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Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:06:

  OT: Kinder Der Finsternis

Verworrenes Schicksal

-Prolog-
Die Sonne tauchte die Klippe und den darunter liegenden Wald in ein rötliches Licht. Tarim hätte die Gestalt, die auf dem Felsvorsprung saß, fast nicht bemerkt. Ihre schwarzen Flügel und ihr schwarzes Kleid verschmolzen mit dem Nadelwald, duzende Meter unter ihren baumelnden Füßen. Tarim seufzte innerlich und stellte sich vor, dass er dort ebenso wenig auffallen würde. Langsam ging er zu der Gestalt.
„Hey Lana.“, begrüßte er sie.
Seine Freundin sah hoch. „Was machst du hier?“
„Ich hab dich gesucht. Komm lass den Kopf nicht hängen. Bloß weil wir einmal verloren haben, sind wir noch nicht geschlagen.“
Sie schüttelte den Kopf und ihr volles schwarzes Haar, zur Zeit zu einem Zopf geflochten, wurde herumgewirbelt. „Der General ist sauer auf uns und die letzte Schlacht steht bevor. Wenn wir noch einmal versagen, wird er uns erschlagen.“
Tarim sah ihr in die violetten Augen, erwiderte ihren Blick mit Zuversicht. „Wir sind gefallene Engel und zwar die einzigen, die er zur Verfügung hat, vergiss das nicht. Er wird uns schon nichts tun. Dafür sind wir zu wertvoll. Jetzt steh schon auf, morgen ist der Tag der Schlacht, wir haben vorher nur noch eine Nacht zusammen und du weißt ja nicht, was morgen passiert.“
Er reichte ihr die Hand und als sie zugriff zog er sie auf die Füße.
„Lass und noch eine Nacht zusammen ausfliegen. Ab morgen wird alles anders sein.“, hauchte er ihr zu, dann küsste er sie sanft auf den Mund. Für einen Moment standen die beiden gefallenen Engel auf der Klippe und sahen sich in die Augen, dann stürzten sie sich von dem Vorsprung, entfalteten ihre Flügel und verschwanden in der Nacht.

-1-
Als Tarim und Lana am nächsten Morgen erwachten, tauchte die Sonne bereits hinter dem Horizont auf und General Tychon schrie Befehle durch das Lager der Armee. Orks, Trolle, Riesen, Goblins, Dämonen und ein paar Menschen hasteten durch das Lager, vollkommen damit beschäftigt, sich für die Schlacht zu rüsten.
Tychon und Anchron, sein bester Magier, standen auf einem kleinen Hügel und überwachten alles.
Tarim und Lana erhoben sich, sie hatten Rücken an Rücken geschlafen, und reckten sich, um ihre Gelenke zu lockern. Danach flogen sie auf den Hügel und knieten vor Tychon nieder. „My Lord, wir sind bereit für die Schlacht. Sagt, wie können wir dienen?“
Der General sah sie an und winkte ab. „Haltet euch erst einmal zurück. Wir werden in wenigen Stunden angreifen, noch ehe die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hat. Ich möchte, dass ihr mitten im Kampf den Befehlshaber des Feindes ausschaltet.“
Lana sah auf. „My Lord, wer wird euch beschützen?“
„Nun, wofür habe ich Magier?“, gab General Tychon zurück. Bis jetzt waren Tarim und Lana in jeder Schlacht seine Leibwächter gewesen und das wusste er auch.
Tarim nickte und auch er sah auf. „Wir werden euren Befehl erfüllen und danach zu euch zurückkehren, General.“
Anchron trat vor. „My Lord, wenn diese beiden Engel ihren Befehl ausgeführt haben, hätte ich eine sinnvolle Aufgabe für sie. Ich bräuchte jemanden, der den Angriff auf der rechten Flanke leitet. Der Hauptmann dort ist total inkompetent.“
Der General nickte nur, er war zu sehr damit beschäftigt, seine Truppen zu ordnen. „Jaja, tut, was ihr für richtig haltet. Wir werden bald aufbrechen. Wir stellen den Gegner in den Ebenen, wie geplant.“
Tarim und Lana standen auf, verbeugten sich und zogen sich von den beiden Befehlshabern zurück.
„Nicht einmal ein Name.“, meinte Lana trocken. „Die Ebenen haben keinen Namen. Ab heute werden sie wohl Blutfelder genannt werden.“
Tarim grinste. „Es gibt wieder einen Kampf. Es ist lange her, dass sich ein Gegner gewehrt hat. Und das über solch eine Zeit. Die Ritter unseres Feindes sollen sehr stark sein und seine Magier und Priester zählen zu den mächtigsten im Land. Mit Sicherheit wird diese Schlacht von epischem Ausmaß sein. Und wir beide, Lana, du und ich, wir werden den wichtigsten Mann unserer Feinde angreifen und töten.“
Sie sah ihn an, ihre Augen leuchteten. „Meine Klinge dürstet nach Menschenblut und diese Narren, die sich dem Guten verschrieben haben, werden schon bald fallen. Durch unsere Schwerter fallen. Tarim, wir werden die Schlacht entscheiden. Sobald der König dieser Menschen tot ist, werden sie in Panik ausbrechen. Niemand stellt sich einem gefallenen Engel, ohne in Panik zu geraten.“
Die beiden sah sich an und grinsten gierig. „Heute wird Blut den Boden dieser Ebenen tränken.“ Hinter den beiden setzte sich die nun geordnete Armee in Marsch. „Ein weiteres Reich wird fallen und Leid und Elend wird uns zu unserem Sieg beflügeln.“

Nach ca. zwei Stunden Fußmarsch stand die Armee im Schein der langsam steigenden Sonne an der einen Talseite, ihr gegenüber, vor der mächtigen Stadt Zeniken, wartete die Armee, die den Mut besaß, sich ihnen entgegenzustellen. Leiser Trommelwirbel hallte von dort herüber, wie Donner in der Ferne und die duzenden Banner, Fahnen und Standarten fingen das Sonnenlicht ein. Lana und Tarim standen in dem vom Tau angefeuchteten Gras und spähten hinüber.
„Es sind so viele wie wir.“, gab Lana auf ihre typische zurückhaltende Art von sich. Tarim wusste, dass sie im Kampf nicht so nachdenklich war und er grinste vor Stolz auf seine Freundin.
Dann trat er vor und sah ihr in die Augen. „Egal was auch passiert. Versprich mir, dich von den Magiern fernzuhalten. Wir sollen nur den König erschlagen, mehr nicht. Noch nicht.“
Ruhig wie sie war nickte sie. „Pass auf dich auf, ja? Ich will dich nicht von einem Speer abstreifen müssen.“
Er antwortete nicht und sah zu General Tychon. Dieser schien seine Strategie durchzurechnen und sprach noch mit Anchron.
Die Armee der Menschen stand still, keine Bewegung ging durch die Reihen der Kämpfer, deren schillernde Rüstungen das Sonnenlicht brachen. Die Goblins und Dämonen auf der Seite der Bösen waren in steter Bewegung und bildeten einen starken Kontrast dazu.
Plötzlich ging ein Ruck durch die Reihen der Menschen und sie bildeten eine Gasse durch die ein Trupp Reiter nach vorne ritt. Die Anzahl der Fahnen deutete daraufhin, dass es der König sein musste, umgeben von seinen besten Mannen. Ihm folgte eine Fußeinheit, die keine Banner trugen, nicht einmal helle Rüstungen, sondern dunkles Leder und jeder Krieger mit mehr Verstand als ein Goblin runzelte die Stirn.
„Nachtelfen.“, sagte Tarim zu sich selbst, sah dann Lana an. „Das macht es nicht unbedingt einfacher.“
„Ihre Pfeile lassen mich schaudern.“, gab sie zurück. „Geweihtes Holz, das tut gewaltig weh. Wie gut zu wissen, dass wir Nekromanten dabei haben und unsere Armee zum großen Teil dort drüben steht.“, meinte sie grinsend.
Tarim lachte. „Ja, du hast Recht. Wir werden triumphieren. Ich frage mich nur, auf was wir warten.“
Bevor Lana antworten konnte, schmetterten die Trompeten der Menschen los und bliesen zum Angriff. Wie ein Mann setzte sich das Heer in den hellen Uniformen in Bewegung. Greifenreiter stiegen über den Mauern der Stadt auf und Kavallerie jagte den Fußsoldaten voran.
Tychon reckte sein Schwert empor und stieß einen Kriegsschrei aus. Die Goblins, die Dämonen und die menschlichen Soldaten der Armee stürmten nun ebenfalls und die Kavallerie hatte fast sofort ihre Gegner erreicht. Es gab die ersten Toten, bevor die Gargoyles abheben konnten, aber auch sie stürzten sich sofort in den Kampf mit den Greifen.
Nur Tychon, Anchron, Tarim, Lana und ein paar Magier und Kriegsfürsten standen noch auf der Anhöhe, bei den Menschen waren es sogar nur die Magier.
Der General nickte Anchron zu und stürmte mit seiner Garde den Soldaten hinterher, ebenso im Kampfrausch wie alle um ihn herum. Die Magier begannen ihren Zaubergesang und die beiden Engel schwangen sich in die Lüfte.
„Wo ist dieser verdammte König, Lana?“
„Hm ... dort hinten, oder?“
„Ja scheint so.“
Sie jagten los, mit einer Geschwindigkeit, die nur Engel erreichen konnten. Der König der Menschen stand nicht in der ersten Reihe und nur ein paar Ritter und eine Handvoll Elfen umgab ihn. Der Angriff der Engel überraschte sie alle und die ersten Ritter fielen tot von ihren Pferden, bevor sie wussten, was geschah.
Lana schwang ihr Schwert gekonnt hin und her, parierte hier einen Schlag, riss dort eine Wunde. Im Nu waren die Ritter erschlagen und ihr Schwert dürstete nach weiterem Blut.
„Der König wird angegriffen!“, rief einer der Elfen aus, kurz bevor ihn Tarims Schwert durchbohrte. Und obwohl sie diszipliniert und tapfer kämpften, fielen die Elfen ohne eine Wunde zugefügt zu haben.
Zurück blieb nur der König, der sich ganz alleine zwei Gefallenen gegenüber sah. „Ezekiel, Azrael! Beschützt mich!“, rief er.
„Was?“, fragte Lana verwirrt, aber es war zu spät. Zwei Engel in weißen Gewändern rasten herbei und stellten sich zwischen die Gefallenen und den König. „Verdammt...“
Tarim zischte, als er sich dem Erzfeind gegenüber sah. „Lana! Auf sie! Sie verdienen den Tod!“
Die Engel zogen ihre Schwerter und stellten sich dem Ansturm ihrer dunklen Geschwister entgegen.
Lana drang auf Azrael ein, ließ Schlag auf Schlag auf seine Verteidigung prallen. Aber er war ihr ebenbürtig und konnte jede Attacke parieren. Sie verlor den Schwung und geriet nun selbst in die Defensive. Der Engel drängte sie etwas zurück, beide einen Meter über dem Boden schwebend.
Lanas Gedanken überschlugen sich, bis ihr plötzlich etwas einfiel und sie ein paar Schritte auf Abstand ging. „Los Tarim, jetzt hast du freie Bahn!“, brüllte sie und Azrael fiel auf den Bluff herein und wandte den Kopf. Zu spät erkannte er, dass er genarrt worden war, denn das Schwert seiner Gegnerin drang bis zum Heft in seinen Rücken ein und trat aus seiner Brust wieder aus.
Hustend und Blut spuckend sank der Engel zu Boden und Lana stemmte einen Fuß gegen seine Schulter, um das Schwert frei zu bekommen, was durch die Widerhaken der Waffe nicht ganz einfach war. Als sie es geschafft hatte, sank Azraels Leiche nach vorne und blieb auf dem zerwühlten Boden liegen. Die Gefallene sah sich nach Tarim um, der immer noch mit dem Engel rang. Der König war entwischt. Sie fluchte und gesellte sich zu ihrem Freund.
„Wir haben versagt.“, schrie sie ihm zu und griff ebenfalls den Engel an.
Tarim ließ keinen Augenblick in seiner Konzentration nach. „Ist er weg?“
Sie nickte. „Ja. Wir haben erneut versagt.“
Der andere Gefallene fluchte, als das Schwert von Ezekiel ihn an der Hüfte streifte. „Dann haben wir hier nichts mehr verloren.“, antwortete er brüllend, um den Lärm zu übertönen und die beiden gefallenen Engel zogen sich aus dem Zweikampf zurück. Ezekiel ließ sie ziehen und beugte sich über seinen gestorbenen Bruder.
Es sah nicht gut aus für die Armee von Tychon. Lana und Tarim sahen das aus der Luft. Zwar hatten die Gargoyles die Greifen besiegt, aber danach hatten die Nachtelfen sie abgeschossen. Auf der linken Flanke führte Tychon seine Soldaten immer noch verbittert an, doch der rechte Flügel war kollabiert und die Menschen stürmten nun unter großen Verlusten den Hügel, auf dem sich die Magier verschanzt hatten.
Lana spie aus und hob ihr Schwert, auf den Hügel deutend. „Los, die Schlacht ruft.“, brüllte sie ihren Kameraden an.
Der sah auf, nickte und griff sein Schwert fester. „Immer drauf!“, gab er zurück und sie ließen sich aus dem Himmel herab stürzen, um wie Furien über ihre Gegner zu kommen. Der menschlichen Angriff geriet ins Stocken und Panik breitete sich in den Herzen der Soldaten aus. Die Engel schlachteten Gegner um Gegner und diejenigen, die sich wehrten, hatten nicht den Hauch einer Chance.
Doch dann veränderte sich etwas. Die Soldaten verloren ihre Furcht und gingen in die Offensive. Tarim sah den Grund dafür: Der König preschte durch die Reihen seiner Leute nach vorne und hielt sein magisches Schwert den Engeln entgegen. „Vernichtet die Kreaturen der Finsternis!“, brüllte er und ihm folgten gut zwanzig berittene Ritter.
Lana und Tarim wichen Schritt um Schritt zurück, immer wieder ein paar der Soldaten erschlagend. Warum half ihnen Anchron nicht mehr?
Tarim erschlug einen Ritter und hob dann ab, kurz bevor er eingekesselt wurde. Auch Lana schwang sich in den Himmel. Die Magier, die sie schützen wollten, lagen tot auf dem Hügel, anscheinend hatten die Zauberer der Menschen dieses Duell auch gewonnen.

Tychon war tot. Im Kampf gefallen. Die Disziplin der übrigen Goblins und Dämonen brach zusammen und sie Kreaturen flohen. Die beiden Engel hielten mit den letzten Skeletten, ein paar Nekromanten und ein paar wenigen Menschen noch die Front, aber es war aussichtslos. Für jeden Gegner, den sie erschlugen, strömten drei neue nach. Das Unglaubliche war geschehen, die tapferen Menschen hatten gewonnen. Zwar hatten auch sie schreckliche Verluste hinnehmen müssen, aber sie hatten gewonnen.
Lana und Tarim sahen das ein und ließen die dem Untergang geweihten Kreaturen alleine. Sie waren so oder so tot und die Engel hatten kein Verlangen, ihnen zu folgen.
Aus einer Entfernung von ein paar hundert Metern beobachteten sie das Ende der Schlacht. Nicht einmal zwei Stunden war der erste Trompetenstoß her, aber hunderte Krieger lagen tot oder sterbend auf dem Feld. Schon strömten Menschenpriester aus, um die Verwundeten zu heilen oder ihnen einen schmerzlosen Tod zu ermöglichen.
Tarim erkannte nur langsam, dass er nicht einmal wusste, wie es weitergehen sollte. Ihr General war tot, die Armee zerschlagen und sie waren alleine im Feindesland. Auch Lana schien besorgt, sie wusste, dass es vorbei war und dass sie ein Problem hatten. Und irgendwo irrte noch ein Engel umher, auf der Suche nach Rache und in der Lage, sie aufzustöbern. Es war aussichtslos.
Lana sah ihren Geliebten an. „Und nun, Tarim? Wie geht es weiter? Wohin sollen wir jetzt gehen?“
„Ich weiß es nicht, Geliebte. Hier können wir zumindest nicht bleiben. Scheint als blieben nur zwei Wege.“
„Zurück oder nach vorne.“, stimmte Lana zu und sie sah den anderen Engel traurig an.
Tarim schluckte. „In die Heimat, als Untertan eines neuen Kriegsherren oder in die Kerker der Menschen. Beides ist nicht unbedingt schön, oder?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ist ja dumm. Aber aus den Kerkern der Menschen können wir entkommen. Und vielleicht verschonen sie uns ja.“
„Ja, vielleicht. Wir werden mit ihnen reden.“ Langsam stand er auf, legte Lana einen Arm um die Hüfte und zog sie an sich. „Mehr können wir nicht tun. Wir stellen uns ihnen und warten dann ab.“
„So soll es sein.“ Sie griff seine Hand und gemeinsam gingen sie auf das Schlachtfeld zu.

Die Menschen waren töricht, befand Lana, als sie sah, dass kaum noch ein Mensch, der auf dem Schlachtfeld war, Waffen trug. Aber warum auch? Die meisten Gegner waren nicht mehr kampftüchtig, der Rest geflohen oder gefangen.
Die beiden gefallenen Engel erregten natürlich Aufsehen und die Menschen ergriffen panisch die Flucht. In kürzester Zeit waren Ritter herbeigeeilt, die den beiden den Weg versperrten. „Halt! Im Namen von Zeniken! Ergebt euch!“
Tarim und Lana sahen den Menschen nur an und sagten nichts.
„Ergebt euch!“, herrschte der Soldat sie wieder an. Er wurde unsicherer, als die beiden nichts taten. „Ihr seid jetzt Gefangene! Los Leute, entwaffnet sie!“
Mit leichter Angst näherten sich die Soldaten den beiden Gefallenen, als Tarim plötzlich die Hand hob. „Nicht die Waffen. Wir ergeben uns und kommen mit, aber unsere Waffen werden wir behalten. Sie würden euch töten, würdet ihr sie berühren.“
Die Soldaten zuckten zurück und der Hauptmann überlegte, was sein Vorgesetzter wohl dazu sagen würde, aber immerhin hatte er zwei dunkle Engel gefangen genommen. „Einverstanden.“, knurrte er. „Männer, flankiert die Gefangenen.“
Mehr oder weniger stolz schritt er der Prozession voran, die auf ihrem ganzen Weg bis in die Stadt für Aufsehen und Angst sorgte, aber auch für Beleidigungen, Schmährufe und Drohungen. Bald schon passten die Soldaten nicht mehr auf die Gefangenen auf, sondern auf die Leute, die neben dem Weg standen.
Als sie durch das mächtige Stadttor traten, sahen Tarim und Lana auf. Die Stadt war fast wie ihre eigene Heimat, nur dass die Farben viel heller und freundlicher waren. Normalerweise, so überlegten die Engel, würden in den Straßen nicht Unmengen verwundeter und toter Soldaten liegen und es würden wohl auch normalerweise nicht so viele Frauen schreiend umherirren, aber es verlieh dem allem einen Hauch von Normalität. Die hellen Straßen hätten sonst wohl beinahe abnormal schön und ruhig gewirkt, befanden die beiden.

-2-
Man brachte sie vor den Kommandanten der Menschen, Prinz Karl, einem jungen Menschen, dem man ansah, dass er noch unerfahren und jung war und dass das Amt, dass er jetzt bekleidete, noch eine Nummer zu groß für ihn war. Wo sein Vater, der König, wohl war?
Tarim und Lana sanken vor ihm auf ihr rechtes Knie herab und senkten den Kopf. „Wir kommen als Gefangene, Menschenprinz.“, brachte Tarim laut und klar hervor.
„Unser Schicksal liegt in eurer Hand, Prinz.“, kam es von Lana.
Der Prinz musterte sie und schien von dem, was er sah, verwirrt zu sein. „Warum tragt ihr eure Schwerter noch? Und warum führt man euch mir erst jetzt vor?“
„Nun...“, begann der Hauptmann, aber Karl schnitt ihm das Wort an.
„Lass die Gefangenen reden.“
Lana sah auf und fing den Blick des Prinzen mit ihren violetten, schönen Augen ein. „Wir tragen unsere Waffen, weil es eure Männer töten würde, sie zu berühren. Und wir haben uns erst vor kurzem gestellt. Eure Soldaten trifft keine Schuld.“
Tarim hielt seinen Kopf weiter unten. „Vergebt ihnen. Wir sind euer Gegner und eure Gefangenen. Sie sind unschuldig.“
Diese Demut überraschte den Prinzen und er ertappte sich dabei, der Gefallenen in die Augen zu starren. Sie hatte einen unglaublich anziehenden Blick, aber als Prinz musste er über solchen Dingen stehen, entschied er. „Nun, Soldaten, sperrt sie ein. In einen Raum, in dem es ihnen nicht schlecht geht, aber aus dem sie auch nicht entkommen können. Am besten gebt ihr ihnen eines der Gästezimmer im Schloss. Sie sind wertvolle Gefangene, die ganzen Goblins und niederen Dämonen nützen uns nichts, aber zwei dunkle Engel... holt Ezekiel, er soll sich die beiden ansehen. Und informiert meinen Vater.“
Die Soldaten nickte und begannen hektisch, den Befehlen nachzugehen. Lana und Tarim leisteten keinen Widerstand und fügten sich in ihr Schicksal, eine Flucht war zur Zeit sowieso aussichtslos und man schien sie nicht foltern oder töten zu wollen.

Schwere Schläge gegen die Tür des Zimmers weckten die beiden Engel. Sie hatten nur unruhig geschlafen und hatten sich zusammen auf ein schmales Bett gedrängt, denn das Zimmer war nicht beheizt. Sie kamen nun recht schnell auf die Beine und warteten gespannt, was wohl passieren würde.
„Weg von der Tür!“, schrie jemand vom Gang aus und Lana und Tarim wichen bis an das Fenster zurück.
„Sind wir!“, brüllte Lana und im nächsten Moment wurde die massive Holztür aufgedrückt.
Zwei bewaffnete und voll gepanzerte Ritter traten ein und überzeugten sich davon, dass die Engel auch wirklich weit von der Tür wegstanden. Dann erschien in der Tür die Gestalt von König Heinrichs. Sein eiskalter Blick ließ nichts gutes verheißen. Ihm folgte ein ziemlich geknickter Prinz Karl. Die letzte Person, die den Raum betrat, war Ezekiel, dessen helle Augen einen gewaltigen Hass gegen die Gefallenen ausstrahlte.
„Das sind also die wertvollen Gefangenen, die mein Sohn gemacht hat.“, meinte der König mit seiner tiefen Stimme. „Ihr seid auch die, die mich töten wollten, oder?“
Tarim und Lana nickten.
„Majestät, sie sind Abschaum. Ihr solltet sie töten lassen.“, zischte Ezekiel, seine Rechte ruhte am Knauf seines Schwertes.
Prinz Karl trat vor. „Vater, sie scheinen uns nichts Böses tun zu wollen.“
„Ach Schwachsinn, Sohn. Es sind gefallene Engel, sie sind vom Grund auf böse. Sie werden nicht zu den Guten überlaufen, bloß weil sie sich ergeben haben.“
Der Alte war eindeutig intelligenter als der Prinz, stellte Tarim fest und er war sich sicher, dass das nicht gut für ihn und Lana war. „Eure Majestät.“, begann er und fiel auf ein Knie. „Wir werden weder euch, noch eurem Volk Schaden zufügen. Lasst uns nur in den Süden ziehen.“
Der König sah Tarim an. „Ach und das soll ich euch glauben? Ihr hättet schon längst im Süden sein können, oder?“
„Nein.“ Lana trat vom Fenster weg und blieb neben ihrem knienden Geliebten stehen. „Eure Soldaten hätten uns gejagt und zu Tode gehetzt.“
Ezekiel spuckte aus. „Lächerlich. Das Blut duzender Unschuldiger klebt an ihren Händen. Sie lügt.“
„Klebt es nicht auch an deinen Händen, Ezekiel?“, gab die Gefallene zurück und für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Dieser kurze Moment entfachte ein Duell zwischen ihren Geistern, ein Test des Willens, der jäh unterbrochen wurde, als der König Lana an der Schulter fasste.
„Habe ich dir erlaubt zu reden? Du bist meine Gefangene, vergiss das nicht.“
Lana nickte und ging einen Schritt zurück. Auch Tarim erhob sich und stellte sich neben sie.
„Vater.“ Prinz Karl stellte sich neben den König. „Lasst Gnade walten! Habt ihr nicht gestern noch dem Volk zugerufen, dass wir besser sind, als unser Gegner es war?“
„Mein Sohn, du musst noch viel lernen. Diese Kreaturen sind Mörder. Sie sind schlimmer als jeder Goblin, denn Goblins morden aus einem Trieb heraus. Aber ich bin auch kein Narr. Tot nützen mir diese beiden hier nichts. Aber ich sehe auch keinen Sinn darin, sie ziehen zu lassen, denn vertrauen kann ich ihnen nicht.“ Der alte König strich sich mit der Hand über den Bart und überlegte.
Ezekiel rümpfte die Nase. „Also wollt ihr sie am Leben lassen? Sie wollten euch töten...“
„Das ist nun mal der Krieg. Du als Engel solltest das wissen.“, polterte der König und Ezekiel verkniff sich klugerweise eine Antwort. „Wie kann ich mir diese Engel zu Nutzen machen?“, überlegte Heinrich laut.
„Majestät.“ Lana sah den König an und neigte, als er ihren Blick erwiderte, den Kopf. „Vielleicht könnten wir zu einer Abmachung kommen. Wir werden uns unter euren Befehl stellen, wenn ihr uns dafür so viele Freiheiten gebt, wie unser alter Meister.“
Tarim und Ezekiel sahen Lana beide an, als wäre sie wahnsinnig, Karl zeigte ein hoffnungsvolles Lächeln und der König musterte sie nachdenklich. „Welche Freiheiten gab euer alter Meister euch und wieso sollte ich euch vertrauen?“
„Wir durften uns frei bewegen und mussten nur auf seinen Ruf hin zu ihm eilen, um neue Order zu empfangen. Außerdem lebten wir so gut wie seine Kriegsherren.“, gab die Gefallene zu. „Warum solltet ihr uns nicht vertrauen? Wir hätten euch, euren Sohn und unzählige eurer Untertanen umbringen können und niemand hätte uns daran gehindert.“
„Hm.“ Heinrich sah erst seinen Sohn an, der mit strahlenden Augen nickte.
„Vater bedenke, welche Möglichkeiten sich uns offenbaren. Zwei gefallene Engel können politisch und strategisch wichtig sein. Und sie hat Recht, wir haben kaum einen Grund, ihr nicht zu vertrauen.“
Der König nickte und sah Ezekiel an.
„Nein, my Lord. Sie sind abgrundtief böse und es ist nur der Überlebenswille, der aus dieser Geste spricht. Ihr hättet ihnen nicht einmal zuhören sollen.“
Heinrich strich sich wieder über den Bart und schien ernsthaft nachzudenken. „Ich werde mir für diese Entscheidung einen Tag Zeit nehmen.“, meinte er schließlich. „Solange bleibt alles wie gehabt.“
Lana nickte. „Danke, Majestät. Das ist mehr, als ich erhofft hatte.“
Der König, Karl, Ezekiel und die zwei Wachen verließen den Raum ohne weitere Worte und ließen Tarim und Lana alleine zurück. „Warum?“, fragte Tarim kurz darauf leise.
„Warum nicht?“, gab Lana zurück. „Es ist auch nicht schlechter, als wir es vorher hatten, oder? Für wen wir arbeiten ist dann doch egal. Bloß weil diese Menschen zu anderen Göttern beten heißt das nicht, dass wir das auch müssen.“
Nach kurzer Zeit nickte Tarim. „Ja, warten wir ab, was passiert. Wir haben noch einen ganzen Tag Zeit bis dahin. Wir sollten diese Zeit nutzen und uns ein wenig entspannen und unsere Wunden zu heilen.“
Lana nickte nur. Einen Tag galt es zu warten...

-3-
„Du, Tarim?“ Lanas Stimme kam leise und gedämpft, dicht an ihren Freund geschmiegt lag sie in der Dunkelheit und starrte auf die Wand. Es war dunkel im Zimmer, nur ein wenig Mondlicht eines abnehmenden Mondes ließ die Szenerie ein wenig sichtbar werden. Die Gefallene konnte trotz dieser beinahe idealen Bedingungen nicht schlafen, zu viele Dinge beschäftigten sie.
Tarim drehte sich herum und legte ihr eine Hand auf ihre schmale Schulter. „Ja? Ich bin hier.“
Lana zögerte einen Moment. „Glaubst ... glaubst du, sie werden uns hinrichten?“
„Hm.“ Tarim musterte ihren Rücken und ihre Flügel, die selbst in dem matten Licht wunderschön aussahen und suchte nach den passenden Worten. „Ich weiß es nicht.“, gestand er dann ein. „Aber ich glaube nicht, dass sie das tun. Mit Prinz Karl haben wir einen guten Verbündeten.“
Lana schwieg und aus ihrem Schweigen schloss Tarim, dass sie diese Argumente verarbeitete. Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. „Aber egal, was sie tun, wir werden zusammenbleiben, Lana. Das verspreche ich dir.“

-4-
Früh am nächsten Morgen wurden sie von zwei Wachen unsanft geweckt, die sie bei den Schultern packten und auf die Füße rissen. Lana resignierte innerlich, so wie man sie behandelte, ließ das nichts Gutes erahnen. Die Wachen schleiften die beiden Engel, die sich nicht wehrten, in einen Raum. Einer der Soldaten, es waren sechs an der Zahl, schloss die einzige Tür ab und nickte seinen Kameraden zu. Die Engel wurden an eine Wand gestoßen, wo man ihnen Schwerter an die Kehlen hielt.
Der Kommandant der Soldaten musterte die beiden Engel und spie aus. „Ihr seid Abschaum. Normalerweise würde ich euch ja töten ... “ Er sah Lana an und grinste lüstern. „ ... zumindest einen von euch. Aber der König hat mir befohlen, euch nichts zu tun. Ich frage mich, ob er etwas ... Spaß mit den Gefangenen dazu zählt?“
Lana schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken an das, was kommen mochte und ließ resignierend den Kopf hängen.
„Aber ... “, fuhr der Soldat fort. „ ... leider hat der König auch das ausdrücklich verboten. Na ja, ich weiß nicht, was er mit euch vorhat, aber wir sollen euch bestimmte Kleidung geben.“ Er winkte einen Soldaten vor, der zwei weiße Roben vor die Engel auf den recht sauberen Boden warf. „Jetzt zieht euch um und dann werden wir euch zum König bringen.“
Tarim und Lana zuckten mit den Schultern, antworteten nicht und begannen sich umzuziehen, wobei Lanas gut gebauter Körper die Blicke der Gefangenen beinahe magisch anzog. Zum Glück fiel ihr das lange schwarze ins Gesicht, so dass die Menschen ihre Schamesröte nicht sehen konnten.
Wenige Augenblicke später waren sie fertig und ihnen fiel auf, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben helle Kleidung trugen. Es war nun mal nicht das, was ein dunkler Engel als schön befand, aber im Prinzip war es ihnen zu dem Zeitpunkt recht egal.
Der Soldat knurrte ein „Mitkommen!“ und, flankiert von je zwei Soldaten, wurden die beiden Engel zum Thronsaal geführt. Was mochte hinter den gewaltigen Türen auf sie warten, fragte sich Lana und warf Tarim einen fragenden Blick zu.
Der zuckte mit den Schultern und wusste auch nicht, was nun passieren würde. Dann schwangen die Türen wie von selbst auf.

Zwei Reihen Soldaten, eine zu jeder Seite, markierte den Weg, den die Engel zu gehen hatten. Die Mienen der Menschen waren ausdruckslos, aber die beiden Gefallenen nahmen an, dass sie sicherlich nicht unbedingt positiv über ihren ehemaligen Feind dachten. Abgesehen von den Soldaten, dem König, dem Prinzen, dem Engel, einem Scharfrichter und einem hohen Militär war der Saal leer.
Lana und Tarim wurde von den beiden Wächtern vorwärts gedrängt und man zwang sie, vor dem König und den vier anderen Anwesenden niederzuknien. „Mein König, hier sind die Gefangenen!“, brachte der Kommandant hervor, verbeugte sich und er und seine Männer verließen mit hastigen Schritten den Saal. Der König erhob sich von seinem Thron und brachte sich damit auf gleiche Höhe mit seinen Beratern. Lange Zeit sprach niemand ein Wort.
Dann räusperte sich König Heinrich. „Gefangene von Zeniken! Nennt mir eure Namen!“
„Lana.“, antwortete die Gefallene sofort und nur einen Sekundenbruchteil später nannte auch Tarim seinen Namen.
„Warum habt ihr euch ergeben, Gefangene? Sprich du, Tarim!“
Der Engel nickte. „Unsere Armee war geschlagen und unser Meister tot. Unsere Flucht hätte uns in die Arme eurer Soldaten getrieben, die uns wie Feinde behandelt hätten und uns getötet hätten.“
„Zurecht!“, fauchte Ezekiel, aber ein strenger Blick von Heinrich lies ihn verstummen. Offenbar war er der direkte Meister des Engels.
Wieder ergriff Heinrich das Wort: „Also kommt ihr freiwillig heraus, nur um zu überleben und bietet mir nun eure Dienste an. Wie kann ich euch vertrauen, wenn ihr euch so schnell ergeben habt? Beantworte mir meine Frage, Gefangene Lana!“
„Majestät.“, begann Lana, sorgfältig überlegend, was sie nun sagen würde. „Unsere Loyalität galt alleine unserem Meister. Als unser Meister fiel, waren wir niemandem mehr verpflichtet und unser Verhalten war dem eines normalen Menschen wohl nicht unähnlich. Doch wenn wir einer Person Loyalität schwören, so sind wir Loyal bis aufs Blut, Majestät.“
Ezekiel musterte Lana mit einem finsteren Blick. „Sie lügt, my Lord.“
„Vater, worauf wartest du?“, drängte Prinz Karl nun seinerseits. „Sie sind zu wertvoll, um sie zu ermorden.“
„Ruhe.“, donnerte König Heinrich, in Gedanken sein Schicksal verfluchend, dass ihn mit solch extremen Beratern gestraft hatte. „Noch bin ich der König und ich entscheide, was mit den Gefangenen passiert. Und ich habe meine Entscheidung getroffen.“ Er strich sich über den Bart und winkte den General zu sich. „General Drachenklau. Sie werden diesen beiden Engeln fortan Befehle erteilen.“
Ezekiel schnappte nach Luft, Karl konnte kaum fassen, dass er sich gegen Ezekiel durchgesetzt hatte und der General nickte. „Ja, my Lord.“
“Aber … “, fuhr der König fort, “ … sie werden mir Loyalität schwören. Es steht ihnen frei, sich überall zu bewegen, wo es auch einem General gestattet ist und sie sollen wie einer leben. Sollten sie jedoch gegen ein Gesetz verstoßen, egal gegen welches, soll man sie sofort hinrichten.“
Lana und Tarim schluckte. Aber es war besser als nichts.
„Gefangene von Zeniken, wollt ihr eurem neuen König Loyalität schwören?“
„Bis zu seinem Tod und bis auf unser Blut.“, gaben die Engel als Antwort zurück.
König Heinrich nickte und ignorierte Ezekiel und Karl.
„Dann erhebt euch, Streiter von Zeniken!“



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:06:

 

Der Engel-Jäger

-5-
Die Augen der kleinen Gestalt huschten unruhig hin und her und suchten den matten Fackelschein ab, wie als hätten sie vor irgendetwas Angst. Panische Angst.
Der Raum war schmutzig und finster, außerdem stank es erbärmlich nach Leichen. Der perfekte Ort und – jetzt um Mitternacht – die perfekte Zeit für ein geheimes Treffen. Und dieses Treffen musste geheim bleiben. Wiesel – so wurde die Gestalt in der Unterwelt oft genannt – wusste, dass es nicht gut war, wenn so etwas aufflog, denn seine „Partner“ würden dann recht erbost sein. Und Wiesel war kein Kämpfer.
Als plötzlich die Tür aufging duckte sich die Gestalt noch tiefer in die Schatten, denn die eintretende Person war wahrlich ehrfurchtgebietend.
Ein gewaltiges Schwert hing am Gürtel des Kriegers und seine Panzerstiefel passten wunderbar zu seiner Brustplatte, auf der ein durchbohrter Engel zu sehen war. Die Augen des Kämpfers huschten hin und her , dann entdeckte er Wiesel und runzelte abfällig die Stirn. „Du bist meine Kontaktperson? Wie tief bin ich in dieser Stadt gesunken?“
„H-hey ... du ... äh ... musst ... der Schlächter sein, richtig? Ruhig Blut, Mann.“, kam es abwehrend von Wiesel. Er fuhr sich mit den Fingern durch seine fettigen Haare. „Ja, ich bin dein Mann.“
„Mann? Du meinst, du bist mein ... Ding, oder?“
„Wie du es sagst.“ Wiesel schluckte hörbar. „Also ...“
„...also?“ Der Krieger blieb total ruhig und selbstsicher, was auch kein großes Kunststück war.
Wiesel trat aus dem Schatten. „Man bezahlt dir für jeden Engelsflügel 2500 Goldmünzen. Bar.“
Der Krieger sagte nichts.
„Hey, mehr kann ich dir nicht bieten, ich bin nur Unterhändler. Du machst die Arbeit, mein Boss zahlt und ich laufe...“
„Reg dich ab, ich werde dich nicht töten ... noch nicht.“, brummte der Krieger. „Zwei Fünf sagst du? Angenommen. Pro Flügel, das heißt fünf pro Engel ... ich werde sofort anfangen.“
Wiesel war froh, als der Krieger aus der Hütte trat und er wieder in den Schatten verschwinden konnte.

-6-
Die beiden gefallenen Engel legten die Flügel an und stießen wie Pfeile auf Zeniken nieder, nur um mitten in der königlichen Kaserne ihre Geschwindigkeit zu verringern, letztlich anzuhalten und sich elegant zu Boden zu lassen. Die anwesenden Soldaten zeigten sich ein wenig eingeschüchtert, nicht aber der General Drachenklau. Er musterte die Beiden nur kopfschüttelnd und schien nicht glücklich, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
„Ihr habt lange gebraucht.“, stellte er fest.
Tarim nickte und trat vor. „Sire, wir haben zuvor noch eine Besprechung mit Prinz Karl gehabt, die wir so schnell als möglich verlassen haben. Wir entschuldigen uns dafür.“
„Schon gut, schon gut. Ich habe einen ersten Auftrag für euch. Dürfte recht einfach sein. Im Norden von hier lagern ein paar Räuber, welche die Nachwehen des Krieges schamlos ausnutzen wollen, da sie unsere Truppen – zurecht – am Boden glauben.“
„Habt ihr nicht einen Soldaten mehr über?“, fragte Tarim trocken.
Der General schüttelte den Kopf. „In Zeniken stehen noch zweihundert Soldaten, im Krieg hatten wir sieben Tausendschaften, normalerweise verfügen wir in Friedenszeiten über drei Tausendschaften. Aber egal, ich möchte, dass ihr diesen Banditen das Handwerk legt. Entweder nehmt ihr sie gefangen oder ihr tötet sie direkt und erspart mir den Ärger mit ihnen. Aber schaltete sie aus. Fragen?“
Lana und Tarim schüttelten die Köpfe und entfalteten ihre Schwingen. Die Gefallene legte eine Hand auf den Griff ihres Schwertes. „Wir werden tun, was ihr uns aufgetragen habt.“ Dann stießen sie sich vom Boden ab und stiegen in den Nachmittagshimmel empor.

„Nur ein paar Räuber.“, meinte Tarim zynisch. „Oh, zu welchem Wortwitz der Herr General doch fähig ist. Fast fünfzig Mann sind dort unten.“
Lana nickte zustimmend, während sie von dem Felsvorsprung auf das Lager ihrer Feinde sah. „Und alle gut bewaffnet. Inklusive Bogenschützen.“
Die beiden Engel sahen sich an und zuckten dann gleichzeitig mit den Schultern. Auftrag war Auftrag.
„Wollen wir?“, fragte Tarim und zog sein Langschwert.
Lana nickte und zog ebenfalls ihre Waffe. „Von mir aus. Bringen wir es hinter uns. So oder so.“
In den beiden wich die permanente Depression fast schlagartig dem rauschartigen Hochgefühl vor einer Schlacht mit der Aussicht, Blut vergießen zu können. Aus den unergründbaren Tiefen ihrer Seele drang ihnen ein gellender Kampfschrei über die Lippen, der sofort jeden der Räuber alarmierte. Alle Ängste und Bedenken wurden von einer Welle der Raserei hinweggespült.
Die beiden Engel ließen sich vornüber von dem Felsvorsprung fallen und stürzten sich im Sturzflug auf die Räuber. Im Nu waren sie unter ihnen, teilten in jede Richtung Hiebe aus, bei jedem Treffer einen jauchzenden Schrei ausstoßend. Wer die beiden vorher gesehen hatte, hätte sie nun nicht wiedererkannt.
Tarim drang auf einen Räuber ein und schlug ihm einen Arm ab. Der Mensch wand sich in Agonie, doch gerade als der Engel nachsetzen wollte, traf ihn etwas in die rechte Seite. Ein Pfeil, wie sich herausstellte. Tarim wirbelte herum und sein Schwert beschrieb einen tödlichen Halbkreis.
Als der aufgeschlitzte Leichnam des Räubers auf dem Boden aufschlug, reckte der Engel sein Schwert in die Luft und stieß ein markerschütterndes Brüllen aus, was die schwächlichen Menschen einen Schritt zurückweichen ließ. Tarim fixierte sein nächstes Ziel und stürzte vor, um es in einem Hagel aus hohen und tiefen Schlägen anzugreifen.
Binnen weniger Augenblick hatte der plötzliche und brutale Angriff der beiden Engel ein duzend Räuber tödlich getroffen und mindestens doppelt so viele verwundet. Der Rest wich nun zurück und schien sich um einen Anführer zu gruppieren.
Auch Lana und Tarim fielen zurück und gingen auf Abstand. Genug Abstand, um außerhalb der Schussreichweite der Bögen zu sein. Beide Engel waren mit Blut beschmiert und nur wenig davon war ihr eigenes. Allerdings hatten sie beide Treffer einstecken müssen und ihr Atem ging schwer.
Lana grinste auf eine dämonische Art und zeigte mit ihrem bluttriefenden Schwert auf die Räuberbande, die nun eine Art Formation eingenommen hatte. „Diese Menschen sind töricht.“, zischte sie, aufgeputscht durch das vergossene Blut und den beflügelnden Kampfrausch.
Ihr Begleiter nickte. „Sie werden dafür bezahlen. Bezahlen für ihre Torheit.“, stimmte er zu. „Lass uns ihr Blut vergießen, meine Geliebte!“
Lanas Augen blitzten auf. „Ja, lass uns ihr Blut vergießen, Liebster.“
Sie trat an ihr heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und küssten ihn, wobei sie ihm eine Haarsträhne aus der blutigen Stirn strich.
Dann wandten sich die beiden Engel ihren Gegnern zu und hoben ihre Schwerter, bevor sie sich vom Boden abstießen und etwa drei Meter Abstand zwischen sich und den Erdboden brachten. Die Räuber machten einen großen Fehler und versuchten sie mit ihren Bögen im Auge zu behalten. Doch als die Engel herabstießen, musste sie lernen, dass man einen Engel im Sturzflug nicht dermaßen leicht abschießen kann. Es sollte das letzte sein, was sie lernten, denn als die Engel sie erreichten wüteten sie schrecklich untern den Räubern, die im Nahkampf mit ihren Bögen absolut unterlegen waren.
Nicht ein einiger Mensch überlebte den Kampf.

Lana lehnte an einem Felsbrocken und sah auf die duzenden Toten. Alle Glieder taten ihr weh und instinktiv fühlte sie, dass es Tarim nicht besser ging. Das Adrenalin war aus ihren Adern gewichen und sie fühlte sich nur noch müde. Müde und leer. „Es war zu einfach. Es waren fünfzig Soldaten, es war viel zu einfach.“
Tarim schüttelte den Kopf. „Nein, keiner dieser Leute hatte eine richtige Ausbildung oder gar gute Ausrüstung. Und sie waren eingeschüchtert.“
„Aber ...“
„Denk einfach nicht drüber nach, Liebes, ja?“ Er setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. Erschöpft legte sie ihren Kopf an seine Schulter und schmiegte sich eng an ihn.

Als die beiden Engel später, gewaschen und mit sauberen Sachen bekleidet, in ihr Zimmer traten, merkten sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Türe war zwar verschlossen und die Fenster ebenso und doch hatten sie kein gutes Gefühl, als sie sich in den Schlafraum begaben. Und tatsächlich – auf dem Kopfkissen ihres Bettes lag ein Brief, vielmehr ein Zettel.
Tarim griff nach dem Papier und las es laut vor.
„Ich hoffe, ihr beiden schlaft gut nach diesem Massaker. Denn ab morgen werde ich euch jagen. Für eure Köpfe bekomme ich ein schönes Sümmchen. Gezeichnet – Der Slayer“
Lana wich einen Schritt zurück, als würde von dem Zettel eine Gefahr ausgehen und Tarim seufzte. „Ein Angelslayer. Das hat jetzt gerade noch gefehlt. Aber wir sollten seinem Rat folgen und uns ausschlafen. Wenn er seine Drohung wahrmacht, werden wir morgen jede Energie brauchen.“
Eine Viertelstunde später lagen die beiden unter der warmen Decke und schliefen friedlich, trotz der Gefahren, die auf sie lauerten.

-7-
Ein Dolch, der nur Millimeter an der eigenen Wange vorbeijagte, war sicherlich nicht die schönste Methode, geweckt zu werden und deshalb waren Tarim und Lana auch nicht besonders elegant anzusehen, als sie aus dem Bett stürzten und auf die Füße kamen, um nach ihren Waffen zu greifen.
Aber ein weiterer Dolchwurf blieb aus und als die beiden schließlich den ersten Dolch musterten, sahen sie, dass er eine Nachricht an der Wand festgenagelt hatte. Tarim legte sein Schwert wieder weg und riss die Notiz runter, um sie dann zu studieren. Er seufzte, zerknüllte den Zettel und warf ihn in das runtergebrannte Kamin-Feuer. Die Glut entzündete das Pergament und ließ es in Flammen aufgehen.
Nach ihren Klamotten greifend und sich dabei streckend runzelte Lana die Stirn. „Was stand drauf?“, fragte sie.
„Nichts von Belang.“, gab Tarim zurück. „Das Gleiche wie gestern. Nicht im Wortlaut, aber im Sinn.“ Auch er griff nach seinen Klamotten. „Und wir wissen, dass unser Freund es bitter ernst meint und nicht ganz schlecht ist.“
Lana nickte, noch viel zu müde, um fatalistisch zu sein. „Ja, der Wurf war gut. Wir sollten aufpassen.“
„So ist es.“, gab ihr Begleiter zurück, als er vor sie trat und seine Arme um ihre Hüften schlang ...

Nach einem ausgiebigen Frühstück rief General Drachenklau die Engel zu sich. Lana und Tarim knieten vor ihm, das Haupt demütig gesenkt.
„Wie ist es gelaufen?“
„Niemand hat überlebt.“, antwortete Tarim. „Vielleicht konnten zwei oder drei entkommen, aber der größte Teil der Bande ist gestorben.“
„Der größte Teil? Wie viele waren es denn?“ Drachenklau wirkte ehrlich überrascht. „Unsere Späher haben von zehn oder zwölf Räubern berichtet.“
Lana räusperte sich. „Zehn oder zwölf? Eure Späher belieben wohl zu scherzen. Es waren rund fünf duzend Wegelagerer. Entweder haben diese eure Späher genarrt, um einen Trupp eurer Männer in einen Hinterhalt zu locken oder ihr solltet die Loyalität eurer Späher sicherstellen.“
Der General überhörte diese Anmaßung, gedankenversunken verschränkte er die Hände hinter dem Rücken. „Oder ... nein, das ist unmöglich.“
Tarim sah auf. „Was ist unmöglich, General?“
„So etwas gab es schon einmal ... vor gut zwanzig Jahren. Etwas Finsteres hat sämtliches Böses gesammelt und versucht, Zeniken zu stürmen.“
Die Gefallene rieb sich die Augen. „Der Zeniken-Vorfall. Ich erinnere mich ... es gab damals Gerede.“ Tarim nickte zustimmend.
Nur General Drachenklau wirkte etwas verdutzt, verwarf seine deutlichen Vorwürfe dann aber sofort wieder. „Ja, genau das.“
„Habt ihr es ... vernichtet? Das Finstere?“, hakte Lana nach.
„Nein ... wir haben sämtliche seiner Schergen getötet und ein paar Erzmagier haben einen Zauberbann gelegt. Wir dachten, es wäre damit zu Ende.“
Lana und Tarim mussten gegen ihren Willen lachen. „Zu Ende?“ fragten sie wie aus einem Mund. Tarim sah Drachenklau ins Gesicht. „Seid froh, wenn es nur ein Zufall war, dass die Räuberbande so stark war. Andernfalls habt ihr eine Macht gegen euch, die nur schwer zu besiegen sein wird, so wie es hier zur Zeit aussieht.“ Dabei schloss seine Hand die verwüsteten Hänge vor der Stadt genauso ein wie die Lager der Verwundeten und die Scheiterhaufen der Toten.
Der General musterte ihn. „Nun, dann findet heraus, was wirklich los ist und beendet diese Bedrohung.“
Obwohl beide Engel von der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens überzeugt waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als zuzustimmen. Die hatten ihre Treue geschworen und gefallene Engel brachen keine Versprechen.

-8-
Der Krieger löste sich aus den Schatten. Der durchbohrte Engel auf seiner Brustplatte wirkte hier – in den Slums von Zeniken – nur einschüchternd, aber die Wachen würde hier niemand rufen, dafür hatte jeder hier zu viel Dreck am Stecken. Ein Informant hatte dem Krieger alles gesagt. Die Engel waren unterwegs. Außerhalb der Stadt würde er zuschlagen. Diese Biester hatten keine Gnade verdient, das wusste er. Die anderen Menschen mochten sich narren lassen, aber er war nicht so einfältig.
Jeder Engel war von Geburt an ein durch und durch bösartiges Wesen und er war einer der wenigen, der geschworen hatte, die Menschen von diesem Fluch zu befreien. Zeniken war zu neunzig Prozent von Menschen bewohnt und deswegen musste er es von diesem Fluch befreien.
Der Angelslayer fasste sein Schwert fester und setzte eine grimmige Mine auf. Seine Zeit war gekommen.

-9-
„Gen Norden.“, meinte Tarim. Seine Stimme war schwach, es schien als würden ihn düstere Vorahnungen plagen. Lana nickte und schenkte ihm einen sorgenvollen Blick. Was wusste er, was sie nicht wusste?
Ihre Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als ein Schwert auf sie niederfuhr. Instinktiv wich sie aus, machte zwei Schritte nach hinten auf die offene Straße. Aus den Schatten setzte ihr ein Krieger nach, ein Mensch.
Seine Brustpanzerung zeigte stilisiert einen aufgespießten Engel und sein rasender Blick machte deutlich, dass sie es mit einem Slayer zu tun hatte.
Die beiden gefallenen Engel zogen ihre Schwerter und gingen in Verteidigungsstellung, gerade rechtzeitig um den wilden Vorsturm des Kriegers abzuwehren. Er war gut und er war selbstsicher, immerhin legte er sich mit zwei Engeln an, doch noch behielt er die Initiative. Sein Schwert drang gegen die Verteidigung der Beiden, seine bloße Kraft trieb sie zurück gegen die nächste Hauswand. Tarim keuchte auf, als das Schwert seinen linken Arm streifte und durch das helle Fleisch schnitt. Der Arm hing danach kraftlos herunter.
In Lana begann das Adrenalin zu wüten, ebenso in ihrem Begleiter, jetzt gingen sie zum Gegenangriff über. In tödlicher Präzision platzierten sie Hieb um Hieb gegen ihren Gegner, doch er schaffte es irgendwie, jeden Treffer zu blocken. Alle drei Krieger waren nun in einem Kampfrausch, alle nur noch auf das Blut ihres Feindes aus.
Wie aus weiter Ferne hörte Lana den Schrei eines Vogels, dann wurde das Rauschen in ihren Ohren zu laut und sie stieß einen Kampfschrei aus.
Der Krieger parierte Schlag um Schlag und ging nun selber wieder in die Offensive. Zwar musste er eine kleinere Schnittwunde am linken Oberschenkel einstecken, doch er zwang beide Gegenspieler dazu, ihre Attacken einzustellen und nur noch zu parieren. Dabei konzentrierte er sich nur auf Tarim, der schon verletzt war und ließ Schlag auf Schlag auf ihn nieder regnen. Tarim atmete schwer und taumelte rückwärts. Lana trieb langsam um den Fremden herum und gelangte Schritt für Schritt in seinen Rücken.
Gerade als sie von dort angreifen wollte, fand der Krieger die Lücke in Tarims Verteidigung und stieß ihm das Schwert durch den Bauch. Der Engel schrie in rasender Agonie und umklammerte die Wunde, während das Schwert durch seinen Rücken wieder austrat. Blut tränkte die Gewänder des Gefallenen und den Boden und der Krieger zog sein Schwert mit einem Ruck aus der Wunde.
Lana sah dem Schauspiel zu, unfähig sich zu bewegen. Ein Trupp Soldaten war aufmerksam geworden, wagte aber nicht, einzugreifen. Zu teutonisch war der Kampf gewesen.
Die Gestalt in der dunklen Rüstung grinste triumphierend und für einen Moment erhaschte Lana einen Blick in seine Augen. Dort sah sie nur ihren Tod.
Der Krieger holte aus und setzte zu einem Hieb an. Sein Schwert raste auf Lana zu, gerade als der Vogel, den Lana gehört hatte und der sich nun als Greif entpuppte, Tarims schlaffen Körper aufhob und gen Norden trug. Im Geiste schloss die Gefallene mit ihrem Leben ab und ein Tropfen von Tarims Blut tropfte aus der Luft auf ihre Nase ...

-10-
Das Schwert des Fremden traf Lana nicht. Es gab einen metallenen Klang, als die Klinge auf das Schwert von Ezekiel traf. Der weiße Engel war im letzten Moment eingesprungen, nachdem er den Kampf einige Zeit verfolgt hatte. Grimmig sah er seinen Gegenüber an und drang auf ihn ein, noch völlig ausgeruht. Lana schüttelte sich und griff ihr Schwert fester. Der Krieger hatte Tarim getötet. Dafür würde er bezahlen.
Halb blind vor Hass und Raserei stürzte sie sich wieder in den Kampf, während der Blutstropfen nach unten rann und ihre Lippen berührte. Der Tropfen blieb dort nur kurz, dann war er verschwunden, doch der Geschmack des salzigen Blutes blieb und trieb die rasende Lana noch weiter in ihren Hass hinein.
Ezekiel lenkte die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich, während die Gefallene vorstürmte, Hieb auf Hieb gegen ihren Widersacher sandte und die Initiative zurück gewann. Die Augen des Kriegers wurden klarer, als seine Raserei nachließ. Er murmelte ein paar Worte und verschwand. Er löste sich nicht auf, er rannte nicht weg, er war einfach nicht mehr da.
„Scheint, als wäre ich genau im rechten Augenblick gekommen.“, sagte Ezekiel mit einem grimmigen Grinsen.
Doch Lana hörte ihn nicht. Noch immer nahm ihr die Raserei jegliche Vernunft. Ohne einen Moment inne zu halten, wirbelte sie zu dem Engel herum und ging auf ihn los. Drei Schläge konnte Ezekiel parieren, dann traf Lanas fein geschliffene Klinge seinen Hals von der Seite und trennte seinen Kopf von dem dazugehörigen Hals. In einer Blutfontäne fiel der abgeschlagene Kopf zu Boden.
Lana erkannte im selben Augenblick, was sie getan hatte. Sie hatte getötet. Nun würden Zenikens Truppen sie töten.
Trotz Tarims Verlust und ihrem gebrochenen Ehrenwort war ihr Überlebensinstinkt zu stark. Sie breitete die Flügel aus und floh, solange noch Zeit war. Nach Norden, immer nur nach Norden...



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:07:

 

Interludium

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Unendlichkeiten entfernt betrachtete ein Gott das Drama aus reiner Langeweile. Seit seine dunklen Armeen wieder einmal geschlagen worden waren, konnte er nur warten, bis wieder ein Heer bereitstand, um die Armee seiner Widersacher zu bekämpfen. Er mochte das Chaos, er mochte die Dunkelheit. Er war der böse Gott und existierte nur, um böse zu sein. In den Äonen, die er nun existierte, hatte er nie darüber nachgedacht, wer er war. Das würde sich auch in den nächsten Äonen ändern.
Das, was er sah, gefiel ihm. Ein dunkler Engel, praktisch ein niederer Gesandter von ihm, marschierte geradewegs in sein Verderben. Hätte der Gott ein Gesicht gehabt, hätte er jetzt wohl gegrinst, aber seine körperlose Existenz machte das sehr schwer. Im unendlichen Raum zwischen den Welten existierte nicht einmal Schall und es gab weit und breit auch niemanden, der sein Lachen hätte hören können, hätte er denn einen Mund zum Lachen gehabt.
Dieser Gott legte aus reiner Boshaftigkeit ein Feuer in der Stadt, die seine Gesandte so eben verließ und zwar gemeiner Weise auch noch dort, wo der gute Engel gefallen war. Wenn die Menschen jetzt nicht böse wurden, würde er noch stärker durchgreifen müssen. Die Stadt war ihm eh ein Dorn im Auge gewesen, sie war zu freundlich.
Sein unbezwingbarer Wille erschuf im Vorbeigehen noch ein paar Monster, die er in Richtung der Stadt sandte. Vielleicht fielen sie ja seinen freundlicheren Gegenspielern nicht auf. Und solch einen kleinen Regelverstoß konnte er sich schon erlauben.
Boshaft wie dieser Gott nun einmal war, stöberte er den toten Freund seiner Gesandten auf und hauchte etwas in dessen Körper, was dem Leben doch sehr nahe kam, nur ungemein verdorbener war.
Zufrieden betrachtete der Gott sein Werk und grübelte kurz nach, ob es auch wirklich perfekt war. Ihm fiel auf, dass seine Monster schon wieder verschwunden waren, anscheinend hatte jemand aufgepasst. Aber das war egal.
Seine Langeweile nahm wieder überhand und diese Welt bot nicht so viele Möglichkeiten. Daher wandte sich der Gott ab und suchte sich eine andere Welt, um dort ein wenig Unheil zu stiften.



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:07:

 

Der blutige Pfad

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Erschöpft fiel Lana durch die Wolkendecke und konnte erst im letzten Augenblick eine Kollision mit dem Steinboden verhindern. Sie gähnte und rieb sich die Augen. „Ich muss weiter.“, sagte sie zu sich selbst. „Ich muss weiter.“ Taumelnd kam sie wieder auf die Beine, fiel aber zurück auf die Knie. Fast zwei Tage war sie nun geflogen, nur ganz selten hatte sie eine kurze Rast gemacht, um etwas zu essen. Müdigkeit und Erschöpfung nagten an ihr. Noch einmal versuchte sie, aufzustehen, fiel aber nun vollends hin und schlief sofort ein.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, froh sie am ganzen Körper. Zu ihrem Glück war es noch nicht so kalt, dass sie erfrieren musste, auch wenn die Tage schon wieder kürzer wurden. Sie streckte sich und zwang sich dann auf die Füße. Mühsam breitete sie ihre Flügel aus und hob ab.
Ihr schwarzes Kleid war verdreckt, sie selber hatte ein paar Schürfwunden, Schmutz auf Armen und Beinen, ihre einst schönen Haare hingen in Strähnen an ihrem Kopf hinab und an ihren Händen klebte immer noch das Blut von Ezekiel. Ihre Augen waren das einzige, was noch Farbe hatte an ihr und sie leuchteten in einem dunklen Rot, dass deutlich ihren Geisteszustand wiedergab. Sie war wie besessen von dem Gedanken, Tarims Körper zurückzuholen. Nur dieser Wunsch hielt sie am Leben, gab ihr Kraft.

Als sie am Abend dieses Tages wieder erschöpft landen musste, erkannte sie die Notwendigkeit einer täglichen Rast. Kaum fähig, sich zu bewegen, ließ sie sich an Ort und Stelle auf den Boden fallen.
„Wen haben wir denn da?“ Die Stimme drang an Lanas Ohr, aber sie bewegte sich nicht, wollte sich nicht bewegen. „Einen Engel. Einen dunklen Engel. Und einen niedlichen noch dazu.“ Gelächter folgte.
Dann meldete sich eine andere Stimme. „Genau. Vielleicht sollten wir lieber vorsichtig sein.“
„Vorsichtig?“, mischte eine dritte Stimme sich ein. „Sie hat kaum noch genug Kraft, um zu atmen, warum denn dann Vorsicht walten lassen?“
„Eben.“, bestätigte die erste Stimme. „Wir sollten nicht vorsichtig sein, sondern uns mit der Kleinen ein paar angenehme Augenblicke gönnen, was meint ihr, Jungs?“
Raues Gelächter beantwortete die Frage hinreichend. Eine Hand griff Lana an der Schulter und drehte sie herum. Ihr müdes Gesicht zeigte ein irres Grinsen, als sie dem Räuber ihr Schwert durch den Bauch trieb.
Während die anderen vier Räuber zögerten, quälte sich Lana auf die Beine. Einen Kampf würde sie kaum lange überstehen, also musste sie ihre Angreifer anders bekämpfen. „Wer von euch möchte der Nächste sein?“, fragte sie lauernd.
„Wir sind immer noch vier. Und wir sind diesmal vorbereitet.“, gab einer der Räuber zu bedenken.
Ein kleinerer, der Besitzer der zweiten Stimme, wie Lana bemerkte, zuckte mit den Schultern. „Sie ist ein Engel.“
„Und wenn schon. Ich werde nicht feige weglaufen.“
Die anderen beiden Räuber stimmten zu und zogen ihre Schwerter. Lana versuchte, zu fliegen, aber ihre Flügel waren taub und schwer. Sie ging in Verteidigungsposition.
Der Angriff der Räuber trieb sie von vornherein in die Defensive, jeder Schlag gegen ihre Verteidigung schwächte sie noch weiter. Sie schaffte es, einem Räuber den Kopf abzuschlagen, doch dann wurde sie von den anderen dreien überwältigt.
Nachdem die Räuber ihre gefallenen Kameraden geplündert hatten, warf man sie zu Boden und riss ihr das Kleid vom Körper. In ihr wuchs der Hass auf das, was nun kommen sollte und dieser Hass mobilisierte in ihr etwas. Als der erste Räuber in sie eindrang, brach dieses etwas hervor und verschlang Lana, während es in ihr eine unheilvolle Kraft freisetzte. Ihre Muskeln, ihr Blut, jede Faser an ihrem Körper schrie auf, als eine Welle von Macht durch die Gefallene tobte.
Mit einer ungeahnten Stärke stieß sie ihren Vergewaltiger zurück und ließ ihn achtlos links liegen. Nackt stand sie nun vor den anderen Beiden, ihr Haar – wieder von einem kräftigen Schwarz – wehte in einem nicht spürbaren Aufwind, ihre Augen strahlten und sämtliches Blut, der Dreck und der Schmutz waren gegangen. Sie zitterte, als sie ihre Flügel ausbreitete, dann bewegte sie kurz die rechte Hand.
Die drei Männer versuchten zu fliehen, doch sie konnten nur noch ihre Köpfe bewegen.
Gemächlich trat Lana an den ersten von ihnen heran und grinste, als sie seinen panischen Blick mit Überlegenheit erwiderte. Der Mann merkte nicht, dass seine Blase sich vor Angst entleerte und auch Lana war das egal, als sie ihre rechte Hand durch seinen Brustkorb trieb, um mit ihren Fingern sein Herz zu greifen und es herauszureißen. Rippen splitterten und Blut besudelte die Haut des Engels. Sie trat vor den zweiten Räuber und präsentierte ihm das noch pochende Herz, bevor sie genüsslich hinein biss.
Der Mann sah sie mit einem flehenden Blick an, aber die Macht, die von Lana Besitz ergriffen hatte, gewährte keine Gnade.
Nachdem sie ihre Zähne in seine Kehle getrieben und sich am Anblick seines Erstickens gütlich getan hatte, baute sie sich vor ihrem letzten Opfer auf, dem Kerl, der sie vergewaltigt hatte.
Blut tropfte von ihrem Kinn und ihren Ellenbogen zu Boden und ihr Grinsen verkündete dem Mann, dass er nicht so schnell sterben würde, wie seine Kumpanen.
Ohne großen Kraftaufwand hob sie ihren Widersacher hoch und hielt ihn einige Zentimeter über dem Erdboden mit der rechten Hand fest.
Dann näherten sich ihre Lippen seinem Körper und mit aller Ruhe begann sie ihn bei lebendigem Leibe aufzuessen.

-13-
Die Macht, die von Lana Besitz ergriffen hatte, trieb sie erbarmungslos weiter nach Norden. Da Lana Tarim dort wähnte, ließ sie diese Macht gewähren und sträubte sich nicht. Wo sie vorbei kam, hinterließ sie eine Spur aus halb verzehrten Leichnamen, Menschen wie Tiere. Ihre neue Kraft forderte Nahrung, schrie unerbittlich nach frischen Fleisch. Das, was einst ein stolzer gefallener Engel war, war nun eine mordende Bestie, aber Lana war das egal. Ja, sie ließ sich teilweise von der Orgie der Blutlust mitreißen und genoss die täglichen Massaker hin und wieder. Mit dieser verbündeten Macht würde sie Tarim retten. Sie würde mit ihm zusammen sein, länger als die Welt besteht. Wenn sie dafür alle Menschen umbringen müsste, so würde sie es tun. Was war schon ein Volk im Vergleich zu ihrer Liebe?
Jeden verstreichenden Tag fraß der Wahnsinn an dem bisschen Vernunft, dass ihr noch geblieben war. Sie war nicht länger ein denkendes Wesen, sie war eine Bestie, angetrieben von dem Drang, ihren Geliebten zu finden.
Nach vier Tagen stellte sie jeden Versuch, selbst etwas zu tun, ein und ließ der Bestie in ihr freie Hand. Mit jedem Schritt, den sie nach Norden machte kam sie ihrem Ziel näher, jeder Meter bedeutete, dass sie einen Meter näher zu Tarim gelangte.
Jeder Meter bedeutete aber auch, dass der Dämon in ihr seinem Meister näher kam, doch das wusste Lana nicht und selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre es ihr egal gewesen.

-14-
Der uralte Drache bemerkte, dass etwas in seine Höhle eingedrungen war und sich seinem Schatz näherte. In letzter Zeit war es wieder hektisch geworden. Das schwarze Herz hatte sich geregt und schon strömten ganze Banden von Plünderern in seine Höhle. Mit einem Ächzen hob der alte rote Drache seinen schweren Kopf und schlug die Augen auf. Vor ihm kniete ein schwarzer Engel und hielt den Kopf gesenkt.
„Was sucht ihr hier?“, donnerte der Drache los und streckte sich dabei.
Der Engel sah zu ihm auf. „Rache.“
Der alte Drache brachte sein träges Blut in Zirkulation und erhob sich. „Rache wofür? Rache an wem? Und warum hier?“
„Das schwarze Herz hat mir alles genommen.“, gab der Engel zurück. „Ich will es vernichten, doch bin ich dafür zu schwach. Darum will ich es studieren, um dem zu helfen, der es bekämpfen kann.“
„Narr!“, brüllte der Drache und streifte dabei mit dem Kopf die Decke. Ein paar Steine polterten auf seinen breiten Rücken, aber das schien ihn weniger zu interessieren. „Ich werde dir nicht gestatten, meinen größten Besitz zu vernichten, du elende Kreatur.“
„Ich werde das Herz studieren, so oder so. Zwing mich nicht, dich zu töten, Drache!“
„Mich töten? Du bist ja von Sinnen! Ich werde dir zeigen, warum man mich zu den mächtigsten der Drachen zählt.“, antwortete das Jahrhunderte alte Wesen und ging in Angriffsposition.
Der Engel zog sein Schwert und deutete mit dessen Spitze auf den Drachen. „Wir werden ja sehen ... „
Mit diesen Worten sprang er los und hieb auf den Drachen ein. Das mächtige Wesen parierte mit seiner Klaue und grinste – sofern das mit diesem Schädel möglich war – fies. Nicht einmal ein winziger Schnitt war zurückgeblieben. Er atmete tief ein und badete die ganze Höhle danach in seinem Feueratem. Der Engel stand in der Mitte seiner Attacke, dann umhüllten die Flammen ihn und der Drache verlor ihn aus dem Auge.
Als der Strom des Feuers versiegt war, stand der Engel immer noch da. „Hast du jetzt Angst, großer Drache?“
„Wie hast du das überlebt? Muss ich dich wirklich unter meinen Klauen zermalmen?“
Der Engel nickte. „Das schwarze Herz beflügelt mich, treibt mich zu großer Macht an. Es bevorzugt mich. Ich will dich nicht töten müssen, Drache, aber wenn du mich nicht hier wohnen lässt, werde ich dazu gezwungen werden.“
„Ich werde dich beobachten, Engel. Aber du sollst von mir aus hier leben, wenn ...“
„...wenn?“
„...wenn du mir deinen Namen verrätst. Ich will wissen, wer es schafft, Pyronox zu besiegen!“
Der Gestalt mit den schwarzen Flügeln war schon auf dem Weg zum schwarzen Herzen, nickte aber im Gehen. „Ich bin Tarim, Auserwählter des Herzens, gefallener Engel und mächtigster Kämpfer auf dieser Welt.“



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:08:

 

Neue Feindschaften

-15-
„Gib mir mal das Schwert da!“, tönte die Stimme des großgewachsenen Kriegers. „Ja genau, das mit den Runen!“
Die Nachtelfe grinste, griff nach dem Schwert und warf es dem Hünen zu, bevor sie ihren feinen Bogen schulterte. „Diese Waffe wirkt so plump. Damit wirst du niemals einen Engel erschlagen. Dafür braucht es einen Bogen, der auf dreihundert Meter noch Eichenholz durchschlägt.“
„Es ist kein gewöhnliches Schwert.“, gab der Krieger zurück. „Du hast gesehen, wie ich damit einen Bären erschlagen habe, Nachtelfe.“ Der Krieger hängte sich das Schwert an den Gürtel und griff nach einer schweren Brustplatte. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. „Außerdem würde ich einen Engel nicht erschlagen, ich würde ihn betäuben und verkaufen.“
Die Elfe lachte und warf ihren Kopf zurück, wobei ihr silbernes Haar das dunkle Leder ihrer Rüstung streichelte. „Allein dein Gestank dürfte sie betäuben, Rogar.“
„Das stimmt nicht.“, meinte der Krieger mit gespielter Empörung. „Unser Zwerg riecht noch sehr viel stärker, nicht wahr, Gromrasch?“
Die kleine Gestalt sah von ihrer Beschäftigung auf, sie hatte eine gewaltige Axt – mindestens so hoch wie die Gestalt selbst – geschliffen. Der kleine und rundliche Körper des Zwerges steckte in einem schweren Kettenhemd und sein Bart war nur lose in den Gürtel gesteckt. „Junge, pass auf, was du sagst, sonst stutz ich dich auf meine Größe.“, brummte er mit einem Zwinkern.
Die drei lachten herzhaft und kontrollierten noch mal ihre Ausrüstung. In diesem Augenblick betraten zwei weitere Gestalten das Zimmer, in dem sich die drei aufhielten. Einer von ihnen, allem Anschein nach ein Pyromagier, zeigte triumphierend eine kleine Kette. „Nyphai, wir haben gefunden, was du gesucht hast.“
Die Elfe blinzelte und starrte die Kette an, dann stürzte sie auf den Magier zu, entriss ihm das Schmuckstück und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. „Danke Marcus, du bist ein Schatz.“
„Ja, meine Liebe.“, gab der Magier zurück. „Aber bei weitem nicht von deinem Wert.“ Er grinste, man sah ihm und der Elfe mehr als deutlich an, dass sie bis über die – teils spitzen – Ohren verliebt waren.
Die andere Gestalt räusperte sich und zog so die Aufmerksamkeit der anderen auf sich. Auch diese Person hatte spitze Ohren und das elfische Aussehen, aber ihre Hautfarbe war viel dunkler als bei Nyphai und ihr Haar war schneeweiß. Die Schattenelfe trug nur sehr knappe und enganliegende schwarze Kleidung und zwei lange Dolche an ihrer Hüfte. Sie gehörte wohl selbst unter den anmutigen Elfen zu den Schönheiten, aber ihre Augen waren so kalt wie der Stahl ihrer Waffen. „Wenn wir denn mit diesem Gesülze fertig sind, könnten wir uns vielleicht um den Engel kümmern, der von uns zu töten ist. Diese Lana hat einen nicht unerheblichen Vorsprung, also sollten wir keine Zeit verschwenden. Ich habe Pferde besorgt.“
Der Krieger nickte. „Danke Taskra, wie immer hast du einen schärferen Sachverstand als wir alle.“
Die Schattenelfe seufzte. „Ja, ihr führt euch auf wie Kinder.“ Trotzdem konnte sie sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. „In einer halben Stunde seid ihr fertig, ich werde noch etwas Gift besorgen und dann verdienen wir uns unser Geld.“
Die anderen vier nickten.

-16-
Tarim musterte das Herz. Er hatte es sich anders vorgestellt, aber es gab ihm Macht. Unglaubliche Macht. Wenn er diese Macht mit Lana teilen könnte, hätte er alles, was er je wollte. Der kleine schwarze Klotz in seiner Hand sah zwar nicht so aus, aber seine Magie kam von den dunklen Göttern selbst. Und sie durchströmte den Gefallenen. Jede Faser in Tarims Körper sehnte sich danach, diese Macht einzusetzen. Die lockere Kontrolle über Pyronox Geist, die eigentlich nicht wirklich etwas erreichen sollte, sondern nur einen Versuch darstellte, Magie gegen einen Drachen anzuwenden, verbrauchte nur einen geringen Teil von den wahren Kräften, die in dem Engel tobten und ihn fast zerrissen. Nichts konnte ihn noch aufhalten, er war ein Wesen, dass an Magie und Stärke alles übertraf.
Er wusste, dass Lana auf dem Weg war und ... etwas ... in ihr raste. Dieser Dämon im Körper seiner Geliebten arbeitete noch für ihn, daher gestattete er ihm das Überleben. Natürlich würde er den Frevel, Tarims Geliebte zu befallen, später mit seiner Existenz sühnen.
Tarim wusste auch, dass eine Heldengruppe auf dem Weg zu ihm war, aber sie war hinter Lana her, daher drohte ihm keine Gefahr. Und er würde es auch nicht zulassen, dass man Lana ein Leid antat.
Er wusste sogar noch mehr. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er diesen Kampf nicht verlieren konnte. Er war zu stark, die anderen waren zu schwach. Er war der Sieger, das stand jetzt schon fest.
Und das machte ihm Angst.

-17-
Lana ließ von ihrem Essen ab und wirbelte zu der Person herum, die hinter sie getreten war. Irritiert vergaß sie den Bauern ... oder das, was noch von ihm übrig war ... und obwohl der Dämon in ihr nach einem Angriff und frischem Blut gierte, war sie zu erstaunt, als dass sie sich bewegte.
„Ich wusste, ich würde dich hier finden.“, sagte das kleine Mädchen.
Lana sagte immer noch nichts, das Blut tropfte von ihrem Kinn, aber das nahm sie nicht einmal wahr. Der Dämon in ihr kam zur Ruhe und war anscheinend genauso überrascht wie sie. „Wer bist du?“
Die Kleine legte ihren Kopf schief. „Die Frage ist: Wer bist du? Bist du Lana oder bist du der Dämon in Lanas Kopf?“
„Woher weißt du das?“
„Nein.“, sagte das Kind. „Nicht woher, sondern wie lange.“
Weder Lana noch der Dämonen konnten damit etwas anfangen, also kamen sie überein, auf das Spiel einzugehen. „Wie lange weißt du davon?“
„Seit ich existiere.“, gab das Mädchen zurück und in seinen großen Augen lag die reine Wahrheit. Lana fiel erst jetzt auf, dass das Mädchen ein weißes Kleid trug und barfuss unterwegs war. „Ich bin sozusagen das Wissen über euch.“, fuhr sie fort. „Aber das würdet ihr nicht verstehen.“
„Was ...“, begannen Lana und ihr Dämon. Beide wurden unterbrochen.
„... willst du von uns?“, beendete das Mädchen den Satz. „Ich will euch helfen. Ja, einfach so. Nein, ich habe mir das nicht ausgesucht. Ja, ich weiß, welches Ziel ihr verfolgt. Und nein, ich kann euch nicht in einem Körper lassen, denn eigentlich will ich nur Lana helfen.“
Der Dämon tobte und er schaltete Lanas Geist aus. „Du lächerliches Kind, wer bist du, dass du so etwas auch nur zu denken wagst? Ich werde dich vernichten!“
„Ja, sicher.“, kam die freche Antwort. Danach hob das Mädchen seine Arme und deutete auf Lana. Mit einem leisen Zischen verschwand der Dämon und der Engel kippte bewusstlos vornüber. Alles recht unspektakulär, nichtsdestotrotz aber effektiv.
Das kleine Kind tappte zu Lana und legte sie bequemer hin. „Armes Ding, er hat deine Kräfte ganz schön geschröpft. Aber das ist vorbei, ruh dich aus, du hast noch viel zu tun, Lana. Und deine Gegner sind stark. Halte durch, halte nur durch.“
Die kleine löste ihren schwarzen Zopf und lehnte sich an Lana, dann schloss sie die Augen und schlief ein.

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Als Lana aufwachte bemerkte sie für einen Augenblick gar nichts. Dann traten schreckliche Kopfschmerzen in den Vordergrund ihres Denkens. Sie hatte das unangenehme Gefühl, eine Herde Drachen sei über ihren Kopf getrampelt. Bruchstückhaft kehrten die Erinnerungen zurück und die wenigen Verbrechen, die ihre so spontan einfielen, die sie unter der Herrschaft des Dämons ausgeübt hatte, taten ihrem Kopf nicht unbedingt gut. Zum Glück hatte das Mädchen sie befreit.
In diesem Moment drängte sich ihr die Frage auf, welches Mädchen sie in ihren Gedanken sah und ein wenig widerwillig schlug sie die Augen auf.
Der Himmel war grau.
Wolken schoben sich vor gelegentlich auftauchende Fetzen von klarem blau, das nahm Lana als erstes wahr. Außerdem schien es zu regnen, denn ihre Augen schlossen sich immer wieder instinktiv, um sich vor Regentropfen zu schützen. Dass es kalt war, fiel ihr erst auf, als sie auch bemerkte, dass sie zitterte.
Langsam aber sicher stellten sich Lanas Sinne wieder aufeinander ein und sie versuchte, sich aufzurichten. Schmerz schoss durch ihren Körper und sie brach ihr Vorhaben sofort wieder ab.
„Das solltest du noch lassen.“
Lana versuchte, die Stimme zuzuordnen, sie kam ihr bekannt vor. Nach wenigen Augenblicken war sie sich fast sicher, dass diese Stimme zu dem kleinen Mädchen gehörte, das den Dämonen getötet hatte. Ihr erwachender Verstand versuchte hektisch, dieser Information eine Bedeutung beizumessen, aber sie konnte sich einfach nicht entscheiden, ob es nun gut oder schlecht war.
„Lana?“
Wieder diese Stimme. Der Engel sah weiterhin fasziniert den Himmel an. „Ja?“
„Wie fühlst du dich?“
„Schlecht. Mir tut alles weh und ich kann mich kaum bewegen.“, gab Lana offen zu.
„Du wirst bald wieder bei Kräften sein.“, versprach die Stimme des Mädchens. „Deine Zeit wird kommen!“
„Was heißt das?“
„Wirst du schon noch merken“
Danach regierte eine Zeit lang das Schweigen, bis Lana wieder das Wort ergriff. „Wer bist du eigentlich?“
Das Mädchen zögerte zum ersten Mal. „Nenn mich einfach ... nenn mich ... denk dir einfach einen Namen aus, ich hab noch keinen.“
„Keinen Namen?“ Lana blinzelte. „Dann werde ich dich Marey nennen, okay?“
„Geht in Ordnung.“, meinte die Kleine, die immer noch außerhalb von Lanas Sichtfeld hockte.
„Und was genau willst du von mir?“, fragte Lana nun weiter.
Marey lachte leise. „Ich will die helfen, deine Rache zu nehmen. Ich habe Kräfte, die gegen Dämonen sehr wirksam sind und ich verkörpere sozusagen deine gute Seite. So wie jeder Engel ein Teufelchen erschafft, dass seine bösen Emotionen aufnimmt, erschafft jeder gefallene Engel ein konvertiertes Zerrbild solch eines Teufelchens, im Allgemeinen auch Engelchen genannt.“
„Dich?“
„Ja, auch. Ich bin dein persönliches Engelchen.“
„Fehlte mir gerade noch.“, spöttelte Lana.
Marey sagte nichts, sie schien ein wenig beleidigt. Hin und wieder gab sie ein Geräusch von sich, dass wie ein Fußscharren auf Sand klang. Lana seufzte. „Ich will wieder aufstehen.“
„Tu das.“, schlug die Kleine vor.
Vorsichtig schob Lana die Arme unter ihren Rücken und brachte sich mit einigen Mühen in eine sitzende Position, aus der sie sich vorsichtig umsah. Marey musste direkt in ihrem Rücken stehen, dann Lana sah sie nicht. Jeder Knochen tat dem Engel weh und für den Bruchteil einer Sekunde war Schmerz das einzige, was Lanas Geist greifen konnte. Dann erlangte sie wieder Kontrolle über sich und zog langsam die Knie an. Mit Mühe richtete sie sich auf und sah sich um. Das Mädchen stand wirklich hinter ihr, wie Lana es vermutet hatte. „Und jetzt?“
„Jetzt,“, sagte Marey, „werden wir Tarim suchen gehen.“
„Ich dachte, er wäre tot.“
„Oh ... das war er auch. Das war er.“
Lana setzte sich wieder hin ...

-19-
„Ich bin beschämt!“
König Heinrich zermalmte seinen Weinkelch in seiner gepanzerten Hand und knallte seine Überreste auf den schweren Eichentisch.
„So kann es nicht weitergehen! Diese Engel müssen für ihr Vergehen bestraft werden! Glücklicherweise ...“ Sein Blick schweifte über die Versammelten. „...glücklicherweise haben unsere Späher den weiblichen Engel entdeckt. Heute morgen hat eine Gruppe tapferer Abenteurer die Stadt verlassen, um diese Lana zu töten, aber das reicht mir nicht. Ich werde selber gehen!“
Gemurmel erklang an der Tafel, Prinz Karl erhob sich. „Vater, ihr dürft nicht gehen. Es ist zu gefährlich. Diese Engel sind Bestien, ich habe sie falsch eingeschätzt und jetzt ist Ezekiel tot. Aber sie werden auch euch töten, wenn ihr alleine geht.“
„My Lord!“ Auch General von Drachenklau hatte sich erhoben und sah seinen Herrscher unumwunden an. „Es ist nicht vertretbar, dass ihr alleine nach diesen Monstren sucht.“
Der König legte die Stirn in Falten, nickte aber dann. „Ihr habt beide recht. Ich sollte nicht alleine gehen. Ihr beiden werdet mich begleiten. Sonst niemand, wir brauchen den Vorteil der Überraschung. Duke Domail wird dafür sorgen, dass in Zeniken wieder normale Zustände herrschen, wenn ich zurückkehre. Gibt es noch Fragen?“
Leises Geraune erklang am Tisch, als Domail sich leise erhob. Seine Robe raschelte unruhig, aber seine Augen waren die Ruhe selbst. „My Lord, hat das Militär oder das Volk Vorrang bei der Stabilisierung?“

Nur wenige Stunden später betrachtete sich König Heinrich ein letztes Mal im Spiegel. Seine goldene Plattenrüstung und sein Breitschwert schienen eher zu einer Parade zu passen, denn zu einem Kampf, aber der alte Mann wusste sie zu nutzen und hatte schon oft bewiesen, dass seine Klinge so scharf war wie sein Verstand.
Der König wandte sich vom Spiegel ab und stapfte mit schweren, scheppernden Schritten auf den Burghof, wo Drachenklau und Karl bereits auf ihren Pferden warteten. Drachenklau trug seine Rüstung, die von langen Gefechten zerschrammt und zerbeult war, mit einem Stolz, den nur ein Soldat zeigen konnte. Sein gegerbte Gesicht zeugte von seinem klaren kämpferischen Geist. Kronprinz Karl trug ein Kettenhemd und darüber einen Wappenrock, im Gegensatz zu den beiden älteren Männern führte er eine Armbrust mit sich.
Wortlos schwang sich Heinrich auf sein Ross und nickte seinen Begleitern zu. In vollem Galopp preschten die drei los und durch die nächtlichen Straßen auf das Stadttor zu, dass nur für sie noch offen stand, direkt hinter ihnen schwangen die mächtigen Holzflügel zu.
Es war Zeit, auf die Jagd zu gehen und des Königs Jagdgesellschaft war zuversichtlich, bald einen Engel als Trophäe zu erhalten.

-20-
Die fünf Pferde der Abenteurer preschten hinter Lana hinterher, ohne zu wissen, dass des Königs Gruppe knapp hinter ihnen hereilte. Taskra war den anderen eine Sichtlänge voraus, Nyphai etwa die selbe Distanz hinterher, als Rückendeckung. Sie waren etwa zwei Tagesmärsche weit gekommen, als Taskra innehielt und den anderen Zeichen gab, aufzuschließen.
„Was ist denn los?“, brummte Gromrasch. „Wir kamen doch gut voran.“
Taskra deutete etwas vom Weg ab in den Wald. „Dort hinten liegen ... Leichen. Es ist viel Blut geflossen. Ihr solltet euch das ansehen.“
Rogar nickte düster. „Etwas sagt mir, dass hier etwas abartiges geschehen ist.“
Die fünf Gefährten bewegten sich vorsichtig durch die licht stehenden Bäume und blieben dann wie angewurzelt stehen, als sie die Szenerie in sich aufnahmen, die sich ihnen bot. Vier Leichen lagen auf einer kleinen Lichtung, Blut war überall, ein schwarzes Kleid lag zerfetzt zwischen den männlichen Leichen, erst beim zweiten Betrachten fiel ein deformierter Haufen Fleisch auf, der ebenfalls auf der Lichtung lag, überall war getrocknetes Blut und der ganze Platz war dunkelbraun gefärbt. Rostige Waffen lagen herum, ein paar zerrissene Kleidungsstücke.
„Bei den Göttern!“, entfuhr es Nyphai und sie fiel auf die Knie. „Das hier ist ja grausam.“
Gromrasch blieb etwas kühler. „Ein zerfetztes Kleid, einer der Kerle ohne Hose, wahrscheinlich Räuber, die eine Frau aufgegriffen haben und von irgendetwas gestört – und getötet – wurden.“
„Aber was kann vier Männer so zurichten?“, warf Marcus ein.
Taskra schüttelte den Kopf. „Fünf.“
„Fünf?“, fragte Nyphai verständnislos.
„Ja, fünf, du musst dieses blutige Fleischbündel mitzählen. Das macht fünf Angreifer und ein Opfer, das nicht mehr da ist.“
Marcus schluckte. „Dann war sie das Opfer. Es gab kein Fremdeinwirkend, das Opfer hat sich nur gewehrt. Fünf Männer ...“
Schweigend suchte die Gruppe die Lichtung ab, gab ihre Suche nach etwas ungewissem aber schnell auf. Ohne weitere Worte kehrten sie zu ihren Pferden zurück und jagten fort von diesem grausamen Fund.

Nur wenige Stunden später ritten König Heinrich und seine zwei Begleiter ohne Notiz zu nehmen an der Stelle vorbei. Die scharfen Sinne der Elfen fehlten ihrer Gruppe, nichtsdestotrotz folgten sie zu diesem Zeitpunkt noch der richtigen Strecke. Ihre Gesichter waren grimmig und sie trieben ihre Tiere unerbittlich an, keine Zeit verschwendend. In den Augen dieser drei Menschen stand der Zorn und die Enttäuschung, dass man ihre Güte ausgenutzt hatte. Sie fühlten sich betrogen und nun waren sie unterwegs, um Genugtuung zu fordern!



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:09:

 

Wie man einen Drachen tötet

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Lana spürte, dass sie Tarim näher kam. Je weiter ihre Reise sie in den Norden trug, desto stärker wurde das Gefühl in ihr, dass ihr Geliebter nicht mehr fern war. Marey hielt locker mit ihr Schritt, konnte aber nicht fliegen, was Lanas Tempo stark senkte. Innerlich fluchte sie über diese Verzögerung, aber von dieser Enttäuschung brach kein Zeichen an die Oberfläche. Trotzdem schien Marey zu wissen, welche Last sie für Lana darstellte. Sie schien alles über den gefallenen Engel zu wissen, aber das schien nur natürlich, wenn man bedachte, dass sie Lanas Engelchen war und damit ein Teil ihrer selbst.
Die beiden durchquerten einen finster wirkenden Nadelwald auf einem schlecht erhaltenen Pfad. In diese Gefilde war seit langem niemand mehr vorgestoßen und der Wald beanspruchte den Weg nun wieder für sich und Stück für Stück rankten sich Pflanzen über den einst sauberen und ausgetretenen Pfad. Die Sonne versank langsam am Horizont und es waren keine Wolken zu sehen, es würde eine kalte Nacht werden. Der Winter machte sich immer deutlicher bemerkbar und Lana legte Marey eine Decke um die Schultern.
Das Engelchen in der Gestalt eines kleinen Mädchens sagte nichts, aber Lana wusste, dass sie nicht froh darüber war, dass die Decke eigentlich einem rechtschaffenen Bauern gehört hatte, bevor der gefallene Engel ihm zwei Decken, Kleider seiner Frau und Essen abgenommen hatte. Doch jetzt im Moment brauchten sie diese Dinge wirklich und deshalb sagte Marey nichts, sondern ertrug dieses Unrecht stumm.
Lana ließ ihren Blick über das niedrige Unterholz schweifen und freute sich darüber, dass die Bäuerin ihre Größe hatte, denn die Kleider waren bequem und passten ihr genau. Aber diese Freude währte nicht lange und schon bald schweiften ihre Gedanken wieder zu Tarim ab. Was mochte wohl aus ihm geworden sein?
In diesem Moment erklang hinter ihnen ein Trommeln und Klappern, wie es nur für galoppierende Pferde erzeugten. Lana wollte wegfliegen, als ihr auffiel, dass Marey noch bei ihr war. Sie wusste nicht, was passieren würde, wenn sie diesen Teil ihres Wesens einfach hier ließ. Und sie wollte es auch nicht herausfinden. Vielleicht eilten ja friedliebende Menschen heran.
Lana gestand sich ein, dass das nicht sehr glaubhaft klang, denn dieser Weg war seit Monaten nicht mehr benutzt worden, trotzdem beschloss sie, auszuharren und abzuwarten. Ihre Hand wanderte zum Schwertgriff und sie entfaltete ihre Flügel kurz, nur um sie wieder zu schließen.

Aus dem dunkel werdenden Wald tauchte nur Augenblicke später eine Reiterin auf, die einwandfrei als Elfe erkennbar war. Lana identifizierte sie als Schattenelfe, Angehörige eines Volkes, dass den gefallenen Engeln nicht unbedingt unähnlich war. Dieses Exemplar trug enge dunkle Lederkleidung und zwei Langdolche, die noch an ihrer Hüfte steckten. Kurz vor dem Engel brachte sie ihr Pferd zum Stehen.
Lana kreuzte ihre Arme vor der Brust und ihre Augen huschten über den Wald vor ihr, sie erkannte noch mindestens zwei weitere berittene Gestalten weiter hinten, dank ihrer Engelsaugen, die auch nachts recht gut sahen. „Wer bist du, Schattenelfe?“
Die Elfe sah von ihrem Pferd aus herab. „Ich bin Taskra. Ich bin auf der Suche nach zwei Engeln, gefallenen Engeln genaugenommen.“
Lana zog ihr Schwert und entfaltete ihre Flügel, was Marey ein erschrecktes Keuchen entlockte. „Lana, was tust du?“, raunte sie. Der Engel legte Marey einen Arm um die Schulter und zog sie an sich.
„Ihr sucht mich, Taskra. Ich nehme an, ihr seid im Auftrag Zenikens unterwegs. Ihr und eure Gruppe. Ich will euch nicht umbringen müssen, geht wieder nach Hause!“
Taskra hob die Hand und vier weitere Pferde samt Reitern traten an sie heran. „Wir verdienen unser Geld nicht mit Milde.“, kommentierte die Schattenelfe und zog ihre Dolche.
Lana zuckte mit den Schultern. „Ich will euch nichts böses und ich habe Ezekiel nur aus Versehen getötet. Ich habe euch gewarnt und ich gebe euch sogar noch eine Chance. Kehrt um, dies ist nicht euer Kampf.“
„Aber unser Geld.“, kam es mit einem zynischen Unterton von dem hochgewachsenen Krieger. Lana stufte ihn als die geringste Bedrohung ein. „Außerdem kann jeder sehen, dass du böse bist, gefallene Engel sind nun mal so.“
„Und Schattenelfen nicht?“ Lana trat auf die Gruppe zu, ohne Furcht zu zeigen. „Eure Vorurteile sind kindisch, aber ihr wollt es wohl nicht verstehen.“
Der Magier der Gruppe räusperte sich. „Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich jetzt gerne mit dem Kampf beginnen, dann können wir noch vor dem nächsten Sturmtag nach Zeniken gelangen.“
Eine weitere Elfe, etwas hinter der Gruppe schüttelte den Kopf. „Warum sie nicht einfach laufen lassen? Sie hat uns ja nichts getan.“
„Weil wir damit unser Geld verdienen, werte Elfe.“, warf ein Zwerg zurück.
Lana überlegte kurz und wandte sich dann an Marey. „Halte dich da raus, was jetzt kommt wird nicht gerade schön.“ Dann drehte sie sich zu den fünf Abenteurern. „Tut der Kleinen nichts, sie hat nichts damit zu tun.“
Die fünf Leute nickten und zogen nun auch ihre Waffen. Lana entfaltete ihre Flügel und hob mit zwei kräftigen Schlägen ab. Der Kampf konnte beginnen.

Ein Pfeil der Nachtelfe schoss durch die kurze Stille und raste nur knapp an Lanas Kopf vorbei, die im selben Moment in den Angriff überging. Ihr Schwert verfehlte den Magier, aber er war auch nicht das Ziel der Gefallenen gewesen. Sein Reittier wieherte, als die Klinge seine Wirbelsäule durchtrennte und sich mit einem Ruck wieder löste. In einem Durcheinander aus Gliedmaßen gingen Ross und Reiter zu Boden.
Die Schattenelfe schwang sich von ihrem Pferd, gefolgt von Krieger und Zwerg. Die Nachtelfe blieb auf ihrem Tier sitzen und schoss einen weiteren Pfeil. Doch bevor er Lana treffen konnte, befand sie sich in der Luft und hielt auf die Schützin zu. Im Nahkampf völlig wehrlos und abseits der Nahkämpfer konnte sie nicht verhindern, dass Lanas Schwert ihre Deckung durchdrang und durch ihren Bauch fuhr. Sie schrei vor Schmerzen auf, doch Lana kümmerte sich nicht darum, riss ihr Schwert frei und rollte sich zur Seite ab. Instinktiv ließ sie sich fallen und spürte einen Luftzug über ihrem Kopf, dann ein Wiehern.
Die Axt des Zwerges hatte das Pferd der Elfe tödlich getroffen und war tief in seine ungeschützte Flanke eingedrungen. Die anderen Tiere gerieten in Angst und entfernten sich ein paar Schritte vom Kampfplatz.
Lana rollte sich nach rechts und kam stolpernd wieder auf die Beine, gerade rechtzeitig, um einen Schlag des Kriegers zu parieren. Sie tauchte unter seinem erhobenen Schwertarm durch und gelangte so in seinen Rücken und außer Reichweite des Zwerges und seiner wieder befreiten Axt.
Die beiden Krieger standen nun vor ihr und drängten sie Schritt für Schritt zurück. Plötzlich mischte sich ein monotoner Singsang in die Schreie der Elfe und Lana handelte wieder instinktiv, als sie vom Boden abhob. Knapp unter ihr rauschte ein Feuerball vorbei und die Hitze trieb Lana den Schweiß ins Gesicht. Der Magier hatte sich von seinem toten Pferd befreit und stand nun mit ausgebreiteten Armen vor dem Kadaver. Ein großer Fehler.
Lana warf sich herum, ignorierte für einen Moment Zwerg und Krieger und jagte mit zwei mächtigen Flügelschlägen auf den Magier zu. Ihren ersten Schlag parierte er mit seinem Zauberstab, der zweite Schlag trennte seinen rechten Arm vom Körper und ließ ihn in Agonie aufschreien, der dritte Schlag zerfetzte die Haut über seiner Brust, drang in das Fleisch darunter ein und prallte dann an den Rippen ab, warf den Magier auf den Boden und ließ ihn in einer rasch größer werdenden Blutlache zurück. Als seine Schreie verstummten, wurden auch die der Nachtelfe langsam leiser und Lana wirbelte auf dem Fuß herum.
Sie war nicht schnell genug und der Krieger fügte ihr eine tiefe Schnittwunde am linken Arm zu. Der Zwerg hieb zu, doch diesmal konnte Lana parieren, allerdings betäubte der Hieb ihren Arm und warf sie zurück. Dann spürte sie von hinten einen scharfen Stich und eine Welle aus Schmerz durchlief sie.
Die Schattenelfe hatte ihr einen ihrer Dolche in den Rücken gesteckt, Lana hatte sie ignoriert und das wurde ihr nun zum Verhängnis. Sie würgte und spuckte etwas Blut aus, war aber erfahren genug, um sich mit ein paar Flügelschlägen außer Reichweite zu bringen. Die Schattenelfe wechselte ihren anderen Dolch in die rechte Hand, der Krieger griff sein Schwert fester und der Zwerg musterte sie voller Zorn. Sie forderten Rache, mit dem Verlust zweier Kameraden – auch wenn die Elfe noch vor Agonie schrie – hatte sie diesen Kampf auch zu ihrem gemacht.
Lana keuchte und zog den Dolch aus der Wunde. Ihre Gegner näherten sich ihr, waren aber deutlich vorsichtiger geworden. „Geht.“, presste Lana hervor. „Nehmt eure Gefährten und geht. Sie sind noch nicht tot, bringt sie zu einem Heiler.“
Der Krieger fluchte. „Du hast sie umgebracht, bis wir bei einem Heiler sind, leben sie nicht mehr! Ich bring dich dafür auch um!“
Der große Mann stürmte vor. Lana erlaubte sich trotz ihrer Verletzung ein leises Lächeln. Der Krieger wusste nicht mehr, was er tat, er war der Raserei verfallen. Seine Kameraden liefen los, aber sie würden zu spät kommen. Lanas Schwert beschrieb einen Halbkreis, als es dem Hünen die Waffen aus der Hand schlug, dann zuckte es wieder zurück, als es seinen Kopf von den Schultern trennte.
Noch bevor der Krieger aufschlug, waren Taskra und der Zwerg auf Schlagweite heran und ließen Schlag um Schlag auf Lanas zusammenbrechende Deckung prasseln. Die Gefallene steckte einen Schnitt am Schwertarm ein, einen Stich am linken Oberschenkel und einen direkten Treffer am linken Flügel, ehe sie in die Gegenoffensive gehen konnte. Noch immer rann Blut aus der Wunde in ihrem Rücken, aber sie mobilisierte ihre ganze Kraft, um noch einmal mit vollem Einsatz kämpfen zu können. Ihre Klinge trieb ihre beiden Widersache zurück, entwaffneten die Elfe und trafen den Zwerg direkt an seinem Waffenarm. Schlaff hing der blutende Arm hinab, die Axt fiel aus der kraftlosen Hand. Lana zog das Schwert abrupt wieder hoch und schlitzte den wehrlosen Zwerg von unten bis oben auf. Seine Gedärme quollen hervor und schreiend und Blut hustend sank er zu Boden.
Taskra sah Lana an, die nun ihre Kraft verließ. Sie bückte sich und hob den Langdolch auf, der ihr aus der Hand gefallen war. „Ich habe die unterschätzt, Engel. Du hast meine Kameraden abgeschlachtet, aber jetzt bist du selber am Ende deiner Kraft. Doch etwas an dir lässt mir keine Ruhe. Ich gebe dir zehn Minuten Vorsprung, das ist die Zeit, die ich brauche, um Pferd und Ausrüstung zurück zu bekommen. Danach werde ich dich jagen. Flieh!“
Lana steckte das Schwert weg und erwiderte den Blick der Elfe. Dann nickte sie und schleppte sie zu Marey. „Lass uns fliehen, Marey. Weiter nach Norden.“

-22-
König Heinrich, Kronprinz Karl und General von Drachenklau erreichten den Schauplatz des Kampfes einige Stunden später. Sie hielten an, als sie die Pferdeleichen und den geköpften Rogar sahen. Der General schwang sich von seinem Pferd und musterte den Schauplatz, ging erst hierhin, dann dorthin. Er zuckte mit den Schultern. „Der Kerl hier war bei den Söldnern, die wir angeheuert hatten. Die Pferde wohl auch. Es liegt ein wenig Gepäck herum und eine Menge Blut klebt überall. Aber nur diese eine Leiche und halt die beiden toten Pferde. Die Fußspuren von drei Leuten führen nach Norden, alle nur schwer zu erkennen.“
Heinrich strich mit der Hand über seinen Bart. „Und was heißt das für uns?“
„Nun ... selbst wenn der Engel fliehend entkommen ist und von den Abenteurern drei ihm zu Fuß folgten, dann fehlt eine Person. Die Gruppe bestand aus fünf Leuten, drei sind nach Norden und einer liegt hier ...“
Karl schwang sich ebenfalls von seinem Pferd. „Wo ist dann der letzte Mann hin?“
Der General schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber es ist auch egal. Wir sind nicht hier, um Abenteurer zu retten. Mein König, wir müssen weiter.“
Heinrich nickte. „Wir wissen jetzt wenigstens eins.“, bemerkte er trocken, während Karl und der General auf ihre Pferde zurückkletterten. „Wenn wir nicht sterben wollen, müssen wir und wirklich vor diesem Engel in Acht nehmen. Sie scheint gut zu sein. Selbst für einen Engel.“
Drachenklau nickte und setzte sein Pferd langsam in Bewegung. „Oder sie hat mächtige Verbündete.“
Karl ritt neben ihn. „Oder beides.“ Er wusste nicht, wie richtig er mit dieser eigentlich ironischen Bemerkung lag.

Als die drei Reiter den Schauplatz des Kampfes verließen, bemerkten sie nicht, dass mindestens ein Paar neugieriger Augen ihnen nachstarrte und jede ihrer Bewegungen beobachtete. Ein Windstoß ging durch das Blätterdach und das Rascheln des Laubes klang wie ein leises Kichern. Dann zogen sich die Augen zurück und Stille kehrte an dem Ort ein, wo ein Krieger und zwei Pferde tot am Boden lagen, ohne dass es jemanden störte.

-23-
Ein leises Grollen lief durch den Berg, als der Drache sich erhob. Er entfaltete seine gewaltigen Schwingen und drehte sich zur Entspannung einmal um sich selbst. Nun, da sein Kreislauf langsam seinen Dienst aufnahm und seine Körperfunktionen wieder auf ein normales Niveau anstiegen, reckte er sich und sah auf Tarim herunter.
Der Engel erwiderte seinen Blick. „Pyronox, welche Unruhe erfasst dich?“
Die Stimme des Drachen war wie ein Felssturz, als er halb knurrend antwortete: „Ich spüre etwas rasch näher kommen. Etwas, dass mir gefährlich werden könnte. Ich werde losfliegen und mich ihm dort draußen stellen.“
Tarim runzelte die Stirn. „Willst du diesem ... Etwas ... nicht lieber in deiner Höhle begegnen?“
„Nein, du Narr.“, gab der Drache belustigt zurück. „Wie soll ich denn hier kämpfen? Ich kann mich ja kaum bewegen. Drachen sind keine Tiere, die auf engem Raum kämpfen, ich greife lieber aus der Luft heraus an.“
Der Engel zuckte nur mit den Schultern, wobei seine schwarze Robe unruhig raschelte. „Du wirst es ja wissen.“, kommentierte er. „Aber ich warne dich! Du kannst töten und fressen, wen oder was du willst, aber du wirst Lana am Leben lassen. Ansonsten werde ich dich eigenhändig zur Strecke bringen.“
Der Drache stieß ein kehliges Lachen aus und seine Augen funkelten Tarim kampfeslustig an. „Wie du meinst.“
Tarim murmelte einen leisen Fluch. Der Drache versuchte immer wieder, sich Tarims mentaler Kontrolle zu widersetzen und er wurde dabei immer geschickter. Der Engel überlegte nun, wie lange er seinen großen Mitstreiter noch halten konnte.
Pyronox wandte sich ab, nahm ein paar Schritte Anlauf und schwang sich in die Luft. Mit zwei kräftigen Flügelschlägeln hatte er seinen Flug unter Kontrolle, dann schoss er aus der Höhle in den freien Himmel.
Tarim verfolgte seinen Abflug mit sorgenvollem Blick, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich seinem Tisch zu. Dort lag ein totes Kind, dass er erst an diesem Tag gejagt hatte und für sein Ritual brauchte. Der Wahnsinn flackerte in seinen Augen auf, als er einen verzierten Dolch griff und über den nackten Körper des Knaben fuhr.

Gar nicht weit von Tarim entfernt, vielleicht drei oder vier Tagesmärsche, schreckte eine junge Frau aus ihrem Traum und schrie. In ihrem Schrei lag Angst, ja Panik und eine Spur von Wut. „Tarim!!! Du bist zu weit gegangen!“

-24-
Pyronox Augen verengten sich zu Schlitzen, als er über den Wald dahinglitt. Selbst aus seiner Flughöhe von mehreren hundert Fuß sah er alles gestochen scharf. Im Wald unter ihm jagte ein gefallener Engel mit einem kleinen Kind in Richtung von Tarims Unterschlupf. Der Drache verwarf den Gedanken, sie anzugreifen. Sie waren keine würdige Beute und sie waren nicht sein Geschmack. Außerdem hatte der gefallene Engel gesagt, er solle den anderen gefallenen Engel in Ruhe lassen.
Pyronox war niemand, der sich Befehle geben ließ, aber der alte Drache war auch nicht dumm. Es gab genug andere Beute, deshalb musste er sich nicht mit Tarim anlegen, der ihm wirklich gefährlich werden konnte. Da Drachen auch von Natur aus Geschöpfe waren, die es vorzogen, die stärkeren Wesen zu sein oder sich auf Seite der stärkeren zu schlagen, fiel es ihm nicht schwer, die beiden Gestalten nicht zu fressen.
Eine Elfe, die ihnen auf den Fuß folgte, ignorierte er ebenso, sie war ebenfalls keine würdige Beute und außerdem widerstrebte es der großen Echse, jemanden zu töten, der zu einem Volk gehörte, das böse und verdorben war. Man musste damit rechnen, dass einen irgendein Fluch traf – oder die Angehörigen des Opfers aufdringlich wurden.
Dann endlich fand der Drache etwas, dass seine Betrachtung wert war. Drei gepanzerte Reiter preschten durch den Wald und waren im Begriff, die Leute vor ihnen einzuholen. Pyronox zog eine Schleife über den Köpfen der Reiter und stieß dann mit einem markerschütternden Brüllen herab.

Prinz Karl duckte sich instinktiv, als der gewaltige geschuppte Drachenkörper herabstieß und wie eine Schlage zwischen ihnen hindurchfuhr. Karl wurde von seinem Pferd geschleudert und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Waldboden. Er hörte, wie sich der Drache mit kräftigen Flügelschlägen wieder emporhob und wie General Drachenklau und König Heinrich wieder auf die Füße kamen.
Auch der Prinz kämpfte sich wieder hoch und zog sein Langschwert. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, gegen einen Drachen zu kämpfen, aber die gezogenen Schwerter und die selbstsicheren Mienen seiner Begleiter beruhigten ihn. Er trat zu ihnen und wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da ertönte wieder dieser schreckliche Angriffsschrei des Drachen.
„Runter!“, brüllte der König und Karl ließ sich zu Boden fallen. Neben ihm kam der General auf, dann fegte der Drache wieder über sie hinweg. Heinrich schrie in Agonie und als Karl wieder aufsah, sah er seinen Vater in einer rasch größer werdenden Pfütze aus Blut liegen. Sein ganzer Bauch war aufgerissen und seine Arme schrecklich verdreht. Der General nahm sein Schwert und köpfte den König.
Karl schrie auf, aber Drachenklau deutete mit dem Schwert auf ihn. „Ich erkläre es dir später, Junge. Jetzt bleib erst mal hinter mir und lass dich nicht erwischen!“
Bevor Karl antworten konnte, brüllte Pyronox wieder. Der General grub seine Beine in den Boden und umklammerte sein Schwert. Seine Augen glänzten entschlossen.
Der Drache traf ihn und schleuderte ihn beiseite wie ein Spielzeug. Er schlug gegen einen Baum, es knackte mehrmals, dann sank er seltsam verrenkt zu Boden. Karl zitterte, ließ sein Schwert fallen, die Panik überkam ihn. Er wollte schreien, wollte Laufen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht.
Erneut brüllte der Drache, seine Schwingen schlugen peitschend und sein Schatten wurde größer und größer.
Plötzlich bäumte sich der Drache auf und taumelte. Er schlug auf dem Boden auf, wühlte sich nur um Haaresbreite an Karl vorbei und kam donnernd an einem Felsen zum Liegen. Die mächtigen Schwingen hoben sich noch einmal, dann sanken sie leblos zu Boden.
Karl schluckte trocken und wandte sich um.
Auf dem Felsen stand ein Mann mit wehendem schwarzen Haar. In der Hand hielt er eine gewaltige Armbrust, mit der er anscheinend den Drachen erlegt hatte, sein schwarzer Umhang flatterte leicht im Wind. „Junger Prinz, ich bedaure euren Verlust, aber ihr solltet sofort zurück nach Zeniken. Duke Domail hat den Thron erschlichen und sobald man vom Tod eures Vaters hört, wird er ihn an sich reißen. Nur ihr könnt ihn jetzt davon abhalten. Ich kümmere mich um eures Vaters Mission.“
Der Kronprinz konnte der befehlsgewohnten Stimme nicht widersprechen. „Wie ihr sagt. Aber ... wer seid ihr?“
Der Mann ließ die Armbrust sinken. „Man nennt mich Rasheem, ich bin sozusagen Großwildjäger.“ Dabei deutete er grinsend auf den toten Drachen.



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:09:

 

Die Zeiten ändern sich

-25-
Trommelwirbel und Fanfaren ertönten in der Frühlingsluft über Zeniken. Das Volk stand in angespannter Ruhe links und rechts der zum Palast führenden Prachtstraße. Mit stolz geschwellter Brust und in ihren rot-weißen Uniformen einen beeindruckenden Anblick bietend, marschierte das Musikkorps von Zeniken die Straße entlang in militärischer Präzision. Ihm folgte im Gleichschritt die Stadtgarde, eine Einheit Zinnsoldaten, die nie eine Schlacht geschlagen hatten, aber der Bevölkerung immer imponierten durch ihr pompöses Gehabe.
Dann, unter dem Geraune der Menge, kam die königliche Kutsche in Sicht. Doch es war nicht der König, der von dort aus der Menge zuwinkte. In seinen prunkvollsten Gewändern thronte Duke Domail in dem offenen Wagen, sein Gesicht drückte Trauer aus.
Als er das Palasttor erreichte, stoppte die Kutsche und der Duke zusammen mit einigen anderen Leuten, größtenteils Mitglieder des Hofstaates, verschwand im Tor. Sofort darauf tauchte er auf einem kleinen Balkon, dem Volke zugewandt wieder auf und hob die rechte Hand.
Das Getuschel der Menge verstummte.
„Bürger von Zeniken!“, setzte der Duke an, warf eine dramatische Pause ein und setzte seine Rede dann fort:
„Zur meiner größten Bestürzung muss ich euch mitteilen, dass König Heinrich, nobler und weiser Herrscher Zenikens und rechtmäßiger Regent über diese Stadt, gestern getötet wurde.“ Das Volk brach in Tumult aus, aber die Stimme des Dukes brachte es zum Schweigen. „Das haben mir gleich mehrere Magier mitgeteilt, die für den königlichen Hof arbeiten. Weiterhin bedaure ich zutiefst, dass auch Kronprinz Karl, rechtmäßiger Erbe des Thrones von Zeniken, ums Leben kam. Bis...“
Weiter kam er nicht, denn an dieser Stelle wurde die Unruhe des Volkes so groß, dass es an den Rändern der Menge zu Auseinandersetzungen kam. Soldaten griffen ein und brachten das Volk zur Ruhe, bevor Duke Domail seine Rede wieder aufnehmen konnte.
„Bis ein geeigneter Herrscher gefunden ist, übernehme ich, Duke Domail, Kraft meines mir von König Heinrich verliehenen Amtes als Statthalter in Zeniken, die Regierungsgewalt wie ein König auf unbestimmte Zeit. Ihr werdet sicherlich alle erkennen, dass gerade in dieser finsteren Stunde jemand das Szepter ergreifen muss, bis wir uns einig geworden sind, wie es weitergeht. Auch dürfte den meisten von euch bekannt sein, dass ich Heinrichs vollstes Vertrauen genoss. Für den Moment werde ich keine neuen Gesetze erlassen, sondern die Stadt so führen, wie es der König für richtig hielt.“
Während die Menge unten erneut in Tumult verstrickt wurde, verließ Duke Domail den Balkon und marschierte mit einem diabolischen Grinsen zum Palast.

Hoch über der Menge und selbst über dem Duke, auf den Dächern der Stadt, beobachtete eine verhüllte Gestalt die Szene. Hätte jemand auf diese Gestalt geachtet, hätte er gesehen, wie ihre Augen in einem unheilvollen rot aufgeglüht hätten und ihre rechte Hand sich langsam zu einer Faust ballte. Die Gestalt verschwand sofort in den Schatten, von niemandem wahrgenommen.

-26-
Als Nyphai erwachte, wusste sie, dass am Anfang der Schmerz war. In einem unendlichen Moment brannte sich diese unumstößliche Wahrheit in ihren Geist. Kein Gott, kein Staub, kein Leben, am Anfang war nur Schmerz.
Dann atmete sie ein und ihre Lungen füllten sich mit Luft. Sie hatte das Gefühl, Feuer zu schlucken und der Schmerz in ihrem Bauch wurde so greifbar, dass er für Nyphai eine Farbe bekam. Sie hatte immer gedacht, Schmerz wäre rot, aber das stimmte nicht. Es war ein sattes Schwarz, dass sich in ihrem Körper ausbreitete.
Sie wollte schreien, aber ihre Stimmbänder sprachen nicht an, schafften es nicht, diesem Schmerz Ausdruck zu verleihen.
Dann ging dieser eine Augenblick vorbei und die Elfe sank wieder auf ihr Lager zurück, fiel in ein Reich voller Ruhe und Geborgenheit, als sie erneut ihre Besinnung verlor.
Eine junge Frau beugte sich über sie, gehüllt in weiße Gewänder, und strich eine Paste auf die klaffende Bauchwunde, die Lana der Elfe beigebracht hatte. Die Wunde schloss sich nur langsam. Besorgnis zeichnete sich auf der Stirn der jungen Frau ab, als sie sich an eine andere Person wand. „Sie wird durchkommen, aber es wird seine Zeit dauern. Aber sie wird überleben.“
Die andere Person, ein junges Mädchen, ebenfalls in weißen Gewändern, nickte. „Im Gegensatz zu den anderen, nicht wahr?“
Die Heilerin nickte. „Ich habe alles versucht, aber ihre Wunden waren tödlich. Ich konnte nichts für sie tun.“
„Ja.“ Die Kleine nickte. „Es macht aber auch nichts. Eine reicht. Als ich den Kampf beobachtet habe, hatte ich nicht einmal damit gerechnet, dass auch nur ein Körperteil von ihnen unversehrt bleiben würde. Aber beide Elfen haben es überlebt, das ist eine Menge.“
Die Heilerin ließ sich auf ein Bett fallen. „Ich bin Geweihte, keine Heilerin. Ich habe getan, was ich konnte, aber es war nicht genug. Tust du mir einen Gefallen?“
Das Mädchen schien zu überlegen, dann legte sie den Kopf schief. „Es ist nicht üblich, dass Gesandte der Götter Gefallen erfüllen, aber ich werde mir zuerst deine Bitte anhören.“
„Wenn sie zur Besinnung kommt, könntest du ihr erklären, warum ihr Geliebter und zwei gute Freunde tot sind. Das kannst du besser als ich. Und ich werde mich noch an Tarim rächen müssen, sobald sie meine Hilfe nicht mehr braucht.“
Das Mädchen wiegte sich hin und her, nickte dann. „Ja, das ist akzeptabel. Aber dafür musst du den Göttern etwas opfern, Christina.“
Die Heilerin erwiderte den Blick der Götter-Gesandten. „Ich opfere den Göttern was sie verlangen, sobald ich Tarim erlöst oder getötet habe, Sheila, Gesandte der Götter, und schwäre es bei meiner Ehre als Geweihte.“
„Ja, das sollte reichen.“, gab die Kleine mit einem leisen Lächeln zu. „Damit binde ich dich nun an deinen Schwur. So sei es, bis wir alle fallen.“

-27-
Lana stolperte noch einen Schritt vorwärts, dann war sie aus dem Wald heraus. Ihre Kräfte schwanden jetzt rasch und sie hatte höchstens noch zwei Minuten Vorsprung zu der Schattenelfe. Neben ihr taumelte Marey, dann fiel das Mädchen keuchend ins Gras. Lana ließ sich neben sie fallen, ihre Flucht war zuende, das Laufen hatte keinen Sinn mehr. Ihr linker Flügel ließ sich nicht mehr bewegen, die Wunde an ihrem Rücken blutete noch immer und auch aus dem Schnitt am linken Oberschenkel sickerte noch immer dunkles Blut in ihr Gewand. Jeder einzelne Knochen tat ihr weh und ihr Atem kam stoßweise.
Marey war zwar unverletzt, aber ansonsten ging es ihr auch nicht besser. Wenigstens konnte sie noch aufsehen, als Taskra aus dem Wald trat, die Langdolche in den Händen.
„Ich sehe, du hast noch viel Kraft gehabt, Kreatur. Du bist mir lange entkommen. Aber hier endet deine Flucht.“
Lana hustete Blut und hob unter enormen Schmerzen ihren Kopf. „Erzähl mir nichts, was ich nicht schon weiß.“, keuchte sie.
„Ja ... wie du willst. Bevor ich dich jetzt töte ... warum schleppst du eigentlich dieses Gör mit dir herum?“
Marey antwortete für Lana. „Nun, ich bin so etwas wie ihre gute Seite und hab sie unterwegs mal retten müssen.“, gab sie wahrheitsgemäß wieder.
Die Schattenelfe nickte. „Interessant. Muss ich sie zuerst töten, damit du stirbst oder würde das nichts bringen?“
Lana deutete ein Schulterzucken an und viel dann wieder zurück auf den Boden. „Weiß nicht.“, presste sie hervor. „So oft bin ich noch nicht gestorben.“
Taskra griff ihre Dolche fester und zog Marey auf die Beine. „Dann werde ich auf Nummer sicher gehen und erst die Kleine hier erledigen.“
Lana keuchte auf, aber Marey warf ihr nur einen traurigen Blick zu, bevor die Elfe ihr einen Dolch direkt ins Herz stieß. Das Kind zuckte kurz, dann wich jede Kraft aus seinem Körper und Taskra ließ es fallen.
„So oder so, nun bist du sterblich, Engel. Irgendwelche letzten Worte?“
Lana keuchte wieder und drehte ihren Kopf zur Seite, als sie Blut und Galle erbrechen musste.
„Das fasse ich als ein Nein auf. Weißt du ...“ Die Elfe zögerte und setzte sich neben Lana. „Irgendwie hab ich gar keine Lust, die Jagd schon zu beenden, ich würde dich so gerne quälen und den ganzen Kram.“
Die Gefallene sah erneut auf. „Warum tust du das dann nicht?“
„Weil ich dazu keine Zeit habe. Wenn das hier vorbei ist, habe ich auch noch andere Sachen zu erledigen. Ich muss in Zeniken noch jemanden erledigen, einen Vampir.“
„Bist du so eine Art Jäger für dunkle Geschöpfe?“
„Ja, so in der Art. Ich bringe jedes dunkle Geschöpf um, dass nicht dem wahren Herrscher dient.“
Lana versuchte, sich aufzurichten, aber sie schaffte es nicht. „Und wer ist dieser Herrscher?“
„Tychon.“
Lana keuchte und riss die Augen auf. „Tychon ist tot! Du dienst einem toten Herrscher?“
Taskra antwortete nicht sofort, sondern sah einen Augenblick lang in den Himmel, bevor sie antwortete. „Ja, das tue ich. Ich bin sozusagen seine Stellvertreterin.“
„Das ist Schwachsinn. Du warst mit Menschen unterwegs!“
„Na und?“
Lana fiel darauf nichts ein. Hätte sie gewusst, was die Schattenelfe wirklich antrieb, hätte sie den Kampf im Wald ganz anders geführt.
„Sag, Engel, willst du nicht vielleicht leben und mit mir kommen?“
„Ich bin durch Schwur gebunden und das weißt du.“
„Ja. Jammerschade, nicht wahr? Nun, es wird Zeit. Wenn du die Augen zumachst, tut es vielleicht weniger weh.“
Lana grinste schief. „Es kann nicht mehr schmerzen als der Rest meines Körpers, bringen wir es hinter uns.“
„Wie du willst.“ Die Schattenelfe zuckte mit den Schultern, nahm einen ihrer Dolche und schnitt Lana die Kehle auf.
Und für Lana hielt die Welt an, sie wurde schwarz und dann hörte sie auf.

-28-
„Lana?“
...
„Lana?“
...
„Lana?“
„Ja?“
„Ah, du bist wach.“
„Ich weiß nicht. Bin ich? Wo sind wir?“
„Hm ... weiß nicht. Vielleicht tot oder so. Alles ist so weiß. Selbst du.“
„Du aber nicht ...“
„Nicht? Stimmt ... ich bin schwarz. Warum?“
„Marey?“
„Ich sollte nicht schwarz sein, ich war noch nie schwarz.“
„Marey?“
„Bis jetzt bin ich immer weiß gewesen. Immer. Es gab nie etwas Schwarzes an mir.“
„Marey?“
„Mit Ausnahme der Haare vielleicht, die waren schon immer schwarz.“
„MAREY!“
„Ja?“
„Ich war auch noch nie weiß. Vielleicht ... vielleicht wurden wir irgendwie vertauscht. Kann es sein, dass ich jetzt ein guter Engel bin und du der böse Teil meines Wesens?“
„Hm ... weiß nicht. Darüber hat man mir nie etwas erzählt.“
„Man hat mir auch nichts vom Sterben erzählt.“
„Hm ... Lana?“
„Ja?“
„Hast du dir den Tod so vorgestellt?“
„Ich hatte mir den Tod gar nicht vorgestellt, aber ich glaube auch nicht, dass wir so wirklich richtig tot sind.“
„Nicht?“
„Marey, meine Wunden tun immer noch weh. Sie sind geheilt, aber der Schmerz ist noch da. Ich glaube nicht, dass Tote Schmerzen empfinden.“
„Ja, stimmt. Das klingt ... nicht sehr tot.“
„Meinst du, es gibt einen Weg aus dieser weißen Welt?“
„Möglich wäre es.“
„Dann lass uns einen suchen, Marey. Komm, wir gehen.“
Lana und Marey standen auf und gingen zusammen in das unendliche Weiß hinein, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich gingen. Sie wussten nur, dass sie sich nicht tot fühlten und dass Lana nun weiß und Marey schwarz wirkte ...

-29-
Die Kälte der Nacht verstärkte den unheimlichen Eindruck, den die dunklen Straßen des nächtlichen Zenikens machten noch. Ein schneidender, pfeifender Wind fuhr jedem, der sich um diese Uhrzeit auf die Straßen traute, durch die Gewänder und ließ ihn frösteln, egal wie warm er angezogen war. Es war nun schon eine Stunde nach Mitternacht, die erste Nachtwache war fast zu Ende und die selten Wächter auf den Straßen konnten kaum noch die Augen offen halten. Das finstere Szenario wurde von einem dichten Nebel abgerundet, der einem Verbrecher nur dienlich sein konnte. Es gab nur zwei Arten von Menschen, die so eine Atmosphäre bevorzugten – Kriminelle und Nekromanten.
Lucius gehörte keiner der beiden Gruppen an und dennoch machten ihm weder Witterung noch Dunkelheit etwas aus. Er trug einen schwarzen Umhang, der ihn fast komplett mit den Schatten verschmelzen ließ. Normalerweise hätte er sich über das Fast Gedanken gemacht, aber in diesen Augenblick hatte er andere Sorgen.
Lucius hatte Durst.
Diese Tatsache allein war nichts ungewöhnliches, aber der jung aussehende Mann war seit längerer Zeit ein Vampir, so dass sein Durst meist nicht mit Wasser zu stillen war. Seine Augen waren nur schmale Schlitze, als er die nächtlichen Straßen nach einem Opfer absuchte. Sein Stolz verbat es ihm, von den herumstreifenden Halunken zu trinken, Lucius war adelig und hatte sich angewöhnt, nur von Jungfrauen und Adligen zu speisen.
Das machte seine Nahrungssuche auf der Straße beinahe unmöglich und so löste er sich aus seinem Schatten, um durch die Stadt zu streifen, seine Blicke in die Schlafzimmer der Menschen wandern lassend.
Kurze Zeit später fand er ein Opfer, dass die Mühe wert zu sein schien. Das Mädchen war höchstens siebzehn Jahre alt, eine Lächerlichkeit im Vergleich zu Lucius, dessen Alter nach Jahrhunderten zählte. Sie lag alleine in einem großen Bett, die Bettdecke halb heruntergerutscht und ihr langes schwarzes Haar wie ein Heiligenschein auf ihrem Kopfkissen. Sie war schön und ihr Blut musste frisch sein, zwei Dinge, von denen sich jeder Vampir magisch angezogen fühlte. Lucius entblößte seine Fangzähne und vergewisserte sich, dass niemand ihn sah, als er das nur angelehnte Fenster leise öffnete.
Er sprang in das Schlafzimmer der jungen Frau und landete ohne das geringste Geräusch. Er schlich um das Bett herum, sodass sein Schatten, vom einfallenden Mondlicht erzeugt, die schlafende Schönheit nicht wecken würde. Sachte strich er dem unbekannten Mädchen das Haar vom Hals, dann beugte er sich über sie und trank ihr Blut gierig.
Das Trinken war für einen Vampir wie ein Rausch. Dadurch kamen die meisten Opfer um. Zwar brauchte ein Vampir keine tödlich große Menge an Blut, aber wenn sie einmal tranken, verschwamm ihre Wahrnehmung und die Vampire konnten sich nur unter größten Anstrengungen beherrschen. Kam nun noch das besonders ekstatisch wirkende Blut einer Jungfrau ins Spiel, wurde dies beinahe zur Unmöglichkeit.
Lucius kämpfte gegen den Drang, die Frau komplett leer zu trinken und für einen Moment schien er den Kampf zu verlieren. Dann aber siegten Jahrhunderte der Selbstdisziplin und nach einem letzten Schluck riss er seine Zähne aus dem Hals des Mädchens. Sie wirkte nun noch bleicher als vorhin und der Vampir empfand beinahe so etwas wie Mitleid. Behutsam fuhr er mit der Zunge über die Bisswunden, um sie durch seine eigene Magie verschwinden zu lassen. Am Morgen würde sich das Mädchen schwach fühlen, aber niemand würde den Verdacht haben, ihr würden zwei Liter Blut fehlen.
Gesättigt und mit einem Gefühl der Selbstachtung schwang sich Lucius wieder auf die Straße.
Und blickte in eine geladene Armbrust.

-30-
Christina näherte sich der Höhle, auf die sie zuhielt rasch. Sie ahnte, dass sie nicht zuerst bei Tarim sein würde, aber sie glaubte, dass nur sie ihn wirklich töten könne.
Seit damals waren ihre Schicksale einfach zu eng miteinander verknüpft. Ohne ihr Versagen, ohne ihre Naivität, wäre dies alles nicht passiert. Leise fluchend verdrängte sie diesen Gedankengang und setzte ihren Weg durch das hohe Gras fort. Es war spät in der Nacht und die Dunkelheit hatte ihre Arme schon für lange Stunden um dieses Gebiet geschlungen. Die Geweihte der Götter fröstelte und verfluchte sich dafür, keinen Mantel mitgenommen zu haben. Sie trug nur ihre Robe, einen Dolch, der eigentlich nur ein sehr langes Messer war, und ein paar Utensilien, die sie für verschiedene Dinge brauchen konnte. Sei es das Kochen, das Heilen oder einen Kampf gegen einen Dämon.
Ihre Zielstrebigkeit konzentrierte auch ihre Aufmerksamkeit auf eben jenes Ziel, deshalb merkte sie nicht, dass sich etwas in ihrem Schatten bewegte, ihr leise und unsichtbar folgte. Es gab kein Rascheln von Laub und kein Knacken von Unterholz, ja nicht einmal Unterholz, dass sie hätte alarmieren können und ihre Sinne waren trotz ihrer Weihe nur die eines Menschen, der nicht dafür geboren war, nachts unterwegs zu sein.
Irgendwo schrie eine Eule und der Wind ließ die Zweige der letzten Waldbäume rascheln, als die Geweihte der weißen Götter auf die Ebene hinaustrat, die sich über die letzten drei Meilen bis zu ihrem Ziel erstreckte. Silbernes Mondlicht tauchte die Einöde in ein Dämmerlicht, dass seinen Glanz auf allem hinterließ, dass es berührte. Das Mondlicht beleuchtete das Gesicht der jungen Frau und verlieh ihr einen Hauch von Unnahbarkeit, der sich wie ein schützender Mantel um sie schmiegte. Christina fühlte sich gestärkt, nun, da sie wieder unter Licht wandelte und sah, wo sie war und wohin sie ging.
Eine angespannte Euphorie ergriff von ihr Besitz und trieb sie voran, durch das nun kürzere Gras in Richtung Norden.
Dann räusperte sich jemand hinter ihr.
Christina schrak aus ihren Gedanken auf und wirbelte herum. Hinter ihr stand ein groß-gewachsener Mann. Sein langes schwarzes Haar wirkte im Mondlicht silbrig-grau und sein Gesicht zeigte trotz einer gewissen Rauheit adlige Züge. Christina fragte sich unterbewusst, wie er mit seinem schwarzen Umhang so leise hatte sein können. Aber die Frage, was er von ihr wollte, fand sie bei weitem interessanter. „Wer ... wer seid ihr?“
Der Fremde runzelte die Stirn. „Das wollte ich euch gerade fragen, my Lady.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß und deutete eine Verbeugung an. „Eine Geweihte der weißen Götter hier zu sehen ist eine Überraschung und eine Ehre zugleich. Ich bin Rasheem, meines Zeichens berühmter Großwildjäger. Vor kurzem erst habe ich dort im Wald einen Drache geschossen.“
Die junge Frau lächelte ungewollt. „Ich bin Christina, eine Geweihte, wie ihr schon festgestellt habt. Und ich habe meine Gründe, hier zu sein, so wie ihr eure habt.“
Der Mann nickte ernst. „Durchaus. Aber unsere Wege scheinen derzeit parallel zu verlaufen. Gestattet mir, euch zu begleiten, my Lady.“
Christina dachte kurz nach und nickte dann. „Dies ist ein Angebot, dass ich nicht abschlagen kann, guter Mann.“ Sie streckte die Hand aus und Rasheem ergriff sie bei den Fingern, führte sie an seinen Mund und hauchte einen Kuss darauf.
„Wohlan, die Nacht ist jung, der Weg noch weit, my Lady, lasst uns denn aufbrechen!“



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:10:

 

Sadly Sings Destiny

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Lana kam es vor, als sei sie tagelang durch das Nichts gewandert. Marey und sie schwiegen schon lange, weil es nicht mehr viel zu sagen gab. Sie verspürten keinen Durst oder Hunger, auch Müdigkeit schien sie nicht mehr zu berühren. Irgendwann begann sich das Nichts zu verändern. Erst unbemerkt, dann langsam immer mehr zunehmend, waberten Nebelfetzen um die beiden Gestalten, umspielten ihre Füße, dann ihre Beine, dann ihre ganzen Körper. Der Nebel wurde dichter, aber weder Lana noch Marey stellten Fragen. Hier schien alles so surreal, dass der Nebel nicht mehr auffiel.
Dann, Ewigkeiten später, lichtete sich der Nebel wieder und diesmal standen die beiden nicht im Nichts.
Vor ihnen erhob sich eine Landschaft, wie aus einem Kinderbuch. Saftig grüne Hügel, strahlende Bäume, klarer blauer Himmel. In der Ferne erhob sich eine Stadt, gewaltige Türme aus reinem weißen Marmor erhoben sich und bunte Fahnen flatterten von sämtlichen Gebäuden, alle in weiß gehalten.
Lana sah zu Marey herab, deren schwarzes Gewand hier regelrecht verboten wirkte, während sie in ihren weißen Kleidern passend angezogen zu sein schien.
Die beiden sahen zurück auf den Nebel und mussten feststellen, dass er nicht mehr da war, hinter ihnen erstreckte sich die gleiche Panorama-Landschaft wie vor ihnen.
„Tja...“ Lana zuckte mit den Schultern.
Marey nickte. „Tja...“
Der Engel musste grinsen, wurde dann wieder ernst. „Und jetzt?“
„Gute Frage.“ Marey sah zu Lana auf. „Zurück können wir nicht, denke ich mal.“
„Scheint so. Ich denke mal, wir gehen da vorne in die Stadt und suchen eine Person, die uns erklären kann, was eigentlich los ist.“
Marey nickte. „Meinst du, wir finden jemanden?“
„Möglich.“
Die beiden gingen gemächlich in Richtung der weißen Stadt, sich in dieser perfekten Welt unwohl fühlend, wie ein Fleck Fett, der beim Abwaschen nicht weggegangen war.
Es vergingen nochmals gut zwei Stunden, in denen Lana und Marey diese Märchenwelt bestaunen konnten, ehe sie die Tore der Stadt erreichten und zum ersten Mal einen Bewohner dieses ... Landes zu Gesicht bekamen.
Der Stadtwächter maß etwa einen Meter und achtzig Zentimeter, trug einen aufwendig verzierten Brustpanzer, eine Lanze, eine weiße Tunika und weiße Flügel. Lana runzelte die Stirn, als sie den Engel als solchen erkannte und langsam reifte ein Verdacht in ihrem Kopf. „Wer seid ihr?“, verlangte der Wächter höflich, aber bestimmt zu wissen.
Lana erwiderte seinen Blick und ihr wurde zum ersten Mal bewusst, dass sie ihr Schwert noch am Gürtel trug. „Ich bin Lana. Und das ist Marey, mein Gewissen.“
Der andere Engel musterte beide und nickte. „Und warum wollt ihr in die weiße Stadt?“
„Nun, wir sind durch das Nichts gewandert, aus einem Nebel aufgetaucht und waren praktisch direkt vor euren Stadttoren. Jetzt suchen wir jemand, der uns das erklären kann.“
Ungläubig runzelte der Wächter die Stirn. „Das klingt sehr fantastisch. Und dein ‚Gewissen’ sieht nicht so aus, als wäre es friedlich.“
Lana fing den Blick des Engels mit ihrem ein. „Ich weiß, dass das dumm klingt, aber ich kann es nicht ändern. Lasst ihr mich jetzt durch?“
„Ich glaube, ...“
„...er wird euch durchlassen.“, mischte sich eine tiefe Bass-Stimme ein. Die drei wandten ihre Köpfe zu einem anderen Engel, den sie in ihrer Debatte gar nicht hatten kommen hören. Der Wächter verneigte sich anmutig vor dem Engel, der in weiße, wallende Roben gehüllt war und ein flammendes Schwert an seiner Seite trug. „Diese beiden werden bereits erwartet.“
Der Wächter verbeugte sich erneut und nahm dann Haltung an. „Ja, Herr. Wie ihr sagt, Herr.“
Lana runzelte die Stirn und war sich nicht sicher, ob sie sich nun verbeugen sollte oder nicht. Sie entschied sich dagegen. „Entschuldigt, wenn ich euch nicht die Füße küsse, aber ich kenne nicht einmal euren Namen.“
Der eindeutig ältere Engel lächelte. „Ich verzeihe dir, Lana. Ich bin Syrael. Ihr werdet erwartet, folgt mir bitte.“
„Erwartet von wem?“
Wieder lächelte der Engel. „Ich will euch die Überraschung nicht nehmen. Außerdem darf ich seinen Namen nicht aussprechen. Folgt mir einfach, ich garantiere, dass euch nichts geschieht, solange ihr euch ruhig verhaltet.“
Marey mischte sich zum ersten Mal ein. „Und wenn wir uns nicht ruhig verhalten?“
Das Lächeln Syraels erstarb. „Dann seid ihr sehr schnell sehr tot, geehrte Marey, Engelchen ... Teufelchen der Lana.“
Lana seufzte. „Ihr wisst viel von uns. Wir haben wohl keine Wahl, also folgen wir.“
Syrael deutete, ihm zu folgen und setzte sich in Bewegung, Lana und Marey gingen ihm nach, einem unbekannten Fremden entgegen, der vielleicht Antworten auf ihre Fragen hatte. Oder etwas viel Schrecklicheres für sie bereit hielt.

-32-
Tarim horchte auf. Jemand kam näher. Leise Schritte, für normale Menschen nicht zu hören. Selbst für Engel nicht. Aber er war jetzt mehr. Der Dämon in ihm heulte innerlich auf, voller Vorfreude auf das blutige Zerfetzen von unwichtigen Faktoren. Der Teil von Tarim, der noch logisch dachte, ließ sich nicht anmerken, dass er wusste, bald Besuch zu haben.
So war die Schattenelfe doch überrascht, als ihr leicht geglaubtes Opfer mit blitzendem Blankschwert herumwirbelte und sie aus feurigen Augen anstarrte. Aber sie war keine Anfängerin und wich dem ersten Schlag mühelos aus. „Habe ich dich also gefunden, Tarim, gefallener Engel, Dämon und Verräter von Tychon!“
Der deutlich größere Tarim winkte ab. „Jaja.“ Seine Stimme klang wie der Donner eines schweren Gewitters. „Du bist hier, um mich zu töten und so weiter. Ich habe dich längst erwartet, Taskra. Länger, als du dir vorstellen kannst.“
Nun trat doch Überraschung auf das Gesicht der Elfe. „Du kennst mich?“
Der Dämon grinste sie an. „Seit deiner Geburt. Du ahnst nicht, wie viel ich über dich weiß. Zum Beispiel, wie anfällig du für dunkle Magie bist.“
Ein entsetztes Keuchen antwortete ihm, ehe die Elfe die Sprache wiederfand. „Dann bist du der Dämon, der mein Schicksal ist?“
„Sieht ganz danach aus, oder?“ Die Stimme, die sich Tarims Mundes bediente, klang spöttisch. „Und mit diesem Wirtskörper bin ich dein Untergang.“
„Abwarten. Ich gebe nicht kampflos auf.“ Die Schattenelfe hob ihre Langdolche und begann, den Engel zu umkreisen.
Tarim oder der Dämon in ihm lachte auf. Das Schwert in der Rechten, verfolgte er mit dem Kopf die Bewegung der Elfe. Als sie sprang, wirbelte er herum und führte einen Gegenangriff.
Die Schattenelfe war schnell – der Dämon war schneller. Sein Schwerthieb fegte die Verteidigung von Taskra beiseite, trennte ihren linken Arm vom Körper und schleuderte sie durch den Raum, ehe sie schreiend von der Wand abprallte und zu Boden sackte.
Tarim drehte sich um und hob triumphierend das Schwert in die Höhe, ehe er an sie herantrat.
Dann traf ihn ein Bolzen in den Rücken.
Er stolperte und keuchte, als das fingerlange Geschoss aus seiner Brust wieder austrat, dann sackte er auf ein Knie. “Verdammt!“, presste er hervor und sah sich um.
Ein großgewachsener Mann stand im Eingang, die schwere Armbrust wieder neu geladen und sah auf ihn herab. „Ah, tut das weh, Bastard?“
Der Engel setzte sich auf und knurrte wie ein Tier. „Glaubst du, dass mich das tötet?“
Rasheem grinste und schüttelte den Kopf. „Nein, aber es hält deine Magie in Schach.“ Er legte an und feuerte den nächsten Bolzen. Das Geschoss zischte von der Waffe und bahnte sich seinen Weg durch Tarims Bauch. Der Engel schrie kurz auf, dann wandelten sich seine Gesichtszüge und der Dämon ergriff vollends Besitz von ihm.
„Du bist schwach, Mensch!“
„Ich habe deinen Drachen besiegt.“
„Meisterlich. Er war alt und schwach. Du kannst keinen Dämon besiegen.“
„Stimmt.“
„Was?“ Der Dämon stand auf, ungeachtet der zwei Durchschüsse in seinem Körper. „Wie dumm bist du dann, Mensch?“
„Ich kann dich nicht besiegen.“, wiederholte Rasheem, dann deutete er auf Christina, die den Raum unbemerkt betreten hatte. „Aber sie kann. Und sie wird.“ Er legte seine Armbrust weg und zog ein Langschwert. „Und ich werde sie dabei beschützen.“
Der Dämon verzog das Gesicht und bleckte die Zähne. „Nun dann, bringen wir es zu Ende – hoffentlich diesmal endgültig.“ Er griff nach dem Langschwert, dass ihm aus der Hand gefallen war, aber Rasheem sprang vor und trat ihm in die Seite, was den Dämon durch den Raum fegte. „Ich dachte, du hättest mehr Ehre, Paladin!“
Rasheem lachte. „Paladin? Bloß weil ich eine Geweihte begleite? Ich bin Großwildjäger.“
Christina begann in der Zwischenzeit, eine Zauberformel zu murmeln und Tarim spürte – neben den Schmerzen – wie der Dämon die Macht über ihn verlor, Stück für Stück. Der gefallene Engel hasst weiße Magie, aber er entschied sich, sie zu unterstützen.
Die Geweihte keuchte auf. „Schnell, Rasheem, wir brauchen ein Blutopfer!“
„WAS?“
„Ein Blutopfer! Es muss sein!“
Der Großwildjäger zuckte mit den Schultern und griff nach der reglosen Taskra. „Einfach nur töten?“
„Das sollte reichen, ja, aber schnell, ich kann die Energie kaum mehr halten!“ Schweiß stand auf ihrer Stirn und ihre Arme und Beine zitterten. Rasheem ließ Taskra fallen, hob sein Schwert und stieß es durch ihre Brust. Die Schattenelfe bäumte sich ein letztes Mal auf, dann starb sie.
Aus Christinas Händen brandete ein Sturm reinster Magie gegen den Dämonen und schleuderte den geflügelten Körper gegen die Wand. Tarim rollte mit den Augen, würgte, übergab sich, sank auf die Knie und kippte vorn über, ehe er bewegungslos liegen blieb.
Christina ließ die Arme sinken und taumelte, fand dann Halt an einer Wand. „Es ist ... vorbei.“
Rasheem runzelte die Stirn. „Vorbei?“
„Vorbei! Wir nehmen den Engel mit, wir brauchen ihn noch.“, gab die Geweihte zurück. Sie lächelte schwach.
Der Großwildjäger sah auf die tote Elfe. „Hast du gewusst, dass wir ein Blutopfer brauchen?“
„Ja.“
„Was hättest du gemacht, wenn sie nicht hier gewesen wäre?“
Christina sah Rasheem in die Augen, dann sah sie zu Taskra, dann wieder zu Rasheem. Und sie schwieg.

-33-
Der Raum war eine Enttäuschung. Lana hatte einen gewaltigen Thronsaal erwartet, aber was sie sah, erinnerte eher an ein größeres Wohnzimmer, als an eine Prunkhalle. Ein paar Sessel, ein schwerer Tisch, Bücherregale und ein Kamin, nicht gerade das Mobiliar eines Herrscher-Zimmers. Der greise Engel, der am Kamin stand und sich sorgenvoll über den langen Bart strich, wirkte auch nicht gerade imposant. Er stand mit der Seite zu Lana, so dass sie kaum etwas von seinem Gesicht erkennen konnte und trug eine weiße Robe, die mit goldenen Symbolen bestickt war.
„Lana, Marey, ich habe euch erwartet.“
„Das sagen viele Leute und ich kann das Gegenteil nicht beweisen.“ Ein Hauch von Sarkasmus lag in der Stimme der Frau.
Der Alte drehte sich um. Sein Gesicht wirkte sanft und ruhig, seine braunen Augen strahlten Ruhe aus. „Nun, wie dir sicher aufgefallen ist, bist du tot. Oh, ach ja ... und du bist in der weißen Stadt. Alle toten Engel kommen noch einmal an den Ort ihrer Geburt. Und da du als weißer Engel geboren wurdest ...“
Lana lachte auf. „Mein Vater hat mich direkt nach meiner Geburt verstoßen.“
„Ja, das ändert aber nichts daran, dass du hier geboren worden bist. Und das war mit Sicherheit auch kein Grund, ihn umzubringen, er war ein guter Mann.“
„Und ich keine gute Tochter. Kanntet ihr meinen Vater überhaupt?“
Der Alte lachte leise. „Ja, wir waren gute Freunde. Aber welche Rolle spielt das schon? Ich habe dein Leben verfolgt. Du hast eine Menge erlebt, seit du verstoßen wurdest.“
„Ja, in etwa einmal mein komplettes Leben.“
„Könntest du mit diesem unangebrachten Zynismus aufhören? Damit kommen wir nicht weiter.“
Lana grinste überlegen. „Oh, ich bin tot, ich habe viel Zeit.“
„Sicher?“
Jetzt geriet sie ein wenig aus dem Konzept. „Ähm ... nein. Sicher nicht.“
„Richtig so.“ Der Alte war noch immer ruhig. „Seit du damals den ersten Schritt gemacht hast, das erste Mal geflogen bist, hattest du nie Zeit. Es waren immer die Ereignisse, die dich bestimmt haben, nie war es anders herum. Das ist jetzt nicht anders.“
Lana seufzte und setzte sich unaufgefordert. Marey tat es ihr gleich. Der Alte musterte die schwarz gewandete Marey. „Du hast sie hierher mitgebracht?“
„Hast du sie nicht erwartet?“ Lana zuckte mit den Schultern. „Ich hatte im übrigen keinen allzu großen Einfluss darauf.“
„Wie immer.“ Trotz des ruhigen Tonfalls des greisen Engels hörte Lana doch eine gewisse Stichelei aus seiner Stimme heraus. „Und jetzt bist du tot und wirst zu den Ahnen gehen.“
Die Frau seufzte. „Noch mehr alte Engel. Kann ich das irgendwie vermeiden?“
Marey schüttelte überraschend den Kopf. „Nein.“
„Was die Kleine dir sagen will ist Ja.“, gab der Alte zurück. „Es gibt eine Möglichkeit. Die Frage ist nur, ob du bereit bist, wieder zu fallen.“
Lana überlegte nicht lange. „Ich kann wieder leben und schwarze Klamotten tragen und zähle wieder offiziell zu den Gefallenen? Da sage ich nicht nein.“
„Du willst dem Bösen dienen?“
„So dramatisch würde ich es nicht ausdrücken, aber im Grunde schon, ja. Außerdem ist Liebe zwischen ‚guten’ und ‚böse’ Engeln nicht möglich.“
Der ältere Engel nickte verständig. „Achja, dieser Tarim ... du willst ihn wiederbeleben?“
„Heißt das, er ist tot?“ Lana riss die Augen auf. Seit ihrem Aufbruch aus Zeniken hatte sie nichts mehr von Tarim gehört. Und jetzt sagte man ihr durch die Blume, er wäre tot.
„Na ja, er hat noch lange gelebt, dann haben eine Geweihte der weißen Gottheiten, ein Abenteurer und eine Schattenelfe ihn besiegt.“
„Nein.“
„Doch. Willst du immer noch zurück?“
Marey berührte Lana am Arm. „Lass ab. So schlimm sind die Ahnen nicht.“
Der Alte lächelte. „Sie hat Recht.“
„Ich werde meinen Geliebten rächen.“. Lana drohte das nicht, es war auch keine Frage, sondern einfach eine unumstößliche Tatsache. Sie sann auf Rache und sie würde ihre Rache bekommen. „Ich werde wieder leben.“
„Ganz so einfach ist das auch wieder nicht.“, entgegnete der andere Engel.
Lana seufzte. „Was muss ich dafür tun? Einen Auftrag erledigen? Irgendwem verzeihen?“
„Eigentlich ist es einfacher. Du musst nur deine Kleine hier umbringen.“
Marey schüttelte energisch den Kopf. „Glaub ihm nicht!“
Lana runzelte die Stirn. „Welchen Effekt sollte das haben?“
„Na ja, sie ist derzeit deine böse Seite und du kannst nur als gefallener Engel neugeboren werden. Also musst du an diese böse Seite ran und sie in dir Aufnehmen. Danach gibt es kurz zwei Seiten in dir und du musst dich für eine entscheiden. Dann solltest du dort stehen, wo du gestorben bist.“
„Solltest?“
„Nun, bisher war es immer so.“
„Und ich soll dir glauben?“
Der Alte zuckte mit den Schultern. „Sollst du nicht, kannst du aber.“
Marey sah zu Lana. „Bitte nicht.“
Lana griff nach einem Schwert, dass dekorativ an der Wand hing. Sie war sich sicher, dass es dort gerade noch nicht gehangen hatte, aber welche Rolle spielte das schon?
„Lana, bitte lass mich am Leben!“, flehte das kleine Mädchen.
Die Frau seufzte. „Heul hier nicht so rum, du weißt ganz genau, dass ich auf solche Dinge keine Rücksicht nehme.“ Sie stach zu und durchbohrte Marey.
„So eine Schweinerei in meinem Raum!“, entfuhr es dem Alten, dann verblasste diese Welt für Lana.
Irgendetwas wirbelte sie herum, etwas tobte in ihr, ein gewaltiger Kampf wurde in einem Augenblick begonnen und beendet und dazwischen gewann eine Seite.
Keuchend und hustend kam die Frau auf die Beine, taumelte ein paar Schritt, blieb dann stehen und sah zum Abendhimmel, an dem ein bekannter Mond stand. Dann sah Lana an sich herunter und auf ihr schwarzes Kleid. „Geht doch.“, murmelte sie, dann nahm sie das Schwert an sich, dass neben dem leeren Gewand lag, das einst ihre Leiche enthalten hatte.

-34-
Lucius hatte ein ganz dummes Gefühl bei der Sache. Erschwerend zu der Tatsache, dass jemand mit einer Armbrut auf ihn zielte kam noch das Wissen, dass er sich gerade als Vampire zu erkennen gegeben hatte. Sein untotes Hirn spielte in Sekundenbruchteilen ein duzend verschiedener Szenarien durch, die alle mehr oder weniger letal endete, soweit man bei einem Vampir davon reden konnte. Also entschied er sich für das Sicherste.
Er hob die Hände.
Der Fremde nickte. „So ist es richtig. Was hast du da drinnen zu suchen?“
„Ich?“ Lucius versuchte, Zeit zu gewinnen. Anscheinend wusste der Unbekannte nicht, dass er ein Vampir war.
„Nein, ich rede mit der Wand.“, kam die bissige Antwort. „Wer denn sonst, du Narr?“
Der Vampir versuchte, das Gesicht des Fremden zu erkennen. Allerdings halfen ihm seine geschärften untoten Sinne nicht sehr viel gegen eine tief ins Gesicht gezogene Kapuze. Ein Wunder, dass jemand darunter sehen konnte. „Nun, ich kenne diese junge Frau, müsst ihr wissen – wer immer ihr seid.“
„Ich bin kein Freund der Herrscher und ich lege gewissermaßen Wert darauf, nicht erkannt zu werden.“
„Die Herrscherfamilie ist gestürzt.“
„Ich weiß.“
Lucius reagierte erstaunlich ruhig. Seine Gedanken klammerten sich mit aller Gewalt an den gemeinsamen Nenner, den er plötzlich unter sich und dem Fremden entdeckte. „Wenn es euch hilft – ich bin der Krone Zenikens treu ergeben.“
„Das würde ich an eurer Stelle auch sagen.“
„Ich bewahre das Geburtssiegel von König Karl-Friedrich auf. Ich war damals sein Vertrauter.“
Der Fremde zögerte, dann schüttelte er den Kopf. „Karl-Friedrich ist seit über dreihundert Jahren tot.“
Lucius lachte trocken. „Ich auch.“ Er hatte es satt, zu reden. Grinsend entblößte er seine Fangzähne. „Seht ihr?“
Erneut überraschte der Fremde ihn. „Ihr müsste Lucius sein“
„Im Grunde schon, ja.“
Kronprinz Karl zog die Kapuze kurz zurück und warf sie sich dann wieder über das Gesicht, ehe er die Armbrust wegsteckte. „Es tut gut, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Tut mir Leid wegen den Unannehmlichkeiten.“
Der Vampir schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihr müsst verrückt sein, Kronprinz, euch hier blicken zu lassen. Ihr seid offiziell tot.“
„Na umso besser. Das schadet meiner Verkleidung sicher nicht. Außer die Leute glauben an Untote.“ Er zwinkerte mit einem schwachen Grinsen. „Aber mein Vater, der König, ist tot, genauso General von Drachenklau. Der Thron gehört jetzt mir.“
„Nur wird Duke Domail ihn euch nicht freiwillig geben.“
Karl lachte leise und freudlos. „Dann nehme ich ihn mir eben mit Gewalt. Das Schwein hat meines Vaters Vertrauen missbraucht. Dafür soll er bluten.“
Lucius rümpfte die Nase. „Könntet ihr dieses Wort in meiner Gegenwart unterbinden? Ich bekomme Hunger.“
„Echt?“
„Nein, aber es ist trotzdem unhöflich, über Essen zu reden, zumal ihr der König seid.“
Der Mensch zuckte mit den Schultern. „Noch nicht. Habt ihr ein Versteck?“
„Ja, sicher. Wenn ihr damit sagen wollt, dass die Straße kein guter Ort für dieses Gespräch ist, dann gebe ich euch Recht.“
Der Kronprinz nickte. „Dann brechen wir auf, würde ich sagen. Es gilt, Pläne zu schmieden.“
Während das ungleiche Paar von dannen zog, schlug die gewaltige Schlossglocke von Zeniken Mitternacht und beendete einen der ereignisreichsten Tage in diesem Teil der Welt ...



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 29.03.2005 um 00:11:

 

Wege kreuzen sich

-35-
Christinas Rückkehr in das Waldversteck war alles andere als ruhmreich. Rasheem hatte nicht ein einziges Wort mehr gesprochen, irgendwie eine verständliche Reaktion, immerhin hatte er entdeckt, dass er als Blutopfer eingeplant gewesen war. Sie hatten den geschundenen Tarim abgelegt und die Geweihte hatte sich um seine Wunden gekümmert, so gut es ihr möglich war. Engel hatten eine hohe Eigenregeneration, aber es war fraglich, ob sie ausreichen würde.
Nyphai war inzwischen wieder auf den Beinen, die göttliche Magie hatte Wunder gewirkt und ihre Wunden waren innerhalb von Stunden verschwunden. Sie beobachtete die Ankunft der Helden mit an den Körper gezogenen Beinen und einem ausdruckslosen Blick. Christina hatte erwartet, dass Sheila noch am ehesten eine freundliche Begrüßung für sie über hatte, aber sie nickte nur und raunte ihr zu: „Denk an deinen Schwur. Du schuldest den Göttern ein Opfer ihrer Wahl.“
Aber sie hatte Tarim – oder vielmehr den Dämonen in ihm – niedergeworfen. Seit sie den gefallenen Engel kannte, hatte er immer die Oberhand in ihrem langen Konflikt gehabt. Christina wunderte sich zwar, warum er sie nicht erkannt hatte, schob dies aber auf seine Besessenheit ab.
Seufzend dachte sie an ihre erste Begegnung. Damals war sie blutjung gewesen und hatte gerade erst ihre Weihe erhalten. Zusammen mit zwei Paladinen sollte sie einen alten, geschändeten Tempel reinigen. Sie waren mit ihrer Arbeit fast fertig, als ein Lachen sie aufschrecken ließ und der schwarze Engel von der Decke stürzt, um elegant vor ihnen zu landen. Die Paladinen stellten sich ihm mit gezogenen Schwertern und griffen ihn an, aber er fegte sie beiseite wie Spielzeuge. Heute wusste die Geweihte, dass diese Paladine schwach waren, verglichen mit anderen ihrer Brüder, aber sie war damals trotzdem geschockt und wie versteinert. Tarim kam seelenruhig auf sie zu, nahm ihr das heilige Symbol ihrer Götter ab und zermalmte es in seiner Hand. Danach verschwand er einfach wieder. Sein Weg kreuzte den von Christina allerdings immer wieder. Ohne sein Wirken wäre sie in ihrem Orden viel schneller aufgestiegen.
Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Das war Vergangenheit. Ihr Orden existierte nicht mehr, Tarim lag schwer verwundet in ihrem Versteck und Unruhe machte sich in der Welt breit. Das ganze Gleichgewicht zwischen Gut und Böse geriet ins Wanken und bald würde es dramatische Umbrüche geben.
Jemand setzte sich neben sie und riss sie aus ihren Gedanken. Es war Sheila, deren Gesicht Sorge zeigte. „Du fühlst es auch, oder?“
„Etwas Großes steht bevor, ja.“
Die Gesandte der Götter, die in der Gestalt eines jungen Mädchens auf dem Planeten weilte, nickte. „Die Götter sind beunruhigt. Trotzdem haben sie an deinen Schwur gedacht. Und sie haben gewählt, welches Opfer sie verlangen.“
Christina nickte. „Ich lausche deiner Stimme. Was gebieten mir die Götter?“
„Du sollst Zeniken zurück ins Licht bringen!“
Die Geweihte blinzelte und sah Sheila an. „Wie das?“
„Der König ist tot und sein Sohn, Prinz Karl, streitet sich schon bald mit dem jetzigen Herrscher, Duke Domail, um die Herrschaft in der Stadt. Egal wer gewinnt, beide sind nicht so feste Anhänger des Atheismus, wie sie vorgeben. Du sollst dafür sorgen, dass Zeniken wieder eine Stadt der weißen Götter wird. Eine Bastion des Lichtes und der Hoffnung.“
„Und sonst nichts?“
„Nein, sonst nichts.“
Christina nickte. „Ich breche auf, sobald Nyphai und Tarim wieder gehen können und werde sehen, was ich tun kann.“ Die Sonne kletterte langsam über den Horizont und die Geweihte gähnte. „Aber nun werde ich mich erst mal zur Ruhe begeben. Der Tag war lang und ich habe das Gefühl, dass dies erst der Anfang war.“
Sheila nickte. „Wahre Worte. Etwas geschieht und auch ich will es nicht verschlafen. Sonst wachen wir in einer Welt auf, die nicht mehr unsere ist.“
„Du bist von den Göttern, was kann dir schon passieren?“
Die Kleine seufzte und erhob sich. „Auch die Götter sind nicht mehr sicher. Alles wird anders werden, wenn wir nicht aufpassen.“
„Und deswegen die Konvertierung Zenikens?“
„Ja.“, bestätigte Sheila. „Mit Zeniken kontrollieren wir diese ganze Gegend. Überall auf der Welt in allen großen Städten wird um die Vorherrschaft gerungen. Die Götter haben ein gewaltiges Pokerspiel um ihre Gläubigen begonnen und Zeniken ist eine der Trumpfkarten.“
Christina schluckte trocken. „Ist es schon so schlimm?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es sogar noch schlimmer.“

-36-
Lana spürte, dass sie Tarim ganz nahe war. Sie war diesem Gefühl gefolgt, wieder zurück in den Wald, bis zu der Lichtung, auf der sie sich den Kampf mit den Abenteurern geliefert hatte. Es war nicht mehr weit. Zielstrebig näherte sie sich einem bestimmten Bereich und konnte förmlich sehen, wie die Magie um sie herum stärker wurde. War ihr das vorher nicht aufgefallen, weil Tarim nicht hier war? Oder war sie zu abgelenkt gewesen?
Eine dritte Theorie drängte sich ihr auf: Erwartete man ihr Kommen?
Sie schob ihre Zweifel beiseite und folgt wieder ihrem Gespür für Tarims Nähe.
Dann begann der Wald um sie zu leuchten und sie fand sich am Eingang eines größeren Hauses auf einer Lichtung wieder, die zwar wie ihr Ausgangsort wirkte, aber doch komplett anders war. Die Morgensonne badete unzählige Blumen in allen Farben in ihre sanftes Licht und Vogelgesang erfüllt die Szenerie. Das Haus wirkte friedlich und Lana hatte besseres zu tun, als die Natur zu bestaunen. Fest entschlossen ging sie auf das Haus zu und durchquerte eine Art hölzernes Eingansportal in einen Innenhof. Ein kleines Mädchen in weißen Gewändern saß dort und zuerst hielt Lana die Kleine für Marey. Dann sah sie das andere Gesicht und verwarf den Gedanken. Die Kleine sagte nichts und folgte Lana nur mit ihrem Blick, was die Gefallene zwar etwas irritierte, aber nicht von ihrem Weg abbrachte. Sie durchquerte den Hof und stieß die Tür zu dem Gebäude auf.
Ein langer Flur erstreckte sich vor ihr, links und rechts Türen, das ganze Gebäude wirkte innen größer als außen, ein weiterer Beweis für die Magie dieses Ortes. Lana warf einen Blick in das Zimmer zu ihrer Linken. Eine Frau lag dort auf einem Bett, ihre weiße Robe wirkte dreckig, wahrscheinlich war sie am letzten Abend erschöpft ins Bett gefallen. Zu erschöpft, um sich die alten Klamotten auszuziehen.
Hinter der nächsten Tür schlief ein großgewachsener Mann, den Lana nicht kannte, dafür kannte sie die Elfe, die im darauffolgenden Zimmer nächtigte. Im ganzen Haus schien außer dem Mädchen am Eingang jeder zu schlafen, dabei stand die Sonne nicht mehr so tief und war sicher schon seit zwei Stunden über de Horizont geklettert.
Lana ließ die Elfe schlafen, die sie getötet geglaubt hatte und öffnete eine weitere Tür. Endlich fand sie, was sie gesucht hatte. Tarim lag auf einem Bett, sein ganzer Oberkörper war in Verbände gehüllt und sein Gesicht wirkte ausgezerrt. Was auch immer geschehen war, er hatte überlebt. Vorsichtig ließ sie sich auf der Bettkante nieder und strich sanft über seine Wange.

Tarim erwachte aus einem traumlosen, aber erholsamen Schlaf und öffnete vorsichtig seine Augen. Sein verschwommener Blick klärte sich schnell und er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Er sah direkt in Lanas Gesicht und konnte sich nicht erinnern, dass es je schöner gewesen wäre. Die Sonne schien ihr direkt entgegen und badete ihre weichen Züge in ihre goldenes Licht, ihre tiefen Augen glühten vor Wiedersehensfreude und um ihren Mund lag ein beruhigendes Lächeln. Ihre Hand fuhr über seine Wange und ihre ganze Anwesenheit verströmte Trost und Geborgenheit.
Für einen Moment fanden sie beide keine Worte, dann beugte sich Lana herab und küsste Tarim sanft auf die Stirn. „Ich habe dich vermisst.“
„Ich dich auch.“ Er wollte Fragen stellen, sich erkunden, wie es ihr ergangen war, aber ein Blick in ihre Augen sagte ihm alles. Ein kurzer Blickwechsel reichte den beiden, um sich alles zu erzählen und sich wieder zu finden.
Von der Tür des Raumes erklang ein Räuspern. Die beiden Gefallenen wandten ihren Kopf.
Die Frau in dem weißen Gewand – nun ein sauberes, frisches Gewand, stellte Lana fest – lehnte am Türrahmen. „Ich störe euch ja wirklich ungern, aber was esst ihr Engel zum Frühstück?“
Lana legte den Kopf schief. „Wir sind nicht wählerisch.“ Sie wusste jetzt, dass sie hier erwartet worden war. „Achja, es könnte vielleicht hilfreich sein, wenn ich nicht mit der Elfe zusammen frühstücke, sie könnte etwas allergisch auf mich reagieren.“
Christina seufzte leise. „Ich weiß, aber das kriegen wir schon hin. Ich lass euch dann alleine, wir können in einer halben Stunde essen.“
Lana sah ihr kurz nach und drehte sich dann wieder zu Tarim. „Endlich sind wir wieder zusammen.“
Er nickte bestätigend. „Endlich.“

-37-
Je höher die Sonne stieg, desto heller wurde es im Wald. Der staubige Weg, der am letzten Tag so vieles gesehen hatte, erblickte nun im Vormittagslicht eine seltsame Gestalt, die den Eindruck erweckte, für neue Wendungen in den Ereignissen zu sorgen. Zwar verhüllte ein langer, schwarzer Mantel fast die ganze Gestalt, aber die Pfoten und der Gang der Person verrieten genug – ein Katzenmensch war zugegen. Lautlos, aber weithin sichtbar, setzte das Wesen seinen Weg unbeirrbar fort.
Ungeachtet der Schönheit des erwachenden Waldes, ließ sie sich von ihren Füßen weitertragen, anscheinend mit einem bestimmten Ziel. Hätte die weite Kapuze des Mantels nicht das Gesicht der Gestalt verborgen, hätte man mit Sicherheit den zielstrebigen zweier Katzenaugen gesehen, die wussten, was kommen würde.
Die Hände des Katzenmenschen waren noch in den Taschen des Mantels verborgen, als er den Leichnam von Pyronox fand, der auf dem Weg noch so lag, wie er gestorben war.
Für einen kurzen Moment hielt die Gestalt an und zwei Hände mit schwarzem Fell, die stark an Pfoten erinnerten, tauchten aus den Tiefen des Mantels auf. Sie tasteten sich kurz über die Schuppenhaut des toten Monsters, dann blitzten an den Enden der Finger Krallen auf und die Person kletterte schnell, sicher und geschickt über den Drachen. Auf der anderen Seite angekommen, verschwanden die Hände wieder im Mantel und das Katzenwesen setzte seinen Weg scheinbar gleichgültig wieder fort.
Es näherte sich dem Waldversteck der Geweihten Christina mit leisem, aber festem Schritt und es dauerte nicht lange, ehe es auf die Lichtung kam, die den geheimen Eingang zu diesem Ort verbarg.
Erst schien es, als würde das Wesen die Lichtung einfach überqueren und weitergehen, bis es plötzlich in die Knie ging.
Es fing den Sturz mit den Händen ab und schien gegen ein gewaltiges Gewicht zu kämpfen, dass auf seinem Rücken lastete. Krämpfe schüttelten die Gestalt und sie fauchte gepeinigt, dann fand der Spuk genauso plötzlich ein Ende, wie er begonnen hatte.
Der Katzenmensch stand auf und klopfte sich den Staub vom Mantel, ehe er sich näher auf der Lichtung umsah.
Dann schlug er die Kapuze zurück und der schwarze Kopf mit den typischen Katzenohren tauchte auf. „Christina, gewähre mir Einlass!“, verlangte der Katzenmensch mit tiefer, melodischer Stimme, während er mit seinen kalten, blauen Augen die Stelle fixierte, welche den Eingang magisch verbarg.
Mit kalten, blauen Augen – den Augen eines Sehers.

-38-
Lana beobachtete die Ankunft des Sehers von einer Mauer im Schatten aus. Christina schien das Katzenwesen zu kennen, denn sie begrüßte es mit einer Umarmung. Die kalten blauen Augen der Kreatur fanden kurz den Blick des Engels und Lana schauderte. In diesen Augen war kein Leben, sie wirkten auf eine so natürliche Weise unnatürlich, dass sie einfach nicht in das Bild der Gestalt passten. Diese Augen hatten Dinge gesehen, die nicht einmal die gefallenen Engel erblickt hatten und die normalen Menschen sofort den Verstand rauben würden.
Allerdings wirkte der Katzenmensch, der jetzt auf Lana zuging, alles andere als geisteskrank. Die junge Frau zeigte nach außen kein Anzeichen von Gefühlsregungen, aber sie ahnte, dass ihr Gegenüber gar nicht auf Äußerlichkeiten achten musste, um ihre Unsicherheit zu bemerken.
„Hallo Lana! Ich habe dich schon lange gesucht..“
Die Angesprochene blinzelte. „Warum habe ich das Gefühl, dass jeder, dem ich begegne, mehr über mich weis, als ich selbst? Wer seid ihr?“
„Verzeiht!“ Der Katzenmensch mit dem schwarzen Fell deutete eine Verbeugung an. „Ich bin Makkara, Seher des Katzenvolkes und auf der Suche nach euch.“
Lana nickte. „Das mit den Katzen verstehe ich ja. Und ein Seher ist bei euch so etwas, wie ein Wahrsager bei den Menschen, soweit ich mich erinnere. Aber warum suchst du mich?“
Makkara zögerte, schien sich die Worte zurechtzulegen. „Ich hatte eine Vision, eine drängende Vision, die mich gezwungen hat, Dinge zu tun, sonst litt ich starken Schmerz. Solche Visionen nennen wir ‚Götterbefehle’ und wir nehmen sie sehr ernst. Und in meiner Vision sah ich dich, wie du unser Volk rettest. Und ich sah mich, der starb, um dich zu schützen. Also habe ich dich so schnell wie möglich aufgesucht, um dich zu meinem Volk zu bringen.“
Lana sagte eine lange Zeit nichts, hielt nur stumm dem drängenden, flehenden Blick Makkaras Stand.
Dann seufzte sie. „Du kommst also hier hin, nimmst mich eben mal so einfach mit und lässt mich dein Volk retten und dann war es das?“
„Ja.“
„Das geht nicht. Ich bin noch an Zeniken gebunden, ich habe hier noch Arbeit zu erledigen.“
Der Katzenmensch runzelte die Stirn und griff in eine Tasche seines langen, schwarzen Mantels. Plötzlich fiel er auf die Knie und durchlitt einen kurzen Krampfanfall, der ihn in ein hektisches Zittern versetzte, ehe er wieder aufstand. „Dann werde ich dich wenigstens begleiten.“, gab er matt zurück.
Lana überlegte kurz, dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich kann’s eh nicht wirklich verhindern. Wenn Tarim nichts dagegen hat, kannst du von mir aus mitkommen. Aber sobald ich Grund habe, dir zu misstrauen, bist du ein totes Fellknäuel.“
Der Fremde nickte. „Natürlich. Ihr braucht keine Angst zu haben, ich bin kein Verräter.“
Lana dachte zwar anders, aber sie verschwieg ihre Bedenken. „Gut. Und jetzt entschuldigt mich, ich werde jetzt zu meinem Gefährten gehen.“
„Natürlich.“ Makkara sah ihr hinterher, als sie ins Haus verschwand und trat dann wieder zu Christina. „Es ist lange her, dass wir uns gesehen haben.“
„Das letzte Mal, kurz bevor du deine Wanderschaft angetreten hast. Erzähl mir davon.“
Die ruhigen Gesichtszüge des Katzenmenschen verhärteten sich. „Ich habe Dinge gesehen, die du dir nicht einmal vorstellen kannst, ich habe Orte gesehen, die nie für Sterbliche gedacht waren. Ich wäre fast tot oder vor Wahnsinn sabbernd ... lass uns nicht über so etwas reden.“ Er deutete auf die Tür zum Haus. „Aber ich bin mir sicher, du hast etwas Essbares hier?!“
Christina nickte. „Ja, natürlich, komm mit.“
Makkara nickte und folgte ihr. Seine Gedanken kreisten dabei allerdings um zwei ganz andere Dinge: Seine lange Wanderschaft und den gefallenen Engel Lana...

-39-
Nyphai erwachte aus einem weiteren, traumlosen und erholsamen Schlaf. Dieser magische Ort wirkte Wunder an ihrem Körper und sie fühlte ihre ganze Lebensenergie durch ihre Adern strömen. Sie atmete tief ein und genoss die Natur um sie herum, die helle Mittagssonne und das Gefühl der Geborgenheit dieses Versteckes. Die Elfe schwang die Beine aus dem Bett und hob ihr Nachthemd, um nach ihrer Wunde zu sehen. Zu ihrer Freude, war sie fast ganz verschwunden, es würde nicht einmal eine Narbe zurückbleiben. Sie stand auf und streifte das Hemd ganz ab, um in ihre bequemen Reisekleider zu schlüpfen. Vor dem Spiegel kämmte sie ihr silbernes Haar und griff aus reiner Gewohnheit nach der Kette neben dem Kamm.
Als ihre Finger das kostbare Kleinod berührten, flammte eine Erinnerung in ihr auf ... Marcus hatte ihr diese Kette geschenkt, bevor sie aufgebrochen waren, um diese Lana zu töten. Dann war er durch ihre Hand gestorben und die Elfe hatte nichts dagegen tun können.
Nyphais Hand schloss sich um das Schmuckstück und in die bernsteinfarbenen Augen der Elfe trat ein zorniges Funkeln. Sie würde diese Lana suchen und sich an ihr rächen. Sie wusste noch nicht, wie sie das bewerkstelligen sollte, aber sie würde ihre Rache bekommen.
Sie legte die Kette schließlich um und öffnete die Tür. Als sie auf den Flur trat, stieß sie beinahe mit jemandem zusammen und wich gerade so aus.
Stumm stand sie Lana gegenüber, ihre Blicke trafen sich und für einen endlosen Augenblick passierte rein gar nichts, abgesehen von einem Blickkontakt, bei dem keine der beiden Frauen nachgeben wollte.
Es war Nyphai, die dieses stumme Duell unterbrach und sich mit einem Aufschrei blanker Wut auf Lana stürzte. Die Gefallene reagierte überlegt, kaltblütig und erfahren und der unkoordinierte und unbeherrschte Angriff der schwächeren Elfe bedeutete keine Gefahr für sie. Sie griff Nyphais Arm und brachte sich hinter ihre Kontrahentin, ehe sie auch den anderen Arm der Elfe fasste und ihren Fuß in deren Rücken stellte.
Nachdem sie Nyphai so vor sich in die Knie gezwungen hatte und nur eine simple Streckung ihres Beines den Rücken der Angreiferin gebrochen hätten, seufzte sie laut. „Hast du dir wirklich eine Chance errechnet?“, fragte Lana mit kühler Stimme.
„Du hast meine Freunde auf dem Gewissen, du Dämon!“, fauchte die Elfe und ohnmächtigem Zorn.
Die Gefallene seufzte ein zweites Mal. „Ich kann nichts dazu, ihr habt mich angegriffen. Ihr wolltet mich töten.“
„Ja, das wollten wir. Es ging eben um Geld. Und jetzt geht es mir um Rache.“
„Dann sollte ich dich hier direkt und auf der Stelle zu deinen Freunden befördern.“ Lanas Stimme war immer noch ohne jegliche Betonung, aber ihre Augen zeigten die kalte, berechnende Logik eines gefallenen Engels. Der Druck ihres Fußes verstärkte sich etwas.
„Haltet ein!“, erscholl es da plötzlich von der Seite, wo Christina sich ihnen genähert hatte.
Lana schüttelte den Kopf. „Warum sollte ich?“
„Weil an diesem Ort jeder Tod bittere Konsequenzen für den Mörder hat. Das liegt an der Magie dieses Platzes.“
Die Gefallene zögerte kurz, dann stieß sie mit dem Fuß brutal zu, nicht ohne vorher Nyphais Arme freizugeben. Die schmächtige Elfe stürzte vornüber und schlug hart auf dem Boden auf. Lana drehte sich zu Christina um und sah sie aus kalten violetten Augen an. „Dann bring das dieser Elfe bei!“, zischte sie, ehe sie über Nyphai hinwegstieg und in Tarims Zimmer verschwand.

-40-
Irgendwo, an einer anderen Stelle der Welt, krachte eine schwer gepanzerte Hand donnernd auf die steinerne Armlehne eines wuchtigen Thrones. Die schwere Stimme des Hünen, zu dem die Hand gehörte, zitterte vor Wut, als er seiner Enttäuschung Ausdruck verlieh. „Cipher, ich dulde kein Versagen!“
Der Mann, den der Herrscher angesprochen hatte, sah mit demütigem Blick auf. „Ich weiß, Lord Bale.“ Seine Stimme war leise, schwach, aber doch auf eine gewisse Art und Weise mächtig. Die kleinen grünen Augen des nicht gerade großen Mannes funkelten vor wahnsinnigem Genie und seine schwarze Robe war über und über mit okkulten Symbolen verziert.
Lord Bale, der Mann auf dem Thron, war das krasse Gegenteil zu dem Magier Cipher. Er maß über zwei Meter, war überaus muskulös und seine grauen Augen zeigten nur eines: gnadenlose Härte und Stärke. „Ich brauche keinen Magier, der unfähig ist, solch einfache Dinge zu verrichten.“
Cipher nickte bedächtig. „Meister, natürlich nicht. Es wird mir nicht noch einmal passieren. Ich hatte nicht mit einer so starken Abwehr gerechnet. Ich werde euch so schnell wie möglich neue Informationen liefern.“
„Nein.“
„Meister?“
Der hünenhafte Krieger erhob sich von seinem Thron und ballte seine gepanzerte Rechte zur Faust. „Was interessiert mich denn diese Heilerin? Ich will Zeniken und wenn sie sich mir in den Weg stellt, werde ich sie zerschmettern.“
„Lord Bale, eine Gefahr für unsere Pläne geht von dieser Frau aus. Um sie herum scharrt sich gerade eine Gruppe starker Kämpfer.“
Der Herrscher wirkte nicht erfreut über diesen Einwand, als er fortfuhr. „Dann sorge dafür, dass sich das ändert. Du wirst persönlich nach Zeniken gehen und von dort aus Jagd auf diese Maden machen. Währenddessen werde ich die Legionen um mich scharen. Wenn Zeniken erst einmal in unserer Hand ist, werden wir bald diesen ganzen Landstrich beherrschen.“
Cipher nickte. „Wie ihr gebietet, mein Meister. Ich bin schon fast dort.“
„Natürlich, Cipher.“, antwortete Lord Bale. „Entweder das oder ich lass dich von den Dämonen fressen. Achja ...“ Der mächtige Krieger zögerte. „Sind nicht auch zwei gefallene Engel bei dieser Heilerin?“
„Ja, mein Meister. Lana und Tarim, sie stehen im Dienste Zenikens.“
Lord Bale trat auf gepanzerten Füßen an Cipher heran, griff ihn am Hals und hob ihn hoch. „Dann sorg dafür, dass sich das ändert, ich will diese Engel unter meinen Truppen wissen.“
„Wie ihr gebietet.“
„Dann verschwinde, Magier, ehe ich dich doch noch für dein Versagen hinrichte.“
Cipher nickte, griff nach seinem Zauberstab und murmelte ein paar seltsame Worte, bevor er sich in Rauch auflöste und verschwand. Lord Bale grinste zufrieden. Bald würde Zeniken ihm gehören und danach das schwarze Herz.



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 05.06.2005 um 22:09:

 

Verhasst, Verdammt, Verfolgt

-41-
Der junge Mann ließ sich Zeit beim Ankleiden. Gerade hatte er sich rasiert, gewaschen und seine schulterlangen Haare zu einem akkuraten Zopf gebunden, nun ging er bei der Auswahl seiner Gewänder ebenso ruhig und sorgsam vor. Nach einigem Nachdenken entschied er sich für eine bequeme schwarze Hose und ein schlichtes weißes Hemd, die ihm volle Bewegungsfreiheit gewährten. Darüber warf er einen schwarzen Mantel, der bis auf den Boden reichte und in einer weiten Kapuze endete, die sein Gesicht komplett verdecken konnte. Statt allerdings diese Kapuze ins Gesicht zu ziehen, griff er nach einem breitkrempigen schwarzen Hut, der so wie der Rest der Kleidung komplett unverziert war.
Mit einem beinahe überheblichen Lächeln musterte er sich in dem absolut sauberen Spiegel und nickte dann zufrieden, ehe er ein großes Zweihandschwert an einen Gürtel befestigte und sich diesen um die Hüfte band.
Anschließend verstaute der junge Mann dutzende Schriftrollen, Fläschchen und sonstige Utensilien in den vielzähligen Taschen seines Mantels, ehe er sich zur Zimmertür wandte und hinaustrat auf die Straßen Zenikens.
Mit ruhigem und entschlossenem Gesichtsausdruck ließ er sich von seinen Füßen in Richtung des Palastes tragen. Trotz seiner auffälligen Kleidung nahmen nur wenige Leute Notiz von ihm, die Bevölkerung der einst prächtigen Stadt hatte seit der Schlacht gegen die Truppen Tychons viel erlebt und eine Menge seltsamer Gestalten gesehen, einige von ihnen sogar mit Flügeln, so dass der junge Mantelträger nicht wirklich deplaziert wirkte.
Dank diesen Umständen erreichte er den Haupteingang des Palastes und seine beiden Torwächter ohne einen Verdacht auf sich zu lenken, zumal der weite Mantel selbst das gewaltige Schwert verschwinden ließ.
„Halt!“, blaffte eine der Wache, ein hochgewachsener und breitschultriger Krieger. „Wer seid ihr?“
Der junge Mann musterte den Wächter aus dem Schatten seiner Hutkrempe heraus. „Ich bin jemand, der Einlass verlangt.“
„Ihr dürft den Palast nicht betreten, außer ihr habt eine Vorladung von Duke Domail!“
Ein leises Seufzen beantwortet das ruppige Verhalten des Wachsoldaten. „Ich brauche keine Einladung.“, folgte dann schließlich die Antwort.
Die beiden Wächter sahen die Bewegung nicht einmal, als der Unbekannte sein Schwert zog und die gewaltige Klinge mit erstaunlicher Leichtigkeit durch die Körper der beiden Männer trieb. Noch bevor die Oberkörper sich von den Unterkörpern gelöst und auf dem Boden aufgeschlagen waren, ruhte die Klinge wieder unter dem Mantel des jungen Mannes und mit einem enttäuschten Kopfschütteln durchschritt er die Pforte.
Auf dem Vorplatz des Palastes brach Panik aus, aber die Aufregung des gemeinen Volkes drang nicht bis in das kühle und schattige Innere der Herrscher-Anlage. Mit zügigen, aber keineswegs hektischen Schritten durchquerte der Mantelträger das Wach- und Torhaus und trat in den Innenhof der Anlage, wo er sich zielstrebig dem Haupthaus zuwandte, ohne größeres Aufsehen zu erregen. Bis die Neuigkeiten vom Tod der Torwächter in den Innenhof vorgedrungen waren und Alarm geblasen wurde, war er schon in der Eingangshalle des eigentlichen Schlossbaues. Dieser Teil der Anlage war eher eine Festung, denn eine Residenz, was daher kam, dass jener Haupttrakt weit älter war, als die recht jungen Außenanlagen.
Wachen eilten an dem jungen Mann vorbei, ohne Notiz von ihm zu nehmen und als die ersten Soldaten ihm verwirrte Blicke im Vorbeigehen zuwarfen, wich er ein wenig zur Wand und verschmolz fast komplett mit den Schatten.
Immer noch unbehelligt erreicht er das Amtszimmer des Statthalters von Zeniken und die Wachtposten vor diesem Zimmer.
„Meine Herren, ich würde gerne mit Duke Domail reden.“ Aus den Tiefen seines Mantels förderte er ein Schreiben zu Tage. „Hier ist meine Vorladung.“
Einer der Wächter nahm sich des Schreibens an und las es gründlich und aufmerksam durch, bevor er nickte und die Tür öffnete. „Sie dürfen passieren.“
„Danke.“
Als sich die Tür hinter dem Unbekannten mit einem dumpfen Dröhnen schloss, sah Duke Domail auf. Er war alleine in dem großen Zimmer, dass dem Thronsaal nicht unähnlich war und tatsächlich als ein Ausweichthronsaal gedacht war. Verwirrung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Wer seid ihr?“
„Ich bin Tomaz. Und nein, ihr kennt mich nicht.“
„Und was wollt ihr von mir?“ Der Statthalter gab sich spürbar gereizt und genervt.
Tomaz zog sein Schwert mit einem leisen Sirren und lächelte. Seine Augen lagen zwar im Schatten des Hutes, trotzdem durchbohrte sein Blick Duke Domail. „Deinen Kopf, Mensch!“
Der Statthalter schrie um Hilfe und zog ebenfalls ein Schwert, was in seinen Händen aber ziemlich lächerlich wirkte, merkte man ihm doch sofort an, dass er nie gekämpft hatte.
Tomaz sprang über einen Schreibtisch, wirbelte einmal um die eigene Achse und trennte den Kopf des anderen Mannes mit einem Schlag von seinem Rumpf. Noch während die blutige Trophäe in der Luft war, wechselte der junge Mann das Schwert in die Linke und griff mit der freigewordenen Rechten nach den Haaren des Statthalters.
Als nur einen Augenblick später die alarmierten Wachen in den Saal stürzten, fanden sie das Zimmer leer vor, abgesehen von dem kopflosen Leichnam des Statthalters, der mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Beinen wie ein Kreuz vor dem Thron lag.

-42-
„Tot?“
„Ja. Tot. Das ist irgendwo eine Stufe weiter, als ich es bin.“, antwortete Lucius dem Kronprinzen geduldig. „Vor seinem Thrönchen enthauptet, der Körper wie ein Kreuz ausgebreitet.“
Karl zwirbelte seinen Kinnbart und setzte seine unruhige Wanderung fort, die er aufgenommen hatte, als der Vampir ihm vom Tode Duke Domails berichtet hatte. „Der Mörder?“
„Nicht gefasst. Die Wachen sprechen von einem jungen Menschen, langer Mantel, breiter Hut. Mehr ist nicht bekannt.“
„Können wir den Mörder als Freund einstufen?“, hakte der junge Adlige nach. „Oder will er selber nach der Krone greifen?“
Der Vampire zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Wenn er auf den Thron wollte, dann hätte er sich offenbart. Aber man tötet einen Regenten nicht nur, weil man es kann. Tatsache ist aber, dass sich uns hier eine Chance bietet, euch wieder auf den rechtmäßigen Platz zu setzen. Die Gelegenheit könnte nicht günstiger sein, Prinz Karl.“
„Ich weiß nicht, Lucius. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“
„Ich auch nicht, aber wir können diese Gelegenheit nicht ausschlagen. So leicht haben wir es nie wieder.“, drängte der Vampir.
Karl seufzte leise. „Das ganze riecht, nein stinkt nach einer Falle. Unser Gegner ist plötzlich besiegt und sein Henker verschwunden. Die Tür steht soweit offen, dass jeder Dummkopf hindurchgehen könnte.“
„Dann ist es an uns, sie zu schließen, mein Prinz.“
Seufzend blieb der Thronfolger stehen und sah den Vampir an. „Ich habe Angst vor dem, was hinter der Tür auf mich lauert. Dieser Mord ... das sieht mir zu sehr nach Fanatismus aus. Womöglich stecken sogar diese Engel dahinter.“
„Jene Engel sind immer noch durch einen Eid an euch gebunden. Wenn sie es waren, die den Duke erschlagen haben, dann solltet ihr erleichtert sein.“
Karl rieb sich über die Stirn, das ansatzweise paranoide Denken der letzten Stunde begann, sich in stechenden Kopfschmerzen zu offenbaren. „Selbst Engel entkommen nicht ungesehen aus einem Zimmer mit nur einem Ausgang.“
Der alte Vampir zuckte erneut mit den Schultern. „Das stimmt. Aber solange wir nicht wissen, was hinter dem Mord steht, können wir nicht darauf reagieren. Aber jetzt ist für uns die Zeit, zu handeln. Wichtigere Ziele müssen erfüllt werden. Zeniken braucht einen Herrscher und dafür kommt nur der tot geglaubte Kronprinz in Frage. Das Volk trauert noch immer um euch und euren Vater, noch könnt ihr ihre Herzen für euch gewinnen.“
„Du hast Recht. Ich werde handeln. Noch heute. Trotzdem nagt Sorge an mir.“
Seufzend erhob Lucius sich und trat an Karl heran, um ihm seine Rechte auf die Schulter zu legen. „An mir auch.“ Er nahm die Hand herunter und ging zur Tür. „Ich werde Vorbereitungen für eure wundersame Rückkehr treffen, bereitet euch gut vor, mein Prinz.“ Mit diesen Worten verschwand der Vampir und ließ Karl mit seinen Gedanken alleine.

-43-
Die untergehende Sonne badete Lanas schlanken Körper in ihr warmes Licht und ihre Strahlen brachen sich an ihren schwarzen Haaren und den mächtigen Schwingen, die unbewegt zu Boden hingen. Tarim, der die vertraute Gestalt und den Anblick einfach stillschweigend genoss, erinnerte sich an jenen Sonnenuntergang, bevor alles angefangen hatte. Lana hatte damals Angst gehabt, er war ihr Beschützer gewesen. Die folgenden zwei Wochen hatten alles verändert. Und sie standen erst am Anfang ihrer Reise, befürchtete er.
Das schwarze Herz war nicht vernichtet worden, in Zeniken regierte ein Despot, der nicht einmal wusste, wie gefährlich das Artefakt war und zu allem Überfluss hatten sie die ganze Region gegen sich.
Am meisten aber machte Tarim etwas anderes zu schaffen. Lana hatte sich seit damals verändert. Sie war jetzt selbstbewusster, stolzer und abgebrühter. Sie hatte ihn an Willenskraft und Entschlossenheit übertroffen und holte seinen Rat immer seltener ein. Tarim fühlte sich aus seiner Rolle als Beschützer verdrängt und irgendwie nutzlos. Er seufzte.
Als Lana sich umdrehte und ihn musterte, trat er zu ihr und schlag seine Arme um ihre Taille. „Es ist wunderschön, oder?“, fragte sie und ihre violetten Augen funkelten im Glanz längst vergangener Tage.
Er nickte. „Genauso, wie du. Aber leider bin ich diesmal nicht deswegen hier.“
„Oh?“ Die Gefallene wirkte ehrlich überrascht und der Schimmer in ihrem Blick wich Neugier und Misstrauen.
„Christina ruft alle zusammen, sie möchte etwas mit uns besprechen.“
„Und was?“
Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, das wird sie uns aber gleich sagen. Komm mit.“
„Geht schlecht. Du hältst mich fest.“ Sie grinste leicht, aber es gelang ihr nicht so richtig. Tarim ließ sie aufstehen und als sie neben ihn trat, legte er einen Arm um ihre Schulter.
„Weißt du, Lana ...“
„Hm?“
„Die letzten Tage waren recht verwirrend, findest du nicht auch?“
Sie sah ihn nicht an, stattdessen schweifte ihr Blick in die Ferne und fixierte einen Punkt, den nur sie sehen konnte. „Ja, das waren sie. Nichts ist mehr wie früher und doch ist noch alles beim Alten. Das ist es, was du meinst, oder?“
Seufzend nickte der ältere Engel und dann legten sie den Rest des Weges schweigend zurück. Die anderen erwarteten sie bereits. Nyphai musterte die Gefallenen mit offenkundigem Hass, Rasheem schien mit seinen Gedanken in weiter Ferne zu weilen und Makkara, der Katzenmensch, maß Lana mit einem Blick, der direkt in ihre Seele zu gehen schien. Ihr fröstelte.
Normal wirkten lediglich Christina, die junge Klerikerin und Sheila, die Lana als eine Gesandte der Götter einstufte. Die junge Menschenfrau lächelte leicht. „Dann sind ja alle zusammen. Das ist schön. Ich habe einen Auftrag für euch.“

-44-
Lucius war kaum mehr als ein Schatten, als er zum Palast huschte. Er war ein Geschöpf der Nacht und als solches voll in seinem Element. Nicht einmal der strahlende Vollmond änderte daran etwas.
Die Straßen lagen wie ausgestorben da. Kein Wunder, dachte sich der Vampir, waren doch immerhin viele Bürger der Stadt im Krieg gefallen. Und der Rest, setzte er seinen Gedanken fort, fürchtete die Dunkelheit mittlerweile mehr als den Tod. Gerüchte gingen um von schrecklichen Kreaturen, von Räubern und Engeln. Jedes einzelne Gerücht sorgte für eine Atmosphäre der Gespanntheit in der einst stolzen Stadt. Alle zusammen sorgten für pure Panik in den Köpfen der Bürger.
Erfahren, wie er war, machte Lucius sich wenig Gedanken um das Gerede des normalen Volkes. Seine Sorgen waren anderer Natur. Duke Domail war tot und so gut das auch für seine Ziele war, irgendjemand rannte umher, der ungesehen den Herrscher töten konnte und das stellte eine enorme Gefahr dar.
Der Vorplatz des Palastes war in silbriges Mondlicht getaucht, die Blutlachen der beiden erschlagenen Wächter waren genauso entfernt worden, wie der Dreck, den die Menschenmasse produzierte, die täglich hier ein und aus ging. Lucius ließ sich am Ende eines Dachfirstes wieder und sah auf die friedliche Szenerie hinab. Die einzigen Lebenszeichen dort unten gaben die beiden Palastwächter von sich, die sichtlich nervös waren. Verständlich.
Als er nichts verdächtiges erkennen konnte, sprang Lucius ungesehen und ungehört die zehn Meter in die Tiefe und landete ebenso verborgen vor neugierigen Beobachtern.
Im Schatten der hohen Gebäude, die den Platz säumten, stahl er sich über das unebene Kopfsteinpflaster bis zum Haupteingang. Er stand fast direkt neben einem der Wächter, aber da er nicht atmen musste und auch sonst ruhig war, nahmen diese ihn gar nicht wahr.
Ohne auch nur Notiz von ihm zu nehmen, ließen sie den Vampir über das niedrige Dach der Palastpforte huschen.
Der Weg durch den Palast zum Büro des amtierenden Verwalters Zenikens erwies sich als ausgesprochen einfach, kein einziger Wächter begegnete Lucius und selbst vor Domails Amtszimmer befand sich keine Wache mehr. Es gab dort ja auch nichts mehr zu bewachen.
Seufzend fragte sich der Vampir, was er überhaupt hier suchte und was er sich davon erhoffte, hier herumzustöbern, aber nun war er hier und ein Blick in den Raum konnte nichts schaden.
Er öffnete behutsam die Tür und schlich sich in das Zimmer.
Nur knapp entkam er dem Schwerthieb, der genau dort ins Holz fuhr, wo noch einen Lidschlag zuvor sein Hals gewesen war.
Lucius verschwendete keine Zeit darauf, den Angreifer anzugucken, sondern rollte sich ab und unter einem Tisch hindurch. Er vernahm das Geräusch eines abspringenden Menschen und handelte aus Erfahrung richtig, indem er sich zur Seite warf. Das Schwert des Unbekannten schlug Funken, als es ihn nur um Millimeter verfehlte und über den Steinfußboden fuhr.
Diesmal nutzte der Vampir seinen Schwung, um seinerseits abzuspringen und in einen Rückwärtssalto zu gehen, während dem er seine eigene Waffe zog. Seine Klinge war sicher nicht so breit und lang wie das mächtige Schwert seines Kontrahenten, aber nicht weniger tödlich.
Sein Instinkt warnte ihn davor, nach seinem Rettungssprung nicht zu verharren und er gab dem drängenden Gefühl nach und rollte sich direkt rückwärts ab, als seine Füße wieder den Boden berührten. Diese Bewegung brachte ihn unter einen anderen Tisch. Statt aber auf der anderen Seite hervorzutauchen, spannte er seine Muskeln an und bremste unter größter Mühe seinen Schwung ab, um dort wieder emporzuschießen, wo er unter den Tisch gerollt war.
Zum ersten Mal in diesem kurzen Kampf hatte er die Überraschung auf seiner Seite. Sein Gegner stand auf dem Schreibtisch, gekleidet in einen langen Mantel und einen breiten Hut tragend. Beide Kleidungsstücke mussten ihn ungemein bremsen, Lucius wollte gar nicht wissen, wie schnell der Mann ohne sie sein konnte.
Für längere Gedanken blieb keine Zeit, der Vampir nutzte seinen Überraschungsmoment und führte sein feingeschliffenes Schwert mit einem flachen Stoß gegen die Kniekehlen seines Widersachers.
Dieser reagierte blitzschnell, wirbelte herum und fing den Angriff weit vor seinem Ziel ab.
Mit einem hellen Klirren traf Großschwert auf Langschwert und ein stummes Kräftemessen setzte ein.
Die Waffen vibrierten unter der enormen Spannung, als die beiden erfahrenen Kämpfer ihre gesamte Kraft in dieses Duell investierten.
Schließlich zog der Fremde seine Waffe zurück und auch Lucius ging auf Abstand.
„Ihr seid ein vorzüglicher Kämpfer, Lucius.“
Der Vampir zeigte sich überrascht. „Ihr wisst, wer ich bin?“
„Ich weiß einiges über euch. Das ist der einzige Grund, aus dem ihr noch am Leben seid.“
Mehr aus Trotz, als aus Überzeugung schüttelte der Angesprochene den Kopf. „Ihr mögt gut sein, aber mich zu erledigen, dürfte euch schwer fallen.“
„Ich sehe euch an, dass ihr das nicht einmal im Ansatz glaubt. Wie dem auch sei, ich habe nicht viel Zeit für Konversationen. Ich will es kurz machen.“ Er steckte sein Großschwert weg und zur blanken Fassungslosigkeit des Vampirs verschwand es komplett unter dem Mantel. „Ich bin Tomaz, ich bin hier, um Ordnung zu schaffen. Ich habe den Platz für den Prinzen geräumt und ich werde dieser Plage ein Ende setzen, die von den gefallenen Engeln und dem schwarzen Herzen ausgeht.“
„Das klingt etwas sehr selbstlos.“
„Ist es nicht. Ich stehe im Dienste von Mächten, die ihr euch nicht einmal erträumen kennt. Falls es euch hilft, ich bin so etwas ähnliches, wie ein Inquisitor der großen Tempel. Aber das erfasst meine Tätigkeiten und mein Können nicht einmal im Ansatz.“
Lucius verstaute sein Schwert wieder und nickte. „Ihr seid mir suspekt, aber ich schätze, ich kann die Chance, die ihr Prinz Karl bietet, nicht einfach ignorieren.“
„Tut, wie ihr für Recht haltet. Ich gehe jetzt das Böse vernichten.“ Mit diesen Worten zog er den Hut etwas tiefer ins Gesicht und verschwand aus dem Raum, einen verwirrten Vampir zurücklassend.



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 09.03.2006 um 13:49:

 

Aufbruch

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Zur gleichen Zeit, zu der Lucius im Palast dem Inquisitor entgegentrat, bemerkte ein Wächter am Südtor der Stadt eine Gestalt, die sich aus dem Nebel schälte und, über einen Wanderstock gebeugt, auf die Kontroll-Stelle zukam. Diese Gestalt entpuppte sich als alter Mann, mit einem Rücken, den die Last der Jahre gebeugt hatte und einem Gesicht, dass ausgemergelt und erschöpft wirkte. Lediglich die Augen des Alten versprühten noch Lebensgeist und innere Stärke.
„Haltet ein, Fremder!“, forderte der Wachsoldat und sein Kamerad hob nun den Kopf, erblickte den Wanderer und gesellte sich dazu. „Was führt euch mitten in der Nacht zu dieser Stadt?“
„Meine alten Knochen trugen mich nicht so schnell, wie ich erhofft hatte.“, begann der Fremde mit brüchiger Stimme. „Darum meine späte Ankunft. Ich wünsche nicht mehr, als Einlass in Zenikens schützende Mauern.“
„Wir dürfen das Tor so spät nur noch für Leute öffnen, die einen Passierschein mit sich führen.“, antwortete der zweite Wächter kühl. „Ihr werdet die Nacht vor der Stadt verbringen müssen.“
„Aber draußen ist es gefährlich.“, merkte sein Kamerad an. „Seltsame Kreaturen treiben dort ihr Unwesen.“
„Dann hätte er eben bei Einbruch der Nacht ein Gasthaus aufsuchen sollen.“, wies der Wächter seinen Einwand ab. Er schien der ältere und ranghöhere zu sein, denn sein Kollege fügte sich.
Mit einem Seufzer trat der Alte einen Schritt näher und schien sich noch tiefer zu beugen. „Habt ihr denn kein Mitleid mit einem alten Mann?“
Der Soldat, der ihn zu erst erblickt hatte, schien etwas sagen zu wollen, aber er kam nicht dazu.
„Doch, haben wir, aber wir haben auch eine Pflicht zu erfüllen.“, antwortete der andere Mann für ihn. „Woher kommt ihr so spät überhaupt noch?“
„Aus Waldheim.“
„Eine lange Reise für einen alten Mann.“, kam die Antwort. Waldheim was die nächste größere Ansiedlung südlich von Zeniken und lag, wie der Name es schon vermuten ließ, an einem großen Wald, in dem angeblich Nachtelfen lebten. In Waldheim lebten weniger als tausend Männer und Frauen und ein gesunder, junger Mann benötigte für die Strecke von Waldheim nach Zeniken acht oder neun Stunden, der Alte hatte sicher das Doppelte gebraucht.
Der Fremde seufzte. Er murmelte ein paar Worte, dann öffneten die beiden Wächter mit stumpfen, abgehackten Bewegungen das Tor und ließen ihn passieren.
Nachdem er im Dunklen der nächtlichen Gassen verschwunden war, wunderten sie sich, warum sie das getan hatten, schlugen aber keinen Alarm. Der Wachhauptmann wäre alles andere als erfreut gewesen.
Cipher verzog sein Gesicht unter der fleckigen Kutte zu einer enttäuschten Grimasse. Er hatte nicht schon so früh Magie einsetzen wollen, aber diese Tölpel von Nachtwächtern hatten ihn nicht passieren lassen wollen. Der Magier nahm sich vor, den Älteren dafür zu strafen, dass er kein Mitleid mit einem alten Mann gehabt hatte. Jetzt hatte er seine Mission schon in der ersten Stunde in Zeniken gefährden müssen. Wenn die Wachen Alarm schlugen, würde jeder einzelne Magier in der Stadt nach ihm suchen. Und noch war er zu schwach, um es mit der ganzen Stadt aufzunehmen. Erst einmal musste er Kontakte knüpfen und sich ein Netz aus Verbündeten zulegen, dann erst konnte er beginnen, Chaos zu verbreiten und die Stacheln aus dem Fleisch seines Herrschers zu ziehen.

-46-
„Inakzeptabel!“ Lana ignorierte die Betroffenheit in Christinas Blick. „Was habe ich davon? Das schwarze Herz stellt keine Gefahr für mich dar.“
Die Heilerin schüttelte den Kopf. „Das schwarze Herz bedroht alle. Außerdem schuldest du mir einen Gefallen.“
„Pah!“ Die Gefallene verzog ihr Gesicht in blankem Spott. „Ich habe dich nicht darum gebeten, Tarim zu heilen. Ich schulde dir gar nichts. Und ich sehe immer noch nicht, warum das schwarze Herz eine Gefahr für mich darstellt.“
„Weil es uns zurück in die Knechtschaft führt.“, stieg Tarim in die Diskussion ein. Er war es leid, dass die beiden Frauen sich so erbittert bekämpften. Für ihn gab es genug Gründe, das mächtige Artefakt zu vernichten. Es hatte ihn unterworfen, nun war er auf Rache aus. Außerdem stärkte es die bösen Kräfte und das hieß, ein dunkler Herrscher würde schon bald wieder versuchen, die beiden gefallenen Engel unter seinen Befehl zu zwingen und er hatte sich gerade an seine neugewonnene Freiheit gewöhnt. „Lana, das schwarze Herz steht uns im Wege, wenn wir in Freiheit weiterleben wollen.“
Widerwillig musste sie ihm zustimmen. „Vermutlich hast du Recht. Aber ich sehe trotzdem nicht ein, warum wir diese ganzen Sterblichen mitnehmen müssen. Das bremst uns nur aus.“
„Weil ihr alleine nicht die Kraft habt, die Zauber zu lösen, die auf dem Stein ruhen.“, betonte Christina erneut die Wichtigkeit eines Einsatzes als Gruppe.
Nyphai, die bis dahin noch nichts gesagt hatte, sah auf und musterte Lana mit loderndem Hass. „Lass sie doch ziehen, Christina. Dann sind wir diese Plage los und können uns den wichtigen Dingen zuwenden.“
„Auf keinen Fall. Ohne die Engel kommen wir nicht einmal bis zu der Höhle.“, mischte sich nun auch Rasheem mit ein.
„Warum habt ihr das Herz überhaupt dort gelassen?“, ereiferte sich Makkara. „Wenn es jetzt hier wäre, wäre die Sache längst beendet.“
Rasheem donnerte mit der Faust auf den Tisch. „Glaubst du, wir hätten daran nicht schon gedacht? Aber ein intelligentes magisches Artefakt von der Kraft kannst du nicht einfach so mitnehmen. Es hätte seinen Träger in den Wahnsinn getrieben.“
„Du hast gar keine Ahnung, was Wahnsinn überhaupt ist.“, fauchte der Katzenmensch zurück. „Ich habe mein eigenes Volk sterben sehen und nur diese Gefallene vermag daran etwas zu ändern. Wenn sie geht, gehe ich mit ihr.“
Nyphai musterte ihn verächtlich. „Narr! Sie ist ein gefallener Engel, eine von den Bösen. Sie wird dich verraten und dein Volk erst an den Henker liefern.“
„Das wird sie nicht!“, beharrte Makkara auf seinem Standpunkt. „Denn im Gegensatz zu dir bewies sie ihren Mut und ihre Stärke.“
Christina unterband eine Antwort, die Nyphai gerade in die Runde schleudern wollte. „Wenn ihr nicht zusammen arbeitet, geht ihr unter.“, prophezeite sie düster.
„Lächerlich! Ich habe Jahrhunderte alleine überlebt und schon mehr als eine Situation gemeistert, die bei weitem gefährlicher war, als das hier.“, fuhr Lana sie an, ihre violetten Augen mit Zorn und Verachtung gefüllt. „Und ich werde auch dann noch leben, wenn ihr alle schon zu Staub zerfallen seid!“
„Überleben heißt nicht siegen.“, knurrte Rasheem. „Das schwarze Herz sucht immer willenlose Sklaven.“
Tarim schüttelte den Kopf und erhob sich. Er war diesen Streit leid. Energisch trieb er seine Faust durch die Holzplatte des Tisches und sicherte sich so die Aufmerksamkeit der Anwesenden. „Wenn sich jetzt vielleicht alle Leute aus dieser Runde wieder vernünftig benehmen würden, anstatt sich in kindlichem Trotz zu ergehen, wäre ich froh, wenn man mir einen Augenblick zuhören würde.“ Seine Ruhe und die Wahrheit hinter seinen Worten wirkten Wunder und tatsächlich wurde es still am Tisch. „Wie es scheint, müssen wir wirklich zusammen arbeiten. Egal aus welchen Motiven, wir müssen das schwarze Herz vernichten und wenn das eben nur zu fünft geht, dann lässt sich das nun einmal nicht ändern. Danach könnt ihr euch gerne alle umbringen, das ist mir herzlich egal, aber jetzt sollten wir uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir vorgehen wollen.“
Eine halbe Stunde später hatte die Gruppe unter Tarims Leitung einen halbwegs akzeptablen Plan erarbeitet. Noch zwei Mal musste er einen aufflammenden Streit beenden und auch nachdem die übrigen fünf Personen den Raum verlassen hatten, waren sie nicht kameradschaftlicher als vorher. Es würde eine harte Aufgabe werden, wenn sie nicht endlich an einem Strang zögen.
„Ich bin beeindruckt.“, ertönte eine Stimme hinter ihm. Sheila. „Wenigstens einer der besten Krieger dieser Region stellt seine Erfahrung unter Beweis.“
Tarim hatte die Gesandte der Götter ganz vergessen. Sie hatte kein einziges Wort gesagt und sich auch sonst im Hintergrund gehalten, dass er ihre Anwesenheit irgendwann ignoriert hatte. „Ich bin diesen sinnlosen Streit satt.“, erklärte er schulternzuckend. „Das ist kindisch und unangebracht. Zumal wir einen gemeinsamen Feind haben.“
Das junge Mädchen nickte. „Du wirst die Gruppe zusammenhalten und leiten müssen, eine Aufgabe, um die ich dich nicht beneide. Aber ich habe etwas für dich, was sie dir erleichtern könnte.“
Fragend legte der Gefallene seinen Kopf schief.
„Komm mit, ich zeige es dir!“ Sheila stand auf und verschwand in einer Tür, von der Tarim hätte schwören können, dass sie vor einer Minute noch nicht dort gewesen war. Er trat hinter sie und folgte ihr und als er sah, was sie ihm vermachen wollte, fehlten ihm vor Staunen, Entsetzen und Verlangen die Worte.

-47-
Misstrauisch musterte Makkara die Nachtelfe, welche mit verkniffenem Gesicht ihre kleine Habe zusammenpackte und sich auf den Marsch vorbereitete. Sie schnürte ihr Gepäck zu einem Bündel, legte ein Kurzschwert dazu und ihren Langbogen. Dann machte Nyphai sich daran, ihre Pfeile zu überprüfen und arbeitete hier und da mit aufgesetzter Konzentration an scheinbaren Fehlern.
Der Katzenmensch kannte dieses Verhalten. Leute, die sich so benahmen, hatten schwere Zeiten hinter sich, waren unzufrieden und, was ihn mehr belastete, instabil und eine Gefahr für Freund und Feind gleichermaßen. In seinen Händen lag das Überleben seines Volkes und er konnte nicht riskieren, dass diese Elfe in ihrer Verblendung alles ruinierte, weil sie die Auserwählte erschlug.
Für den Moment konnte er nicht viel tun, aber er beschloss, sie im Augen zu behalten.
Eine Hand legte sich von hinten auf seine Schulter und Rasheems Stimme drang in seine empfindlichen Ohren. „Habt ihr schon gepackt, Seher?“, fragte der stämmige Krieger ruhig und als Makkara sich umdrehte, überraschte ihn die Ruhe in den Augen des Menschen. Erst dann fiel ihm auf, dass Rasheem ihn in der Sprache der Katzenmenschen angesprochen hatte.
„Ich besitze nichts, Drachentöter.“, gab er genauso ruhig zurück, ebenfalls auf seiner Heimatsprache.
Rasheem zog eine Augenbraue hoch. „Woher wisst ihr davon?“
„Woher beherrscht ihr meine Sprache?“, konterte der Prophet. „Ich bin ein Seher und diese Tat liegt nicht lange zurück. Es war nicht schwer.“
Nyphai beäugte die beiden misstrauisch und man sah ihr an, dass sie nicht ein einziges Wort von dem verstand, was die zwei Männer auf der seltsamen Sprache sagten.
„Sie soll es nicht verstehen, was ihr zu sagen habt, oder?“
Der Mensch nickte. „Ich mache mir Sorgen um sie. Um sie und um die Gefallene. Böse Absichten liegen in der Luft und ich muss kein Seher sein, um dies zu erkennen.“
„Sie wird uns verraten.“, antwortete Makkara.
„Habt ihr das gesehen?“
Der Katzenmensch schüttelte den Kopf. „Nein, das ist nur eine Vermutung.“
Nachdenklich musterte der Mensch den Propheten und zuckte dann mit den Schultern. „Ich verstehe eure Not, aber seid nicht zu sehr auf Lana fixiert. Nicht für den Augenblick, da wir zusammen stehen oder getrennt fallen. Wenn euer Kopf kühl ist, bringt er uns sicher mehr, als er es erzürnt täte.“
„Weise Worte.“, antwortete Makkara leise. „Beherzigt sie selber, Drachentöter, dann können wir Tarim unterstützen.“
Rasheem nickte und wandte sich ab. Damit beendete er die Unterhaltung und ließ den neugierig gewordenen Katzenmenschen alleine zurück mit einer Elfe, der man nur zu deutlich ansah, dass sie sich isoliert und verraten fühlte. Makkara befand, dass das vorerst nicht sein Problem war.

-48-
Schweißgebadet schreckte Lana hoch. Ihr langes Haar hing wirr um ihre vor blanker Panik verzerrten Gesichtszüge und ihr Atem ging schnell. In den Augen der Gefallenen spiegelte sich unfassbares Entsetzen wieder.
Von ihrer heftigen Bewegung wachte Tarim auf und begann, sich verschlafen aufzusetzen. Als er seine Freundin sah, die zitternd und verstört im Bett saß, nahm er sie in die Arme und schlang seine Schwingen um sie.
„Was ist los, Liebste?“, fragte er mit müder Stimme. Er hatte die Nacht vor ihrem Aufbruch durchschlafen wollen.
Lanas Stimme war brüchig, als sie antwortete. „Ich ... habe geträumt.“
„Geträumt?“
„Zumindest hoffe ich das.“
Tarims Stimme wurde fester, als er langsam in die Realität fand. „Was genau ist denn passiert?“
„Ich habe das Ende gesehen.“, antwortete Lana mit Grauen in der Stimme. „Ich meine das Ende von ... allem. Es war grausam. Überall war Feuer und Schmerz und Leid. Mehr als wir gewöhnt sind, mehr als wir aushalten können.“
„Aber wir sind gefallene Engel. Wir sind an Leiden gebunden.“
„Nicht in dem Sinne. Nicht in den Ausmaßen. Sogar die Gefallenen litten. Nur die Dämonen waren am Tanzen, aber auch ihr Tanz war gezeichnet von Qualen und Entbehrungen.“
Tarim konnte das Entsetzen nicht nachvollziehen, dass er in den Augen seiner Freundin sah. Seine Vorstellungskraft reichte einfach nicht aus, um zu begreifen, wir schrecklich ihr Traum gewesen sein musste. „Es war doch nur ein Traum.“, versuchte er, sie zu beschwichtigen.
„Es war so real. Ich hatte das Gefühl, das Feuer könnte mich in jedem Augenblick selbst verbrennen. Als wäre ich schon in den tiefsten Tiefen der Unterwelt.“ Langsam beruhigte sie sich und wischte das Ereignis schließlich mit einem Schulternzucken weg. „Erst dachte ich, es sei eine Vision, aber vermutlich hast du Recht. Es wird wohl nur ein Traum gewesen sein.“
Wenige Minuten später schliefen die beiden eng aneinander geschmiegt wieder ein. Ein harter Tag stand ihnen bevor.

-49-
Goldene Sonnenstrahlen umspielten Zeniken zum ersten Mal seit Tagen. Karl stand im Thronsaal und überprüfte zum siebten Mal an diesem Morgen seine Gewänder. Draußen, vor dem Balkon, hatte sich eine gewaltige Menge eingefunden, um ihren neuen König zu sehen, das Lärmen des Volkes drang bis zu ihm hinauf.
Erst vor einer Stunde war er zum König von Zeniken geschlagen worden und nun, während er sich darauf vorbereitete, zum ersten Mal an die Öffentlichkeit zu treten, fühlte er sich dieser Aufgabe endlich gewachsen.
Als die Glocken des Palastes mit dumpfen Schlägen seinen Auftritt anzukündigen begannen, kehrte in der Menge eine gespannte Ruhe ein.
Im Inneren des jungen Herrschers breitete sich diese Ruhe weiter aus, als er sich zu der Flügeltür drehte, die den Balkon vom Thronsaal abtrennte. Wie oft hatte er seinen Vater durch diese Tür treten sehen, wie oft hatte er die Jubelrufe des Volkes von hier drinnen gehört.
Die schweren Panzerstiefel seiner schimmernden Rüstung schepperten, als er seinen Schritt wagte. Das Schwert an seiner Seite klirrte leise in seiner Scheide und wie ein Schatten folgte ihm sein roter Umhang.
Als die Glockenschläge verstummt waren, stieß er die Doppeltür auf und trat hinaus ins Sonnenlicht. Jubel kam auf und steigerte sich zu einem Tosen, dass ihn für lange Augenblicke umspülte, ehe er schließlich die Hand hob.
Die Menge verstummte und Karl hob dafür seine Stimme.
„Bürger von Zeniken!“, begrüßte er die Menge, die er nun zum ersten Mal als sein Volk ansah. „Ab sofort regiert wieder ein rechtmäßiger König auf dem Thron eurer Stadt!“
Erneut jubelte das Volk, verstummte dann aber wieder in Erwartung einer Erklärung.
„Schwere Zeiten liegen hinter uns. Die Schlacht gegen die Dämonen und finsteren Mächte liegt nur kurz zurück, Königs Heinrich Tod ist immer noch schwer zu verstehen. Falsche Freunde betrogen mich um den Thron und hätten diese Stadt dem Untergang geweiht, aber das ist jetzt alles Vergangenheit! Ich verspreche euch, dass unsere Zukunft eine ruhige, friedliche Zeit wird, geprägt von Wohlstand und Fröhlichkeit!“ Lächelnd ließ er seinen Blick über das Volk schweifen. „Um diese Zeit zu begrüßen, ordne ich an, dass der Rest des Tages ein einziges Fest sein soll! Ich bezahle Bier, Wein und Speisen aus meinem eigenen Vermögen und zwar für alle! Auf jedem Marktplatz soll ausgeschenkt und verköstigt werden! Ein jeder Mann, eine jede Frau und ein jedes Kind soll essen, trinken und tanzen, soviel es kann!“
Donnernder Applaus, Jubel und fröhliches Geschrei waren der Lohn für diese kostspielige Großzügigkeit. Karl ließ die Menschen für einige Minuten toben, dann beruhigte er sie langsam wieder. „Nun geht und lasst die Sorgen für einen Tag nicht euer Leben bestimmen. Und ab morgen beginnen wir eine neue Zeit!“
Damit drehte er sich um und verließ den Balkon. Lucius wartete im Thronsaal auf ihn. „Gut gemacht.“, nickte er anerkennend.
„Danke, mein Freund. Ich wünschte, ich könnte mit euch feiern, aber ich befürchte, ich sollte mich sehr bald auf der Ehrentribüne sehen lassen.“
Der Vampir lachte. „Ja, es scheint so, mein König.“
Sie ahnten beide noch nicht, dass das Böse bereits wieder in der Stadt wanderte und dass der schwarze Magier Cipher das Fest nutzen würde, um Kontakte zu knüpfen und tonnenweise Informationen zu sammeln.

-50-
Als die ersten Sonnenstrahlen auf Lanas Gesicht fielen, blinzelte sie und wachte langsam auf. Sie streckte sich auf dem Laken und sah sich verschlafen um. Ihr Traum war nicht zurückgekehrt, sie hatte ruhig schlafen können.
Tarim anscheinend nicht, denn das Bett neben ihr war leer.
Lana fröstelte und wurde sich ihrer Nacktheit bewusst, als sie aus den Decken hervorkroch. Rasch schlüpfte sie in ihre Kleider und entfaltete ihre Schwingen, um sich ihrer vollen Beweglichkeit zu versichern. So nützlich Flügel sein konnten, als so unnütz erwiesen sie sich beim Schlafen.
Noch leicht schlaftrunken schnallte sie sich ihr Schwert um und strich sich eine Strähne ihres Haars aus der Stirn. Nach einer Katzenwäsche ging sie in die Küche, aus der es verführerisch nach einem üppigen Frühstück roch.
Und tatsächlich saßen alle derzeitigen Bewohner um die überladenste Tafel, die Lana je gesehen hatte. Sie nickte zum Gruß, fing sich einen hasserfüllten Blick von Nyphai ein und ließ sich neben Tarim auf den letzten freien Stuhl fallen.
„Greif zu!“, lud Christina sie ein. „Das muss alles weg. Ich breche nur wenige Stunden nach euch auf, um dem neuen König meine Aufwartung zu machen. Ich habe fast meine gesamten Vorräte auf diesem Tisch untergebracht.“
Lana nickte unwirsch und angelte sich eine Scheibe Brot und einen Apfel. „Neuer König?“
Tarim lächelte. „Prinz Karl sitzt auf dem Thron, der ihm rechtmäßig zusteht.“
„Das ist auch gut so.“, warf Rasheem ein, der für die frühe Stunde hellwach wirkte.
„So, ist es das?“ Lana sah dem Krieger ins Gesicht. „Er ist jung, unerfahren und seine Schwäche wird Mächte anlocken, die uns im Wege stehen könnten.“
„Eure Dämonen-Freunde?“, erkundigte Nyphai sich mit Abscheu in der Stimme.
Tarim sprang für die Gefallene ein. „Zum Beispiel die Dämonen, ja.“
Wissend lächelnd unterbrach Christina den sich anbahnenden Streit. „Ich werde noch heute nach Zeniken aufbrechen und Karl meine Hilfe anbieten. Er wird hoffentlich die Notwendigkeit unserer Sache erkennen.“
„Ihr wollt ihr informieren?“, fragte Lana empört. „Er wird uns jagen. Wir sind offiziell Feinde Zenikens.“
„Dann eventuell nicht mehr.“, meldete Makkara sich das erste Mal an diesem Morgen zu Wort. „Ich traue der Priesterin zu, den jungen König auf unsere Seite bringen zu können. Und Unterstützung durch die Stadt kann ja nicht schaden. Ganz im Gegenteil, Zeniken könnte sich als wertvoll erweisen.“
Lana, die Makkaras Wert als Verbündeter erkannt hatte, nickte dazu nur. „Ja, vielleicht habt ihr Recht.“, räumte sie ein. „Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass er alles erfahren muss.“
Ihr Geliebter legte ihr eine Hand auf den Arm und sah sie mit einem beruhigenden Blick an. Damit war das Thema beendet.

Zwei Stunden später, es war trotz der immer höher steigenden Sonne noch recht kalt, sammelten sich die fünf Abenteurer, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und nun das Schicksal des ganzen Landes in den Händen hielten.
Lana und Tarim trugen kein Marschgepäck. Weder Decken, noch Zeltbahnen, Essen oder ähnliches. Gefallene Engel waren schon immer ohne diese Dinge ausgekommen und solange etwas Zeit zum Holz sammeln und Jagen war, bekamen sie eine warme Mahlzeit zu Stande. Alles andere erbeuteten sie sich von Bauernhöfen.
Als Folge davon waren sie nur mit ihren Langschwertern belastet, wodurch noch nicht einmal ihre Flugfähigkeit eingeschränkt wurde. Gepaart mit ihrer übermenschlichen Ausdauer konnten sie eine scharfe Geschwindigkeit vorlegen.
Auch Makkara hatte nicht viel dabei. Er hatte sich tief in seiner Robe verborgen, nur seine Augen funkelten unter der weiten Kapuze hervor.
Nyphai trug ihren Bogen geschultert, ein Schwert hing an ihrer Hüfte. Dazu kam leichtes Marschgepäck. Ihre Zeit in einer Abenteurergruppe hatte sie gelehrt, nur das Nötigste mitzunehmen.
Rasheem hatte am schwersten zu tragen. Allein seine mächtige Armbrust wog wahrscheinlich mehr, als die Ausrüstung der anderen zusammen. Dazu kam ein Rucksack mit allem Notwendigen und ein gewaltiges Schwert. Da der Hüne aber, passend zu seinem Arsenal, groß und breitschultrig war, machte ihm die immense Last nicht viel aus.
Christina sah in die Runde und dann zu Sheila, die neben ihr stand. „Denkt unterwegs immer an euer Ziel. Wenn eure Feindschaft nicht bald ruht, dann werdet ihr scheitern.“, ermahnte sie die Gruppe, vor allem natürlich die beiden Frauen, noch ein letztes Mal. „Viel Glück!“
Reihum verabschiedete sie die Leute, die so lange unter ihrem Dach Schutz gefunden hatten.
Als sie sich zum Gehen wandten, trat Sheila zu Tarim und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er nickte knapp und schritt dann den anderen Voran ins Ungewisse.
Christina und Sheila sahen ihnen nach, bis sie im Wald verschwunden waren, dann sahen sie sich nachdenklich an. „Werden sie es schaffen?“, fragte die Heilerin.
„Ich hoffe es. Aber das liegt nicht mehr in unserer Hand. Du musst dich nun um Karl kümmern und ich kehre zu den Meinen zurück.“
„Dann wird auch dieser Ort hier vergehen.“
„Ich weiß. Aber es geht nicht anders.“
Christina lächelte. „Schade, ich habe mich hier irgendwie zu Hause gefühlt.“
Eine Stunde später war auch sie auf dem Weg und ihre Füße trugen sie immer weiter weg von dem Ort, der nach Sheilas Abreise immer schneller verblasste, als seine Magie mit ihr ging.



Geschrieben von Thorsten Kerensky am 07.01.2007 um 18:44:

 

Omen

-51-
Mit Panik im Blick jagte die junge Frau ihr Pferd vor dem heraufziehenden Gewitter her. Es war nicht mehr weit bis Waterfjord und von dort nur noch eine Tagesreise bis Zeniken, trotzdem schonte sie weder sich, noch ihr Reittier. Der Wind, der ihr langes Haar in ihr Gesicht peitschte, trieb mehr vor sich her als nur den Regen, der den Horizont hinter ihr schon wie eine graue Wand erscheinen ließ.
Die Reiterin wusste instinktiv, dass etwas ungeheuer Böses auf seinen unsichtbaren Schwingen ritt. Und es war hinter ihr her.
Sie war sich nicht sicher, ob das kleine Städtchen Waterfjord ihr Schutz gewähren konnte, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Zu dicht war die Masse der Gewitterwolken gerückt. Sie murmelte ein paar arkane Worte und hoffte, dass die Magie ihrer Ahnen ausreichen würde, um sie rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
Der Wind schien ihre Hoffnungen verhöhnen zu wollen und bemühte sich, noch heftiger an der schlanken Frau zu rütteln, als er es eh schon getan hatte.
Als die Mauern ihres Zieles in Sicht kamen, trafen erste Regentropfen die junge Frau. Schwer und drohend fielen sie, ganz anders als der Nieselregen ihrer Heimat, den sie gewöhnt war.
„Schneller, Hügelfeuer!“, flehte sie ihr Pferd an, dass gleich seiner Reiterin unruhig und voller Panik war.
Der Regen wurde stärker und erste Blitze fuhren in den Boden. Noch waren sie ein Stück entfernt, das entnahm die junge Frau der Zeit, die der grollende Donner brauchte, um dem Lichtbogen zu folgen. Aber sie kamen näher. Schnell, vielleicht zu schnell.
Dann, fast ohne es zu merken, erreichte sie Waterfjord. Sie zügelte ihr Pferd und kam direkt vor dem schweren Holztor zum Stehen. Die beiden Torwächter sahen sie erstaunt und überrascht an.
„Wer seid ihr und was begehrt ihr hier?“
Die junge Frau wandte sich zu der Wolkenfront um, die nun über ihr zusammenzuschlagen drohte. „Ich bin Fayria Himmelskind und ich begehre Einlass und ein Dach über dem Kopf.“
Einer der Torwächter lächelte. „Eine Elfe der hohen Häuser in unserer Stadt ... natürlich sollt ihr diesem Unwetter nicht ohne Schutz ausgeliefert sein. Wilbur, öffne das Tor! Rasch!“ Während der andere Wächter das Holztor mühsam aufzog, musterte sein Kamerad Pferd und Frau. „Ihr habt einen scharfen Ritt hinter euch. Sucht Gottfried auf, ihm gehört die Schänke ‚Drei Zigeuner’. Der Name täuscht, dieses Gasthaus ist das Beste der Stadt und hat vorzügliche Ställe. Sagt, dass Onar euch schickt, dann wird man euch Willkommen heißen.“
Fayria bedankte sich knapp und sprengte mit ihrem Hengst die verwaiste Hauptstraße hinunter, die, wie sie feststellte, direkt auf die ‚Drei Zigeuner’ zu führte.
Vor dem Wirtshaus zwang sie ihr Pferd zum Anhalten und schwang sich elegant von seinem Rücken. Beruhigend auf das eigensinnige Tier einredend, band sie es vor dem Steinbau fest. Zufrieden musterte sie die massive Bausweise ihrer Nachtstätte, ehe sie durch die Tür trat.
Der Regen hinter ihr entwickelte sich zu einer Sintflut und ein Windstoß trieb Wasser mit ihrer schlanken Gestalt durch den Eingang.
Die wenigen Menschen in der Schänke, größtenteils Männer, musterten sie überrascht und neugierig, aber nicht ablehnend.
„Ich suche Gottfried, den Wirt. Rasch.“, drängte Fayria.
Ein bulliger, aber freundlich wirkender Mann sah sie von der Theke aus an. „Das bin ich. Was führt euch zu mir, Elfenfrau?“
„Onar schickte mich zu euch. Ich brauche ein Zimmer für die Nacht und einen Platz in eurem Stall. Schnell, mein Pferd muss unter euer Dach.“
Ihr Flehen wurde erhört und Gottfried warf sich einen schweren Mantel über. „Das wird euch ein gutes Sümmchen kosten, Fräulein.“, grinste er, als er an Fayria vorbei zur Tür schritt.
„Über Geld können wir später reden.“ Die Elfe warf sich die Kapuze ihres Umhangs über und folgte dem Wirt nach draußen, sich gegen Wind und Wetter stemmend.
Nur wenige Minuten später saß die junge Frau am Kaminfeuer und entledigte sich ihrer durchnässten Kleidung, soweit der Anstand es ihr gestattete. Die Männer in der Schänke starrten sie mit unverhohlener Neugier an und auch wenn sich hier nicht der gewöhnliche Pöbel eingefunden hatte, schienen einige doch eindeutige Gedanken zu hegen.
Nur noch in einer engen Reithose und einer kurzen Bluse, die ihren flachen Bauch unbedeckt ließ, suchte Fayria ihren Geldbeutel aus ihrem nassen Umhang und warf dem Wirt gekonnt ein paar Münzen zu. „Das sollte reichen, nehme ich an.“
Der Wirt nickte. „Darf ich euch etwas zu trinken bringen? Einen heißen Tee vielleicht?“
„Ja, bitte. Und etwas Warmes zu essen wäre auch nicht verkehrt. Ich habe einen langen Ritt hinter mir. Euer Stallbursche kümmert sich um Hügelfeuer?“
„Euer Pferd ist bestens versorgt, Lady... wie war gleich euer Name?“
„Ich bin Fayria Himmelskind und komme, falls es jemand noch nicht bemerkt haben sollte, von den Hohen Elfenhaus der Himmelskinder.“
„Was führt euch in unser Städtchen?“, stieg einer der Gäste in die Unterhaltung ein. Die Elfe schätzte ihn als wohlhabenden Händler ein und ihr Gespür war in solchen Dingen vortrefflich.
„Ich suche Schutz vor dem Unwetter, einen Platz für die Nacht und morgen früh einen Händler, der meine Vorräte auffrischen kann.“
„Ihr habt Glück, ich bin Händler. Jacub ist mein Name. Ich handle mit allen Waren.“
Innerlich grinste die junge Frau, äußerlich aber blieb sie ruhig. „Ich komme morgen auf euch zurück, für heute wäre ich froh, wenn ihr mit Ruhe handeln würdet.“
Das Feuer und das Essen, das Gottfried bald auffuhr, machten die Elfe schläfrig und es dauerte nicht lange, da war sie auf ihrem Zimmer und schlief ruhig. Das Unwetter und die Gefahr, die von ihm ausging, hatte sie verdrängt.

-52-
Hektische Aktivität füllte die Hallen und Lärm und Licht raubten dem Offizier beinahe den Verstand, als er sich seinen Weg durch das Getümmel bahnte. Er war Lärm und Hektik von unzähligen Schlachtfeldern gewohnt, aber dieses chaotische Durcheinander trieb ihm den Schmerz hinter die Schläfen.
Rund um die Uhr produzierten hier hunderte, wenn nicht sogar tausende, Sklaven und niedere Dämonen Waffen, Rüstungen, Belagerungsgerät und was sonst alles benötigt wurde, um eine Armee auszurüsten.
Der Veteran ließ die Werkstätte hinter sich und bog in einen ruhigeren Seitengang ein, der von der hohen Halle direkt in die innere Burg führte. In diesem Bereich lagen die Quartiere der wichtigeren Personen. Magier, Offiziere, Dämonenfürsten und alles andere, was Rang und Namen hatte, ruhte hier in mehr oder weniger komfortablen Kammern.
Am Ende des Ganges lag das Herz der Burganlage. Lord Bales Thronsaal und die umliegenden Säle dienten der Planung, Organisation und Überwachung der gewaltigen Heerscharen, die hier zusammengestellt wurden.
Der Offizier wusste, dass sein Herr sich zu dieser Stunde beim Mahl befand und steuerte den Speisesaal des Generals an. Jeden Tag zu dieser Zeit musste der Mensch seinem Anführer melden, wie der Aufbau der Legion voran ging und welche wichtigen Ereignisse außerhalb der Burg passiert waren. Heute ging er ruhig und gelassen zu dem jähzornigen Bale, denn er konnte erfreuliches berichten.
Mit seinem gepanzerten Handschuh schlug er dreimal wuchtig gegen die Massivholz-Tür, ehe er die beiden Flügel aufstieß und in den Raum schritt. Er war eine imposante Gestalt, größer und breiter als die meisten Menschen, seine schlachterprobte Rüstung glänzte im Licht der kalten Mittagssonne und ein Fellmantel fiel von seinen Schultern wehend über seinen Rücken. An seiner Hüfte trug er ein mächtiges Schwert und sein voller Bart verbarg nicht den Ausdruck von Überlegenheit in seinem narbigen Gesicht.
Trotz dieser Erscheinung aber fühlte er sich neben dem sitzenden General winzig. Nicht dass Bale größer war als er oder beeindruckender gekleidet, es war vielmehr eine Aura der Macht, die von dem Chaos-Herrscher ausging.
„Mein Herr, ich stehe zu euren Diensten“, begrüßte der Offizier seinen kauenden Fürsten.
Lord Bale schluckte einen Bissen Fleisch hinunter und nickte. „Wie immer, Torkan. Auf euch ist Verlass. Berichtet!“
„Unsere Vorbereitungen gehen gut voran“, begann der Mensch, während der Anführer sich wieder seinem Essen zuwandte. „Zwei Regimenter Dämonen stehen unter eurem Befehl, unsere Söldnertruppen sind fast vollständig ausgerüstet und die Magier warten schon seit Tagen nur auf eure Anweisungen. Ciphers Abwesenheit schwächt sie nur geringfügig. Und heute morgen hat sich eine große Gruppe Dragoner unter euer Kommando gestellt.“
„Dragoner?“, unterbrach Bale. „Das ist gut, sehr gut sogar. Wann glaubt ihr, Torkan, können wir aufbrechen?“
Der Offizier zuckte mit den Schultern. „Das hängt davon ab, wen ihr angreifen wollt. Die ewige Stadt werdet ihr mit dieser Armee nicht besiegen.“
„Die ewige Stadt muss warten. Zuerst möchte ich Zeniken.“
„Zeniken? Ich halte das für keine gute Idee. Tychon ist dort vernichtend geschlagen worden.“
Der zufriedene Gesichtsausdruck von Bale wich einer Grimasse der Wut. „Tychon war ein Narr!“, donnerte er und hieb seine Faust auf den Tisch. „Er hat den Tod verdient. Aber Zeniken ist jetzt angeschlagen, das schwarze Herz wartet ganz in der Nähe auf seine Befreiung und ich habe mit Cipher einen Magier an meiner Seite, neben dem der Anfänger Anchron wie ein Trickspieler aussieht. Und mit Tychons gefallenen Engeln räume ich auch gleich auf.“
„Mein Herr, wir wissen nicht, was diese Engel antreibt.“
Bale schnaufte. „Es ist mir egal. Es gibt in den Reihen der Gefallenen immer wieder diese Ausnahmen. Sie sind einfach zu ... menschlich geblieben. Jammerschade, aber wenn sie uns im Weg stehen, werde ich sie zerschmettern.“ Er stand auf und fegte sein Essen mit dem Unterarm vom Tisch. „Ruft die Anführer zusammen und bereitet die Armee vor. In einer Woche brechen wir auf. Wir dürfen keine Zeit mehr verschwenden.“
„Mein Herr, es ist ein Marsch von zwei Wochen bis Zeniken und wir haben kaum Vorräte.“
„Wir nehmen uns unterwegs, was wir brauchen! Und jetzt geh und tue, was ich dir befohlen habe!“
Torkan erkannte, dass man den General jetzt besser nicht mehr reizte, salutierte kurz und stampfte entschlossen aus dem Saal, einen höchst zufriedenen Lord Bale zurücklassend.

-53-
„Wenn wir das Herz gefunden haben, wie zerstören wir es dann?“, fragte Makkara in die Runde. „Ich meine ... wir wissen, wo dieses Artefakt ist, keiner bewacht es, wir können einfach dort hineinspazieren und es vernichten. Das klingt nicht richtig.“
Tarim schüttelte den Kopf. „Nein, so einfach ist es auch nicht. Von diesem magischen Objekt geht eine gewaltige Kraft aus, die euren Verstand zu kontrollieren versucht und die Schwachen unterliegen ihm.“
„So wie du, Schlächter?“, warf Nyphai zynisch ein. „Wärst du nicht so schwach, hätten wir dieses ganze Dilemma nicht.“
„Er konnte es nicht vernichten und Christina und ich auch nicht.“, warf Rasheem ein. „Wir haben noch nicht einmal erkannt, dass es dort ruht.“
„Geruht ist der falsche Ausdruck, oder?“
Der großgewachsene Mensch nickte langsam. „Du hast vermutlich Recht, Katzenmann. Ich glaube nicht, dass ich dieses Ding vernichten kann.“
„Du kannst es nicht, Makkara kann es nicht und Tarim kann es auch nicht. Warum sind wir überhaupt auf dem Weg zu dieser Höhle, wenn wir den Bann nicht brechen können?“, begehrte die Elfe auf. „Wer bitte kann dieses Herz besiegen?“
„Ich kann es.“ Lana trat aus dem Dunkeln des Waldes in den Schein des prasselnden Lagerfeuers. „Ich alleine kann es und hätte es längst getan, wenn diese ignorante Elfe mich nicht umgebracht hätte.“
„Sie war nicht ignorant!“, keifte Nyphai.
Die Gefallene lachte auf. „Sie diente Tychon und nur ihm. Sie hat euch die ganze Zeit über zum Narren gehalten und ihr seid auf sie hereingefallen. Wie Kinder.“
„Das ist nicht wahr, du lügst!“
„Genug!“, donnerte Rasheem. „Dieser Weiberstreit bringt uns nicht voran. Wieso kannst nur du das Herz zerstören, Lana?“
„Und warum sollte dir daran etwas gelegen sein?“
Lana seufzte und ließ sich am Feuer nieder. „Weil ich das Herz erschaffen habe.“
Stille kehrte am Lagerfeuer ein, als die geflügelte Frau ohne ein Anzeichen von Unaufrichtigkeit jedem in die Augen blickte und sogar Nyphai blieb stumm.
„Es war ein Versehen, muss ich gestehen. Ich habe mit Mächten experimentiert, die ich nicht kontrollieren konnte. Das ist auch der Grund, warum ich damals verbannt und verstoßen wurde und sogar mein Vater mich von mir abgewandt hat. Als er mich verstieß, tötete ich ihn und dadurch geriet das schwarze Herz zu seiner heutigen Macht. Und nur ich als Schöpferin dieses Artefaktes kann es auch besiegen, weil es einen Großteil meiner Boshaftigkeit enthält. Meine Persönlichkeit ist in dieses ... Ding eingegangen. Oder glaubt ihr, dass es Zufall war, dass ausgerechnet Tarim sein Champion werden sollte?“
Erschöpfte lehnte sie sich zurück und blickte in die Runde.
Nyphai schwieg, ihr schienen die Worte ausgegangen zu sein, Makkara und Rasheem schienen nachzudenken ohne recht zu wissen, wie sie diese Informationen verarbeiten sollten und Tarim suchte Lanas Blick und fand ihn. „Ich stehe zu dir.“
„Ich weiß. Aber wirst du das noch dann tun, wenn ich meine Persönlichkeit wieder vereine?“
„Was meint sie?“, mischte sich Makkara wieder ein. „Wird sie in ihrer Boshaftigkeit wachsen?“
„Ich weiß es nicht.“, gestand Lana.
„Warum sind wir überhaupt dabei, wenn du alleine diese Aufgabe lösen musst.“
„Tarim, ihr seid nicht mit dabei, um gegen das schwarze Herz zu kämpfen. Ihr seid mit dabei, um einer größeren Gefahr zu trotzen. Im Osten erhebt sich eine neue Macht, ein neuer Heerführer sammelt seine Truppen und wir müssen ihn aufhalten.“
„Ich möchte mein Volk retten, Rasheem dient seinem Volk und Nyphai sinnt auf Rache, aber welche Motive habt ihr Gefallenen, diesen Herrscher zu stoppen.“
Lana zuckte mit den Schultern. „Ich habe alles verloren, um meine Freiheit zu erhalten. Jetzt bin ich bereit, den Rest aufs Spiel zu setzen, um nicht wieder in die Knechtschaft zu fallen. Ihr habt nie unter einem Tyrannen gedient. Ihr wisst nicht, was für ein Leben man führt, wenn man nur noch lebt, weil man unzählige Feinde erschlagen hat. Außerdem habe ich eine persönliche Rechnung mit einem Gott zu begleichen, der mir Tarim nehmen wollte.“
Rasheem sah Lana ins Gesicht. „Ein Gott? In welche Art Spiel bin ich geraten?“
„In eines, dass du gewinnst oder mit dem Leben nicht verlässt.“
Nyphai stand auf. „Ihr solltet ihr kein Wort glauben. Und wenn ihr der Gefallenen glaubt, solltet ihr euch fragen, woher sie all dies weiß. Ich gehe jetzt schlafen.“
Die vier ungleichen Gefährten sahen ihr nach und es war Lana, die als erstes aufstand. „Hört auf ihre Worte. Und trotzdem sage ich euch, dass von ihr die Gefahr ausgeht.“
„Ein langer Tag morgen. Ich werde mich auch hinlegen.“, schloss Tarim sich an.
Zurück blieben Rasheem und Makkara, die einen besorgten Blick wechselten. „Mein Volk würde mir nie verzeihen, wenn ich jetzt gehen würde.“, sprach der Katzenmensch aus, was beide dachten. „Alle drei haben eine schlechte Aura, nur in dir sehe ich kein falsches Spiel, Mensch.“
„Ich habe Angst um unsere Zukunft, wenn es stimmt, was die Gefallene sagt.“, gab der Großwildjäger zu.
„Ich tendiere dazu, ihr genau deswegen zu glauben. Dies ist größer, als wir es uns vorstellen. Und es ist vor allem gefährlicher.“

-54-
Fayria schreckte aus ihrem Schlaf und fiel beinahe aus dem Bett, so ruckartig schnellte sie empor. „Oh, ihr Götter!“, stammelte sie. „Es hat begonnen.“
Sie ließ sich vollends aus dem Bett gleiten und schlüpfte rasch in ihre Kleider und legte ihre Ausrüstung an, sichtlich in Panik und von etwas angetrieben, was sie selbst nicht ganz zu verstehen schien.
Als sie die Treppe zum Schankraum hinunterstürzte, begann es draußen gerade zu dämmern. Fayria ahnte, dass ein schicksalsschwerer Tag vor ihr und der ganzen Region lag.
Gottfried musterte sie mit einem skeptischen Blick, ihre Eile schien ihn zu irritieren. „Fayria Himmelskind, was hat euch so früh aus dem Bett getrieben?“
„Ich muss aufbrechen, Herr Gottfried. Umgehend.“
„Ihr solltet zuvor eine Kleinigkeit essen, findet ihr nicht?“
Energisch schüttelte die Elfe den Kopf. „Ich habe keine Zeit dafür. Ich muss nach Zeniken.“
„Selbst mit einem schnellen Pferd sind es zwei Tagesritte bis in die Stadt“, belehrte der Mensch sie. „Da werdet ihr die Zeit für ein Frühstück sicher übrig haben. Und ihr habt dafür bezahlt.“
„Behaltet das Geld, Gottfried.“
„Wer wäre ich, ließe ich eine Hohe Elfe ohne Mahlzeit ziehen?“
Fayria wirbelte zu ihm herum und fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Hört mir zu. Wenn ihr auf diesem Frühstück besteht, dann packt es ein und ich werde im Sattel essen. Und wenn ihr am Einpacken seid, solltet ihr mit eurem Hausrat und eurer Stadt weitermachen und fliehen. Es wird nicht lange dauern und eine gewaltige Armee wird diese Straße entlang ziehen. Ich kann sie spüren. Mächte sind hier am Werk, von denen ihr nichts wissen könnt. Verlasst die Stadt, solange ihr noch könnt.“
Gottfried musterte sie, unschlüssig, ob er ihr glauben sollte. „Wenn ihr die Wahrheit sagt, dann können wir nirgendwohin.“
„Zeniken kann euch eventuell Schutz bieten. Brecht noch heute auf, nehmt nur das Wichtigste mit und gebt jedem Mann und jeder Frau Bescheid, die ihr trefft. Waterfjord ist nicht mehr sicher, die ganze Gegend ist nicht mehr sicher. Nur die Zitadelle kann euch jetzt noch Schutz bieten. Und nun packt dieses Essen ein, ich werde Hügelfeuer satteln. Mit etwas Glück bin ich bei Anbruch des nächsten Tages in Zeniken. Und mit etwas mehr Glück, schenkt man mir dort Gehör.“
„Ihr schafft es nie in einem Tag bis in die Stadt. Das ist unmöglich“, warf der Wirt ein, begann aber mit dem Zubereiten von Essen.
Die Elfe wandte sich zur Tür und sah nicht zurück. „Unmöglich für normale Menschen, das ist wahr.“
Eine halbe Stunde später saß sie im Sattel und preschte aus dem Stadttor, auf der Straße nach Zeniken begann sie, ihre Zauber zu wirken und ihr Pferd schneller laufen zu lassen, als Kraft und Kondition alleine es gekonnt hätten.
Zurück ließ sie eine Stadt, in der die Nachricht von drohendem Unglück schnell die Runde machte. Eine Elfe der hohen Häuser hatte zur Flucht geraten. Hunderte Menschen würden noch am selben Tage nach Zeniken aufbrechen. Männer, Frauen, Kinder, Greise mit ihrem Hab und Gut. Selbst wenn sie die Stadt sicher erreichten, würde ihre Anwesenheit die Verteidiger und die Wehrhaftigkeit der Zitadelle schwächen. Und ihre Zahl würde auf dem Wege wachsen.
Fayria Himmelskind dachte darüber nicht nach, als sie ihr Ross weiter antrieb, nur die nötigsten Pausen einlegte und im rasenden Tempo auf ihr Ziel zuhielt.
Als sie das mächtige Stadttor der Stadt Zeniken erreichte, ging in ihrem Rücken die Sonne des neuen Tages gerade erst auf.


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