Wie Sie alle wissen, springen wir gerade nach Alpha Centauri. Der Sprung wird in drei Tagen erfolgreich zu Ende gehen. Wir haben aber ein Problem entdeckt und ich möchte Sie deshalb um Rat fragen. Hitomi?“
Über dem Tisch zwischen den Kapitänen wölbte sich ein Hologramm. Es zeigte aufbereitete Videoaufnahmen. Shawn Winslow kannte die abgebildete Region nicht, nahm aber an, sie war ein Trümmerfeld im Zielsystem.
Kurz, nur ganz kurz huschte ein schneller Schemen über den Bildschirm. „Das sah aus wie eine Mischung aus Hawk und Daishi Alpha“, entfuhr es ihm.
Admiral Ino musterte ihn stumm für ein paar Sekunden, ebenso fühlte Shawn die Blicke der anderen Kapitäne auf sich ruhen.
Bevor er sich entschuldigen konnte, nickte Ino erneut der Kommunikationsoffizierin zu. Sie spulte das Holo zurück und ließ es stoppen. Nun erfüllte ein gigantischer, humanoider Mecha das Blickfeld.
„In der Tat. So könnte man ihn bezeichnen. Kapitän Ryon, was sagen Sie dazu?“
Die Erste Offizierin der SUNDER, eine Anelph, rieb sich kurz das Kinn. „Hm, die Anlehnung an unsere Mechas ist nicht zu übersehen. Mir selbst ist der Typ aber unbekannt.
Doch seien wir ehrlich: Es gibt nicht besonders viele Spezies im Universum, die Mechas bauen. Das sind außer uns und den Kronosiern, die alte imperiale Modelle von uns übernommen haben nur die Menschen. Und die Naguad.“
Lautes Raunen erklang. Selbst Shawn ging ein Schauder über den Rücken.
„Die Naguad also. Haben wir eine Ahnung, womit wir es zu tun kriegen?“, hakte Ino nach.
„Nun, Ma´am“, begann die junge Frau erneut, „wie ich schon sagte, als wir Anelph assimiliert wurden, bekamen wir die Daishi-Technologie von ihnen. Aber die Modelle waren damals bereits überholt und sie werden in den letzten drei Jahren nicht gerade moderner geworden sein. Was wir da gesehen haben, ist auf jeden Fall eine Neuentwicklung des Imperiums oder einer anderen assimilierten Spezies. Vielleicht haben wir es sogar mit dem Neuesten des Neuesten zu tun.“
Entsetztes Schweigen antwortete ihr.
Admiral Ino nickte dem jungen Mann neben ihr zu. Natürlich, Colonel Makoto Ino durfte bei solch einer Besprechung nicht fehlen. Auch er nickte Hitomi zu, woraufhin ein neues Gefährt das Holo erfüllte. „Dies ist“, begann der Colonel seinen Bericht, „eine Fregatte der KUNAR-Klasse. Nach den Daten, die uns unsere Anelph-Verbündeten zur Verfügung gestellt haben, eines der neueren Modelle der Naguad. Es ist in etwa anderthalb mal so stark wie eine Fregatte der YAMATO-Klasse. Dies ist der letzte Stand, über den wir verfügen. Und der ist über drei Jahre alt. Zudem hat die KUNAR Trägerfähigkeiten. Wir gehen von zwei Dutzend Mechas verschiedener Klassen aus. Vorschläge?“
Shawn meldete sich zu Wort. „Das ist nichts, womit die AURORA nicht fertig wird. Unse Problem liegt woanders. Wir können davon ausgehen, dass dieser KUNAR im Gegensatz zu uns keine permanente Verbindung zur Heimat hat. Also müssen wir ihn vernichten, bevor er springen kann, uns entkommt und das Imperium warnt. Und wir müssen schnell und hart zuschlagen, sonst ist die ganze Mission in Gefahr.“
Für einen Moment befürchtete Shawn, zuviel gesagt zu haben, sich wieder zu sehr als Marodeur gezeigt zu haben, wieder aufs Abseits geschoben zu werden. Doch die Blicke, die ihm galten, waren trotzig und anerkennend.
„Gut“, sagte Admiral Ino ernst. „Wir werden versuchen sie zu vernichten, sobald wir den Sprung hinter uns haben. Und das mit all unserer Kraft. Bemannen Sie zehn Korvetten. Wir werden sie brauchen. Und benachrichtigen Sie sofort Commander Otomo. Wir werden zwanzig Mechas mit Boostern ausrüsten, falls eine Verfolgung notwendig wird.“
Wieder sah die hübsche blonde Frau in die Runde. „Das wird unser erster Feindkontakt mit dem Imperium der Naguad. Was wir bei dieser ersten Begegnung lernen wird uns hilfreich sein, jetzt und in der Zukunft. Wir dürfen es nicht versauen, dazu ist es zu wichtig.“
Sie trat einen Schritt vom Holotisch zurück. „Hitomi. Stiller Alarm für alle Führungsoffiziere der Flotte, der Mechas und der Bodentruppen.“
Kurz darauf erklang Dutzendfaches Piepen im Raum, als sämtliche Alarmmelder der anwesenden Kapitäne ansprachen.
3.
Ai Yamagata war immer schon die stille, ruhige Person gewesen. Sehr zurückhaltend, aber zuverlässig. Sie hatte nie nach Höherem gestrebt, sondern nur versucht in ihrem Leben etwas zu tun, was sie wirklich und vollkommen beherrschte.
Das sich das so vollkommen ändern würde, hätte sie niemals gedacht. Seitdem sie auf die AURORA gekommen war, hatte diese Entscheidung sie weit weg von ihrem alten Leben katapultiert.
Hier auf dem Gigantschiff war sie für die Wartung und Aufrüstung der Long Range Area Observer, Codename Bruder Auge verantwortlich. Um exakt zu sein, sie war die Cheftechnikerin und für jede Schraube und jede Schweißnaht hier verantwortlich.
Ai sah an dem gigantischen Daishi Epsilon hoch, der dieser Mecha im Grunde war. Er bot einem Piloten, vier Ortungsspezialisten und einer Unmenge Elektronik zur Datenauswertung Platz und verfügte über ein Recyclingsystem, dass einen tagelangen Einsatz zuließ.
Auf dem Rücken der gewaltigen Maschine waren von vorne herein die Anschlussstellen für den Booster vorgesehen, jene Technologie mit der die Geschwindigkeit und Reichweite der Maschine rapide erhöht werden sollte.
Ai schauderte leicht. Und sie war verantwortlich für diese Maschinen. Die AURORA hatte acht an Bord und genügend Ersatzteile um weitere fünf zu bauen. Binnen eines Jahres, wenn die Ressourcenlage stimmte, konnten sie drei weitere selbst produzieren. Ai traute sich das durchaus zu, so eine Produktion in Gang zu halten und auszuführen. Immerhin hatte sie bei Luna Mecha Research an der Entwicklung und am Bau sowohl des LRAO als auch des Boosters mitgearbeitet.
Was auch der Grund dafür war, dass sie hier den Chef spielen musste. Sie war die Spezialistin der Herstellerfirma. Sie hatte das Fachwissen.
Das sie absolut nicht teamfähig war hatte sich zum Glück nicht als Hindernis herausgestellt. Im Gegenteil. Ihre Leute, ein Stab von fast vierzig Technikern hatten ihre Art, sämtliche anfallenden Arbeiten selbst erledigen zu wollen als Kritik an ihren Fähigkeiten missverstanden und von Anfang an begonnen, sich in die Materie einzuarbeiten und ihr Vertrauen zu verdienen.
Durch diese eigentlich sehr rücksichtsvolle Methode, erfüllt mit vielen kleinen Lernerfolgen und Bestätigungen war die Truppe beinahe zu einem Ganzen herangewachsen. Beinahe. Natürlich gab es auch hier und da Abweichler, Querdenker und heimliche Genies, die natürlich alles effektiver und besser konnten.
Aber was Ai an Führungskraft fehlte, machte sie mit Kompetenz wett.
Ihre Leute hatten Vertrauen zu ihr gefasst. Tiefes Vertrauen, das sie so niemals für möglich gehalten hatte. Doch all das war nun fortgewischt, in einer einzigen Sekunde.
Praktisch von einem Moment zum anderen stand Ai Yamagata vor den Trümmern von sechs Wochen vorsichtigem Herantastens und dem Aufbau zaghafter Freundschaften.
Ai fühlte sich von ihren Technikern fixiert. Viele warfen ihr böse Blicke zu, die sie innerlich schrumpfen ließen. Unausgesprochene Vorwürfe lagen in den Blicken und Ai musste sich eingestehen, dass die Menschen und Kronosier in ihrem Team alles Recht der Welt hatten, mit ihr böse zu sein.
„Tu-tut mir Leid“, stotterte sie und verfiel in ihr altes, unsicheres Selbst.
Sie deutete auf die Frau neben sich und erklärte: „D-dies ist Joan Reilley. W-wir sind…“
„Wir wissen wer Joan Reilley ist“, rief einer der Techniker, Ole Johansson, Bereichsleiter Boosterbetreuung. „Was wir nicht wissen ist, wie lange unsere Cheftechnikerin schon mit ihr befreundet ist.“
Joan schmunzelte bei diesen Worten und trat einen halben Schritt vor. „Ach, Ai-chan ist eine Freundin von Akira Otomo. Wir haben uns kennen gelernt als sie bei meinem letzten Konzert in den Backstagebereich kam. Zwischen uns hat die Chemie sofort gestimmt, nicht, Ai-chan?“
Zögernd wagte es Ai, die berühmte Künstlerin anzulächeln. Aber im Angesicht der wütenden Blicke ihrer Leute senkte sie sofort wieder den Blick.
„Sie ist ziemlich gut auf der E-Gitarre. Wir hatten viel Spaß auf der Bühne“, setzte Joan noch einen obendrauf. „Ich bin auch eigentlich nur hier, um sie abzuholen. Sie hat die letzten beiden Proben ausfallen lassen, und wir wollten doch die beiden neuen Songs ausprobieren.“
„T-tut mir Leid“, stammelte Ai verlegen. „A-aber die Softwareprobleme am Booster werden mich noch auf Stunden beschäftigt halten, weil die Adaption der KI-Energie auf den Boosterkern enorme Probleme…“
Joan winkte ab. „Das können doch deine Leute erledigen. Die sehen mir alle sehr kompetent, erfahren und vor allem intelligent aus. Sonst wären sie ja auch nicht auf der AURORA. Bei einem winzigen Problem kannst du doch mal eine Auszeit nehmen, oder?“
„Natürlich schaffen wir das“, kam es aus der Menge. „Du hast uns genügend Kniffe gezeigt, Yamagata-sama. Aber wieso hast du uns nie erzählt, dass du so dicke mit Joan Reilley bist? Und wieso willst du nicht mit ihr proben? Ich würde mir einen Arm abreißen lassen, um mit ihr auf einer Bühne stehen zu dürfen!“
Zustimmendes Gemurmel antwortete Ken Nakamura, Bereichsleiter LRAO-Elektronik.
„D-die Arbeit geht vor“, antwortete Ai und fand langsam ihre innere Sicherheit wieder. „Diese Arbeit ist wichtig und…“
„Natürlich ist sie wichtig. Deswegen machen wir sie ja“, warf ihr Johansson vor. „Aber das ist Joan Reilley. Und sie lädt dich ein. Hey, vielleicht kommt sie hier mal öfter vorbei, verteilt Autogramme und so. Wenn du sie nicht zu oft versetzt.“
Verlegen sah Ai von ihrem Techniker zu Joan und von dort zurück. „Eh?“
„Danke, Leute. Das mit den Autogrammen geht das nächste Mal klar. Und für den nächsten Geheimgig lasse ich euch einen Hinweis zukommen, ja?“, sagte Joan und zwinkerte.
Sie sah Ai Yamagata an und stupste sie in die Seite. „Ach komm schon, Ai-chan. Was sollte den passieren?“
Übergangslos erwachte ihr Alarmsummer zum Leben. Ai griff zu ihrem eigenen. „So was zum Beispiel. Wir haben Alarm.“
„Mitten im Transit?“, fragte jemand ungläubig.
„Nur für die Führungsoffiziere“, sagte Joan und nickte ernst. „Uns erwartet also Ärger auf der anderen Seite. Na, da bin ich aber mal gespannt. Kommst du, Ai-chan?“
Die beiden Frauen wechselten einen kurzen Blick und setzten sich dann in Bewegung.
„Komm bald wieder, Joan!“, rief einer der Techniker und die anderen fielen ein.
„Du bist wirklich beliebt“, stellte Ai lächelnd fest.
„Du aber auch“, brummte sie amüsiert als Antwort. „Deine Leute reißen sich für dich glatt ein Bein aus.“
„Ach, Quatsch“, murmelte die Japanerin und wurde rot. „Obwohl ich ihnen vertraue.“
**
Ich war in Bedrängnis. Kalter Schweiß stand auf meiner Stirn.
Ich fixierte meinen Gegner und wusste, da war nur noch eine Chance. Nur mein ultimativer Angriffsmove konnte hier noch die Wende bringen.
Mein Feind griff an, ein Koloss, der dreimal so schwer und anderthalb mal so groß war wie ich. Seine Attacke, die vibrierenden Messerhände waren nicht von schlechten Eltern. Aber ich trat zurück und blockte.
Mein Block hielt, und für einen Moment, einen winzigen Moment zog mein Gegner zurück.
Dies war der Moment. Der Augenblick. Auch ich hatte meinem Gegner bereits hart zugesetzt und konnte es schaffen!
„MEGA-SUPERSONIC-UPPERCUT!“
Die Rechte begann wie unter extremen KI-Einfluss zu leuchten, als sie blitzschnell auf das Kinn des Riesen zuraste! Dort explodierte sie in einer Fontäne aus Energie und Kraft und riss meinen Feind in die Höhe. Mit einem entsetzten Aufschrei fiel er hinterrücks zu Boden.
Triumphierend sprang ich vom Spielautomaten auf und riss meine Arme hoch!
„Ungeschlagen! Akira Otomo ist auch im zehnten Spiel ungeschlagen!“ Ich warf meinem Gegner ein fieses Grinsen zu. „Du warst nicht schlecht, Mike, aber es gibt immer jemanden, der besser ist!“
Mein Gegner, der Besitzer der Spielhalle, in der ich gerade stand, erhob sich und nickte bedauernd. „Sieht so aus, Akira. Also okay, du hast alles getan, was ich von dir verlangt habe. Du hast zehn der besten Spieler hier besiegt. Du hast mich besiegt. Okay, ich halte mein Wort. Ich werde mich an der Konferenz der Grey Zone beteiligen.“
Ich grinste triumphierend und ließ mich einige Zeit von den begeisterten Zuschauern feiern.
Die Situation hier unten in der Grey Zone war so vollkommen anders, als wir erwartet hatten.
Es gab in der Tat eine Gruppe, die versuchte, gewaltsam Einfluss auf diesen Lebensbereich zu nehmen. Dies war einer der Gründe, warum wir eine eigentlich unschuldige Horde Bewaffneter vertrimmt hatten, als wir hier herunter gekommen waren.
Doch es gab keinen professionellen Widerstand gegen diese Gruppe. Nur vereinzelt stemmten sich Geschäftsleute dagegen, unorganisiert und meist nur mit den eigenen Leuten.
Somit fiel Bar um Bar, Bordell um Bordell, Spielhalle um Spielhalle in die Hände dieser Gruppe und zahlte Schutzgeld oder wechselte den Besitzer.
Bereits jetzt waren die Söhne der AURORA, wie sich die Gruppe hochtrabend nannte, ein Machtfaktor in der Zone, der zudem auch noch Zulauf an hoffnungsvollen jungen Leuten, Gangstern halt, erhielt, die sich hier eine Zukunft versprachen.
Nach den ersten fünf Kneipen, die wir aufgesucht hatten, hatte sich sehr schnell herauskristallisiert, dass reguläre Polizei für diesen Bereich der AURORA absolutes Gift gewesen wäre. Andererseits konnten und wollten wir die Zone nicht vollkommen ohne Schutz, ohne eine gewisse Kontrolle lassen.
Deshalb hatten wir uns aufgeteilt, und versuchten nun, so viele Ladenbesitzer wie irgend möglich zu einer Konferenz zu überreden, in der sie beschließen sollten, sich Doitsu, dem Oyabun der AURORA anzuschließen und auf dessen Schutz zu vertrauen. Mit der Hälfte oder mehr der Ladenbesitzer hinter uns würde es uns leichter fallen, die Söhne der AURORA zurückzudrängen und dieses Übel unter Kontrolle zu halten. Weitestgehend unter Kontrolle zu halten.
Noch hatte dieses Pack nicht auf unsere Anwesenheit reagiert, was ich sehr erstaunlich fand. Immerhin war Doitsu bei seinem ersten Besuch beinahe sofort verfolgt worden.
Aber das lag vielleicht daran, dass ihnen ein einzelner als leichtere Beute erschien als eine ganze Gruppe – wenngleich sie sich gerade aufgeteilt hatte.
Ich nickte Mike Schumann zu. „Also, Übermorgen in der Lagerhalle über dem Fahrstuhl. Vergiss es nicht, Mike. Sonst komme ich wieder und gebe dir Revanche.“
„Die kriege ich sowieso“, drohte der Mann mir gespielt.
Wir tauschten einen Händedruck aus und mit einem Hochgefühl trat ich wieder auf die Straße zurück. Begleitet übrigens von einigen der Gäste, die das Spektakel frenetisch gefeiert hatten.
Ace Kaiser
Auf der Straße erwartete mich ein etwas untypischer Anblick. Mamoru Hatake stand dort und massierte seine Knöchel. Zu seinen Füßen lagen drei Bewusstlose.
Zugleich kam Kenji Hazegawa aus einer dunklen Ecke und zerrte vier Weitere hinter sich her.
„Ist das etwa alles was Ihr draufhabt? Und damit wollt Ihr die AURORA kontrollieren?“ Mamoru schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Amateure.“
„Versuchen sie also endlich Ernst zu machen“, brummte ich amüsiert.
Mamoru musterte mich einen Moment. „Scheint ein Erfolg bei dir gewesen zu sein, was?“
Ich nickte dazu. Leises Gelächter der Zaungäste quittierte Mamorus Worte.
„Was war los, Mamo-chan?“
„Ich bin aus Versehen in eine Kneipe geraten, die bereits den Söhnen der AURORA gehört. Dort fanden sie es gar nicht witzig, dass wir eine Art Generalversammlung aller Geschäftsleute abhalten wollten, um die Zone unter den Schutz der Yakuza zu bringen.
Wir gingen raus vor die Tür und von da in eine dunkle Ecke. Na ja, Kenji hat mich zufällig gesehen, den Rest kannst du dir ausmalen.“
Ein erstickter Schrei erklang schräg über uns, und kurz darauf fiel ein schwarz gekleideter Mann auf die Straße herab. In seiner Schulter steckte ein Pfeil und neben ihm landete ein fünfschüssiger Karabiner.
Yoshi kam zu uns herüber und entspannte die Sehne seines Bogens. „Sorry. Ich habe den Kerl nicht gleich gesehen.“
Ich musterte den Freund besorgt. „Danke dafür, aber… Hast du etwa getrunken?“
„Ich kann nichts dafür“, beschwerte sich der Freund. „Juri bestand darauf, dass wir zuerst mal fünf Wodka kippen, bevor er mir zuhört. Merkwürdige Sitten sind das hier.“
„Und dann konntest du noch treffen?“, meinte Mamoru. „Gib es zu, du hast eigentlich auf uns gezielt.“
„Ha, ha. Sehr witzig, Mamo-chan.“
Doitsu kam hinzu. Seine Miene war sehr ernst. „Ich habe jetzt ein ungefähres Bild der Lage. Wir befinden uns hier im zweiten Drittel der Zone. Zum Fahrstuhl hin nimmt der Einfluss der Söhne der AURORA rapide ab. Hier im mittleren Drittel ist er teilweise vorhanden. Im hinteren Drittel ist er am stärksten. Dort gehören bereits über die Hälfte der Läden den Söhnen.“
„Was bedeutet, dass die Zentrale unserer Gegner irgendwo da hinten sein muß“, murmelte ich leise und musterte den Schützen, den Yoshi vom Dach geholt hatte. Der Mann lebte noch. Ich zuckte die Achseln. Sollten seine Freunde sich um ihn kümmern.
„Wollen wir gleich rüber gehen und sie auslöschen?“
„Uns fehlt dazu der Rückhalt in der Bevölkerung der Zone. Diese Menschen hier sind recht eigen. Sie sind an einem Ort, der ihnen normalerweise verwehrt geblieben wäre, weil sie weder die Ausbildung noch die Beziehungen hatten, um an unserer Mission teil zu nehmen. Zudem leben sie hier unabhängig. Diese Unabhängigkeit werden sie nicht ohne weiteres aufgeben. Polizei wird hier niemals möglich sein und die Zone zerstören. Aber eine Selbstkontrolle wäre sicher eine gute Sache.“
Ich dachte über diese Argumente nach. „Du meinst, es könnte auch passieren, dass uns die Menschen, die wir eigentlich auf unsere Seite ziehen wollen, uns in den Rücken fallen könnten, wenn ihre Unabhängigkeit bedroht ist? Das sie lieber die Söhne wählen als uns?“
„Sie wissen sehr gut, dass sie illegal hier sind. Aber nun sind sie da und wollen bleiben. Zu ihren Regeln“, stellte Daisuke fest, der lautlos neben uns getreten war.
Yoshi zuckte zusammen, als sich Daisuke Honda zu Wort meldete. „Dir binde ich noch mal ein Glöckchen um den Hals, du Leisetreter.“
Kenji grinste zu Yoshis Worten.
„Also“, nahm Doitsu wieder den Faden auf, „hat jeder seine fünf Läden abgeklappert?“
Wir nickten geschlossen.
„Gut. Gehen wir davon aus, dass einige nicht kommen werden. Und davon, dass andere, die wir nicht besucht haben, dennoch kommen. Rechnen wir ruhig optimistisch mit dreißig Ladenbesitzern. Manche von ihnen haben zudem mehrere Läden. Das gibt uns einiges Gewicht.“
„Es sieht also gut aus“, stellte ich fest und rieb mir die Hände. „Und, Jungs, was machen wir jetzt?“
Das Piepen unserer Alarmmelder gab die Antwort. „Arbeiten“, stellte Yoshi tonlos fest.
Ich seufzte tief. Wir waren mitten im Transit, Yoshi stand etwas unsicher auf den Beinen und Sakura rief zur Besprechung. Was konnte nur so wichtig sein?
„Sorry“, sagte ich in die Runde zu Besuchern und Bewohnern der Zone, „der Dienst ruft. Aber wir kommen wieder.“
Wir setzten uns in Bewegung, begleitet von den Abschiedsgrüßen der Anwesenden. Es schien mir so, als hätten wir bereits den ersten Rückhalt hier unten.
**
„Was Sie hier sehen“, sagte Makoto ernst, „ist eine imperiale Fregatte. Sie lauert uns am Ankunftspunkt auf. Und das ist merkwürdig.“
„Wieso?“, kam eine Frage aus der Reihe der Infanterieoffiziere.
Mako lächelte dünn. „Das hängt mit der Art des Wurmlochs zusammen. Ein großes Objekt wie die AURORA generiert ein großes Wurmloch. Eine Fregatte der NOVEMBER-Klasse generiert dementsprechend ein kleines Wurmloch. Fakt ist, dass das Wurmloch der AURORA riesig ist. Die Besatzung der Fregatte muß anhand der Analysen wissen, was für ein Brocken auf sie zukommt. Wieso, frage ich, fliehen sie also nicht oder halten Distanz zu uns?“
„Entweder weil sie mutig sind“, sagte ich ernst, „oder weil sie dumm sind.“
„Ich tippe auf beides“, ließ sich Megumi vernehmen.
Ich warf ihr einen schiefen Seitenblick zu. Sie schien mir nicht ganz bei der Sache zu sein. Was hatte sie angestellt? Sie hatte zwischen Tür und Angel nur etwas von Frauensache und Akane erwähnt, als ich sie darauf angesprochen hatte.
„Wir gehen davon aus“, sagte ein Hochgewachsener, weißhaariger Kronosier, der in Makotos Stab diente, „dass die Naguad sehr genau wissen, was da auf sie zukommt. Und sie wollen es einfach noch genauer wissen.“
„Aber warum halten sie dann nicht einfach etwas Abstand ein? Ich würde das tun“, warf Mamoru ein.
„Das hängt mit den speziellen Bedingungen im All zusammen“, meldete sich Kei Takahara zu Wort. „Die Naguad-Fregatte kreuzt neben dem Wurmloch. Hochrechnungen von Kurswechseln und Geschwindigkeit haben ergeben, dass die Fregatte bei unserer Ankunft in relativer Nähe sein wird, aber mit einem Zwanzigstel der Lichtgeschwindigkeit von uns fortstrebt.
Die AURORA aber wird mit einem Vierzigstel Licht aus dem Wurmloch austreten.
Sie denken also, uns aus relativer Nähe betrachten zu können, aber schon auf Fluchtkurs zu sein, und dies mit einer Geschwindigkeit, bei der wir sie nicht mehr einholen können.“
„Gute Analyse, Commodore Takahara“, sagte Mako ernst. „Sie deckt sich mit der meines Stabes.“
Makoto sah in die Runde, in die Augen der Offiziere der Schiffe, der Mechas, der anderen militärischen und Unterstützenden Einheiten. „Fakt ist, das können wir nicht zulassen. Wenn dieses Schiff uns scannt, wenn dieser Pott uns entkommt, dann ist die Mission verloren, bevor sie beginnt.“
„Und deshalb“, meldete sich Sakura ernst zu Wort, „ziehen wir in Betracht, dies hier einzusetzen.“
Mitten im Raum flammte ein Hologrammfeld auf. Es stellte einen länglichen Gegenstand dar, der mir kalten Angstschweiß über den Rücken laufen ließ. „Sakura, das ist nicht dein Ernst!“, blaffte ich.
Auch die anderen, die wussten worum es sich hier handelte, raunten erschrocken.
Das Ding, das da vor uns als Nachbildung im Raum schwebte, war ein Temporalresonator! Dieses Teufelsding, welches beinahe alles Leben auf dem OLYMP ausgelöscht hätte.
„Ich weiß, damit sind wir nicht viel besser als die Militärs, die die Atombombe erfinden und einsetzen ließen“, sagte sie tonlos, „aber die AURORA hat auf Wunsch von Executive Commander Eikichi Otomo sechs Torpedos mit Temporalresonatoren an Bord, die wir in absoluten Notfällen einsetzen werden.“
Ich spürte, wie sich meine Hände gegen meinen Willen zu Fäusten verkrampften. „Sakura…“
„Der Plan ist einfach. Wir schießen einen Resonator ab, lassen die Fregatte in das Feld geraten und sperren die Besatzung lange genug darin ein, um sie aufbringen zu können. Sollten genügend immune Besatzungsmitglieder die Kontrolle über das Schiff wiedererlangt haben, kommen wir so aber nahe genug heran, um das Schiff trotzdem zu zerstören oder aufzubringen.“
„Gibt es denn keinen anderen Weg?“, fragte Yohko zaghaft. „Müssen wir denn wirklich diese schreckliche Waffe einsetzen?“
„Es gibt noch einen Alternativplan“, gestand Sakura ernst. „Aber er ist schwierig. Und er ist kompliziert. Und komplizierte Pläne bieten viel zu viele Möglichkeiten, um schief zu gehen.“
„Dann lasst mal hören“, sagte ich ernst.
Admiral Richards ergriff das Wort. „Unser Alternativplan sieht wie folgt aus. Fünf getarnte Korvetten koppeln von der AURORA aus und verlassen das Wurmloch vor uns. Dies ist mit einem Risiko verbunden, weil wir nicht wissen, ob dies möglich ist. Im schlimmsten Fall bedeutet es die Zerstörung der fünf Schiffe. Aber wenn es funktioniert, dann schaffen wir es, fünf schnelle, getarnte Einheiten nahe an den Feind zu bringen, bevor er auf Fluchtgeschwindigkeit geht.
Wir haben geplant, mit Hilfe der Korvetten zwanzig oder mehr Mechas heran zu bringen, deren dringendster Auftrag ist, den Antrieb der Fregatte auszuschalten. Wenn das geschafft ist, kann sie nicht mehr springen und wir brauchen das Schiff nur noch aufzubringen.“
„Als Absicherung würden wir eine Spezialeinheit aus zehn unserer besten Piloten zusammenstellen, die ab sofort mit den Boostern trainieren und als Ausweichplan fungieren würden. Sie würden die Fregatte nach dem Fehlschlag mit den Korvetten verfolgen, stellen und den Antrieb um jeden Preis vernichten und hohe Eigenverluste in Kauf nehmen“, sagte Makoto ernst. „Das ist der andere Plan. Bequemer und sicherer ist der mit dem Resonator allemal.“
Ich sah in die Runde. Vereinzelt sah ich ein Nicken oder eine gerunzelte Stirn. „Die Hekatoncheiren lehnen den Einsatz eines Temporalresonators gegen ein nichtstationäres Ziel ab“, erklärte ich ernst. „Also lasst uns anfangen und den anderen Plan mit Leben füllen.“
Zustimmendes Gemurmel erklang.
„Also“, begann ich leise, „wir brauchen zwanzig Mecha-Piloten, die an Bord der fünf Korvetten sein werden, um ins Ziel gebracht zu werden. Ich melde mich für diese Mission freiwillig.“
„Sir, ich rate davon ab, Commander Otomo das Angriffskommando führen zu lassen“, meldete sich der Kronosier aus Makos Stab zu Wort.
Ich senkte den Blick. Ging also diese Litanei bereits los. Sein Leben zu wertvoll, seine Kampferfahrung zu wichtig, Selbstmordmission, bla, bla, bla. Wann kapierten diese Theoretiker endlich, dass ich niemanden einer Gefahr aussetzte, die ich nicht ebenfalls bereit war zu riskieren?
„Wir brauchen den Commander, Major Futabe, Major Ataka und Colonel Honda als Anführer der Booster-Einheit. Es könnte erforderlich werden, die Booster mit KI-Energie zu betreiben, falls die Fregatte schneller flieht als es unsere Planungen eigentlich gestatten. Dann kann nur ein verstärkter Booster dieses Schiff einholen.“
Verblüfft sah ich den Mann an. Das war tatsächlich ein gutes Argument.
„Ich übernehme den Befehl über die Angriffsschiffe an Bord der Korvetten“, meldete sich Megumi zu Wort. „Nach Commander Otomo bin ich die beste Mecha-Pilotin an Bord. Wenn diese Aktion klappen soll, müssen wir unsere besten Nicht-KI-fähigen Piloten aufbieten.“
Sie sah zur Seite zu meiner Schwester Yohko. „Das betrifft auch Sie, Lieutenant Colonel.“
Yohko nickte schwer, und ehrlich gesagt blieb mir dabei das Herz stehen. Megumi dieser Gefahr auszusetzen war schon schlimm für mich. Aber dass meine kleine Schwester mitgehen würde, versetzte mir einen mächtigen Hieb.
„Ich werde ebenfalls mitkommen“, sagte Makoto ernst. „Genauer gesagt werde ich einen Vierersquad an Long Range Area Observer anführen. Die Korvetten werden uns zusammen mit den Angriffsmechas entlassen, woraufhin wir mit Hilfe konventioneller Booster auf Lauschposition gehen. Sollte es noch mehr imperiale Schiffe im System geben, werden wir das herausfinden.“
Auch noch Mako-chan. Es konnte also tatsächlich eine Steigerung für den Albtraum, Megumi zu verlieren, geben.
„Außerdem rate ich dazu, das Booster-Team von den Slayern unterstützen zu lassen“, fügte Makoto hinzu und sah Hina Yamada ernst an. „Ihr habt bisher zwar nur rudimentäres Waffentraining erhalten, aber Ihr beherrscht euer KI weit besser als die anderen Piloten an Bord. Major Futabe vielleicht mal ausgenommen.“
Die blonde Hina nickte tapfer. „Verstehe.“
„Also noch mal für die billigen Plätze“, sagte ich und versuchte verzweifelt, meine innere Ruhe wieder zu finden. „Fünf Korvetten werden vorab von der AURORA ablegen und vor unserem Basisschiff das Wurmloch getarnt verlassen. Sollte dies gelingen und sollte die Tarnung nicht durchschaut werden, schleusen vier LRAO aus und beginnen die nähere Umgebung rund um unseren Ankunftspunkt abzusuchen. Die Korvetten nehmen Fahrt auf und versuchen die imperiale Fregatte einzuholen. Was gelingen sollte, da sie hoffentlich nicht mit getarnten Schiffen rechnet.
Sollte dieser Angriff, vorgetragen von den Korvetten und zwei Kompanien Mechas – sicherlich gemischt in Hawks, Eagles und Sparrows – nicht mit der Vernichtung des Antriebs enden, werde ich mit einem speziell aufgestellten Team Mechas mit Hilfe der Booster aufbrechen und versuchen, die Fregatte noch einzuholen. Unser Auftrag ist zu jedem Preis die Fregatte einzuholen, zu vernichten oder aufzubringen.“
Die Anwesenden nickten.
„Das bedeutet dann KI-Training für uns und Mechatraining für die Slayer“, stellte ich fest.
„Und erhöhtes Kampftraining für das Vorauskommando“, sagte Megumi ernst. Sie klatschte in die Hände. „Also, viel Zeit ist nicht mehr. Ich erwarte Freiwilligenmeldungen, und zwar ausschließlich Freiwilligenmeldungen, da wir nicht sicher sein können, dass wir den Sprung mit den Korvetten überleben. Und ich erwarte sie noch in dieser Stunde, damit wir mit dem Spezialtraining beginnen können.“
„Es gibt da noch ein kleines Problem“, meldete sich der Kronosier erneut zu Wort. „Die Rechtslage.“
„Was für eine Rechtslage? Die Fregatte ist der Feind und wir vernichten ihn“, sagte Yoshi laut.
„Ganz so einfach ist es nicht, Major Futabe. Denn rein rechtlich gesehen befinden wir uns mit den Naguad nicht im Krieg.“
Erschrockenes Raunen erklang.
„Nicht im Krieg? Was soll der Scheiß? Wir sind auf einer Mission und kurz davor entdeckt zu werden! Und zwar von dieser Fregatte! Also machen wir das einzig Richtige und blasen sie aus diesem Universum, und das ist ja auch unser Plan! Oder habe ich da was nicht mitgekriegt?“
„Rein rechtlich gesehen ist das ein Akt der Piraterie“, warf Makoto ernst ein.
Ich beobachtete eine seltsame Regung an Yoshi. War er eben noch aufbrausend gewesen und dazu kurz vor der Explosion, schien ihn die Konfrontation mit Mako wieder auf den Teppich zu holen.
„Unser Problem ist, dass wir unseren Konflikt mit den Kronosiern geführt haben, nicht mit den Naguad, wir können also nicht einmal von einem Akt der Verteidigung sprechen. Auch die Entstehung der Kronosierzelle geht auf die Anelph zurück, nicht auf die Naguad, wenngleich es ihre Technologie war.
Im Klartext haben wir keinen Streit und keine Berührungspunkte mit dem Imperium.
Nach der Rechtssprechung des Internationalen Gerichtshofs würden wir, wenn wir den ersten Schuss auf diese Fregatte abfeuern, illegal handeln. Und das nach terranischen Gesetzen, nicht nach imperialen.“
„Wenn das so ist, was machen wir dann hier draußen überhaupt?“, blaffte Doitsu ärgerlich.
Makoto sah den jungen Mann mit der Brille lange an. „Die Anelph, die uns begleiten und jene, die auf dem Mars siedeln sind Rebellen, wenn man es genau nimmt. Flüchtlinge, die vor dem Imperium geflohen sind. Sie sprechen nicht für ihr ganzes Volk, nur für ihre Splittergruppe. Zudem leben die Anelph in einem Frieden mit den Naguad. Zugegeben in einem aufgezwungenen Frieden, aber sie sind nicht im Krieg. Es ist ein schwieriges Thema, schlimmer als ein Minenfeld.
Um es mal auf juristisch zu sagen: Wir leisten einer Splittergruppe, schlimmstenfalls einer terroristischen Vereinigung Beihilfe gegen deren Obrigkeit.“
Ban Shee Ryon keuchte erschrocken auf.
Makoto hob einen Arm, bevor die junge Anelph sich beschweren konnte. „Die Realität sieht natürlich anders aus. Wir haben die Anelph mit Freude aufgenommen, weil wir alle der Meinung sind, dass wir den Naguad bei ihrer Expansion mit gebündelten Kräften wesentlich besser widerstehen können denn einzeln.
Außerdem waren wir einstimmig der Meinung, dass wir uns selbst am meisten helfen, wenn wir noch mehr Anelph von der Heimatwelt holen, die bereit sind, aus dem Imperium zu fliehen. Sie sehen, Major Futabe, wir stehen vor einem Dilemma.“
„Also begehen wir, wenn die Naguad nicht zuerst auf uns schießen, einen Akt der Piraterie“, murmelte ich leise. „Was ist, wenn wir uns auf eine Kontrollfunktion berufen? Nach dem Motto, die Erde beansprucht Alpha Centauri als Territorium und übt ihr Recht auf Grenzkontrolle aus?“
„Dann müssten wir, wenn sie einer Kontrolle zustimmen, sie anschließend weiterfliegen lassen“, merkte Mako an. „Daran haben wir auch schon gedacht.“
„Na, dann bleibt uns ja nur noch eine Möglichkeit. Erklären wir dem Imperium den Krieg.“
Mich trafen Dutzende erstaunter Blicke. „Was?“
„Na, wir erklären ihnen den Krieg. Mein Gott, in fünf, zehn oder zwanzig Jahren geraten wir sowieso mit ihnen aneinander, wenn sie erst mal merken, wohin wir die geretteten Anelph gebracht haben. Stellen wir den Konflikt von vorne herein auf eine solide Grundlage.“
„Ach, und welchen Grund gibt der Herr Commander für die Kriegserklärung an?“, fragte Kei Takahara mit beißendem Spott in der Stimme. „Lügen wir uns was zusammen wie untragbare Importbedingungen in das Imperium oder so?“
„Warum versuchen wir es nicht mit der Wahrheit? Wir beanspruchen Alpha Centauri und jedes weitere System bis zum Heimatsystem der Anelph. Jegliche Präsenz des Imperiums wird als feindlicher Akt und als offene Kriegshandlung angesehen. Womit wir unsere Begründung hätten.“
„Ach“, raunte Megumi, „und das nennst du die Wahrheit? Die Wahrheit wäre doch eher, wir wollen bei unserem Flug nicht enttarnt werden, oder?“
„Es ist beides richtig, Megumi“, antwortete ich.
„Gut“, sagte Admiral Richards. „Ich werde Admiral Ino Ihren Vorschlag unterbreiten, Commander. Ich glaube nicht, dass wir viel damit falsch machen werden, wenn wir den Naguad jetzt bereits den Krieg erklären. Allerdings sollten wir darauf verzichten, ihre Zentralwelt bereits zu informieren – oder die Position der Erde offen legen.“
Ich lachte über den Witz, andere fielen ein. Der alte Mann hatte wirklich Humor.
„Die Besprechung ist beendet. Commander Otomo, stellen Sie Trainingspläne für die von uns avisierte Aktion auf und lassen Sie den Angriff üben.“
Ich salutierte vor meinem Cousin. „Verstanden, Colonel Ino.“
Ich wandte mich meinen Leuten zu. „Briareos.“
Megumi Uno nickte. „First Head-Bataillon unter Major Yoshi Futabe, Second Head-Bataillon unter Doitsu Ataka und Third Head-Bataillon unter Major Olivier Laroche sind bereit.“
Ich sah meine Schwester an. „Gyes.“
„Fourth Head-Bataillon unter Major Kenji Hazegawa, Fifth Head-Bataillon unter Major Takashi Mizuhara und Sixth Head-Bataillon unter Major Cassiopeia Sourakis sind bereit.“
Ich zwinkerte meiner kleinen Schwester zu. „Kottos.“
Daisuke Honda hatte darauf nur gewartet. „Seventh Head-Bataillon unter Major Ryu Kazama, Eighth Head-Bataillon unter Major Azumi Hamasaki und Ninth Head-Bataillon unter Major Elena Kowaleva sind bereit.“
Ich nahm die Meldungen mit Zufriedenheit entgegen. „Dann wollen wir doch mal einen Krieg beginnen.“
4.
„Achtung. Die Piloten der Angriffstruppe werden gebeten, für den Transfer auf die Korvetten ihre Mechas zu bemannen. Ich wiederhole, die Piloten der…“
Erschrocken sah ich auf. War es denn schon soweit? Ich sah in die große Halle, in der die Hekatoncheiren-Mechas Aufstellung für die Verladearbeiten genommen hatten. Megumi koordinierte ihre neunzehn Freiwilligen, unter ihnen meine Schwester Yohko.
Verdammt, es konnte soviel schief gehen. Zum Beispiel könnte die AURORA eine Gravitationswelle vor sich herschieben, von der die fünf Korvetten während des Transits oder beim Austritt in den Normalraum zermalmt werden würden.
Oder sie fielen aus dem Wurmloch heraus, bevor sie den Austrittspunkt erreicht hatten, entweder in den Normalraum, irgendwo im Leerraum zwischen den Sonnen oder in ein anderes Kontinuum, aus dem es kein Zurück gab.
Makoto klopfte mir grinsend auf die Schulter. „Mach dir doch nicht so viele Gedanken, Lieblingscousin. Es wird schon alles schief gehen.“
Er deutete auf die vier LRAO, die neben den zwölf Hawks, den vier Sparrows und den vier Eagles Aufstellung genommen hatten. „Und es wird die Feuertaufe für unser Equipment. Ich bin sehr gespannt, wie viel die Booster bringen, wenn kein KI-Pilot an Bord ist.“
„Flieg nur nicht zu weit“, mahnte ich ihn. „Die Reichweite der Booster ist begrenzt und du willst doch nicht nach Hause humpeln. Zudem mit vier nörgelnden Radartechnikern an Bord.“
Wieder klopfte mir Mako auf die Schulter. „Aber, aber. Du machst dir ja richtig Gedanken.“ Er wurde ernst. „Ich halte es für möglich, dass es eine Falle ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Augen so schnell wie möglich auf die nähere Umgebung richten. Akira, wenn es eine Falle ist – wir fliegen ohne Begleitschutz. Dann müssen die Hekatoncheiren uns raus hauen. Oder zumindest das, was von uns noch übrig ist.“
Ich dachte über seine Worte nach. Es war bereits gewagt, vier LRAO von den getarnten Korvetten starten zu lassen. Die Fregatte konnte sie eventuell orten. Aber ihnen Begleitschutz mitzugeben, wie es die neu entwickelte Doktrin vorsah, hätte die vier Epsilon viel zu auffällig werden lassen.
„Tut mir Leid, dass ich dir keinen Begleitschutz mitgeben kann“, murmelte ich.
„Hey, es ist mein Plan, oder?“, erwiderte er leise.
Ich sah zu den Mechas des Vorauskommandos herüber. Megumi hatte tatsächlich die besten Piloten aus der Elite herausgepickt. Yohko winkte kurz zu mir herüber, bevor sie in ihren Sparrow kletterte. Ich winkte zurück, wenngleich schweren Herzens. Ich wollte sie nicht verlieren. Aber ich hatte keinen Einfluss auf die Realität, der über das normale Interagieren mit der Umgebung hinausgegangen wäre.
„Achtung, die Bruder Auge-Besatzungen bitte in ihre Mechas. Ich wiederhole, die Bruder Auge-Besatzungen…“
„Das ist mein Zeichen. Wünsch mir Glück, Großer.“
Nun klopfte ich meinem Freund und Ersatzbruder auf die Schulter. „Viel Glück und komm lebend wieder, sonst sorge ich dafür, dass Kei sein gesamtes Archiv über dich frei zugänglich macht. Du weißt schon, Bilder von jeder Fotosession, zu der die Mädchen dich gezwungen haben und so.“
„Na, wenn das keine Motivation zum überleben ist“, lachte Makoto. „Dir auch viel Glück.“
Ich nickte dazu.
Makoto ging hoch erhobenen Hauptes zu seinem LRAO. Dort erwarteten ihn bereits vier Radartechniker. Unter ihnen Hitomi-chan, die ehemals mit Megumi in einer Klasse gewesen war und nun im Stab der Hekatoncheiren diente. Auch Mako schien die besten um sich versammelt zu haben.
Ich wandte mich ab, teils ärgerlich und teils verzweifelt. Es wurde Zeit. Zeit zu Prime Lightning zu gehen, den Booster durchzutesten und auf meinen eigenen Einsatz zu warten.
Nun würde es nicht mehr lange dauern.
Die Entscheidung über die gesamte Mission stand uns bevor.
„Akira-chan!“, erklang eine vertraute Stimme hinter mir. Ich wandte mich um und erkannte Kitsune. „Akira-chan, darf ich mitfliegen?“
Ich runzelte die Stirn. „Kitsune-chan, du hast dich in letzter Zeit ein wenig rar gemacht. Und jetzt willst du mit mir in den Einsatz gehen?“
Die Fuchsdämonin in Menschengestalt winkte ab. „Zugegeben. Ich habe mich ein wenig in der AURORA herum getrieben, um diese Agenten aufzuspüren. Hat leider nicht den Erfolg gebracht, den ich haben wollte. Deshalb brauche ich ja auch mal ein positives Erlebnis.
Ach, komm, Akira-chan. Ich will einen Sieg sehen. Ich verwandele mich auch als Fuchs und bin ganz mucksmäuschenstill. Ja? Ja?“
Eine große Faust sauste auf Kitsune herab und traf sie auf dem Kopf.
„Auuu! Was soll das denn, du großer Brummbär?“, beschwerte sie sich bei Okame-tono, dem die Faust gehörte. „Ich will doch nur bei Akira-chan mitfliegen und mal wieder Action erleben!“
Okame redete nicht viel, sondern ergriff die Füchsin am Kragen ihrer Uniform und begann sie hinter sich herzuschleifen. „Major Hatake will uns sehen. Er stellt ein Enterkommando zusammen und wir zwei sollen dabei sein.“
Übergangslos begannen die Augen der Dämonin zu glänzen. „Wirklich? Warum sagst du das nicht gleich?“ Sie entwand sich problemlos dem Griff des alten Wolfs und zog nun ihn mit. „Leg mal einen Zahn zu, alter Tattergreis, bevor es sich Mamo-chan anders überlegt, ja?“
Ich atmete aus. Legte eine Hand vor mein Gesicht. Dann musste ich lachen. Diese beiden, nein wirklich. Wer sie sah, konnte kaum ernsthaft daran glauben, dass Kitsune bereits zweitausend Jahre alt war – und Okame sogar mehr als doppelt so alt.
War das das Geheimnis eines langen Lebens? Soviel Spaß wie möglich zu haben?
Denn in einer Sache war ich mir sehr sicher. Okame machte es mehr als Spaß, auf Kitsune aufzupassen.
**
Ein letztes Mal ließ ich meinen Blick über die vor den Mechas Angetretenen schweifen. Die Slayer waren mit je zwei Mechas der drei Grundtypen ausgerüstet und würden mit ihnen in den Einsatz gehen.
Ich sah jeder der Frauen in die Augen und klopfte ihnen anerkennend auf die Schultern. Mit diesem Ausbildungsstand freiwillig ins Gefecht zu ziehen wäre normalerweise tödlicher Leichtsinn gewesen. Wenn ich nicht die Magischen Youma Slayer vor mir gehabt hätte. Was sie an Wissen über die Waffen nicht hatten, konnten sie mit ihrer KI-Kraft ausgleichen. Eine Waffe, mit der Unterstützung von KI abgefeuert konnte enormen Schaden anrichten. Ich dachte daran, wie ich damals den getarnten ZULU längs gespaltet hatte.
„Wir wissen noch nicht, ob wir mit der Fregatte in den Clinch müssen. Wenn das Vorauskommando gut arbeitet, werden wir zwar ausschleusen, aber nicht kämpfen müssen.
Falls aber doch, vergesst nicht auf mich, Daisuke, Doitsu und Yoshi zu hören. Wir geben euch die Ziele vor und sagen euch, ob und wann Ihr angreifen müsst. Ansonsten steckt eher zurück als dass Ihr aus eigener Initiative handelt.“
Ich fuhr Akari mit einer Hand durch das Haar. „Hast besonders du das verstanden, Nee-chan?“
„O-nii-chan“, beschwerte sie sich mit einem Kichern.
„Hina. Du bist ihre Anführerin. Du hast sie durch viele Schlachten geschickt. Ich verlasse mich darauf, dass du sie auch jetzt gut führst.“
Die Chefin der Slayer wurde rot. „Natürlich, Akira-san.“
„Und du, Akane, du bist hier noch die Vernünftigste. Habe ein Auge auf die Schäfchen, ja?“, mahnte ich die Studentin.
Sie lächelte wissend.
„Soll das heißen wir sind nicht vernünftig?“, warf Ami wütend ein.
„Darf ich dich an den Youma erinnern, der den Börsenmakler übernommen hatte?“, warf Eri ein. „Wie oft hast du ihn alleine angegriffen? Und wie oft musste Sarah dich raus hauen?“
„D-das kann man doch nicht so pauschal sehen. Gut, ich habe da einen Fehler gemacht…“ Sie drückte die Zeigefinger aneinander. „Den gleichen Fehler fünfmal, aber wir haben ihn besiegt und den Mann befreit.“
Ich tätschelte dem unscheinbaren Mädchen mit den braunen Haaren den Kopf wie wenige Minuten zuvor Akari. „Sei einfach vorsichtig und hör auf uns, Ami-chan.“
„Ist ja gut“, murrte sie mit gesenktem Kopf.
Ich klatschte in die Hände. „So, Herrschaften, es ist gleich soweit. Wenn noch mal jemand auf Toilette muß, sollte er jetzt gehen.“
Ich hatte den Hangar gerade verlassen, als hinter mir eine bekannte Stimme erklang. „Stirb besser nicht in dieser Schlacht, Akira-sensei.“
Ich wandte mich um und erkannte Michi. „Warum das denn nicht? Ich habe es eigentlich auch nicht vor“, bemerkte ich amüsiert.
„Du musst vorher noch dein Versprechen halten und mich stark machen. Stark genug, um dich zu töten.“ Er ballte seine Hände zu Fäusten. „Das hast du mir versprochen, Akira-sensei!“
„Micchan? Was machst du denn hier?“, erklang Akaris Stimme neben uns.
Die junge Frau trat auf den Gang zu uns heraus und strahlte den Gleichaltrigen an.
„Akarin?“, rief er erschrocken. „Akarin, was machst du denn hier? Die bereiten sich auf einen Angriff vor. Sogar mich haben die nur rein gelassen, weil ich Akira-senseis Schüler bin…“
„Ich nehme am Angriff teil“, erklärte sie fröhlich.
„Was?“ Michi starrte sie an als hätte er einen Geist gesehen. „Du tust was?“
Sein Kopf ruckte zu mir herum und er fixierte mich mit einem sehr vorwurfsvollen Blick. „Akira-sensei! Wie kannst du deine eigene Schwester in diese Schlacht zerren? Wie kannst du das vor deinem Gewissen verantworten?“
Ich spürte jeden seiner Vorwürfe wie einen körperlichen Schlag. „I-ich“, stammelte ich entsetzt.
„Ach“, meinte Akari und winkte ab, „das geht schon in Ordnung. Ich habe mich ja freiwillig gemeldet. Und als eine der besten Expertinnen für die Nutzung der KI-Kraft an Bord war ich erste Wahl für diesen Einsatz.“
Interessiert hob ich eine Augenbraue. Akari hatte gerade sehr sicher die Erklärung umschifft, warum sie eine KI-Expertin war, nämlich weil sie zu den Magischen Youma Slayern gehörte.
„Akarin, aber…“, hauchte Michi entsetzt.
Sie lächelte den jungen Mann zuckersüß an. „Aber vielen Dank, dass du dir solche Sorgen um mich machst.“ Sie gab dem verdutzten Jungen einen Kuss auf die Wange.
Dann wandte sie sich um und ging wieder in die Halle zurück. Auf halber Strecke sah sie noch mal zurück und rief: „Ich komme auf jeden Fall zurück. Du hast ja noch meine halbe Shojo-Sammlung, Micchan.“
Ich grinste. „Du liest Shojo-Mangas? Micchan? Läuft da was zwischen euch beiden?“
„W-wir sind nur Freunde. Und die Shojo-Mangas lese ich nur, weil sie oftmals bessere Storys haben als die Shonen. Immer nur Sport bringt es einfach nicht. Und Micchan nennt sie mich, weil meine Freunde das auch tun.“
„Akarin ist aber nicht gerade ein Kosename, den Akaris anderen Freunde benutzen“, schmunzelte ich.
Verlegen sah der junge Mann fort. „Wir sind wirklich nur Freunde, Akira-sensei.“
Ich legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Mit einem wölfischen Grinsen sah ich ihn an. „Und das sollte besser auch so bleiben, Michi Torah. Denn wenn die Zeit kommt, dass wir gegeneinander kämpfen, dann will ich deinen Tod nicht zusätzlich bereuen müssen.“
Ein Glitzern ging über Michis Augen. „Wir werden sehen, wer wessen Tod bereut, Sensei.“
Ich nickte ernst. Der Junge gefiel mir. Als Verbündeter hätte er unendlich wertvoll sein können. „Gut… Micchan.“
Als er wieder rot wurde, lachte ich und setzte meinen Weg fort. Vielleicht mussten wir doch nicht auf Leben und Tod miteinander kämpfen.
5.
„Vierzig Milliarden Jeto“, murmelte Aria Segeste bei sich und starrte gebannt auf ihren Hauptbildschirm. Obwohl sich die TAUMARA sowohl außerhalb der erwarteten Waffenreichweite befand als auch nach den Gesetzen der Wissenschaft unmöglich eingeholt werden konnte, hatte Kapitän Gorad volle Gefechtsbereitschaft befohlen. Das bedeutete für sie und ihre Leute, in den startbereiten und aufmunitionierten Banges zu warten. Auf den Kampfeinsatz oder die Entwarnung.
Doch daran dachte Aria gerade nicht. Vielmehr genoss sie die Vorteile ihres Ranges und die Vorzüge ihres Hochspezialisierten Kommunikationsapparates an Bord ihres Banges, um diese unglaubliche Sensation so gut wie möglich mit zu erleben. Wann hatte jemals so ein gewaltiges Objekt einen Sprung gewagt? In der ganzen Geschichte des Imperiums gab es nichts Vergleichbares – zumindest nichts, was nicht auch in einer unglaublichen Katastrophe geendet hätte.
Also wartete sie auf eine Sensation – oder ein gigantisches Feuerwerk.
Die Wesen, die diesen Giganten auf eine Reise durch ein Wurmloch geschickt hatten, waren entweder von herausragender Sturheit oder bodenloser Ignoranz. Eventuell einer Mischung aus beiden.
Für einen winzigen Moment wünschte sie sich, diese Wesen kennen zu lernen. So, wie sie jetzt waren. Nicht nach erfolgter Assimilation durch das Imperium.
Natürlich, sie kannte die Doktrinen des Reiches. Assimilation förderte den Handel und genetische Gleichschaltung stattete alle mit gleichen Rechten und Pflichten aus. Ein neu entdecktes Volk, das unterworfen worden war, bekam die Gelegenheit, zur Genetik der Naguad aufzuschließen, selbst Naguad zu werden und damit in eine Reihe mit den Herren zu treten, welche sie erobert, bezwungen und beherrscht hatten.
Aber irgendwie, fand Aria, waren diese Völker danach nicht mehr dieselben. Ihnen ging ein Teil der Identität verloren. Okay, alleine durch den Kontakt und den damit verbundenen kulturellen Schock ging bereits ein Teil verloren. Aber durch die Chance, zu einem anderen Volk zu werden ging viel zu viel des eigenen Bewusstseins verloren, der eigenen Kultur und der eigenen Künste.
Wer zum Naguad wurde, der wollte ganz und gar Naguad sein.
Und ehrlich gesagt, Naguad waren langweilig, genusssüchtig und träge.
Die ständigen militärischen Erfolge, die ständig boomende Wirtschaft und der permanent steigende Wohlstand hatten sie dazu gemacht.
Selbst im Militär zog diese Haltung immer mehr ein. Einer der Gründe, warum sie sich freiwillig zu dieser Suchaktion gemeldet hatte.
„Hauptmann!“, erklang die Stimme ihres Stellvertreters in ihren Ohren. Erschrocken fuhr sie aus ihren Betrachtungen hoch. „Was ist denn Janehl?“
„Endlich meldest du dich. Ich rufe dich schon Minutenlang. Der Transit steht kurz bevor. Gleich werden wir sehen, was aus dem Wurmloch austritt.“
Aria grinste schief. Der junge Offizier aus gutem Hause diente schon viel zu lange mit ihr. Er hatte viel zu viele ihrer schlechten Eigenschaften übernommen, unter anderem die Risikobereitschaft und die flapsige Sprechweise. „Falls was austritt“, murmelte sie nachdenklich.
Dennoch starrte sie gebannt auf den Bildschirm.
Ein Countdown wurde eingeblendet. Ab x minus fünf hielt sie den Atem an.
Bei null kam es zu starken, sehr starken Entladungen, die von der Ortung angemessen und per Computer in die Bilder eingezeichnet wurden.
Aria hielt noch immer den Atem an, vor allem bei dem Gedanken daran, welche Energien dort gerade toben mussten.
Dann schob sich das erste Objekt in die Sicht der Fernkameras der TAUMARA hinein.
Erst wuchs es in die Höhe, dann in die Breite. Und schließlich schien es gar nicht mehr enden zu wollen.
Ein eiskalter Schauder ging der Naguad über den Rücken, als die ersten Vergleichsmessungen in ihr System überspielt wurden.
Dieses Gebilde übertraf all ihre Erwartungen! Es war gigantisch! Riesig! Und außergewöhnlich schnell!
Warum zerbrach es nicht? Die Beharrungskräfte, denen es ausgesetzt sein musste, konnten sich ja kaum im Vakuum des Alls verflüchtigen. Wie also kompensierte so ein Gigant diese Kräfte?
Lauter Alarm gellte auf. Kapitän Gorad hatte die Gefahr, die von diesem Objekt ausging, eingeschätzt – und vermutete einen Feind.
„Langsam“, murmelte sie mehr zu sich selbst, „bisher hatten wir ja noch gar keine Gelegenheit, uns diese Fremden zum Feind zu machen. Auch wenn, zugegeben, ein solches Gigantschiff dem Imperium gefährlich werden kann.“
Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da löste sich ein Schwarm Objekte von dem Riesen, bevor er überhaupt richtig im namenlosen Sonnensystem angekommen war.
Die Ortungsexperten vergrößerten diese Objekte sofort und entsetzt bemerkte Aria, dass sie das atmen total vergessen hatte. Sie hustete und starrte mit brennenden Augen auf die Anzeigen. Was sich da von diesem Riesen gelöst hatte, war eine Flotte Schiffe. Allerdings war nur bei einem eine sichere Identifizierung möglich, da es sich um ein imperiales Modell handelte, wenngleich der Energieausstoß nicht zu den Fähigkeiten der Serie passte. Es war einer den gesuchten BAKESCH-Kreuzer. Die anderen Schiffe wurden anhand der Tonnage schnell in die Kathegorien Zerstörer und Fregatten unterteilt, aber das interessierte Aria nur am Rande.
Mit dem BAKESCH hatten sie nun definitiv einen Berührungspunkt mit den Fremden. Aber dennoch wollte ihr nicht in den Kopf, warum nicht wenigstens der erste Kontakt friedlich ablaufen sollte.
„Wir empfangen eine Breitbandsendung. Sie ist in Anelph verfasst“, klang es in ihrem Kopfhörer auf. „Hören Sie selbst, Hauptmann.“
Aria klinkte sich ein und lauschte der weiblichen Stimme, die in einem mit hartem Dialekt gesprochenen Anelph eine vorbereitete Rede verlas.
„…annektiert die United Earth Mecha Force im Namen der freien Völker der Erde dieses Sonnensystem, soweit keine eingeborenen oder alteingesessenen Intelligenzen es in Anspruch nehmen. So dies nicht der Fall ist erklären wir dieses System, dem wir den Namen Alpha Centauri geben, zum von uns kontrollierten und patrouillierten Territorium.
Damit befinden Sie sich auf terranischem Territorium, imperiales Kriegsschiff. Ich fordere Sie hiermit auf, im Namen der United Earth Mecha Force beizudrehen und eine Prisenmannschaft an Bord kommen zu lassen.“
Aria stutzte. Die Fremden schienen sich mit den flüchtigen Anelph eingelassen zu haben. Okay, und sie hatten diesen Giganten auf die Reise geschickt. Aber waren sie deshalb derart größenwahnsinnig, dass sie glaubten, kurz nach der Ankunft in einem fremden Sonnensystem sofort Polizeimacht spielen zu können? Die Forderungen der fremden Frau waren mit einer Kriegserklärung gleichzusetzen und…
Der Gedanke faszinierte sie und sehnsüchtig erwartete sie die Antwort von Kapitän Gorad.
„Hier spricht Kapitän Gorad Nermalis vom imperialen Kriegsschiff TAUMARA. Admiral Ino, wir akzeptieren Ihre Polizeimacht in diesem Sonnensystem nicht und verweigern uns einer Inspektion. Des Weiteren werden wir dieses System bald wieder verlassen. Wenn Sie möchten, lassen wir ihnen aber gerne vorher eine elektronische Kopie des imperialen Raumrechts zukommen, damit Sie sehen, wie wenig Ihre Ansprüche gerechtfertigt sind.“
Ein Gedanke ging Aria Segeste durch den Kopf: Fehler. Nur dieses eine Wort, aber es elektrisierte sie.
„Sie lassen mir keine andere Wahl, Kapitän Segeste. Ich werde mittels der mir von der United Earth Mecha Force verliehenen militärischen Mittel eine Inspektion erzwingen. Zuwiderhandlungen und Behinderungen dieser Aktion werden als kriegerischer Akt angesehen.“
Darauf wollte diese Frau also hinaus. Kriegerischer Akt. Sie wollte eine definitive Kriegserklärung haben. Sie etablierte eine Verbindung zum Kapitän, um ihn zu warnen, aber da ging bereits die erste Erschütterung durch das Schiff.
Wieder brandete der Alarm auf.
„Getarnte Korvetten!“, gellte der Ruf des Kapitäns auf. „Wir werden von fünf getarnten Korvetten angegriffen! Sie haben sich an uns herangeschlichen und als wir uns auf den Neuankömmling konzentriert haben, da…“
Wieder wurde das Schiff erschüttert, teils durch Treffer und damit verbundene Leistungsschwankungen im Schwerkraftfeld, teils durch das eigene Geschützfeuer, als Laserwaffen und Torpedos auf die Reise geschickt wurden.
Dann kam der Befehl zum ausschleusen. Hastig etablierte sie den Link zu ihren Banges und rief: „Okay, wir haben Gegner da draußen. Beschützt den Triebwerksbereich und seht zu, dass Ihr nicht havariert. Weder darf der BAKESCH aufholen, noch haben wir Zeit, einen Gestrandeten aufzupicken. Also seid vorsichtig.“
Dutzende Okays antworteten ihr, Sekunden bevor sich der Hangar für sie öffnete und ihr Banges hinaus in die Leere des Alls startete.
Sie kam schnell auf Geschwindigkeit und sah die Daten ein, die ihr die Zentrale einspielte. Demnach hatten sie es nicht nur mit fünf getarnten Korvetten zu tun – einer kleinen Schweinerei, die sich die Anelph während des Unterwerfungskriegs ausgedacht hatten und vom Imperium niemals kopiert worden war – sondern auch mit zwanzig Mechas unbekannter Bauart.
Aria bemerkte zufrieden, wie ihr Flügelmann an ihre Seite kam. „Okay, hergehört, sie haben es tatsächlich auf unseren Antrieb abgesehen. Wir müssen verhindern, dass er beschädigt wird. Drängt die Mechas ab und wo es möglich ist, zerstört sie.“
Wieder antworteten ihr die Klarmeldungen ihrer Leute.
Sie warf ihren Banges herum und suchte sich ein gutes Ziel.
Der da, der ganz in rot gehaltene Mecha, der sah doch gut aus. Mit einem Aufschrei griff sie an.
Doch ihr Gegner erwies sich als sehr geschickt, wich ihr aus, fintierte und beschoss stattdessen ihren Flügelmann. „Verdammt!“, fluchte sie wütend. Der rote Mecha war gut, wirklich gut. Knapp hinter ihr verlor ihr Flügelmann ein Bein und Panzerung auf dem Cockpit.
„Du Bastard!“, blaffte sie und löste eine volle Raketenbreitseite aus.
Doch die Hälfte kam niemals an. Ein großer, bulliger Mecha hatte die Raketen aus einer aberwitzigen Entfernung abgeschossen, während ein kleinerer, aber recht flinker Mecha sich auf die Seite der roten Maschine manövriert hatte.
Sie nahm den Blick nur für eine Sekunde vom Gegner, um sich den Status anzusehen. Die Fregatte hatte Treffer geschluckt, und das nicht zu knapp. Dafür hatten aber zwei der Korvetten den Angriff mehr oder weniger beschädigt abgebrochen.
Ihre Flucht war noch nicht gefährdet, aber ihre Einheit hatte bereits zwei Maschinen verloren, der Gegner noch gar keine.
„Wie wäre es denn mal mit etwas Unterstützungsfeuer?“, blaffte sie zornig, als die Antwort des Roten in ihren Banges einschlug.“
„Wir geben ihren Banges, was wir erübrigen können“, lautete die lapidare Antwort.
In Aria keimte die Angst, dass Gorad sie und ihre Leute zurücklassen würde, solange nur der TAUMARA die Flucht gelang.
„Nicht mit mir“, hauchte sie. „NICHT MIT MIR!“
Frontal griff sie an, zog ihren Kampfdolch und versetzte ihn in Vibrationsmodus.
Ihr Gegner konterte und hob eine Lanze, deren Klinge nun ebenfalls bedrohlich zu vibrieren begann.
Ein kurzes, zynisches Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Nett. Aber kennst du das schon?“
Sie feuerte ein einzelnes Projektil ab. Dieses explodierte meterweit vor dem roten Mecha, entließ aber ein glutendrotes Netz, welches sich um den Mecha legte und die Lanze effektiv bannte.
Mit einem zornigen Aufschrei warf Aria ihren Banges auf den Feind und versenkte den Dolch tief in der Maschine. Überschlagsblitze zeigten ihren Erfolg. Ja. Treffer. Und dies war erst der Anfang! Sie…
Aus den Augenwinkeln sah sie noch einen Schemen, einen Mecha mit Flügeln, einem Racheengel gleich, der zwei glühende Klingen hoch über sich gereckt zu halten schien. Dann spürte sie einen harten Aufschlag… Danach war gar nichts mehr.
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Kapitel neun
Prolog:
Ich war nie besonders dünnhäutig oder risikoscheu gewesen, nein, wahrlich nicht. Und ich habe auch noch nie jemandem verleidet, das eigene Leben zu riskieren. Immerhin hatte ich meine Jugend als Soldat in einem Krieg verbracht. Zumindest einen großen Teil, und den an der Front.
Aber in diesem Moment, diesem einen Moment, als die fünf Korvetten von der AURORA abhoben, da ging mir doch ein Stich durchs Herz. Natürlich weil Megumi, Yohko und Makoto an Bord dieser Korvetten waren. Aber ich machte mir auch um die anderen Besatzungsmitglieder Sorgen. Was wenn die Schiffe das Schwerefeld der AURORA verließen und zerquetscht wurden? Was wenn sie beim Übergang in den Normalraum pulverisiert wurden? Was wenn sie aus dem Wurmloch heraus fielen, mehrere Lichtmonate von Alpha Centauri entfernt und damit niemals in der Lage, uns einzuholen?
Unwillkürlich hielt ich den Atem an, aber zwei Fälle waren noch nicht eingetreten. Weder waren die Korvetten zerquetscht worden noch hatte das Wurmloch sie abgestoßen. Stattdessen flammten die Triebwerke der kronosischen Schiffe der FOXTROTT-Klasse auf und beschleunigten die kleinen Schiffe.
Nun kam noch die letzte Prüfung. Wie vertrugen die kleinen Schiffe den Übertritt in den Normalraum? Kam es zu gravitatorischen Wellenverwerfungen? Zu Zeitverzerrungen? Mir standen die Haare zu Berge, als ich an die vielen Möglichkeiten dachte, was den Korvetten alles passieren konnte.
„ALPHA hier“, meldete sich die anführende Korvette, die nach dem griechischen Alphabet durchnumeriert waren. „Wir verlassen nun das Wurmloch.“
Ich atmete stoßweise wieder aus, sog die Luft erneut ein. Dann ging ein Flimmern über die fünf Schiffe hinweg und sie verschwanden.
Eisige Panik griff nach meinem Herzen, bis mein Gehirn die nüchterne Information, die fünf Boote hätten sich lediglich getarnt weit genug im Körper verbreitet hatte, um den gelinden Schock zu stoppen.
Ich warf einen Blick auf den Hilfsmonitor neben meiner rechten Hand. Dort wurden die Schiffe anhand ihres letzten Kurses und der letzten Geschwindigkeit per Computerberechung eingezeichnet.
Als sie den Übergang erreichten betete ich inständig, dass keine Explosionen erfolgten oder sonst irgendein demoralisierendes Zeichen, dass von der Zerstörung einer oder mehrerer Korvetten kündeten.
„Wir sind durch, AURORA“, kam die erlösende Meldung der ALPHA.
Lauter Jubel brach auf allen Frequenzen aus und ich beteiligte mich daran. Ich würde Megumi nicht verlieren. Nicht dieses Mal.
„Colonel Ino hier“, meldete sich Makoto zu Wort. „LRAO schleusen aus und gehen auf vorherberechnete Positionen.“
„Admiral Richards hier. Fahren Sie fort, Colonel. Dies wird die Feuerprobe für das Bruder Auge-Projekt.“
„Die erfolgreiche Feuerprobe“, antwortete mein Cousin.
Verdammt, wann hatte er nur gelernt, so cool zu sein? Rann denn Eiswasser durch seine Adern?
Die LRAO schleusten aus, entfernten sich und gingen mit Hilfe der Booster auf Distanz und die vorher festgelegten Beobachtungspositionen. Von dort würden sie versuchen, per Passivortung so viele Eindrücke wie möglich von der Umgebung des Wurmlochs aufzunehmen.
Die Korvetten hielten weiter auf Kurs zu, der Naguad-Fregatte auf Fluchtkurs hinterher.
„Colonel Uno hier“, meldete sich Megumi mit ernster Stimme. „Mechas sind bereit.“
„Bruder Auge meldet keinen Feindkontakt, ausgenommen die Fregatte.“
„Na, dann sag mal deinen Spruch auf, Cousinchen“, murmelte ich und lauschte gespannt, wie Sakura im Hauptidiom der Anelph zu sprechen begann. Ich verstand zwar nicht wirklich viel von der kurzen Unterhaltung, die sich kurz darauf zwischen ihr und dem Kapitän der Fregatte entwickelte, aber wenigstens bekam ich den Namen mit. TAUMARA hieß das Schätzchen.
Und ich sah die Reaktion, als die Korvetten sich enttarnten und das Feuer eröffneten.
„Hat die Inspektion wohl abgelehnt“, bemerkte ich mit einem schiefen Lächeln.
Übergangslos griff wieder der Ernst nach mir. Ich sah die Mechas der Angriffstruppe ausschleusen und die Attacke beginnen. Gegnerische Mechas unbekannter Bauart schleusten aus der TAUMARA aus und stellten sich.
Gewiss, wir waren die Mecha-Elite der Menschheit. Doch das da draußen waren Naguad. Naguad, von denen wir annahmen, dass sie die Mecha-Technologie erst zu den Anelph gebracht hatten, von denen wiederum wir das Prinzip übernommen hatten.
Konnten wir so ohne weiteres mit zwanzig, hundert oder mehr Jahren Erfahrung mit dieser Waffe konkurrieren?
Ich straffte mich, als sich die SUNDER von der Oberfläche der AURORA löste und langsam aber sicher beschleunigte.
„SUNDER ist auf dem Weg“, sagte Kei Takahara mit verbissener Stimme.
Sicherlich ärgerte es ihn, dass er diesmal nur unser Chauffeur war. Genauer gesagt sollte er uns nur ein wenig näher an die TAUMARA heran bringen, bevor wir mit Hilfe der Booster angriffen.
Dies war nach wenigen Sekunden auch erreicht.
„Fertigmachen.“ Ein letztes Mal überprüfte ich die Kopplung zwischen Prime und dem Booster. Alle Anzeigen waren auf grün.
Ich stellte den Mecha auf dem Katapult ab, auf den anderen drei wusste ich Daisuke, Doitsu und Yoshi. Danach würden die sechs Slayer ausschleusen und uns so weit es ging unterstützen.
Ich aktivierte mein KI, sah fasziniert zu, wie es beinahe materielle Gestalt annahm und um meine Arme eine leuchtende Aura bildete. In diesem Moment begann auch der Booster vom KI zu partizipieren. Die Energieanzeigen des Geräts schossen übergangslos in die Höhe.
„Commander Akira Otomo auf Prime Lightning, bereit zum Start.“
„Commander, Sie haben grünes Licht. Viel Glück und viel Erfolg.“
„Danke, Kei. Du darfst dann das nächste Mal mitspielen.“
„Ich hätte mich wohl doch zu den Mechas melden sollen“, erwiderte der Freund säuerlich.
Ich grinste. „Otomo auf Lightning. Schießt mich raus!“
Ein harter Ruck ging durch den Mecha und er wurde per Katapult ins Freie befördert. Das Vakuum des Alls fing mich ein.
Kurz sah ich mich um, bemerkte drei weitere Impulse neben mir und trat den Booster durch.
Die anderen folgten mir. Ein wenig tat ich das auch für Doitsu und Daisuke, deren Freundinnen in den Mechas waren, die nun bald folgen würden. Je schneller wir da waren, je eher wir den Kampf für uns entschieden, desto unwahrscheinlicher wurde es, dass die Mädchen, und vor allem Akari in den Kampf eingreifen mussten.
„Otomo hier. Wie ist die Lage, Colonel Uno?“
„Akira. Schön deine Stimme zu hören. Diese Mistkerle sind gut, verteufelt gut. Beeil dich lieber, ja?“
„Mach ich.“ Kurz sah ich zurück. Ein Infanteriependler löste sich vom BAKESCH, an Bord ein Enterkommando unter der Leitung von Major Hatake. Ihm zur Seite standen die beiden Dämonenkönige. Und es hätte mich kein bisschen verwundert, wenn Joan Reilley auch an Bord war.
Vor mir flammte mein Schild mehrfach auf, vernichtete Mikromaterie auf meinem Weg zu TAUMARA. Die Energieanzeige wurde davon kaum beeinträchtigt.
Prime ritt auf dem Booster mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, wir hatten bereits das Dreifache des normalen Höchstwerts erreicht. Es fühlte sich gut an, wirklich gut.
Wenngleich ich ein Ohr an meinem Puls hatte. Nicht, dass mich der Booster mehr KI kostete als gut für mich war. Niemandem war damit genützt, wenn ich vollkommen ausgelaugt im Kampfgebiet ankam.
„Die Naguad haben da ein paar nette neue Spielzeuge“, meldete Megumi. „Achtet vor allem auf die Multiraketen. Die sind fies und gemein.“
„Verstanden. GAZ zwanzig Sekunden.“
„GAZ dreiundzwanzig Sekunden“, kam eine weitere Meldung über unseren Gefechtskanal.
Entsetzt sah ich auf meinen Bildschirm und erkannte, dass die Slayer fast zu uns aufgeschlossen hatten.
„Ja, da soll mich doch…“, rief ich erschrocken.
„Tja, wir können unser KI eben besser kontrollieren als Ihr“, neckte Akane. „Außerdem, sollt Ihr vielleicht den ganzen Spaß alleine haben?“
Als Antwort gab ich Gegenschub. Die sechs Slayer sausten an mir und den Jungs vorbei. Leider auch an der Fregatte und der Gruppe kämpfender Mechas.
Ich grinste gemein. Das hätte ich ihnen vielleicht noch mit auf den Weg geben sollen. Das sie zu schnell waren, um die gegnerischen Mechas effektiv zu bekämpfen, wenn sie nicht vorher die Geschwindigkeit reduzierten.
„Blue Lightning ist im Geschäft“, meldete ich mich an. „Und er hat Freunde mitgebracht.“
„Ihr kommt genau richtig!“, hörte ich Megumi rufen. „Dieser Mecha hier macht mir gerade wirkliche Schwierigkeiten und…“
„Megumi, pass auf! Er schießt ein Energienetz!“, klang Yohkos besorgte Stimme auf.
„Das Netz hat die Lanze an meinen Mecha gefesselt! Ich setze mich ab!“
„Vorsicht, der feindliche Anführer greift dich an! Megumi! Megumi!“
Ich fühlte, wie eine eisige Hand nach mir griff, mein Herz berührte und es mit Frost durchzog. Megumi, nein, das konnte nicht sein! Die beste Mecha-Pilotin der Erde konnte doch nicht in solch eine Lage geraten!
Ich benutzte noch einmal den Booster, zog beide Herkules-Schwerter. Dann war ich heran und sah den feindlichen Mecha, der einen riesigen Dolch in Megumis Mecha Lady Death getrieben hatte.
Mit einem wütenden Aufschrei passierte ich ihn, zog beide Schwerter durch. Als ich ihn hinter mir gelassen hatte, taumelte nur noch ein Wrack durch das Vakuum des Alls.
„Megumi! Geht es dir gut? Megumi!“, rief ich atemlos.
„Lady Death meldet schwere interne Schäden, Sir“, meldete Prime. „Colonel Uno ist nicht bei Bewusstsein. Die Lebensüberwachungsmaßnahmen sind beschädigt, deshalb kann die Diagnose nichts über den Zustand der Pilotin sagen, Sir.“
„Otomo hier. Wir brauchen sofort ein Rettungsteam im Einsatzgebiet!“
„Die SUNDER ist bereits auf dem Weg. Commander, es wäre nett, wenn Sie bis wir eintreffen das Einsatzgebiet befriedet hätten.“
Ich kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und ließ Prime die Schwerter heben. „Ich habe verstanden.“
Inzwischen hatten die Slayer ihren Fehler begriffen. Mehr noch, sie hatten sich einholen lassen, anstatt zu wenden und negativ zu beschleunigen, was erneut wertvolle Zeit gekostet hätte.
„Also“, hörte ich Sarahs beinahe fröhliche Stimme, „was gibt es für uns zu tun?“
Ich entlud eines der Herkules-Schwerter auf einen Gegner, trennte ihm damit den Sensorkopf vom Torso. „Jede Menge, Sarah-chan.“
1.
Müde rieb ich mir die Augen. Nach der Schlacht hatte ich viel zu tun gehabt, viel zu viel. Aber dennoch hatte ich mir die Zeit genommen, an dieses Krankenbett zu kommen, nachdem der behandelnde Arzt mir gemeldet hatte, sie würde bald wieder aufwachen.
Ich betrachtete die schlafende Frau neben mir. Sie hatte mehrere Verbrennungen erlitten, war dem Vakuum ausgesetzt gewesen und kämpfte mit einer leichten Stickstoffembolie. Aber sie war definitiv nicht mehr in Lebensgefahr.
Ich spürte, wie sich meine Hände verkrampften.
„Hey“, sagte ich leise, als sie die Augen öffnete.
„Hey“, antwortete sie und blinzelte verschlafen. „Wie lange war ich weg?“
Ihr Anelph war holprig, aber ich musste anerkennen, dass sie die Situation schnell erkannt hatte und entsprechend reagierte. „Zwei Tage und sechs Stunden.“
„Meine Leute?“, fragte sie vorsichtig.
„Wir“, informierte ich sie in meinem eigenen, gebrochenen Anelph, „haben die TAUMARA geentert. Sie wurde längsseits festgemacht. Wir betrachten sie nach der Gegenwehr als Prise. Von den vierundzwanzig Mechas unter Ihrem Kommando haben wir neunzehn zerstört. Sie haben fünf Piloten verloren, acht weitere liegen mit Ihnen hier auf der Krankenstation.
Der Kapitän der TAUMARA beging während der Enterung Selbstmord, des weiteren wurden siebenunddreißig Besatzungsmitglieder getötet, einhundertsiebzehn verletzt.“
„Verstehe“, murmelte sie. „Wann kann ich wieder aufstehen?“
„Morgen. Dann kommen Sie…“
„In Gefangenschaft?“, fragte sie in einer Mischung aus Hoffnung und Angst.
Ich grinste sie an. „Dann kommen Sie zu mir nach Hause mit. Ich habe Sie adoptiert, Aria Segeste.“
Erschrocken sah mich die Banges-Pilotin an. „Sklaverei?“
Ich unterdrückte ein Auflachen. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nur so, dass trotz der Gegenwehr die Rechtslage, Ihre Leute betreffend, noch immer unklar ist. Deshalb haben wir nach der Kaperung der TAUMARA leider die rechtliche Handhabung verloren, Sie wie Kriegsgefangene zu behandeln. Deshalb werden Sie in unseren Augen zu Zivilisten zurückgestuft. Wir trauen Ihnen natürlich nicht, deshalb teilen wir die Mannschaft der Fregatte auf möglichst viele Orte auf. Vornehmlich Orte, an denen wir ein Auge oder mehr auf Sie und Ihre Leute haben können. Mein Zuhause ist einer dieser Orte.“
Ich erhob mich. „Zusammenkünfte sind Ihnen gestattet, aber Sie müssen sich täglich Zuhause einfinden. Sie dürfen Arbeit annehmen um selbst Geld zu verdienen, aber ein Taschengeld wird Ihnen automatisch gezahlt. Das Essen und Wohnen bei mir ist frei, Sie müssen sich aber an den Hausarbeiten beteiligen. Sobald Sie wieder gesund sind.
Ich hole Sie morgen ab. Die Ärzte haben mir versichert, dass Sie dann wieder fit sind.“
„Verstehe“, murmelte sie. „Aber warum ich? Und warum zu Ihnen nach Hause? Und wer sind Sie?“
Wieder huschte ein Grinsen über mein Gesicht. „Ich bin der Pilot des Mechas, der Sie abgeschossen hat, Aria Segeste. Also trage ich bis zu einem gewissen Punkt auch die Verantwortung für Sie. Außerdem brennt da jemand darauf, Sie kennen zu lernen. Die Pilotin des roten Mechas kann es kaum noch erwarten, Sie in natura zu erleben.“
Ich nickte ihr zu. „Mein Name ist Akira Otomo. Ich bin der Oberbefehlshaber der Hekatoncheiren-Division, der besten Mecha-Truppe an Bord. Schlafen Sie ein wenig, Aria Segeste. Morgen beginnt ein neuer Abschnitt Ihres Lebens.“
Die Frau sah mich aus großen Augen an. Sie wollte mir antworten, aber das Gespräch, in Verbindung mit den Medikamenten, hatte sie erschöpft. Sie schloss langsam die Augen und schlief wieder ein.
Ich schmunzelte bei diesem Anblick und verließ leise ihr Zimmer.
Der Chefarzt erwartete mich bereits. Ich schüttelte den groß gewachsenen Mann die Hand. „Doktor Schneider. Es freut mich, Sie wieder zusehen.“
Der ehemalige Arzt der Titanen-Plattform erwiderte den Druck meiner Hand und nickte. „Ebenso, Sir.“
„Was machen Ihre Patienten?“
„Wir haben Gliedmaßenabrisse, Erfrierungen und hohen Blutverlust. Einige Naguad mussten wir in medizinische Tanks stecken, die Abrisse wurden teilweise reimplantiert, andere mussten in die Totalregeneration. Wir haben nicht alle abgerissenen Körperteile gefunden oder konnten nicht alle verwerten.“
Ich nickte schwer. „Dennoch. Sie leisten gute Arbeit.“
„Die Medizin der Anelph ist höchst erstaunlich. Wir haben viel von ihnen gelernt.“ Der Mann sah mir in die Augen. „Gut, dass Sie dabei sind, Sir. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, meine Patienten…“
Irrte ich mich oder hatte ich da eine Träne in den Augen des Arztes schimmern sehen?
Ich sah ihm nach.
Ein unfruchtbarer Gedankengang, entschied ich und ging weiter.
Ich erreichte einen Behandlungsraum und trat leise ein. Megumi Uno absolvierte gerade ein Belastungs-EKG und strampelte sich die Seele aus dem Leib.
Verstehen konnte ich sie ja. Nachdem sie abgeschossen worden war, war lange Zeit unklar gewesen, ob sie überhaupt am Leben war. Nun kämpfte sie darum, wieder diensttauglich geschrieben zu werden.
„Oh, oh. Colonel, Ihre Herzfrequenz hat sich gerade drastisch erhöht. Dem müssen wir auf den Grund… Oh. Commander Otomo.“ Der behandelnde Arzt machte auf dem Ausdruck einen entsprechenden Vermerk. „Da haben wir ja schon unsere Ursache.“
„A…ki…ra“, japste sie atemlos.
Ich setzte mich und betrachtete die junge Frau. Sie schien energisch und kraftvoll und ihr Körper war von einer Schweißschicht bedeckt. Shirt und Shorts klebten an ihrem Körper und zeigten, dass sie sich für diesen Test nicht geschont hatte.
Ich lächelte sie an. Irgendwie fand ich es süß, dass sich ihr Herzschlag beschleunigt hatte, als sie mich gesehen hatte. „Hallo, Schatz.“
Sie nickte mir zu und versuchte zu lächeln. Aber es wurde nur eine erschöpfte Grimasse. „Bin…gleich…fertig“, sagte sie keuchend und trat noch einmal kräftig in die Pedale.
„Und nun langsam auslaufen lassen, Colonel.“
Megumi begann nun weniger stark zu treten und mehr Atem zu schöpfen.
Ich trat vor sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„So geht das nicht, Commander!“, beschwerte sich der Arzt. „Jetzt habe ich noch einen Ausschlag, den ich kommentieren muß.“
Megumi wurde rot. Ich unterdrückte ein Auflachen. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, das gesamte Diagramm zu sabotieren. Aber immerhin ging es hier um die Diensterlaubnis meiner Freundin.
„Du warst bei ihr?“, fragte Megumi, die nun wesentlich ruhiger atmete.
Ich nickte. „Ja, sie ist soweit wieder auf dem Damm. Ich hole sie Morgen ab.“
„Ich bin schon sehr gespannt auf sie. Ich meine, sie hat mich aus meinem Mecha geschossen. Mich! Das können nicht viele Menschen über sich sagen.“
Ich zählte kurz nach. „Nur ein Schlachtkreuzer der ZULU-Klasse.“
„Eben“, antwortete sie und stoppte. Der Arzt reichte ihr ein Handtuch und begann die Kontakte zu lösen.
„Es wird schwierig“, sagte ich ernst. „Sehr schwierig. Es wäre vielleicht einfacher gewesen, sie alle in ein Lager zu stecken.“
„Ach“, sagte Megumi und winkte ab. „Warum die Dinge unnötig komplizierter machen? Aus einem Lager hätten die Naguad nur versucht auszubrechen. Außerdem bekommen wir auf diese Art vielleicht einen Einblick in ihre Lebensart.“
Ich schmunzelte. „Willst du vielleicht nicht eher sichergehen, dass du weißt wo die Pilotin ist, die dich aus Lady Death befördert hat?“
Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten, entspannte sie aber sofort. „Das ich darauf reingefallen bin… So ein dämliches Netz… Interessante Waffe, aber warum musste es mir passieren?“
Ich umarmte sie und drückte sie fest an mich. „Das ist doch alles egal. Wichtig ist nur eine Sache. Du lebst und bist gesund. Mehr verlange ich gar nicht von der Welt.“
„Akira“, hauchte sie erstaunt. Zögernd schloss sie ihre Arme um mich. „Akira, ich bin vollkommen schweißdurchnässt.“
„Ein sicheres Zeichen dafür, dass du lebst“, erwiderte ich sanft.
„Falls ich den Raum verlassen soll, Commander…“, bemerkte der Arzt spitz, was dazu führte, dass Megumi und ich peinlich berührt die Umarmung abbrachen.
„Schon gut, schon gut. Ich warte draußen auf dich, ja?“
„Ich beeile mich“, versprach sie lächelnd.
2.
Ich erinnerte mich noch sehr gut an die Ankunft der SUNDER an ihrem Dockplatz auf der AURORA. Wie ich die Schleuse verließ, das riesige Raumschiff betrat, und mit lautem Beifall und Pfiffen begrüßt wurde. Verstehen konnte ich die Mannschaften ja, die unsere Ankunft spontan zu einer Feier umfunktioniert hatten. Im Gegensatz zur TAUMARA hatten wir nur Verletzte, aber keine Toten zu beklagen und die Schäden an der Gamma und der Epsilon konnten wieder behoben werden.
Also hatte ich mich in dem Moment einige Zeit treiben lassen, Hände geschüttelt, mit Piloten meiner Division kurz geschwatzt und dem allgemeinen Hochgefühl nachgegeben.
Es war ja auch zu unglaublich. Keine Verluste. Die feindliche Fregatte eine Prise. Hunderte Gefangene. Neue Mecha-Typen. Es war nicht alles glatt gelaufen, sicher nicht. Aber für die restliche Mission war es ein gutes Zeichen gewesen.
Das war der Anfang.
Die nächsten beiden Tage hatte ich mit der Umstellung der Aufstellungen verbracht, mit der Arbeit für Briareos, da Megumi vorerst unter Beobachtung auf der Krankenstation stand und Yoshi ihre Arbeit nicht alleine machen wollte.
Dutzende Berichte hatten geschrieben werden wollen und das fünfte Interview für die bordeigenen Sender wurde dann doch schon etwas nervig.
Zudem ließ ich mir von ein paar Freunden unter den Anelph einen Crashkurs in ihrer Sprache geben. Mein Glück dabei war, dass sie eine Kunstsprache war und entsprechend einfach gelernt werden konnte. Dennoch wartete hier noch viel Arbeit auf mich, bis ich flüssig konjugieren konnte. Und meine Aussprache… Na egal.
Dennoch, dieser Empfang… Diese Begrüßung… Sie war etwas Besonderes gewesen. Konnte es immer so sein? Natürlich nicht. Ab diesem Punkt konnte es nur noch schwerer werden. Und aus dem Feiern würden irgendwann stumme Blicke voller Vorwürfe werden, wenn die Verlustzahlen in die Höhe schossen.
„Akira. Träumst du?“, erklang Megumis tadelnde Stimme neben mir.
Ich sah auf. „Hübsches Sommerkleid“, stellte ich fest.
Sie lächelte bei meinen Worten und drehte sich einmal im Kreis um sich selbst. „Finde ich auch. Es betont meine Figur, hat Akari gesagt.“
„Akari hat das gesagt? Akari?“
„Was? Meinst du etwa, Akari hat keinen guten Geschmack?“, fragte Megumi enttäuscht.
„Das ist es nicht. Ich sehe ja vor mir, wie gut ihr Geschmack ist. Was mich stört ist, dass sie sich für weibliche Kleidung interessiert.“
Verlegen legte ich eine Hand vor die Stirn. „Tut mir Leid, aber ich verliere mich viel zu sehr in der Großer Bruder-Rolle. Dabei hat Akari ihre eigene Erfahrung eines vierhundertjährigen Lebens und war bei der zweiten Marsexpedition dabei. Doch irgendwie komme ich aus meinem Beschützerdenken nicht raus.“
Megumi verzog die Lippen zu einem Schmunzeln. „Na, den Beschützerinstinkt würde ich besser nicht begraben. Denn als ich mit Akari dieses Kleid gekauft habe, waren wir eigentlich unterwegs, um ihr einen neuen Badeanzug zu besorgen.“
Vor Schreck rutschte ich die Wand, an der ich lehnte ein Stück herab. „WAS?“
„Nun brüll hier nicht so“, tadelte Megumi und bohrte sich mit dem kleinen Finger im linken Ohr. „Bin ja nicht taub. Noch nicht. Tja, sie wollte mit Michi schwimmen gehen oder so. Sie meint, er ist nicht so ein Kerl wie die anderen Jungs in ihrer Klasse.“
Kein Wunder, ging es mir durch den Kopf. Die Jungs aus ihrer Klasse wollten sicher auch nicht ihren großen Bruder töten.
Ich ballte die Hände, zwang mich aber sofort, sie wieder zu öffnen. „Dein Kleid steht dir ganz hervorragend. Seit du auf dem Boot in Argentinien dieses weiße Sommerkleid getragen hast, da dachte ich…“
„Ist schon in Ordnung, Akira“, sagte sie lächelnd und gab mir einen Kuss. „Du darfst ruhig eifersüchtig sein und Michi traktieren, weil er sich so gut mit Akari versteht. Ich habe ja selbst ein kritisches Auge auf ihn.“
Sie ging ein paar Meter voraus, drehte sich um und beugte sich ein wenig vor. „Aber trotzdem danke, dass du mein Kleid gelobt hast.“
Ich spürte, wie mir heiß wurde. Selbst nach drei Jahren schaffte es dieses Mädchen noch, mein Blut zum kochen zu bringen. Und sei es nur mit einem dezenten Blick auf ihr Dekolleté, welches sie mir gerade präsentiert hatte.
„Warte. Warte auf mich!“, rief ich und lief Megumi hinterher. Wenn ich mit dieser Frau zusammen blieb, machte ich mir klar, stand ich bereits mit einem Bein vor dem Altar.
Merkwürdigerweise gefiel mir dieser Gedanke. Etwas zu sehr vielleicht.
**
Ich blinzelte in die warme Mittagssonne. „Vorsicht, Akira!“
„Hab ihn“, antwortete ich und trat einen schnellen Schritt nach vorne, um den Ball zu Yoshi zu baggern. Der bedankte sich mit einem Pritscher bis knapp vor das Netz. Dankbar sprang ich und drosch den Ball über die Kante. Doch ich hatte nicht mit der Agilität unserer Gegner gerechnet. Doitsu erwischte den Ball noch mit dem Fuß und ließ ihn dadurch aufhüpfen. Gelegenheit genug für Kenji, dem Ball mit einem Bagger Höhe zu geben. Höhe genug, dass Doitsu wieder hochkommen, springen und hinter hauen konnte.
„Yoshi!“, blaffte ich, doch der Freund hatte schon reagiert und war in Position. Doch dann erstarrte er und ließ den Ball passieren.
Ärgerlich riss ich die Sonnenbrille hoch und wollte ihn schon anfahren, als ich merkte, dass der Ball ins Aus gegangen war.
Yoshi grinste mich überlegen an. Er deutete auf seine Augen und zwinkerte.
„Ja, du hast das bessere Augenmaß“, gab ich mich geschlagen, ging zu ihm und tauschte einen Handschlag aus. Danach gingen wir ans Netz und reichten unseren Gegnern die Hände.
„Knapp gewonnen, Akira, Yoshi“, stellte Doitsu fest.
„Knapp gewonnen ist trotzdem gewonnen“, bemerkte Yoshi grinsend.
„Dennoch. Wir fordern eine Revanche“, sagte Kenji ernst.
„Von wegen. Jetzt sind wir erst mal dran!“, hörte ich eine Frauenstimme hinter mir.
Ich fühlte zwei Hände auf meinem Rücken und wurde schon vom Netz weg geschoben. „Wir warten schon die ganze Zeit.
Ich sah zurück und erkannte Megumi. „Hey, und ich dachte, dein größtes Glück ist es, mir beim Sport zu zusehen“, scherzte ich.
„Nicht, wenn ich selbst spielen kann“, erwiderte sie und beförderte mich von der Spielfläche.
Doitsu wich Hina aus und Yoshi wurde von Joan Reilley runter geschmissen.
Danach sahen die drei Frauen Kenji an, der sofort die Arme hochriss und sagte: „Schon gut, schon gut, ich gehe von selbst.“
Ich runzelte die Stirn. „Wollt ihr zu dritt spielen?“
„Hauptsache, wir spielen und springen viel. Oder nicht?“, sagte Megumi und zwinkerte mir zu.
Ich hustete verlegen und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Wie schaffte sie das nur immer?
„Also“, sagte ich und ließ mich neben dem Feld nieder, „wer ist die vierte Spielerin? Yohko? Gina? Ami?“
„Entschuldigt meine Verspätung!“, hörte ich eine bekannte Stimme sagen.
Ich fuhr herum. „Ai-chan!“
Yamagata wurde rot und verneigte sich vor mir. „Akira-sama. Ich hoffe, ich störe nicht.“
Ich schluckte heftig, als ich ihren himmelblauen Badeanzug sah. Den konnte sich die schüchterne Frau unmöglich alleine gekauft haben. Nicht mit dem hohen Beinausschnitt und… Lag das an ihren Overalls oder hatte der Badeanzug eingearbeitete Körbchen? Oder warum war mir bisher nicht aufgefallen, dass Yamagata durchaus Oberweite hatte?
„Natürlich störst du nicht. Die Strandparty ist für alle Freunde gedacht.“ Für einen Moment, einen winzigen Moment war ich froh über die Sonnenbrille. „Was ist eigentlich mit dir los? Willst du einen Massenauflauf verursachen?“
Yamagata wurde rot. „I-ich… Joan-sama hat den Badeanzug ausgesucht.“ Sie sah betreten zu Boden. „Ist er zu gewagt?“
Ich warf einen Seitenblick auf meine Mitspieler. „Was meint Ihr, Jungs?“
Yoshi zuckte die Schultern. „Genau richtig, finde ich.“
„Nett, vor allem Schnitt und Farbe“, kommentierte Doitsu.
„Äh…“, sagte Kenji.
„Damit steht es fest, der Badeanzug steht dir“, sagte ich freudig und zeigte ihr den gehobenen Daumen. „Exzellent.“
Als mich eine Fuhre Sand traf, fuhr ich herum. „HEY!“
Megumi sah mich belustigt an. „Wenn Ihr mit eurer Inspektion fertig seid, meine Herren, Joan hätte gerne ihre Partnerin. Ist das möglich?“
„Musst du mir deswegen Sand ins Genick kicken?“, murrte ich. Ich winkte Yamagata durch. „Hab viel Spaß, Ai-chan.“
Sie verneigte sich vor mir und den Jungs. „Danke. Vielen Dank.“
„Und? Was meinst du?“, fragte ich Yoshi.
„Nun, was Ai-chan an Größe fehlt, macht sie mit Technik wett. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass ihre Technik auf langjährige Erfahrung schließen lässt.“
„Das meinte ich nicht.“ Ich deutete auf Yohko und ihre Nachbarin, die am Strand des Serenity-Meeres lagen und die Sonne genossen.
Yoshi folgte meiner Armbewegung und seufzte. „Ja, schon klar. Aria, hm? Sie hat sehr wenige Hemmungen, sich an unseren Lebensstil anzupassen. Und es scheint, als hätte sie mit Yohko bereits Freundschaft geschlossen. Uns stehen interessante Wochen bevor.“
Ich nickte dazu. „So ähnlich denke ich auch. Die Frage ist aber, was davon ist geschauspielert und was ist echt? Ich meine, Hey, wir haben ihre Einheit ausgelöscht, ihr Schiff erobert, sie von ihren Freunden getrennt und nun geradezu gezwungen, in unserer Familie zu leben.
Ehrlich gesagt würde ich mich wohler fühlen, wenn sie mich wenigstens einmal angeschrieen hätte. Oder zum weinen aufs Dach gegangen wäre.“
„Sie ist eine harte Frau. Ich meine, keine Ahnung wie die Naguad ihre Frauen sehen und ob sie so etwas wie Gleichberechtigung kennen, aber diese hier hat ein Kommando Mechas geführt. Es bedeutet egal in welcher Armee des Universums, dass du eine Menge Dreck schlucken musst und oft genug deine wahren Gefühle unterdrückst.“
„Ach, findest du? Soll ich dir dann mal unseren Divisionspsychologen schicken, damit er dir eine Therapie gegen deinen aufgestauten Frust verschreibt?“
„Sehr witzig. Aus diesem Grund habe ich ja einen Bogen und Pfeile. Und wenn es mich mal wieder richtig frustriert, dann habe ich ja dich als bewegliches Ziel.“ Er zwinkerte mir zu.
„Na, danke. Deswegen trainierst du dein KI“, sagte ich brummig.
„Unter anderem. Aber du hast Recht. Es geht zu schnell. Ich meine, sieh sie dir an. Gestern zieht sie bei uns ein, und heute liegt sie bereits halbnackt in einem von Sakuras Badeanzügen am Strand und schämt sich nicht einmal der Verbände auf ihren Verbrennungen Ersten und Zweiten Grades. Selbst für einen extrovertierten Menschen ist das übertrieben.“ Er sah mich direkt an. „Meinst du, sie hat Angst? Sterbensangst vor uns?“
Nachdenklich warf ich einen weiteren Blick zu meiner Schwester und der Außerirdischen. „Natürlich hat sie Angst. Ich bitte dich. Sie kennt unser Volk nicht, geschweige denn uns. Alles, was sie sicher von uns weiß ist, dass wir mit der AURORA durch das Universum schippern, und das tiefer in ihr Imperium hinein. Und dann hängen wir auch noch mit den Anelph ab, die vor ein paar Jahren drei BAKESCH von ihnen geklaut haben. Ich an ihrer Stelle hätte tierische Angst.“
„Ist vielleicht ein Grund dafür, warum sie sich mit Yohko so gut versteht. Als sie zu uns kam, war sie noch Lonne. Danach wurde sie Lilian. Und in beiden Phasen war sie eine gejagte und geduldete Frau, die von unserem Wohl abhing. Ich weiß nicht, wie Yohko uns damals derart vertrauen konnte, ich weiß nicht ob ich das gekonnt hätte“, sinnierte Yoshi. „Und ich verstehe nicht, warum Aria Segeste das vorgibt.“
Nachdenklich kratzte ich mich an der Schläfe. „So siehst du das also. Dein Therapievorschlag?“
Yoshi zuckte mit den Schultern. „Punkt eins, sie hat eine Freundin gefunden. Lass die beiden ihre Beziehung vertiefen. Ich habe von anderen Besatzungsmitgliedern der TAUMARA gehört, die ebenfalls zaghaft Freundschaften aufgebaut haben. Oder von solchen, die vollkommen zurückgezogen leben. Für sie wird es ein weiter Weg werden, uns zu akzeptieren.
Manche werden das nie können, denn, seien wir doch ehrlich, Akira, wir kommen als Angreifer. Und zwar als Angreifer, die ihr Imperium attackieren. Ihr Zuhause. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, nein, wenn die Situation sie zwingt, wird Aria gegen uns und für das Interesse des Imperiums handeln. Soweit sie dies kann.“
Ich nickte schwer. „Vollkommen normales Verhalten, das ich auch von jedem von uns erwarten würde. Ob wir sie alle doch lieber in ein Lager stecken?“
Yoshi lachte rau. „Himmel, Akira, wir haben nicht mal ein ordentliches Gefängnis. In dem, das es in Fushida City gibt, passen gerade mal zwanzig Leute rein. Und das ist dann auch noch halboffener Vollzug für Verkehrsdelikte und dergleichen. Außerdem nimmst du den Naguad damit das, was du ihnen eigentlich schenken wolltest – uns nicht als Invasoren zu begreifen sondern als weitere humanoide Rasse, die einfach nicht assimiliert werden will.“
„Wie treffend formuliert, wie treffend formuliert“, kommentierte ich ernst.
Wir schwiegen einige Zeit und beobachteten die Mädchen beim Beachvolleyball. Mir gingen eigene Gedanken durch den Kopf, und ich war sicher auch Yoshi dachte über seinen ganz persönlichen Blickwinkel nach. Noch drei Tage, dann würde Megumi wieder ihren Dienst aufnehmen dürfen. Noch drei Tage, dann würden er und ich Megumis Büro räumen und ihr einen Haufen Papierkram zurücklassen. Doch in Anbetracht der Naguad, die nun mitten unter uns lebten und beim Gedanken an die Grey Zone war das eher eine nebensächliche Episode.
„Da hinten kommt Kei“, murmelte Yoshi und grinste zu mir herüber. „Und er bringt Ban Shee mit. Na, wie steht es um dein dickes Fell, Akira-sama?“
Ich runzelte verärgert die Stirn. „Ich habe es ihm überlassen, ob er sie mitbringt oder nicht. Die beiden arbeiten eng zusammen und haben deswegen wenig Zeit, Freundschaften einzugehen. Wenn jemand so eng zusammenhängt wie die beiden und die wenige Zeit in Betracht zieht, dann kommt man zu dem Schluss, dass sie sich zumindest nicht hassen, oder? Also kann sie doch ruhig mitkommen.“
„Ach, und an den ganzen Ärger den du hast, weil sie dich total auf dem Kieker hat, denkst du überhaupt nicht?“ Yoshi zwinkerte mir zu.
„Für meine Freunde muß ich halt mal Opfer bringen. Und Kei ist solch ein Freund“, sagte ich und warf mich in eine selbstlose Pose.
„Soll ich Politur für deinen Heiligenschein holen?“, scherzte Yoshi.
Mein Blick wurde ernst, als ich die beiden näher Kommenden fixierte. „Außerdem interessiert mich wie Ban Shee auf Aria Segeste reagiert. Sie, eine nicht assimilierte Anelph auf der Flucht und Aria, eine Naguad aus den Kernsystemen, frisch besiegt.“
Yoshi zuckte vor mir zurück. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du einen Hang zum Bösen hast, Akira?“
„In letzter Zeit nicht“, scherzte ich mit sardonischem Lächeln.
Kei und Ban Shee passierten Yohko. Kei tauschte mit meiner Schwester nur einen kurzen Gruß aus, immerhin hatten sie sich erst beim Frühstück gesehen. Die Anelph ging schweigend neben Kei her.
Nun wurde die Naguad aufmerksam und musterte die zwei. Ich sah, wie sich eine kurze Unterhaltung entwickelte. Eine sehr kurze, denn plötzlich sprang die Naguad auf und rief: „Ban Shee RYON?“
Überrascht und getrieben von Adrenalin kam ich auf die Beine. „Das geht schief!“
„Furchtbar schief!“, erwiderte Yoshi und befand sich bereits an meiner Seite, als ich los sprintete, um das Schlimmste zu verhindern. Wir liefen dabei über das Spielfeld und versauten Megumi eine Spitzenverteidigung, aber der Ärger würde nicht so schlimm ausfallen wie ein offenes Massaker zwischen Ban Shee und Aria, die Keis Stellvertreterin offensichtlich kannte.
Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Natürlich musste sie Ban Shee Ryon kennen, immerhin war sie ja mit der TAUMARA auf der Suche nach den BAKESCH und den geflohenen Anelph gewesen. Mist, warum hatte ich an derart Offensichtliches nicht gedacht?
Wir überwanden die fünfzig Meter in Rekordzeit, verständigten uns stumm. Ich würde Aria aufhalten und er Ban Shee. So sah es unsere stille Kommunikation eigentlich vor, als die Naguad etwas tat, was unsere kurze Kalkulation vollkommen über den Haufen warf.
Sie trat einen Schritt auf die Anelph-Frau zu, legte beide Hände aufeinander und dann auf ihre Brust und sah zu der größeren Ban Shee mit feucht schimmernden Augen auf. „Kapitän Ban Shee Ryon…“
Erschrocken musterte die Anelph die junge Frau und trat vor ihr einen Schritt zurück.
„Äh…“
„Ban Shee!“, rief Aria und trat wieder einen Schritt vor. „Ich bin Aria Segeste, Jahrgang neununddreißig! Ich war in Ihrer Klasse. Ich meine, ich…“
„Ich weiß, wer Sie sind und was Sie waren“, erwiderte die Anelph verlegen. „Ich war ein halbes Jahr Gastdozentin an Ihrer Akademie, richtig? Und Sie steckten in Ron Damers Klasse.“
„Richtig. Loria Segeste ist meine Schwester und Sie haben auch mit meinem Bruder Torent gedient. Ich habe mir immer gewünscht, Sie einmal wieder zu treffen, Ban Shee.“
„So, so, Ihr kennt euch also von früher“, murmelte ich schmunzelnd, als Yoshi und ich neben den vieren gestoppt und etwas Atem geschöpft hatten.
Verlegen sah Ban Shee von Aria zu mir und wieder zurück. „Es ist Jahre her. Ich war Gastdozent auf Naguad Prime. Ich war Lieutenant und habe Gefechtstaktiken unterrichtet.“
„Sie ist die Beste!“, sagte Aria bestimmt. „Das haben sie alle gesagt. Admiral Pheser, Kommodore Warren, Direktor Riyas…“
„Was? Die alten Haifische haben das über mich gesagt?“, wunderte sich die Anelph. „Und ich dachte, die waren froh, dass sie mich nach dem halben Jahr los waren.“
„Nein, so war es ja gar nicht. Es ging die Akademie rauf und runter. Sie haben nie die Gift empfangen, Ban Shee, deshalb hielt man Sie für eine Oppositionelle. Allerdings eine Oppositionelle mit den besten taktischen Fähigkeiten der gesamten imperialen Flotte.“
Die Anelph schluckte hart, als sie meinen Blick sah. „E-es war notwendig. Mein Vater hatte den Plan lange vorbereitet und damit unsere Flucht glücken konnte, brauchten wir Leute auf den BAKESCH. Ich war einer von ihnen. Und um dahin zu kommen, musste ich eine der Besten werden.“
„Was sie auch geworden ist. Zudem, die Flucht – eine Glanzleistung an Koordination und Vermeidung unnötiger Gewalt. Einfach Klasse. Alle an der Akademie waren begeistert über die Effizienz. Und jetzt stehe ich hier, mit Ban Shee Ryon… Ich…“
„Ruhig, ruhig, Aria. Sie läuft dir ja nicht weg. Zufällig weiß ich, wo sie arbeitet“, sagte ich amüsiert und klopfte der Naguad leicht auf die Schulter. „Sie ist zufällig Erster Offizier unseres BAKESCH.“
„WAS?“ Aria hatte so laut gerufen, dass mir fast die Ohren klingelten. Im ersten Moment hatte ich es für Begeisterung gehalten. Aber nein, es war Entsetzen. „DAS KANN NICHT WAHR SEIN!“
„Aria, bitte“, tadelte ich.
„Tschuldigung, Akira-chan, aber es ist doch wahr. Welcher Vollidiot macht sie denn zum Ersten Offizier? Sie sollte den BAKESCH kommandieren!“
„Sie ist Erster Offizier, weil ihr Kapitän der beste Mann unserer Flotte ist“, sagte ich ernst.
„Phhh. Ja, eurer Flotte. Aber kann er Ban Shee das Wasser reichen?“, murmelte sie beleidigt.
„Oh, es hat einige Zeit gedauert das einzusehen, aber mein Kapitän, besser gesagt mein Kommodore ist wirklich besser als ich“, bemerkte die Anelph schmunzelnd.
Aria musterte erstaunt Ban Shee, dann mich. Abrupt wandte sie sich ab. „Wer es glaubt. Ich habe Kapitän Ryon jedenfalls kämpferischer in Erinnerung. Wer ist denn dieser Kommodore?“
Zögernd hob Kei Takahara die Hand, während wir alle auf ihn deuteten.
„Kei?“ Entsetzt starrte Aria den jungen Mann an. „Unser Kei? Aus unserer Gemeinschaft? Ich habe mitgekriegt, dass er in der Flotte dient. Aber doch nicht gleich den BAKESCH!“
„Vorsicht“, warnte ich sie. „Er ist der jüngste Kapitän unserer Flotte, und er kommandiert unser stärkstes Schiff. Das hat er nicht erreicht, weil er unfähig ist.“
„Er braucht ja auch gar nicht fähig zu sein. Er hat ja einen sehr guten IO, der alles für ihn ma-gargl!“
Übergangslos war Ban Shee näher getreten und testete mit ihren Zeigefingern gerade Arias Mund auf Dehnfähigkeit. Ein merkwürdiger Glanz lag in ihren Augen, als sie die Naguad tadelte. „Kei Takahara ist ein guter Offizier und ein guter Kommandeur. Ich würde nicht unter ihm arbeiten, wenn ich ihn nicht als besser anerkennen würde. Wenn du also, kleines Mädchen, ihn noch einmal kritisierst, dann ist das so als würdest du mich kritisieren. Und weißt du, was ich dann mit dir mache?“
„Gargl!“
„Genau das.“ Ban Shee nahm ihre Hände zurück. „Hast du das endlich kapiert?“
Die Naguad rieb sich die schmerzenden Wangen. „Ja“, meinte sie schmollend. Sie musterte Kei, sah ihm in die Augen und machte dann: „Hm!“ Wütend sah sie weg, enthielt sich aber eines weiteren Kommentars. Stattdessen ließ sie sich wieder auf ihren Platz sinken.
Ich schmunzelte. „An wen erinnert sie mich nur gerade so?“
Ban Shee nickte dazu. Dann runzelte sie die Stirn, sah mich an und wurde ein wenig bleich.
Neben mir prustete Yoshi los. „Gut formuliert, Akira.“
„Wenn Ihr dann hier fertig seid“, sagte Yohko von ihrer Decke aus, „Ihr steht mir in der Sonne.“
„Okay, okay“, murmelte ich und machte eine einladende Handbewegung in Richtung Volleyballfeld.
„Danke“, murmelte Yohko und räkelte sich kurz auf ihrer Decke.
„Bitte, bitte.“ Ich warf Yoshi einen schiefen Blick zu. „Komm schon. Den Anblick hast du Zuhause jeden Tag.“
„Was? Wie? Ich komme ja schon, Akira…“
Mein bester Freund schloss zu uns auf und bekam so Yohkos zufriedenes Schmunzeln nicht mehr mit… Übrigens auch nicht den giftigen Blick, den Aria Kei hinterher warf.
Die beiden sollten wohl besser in nächster Zeit in verschiedenen Schichten an einem Tisch sitzen, dachte ich amüsiert.
Ace Kaiser
3.
Als ich das harte Knie in meinem Rücken spürte, ächzte ich vor Schmerz auf. Na wenigstens überfiel sie mich diesmal nicht wieder auf der Herrentoilette.
„Hallo, Akira-chan“, flüsterte sie amüsiert.
„Hi“, erwiderte ich, während ein Ellenbogen in meinem Genick dafür sorgte, dass sich mein Schädel nicht von der Wand entfernen konnte. „Hab mich schon gefragt, wann du mal wieder auftauchst.“
„Es ist ja wohl auch an der Zeit, oder?“, tadelte die Agentin der Kronosier mich. Wie bei unserem ersten Treffen konnte ich kaum einen Arm bewegen – wenigstens versuchte sie diesmal nicht mich zu erdrosseln.
„Erst gerätst du an diese Killerbande, und jetzt lässt du dich auch noch mit den Naguad ein. Akira, Akira. Ich lasse dich nur solange leben, wie diese Mission ein Erfolg ist. Aber wenn du diese Leute frei herum laufen lässt, kann man das schwerlich behaupten, oder?“
„Was für ein Quatsch. Denkst du, daran habe ich nicht gedacht?“, fuhr ich die Agentin an.
Der Druck auf meinem Rücken ließ etwas nach. „Wie meinst du das?“
„Na, denk doch mal nach. Wir reisen hier mit ner Menge Zivilisten. Alle wichtigen Bereiche werden sowieso permanent überwacht. Und wir wissen, dass sie da sind und dass sie etwas versuchen können. Darauf haben wir uns eingestellt.“
„Ha. Und das geht genau so lange gut, bis mal ein Aggregatblock in die Luft fliegt, hm?“
Ich sah an der Mauer vorbei in die Höhe. Über mir zog ein Sauerstoffdistributor seine Bahn. Gerade in Fushida City waren Unmengen an Beton verbaut worden, auch für die Schule, auf deren Dach ich gerade stand. Der frische Beton zog Unmengen an Sauerstoff aus der Atemluft, während er aushärtete, welcher nun künstlich wieder eingeführt werden musste, wenn sich nicht alle an einen sehr, sehr geringen Sauerstoffanteil in der Luft gewöhnen wollten.
„Da mache ich mir keine Sorgen drum“, erklärte ich süffisant, zumindest so weit meine Schmerzen dies zuließen. „Denn du willst ja nach Hause kommen, oder?“
„Was meinst du damit?“, blaffte die Agentin im Körper einer Unschuldigen mich an.
„Nun, damit liegt es in deinem ureigensten Interesse, dass keine Aggregate explodieren, oder?“
Ich spürte, wie der Ellenbogen in meinem Genick zu zittern begann. Ich hatte sie, verdammt ja, ich hatte sie.
„Mistkerl“, hauchte sie und übergangslos verschwand der Druck.
Für einen Moment blieb ich so stehen wie ich war. Dann stieß ich mich von der Wand ab, drehte mich einmal um mich selbst und rief: „Nur weil ich ein Mistkerl bin, habe ich aber nicht weniger Recht, und das weißt du auch!“
Dennoch, dieser kleine Sieg und die regelrechte Rekrutierung der Agentin, indem ich ihre eigenen Ängste schürte, das waren Dinge, die mich sehr zufrieden machten.
Leider würde der Ärger für mich und die AURORA an diesem Punkt erst beginnen.
Obwohl ich wusste, dass es sinnlos war, suchte ich noch nach einem Anzeichen meiner Besucherin. Aber da war nichts. Nicht einmal eine Ahnung ihrer Aura.
Wer immer sie war, sie konnte ohne weiteres die Beste sein. Und sie war auf meiner Seite. Solange ihr Leben bedroht war.
**
Makoto warf mir einen ernsten Blick zu. Ich nickte ebenso ernst. Er drückte eine Sensortaste und der Anelphsche Hologrammprojektor erwachte zum Leben.
„Nothing´s wrong, you´re fine with me…“
Ich zog beide Augenbrauen hoch. „Ein Joan Reilley-Musikvideo?“
Hastig und verlegen lächelnd deaktivierte mein Cousin die Projektion wieder. „Tschuldigung. Habe ich ganz vergessen. Ich wollte es mal als Holo aufbereitet sehen. Könnte man später vermarkten.“
„Mako…“, tadelte ich.
Er nickte und strich sich mit einer Hand über den Kurzhaarschnitt, mit dem er sich eigentlich von seinem weiblichen Äußeren hatte trennen wollen, während er mit der anderen den Projektor neu justierte.
Der entstehende Kubus flimmerte kurz und machte einem Mecha Platz. Nun, er war vielleicht nicht so hübsch wie Joan Reilley im Mini, aber mindestens ebenso spektakulär.
„Dies sind die Ergebnisse unserer bisherigen Analysen“, erklärte er mir und den anderen Anwesenden. „Wir konnten die TAUMARA zwar erobern, aber dem Kapitän gelang es, einen Großteil der Daten im Computerkern zu löschen. Wir versuchen diese Daten zur rekonstruieren, werden aber noch Wochen brauchen. Die Anelph-Spezialisten arbeiten bereits mit Hochdruck daran, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die Daten, die sie damals bei der Flucht mitgebracht hatten, mittlerweile völlig veraltet sein können.“ Er sah auf. „Und es wahrscheinlich sogar sind.“
Sakura hob eine Hand. „Das sind alles bekannte Fakten, Makoto. Was habt Ihr aber bisher herausgefunden?“
Mako deutete auf das Hologramm. „Dies ist einer der feindlichen Mechas, die mit uns im Kampf gestanden haben. Die Typenbezeichnung ist Banges.
Das besondere an diesen Maschinen ist ihre Modulbauweise. Dieser Banges hier ist für den Nahkampf konfiguriert. Mit dem entsprechenden, weiter ausladenden Ortungskopf und anderen Armwaffen kann er ohne weiteres ein Fernkampftypus werden, mit dem richtigen Equipment ein Infanterietender, eine fliegende Ortungsstation, und so weiter. Jeder Banges besteht aus der Rumpfsektion für den Piloten. Alles andere, vom Fusionsreaktor bis hin zu den Beindüsen, kann ausgetauscht und entsprechend der Situation angepasst werden.“
Das Bild wechselte und zeigte nun die Fernkampfversion mit weit ausladenden Raketenlafetten an den Armen. Kurz darauf kam der Spähertyp, der erheblich kleiner war, aber über stärkere Beindüsen verfügte.
„Sie wollen also sagen, dass jeder dieser Banges jederzeit umgerüstet werden kann, solange das entsprechende Equipment vorhanden ist?“
„Ja, Admiral Richards, das ist das Ergebnis unserer Untersuchungen. Bei der Bestandaufnahme der Prise fielen uns sieben Mechas und Umrüstsets für neun Maschinen in die Hände. Dazu Ersatzteile und Nachschub für zwölf oder mehr. Es hätte mehr sein können, aber erstens haben die Naguad Teile ihrer Ausrüstung vernichten können, bevor Okame-kun eingreifen konnte“- Makoto nickte dem Dämonenkönig zu –„und zweitens ist die TAUMARA schon eine sehr lange Zeit unterwegs.“
„Sehe ich das richtig“, begann Megumi, „alles was wir hier im Holo vor uns sehen basiert auf Berechnungen und Fakten, die wir selbst eruiert haben, da wir größtenteils nicht auf den Computerkern zugreifen können?“
„Das ist richtig“, sagte Makoto ernst.
„Okay, dann habe ich eine Frage: Wie schätzt dein Team die Kampfkraft der Banges gegenüber unseren Mechas oder den Daishi ein?“
Makoto sah sie an, bevor er leise zu sprechen begann: „Wir erwarten, dass ein Nahkampfbanges stärker ist als ein Hawk der Neuesten Generation.“
Aufgeregtes Raunen ging durch den kleinen Raum. „Zudem haben wir die Untersuchung der TAUMARA abgeschlossen. Sie ist unseren Fregatten leicht unterlegen, aber auch nur, weil der Sprungantrieb viele Ressourcen und Platz benötigt.“
„Dennoch sollten wir den Gedanken im Hinterkopf behalten, oder?“, murmelte ich ernst. „Es war zu erwarten gewesen, dass die Naguad in den Jahren seit der Flucht nicht geschlafen haben. Und das neue Innovationen nach und nach auch die Grenzen des Reiches erreichen würden. Es ist gut zu wissen, dass wir ihnen wenigstens in der Schiffstechnologie überlegen sind.“
„Nicht überlegen. Nur stärker“, tadelte Makoto mich.
Ich grinste bei diesen Worten. „Wie dem auch sei, wir müssen die Situation ja nicht hinnehmen, nur weil sie so ist wie sie ist. Megumi, suche dir aus allen drei Regimentern die besten sechs Piloten raus. Dann lass alle sechs, solange wir hier noch im Alpha Centauri-System sind, auf den eroberten Banges trainieren. Und sobald sie dort sattelfest sind, werden diese sechs ein Red Team bilden.“
Megumi nickte ernst. Sie würden Naguad simulieren. Und wir würden an ihnen erproben, wie wir sie am besten bekämpfen konnten.
„Ich habe nicht vor, erneut gegen Naguad zu kämpfen, aber es wäre naiv zu glauben, wir könnten es vermeiden.“
„Dasselbe gilt für die TAUMARA“, sagte Sakura ernst. „Ich will, dass die Arbeiten am Computerkern weiter mit Hochdruck betrieben werden. Gleichzeitig will ich, dass die Schäden der Schlacht beseitigt werden. Verschiedene Teams sollen anschließend auf ihr trainieren. Wenn man die Schwächen und Stärken eines Gegners kennt, ist er nur noch halb so gefährlich.“
**
Wenn man die Schwächen eines Gegners kennt…
Dieser Satz ging mir eine lange Zeit durch den Kopf. Auch als ich schon lange beim KI-Training unter Futabe-sensei war.
Yoshi saß im Lotus neben mir und summte ein populäres Lied. Erstaunlicherweise war es nicht von Joan Reilley, was in der Öffentlichkeit der AURORA schon fast ein Sakrileg war.
Ich merkte kaum, wie ich einfiel und ebenfalls leise mitsang, während mich dieser eine Gedanke beschäftigte.
Ein bekannter Feind. Was sagte Sun-Tzu dazu, in der legendären Niederschrift Die Kunst des Krieges? Bist du schwach, erscheine stark. Bist du stark, erscheine schwach. Kenne deine Schwächen und Stärken. Kenne die Stärken und Schwächen deines Gegners.
Nun, nicht unbedingt in einem einzigen Satz, aber vom Sinn her entsprach das seiner Lehre über die Kriegskunst.
Unser Feind, die Naguad, sie machten mir Sorgen. Wir wussten fast nichts über sie. Selbst den Anelph, die als assimiliert galten, waren nicht alle Daten des Imperiums zugänglich gewesen. Bei einer Gigantkultur und einer riesigen Verteidigung, wie das Naguad-Imperium sie besaß, wäre eine komplette Information ohnehin Unsinn gewesen. Es gab Statistiken zu diesem Thema. Wie viele Mecha-Regimenter sie unterhielten, wie viele Schiffe welcher Klassen. Aber uns lagen keine Daten über Kampfkraft oder sogar einzelne Piloten vor. Nicht einmal Gefechtsgeschichten. Okay, das war nicht ganz richtig. Über einige Schiffe, vor allem die BAKESCH, die den Anelph zur Flucht verholfen hatten, gab es Geschichtsdaten. Ebenso über viele Schiffe, die mit ihnen zusammen gedient hatten.
Leider war dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn laut der Statistiken, die nicht derart aussagekräftig waren, umfasste dies nur ein Zwanzigstel der Schiffe, die im Dienst waren. Und dazu waren die Daten noch fünf Jahre alt.
Über neu Indienstgestellte Schiffe und außer Dienst gestellte lagen keine Informationen vor.
Alles in allem erhofften wir uns viel, sehr viel von den Daten aus dem Computerkern der TAUMARA.
„Akira-chan!“ Ich spürte, wie etwas Weiches auf meinem Kopf landete. Zwei Fuchsaugen sahen mich auf dem Kopf stehend an, während die lange Schnauze meine Nase anstupste.
„Hallo, Kitsune.“ Ich lächelte, als ich die Dämonin erkannte. Ich hatte sie schon schmerzlich vermisst, obwohl ich sie erst beim Frühstück gesehen hatte.
„Störe ihn nicht, Kitsune-kun“, sagte Futabe-sensei und trat neben uns. „Obwohl er dieses schreckliche Lied singt, das so in den Ohren schmerzt, ist er gerade dabei die Grundlagen des KI zu erkunden. Das gelingt aber nur, wenn er sich von seinen Dämonen lösen kann, die gerade in ihm wüten.“
Ich sah zu Sensei auf. Der Mann verstand mich zu gut.
Wenn ich genau drüber nachdachte, hatte ich einige wirklich gute Lehrer gehabt, die mich auf meinem Weg begleitet hatten, die Last für mich mit trugen. Im gleichen Maße war ich für viele Freunde Lehrer, aber auch Schüler geworden.
Ohne Jeremy Thomas wäre ich nie so weit gekommen. Ohne Futabe-sensei hätte ich niemals die geistige Disziplin erreicht, die mich oft genug am Wahnsinn hat vorbei schlittern lassen.
Ohne Karl, seine Tipps, seinen Rat und seinen Beistand wäre ich nicht das, was ich heute war. Und dabei wusste ich nicht einmal seinen Nachnamen. Andererseits hatte ich ihm oft genug gesagt, was er mir bedeutete und wie sehr ich ihn respektierte.
Und um dieses Geschenk, das diese drei Männer mir gemacht hatten zu würdigen, musste ich erneut meine eigenen Dämonen überwinden, mein Bestes geben und vor allem dieses Schiff wieder sicher nach Hause bringen. Mit ein paar Tausend Anelph mehr an Bord, im Idealfall.
Und mein Training, genauer gesagt meine KI-Ausbildung war ein wichtiger Schritt in dieser Richtung.
„Innere Dämonen? Akira-chan, du wirst doch nicht fremdgehen? Oder bin ich nicht mehr deine Lieblingsdämonin?“ Übergangslos verwandelte sich Kitsune in diese niedliche junge Menschenfrau mit den fuchsroten Haaren und lastete mit ihrem vollen Körpergewicht auf mir.
Ich ignorierte die Berührung durch ihre Brüste; diese Spielchen hatten wir schon lange hinter uns gelassen. Stattdessen sah ich ihr in die nun menschlichen Augen und sagte: „Keine richtigen Dämonen. Nur Ängste. Ängste um euch, die AURORA, die Deppen neben mir.“
„Deppen?“, rief Daisuke entrüstet.
„Schon gut, wollte nur mal sehen, ob du wirklich in Trance bist oder heimlich zuhörst“, erwiderte ich grinsend.
Yoshi zwinkerte in meine Richtung. „Ausrede.“
„Honda-kun“, sagte Futabe-sensei mit ruhiger, leiser Stimme. Und verursachte damit mehr Panik bei Daisuke als es Gebrüll gekonnt hätte. „Du hast am meisten zu lernen. Du musst dein KI erst steuern lernen. Die Konzentration, die Meditation ist dafür essentiell. Wenn du hier versagst, dann wirst du nie den Level meines Enkels erreichen. Oder den Level von Ataka-kun.“
Doitsu öffnete kurz die Augen und zwinkerte in Daisukes Richtung.
Dem stand kalter Schweiß auf der Stirn. Einerseits weil er Angst vor dem alten Mann hatte. Andererseits weil es wirklich sein Ziel war, zu uns aufzuholen.
Aber anstatt zu antworten, senkte er die Augenlider und begann konzentriert zu atmen. Leise begann er die Melodie zu summen, zu der Yoshi und ich vorhin gesungen hatten.
Sensei grunzte zufrieden. Das war sein allergrößtes Lob.
„Ne, ne, Akira-chan“, meldete sich Kitsune wieder zu Wort. Sie richtete sich auf, kam um mich herum und hockte sich vor mich auf den Boden. Sie sah mich mit ihren klaren Augen an und verwundert sah ich darin wilde Entschlossenheit und tiefe Zuneigung. „Egal was du für Ängste hast. Egal wohin du gehst. Du weißt doch, du bist mein Lieblingsmensch. Ich stehe das mit dir durch. Ich stehe alles mit dir durch.“
Übergangslos hatte ich einen Kloß im Hals. „Danke, Kitsune-chan.“
Erfreut klatschte die Füchsin in die Hände. „So, nachdem das geklärt ist, kommen wir zum nächsten Punkt. Was willst du über das KI wissen? Ich kann dir jede Frage beantworten und dir jede praktische Anwendung zeigen.“
„Wirklich?“, rief ich überrascht.
„Hey, kann ich da auch noch was lernen?“, rief Yoshi herüber.
„Das beste Wissen“, begann Futabe-sensei, ließ den Rest aber offen.
Ich nickte resignierend. Der alte Glatzkopf hatte ja Recht. „Das beste Wissen ist das, auf das man selbst kommt“, sprach ich den Satz ganz aus.
„Ich sehe, du hast doch was bei mir gelernt“, murmelte der alte Priester zufrieden. „Kitsune-kun, du kannst gerne hier bleiben. Aber leite ihn nicht an. Er geht in die Tiefen seiner Seele und spürt dem KI nach.
„Aber dabei kann ich ihm doch…“
„Kitsune-kun!“, sagte Futabe-sensei scharf. Selten hatte ich ihn so laut werden gehört.
„Ja, ja. Schon gut. Ich habe es ja kapiert“, murrte sie und setzte sich neben mich auf den Boden. „Aber hier bleiben darf ich, ja?“
Futabe-sensei nickte nur knapp und ging dann wieder. Er ließ uns allein und überließ diese Lektion seinen Schülern.
Wieder begann ich leise zu singen. Yoshi grinste über sein ganzes Gesicht und fiel ein. Doitsu stimmte ebenfalls ein und Daisuke summte unmerklich lauter.
Kitsune strahlte über das ganze Gesicht und sang ebenfalls mit. Sie hatte eine bemerkenswert gute Stimme. Eine hypnotisch gute Stimme, die einen euphorisch, aber irgendwie auch…
…an einen völlig anderen Ort brachte.
Ich schlug die Augen auf und fand mich in meinem alten Hawk Blue Lightning wieder. Allerdings war ich ein unbeteiligter Beobachter, während mein jüngeres Ich im Pilotensessel saß und sein KI produzierte. Ich erkannte Akari, die neben ihm hockte und ich sah die Herakles-Klinge, wie sie von dem KI erfüllt wurde, das mein junges Gegenstück und die Youma Slayer produzierten, um den angreifenden ZULU abzuwehren.
Ich bekam aus meiner beobachtenden Position mit, wie die ins Gigantische vergrößerte Klinge durch den Schiffsrumpf fuhr und ihn längs spaltete.
Die Szenerie wechselte. Ich war wieder auf dem Mars. Überrascht sah ich, wie die Klinge eines Herakles-Schwertes durch die Cockpit-Panzerung schlug, auf mein junges Ich zuraste, die KI-Abwehr um Bauch und Brust durchschlug und mich pfählte.
Für einen Moment glaubte ich die alten Schmerzen erneut zu spüren. Mich schauderte bei dem Anblick.
Erneut wechselte die Szene. Ich stand im Regen irgendwo in Tokio. Bestenfalls fünf oder sechs Jahre alt. Vor mir auf dem Boden saß meine kleine Schwester und weinte. Sie war zu schnell gelaufen, gestolpert und hatte sich ein Knie aufgeschlagen. Und im Moment heulte sie Rotz und Wasser.
Der kleine Junge redete beruhigend auf sie ein, aber das brachte nichts. Schließlich seufzte er resignierend, legte beide Hände auf das Knie. Sie versanken in einem strahlenden Licht, welches in das Knie hinein zu fließen schien. Kurz darauf begann sich die aufgeschlagene Wunde zu schließen.
Ich schüttelte den Kopf. Ich erlebte KI-Anwendungen mit. Nur drei von wie vielen? Ich konnte es nicht sagen. Aber es mussten Dutzende, Hunderte gewesen sein.
Antworten lieferten mir diese Bilder nicht. Aber sie bestätigten etwas, was ich schon lange wusste. Meine Fähigkeit, das KI zu benutzen, war nicht neu. Nur ausgefeilter. Trainierter.
Der kleine Junge vor mir wurde durchscheinend. Das überraschte mich. Denn nun konnte ich in dem gläsern gewordenen Burschen, der ich einmal war, eine Art feines Gespinst erkennen, das den ganzen Körper durchzog. In ihnen pulsierte eine helle, fast gleißende Substanz.
An sieben Punkten konzentrierte sich diese Substanz in beinahe daumengroßen Ballungen. Dazu kamen viele wesentlich kleinere Ballungen, die sich über den restlichen Körper verteilten.
Die oberste war im Kopf. Die nächste lag in der Herzgegend. Eine weitere in der Lunge. Leber, Magen, Verdauungstrakt und Geschlecht, wenn ich sie grob einteilte. Sieben Ballungen innerhalb meines Körpers, in denen diese Energie pulsierte.
Es erschien mir einen Moment wie die klassische indische Einteilung in Chakren, einem der KI-Lehre verwandten System.
Doch dann sah ich genauer hin und erkannte etwas anderes, neues.
In den Ballungen mischten sich zwei Energien. Eine weiße und eine schwarze. Eine starke und eine schwache. Eine fröhliche und eine düstere.
Yin und Yang. Zusammen ergaben sie das KI.
Im Magenchakra sammelte sich die meiste Energie. Und von dort schoss sie über das Kapillarsystem in beide Arme, in die Handflächen. Von dort ging sie auf Yohkos Körper über.
Ich sah genauer hin, erkannte einerseits das aufgeschlagene Knie. Andererseits ihr KI-System, das über dem Knie einen großen schwarzen Fleck aufwies, durch den ich nicht hindurch schauen konnte.
Das KI meines jüngeren Ichs fraß sich nun in diesen Fleck hinein, machte ihn durchsichtig und entblößte das bisher verdeckte Kapillarsystem, welches zögernd wieder zu arbeiten begann. Als der Fleck ganz fort war, strahlte das Knie besonders hell und Yohkos körpereigenem Chakra.
Ich fühlte mich fortgerissen. Fort von dieser Szene. Fort aus diesem Geschehen. Übergangslos stand ich im Nirgendwo, in Finsternis. Über mir leuchteten ein paar Sterne.
„Das KI“, erklang eine Stimme hinter mir, „ist ein körpereigenes Produkt. Es ist nicht erfassbar, aber ist das die körpereigene Elektrizität, die ein Mensch unbewusst produziert? Es ist eine Energie. Eine sehr starke Energie, die aber nur wenige Menschen kennen oder auch nur kennen wollen. Sie zu kontrollieren kann übel enden, wenn man halbherzig oder zu forsch angeht. Sie kann aber auch das Tor zu einem Reich aufstoßen, in dem jeden Tag neue Wunder warten.“
Ich wandte mich in der Dunkelheit um. „Dai-Kuzo-sama.“
Die Spinnendämonin trat lächelnd neben mich. „Ich wusste, dass du eines Tages kommen würdest, Akira. Deshalb hinterließ ich diesen Abdruck in deinem KI-Gedächtniss. Er wird dir Rede und Antwort stehen.“
Ich nickte. „Vieles habe ich schon selbst verstanden. Das KI ist ein Kreislauf innerhalb des Körpers, ähnlich wie das Blut. Er ist immens wichtig. Ist er gestört, kann dies Schmerzen, sogar den Tod verursachen.“
„Das ist richtig.“
„Aber da ist noch soviel mehr. Ich meine, ich habe damit mein Schwert verstärkt. Ein Schiff vernichtet. Wie kann das sein, mit einer Kraft aus meinem eigenen Körper?“
„Falsche Frage“, erwiderte der Schatten von Dai-Kuzo lächelnd.
Irritiert sah ich sie an. „Es liegt doch nicht in der Natur des KI, ein Schwert noch schärfer zu machen, oder?“
„Warum sollte es das nicht? Es hat doch funktioniert, oder, Akira?“
„Ja, das schon. Aber es erscheint mir so unwirklich. So nach dem Motto: Du hast da gerade was Tolles getan, aber eigentlich geht das gar nicht.“
„Du kannst dir deine Antwort selbst geben, Akira“, belehrte mich Dai-Kuzo sanft.
Ich dachte einen Moment nach. „Eine körpereigene Energie, die ich bewusst produzieren und lenken kann. Ich kann damit Einfluss auf meinen Körper und andere Körper nehmen. Und anscheinend kann ich das auch auf feste Materie, sonst hätte ich den ZULU nicht vernichten können.“
„Du bist auf einem guten Weg“, lobte sie mich.
„Zudem haben die Kronosier Seelen in Waffen gesperrt. Auch das muß KI-Energie gewesen sein. Sie haben auch Unmengen geraubt und gespeichert. Das KI muß, sobald es einmal produziert wurde, sehr vielseitig sein.“
„Das stimmt. Wir Dämonen bestehen aus einer Art des KI, wenn du so willst.“
Ich lächelte knapp. Das hatte ich schon gewusst. „Aber wie kommt dieser Sprung? Wie auf meine Waffe? Wie gegen das Feindschiff? Wie?“
„Ja, wie? Wie hast du es gemacht?“
„Ich“, sagte ich zögernd, leise, widerstrebend, „habe es gewollt.“
Langsam hob ich meine Hände vor die Augen und sah sie an. „Ich habe es gewollt.“
Die Hände versanken in gleißender KI-Energie. Es wurden zwei gewaltige Flammen, die meterweit in die Höhe stachen. Es musste da einen Zusammenhang geben. Zwischen meinem Körper und der toten Materie.
Ich zog eine wahnwitzige Möglichkeit in Betracht. Vor fünf Milliarden Jahren waren die Atome, aus denen ich und auch die AURORA und alles was in ihr war, von einer sterbenden Sonne ins All geschleudert worden. Ja, wir bestanden alle aus Sonnenstaub. Und dies nach Jahrmilliarden.
Konnte es sein? War das die Lösung? Der Glutofen einer Sonne, aus der all diese Atome stammten? Weil sie gleicher Herkunft waren, bedeutete dies, dass sie das KI aufnehmen konnten? Sich vielleicht an KI erinnerten?
Mir schauderte bei dem Gedanken, denn er führte in eine Richtung, die mir fast die Füße unter den Beinen wegtrat: Es lief alles auf KI-beseelte Sonnen hinaus.
Nein, das war der falsche Denkansatz. KI – körpereigene Energie, geboren aus der Wärme und der normalen Körperelektrizität und einigen Faktoren, die ich noch nicht kannte.
Tote Materie, wie passte das zusammen? Gar nicht? Nein, das ging nicht, denn ich selbst hatte den Zusammenhang Dutzende Male herbeigeführt, war es gewissermaßen.
„Doch eine Scheinwelt?“, fragte ich zaghaft.
„Denk noch einmal drüber nach“, bat mich Dai-Kuzo lächelnd.
„Aber mir fällt nichts ein. Ich kann es einfach hinnehmen und gut ist. Oder weiter nachspüren, was das KI eigentlich ist. Ich spüre, das es wichtig ist, diese Antwort zu bekommen, doch ich weiß nicht wieso.“
„Und dies ist die Frage, die du eigentlich mir stellen solltest. Aber zuerst: Was ist KI?“
„Kraft“, antwortete ich spontan. „Kraft, die jeder Mensch hat, aber nur wenige steuern sie oder wissen überhaupt von ihr.“
„Was für eine Kraft, Akira?“
„Eine… Eine Art Blut. Essentiell für den Menschen.“
„Warum kann dies zu einer Waffe werden?“, fragte Dai-Kuzo geduldig.
„Weil ich es so will?“, fragte ich leise.
„Auch.“
Ich sah der Spinnendämonin in die Augen. Ich spürte es, ich war einer wichtigen Antwort auf der Spur. War tote Materie doch beseelt? Lag das Geheimnis darin? Oder…
Ich japste auf, als mir die Antwort in den Sinn kam. Instinktiv wehrte ich sie ab, doch Dai-Kuzo ergriff meine Hände. „Wehre dich nicht, denn du brauchst diese Antwort, bevor du die eigentliche Frage stellst, Akira.“
Zögernd gehorchte ich und stellte mich der Antwort auf die Frage. Was war KI? Warum konnte ich damit tote Materie beeinflussen?
Die Antwort war simpel, so simpel, und dabei so erschreckend. Ich betrachtete die Flammen auf meinen Händen, die unter der Kraft meines KI noch weiter wuchsen und nun beinahe zwanzig Meter in die Dunkelheit ragten. KI, das war die Verbindung zwischen Körper und Geist, Leben und Tod, Vervollkommnung und dem Beginn der Reise. Ich wollte, ich konnte nicht an ein beseeltes Universum glauben, weil es mir zu sehr Angst machte. Aber ein Universum voller Energie, das konnte ich verstehen und akzeptieren. Und damit verstand ich auch, warum ich KI in einem weit höheren Maße produzieren konnte als es mein Körper eigentlich vermocht hätte.
Ich war nicht einfach nur Akira Otomo. Ich war Teil eines Großen, Ganzen. Und das KI war nur eine weitere Art, auf die ich auf dieses Ganze Einfluss nahm. Dabei war das KI ein ebenso natürlicher Bestandteil dieses Ganzen wie es jede andere Einflussname von mir war.
Doch ich hatte dieses Talent trainiert, verbessert, ausgebaut.
Okay, es war eine Manipulation, aber sie entsprach den Regeln.
Ich fühlte eine ungeheure Erleichterung, als ich das erkannte.
Im Prinzip nutzte ich nur etwas, was es schon gab und verstärkte es lediglich. Erschreckend und erhebend zugleich empfand ich die Tatsache, dass jedes Lebewesen diese Kunst erlernen, also auf eine natürliche Fähigkeit zugreifen konnte.
Viele Tiere taten dies sicher auch unbewusst. Aber nur wir Menschen konnten es lernen. Oder vielmehr wieder lernen.
„Danke, Dai-Kuzo-sama. Ich habe nun eine Antwort, auch wenn ich spüre, dass es noch nicht die ganze Antwort ist.“
„Das stimmt, Akira. Doch noch kannst du nicht gehen. Du musst noch eine Frage stellen.“
„Gut. Warum ist es wichtig für mich zu wissen, was das KI eigentlich ist?“
„Eine gute Frage, Akira. Du kannst sie dir selbst beantworten“, sagte Dai-Kuzo ernst.
Das verwunderte mich. So ein Gesicht zeigte sie selten. Das letzte Mal hatte sie so drein gesehen, als sie das superdeformte Blondchen gefangen hatte, dass Yoshi und mich hierher gebracht hatte.
„Doch einen Hinweis will ich dir geben. Wenn KI eine natürliche Eigenschaft ist und manche Menschen aus deinem Volk sie beherrschen, Akira…“
Übergangslos stürzte ich in ein tiefes, schwarzes Loch! Ich spürte große Gefahr nahen, Panik griff nach meinem Herzen! Alles versank in Dunkelheit!
Nein. Nein! NEIN!
„Akira-chan!“, hörte ich Kitsune rufen, während sie mich schüttelte.
Aus glasigen Augen sah ich sie an. „Häh?“
Ihre Augen waren mit Tränen verwässert. Dennoch lächelte sie glücklich, als sie mir um den Hals fiel. „Ich bin so froh. Ich dachte, du stirbst, Akira-chan. Alles KI ist aus dir gewichen, nichts konnte dir helfen. Wir wollten sogar schon einen Krankenwagen für dich rufen.“
Meine Arme waren matt und schwer, dennoch umarmte ich die Dämonenkönigin.
Yoshi legte schwer eine Hand auf meine Schulter. „Wir dachten echt, du stirbst. Was ist dir nur passiert, Akira?“
Doitsus Blick strich mich voller Sorge. Seine Hände glühten noch von KI nach. KI, mit dem er mich behandelt hatte? Ich sah zu Yoshi. Auch um seine Hände war diese Restaura.
„Ich habe die Hölle gesehen“, hauchte ich und erkannte meine Stimme kaum als die eigene wieder. Ich entließ Kitsune, sprang auf und ballte beide Hände zu Fäusten. Überschlagsblitze aus KI-Energie rasten über meinen Körper, ballten sich an den Fäusten. „Wir haben einen gigantischen Fehler gemacht!“, sagte ich ernst. „Die Kultur der Naguad ist älter als unsere. Älter, versteht Ihr?“
Yoshi wurde bleich. Auch Doitsu schien zu kapieren. Nur Daisuke sah mich erstaunt an. „Ja, und?“
„Sie haben Krieger, die das KI beherrschen“, sagte ich düster.
Über Daisukes Gesicht flog Entsetzen.
„Womöglich sogar eine ganze Division mit ihnen…“ Langsam legte ich eine Hand auf Kitsunes Kopf. „Und sie werden eigene Daimons haben, die womöglich mit ihnen zusammen arbeiten.“
„Du hast wirklich die Hölle gesehen“, hauchte Yoshi.
„Noch nicht ganz“, erwiderte ich. „Es war eine Hölle. Aber unsere Arbeit der nächsten Wochen wird entscheiden – ist es die Hölle der Naguad, oder der AURORA?“
„Vom Deprimierten zum Anheizer. Das macht dir so schnell keiner nach“, kommentierte Doitsu, gegen seinen Willen grinsend. „Natürlich die Hölle der Naguad.“
Daisuke nickte mit einem schiefen Grinsen. „Holen wir die Slayer. Wir müssen trainieren.“
„Holen wir die Slayer“, schloss ich. „Und die Dämonen.“
**
„Micchan!“ Akari winkter fröhlich zu dem jungen Mann herüber, der zögernd auf den Tempelplatz trat. Seit einigen Tagen vernachlässigten die Slayer und die KI-begabten Soldaten der UEMF ihren Dienst – und in meinem sowie Akaris Fall die Schule – um unter Futabe-senseis Anleitung die Zeit bis zum nächsten Sprung zu nutzen, um... Ja, um das eigene KI so gut wie irgend möglich zu beherrschen. Und um bald schon selbst ein guter Lehrer zu werden, um anderen, viel versprechenden Kandidaten die eigenen KI-Fähigkeiten näher zu bringen und sie nutzbar machen. Für unsere militärischen Zwecke.
Das hatte natürlich auch bedeutet, meinen Schüler zu vernachlässigen. Michi Torah, der Junge, der mich töten wollte, hatte irgendwann hier auftauchen müssen um zu erfahren, warum ich unsere Trainingsstunden ausfallen ließ.
Ich hatte mir für diesen Fall auch ein paar sehr gute Erklärungen zurecht gelegt, aber Akari kam mir zuvor. Sie verneigte sich vor Futabe-sensei, um eine kurze Pause zu machen und lief dann auf Michi zu. Die beiden wechselten hastig ein paar Worte, und mit einem letzten, irritierten Blick in meine Richtung verließen sie die Tempelanlage wieder.
„Was hat sie gesagt, Sensei?“, fragte ich den alten glatzköpfigen Priester.
„Das sie mit ihrem Freund sprechen will, Otomo-kun.“
Die Doppeldeutigkeit der Worte entging mir nicht und ehrlich gesagt fühlte ich mich ein paar Jahre zurück versetzt, in eine ganz ähnliche Situation zwischen Yohko und Yoshi.
Nur das Yoshi damals nicht versucht hatte, mich zu töten. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.
„Na, Akira, was willst du jetzt als großer Bruder machen?“, fragte Yoshi und legte einen Arm um meine Schulter. „Ihnen hinterher schnüffeln oder Akari vertrauen?“
Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Die Sache war weitaus schwieriger als mein bester Freund glaubte. Abrupt wandte ich mich um und nahm meine Übungen wieder auf. Was sollte schon passieren? Akari war eine Sechzehnjährige mit der Erinnerung eines vierhundert Jahre alten Dämonen. Was konnte ihr passieren? Ich fühlte mich wirklich nicht wohl mit meiner Entscheidung, ihr nicht hinterher zu spionieren.
**
Michi fühlte sich nicht ganz wohl dabei, während Akarin vor ihm herging, ihn von der Tempelanlage fort bringend. Er folgte ihr, obwohl er eigentlich Akira hatte zur Rede stellen wollen.
Auf einer Bank ließ Akari sich nieder und deutete auf den Platz neben sich.
„Micchan“, begann sie, wurde rot und sah fort.
Michi erwachte aus seinen eigenen Gedanken und beobachtete erstaunt, wie ihr zartes Gesicht Farbe bekam. „Akarin?“
„Micchan, es gibt da etwas, was ich dir sagen muß. Ich meine, es sind einige Dinge, die ich dir erzählen will. Würdest du mich bitte anhören?“
Zögernd nickte der junge Mann. „Natürlich, Akarin. Wozu sind Freunde sonst da?“
Ihr kurzer Seitenblick irritierte ihn etwas. Sie hatte enttäuscht ausgesehen. Oder bildete er sich das nur ein?
„Es… Es geht um den Angriff auf die KONAR-Fregatte, die TAUMARA. Warum ich daran teilgenommen habe und so.“
„Du bist eine der anerkannten KI-Expertinnen an Bord“, erwiderte Michi leise. Kurz spielte ein Schmunzeln über seine Züge. „Und du hast gute Chancen Vorsitzende der Schülervertretung zu werden. Meine Stimme hast du jedenfalls.“
„Danke, aber es gibt einen Grund dafür, dass ich mich so gut mit meiner KI-Energie auskenne. Micchan, eigentlich bin ich über vierhundert Jahre alt…“
Michi spürte ein Déja-vu wie einen schweren Hammer auf seine Sinne aufschlagen und sein Leben in Schwingung zu versetzen. So hatte er sich bereits einmal gefühlt, als sein Vater ihm aus heiterem Himmel etwas Ähnliches erzählt hatte. Er tat Akaris Worte nicht ab, so merkwürdig und unlogisch sie auch klangen. Er spürte, dass sie wahr waren.
„Sprich weiter“, forderte er sie auf.
Akari nickte und begann zuerst stockend, dann mit immer flüssigerer Stimme zu berichten.
Abwehrend hob Michi nach zehn Minuten eine Hand. „Auszeit, Auszeit. Darf ich das mal zusammenfassen? Du warst die letzten vierhundert Jahre ein Oni, weil du vergiftet wurdest und dir ein Massenmord angehängt wurde. Danach haben dich die Verwandten der Toten verflucht, du bist als Oni wiedergeboren worden und hast schauerliches Gericht unter ihnen gehalten, bis dein Vater eingriff und dich die nächsten vierhundert Jahre in einen Schrein verbannte, aus dem Akiras Ungeschicklichkeit dich befreite.“
„Ja, aber er hat nicht nur meine Existenz befreit. Er hat auch meine Seele befreit. Als er mich in seine Dienste nahm, da war dies wie eine neue Wiedergeburt. Ein neues Erleben. Eine andere Zeit, und eine neue Chance. Akira hat mich von dem düsteren Teil meiner Seele gerettet und mir einen Platz am Licht zurückgegeben.“
Michi erschauerte kurz. Was er hier über Akira und seine Familie erfuhr waren Dinge, die er eigentlich nicht wissen wollte. Sie machten den ehemaligen Executive Commander der UEMF zu menschlich, zu sympathisch. Unwillkürlich griff Michi zu dem Messer, welches er in seiner Jacke versteckt hatte. Seine Rechte umschloss den Griff, er zog daraus Sicherheit.
„Aber du bist nicht einfach ein Oni geblieben. Ich meine, du bist ein Slayer geworden. Ein Magischer Youma Slayer. Und als dieser bist du mit zum Mars gereist.“
Eifrig nickte Akari.
Michis Gedanken jagten sich. Bisher hatte er immer Akira für den Tod seines Vaters verantwortlich gemacht, sich auf ihn konzentriert. Obwohl er wusste, dass es die Slayer gewesen waren, die seinen Vater ausgerechnet auf dessen Spezialgebiet, der KI-Nutzung vernichtet hatten.
Aber wenn Akarin eine von ihnen war, dann wohin mit seinem Hass?
„Akarin, warum erzählst du mir das alles?“
Sie ergriff vorsichtig seine Hände, drückte sie sanft. „Ich erzähle es dir, weil ich keine Geheimnisse vor dir haben will. Ich bin über vierhundert Jahre alt, aber die meiste Zeit davon habe ich geschlafen. Und jetzt, hier auf der AURORA habe ich endlich die Chance, in ein reales Leben zurück zu finden. Und wenn ich mit dir zusammen bin, Micchan, dann… Dann fühle ich mich auch als wäre ich wirklich sechzehn. Dann wird dies hier wirklich mein Leben.
Ich mag dich, Micchan, ich mag dich sehr. Aber bevor ich dich frage, ob du mich auch magst, musst du wissen, wer ich bin.“
Zögernd nickte Michi, obwohl er ahnte, dass ihm ihre nächsten Worte nicht gefallen würden.
Akari begann weiter zu erzählen. Vom Mars-Feldzug, von der Schlacht vor Martian City. Vom Angriff des Magiers auf sie und die Slayer und wie sie am Rand der Vernichtung standen. Entsetzt starrte Michi sie an. Sie hatte gesagt, was er nicht hatte hören wollen.
„Um Akira zu retten, um meine Freunde zu retten, habe ich meine Existenz als Dämon aufgegeben“, hauchte sie in Erinnerung dieses Moments, an die tiefe Angst in ihr, auf ewig in der Finsternis zu treiben und dem Hochgefühl, die wirklich wichtigen Menschen in ihrem Leben retten zu wollen.
„Es hat ausgereicht. Mit einem letzten Angriff haben wir den Magier vernichtet. Wir haben Tora getötet und sein Depot an KI-Energie geöffnet. Von dort kehrte die Energie zu den Opfern seiner Raubzüge zurück. Es war ein sehr schöner Anblick.
Ich dürfte seit diesem Zeitpunkt eigentlich nicht mehr existieren. Aber Dai-Kuzo-sama hat mir erlaubt, wiedergeboren zu werden, als Mensch, weil ich selbstlos meine Existenz opfern wollte. Und ich bin dankbar dafür.“
Akari sah zu Boden, ihre Schultern bebten. „Wofür ich aber nicht dankbar bin, das ist diese Erkenntnis, den Magier betreffend. Denn es war der Mann, der mich vergiftet hat, der dafür gesorgt hat, dass ich ein Oni wurde.“ Sie barg ihr Gesicht in den Händen und schluchzte laut. „Ich weiß nicht, was ich darüber denken soll. Ich hatte solche Angst und ich habe nie wirklich verstanden, warum er es getan hat. Was habe ich Tora je getan?“
Michis Linke wollte vorzucken, sie an ihrer Schulter berühren, sie trösten. Aber die Rechte umschloss den Griff des Messers. Da saß sie neben ihm, die Frau, die seinen Vater getötet hatte. Sie saß neben ihm, innerlich zerrissen, und flehte nach seinem Verständnis, seinem Schutz und seiner Liebe.
Michi ließ die Linke sinken, als ihn erneut dieses Déja-vu überfiel. Als sein Vater, der wortkarge Mann, vor ihn trat und ihm erzählt hatte, weit über vierhundert Jahre alt zu sein.
Sie hatte ihn getötet, zusammen mit den anderen Slayern, aber Vater hatte sie überhaupt erst erschaffen!
Mühsam löste er die verkrampfte Rechte von dem Griff des Messers. Dann erhob er sich ernst. Er versuchte so gefestigt wie möglich auszusehen, doch innerlich war er aufgewühlt, verwirrt und verängstigt wie nie zuvor in seinem Leben. Da saß sie neben ihm, sie, die Mörderin seines Vaters. Aber auch seine beste Freundin, und wenn er ehrlich war sollte sie auch einmal die Freundin werden.
Er fühlte wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Warum hatte es nicht Akira sein können? Es wäre so leicht gewesen, einfach weiterhin Akira zu hassen und zu trainieren, vielleicht zu sterben, aber die Gewissheit zu haben, die Rache nicht vergessen zu haben, dafür etwas – eigentlich alles – zu tun.
Doch dann hatte sie alles erzählt, ihm ihr Innerstes gezeigt, sich verletzlich gemacht.
Wieder versuchte er, ihre Schulter zu berühren. Nein, sie hoch zu ziehen, sie zu umarmen und nie wieder los zu lassen. In wütender Agonie öffnete er den Mund zu einem lautlosen Schrei, der sich nur darin äußerte, dass seine Haare übergangslos von seiner KI-Energie in Flammen zu stehen schienen.
Als sich diese abgrundtiefe Verzweiflung etwas beruhigt hatte, wandte er sich ein wenig ab, damit sie seine Tränen nicht sah.
„Akarin… Wir… Es wäre besser, wenn… Wenn wir uns eine Weile nicht sehen.“
Er hatte befürchtet, sie entsetzt aufkeuchen zu hören. Ihre Arme um seinen Leib zu spüren, sie flehen zu hören, dass er das nicht ernst meinen dürfte.
Stattdessen sagte sie ernst, gefasst: „Ja, Micchan.“
Michi konnte ein Beben seiner Schultern nicht unterdrücken. „Es…Es ist nicht, weil du zur UEMF gehörst oder weil du mal ein Dämon warst, Akarin. Ich… Ich muß nur über etwas nachdenken und… Ich weiß nicht, wann ich mich wieder bei dir melden kann.“
Um sie wieder sehen zu können musste er einen Teil seiner Seele aufgeben. Und obwohl er dafür bereit war wusste er doch, dass er zuvor gründlich, sehr gründlich darüber nachdenken musste. Was war sein Leben noch wert, was war er noch wert, wenn er seinen Hass aufgab? Wog ihre Liebe das auf? Wog seine Liebe das auf?
Langsam ging er davon, ohne sich umzudrehen. Jeder einzelne Schritt brachte ihn fort von ihr, ließ ein Stück von seinem Herzen krümeln, ließ ihn mit dem Wunsch kämpfen, umzudrehen und sie um Verzeihung zu bitten.
Hinter ihm begann Akari leise zu weinen und er hasste sich dafür, dass er sie so zurück ließ. Aber er konnte nicht anders. Es ging nicht anders. Akari, pochte es in seinem Kopf. Akari.
„Ich hasse dich, Akira“, hauchte er leise. „Ich hasse dich. Warum hast du mir das nicht gesagt? Warum musste ich es so erfahren? Was hast du nur gegen mich?“
5.
„Gentlemen“, sagte Sakura Ino laut und deutlich vor den versammelten Offizieren und Kapitänen der Flotte. „Wir konnten nun genügend Daten aus der TAUMARA retten, um Ihnen dies hier zu präsentieren.“
Sie nickte ihrem Bruder zu, der den Holoprojektor aktivierte.
Ein leises Raunen ging durch den Raum, als ein Sternenhimmel erschien.
Neben den verschieden großen Lichtpunkten gingen immer wieder kleine Datenfenster auf, in denen Planeten gezeigt oder Text präsentiert wurde.
Das Raunen wurde lauter, als einige die Texte zu entziffern begannen.
„Das ist in Anelph geschrieben“, wandte Kommodore Genda ein.
„Das ist nicht ganz richtig, Tetsu“, erwiderte Sakura. „Es ist Nag-Alev. Eine künstliche Schrift, die im Imperium der Naguad als Amtssprache gilt. Sie besteht aus dreiundzwanzig Konsonanten und neun Vokalen. Der gesamte Sternenkatalog ist darin verfasst.“
„Und was bezwecken wir damit?“, warf Kapitän Garcia ein.
Ich räusperte mich lautstark und hatte übergangslos die Aufmerksamkeit. „Wir werden ab sofort ausschließlich die Karten der TAUMARA verwenden. Alle anderen Karten, die Erde und ihre Position betreffend, werden gelöscht. Lediglich eine einzige Kopie wird in der AURORA aufbewahrt und von dort kopiert und wieder auf die anderen Schiffe und Dienststellen der Operation TROJA verteilt, sobald wir in das Alpha Centauri-System zurückgekehrt sind.“
Nun erwuchs ein lautes Stimmengewirr.
„HERRSCHAFTEN!“ Admiral Richards´ Stimme klang schneidend scharf auf. „Lassen Sie den Division Commander bitte ausreden.“
Ich nickte dankbar. „Wir verwenden die Naguad-Karten aus einem wichtigen Grund: Die Erde ist auf ihnen nicht verzeichnet und Alpha Centauri gilt ebenfalls als unerforschtes System.“
„Verstehe. Falls die Mission scheitert oder ein oder mehrere Schiffe in die Hände der Naguad fallen, kann unser Kartenmaterial nicht die Position der Erde verraten“, schloss Kei Takahara messerscharf.
Ich nickte dazu nur.
„Gut. Wann kriegen wir die Übersetzungen?“, hakte er nach.
Erstaunt wechselte ich einen Blick mit Sakura und Mako. „Wir… Wir gingen eigentlich davon aus, dass jetzt alle angestrengt Nag-Alev lernen würden.“
„Wozu? Durch unsere Sprache geben wir den Naguad sicher keinen Hinweis auf die Erde, oder? Und außerdem ist mir eine gute Übersetzung lieber als die Möglichkeit, dass sich unsere Offiziere und Mannschaften mit der neuen Sprache schwer tun und Fehler machen.
Außerdem können wir nicht die ganze AURORA auf Nag-Alev umstellen, oder?“
Ich grinste schief. „Da ist was dran. Dennoch sollten die Führungsoffiziere, die hier anwesend sind, sowohl das Nag-Alev lernen als auch im Anelph-Idiom geschult werden.“
„Das steht auf einem anderen Blatt“, erwiderte Kei. Er grinste schief zurück. Und ich konnte seine Gedanken lesen. Er schien mir regelrecht rüber zu rufen: Du hast Ban Shee als Lehrerin erlebt. Und das willst du jetzt anderen antun?
Ich räusperte mich verlegen. Mein Anelph war noch immer rudimentär, aber immerhin vorhanden.
„Wir springen wie erwartet in zehn Tagen weiter“, schloss Sakura die Sitzung. „Bis dahin sind alle terranischen Karten gelöscht und gegen diese ausgetauscht. Unser Ziel heißt Borame, ein Sonnensystem mit gelber Normsonne, sieben Planeten. Unbewohnt. Das bringt uns weitere drei Lichtjahre an unser Ziel heran.“
Ich nickte dazu schwer. Und fragte mich verzweifelt, wie viele Fehler wie den mit den Karten wir noch aufdecken würden…
Epilog:
Ich befand mich in dem Tank. Genauer gesagt jenem Biotank, in dem beinahe mein Gehirn geschmort worden wäre. Fassungslos betrachtete ich meine Hände, spürte die Anschlüsse an mir lasten. Dann sah ich durch das Glas hinaus, erkannte einen weißhaarigen Mann mit dunkler Haut, der mich mit stechend blauen Augen ansah.
„Interessant“, hauchte er. „Dies ist also deine größte Angst.“
Das konnte nicht real sein. Das durfte nicht real sein! Hatte ich die letzten Jahre nur geträumt und war ich immer noch in diesem Biocomputer der Kronosier vernetzt?
Nein. Das war nicht wahr. Aber dann war dies ein Albtraum?
„Wie ist dein Name?“, fragte die Gestalt. „Warum leuchtest du nur so hell?“
Ich erwiderte nichts, schlug von innen gegen den Tank. Verdammt, das Material fühlte sich so echt an! Aber es konnte nicht real sein. Das wäre Wahnsinn gewesen, purer Wahnsinn! Ich legte beide Hände vor mein Gesicht und… Spürte eine Brille.
Meine Sonnenbrille, die ich in der AURORA meistens trug, um meine Mitmenschen nicht mit meinem weißen Auge zu schockieren.
Ich riss sie mir vom Kopf, zerdrückte sie fast in meinen Händen, nur um etwas Reales zu spüren.
Der Unbekannte wich einen Schritt vor mir zurück. „Dieses Auge… Was ist das für ein Auge? Was… ist… das… für… ein… Auge…?“
Langsam, unendlich langsam schien er sich von mir zu entfernen, wurde kleiner, immer kleiner, bis er verschwunden war.
Übergangslos verschwand der Tank und ich fuhr in meinem Bett hoch. Ich atmete schwer.
Was war das nur für ein fürchterlicher Traum gewesen? Ich griff mir an die Stirn. Dann bemerkte ich etwas Klebriges, dass sie hinab lief. Ich aktivierte das Licht in meinem Zimmer und sah die tiefen Schnitte in meinen Händen. Auf der Bettdecke lagen immer noch die Überreste meiner Sonnenbrille und von meiner Stirn tropfte Blut aus den Wunden am linken Handballen.
Dann erst sah ich hoch, auf, und erkannte die feine Aura, die mich umgab. Eine Aura mit beträchtlicher Macht. „Was…?“, fragte ich leise.
„Du leuchtest zu hell, Akira-chan“, hauchte eine Stimme neben meinem Bett, erschöpft, aber zufrieden.
Ich sah zur Seite und erkannte Yellow Slayer. In der Hand hielt sie einen Stab, der von einem breiten Juwel gekrönt wurde. Aus ihm stammte das Leuchten, das nun allmählich erlosch wie das Pulsieren des Juwels. „Irgendetwas, irgendjemand hat dich gesehen, Akira-chan“, hauchte Yellow, sichtlich erschöpft. „Du hast ihn vertrieben, aber es war schwer, deine Spuren zu verwischen. Du solltest wirklich versuchen, deine KI-Aura besser zu kontrollieren, Akira-chan.“
„Wer?“, fragte ich erschüttert, bekam aber keine Antwort. Die erschöpfte Slayer-Kriegerin verschwand von dort, wo sie war im Nichts.
„Kein Kuss heute?“, fragte ich in einem Anflug von Sarkasmus.
Übergangslos spürte ich weiche Lippen auf den meinen. „Danke, das du mich daran erinnert hast, Akira-chan“, sagte Yellow mit amüsierter Stimme, bevor sie erneut verschwand.
„Wenigstens eine Konstante zur Zeit“, brummte ich nicht weniger amüsiert und versuchte wieder einzuschlafen. Wenigstens etwas Schlaf finden…
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode zehn
Prolog:
Der Kampf wurde auf Leben und Tod geführt, das wussten alle drei Beteiligten. Was aber zwei von ihnen nicht wussten, das war der Beweggrund der dritten Person, sie anzugreifen und zu töten zu versuchen.
Das irritierte sie und machte sie langsam.
Der Mann versuchte sogar mit der jungen Angreiferin zu reden, was seine Aufmerksamkeit beeinträchtigte.
Als er diesen Fehler einsah, ragte bereits ein kurzes, ultrascharfes Schwert aus seiner Brust.
Ungläubig starrte er auf die Klinge und sackte in den Knien ein.
Die junge Frau, die ihn gerade tödlich verwundet hatte, hielt für einen Moment inne. „Tut mir Leid.“
Der Mann versuchte sie anzusehen, aber er war bereits zu sehr geschwächt, dem Tode zu nahe. Mit dem Körper würde ein normaler, durchschnittlicher Wartungstechniker für den Frontgravitationsgenerator sterben, aber auch einer der Agenten, die auf die AURORA geschickt worden waren, um Akira Otomo den Kopf abzuschlagen.
Einem Akira wäre dieses Opfer zu groß gewesen, aber ihr sicher nicht.
Der zweite Gegner, eine ältere Frau aus der Grey Zone, wollte diesen Moment des Verharrens, des Zögerns bei der jüngeren Gegnerin ausnützen und attackierte sie ihrerseits mit einer Klinge, einer Spezialanfertigung, die auf ultrahoher Frequenz vibrieren konnte und in diesem Zustand fast alles schneiden konnte. Die Waffe war eine abgeschwächte Version des Herakles-Schwerts für die terranischen Kampfmechas und eigentlich extrem geheim, noch nicht einmal im Einsatz. Ein paar Knochen oder der mittlerweile sehr beliebte Carbon-Infanteriepanzer würde für diese Waffe kein Hindernis sein, und eine unaufmerksame Agentin, die gerade auf ihren von ihr getöteten Kameraden starrte, war ein leichtes Opfer für den Angriff.
Selbst wenn die jüngere Gegnerin es schaffen würde, die Klinge aus den Toten zu ziehen und ihren Angriff zu parieren, der Stahl des Schwertes würde von der ultrafrequenten Schwingung durchschnitten werden.
Dies war der Moment ihrer eigenen Nachlässigkeit.
Denn ihr Ziel zog hinter dem Rücken eine schlichte Pistole hervor und schoss zweimal.
Bevor sie auf dem Boden aufschlug, war die Angreiferin bereits tot. Damit waren es auf der ganzen AURORA noch zehn Agenten, die Akira Otomo nach dem Leben trachteten.
Für einen Moment ließ die junge Frau sich gehen, gab sich dem Schock nach dem Adrenalinschub hin, der unmittelbar nach einem Kampf folgte, kämpfte mit ihren Tränen und der Schwäche ihrer Muskeln.
Dann zerrte sie ihre Waffe aus dem Körper des Toten und sammelte die Vibrationswaffe ihrer anderen Gegnerin ein.
Danach zog sie sich zurück. Der Kampflärm, aber auf jeden Fall die Schüsse mussten gehört worden sein, bald würden Zeugen eintreffen, eventuell Soldaten.
Und wenn sie in der Nähe erwischt wurde, konnte sie gestellt werden. Dann half es nicht viel, dass sie gerade die AURORA gerettet hatte – zumindest theoretisch. Dann war sie nur eine weitere Agentin, und die stille Übereinkunft mit Akira galt dann überhaupt nichts.
„Warum mache ich das überhaupt für diesen Idioten? Kann er nicht selbst auf Saboteure aufpassen?“, blaffte sie wütend und erschrak über sich selbst, als sie merkte, dass sie laut gesprochen hatte. Sofort drückte sie sich in den nächsten Schatten und kontrollierte ihre nächste Umgebung. Gut, keine Menschen und auch keine Kameras, soweit dies zu erkennen war. Die Gefahr, enttarnt und fortan gejagt zu werden war gering.
Im Schatten ließ sie sich ein zweites Mal gehen. Sie seufzte abgrundtief, ließ sich mit dem Rücken gegen die nächste Wand fallen und sackte daran herab.
Ja, sie war eine Agentin der Kronosier. Genauer eine direkte Agentin des letzten noch lebenden und in Freiheit befindlichen Legaten der ursprünglichen kronosischen Struktur.
Ja, man hatte sie mit Hilfe der fortgeschrittenen KI-Technologie in den Körper dieser Frau implantiert, die damals bald auf die AURORA versetzt werden sollte. Sie und elf weitere Agenten. Und alle hatten damals den gleichen Auftrag bekommen: Rächt die Legaten! Tötet Akira Otomo!
Aber im Gegensatz zu den anderen Agenten hatte sie eines erkannt: Sie wollte für ihr Leben gerne zur Erde zurückkehren und wieder ihren alten Körper bekommen. Genau wusste sie es nicht, aber der Gedanke, dass Akira Otomos Leben dafür ein wichtiger Garant war, hatte sich irgendwann in ihr festgesetzt. So hatte sie seine Exekution auf den Rückflug geschoben, sich sogar angekündigt und die anderen Agenten verraten.
„Auf dem Rückflug also“, murmelte sie leise.
Ja, sie hatte ihn gewarnt. Sie hatte ihm eine Schonfrist eingeräumt. Und mehr oder weniger freiwillig hatte sie sich einspannen lassen, um die AURORA zu beschützen. So wie eben gerade, als sie verhindert hatte, dass zwei der anderen Agenten den Gravitationsgenerator Front zerstörten, was immense Beschädigungen am ganzen Schiff verursacht hätte. In diesem Durcheinander mit hunderten Toten wäre es einfach gewesen, Akira zu eliminieren.
Sie sackte weiter zusammen und umklammerte ihre Knie. Wütend zerrte sie sich die schwarze Maske vom Kopf und schüttelte ihr Haar durch.
Warum half sie ihm wirklich? Warum rückte der Gedanke an seinen Tod und an ihre Belohnung nur in so weite Ferne? Sie beide bildeten eine Zweckgemeinschaft und es war nicht das erste Mal, dass sie ihn beschützte. Was war mit ihr passiert? Warum war es ihr wichtiger geworden das er lebt? Sein Tod wäre wesentlich lukrativer gewesen. Lag es an ihrer Wirtin?
Die junge Frau, dem eigentlich dieser Körper gehörte, die ihn auch die meiste Zeit lenkte, wusste garantiert nichts von der Existenz der Agentin. Dieses Wissen war ihr genommen worden. Und wenn die Agentin die Kontrolle übernahm, hinterließ sie nur einen Blackout bei… Ja, bei ihrem Opfer. Aber konnte es sein, dass diese Frau, dass ihre Gedanken jene der Agentin vergifteten? Waren es ihre Sehnsüchte, Hoffnungen und letztendlich ihre Liebe zu Akira, die auch die Agentin beeinflussten und letztendlich den festen Willen vernichtet hatte, die Legaten zu rächen und den arroganten Akira Otomo zu töten?
Was wussten sie schon über eine solche Implantation eines Verstandes, aufgepfropft auf einen fremden Körper?
Vielleicht verschmolzen sie ja gerade zu einer einzigen Person. Das hätte den erfreulichen Nebeneffekt gehabt, dass sie immer in Akiras Nähesein konnte…
Erschrocken hielt sie inne. Waren das wirklich noch ihre eigenen Gedanken gewesen, oder waren das schon die Gedanken ihres Opfers? Verwischten sich die Grenzen wirklich? Oder beeindruckte Akira Otomo sie nur? Verliebte sie sich in ihn?
Wütend richtete sie sich auf, legte die Tarnkleidung ab und verstaute die Waffen. Was waren das nur für fruchtlose Gedanken? Sie half Akira nur, weil ihr das eigene Leben lieb war.
Sie wartete nur auf den Punkt, an dem die AURORA ihren Rückflug begann. Dann würde Akira Otomo schon mal sehen, was mit ihm geschah!
Außer, es gab Verfolger, dann brauchten sie ihn ja noch. Oder es lauerte ihnen jemand auf. Eigentlich reichte es ja, wenn sie ihn überhaupt tötete, und das konnte sie sich dann ja selbst aussuchen.
Wann war sie nur so halbherzig geworden? Und warum amüsierte sie dieser Gedanke?
Über ihr begann die Beleuchtung zu flackern. Nicht einfach nur das Licht der Lampen, nein, es war gleich der ganze holographische Himmel der AURORA.
„Schon wieder“, murmelte sie und setzte sich langsam in Bewegung, um in der nahen Stadt abzutauchen. Seit sie in das neue System gesprungen waren, passierte das andauernd.
1.
Schweißgebadet erwachte Aria Segeste! Sie fuhr aus ihrem Bett hoch und brüllte: „Nicht nach Andea Twin!“
„Ruhig“, murmelte eine vertraute Stimme neben ihr, drückte sie wieder auf die Kissen zurück und flößte ihr etwas Wasser ein. „Ich weiß, wie schwer so eine Grippe sein kann. Du brauchst jetzt viel Ruhe, Aria.“
Sie lauschte der Stimme. Sie klang beruhigend und sonor. „V-vater?“, hauchte sie.
Eine wundervoll kühle Hand legte sich auf ihre Stirn. Dazu sagte eine weibliche Stimme: „Sie hat immer noch hohes Fieber, Akira. Aber wenn die Nacht vorbei ist, dann hat sie das Gröbste hinter sich.“
„Das ist gut, Yohko. Bleibst du bei ihr? Ich würde gerne ein wenig essen.“
„Natürlich, O-nii-chan.“
Akira Otomo erhob sich von dem Stuhl neben Aria. Wie er da im Halbdunkel stand und auf Aria herabsah, war sich die Naguad erst recht nicht sicher, ob sie nicht doch ihren Vater vor sich hatte. Sie versuchte nach der Gestalt zu greifen, aber es gelang ihr kaum, den Arm zu heben.
Yohko bugsierte den Arm wieder unter die Decke und tupfte die Stirn der fiebernden Frau mit einem nassen Lappen ab.
„V-vater“, hauchte Aria und versank wieder in einen traumlosen Schlaf.
**
Ich konnte es nicht verheimlichen, wir gingen durch schwierige Zeiten. Genauer gesagt flog die AURORA durch schwierige Zeiten. In diesem Moment suchte sich das gewaltigste, jemals von Menschen in Bewegung gesetzte Objekt ihren Weg durch das Andea Twin-System, einem Doppelsternsystem, das in den Katalogen der Naguad mit eindeutigen Warnhinweisen versehen war. Naguad-Schiffen war der Anflug auf dieses System nachdrücklich verboten, deshalb hofften wir, also meine Cousine Sakura und unser Kumpel Tetsu, der die AURORA kommandierte, hier auf keine Präsenz der Naguad oder regierungstreuer Anelph zu treffen.
Müde trank ich einen Schluck Wasser, während ich am Tisch saß und meine Gedanken schweifen ließ.
Wir waren nach Andea Twin gekommen, entgegen der eindringlichen Appelle der Naguad, die wir an Bord genommen hatten. Das Ergebnis war nicht so erschreckend gewesen wie unsere unfreiwilligen Gäste befürchtet hatten – wir waren nicht sofort nach dem Sprung vernichtet worden. Die große Masse der AURORA machte sich positiv bemerkbar und erlaubte uns eine sichere Passage. Aber es gab permanent Beeinträchtigungen, Störungen jeder Art und merkwürdige Phänomene an Bord des ausgehöhlten Planetoiden.
„Du bist noch wach?“, klang es von der Tür her.
Ich sah auf und erkannte Kei Takahara. Der Kommandeur des kampfstärksten Schiffes des Begleitverbandes der AURORA trug eine reichlich zerknitterte UEMF-Felduniform und kam mit müden Schritten herein geschlurft.
Hinter ihm betrat meine Lieblingsfeindin die Küche: Ban Shee Ryon, die Erste Offizierin des ZULU ZULU und Keis direkte Untergebene. Fragend zog ich die Augenbrauen hoch.
Kei winkte müde ab. „Ist dienstlich. Seit wir in dieses Höllenloch gesprungen sind, hält uns unser liebes Schiff ganz schön auf Trab. Geistersichtungen, Fehlalarme, partielle Ausfälle elektronischer Bausteine, und das alles, obwohl wir wie alle anderen Schiffe an der AURORA festgemacht haben.“
Ryon seufzte bei Keis Worten. Anscheinend hatte sie nicht viel Lust darauf, sich zu streiten.
„Na dann viel Spaß. Soll ich eine Kanne Kaffee machen?“
„Nein, muß nicht sein. Ich gehe mit Ban Shee nur noch mal ein paar Dienstpläne und Meldungen durch und dann haue ich mich hin.“ Kei streckte sich ausgiebig. „Verdammt anstrengend, so ein Zwanzigstunden-Tag. Und ich dachte, wir kriegen nichts zu tun, solange wir durch dieses gravitatorische Monster dümpeln.“
Ich musste bei seinen Worten schmunzeln. Kei war wie immer recht direkt. Und traf den Nagel auf den Kopf. Der Grund, warum die Naguad dieses System meideten, war simpel. Das System bestand aus einem weißen Zwergstern und einem gelben Normstern. Zudem verfügte es über elf Planeten, von denen einer, der die achtfache Masse unseres Jupiters besaß, aus uns völlig unbekannten Gründen von seinen beiden Sonnen angezogen worden war und nun in einem Lagrangepunkt zwischen Andea I und Andea II hing. Beide Sonnen taten nun ihr Möglichstes, um die enorme Masse dieser Welt zu absorbieren und hatten über achtzig Jahre, meinten die Astronomen, eine Art Patt etabliert. Der superkompakte Zwerg Andea II kämpfte dabei quasi um sein Überleben, denn wenn der Riesenplanet in Andea I aufging, standen die Chancen nicht schlecht, dass Andea II seinem Schicksal im Sog der Gravitation folgte.
Dieses Patt schwankte und wackelte an allen Ecken und Enden. Folge waren riesige gravitatorische Stoßwellenfronten, die durch das ganze System liefen und eine reguläre Raumfahrt nahezu unmöglich machten. Es war mit gigantischen Wellen auf den heimatlichen Ozeanen zu vergleichen, die selbst gigantische Frachtschiffe verschlucken konnten.
Nun, dafür waren wir etwas zu groß, aber die Auswirkungen, die vermaledeiten Auswirkungen spürten wir dennoch.
Die Effekte waren groß. Und Leben war auf den Welten des Andea Twin-Systems nicht mehr möglich. Falls sie überhaupt jemals Leben getragen hatten.
Was ich nicht hoffte, denn eine solche stellare Katastrophe hätte jedwelche Zivilisation vernichtet, ausgelöscht.
„Hallo? Wieder da, Akira?“, fragte Kei und schnippte mit der Rechten vor meinen Augen herum.
„Ist ja schon gut. Was ist los?“, brummte ich missmutig.
„Wie ich schon sagte, bei uns geht es drunter und drüber. Anstatt eines erholsamen Flugs im Dock und mit genügend Zeit für Drill und Checks haben wir es mit nervösen Matrosen zu tun, die vollkommen überarbeitet sind. Die ersten wollen schon Geister gesehen haben.“
„Ähnliche Phänomene werden aus vielen Bereichen der AURORA gemeldet. Es ist, als seien Irrwische unterwegs oder dergleichen“, bestätigte ich.
„Ja, Irrwische trifft es wohl“, brummte Kei leise. „Anfangs schien es ja noch eine gute Idee zu sein, der uns bis auf zwei Sprünge an die Heimat der Anelph heran bringt, aber jetzt denke ich, wir hätten den Umweg fliegen sollen.“
„Hinterher ist man immer schlauer“, kommentierte ich mit ironischer Stimme.
„Ha, ha. Sehr witzig, Akira.“
Kei stand auf und holte sich und Ban Shee Getränke aus dem Kühlschrank. Dabei warf sie ihm ein auffälliges Zwinkern zu.
Er verkniff sich ein Schmunzeln und nickte kaum merklich. „Auch was, Akira?“
„Nein, danke. Wasser reicht mir gerade“, brummte ich und tat, als hätte ich nichts gesehen.
„Ach, übrigens“, sagte Kei in neutralem Tonfall, als er mit einer geöffneten Flasche zurück kam und sich mir gegenüber setzte. Eine weitere reichte er Ban Shee. „Wie geht es eigentlich deiner Naguad?“
Ich unterdrückte ein Schmunzeln. Nun verstand ich den Blick der Anelph. Sie war besorgt um ihre ehemalige Schülerin, wollte es mir gegenüber aber nicht zugeben.
„Sie hat hohes Fieber“, sagte ich ernst. Was ja auch nicht gelogen war.
Die beiden wechselten einen besorgten Blick.
„So wie ihr geht es fünfzig weiteren Naguad. Es hängt wahrscheinlich mit der Strahlung und den Gravitationswellen in diesem System zusammen, das werden die Ärzte noch herauszufinden haben.“
Ban Shee nickte ernst und beteiligte sich erstmals an unserem Gespräch. „Verstehe. Ebenso wie wir Anelph wurden auch die Naguad darauf getestet, ob die üblichen terranischen Krankheitserreger für sie schädlich sind – und umgekehrt.
Die Tests waren in über neunzig Prozent der Untersuchungen negativ. Also sind es die zehn Prozent, die uns Sorgen machen?“
Ich nickte bestätigend. „Ein Grippevirus, und zwar ein relativ harmloser. Auslöser ist eine ältere Frau aus Südchina, die genau diese Grippe vor zwei Jahrzehnten ausgeheilt haben sollte. Stattdessen wurde sie Überträger. Für einen gesunden Menschen ist die Infektion mit diesen Virus nicht weiter tragisch. Auch die Anelph kriegen nicht viel mehr als eine Erkältung mit Kopfschmerzen und dergleichen. Also eher schwache Grippesymptome.
Aber unsere Naguad hat es regelrecht aus den Schuhen gehauen.“
Ich massierte meine Schläfen. Ich hatte wirklich, wirklich gehofft, dass diese Passage Gelegenheit für uns bedeuten würde, etwas zur Ruhe zu kommen. Stattdessen hatte sich unsere Arbeit rapide vermehrt.
„Es könnte an der Arbeit liegen“, murmelte Ban Shee nachdenklich. „Es ist allgemein bekannt, dass Raumfahrer wesentlich höheren Strahlungsdosierungen ausgesetzt sind als Menschen auf Planeten. Die meisten stecken das ganz gut weg, gerade wenn die richtige Medikamentisierung reichlich vorhanden ist.
Aber die TAUMARA war ziemlich lange unterwegs, weit über das Einsatzlimit hinaus. Dann kommt unser Sprung in dieses Chaos hier, dazu ein unbekannter Virus. Wir können wahrscheinlich froh sein, dass es noch keine Toten gab.“
„So ist das also“, murmelte Kei und erhob sich wieder. „Wir gehen arbeiten, Akira. Du hältst noch Wache?“
„Yohko ist bei ihr. Und Megumi löst uns nachher noch ab, so gegen zwei. Dann sollten wir uns keine Sorgen mehr machen müssen.“
„Freut mich zu hören“, brummte Kei und verließ die Küche mit der Anelph.
Vom Gang klang dann noch ein kurzes, hektisches Stimmengewirr auf, von dem ich kein Wort verstand. Aber die Erleichterung in Ban Shees Stimme war schwer zu überhören gewesen.
Ich grinste matt. „Sie hätte auch direkt fragen können, anstatt Kei vorzuschicken.“
2.
Mit einem Aufschrei löste sich Bergam Zweiten Ranges Livest Gorond vom Fokusverstärker.
Sofort waren zwei Priester heran, um dem Hochgestellten dabei zu helfen, seinen KI-Haushalt zu ordnen.
Der Naguad zitterte am ganzen Leib und fand nur langsam zur Realität zurück, die es ihm erlaubte, sein KI zu fokussieren und in die richtigen Bahnen zu lenken.
Den Fokusverstärker zu benutzen war immer ein Risiko, aber ein kalkulierbares, je vertrauter man mit dem Gerät war.
„Was ist passiert?“, fragte eine alte Frau vom Eingang her. „Bergam Gorond hat neunzehn Jahre Erfahrung mit dem Fokusverstärker. Was hat ihn derart erschüttert? Ist er weiter hinaus als gestattet gegangen?“
Einer der Priester sah die alte Frau im Eingang an. „Meister Tevell, der Bergam Zweiten Ranges hat seine Patrouille absolviert, wie es seine Schicht verlangte. Danach nutzte er die Gelegenheit, um nach der überfälligen TAUMARA zu suchen. Eigentlich ein unnützes Unterfangen, da niemand vom Orden auf ihr dient und wir sie weit außerhalb der Imperiumsgrenzen vermuten.“ Er nickte seinem Begleiter zu, der nicht nur Priester und KI-Meister war, sondern auch noch Techniker.
Der Priester trat an ein Pult und spielte ein Protokoll der Sitzung des Bergams ab. Vor allem seine Sprachaufzeichnung wurde interessant, als er unruhig auf der Liege hin und herzurutschen begann und rief: „DAS AUGE! DAS AUGE!“
Meisterin Tevell trat näher heran, legte eine Hand auf die Stirn des Ordensmannes und ließ die Kühle ihrer Hand ebenso wirken wie die Kraft ihres kraftvollen und perfekt ausbalancierten KIs. Es war ein offenes Geheimnis, das die alte Frau den Tod nicht zu fürchten brauchte. Einige Stimmen behaupteten sogar, sie sei gar kein Naguad. Zumindest nicht von Geburt an.
Sicher war auf jeden Fall eines: Ihre KI-Kontrolle war die beste im Reich.
„Seit zweitausend Jahren beschützt unser Orden das Imperium. Heimlich, im Verborgenen, aber konsequent. Wir suchen es nach der größten Bedrohung der Macht und des Wohlstandes ab, das wir kennen. Das sind Wesen wie wir. Wesen, die Kontrolle über ihr KI erlangt haben. Und nun diese Kraft gegen uns einsetzen wollen.
Wir suchen und wir eliminieren diese Kraft, wenn es geht. Oder wenn wir es müssen.“
Der Bergam kannte diesen Vortrag. Er war ihm gehalten worden, als er vor fünfzig und ein paar Jahren in den geheimen Orden eingetreten war. Und im Moment halfen ihm diese Worte und vor allem die Stimme der Ordensmeisterin, Ordnung in das Chaos seiner Gedanken zu bringen, nachdem sich sein KI-Fluss stabilisiert hatte.
Langsam begann er zu atmen, erst ruhig, dann immer heftiger, bis er beinahe wieder vor dem Kollaps stand. „DAS AUGE!“
Übergangslos wurde er klar. Er sah auf, erkannte seine Anführerin.
„Was hast du gesehen, Bergam?“
„I-ich weiß nicht genau, wo ich war. Der Fokus trug mich weit über die Grenzen hinaus, weil in der Ferne ein paar schwache Lichter glommen. Sie waren nicht sehr… Nicht sehr spektakulär… Gerade so, dass… dass ich glaubte, die TAUMARA vielleicht entdeckt zu haben. Oder die Anelph, nach denen die Fregatte suchte.“ Seine Stimme stockte, brach und verstummte dann ganz.
Er sah seine Ordensmeisterin an und versuchte es dreimal, bevor er seine Stimme wieder fand. „Meister, ich… Ich glaube, ich habe die Anelph gefunden! Ich fand einen Ort, der… Ich weiß nicht, er war wie ein fliegender Planet. Ich konnte ihn kaum erfassen, er war einfach zu groß. Und in diesem Ding waren die Lichter. Schwach, kaum zu erkennen, ich ahnte sie mehr als das ich sie wirklich sah. Und das, obwohl ich schon so nahe war. Ich sah sie eher schwächer als vorher.
Ich suchte mir eines der Lichter aus und kam näher. Da fand ich ihn. Einen Anelph, der schlief. Ich dachte, gut, im Schlaf leistet er keinen Widerstand, und wenn ich die Leistung des Fokus ausnutze, kann ich ihn befragen. Doch dann öffnete er sein rechtes Auge und… Ich weiß es nicht! Ich kann es nicht beschreiben! Von einem Moment zum anderen war die Resonanz zwischen mir und dem Fokus geradezu zerstört worden. Mein Blick war noch in der Ferne, während mein Körper längst wieder wusste, wo er war und der Fokus schraubte seine Unterstützung auf null zurück. Und das alles nur, weil ich dieses Ding gesehen habe. Das Auge hat mich gestört! Es hat mein KI gestört! Und das auf eine Entfernung von zehn, zwanzig oder mehr Lichtjahren!“
Die letzten Worte hatte der Bergam gebrüllt und dabei Speichel gespuckt, so aufgewühlt war er. Wieder musste die Ordensmeisterin ihr KI einsetzen, um den Unergebenen zu stabilisieren.
„Wohin ziehen die Anelph? Konntest du das erfahren?“, fragte sie eindringlich, solange die Erinnerungen noch frisch waren.
Livest Gorond sah die Meisterin an. „Wohin? Ich… Ich glaube, sie kommen näher.“
Der Mann sackte weg und schlief halb zusammengesunken in ihren Armen ein.
Die Meisterin winkte den beiden Priestern, damit sie den Bergam Zweiten Ranges in sein Bett schafften.
Sie kannte diesen Mann nun schon seit siebenundfünfzig Jahren, seit er dafür auserwählt worden war, dem Orden beizutreten. Seit ihm die schwierige Aufgabe anvertraut worden war, dieses Reich zu schützen. Ohne Anerkennung, ohne Orden und nur mit den Mitteln ausgestattet, die der Orden zu geben bereit war. Und das war nicht wirklich viel.
Dennoch hatte er sich dem hehren Ideal verschrieben, war er bereit gewesen, sein Leben einem höheren Ideal zu opfern. Dem Erhalt ihrer Kultur und ihres einzigartigen Volkes. Und das Ende aller stellarer Konflikte, indem die Splitter des Urreiches nach und nach unter dem Schutz der Naguad zusammengeführt wurden. Um dies zu gewährleisten hatte der Orden schon vor über tausend Jahren begonnen, die Genetik der Verlorenen wieder an die Naguad anzugleichen. Denn wenn alle von der gleichen Art waren, gab es weniger Potential für Kriege, Tod und Verwüstung.
Sie vertraute dem Bergam Zweiter Klasse und sie kannte seine Fähigkeiten. Egal was er gesehen hatte, egal wie groß das Objekt wirklich war, in dem die Anelph kamen, sie waren vielleicht wirklich auf dem Weg hierher, ins Zentrum des Reiches.
Sie waren vielleicht auf dem schrecklichen Irrweg, ihre Unabhängigkeit mit Blut zu erkaufen, das Herz des Imperiums zu vernichten und Abermillarden Tote in Kauf zu nehmen, weil das absolute Chaos ausbrach, ohne die sanft lenkende Hand dieser Welt.
Sie war nicht perfekt, Korruption und Verbrechen gab es überall. Selbstherrlichkeit ebenso wie überzogene Eitelkeit. Das war wahr. Aber um dies zu bekämpfen gab es ja sie, eine Gruppe von Idealisten, die Anelph, Naguad, Rasati und die anderen Völker genau davor beschützen würde.
Deshalb war alleine die Möglichkeit, dass das Riesengebilde auf dem Weg hierher war, bereits ein ernstzunehmender Gedanke, nein, eine riesige Gefahr.
Die alte Frau seufzte leise. Tausend Jahre Ruhe, war das denn soviel verlangt? Nur tausend Jahre, in denen sie sich ihren Studien widmen konnte. In denen einmal nicht die Leben von Milliarden Bürgern und Dutzenden Welten auf dem Spiel standen.
Vielleicht war es das. Und vielleicht war ihr Orden deshalb so immens wichtig.
Sie verließ den Raum mit dem Fokus wieder und trat zu einem der vielen im Gebäude verteilten Kommunikatoren. Dort gab sie ihren Überrangcode ein.
Kurz darauf rief ein lauter Alarm die Bergams Erster Klasse zur Sitzung im Innersten.
**
„Eingehende Meldung. Schäden auf Backbordwerft zwei.“
„Eingehende Meldung. Geistersichtungen in der Fabrikanlage für Mecha-Ersatzteile.“
„Eingehende Meldung…“
Sakura seufzte viel sagend. „So geht das schon den ganzen Tag. Die ganze Nacht und davor den Tag. Wie lange müssen wir hier bleiben, Tetsu?“
„Ma´am!“ Der Kommodore und Befehlshaber der AURORA nickte knapp in ihre Richtung, bevor er an ein Pult trat und einen Countdown ablas. „Fünf Tage, elf Stunden und siebzehn Minuten. Wenn wir was riskieren sogar nur drei Tage, dann brauchen wir aber ein wesentlich stärkeres Wurmloch. Und das ist in diesem energetischen Chaos wirklich nicht zu raten.“
„Dann kommt ein sofortiger Sprung wohl auch nicht in Frage, oder?“, murmelte sie nachdenklich. „Und hier einen Pod zu hinterlassen, der unsere Funkverbindung zur Erde stabil hält, ist reine Geldverschwendung.“
„Wir werden halt versuchen müssen, im nächsten System einen Pod auszusetzen, der es bis nach Alpha Centauri schafft. Notfalls erhöhen wir die Energiezufuhr durch einen weiteren Generator und…“
„Du klingst schon wie ein Wissenschaftler, Tetsu“, tadelte Sakura den Untergebenen. Sie betrachtete ihn amüsiert. Von dem übergewichtigen Motorradrocker war nach dem zweiten Marsfeldzug und jetzt nach all dem Stress mit der AURORA nicht mehr viel übrig geblieben. Vor allem an Speck hatte der Mann abgebaut. Und auch sein Verhalten, sein Auftreten und seine Sprache waren ernster, reifer, aber auch etwas zu steif geworden.
Auf jeden Fall war dies eine sehr interessante Entwicklung, die man ihm niemals zugetraut hätte, wenn man ihn nicht als Kommandanten der der LOS ANGELES im Marsorbit erlebt hatte.
„Entschuldige, Sakura“, murmelte er leise, in die eher seltene und kaum gesprochene persönliche Anrede fallend, „aber hier und da schnappt man halt auch was auf, was nicht mit der Führung eines Schiffes zusammenhängt.“ Er legte nachdenklich den Kopf schräg. „Sehr interessante Sachen. Diese Geisterphänomene, die übrigens durch die AURORA ziehen zum Beispiel, sie… Habe ich was im Gesicht, Admiral?“
Sakura musterte ihn schmunzelnd. „Du hast dich sehr verändert, Tetsu. Aber ich weiß wirklich noch nicht, ob zum besseren oder zum schlechteren.“ Ihre Miene wurde wehmütig. „Manchmal sehne ich andere Zeiten zurück, in der du mit deinen Leuten gepoltert hast und mit Gebrüll durch die Gänge deines Zerstörers gescheucht hast, bis die ganze Bande parierte. Eine Zeit, in der ich die GRAF SPEE kommandieren musste, aber nicht einen ganzen Kampfverband, der über Leben und Tod der ganzen Menschheit entscheiden könnte. Eine Zeit, in der ich…“ Sie senkte den Blick. „Gut, den Teil der Vergangenheit bedaure ich nun nicht.“
Tetsu legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Weißt du, Sakura, es geht mich überhaupt nichts an, aber meine bescheidene Meinung ist ja, dass du einen Teil deiner Vergangenheit endlich begraben solltest. Es hat halt nicht geklappt und er war nicht der Richtige. Ende. Neues Leben.“
„Bin ich so leicht zu durchschauen?“, fragte sie leise.
Tetsu schmunzelte. „Nein, aber ich kenne diesen Blick. Und wir waren zusammen auf dem Mars, deswegen kenne ich dich. Ein gebrochenes Herz sieht in den Augen immer gleich aus, ob du als Halbstarker in einer Motorradgang mitheulst oder ob du ein ganzes Regiment am laufen halten musst. Lass einfach los, Sakura. Du wirst nicht fallen. Du hast viel zu viele Freunde, die dich auffangen werden.“
Sie legte eine Hand auf die von Tetsu. „Ich danke dir. Aber soweit bin ich noch nicht. Vielleicht, wenn wir zwanzig Lichtjahre zwischen uns und der Erde haben…“
„Das kannst du haben. In fünf Tagen.“ Verständnisvoll lächelte der ehemalige Rocker die Anführerin ihrer Kampfgruppe an.
Sie lachte leise. „Fünf sehr lange Tage.“
Tetsu nahm seine Hand wieder zurück, nachdem er meinte, ihr genügend Beistand gegeben zu haben, ohne zu viele Gerüchte bei der gerne und oft tratschenden Besatzung seiner Zentrale verursacht zu haben.
„Was ist denn hier los? Passiert nichts mehr auf diesem Schiff? Ich habe seit fünf Minuten keine Berichte mehr gehört!“, blaffte er in einer Lautstärke, die Sakura erschrocken hoch fahren ließ.
„Sir!“, kamen vereinzelte, ebenfalls erschrockene Stimmen zurück. Übergangslos brach die Zentrale in Hektik aus und der endlose Sermon der Meldungen traf wieder ein.
Jede einzelne ließ Tetsu mit unbewegter Miene über sich ergehen.
„Ich schaff das hier schon alleine“, flüsterte er schließlich Sakura zu. „Hast du nicht eigentlich gleich Unterricht?“
Die blonde Frau sah auf die nächste Uhr. „Und du kriegst das wirklich hin?“
„Ich bitte dich. Wozu kommandiere ich diesen Koloss eigentlich? Klar schaffe ich das. Nun geh schon und lass deine Schüler nicht warten.“
„Ich danke dir“, erwiderte sie mit einem Zwinkern, während sie aufstand und halb laufend, halb gehend die Zentrale verließ.
Peinlich berührt sah Tetsu ihr nach. „Ich höre schon wieder keine Meldungen!“, sagte er ernst, als ihm das feixen seiner Offiziere und Mannschaften zuviel wurde.
„SIR!“
3.
Als sie an diesem Morgen in die Küche kam, war ich unwillkürlich erleichtert.
„Morgen“, murmelte Aria und setzte sich zu uns an den Tisch.
„Morgen“, erwiderten Megumi und ich leise.
„Und?“, fragte ich über den Rand meiner Zeitung hinweg, „wie fühlst du dich?“
Die Naguad griff sich an den Kopf und hielt ihn einige Zeit, bevor sie schief lächelte. „Dröhnt ganz schön, aber es geht wieder. Ich denke, ich lege mich noch mal hin, aber durch das Dickste bin ich durch.“
„Dennoch sollten wir den Arzt noch mal kommen lassen“, sagte Yoshi vom Eingang her und trat ein. „Morgen.“
„Morgen.“
Er musterte die Banges-Pilotin einige Zeit und meinte dann: „Deine Kameraden haben diese Infektion ähnlich gut verdaut. Soweit ich weiß bist du eine der Letzten, die krank auf der Seite liegt. Es gab keine Toten. Sie haben es alle geschafft.“
„So“, murmelte sie leise und abwesend. Doch ich konnte die grenzenlose Erleichterung in ihren Augen sehen. Sie fühlte sich noch immer für ihre Leute verantwortlich und machte sich Sorgen um sie, auch wenn sie in meinem Haushalt lebte. Nun, eigentlich erwartete ich dieses Verhalten auch von ihr.
Yoshi grinste verhalten und setzte sich. „Haben wir noch Kaffee, Kitsune-chan?“
„Hier, bitte.“
„Du bist ein Engel, Kitsune“, meinte Yoshi mit einem Zwinkern.
„Nein, ich bin ein Dämon, schon vergessen?“, konterte die Dämonenkönigin mit kokettem Wimpernschlag.
„Apropos Dämon“, murmelte Yoshi nachdenklich, „wie geht es eigentlich mit der Geisterjagd voran?“
„G-Geister?“, stotterte Aria aufgeregt.
„Na ja“, meinte ich und hob abwehrend die Hände. „Nicht wirklich Geister. Aber eben merkwürdige Phänomene, Erscheinungen und dergleichen.“
„D-du meinst so was wie meine Krankheit?“, hakte die Naguad nach und sah mich aus großen, wirklich großen Augen an. „Es ist dieses System“, flüsterte sie mit Entsetzen in der Stimme. „Es ist dieses verfluchte System. Niemand darf nach Andea Twin gehen! Wer es dennoch tut, kommt nie wieder zurück. Oder er bezahlt einen hohen, viel zu hohen Preis. Der Wahnsinn holt ihn, oder die Geister holen ihn, wenn sie ihn packen und…“
Megumis Schrei ließ uns zusammen fahren. Meine Freundin war erschrocken aufgesprungen und stand nun hastig atmend einen Schritt vom Tisch entfernt. Ihr Gesicht war stark gerötet.
„Von wegen Geister kommen einen holen und packen dich! Aria, du bist fies!“
Die Naguad kicherte leise und zog ihre Rechte wieder unter dem Tisch hervor, mit der sie Megumi auf dem Höhepunkt ihrer Schauergeschichte berührt hatte. „Nanu, Lady Death ist aber sehr schreckhaft.“
„Dir gebe ich gleich ein schreckhaft“, brummte sie ärgerlich, aber anscheinend mehr über sich selbst als wirklich über Aria Segeste.
„Na, dir scheint es ja schon wirklich gut zu gehen“, meinte die Dämonin in Arias Richtung und setzte sich mit einem Kaffee zu uns an den Tisch. „Dann brauchst du ja nicht mehr das Bett hüten und kannst mir bei der Geisterjagd helfen.“
„G-geisterjagd?“
„Du hast doch sonst noch nichts zu tun, oder? Es ist ja auch ganz einfach. Okame, der alte Knacker und ich sitzen in Poseidon rum, bis wir Meldungen von Erscheinungen bekommen. Dort eilen wir dann hin und paah, lösen wir das Problem. Das können Schattenbilder von Toten sein, das können lustige, umherflitzende Irrlichter sein, das können Wände sein, die sich plötzlich verformen, oder der Boden tut sich auf und versucht jemanden zu verschlingen. So ein Kram halt.“
„Und dabei soll ich helfen?“ Die Naguad war über diesen Gedanken sichtlich nicht erfreut.
„Keine Bange, ich und Okame sind ja da, falls eine Wand plötzlich lebendig wird und dich PACKT!“
Erschrocken schrie die Banges-Pilotin auf, als meine Schwester leise hinter sie getreten war und sie nun an beiden Schultern ergriffen hatte.
Als sie die Scharade endlich durchschaut hatte, heftig atmend und beinahe zu Tode erschrocken, tadelte sie: „Yohko-chan. Bitte. Ich bin krank!“
„Das hat dich aber nicht davon abgehalten, die arme Megumi zu erschrecken, oder?“ Yohko lächelte in die Runde, tauschte einen Handschlag mit der Dämonin aus und setzte sich ebenfalls an den Tisch.
„Das waren jetzt aber genug Geistergeschichten für heute, okay?“, mahnte ich die Freunde, bevor sich noch jemand dazu entschloss, hier den Geistergeschichtenerzähler zu mimen.
„Morgen, Leute“, sagte Doitsu vom Eingang her und gähnte herzhaft. Viel geschlafen hatte er anscheinend nicht. Ein Bataillon am laufen zu halten, den Yakuza-Anführer zu mimen und auch noch die Grey Zone, jenen außergesetzlichen Bereich an Bord der AURORA vor den Söhnen der AURORA zu beschützen zehrte eben an seiner Substanz.
Und dann war da immer noch seine Beziehung zu Hina, die ihn auch noch in Beschlag nahm.
„Ne, Doitsu, hast du eigentlich schon mitgekriegt, dass…“, begann Yohko mit glänzenden Augen.
„Schwesterchen. Keine Geistergeschichten mehr“, ermahnte ich sie.
„Aber…“ „Kein Aber. Wir hatten genug für heute. Bereite dich lieber für nachher vor. Die Schülervertretung hat nachher eine Sitzung, oder? Und du als Vorsitzende wirst sie leiten.“
„Das ist doch kein Problem. Habe ich schon hundertmal gemacht. Aber was ich sagen will ist…“
„Yohko“, mahnte ich erneut.
Doitsu sah uns erstaunt an. „Habe ich was verpasst?“
„Was weiß ich. Frag doch den da“, murrte Yohko und drehte sich schmollend weg.
Ich legte eine Hand an die Stirn. Wenn sich Akari an dieser Seite meiner Schwester ein Beispiel nahm, konnte das noch übel werden.
„Von mir erfährst du jedenfalls nicht, dass Kapitän Ryon bis drei Uhr Morgens bei Kei im Zimmer war“, fügte sie trotzig hinzu.
„Was?“, rief Doitsu überrascht.
Yoshi fiel die Tasse aus der Hand, hatte aber zum Glück keinen weiten Weg zur Tischplatte zurück zu legen. So starb sie nicht den Heldentod, sonder fiel nur um und ergoss ihren Inhalt über den Tisch und vor allem über Yoshis Hose. „Bin ich im falschen Film?“ Entsetzt starrte er mich an. „Akira! Sag was! Ich meine, Kei! Unser Kei! Mit dieser garstigen Ryon! Ich meine, das…“
„Es ist ja in Ordnung“, murmelte ich und hob abwehrend beide Hände. „Die zwei sind nur spät vom Dienst gekommen und wollten bei Kei noch ein paar Akten durchgehen. Da war es aber schon halb drei. Also, Thema damit erledigt?“
„Ich weiß nicht. Ich weiß wirklich nicht. Als seine Freunde sollten wir das im Auge behalten, Akira!“, warf er mir vor. „Und überhaupt, was trägst du da eigentlich?“
„Das nennt man eine Schuluniform. Unsere Oberstufe hat so was, schon mal von gehört?“
„D-du gehst zur Schule?“
„Seit wann ist das neu für dich, Kumpel?“, tadelte ich Yoshi.
„Aber, aber, aber, die letzten Wochen bist du doch auch nicht hingegangen, weil das KI-Training vorging und…“
„Ja, und jetzt ist kein KI-Training und es sind auch keine Trainingseinheiten mit den Hekatoncheiren geplant, die Ihr nicht auch ohne mich hinkriegt. Also nutze ich die Zeit mal sinnvoll und arbeite an meinem Abschluss, okay? Bedankt euch bei Eikichi dafür.“
„Und die Sitzung der Schülervertretung nicht zu vergessen“, murrte Yohko.
„Genau, die Sitzung der… Seit wann bin ich in der Schülervertretung?“
Meine Überraschung versöhnte Yohko ein wenig. Sie ließ ein kurzes Lächeln aufblitzen und sagte: „Du wurdest von deiner Klasse in Abwesenheit gewählt. Und wenn du nicht die letzten Tage mit Training und Strategiesitzungen verbracht hättest und auch mal zur Schule gekommen wärst, dann wüsstest du das auch.“
„Na danke. Noch mehr Arbeit“, murrte ich.
„Vergiss nicht, für wen wir das machen. Es war Akari-chans Wunsch, dass wir in der Schülervertretung zusammen arbeiten. Und hast du nicht mal gesagt, für mich und sie würdest du alles tun?“
„Na ja, fast alles.“
„Wie, nur fast alles?“, blaffte Yohko aufgebracht.
„Nun, ich würde zum Beispiel für euch nicht zu Bürgermeister kandidieren, ich würde keinen eigenen Staat ausrufen, ich würde meine Freundin nicht für euch aufgeben, oder mir bei meinen anderen Freunden reinreden lassen. Ja, das sind doch schon mal die wichtigsten Punkte.“
„Der dritte Punkt ist immens wichtig“, sagte Megumi und zog mich spielerisch am Ohr. „Noch mal vom Gong gerettet worden.“
„Autsch, Megumi. Du kannst so brutal sein.“
„Wo Schatten ist, ist aber auch Licht, Akira“, erwiderte sie und gab mir einen kurzen Kuss.
„Wenn Ihr damit fertig seid“, warf Yohko ein, „würdest du dann bitte bestätigen, dass du zur Sitzung kommst, Akira?“
„Natürlich komme ich“, murrte ich ärgerlich. „Für euch zwei tue ich ja nun wirklich fast alles.“
„Das brauchst du nicht“, klang Akaris Stimme vom Eingang her. Die junge Frau, die noch vor zwei Jahren eine verfluchte Seele gewesen war und nun als Mensch leben durfte kam herein, setzte sich mit an den Tisch. „Immerhin will ich ja auf dich aufpassen, O-nii-chan.“
Sie lächelte strahlend, und ich konnte nicht anders, ich erwiderte dieses Lächeln.
„Das heißt aber nicht, dass du nicht zur Sitzung kommen brauchst“, fügte sie hinzu, und ihre Augen funkelten bösartig.
„Ist ja gut, ist ja gut. Habe es schon kapiert, Akari-chan. Wir sehen uns dann nachher.“
Ich erhob mich. „Danke für den Kaffee und das Essen, Kitsune. Gehst du nachher wieder Geister jagen?“
„Ja, ich bin mit dem alten Griesgram in Poseidon verabredet. Da warten wir dann, bis der nächste Alarm aufheult. Und während wir warten, kann ich ja ein wenig mit den süßen Soldaten flirten, die da rumlaufen.“
Übergangslos verschwand die Küchenschürze und machte einem Minirock Platz. „Ne, Akira-chan, meinst du, der Mini ist kurz genug?“
„Zu lang“, kommentierte Yoshi, was ihm einen bösen Blick von Yohko einhandelte.
„Geht so“, sagte Doitsu und grinste breit. „So einen sollte ich Hina schenken.“
„Störe ich vielleicht bei irgendwas?“, fragte Kei, als er eintrat.
„Ne, ne, Kei, ich gehe nachher in der Poseidon-Station flirten. Meinst du, ich zeige genügend Bein?“ Kitsune errötete und drehte sich leicht vorgebeugt einmal um die eigene Achse.
„D-du gehst flirten? Mit den Sachen hast du garantiert die Aufmerksamkeit der Männer“, sagte Kei und lüftete meinen Kragen.
Ich legte eine Hand vor meine Stirn. Diese Situation kam mir sehr bekannt vor. Ich erinnerte mich daran als wäre es Gestern gewesen, wie sich Kitsune beim Anflug auf den Mars diverse Male in mein Bett geschlichen hatte, glücklicherweise in ihrer Fuchsgestalt. Und wie sie einmal als Mensch aufgewacht war und versucht hatte… Mein Kragen wurde mich auch plötzlich reichlich eng. Zudem schien es neben mir auch noch eine negative Präsenz zu geben, die eindeutig von Megumi ausging. Wenn sie von dieser Geschichte jemals erfuhr, dann Gute Nacht.
„Findest du? Findest du?“, rief Kitsune aufgeregt, kam den halben Schritt zu Kei herüber und strahlte ihn mit glänzenden Augen und hoch geröteten Wangen an.
„J-ja. Definitiv. Für deine zweitausend Jahre bist du ne echte Wucht.“
„Ooh, du bist soo lieb!“, rief die Dämonin, ergriff seinen Kopf und drückte ihn gegen ihren Busen. „Ich könnte dich einfach nur knuddeln, knuddeln, knuddeln und nie wieder loslassen.“
„Ki-ki-ki-kitsune!“
„Ja?“ Verdutzt hielt sie inne. „Drücke ich dir die Luft ab?“
„D-das ist es nicht“, erwiderte Kei mit rauer Stimme und löste sich aus ihrem Griff. „Ich brauche jetzt jedenfalls eine Dusche. Und zwar möglichst lange und möglichst kalt.“
„Oooooh, ist er nicht süß“, ragte die Dämonin in die Runde. „Ist er nicht hinreißend niedlich? Warum er noch keine Freundin hat, will mir nicht in den Kopf.“
„Warum bewirbst du dich nicht um den Job? Süß findest du ihn ja schon, oder?“, spöttelte Doitsu.
„Ach, komm“, erwiderte sie und winkte ab. „Diese Unsterbliche Dämonen und verliebte Menschen-Beziehungen funktionieren doch nie richtig. Na ja, fast nie richtig.“
Sie legte den rechten Zeigefinger auf ihre Unterlippe. „Obwohl, es käme ja mal auf einen Versuch an, oder?“
„Danke, Doitsu. Jetzt hast du sie auf Ideen gebracht“, beschwerte ich mich bei dem Freund.
„Ach, das spielt sie doch nur. Sie ist eben mehr eine kleine verspielte Katze als eine kleine verspielte Füchsin. Nicht, Kitsune-chan. Kitsune!“
„Was denn, was denn?“, fragte die Dämonin, nachdem Doitsu sie gerade noch am Saum ihres Rockes hatte ergreifen können, bevor sie die Küche hatte verlassen können. „Ich wollte Kei-sama doch nur fragen, ob ich ihm ein Handtuch bringen soll. Oder den Rücken schrubben. Oder…Hi, hi.“
Seufzend erhob ich mich, umschlang die Taille der Dämonin und hob sie vom Boden auf. „Ich nehme sie erst mal mit zur Schule. Dort lasse ich sie von Okame abholen. Der wird ihr die Flausen schon austreiben.“
Doitsu ließ den Rock wieder los. „Ist gut. Ich werde ihn gleich anrufen.“
„Das ist so gemein. Ich mach doch gar nichts Schlimmes. Bin ich böse? Oder eine Nervensäge? Akira-chan! Du hast dich doch auch nicht beschwert als…“
„Ich bin auch fertig!“, rief Yohko mit lauter Stimme und rette mir damit vorerst das Leben.
„Ich auch. Lass uns zusammen zur Schule gehen, O-nii-chan“, rief Akari und stand mit strahlendem Lächeln auf.
„Akira-chan. Das ist nicht fair!“, beschwerte sich die Füchsin.
„Ich rufe Okame-kun gleich an“, versprach Doitsu und schob seine Brille wieder die Nase hoch, was einen schimmernden Reflex auslöste.
„Ich mache heute blau. Einen freien Tag in der Woche habe ich ja wohl verdient. Den bringe ich nachher mit Gina und Joan durch“, meldete sich Megumi zu Wort. „Aber ich hole dich nachher von der Schule ab, Akira. Dann kannst du mir ja erzählen, wobei du dich nicht beschwert hast.“
Ich spürte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat. „Nicht so wichtig, Schatz. Also, gehen wir, Mädchen.“
„Lässt du mich runter, Akira? Ich tu auch nichts, versprochen.“
Ich überlegte einen Moment, dann schüttelte ich den Kopf. „Nein“, bestimmte ich.
Draußen vor dem Haus kam Yohko an meine Seite. „Wie lange willst du sie eigentlich tragen, O-nii-chan?“
„Ach, vielleicht bis zur Bahn. Bis ich sicher sein kann, dass sie Kei nicht mehr so in die Enge treiben kann.“
„Guter Plan. Aber was machst du, wenn Kitsune es ernst meint?“
„Ernst meint? Du meinst im Sinne von ich ziehe das jetzt durch?“ Laut begann ich zu lachen, aber bei dem Blick, den meine Schwester mir zuwarf, stockte es schnell. „Oh, oh.“
„Ja, ja, lacht Ihr nur“, beschwerte sich die Dämonin, hatte sich aber anscheinend in ihr Schicksal unter meinem Arm eingefügt.
„Mir ist auf einmal gar nicht mehr zum lachen zumute“, murmelte ich leise.
„Vielleicht sollte man sie einfach mal machen lassen“, sagte Akari nachdenklich. „Ich meine, niemand kann ihr in den Kopf sehen und richtig böse hat sie noch nie was gemeint. Und Kei würde das Interesse einer Frau wirklich gut tun.“
Kitsune sah die ehemalige Oni aus großen, feucht schimmernden Augen an. „Akari-chaaaaan! Du verstehst mich.“
Meine kleine Schwester sah die Dämonin mit einem sehr traurigen Blick an. „Ja“, hauchte sie. „Das tue ich wohl.“
Bei diesem Anblick hätte ich die Dämonin beinahe fallen gelassen. Was war mit Akari auf einmal los? Und viel wichtiger, was konnte ich für sie tun?
Ace Kaiser
4.
„Ich kann alleine gehen!“, beschwerte sich Kitsune lautstark, als ich mit ihr unter dem Arm das Schulgebäude der Fushida High betrat. Für die Zugfahrt und um meinen Arm zu entlasten hatte ich sie abgesetzt, aber danach wieder aufgenommen, nachdem sie mehr als einmal versucht hatte zu entkommen.
„Kommst du denn mit ihr klar, O-nii-chan?“, fragte Akari und sah mich aus großen Augen an. „Ich meine, wenn sie es wirklich ernst meint, dann bist du kein Gegner für sie. Das weißt du hoffentlich.“
„Danke. Musstest du sie daran erinnern?“, brummte ich ärgerlich.
„Ich mach ja schon nichts. Aber alleine gehen wäre wirklich nicht schlecht“, brummte Kitsune in meinem Griff und stützte ihr Kinn auf beiden Händen ab. Sie machte ein missmutiges Gesicht.
„Wie dem auch sei“, warf Yohko ein. „Ich muß jedenfalls in die andere Richtung. Akari, wir sollten die Zeit vor der Stunde nutzen und über die Besprechung reden. Du wirst sie nämlich leiten.“
Die ehemalige Oni wurde rot. „M-meinst du denn, ich kann das schon, Nee-chan?“
„Irgendwann musst du es ja mal lernen“, tadelte sie die Stiefschwester. „Außerdem, einen Hawk zu beherrschen ist wesentlich schwerer.“
„Das sagst du so“, erwiderte Akari und seufzte tief.
„Wird schon schief gehen. Ich bin ja nachher auch noch da“, sagte ich und warf Akari einen aufmunternden Blick zu.
„Wenn du meinst. Dann gehe ich jetzt mal, O-nii-chan.“
„Ich bin auch weg. Wir sehen uns dann in der Besprechung, Akira.“
Die beiden Mädchen wandten sich um und verschwanden in einem anderen Gebäude.
„Hey! Ich bin auch noch da!“, beschwerte sich Kitsune, bekam aber keine Beachtung mehr. „Diese Kinder von heute.“
Sie seufzte ergeben und ließ sich von mir bis ins Treppenhaus tragen. Die verwunderten Blicke der anderen Schüler beantwortete sie mit ihrem strahlendsten Lächeln.
Auf dem Treppenabsatz setzte ich sie ab. „Von hier aus kannst du alleine gehen.“
Misstrauisch beäugte mich die Füchsin. „Du meinst… So ganz alleine? Du gehst nicht direkt hinter mir? Du hast nicht eine Hand permanent in Griffweite? So richtig und vollkommen allein?“
Ich nickte ernst. „Ja, so habe ich mir das gedacht. Also enttäusch mich nicht, Kit…“
Die nächsten Worte sprach ich schon ins Leere, denn die Füchsin war stiften gegangen.
Allerdings nicht in Richtung Ausgang, sondern die Treppe hoch. „Hey, Akira-chans Schule! Lauter neue Leute zum kennen lernen. Das wird bestimmt lustig!“
Sie sah über das Geländer des zweiten Stockwerks herab und rief: „Kommst du, Akira-chan?“
Ich seufzte leise. „Dich bringt wohl nichts aus deiner guten Laune, was?“
„Ab-so-lut-nix!“, bestätigte sie, warf mir einen Kussmund zu und verschwand in Zweiten Stock.
„Wieso kriegt sie nur immer so schnell die Oberhand?“, brummte ich ärgerlich und stieg ebenfalls die Treppe hoch.
„Sag mal, Akira-kun“, sprach mich Jerome Philips an, ein Schüler der Nebenklasse, „ich weiß ja, dein Leben ist nicht ganz das, was man durchschnittlich nennt. Aber würdest du mir verraten, warum du das Mädchen von der Bahnhaltestelle bis hierher ins Treppenhaus unter dem Arm getragen hast?“
Ich musterte den schwarzhaarigen Haitianer und erwiderte: „Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist, sie ist leicht genug, dass ich sie problemlos tragen kann.“
„Aha. Und der zweite Grund?“
Ich lächelte vergnügt. „Der zweite Grund ist, es ist ein sehr angenehmes Gefühl, sie zu tragen.“
„Aha. Das kann ich nachvollziehen“, erwiderte er.
Dass sie ein zweitausend Jahre alter Fuchsdämon war und sich in einen solchen verwandeln konnte, ließ ich in dem Moment der Einfachheit halber weg.
Ich ließ Jerome stehen und wollte gerade im Gang zu meinem Klassenraum verschwinden, als direkt vor mir eine weiße Fratze aus der Wand trat.
Erschrocken wich ich bis zur Wand zurück, aktivierte meine KI-Emulation und generierte einen KI-Schild, der meinen Körper wie eine hauchdünne aber beinahe unzerstörbare Aura umhüllte.
Die Erscheinung erinnerte nur sehr entfernt an einen Menschen, war grotesk verzerrt und karikiert, zudem machte sie absolut keine Geräusche.
„Ein… Ein Gespenst?“, flüsterte ich leise, während diese Gestalt immer näher auf mich zukam.
Vor mir spaltete sich die Erscheinung in zwei Teile, schien für einen winzigen Moment aufzuheulen und verging dann.
„Was war das denn?“, rief Jerome aufgeregt.
Hinter dem langsam vergehenden Phänomen stand Kitsune und lächelte mich mit zusammen gekniffenen Augen an. „Ach, das war doch weiter nichts. Nur ein wenig emotional aufgeladenes freies KI.“
„Was, bitte?“, fragten der Haitianer und ich wie aus einem Mund. Uns war beiden die Erscheinung nicht geheuer.
„Zuhause haben wir da eine Religion, die heißt Voodoo, die setzt viel auf Effekte und Kommunikation mit den Toten“, sagte Jerome und schüttelte sich. „Aber das hier ist wirklich Furcht einflößend.“
„Das hier“, begann Kitsune, hob dozierend den Zeigefinger der Rechten und blickte ernst drein, „ist nichts weiter als ein Schattenbild. Es lebt nicht. Ich meine, es hat nicht gelebt. Und damit kann es auch nicht tot sein.
„Aber, aber, aber, was war es dann?“
„Wie ich schon sagte. Emotional aufgeladenes freies KI.“ Kitsune sah uns an und seufzte ergeben. „Ihr versteht das nicht, oder?“
Beide schüttelten wir den Kopf.
„Na gut. Dann will ich mal etwas weiter ausholen. Wir befinden uns derzeit im Sonnensystem Andea Twin. In diesem System kommt es derweil zu… Nun, sagen wir zu Unregelmäßigkeiten. Und diese Unregelmäßigkeiten, meist in Form gewaltiger gravitatorischer Beben, vermögen es, dass sich gebundenes KI löst. Nicht viel halt. Hier ein wenig von einem Menschen, dort von einer Pflanze und dergleichen.
Das Ganze ist eine temporäre Erscheinung und löst sich bald wieder auf. Haben wir auf der guten alten Erde oft genug.
Nur hier liegen die Dinge etwas anderes. Da dieses Sonnensystem jederzeit kollabieren kann, sind die Störungen immens. Was bedeutet, es wird sehr viel mehr KI frei. Und es sammelt sich an wesentlich mehr Orten und dann auch noch in höherer Konzentration.
Dann kann es zu solchen Effekten kommen.
Manchmal verzerrt sich die Raumzeit ein wenig und das KI wird von Szenen der Vergangenheit beeinflusst. Menschen auf der Erde nennen das Gespenster oder Spuk.
Manchmal kollidiert dieses KI mit einem Menschen und übernimmt etwas von ihm mit, zum Beispiel eine starke Emotion. So wie dieses Ding hier. Es war eindeutig von einer starken Emotion abhängig. Und wer immer diese Emotion geprägt hat, der wollte Akira-chan ans Leder. Danke fürs zuhören.“ Nach ihrem kleinen Vortrag verbeugte sich Kitsune brav.
Spontan gaben Jerome und ich Applaus. Bis mir ihre Formulierung wieder in den Sinn kam. Ans Leder wollen wäre nicht unbedingt meine Wortwahl gewesen, aber den Sinn verstand ich sehr gut. Etwas zu gut.
Doch ich hatte nicht besonders viel Zeit darüber nachzudenken, denn Kitsune ergriff mit an der Hand und zog mich hinter sich her. „Komm, Akira-chan. Zeig mir deine Klasse!“
„Ich komme ja, ich komme ja!“ Na, wenigstens war sie im Moment von Kei abgelenkt.
**
Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort in der AURORA saß Yellow Slayer zwei Hawk-Piloten des Briareos-Regiments gegenüber und lächelte sie gewinnend an.
Captain Kurosz schüttelte unmerklich den Kopf. „Ich verstehe Ihre Beweggründe, aber warum ausgerechnet wir? Okay, mich kann ich ja noch nachvollziehen, aber warum dieser Hitzkopf?“
„Hey!“, beschwerte sich Lieutenant Daynes ärgerlich.
Yellow nahm dankbar die angebotene Tasse Tee entgegen und trank einen kurzen Schluck. „Danke. Langes reden dörrt mir immer die Kehle aus. Nun, Goran, Sie spielen doch Poker, oder?“
Der Kroate nickte stumm.
„Dann kennen Sie sicherlich die Formulierung, ein Ass im Ärmel zu haben.“
„Natürlich kenne ich das. Ein Ass im Ärmel bedeutet im Zweifelsfall den Sieg. Aber auf Kosten eines Betruges. Wollen Sie denn betrügen?“
Eine wichtige Eigenschaft der Magischen Youma Slayer war ihre Fähigkeit, sich absolut zu verschleiern. Man konnte ihnen ins Gesicht sehen, man konnte sie fotografieren. Aber man konnte sich nicht an die Gesichter erinnern. Und die Fotos waren verwaschen und verzerrt.
Diese Eigenschaft, von Dai-Kuzo eingeführt um die Identitäten der Mädchen zu schützen, während sie ihre Leben riskierten, um die pervertierten Youmas zu vernichten, verhinderte nun, dass die beiden Mecha-Piloten der jungen Frau vor ihnen wirklich und wahrhaftig in die Augen sehen konnten.
„Ich will nicht betrügen“, hauchte sie ernst. „Ich will es wirklich nicht. Aber… Damit diese Mission ein Erfolg wird, würde ich meine Seele verkaufen. Damit Aki-chan überlebt, würde ich sterben. Dafür brauche ich Sie. Dafür brauche ich euch, weil ich weiß, dass Ihr verlässlich seid und unsere Gegner euch nicht im Auge haben. Ich vertraue euch. Ich weiß, ich verlange viel, aber…“ Die junge Frau sah von einem zum anderen, mit ihren klaren blauen Augen direkt in ihre Herzen. Dann löste sie die Verwandlung auf. „Versteht Ihr das, Jungs?“
Die beiden Männer starrten auf den Menschen vor sich, der sich bisher als Yellow Slayer getarnt hatte. Kurosz keuchte erschrocken auf. Daynes vergaß zu atmen und starrte den enttarnten Menschen nur an.
Endlich fand Goran Kurosz seine Stimme wieder. „Ich verstehe und folge.“
„Es ist illegal“, gab Yellow Slayer zu bedenken.
„Ach, was ist das Leben ohne ein wenig Risiko? Außerdem wollte ich schon immer zum Geheimdienst, oder etwas ähnlichem“, sagte Jordan Daynes mit einem amüsierten Grinsen.
„Dann ist es abgemacht. Ihr zwei seid meine Lebensversicherung.“
Die Gestalt vor den beiden hüllte sich wieder in die Yellow Slayer-Verkleidung. Dann erhob sie sich und verbeugte sich tief vor den beiden. „Vielen Dank für euer Vertrauen. Vielen herzlichen Dank für euer Verständnis.“
Jordan wurde rot. Abwehrend hob er beide Hände. „Nein, nein, wir haben zu danken, dass du uns ins Vertrauen ziehst und uns die Chance gibst, mehr zu tun als ohnehin schon.“ Er lächelte verschmitzt. „Also danken wir dir, Yellow Slayer.“
Goran sah seinen Untergebenen, Schützling und Freund erstaunt an, bevor er nachhaltig nickte. „Das hätte ich nicht besser sagen können. Respekt, Kleiner. Respekt.“
„Ich wusste, Ihr seid die richtige Wahl.“ Yellow Slayer lächelte den beiden noch einmal zu. Dann stieß sie sich ab und begann in der Luft zu schweben. Dort löste sie sich übergangslos auf.
„Da haben wir zwei uns ja mächtig viel Arbeit aufgehalst, was?“, murmelte Jordan leise. „Aber ich will verdammt sein, wenn sie es nicht wert ist.“
„Was denn, was denn, du hast dich doch nicht etwa gerade verknallt?“, neckte Goran den anderen.
Jordan Daynes stieß zischend die Luft aus. „Geht wohl schlecht, oder?“
„Es sind moderne Zeiten“, ermunterte der Kroate den Amerikaner.
„Und ich stecke noch in den alten Zeiten fest. So etwas tue ich einfach nicht“, erwiderte der und seufzte tief.
**
Die ersten beiden Stunden verliefen ohne erhebliche Überraschungen. Kitsune-chan erfreute sich in ihrem Minirock-Ensemble mit passendem brauchfreien Oberteil und dem kecken roten Kurzhaarschnitt sehr schnell einer gewissen Beliebtheit in meiner Klasse und hatte keinerlei Problem gehabt, sich als meine zweite feste Freundin vorzustellen.
Was mich wirklich nur für einen winzigen Moment Todesdrohungen in den Blicken der männlichen Mitschüler aussetzte.
Zum Glück rettete Sakura die Situation, und machte sie ausnahmsweise nicht noch schlimmer.
Kitsune durfte im Klassenraum bleiben, bis Okame eintraf. Und ihr Verhältnis zu mir wurde kurz und knapp mit Cousine beschrieben, zementiert und mein Kopf damit aus der Schlinge gezogen.
Diese Erklärung reichte natürlich nicht für jene jungen Menschen, die mit mir auf dem Mars gewesen waren und von denen die meisten Kitsune sowohl in Menschengestalt als auch als Fuchs kannten.
Aber auch sie schluckten die Erklärung relativ klaglos, was ich dankbar zur Kenntnis nahm.
In der kleinen Pause zwischen der zweiten und der dritten Stunde, für die sich Sakura und Akane ablösen würden – also der Sprung von Physik zu Mathe – war Kitsune umwuselter Mittelpunkt. Die Dämonin genoss die Aufmerksamkeit in vollen Zügen. Und da sie ja schon in der Schule ein Schattenbild vernichtet hatte, konnte ihr der Griesgram, wie sie Okame-tono gerne nannte, nicht vorwerfen sie würde sich drücken.
Allerdings ließ sich der Wolf-Dämonenkönig doch sehr viel Zeit…
„Nii-san!“, erklang eine Stimme von der Eingangstür. Zwölf Augenpaare fuhren herum. Was sie sahen, was ich sah, war ein junger Bursche in der Uniform der Mittelstufe. Seine Haare waren schneeweiß und seine Augen funkelten vor unterdrücktem Zorn. Michi.
Er starrte mich an und sagte: „Nii-san. Komm bitte mit.“
Nii-san? Bruder? Verwundert erhob ich mich und ging zur Ausgangstür. Ein paar Minuten blieben ja noch.
Kitsune stieß sich von ihrem Platz ab und wollte mich begleiten. Aber ich lächelte beruhigend und winkte ab. „Nein, Kitsune-chan. Es ist doch nur Michi.“
Nur Michi. Nebenbei mein Schüler und fest entschlossen, mich zu töten.
Ich folgte ihm den Gang hinunter, die Treppe hinauf und schließlich auf das Dach der Schule. Dort folgte ich ihm, bis wir beide so ziemlich in der Mitte des großen Dachs standen. Über uns zog ein Sauerstoffdistributor seine Bahn und machte mit hektisch blinkender Reklame auf einen neuen Modedrink aufmerksam, der garantiert nicht dick machte.
Michi wandte mir den Rücken zu. „Warum hast du es mir nicht gesagt, Nii-san?“, flüsterte er mit erstickender Stimme. „Warum nicht?“
„Häh?“
Michi wirbelte herum, beide Hände zu Fäusten geballt. Ich erkannte keine Waffe, also wich ich nicht aus. Ein Entschluss, den ich bald darauf bereute, als die rechte Faust in meinen Magen fuhr, dicht gefolgt von der Linken.
Was nun geschah war ein Trommelfeuer an Schlägen, das mich mehrere Meter zurück trieb, bevor ich mich wieder fangen konnte.
„Warum hast du es mir nicht gesagt? Du verdammter Arsch!“
Wieder landete Michi einen Treffer, doch er war schon erheblich kraftloser als der erste. Oder die anderen zehn.
„Warum hast du mir nichts gesagt? Warum hast du das zugelassen?“ Übergangslos brach Michi in den Knien ein. Tränen flossen und benetzten den Beton, auf dem er kniete.
„Warum nicht?“
Betroffen ging ich in die Hocke. Okay, der Junge wollte mich töten. Aber ich hatte ihm das Versprechen abgerungen, dies erst zu versuchen, wenn ich es ihm gestattete. Im Gegenzug bildete ich ihn aus. Von dieser Ausbildung hatte Michi nichts angewendet, einmal abgesehen vielleicht vom Kraftzuwachs, den unser Training ergeben hatte.“
„Michi“, sagte ich ernst.
Er sah mich an. Seine Augen waren wegen der vielen Tränen gerötet. „Sie war es. Sie hat es getan. Nicht du! Sie war es und du hast es mir nie gesagt! Warum nicht?“
Ein eiskalter Schauer ging über meinen Rücken. Der Grund, warum Michi mich töten wollte war, dass er der Sohn des Magiers Tora war, der für die Kronosier KI-Energie eingesammelt und für pervertierte Zwecke missbraucht hatte. Ein Mann, von dem er annahm, dass ich ihn getötet hatte.
Aber anscheinend kannte er nun die Wahrheit. Anscheinend wusste er nun, dass es die Slayer gewesen waren oder vielmehr Akari, die Tora letztendlich besiegt hatte.
„Michi…“
„Sie hat es mir erzählt. Sie hat mir alles erzählt. Was sie früher war, wie sie ein Oni geworden ist. Wie sie mit… Vater gekämpft hatte. Einfach alles. Warum? Ich wollte das niemals wissen. Ich wäre froh genug gewesen, irgendwann gegen dich kämpfen zu können und meinetwegen zu sterben. Mehr verlange ich doch gar nicht…“
Ich senkte den Blick, denn diese jungen, verzweifelten Augen ertrug ich nicht länger.
„Ich… Ich wollte sie beschützen. Ich… wollte dich beschützen. Auf dem Mars sind so viele gestorben, auf der Erde so viele… Wir haben so sehr geblutet für den Frieden, den wir nun haben… Ich wollte nicht, dass noch jemand stirbt. Und erst Recht nicht du, Michi. Oder sogar Akari. Nein.“
„Du hast mich angelogen“, presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Übergangslos sprang er auf, starrte auf mich herab. Dann ging er schweigend an mir vorbei.
„Michi“, hielt ich ihn zurück, ohne ihm nachzusehen. „Was wirst du jetzt tun?“
„Sterben“, flüsterte er. „Jeden Tag ein kleines Stück.“
Dann fiel die Tür in ihr Schloss und der Junge war fort. Zurück blieb ich, noch immer auf meinen Knien hockend, den Blick in die Ferne gerichtet.
War er eine Gefahr für Akari? Würde er nun versuchen, sie zu töten? Das Signal zur dritten Stunde erreichte mich nicht wirklich. Ich reagierte eher mechanisch, stand auf und ging zur Treppe, ohne wirklich zu wissen was ich tat. Denn eine Frage raste in meinem Kopf und ließ mir keine Ruhe. Wenn Akari in Gefahr war, sollte ich dann Michi vorsichtshalber töten? Konnte ich das überhaupt? Durfte ich das?
„Verdammt!“, blaffte ich wütend.
„Ja, verdammt. Ich bin nämlich schon da und du bist zu spät, Akira. Darüber reden wir noch. Setz dich erstmal.“
Erstaunt sah ich auf und erkannte, dass ich in der Tür meiner Klasse stand. Akane Hazegawa war bereits da und sah mich teils streng, teils amüsiert an.
Ich nickte überrascht und nahm Platz.
Dort erwartete mich Kitsune. „Nanu? War Okame-tono immer noch nicht da?“
„Mir kann das nur Recht sein“, erwiderte die Fuchsdämonin. „Schule macht nämlich Spaß.“
Ich musste schmunzeln. Wenigstens Kitsune war noch ganz die Alte…
5.
Okame, der uralte Wolfsdämonenkönig, saß auf einem Hügel. Der Grund, warum er Kitsune noch nicht abgeholt hatte war simpel. Im Vakuum auf der Außenhülle konnten sich keine Schallwellen fortpflanzen. Okame trug zwar ein Handy bei sich, aber erstens war dieses durch die vierzig Grad Minus auf der Außenseite der AURORA stark in der Funktion eingegrenzt; Raureif bedeckte das Display, und zweitens war Doitsu nicht schlau genug gewesen, einfach eine schriftliche Nachricht zu schicken.
Es wäre Okame auch egal gewesen, denn das, was er gerade tat, im Vakuum des Alls und mit allen Sinnen bis aufs Äußerste konzentriert, war viel zu wichtig, um sich mit den Eskapaden der jungen Kitsune abzugeben.
Sollte sie sich doch ruhig ein wenig austoben.
Keine hundert Meter vom alten Wolf entfernt hatte die KOWLOON festgemacht, die kronosianische Fregatte der NOVEMBER-Klasse. Die Besatzung des nunmehr argentinischen Schiffs beobachtete den Mann, der ohne Raumanzug nun schon mehrere Stunden auf einer Erhebung saß, die vom Militär der AURORA auch dazu genutzt wurde, um von dort lichtschnelle Ortungen auszuführen.
„Da! Er bewegt sich wieder!“, blaffte Oliver Ryan, der Erste Offizier aufgeregt.
„Du spinnst!“, blaffte Marek Dobarev, der Waffenoffizier aufgebracht. „Niemand sitzt im Vakuum des Alls herum und überlebt das!“
„Soll ich dir die Aufzeichnungen zeigen? Er hat sich mehrfach bewegt. Und was noch viel wichtiger ist, was passiert normalerweise mit einem Körper, der unter Druck steht, wenn man ihn einem absoluten Vakuum aussetzt?“
„Er platzt. Okay, das ist der Typ da draußen nicht, und wir haben alle gesehen, wie er hier über die Felsen marschiert kam und so. Aber dennoch, was soll der Kerl sein, ein Zombie?“
„Leute“, warf Jennifer Brown ein.
„Du hältst dich da raus. Das ist ein Streit unter Männern“, murrte Ollie in ihre Richtung.
Shawn Winslow, der Kommandant des Schiffes schlug eine Hand vor die Augen. Manchmal waren seine Leute solche Kindsköpfe. Wie hatte er nur jemals glauben können, mit solchen Leuten einen Aufstand gegen die UEMF gewinnen zu können? Ha! Er hätte seinen Jahressold drauf verwettet, dass Akira Otomo mit seinem Elitekader nicht annähernd auch nur einen Hauch der Probleme hatte, wie jene mit denen sich der Anführer der ehemaligen Marodeure herumschlagen musste.
„Aber Leute…“
„Jenny, mal ganz ehrlich, du bist als Stellvertreter bei den Daishis Gold wert, aber wir haben hier eine wichtige Grundsatzdiskussion laufen“, murrte nun auch Marek. „Und ich sage dir, er…“
„LEUTE!“, blaffte die Frau aufgebracht und deutete auf den Monitor, der den mit Antennen bebauten Hügel zeigte – aber nicht mehr den einsamen Mann, der auf ihm meditiert zu haben schien.
Die Männer wirbelten zu ihr herum und betrachteten ungläubig den Monitor.
„Er ist weg?“
„Schlimmer. Er kommt gerade zu uns an Bord!“, rief sie aufgebracht.
Atemlose Stille antwortete ihr.
„Was?“, wagte es Winslow zu fragen.
„Mein Name ist Major Okame. Ich bin Sonderbeauftragter von Colonel Ino“, erklang eine ruhige, dunkle Stimme vom Eingang der Zentrale her. Der riesige Mann im Schott sah kurz in die Runde, bevor er eintrat. Nebensächlich strich er sich etwas Schnee von der Kleidung. Schnee? An seiner auf vierzig Grad minus herabgekühlten Kleidung kondensierte Luftfeuchtigkeit, meldete sich Shawns wissenschaftliche Ausbildung zu Wort.
„Ich bin Lieutenant Commander Winslow. Ich weiß nicht ob wir Ihnen helfen können, Major. Wegen der Stürme ist die KOWLOON wie alle anderen Boote festgemacht.“
„Ich brauche nicht das Schiff. Ich brauche Ihre Funkanlage. Und sofort eine Verbindung zu Poseidon.“
Winslow nickte und der Diensthabende Funker beeilte sich, die Verbindung zu etablieren.
„Leitung steht. Wen hätten Sie denn gerne, Major Okame?“
Winslow lagen ganz andere Fragen auf der Zunge. Zum Beispiel, wie es dieser Mann mehrere Stunden in einem Vakuum ausgehalten hatte und noch am Leben sein konnte.
„Admiral Hayes, Admiral Ino, Kommodore Genda.“
„Ah, einen von den dreien, Aye.“
„Sie verstehen nicht. Ich will sie alle haben.“
„Was?“, entfuhr es dem Funker.
Auch sein Gegenüber in Poseidon schien mehr entsetzt als erstaunt.
Der große Mann hob seinen Ausweis und zeigte ihn der Kamera. „Tun Sie es. Oder wir werden hier alle sterben.“
„J-jawohl, Major Okame!“, stammelte der Funker auf der Poseidon-Station.
**
„…und aus diesem Grund unterstützt das Schülersprechergremium die Schaffung einer permanenten Einrichtung für die Begegnung von Anelph, Kronosiern, Menschen und Naguad. Nur was wir nicht kennen fürchten wir. Und da wir nun alle auf der AURORA zusammen leben und alle den gleichen Gefahren ausgesetzt sind, sollten wir auch alle füreinander Verständnis entwickeln. Danke schön.“
Akari nahm nach ihrer Rede wieder Platz, mit der sie die Ergebnisse des letzten Punktes der Tagesordnung und den gemeinsam gefassten Beschluss zusammengefasst hatte.
Zögernder Applaus kam auf, wurde schnell lauter. Ich beteiligte mich daran, denn das war eine grandiose Leistung für eine Sechzehnjährige gewesen. Man konnte sagen, ich war stolz auf sie. Und wenn ich mir den Applaus anhörte, war ich sicher nicht der einzige.
„Gut gemacht, Akari-chan“, sagte Yohko mit einem sanften Lächeln.
Die kleine Schwester errötete. „Danke, Nee-chan.“
Ein gemeinsames Begegnungszentrum, hier in der Schule. Eine sehr gute Idee. Und außerdem ausbaufähig. Damit war diese Sitzung ein absoluter Erfolg.
Doch als die Alarmsirenen zum Leben erwachten, wusste ich, dass es nur ein Erfolg in einem begrenzten Teil meines Lebens gewesen war. Ein anderer Teil holte mich gerade in diesem Moment wieder ein.
Gleichzeitig meldete sich mein Handy zu Wort. Und in der Art des Klingelns erkannte ich, dass es ein Überranganruf der Poseidon-Zentrale war.
„Otomo hier“, sagte ich schnell und wunderte mich für einen Moment, zweimal das gleiche zu hören. Aber auch Yohko und Akari waren angerufen worden.
„Code Red. Kommen Sie sofort zur Notfallbesprechung in die Zentrale. Ein Helikopter holt Sie, Lieutenant Colonel Yohko Otomo und Spezialistin Akari Otomo vom Schuldach ab und bringt Sie direkt in die Poseidon-Anlage. Befehl von Admiral Ino.“
„Sakura? Ist sie etwa schon in Poseidon? Hatte sie nicht noch Unterricht?“, murmelte ich mehr zu mir selbst.
„Wie dem auch sei, beeilen Sie sich, Commander. Es geht um die Existenz der AURORA.“
„Jetzt bin ich aber neugierig“, brummte ich, während durch das geöffnete Fenster das Brummen eines schnell näher kommenden Hubschraubers kam.
„Ich beantrage hiermit die Sitzung zu beenden!“, rief ich hastig.
„Ich unterstütze den Antrag“, rief Yohko schnell.
„Gegenstimmen?“, rief Akari, die dankenswerterweise richtig reagierte. „Keine. Dann vertagen wir uns auf nächste Woche. Die Sitzung der Schülervertretung ist damit geschlossen.“
Übergangslos sprang ich auf, eilte zur Tür, riss sie auf. Meine beiden Mädchen hasteten hindurch, ich folgte auf dem Fuß. Auf der Treppe überholte ich sie wieder und bevor ich es richtig merkte, lief Kitsune neben uns her.
„Wer hat dir denn Bescheid gegeben? Wolltest du nicht den Jungs beim Baseball zusehen?“, fragte ich atemlos, während wir zu viert auf dem Dach standen.
„Okame hat mich angerufen. Er hat gesagt, alle wichtigen Offiziere und alle KI-Meister sollen zusammen kommen. Das betrifft auch mich.“
„Alle?“, rief ich erstaunt. „Selbst Futabe-sensei? Aber warum?“
„Keine Ahnung, aber ich glaube, die beiden Sonnen explodieren“, murmelte Kitsune betreten.
Der Schock griff hart nach mir, hart genug, um mich erstarren zu lassen. Ein hartes Widerwort lag mir auf der Zunge, aber es wollte einfach nicht raus.
Dann zog der Helikopter die Häuserwand hinauf und setzte knapp neben uns auf dem Dach auf. Eine Meisterleistung wenn man bedachte, dass das Heck nur einen guten Meter Spiel zum Zaun hatte.
Akane Hazegawa stürzte nun ebenfalls auf das Dach hinaus. Ihr Gesicht war vor Anstrengung gerötet und ihr Atem ging hektisch. „Nehmt Ihr Anhalter mit?“
Das weckte mich aus meiner Starre. Der Lademeister winkte uns heran und langsam setzte ich mich in Bewegung. „Aber klar doch. Sei unser Gast“, rief ich ihr über den Lärm der Rotoren zu, während ich Akari beim einsteigen half. Nach Yohko und Akane kletterte ich ebenfalls an Bord und musste sofort mit meinem Gleichgewicht kämpfen, weil der Pilot keine Zeit verlor und durch startete. Verdammt, der hatte es extrem eilig.
Akari ergriff mich an der Schulter und zog mich mit einer Kraft, die man ihrem Körper kaum zutraute auf den Sitz neben sich. Dort schnallte ich mich fest. „Danke.“
Verdammt, wie hatte Kitsune das nur gemeint? Beide Sonnen sollten explodieren? Ein eiskalter Schauer ging über meinen Rücken.
**
Im großen Sitzungssaal der Admiralität, der Poseidon-Station hatte sich die absolute Elite versammelt. Alle Slayer waren anwesend, ebenso jeder wichtige Offizier ab Schiffskapitän oder Major aufwärts.
Ebenso die beiden Dämonenkönige sowie jeder einzelne Pilot oder Soldat, der nachweislich sein KI kontrollieren konnte.
Im Moment stand Okame-tono am Rednerpult und versuchte uns etwas zu erklären. Aber ich verstand immer nur eines: Wir saßen wirklich in der Klemme.
„Die gravitatorischen Schockwellen haben sich derart verstärkt, dass ich mich dazu entschloss, die beiden Sonnen zu observieren. Und mein schlimmster Verdacht hat sich bestätigt: Die Planetenmasse im Lagrangepunkt zwischen Andea I und Andea II hat sich aufgespaltet. Gut ein Achtel der Masse stürzte vor Tagen in die Masse von Andea I, der Rest ging auf dem superkompakten Weißen Zwerg Andea II nieder.
Das war zu erwarten gewesen. Nicht aber, dass Andea I die Riesenmasse des Planeten nicht wie berechnet einfach absorbieren würde. Es scheint als würde ein unbekannter Faktor, vielleicht ein simpler Temperaturunterschied, dafür sorgen, dass Andea I die eigentlich schon absorbierte Masse von Lagrange wieder abgeben.“
„Was bedeutet dieses abgeben?“, hakte ich nach.
„Die auf Andea I abgestürzte Masse wird sich wieder von der Sonne lösen und sich mit Lichtgeschwindigkeit in diesem Sonnensystem verbreiten“, beantwortete Okame meine Frage.
„Oder um es wissenschaftlicher auszudrücken, die harte Kernstrahlung von Andea I wird das achtel Masse von Lagrange – so haben wir den Riesenplaneten genannt - ionisieren und wieder von sich stoßen. Wir erwarten einen ähnlichen Effekt wie bei einer Nova. Und das in weniger als zwei Tagen.“ Sakura Ino sah ernst in die Runde. „Herrschaften. Auch wenn die fort geschleuderte Masse nicht der einer richtigen Nova entspricht, kann uns die Druckwelle schwer treffen oder sogar vernichten. Wir haben nur eine einzige Chance: Wir müssen springen!“
„Springen?“, rief Tetsu Genda aufgebracht. „Aber die Generatoren der AURORA sind nicht in der Lage, auf dieser Position ein stabiles Wurmloch zum nächsten Sonnensystem zu schlagen!“
„Stimmt, eine solche Position für ein stabiles Wurmloch erreichen wir erst in fünf, für ein instabiles Wurmloch erst in drei Tagen“, sagte Sakura ernst. „Dennoch müssen wir handeln, denn die Druckwelle erwischt uns früher.“
„Wir haben eine Möglichkeit, ein einigermaßen stabiles Wurmloch schon früher zu kreieren“, meldete sich Makoto Ino zu Wort. „Allerdings wäre es ein Sprung ins Ungewisse und mit der Druckwelle im Nacken, die uns verfolgt, solange das Wurmloch existiert hätte es etwas von einem Korken, der aus einer Sektflasche geschossen wird. Aber prinzipiell ist es machbar. Wir haben nur keine Garantie, dass wir auch da landen, wo wir hinwollen, denn wenn uns ein paar Planetenmassen ins Wurmloch folgen, wird eventuell der Zielpunkt verändert.“
„Bitte keine Details. Was brauchst du für deinen Plan?“, fragte ich ernst.
„Wir können die Kraft der Projektoren kurzfristig enorm steigern, aber das erst frühestens in anderthalb bis zwei Tagen, es wird also eng. Zu diesem Zweck zerlegen wir ein paar Booster und versehen die Projektoren mit der Möglichkeit, mit KI versorgt und verstärkt zu werden.“
„Worauf warten wir dann noch? Fangen wir an! Diesen Plan auszuführen ist weit besser als auf die Druckwelle zu warten“, sagte Megumi und ich konnte dazu nur nicken.
„Dann ist es entschieden. Wir brauchen alle KI-Experten, um die Projektoren aufzuladen. Futabe-sensei wird sie anführen. Ihr habt einen Tag zur Vorbereitung, um maximale Leistung zu bringen.“ Sakura sah mich ernst an. „Nichtsdestotrotz müssen unsere Mecha-Streitkräfte bereit sein. Commander, entwerfen Sie einen Notfallplan. Da die meisten Bataillonsführer ausfallen und im KI-Projekt gebunden sind, will ich Colonel Uno bestens vorbereitet sehen.“
Sie sah zu Admiral Hayes herüber. „Das gleiche gilt für unsere Begleitflotte. Wir müssen auf alles gefasst sein.“
„Ma´am“, antwortete der alte Admiral entschlossen.
Damit wurde der Startschuss für zwei Tage unter permanentem Druck gegeben.
6.
Nach Okames Warnung waren die Astronomen an Bord aktiv geworden. Ihre Beobachtungen bestätigten den Verdacht des Dämons nicht nur, sie malten ein weit skeptischeres Bild der Situation. Ihrer Meinung nach würden sämtliche Planeten vernichtet werden. Dabei würde ein Halo entstehen, der bis zu ein halbes Lichtjahr weit um das Sonnensystem Andea Twin aufleuchten würde.
Unsere kleine Abkürzung brachte uns enorm in Gefahr.
Nervös betrachtete ich meine zitternden Hände. Wir waren in Sechsergruppen zusammen gefasst worden und standen nun um die Emulatoren aus den geplünderten Boostern, die eigentlich dazu gedacht gewesen waren, um unseren Mechas eine enorme Reichweite zu verschaffen – mittels KI-Energie.
Nun würde diese KI-Energie in die Projektoren des Sprungwurmlochs gehen und uns ermöglichen, ein einigermaßen stabiles Feld aufzustellen, was unsere Flucht ermöglichen würde. Hoffentlich.
Mein Blick suchte Megumi. Für die Dauer der Operation würde sie die Hekatoncheiren anführen, Yohko würde als ihre Stellvertreterin aufrücken, nachdem Daisuke und ich sowie Yoshi hier gebunden waren.
In diesem Moment verabschiedete sie sich von den Slayern und Akari im Besonderen.
Für sie wurde es Zeit, in ihren Hawk zu klettern. Ebenso wie es für Kei Zeit wurde, auf sein Schiff zu kommen.
„Nein, Kitsune-chan, du kannst nicht mitkommen!“, rief Kei verlegen, als sich die Dämonin in ihrer Fuchsgestalt in seine Armbeuge kuschelte.
„Wie?“, fragte der Fuchs erstaunt. „Magst du mich etwa nicht? Willst du mein Gesellschaft nicht, wenn du auf der anderen Seite vielleicht in ein Gefecht kommst?“
„Das ist es nicht, Kitsune-chan“, erwiderte Kei und wischte sich Schweiß von der Stirn. „Aber du als KI-Meisterin wirst doch hier gebraucht.“
Der Fuchs sah Kei aus großen Augen an. „Oh“, machte sie und sprang aus der Armbeuge herab. Bevor sie den Boden berührt hatte, war sie schon wieder ein Mensch. Doch diesmal trug sie rote, weite Hosen und ein weißes Oberteil, wie es die Mikos zu tragen pflegten, japanische Priesterinnen. „Aber dann lass mich dir wenigstens einen Glücksbringer mit auf den Weg geben.“
Sie sah Kei aus großen, traurigen Augen an und ich konnte beinahe hören, wie sein innerer Widerstand zerbrach wie ein Bleikristallglas, das mit dem Massezuwachs leben musste, wenn es auch dem achten Stock eines Hochhauses dem Asphalt der Straße entgegen raste.
„Na, meinetwegen.“
Übergangslos gab ihm die Fuchsdämonin einen Kuss auf die rechte Wange. „Komm gesund wieder, ja?“
Ebenso übergangslos wurde Kei rot. „I-ich will es versuchen“, stammelte er.
„Kommodore Takahara“, erklang eine frostige Stimme vom Eingang her. Ban Shee Ryon stand dort und hielt Keis Dienstmütze bereit. „Es wird Zeit.“
„Ich komme!“ Verlegen lief Kei los, besann sich eines Besseren und winkte noch mal in die Runde, bevor er verschwand. „Wir sehen uns auf der anderen Seite!“, rief er und folgte dann seiner Stellvertreterin.
Kitsune trat zu meiner Fünfergruppe und gliederte sich ein. „Kei-chan ist sooo süß, wenn er verlegen ist“, hauchte sie ergriffen. „Ich möchte ihn einfach nur knuddeln und knuddeln und…“
„Mit in dein Bett nehmen“, brummte ich. „Falls Dämonen überhaupt ein Bett haben.“
„Das auch“, erwiderte die Dämonin. Damit war meine offene Provokation nach hinten losgegangen. Anstatt sie zu beschämen stand ich nun da und wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Leg dich doch nicht mit Kitsune-chan an, Akira“, tadelte Megumi mich und gab mir einen Kuss. „Auf dem Gebiet hat sie eindeutig mehr Erfahrung als du.“
„Sieht so aus“, erwiderte ich und drückte Megumi kurz an mich. „Pass auf dich auf, ja? Und falls wir drüben wirklich in Ärger geraten, dann halte dich bedeckt, bis ich in Prime Lightning nachkomme.“
„Was? Traust du Lady Death denn überhaupt nichts mehr zu?“, tadelte sie mich. „Aber gut, ich verspreche vorsichtig zu sein, wenn du es auch bist, ja? Dieses Aufladen der Projektoren mittels KI-Energie kommt mir doch merkwürdig vor. Lass dich nicht von einer Rückkopplung töten, ja? Dich noch mal zu verlieren wäre…“
Lächelnd gab ich ihr einen Kuss. „Hey, Unkraut vergeht nicht.“
„Versprich es mir, Akira.“
„Versprochen.“ Ich legte meine Stirn auf ihre und genoss dieses Gefühl für ein paar Sekunden. Sobald wir drüben waren, würde ich etwas wirklich Verrücktes tun. In fünf Tagen würde ich zwanzig werden und dann war die richtige Gelegenheit, um ihr einen Antrag zu machen. De Gedanke erschrak und begeisterte mich gleichermaßen. Aber sie war zweifellos die Richtige für mich, in jeder Beziehung.
„Nun mach das du los kommst, ja?“, hauchte ich.
„Okay“, erwiderte sie sanft und löste sich aus meiner Umarmung.
„Mich bitte auch verabschieden, aber ohne kitschiges Rumgeknutsche.“
Die amüsierte Stimme gehörte Yohko. Ich ergriff sie und drückte meiner Schwester einen Kuss auf die Wange. „Das hättest du wohl gerne, was? Nichts da.“
Gegen ihren Willen musste sie lächeln.
Doch ich schob sie zu Yoshi weiter. „Den Rest der Küsse hol dir doch bitte bei dem da.“
„Manieren hat der Typ“, beschwerte sie sich und feixte mir zu.
Yoshi nahm die Freundin in die Arme. „Was für Megumi gilt, gilt für dich ganz besonders. Ich will dich nicht noch mal verlieren, hörst du?“
Übergangslos standen Yohko Tränen in den Augen. „Yoshi.“
Ein langer, intensiver Kuss besiegelte ihr Versprechen, auf sich acht zu geben.
„Hach“, seufzte Kitsune neben mir, „junge Liebe.“
„Ich gehe dann auch.“ Makoto trat neben uns und sah in die Runde. „Doitsu und Daisuke sind bereit, hier sieht es auch gut aus. Ich steige in deinen Eagle, wenn du nichts dagegen hast, Yoshi, und passe auf die Mädchen auf.“
„Ich könnte mir keinen besseren wünschen, kleiner Bruder.“
Makoto Ino schluckte hart und versuchte seine Rührung zurück zu halten.
„Nun geh schon, bevor jemand versucht, das alles mitzuschreiben und eine neue Romanserie über uns schreiben will“, meinte ich amüsiert und gab meinem Cousin einen freundlichen Klaps auf die Schulter.
„Als wenn wir das verhindern könnten“, erwiderte der und setzte sich nach einem letzten Gruß ebenfalls in Bewegung.
Dann waren nur noch wir KI-Spezialisten, die Slayer und die Wissenschaftler und Techniker des Experiments in der großen Halle.
Alarmsirenen heulten auf und machten uns klar, dass die Zeit eng wurde.
„Überlichtschnelle Neutrino-Emissionen!“, rief eine Lautsprecherstimme. „Einschlag der ersten Welle ionisierter Planetenmasse in fünfhundert Sekunden!“
„Fangen wir an!“, gab Sakura den Befehl. „Und hoffen wir, dass die Schirme halten.“
Epilog: Für einen außen stehenden Beobachter, hätte es ihn denn im energetischen Chaos des Andea Twin-Systems gegeben, hätte sich die Situation wie folgt dargestellt: Der fünfzehn Kilometer lange Fels, aus dem die AURORA bestand, hüllte sich in seine stärksten Schutzschilde, während in Bugrichtung die Projektoren darum kämpften, ein Wurmloch nach Apinat zu öffnen, dem nächsten Etappenziel der Reise, während zugleich eine riesige Druckwelle heran raste, die alles auf ihrem Weg zermalmte.
Stotternd begannen die Projektoren schließlich zu arbeiten und das Portal zu öffnen, welches aber sofort wieder zusammen brach. Die Welle kam derweil sehr viel näher.
Der zweite Versuch war erfolgreicher, vor allem da die Projektoren nun vor Energie zu strotzen begannen. Die Raumzeitstruktur beugte sich dieser Gewalt, krümmte sich und erschuf den Durchgang.
Übergangslos glitt das Riesenraumschiff hinein, doch gerettet war es damit noch lange nicht, denn ein Teil der Druckwelle folgte dem Schiff in den Kanal, während der überwiegende Teil seine zerstörerische Wirkung im Sonnensystem Andea Twin entfaltete.
Dieser Teil der Druckwelle erreichte das Heck der AURORA und geriet dort in Kontakt mit dem Schutzfeld.
Mächtige, kilometerweite Entladungen spannten sich über den Schild, aber er hielt.
In der Projektorkammer aber sanken die KI-Spender erschöpft und zerschlagen zu Boden. Lediglich die beiden Dämonenkönige und Futabe-sensei waren stark genug, um zwar ebenfalls ausgelaugt, aber längst nicht so erschöpft zu sein.
Selbst Akira Otomo war in die Knie gebrochen und japste nach Atem wie nach einem Dauerlauf.
Die Druckwelle spülte nun die AURORA im engen Kanal regelrecht vor sich her. Der Vergleich mit einem Sektkorken stimmte nur noch begrenzt. Nun war es eher so, als würde ein Korken durch eine enge Leitung geschossen und ritt dabei auf einem unter hohem Druck stehenden Wasserpegel.
Noch immer hielten die Schirme stand, aber es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann sie zusammenbrachen. Tage, ja Wochen, die eine solche Passage normalerweise dauerte, hätte die AURORA niemals ausgehalten.
Doch da erreichte das riesige Schiff das Ende des Kanals, und mit ihr die Druckwelle. Dort fächerte sie jedoch aus und nahm die schwere Last von den Schirmen. Die ganze Passage hatte nur wenige Stunden gedauert und ihre Ankunft war wie ein riesiges energetisches Fanal gewesen.
Mitten hinein in die Hölle.
In relativer Nähe kreuzten zwei Zerstörer und ein Schlachtkreuzer naguadscher Bauweise, die ohne zu zögern das Feuer eröffneten.
Die Menschen an Bord reagierten entsprechend, ließen die Flotte und die Mechas starten.
Von den Naguad starteten Banges, doch es war bereits hier abzusehen, dass die Naguad nicht würden stand halten können, während die ersten Mechas und Banges bereits in den Nahkampf gingen.
Ein rotlackierter Hawk machte dabei am meisten von sich reden. Das lange Training gegen das Red Team, also Hekatoncheiren, die auf Banges gegen ihre Kameraden simulierte Gefechte durchgeführt hatten, machte sich nun bezahlt und bewies, warum die Pilotin ehrfurchtsvoll Lady Death genannt wurde.
Bis sie direkt vor die schweren Schiffsgeschütze des Kreuzers geriet.
Eine einzige Salve genügte, eigentlich auf die AURORA gezielt, um den roten Mecha in einer Explosion vergehen zu lassen…
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode elf
Prolog:
Die Ungewissheit drohte Eikichi Otomo aufzufressen. Die letzte Meldung der Einsatzflotte rund um die AURORA hatte gelautet, man wolle eine Abkürzung durch das für Naguad verbotene Andea Twin-System nehmen, überlichtschneller Kontakt sei dann einige Zeit wahrscheinlich unmöglich. Eine Tatsache, die vor allem in der Bevölkerung große Unruhe ausgelöst hatte.
Fünfzehn Tage mussten sie noch warten, dann sollte die AURORA Andea Twin passiert, und das nächste System erreicht haben. Wenn alles gut ging. Falls sich das Riesenschiff dann nicht außerhalb der Reichweite der Alpha Centaury-Boje befand, sollte normaler Funkkontakt mittels Mikrowurmlöcher wieder möglich sein.
Fünfzehn Tage in der Hölle für Eikichi. Denn so sehr er auch Sakura und seinem Sohn vertraute, es konnte immer etwas schief gehen. Und er hätte lieber heute anstatt nächste Woche einen Statusbericht.
„Commander, wir haben Kontakt mit der AURORA!“, meldete die Zentrale aufgeregt.
„Jetzt schon?“, gab er automatisch von sich, und es klang mürrisch. Mürrisch genug, um seine eigene Aufregung zu verstecken. „Ich komme in die Zentrale.“
Etwas zu schnell machte sich Eikichi auf den kurzen Weg hinüber. Als er ankam, ließ er sich auf den ihm zustehenden Sitz fallen. Vor ihm auf einem Hilfsmonitor und auf sämtlichen verfügbaren Großbildschirmen prangte unverkennbar das hübsche, aber übermüdete Gesicht von Admiral Sakura Ino. Se lächelte gezwungen und das Bild flackerte ab und zu.
„Du bist zu früh“, stellte Eikichi anstelle einer Begrüßung fest.
Sakura nickte heftig. „Ich weiß, und das hat auch seinen Grund.“
In kurzen, prägnanten Sätzen berichtete sie über die Vorkommnisse in dem unbekannten Sonnensystem. Trotzdem hatte der Executive Commander das Gefühl, beinahe beim Geschehen dabei gewesen zu sein.
Als das Thema auf die Vernichtung Lagranges und die Druckwelle kam, wagte es niemand mehr zu atmen.
Als Sakura dann die Flucht durch einen mit KI erzwungenen Wurmloch und den Ritt auf der Druckwelle mit einem Champagnerkorken verglich, wagte sich hier und da ein Lächeln auf die Gesichter.
„Der Transfer verursachte wenige Schäden, nur Leichtverletzte“, schloss sie diesen Teil ihres Berichtes.
„Gut. Wo seid Ihr raus gekommen?
„Direkt im Kanto-System.“
Eikichi Otomo musste an sich halten, um nicht laut zu pfeifen oder breit zu grinsen. Oder beides. Da hatte es die kleine Flotte, als sie wie ein Korken aus der Champagnerflasche geschossen war, direkt bis in das Zielsystem geschafft. Sie war im Heimatsystem der Anelph.
„Das ist leider noch nicht alles. Wir kamen aufgrund der Umstände nicht direkt am Gasriesen Letus heraus, wie es die Planung vorgesehen hatte. Stattdessen erreichten wir den Systemrand auf Höhe der Eiswelt Licavre und befinden uns nun auf dem Weg ins Systeminnere. Aber wir haben mehr als genug Zeit eingespart und erreichen unser Operationsgebiet um Letus weit vor dem Zeitplan.“
„Das erhöht aber die Gefahr, frühzeitig entdeckt zu werden“, warf Eikichi ernst ein.
„Darum brauchen wir uns keine Gedanken mehr zu machen“, erwiderte Sakura und ihr müdes Gesicht wurde um die Nuance Verzweiflung bereichert. „Wir sind gleich nach dem Sprung einer Patrouille, bestehend aus zwei Fregatten der KOMARR-Klasse und einem Zerstörer der IAGED-Klasse in die Arme geflogen. Wir konnten die KOMARR aufbringen, aber der IAGED ist tiefer ins System entkommen. Wir haben ihn mit Hawks und Eagles verfolgt, aber da wir für den Sprung mehrere Booster demontieren mussten, war die Streitmacht zu klein.
Wir verlassen das Gebiet gerade mit Höchstfahrt und versuchen in den nächsten Tagen im Gewirr von Letus unterzutauchen.“
„Das sind keine guten Nachrichten, aber früher oder später mussten wir damit rechnen. Gab es Verluste?“
Sakura Ino erschrak, so offensichtlich, dass es Eikichi die Nackenhaare aufstellte. Plötzlich bekam er Angst vor ihrer Antwort.
„Wir haben drei Mecha-Piloten verloren“, gab sie bekannt. „Weitere siebzehn wurden verletzt, elf sind aber bald wieder einsatzfähig, Unter den Toten befindet sich auch…“
Atemlose Stille erfüllte die Zentrale. Niemand wagte zu atmen. Sicher, jeder der drei Verluste war ein schwerer Schlag für die Einsatzflotte. Aber wer würde es sein, den Admiral Ino wert genug befand um namentlich erwähnt zu werden?
„…Colonel Megumi Ino.“
Übergangslos brach das pure Chaos aus. Menschen riefen durcheinander, einige weinten einfach so, die meisten hatten die Köpfe gesenkt.
Eikichi fühlte sich, als hätte ihm jemand das Herz zusammengequetscht. „Ist das sicher?“
„Wir konnten ihre Leiche nicht bergen, nur Teile der Trümmer von Lady Death. Der weitaus größere Teil der Trümmer ist an Bord des IAGED-Zerstörers. Wir können aber mit Gewissheit sagen, dass das Cockpit definitiv zerstört wurde. Außerdem…“, Sakura schluckte hart vor ihren nächsten Worten, „außerdem meldete das Computersystem zeitgleich mit der Vernichtung des Mechas ein Ende sämtlicher Lebensfunktionen von Colonel Ino.“
Eikichi Otomo sackte in sich zusammen. Megumi. Ausgerechnet die kleine Megumi. All die Jahre hatte sie ihr Bestes für die Menschheit gegeben und nun war sie sogar für sie gestorben. Eikichi spürte, wie ihm Tränen die Wangen herunter rannen.
Er wischte sie mit einer beiläufigen Geste beiseite und sagte: „Sie haben dennoch gute Arbeit geleistet. Der Verlust von Colonel Ino ist ein schwerer Schlag und trifft uns alle, die Erde, die UEMF und die Einsatzgruppe Troja. Aber Megumi hätte nicht gewollt, dass wir uns lähmen lassen und unseren Auftrag vergessen. Bringen Sie es sauber zu Ende, Admiral.“
Sakura nickte ernst und gefasst.
Eine Frage hatte Eikichi noch auf der Zunge, aber er wagte es nicht, sie zu stellen. Die Frage nach Akira und den anderen, wie sie Megumis Tod aufnahmen.
Stattdessen ließ er zu, dass die Verbindung unterbrochen wurde.
„Was bist du nur für ein alter Feigling“, warf er sich leise vor.
1.
Ich saß alleine im Dunkeln meines Zimmers. Wie lange schon? Ich hatte nicht auf die Uhr gesehen. War es Nacht draußen? Oder Tag? Ich wusste es nicht, es war mir auch egal. Im Moment erschien mir alles, wirklich alles so belanglos, so bedeutungslos.
Ein kleiner Teil meines Verstandes sagte mir, dass ich nicht ewig hier bleiben konnte. Aber ich ignorierte ihn. Denn dies war meine Zeit. Meine Zeit mit ihr.
Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte das lackierte Metall vor mir, fuhr die Linien nach, strich über die nachmodellierten Augen. Ich hatte alles, wirklich alles in die Waagschale werfen müssen, um den Sensorkopf von Lady Death zu bekommen. Selbst meinen guten Ruf hatte ich riskiert. Nun war er alles, was mir von Megumi geblieben war.
Ich hatte versucht zu weinen. Aber es kamen keine Tränen. Ich hatte fluchen wollen. Aber meine Kehle war trocken.
Eine Zeitlang hatte ich mir die Aufzeichnungen des Gefechts angesehen, wieder und wieder, in der Hoffnung, eine Chance zu entdecken, wie sie überlebt haben könnte.
Aber jedes Mal wurde diese Hoffnung vom Explosionsblitz ausgelöscht.
Der Sensorkopf war stark lädiert, hatte scharfe Kanten und Splitter. An einigen hatte ich mich bereits verletzt, aber ich beachtete die Wunden nicht weiter.
Stattdessen war es für mich fast so, als würde ich Megumi selbst liebkosen, während ich über das Metall strich.
Sie und dieser Mecha waren so lange eine Einheit gewesen, ein unschlagbares Team, er war schon lange ein Teil von ihr. Und selbst jetzt spürte ich einen Hauch ihrer Präsenz. Ein Hauch, den ich mir so lange wie möglich bewahren wollte.
„So-sollen wir nicht die Tür eintreten?“, hörte ich Keis Stimme leise vom Flur her. „Es sind nun schon fast drei Tage.“
„Er kann doch nicht die ganze Zeit in seinem Zimmer bleiben“, erwiderte Yohko ängstlich. „Er muß doch was essen!“
Drei Tage? Doch schon so lange? Ich konnte mich nicht erinnern, in dieser Zeit irgendetwas zu mir genommen zu haben. Und davor hatte ich mich beim Sprung verausgabt, noch fünf Stunden in Prime Lightning verbracht und anschließend eine Stunde mit dem Bergungsteam gestritten. Gut, ein oder zweimal war ich kurz auf Toilette gewesen. Selbst in der größten Agonie gab es noch den einen oder anderen Automatismus, an den ich mich hielt.
Aber ansonsten… Hatte ich mich hier eingekapselt und suhlte in meiner Trauer.
Entschlossen erhob ich mich. Und musste mich gleich wieder setzen weil mein Kreislauf mir mitteilte, dass ich nicht ganz so fit war wie ich es mir gedacht hatte.
Den zweiten Versuch ließ ich langsamer angehen. Vorsichtig richtete ich mich auf und machte einen kurzen Schritt. Danach einen zweiten. Mein Herz pumpte, als würde ich einen Marathon laufen. Doch mit dem dritten ging es schon besser, und mit dem zehnten Schritt war ich an der Tür.
Ich öffnete und sah auf den Flur hinaus. Ein gutes Dutzend Gesichter fuhr zu mir herum. Akari. Yohko. Kei. Doitsu. Hina. Makoto. Joan. Yoshi. Daisuke. Sarah. Sakura. Kenji. Ami. Emi.
„Wie spät ist es?“, fragte ich ernst.
„E-es ist gerade neun Uhr Morgens, O-Nii-chan“, sagte Akari. Ihre Stimme zitterte.
„Dann gibt es ja sicher gleich Frühstück, oder?“ Ich versuchte zu lächeln, aber es misslang kläglich. „Hat schon jemand Kaffee gemacht?“
Ich bekam keine Antwort. Was hatte ich auch erwartet?
Ich streckte mich und gähnte herzhaft. „Ich brauche eine Dusche. Dann werde ich frühstücken, eine frische Uniform anziehen und mal sehen, wie sehr Ihr meine Hekatoncheiren habt verlottern lassen.“
„O-Nii-chan“, murmelte Yohko leise. In ihren Augen standen Tränen.
Ich tätschelte meiner Schwester, die ich so lange für verloren gehalten hatte, den weißen Haarschopf. „Ich bin in Ordnung, Yohko-chan. Ich meine, so weit es eben geht.“
„Akira, wenn du reden willst…“, bot Yoshi an und ich nickte dankbar.
„Mir geht es gut.“ Langsam wandte ich mich um und ging in Richung Bad.
„Akira!“
Ich warf einen Blick zurück und fixierte Kei. „Keine Sorge. Ich habe Megumi ein Versprechen gegeben. Und das werde ich halten.“
Ja, ich hatte ihr etwas versprochen. Damals, bei dem Sommerfest auf dem Dach des Hauses, als wir den Sonnenuntergang genossen hatten.
Mir erschien es nun wie eine Vorahnung von ihr und in Gedanken warf ich mir zum vierhundertsten Mal vor, nicht genug für sie getan zu haben. Oder war es schon fünfhundert Mal?
Sie hatte mir versprochen, die AURORA sicher nach Hause zu bringen, falls ich sterben sollte. Und mir hatte sie das gleiche Versprechen abgerungen.
Als die Tür des Badezimmers hinter mir ins Schloss fiel, keuchte ich auf. Die Emotionen waren wieder da, die ich im Griff zu haben geglaubt hatte. Wieder wünschte ich mir, an ihrer Stelle gewesen zu sein. Selbst gestorben zu sein, damit sie lebte.
Erneut wollte ich weinen, aber es kamen keine Tränen. Es war, als wären meine Augen leer. Leer wie mein Leben ohne Megumi.
2.
Der IAGED-Zerstörer, der mit der AURORA und ihrer Flotte aneinander geraten war, konnte nicht aus purem Glück entkommen. Diese Einheit war bei weitem nicht eine von vielen.
Vielmehr unterstanden Schiff und Besatzung einer speziellen Abteilung des Militärs, die Grenzwacht genannt wurde. Man hatte dieses Schiff, die AGRINA, und drei Schwesterschiffe nach der Flucht der drei gestohlenen BAKESCH ins System befohlen, um die Systemabwehr zu verstärken. Mit einigen der besten Banges-Piloten des Imperiums. Und einer Sondereinheit, die mit geheimnisvollen, mächtigen Kompetenzen ausgestattet war, ohne wirklich dem Militär anzugehören. Sie stand noch über dem Militär.
Der Kapitän selbst gehörte dieser Organisation an, und er wusste vier seiner Kameraden an Bord. Zu fünft analysierten sie den Kampf mit den plötzlich aufgetauchten Angreifern.
Das schlechte Abschneiden und die sehr knappe Flucht zerrten dabei an seinem Stolz.
„Kommen wir zum letzten Fundstück“, schloss Noran, der jüngste in der Runde. Vor ihm erwachte ein Holgramm und zeigte ihre Beute.
„Aus dem geborgenen Feindwrack“, sagte er und betonte jede einzelne Silbe.
„Können wir es verwenden?“, zweifelte Kapitän Jorr.
Noran grinste breit. „Mit den Mitteln der Organisation absolut kein Problem.“
Der Kapitän ließ das Holo rotieren, betrachtete die Beute von allen Seiten. Schließlich nickte er. „Also gut. Schütteln wir den Baum und sehen zu, welche Früchte herabfallen. Sie haben grünes Licht, Noran.“
**
„Guten Morgen, Herrschaften!“ Als ich den Besprechungsraum der Hekatoncheiren-Division betrat, veränderte sich die Atmosphäre schlagartig. Die leisen Gespräche verstummten. Alle starrten mich an.
Versammelt waren alle Offiziere bis hinab zum Sektionsführer, es galt den längst überfälligen Aufbau der Einsatzplanung voran zu treiben.
Ich sah kurz in die Runde. Kaum einer erwiderte meinen Blick.
„Bevor wir beginnen“, sagte ich ernst und versuchte den Kloß in meinem Hals daran zu hindern mir die Sprache zu nehmen, „bitte ich Sie alle um einen persönlichen Gefallen. Drei der Hekatoncheiren sind in der letzten Schlacht gefallen. Corporal Winston Smith, Gyes. Second Lieutenant Jaqueline Renard, Briareos. Und Colonel Megumi Uno, Briareos. Ich weiß nicht ob Sie bereits eine Trauerfeier veranstaltet haben, aber ich bitte Sie alle um eine Schweigeminute.“
Verwirrte Blicke trafen mich und meine Kehle schnürte sich noch ein wenig mehr zu. Ich trat an den Planungstisch heran, faltete die Hände ineinander und senkte den Kopf. Stumm folgten die Offiziere meinem Beispiel.
Ich schloss die Augen. Nicht weil es die Tradition der Schweigeminute verlangte, sondern um die Tränen zurück zu halten. Ausgerechnet jetzt, nach drei Tagen in Agonie wollten sie fließen. Aber irgendwie schaffte ich es, sie zurück zu halten.
Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich auf. „Ich bin etwas raus, Herrschaften. Geben Sie mir einen Bericht über den Zustand der Division und die derzeit anstehenden Einsätze.“
Makoto nickte leicht, bevor er sein Referat begann. „Mit Wirkung von Vorgestern hat Major Futabe die Briareos übernommen. Sie müssen das noch bestätigen, Division Commander.
Des Weiteren fliegen die Long Range Area Explorer weite Aufklärung und observieren bereits unser Ziel.
Wir erreichen Letus in anderthalb Tagen; wir erwarten keinen Hinterhalt bei Letus, das Operationsgebiet ist sauber.
In der Flotte wird das beste Vorgehen diskutiert, man spricht darüber, eine bewaffnete Erkundung zu starten, mit der KAZE, der YAMATO, der LOS ANGELES und der GRAF SPEE. Jetzt wo das Imperium von unserer Anwesenheit weiß, sollten wir zwar unsere wahre Stärke nicht zu offen legen, aber wir können mit höherem Einsatz agieren.“
„Ich werde mit Admiral Ino darüber reden“, sagte ich ernst. „Mir erscheint eine vorsichtige Erkundung mit LRAOs und Korvetten sinnvoller. Haben wir bereits Daten über das Systeminnere? Haben wir Funkkontakt mit der Heimatwelt der Anelph?“
„Wir empfangen die lokalen Medien. Das System ist in heller Aufruhr. Unsere Ankunft wurde öffentlich gemacht und die inneren Welten erwarten einen Überfall. Die imperiale Flotte ebenso wie die Heimatflotte haben mobil gemacht.
Uns erwartet nach Schätzungen des Hauptquartiers Poseidon in etwa die Kampfkraft von fünf BAKESCH.“
Unwillkürlich atmete ich erleichtert aus. „Das ist viel weniger als wir erwartet haben. Sind reale BAKESCH im System?“
Makoto zögerte. „Einer. Aber im Gegenzug wurde die Zahl der Banges massiv erhöht. Wir haben es mit gut fünftausend Mechas in Systembauweise zu tun, verteilt über die Flottenhäfen und die inneren Welten und Monde. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass sie sehr effektiv sein werden, solange sie nahe ihrer Heimatbasen operieren können.“
Mir stockte der Atem. „Fünf… Fünftausend?“
„Plus minus ein paar Dutzend. Es scheint so als würde das Kanto-System mittlerweile als befriedet angesehen, weshalb man die wertvollen Schiffe verlegt hat und die leichter zu unterhaltenden Banges heranzog.“
„Das wird dann unser primäres Problem sein. Wie weit ist das Training mit dem Red Team?“
Daisuke Honda nickte in meine Richtung. „Die Übungen laufen mit Hochdruck. Wie effektiv wir sind hat sich gezeigt, als wir überraschend auf die drei gegnerischen Schiffe stießen. Die achtzig Banges, die uns erwartet haben, hatten keine wirkliche Chance, wir haben zwei Drittel vernichtet. Keine der Spezialwaffen konnte unsere Mechas stoppen. Tatsächlich hatten wir unsere Verluste hauptsächlich durch Schiffsfeuer.“
Für einen Moment schien es mir, als würde der Boden unter meinen Füßen fortgezogen werden. Mühsam krampfte ich meine Hände in den Tisch. „Gut. Wir setzen das Training fort, bis jeder Hekatoncheire gute Ergebnisse im Kampf gegen die Banges erzielt. Danach soll das Red Team die Mecha-Mannschaften unserer Begleitmannschaften trainieren. Stellen Sie einen entsprechenden Trainingsplan auf, Colonel Ino.“
„Ja, Sir.“
„Die übliche Routine überlasse ich Ihnen, Herrschaften. Patrouillen und Erkundungen im üblichen Sinne, aber unter erhöhter Alarmstufe. Wir müssen jederzeit mit einem Angriff oder einer unliebsamen Überraschung rechnen.
Ich werde mit Colonel Honda zur Besprechung in Poseidon gehen. Honda, Sie sind ab sofort mein XO für die Division.“
Daisuke versteifte sich. „Jawohl, Sir.“
Ich nickte in die Runde, klopfte kurz auf den Tisch. „Tun Sie Ihr Bestes. Daisuke, komm.“
„Sir“, hielt mich eine zornige Stimme zurück. Ich wandte mich um. „Second Lieutenant Fredricsson? Sie haben eine Frage?“
„Ja, die habe ich, Sir. Ist es wirklich damit getan? Sie halten eine Gedenkminute für Colonel Uno und die anderen ab und wir gehen wieder zur Tagesordnung über?“
„Ja“, sagte ich schlicht.
„Wie können Sie nur so sein? Ich dachte, Megumi war Ihre Freundin?“
„Lene, bitte, das ist kein Thema für hier und heute“, sagte Captain Kurosz und legte eine Hand auf die Schulter der Norwegerin.
„Lass mich los! Ich will es wissen! Wieso gehen Sie so darüber hinweg? Wieso fällt es Ihnen so leicht?“
Ich spürte, wie meine Hände zu zittern begannen. Die kaum zugewachsenen Wunden wurden wieder aufgerissen, der Schmerz über Megumis Tod überfiel mich, ließ mich fast taumeln. Wusste diese Frau, was sie mir gerade antat?
„Genug!“, hörte ich eine laute Stimme rufen, nein, brüllen. Für einen Moment dachte ich, ich selbst hätte gerufen. Oder Mako wäre für mich in die Bresche gesprungen.
Das es Jordan Daynes war, überraschte mich. Der Amerikaner kam auf seine Kollegin zugeeilt und starrte sie mit wütenden Augen nieder.
„Halt endlich die Klappe, Lene! Uns geht es allen beschissen, weil es Megumi erwischt hat. Und Commander Otomo geht es noch viel schlimmer als uns. Trotzdem versucht er seinen Job zu machen und uns heile durch die nächsten Wochen zu bringen. Und was machst du? Himmel, er ist Akira Otomo! DER Otomo. Der Mann, der zweimal den Mars angegriffen hat! Was willst du also von ihm? Trauert er dir zu wenig? Oder zu viel? Solltest du nicht eher froh sein, dass seinen Dienst wieder aufgenommen hat? Glaubst du nicht, dass wir den besten Mecha-Piloten der UEMF noch brauchen werden? Und ich meine einsatzfähig? Wie kannst du es dann wagen und mit so kleinlichen Vorwürfen kommen?“
„I-ich…“, stammelte die Frau. „Ich meine ja nur, weil…“
„Weil was? Er hat Megumi geliebt. Das weiß ich nur zu genau. Und ich weiß, dass er sich seitdem nichts leicht gemacht hat, gar nichts. Ich für meinen Teil bin froh, dass er wieder hier bei uns ist.“
Betreten senkte die junge Frau den Kopf. Weniger weil sie ihren Fehler einsah, mehr wegen Jordans akkurater Schelte.
„Lassen Sie es gut sein, Lieutenant“, mahnte ich den Amerikaner. „Wir können niemandem befehlen, was er zu denken hat.“
Er sah zu mir herüber. „Sir, aber ich denke schon, dass man nicht den Respekt vor Blue Lightning verlieren sollte. So wie ich ihn fast verloren hätte. Das war mein größter Fehler.“
Unwillkürlich musste ich lächeln. Was für naive, wohltuende Worte. „Sie kamen gut mit Megumi aus, nicht?“
Daynes zögerte, nickte dann aber.
„Ich habe das nicht gerne gesehen, Lieutenant“, gab ich zu. „ Immerhin ist… War Megumi meine Freundin, und ich wollte sie nie teilen.“
„Sir, was Megumi angeht…“, sagte Daynes und wechselte einen schnellen Blick mit Kurosz.
„Nein, ist schon gut. Im Moment bin ich dankbar für Ihre Worte, Jordan. Und dankbar, dass Sie Megumi ein Freund waren.“
„Sir, ich meine… Danke, Sir. Es bedeutet mir viel, das von Ihnen zu hören.“
Ich nickte dazu, wandte mich um. Und brauchte geschlagene zehn Sekunden um meine verkrampften Hände auszustrecken. „Daisuke.“
„Bin direkt hinter dir, Akira.“
Gemeinsam verließen wir den Besprechungsraum.
**
„Akira-san.“ Hina sah mich aus großen, traurigen Augen an. „Akira-san, ich weiß nicht… Ich meine, du… Wenn du irgendetwas brauchst…“
„Schon gut, Hina. Mir geht es besser“, sagte ich mit einem gefälschten Lächeln. Ich legte der Slayerin eine Hand auf die Schulter. „Mir geht es besser.“
„Dennoch. Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, ja? Du kannst immer mit mir reden.“ Ihre Augen wurden ein klein wenig verzweifelt. „Versprich mir, dass du zuerst mit mir redest, bevor du was Dummes machen willst.“
Einen Moment stockte mir der Atem. Unwillkürlich fühlte ich mich gläsern vor dem blonden Mädchen, wie Wachs unter ihrem Blick. Die Hand, die auf ihrer Schulter ruhte, schien plötzlich brennen zu wollen, also zog ich sie weg.
Diese Geste machte sie wütend. „Also doch“, zischte sie. „Akira, ich kann… Ich werde nie wieder das für dich sein was ich eine Zeitlang sein wollte. Aber ich will von hier zu Fuß nach Terra gehen wenn ich zulasse, dass du Megumi Schande machst!“
Ich verstand sie, verstand sie viel zu gut. Und erkannte zugleich, was Doitsu für ein Glück mit dieser Frau hatte. Ein Glück, das mich sehr schmerzhaft an das erinnerte, was ich verloren hatte.
„Können wir dann anfangen?“, rief Sakura über den Lärm hinweg, der zwanzig Personen veranstalten konnten und enthob mich so einer Antwort. Ich nahm meinen Platz am Kartentisch ein, weit weg von Hina, die als Anführerin der Slayer gekommen war und unter den Spezialisten sitzen würde.
Ich war dankbar für diese Atempause. Aber Hina hatte ich wohl fortan auf den Hacken, sprich, ihre Sorge würde mich verfolgen.
„Wie Sie alle wissen, erreichen wir unser Operationsgebiet relativ unbeschattet. Am Rande unserer Ortungsreichweite haben wir zwei Korvetten der GANI-Klasse erfasst. Sie verfügen im Gegensatz zu unseren FOXTROTT nicht über eine Tarnung oder sie haben diese nicht aktiviert. Ein LRAO beschattet unsere Verfolger seinerseits. Wir werden uns ihrer annehmen, wenn es soweit ist.
Des Weiteren möchte ich einiges zur Mobilmachung im System sagen. Momentan gelten wir als Piraten, die für einen schnellen, harten Raubzug hierher ins Kanto-System gekommen sind. Die am besten ausgerüsteten Piraten aller Zeiten, was die Naguad in helle Aufregung versetzt hat. Die Frage die sich uns stellen muß ist, den Eindruck aufrecht zu erhalten, dass wir Piraten sind und den entsprechenden Vorteil nutzen oder unsere Kriegserklärung zu wiederholen, was die Naguad noch nicht darüber aufklären wird, was unsere wahren Ziele in diesem System sind. Aber es könnte sie auf die richtigen Schlüsse bringen und dazu führen, dass ihre Streitkräfte konzentriert gegen uns vorgehen werden. Vorschläge?“
„Ich bin dagegen, dass wir als Piraten auftreten“, meldete sich Kommodore Gonzales zu Wort. Die Kapitänin der PRINZ EUGEN sah ernst in die Runde. „Ich sehe wesentlich mehr Vorteile darin, mit offenen Karten zu spielen. Erstens behandeln wir bereits gefangene Naguads auf der AURORA mit tiefem Respekt. Nach dem Kampf gegen die Begleitflotte sind weitere zweihundertneunzehn hinzugekommen.
Und zweitens wird man auf Lorania, der Hauptwelt der Anelph auf unsere Anwesenheit reagieren können. Ich meine, Hey, die Naguad haben ihre kampfstärksten Schiffe abgezogen, weil dieses System als befriedet gilt. Was also wird Piraten erwarten, die hier scheinbar marodierend einfallen?
Und was hingegen wird einer Flotte passieren, die dem allmächtigen Naguad-Imperium den Krieg erklärt und hier ist, um den drei Jahre alten Evakuierungsplan auszuführen?
An eine Zusammenarbeit mit der Regierung brauchen wir nicht zu denken. Und heimlich von Letus aus zu agieren können wir nach dem Zusammenstoß mit den beiden KOMARR und der IAGED auch nicht mehr.
Treten wir offen auf als das, was wir sind.“
Zustimmendes Gemurmel erklang.
„Gut, das ist eine akzeptable Meinung. Faktisch haben wir den Naguad ja bereits den Krieg erklärt. Nun als Piraten zu agieren wäre rechtlich etwas spät.“ Sakura verzog die Miene säuerlich. „Bereits der Kampf gegen die Patrouille ohne offizielle Kriegserklärung ist… Nun, ein Stein in meinem Magen. Also ist es beschlossen, wir wiederholen offiziell die Kriegserklärung.“
Leiser Applaus erklang.
„Gut, klären wir unser weiteres Vorgehen. Commander Otomo.“
Ich erhob mich. „Admiral?“
„Commander, wie würden Sie nach der Kriegserklärung vorgehen?“
„Nun, das einfachste wäre es, Lorania zu nehmen. Haben wir die Kontrolle über den Planeten, können wir fluchtwilligen Anelph anbieten, an Bord der AURORA zu kommen.“
„Das wäre es in der Tat. Aber die AURORA kann nur ab Höhe der Letus-Bahn ein Wurmloch aufbauen, selbst wenn wir erneut KI einsetzen“, warf Ban Shee Ryon ein. „Wir würden entweder die Flotte teilen müssen, um die AURORA in ihrem Versteck zu sichern, oder das Gigantschiff in die unvorteilhafte Lage versetzen, erst mehrere Tage in das Systeminnere vorzudringen und danach ebenso lange zurück fliegen zu müssen.“
„Das ist eine schwere Entscheidung“, gab Admiral Richards zu.
„Aber es hätte zudem den Vorteil, dass wir unsere Kriegsgefangenen an die anelphschen Behörden übergeben können“, fügte ich hinzu. „Dies wäre nicht nur eine Entlastung unserer Ressourcen. Es wäre auch ein Beispiel für unseren zivilisatorischen Stand. Sprich, wir stehen gegenüber den Anelph automatisch viel besser da als die Naguad. Man müsste es natürlich entsprechend aufbauschen, auf Lorania verbreiten und so weiter.“
„Wir haben Möglichkeiten, das zu tun“, sagte Ban Shee ernst. „Auch ich sehe die Vorteile, wenn wir die Heimatwelt blockieren und somit jedem ausreisewilligen Anelph die Möglichkeit zur Flucht geben. Unsere Organisation, die bereits die erste Fluchtwelle zusammengestellt hat, war vor unserer Abreise überzeugt, gut vierzigtausend Ausreisewillige zu haben. Ich denke, das ist die Reise und das Risiko wert.“
Sakura nickte. „Bereits zwanzigtausend sind die Reise wert. Ihre Arbeitskraft, ihr Fachwissen wird für den Ausbau unserer Systemverteidigung und unsere Allianz enorm wichtig.
Also ist es abgemacht. Wir legen einen Stopp im Orbit um Letus ein und verbreiten die offizielle Kriegserklärung gegen die Naguad. Anschließend greifen wir Lorania an und erlangen Kontrolle über den Orbit dieser Welt. Gegenstimmen?“
„Es ist gewagt, aber ich mag die Idee“, sagte Kei Takahara grinsend. „Die SUNDER steht für jedes Wagnis bereit.“
„Die Hekatoncheiren sind ebenfalls bereit, es mit jedem Gegner aufzunehmen“, sagte ich ernst.
Weitere Kapitäne und Kommandeure meldeten sich zu Wort.
Der Letzte war Mamoru Hatake. „Ich werde sofort Miss Reilley Zwangsverpflichten. Wenn wir sie als unser Sprachrohr einsetzen, wird uns ihre Medienerfahrenheit einen Vorteil verschaffen.“
„Gute Idee.“ Daisuke Honda warf seiner Freundin Sarah, die stellvertretend für die Gruppe Escaped in dieser Konferenz saß, ein Schmunzeln zu. „Mit einem erfahrenen Team als Unterstützung können wir einiges von ihr erwarten.“
Sarah Anderson erwiderte das Schmunzeln. „Ich werde sie nicht hängen lassen.“
„Dann ist es beschlossen. Wir werden eine Breitbandübertragung vorbereiten, Admiral Ino. Als Stellvertreterin der Menschheit können Sie die Kriegserklärung, die bereits einmal erfolgte, erneut vorbringen.“ Tetsu Genda wirkte ernst, als er dies sagte. Viel zu ernst für einen Mann, der vor nicht einmal drei Jahren noch ein perspektiveloser Straßenrocker in Tokio gewesen war und heute das gewaltigste Raumfahrzeug im bekannten Raum kommandierte.
Sakuras Gesicht wirkte für einen Moment wie eingefallen. „Wir sollten es so schnell wie möglich tun“, sagte sie. „Bereits das Scharmützel… Ich weiß nicht, wie ich es definieren soll. Aber wenn die Naguad unsere Kriegserklärung nicht akzeptieren, werden sie uns daraus einen Strick drehen. Nach dem Motto erst schießen und dann fragen können sie uns um den ganzen Rückhalt bringen, den wir eventuell in der Bevölkerung haben wollen.“
„Hm“, sagte ich nachdenklich. „Wir haben uns in all der Zeit nicht über die Art des Rückhalts unterhalten. Ich weiß, dass Eikichi und Admiral Ryon Sinn und Nutzen dieser Aktion in langen Verhandlungen abgewogen haben. Ich weiß, dass mehr als ein solcher Flug geplant ist.
Aber ich habe ein echtes Problem damit, dass Anelph ihre Heimatwelt aufgeben, um ins Unbekannte aufzubrechen.“
„Wollen Sie etwa sagen, dass wir ohne einen einzigen meiner Landsleute zurück fliegen werden?“, fragte Ban Shee. Sie klang ausnahmsweise nicht arrogant, diesmal eher erschüttert.
„Die Möglichkeit besteht, oder?“, erwiderte ich weit bissiger als ich eigentlich wollte. „Immerhin kann das Netzwerk, welches Ihnen die Flucht ermöglicht hat und weitere ausreisewillige Anelph rekrutieren sollte, bei einer Säuberung aufgeflogen sein.“
Die Anwesenden raunten auf.
„Auch diese Möglichkeit wurde besprochen. Immerhin haben wir es mit dem Imperium der Naguad zu tun. Es expandiert seit zwei Jahrtausenden und ist noch lange nicht auf seinem Höhepunkt angekommen.“ Sakura nickte ernst. „Zudem verfügen die Naguad über mehrere verschiedene Dienste, um ihre Vormachtstellung zu stützen. Oder genauer gesagt, sie haben einen verdammt scharfen Geheimdienst. Das Netzwerk kann gefallen sein. Dann müssen wir uns erst Recht einen Weg ausdenken, der unsere Mission erfolgreich macht, denn ehrlich gesagt will ich nicht ohne vierzigtausend Anelph zurückkehren. Wir haben schon zu viele Opfer gebracht. Ich bin bereit, noch mehr zu ertragen, aber dann muß es einen Sinn haben.“
Ich schluckte hart. Ja, wir hatten bereits verloren, und jeder einzelne Tote war bereits einer zuviel. Und letztendlich waren die Naguad mit ihren verdammten imperialen Cores überhaupt erst Schuld daran, dass die Anelph unterworfen wurden, ein Core zum Mars gelangte, die Kronosier erschuf und uns einen langen und blutigen Krieg aufbürdete. Megumis Tod… Ich stockte in meinen Gedanken, versuchte mich zu fassen. Megumis Tod war damit auch Schuld der Naguad. Okay, ehrlich gesagt war das eine sehr subjektive Betrachtung, aber im Moment gefiel sie mir sehr.
„Wir schieben es auf den Core“, sagte ich schlicht. „Und dann machen wir eine Werbeveranstaltung für das Leben auf der neuen Kolonie des Mars.“
„Immerhin eine Idee. Mit Joan Reilley als Zugpferd könnten wir eine richtige Kampagne abhalten.“ Kei grinste schief. „Also, ich würde Joan überall hin folgen. Und da sie ja auch bei unseren eingewanderten Anelph die absolute Nummer eins ist, können wir hoffen, dass sie auch hier ein paar tausend Menschen begeistern kann.“
Der Gedanke gefiel mir. „Fangen wir doch damit an, sie populär zu machen“, schlug ich vor. „Wir wurden enttarnt, entdeckt und die Streitkräfte dieses Systems sind in heller Aufregung. Wie lange kann es dauern, bis aus der Geheimoperation eine Feldschlacht wird? Selbst mit überlichtschneller Kommunikation müssen die Naguad erst eine Flotte heran ziehen, versorgen und dann in Marsch setzen. Anschließend müssen sie uns finden. Ich denke, wir haben einen guten Monat als Operationsfenster im günstigsten Fall und zwei im ungünstigsten.“
„Dann sollten wir gleich Kampflinie fahren“, sagte Mamoru nachdenklich. „Erobern wir die Hauptwelt der Naguad. Oder kontrollieren wir zumindest den Orbit und erzwingen einen Waffenstillstand. Im Moment haben wir mehr Truppen und mehr Schiffe als sie im System und mit der AURORA das beeindruckendste Schiff in der Galaxis. Wenn wir im offiziellen Auftrag der Exilgemeinde der Anelph kommen, dann…“
„Müssen wir immer noch nachweisen, rechtmäßig zu handeln“, warf ich ein. „Unter ihren Gesetzen und unter unseren Gesetzen. Also müssen wir auch nachweisen, dass wir den Krieg schon erklärt hatten, lange bevor wir auf die Patrouille trafen.“
„Wie willst du das machen? Den Sender AURORA ROSE ins Leben rufen, Joan Reilley-Songs spielen und immer wieder betonen, dass wir den Krieg zwar begonnen haben, aber das alles seine Richtigkeit hatte?“
Ich zwinkerte Elora Gonzales zu. „Joan Reilley-Songs spielen ist eine gute Idee. Aber ich dachte nicht an einen Propaganda-Sender. Ich dachte eher an unsere Gefangenen. Wenn wir sie repatriieren, dann schicken wir den Anelph Zeugen, die wissen, dass der Krieg erklärt wurde, bevor der erste Schuss fiel. Die GESSED ist doch flugtauglich, oder? Wir verabschieden die Naguad der TAUMARA und der Patrouille mit dem Auftrag, zu den eigenen Linien zurück zu kehren, behalten die Banges und die anderen Schiffe jedoch als Prise. Wir begründen diesen Schritt damit, dass wir zwischen den Kampfparteien Vertrauen aufbauen wollen. Es wird unsere erste Entschuldigung für die Schlacht am Systemrand und unsere letzte.
Dann stellen wir entweder die Naguad-Flotten und drängen sie ab oder übernehmen den Orbit über Lorania ohne einen einzigen Schuss abzugeben und beginnen mit unserer Werbung. Leben auf dem Mars in einer jungen, intakten Kolonie voller innovativer Menschen, Kronosier und Anelph. Abseits des Imperiums mit dem Wunsch, niemals von ihm dominiert zu werden.“
Sakura legte den Kopf schräg. „Einverstanden. Ich ziehe Sie fürs Erste von den Hekatoncheiren ab, Commander. Stattdessen übernehmen Sie einen Stab unserer besten Leute, die nach Ihren Vorgaben einen Plan ausarbeitet, um unsere Ziele zu erreichen. Geben Sie Ihr Bestes.“
„E-einen Stab? Ich soll die Planung übernehmen? Aber Makoto ist doch viel besser dafür geeignet!“, rief ich erschrocken.
„Akira. Es ist deine Idee. Und deshalb wirst du dich auch darum kümmern. Daisuke. Du übernimmst ab sofort die Hekatoncheiren. Keine Bange, Akira, bevor du durch die Decke gehst, du darfst natürlich dein Regiment in die Schlacht führen, wenn es zum Kampf kommt. Wir können nicht auf unseren besten Piloten verzichten. Ist das ein Kompromiss?“
Zögernd nickte ich. „In Ordnung. Kann ich mir die Leute selbst aussuchen?“
„Brauchst du nicht. Die Escaped werden eine Auswahl zusammenstellen. Und Joan Reilleys Band wird dazu stoßen. Makoto hilft dir natürlich auch. Falls dir noch jemand einfällt, der dich unterstützen könnte, lass es mich wissen und ich denke drüber nach. Noch Fragen?“
„Ja, eine.“ Ernst sah ich meine Cousine an. „Schüttest du mich hier mit Arbeit zu, damit ich keine Zeit habe, über Megumi nachzudenken?“
Übergangslos begann sie zu strahlen. Nein, das war falsch beschrieben. Plötzlich schien ihr Haar aus purem Gold zu bestehen, ein besonders heller Scheinwerfer ihr Gesicht auszuleuchten und ihre Augen besonders blau und besonders tief zu sein. „Genau deshalb, Akira-chan.“
„Dachte ich es mir doch“, brummte ich ärgerlich, aber der Ärger in meiner Stimme kam nicht in meinem Verstand an. Ich musste ernsthaft kämpfen, um nicht zu lächeln.
„Akira-chan, ich helfe dir so gut es geht“, versprach Sarah.
„Und ich unterstütze Sie neben meiner Pflicht als XO der SUNDER natürlich auch. Außerdem stelle ich eine Liste mit Anelph-Beratern zusammen“, versprach Ban Shee Ryon.
„Dann bleibt uns nur noch eines zu tun“, meinte Daisuke ernst. „Wir müssen den Naguad die Nachricht bringen, dass sie nach Hause dürfen.“
„Das wird sie freuen. Das wird sie wirklich freuen.“ Aria Segeste trat vor mein geistiges Auge. Ich würde sie vermissen.
Bei dem Wort vermissen dachte ich wieder an Megumi. Ich dachte daran, wie wir Seite an Seite in Lady Death und Blue Lightning gekämpft hatten. Wie wir zusammen zur Schule gegangen waren. An beide Missionen zum Mars. Und wie wir uns den Rio de la Plata hoch gekämpft hatten, auf der Flucht vor der argentinischen Armee.
Ich konnte mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, sie nie wieder zu sehen. Sie nie wieder in den Armen halten zu dürfen. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt, ihre toten Lippen ein letztes Mal zu küssen.
Ein lautes Geräusch ließ mich aus meinen Gedanken hochfahren. Ich sah auf und registrierte die entsetzten Blicke der anderen Anwesenden. „Ist was?“
„Akira, deine Hand…“, sagte Mamoru leise.
„Was ist mit meiner… Oh.“ Meine Rechte hatte ein kleines Stück aus dem Tisch heraus gebrochen. Ich hielt ein Stück Spanplatte in der Hand. Ich musste, als die Trauer um Megumi mich ergriffen hatte, unwillkürlich KI kanalisiert haben, was dann dazu geführt hatte, dass ich den Konferenztisch unbrauchbar gemacht hatte. „Verdammt“, murmelte ich und warf das Fragment auf den Tisch. „Verdammt, verdammt, verdammt.“
Ich war noch lange nicht wieder der Alte. Und das würde ich auch nie wieder sein. Denn ab sofort war ich unvollständig, und dieser Gedanke schmerzte. Doch der Gedanke, dass ich eine Gefahr für meine Umgebung darstellte, wenn ich in Trauer versunken war, erschrak mich.
3.
„Akira-san!“
Als ich Hinas aufgeregte Stimme hörte, wandte ich mich um. Daisuke, der mit mir gerade zu Sarah aufschließen wollte, warf mir einen fragenden Blick zu. Ich winkte ab. „Geh ruhig, ich hole euch nachher ein. Konferenzraum vier in Poseidon, ja?“
Der Freund nickte, ging zu seiner Freundin und steif an ihr vorbei. Das irritierte mich einen Moment, denn ich wusste wie innig die Liebe der beiden war. Sarah, die im Reflex nach seiner Hand greifen wollte, hielt inne, warf einen nebensächlichen, schüchternen Blick grob in meine Richtung und ich verstand. Sie wollten vor meinen Augen keine Zärtlichkeiten austauschen, um mich nicht an meinen Verlust zu erinnern.
Zumindest hoffte ich das, denn eine Krise bei meinen Freunden wäre das Letzte gewesen, was ich hätte ertragen können.
„Hina-chan.“
Atemlos stand das blonde Mädchen vor mir. „Akira-san. Da ist noch etwas. Wegen der ganzen Zeit im Andea Twin-System und dann nach dem Kampf als wir hier ankamen hatte ich gar keine Zeit, um mit dir zu reden. Es geht um…“
„Um Yellow Slayer, nehme ich an. Und du hast eine Liste mit Vermutungen, wer es sein könnte, oder? Nun, auf meiner Liste ganz oben steht Makoto. Nein, das war ein Scherz.“
Hina sah mein Schmunzeln und runzelte die Stirn. „Quatsch. Ich wollte mit dir reden wegen Akari. Wer Yellow Slayer ist beschäftigt mich auch, aber sie wurde ohne Zweifel von Dai-Kuzo-sama erweckt, deshalb wird sie ein guter Mensch und keine Gefahr sein. Sie wird sich uns offenbaren, wenn sie meint, die Zeit sei reif.
Okay, ich habe da ein wenig Angst, dass sie stärker ist als ich. Oder das sie fähiger ist als ich und den Chefposten übernimmt. Eigentlich ist das weniger Angst als Hoffnung und… Ach, was rede ich denn da? Yellow Slayer ist doch gar nicht das Thema und… Du hast Makoto auf deiner Liste?“
„Langsam, langsam“, mahnte ich lachend. „Was willst du mir wegen Akari-chan sagen?“
Hina atmete tief ein und wieder aus. „Okay, Akari ist das Thema. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber sie wird immer betrübter. Ich will nicht sagen depressiv, aber ihre Stimmung sackt immer mehr ab. Und jetzt, nach Megumis Tod, da… Ich habe sie seither nicht mehr lächeln sehen. Sie hat Megumi wirklich sehr geliebt, wie wir alle und keiner von uns hat es wirklich gut ertragen, dass sie jetzt nicht mehr da sein soll.“
Sie sah mich aus großen Augen an, die sich langsam mit Tränen füllten. „Akira. Glaube nicht, dass du allein bist. Wir trauern alle um sie und wir sind eine Gemeinschaft, in der jeder für den anderen da ist, wenn die Zeit schwer ist.
Doch ich glaube wirklich, Akari hat es noch schwerer getroffen als dich. Und dann die Sache mit der Agentin neulich, das hat alles an ihrer Substanz genagt.“
„Agentin? Neulich?“
„Ja, eine Schläferin hat sie attackiert. Die Agentin offenbarte dabei KI-Fähigkeiten. Und ohne die Hilfe von Yellow Slayer hätte sie vielleicht nicht überlebt. Und das alles in der Summe hat sie wirklich mitgenommen.“
„Alles in allem willst du mir doch sagen, ich sollte mich jetzt mehr um Akari kümmern, weil sie mich braucht, was?“
Hina lächelte dünn. „Ja.“
Ich sah betreten zu Boden. „Ich versuche es. Ich versuche es wirklich. Ich will ja für alle anderen da sein. Ich will Megumi nicht vergessen aber ich will mich auch nicht von der Trauer befehlen lassen. Ich will weiterleben, ihren Wunsch erfüllen. Aber es ist so schwer, so verdammt schwer. Denken ist so schwierig geworden. Ich habe Angst vor meinen Träumen. Und ich habe Angst, noch mehr Freunde zu verlieren.
Ich habe sie geliebt, so sehr geliebt. Was, wenn ich noch jemanden verlieren muß? Yohko, dich oder Joan? Ich weiß nicht, ob ich stark genug dafür bin.“
Hina sah mir lange in die Augen. Dann legte sie eine Hand auf meine Wange. „Ich danke dir, Akira.“
„Wofür?“, fragte ich überrascht.
„Für mein Leben. Du hast es mir geschenkt.“
„Moment mal. Ich verstehe gar nichts mehr.“
„Akira. Du weißt doch genau, dass ich mich damals vor dem Marsangriff in dich verliebt hatte. Dass ich nicht wirklich bei dir eine Chance hatte, merkte ich schnell, je mehr ich Megumi kennen lernte. Du hast es mich aber nie merken lassen und stattdessen beständig an unserer Freundschaft gearbeitet. Dadurch, durch dein Beispiel bin ich erst so weit gekommen, diese Liebe für dich richtig einzuschätzen. Und nur dadurch wurde mir erst wirklich bewusst, dass ich tatsächlich verliebt war. Lange Zeit hielt ich meine Beziehung mit Doitsu nur für eine Notlösung. Für einen Zwischenschritt, damit ich in diesem Pärchenkarussell nicht ohne Partner da stehe. Aber letztendlich habe ich hier auf der AURORA erkannt, dass es nicht so war. Oh, ich liebe dich noch immer, Akira. Aber ihn einfach viel mehr. Man kann manchmal richtig blind sein in diesen Dingen, oder?“
Ich lachte dazu abgehackt. Diese Erkenntnis war nur zu wahr.
„Die letzten Jahre meines Lebens wurden von dir geprägt, Akira. Und ich finde, ich bin einen guten Weg gegangen. Dank dir, dank den anderen. Ich habe Doitsu gefunden und ich will ihn nicht wieder verlieren. Aber er ist Mecha-Pilot und Offizier, er ist Anführer der Yakuza der AURORA und hat mit den Beherrschern der Grey Zone einen mächtigen Feind. Und außerdem ist er als Hideako Teutsch ständig im Kampf gegen die Deadline für seinen Manga.“ Hina schmunzelte bei diesen Gedanken. „Er will nicht, dass ich die Sache mit den Yakuza weiß. Aber letztendlich wird es die Summe all meiner Erinnerungen sein, die ich an ihn habe und die ich mit euch teile, falls er sterben sollte. Diese Erinnerungen verdanke ich dir, Akira. Und solange du da bist und die anderen da sind, wird er auch dann noch da sein, wenn er gestorben sein sollte. Und genauso sollte es mit Megumi sein. Solange wir alle da sind, solange du dich an sie erinnerst, ist sie nicht fort. Und deshalb ist es so wichtig, dich um das hier und damit um Akari zu kümmern, verstehst du?“
Verblüfft sah ich sie an. „Ich verstehe wirklich, Hina-chan. Ich verstehe wirklich. Danke.“
Sie nahm die Hand von meiner Wange und lächelte sanft. „Es ist gut so. Du musst diese Last nicht alleine tragen. Denn wozu hat man sonst die Familie?“
Ich nickte schwer, trat einen schnellen Schritt vor und schloss Hina nach kurzem Zögern in die Arme. „Ich danke dir, Hina-chan. Es ist gut zu wissen, dass du da bist. Du und die anderen.“
„Du würdest das gleiche für mich tun“, erwiderte sie überzeugt.
„Nein, ich weiß nicht, ob ich so mutig wäre. Ob ich so stark wäre wie du. Yellow Slayer soll dich als Anführerin ersetzen können? Sie muß erst mal an dich heran reichen. Und das ist ein sehr weiter Weg.“
„Du Schmeichler“, tadelte sie mich.
Langsam ließ ich sie wieder los. „Ich gehe jetzt in mein Leben zurück, Hina.“
„Es wird wehtun. Jede Sekunde wird schmerzen. Ich weiß das, weil es bei mir so ist. Megumi fehlt mir jede Sekunde. Aber die Schmerzen sind es wert. Die Familie ist es wert.“
„Ich weiß“, hauchte ich und wandte mich um. Ja, ich hatte eine Aufgabe. Und für einen Moment schöpfte ich die Kraft, um sie zu bewältigen.
**
Ace Kaiser
Die Vorbereitungen für die Aktion liefen auf Hochtouren. Die Anelph, die bereits in Familien integriert worden waren, wurden über ihre baldige Freilassung benachrichtigt. Einige nahmen es froh auf, andere, nun, eher bedrückt.
Der Stab um Akira Otomo arbeitete mit Hochdruck daran, eine Erfolgversprechende Kampagne um den Star zweier Welten aufzubauen, während Admiral Ino an ihrer Rede feilte, die sie nach der Ankunft im Orbit um Letus halten würde.
Die Soldaten und Matrosen der Flotte bereiteten akribisch ihre Bereiche vor, Übungen wurden abgehalten, Material überprüft, letzte Drills vorgenommen. Die bereits gerissenen Lücken wurden so gut es ging gefüllt.
Ein Gefühl der Bereitschaft erfüllte die AURORA, ergriff alle, Militär wie Zivilisten.
Und griff auch nach der Grey Zone.
Mamoru Hatake war als Geheimdienstoffizier an Bord gekommen, aber seine Erfahrungen im zweiten Marsfeldzug in der Infanterie hatten ihn auch hier als Offizier empfohlen. Seine guten Kontakte zu den Slayern und Joan Reilley taten ein Übriges. Mamoru war die Nummer drei an Bord, was die Infanterie anging. Die Nummer drei in der Rangfolge und offizieller Verbindungsoffizier zu den Slayern.
Nebenbei war er einer von jenen Leuten, die aufgrund latenter Begabung mit KI gefördert wurde. Er gehörte nun nicht gerade zur gleichen Spitzengruppe wie die Slayer oder Akira und Yoshi. Aber er war gut und wurde stetig besser. Das er eines Tages seinem Freund Akira das Wasser reichen konnte, bezweifelte er allerdings.
Mamoru lächelte müde, während er das letzte Kochgeschirr im Geschirrspüler verstaute und die Maschine anstellte. Die gelegentliche Aushilfe bei Gina Casoli war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen er vollkommen entspannen konnte. Kein Dienst, nur die Scherze und die Arbeit mit den anderen Köchen und den Bedienungen, gelegentlich ein Lob von Gina oder etwas Schelte, wenn die eine oder andere Sache nicht so gut gelaufen war. Aber alles in allem betrachtete Mamoru die Arbeit hier als Freizeit und nicht als… Arbeit.
Er hängte die Schürze weg und verstaute den Kochhut. Auf der AURORA gab es strenge Vorschriften für den Umgang mit Lebensmitteln. Mamoru verstand nicht jede, aber die mit dem Kochhut hielt er für die mit Abstand Dämlichste.
Danach kam er nach vorne ins Restaurant. Die anderen erwarteten ihn schon und begrüßten ihn, als wäre er seit Wochen wieder einmal reingeschneit.
Er freute sich über die Freundlichkeit und die Herzlichkeit dieser Truppe und ihm ging ein wirklicher Stich durchs Herz, als ihm wieder einmal bewusst wurde, was für ein wundervolles Mädchen Gina doch war.
Damals, in Buenos Aires, war sie es gewesen, die ihn ohne zu zögern vor dem Geheimdienst geschützt hatte. Die ihn als Tarnung begleitet hatte, damit er einen toten Briefkasten observieren konnte.
Die sich sogar noch schützend vor ihn gestellt hatte, als sein Schicksal besiegelt schien.
Und die Zeit danach mit ihr war sogar noch besser gewesen.
„Heute gibt es mal kalte Platte. Wir haben mit dem Sushi-Restaurant getauscht. Sie wollten Spaghetti Napoli, und wir wollten Fisch“, begrüßte ihn Gina und deutete auf den Platz neben sich. „Weißt du, wie man Sushi isst?“
„Nur mein eigenes“, stellte Mamoru schmunzelnd fest und deutete damit dezent auf seine Erfahrung als Hobbykoch hin.
Es wurde eine fröhliche Runde, in der die Zeit nur so verflog. Auch ein Grund dafür, dass Mamoru die Zeit hier als Entspannung ansah. Schnell wurde es spät und Mamoru versuchte sich mehrfach zu verabschieden. Aber Gina hielt ihn auf, bis der letzte Mitarbeiter gegangen war.
„Tja“, meinte sie, als sie beide alleine waren.
„Tja“, murmelte Mamoru und legte sich in Gedanken schon mal seine Contra-Argumente gegen das zurecht, was nun kommen musste.
„Ist spät geworden“, stellte sie fest und blinzelte in die Nacht hinaus. „Drei Uhr schon, hm? Ich kann dich unmöglich nach Hause gehen lassen. Bis du in der Wand bist, ist es halb fünf. Und um acht musst du schon wieder mit Akira und den anderen konferieren, oder?“
„Hör mal, Gina, ich…“
„Papperlapapp. Du kannst nicht während der Fahrt schlafen. Nachher drehst du auf dem Magnetzug eine Ehrenrunde durch die ganze AURORA. Oder zwei.“ Gina schmunzelte zu diesen Worten.
„Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du…“, begann Mamoru und fragte sich ernsthaft, wie verrückt ein Mann sein konnte, um auf eine solche Situation abweisend zu reagieren.
Vor seinen Augen baumelte plötzlich ein Schlüsselbund.
Gina grinste ihn an. „Was für ein Zufall, dass ich gerade die Wohnung im zweiten Stock möbliert habe. Und wie es der Zufall will, ist das Bett schon bezogen. Dort wirst du erst mal für die Nacht unterkommen, Mamoru Hatake. Und wenn es dir gefällt, reden wir vielleicht mal über einen Mietvertrag.“
Der Major riss die Augen auf. „Das ist es? Darum ging es dir? Und ich dachte, du…“
Erleichtert lachte er auf. Erleichtert, aber auch enttäuscht. „Und ich dachte…“
„Was spricht dagegen, wenn ich einen guten Freund in meiner Nähe haben will?“, fragte Gina schmollend. „Die Wohnung steht nun mal leer und du kannst nicht immer in diesem anonymen Appartement in der Wand bleiben. Und es ist doch eine gute Gelegenheit, sie mal auszuprobieren, oder?“
Mamoru fühlte, wie die junge Frau immer mehr Oberwasser bekam und sein kläglicher Widerstand dahin schmolz.
Gina lächelte, griff hinter sich und zog eine bauchige Flasche hervor. Mit dem klaren Inhalt schenkte sie zwei Schnapsgläser voll, schob eins zu ihm herüber und nahm das andere selbst. „Kleiner Schlummertrunk.“
„Ich gebe mich geschlagen“, murrte Mamoru. „Aber was ist mit…“
„Was zum schlafen liegt auf dem Bett. Zahnbürste und Zahnpasta sind bereit und ich habe frische Handtücher ins Bad gelegt.“
„Aber wenn ich…“
„Wie war das mit ich gebe mich geschlagen?“, mahnte Gina böse.
Mamoru senkte den Blick. Leise begann er zu lachen. „Okay, diesmal gebe ich mich geschlagen. Wann gibt es Frühstück?“
„Mamoru. Dies ist ein Restaurant. Wann immer du runter kommst, Spatz.“
Gina trank ihr Glas auf Ex. Mamoru tat es ihr nach und musste husten. „Himmel, ich dachte, das wäre ein Likör!“
„Ich bitte dich. Ein Likör gibt doch keine Bettschwere. Das war ein anständiger deutscher Doppelkorn. Noch einen?“
„Ein höllisches Zeug. Ja, einen noch.“
Sie schenkte nach, beide tranken. Diesmal verdrehte Mamoru lediglich die Augen. „Widerlich. Verrat mir die Marke. Ich schenke Akira eine Flasche davon.“
Die Italienerin lächelte. „Morgen, nach dem Frühstück gebe ich dir eine. Aber jetzt mach zu, dass du ins Bett kommst. Die AURORA braucht dich ausgeschlafen.“
„Ja, ja. Du bist strenger als meine Mutter“, murrte Mamoru, drückte ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und ging ins Treppenhaus, welches in den zweiten Stock zu dem leer stehenden Appartement führte.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, schenkte sich Gina einen dritten Schnaps ein. „Mädchen“, flüsterte sie, „manchmal bist du wirklich ein Biest. Und manchmal bist du für diese Welt einfach viel zu nett.“
Nach diesem Schnaps wollte sie auch schlafen gehen.
**
Als Mamoru Hatake die gemütliche Wohnung verließ, war er besserer Laune als noch Tage zuvor. Ihn hatte der Tod von Megumi sehr mitgenommen. Immerhin hatte er ein derart tiefes Faible für sie gehabt, dass er dafür sogar versucht hatte, Akira zu verprügeln.
Mamoru schmunzelte bei diesem Gedanken, denn die Betonung lag auf versuchen.
Er scheute sich davor, seine Gefühle für die ruhige Pilotin mit Liebe zu umschreiben, obwohl es sicher so etwas war. Aber irgendwie fürchtete er sich vor der Erkenntnis, welcher Art diese Liebe war und noch viel mehr, wie sehr es ihm wehtun konnte, wenn er diese Erkenntnis besaß und Megumis Tod noch mehr auf ihm lastete.
Doch diese Gedanken schob er beiseite. Nicht heute. Nicht hier. Er hatte noch genügend Zeit, jedes Mal aufzuschrecken, wenn jemand ihren Namen sagte. Jedes Mal zusammen zu zucken, wenn in seinem Büro eine Aufnahme mit ihrer Stimme abgespielt wurde.
Jedes Mal das Eis durch seine Adern kriechen zu fühlen, wenn er meinte, sie würde hinter ihm stehen.
Wütend schüttelte er den Kopf. Es ging nicht. Es ging einfach nicht. Er wurde Megumi nicht wieder los. Zu sehr hatte er sich auf sie eingelassen.
„Gu-guten Morgen, Mamoru“, kam eine Stimme vom Treppenaufgang.
Überrascht fuhr er zusammen, folgte der Stimme und erkannte… Akane Kurosawa.
„Morgen.“ Er sah in ihr hübsches Gesicht und las dort eine Spur von Entsetzen und Unverständnis.
Abwehrend hob er die Arme. „E-es ist nicht so wie du denkst! Ist nur spät geworden Gestern und Gina wollte mir eh die neu eingerichtete Wohnung zeigen und…“
Die Miene der Slayerin versteinerte. „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, Mamoru. Was du tust, geht mich nichts mehr an. Wir sind nicht mehr zusammen, oder?“
Mamorus Miene verdüsterte sich. „Ja, verstehe. Erstens glaubst du mir nicht und zweitens hast du jetzt freie Bahn bei Akira, hm?“
Akane hatte ihn schon passiert gehabt, aber nun wirbelte sie herum und sah den jungen Geheimdienstoffizier mit weit aufgerissenen Augen an. „WAS?“
„Du hast mich schon verstanden, Akane. Deshalb ist es dir ja auch egal, ob ich was mit Gina habe, oder?“
Akane wischte sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. „Hör mal, das ist nicht nur absoluter Quatsch, das ist auch ein verdammt schlechter Zeitpunkt. Ich habe zu tun.“
„Typisch für dich. Wenn etwas kompliziert wird, oder wenn du keine Argumente mehr hast, dann fliehst du. Warum verwandelst du dich nicht in Green Slayer und versuchst es mit Gewalt?“
„Ich fliehe nicht. Ich habe nur einfach keine Lust, mich mit so einem Quatsch zu befassen. Natürlich war ich in Akira verliebt. Aber glaubst du wirklich, jetzt wo Megumi tot ist, werfe ich mich ihm an den Hals und rufe: Erste!?
Dann hast du absolut nichts verstanden.“
„Du fliehst ja doch!“, rief Mamoru, als Akane die Treppe hinab ging. „Okay, sie ist tot. Aber Akira ist wieder zu haben. Ist das nicht die große Gelegenheit?“
„Du Vollidiot! Sie ist nicht einmal eine Woche tot und du denkst wirklich so taktlos? Hättest du es denn so gemacht, wenn es Akira erwischt hätte? Wärst du dann jetzt der neue Mann an ihrer Seite?“
„Zumindest wäre ich für sie da, so gut ich es kann“, erwiderte Mamoru schroff, der den Gedanken erschreckenderweise interessant fand.
„Das wäre ich für Akira auch. Das bin ich für Akira auch. Aber ich habe nicht vor, wieder mit ihm… Ich meine, ich werde nicht… Ich…“ Betreten sah sie zu Boden. „Du Vollidiot! Merkst du denn überhaupt nicht, dass ich dich längst viel mehr liebe als ihn? Kapierst du denn überhaupt nicht, dass kein Akira und Akane geben wird, solange es Mamoru gibt?“
„Was?“, hauchte der Geheimdienstoffizier und brach in die Knie ein. „Was, bitte?“
„Ach, komm. Es ist in Ordnung, dass du meine Gefühle nicht erwiderst, aber du solltest wenigstens schlau genug sein, um sie zu sehen. Das würde es mir erleichtern, mit ihnen zu leben. Als du damals nicht mitgegangen bist, auf die AURORA, da wusste ich, dass du…“
„Als du damals auf die AURORA gegangen bist, ohne mit mir zu sprechen, ohne mich zu bitten, mitzukommen, da hast du mir das Herz gebrochen. Ich dachte du willst mich nicht mehr.“ Mamorus Augen wurden verzweifelt. Er sah zu der jungen Frau herüber, während sich ein Schleier aus Tränen über sie legte. „Akane, ich dachte, du würdest auf dieses Schiff gehen, um Distanz zwischen uns zu schaffen.“
„Was? Nein, das ist doch nicht wahr! Ich wusste nur, dass es meine Pflicht ist, hier zu sein und ich wollte das Beste draus machen. Wenn man etwas tun muß, wenn man etwas wirklich tun muß, dann tut man es auch. Aber dich zu sehen, nicht zu hören, dass du mich begleitest, oder wenigstens auf mich wartest… Mamoru. Ich dachte, ich bedeute dir nichts mehr.“
Langsam kam sie die Treppe wieder hoch.
„Du solltest so etwas nicht denken. Ich wollte dir nie im Wege stehen. Und ich wollte nie über den Leben bestimmen. Aber seit unseren kleinlichen Streitereien auf OLYMP vor unserer Marsmission, seit unserem ersten Kuss solltest du doch wissen, wie sehr ich dich liebe.“
„Warum hast du nichts gesagt?“, hauchte sie und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. „Du Vollidiot, warum hast du nichts gesagt?“
„Ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht. Dich gehen zu sehen hat mich gelähmt. Die Angst hat mich gefressen.“
„Mamoru“, hauchte sie und küsste ihn.
Er erwiderte den Kuss, erhob sich wieder von seinen Knien und umarmte sie. So standen sie lange Zeit beieinander, und das einzige was sich bewegte waren ihre Gedanken und ihre Zungen.
Einen Stock tiefer betrachtete Gina Casoli nachdenklich ihre Fingernägel, während sie den Geräuschen aus dem oberen Stockwerk lauschte. Als eine Tür laut und vernehmlich zufiel, huschte ein Grinsen über ihr hübsches Gesicht. „Sehr schön. Mission abgeschlossen. Gina, Gina, Gina, manchmal ist du echt zu gut für diese Welt.“
Langsam ging sie die Treppe zum Restaurant hinab. Wenn sich doch nur alle Dinge so leicht wieder gerade rücken lassen würden…
4.
Irgendwie fühlte ich mich in meiner Ausgehuniform nicht wohl. Aus repräsentativen Gründen hatte Sakura mich zwangsverpflichtet, damit ich und weitere hoch dekorierte Offiziere der Flotte den Hintergrund für ihre Rede bildeten. Und ich meinte den Hintergrund.
Da stand ich nun, mit Ordenübesähter Brust, neben mir andere Offiziere, dekoriert wie Schellenbäume, und wartete darauf, dass die Kameras mit der Aufnahme begannen, um grimmig und entschlossen zu gucken. Der erste Eindruck sollte auch gleich der Richtige sein.
Wir sollten hier als Elitekader auftreten und nicht als daher gelaufene Bande Strauchdiebe.
Das rote Licht flammte auf und signalisierte, dass die Kameras nun aufnahmen.
Ich beobachtete Sakura unauffällig, während sie zu sprechen begann. Ihre vorher gelöste Miene wurde sofort ernst und streng. Das war ihr bester mahnender Blick, den sie in fünf Jahren als Lehrerin zur Perfektion getrieben hatte.
„Mein Name ist Admiral Sakura Ino von der United Earth Mecha Force. Ich kommandiere die Kampfgruppe Troja. Mein Auftrag ist klar umrissen: Aufgrund des Angriffs auf meine Heimatwelt mit einem so genannten imperialen Core führe ich eine Strafexpedition an. Ziel der Expedition ist es, dafür Sorge zu tragen, dass vom Kanto-System kein weiterer Core ausgeschickt werden kann. Auf welche Form dies geschieht, ist letztendlich die Entscheidung der imperialen Naguad-Flotte in diesem System.
Aus rechtlichen Gründen wiederhole ich an dieser Stelle, was ich bereits vor dem Gefecht mit der Fregatte TAUMARA gesagt habe: Die Menschheit erklärt dem Imperium den Krieg.
Bisher kam es nur zu Scharmützeln und kleineren Verlusten. Das Verhalten der Vertreter des Imperiums wird entscheiden, welche Ausmaße dieser Krieg annehmen wird oder ob wir ihn noch stoppen können.
Als Geste unseres guten Willens entlassen wir sowohl die Mannschaft der TAUMARA, die geborgenen Toten dieses Schiffs als auch die Mitglieder der Außenpatrouille, die wir aufgerieben haben. Sie werden noch heute mit einer erbeuteten Fregatte der KOMARR-Klasse aufbrechen und Lorania anfliegen. Die anderen Schiffe und Banges, die wir erobern konnten, betrachten wir als Prise.
Der Kampfverband Troja wird nun tiefer in das System einfliegen. Ziel ist Lorania.
Dort werden wir Anelph, die nicht länger unter dem System des Imperiums leben wollen, die Möglichkeit geben, ihre Staatsbürgerschaft abzugeben und uns in die Emigrantenkolonie Mars zu begleiten.
Admiral Sakura Ino, von Bord der AURORA. Ende.“
Die Lichter erloschen. Aber es kam kein Applaus auf. Stattdessen war da nur grimmige Entschlossenheit, die auch ich verspürte. Noch waren nicht alle Weichen auf Krieg gestellt. Noch gab es eine Möglichkeit für uns, unsere Ziele kampflos zu erreichen. Oder wenigstens mit einem Minimum an Kämpfen. Das beruhigte mich einerseits, andererseits ließ es wieder unsere Verantwortung wachsen. Ich wäre ungern Schuld daran, dass der Krieg nun wirklich ein Krieg wurde.
Sakura lächelte mir zu, als sie vom Rednerpult zurücktrat. „Ich hoffe, du bist mit dieser Lösung einverstanden, Akira-chan. Auch wenn wir wegen dem Core tausende Tote hatten und Megumi während der Schlacht mit der Patrouille starb, sollten wir es wenigstens versuchen, ohne Blutvergießen weiter zu kommen.“
Ich nickte zu ihren Worten. „Megumi braucht keine tausend Feindmechas als Begleitschutz ins Jenseits“, sagte ich ernst. Ich schluckte heftig, als mich erneut die Erinnerung an sie zu überwältigen drohte. Sie war mir immer noch so nahe, so verdammt nahe. Aber es war ja auch erst eine Woche her, seit ich sie verloren hatte.
Nachdenklich betrachtete ich die frischen Narben auf meiner Hand. Ich hatte die Schnittverletzungen, die ich mir versehentlich an Lady Deaths Ortungskopf zugefügt hatte, nicht mit meinem KI geheilt. Irgendwann würden sie auch so verschwinden und bis dahin erinnerten sie mich an meine eigene Unzulänglichkeit.
„Schön, dass du es auch so siehst, Akira-chan.“
„Nanu?“, fragte ich überrascht. „Kein Mundwinkel auseinanderzerren, kein herzzerreißendes Lächeln, keine wie Gold strahlenden Augen? Was ist los mit dir, Cousinchen?“
Sie seufzte schwer. „Seit einiger Zeit spüre ich die volle Last der Verantwortung. Ich ahne gerade unter welchem Druck du gestanden haben musst, als du Eikichis Posten als Executive Commander übernommen hast.“
„Erinnere mich nicht daran“, erwiderte ich und spürte einen kalten Schauer über meinen Rücken fahren. „Das war eine sehr anstrengende Zeit.“
Ich legte einen Moment den Kopf schräg. „Andererseits hängen da auch ein paar gute Erinnerungen dran.“
„Du meinst den Stress mit den Rekrutierungen, die UEMF, die beinahe auseinander gefallen wäre, die Bombardierung von ARTEMIS, die nervige Trainingszeit der jugendlichen Rekruten aus aller Welt, die Schlachten im Mars-Orbit, der Bodenangriff, die Entscheidungsschlacht in Martian City und dein Beinahe-Tod?“
„Was denn, was denn? Das zähle ich alles auf der Haben-Seite der Bilanz“, scherzte ich.
Sakura begann zu lachen. „Du bist ein fieser Kerl. Wie kannst du meine ganze schöne schlechte Laune beiseite schieben?“
„Du hast das schon viel zu oft für mich gemacht, Cousinchen.“ Ich schloss sie in die Arme und drückte sie kurz. „Ich bin vielleicht nicht mehr der minderjährige Pilot, der die Menschheit retten und von seiner Cousine immer mal wieder in die richtige Richtung geschubst werden muss, aber deswegen bist du nicht weniger wichtig für mich. Außerdem war es für mich immer schön, dich lachen zu sehen.“
„Mich lachen oder mein Dekolleté?“, fragte Sakura.
„Darf ich mehrere Antworten angeben?“
Wieder lachte sie. Sanft drückte sie mir einen Kuss auf die Wange. „Danke, Akira.“
„Da nicht für. Und jetzt geh da raus und zeig der ganzen Operation Troja, dass du die härteste, überlegteste, intelligenteste, listigste, wunderschöne und liebenswerte Admirälin der ganzen Flotte bist.“ Ich ließ sie fahren, wischte eine verirrte Träne von ihrer Wange fort. „Mach mich noch stolzer auf dich.“
Sie nickte tapfer, wandte sich um und ging. Auf dem Weg sammelte sie Admiral Richards und Tetsu auf.
Lange Zeit hatte ich zu ihr aufgesehen, zu ihrer Energie, zu ihrem Tatendrang. Sie war mein Vorbild gewesen und hatte mich immer diskret geführt. Selten hatte ich ihre sanfte Hand bemerkt, aber sie war immer da gewesen. Auch jetzt, Jahre später, war sie noch immer für mich da. Sie war ein wunderbarer Mensch und ich war dankbar dafür, dass ich den größten Teil meines bewussten Lebens mit ihr verbracht hatte.
„Noch so ein Ding“, murmelte ich leise und versuchte ein Lächeln. „Wäre dies wirklich eine Anime-Konstruktwelt, wie ich lange Zeit geglaubt habe, dann wäre die Freundin des Hauptdarstellers bestimmt nicht gestorben.“
Einen Moment dachte ich über dieses Argument nach. Dann schüttelte ich den Kopf. „Bin ich denn der Hauptdarsteller oder nur der Stichwortgeber vom Rand?“
Und schon hatte mich das Gefühl der Verlorenheit wieder.
**
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtete Aria Segeste ihr Zimmer in Akira Otomos Haus. Die Zeit war lang gewesen. Und dann doch wieder viel zu kurz.
Die Eröffnung, dass die Besatzung der TAUMARA repatriiert werden würde, hatten viele ihrer Kameraden mit Freude aufgenommen. Die Freundlichkeit und die Selbstverständlichkeit, mit der sie aufgenommen worden waren, hatten viele mit Misstrauen aufgenommen. Ja, manche hatten sogar von einer kulturellen Gehirnwäsche gesprochen.
Auch die Besatzungen der Patrouillen, welche die AURORA beim Sprung in das System besiegt hatte, freuten sich über die Übergabe an die Streitkräfte des Imperiums. Allerdings hatten sie auch nur ein paar Tage unter Menschen, Kronosiern und Anelph verbracht und nicht wie Aria und ihre Kameraden mehrere Wochen.
Mit einem Seufzer nahm sie die kleine Tasche auf, in der sie alles verstaut hatte, was hier an Bord zu ihrem eher kärglichen Besitz hinzugekommen war. Inklusive einer von Joan Reilley handsignierten Musik-CD mit ihren besten Hits in der Unplugged Version.
Dazu kamen noch diverse andere Kleinigkeiten wie Datenträger mit Fotos, Kleidungsstücken und ein paar Bücher.
Aria machte sich klar, dass sie einen Großteil dieser Dinge wahrscheinlich an den Geheimdienst verlieren würde, die den neuen Feind exakt analysieren wollen würde. Und das sie kaum etwas davon zurück erhalten würde, weil vieles bis in den Molekularbereich zerstört werden würde. Sie seufzte tief. Dennoch musste sie es versuchen. Vielleicht durfte sie die CD ja behalten. Obwohl es sicher ewig dauern würde, bis sie ein Gerät fand, mit dem sie die Daten abspielen konnte. Oder selbst entwickelte.
Mit einem letzten Blick voller Bedauern verließ sie den Raum, trat in den Flur. Sie wandte sich abrupt um und erstarrte. „Was…“, stammelte sie.
Yohko sah sie aus großen Augen an. „Aria, es tut mir Leid. Ich hätte wirklich mehr Zeit mit dir verbracht.“
„Schon gut, ich…“
„Und ich hätte dir gerne noch Schach beigebracht“, sagte Yoshi und reichte ihr ein Päckchen. „Stattdessen nimm das hier mit. Das Go-Spiel, das wir immer zusammen gespielt haben.“
„Ich habe auch was für dich“, sagte Kei und reichte ihr einen Datenträger. „Ich war so frei und habe mal alle meine Dateien nach Bildern von Ban Shee durchforstet. Dann habe ich noch ein wenig mit meinem Bildbearbeitungsprogramm gespielt und… Ach, sieh es dir einfach an.“ Er zwinkerte der Naguad zu.
„Oh“, machte sie. Als sie verstand, fügte sie wesentlich lauter hinzu: „OH!“
„Doitsu wollte eigentlich auch kommen, aber er hat Ärger in der Grey Zone. Angeblich gehen da unten die… Nicht der Rede wert, er wird damit schon fertig. Ich soll dich aber schön grüßen. Er sagt, er setzt den Kendo-Unterricht fort, sobald wir uns alle wieder sehen.“
Aria spürte plötzlich einen dicken Kloß in ihrem Hals. „Danke, Makoto.“
„Sakura und Akira sind mal wieder in irgendeiner Besprechung. Aber ich soll dir von Akira einen Kuss und von Sakura eine Umarmung geben“, meinte Joan, umarmte die Naguad und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Oder war es umgekehrt?“
Aria lachte, und Joan nahm das mit einem Lächeln zur Kenntnis. „Pass gut auf dich auf. Und schreib uns, wenn es geht.“
Daisuke trat neben sie. „Kenji und ich spielen für dich Gepäckträger. Hätten wir aber gewusst, dass du nur eine Tasche hast, dann hätte ich den großen, groben Trottel nicht bestochen.“
„Wen nennst du hier einen Trottel, unterkühltes Mustersöhnchen?“, brummte Kenji Hazegawa und griff an ihm vorbei nach Arias Tasche.
„Sarah hat es leider nicht geschafft. Auch so eine interne Besprechung“, brummte Daisuke ärgerlich, als Kenji ihm mit dieser einfachen Geste die Show gestohlen hatte. „Aber ich soll dich schön grüßen. Und sie will zumindest versuchen, rechtzeitig zum Abflug der Fregatte zu kommen.“
„Danke. Das freut mich so, dass Ihr…“ Die Naguad verstummte und wischte sich über die Wangen. „Damit habe ich nicht gerechnet. Verdammt, ich fange doch nicht an zu heulen? So kann ich meinen Leuten doch nicht unter die Augen treten.“
Die Freunde ließen der Offizierin Zeit, sich zu fangen. Dann nickte Kenji Daisuke zu. „Gehen wir, Aria. Es ist Zeit. Aber falls du es dir anders überlegst, du kannst auch hier bleiben.“
Für einen kurzen Moment leuchteten ihre Augen auf. „Das ist… ein verlockendes Angebot. Die Zeit mit euch war einfach viel zu kurz. Aber… ich bin immer noch Offizier und Banges-Pilot des Imperiums. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen.“
Yoshi nickte ruhig. „Nichts anderes haben wir erwartet. Aber wenn du Lust und Zeit hast und es nicht illegal ist, dann besuch uns einfach.“
„Danke“, hauchte sie und wischte sich weitere Tränen aus den Augen. „Danke euch allen.“
Suchend sah sie sich um. „Wo ist denn Akari? Verabschiedet sie mich gar nicht?“
Entschuldigend hob Yohko die Arme. „Sie ist heute früh aus dem Haus. Seitdem habe ich nichts von ihr gehört. Sie sagte nur, sie wolle Akira effektiver helfen. Aber sie weiß, dass du heute fliegst und vielleicht kommt sie ja mit den anderen zum Hafen.“
„Hoffentlich. Ich vermisse sie schon jetzt. Ich vermisse euch alle schon jetzt.“ Sie senkte den Blick. „Ich sollte jetzt besser gehen. Kommt Ihr, Jungs?“
Yoshi und Yohko hielten sich bei den Händen, während Daisuke und Kenji die schlanke Aria zur Bahn begleiteten.
„Es… Es fühlt sich so falsch an. Sie war gar nicht lange genug da, um sie richtig kennen zu lernen. Yoshi, ich will nicht, dass sie geht. Sie war so sehr wie ich damals, als ich… Als ich von den Kronosiern zurückkam und Akira mich beschützt hat, ohne zu wissen wer ich wirklich bin.“
Yoshi strich ihr sanft über die Wange. „Wir sehen sie nicht zum letzten Mal, gewiss nicht. Aber eine Sache, die sie gesagt hat, gibt mir jetzt doch zu denken. Akari und Aria waren viel zu gut befreundet, als dass deine Schwester Arias Abflug ignorieren würde. Was kann so wichtig für Akira sein, wenn Akari ihr nicht ein letztes Mal Auf Wiedersehen sagen kann?“
„Keine Ahnung. So was hat sie vorher noch nie gemacht.“ Ängstlich sah sie Yoshi an. „Plötzlich mache ich mir Sorgen.“
„Brauchst du nicht. Solange Akira lebt und solange sie Michi hat, macht sie schon keinen Unsinn.“ Yoshi senkte den Blick. „Jedenfalls hoffe ich das.“
**
Die Sonne schien freundlich auf den Innenraum der AURORA herab, die Strahlen brachen sich Millionenfach im Wasser des Serenity-Meeres. Dadurch wurde die Poseidon-Station in einen Lichterschauer gehüllt, der sie funkeln ließ wie einen riesigen Diamanten.
Akari Otomo stand auf dem höchsten Gebäude Fushida Citys, welches halb mit der Nordfelswand verbaut worden war. Ein normaler Mensch konnte dort nicht ohne weiteres hin gelangen, aber Akari war auch kein normaler Mensch. Mit ihrer Fähigkeit als White Slayer war der Aufstieg kein Problem gewesen.
Dieses friedliche Bild war es wert. In der Ferne wogte Getreide auf den Feldern, eine milde Brise vom Meer kühlte angenehm ihre Haut. Ein heftiger Windstoß wehte ihren Rock hoch, aber Akari machte sich keine Mühe, ihn wieder hinab zu zwingen. Ja, dies war ein guter Tag. Ein sehr guter Tag.
Dann fiel sie hinab.
Bis zum Boden waren es zwei Kilometer. Eigentlich viel zu viel Zeit für ihr Vorhaben. Für einen Moment huschte der beängstigende Gedanke durch ihren Kopf, dass sie es sich vielleicht anders überleben würde, während sie hinab stürzte. Das sie ihre Slayerfähigkeiten aktivierte und dieses Leben rettete, dass ihr Dai-Kuzo-sama geschenkt hatte. Das sie nicht wie geplant in diesem Menschenkörper sterben würde.
Ja, sterben. In diesem Körper. Diese Hülle abstreifen und wieder ein Oni werden. Was nützte sie denn schon als Mensch? War sie als Oni nicht um so vieles hilfreicher?
Sie hatte sich schon einmal für Akira opfern wollen, ein zweites Mal fiel ihr sogar noch leichter. Sie würde zu Boden stürzen. Sie würde zerschmettert werden. Sie würde dort im Hass auf ihren unzulänglichen Menschenleib sterben und durch diesen Hass als Oni wiedergeboren werden. Das war der Plan.
Und dann würde sie ihre alten Kräfte zurück erhalten, mit ihren Slayer-Kräften kombinieren und ihrem Bruder wirklich zur Seite stehen können. Verdammt, sie war nicht stark genug gewesen, um Megumi-O-nee-chan zu beschützen. Sie war ja nicht einmal stark genug gewesen, um sich selbst zu beschützen! Tränen rannen aus ihren Augen und wurden vom Wind an ihr vorbei in die Höhe gedrückt.
All das würde nun anders werden. Sie würde Akira helfen können. Und sie würde nicht länger an Michi denken müssen. Nicht länger sich fragen müssen, warum er nicht mehr mit ihr redete. Nicht länger fragen müssen, was sie falsch gemacht hatte.
Nicht länger leiden.
Langsam breitete sie die Arme aus. Allmählich erkannte sie Einzelheiten am Boden. Es würde nicht mehr lange dauern. Sie schloss die Augen und genoss den freien Fall.
Dann gab es einen harten Ruck, noch einen und einen dritten. War sie nun schon tot? Wurde sie bereits ein Oni?
„Du dämliche Kuh!“, blaffte ihr jemand aus nächster Nähe ins Ohr. „Warum tust du so einen Quatsch?“
Akari riss die Augen auf und sah Michi ins Gesicht. Er stand, sie auf den Armen haltend, auf dem Dach eines der niedrigeren Häuser. Um seine Arme lag immer noch der Schimmer von KI, den er eingesetzt hatte, um sie zu retten. Und in seinen Augen stand nicht der gleiche Ärger, der in seiner Stimme anklang. Im Gegenteil, dort schimmerte Sorge.
Akari schüttelte wütend den Kopf, um sich von diesem Anblick nicht einfangen zu lassen. „Selber Idiot! Warum hast du mich aufgefangen? Ich wollte doch nur wieder ein Oni werden. Also lass mich runter und lass mich springen!“
„Das werde ich nicht!“, erwiderte er wütend, als Akari versuchte, von seinen Armen herab zu klettern. Stattdessen verstärkte er den Griff um sie. „Glaubst du wirklich du bist für Akira nur als Oni etwas wert? Glaubst du, nur die Kraft, die Juichiro Tora auf dem Mars vernichtet hat, gibt deinem Leben einen Sinn? Glaubst du das?“
„Ja. Ja, verdammt, das glaube ich! Und darum lass mich jetzt runter. Dir bin ich doch sowieso egal und dann kann ich…“
Weiter kam sie nicht. Michi presste seine Lippen hart auf die ihren, in einer Geste voller Verzweiflung.
Gepresst hauchte er: „Wie kommst du nur darauf, dass du mir egal bist? Wie kommst du nur darauf, dass ich es ertragen könnte, wenn du stirbst?“
„Michi“, flüsterte sie erstaunt.
Er trat vom Dachrand zurück und setzte sie wieder ab. „Ich habe mich entschieden“, sagte er ernst, setzte sich hin und bedeutete Akari, vor ihm hinzuknien.
Akari ließ sich gehorsam nieder und setzte sich auf ihre Fersen.
„Ich habe mich entschieden, und deshalb werde ich dir nun offenbaren, wer ich bin. Danach magst du springen oder mich töten. Ich werde keines von beidem verhindern.“
Erstaunt sah sie ihn an.
„Mein Name lautet Michi Torah. Diesen Namen habe ich von meinem Vater erhalten. Meinem Vater, der in Martian City gegen dich kämpfte und verlor.“
Erkennen glomm in ihren Augen auf, wurde schnell zu Unglaube. „Was? Du… Du bist der Sohn des…“
Michi nickte. „Ich bin der Sohn des Mannes, der dich vor vierhundert Jahren gezwungen hat ein Oni zu werden. Ich bin sein Erbe und lange Zeit glaubte ich auch, sein Vollstrecker sein zu müssen. Es gab damals nur einen Grund, warum ich auf die AURORA kam. Ich wollte Akira Otomo töten.“
„Du wolltest Akira töten? Aber warum? Nein, warte, ich weiß, warum. Du dachtest, er hätte deinen Vater getötet. Aber ich war es doch, ich war es, und…“
Sie hielt inne. „Du hast es nicht gewusst, oder? Erst als ich es dir erzählt habe, da…“
Michi senkte betreten den Blick. „Als du mir erzählt hast, wie es dir ergangen ist, was du getan hattest, da… Da wurde mein bisheriges Leben ohne Wert. Was sollte ich von so einem Vater halten? Was, wenn sein Feind Akira ein so feiner Mensch war? Und was, wenn das zarte Mädchen neben mir wegen ihm so große Qualen durchleiden musste?“
Er sah sie an, flehentlich, verzweifelt. „Ich war nicht Schuld daran, was dir widerfuhr, aber als sein Sohn übernehme ich auch seine Verantwortung. Ich habe ihn kaum gekannt, er hat sich nie viel mit mir abgegeben. Aber immer war er für mich eine Person gewesen, die von den Kronosiern viel Respekt bekam. Diesem Mann wollte ich nacheifern. Diesen Respekt wollte ich mir auch verdienen. Es macht mich beinahe so schuldig wie ihn.“
Akari sah ihm lange in die Augen. „Ich versuche gerade, dich zu hassen. Aber es geht nicht. Es geht einfach nicht.“
Michi räusperte sich mehrfach. Mit rauer Stimme sagte er: „Als ich dich damals am Tempel verließ, um nachzudenken, da meinte ich, ich wollte mein Weltbild überdenken. Ich musste mir klar werden, ob ich meine Rache aufgeben kann. Aufgeben für… Für die Liebe, die ich für dich empfinde. Ich habe meine Rache aufgegeben. Ich habe mich verändert. Ich empfinde für dich keinen Hass, nur Liebe. Es ist alles egal, was vorher war, Akari. Nur das hier, nur du zählst jetzt. Und dieser Moment.“
„Michi. Als ich mich dort hinab stürzte, da wollte ich Kraft gewinnen. Wieder nützlich für Akira sein. Aber auch dem Schmerz weglaufen, den ich in mir trage, seit du gegangen und nicht wieder gekommen bist. Ich weiß jetzt, wieso es so wehgetan hat. Ich weiß jetzt, warum ich so verzweifelt war. Ich liebe dich auch.“
„Liebst du mich genug, um weiter zu leben?“, fragte Michi vorsichtig. „Willst du trotzdem wieder ein Oni werden?“
Akari streckte ihre Hände aus, betrachtete die KI-Aura eine Zeitlang. „Ich brauche Kraft, soviel mehr Kraft.“
Michi erhob sich. Übergangslos loderte seine Gestalt in einer einzigen Flamme auf. Seine Haare stellten sich auf, schienen von innen heraus zu glühen. Sein KI formte eine gewaltige Aura, die fast schon mit der Kraft eines Doitsu Atakas konkurrieren konnte. „Dann nimm sie von mir, Akari. Nimm meine Hilfe, meine Kraft. Lass uns zusammen Akira unterstützen. Aber geh nicht von mir fort.“
Die ehemalige Oni betrachtete den jungen Mann mit den weißen Haaren eines Kronosiers eine lange Zeit. Ihr Bruder hatte ihn trainiert, im KI, im Kampf mit dem Schwert und im waffenlosen Kampf; bei einigen Übungen war sie dabei gewesen und hatte die Fortschritte beobachtet, die Michi vollbracht hatte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie sich vorstellte, wie stark dieser Junge sein würde, wenn er Akiras jetziges Alter erreicht hatte. Was noch alles vor ihm lag. Und wie schön es sein würde, bei ihm zu sein und diese Entwicklung beobachten und unterstützen zu können.
Langsam streckte Akari eine Hand aus, berührte die Aura ihres Gegenübers. Dabei leuchtete ihre eigene Aura auf, sein KI und ihr KI trafen sich.
An der Stelle, wo Akari seine Aura berührte, wandelte sie sich von dem kräftigen Gelbton Michis in das strahlende Weiß Akaris. Und dort, wo seine Aura ihr KI berührte, da wurde aus weiß der starke, glänzende Gelbton seines KI.
Akari lächelte und erhob sich. Auch Michi kam auf die Beine. Sie streckte die Hand aus, berührte sein Gesicht. Weiß und Gelb vermischten sich immer mehr miteinander, bildeten gemeinsame Schlieren, umfingen sie beide.
Sie dachte daran, wie wenig Angst sie in Zukunft haben würde, wenn sie mit ihm Seite an Seite kämpfen konnte.
„Du wirst Akira nichts tun?“
„Ich werde Nii-san…“ Verlegen senkte Michi Torah den Blick. „Ich hatte niemals damit gerechnet gegen ihn zu gewinnen. Und als ich ihn erst kennen gelernt hatte, da war da auch kein Wille mehr da, um ihn zu töten. Man kommt nur schlecht gegen die eigene Begeisterung an. Nein, ich werde meinen Lehrer nichts tun.“
Akari lächelte, trat näher an ihn heran. Ihre Augen waren auf einer Höhe, als ihre Auren komplett verschmolzen und sie leise hauchte: „In diesem Fall lautet meine Antwort ja.“
„Ja? Auf was ist das die Antwort?“, fragte Michi erstaunt.
„Auf alles“, hauchte sie und verschloss seinen Mund mit einem langen Kuss. Zum ersten Mal, seit sie auf dem Mars wiedergeboren worden war, vergaß sie, dass sie ein vierhundert Jahre alter, wiedergeborener Oni war. Sie war einfach nur ein glückliches, verliebtes Mädchen, das seinen Freund küsste.
Und Michi Torah, überwältigt und glücklich, hielt fest, was er nie wieder fort lassen wollte.
Auf einem höheren Dach, etwa hundert Meter entfernt, beobachtete eine Agentin der Kronosier diese Szene.
Allerdings nicht ganz unfreiwillig, was an ihrem Mundknebel und den Fesseln deutlich wurde. Interessant war, dass diese Fesseln aus blauem Haar bestanden.
Die Besitzerin dieser Haare - die übrigens noch immer mit ihr verbunden waren -, eine Slayer mit langem, blauen Haar, dass in zwei lange Stränge geteilt war und einen gelben Rock trug, seufzte ergriffen bei der Szene auf dem anderen Dach.
„Hach, junge Liebe. Das ist so schön.“
Sie warf der gefesselten und geknebelten Agentin einen schiefen Blick zu. „Weißt du, Engelchen, für einen winzigen Moment hatte ich mit dem Gedanken gespielt, dich die beiden Kinder angreifen zu lassen. Mann, wären die zwei mit dir Schlitten gefahren.“
Ihr Lächeln wurde verschmitzt. „Aber dann wären sicher einige wichtige Sachen nicht gesagt worden. Es ist gut so, wie es ist.“
Yellow Slayers Lächeln bekam etwas diabolisches, als sie die Agentin fixierte. „Ich denke, wir haben beide genug gesehen. Und jetzt unterhalten wir uns mal über die Tatsache, dass du zwei meiner Freunde angreifen und töten wolltest. Akari übrigens schon das zweite Mal. Ach, und glaub dich nicht zu sicher, weil ich deinen Wirt nicht töten kann.“
Yellows Augen leuchteten diabolisch auf, während von ihrem Kopf eine Welle Haar den Strang verlängerte, der bereits um die Agentin gewickelt war und sie nun noch weiter einschnürte. Hätte sich der Knebel in diesem Moment gelöst, man hätte noch fünf Blöcke weiter einen surrealen Entsetzensschrei gehört. So aber sah man nur einen Energieschlag, als Yellow ihr volles KI-Potential entfaltete.
5.
Die Verabschiedung der Naguad verlief bescheiden und formlos. Einige verabschiedeten sich von Freunden oder Gastfamilien, andere schienen sehr froh zu sein, die Fregatte GESSED bemannen zu können. Aber im Zorn schienen nur die Mitglieder der beiden aufgebrachten Patrouilleschiffe gehen zu wollen.
Aria senkte den Blick. Verdenken konnte man es den Matrosen und Offizieren nicht. Wer liebte schon den Feind?
Sie straffte sich sofort wieder, immerhin beobachteten ihre Freunde sie. Kurz sah sie zurück und winkte. Wenn doch nur Akira und Akari noch gekommen wären. Sogar Sarah hatte es noch geschafft, und ihr Verhältnis zu Aria war nie sehr berauschend gewesen. Aber immerhin war sie da – und die anderen nicht. Dabei war dies wohl die letzte Gelegenheit für ein ganzes Leben gewesen, einander zu sehen. Und das schmerzte Aria. Weit mehr als sie zugeben wollte.
Besonders tat es ihr weh, dass eine ganz bestimmte Frau nicht gekommen war. Aber daran war sie vielleicht selbst Schuld, weil sie zuviel erwartet hatte.
„Hast du es so eilig zu gehen, Aria?“, fragte jemand hinter ihr.
Die Banges-Pilotin hatte gerade den Gang zur Halle passiert. Auf der rechten Seite lehnte eine uniformierte Gestalt, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen geschlossen.
„Kapitän Ryon!“, rief sie in einer Mischung aus Aufregung, Freude und Überraschung.
Die Anelph stieß sich von der Wand ab und öffnete die Augen. „Aber, aber, tu nicht so überrascht. Ich würde doch sogar aus diesem terranischen Mythos namens Hölle wiederkehren, um dich zu verabschieden.“
Wieder begannen bei Aria die Tränen zu laufen. Einige ihrer Kameraden beobachteten sie; das würde unangenehme Fragen und Verhöre durch den Geheimdienst bedeuten. Aber das war es ihr wert. Einfach wert.
Ban Shee Ryon trat vor sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Drei Dinge gebe ich dir mit auf den Weg. Erstens: Auf den geläufigen Frequenzen der AURORA strahlen wir die nächsten Tage unsere Musik, unser Fernsehen und einen Teil unserer zivilen Datenbanken aus. Wenn dir also noch Sachen von Joan fehlen, lad es dir da runter.“
„Okay. Danke.“
„Zweitens: Du wirst wieder in den aktiven Dienst geholt werden. Durch deine Erfahrung im Haushalt Otomos wirst du entweder stark diskreditiert werden oder eine Chance auf einen vorzeitigen Aufstieg erhalten. Sei nicht dumm, Mädchen, und erzähle ihnen alles, was du weißt und die Geheimen hören wollen. Wir haben dir alles Wichtige vorenthalten. Die zwischenmenschlichen Details und die Essgewohnheiten der Terraner kannst du ruhig weiter erzählen.“
„Es kommt mir vor wie Verrat, aber gut.“
„Das ist auch gut so, dass dir das so vorkommt, Schätzchen“, mahnte Ban Shee lachend. „Drittens: Wenn du wieder in die Schlacht ziehst, wirst du auch gegen die AURORA eingesetzt werden. Halte dich um Kantos Segen von zwei Dingen fern: Einem schneeweißen Hawk mit mächtigen Schulterschildern, das ist nämlich Akira, und er ist der beste Mecha-Pilot des Universums. Und zweitens komm dem BAKESCH nicht zu nahe. Da drin kommandiere ich nämlich die Waffen, und meine Gunner pflegen nicht daneben zu schießen.“
„Okay“, sagte Aria wieder.
Ban Shee trat einen Schritt vor und riss die junge Frau kurz an sich, um sie herzlich zu umarmen. „Mach der Familie keine Schande, Mädchen, und gib dein Bestes.“
Familie. Was für ein mächtiges Wort.
Ban Shee ließ sie wieder fahren, trat drei Schritte zurück und salutierte. Danach, ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich um und ging.
Aria sah ihr nach, bis das Signal zum einschiffen bereits das dritte Mal erklang. Da sah sie bei ihren Freunden Bewegung und Akari tauchte bei ihnen auf. Die junge Frau wirkte gelöst wie lange Zeit schon nicht mehr. Neben ihr stand Michi Torah, winkte zu ihr herüber und hielt mit der anderen Akaris Rechte. Wie schön. Hatten die beiden doch noch irgendwie zusammen gefunden.
Sie winkte zurück. Dann stieg sie in die Schleuse des Schiffes, welches sie binnen einer Woche nach Lorania bringen sollte. Eine Woche. Sie zweifelte nicht daran, dass die Menschen dafür gesorgt hatten, dass es den Naguad an nichts fehlte.
„Sind Sie verletzt?“, fragte ein Unteroffizier mit Datapad.
„Was? Nein, ich…“
„Dann melden Sie sich auf ihrer Gefechtsstation.“
„Gefechtsstation?“
Der Unteroffizier atmete tief durch. „Ich hätte einen Ausdruck zum verteilen machen sollen. Sie gehen auf Ihre Gefechtsstation, damit wir Ordnung in dieses Chaos kriegen. Verletzte auf die Krankenstation, Unverletzte in ihre Verfügungen. Niemand will die Terraner angreifen. Einmal ganz davon abgesehen, dass wir die AURORA nicht mal kratzen könnten.“
Aria nickte schuldbewusst. Außerdem war es Vorschrift, sich auf seiner Gefechtsstation zu melden, sobald man einem neuen Schiff zugeteilt wurde.
Auf dem Banges-Deck angekommen stellte sie erstaunt fest, die Ranghöchste und dienstälteste Offizierin in ihrem Rang zu sein. Da es keine Banges gab, konnte sie mit ihrer unverhofften Macht aber nichts weiter tun als die Leute auf ihre Quartiere zu verteilen, eine grobe Struktur zu etablieren und im Büro des Schleusenmeisters auf dem großen Bildschirm verfolgen zu können, wie sich die GESSED von der Steuerbordseite des Gigantfelsen trennte, den die Menschen in aberwitziger Manier zum Raumschiff umgebaut hatten.
Langsam, Meter für Meter drifteten der Riesenbrocken und das dagegen beängstigend kleine Schiff auseinander, bis der Pilot die Steuerdüsen zündete und ihre Reise nach Lorania begann.
Neben dem Schiff erschienen zwanzig Mechas und teilten sich auf die Flanken auf. Sie gaben Geleit, das erkannte Aria auf den ersten Blick.
Dabei hielten die drei verschiedenen Grundtypen Sparrow, Eagle und Hawk eine beeindruckende Präzision ein. An der Spitze der Formation aber flog ein besonderer Mecha, vom Äußeren her einem Banges eher nachempfunden als einem Hawk. Er war schneeweiß und als sie seinen Sensorkopf näher ansah, hob er einen Arm und winkte.
Erschrocken bildete sich Aria ein, der Pilot, Akira Otomo, hätte ausgerechnet ihr zu gewunken. Und für einen kurzen Moment erschien ihr das sogar wahrscheinlich.
Doch dann schüttelte sie den Kopf und nahm es hin als das, was es war. Ein Gruß an die Besatzung der GESSED – aber damit auch an sie.
Ihr gefiel der Gedanke überhaupt nicht, vielleicht einmal gegen die Terraner antreten zu müssen. Aber sie war Soldat. Und sie begann diesen Beruf mit Ärger zu betrachten.
**
Kapitän Maros Jorr blinzelte mehrfach, bis er in der trüben, rotbraunen Flüssigkeit etwas erkennen konnte. „Das ist es? Können wir nicht das Licht des Heiltanks anmachen?“
„Nein, das geht leider nicht“, sagte Lieutenant Noran mit Bedauern in der Stimme. „Die Verbrennungen, die wir gerade ausheilen, vertragen nur wenig Helligkeit. Die Haut muß sich erst regenerieren. Danach muß sie aufwändig behandelt werden, um überhaupt eine Form von Lichtkonsistenz erneut zu erzeugen.“
Der dritte Mann, der Wissenschaftliche Leiter, Gentar Jansori, trat leise hinzu. Er informierte sachlich: „Verbrennungen der Haut, achtzig Prozent. Das Kopfhaar ist vollkommen verbrannt, das Gesicht zu dreißig Prozent. Der linke Arm und das linke Bein wurden bis zur Schulter, beziehungsweise bis zum Knie abgerissen. Wir regenerieren das und der Körper nimmt seine ehemaligen Bestandteile gut an. Ein Lungenriss, beide Nieren gequetscht, acht Rippen gebrochen, das Becken zweifach gebrochen. Der rechte Unterarm und der rechte Fuß in der Ferse gebrochen. Gehirnerschütterung und Schädelbasisbruch. Wir bekämpfen die Infektion, die sich nach dem Bruch ergeben hat.“
Jorr trat noch näher heran, blinzelte wieder in den Tank. Langsam schälten sich Konturen aus dem Dunkel. Jorr meinte, das Gesicht einer schlafenden jungen Frau zu erkennen. Brandnarben entstellten ihren Körper; die linke Gesichtshälfte war furchtbar entstellt.
„Wie kann sie das nur alles aushalten?“, hauchte der Kapitän fasziniert. Er wandte sich wieder Noran zu. „Und Sie meinen, wir ziehen einen Nutzen daraus? Verschwenden wir hier nicht eher Zeit, Ressourcen und ein paar gute Offiziere?“
„Wir haben es so weit gebracht“, erwiderte Noran bestimmt, „jetzt müssen wir es auch Zuende bringen.“
„Stimmt“, sagte Jorr leise. „Das gebietet uns ja schon alleine unsere Verantwortung.“
Er deutete auf einen Streifen Papier, der auf den Tank geklebt war. „Was ist das, Lieutenant?“
„Sir. Das sind Daten, die wir aus dem zerstörten Mecha haben bergen können. Es handelt sich um eine terranische Alphabetschrift. Sie gibt den Namen der Pilotin wieder. Die Schriftzeichen bedeuten: Colonel Megumi Uno, Briareos, Hekatoncheiren.“
Jorr nickte zufrieden. „Wenn uns das von Nutzen ist, werde ich mit Orden um mich werfen. Und ein beträchtlicher Teil wird ein paar Junioroffiziere meines Schiffes treffen.“
Noran straffte sich. „Wir tun hier alle nur unsere Pflicht. Und alle tun wir es mit Hingabe.“
Jorr betrachtete die im Tank schwebende Gestalt. Dann riss er sich los. „Kommen Sie. Die Terraner sind immer noch im System. Wir müssen eine Strategie planen.“
Die beiden Offiziere gingen und auch der Wissenschaftler verschwand wieder in seinem Arbeitsbereich.
Zurück blieb ein abgedunkelter Biotank mit einem in Lautlosigkeit und Schwerelosigkeit schwebenden Körper einer jungen Frau.
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode zwölf
Prolog:
„…live auf Demiral Netzwerk kommen Stimmen direkt von der Straße zur Ankunft der terranischen Piraten…“
„…Ist erneut die Flucht des Erzverräters Jano Avergan Ryon in aller Munde. Die Flucht, bei der über neunzigtausend Anelph mit gestohlenen Militärschiffen zu einem unbekannten Ziel im Universum aufbrachen…“
„…fasst das Oberkommando der Flotte die Freilassung der Gefangenen der GESSED, der TIRBAL und der TAUMARA sehr positiv auf. Laut dem Büro von Admiral Achander wird sich dieses Verhalten positiv auf die Anklage auswirken, mit der die so genannte Einsatzgruppe Troja zu rechnen hat…“
„…begann das Auge Irams, der Inlandsgeheimdienst, mit einer Razzia und Massenverhaftungen. Nachdem vor drei Jahren das Fluchtkomitee ausgehoben wurde, wiederholt sich die Szenerie von damals. Sinn der Aktion ist es, so der Vize-Sprecher des Auge Irams, zu verhindern dass sich Widerstand der Unzufriedenen erneut organisieren kann…“
„…bleibt die Flotte auf Alarmbereitschaft. Vize-Admiral Ikosu wiederholte erneut, dass sowohl ein Kurier auf dem Weg nach Farell ist als auch mit Hilfe der überlichtschnellen Kommunikation die Admiralität auf Naguad Prime über die Lage informiert wurde…“
„…wurde die spontane Demonstration aufgelöst, die Rädelsführer verhaftet. Vertreter der Studentenverbindungen sprachen von Zuständen wie zu Zeiten des Angriffs durch den imperialen Core. Daraufhin sprach das demiralsche Amtsgericht Haftbefehle gegen Sprecher und Anführer der Studentenbewegung aus, die in dieser Minute gegen den Widerstand der Studenten ausgeführt werden…“
„…Admiral a.D. Gennusuke Riada, einer der Rädelsführer des Komitees, wurde heute erneut in Gewahrsam genommen. Offizielle Stellen sprachen davon, dass der Admiral, ein verdienter Mann und Leitbild für jeden Offizier, lediglich zu strategischen Gesprächen ins Hauptquartier eingeladen wurde, dennoch bleiben Zweifel, da dem Haushalt des Admirals nicht mitgeteilt wurde, wo diese Gespräche stattfinden sollen und…“
„…berichtet Gondo TV life von der Axixo Basis auf Jomma. Hier ebenso wie auf Dipur, dem größeren Mond unserer Heimatwelt wurde – Wow, da startet die Neunzehnte Banges-Division Blut für Heldenmut, was für ein imposanter Anblick – jedenfalls wurden alle zwanzig Divisionen in Alarmbereitschaft versetzt. Die Ankündigung der so genannten Admirälin Ino wird hier als Täuschungsversuch aufgenommen und belächelt. Tatsächlich erwarten Admiralität der Naguad-Flotte ebenso wie des Heimatverbandes eher einen Versuch, eines der drei Militärlager auf Jomma oder die zwei auf Dipur zu erobern und zu plündern…“
„…ist die GESSED nur noch einen Tag von Lorania entfernt. Von Bilod, dem größten Mond Lovtoses, startete derweil ein Spezialistenteam, um der provisorischen Mannschaft der GESSED militärische und medizinische Unterstützung zu geben. Außerdem ging ein Kontingent des Flottengeheimdienstes an Bord, um von den Soldaten so viel wie möglich über die feindliche Flotte herauszufinden und wir erwarten…“
„…ja, Joan Reilley ist der Hit! Obwohl es keinen offiziellen Distributor für ihre Musik gibt, kletterten neun der ungewöhnlichen, aber herzerfrischen fröhlichen Lieder die Ränge der Radio-Charts bis zur Spitze empor. Das Popidol der AURORA und der fernen Welt Terra könnte auch hier auf Lorania im Nu ein Superstar werden, das heißt, sie ist ja schon einer. Tausende begeisterter Fans erwarten ihre Ankunft im Orbit um Lorania in etwa vier Tagen. Seit wenigen Stunden beginnt die AURORA übrigens nicht nur terranische Lieder auszustrahlen, unter denen natürlich die von Joan Reilley die beliebtesten sind. Nein, mit dem Fernsehprogramm kommen auch Videos zu den Musikstücken, eine auf Lorania bisher unbekannte Art, das Medium Musik zu behandeln.
Garkan Front kündigte bereits an, nun ebenfalls ein Musikvideo zu drehen und der Erzrivale der Rhythmus-Band, der Solostar Jegen Aderna Zaft gab ebenfalls die Produktion eines eigenen Musikvideos bekannt und forderte einen eigenen Fernsehkanal für dieses neue Medium, da, Zitat: diese Kunstform uns immer gefehlt hat und wir mit den ersten Videos eine Welle lostreten werden, die ansonsten die regulären Sender überschwemmen würden mit den Musikvideos der besten und erfolgreichsten Musikern Loranias…“
„…Jano Avergan Ryon hier, Jano Avergan Ryon dort. In Kalem, seiner Heimatstadt, wurden sicherheitshalber die Kontrollen des Militärs verstärkt. Die ehemalige Hochburg des Komitees bewahrt Ruhe, aber Experten fragen sich, wie lange noch. Was wird passieren, wenn die AURORA wie angekündigt in den Orbit einschwenkt? Was wird passieren?“
1.
„Aki-chan, ich…“
Misstrauisch hob ich eine Augenbraue. „Joan? Hm, ich habe dich früher erwartet. Was kann ich für dich tun?“
Sie sah mich an und runzelte die Stirn. „Willst du nicht erst mal duschen? Du bist so dreckig.“
Ich grinste sie an. Die Wartungsarbeiten an Prime Lightning waren in etwa mit einem Vollbad zu vergleichen – einem Vollbad in Schmieröl. „Tut mir Leid, aber du wirst mit dem schmutzigen Akira Vorlieb nehmen müssen. Denn die Wartung ist noch lange nicht beendet.“
„Hast du überhaupt Zeit dafür? Ich meine, die Hekatoncheiren, das Komitee, die Familie und jetzt auch noch an deinem Mecha herum schrauben? Geh duschen und lass Karl den Rest machen.“
„Diese Zeit habe ich mir bitter abgespart“, wies ich Joan zurecht und widmete mich wieder dem Knie. „Es hat also alles seine Richtigkeit. Aber du musst immer noch mit dem schmutzigen Akira Vorlieb nehmen.“
Sie seufzte herzerweichend.
Ich entschloss mich zu einem Kompromiss. Ich kletterte von meinem Mecha herab, wischte mir an einem bereit liegenden Handtuch die Hände so gut es ging ab und wischte mir damit auch über mein Gesicht. Ironischerweise verteilte ich die Schmiere nur gleichmäßiger.
„Ich habe dich früher erwartet“, murmelte ich. „So in etwa zwei Tage nach Megumis Tod.“
Irritiert sah sie mich an. „Hä? Wieso das denn? Moment mal, Aki-chan, du glaubst doch nicht etwa, dass…“
„Nein, ich glaube nicht, dass du gekommen bist, um dich mir jetzt an den Hals zu werfen. Ich glaube eher du machst das gleiche wie die anderen und sagst mir stattdessen, dass du in deinem jetzigen Freund die große Liebe gefunden hast, aber ich dennoch wichtig für dein Leben bleiben werde und ich auf dich bauen kann.“
„Hm.“
„Hm, ja, oder hm, nein?“
„Hm, du hast Recht, das hätte ich längst schon mal sagen sollen. Aber deswegen bin ich nicht hier.“
Erstaunt sah ich sie an. „Nicht?“
„Nicht“, bestätigte sie. „Willst du jetzt vielleicht duschen, mit mir einen Tee trinken und zuhören?“
„Du machst mich neugierig“, gestand ich und sah zu Primes Cockpit hoch. Dort lugte Karl hervor, grinste wie ein Honigkuchenpferd und hielt den Daumen der rechten Hand nach oben.
„Geh ruhig, Junge. Ich komme hier klar. Außerdem lauert da ein Dutzend Nachwuchstechniker, das töten würde, um die Chance zu kriegen, an deinem Lightning zu arbeiten.“
Ich zuckte mit den Achseln. Und da hatte ich schon gedacht, die Horde junger Techniker würde auf Joan lauern. Was mir bei den Frauen in der Runde irgendwie Magenschmerzen bereitet hätte.
Ich verabschiedete mich kurz vom beliebtesten Star der AURORA um zu duschen.
Mit dem ersten warmen Wassertropfen kamen auch die ersten Erinnerungen. Aber was hatte ich anderes erwartet? Megumi war noch nicht einmal einen Monat tot, ich musste jederzeit damit rechnen, dass mich etwas an sie erinnerte. Und das es schmerzhaft wurde. So wie mich die Dusche im Moment daran erinnerte, wie ich nachts im OLYMP unter einer Dusche gesessen hatte und mit meiner kleinen Welt nicht klar gekommen war. Bis Megumi mich gefunden und wieder aufgerichtet hatte. Und mir zusätzlich noch den kleinen Hinweis gegeben hatte, dass ich in der Frauendusche gelandet war.
Ein kurzes Lächeln huschte über meine Züge. Es waren weniger die schlechten Erinnerungen, es waren die guten, die es mir so schwer machten.
Nach dem abtrocknen und umziehen empfing mich Joan vor dem Umkleideraum. Sie ging wortlos vorweg und ich folgte ihr. Unser Weg führte uns aus dem Hangarbereich hinaus zur Bahn, und mit ihr zur Poseidon-Flottenzentrale.
„Wir wollen ins HQ? Und dafür holst du mich persönlich ab?“, tadelte ich sie.
„Was bleibt mir anderes übrig? Du hast ja Anweisung gegeben, dich die nächsten Stunden nicht zu stören.“
„Ach ja“, erwiderte ich und grinste entschuldigend.
In der Zentrale angekommen führte Joan mich in einen kleinen Konferenzraum. Makoto erwartete uns bereits. Und er hatte nicht die beste Laune. „Akira. Endlich. Vielleicht bist du ja in der Lage, Joan zu erklären, warum…“
„Anger is a bad mood ist eines meiner besten Lieder“, ereiferte sich Joan. „Ich verstehe nicht, warum wir nicht das Musikvideo dazu zeigen können.“
„Hä?“ Verwundert sah ich die beiden an.
„Ich zeige dir, wieso.“ Makoto hantierte an dem Holoprojektor im Tisch. Kurz darauf wurde das Video abgespielt. Etwa nach zwei Minuten kam die Szene, die Makoto dazu veranlasst hatte, das Video nicht auszustrahlen.
„Ach so“, meinte ich nur.
„Wie, ach so? Bist du jetzt etwa auf seiner Seite oder was?“, fragte Joan enttäuscht. „Liegt es an mir? Zeige ich zuviel Bein? Ist es die Szene im Swimmingpool?“
Ich lachte leise. „Weder noch, Joan. Die Szene im Swimmingpool mag ich übrigens.“
„Was ist es dann? Kommt schon, ich lasse ja über alles mit mir reden, aber erklären müsst ihr es mir schon“, bat sie.
Ich nickte Makoto zu, der das Video bis zu dem kritischen Punkt spulte. „Das hier ist das Problem. Diese niedliche Szene, aufgenommen bei Nacht am Ayers Rock in Australien. Joan, man sieht einen verdammt guten Sternenhimmel!“
„Und? Ist das verboten?“
„Ja“, antwortete ich schlicht.
Joan sackte das Kinn nach unten. Entgeistert starrte sie mich an.
„Gut, vielleicht habe ich jetzt ja Gelegenheit, es dir zu erklären, Schatz“, sagte Makoto ernst. „Ich habe die Aufnahme mehrfach geprüft. Sie ist von unglaublichem Detailreichtum und außerdem sehr scharf.“
„Und das bedeutet?“, fragte Joan etwas gefasster.
„Das bedeutet, lieb Joan Reilley, dass die Naguad anhand dieses Sternenhimmels einzelne Sterne klassifizieren können. Ja, identifizieren können. Und wenn sie die Sterne erkennen und ihre Positionen bestimmen, dann können sie mit einer schlichten Dreieckspeilung herausfinden, wo sich die Erde befindet. Und das zu verhindern ist doch einer der Gründe, wegen dem wir hergekommen sind, oder?“
Joan sah von Mako zu mir und wieder zurück. „Wir… Wir könnten einen falschen Sternenhimmel drüber legen.“
„Die Rechenleistung der Naguad-Computer würde die alten Sterne rekonstruieren“, konterte ich.
„Dann zoomen wir die Szene mehr auf mich.“
„Zwecklos. Du hast in einem besonderen Format aufgenommen. Das bedeutet, sie können wieder hinaus zoomen, wenn sie gut sind. Und jede Rasse, die über ein Dutzend Systeme bewohnt, muß gut sein.“ Makoto sah sie ernst an. „Wir müssen entweder schneiden, oder das Video wird nicht ausgestrahlt.“
„Aber das ist Zensur!“, begehrte sie auf.
„Ja, das ist Zensur. Und seit ich das Problem kenne, durchsuchen ein paar wirklich fiese Computerviren auf mein Kommando alle öffentlich zugänglichen Netzwerke nach diesem Video und sperren es. Vorerst. Und ich wünschte, ich würde an die Video-Aufnahmen in privater Hand rankommen. Die Gefahr, dass sie den Anelph zugespielt werden, sind zwar gering, aber vorhanden. Alleine wenn ich daran denke, dass vielleicht ein Besatzungsmitglied der TAUMARA einen Datenträger mitgenommen haben könnte, auf dem das Video zu sehen ist… Mir wird kalt.“
„Mann, da vernichten wir extra unsere eigenen Sternenkataloge bis auf ein extrem gesichertes Exemplar und benutzen die der Naguad, und dann so was“, staunte ich. „Ich glaube, schneiden ist keine gute Idee. Wir müssen ein neues Video drehen. Schlicht und einfach ein neues Video. Und das muss so gut werden, dass niemand mehr das alte Video beachtet.“
„Wie soll ich das denn machen? Anger is a bad mood hat die meisten Preise abgeräumt. Ich meine, es ist vielleicht mein bestes Video. Wie soll ich das denn toppen?“
Makoto reichte mir eine Tasse mit Tee. Ich nahm sie dankbar entgegen und nahm einen vorsichtigen Schluck. „Gute Sorte“, lobte ich.
„Ist eine vom Mars. Berühmt für seine Würze. Sie ziehen ihn auf einem Steilhang des Nyx Olympus.“
„Könnt Ihr mal aufhören über Tee zu reden und mir mit meinem Problem helfen? Wie also soll ich ein besseres Musikvideo machen? Ich meine, wenn ich das schaffe, dann räume ich bei den nächsten Video Awards jeden möglichen Preis ab.“
Makoto ho entschuldigend die Schultern. „Keine Ahnung. Ich mag deine Musik, Schatz, aber ich bin künstlerisch nicht begabt. Ich bin ein guter Koordinator, ein erstklassiger Pilot und Schütze und trage ab und zu gerne mal einen Rock, aber das ist nichts, womit ich dir helfen kann.“
Entgeistert sah ich meinen Cousin an. „Mako! Ich dachte, da wärst du drüber hinweg!“
„Über das Frauenklamotten anziehen?“ Er lächelte schief. „Manche lieb gewonnenen Gewohnheiten wird man einfach nicht mehr los.“
„Außerdem wäre es ja auch eine Schande, wenn du nicht ab und an ein paar Sachen aus meinem Schrank anziehen würdest“, flötete Joan lächelnd. „Ich sollte mal Fotos machen.“
Mako wurde rot. „Bitte nicht. Kei würde sich beschweren, dass er nicht die Exklusivrechte an den Schnappschüssen hat.“
„Das wäre doch eine Idee für dein Video“, lachte ich. „Steck Mako in knappe Frauensachen und lass ihn niedlich aussehen.“
„Das wäre in der Tat eine tolle Idee“, säuselte Joan, erhob sich und stellte sich hinter ihren Freund. „Ich mag es, wenn du sexy Sachen trägst, Mako-chan.“
Mein Cousin lüftete seinen Kragen. „Joan, bitte, ich bin auch nur ein Mann.“
„Oh“, meinte ich, „ich kann gerne rausgehen und hinter mir abschließen.“
„Noch eine gute Idee, Aki-chan“, erwiderte Joan amüsiert und umarmte ihren Freund von hinten. „Du sprudelst heute ja geradezu über.“
Ich griente die beiden an. „Also“, meinte ich im Scherz und tat als würde ich aufstehen“, ich lasse euch beiden dann mal alleine. Natürlich nur um Makos Auftritt zu besprechen. Und zu verhindern, dass ich auch noch einen Auftritt bekomme.“
Ich stand schon halb, als mich ein Gedankenblitz durchzuckte. Mitten in der Bewegung erstarrte ich und sah auf den Tisch.
„Danke, das wäre nett, Aki-chan… Aki-chan?“ Joan sah besorgt zu mir herüber. „Geht es dir nicht gut?“
Ich spürte, wie meine Schultern zu beben begannen. Meine Hände ruhten schwer auf dem Tisch, langsam richtete ich mich ganz auf.
„Aki-chan, ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie nach.
Ich lachte laut auf. Kurz darauf knallten meine Handflächen mit Gewalt auf die Tischplatte. „Das ist es! Das ist die Idee! Wie kriegen wir ein besseres Video hin als das, das es schon für Anger is a bad mood gibt? Natürlich, indem wir unsere Freunde einschalten! Aber nicht irgendwen, also Mamoru ist vor der Kamera immer so gekünstelt.“
„Es klingt so als hättest du eine geniale Idee gehabt, Akira“, sagte Mako und streichelte unbewusst die Unterarme seiner Freundin. „Lass hören.“
Ich grinste triumphierend. „Mach ein Video mit den Slayern.“
Für eine Minute hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Ich hatte diesem Simili noch nie viel abgewinnen können, aber in diesem Fall wäre es die Wahrheit gewesen.
„Genial. Genial. Genial!“ Makoto sah mich aus großen Augen an. „Akira, du bist genial! Einerseits zeigen wir sechs wirklich hübsche Mädchen, andererseits könnten wir einen Weg finden, ihre Fähigkeiten zu demonstrieren und die Flotte der Naguad zu demoralisieren.“
„Einen Teil der Fähigkeiten. Auch die Naguad werden über Leute verfügen, die ihr KI als Waffe einsetzen können. Wir dürfen ihnen nicht zu früh zu viel verraten“, mahnte ich.
„Trotzdem eine Spitzenidee, Aki-chan.“ Joan strahlte. „Jetzt muß ich nur noch aufpassen, dass mir Akari nicht die Show stielt, wenn sie als White Slayer auftritt.“
„Bleibt noch eine Frage zu klären“, meinte Makoto. „Yellow Slayer. Brauchen wir sie? Müssen wir sie überhaupt fragen? Ich meine, sie ist ebenfalls von Dai-Kuzo-sama gesegnet, oder?“
„Yellow Slayer zu fassen zu kriegen dürfte ohnehin ein Problem sein. Aus irgendeinem Grund scheint sie zu glauben, sie müsste sich als geheimnisvoller maskierter Gentleman im Smoking geben“, murmelte ich.
„Maskierter Gentleman im Smoking?“, fragte Mako und hob beide Augenbrauen.
„Nun, nicht unbedingt Gentleman, schon klar“, korrigierte ich mich. „Aber den Sinn verstehst du doch.“
„Ist doch alles kein Problem. Wenn wir sie wirklich finden wollen, dann fesseln wir einfach Akira und stellen ihn irgendwo auf ein Dach.“ Joan lächelte gemein. „Da Yellow-chan einen fast so großen Narren an dir gefressen hat wie ich damals, werden wir sie mit dir als Köder schon zu fassen kriegen.“
„Falls wir sie brauchen sollten“, wiegelte ich ab. „Falls wir sie brauchen sollten.“
„Oder, da sie ja unbedingt Geheimwaffe spielen will, behandeln wir sie auch als Geheimwaffe und verschweigen im Video ihre Existenz. Sie ist ohnehin nur einer Handvoll Menschen bekannt.“ Makoto verdrehte verzweifelt die Augen. „Es wäre vieles einfacher, wenn wir wüssten, wer sie wirklich ist. Die Zeiten, in denen die Slayer verstecken mit uns spielen konnten, sind doch vorbei.“ Er zwinkerte mir zu. „Oder die Zeiten, in der ein gewisser Blue Lightning noch seine wahre Identität verbergen musste.“
Unwillkürlich fühlte ich meine Lippen brennen. Wir wussten in der Tat immer noch nicht, wer sie wirklich war. Und ob diese Sache wirklich ein Vorteil für uns war, würde sich noch herausstellen müssen.
„Also, wenn einer von uns sie trifft, kann er sie ja fragen“, schloss ich das Thema ab. „Ansonsten begnügen wir uns mit Black, Red, Green, Blue, Orange und White Slayer.“
Joan kramte ihr Handy hervor. „Ich rufe die Mädels sofort an. Und dann geht es gleich zur Planung. Mako-Schatz, hilfst du mir beim Set?“
„Nichts, was ich lieber tun würde. Darf ich auch in deine Umkleidekabine?“
„Nein!“, sagte sie resolut.
„Was? Aber ich darf doch immer in deine Umkleidekabine…“
„Damit das Video fertig ist, bevor wir Lorania erreichen, und weil wir alle auch noch etwas anderes zu tun haben, werden wir einen engen Zeitplan haben. Jeder wird auf ein paar Stunden Schlaf verzichten müssen. Und wenn du in meiner Umkleidekabine bist, verliere ich immer soviel Zeit.“ Sie gab Makoto einen sanften Kuss auf die Wange. „Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“
„Okay“, sagte ich und ging zur Tür. „Ab hier braucht Ihr mich ja nicht mehr, oder? Gebt mir Bescheid, wenn Ihr Hilfe braucht.“
„In diesem Stadium der Planung noch nicht, Aki-chan“, sagte Joan und begann an Makotos Ohrläppchen zu knabbern.
„Vergesst nur nicht, dass Ihr auch noch ein Musikvideo planen wolltet“, mahnte ich, bevor die Tür hinter mir ins Schloss fiel.
Diese beiden. Ich hätte nie gedacht, dass aus Joans aufkeimender Zuneigung damals im Strandhaus für meinen Cousin eine solche Beziehung werden würde.
Aber wer über das niedliche Äußere hinaus kam und tiefer in seiner Persönlichkeit grub, der entdeckte meistens einen der feinsten, scharfsinnigsten und fröhlichsten Menschen, die dieses Universum kannte.
„Ah, Ordonnanz“, sagte ich und winkte einen der vielen Helfer zu mir. „Bringen sie doch bitte sofort diese beiden Kaffee in Konferenzraum vier zu Colonel Ino und Miss Reilley. Aber bitte sehr schnell.“
„Natürlich, Commander“, sagte der junge Mann und salutierte beinahe von mir.
„Ach, und sorgen Sie dafür, dass Colonel Ino diese Tasse bekommt. Miss Reilley trinkt immer ungezuckert.“
„Verstanden, Sir.“
Ich grinste dem jungen Soldaten hinterher, als er die beiden Tassen schnappte, auf ein Tablett stellte und zu dem Konferenzraum eilte. Entspannt lehnte ich mich gegen die Wand und wartete auf das Resultat meiner kleinen Aktion. Abgelenkt wie Makoto gerade war, achtete er bestimmt nicht allzu sehr auf den Kaffee und dann…
Der junge Mann wurde eingelassen, blieb eine Minute im Raum und kam dann stolz mit einem Autogramm von Joan wieder heraus.
Es verging noch eine Minute, bis ich hörte, wie jemand eine halbe Tasse Kaffee wieder ausspuckte. „AKIRAAAAAA!“, gellte Makotos Ruf bis auf den Flur hinaus.
Ich grinste hämisch. Mako war schlauer und vorsichtiger geworden, es wurde immer schwerer für mich, ihm Zimt im Kaffee unterzuschieben, aber für solche Fälle hatte ich immer ein kleines Briefchen dabei. Und meine Vorräte waren noch groß. Mindestens zwanzig Kaffee mit Zimt musste Mako noch trinken, bevor zwischen uns wieder Gleichstand herrschte.
Zufrieden pfeifend ging ich weiter. Auch ich hatte noch anderer Aufgaben.
2.
Admiral Neon Zut Achander war ein Offizier der alten Schule. Und ein kampferprobter Veteran. Außerdem hatte er es immer abgelehnt, die Gift zu erhalten und war dennoch bis auf den Rang des höchsten Offiziers der Anelph-Miliz im Kanto-System aufgestiegen.
Sein Ruf war tadellos, und selbst auf Naguad Prime schätzte man die Arbeit dieses Mannes und verzieh ihm den kleinen Fauxpas, die Gift abgelehnt zu haben, denn auch seine Loyalität war unbestritten.
Dennoch war er nur die Nummer zwei in der System-Verteidigung. Der Mann, der wesentlich mehr Fäden in der Hand hielt war der ranghöchste Naguad in diesem System. Offiziell Achanders Stellvertreter unterstanden ihm der zivile und militärische Geheimdienst direkt sowie sämtliche Streitkräfte der Naguad-Flotte im System.
Dies war ein sehr deutliches Zeichen, für wie befriedet man das Kanto-System wirklich hielt. Vize-Admiral Fenn Ikosu arbeitete nun schon zwanzig Jahre mit Achander zusammen, und ihre gemeinsame Arbeit war bisher tadellos gewesen, bis auf Ryons Raub von drei BAKESCH, der sie beide vollkommen unvorbereitet getroffen hatte. Ikosu versuchte noch immer, diesen Makel von seiner Uniform zu tilgen.
Und nun war einer der BAKESCH wie ein böser Traum zurück gekehrt und hatte einen noch viel größeren Albtraum mitgebracht. Die AURORA.
„Das ist, was wir bisher wissen, Fenn“, sagte Achander und legte eine Serie antiquierter Momentaufnahmen vor dem Kollegen und Freund ab. „Bei dem Kampf gegen die Patrouille kamen hauptsächlich Mecha, Fregatten und der BAKESCH zum Einsatz. Sie hatten kaum eigene Verluste, aber die Patrouille wurde aufgerieben. Lediglich der Zerstörer konnte entkommen, und das auch nur, weil…“ Bedeutungsvoll sah Achander Ikosu an.
Der verstand. „Ach, eines von den Schiffen.“
„Besonders die Mechas des Gegners sind interessant. Ihre taktischen Manöver ebenso wie ihre Kampfkraft. Sie sind unseren Banges überlegen, so weh es auch tut, das einzusehen.“
Ikosu nickte. „Das bedeutet, solange unsere Verstärkungen nicht eintreffen, haben wir nicht den Hauch einer Chance. Fünftausend Mechas. Sie angreifen zu lassen wäre Materialverschwendung und die von guten, tapferen Soldaten.“ Ikosu faltete die Hände unter dem Kinn zusammen und dachte nach. „Andererseits brauchen wir mehr Daten über den Feind. Und wenn wir ohne einen Schuss abzugeben kapitulieren, wird das Hauptquartier nicht sehr erfreut sein.“ Er sah Achander an. „Neon. Wir brauchen wesentlich mehr Informationen über den Gegner. Opfern Sie eine Division Banges. Die Daten, die wir aus diesem Kampf ziehen werden, dürften den Entsatztruppen sehr nützen.“
„Und dann? Nachdem ich eine Divison Banges geopfert habe? Was kommt als Nächstes?“
„Dann schließen wir einen informellen Waffenstillstand und lassen sie in den Orbit um Lorania. Ab dann heißt es warten. Warten, dass unsere Truppen eintreffen.“
Ikosu trat an das einzige Fenster im Raum. „Ich habe gerade einen Großteil von fünfhundert guten Banges-Piloten zum Tode verurteilt, oder?“
„Ja, das hast du, Fenn“, bestätigte Achander mit rauer Stimme.
„Sag mir, dass es wirklich einen Sinn macht, Neon. Sag mir, dass ich mich richtig verhalte.“
„Es macht Sinn.“
Ikosu wandte sich um. „Wir nehmen eine Elite-Division. Daten aus zwei Minuten Kampf nützen uns überhaupt nichts. Mobilisiere die Fünfte auf der Axixo Basis.“
„Das sind Naguad-Truppen“, sagte Achander bedeutungsschwer.
„Ja, das weiß ich. Und sie werden uns die Daten liefern, die wir über den Feind brauchen.“
Er ballte die Hände zu Fäusten. „Ich weiß nicht, was Ryon da draußen gefunden hat. Und ich weiß nicht, wen er uns da geschickt hat. Aber ich weiß eines: Dieses Riesenschiff wird das Kanto-System nur über meine Leiche verlassen!“
**
Als die GESSED auf Jomma landete, wusste Aria ehrlich gesagt nicht, was sie erwarten würde. Denn anstatt in die Naguad-Basis Axixo waren sie per Peilstrahl nach Akisa gelotst worden, und diese Basis gehörte der Anelph-Miliz.
Die Geheimdienstoffiziere äußerten sich nicht dazu, die schienen schon zu wissen, worum es ging. Aber nach drei Tagen unregelmäßigen Verhören war ihr sowieso fast alles egal. Sie wollte nur noch kaserniert werden und mindestens einen Tag durchschlafen. Selbst auf einer Anelph-Basis, egal wie suspekt die Naguad ihre Kameraden von der Miliz insgeheim betrachteten. Die Anelph auf der AURORA waren jedenfalls in Ordnung gewesen und…
Okay, diesen Gedanken sollte sie vorerst nicht aussprechen und nicht einmal denken. Denn einige ihrer Kameraden schienen erwähnt zu haben, dass Ban Shee Ryon sie persönlich verabschiedet hatte, und damit hatte eines zum anderen geführt und es war offen gelegt worden, dass sie effektiv im Haushalt von Admiral Ino gelebt hatte. Was ihr ein besonderes Interesse bei den Verhören beschert hatte. Manche Aussagen hatte sie fünfmal wiederholen müssen und sie war sich sicher, dass zwei Dutzend Agenten irgendwo in der Axixo-Basis nun dabei waren, Unstimmigkeiten zu erkennen und wichtige Informationen heraus zu filtern, die den Agenten im Verhör entgangen war.
Wenigstens war sie nicht unter Drogen verhört worden. Auch das sollte vorkommen und relativ sanft vor sich gehen, aber Aria wollte die Agenten nicht bis in ihr Innerstes lassen, bis zu ihren Gefühlen, die sie unter Drogen ausgeplaudert hätte. Nicht wie sie zu Akira stand, besonders zu Yohko, warum sie von Yoshi ein terranisches Brettspiel gelernt hatte und Akari ihr ein paar Kochrezepte beigebracht hatte, die sie bei Gelegenheit mit Zutaten ihres Volkes nachzukochen vorhatte.
Oder das Kitsune in Wirklichkeit… Was war gleich mit Kitsune und diesem großen Griesgram, Okame? Und wieso nannte sie Okame in Gedanken Griesgram? Irgendetwas Wichtiges, die beiden betreffend, hatte sie vergessen.
Oder.. Ihr stockte der Atem. Hatte der Geheimdienst diese Information gefunden und in ihr versiegelt? Sie kam sich vor wie eine Verräterin. Und ehrlich gesagt wusste sie nicht mehr, wo sie überhaupt stand.
Der Ausmarsch in die Station erfolgte relativ unspektakulär und wohlgeordnet. Zuerst die Verwundeten und Toten, danach die Dienstfähigen streng nach Waffengattungen sortiert.
Ihre Banges-Abteilung, Piloten, Techniker und Flugleitoffiziere, kam als Letztes an die Reihe. Als sie an der Spitze ihrer Leute ausmarschierte, schloss sie geblendet die Augen, als Dutzende Scheinwerfer nach ihr griffen, Blitzlichter aufflammten und tausende Fragen sie bestürmten.
Also deswegen waren sie nicht nach Axixo eingewiesen worden. Das Hauptquartier hatte einen hübschen kleinen Presserummel für sie veranstaltet.
Viele der Fragen waren direkt an sie gerichtet und sie sah auch einige ihrer Kameraden, hauptsächlich Offiziere, die ruhig und sachlich die eine oder andere Frage beantworteten, aber sie selbst schaltete auf stur und führte ihre Truppe bis zu Kommodore Andernath, der Kommandeur des Stützpunktes Akisa.
Sie salutierte vor ihm und übergab ihre Leute.
Der alte Anelph musterte sie eine Zeitlang, dann nahm er sie beiseite, fort aus dem Blitzlicht und entgegen des Protokolls.
In einem kleinen Nebenraum des Hangars setzte er sich mit ihr hin und schenkte beiden Boram ein, ein anelphsches Getränk, das so ähnlich wie Kaffee schmeckte. Aria lächelte bei dem Gedanken. Die Terraner waren ihr näher als die Anelph. Was verständlich war, wenn man bedachte, dass sie noch nie in diesem System gewesen war – und ohne die AURORA vielleicht auch nie gewesen wäre.
„Ich habe einen Teil der Berichte gelesen“, eröffnete der Ältere das Gespräch. „Zumindest jenen Teil, der uns Anelph zugänglich gemacht wurde. Sie sind ein Karriere-Offizier direkt aus dem Hauptsystem, deshalb will ich geradeheraus fragen: Wer sind Ihre Feinde in diesem System?“
Verwirrt blinzelte Aria ein paar Mal, bevor sie mit einem Hä antwortete. Einen Atemzug später fügte sie hinzu: „Feinde? Ich? Hier? Ich wüsste nicht, wen. Wieso fragen Sie, Kommodore?“
Der Kommodore legte einen Marschbefehl auf den Tisch. „Sie sind mit sofortiger Wirkung in den Rang eines Majors befördert und übernehmen das fünfte Bataillon des Fünften Banges-Regiment Ehre oder Tod. Das Fünfte wird in zwei Tagen die AURORA angreifen. Ziel der Operation wird es sein, die Kampftaktik und die Kampfkraft des Feindes besser einzuschätzen. Wir rechnen mit siebzig Prozent Totalverlusten und dreißig Prozent Pilotenverlusten. Wer immer jetzt noch zu Ehre oder Tod versetzt wird, hat eine gute Chance, bei diesem Einsatz zu sterben. Also, warum Sie, von einem kleinen Fernerkunder irgendwo in der Peripherie des Alls? Wer könnte Sie so hassen?“
„Was? Die AURORA angreifen?“ Die Informationen sickerten langsam in ihr Bewusstsein. Ja, als Offizierin wusste sie um die Wichtigkeit dieser Daten. Spätere Einsätze gegen die AURORA und die Terraner würden auf diesen Daten aufbauen. Und Aria war sich sicher, dass weitere Kämpfe folgen würden.
„Niemand, Kommodore. Niemand, von dem ich wüsste.“
„Gut, dann frage ich anders herum: Wen haben Sie sich zum Feind gemacht, seit Sie hier sind?“
„Also, dazu hatte ich wirklich noch keine Zeit“, erwiderte sie nachdenklich.
„Dann“, schloss der Kommodore, „ist es der Geheimdienst. Wegen Ihrer Zeit im Haushalt von Commander Otomo sieht er Sie anscheinend als Sicherheitsrisiko und hofft, dass sich hier zwei Probleme auf einen Schlag lösen.“
Die beiden sahen sich lange an und schwiegen. Andernath trank einen Schluck aus seiner Tasse und mechanisch tat Aria es ihm nach.
„Ich kann den Marschbefehl nicht ändern“, sagte der Kommodore. „Wir können in Naguad-Entscheidungen nicht eingreifen. Tatsächlich wird eine kurzfristige Versetzung in diese Einheit von Ihren Leuten sogar als Ehre angesehen.“
„Ein neuer Feind. Die erste Schlacht und so, ich verstehe.“ Aria senkte den Blick.
„Aber ich kann Ihnen einen Rat geben. Halten Sie den Kopf unten so gut es geht. Es wäre mir eine besondere Freude zu sehen, dass dieser Plan des Geheimdiensts nicht aufgeht.“
„Das ist es? Dafür nehmen Sie mich raus? Haben Sie eine Rechnung mit dem Geheimdienst offen und bin ich eine Möglichkeit zur Rache?“, fragte sie verbittert.
„Das auch. Aber ehrlich gesagt gehe ich mit diesem Gespräch ein Risiko ein, für meine Karriere und für mein Leben.“ Andernath wandte sich ab, musterte desinteressiert die nächste Wand. „Aber vor allem geht es mir darum, dass ein junger, viel versprechender Offizier wie Sie seine Feinde kennt. Ein bekannter Feind ist nur halb so gefährlich. Denn wenn Sie überleben und zurückkommen, gibt es den Geheimdienst immer noch. Und auch die Agenten, die Sie am liebsten sterben gesehen hätten.“
„Ich… verstehe.“ Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten. Leider war sie ein viel zu kleines Licht im Militär, als dass sie sich unauffällig wieder aus dem Fokus des Geheimdiensts hätte zurückziehen können. Und leider hatte sie keinen bedeutenden Admiral in ihrer Familie. Und ob ihre Ausbilder auf der Akademie ihr helfen würden, war ebenso fraglich.
So schnell konnte man also auf die Abschussliste kommen. Gedemütigt und wütend senkte sie den Blick. So schnell ging das also.
Der Kommodore trank seine Tasse aus und stellte sie ab. „Und noch etwas gebe ich Ihnen mit. Wenn Sie in Ihre neue Einheit kommen, machen Sie den Leuten so schnell wie möglich klar, wer das Kommando hat. Sie haben nur zwei Tage dafür, zwei Tage, um sich in ein bestehendes Team zu integrieren. Schaffen Sie es nicht, ist Ihr Leben sowieso bedroht.“
Er salutierte knapp. „Viel Glück, Major Segeste.“
Aria erhob sich, wiederholte den Salut. „Ich danke Ihnen, Kommodore.“
Danach verließ sie den Raum. Ob sie die Zeit hatte, auf die Freigabe ihres persönlichen Gepäcks durch den Geheimdienst zu warten? War davon überhaupt noch etwas übrig? Oder sollte sie nicht besser jede Sekunde nutzen, um ihre neue Einheit kennen zu lernen?
Wie war sie da nur hineingeraten?
„Im Nachhinein hast du mir einen Bärendienst erwiesen, Akira“, hauchte sie leise, aber sie schmunzelte dazu. „Und das alles nur, weil Megumi die Frau kennen lernen wollte, die sie besiegt hatte.“
Dennoch, es war keine verschwendete Zeit gewesen. Sie richtete sich auf. Eine Aufgabe wartete auf sie. Der Kampf ums Überleben wartete auf sie.
**
„Akira-chan.“
Etwas weiches, Schweres flog heran und landete auf meinem Rücken. Ein listiges Fuchsgesicht grinste mich von meiner rechten Schulter aus an. Ich seufzte. „Oh, Hallo, Kitsune.“
Die Dämonin verwandelte sich in die junge, rothaarige Frau, als die sie normalerweise auftrat und lächelte mich an. Ihre Hände glitten um meinen Brustkorb. Ihr Kinn ruhte auf meiner Schulter. „Akira-chan. Du riechst heute wieder so gut.“
Misstrauisch schnüffelte ich an meiner Uniform. „Kann nicht sein, ich habe vorhin gebadet.“
„Ooch“, murrte sie. „Du weißt, was ich meine.“
Ich grinste matt. „Wenn du Kei suchst, der ist noch in seinem Zimmer.“
„Nein, Kei-chan suche ich gerade mal nicht. Du hast einzig und alleine meine Aufmerksamkeit, Akira-chan.“
„Und was verschafft mir diese Aufmerksamkeit, Kitsune?“
Sie blinzelte mich an. „Sex.“
„Ach, Sex.“ Erschrocken sah ich sie an. „Sex?“
„Sex“, bestätigte sie lächelnd.
„Also, ich glaube nicht, dass ich dir dazu etwas sagen kann, was du nicht schon weißt“, sagte ich gehetzt.
„Stimmt. Aber ich kann dir noch was beibringen, Akira-chan.“
Ich lüftete meinen Kragen. Ihre Brüste drückten gegen meinen Rücken, während sie mich umarmte, ihre Augen strahlten wie Diamanten und wie ich sah, hatte sie einen blass rosa Lippenstift aufgelegt, der ihre Lippen feucht schimmern ließ. Dazu fühlte ich ihre Wärme mehr als deutlich.
„Bist du nicht hinter Kei her?“, fragte ich ernst.
„Ach, Akira-chan“, murrte sie, „es geht doch nur um Sex, und nicht um Liebe. Außerdem bin ich Frau genug für zwei Männer. Denkst du etwa wirklich, man kann zweitausend Jahre alt werden und monogam bleiben?“
„Weiß nicht. Wie hält es denn Okame?“
„Der alte Griesgram? Phhhhh. Der hat nur Sex, wenn Neujahr und Sommersonnenwende zusammen fallen.“
„Und das ist nichts für dich?“, neckte ich sie.
„Hey, ich bin jung, ich bin hübsch. Und ich bin außerdem sehr biegsam und ausdauernd. Soll das alles umkommen? Ich meine, ich habe doch höchstens noch fünf oder sechs Jahrtausende, bevor ich zu alt dafür bin. Meinetwegen kannst du ja Kei fragen, ob er mitmachen will.“
„Okay, Kitsune, das reicht jetzt. Nett, dass du mich aufmuntern willst, aber wir gehen hier jetzt in Themenbereiche, die ich nicht sonderlich mag. Kei ist nun wirklich niemand, mit dem ich mein Bett teilen möchte. Bei aller Freundschaft nicht.“
„Na, dann eben nur wir beide. Du hast doch gerade Zeit, oder? Ach komm. Das wird lustig.“
Ich löste mich aus ihrer Umarmung, drehte mich um. Sie trug ein wirklich nettes Ensemble aus kurzem Rock und bauchfreiem Shirt. Langsam schloss ich sie nun meinerseits in die Arme. „Es geht mir gut, Kitsune. Es geht mir wirklich gut. Ich werde keine Dummheiten machen und wenn wir kämpfen müssen, gebe ich mein Bestes. Das bin ich Megumi schuldig.“
Übergangslos begannen bei der Dämonenkönigin die Tränen zu laufen. Wieder umarmte sie mich, aber diesmal hatte es eher was von erdrücken. Sie schluchzte, und legte ihren Kopf auf meine Brust. „Ich will sie wiederhaben“, hauchte Kitsune. „Und ich will dich nicht verlieren.“
Ich drückte sie noch ein wenig fester an mich. „Das wirst du nicht, Kitsune. Das verspreche ich dir. Zumindest nicht in den paar Jahrzehnten, die ein Mensch lebt.“
„Ein Mensch? Aber du…“ Sie löste sich von mir und schlug mir burschikos auf den Rücken. „Du bist doch kein normaler Mensch, Akira-chan. Hast du schon mal drüber nachgedacht, zweihundert oder älter zu werden?“
„Heute noch nicht“, erwiderte ich schmunzelnd. „Es tut mir leid, dass wir Menschen in so kleinen Dimensionen denken müssen.“ Sanft streichelte ich Kitsune über den Kopf. „Aber ich wäre sehr dankbar, wenn du mich einen Teil der Zeit begleiten würdest.“
„Das werde ich“, versprach sie. „Das werde ich, Akira-chan.“
**
Yellow Slayer wachte aus unruhigem Schlaf auf. In letzter Zeit hatte sie viel geschlafen, viel zu viel. Aber ein Slayer zu sein kostete irgendwann Kraft, und das musste sie mit viel Ruhe kompensieren. Vor allem nach den Anstrengungen während des Sprungs.
Jordan Daynes sah genau in diesem Augenblick in den Raum. „Kaffee?“
Verwundert sah Yellow auf. Sie war mal wieder in der Stube seines Appartements eingeschlafen. Jordan, die gute Seele, hatte sogar eine Decke über sie gelegt.
„Nein, danke.“ Sie sah sich an. „Habe ich mich im Schlaf wieder verwandelt?“
Jordan nickte. „Tee vielleicht?“
Yellow winkte lächelnd ab. „Wasser wäre nett.“
Der Offizier von Briareos lächelte, verschwand und kam mit dem Gewünschten zurück. Er stellte das Glas vor Yellow ab und setzte sich ihr gegenüber.
„Dir scheint es ja wieder gut zu gehen. Als du hier nach dem Sprung ankamst, mehr tot als lebendig, da…“
Yellow nickte schwer. „Ja, der… Sprung hätte mich beinahe getötet. Ich war unvorsichtig, unaufmerksam und vor allem zu hastig. Ich hatte nicht bedacht, dass meine KI-Aura in Wechselwirkung mit dem Sprungantrieb treten könnte, selbst wenn ich nicht selbst in ihn einspeise. Deshalb denke ich, habe ich meinen KI-Fluss nicht reguliert und der Antrieb hat sich mehr bei mir geholt als ich eigentlich zu geben bereit war.“
Sie sah zu Jordan herüber. „Danke, dass Ihr mich gepflegt habt, du und Goran.“
Der ehemalige U.S.-Offizier winkte ab. „Schon gut. Es war meine Pflicht und mein Vergnügen.“ Er wurde rot. „Das mit mein Vergnügen darfst du jetzt nicht missverstehen.“
„Schon in Ordnung“, erwiderte Yellow lächelnd über den Rand des Wasserglases hinweg. „Bei den Schwierigkeiten, die ich euch beiden in letzter Zeit bereitet habe, sollte ich eher froh sein, dass ihr es so seht.“
„Apropos Schwierigkeiten. Wann wirst du wieder stark genug sein, dass du meine Hilfe und die von Goran nicht mehr brauchst?“
„Sobald meine Yellow Slayer-Höhle fertig ist, in der ich meine Waffen, meine Trophäen und meinen Computer aufgestellt habe, von wo aus ich die AURORA beschützen werde“, sagte Yellow übertrieben ernst.
Jordan sah sie an und begann leise zu kichern. „Fast hätte ich es geglaubt. Nein, ehrlich. Wann willst du wieder zurück?“
„Das wird noch dauern. Im Moment bin ich ja kaum stark genug, um einen kurzen Ausflug zu überleben. Und dann ist da immer noch die Grey Zone, um die ich mich kümmern will. Nein, so wie es jetzt ist, ist es schon gut.“
„Ich weiß nicht, wie du das erträgst“, hauchte Jordan.
„Gut“, schloss sie diesen Teil der Unterhaltung ab.
Sie stand auf, sah aus dem Fenster des Appartements auf den Innenraum der AURORA. „Gut“, hauchte sie wieder.
Ace Kaiser
3.
Die wenigen Tage bis wir den Orbit von Lorania erreichten, schmolzen dahin wie Butter in der Sonne. Was würde uns erwarten? Würde sich unsere Flotte in einer wirklich großen Raumschlacht bewähren, wie wir sie zuletzt beim Kampf um den Marsorbit gesehen hatten? Ich war sicher, viele Militärs an Bord gierten nach den Bildern einer AURORA, die erstmals als Träger und Kampfraumschiff diente. Die Übungen und Berechnungen ließen in etwa erahnen, wozu das Gigantschiff fähig sein würde. Aber da tatsächliche Potential würde sich erst in einer Schlacht abschätzen lassen.
Oder würde es friedlich ablaufen, wir unseren Platz im Orbit bekommen und frei und offen rekrutieren können? Die vielen Militärstützpunkte sowohl auf Lorania als auch auf den beiden Monden Jomma und Dipur machten mir Sorgen. Wir konnten ohne Weiteres in eine Zange geraten, aus der eine AURORA, die wie eine Bleiente im planetaren Orbit lag, nicht so schnell entkommen konnte.
Ich seufzte leise. Da saß ich also in der großen Aussichtskuppel Forward, einem mit Transplex vom Weltraum abgegrenzten Material direkt am vordersten Punkt der AURORA, das einen fast perfekten Ausblick auf die Fahrtrichtung bot. Einige Zeit war es im Gespräch gewesen, in Forward die eigentliche Zentrale einzurichten, da man ja notfalls auch per Sichtkontakt steuern und befehlen konnte.
Diese unsinnige Idee war aber schnell fallen gelassen worden, nachdem Fachleute die Idee mit einem simplen Hinweis zerstört hatten: Die AURORA würde die meiste Zeit viel zu schnell unterwegs sein, um ohne Fernortung navigieren zu können. Ein Brückenoffizier, der ein Hindernis oder eine Bedrohung mit bloßen Augen oder sogar Fernglas erkannte, würde eben diese Bedrohung wenige Augenblicke später aus allernächster Nähe sehen können.
Danach war die Zentrale tiefer in die Frontwand verlegt worden, wo sie vor Glückstreffern und Angriffen effizienter geschützt sein würde. Stattdessen hatte man Forward als Erholungsgebiet ausgewiesen.
Nun, im Moment war es für Zivilisten gesperrt, weil wir auf Alarmstufe gelb waren.
Was bedeutete, dass ich die gut dreitausend Quadratmeter Park und Sportanlagen fast für mich alleine hatte.
Ein guter Platz, um mal ein wenig nachzudenken.
Ein wenig enttäuscht zog ich ein Resumée über die Frauen in meinem Leben. Es schien tatsächlich so, als hätte das Gros jener, die mich vor drei Jahren noch als Beute betrachtet hatten, endlich eine funktionierende, feste Bindung gefunden.
Deswegen liebten sie mich nicht weniger, ich war nur eben die Nummer zwei geworden.
Nicht, das ich es nicht gut fand, dass sie ihre eigenen Leben hatten, ihre eigenen Beziehungen. Aber das nicht einmal eine, eine einzige die Gelegenheit genutzt hatte, die Megumis Tod mit sich brachte… Nun, es zeugte von Taktgefühl, zugegeben. Aber im gleichen Atemzug fühlte ich mich uninteressant und alt.
Das männliche Ego war eben schon immer ein sehr fragiles Gebilde, das mit einem Hammer kaum zu zerstören war, Nadelstichen aber schnell nachgab.
Zugegeben, wenigstens Kitsune-chan hatte es versucht. Aber auch eher halbherzig, und hauptsächlich, um mich nicht auf dumme Gedanken kommen zu lassen.
Allerdings war ich mir darüber klar, dass ihre Angebote vollkommen ernst gemeint waren und ich nur nicken musste. Was mir für einen Moment wieder einmal den Hemdkragen zu eng werden ließ. Vor allem wenn ich an ihren perfekten Hintern, die langen Beine und die süßen Lippen dachte…
Wütend rief ich mich selbst zur Ordnung. Ich war fast einundzwanzig Jahre, hatte zwei Angriffe auf den Mars angeführt und eine neue Allianz zwischen Mars und Erde geschmiedet, in die ich die Naguad mit einbezogen hatte. Außerdem war ich mit meinen Abschüssen das unumstrittene Topaß der UEMF und leitete hier und heute eine ganze Division mit den besten, den allerbesten Mecha-Piloten, welche die Erde aufbieten konnte. Und dann ließ ich mich von dem Verlust meiner Freundin und den eindeutigen Angeboten einer zweitausend Jahre alten Dämonin aus der Bahn werfen?
Über mich selbst amüsiert senkte ich den Kopf und lachte leise.
Eine. Zumindest eine hätte es ja wenigstens versuchen können. Gab es denn nur Pärchen auf diesem Schiff? Oder musste ich mich am Ende meiner Cousine um den Hals werfen?
Wenn das so weiterging, entwickelte ich definitiv noch einen Minderwertigkeitskomplex.
„Akira-sama?“, erklang hinter mir ein dünnes Stimmchen.
Ich wandte mich um und erkannte Yamagata, die sich verbeugt hatte und in respektvollem Abstand wartete.
„Ai-chan“, rief ich erfreut. „Dich habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Was führt dich zu mir?“
Yamagata richtete sich wieder auf und kam langsam näher. „Nun, Akira-sama, es gibt da etwas, was… Was ich dir sagen muß. Ich hätte es schon längst tun sollen, aber irgendwie war nie die richtige Zeit.“
Innerlich musste ich grinsen. Na, wenigstens eine. Das beruhigte meine geschundene Seele, wenngleich ich jetzt schon wusste, dass für Ai-chan in meinem Herzen nicht mehr Platz war als sie ohnehin schon einnahm.
„Was denn? Und jetzt hast du Zeit? Ich dachte, Joan dreht das Video mit den Slayern und du bist als zweite Gitarre engagiert.“
„Wir haben Drehpause, Akira-sama. Und meine nächste Schicht beginnt erst in acht Stunden, und da ich wusste, wo du gerade warst, da dachte ich mir…“
Ich legte mir schon die ersten Gedanken zurecht, die ich der armen Yamagata um die Ohren hauen würde und bedauerte es schon vorher. Sie war auf ihre eigene Art ein prächtiges Mädchen und ich mochte sie sehr. Aber an Megumi würde sie niemals heranreichen. Geschweige denn sie jemals ersetzen können.
„Da dachtest du dir…“, half ich aus, als sie daraufhin lange Zeit schwieg.
Ich hatte amüsiert klingen wollen, aber der Blick in ihren Augen verschaffte mir eine Gänsehaut. Er galt nicht mir, aber die professionelle Kälte, die plötzlich in ihnen stand, passte nun überhaupt nicht zu dem kleinen Mädchen vor mir.
Ich wirbelte auf dem rechten Fußballen herum, riss meine rechte Hand hoch und traf gerade noch rechtzeitig ein Shuriken, welches auf meinen Rücken gezielt gewesen war. Sirrend flog es davon, prallte gegen eine Säule und verschwand in einem nahen Gebüsch.
Mein Puls begann zu rasen, mein Atem beschleunigte sich. War ja klar, es war viel zu lange zu ruhig gewesen.
Hinter einem anderen Pfeiler kam ein schwarz gekleideter Mann mit ebenfalls schwarzer Gesichtsmaske hervor. Er trug eine rote Schutzbrille. Alles in allem erinnerte mich diese Uniformierung an die Killer, die mich und die Jungs damals beim Training auf dem Tempelgelände angegriffen hatten. Oder an die in unschuldige Menschen implantierten Agenten der Kronosier, die hinter meinem Leben her waren.
Ich hob den linken Arm leicht an, deutete damit an, Yamagata hinter mich zu drücken. „Such dir eine ruhige Ecke, Ai-chan. Das wird gefährlich“, knurrte ich.
Kurz bellten Schüsse auf, laute Schreie waren zu hören. Dann explodierte eine Tür und weitere Killer kamen in den Raum. Ich zählte neun.
Zusammen mit mir und Yamagata waren aber bestenfalls fünf Besatzungsmitglieder der AURORA anwesend, und keiner war bewaffnet. Unsere Gegner hingegen trugen Schwerter, Schusswaffen und Shuriken in den verschiedensten Ausführungen.
Das Beste würde sein, die Unbewaffneten in Sicherheit zu bringen. Aber dafür würde ich keine Gelegenheit mehr haben.
„Nun geh schon!“, blaffte ich Yamagata an.
„Tut mir leid, Commander, aber das kann ich nicht tun“, sagte sie mit der gleichen Kälte, die ich auch schon in ihren Augen gesehen hatte. Sie trat neben mich und fixierte das Gros der Angreifer. Fünf von ihnen umgingen uns und versuchten in unsere Rücken zu kommen. Einige fuchtelten mit ihren Schusswaffen, hauptsächlich Glock und MPs, andere hatten ihre Schwerter gezogen.
Yamagata griff hinter ihren Rücken. Als die Hände unter der Uniformjacke wieder zum Vorschein kamen, sah ich zwei lange Dolche, die man anscheinend ineinander stecken konnte, um die Klingen zu verbergen.
„Akira-sama, es wäre besser, wenn du zu deinem Schutz dein KI aktivierst“, sagte sie ernst. „Mit Verstärkung können wir frühestens in vier, fünf Minuten rechnen. Ich werde mein Möglichstes tun, damit du so lange überlebst.“
„Ai-chan“, sagte ich bestürzt.
Das war nicht die schüchterne kleine Spitzentechnikerin, die ich auf dem Mond kennen gelernt hatte. Oder die mit mir durch den Urwald des Rio de la Plata geflohen war.
Kurz huschte ein Schmunzeln über meine Züge.
„Du hast einen Plan, Ai-chan?“, fragte ich und drehte mich so, dass ich die fünf in unserem Rücken sehen konnte. Mein KI loderte als sichtbare Aura um meine Hände und hatte sich unsichtbar über meinen Körper gelegt.
„Wie wäre es mit überleben, Akira-sama? Sobald der Kampf beginnt, setzt du dich ab. Ich halte sie so lange auf wie ich kann.“
„Abgelehnt. Ich lasse dich hier nicht sterben, Ai-chan.“
„AKIRA-SAMA!“, begehrte sie auf, aber ich winkte ab.
„Geschenkt. Nächste Idee?“
„Alle töten.“
Ich stockte für einen Moment. Das letzte Mal, dass ich jemanden getötet hatte, war auf dem Mars gewesen. Ich hatte meinen Erzfeind Taylor im MechKampf getötet. Seitdem hatte ich unbewusst immer wieder davor zurück geschreckt, weil ich eigentlich der Meinung war, mehr als genug für ein Dutzend Leben getötet zu haben. Nicht einmal als wir am Tempel überrascht worden waren hatte ich getötet. Zumindest hatte ich nicht den Vorsatz gehabt.
Aber Yamagata hatte Recht. Bei einer Übermacht eins zu fünf war es purer Luxus, den Gegner überleben zu lassen und ihm die Chance auf einen zweiten Angriff einzuräumen.
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. „Guter Plan.“
Übergangslos sprintete ich los, Yamagata lief in die andere Richtung. Damit hatten wir unsere Gegner überrascht, das merkte ich, als die beiden, die ich als erstes anvisierte zögerten, ihre Waffen auf mich abzufeuern.
Im nächsten Augenblick hatte ich sie aber schon erreicht. Ich glitt zwischen ihnen hindurch, ohne sie zu verletzen. Stattdessen griff ich nach den beiden Schwertern auf ihren Rücken und zog sie hervor. Ich ging in die Hocke, Schüsse eines Dritten huschten über mich hinweg. Dann stieß ich beide Schwerter ohne hin zu sehen kraftvoll nach hinten. Ich spürte auf beiden Widerstand. Ein Geräusch wie platzende Wasserschläuche erklang und für einen winzigen Moment gönnte ich mir, innezuhalten. Ich hatte auf die Herzen meiner Gegner gezielt und anscheinend getroffen.
Danach riss ich die Klingen wieder hervor, legte mein Gewicht auf das linke Bein und glitt einmal fast um die eigene Achse. Damit brachte ich den rechten Toten effektvoll als Schild zwischen mich und die restlichen drei Killer auf meiner Seite.
Was auch bitter nötig war, denn eine Kugel streifte mich an der Seite, während die anderen in mein unfreiwilliges Schild einschlugen.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Yamagata einem Gegner mit dem Dolch die Kehle durchtrennte. Ein anderer lag bereits tot am Boden, ein dritter starrte auf das, was einmal sein rechter Arm gewesen war. Einen Moment später steckte Ai-chans zweiter geworfener Dolch in seinem Visier.
Sie kam zurecht, mehr musste ich nicht wissen.
Mit meinem Körper fing ich meinen unfreiwilligen Schild auf, hielt ihn so noch einen Moment aufrecht, glitt an ihm vorbei und ging die anderen drei an.
Mit der Rechten warf ich eines der Schwerter auf den Mittleren, traf ihn mittig in die Brust. Der andere griff mich mit dem Schwert an, während Nummer fünf aus der Ferne mit seiner Uzi angriff.
Ich entging dem Schwerthieb nur knapp, geriet in die Salve der Uzi und verdankte es nur einem hastig errichteten KI-Schild, dass ich nicht perforiert wurde. Die kinetische Energie schlug dennoch durch und prügelte mich einen Schritt zurück. Zu meinem Glück, denn dort wo ich zuvor gestanden hatte, ging die Klinge des Schwertkämpfers nieder. Ich wirbelte wieder herum, kam zwischen ihn und den Vierten, dem immer noch eines der Schwerter in der Brust steckte. Ich ergriff den Griff, zerrte die Waffe frei, wehrte mit der Linken den nächsten Angriff ab und verschaffte der Klinge ihr nächstes Opfer.
Wieder fuhr ich herum, versuchte meine Möglichkeiten abzuschätzen, aber mein Gegner war nahe, feuerbereit und kurz davor, den Trigger einzudrücken.
Einst hatte ich fast ein Herakles-Schwert mit meinem KI-Schild aufgehalten. Aber in diesem Moment machte ich mir ernsthaft Sorgen, ob ich mit ein paar simplen Kugeln vom Kaliber neun Millimeter fertig werden würde.
Dies war einen Augenblick, bevor der schlanke Dolch in seinem Hals links eintrat und rechts eine Fontäne aus Blut austreten ließ.
Mit einem gurgelnden Geräusch, das wenig mit den Lauten zu tun hatte, die eine menschliche Kehle normalerweise produzierte, sank der Mann zu Boden.
Ich wirbelte herum, erfasste sofort die Situation. Yamagata hatte einen ihrer Dolche geworfen, um mich zu unterstützen. Dabei war sie das Risiko eingegangen, von ihrem letzten Feind getroffen zu werden. Dieser ließ sich nicht lange bitten, griff mit seinem Schwert an.
„AI-CHAN!“, brüllte ich, warf eines meiner Schwerter, aber es würde von der Zeit her nicht mehr reichen, um die Freundin zu retten, egal wie stark mein Wille war, dies zu tun.
In diesem Moment expandierte meine Aura, erfasste meine Klinge und riss sie mit sich fort. Sie wurde irrwitzig beschleunigt und raste direkt auf Yamagata zu.
Ich erlebte den Moment wie in Zeitlupe mit, als die Waffe Ai erreichte und sich knapp vor ihrer Schulter in der Luft drehte, ihren Körper passierte, und in den letzten Angreifer einschlug.
Überrascht und entsetzt starrte die Technikerin auf ihre Schulter, dann auf den Angreifer.
Kraftlos sackte sie zusammen, stürzte auf ihren Hintern und ließ die Knie nach innen einfallen.
„Ai-chan!“, rief ich hastig, lief zu ihr, während die ersten unbewaffneten Soldaten vorsichtig näher kamen, um zu helfen. Alarm gellte auf, Verstärkung würde nun nicht mehr lange dauern.
„Ai-chan!“, sagte ich atemlos, als ich neben ihr zu Boden stürzte.
„Gott“, hauchte sie. „Akira-sama, ich dachte, mit mir wäre es aus.“
Für einen Augenblick dachte ich darüber nach, ob ich das Risiko eingehen konnte, diese Frau zu umarmen, entschied mich aber dafür. Es fühlte sich überraschend gut an und Yamagata zitterte in meinen Armen.
Eine Stunde später, nachdem die Leichen fortgeschafft worden waren und man die allgemeine Untersuchung abgeschlossen hatte, saß ich mit Yamagata auf einer Bank und sah hinaus in Fahrtrichtung. Lorania war bereits als heller Stern zu erkennen, ebenso einer der Monde, Dipur.
Ich lächelte die Technikerin an. „Irgendwie habe ich immer geahnt, dass du einer der Menschen bist, die von einem Agenten übernommen worden sind, Ai-chan.“
„Was für Agenten, Akira-sama? Ist das Programm Phönix etwa schon so weit fortgeschritten?“ Sie sah mich Stirn runzelnd an.
„Programm Phönix?“, argwöhnte ich.
„Eine Operation, bei der mit Hilfe des KI einem Verstand eine fremde Persönlichkeit aufgeprägt werden kann. Juichiro Tora hat daran gearbeitet.“
„Woher weißt du das alles, wenn du nicht die Agentin bist?“ rief ich verwirrt.
Kleinlaut sah sie fort von mir, war nun beinahe wieder das verschreckte Mädchen mit den Mich will keiner haben-Hinweisschild auf der Stirn. „Deswegen wollte ich ja mit dir reden, Akira-sama. Ich… Ich war nicht ehrlich zu dir. Um genau zu sein, eigentlich fast nie. Ich… ich bin…“ Statt den Satz fortzusetzen stand sie auf und salutierte. „Second Lieutenant Ai Yamagata von der United Earth Mecha Force, Abteilung für externe Einsätze.“
Nun war es an mir, erschüttert zu sein. „Du… Du bist eine Geheimagentin?“
Sie setzte sich wieder. „Verstehst du jetzt, warum es mir nicht leicht fällt, dir das zu erzählen, Akira-sama? Ich bin eine von den Agenten, die darauf angesetzt wurden, von den Kronosiern rekrutiert zu werden, um sie zu infiltrieren. Ich und mein Partner und Führungsoffizier haben es relativ schnell geschafft. Aber während er rasch Karriere machte, sollte ich behutsamer sein, als seine Lebensversicherung.“ Sie senkte den Blick. „Nach der Eroberung des Mars sollte ich eigentlich wieder zur UEMF zurückkehren, aber die Strukturen der Kronosier waren noch nicht erloschen, also erhielt ich Befehl, meine Tarnung aufrecht zu erhalten. Später, nachdem du untergetaucht warst, bekam ich den Auftrag, dich auf dem LMR-Gelände in Armstrong zu beschützen. Und noch später sollte ich das hier auf der AURORA fortsetzen.“
„Und jetzt enttarnst du dich? Wieso?“, fragte ich überrascht.
„Weil… Weil ich nicht will, dass… Akira-sama, mein Führungsagent war Lieutenant Commander Shawn O´Donnely vom britischen MI6.“
Ich sah sie an, blinzelte. Blinzelte noch einmal. „Taylor“, hauchte ich leise, beinahe tonlos. Ihr Führungsagent war Henry William Taylor gewesen. Mein ewiger Rivale. Mein Gegenpart. Der übergelaufene Geheimagent. Der Mann, der beinahe Megumi und mich getötet hätte. Der mir aber auch erklärt hatte, wie der Temporalresonator zu manipulieren war, der die gesamte OLYMP-Plattform in Zeitstarre hatte fallen lassen. Der Yohko für mich beschützt hatte, nachdem ich sie unwissentlich auf dem Mars zurückließ. Und der mir den entscheidenden Tipp mit dem Core gegeben hatte.
Und wenn ich seinen letzten Worten glauben konnte, hatte er mir Primus geschickt. Nicht einfach nur an die UEMF, sondern mir direkt. Was einiges von damals erklären würde…
Meine Gefühle dem gefallenen Agenten gegenüber waren sehr zwiespältig. Und am zwiespältigsten betrachtete ich, dass ich Gefühle für ihn empfand, die nicht nur auf Hass und Verachtung beschränkt waren.
Stattdessen hatte ich ihn getötet. Und die Frau, die mit ihm zusammen gearbeitet hatte war Ai Yamagata gewesen? Ich sah sie an, unsicher.
Sie sah ebenso unsicher, beinahe verzweifelt zurück. „Akira-sama, du musst verstehen, du darfst Shawn nicht für immer so sehen, wie du ihn in Erinnerung hast. Er hat versucht dich zu töten, aber zugleich hat er mir auch den Befehl gegeben, den Selbstzerstörungsmechanismus der Stadt auszuschalten und…“
„Selbstzerstörungsmechanismus? Martian City hatte einen Selbstzerstörungsmechanismus?“
Und Taylor hatte seiner Untergebenen befohlen, ihn zu deaktivieren, damit die Stadt in unsere Hände fallen konnte, falls wir siegten. Die Stadt und zehntausende Bewohner.
„Er… er war korrumpiert. Ich weiß das, weil ich ihm meistens sehr nahe war und sah, wie er sich veränderte. Aber er war kein völliger Verräter. Seine letzten Worte an mich waren: Wenn sie siegen, dann haben sie es verdient. Und dann verdienen sie ebenso wenig wie die Menschen und Kronosier hier, dass diese Kaverne zu ihrem Grab wird. Gib ihnen die Stadt, Ai.“
Lange Zeit sagten wir nichts. Dann sah ich sie wieder an. „Warum erzählst du mir das alles, Ai-chan?“
„Weil… Weil ich will, dass du O´Donnely im richtigen Licht siehst. Ich bin hier und bereit für dich zu sterben, das verspreche ich dir. Aber bitte, gib dem Andenken an den Commander eine Chance.“
„Du verlangst viel“, erwiderte ich leise. „Du verlangst so unendlich viel, Ai-chan.“
„Ich verlange nicht, dass sein Name rein gewaschen wird. Dazu weiß ich zu gut, wie er letztendlich war und welche Schuld er sich aufgeladen hat“, setzte sie nach, „aber von dir, seinem Erzfeind, der ihn getötet hat, dem er so oft so viel bewahrt hat… Ich bitte dich, Akira-sama, denk über ihn nach.“
Ich erhob mich von der Bank, beugte mich vor und gab der jungen Frau einen Kuss auf die Wange. „Das werde ich, Ai-chan. Und jetzt sieh zu, dass du das Polizeiprotokoll hinter dich bringst und ins Bett gehst. Morgen hast du Schicht, und danach wartet wieder Joans Video auf dich.“
Dein Leben wartet, hatte ich sagen wollen. Aber ich brachte es nicht über die Lippen.
Sie antwortete nicht, doch ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, bevor sie wieder in ihre Rolle als schüchterne Ai schlüpfte, um der Polizei Rede und Antwort zu stehen.
Taylor hatte also nicht alleine gearbeitet. Und sein Partner war nicht wütend auf mich, hatte mich sogar beschützt und… Ich senkte den Blick, folgte kaum den Fragen meiner eigenen Befragung. So leicht vergeben zu können… Ein Gedanke pochte an meine Stirn, verlangte, gedacht zu werden, aber irgendwie bekam ich ihn nicht zu fassen, obwohl ich ahnte das er wichtig war. Am Ende blieb nur Ai-chan und das Gefühl, meiner Verzweiflung im Kampf mit den Attentätern für lange Zeit entkommen zu sein. Es fühlte sich gut und leicht an.
4.
Aria Segeste bekam einen Empfang, den sie nicht erwartet hatte. Eine Division bestand aus fünfhundert Banges-Krieger, ihrem Führungsstab, dem technischen Stab und diversen Hilfsdiensten. Alles in allem kam man auf fast tausenddreihundert Leute, wenn man die für eine Division erforderliche Basis mit hinzu zählte.
Und all diese Naguad waren angetreten, um ihre Ankunft zu zelebrieren.
Kaum das Aria die Rampe des Shuttles herab kam, klang tosender Applaus auf, der einfach nicht enden wollte. General Yonn Desartes, der Kommandeur der Division Ehre oder Tod empfing sie persönlich und führte sie an ein Rednerpult heran.
Doch zuerst hielt er eine eigene Rede.
„Fünftes Bataillon. Ich übergebe dir hiermit deine neue Kommandeurin Aria Segeste, die mit sofortiger Wirkung zum Major befördert wird. Sie ist die beste Banges-Kriegerin der TAUMARA und hat als einzige einen Sieg über ein Topaß der United Earth Mecha Force errungen, Colonel Megumi Uno, die laut unseren Untersuchungen als Elite anzusehen ist. Mit ihr werdet Ihr eure Pflicht erfüllen, tapfer und aufrecht.“
Lauter Jubel erklang und Aria lächelte still in sich hinein. Ihr Bataillon für sich einzunehmen erschien ihr auf einmal nicht mehr so schwierig.
Der General bat sie ans Rednerpult.
Aria ließ ihren Blick über ihre Landsleute schweifen. Nicht alle waren geborene Naguad, viele hatten die Gift erhalten, wurden nun aber als vollwertige Kameraden behandelt. Sie sah sieben oder acht verschiedene Grundtypen der Gift, die leichten genetischen Variationen der anerkannten elf Arten, die verliehen wurden, und ein gewisser Stolz erfüllte sie. Stolz auf das Imperium und seine sanfte Art zu regieren.
„Es ist wahr, ich habe Colonel Uno besiegt. Aber dafür hat mir Commander Otomo klar meine Grenzen aufgezeigt. Sie alle kennen unseren Auftrag, nehme ich an. Wir werden ausrücken, um die Erfahrungen zu vertiefen, die meine Banges-Kompanie gemacht hat, damit spätere Kämpfe nicht mehr so verlustreich ausfallen wie jene der TAUMARA oder den, in den wir gehen werden.
Ich gebe Ihnen allen zwei gute Ratschläge. Arbeiten Sie immer als Team ist der erste. Greifen Sie den weißen Mecha niemals alleine an ist der zweite.
Ich habe Akira Otomo und Megumi Uno kennen gelernt, war lange Zeit ihrem persönlichen Haushalt zugeteilt gewesen und habe in ihnen gute Freunde gefunden. Doch wenn ich in die Schlacht ziehe, zusammen mit Ehre oder Tod, dann wird all dies keine Rolle mehr spielen, denn wir sind Soldaten. Mehr noch, Akira Otomo und seine Krieger sind Soldaten. Erwarten Sie keine Gnade, gewähren Sie keine Gnade, denn dies ist der Weg unserer Krieger, dies ist der Weg ihrer Krieger. Verinnerlichen Sie das und Sie werden leben. Danke.“
Zögerlicher war der Applaus diesmal, wuchs aber nach und nach an.
Der General trat wieder ans Rednerpult. „Major Segeste, Sie verkörpern die besten Ideale, die das Imperium von seinen Soldaten verlangt. Die Ehre, ein Bataillon der Division in diese Schlacht zu führen ist aber nicht die einzige Würdigung Ihrer Haltung. Das Oberkommando hat noch eine Belohnung für Sie.“
Auf das Zeichen des alten Offiziers wurde ein Banges-Tor geöffnet, und ein zwölf Meter großer Riese stapfte herein. Aria erkannte ihn sofort. Ihre Hände begannen zu zittern. Der rote Gigant war nichts weiter als… „Lady Death.“
„Richtig. Der Mecha von Colonel Megumi Uno. Mit Hilfe von Banges-Modulbausteinen repariert. Ab sofort ist es Ihr Banges, Major.“ Der General sah in den Hintergrund der Halle. „Und sie wünscht es auch, dass Sie in den Banges klettern.“
„Sie?“ Aria folgte den Blick des alten Offiziers und sah die kleine Gruppe abseits an einem kleinen Nebengang stehen. Das hieß, drei von ihnen standen. Die vierte Person, dicht verpackt unter medizinischen Verbänden und mit Decken in einem Gyrostuhl eingepackt, saß natürlich. Der Kopf war ebenfalls verbunden, aber Aria konnte genug erkennen, um sich an das Gesicht zu erinnern.
Ein Stich ging durch ihr Herz und sie spürte ihre Beine weich werden. Haltlos taumelte sie und wäre gestürzt, wenn Desartes nicht beherzt zugegriffen hätte.
„Beherrschen Sie sich“, raunte er ihr zu. „Nur wir und diese Offiziere wissen, wer sie ist. Würde bekannt werden, wer uns da besucht, wie würde die Reaktion Ihrer Kameraden aussehen? Sie geht dieses Risiko für Sie ein. Würden Sie diesen Akt von Krieger zu Krieger.
Aria nickte schwer. Langsam bekam sie beides in ihren Griff – ihre Gefühle und ihren Körper.
Sie fixierte die Gestalt im Gyrostuhl und salutierte auf terranische Art.
Die Gestalt wiederholte den Salut. Kurz darauf verschwand die Gruppe wie ein Spuk.
„Megumi“, hauchte Aria. In ihrer Stimme kämpften Entsetzen und Erleichterung miteinander.
**
In Poseidon herrschte explosive Stimmung. Die AURORA und ihre Begleitschiffe waren nur noch achtzehn Stunden von der Umlaufbahn Loranias entfernt. Das Gigantschiff begann bereits mit dem Bremsmanöver.
Damit aber machte sie sich auch angreifbar, denn je langsamer das Schiff wurde, desto öfter konnte es bekämpft werden.
Bis auf zwei Ausnahmen hatten alle Kämpfe, die von Schiffen der UEMF ausgefochten worden waren, im Orbit eines Planeten oder zwischen Erde und Mond stattgefunden.
Zuerst der Kampf gegen die TAUMARA und danach gegen die Patrouille hatten nicht dieser Regel entsprochen.
In einem planetaren Orbit spielten Eigengeschwindigkeit und eigene Richtung bereits eine elementare Rolle. Doch zwischen den Planeten oder im freien All waren sie essentiell. Um einen Feind mit einer hohen Eigengeschwindigkeit zu bekämpfen musste man entweder selbst die gleiche Richtung und dessen Geschwindigkeit haben – oder etwas mehr, falls man Wert darauf legte, ihn einzuholen – oder man passierte den Feind und erhielt Gelegenheit für genau einen Angriff.
Die wichtigste Erkenntnis hier war, je schneller das Ziel war, desto schwieriger war es zu erreichen, zu treffen, zu vernichten.
Das die AURORA nun abbremste, um sich de Geschwindigkeit des sich im Sonnensystem bewegenden Planeten Lorania anzupassen, bedeutete einen Vorteil aus der Gleichung zu nehmen. Denn wenn das Ziel eine geringe Eigengeschwindigkeit innehatte, fiel es dem Angreifer leichter, Geschwindigkeit und Kurs des Gegners erneut aufzunehmen, selbst nach einem Passierangriff.
„Bericht“, sagte Admiral Ino ernst.
„Sakura, was wir da vor uns sehen ist die Fünfte Mobile Banges-Division Ehre oder Tod, eine reine Naguad-Einheit von der Axixo-Basis auf Jomma, dem kleineren Mond von Lorania.“
„Eine Naguad-Einheit?“ Fragend ging ihr Blick zu ihrem Bruder.
Makoto nickte bestätigend, bevor er seinen Bericht fortsetzte. „Du hast schon richtig gehört. Die Naguad setzen eine ihrer eigenen Einheiten ein.“
„Die Signalwirkung, die sich daraus ergibt ist klar“, führte Admiral Hayes fort. „Besser könnten die Naguad gar nicht zeigen, wie sehr ihnen die Sicherheit der Anelph am Herzen liegt, indem sie ihre eigenen Leute opfern. Wenn Naguad sterben, dann werden sie zu Märtyrern des Imperiums und der Anelph. Das bringt uns in eine unheilvolle Agressorrolle.“
„Gibt es eine Möglichkeit, diesen Kampf zu vermeiden?“, hakte sie nach.
„In der Funkbotschaft, die wir erhalten haben, verlangt die Fünfte, dass wir stoppen und eine Prisenmannschaft an Bord lassen. Im Klartext fordern sie unsere Kapitulation.“ Makoto sah sie ernst an. „Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir aus diesem Schlamassel rauskommen, ohne diese Division aufzureiben.“
Im Besprechungsraum flackerte für eine Sekunde das Licht, danach aktivierte sich der Alarm.
„Was ist los?“
„Admiral, Major Hatake hier. Commander Otomo ist soeben mit Prime Lightning und einem Booster aufgebrochen. Sein Ziel ist die Banges-Division.“
„Verdammt! Will er Selbstmord begehen?“, blaffte Sakura.
„Nein, das will er nicht… Natürlich… Ja… Schlauer Akira, sehr schlauer Akira. Er hat den einzigen Weg gefunden, wie wir aus dieser moralischen Schlappe herauskommen.“ Makoto sah mit leuchtenden Augen in die Runde. „Wenn ein Mecha, ein einzelner Mecha diese Division konfrontiert, was werden die Naguad machen? Alle zusammen angreifen? Dann stehen sie wie Feiglinge da. Einzeln? Akira wischt den Boden mit ihnen auf. In einer kleinen Gruppe? Selbst wenn Akira verliert, ein paar wird er erledigen. Dann stehen die Naguad als Feinde und unfähig da. Dann lass sie Märtyrer sein, soviel sie es wollen, aber sie sind unfähige und wehrlose Märtyrer.“
„Trotzdem geht er ein unvereinbar hohes Risiko ein“, murrte Sakura. „Gib sofort Befehl, dass ihm die besten Hekatoncheiren mit den verbliebenen Boosterpacks folgen.“
„Abzüglich der vier LRAOs, die gerade im Einsatz sind, wären das drei, die ihre Booster mit KI verstärken können, und elf, die mit normalen Boostern fliegen können.“
„Moment, wir haben zwanzig Booster?“
„Unsere Fabriken produzieren nicht nur Kleidung, Cola, Munition und Bier, Schwesterherz. Die nächsten fünf Booster sind bereits in Produktion.“
„Ach? Freut mich zu hören. Wann wird Akira die Fünfte erreicht haben?“
„Wenn er so weiter fliegt, in elf Minuten. Die Banges der Division sind unserer Geschwindigkeit angepasst und nur minimal langsamer, damit wir sie nach und nach einholen. Bis das bei diesem Tempo der Fall ist, hat Akira eine halbe Stunde. Dann müssen die Waffen der Begleitflotte sprechen.“
Sakura dachte kurz nach. „Die KAZE und die YAMATO sollen beschleunigen. Sie müssen drei Minuten vor der AURORA in Waffenreichweite sein.“
„Aye, Ma´am.“ Admiral Richards nickte.
„Und was machen wir jetzt mit Akira? Ich meine, er ist ohne Befehl ausgerückt.“
„Du willst ihn doch nicht bestrafen, oder?“, wandte Makoto ein. „Immerhin wärst du die Erste gewesen, die es ihm verboten hätte, wenn er einfach gefragt hätte.“
„Schon, schon“, gab sie zu.
„Betrachten wir es doch einfach als Eigeninitiative im Rahmen seiner Befehlsgewalt. Er hat eben den besten Hawk-Pilot seiner Division geschickt.“
„Damit kann ich leben, Admiral Richards. Diesmal zumindest. Aber wenn er so was noch mal macht…“
„Äh, Sakura, irgendwie umgibt dich gerade eine düstere Aura. Trainierst du heimlich dein KI?“
Admiral Ino lächelte ihren Bruder an. „Wie kommst du denn darauf, Mako-chan?“
Der Stabschef atmete erleichtert auf.
„Das beherrsche ich doch schon längst…“
Makoto wurde bleich. „Das erklärt einiges.“
**
„Du Vollidiot!“, blaffte ich wütend. „Du verdammter Vollidiot! Wem willst du eigentlich was beweisen? Was denkst du, erreichst du damit, wenn du fünfhundert Mechas alleine angreifst? Denkst du vielleicht, nur wegen der missratenen Übung gegen die Hekatoncheiren bist du unsterblich?“
„Sir, darf ich fragen, mit wem Sie reden? Ist erneut ein Daimon an Bord?“
„Schon in Ordnung, Prime, ich schimpfe über mich selbst. Alleine gegen fünfhundert Mechas, das ist Wahnsinn.“
„Nicht für Sie, Sir.“
„Danke für die Blumen, Prime, aber ein Großteil meines Erfolges ist Glück.“
„Napoleon Bonaparte sollte mal ein Colonel zur Beförderung zum General vorgeschlagen worden sein. Seine Stabsoffiziere priesen ihn als intelligent, guten Taktiker und Strategen. Und Napoleon fragte: Das ist ja gut und schön, aber hat er auch Glück?
Das Glück, Sir, ist gut für den, der es hat. Man sollte sich nicht darauf verlassen aber es hinnehmen, wenn es kommt.“
„Mensch, das nenne ich ja einen tiefsinnigen Kommentar.“
„Ich bin eine Künstliche Intelligenz, Sir. Ich bin lernfähig.“
„Das habe ich gemerkt. Und trotzdem gehst du mit mir in eine Schlacht gegen eine solche Übermacht, Prime.“
„Sir, Sie haben nun mal das Kommando. Außerdem sagte ich ausdrücklich lernfähig. Von feige habe ich nie etwas gesagt.“
Ich lachte laut. „Wir sind schon ein tolles Gespann, Prime.
Also, wie wollen wir vorgehen? Wie machen wir es am besten? Warten und sie einzeln herausfordern? Oder warten wir auf ihre Reaktionen?“
„Ich wäre für die Herausforderung, Sir. Im Übrigen kommen wir jetzt in Reichweite. Ich werfe den Booster ab und beginne mit dem Bremsmanöver.“
„Einverstanden. Was sagt die Zentrale?“
„Poseidon meldet, dass sie uns eine Kompanie Mechas verschiedener Klassen hinterher schickt. Ebenso beschleunigen die Fregatten KAZE und YAMATO.“
„Das passt. Wenn wir in der Unterzahl sind und den Naguad den Arsch aufreißen, dann stehen sie verdammt mies da. Und wenn wir beide dann noch den richtigen Auftritt hinlegen, dann…“
„Entschuldigen Sie, Sir, aber darf ich fluchen?“
„So, so, du bist lernfähiger als ich dachte. Natürlich darfst du fluchen.“
„Heilige Scheiße.“ Misstrauisch sah ich von den Kontrollen auf. „Und warum wolltest du fluchen?“
„Weil ich Telemetriedaten eines UEMF-Mechas empfange. Aus den Reihen der Fünften Banges-Division.“
Prime verstummte für ein paar Sekunden, aber für mich dehnten sie sich zu einer Ewigkeit. „Was?“
„Um genauer zu sein, ich empfange rudimentäre Telemetriedaten von Lady Death.“
Übergangslos fühlte ich das Blut in meinen Ohren rauschen. Nicht nur, dass die Naguad Megumi getötet hatten, nein, nun demütigten sie mich noch damit, dass sie ihren Hawk-Mecha erneut einsetzten. Und das auch noch gegen mich!
Übergangslos trieb ich den Fahrtregler bis zum Anschlag nach vorne, aktivierte die Armsteuerung und ergriff die beiden Herkules-Klingen.
Unbewusst kumulierte ich KI; ich merkte es daran, wie zuerst meine Arme und dann das Innere des Cockpits aufleuchtete. Ich sah, fühlte und spürte, wie das KI auf die beiden Klingen überging und sie ebenfalls im blassen Schein meines KI aufleuchten ließ.
„Sir, was ist aus dem Plan mit der Herausforderung geworden?“
„Der wurde geändert! Nun lautet der Plan: Frontalangriff!“
„Keine gute Idee, Sir.“
„Gib mir Daten. Wo ist Lady Death?“
„Die Mechaformation ist ungefähr einen Kilometer tief gestaffelt. Lady Death befindet sich in der linken Flanke in ungefähr vierhundert Meter Tiefe. Wenn ich einen Anflugkorridor von fünfzig Metern im Quadrat rechne, dann stehen zwischen uns dreißig Banges mit unterschiedlicher Modulbewaffnung, sieben Fernkampf, einundzwanzig Nahkampf und zwei neue Konfigurationen. Sir, wir werden angefunkt.“
„Was wollen denn die Naguad? Denken sie, ich kapituliere?“
„Nein, sie wünschen uns einen schnellen Tod.“
Ein eisiges Lächeln umspielte meine Züge. „Grüß zurück und richte aus, ich bemühe mich, ein paar von ihnen am Leben zu lassen.“
„Ja, Sir. Darf ich an dieser Stelle anmerken, dass ich jetzt liebe feige als lernfähig wäre?“
„Na so was. Humor hast du ja auch.“
„Galgenhumor, Sir.“
„Das passt. Ja, das passt.“
Eine Sekunde später warf ich Prime in eine Spirale, als die ersten Fernkampfeinheiten das Feuer auf mich eröffneten.
„Gut, gut, aber nicht gut genug!“ Projektile zischten harmlos an mir vorbei, Laserstrahlen gingen ins Leere. Ich an ihrer Stelle hätte nun nicht mehr gezielt auf meinen Mecha geschossen, sondern ein Netz aus Sperrfeuer weben lassen. Immerhin standen der grobe Kurs von mir und Prime Lightning fest.
Aber die Fünfte reagierte etwas anders. Die Flanken rückten auf, weitere Fernkampfmechas eröffneten das Feuer.
Ich lachte rau auf. Dieses Verhalten kannte ich doch vom Training gegen die Hekatoncheiren.
Auch sie schienen zu wissen, wer in dem weißen Mecha saß. Und sie wollten sich meinen Kopf holen. Aber sobald ich zwischen ihnen war, würde für sie der wahre Horror beginnen.
Nun griffen auch die anderen Mechas ein, Raketen zischten auf mich zu, explodierten knapp vor mir und entließen einen Schwarm aus Mini-Raketen.
Dieser Wolke zu entkommen war nahezu unmöglich. Dennoch versuchte ich so viele wie möglich zu fixieren, um das Raketenabwehrsystem auf Touren zu bringen. Die automatischen Kanonen folgten meinen Augenbewegungen und gaben kurze, gezielte Feuerstöße auf die Mini-Raketen ab. Jeder Schuss bedeutete eine weniger.
Dennoch konnte ich nicht alle abwehren. Egal, in welche Richtung ich auswich, sie waren überall.
Also zog ich mitten durch sie hindurch, denn dies war der kürzeste Weg in ihre Reihen.
Dutzende der kleinen Raketen explodierten auf Primes Panzerung, während das Raketenabwehrsystem weitere Dutzend vernichtete.
Dann war ich heran.
Ich passierte die ersten beiden Banges in nächster Nähe, zog die Herkules-Klingen über die Torsi und schnitt sie in zwei Hälften.
Ich nahm mir nicht die Zeit um mich zu vergewissern, dass ich die Cockpits nicht getroffen hatte, wie es eigentlich in letzter Zeit meine Art geworden war. Stattdessen jagte ich weiter durch ihre Reihen, zerstörte einen Fernkampf-Banges durch eine Schwertaufladung.
Links von mir gab es eine Explosion, als ein Banges im freundlichen Feuer verging. Ich registrierte es befriedigt. Die Lektion, welche ich den Hekatoncheiren erteilt hatte, würden nun die Naguad lernen.
Ich schnitt durch einen weiteren Nahkampf-Banges, feuerte meine eigenen Raketen ab und stürzte weiter auf die Position von Lady Death zu.
Prime zoomte eine Aufnahme von ihr heran und ich schnaufte empört, als ich die Artemis-Klinge ihrer rechten Hand sah.
Ich riss Prime nach rechts weg, tauchte in die dichter werdende Wand der Flanke ein, verwickelte drei Banges in den Nahkampf. Okay, ich war sauer, aber nicht verrückt. Lady Death war deswegen mitgeschickt worden um mich zu provozieren. Das hatte schon gut funktioniert. Aber das musste dann einen Grund haben. Und der einfachste Grund war eine schlichte, niedliche Falle. Also tat ich nicht das Offensichtliche, sondern ging Lady Death von der Seite an.
Falls dort nicht auch eine Falle auf mich lauerte.
Im Nahkampf waren die Banges mir unterlegen. Hinter mir explodierten zwei von ihnen, ein anderer hatte Sensorkopf und Arme verloren. Oh, sie waren gute Piloten, da stand außer Frage. Aber sie kämpften nicht als Team. Bei einem neu aufgestellten Projekt wie damals die Heaktoncheiren konnte man das verstehen, vielleicht sogar akzeptieren. Aber bei einer Naguad-Division? Hatte ihr Kommandeur so wenig Erfahrung? Waren die Piloten so scharf darauf, Blue Lightning zu töten?
„Lady Death nimmt Fahrt auf. Sie greift an.“
Ich lächelte kalt. „Prima. Dann spare ich mir den Weg.“
Ich feuerte wieder die Raketen ab, kastrierte einen Fernkampfbanges um seine Waffen und nutzte für den Gegenangriff ein neu konfiguriertes Modell als Deckung.
Plötzlich wurde Prime hart und nachdrücklich gestoppt. Beziehungsweise, ich wurde auf die Geschwindigkeit eines meiner Gegner gewaltsam angepasst.
„Wer?“, fragte ich hastig, denn bewegungslos war ich selbst für diesen Gegner eine leichte Beute.
„Hinter uns, Sir.“
Ich warf einen Blick auf die Rundumsicht. Direkt hinter mir flog eine der neu konfigurierten Einheiten. Sie war durch eine dünne Energiespur mit Prime verbunden. Eben diese Schnur hatte sich als mehrfache Fessel um den Mecha gelegt. Damit wurden meine Arme und die Herkulesklingen effektvoll aus dem Gefecht genommen.
„Die Peitsche wird elektrostatisch aufgeladen. Sir, der Banges wird gleich ein paar Millionen Ampére zu uns rüber jagen!“
„Zwischen wollen und tun ist immer noch ein Unterschied!“, blaffte ich. Mit meinem KI erspürte ich die Peitsche, fühlte den Energiefluss in meine Richtung.
Und sandte eine KI-Entladung in die Gegenrichtung!
Vor dem Banges entstand ein heller Lichtblitz, der die Umrisse des Mechas verschwinden ließ. Kurz darauf wickelte sich die Schnur wieder von Prime ab.
„Da musst du früher aufstehen, Schätzchen!“ Ich warf dem wehrlos dahin treibenden Banges einen triumphierenden Blick zu. „Prime, nimm die Daten dieser Waffe sicherheitshalber auf.“
„Sicher, Sir.“
„Wo ist Lady Death nun?“
„Noch immer im Anflug. AUSWEICHEN!“
Prime Lightning ging in eine Seitenbewegung, ausgelöst vom Sicherheitssystem der Künstlichen Intelligenz. Normalerweise bestimmte ich diese Bewegungen, aber in Notfällen hatte sie das Recht, mich zu übergehen. In diesem Fall vollkommen zu Recht, denn dort wo ich vor wenigen Sekunden noch gewesen war, zuckte die Entladung einer Artemis-Lanze vorbei.
„Danke, Prime. Ich nehme an, sie ist uns schon ziemlich nahe, wenn sie einen gezielten Schuss auf uns abgeben kann?“
„Nah ist untertrieben, Sir!“
Diesmal feuerte ich die Steuerdüsen, warf den Mecha herum, und entkam sowohl dem Hieb der Artemis-Lanze als auch dem Raketenangriff eines Fernkampf-Banges.
„Knapp daneben ist auch vorbei. Jetzt wollen wir doch mal sehen, wie dir ein guter alter Angriff nach Akira-Art schmeckt!“
Ich bremste Prime ab. Das war erforderlich, um den feindlichen Mecha angreifen zu können. Der hatte lediglich seine Geschwindigkeit, die an die AURORA angepasst gewesen war, reduziert, um mich wie in einem Atmosphärekampf angreifen zu können.
Kurz darauf war ich ein beachtliches Stück langsamer als Lady Death, rauschte also mit irrwitziger Geschwindigkeit auf den Gegner zu.
Ich hob beide Klingen im Kreuz vor Primes Brust und hielt meinen Kurs. Es tat mir weh, Lady Death dies anzutun, aber ich duldete nicht länger, dass Megumis Mecha entwürdigt wurde. Diesmal würde ich wieder ein Leben nehmen. Grimmige Entschlossenheit erfüllte mich, während Lady Death immer näher kam.
Sperrfeuer von der Seite endete nur darin, dass die Banges einander trafen.
„Wie bei der Divisionsübung“, stellte ich grimmig fest. „JETZT!“
„STOP, AKIRA!“
Ich zuckte zusammen, riss Prime aus seinem Kurs, fing ihn aber schnell wieder ab. „Was?“
Plötzlich schwebte Kitsune neben mir. „Akira, du kannst Lady Death nicht angreifen! Er wird von Aria gesteuert!“
„Was machst du hier, Kitsune?“, fragte ich entgeistert.
„Ich habe mich als Fuchs hier eingeschlichen. Ich wusste, du würdest so etwas Verrücktes machen. Ich kenne dich ja auch schon ein paar Jahre. Also, Aria ist da drin. Nicht angreifen, klar?“
Ich schüttelte den Kopf. „Kitsune-chan. Ich bin Soldat, Aria ist Soldat. So schwer das zu verstehen ist, dies ist unsere Bestimmung. Und wir beide tun hier nur unsere Pflicht. Sie versteht das. Ich verstehe das.“
„Ha. Bestimmung? Und warum bringst du dann Distanz zwischen dich und Lady Death?“
Ich erstarrte mitten in der Bewegung, wurde aber wieder aktiv, als eine Salve Raketen zwei Banges zerstörte und der Rest der Salve weiter auf mich zuhielt.
„W-weil es hier noch mehr Banges gibt, um die ich mich kümmern muß. Ich kann nicht immer mit Lady Death spielen und…“
„Du willst Aria nichts tun, habe ich Recht? Sie ist Familie, deshalb schonst du sie“, stellte sie fest und lächelte mich scheinheilig an.
„Quatsch!“
„Verbindung mit Lady Death, Sir.“
„Durchstellen, Prime.“
„Akira, verdammt! Warum schonst du mich?“
„Aria, schön zu hören, dass es dir gut geht.“
„Das tut jetzt nichts zur Sache. Warum schonst du mich? Ich bin Soldat und ich habe einen Auftrag! Wir sind Feinde! Kämpf gegen mich!“
„Idiot! Glaubst du, ich will dich verletzen oder töten? Du gehörst zur Familie!“, blaffte ich wütend.
„Du kannst nicht vor mir davonlaufen! Wenn du nicht schießen kannst, ich kann es!“
Wieder zuckte eine Artemis-Entladung auf, zuckte nur einen Meter entfernt am Torso meines Mechas vorbei.
„Ausweichen musst du schon!“, rief Aria überrascht.
„Du willst mich anscheinend auch nicht treffen, hm?“, stellte ich amüsiert fest. „Das bedeutet wohl Ende für heute. Ich ziehe mich zurück.“
„Akira!“
„Tut mir Leid, Aria, aber wenn du ehrenvoll sterben willst, dann hast du Pech. Ich mag dich lieber lebend als tot!“
„AKIRA!“
„Prime, wie viele Banges wurden vernichtet seit dem ersten Schuss?“
„Es sind genau vierundzwanzig, davon siebzehn durch Freundliches Feuer.“
„Danke, Prime. Aria, das reicht mir für heute. Denk mal drüber nach, wie viele Banges Ihr verliert, wenn erst einmal die AURORA in Waffenreichweite ist.“
„Sir, ich mische mich ungern ein, aber die Flanken schlagen zu.“
„Was, bitte?“ „Die Flanken schwenken ein und bilden einen verstärkten Riegel in Richtung der AURORA. Wenn wir uns nicht beeilen, müssen wir uns durch dreihundert Banges kämpfen.“
„Kein Problem, kein Problem“, sagte Kitsune. Einen Augenblick später leuchtete sie in ihrem kraftvollen KI auf. Übergangslos gab es einen heftigen Ruck, als Prime die Geschwindigkeit stark reduzierte. Als Resultat raste ich in Richtung AURORA durch die feindlichen Linien.
„Das wird nicht reichen, Sir. Die Spitzen der Banges treffen sich in fünf… vier… drei… sieben… sechs…“
„Hast du das zählen verlernt, Prime?“, fragte ich verwundert, während ich der Raketenabwehr wieder Arbeit gab.
„Das ist es nicht, Sir. Zehn… neun… acht… Aber Lieutenant Colonel Futabe vernichtet die feindlichen Spitzen durch permanenten Beschuss immer wieder, sodass der Countdown erneut starten muß.“
„Yoshi? Aber dann…“
„Akira, du Trottel! Wirst du wohl endlich deinen Arsch hier rüber schwingen? Ich kann dir die Tür nicht ewig offen halten!“
„Ich komme ja schon, ich komme ja schon.“ Wieder reduzierte ich Primes Geschwindigkeit in einem Gewaltmanöver. Das Ergebnis war relativ zu den Banges ein harter Beschleunigungszuwachs in Richtung AURORA.
„So, ich bin durch. Danke, Yoshi.“
„Keine Ursache, Akira. Nun nimm wieder Fahrt auf und hole uns wieder ein. Die besten Krieger der Division bilden hier einen Sperrriegel und wir können dich gut gebrauchen, wenn wir auf die Banges prallen. Hoffentlich ziehen sie sich vorher zurück.“
„YAMATO hier. Hauptwaffe bereit. Geben Sie uns ein Ziel vor, Commander.“
„KAZE hier. Klar Schiff zum Gefecht. Auf Ihr Zeichen Division Commander.“
Ich grinste schief. Mein unerhört tollkühner, idiotischer und maßloser Einsatz hatte vielleicht genügend Verluste verursacht, um die Admiralität davon zu überzeugen, dass ein weiterer Kampf nur sinnlose Opfer bedeuten würde.
„Blue Lightning schließt auf. Kein Feuer, ich wiederhole, kein Feuer.“
Langsam baute Prime wieder Geschwindigkeit auf. Langsam und in meinen Augen zähflüssig, obwohl Kitsune wieder ihr KI spendete, um Prime zu beschleunigen.
„Du kommst zu spät, Akira“, sagte Doitsu anstelle einer Begrüßung.
„Was?“
„Der Feind zieht sich gerade zurück.“
„Was? Die verderben uns den Spaß?“
„AURORA, hier AURORA. Hekatoncheiren, KAZE und YAMATO. Kurs und Geschwindigkeit beibehalten. Gegner beginnt mit dem Rückzug. Uns wurde soeben ein formeller Waffenstillstand im Namen von Admiral Neon Zut Achander angeboten. Vize-Admiral Fenn Ikosu hat das unterstützt. Wir stellen alle Kampfhandlungen bis auf Weiteres ein, bleiben aber in Bereitschaft.“
„Was? Schon? Wollen die uns nicht schlicht und einfach im Orbit um Lorania unserer Bewegungsfreiheit berauben?“, argwöhnte ich.
„Nichts, was wir nicht von vorne herein wussten, oder, Akira?“, meinte Yohko amüsiert.
„Natürlich.“ Ich schmunzelte.
„Achtung, uns wurde soeben ein Anflugkorridor auf Lorania zugewiesen. Hekatoncheiren, begleitet einen LRAO, um nach Minen und versteckten Einheiten im Kurs zu suchen. Sicher ist sicher.“
„Seit wann ist Sakura denn so misstrauisch?“, fragte Daisuke verwundert.
„Nicht misstrauisch“, antwortete ich. „Nur vorsichtig. Und sie tut verdammt gut daran.“
Ich presste die Lippen aufeinander, bis sie schmale Striche bildeten. Der Feind konnte von überall und jederzeit zuschlagen. Und wenn er es tat, dann wollte ich mir nicht vorwerfen, zu wenig getan zu haben.
Epilog:
Die AURORA schwenkte in den Parkorbit um Lorania ein. Beinahe sofort brachen die ersten Verbindungen über uns herein. Die Koordination hatte alle Hände voll zu tun, um die Flut wenigstens einigermaßen zu kanalisieren.
Ich war in der Zentrale der AURORA, als die Anrufe begannen. Und ich war der erste, der eine ausgedruckte Analyse der Funkanrufe in der Hand hielt.
Seufzend reichte ich den daumendicken Stapel Papier an Makoto weiter. „Ist für dich. Die Musikindustrie fragt nach Joan Reilleys Manager.“
„Was, bitte?“
„Wegen Vermarktungsrechten, Live-Konzerten, weiteren Musikvideos und Merchandising.“
Ich legte eine Hand an die Stirn und lachte. „Das ist doch hoffentlich ein Witz, oder?“
„Warum? Was ist so schlimm daran, wenn Joan hier auch berühmt wird?“
„Weil sie wieder zur Erde zurückkehren wird. Und dann haben ihre Fans einen ziemlich weiten Weg für Autogramme“, konterte ich halbherzig. „Beziehungsweise werden sie nie erfahren, wohin ihr Idol verschwunden ist…“
Ein sehr schmerzhafter Gedanke.
„Nicht hier!“, hörte ich meine Cousine schimpfen. „Im Besprechungsraum.“
Ich wandte mich um, erkannte, wie sie mit fünf Offizieren des Geheimdienstes sprach.
Ihre heftige Reaktion hatte einen der Männer derart erschreckt, dass er einen Stapel Fotos hatte fallen lassen. Aus Gewohnheit half ich beim aufsammeln.
„Akira, lass das doch. Kümmere dich lieber um deine Division“, sagte Sakura streng.
Ich verdrehte die Augen. „Wie du meinst, Cousine. Dann lass ich das gemeine Volk eben die schmutzige Arbeit alleine machen.“
„So ist es nicht gemeint. Aber vielleicht sollte mein Lieblingscousin nach seinem ungenehmigten, selbstmörderischen und zudem überaus heiklen Angriff ja eine Pause einlegen?“
Ich lachte, während ich die Fotos dem Second Lieutenant zurückgab.
„Wie, heißt das, ich kriege keinen Orden? Ich dachte, für den Angriff wäre mindestens der Service under Fire der Klasse eins drin.“ Wieder lachte ich, aber es blieb mir im Halse stecken. Ich stand auf einem weiteren Foto, und als ich den Fuß fortnahm, erkannte ich drei Personen. Die eine war ein Naguad, anhand einer Notiz auf dem Bild als Admiral Fenn Ikosu identifiziert. Der zweite Mann ein Anelph. Laut Notiz Admiral Neon Zut Achander.
Die dritte Person war eine Frau. Bandagiert, blass und erschöpft, saß sie in einem Stuhl und sah aus schläfrigen Augen in die Kamera. Ein Auge und der linke Mundwinkel waren von Verbänden verdeckt.
Ich musterte das Foto eine Zeitlang, während in der Zentrale atemlose Stille herrschte. Dann gab ich auch dieses Bild zurück. „Sieht ja beinahe so aus, als wäre das Megumi auf dem Bild“, stellte ich fest. „Sitzt in einer Art Rollstuhl. Armes Ding.“
„Akira“, fragte Sakura zögerlich. „Du glaubst nicht, dass das da Megumi ist?“
Ich grinste matt. „Würde ich ja sagen, wäre ich in drei Sekunden verhaften, oder? Damit ich mir nicht Prime schnappe und zu den Naguad rüber fliege, um das hier zu kontrollieren, oder?“
„Muss ich dich denn festnehmen lassen?“, fragte sie ernst.
Ich sah zu Boden. Meine Hände krampften. „Nein“, sagte ich ernst. „Noch nicht.“
Megumi, schrie es in meinen Gedanken. MEGUMI!
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode dreizehn
Prolog:
Die ersten Stunden in relativer Realfunkreichweite zu Lorania, der Hauptwelt der Anelph, also jenem Bereich, in dem die Zeitdilatation während einer Kommunikation zwischen Frage und Antwort weniger als ein paar Sekunden betrug und eine beinahe normale Unterhaltung ermöglichte, waren von großer Aktivität erfüllt gewesen.
Mit dem Waffenstillstand schien auf dem Planeten Narrenfreiheit ausgebrochen zu sein, zumindest, was die Meinungsfreiheit anging.
Neben tausenden Anfragen nach Konzerten von Joan Reilley und über unsere Elite-Piloten, die ihr Können gegen eine erfahrene Banges-Division der Naguad bewiesen hatten, verfolgten wir auch sehr interessiert die erbittert geführten Debatten in den Medien, die sich mit unserem Angebot beschäftigten, interessierte Anelph zum Mars zu bringen.
Wir hatten in diesem Punkt nichts beschönigt und den Mars als das dargestellt was er war. Eine Welt, die gerade erst erobert wurde, aber in der es bereits Platz, Nahrung und Arbeit für ein paar hunderttausend Menschen gab. Wir hatten auch das Vertrauensverhältnis zwischen Kronosiern, Menschen und Anelph hervorgestellt.
Sakura hatte dazu gesagt: Je weniger man lügte, desto seltener konnte man erwischt werden.
Ich hielt das für eine gute Idee. Denn die ehemalige kronosische Kolonie um den Nyx Olympus war gewissermaßen Expansionsgebiet mit zweistelligen Zuwachsraten, wie es auch die Mondstädte waren.
Und nach der Installation eines planetenweiten künstlichen Gravitationssystem, welches die Schwerkraft des Mars nicht nur im Bereich von Martian City auf einfache Erdschwere und damit fast perfekten Naguad-Standard anhob, wurde diese Welt noch interessanter. Vor allem, da die Anelph diese Welt noch selbst formen konnten, nach eigenen Wünschen und Vorstellungen. Auch die absolute Reisefreiheit zwischen Erde, Mond und Mars hatten wir hervorgestellt, aber auch nicht die relativ hohen Kosten für Privatleute verschwiegen.
Ebenso die Chance auf der Erde zu siedeln hatten wir dargestellt. Immerhin gab es einige kleine tausendköpfige Anelph-Gemeinden auf der Erde, eine davon in New York, dem Sitz der Vereinten Nationen und des Rates der UEMF, dem Herz der Erdverteidigung.
In dieser multikulturellen Stadt fielen die Anelph nicht einmal weiter auf.
Ich konnte also aus ganzem Herzen und mit einer gewissen Arroganz hoffen, dass unsere Mission kein Schlag ins Wasser wurde und wir ein paar zehntausend Anelph begeistern konnten, mit uns zum Mars zu kommen. Auch wenn das Komitee, welches die erste Emigration leitete, offensichtlich nicht mehr existierte.
Sorgen machte ich mir nur, wenn ich daran dachte, dass wir mehrere Flüge geplant hatten.
Ich glaubte zwar nicht ernsthaft daran, aber was war, wenn uns ein zweiter Flug unmöglich gemacht wurde? Was wenn wir mehr Aspiranten hatten als die AURORA aufnehmen konnte?
Jemand warf mir einen Stapel Zettel in den Schoß, während ich eine hitzig geführte Debatte auf einem lokalen Fernsehsender verfolgte.
Die Narrenfreiheit, die Einzug gehalten hatte, hatte dazu geführt, dass die niedliche kleine Provinztalkshow vom schlichten Thema: Hilfe, ich traue den Fremden nicht, zu einer offenen Anklage gegen Willkür durch das Imperium geworden war.
Dass die Sendung nicht unterbrochen wurde und dass nicht einfach eine Eingreiftruppe den Sender hochnahm, schien nicht nur mich zu verwundern. Die Moderatorin, ganz offensichtlich pro-imperial, war mittlerweile mit ihrem Latein am Ende, während sich die Fronten zwischen Befürwortern der mittlerweile wesentlich zurückhaltender agierenden Naguad und Gegner der vor allem in der Vergangenheit oft aufgetretenen Willkür der Besatzer verhärteten.
Ich seufzte und widmete mich dem Stapel auf meinem Schoß. Es war ein eilig zusammen gestelltes Dossier über die Aktivitäten der Naguad. Wir hatten zehntausende Hinweise aus der Anelph-Bevölkerung bekommen, die meisten sicherlich, um unsere Analyse-Teams beschäftigt zu halten. Aber nach ein paar Stunden Auswertung lag nun das Ergebnis vor. Als fünfzigseitiges Papierdokument für die wichtigsten Offiziere der Mission.
Ich blätterte kurz durch und pfiff anerkennend. Die Naguad hatten ihren Truppen den Ausgang gestrichen und ihre Einrichtungen durch Militär verstärkt. Zugleich waren alle zivilen Bereiche von ihnen geräumt worden. Die imperiale Armee hielt verhältnismäßig still.
„Niedliche Falle“, brummte ich.
Mamoru Hatake, der mir die Dokumente gereicht hatte – eigentlich eher vorgeworfen wie einem Hund einen Knochen – grinste mich frech an. „Ach, und wie kommst du zu dieser Analyse?“
„Ist doch simpel. Bisher gab es einen permanenten Druck der Naguad durch die Truppenpräsenz auf die Anelph. Sicherlich konnte man durch keine Stadt gehen, ohne Soldaten zu sehen. Aber nun, zum ersten Mal in der Geschichte der Besetzung, wurden alle Soldaten von den Straßen abgezogen. Wenn nun Unruhen ausbrechen, oder wenn sie bewusst herbeigeführt werden, dann sind die Anelph auf sich allein gestellt. Je nachdem wie gut sie ausgerüstet sind können sie die Unruhen kontrollieren oder nicht.
Uns werden sie in jedem Fall angekreidet, ob wir uns dann einmischen und Truppen schicken oder nicht.“
„Gut erkannt, Akira. Aber das war ja auch etwas offensichtlich, oder?“ Mamoru schmunzelte. „Was empfiehlt der ehemalige Executive Commander der UEMF?“
„Lass den Quatsch, das lässt mich so alt aussehen. Was sollte ich also empfehlen? Ich sage es dir: Wir bieten sofort bei der ersten kleineren Rangelei unsere Hilfe an. Wenn wir sie schnell und unblutig beenden, haben wir hier sogar die Chance, vom unerwünschten Gast zum Partner aufzusteigen. Falls nicht irgendeine Geheimdienstintrige dazu führt, dass viele Anelph sterben und uns das auch angelastet wird.“ Ich zuckte die Achseln. „Wir müssen halt vorbereitet sein, Mamo-chan.“
„Schnell sein ist hier also alles. Hm, das ist auch das Credo meiner Analyse.“
Er klopfte mir auf die Schulter. „Aber Sakura wird das nicht gefallen. Sie wäre lieber heimlich rein und heimlich raus.“
„Das konnte sie vergessen, nachdem wir diese Patrouille nach dem Sprung ausradieren mussten.“
Verdutzt sah ich mich um. Der Konferenzraum in Poseidon versank in erstarrtes Entsetzen. Unsichere Blicke trafen mich. Mir war für einen Moment, als erwarteten die Angehörigen der UEMF etwas von mir. „Was ist denn mit denen los?“, fragte ich Mamoru leise.
Der aber starrte mich auch an. „Dir geht es gut, Akira?“
„Natürlich geht es mir gut. Was habt Ihr alle nur? Denkt Ihr etwa, nur weil ich dieses Foto gesehen habe, plane ich jetzt einen auf guter Junge zu machen, um mir dann, wenn wir in den Orbit um Lorania einschwenken, meinen Mecha zu schnappen und diese Megumi-Imitation auf eigene Faust zu retten?“
„Ehrlich gesagt ja, Akira.“
„Das ist lächerlich!“ Wütend erhob ich mich. „Das ist nicht Megumi auf dem Foto. Ich bin ja nicht blöd. Die Naguad sind verdammt weit gegangen, um sich eine eigene Megumi zu erstellen. Aber mit Lady Deaths Computerkern hatten sie ja genügend Daten. Noch wissen wir nicht, wozu sie diese Frau benutzen werden, und es wird uns sicher nicht gefallen. Wenn es aber dazu war um mich hervorzulocken, haben sie sich geschnitten!“
Immer noch wütend marschierte ich zum Ausgang, warf noch einmal einen schnellen Blick in den Raum. „Damit auch alle beruhigt sind, ich gehe in mein Büro und arbeite meinen Dokumentenstapel ab, bis wir in den Orbit einschwenken. Ist das in Ordnung, Admiral Uno?“
Sakura sah blass zu mir herüber. Schließlich nickte sie.
Ich grunzte zufrieden, riss die Tür zum Gang auf – und erstarrte. Peinlich berührt massierte ich meine Schläfen. „Leute, bitte, sagt mir, dass das hier nicht wahr ist.“
Ich trat auf den Gang hinaus und zählte schnell das angetretene Elite-Kommando – durchwegs Infanteristen, die mit mir auf dem Mars gewesen waren und mit den beiden Dämonenkönigen gedient hatten. „Zwanzig. Zwanzig Elite-Soldaten in voller Gefechtsmontur, aber ohne Waffen. Macht Ihr hier einen Wachjob, Herrschaften?“
Der Anführer, ein junger Lieutenant aus Afrika, sah betreten zu Boden.
„Oder seid Ihr hier, um mich zu stoppen?“
Die Infanteristen raunten leise. Für mich war das ein ja.
Ich schnaubte entrüstet, würdigte die anderen aber keines Blickes mehr. Als ich die Soldaten passiert hatte, hörte ich ihre Stiefel hinter mir poltern. Sie folgten mir. Himmel, sie folgten mir!
Entschuldigend hob Harold Ibate die Schultern. „Befehl ist Befehl, Sir.“
„Sakura!“, stöhnte ich ärgerlich. „Makoto!“ Damit hatte ich meine Hauptschuldigen beim Namen genannt. „Okay, ich werde diese Frage bereuen, aber warum zwanzig?“
„Sie beherrschen KI, Sir. Unter zwanzig Mann würde ich gar nicht erst versuchen, Sie zu verzögern.“
„V-verzögern?“, stammelte ich.
„Sir, wir sollen Sie nur bremsen. Aufhalten verlangt niemand von uns.“
„Und was soll mich aufhalten? Ein Hawk vielleicht?“
Der junge Offizier musste grinsen.
„Zwei Hawks?“, scherzte ich.
„Vier.“
Übergangslos prustete ich los. Aus dem Pruster wurde ein lautes Lachen. „Das ist nicht euer Ernst.“
„Befehl ist…“
„Befehl ist Befehl, ich weiß“, unterbrach ich Ibate grinsend. „Na, dann habe ich euch wohl erst mal an der Backe, was? Also kommt, ich koche Kaffee für alle.“
1.
In den Eingeweiden der AURORA gab es die so genannte Grey Zone, einen Bereich von natürlichen Kavernen und Hohlräumen, in denen ein paar tausend Menschen lebten. Wie diese Menschen an Bord gelangt waren, war relativ schnell rekonstruiert worden. Das warum war es, was den Ermittlern an Bord Sorgen bereitete.
Doitsu Ataka scherte das warum weniger. Die Menschen in der Grey Zone hatten, unterstützt von noch unbekannten Finanzgebern, eine Art Vergnügungsmeile aufgebaut, in der die achtzigtausend Menschen aus dem eigentlichen Bereich der AURORA trinken, spielen, rauchen und… dem ältesten Gewerbe der Welt nachgehen konnten. Auch harte Drogen wurden hier unten angeboten.
Das alles folgte merkwürdigerweise keinem Konzept. Es gab verschiedene Fraktionen unter denen, die diese Läden betrieben. Eine der stärkeren waren die Söhne der AURORA, die fast ein Drittel der Geschäfte kontrollierte. Ihre Beweggründe waren unbekannt, aber sicher war, dass einer der Financiers, die diesen Bereich erst geschaffen hatten, hinter ihnen stand und ihnen Anweisungen mitgegeben hatte.
Auch direkte Befehle schienen möglich, immerhin gab es eine Standleitung zur Erde, die jedem Bürger an Bord zur Nutzung offen stand.
Für Doitsu waren alle anderen Menschen in der Zone nur eine Ablenkung. Eine Ablenkung für das, was von den Söhnen der AURORA ausgehen würde.
Die Grey Zone zu beherrschen, entschied der junge Yakuza, war definitiv nicht ihr Ziel, sonst wäre es schon lange zum offenen Schlagabtausch zwischen ihnen und seiner Gruppe gekommen, die eng mit der Polizei in Furohata City zusammen arbeitete.
Aber das waren Dinge, mit denen er sich nicht beschäftigen musste. Er war der Oyabun der AURORA, der höchste Anführer der Yakuza an Bord, in sein Amt gezwungen von Eikichi Otomo und Sakura Ino. Sein Job war es, die Grey Zone unter Kontrolle zu halten und all den Illegalen ein einigermaßen stabiles und sicheres Leben zu ermöglichen. Sowie den Bürgern der AURORA einen ungestörten Besuch dieser Sektion zu ermöglichen, damit der Umsatz stimmte. Denn für den Schutz durch seine Gruppe zahlten die freien Ladenbesitzer seit einer gemeinsamen Konferenz einen gewissen Obolus.
Doitsu musste an sich halten, um nicht laut aufzulachen. Dieses Geld war keinesfalls eine Schutzgelderpressung. Nein, er und seine Gruppe waren mehr so etwas wie ein privater Wachdienst. Ein elitärer Wachdienst, um genau zu sein. Seine Leute waren hervorragend, das hatte er selbst immer wieder festgestellt. Keinem fehlte auch nur eine Fingerkuppe.
Auf dem Mars hätte die Infanterie sie damals sehr gut gebrauchen können.
Wütend stieß Doitsu seine Kaffeetasse von sich. Das Keramikgebilde flog ein paar Meter, landete am Holzrahmen, ergoss seinen Inhalt über die polierten Bohlen des Zimmers und zerschellte schließlich am Boden. Verdammt, nicht nur, dass er Offizier der Hekatoncheiren war, nicht nur dass er ausgerechnet mit Blue Slayer eine Liebesaffäre hatte, er musste auch noch die Halbwelt der AURORA kontrollieren. Wie sollte er das alles schaffen? Und vor allem, welcher Pflicht sollte er den Vorzug geben? Dem Dienst in den Hekatoncheiren? Seinem Amt als Oyabun? Oder dem nervenaufreibensten Job von allem, Hinas Freund zu sein?
Wenigstens hatte er einen Trost. Akira ging es noch viel schlechter als ihm.
Doitsu sah zu seiner zerschellten Tasse herüber. Mist. Er hatte das Ding gemocht. Aber wenigstens war der Kaffee schon kalt gewesen.
**
In einer dunklen Kammer in eben dieser Grey Zone sah ein Mann mit düsterem Lächeln auf die Monitore, die vor ihm eine Wand bildeten. Auf einigen liefen interne Sender der AURORA, Reportagen, Nachrichten und Musikvideos. Auf anderen waren die Sender von Lorania vertreten. Die meisten verhielten sich nach wie vor pro-imperial. Aber hier und dort wagte der eine oder andere Provinzsender den Aufstand.
„Also beginnt es“, sagte der Mann leise in den Raum. Er betrachtete das Foto in seiner Hand, das eine entstellte, dunkelblonde junge Frau zeigte, deren linkes Auge bandagiert war. Der linke Mundwinkel hing etwas herab, aber der Blick aus dem rechten Auge zeigte ungebrochenen Stolz.
„Was wirst du tun, Akira-chan? Was wird sie tun?“ Müde ließ er das Foto sinken. Es hatte ihn einiges an Geld und Einfluss gekostet, an diese geheime Aufnahme zu kommen. Und das auch eher aus einer Laune heraus als aus wirklichem Nutzen.
„Ai-chan, was denkst du, ist es Megumi?“
Aus dem Schatten an der Wand trat die schlanke, kleine Frau hervor. „Ich kann es nicht sagen. Die Bandage am linken Auge verhindert eine eindeutige Analyse.“
„Und was sagt dein Bauch? Du warst wochenlang mit ihr zusammen. Nein, lass es mich anders formulieren. Was denkt Akira-chan? Was glaubst du?“
„Akira-sama fällt da nicht drauf rein. Das denke ich.“
„So, so. In jedem Fall kommt unsere Zeit bald. Sehr bald.“
„Ja, Sensei.“
„Was wirst du dann tun, Akira-chan? Was wirst du dann tun?“ Er legte eine Hand vor sein Gesicht und begann leise zu lachen. Diese Mission bereitete ihm einen höllischen Spaß.
2.
Yoni Entan Pander war alles in allem eine durchschnittliche Studentin. Sie fiel nie besonders auf, besuchte keine exotischen Studienfächer und pflegte vollkommen normale Freundschaften. Sie nahm nicht an Protesten gegen die Naguad teil und mied sogar die Nähe der Aktivisten dieser Aktionen. Was ihr schon den Vorwurf eingebracht hatte, eine Kollaborateurin zu sein. Für die liberale Konshyu-Universität und ihre Studenten beinahe schon ein Verbrechen. Beinahe.
Yoni dachte sich nichts dabei. Solange die Aktivisten nicht handgreiflich wurden, spielte sie gerne ihre Rolle als unscheinbares Mauerblümchen.
Umso überraschter war sie, als laute Sirenen erklangen, während sie über den Vorweg der Universität schritt. Zivile Wagen rasten auf den Bürgersteig, hielten direkt auf sie zu. Ein Kampfhubschrauber mit den Insignien der Anelph-Miliz zog heran und hielt über ihr Position.
Dann waren die Wagen heran, Anelph in schwarzen Anzügen sprangen heraus und überwältigten sie, bevor sie auch nur den Gedanken fassen konnte, wegzulaufen.
Einer von ihnen sah sie selbstzufrieden an. „B-Team an Basis. Einsatz erfolgreich. Wir haben Yoni Entan Pander extrahiert.“ Er sah zu der Frau, die wehrlos am Boden lag und gerade von einer weiblichen Agentin abgetastet wurde, herab. Dann lächelte er, als ihm eine unscheinbare Plakette überreicht wurde. Das Erkennungszeichen einer geheimen Organisation, die sein Geheimdienst schon seit Jahren bekämpfte. Und heute hatten sie vielleicht ihren besten Schlag gelandet. „Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet ein kleines Mädchen führt heute das Komitee. Bringt sie fort.“
Er sah auf, betrachtete die vielen Studenten, die nun zaghaft näher kamen.
„Was tun sie mit ihr?“, rief jemand aus der Menge. „Sie hat nichts getan!“
Der Anführer wandte sich abrupt um, wollte wieder in den Wagen einsteigen. Aber der Zwischenruf ließ ihn halten. „Yoni Entan Pander wurde soeben überführt, Vorsitzende des Komitees zu sein. Sie wurde regulär verhaftet und wird den Gerichten übergeben.“
„Yoni? Unmöglich. Was redest du Mistkerl da?“
Ungeachtet der Bedrohung durch den Hubschrauber und die offene Bewaffnung der anderen Agenten rückten die Studenten näher.
„Rückzug“, entschied der Agent. Wenn die Stimmung umschwang und die Studenten einen Mob bildeten, würde es zu einem Blutbad kommen. Und das war nicht sein Auftrag. Noch nicht.
„Verdammter Geheimdienst!“, rief jemand. Von irgendwoher flog Obst heran. Der Agent achtete nicht darauf, während er einstieg. Die Wagen ruckten an und verließen den Platz so schnell wie sie gekommen waren.
Zurück blieb eine Schar Studenten und ein Kampfhubschrauber, der erst abzog, als die Wagen nicht mehr zu sehen waren.
Dies war nur eine Aktion, eine von Dutzenden die beinahe zeitgleich überall auf der Welt stattfanden.
Nach den ersten Verhaftungswellen durch den Inlandgeheimdienst Iram erfolgte nun die zweite Welle. Man ergriff die Hintermänner, bevor sich das Komitee ernsthaft organisieren konnte. Und ohne die Hilfe der Einheimischen konnte die AURORA ewig im Orbit hängen bleiben.
Sie würde nie eine ernsthafte Zahl an Anelph zur Emigration bewegen können. Nicht ohne die Strukturen des Komitees.
**
Ban Shee Ryon war gerannt wie noch nie in ihrem Leben. Die große Anelph atmete stoßweise, als sie in der Flottenzentrale ankam. Japsend stützte sie sich auf dem erstbesten Tisch ab.
Sakura Ino warf ihr einen überraschten Blick zu. „Was zum…?“
Als kurz darauf Yoshi Futabe eintraf, ebenfalls atemlos, ebenfalls japsend, runzelte die Kommandeurin der Einsatzgruppe Troja die Stirn.
„Ich…“, ächzte Ban Shee, „wir… sie…“
„Nun hol erstmal Luft!“, blaffte Sakura wütend.
„Okay“, ächzte die Anelph und konzentrierte sich darauf, ihre Atmung zu normalisieren.
„Ich bringe sehr schlechte Nachrichten. Das Auge Irams zerschlägt das Komitee!“
Sakura zog eine Augenbraue hoch. „Was? Das gibt es noch?“
„Natürlich. Immerhin wollten wir selbst ein paar Mal zwischen unserer neuen Heimat und Lorania hin- und herpendeln. Um die Exilanten auszuwählen und vorzubereiten hätten auch wir Strukturen gebraucht.“
„Und die sind nun in Gefahr.“
„In Gefahr ist das falsche Wort. Über meine Kanäle kann ich niemanden aus der Führungsschicht mehr erreichen. Sie wurden alle verhaftet. Damit sind die kleinen Zellen vollkommen hilflos und wir können auf nichts mehr zurückgreifen.“
„Was wissen wir über das Auge Irams?“, fragte Sakura ernst. „Wohin bringen sie die Komitee-Mitglieder?“
„Ich habe ein Dossier hier“, sagte Ban Shee und reichte den schmucklosen Datenträger an Sakura weiter.
„Das ist aber noch nicht alles!“, rief Yoshi aufgeregt. „Es kam gerade in den Nachrichten! Sie… Sie machen Aria den Prozess!“
„Was?“ Beide Frauen, die anderen Anwesenden in der Zentrale sahen den jungen Eagle-Pilot entsetzt an. „Ja, Ihr habt richtig gehört. Feigheit vor dem Feind, Landesverrat und Spionage.“
„Das darf doch nicht wahr sein!“ Wütend ballte Sakura die Hände zu Fäusten. „Ausgerechnet Aria.“
Ban Shee schwieg entsetzt. Diese Nachricht traf sie schwer.
„Eins nach dem anderen“, sagte Sakura schließlich und sah zur Seite. „Ich will Akira hier haben. Sofort.“
**
Der beste Mecha-Pilot der Erde… Dieser Rang bedeutete mir nie etwas, und ich hätte ihn gerne an einen jüngeren, besseren Piloten abgegeben. Doch leider trug ich ihn, ob ich wollte oder nicht. Und damit trug ich auch die Bürde der Verantwortung, die damit verbunden war.
Man erwartete viel von mir. Gerade nach meinem Angriff auf die Fünfte Banges-Division, der mir eigentlich eher eine Degradierung hätte einbringen sollen, waren die Ansprüche wieder einmal gestiegen.
Zudem musste ich nun für zwei kämpfen. Seit die Nummer zwei, Megumi, nicht mehr diente, hatte ich sie zu ersetzen. Ich langte über meinen Schreibtisch und zog das gerahmte Bild heran. Es zeigte Megumi in einem der wenigen Momente, in denen sie unbefangen lächelte. Wenn ich es recht überdachte, waren die ernsten und schwierigen Erfahrungen, die sie als Top-Pilotin der Erde gemacht hatte, nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Sie war in der Zeit, in der ich mein Gedächtnis verloren hatte kühler geworden. Lächeln für eine Kamera fiel ihr auch heute noch schwer. Ich musste bei diesem Gedanken schmunzeln. Ihr Lächeln war noch immer für private Momente reserviert, ebenso ihr Lachen.
Was hatte ich mich damals angestrengt, um wenigstens dieses Lächeln für mein Foto zu kriegen. Letztendlich hatte ich sie geküsst und ihr noch einen versprochen, wenn das Foto aufgenommen war…
Nun, es hatte funktioniert.
Ich fühlte, wie meine Augen feucht wurden. Himmel, würde es eigentlich immer so wehtun, oder ließ der Schmerz mit der Zeit nach?
Solange du dich an die Toten erinnerst sind sie bei dir, hat mir Futabe-Sensei einmal gesagt. Was mir der alte Halunke aber verschwiegen hatte war, dass damit nicht nur die geteilte Freude ebenfalls anwesend war – die angesammelten Schmerzen und schlechten Erinnerungen forderten auch ihren Platz ein. Und der größte Schmerz für mich war, dass sie in diesem Moment nicht bei mir war.
„Ein schönes Bild, Aki-chan“, hörte ich eine Frauenstimme hinter mir sagen. Zwei Arme schlangen sich um meinen Hals und drückten mich nach hinten. Ich spürte an meiner rechten Wange eine andere Wange, die weich, warm und zart war.
„Es muß schwierig gewesen sein, dieses Bild zu kriegen, was? Megumi soll sich ja immer so geziert haben.“
Ich sah zur Seite. „Hallo, Yellow Slayer.“
„Sei doch nicht so förmlich, Aki-chan. Yellow reicht.“ Sie lächelte mich mit zusammen gekniffenen Augen an.
„Sehr komisch“, murmelte ich amüsiert und stellte Megumis Bild wieder auf den Schreibtisch zurück.
„So bin ich halt. Trübsal ist einfach nicht mein Ding. Hm, ich hätte nicht gedacht, dass du ihr Bild auf dem Schreibtisch hast. Gibt es da noch etwas, was ich wissen sollte? Ein getragener BH von ihr vielleicht, an dem du ab und an riechst?“
Ich fühlte wie ich rot wurde. Mist.
„Waah! Stimmt das etwa? Aki-chan, du bist mir ja einer!“
„S-stimmt nicht! Ich habe keinen getragenen BH von ihr hier.“
„Dann vielleicht andere Unterwäsche?“
„Sei nicht so neugierig, Yellow“, tadelte ich.
„Ach komm schon. Was ist es? Ich will es wissen.“
„Hast du denn gar keinen Respekt vor den Toten?“
„Wieso, Aki-chan, du lebst doch noch, oder?“ Sie lächelte mich an und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Wenn du es mir verrätst, kriegst du vielleicht einen auf den Mund.“
„Mir würde es schon reichen, wenn du aufhörst, herumzustochern, ja?“
Sie formte mit Zeigefinger und Mittelfinger der Rechten das Victory-Zeichen. „Ich schwöre.“
Seufzend ergab ich mich. Dann öffnete ich eine Schublade und zog ein Top heraus. „I-ich habe es aus der Wäsche gefischt, bevor es gewaschen wurde. Sie hat es zu ihrer letzten Trainingsstunde getragen, bevor wir… Bevor wir Andea Twin verließen.“
„Zeig mal“, forderte sie, griff nach dem Stoff und zog ihn heran. Dabei fiel eine kleine Schachtel aus der Schublade. „Warte, Aki-chan, ich hebe das für dich auf.“
„Brauchst du nicht, ich habe es ja schon fast und… Mist. Gib es mir einfach, du brauchst wirklich nicht rein… Mist.“
Yellow stand nun links von mir. Mit brennenden Augen starrte sie in die kleine, mit Samt ausgeschlagene Schachtel. Dort gehalten von einer Klammer, thronte ein weißgoldener Ring, in den zwei Opale eingefasst worden waren.
„Der Opal war immer ihr Lieblingsstein“, sagte ich leise. „Ich hatte gehofft, sie würde sich freuen wenn…“
„Aki-chan! Erzähl mir nicht, das hier ist… Du wolltest ihr doch nicht etwa…“
Ich begegnete Yellows Blick. Obwohl ihre KI-Aura verhinderte, dass man sich ihr Gesicht merken oder es fotografieren konnte, so erkannte ich aber doch ihre Augen, den überrascht geöffneten Mund und die einzelne Träne, die ihre Wange herab lief. Ich fühlte mich wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.
„Wann?“, hauchte sie leise.
„Auf meinem Geburtstag. Ich wollte ihn ihr auf meinem Geburtstag geben.“
„Aki-chan, das… Ich… Das… Ich meine, sie… Ich bin sicher, ich weiß ihre Antwort und… Akira.“
Die Zeit schien einzufrieren. Alles rings um uns verlor an Bedeutung. Langsam bewegte sich ihr Gesicht in meine Richtung. Ich richtete mich ein Stück mehr auf und kam ihr so näher. Wir bewegten uns aufeinander zu und tausend Gedanken rasten durch meinen Verstand. Das war falsch und doch so richtig. Unlogisch aber dennoch der nächste Schritt. Ich fühlte mich Energie geladen und gleichzeitig zu schwach, um auch nur einen Finger zu rühren. Ich…
„Commander! Admiral Ino erwartet Sie sofort in… Eindringling im Büro des Commanders!“
Ich fuhr herum, streifte dabei Yellows Lippen.
Harold Ibate riss gerade seine Dienstwaffe aus dem Holster an seiner Seite und feuerte einen gezielten Schuss ab. Die Kugel überbrückte die Distanz zu Yellow binnen eines Wimpernschlages, bremste eine Handbreit vor ihr ab und fiel dann aller Kraft beraubt zu Boden.
„Nicht schießen! Sie ist eine Slayer!“, rief ich hastig, bevor der Lieutenant erneut feuern konnte.
Yellow drückte mir die Box mit dem Ring in die Hand. „Schade, Aki-chan. Vielleicht ein andernmal, wenn du keine bewaffneten Aufpasser hast.“ Sie zwinkerte mir zu. Draußen auf dem Gang entstand Tumult und zwei Infanteristen mit Sturmgewehren stürmten in mein Büro. Ibate hielt sie mit einer Handbewegung davon ab zu feuern.
„Wir sehen uns, Aki-chan“, sagte Yellow, sprang nach hinten, schwebte für einen Moment in der Luft und verblasste dann wie eine Illusion.
Ich seufzte leise. „Das war verdammt knapp.“ Ich stand auf, ergriff meine Dienstmütze und kam um meinen Schreibtisch herum. „Wenn Sie hier so reingestürmt kommen, dann hat es Sakura sicher eilig. Also, meine Herren.“
„Was? Ach so, ja. Richtig. Nach Ihnen, Sir.“
Fünf Minuten später war ich im Bilde. Ban Shee Ryon beendete ihre Zusammenfassung mit geballten Fäusten und Zornverkniffener Miene. „Und wir können nichts tun, nichts für die Mitglieder des Komitees und nichts für Aria.“
„Darf ich dein Kommunikationssystem benutzen, Sakura-chan?“, fragte ich ernst.
„Klar. Wieso?“
Ich setzte mich an das Gerät und wählte einige Nummern, schaltete sie zu einer Sammelkonferenz zusammen. „Division Commander Otomo hier. Alle Offiziere der Hekatoncheiren, Oberst Olavson von den Panzern und alle Infanterieoffiziere finden sich sofort auf Poseidon ein. Außerdem der Kapitän der SUNDER, der GRAF SPEE und der PRINZ EUGEN. Sämtliche Kapitäne sollen sich per Vid dazu schalten. Alle Hekatoncheiren werden hiermit in Alarmstufe eins versetzt. Ich erwarte Sie alle so schnell wie möglich, meine Damen und Herren. Der Letzte gibt einen aus. Otomo Ende.“
Ich sah auf. „Sakura-chan, ich nehme den großen Konferenzraum. Ich schätze, in einer Stunde kann ich beginnen. Willst du teilnehmen?“
„Teilnehmen woran?“, fragte sie mit treuem Augenaufschlag. Ich lächelte dünn. Natürlich wusste mein Cousinchen schon, was ich vorhatte. Und sie hatte es auch schon längst abgesegnet.
„An den Planungen natürlich“, erwiderte ich. „An den Planungen, um das Komitee zu befreien. Denn wie sollen die Anelph da unten auf Lorania uns trauen, wenn wir uns nicht einmal um unsere eigenen Verbündeten kümmern können? Yoshi, komm. Du hilfst mir bei der Aufnahme der Fakten.“
„Geht klar. Ich sage nur schnell Mamoru und Mako Bescheid, die sind gerade im Gebäude.“
„Sehr gut. Ach, und ruf Hina auch. Am besten gleich alle Slayer. Wir werden sie vielleicht brauchen.“
„Verstanden.“
„Sir! Wollen Sie einen offenen Konflikt mit den Naguad vom Zaun brechen?“, rief mir Ban Shee hinterher.
„Nein. Natürlich nicht. Noch nicht. Ich will nur das Richtige tun. Das Richtige ist nicht immer politisch korrekt. Das ist ja das schöne daran.“
Ich folgte Yoshi auf den Gang hinaus. „Kapitän Ryon, Sie sind natürlich auch dabei.“
„Ja, Sir.“
Dies war das erste Mal, dass ihre Stimme nicht spöttisch geklungen hatte, während sie den terranischen Ehrentitel für einen Vorgesetzten mir gegenüber verwendete.
3.
„Yoni Entan Pander“, sagte der ermittelnde Beamte ernst. „Oder sollte ich sagen, Stela Sida Ryon?“
Die junge Frau auf dem Verhörstuhl zeigte nicht, ob sie die Nennung des zweiten Namens beunruhigte. Sie sah ruhig geradeaus und ignorierte den Geheimdienstmann.
„Stela Sida Ryon, jüngstes von drei Kindern von Admiral Ryon, von ihm auf Lorania während des Exodus zurück gelassen. Oder vielmehr hier stationiert, um das Komitee am Leben zu erhalten!“
Wieder rührte sich die junge Frau nicht.
„Kommen Sie, wenn Sie weiter so stur bleiben, läuft alles auf eine Anzeige wegen Hochverrat hinaus. Und Sie wissen, was Hochverrat bedeutet. Deportation vor den Obersten Gerichtshof des Imperiums. Naguad Primes Central Court.“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Das können Sie doch nicht wollen. Kaum einer, der nach Naguad Prime überführt wird, kommt zurück. Hochverrat wird mit Jahrzehnten Gefängnis geahndet. Und was das Komitee tut, ist Hochverrat. Kommen Sie, Ryon, die meisten Ihrer Mitarbeiter haben wir ohnehin schon. Verraten Sie die anderen auch noch und ich verspreche Ihnen milde Strafen für die anderen und für sie die Kronzeugenregelung.“
Nun sah sie zum ersten Mal auf, fixierte den Beamten ernst. „Sie interessieren sich keinen Deut um das, was die Anelph auf dieser Welt wollen, oder?“
Der Mann sah sie an, erschöpft, müde. „Ich diene den Anelph auf dieser Welt seit dreißig Jahren. Und seit dreißig Jahren wandle ich auf einem sehr schmalen Grat. Auf der einen Seite steht die Militärmacht der Naguad, die uns unterworfen hat und die wie eine wilde angekettete Bestie nur darauf lauert, losgelassen zu werden. Auf der anderen Seite ist mein Volk. Mein eigenes Blut, das schon einmal keine Chance gegen das Imperium hatte. Und nun auch nicht hat. Ich versuche für alle da zu sein. Ich versuche, sie alle zu beschützen und dem Imperium keinen Vorwand zu geben, das Militär von der Leine zu lassen. Und heute wird nicht der Tag sein, an dem ich versage.
Haben Sie eigentlich schon mal dran gedacht, was Sie und die anderen Spinner vom Komitee den Menschen hier antun? Haben Sie eigentlich schon realisiert, dass dieses Riesending, die AURORA bestenfalls ein paar tausend Anelph aufnehmen kann? Was sollen die anderen tun? Was wenn auf dieser Welt ein Bürgerkrieg ausbricht, und alle mitwollen? Lassen Sie sie zurück, überantworten Sie diese dem Imperium? Wollen Sie fliehen in der Gewissheit, eine völlig verwüstete Welt zu hinterlassen?“
„Gäbe es das Komitee noch, dann hätte das Imperium den Exodus nicht einmal bemerkt. Aber nein, Sie mussten es ja unbedingt zerschlagen“, zischte sie bitter.
„Ach, mit dem Komitee wäre es besser gegangen? Wie ist das eigentlich? Einer kleinen elitären Gruppe zu gestatten, aus dem Imperium zu entkommen und die anderen minderwertigen zurückzulassen?“
„Das ist nicht wahr! Unsere Pläne gestatten es jedem…“ Sie verstummte und nickte anerkennend. „Gute Arbeit, wirklich gute Arbeit. Sie haben mich fast dazu gebracht zu reden.“ Stela streckte sich. „Bei Ihnen muß ich ja richtig aufpassen, hm? Okay, was kommt als Nächstes? Drogen? Körperliche Folter? Vergewaltigung? Kommen Sie, nutzen wir die Zeit.“
Entsetzt sah der Beamte die junge Frau an. „W-was denken Sie eigentlich von uns! Wir sind doch keine…“
„Keine was?“
„Wir sind keine Naguad. Wir sind Anelph.“
„Eine merkwürdige Aussage für einen der schärfsten Wächter des Imperiums auf dieser Welt“, stellte sie fest.
„Nun, dies ist Lorania, nicht Naguad Prime. Ich wurde für den Schutz dieser Menschen angestellt, nicht dafür, sie zu terrorisieren. Oder dem Militär auszusetzen.“ Er sah die junge Ryon in die Augen. „Oder bei einem Ausverkauf meines Volkes zuzusehen. Oder glauben Sie etwa den Geschichten dieser Admiral Ino?“
Sie setzte zu einer Antwort an, verstummte dann jedoch wieder. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wissen Sie, was ich glaube und was ich tue passt oft nicht so ganz zusammen. Aber man kann es auf einen Punkt reduzieren. Ich tue es für mein Volk. Oder glauben Sie ernsthaft, wir würden nur fliehen wollen?“
Der Geheimdientsmann erstarrte. Seine schlimmsten Befürchtungen wurden in dieser Sekunde wahr. Und die Wahrscheinlichkeit für eine harte Besetzung des kleinen Sonnensystems stieg in unermessliche Höhen.
„Wir…“, begann er, wurde jedoch von den Alarmsirenen unterbrochen, die urplötzlich im ganzen Stützpunkt zu hören waren.
Stela Ryon lächelte fein. Ihre Lippen formten lautlose Worte: Wir werden abgeholt.
**
Der Komplex, in dem die Mitglieder des Komitees gefangen gehalten wurden, war nicht sehr schwer bewacht. Als ich mit Prime und einer Kompanie Hawks direkt darauf zuhielt schoss uns nur harmloses Abwehrfeuer aus Handwaffen entgegen. Ich ignorierte es ebenso wie die drei luftgestützten Kampfjets, die uns nun schon begleiteten, seit wir in die Atmosphäre eingetreten waren.
Ihre Anfragen, Drohungen und Bitten gingen bei mir zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Überhaupt wollte ich hier Taten zählen lassen und nicht Worte.
„Yoshi, bist du in Position?“
„Drei Kilometer über dem Komplex. Von hier aus treffe ich alles, was du willst.“
„Gut, bleib wachsam. Kenji, wie weit bist du mit den Pendlern?“
„Keine Gefahr. Die drei Pendler werden mit Radar und Ortungsstrahlen erfasst, aber sie sind nicht an Waffensysteme gekoppelt. Ein paar Banges steigen auf, halten aber Abstand zu uns. Soweit ich das sehen kann, sind es Milizmaschinen.“
„Sehr schön. Takashi-sempai, ich… Oh, Mist.“
„Jaja, das kann man sich nur schwer wieder abgewöhnen, nicht wahr, Akira?“, erklang die fröhliche Stimme des Sparrow-Piloten. „Umfeld ist gesichert, du kannst landen.“
„Danke dir, Sempai. Blue Lightning an alle, die Aktion beginnt.“
Ich ließ Prime hart aufsetzen und auf den Gebäudekomplex zumarschieren. Hinter mir sicherten zwei Hawks die Ausfallstraße nach Norden auf der anderen zwei nach Osten. Die anderen folgten mir zu dem Gebäude.
„Startender Helikopter!“
„Goran, zwing ihn zur Landung. Aber nicht feuern, wenn es nicht unbedingt sein muß.“
„Ich könnte ihm die Rotoren abreißen“, bot der ehemalige Ausbilder an.
„Meinetwegen. Das ist kein Waffenfeuer“, bemerkte ich amüsiert.
Mittlerweile sahen die Bewaffneten der Anlage die Sinnlosigkeit ihres Angriffs ein und sparten Munition.
„Fünf Schützen auf der Nordseite, Sir. Erlaubnis, sie zu eliminieren?“
„Negativ, Daynes. Noch nicht. Aber weiter beobachten.“
Ich führte Prime ein wenig näher an den Haupteingang des acht Stockwerke großen, bulligen Baus heran. „Ich erfasse auf dieser Seite drei feuerbereite Schützen, Sir. Ich habe sie markiert. Soll ich bei Anzeichen von Waffenfeuer selbstständig das Feuer eröffnen?“
Kurz legte ich den Kopf schief. „Nein. Gefeuert wird nur auf mein Kommando.“
Hinter mir setzten die drei Pendler auf. Zwei volle Kompanien Infanterie, drei gepanzerte Mannschaftstransporter und zwei Mecha-Abwehrpanzer vom Typ Goblin verließen sie und hielten auf den Haupteingang zu.
„Was machen unsere Schützen?“, fragte ich nach.
„Verhalten sich ruhig. Noch.“
„Ich hoffe, das bleibt so. Prime, geh auf Standby.“
„Standby? Sir, Sie wollen doch nicht wieder etwas Dummes machen?“, rief die KI aufgeregt.
„Nicht dümmer als sonst auch“, erwiderte ich amüsiert und entsiegelte das Cockpit. Die Luke fuhr auf, während der erste gepanzerte Mannschaftswagen Primes Füße erreichte.
Ich ließ den Mecha in die Hocke gehen und überwand den Höhenunterschied von zwei Metern zum Boden mit einem beherzten Sprung. Nun kam auch die Infanterie an und ich registrierte verwundert, dass Joan sie anführte.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich erstaunt.
Joan ließ neben mir halten. Eine ausgewählte Truppe, ähnlich der, die mich auf Sakuras Befehl bewacht hatte, Elitesoldaten, jeder bei der Schlacht um den Mars dabei gewesen.
„Ach, weißt du, ich drohte einzurosten. Wenn meine bionischen Implantate nicht ab und zu strapaziert werden, stößt mein Körper sie womöglich noch ab. Außerdem hat mir ein Vögelchen gezwitschert, dass du mal wieder eine Aktion vorhast, die Degradierung, unehrenhafte Entlassung und sogar den Tod bedeuten kann. Mal ehrlich, Aki-chan, darf ich dabei fehlen?“
Ich grinste. „Nein, nicht wirklich. Du weißt, wie wir vorgehen?“
„Du bist nicht ganz beieinander, hm? Ich war bei der Besprechung dabei. Ich stand neben Kei und Gonzales, deren beide Schiffe gerade im stationären Orbit über unseren Köpfen kreisen“, tadelte sie mich.
„Okay“, sagte ich hastig, um meine Verlegenheit zu überspielen, „dann gehen wir vor wie geplant. Nur mit der kleinen Änderung, dass ich die Delegation anführe. Zwanzig Mann kommen mit rein, der Rest verteidigt gegen außen. Geschossen wird nur auf meinen Befehl.“
„Aye, Sir.“ Joan sprach leise, aber eindringlich mit ihren Lieutenants, die daraufhin ihren Sergeanten Befehle zuschnarrten. Danach brach alles in organisiertes Chaos aus, an deren Ende Joan, zwanzig bewaffnete Infanteristen und ich alleine vor der Tür standen.
„Prime, was machen die Schützen?“
„Sind noch da, Sir, aber die Waffen zeigen weder auf Ihre Gruppe noch wurden sie durchgeladen.“
„Okay. Otomo hier, wir gehen jetzt rein.“
„Akira, du weißt hoffentlich, dass du nicht unsterblich bist, ja?“, mahnte mich Yoshis Stimme.
„Mit Unsterblichkeit hat diese Aktion nichts zu tun, nur mit idiotischem Wagemut“, konterte ich.
„Dann sollte ich da unten stehen und nicht du.“
Ich lachte kurz. „Nächstes Mal, Yoshi. Nächstes Mal.“
Ich ging voran, die Automatiktür des Gebäudes glitt vor mir und den Infanteristen auf. Entschlossen setzte ich den ersten Schritt hinein – und erstarrte.
**
„Ich hasse dieses Warten!“, blaffte Oliver Ryan, der Zweite Offizier der KOWLOON ärgerlich. Nervös trommelte er mit den Fingern der rechten Hand auf seiner Armlehne herum und erzeugte auf diese Weise eine Geräuschkulisse, die alle anderen in der Zentrale zu nerven begann.
„So? Das warten wird dir noch mal wie das Paradies vorkommen, Ollie“, murmelte Shawn Winslow, der Kapitän der NOVEMBER-Fregatte. „Wenn hier nämlich der Himmel brennt und die Geschichte richtig interessant wird, wirst du dich zu jeder einzelnen Minute Langeweile zurück sehnen.“
Marek Dobarev, der Erste Offizier und Chef der zwanzig Daishi-Mechas der NOVEMBER-Fregatte, sprach eher selten, und dann auch nur Befehle. Doch im Moment wirkte er, als wolle er Ollie eine Standpauke halten wollen, die sich gewaschen hatte. „Trink nicht soviel Kaffee!“, riet er dem Zweiten stattdessen lautstark. „Dann rennst du auch nicht wie ein aufgezogener Spielzeugsoldat durch die Gegend.“
Mable Ryan, die Ortungschefin verkniff sich ein Grinsen. „Könnt Ihr mal ernsthaft bleiben, Jungs? Unsere Patrouille startet in elf Minuten. Dann kriegt Ihr eure Action. Obendrein die Gefahr, jederzeit auf ein paar hundert stinksaure Naguad-Banges zu treffen.“
„Isjagutichbinjaschonstill“, murmelte Ollie nach dem doppelten Anraunzer.
Shawn sah es mit Erleichterung. Im Moment improvisierte die ganze Einsatzgruppe Troja, nichts entsprach im Moment den Vorplanungen, den Besprechungen, den Absprachen. Rein gar nichts. Es gab keine Ausweichpläne, keine Langzeitstrategie, nichts. Nur die UEMF-Doktrin, die sich aber nur begrenzt auf diesen Fall anwenden ließ. Der Rest blieb dem Genie der Kapitäne und ihren Mannschaften vorbehalten. Und wenn sie auf Patrouille flogen, konnte es durchaus sein, dass ein eifriger Naguad-Kapitän dem Schiff und der Mannschaft eine Menge Improvisationstalent abverlangen würde.
„Shawn“, meldete sich Jenny vom Funk herüber. „Jemand hat gerade per Überrangcode das Schiff über die Schleuse betreten, die noch mit der AURORA gekoppelt ist!“
„Überrangcode? Wessen Überrangcode?“, blaffte der aufgeregt. Wie konnten sie es wagen? Dies war sein Schiff, sein Kommando! Welcher UEMF-Arsch hielt es hier gerade für richtig, ihm neun Minuten vor dem Start einen Überraschungsbesuch zu machen?
Jenny schluckte hart. „Shawn, der Code ist nicht signiert, ich weiß nicht wer dort rein gekommen ist.“
„Ach, wollen die Herren Spielchen spielen? Darin bin ich gut, richtig gut“, murmelte der Kapitän der KOWLOON verärgert. „Okay, Alarm für das Schiff. Wenn sie sich wie Eindringlinge herein schleichen müssen sie auch damit rechnen, wie Eindringlinge behandelt zu werden. Kein Feuerbefehl. NOCH nicht.“
Die Offiziere sahen erstaunt zu ihm herüber. Bisher hatte sich Shawn gut eingefügt und die Berichte über die KOWLOON und die Mannschaft waren ohne Tadel gewesen. Bisher. Um all das vollends zu ruinieren musste eigentlich nur noch auf einen UEMF-Offizier geschossen werden. Ihn mit einer Waffe zu bedrohen alleine zerschlug schon genügend Porzellan.
„Wo befinden sich die Eindringlinge?“, fragte Shawn.
„Ich… Keine Ahnung, ich habe sie nicht auf den internen Sensoren.“
„Dann finde sie. Wenn das hier eine Prüfung ist, will ich nicht dümmer dastehen als ich muß.“
„Shawn, ich habe den Algorhythmus des Codes dechiffriert. Es ist ein alter Hochrangflottencode des Legats.“
„Verdammt, was wird hier gespielt?“, blaffte der Kapitän aufgebracht. Nicht nur, dass diese UEMF-Typen in sein Schiff eindrangen, sie beschworen auch einer Hybris gleich die Geister der Vergangenheit wieder herauf. Sie…
Shawn erstarrte. „Rotalarm! SOFORT!“
Jenny zögerte. Ein Rotalarm im angedockten Zustand würde auch auf der AURORA registriert werden. Und dann würde es eine Untersuchung geben. Zumindest aber würde ein Bericht gefordert werden. Und der dauerte und dauerte und…
Tadelnd sah Shawn sie an, kam aber nicht mehr dazu zu meckern. Das Hauptschott zur Zentrale glitt auf. Zwei seiner Rauminfanteristen taumelten rückwärts in den Raum. Sie hielten ihre Waffen gesenkt. Als sich einer von ihnen umwandte, erkannte Shawn blankes Entsetzen darin.
Ihnen folgten zehn gut ausgerüstete Soldaten in schwarzen Uniformen, die bedingt Vakuumtauglich zu sein schienen. Und sie waren gut, sogar sehr gut bewaffnet.
Ihnen folgte ein groß gewachsener Mann, der von einer schmalen jungen Frau begleitet wurde.
„Verschlusszustand, Lieutenant Commander Winslow. Verschlusszustand wäre die richtige Entscheidung gewesen. Das Schiff in alle neunzehn autarken Zellen aufteilen und jede Zelle anschließend einzeln durchsuchen.“
Der Mann trat in die Mitte der Zentrale, sah in die Runde.
Erschrockenes Raunen klang auf. Auch Shawn fühlte die Überraschung, sank in seinem Sessel zusammen.
„Schön, dass Sie mich noch kennen“, spottete der große Mann.
Shawn sah vor sich einen Kronosier von sehr hohem Wuchs. Die weißen Haare und die dunklen Augen waren Beleg seiner Herkunft – beziehungsweise der Gift, die ihm gewährt worden und ihn genetisch in einen Naguad verändert hatte. In einen von neun Grundtypen, wie sie von den Anelph wussten.
„SIE!“, rief Shawn, fuhr aus seinem Sitz hoch. Die Soldaten in schwarz ließen ihre Waffen hoch rucken. Doch das scherte ihn nicht, als er einen ersten taumelnden Schritt auf ihn zumachte.
„Ja, Kapitän?“, fragte dieser und lächelte ihn an.
„Sie… Sie sind tot! Was tun Sie hier?“
Der Mann lachte. „Nun, ich… Tue meine Pflicht. Und genau das werden Sie jetzt auch tun. Ich werde die KOWLOON auf ihrer Patrouille begleiten. Und wenn ich das Zeichen gebe, brechen Sie vom Patrouillekurs ab und fliegen den Mond Jomma an, genauer gesagt die Naguad-Militärbasis Axixo.“
Ollie senkte unmerklich die Hand. Sie glitt seinem Waffenholster immer näher. Auch Marek schien sich bereit machen zu wollen. Er spannte die Beine an, beugte sich leicht vor, als wolle er jede Sekunde los laufen. Jenny langte vorsichtig unter ihr Pult. Shawn wusste, dass die junge Frau dort eine Waffe versteckt hatte. Aber war es das wert? Konnten sie es schaffen? Durften sie es überhaupt schaffen? Der Mann da vor ihm, er war ein Legat! Einer jener fünfzig Männer und Frauen, unter deren Kommando er gedient hatte, bevor Otomo gekommen war. Er hatte sogar noch für sie gekämpft, nachdem die meisten von ihnen gefallen waren und der Mars sich ergeben hatte.
Langsam schüttelte er den Kopf, vor allem für seine Leute, damit sie nicht angriffen. Noch nicht.
Er sah den Legaten an und fragte: „Wie kommen Sie nur darauf, dass ich Ihnen helfen werde, Legat? Die KOWLOON und ihre Mannschaft sind nun Teil der UEMF, Teil der AURORA-Begleitflotte. Warum sollte ich all das wegwerfen?“
Der Kronosier lachte. Übergangslos wurde er wieder ernst. „Ai-chan.“
Die junge Frau an seiner Seite nickte kurz. Einen Augenblick später stand sie neben Shawn und hielt eine Klinge an seinen Hals gedrückt, ohne auch nur hinzusehen. An der Schneide begann sich Blut zu sammeln und das Metall herab zu fließen.
Die Waffen der Wachen ruckten erneut hoch und zielten erneut auf die Anwesenden.
Shawn verstand. Es würde ansonsten ein Blutbad geben.
„Einen Grund“, stammelte er. „Geben Sie mir einen Grund!“
Nachdenklich legte der Mann den Kopf zur Seite. „Ai-chan.“
Die junge Frau nickte und trat von Shawn fort. Die Waffe nahm sie ab und steckte sie in ein verstecktes Futteral im Ärmel.
„Wie wäre es mit dem Grund? Sie schulden mir mehr als der UEMF, Shawn.“
„Mehr als meine Ehre? Meine Integrität? Das Vertrauen meiner Leute in mich?“
„Ja“, sagte der Mann schlicht und Shawn gab auf.
Nicht nur, dass er damit Recht hatte. Er hatte auch die Gewalt über ihn und das Schiff. Denn er bezweifelte nicht, dass der Legat genügend Soldaten mitgebracht hatte, um es effektiv zu kontrollieren. Es war das Beste, wenn sie vorerst kooperierten. Für sie, für ihn, für die AURORA. Die AURORA? Wann hatte er nur gelernt sich selbst zu belügen?
Jedenfalls würden seine Leute auf ihn hören. Und damit würde das große Blutbad hoffentlich ausfallen.
„Wir hören auf den Legaten“, entschied Shawn ernst.
Durch seine Leute schienen verschiedene Emotionen zu laufen. Jenny nahm die Hand wieder vor, Marek fluchte zum Steineerweichen und schenkte ihm einen wütenden Blick.
Ollie entkrampfte langsam seine Hand. „Ich hoffe, du weißt was du tust, ja?“
„Das hoffe ich auch“, erwiderte der Kapitän.
„Startsignal“, kam es von Jenny.
„Eins-O übernehmen.“ Shawn erhob sich, machte für Marek Platz und stellte sich neben den Legaten. Die junge Frau namens Ai-chan folgte ihm dabei, blieb immer in seiner Reichweite.
Doch Shawn ignorierte sie. „Eine Frage, Legat Taylor“, rang sich Shawn ab, während die KOWLOON mit guten Wünschen von der AURORA startete, „wo haben Sie sich so lange versteckt? Und warum leben Sie noch?“
Der Mann grinste ihn an. „Nun, ich… Habe mir mein eigenes kleines Reich aufgebaut, unten in der Grey Zone, direkt unter den Augen der UEMF und der Söhne der AURORA. Dort kann man es gut aushalten, wenn man die richtigen Kontakte und Geld hat. Sowie einige sehr loyale Leute.“
Die schwarz uniformierten Soldaten lachten, einige laut, andere dezenter, je nach Charakter.
„Selbst gegenüber den Leuten eines anderen Legaten ist es gut, selbst Legat zu sein. Das bringt Sicherheit“, murmelte Henry William Taylor wie im Selbstgespräch. „Aber ich schweife ab. Sie wollten wissen, warum ich noch lebe, nicht?
Nun, wie die meisten anderen auch denken Sie, dass mich Akira Otomo eigentlich getötet hat, oder?“
Shawn nickte. Das hatte er bisher immer gedacht.
„Nun, das ist auch richtig. Dieser Halunke hat ein Herkules-Schwert erst durch meinen Mecha und dann durch mich getrieben. Von Rechts wegen müsste ich nun tot sein.“
„Cloning?“, schoss Shawn ins Blaue. „Oder das Übertragungsprogramm, von dem ich in letzter Zeit immer höre?“
Der Legat lachte laut. „Nein, warum? Ich bin der echte, einzige, wahre Henry William Taylor. Und ich habe so meine Möglichkeiten. In dem Moment, als abzusehen war dass Otomo mich töten würde, da nutzte ich mein Alter aus.“
Shawn fiel es wie Schuppen von den Augen. Er verstand. Und er erschauerte vor dem Genie dieses Mannes. Ihn zu überlisten oder gar zu überwältigen würde sehr schwierig werden, war für einen schlichten Menschen wie ihn beinahe unmöglich. Und vielleicht gar nicht nötig, aber das würde die Zeit zeigen müssen. „Das Resonanzfeld.“
„Sie sind klug“, stellte Taylor fest. „Im Daishi Ecco, den ich benutzte, war genügend Platz für eine verkleinerte Version der Waffe, mit der wir den OLYMP lahm gelegt hatten. Gerade groß genug, um den Mecha und einen Radius von fünf Metern abzudecken.
Als mich die Herkules-Klinge durchbohrte, spürte ich nichts davon, weil die Zeit für mich bereits eingefroren war.
Akira Otomo und die anderen bemerkten nichts davon, denn sie waren damals zu jung, um vom Feld gelähmt zu werden.
Ich aber verharrte in der Zeitlosigkeit, wurde Stunden oder Tage später von meinen Vertrauten geborgen, während ganz Martian City ans Aufräumen ging.
Meine Vertrauten befreiten mich aus dem Daishi und sorgten dafür, dass der Resonator ausgebaut und ich im Resonanzfeld blieb, während der Ecco der UEMF übergeben wurde.
In einem Biotank hatten sie dann die Möglichkeit, die eigentlich tödliche Verletzung auszuheilen, lange bevor ich auch nur annähernd wieder beweglich wurde. Ein Jahr später… Aber das ist eine andere Geschichte.“
Shawn nickte. Eine geniale Idee. Eine brillante Idee. Er erinnerte sich daran, dass die UEMF Taylors Körper nicht mehr hatte finden können, für sein ehrenvolles Begräbnis. Und nun wusste er auch wieso.
„Eine letzte Frage, Sir. Warum jetzt? Warum wir? Und warum die Naguad?“
Taylors Lächeln stoppte. „Erstens weil Akira Otomo und der Führungsstab der AURORA gerade beschäftigt sind. Zweitens weil Sie mir persönlich etwas schulden. Und drittens… Es ist mein Recht, zu den Naguad zu gehen. Immerhin teile ich mit ihnen meine Genetik, oder?“ Er ballte die Hände zu Fäusten. „Sie werden mir einige pikante Fragen beantworten.“
Shawn straffte sich. Plötzlich sah er einen Nutzen in Taylors Plan. Einen Nutzen für sich und dieses Schiff und für die ganze AURORA. Die Zukunft versprach noch etwas interessanter zu werden.
Ace Kaiser
4.
Okame-sama sah auf den Mann vor sich. Respektvoll senkte er das Haupt. „Michael-tono.“
Der grauhaarige Mann winkte ab. „Keine Förmlichkeiten, bitte, Okame-tono. Wir sind hier Gleiche unter Gleichen.“
Der Dämonenkönig erhob sich. „Ich bringe schlechte Nachrichten, Michael-tono.“
„So etwas habe ich mir schon gedacht. Die Frage ist nur: Wie schlecht?“
Neben dem Wolf entstand ein Blitz. Kitsune erschien und ließ sich schwer atmend auf die Knie und auf den Hintern sinken. „Das war knapp“, ächzte sie.
Kurz sah Kitsune zur Decke, schüttelte drohend eine Faust und rief: „WARTET MAL AB! ES GIBT AUCH NOCH NE RÜCKRUNDE!“
Indigniert sah Michael Berger die Dämonin an. „Kitsune… chan?“
„Ist doch wahr“, maulte sie. „Was glauben diese Typen auch… Auuuuuuu! Blöder Wolf!“
Okame rieb sich die schmerzende Faust, mit der er der jungen Dämonin eine saftige Kopfnuss verpasst hatte. „Kannst du nicht mal ernst bleiben? Nicht einmal vor Michael-tono?“
„Hey, ich komme gerade aus der größte gequirlten Scheiße, seit Torah mit Youmas rumgespielt hat, ja? Darf ich da etwas Verständnis erwarten oder ist das zuviel verlangt?“
Erschrocken rückte Kitsune vom Wolf ab, als dieser erneut die Faust hob. „Rette mich, Michael-tono!“
Der grauhaarige Mann lachte aus vollem Hals. Dann trat er neben die Füchsin und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Genug gespielt, Kitsune-chan. Dein Bericht, bitte.“
Sie sah kurz zu Okame herüber. „Hat er schon von den Energiebahnen berichtet? Ja? Also, die Bahnen in diesem Sonnensystem sind korrumpiert, das wisst Ihr also schon.
Was jetzt kommt ist aber bestimmt neu. Ich war in der hiesigen Dämonenwelt.“
„Also gibt es eine Dämonenwelt auch hier“, sagte Michael nachdenklich. „Nummer fünf. Wie nennen die hiesigen Dämonen ihren Bereich?“
„Hölle“, sagte Kitsune trocken.
Überrascht tauschten Okame und Michael einen Blick aus. „Wieso?“
„Weil die Dämonenwelt die Hölle ist. Ich habe es erlebt. Es gibt keinen Herrscher. Es gibt keine Gliederung. Keine Struktur. Und durch die Manipulation der Bahnen auch nicht einmal einen Hauch von Ordnung.“
Sie seufzte lange und nachdrücklich. „Ich habe einen guten Einstieg in die Dämonenwelt gefunden. Er liegt nahe der Hauptstadt in einem alten Tempel, der übrigens während der Invasion der Naguad gezielt zerstört wurde. In die Dämonenwelt überzuwechseln war leicht, ebenso sie wieder zu verlassen. Das war mein Glück. Denn auf der anderen Seite musste ich leider feststellen, dass die Naguad nicht nur Lorania angegriffen haben. Nein, sie griffen auch die Dämonenwelt an.“
Kitsune atmete tief ein und wieder aus. „Sie haben alle neunzehn hiesigen Dämonenkönige getötet. Dazu Dutzende der stärksten Dämonen, die ihre Nachfolger hätten werden können.
Im Dämonenreich herrscht Anarchie, Willkür und Krieg. Und über all dem schwebt der Schatten der Möglichkeit, dass die Naguad jederzeit wieder eine Strafexpedition starten und die Dämonen erneut dezimieren.
Tatsächlich gibt es ein Lager, das den Naguad bis zum Anschlag in den Arsch kriecht – die haben mich übrigens verfolgt und beinahe gekriegt – und mehrere Fraktionen, bis hin zu Einzelgängern, die überhaupt nicht wissen, was sie wollen.
Fazit: In der Dämonenwelt Verbündete zu suchen ist illusorisch.“
Michael Berger nickte leicht. „Ich habe mir so etwas auch schon gedacht. Man kann eine Welt nur dann erobern, wenn dies auf allen Ebenen erfolgt.“
Michael wandte sich um und sah durch ein Fenster auf die Stadt Fushida hinab. „Es war vielleicht doch keine so schlechte Idee, dass ich heimlich mitgekommen bin. Nicht wahr, Eikichi?“
Wieder wandte er sich den beiden Dämonen zu. „Diese Welt ist feindlicher als ich jemals erwartet hätte. Akira leidet noch immer unter seinem Verlust und die Flotte wurde im Orbit um Lorania regelrecht fest gepinnt. Was denkst du, Eri, sollen wir es benutzen?“
Im Hintergrund erhob sich eine groß gewachsene Frau. Sie sah nicht älter als vierzig aus, hatte aber das Lächeln einer gütigen Großmutter. Als sie heran trat, verneigte sich Kitsune spontan und sehr tief. „Eri-sama.“
Die Frau lächelte gütig und tätschelte der Dämonin den Kopf. „Sei nicht so schüchtern, Kitsune-chan. Sieh dir Okame-chan an, er benimmt sich normal.“
„Ja, er sitzt da stocksteif, weil er vor Schreck keinen Finger rühren kann“, spottete Kitsune und bereitete sich auf den unvermeidlichen Schlag des Wolfs vor. Doch der kam nicht.
Stattdessen begann der Dämon zu zittern. Mit aufgeregter, sich überschlagender Stimme rief er: „Eri-sama!“
Eri Yodama lächelte den beiden Dämonen zu, bevor sie sich ihrem Mann zuwandte. „Michael, ich denke, es ist noch zu früh dafür. Wir sollten uns das aufheben bis zum letzten Moment. Vertraue Akira und vertraue seinen Freunden. Unsere Rolle in diesem Spiel ist…“ Die große Frau legte den Kopf schräg, als lausche sie auf eine ferne Stimme. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, es war kalt. Sehr ungewöhnlich für diesen Menschen. „…in diesem Moment festgelegt worden.“
Die beiden sahen sich lange in die Augen. Ihr Versteckspiel, ihre Zeit in Fushida, in der sie den Kindern aus dem Weg gehen mussten, weil sie sich selbst als Trumpfkarte verstanden, obwohl sie eigentlich bei ihren Enkeln sein wollten, war bitter nötig gewesen.
Michael nickte schwer. „Du hattest schon immer den besseren Blick in die Ferne. Wer ist gekommen?“
Eri schmunzelte. Die Kälte war aus ihrem Blick gewichen. „Fühle dich geehrt, Schatz. Es ist Begam der Sonderklasse Torum Acati. Dein alter… Freund.“
Michael zog eine Augenbraue hoch. „Der Rat der Begam schickt den stellvertretenden Ratsvorsitzenden? Falls er es noch immer ist. Dreihundert Jahre sind eine lange Zeit.“
Nachdenklich rieb er sich die linke Schläfe. Torum Acati, der dritthöchste Mann im Geheimen Orden, direkt unterstellt Meisterin Tevell und verantwortlich nur dem Rat und ihr. Das er extra von Naguad Prime zu den Anelph geschickt wurde, konnte nur eine Handvoll Gründe haben.
„Sehen sie in der AURORA eine Bedrohung? Oder in unseren KI-Geschulten Kräften?“, fragte Michael nachdenklich. „Oder sogar in Akira?“
„Nein, Schatz. Für Akira alleine nicht. Aber für Akira und Yellow schon. Die beiden vereint sind eine viel zu große Gefahr für die Randgebiete, als das Tevell sie ignorieren kann.“
„Ich stimme dir zu. Ab jetzt müssen wir doppelt wachsam sein.“
Ein Bildschirm im Hintergrund flammte auf. Das Gesicht von Sakura Ino erschien. „Onkel Michael, Tante Eri, es gibt Neuigkeiten.“
„Falls du die Fregatte der DEPAR-Klasse meinst, die gerade ins System gesprungen ist, die haben wir schon bemerkt“, schmunzelte Michael.
„Dann ist ein KI-Meister an Bord, was?“, schloss Sakura messerscharf. „Wie stark ist er?“
„Stärker als Eri.“
Sakura wurde bleich. „D-das sind keine guten Neuigkeiten. Und sie werden nicht besser. Der Prozess gegen Aria Segeste beginnt gerade, während Akira noch auf Lorania herumspielt. Megumi Uno wurde als Zeuge der Anklage vorgeladen. Ich weiß nicht, ob ich Akira alleine bändigen kann. Onkel Michael, wenn du…“
Der ältere Mann winkte traurig ab. „Dieses Problem kann ich dir nicht abnehmen, Sakura. Ich muß nun all meine Kraft auf Torum Acati verwenden.“ Er seufzte schwer und setzte sich hin wo er gerade stand. „Hört das denn nie auf?“
„Lass dich nicht so gehen, Schatz“, tadelte Eri. „Du bist erst vierhundertachtundzwanzig. Werde erstmal sechshundertsiebenundvierzig wie ich, dann darfst du jammern.“
Michael grinste sie anzüglich an. „Zum Glück stehe ich auf ältere Frauen.“
„Vorsicht, oder die ältere Frau wird dir den Hintern strammziehen.“
„Das wäre es doch beinahe wert“, erwiderte Michael mit einem feinen Lächeln.
„Wie dem auch sei!“, blaffte Sakura, „ich habe meine Meldung gemacht. Seht zu mir Bescheid zu geben, wenn Ihr etwas Neues erfahrt. Und schickt mir doch bitte Kitsune und Okame rüber, ja?“
Kitsune sprang geradezu erleichtert auf. „Bin schon weg! Komm, alter Brummwolf, wir müssen los. Bevor die beiden hier…“ Kitsune konnte sich nicht zwischen einem anzüglichen Lachen und erröten entscheiden, also tat sie beides. Zusammen mit dem Dämonenkönig, der noch immer wie gelähmt wirkte, verschwand sie mitten in der Luft.
Michael lachte lauthals. „Himmel, wir sind erst vierhundert und sechshundert. Nicht tausend und zweitausend. Das Sakura ein Problem damit hat, ist mir klar. Aber Kitsune-chan ist doch selbst zweitausend. Und sie hat nicht aufgehört, Sex zu mögen, als sie tausend wurde.“
„Ich glaube“, schnurrte Eri und ließ sich neben ihrem Mann am Boden nieder, „es war weniger der Sex an sich, den wir angedeutet haben. Es war eher der Weg, der dorthin führen sollte.“
Michael beugte sich vor und küsste seine Frau. „Sie mögen vielleicht keine Schnörkeleien, Schatz.“
„Für heute können wir sie ja mal weglassen“, hauchte sie und schmiegte sich an ihn.
„Habe ich dir eigentlich in diesem Jahrhundert schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?“, flüsterte Michael mit wehmütiger Stimme.
„Nicht Worte, sondern Taten zählen“, raunte sie zurück.
„Kein Problem!“
5.
Die ganze Aktion dauerte nur eine gute Sekunde. Ich spürte die fremde Präsenz lange bevor ich den dazugehörenden Naguad sah. Beschleunigt durch seine KI-Kräfte sauste er auf mich zu, in der Hand ein Kampfmesser, dass einem Ka-Bar nicht unähnlich war. Und während eines Wimpernschlags stand er auch schon vor mir, versuchte die Klinge in meine Brust zu treiben.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits mein eigenes KI aktiviert, war einen Schritt beiseite getreten und wich der vor KI strotzenden Klinge aus. Dabei packte ich nach dem Genick des Mannes und verstärkte seinen beträchtlichen Schwung noch einmal, warf ihn gegen die nächste Mauer. Dort nagelte ich ihn mit der Hand im Genick und einem schwungvoll auf seinen Hintern gesetzten Fuß effektiv fest. Mit der anderen Hand entwand ich ihm die Klinge.
„Autsch“, kommentierte Joan, als an der Wand ein dünner Faden Blut herab lief, „das muß ihm weh getan haben. Hast du ihm die Nase gebrochen?“
„Na, mindestens. Okay, Kumpel, was sollte der Scheiß?“
„Tut mir Leid“, sagte der Angreifer auf Anelph-Idiom, allerdings mit einem satten Akzent. „Aber ich musste es wenigstens versuchen, oder? Agent Jopra Calar, imperialer Inlandgeheimdienst und Verbindungsoffizier zu Auge Iram.“
„So, und jetzt wo du es versucht hast, was dann?“, fragte ich ernst.
Der Naguad zuckte mit den Schultern. „Jetzt bringe ich euch zum Leiter des Geheimdienstes.“
„Zum Leiter? Nicht etwa in eine Falle, in der ein Dutzend schwer bewaffneter Agenten nur darauf warten, uns ins Kreuzfeuer zu nehmen?“, hakte Joan nach.
„Nein.“
„Das ist schade. Soll hier etwa nur Aki-chan den ganzen Spaß haben?“, maulte sie. Übergangslos wurde sie aber wieder ernst und winkte ihren Leuten. „Langsam vorrücken. Auf automatische Waffen und Hinterhalte achten.“
„Okay, Jopra, dann zeig uns mal den Weg.“ Langsam nahm ich Hand und Fuß zurück.
Der Agent straffte sich, rückte seinen Kragen zurecht und sagte: „Bitte folgen Sie mir, Commander Otomo.“
„Der gibt mir etwas zu schnell klein bei“, kommentierte ich ernst und schritt voran.
„Darf ich an dieser Stelle anmerken, dass wir hier ausgebildete Infanteristen haben, denen Commander Otomo gerade die Arbeit fort nimmt, weil er unnötigerweise vorweg geht?“
Ein Teil der Decke wurde plötzlich von Rissen durchzogen und kam zu uns herab.
Joan trat einen schnellen Schritt vor, riss die Arme hoch und stemmte die kompakte Betonplatte einen Moment, bevor sie sie mit einer beiläufigen Geste an die Wand fallen ließ. „Sonst passiert nämlich so was, Commander Otomo.“
Entsetzt und kreidebleich sah ich sie an. „Äh… Vielleicht sollte ich zumindest dich vorgehen lassen.“
Erinnerungen kamen hoch, Erinnerungen an den Felsgang an Bord der AURORA und die herab stürzende Decke, während ein übernommener Agent auf mich schoss – und Yellow mich rettete.
Doch ich schüttelte den Gedanken ab, trat drei schnelle Schritte vor und ergriff den Agenten am Kragen. „Und was Sie angeht, junger Mann…“
„I-ich kann nichts dafür“, rechtfertigte er sich. „Die Fallen werden vom Center aus gesteuert, da habe ich keinen Einfluss drauf!“
„Fallen? Was für Fallen?“, fragte ich eisig und schob den Agenten vor mir her.
Bis ich Joans Hand auf meiner Schulter spürte, die mich sofort stoppte. Der Agent rutschte vor meinen Augen ab und fiel einen halben Meter, bevor ich ihn geistesgegenwärtig auffing. Joan zog uns beide zurück.
„Aha. Falltüren“, kommentierte ich den plötzlich verschwundenen Boden. „Und was ist darunter? Die klassischen Metalldorne?“
„E-eigentlich ein gepolstertes Verhörzimmer. Aber ich wusste nicht, dass das Center so weit geht.“ Der Naguad war nun ebenfalls bleich. „Ist immerhin ein Sturz von acht Meter.“
„Autsch!“, kommentierte ich.
„Ja, autsch. Wenn hier jemand eindringt, soll er ja nicht allzu schnell wieder aktionsfähig werden.“
„Das kann ich nachvollziehen.“ Wieder packte ich zu, diesmal riss ich den Mann an seinem Kragen in die Höhe. „Also, wollen wir jetzt etwa alle Fallen des Gebäudes kennen lernen oder kommen wir zur Sache?“ Ich sah zur Decke hoch, aufs Geratewohl, ohne dort wirklich eine Kamera zu sehen. „Wie sieht es aus? Ich kann mich hier auch mit meinem Mecha durchgraben!“
„Sie können Agent Calar wieder herunter lassen, Commander Otomo. Wir geben den Widerstand auf. Agent Calar, bringen Sie den Commander bitte zu uns.“
„Verstanden, General Teless.“
Ich ließ den Kragen los. Vor uns klappte der Boden wieder hoch. Dann sah ich Joan an. „Okay, ab hier bin ich vernünftig. Spezialisten vor.“
Der weibliche Popstar nickte grimmig. Kurz darauf ging ein Viererteam mit schussbereiten Halbautomatikpistolen von Heckler&Koch vor.
Zwei bemerkenswert ereignislose Minuten später betraten wir einen Raum im dritten Stock. Er hatte auf mich die Wirkung einer Kommandozentrale. Und das war er schließlich auch. Dutzende Monitore bedeckten die Wände, Arbeitsstationen waren über den Raum verteilt. Alle Stationen waren besetzt, Wachen waren ebenfalls zu sehen, hatten ihre Waffen aber abgelegt.
In der Mitte des Raumes erwartete mich ein hoch gewachsener, braunhaariger Anelph, in dessen Schopf sich die ersten grauen Strähnen geschlichen hatten. Er stand auf und kam auf uns zu.
„Commander Otomo. Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen für diese verrückte Aktion weder gratuliere noch das ich von Ihrem Truppenaufmarsch begeistert bin.“
Er deutete auf einige Monitore, die Aufnahmen aus dem Weltraum abbildeten. Die GRAF SPEE zog gerade auf dreien von ihnen vorbei.
„Kommen wir zur Sache“, sagte ich ernst. „Wir wissen beide, dass wir nicht viel Zeit haben. Wenn erst einmal Ihre Polizei oder die Miliz eintrifft, können wir nur verlieren. Also, lassen Sie die Mitglieder des Komitees frei.“
„Das kann ich nicht tun. Es ist gegen meine Befehle. Ich werde Ihnen keinen Widerstand leisten, aber ich werde Sie auch nicht unterstützen. Doch bevor Sie beginnen, sollten Sie eines wissen: Hier in diesem Gebäude werden nicht nur Mitglieder des Komitees festgehalten. Es sind auch Mörder, Vergewaltiger und geistig instabile Gewaltverbrecher hier untergebracht. Es wird mir eine Freude sein dabei zuzusehen, wie Sie sich dieses Problem ins Haus holen.“
„Wir nehmen sowieso nur mit, wen wir wirklich haben wollen.“ Ich trat an die Monitorwand links heran, die das Innere von Zellen zeigte. „B 4 zuerst, Joan.“
Die junge Frau nickte. „Zelle 4, Block B, verstanden.“ Sie verließ den Raum, zehn Mann im Schlepp.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. „Vier Mann blockieren diese Tür und lassen niemanden raus und niemanden rein“, befahl ich leise, „bis wir wieder abziehen. Sie haben Erlaubnis, jeden mit Gewalt daran zu hindern.“
„Ja, Sir.“
„Einen Punkt haben Sie vergessen, mein lieber General“, erklärte ich süffisant, während ich den Raum wieder verließ. „Ich brauche gar nicht alle mitzunehmen. Die Leute vom Komitee kennen sich doch auch. Ich lasse sie sich selbst rausholen. Die Mörder und Psychopathen können Sie behalten.“
„Nicht schlecht“, kommentierte der General.
Als ich im Gang langsam in Richtung des Zellenblock B schritt, sprach ich in meine Kommunikation. „Alles bereit machen für einen schnellen Rückzug. Sobald wir die Leute vom Komitee haben, müssen wir hier unbedingt fix raus.“
„Verstanden, Sir“, meldete Ibate. „Übrigens haben wir mehrere Eindringlinge im Sicherheitsparameter. Wollte ich gerade melden. Wie soll ich verfahren?“
„Feindlich? Verdammt, ich habe nicht erwartet, dass die Miliz so schnell ist. Das ist ganz schlecht für die Presse.“
„Feindlich weiß ich nicht, aber mit dem anderen Punkt haben Sie ins Schwarze getroffen, Sir. Es ist die Presse. Was soll ich tun?“
„Scheiße! Behandeln Sie die Damen und Herren gut, aber sehen Sie zu, dass wir uns keinen getarnten Soldaten einschleppen.“
„Verstanden, Sir.“
Vor mir ging gerade eine Zellentür auf. Die Frau auf der anderen Seite schmunzelte leicht. „Das hat aber gedauert.“
„Wir können die Tür auch gerne wieder zumachen, Schätzchen“, drohte Joan grinsend.
„Besser nicht. Wie viel Zeit haben wir?“
„Hoffentlich genügend Zeit, um alle Mitglieder des Komitees auszusortieren, bevor die Miliz kommt. Wir haben das Gelände mit Mechas und Panzern abgesichert, aber ich würde ungern einen Schuss abgeben müssen, Miss Ryon.“
„Sie sind Commander Otomo, richtig? Schön, dass Sie so geradeheraus sind. Dann lassen Sie uns anfangen.“
„Nichts gegen einzuwenden, Schätzchen“, kommentierte Joan grinsend.
„Moment mal, Moment!“ Stela Sida Ryon, so hieß die Dame, starrte Joan an wie ein Gespenst.
„Sie… Sie sind Joan Reilley!“, keuchte sie erschrocken auf.
„Ja, bin ich, wieso?“
„Ich hätte nicht erwartet, Sie ausgerechnet hier zu treffen!“, rief sie, plötzlich aufgeregt. „Ich habe die meisten Ihrer Musikfiles und die Videos. Wann kommt denn das Video zu Anger is a bad mood raus?“
„Wir haben ein Neues drehen müssen“, sagte Joan mit einem amüsierten Blick auf mich, „aus Gründen der Geheimhaltung. Aber ich verrate wohl nicht zuviel, wenn ich sage, dass es sehr viel besser geworden ist als die alte Version.“
Schnell legte ich beiden Frauen je eine Hand auf den Rücken und schob sie vor mir her. „Ihr dürft euch ruhig unterhalten, Ladies, aber tut dabei bitte auch was.“
Das hätte noch gefehlt in meinem Bericht. Grund für die Verzögerung beim Rückzug, durch den wir gezwungen waren, das Feuer auf die Miliz zu eröffnen: Colonel der Reserve Joan Reilley musste noch Autogramme geben.
**
„…live vom Hauptquartier des Auge Irams und können kaum glauben, was wir hier sehen! Live auf Demiral Network werden Sie Zeuge, wie die Mitglieder des Komitees, flankiert von Truppen der AURORA das Gebäude verlassen.“
„…Es ist unglaublich, wir sind fünf Fernsehteams von fünf unterschiedlichen Sendern, die diesen historischen Moment aufnehmen können. Pech für alle, die nicht schnell genug sind. Da! Ich erkenne den geheimnisvollen Commander Otomo, der vor nicht einmal zwei Tagen alleine eine ganze Division Banges in den sprichwörtlichen Staub getreten hat! Commander Otomo! Auf ein Wort!“
„…auf Gondo TV verfolgen Sie nun live, wie Admiral a.D. Gennusuke Riada das Gebäude verlässt. Damit steht außer Frage, dass der Admiral nicht zu einer Besprechung eingeladen war, sondern hier verhört und festgehalten wurde! Ich finde, die Naguad gehen nun etwas zu weit! Wieviel wollen wir uns noch gefallen lassen? Wie weit werden sie es noch treiben? Was? Wer? Na, dann lasst doch Koman in Zukunft die Nachrichten machen! Ja, nehmt mir ruhig meinen Job weg! Ich bleibe eh nicht mehr hier. Ich vertraue jetzt den Komitee, die stehen wenigstens zueinander…“
**
Die Evakuierung erfolgte wie im Lehrbuch. Wir brachten jedes verifizierte Mitglied des Komitees sofort nach draußen ins Freie, sobald wir es aus der Zelle befreit hatten, außer wir brauchten es für die Identifizierung der anderen.
Das Ganze dauerte keine zehn Minuten, dann verließ ich mit fünf Soldaten und vier Komiteemitgliedern ebenfalls das Gebäude.
Im Freien erwartete uns das Äquivalent von Blitzlichtgewitter. Dutzende blauer Laserpoints wurden auf uns gerichtet, während die anwesende Presse Lärm für ein gutes Hundert machte.
„Kein Kommentar!“, wehrte ich ab und brachte Miss Ryon und den Admiral persönlich zum wartenden Infanteriependler. Danach tauschte ich einen schnellen Blick mit Joan aus. Sie nickte und sprach konzentriert: „Mission beendet. Ich wiederhole, Mission beendet. Wir ziehen uns zurück.“
Während ich in meinen Mecha kletterte und mich festschnallte, rollten die Mechaabwehrpanzer zu ihrem Pendler zurück. Die vier Hawks, die auf der Ausfallstraße Wache geschoben hatten, kamen nun ebenfalls langsam zurück, während die Infanterie einschiffte.
„Das war´s, Commander. Wir starten!“
„In Ordnung. Seht zu, dass euch auf dem Weg zur GRAF SPEE nichts in die Quere kommt, ja?“
„Verstanden, Commander.“
Nacheinander starteten die Infanteriependler. Die Hawks starteten ebenfalls und bezogen Flankenschutzposition. Nun war es auch Zeit für mich. Ich trat die Pedale durch und wurde von Prime hart in den Sitz gepresst, als er mit drei G Andruck durchstartete.
In tausend Meter Höhe beendete ich den Steigflug abrupt und begann zu kreisen. Die KAZE würde bis auf hundert Kilometer herab kommen und uns aufnehmen. Doch bis dahin mussten die Hawks, Sparrows und Eagles den Weg alleine bewältigen.
Neben mir fing sich ein Eagle ab. Yoshis Eagle. „Akira, schlechte Nachrichten.“
„Was? Die ganze Aktion hat doch super geklappt. Die Miliz hatte ja nicht mal Zeit zum ausrücken. Ich würde das durchaus als gute Nachricht werten.“
„Die KOWLOON ist desertiert“, entgegnete er trocken.
„Was?“ Ich zog Prime Lightning in die Richtung seines Mechas. „Was, bitte?“
„Sie war auf Patrouille. Ziemlich weit draußen, fast auf der Dipur-Bahn. Dann plötzlich hat sie das nächststehende Naguad-Schiff angefunkt und sich ergeben.“
„Das glaube ich nicht. Das glaube ich einfach nicht. Shawn ist nicht so einer! Er ist kein Taylor!“
Wütend umkrampfte ich die Sticks der Steuerung. Ich konnte, ich wollte das einfach nicht glauben. Es durfte nicht sein! Und überhaupt, was sollte sich ein Shawn Winslow davon versprechen, ausgerechnet hier zu desertieren? Er war hier genauso ein Feind wie wir alle auch und die einzigen Verbündeten waren das Komitee! Wo war der Nutzen? „Scheiße!“, blaffte ich wütend und trat wieder die Pedale durch. Yoshi beschleunigte seinen Eagle ebenfalls, blieb an meiner Seite haften. Prime meldete fünfzig atmosphäregebundene Jäger in hundert Kilometer Entfernung, auf unsere Position zurasen, ebenso eine Kompanie Banges. Schien so, als wären wir gerade noch rechtzeitig abgehauen. „Immerhin etwas positives“, murmelte ich. Doch meine Gedanken kreisten nach wie vor um die KOWLOON und die ehemaligen Marodeure. Ich verstand es nicht. Wenn wenigstens einer von ihnen die Gift erhalten hätte, dann hätte es einen kruden Sinn ergeben, so aber…
6.
Als Taylor mit einem Teil seiner Leute sowie Kapitän Winslow die KOWLOON durch einen Personenschacht verließ, empfing sie eine Ehrengarde der Axixo Basis. Vize-Admiral Ikosu stand ihr persönlich vor. Wenn er davon erstaunt war, dass Taylor die Naguad-Genetik trug, zeigte er es nicht.
Stattdessen salutierte er und hieß die Besatzung willkommen.
„Kommen wir gleich zur Sache“, begann der Legat das Gespräch und klärte den Admiral in wenigen Sätzen über die Geschehnisse auf der Erde und seine eigene Rolle darin auf.
Wie Winslow erstaunt bemerkte, beschönigte Taylor nichts.
„Dann macht uns das also zu Verbündeten“, schloss der Admiral mit einer gewissen Erleichterung in der Stimme.
„In der Tat. Wir haben einen gemeinsamen Feind, den ich nur zu gerne stolpern sehen würde. Wenn Sie also direkt gegen Commander Otomo vorgehen wollen, haben Sie in mir einen Verbündeten, der ihn besser kennt als er sich selbst. Haben Sie etwas Bestimmtes geplant?“
Der Admiral lächelte. „Einer meiner Untergebenen hat da was aus dem All gefischt, was wir gegen Ihren Commander Otomo verwenden. Er hat noch nicht drauf angebissen, aber…“
„Zeigen Sie es mir“, verlangte Taylor.
**
William Henry Taylor besah sich die junge Frau im Gleiterstuhl von allen Seiten. Als er ihr Kinn ergriff, um das Gesicht zu drehen, musste er all seine Kraft aufbringen, um nicht plötzlich der Kraft nachzugeben, die sein Handgelenk umklammerte wie ein Schraubstock und zu Boden zu reißen drohte.
„Ich bin vielleicht noch nicht wieder ganz da. Das heißt aber nicht, dass ich mich von Ihnen betatschen lasse, Legat“, sagte sie mit Hass in ihren Augen.
Mit einer nachdrücklichen Geste befreite sich Taylor. „Sie ist fast perfekt. Das was ihr noch fehlt können wir mit Amnesie erklären.“
Ikosu runzelte die Stirn. „Sie ist perfekt. Sie ist das Original.“
Taylor sah wieder zu der jungen Frau und musterte sie erneut. „Sie ist fast perfekt. Und jetzt sage ich Ihnen, wie Sie Otomo mit ihr herlocken können.“
„Ich werde nicht kooperieren“, blaffte sie harsch.
Taylor begann zu grinsen, ging vor ihr in die Hocke und sagte: „Das brauchst du auch gar nicht, Megumi-chan. Wir kriegen deinen Schatz sowieso.“ Er sah zum Admiral hoch. „Sind wir Verbündete?“
„Wir sind es.“
**
Als ich aus Prime stieg, hatte ich das Gefühl, jemand hätte meine Wirbelsäule ein paar Zentimeter zusammen gestaucht. Meine Zeit der Trauer und mein vernachlässigtes Training machten sich nun bitter bemerkbar. Es rächte sich immer sehr schnell, wenn ich den Muskelaufbau für Wirbelsäule und Gelenke vernachlässigte. Ich würde wohl die nächste Zeit ein paar Bahnen mehr schwimmen müssen, um wieder auf meinen alten Level zu kommen.
Karl nahm mich in Empfang und schnappte sich meinen Helm.
„Danke“, sagte ich müde.
„Ich hänge ihn in deinen Mecha, Akira.“ Er sah mich ernst an. „Damit du nicht lange suchen musst.“
Irritiert sah ich den Techniker an, der mich schon seit einer kleinen Ewigkeit begleitete und unterstützte. „Du wirst schon wissen, was du tust, Karl“, murmelte ich und ging in Richtung der Umkleidekabinen. Das war ja das Fatale. Er wusste genau, was er tat. Immer. Jederzeit. Deshalb war ich mir ziemlich sicher, dass ich den Helm tatsächlich bald brauchen würde.
Nach der Dusche und wieder in meiner Dienstuniform fuhr ich nach Hause. Während Yoshi und die anderen noch mit Berichten über den Einsatz beschäftigt waren, gönnte ich mir die Ausnahme von der Regel und beschloss, früh schlafen zu gehen und den Bericht am nächsten Morgen zu verfassen.
Ich erreichte den Innenraum der AURORA während der Nachtphase. Die Lichtemission war auf ein Zehntel zurück gefahren, am Himmel prangten die Sterne der Umgebung als Projektion und zwei Monde gingen auf. Jomma und Dipur.
Sie spiegelten sich im Serenity-Meer, ebenso wie die fernen Sterne und schufen eine wundervolle Atmosphäre, die mich wünschen ließ, diesen Anblick mit einer Flasche Sekt und Megumi genießen zu können. Megumi! Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Irrte ich mich oder tat es wirklich von Tag zu Tag mehr weh?
Als ich durch die Straßen ging, tat ich das lustlos und müde. Der Einsatz unten auf Lorania hatte mich doch mitgenommen. Fast von Betonplatten erschlagen zu werden und acht Meter in die Tiefe zu stürzen schien an mir genagt zu haben und für einen bangen Moment fragte ich mich, ob ich schlicht und einfach alt wurde. Bekam ich vielleicht schon graue Haare?
Ich blieb vor einem großen Fenster stehen und versuchte in meinem Spiegelbild etwas zu erkennen.
Stattdessen fiel mein Blick auf den großen Fernseher, der jenseits der Scheibe gerade lief.
Was ich sah, ließ mir einen Eisschauer durch die Adern rieseln. Ich sah eine Reihe uniformierter Naguad an einem langen Tisch und eine einzelne Naguad, die vor ihnen stand und eine Tirade an Beschimpfungen über sich ergehen ließ. Kurz entschlossen betrat ich den Laden. Hier war der Ton besser.
„Wir fragen Sie ein letztes Mal, Captain. Was sind Ihre Ziele? Kooperation wird sich günstig auf das Strafmaß auswirken.“
„Ich kann nichts zugeben, was nicht existiert, Colonel. Ich will weder für die AURORA spionieren noch sabotieren. Stattdessen habe ich meine Pflicht immer treu und vorbildlich erledigt“, antwortete die Frau mit ernster Miene. Aria! Aria Segeste!
„Leugnen ist zwecklos! Sie wurden von Ihren Kameraden gesehen! Sie erhielten von Ihrem Führungsoffizier vor dem Start von der AURORA letzte Instruktionen. Wir haben über dreißig übereinstimmende Zeugenaussagen, Ban Shee Ryon betreffend!“
Für einen Augenblick wirkte Aria hilflos, ließ den Blick streifen, als suche sie jemanden. „Ban Shee ist… eine Freundin.“
„Eine Freundin. Und das sollen wir Ihnen glauben?“, blaffte der Wortführer.
„Nun habe ich aber wirklich genug!“, erklang eine aufgeregte, raue Stimme von der Seite. Eine junge Frau, die sich auf einer Krücke abstützte, schob einen Wachtposten beiseite und trat in den Innenbereich ein. „Wie unglaubwürdig sollen Ihre Konstrukte denn noch werden, bis Sie Aria was anhängen können? Brauchen Sie so dringend irgendeinen Erfolg gegen die AURORA, dass Sie sogar den einzigen Offizier opfern, der auf Ihrer Seite gegen Akira Otomo bestehen kann? Der mich besiegt hat, die zweitbeste Pilotin der Erde?“
„Wache! Entfernen Sie Colonel Uno sofort aus dem Saal! Wache!“
„Ist doch wahr! Was soll man von solchen Vorgesetzten halten, hä? So was sollten sie mal auf der AURORA oder in der UEMF versuchen, dann stünden Sie auf der Angeklagten-Seite und nicht Aria!“
„Colonel Uno! Colonel Megumi Uno! Sie sind hier Gast und neutraler Beobachter! Mäßigen Sie sich!“
„Wenn ich so einen hirnrissigen Quatsch sehe, dann…“
Weiter kam sie nicht, denn eine Wache trat ihr die Krücke fort und drehte ihr einen Arm auf den Rücken. Derart wehrlos gemacht zog er sie aus der Mitte heraus. Sie keuchte erschrocken auf, als der Mann richtig zupackte.
„Verdammt!“, rief ich und drosch auf die nächste Wand ein. „Ich glaube, ich mache jetzt was wirklich Dummes!“
Langsam wandte ich mich um und verließ den Laden wieder. Ich beschleunigte, wurde schneller, immer schneller, bis ich zur Magnetschwebebahn lief. Das konnte doch nicht wahr sein! Das durfte doch gar nicht wahr sein!
„Akira?“, erklang hinter mir eine bekannte Stimme.
Ich stockte im Lauf, wandte mich um und erkannte Kei.
Er hob abwehrend die Arme. „Ich weiß, warum du so hetzt, Akira. Und nein, ich will dich nicht stoppen. Du hast ja Recht, wenn du meinst, jetzt sei das Maß voll und du musst Megumi da endlich rausholen. Aber bevor du gehst, muß ich dir noch etwas sagen.“
Er sah mich an und in seinen Augen schimmerte grenzenlose Traurigkeit. „Akira, du hast dich doch immer gewundert, dass ich keine Freundin habe. Es ist ja nicht so, als wäre da nicht die eine oder andere, die an mir interessiert ist. Aber…“ Verlegen sah er zur Seite. „Aber ich will sie einfach nicht. Ich will dich, Akira.“
Entgeistert sah ich den Freund an. Meine Kinnlade sackte herab und meine Synapsen schienen gerade durchschmoren zu wollen. „WAS?“
Zaghaft sah er wieder zu mir herüber. „D-du bist immer so stark, so unbeirrbar. So aufrichtig. So ehrlich. Ich habe Megumi immer beneidet, weil sie dir so nahe sein konnte. Aber ich habe mich immer damit zufrieden gegeben, in deiner Nähe sein zu dürfen, Akira, selbst nachdem wir alle dachten, Megumi wäre tot. Aber jetzt, wo… Wo du so etwas Dummes tun willst, Akira, da sollst du nicht gehen, ohne nicht wenigstens zu wissen, wie ich für dich fühle…“
Langsam kam er auf mich zu, sah zu mir hoch. In seinen Augen schimmerten Tränen. Als sich der kleinere Mann, der einer der härtesten und erfahrensten Kapitäne der UEMF war, auf die Zehenspitzen stellte – um mich zu küssen – dachte ich, meine letzte Mahlzeit hätte aus rostigen Nägeln bestanden.
„Kannst aufhören, Kei!“, erklang hinter mir eine japsende Stimme und eine schwere Hand legte sich auf meine Schulter. „Ich bin da.“
Kei Takahara atmete mehr als erleichtert aus und fiel auf seinen Allerwertesten. „Das war verdammt knapp, Yoshi. Nächstes Mal ein wenig schneller, sonst kann ich dir bald sagen, was Akira so mit seiner Zunge macht.“
Ich spürte, wie ich rot wurde, teils vor Ärger, teils vor Verlegenheit. „KEI!“, rief ich entrüstet. „Was sollte das? Und warum gehst du so weit?“
Er grinste mich matt an. „Da war ich ja wohl nicht der einzige, oder, Akira?“
Wo er es aussprach, fiel es mir auch auf. Warum war ich so vollkommen gelähmt gewesen? So… geschockt?
Ich winkte ab. „Mach dir keine Hoffnungen, Kei. Ich wollte nur einem sehr guten Freund nicht wehtun, indem ich ihn abweise.“
„So kennen wir unseren Akira. Edel bis zur letzten Sekunde“, spottete Kei und ließ sich von Yoshi aufhelfen. „Also, was tun wir jetzt?“
Ich sah die beiden an. „Ich weiß nicht, was Ihr tut, aber ich fliege jetzt zur Axixo-Basis.“
„Deswegen sollte Kei dich ja aufhalten“, erwiderte Yoshi und hielt mir mein Katana hin. „Hier, das hast du vergessen.“
„Was?“
„Du verstehst schon richtig. Du kannst gehen, Akira.“
Ich nahm das Schwert in Empfang, befestigte es an meiner Hüfte. „Yoshi, das…“
„Natürlich nicht ohne mich und meinen Eagle, verstanden? Wenn du schon freiwillig ins Verderben rennst, brauchst du Flankenschutz.“
„Und ich werde die SUNDER in eine Position bringen, aus der ich euch zwei Helden so weit es geht unterstützen kann.“ Er zwinkerte uns zu. „Aber erwartet nicht schon wieder speziellen Service, okay?“
„Ich muß mal mit Ami reden. Kei braucht dringend ne Freundin.“ Ich wischte mir verstohlen etwas Schweiß von der Stirn. „Ganz, ganz dringend.“
Seite an Seite setzten wir uns wieder in Bewegung.
**
Beim Hangar angekommen, in dem mein Mecha in der Bay lag, verabschiedeten wir uns von Kei, der nun zum Dockingplatz seines Schiffes fuhr. Yoshi und ich wechselten in die Druckanzüge und kamen in den Hangar. Ich stockte kurz, als ich Yellow Slayer erkannte, die neben der Boarding Bay stand, von der aus ich Prime Lightning betreten würde.
Ich nickte Yoshi zu, der zu seiner Boarding Bay ging.
Dann trat ich neben die junge Frau und aktivierte die Boarding-Sequenz. „Du kannst mich nicht aufhalten, Yellow.“
„Wer redet denn von aufhalten? Ich will mit.“ Sie zwinkerte mir zu. „Du wirst jede Hilfe brauchen, die du kriegen kannst.“
„Ich will da nicht geschlossen mit den Hekatoncheiren einrücken“, wehrte ich ab. „Eine kleine, kompakte Truppe, mehr will ich nicht.“
„Also im Zweifelsfall du alleine, hm?“
„Das wäre der Idealfall gewesen, ja“, gab ich zu.
„Akira-chaaaaaaan!“, hörte ich eine aufgeregte Stimme hinter mir. Ich hatte kaum Zeit mich umzudrehen, da sah ich auch schon einen roten Schemen, der gerade zum Sprung auf mich ansetzte. Im Sprung wurde aus dem Schemen ein Mädchen. „Akira-chaaaan, du willst doch nicht ohne mich gehen?“
„Kitsune-chan“, rief ich erschrocken. Die Fuchsdämonin umarmte mich heftig. „Wenn du Yellow mitnimmst, dann will ich auch mit. Ich wette, ich wäre für die doofen Naguad eine Riesenüberraschung. Jedenfalls mehr als so ein blöder Slayer.“
„Wer ist hier blöd, Pelzknäuel, hä?“, erwiderte Yellow und riss die Mundwinkel der Dämonin weit auseinander.
„Autffff. Daff tut weh.“
„Soll es ja auch! Also, Aki-chan. Wie sieht dein Plan aus?“
Ich warf einen kurzen Blick auf die Boarding Bay. Mein Mecha wurde gerade heran gefahren und mein Helm lag tatsächlich im geöffneten Cockpit bereit. Guter Karl.
„Na, was wohl? Wir gehen da rein und holen uns Lady Death und Aria zurück.“
„Guter Plan“, nickte Yellow.
„Aber… Aber… Aber…“, stammelte Kitsune, „Lady Death ist doch… Ach, Lady Death! Jetzt verstehe ich. Na, du verdrehst hier aber ganz schön die Worte, Akira.“
Ich kletterte in mein Cockpit, setzte den Helm auf und kämpfte für einen Moment mit dem Sammelschloss.
„Warte mal, Aki-chan. So geht das“, sagte Yellow und schloss die Kontakte für mich.
„Danke. Kitsune-chan, Fuchsgestalt.“
„Jajaja“, maulte sie und verwandelte sich wieder in den Fuchs zurück. Danach sprang sie ins Cockpit.
„Yellow, wie wäre es, wenn du dir einen Druckanzug holst?“
Die junge Frau lächelte kurz. „Aki-chan, ist es dir wirklich noch nie aufgefallen? Was ich und die anderen Slayer tragen, ist ein Schutzanzug. Eine KI-Rüstung, wenn du so willst.“
Sie senkte den Blick. „Diese Rüstung hat mir schon das Leben gerettet.“
„Gut zu wissen.“ Ich streckte die Hand nach ihr aus. „Komm jetzt.“
Ein Lächeln huschte über Yellows Gesicht, als sie an Bord von Prime kletterte.
„Ich werde wohl auf deinem Schoß sitzen müssen, Aki-chan“, argumentierte sie.
„Auf dem Schoß sitzen reicht aber“, meckerte Kitsune-chan. „Versuch gar nicht erst, die Situation auszunutzen, ja? Ich bin immerhin auch noch da!“
Ich lachte leise und schloss den Mecha. Danach aktivierte ich die Startsequenz. Neben mir wurde der Eagle von Yoshi auf die Bahn geschoben. Einen Startschacht, der uns beschleunigte, gab es hier nicht. Aber einen Bereich, in der wir mit voller Last unserer Beindüsen starten konnten.
„Du weißt aber schon, dass ich einen Zweisitzer steuere, oder?“, kommentierte Yoshi amüsiert. „Du hättest also nicht beide zu dir ins Cockpit nehmen müssen.“
„Das sagst du mir jetzt, zehn Sekunden vor dem Start“, scherzte ich.
„Aki-chan!“, beschwerte sich Yellow.
Ich grinste schief, während vor mir die Hangartore auffuhren. Ich stellte den Mecha in den Sicherheitsbereich. „Commander Akira Otomo. Start.“
„Komm gesund wieder, Akira-chan“, klang eine weitere Stimme in der Funkverbindung auf.
„Sakura? Sakura?“
In diesem Augenblick startete meine Maschine durch und ging auf volle Geschwindigkeit. Sekunden nach mir startete der Eagle und setzte sich schnell an meine Seite.
Aus einem Nebenhangar starteten zwei Booster.
„Wir kriegen Spielzeug mitgeschickt, Akira“, meldete Yoshi.
Ich bestätigte und aktivierte die Kopplungssequenz. Mit den Dingern würde es nach Jomma ein Katzensprung sein.
7.
„Wie lange willst du ihm dieses eigenmächtige Handeln noch durchgehen lassen, Sakura-chan?“, fragte Tetsu leise, während die beiden auf dem Hauptmonitor der Zentrale der AURORA verfolgten, wie die beiden Mechas durchstarteten.
„Dies ist kein eigenmächtiges Handeln“, sagte sie zaghaft und sah auf ihre zitternden Hände. „Dies ist genau das, was die UEMF von ihm erwartet. Ich bin es, die hier einen Fehler macht. Weil ich ihn nicht aufgehalten habe.“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. So stand sie da und starrte zu Boden. Dann fiel die erste Träne wie ein einsamer Regentropfen herab und zersprang auf dem Boden der Zentrale. Dies war nur der Anfang für einen fürchterlichen Weinkrampf, der die junge Frau durchschüttelte. Tetsu Genda trat sofort an sie heran, führte sie in einen leeren Raum neben der Zentrale.
Dort schloss er sie in die Arme, bis sich die Anführerin der Operation Troja wieder etwas beruhigt hatte. „Ich schaffe es nicht, Tetsu“, schluchzte sie. „Ich schaffe es einfach nicht! Ich kann Akira nicht dauernd in dieser Gefahr wissen. Ich kann nicht andauernd daran schuld sein. Ich…“ Wieder unterbrach sie ein Weinkrampf.
„Ruhig, du stehst nicht alleine, Sakura-chan. Ich bin auch noch da. Ich nehme dir soviel ab wie ich kann.“
„Danke, das ist so süß von dir, Tetsu, aber manche Lasten kannst du mir einfach nicht abnehmen.“
Diese Worte schienen ihr wieder Kraft zu geben. Sanft löste sie sich von dem ehemaligen Straßenrocker und setzte sich aus eigener Kraft an den nächsten Tisch. Tetsu ließ sich neben ihr nieder, legte seine große Rechte schwer auf ihrer Schulter ab.
Sakura nahm diese Geste dankbar zur Kenntnis. „Es geht mir jetzt besser, Tetsu, danke. Es ist nur, dass… Weißt du, ich kenne Akira nun schon, seit er laufen gelernt hat. Ich habe ihn aufwachsen sehen. Und ich habe ihn fallen sehen, so tief, so schwer. Aber er kam wieder hoch, erneut, und noch einmal, egal, wie oft und egal wie tief er gefallen ist. Ich ertrage das nicht länger, ich…“
„Du musst sie verstehen“, brummte Makoto vom Eingang her, bevor er näher trat und seine Schwester an sich drückte. „Sie hat Akira und Yohko praktisch aufgezogen. Und jedes Mal wenn ihnen etwas passiert, bricht ihr das Herz. Als Yohko damals auf dem Mars verschollen war und wir alle dachten, sie wäre tot, da dachte ich, sie erholt sich niemals. Und jetzt, wo sie Akira in diese Gefahr schickt, in diese Ungewissheit…“
„Verstehe.“
Makoto ließ seine Schwester noch ein wenig weinen, bevor er sich wieder von ihr löste. „Du bist ihr ein wirklich guter Freund, Tetsu, ich weiß das zu schätzen. Bitte bleibe bei ihr, bis sie sich wieder gefangen hat. Ich finde schon einen Weg, um sie wieder aufzuheitern. Aber jetzt muß ich mal mit Doitsu und Daisuke reden.“
Makoto wandte sich ab, kam aber nicht weit. Sakuras Rechte hatte sich in seine Uniformjacke verkrallt. „Du, Mako“, sagte sie mit sich überschlagender Stimme, „es gibt da wirklich was, was mich wieder aufheitern würde.“
Sie sah ihren Bruder mit strahlenden Augen voller Hoffnung an. „Ziehst du für deine O-nee-chan die weibliche Ausgehuniform der United Earth Mecha Force an?“
Entsetzen huschte über Makos Gesicht. „War das hier etwa eine Falle?“
„Ach, komm, nur für deine O-nee-chan, für Yohko, für Joan, für Hina, für Ami, für Sarah, für…“
„Ich bin verdammt…“
**
Vierzig Minuten später erschien ein sichtlich abgekämpfter Colonel Makoto Ino im Besprechungsraum der Hekatoncheiren. Von den fast sechshundert Plätzen waren aber nur zwei besetzt.
Yohko kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Mako, ist das etwa Lippenstift? Habe ich dir nicht gesagt, dass blassrosa nicht deine Farbe ist?“
„Ha, ha, du kannst ja auf die Fotos warten, die Sakura geschossen hat.“
Yohko tauschte mit Daisuke einen Blick aus, woraufhin der Major seufzte und der jungen Frau tausend Yen reichte.
Irritiert sah Makoto auf diese Szene, beschloss aber sie zu ignorieren. „Machen wir es kurz, Herrschaften. Daisuke. Du bist mit sofortiger Wirkung Interim-Commander der Division. Yohko, du bist permanent zum Colonel befördert und wirst den Stellvertreterposten übernehmen. Akira und Yoshi sind zu einer Geheimmission nach Jomma aufgebrochen und wir wissen noch nicht, wann sie zurück sein werden.“
Yohko nickte verstehend. „Ah, sie holen endlich Megumi raus. Wurde ja auch höchste Zeit.“
„Du machst dir keine Sorgen?“, staunte Daisuke, den diese Eröffnung doch überrascht hatte.
„Klar mache ich mir Sorgen. Aber wenn es jemand schaffen kann, dann Akira. Und wenn ihm jemand helfen kann, dann Yoshi. Ist Joan auch dabei? Die wäre ebenfalls sehr hilfreich.“
„Nein, aber Kitsune ist dabei. Und soweit ich weiß hat sich Yellow Slayer ebenfalls eingeschifft.“
„Na, da werden die Naguad aber ein paar böse Überraschungen erleben.“ Yohko lehnte sich nach hinten, faltete die Hände ineinander. „Komm trotzdem schnell wieder zurück, Akira. Du auch, Yoshi. Der Papierkram für ein Regiment ist schon übel, aber für eine Division halte ich das nicht lange durch.“
Makoto sagte nichts dazu. Ihre pragmatisch oder lustig gemeinten Worte waren eben nichts als Makulatur, wenn gerade die beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben in einen Einsatz gingen, der durchaus beiden das Leben kosten konnte.
„Was für Fotos?“, fragte Yohko plötzlich.
Makoto sah sie erschrocken an. „Habe ich Fotos gesagt?“
„Hat Sakura dich mal wieder rumgekriegt? Und sie hat Fotos gemacht? Die muss ich sehen.“
„Yohko-chan, das kannst du doch nicht machen! Warum zückst du denn dein Handy? Yohko-chaaaan!“
„Hallo, Ami? Ja, Yohko hier. Sag den anderen Bescheid. Sakura hat eine neue Serie von Mako gemacht. Ja, ich freu mich auch. Wir treffen uns bei ihr, ja?“
Sie zwinkerte Makoto noch einmal zu und verließ dann den Saal.
Daisuke stand auf und kam zu dem kleineren Mann herüber. Mitfühlend legte er ihm eine Hand auf die Schulter. „Bei der Schwester brauchst du echt keine Feinde mehr, Mako.“
„Danke für dein Mitgefühl, Dai-chan.“
„Schon gut. Ach, und was ich dir noch sagen wollte: Yohko hat recht. Du bist mehr der Typ für schwarzen oder knallroten Lippenstift.“
„Versuchst du witzig zu sein?“
„Äh…“
„Der blassrosa Lippenstift war doch nur ein Experiment. Als wenn ich das nicht selber wüsste.“
Mako raffte seine Unterlagen zusammen und versuchte nicht zu lachen, während er den Saal ebenfalls verließ, und einen sehr verdutzten Daisuke zurückließ.
Epilog:
Der Admiral war ein gestandener Anelph, hatte aber schon vor Ewigkeiten die Gift erhalten und seinen zweiten Vornamen abgelegt. Dennoch war er einer der führenden Köpfe des Kommitees.
Zusammen mit Stela war es Gennusuke Riada, der die Arbeit des Komitees in die entscheidende Phase führte. Zusammen mit seinem eilig zusammen gestellten Stab sah er die Ergebnisse ein.
Erschrocken musterte er sie, las sie noch mal, warf der jungen Ryon einen fragenden Blick zu.
„Ich habe es fünfmal geprüft, Gennusuke. Die Zahlen stimmen. Aber das kommt unseren Plänen entgegen, oder?“
„Natürlich kommt es unseren Plänen entgegen, das so viele Anelph freiwillig auswandern wollen, um unsere Kultur auf dem Mars neu aufzubauen. Und uns ist allen klar, dass die AURORA kaum einen zweiten Anflug machen kann, jetzt wo die Naguad das Schiff kennen.
Aber ich frage mich ernsthaft, was Admiral Ino sagen wird, wenn ich ihr verrate, dass… Dass die erste Welle ausreisewilliger Anelph eine Million dreihundertsiebentausendneunzehn Personen sind.“
Der Admiral rechnete kurz nach. „Die kriegen wir niemals alle in die AURORA und die Begleitschiffe.“
Kevin Lawrence, Verbindungsoffizier zur Schiffsführung und Kronosier, der die Gift erhalten hatte, meldete sich zu Wort. „Es gibt da vielleicht einen Weg. Es wäre eine sehr gute Gelegenheit, um die Hölle auch mal etwas Gutes tun zu lassen…“
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode vierzehn
1.
„Also, im All sind wir ja schon. Und die Patrouillenschiffe der AURORA haben wir auch hinter uns gelassen. Was jetzt, Aki-chan?“, fragte Yellow Slayer.
Ich lächelte. „Na was wohl? Wir fliegen wie geplant zur Axixo-Basis.“
„Und du meinst, die werden uns so einfach da runter kommen lassen? Ich meine, irgendwie frage ich mich gerade, worauf ich mich da eingelassen habe. Wenn du da angreifen willst, dann helfe ich dir gerne, bis zur letzten Sekunde. Aber dann sag es bitte vorher, damit ich mich drauf vorbereiten kann.“
Nun musste ich lachen. „Nein, ich hatte nicht vor, es nur mit dir, Kitsune und Yoshi mit der ganzen Naguad-Garnison aufzunehmen. Mein Plan ist viel subtiler.“
„Gut, dass du mal was von einem Plan sagst“, meldete sich Yoshi über Funk. „Denn bisher ging ich auch davon aus, dass wir rüber fliegen, alles kurz und klein hauen und wieder verschwinden.“
„Kurz und klein können wir immer noch hauen. Aber ich dachte, bevor wir das tun, versuchen wir es erstmal auf die altmodische Art und bitten um Landeerlaubnis.“
„Um… Landeerlaubnis? Lass mich mal deine Biowerte checken. Nein, du hast kein Fieber. Und unter Drogen stehst du auch nicht. Also, was soll der Quatsch, Aki-chan?“
Ich zuckte die Achseln, was dazu führte, dass Kitsune, die es sich dort in ihrer Fuchsgestalt bequem gemacht hatte, beinahe abgerutscht wäre. „Pass doch auf, Akira-chan.“
„Tschuldige, Kitsune. Also, es ist so, wir haben ja formell einen Waffenstillstand erzwungen. Also denke ich, ohne zwingenden Grund werden sie uns nicht abweisen, wenn wir bei ihnen landen wollen. Ich dachte mir, wir fragen einfach.“
„Sag mal, Aki-chan… HAST DU SIE NOCH ALLE? Du vertraust nicht nur darauf, dass sie dich nicht sofort aus dem All ballern werden, wenn du über Jomma auftauchst, du glaubst auch noch, sie lassen dich nicht erst landen, nur um dich dann zu töten?“
„Ja“, antwortete ich schlicht.
„Okay. Das reicht mir. Wenn du davon überzeugt bist, bin ich das auch“, sagte Yellow.
„Äh, was bitte?“ Kitsune sah die Slayerin aus großen Augen an.
„Aki-chan weiß was er tut. Das wusste er schon immer.“
„Na ja, fast immer“, schränkte ich ein.
„Für mich klingt das jedenfalls nach einem Plan. Also tun wir es. Aber sag mal, Akira, ist die Axixo-Basis nicht der Heimathafen der Fünften Banges-Division, die du neulich so fürchterlich alt hast aussehen lassen?“
„Kann sein. Wieso?“
„Wenn du mich verarschen willst, dann nehme ich den Naguad die Arbeit ab und blase dich gleich hier aus dem All“, erwiderte Yoshi mit wütender Stimme.
„Okay, okay, das könnte vielleicht ein Problem geben. Aber ich denke, wenn wir es bis zur Landung schaffen, kann uns nichts mehr passieren. Wir beherrschen alle vier das KI und niemand wird ahnen, dass Kitsune in Wirklichkeit Dai-Kitsune-sama ist, die mächtige Dämonenkönigin. Wir haben alle Trümpfe auf unserer Seite.“
„Nicht alle. Ein paar sind auch auf der Hand der Naguad“, erwiderte Yoshi düster. „Vielleicht ein paar zu viele. Also sollten wir wachsam bleiben.“
Die letzten Worte von Yoshi beunruhigten mich, zugegeben. Vielleicht hätte ich weniger auf meinen Instinkt hören und auf mein Glück vertrauen und stattdessen die Hekatoncheiren sowie etliche Schiffe mitnehmen sollen.
**
„Hier spricht Commander Akira Otomo von den Hekatoncheiren. Ich bitte um Landeerlaubnis auf der Axixo-Basis für meinen Mecha plus eine Begleitung.“
„Denkst du wirklich, dass das funktioniert, Aki-chan?“, zweifelte Yellow. „Okay, die Patrouillenschiffe haben uns durchgelassen, und bisher hat noch niemand auf uns gefeuert, zugegeben.“
„Ich habe leider keinen Plan B, Yellow“, gestand ich.
„Axixo Basis, hier Axixo Basis. Commander Otomo und Begleitung, Sie bekommen einen Leitstrahl für Hangar zwei. Abweichungen vom Leitstrahl werden als Verstoß gegen den Waffenstillstand angesehen und geahndet.“
„Begleitung? Bin ich jetzt zu deinem Anhängsel verkommen, Akira?“, maulte Yoshi.
„Sieht so aus. Hübsch genug dazu bist du ja, oder?“, konterte ich. „Axixo Basis, verstanden. Warten auf Leitstrahl. Otomo Ende.
Mann, das ging ja doch ganz leicht. Und sie waren regelrecht freundlich zu uns.“
„Findest du? Ich fand, das Ganze klang recht kalt“, bemerkt Yellow.
„Sir, der Leitstrahl trifft ein. Ich übernehme jetzt.“
„Verstanden, Prime. Bring uns sicher runter.
Sag mal, Yellow, nichts gegen diese tolle Trikot- und Rock-Kombination, aber kannst du da nicht was tun? Dich zurückverwandeln? Zumindest vorerst?“
„Aber, aber, Aki-chan, willst du mich nackt sehen?“
Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. „D-du warst nackt, bevor du die KI-Rüstung aufgebaut hast?“
Sie gab mir einen Kuss auf die linke Wange. „Nur Spaß, Aki-chan. Ich sehe dich so gerne rot werden. Aber du hast es schon gesagt, dies ist eine KI-Rüstung. Man kann sie mit einiger Übung variieren.“
Ein Lichtblitz blendete mich kurz, und daraufhin trug Yellow eine UEMF-Uniform mit einem guten Dutzend der höchsten Auszeichnungen, welche die Erde zu vergeben hatte. Zudem hatte sie sich die Abzeichen eines Colonels zugelegt.
„Na, du willst aber hoch hinaus. Star of Earth, Mars Campaign eins und zwei, Silver Star…“
„Du hättest auch deine Uniform mitbringen sollen, Aki-chan, dann hätten sie uns beim rascheln der Orden für eine Folkloregruppe gehalten und wir könnten Lady Death und Aria problemlos da rausholen.“
„Interessanter Gedanke.“
„Das wirft eine Frage auf, Yellow“, meldete sich Yoshi zu Wort. „Warum tragt Ihr dann Trikots und diese superkurzen Röcke, wenn Ihr euch verwandelt? Ich meine, wenn Ihr die KI-Rüstungen anlegt?“
„Hm, das war entweder Dai-Kuzo-sama oder Hina. Wenn es Hinas Idee war, dann liegt es einfach daran, dass sie sich an ihrer Schuluniform orientiert hat, als die KI-Rüstung entstand. Alle anderen Slayer haben es danach nur imitiert.
War es aber Kuzo-sama, dann gibt es nur eine Antwort.“
„Und die wäre?“
„Die große Spinne ist ein Schuluniformenfetischist!“, sagte sie todernst.
„Jetzt wo du es sagst“, murmelte Kitsune nachdenklich, „gewisse Anzeichen dafür gibt es ja schon…“
Ich warf einen schnellen Blick zur Füchsin auf meiner Schulter, dann zu Yellow. „Prime, sind wir nicht bald da? Das Thema gefällt mir irgendwie nicht.“
„GAZ eine Minute, Sir.“
Interessiert beobachtete ich, wie die KI meines Mechas den Giganten in den offen stehenden Hangar einfliegen ließ. Hinter der schimmernden Energiewand erwartete uns Normschwerkraft und Atemluft. Prime Lightning setzte hart auf.
Nach einem kurzen Blick auf die Anzeigen, die mich darüber informierten, dass Druck und Zusammensetzung der Atemluft beinahe optimal waren, entsiegelte ich das Cockpit.
„Also, runter von mir. Alle beide“, befahl ich, gab Yellow einen Klaps auf den Hintern und packte die Füchsin im Nackenfell. „Kitsune-chan. Du bist ab jetzt ein Haustier. Egal, was passiert, verstanden? Du bist ein Haustier.“
„Aber ich könnte mir auch eine Uniform verpassen und…“
„Und dem Geheimdienst was zu rätseln geben, wie ich zwei Leute hier reinquetschen konnte? Vergiss es.“
„Och, Menno“, meckerte sie.
Drohend hob ich den Zeigefinger.
„Ist ja gut, Akira-chan. Ich. Haustier. Muss ich Männchen machen und Rolle seitwärts?“
„Es reicht, wenn du permanent an meiner Seite bleibst. Okay?“
„Okay.“
Wir folgten Yellow nach draußen. Das heißt, ich wollte es, aber meine Gurte hinderten mich daran. Fluchend schnallte ich mich los, nahm den Helm ab und arretierte ihn griffbereit, bevor ich folgte.
Vor dem Mecha sagte ich: „Prime, Verschlussmodus. Selbstverteidigung aktivieren. Wenn alles schief geht was schief gehen kann, hast Du die Erlaubnis, entweder mit Archer, Yoshis Eagle, zur AURORA durchzubrechen oder dich mit ihm selbst zu zerstören, verstanden? Falls die Naguad glauben, sie dürften an dir rumfummeln, darfst du dich mit scharfen Waffen wehren.“
„Verstanden, Commander. Verschlussmodus. Waffen aktiv und bereit.“
Yoshi rutschte gerade aus seinem Cockpit und hielt seinem Eagle eine ähnliche Predigt. Dann kam er zu mir rüber. „Ich halte den Verschluss… Ach, hast du schon, gut. Sollte was schief gehen, sollten unsere Mechas entweder zur AURORA… Das hast du auch schon gemacht? Etwa auch die Verteidigung gegen Manipulationen aktiviert? Oooookay, was habe ich auch anderes erwartet?“ Yoshi seufzte leise.
„Jungs“, kam es von Yellow. „Das glaubt Ihr nie!“
Wir wandten uns ihr um und japsten erschrocken auf. „Stimmt“, kommentierte ich tonlos.
Vor uns glitt ein Hangartor auf. Und durch das Tor traten gerade Dutzende, Hunderte Uniformierte des Naguad-Militärs. Die rotbraunen Uniformen ordneten sie den Banges-Diensten zu, und ich hatte so eine Ahnung, wer uns da so zahlreich in Empfang nahm.
„Meow?“, machte Kitsune.
„Das heißt wau, Kitsune-chan. Und nein, du darfst nicht eingreifen.“
„Mooo.“
Die Soldaten strömten nach wie vor in den Hangar, und beim Gedanken, dass dies die Angehörigen der Fünften Division waren, die ich persönlich in richtige Verlegenheit gebracht hatte, wurde mir ein wenig anders.
„Na denn, Angriff ist die beste Verteidigung“, sagte ich und ging voran. „Bleibt hinter mir, Leute.“
„Na, hast du vielleicht geglaubt, ich gehe freiwillig vorneweg?“, scherzte Yoshi und folgte mir.
Wir kamen zügig näher, während die Soldaten und Offiziere der Fünften ruhig aber ungeordnet vor dem Tor standen. Dass sie weder Haltung angenommen noch den Hauch einer Ordnung eingenommen hatte, hieß für mich, dass sie privat hier waren. Was auch immer privat für einen Naguad-Soldaten bedeuten sollte.
Forsch trat ich auf sie zu, bis mich vom ersten nur noch ein paar Meter trennten. Gut fünfhundert Augenpaare sahen mich an.
„Ehre oder Tod?“, fragte ich geradeheraus in meinem ungeschliffenen Anelph.
Zustimmendes Gemurmel erklang.
„Ihr habt Mist gebaut da draußen, nicht wahr?“
„Akira“, hauchte Yoshi von hinten, „willst du, dass sie dich in der Luft zerreißen?“
Ich ignorierte den Zwischenruf des Freundes, aber auch nur, weil ich mich gerade selbst als Idiot schalt. Das war mir ehrlich nur so rausgerutscht.
Ich erwartete Protest, laute Worte, im schlimmsten Fall einen Angriff von mehreren oder gar allen Soldaten. Stattdessen gab es nur betretenes Schweigen und gesenkte Köpfe.
„Na, Kopf hoch“, beschwichtigte ich, „ist ja nur einmal passiert, und da Ihr wie alle guten Soldaten aus Fehlern lernt wird es beim nächsten Mal besser laufen. Außer, ich bin wieder euer Gegner.“
Für den Nebensatz hätte ich mich selbst ohrfeigen können. Musste ich denn immer einen obendrauf setzen? Kaum die eine Gefahr gemeistert, musste ich da unbedingt die nächste aufbauen?
Leises Gelächter antwortete mir. Was mich maßlos überraschte. Was wollten diese Soldaten von mir?
„ADMIRAL ANWESEND!“, gellte ein sehr scharfer Ruf auf. Die anwesenden Banges-Piloten nahmen sofort Haltung an und salutierten.
Zum Eingang hin bildeten sie eine Gasse, durch die ein älterer Offizier trat, begleitet von einer jungen Frau, die sich auf eine Krücke stützte.
Sie musste auch gebrüllt haben, denn sie warf den Banges-Piloten zurechtweisende Blicke zu, während sie hinter dem Admiral her humpelte.
„Sie müssen den Jungs und Mädchen verzeihen, Commander“, sagte der ältere Mann, während er näher kam, „man hat so selten Gelegenheit, den Mann kennen zu lernen, der einem den – wie sagen die Menschen doch gleich, Colonel Uno – den Arsch versohlt hat.“
Der Mann blieb drei Meter vor uns stehen und salutierte. „Vize-Admiral Ikosu, Naguad-Flotte. Meine Begleiterin kennen Sie sicherlich.“
Ich deutete auf die junge Frau hinter mir. „Colonel Yellow vom Geheimdienst, Major Futabe von den Hekatoncheiren. Ich bin, wie Sie sicher schon vermutet haben, Commander Otomo.“
Ich salutierte vor dem Mann und er salutierte zurück.
Dann sah ich seine Begleiterin an. „Und Sie sind…“
„Erkennen Sie sie nicht wieder?“, spöttelte der Admiral.
„Oh, ich erkenne schon, wen sie darstellen soll, aber ich glaube es nicht“, erwiderte ich ernst.
„Richtig so, Akira!“, sagte die Frau mit der Krücke und nickte schwer. „Ich würde auch einen Teufel tun, und einen Todgeglaubten, der plötzlich in Gefangenschaft wieder auftaucht, einfach so akzeptieren und dem Gegner damit Macht über mich geben.“
Ich fixierte ihre Augen. Beinahe glaubte ich, das wäre die tapfere Aussage von Megumi gewesen. Meiner Megumi.
„Und sich dadurch von einer Fälschung täuschen lassen“, stellte ich fest.
Für einen kurzen Moment huschte Bestürzung über ihr Gesicht, aber sie fing sich schnell. „Richtig so, Akira… Ich meine Division Commander Otomo. Gib… Geben Sie den Naguad keine Macht über sich.“
„Genug geplänkelt“, entschied der Admiral. „Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs, Commander? Da Sie keine Division in der Hinterhand haben, nehme ich an, eine Aktion wie gegen das Auge Irams bleibt mir erspart?“
„Ich will nur ein paar Dinge hier abholen, die uns gehören, Admiral. Sobald ich das habe, sind Sie mich wieder los.“
„Oh, Dinge, die Ihnen gehören? Nun, Colonel Uno hier wird noch einige Zeit in unserer Obhut bleiben müssen, bis unsere Ärzte ihr planetares Reisen wieder erlauben.“
„Mit anderen Worten, sie ist eine Geisel gegen die AURORA“, schloss Yoshi.
Ich sah zu ihm herüber und wies ihn zurecht. „Megumi wäre eine Geisel gegen die AURORA gewesen. Nicht diese Nachbildung.“
Ein sichtbarer Ruck ging durch die junge Frau. „Ich weiß zwar, dass du das richtige tust, aber irgendwie tut das langsam weh, Akira. Kannst du nicht wenigstens aufhören, das dauernd zu sagen?“
Für einen Moment stockte ich. War sie vielleicht doch…?
„Reden wir woanders weiter, Commander. Kommen Sie, bitte. Wir machen einen kurzen Abstecher zur medizinischen Abteilung und danach gehen wir in mein Büro. Selbstverständlich gewähre ich Ihnen freies Geleit.“
„Medizinische Abteilung?“, argwöhnte ich.
„Oh, nur eine Routineangelegenheit, Commander“, schmunzelte der alte Admiral. „Wir wollen doch nicht, dass unser kleiner Austausch auch Viren und Bakterien beinhaltet, oder?“
„Nicht unbedingt“, antwortete ich und folgte dem Mann, als er sich mit der Kopie von Megumi in Bewegung setzte.
In diesem Moment salutierten die Soldaten des Fünften Regiments geschlossen. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, sie taten es nicht für den alten Admiral.
**
Gebannt starrte die Menschenmenge auf den riesigen Bildschirm. Was dort gerade ablief und auch noch brillant vertont wurde, schlug sie in ihren Bann.
Zuerst war nur die äußerst populäre Musik von Joan Reilley zu hören, es lief ein Medley ihrer besten Hits, die auch hier auf Lorania die Hitparaden erobert hatten, dazu gab es stroposkopartige Momentaufnahmen der dazu gehörenden Musikvideos.
Das Ganze dauerte zwei Minuten, und jeder Anelph auf dem Platz im Händlerviertel Karanta spürte, dass nun etwas Besonderes folgen musste.
Gerade sah und hörte man Klimax und dazu gehörenden Höhepunkt des Videos zu Don´t bother me, danach wurde der Bildschirm dunkel.
„Das alles war gestern“, sprach eine Stimme aus dem Off. „Doch wir sind im heute.“
Ein Raunen ging durch die Menge, erwartungsvoll, fiebernd. Selbst die Anelph, die mit moderner Musik nichts anfangen konnten und die Jugend mitleidig belächelten, wenn sie wieder mal einem neuen Trend hinterher hechelten, konnten sich der Atmosphäre nicht entziehen.
Der Bildschirm erhellte sich langsam wieder und zeigte eine Bühne. Dazu erklang ein schneller, harter Gitarrenriff, der mit etwas Phantasie zur Ballade Anger is a bad mood zu gehören schien.
Joan Reilley und Band erschienen auf der Bühne und nahmen den schnellen Riff und den dazu einsetzenden harten Beat auf. Joan sang den Text entsprechend der härteren Gangart schneller, gehetzter, aber nicht unpassend. Dabei wirbelte sie über die Bühne, dass kaum einem auffiel, wie wenig ausstaffiert dieses Musikvideo doch eigentlich war, wenn man die anderen Videos von ihr als Vergleich heranzog.
Wieder erreichte die Musik ihren Höhepunkt, diesmal mit einem Gitarrensolo, das nur vom Schlagzeug begleitet wurde. Doch mit einem Schlag setzte ein Orchester aus klassischen Instrumenten ein, die auf Lorania unbekannt waren.
Joans Band und das Orchester mixten miteinander, ergänzten einander und Joan kam von der Bühne herunter, auf die Kamera zu, die zeitgleich tiefer fuhr. Die niedliche kleine Rothaarige sang dabei den Refrain des Liedes, während sie durch den dunklen und leeren Zuschauerraum vor der Bühne schritt.
Nach und nach schälten sich zusätzliche Konturen aus der Finsternis, während das Lied an Tempo verlor, wieder mehr Ballade wurde und sich dem klassischen Orchester anpasste.
Links und rechts von Joan schälten sich je drei Mädchen aus der Dunkelheit, die für die Kamera süß lächelten.
Sie trugen eine Art weißes Trikot und einen farbigen Rock, der bei jedem Mädchen unterschiedliche Farben hatte. Zudem differierten auch ihre Haarfarben extrem.
Dann riss ein Spot ein Mädchen besonders hervor.
Sie trug den grünen Rock. Übergangslos fand sie sich auf einer Plattform wieder, auf dem ein riesiger Youma auf sie lauerte. Er griff an, trieb seine Pranken dort in den Boden, wo sie eine Sekunde zuvor noch gestanden hatte, doch sie befand sich in der Luft, und schlug elegant einen Salto, der sie meterweit von der Bestie fort trug. Noch bevor sie landete, begann sie mit einer Schraube und entließ einen Energieblitz, der den Youma in ein Energiefeld hüllte und in einer Explosion auflöste. Als das Licht der Explosion abklang, strahlte die junge Frau in die Kamera, während Zeigefinger und Mittelfinger der Rechten ein V bildeten.
Ein Schriftzug erschien über ihr: Green Slayer.
Das Bild wechselte wieder zu Joan und der Bühne.
Diesmal wurde die junge Frau mit dem orangen Rock beleuchtet.
Sie befand sich übergangslos auf einer grünen Wiese wieder, umringt von Dutzenden geringeren Youmas. Diese griffen mit rasiermesserscharfen Klauen sofort an, doch die junge Frau drehte sich im Kreis, bis sie nur noch ein Schemen war. An diesem Schemen prallten alle Angriffe wirkungslos ab, ja, es schlugen Lichtblitze aus der Erscheinung hervor, die in sehr kurzer Folge jeden einzelnen Angreifer einhüllte und vergehen ließ.
Kurz darauf blieb sie breitbeinig stehen und reckte siegreich eine Faust in die Höhe. Unter ihr erschien der Schriftzug: Orange Slayer.
Nun war die mit dem weißen Rock an der Reihe. Sie stand auf einer Steinfläche, nur von einem Spot der Dunkelheit entrissen. Sie hatte die Hände gefaltet und die Augen geschlossen.
Dann sauste die riesige Faust eines Banges auf sie hinab.
Kurz bevor das Stahlgebilde sie traf, öffnete sie die Augen einen Spalt.
Einen Augenblick später stieb eine Staubwolke auf, doch sie war nicht mehr da. Stattdessen flog sie durch die Luft, drehte einen Salto und traf den Sensorkopf des Banges am Sensorkopf. Ab hier fiel sie wieder herab, schlug den anderen heranzuckenden Arm mit einer nebensächlichen Bewegung eines Beins zur Seite, während das andere schwer den Torso traf.
Bevor sie wieder auf dem Boden landete, erzeugte sie einen Energieblitz, der den Banges durchbohrte, und eine Sekunde später auflöste.
Dann stand sie wieder in dem Spot, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet.
Unter ihr erschien der Schriftzug: White Slayer.
Es war an der Reihe für Black. Die blonde Slayer wurde übergangslos in einer engen, verwinkelten Gasse von einem guten Dutzend Maskierten verfolgt, die Shuriken nach ihr warfen oder versuchten, sie mit Schwertern zu attackieren.
Sie wich aus, machte beinahe unmöglich anmutende Richtungswechsel, lief parallel auf senkrechten Wänden und attackierte immer wieder die Angreifer, die bald geschlagen und in verrenkten Posen in der Gasse lagen.
Sie verzog die Mundwinkel zu einem Schmollmund, während ihre Augen vor Heiterkeit aufblitzten und stemmte beide Hände überlegen in die Hüfte.
Black Slayer, erschien über ihr.
Nun war die Reihe an Red. Sie war die zierlichste der sechs Slayer, und ihr stellten sich als Gegner auf einem Hochhausdach fünf Angreifer mit vor KI glühenden Schwertwaffen.
Sie griffen alle zugleich an und Red tanzte durch die Klingen hindurch wie in einem gut choreographierten Ballett. Als dann doch mal eine Klinge traf, wehrte sie den Hieb mit der flachen Hand ab. Die Waffe schien Funken zu schlagen, bevor sie zerbrach und davon getragen wurde. Kurz darauf war sie die einzige auf dem Dach, die noch stand.
Sie ballte die Rechte zur Faust und legte die Linke darüber. Dazu schmunzelte sie fein.
Das Red Slayer, das dann über ihr erschien, war nun noch eher obligatorisch.
Nun war die Reihe an Blue. Sie lief über ein offenes, Gewitterumtostes Feld. Ihr Gesicht war konzentriert, angespannt, während Dutzende Gegner auf sie lauerten, deren Angriffen sie auswich.
Ein riesiger Ecco stellte sich ihr in den Weg, trieb eine Herkules-Klinge auf sie herab. Blue sprang, kickte die Waffe zur Seite und machte einen Salto über den Mecha hinweg. Dabei versetzte sie dem Riesen einen saftigen Tritt in den Rücken, der ihn taumeln ließ.
Als sie landete, wurde sie sofort von einem Maskierten in schwarzer Gefechtsrüstung angegriffen, aber Black fing den Angriff für sie ab.
Nun tauchten mehrere Mechas auf, die Blue kurz taxierte, bevor Green und Orange sich ihrer annahmen.
Darauf folgte eine Horde Youmas, für die Blue White und Red abkommandierte.
Als diese Gegner besiegt waren lief sie weiter, nach und nach erschienen die anderen Mädchen neben ihr. Sie hielten auf ein riesiges Positronengeschütz zu, das nun auch prompt auf Blue feuerte. Doch der Waffenstrahl, der einen Zerstörer durchschlagen hätte, bremste sie nicht einmal, während die Waffenenergie in alle Richtungen reflektiert wurde.
Sie erreichte die Waffe, umklammerte die Mündungen der Waffe und riss sie aus ihrer Stellung hervor. Mit einer nebensächlichen Geste warf Blue die Waffe hinter sich, während die anderen Slayer Schutzpositionen eingenommen hatten.
Blue stand mit gespreizten Beinen da, stemmte die Linke energisch in die Hüfte und salutierte spielerisch mit zwei Fingern.
Blue Slayer, Anführer, erschien über ihr.
Wieder wechselte die Szene, zeigte wieder Joan und die sechs Mädchen neben sich, jeweils in der Pose, in der sie zuletzt in ihren Videos zu sehen gewesen waren.
Während Joan ihr Lied ausklingen ließ, welches zum Soundtrack für die Slayer degradiert worden war, wurden die Slayer in eine Aura gehüllt, die in ihren jeweiligen Rockfarben gehalten waren.
Auch über diese Szene wurde eine Schrift gelegt: Youma Slayer. Wer nichts tut, obwohl er es kann, ergibt sich seinem Schicksal, anstatt es selbst zu bestimmen.
Die letzten Takte verklangen, die Mädchen lächelten die Leinwand herab. Joans Gesicht war am längsten zu sehen, und kurz darauf versank alles im Dunkeln, lediglich die Schrift war noch einen Moment zu sehen.
Dann wechselte der Bildschirm und begann das nächste Musikvideo.
Unten auf dem Platz verharrte die Menschenmenge, bevor tumultartiger Jubel erklang.
**
„Bitte sehr, Commander Otomo“, sagte der behandelnde Arzt und geleitete mich auf eine Behandlungsliege. „Entblößen Sie einen Arm.“
Gehorsam schlüpfte ich aus dem linken Ärmel und hielt dem Mann meinen Oberarm hin.
„Commander, dies ist ein Medospray. Es ist in der Lage, Medikamente intramuskulär oder intravenös in Ihren Körper zu injizieren. Als Trägersubstanz verwenden…“
„Verwenden Sie ein hochfeines Aerosol, das direkt durch die Poren in die Haut gejagt wird. Oder in die Vene, wenn Sie das Medospray darauf ansetzen. Ich weiß. Wir haben diese Technik von den Anelph übernommen.“
„Gut, dann brauche ich ja nichts weiter dazu zu sagen. Dies hier ist ein Breitbandmedikament gegen die gängigsten Infektionen hier auf Jomma. Es schützt Sie zuverlässig, könnte aber in den ersten Minuten eine Abwehrreaktion auslösen. Aber dank Colonel Ino konnten wir das Medikament entsprechend anpassen.“
Ich grinste sauer. „Nun machen Sie schon. Je schneller, desto eher habe ich es hinter mir.“
Der Arzt zögerte einen Moment, sah kurz zum Admiral, der schmunzelte und setzte dann die pistolenartige Spritze an. Kurz darauf wurde mir eine Dosis in den Blutkreislauf gejagt. Beinahe sofort wurde mir schwindlig. „Verdammt, das ist ja wie einen Kater haben ohne vorher besoffen gewesen zu sein. Wie lange wird das dauern?“
Der Admiral grinste nun offen. „Nun, das Medikament hält in etwa zehn Stunden an. Solange müssen Sie damit leben, ohne Ihr… Wie nennen Sie es? Ohne Ihr KI auszukommen, Commander.“
Erstaunt sah ich den Admiral an. Nun, zumindest den in der Mitte. „Was?“
„Entschuldigen Sie den kleinen Kunstgriff mit dem Breitbandmedikament, Commander, aber wir wissen, dass Sie einer der heraus ragendsten KI-Meister der AURORA sind. Und entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht mit diesen Fähigkeiten frei herum laufen lassen kann. Das Medikament, das man verabreicht hat, stört die Fähigkeit Ihres Körpers, KI zu schmieden. Damit ist diese Kraft für uns bis zum Ablauf der zehn Stunden ungefährlich. Keine Angst, schwindlig ist Ihnen nur zu Anfang. Das wird sich geben, aber generell werden Sie etwas unbeholfener und langsamer sein, denn Ihr Körper ist nun auch nicht in der Lage genügend KI für den allgemeinen Bedarf zu schmieden.
Das Medikament verstärkt den Bo, die starke Kraft um ein Zehnfaches. Das Yong, die schwache Kraft, wird dabei vollkommen unterdrückt. Ohne Gleichgewicht aber gibt es kein KI.“
„Danke für die nette Ausführung“, ächzte ich und hielt mir den Kopf. „Wie lange sollen die Kopfschmerzen dauern?“
Neben mir nahm Yoshi Abwehrhaltung ein. „Wollen Sie uns dieses Mittel auch injizieren?“
„Das würde mich auch interessieren“, meldete sich die falsche Megumi zu Wort, bevor sie vor meinen Augen zu einem Farbbrei verschwamm. „Wir können es jederzeit als Verstoß gegen den Waffenstillstand auslegen!“ Sie sah zu Yoshi herüber. „Lass dich da nicht drauf ein, verstanden?“
„Das brauchst du mir nicht zweimal zu sagen“, knurrte der.
„Leute“, hauchte ich.
„Nun seien Sie vernünftig. Das Medikament ist harmlos und ich verspreche Ihnen, ich passe auf Sie auf. Sie haben freies Geleit und ich stehe dazu.“
„Leute“, sagte ich etwas lauter.
„Kommt überhaupt nicht in Frage“, meldete sich Yellow zu Wort. „Dies ist ein kriegerischer Akt, der alleine schon reichen würde, um den Waffenstillstand aufzuheben. Geben Sie ihm sofort ein Gegenmittel. Dieser hinterlistige Versuch sagt wohl alles über euch Naguad aus, oder?“
„Leute“, hauchte ich, leiser werdend.
„Akira, was ist denn? Ist das Schwindelgefühl noch nicht vorbei?“, fragte Yellow und trat neben mich.
„Ich… Ich kann keine Farben mehr sehen… Und… und ich kann kaum noch atmen.“
Alarmiert tauschten Yoshi und Yellow einen Blick aus.
Die falsche Megumi starrte erst den Admiral, dann den Arzt an. Sie schoss trotz Krücke auf den Mann zu, ergriff ihn am Kragen. „Sie! Was haben Sie getan?“
„Es war ein Befehl!“, rief der Mann beinahe hysterisch. „Colonel Connar hat ihn gegeben! Ich konnte mich ihm nicht verweigern!“
„Was haben Sie ihm gegeben? Reden Sie schon, Mann!“
Mir wurde schwarz vor Augen. Ich spürte kaum, wie ich weg sackte. Meine Stimme versagte, aber ich hörte noch, wie meine Freunde erschrocken raunten. Etwas Weiches stieß mich in die Wange, wieder und wieder, während ein klägliches winseln erklang. Kitsune?
„Borex, eine dreifache Dosis“, gestand der Arzt.
„Borex? Mann, ich lasse Sie erschießen!“, donnerte der Admiral und hieb auf einen Schalter neben der Tür. Sofort klangen Alarmsirenen auf, Fußgetrappel war zu hören.
„Vize-Admiral Ikosu hier. Verhaften Sie sofort Colonel Connar! Ein Notfallteam sofort in meinen Behandlungsraum. Wir haben hier eine schwere Vergiftung mit Borex!“
„Admiral, was ist Borex?“, rief Yellow entsetzt.
„Borex ist das stärkste Nervengift, das wir kennen“, antwortete er tonlos. „Dieser Mann hat gerade Ihren Commander umgebracht.“
Ich wollte aufbegehren, widersprechen. Das ich noch da war, das ich noch lebte, aber ich spürte immer mehr, wie ich fiel, tiefer, immer tiefer.
„Akira!“, erklang Megumis Stimme. Oder war es die von der Fälschung?
„Rühr ihn nicht an!“, rief Yellow wütend, mit tränenschwangerer Stimme. „Rühr ihn nicht an, du billige Kopie. Du hast ihn ja erst hier her gelockt.“
„Das meinen Sie nicht ernst. Ich habe doch nicht… Ich konnte doch nicht… Yoshi, glaubst du das auch?“
Die Antwort erfuhr ich nicht mehr, ich fiel das letzte Stück, während Kitsune noch einmal mit ihrer weichen Schnauze in meine Wange stieß. Dann war ich… Fort.
2.
„Der heutige Tag ist eine schwere Belastung für uns alle“, sagte Admiral Ikosu ernst, „vor allem für den Waffenstillstand. Auf den Arzt wartet eine Anklage wegen Mord, arglistiger Täuschung und Beteiligung an einer Verschwörung. Das reicht aus, um ihn dreimal hinzurichten. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich ihn unter die Füße meines Banges schnallen und mit ihm als Brett einen möglichst langen Berg hinab fahren.
Was Colonel Comarr angeht, er wird angeklagt wegen Anstiftung zum Mord, schwerer Verschwörung, Ungehorsam gegenüber Vorgesetzten sowie Feigheit vor dem Feind. Auch das reicht aus, um ihn vor das Erschießungskommando zu bringen.“
Der alte Naguad senkte den Blick.
Der Anelph neben ihm ergriff nun das Wort. „Mein Name ist Neon Zut Achander. Ich bin der höchstrangige Soldat der Streitkräfte dieses Sonnensystems. Ich bitte Sie im Namen der Anelp-Regierung und aller Streitkräfte um Entschuldigung. Da wir uns im Krieg befinden, kann ich Ihnen keinerlei Reparationen zusagen, Admiral Ino. Aber ich verspreche Ihnen, dass der Gerechtigkeit Geltung verschafft werden wird. Dafür stehe ich mit meinem Namen und meiner Ehre gerade. Wir werden Ihnen den Leichnam von Commander Otomo gleich nach den forensischen Untersuchungen und der Autopsie zusammen mit Major Futabe und Begleitung überstellen, ebenso die beiden Mechas. Bitte haben Sie noch etwas Geduld bis dahin.“
Im Hauptsitzungsraum von Poseidon herrschte angespannte, atemlose Spannung.
Admiral Sakura Ino sah aus als wolle sie jede Sekunde in Ohnmacht fallen. Die anwesenden Schiffskapitäne saßen da mit versteinerten Gesichtern oder hatten sich fortgedreht.
Die Offiziere der Bodentruppen hielten es ähnlich.
Einige Offiziere der Hekatoncheiren fluchten laut und nachdrücklich.
„B… bringt…“, hauchte Sakura, „bringt sie alle um…“ Sie brach in die Knie ein und sah blicklos zu Boden.
Für einen Moment wagte niemand in der von gepresster Stimmung erfüllten Raum ein Wort zu sagen.
Dann explodierte er vor Aktivität. Vize-Admiral Richards, Chef der Begleitflotte wandte sich seinem Pult zu. „Achtung, auf Befehl von Admiral Ino ist der Waffenstillstand aufgehoben worden. Die SUNDER, die BISMARCK, die PRINZ EUGEN, die LOS ANGELES, die ENTERPRISE, die HARUNA, die SAKURA, die KAZE, die YAMATO und die KOBE sowie die Korvetten eins bis neun rücken sofort nach Jomma aus. Ich komme an Bord der SUNDER und übernehme das Kommando. Wir radieren die Anelph auf Jomma aus!“
„Colonel Honda hier. Alarm für alle Hekatoncheiren! Wir haben einen Kampfeinsatz auf Jomma. Briareos und Gyes machen sich bereit und begleiten die Einsatzflotte nach Jomma. Kottos übernimmt die Bewachung der AURORA während des Einsatzes!“
„Alarmieren Sie sofort alle Streitkräfte und alle verbündeten Einheiten“, rief Kommodore Tetsu Genda in sein Sprechpult, während er verstohlen Tränen aus seinen Augen wischte. „Die Naguad haben den Waffenstillstand gebrochen und Commander Otomo mit einem Giftanschlag getötet. Wir starten eine Strafexpedition!“
Die BISMARCK und die KAZE scherten bereits aus, während das erste Bataillon von Briareos von der AURORA startete und Positionen zwischen beiden Schiffen bezog. Alarm gellte durch die riesige AURORA, in Fushida wurden alle Kanäle unterbrochen und die Bevölkerung über den Wechsel der Geschehnisse informiert.
Die riesigen Geschütze wurden bemannt und feuerbereit gemacht. Die gigantischen Schilde der AURORA wurden auf Kampfmaximum verstärkt.
Da gellte ein Schuss auf.
Makoto stand in der Tür, packte gerade seine noch immer rauchende Dienstwaffe wieder ins Holster, bevor er zu sprechen begann. „Hier spricht Colonel Makoto Ino. Alle Befehle sind widerrufen! Die Schiffe beziehen wieder Geleitschutzpositionen, die Hekatoncheiren kehren zu ihren bisherigen Aufgaben zurück. Gefechtsalarm ist aufgehoben.“
Wütend starrte er in die Runde. „AUSFÜHRUNG!“, blaffte er.
„Aber Admiral Ino hat… Commander Otomo ist…“
„Ja, ich habe es auch gehört, verdammt!“, rief Makoto wütend. „Und ich würde liebend gerne in meinen Eagle steigen und den Befehl selbst ausführen! Aber falls sich noch jemand düster daran erinnert, wir haben Befehle von der UEMF! Wir müssen unsere Anelph-Verbündeten evakuieren!“
Er sah zur Bildschirmwand herüber auf der noch immer die beiden Admiräle zu sehen waren. „Was Sie angeht, unser Angriff ist nur aufgeschoben. Wir kommen und holen Sie, das verspreche ich. Aber erst einmal müssen wir das Chaos beseitigen, das Sie angerichtet haben! Ich und die gesamte Besatzung der AURORA und der Begleitschiffe erwarten von Ihnen, dass Sie den Leichnam des Commanders bis dahin mit allerhöchstem Respekt behandeln. Wir schicken eine Kampfeinheit um ihn und Major Futabe abzuholen, sobald das möglich ist.“
Wütend sah er einen Kommunikationsoffizier an. „Ich kann diese Idioten nicht mehr sehen! Schalten Sie sie weg!“
Der Mann bestätigte hastig und deaktivierte die Verbindung.
Makoto ging neben seiner Schwester auf die Knie und umarmte sie. Hemmungslos begann sie zu weinen. „Das isnich wahr“, stieß sie hervor. „Es isnich wahr. Habbich ihn getötet?“
„Psst. Nein, Sakura, du hast ihn nicht getötet. Es wird gehen. Irgendwann wird es wieder gehen.“ Auch Mako musste weinen. Er sah hoch, blickte in schockierte und fassungslose Gesichter. „Holen Sie einen Arzt. Admiral Ino steht unter Schock!“
„Die ganze AURORA steht unter Schock“, prophezeite Daisuke tonlos.
3.
„Akira-sama! Akira-sama! Du musst aufwachen!“
Ich versuchte die Augen zu öffnen, als ich die zarte Frauenstimme hörte, aber es war ein mühsamer Prozess: Ich hatte das Gefühl, Tonnen liften zu müssen. „Ai-chan?“, ächzte ich mühsam mit einer Stimme, die ich kaum als meine erkannte.
„Akira-sama. Es ist gut, dass du wieder wach bist. Es wird einige Zeit dauern, bis deine volle Kraft zurück ist, aber die gute Nachricht ist, du bist nicht tot.“
„Das habe ich auch schon gemerkt. Dieses Borex…“
„Wir haben das Gift ausgetauscht, Akira-sama. Stattdessen hast du eine Überdosis Betäubungsmittel bekommen, genug um einen Büffel auszuschalten. Du warst etwa einen Tag lang scheintot.“
„Ich war einen Tag fort?“, fragte ich erschrocken. Langsam kehrten meine Lebensgeister wieder. „Yoshi? Yellow?“
„Sie sind arrestiert worden, solange der Konflikt dauert.“
„Kon… Konflikt?“
„Es sieht so aus, als hätte es an Bord der AURORA eine Art Meuterei gegeben. Admiral Ino hat nach der Nachricht über deinen Tod eine Strafexpedition befohlen, aber Makoto hat den Befehl aufgehoben. Solange sie nicht wissen, wie sich die Machtverhältnisse entwickeln, dienen die beiden als Geiseln.“
„Geiseln… Verhalten sie sich ruhig?“
„Ich kann es dir nicht sagen, Akira-sama. Auf jeden Fall sind sie noch nicht ausgebrochen.“
„Na, immerhin.“ Ich versuchte mich aufzurichten, was mir auch leidlich gelang.
„Akira-sama, bevor du versuchst aufzustehen muß ich dir noch etwas erklären! Bitte erschrick nicht wenn…“
„Erschrick nicht? Wovor?“
„Hi“, sagte der weißhaarige Mann, der bei meiner Aufwärtsbewegung in mein Blickfeld geriet. Und dann hatte der Kerl noch die Unverschämtheit mich anzugrinsen.
Ich erstarrte. „Taylor.“
„Er nimmt es ziemlich gefasst auf, findest du nicht, Ai-chan?“, fragte der Kronosier und schmunzelte in Richtung der schlanken Japanerin.
„Ich bin gerade nicht dazu in der Lage, aufzuspringen und Sie zu erwürgen, Taylor. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie die Idee mit dem falschen Borex hatten. Wieso leben Sie überhaupt noch?“
Der Kronosier trat näher, wurde aber von einem wütenden Knurren gestoppt. Ich sah unter meine Behandlungsliege und erkannte Kitsune, die sich dort in ihrer Fuchsgestalt zusammen gerollt hatte. „Ruhig, Kitsune-chan. Das geht in Ordnung.“
Die Füchsin sah aus großen Augen zu mir hoch, dann erhob sie sich, sprang auf die Liege und ließ sich demonstrativ an meiner Seite nieder.
„Sie ist dir nicht von der Seite gewichen. Das hat es etwas schwer gemacht, deine Leiche beiseite zu schaffen“, sagte Yamagata ernst. „Wir hatten sie nicht eingerechnet. Aber wenigstens scheint sie gemerkt zu haben, dass du noch lebst. Sie ist vollkommen ruhig und beherrscht geblieben.“
„Kitsune-chan?“ Hinter Taylors Stirn schien eine Lampe anzugehen. „Ach so. Dai-Kitsune-sama. Die Dämonenkönigin. Das eröffnet uns ein paar sehr interessante Möglichkeiten.
Aber ich schweife ab. Warum lebe ich noch? Temporalfeld und Biotank.“
„Geht es auch etwas ausführlicher?“, beschwerte ich mich.
„Nein, wir haben nicht die Zeit dafür. Wichtig für dich sind jetzt ganz andere Informationen, Fliegerjunge. Das ich mittlerweile mein eigenes Süppchen koche und mit dem Geheimdienst des UEMF nur bei Bedarf kooperiere, sollte dir inzwischen klar sein. Interessant für dich ist vor allem, dass deine Ziele und meine sich nicht beißen. Das heißt, wir können zusammen arbeiten.“
„Einmal abgesehen davon, dass Sie mich gerettet haben. Warum sollte ich das tun?“
Taylor sah zur Seite. Es sah aus als wolle er in weite Fernen sehen. „Nun, Fliegerjunge, dir mag es ja genügen, mit denen Freunden auf eine Kreuzfahrt zu gehen, ein wenig den Helden zu spielen, ein paar hunderttausend Anelph umzusiedeln und die Naguad den nächsten Generationen zu überlassen. Aber ich kann mir diesen Luxus nicht leisten. Seitdem ich Legat geworden bin, habe ich auf diesen Moment hingearbeitet. Und dies sogar gegen die UEMF.“
„Was? Hier zu stehen und genetisch ein Naguad zu sein?“
Taylor nickte.
„Und mit welchem Ziel?“
„Ist das nicht offensichtlich, Fliegerjunge? Dies hier ist das Kanto-System. Eine übernommene Peripherie-Nation des eigentlichen Reiches. Die Probleme, die wir hier haben, sind allesamt zweitklassig. Aber was ist, wenn die Erde interessant genug wird, dass sich die erstklassigen Probleme für uns zu interessieren beginnen? Wir müssen das Imperium kennen lernen, studieren, die Strategien betrachten. Und daraus lernen. Das ist meine Aufgabe.“
„Ihre selbst gestellte Aufgabe.“
„Das hast du gut erkannt, Fliegerjunge.“ Taylor schmunzelte. „Mir ist bewusst, dass ich mich oft genug zu weit habe fallen lassen, um noch zurückkehren zu können. Aber deswegen bin ich nicht weniger nützlich. Deswegen liegen mir Mars und Erde dennoch am Herzen. Und deswegen kann ich meine Fähigkeiten dennoch nutzen, um an diesem Geheimnis zu nagen. Die Strukturen des Imperiums aufzudecken ist illusorisch. Es würde mehr als ein Leben dauern, all das zu entdecken und zu verstehen. Aber die Rosinen rauspicken und die richtigen Schlüsse daraus ziehen, das…“
Übergangslos sprang ich auf, ergriff den überraschten Taylor am Kragen. „Und den Scheiß soll ich dir abkaufen, Henry?“
„Vorsicht, du bewegst dich auf dünnem Eis, Fliegerjunge“, knurrte er wütend.
„Akira-chan, darf ich das übernehmen?“, fragte Kitsune und verzog ihr Fuchsgesicht zu einem beinahe menschlichen Grinsen.
„Ich bin mehr als genug für ihn, keine Bange“, erklärte ich mit kaltem Lächeln.
„Letzte Warnung, Fliegerjunge“, knurrte Taylor.
Das Nächste was ich spürte war ein scharfer beißender Schmerz in der Wange. Überrascht sah ich Yamagata an, die sowohl mir als auch Taylor eine saftige Ohrfeige verpasst hatte. Bemerkenswert, wenn man bedachte, dass sie uns wahrscheinlich beide zugleich ohne Waffen hätte umbringen können, wenn sie dies gewollt hätte.
„Das reicht jetzt! Alle beide, Schluss! Und du gibst auch Ruhe, Kitsune! Wie kann man nur so kindisch sein? Akira-san, Shawn hat dir so oft das Leben gerettet, ich kann es nicht mehr zählen. Er hat Yohko-chan davor bewahrt, ihr Leben als Krüppel zu verbringen, indem er ihr Vorrang bei der Behandlung in den Biotanks eingeräumt hat. Er hat sie beschützt, so lange er es konnte. Und dann hat er dir eine Bedienungsanleitung für den Resonanzfeldsatelliten mitgeschickt, die Entwicklung der Kampfcyborgs sabotiert, die Selbstzerstörung der Stadt Martian City deaktivieren lassen und zuletzt hat er geholfen die Söhne der AURORA in der Grey Zone in Schach zu halten. Reicht das alles noch nicht?“
Ich wollte antworten, sagen wie eigennützig er gehandelt hatte, dass er mich beinahe getötet hätte, wäre da nicht das Geschenk von Kuzo-sama gewesen. Das wegen ihm beinahe Megumi gestorben war. Das ich Teil eines Biocomputers gewesen war… Okay, dafür konnte er eventuell nichts.
Andererseits konnte ich ihre Argumente nicht von der Hand weisen.
„Okay“, begann ich zögerlich. „Überzeuge mich, Henry.“
„Du bist reichlich arrogant, weißt du das, Fliegerjunge? Seit wann muß ich nach deiner Pfeife tanzen?“
„Wer hat denn bitte die KOWLOON entführt und gezwungen zu desertieren? Wer hat denn bitte diese Droge in meinen Körper injizieren lassen? Hallo, geht es noch? Auch wenn du mich gerettet hast, es ist nicht sehr angenehm, scheintot zu sein. Teufel, du schuldest mir was!“
„Du hast ja keine Ahnung, was du da sagst. Überzeugen? Was willst du denn hören? Oder besser, wie viel kannst du ertragen, Fliegerjunge?“
Ich runzelte die Stirn. „Fangen wir mit dem Nahe liegenden an. Warum sollte ich umgebracht werden? Und sag jetzt nicht, weil ich so dumm war, mich direkt in ihre Hand zu begeben.“
„Es war nicht weiter schwer, den Geheimdienstoffizier für meine Idee einzunehmen“, schmunzelte Taylor. „Er ist ein gewissenloser Profi, der zu gerne auf Kosten anderer vorankommt. Zweifellos rechnet er damit, dass die Zentralregierung ihn versetzt, bevor ein Militärgericht unter den Admirälen ihn zum Tode verurteilt. Die beiden Opas sind übrigens unschuldig. Sie wollten dich lediglich herlocken, um dich hier festzuhalten. Oder um dich besser studieren zu können. Der Stunt mit der Fünften Banges hat sie tief beeindruckt.
Der liebe Colonel Conarr allerdings hielt es für eine gute Idee, den besten Piloten der UEMF aus dem Weg zu räumen.“
Taylor grinste schief. „Versteh die alten Knaben nicht falsch. Sie hätten absolut nichts dagegen, wenn die AURORA in der Sonne verglüht und würden zu gerne einem ihrer Piloten den höchsten Orden anstecken, weil er dich getötet hat. Aber doch bitte all das auf dem Schlachtfeld, um zivile Opfer zu vermeiden und die Ehre zu bewahren. Einmal ganz davon abgesehen, dass die Naguad-Streitkräfte selbst mit Unterstützung der Anelph-Miliz hoffnungslos unterlegen sind. Sie können uns schwächen, aber weder binden noch vernichten.
Verstärkung wird erst in einer bis drei Wochen eintreffen und wird dann noch einmal eine Woche bis nach Lorania brauchen. Bis dahin hatten die Herren sicher vor, den Ball flach zu halten.“
„Der AURORA wäre es auch am liebsten, wenn wir hier ohne Kampf rein und wieder raus kommen“, murmelte ich nachdenklich. Wie weit waren die Pläne des Komitees nun fortgeschritten? Konnten wir eventuellen Verstärkungen ausweichen? Konnten wir überhaupt wiederkehren?
„Soviel also zu den Admirälen. Scheint so, als wären sie noch mal mit dem Schrecken davon gekommen und könnten sich jetzt auf ihre große Feldschlacht vorbereiten, auf die sie so stehen. Wie geht es weiter?“
„Das Ziel der Naguad war es dich zu binden. Mit Hilfe von Megumi und deiner Neugier. Und natürlich mit dieser Banges-Pilotin, die zur Aburteilung nach Naguad Prime soll. Kann sein, das sie damit rechnen, dass die AURORA nicht weiter fliegen wird, solange du in ihrer Gefangenschaft bist, was die Chancen für die Verstärkungen erhöht, uns einzuholen.“
„Ich höre immer uns.“
„Ah, du triffst mich schwer, Fliegerjunge.“
„Keine Spielchen. Es ist zu wichtig, das wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen!“, mahnte Yamagata wütend.
„Okay, okay. Jedenfalls gibt es einen mächtigen Haken an dem Plan des Komitees. Das Reich wird beschützt. Dazu gehört auch dieses System, solange man es nicht als rebellisch einstuft. Wer aber beschützt dieses Reich? Seine Flotten? Der Geheimdienst? Oder…“
„Eventuell Naguad, die ebenso wie ich ihr KI nutzen“, schloss ich leise. „Deshalb war Ikosu mit dem Medikament…“
„Richtig. Die AURORA ist gerade auf dem besten Weg, mit einigen dieser Naguad konfrontiert zu werden. Es gibt drei Spezialschiffe in diesem System, auf denen Offiziere dienen, die mit diesen Leuten im Zusammenhang stehen. Oder noch besser: Diese Leute sind. Zudem ist vor einiger Zeit ein Gast… ein extrem wichtiger Gast eingetroffen und auf dem Weg nach Jomma.“
„Ein Gast? Das ist zu schnell, um eine Reaktion auf unsere Ankunft zu sein“, murmelte ich.
„In der Tat. Verstehst du jetzt, warum ich mehr über das Imperium erfahren will? Wir alle wandern auf einem sehr schmalen Grat, denn das Imperium der Naguad ist gerade dabei, uns einen seiner Trümpfe auf den Tisch zu knallen. Und ich weiß nicht so recht, ob wir das kontern können. Im Moment ist alles unsicher. Sogar die Erde und der Mars.“
Ich erschauderte.
„Das ist noch nicht alles, Akira-chan“, meldete sich Kitsune zu Wort. „Wie ich Michael-tono… Ich meine, wie ich herausgefunden habe, sind die Naguad in der Lage, auch die Dämonenwelt anzugreifen. Auf Lorania haben sie es gemacht. Mit verheerenden Folgen.“
Bei der Erwähnung meines Großvaters – das war die erste Assoziation auf den Namen Michael bei mir – zog ich kurz die Augenbraue hoch, schob den Gedanken jedoch beiseite. Opa war auf der Erde. Sie musste einen anderen Michael meinen. „Die Dämonenwelt? Diese geheime Gesellschaft zum Schutz muss…“
„Über ähnliche Machtmittel verfügen wie die UEMF mit dir, Yoshi und den alten Futabe“, schloss Taylor.
„Diese Möglichkeit haben wir auch schon in Betracht gezogen“, erwiderte ich gereizt, weil ich nicht ins Hintertreffen geraten wollte. „Andererseits hätte ich nicht gedacht, dass es so schlimm ist.“
Ich ließ mich nach hinten fallen. Aufrecht sitzen und wütend sein strengte an. „Okay, wir ziehen an einem Strang, Henry. Weiter im Text. Was also soll ich tun? Was sollen wir tun?“
„Das was du schon die ganze Zeit vorhattest. Schnapp dir Aria und Megumi und verschwinde hier. Alle denken, du bist tot. Mehr Überraschungseffekt kriegst du nie. Und verdammt, tu es bevor unser Gaststar ankommt. Der muß dich gerochen haben, sonst wäre er nicht schon hier.“
„Gerochen?“, argwöhnte ich und erinnerte mich an einen sehr merkwürdigen Traum, den ich auf dem Herflug gehabt hatte. Yellow Slayer kam darin vor und… Nein, der Part mit Yellow war kein Traum gewesen. Was hatte sie gesagt und getan? Sie schien auf mich aufgepasst zu haben. Aber wie und warum? Eiskaltes Entsetzen durchfuhr mich, als ich die Möglichkeit in Betracht zog, ich wäre von Naguad Prime aus beobachtet worden.
„Mir ist auf einmal schlecht“, murmelte ich und sah mich nach einer Schüssel oder ähnlichem um.
„Das Gefühl nennt man Angst, Fliegerjunge“, erklärte Taylor grinsend.
„Sehr nett“, erwiderte ich und kämpfte mit meiner Magensäure.
„Alleine dieser Anblick war es wert dich zu retten. Also, du bleibst erst mal hier, bis du dich gut genug erholt hast, um es mit dem ganzen verdammten Stützpunkt aufzunehmen. Zu dem Zeitpunkt werde ich schon ganz woanders sein. Ich will tiefer ins Imperium, und es wäre für meine Pläne nicht sehr hilfreich, wenn mir irgendjemand die peinliche Frage stellen würde, ob ich etwas mit deiner plötzlichen Wiedergeburt zu tun habe.“
„Verstehe.“
„Du und Kitsune-chan solltet reichen, um bis zu Yellow und Yoshi zu kommen. Von dort könnt ihr euch zu viert durchschlagen. Eure Mechas sind noch immer im Hangar. Die Fünfte Banges-Division, der du die Hosen stramm gezogen hast, überwacht den Hangar, damit keine neugierigen Techniker oder der Geheimdienst dran rumfummeln können. Frag mich nicht wieso. Wahrscheinlich so ein Kriegerdings. Ai-chan wird dir helfen, so gut sie es kann. Sie weiß wo Lady Death und Aria Segeste sind. Und wie Ihr hinkommt. Klar soweit?“
„Klar. Wie lange muß ich hier bleiben?“
„Ein paar Stunden sollten es schon sein. Junge, du warst scheintot.“
„Ist ja schon gut. Können wir die beiden eventuelle darüber informieren, dass ich noch lebe?“
„Das wissen sie doch sowieso“, kommentierte Taylor amüsiert. „Oder glaubst du, Yoshi hätte auch nur einen Stein auf dem anderen gelassen, wenn er denken würde, du wärst ermordet worden? Von Yellow ganz zu schweigen. Außerdem wäre es eine Riesendummheit zu glauben, dass zwei KI-Meister wie die beiden nicht in der Lage sind, den Unterschied zwischen einem ins Extreme reduzierten Kreislauf und dem Tod zu bemerken.“
„Was natürlich die Möglichkeit eröffnet, dass auch die KI-Meister der Gegenseite wissen, dass ich noch lebe“, bemerkte ich gepresst.
„Stimmt. Aber im Moment scheint es in deren Pläne zu passen, dass du noch lebst. Kann sein, dass sie wissen wo du bist, Fliegerjunge, deshalb mach es dir hier nicht zu bequem. Auch wenn Ai-chan und Kitsune auf dich aufpassen und der Raum garantiert nicht überwacht wird.
Aber vergiss eines nicht, wenn du losschlägst. Abgesehen davon dass ein Teil der Gegner die gleichen Möglichkeiten hat wie du. Sobald du Yoshi und Yellow rausholst, gellt hier der Alarm. Sie werden nämlich überwacht.“
„Verstehe“, antwortete ich matt. „Ab dann wird es ein Wettlauf mit der Zeit.“
„Mit der Zeit und mit den KI-Meistern. Aber keine Bange. Ich sorge dafür, dass… Ah, dass die KOWLOON zurückdesertiert. Der gute Shawn Winslow nagt sicherlich schon am anderen Ende der Nagelbetten seiner Fingernägel, wie sich die ganze Geschichte hier entwickelt.“
Überrascht fuhr ich wieder hoch. Etwas zu schnell, um ein leichtes Schwindeln zu verhindern. „Du hast das geplant?“
„Sagen wir“, bemerkte Taylor schmunzelnd, „die KOWLOON sollte mir mehrere Variationen offen lassen. Zum Glück ist auf deinen Dickschädel aber Verlass, Fliegerjunge.“
Er wurde ernst, sehr ernst. „Ich überlasse den Rest dir. Gib dein Bestes und nimm Ai-chan bitte mit. Da wo ich hingehe können nur Naguads gehen.“
„Verstehe. Was erhoffst du dir davon? Ich meine, das Risiko ist doch unermesslich groß, oder? Wieso legst du dich mit einem ganzen Imperium an?“, fragte ich.
Er trat zu mir heran. „Zwei Gründe, Akira. Grund eins: Warum hat die Gift bei Yohko nicht so funktioniert wie bei mir und den anderen? Und Grund zwei: Warum hast du eine so unglaublich gute Synchronisation mit dem Daishi Beta erreicht, den ich dir geschickt habe, welche die Kronosier zu Anfang nur durch die Gift erreicht haben? Die Antwort ist simpel. Auch der beste Zauberer kann Brot nicht in Brot verwandeln.“
Übergangslos hatte ich das Gefühl, in ein sehr tiefes Loch zu fallen. „Was?“, brachte ich mühsam hervor.
Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Das sind alles nur Dinge, die auf der Oberfläche treiben. Aber ich will tiefer, noch viel tiefer graben. Es ist meine Pflicht und mein verdammtes Recht, nach all dem, was ich geleistet und verbrochen habe. Ich will wissen, was dahinter steckt. Auch wenn es vielleicht mein Leben kostet.“
„Das ist sehr egoistisch, oder?“
Ich sah zu Yamagata herüber, die nur zu genau wusste, dass dies die letzten Momente waren, die sie ihren Führungsoffizier noch sehen würde. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos, aber ihre Augen sprachen eine andere Sprache. „Und was ist mit ihr?“, fragte ich traurig.
„Ich lasse sie bei dir. Hatake ist ein guter Offizier. Er soll sie unter seine Fittiche nehmen.“
„Das meinte ich nicht. Was ist mit ihr?“
Er sah zu ihr herüber. „Ai-chan. Ich gebe dir jetzt einen Befehl. Bis ich zurückkehre, bleibst du in Akiras Nähe und beschützt ihn. Hast du das verstanden?“
„Ja, Sir“, sagte sie mit kühler Stimme. Ihr begannen die Tränen zu fließen.
„Das hat dann hoffentlich bedeutet, dass du planst, zurück zu kommen“, sagte ich, vor allem, um Yamagata zu beruhigen.
„Natürlich. Mein liebstes Hobby bist immer noch du, Fliegerjunge.“
„Shawn“, hauchte Yamagata, trat einen schnellen Schritt vor und umarmte ihn.
Überrascht sah der Brite an sich herab und legte langsam, zögerlich die Hände um sie. „Bitte sei vorsichtig“, bat sie mit Tränenerstickter Stimme. Doch ich hörte sie sagen: Komm zurück zu mir.
„Keine Sorge. Ich bin nicht Akira Otomo. Ich gehe keine unnötigen Risiken ein“, erwiderte er.
Aber wohl die nötigen, wollte ich sagen, schluckte die Worte aber hinunter.
Schließlich löste sich Taylor von der jungen Frau, nickte mir und Kitsune zu und verließ den Raum.
Die Tür schloss sich hinter ihm mit der Gewalt eines Requiems und der Gewissheit eines Sargdeckels. In diesem Moment wusste ich nicht, ob ich ihn jemals wieder sehen würde.
Ace Kaiser
4.
„Also, das ist mein Plan!“ Kevin Lawrence, First Lieutenant des Geheimdienstes und Träger der Gift, was ihn als Kronosier auswies, zeigte stolz auf das Hologramm.
Admiral Ino und Admiral Richards wirkten seltsam geistesabwesend, wechselten eine Menge stumme Blicke, die getränkt waren von Schuld, Vorwürfen und Selbstmitleid. Lediglich Kommodore Takahara, Kapitän Ryon, Admiral Gennusuke Riada und Komitee-Mitglied Stela Ryon sowie Colonel Makoto Ino schienen ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Doch auch bei ihnen bemerkte er immer wieder stumme, hilflose Blicke in Richtung des Admirals.
Die junge Frau, die es in bemerkenswert schneller Zeit auf den zweithöchsten Posten in der UEMF geschafft hatte, zuckte plötzlich zusammen. „Ich hätte… Ich hätte beinahe…“
Ein Anflug von schwerer Schuld, die sie peinigte, seit sie nach der Nachricht von Commander Otomos Tod erfahren hatte und den Befehl gegeben hatte: Bringt sie alle um.
Kevin fühlte mit ihr, obwohl der Name Otomo in seiner Zeit auf dem Mars als Gefolgsmann der Legaten gleichbedeutend war mit Schmerz im Arsch oder Riesenproblem. Damals wäre die Nachricht vom Tode Akira Otomos – oder vielmehr Blue Lightnings, denn seine wahre Identität hatte der Geheimdienst der Kronosier nie herausgefunden – mit großer Erleichterung aufgenommen worden. Schließlich und endlich hatte Akira das Legat vernichtet, genau wie es immer befürchtet worden war. Doch nach über zwei Jahren amüsierte dieser Gedanke Kevin lediglich.
Wütend schlug er auf den Tisch mit dem holographischen Projektor. „Verdammt, Admiral Ino, wenn Sie krank sind, melden Sie sich im Lazarett oder gehen Sie in Ihre Kabine, aber hören Sie auf, die Besprechung zu stören! Unsere Arbeit hier ist wichtig, verdammt!“
Kurz sah er nach seinen harschen Worten in Richtung der anderen Offiziere, vor allem zu Makoto, ihrem Bruder herüber. Aber der lächelte nur knapp und nickte unmerklich.
„Was wissen Sie schon?“, klagte Sakura Ino. „Was wissen Sie schon, was ich durchmache?“
„Das ist mir so was von egal, Admiral! Ich versuche hier meinen Job zu machen und so viele Anelph wie irgend möglich zu evakuieren, damit wir, Tschuldigung, auf Erde und Mars eine Zukunft haben. Meine persönlichen Gefühle und Sorgen habe ich dazu an der Tür abgegeben. Wenn Sie das nicht auch können, dann sollten Sie diese Besprechung wirklich verlassen! Dumme Pute.“
In Sakuras Augen schien ein Funke zu entstehen. „Dumme… Pute?“
„Nun tun Sie nicht so unschuldig! Sie sitzen hier rum, seufzen und ächzen, bedauern sich selbst und lassen alle andere Sie bedauern. Ich gebe zu, den Commander zu verlieren ist schlimm. Aber es gibt immer noch die AURORA und die Begleitflotte. Wenn durch Ihre Unsicherheit all das vernichtet wird, dann haben Sie richtig was zum seufzen und ächzen! Nur wird dann vielleicht keiner mehr da sein, um Sie zu bedauern!“
Die letzten Worte hatte Kevin geschrieen und beinahe befürchtete er, zu weit gegangen zu sein, als Sakura Ino den Kopf senkte.
„Ad… Admiral?“, fragte Kevin, als seine höchste Vorgesetzte minutenlang schwieg.
„Ruhe, bitte. Ich denke nach“, sagte sie ernst.
Verdutzt sah der Geheimdienstmann sie an.
Plötzlich sah sie auf und in ihren Augen stand grimmige Entschlossenheit. „Ihre Idee ist genehmigt, First Lieutenant. Wir bringen die eine Million und dreihundertsiebzehntausend Anelph nach Ihrer Methode im Innenraum der AURORA unter.“
Sie sah auf das Hologramm, welches gerade den Innenraum der AURORA zeigte, mit der Stadt Fushida im Norden, den vier kleineren Ortschaften im restlichen, fünfzehn Kilometer langen und acht Kilometer weiten Innenraum, zusammen mit dem Meer Serenity und der Kommandozentrale Poseidon sowie den wogenden Weizenfeldern und Wäldern im Süden.
„Es trifft sich gut, dass der Weizen gerade reif ist. Wie lange werden wir brauchen, bis er geerntet ist?“
„Zwei Tage, Admiral“, antwortete der Lieutenant automatisch.
„Gut. Lassen Sie sofort anfangen. Wie schnell können wir die Gerüste fertigen?“
„Wir werden massive Bestände auf Lorania aufkaufen müssen, soll es für unsere Pläne reichen. Ich denke, wenn wir sofort anfangen, haben wir in fünf Tagen alles hier oben.
Dann beginnt das logistische Problem, eins Komma drei Millionen Anelph hierher in den Orbit zu schaffen.
Und da ist dann noch die Spezifikation des Resonanzgenerators. Wir werden gut und gerne vierhunderttausend Anelph haben, die nicht eingefroren werden.“
Sakura Ino sah noch einmal auf das Hologramm. „Die Idee, eine Million Anelph mit Hilfe eines Resonanzgenerators einzufrieren wie damals den OLYMP durch die Kronosier ist schlicht genial. Aber vierhunderttausend sind zu viele. Es sprengt die Kapazitäten der Stadt und der Ortschaften.“
„Das wird es nicht, Admiral“, warf Kevin tapfer ein. „Nicht, wenn wir auch zwei Drittel unserer Leute einfrieren, die über vierundzwanzig sind. Das schließt die Menschen in der Grey Zone ein, denn sie ziehen Ressourcen, die wir uns nicht mehr leisten können, wenn die Anelph an Bord kommen.“
„Ich habe beides zur Kenntnis genommen. Makoto, erstell einen entsprechenden Plan. Wir müssen unsere Leben und unsere Schiffe komplett unseren Jüngsten und den heranwachsenden Anelph anvertrauen. Wir brauchen Ausbildung, Training und Aufteilung. Die jungen Anelph sollen unter Anleitung unserer Mars-Veteranen ausgebildet und eingesetzt werden. Wenn wir zwei Drittel unseres Militärpersonals ebenfalls in den Resonanzfeldbereich bringen, schaffen wir es ansonsten nicht. Selbst wenn wir die Appartements voll auslasten, die sich über die Innenwand der AURORA verteilen.“
Der Colonel nickte. „Ist so gut wie fertig. Ebenso eine Auflistung der Leute, die wir dringend brauchen. Lieutenant Lawrence, wie groß wird das Feld sein, welches der Torpedo erzeugt?“
„Wir platzieren ihn hier, mittig in etwa zehn Meter Höhe. Das Feld ist regulierbar, nachdem wir die Projektoren modifiziert haben. Es hat dann eine runde Form von sechs Kilometern und eine durchschnittliche Höhe von anderthalb. Das ist die kleinste Stufe. Würden wir auf Maximum gehen, kann das Feld vierzigtausend Kilometer Breite und zwanzig Kilometer Stärke erreichen. Aber das nur am Rande.“
„Sechs Kilometer. Hm. Quer durch Wald und Feld. Könnte reichen.“
„Wir dürfen aber nicht zu hoch hinaus planen. Die Bühnen, auf denen wir die Anelph einfrieren wollen, unterliegen noch immer der Statik. Ich meine, ruckzuck kann was passieren, und je mehr Ebenen wir einplanen und je mehr Anelph und Menschen wir da rauf schicken, desto größer unsere Sorgen.“
Admiral Ino nickte nachdenklich. „Unsere Ingenieure sollen das mal durchrechnen. Ich will, wenn es irgendwie geht, das alles sehr schnell durchziehen. Eine Million Anelph, die aus irgendwelchen Gründen in Panik geraten, bevor das Resonanzfeld aktiv ist… Ich mag gar nicht dran denken.
Admiral Riada, was halten Sie von unseren Ideen?“
„Generell sehr interessant. Ich sehe schon, der alte Ryon hat bei der Wahl seiner Partner einen wahren Glücksgriff getan. Ich unterstütze Ihre Idee und werde auch die Ausbildung unserer Jugend und unserer Heranwachsenden für den Dienst auf der AURORA und der Begleitschiffe befürworten. Aber was machen wir mit den Kindern? Sie werden, bis wir den Mars erreicht haben, ohne Eltern leben müssen.“
Sakura grinste schief. „Ja, was machen wir denn mit Kindern? Das, was wir immer mit ihnen machen. Wir schicken sie zur Schule. Die Fushida-Schule ist nur zu einem Drittel ihrer Kapazität ausgelastet, und wir können sie problemlos auf das dreifache vergrößern.“
Der Admiral nickte anerkennend. „Sehr gut, Admiral, sehr gut. Machen wir es so.“
Sakura schlug in die Hände. „Einverstanden. Gute Arbeit, alle miteinander. Makoto, du kennst deine Aufgabe. Lasst uns beginnen.“
Die Anwesenden bestätigten und verfielen sofort in zustimmendes Gemurmel, führten erste Fachgespräche, während sie ihre Unterlagen rafften und den Raum verließen. Lediglich Admiral Ino blieb noch sitzen. „Lawrence.“
Der First Lieutenant war schon halb zur Tür draußen, als ihn der Ruf erreichte. „Admiral?“
„Bitte schließen Sie die Tür, Lawrence.“
Gehorsam folgte der Kronosier der Anweisung. „Admiral, ich…“
„Halten Sie den Mund. Wissen Sie, was ich normalerweise mit Junioroffizieren mache, die mir so wie Sie über den Mund fahren? Ich fresse sie quer und lasse sie anschließend die Außenhülle der SUNDER flicken. Alleine selbstverständlich.“
Kevin spürte, wie sein Kragen zu eng zu werden drohte.
Sakura sah ihm in die Augen und nickte zufrieden. „Aber ich denke, in diesem Fall mache ich mal eine Ausnahme und verleihe Ihnen eher einen Orden. Die Idee mit dem Resonatorfeld ist ein Geniestreich. Und mich aus meinem Selbstmitleid rauszuholen ist ebenfalls eine Großtat.“
Sie schmunzelte. „Aber auf Letzteres sollten Sie sich nicht soviel einbilden.“
„Schon gut, Admiral. Akiras Tod geht mir auch an die Nieren.“
„Ja, das glaube ich Ihnen. Doch Sie haben ihn nicht in den Tod hinein befohlen.“
„Ich glaube nicht, dass dem Commander jemand etwas befehlen könnte, was er nicht wirklich will. Dafür habe ich ihn immer respektiert und beneidet, Admiral.“
Für einen Moment sah es so aus, als wolle die blonde Frau erneut in Tränen ausbrechen. Doch sie fing sich wieder. „Auch dafür danke, Captain. Sie können gehen.
Kevin salutierte stramm vor ihr und verließ den Raum.
Vor der Tür zögerte er kurz, kam wieder hinein. „Admiral, ich…“
„Nein, das hat schon seine Richtigkeit, Captain. Es ist Ihre Idee und Ihre Aufgabe. Glauben Sie, die vertraue ich einem First Lieutenant an?“
„Oh.“ Erschrocken sah Kevin die junge Frau vor sich an, salutierte erneut. „Ich werde Ihnen keine Schande machen.“
Wieder verließ er den Raum, schüttelte den Kopf. „Was für eine Frau. Was für eine Frau.“
5.
Die Planungen für den Aufbau der Gerüste, die Abnahme der Statik, vor allem des Bodens und der darunter liegenden Kavernen hatte den Rest des Tages eingefordert und Sakura davon abgehalten, sich erneut stundenlang Selbstvorwürfe zu machen. Leider hielt diese Ablenkung nur solange an wie die Arbeit, und am Ende stand sie als Letzte vor einem mit Papier übersäten Schreibtisch. Sie blinzelte verwirrt, als sie sich bewusst machte, dass die anderen entweder schlafen gegangen waren oder ihren Teil der Organisation erfüllten. Sei es beim Aufbau dieses irrwitzigen Plans, bei der Bereitstellung des Torpedos mit dem Resonanzfeld oder beim logistischen Albtraum, binnen weniger Tage über eine Million Anelph auf dieses Schiff zu schaffen.
Das Merkwürdige an der Sache war, dass für sie nun nichts mehr zu tun blieb. Ihr Teil der Arbeit war erledigt, zumindest vorerst, bis die ersten Anelph eintrafen. Auf sie warteten nur ihre üblichen Pflichten als Anführerin der Expedition, doch leider hatten die auch noch Zeit bis zum nächsten Morgen. Bis dahin war die Begleitflotte bei Admiral Richards in sehr guten Händen, und die AURORA bei Tetsu sowieso.
Letztendlich hatte sie weder genügend Selbstmitleid mehr noch genügend Arbeit vor sich her zu schieben, um nicht nach Hause zu gehen. Dennoch zögerte sie.
„Sakura, komm jetzt“, sagte eine leise Männerstimme vom Eingang her.
Sie wandte sich um, sah ihren Bruder. „Gehen wir nach Hause. Du warst schon seit Tagen nicht mehr in deinem Bett.“
Sie sah ihn an, blinzelte, und merkte dann, wie müde sie wirklich war. Die letzten Tage hatte sie mehr oder weniger gelähmt verbracht. Sie fühlte sich, als wäre ihr Erstgeborenes gestorben. Zumindest redete sie sich ein, dass es sich so anfühlen musste, so hilflos, so schmerzerfüllt und so endgültig, voller Schmerz und Selbstvorwürfe.
„Ich komme“, sagte sie, raffte ihre Unterlagen an sich und folgte Makoto auf den Flur.
Auf dem Weg zur Bahn meinte sie: „Du warst auch nicht Zuhause, oder?“
Makoto warf ihr einen schiefen Blick zu. „Wenn du wissen willst, wie es Zuhause aussieht, keine Ahnung. Dank deinem Bad in Selbstmitleid hatte ich so viel zu tun, dass ich froh sein konnte, zwischendurch mal ne Stunde zu schlafen. Nicht mal Zeit für ein Telefonat mit Joan hatte ich.“
Sie senkte schuldbewusst den Kopf. „Tut mir Leid.“
„Schon gut. Ich bin ja selbst gespannt, wie sie es aufgenommen haben. Yohko, Akari, die anderen…“
„Ich sagte doch, es tut mir Leid“, murrte Sakura.
„Oh, das war kein Vorwurf. Ich meine nur, als ich Yohko bei einer der taktischen Sitzungen getroffen habe, da schien sie zwar angespannt und nervös, aber sie hatte nicht gerade verheulte Augen.“
„Oh.“
Sie stiegen in die Bahn und verbrachten den Weg über das Serenity-Meer schweigend. Um in das Viertel zu kommen, in dem das Haus stand, mussten sie einmal umsteigen. Doch während der ganzen Zeit, inklusive dem Fußmarsch, sprachen sie miteinander kein Wort.
Sakura sah kaum auf, während sie die zu dieser Zeit wenig frequentierten Straße entlanggingen und hier und da gegrüßt wurden.
Als sie auf der Türschwelle standen, bekam sie plötzlich Angst. Einem inneren Impuls folgend wollte sie sich umdrehen und fortlaufen, doch da ging die Tür bereits auf.
„Wer ist es, Micchan?“, erklang Akaris Stimme von drinnen.
In der Tür stand Michi Torah, der Junge, der… Nun, wahrscheinlich Akaris Freund war. Ein Umstand, den sich Sakura eigentlich geschworen hatte im Auge zu behalten.
„Guten Abend, Michi-kun“, sagte sie deshalb etwas frostig.
„Oh, es sind nur zwei unserer verlorenen Schäfchen“, rief der Bengel frech nach drinnen. Dann lächelte er die beiden Geschwister freundlich an und trat beiseite, damit sie eintreten konnten. „Guten Abend, Makoto-nii-san. Sakura-nee-san.“
Über diese Anmaßung, sich einfach so als Teil der Familie etablieren zu wollen, blieb Sakura die Luft weg. Sie wollte zu einer Schimpftirade ansetzen, aber da hatte Makoto sie schon über die Schwelle geschoben, verfolgt von Michis Grinsen.
„Da seid ihr ja endlich“, empfing Akari die beiden. „Kommt, wir essen gleich zu Abend. Dann müssen wir auch bald los.“
Verwirrt blinzelte die Kommandantin des Unternehmens Troja. Wie hatte Akari den Tod ihres großen Bruders so gut wegstecken können? Und wenn sie sich richtig erinnerte, war Michi auch etwas auf Akira fixiert gewesen.
Yohko kam aus ihrem Zimmer. Sie trug den Druckanzug, aber ohne Handschuhe.
„O-nee-chan, du solltest dich doch noch nicht umziehen“, tadelte Akari die Ältere. „Es ist so unappetitlich beim essen.“
„Sorry, aber ich konnte einfach nicht mehr an mich halten. Ich bin so nervös, ich musste einfach etwas tun. Außerdem muß ich ja vor euch los, also kann ich die Zeit auch nutzen, oder?“ Yohko kam kurz zu den beiden Neuankömmlingen und drückte jedem einen Kuss auf die Wange. „Schön, dass Ihr euch endlich losreißen konntet. Kommt Ihr?“
Makoto runzelte die Stirn. „Sag mal, was ist denn hier los?“
„Was? Ach das. Nun, ich habe Thunder startklar machen lassen. Meine Kottos gehen raus.“
„Ich kann mich nicht erinnern, dass das auf dem Dienstplan stand“, brummte Makoto verstimmt.
„Tut es ja auch nicht. Der Geheimdienst hat uns angefordert. In einer Stunde brechen wir zusammen mit den Slayern auf. Wir… Warum wisst Ihr eigentlich nichts darüber?
Na, egal. Kommt jetzt, Schuhe aus, hinsetzen und zur Ruhe kommen. Ihr seht so aus als hättet Ihr in euren Klamotten geschlafen.“
Makoto murmelte etwas, das mit viel gutem Willen eine Bestätigung sein konnte und folgte Yohko ins Haus.
Doitsu kam in diesem Moment aus der Küche, seine Brille keck den Haaransatz hochgeschoben. Er musterte die beiden einen Moment, brummelte einen Gruß und ging weiter, den Packen Papier in seiner Hand studierend.
„Warum ist denn hier alles so schrecklich normal?“, brach es aus Sakura hervor. Yohko! Akari! Euer Bruder ist…“
„Wir wissen selbst in welcher Gefahr er schwebt, aber war von ihm etwas anderes zu erwarten?“ Akari lächelte und zog Sakura mit sich ins Wohnzimmer. „Deshalb müssen wir ja auch ausrücken. Wenn er zurückkommt, braucht er eventuell Schützenhilfe.“
Entsetzt starrte Sakura das junge Mädchen, das mal ein Oni gewesen war an. „Hast du denn noch nicht gehört, das Akira…“ Sie schluckte hart. „Das er tot ist?“
In diesem Moment erstarrte jede Bewegung im Haus. Eine eisige Stille breitete sich aus, die nach dem Herz eines jeden einzelnen zu greifen drohte.
„Was?“, fragte Yohko mit blankem Entsetzen in der Miene.
„Es… Es ging doch gestern durch alle Medien“, stotterte Sakura.
Wie auf ein geheimes Kommando entspannten sich alle wieder.
„Ach, DAS!“, rief Yohko unbeschwert. „Ist schon in Ordnung.“
Makoto und seine Schwester wechselten einen erstaunten Blick.
Doitsu sah die zwei an, dann wieder auf seinen Bericht, auf dessen Titelseite das Zeichen für Top Secret über dem schwungvollen Titel Erhöhte verbrecherische Aktivitäten in der Grey Zone prangte. „Sie wissen es nicht, Yohko.“
„Ach. Das habe ich auch gerade gemerkt.“
Akari, schob Sakura vor sich her. „Hat das nicht Zeit bis wir alle sitzen? Himmel, wenn Ihr eure Regimenter so führt wie euer Privatleben, dann sollten wir uns besser sofort ergeben.“
„Wissen was nicht?“, hakte Makoto nach, während er von Akari mit Nachdruck am Tisch platziert wurde, zwischen Okame und Michi. Kurz warf er einen Blick auf den Dämonenkönig, der sich allerdings einer Vorspeise widmete.
„Wissen, dass Akira noch am Leben ist“, erklang die Stimme von Kei Takahara von der Tür. „Guten Abend, alle zusammen. Die SUNDER und fünf Fregatten stehen für das Unternehmen bereit. Daisuke stellt uns auch noch Briareos zur Verfügung. In X minus fünfundfünfzig brechen wir auf und bilden den Abfanggürtel.“
Er ließ sich am Tisch nieder und tadelte die Ino-Geschwister mit seinem Blick. „Also ehrlich. Hättet Ihr euch mal Zuhause gemeldet oder wärt einfach nur zum schlafen heim gekommen, so wie ich heute Morgen, dann hättet Ihr es früher erfahren.“
Okame-tono zog fragend die Augenbrauen hoch. „Habt Ihr die anderen nicht benachrichtigt, dass es Yellow Slayer, Yoshi-tono, Kitsune-tono und Akira-tono gut geht?“
„Ich habe versucht anzurufen und E-Mails verschickt“, sagte Yohko in leicht beleidigtem Tonfall. „Ich wäre auch persönlich vorbei gegangen, wenn ich nicht bei der Verwaltungsarbeit für eine ganze verdammte Division Mechas helfen müsste. Und nebenbei auch noch die Regimentsverwaltung der Hekatoncheiren. Wirklich, Ihr solltet euch mehr Zuhause melden.“
Makoto fühlte sich, als würde er in einen bodenlosen Schacht fallen. Aber es war kein fürchterliches Fallen, mehr ein angenehmes, schwereloses Schweben, ein Gleiten durch einen Lichterfüllten Raum in eine verheißungsvolle Zukunft. Akira lebte noch. Sein Cousin war nicht an einem Anschlag oder tatsächlich an einer Medikamentenunverträglichkeit gestorben.
Neben ihm begann Sakura vor Erleichterung zu schluchzen.
„Ich habe jede Stunde Kontakt zu Kitsune-tono“, erklärte Dai-Okame-sama in beiläufigem Plauderton. „Das gehört zu den Sicherheitsbedingungen, die wir vereinbart haben. Beim letzten Mal hieß es, Taylor sei tatsächlich nicht wieder aufgetaucht und… Ach so, das wisst Ihr ja auch noch nicht. Taylor-tono lebt noch.“
„Langsam, langsam, ich verkrafte immer nur eine plötzliche Auferstehung auf einmal. Okay, Akira lebt noch. Und Ihr habt versucht, uns zu benachrichtigen. Warum habt Ihr es nicht einfach in die Medien gesetzt? Dann hätte es uns auf jeden Fall erreicht.“
„Zwei Gründe, Mako-chan“, meldete sich Doitsu zu Wort, legte seine Lektüre fort und nahm dankbar seinen Teller von Akari entgegen. „Der erste Grund ist, weil wir dann entweder Spekulationen über eine geheime Kontakttechnik zwischen dem Mond und uns in Gang gesetzt hätten – was im schlimmsten Fall dazu geführt hätte, dass der Geheimdienst auf Dutzende Agenten des Komitees gestoßen wäre. Außerdem wären wir vielleicht gezwungen gewesen, Okame-tono und Kitsune-chan zu enttarnen.
Und der zweite Grund ist, dass ich drum gebeten habe. Die Grey Zone ist gerade in heller Aufruhr. Da unten geht was vor, und ich bin gerade dabei, dies für mich und meine Gruppe auszunutzen. Die Nachricht von Akiras Tod hat dort unten einige Menschen zu Recht aufgebracht und in mein Lager getrieben. Und die Söhne der AURORA unvorsichtig gemacht. Ich habe nun eine echte Chance, den ganzen Laden endlich in den Griff zu kriegen. Wenn du dich erinnerst, du warst es, die mir diesen miesen Posten aufgehalst hat.“
Sakura lächelte schief. „Schon gut, Doitsu-chan. Schon gut.“ Sie atmete sichtbar aus. „Für den Moment reicht es mir vollkommen, dass Akira noch lebt und dass es den anderen gut geht. Aber was ist das für ein Sperrriegel, von dem Ihr sprecht?“
Kei legte die Stirn in Falten. „Kannst du dir das nicht denken? Akira hat in zwei Stunden das perfekte Zeitfenster, um Jomma zu verlassen, wenn auf Lorania die wichtigsten militärischen Standorte auf der anderen Seite der Welt sind. Er wird dann ausbrechen. Und wir kommen ihm so weit wie möglich entgegen. Nein, es wird kein Kampfeinsatz. Nicht, wenn wir es verhindern können.“
Sakura nickte ernst. „Gebt mir bitte mal das Fleisch.“
„Was? Wir erörtern hier unseren Plan und du denkst ans Essen?“
„Dafür sitzen wir doch hier am Tisch, oder? Außerdem sollte ich mich stärken, denn nach dem Essen geht es zurück nach Poseidon. Irgendjemand muß eure Operation ja überwachen, oder?“
„Das war es dann mit dem erhofften Schlaf. Ich komme natürlich mit, Sakura. Ohne den Chef des Stabes kann da schnell was Verrücktes passieren. Immerhin reden wir hier von Akira.“
„Stimmt auch wieder“, brummte Doitsu, unterdrückte ein Schmunzeln und widmete sich seinem Essen.
In diesem Moment klingelte es und Akari, die gerade mit Michi die letzten Speisen herein gebracht hatte, nickte und eilte zur Tür.
Kurz darauf kam sie zurück. „Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir die beiden Briareos-Offiziere Major Kurosz und Captain Daynes.“
Neben ihr erschienen der Amerikaner und der Kroate in der Tür. Beide hielten ihre Uniformmützen wie Rettungsringe umklammert, während sie höflich einen guten Abend wünschten. Dann sahen sie verlegen Sakura an. „Admiral. Es gibt da etwas, was wir Ihnen dringend sagen müssen…“
**
Ich beendete gerade meine vierzig Liegestütze auf Fäusten, mit denen ich mir bewiesen hatte, dass ich wieder im Besitz all meiner Fähigkeiten war, als Yamagata herein kam. „Wir haben ein Riesenproblem“, sagte sie anstelle einer Begrüßung, während sie mir einen Packen Kleidung zuwarf.
Ich entfaltete die Sachen. Eine militärische Uniform. Leutnantsabzeichen der Naguad. Da wurden ja richtig Erinnerungen wach. „Welche?“
„Die Naguad erwarten noch heute ihren wichtigen Repräsentanten aus dem Zentralsystem. Bevor der da ist, müssen wir fort sein.“
„Verstehe. Kitsune-chan?“
Die Dämonin lugte aus einem geöffneten Schrank hervor, zwischen den Zähnen eine verschlossene Tüte mit Süßigkeiten. „Waff ifft?“
„Wir müssen los. Militärische Uniform bitte.“
Die Dämonin nickte und veränderte ihr Äußeres. Kurz darauf trug sie eine mehr als authentische Uniform des Naguad-Militärs. Ich fand ja sie übertrieb etwas mit den Abzeichen. Major war doch ein wenig auffällig, aber ein Hurra für ihre Fähigkeiten, sich zu verwandeln und ihre Bekleidung willentlich zu verändern.
Ich nickte zufrieden und begann die Uniform anzulegen.
„Wenn wir hier rauskommen“, sagte ich und riss damit das Kommando an mich, „bring mich bitte zuerst zu Yoshi und Yellow, Ai-chan. Wenn wir unsere Kräfte vereinigen, haben wir größere Schlagkraft. Aber der Überraschungseffekt geht verloren wenn die Naguad merken, dass die zwei nicht mehr in ihren Räumen sind. Danach muß es sehr schnell gehen. Zuerst holen wir Aria. Danach müssen wir sofort zu Lady Death weiter.“
Yamagata nickte. „Ich kenne den Aufenthaltsort von Colonel Ino.“
„Ai-chan“, sagte ich und betonte jede einzelne Silbe, „ich spreche nicht von Colonel Ino. Ich spreche von ihrem Mecha. Den will ich haben, nicht diese Fälschung.“
Unsicher sah Yamagata mich an. „Bist du dir sicher, dass sie eine Fälschung ist, Akira-sama? Ich meine, wenn du Unrecht hast und sie hier zurücklässt…“
Unwillkürlich krampften meine Hände zusammen. Dann lächelte ich. „Ich bin mir sicher, Ai-chan. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass diese Megumi eine Fälschung ist.“
„Richtig so, Akira-chan“, sagte Kitsune, klopfte mir burschikos auf den Rücken und strahlte mich an. „Kurzfristig hatte ich ja meine Bedenken, ob du wirklich Augen im Kopf hast, aber jetzt…“
„Wer fällt schon auf so was rein?“, brummte ich amüsiert, bestärkt durch Kitsunes Worte.
„Hä?“, machte sie verständnislos. „Wie? Ach… Ah, genau, Akira-chan. Ja, die Fälschung war zu offensichtlich. Perfekt, zugegeben. Aber offensichtlich.“
Ich schloss den Kragen der Uniform und setzte die Dienstmütze auf. „Wenn wir in dem Punkt einer Meinung sind, dann lasst uns losgehen. Unser Zeitfenster beginnt in vierzig Minuten. Dann will ich in Prime sitzen.“
**
Mit der Schirmmütze tief in die Augen gezogen – in diesem Fall doppeldeutig, da ich mein rechtes Auge mit der weißen Iris zusätzlich verbergen musste – ging ich den beiden Frauen durch die Korridore der Axixo-Basis hinterher. Es war schon seltsam. Tagelang hatte ich nicht mehr an mein verstümmeltes Auge gedacht, mit dem ich nur dunkel und hell unterscheiden konnte, seit mich diese Verrückte… Nein, so durfte ich nicht denken. Seit mich diese von Trauer überwältigte Frau mit Säure angegriffen hatte.
Unwillkürlich zuckte meine Hand zum Auge hoch, um jene Stellen zu betasten, die vor knapp zwei Jahren noch von einer schweren Verätzung gezeichnet gewesen waren. Doch Kronosiertechnologie hatte mich davor bewahrt, mit diesem Markenzeichen durchs Leben gehen zu müssen. Manchmal dachte ich an den Arzt, der mich behandelt hatte und mich ernsthaft gefragt hatte, ob ich ein mechanisches Auge in Betracht ziehen würde, dass meine Sehfähigkeit wieder herstellen konnte. Ich hatte mich gut daran gewöhnt, lediglich mit links zu sehen, aber ab und an dachte ich daran, dieses Angebot nachträglich anzunehmen.
„Wir sind da“, hauchte Yamagata, als wir in einen neuen Korridor einbogen. „Die zweite Tür, die mit den Wachen. Wie wollen wir sie am besten ausschalten?“
Kommentarlos drängte ich mich zwischen den beiden Frauen hindurch, sprintete ansatzlos und lief auf die beiden Wachen zu. Mein Verhalten war auffällig. Genauer gesagt hätte ich mich sehr schwer gewundert, wenn sie nicht alarmiert ihre Waffen hoch gerissen hätten.
Doch da hatte ich meinen Schwerpunkt bereits verändert, sprang die nächste Wand an, von der ich mich kraftvoll abstieß und erreichte die ungläubig drein blickenden Wachen, bevor sie ihre Waffen auf mich ausrichten konnten. Bevor sie wirklich wussten was ihnen geschah, hatte ich sie erreicht. Ich schickte den ersten zu Boden, holte mit der Faust aus und spürte die Waffe des zweiten am Hinterkopf. „Das reicht jetzt aber!“, hörte ich ihn schimpfen.
Dies ließ mich kalt grinsen. Als hinter mir ein unterdrücktes Seufzen erklang, schlug ich zu und schickte meinen Gegenüber mit einem Knock out auf die sprichwörtlichen Bretter.
Ich wandte mich um, musterte Kitsune, in deren Griff der zweite Posten hing, bewusstlos. Hatte sie also schneller reagiert als Yamagata.
„Los jetzt“, raunte ich, durchsuchte meinen Posten nach einem Schlüssel, fand ihn und öffnete die Tür. Danach zog ich ihn hinter mir her in den Raum. Kitsune machte sich nicht so viele Mühe und zog ihren Wächter lässig mit zwei Fingern hinter sich her.
Yamagata kam als Letzte herein, schloss die Tür und nahm dann die Waffen der Wachen an sich.
Yoshi empfing mich mit krauser Stirn. „Du kommst spät, Kerl.“
„Entschuldige bitte, dass ich beinahe gestorben bin. Können wir? Ich glaube nicht, dass der Mann hinter den Kameras und Mikros lange zögern wird, nachdem wir drei hier eingedrungen sind.“
„Ach das“, murmelte Yoshi und grinste. „Yellow und ich zerstören die Kameras und Mikrofone im Stundentakt. Und sie schicken im Stundentakt jemanden, der sie neu versteckt. Das letzte Mal haben wir sie vor… Warte, fünf Minuten vernichtet. Normalerweise brauchen sie eine halbe Stunde. Bei ihnen zieht mit der Routine eben der Schlendrian ein.“
Ich klopfte dem Freund anerkennend auf die Schulter. „Das ist eine sehr gute Taktik.“
„Sind leider nicht meine Lorbeeren. Die verdient mein Partner“, antwortete er bedauernd und deutete zur Slayerin.
Ich sah zu Yellow herüber, die mich mit einem merkwürdigen Blick musterte. Einem sehr merkwürdigen Blick, der… Nun ja.
Ich warf Yoshi einen Packen mit einer Uniform zu. „Ist hoffentlich deine Größe.“
„Brauch ich nicht“, wehrte Yoshi grinsend ab. „Yellow und ich hatten viel Zeit zum spielen. Da hat sie mir gezeigt, wie man eine KI-Rüstung erzeugt.“
Es gab einen grellen Lichtblitz und Yoshi trug eine Naguad-Uniform. „Ist noch nicht ganz perfekt, die Verwandlung kostet mehr Kraft als die Rüstung zu erhalten. Und diesen dämlichen Blitz muß ich noch irgendwie abstellen. Aber sieht doch gut aus, oder?“
„Verdammt gut!“, brummte ich zufrieden. Mist, jetzt musste ich den Kram mit den KI-Rüstungen auch noch lernen.
„Also, das ist der Plan. Wir sind hier auf der Personalebene. Rund um uns sind Suiten höherer Offiziere. Seht das also als Ehre an, dass man euch zwei hier einquartiert hat“, begann Yamagata ihren Bericht.
„Na, danke“, brummte Yellow amüsiert. „Eingesperrt ist eingesperrt.“
Die Japanerin erwiderte die Worte mit einem Lächeln. „Wie dem auch sei. Aria Segeste wird jedenfalls hier festgehalten, eine Ebene unter uns, in den Quartieren der Junioroffiziere. Man hat augenscheinlich nicht gewagt, sie in den hiesigen Knast zu werfen. Das hätte vielleicht einen Aufstand ihrer Einheit verursacht, die ihren Prozess bereits mit Unmut verfolgt hat. Danach müssen wir nur gut zweihundert Meter durch ein Gangsystem zu den Hangars für die Banges. Eure Mechas stehen noch immer dort, wo Ihr sie bei der Ankunft abgestellt habt, Akira-sama, Yoshi-sama. Lady Death aber steht drei Hangars weiter. Das sind noch einmal fünfhundert Meter durch potentiell feindliches Gebiet. Aber dank Yoshi-sama und Yellow-sama haben wir ja nun mindestens eine halbe Stunde Zeit, in der wir uns frei bewegen können, bevor unsere Flucht bemerkt wird.“
Ich nickte bei diesen Worten. „Das ist mir einen Orden wert, Leute.“
„Eine Frage“, meldete sich Yellow zu Wort. „Ich vermisse bei der Geschichte den Plan, um Megumi raus zu holen.“
Ich runzelte die Stirn. „Warum sollen wir die Fälschung mitnehmen?“
„Ich… Verstehe“, murmelte sie. Dabei schenkte sie mir einen Blick, der mir durch Mark und Bein ging, allerdings nicht gerade auf eine unangenehme Weise.
Ich räusperte mich verlegen. „Kitsune-chan, Ai-chan, Ihr geht vorneweg. Yoshi und ich sichern die Flanken. Yellow, du deckst den Rücken. Front und Rücken sind unsere verletzlichsten Bereiche. Dort müssen also unsere stärksten Kräfte postiert sein. Wir nehmen Aria dann in die Mitte, wo sie am sichersten ist.“ Für einen Moment schlug ich müde die Augen nieder. „Falls sie wirklich ihre Karriere aufgeben will, ihr Leben wegwirft und zu uns auf die AURORA kommt.“
„Du meinst, ein Prozess ist ihr lieber?“, spottete Yoshi.
„Auf Naguad Prime sieht man den Fall vielleicht anders.“
„Vielleicht wird sie gar nicht bis Naguad Prime kommen“, konterte Yoshi.
Ich schluckte hart. „Ich überlege gerade. Ob sie es uns übel nimmt, wenn wir sie zwingen?“
**
Als ich in Arias Quartier eintrat, die Mütze in der Hand und reichlich nervös, während die anderen die beiden bewusstlosen Wachen herein schleiften, starrte mich Aria an wie einen exotischen Vogel. Oder was auch immer Naguad besonderes auf ihrer Welt in der Fauna hatten.
„Aria, wir…“, begann ich, nur um sie kurz darauf am Hals zu haben.
„Akira“, weinte sie und schniefte. „Akira, sie haben gesagt, du wärst tot. Sie haben gesagt, ich habe dich angelockt und jetzt wärst du tot. Sie haben…“
Langsam nur hob ich beide Hände und legte sie um die Banges-Pilotin. „Die Nachrichten von meinem Tod sind reichlich übertrieben“, zitierte ich Mark Twain.
„Wir haben nicht viel Zeit, emotionaler Zusammenbruch hin, emotionaler Zusammenbruch her“, tadelte Yoshi. „Hi, Aria.“
Sie löste sich von mir, wischte sich die Tränen aus den Augen und sah in die Runde. „Yoshi. Kitsune. Ai-chan. Ai-chan? Was machst du denn hier? Und wer ist die junge Frau neben ihr?“
„Eine ähnliche Geschichte wie die über meinen Tod, nur sehr viel länger. Wir müssen los, Aria. Nein, das war falsch formuliert. Ich biete dir hiermit Asyl auf der AURORA an. Wenn du das annimmst, dann brechen wir gemeinsam hier aus und fliegen zurück.“
In ihrem Gesicht arbeitete es. Ich konnte sie verstehen. Sie war Offizierin einer Armee, die das ihr bekannte Universum beherrschte. Sie hatte hart für den Job gearbeitet und sich ehrlich hochgedient. Bis auf diese irrsinnige Anklage war ihre Akte tadellos und die Chancen standen nicht wirklich schlecht, dass die Anklage gegen sie fallen gelassen wurde, wenn sie es zurück nach Naguad Prime schaffte. Wenn sie wirklich Vertrauen in ihre Fähigkeiten hatte, dann wäre ich nicht erstaunt gewesen, wenn sie es riskiert hätte.
Aria wandte sich um, ging in das an ihr Zimmer angeschlossene Bad. Kurz darauf kam sie zurück, in der Hand eine kleine Tasche, die sie mit einigen persönlichen Dingen füllte. „Wir können“, sagte sie schlicht.
„Hast du dir das auch gut überlegt?“, hakte ich nach. „Wirklich gut überlegt?“
„Es gibt da diesen wirklich niedlichen Offizier bei Kottos, der schuldet mir noch ein Abendessen. Ist das nicht Grund genug?“
In diesen wenigen Worten hatte soviel gelegen. Vor allem Erleichterung. „Das reicht, Aria.“
Ich nickte den anderen zu. „Wie besprochen, los jetzt.“
„Fünfundzwanzig Minuten“, bemerkte Yamagata, bevor sie die Tür zum Gang öffnete.
Die Flucht durch die Gänge lief ab wie im Lehrbuch. Wir gingen nicht als geschlossene Gruppe, sondern örtlich versetzt und dazu in verschiedenen Geschwindigkeiten. Was dazu führte, dass die schnelleren öfters einmal stoppten, um ein Schwätzchen zu halten, damit die Langsamen aufholen konnten.
Ich warf Yoshi, der mich wieder einmal überholte, einen schrägen Blick zu, als mich der Gedanke erfasste, dass dieses betont irreguläre Verhalten auch auffällig sein konnte, drängte ihn aber beiseite.
Dann erreichten wir den Hangar, in dem Lady Death stand. Nachdem wir uns überzeugt hatten, dass das Büro des Hangarmeisters nicht besetzt war und uns keine Kompanie Infanteristen erwartete, betraten wir die riesige Halle mit angeschlossener Schleuse.
Ich sah den zwölf Meter hohen Hawk hoch und konnte einen Schauer nicht unterdrücken. Als ich meine Hand auf das kalte Metall legte, glaubte ich für einen Moment, Megumis ungebändigte Energie spüren zu können. Die Naguad hatten den Mecha wieder zusammen geflickt, mit Teilen der Banges. Ich war sehr gespannt darauf, ob der Sensorkopf des Banges besser war als der, den ich in meinem Zimmer als Andenken an Megumi aufbewahrte. Ganz zu schweigen von anderen Umbauten, welche die Ingenieure und Techniker vorgenommen hatten.
„Lady Death?“
„Sir. Lady Death ist voll funktionsfähig.“
Ein Schmunzeln glitt über mein Gesicht. „Das ist gut, Lady Death. Wir kehren zurück. Gibt es Blockaden in deiner Programmierung, die das verhindern?“
„Nein, Commander Otomo. Ich habe, nachdem Sie in den Hangar eingedrungen sind, mit der Löschung der Naguad-Programmierung begonnen und die ursprünglichen Programme wiederhergestellt. Dieser Vorgang wurde vor zwanzig Sekunden abgeschlossen.“
„Das sind doch gute Nachrichten. Aria, sie gehört dir.“
Die Majorin sah mich erstaunt an.
„Nur zu. Sie ist ja immer noch auf dich geeicht, oder? Und wie soll ich sie sonst nach Hause kriegen? Auf Primes Schultern? Im Cockpit sind Helm und Druckanzug.“
„Alles klar, Akira!“, rief sie aufgeregt, lief an mir vorbei und kletterte am Mecha hoch, um das auffahrende Cockpit zu erreichen.
Ich schmunzelte bei diesem Anblick. Und ich freute mich darüber. Aria kam nach Hause. Das war im Moment das Wichtigste.
„Ich wusste, ich würde euch hier treffen“, erklang eine Stimme hinter mir, die mir seltsam vertraut vorkam. Ich wirbelte herum und musste ebenso entsetzt aufkeuchen wie Yoshi. Megumi!
Epilog:
Da Kanto-System war keinesfalls ein statisches Gebilde, das lediglich aus Positionen bestand, an denen Miliz der Anelph und Militär der Naguad postiert war. Es gab Dutzende Kolonien, Stationen, Patrouiellenschiffe, Satelliten und militärische sowie kommerzielle Stationen, welche sich in über dreihundert Jahren interplanetarer Raumfahrt entwickelt hatten. Zwischen ihnen herrschte ein reges Kommen und Gehen.
Zudem gab es einen ebenso regen interstellaren Handel, der hauptsächlich von freien Unternehmern mit eigenen Schiffen abgewickelt wurde. Diese Schiffe landeten auf einer der atmosphärelosen Welten Loccose, Lotorion oder Lohoris an, der sechsten, der siebten und der achten Welt des Systems, je nachdem welcher Planet ihrem Eintrittspunkt vom Systemrand am nächsten stand. Diese Methode reduzierte den langwierigen Raumflug ins eigentliche Systeminnere beträchtlich. Und Zeit bedeutete auch bei diesen Händlern Geld.
Für Henry William Taylor, seines Zeichens Legat und Träger der Gift, war es kein Problem gewesen, erst den Mond Jomma in Richtung planetarer Hauptstadt Demiral zu verlassen und vom dortigen Raumhafen einen Platz auf einem interplanetaren Frachter zu bekommen, der nach Loccose aufbrach, jener Welt, die gerade am günstigsten für den Handel mit Naguad Prime lag. Es würde vier Tage dauern, bis sie den Planeten erreichten. Dann noch einmal drei, vier Tage, bis ein Frachter in Richtung Zentrum des Reiches aufbrechen würde, dazu eine Woche Flug während des Sprungs. Vom Flug im Heimatsystem des Imperiums gar nicht erst zu reden. Aber letztendlich rechnete Henry nicht mit mehr als einem Monat Flugzeit, bevor er auf Naguad Prime landen konnte. Bis dahin hatte er sehr viel Zeit, um das Imperium zu studieren und seine Pläne zu schmieden.
Nachdenklich sah er von seinem Datapad auf, als die Sonne Kanto über den planetaren Bogen von Lorania stieg und ein Helligkeitsdämpfer über das Außenluk gelegt wurde. Vor ihm, ungefähr einhundert Kilometer entfernt, zog die AURORA ihre Bahn.
„Viel Glück euch allen“, flüsterte er und widmete sich wieder seiner Lektüre.
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode fünfzehn
Prolog:
Torum Acati beobachtete die Darstellung des Sonnensystem Kanto sehr genau. Um exakt zu sein verfolgte sein Geist die Gravitationslinien im komplexen Gebilde verschieden starker Gravitationsquellen, deren Strömungen er gerade benutzte, um die KON, eine Fregatte der DEPAR-Klasse weit über die eigentlichen Fähigkeiten dieses Schiffes hinaus abzubremsen.
Er wusste, er spürte, dass er keine Zeit verlieren durfte. Je schneller er auf Lorania ankam, desto besser für seine Mission. Desto besser für das Reich, dessem Schutz er sich seit dreihundert Jahren verschrieben hatte. Deshalb hatte der Begam der Sonderklasse, Gesandter des Rates, selbst Hand angelegt, gewissermaßen, und die KON stärker beschleunigt als dies normalerweise möglich war. Und nun war er dabei, sie stärker und schneller zu verzögern, um in einen bequemen Anflugwinkel einschwenken zu können.
Die Daten, welche ihm die Großmeisterin hatte zukommen lassen konfus zu nennen wäre eine Würdigung der kleinen Memoranden, Notizen und aufgezeichneten Gedanken gewesen.
Doch der Begam kannte die alte Frau zu lange und zu gut, um nicht genau zu wissen, dass seine überstürzte Anreise nach Kanto extrem wichtig war. Auch nur auf den vagen Verdacht hin, dass es jemanden an Bord des Riesenschiffs AURORA gab, der eine externe Überwachung über stellare Entfernungen unterbinden konnte – er musste dieser Ungeheuerlichkeit nachgehen.
Und wenn es dieses Wesen gab, dann musste er es entweder anwerben oder töten.
Abgesehen davon, dass das Gigantschiff dieses System nie wieder verlassen durfte. Nie wieder. Denn die Autorität des Reiches stand und fiel mit der Macht, die es hatte. Falls im Reich bekannt wurde, dass Widerstand nicht sinnlos war… Falls an allen Ecken und Ende Aufstände losbrachen, der interstellare Handel zum erliegen kam, die Flotten in schwere Kämpfe verwickelt wurden, das blanke Chaos ausbrach, ja Krieg sogar zwischen den Brudervölkern… Es war nicht auszudenken. Milliardenfacher Tod. Er war nicht bereit, das hinzunehmen. Also musste das Wesen mit dem Auge sterben.
1.
Ich wirbelte herum. Im Eingang stand Megumi Uno. Oder vielmehr ihre bemerkenswert gut gemachte Kopie. Sie trug noch immer die Krücke, die sie noch zum gehen brauchte und stützte sich schwer auf sie.
Mit Schwermut sah sie mich an. „Du willst mich also wirklich zurücklassen? Du willst nicht versuchen, mich mitzunehmen?“
Ich schluckte hart, verkrampfte meine Hände zu Fäusten. Ihr Götter, warum diese harte Prüfung? Warum diese pochenden Zweifel?
Ich atmete tief ein und wieder aus. „Ja“, sagte ich schlicht.
„Aber warum? Warum, Akira?“
Hätte ich in diesem Moment die Kraft gehabt, mich zu bewegen, ich wäre auf die Knie gesunken. Doch so stand ich nur steif und gerade da und sah in ihre Richtung. „Weil du eine Kopie bist. Eine bemerkenswert gut gemachte Kopie. Aber nicht das Original. Nicht meine Megumi.“
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, als Yellow neben mich trat. Sie sah mich an mit einem Blick, den ich nicht zu deuten vermochte. Aber ich spürte, dass unter dem Schutz, der verhinderte, dass man sich ihr Gesicht merken konnte, tiefe Emotionen in ihr wüteten.
Yoshi sah zu uns herüber. „Soll ich sie ausschalten? Bevor sie Alarm gibt, meine ich.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, lass es. Wir sind in den Hangars. Von hier sind es nur ein paar Schritte bis zu unseren Mechas. Sie kann absolut nichts mehr tun, um uns aufzuhalten.“
Ich sah die Frauen neben mir an. „Gehen wir, Yellow, Ai-chan. Aria, mach dich startklar.“
Die Naguad nickte und ließ das Cockpit zufahren.
Hinter mir hörte ich die Krücke zu Boden fallen. Darauf erfolgte ein Laut, als stürze ein Bund Stoff zu Boden. Ich hörte kein Schluchzen, aber das hätte nicht zu Megumi gepasst. Sie weinte nie offen, sehr selten und dann auch nur kurz.
Und obwohl ich wusste, dass sie nur vorgab, Megumi zu sein, drehte ich mich wieder um. Yoshi und Kitsune öffneten derweil das Schott zum Nachbarhangar, in dem unsere Mechas standen.
„Das war es dann wohl“, murmelte sie und sah blicklos zu Boden. „Du lässt mich hier. Ich bin dir egal. Ist es Aria? Nimmt sie meinen Platz ein? Sag etwas, Akira. Erklär es mir wenigstens.“
Ich spürte wie mein Herz zu schmerzen begann. Diese Megumi schien so echt zu sein, die Stimme so gut moduliert. Und ihre Worte schnitten in mein Fleisch.
Yellow schob mich beiseite und ging ein paar Schritte zurück. „Jetzt hör mal zu, Mädchen. Mag ja sein, dass du eine Menge Zeit investiert hast, um Megumi Uno zu werden. Und Respekt, du bist eine ziemlich gute Kopie. Aber Aki-chan kann gar nicht auf dich reinfallen!“
Erstaunt sah die Frau, die Megumi perfekt imitierte, auf. „Was redest du da? Ich bin doch…“
Wütend sah Yellow von der falschen Megumi zu mir und wieder zurück. Dann gab es einen Lichtblitz, als sie ihre KI-Rüstung aufgab. „MANN! Weil ICH Megumi Uno bin!“
Ich fühlte, wie meine Knie diesmal nachgaben. Ich krachte mit ihnen auf den Boden, fassungslos und entsetzt, erleichtert und verstört. Megumi. Meine Megumi. Sie war Yellow Slayer? Aber…
Entsetzt sah sie mich an. „D-du hast es nicht gewusst?“
„Das würde mich jetzt auch interessieren“, kam es von Yoshi. „Ich dachte bisher, Akira wäre so sicher, dass das da eine Kopie ist, weil er ebenso wie ich deine Aura gespürt hat, als du dich in die UEMF-Uniform gehüllt hast, Megumi-chan.“
„Mal ganz abgesehen von der Uniform, dem Rang auf der Uniform und den vielen Auszeichnungen, die du tatsächlich erhalten hast“, kommentierte Kitsune. „Offensichtlicher ging es doch gar nicht mehr.“
„Ehrlich gesagt“, sagte Yamagata und streute damit noch Salz in die Wunde, „habe ich mir das schon gedacht, seit Yellow verhindert hat, dass die falsche Megumi deinem vermeintlich toten Körper anfasst, Akira-sama.“
„Ihr habt leicht reden!“, blaffte ich. „Hinterher kann man so was immer leicht sagen!“
„Aber… Aber dann war Yellow Slayer für dich ja… Eine Fremde?“, stammelte Megumi – meine Megumi.
„E-es tut mir leid, aber ich habe es nicht erkannt und…“
„Du hast sie geküsst!“, warf sie mir vor.
„Hey! Ich habe dich geküsst!“
„Ja, aber du hast gedacht, ich wäre eine andere Frau!“
Unwillkürlich richtete ich mich auf, lüftete meinen Kragen. „Ich dachte, du wärst tot, Megumi.“
„Ach. Und dann nutzt du die Gelegenheit, um sofort mit einer anderen rum zumachen, hm?“
Sie verschränkte die Arme ineinander und wandte sich von mir ab. „Hm. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen und bei den Naguad anheuern. Die vergessen einen anscheinend nicht so schnell.“
Megumi, hämmerte es in meinem Kopf. Megumi!
„Falls du dich dran erinnerst, du warst es, die immer mich geküsst hat. Die sich mir aufgedrängt hat.“
„Ja, weil ich dachte, dass du mich erkannt hast“, konterte sie, aber es klang schwach.
„Auch als du mich nach dem Attentat im Gang geküsst hast?“
Unsicher warf sie einen schüchternen Blick über ihre Schulter. „Ich…“
Ich trat langsam auf sie zu, schloss sie von hinten in die Arme.
„Das nützt dir jetzt auch nichts, Akira! Ich bin sauer!“, fauchte sie.
Doch ich hörte ihre Worte kaum. Stattdessen stand ich da, genoss ihre Wärme und atmete mit jedem Atemzug ihren herrlichen Duft ein.
„D-das nützt dir überhaupt nichts, Akira“, hauchte sie, während ich mit meiner Wange durch ihren Schopf fuhr und den Duft ihres Haares genoss. Tränen rangen mir die Wangen hinab. „Megumi…“
Unwillkürlich hielt ich sie fester, drückte sie stärker an mich. Zweimal bereits hatte ich geglaubt sie verloren zu haben. Ein drittes Mal würde mir das nicht passieren. Und wenn dies hier ein Traum war, dann wollte ich nie wieder aufwachen.
„Ich lass dich nie wieder los“, murmelte ich ihr ins Ohr. „Ich lass dich nie wieder gehen.“
„Ach kommt, Leute, gebt mir ne Pause“, beschwerte sich Yoshi. „Wiedersehen könnt Ihr auch auf der AURORA feiern.“
„Psst“, machte Kitsune. „Der gute Teil beginnt doch gerade erst.“
„Wo warst du? Ich habe dich gebraucht, so sehr gebraucht. Jeder Tag ohne dich war so kalt, so leer.“
Ich spürte, wie ihre Anspannung verschwand. Sie ließ die Arme sinken, ihr Kinn folgte. Dann wandte sie sich in meiner Umarmung um und klammerte sich an meine Brust. Leise begann sie zu schluchzen. „Oh, Akira. Ich war so dumm. Ich war so… Ich weiß es nicht. Aber nachdem mich diese riesige Kanone beinahe getötet hatte, da trieb ich in meiner KI-Rüstung bewusstlos durch das All. Nur durch Zufall habe ich den Weg in die AURORA nicht verloren. Ich… ich weiß nicht was ich dachte. Aber anstatt zu dir und der Familie zurückzukehren, ging ich zu Freunden. Und Tage danach, als es mir besser ging, da… Da erschien es mir logisch, sinnvoll, wenn die Welt glaubte, dass ich tot war. Wenn ich als Yellow Slayer, wenn ich als Trumpf eingreifen konnte.“
Ich hielt sie noch ein wenig fester.
„Es tut mir leid, Akira. Es tut mir leid. Wenn du nicht gewusst hast, wer Yellow Slayer ist, dann habe ich dir furchtbares angetan.“
„Du bist hier. Ich spüre deine Wärme, deinen Körper, deinen Atem. Ich fühle deine Liebe. Alles andere ist egal. Mehr will ich nicht.“
Sie sah hoch, direkt in meine Augen. Ihr Tränenverschleierter Blick schien von innen heraus zu leuchten. „Akira“, hauchte sie.
Langsam erhob sie sich auf ihre Zehenspitzen. Ebenso langsam senkte ich mein Gesicht herab. „Megumi…“
„Ich gebe zu, Lieutenant, das wir Ihnen eine unmögliche Aufgabe gestellt haben“, erklang eine fremde Stimme vom Eingang her.
Ich sah auf, spürte meine Lippen über die von Megumi streifen, bevor wir uns wirklich küssen konnten – und fühlte die Gefahr, die von den drei Männern ausging, die gerade den Hangar betraten.
Der Ältere warf der Megumi-Kopie einen bedauernden Blick zu. „Es konnte ja niemand damit rechnen, dass Colonel Uno nicht von einem Strahltreffer vaporisiert wurde, sondern die Fähigkeit erworben hat, eine KI-Rüstung zu erzeugen.“
Die Megumi-Kopie erhob sich mit der Hilfe des Mannes, sah mit einem undefinierbaren Blick zu uns herüber. „Die Schmerzen waren nicht ganz umsonst. Nicht völlig.“
„Schmerzen?“ Der Mann runzelte die Stirn. „Schmerzen nennen Sie das? Vorsätzliche Verbrennung von sechzig Prozent der Haut, nachgestellte Abrisse vom linken Bein unterhalb des Knies und des linken Arms auf Schulterhöhe, Schädelbasisbruch, Rippenbrüche, Gehirnerschütterung und…“
Entgeistert starrte ich die Megumi-Kopie an. „Du hast was?“
„Als wir den Plan entwickelt haben, da klang es alles eigentlich noch recht logisch. Und es waren die Verletzungen, die unsere Computer bei Colonel Uno errechnet haben, wenn sie überlebt hätte. Ich meine, wenn sie in ihrem Cockpit geblieben wäre. Es sollte alles möglichst authentisch sein.“ Sie lächelte matt. „Außerdem waren die Studien, um wirklich Megumi zu werden und die Beschwerden während des Heilungsprozess wesentlich schwerer zu ertragen.“
Ich wechselte einen schnellen Blick mit meiner Megumi.
„Die sind doch total durchgeknallt“, stellte sie fest und ich nickte dazu. Einen Naguad vorsätzlich zu verstümmeln, nur damit die Kopie so realistisch wie möglich war, das war… Das war ein Zeichen von großem Opfermut, Wagemut und Risikobereitschaft.
„Kann ich dich vielleicht anwerben? Ein Offizier wie du, der solche Probleme auf sich nimmt, würde super in unser Team passen“, sagte ich zur Kopie.
„Was?“ Mit aufgerissenen Augen starrte sie mich an.
„Na, na, Commander, nun werben Sie hier meine Leute nicht ab.“ Der groß gewachsene Naguad bedachte seine Offizierin mit einem amüsierten Blick. „Vor allem nicht, wenn es sich um meine Elitesoldaten handelt.“
„Ai-chan“, knurrte Yoshi vom Eingang her, „geh vor und bereite unseren Abflug vor. Die drei da schaffst du nicht.“
„Ist gut, Yoshi-sama.“
„Wer sind Sie überhaupt?“, knurrte ich und drückte Megumi etwas fester an mich. Sicher war sicher. Die Prognose von Yoshi, der erwiesenermaßen besser darin war, sein KI zu nutzen, machte die Sache nicht gerade einfacher. Im Gegenteil.
Dann sah ich auf, schien den großen Mann zum ersten Mal zu sehen.
Ich zwinkerte mit den Augen, wie um ein Staubkorn daraus zu vertreiben und sah erneut hin.
Diesmal rieb ich mir mit der Rechten in beiden Augen.
Aber der Anblick, der mich so maßlos in Erstaunen versetzt hatte, veränderte sich nicht. Der Vordere der drei Männer lächelte mich gewinnend an. „Vielleicht wundern Sie sich, wo die Soldaten der Fünften Banges-Division sind, die hier eigentlich Ihre Mechas bewachen. Nun, ich habe sie in ihre Quartiere befohlen, damit wir hier ungestört sind. Aber verzeihen Sie mir, ich bin unhöflich. Mein Name ist Maros Jorr, Kapitän Maros Jorr. Ich kommandiere den Zerstörer AGRINA, das Schiff, das Ihrer AURORA bei dessen Ankunft knapp entkommen konnte. Ich bin, wie Sie oder zumindest die Dämonenkönigin in Ihrer Begleitung mittlerweile festgestellt hat, das was Sie einen KI-Meister nennen.“
Er deutete auf seinen linken Begleiter. „Genauso wie meine beiden Offiziere hier. Ched Noran, Lieutenant, und Vardan Kors, Commander. Zusammen mit der jungen Dame hier bilden wir das Rückgrat des Spezialschiffs AGRINA, auf dem KI-Meister zusammengefasst werden und an Brennpunkten im Imperium eingreift. Interessant, nicht?“ Das Lächeln des Mannes verschwand. „Hören Sie mir überhaupt zu, Division Commander?“
„Was?“, machte ich. „Ja, ja, ich höre Ihnen ja zu. Aber können Sie mir bitte eines erklären, Kapitän Jorr.“
Der Mann nickte zustimmend. Eine sehr menschliche Geste.
„Warum sehen Sie so aus wie ich?“
2.
„Komm endlich, Akira, komm endlich!“, fluchte Kei Takahara unbeherrscht und erntete verwunderte Blicke von den Offizieren und Mannschaften in der Zentrale der SUNDER. Selbst Ban Shee Ryon warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
Die SUNDER und mehrere Begleitschiffe aller Klassen befanden sich in der Schwerkraftsenke zwischen Jomma und Lorania, also jenem Punkt, an denen sich beide Schwerkraftfelder gegenseitig aufhoben. Dieser Punkt wurde Lagrange-Punkt genannt. Und mit Lagrange-Punkten hatte die Crew der AURORA ja mittlerweile so ihre Erfahrungen. Andea Twin war ein wirklich verrücktes Beispiel in diesem Zusammenhang. Eigentlich hatten sie damals kosmischer Geschichte beigewohnt, was jeden einzelnen an Bord zu etwas sehr besonderem machte. Solch ein Ereignis mitzuerleben, ja es dann auch noch zu überleben hatte in etwa die gleiche Wahrscheinlichkeit wie ein Schwarzes Loch unbeschadet durchfliegen zu können und…
„Kei. Hörst du mir zu?“, klagte Ban Shee.
Verwirrt sah der Kommodore auf. Kommodore in seinem Alter. Das war im Prinzip ein ebensolches Wunder. Fast einundzwanzig, und er kommandierte das kampfstärkste Schiff der Flotte. Ja, er hatte sogar das Recht, das Kommando über sie zu übernehmen, wenn Richards ausfiel. „Was ist denn, Kapitän?“
„Ich habe dir gerade gesagt, dass du dich mal ne Stunde hinlegen sollst. Wir kommen hier schon klar und sobald ich Akira und die anderen in der Ortung habe, lasse ich dich sofort wecken.“
„Das ist nett von dir, Ban Shee“, erwiderte Kei verlegen und streckte sich etwas, um die verspannten Muskeln zu bewegen. Eine Schmerzwelle war die Folge. Verdammt, er sollte vielleicht doch Doitsus Angebot annehmen und ein wenig über KI und Selbstheilung lernen. „Aber ich kann jetzt sowieso nicht schlafen. Ich kann mich nicht ausruhen. Die nächsten Tage werde ich noch weniger zum schlafen kommen. Und sobald diese Fregatte eingetroffen ist, wird hier erst Recht der Teufel los sein.“
„Du meinst die KON“, meldete sich eine dritte Stimme zu Wort. „Die lass mal unsere Sorge sein.“
Kei drehte seinen Sessel in Richtung des Eingangs. Zwei groß gewachsene, breitschultrige Männer kamen auf ihn zu. Beide trugen die Druckanzüge der Mecha-Piloten, das Abzeichen der Hekatoncheiren auf den Anzügen und Majorsabzeichen auf der Brust.
„Kenji, Takashi, hallo“, begrüßte er die beiden Offiziere der Hekatoncheiren, die mit ihren Einheiten an Bord waren, um den Rückweg von Akira zu decken.
Kenji und er waren alte Freunde, uralte Freunde, schon seit den Zeiten der Mittelschule. Und nach der Oberstufe, der Zeit in ihrer kleinen Schlägertruppe namens Akiras Zorn, nach der Mars-Mission und den folgenden zwei Jahren war ihr Freundschaft noch viel intensiver, nachdrücklicher geworden.
Takashi Mizuhara war Schulsprecher an der Oberstufe gewesen. Er hatte ebenso wie die meisten Schüler der Fushida High an der Marsoffensive teilgenommen, damals hatte er eine Kompanie Sparrows kommandiert. Ihr Verhältnis war nicht ganz die Freundschaft, die Kei zu den anderen wie Yoshi, Doitsu oder Kenji unterhielt. Aber sie kannten und schätzten einander, was eigentlich keine schlechte Grundlage bildete. Der Riese war nach der Mars-Mission aus der UEMF ausgetreten und hatte die Erlebnisse, die Kämpfe und die Opfer auf seine Weise verdaut. Vielleicht hatte er sie verdrängt, vielleicht hatte er sich auch einfach nur vorgenommen, das nächste Mal noch besser zu sein.
Jedenfalls hatte er sich für die Troja-Mission beworben und war in die Hekatoncheiren reintegriert worden. Dort waren die Offiziere froh gewesen, derart erfahrene Verstärkung zu erhalten, in einer Zeit, in der die zahlenmäßig reduzierten Hekatoncheiren auch noch auf das dreifache aufgebläht worden waren.
Teufel, manchmal wünschte sich Kei zurück an die Oberstufe, mit Takashi als Schülersprecher, der einem Kardinal Richelieu gleich die Fäden im Hintergrund zog, mit Akira, ihm, Yoshi und Doitsu sowie Kenji auf dem Dach der Schule beim Mittagessen und in den Pausen zum verkaufen seiner wertvollen Fotosammlung.
Manchmal erschien ihm all das hier, die SUNDER, das Kommando über tausenddreihundert Mann Besatzung, die Unterordnung der erfahrenen und hoch talentierten Ban Shee Ryon so unwirklich, dass er ab und an auffuhr, sich erschrocken umsah und erst langsam begreifen musste, dass es Realität war.
„GEH INS BETT, KEI!“, brüllte ihm jemand ins Ohr. Erschrocken fuhr der kleine, schlanke Mann aus seinem Sitz hoch.
Kenji stand neben ihm und grinste ihn frech an. Bei dem eher unbeweglichen Minenspiel des Riesen etwas, was man zwischen Jahrhundertereignis und Weltwunder einordnen musste.
„Richtig. Du pennst ja schon fast ein“, bestätigte Takashi mit mattem Lächeln. „Wir sind frisch und ausgeruht. Wir passen für dich hier auf.“
„Ich kann nicht schlafen!“, begehrte Kei auf. „Ich kanns einfach nicht! Ich weiß auch, dass ich müde bin. Seit ich Akira dieses Geständnis gemacht habe, komme ich nicht mehr zum schlafen.“
Kenji zog fragend die Augenbrauen hoch. „Geständnis?“
„Es – es ist nicht so wie du denkst“, haspelte er hervor. „Aber Yoshi sagte mir, ich solle ihn aufhalten, und auf die Schnelle fiel mir nichts Besseres ein und… Warum rechtfertige ich mich überhaupt?“
Takashi lachte laut. „Keine Sorge, wir glauben nicht, dass du in Akira-kun… Nun, verknallt bist. Dazu seid Ihr schon viel zu lange Freunde. Aber langsam frage ich mich, ob Frauen dir überhaupt etwas bedeuten.“
„Das kann ich vorbehaltlos zurückgeben!“, erwiderte Kei barsch. „Wie sieht es denn mit dir aus, Sempai? Du lebst ja nicht gerade in einer glücklichen Beziehung, oder?“
Takashi Mizuhara wollte dagegen aufbegehren, senkte dann aber nur hilflos den Kopf. „Ich… Akane… Ich meine… nein. Wahrlich nicht, nein.“
Kei sah den anderen an. „Und du auch nicht gerade, Kenji, oder? Es kommen da ja auch nicht gerade viele Frauen in Frage. Oder willst du mir erzählen, dass du was mit Ami hast?“
„Ami Shirai?“, raunte Takashi. „Glaube ich nicht. Sie jammert immer noch diesem anderen Typen nach, der nie für sie Zeit zu haben scheint…“
„N-nicht mit Ami.“
„Nicht mit Ami?“ Kei sah abwechselnd von Kenji zu Takashi herüber. „Jungs, ich kommandiere das kampfstärkste Schiff dieser Flotte. Über tausend Raummatrosen und Soldaten hören auf meinen Befehl. Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Also tut mir einen Gefallen und sprecht nicht in Rätseln. Du, Sempai, stehst also auf Akane, hast es ihr aber nie gesagt. Jetzt ist sie wieder mit Mamoru zusammen und du hast deine Chance verpasst, richtig?“
Betreten, wie ein geprügelter Hund, sah der Riese zu Boden.
„Und du, Kenji, du lebst und arbeitest auf der AURORA, kommst aber eher selten zum Haus. Es ist so, als hättest du ein Leben neben der Arbeit und der Familie.“
Familie, so hieß die Lebensgemeinschaft, die sich aus den Freunden des zweiten Marsangriffs rekrutierte. Als dieser Begriff fiel, senkte Kenji schuldbewusst den Blick. „Ich… Wir hätten es vielleicht längst mal erzählen sollen. Aber so zu tun, als wäre es verboten, die ganzen kleinen Heimlichkeiten, es… Es hat Spaß gemacht.“
Kei glaubte, jemand würde ihm das Herz heraus reißen. „D-du hast doch was mit Ami?“
„Mit Ami?“, rief Kenji erschrocken. „Nein, aber nein. Doch nicht mit Ami. Ich habe eine Affäre mit Emi Sakubara!“
„Mit Emi? Der kleinen, blond gefärbten Emi, die kein Wässerchen trüben kann?“ Kei runzelte die Stirn. „Wie geht das denn? Ich meine, sie wirkt immer so… Immer so… Jedenfalls war sie für meine gefälschten Fotos damals in der Schule immer meine beste Kundin. Sie ist wohl der einzige Mensch, der alle Sätze Akira&Yoshi komplett hat.“
„Wie? Sie hat alle Sätze? Auch den limitierten?“, fragte Takashi nachdenklich. Auf den erstaunten Blick der anderen beiden erwiderte er: „Das ist rein dienstliches Interesse. Als Schülersprecher musste ich ja immer wissen, was gerade so geschieht in der Schule.“
Er grinste Kei frech an. „Und wenn dein kleiner Schwarzhandel ausgeufert wäre, dann hätte ich dir die Flügel stutzen müssen, Kleiner.“
„Wen nennst du hier Kleiner, du, du, du wandelnder Gorilla!“
„Sie ist nicht so wie ihr denkt“, sagte Kenji.
Die beiden Männer wandten sich zu dem großen Kenji um. „Was?“
„Sie ist nicht so. Ich meine, sie ist nicht schüchtern, nicht verspielt. Okay, verspielt ist sie doch. Aber sie ist kein Kind. Sie ist ein sehr erwachsener Mensch, den ich…“ Kenji schluckte hart. „Den ich schon seit der Mittelschule liebe. Ich hatte nur niemals gedacht, ich hätte jemals eine Chance bei ihr. Aber der Grad der Vertrautheit, den ich mit ihr hatte, war die Grundlage für mehr, viel mehr.“ Verlegen griff sich der Riese in den Nacken und grinste schief. Bei ihm ein mehr als seltener Anblick. „Wer weiß, wenn das mit uns beiden so weitergeht, dann heiraten wir vielleicht noch.“
Kei sackte die Kinnlade herab. Takashi räusperte sich lautstark.
„Er hat das H-Wort gesagt“, stellte der Kommodore tonlos fest.
„Dann muß es ihm sehr ernst sein. Meinst du, wir können ihn noch retten? Oder ist er schon verloren?“
„Er ist verloren und kann nie wieder zurück“, sagte Kei und sah den Freund ernst an. „Junge, du bist hoffentlich schlau genug und wartest mit deinem Antrag wenigstens bis wir alle lebend wieder die Erde erreicht haben, ja?“
„Was habt Ihr Kerle nur solche Angst vor der Ehe?“, beschwerte sich Ban Shee Ryon. „Man könnte meinen, Ihr glaubt, Ihr werdet ein Leben lang in Ketten gelegt.“
„So was in der Art ist es ja wohl auch, oder? Nicht dass ich mit Beziehungen zwischen Mann und Frau viel Erfahrungen hätte. Aber dann gibt es hier einen Kompromiss, dann dort einen Kompromiss, an der Stelle gibt er ein wenig nach, an der nächsten auch etwas und bevor er sich versieht, wird der Mann an einer Leine geführt, die kürzer und kürzer wird“, brummte Kei.
Ban Shees Rechte krallte sich schwer in Keis Uniformkragen. „Na, wenn das dein Bild von einer Frau ist, dann darf ich ja.“ Sie zog den kleineren Mann aus dem Sitz hoch und auf die Beine. „Kommodore, du gehst jetzt schlafen, bis ich dich wecken lasse. Wenn du hier zusammenbrichst hilfst du weder deinen Freunden noch unserer Mannschaft. Zu Verlässlichkeit gehört auch Einsatzbereit zu sein, und du versuchst gerade das Gegenteil zu erreichen.“
„Außerdem lachen wir dich aus, wenn du in deinem Sessel einschläfst“, kommentierte Takashi.
Ban Shee ging voran und zog ihren Vorgesetzten mühelos hinter sich her.
„Kommodore verlässt die Brücke“, kommentierte der höchste Offizier im Raum. „Nicht ganz freiwillig.“
Leises, wohlmeinendes Gelächter antwortete ihm. Dies war Keis Crew, und sie stand zu ihm. Deutlicher konnte es nicht gezeigt werden.
„Aber erzähl mal, Kenji-kohai“, hörte Kei die Stimme seines ehemaligen Schülersprechers, während Ban Shee ihn gnadenlos in Richtung seiner Bereitschaftskabine schleifte, „wie ist das jetzt genau mit Sakubara und dir?“
Kei ergab sich in sein Schicksal. Kurz spielte er mit dem Gedanken, das dies der Anfang von Disziplinlosigkeit sein würde, den Ban Shee beging und langfristig die von Anelph dominierte Mannschaft des BAKESCH beherrschte und ihn damit als Kapitän ablöste.
Aber in ihrem Blick, den sie ihm zuwarf, während sie ihn hinter sich herzog war kein Spott und auch kein stiller Triumph. Nur die Sorge um den Vorgesetzten. Den Freund.
Moment, dem Freund? Unwillkürlich lüftete Kei seinen Kragen. Schon seit einiger Zeit fragte er sich, wie es denn so sein würde wenn er und Ban Shee… Okay, sie war fast fünfzehn Jahre älter als er. Und sie war bestimmt auch keine Jungfrau mehr. Wenn er ehrlich war, dann hatten sie auch schon beinahe eine Vertrautheit erreicht, die fast einer intimen Beziehung ähnelte. Nicht, dass er etwas von intimen Beziehungen verstand, er, der Computernarr, der kleine Bilderknipser. Der Oberstreber vom Dienst.
Ban Shee öffnete die Tür zur Bereitschaftskabine, in die er sich in Fällen wie diesen auszuruhen pflegte, wenn der Weg von der Kapitänskajüte, die um einiges großzügiger in den Dimensionen war, zu lang erschien, um auf eine Notsituation angemessen zu reagieren.
Sie zog ihn bis zum Bett und setzte sich. Kei zog sie neben sich herunter.
„Es ist nicht so, dass ich das hier gerne tue, Kei, aber die Jungs haben Recht. Du musst schlafen. Du merkst doch selbst, wie übermüdet du bist.“
Sie lächelte ihn an, und das auf eine so süße Art, dass er den Altersunterschied zum Teufel wünschte. Wenn sein erstes Mal überhaupt jemals stattfinden sollte, warum dann nicht mit ihr? Warum nicht hier und jetzt? Irgendjemand hatte ihm erzählt, dass Männer danach besonders gut schlafen konnten, und er vertraute Ban Shee wie keiner zweiten. Und irgendwie bildete er sich ein, dass sie ihn auch mochte. Genug, um mit ihm zu schlafen?
Nun, sein Körper reagierte jedenfalls auf diesen Gedanken. Und in seinen Ohren rauschte das Blut.
Er sah die größere Frau an, starrte in ihre Augen. Dabei dachte er an das, was sie hier tun könnten, wenn der Raum versperrt war. An Leidenschaft, ihren weichen Körper, an süße Erschöpfung. Das Rauschen in seinen Ohren wurde ein Dröhnen, von dem er glaubte taub zu werden. Für einen Moment fragte sich Kei, ob sie seine Gedanken in seinem Gesicht ablesen konnte. Und im gleichen Atemzug fragte er sich, wie sie darauf antwortete, wenn sie es konnte.
Langsam beugte sich die Anelph vor, kam seinem Gesicht so nahe.
Altersunterschied oder nicht, Ban Shee war eine schöne Frau, ein guter Kamerad und machte im Badeanzug eine wirklich tolle Figur. Wenn nicht sie, wer dann? Wen gab es denn noch für ihn? Ami vielleicht? Oder Gina, obwohl die auf Mamoru stand? Was war mit Kitsune? Beinahe hätte er hässlich aufgelacht. Das waren doch alles Traumschlösser. Und dieser Moment mit seiner Untergebenen war ebenso ein Traumschloss, einmal ganz davon abgesehen, dass er sich niemals so tief auf sie einlassen durfte. Gequält stöhnte er auf.
Ban Shee stockte in ihrer Bewegung, dann gab sie Kei einen Kuss auf die Stirn.
Der junge Offizier fühlte sich, als hätte der Kuss alle Kraft aus ihm abgesaugt. Haltlos fiel er gegen sie, gegen ihre Brust, ihren Busen. Er erwartete eine trotzige Reaktion von ihr, aber sie umarmte ihn nur und drückte ihn fest an sich.
„Ein andernmal vielleicht, wenn du nicht drohst, jede Sekunde einzuschlafen, mein niedlicher Kei“, flüsterte sie. „Für die Praxis. Die ist nämlich wichtig.“
Er hörte ihre Worte kaum, aber er spürte die Wärme ihres Körpers. Und der Gedanke auf ihrem Busen zu ruhen machte ihn noch nervöser. Aber diese Wärme hatte auch etwas… Etwas sehr beruhigendes. Etwas zufrieden Stellendes. Etwas… Schläfriges. Er gähnte leise und kurz darauf kam der Schlaf über ihn, den er so lange vermisst hatte.
**
Takashi wusste nicht so recht, ob er fort sehen oder weitergehen sollte, geschweige denn die Tür zu schließen. Diese Szene war definitiv nicht für seine Augen bestimmt gewesen. Aber warum hatte die Anelph auch die Tür aufgelassen?
Ban Shee sah zu ihm herüber und lächelte. „Ich komme gleich“, formten ihre Lippen lautlos.
Hastig beeilte sich Takashi zu nicken.
Ban Shee löste sich von dem jungen Offizier und bettete ihn auf das Lager. Danach zog sie ihm die Bordschuhe aus und die Bordjacke. Schließlich folgte die Bettdecke. Sie wickelte ihn ein, legte Schuhe und Jacke griffbereit auf den nächst besten Stuhl und gab Kei noch einen Kuss auf die Wange, bevor sie leise den Raum verließ. Bevor sie das Licht löschte, murmelte sie leise: „Gute Nacht, mein niedlicher Kei.“
Als das Schott zugefallen war lehnte sie sich dagegen und atmete schwer aus. „Das war knapp. Zum Glück habe ich die Tür offen gelassen.“
„Was war knapp?“, fragte Kenji, der gerade hinzukam.
„Das eben war knapp. Beinahe hätte ich meine Pflicht als Erster Offizier vergessen.“
„Wieso das denn?“ Kenji runzelte die Stirn, sah zu Ban Shee Ryon und von dort zu Takashi, der merkwürdig bleich war. „Wie jetzt?“
„Er ist aber auch zu niedlich“, murmelte die Anelph sanft. „Als die UEMF mir den Bengel als Vorgesetzten vor die Nase setzte, habe ich nie wirklich dran gedacht zu protestieren. Er hat mich bereits in der ersten Sekunde um den Finger gewickelt gehabt.“ Sie seufzte leise bei dieser Erinnerung. „Als ich dann noch merkte, dass er es wirklich drauf hat, da dachte ich, wir würden mal zusammen in seiner Bereitschaftskabine enden. Beinahe wäre es heute passiert.“
„S-sind das nicht ein paar viele Informationen auf einmal?“, fragte Kenji entgeistert. Es klang aber eher so als wollte er sagen: Sicher, dass du das ausgerechnet uns verraten willst?
„Ach, es bleibt doch in der Familie, oder?“ Sie lächelte den beiden zu. Dann aber seufzte sie herzzerreißend. „Leider wird das nie was zwischen uns.“
Takashi hatte sich endlich gefangen. „Wegen dem Altersunterschied? Ich denke nicht das das ein großes Problem ist und…“
„Das ist nett dass du das sagst, Takashi“, erwiderte sie, „aber das ist nicht der Grund. Obwohl ich nichts dagegen hätte, ihm beim Sex noch einiges beizubringen, ich weiß nicht ob ich es verkraften würde, wenn er herausfindet was ich schon lange weiß.“
Takashi rieb sich mit beiden Händen die Augen und schnaufte laut. „Ich brauch ne Freundin. Ich brauche wirklich ne Freundin. Sonst bringt mich dieser Zirkus noch mal um.“
„Was soll ich da erst sagen?“, beschwerte sich Ban Shee. „Ich stecke mittendrin.“
Sie stieß sich vom Schott ab und ging wieder in Richtung Zentrale. „Kommt mit, Jungs, ich gebe einen Kaffee aus. Mann, Mann, Mann, von dem schwarzen Gesöff bin ich mittlerweile süchtig.“
Die beiden Majore wechselten einen Blick. „Kaffee klingt doch gut, oder, Kenji?“
Der nickte und kurz darauf folgten sie Kapitän Ryon zurück in die Zentrale.
3.
Wenn ich mir den Kapitän der AGRINA genauer ansah, erkannte ich durchaus Unterschiede zwischen uns. Er war größer und schlanker als ich, hatte dunkle Augen, während meine grün waren. Auch die Haarfarbe variierte. Aber die Gesichtsform… Ich war mir sicher, dass wir, wenn man uns nebeneinander stellte, wie Brüder wirken würden.
„Jetzt wo du es sagst“, murmelte Yoshi erstaunt. „War Maros Jorr vielleicht auch unter dem Messer?“
Kitsune duckte sich unwillkürlich, als Yoshi sie fragend ansah.
„Nein, nein“, sagte der Naguad und hob abwehrend einen Arm. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich schon immer so aussah. Zumindest seit ich erwachsen geworden bin. Also gut fünfzig Jahre.“
Ich schluckte trocken, als ich die Information durchkaute. Der Mann vor uns war gute siebzig Jahre alt. Aber er sah erst aus wie dreißig, bestenfalls. Doch das machte mir nicht so sehr zu schaffen wie die Tatsache, dass ein Naguad, der fünfzig Lichtjahre von der Erde geboren worden war, mir ähnlicher sah als Makoto. Wie war das möglich?
Der Mann lächelte gewinnend und machte einen Schritt vorwärts. Kitsune reagierte darauf, beschleunigte und stellte sich vor mich, lauernd, angriffsbereit.
Ched Noran reagierte darauf und stellte sich seinerseits beschützend vor seinen Vorgesetzten. Kitsune und er taxierten einander, tauschten giftige Blicke aus. „Glaub nur nicht, dass du leichtes Spiel bei mir hast, Daimon!“, blaffte er.
„Phhh. Mit Typen wie dir nehme ich es jederzeit im Dutzend auf. Arroganter KI-Meister“, fauchte sie zurück.
Maros Jorr hob beide Arme. „Friede, meine Freunde, Friede. Dies ist ein informelles Treffen, nicht der Auftakt zu einer Schlacht, bitte.“
„Wir sind keine Freunde!“, rief ich ärgerlich.
Der Kapitän ging um seinen Lieutenant herum, kam auf mich zu, die wild fauchende Kitsune ignorierend. Als er noch drei Meter vor mir stand, schloss er die Augen und legte den Kopf leicht in den Nacken. Für eine Sekunde fühlte ich mich, als wäre ich nackt. Nein, der bessere Vergleich war, als wäre ich aus Glas. Und als würde Jorr direkt in mein Innerstes sehen.
Der Naguad lächelte plötzlich, aber mit einer wehmütigen Note. „Ich hätte nie gedacht, dass das einmal passieren würde“, murmelte er leise. Er öffnete die Augen und sah mich an. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich es sein würde, der… Der dich entdeckt, Akira Otomo aus dem Haus Arogad.“
„Haus Arogad?“, fragte ich verständnislos.
Kitsune wandte sich um, sah mich verzweifelt an. „Akira-chan, wir haben jetzt doch wirklich keine Zeit, um uns darum zu kümmern. Ich meine, das Zeitfenster von einer halben Stunde läuft bald aus und wir sollten dann schon lange hier fort sein.“
„Du hast Recht“, sagte ich ernst. „Aber vorher würde ich doch gerne wissen, was dieses Haus Arogad zu bedeuten hat.“
„Die Daimon hat es dir nicht gesagt?“, fragte Jorr erstaunt. „Hat es dir denn niemand erklärt? Kennst du dich denn kein bisschen mit unserer Hierarchie aus?“
So wie Jorr unserer betont hatte, ging mir ein kalter Schauder über den Rücken.
„Du weißt nichts über das Imperium? Und trotzdem bist du hier? Bruder, das ist leichtsinnig.“
„Akira-chan, wir müssen weg! Yoshi, hilf mir doch mal! Aria, starte! Megumi, steh da nicht rum, hilf uns!“
„Langsam“, erklang die Stimme Jorrs. Übergangslos stand er direkt vor mir, nur eine Handbreit von mir entfernt. „Wir unterhalten uns doch gerade so schön.“
Megumi versuchte ihn anzugreifen, wurde aber geblockt. Zufrieden registrierte ich, dass der Kapitän es dabei beließ und nicht nachsetzte, um sie zu verletzen.
Commander Vardan Kors wich zur Seite aus und ging von der Flanke auf mich und Megumi zu, während Kitsunes Blick zwischen Noran und dem Kapitän hin und her pendelte.
Yoshi knurrte wütend auf und konterte den Commander.
Währenddessen stapfte Aria mit Lady Death auf die Schleuse zu.
„Die Zeit, Akira-chan! Die Zeit!“
„Ich weiß“, presste ich zwischen den zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Aber das scheint mir wichtig zu sein. Okay, Kapitän, was wollen Sie mir sagen?“
„Kannst du dir das nicht denken, Bruder?“, fragte er ironisch.
„Schon, aber ich würde es gerne von Ihnen hören!“
Er sah von mir zu Megumi und dann wieder zu mir. „Interessant“, murmelte er. „Sehr interessant. Ich würde zu gerne das Gesicht von Markub Tanel sehen, dem Vorsteher von Haus Daness, wenn er von dieser Kombination wüsste. Daness und Arogad zusammen… Das ist noch nie vorgekommen.“
„Nun red endlich!“, blaffte ich wütend.
„Du spuckst, Bruder“, beschwerte sich der Kapitän bei mir. „Und ich denke nicht daran, etwa derart offensichtliches zu beantworten.“
„Akira-chan, komm jetzt! Du hast alle Antworten. Und wenn doch etwas unklar ist, dann erkläre ich es dir auf der AURORA!“
Zögernd nur ließ ich mich mitziehen. „Komm, Akira-chan! Komm!“
Der Abstand zwischen mir und dem Mann, der mich Bruder nannte, wurde immer größer. Und in seinem Gesicht tauchte Unmut auf. „Die Unterredung darf noch nicht enden. Kors! Noran! Kalis!“
Der Commander und der Lieutenant bestätigten die Worte mit einem klaren Befehl und griffen an. Yoshi stellte sich Kors, beide standen sich schweigend gegenüber und kämpften auf der anderen Ebene mit Geistesebenbildern.
Kitsune hingegen griff Noran direkt an. Beide tauschten ein paar fürchterliche Hiebe aus, bei denen das KI wie Funken davon zu stieben schien.
„Zwecklos. Wir haben eine sehr lange Erfahrung darin, unser KI – so nennt Ihr es doch – zu kultivieren und zu aktivieren. Kalis, nehmen Sie Colonel Uno.“
„Nein, Sir“, sagte die Megumi-Kopie, als sie direkt neben ihm auftauchte. Ihre Rechte wurde plötzlich zur Faust, eine Aura entstand, und bevor der Kapitän wirklich verstand was geschah, traf ihn ein fürchterlicher Hieb, der ihn bis an die nächste Wand beförderte.
Dort blieb er stehen, den Leib vor Schmerzen zusammengekrümmt.
„Das gibt euch ein paar Sekunden!“, haspelte Kalis hervor. „Verschwindet jetzt. Jorr meint es nicht böse, aber wenn Ikuso Großalarm auslöst und Ihr noch nicht mit euren Mechas da draußen seid, dann wird das vielleicht zu eng! Geht jetzt!“
„Verräterin!“, blaffte Noran, sprang sie an. Aber die Frau schlug ihn einfach beiseite. „GEHT!“, blaffte sie.
Kitsune kam zurück, zog mich wieder mit sich. „Sie hat Recht, Akira-chan. Gehen wir! Yoshi, komm!“
Der junge Mann sprang einen Schritt zurück, unterbrach den Kampf auf der anderen Ebene und wandte sich zur Flucht, bevor der Commander begriff, was gerade geschehen war. Indes schleuste Lady Death aus.
Wir erreichten das Schott, welches zu dem Hangar führte, in dem unsere Mechas standen. Ich huschte zuerst raus, danach Megumi, Kitsune und schließlich Yoshi. Hastig schlossen wir die Türen. Doch mittendrin hielt ich inne, sah wieder in die Halle. Ich streckte eine Hand aus. „Komm!“
Die Megumi-Kopie sah auf. „Was? Oh, mir passiert schon nichts. Aber Ihr solltet besser fliehen. Colonel Uno, ich muß Ihnen aber noch sagen, dass ich sehr gerne Sie geworden bin. Sie sind eine interessante Person. Ich bedaure, dass wir uns nicht näher kennen lernen konnten.“
„Hör auf zu quatschen und KOMM ENDLICH!“
Die Offizierin der Naguad zuckte bei meiner lauten Stimme zusammen. Sie gehorchte dem harschen Befehl automatisch und lief los, mit der vollen Kraft ihres KI. Gleichzeitig begann der Commander sich wieder zu regen, lief ebenfalls auf uns zu. Ich schaffte es die Tür zu schließen, bevor er sie erreichen konnte. „Verriegeln?“, fragte ich atemlos.
Kitsune drückte den Rahmen auf beiden Seiten ein, mit enormer Kraft. „Wozu? Sollen sie doch zusehen, wie sie eine vollkommen verzogene Tür aufkriegen.“
„Da ist aber immer noch die andere Tür und das Lastenportal!“, rief Kalis aufgeregt.
Yoshi kam den Gang herunter geschossen und grinste uns an. „Da müssen sie sich aber anstrengen, wenn sie die Dinger aufkriegen wollen. Ich war so frei und habe auch ein wenig mit den Türen gespielt.“
„Guter Junge“, sagte ich und folgte Kitsune den Gang hinunter zu unserem Hangar. Dabei hielt ich Megumis Hand. Ich hatte nicht vor, sie jemals wieder loszulassen. Doch in meinen Gedanken tobte eine bittere Erkenntnis, die Dutzende meiner drängendsten Fragen beantworteten und Dutzende neue aufwarfen.
Während wir in die große Hangarhalle hetzten fiel mir sofort auf, dass sie wirklich leer war, wie Kapitän Jorr versprochen hatte. Um das Bedienungspersonal hatte sie Yamagata gekümmert. Gerade schleifte sie den letzten Naguad in die abgeschottete Kabine des Hangarmeisters, wo die Männer und Frauen sicher sein würden, wenn wir den Hangar dem Vakuum aussetzten. Gut, den wirklich viel Zeit blieb uns nicht, bis Jorr uns eingeholt hatte, um seine Konversation zu Ende zu führen. Es war gut, dass die Agentin unsere Flucht so schnell und gründlich vorbereitet hatte.
Der Gedanke an Jorr verursachte bei mir kaltes Grausen. Vater, verdammt, hattest du mir etwa so eine wichtige Information vorenthalten? Vieles erschien nun in einem neuen Licht. Ach was, alles wurde auf eine neue Stufe gestellt. Ich sah Megumi an, die neben mir herlief. Wirklich alles veränderte sich in diesem Moment.
Sie erschauerte unter meinem Blick, sagte aber nichts.
„Verteidigungsmodus einstellen!“, hörte ich Yoshi rufen. „Cockpit öffnen!“
Gehorsam führte sein Eagle die Aktionen aus.
Ich musste Prime nicht erst dazu auffordern, er öffnete von selbst.
Ich hielt kurz an, spürte wie auch Megumis Double und Megumi selbst anhielten. „Kitsune, du kommst mit mir mit. Ai-chan, du bist doch schlank. Nimm auf Yoshis Schoß Platz. Ihr zwei, könnt Ihr euch Yoshis Rückbank teilen?“
Die beiden Frauen, die sich im Moment nur durch ihre Kleidung unterschieden, wechselten einen verwunderten Blick.
„Ich dachte, ich fliege einfach wieder mit dir mit, Akira“, beschwerte sich meine Freundin.
„Das geht leider nicht“, erwiderte ich. „Wenn du auf meinem Schoß sitzt werde ich alles Mögliche tun, aber bestimmt nicht kämpfen oder steuern. Und wenn wir da draußen erwartet werden, ist das äußerst schlecht.“
Für einen Moment verharrte Megumi vor mir. Dann drückte sie mir einen Kuss auf. „Das hast du schön gesagt. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Akira.“
Sie sah sich zu ihrem Double um. „Damit das klar ist, du hältst die Klappe. Ich sitze unten und wehe du behinderst mich.“
„Pah, Schätzchen, ich bin ein paar Jährchen älter als du und habe wesentlich mehr Erfahrung. Du sitzt oben.“
„Regelt das auf dem Weg, ja?“, rief ich barsch und schob beide in die richtige Richtung. „Yoshi, wenn sie sich nicht entscheiden können, dann hilf nach, ja?“
„Darf ich Waffengewalt benutzen?“
„Klar.“ Die beiden Mädchen protestierten zugleich und für einen Moment konnte ich sie nur anhand ihrer Kleidung unterscheiden. Die Kopie war… Super? Sehr nahe am Original? Oder einfach mit Leidenschaft bei der Sache?
Die wahrscheinlichste Variante war wohl einfach, dass ihr Charakter dem meiner Freundin schon vorher sehr ähnlich gewesen war.
Ai-chan starrte Yoshi aus weit aufgerissenen Augen an. „Auf… Auf dem Schoß? Von Yoshi-sama? Gibt das nicht Probleme mit Yohko-chan?“
„Jetzt wo du es sagst“, begann Yoshi und sah Hilfe suchend zu mir herüber. „Kannst du nicht…“
Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, verwarf ihn aber gleich wieder. „Nein. Ich werde da oben meine Bewegungsfreiheit brauchen, um deinen Eagle beschützen zu können, Yoshi.“
„Na, wenigstens mal ein logisches Argument“, brummte der Freund. „Aber kein Wort darüber zu Yohko, ja?“
„Versprochen“, sagte ich erleichtert. „An Bord. Der nächste Stopp ist die AURORA.“
Kitsune verwandelte sich in einen Fuchs und sprang auf meine Schulter. „Endlich geht es wieder los.“
Ich grinste die Dämonenkönigin an, während ich in meinen Mecha kletterte. Ich ergriff den Helm, setzte ihn auf und bedauerte einen Moment, dass ich meinen Druckanzug hier lassen musste. Verdammt. Wenn es ein Gefecht geben würde, konnte das meinen Tod bedeuten. Außer ich lernte in den wenigen Sekunden, bis die Luke versiegelt war und Prime starten konnte, wie man eine KI-Rüstung erzeugte.
„Morgen, Prime. Wir wollen diesen gastlichen Ort so schnell es geht verlassen.“
„Guten Morgen, Sir. Ich stimme dem zu. Eine einkommende Verbindung von Major Futabe.“
„Durchstellen. Yoshi, was gibt es?“
„Gute Nachrichten von der Hühnerfront. Die beiden Zicken konnten sich einigen. Sie haben sich nebeneinander auf den Sitz gequetscht und auch beide in KI-Rüstungen gehüllt. Autsch!“
„Dir gebe ich gleich eine Hühnerfront, Yoshi!“, klang Megumis Stimme auf. „Lass dich lieber mal nicht von der niedlichen Ai auf deinem Schoß ablenken. Akira, wir sind dann soweit. Schleusen wir aus.“
Ich ergriff die Steuermodule meines Mechas, bewegte Primes Arme und ergriff die beiden auf dem Rücken befestigten Herakles-Klingen. „Das glaube ich nicht. Los geht´s, Prime!“
Ich beschleunigte den Mecha aus dem Stand, hoch zur Hallendecke. Dabei hielt ich beide Arme vor der Brust gekreuzt. Kurz bevor ich die Decke berührte, zog ich die Schwerter kreuzförmig darüber hinweg.
Die Decke verschwand in einer Wolke aus Staub und Trümmern, während ich mit Prime durchbrach.
„Wie schafft Ihr das nur?“, klang die Stimme von Megumis Double auf. Mittlerweile konnte ich beide unterscheiden. „Wenn Ihr eure Technik tatsächlich von einem imperialen Core erhalten habt, dann müsst Ihr in der Weiterentwicklung enorm sein. Die Technologie der Cores ist grundsätzlich ein paar Jahrzehnte hinter dem tatsächlichen Standard, um zu verhindern, dass genau so was passiert. Mechas, die den Banges überlegen sind. Ein Riesenschiff wie die AURORA. Wie geht das?“
„Ich bin der Hauptcharakter der Geschichte. Der Hauptcharakter gewinnt immer“, erwiderte ich grinsend.
„Dann stecken wir aber in einem wirklich schlechten Thriller mit technischen Elementen fest“, erwiderte sie trocken. „Ich heiße übrigens Jora. Jora Kalis.“
„Schön, dich kennen zu lernen, Jora. Nenn mich Akira.“
„Meinen Namen kennst du ja schon“, schloss Megumi mit spöttischem Unterton.
„Und meinen sicher auch. Sag Yoshi zu mir.“
Unter mir stieg mein Freund auf die Pedale der Schubdüsen und brach hinter mir durch das zerstörte Dach des Hangars. Ich verharrte kurz mit Prime, um ihn aufholen zu lassen, dann starteten wir Seite an Seite durch.
„Alarm“, stellte Prime fest. Unter uns begannen versteckte Stellungen zu feuern, Laserflak griff nach uns. Wir beschleunigten noch ein wenig mehr.
„Jetzt ab zu unseren Boostern und dann ab nach Hause!“, rief ich. „Willst du Jora nicht erlauben, dich beim Vornamen zu nennen, Kitsune-chan?“
„Will nicht“, brummte die Füchsin verstimmt. „Ich traue ihr nicht.“
„Warum solltest du auch?“, erwiderte die Naguad seufzend. „Da fällt mir eine Frage ein. Akira. Wieso hast du mich mitgenommen?“
Ich grinste unter meinem Helm. „Erstens, weil es interessant zu werden versprach. Ich liebe interessante Zeiten.“
„Oh ja.“ „Kann man wohl sagen.“ „Akira-chan zieht interessante Zeiten an wie Pferdeäpfel die…“
„Kitsune-chan!“, tadelte ich. „Und der zweite Grund ist, du sahst mir so aus als solltest du eine Zeitlang aus den Augen deines Chefs verschwinden. Mach einfach eine Aufklärungsmission draus, dann hast du später eine Ausrede. Falls ihr gewinnt.“
„Wieso falls?“, brauste Yoshi auf.
„Einen anderen Grund habe ich noch“, sagte ich leise, während mehrere Raketenstellungen Prime eingepeilt hatten. Ich wusste, sie hatten nichts gegen mich persönlich. Sie schossen auf mich und Yoshi, weil sie darauf programmiert waren.
„Und der wäre, Akira?“
„Kannst du mir erklären, warum ich selbst ein Naguad bin?“
Kitsune schnaufte neben mir aus. „Und ich hatte gehofft, du würdest es nicht herausfinden. Akira-chan…“
„Du? Ein Naguad?“, rief Megumi erstaunt.
„Das würde zumindest seine traumhaften Synchronisationswerte erklären, damals, als kein anderer einen Daishi steuern konnte“, murmelte Yoshi. „Aber da gibt es ein Problem. Du wurdest definitiv nicht adoptiert. Himmel, mein Vater war sogar bei deiner Geburt dabei.“
„Was erklären würde, warum Yohko ähnlich hohe Synchronwerte hatte wie ich.“
„Stimmt.“
„Moment mal, Moment. Ich komme da nicht mit. Würde das denn nicht bedeuten, dass deine Eltern oder zumindest ein Elternteil dann Naguad sind?“
„Richtig, Megumi. Soweit bin ich auch schon.“
„Und warum habe ich dann diese hohen Synchronisationswerte gehabt? Und Makoto?“
„Das ist eine weitere Frage. Warum seid Ihr beide auch Naguad?“
Erschrockenes Keuchen antwortete mir.
„Eine Verbindung von der Axixo-Basis, Sir“, meldete sich Prime zu Wort.
„Durchstellen. Oh, Admiral Ikosu. Was verschafft mir diese Ehre?“
Der Naguad sah mich an als hätte er einen lebenden Toten vor sich. Nun, für ihn musste es in der Tat so sein.
„S-sie leben, Commander?“
„Ja, und das verdanke ich nicht Ihnen. Ein Wohltäter hat das Gift gegen ein anderes ausgetauscht“, erwiderte ich barsch. „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich nun gerne Ihre Gastfreundschaft verlassen. Außer, Sie wollen mit dem Beschuss meiner beiden Mechas den Waffenstillstand abbrechen.“
Der Admiral sah mich an, seine Wangenmuskeln arbeiteten. „Der Wohltäter war nicht zufällig Legat Taylor? Stellen Sie das automatische Feuer ein.“
Das Abwehrfeuer erlosch. Die Raketen, die noch auf dem Weg zu uns waren, wurden gesprengt, lange bevor sie uns erreichen konnten. Innerlich atmete ich auf, wagte es aber nicht, diese Erleichterung auf meinen Zügen zu zeigen.
Der Admiral warf mir einen bösen Blick zu. „Ich schicke Ihnen einen Zerstörer. Er wird Sie begleiten bis wir Sie Ihren eigenen Truppen übergeben können. Nur um sicher zu stellen, dass wir Sie wirklich los sind.“
„Na, danke. So machen Sie mir einen weiteren Besuch nicht gerade schmackhaft. Mögen Sie keine Touristen?“, scherzte ich.
„Wenn sie so sind wie Sie – nein.“
„Na, wenigstens sind Sie ehrlich. Otomo Ende und aus.“
„Warten Sie noch, Commander“, rief der Admiral. „Ihnen ist doch wohl klar, dass ich Sie und die AURORA nicht aus diesem System herauslasse, oder?“
„Es steht Ihnen frei, genau das zu versuchen“, erwiderte ich.
Der Admiral musterte mich noch einmal, dann wurde die Verbindung abrupt unterbrochen.
„Verschwinden wir von hier, Leute“, murmelte ich und trat wieder auf die Pedale für die Antriebsdüsen. Ab nach Hause.
Ace Kaiser
4.
Es war eine Mammutaufgabe ohne jeden Vergleich. Auf den abgeernteten Feldern entstanden mit Hilfe von Sparrows und Hawks gigantische Plattformen, die der natürlichen Erdbeschaffenheit folgen mussten. An manchen Stellen erhielten sie zwei oder mehr Etagen, je nachdem, wie tragfähig der Untergrund war. Zwischen den einzelnen Plattformen wurden zudem großzügige Laufgänge gelassen, um überall genügend Licht ankommen zu lassen. Kevin Lawrence stellte es sich schrecklich vor, in einer Gruppe aus fünfhundert Leuten zu stehen und kein Lichtschimmer drang bis zu ihm vor.
Die Installation von Leuchtkörpern war zu aufwändig und zu zeitraubend gewesen, deshalb hatte er sich für diese Variante entschieden. Ja, er hatte entschieden, denn er hatte das Oberkommando über das gesamte Projekt. Admiral Ino hatte ihm unmissverständlich zwei Dinge gesagt: Dies war sein Projekt, also musste er sich dafür den Arsch aufreißen. Und für ihn war eine Beförderung drin, wenn es klappte.
Kevin nahm seine Schirmmütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Vor sechs Jahren war er als Techniker von Mittelsmännern der Naguad direkt von der Universität von Californien abgeworben worden und auf den Mars geflogen. Das war kurz vor den ersten Angriffen gewesen.
Auf dem Mars hatte ihn ein technisches Wunder nach dem anderen erwartet, die Technologie des Cores erschien ihm wie ein wahr gewordener Traum.
Er erinnerte sich noch als wäre es gestern gewesen, wie er am Fuß des Mount Olympus gestanden hatte, in der grünen Zone mit der künstlich erhöhten Gravitation, und in der dünnen, eiskalten Luft den Berg hinauf gestarrt hatte… Der Mars. Er war auf dem Mars. Damals hatte ihn ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmt. Er hatte sich so wohl gefühlt, so zufrieden. Und dann die Technologie, künstliche Schwerkraft, Fusionskraftspeicherzellen, die Mecha-Technologie…
Alles, was einen wissbegierigen jungen Mann glücklich machen konnte. Mit Feuereifer hatte er sich in seine Arbeiten gestürzt.
Dann hatten die Mechas zusammen mit den neu gebauten Fregatten das erste Mal die Erde angegriffen. Oben auf dem Mars hatten sie nicht allzu viel davon mitbekommen, außer dass die Menschen den weißhaarigen Angreifern einen Namen mitgegeben hatten: Kronosier.
Der Name gefiel dem Legat, ebenso wie der Name, den die Menschen den Mechas mitgegeben hatten: Daishi, der große Tod.
Auch wenn die Attacken abgeschlagen wurden, niemand zweifelte ernsthaft daran, dass die immer größer anwachsende Supertechnologie der Kronosier letztendlich genügend Kapazitäten produzieren konnte, um die Menschheit zu besiegen.
Doch Kevin war aufgefallen, welchen Namen man ihnen gegeben hatte: Den von Kronos, dem Herrn über die Zeit, der entmannt worden war. Sein Glied aber fiel ins Meer und aus Schaum und Wasser entstand Aurora, die Göttin der Morgenröte.
Kevin hätte niemals gedacht, dass die UEMF sich so sehr an ihr eigenes Skript halten würde und der griechischen Mythologie so treu bleiben würde, dass sie das Riesenschiff, welches die Naguad auf eigenem Territorium heimsuchen sollte, tatsächlich AURORA nennen würden.
Es war damals eine Botschaft gewesen, die aber kein Kronosier verstand oder akzeptieren wollte. Doch nun war es soweit, sie waren unterworfen worden und hatten sich mit den Menschen zu arrangieren.
Kevin grinste schief. Irgendwann hatte die Realität ihn eingeholt, auf dem Mars, an seinem Arbeitsplatz, und er konnte den Kämpfen nicht mehr entkommen. Als immer mehr Rekruten kamen, die Stadt Martian City im Untergrund immer größer wurde, die Oberflächenbauten entstanden und abzusehen war, wie groß die Schiffe sein würden, die sie bauten.
Als abzusehen war, dass die Verteidigung der Erde immer wieder regelrechte Breschen in die Personaldecke ihrer Krieger riss.
Als zum ersten Mal ehrfurchtsvoll oder hasserfüllt ein Name geflüstert wurde: Blue Lightning.
Oder als die UEMF etabliert war, Werften im All errichtete, mit Hilfe der erbeuteten kronosianischen Technologie, als sie eigene Schiffe bauten, auf dem Mond begannen Bergwerkskolonien einzurichten. Als feststand, dass sich die Erde nicht so schnell geschlagen geben würde.
Kevin Lawrence seufzte. Er hatte sich in seiner Zeit auf dem Mars nie gefühlt, als würde er sich versündigen, weder an den Menschen, noch an den Kronosiern. Aber er war ja auch nur ein Techniker. Genauer gesagt Chefingenieur der Fabrik, die den Daishi Gamma entwickelte und produzierte. Augen zu und durch, war sein Motto gewesen. Und dann war das Schuldgefühl doch gekommen, in Form von Außenstehenden. Blue Lightning, der unbekannte Superpilot der Erde griff mit seinen Hekatoncheiren – den Helfern von Zeus, die mit ihm die Titanen gebändigt hatten – ihr Siedlungsgebiet an und richtete furchtbare Zerstörungen an, die das Projekt um Monate zurückwarfen.
Nein, schuldig hatte er sich nie gefühlt. Nach dem Angriff kam er sich eher wie ein Opfer vor.
Die Schuld war aber doch gekommen, sehr viel später, als die Kronosier begonnen hatten, Cyborg-Krieger zu erschaffen. Eine Technologie, bei der er selbst federführend gewesen war.
Entstanden waren keine echten Menschen, sondern Hybriden aus Mecha-Technologie mit biologischen Komponenten. Sie waren nicht sehr elegant geworden, aber effektiv, sehr effektiv. Die biologischen Komponenten stammten von ihren toten Kriegern die hatten geborgen werden können. Und dieser Umstand war es, der ihm zum ersten Mal seine Schuld erkennen ließ.
Die Niederlage, Jahre später, erschien ihm in diesem Zusammenhang wie eine Erlösung, seine Degradierung wie ein Segen. Dass er später als einer der führenden Fachleute für das Troja-Projekt berufen wurde, hatte in ihm die Hoffnung keimen lassen, dass die Gift, die er für seine hervorragende Arbeiten erhalten hatte, nicht länger ein Hindernis zwischen Menschen und Kronosier oder gar Anelph war.
Waren sie nun Teil eines Ganzen, oder misstrauten die Menschen ihm immer noch? Trennte ihn die Gift von ihnen oder war es egal geworden?
Ärgerte es sie, dass er kaum Schuld empfand, oder akzeptierten sie, dass der Krieg vorbei war und ein Schlussstrich dringend nötig gewesen war?
„Und? Wie geht es voran, Lieutenant?“
Kevin wirbelte herum. Makoto Ino war herangekommen und musterte die Aufbauten.
„Wir sind weit vor dem Zeitplan. Die ersten Anelph sind schon, habe ich gehört, in der Stadt untergekommen, ja?“
„Ein paar Zehntausend. Hauptsächlich Jugendliche und Kinder, die auch später in der Stadt leben werden. Die Älteren, die unter dem Einfluss des Resonators stehen werden, bringen wir nach Möglichkeit so spät wie möglich hier hoch. Ich stelle es mir schrecklich vor, Tage auf diesem Gerüst zu verbringen, bevor meine Zeit endlich eingefroren wird.“
Kevin nickte. „Ja, ich weiß. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Aktion innerhalb eines halben Tages abzuschließen. So schnell, aber auch so geordnet wie möglich.“
Er sah hinauf in den blauen Himmel. „Steht schon fest, wen wir von der Besatzung mit auf dieses Gerüst stellen werden?“
Makoto nickte stumm. „Eine Liste wurde erstellt. Die betroffenen Personen wurden benachrichtigt. Es ist ein Aderlass ohne jeden Vergleich für uns. Wir kastrieren uns und unsere Stärke selbst, in der Hoffnung, dass dieser wahnsinnige Plan gelingt.“
„Anders war es nicht zu machen. Die Ereignisse haben sich halt überschlagen und wir müssen einen Schritt zulegen“, rechtfertigte Kevin ihre Lösung.
„Leider“, murmelte Makoto Ino. „Sie leisten hier draußen übrigens gute Arbeit.“
„Nicht weniger gute als Sie, oder Admiral Ino bei der Koordinierung der Evakuierungsoperation unten auf Lorania.“
„Noch so ein Mammutprojekt.“ Colonel Ino grinste matt. „Ich erwarte ja immer noch, dass all unsere hochtrabenden Pläne über uns herfallen und uns in den Arsch treten. Was wir eigentlich auch verdient haben. Wir verlassen uns viel zu sehr auf unser Glück.“
„Aber es scheint zu klappen. Übermorgen schalten wir das Resonatorfeld ein, dann brauchen wir noch eine Woche, um das System zu verlassen. Wir haben damit immer noch vier Tage Distanz bis zu dem Zeitpunkt, an dem die erste Verstärkungsflotte das Kanto-System erreichen kann. Wenn wir geschickt sind, haben wir unseren Sprung bereits hinter uns und das Wurmloch wieder geschlossen, bevor die Naguad die Verfolgung aufgenommen haben.“
„Ich sollte Sie zum Optimismusoffizier befördern“, brummte der Colonel. „Leider übersteht keine Planung den Kontakt mit dem Feind, und ich werde das Gefühl nicht los, dass das Schicksal noch ein paar üble Scherze für uns hat.“
„Es würde unsere Serie bestätigen“, murmelte Kevin leise.
Ino grinste ihn an. „Ihr Humor gefällt mir.“
„Es ist der gleiche Humor, den das Schicksal hat“, erwiderte er amüsiert.
Schalk glitzerte in Makotos Augen, als er zu einer Erwiderung ansetzte, doch in diesem Moment meldete sich sein Handy zu Wort.
„Ino hier. Ja. Gut. Was? Okay. Danke. Tschüss.“
Er sah auf. „Sie haben Recht, es muß der Humor des Schicksals sein. Die KOWLOON kommt gerade zurück und meldet sich zum Dienst.“
„Na, das nenne ich mal ne Überraschung.“
„Die richtige Überraschung kommt noch. An Bord sind Commander Otomo, Colonel Uno, Major Futabe, Dai-Kitsune-sama, Aria Segeste und die Frau, die Colonel Uno bei den Naguad gedoubled hat.“
„Hä? Wieso Double? Und wieso bringt der Commander sie mit? Ich verstehe überhaupt nichts.“
„Willkommen in meiner Welt“, seufzte Makoto. „Muss der besondere Humor dieses Universums sein.“
„Gehen Sie nur, Colonel“, sagte Kevin schlicht. „Wir kommen hier gut klar. Und Sie werden sicher in Poseidon gebraucht, oder?“
Makoto Ino klopfte dem Kronosier kurz auf die Schulter. „Stimmt. Sie leisten hier gute Arbeit, machen Sie weiter so, Kevin.“
Der Kronosier sah dem Stabschef des Gigantschiffs lange nach. Wenn er bisher Zweifel daran gehabt hatte, ob die Vergangenheit wirklich Vergangenheit war, dann hatte er sie nun abgelegt. Mochte der eine oder andere noch in den alten Maßstäben und Bildern denken, für ihn gab es nur die Zukunft.
5.
In der Zentrale der AURORA herrschten tumultähnliche Zustände. Es dauerte einige Zeit, bis auch der Letzte begriffen hatte, dass Commander Otomo nicht ermordet worden war und nun gerade auf dem Rückweg war. Und es dauerte noch einen Moment länger, bis es die Runde gemacht hatte, dass Colonel Uno ebenfalls noch am Leben war – und dass die junge Frau in der Hand der Naguad doch eine Kopie.
Jedenfalls drohte die Verwirrung in ein Freudenfest umzuschlagen, als die KOWLOON mit der kostbaren Fracht an Bord die Verteidigungslinie am Lagrange-Punkt zwischen Jomma und Lorania passierte und sich die anderen Schiffe an ihre Flanken hefteten, eskortiert von mehreren hundert Hekatoncheiren!
Somit dauerte es mehrere Minuten, bis endlich jemand Colonel Inos Anruf von Poseidon bemerkte und entgegen nahm.
Admiral Ino selbst sprach erst weitere, kostbare Minuten später mit ihrem Bruder.
„Was gibt es, Makoto-chan? Die Fregatte der DEPAR-Klasse ist eingetroffen, richtig?“
Makoto Ino sah seine Schwester sehr ernst an. „Sakura, du weißt, bei mir laufen sämtliche Fäden zusammen, die ich für meine Analyse brauche, deshalb denke ich, dass dir noch niemand Bescheid gesagt hat, aber wir haben gerade ein riesiges Problem bekommen. Ich habe hier sowohl LRAO-Ortungen als auch Funkverkehr nach und von Lorania auf meinem Schreibtisch liegen und… Ach, Verdammt. Langer Rede, kurzer Sinn, es springen gerade Kampfschiffe ins System.“
Entsetzt sah Sakura ihren Bruder an. „Das ist zu früh, einfach zu früh. KÖNNT IHR NICHT MAL LEISER SEIN?“
Schlagartig verstummten die Mitglieder der Zentralebesatzung. Tetsu Genda kam sofort zu ihr herüber. Ebenso Admiral Riada, der Vorsitzende des Komitees.
„Also, jetzt noch mal in Ruhe, Makoto. Wie viele Schiffe, welche Klasse und welche Position?“
„Es sind vierundzwanzig Schiffe. Neun kommen aus dem Sektor Agir, das ist ein Handelsknotenpunkt sieben Lichtjahre entfernt. Zwölf kommen aus dem Sektor Naguad Prime. Der Rest aus dem Sektor Korram, einem Nachbarsystem in elf Lichtjahren Entfernung. Die Klassen sind Fregatten, Zerstörer und Kreuzer. Ob sie von getarnten Korvetten begleitet werden, können die LRAO nicht feststellen. An einer genauen Aufstellung wird gearbeitet. Aber das ist nicht das Problematische an der Sache.“
„Und was ist das Problem, Colonel Ino?“, meldete sich Admiral Riada zu Wort.
„Diese Schiffe unterstellen sich Ihrem Kommando, Sir.“
**
„Sie haben uns zurückgelassen!“, tadelte Shawn Winslow. „Sie haben Ihre Booster angekoppelt und sind los geflogen!“
Verlegen drückte ich die Spitzen meiner Zeigefinger gegeneinander, während der Kapitän der KOWLOON mir eine Standpauke hielt. „Verzeihung.“
„Verzeihung reicht mir aber nicht. Legat Taylor hat Ihnen doch mitgeteilt, dass wir Sie und Major Futabe zurück eskortieren sollten; dass unsere ganze Mission darauf abzielte, zuerst Legat Taylor nach Jomma zu schaffen und anschließend für eine hirnrissige Aktion Ihrerseits bereitzustehen, die ja zwangsläufig kommen musste!“ Er deutete auf Megumi und ihr Double, die schweigend nebeneinander standen und damit die Verwirrung der Zentralebesatzung nicht gerade senkte. „War ja allen klar, dass Sie nicht lange stillhalten können, Sie Hitzkopf, wenn das Leben Ihrer Freundin gefährdet ist. Aber das Sie uns vergessen würden, tss.“
„Shawn“, meldete sich der Zweite Offizier zu Wort, „sei nicht so streng zu dem Jungen.“
„Nenn ihn nicht Junge, Ollie! Dieser Kerl hat den Mars zweimal angegriffen. Er hat eines unserer Kommandos, das aus neun Mechas bestand, im Alleingang besiegt. Ihm wurde die absolute Elite der Menschheit anvertraut. Und wenn er drum gebeten hätte, man hätte ihm auch den Oberbefehl über Mission Troja gegeben. So ein Mann darf keine Fehler machen.“
„Wir sind ja wieder zurück gekommen, als Yoshi wieder einfiel, dass…“, wandte ich vorsichtig ein, wurde aber von Winslow unterbrochen.
„Ja, nett, dass Sie uns aus dem Beschuss gerettet haben, in den wir übrigens nicht geraten wären, wenn die Naguad uns nicht als Deserteure angegriffen hätten. Was nicht passiert wäre, wenn Sie nicht so überhastet aufgebrochen wären und uns angefunkt hätten. Aber so mussten wir ja selbst hinterher kommen, wenn wir die Scharade nicht ewig aufrechterhalten wollten!“
Wütend starrte er mich an.
„Ich sagte schon, es tut mir Leid. Hören Sie, es mag wie eine Ausrede klingen, aber ich hatte meinen Kopf die letzten Stunden ganz woanders. Es ist eben nicht jedermanns Sache, herauszufinden, dass man ein Naguad ist!“
In der Zentrale wurde es auf einen Schlag still. „Was?“, hauchte eine dünne Stimme.
„Oder dass ich zumindest Naguad-Gene habe. Etwas in der Art. Daran liegt es, dass ich damals als einziger den Daishi Beta steuern konnte.“
„Moment mal, Moment mal, ich kriege gerade gar nichts mehr mit. Sie sind da rüber geflogen, um den Mecha von Colonel Uno zu bergen und um Major Segeste anzubieten auf die AURORA zu kommen, richtig? Und zurück kommen Sie mit einem abgewehrten Attentatsversuch, einem Kampf mit einer Elitetruppe der Naguad, dem Double Ihrer Freundin und dem Wissen, dass Sie Naguad-Gene in sich tragen?“
„Ich und Megumi. Und es würde mich echt nicht wundern, wenn meine Schwester ebenfalls Naguad-Gene in sich trägt. Das dürfte erklären, warum die Gift bei ihr nicht voll angeschlagen hat. Oder wie Taylor es so bildhaft geschildert hat: Auch der beste Zauberer kann Brot nicht in Brot verwandeln.“
Der Blick vom Kapitän der KOWLOON wurde nun das, was man nur noch mit sehr viel Wohlwollen als nicht besonders intelligent bezeichnen konnte. Er schnappte ein paar Mal nach Luft, bevor er erneut zum sprechen ansetzen konnte. „Und Sie stecken das einfach so weg?“
„Was bleibt mir anderes übrig? Was bleibt uns übrig? Aber auf der AURORA werde ich mich als erstes in die Direktverbindung zur Erde einklinken und Vater mal ein paar sehr unbequeme Fragen stellen.“
Für einen Moment wirkte der ehemalige Söldner der Kronosier, als würde sein Kopf platzen wollen. Aber dann wandte er sich ab und murmelte: „Okay, ich sollte Ihnen in dem Fall nicht noch zusätzliche Sorgen machen. Immerhin haben Sie mir die beiden Antischiffsraketen vom Heck gewischt, als es drauf ankam, Commander.“
„Die SUNDER ist nun in Waffenreichweite“, kam es von Lieutent Mable Ryan von der Ortung.
„Gut. Kündigt uns an und sagt, wen wir an Bord haben. Und sagt auch, dass Commander Otomo Colonel Uno in zweifacher Ausführung mitbringt, der glückliche Bastard.“
Lieutenant Jenny Ward, die Cheffunkerin, musste an sich halten, um beim letzten Kommentar nicht laut loszuprusten und ich spürte wie ich rot wurde.
„Darf ich Sie zitieren, Commander Winslow?“
„Natürlich“, brummte der grinsend.
Hilflos hob ich einen Arm, wollte etwas sagen und sah zu den beiden Frauen herüber. Meiner Freundin und der Naguad, die sie hatte ersetzen sollen. Wie sie gleichzeitig die Rechte vor den Mund legten und leise lachten, konnte selbst ich sie nur noch anhand der Kleidung unterscheiden. Verdammt, war die AURORA reif für zwei Megumis? War ich bereit für Megumi im Doppelpack?
„Direktanruf von Kommodore Takahara. Text: Akira, du Arsch, was hast du so lange getrödelt?“
Ich ging zur Funkoffizierin herüber, während der Rest der Zentrale nicht wusste, ob sie lachen sollten oder besser so taten, Keis Worte niemals gehört zu haben.
„Antworten sie ihm folgendes: Besser spät als nie.“
„Aye, Commander.“
Kitsune legte burschikos einen Ellenbogen auf Yamagatas linke Schulter und grinste sie an. „Mit Akira wird das Leben nie langweilig, nicht, Ai-chan?“
„In der Tat nicht“, murmelte sie und lächelte leicht.
**
Als die KOWLOON auf der Oberfläche der AURORA andockte und sich die Schleuse zu einem der Primärhangars öffnete, hatte ich vieles erwartet. Von einer jubelnden Menschenmenge über eine wütend dreinschauende Sakura, die mich mit ihrem Blick nieder starrte bis hin zu einem leeren Hangar.
Doch als sich das Schott öffnete und mich an der Spitze meiner Freunde entließ, stockte ich einen Moment im Schritt. Ich sah eine lange Reihe aufrecht stehender Mechas hinab, vor denen mehrere hundert Soldaten Aufstellung genommen hatten. Auf der anderen Seite waren es noch einmal genau so viele.
„Stillgestanden!“, gellte Makotos Kasernenhofstimme auf.
Ein Ruck ging durch die angetretenen Soldaten, tausendfach fuhren schwere Militärstiefel auf den Hangarboden nieder. Verstärkt wurde der Lärm von zwanzig Hawks, fünf Sparrows und fünf Eagles.
„Zur Begrüßung des glücklich heimkehrenden Division Commanders Akira Otomo, der stellvertretenden Division Commander Megumi Uno, des Bataillonskommandeurs Yoshi Futabe, von Major Aria Segeste, Dai-Kitsune-sama, Spezialistin Ai Yamagata sowie Commander Shawn Winslows und seiner tapferen Crew der KOWLOON: SALUTIERT!“
Hunderte rechte Arme ruckten hoch, während meine Gruppe langsam den Giganthangar betrat. Automatisch erwiderte ich den Salut, während ich die Reihen entlang schritt. Ein erhebendes Gefühl und eine große Ehre.
Am Ende der Reihe warteten Admiral Richards, Kommodore Genda und Admiral Ino auf uns, also schritt ich salutierend auf die drei zu. Die Soldaten, die ich und die anderen aber passiert hatten, nahmen den Arm ab und begannen zu applaudieren.
Als wir endlich meine Cousine, den Chef der Begleitflotte und den Kommandeur der AURORA erreicht hatten, war aus dem Applaus ein offener Begeisterungssturm geworden, der von den Mechas unterstützt wurde. Ehrlich, wer einmal knappe drei Dutzend Mechas klatschen gehört hat, der vergisst es nie wieder.
„Wir sind wieder da, Sakura-chan“, meldete ich vollkommen unmilitärisch, aber bei dem Lärm war es sowieso egal, was ich sagte. Meine Cousine konnte es mir bestenfalls von den Lippen ablesen.
„Willkommen zurück“, formten ihre Lippen, bevor sie vortrat und mich umarmte. Dabei drückte sie mich an ihren Busen, dass ich dachte, ich müsste ersticken.
Oh, es war schön, nach Hause zu kommen.
Nun brach die Disziplin vollkommen zusammen und die Reihen brachen auf.
Zum Glück hielt mir Sakura keine Standpauke.
**
Es war ein merkwürdiger Anblick, wie die großen Lastschweber Durch die Straßen der Hauptstadt Demiral fuhren, an bestimmten Häusern hielten und hier und dort klingelten. Die Anelph, die daraufhin heraus kamen, trugen nur leichtes Gepäck bei sich. Manche verschenkten ihren Besitz und ihre Wohnungen unter Bekannten und Freunden, manche versiegelten ihre Wohnungen nur. Manchmal waren es ganze Familien, manchmal waren es nur Einzelpersonen.
Nicht selten spielten sich tumultartige Szenen ab, wenn die Lastschweber jemanden abholten und das Umfeld aus allen Wolken fiel und begriff, dass die Personen die abgeholt wurden, nun auf die AURORA wechseln würden und vielleicht niemals wieder kehren würden.
Ein paar Mal versuchte Miliz, die Lastschweber aufzuhalten, ja es gab sogar Feuergefechte zwischen Miliz und Angehörigen des Komitees. Aber solche Aktionen wurden sehr schnell beendet. Alleine über Demiral parkten fünf Fregatten der AURORA, und damit über einhundert Mechas aller Klassen. Ein einzelner Hawk reichte alleine mit seiner Anwesenheit aus, um die Miliz davon zu überzeugen, sich besser zurück zu ziehen.
Die Lastschweber brachten ihre Fracht zu den großen Raumhäfen, wo bereits eigene und Militärschiffe der Menschen warteten, um die Anelph auf das Gigantschiff zu bringen. Zur Zeit waren bereits zweihunderttausend und ein paar Anelph, die man schon hinauf geschafft hatte. Weitere hunderttausend waren bereits am Hafen versammelt worden. Von den anderen Raumhäfen des Planeten kamen ähnliche Nachrichten, insgesamt warteten schon vierhunderttausend Anelph weltweit auf ihre Evakuierung. Und die Lastschweber waren noch lange nicht fertig.
Stela Ryon leitete die Aktion auf dem Raumhafen von Demiral persönlich.
Die anwesende Miliz verhielt sich ruhig, kooperierte aber nicht. Doch zehn Hawks waren ein gutes Argument, diesen Status Quo nicht zu ändern. Vor allem nicht, weil auf ihnen unverkennbar das Abzeichen der Briareos prangte.
Stela rechnete noch einmal nach, das vierte oder fünfte Mal in dieser Stunde. Ihr Zeitfenster war knapp bemessen, aber wenn es weiterhin keine Schwierigkeiten gab, dann würden sie von dem Zeitpunkt, an dem der erste Anelph die Gerüste betrat bis zu dem Moment, an dem das Resonatorfeld eingeschaltet wurde, maximal acht Stunden brauchen. Problematisch wurde die Zeit, in der eins Komma drei Millionen Anelph die Umweltsysteme der AURORA zusätzlich belasteten. Sie hatten die Möglichkeit diskutiert, das Feld früher einzuschalten und die Anelph dann wie Frachtware einzusortieren. Doch letztendlich hatte sich diese Idee nicht durchgesetzt, nicht nur weil es eine entwürdigende Handlung sein würde.
Die Anelph würden in ihrem Zeitverlangsamten Zustand schon schwer genug haben mit den abrupten Wechseln zwischen Tag und Nacht, es würde ein Stakkato an Helligkeitsblitzen werden. Andererseits bedeuteten zweihundert Blitze, dass sie fast am Ziel waren.
Aber zumindest würden sie wissen, wo sie sich befanden, weil sie aus eigener Kraft hingegangen waren.
Sie seufzte schwer und trat an das Fenster ihres requirierten Büros hinaus. Vaters Plan funktionierte. Stela hatte sich bis ganz zum Schluss erlaubt, daran zu zweifeln.
Draußen auf dem Landefeld hatten sie riesige Leinwände aufgebaut. Dort liefen Filme ab, in denen den Komiteemitgliedern erklärt wurden, was ein Resonatorfeld war und wie es eingesetzt wurde, um die Evakuierung zu ermöglichen.
Stela bewunderte die Art der Menschen mit offenen Karten zu spielen. Und sie bewunderte die Ruhe ihrer Mitmenschen vom Komitee, die bei der unbekannten Technik nicht in Panik gerieten.
Als ihr Telefon klingelte, gingen ihr Dutzende Dinge durch den Kopf, Dinge die schief gelaufen sein könnten. Fehler, mit denen keiner gerechnet hatte. Komplikationen sowohl von technischer als auch psychologischer Natur, einfach alles. „Ryon.“
„Tomlin hier.“ Stela seufzte. „Hat die Torwache schon wieder Anelph auf das Gelände gelassen, die nicht für die Evakuierung vorgesehen sind?“
„Wenn es nur das wäre“, erwiderte der Mann leise. An die Vorwürfe der Anelph, die anderen hier zurück zu lassen und sie niemals gefragt zu haben ob sie ebenfalls evakuieren wollten, hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Auch an die Floskel, die er in diesen Fällen von sich gab: Die AURORA kommt wieder. „Mehrere Schiffe des Expeditionskorps sind soeben ins System zurückgesprungen.“
„WAS?“, rief sie erschrocken. „Diese… Diese Idioten! Was glauben sie was das hier ist? Der Aufstand gegen die Naguad? Was verlassen sie ihre Posten? Was desertieren sie aus ihren Einheiten? Denken sie vielleicht, wir können sie alle mitnehmen? Und ihre Familien?“
Stela sackte in sich zusammen. „Ich wünschte wir könnten es. Ich wünschte wir könnten den ganzen Planeten mitnehmen.“
Sie sah nach einer angemessenen Zeit Selbstbedauern auf. „Wir machen weiter wie bisher Gord Ian Tomlin. Wir müssen den Zeitplan einhalten!“
„Verstanden.“
Als die Verbindung erlosch, gab die Anelph einen derben Fluch von sich, der sie, hätte ein Mann ihn gehört, auf ewig von Privileg ein schüchternes Mädchen zu sein ausgeschlossen hätte. Junge Mädchen kannten weder solche Worte noch sollten sie von solchen Vorgängen Ahnung haben.
Stela lächelte über sich selbst. Solche Sachen hatten etwas beruhigendes, fand sie.
6.
Die Verbindung flackerte. Und die große Entfernung zwischen der AURORA und dem Kreuzer RAGINEM sorgte außerdem dafür, dass zwischen Frage und Antwort stets ein paar Minuten lagen. Das half nicht gerade, um den Frust, der sich im Konferenzraum in Poseidon ausbreitete, einzudämmen.
Admiral Riada beendete gerade seine letzte Erklärung, als ein Techniker anzeigte, dass Kommodore Jjan Verde, ein Anelph, der die Gift erhalten hatte, gleich antworten würde.
„Wie Ihnen Admiral Ryon schon erzählt hat, mussten wir, nachdem wir besiegt worden waren, unsere neue Loyalität beweisen sowie unsere Tauglichkeit. Dutzende Schiffe wurden aus dem System abgezogen und dienten als Legionäre einzeln oder als kleiner Verband irgendwo im Imperium als Polizeieinheit. Nicht selten wurden unsere Schiffe als… Ah, Kugelfang eingesetzt, aber je länger Anelph und Naguad und andere Soldaten zusammen dienten, desto mehr begann man aufeinander aufzubauen. Ich kann nicht verstehen, wieso diese Schiffe nun desertieren!“
„Drei…zwei…eins…“
Man sah den Kommodore nicken, danach den Bildschirm fixieren. „Der Grund für unsere Rückkehr ist simpel. Seit die AURORA im Kanto-System aufgetaucht ist, befindet sich die imperiale Admiralität in heller Aufregung. Schiffe, die mit Anelph bemannt sind, werden aus ihren Verbänden gelöst und tiefer ins Imperium befohlen. Weit weg von Kanto.“
Der Mann schwieg. Admiral Riada wurde bleich. „Eine Strafexpedition… Die Naguad bereiten eine Strafexpedition vor!“
„Was, bitte?“, meldete ich mich zu Wort.
„Das tun sie nur selten, weil es eine unpopuläre Maßnahme ist“, berichtete der Admiral tonlos, „aber Lorania hat bereits eine solche Strafexpedition erlebt, als unser Militär geputscht hatte, um die von den Naguad kontrollierte Regierung zu stürzen.
Wir wurden bitterlich bestraft, viele Offiziere hingerichtet. Widerstand wurde nicht toleriert. Zehntausende starben. Deshalb gründeten wir das Komitee. Deshalb fassten wir den Langzeitplan, um der Umklammerung der Naguad zu entkommen. Es sieht so aus, als hätte die AURORA genügend Staub aufgewirbelt, um uns…“ Der Mann senkte den Blick. „Um uns erneut einer Strafexpedition auszusetzen. Das sie unsere Schiffe möglichst weit fort befehlen, ist ein sicheres Zeichen dafür.“
„Wir haben nicht vor“, klang die Stimme von Kommodore Jjan Verde wieder auf, „die Naguad zu besiegen, das dürfte unmöglich sein. Und wir verlangen auch nicht, dass die AURORA etwas anderes tut als ihren Auftrag zu erfüllen. Aber wir ziehen alle loyalen Schiffe hier zusammen, die wir kontaktieren können. Und dann versuchen wir so lange stand zu halten wie irgendwie möglich. Bis die AURORA ein zweites Mal, ein drittes Mal gekommen ist.“ Der Mann senkte den Blick. „Eine andere Chance sehe ich nicht, Admiral Riada.“
Meine Gedanken überschlugen sich. Das war ein Dilemma, mit dem wir hatten rechnen müssen. Sicher hatten wir das auch, aber das hieß nicht dass wir es hinnehmen mussten.
In Gedanken überschlug ich die Möglichkeiten, die wir mit den zusätzlichen Schiffen hatten und jenen die noch kommen würden. Wenn wir uns ganz auf Lorania beschränkten, dann…
„Ich habe eine Idee“, sagte ich endlich. „Admiral Riada, hiermit melde ich mich freiwillig, um hierzubleiben, bis die AURORA wiederkommt.“
„Akira“, raunte Sakura erschrocken.
Ich sah sie an, danach Makoto. „Komm, Cousin, wir müssen am Computer spielen. Ich brauche fünf Minuten, um mal ein paar Sachen durchzurechnen.“
Makoto nickte stumm und folgte mir.
**
Besagte fünf Minuten später erschien meine Idee als Hologramm über dem Planungstisch. Man sah Lorania mit den beiden Monden sowie sechs riesige Schilde, die den Planeten abdeckten. Sakura beobachtete die riesigen Lücken zwischen den einzelnen Schilden und runzelte die Stirn. „Das soll funktionieren?“
„Es ist das beste, was mir auf die Schnelle eingefallen ist, Sakura“, sagte ich entschuldigend.
Sie atmete schwer aus. „Was brauchst du – außer sechs Resonanztorpedos?“
„Mindestens sechs LRAO, um die Torpedos zu tragen. Dazu zwei Regimenter der Hekatoncheiren, hauptsächlich die Leute, die jung genug sind, um nicht von dem Feld beeinflusst zu werden. Und darüber hinaus jedes Schiff der Begleitflotte, das du entbehren kannst.“
„Tss“, kommentierte Admiral Richards. „Was für eine Idee. Mit den Resonanzfeldern undurchdringliche Barrieren zu erschaffen, die kein Naguad durchqueren kann, der über vierundzwanzig ist, ohne im Zeitablauf zu erstarren und zu sterben, wenn er das Feld wieder verlässt… Ich denke nicht, dass die Naguad solch junge Besatzungen haben. Geschweige denn solch junge Besatzungen auf die Schnelle zusammenstellen können. Das ist ein Geniestreich, Commander Otomo.“
Ich lächelte kalt. „Ich wünschte mir wäre etwas Ehrlicheres eingefallen.“
„Vielleicht ist es nicht ehrlich“, sagte Admiral Riada, „aber es ist effektiv. Verdammt effektiv. Und genau das brauchen wir jetzt, um gegen das Imperium ein Chance zu haben.“
„Genehmigt“, sagte Sakura Ino mit gebrochener Stimme. „Die Alternative wäre die Strafaktion zuzulassen, und dazu bin ich nicht bereit.“
„Apropos Strafaktion, wo ist eigentlich Doitsu?“
Makoto meldete sich zu Wort. „Major Ataka kommt seinen Pflichten in der Grey Zone nach. Ihn unterstützen Major Hatake und Major Hazegawa.“
„Sehr gut. Ich begann mich schon zu langweilen. Ich gehe ihm helfen.“ Ich nickte Sakura zu. „Falls es nichts mehr gibt, was wir noch besprechen müssen.“
„Ich denke, wir haben hier alles besprochen. Jetzt heißt es nur noch warten. Warten bis alle Komitee-Mitglieder an Bord sind und warten bis die Anelph-Schiffe eintreffen. Warten, bis wir aufbrechen können.“
„Dann bin ich weg.“ Ich salutierte lässig und verließ den Konferenzraum.
„Phhh“, hörte ich hinter mir einen gehässigen Ton. Yoshi schloss zu mir auf. „Was bist du schon ohne mich, Commander?“
„Wenn es euch nichts ausmacht“, kam es von Daisuke, „würde ich gerne mitspielen.“
„Es geht hier darum, einen Teil der Bewohner der Grey Zone, die alt genug sind, um vom Resonanzfeld erfasst zu werden, auf die Plattformen zu bringen. Nicht um eine offene Feldschlacht.“
„Ja, klar“, kommentierte Yoshi grinsend. „Ich hole nur schnell meinen Bogen. Dein Katana ist im Übrigen noch immer in Prime, Akira. Wir treffen uns an dem Lagerhaus von damals?“
Ich nickte. „Zwanzig Minuten, schaffst du das?“
„Klar.“ „Dann nutze ich die Zeit und hole meine Glock 19.“ Daisuke schloss sich Yoshi an.
Während wir durch die Gänge von Poseidon gingen, begleitete uns der anerkennende, permanente Applaus der hier beschäftigten Soldaten. Anerkennung. Was für eine Droge.
Epilog:
Torum Acati schwebte über dem Gigantleib der AURORA. Dieses Gebilde war wirklich riesig. Es mit Antrieb, künstlicher Schwerkraft, Waffen, Werften und dergleichen auszustatten musste eine Arbeit jenseits seiner Vorstellung gewesen sein. Alleine die Idee erschien ihm so grotesk, dass er sie als unmöglich abgetan hätte, wenn er das Schiff nicht vor sich gesehen hätte.
Welche Genies hatte die Menschheit auf ihrer Seite, um so etwas zu realisieren? Und wie viel Glück mussten sie haben, um es dann tatsächlich bis in ein anderes Sonnensystem zu schaffen?
Begam Acati ließ sich langsam der Oberfläche entgegen fallen. Er durchdrang die Außenhülle, durchquerte Hangars, Gangsysteme, Fabriken, Appartements und erreichte den eigentlichen, lichtdurchfluteten Innenraum. Er sah auf Straßen, Felder, ein kleines Meer, Wälder, kleine Ortschaften und eine Metropole im Norden. Er sank fast drei Kilometer in die Tiefe, bevor er den Boden erreichte. Dort angekommen setzte er sich entgegen der Metropole in Bewegung, bis er zu den Podesten kam. Dutzende Hawks und andere Mechas aus seinen Berichten, unter ihnen auch die so genannten Daishis, bauten hier riesige Plattformen auf. Sie hatten zehntausende Schaulustige. Torum Acati flog näher heran, tauchte in diese Gruppe ein, lauschte ihren Worten. Wäre er in seinem Körper hier anwesend gewesen, ein kalter Schauder wäre ihm über den Rücken gegangen als er von der grauenvollen Waffe hörte, die von den Menschen hier eingesetzt werden sollte. War ihnen denn klar, dass so eine Waffe einen Planeten entvölkern konnte? Wie konnten sie nur in Erwägung gezogen haben, so etwas auch nur jemals zu entwickeln? Geschweige denn einzusetzen? Obwohl, die Art des Einsatzes kam ihm sehr subtil vor. Dazu sehr interessant, nein, genial.
Aber dennoch. Dennoch!
Torum Acati hatte hier genug gesehen, genug erlebt. Er schwebte auf die Stadt zu, er suchte seine Ziele. Dieses Schiff durfte das System niemals verlassen. Das war der Grund seiner Exkursion. Und damit dies geschah, musste er vor allem eines: Die KI-Meister an Bord identifizieren, damit er sie leichter bekämpfen konnte.
Er erreichte schwebend die Stadt namens Fushida, bemerkte dort die Präsenz von ungewöhnlich vielen Wesen, welche die Meisterschaft des KI erreicht hatten. Merkwürdigerweise fühlte er eine ähnlich starke Präsenz wie jene aus dem zweistöckigen Haus vor sich aus dem Untergrund. Aber dem wollte er später auf den Grund gehen.
Der Begam drang in das Haus ein und stieß sofort auf den ersten Bewohner, ein junger Bursche mit schlohweißen Haaren, die ihn als Träger der Barid-Gene auswiesen.
Der junge Mann wirbelte sofort herum und fixierte ihn.
Unmöglich. Torum war lediglich mit seinem Geist hier, nicht mit einem Funken seiner wahren Präsenz! Wie konnte der Bursche ihn spüren? Oder noch schlimmer, sah er ihn etwa?
„Micchan, ich…“, klang die Stimme eines schlanken, schwarzhaarigen Mädchens auf, das gerade in den Gang zu ihnen hinaus trat.
„KOMM NICHT!“, rief der Junge und streckte abwehrend eine Hand aus. „HIER IST ETWAS!“
Die junge Frau riss erschrocken die Augen auf. Auch sie fixierte ihn.
Bevor Torum darauf reagieren konnte, hüllte sich die junge Frau in eine KI-Rüstung. Abgesehen davon das es die wohl knappeste Rüstung war, die er jemals gesehen hatte, beeindruckte Acati vor allem die Präsenz der Macht, die alleine davon ausging. Doch das, was danach dunkel in ihren Augen schimmerte, war wesentlich schlimmer, intensiver.
„White Slayer Power…“, rief sie und entließ einen Strom puren KIs auf seine Position. Das winzige Feld eigenen KIs, welches ihm als Resonanz und Anker für seine Sinne diente, wurde schwer erschüttert! Ohne seinen Körper konnte er nicht hoffen, gegen sie zu bestehen! Also zog er sich zurück, verfolgt von dem Mädchen, das sich White Slayer nannte und dem Jungen Micchan, dessen KI-Aura sprunghaft in die Höhe schnellte. Der Junge entsandte einen Hieb auf der höheren Ebene, der Torum Acati nur knapp verfehlte. Verdammt, das waren nur Kinder! Aber warum waren sie so stark?
Acati floh aufs Dach und von dort tiefer in die Stadt hinein. Er spürte die Präsenz seiner Verfolger und begann zu beschleunigen.
Dann war da diese Präsenz neben ihm, bekannt, aber uralt.
Er sah zur Seite und erkannte… „Du!“
Der ältere Mann lächelte in freundlich an. Beziehungsweise das Resonanzfeld, das Träger seiner Sinne war. „Ich“, stellte er fest.
„Und ich“, kam es von der anderen Seite.
Acati fokussierte seine Sinne und erkannte eine Frau, die nur unwesentlich jünger als der Mann erschien. Aber das war… Das war nicht möglich! Das war einfach nicht möglich!
Plötzlich spritzten die beiden von ihm fort und Torum Acati fragte sich, was sie damit planten. „Blue Slayer Power…“, erklang es vor ihm. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne, erkannte eine KI-Rüstung wie bei dem anderen Mädchen, nur das es einen blauen Rock trug. Und einen Fingerbreit vor ihrer Handfläche rotierte gerade ein Szepter, auf dessen Spitze ein großes Juwel zornig funkelte.
Ausklinken!, ging es ihm durch den Kopf! Das Szepter, nein! Das konnte nicht sein! Das konnte und durfte nicht sein!
Er versuchte auf die KON zurückzukehren, aber die Frau vor ihm war schneller. Ihn traf ein unglaublich harter Schlag mit ihrem KI, der seinen Verstand in Fetzen zu reißen drohte! Unglaubliche Schmerzwellen geißelten ihn, ergriffen seinen Körper, seinen realen Körper!
Er folgte dem Schmerz, mit dem sein Leib gemartert wurde instinktiv und fand so zurück. Und wurde gefangen in einem Meer aus Schmerz und Pein.
Bevor ihn eine gnädige Ohnmacht umfing dachte er an die vier Phänomene. Der Angriff auf der höheren Ebene. Der Mann. Die Frau. Das Szepter. Wie konnte das alles wirklich sein? Wie konnte das passieren?
Dann war… Nichts.
Ace Kaiser
Anime Evolution: Erweitert
Episode sechzehn
1.
„Was ist hier los, verdammt?“ brüllte Mamoru Hatake und duckte sich hinter einem Mauervorsprung, um einer Salve aus einer AK-47 zu entgehen. „Was leisten sie so einen vehementen Widerstand? Es geht doch nur darum, die älteren Einwohner der Grey Zone im Resonatorfeld einzufrieren, damit sie nicht zusätzlich die Ressourcen der AURORA belasten. Ich dachte, die meisten hätten dem zugestimmt!“
„Ich habe keine Ahnung!“, blaffte Doitsu Ataka wütend. Ein Streifschuss hatte ihn an der Schulter erwischt, einer seiner Leute legte einen Verband an. „Hätte ich geahnt, das so etwas passieren würde, dann hätte ich ein Bataillon Infanterie mitgenommen, und nicht nur fünf meiner Yakuza und euch beide!“
Kenji Hazegawa kam geduckt zu ihnen herüber gelaufen. Er feuerte seine Dienstwaffe zweimal schnell hintereinander ab und ließ sich dann neben Doitsu in Deckung fallen. „Komm zur UEMF, haben sie gesagt. Dort wird es niemals langweilig, haben sie gesagt. Scheiße, ich wünschte, mir wäre gerade langweilig.“ Der große Mann sah Doitsu von der Seite aus an. „Wie sieht es aus? Haben wir immer noch kein Netz?“
Der Oyabun der Yakuza der AURORA schüttelte den Kopf. „Wir werden noch immer gestört. Ich wette mal, nicht einmal ein Funkgerät würde es hier raus schaffen.“
„Mist. Da sitzen wir also zu acht hier fest. Wie viele Gegner haben wir?“
„Vor allem, wie viel Munition haben wir noch? Ich habe nur zwei Magazine mitgenommen, weil ich dachte, dies wird ein Spaziergang“, meinte Mamoru ernst.
„Das dachte ich auch. Vor allem, da doch die ersten zehn Geschäfte so bereitwillig geräumt wurden, bevor die da angegriffen haben. Mist, jetzt sind wir hier festgenagelt.“
„So wie ich das sehe, haben wir die Söhne der AURORA gegen uns. Alle, bis zum letzten Mann.“ Doitsu senkte den Kopf. „Diese verdammten Schweine. Warum haben sie in die Menge geschossen? Warum haben sie sich nicht auf uns konzentriert? Was wollen sie damit erreichen? Bisher haben wir sie gewähren lassen, solange sie es nicht allzu übertrieben haben. Aber jetzt, mit drei toten Majoren, davon zwei von den Hekatoncheiren, müssen sie doch damit rechnen ausgelöscht zu werden.“
„Ach, du siehst uns also schon als Tote?“, erwiderte Kenji, sprang kurz auf und gab drei schnelle Schüsse ab. „Ich sehe das aber nicht so.“
Doitsu sah zu seinen Leuten herüber. Sie waren hervorragend ausgebildet, jeder ein Genie auf seinem Gebiet. Aber auch sie mussten bei einem Zahlenverhältnis von eins zu zehn irgendwann erdrückt werden. Zudem hatte der Gegner ihnen den Rückweg zu den Fahrstühlen abgeschnitten.
„Was bei mir übrigens eine Frage aufwirft, die mich schon seit Tagen beschäftigt“, brummte Mamoru. „Wir vom Geheimdienst wissen immer noch nicht, wie so viele Menschen und Material an uns vorbei auf die AURORA geschafft werden konnten. Leute, das schmeckt mir einfach nicht.“
„Es muß jemand mit sehr viel Macht gewesen sein. Jemand, der womöglich mehrere, vielleicht Dutzende Verbündete an Bord hat. Jemand oder eine Gruppe.“
„Es muß eine Art Gemeinschaftsprojekt gewesen sein, Doitsu“, widersprach Kenji und griff nach einem Angreifer, der über ihre Mauer gehechtet kam. Seine Faust raste wie ein Dampfhammer heran, traf dessen Schläfe und betäubte ihn nachdrücklich. Etwas härter und der Mecha-Pilot hätte ihn getötet. „Ich meine, hier gibt es mindestens drei Fraktionen von Menschen, die mit dieser illegalen Zone Geld verdienen wollen – viel Geld. Und dann hat einer der Partner die anderen betrogen. Die Söhne der AURORA wollten plötzlich den ganzen Kuchen haben.“
„Dann kamen wir ins Spiel und haben verhindert, dass sie sich die ganze Zone schnappen.“ Doitsu kam auf die Beine. „Stellungswechsel.“
Geduckt lief er an der Mauer entlang, in den Schatten eines nahen Hauses. Die anderen beiden und zwei seiner Yakuza folgten ihm. „Liegt es daran, dass wir nun nach Hause fliegen wollen? Ist es ihnen zu früh? Oder liegt es am Resonanzfeld?“
„Richtig. Was wollen sie? Warum kämpfen sie? Und vor allem, wieso begnügen sie sich damit, uns hier festzunageln? Ich meine, wenn sie uns würden töten wollen, wären doch schon längst ein paar Handgranaten geflogen, oder?“
„Mal den Teufel nicht an die Wand, Kenji“, mahnte Mamoru mit einem Schaudern. „Denk es nicht mal!“
„Was ist, wenn die Evakuierung sie dazu zwingt, einen geheimen Plan zu beschleunigen? Was, wenn wir ihnen zu nahe gekommen sind? Was wenn wir ihn verhindern könnten und deshalb hier festgenagelt werden?“ Nachdenklich strich sich Doitsu über sein Kinn.
„Was für ein Plan? Was gibt ihnen den Nutzen, den sie brauchen?“, hakte Kenji nach. „Eine Superwaffe werden sie hier kaum entwickeln, mit der sie uns alle schlagen können. Im Gegenteil, dieser Angriff wird ihre Vernichtung nach sich ziehen, das sollten sie wissen.“
„Sie wissen es“, sagte Mamoru tonlos. „Also ist der Plan, den sie jetzt vorantreiben, eine Art Joker. Etwas, was… Was brandgefährlich für uns ist.“
„Für uns und für die Erde“, ergänzte Kenji. Er sah die beiden Freunde in jähem Erkennen an. „Das… Was, wenn einer der Geschäftspartner ein Legat ist? Habt Ihr Geheimen da nicht ein paar Hinweise drauf gefunden? War nicht sogar Taylor hier unten und hat sein eigenes Süppchen gekocht?“
„Was könnte einen Legaten dazu treiben, seine Leute anzuweisen, so etwas Dummes zu tun? Welchen Nutzen hat er? Okay, er ist höchstwahrscheinlich nicht an Bord und die Vernichtung der AURORA beispielsweise würde ihn nicht treffen. Abgesehen davon, dass es der Erde und dem Mars schwer schaden würde.“
„Das hätte er längst getan. Aber der Gedanke ist gut, Mamoru.“ Wieder strich sich Doitsu nachdenklich über sein Kinn. Nun riss auch er die Augen auf. „Verdammt! Wir haben das Wichtigste vergessen! Taylor hat uns doch mit der Nase drauf gestoßen! Die Legaten haben die Gift erhalten, sind also genetisch gesehen Naguad, oder?“
„Oh nein, sag mir, dass das nicht wahr ist. Sag mir, dass das nicht möglich ist!“ Mamoru packte seine Waffe fester.
„Doch. Und wir sind die einzigen, die es verhindern können! Diese Bastarde wollen die Position der Erde verraten! Wenn sie unterworfen wird, sind es die Kronosier, die den meisten Nutzen daraus ziehen! Wir müssen angreifen!“
Für einen Moment waren die Freunde wie erstarrt. Dann ging ein Ruck durch sie. Kenji war der erste, der aus der Deckung hervor schnellte und mit feuernder Pistole auf die nächste Deckung zuraste. Doitsu folgte ihn, wurde aber von den gewarnten Schützen mehrfach getroffen. Nur sein hastig aufgebauter KI-Schild verhinderte Schlimmeres.
„Bleib da, Mamoru! Du bist Fischfutter, wenn du uns nachkommst!“
Der Geheimdienstoffizier sah zu ihnen herüber. Sein Gesicht verhärtete sich. „Lauft weiter, sobald ich losrenne!“, brüllte er und sprang hinter dem Haus hervor.
„Na, na, na. Willst du dich umbringen?“, erklang eine amüsierte Stimme hinter ihm, während ein kräftiger Arm ihn wieder in Deckung zog.
„Yoshi? Was machst du denn hier?“
„Das Gesetz der Serie“, antwortete der Freund und schoss einen Pfeil ab. Ein Gegner weniger. „Akira hat schon geahnt, dass hier unten nicht alles so glatt laufen würde, wie Ihr euch das gedacht habt. War ja auch schon das letzte Mal so, oder?“
„Wie viele seid Ihr?“
Yoshi duckte sich hinter die Hausecke, als eine Salve Gewehrfeuer an der Ecke abprallte.
„Ich, Dai-chan und Akira. Aber die beiden sind noch am Fahrstuhl beschäftigt. Ich bin vorgelaufen, weil ich mir schon gedacht habe, dass Ihr drei Hilfe gebrauchen könnt.“
„Yoshi, hör mir jetzt ganz genau zu! Das ist extrem wichtig!“
Der Major der Hekatoncheiren sah den Geheimdienstoffizier erstaunt an. „Schieß los!“
**
Die Hölle auf Erden - oder in diesem Fall im Orbit um Lorania – war schon immer der Moment, in dem man erkannte, dass die eigenen Anstrengungen binnen eines Augenblicks nichtig gemacht wurden.
„Commander!“, erklang hinter mir eine Stimme, während ich einen Angreifer aushebelte und über meine Schulter warf.
Ich wirbelte herum, die Arme abwehrbereit gehoben. „Chiba. Sie sind es!“
Der Yakuza, einer der wichtigsten Vertrauten Doitsus sah mich ernst an. „Commander. Dies ist erst der Anfang. Die Söhne der AURORA planen, die Position der Erde zu verraten. Anhand ihres Widerstands kann man absehen, dass dieser Moment kurz bevor steht. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“
Erschrocken hielt ich inne. Was ein Angreifer nutzen wollte, um mir in den Rücken zu schießen.
Daisukes Waffe bellte kurz auf und der Mann fiel getroffen zu Boden.
„Akira! Ich hole Verstärkung! Hilf du Doitsu und den anderen!“, rief der Offizier der Hekatoncheiren.
Um uns herum war die Situation geklärt, wie es schien. Aber ich wagte mir nicht auszumalen, wie es in der restlichen Grey Zone aussah. Schlimmer, ich brauchte es mir nicht ausmalen. Ich würde es bald sehen.
„Gehen wir, Chiba-kun!“
**
Ich hatte schon öfters in feindlichem Feuer gestanden, nicht nur in meinem Mecha. Erst neulich war ich beim KI-Training mit den anderen attackiert worden. Es hätte, abgesehen von meinem wie wild rasendem Herzen, nichts Neues für mich sein müssen.
Aber der Verdacht meiner Freunde weckte in mir eine Angst, die mich umklammert hielt wie eine Bandage aus Stahl. Obwohl ich mein KI aktiviert hatte, mich schneller bewegte als ein Mensch dies normalerweise konnte, ich meine Kugeln mit unglaublicher Präzision abfeuerte und mein in KI getauchtes Katana noch zielsicherer einsetzte, erkannte ich in diesem Moment, während die Kugeln mich umschwirrten, Klingen durch mein Fleisch schnitten und meine Freunde irgendwo in diesem Gewühl steckten und ebenfalls ihre Leben riskierten, dass ich zwar mächtig war, durch mein Können, durch meine Fähigkeit das KI zu steuern, aber ich war nicht allmächtig.
Der erste Schnitt ging durch meinen linken Oberarm. Ich musste meine Pistole fortwerfen und das Katana in die Rechte wechseln.
Der zweite Schnitt traf mich auf dem Rücken. Nur weil ich noch einen schnellen Schritt nach vorne getreten war, wurde ich nur geschnitten und nicht gespalten.
Und der dritte Schnitt bohrte sich in meine Brust. Die gegnerische Waffe glitt an meinen Rippen ab, der einzige Grund, warum mir nicht das Herz gespaltet wurde.
Abgesehen von den Schmerzen verzehrte mich der Frust, dass diese Menschen und Kronosier in der Lage waren, mich aufzuhalten! Ich kam nicht von der Stelle! Sie bannten mich, hinderten mich!
Und ich wusste nur zu gut, dass ich ein erstklassiges Ziel für Scharfschützen bot, wenn ich länger als einen Augenblick auf einer Stelle blieb.
Meinen Freunden ging es nicht viel besser, entweder wurden sie durch gezielten Beschuss in Deckung gezwungen oder standen selbst im Nahkampf.
Zornig aktivierte ich mein KI, versuchte die Wunden zu heilen, während mein Schwert das tat, was es seit langer Zeit nicht mehr getan hatte: Tod säen.
Ich war verzweifelt, wurde es mit jeder Sekunde mehr und konnte rein gar nichts dagegen tun. Aufbegehren? Warum hatte es früher immer geklappt? Warum nicht jetzt? Wütend stemmte ich mich in meine Gegner, nur um einen vierten Schnitt zu kassieren, der meinen rechten Oberschenkel traf und sofort heftig zu bluten begann.
Wo blieb die Verstärkung? Dauerte dieser Kampf für mich wirklich erst ein paar Minuten?
Neben mir wurde einer meiner Gegner im Kopf getroffen. Er sank zu Boden wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Also doch Scharfschützen.
Wo war Blue Slayer? Wo war Joan Reilley? Wo war Yellow? Oder White? Ich wäre für jede Hilfe, für jeden Meter auf meinem Weg dankbar gewesen!
Natürlich wusste ich, dass mein planloses Vorwärtsstürmen mich meiner wichtigsten Kampftalente beraubte. Natürlich wusste ich, dass ich mir damit empfindliche Blößen gab, die mir bereits vier Wunden eingebracht hatten. Natürlich wusste ich, dass die Panik mich im Griff hatte und dass sie mich zu Fehlern verleitete. Aber ich konnte rein gar nichts dagegen tun!
Wütend brüllte ich auf, aber damit verschwendete ich nur meine Kraft.
Und dann… Dann war es vorbei. Von einem Moment zum anderen boten mir die Feinde keinen Widerstand mehr. Ich stolperte voran, fiel zu Boden, rappelte mich auf und sah in spöttische Gesichter. Die Söhne legten ihre Waffen ab und hoben die Hände.
Mir wurde heiß und kalt zugleich.
Auch aus den angrenzenden Bars und Läden kamen sie hervor, streckten ihre Waffen.
Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein!
Ich packte mein Katana fester, lief tiefer in die Zone hinein. Sollte denn alles, was wir bisher erreicht hatten mit einem Schlag ausgewischt werden?
Irrte ich mich, oder wiesen mir die Söhne der AURORA spöttisch den Weg zu einem bestimmten Lokal?
Als ich durch die Tür brach, waren Yoshi und Kenji neben mir, Daisuke folgte dichtauf.
Wir rannten durch den Schankraum, bekamen sogar die Tür von einem freundlichen Feind aufgehalten und gelangten in ein Hinterzimmer.
Mitten im Zimmer stand ein Hologrammprojektor. Mit seiner Hilfe wurde ein groß gewachsener, weißhaariger Mann dargestellt. Daneben stand ein starker Sender sowie eine Kamera, die das Hologramm aufzeichnete.
Eine Live-Sendung. Junge, die Söhne der AURORA machten wirklich keine halben Sachen.
„…wiederhole. Mein Name ist Gordon Scott. Ich bin Träger des naguadschen Erbguts und Vertreter des imperialen Cores, der von den Menschen vernichtet wurde. Damit nehme ich in Anspruch, der Vertreter der Naguad auf der Erde zu sein. Ich nenne Ihnen nun die Koordinaten dieser Welt gemäß dem Katalog des Imperiums…“
Es folgte eine Reihe Zahlen und Begriff, die ich mit Entsetzen vernahm. Kurz überschlug ich die Daten im Kopf und gelangte zu der grausamen Erkenntnis, dass sie die Position der Erde verraten hatten!
Wenn das Imperium nun die Erde angriff und besiegte, dann würde der Legat ganz oben auf der Liste derjenigen stehen, die auf der besiegten Welt das sagen hatten – und dazu jeder, der ihm geholfen hatte.
Versagt. Versagt! VERSAGT!
Wütend brüllte ich auf, zerteilte die Kamera mit einem einzigen Hieb. Dann wandte ich mich dem Hologramm zu.
Einer der anwesenden Techniker drückte einen Sensor, und die Ansprache in der dritten Wiederholung unterbrach sich.
Stattdessen starrte der Mann, der sich Gordon Scott nannte, zu mir herüber. Die dunklen Augen glänzten voller Hohn, als er sprach. „Du bist zu spät, Akira Otomo. Du hattest die ganze Zeit keine Ahnung davon, was ich wirklich geplant habe. Was ich erreichen wollte. Und was nun passieren wird. Meine Leute mussten zwar improvisieren, weil du mehr Glück als Verstand hattest, aber dankenswerterweise kann ich über eure Standleitung ins Sol-System nicht nur neue Befehle ausgeben sondern auch noch dieses Hologramm schicken.
Danke, Akira Otomo. Du dachtest, du hättest auf dem Mars gewonnen? Nun, es ist noch nicht vorbei. Die Zeit spielt nun für mich. Und die Naguad werden ihren Teil beitragen. Es wird mir eine Freude sein dabei zu zu sehen, was die Zukunft für uns bringt. Vor allem für dich… Und für mich, Akira Otomo. Auf bald.“
Das Hologramm hob die Rechte, winkte und erlosch.
Ich starrte auf den Projektor, unfähig mich zu bewegen. In meiner Stirn hämmerte ein Gedanke: Wir waren verraten worden!
Als mein Handy klingelte, nahm ich es beiläufig zur Kenntnis. Die Söhne hatten das Störfeld abgeschaltet. Da mein linker Arm noch nicht wieder funktionierte, stieß ich mein Katana in den Fußboden und nahm es mit der Rechten. „Otomo.“
„Admiral Richards hier. Krisensitzung in Poseidon. Es ist dem letzten Legaten gelungen, von der AURORA aus…“
„Die Position der Erde zu übermitteln. Ich weiß. Ich stehe neben dem Sender.“
„Was? Wieso haben Sie die Ausstrahlung nicht verhindert?“, blaffte der Amerikaner.
„Ist ja nicht gerade so als hätte ich es nicht versucht!“, blaffte ich zurück, unter dem höhnischen Gekicher der Techniker. „Ich komme so schnell es geht. Schicken Sie Truppen, um hier unten ein für allemal aufzuräumen. Otomo aus.“
Ich klappte mein Handy zu und ballte die Rechte zur Faust. Dann sah ich auf und fixierte die Techniker. „So, so. Schadenfroh seid Ihr, hm?“
Neben mir ließ Kenji seine Knöchel knacken. Yoshi trat neben mich. „Ich habe die Tür zugemacht, Akira.“
Ich sah auf und lächelte ein wirklich dämonisches Lächeln. „Das gibt jetzt eine ordentliche Tracht Prügel, meine Herren.“
Die drei Techniker, Mitglieder der Söhne der AURORA, Verräter an der Menschheit und Gefolgsleute des letzten Legaten in Freiheit, wurden bleich.
**
Eine halbe Stunde später und mit schmerzenden Knöcheln stand ich im Konferenzraum der Poseidon, der mir mittlerweile vertrauter war als mein eigenes Zimmer.
„Es ist eine Katastrophe!“ Admiral Riada senkte den Blick. „Welchen Sinn hat es jetzt noch, zu fliehen? Welchen Sinn hat es jetzt noch, Widerstand zu leisten?“
„Jeden“, sagte ich trocken. „Absolut jeden.“
„Aber jetzt wo die Position der Erde bekannt ist…“
„Verraten durch einen Legaten“, stellte ich grimmig fest.
Ich nickte in Richtung des Hologramms, über das Vater per Standleitung mit uns verbunden war. „Die Naguad stellen gerade eine Flotte zusammen, um eine Strafaktion im Kanto-System auszuführen. Was denkt Ihr wohl werden die Naguad eher machen? In ein bekanntes System springen, das in ihrer Nähe liegt und dessen Verteidigung sie einigermaßen einschätzen können oder ins Blaue, mit überdehnten Versorgungslinien in ein System, das sie nicht einschätzen können?
Von dem sie nur eine Sache wissen: Dass es das größte Objekt gebaut hat, das jemals sprungfähig gewesen war? Na?“
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Position der Erde verraten ist, mein Sohn“, warf Eikichi ein.
Ich grinste breit. „Na und? Rücken wir eben auf Platz zwei der abzuarbeitenden Fälle der Naguad. Aber erstmal werden sie sich um Platz eins kümmern, darauf verwette ich meine Abzeichen. Und genau deswegen mache ich mir auch keine Sorgen. Nein, sie werden erst hierher kommen. Hier können wir sie aufhalten.“
„Das stimmt höchstwahrscheinlich. Immerhin haben die Imperialen hier die Unterstützung durch fünftausend Banges, einen Bakesch und geheimdienstliche Informationen“, sagte Riada ernst. „Von der übrigen Flotte ganz zu schweigen.“
„Damit wird Lorania zu unserem Bollwerk“, stellte ich fest. „Und Menschen und Anelph rücken näher zusammen, denn mit einem Schlag sind wir gleichermaßen bedroht. Wir riskieren nun noch viel mehr, um ihnen zu helfen. Und seien wir doch mal ehrlich, früher oder später hätten die Naguad doch herausgefunden wo die Erde ist. Es ist nun halt früher geworden.“
Die Anwesenden raunten zustimmend. Ich sah zur Seite. „Megumi?“
Sie nickte und übernahm das sprechen. „Die Hekatoncheiren haben mehrere Szenarien durchgespielt um auf alles vorbereitet zu sein. Eines dieser Szenarien kann auf diese Situation angewendet werden. Allerdings erfordert es den Einsatz all unserer Mittel. Und wir müssen kurz vor dem Abflug der AURORA zuschlagen.“
„Erzählt mir mehr“, sagte Eikichi fasziniert. „Und… Es tut so unendlich gut, dich am Leben zu wissen, Megumi. Was hätte der grobschlächtige Trottel in dieser Welt nur ohne dich angefangen?“
„Vater!“, rief ich entrüstet. Megumi wurde rot. „Onkel Eikichi, rede doch nicht.“
„Ist doch so. Als die Nachricht kam, Akira sei tot hat hier das sowieso niemand geglaubt. Der ist nun mal wie Unkraut.“
„Vater!“
„Aber du, Megumi, du hast nicht das Glück der Verrückten. Um dich haben wir uns wirklich Sorgen gemacht.“
„Genauer gesagt, du bist gerade rechtzeitig wieder aufgetaucht, damit die zentrale Trauerfeier der UEMF abgesagt werden konnte – mit Vertretern aus allen Ländern der Erde, Abordnungen der meisten Schiffe und der Truppengattungen, posthumer Ordensverleihung, und, und, und…“ Sakura lächelte Megumi an, während Eikichi verlegen weg sah. „Niemand hat die letzten sechs Jahre vergessen. Vor allem nicht die drei Jahre, in denen du Akiras Arbeit gemacht hast.“
„Sakura!“ Fielen mir denn heute alle in den Rücken?
Ich spürte, wie eine schmale Hand in meine glitt. Megumi lächelte mich kurz an. „Wie dem auch sei“, beendete sie den Wortfluss meiner Cousine. „Ich sollte jetzt Plan Morgenröte erklären.“
2.
Tausende Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich durch Fushida City ging. Wie immer half mir ein Spaziergang noch am besten, um meine Gedanken zu ordnen. Und ehrlich gesagt, ich hatte diese Stadt mittlerweile richtig lieb gewonnen. Sicher, sie war nicht organisch gewachsen, sondern komplett am Reißbrett entstanden. Aber ihr Charme aus großen Boulevards und kleinen verwinkelten Nebenstraßen, die Einwohner aus aller Herren Länder, das hatte einfach was. Ich fragte mich für einen Moment ernsthaft, ob die AURORA irgendwann einmal geräumt werden musste, oder ob sie eine eigenständige Kolonie werden konnte. Vielleicht würde dieses Gigantschiff eines Tages die letzten freien Menschen ins Universum hinaus tragen.
Um mich herum herrschte geschäftiges Treiben. Die Stadt stand seit ihrem Bau zu mehr als der Hälfte leer. Nun zogen junge und jüngste Anelph ein. Es kam nicht selten vor, dass Menschen und Kronosier, die den Rückflug auf den Plattformen mitmachen würden, ihnen ihre Räume überließen. Diese jungen Leute und unsere jungen Leute, sie würden einen Großteil der anfallenden Arbeiten erledigen müssen. Unter der Anleitung erfahrener Mars-Veteranen, ja, die größtenteils selbst noch zu jung waren, um von Resonatorfeld eingefroren zu werden. Und unter einer Gruppe handverlesener älterer Offiziere und Mannschaften.
Die Begleitschiffe selbst würden ihre Besatzungen behalten. Diese eingearbeiteten Mannschaften zu behalten war im Moment sehr wichtig. Aber es gab hier und dort Austausch von Personal, da ich ausdrücklich gewünscht hatte, dass die mit mir und den Hekantoncheiren zurück bleibenden Schiffe mit möglichst jungem Personal besetzt wurden. Auch bei den Hekatoncheiren kam es zu wesentlich größeren Umschichtungen, um Gyes und Briareos ausschließlich junges Personal mitzugeben, das vom Blockadegeschwader unbeeinträchtigt agieren konnte. Dadurch würden uns aber ein paar wirklich gute Soldaten verlassen – aber den Schutz der AURORA verstärken.
Ich würde mit zwei Regimentern der Hekatoncheiren, diversen Schiffen sowie den an Bord befindlichen Mechas und Daishis hier bleiben, wir konnten fast eintausend Mechas und Piloten auf die Waagschale werfen. Die Kampfkraft, die zurück bleiben würde, entsprach in etwa vier Bakesch. Auch ohne dass die SUNDER ebenfalls hier zurückblieb – allerdings mit den Mechas.
Irritiert blieb ich stehen. Der Zuzug von Anelph hatte sich weiter verstärkt. Über mir entlud sich ein Sauerstoffdistributor, während die Lüftungssysteme tapfer gegen den rapide ansteigenden CO2-Gehalt der Luft ankämpften, den die nach und nach eintreffenden eins komma drei Millionen Anelph erzeugten. In den Wiesen und Feldern rund um das Serenity-Meer und zwischen den kleineren Ortschaften wurden bereits achthunderttausend Anelph versorgt. Die Plattformen waren bereit, und Dutzende bekannte TV- und Musikstars von der AURORA und Lorania, unter ihnen selbstverständlich auch Joan Reilley, taten ihr Bestes, um die Verbündeten abzulenken. Die Meisten trauten dem Resonanzfeld natürlich nicht, aber sie trauten ihren Verbündeten. Vor allem jetzt, wo die Gefahr durch das Imperium uns aus erster Hand betraf.
Ich schüttelte resignierend den Kopf. In drei Stunden würden wir mit dem boarden der Plattformen beginnen, in einer vierten Stunde würde der Torpedo aktiviert werden. Es standen fünftausend Soldaten bereit, um jene Anelph wieder von der Plattform zu holen, die mit ihrem Alter in der Grauzone waren und deren Zeitablauf nicht einfrieren würde.
Wieder so was. Kevin Lawrence, der Initiator des Projektes, schien an alles gedacht zu haben. Und wenn doch mal ein Fehler auftauchte, korrigierte er ihn bemerkenswert unspektakulär und effektiv. Es juckte mir in den Fingern, den Kronosier ein paar Minuten beiseite zu nehmen und mit ihm ein wenig fachzusimpeln. Aber das würde noch dauern. Vielleicht ein Jahr, bis die AURORA wieder im Kanto-System eintraf.
Ein Jahr, das sehr lang zu werden drohte. Ein Jahr, in dem ich vielleicht Gelegenheit hatte, einige brennende Fragen beantwortet zu bekommen.
Zum Beispiel, warum ich ein Naguad war. Oder zumindest ihr Erbgut in mir trug. Außer mir auch noch Sakura, Makoto und sogar Megumi.
Und endlich konnte ich mir auch erklären, warum die Gift bei Yohko nicht vollständig funktioniert hatte. Kein Wunder, die Gift hatte nur den menschlichen Teil ihrer DNS verändern können, aber nicht den Anteil Naguad-Gene.
Warum wurde nur alles so kompliziert? Andererseits… leicht hatten wir es ja noch nie gehabt.
Dies war der Moment, in dem ich erstarrte. Konnte das, was er sah, wirklich sein? War das möglich? In dem Gewirr an Menschen und Naguad, konnte wirklich sie da stehen?
Spontan folgte ich ihr, als sie nach einem Plausch mit einem Händler weiter ging.
Sie hielt noch bei einem weiteren Händler, kaufte etwas ein, plauschte auch hier ein wenig. Die Verkäufer kannten sie, das war offensichtlich.
Wieder folgte ich ihr, sorgsam darauf bedacht, nicht von ihr bemerkt zu werden. Sie bog in eine Seitengasse ein und ich eilte in die parallel dazu verlaufende Gasse, um sie abzupassen. Ich huschte durch die Querstraße, lugte vorsichtig um die Ecke und sah… Nichts.
Ich spürte, wie zwei schmale, aber starke Hände nach meinem rechten Unterarm griffen, ihn brutal herum zerrten. Dann machte mein Gesicht Bekanntschaft mit der nächsten Wand.
„So, du kleiner Perversling, normalerweise mache ich mir an euresgleichen nicht die Hände schmutzig, aber ausnahmsweise kriegst du meine Sonderbehandlung zu schmecken“, hauchte mir eine amüsierte Frauenstimme ins Ohr.
„ALSO DOCH!“, blaffte ich wütend und wand mich in ihrem Griff. Dies bedeutete zusätzliche Schmerzen, aber die bemerkte ich kaum. „DU BIST ES! OMA ERI!“
„Was? Du… Akira?“ Erschrocken ließ sie meinen Arm los.
Ich fuhr herum, wollte meine Wut hinausbrüllen… Und starrte sie einfach nur an. „Oma…“
Oma war vielleicht das unpassende Wort für sie. Technisch gesehen war sie meine und Yohkos Großmutter, aber äußerlich wirkte sie nur wie eine Mittvierzigerin auf mich. Wie eine gut aussehende Mittvierzigerin. Außerdem lächelte sie mich verschmitzt an. „Hallo, Akira-chan.“
„Ich… Du… Ich meine, du…“
„Oh, lass dir nur Zeit, Akira-chan. Bis ich das Essen kochen muß, vergeht noch gut ne Stunde.“
Das hatte sie schon immer gut gekonnt. Ablenken und das Kommando übernehmen.
Aber nicht heute und nicht mit mir. „Oma. Warum bist du eine Naguad?“
Ihr Lächeln wurde wehmütig. „Was hat dir Jorr erzählt, Akira-chan?“
„Anscheinend viel zu viel, Oma.“
Unschlüssig sah sie mich an, nachdenklich zur Seite und dann wieder mich an. „Komm, iss mit zu Abend. Danach erklär ich dir alles, was du wissen willst.“
„He? So einfach geht das?“, staunte ich.
„Nun, du hast mich halt erwischt. Und ich bin eine gute Verliererin.“ Wieder lächelte sie verschmitzt. Na, wenigstens war das eine Erklärung dafür, wo Yohko ihren Träumerblick her hatte, mit dem sie sogar Yoshi eingefangen hatte.
„Gehen wir, Akira-chan. Michael wird froh sein, dass das Versteckspiel ein Ende hat. Kitsune-chan!“
Neben mir schien die Fuchsdämonin aus dem Nichts zu entstehen. „Eri-sama?“
„Du hättest ihn aufhalten sollen, das weißt du.“
Abwehrend hob die Füchsin die Hände. „Ich bin zu spät gekommen, schlicht und einfach zu spät. Als ich bemerkte, wohin er unterwegs war, da…
Akira-chan, ich bewache dich nur, weil es immer noch unidentifizierte Agenten an Bord gibt, die dich töten sollen.“ Verlegen sah sie mich an.
Eri seufzte schwer. „Na, dann komm halt auch mit. Es wird schon für vier reichen.“
„Jaaaaha! Eri-samas Selbstgekochtes! Super!“
„Nun schleim dich nicht gleich so ein, Kitsune-chan“, tadelte ich.
Es war das erste Mal seit wir uns kannten, dass sie mich derart böse ansah. „Hast du schon einmal ihr Selbstgekochtes gegessen, Akira?“
„Äh…“ Verlegen kratzte ich mich an der Schläfe. „Nicht, dass ich mich erinnern kann. Meistens haben wir bei uns gegessen, und dann hat Mom gekocht und das war immer sehr lecker.“
„Kein Wunder. Sie hat es ja von mir gelernt. Und jetzt kommt, Ihr zwei.“
Übergangslos strahlte Kitsune wieder. „Eri-samas Selbstgekochtes. Eri-samas Selbstgekochtes…“
Resignierend folgte ich den beiden. Na, das konnte ja was werden.
**
Jora Kalis, die Offizierin, die Megumis Platz hatte einnehmen sollen, wirkte im Moment nicht besonders glücklich. Megumi hatte sie einen geschlagenen Tag bequatscht und schließlich hatte die Naguad zugestimmt, sich die Haare schwarz zu färben, damit die anderen sie leichter auseinander halten konnten.
Die Mediker der Naguad hatten ziemlich gut gearbeitet, sogar Megumi kam es manchmal vor als würde sie in einen Spiegel sehen. Deshalb hatte sie ihrer Schwester – so bezeichnete sie die Frau der Einfachheit halber – auch einen komplett anderen Modestil verordnet.
Auch die Frisur war verändert worden, die Ponyfrisur war einem kurzen Schnitt gewichen, der ihr aber ziemlich gut stand.
Dennoch sah sie aus als hätte sie zum ersten Mal in ihrem Leben in eine Zitrone gebissen.
„Nun hör schon auf zu schmollen, Jora“, murmelte Megumi und reichte ihr die Nudeln. „Iss lieber was, bevor du vom Fleisch fällst.“
„Danke, du bist zu fürsorglich“, erwiderte sie säuerlich.
„Es ist faszinierend“, sagte Doitsu mit nachdenklicher Stimme. „Das Ihr in der Lage seid, einen Menschen derart komplett umzugestalten… Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das als Wunder oder als Schwerverbrechen ansehen sollte.“
„Hm?“, machte Jora und sah auf. Die Offizierin im Leutnantsrang musterte den Hochgewachsenen Anführer der Yakuza und Bataillonsführer der Hekatoncheiren einige Zeit. „Ach das. Nein, das liegt nicht an der Medizintechnik. Selbst wir hätten so was nicht so schnell hingekriegt. Denk doch mal nach, das waren ja nur zwei Wochen. Nein, das hat nur so schnell geklappt, weil ich ihr ohnehin schon ähnlich sah.“
„Äh“, machte Doitsu und sah sie verlegen an. „Noch jemand am Tisch, der das nicht für einen Zufall hält?“
Yoshi, Yohko, Michi, Okame-tono und Akari hoben die Hand.
„Ah. Wollte es nur wissen. Was uns zu einer Frage bringt. Jora, warum hast du Megumi bereits ähnlich gesehen? Wenn es kein Zufall war, dann…“
„Dann liegt es daran, dass ein Teil meiner Genetik naguadschen Ursprungs ist“, kommentierte Megumi ernst. „Oder anders ausgedrückt, Jora und ich müssen um ein paar Ecken verwandt sein.“
Die KI-Meisterin der Naguad nickte. „Richtig. So sehe ich das auch. Deshalb bin ich ja so interessiert an euch. Vor allem an eurer Geschichte. Vieles, was Haus Daness in den letzten Jahrhunderten getan hat, liegt noch immer im Dunkeln verborgen, und ich habe Dutzende Fragen, die ich gerne beantwortet sehen würde. Wenn ich es genau betrachte, dann ist es meine Pflicht, mit der AURORA zur Erde zu fliegen und dort Nachforschungen anzustellen. Denn das Haus steht über dem Imperium.“
„Moment mal, Haus Daness?“, hakte Yoshi nach.
„Ich sollte wohl etwas weiter ausholen. Obwohl ich das alles schon euren Geheimdienstoffizieren erzählt habe und… Na, egal. Das Imperium der Naguad ist folgendermaßen gegliedert…“
**
Es gab nicht mehr besonders viele Dinge in meinem Leben, die mich schockieren konnten. Immerhin wäre ich beinahe zweimal gestorben, hatte einmal die Verantwortung für die gesamte Erde gehabt und meine Freundin tot geglaubt.
Andererseits, mich zu irren passierte mir anscheinend öfters.
Als ich das Appartement meiner Großmutter betrat, traf mich ein richtig harter Schock.
Konsterniert stand ich in der Tür und starrte den großen Mann an, der mich spöttisch musterte.
„Lass mich raten, Schatz. Er hat dich zufällig entdeckt und dich dann zur Rede gestellt.“
Oma Eri gab ihm einen Kuss. „Genau so war es. Es musste ja irgendwann passieren, Darling.“
Der Mann seufzte. „Komm rein, Junge. Oder willst du in der Tür stehen bleiben?“
„O-opa, du auch hier?“
„Blitzmerker“, brummte Opa Michael amüsiert.
Von hinten begann Kitsune zu schieben, sodass ich eher unfreiwillig in die Wohnung stolperte.
„Ich mache dann mal das Essen“, sagte Oma Eri schmunzelnd und verschwand. „Übrigens habe ich dem Jungen versprochen, dass wir ihm erklären, warum wir an Bord der AURORA sind.“
„Hm? So was habe ich mir schon gedacht, Eri.“ Opa setzte sich in die Couchecke und bedeutete mir neben ihm Platz zu nehmen. Zögerlich folgte ich der Aufforderung – wieder nicht ganz freiwillig, weil Kitsune schon wieder von hinten schob.
„Okay, Akira. Was weißt du schon?“
„Ich bin ein Naguad.“
Nun war es an Michael, mich erstaunt anzusehen. „Hast du etwa mit Torum Acati geredet?“
„Wer ist das denn schon wieder? Nein, mein Gesprächspartner war ein Mann, der mir verdammt ähnlich gesehen hat. Kapitän des Spezialzerstörers AGRINA. Sein Name ist Marus Jorr. Er hat mir etwas von einem Haus Arogad erzählt.“
Michael seufzte gequält auf. „Zu viele Informationen, und zudem zu schnell. Was hat sich der Jungspund nur dabei gedacht? Damit du alles richtig verstehst, Akira, muss ich etwas weiter ausholen. Bei meiner eigenen Geburt.“
**
„Die Passage zum Frachter ist dann bereit, Legat Taylor.“
Henry William Taylor sah von seiner Lektüre, Geschichtsdateien auf einem Datapad auf. „Danke.“
Er erhob sich, griff nach der Tasche mit den wenigen Sachen, die er sich erlaubt hatte mitzunehmen und folgte dem zivilen Angestellten des Raumhafens zur Schleuse.
„Übrigens, was denken Sie über die Entwicklung um Lorania?“, fragte Taylor aus einer Laune heraus.
Der junge Mann, eindeutig ein Anelph, zuckte leicht zusammen. „Was ich… Was ich davon halte? Ich habe keine Meinung, Legat.“
Henry Taylor konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das war genauso gut wie eine positive Meinung über das Vorgehen des Komitees und der AURORA. Nur, hier draußen war die Präsenz der Naguad zu stark, um das offen sagen zu können.
Vor einer Schleuse blieb der Mann stehen und fügte hinzu: „Aber ich bin ein großer Fan von Joan Reilley. Gute Reise, Legat.“
„Danke“, erwiderte er und betrat den Gang. Diese Antwort, ich mag Joan Reilley, hatte er nun schon zum siebten Mal gehört. Und langsam fragte er sich, ob die Anelph so die Spreu vom Weizen trennen wollten, oder ob sie der für sie so fremden Musik doch verfallen waren.
„Ein wenig von beidem“, entschied Henry und betrat den Frachter.
In seiner erschreckend geräumigen Kabine widmete er sich wieder dem Pad und der Geschichtslektion.
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Joan Reilley sang. Sie sang mit all ihrer Kraft und ihrer ganzen Stimme. Zudem a capella, aber durch Lautsprechersysteme verstärkt. Zuvor hatte sie ein Medley mit einigen der bedeutendsten Künstler Loranias gesungen, beziehungsweise mit ihrer Band und den Musikern der Anelph gespielt. Und bald würden sie wieder mit ihr spielen.
Garkan Front zum Beispiel, auf Lorania absolute Superstars, machten sich schon wieder bereit, nach Joans Solo einzufallen.
Sinn und Zweck des Ganzen war es, die gut eine Million Menschen und Naguad abzulenken, um keine Panik ausbrechen zu lassen. Ein hektischer Ruf, ein einzelner, der umstürzte, konnte seine Umstehenden in Panik versetzen und damit das auslösen, was sie alle hier nicht wollten. Eine Massenpanik mit all ihren schrecklichen Konsequenzen.
Die ersten erklommen schon die Plattformen, die Planung hatte eine Stunde eingeplant, bis alle einen Platz gefunden hatten. Danach würden es nur noch wenige Minuten dauern, bis das Resonatorfeld aktiviert werden würde.
Anschließend würden Freiwillige all jene von den Plattformen holen, die wider Erwarten nicht in Resonanz getreten waren, deren Zeitablauf nicht auf nahezu null reduziert worden war.
Und in all der Zeit würde Joan mit ihrer Band, mit Garkan Front, mit dem Solostar Jegen Aderna Zaft, Traumwelt und weiteren hochrangigen Vertretern Loranias musizieren.
Opium fürs Volk, hatte Makoto das genannt, aber Joan sah es nicht so. Für sie war dies ein riesiges Festival. Es machte ihr viel Spaß, für die Anelph zu singen. Die Zusammenarbeit mit den Künstlern der Anelph verlief problemlos und inspirierte ihre eigene Arbeit.
Sie war dankbar dafür, dass die Künstler sich zur Verfügung gestellt hatten, obwohl nur ein Teil von ihnen zum Komitee gehörte. Aber es war wohl so wie Zaft in der Vorbesprechung gesagt hatte: Das waren ihre Leute da draußen und für sie mussten sie alles geben.
Joan beendete ihr Solo. Neben sich hörte sie schon, wie der Drummer von Garkan Front den Rhythmus des nächsten Liedes vorgab. Das Schlagzeug der Anelph hatte große Ähnlichkeit mit dem der Menschen – und unterschied sich doch wieder in vielen Details. Dieser Teil des Austauschs würde ihnen allen besonders viel Spaß machen.
Noch fünfundfünfzig Minuten bis zur Aktivierung des Torpedos.
Sakura lächelte zur ihr hinauf und zeigte ihr den erhobenen Daumen der rechten Hand.
Makoto, in voller Flottenuniform, grinste sie frech an.
Joan spürte, wie ihr ein Stich durchs Herz ging. In Uniform war Mako-chan ja so männlich.
3.
Torum Acati fuhr hoch. Schlagartig war ihm alles klar. Sein Körper war in Schweiß gebadet und sein Herz schlug hektisch, sein Atem ging, als wäre er gerade seine zwanzig Kilometer Tagespensum gelaufen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. „Diese Kinder…“
„Bleiben Sie bitte noch liegen, Begam“, vernahm er die Stimme vom Bordarzt. „Das Feedback hat Sie ganz schön mitgenommen.“
Irritiert folgte sein Blick der Stimme. Der Ältere setzte gerade ein Medikament in einem Drucksprayer an. Acati kannte die Farbe des Präparats. Es handelte sich um ein Mittel, um den eigenen KI-Fluss zu stabilisieren.
Als die Lösung intramuskulär injiziert wurde, spürte er beinahe sofort den Effekt. Mit jeder Sekunde wurde er ausgeglichener.
„Danke.“
„Was ist passiert, Begam? In diesem Zustand habe ich Sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen.“
Der Abgesandte des Rates senkte den Blick. „Es… An Bord der AURORA werden einige sehr mächtige KI-Meister heran gezogen. Viele von ihnen sind noch halbe Kinder, und dennoch haben sie mich entdeckt. Sie werden vom Daimon ihrer Heimatwelt geschützt. Und nicht nur das. Ich habe an Bord auch eine Spur von Arogads Verrätern gefunden.“
Der Arzt schwieg verblüfft. „Arogads Verräter? Jetzt wissen wir was sie die letzten dreihundert Jahre gemacht haben. Mit soviel Zeit und der Unterstützung der Daimon ihrer neuen Heimatwelt ist es offensichtlich, dass sie KI-Meister aufbauen konnten, die Sie in Ihrer Schattenexistenz aufspüren und abwehren konnten, Begam.“
Torum Acati stemmte sich hoch. „Die AURORA darf dieses System nicht mehr verlassen! Wir müssen das verhindern, um jeden Preis! Wir müssen ihrer KI-Meister besiegen, hier und heute!“ Von einem Schwindelanfall geplagt sank er wieder auf das Lager. „Na, vielleicht in ein paar Stunden.“
„Sind die KI-Meister der AURORA so mächtig?“
„Nein.“
Der Arzt atmete auf. Das wäre auch das erste Mal seit er dem Orden diente, dass Torum Acati eine solche Feststellung getroffen hätte.
„Noch nicht“, fügte Acati an und brachte den Arzt aus der Fassung.
Acati legte eine Hand auf die Stirn. „Lassen Sie meinen Banges bereit machen. Ich werde mich hier die nächsten acht Stunden ausruhen. Danach werde ich nach Lorania rüber fliegen und die KI-Meister der AURORA stellen. Unter ihnen gibt es keinen, der es mit meiner ganzen Kraft aufnehmen kann.“
„Oder Sie haben solch einen Menschen bisher nicht entdeckt“, gab der Arzt zu bedenken.
„Sie haben Recht. Wir sollten uns absichern. Informieren Sie die Ordensmeisterin über Ihren Verdacht.“ Acati sah den Arzt an. „Bitte. Die Gefahr, die von diesem Schiff ausgeht ist größer als ein rebellierendes Kanto-System, größer als eine desertierende Division Banges.“
„Desertierende Division Banges? Wie kommen Sie jetzt darauf?“, fragte der Arzt erstaunt.
„Weil es gerade geschieht“, murmelte der Naguad ernst und schloss die Augen. „Verdammte Kopfschmerzen. Verdammte Kinder. Verdammte AURORA! Verdammtes Haus Arogad!“
Kurz darauf gellte der Alarm durch die Fregatte KON.
**
„Das Imperium ist derzeit in siebzehn Verwaltungsbezirke und neunzehn Marken eingeteilt. Die siebzehn Bezirke mit dem Prime-System im relativen Zentrum gelten als befriedetes Terrain, als Horte der Sicherheit und Garanten für freien interstellaren Handel. Jeder Bezirk steht für System mit mindestens einer bewohnten Sauerstoffwelt, und umfasst sämtliche Planeten des Systems sowie einen Teil der unbewohnbaren Planeten der Nachbarsysteme, sofern sich dort keine Sauerstoffwelten mit akzeptablen klimatischen Bedingungen und/oder Eingeborenen befinden. Falls das Imperium in diesen Systemen Interessen hat, angefangen bei Garnisonen des Militärs, Sprungrouten für Handel und Nachschub oder Ressourcen auf Planeten, Monden oder Asteroiden.
Die neunzehn Marken umfassen ebenfalls ein Sonnensystem mit mindestens einer Sauerstoffwelt sowie umliegenden Systemen, in denen das Imperium Interessen vertritt. Hierbei handelt es sich um Systeme und Welten, die entweder noch nicht genetisch angepasst sind, den imperialen Standard noch nicht übernommen haben oder dem Imperium selbst feindselig gegenüber stehen.
Des Weiteren gibt es fünf weitere Bereiche, die so genannten Kampfzonen. In ihnen agieren imperiale Flotten, um diese für das Imperium nutzbar zu machen.“
Henry William Taylor sah von seiner Lektüre auf. Von den Cores wurde gar nichts erwähnt. Gab es also auch im Imperium Geheimnisse, die man nicht gerade freigiebig mit der Öffentlichkeit teilte?
Er sah auf den Monitor, der mit einer Kamera verbunden war, welche die Fahrtrichtung zeigte. In diesem Fall ein paar ferne Sterne und jede Menge undurchdringliche Schwärze. Nicht mehr lange, und sein Frachter würde springen. Zuerst nach Grido, einem der Mark-Systeme, wie Kanto auch eines war, danach in ein Bezirk-System, Rovekk. Dort musste er umsteigen, um nach Naguad Prime zu gelangen. An das Ziel seiner Mission. Es war eine Reise von drei Monaten. Eine Reise, in der er mehr Wissen über die Naguad zu erlangen hoffte. Zumindest wesentlich mehr als aus diesen allgemein zugänglichen Informationsquellen. Vor allem die Andeutungen über einen geheimnisvollen Orden waren es wert, tiefer zu graben.
Kurz dachte er an die anderen zwanzig Kronosier, die er für diese Mission rekrutiert hatte und die nun ebenso wie er auf möglichst unspektakulärem Weg dabei waren, das System zu verlassen. Einer, nur einer von ihnen musste zurückkehren, um die Erde über seine Erkenntnisse zu informieren. Mehr wollte Taylor gar nicht. Und dieser jemand musste nicht einmal er selbst sein. Nicht unbedingt.
Dann kam der Sprung.
**
Ace Kaiser
„Um mich zu verstehen, musst du wissen, dass ich in die eher unbedeutende Familie Fioran geboren wurde. Familien sind bei den Naguad nicht dasselbe wie bei den Menschen. Nein, das ist so nicht richtig. Es gab diese Form auch bei den Menschen, es ist der Lehnsherrschaft verwandt. Es gibt einen Herrscher und dessen engere Familie, die der Familie vorsteht und die Anführer stellt. Und es gibt tausende, ja Millionen, die in diese Familie hineingeboren werden und die unteren Ränge besetzen, von Kriegern über Verwalter und Ingenieure bis hin zu Arbeitern.
Diese Familien bilden das Rückgrat des Imperiums, auf ihnen erbaut der Rat seine Macht.
Meine Familie, Fioran, gehört wie ich schon gesagt habe zu den unbedeutenderen. Sie hat nur einen Vertreter im Rat und versuchte damals schon diesen Umstand zu ändern. Von meinen Verwandten wurden besonders viele zum Explorercorps geschickt, zum Militär, in die Reichsverwaltung. Ansehen erwirbt eine Familie durch Engagement für die Allgemeinheit, für eroberte Territorien oder für neu entdeckte Systeme.
Auch mein Schicksal stand seit meiner Geburt fest. Ich war dazu ausersehen, ins diplomatische Corps einzutreten und meinen Dienst in der Verwaltung des Imperiums zu leisten. Oder um es mal direkt auszudrücken, ich sollte dafür sorgen, dass sich die eroberten Gebiete in befriedete Gebiete verwandeln, damit das Imperium weiter expandieren kann.
Das sollte mein Schicksal sein, das vor über vierhundert terranischen Jahren begann.“
Opa senkte den Blick und schmunzelte. „Aber es kam alles anders, so vollkommen anders.
Wie ich schon sagte, stützt sich das Imperium auf die Familien als Grundpfeiler der Expansion. Es gibt viele Familien, die eigene Flotten unterhalten und mit Genehmigung des Rates eigenständig das Imperium erweitern. Auf diese Aktivitäten ist auch die Core-Technologie zurückzuführen, mit der wir solchen Ärger hatten. Das Imperium lässt die Familien gewähren und kontrolliert ihre Aktivitäten lediglich, denn stoppen kann es sie nicht.
Es gibt neun große Familien auf Naguad Prime. Daness, Arogad, Bilas, Koromando, Elwenfelt, Grandanar, Fioran, Logodoboro und Awarima.
Dazu kommen noch ein paar Dutzend Nebenzweige, kleinere Familien und dergleichen.
Allen gemein ist ein Credo: Das Imperium zu erweitern und die Zone ruhigen Handels und Wirtschaftswachstums auszudehnen. Ob die Völker, auf die das Imperium ausgedehnt werden soll daran interessiert sind oder nicht ist ihnen herzlich egal.“
„Ich habe eine Frage, Opa“, sagte ich ernst. „Gelten diese Familien auch für das Militär und die eroberten Systeme?“
„Nein. Im Militär zählen nur die eigenen Ränge. Natürlich gibt es auch hier Protektionismus von begabten Soldaten und Offizieren durch höhere Offiziere der eigenen Familie. Aber generell versucht das Imperium, abgesehen von den Hausflotten der großen Familien, das Militär vom Einfluss freizuhalten. Nichtsdestotrotz haben viele Familien bereits ihre Expansion auf die Distrikte vorangetrieben.“
Ich nickte ernst. „Verstehe. Meinst du, ein Bürgerkrieg könnte zwischen den großen Familien ausbrechen?“
„Nein.“ Opa Michael schmunzelte. „Nicht ohne einen wirklich vehementen Einfluss von außen. Denn um das zu verhindern gibt es den Rat. Wer einmal als Ratsherr gewählt wurde, schwört seiner Familie ab und dient ausschließlich dem Wohl aller Naguad und aller assoziierten Völker. Und dann gibt es noch den Orden, der sich vollkommen der Integrität des Reiches verschrieben hat.“
„Zum Wohle der assoziierten Völker?“, fragte ich Stirn runzelnd.
„Auch wenn es auf dich so wirkt, Akira, aber wir Naguad sind keineswegs eine Invasionsmaschinerie. Das Credo der Naguad ist und war, alle Völker in dieser Region unter einem Banner zu vereinen, um jeden Preis. Wie dieser Preis manchmal aussieht, hast du selbst erlebt. Aber generell ist das Anliegen des Imperiums lobenswert.
Um dieses Ziel zu erreichen, um alle Völker gleich zu stellen haben Forscher schon vor zweitausend Jahren, nach den Arogad-Kriegen, die genetische Manipulation entwickelt.“
Ich richtete mich auf. „Na, langsam fangen die interessanten Themen an.“
„Ja, nicht wahr? Ich war auch ganz aufgeregt, als ich damals zum ersten Mal davon hörte“, meldete sich Kitsune zu Wort.
Opa Michael ignorierte die Dämonin schmunzelnd. „Das Thema an sich ist dir ja bekannt, nicht, Akira? Dadurch, dass der Core ein paar hundert Menschen die Gift gewährt hat, sind sie zu Kronosiern geworden, sprich Naguad. Dadurch gehörten sie dem Volk der Angreifer an, mit allen Privilegien und Pflichten.
Ziel und Zweck dieser Technik war es von Anfang an, alle humanoiden Völker derart zu manipulieren. Ein System in dem sich die Naguad-Genetik zu vierzig Prozent ausgebreitet hat, gilt als vollwertig dem Imperium zugehörig.
Das Prinzip der genetischen Manipulation ist simpel. Durch Retroviren wird ein Teil der Erbinformationen umprogrammiert und dem Genom der Naguad angeglichen.
Sieben der neun großen Häuser haben dafür ein Exempel gestellt. Das heißt, es gibt sieben Grundtypen für die genetische Manipulation. Früher waren es neun, aber zwei Häuser haben ihr Exempel wieder zurückgezogen. Dies sind die Häuser Awarima und meines, Fioran. Warum das geschehen ist kann ich dir nicht sagen. Aber es begründet, warum meine Familie relativ wenig Macht hat.
Bei der Umprogrammierung der DNS geht es vor allem um Äußerlichkeiten. Haare, Haut, Augen. Sekundär aber auch um Gesundheit. Seit über zweitausend Jahren fügt der Rat Verbesserungen in die genetische Struktur ein. Leistungsverbesserte Synapsen, stärkere Arterien und Venen, optimierte innere Organe. Kleinigkeiten nur, die aber in der Summe dazu führen, dass ein Naguad einem normalen Menschen ein wenig voraus ist. Du hast diese Genetik zum Teil, Akira. Du bist zu fünfzig Prozent ein Naguad. Yohko wurde von Retroviren umprogrammiert und ist nun eine vollwertige Naguad. Das bedeutet aber nicht, dass ihre terranische Hälfte komplett umprogrammiert wurde. Lediglich einige spezifische Merkmale sind davon betroffen. Aber es reicht, um ihr die Augen und die Haarfarbe zu verändern.“
Ich nickte verstehend. „Das Reich muß sehr friedlich sein, wenn man niemanden wegen einer fremden Genetik diskriminieren kann.“
„Ja, das war damals der Grundgedanke, an den sich das Imperium immer noch hält. Und das ironische ist, langfristig klappt es sogar.“
„Vergiss nicht von unserer Mission zu erzählen, Schatz“, rief Oma Eri aus der Küche herüber.
„Werde ich schon nicht vergessen“, brummte Opa zurück. „Wo war ich? Nun, wie du dir denken kannst, Akira, ist nicht alles Gold was glänzt. Selbst wenn sich alle Familien dem Ziel des Imperiums verschrieben haben, so gibt es doch immer noch Streitigkeiten und Rivalität.
Der Rat und der geheime Orden können nicht alle Ambitionen im Zaum halten und alle eigennützigen Ziele verhindern. Sie können nur ihr Bestes geben, um ihre Fehler auszugleichen.“
Michael breitete die Arme aus als wolle er die Welt umfassen. „Wo wir gerade beim Thema sind, das Kanto-System ist so ein Fall. Haus Elwenfelt hat dieses System vor fast vierhundert Jahren entdeckt und versucht, einen friedlichen Kontakt zu etablieren. Haus Logodoboro hingegen war zu diesem Zeitpunkt in… Nun, Schwierigkeiten. Sie brauchten Erfolge, militärische, wirtschaftliche. Ein neues System, zudem schnell befriedet wäre so ein Erfolg gewesen. Also griffen sie mit Hauseigenen Flotten an. Das Ende vom Lied war, dass der Rat Flotten schicken musste, um zu verhindern, dass vom Kanto-System ein Großbrand ausging, der das halbe Reich erfasst hätte. Im Nachhinein standen sich Lorania und Prime immer misstrauisch gegenüber. Dementsprechend hart wurde das Kanto-System angepackt. Es ist also kein Wunder, dass die Beziehungen noch immer auf wackligen Füßen stehen. Und das es nun tatsächlich zu einem Aufstand gekommen ist.“
„Langsam frage ich mich, ob ich mein Katana brauche. Auf welcher Seite stehst du eigentlich, wenn das Imperium doch so supertoll ist und das Kanto-System eigentlich nur wegen einem Missverständnis so rebellisch ist?“, murrte ich wütend.
„Akira-chan, so kannst du nicht mit Michael-sama reden!“, beschwerte sich Kitsune bei mir.
Erstaunt sah ich die Dämonin an. „Nanu? So ernst kenne ich dich ja gar nicht.“
„Ist doch wahr. Das hier ist ja auch Michael-sama! Ach nee, das kannst du ja nicht wissen. Aber egal, du solltest ihn mit Respekt behandeln, alleine schon um Helen-tono Respekt zu erweisen.“
„Was hat denn meine Mutter damit zu tun?“
„Greif nicht so vor, Kitsune-chan“, tadelte Opa milde. „Du hast eine gute Frage gestellt, Akira, und ich will sie dir beantworten. Hast du einen Ort, den du Zuhause nennst?“
„Du antwortest mit einer Gegenfrage?“
„Akira…“
„Ja, verdammt, den habe ich. Ein kleiner blauer Ball im Universum, der mit acht Geschwistern um eine gelbe Sonne kreist und auf den wunderbaren Namen Erde hört.“
„Siehst du. Ich auch. Und mein Zuhause ist auch die Erde.“
Er schwieg für einen Moment, versunken in Gedanken, die ich nicht erahnen konnte. „Wir… ich und Eri haben… Haben auf der Erde unsere Heimat gefunden. Unsere wahre Heimat. Und wir haben für sie gekämpft. Das Imperium ist ein Riese. Wenn der Schatten des Riesen auf die Erde fällt, dann wird sie nie wieder das sein, was sie jetzt ist – oder das, was sie eigentlich einmal werden sollte. Sie muß selbst zum Riesen werden und dem Imperium auf gleicher Ebene gegenüberstehen. Nur dann kann das Imperium ihr nicht Geschichte, Kultur und Identität entreißen, wie es dies mit den anderen bewohnten Systemen gemacht hat, so hehr die Ideale des Rates auch immer waren und sind.
Aber ich schweife ab. Eri war… Nein, eigentlich ist sie es noch immer. Deine Großmutter, mein Junge ist aus der Familie der Arogad.“
Opa schwieg einige Zeit und musterte mich interessiert. Er erwartete eine Reaktion von mir und ein klein wenig panisch dachte ich darüber nach, was er von mir erwartete.
„Moment Mal, wenn du sagst, sie ist aus der Familie Arogad, dann meinst du nicht das Haus an sich. Du meinst die Hauptfamilie, die ihm vorsteht, richtig?“
Oma Eri sah lächelnd zu uns ins Wohnzimmer. „Ich habe dir doch gesagt, er ist ein fixer Junge, Michael.“
„Das stand doch außer Frage, Schatz. Okay, es gab eine Zeit, in der Arogad mit Fioran eng zusammen gearbeitet hat. Wir hatten die Spezialisten, Ingenieure und Soldaten und Arogad hatte die Schiffe. Und beide Familien hatten den dringenden Wunsch, sich dem Rat gegenüber zu empfehlen. Eri war Soldatin, war es schon lange bevor ich geboren wurde. Sie war es, die das Kommando über ein Schiff der Familie Arogad übernahm und zu einer Expedition in unbekannte Sonnensysteme aufbrach.
Es war eigentlich eine reine Forschungsmission, wir wollten die Weichen für die nächsten tausend Jahre stellen. Nicht erobern und beherrschen. Aber es kam alles anders, so vollkommen anders.
Na, das erzähle ich dir ein andernmal. Du willst ja wissen, warum du Naguad-Genetik in dir trägst, deshalb will ich das mal anreißen.“
„Ooooooch, ich höre die Geschichte aber so gerne“, maulte Kitsune.
Michael tätschelte ihr den Kopf. „Ein anderes Mal. Außerdem, du warst doch selbst dabei.“
„Du erzählst es aber immer so toll, Michael-sama.“
„Nein, das würde hier und jetzt zu weit führen“, bestimmte Michael und seine Stimme deutete an, dass er sich nicht erweichen lassen würde.
„Jedenfalls, wir mussten uns damals entscheiden, was wir tun sollten. Letztendlich sind Eri und ich auf der Erde gestrandet, fern des Imperiums. Ehrlich gesagt hatten wir damals auch kein Interesse daran, zurück zu kehren. Darum richteten wir uns auf der Erde ein. Tja, es kam so wie es kommen musste, läppische zweihundert Jahre später war deine Mutter unterwegs. Das bedeutete natürlich für Eri, dass sie um etliches ruhiger werden musste!“ Die letzten Worte hatte Opa extra laut gesprochen, damit sie ihn auch hören konnte.
„Wie wahr, wie wahr“, seufzte Kitsune.
„Red du nur. Du bist doch der Springinsfeld, der immer alles auf einmal haben will. Wenn ich da nur an deinen ersten Kampf denke… Gegen einen ausgebildeten KI-Meister, ohne Rückendeckung und gerade erst ahnend, was in dir schlummert. Und dann soll ich leichtsinnig sein?“, kam es aus der Küche zurück. „Hm, etwas mehr Salz wäre nicht verkehrt.“
„Es ging um dein Leben. Was blieb mir anderes übrig?“, konterte Michael. „Na, jedenfalls wurde deine Mutter vor siebzig Jahren geboren. Sie war zwar eine vollwertige Naguad, aber das Leben auf der Erde war das einzige, was sie je kennen gelernt hat. Sie… Nein, das führt auch zu weit. Es reicht wenn ich dir erzähle, dass sie vor fünfundzwanzig Jahren auf deinen Vater traf. Und es war wirklich keine Liebe auf den ersten Blick. Wie sie sich zusammengerauft haben… Na ja, es war jedenfalls eine lustige Zeit für Eri und mich. Für Helen und Eikichi eher nicht.“
„Nun mach die Kinder doch nicht schlechter als sie damals waren“, tadelte Oma Eri aus der Küche. „Sie waren halt füreinander bestimmt und nichts in diesem Universum konnte das ändern.“
Michael schien für einen Moment in die Weiten des Universums zu starren. Sein Blick ging durch mich hindurch, als hätte ich keinerlei Substanz. „Es… Der Preis war viel zu hoch.“
„War er nicht“, antwortete Oma aus der Küche.
„Du hast deine Meinung, ich habe meine Meinung“, brummte Michael zurück. „Na, irgendwann haben sich die beiden eben gefunden. Sie ließen sich in Japan nieder und… Das Ergebnis waren du und Yohko. Deshalb bist du ein halber Naguad.“
Ich runzelte die Stirn. „Wenn ich dich richtig verstanden habe, Opa, dann ist die Gift keine Komplettumprogrammierung, oder? Sie ändert einige Details, wichtige Details, und der Mensch mit der Gift geht fortan als Naguad durch. Aber die Erbsubstanz wird nicht komplett umgeschrieben. Ich meine, es ist nicht so wie bei den Viren, die in gesunde Zellen eindringen und die Zellen zwingen, das Erbgut der Viren zu reproduzieren. Wenn ein Kronosier Kinder zeugt, dann sind das keine obskuren, eigentlich schon lange tote Naguad, sondern seine Kinder mit… Na, mit ein paar Extras.“
„Ich würde es vielleicht nicht gerade so flapsig ausdrücken, aber im Prinzip hast du Recht, Akira.“
„Verstehe.“
„Genug geredet. Essen ist fertig. Ich habe mich extra beeilt, weil Akira ja gleich los muß.“
„Hä? Wieso?“, fragte ich, wie ich zugeben muß mit keinem besonders intelligenten Gesichtsausdruck.
„Na, in einer halben Stunde wird der Resonanztorpedo aktiviert. Dann sollte der Oberkommandierende der Hekatoncheiren-Division bei den anderen Repräsentanten der Operation Troja sein, oder?“
Siedendheiß fiel es mir wieder ein. Richtig, ich sollte ja eigentlich ganz woanders sein!
„Hier geblieben!“, rief Michael und packte mich am Kragen, als ich aufstehen und zur Tür rennen wollte. „Ich bringe dich nachher rüber nach Hause, damit du dich umziehen kannst. Und ich bringe dich auch raus zu den Plattformen. Aber jetzt isst du erstmal was.“
„Genau“, tadelte mich Oma. „Du bist so schrecklich dünn, Akira. Du musst wirklich mehr darauf achten, dass du genügend isst. Kocht Kitsune-chan zu wenig?“
„Ist nicht meine Schuld!“, beschwerte sich die Dämonin. „Akira-chan hat die letzten beiden Mahlzeiten ausfallen lassen.“
„Kitsune-chan!“
„So? Das klingt aber gar nicht gut, Akira. Warum machst du solche Sachen? Deine Gesundheit ist eines der Kapitale der Division und der ganzen Operation.“
„I-ich war beschäftigt, Oma.“
„Beschäftigt?“ Sie sah mich mit hochgezogener Augenbraue an, als sie mit einem großen Tablett ins Wohnzimmer kam.
„I-ich hatte… Nun… Megumi und ich, wir… Es gab da einiges zu besprechen und…“
„Anstatt etwas zu besprechen hättet Ihr ordentlichen Sex haben sollen“, tadelte mich Oma. „Die Jugend von heute hat irgendwie keine Leidenschaft mehr. Ist sie nun deine feste Freundin oder nicht?“
Ich spürte wie ich rot wurde. Das war ein Thema, das ich ausgerechnet mit der Mutter meiner Mutter nicht besprechen wollte. „Nun…“
In Eris Augen glomm es kurz auf. „Ach so. SO etwas zu besprechen. Na, dann musst du erst Recht gut essen, denn es gibt bestimmt eine Rückrunde.“ Sie zwinkerte mir zu.
Und ich wurde von einem hartnäckigen Hustenanfall geplagt. Großeltern, wer hatte die eigentlich erfunden?
**
Jora sah nachdenklich aus dem Fenster der Magnetschwebebahn, die sie und die anderen gerade hinaus trug zum Live-Konzert der loranischen Stars und Joan Reilley.
„Also, die Gliederung in Familien und überparteiliche Ratstruppen haben wir jetzt verstanden“, sagte Yoshi nachdenklich, „auch das Prinzip, nach dem der geheime Orden existiert, dem du und Maros und einige weitere Offiziere an Bord angehören.“
Die Naguad nickte nachdenklich. Dabei besah sie sich die junge Frau neben sich heimlich genauer. Megumi Uno war so unverwechselbar ein Kind von Haus Daness, dass es ihr beinahe körperlich weh tat darüber nachzudenken, wie das möglich war. Sie selbst wusste, dass sie Naguad-Gene in sich trug. Aber sicher wusste sie noch weniger als Jora Kalis selbst.
„Der Orden besteht aus KI-Meistern und Dämonenkönigen meiner Heimatwelt sowie anderer Welten, die von uns ins Imperium integriert wurden. Der Orden wirkt im Verborgenen für den Erhalt und die Stabilität. Ihr könnt euch vorstellen, dass es bei unserem Regierungsprinzip und dem großen Gegengewicht der neun großen Familien permanent zu Reibereien kommt, ja, zu Aufständen. Von der Befriedung der Marken einmal ganz zu schweigen. Der Orden hat als oberstes Gebot den Frieden als Ziel. Denn Frieden, fast um jeden Preis, bedeutet, dass es keine Kollateralschäden gibt. Ich bin von diesem Prinzip nicht überzeugt. Aber ein besseres kann ich auch nicht anbieten. Und das Imperium ist mittlerweile viel zu groß, als dass es friedlich in seine Bestandteile zerfallen könnte.“
Sie dachte über ihre Worte einen Moment nach. Das meiste, was sie erzählt hatte, gehörte zu Wissen, das sie normalerweise nicht einmal unter Folter preisgegeben hätte, egal wie banal es eigentlich war. Aber hier fiel es ihr bemerkenswert leicht. Und diese jungen Leute und ihre… Schwester hatten ein Recht die Hintergründe zu erfahren.
„Leider ist der Einfluss der Häuser viel zu groß. Wer in den Rat eintritt, gibt seine Loyalität gegenüber der Familie auf. Aber dann gibt es dort einen Bau zu genehmigen, hier wäre eine Gesetzesänderung zu machen, und so weiter. Die Verbindungen gibt es immer noch und absolut unbestechlich ist niemand. Deshalb wird vom Rat auch nur verlangt, das Beste zu geben was er hat.
Leider sind die Familien bei weitem eigennütziger. Was dazu führt, dass selbst mein Haus Daness, die größte und einflussreichste Familie und wichtigste Stütze des Rates oftmals eigennützig handeln muß, wenn sie den anderen Häusern gegenüber nicht zurückbleiben will.
Oh, ich hasse das. Aber es ist so oft nötig… Wir sind eben Naguad, keine Heiligen. Noch nicht.“
„Heilige sind ja auch langweilig“, kommentierte Yoshi grinsend.
„Lass sie ausreden, Schatz“, tadelte Yohko ihren Freund.
Jora musste kurz zwinkern, als sie die junge Frau musterte, wieder einmal. Soweit sie es mitbekommen hatte, war ihr die so genannte Gift verabreicht worden.
Ihre Gesichtszüge erinnerten sie an Haus Arogad, sie sah ihrem Bruder sehr ähnlich. Aber die Haare und die dunklen Augen sprachen eher für Haus Elwenfelt.
Kurz schmunzelte sie. Da hatten die auf Elwenfelt-Genetik umprogrammierten Kronosianer also tatsächlich einer Tochter von Haus Arogad noch die Gene eines anderen Hauses aufgepropft.
„Ja, so könnte man es darstellen. Ironie pur, wenn du mich fragst, Jora.“
Verwirrt sah die Naguad auf. „Habe ich etwa laut gedacht?“
„Ich glaube, die einzige die es nicht gehört hat war Ban Shee Ryon an Bord der SUNDER“, kommentierte Yoshi spöttisch.
Was ihm einen tadelnden Blick der Frauen einhandelte.
Der Zug hielt in Charleston, einer der vier Kleinstädte in der Ebene der AURORA. Von hier war es zu den Feldern und den Live-Konzert nur ein paar hundert Meter.
„Kommt Ihr auch endlich?“, fragte Doitsu amüsiert. Neben ihm stand Hina Yamada und lächelte die anderen an. „Wollen wir dann?“
„Moment, wo ist den Akira?“, fragte Megumi. „Er sollte doch längst hier sein.“
„Er hat uns versetzt“, stellte Daisuke fest. Er kam mit Sarah auf die Gruppe der Freunde zu.
„Hey, wir waren im gleichen Zug?“ Mamoru Hatake verließ gerade den vordersten Wagen, neben ihm Akane Kurosawa. Ihnen folgte Gina Casoli. Sie ging ein Stück hinter dem Paar und deutete feixend auf die Tatsache hin, dass die beiden Händchen hielten.
„Für dich müssen wir dann wohl auch noch einen backen, was, Gina?“, meinte Megumi leise.
„Äh…“ Die junge Argentinierin mit den italienischen Wurzeln wurde rot. „Wo ist den Akira? Kommt er wieder zu spät?“
Kenji Hazegawa kam zusammen mit Emi Sakubara auf die Gruppe zu. „Gespenstisch. Wir waren im gleichen Zug? Hm, einige fehlen aber noch. Wo sind denn Micchan und Akari?“
„Die sind schon einen Zug früher.“
„Und Kei?“
„Soweit ich weiß, schiebt Kei-tono Dienst an Bord der SUNDER“, ließ sich Okame vernehmen. Der große Dämon redete nie besonders viel, und auch heute waren selbst seine wenigen Worte karg und trocken vorgebracht. „Wir befinden uns in einer kritischen Phase.“
„Schon klar. Sobald wir den Torpedo aktiviert haben, beginnt der Countdown zum splitten der Flotte und der Ausquartierung von zwei Regimentern der Hekatoncheiren.“ Mamoru runzelte die Stirn. „Die AURORA kann in nur fünf Stunden abflugbereit sein.“
„Häh? Wir waren im gleichen Zug?“ Ami Shirai kam aus dem letzten Waggon raus und schlenderte zur Gruppe. „Ist Kei gar nicht dabei?“
Yoshi grinste das blasse Mädchen an. „Wieso, vermisst du ihn?“
„So habe ich das nicht gemeint“, blaffte sie und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Sicherheitshalber trat Yoshi einen Schritt zurück. Die Frau sah zwar aus als würde sie jederzeit bei einem ernsten Huster in zwei Teile brechen, aber ein schwarzer Gürtel in Karate, einer in Judo und ihre Fähigkeit, sich in eine Slayer zu verwandeln machten sie in diesem gereizten Zustand sogar für einen KI-Meister wie ihn gefährlich.
„Sakura-sensei ist bestimmt schon da“, sagte Hina. „Joan sowieso und Makoto wird dann in ihrer Nähe sein.“
„Dann sollten wir auch gehen“, bestimmte Daisuke und setzte sich in Bewegung. Die anderen folgten.
„Und, Doitsu, was macht das Yakuza-Geschäft so?“
„Nun, nachdem wir die Söhne der AURORA ausgelöscht haben, ist Wachdienst in der Grey Zone fast unnötig geworden. Da unten gibt es niemanden mehr, der Recht und Ordnung beeinträchtigt oder unsere Vorreiterstellung angreift.“
„Verstehe. Damit brechen auch ein Teil eurer Einnahmen weg, richtig?“
Doitsu zuckte die Achseln. „Soll mir nur Recht sein. Eine friedliche AURORA ist mir lieber als eine unruhige. Der kleine Preis, den wir dafür bezahlen… Phhhh.“
Die beiden sahen sich kurz an. „Und, Dai-chan, deine Kottos bleiben an Bord der AURORA?“
„Ja. Ich nehme an, du bleibst ebenfalls an Bord, schon alleine wegen der Yakuza, oder?“
„Ich will nicht feige sein und so aussehen als würde ich davonlaufen. Aber nachdem mein Bataillon umgegliedert ist, werde ich dir unterstellen. Die AURORA kann ebenso wie Akira eine Menge guter Piloten gebrauchen.“
„Dagegen ist nichts zu sagen. Trotzdem fühle ich mich als würde ich davon laufen“, sagte Hina ernst. „Ich werde die AURORA begleiten. Sarah ebenfalls. Wir werden noch einen dritten Slayer mitnehmen, aber den Rest übergebe ich dir, Megumi.“
Die Offizierin der Hekatoncheiren sah die Freundin erstaunt an. „Mir?“
„Ja. Du bist eine Anführerin und als Yellow sehr mächtig.“
„Verstehe.“
„Begleitet die SUNDER die AURORA eigentlich?“
„Wieso fragst du, Ami? Sie wird Begleitschutz bis zum Sprung geben, aber im System bleiben“, sagte Mamoru ernst.
„Nur so“, beteuerte sie eine Spur zu übertrieben.
„Ich werde mitkommen“, sagte Akane leise. „Ich begleite euch, Hina, Sarah. Zu dritt sollten wir mächtig genug sein, um die AURORA beschützen zu können.“
„Das bedeutet dann wohl, dass ich ebenfalls mitkommen werde. Oder denkst du, du wirst mich jemals wieder los?“, tadelte Mamoru und küsste seine Freundin auf die Wange.
„Manche Wünsche gehen also in Erfüllung“, hauchte sie.
„Manche ja. Manche erst heute Abend.“
„Wie dem auch sei, weiß jemand was Joan geplant hat? Und was mit Mako ist?“, fragte Yoshi in das allgemeine Gekicher hinein. „Dass Sakura an Bord bleibt ist ja wohl klar.“
Je näher sie dem Konzert kamen, desto voller wurde es. In einigem Abstand waren Kontrollposten aufgestellt, die den Zustrom der Fans von der AURORA in geordnete Bahnen lenkte. Man konnte so ein riesiges Live nicht veranstalten, ohne ein paar tausend Joan Reilley-Fans zu aktivieren. Na, eher ein paar zehntausend.
Die Posten ließen die Slayer und die Offiziere der Hekatoncheiren problemlos ein und von dort hinter die Bühne.
„Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, was Akari und Micchan planen.“ Yohko seufzte. „Warum hat Akira auch nur diesen Plan vom Zaun gebrochen? Zwei Wochen mehr Planung und das ganze hier wäre nicht so ein Chaos.“
„Dann wäre es nicht Akiras Plan“, kommentierte Daisuke so trocken, dass die anderen spontan zu lachen begannen.
„Hallo, Leute“, begrüßte Joan die Freunde, als sie das Zelt hinter der Bühne betraten. Neben ihr standen Micchan und Akari. Der Junge hatte ein Leuchten in den Augen, dass man schon als fanatisch bezeichnen konnte.
„Nun hör auf sie so anzustarren!“, murrte Akari wütend. „Das ist nur Joan Reilley. Joan. Du hast sie tausendmal bei mir Zuhause gesehen!“
„Joan… Reilley…“
„Micchan!“
„Joan… Reilley…“
Kurz entschlossen drehte Akari Michis Kopf zu sich herum und gab ihm einen intensiven Kuss.
„Akari… Otomo…“
„Schon besser.“
„Wir haben uns gerade gefragt, was du und Mako machen werden“, sagte Yoshi und verdrehte die Augen als die jungen Leute sich erneut küssten. Waren er und Yohko am Anfang ihrer Beziehung etwa auch so gewesen?
Yohko räusperte sich lautstark. „Nun ist aber genug, Akari-chan! Ihr fresst euch ja noch gegenseitig auf!“
Akari wurde rot und löste sich von Michi wieder. „Tschuldigung, O-nee-chan.“
Yohko errötete ebenfalls und winkte ab. „Da haben wohl ein paar Instinkte von Vater auf mich abgefärbt. Entschuldige bitte, Akari. Entschuldige, Micchan. Aber wenn Ihr das küssen in der Öffentlichkeit lassen könntet…“
„Seit wann hast du was gegen küssen in der Öffentlichkeit?“ Yoshi umschlang sie von hinten und zog sie zu sich heran. „Ich erinnere mich noch daran, wie wir uns im Hangar von OLYMP gut zwanzig Minuten geküsst haben – vor sechshundert Piloten, Technikern und Soldaten.“
„Einundzwanzig Minuten und elf Sekunden. Das kann man aber nicht vergleichen. Arh, kann es sein, dass Vater mir einen Chip hat implantieren lassen, der aus mir eine Superschwester macht, die mit Argusaugen über das Nesthäkchen wacht? Ich werde noch wahnsinnig.“
Yoshi lachte und drückte sie. „Wehe du änderst dich. Genauso will ich meine Yohko haben.“
„Himmel, ich hoffe, hier ist niemand zuckerkrank. Diese Szene könnte ihn umbringen.“ Makoto trat ins Zelt und sah in die Runde. „Schön. Sind ja fast alle da. Fehlt nur noch Akira, hm? Ich muß leider sofort los. Eine komplette Division Banges der Naguad ist auf dem Weg hierher.“
„Was? Wieso gab es keinen Alarm?“, rief Daisuke aufgebracht. „Müssen die Hekatoncheiren raus?“
„Alarm ist nicht nötig. Wie es aussieht desertiert die Fünfte Banges-Division gerade zu uns.“
„Was, bitte? Also, so sehr kann Akira sie nicht beeindruckt haben“, platzte Yoshi hervor.
„Nun, wenn ich alles richtig verstanden habe, dann handelt es sich bei der Fünften um keine reguläre Naguad-Einheit. Sie sind eher eine Haustruppe. Und hauptsächlich Treue geschworen haben sie Haus Arogad, wie es aussieht.“
Makoto trat zu Joan und gab ihr einen kurzen Kuss. „Tut mir Leid, dass ich mir den Rest nicht auch noch anhören kann, Joan. Aber die Pflicht ruft.“
„Schon in Ordnung. Ich gebe dir nachher dein eigenes Konzert.“
„Da freue ich mich schon drauf.“ Er winkte in die Runde und verließ das Zelt wieder.
„Ich für meinen Teil bleibe bei Aki-chan. Makoto hat sich ebenfalls dazu entschieden, hier zu bleiben. Er wird das Blockadegeschwader koordinieren und den Admiralsstab übernehmen. Sakura wird mit der AURORA fliegen, so schwer ihr das auch fällt.“ Joan senkte den Blick. „Jetzt auch noch desertierende Naguad. Was kommt als nächstes? Ein durchgeknallter KI-Meister, der den Resonanztorpedo deaktivieren will, um eine knappe Million Anelph zu töten?“
„Joan, dein Auftritt. Ciev Ciev sind gleich fertig.“
„Ich komme. Und Ihr seht gefälligst alle schön zu, ja?“
Yoshi seufzte als Joan das Zelt verließ. „Das mit dem durchgeknallten KI-Meister hätte sie besser nicht sagen sollen…“
**
Als wir vor dem Haus auftauchten, stierte ich Opa Michael wirklich wütend an.
„Was?“, fragte er entnervt.
„So, so, du bist also ein größerer KI-Meister als ich, hm? Warum hast du uns dann nicht beim Angriff auf den Mars geholfen, he?“
„Sachte, sachte, junger Schüler. Ist ja nicht so als hätte ich das nicht gewollt.“
„Aber?“, fragte ich, während ich neben Opa das Haus betrat.
„Aber meinst du nicht, es hätte einige Fragen aufgeworfen, wenn dein Großvater von dem Resonanzfeld nicht eingefroren wird? Das gelingt eigentlich nur Menschen unter einundzwanzig und Dämonenkönigen? Außerdem hatten wir Vertrauen in dich und die anderen.“
„Das erste Argument zieht wesentlich besser als das letzte“, brummte ich verstimmt und betrat mein Zimmer. Die Uniform lag schon bereit und ich begann damit, mich umzuziehen. „So, so, du wirst also vom Resonanzfeld nicht eingefroren, hm?“
„Stimmt. Ich nicht, Eri nicht. Das hätte bestimmt einiges an Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Weißt du, so einig die Erde nach außen hin auch scheint, so ist sie doch von Dutzenden Fraktionen durchsetzt. Wie zerbrechlich selbst die Führung der UEMF ist, hast du selbst erlebt, als du das Kommando bekommen hast. Einige dieser Fraktionen hätten sicherlich Verwendung für ein lebendes Studienobjekt eines mehrere hundert Jahre alten Außerirdischen, meinst du nicht?“
Ich stockte kurz beim Uniformhemd. Das leuchtete mir ein. Dennoch wollte mir nicht in den Kopf, warum meine Großeltern nicht aktiver gewesen waren, als es drauf angekommen war. Opa hatte lediglich Yohkos verschüttetes Wissen reaktiviert.
„Ich weiß, ich weiß“, wehrte Michael ab, bevor ich den Mund aufmachen konnte. „Du bist immer noch sauer. Gerade habe ich dich mit drei Sprüngen durch die halbe Stadt gebracht und dir will nicht in den Kopf, warum ich und Eri dir auf dem Mars nicht geholfen haben. Dir und den anderen. Falls es dich tröstet, wir haben geholfen, auf der Erde. Wir haben unseren Einfluss genutzt, um die UEMF auf Linie zu halten. Um dich im Kommando zu bestätigen. Um dir für deinen Wahnsinnsplan die Ressourcen zukommen zu lassen, die du brauchst. Um die Freiwilligen zusammen zu bekommen, die dir auf den Mars gefolgt sind.“
„Trotzdem hättet ihr…“
„Nein, Akira. Eri und ich mussten, so schwer es uns auch fiel, warten.“
„Warten worauf?“ „Warten, bis die Gefahr durch die Kronosier sich zur Gefahr durch die Naguad aufbauscht. Es war für uns abzusehen, dass das eine das andere nach sich ziehen würde. Erst der Core, dann die Anelph und schlussendlich die Naguad. Es war unausweichlich. Und es war unsere Pflicht, die Erde in dieser Zeit so gut wie möglich vorzubereiten, so gut wie wir es eben konnten. Warte, Junge, mit der Krawatte helfe ich dir.“
„Du schätzt die Gefahr durch die Naguad also höher ein als die Gefahr durch die Kronosier?“
Opa runzelte die Stirn. „Weiß nicht. Sag du es mir. Sind sie gefährlicher?“
„Touché“, brummte ich unwillig und zog die weiße Jacke mit den goldenen Aufschlägen an.
„Und genau deshalb werden Eri und ich jetzt aktiv. Wir nutzen unsere Möglichkeiten, auch wenn das bedeutet, dass wir nicht wieder zur Erde zurückkehren können. Oder wieder ein neues Leben anfangen müssen.“
Michael registrierte meinen erstaunten Blick und sagte: „Ja hör mal, Junge, was denkst du wohl haben Eri und ich die letzten dreihundert Jahre getan? Menschen wie wir, die so unendlich alt werden fallen nun mal auf wenn sie länger als dreißig Jahre an einem Ort bleiben. Es hat sehr lange gedauert bis wir uns eine gewisse Unterstützung durch Eingeweihte aufgebaut hatten. Die Berger in Deutschland, die Yodamas in Japan, die Nasaharis in Indien, und, und, und.“
„Verstehe.“ Ich setzte die Schirmmütze auf und besah mich im Spiegel. Auf der linken Brust prangten fünf neue Orden, darunter ein zweiter Mars Campaign Valor in Gold für den erfolgreichen zweiten Angriff auf den Mars.
„Jetzt bist du wirklich ein Schellenbaum, Akira“, schmunzelte Opa.
„Mist, ja. Und wenn du wieder mit mir so hoch und so weit springst, wird ganz Fushida vom Geklapper widerhallen.“ Ich schmunzelte in Michaels Richtung. „Eine Frage habe ich noch. Wie alt wird ein Naguad eigentlich so?“
„Hm. Du weißt schon, dass ein normaler Mensch ohne jede Vorkenntnisse einhundertzwanzig Jahre alt werden kann, oder?“
„Was hat das damit zu tun? Das ist doch ein Extremfall.“
„Ist es nicht. Dein Vater Eikichi ist bereits achtzig Jahre alt, und er wird wohl locker zweihundert werden. Und er hat nicht ein Gramm genetischen Code eines Naguad in sich. Zumindest nichts, was den sieben Hauptlinien der gift entspricht.“
„Das gibt mir jetzt echt zu denken“, sagte ich und spürte wie mir ein kalter Schauder über den Rücken ging. „Es beantwortet aber nicht meine Frage.“
„Nun, dein Vater ist ein KI-Benutzer. Kein KI-Meister wie ich, Eri, Helen oder du. Aber er hat das Wissen und die Fähigkeiten. Und er nutzt sie bereits.“
„Hm. Er sieht wesentlich jünger aus als achtzig. Heißt das, du solltest eigentlich auch wesentlich jünger aussehen? Ich meine, gut vierhundert Jahre, wenn Oma mit ihren sechshundert noch so frisch aussieht…“
Michael grinste mich an. „Die Haare sind gefärbt, Akira.“
„Das erklärt, dass dein Gesicht noch nicht so viele Falten wie ein Wickelrock wirft.“
„Drei Minuspunkte für miese Sprüche, Akira.“
„Ab wie viel gibt es ein Fahrrad?“
„Ha, ha. Den Humor musst du von Eikichi haben. Komm, hier ist deine Schirmmütze. Lass uns gehen, sonst kommen wir noch zu spät. Er wird bald da sein.“
„Ich bin schon unterwegs. Zwei Fragen habe ich aber noch. Meine Mutter war eine KI-Meisterin, ja? Und wer ist er?“
Wir traten vor das Haus. Michael griff unter meine Achseln und umschloss mich fest. Dann sprang er und katapultierte uns zwei bei einem Sprungwinkel von fünfundvierzig Grad achthundert Meter in die Höhe. Dabei hätten wir fast einen der Zeppeline gestreift, die zur Zeit wegen den Menschenmassen Überstunden schoben. Als wir fast drei Kilometer entfernt wieder landeten sagte er: „Helen… war eine KI-Meisterin. Und sie hat Großes geleistet, um die Erde und euch beide, Yohko und dich zu schützen.“
Wieder sprang er, und damit kamen wir dem Konzertgelände sehr viel näher.
„Er… Er ist Torum Acati. Ein KI-Meister, dem ich nicht gewachsen bin. Dem Eri nicht gewachsen ist. Er wird versuchen uns aufzuhalten.“
„Und das sagst du mir erst jetzt?“, beschwerte ich mich.
„Keine Sorge. Eri hat bereits für Hilfe gesorgt. Die Fünfte Banges-Division trifft bald hier ein und wird für uns kämpfen.“
„Eh? Die Fünfte? Die, die ich fertig gemacht habe? Die, in der Aria gedient hat?“
„Ja, und ich habe mir sagen lassen, dass sie sich drauf freuen, unter dir zu dienen.“
„Das hat was mit diesem Haus Arogad zu tun, oder?“
„Scharfsinniger kliner Bursche.“
Wir landeten und Opa ließ mich los. „Ab hier muß ich loslassen. Den Rest wirst du auf eigenen Füßen schaffen, Akira.“
„Das war jetzt eindeutig zweideutig, Opa“, brummte ich, wandte mich um, aber der alte Mann war schon fort. Alt, pah. Wahrscheinlich sah er mit seiner richtigen Haarfarbe jünger aus als Eikichi. „Großeltern! Wer hat die eigentlich erfunden?“
**
Als Torum Acati in seinen Banges klettern wollte, meldete sich sein Kommunikator zu Wort.
„Acati.“ „Herr, vor vier Stunden ist die GONDERNAT in das Kanto-System gesprungen. Sie hat sofort eine Nachricht an uns gesandt, die sich aber aufgrund der großen Entfernung verzögert hat. Sie ist von der Ordenvorsteherin.“
„Wie lautet die Nachricht?“
„Torum Acati, bewege dich nicht. Verstärkung ist unterwegs.“
Der Begam hielt inne. „Die Nachricht ist schon wieder die acht Tage alt, die das Schiff benötigte, um in dieses System zu springen. Anscheinend schätzt der Orden die Gefahr ähnlich hoch ein wie ich.“ Er runzelte die Stirn. „Aber auch die Brisanz hat sich verschärft. Ich kann auf diese Verstärkungen nicht warten. Ich muß die AURORA stoppen, hier und heute.“
„Für diesen Fall hat die Vorsteherin eine zweite Nachricht angehängt. Sie lautet: Hüte dich vor dem weißen Auge.“
Schroff unterbrach Acati die Verbindung. „Ich habe keine Zeit für verbrämte Symbolik. Ich muß hier einen riesigen Krieg verhindern!“
„In dem Fall würden wir uns Ihnen gerne anschließen, Begam Erster Klasse.“
Acati fuhr herum. Er musste schmunzeln. „Das bieten Sie mir an, nachdem eine Arogad-Hauseinheit gerade desertiert ist, Kapitän Maros Jorr? Wieso sollte ich einem Mann aus Haus Arogad da vertrauen?“
Der KI-Meister deutete neben sich. „Weil mit fünfzehn weiteren KI-Meistern noch genügend übrig sind, die nicht aus Haus Arogad kommen.“
Der Begam besah sich die sechzehn Männer und Frauen. Sie stammten aus allen großen Häusern und ihre Blicke waren entschlossen.
„Bemannt die Banges“, sagte er schließlich schlicht.
Sofort spritzten die KI-Meister des Ordens auseinander.
**
Ich erreichte die Absperrungen relativ schnell. Ohne meinen Ausweis vorzeigen zu müssen wurde ich eingelassen. Junge, Junge, ein Doppelgänger von mir musste hier reichlich leichtes Spiel haben.
Joan begann gerade mit der zweiten Hälfte ihres Auftritts. Also würde es wenig Sinn haben, Backstage zu gehen. Entschlossen arbeitete ich mich zur Bühne vor. Dort würde ich auch die anderen finden.
Doch dann war es, von einem Moment zum anderen, als würde eine riesige dunkle Wolke hinter mir aus dem Boden quellen. Groß, bedrohlich, alles verschlingend.
„Akira, du blutest!“, rief eine entsetzte Stimme hinter mir.
Ich wandte mich um, erkannte Gina Casoli. Ihr entsetzter Blick fixierte meinen linken Arm.
Ich sah selbst hinab und sah die dünnen Stränge Blut, die den Arm und die Hand hinab liefen.
„Oh? Ach das. Die und ein paar weitere Wunden habe ich mir unten in der Grey Zone geholt. Waren ziemlich tiefe Schnitte. Ich hätte vielleicht einen Sani oder Arzt dran lassen sollen anstatt drauf zu vertrauen, dass mein KI sie heilt. Ich bin auch nicht allmächtig.“
Kurz entschlossen ergriff Gina meine andere Hand und zog mich hinter sich her, fort von der Bühne. „Dann lassen wir doch mal einen Arzt ran, oder?“
Fünf Minuten später, Joan sang gerade Never give up, saß ich in einem Lazarettzelt und ließ mir die blutende Unterarmwunde verbinden.
Gina stand daneben und musterte ihre Schuhe. „Das ist nun überhaupt nicht gelaufen wie es sollte“, murmelte sie.
Ich schickte den Sanitäter mit einem Nicken fort, als er fertig war. Dann fixierte ich die Italienerin. „Es muß kein besonders gutes Gefühl sein, wenn man die Chance hat, das Attentat auszuführen und die Gelegenheit verstreichen lässt.“
Irritiert sah sie mich an. „Hä?“
„Ist schon in Ordnung, Corinne Vaslot. Wir haben in Ginas Lebenslauf eine Unterbrechung von zwei Tagen festgestellt, bevor sie zur AURORA kam. Angeblich hatte Mamoru Hatake sie auf die Mauritius-Inseln eingeladen – während er gleichzeitig in Tokio war.“
Die junge Frau starrte auf ihre Füße.
„Tja, jetzt ist die letzte Gelegenheit für dich, mich zu töten. Die AURORA kehrt bald zurück und niemand weiß ob du beim zweiten Flug nach Lorania dabei sein kannst oder darfst. Ich bleibe hier und wage mein Leben für die Anelph.“
„Du Mistkerl!“, hauchte sie mit einem Schluchzen, während Tränen ihre Augen fühlten. „Du Mistkerl hast es gewusst. Wie lange schon?“
„Dass meine spezielle Attentäterfreundin ausgerechnet in Gina implantiert wurde? Der Bericht ging vor acht Stunden an mich. Den Rest konnte ich mir dann sehr leicht zusammen reimen.“
Gina weinte noch immer. Sie griff unter ihr Hemd auf dem Rücken und zog eine schlanke Klinge hervor. Die Hand raste auf mich zu, direkt auf meine Kehle. Ich schloss die Augen.
„Ich kann es nicht“, schluchzte sie. „Ich kann es nicht. Akira, was hast du mit mir gemacht? Was hat Gina mit mir gemacht?“ Die Attentäterin im Körper der Frau aus Argentinien brach in den Knien ein. Die Waffe fiel polternd zu Boden und sie barg ihr Gesicht in den Händen.
„Warum, Akira? Warum?“
„Gina ist eine Freundin. Sie…“
„Du willst sie also retten?“
„Nein, ich will dich retten. Gina will es so.“
Entsetzt sah die Frau mich an. „Was?“
Ich nickte schwer. „Sie weiß schon lange, dass du in ihr bist. Und sie weiß was du vorhast. Es gibt eine bestimmte Zeit am Tag, in der du vollkommen inaktiv bist. In dieser Zeit kam Gina zu mir und wir haben lange darüber geredet, was wir mit dir machen sollen. Gina glaubte an dich. Sie kennt deine Emotionen, deine Erinnerungen. Und sie weiß, dass du kein schlechter Mensch bist. Sie würde sogar ihr ganzes Leben den Körper mit dir teilen, wenn es sein muß. Aber sie hält eigentlich mehr von der Idee, deinen richtigen Körper zurück zu holen. Sie mag dich.“
Die junge Frau brach zusammen. Ich ging neben ihr in die Hocke und schloss sie in die Arme.
„Ich hasse dich, Akira“, schluchzte sie.
„Damit kann ich leben“, erwiderte ich schmunzelnd.
**
Auf der Bühne standen über fünfzig Leute, unter ihnen Sakura, Megumi, ich selbst und natürlich Joan Reilley.
Die Podeste, meistens abfällig Regale genannt, waren besetzt worden.
Die Anelph und Menschen dort begannen bereits unruhig zu werden. Einige standen oder saßen schon seit über einer Stunde dort. Es wurde Zeit.
„Captain Lawrence“, sagte Sakura gerade ernst, „es war Ihre Idee. Schicken Sie die Leute schlafen.“
Der eher schüchtern wirkende Kronosianer in der UEMF-Uniform kam verlegen nach vorne. „Wenn Sie meinen, Admiral…“
Er trat an den Knopf heran, der den Resonatortorpedo auslösen würde und betätigte ihn.
Für eine Sekunde geschah nichts. Auch nicht in der zweiten. Oder der dritten. Auch die vierte blieb erschreckend ereignislos.
Dann aber schien es mir, als gebe es eine Explosion aus blauem Licht, als würden tausende blaue Blitze aus Überschlagsenergien über die Ebene rasen. Ich spürte wie eine heftige Böe meine Haare durcheinander wirbelte.
„Geschafft“, murmelte jemand neben mir. Ich sah erschrocken und verwirrt auf. Und sah auf mit Anelph und Menschen voll gestellte Podeste und Gerüste, die wie Puppen wirkten – weil sie sich nicht bewegten!
„Geschafft“, hauchte ich erleichtert.
Ace Kaiser
Evolution: Erweitert
Episode siebzehn
1.
Es war vollbracht, fast eine Million Anelph und Menschen waren mit Hilfe des kronosianischen Resonatorfeld quasi in der Zeit eingefroren worden. Für das nächste halbe Jahr würden sie nur ein Minimum an Sauerstoff und Wärme brauchen. Erst nach weiteren anderthalb Monaten würde sich ihr Zeitablauf nennenswert beschleunigt haben, sodass der Anstieg im Sauerstoffverbrauch bemerkenswert anstieg. Und lediglich die letzten beiden Tage, bevor das Feld ausgeschaltet wurde, waren wirklich kritisch, Anelph und Menschen würden fast volle Beweglichkeit erreicht haben, das Feld aber noch nicht verlassen können.
Für diese Zeit war geplant, dass die AURORA – hoffentlich – bereits im orbitdes Mars war und das Resonatorfeld bis nach Fushida erweitert werden konnte, damit sie in der natürlich vorbereiteten Stadt die letzte Zeit im Komfort verbringen konnten, nachdem die Reise selbst wie ein Wimpernschlag für sie gewesen sein musste.
Ich wunderte mich etwas, womit sich meine Gedanken beschäftigten. Ich stand zwar vor dem gigantischen Gerüstfeld, auf dem die Eingefrorenen, wie der Volksmund sie salopp nannte, oder war es Kei gewesen, standen und saßen und von ihrer Umgebung lediglich die Unterschiede zwischen Tag und Nacht mitbekamen. Aber das Thema war eigentlich abgehakt und ich hätte mich dem nächsten Problem zuwenden müssen.
Die AURORA würde binnen der nächsten acht Stunden den Orbit verlassen, zurück zur Erde fliegen. Zur Erde, deren Position vom letzten Legaten verraten worden war.
Während ich mit zwei Regimentern der Hekatoncheiren sowie etlichen Begleitschiffen zusammen mit Einheiten der Anelph dafür sorgen würde, dass die Naguad sich bei ihrer geplanten Strafexpedition eine blutige Nase holen würden.
Zu diesem Zweck würden wir eine unserer neuesten taktischen Waffen einsetzen, den Long Range Area Observer.
Mit seinen überlegenen Fähigkeiten als Ortungsplattform würde er uns jederzeit vorwarnen können, egal was die Naguad probierten. Und in Verbindung mit einem Resonatortorpedo würde jeder LRAO ein unüberwindliches Bollwerk für jeden Naguad über vierundzwanzig bilden.
Ich bezweifelte, dass sich der Gegner allzu schnell auf diese Entwicklung einstellen konnte, geschweige denn eine junge Mannschaft zusammenbekam, die nicht vom Feld betroffen war.
Sechs LRAO, angeführt von Makoto Inos Abteilung, würden den Planeten Lorania dreidimensional abschirmen.
Aber es war nicht meine Art, jemand wissentlich ins Messer laufen zu lassen, sprich die Naguad erst herausfinden zu lassen, was mit ihnen passierte, wenn ein Betroffener in Resonanz mit dem Torpedo geriet und zu schnell das Feld wieder verließ. Das waren Tote, die ich nicht auf meine Seele laden wollte.
Darum machten sich in diesem Moment auch die beiden Regimenter Briareos und Gyes fertig, neu aufgestellt und nur aus Veteranen des Marskrieges bestehend oder jung genug, um von den Resonatorfeldern nicht betroffen zu sein. Einige hundert kamen von meiner alten Schule. Ich fühlte Bedauern dafür, dass ich sie erneut in mein Abenteuer zerrte, dass ich ihnen ihr normales Leben vorenthielt. Aber diese Mission war notwendig, nötig, essentiell.
Begleiten würden uns die SUNDER und eine Reihe Zerstörer der Midway-Klasse.
Wir würden den letzten Torpedo der AURORA dazu verwenden, um die Effektivität unserer Waffe vorzuführen – und gleichzeitig den Hekatoncheiren eine neue Basis bescheren.
Außerdem hatte mir die Axixo-Basis schon immer irgendwie gefallen. Ihre Werftanlagen würden uns sehr helfen.
Mein Kommunikator summte. „Otomo.“
„Sir, es wird Zeit.“
Ich nickte. „Bin unterwegs.“
Ich sah ein letztes Mal in Richtung der Freunde, die sich hier versammelt hatten. Daisuke würde an Bord bleiben, zusammen mit seinen Kottos.
Yoshi nickte. Er hatte den gleichen Anruf erhalten. Kenji war wie immer wortkarg und gefasst, als er kurz in meine Richtung sah.
Yohko sah merkwürdig starr geradeaus. Ich sah, wie sie leicht zitterte, wie immer bevor sie etwas Gefährliches tun musste, wie eine feindliche Basis angreifen oder Vater um mehr Taschengeld zu bitten…
Na, letzteres hatte sich mit dem üppigen Gehalt eines Colonels der UEMF erledigt.
Megumi kam an meine Seite. Ihr fragender Blick striff Gina Casoli.
Ich legte der Italienerin eine Hand auf die Schulter.
„Geht nur. Wir zwei stellen nicht mehr Unsinn an als sonst auch“, erwiderte die Argentinierin italienischer Abstammung und versuchte zu lächeln.
Sie war eine jener bedauernswerten Personen, denen die Kronosianertechnik ein zweites Bewusstsein implantiert hatte, um die perfekten Attentäter zu erschaffen. Aber die Attentäterin in Ginas Bewusstsein hatte ihr Ziel aufgegeben. Sie war noch nicht übergelaufen. Aber es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihre neutrale Haltung aufgab.
Es wunderte mich ein wenig, dass Gina so gut mit dieser Situation klarkam, aber letztendlich konnte diese Frau nichts erschüttern.
Ich drückte kurz ihre Schulter. „Nicht mehr als sonst auch. Das ist ein Versprechen, ja?“
Gina schmunzelte. „Du bist fies, Akira-chan.“
Ich schmunzelte. „Niemand bezahlt mich dafür dass ich nett bin.“
„Nun aber ab mit dir, bevor du noch mehr Kalauer reißt“, tadelte sie mich.
Ich grinste und sah kurz in die Runde. Wenn es nicht so lief wie ich es wollte konnte es sein, dass ich in fünf Stunden nicht wieder hier sein würde. Das ich vielleicht jetzt die letzte Gelegenheit hatte, alle meine Freunde auf einem Haufen zu sehen. Das ich die AURORA erst in gut einem Jahr wieder betreten konnte, wenn sie hoffentlich wohlbehalten in dieses System zurückkam. Ich wollte etwas sagen, ein paar Hände schütteln, einige umarmen, aber schließlich schmunzelte ich nur, schüttelte den Kopf und winkte meinen Offizieren. „Wir beeilen uns“, versprach ich, winkte und machte mich mit Yoshi, Yohko, Kenji und Megumi auf den Weg.
Mittlerweile war sicherlich die Fünfte Banges-Division gelandet, Ehre oder Tod, wie ihr Beiname lautete. Wie sich herausgestellt hatte, war sie zwar eine der Elite-Einheiten der Streitkräfte, aber auch eine Hauseinheit der Familie Arogad, einer der größten und einflussreichsten Familien der Naguad. Die rund sechshundert Piloten und eintausend Techniker, Stabsdienstler und Raumfahrer waren defacto desertiert, um fortan auf der AURORA zu dienen. Jemand aus der Arogad-Familie musste sie angefordert haben. Jemand, der die Macht innerhalb der Familie hatte, solch eine verrückte Anordnung zu geben. Jemand, der quasi ganz weit oben in der Hackordnung stand. Jemand, der der AURORA sehr wohlwollend gegenüberstand.
Während die Landschaft am Fenster meines Magnetschwebezugs vorbei glitt fragte ich mich, ob Oma Eri wirklich so mächtig war, dass eine Division der Familie auch nach dreihundert Jahren Abwesenheit noch auf sie hörte.
Dreihundert Jahre, dieser Gedanke ließ mich erschaudern. Eine lange, eine sehr lange Zeit. Und Oma sah nicht gerade aus als hätten diese dreihundert Jahre ihr etwas angetan.
Welchen Rang bekleidete sie innerhalb der Familie? Ich hatte Michael aus der Nase gezogen, dass sie ehemals Offizier gewesen war und zur Hauptfamilie gehört hatte. Aber war das wirklich schon alles? Gab es da noch eine Steigerung? Und was bedeutete das für Yohko und mich?
Ich griff um die Schultern meiner Freundin und zog sie sanft an mich. Was bedeutete es für Megumi? Sie gehörte einem anderen großen Haus an, Daness. Aber die Expedition, welche Oma Eri und Opa Michael damals zur Erde geführt hatte, war von den Häusern Arogad und Fioran organisiert und durchgeführt worden. Wie passte Daness dazwischen?
Die Magnetschwebebahn fuhr auf die Route über das Serenity-Meer. Das weite Wasser glitzerte in der Abendsonne und tauchte die Landschaft in rotes Licht. Im Moment wünschte ich mir nichts mehr als eine Decke, einen Fresskorb und eine stille Ecke am Strand, um diesen Anblick mit Megumi zu genießen.
Der Zwischenstopp am Poseidon-Turm, der sich in der Mitte des Meeres erhob und das Flottenhauptquartier beherbergte war kurz und ohne Überraschungen. Ein paar meiner Hekatoncheiren stiegen hinzu, grüßten nervös und freundlich, offensichtlich bereit für den Einsatz.
Wir grüßten zurück und weiter ging die Fahrt.
An der Wand der AURORA mussten wir in einen der Fahrstühle wechseln, die uns zu einem der Mecha-Hangars in der Wand der AURORA bringen würden. Hier waren es schon erheblich mehr Hekatoncheiren. Dazu kamen Dutzende Infanteristen in vollem Marschgepäck, junge Leute wie wir, welche die Axixo-Basis sichern würden. Auch hier waren die Leute nervös, aber entschlossen.
Ich sah mich in Ruhe um. Einige Gesichter kannte ich vom Mars, andere waren mir neu.
Als die Reihe an uns war, mit dem Fahrstuhl hoch zu fahren und wir zusammen mit einigen Hekatoncheiren und Infanteristen nach oben fuhren, dachte ich noch einmal über den Einsatz nach.
Wir würden Jomma angreifen, einen Resonanztorpedo aktivieren und die Axixo-Basis mitsamt dem Umland einfrieren. Permanent laufende Aufnahmegeräte würden zeigen, was mit den Anelph und den Naguad passiert war, die bereits ein gewisses Alter erreicht hatten.
Und dies sollte ihnen Warnung sein, zusammen mit einem trockenen Audio-Kommentar, was passierte wenn man das Feld durchquerte.
Ich dachte an die fünf toten Techniker, damals auf der Titanen-Station.
Die Kronosier hatten OLYMP mit Hilfe des ersten Resonanztorpedos eingefroren, und die wenigen Soldaten und Techniker, die noch aktionsfähig gewesen waren, hatten es gut gemeint und versucht, Leute nach unten zu evakuieren. Sie zu retten.
Aber als die fünf Techniker das Feld verließen, als die Resonanz zum Feld schlagartig endete, da starben sie unter großen Qualen. Noch bevor sie im Aufzug Titanen-Station erreicht waren, hatten die Qualen sie umgebracht.
Verdammt, was für eine effektive Waffe!
Der Fahrstuhl setzte uns ab, wir betraten den Laufgang und kamen schnell zu den Hangars.
Techniker waren bereits dabei, die Mechas zu den Boarding Bays zu holen. Lady Death stand schon bereit und Prime schien erwartungsvoll zu mir herüber zu sehen.
Thunder und Archer, die Mechas von Yohko und Yoshi wurden gerade heran gefahren.
In der Ferne erkannte ich einen weiteren Sparrow, Spectre. Ich war froh, dass Takashi-sempai uns begleiten würde. Daneben erhob sich Knight, Kenjis Hawk. Er hatte es nicht ohne Grund zum Major der Hekatoncheiren gebracht.
Karl erwartete mich bereits. In der Hand hielt er meinen Helm.
„Nanu, du hier und nicht da unten eingefroren?“
Der Deutsche grinste schief. „Wie du weißt war ich schon mal in einem Resonanzfeld gefangen. Deshalb kann keiner sagen, wie ein zweites Mal aussehen wird. Also entschuldige bitte, dass ich auf diese Erfahrung verzichte und stattdessen lieber die jungen Anelph und Menschen ausbilde, während wir heim fliegen. Schlimmer als deine Hekatoncheiren zu hüten kann das auch nicht sein.“
„Na danke“, brummte ich amüsiert, erklomm meinen Mecha und ließ mir von Karl bei den Anschlüssen helfen.
„Nabend, Prime. Bereit für einen kleinen Spaziergang?“
„Ja, Commander. Wenn alles nach Plan läuft, wird es wirklich ein Spaziergang.“
„Es läuft nie alles nach Plan.“ Ich klopfte Karl noch einmal zum Dank auf die Schulter und ließ das Cockpit zufahren. Schade, ich hätte gerne vorher noch mit den Piloten der Fünften Banges gesprochen. Aber vielleicht blieb dafür später noch Zeit.
„Schalte mich auf Divisionsfrequenz hoch, Prime. Blue Lightning, hier ist Blue Lightning. Regimentsführer, Rückmeldung bei klar.“
„Lady Death, hier Lady Death. Klar bei Briareos.“
„Thunderstrike, hier Thunderstrike. Klar bei Gyes.“
„Blue Lightning, hier Blue Lightning. Hekatoncheiren, hergehört. Wie Ihr alle wisst suchen wir uns jetzt ein neues Zuhause. Aber wir müssen erst den Vormieter rauswerfen.“
Gelächter erklang auf der Divisionsfrequenz bei meinen Worten.
„Viel Glück uns allen.“
Hunderte Erwiderungen erreichten mich.
„Okay, Prime, dann lass uns mal loslegen.“
„Verstanden, Commander.“
Mein Mecha wurde wie ein Dutzend weiterer zur Hangartür gefahren. Die Schotte öffneten sich, wir kamen in den Schleusenbereich. Die Innentüren fuhren wieder zu und an den vielfältigen Brandspuren, die beim Start mit den Düsen aus dem Stand entstanden konnte ich erkennen, wie oft wir von hier Alarmstarts geübt hatten.
„Akira Otomo auf Prime Lightning. Bin auf dem Weg!“ Ich trat die Pedale für die Antriebsdüsen durch und startete aus dem Stand aus dem Hangar heraus. Sofort drehte ich ein, hielt auf einen großen Pulk Mechas zu, die sich knapp über der Oberfläche der AURORA hielten. Ich reihte mich an ihrer Spitze ein.
Kurz darauf kam das Zeichen dafür, dass beide Regimenter vollständig waren.
Ich führte die Maschinen an, als wir auf die wartenden Schiffe SUNDER, MIDWAY und LOS ANGELES zuhielten. Gute alte Bekannte.
„SUNDER hier. Akira, du bist spät dran.“
„Wir hatten Stoßverkehr“, erwiderte ich, während ich mit den Briareos auf die SUNDER zuhielt. Gyes splittete und teilte sich auf die beiden Zerstörer der Midway-Klasse auf.
Das Regiment landete auf der Oberfläche der SUNDER. Wir verteilten uns so gut es ging auf der Oberfläche des Schweren Kreuzers, ohne die Hangars, Waffen oder Steuerdüsen zu blockieren. Letzteres wäre einem Hawk oder Sparrow auch nicht wirklich gut bekommen.
„Taxi, einmal Jomma, bitte.“
„Taxameter läuft. Das wird teuer, Herr Otomo“, scherzte Kei.
„Ja. Fragt sich nur für wen.“
2.
Torum Acati sah dabei zu, wie sich die fast vierhundert Ortungsimpulse mit drei größeren vereinigten.
„Sie schleusen nicht ein“, meldete Maros Jorr. „Sie scheinen auf der Oberfläche mit zureiten. Ich hoffe wir haben noch eine Basis, wenn sie fertig sind.“
„Ich für meinen Teil hoffe, dass die Hekatoncheiren keine Basis mehr haben, wenn wir fertig sind.“
„Ist ein Argument“, gab der Mann aus dem Haus Arogad zu.
Die siebzehn Banges näherten sich der AURORA, ohne Emissionen zu verursachen. Selbst die Kommunikation erfolgte über gezielten Laserrichtfunk von geringer Reichweite. Kurskorrekturen würde es nicht geben, bis sie nahe genug am Riesenschiff waren, dass es die siebzehn Metallbrocken als Gefahr ansah und damit begann, sie mit aktiver Ortung zu bestreichen. Von dem Moment an würde der Angriff laufen. Würde sich entscheiden, wie gut die ausgebildeten Mitglieder des Ordens wirklich waren.
Dieses Schiff durfte niemals das System verlassen. Kein Siegpreis war es wert, diese riesige Gefahr entkommen, wachsen und gestärkt zurückkehren zu lassen!
Die Hände des Begams krampften sich um die Steuerung seines Banges.
Er hatte sich für Scoutkonfiguration entschieden, das machte den Banges klein und agil. Ihre siebzehn Maschinen würden innerhalb der AURORA kämpfen, und dafür mussten sie durch die Gänge des Gigantschiffs passen. Wenigstens einigermaßen.
Acati betrachtete die drei fernen Punkte. Sie lösten sich aus dem Orbit und beschleunigten. Wenn er den Kurs hochrechnete, dann zielte er auf Jomma. Dort würden sie die Anormalität in der Schiffsbewegung schon erkannt haben und Gegenmaßnahmen treffen. So beruhigend es auch war, dass zwei Drittel der Elitetruppe der Hekatoncheiren fort sein würde – was bezweckte Akira Otomo damit? Was hoffte er zu gewinnen? Wollte er die Basen der Anelph und Naguad angreifen, um von der Flucht der AURORA abzulenken?
Wenn ja, tat er es ziemlich plump.
Sie kamen in Reichweite der automatischen Waffen der AURORA. Nicht jeder kleine Asteroid wurde von der menschlichen Besatzung gehandhabt. Viele Dinge wurden automatisch geregelt, bevor sie dem Giganten gefährlich werden konnten. Dies führte zu Nachlässigkeiten gerade bei der menschlichen Besatzung. Nachlässigkeit machte langsam. Und genau darauf hoffte Torum Acati. Darauf, und auf seine überlegenen Fähigkeiten als KI-Meister, wie die Menschen ihn und seinesgleichen nannten.
„Aktive Ortung“, meldete die Künstliche Intelligenz seines Banges. Torum Acati reagierte sofort. Er riss seine Maschine mit Hilfe der Steuerdüsen aus dem Kurs, brachte sie auf Geschwindigkeit. Auch die anderen Banges reagierten und begannen auf die AURORA hinab zu stürzen.
Abwehrfeuer setzte ein. Acati, seit über fünfhundert Jahren auf den Banges ausgebildet, tanzte es problemlos aus. Eine Fregatte schob sich heran, aus einem Hangar starteten Mechas der Menschen. Das musste er ihnen lassen, sie reagierten weit schneller als er ihnen zugetraut hatte.
Einer seiner Leute schoss auf ein Hangarschott. Es zerbarst unter der Urgewalt, krängte nach außen. Das innere Schleusenschott gab noch schneller nach und entließ die gesamte Atmosphäre des Hangars dahinter.
Fast erwartete Acati in dem Gerümpel, Werkzeug und Kisten, die mit der Atmosphäre aus dem Schiff gesaugt wurden, auch die eine oder andere Leiche zu sehen. Aber anscheinend hatten die Menschen schnell verstanden, was hier passierte.
Acati huschte in den Hangar, neben ihm die anderen Banges der Einsatztruppe. Gerade rechtzeitig genug, bevor ein Notfallschott zwischen den beiden zerstörten Innenschotts hervor fuhr und den Hangar isolierte.
Erneut wurde eine atembare Atmosphäre etabliert. Das konnte Acati nur Recht sein. Umso einfacher hatten sie es, um in den Innenraum der AURORA vorzudringen.
Einer seiner Leute, Goram Van, trat das Schott zum nächsten Gang ein.
Es gab schnell nach. Anscheinend war es nicht auf die gleiche Belastbarkeit ausgelegt wie die Schleusenschotte. Na, normalerweise würden diese Schotts auch nicht viel mechanische Beanspruchung aushalten müssen.
Sie drangen in den dahinter liegenden Gang vor, wurden von Infanterie mit Gewehren und tragbaren Raketen beschossen. Ein erstklassig gelegter Hinterhalt, der eine normale Gruppe Banges fürchterlich zusammengeschossen hätte. Nicht aber die Banges von KI-Meistern, die dem Beschuss problemlos standhielten. Das mussten die Infanteristen auch erkannt haben, aber sie hielten die Stellungen, verstärkten den Beschuss sogar noch.
Acati ignorierte sie. Das war das Beste was er tun konnte, um ihre hohe Moral und Opferbereitschaft zu würdigen.
„Jorr, nehmen Sie sich die Hälfte und kämpfen Sie sich zum Antrieb vor. Der Rest folgt mir nach Poseidon, zu ihrer Flottenzentrale. Wenn wir beides in der Hand haben, gehört das Schiff uns.“
„Verstanden!“ Jorr lief mit seinem Banges den Gang hinab, gefolgt von sieben Kameraden.
Acati brach in Richtung Innenraum durch, vergrößerte den Gang gewaltsam, erreichte den Fahrstuhl und vernichtete ihn. Dann startete er seine Düsen und flog in den Innenraum.
Er kannte diesen Anblick schon, hatte ihn bereits einmal erlebt, wenngleich auch nur mit seinem KI-Auge. Ihn aber zu sehen, wirklich zu sehen, war überwältigend. „So groß“, hauchte er ergriffen. Was für eine grandiose Leistung. Was für eine Arbeit. Wie faszinierend. Wenn ihr erster Kontakt anders verlaufen wäre, was hätten Menschen und und Naguad nur voneinander lernen können?
Torum Acati schüttelte den Gedanken ab. So was behinderte nur in der Mission. Die AURORA durfte das Kanto-System nicht verlassen!
Er ließ den Banges herumfahren, Richtung Serenity-Meer und… Und erstarrte. Vor ihm tat sich eine riesige Leere auf, die er nicht sah, nur fühlte. In ihr war der Fluss des KI fast vollkommen zur Ruhe gekommen.
War das die Zone, in der die Menschen die Anelph hatten transportieren wollen? Acati beschleunigte seinen Banges, trieb ihn auf das Feld zu.
Und wieder etwas, was er noch nie gesehen hatte. Dabei hatte er sich das wundern doch schon lange abgewöhnt. So dachte er zumindest.
**
„Die Verteidigung des Mondes Jomma ist immens. Auch wenn die Fünfte Division nun fehlt, bleiben immer noch gut tausendzweihundert Maschinen sowie vier Fregatten und zwei Zerstörer. Dazu kommen Bodenforts, deren Stärke wir noch nicht einschätzen können. Die Forts sind sowohl auf die Schiffsabwehr als auch die Abwehr agilerer Einheiten wie Banges ausgelegt. Allerdings sind sie über den Mond verteilt. Die Banges und Schiffe hingegen können gezielt gegen uns konzentriert werden.“
Ich schmunzelte. „Kei, hast du etwa Angst?“
„Angst, pah. Ich kommandiere einen modifizierten Bakesch. Etwas Stärkeres gibt es in diesem Sonnensystem nicht. Aber es tut auch mal ganz gut, sich der Realität zu stellen. Denn während du die Axixo-Basis erobern wirst, muß ich mich hier oben mit den Schiffen herumschlagen, mein lieber Akira.“
„Was bedeutet, dass sie gegen das kampfstärkste Schiff antreten müssen, oder?“
„Spitzfindigkeiten sind nun völlig fehl am Platz“, maulte Kei. Er sah kurz zur Seite, sein Gesicht verschwand vom Bildschirm. Als er wieder auftauchte sagte er: „Wir kommen in Reichweite für den Abschuss. Das Feld wird auf vier Kilometer Höhe und zwanzig Kilometer Radius programmiert. Sobald der Torpedo unterwegs ist, braucht er drei Minuten bis nach Jomma. Wir bleiben außerhalb der Waffenreichweite, bis euer Okay kommt, dass die Axixo-Basis wie geplant ausgeschaltet wurde.“
„Wir starten zehn Sekunden bevor der Torpedo einschlägt. Da wir nicht mit diesen wahnwitzigen Werten beschleunigen können, werden wir zehn Minuten brauchen, um die Oberfläche zu erreichen. Etwas langsam zwar…“
„Etwas langsam, sagt er. Tssss.“ Kei verdrehte die Augen. „Armstrong und Aldrin wären sicher froh gewesen, wenn sie binnen zehn Minuten auf einem Mond hätten landen können, und ohne vorher einen stabilen Orbit erreicht zu haben.“
„Tadel ist angekommen. Wenn wir wieder Zuhause sind, werde ich einen Tempel für die Supertechnik errichten, mit der wir hier Krieg führen. Versprochen, Kei.“
„Wieso habe ich das Gefühl, dass es dir Spaß macht, mich zu verarschen, hä?“ Sein ärgerliches Gesicht nahm besorgte Züge an. „Eine Minute. Akira, pass mir auf die anderen auf. Und sei um Himmels Willen vorsichtig. Einmal für tot erklärt zu werden reicht völlig im Monat.“
„Hat auch nicht wirklich Spaß gemacht. Danke dir, Kei.“ Ich nickte dem Freund ein letztes Mal zu und ging dann auf die Frequenz der Hekatoncheiren. „Bereitmachen!“
Klarmeldungen kamen in schneller Folge zu mir. Sobald ich das Signal gab, würden wir mit unseren Mechas von dem Bakesch und den Zerstörern starten und auf Angriffskurs gehen.
Bisher beäugten uns die Anelph nur misstrauisch, griffen aber nicht an – noch nicht.
„Torpedo wird abgefeuert“, meldete Prime.
„Zähle ab zehn den Countdown an.“ „Ja, Sir.“
Zehn Sekunden vor unserem Start, zwanzig Sekunden bevor der Torpedo aufschlug.
Spätestens jetzt würden Admiral Ikosu oder Admiral Achander entweder Alarm auslösen oder sich bei der SUNDER beschweren. Je nachdem wie ernst sie die Situation einschätzten.
„Zehn… Neun… Acht…“ Ich spannte mich an, tastete nach den Pedalen der Antriebssteuerung. Meine Hände legten sich fest um die Steuersticks. „Es wird wieder lustig, Prime.“
„Wie in alten Zeiten, Sir. Drei… Zwei… Eins…“
Ich trat die Pedale durch, neben und hinter mir starteten die anderen Mechas der Briareos von der Oberfläche der SUNDER. Wir hatten festgelegte Abflugkorridore, damit der Bakesch notfalls seine Waffen einsetzen konnte.
Ich holte mir den Torpedo mit einer Zoomaufnahme heran. Die Axixo-Basis schoss Sperrfeuer, Täuschkörper und ließ Banges starten. Aber da er direkt von der SUNDER gelenkt wurde, fiel er auf die Täuschkörper nicht herein. Die anderen Abwehrmaßnahmen scheiterten am Schirm, der einer Korvette gerecht wurde.
Dann schlug der Resonatorfeldtorpedo in Flugfeld der Axixo-Basis ein. Durch die Eigenmasse und die Geschwindigkeit schlug er ein erhebliches Loch.
„Resonanzfeld wird aktiviert“, meldete die SUNDER. „Resonanzfeld ist aktiv.“
Ich sah mehrere Banges, die gerade gestartet waren und nun das Feld zu verlassen drohten, welches Prime für mich einzeichnete.
„Verdammt!“ Vier Piloten. Die Chancen waren groß, dass sie nun alle vier sterben würden, wenn sie das Resonanzfeld verließen.
„Yoshi!“
„Schon klar!“, rief der Freund und schoss mit seinem Eagle eine schnelle Salve in Flugrichtung der gegnerischen Mechas. Die künstlichen Intelligenzen der Maschinen reagierten und drehten in Richtung Basis ab.
„Sehr gut“, lobte ich.
„Bist du was anderes von mir gewöhnt?“, erwiderte er ruhig.
„Angeber“, tadelte ich.
„Das sagt der Richtige“, hörte ich die Stimme meiner Schwester.
„Yohko-chaaaan“, klagte ich in meinem wehleidigsten Ton.
„Zerstörer im Anflug! SUNDER schießt Sperrfeuer!“
„Danke für die Warnung, Kei. Hekatoncheiren, drauf einstellen. Behaltet eure Anflugkorridore bei. Was gibt es für Aktivitäten auf der Axixo-Basis?“
„Keine Aktivitäten erkennbar“, meldete Megumi.
„Sehr gut.“
Während die riesige SUNDER ihre Partikelwerfer abfeuerte, um den angreifenden Zerstörer davon zu überzeugen, dass er sich besser eine andere Route aussuchen sollte und meterdicke unsichtbare Strahlen mit enormen Vernichtungspotential zwischen den Mechas hindurchrasten, spannte ich mich unwillkürlich an. Solch ein Waffenstrahl hätte beinahe Megumi das Leben gekostet.
„Automatisches Abwehrfeuer, Sir.“
„Kei, wir lösen die Formation auf.“
„Verstanden. Wir stellen das Sperrfeuer ein.“
„Danke dir. Hekatoncheiren, Formation auflösen.“
Die Mechas spritzten auseinander, spielten nun ihre volle Agilität aus, während Waffenstrahlen, Raketen und Geschosse von der Naguad-Basis auf sie zugeschossen kamen.
Ich lächelte dünn und warf Prime in einen Trudelkurs, der mich sicher zu Boden bringen sollte. Zehn, nein, elf Raketen rasten auf mich zu. Schnell fixierte ich jeden einzelnen Reflex kurz und aktivierte dann meine Raketenabwehr.
Alle elf Raketen vergingen in Feuerbällen.
Als Prime dann neben dem Krater des Resonatortorpedos niederging, atmete ich aus. Weitere Hekatoncheiren landeten bereits. Damit hatten wir gewonnen.
2.
Der Alarm schallte durch Poseidon und ließ die Soldaten und Offiziere zu ihren Positionen sprinten.
„Was ist passiert?“, fragte Sakura Ino.
Tetsu Genda, der auf den großen Bildschirm abgebildet war, sagte: „Zwei Kompanien Banges greifen uns an. Sie haben einen Hangar zerschossen und den Notfalldruckausgleich abgewartet. Sie dringen gerade in die AURORA ein. Acht machen sich gerade auf dem Weg zur Antriebssektion, neun brechen in diesem Moment in den Innenraum.“
„Banges?“
„Kleine, fiese Dinger, für Scoutaufgaben konfiguriert. Die Dinger kommen mir irgendwie komisch vor. Sie sind viel zu stark für einen Banges dieser Größe.“
Ein weiterer Bildschirm flammte auf, das Gesicht von Eri Yodama erschien. „Sakura-chan, es ist soweit. Begam Torum Acati ist soeben mit weiteren KI-Meistern eingetroffen. Ihr Ziel ist es zweifellos, die AURORA entweder in die Hand zu bekommen oder sie zu vernichten.“
„Ich verstehe. Tetsu, gib die Abwehrmaßnahmen frei! Alarm für die Antimecha-Panzer. Alarm für die Garnison!“
„Aye, Ma´am!“ Tetsu salutierte ernst und blaffte eine Reihe Befehle.
Sakura Ino fuhr zum Hologrammtisch herum, der nun den Innenraum der AURORA abbildete und zeigte, wie bisher getarnte Waffensysteme aus dem Boden fuhren. Dutzende dieser Stellungen schützten Fushida City und die vier kleinen Ortschaften. Einige provisorisch installierte die Tribünen mit den eingefrorenen Anelph.
„Oh mein Gott…“, hauchte Sakura. „Die Anelph! Das Resonanzfeld! Beschützt das Resonanzfeld!“
Entsetztes Schweigen antwortete der Oberkommandierenden der Mission Troja.
**
Torum Acati ließ seinen Banges herum wirbeln, wich so den heran schießenden Raketen aus. Er aktivierte seine Hauptwaffe und vernichtete die Stellung mit einem einzigen Granatentreffer.
Dann landete er. Seine Offiziere machten gerade die leidvolle Erfahrung, dass das Meer um die Poseidon-Flottenzentrale so ihre Tücken hatte, weil sie sich mit wesentlich größerem Widerstand abgeben mussten als sie erwartet hatten. Wie es um die Triebwerke stand wusste Acati noch nicht.
Langsam setzte er seinen Banges in Bewegung, marschierte auf die Plattformenanlage zu. Er zoomte näher heran und erkannte die erstarrten Anelph. Wenn er sich auf sie konzentrierte, dann konnte er deutlich sehen, wie das KI in ihnen geschmiedet wurde – nur unendlich langsamer als dies normalerweise möglich war.
Diese Menschen, was waren das für Wesen? Wie konnten sie etwas erfinden, was von Rechts wegen schon seit Jahrtausenden von den Naguad entdeckt hätte sein müssen?
Und überhaupt, dieses Gigantschiff zum fliegen zu bringen, ja, mit ihm zu springen war auch so ein Wunder. Wie viel Arbeit steckte wohl in der Gravitationsanlage? Wie konnte sie so groß produziert werden?
Für die stationären Raumwerften seines Volkes hätten sich einige große Probleme gelöst, wenn er die Konstruktionspläne in die Hände bekommen hätte. Lohnte es sich vielleicht, dieses Schiff aufzubringen und nach Naguad Prime zu verlegen?
Eine Rakete riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Augenzwinkern reichte, um das Abwehrsystem auszulösen und den Flugkörper zu vernichten. Nur leider folgten sofort neun weitere.
Irritiert widmete sich Acati der Abwehr und sah sich dann um. Hm.
Hatte es doch tatsächlich eine Gruppe Infanterie gewagt, ihn mit Raketen anzugreifen. Tapfer waren sie ja, diese Erdenmenschen, das musste er ihnen lassen.
Wenn sie ihre zerbrechlichen Körper zwischen das Resonatorfeld und einen Banges warfen, konnte der Begam das nur bewundern.
Er sah zur Seite. Der Angriff auf Poseidon schien nicht besonders gut zu laufen. Drei seiner Banges waren bereits Not gelandet oder abgestürzt. Von dem Kommando für die Triebwerkssektion hatte ihn immer noch keine Rückmeldung erreicht.
Diese Menschen waren zudem zäh, wie er zugeben musste.
Sein Banges wurde übergangslos schwer erschüttert. Acati wich aus, wechselte seine Position und sah dabei zu, wie eine Garbe Geschosse seinem Weg folgte. Aus der nahen Ortschaft rollten Panzer heran. Er zählte drei. Sie waren mit rotierenden Schnellfeuergeschützen ausgestattet, die in der Masse sicherlich einiges an Panzerung von seinem Banges knabbern konnten. „Antibanges-Panzer“, stellte er ernst fest.
Wieder feuerte die Infanterie und Acati zog sich zurück. Einhundert Meter, zweihundert, immer näher an das Resonanzfeld heran.
Die Panzer, die nun drohten, bei einem Fehlschuss die erstarrten Anelph zu treffen, stellten ihr Feuer ein.
Und Acati, mit der Erfahrung von tausend Jahren Kampf ausgestattet, nutzte diese Eröffnung, griff seinerseits an.
Den ersten Panzer spaltete er längs. Den zweiten traf er mit einer KI-verstärkten Kugel in der Seite und warf ihn um.
Der dritte aber zerfetzte den Rücken seines Banges zu Schnipseln und zwang ihn auszusteigen.
Als Torum Acati auf dem Boden aufkam, nahm er sich eine Sekunde Zeit, um die Luft zu schmecken, bevor er den Deckschatten der Explosion seines Banges nutzte, um den Panzer zu umgehen und seitlich anzugreifen. Sein Schwert, Zeichen seiner Würde als hoher Offizier und Begam, glühte wie von innen unter seinem KI auf, als er den Panzer erreichte und die Waffe auf die Seite niederfahren ließ. Er lief den Panzer entlang, spaltete ihn auf und erwischte die eingelagerte Munition.
Mehrere Klappen öffneten sich, die Panzerbesatzung evakuierte.
Dann kam die Explosion.
Acati grinste dünn, als er unbeschadet aus der Staubwolke hervortrat. Seit Jahrzehnten hatte er nicht mehr einen solchen Spaß gehabt.
Langsam ging er auf die Infanteristen zu, die ihre Raketenwerfer nun gegen Schnellfeuerpistolen ausgetauscht hatten.
Nun sah er es ganz deutlich. Wer das Resonanzfeld in seiner Gewalt hatte, der hatte die AURORA in seiner Gewalt.
Der Anführer der Gruppe rief in an und forderte ihn auf, stehen zu bleiben – dankenswerterweise im Anelph-Dialekt.
„Ihr wärt mal besser bei den Raketenwerfern geblieben“, murmelte Acati und griff an.
Sekunden später lagen neun bewusstlose oder tote Gegner vor ihm, einige im eigenen Blut. Den zehnten hielt er am Hals gepackt und hob ihn in die Höhe. „Töten oder leben lassen?“, murmelte er für sich selbst.
Er sah dem jungen Mann in die Augen, sah wie er verzweifelt versuchte den Griff zu lösen. Wie er die Augäpfel verdrehte und röchelnd zu ersticken drohte. Dieser Mann war besiegt. Daran gab es keinen Zweifel. Acati ließ ihn fallen, ohne ihn getötet zu haben.
Ein Messer raste auf ihn zu und strich durch sein Haar. Acati fuhr herum und sah die junge Frau auf sich zulaufen. Sie sprang und wirbelte in der Luft herum, setzte zu einem Drehkick an. Acati blockte, spürte wie ihr Kick voll gegen seinen linken Unterarm traf.
Doch das brachte seine Gegnerin nicht aus dem Konzept. Sie nutzte den gewaltsamen Stopp, um sich einmal zu überschlagen, mit den Händen abzufangen und ihren ganzen Körper für einen Beinstoß gegen ihn einzusetzen.
Acati fühlte, wie sein linkes Knie unter der Gewalteinwirkung brach. Er knickte ein, begann sofort mit der Heilung, doch die Frau war nun schon wieder heran, zückte ein Messer und zielte damit auf seine Halsschlagader. Verdammt, ein normaler Mensch bereitete ihm solche Probleme? Konnte, durfte das sein? Seine Hand schoss vor, ergriff ihren Hals und riss sie gewaltsam vom Boden hoch. Nun bedurfte es nur noch eines geringen Drucks mit seinen Fingern, um ihr das Genick zu brechen. „Töten oder leben lassen?“, murmelte er wieder. Sie war ein starker Gegner, ein sehr starker Gegner, der Respekt dafür verdiente, dass sie einem KI-Meister und Krieger mit hunderten Jahren Erfahrung standgehalten hatte.
Er suchte den Blick ihrer Augen und fand nur grimmige Entschlossenheit. Mehr noch, die junge Frau ergriff seinen Unterarm, nutzte ihn als Stütze und zog sich daran hoch. Ihr linker Fuß stemmte sich auf seine Kehle, während ihr rechter Fuß in seinem Genick landete.
Hart drückte der Begam zu. Die Wut, das Feuer in den Augen der jungen Frau erstarb. Er warf sie fort, meterweit fort und ging keuchend in die Knie. Sie hätte ihn fast getötet, das Genick gebrochen. Das war mehr als knapp gewesen. Verdammt, er war ein Begam! Wie viele Überraschungen hielten diese Menschen noch für ihn bereit?
„Ai-chan!“ Eine andere Frau kam zu der Sterbenden gelaufen, berührte sie zaghaft, zuckte wieder fort. „Ai-chan! Er hat Ai-chan getötet, Joan!“
„Das wird er büßen!“, hörte er eine wütende Stimme über sich. Acati sah auf und erkannte einen hoch wehenden Minirock, farblich gut abgestimmte Unterwäsche und zwei Beine, von denen eines auf sein Kinn zielte.
Er ging mit dem Treffer mit, reduzierte so die Wirkung. Aber es war immer noch stark genug, um ihm den Atem aus der Lunge zu treiben. Er taumelte meterweit nach hinten.
„Schaff sie hier fort, Gina!“, sagte seine neue Gegnerin. „Ich bringe das hier zu Ende!“
Acati stutzte bei ihrem Gesicht für einen Moment. „Joan Reilley“, stellte er fest. „Ich kenne dich.“
„Wie nett! Ich werde ein Autogramm in deinen Sarg schnitzen!“, rief sie, lief heran, weit schneller als ein Mensch ohne Kontrolle über sein KI können sollte. Ihr erster Kick traf sein malträtiertes linkes Bein und machte den Heilungseffekt wieder zunichte.
Acati stöhnte leise auf, wich zurück. Eine Minute, mehr brauchte er nicht. Nur eine Minute.
Doch diese Minute gab sie ihm nicht, Joan Reilley, Megastar der AURORA und im Sonnensystem bekannt und populär.
Sie griff wieder an, ihre harten Fäuste sausten auf ihn hernieder, trafen seine vitalen Systeme.
Acati spuckte einen Schwall Blut aus. Nein, auf diese Weise würde er verlieren, machte er sich klar. Verlieren und sterben und die Gefahr für das Imperium konnte gedeihen.
Joan Reilley aber sah seine Schwäche mit der Gewissheit eines Raubtieres.
Mit flammenden Augen kam sie heran, umarmte den Begam und drückte kräftig zu.
Acati hörte sein Rückgrat und seine Rippen knirschen. Ein unartikulierter Schrei entrang sich seiner Kehle.
„Du wirst langsam sterben für das was du meinen Kameraden angetan hast“, rief die Frau wütend. „Für das was du Ai angetan hast!“
Acati fühlte, wie sein Körper taub wurde. Sein Blickwinkel verkleinerte sich, es schien ihm als würde er mehr und mehr durch einen Tunnel auf die Welt herab sehen. Verloren. Er hatte versagt. Das Imperium würde… Die Großmeisterin würde…
Sein Schrei bekam Klang und Farbe, er bäumte sich auf, während seine Rippen brachen! Wütend riss er wieder die Augen auf, schmiedete KI in seinem Leib, der seinen Körper hell aufleuchten ließ. Dann versenkte er seinen Blick in die Augen von Joan Reilley.
Nun war es an ihr zu schreien.
Als sich ihr Griff löste, als sie blicklos durch ihn hindurch sah, ballte der Begam die Hände zu Fäusten. „Es tut mir Leid.“
„Joan! Was hast du mit Joan gemacht?“, rief die andere Frau namens Gina.
„Ich habe ihr Bewusstsein auslöschen müssen. Es tut mir Leid.“
Acati sackte wo er gerade stand zu Boden und konzentrierte sich darauf, sein Knie und seine Rippen zu heilen.
**
Arno Futabe kniete vor einer kleinen Statue Buddhas. Er hatte die Augen geschlossen, seine Lippen bewegten sich ein wenig bei seinem lautlosen Mantra. Nicht das er ein Anhänger Buddhas noch ihm gegenüber ablehnend eingestellt war. Die kleine Statue diente ihm als Fokus für seine Kraft, für seine Energie. Für sein KI.
Er benutzte sie sehr selten, aber wenn er es doch tat, beunruhigte es jeden einzelnen, der im Shinto-Schrein lebte.
Die Mönche und Nonnen vermieden es, dem einzelnen Mann auf dem großen Innenhof zu nahe zu kommen noch ein lautes Geräusch zu machen, welches ihn ablenken konnte. Sie vermieden es auch zu Futabe-sama herüber zu sehen, weil sie wussten, dass sein drittes Auge die Blicke erkennen würde. Dies wäre auch eine Ablenkung gewesen.
In der nahen Stadt heulten die Alarmsirenen. Nahe dem Tempel fuhren vier getarnte Abwehrstellungen aus dem Boden, drei Raketenwerfer und eine Rotierwaffe für Granatgeschosse. Sie sollten Tempel und Stadt vor dem Angriff der Banges schützen. Dank des Red Teams, also den Hekatoncheiren, die in Banges die anderen Hekatoncheiren trainiert hatten, kannte man die Möglichkeiten der Feindmaschinen recht gut und hatte dies in die Programmierung der automatischen Waffen einfließen lassen. Dennoch lagen diese Angreifer weit über den Möglichkeiten, welche diese Mechas normalerweise haben sollten. Obwohl sie eher schwach gepanzert und bewaffnet waren, da sie durchweg für Scoutaufgaben konfiguriert waren.
Futabe-sama wusste das. Und er wusste auch, wer in diesen Mechas, diesen Banges saß. Er erkannte jeden einzelnen anhand seiner Aura, als stünden sie direkt neben ihm.
Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis sie auch ihn entdeckten.
Arno Futabe fuhr hoch, unterbrach die Meditation. Er sah auf und schmunzelte. Zwei Sekunden später landeten dort zwei Menschen, federten in den Knien ein, fingen sich mit den Händen ab. Deutlich konnte Futabe-sama erkennen, wie Hände und Füße Abdrücke im Stein des Innenhofs hinterließen.
„Ihr kommt spät“, tadelte der Priester.
Michael Berger grinste den Japaner an. „Verzeihung, Sensei. Wir hatten noch… Dinge zu tun.“
Eri Berger-Yodama ließ sich vor dem Priester im Schneidersitz nieder. Ihr Mann folgte ihrem Beispiel. „Wir mussten den Kindern noch ein paar Anleitungen mitgeben“, erklärte sie leichthin. „Schön, dich wieder zu sehen, Arno.“
„Schön, euch beide wieder zu sehen. Ich hätte nicht gedacht, dass unser nächstes Zusammentreffen aus so einem Grund sein würde. Ich dachte eher daran, wir treffen uns auf der Hochzeit meines Enkels“, sagte der alte Mann im Plauderton. „Mit eurer Enkelin, versteht sich.“
Die drei tauschten schmunzelnde Blicke aus.
„Vorausgesetzt, Eikichi lässt es soweit kommen. Er ist ja so Besitz ergreifend und beschützend…“ Michael Berger runzelte die Stirn. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals so mit Helen umgegangen zu sein.“
„Doch. Einmal“, sagte Eri. Aber es klang nicht tadelnd oder vorwurfsvoll. Nicht einmal traurig. Nur sehr ernst.
Darauf schwiegen die drei einige Zeit.
„Gut“, ließ sich Arno Futabe vernehmen und reichte jedem eine Hand. Eri ergriff ihre Hand und reichte die andere an Michael weiter. Der umschloss sie mit einer Miene aus Trauer und Entschlossenheit; dann griff er nach Arno Futabes Hand.
Der Priester nickte und begann damit ein lautloses Mantra aufzusagen.
Eri fiel ein, danach Michael.
Die wenigen Priester, die es jetzt noch wagten in den Innenhof zu sehen, waren Zeugen eines Schauspiels, das später einmal Geschichte schreiben sollte.
Eine blaue Aura umgab die drei, dehnte sich aus, wuchs nach oben und zu den Seiten, bis sie über zehn Meter maß. Überschlagsblitze zuckten über sie hinweg, und in der so entstandenen Kugel zuckten Entladungen zwischen den dreien hin und her. Dann begann sich der Boden unter ihnen blau einzufärben, danach der Boden außerhalb ihres Kreises, der Innenhof und das Umland. Das Blau raste den Boden entlang, auf die Stadt zu und ins Land hinein, erreichte die Seitenwände, kroch auch sie hinauf. Bei einer maximalen Ausdehnung von fünf Kilometern stoppte das wabernde Feld.
**