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Geschrieben von Tyr Svenson am 13.08.2021 um 16:01:

 

“Forward, the Light Brigade!”
Was there a man dismayed?
Not though the soldier knew
Someone had blundered.
‘The Charge of the Light Brigade’, von Alfred Lord Tennyson


Gamma-Eridon, ein Tag nach Beginn der Operation ‚Markat‘


Wenige Kilometer hinter der alliierten Front.

Das Hauptquartier des 30. Korps befand sich im Stadium der Auflösung. Glasfaserleitungen wurden aufgerollt, Sende- und Wiedergabegeräte abgebaut. Korpsgeneral Bri’an Horoks verschwendete keinen Blick auf das ihn umgebende Chaos, auch wenn die Einrichtung für mehrere Monate seine Heimat gewesen war. Er wusste, er würde nicht mehr an diesen Ort zurückkehren: „Neuigkeiten von den ‚Herolden‘?“
„General Bû’s Truppen haben gestoppt und beschränken sich vorerst auf Stoßtruppunternehmen und sporadischer Artilleriebeschuss. Unser Nachrichtendienst ist sich nicht sicher, ob das schon der Übergang zur Defensive ist - oder Nachschubprobleme. Vielleicht haben die ‚Herolde‘ nur zeitweise gestoppt, um Treibstoff und Munition nachzuziehen und Schwachstellen in unserer Verteidigungslinie auszukundschaften. Einige aufgefangene Funksprüche…“
Horoks schnaubte: „Ja, ich bin mir sicher, dass Bû uns das glauben lassen will. Was ist mit seinen Panzern?“
„Unsere Luftaufklärung ist lückenhaft, da wir unsere Flieger vor allem für die Sicherung der Landungsoperation brauchen. Die Meldungen der Guerilla sind…nicht eindeutig. Es gibt Berichte von der Verlegung gepanzerter Einheiten nach hinten, aber auch andere, die getarnte Panzeransammlungen im unmittelbaren Fronthinterland melden.“
„Also nichts Genaues, wie üblich.“
Sich auf die Meldungen der Guerilla zu stützen, war wie auf einem zugefrorenen See durch die Eisdecke zu blicken. Bestenfalls erhaschte man eine Andeutung davon, was sich in den Tiefen unter den eigenen Füßen bewegte. Und ein falscher Schritt reichte, um einzubrechen und zu ertrinken.

„Und die Imperialen Rangers? Generalin Jeron greift weiter an, nehme ich an.“
„Nicht im Augenblick, nachdem wir den letzten Vorstoß gerade noch stoppen konnten. Aber der Artilleriebeschuss unserer vorgeschobenen Stellungen wird fortgesetzt und erschwert den Ersatz des schwer angeschlagen Fünften und Sechsten Territorialregimentes.“
„Ich hätte nicht erwartet, dass die sich überhaupt so lange halten.“
„Wir erwarten einem erneuen Angriff binnen zehn Stunden.“
„Nicht, wenn ich das verhindern kann. Die Operation bei Arta’Rijen…“
„Läuft an. Wenn alles nach Zeitplan verläuft, greifen die Guerillas bei Anbruch der Dunkelheit an, sorgen für Verwirrung und schalten so viele Luftabwehrstellungen aus wie möglich, gefolgt von der Landung der terranischen Marines.“

General Horoks knurrte abwesend. Das alles war knapp getaktet und jeder Schritt musste ineinander greifen wie die Zahnräder eines Getriebes: Die Landung der Vierten Sturmdivision, die Guerilla-Offensive, der Angriff des übrigen 30. Korps, die Landung der terranischen Marines bei Arta’Rijen…
Schon jetzt zeichnete sich ab, dass nicht alles nach Plan lief. Die Imperialen hatten auf die Landung der Vierten Sturmdivision schneller reagiert als erwartet. Auch wenn sie bisher nicht in der Lage gewesen waren, ihren Marsch zu stoppen, so konnten sie ihn doch verlangsamen. Und Generalin Tesh’ta daran hindern, ihr Zerstörungswerk hinter den feindlichen Linien in dem erhofften Ausmaß durchzuführen. Feindliche Transport- und Kommunikationslinien waren gekappt, imperiale Nachschubdepots und sogar mehrere Flughäfen zerstört, bombardiert, vom Feind gesprengt oder geräumt worden. Aber doch sehr viel weniger als geplant. Der immer stärker aufflackernde Widerstand einzelner Kampfgruppen und Widerstandsnester zwang die Vierte, ihre Verbände zusammen zu halten. Immer wieder musste der Weg regelrecht freigekämpft oder feindliche Widerstandsnester umgangen werden. Die Luftlandetruppen richteten immer noch immensen Schaden an – aber nicht in dem erhofften Ausmaß. Und da sie so nicht in der Lage sein würden, die feindliche Offensive einfach durch die Verwüstung des Hinterlandes auszuhungern, wurde der zweite Teil des Planes umso wichtiger. Die Brücke von Arta’Rijen und der Schulterschluss mit den Resten des 30. Korps.
„General, Befehlshaberin Mathar will Sie sprechen.“
„Was ist denn jetzt schon wieder…geben Sie her.“ Der Korpskommandeur aktivierte sein Komm: „Generalin…“
„Sind Sie endlich auf dem Weg?“ Die Stimme der Oberbefehlshaberin der Konkordats-Streitkräfte auf dem Planeten Gamma-Eridon klang angespannt.
Horoks lag eine bissige Antwort auf der Zunge, die er allerdings herunterschluckte: „Wir räumen gerade mein Hauptquartier.“
„Hören Sie, Horoks, Sie müssen jetzt angreifen. Ich weiß nicht, ob wir noch einen Angriff der Imperial Rangers stoppen können. Unsere Reserven schmelzen dahin, wie Schnee in der Sonne. Und wenn Jeron durchbricht, dann ist Ihre ganze Offensive Makulatur. Sie müssen diesem verdammten Miststück in den Rücken fallen!“
„Genau das werden wir tun. Aber Ihnen ist doch klar, dass wir dafür unseren schon ursprünglich sehr ambitionierten Plan haben straffen müssen. Wir mussten improvisieren…“
„Das ist doch Ihre Stärke, dachte ich?! Und es ist ja nicht so, als ob wir eine Wahl hatten.“
„Dennoch…“
„Sparen Sie sich Ihre Bedenken für die Siegesparade. Oder das Kriegsgericht. Denn dort werden wir BEIDE landen, wenn Sie nicht endlich etwas unternehmen!“
„Danke für diese Ermutigung.“
„Hören Sie doch auf! Sie wissen, was auf dem Spiel steht!“
„Sie haben doch wohl nicht nur angerufen, um mir das zu sagen.“
„Ich wollte Ihnen nur noch mal klar machen, wie wichtig das ist. Im Hinterland ist es an einigen Stellen schon zur Panik gekommen. Die Evakuierung kommt nach den letzten Vorstößen Jerons kaum noch hinterher und die Flüchtlinge verstopfen die Straßen. Sie können sich vorstellen, was das für unseren Nachschub oder die Heranführung der Reserven bedeutet. Insoweit wir noch welche haben!“
„Was das angeht…mir fehlen immer noch die versprochenen Unterstützungsverbände, die den von mir zu erzielenden Geländegewinn sichern und das eroberte Gebiet halten. Es nützt uns wenig, wenn ich bis Arta’Rijen vorstoße und die Akarii dann einfach hinter mir UND der 4. Sturmdivision den Sack zu machen.“
„Glauben Sie, das weiß ich nicht?! Ihre Verstärkung ist auf dem Weg. Hauptsächlich Reserve- und Landschutz-Einheiten, aber wir können auch ein paar reguläre Einheiten als Verstärkungsstangen in die Front einbauen.“
„Und wann…“
„Ich sagte, sie sind auf dem Weg! Kümmern Sie sich um Ihren Teil des Plans. Schlagen Sie ein Loch in die feindliche Front. Das weitere wird sich finden. Mathar, Ende!“
„Wie immer ein Vergnügen.“, murmelte der Korpskommandant zu niemandem besonders. Kurz musste er den Impuls unterdrücken, den Kommunikator beiseite zu schleudern. Doch dann deaktivierte er ihn einfach und wandte sich um.

Sein Ziel war eine kleine Ansammlung von Schützenpanzerwagen, in deren Mitte ein imperialer Chr’Chr-Schützenpanzer aufragte. Horoks Truppen hatten das Fahrzeug vor einem reichlichen Jahr erbeutet und der General hatte es sofort für sich requiriert und zu seinem Kommandofahrzeug umbauen lassen. Schnell, wendig und mit einem Zwillings-Schnellfeuerlaser sowie einem Drillings-Raketenwerfer auch gut bewaffnet, war der Chr’Chr den vergleichbaren alliierten Modellen überlegen. Zusätzliche Panzerplatten, Sensor- und Funkantennen gaben dem Beutepanzer eine etwas andere Silhouette als seinen ‚imperialen Vettern‘, was den zusätzlichen Vorteil mit sich brachte, die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass nervöse alliierte Truppen es unter Feuer nahmen.
Horoks war nicht der einzige Befehlshaber, der einem Beutefahrzeug den Vorzug gab. Dies bewies eine dunkelhäutige Menschenfrau, die gerade aus einem leichten imperialen Spähpanzer-Schweber kletterte. Sie trug die Abzeichen eines Brigadegenerals am Battledress und winkte lässig in Horoks Richtung, während sie ihre Schutzbrille abnahm. Zwei peshtische Brigadegeneräle – ein Mann und eine Frau – leisteten ihr Gesellschaft.
Horoks erwidert flüchtig die lockere Ehrenbekundung seiner Untergebenen und wandte sich an die Neuankommende: „Brigadegeneralin Nara. Ich hatte schon befürchtet, dass Sie es nicht zu unserer kleinen Runde schaffen. Ich hoffe, Ihre schlafenden Schönheiten wissen, dass Krieg ist.“
Die Kommandantin der 20. Sturmbrigade winkte ab: „Meine Jungs und Mädchen sind einsatzbereit. Mir ist ein kleiner Feuerüberfall unserer Nachbarn dazwischengekommen. Wir mussten ein bisschen Verstecken spielen.“
„Haben die Imperialen Ihren Bereitstellungsraum beschossen?“
„Einige der Zufahrstraßen. Keine Sorgen, wir sind gut versteckt.
Ich nehme an, Mathar hat uns endgültig von der Leine gelassen.“
„Passender wäre, dass sie mit Peitschen hinter mir her ist.“
„Es bleibt alles beim Plan?“, schaltete sich Brigadegeneral Git von der 40. Mobilbrigade ein.
„Wie besprochen. Nur, dass wir vorverlegen mussten.“
„Und Sie wollen immer noch bei der 20. mitfahren?“, Git wirkte nicht zufrieden.
„Ich will vorne dabei sein.“
„Aber bitte nicht ZU weit vorne. Wir können uns weder Kommunikationsprobleme noch einen Kommandowechsel leisten. Es wird auch so schon riskant genug.“
„Ihr Optimismus ist herzerwärmend.“, spottete Nara: „Sie sind doch bloß eingeschnappt, weil der Korpskommandeur bei mir mitfährt.“
„Witzig.“, Gits Stimme blieb todernst: „Ich mache mir eher Sorgen, dass wir den Angriff auf so schmaler Front vortragen. Und so wenige Reserven haben.“
„Sie sind doch unsere Reserve.“, warf Brigadegeneralin Latran von der 13. Sturmbrigade ein.

Gits Mobilbrigade verfügte im Gegensatz zu den Sturmverbänden über kein eigenes Panzerregiment, sondern lediglich über die Schützenpanzer ihrer mechanisierten Infanterie sowie einige Kompanien Panzerjäger, Flugabwehr- und Artilleriepanzer.

„Und ich habe schon gesagt, was ich von dieser Zwei-Brigaden-voraus-eine-dahinter-Formation halte.“
„Ich kenne Ihre Bedenken.“, ‚Und ich teile sie‘, „Aber Sie wissen ganz genau, dass wir keine andere Wahl haben. Wir müssen jetzt zuschlagen. Und das bedeutet, dass wir die Imperialen nicht im Rücken, sondern bestenfalls in der Flanke zu fassen bekommen. Und durch den unerwartet raschen Vormarsch des Gegners ist zudem die Strecke, die wir zurücklegen müssen, länger als geplant. Wir können uns nicht verzetteln. Wir müssen hart zuschlagen und ständig in Bewegung bleiben. Wenn wir steckenbleiben, wenn der Feind sich reorganisieren kann…
Anstatt wie mit einem Speer auf die Schwachstellen in der feindlichen Panzerung zu zielen, müssen wir sie mit einem Streithammer einfach einschlagen.“
„Solange nicht jemand den Stiel dieser Waffe kappt. Dann haben wir nichts mehr in der Hand, als ein nutzloses Stück Metall.“, warnte Git.
„Wir dürfen dem Gegner eben keine Zeit lassen, auch nur auf die Idee zu kommen. Und deshalb muss der Vormarsch wie eine Einbahnstraße fungieren. Es darf nur vorwärts gehen.“
„Und Sie sind sicher, dass die Vierte rechtzeitig Arta’Rijen erreicht? Dass die Terranischen Marines und diese verdammten Guerillas ihren Auftrag erfüllen? Falls nicht, wird das eine verflucht kurze Offensive.“
Horoks schnaufte: „Ich bin bereit, mein Leben darauf zu verwetten. Das hatten wir doch alles schon.“
„Irgendjemand musste es noch mal sagen.“
Der Korpsgeneral zögerte kurz und nickte dann knapp. Dann aber war der Moment auch schon wieder vorbei: „Uhrenvergleich…steht. Ich wünsche Ihnen allen viel Glück. Wir sehen uns am Rijen, wenn wir den Sack hinter Jerons Truppen dicht machen.“
‚Oder auf der anderen Seite des Lebens.‘, hätte Horoks am liebsten hinzugefügt, obwohl er eigentlich nicht religiös war. Aber dann verkniff er es sich, auch weil zumindest Git anscheinend etwas ähnliches auf der Zunge lag. Stattdessen salutierte Horoks noch einmal lässig und wandte sich dann zu seinem Befehlspanzer.

Ein paar knappe Worte mit der Crew, die ihn bereits seit dem Beginn der Gamma-Eridon-Kampagne begleitete, dann war alles bereit. Statt allerdings in den zur Kommandozentrale umgebauten Transportraum zu klettern, tauschte Horoks die Uniformmütze mit dem Helm eines Panzerfahrers und zwängte seinen Oberkörper mit der Gewandtheit jahrelanger Übung aus dem Gefechtsturm des Schützenpanzers. Ein kräftiger Doppelschlag gegen die Panzerung und das Fahrzeug fuhr ruckartig an und verließ den Schutz der Tarnnetze und des kleinen Wäldchens, die es bisher verborgen hatten. Fast sofort schlossen sich zwei weitere Schützenpanzerwagen und Nara’s kleineres Kommandofahrzeug dem Chr‘Chr an.
Der Kurs der Kolonne verlief ungefähr parallel zur Frontlinie, die hier in den letzten Tagen relativ ruhig gewesen war. Das würde allerdings nicht mehr lange so bleiben…
Mit halbem Ohr lauschte der Korpskommandeur den ein- und ausgehenden Meldungen und dem fernen, sporadischen Artilleriedonner. Das intensive Training und die aufreibende Vorbereitung der Operation zahlten sich aus. Er musste sich nur gelegentlich zu Wort melden, wenn über einzelne Punkte Unklarheit herrschte.
Unwillkürlich richtete er sich auf, als querab eine Reihe von massigen Silhouetten auftauchte, deren Konturen von Tarnnetzen verborgen wurden. Hier und da konnte er einzelne Wachposten und sporadische Bewegung sehen, aber aus der Luft verriet wenig, welche Vernichtungskraft hier verborgen war. Der General warf einen Blick auf die in das Helmvisier eingespielte Zeitanzeige und biss sich unbewusst auf die Lippen.
Dann hatten sie ihr Ziel erreicht, eine kleine, baumbestandene Anhöhe, weniger als einen halben Kilometer von den getarnten Bereitstellungsräumen der Panzer der 20. Sturmbrigade entfernt. Die Anhöhe bot einen Panoramablick über die hügelige Ebene, die hier die Frontlinie bildete. Irgendwo voraus, nur wenige Kilometer entfernt, standen die imperialen Truppen. Und hatten keine Ahnung, was sie erwartete. Jedenfalls hoffte Horoks das. Ansonsten würde Git Recht behalten und das Ganze eine sehr kurze Offensive werden.
Vor weniger als einer Stunde hatte der Feind noch einen Artillerieschlag durchgeführt, doch im Augenblick lag eine trügerische Stille über der Landschaft.
Ein weiterer Blick auf die Zeitanzeige. Noch dreißig Sekunden. Er blickte zu Brigadegeneralin Naras Fahrzeug, die mit einer Daumen-nach-Oben-Geste antwortete, deren Bedeutung Horoks nicht ganz klar war. Noch zehn Sekunden.
Horoks Helmfunk erwachte zum Leben: „Korpsgeneral, Freigabe für Eröffnung erbeten.“
„Freigabe erteilt.“ Noch fünf Sekunden…

Und dann eröffnete schlagartig die gesamte Artillerie von drei Brigaden das Feuer: Raketenpanzer, Rohrartillerie, Granatwerfer. Fast sofort fiel die allerdings deutlich schwächere Artillerie der peshtischen Fronttruppen ein. Und dann, mit einem dumpfen Röhren, das die Soldaten in ihren Panzern und Schützenlöchern direkt an der Kehle packte, orgelten auch noch die Raketen und schweren Granaten der Fernartillerie aus dem Hinterland über sie hinweg. Das Dröhnen der anfliegenden Bomber und Jagdbomber ging beinahe völlig unter in dem Artillerie- und Raketenfeuer.
Was allerdings auch daran liegen mochte, dass die Zahl der zur Verfügung stehenden alliierten Luftstreitkräfte knapp bemessen war.
Der normale Impuls wäre gewesen, sich in den zumindest partiellen Schutz des Kommandopanzers zu ducken. Aber Horkos wusste, was er sich selbst und seinen Untergebenen schuldig war, auch wenn die ihn gar nicht sehen konnten. Also blieb er scheinbar ungerührt stehen, die Hände um den Rand des Turmluks gekrallt, während über seinen Kopf der Feuerorkan hinwegdonnerte, der auf seinen Befehl entfesselt worden war.
Es wäre ihm unmöglich gewesen zu sagen, wie lang diese Kakophonie anhielt. Aber er wusste, dass es kaum mehr als fünfzehn Minuten sein konnten. Für ein langes Trommelfeuer fehlten dem 30. Korps die Munitionsreserven. Und außerdem wäre es vermutlich auch kontraproduktiv gewesen. Der Angriff beruhte auf Überraschung und Schock, nicht auf einer Pulverisierung der feindlichen Stellungen.
Dann wurde das Feuer schwächer, hörte allerdings nicht auf. Stattdessen verlegte es weiter nach vorne. Die Bomber und Jagdbomber hingegen setzten ihre Angriffe fort, oder kreisten wie Raubvögel am Himmel, begierig auf eine verdächtige Bewegung oder das Mündungsfeuer feindlicher Waffen lauernd. Horoks Helmkommunikator erwachte wieder zum Leben: „Korpsgeneral, Freigabe zum Tanz erbeten.“
Kurz zuckte es um Horoks schmale Lippen. Er holte tief Luft: „Erlaubnis erteilt. Panzer marsch. PANZER MARSCH!“


****


Ungefähr zur gleichen Zeit, weit hinter der imperialen Front


Der Schützenpanzerwagen schlug einen Haken und entging damit nur um Haaresbreite einem Granatvolltreffer. Die Explosion wirbelte Dreck- und Gesteinsbrocken auf, die auf die Panzerung trommelten, wie übergroße Hagelkörner. Rechts und links bot sich ein ähnliches Bild: Späh- und Schützenpanzer, die wild manövrierten, Störkörper und Rauchgranaten abfeuerten, mit Schnellfeuerlasern, Raketen- und Granatwerfern auf unsichtbare Ziele schossen.
„Rückzug zum Gall-Bach! Wechselseitiges Unterstützungsfeuer!“
Ein schriller Warnton informierte die Panzerbesatzung, dass das Fahrzeug von einer Rakete erfasst worden war. Mit Höchstgeschwindigkeit brach der Spähpanzer durch ein kleines Wäldchen, wobei er Sträucher und sogar einen jungen Baum ausriss. Automatisch wurde ein Störkörper abgefeuert, der in einem grellen, heißen Blitz explodierte, während der Fahrer einen erneuten Haken schlug und das Fahrzeug im Schutz eines kleinen Abhangs zum Halten brachte, an dessen Fuß sich das braun-blaue Band des Gall-Bachs wand, den die Fahrzeuge vor wenigen Minuten durchquert hatten.

Im Inneren des Fahrzeugs sah es wüst aus. Einer der Sturminfanteristen hing halb bewusstlos in der Gurtung und übergab sich. Ein anderer, dessen Sicherheitsgurt sich zur Unzeit gelöst hatte, kauerte zusammengekrümmt am Boden und hielt sich den gebrochenen Arm, während er die Zähne zusammenbiss, um einen Aufschrei zu unterdrücken.
Colonel Clas Schiermer löste seinen eigenen Sicherheitsgurt und kam geduckt auf die Beine: „Ich brauche einen Infra-Rauchvorhang auf die Baumlinie!“, dann drehte er sich zu den Soldaten um: „Ausbooten – Los! Los! Los!“
„Melden Sie Statusbericht.“, kam es aus dem Funk: „Sie müssen Höhe 24 einnehmen.“
„Und wie soll ich das anstellen?! Durch diese Feuerzone kommt doch nicht mal eine Katze!
Holen Sie mir unseren Luftkoordinator an die Strippe! Ich will einen Bombenangriff auf die Koordinaten…“
„Momentan keine Luftunterstützung möglich. Erwarteter Ankunftszeitpunkt des nächsten Jabo-Detachments…“
„So eine Scheiße!“

Alles hatte begonnen, als die Vierte Sturmdivision auf feindliche Panzer gestoßen war. Einzelne imperiale Späh- und Schützenpanzer waren schon kurz nach der Landung aufgetaucht. Sie hatten sich kurze Feuergefechte mit der Vorhut und Flankensicherung der Vierten geliefert, den Vormarsch der Sturmdivision jedoch nicht einmal verlangsamen können.
Doch das hatte sich geändert, als – anfangs sporadisch und ungezielt, aber mit jeder Stunde häufiger und präziser – auch feindliche Artillerie und Werfer in den Kampf eingegriffen hatten. Auch wenn die alliierte Luftwaffe alles beschoss und bombardierte, was keine korrekte FFI abstrahlte, hatte es bei der Vierten bald erste Verluste gegeben. Dazu kam der Widerstand der feindlichen Infanterie, die obwohl anfangs überrascht und weit in der Unterzahl, häufig verbissenen bis zur letzten Energiezelle kämpfte. Zwar handelte es sich meist nur um nachrangige Verbände oder zur Auffrischung ins Hinterland verlegte, abgekämpfte Fronttruppen, dennoch hatten sich die Akarii schnell gefangen. Nur wenige waren in Panik geraten. Und wenn die Imperialen aus- oder zurückwichen, dann meist nur um sich neu zu gruppieren und die Flanken und die Nachhut der Kolonne zu bedrohen.
Und dann waren die alliierten Luftlandetruppen auf imperiale Kampfpanzer gestoßen, dem ersten bei einer überrollten feindlichen Instandsetzungseinheit. Obwohl nur halb einsatzfähig, hatte der Kampfwagen einen Spähpanzer vernichtet und einen weiteren beschädigt, bevor ihn mehrere Panzer mit konzentriertem Feuer zusammenschossen.
Und kaum zwanzig Stunden nachdem die ersten Sturminfanteristen den Boden von Gamma-Eridon betreten hatten, hatte eine Aufklärungsdrohne eine feindliche Panzerkolonne in Bataillonsstärke gemeldet…

Generalin Tesh’ta hatte sich nicht darauf verlassen, dass die alliierte Luftwaffe die feindliche Kolonne zum Stehen bringen würde. Colonel Hamat hatte den Befehl erhalten, mit den Großteil ihrer Panzer Front zur gegnerischen Formation zu machen. Gleichzeitig sollte Schiermer unterstützt von einer Panzerkompanie mit einem mechanisierten Bataillon seines Regimentes einen Bogen zu schlagen und sich auf einer Anhöhe festzusetzen, die auf den eher prosaischen Gefechtskarten als ‚Höhe 24‘ bezeichnet wurde. Von dort wären sie in einer perfekten Position, die feindliche Formation mit Flankenfeuer zu bestreichen.
Schiermers Kolonne war vorgerollt und hatte feststellen müssen, dass der feindliche Kommandeur offenbar zu derselben Schlussfolgerung gekommen war. Mehrerer getarnte Kampfpanzer oder Panzerabwehrkanonen sowie unterstützender Infanterie hatten Schiermers Truppen ins Kreuzfeuer genommen. Nur der Tatsache, dass es den Imperialen anscheinend an Salvenwerfern und Artillerie mangelte, war es zu verdanken, dass sich die Verluste in Grenzen hielten. Dennoch wäre ein weiteres Vorrücken Selbstmord gewesen. Schiermer hatte den Rückzug befohlen, den er selber beinahe nicht geschafft hatte.

Als er sich jetzt umsah, konnte er mit grimmiger Befriedigung feststellen, dass seine Leute sich offenbar vom ersten Gefechtsschock erholt hatten. Gedeckt durch ihre Schützenpanzer und die wenigen begleitenden Kampfpanzer ging die Infanterie in Stellung und bereitete sich auf die Abwehr eines imperialen Vorstoßes vor.
Der allerdings ausblieb, denn offenbar war der gegnerische Kommandeur damit zufrieden, sich einzuigeln. ‚Der Saukerl weiß, dass die Zeit für ihn arbeitet…‘
„Neuigkeiten von der Division?“
Die Lieutenant, die gerade als Kommoffizierin fungierte, schüttelte den Kopf: „Hamat steckt erst einmal fest. Und die Generalin lässt anfragen, ob Sie endlich vorankommen oder es auf der anderen Flanke versuchen wollen. Oder ob Sie warten möchten, bis der Krieg vorbei ist.“
Schiermer schnaufte wenig amüsiert, auch wenn die Kommofizierin es nicht geschafft hatte, Tesh’tas typisch bissig-trockenen Tonfall zu imitieren. Dann schüttelte er den Kopf: „Das kostet uns zu viel Zeit und das Gelände da drüben ist ungünstiger. Außerdem…woher wollen wir wissen, dass der Gegner nicht auf der anderen Seite genauso gut aufgestellt ist?“
„Die Generalin…“
„Ich kann mir gut vorstellen, was sie sagt.“

Der Colonel überlegte fieberhaft. Er wusste nur zu gut, dass sie hier nicht bleiben konnten. Sie hatten einen verflucht knappen Zeitplan. Und je länger sie auf einem Fleck blieben, desto mehr Truppen konnte der Feind zusammenziehen. Desto präziser würde sie die feindliche Artillerie anvisieren können. Und die alliierten Raum- und Atmosphärenjäger, die der Vierten momentan noch die so wichtige Luftüberlegenheit garantierten, würden auch nicht ewig in diesem Ausmaß zur Verfügung stehen…

Er drehte den Kopf: „Ich brauche ein 3-D-Hologramm des Gefechtsfeldes.“, zum Glück war die Informationslage der Peshten zumindest bezüglich der Topografie ziemlich gut. Immerhin war das hier ihr Planet, „Und stellen Sie fest, ob Colonel Morka ein paar Artillerierunden für uns übrig hat.“
Wenige Augenblicke später studierte Schiermer ein flackerndes Hologramm der Umgebung. Die eingespielten Informationen zu den feindlichen Truppen waren leider ziemlich unvollständig, aber darauf kam es ihm auch nicht in erster Linie an.
Es sah nicht gut aus. Höhe 24 bot dem Gegner tatsächlich ein gutes Blick- und Schussfeld in fast alle Richtungen. Und nachdem ihr erster Vorstoß durch den Wald so spektakulär gescheitert war, würde er es auf DEM Weg nicht noch ein zweites Mal versuchen. Dann stützte er: „Was ist das da?“
Die Antwort kam befriedigend rasch: „Eine Regenwasserrinne. Aber die ist weder breit noch tief genug, um einem Kampfpanzer oder auch nur einem Schützenpanzer zu verbergen. Außerdem müssten die Fahrzeuge hintereinander fahren und…“
„Schon gut.“, um Colonel Schiermers Mundwinkel zuckte ein hässliches Grinsen: „Ich hatte auch gar nicht an Fahrzeuge gedacht. Geben Sie mir Morka an die Strippe.“
„Colonel Morka sagte…“
„Das ist mir scheißegal. Ich muss Sie sprechen. SOFORT.“

*

Höhe 24, etwas später

Granatsplitter hämmerten gegen die Außenhülle von Panzer Zwei und Lieutenant Sal Kazir vom dritten schweren Regiment duckte sich unwillkürlich. Dann richtete er sich sofort wieder in seinem Sitz auf und fluchte lautlos. Zum Glück hatten die anderen Mitglieder seiner Besatzung das unangemessene Zeichen von Schwäche nicht gesehen oder taten zumindest so.
Für Panzer Zwei waren die ringsum einschlagenden Mörsergranaten keine echte Bedrohung. Für die sie begleitende Infanterie sah es hingegen anders aus…
„Meine Leute werden hier draußen massakriert! Entweder Sie tun endlich etwas gegen die feindlichen Werfer – oder ich muss sie zurückziehen. Ich lasse meine Einheit hier nicht für die Alliierten als Zielübung rumstehen.“
„Unser Befehl…“
„Den kenne ich sehr gut! Aber ich kann die Höhe ja wohl kaum mit einem Haufen Leichen halten!“

Kazir knirschte wütend mit den Zähnen, aber ihm waren die Hände gebunden – schon weil ihm der Kommandeur des unterstützenden Infanterie-Doppelzuges im Rang über war. Wenn sie wenigstens richtige Stellungen für die Soldaten gehabt hätten, oder gepanzerte Truppentransporter…
Aber sie hatten weder das eine noch das andere. Eigentlich firmierte das der improvisierten Kampfgruppe angegliederte Marineinfanterie-Bataillon als ‚gepanzerte‘ Einheit, aber das war
nur auf dem Papier so. Der im Hinterland auffrischende Einheit fehlte mehr als die Hälfte ihres Fahrzeugbestandes: abgeschossen, beschädigt oder an andere Fronteinheiten abgegeben. Bei den übrigen der Alarmkampfgruppe zugeordneten Züge und Kompanien sah es sogar noch schlechter aus. Deshalb…: „Rennen Sie bloß nicht zu weit. Ich will Sie nicht suchen müssen, wenn die Dreiaugen und Weichhäute wieder anrücken.“
Die Antwort des Infanterieoffiziers war nicht druckreif.

Offenbar verfeuerten die Alliierten alles, was sie gerade in die Hände bekamen: neben Splitter- und Sprenggranaten schlugen auch einzelne Brandgranaten ein. An anderer Stelle quoll heißer, dichter Qualm über die Anhöhe und hüllte die lauernden Kampfpanzer ein.
Kazir zischte einen halblauten Fluch: „Gegner schießt jetzt auch Thermorauch. Könnte erneuten Vorstoß versuchen.“ Der heiße Rauch machte Infrarotsensoren und Laser-Zielfinder fast nutzlos. Zum Glück hatten die Kampfpanzer auch andere Sensoren, aber Kazir verließ sich nur ungern alleine auf das Bordradar. Das gab ihm das Gefühl halb blind zu sein. Und Radar konnte schließlich auch gestört werden…: „Augen auf!“

„Bin getroffen!“, bei Panzer Drei seines Verbandes leuchteten ein, dann zwei Explosionswolken auf – kleiner als die Splitter- und Sprenggranaten der feindlichen Artillerie.
„Was zum…“, jetzt flammte bei dem leichten Spähpanzer, der die Flanke der Formation sicherte, eine weitere Explosionswolke auf.
Viel zu spät registrierte Kazir auf dem Rundumsicht-Bildschirm eine huschende Bewegung, dann noch eine: geduckte Gestalten, deren Silhouetten dank ihrer Tarnanzüge fast mit dem hügeligen, von Büschen und Sträuchern bestandenen Gelände verschmolzen: „Feindinfanterie! Panzerabwehrtrupps!“
Noch bevor Kazir den Befehl geben konnte, eröffnete sein Bordschütze mit dem Schnellfeuerlaser das Feuer, in das die anderen Panzerfahrzeuge einfielen. Aber in dem unübersichtlichen, von Thermorauch-Schwaden und Qualmwolken durchwaberten Gelände war das fast so, als wolle man auf Geister schießen.
Jetzt begriff Kazir den Grund für den vorherigen Beschuss, der nicht etwa die auf Höhe 24 stationierten Akarii ausschalten, sondern vor allem die Infanterie von den Panzern trennen und die Sensoren der letzteren behindern sollte. ‚Ich hätte diesen Feigling von der Marineinfanterie anbinden sollen. Aber wie sind die Alliierten so nahe herangekommen? SO schlecht…‘
Ein grelles Fiepen schnitt durch Kazirs Gedanken und informierte ihn, dass einer der feindlichen Panzernahkämpfer jetzt Wagen Nummer Zwei ins Visier genommen hatte. Die reaktive Panzerung des Kampfwagens ließ den feindlichen Sprengkopf fast wirkungslos explodieren. Aber Kazir wusste, dass er nicht damit rechnen konnte, dass das noch einmal klappte: „Motor an! Zurückstoßen! Und knall verdammt noch mal das Dreiauge ab!“
„Wo…“
„Achtung! Späher Zwei meldet gepanzerten Feindkontakt! Feind greift auf breiter Front an!“

Das also war es. Der Angriff der Panzernahkämpfer war nur EIN Element des feindlichen Angriffs gewesen. Und während Kazirs Infanterieunterstützung immer noch zurückhing und seine Panzer und Spähpanzer sich mit den feindlichen Panzerbekämpfungstrupps herumschossen, würden die alliierten Fahrzeuge fast ungehindert die Feuerzone überwinden, die sie von Kazirs Truppen trennte.
Der junge Leutnant schluckte krampfhaft, während er das Gefühl hatte, als würde er ins Bodenlose stürzen. Eben erst hatte er seinen ersten Feindwagen abgeschossen – und jetzt…: „Rückzug! Ich wiederhole, RÜCKZUG! Gegenseitiges Unterstützungsfeuer, Aufnahme Infanterie bei Linie Zwei. WIR ZIEHEN UNS ZURÜCK!“

*

Als das erste der gepanzerten alliierten Gefechtsfahrzeuge durch die Nebel- und Qualschwaden brach wie ein vorsintflutliches Ungeheuer, richtete sich Colonel Schiermer aus seiner Deckung auf. Sein Plan hatte funktioniert. Der feindliche Kommandeur war allerdings nicht so dumm gewesen, die Stellung zu halten. Deshalb waren die Akarii mit relativ geringen Verlusten davongekommen, während Schiermers Infanterie den Vorstoß mit einem reichlichen halben Dutzend Toter und Verletzter bezahlt hatte. Aber es war Schiermer nicht darum gegangen, den Gegner zu vernichten. Er wollte nur diese verdammte Höhe, damit sie die Imperialen endlich in die Zange nehmen konnten. Jetzt hing alles davon ab, ob und wie viele Kräfte der Gegner für einen Gegenstoß mobilisieren konnte.

Der hochgewachsene Ex-Marineinfanterist lief ein paar Schritte neben einem der vorrückenden alliierten Kampfpanzer her, dann enterte er auf die tonnenschwere Kriegsmaschine: „Sturmbataillon, vorrücken zum Hügelrand. Und geben Sie an Generalin Tesh’ta durch: Höhe 24 in unserer Hand.“

Weniger als eine Minute später hatten sie den Hügelrand erreicht. Ein schneller Blick über das Gefechtsfeld und die bei Schiermer eingehenden Meldungen informierten ihn, dass die Imperialen nicht zum Gegenstoß antraten würden. Der Fall von Höhe 24 war in Kombination mit dem konstanten Druck durch Hamats Panzer offenbar der entscheidende Anstoß gewesen, um dem Gefecht die erhoffte Wendung zu geben. Die Imperialen zogen sich zurück.
Vor Schiermers Augen verschwanden die letzten feindlichen Panzer und Schützenpanzer in den von ihnen selbst gelegten Nebel- und Rauchvorhängen, den Schutz durch Anhöhen, Bäumen und vereinzelten Gebäuden geschickt ausnutzend, sich gegenseitig Deckung gebend. Die Panzer und Schützenpanzer in Schiermers Verband eröffneten das Feuer, ohne auf einen entsprechenden Befehl zu warten. Aber auf diese Entfernung, angesichts ihrer überschaubaren Zahl und der schlechten Sichtverhältnisse, war die Wirkung begrenzt. Auch weil die Anzahl der Ziele geringer als erwartet war.
Schiermer runzelte unter seinem Helm die Stirn und fluchte leise. Auch wenn er das Gefechtsfeld nicht vollständig übersehen konnte, da unten konnte sich unmöglich sehr viel mehr zurückziehen, als ein verstärktes kombiniertes Regiment. Und dieser schwache Verband hatte die Vierte Sturmdivision über Stunden aufgehalten?
„Geben Sie an Colonel Morka weiter – Feuer auf die Koordinaten…“

Wenige Minuten später kam der Spähpanzer, der Schiermers eigentliches Kommandofahrzeug war, neben dem Kampfpanzer zum Stehen, auf den er in der Hitze des Gefechts aufgeentert war: „Colonel, die Generalin will Sie sprechen.“
„Stellen Sie durch.“
„Gratulation, Schiermer. Das hat ja wie bestellt funktioniert. Ein wenig spät…“
Der Ex-Marines schnaubte: „Einen Teil der Strecke musste ich laufen.“
„Verstehe.“, die kommandierende Generalin schwieg ein paar Herzschläge, bevor sie fortfuhr: „Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sie müssen nicht jeden Kommandoeinsatz Ihrer Einheit selber führen. Dazu werden Sie ein bisschen zu gut bezahlt.“
„Ich werde versuchen, daran zu denken.“
„Wie hoch sind Ihre Verluste?“
„Einen Augenblick…“, Schiermer warf einen Blick auf die Zahlen, die über die in seinen Gefechtshelm integrierten Bildschirm wanderten: „Ein Kampfpanzer und drei Späh- oder Transportpanzer sind vernichtet oder taugen höchstens noch dazu, ausgeschlachtet zu werden.
Acht weitere Einheiten sind mehr oder weniger schwer beschädigt, können aber wahrscheinlich wieder flottgemacht werden. Außerdem haben wir zwanzig Tote oder Schwerverletzte.“
„Zusätzliche Sanitätstransporter sind auf dem Weg. Feindverluste?“
„Zwei Kampfpanzer und ein Spähpanzer wurden abgeschossen oder sind bewegungsunfähig liegengeblieben. Vermutlich ein Dutzend Infanteristen tot oder verwundet.“
„Verstanden.“, trotz ihrer bissigen Art unterließ es Tesh’ta darauf hinzuweisen, dass die Verlustverhältnisse angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit von Schiermers Verband alles andere als günstig waren. Er hatte mit ungenügender Aufklärung einen getarnten Feind hügelan angreifen müssen: „Ich sage Gai’it Bescheid, dass es Arbeit für die Techs gibt. Und
Colonel Frost soll zwei Bergefahrzeuge schicken.“
„Wenn er sich von Hamat losreißen kann.“, laut Divisions-Gerüchteküche waren die T’rr-Kommandantin des Panzerregiments und der menschliche Pionier-Colonel der Vierten mehr als eng befreundet: „Aber die Fahrzeuge instand zu setzen oder abzuschleppen wird dauern.“
„Sie sind nicht der einzige, der Verluste hatte. Wir halten für die Nacht, damit wir aufmunitionieren und reparieren können. Heute kommen wir sowieso nicht mehr weiter.“
„Hm.“, laut Gefechtsplan hätte die Vierte Sturmdivision noch mindestens 20 weitere Klicks vorrücken sollen: „Schlüters Marines…“
„Die sind doch noch nicht mal gelandet. Und ich kenne den Zeitplan Ihrer alten Einheit, Schiermer. Aber es nützt nichts, wenn wir überpünktlich bei der Rijen-Brücke eintreffen, dafür aber die Hälfte unserer Fahrzeuge einbüßen. Solange wir Arta’Rijen nur rechtzeitig erreichen, ist das genug.“



Geschrieben von Ace Kaiser am 20.08.2021 um 18:58:

 

Ich wusste nicht, wo ich war, wie ich hingekommen war und was ich hier tat. Aber ich erkannte eines relativ genau. Ich saß an einem Tisch in einem dunklen Club mit einer durch Scheinwerfer erhellten Bühne, auf der sich ein einsames Mikrofon an einem Ständer befand. Vor mir auf dem Tisch war ein Teller mit einem halb gegessenen Sandwich, daneben zwei Gläser. Eines fast leer, das andere mit hellem Bier gefüllt. Ich war nicht alleine, neben mir saß eine junge Frau in einem für durchschnittliche Begriffe lasziven Outfit in Form eines sogenannten Kleinen Schwarzen, das die Arme freiließ und eine Handspanne über dem Knie endete, aber weder vorne noch hinten dekolletiert war. Auch sie hatte ein Glas vor sich, in dem Weißwein war. Auch vor ihr war ein Teller, der bis auf die Reste einer Teigtasche geleert worden war.
Im Saal wurde anheizende, schnelle Rockmusik gespielt, und meine Begleiterin, deren Gesicht ich nicht erkennen konnte, schien diese Musik zu genießen, denn sie bewegte sich rhythmisch mit. „Sei nicht so ein Trauerkloß“, hielt sie mir vor, als sie meinen Blick bemerkte.
Das war mit Abstand das Untypischste, was man mir gegenüber je hätte äußern können. Mir wurde klar, ich träumte. Aber war es nur ein Traum, oder ein Albtraum?
Ich sah mich um, während ich so tat, als hätte der Beat auch mich ergriffen. Manche Dinge lernte man einfach im Leben. Ich erkannte weitere Tische, an denen Andere saßen, die teilweise ebenfalls sitzend den Rhythmus aufnahmen und, nun, tanzten. Aber sie waren verschwommen, so als wären sie weiter weg als sie sein durften. Dennoch schienen sie sich zu amüsieren. Wenn ich mich auf eine der Gestalten konzentrierte, erkannte ich nur eine dunkle Robe, die alles verhüllte und nichts erahnen ließ.

„Meine Damen und Herren, kommen wir zum Höhepunkt des heutigen Abends!“, klang die Stimme des Ansagers auf. „Heißen Sie mit mir willkommen den einmaligen, großartigen Siebenmeilenstiefelbeschreiter der Standup Comedy, den Einen, den es nur einmal gab und nie wieder geben wird: Imperator Sholzhin der Neunte!“
Jubel brach aus, ich sah die anderen Gestalten und auch meine Begleiterin aufspringen, applaudieren, also erhob auch ich mich und klatschte wie alle anderen.
Da erschien eine weitere Gestalt in einem dunklen Kapuzenumhang auf der Bühne, trat an das Mikrofon, nahm die Huldigungen mit verschiedenen Zeichen der Akzeptanz und Freude entgegen, verneigte sich mehrfach und wartete geduldig ab, bis die Begeisterung des donnernden Applauses verklungen war und die Gäste sich wieder setzten.
„Soll ich noch auftreten, oder seid Ihr schon auf eure Kosten gekommen?“, rief er ins Mikrofon, und löste damit kollektives Gelächter aus.
„Nur ein Witz!“, versicherte der Imperator. „Aber es tut eben auch mal gut, mit stehenden Ovationen empfangen zu werden, und nicht immer mit eisigen Schweigen wie im Senat. Ich meine, wie viele aufstrebende Zivilisationen, die dem Imperium gefährlich werden können, muss man eigentlich auslöschen, damit ausgerechnet der Senat zufrieden ist?“
„Fünf!“, rief eine Stimme aus der Menge, und wieder wurde gelacht. Selbst neine Begleiterin fiel ein, was mich etwas irritierte.
„Nein, es sind sechs, aber danke für die Meinung“, erwiderte Sholzin und erntete erneut Gelächter. „Ich meine, wir reden hier vom Senat. Senator Pulquor hat mir neulich einen Witz erzählt. Er sagte: „Neulich haben mich ein Zuilaner und ein Reorker in Hapthlan nach dem Weg zum Raumhafen gefragt. Da habe ich sie ausgelöscht!“ Und das fand er witzig. Ich natürlich auch, allerdings nur, weil die Zuilaner schon vor zwölftausend Jahren ausgestorben sind, die Reorker aber erst vor fünfhundert Jahren.“
Wieder wurde gelacht.
„Und gestern erst hatten wir eine Debatte darüber, wie viele Ressourcen wir dafür aufbringen müssen, um die Akui dauerhaft auszulöschen. Dem einen war die Zerstörung ihres Heimatplaneten zu viel, der andere wollte auf einen Mix aus einem Dutzend todbringender Viren setzen, was wesentlich billiger wäre, und ein Dritter wollte die Flotte hinfliegen lassen, alle Akui einfangen und dann tieffrieren, heim fliegen und auf dem hiesigen Markt als Delikatesse verkaufen. Was beweist, wie wenig Ahnung der Mann hat, denn Akui schmecken nach Hülpil, und Leute, Hülpilfleisch haben wir doch mehr als genug.“
Zustimmende Zwischenrufe klangen auf. Dazu ein wenig Applaus.
„Aber genug vom Senat. Die Bude ist vielleicht gut dafür, dass man ein paar schlechte Witze über sie reißt, aber die Senatoren leben so sehr von Aufmerksamkeit, dass sie sogar Strichlisten führen, wie oft ich sie bei meinen Auftritten durch den Kakao ziehe, weil das bedeutet, ich erwähne ihre Namen.“
Lautes Gelächter.

„Nein, Leute, lasst uns mal ins Hier und Jetzt gucken. Und was sehen wir da? Zwei Gäste aus der terranischen Republik! Lieutenant Commander Juliane Volkmer und Lieutenant Commander Clifford Davis von den Angry Angels! Applaus für die beiden!“
Tatsächlich brandete Applaus auf, und hunderte Augen wandten sich mir und Huntress zu. Doch während es mich geradezu belastete, wie ich glaubte, unter den Blicken schrumpfen zu müssen, stand sie auf und winkte lächelnd in die Runde. Als sie sich wieder setzte, raunte sie mir zu: „Sei nicht so steif und unfreundlich, Cliff. Wir haben schon großes Glück, dass wir hier Gäste sein dürfen. Verärgere die Leute nicht.“
„Leichter gesagt als getan“, erwiderte ich. Das war das erste Mal, dass ich sprach, und meine eigene Stimme hörte sich sehr fremd in meinen Ohren an. Ob das daran lag, dass Juliane schon eine gefühlte kleine Ewigkeit gestorben war und unmöglich hier sitzen konnte – wo immer dieses hier auch war?
„Clifford. Oder lieber Cliff. Ich darf doch Cliff sagen? Einer unserer Imperatoren hieß Cliff. Leider war es der mit der kürzesten Amtszeit, etwa zehn Minuten, weil seine Schwester ihn noch während der Krönung umgebracht und sofort den Thron ursupiert hat. Seither heißen unsere Imperatoren nicht mehr Cliff.“
Erneut wurde gelacht. Irgendjemand schien sich sogar auf die Schenkel zu klopfen.
„Cliff“, fuhr der Imperator fort. „Ich habe eine philosophische Frage an Sie. Euer Gott hat euch in eurer Bibel den Auftrag gegeben: Seid fruchtbar und mehret euch. Aber seit Ihr Krieg führt, hat sich das geändert. Was hat euch dazu gebracht, daraus zu machen: Seid furchtbar und wehret euch?“
Wieder quoll schallendes Gelächter durch den Raum wie eine kleine Flutwelle, und ich spürte nun vermehrt die Blicke der anderen Gäste auf mir. Huntress stieß mich mit einem dürren, kalten Ellenbogen in die Seite, und die Tatsache, dass ich ihr Gesicht noch immer nicht sehen konnte, ängstigte mich, also stand ich auf, während ich das Gefühl hatte, lebendig seziert zu werden.
„Nun, ich persönlich habe nichts gegen Akarii, nur gegen solche, die mich umbringen wollen. Leider gibt es davon zur Zeit sehr viele, und Tod ist ein Konzept, dass bei uns Terranern möglichst nicht zu früh eintreten soll. Ich denke, darum wehren wir uns. Das kann zwar für Leute wie mich und Juliane tatsächlich für einen verfrühten Tod sorgen, zugegeben, aber einer Menge anderer Leute daheim ersparen wir das.“ Das war schon fortgeschrittene Ironie, ging es mir durch den Kopf, als ich der toten Kameradin einen scheelen Seitenblick zuwarf. War das wirklich Juliane? Meine Juliane?
„Na, das ist doch mal eine gute Antwort!“, rief der Imperator. „Und wer würde das nicht besser verstehen als wir Khal'Haless? Applaus für Cliff, meine Damen und Herren!“

Wieder wurde applaudiert, und immer noch fühlte ich die Blicke der anderen Gäste auf mir, aber sie schienen nicht mehr aus Skalpellen zu bestehen, die mich zerschneiden wollten, sondern sie wurden wohlwollender.
„Ich meine, welches andere Volk sammelt so viele Bürgerkriege wie unsereins in seiner Existenz? Natürlich wissen wir das nicht, weil wir uns selten die Mühe machen, ein Volk, dem wir begegnen und das wir auslöschen, posthum zu erforschen.“
Erneut schallendes Gelächter von allen Tischen.
„Aber mal ernsthaft.“ Der Imperator lehnte sich ein Stück vor und schien alle Gäste näher zu sich heran zu holen. Auch mich und Huntress. „Wie lange haben wir diesen Sektor der Galaxis beherrscht, Leute? Zehntausend terranische Jahre? Zwölftausend terranische Jahre? Dreizehntausend Jahre ist die Antwort.“
„Und sieben Jahrhunderte!“, rief jemand aus dem Publikum.
„Danke für die Information. Hat noch jemand die Stunden und die Minuten?“, scherzte der Imperator. „Jedenfalls haben wir geherrscht, über ein Raumgebiet von fast zwanzigtausend Lichtjahren im Kubik. Wir sind expandiert, haben die Galaxis besiedelt und sie erforscht, wir sind anderen Spezies begegnet und fanden die meisten feindselig, wir gaben den jungen Spezies Anleitungen, die sie in ihrer Evolution beschleunigten, bis sie sich stark genug glaubten, uns in den Rücken fallen und unser Reich übernehmen zu können. Irgendwann nach der tausendsten Enttäuschung sind wir dazu übergegangen, neue Völker, die wir entdeckten, einfach auszuradieren, weil es einerseits Ressourcen und Zeit sparte, und andererseits kein Khal'Haless darauf wetten wollte, wann sich das neue Volk auch gegen uns wenden würde. Das hätte natürlich auch noch Jahrhunderte so weitergehen können, aber ein Volk wird auch mal müde. Müde von der Expansion. Müde vom töten, von den vielen Kriegen. Müde vom Leben. Müde davon, immer wieder die gleichen Geschichten zu erleben, in denen nur die Akteure wechseln. Hätten wir eine Föderation gründen können, ein Kollektiv der vielen Völker? Fakt ist, wir haben es versucht, in dreizehntausend Jahren insgesamt neunmal.“
„Und sieben Jahrhunderten!“
„Danke. Aber nächstes Mal bitte auch die Stunden und Minuten einwerfen.“
Gelächter.
„Die Sache ist die. Wir hatten unseren Spaß. Wir hatten nicht immer Spaß, und nicht alles, was wir getan haben, fällt für uns auch unter Spaß. Aber dass wir immer wieder gezwungen wurden, die anderen Völker zu vernichten, bevor sie uns vernichten konnten, egal in welchem Jahrhundert, macht müde, laugt aus, vernichtet. Vielleicht war es unsere Position, unsere Macht. Etwas, was Neid erregt hat, Eifersucht erzeugt hat, sodass es unumgänglich war, dass sie uns auf unseren marmornen Thronen attackieren mussten. Vielleicht waren wir zu hoch, zu bedrohlich und das Vertrauen war klein, so klein. Wir haben es versucht, und wir sind nur mit einer Politik nie gescheitert: Die anderen Völker zu vernichten. Das schaffte Ruhe und Frieden, wenigstens für einige Zeit. Aber irgendwann ist auch mal Schluss, gerade für die Khal'Haless. Aber was für einen Lauf haben wir gehabt, oder?“
Donnernder Applaus antwortete dem Imperator.
„Deshalb mein Rat an euch Terraner. Versucht nicht, das erste Volk zu sein, das größte, das mächtigste in eurem Einflussgebiet. So etwas erzeugt nur Neid, Angst, oder eine Mischung aus beidem. Das erste Volk ist immer im Fokus, wird immer argwöhnisch beobachtet, ist ständig in Gefahr. Und es ist ständig in Angst, von anderen Völkern abgelöst zu werden. Seid das zweite oder dritte Volk und zieht alle anderen Völker, denen Ihr begegnet, auf eure Stufe hoch. Macht nicht unsere Fehler, denn das ist Geschichtswiederholung, nur halt in grün.“
Leises, zustimmendes Gemurmel klang auf.
„Aber ich will einen so schönen Abend nicht mit so negativen Gedanken beenden. Schließlich sind wir hier, um Spaß zu haben. Also erzählen ich Euch meinen besten Witz. Also: Wie viele Arphasische Fähren braucht eine unserer Flotten, um ein Schwarzes Loch zu bewegen? Na? Keiner? Cliff? Juliane? Nein? Die Antwort ist: Gar keine. Sobald eine Flotte der Khal'Haless kommt, bewegt sich das Schwarze Loch von ganz alleine dorthin, wohin wir es haben wollen!“
Wieder klang Gelächter auf, dazu wurde applaudiert, die Gäste sprangen auf und spendeten stehende Ovationen. Sholzin der Neunte nahm die Huldigungen seines Comedy-Talents mit akzeptierenden Gesten entgegen. „Das war es mit meinem Auftritt für heute! Habt noch einen schönen Abend und kommt auch zu meiner nächsten Show!“
Der Applaus wollte nicht abebben, und Sholzin verneigte sich jetzt sogar, und als er abging, hatten sich zwar alle schon wieder gesetzt, aber applaudiert wurde immer noch. Auch ich setzte mich nach meiner Standig Ovation.
„Eine tolle Show und ein großartiger Mann“, sagte Juliane neben mir. Ihre Hand legte sich auf meine. „Wir sollten seinen nächsten Auftritt auch besuchen, Cliff.“
Ich sah auf ihre Hand, sah ihr ins Gesicht und erschrak. Jetzt konnte ich ihr Gesicht sehen. Und es war das Gesicht von Juliane Volkmer, nur ausgemergelt, vertrocknet, auf diese eine Art, die nur der Weltraum einem antun konnte. Hatte ich wirklich diese eine vage Hoffnung gehabt, meine Gefährtin würde doch irgendwie... Auf irgendeine Weise doch noch leben? Dies wurde mir brutal genommen. „Cliff? Alles in Ordnung?“, fragte sie.
Ihre Augen wurden leuchtend blau, verloren den Raureif, der sie bedeckte, den Frost von 273 Grad Minus. Ihre Haut verlor die angespannte Art der Austrocknung, wurde dicker, glatter, nahm wieder das alte Aussehen an. Und ihr Haar bekam den alten Glanz zurück. „Bist du in Ordnung, Cliff?“, fragte sie erneut.
Ich sah sie an, so schön und attraktiv wie wenige Stunden vor ihrem Tod. Irgendwas in mir machte laut und vernehmlich Knack. „Ja“, kam es mir über die Lippen. „Ich denke, ich bin in Ordnung. Ich kommandiere jetzt die Aces.“
„So? Das freut mich. Damit haben sie einen guten Kommandeur bekommen. Vor allem freut mich, dass du dich gut fühlst.“ Sie beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn. Es war ein angenehmes, vertrautes Gefühl.
„Und wie geht es dir?“, fragte ich.
„Wie sollte es mir gehen? Ich bin tot. Aber mach dir keine Sorgen. Da, wo ich jetzt bin, geht es mir tatsächlich gut, Clifford Davis. Also, vergiss mich nicht ganz, aber trauere nicht um mich. Ach, und noch etwas. Du solltest aufwachen und deinen Schlafplatz woanders errichten, nicht über einen achttausend Jahre alten Peshten-Altar.“

„Was?“, raunte ich, aber da befand ich mich schon wieder in der Dunkelheit des Unterstands, in dem ich mein Feldbett aufgebaut hatte. „Sir! Sir!“, rief eine Stimme, und so wie sie es tat, war klar, das sie das schon ein paarmal gemacht haben musste. „Der Chef will Sie sofort sehen, Major.“
Ich erkannte vage Lutmir, einen der Peshten-Infanteristen, mit denen ich hier kämpfte, seit ich abgestürzt war. „Sofort!“, fügte er hinzu. „Wir haben Verstärkung gekriegt, und wir müssen verhandeln. Sie sollen dabei sein!“
Ich sah den Peshten für einen Moment verwirrt an, dann schwang ich die Beine vom Feldbett. „Moment!“, rief ich, bevor der drahtige Mann wieder verschwinden konnte, griff zu und erwischte ihn am linken Unterarm. „Habt ihr mich auf einem alten Altar schlafen lassen?“
Der Peshte begann ein gackerndes Lachen und machte keinerlei Anstalten, sich loszureißen. „Und? Schön geträumt?“
Ich hielt inne, vergaß, dass ich Lutmir festhielt und öffnete meinen Griff. „Von den Khal'Haless und ihrem Imperator.“
Ich sah, wie der Peshte vor mir ein wenig zusammenzuckte. „Kupfer, Kupfer“, murmelte er, was einer unserer Phrasen wie „Junge, Junge“ entsprach. „Geht es dir gut, Fliegermajor?“
Ging es mir gut? „Ja. Ja, ich denke schon. Ich habe nicht nur Sholzin gesehen, sondern auch eine alte Liebe, die vor einiger Zeit gefallen ist. Ich denke … ich denke, es geht mir gut.“ Ich erhob mich. „Zum Chef also? Ich bin unterwegs.“
***
„Schön, dass Sie zu uns stoßen, Major Davis“, empfing mich Bogenas ernst wie immer. „Darf ich Ihnen unsere Gäste vorstellen? Die Spezialeinheit Pashka-Vier. Sie wurde uns sehr kurzfristig zugeteilt, nachdem sie die Landung der Sturmdivision unterstützt hat.“ Er deutete auf einen kleinen, aber massigen Peshten, der mich seinerseits interessiert musterte. „Lieutenant Tai'fal, der Anführer der Einheit.“
„Lieutenant.“
„Major“, erwiderte er.
Bogenas' Hand wies nicht ohne ein gewisses Zögern auf einen drahtigen Akarii. „Hier kenne ich nur den Codenamen. Taku-Taku, stellvertretender Kommandant der Einheit.“ Ich war nicht erstaunt, einen Akarii zu sehen. Die Peshten waren nicht pingelig dabei, fremde Rassen anzuheuern, und die ColCon-Akarii waren bekannt dafür, dass viele ihrer Mitglieder die Kaiserlichen bekämpften, wann immer sie die Gelegenheit dazu hatten. In Ermangelung eines Namens und Rangs sagte ich: „Sir.“
„Major“, erwiderte der Akarii mit neutraler Stimme.
„Ich übernehme das, Major Bogenas“, sagte Tai'fal. „Vacani, Technik.“
Ich nickte der Peshte zu. „Ma'am.“
„Major.“
„Drehh. Sprengstoff und ebenfalls Technik“, sagte er, auf eine Akarii weisend, die einen derart irritierten Blick aufgesetzt hatte, dass ich mich fragte, ob sie sich fragte, wo sie eigentlich war. Nein, ich begriff. Sie hielt ihre Anwesenheit hier für…unnütz?
„Ma'am.“
„Major Davis. Sie hier zu treffen ist ein interessantes Ereignis, das ich nicht erwartet habe. Ich hoffe, wir kommen dazu, ein wenig über Ihre Zeit als Geist der 2. Flotte zu reden.“ Überrascht von so viel Redefreude erwiderte ich: „Gerne. ColCon, London, nehme ich an.“
Als sie mich erstaunt ansah, sagte ich: „Ihr Akzent verrät Sie. Ihr Drom dringt immer wieder durch, und das ist typisch für die Akarii-Kolonie auf London.“
„Klärt das später. Wir haben hier zu tun“, mischte sich der Lieutenant ein. „Dak und Aka“, seine Hand wies auf zwei T'rr, beides Männer. „Scharfschützen.“
Ich nickte bestätigend. „Meine Herren.“
„Major“, sagte der Rechte. Der Linke sagte: „Sie haben eine Akarii-Panzerbüchse, hat man mir gesagt. Ich würde die mir gerne später einmal ansehen, wenn es geht.“ Natürlich, mein Gewehr, auf dem ich diente, um überhaupt etwas zu tun, denn dem Nahkampf fühlte ich mich jetzt nicht genug gewachsen, um mit der Guerilla mitzuhalten. Geschweige denn den Spezialisten vor mir. „Sicher lässt sich das einrichten.“ Das ließ ihn zufrieden grunzen.
„Shana, unsere Sanitäterin“, stellte der Lieutenant einen weiteren T'rr vor, eine Frau diesmal. „Ma'am“, sagte ich.
„Major“, erwiderte sie gerade laut genug, dass ich es hören konnte. Im Gegensatz zu Drehh und dem T'rr, der meine Flinte sehen wollte, quoll sie geradezu über vor Nichtinteresse.
„Dann haben wir noch Huan, unseren Geit-Hund. Ein ganz intelligenter und passabler Bursche mit guten Manieren, wenn man kein Kaiserlicher ist. Und natürlich noch Neuer, unser Verbindungsmann zum terranischen Expeditionskorps.“
Der Terraner, der als Letzter vorgestellt wurde, trat vor mich und reichte mir die Hand. „Lieutenant Jan Marcus, TIS. Daran, dass ich erst nach Huan vorgestellt wurde, können Sie sehen, dass ich mir meine Meriten in der Einheit erst noch erarbeiten muss.“
„Freut mich, Lieutenant“, sagte ich, seine Hand schüttelnd. Er schüttelte eifrig weiter und machte keinerlei Anstalten, los zu lassen. „Man hat uns gesagt, Sie sind gerade der Scharfschütze der Einheit.“
Ich nickte. „Als Pilot habe ich ein gewisses Grundtalent für Ballistik und Vorhalt.“
„Sie sollen eine Gasdruckwaffe der Akarii mit Urankern führen.“
„Sie verschießt Titanstahlkerngeschosse, keine Urankerngeschosse“, korrigierte ich. „Eine Licca 4D. Wie Ihr Kommandeur sagte, eine Antipanzerwaffe. Gute genug, um leichte Panzerung zu durchschlagen.“
„Hätten Sie etwas dagegen, mir die Waffe für den Dauer des Einsatzes zu überlassen?“, fragte er geradeheraus. Er deutete, noch immer meine Hand umklammernd, an sich herab. „Bei der Landung hagelte es etwas viel Stahl, deshalb bin ich nicht vollständig einsatzbereit. Als Scharfschütze könnte ich mein Team aber weiterhin unterstützen.“ Nach meinem zweifelnden Blick fügte er hinzu: „Ich habe eine Scharfschützenausbildung auf Gasdruckgewehren. Ich habe mal die White Feather gemacht, und es fehlen nur noch ein paar Treffer bis zur Schneeflocke.“

Das war eine Hausnummer, das musste selbst ich zugeben. Beide Begriffe bezogen sich auf prästellare Soldaten der Erde, die sich als Scharfschützen einen Namen gemacht hatte. Die White Feather bezog sich auf einen Amerikaner, der außerordentlich erfolgreich in einem Ostasienkonflikt gewesen war und stets eine weiße Feder zurückließ, wenn er zugeschlagen hatte. Schneeflocke war ein Ehrenabzeichen für einen skandinavischen Scharfschützen, der in einem vorigen Krieg gekämpft und seine Meriten vor allem in einem Winterkrieg verdient hatte. Sein Markenzeichen war eine Ladung Schnee gewesen, die er stets in den Mund genommen hatte, damit sein Atem nicht kondensieren und ihn verraten konnte, deshalb die Schneeflocke. Übrigens war die White Feather und erst recht die Schneeflocke nicht durch Trainingsschüsse allein zu erreichen. Man musste auch aktiv im Kampf sein, um sich die Abzeichen zu erwerben. Was bedeutete, der Mann vor mir war ein sehr passabler Sniper. Aber in einer Einheit wie dieser, in der es bereits zwei Scharfschützen gab, hatte er sich nicht durchgesetzt. War das Ignoranz der Alteingesessenen, oder wie gut waren die beiden Akarii?
„Prinzipiell habe ich nichts dagegen, aber man erzählt sich so einiges über euch Spezialeinheiten. Ihr gebt ungern wieder her, worauf ihr einmal die Hand gelegt habt. Deshalb kann ich die Waffe nicht aus den Augen lassen.“
Der Lieutenant grinste. „Wie wäre es damit? Sie haben doch gute Augen, Commander. Machen Sie meinen Spotter, und wir decken meine Truppe zusammen. Ich bin sicher, ich kann auch ihrer Truppe eine Hilfe sein, wenn man mich lässt.“
Es war geradezu rührend, wie der Lieutenant auf meine Antwort lauerte, und wie sehr er davor bangte, ich könnte nein sagen. Denn es war halt so: Die Spezialeinheiten neigten dazu, zu requirieren, was sie brauchten, und das meistens von der Guerilla, weil die Versorgungsgüter, die es über die Grenze schafften, meistens bei ihnen landeten. Auch mein Gewehr drohte auf ewig in den Besitz dieser Truppe überzugehen. Was für mich vielleicht schon bald nicht mehr relevant sein würde, denn mit dem nächtlichen Angriff auf die Stadt am Rijen-Fluss würde auch bald meine Gelegenheit kommen, wieder in den Orbit geschafft zu werden. Aber der Major und seine Leute hatten mich gut behandelt, und das verpflichtete. Außerdem hatte ich ja nicht wirklich das Gefühl, als Infanterist im Nahkampf mit den Akarii eine gute Figur abzugeben, und Spotter für einen Scharfschützen war dann wirklich eine gute Idee.
„Wenn Major Bogenas dem zustimmt, leihe ich Ihnen meine Waffe und mache für Sie den Spotter, Lieutenant.“
Das ließ ihn ganz leicht eine gewisse Anspannung verlieren. „Ich hoffe, sie ist gut gepflegt“, sagte er eine Spur zu barsch. „Natürlich. Ich bin Pilot. Ich achte darauf, dass mein Material in Schuss bleibt. Sonst riskiere ich mein Leben.“
„Habt ihr das gehört, Jungs?“, sagte Taku-Taku in Richtung der beiden T'rr-Scharfschützen.
„Nun werd mal nicht imperatorlicher als der Imperator“, sagte einer der beiden T'rr, von denen ich immer noch nicht wusste, wer welcher war. Immerhin waren sie mir als Paket vorgestellt worden.

„Gut, kommen wir zum Wesentlichen. Lieutenant, Sie wurden uns zugewiesen, um den Angriff auf die SAM-Site zu unterstützen.“
Der Einsatzgruppenleiter nickte zustimmend. „Und wir bringen neueste Informationen mit, dies betreffend.“ Er zog aus seiner Uniform ein gefaltetes Blatt heraus und öffnete es mehrfach. Als er damit fertig war, hatten wir einen Lageplan von etwa einem halben Quadratmeter Größe vor uns. Er zeigte den Fluss und auch die Stadt Arta'Rijen mit der prominenten Brücke, über die der gesamte bodengebundene Verkehr der ganzen Region zog, ob er wollte oder nicht. In der Anfangsphase der Offensive hatten meine Kameraden der Angels versucht, sie zu bombardieren, waren aber nicht erfolgreich gewesen.
„Um es kurz zu machen, diese SAM hier im Westen der Stadt ist ein Hoax. Eine Pappstellung, wenn Sie so wollen. Real sind diese hier in der Nähe der Brücke im Norden, und dann diese hier im Südwesten auf dieser Seite des Flusses sowie diese hier auf der anderen Seite der Brücke nördlich der Straße. Diese Stellung besteht nur, wobei nur ein gewagtes Wort ist, aus vier verteilten Flakpanzern, einem Sa'toko und drei für die Luftverteidigung modifizierten Chr'Chr.
Die drei SAM-Stellungen bestehen aus jeweils einer Zentrale drei Raketenstellungen und acht vorgelagerten Beobachtungsposten pro SAM. Sowie, das will ich nicht verhehlen, einem guten Aufmarschgebiet bei Bedrohung für Infanterie und leichte Panzer, da sowohl südlich als auch nördlich auf unserer Seite des Flusses Feldlager eingerichtet wurden, also klar vor der Stadt in flachem, gut einsehbarem Gelände. Greift jemand eine der SAMs an, müssen wir binnen zwanzig Minuten mit der Unterstützung von mindestens einer Kompanie mechanisierter Infanterie mit gepanzerter Unterstützung rechnen, was zugegeben eine Hausnummer ist. Warten Sie meinen Bericht ab, Major Bogenas. Das Gute ist, nur die SAM auf der Ostseite des Rijen verfügt über eine vollständige SAM-Site mit den im Fluff erforderlichen Stellungen und Vorposten. Dafür hat sie keine Kaserne in der Hinterhand, weil die Einsatzbereitschaft, schnell und sicher über die Brücke kommen kann und die Ostseite als wichtiger angesehen wird als die Westseite. Die hiesigen SAM, und dazu gehört unser Ziel, haben ebenfalls zur Hälfte Fake-Stellungen, sowohl bei den Werfern als auch bei den Vorposten. Das ist gut zu wissen, nützt uns aber auch nicht viel, weil die Akarii wissen, dass wir in der Nähe sind. Sie stehen sprichwörtlich auf ihren Zehenspitzen und sind bis in die letzte Schuppe alarmiert. Ein Überraschungsmoment bringt uns gerade mal so viel.“ Der Peshte deutete eine winzige Spanne mit den Fingern der rechten Hand an. „Außerdem wissen wir nicht, ob sie nicht turnusmäßig einen oder mehrere ihrer Flakpanzer in eine Scheinstellung integrieren. Das gilt auch für die Holzstellung hier. Wir schätzen, dass die Akarii etwa ein weiteres Dutzend Chr'Chr haben, die sie normalerweise über das Stadtgebiet verteilen. Jawohl, Herrschaften, mitten in der Stadt. Den Akarii ist es bitterernst mit ihrer Offensive. Dazu zwei weitere Sa'toko, die auch entweder in den Fakestellungen liegen, oder über die Stadt verteilt sind. Dazu wieder ein paar Radpanzer mit Umbauten, damit sie die Silhouette eines Sa'toko darstellen können, ein paar Truppentransporter mit leichten Lasergeschützen, die auch zur Luftabwehr eingesetzt werden, sowie einige motorisierte Mörser.
Der Colonel hat Sie sicher drüber informiert, dass Guerilla und versprengte Einheiten in der Stadt versteckt sind, die einzelne Flakpanzer aufgeklärt haben und diese mit MANPAD angreifen werden. Aber seien wir ehrlich, keiner rechnet damit, dass sie alle Panzer beseitigen können, geschweige denn die Hälfte.“ Er sah die Skepsis im Raum. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Es geht nicht unbedingt darum, die Panzer oder die SAM-Stellungen auszuschalten. So viele wie möglich, sicher, aber vor allem brauchen wir die Unruhe, das Durcheinander, ausgerückte Bereitschaftskompanien und dergleichen. Die SAM-Einheiten werden gut geschützt, und wenn wir sie attackieren, müssen die Akarii irgendetwas entblößen. Entweder die Stadt oder die SAMs. Entweder unser Flussufer, oder das andere Flussufer.“
Der Lieutenant sah in die Runde, dann auf den Chronometer an seinem rechten Arm. „Und mir ist ab jetzt auch erlaubt, ihnen zu sagen, warum wir Chaos mehr brauchen als zerstörte SAM-Raketenstellungen. Weil in diesem Moment das Marinekontingent der Terraner, begleitet von Ihren Kollegen, Major Davis, sich darauf vorbereitet, die Stadt und die Brücke zu nehmen. Wenn es uns gelingt, hier unten ein größtmögliches Chaos anzurichten, desto höher sind die Chancen, die Stadt und die Brücke zu nehmen.“
„Und notfalls zu sprengen?“, fragte ich.
„Nein. Die Brücke vernichten wir nur, wenn wir sie nicht nehmen können. Stadt und Brücke zu halten ist bereits der Todesstoß für den bodengebundenen Nachschub der Akarii, und außerdem halten wir damit den mittleren Weg zur Front. Bis Behelfsbrücken oder genug Schwebetransporter organisiert sind, läuft der kämpfenden Truppe der Nachschub aus. So die Hoffnung in der Chefetage. Das Meiste kann man sich auch selbst zusammenreimen, Sie verstehen?“ Der Peshte zwinkerte mit dem linken und dem mittleren Auge, was für Terraner ein ungewohnter Anblick war.

„Wollen Sie damit sagen, wir spielen hier ein wenig Störfeuer und alles andere wird gut?“, mischte sich Okion Radabelt ein, die Stellvertreterin des Majors.
„Ich bin nicht derjenige, der den Plan gemacht hat, aber ich schätze, ein ordentlicher Aufruhr ist einiges wert. Aber jede SAM-Site, die die Guerilla zerstören kann, macht den Anflug unserer Verbündeten natürlich sicherer. Wie hoch soll Ihre Quote denn so sein, Major Bogenas? Was hat Parma gesagt?“
„Sechzig Prozent der Stellungen.“
„Ist natürlich bei der gefaketen Stellung, die aus Flakpanzern besteht, nur zu erreichen, wenn alle zerstört werden. Was schwierig sein wird, denn die Panzer können genauso Bodenziele bekämpfen und sind schwer zu knacken. Ich hoffe, die Truppe, die hier angreift, hat entweder die Ausrüstung dafür, oder beschränkt sich darauf, ihr richtig Ärger zu machen. Ich sage Ihnen was, Major.“ Der Peshte deutete auf die Stellung nördlich der Stadt und linksufrig des Rijen. „Egal, was die anderen Truppen erreichen. Diese Stellung, ihr Ziel … UNSER Ziel müssen wir erreichen. Wenn wir das HQ ausschalten und mindestens zwei der Sites, dann bricht der Flugabwehrdome entscheidend zusammen und wir können die Alphalandezone ausweisen.“
„Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir müssen die fünf vorgelagerten Stellungen vernichten, die drei Stellungen, die die Raketen abfeuern, und wenn es dann noch irgendwie geht das Hauptquartier, damit es nicht dabei helfen kann, die anderen Stellungen und die Flakpanzer zu koordinieren. Eine gewagte Aufgabe für eine so kleine Einheit, selbst wenn Sie uns verstärken, Lieutenant.“
„Sie sehen die Probleme wo?“, fragte der Elitesoldat.
„Nun, ausgelegt sind die vorgerichteten Beobachtungsstellungen nicht nur als Schutz, sondern auch als Einweiser für angreifende Flugzeuge, weshalb sie fünf bis sechs Kilometer vor den SAM-Stellungen stehen. Und es würde mich nicht wundern, wenn es in weiteren fünfzehn Kilometern Entfernung nicht noch ein paar kleinere Unterstände geben würde, die eingehende Flieger anmelden. Ganz klassisch, wie in der Ausbildung. Dann haben wir die SAM-Sites selbst, die auch nicht unbewacht sein werden, das HQ mit ebenfalls eigenen Wachen, und schließlich und endlich noch die motorisierte Kompanie mit Infanterie in Eingreifbereitschaft. Und dies teilweise in befestigten Stellungen. Die Bereitschaftseinheiten haben sich sicher auch schon Stellungen gegraben. Lange genug sind sie jedenfalls schon hier.“

„Wir rechnen also, die Bereitschaft mal ausgenommen mit wie viel Soldaten?“
„Lassen wir die vorgeschobenen Beobachter mal außen vor, die vermutlich ohnehin nur aus einer gut getarnten Kamera mit Laserstandleitung bestehen schätze ich fünf Stellungen mit rund zwanzig Mann in gut ausgebauten Löchern mit freiem, sich überlappendem Schussfeldern, ausgerüstet vermutlich mit schweren Laserwaffen, die ein Massaker mit allen veranstalten, die ihnen in die Feuerreichweite kommen. Das Gleiche noch mal bei den Raketen selbst und beim HQ. Also rund eine gute Kompanie Truppen und eventuell noch ein Zug leichter Panzer.“
„Und genau das wäre der Fall, wenn das Personal für den Schutz aus dem Lehrbuch da wäre. Wundert es Sie nicht, dass die Weststellung bereits eine Fake-Stellung ist?“ Lieutenant Tai'fal lachte leise. „Die Akarii sind dabei, sich mächtig zu übernehmen. Sie sind dünn aufgestellt, und ihre Personaldecke wird mit jedem Tag kleiner. Heute Nachmittag haben sie fast zwei Kompanien mobiler Infanterie über die Brücke und durch die Stadt geschleust. Als sie Arta'Rijen verließen, war daraus ein überzähliges Bataillon geworden.“
„Sie meinen ...“ „Ich meine gar nichts. Die Kaiserlichen sind bereits schlecht aufgestellt, und die Landung der 4. Sturmdivision hat dann alles angezogen, was es in dieser Gegend noch an Truppen gibt. Wenn es hier noch eine nennenswerte Präsenz an Infanteristen gibt, dann sind das nachrangige Einheiten, Leichtverwundete, frisch aufgestellte Verbände aus Versprengten des Schlachtfeldes. Wovon ich überzeugt bin, ist, dass vielleicht die Bereitschaft auf Sollstärke ist. Aber sicher nicht die Absicherungsstellungen von drei SAM-Sites für die vorgeschriebenen fünf Vorausstellungen, den Schutz von drei Raketenplätzen und das Hauptquartier. Ich denke, sie sind da mittlerweile so dünne aufgestellt, dass sie sich komplett auf die Bereitschaft verlassen. Und zugegeben, die ist stark genug, um mit allem aufzuräumen, was wir ohne Panzerunterstützung aufbieten können.“

„Ich verstehe. Von den vorderen Stellungen sind es fünf Klicks bis zu den Raketen, dann noch mal drei bis zum HQ. Wer immer die Stellungen angreift, muss die Kilometer machen, bevor er überhaupt in Reichweite der richtigen Anlagen kommt, geschweige denn das HQ. Bedeutet dann wohl, dass die Stellungen zu diesem Zeitpunkt mit einer absoluten Rumpfmannschaft und automatisierten Laserflaks ausgestattet sind, was das Einzige ist, wovon die Kaiserlichen nie zu wenig zu haben scheinen. Wie aber sollen wir es an den Stellungen vorbei schaffen, an den Raketen vorbei, bis zum HQ kommen, dieses zerstören, und das, bevor die Bereitschaftskompanie auf dem Schlachtfeld stehen? Vielleicht schaffen wir es hin, aber gewiss nicht mehr hinaus. Meine Leute sind fähig, haben Dutzende Schlachten gegen die Kaiserlichen überstanden und stehen immer ihren Mann. Aber als Kanonenfutter taugen sie jetzt auch nicht so gut.“
„Dak. Aka.“
Die beiden T'rr nickten, dann gingen sie in den Hintergrund des Raums und zogen eine moderne Rüstungskiste hervor. Sie wurde geöffnet und der Inhalt allen Anwesenden präsentiert. Es waren Waffen, die man verwendete, wenn man nicht einmal über Mörser verfügte. Scharfschützengewehre für Sprenggeschosse. „Ballistische Waffen aus peshtscher Fertigung mit fünf Schuss pro Gewehr. Reichweite bei ballistischem Beschuss etwa achthundert Meter. Sprengkraft jedes Geschosses etwa zwei Kilo Vergleichs-TNT.“
„Na, dann hoffe ich, Sie lagern die Munition draußen, Lieutenant“, rief Radabelt und erntete dafür teilweise zustimmendes Gelächter.
„Keine Sorge, die Mörsergranaten sind draußen. Mein Plan sieht wie folgt aus. Meine beiden Scharfschützen schalten zwei der vorgelagerten Stellungen aus. Wir wissen, wo sie sind, weil zwei Satelliten den Wachwechsel beobachtet haben. Fallen beide aus – und wir haben fünf Versuche pro Stellung – wird ein zwei Kilometer breiter Streifen frei von Sperrfeuer sein. Ich und meine Leute werden durchbrechen und das HQ attackieren und unter Stress halten, und wenn es geht, es vernichten. Je nachdem wie viele Granaten wir dann noch haben und wie nahe wir rankommen können. Ihren Major Davis würde ich dafür gerne mitnehmen.“
„Interessant. Sie wollen die Raketen ignorieren.“
„Die SAMS sind enger beieinander als die Schutzstellungen und verfügen über mehr überlappendes Schussfeld, also wird mindestens eine Anlage zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existieren. Diese hier.“ Er deutete auf jene Raketenstellung, die dem Fluss am nächsten war.
„Aha. Und wer wird diese SAM ausschalten?“
Der Lieutenant schnaubte amüsiert. „Wir natürlich. Wir schlagen zeitgleich mit Dak und Aka zu. Dafür brauche ich Major Davis. Er und Neuer werden die Infanterie down halten, damit wir nahe genug kommen, um das Mistding ins terranische Inferno zu blasen. Danach ist ein Korridor entstanden, der groß genug ist, um Ihre Leute einzulassen. Ich schlage vor, Sie unterstützen uns dabei, das HQ anzugreifen und zu vernichten. Wenn dann noch Zeit bleibt, können Sie eine oder sogar zwei der SAMs angreifen.“
„Und wenn es nicht so gut klappt?“
„Haben Sie einen sicheren Korridor rein und raus aus dem Wahnsinn. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn Sie einigen Schaden anrichten würden. Sie haben die Waffen und sind sehr mobil. Und soweit ich weiß, sind Sie gut ausgestattet mit MANPAD.“
„Hm“, machte Bogenas. „Wir warten darauf, dass Ihre Scharfschützen Dak und Ana die vorgeschobenen Stellungen ausschalten und Sie die SAM attackieren. Dann benutzen wir den sicheren Korridor und gehen bis zu ihnen vor. Zwei Minuten bis zu Ihnen, falls wir keine Schwierigkeiten mit Minen bekommen. Anschließend eine Minute höchstens bis zum HQ, das wir getrennt, aber zugleich attackieren. Gelingt es uns, seine Sendefähigkeiten auszuschalten, wenden wir uns je nachdem wie nahe die Bereitschaft ist, einer der SAMs zu oder verlassen das Schlachtfeld wieder.“ Er sah seine Stellvertreterin an. „Es wäre zu dem Zeitpunkt gut, wenn alle vorgeschobenen Stellungen erledigt worden sind.“
„Ich nehme mir zwei Platoons und rolle sie von hinten auf, so weit ich komme“, sagte sie.
„Ein Traumziel wäre es ja wirklich, wenn wir alle SAMs vernichten könnten. Und das können wir immer noch, denn wenn die Landung beginnt, kehren wir zurück, brechen durch die von der Spezialeinheit geschaffene Lücke erneut ein und versuchen, weitere Stellungen und SAM von hinten aufzurollen. Die Bereitschaft wird zu dem Zeitpunkt andere Probleme haben oder zumindest sehr dünn sein. Da zeitgleich weitere Angriffe auf die anderen Stellungen erfolgen und auch in der Stadt mit Panzerfäusten gegen dort aufgeklärte Flakpanzer vorgegangen wird, ist das Chaos hoffentlich richtig schön groß. Sollte die Bereitschaft nicht zu uns ausrücken, bleiben wir vor Ort und kümmern uns gleich um die SAM. Wenn Sie Recht haben, Lieutenant, sind sie nur sehr schwach geschützt, und das nutzen wir aus. Bei der Gelegenheit können wir auch ihre Scharfschützen aufnehmen und ihnen zum HQ bringen, wenn's recht ist.“
„Ich bitte darum“, sagte Tai'fal.

„Bleibt nur noch eine Frage: Wie wollen Sie es bis zur SAM-Site schaffen?“
Der Lieutenant wechselte einen amüsierten Blick mit seinen Leuten. „Von innen natürlich. Wir haben einen leichten Radpanzer auf dem Landefeld erbeutet. Seine Transponder sind noch aktuell und werden für ein paar Minuten gut sein. Lang genug jedenfalls für einen Versuch.“
„Geben Sie mir die Frequenz und die Signalfolge, damit wir nicht aus Versehen aufeinander schießen, Tai'fal.“
„Natürlich, Major Bogenas.“
„Warum nicht gleich das HQ?“, fragte ich. „Warum nicht den Überraschungsvorteil nutzen und das HQ als erstes bekämpfen?“
„Einerseits, weil wir mindestens eine Raketenstellung vernichten müssen“, erwiderte der terranische Lieutenant, „und andererseits, weil das HQ vermutlich besser gesichert ist als die Raketenstellungen und wir deshalb mehr Manpower brauchen werden.“
Die Antwort fand im Raum allgemeine Zustimmung. „Dann machen wir es so.“ Bogenas sah auf seine Uhr. „Aufbruch in einer halben Stunde. Operationsbeginn in siebzig Minuten. Reicht ihnen das, Tai'fal?“
„Es wird reichen“, bestätigte der Peshte.
„Eines noch. Falls der Oberst was Fliegbares erobert, wird er Major Davis anfordern.“
„Dann werden wir auf ihn ab dato verzichten müssen“, sagte Tai'fal. „Falls es gelingt, den Major in einem Stück rüberzuschaffen, natürlich.“
„Ja, das wäre schon nett“, sagte ich und erntete ein wenig wohlmeinendes Gelächter.
Major Bogenas nickte ernst. „Wir bringen ihre Scharfschützen für Sie ins Ziel und bringen sie ihnen nach.“
„Und wir werden ihnen mit einem schönen Feuerwerk den Weg zu uns weisen.“
Damit war alles gesagt. Die Versammlung zerstreute sich und bereitete sich auf den Angriff vor.



Geschrieben von Tyr Svenson am 30.08.2021 um 21:45:

 

Gamma-Eridon, weit hinter der imperialen Front


Kano „Ohka“ Nakakura wusste nicht genau, wie viele Stunden seit seiner Gefangennahme vergangen waren. Nur, dass es inzwischen dunkelte, dass der erste Tag seiner Gefangenschaft sich also dem Ende zuneigte. Auf der endlos scheinenden Irrfahrt durch das imperiale Hinterland hatte er sein Zeitgefühl verloren, war immer wieder kurz weggedämmert. Die im Luftkampf erlittene Verletzung, seine unsanfte Landung und die ‚handfeste‘ Behandlung durch die Akarii forderten in Kombination mit Hunger, Durst und Erschöpfung ihren Tribut.
Offenbar hatten auch seine beiden Wächter nicht damit gerechnet, dass ihre Mission so lange dauern würde. Anfangs war die Fahrt zügig verlaufen, denn das unmittelbare Fronthinterland erschien wie leergefegt. Vermutlich hatten die Akarii alle verfügbaren Kräfte in die stärker umkämpften Gebiete verlagert. Doch das hatte sich geändert, je weiter sie ihre Fahrt ins imperiale Hinterland führte. Immer häufiger waren sie Truppenkonvois und Nachschubtransporten begegnet, was die Fahrt eins ums andere Mal verzögerte. Mit ihrem Radfahrzeug konnten sie auch nicht einfach ins Gelände ausweichen.
Erneut rächten sich Kanos nur rudimentäre Kenntnisse der Akarii-Sprachen. Immerhin verstand er, dass die Fahrt nicht nach Plan verlief. Offenbar war es gar nicht so einfach, im Chaos einer laufenden Offensive und Gegenoffensive einen kriegsgefangenen Piloten weiterzureichen.
Mindestens zweimal waren seine Wächter anscheinend abgeblitzt, vermutlich, weil die entsprechenden Dienststellen inzwischen verlegt worden waren oder nicht über die nötigen Unterbringungs- oder Transportmöglichkeit zu verfügen angaben. Offensichtlich zunehmend frustriert, war Kanos Gefangenenwärtern nur übrig geblieben, sich wieder auf den Weg zu machen.

Kano wusste, dass er Glück im Unglück gehabt hatte. Zwar setzte es von seinen Wächtern schnell einen Schlag, einen Tritt und einmal auch einen Kolbenstoß, wenn er nicht schnell genug auf einen Befehl reagierte. Aber wenigstens verhielten sich die Soldaten nicht direkt bösartig oder entledigten sich ihrer ungeliebten Aufgabe mit einem „Auf der Flucht erschossen“. Dafür war Kano vermutlich auch einfach zu wertvoll.
Tatsächlich ließen die Soldaten Kano die meiste Zeit in Ruhe, gaben ihm sogar ab und zu einen Schluck Wasser und einmal auch die Reste einer Wegverpflegung. Auch wenn er nicht wusste, woraus die scharf gewürzte Paste bestand, aß er sie bis zum letzten Rest und kratze auch jede der untergemengten blassrosa Fleischfasern aus den Ecken des Kunststoffbehälters. Er war nicht in der Lage, wählerisch zu sein. Im Gegenteil, er würde jedes bisschen Kraft und Ausdauer brauchen – und das schon bald. Sein Leben würde davon abhängen.
Denn seinen Wächtern waren einige gefährliche Fehler unterlaufen.

Zum einen hatten sie darauf verzichtet, Kanos die Beine zusammenzuschnüren und hatten seine Hände nicht auf dem Rücken, sondern vor dem Körper gefesselt. Vermutlich war das einfach aus Bequemlichkeit geschehen. So konnte Kano aus eigener Kraft gehen, seine Wächter mussten sich weniger um ihn kümmern und nicht so häufig die Fesseln lösen und wieder anlegen. Dennoch war das ein sehr fahrlässiges Verhalten, das Kano selber niemals geduldet hätte.
Eingedenk der unheroischen Umstände seiner Gefangennahme, Kanos ramponierten Zustand und seiner Zugehörigkeit zur Navy meinten die Akarii vermutlich, dass der eher kleingewachsene und mehr drahtig als muskulös gebaute Pilot keine Bedrohung darstellte. Eine Einschätzung, die Kano hoffte korrigieren zu können, noch bevor sie den Zielpunkt der Reise erreicht hatten.
Vermutlich hatten die Wächter aus dem gleichen Grund darauf verzichtet, seine Hände mit Metall- oder Kompositfesseln zu fixieren, sondern einfache Kunststofffesseln für ausreichend befunden. Kanos Meinung nach waren diese allerdings allenfalls geeignet, um einen Taschendieb oder einen betrunkenen Matrosen festzusetzen. Gewiss, mit bloßen Händen Versuch lediglich die Handgelenke zerschnitten.
Aber es gab eine andere Option. Denn der Frachtraum des Transports bestand aus Metall, genauso wie die Strebe, an die Kano gefesselt war. Ein Strebe, die an einer Stelle eine scharfe Kante aufwies…

Kano konnte nur quälend langsam an seinen Fesseln arbeiten, mit vorsichtigen, fast unmerklichen Bewegungen, die durch das Rütteln des Wagens auf der oft holprigen Piste unterstützt und gleichzeitig kaschiert wurden. Und das alles unter der ständigen Bedrohung, dass seine Bemühungen entlarvt wurden, denn er war niemals alleine. Ständig befand sich ein bewaffneter Soldat im Transportraum, der den Gefangenen im Auge behielt. Und bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen Kano losgemacht wurde, waren immer beide seiner Wächter anwesend.
Das behinderte nicht nur das Arbeiten an den Fesseln. Selbst wenn er sich befreite – er würde immer noch an mindestens einem der Soldaten vorbeikommen müssen.
Auch wenn sie statt Ganzkörperpanzern nur leichte Schutzwesten trugen und meistens auch auf ihre Helme verzichteten, die Laserkarabiner, Laserpistolen und Seitengewehre behielten die Akarii immer am Körper. Sie waren vielleicht etwas nachlässig oder übertrieben selbstsicher, doch nicht dumm. Und er hatte genug über die Nahkampffähigkeiten der Akarii gehört, um sie auch unbewaffnet nicht zu unterschätzen. Wie hatte es mal jemand ausgedrückt? ‚Schlag einem Akarii in die Fresse – und er beißt dir wahrscheinlich die Hand ab.‘
Dennoch würde er die Flucht wagen müssen. Und zwar bald. Wenn er erst einmal in einem Verhörzentrum oder einem regulären imperialen Gefängnislager steckte…

Momentan sah es allerdings nicht gut aus. Offenbar hatten sie bewohntes Gelände erreicht, denn durch die halb aufgeklappte Heckluke des Transporters sah Kano im Halbdunkel eine doppelte Reihe Gebäude, auch wenn sie momentan verlassen wirkten. Auf der Straße, auf die sie vor kurzem eingebogen waren, war deutlich mehr los. Sie verlief mehrspurig und ließ auf dem Mittelstreifen genug Platz für eine Magnetbahn. Binnen weniger Herzschläge zählte Kano ein halbes Dutzend schwerer imperialer Armeetransporter, die in der Gegenrichtung vorbeirollten. Außerdem passierten sie einen anscheinend nur im Schritttempo fahrenden, hoch beladenen Transportzug.
Dann kam der Wagen ruckartig zum Stehen. Der Akarii, der Kano momentan ‚Gesellschaft‘ leistete, stieß sich unsanft den Hinterkopf. Der Soldat fluchte herzhaft und kam auf die Beine, um mit einer gemurmelten Reihe von Flüchen aus dem Transporter zu springen. Kano konnte nicht genau verstehen, was er sagte, aber offenbar verlangte er zu wissen, was sie aufhielt. Die scharfe, befehlsgewohnt klingende Stimme einer Akarii antwortete ihm und es entspann sich ein unfreundlich klingendes Hin und Her.

Kano zog probehalber an den Fesseln. Er war gut vorangekommen. Ein Ruck und er wäre frei. Aber er ließ die Fesseln, wo sie waren. Offenbar war diese Siedlung fest in Akarii-Hand und anscheinend wimmelte es von Imperialen. Wenn er jetzt einen Fluchtversuch wagte, würde er nicht weit kommen.
Wenige Sekunden später wurde Kano in seiner Einschätzung bestätigt, als ihm der Strahl einer taktischen Taschenlampe ins Gesicht leuchtete. Geblendet blinzelte er in das grellgelbe Licht und erkannte nur schemenhaft eine hochgewachsene, vollgepanzerte Infanteristin, die ihr Lasergewehr locker über der Schulter trug und deren auf die Panzerung geprägten Ranginsignien sie als eine Unteroffizierin identifizierten. Welcher Rang genau, konnte Kano nicht erkennen.
Der Strahl der Taschenlampe wanderte kurz über Kanos Körper. Mit der Schulter zuckend wandte sich die Soldatin ab und rief irgendetwas Spöttisches zur Seite, was von ihren außerhalb Kanos Blickfeldes bleibenden Kameraden mit einem kurzen Auflachen quittiert wurde. Dann hämmerte die Soldatin kräftig gegen die Wand des Transporters.

Gleich darauf kletterte Kanos Wächter in den Wagen und der Transporter fuhr wieder an. Kurz erhaschte Kano ein paar Blicke auf die Straßensperre, die sie soeben passiert hatten: neben der Fahrbahn gestapelte Sperrplanken und aufgerollte Nagelketten, zwei rechts und links der Straße errichtete Schützenstellungen, umgeben von halbhohen Sandsackbarrieren. Auf einer davon war ein Schnellfeuerlaser positioniert. Ein kleines, leicht gepanzertes Vierrad-Patrouillenfahrzeug mit aufmontiertem Schnellfeuerlaser parkte auf dem Seitenstreifen.
Das Fahrgeräusch des nur im Schritttempo rollenden Wagens änderte sich fast unmerklich. Das, die rechts und links der Fahrbahn aufragenden Metallstreben und der dumpfe Geruch von faulendem Wasser, Schlamm und Vegetation informierten Kano, dass sie über eine Brücke rollten – und zwar eine große. Sie passierten ein, zwei Feuerstellungen, die mit automatischen Luftabwehrlasern oder leichten Boden-Luft-Raketen bestückt waren. Ein ungutes Gefühl machte sich in Kanos Magengrube breit. Er glaubte zu wissen, was für eine Stadt sie erreicht hatten – und was für eine Brücke. Arta‘Rijen - die Stadt, die die namenlose Verhöroffizierin erwähnt hatte, als sie Kanos Abtransport befohlen hatte. Ihm lief die Zeit davon.
Noch einmal passierten sie eine Straßensperre, wurden aber diesmal anstandslos durchgewunken und verließen die Brücke über den Rijen. Vermutlich interessierten sich die Wachtruppen vor allem für Fahrzeuge, die AUF die Brücke rollten – nicht für die, die sie verließen. Der Transporter beschleunigte wieder…

Es begann mit einem dumpfen Knall, fern, aber stark genug, um ihn am ganzen Körper zu spüren, wie einen Schlag in den Magen. Die nächste Explosion war näher. Irgendwo erwachte eine, dann mehrere Sirenen zum Leben. In die an- und abschwellenden Alarmtöne mischten sich fast sofort neue Explosionen, in die – anscheinend an mehreren Stellen in der Stadt – Kleinwaffenfeuer einfiel. Kanos Blickfeld war immer noch sehr eingeschränkt, aber auch so sah er, dass an ein, zwei Stellen Signalraketen aufstiegen, dass Leuchtspurgeschosse und Laserimpulse durch die Luft zuckten.
Der Transporter kam schlitternd zum Halten. Von vorne hörte Kano dumpfe Flüche. Der Soldat, der sich den Transportraum mit dem Gefangenen teilte, kam mit einem Fluch auf die Beine und stülpte sich hastig den Helm auf. Den Karabiner im Anschlag, sprang er aus dem Wagen, sah sichernd in die Runde und wandte sich dann um, um den Transporter zu umrunden.
Das war Kanos Gelegenheit. Er verzichtete auf irgendeinen elaborierten Plan, sondern setzte auf Schnelligkeit und Überraschung. Kaum, dass er unbeobachtet war, hatte er die nur noch von einem dünnen Kunststoffstreifen zusammengehaltenen Fesseln endgültig zertrennt, sich aus dem Transportraum gerollt, kurz orientiert und seine Chance genutzt.
Der Angriff traf den Akarii aus einem toten Blickwinkel. Kano alte Kampfsportlehrer hätten das Bodycheck-Manöver zwar als sehr unelegant abgetan, aber es funktionierte. Der überraschte Imperiale ging zu Boden wie ein nasser Sack. Mit einem wütend Schrei schlug er um sich, schaffte es, sich auf die Seite zu rollen – und starrte in die Mündung seiner Laserpistole, die Kano ihm blitzschnell aus dem offenen Holster gezogen hatte.
Ein anderer Mann hätte dem Akarii vielleicht die Möglichkeit gegeben zu kapitulieren. Oder hätte versucht, ihn kampfunfähig zu machen. Kano verschwendete darauf keinen Gedanken, sondern feuerte sofort zweimal, während er im Stillen der Tatsache dankte, dass der obligatorische Survival-Lehrgang der Piloten-Ausbildung auch eine kurze Einweisung in die gängigen Waffenmodelle der imperialen Armee beinhaltete. Dann riss er dem noch zuckenden Akarii den Laserkarabiner aus den sich verkrampfenden Händen und als der Soldat erschlaffte, brachte er auch noch dessen Seitengewehr an sich.
Kurz fühlte er so etwas wie Übelkeit in sich aufsteigen und beinahe hätte er sich übergeben. Ein Schrei und ein Laserimpuls, der sich wenige Schritte neben ihm in den Straßenbelag bohrte, informierten Kano, dass sein Ausbruch nicht unbemerkt geblieben war und er keine Zeit hatte, weitere Ausrüstungsstücke zu erbeuten, geschweige denn moralische Erwägungen anzustellen.
Etwa zwanzig Schritte hinter seinem Gefangenentransport war ein anderer imperialer Transportwagen zum Stehen gekommen. Von der geöffneten Fahrertür halb verdeckt, hatte die Akarii-Beifahrerin das Feuer eröffnet. Zum Glück war sie offenbar keine allzu gute Schützin.
Kano duckte sich, feuerte eine kaum besser gezielte Lasersalve ab, während er in den Schutz einer Seitengasse sprintete.

Sehr lange konnte er das Tempo allerdings nicht durchhalten. Keine halbe Minute später musste er nach Luft schnappend innehalten, während sich seine verletzte Schulter mit einem stechenden Schmerz zurückmeldete.
Eine schnelle Revision seiner Lage ließ Kano zu einem sehr gemischten Fazit kommen. Seine Flucht war geglückt – zumindest vorerst. Und wenn sein Glück anhielt, dann würden die Akarii Wichtigeres zu tun haben, als eine Treibjagd auf ihn zu eröffnen.
Inzwischen war es offensichtlich, dass der Grund für das ausgebrochene Chaos kein Luftangriff und auch kein einzelner Anschlag oder Sprengfalle irgendeiner isolierten Guerillagruppe war. Überall in und um die Stadt herum schienen Gefechte auszubrechen. Explosionen, Werfer- und Kleinwaffenfeuer flackerten an anscheinend einem Dutzend Stellen auf. Irgendwo weit entfernt meldete sich sogar ein Raketenartilleriepanzer mit dem charakteristischen Heulen seiner Geschosse. In diesem Durcheinander aus Feuer und Vernichtung rechnete sich Kano gute Chancen aus, übersehen zu werden.
Natürlich musste er vermeiden, einer imperialen Einheit oder einem Scharfschützen vors Rohr zu laufen. Auch die explodierenden Bomben, Granaten und Raketen würden nicht zwischen ‚Freund‘ und ‚Feind‘ unterscheiden.
Auf der Haben-Seite konnte er einen imperialen Laserkarabiner und eine Laserpistole verbuchen, beide mit noch fast vollen Energiezellen. Dazu kam ein ungefähr unterarmlanges Sirash-Seitengewehr mit Sägerücken. Was ihm fehlte, war irgendeine Form von Körperpanzerung, waren Nahrung und Wasser, ein Funkgerät oder eine Navigationshilfe geschweige denn ein Transportmittel. Er war geschwächt, verwundet und trug immer noch lediglich die ramponierten Überreste des leichten Jumpsuits, der von den Piloten der TSN unter dem gepanzerten Raumanzug getragenen wurde. Weit würde er damit wahrscheinlich nicht kommen. Sich auf eigene Faust zu den alliierten Frontlinien durchzuschlagen – wo immer die momentan verlaufen mochten – war deshalb keine besonders aussichtsreiche Option. Vielversprechender erschien es, Anschluss an die in und um Arta’Rijen operierenden alliierten Verbände zu suchen, ob es sich dabei nun um Luftlandetruppen, Spezialeinheiten, Guerillas oder das 30. Korps handelte. Natürlich bedeutete das auch, dass er mitten in die ausbrechende Schlacht marschieren und dabei hoffen musste, dass seine Verbündeten ihn nicht aus Versehen über den Haufen schossen.
Objektiv betrachtet wäre es für sein Überleben vielleicht günstiger gewesen, auf den Fluchtversuch zu verzichten. Aber der Gedanke kam Kano nicht einmal. Die Pflicht eines gefangenen Soldaten war die Flucht, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit.

Das Dröhnen eines schweren Motors und Rufe auf Sekurr informierten Kano, dass er lange genug auf einem Fleck geblieben war. Noch einmal orientierte er sich – dorthin, wo wütendes Kleinwaffenfeuer und Rufe in verschiedenen Sprachen signalisierten, dass ein Gefecht zwischen den imperialen Garnisonstruppen und den immer noch vor Kanos Augen verborgenen Angreifern im Gange war. Geduckt, in schmalen Seitengassen und der Deckung einer Häuserwand bleibend, machte er sich auf den Weg.



Geschrieben von Ace Kaiser am 04.09.2021 um 11:40:

 

Es war etwa zwanzig nach zweiundzwanzig Uhr Ortszeit, also praktisch Mitternacht, als sich Pashka-Vier voneinander trennte. Die beiden regulären Scharfschützen der Einheit Dak und Aka würden mit der Einheit Major Bogenas' in ihr Zielgebiet gebracht werden und anschließend zu uns stoßen, wenn unser Feuerwerk nur groß genug war.
Ich hingegen fuhr mit dem Panzerwagen, den Pashka-Vier auf den Behelfsflughafen bei der Landung der Sturmbrigade erbeuten konnte, und dem Rest des Teams in eine vollkommen andere Richtung. Bis zum eigentlichen Beginn des Angriffs, der auf Null Uhr achtunddreißig angesetzt war, war also noch über eine Stunde Zeit. Genug Zeit für uns, um in Stellung zu kommen. Mehr als genug Zeit, die wir totschlagen mussten, bevor wir uns das erste Mal mit den Akarii würden auseinander setzen müssen. Mein neuer Partner „Neuer“ nutzte die Zeit, um sich mit seiner neuen Waffe vertraut zu machen. Bogenas würde Schwierigkeiten kriegen, sie zurückzubekommen, vermutete ich. Was Pashka-Vier einmal in den Händen hatte, gab die Truppe nicht mehr wieder her, und Lieutenant Marcus hatte diese Einstellung adoptiert. Die Licca 4D würde Bogenas' Guerillamannschaft sicher nicht mehr unterstützen, aber ich nahm mir vor, zumindest theoretisch zu protestieren.
Ich selbst las ein wenig. Meinen Minicomputer mit meiner Lesesammlung und der Filmbibliothek hatte ich auch beim Absturz bei mir gehabt. Im Vertrauen, ich hatte mehrere, für den Fall des Falles. Zittern und Angst haben konnte ich später noch, wen die Mission akut wurde.
Der Geit-Hund hatte sich auf dem Boden über meinen Füßen eingerollt und schien zu schlafen. Da seine Schwanzspitze, die ihm die Bezeichnung „Hund“ von uns Terranern eingebracht hatte, hin und her schlug, schien er sich auf seine Weise durchaus zu amüsieren.
Tai'fal, der Kommandeur, putzte während der recht holprigen Fahrt seine Waffe mit einer Gemütsruhe, die nur jemand haben konnte, der akzeptiert hatte, dass sein Leben eventuell sehr bald vorbei sein würde.
Vacani fuhr, und das war kein leichtes Unterfangen, mit Gefechtsbeleuchtung durch nächtliches Gelände zu fahren.
Taku-Taku, die stellvertretende Kommandeurin, schärfte nicht etwa ihr Kommandomesser, um die Hälse von Kaiserlichen aufzuschlitzen, wie man hätte erwarten können. Sie las in einem eigenen Computer Gedichte, hauptsächlich Heine, Schiller und Goethe aus meiner Sammlung. Ab und an schickte sie meinem Gerät eine kleine Mail mit Anmerkungen zu den Arbeiten. Zu meiner Schande musste ich eingestehen, dass sie in einer halben Stunde mehr von den prästellaren deutschen Dichtern gelesen hatte als ich in fünf Jahren auf der RED und der COLUMBIA zusammen.
Drehh hatte sich jetzt, wo ohne Dak und Aka ein wenig Platz im Wagen frei geworden war, einen zweiten Sitz als Tischchen erobert und bastelte aus C34 und Zündern kleine Minen, die wir wohl bald brauchen würden. Vor den kleinen Sprengkapseln, die per Zeitzünder und per Funkbefehl ausgelöst werden konnten, hatte ich Respekt. Bei der Guerilla hatte ich bei einem Training miterlebt, wie alleine die Sprengkapsel einen acht Zentimeter durchmessenden Baum gefällt hatte. Also bei dem, was auf dieser Welt als Baum durchging.
Shana, die Sanitäterin, malte etwas auf einem Block. Dass sie dabei immer wieder mich und Lieutenant Marcus anblickte und einmal sogar fröhlich vor sich hinpfiff, bis Vacani die T'rr daran erinnerte, wie gut die Nachtluft Geräusche trug, machte mich ein wenig nervös.

Etwa eine halbe Stunde später fuhren wir auf eine Straße auf und folgten ihr. Die Konstellation der Sterne verriet mir, dass es nach Osten ging. Hinter uns erahnte ich einen Hauch von Gefechtsbeleuchtung eines Fahrzeugs.
„Dies ist die Straße nach Arta'Rijen, richtig?“, stellte ich trocken fest.
Lieutenant Marcus grinste mich fröhlich an. „Wenn wir aus der Stadt kommen, haben wir es sehr viel leichter, die SAM-Stellung zu erreichen. Sie erinnern sich daran, dass unser Transponder noch gültig ist, Commander?“
„Flyer“, sagte Tai'fal mit Bestimmtheit. „Ab hier keine Namen und Ränge mehr.“
„Hey, Moment, wieso kriegt Ace hier gleich einen richtigen Namen, und ich muss noch mit Neuer rumlaufen?“, protestierte der Spezialagent.
„Flyer wird heute Nacht noch davon fliegen, so oder so“, erwiderte der Kommandeur der kleinen Einheit. „Du aber wirst dir heute einen Teamnamen verdienen. Wir dachten an Snaps, wenn du einigermaßen gut schießt.“
„Oder Autsch. Das ist jedenfalls der Laut gewesen, den du gemacht hast, als du in den Arsch getroffen wurdest“, neckte Shana.
„Na, danke“, murrte der Lieutenant.
„Nun mal Salz an die Pentetta“, benutzte ich ein altes Peshtensprichwort. „Ihr wollt ganz regulär über die Straße in die Stadt fahren, und dann vorgeben, ihr müsstet zu einem der SAM-HQs oder etwas in der Art, richtig?“
Einmütiges Nicken antwortete mir. „Wir geben uns als Versprengte aus, die Teil der Gegenguerilla sind und von Vacani nach und nach aufgegabelt wurden.“
Ich sah in Fahrtrichtung. „Und wie lange noch bis zum ersten Kontrollposten?“
„Etwa fünf Minuten, bevor wir mit der ersten Straßensperre rechnen“, sagte Vacani. „Dank Transponder werden die uns aber durchlassen. Erst wenn wir in die Stadt wollen, werden sie den Wagen filzen.“
„Moment, mir wird hier einiges klar. Und auch warum Shana so eifrig zeichnet.“ Ich nahm ihr den Block aus der Hand, wogegen sie nur halbherzig protestierte. Es war ein Bild von mir. Übersät von Blutergüssen, einen blauen Auge und einem schlecht verheilten Schnitt, der die halbe rechte Wange aufgeteilt hatte. Auch eines der Ohren hing nur noch an einem Hautfaden herab. Ich sah sehr, sehr, sehr lädiert aus. Ich schlug die nächste Seite auf und war beruhigt. Die Zeichnung, die Lieutenant Marcus darstellte, sah ähnlich schlimm aus, nur dass er zwei blaue Augen hatte.
„Wir können natürlich nicht alles davon umsetzen“, sagte Drehh, während sie meinen alten Fliegeranzug an den Armen zerriss und Löcher hinein schnitt. Ich ahnte die Art der Scharade, die diese Truppe plante. „Wir kriegen ein Ohr nicht so kurzfristig produziert, also werden wir es nur in allen Farben schillern lassen. Aber wir können die anderen Wunden herbeischminken. Wenn der Herr Major dann noch schwer atmen, humpeln und ein paar gebrochene Rippen simulieren würde...“
„Was immer Sie wollen, ohne es mir tatsächlich zuzufügen“, murrte ich.
„Also, ich bin fertig“, flötete Shana. Sie nahm ihr Erste Hilfe-Set und öffnete es. Der Koffer war beträchtlich gut bestückt, und schnell entdeckte ich das komplette Theaterschminkset. „Ziehen Sie sich bitte mal aus, Flyer. Es macht sich bestimmt gut, wenn man durch die Schnitte und Risse im Overall weitere blaue Flecken und blutende Wunden sehen kann. Sie werden furchtbar aussehen, richtig furchtbar.“
„Heißt das, jetzt sehe ich noch gut aus?“, neckte ich die T'rr.
Für einen Moment verstummte die Sanitäterin, dann begann sie ärgerlich vor sich hin zu brabbeln und mir etwas sehr wütend das Maltablett zum Halten in die Hand zu drücken. „Terraner“, murrte sie.
„Nicht lange reden, du hast zwei Patienten. Also runter mit den Klamotten, Jungs, die Mädels wollen was sehen“, sagte Vacani. Sie stellte tatsächlich den Innenspiegel dafür neu ein.
„Na dann ...“
***
Den ersten Checkpoint überstanden wir tatsächlich so problemlos, wie wir uns das erhofft hatten. Der Radpanzer wurde durchgewunken, ohne angehalten zu werden. Daraufhin folgten wir für zwanzig weitere Minuten der Straße, während sich die abgedunkelte Stadt langsam aus dem Sternenlicht schälte. Das hieß, eigentlich hätte die Stadt abgedunkelt sein müssen, aber ich sah viel zu viele Lichter entlang dessen, was die Hauptstraßen sein mussten.
„Verdammt“, entfuhr es mir. Wer eine besetzte Stadt derart illuminierte und somit Fliegerangriffe förmlich herausforderte, der hatte entweder eine handfeste Schweinerei vor, oder er machte sich keine Gedanken um Fliegerangriffe. Beides keine tollen Optionen.
„Keine Panik, Flyer“, sagte Tai'fal. „Wir wussten, dass wir in ein Hurritnest stechen würden.“
An der Einfahrt vor dem ersten Vorort wurden wir dann tatsächlich gestoppt. Zwei Panzerwagen versperrten den Weg und gaben ihn erst frei, nachdem zumindest jemand die Identität eines Fußgängers oder das Innenleben eines Wagens gecheckt hatte. Das war lax, aber während einer Großoffensive mit feindlicher Landung im eigenen Rücken sicher kaum anders zu handhaben. Es zeigte deutlich den Personalmangel. Marcus und ich hatten uns nach vorne gebeugt und die Köpfe gesenkt. Wir waren mit Kunststoffseilen an Händen und Knöcheln zusammengebunden worden, zumindest sah es für den oberflächlichen Betrachter so aus. Wir spielten die erschöpften, übermüdeten Kriegsgefangenen. Was war ich dankbar, auf der Akademie zweimal in einem Theaterstück aufgetreten zu sein.
Am Checkpoint gab es einen kurzen Wortwechsel, der so leiste zwischen Vacani und dem Soldaten, der uns angehalten hatte, vor sich ging, dass ich kaum ein Wort verstand. Es war Sekurr, und irgendwann schimpfte unsere Fahrerin wie ein wütender Honigdachs auf Rachefeldzug. Marcus und mir wurde von Drehh in die Haare gegriffen und sie riss unsere Schädel hoch. Eine scharfe Taschenlampe beleuchtete unsere Gesichter. „Hek?“, fragte der Wachmann. Tot. Er hielt uns für tot. Drehh riss unsere Schädel höher, und mir entwich ein leises Stöhnen. Marcus war nicht so zurückhaltend. Er fiepte auf wie ein Hund, dem man auf die Zehen getreten war. „Ma hek“, stellte die Wache fest, das Licht wurde wieder gelöscht. Dann sagte er die erlösenden Worte. Ich übersetzte: „Weiter fahren. In der Stadt gibt es einen Sammelpunkt für Kriegsgefangene. Versuchen Sie, ihre Beute da los zu werden und sich bezahlen zu lassen. Danach sollten Sie wieder aus der Stadt verschwinden.“
Drehh ließ unsere Haare los, und Marcus' Kopf fuhr automatisch herab, während ich mich langsamer in die qualvolle Position begab.

Als wir in die Stadt einfuhren, durften Marcus und ich uns wieder aufsetzen. Die Fesseln blieben für den Fall, dass wir die Ausrede erneut brauchten. Daher mussten der Lieutenant und ich die Füße auf die Sitze stellen.
„Bis hierhin ging es gut“, kommentierte Tai'fal.
„Wohin jetzt, Boss?“, wollte Vacani wissen. „Bringen wir die Päckchen weg?“
Der kräftige Peshte nickte. „Zuerst beide Päckchen. Dann fahren wir zu diesem Sammelplatz.“ Er wandte sich nach hinten. „Es gibt für die Gegenguerilla Kopfgeld auf Kriegsgefangene. Wir werden so tun, als würden wir euch abliefern wollen. Aber weil du ein Pilot bist, Flyer, setzen wir den Preis so hoch, dass er die Kasse der Truppe überfordert. Dann sagen wir, dass wir zu einem Hauptquartier fahren, wo man uns den vollen Betrag geben wird und hauen wieder ab.“
„Und das alles nur für einen Blick auf die Sammelstelle?“, fragte Drehh.
„Nein. Wir müssen dort auftauchen. Der Kommandeur der Sperre hat uns garantiert angemeldet. Wenn wir nicht hin fahren, wissen die Akarii, was die Stunde geschlagen hat. Huan!“
Der Geit-Hund, der bis eben selig geruht hatte, sah auf. „Wir beide laden die Kisten aus.“
Das halbintelligente Tier knurrte zustimmend.
Während wir durch die teilweise beleuchtete Stadt fuhren, sahen wir uns eifrig um. „Noch ein Chr'Chr. Das macht schon drei“, sagte ich leise.
„Mit denen auf meiner Seite fünf. Dazu ein paar gepanzerte Infanterietransporter“, kam es von Tai'fal. „Wenn wir bedenken, wie viele vor der Stadt in der Luftabwehr positioniert sein sollen, ist das nicht sehr viel. Ah, ein Sa'toko. Haben sie also mindestens zwei von den Dingern in diesem Gebiet.“

Vacani bog ab, als keine Kaiserlichen zu sehen waren. Schnell war sie zwischen relativ kleinen Straßen verschwunden. An einer Stelle, die sich kaum hervorhob, hielt sie an, und der Geit-Hund sprang dem Kommandeur nach draußen hinterher. Sie öffneten die Ladebucht und zogen eine lange Kiste mit Einwegpanzerfäusten hervor. Tai'fal klopfte leise an eine Ladentür. Ihm wurde von einer nervösen alten Peshtenfrau geöffnet. Sie sprachen leise miteinander, dann winkte der Chef von Pashka-Vier dem Hund und wandte sich wieder zum Gehen. Kaum waren beide an Bord, fuhr Vacani wieder an. Und bevor wir in der nächsten Seitenstraße abbiegen konnten, sah ich, wie sich ein paar kräftige junge Peshten hastig vom Laden aus auf die Straße begaben und die Kiste ins Gebäude holten. Die Tür schloss sich hinter der alten Frau, und nichts erinnerte daran, was hier gerade passiert war.
Nur zwei Minuten später, wir mussten dafür die Hauptstraße überqueren, wiederholte sich die Szene neben einem Gebäude, dessen oberen drei Stockwerke größtenteils aus Trümmern bestanden. Die halbe Straße sah so aus. Wieder luden Tai'fal und der Geit eine Kiste aus, doch diesmal entsponn sich mit dem Empfänger, einem Mann in offizieller Uniform der Peshten, ein kurzes Gespräch. Tai'fal schien der Betreff nicht gut zu bekommen, denn er redete auf den Mann ein. Die Kiste war schon längst abtransportiert, da endlich sagte der Uniformierte etwas in den dunklen unbeleuchteten Eingang. Eine kleine Kiste wurde heraus geschafft. Der Geit-Hund nahm sie auf und zwängte sich mit ihr in den Innenraum. Tai'fal folgte kurz danach. Der Fremde und er wünschten einander viel Glück, dann war auch diese Szene vorbei, als wäre nie etwas geschehen. Wir fuhren los.
„Planänderung. Löse die Fesseln, Drehh.“
Die Akari-Frau tat wie geheißen. Endlich konnten wir die Füße wieder absetzen. Wir öffneten als erstes die Kiste. Sie war gefüllt mit Handlasern, Messern und Ersatzmagazinen.
„Der Sammelplatz ist nicht ganz das, was man uns gesagt hat. Es scheint, als würden die Kaiserlichen gerade ein paar hundert Kriegsgefangene zu Fuß nach Westen schaffen, und für heute campieren sie auf dem Marktplatz in der Innenstadt. Deshalb die Straßenbeleuchtung. Keiner rechnet damit, dass die Stadt beschossen wird, wenn sie so viele Gefangene durchtreiben. Und mit Licht können sie die armen Schweine besser beisammen halten.“
„Oh nein, Tai'fal, sag mir nicht, dass du einen Plan hast.“
Der Peshte grinste die Akarii-Frau breit an. „Dass unsere beiden Menschlein über ein gewisses schauspielerisches Talent verfügen, haben sie ja gerade bewiesen. Huan, das ist jetzt wichtig. Tu den beiden nicht weh.“
Irritiert raunte der Geit auf. „Wir tun so, als wollen wir die beiden bei dem Gefangenentreck abliefern. Dazu wirst du beiden in den Magen boxen. Also hierhin, da haben Menschen den Magen. Danach stößt du sie unter die anderen Gefangenen. Aber tu ihnen nicht wirklich weh, verstanden?“
Der Geit-Hund schnaubte abfällig. Als wenn er das nicht beim ersten Mal verstanden hätte. Schließlich nickte er, damit Tai'fal aufhörte, ihn fragend anzustarren.
„Ihr beide nehmt so viele Waffen an euch, wie ihr am Körper verstecken könnt. Versucht, so weit wie möglich unter die Gefangenen zu kommen, am besten stürzt ihr ein paar Terranern vor die Füße. Übergebt so viele Waffen wie möglich, bevor wir euch wieder rausholen.“
Ich nickte zustimmend und begann, mir Kampfmesser in die Innentaschen zu stopfen. Auch Lieutenant Marcus ließ sich nicht lange bitten, nahm ein paar Rödelbänder aus Klettband aus einem Staufach, zog die Uniformjacke aus und band sich Handfeuerwaffen an die Unterarme. Ich imitierte ihn sofort und ließ erneut die Hosen runter, um auch an den Beinen Pistolen anzubringen.
„Sobald sich die Gefangenen wehren können, werden sie sich bessere Waffen bei den Kaiserlichen holen. Das ist nur eine kleine Chance, aber hier wird eh bald Chaos ausbrechen. Bis das der Fall ist, sollten wir unser Missionsziel zumindest sehen können.“ Er sah auf seinen Chronometer. „Ich gebe uns zehn Minuten für dieses Quanquarstück.“
Wieder nickte ich. Jemand, dem eine Atombombe quasi vor der Nase explodiert war und der dies überlebt hatte, war nicht wirklich leicht zu überraschen. Etwas schreckhaft vor grellem Licht vielleicht, aber nicht leicht zu überraschen.
***
Was folgte, übersetze ich gleich ins Terranische. Tatsächlich wurden wir kaum, dass ich die letzte Waffe unter einem Hosenbein kaschiert hatte, angehalten und befragt. Vacani deutete wieder nach innen und erklärte, sie hätten einen Piloten der COLUMBIA, für den sie das Kopfgeld kassieren wollten. Wir wurden weiter gewunken. Ich hielt den Kopf demütig gesenkt, sah aber ein wenig auf. Der Marktplatz. Er war mit ein paar hundert Soldaten gut gefüllt. Das mussten so an die vierhundert sein, in der Hauptsache Peshten, aber ich sah auch Terraner unter ihnen. Keine Akarii, die wurden wahrscheinlich auf die eine oder andere Art speziell behandelt. „Halt bei den Terranern“, wies Tai'fal die Fahrerin an.
Gehorsam stoppte sie den Wagen, dicht bei einem Posten, der zwei, drei Meter von den schlafenden Gefangenen entfernt stand, die Waffe im Anschlag, aber nicht auf uns gerichtet.
Ohne sich auf eine Unterhaltung mit ihm einzulassen, sprangen Tai'fal und Shana aus dem Wagen, Drehh hielt sich im Hintergrund, ihre Handfeuerwaffe gezogen, feuerbereit, aber noch versteckt. Dann zog Huan uns beide mit Gewalt aus dem Wagen, presste uns mit dem Rücken gegen die Panzerung und schlug mir und Marcus in den Bauch. Bei beiden Schlägen schnaubte er, als würde er seine ganze Kraft reinlegen. Mit einem japsenden Laut der Überraschung beugte ich mich vor und ging zu Boden wie ein sich schließendes Klappmesser. Hielt Marcus die Scharade auch durch? Der Lieutenant fiel in sich zusammen, stürzte auf die Seite und gab einen Schwall Wasser von sich, als hätte er sich erbrochen. Die Szene wirkte so echt, dass Huan für eine Sekunde aus der Rolle zu fallen drohte. „HUAN!, rief Tai'fal. „Schaff sie zu den anderen!“
Der Geit-Hund ruckte zu seinem Anführer herum, sah wieder uns an, dann griff er in die Kragen unserer Kleidung und zerrte uns durch die Reihen der Gefangenen, von denen viele aufgewacht waren. Leises Gemurmel klang auf peshtisch und terranisch auf. „Einer von der COLUMBIA“, hörte ich jemanden flüstern. Wir waren etwa zehn Meter tief zwischen den Gefangenen und Huan warf uns den Terranern zu Füßen. Ich stöhnte gequält auf, während Marcus gar keinen Laut mehr machte. Stattdessen begann er zu zucken. Dieses kleine Genie.
„Er hat einen epileptischen Anfall!“, fuhr ich den erstbesten Menschen an, einen Marine-Sergeant. „Helfen Sie mir.“
„Ja, Sir!“ Sofort griff er nach den Beinen, während ich die Schultern von Marcus zu Boden drückte. „Ihm geht es schlecht. Keine Ahnung, ob die Nacht gut zu Ende geht“, sagte ich gepresst.
„NICHT REDEN!“, rief der Akarii-Wachtposten und winkte drohend mit seiner Waffe, bevor Tai'fal seine Aufmerksamkeit erneut beanspruchte.
Der Sergeant sah mich aus großen Augen an, als er aus Marcus' Stiefel zwei Kampfmesser hervorzog. Ohne hinzuschauen schob er sie in Richtung eines anderen Soldaten weiter. „Wie viel habt ihr?“, fragte er leise.
„Zwölf Messer, acht Laserpistolen mit Magazinen“, antwortete ich. Während ich so tat, als würde ich nach dem Herzen des angeblich Bewusstlosen lauschen, öffnete ich die Rödelbänder am rechten Unterarm und schob dem Mann hinter mir eine Pistole zu. Einer stürzte gegen meinen Rücken. „Kann ich helfen?“
„NICHT REDEN!“, blaffte der Akarii wieder.
Der Fremde, der gegen mich gestürzt war, zog die beiden Pistolen aus den Innentaschen meines Overalls. Er hatte sie erfühlt, als er auf mich geprallt war und fand schnell den Weg, wie er sie bekommen konnte. Als sie den Besitzer gewechselt hatten, zog er sich wie ein gehorsamer Gefangener, der seinem Wächter gehorchte, wieder zurück. Derweil hatte Marcus damit begonnen, weitere Waffen aus seiner Bekleidung hervor zu holen. „Das war's, Sarge“, flüsterte ich schließlich. „Nicht sofort angreifen. Warten Sie auf den Knall.“
„Ja, Sir“, raunte er zurück. „Wie kommen Sie wieder raus?“

„Fünfhundert Gramm? Das ist doch wohl ein Witz! Der Mann ist Staffelführer von der COLUMBIA, ein Fliegerheld und nächster Kommandeur des Geschwaders! Er ist mindestens zwei Kilo wert! Den Infanteristen könnt ihr geschenkt haben, aber den Flieger kriegt ihr nicht zu diesem Witzpreis!“
„Das kann ich nicht entscheiden, mehr haben wir hier nicht! Dafür müssen Sie zu einem Hauptquartier!“, blaffte der Soldat ärgerlich. „Guerilla! Dämliche Geldschneider!“
„Nützliche Geldschneider, die die Drecksarbeit für euch machen! HUAN! Wir laden beide wieder ein!“
Der Geit-Hund knurrte zustimmend und griff uns wieder in die Kragen.
„Moment, haben Sie nicht gesagt, wir kriegen den Infanteristen geschenkt?“, beschwerte sich der Akarii.
„Ihnen schenke ich gar nichts! Nicht mal einen halbtoten Stoppelhopser! HUAN! KOMM!“
Gehorsam zerrte der Geit-Hund uns wieder durch die Menge. Teilweise erhoben sich die Soldaten, einige schienen bereit, sich mit blanken Händen auf den Geit zu stürzen. Da erschien wie aus dem Nichts Drehh neben dem Hund, mit der feuerbereiten Pistole über die Gefangenen schwenkend. „Ihr könnt es ja mal versuchen!“, sagte sie drohend.
Der Geit erreichte mit uns im Schlepp den kleinen Panzerwagen, stopfte uns unsanft hinein, kletterte hinterher, und auch Drehh stieg ein. Tai'fal beleidigte den Akarii und seine Vorfahren so sehr, dass der Mann fast seine Waffe auf den Peshten richtete, beherrschte sich aber. Dann zeigte er den Weg zur hiesigen Kommandantur.

Als sich die Tür geschlossen hatte, alle an Bord waren und Vacani rasant anfuhr, beugte sich Huan fragend über uns. Er stutzte Marcus mit der Schnauze an. „Keine Sorge, mir geht es gut“, raunte der Lieutenant. „Habe mal einen Kurs beim TNS gemacht, wie man so was am besten schauspielert.“
„Gut. Ich dachte schon, Huan hätte dich richtig erwischt“, sagte Tai'fal mit stoisch ruhiger Stimme. Aber es lag doch so etwas wie ein Lächeln auf seinen Zügen. „Bei der erstbesten Gelegenheit nach Norden. Wir müssen uns ranhalten.“
„Aye, Aye, Boss.“ Kaum waren wir vom Marktplatz nicht mehr einzusehen, fuhren wir auf die erste Straße, die Richtung Norden führte.
***



Geschrieben von Ace Kaiser am 05.09.2021 um 23:36:

 

Lautlos fuhren zwei Gleiter auf zwei bestimmte Positionen, dabei zwei Büsche ausnutzend, die zwischen ihrem Marschweg und ihren Zielen lagen. Die freie Fläche war groß und sie hatten zwei automatische Beobachtungsstellungen gefunden, sich von hinten angepirscht und vermint; die Stellungen vor ihnen waren aber vor zwei Tagen noch mit Akarii besetzt gewesen. Es handelte sich um einen u-förmigen Laufgang und einen getarnten Erdbunker dahinter bei jedem Stützpunkt, wie aus dem Lehrbuch aufgebaut, der auf sechzehn Metern Frontfläche und je acht Metern zu den Seiten einhundert Akarii Platz zum Schießen geboten hätten, wenn sie sich ein wenig zusammendrängen würden; tatsächlich befanden sich pro Stellung nur zwei automatische Laser-Gatlings, die auch zur Luftabwehr eingesetzt werden konnten, und vielleicht maximal zwanzig Soldaten, die sich in Schichten ablösten. Diese Stellungen überwachten mit überschneidenden Schussfeldern die buschfreie Fläche, die von Pionieren freigeschnitten worden war. Dass sie in rund achthundert Metern die Büsche hatten stehen lassen, kündete davon, dass die Kaiserlichen die Guerilla durchaus respektierten, das ganze Umland war Busch-, und Baumfrei geschnitten worden, um eine freie Schussfläche zu erhalten, Luftangriffe hier draußen schienen eher nicht das Problem zu sein. Und achthundert Meter, in diesem Fall achthundertelf und achthundertachtundzwanzig, waren auch eine respektable Entfernung.

Die beiden Gleiter erreichten ihre Büsche, lautlos, ohne Scheinwerfer, im Schritttempo beide etwa zeitgleich. Bei beiden spielte sich die gleiche Szene ab. Die Guerilla, die die offenen Schweber bemannten, machten sich bereit für den Kampf, während von beiden Vehikeln jeweils eine Silhouette herunterkletterte, die einem Akarii oder einem T'rr gehören mochte. Zwei weitere, links zwei Peshten, rechts ein Mensch und ein Akarii, krochen ebenfalls herab und schleppten eine schwere Kiste mit Munition. Allen drei war gemein, dass sie Masken und Handschuhe trugen, die, ebenso wie die Uniformen, Infrarotstrahlung unterdrückte. Solange sie nicht überhitzten, würden sie von den Sensoren der automatischen Werfer nicht erfasst und beschossen werden. Oder nicht zu nahe heranwagten.
Das Prozedere, das folgte, glich sich hinter beiden Büschen, als würde man die gleiche Aufnahme betrachten. Die Kisten wurden geöffnet, mehrere Granaten herausgenommen und parat gelegt. Derweil hatte sich die dritte Silhouette an einer Waffe zu schaffen gemacht. Sie nahm je eine Granate auf, befestigte sie an der Waffe und ging in Feuerposition. Unerbittlich tickte die Zeit herunter.
Als der Gefechtscountdown bei allen Mitgliedern der Einheit auf Null schaltete, feuerten beide Silhouetten ihre Waffen ab, und die Grananten wurden auf eine ballistische Bahn gebracht und beschleunigt. Während dies geschah, erklang aus dem Dunkel irgendwo vor der Stadt Arta'Rijen das dumpfe Ploppen von Mörsern, die ihre Last abschossen. Explosionen blitzten auf, keine zwei Kilometer von dieser Stellung entfernt, und ein kleines Grollen folgte, während die Mörser erneut ihre Last fortrülpsten. Zugleich luden die beiden Gestalten nach, nahmen Maß und korrigierten nur ein klein wenig, einer ein Stückchen nach links, der andere nach rechts, sie feuerten erneut. Als die neuen Granaten auf die Reise gingen, schlugen achthundertelf beziehungsweise achthundertachtundzwanzig Meter die ersten beiden abgefeuerten Granaten auf. Beziehungsweise wären sie aufgeschlagen, wären sie nicht noch anderthalb Meter tiefer gefallen.

Die beiden Akarii, die an den Nachtsichtgeräten Wache schoben, hörten bestenfalls ein leises Pfeifen, nicht das charakteristische Zischen einer näher kommenden Mörsergranate. Dem Zischen folgte eine heftige Detonation, die durch den Laufgraben fegte, beide Akarii von den Beinen riss und einen sofort tötete. Ein Teil des getarnten Erdbunkers, der als Unterkunft und Büro diente, wurde eingedrückt. Drei weitere Akarii starben im Schlaf. Jemand, irgendjemand, der noch lebte, hieb auf einen Alarmknopf, der die Bereitschaftsgarnison herbei rufen würde. Der Alarm ging wohl raus, aber dafür kam etwas anderes an. Die zweite abgeschossene Granate krachte in den anderen Teil des Grabensystems und gab dem malträtierten Bunker den Gnadenstoß. Er stürzte vollends in sich zusammen.

Ein paar hundert Meter weiter spielte sich etwas Ähnliches ab, nur mit dem Unterschied, dass die erste Granate direkt neben einem der Beobachter aufschlug und ihn so schnell tötete, dass er nichts von dem Vorgang mitbekam. Auch hier stürzte ein Teil des Bunkers ein, aber hier gab auch der Rest schnell nach und schüttete Holz und Erde in den Innenraum, der die Kaiserlichen begrub, bevor jemand auf den Alarmknopf schlagen konnte. Die zweite Granate landete nicht im Grabensystem, sondern knapp davor. Der erschrockene Akarii, der eine schwere Beinverletzung durch die Explosion erlitten hatte, konnte trotzdem nicht davon profitieren, weil er über den Grabenrand hinaus sah. Die Explosion tötete ihn beinahe noch schneller als seinen Kameraden auf der rechten Seite.

Als Ergebnis der Malträtierung erklang zwar bei dem SAM-Sites und dem HQ der Alarm und die Eingreiftruppe wurde benachrichtigt, aber beide Stellungen verloren ihre Energie. Die Hochleistungslasergatlings stellten daraufhin ihre Arbeit komplett ein.
***
Allgemein hielten es Guerilla für eine sehr dumme Idee, eine Stellung frontal anzugreifen, vor allem, wenn es gegen MGs ging. Das überließ man der Infanterie, die im besten Fall gepanzert war. Ein Umstand, der für Guerilla eher selten zutraf. Also setzten sie auf Sabotage, Attacken per Scharfschützen, Hinterhalte, solche Sachen halt. Dazu gedrängt, in die Offensive zu gehen ging jede Guerillatruppe ein wenig anders vor, je nach Mitteln und Möglichkeiten. Eine Einheit setzte massiv Mörsergranaten ein, um die vorderen Stellungen zu vernichten und den Weg zu den Raketen freizumachen.
Eine andere hatte einen Gaußbeschleuniger gebastelt und schoss damit mittelgroße Pakete mit Sprengstoff ab, die große Behälter Schrapnell umfassten. Ein Beobachter besah sich den Kurs der Dinger und zündete sie im richtigen Moment, wodurch ein paar der Pakete mitten in eine vollkommen mobilisierte Vorpostenstellung hineinstreute und ein blutiges Massaker hinterließ.
Eine dritte Gruppe, die auf eine Fake-Stellung angesetzt war, nutzte schnelle, leicht gepanzerte Bodenfahrzeuge, die versuchten, die automatischen Lasergatlings auszumanövrieren, in ihren Rücken zu gelangen und die Stellung von hinten zu nehmen. Eigentlich ein guter Plan, hätten sich nicht beide Gatlings zusammengeschlossen und jeweils zusammen einen Bodenwagen beschossen, dessen Panzerung unter der Misshandlung dann nachgab. Drei rauchende Wracks lagen bald vor der Stellung, bevor der Rest der Truppe den Rücken erreichte, um den Lasern den Saft abzudrehen. Dabei half natürlich enorm, dass die Akarii das gesamte Gelände rund um die Stadt mit Gefechtslicht illuminierten und es beinahe taghell war. Allerdings half es auch den Kaiserlichen von der Alarmeinheit, deren erste Einheiten in diesem Moment aus dem Bereitschaftsraum ausrückten.
***
„Was sagen Sie, von wo?“, blaffte der Infanterie-Major in seinen Funkempfänger.
„Von überall! Die Alarmstellungen der SAM-Sites, der VTOL-Behelfsflughafen, die Straßenposten, auf beiden Seiten des Flusses, alles steht unter Feuer! Zuerst muss ich die Situation bei den Flugabwehrraketen klären, dann kann ich ihnen helfen!“
„Hören Sie, wenn das ein Angriff von solcher Größenordnung ist, dann brauche ich mehr Leute, um die Gefangenen ruhig zu halten! Wenn die ausbrechen und sich Waffen beschaffen, dann haben wir noch ganz andere Probleme!“
„Erschießen Sie halt ein paar als Warnung an die anderen! Ich muss die Raketen beschützen!“
„Die Raketen sollen die Stadt beschützen, Hauptmann! Wenn es hier nichts mehr zu beschützen gibt, dann nützen die auch nichts mehr!“
„Vorsicht! Meine Priorität ist einzig die Brücke, nichts anderes! Wenn dafür Arta'Rijen oder Nera'Rijen oder beide untergehen müssen, soll es mir recht sein! Ich erledige meine Aufgaben in der Rangfolge der Wichtigkeit! Hauptmann Stross Ende!“
Einen Moment lang starrte der Major auf den Hörer in seiner Hand. Seit wie vielen Minuten wurde Gefechtsbeleuchtung geschossen? Zehn? Fünf? Zwei? Er wählte einen neuen Kontakt. „Leutnant Pias. Erschießen Sie zehn Gefangene, und wenn die Anderen unruhig werden, erschießen Sie weitere zehn!“
Er unterbrach die Verbindung, fuhr aber kräftig zusammen, als es nicht weit entfernt von seinem Kommandoposten laut und vernehmlich krachte. Vielleicht war er mit seinem Befehl zu spät dran gewesen.
***
Rick Jaeger war einer von denen, die von der Offensive der Akarii von der eigenen Einheit abgedrängt worden war. Ohne fahrbaren Untersatz und auf sich allein gestellt hatte sich der menschliche Marine bis Arta'Rijen durchgeschlagen, nur um festzustellen, dass die Kaiserlichen schneller als er gewesen waren. Die ganze Stadt war unter ihrer Herrschaft. Dennoch hatte sich Jaeger in die kleine Vorort-Stadt auf der Südseite des Rijen eingeschlichen, weil es ihm unmöglich erschienen war, die Brücke unbemerkt zu überqueren oder den an dieser Stelle mit über zweihundert Metern sehr breiten Rijen zu überqueren, ohne von den Patrouillenbooten gestellt zu werden, oder gar Nera'Rijen ohne Hilfe zu erreichen, und ein Mann musste schließlich essen.

Mit mehr Glück als Verstand, mitten in der Nacht in einer Stadt mit Ausgangssperre, in der Kaiserliche patrouillierten, hatte sich ihm, während er von Eingang zu Eingang schlich, eine Tür unvermittelt geöffnet, und ein Peshtenmann mit einem Säugling auf dem Arm ließ ihn ohne Fragen zu stellen ein. Im Ersten Stock hatte er dann unvermittelt vor acht Peshten und Peshtinnen gestanden, die ihn mit gezogenen, aber nicht auf ihn gerichteten Waffen empfangen hatten. Alle acht waren uniformiert und somit verschiedenen Einheiten zuweisbar gewesen. Fünf waren Infanteristen, zwei Panzerfahrer, eine der Frauen Pilotin. Im Nachbarraum, erfuhr er schnell, lagen noch zwei Verletzte und wurden vom Bereichsarzt versorgt.
Die kleine Truppe war nur ein winziger Teil größerer Einheiten, die von den Anwohnern, die nicht hatten fliehen können oder wollen, mit enormem eigenen Risiko aufgeteilt worden war, um sie in den teilweise verlassene Gebäuden zu verstecken. Natürlich bestanden diese Truppen nicht wirklich aus einem Kampfverband und hatten nie zusammen trainiert, zumindest nicht in dieser Zusammensetzung, aber sie standen untereinander in Kontakt. Und sie waren bewaffnet, warteten auf ihre Chance, zuzuschlagen. Auch weil ihre Gastgeber dies von ihnen erwarteten, nachdem jene schon sehr große persönliche Risiken eingegangen waren, um die Soldaten zu verstecken. Jaeger vermutete, dass die Chance, so viele Leute zu verbergen wesentlich geringer gewesen wäre, wäre die Stadt nicht erst kürzlich erobert worden und weit davon entfernt, von den Besatzern beherrscht zu werden.
Die Chance zum Zuschlagen kam sehr schnell, nämlich als eines frühen Morgens ein Peshte mit der Chuzpe eines Dutzends spöttischer Götter Kisten an die Anwohner verteilte, auf denen stand, es seien Konserven eines unbeliebten Gemüses. In den Kisten aber waren Panzerfäuste und Kleinwaffen gewesen, auch Handgranaten. Über den Kontakt zu den hiesigen Guerilla hatte sie dann auch sehr bald ein Befehl erreicht. Zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Tag die Panzer mit den MANPAD in der Stadt anzugreifen.

Und das war der Grund, warum er mit vorgehaltener, geladener und entsicherter Laserpistole an der Spitze einer Gruppe von fünf Leuten in Richtung einer der vier Hauptstraßen schlich, während sein Chronometer unerbittlich anzeigte, dass die Zeit, die sie hatten, um in Stellung zu gehen, erbarmungslos verrann.
Endlich kamen sie an die richtige Ecke, und Jaeger zog einen Taschenspiegel, um sich elegant auf der Straße umzusehen. Er bedeutete seinen Begleitern, dass er den Chr'Chr, der ihr Ziel war, in Reichweite sehen konnte, dann zeigte er zwei Finger hoch für die beiden sichtbaren kaiserlichen Infanteristen, die er ebenfalls gesehen hatte. Daraufhin trennten sich zwei der Soldaten von ihnen, richteten sich auf, gingen über die Straße, als gehörte ihnen die Stadt und wechselten die Straßenseite. Als sie von einem Wachtposten scharf angerufen wurden, liefen sie in die nächstbeste Seitenstraße. Der Posten eilte ihnen hinterher, obwohl ihn sein Kamerad davor warnte.
Auch der Chr'Chr erwachte zum Leben, richtete seine Flugabwehrlaser auf den Eingang zur Seitenstraße. Derweil hatte Jaeger eine der Panzerfäuste feuerbereit gemacht, ein zweiter, ein peshtischer Corporal, ebenfalls, während der dritte Mann ihnen den Rücken deckte.
Aus der Gasse klang das feine Singen von Laserschüssen auf, einzelne Impulse flogen auf die Hauptstraße heraus und bewiesen, wer geschossen hatte. Daraufhin ließ der Chr'Chr die Transformatoren anfahren. Dies war der Augenblick, in dem er und der Corporal um die Ecke kamen, sich aufteilten, damit keiner vom Abgasstrom der Faust des anderen verletzt werden konnten, und ihre Waffen abfeuerten. Die beiden Raketen ließen sich problemlos abfeuern, und beide schlugen in den Turmaufbau des Akarii-Panzers ein. Sofort gingen sie wieder in Deckung, und Jaeger entschied sich, einen zweiten Angriff von einer anderen Seite aus zu wagen, solange sie noch Panzerfäuste hatten, da detonierte der Kaiserliche Panzer mit einem Knall, der sie taub machte und jede Plastscheibe zerspringen ließ, die bis zu diesem Augenblick aus welchen Gründen auch immer noch heil geblieben waren.

Jaeger lugte um die Ecke. Er hielt drei Finger nach hinten, dann stürzte er auf die Straße, die Pistole ausgerichtet und mit beiden Händen haltend. Der Terraner feuerte sofort und fällte damit einen der verbliebenen drei Akarii, die die Explosion des Tanks überlebt hatten. Der nächste wurde von einem seiner Begleiter mit dem Lasergewehr erschossen, der dritte starb durch einen seiner Kameraden, die für die Ablenkung gesorgt hatten. Es war nur einer, der aus der Seitenstraße kam. Stumm schüttelte der Peshte den Kopf. Der fünfte Mann seines Trupps hatte nicht überlebt.
In diesem Moment piepte seine Uhr einmal kurz und heftig. Just gerad begann der Angriff.
„Suchen wir uns ein neues Ziel“, raunte er seinem geschrumpften Kommando zu. Noch immer keine heran preschenden Truppen, ging es ihm durch den Kopf, während er mit seinen Leuten in eine Nebenstraße verschwand.
***
Als es laut und heftig irgendwo in der nächtlichen Stadt rummste, hatte sich Sergeant Rufus McEvedy, der Sergeant, der von dem unbekannten Piloten bewaffnet worden war, schon unauffällig bis zum Rand des Gefangenenfelds vorgearbeitet. Ihn trennten nur drei Meter von der Straße, und noch mal sieben zum nächsten Akarii-Posten. Die Peshten, durch die er dafür robbte, taten ihr Möglichstes, um ihn und andere Bewaffnete nicht zu behindern und keine Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen.
„SIE! AUFSTEHEN!“, rief einer der Akarii-Wächter und deutete auf einen der Terraner, der ein Kampfmesser bekommen hatte. Der Mann erhob sich, hob die Arme.
Der Wächter presste eine Hand an den Kopf, redete zweifellos mit einem Vorgesetzten. „Zehn. Gut.“ Er winkte nach dem aufrecht stehenden Mann. „ZEHN ZU MIR!“ Er richtete die Waffe willkürlich auf Peshten und Terraner. „SONST NOCH MAL ZEHN!“
Der Terraner ging mit weiterhin gehobenen Händen auf den Kaiserlichen zu, gab vor zu stolpern und zog dabei sein Messer. McEvedy verließ sich nicht darauf, dass sich der Infanterist täuschen und überrumpeln ließ, er feuerte ihm einen Laserimpuls frontal ins Echsengesicht. Der andere Terraner drückte das Messer einem Peshten in die Hand, sprang vor, fing den toten Akarii auf und nahm ihm sein Gewehr ab. Noch bevor er den ersten Schritt getan hatte, hatte McEvedy bereits auf den nächsten Akarii geschossen und ihn getötet.
Nun erfasste alle Gefangenen Unruhe, als auch auf der anderen Seite geschossen wurde und überraschte Akarii-Soldaten starben oder verletzt wurden. Die Gefangenen sprangen auf, und nicht wenige stürzten sich mit bloßen Händen auf ihre Wächter. Einigen gelang es zu feuern und dabei starben Kriegsgefangene, aber letztendlich waren die Leiber der Peshten, T'rr und Terraner wie eine Flut, die sie einfach davon spülte. Diese erste Phase hatte vielleicht eine Minute gedauert.
Die Gefangenen, auf die nun aus größerer Distanz gefeuert wurde, stürzten zu den Wagen des Begleitkommandos. Auch hier eröffnete ein Laser-MG das Feuer, aber der Schütze kam nur zu einer Salve, bevor er mit dem Gewehr eines toten Kameraden erschossen wurde. Die Wagen wurden aufgerissen. Die meisten waren leer, aber wer das Pech hatte, sich in einem zu befinden, war kurz darauf tot, oder zumindest nicht mehr in der Lage, sich zu wehren. Einige der Kaiserlichen wurden Kriegsgefangene ihrer Kriegsgefangenen.
Dann plünderten sie die Wagen. McEvedy sortierte die Leute nach Fähigkeiten; Infanteristen erhielten bevorzugt Waffen. Handgranaten wurden verteilt, und es gab sogar ein paar MANPAD der Akarii.

„Was ist hier überhaupt los?“, rief jemand über den Lärm der Explosionen hinweg. Der Sergeant erkannte einen peshtischen Hauptmann der Infanterie. Er hatte eine frische Schusswunde im rechten Oberarm, die noch rauchte.
McEvedy, der gerade Fahrer und Richtschützen für die erbeuteten Akarii-Fahrzeuge organisierte, salutierte knapp, setzte sich einen Akarii-Helm auf und sagte: „Sir, schätze, die Stadt wird angegriffen, und im Stadtgebiet geht die Guerilla gegen Panzerfahrzeuge vor.“
„Wahrscheinlich mit dem Ziel, die Stadt zu nehmen.“ Jemand mit einem Sanitäterpaket kam herbei, zog dem Captain die Jacke aus und begann ihn zu verarzten. Alles in allem lagen über zwanzig Körper auf dem Marktplatz, und nur wenige gaben noch einen Laut von sich.
„Hm! ALLES HÖRT AUF MEIN KOMMANDO!“, brüllte der Offizier. „Wir organisieren uns in Zügen! Offiziere und Unteroffiziere übernehmen! Waffen sind an Infanteristen und Spezialkommandos zu geben, bis wir alle eine haben können!“
„Schätze, wir können mit dem Material aus den Wagen zumindest jedem Dritten von uns eine Waffe geben“, sagte McEvedy.
„Wir sind an mehreren Stützpunkten vorbei gekommen. Dort standen weitere Wagen der Kaiserlichen. Sarge, Sie schnappen sich die Wagen. Ich gebe Ihnen das Kommando. Greifen Sie die Stützpunkte an und besorgen Sie uns mehr Waffen!“
„Sir, jawohl. Aber was dann, Sir?“
„Wenn so viele von uns wie möglich eine Waffe haben“, sagte er, ohne auf die Behandlung des Sanitäters zu achten, „greifen wir die Brücke an.“
„Auf der Brücke stehen Flakpanzer. Ungepanzerte Infanterie wischen die einfach weg“, wandte McEvedy ein.
„Ich habe nicht vor, die Brücke zu stürmen. Außer, es ergibt sich eine Gelegenheit dazu. Aber ich will sie beschäftigt halten.“
„Verstehe, Sir. Guter Plan.“ Er klopfte auf einen Wagen. „Ich lasse ihnen den hier als Kommandofahrzeug da! Er schwang sich in den nächstbesten Infanterietransporter. „Wer Waffen hat, aufsitzen! Der Rest folgt mit Abstand nach! Wir besorgen für uns alle Waffen! Fahrer, Richtung Brücke. Da ist ein Kontrollposten, der ausradiert werden will!“
„Jawohl, Sarge!“ Der peshtische Soldat gab Gas.
***
Etwa zur gleichen Zeit griff ein Verband von ungefähr achtzig Guerillas die gefakete SAM-Stellung an, die von vier Flakpanzern der Kaiserlichen gebildet wurde. Der Anfahrtsweg der Hälfte der Fahrzeuge der Angreifer war gedeckt, zumindest bis zum letzten Drittel der auf einem Hügel eingerichteten Stellung, die anderen Fahrzeuge verließen sich auf eine breite Streuung ihrer Formation und ihrer Geschwindigkeit.
Die vier Panzer, ein Sa'toko und drei Chr'Chr, mussten nur etwas tiefer zielen, um rundum Verteidigungsfeuer aufzubauen. Die Einheit verlor sieben ihrer Fahrzeuge, kaum dass sie in Waffenreichweite der Panzer gekommen waren. Der Kommandeur gab den Befehl, umzukehren. Die Flakstellung blieb intakt.
***
Der Behelfsflughafen für die Hubschrauber der Kaiserlichen war nicht mehr als ein großer Parkplatz mit ein paar Industriehallen drum herum. Als auf dem Feld östlich und nördlich des Flugplatzes vor den SAM-Stellungen die ersten Mörsergranaten explodierten, taten die Leute von Parma das Gleiche. Sie beschossen die kleine Stellung, die den einzigen Zugang durch den drei Meter hohen, mit Klingendraht bewehrten und zweifellos elektrifizierten Zaun schützte; jeweils ein acht Meter hoher, mit Laser-MG ausgestatteter Turm stand in einer Ecke des umzäunten Bereichs, dazwischen waren kleine Sandsackbunker errichtet wurden, und kaum etwas war besetzt.
Auf dem ehemaligen Parkplatz standen sechs Hubschrauber, allesamt Transporter, aber bewaffnet. Das war eine gute Beute, aber nichts, womit Parma Davis einen Angriff auf die Akarii fliegen lassen würde.
Die Torstellung ließ der Oberst mit Mörsern beschießen. Die Hütten, die die Krone der Türme bildeten, wurden von Panzerfäusten unter Feuer genommen. Freiwillige hatten sich, gegen Infrarotsichtung getarnt, bis auf vierhundert Meter heran gearbeitet. Auf jeden Turm hatte Parma zwei Teams angesetzt, sodass es nach einem Fehlschuss immer noch eine sofortige Chance gab, den Turm dennoch auszuschalten. Tatsächlich wurden drei der Türme sofort getroffen und zerstört, einer jedoch wurde von beiden MANPAD nur gestreift. Die dortige Wache eröffnete sofort das Feuer, ohne wirklich ein Ziel zu haben. Laserimpulse jagten in die Nacht, bevor eines der Teams nachlegen und eine weitere Panzerfaust gegen das Ziel abfeuern konnte. Auch Turm Nummer vier verging.
Derweil hatten die Mörsergranaten, mittlerweile vier verschossene Salven später, das Drahttor weggerissen. Der Weg auf den Flughafen war frei.

Parma gab sofort Befehl, loszufahren, und fünf leicht gepanzerte Spähpanzer setzten sich in Bewegung, das Vehikel des Obersts an der Spitze. Als sein Wagen maximale Waffenreichweite erreicht hatte, sagte er: „Feuer.“
Sofort eröffnete der Richtschütze eine Salve mit den ungelenkten 6er Kurzstreckenraketen. Die giftigen kleinen Teufel schlugen mit je zwei Raketen in eine der Sandsackstellungen neben dem Tor ein, nur zwei Raketen schlugen auf den dahinter liegenden Boden. Alle sechs explodierten, und vier von ihnen hatten vollkommen ausgereicht, die Stellungen zu zerstören.
Nun hielten die Wagen mit Höchstfahrt auf das gesprengte Tor zu. Drei schnellere Wagen, Schweber ohne Panzerung, aber mit MGs ausgestattet, überholten den Oberst und fuhren zuerst ein. Die Aktion hatte bisher eine gute Minute gedauert und musste bis hier als großartiger Erfolg gewertet werden. Aber es hatte auch den Stützpunkt bis zum letzten Mann geweckt. Als der erste leichte Wagen aufs Gelände fuhr, versuchte der erste Akarii-Pilot, einen der Hubschrauber anzuwerfen. Die Maschine wurde sofort beschossen und der Pilot im Sitz getötet, als ein glücklicher Treffer durch eine geöffnete Seitentür im Cockpit einschlug. Andere Piloten und Soldaten, darunter patrouillierende Infanteristen, wurden von den Hubschraubern abgedrängt und teilweise getötet.
Als der Haupttrupp einfuhr, ließ Parma seinen Panzer den Fahnenmast umfahren, an dem die kaiserliche Flagge wehte.
„Nehmen wir Gefangene?“, fragte einer seiner Leute.
„Wir werden sehen, ob noch jemand lebt. Und jetzt schaut zu, ob wir die Transporthubschrauber einigermaßen unbeschädigt in unsere Hand kriegen.“
„Ja, Sir.“
***
Das schwere Scharfschützengewehr, zwei Panzerwesten, Helme und Infrarotschutz für Hände und Gesicht zusammen mit einem leistungsfähigen Feldstecher vervollständigten die Ausrüstung des allerneuesten Scharfschützenteams auf dem baldigen Schlachtfeld. Dazu kamen zwei Langwaffen und zwei Pistolen, mit jeweils zwei Reservemagazinen. Würden wir mehr Magazine brauchen, so Tai'fal, seien wir sowieso alle im Arsch.
„Neuer“ und ich wurden etwa fünfhundert Meter vor der Stellung abgesetzt. Wir suchten uns einen kleinen, feinen Hügel mit etwas Buschwerk und einem Blick auf die SAM-Stellung, die auf einer etwas größeren Erhebung stand. Hinter uns im Norden war der Fluss. Die Stellung lag südlich von uns.
Als wir unsere Ausrüstung abgeladen hatten, war der Rest der Truppe weiter gefahren. Sie würden bis auf zweihundert Meter heran fahren, dann auf den Angriffsbeginn warten und anschließend den Hügel hinauf fahren. Da man sie dank des Transponders hoffentlich auch weiterhin für Alliierte halten würde, hatten Tai'fal zwei mögliche Strategien vor. Gelang es ihnen, die Stellung zu infiltrieren, kamen die Sprengstoffpakete zum Einsatz. Kam man ihnen auf die Schliche, würden sie MANPAD benutzen. Währenddessen sollten Lieutenant Marcus und ich auf alles schießen, was seinen Kopf sehen ließ. Bei fünfhundert Metern mehr als machbar.

Während also das leichte Panzerfahrzeug, als hätte es alle Zeit der Welt, in Richtung Stellung unterwegs war – uns blieben tatsächlich noch ein paar Minuten bis Missionsbeginn – und wir uns eingerichtet hatten, nahm ich das Fernglas zur Hand und suchte die Stellung ab. Rund um den schweren Lastkraftwagen mit der Raketenlafette, der sich mit zusätzlichen Stützen in den Erdboden gekrallt hatte, waren kleine Gräben gegraben worden, deren Krone man mit Sandsäcken erhöht hatte. Zwei Infanterietransporter standen neben der SAM, deren Gefechtseinheit aus vier Rohren bestand. Damit waren die Kaiserlichen in der Lage, sowohl Marschflugkörper als auch Flugzeuge zu bekämpfen. Der Trick bei der Bekämpfung der SAM war, nahe genug ran zu kommen und die richtigen Stellen zu beschießen, beziehungsweise das Mistding zu sprengen.
„Offizier“, sagte ich leise. „Rechts vom linken Mannschaftstransporter. Aufgestellter Tisch auf freier Fläche. Hat ein abgedecktes Arbeitslicht.“
„Hab ihn. Schuss?“
Ich überlegte. Ein Offizier war ein wichtiger Abschuss. Die Schlacht hatte noch nicht begonnen, aber der SAM-Stellung einen Entscheidungsträger zu rauben, war essentiell.
„Warten“, entschied ich. „Schauen wir erst mal, wie er auf Pashka-Vier reagiert. Sobald die erste Granate explodiert, Feuer frei.“
„Roger.“
Die Zeit tickte herunter. Das Panzerfahrzeug der Spezialeinheit fuhr den Hügel hinauf. Ein automatisches Lasergeschütz drehte sich in seine Richtung. „Laser-MG vor dem rechten Mannschaftstransporter.“
„Sehe es. Feuert nicht. Sie scheinen vorsichtig zu sein, aber den Transponder abzukaufen.“ Marcus grinste. Ich wusste es, auch ohne sein Gesicht sehen zu können. „Vacani hat vorhin in der Stadt den Transponder eines baugleichen Fahrzeugs abgefragt und gedoubled. Für ein paar Minuten sollte das funktionieren. Schuss?“
Wieder überlegte ich. Unsere Kugeln mit Titanstahlkern konnten den Laser beschädigen. „Warten. Offizier hat Priorität, Laserbatterie Nummer zwei.“
„Roger.“
Als der leichte Panzerwagen das Lasergeschütz fast erreicht hatte, wurde er tatsächlich von einem einzelnen Posten angehalten. Ich sah kurz auf die Uhr. „Offizier. Jetzt.“
„Roger.“ Ein Ruck ging durch den Leib des neben mir liegenden Mannes, ein lauter Knall erklang, während ich den Offizier in meinem Fernglas erfasst hielt.
Marcus lud bereits nach und suchte nach dem Lasergeschütz. „Treffer“, sagte ich, als der Akarii eine knappe Sekunde später davongeschleudert wurde wie eine Gliederpuppe. „Ziel tot.“
Die Titanstahlgeschosse konnten leichte Panzer zerschlagen, da war so ein fragiler Körper ohne Schutzpanzer ein besserer Witz gegen. Ich schwenkte auf das MG um. „Feuer.“
Noch bevor Marcus das zweite Mal den Abzug drücken konnte, hörten wir die charakteristische Detonation von Mörsergranaten in relativer Nähe.
Der Spezialagent schoss, ohne sich beirren zu lassen. Der Posten, welcher Pashka-Vier angehalten hatte, fuhr herum, als das Geschoss aus dem Scharfschützengewehr in das Lasergeschütz fuhr; es wurde heftig nach hinten gerissen und ausgelöst. Es gab Dauerfeuer in den Himmel ab.
„Treffer, nicht zerstört“, meldete ich. „Noch mal.“ Nichts wäre in unserer Situation unpassender gewesen als dass wir wegen einem halb zerstörten Lasergeschütz einen Luftschlag auf unsere Kameraden herab gerufen hätten.
Marcus schoss erneut. Diesmal wurde einer der Läufe abgerissen und irgendetwas detonierte an der Waffe. Der Laser verstummte.
„Treffer. Ziel vernichtet.“
Währenddessen hatte Vacani den Posten, der den Wagen angehalten hatte, aus dem Seitenfenster raus erschossen. Die anderen an Bord feuerten ebenfalls aus den Fenstern. Einer bediente das Bord-MG und säte Tod und Verderben unter den Kaiserlichen. Der Geit-Hund sprang aus dem Wagen, verschwand für einen Moment aus meiner Sicht und stürzte dann auf einen Akarii nieder, der versuchte, auf den weiterfahrenden Wagen anzulegen. „Ziel, Soldat, acht Meter neben Huan, elf Uhr mit dem Rücken zu uns.“
„Hab ihn. Ziel bewegt sich.“
„Feuer.“
Die Waffe ruckte, der charakteristische Knall erklang, einen Augenblick später wurde der Infanterist von den Beinen gerissen und blieb mit verdrehten Gliedern liegen. Dann detonierte er.
„Treffer. Ziel tot.“
„Der hatte wohl ein Granatenbündel für uns parat“, stellte Marcus fest.
„Sieht so aus. Ziel, Soldat, offene Fahrerkabine des SAM.“
„Hab ihn.“
„Feuer.“ Ich sah dabei zu, wie der offenbar überraschte Soldat in die Fahrzeugkabine geworfen wurde. „Treffer. Ziel tot. Fahrerkabine ist weiterhin auf.“
„Ich setze noch eine Kugel in die Armaturen.“ Der Spezialist lud nach, nahm Maß, und wieder krachte eine Kugel, diesmal in den elektronischen Aufbauten des Cockpits.
„Treffer. Schöne Arbeit.“
„Ihr Lob ehrt mich.“
„Neues Ziel“, sagte ich statt einer Antwort. „Soldat, stürzt auf die Steuerbox der SAM zu.“
„Habe ihn.“ „Feuer.“ Wieder ruckte die Waffe, der Knall erklang. Über uns wurde es sehr hell. Die Kaiserlichen illuminierten das Schlachtfeld in der Hoffnung, die Angreifer besser sehen zu können. Ich ignorierte es. Der fremde Akarii wurde von den Füßen gerissen, davon geschleudert, überschlug sich mehrfach und blieb dann liegen. „Treffer. Ziel tot.“

Der leichte Panzerwagen fuhr durch meine Sicht. Taku-Taku und Drehh stürzten heraus, Taku-Taku lief in Richtung der SAM, Drehh zum Steuerhäuschen.
„Wir geben Deckung, und wenn sie abziehen, passen wir auf die Päckchen auf“, befahl ich.
„Ich mag es, wie Sie denken, Davis“, lobte Marcus.
Die beiden Akarii der Spezialeinheit platzierten ihre Päckchen, Drehh feuerte ihre Waffe mehrfach in eine Richtung, die wir nicht einsehen konnten. Dann rannten beide zurück zum Wagen. Ein Pfiff, der sogar noch leise bis zu uns trug, erklang, und Huan stürzte heran. Alle drei verschwanden wieder im Wagen, der sofort hart anfuhr und auf die andere Seite des Hügels zuhielt. Vereinzelt schluckte die Panzerung Laserfeuer, aber ich entschied mich, nicht einzugreifen.
„Ziel. Soldat, der zur SAM läuft, von links.“ „Habe ihn.“ „Feuer.“
Marcus schoss. Der unbekannte Akarii stürzte in sich zusammen wie eine Marionette, der erst ein Pferd in den Magen getreten und dann sämtliche Fäden durchschnitten hatte. „Treffer. Ziel tot.“ Dies war der Moment, als ich den robbenden Infanteristen sah, der versuchte, das Paket zu erreichen, das Taku-Taku auf die Viererlafette geklebt hatte.
„Soldat, robbt über den Boden, kommt vom Führerhaus, zweites Reifenpaar von links.“
„Habe ihn.“ „Feuer.“
Der tapfere Infanterist, der unter den Augen eines Scharfschützen versucht hatte, die mobile Rakete zu retten, wurde aufgewirbelt, gegen die Reifen geschleudert und blieb dann liegen wie ein Spielzeug, das keiner mehr wollte. „Treffer. Ziel ausgeschaltet.“

Dies war der Moment, in dem die Sprengstoffpakete von Pashka-Vier gezündet wurden. Zuerst wurde das Steuerhaus in Flammen gehüllt. Grund genug für Marcus und mich, uns ein Stück den Hügel hinab zu schieben, und das keine Sekunde zu früh. Kurz darauf detonierte der Sprengstoff an den Raketen, und da Taku-Taku ihn vorne an den Gefechtsköpfen platziert hatte, gingen zuerst die Sprengköpfe los, dann erst der Treibstoff. Die Explosion, heftig und ohrenbetäubend, ließ einen Hagel aus Schrapnell und Trümmerteilen über die weite, leere Fläche fegen. Dann kam ein Regen aus in die Höhe geschleuderten Trümmern dazu. Deutlich hörte ich die Splitter über uns hinweg zischen. „Das war knapp“, sagte ich zu Marcus.
„Deshalb war ich dafür, dass wir uns achthundert Meter vor der Stellung ein Plätzchen suchen“, tadelte er.
„Ich merke es mir fürs nächste Mal, Lieutenant. Aber sehen Sie es positiv.“
„Positiv?“ „Major Bogenas und seine Leute können dieses Feuerwerk unmöglich übersehen haben.“
Irgendwo hinter uns, vermutlich in der Stadt, detonierte etwas. „Hoffentlich orientieren sich Bogenas und seine Leute am richtigen Feuerwerk.“
„Wollen wir es hoffen.“ Ich kroch den Hügel wieder hinauf, suchte die Landschaft mit dem Fernglas ab und sprach dann in meinem Kommunikator: „Alpha Sierra Vier ist Tango-Tango. Ich wiederhole: Alpha Sierra Vier ist Tango-Tango.“
Irgendwo an einem Taktiktisch würde jetzt ein Techniker auf die Verifizierung warten und anschließend das Symbol für diese SAM-Stellung löschen.

Neben uns hielt der Panzerwagen von Pashka-Vier. „Wollt ihr mit? Ein Feuerwerk hätten wir da noch!“, rief Tai'fal fröhlich.
„Als wenn wir uns den Spaß entgehen lassen würden“, sagte Marcus, richtete sich halb auf und huschte zum Wagen. Ich schnappte mir die Munitionskisten und eilte ebenso geduckt hinterher. Das nächste Ziel, das wir zusammen mit Bogenas und den anderen angreifen würden, war das Hauptquartier der gerade zerstörten SAM-Stellung. Uns wurde ein bisschen viel abverlangt, aber bisher hatten wir alles geschafft.

***

Nach der Schlacht war vor der Schlacht, und diese war noch nicht mal vorbei. Aus diesem Grund trieb Oberst Parma seine Leute an. Nach dem erfolgreichen Schlag gegen das Flugfeld galt es, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Einige seiner Leute untersuchten die Hubschrauber und checkten, welche sich sofort mitnehmen ließen, die anderen würden sie sprengen. Eine andere Truppe hatte die überlebenden Kaiserlichen zusammengetrieben, vor den Zaun gebracht und dort jedem Einzelnen seine Kugel gegeben. Die klassische Methode wäre ins Bein gewesen, damit die Hospitäler was zu tun gehabt hätten. Bogenas' Gruppe verhielt sich so, wusste Parma. Aber obwohl ein verletzter Soldat zehn weitere band, hielt er nicht so viel von der übertrieben weichen Einstellung des durchaus verdienten Majors. Außerdem war eine Beinwunde viel zu leicht zu heilen, ein Imperialer war nach wenigen Wochen wieder frontreif. Er bevorzugte wesentlich mehr Schmerzen und eine wesentlich längere Rekonvaleszenz und hatte auch nichts dagegen, wenn der eine oder andere Kaiserliche starb, sollte er nicht schnell genug Hilfe bekommen. Deshalb gab es „seine“ Kugel in den Dickdarm, was eine schleichende schwere Infektion mit Kot in den Bauchraum einschloss, sehr schmerzhaft war und das Zeitfenster für ein Überleben recht klein machte. Zudem schmerzte es höllisch und versetzte den Feind in Angst und Schrecken. Sie durften leben, wenn sie lange genug überlebten. Die kleine Chance war besser als nichts, fand Parma. Und ein Bauchsteckschuss in den Darm verbrauchte wesentlich mehr Ressourcen. Letztendlich waren sie keine solchen Barbaren wie die angeblich so hochzivilisierten Akarii.
Dann bewachte eine kleine Gruppe die Verletzten, damit nicht doch noch irgendwelche Dummheiten geschahen, bevor Parmas Mannschaft wieder abrückte. Die Akarii verhielten sich ruhig, anscheinend wussten sie, dass sie zurückgelassen werden würden.

Eine letzte Gruppe, zu der Parma selbst gehörte, untersuchte die Gebäude nach brauchbaren Materialien. Im ersten Stock des alten Verwaltungsgebäudes wurden seine Leute fündig, er wurde hinzu gerufen. Und mit nicht gelindem Stolz konnte der Oberst auf etwas über zweitausend Einheiten Einzeltagesrationen blicken. Das würde ihren Speiseplan für einen ganzen Monat deutlich aufpolieren. „Wo das ist, muss es noch mehr geben! Waffen, Munition, Ersatzteile. Wir...“ Seine weiteren Worte wurden ihm vom Mund gerissen, als er das charakteristische Heulen von Mörsern hörte. Beim ersten Einschlag ruckte sein Kopf automatisch dorthin, woher die Explosion erklang. Ein Feuerschein, viel zu groß, um nur von Sprengstoff zu stammen, flammte mächtig auf. Bruchteile von Sekunden ein zweiter. Parma reagierte sofort und aktivierte den Funk: „Alle Wagen verlassen sofort das Gelände! Verlasst die Hubschrauber oder startet mit ihnen! Alle anderen suchen in den Gebäuden Schutz!“ Während er gesprochen hatte, waren zwei weitere Einschläge erfolgt, weitere Flammen aufgelodert. Die Kaiserlichen beschossen den gekaperten Behelfsflughafen mit Brandgranaten. Phosphor oder Termit, irgendwas, was so heiß brannte, dass es auch Stahl schmelzen konnte, auf jeden Fall aber die Dichtungen eines gepanzerten Fahrzeugs, um ins Innere kriechen zu können. Die letzten Einschläge hatten bei den Helis gelegen. Parma versuchte vergeblich, das Geräusch von abfliegenden Hubschraubern zu hören. Wohl erkannte er ein paar fahrende Wagen. Aber die Akarii rösteten ihr eigenes Gelände ohne Rücksicht auf eventuelle Überlebende. Nicht mal die Terraner verhielten sich so rücksichtslos.
Er hatte nicht gewusst, dass die Kaiserlichen in Arta'Rijen Mörser stehen hatten, die bis zu ihnen heraus reichten. Als die Fenster barsten und Flammen an die Wände geschleudert wurden, wusste er, dass er einen Großteil seiner Leute in eine Todesfalle geführt hatte, und das bedauerte er aus tiefstem Herzen.

***

Es hatte seine guten Seiten, der Spotter von einem Sniper zu sein. Fand ich zumindest. Dadurch musste ich nicht nahe ans HQ heran wie meine Guerilla-Kameraden oder die Einsatzgruppe von Pashka-Vier. Nicht, dass ich in Sicherheit war. Seit wir hier in Stellung gegangen waren, mit einem lächerlichen Zeitfenster von acht Minuten, bevor wir mit dem Angriff der Eingreiftruppe rechneten, die aus Infanteriepanzerfahrzeugen und Tanks bestand, war bereits eine Mörsergranate in relativer Nähe niedergegangen, hatte uns aber verschont, weil Lieutenant Marcus und ich auf einer Anhöhe lagen und die Granate in einer Senke detoniert war. Die Ohren klingelten mir trotzdem, und einige der hochgeschleuderten Dreckbrocken hatten wehgetan, als ich sie abbekommen hatte. Aber da ich nur die einfache Infanterieausbildung bekommen hatte – höre, marschiere, schieß und gehorche – war ich ganz zufrieden mit meinem Schicksal. Der Angriff auf die Steuerzentrale für die SAM's verlief relativ gut, auch wenn ich bei über sechzig Beteiligten auf beiden Seiten, teils in Laserspeienden Fahrzeugen, teils in primitiven Gräben, längst die Übersicht verloren hatte.
Ab und zu sah ich den Geit-Hund durch das feindliche Lager jagen, einmal glaubte ich Tai'fal wie einen Kinohelden, mit feuerndem Laser in eine feindliche Stellung springen zu sehen. Auch sah ich zwei „unserer“ Schweber abstürzen, als sie schwer genug getroffen worden waren; nachgerüstete Zivilmodelle waren eben keine Panzer, und das Schlachtfeld war kein Spielplatz. Und damit waren auch schon sechs Minuten vergangen, bevor wir die Köpfe heben und nachschauen mussten, ob ein Teil der Eingreiftruppe bei all dem Ärger, den die Guerilla rund um die Stadt verbreiteten, auch zu uns geschickt werden würde. Bis dahin hatten Marcus und ich beide Hände voll zu tun. „Treffer“, kommentierte ich, als der Akarii-Leutnant, den ich als letztes identifiziert hatte, zuerst hochgewirbelt wurde, als würde ihn ein Kran mit Gewalt aus einem Graben ziehen, und dann wie eine zerbrochene Puppe am Boden liegen blieb. „Macht fünf.“
„Bisschen wenig Ausbeute“, beschwerte sich Marcus, während er nachlud.
„Dann habe ich was für Sie. Beim zweiten Zelt von rechts steht etwas, das sieht aus wie eine Propangasflasche. Wenn wir die hochjagen, blasen wir vielleicht das Zelt weg.“
„Wo genau?“, fragte Marcus mit Feuereifer.
„Auf der Rückseite, also unsere Richtung, aber ein Stück nach rechts versetzt, weil nicht auf der uns zugeneigten Seite. Scheint sich um Gas für mobiles Kochen zu handeln. Hoffentlich ist noch genügend drin.“
„Habe es.“
„Schuss“, sagte ich mit letztem Blick auf die Umgebung. Einen Augenblick später sah ich ausgerechnet Taku-Taku hinter dem Zelt hervor gelaufen kommen. „STOPP!“
Da explodierte die Flasche aber schon und blies, wie wir gehofft hatten, das Zelt um und setzte Feuer an die Umgebung.
Lieutenant Marcus ächzte gequält auf. „Das war Taku-Taku.“
„Ja, das glaube ich auch.“ Ich zerbiss einen wirklich derben Fluch zwischen den Zähnen, während ich mit dem Fernglas nach der Akarii-Frau suchte. Sie war nicht direkt neben der Flasche gewesen. DA! Ein regloser Körper eines Akariis. „Habe sie. Reglos am Boden.“
Huan tauchte auf, aus irgendeinem Graben. Er hetzte auf Taku-Taku zu, ergriff sie und zerrte sie weg. Hoffentlich in Sicherheit.
Da knackten schon unsere Walkie Talkies. Sie taten dies dreimal in schneller Folge. Das bedeutete, dass die Eingreiftruppe auf dem Weg zu uns gesichtet wurde. Und mit Panzern wollten wir uns nicht anlegen. Verdammt. Das HQ würde dieses Mal nicht zerstört werden. Wir konnten nur hoffen, dass es genug Federn gelassen hatte.
„Packen wir zusammen. Pickup in höchstens einer Minute“, sagte ich.
„Falls sie uns überhaupt an Bord lassen“, sagte Marcus pessimistisch.

Draußen auf dem Feld fuhr ein Schweber zu den beiden abgeschossenen Maschinen, stand selbst unter Feindfeuer, aber nur von automatischen Feuerwaffen, und nahm die Überlebenden und die Toten auf. Sekunden darauf hielt auch der von den Akarii erbeutete Panzerwagen von Pashka-Vier neben uns.
„Hüpft rein, ihr zwei Helden“, sagte Tai'fal, „aber setzt euch nicht auf die hinterste Bank. Außer, ihr wollt von Taku-Taku ein paar wunderschöne Kratzer in euren Weichhautgesichtern haben.“
„LASS MICH!“, klang die Stimme der Akarii auf. „ICH VERSENKE MEINEN RECHTEN FUß IM ARSCH VON FLYER UND DEN LINKEN IN DEN VON SNAPS!“
„So schwer kann es sie ja nicht erwischt haben“, sagte ich, während ich mich an Bord schwang, das Gewehr entgegen nahm und Marcus half, mit Munitionskisten reinzuklettern. Trotzdem beherzigte ich den Rat und setzte mich nicht auf die hinterste Bank, auf der Taku-Taku gerade von Shana verarztet und von Huan einigermaßen gebändigt wurde. Kaum war Marcus sicher an Bord, trat Vacani das Gaspedal durch. Der Wagen ruckte so heftig an, dass der Terraner es nur knapp vermeiden konnte, auch noch auf Taku-Taku zu stürzen. „Willst du mich jetzt ganz erledigen, Snaps?“, fuhr sie ihn an.
„Keine Sorge, sie hat nur ein geplatztes Trommelfell rechts und ein paar Blutergüsse, vermutlich noch eine leichte Gehirnerschütterung. Akarii sind da härter im Nehmen als ihr Menschen.“
„Nur“, echote Taku-Taku. „Nur, sagt sie. Wollen wir tauschen?“
„Nein, danke.“
Marcus kletterte auf seinen Platz. „Tut mir leid. Du bist zu plötzlich aufgetaucht.“
„Es war mein Fehler. Ich bin der Spotter.“, wandte ich ein.
Böse sah sie uns an. „Ihr seid beides Idioten. Ihr konntet nicht ahnen, dass ich hinter dem Zelt hervor kommen würde. Aber ich konnte auch nicht ahnen, dass ihr mangels Ziele auf Gasflaschen ballert. Ich hoffe, das ist dir bei der Auswahl deiner Ziele eine Lehre, Snaps.“
Ich sah eine gewisse Erleichterung bei Marcus. Ob er gemerkt hatte, dass er seinen Namen weg hatte?
„Und du, Flyer, dich Idioten setzen wir so schnell wie möglich bei deinen Leuten ab. Nicht, dass du nicht nützlich warst, aber mehr Platz im Wagen ist praktischer.“
„Jawohl, Ma'am.“
„Was sie sagen will“, mischte sich Tai'fal ein, „ist: Guter Job, Sniperteam. Flyer, dir ist ja wohl klar, dass Bogenas die Knarre nicht wiederbekommt?“
„Soll ich ihn um die restliche Munition bitten?“, fragte ich trocken.
Tai'fal lachte auf. „Ja, bitte. Das würde uns helfen.“
Eines musste man Pashka-Vier lassen. Sie alle hatten Humor. Das bewies sogar Huan, der gerade in eine Art amüsiertes Gelächter ausbrach.

***

„Wie sieht es aus, Sarge?“, klang die Stimme des peshtischen Hauptmanns auf, der, wie McEvedy mittlerweile wusste, Gordan hieß.
„Wir haben auch den zweiten Stützpunkt geknackt und weitere Waffen erbeutet sowie drei gepanzerte Fahrzeuge. Allerdings Zivilschweber, die nur hochgerüstet sind. Die Kaiserlichen müssen echt auf dem Zahnfleisch kriechen, wenn sie diese Dinger einsetzen. Schaut aus wie das Zeug, das unsere Guerilla einsetzt. Ich schätze, die Brücke ist jetzt erst mal gewarnt und... ZURÜCKSETZEN!“
Der Infanteriewagen, in dem McEvedy saß, machte einen kräftigen Satz nach hinten, stieß dabei ein eigenes Fahrzeug sehr ruppig zur Seite, schaffte es aber, gut acht Meter zu schaffen, genug Platz, sodass die Laserimpulse des Akarii-Panzers nicht mehr seinen Bug trafen, sondern nur noch den Straßenbelag. Aber das schwere Gerät, das die Wanne eines Chr-Chr, aber nicht dessen Aufbau hatte, fuhr nach dem Beschuss an ihnen vorbei. Mittlerweile hatte sein Fahrer sie in eine Seitenstraße bugsiert, aus der sie leicht hervor schauten. Deshalb konnte McEvedy einen Blick auf die Vehikel werfen, die an ihnen vorbei paradierten.
„Sarge, was ist los?“
„Haben gerade einen kräftigen Lasergruß von etwas bekommen, was ausschaut wie eine Chr-Chr-Wanne mit dem Turm eines Vierlingslaserwerfer mit addierten Zwillingskurzstreckenraketen. Wir konnten ausweichen, aber einer meiner Wagen hat wegen einer Rakete die gesamte Bugpanzerung verloren, wie es scheint. Der Wanne folgten dann noch mehrere gepanzerte Fahrzeuge, das meiste zusammengestoppelte Einheiten. Sir, schaut so aus als fahren sie zur Brücke.“
„Schicken sie jetzt schon alles raus, was die Instandsetzung noch ausspucken kann? Egal. Sarge, halten Sie ihre jetzige Position. Ich rücke mit rund einhundert Mann nach. Ich habe hier jede Menge Verletzte und hysterische Schreibtischtäter oder andere nachrangige Dienste, die nicht kämpfen wollen. Meine Leute suchen ein einigermaßen sicheres Haus für sie, damit sie aufhören, von mir eine Wachmannschaft zu fordern. Ich brauche jeden Soldaten, der gewillt ist, eine Waffe zu tragen und abzufeuern, für den Angriff auf die Brücke. Vielleicht gelingt es mir, noch den einen oder anderen zu motivieren. Das geschieht leichter, wenn wir für alle Waffen hätten.“
McEvedy grinste schief. „Komisch, dass Sie das Thema anschneiden, Sir, aber ganz zufällig hatte der zweite Stützpunkt eine kleine Waffenkammer. Wir können weitere fünfzig Leute mit leichter Rüstung, Helmen und Langwaffen aufrüsten, außerdem mit drei Ladestationen für Lasergewehrmagazine. Wenn Sie mir ein paar fähige Leute schicken, heißt das.“
Seine Meinung über den Hauptmann war gut, obwohl seine Abzeichen ihn selbst der Instandsetzung zuordneten. Bisher hatte er die Sache gut im Griff gehabt und er traf die richtigen Entscheidungen. McEvedy beschloss, ihm noch ein Stück länger zu vertrauen.
„Schicken Sie vier Fahrzeuge zurück, und ich sende ihnen fünfzig Leute, die kämpfen wollen“, versprach Gordan. „Ist der Stützpunkt zu halten?“
„Mit acht Mann. Es gibt ein paar Laser-MG und einen Granatwerfer, einige Sackbunker und einen Sackwall rund um das ganze Ding.“
„Lassen Sie die acht Mann da. Das Ding könnte uns als Rückzugsgebiet zugutekommen. Aber hören Sie, die Leute sollen keine sitzenden Enten spielen. Ich höre schon seit einiger Zeit Mörser, einer der Gründe, warum ich den Platz räume. Falls sich die Mörser auf sie einschießen, sollen sie den Schwanz einziehen und sich lieber in Sicherheit bringen.“
„Alles klar, Sir. Und dann?“
„Dann schauen Sie sich mal die Brücke an und wie stark sie verteidigt ist. Ich glaube nicht wirklich, dass wir sie nehmen können, aber bei Hralans schuppigen Beinen, wenn ich die Chance dafür bekomme, dann werde ich es versuchen.“
Für einen Karrenschrauber hatte der Peshte Schneid, das musste McEvedy zugeben. „Das könnte haarig und verlustreich werden, Sir.“
„Ich will nicht um jeden Preis stürmen. Aber ich will den Truppen auf der Brücke Druck machen und sie glauben lassen, wir versuchen es jede Sekunde richtig.“
Ein fernes Donnern unterbrach den Sprechkontakt.
„Hören Sie, Sarge“, meldete sich der Hauptmann erneut, „einer der Mörser hat den Platz beschossen. Ich habe hier Verletzte und Tote, und keine Ahnung, ob noch ein Ei geflogen kommt. Wäre nett, wenn Sie schon mal wen zum snipern zur Brücke schicken. Noch lieber wäre mir die Position des Mörsers. Klären Sie mir so viel auf wie möglich, McEvedy.“

Einer der Peshten in seinem Wagen öffnete die Tür und griff zu seiner Waffe, einem Laserkarabiner, sowie einem Funkgerät. „Ich mach das, Sarge. Ich kenne die Stadt. Es gibt eine gute Ecke, auf der ich einen Großteil der Brücke einsehen kann, ohne dass man da oben gleich einen Sniper vermutet.“
„Tun Sie das, Bogal. Frequenz vier. Nach dem ersten Kontakt auf fünf und dann auf...“
„Auf eins. Schon klar, Sir.“ Der Peshte verließ den Wagen und rannte davon.
McEvedy grinste zufrieden. Das würde haarig werden, aber glücklicherweise für beide. Wäre schön am Ende des Liedes, wenn er nicht mehr in Kriegsgefangenschaft zurück musste. „Fahr wieder hin“, wies er seinen Fahrer an. Der Panzerwagen ruckte vor und stand kurz darauf vor dem eroberten Stützpunkt.
McEvedy öffnete seine Tür und steckte den Kopf raus. „Jones. Suchen Sie sich sieben Spielkameraden und halten Sie die Ecke als Rückzugsgebiet für uns! Der Chef schickt fünfzig Mann, die ihr ausrüstet und dann zu mir schickt! Falls die Echsen mit Eiern schmeißen, geht ihr aber stiften, klar?“
Der Corporal der Marines nickte zustimmend.
„Lequar, Sie und die drei Fahrzeuge dahinter fahren zurück zum Platz und holen die fünfzig Leute ab, die bewaffnet werden sollen!“
Der angesprochene Peshte machte das Zeichen der Bejahung und verschwand in seinem Wagen. Kurz darauf drehte er ein, und die hinteren Fahrzeuge folgten ihm. Der Rest schloss zum Sergeant auf. „Und wir Hübschen werfen mal einen eigenen Blick auf die Brücke! Los!“
Sein Fahrer stieg aufs Gas und der Terraner hatte leichte Mühe, wieder den Kopf einzuziehen. „Du kennst die Ecke?“
„Ja, war schon mal hier.“ „Gut. Versuch, uns so nahe wie möglich ran zu bringen. Den Rest gehen wir zu Fuß.“
„Ja, Sir.“
McEvedy wünschte sich eine Zigarre herbei, auf der er stilecht rumkauen konnte. Er hatte das Gefühl, dass sie eine echte Chance hatten, die Kriegsgefangenschaft doch noch zu vermeiden. Aber der Preis würde vermutlich hoch sein. Verbunden damit war ein deftiger Ärger über jene Kriegsgefangenen, die tatsächlich glaubten, der Krieg hier ginge sie nichts an und sie könnten den Rest der Kämpfe aussitzen. „Wie hat Trotzki doch mal gesagt? Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“, murmelte er vor sich hin.
„Würde das nicht bedeuten, es gibt dann keinen Krieg, Sarge?“, fragte der Fahrer.
„Es geht noch weiter, Budin. Es geht keiner hin, dann kommt der Krieg zu dir.“
„Oh. Die Sache hat einen Pferdefuß.“
„Hat sie das nicht immer?“, murmelte McEvedy. „Achtet mir auf versprengte Kaiserliche und Schützen auf den Dächern. Ich will nicht in einen Hinterhalt geraten.“
„Ja, Sir.“

***

Nach dem Absetzmanöver trafen wir wieder mit Major Bogenas und seinen Leuten zusammen, ein ganzes Stück außerhalb des Kampfgebiets. Der Peshte sah furchtbar aus. Nicht, dass er verwundet worden wäre. Aber er hing am Funkgerät und tauschte sich mit den anderen Rebellen aus. Und was er hörte, schien nicht, sagen wir, optimal zu sein.
Okion Radabelt, einen Arm in der Schlinge, sprach mit uns. „Es sieht übel aus. Uns hat es nicht so schlimm erwischt bis auf drei Tote und zwei zerstörte Fahrzeuge, aber die anderen Truppen haben echt gelitten. Trumas' Einheit hat sich nicht rechtzeitig gelöst und Bekanntschaft mit der Eingreifreserve gemacht. Dreißig ihrer Leute sind tot oder vermisst, als eher tot. Wir konnten nirgends beobachten, dass die Truppe Gefangene gemacht hätte. Im Gegenteil.
Drei von zehn Fahrzeuge konnten nur entkommen. Wir werden ihre Einheit auflösen und die Überlebenden aufteilen müssen. Ähnlich sieht es bei Stockar und Refem aus. Stockar hat einen schlechten Anfahrtsweg auf seine SAM gewählt und wurde permanent beschossen. Zwei Drittel Verluste. Refem auf der anderen Flussseite ist in ein Minenfeld geraten und hatte rund dreißig Prozent Verluste.“
Sie atmete kurz und heftig ein. „Alle anderen Trupps hatten mehr oder weniger Glück, aber von dreihundertfünfzig Guerilla und neunzig Fahrzeugen hat es uns etwa die Hälfte gekostet. Mindestens dreißig Vehikel sind auf dem Feld geblieben und für uns erst mal verloren. Mindestens siebzig Leute sind gefallen oder vermisst, und wir haben rund achtzig Verletzte, die zum Hauptverbandsplatz müssen. Außerdem haben die Kaiserlichen den Behelfsflugplatz, den Oberst Parma erobert hat, mit Brandgrananten gepflastert. Die Verlustrate bei ihm liegt bei über siebzig Prozent, sein eigenes Schicksal ungewiss. Wie sieht es bei ihnen aus?“
Wenn Tai'fal erschüttert war, zeigte er es nicht. „Keine Verluste, kleinere Verletzungen.“
„Kleinere Verletzungen nennst du das?“, murrte Taku-Taku ärgerlich.
Radabelt sah sie fragend an. „Jemand, nennen wir ihn Davis, hat befohlen, auf eine Gasflasche zu schießen, die ich in dem Moment passiert habe.“
Ich schnaubte unwirsch. Eigentlich hatte ich geglaubt, die Sache hätten wir geklärt.
„Wir haben einen kleinen Verbandsplatz eingerichtet, ein paar unserer Ärzte sind vom Hauptverbandsplatz hergefahren worden. Wenn Sie wollen, sagen wir Ihnen die Koordinaten.“
„Meine Verletzung ist nicht schlimm genug, um die Einheit aufzuteilen“, erwiderte Taku-Taku.
„Gut. Die Einheit, welche die Ärzte hergebracht hat, konnte verifizieren, dass sich unsere Befehle nicht geändert haben. Wir sollen Störangriffe durchführen bis zum Morgengrauen und anschließend das Schlachtfeld räumen. Dann landen die Shuttles.“
Tai'fal rang sich dazu durch, das mittlere Auge zu verschließen. „Wer kommt?“
„Die Terraner haben ein Korps in Regimentsstärke aufgestellt und nehmen damit die Stadt. Wenn alles glatt geht.“ Radabelt sah auf ihren Armbandchronometer. „Und wenn es glatt geht, werden die ersten Luftangriffe in siebzig Minuten geflogen, und das erste Shuttle setzt dann in neunzig Minuten auf. Wir sind zu dem Zeitpunkt hoffentlich außer Reichweite. Wir können ihre Flieger nicht kontaktieren und müssen daher Friendly Fire selbst so gut es geht begrenzen. Wir... Urahl?“
Bogenas kam zu uns herüber, und er wirkte ein kleines Stück besser als noch Minuten zuvor. „Der Oberst hat sich gemeldet. Als die Kaiserlichen die Brandgranaten geworfen haben, war er mit einer Handvoll Leute im Verwaltungsgebäude. Das ist abgebrannt, aber vorher bot es ihnen Deckung gegen den Beschuss. Er und sechs weitere haben es raus geschafft.“
Die Miene von Radabelt versteinerte sich wie immer, wenn sie keine Gefühle zeigen wollte. „Das ist erfreulich.“
„Ja, das ist erfreulich.“ Der Major wandte sich uns zu. „Wir haben Kaffee gekocht. Während wir den trinken, sollten wir unser nächstes Ziel aussuchen. Siebzig Minuten sind eine lange Zeit, und wir müssen den Druck aufrechterhalten, damit die Kaiserlichen nicht zur Besinnung kommen.“
„Na dann danke schon mal für den Kaffee“, sagte Tai'fal. „Kommt, Leute.“

***

„Kuzo! Kuzo! KUZOOOOOOO!“ Laut fluchend humpelte Kano Nakakura durch die nächtliche Stadt am Rijen. Er würde laufen, aber vor wenigen Minuten hatte er sich eine Verwundung durch die Notlandung um eine ganze Ecke verschlimmert und das Knie verdreht. Nicht hilfreich, wenn man von einem halben Dutzend Akarii gejagt wurde. Und um ehrlich zu sein, sechs Akarii würden gegen einen verletzten terranischen Piloten mehr als ausreichen. Ohne hinzuschauen feuerte Kano hinter sich, und ein erstickter Laut ließ auf einen Treffer hoffen. Wenngleich der japanische Elite-Pilot den Leitsatz beherzigte: „Wenn du wegrennst, dreh dich nicht um, das macht dich langsamer.“
Er verfluchte die ordnungsliebenden Planer von Arta'Rijen für ihre breiten, gut angelegten Straßen. Ein Gewirr an Gassen hätte ihm geholfen zu entkommen. So aber war es nur eine Frage der Zeit, bis die unverletzten Kaiserlichen ihn eingeholt und festgenagelt hatten. Außer, die Erde tat sich auf und verschluckte ihn. Ohka bog rechts ab, feuerte dabei noch mal blind hinter sich, aber diesmal gab es keinen Schmerzenslaut. Stattdessen … „Kuzo.“ Er war in einer Sackgasse gelandet.

Kano drückte sich an die nächste Wand, sah sich kurz nach einer Fluchtmöglichkeit oder einer Deckung um, fand aber neben ein paar Trümmern nur eine Haustürnische. So schnell er konnte, eilte er dorthin, stellte sich hinein und hielt seine Waffe schussbereit. Einen oder zwei Infanteristen würde er erwischen können, wenn er auf die Gesichter zielte. Die, die er nicht erwischte, würden sein Problem werden. Seine Deckung war nicht so gut, ein stundenlanges Feuergefecht zu überstehen, das würde auch nur weitere Akarii anziehen wie das Licht die Motten. Ob sich dann auch Guerilla dafür interessierten und ihn raushauten? Die ganze Stadt schien an allen Ecken zu brennen, eventuell hatte er diese Chance. Aber was, wenn nicht? Was, wenn die Akarii ihn festnagelten und anschließend überwanden? Was, wenn er wieder in Kriegsgefangenschaft geriet, diesmal nur noch schlimmer verletzt? Schon kamen die Rufe näher, sehr viel näher. Ohka krampfte die Hand um den Griff der imperialen Laserwaffe. Er wusste, wie die Gefangenen der Akarii behandelt wurden. Zumindest jene aus der Republik. Und er hatte nur zu gut eine Ahnung davon bekommen, wie er auf diesem Planeten behandelt wurde. Das hatten ihm die feindlichen Foltermeister schnell klar gemacht. Nein, zurückgehen kam für ihn nicht in Frage. Blieb nur noch der Weg voran, und das bedeutete, er musste seine Verfolger umbringen. Oder bei dem Versuch sterben. Als die Schritte und die Rufe lauter wurden, hatte der Pilot einen Entschluss gefasst. Er würde dabei sterben, oder seine Verfolger vernichten, stolz, ungebrochen. Doch Augenblicke, bevor er die Türnische verlassen und in Stellung für ein paar überraschende Schüsse aus der Hocke treffen konnte, langte eine Hand an ihm vorbei an den Lauf seiner Waffe. Eine zweite Hand legte sich um seine Brust. Es waren sehr menschliche Hände, deshalb zögerte er einen Moment, vielleicht genau den Moment, auf den es ankam. Und dann...

Eine dritte Hand erschien und etwas wurde vor ihn auf die Straße geworfen. Ohka sah genauer hin und erkannte eine Infanteriehandgranate. Sie lag nur zwei Meter von ihm entfernt. Entsetzen kochte wieder in ihm hoch, und er begann, um seine Pistole zu ringen. Eine vierte Hand kam dazu, ergriff seinen linken Oberarm und zog ihn mit sich. Dann ging eine Tür zu. Die Stimme eines Akarii klang fast genau vor der Tür auf, jemand zerrte ihn direkt von der Tür fort. Dann detonierte die Handgranate mit kräftigem Rumms. „Geht raus und bringt es zu Ende“, sagte die Person, die ihn mitgezogen hatte.
Ein Peshte nickte zustimmend, entsicherte sein Gewehr und riss die Tür wieder auf. Sofort feuerte er, erst vor sich, dann die Straße runter. Ein zweiter, ein dritter Peshte, alle schwer bewaffnet, drangen einher und feuerten ebenfalls. Nach drei, bestenfalls vier Sekunden, kam der erste wieder rein. „Weg jetzt“, sagte er, und die anderen beiden Guerillas kamen ebenfalls wieder ins Haus.
„Wir müssen fort, hast du das verstanden?“, sagte die Stimme, die den Peshten vor die Tür geschickt hatte. Ohka nickte zögerlich.
„Du siehst meine Hände, ich bin ein Mensch wie du. Ich bin Teil des Widerstands in Arta'Rijen. Meine Kameraden und ich bringen dich durchs Gebäude und dann in unser Versteck. Kriegst du das hin?“ Wieder nickte Ohka.
„Gut. Ich lasse dich jetzt wieder los.“ Wie versprochen verschwand die Hand um den Lauf der Laserpistole und der Arm verlor den Griff um seinen Oberkörper. Der Pilot senkte die Waffe, sicherte sie aber nicht. Er wandte sich um und sah in ein rußgeschwärztes, aber durchaus menschliches Gesicht. „Private Jaeger, Marine Korps. Versprengt und anschließend selbstständig zur Guerilla gelangt. Komm mit.“ Er lief voran, ohne sich weiter um die scharfe Pistole in Ohkas Hand zu kümmern oder zu vergewissern, dass ihm der andere Mensch folgte. Aber was blieb dem anderes übrig, als mitzugehen? Es konnte sein, dass draußen auf der Straße bald noch mehr Akarii auftauchten, dann waren seine Chancen eher gering, wenn er einfach blieb. Andererseits fühlte er sich furchtbar erschöpft, und als die Anstrengung der Verfolgungsjagd von ihm abließ, wäre er beinahe im Stehen eingeschlafen.
„Wooohoooo, mein Freund“, sagte Jaeger und fing den Japaner rechtzeitig auf. „Sag mir doch, dass es dir so schlecht geht. Jetzt hier entlang.“
Mit der Hilfe des Corporals gelangte der Angry Eagle erst in einen weiterführenden Flur, dann in einen Hinterhof, und anschließend in ein weiteres Haus. Dort ging es in den Keller, und sie fanden hier nicht nur die Peshten des kleinen Kommandos wieder, sondern auch einen gut getarnten Tunnel, in dem sie einer nach dem anderen verschwanden. Ohka musste sich bücken, aber Jaeger konnte ihn weiterhin stützen. Der letzte Peshte schloss die Tür des Tunnels und vergewisserte sich, dass die Tarnung intakt war – intakt genug. Dann eilten sie zu fünft durch den Gang unter den Straßen von Arta'Rijen hindurch, so schnell sie konnten. Einmal glaubte Ohka, die gedämpften Stimmen schreiender Akarii durch die Decke zu hören, einmal donnerte etwas in der Nähe, und von Decke und Wänden rieselte Betonstaub herab. Aber sie kamen voran, erreichten einen weiteren Keller und verließen dort den Tunnel. Sie erklommen die Treppe zum Erdgeschoss, und langsam dämmerte es Kano Nakakura, dass er wirklich erschöpft und geschunden war und eventuell mehr brauchte als eine Mütze Schlaf.

Sie verließen das Haus, kletterten auf einen bereitstehenden Pritschenwagen und fuhren anschließend ohne Licht und nur mit dem leisen Summen des Elektroantriebs davon. Irgendwann, Ohka wäre fast durch die vermeintliche Sicherheit und das Geräusch des Motors eingeschlafen, hielt der Wagen, sie stürzten vom Heck und huschten in die offene Tür eines Ladengeschäfts. Von dort ging es ins Dachgeschoss. „Überraschung“, sagte Jaeger. „Wir haben wen mitgebracht.“
Neun Peshten und ein Terraner drehten sich zu ihnen um. Erstauntes Raunen klang auf. „Ein terranischer Pilot“, sagte einer der Peshten überflüssigerweise. „Dem Abzeichen nach von der COLUMBIA.“
Der Terraner trat an Ohka heran. „Commander Nakakura, aha. Können Sie mich hören, Commander?“
„Ja“, kam es schwach über die Lippen des Japaners.
„Sie befinden sich im Versteck einer Guerilla-Einheit in Arta'Rijen. Stammen Sie von den Gefangenen, die ausgebrochen sind?“
„Nein... Wurde separat … gebracht … Konnte allein … ausbrechen.“
„Nicht schlecht. Gebt ihm zu trinken und dann einen Liegeplatz. Hören Sie, Commander, im Moment sind wir hier sicher. Wir werden versuchen, Sie möglichst lange schlafen zu lassen. Genauso gut kann es aber sein, dass wir hier eventuell ganz schnell raus müssen, okay?“
„Ja. Habe … verstanden.“
„Gut. Jaeger, Sie übernehmen das. Für uns andere geht es weiter im Text. Die Nacht ist noch lang. Major Rumas?“
„Wir haben empfindliche Verluste erlitten, aber wir konnten einen weiteren Chr-Chr ausschalten. Wenn wir hier zuschlagen, und ...“
Jaeger schulterte den Arm Ohkas besser und verließ mit ihm den Raum. „Komm, Fliegerheld, für dich ist der Krieg gerade auf Pause.“

In einem anderen Raum wurde ihm eine Liegestatt zugewiesen, die aus zwei dicken Decken bestand. Der Elite-Pilot legte sich sofort darauf lang hin. Der beste Komfort, den er seit Tagen genoss. Der Private gab ihm eine Flasche Wasser, die Ohka begierig leerte, bis er husten musste. Wie lange war es her, dass man ihm zu trinken gegeben hatte? Er hustete und hustete und spie einen Teil der Flüssigkeit wieder aus. So lange also?
Mitleidig klopfte ihm Jaeger auf den Rücken und stellte ihm eine neue Flasche hin. „Etwas weniger hastig, Sir. Sie sind hier gerade so sicher, wie es nur möglich ist und wir werden dran arbeiten, dass es sicher für Sie bleibt. Jetzt ruhen Sie sich erst mal aus, solange Sie es können. Ach und stören Sie sich nicht an den Schüssen. Das wird die ganze Nacht noch so gehen.“
„Okay. Kann ich“, murmelte Ohka, machte die zweite Flasche auf und trank, aber diesmal langsamer. „Private?“
„Sir?“
„Danke.“
Jaeger runzelte die Stirn. „Gerne.“
Ohka schüttelte den Kopf. „Dass Sie da waren, um zu verhindern, dass ich in einem glorreichen letzten Gefecht zusammengeschossen werde."
„Oh. Ach so. Ja, mein Timing war gut, nicht? Sehen Sie es so. Sie leben noch. Tot sein ist sehr unbequem. Und sehen Sie sich jetzt an. Sie liegen weich, haben Wasser.“ Er legte einen verpackten Notfallriegel neben den Piloten. „Und was zu essen. Bleiben Sie einfach liegen. Toilette ist die Tür am Ende des Ganges, in die Richtung, falls Sie mal müssen. Peshtentoiletten unterscheiden sich nicht sehr von unseren. Aber Sie müssen mit Wasser aus einem Eimer spülen. Würde jemand auf der Straße hören, dass hier drin eine normale Spülung geht, hätten wir ruckzuck die Kaiserlichen da.“
„Verstehe“, sagte Kano. „Ich werde Sie erwähnen.“
Jaeger stockte für einen Moment. Nakakura hatte gerade versprochen, seinen Namen in seinen Abschlussbericht zu setzen, falls … sobald er es wieder zu seinem Geschwader geschafft hatte. „Danke, Sir. Ich weiß das zu schätzen.“
Sie nickten einander noch einmal zu, und dann sackte Kano Nakakura einfach auf die Decke durch und fiel in einen traumlosen Schlaf. Ja. Irgendwann würde er seinen Bericht abgeben. Und Helen wiedersehen.

***

Den Angriff eröffneten zwei Mörserwerfer, die der zusammengewürfelte Haufen ausgebrochener Kriegsgefangener samt ein paar Schuss Munition hatte erbeuten können. Die Bedienmannschaften hatten zumindest mal zugesehen, wie ein Mörser funktionierte, und deshalb schlugen die ersten beiden Granaten schon sehr nahe neben einer Sperrstellung ein, die sich noch vor der Auffahrt zur Brücke über den Rijen befand. Die nächste Salve traf schon die Sandsackbarriere, beziehungsweise knapp davor, dann machten sich die Mörserleute auf, die Stellung zu wechseln und ein paar Meter Distanz zwischen ihrer alten und der neuen Position zu bekommen. Nur für den Fall, dass die kaiserlichen Mörserschützen ihr Geschäft verstanden. Tatsächlich antwortete einer ihrer Mörser, und nahe des alten Platzes schlug eine Phosphorgranate auf. Nach dessen Explosion eröffneten Schützen mit Langwaffen das Feuer auf die beiden vorgelagerten Wallbunker und die beiden weiter oben direkt an der Auffahrt der Brücke. Wieder erklang das Ploppen ihrer eigenen Mörser, und als dessen Granaten explodierten, entwickelte sich starker Nebel über der Auffahrt. Diesen Moment nutzten etwa fünfzig schwer bewaffnete und entschlossene Soldaten, um im Sturmlauf auf die vorderen Bunker zuzustürmen. Vereinzelt kam aus dem Nebel das irrlichternde Blinken eines gestreuten Laserschuss, aber nichts, was man als Abwehr bezeichnen konnte.
McEvedy sah das mit Skepsis. Irgendwo in dieser Ecke mussten die Panzer sein, die Frankensteine, die er bereits gesehen hatte. Wenn die eingriffen, wurde das blutig.
„Können wir, Sarge?“, fragte Hauptmann Gordan.
Erneut vermisste der Terraner eine Zigarre, die er stilgerecht im Mund rollen konnte. „Kaum Gegenfeuer. Das passt mir nicht. Nicht bei all dem Mörserfeuer, das von der Brücke kommt.“
„Einmal müssen wir angreifen, wenn uns die Akarii ernst nehmen sollen. Sie hören das Geknalle und die Explosionen rings um uns? Sie sehen das voll ausgeleuchtete Gelände vor der Stadt? Da draußen und hier in den Straßen läuft eine Operation, die größer ist als ein Überfall. Wir müssen etwas tun, um das zu unterstützen, und damit unterstützen wir auch uns.“
„Ja, Sir, okay, aber die Brücke ist vielleicht eine Nummer zu groß.“
„Wahrscheinlich ist sie das. Aber ich will so viele Akarii-Augen wie möglich auf uns gerichtet sehen. Kommen Sie mit, oder bleiben Sie hier? Befehlen kann ich es ihnen nicht, McEvedy.“
„Einer muss ja auf Sie aufpassen“, murrte der Sergeant und kletterte an Bord.

Gordan gab das Zeichen zum Anfahren, dann kamen aus vier Seitenstraßen, jeweils zwei gepanzerte Wagen mit MG-Geschützen auf den Dächern. Noch hing der Nebel dicht über der Auffahrt auf die Brücke, noch zerstreute er Laserfeuer. Erneut schlugen Granaten von ihren Mörsern ein, die wurden nicht vom Nebel zerstreut. Die Fahrzeuge bildeten eine Kolonne, dann fuhren sie mit aufheulenden Triebwerken los.
Wer eine Projektilwaffe hatte, feuerte sie auf den Nebel ab. Die anderen warteten, bis er sich verflüchtigt hatte oder sie hindurch waren. Gordan plante, auf der Brücke zu sein, bevor die vorderen Kastelle wieder Laserfeuer einsetzen konnten. Sie rauschten auf die Rampe zur Brücke zu und fächerten auseinander. Ein paar ihrer Fahrzeuge fuhren sogar auf den Doppelschienen, die über die Brücke führten. Dann, noch immer mit Projektilwaffen feuernd, reihten sie sich wieder hintereinander, aber in einer Doppelreihe. Sie erreichten den Nebel, drangen in ihn ein. Irgendjemand warf einen Klappspaten gegen die Scheibe des Infanterietransporters, in dem McEvedy saß. Ansonsten sah er nicht viel im künstlichen Nebel. Dann waren sie hindurch, als Erste.
McEvedy griff dem Fahrer ins Steuer, lenkte stark nach links. Aber das schützte sie nur teilweise, und die drei nachfolgenden Fahrzeuge gar nicht mehr. Weit über dreihundert Meter entfernt stand außerhalb des Nebels die Chr-Chr-Wanne mit Vierlingslaser-Aufbau und Zwillingsraketenwerfer. Die Lasergeschütze spien Tod und Verderben über die ersten vier Fahrzeuge. Zwei explodierten sofort, einer wurde so sehr zerschlagen, dass er auf die Zugschienen geschleudert wurde und dort zu brennen begann.
Ihr Führungsfahrzeug wurde von zwei starken Impulsen getroffen, aber nicht vernichtet. McEvedy zwang den Fahrer, einen Halbkreis zu fahren und wieder in den Nebel einzutauchen. Das entgegenkommende Rebellenfahrzeug rammte er und ließ schieben, bis der andere Fahrer den Rückwärtsgang einlegte. Der andere Wagen und seine Nachfolger fuhren gemäß ihrer Befehle beide auf die Brücke. Sie kamen nicht wieder. Mit nur zwei von neun Wagen verließen sie die Brücke wieder. Zum Glück hielt der Nebel noch immer, sodass sie keinen Beschuss von den Bunkern befürchten mussten. Noch nicht. Für einen Moment hielten sie neben dem Wagen, den sie zurückgeschoben hatten. „Flakpanzer auf der Brücke“, knurrte McEvedy dem anderen Fahrer zu. „Zurück.“

Beide Fahrzeuge fuhren wieder in die vermeintliche Sicherheit der Nebenstraßen. Der erste Angriff war grandios und verlustreich gescheitert. Aber die Infanteristen signalisierten, trotzdem die vorderen Bunker genommen zu haben.
„Sollen … sich zurückziehen ...“, klang die Stimme des Hauptmanns von hinten auf. „Keine Chance … gegen den Panzer ...“
Entsetzt fuhr McEvedy herum. Es hatte den Chef erwischt. Und zwar wesentlich schlimmer als mit dem Durchschuß am Arm auf dem Sammelplatz. Ein Bein war ganz weg, das andere zu zwei Dritteln, und er hatte schwere Verbrennungen auf Bauch, Brust und Gesicht. Die Megajoule des Waffenimpuls hatten genug Energie dagelassen, um Gordan furchtbar zuzurichten.
„Jawohl, Sir. Räumt die Bunker wieder, aber lasst ein paar Überraschungen da!“, blaffte der Sergeant in den Funk.
Zum Fahrer gewandt sagte er: „Zurück zum Bereitschaftsraum.“ Der Terraner wandte sich wieder dem Hauptmann zu. Der Mann, der neben ihm gesessen hatte, war bis auf ein Stück unidentifizierbares totes, schwarzes Holz komplett verschwunden. „Schaffen Sie es?“
„Weiß … nicht … Ist egal. Ihre … Aufgabe ist die Brücke … Beschäftigen Sie sie ...“
MvEvedy nickte entschlossen. „Lass mich hier raus und fahr den Chef zum Sammelplatz. Er muss sofort behandelt werden.“
Der Fahrer stoppte den Wagen wie befohlen, und McEvedy sprang heraus. Ein letzter Blick auf den Mann, der höchstwahrscheinlich sterben würde. Weil er die Brücke wenigstens einmal hatte angreifen wollen. Dann straffte sich McEvedy und entschloss sich, dass seine Worte ein Versprechen waren, das er einhalten würde. Oh, er würde die Kaiserlichen auf der Brücke beschäftigt halten, sogar sehr beschäftigt. Das war er Gordan bei seiner Ehre als Marine schuldig.
Verdammt, für einen Instandsetzungsoffizier war der Peshte ein wirklich harter Kerl.



Geschrieben von Tyr Svenson am 12.09.2021 um 07:09:

 

Im Weltraum über Gamma-Eridon, etwa ein Tag nach dem Beginn der Operation ‚Markat‘


„Admiralin, die TURAM ist gefechtsklar.“
Pherci Morr unterdrückte den Impuls, die Uhrzeit zu überprüfen. Sie wusste, dass die von ihr gesetzte Deadline verfehlt worden war. Aber nur um einige Stunden, und in diesem Fall – und angesichts dessen, was ihnen bevorstand – konnte sie gnädig sein: „Ausgezeichnet. Öffnen Sie den Kanal zu den anderen Schiffen.“ Gleichzeitig erhob sie sich und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Auch wenn sie die Manieriertheiten und den Glamour verachtete, derer sich Admiräle wie Rau befleißigten, gewisse Dinge waren ganz einfach Tradition. Und dazu gehörte, dass man die Klarmeldungen der eigenen Kampfgruppe nicht in seinem Privatquartier oder in den Kommandosessel geflegelt entgegennahm.
Nacheinander tauchten auf dem zentralen Brückenschirm die Gesichter der ihr untergebenen Kapitäne auf:
„Admiralin Morr, die ASHIGACO ist einsatzbereit.“
„Die GALAS ist bereit für die Schlacht, Admiralin.“
„Admiralin, ich melde die zwanzigste Zerstörer-Division…“
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Verglichen mit den eigentlich noch nicht lange vergangenen Tagen imperialer Herrlichkeit machte Morrs Kampfgruppe nicht viel her: Neben dem Flugdeckkreuzer TURAM bestand der Verband aus drei Schweren und zwei Leichten Kreuzern, dazu kamen vierzehn Zerstörer, Fregatten und Korvetten. Dennoch ertappte sich Morr bei einem kurzen, ganz uncharakteristischen Lächeln. Es tat gut, wieder in die Schlacht zu ziehen und tatsächlich etwas BEWIRKEN zu können. ‚Zeit, dass General Anwhar erkennt, dass er auf die Flotte angewiesen ist.‘

Umgeben von den sechs Korvetten der Kampfgruppe vervollständigte ein reichliches halbes Dutzend Frachter und Truppentransporter die Bestandliste. Aber auch wenn sie teilweise größer als ihre Begleitschiffe waren, viele der Einheiten waren nur leicht gepanzert, im Falle der Frachter auch nur schwach bewaffnet – und definitiv nicht für den direkten Schlagabtausch mit feindlichen Kriegsschiffen geeignet.
Und dennoch waren diese Schiffe ein zentraler Bestandteil der Mission. In ihren Frachträumen befand sich der von den auf Gamma-Eridon kämpfenden Truppen so dringend benötigte Nachschub: Treibstoff, Munition, Panzer und andere Bodenfahrzeuge, Kampfflieger, Artillerie – und tausende Soldatinnen und Soldaten. Aber die Bedeutung der Frachtschiffe erschöpfte sich nicht alleine in ihrer Ladung. Denn zwischen ihnen verborgen, mit Sensoren und selbst dem bloßen Auge kaum von ihren Nachbarschiffen zu unterscheiden, befanden sich auch die GALAS und die ASHIGACO. Der zum Hilfsträger umgebaute Frachter und der als Leichter Träger umgerüstete Truppentransporter und die auf ihnen befindlichen sechs Staffeln würden über Erfolg und Misserfolg der Operation entscheiden. Denn der Gegner WÜRDE alles in seiner Macht stehende versuchen, um den Konvoi aufzuhalten. Es WÜRDE zur Schlacht kommen. Und Morr war fest entschlossen, für diesen Fall einen Trumpf in der Hinterhand zu behalten.
Dementsprechend waren ihre Befehle gewesen. Die beiden Trägerschiffe würden ihre Tarnung so lange wie möglich aufrechterhalten und ihre Bordflieger erst im letzten Moment ausschleusen. Zusammen mit dem kleinen Bordgeschwader der TURAM würde Morr dann über sechs Jagd- und zwei Jagdbomberstaffeln verfügen: eine Waffe, die sie direkt in das Herz des Gegners stoßen würde. Morrs Lächeln vertiefte sich und gewann eine grausame Note. Die gegnerische Admiralin hatte sich schon einmal überraschen und ausmanövrieren lassen. Morr freute sich darauf, Girad eine zweite Schlappe beizubringen und damit die Kariere dieser ehemaligen Überfliegerin ein für alle Mal zu beenden.

Inzwischen hatten alle Schiffskommandeure der Kampfgruppe ihre Klarmeldungen abgegeben. Morr richtete sich noch ein wenig mehr auf und verbannte das Lächeln von ihrem Gesicht: „Meine Damen und Herren, ich spare mir allzu pathetische Worte. Sie alle wissen, was auf dem Spiel steht. Der Feind ist mit starken Kräften im Hinterland des von der imperialen Armee gehaltenen Gebietes gelandet. Er droht, Generaloberst Anwhars Offensive zu stoppen und unsere Truppen möglicherweise sogar einzukreisen. Damit steht alles auf dem Spiel, was die imperiale Navy – und die Armee – in den letzten Jahren in diesem System erreicht haben. Das darf nicht passieren. Und an diesem Konvoi hängt es, unseren Sieg zu garantieren.
Ich bin ehrlich mit Ihnen. Es wird zu einer Raumschlacht kommen. Der Feind wird auf keinen Fall zulassen, dass dieser Konvoi ungehindert durchkommt. Aber das kann uns nicht schrecken. Denn mit der GALAS und der ASHIGACO werden wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben. Und während das Bordgeschwader der COLUMBIA, das nach den hohen Verlusten in der Schlacht im Parrak-System noch längst nicht wieder zu alter Form gefunden hat, bei den Luftkämpfen auf Gamma-Eridon dezimiert und erschöpft wurde, gehen unsere Piloten ausgeruht in den Kampf. Die ‚Angry Angels‘ und die COLUMBIA wurden von Admiral Taran gedemütigt und vorgeführt…“, es tat weh, ausgerechnet diesen Senkrechtaufsteiger und verhinderten Putschisten Taran zu loben. Aber die imperiale Propaganda hatte die Schlacht von Parrak nun einmal zu einem imperialen Sieg umgedeutet und die COLUMBIA war dort gewesen. Um die Männer und Frauen unter ihrem Kommando mit Mut zu erfüllen, musste sie in diese Delan*-Pastete beißen. ‚Was tue ich nicht alles für den Sieg.‘ „…wir werden ihnen den Todesstoß versetzen.
Es wird kein Ausweichen, kein Herumlavieren und kein Zögern geben. Sondern einen schnellen, entscheidenden Stoß mitten in das Herz des Feindes. Und über seine Leiche hinweg werden wir die Truppen und die Panzer zu unseren Kameraden bringen, damit auch an dieser Front die Hoffnungen der Terraner zu Asche verbrennen.
Ich erwarte, dass alle in dieser Kampfgruppe ihre Pflicht tun. Und ich weiß, Sie werden mich nicht enttäuschen. Für das Imperium – SIEG!“
„SIEG!!“

______________

* essbare Tang-Art, seit der Akarii-Vorgeschichte als Nutzpflanze ‚angebaut‘, inzwischen allerdings meist nur noch als Dünger verwendet. Schmeckt etwas bitter und riecht ziemlich faulig.


***

Gamma-Eridon, Vereinigtes Hauptquartier der 17. und 22. Heeresgruppe der imperialen Armee


Mehr als ein Tag war vergangen, seitdem der erste Soldat der Vierten Sturmdivision den Boden von Gamma-Eridon betreten hatte. Seitdem waren die Offiziere und Mannschaften im Hauptquartier der imperialen Streitkräfte nicht zur Ruhe gekommen. Das galt auch für den Oberkommandierenden: Tyrosch Anwhar hatte in den letzten zwanzig Stunden kaum Zeit zum Essen, geschweige denn zum Schlafen gefunden. Ein, zwei kurze Pausen waren alles gewesen. Und es sah nicht so aus, als ob sich das bald bessern würde. Kaum, dass sich die Situation etwas zu stabilisieren schien, dass die Gegen- und Eindämmungsmaßnahmen gegen die feindlichen Luftlandetruppen zu greifen begannen, hatten die alliierten Hauptstreitkräfte eine wuchtig geführte Offensive gestartet. Und als ob das alles nicht genug war…

„Ich verstehe überhaupt nichts. Hunderte, ach was TAUSENDE bewaffnete Peshten und Menschen greifen in Sektor 22 unsere Streitkräfte an? Wo sollen die eigentlich herkommen? Und was sind das für Truppen? Guerillas? Kommandoeinheiten? Luftlandetruppen? Ein Funkspruch behauptete sogar, es handele sich um aufständische Kriegsgefangene! Oder als Kriegsgefangene getarnte Kommandosoldaten.“, Ungeachtet seiner Wortwahl klang General Bû, der Befehlshaber der ‚Herolde des Todes‘, weniger verwirrt als vielmehr bissig.
Generaloberst Anwhar ignorierte den unpassenden Tonfall, auch wenn er so etwas von dem normalerweise eher umgänglichen Bû nicht gewohnt war. Die vergangenen Stunden waren auch für den General der ‚Herolde‘ nicht einfach gewesen. Er hatte eine vielversprechend laufende Offensive abbrechen und seine besten Panzerverbände an Generalin Jeron abgeben müssen. In Kombination mit dem allgemeinen Dauerstress war das offenbar genug, um bei ihm etwas den Lack abblättern zu lassen. Vielleicht war Tyrosch auch einfach nur zu müde, sich aufzuregen: „Ich weiß auch nicht sehr viel mehr als Sie. Nur, dass der neue Angriff im Kommandobereich von Oberst Dun Golis erfolgt ist und inzwischen auch noch Luftangriffe gemeldet werden. Wir versuchen schon die ganze Zeit, zu Oberst Golis durchzukommen, konnten ihn aber noch nicht erreichen.“
„Golis?“, Bû schnaubte abfällig: „Vielleicht hat er das Ganze ja einfach verschlafen. Oder die sind ihm in die Abendsuppe gehüpft.“
„Lassen Sie das.“
Anwhar wusste um die zwischen den Kommandeuren der Fronteinheiten und den Befehlshabern der Garnisonsverbände schwelenden Spannungen. Erstere waren der Meinung, dass eigentlich nur sie den Krieg führen würden und sahen in ihren ‚rückwärtigen Kameraden‘ vielfach nur Drückeberger, die kostbare Ressourcen verbrauchten und nicht in der Lage waren, den Fronttruppen die nötige Unterstützung zu gewährleisten.
Die Garnisonstruppen hingegen beklagten eine permanente materielle und personelle Unterversorgung und waren davon überzeugt, dass ihnen die besten Mannschaften, Ausrüstung und Waffen vorenthalten und ihre Leistung bei der Sicherung des Hinterlandes und der Nachschubrouten konsequent übersehen wurden.
„Oberst Golis ist ein verdienter Offizier.“
„Das WAR er vielleicht mal. Vermutlich zu Zeiten der T’rr-Kampagne.* Heute kann er doch nur noch auf der Rijen-Brücke stehen und in die Wellen pi…“, der General hielt inne und pfiff tonlos durch die Zähne: „Der Rijen. Das ist es also. Die wollen die Brücke.“
„Davon gehe ich aus. Zuerst dachte ich, dass sie sie ganz einfach sprengen wollen.
Aber die Angriffe des Gegners erfolgen im gesamten Stadtgebiet von Arta’Rijen, statt sich auf die Brücke zu konzentrieren. Wenn wir die Marschroute der Vierten Sturmdivision mit einberechnen und mit den möglichen Stoßrichtungen der vor wenigen Stunden angelaufenen Offensive des 30. Korps vergleichen…dann kann eigentlich nur Arta’Rijen ihr Ziel sein.
Damit nehmen die Alliierten uns nicht nur einen der wichtigsten Nachschubknotenpunkte für unsere Offensive. Wenn das 30. Korps und die Vierte sich bei Arta’Rijen treffen, einschwenken und entlang des Rijen vorstoßen, dann können sie die Imperialen Ranger und sämtliche Sicherungsverbände in Jerons Hinterland abschneiden.“
„Sind Sie sicher, dass das ihr Plan ist? Warum haben die Alliierten dann die Vierte nicht gleich dort abgesetzt? Das erscheint ziemlich unsinnig.“
„Wer weiß? Vielleicht lag es an unserer starken Flugabwehr? An dem Fehlen geeigneter Landeflächen für ihre schweren Transporter? Vielleicht hatten sie auch ursprünglich ambitioniertere Pläne und unser heftiger Widerstand und Generalin Jerons Geländegewinne haben sie unter Druck gesetzt.“
„Hm.“, knurrte der General unverbindlich. Das bessere Vorankommen seiner Kollegin von den Imperialen Rangern war ein etwas heikles Thema für Bû: „Dann sind es aber bestimmt nicht nur Guerillas, die die Alliierten bei der Rijen-Brücke im Einsatz haben. Die würden wir problemlos zu Paaren treiben, lange bevor die Vierte oder das 30. Korps Arta’Rijen erreichen. Ich tippe auf Kommandoeinheiten oder eine Vorausabteilung der 4. Sturmdivision, die durch unsere Linien gesickert ist und die Stadt halten soll, bis der Rest der Division eintrifft.“
„Was auf keinen Fall geschehen darf.“
„Natürlich nicht. Es fragt sich nur, was wir dagegen tun können.“, General Bû zögerte kurz und fuhr dann fort: „Ich nehme an, dass war es dann auch für Jerons Vormarsch.“
„Tun Sie deswegen nicht zu sehr enttäuscht.“, spottete der Generaloberst, wurde aber sofort wieder ernst: „Ich habe Jeron befohlen, bei Erreichen geeigneter Positionen zu stoppen und vorerst in die Verteidigung überzugehen. Aber das braucht Zeit. Sie kann schließlich nicht einfach ‚Halt‘ rufen und auf der Stelle ‚Kehrt‘ machen. Erst einmal muss die neue Frontlinie stabilisiert, Verbände aus der Front herausgezogen, zusammengeführt und umdirigiert werden. Nach ersten Analysen greift das 30. Korps mit mindestens drei bis vier Sturm-, Mobil- oder Panzerbrigaden an, die von infanteristischen Sicherungsverbänden in Divisionsstärke unterstützt werden. Es hätte keinen Sinn, dem 30. Korps einzelne Kompanien und Bataillone entgegenzuwerfen. Diese Verbände würden einfach beiseite gewischt werden.“
„Gegen die Vierte haben Sie…“
„Die Vierte Division kämpft ohne Nachschubbasis. Jede Stunde, die wir ihren Marsch verzögern, ist ein Gewinn für uns. Das 30. Korps hingegen operiert mit kurzen Nachschubwegen. Sie können beschädigte Fahrzeuge reparieren, Mannschaften austauschen und haben keine Munitions- oder Treibstoffprobleme.“
„Verlangsamen müssen wir Horoks Korps aber trotzdem. Sonst ist er bei Arta’Rijen, bevor wir unseren Gegenangriff starten können. Womit auch immer.“
„Wir verstärken bereits die Abwehrfront. Und die Flotte startet in diesem Augenblick einen Konvoi mit Nachschub, Panzern und Truppen, der in wenigen Tagen eintreffen wird. Aber den Großteil der mechanisierten Verbände brauche ich gegen das 30. Korps. Das gilt auch für Jerons Truppen. Was die ‚Herolde‘ angeht…was haben Sie gerade in der Nähe von Arta’Rijen?“
Der General räusperte sich und schien für einen Augenblick fast verlegen: „Ein verstärktes Bataillon, bestehend aus einer Panzer- sowie zwei mechanisierten Kompanien. Flugabwehr- und Artilleriepanzer nur in Zugstärke. Weitere Kräfte…“
„Sie machen Witze. Das müsste viel mehr sein! Was an dem Befehl, alle verfügbaren mobilen Verbände Jeron zuzuführen, war eigentlich so schwer zu verstehen?!“
„Aufgrund der vorangehenden Gefechte und Eilmärsche ist der Klarstand der mechanisierten Verbände der ‚Herolde‘ leider sehr niedrig. Die Fahrzeuge, die marschfähig waren…“
„Ach hören Sie doch auf! Ich bin seit über fünfzig Jahren bei der Truppe und kenne alle Tricks. Sagen Sie Ihren Truppenkommandanten, sie sollen gefälligst die Hubrotoren und Kühlungsschläuche wieder einbauen, die sie bei ihren Maschinen abmontiert haben, um diese ‚unklar‘ zu melden! Wir haben keine Zeit für diese Spielchen!“
General Bû sparte sich die Antwort. Und der Generaloberst bohrte auch nicht weiter nach: „Und wer ist der ranghöchste Offizier in ihrem verstärkten Marschbataillon?“
„Äh…das wäre Majorin Danik Atara.“
Tyrosch Anwhar erlaubte sich ein kurzes Lächeln: „Die Totengräberin? Das ist doch mal eine gute Nachricht.“

Falls es General Bû überraschte, dass sein Oberbefehlshaber den Spitznamen einer einfachen Bataillonskommandantin kannte, dann zeigte er es nicht. Ihren etwas morbiden Rufnamen hatte Majorin Atara sich ‚verdient‘, als ihre Panzereinheit eine sich zurückziehende Kolonne der Peshten in einem Hohlweg überraschte. Nachdem Ataras Panzer die alliierten Fahrzeuge an der Spitze und am Ende der Kolonne abgeschossen hatten, war das Gefecht zu einem Massaker geworden – bis unter dem imperialen Sperrfeuer die Seitenwände des Hohlwegs nachgaben und die Peshten unter sich begruben. Die Majorin hatte ihrer Kolonne daraufhin einfach den Weitermarsch befohlen.
Zwei Tage nach der Schlacht erst hatten imperiale Pioniereinheiten mit der Bergung der verschütteten Fahrzeuge begonnen. Überraschenderweise hatten sie dabei sogar noch ein paar Überlebende ausgegraben. Es war immer noch unklar, wie viele Alliierte bei diesem Gefecht ums Leben gekommen waren, aber die Zahl war jedes Mal größer geworden, wenn die Geschichte erzählt wurde.

„Holen Sie Atara ans Funkgerät. Ich ernenne sie zur Kampfkommandantin von Arta’Rijen mit Kommandogewalt über alle verfügbaren Verbände in Sektor 22.
Sie soll sofort nach Arta’Rijen verlegen, mit allem, was sie zusammentrommeln kann: Sicherungseinheiten, Rekonvaleszente, Urlauber, Versprengte, Nachschubeinheiten. Jeden Mann und jede Frau, die eine Waffe halten kann. Ihre Aufgabe ist es, die Stadt zu sichern und zu halten. Feindliche Verbände im Stadtgebiet sind aufzuklären und zu vernichten. Anschließend ist die Stadt auf einen möglichen Angriff sowohl von Norden als auch von Süden vorzubereiten. Ob nun die Vierte Sturmdivision oder die sonstigen Verbände 30. Korps die Stadt erreichen – sie dürfen auf keinen Fall durchkommen.“
General Bû erlaubte sich in grimmiges Lächeln: „Das wird Danik gefallen. Sie liebt anspruchsvolle Aufgaben.“
„Solange sie diese auch meistert. Und sagen Sie ihr auch, wenn Arta‘Rijen bis morgen Nacht wieder vollständig in imperialer Hand ist, dann befördere ich sie zur Obristin und gebe ihr ein eigenes Regiment – ach was, von mir aus auch eine Brigade. Wir brauchen Arta’Rijen. Wir brauchen diese Brücke für unsere Offensive und den Gegenangriff gegen das 30. Korps.“
„Was das angeht…“
„…können wir uns keine Halbheiten leisten. Ich will einen kombinierten Zangenangriff der ‚Herolde‘ und der ‚Ranger‘ binnen vierundzwanzig Stunden. Wenn wir Arta’Rijen sicher in unserer Hand behalten und wenn es uns gelingt, die Angriffsspitzen des 30. Korps abzuschneiden…dann wird die alliierte Offensive scheitern. Dann war der in der letzten Woche erzielte Landgewinn lediglich ein Vorgeschmack unseres Sieges. Dann können wir vielleicht den Kampf um diese Dreckskugel endlich zu einem Abschluss bringen.“

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* die Eroberung des Planeten T’rr durch das Akarii-Sternenimperium vor ca. 200 Jahren



Geschrieben von Cattaneo am 18.09.2021 um 18:40:

 

Rot geht die Sonne auf

Die besetzte Stadt Arta’Rijen, imperiales Hauptquartier

Das donnernde Hämmern an der Tür seines Quartiers riss Oberst Dun Colis aus dem Schlaf – dem ersten längeren, den er seit einer gefühlten Ewigkeit genossen hatte. Zum schwarzen Schrecken der Sternenleere mit all jenen, die behaupteten, die nachrangigen Dienste würden eine ruhige Kugel schieben!
Seit der inzwischen mehr als 60 Jahre alte Offizier das Kommando über das kürzlich eroberte Arta’Rijen übernommen hatte, war er ständig im Einsatz gewesen – binnen kurzem musste die Stadt zu einem Nachschubknotenpunkt ausgebaut und abgesichert werden. Die abgewehrten feindlichen Luftangriffe vor ein paar Tagen hatten bewiesen, dass die Arbeit nicht verschwendet gewesen war, und deshalb hatte er es sich nicht nehmen lassen, eine kleine Feier zu veranstalten. Kitiri-Steaks, eingelegte Karr’Karr-Eier, Looson-Brei* und als Dessert Schokolade und Tabak aus lokaler Produktion – schließlich hatten sie sich das für ihre Arbeit verdient. Die Fronttruppen mochten dergleichen nicht begreifen, doch ohne die Hilfe aus der Etappe würden ihnen schnell der Treibstoff und die Munition ausgehen. Es war ein angenehmer Abend im Kreis seiner Untergebenen und Kollegen gewesen – sei es der steife, blutjunge Major der Artillerie Lor Varran, der die zusammengestückelte Luftabwehrabteilung des Heeres kommandierte, oder Hauptmann Kera Yalat, die sogar noch mehr Dienstjahre als Golis auf dem Buckel hatte und die Instandsetzungs- und Nachschubeinheiten der Stadt im Blick behielt. Er war froh, dass der bombastische und sehr von sich eingenommene Hauptmann Jelak Stross an der Brücke unabkömmlich gewesen war – denn mit dem kam nicht nur Golis nicht gut zurecht.
Hastig warf der Oberst sich ein paar Uniformstücke über – es war undenkbar, dass ein Offizier der kaiserlichen Armee sich selbst in einer Notlage im Nachthemd zeigte. Dann bellte er: „Herein!“
Der blutjunge Infanterist war offenbar kurz davor gewesen, erneut zu klopfen, und stolperte mit erhobener Faust über die Schwelle. Er nahm mühsam Haltung an: „Oberst, Sie werden im Kommandostand benötigt – wir haben Meldungen von Angriffen auf dem Nordufer. Viele Angriffe.“
Dun Golis ignorierte das schandhafte Fehlen von Details in dieser ,Meldung‘. Er machte sich nicht einmal die Mühe zu antworten. Stattdessen rieb er sich kurz die noch vom Schlaf schweren Augen – dann hastete er los.

Die Stadtkommandantur war in einem ausgedehnten Bibliotheksgebäude untergebracht, unweit des Ai’Shan-Parks, etwa auf halber Strecke zwischen dem Hauptbahnhof und der Brücke über den Rijen. Aus irgendwelchen Gründen war das massive Gebäude zwar flach, aber seine mehrstöckigen unterirdischen Magazine boten einen gewissen Schutz vor Luftangriffen. Natürlich hätte man sich auch am Hauptbahnhof einquartieren können, aber der wäre im Falle eines feindlichen Luftangriffs denn doch ein zu naheliegendes Ziel gewesen. Zudem bot die relativ nahe Brücke mit ihrer starken Besatzung, den Flakgeschützen und eine zusätzliche im Park stationierte leichte SAM-Stellung Schutz.
Während der Oberst durch die Gänge hastete, versuchte er sich mühsam zu sammeln und so etwas wie einen ersten Plan zu entwerfen. Das war das Hauptproblem mit seinem Posten – er hatte kaum Zeit gehabt, sich einzurichten. Er wusste zum Beispiel nicht einmal, wie viele Peshten sich noch in der Stadt herumtrieben. Einige Schätzungen sprachen von 5.000, andere von der doppelten Zahl. Wäre es nach Golis gegangen, hätte man das Gesindel davongejagt, aber es galten nun einmal noch immer die Bestimmungen des weichherzigen und weichhirnigen – inzwischen unbeweint verblichenen – Kriegsministers, der aus nicht nachvollziehbaren Gründen für Zurückhaltung gegenüber niederen Rassen eingetreten war. Und Offiziere wie Golis durften sich deshalb fragen, wer von diesen gehenden Steinkröten nur darauf wartete, ihnen in den Rücken zu schießen.*
Schlimmer noch, man hatte Golis auch nur miserable Mittel zur Verfügung gestellt, um die Stadt vor Saboteuren, Guerillas und anderen Bedrohungen zu verteidigen.
Die eigentliche Garnisonseinheit, das 366. Unabhängige Infanteriebataillon, reichte natürlich kaum aus, eine Stadt mit zahlreichen militärischen und infrastrukturellen Zielen abzusichern. Die Einheit war mit vier unterbesetzten Yabun-** und einer schweren Kompanie gerade einmal 500 Köpfe stark, wo sie doch mindestens 750 zählen sollte, und viele der Soldaten waren nicht gerade Gardematerial zu nennen. Dies bedeutete, dass das Gros der Soldaten zur Absicherung der Luftabwehrstellungen und strategischer Punkte wie der Brücke eingeteilt war, und Dun Golis kaum bewegliche Reserven zur Verfügung standen. Viele seiner Soldaten verfügten nur über ungepanzerte Transportfahrzeuge. In der ganzen Stadt gab es keine drei Dutzend gepanzerte Fahrzeuge, viele davon veraltete Radpanzer, bestenfalls Chr’Chr-Schützenpanzer in verschiedenen Konfigurationen. Kaum Artillerie, keine Kampfpanzer – ein Trauerspiel!

In der Kommandozentrale – einem ehemaligen Medienraum, dessen Großbildschirme inzwischen eine sinnvollere Verwendung gefunden hatten – herrschte Chaos. Beinahe jeder vierte Bildschirm, fast alle davon sollten Daten und Bilder vom Nordufer zeigen, war ausgefallen, und auch einige der übrigen zeigten mehr ,Sandsturm‘ als es in diesen Breiten und zu dieser Jahreszeit üblicherweise gab.
„Wie ist die Lage?“
Golis bereute die Frage in dem Moment, in der er sie gestellt hatte, denn die Antworten prasselten nur so auf ihn ein, eine erneute Erinnerung, dass viele seiner Untergebenen nicht unbedingt kampferfahren waren: „Melde Mörserbeschuss auf die Vorposten zwölf, dreizehn und vierzehn! Keine Verbindung zu den Besatzungen. Fünfzehn ebenfalls unter schwerem Beschuss, hält aber noch stand.“
„Wir haben unbestätigte Meldungen von einem Aufstandsversuch der Kriegsgefangenen im Zentrum von Nera’Rijen, geschätzter Bewegungsvektor in Richtung Brücke…“
„Feuergefecht auf dem Gelände des Flughafens! Gegner ist auf dem Gelände, Gefechtslage unklar.“
„Stromausfall bei…“

Für einen Moment stand Oberst Golis mit offenem Munde da, unschlüssig, was er als erstes tun sollte – was vermutlich der eine oder andere witzig gefunden hätte, wäre die Lage nicht so ernst gewesen.
Dann bellte er auf gut Glück: „Was meldet Hauptmann Stross?“ Der Kompaniechef der Brückenbesatzung kontrollierte die Verbindung zwischen den beiden Stadthälften.
„Er wird bisher nicht angegriffen. Seine zwei Mörser schießen was das Zeug hält, aber er hat Schwierigkeiten, klare Ziele zu erfassen.“
„Äh…sagen Sie ihm, er soll Beobachtungsposten vorschieben – Drohnen, und wenn das nicht geht, getarnte Infanteristen. Er hat freie Hand, was seine Mörser angeht. Aber die Brücke MUSS in unserer Hand bleiben!“ In einer so leeren Stadt musste es doch möglich sein, ein paar Augen und Ohren zu verbergen.
„Und geben Sie mir Mörserstellung Eins. Wir müssen deren Feuer mit dem von Stross synchronisieren.“
Golis verfluchte den Umstand, dass er keine wirkliche Artillerie zur Verfügung hatte. Sein Bataillon besaß gerade einmal sechs Infanteriemörser. Mit einem Kaliber von neun Krallenbreiten und einer Schussweite von 6.000 Schritten konnten sie fast das gesamte Stadtgebiet abdecken – aber auch wenn jeder gut und gerne 15 Schuss pro Minute abfeuern konnte, waren sechs Stück doch verdammt wenig. Zumal der Oberst nur vier zur eigenen Verfügung hatte. Es wäre sinnlos gewesen, Stross reinzureden.

„Geben Sie mir Major Varran…ist mir egal, dass Sie Schwierigkeiten haben, ich brauche seine Raketenartillerie! Machen Sie Druck!“
Wenn es gelang, ein paar der Flakpanzer zum Erdbeschuss einzusetzen, bestand Hoffnung, die Guerilla zusammenzuschießen.
„Hauptmann Yalat? Ja, eine verdammte Lage, das kann man wohl sagen!...Ausgezeichnet, darum wollte ich Sie gerade bitten. Ich kann im Moment keine meiner Leute lockermachen um Ihre Stützpunkte zu verstärken, aber ich denke nicht, dass der Feind viele Kämpfer auf diesem Ufer hat. Ihre Leute sollen auf alles schießen was sich rührt. Wenn irgendwelche der verdammten Peshten übermütig werden, dann bläuen Sie ihnen Respekt ein, es gilt ja sowieso nächtliche Ausgangssperre.
Und hören Sie, wenn Sie irgendeinen havarierten Panzer einsatzbereit machen können, wäre jetzt die richtige Zeit. Ich schicke gerade meine Alarmkompanie los, aber die haben neben ihrem halben Dutzend Chr’Chr nur ein paar leichte Radpanzer. Ich habe hier einfach nichts Schwereres bei der Hand. Ich fordere Luftunterstützung an, aber Sie wissen ja, die werden gegen die Vierte und das 30. Korps gebraucht. Was wir haben, sollte eigentlich ausreichen, aber der Gegner hat offenbar schwere Mörser und Panzerabwehrwaffen.“

Als er auflegte, fühlte Dun Golis Hoffnung. Er konnte das Blatt noch wenden, da war er sich sicher. Dies war nicht sein erster Einsatz dieser Art, und diese feigen dreiäugigen Prinzenmörder waren keine T’rr – schließlich mussten sie ja sogar einen Gutteil ihrer Offiziere einkaufen und brauchten die Terraner als Rückhalt.
„Mörserstellung Eins – Sie haben Feuerfreigabe. Pro Werfer drei Sprenggranaten. Ziel ist…“
Das 366. nahm die Herausforderung an.

***

JSS NAKANO TAKEKO, in Planetennähe

Das Trompetersignal gellte durch den Hangar, Lautsprecher trugen es durch das ganze Schiff. Im Grund war das überflüssig – rief es doch jene zum Sammeln, die ohnehin bereits alle bereit waren. Aber der Bataillonskommandeur hatte vor, jeden Punkt im militärischen Protokoll zu befolgen.
Die Marineinfanteristen der USMC und der japanischen Nationalgarde sammelten sich vor ihren Shuttles – zwei Sturmfähren-Varianten des S-41. Die NAKANO TAKEKO hatte Glück, dass keines der ihr zugeteilten Transportshuttles bei den vorangegangenen Landungen der Vierten Sturmdivision verlustig gegangen war. Dies galt nicht für alle ‚ausgeliehenen‘ Landungsboote. Ein terranisches Shuttle hatte man als Totalverlust abschreiben müssen, ein zweites war in der Landungszone heruntergekommen, war aber zu schwer beschädigt um wieder zu starten. Vermutlich hatte die Vierte es gesprengt, als sie ihren Marsch begann. Und ein weiteres S-41 hatte es zwar zurück zu COLUMBIA geschafft, wurde aber im Moment noch repariert.
Glücklicherweise – wenn man das so sagen konnte – waren die Peshten in der Lage, die terranischen Shuttleverluste zu kompensieren. Ihnen fehlten einfach die Truppen, um weitere Verbände zu den Luftlandetruppen zu verlagern, und so konnten sie einige Landungsboote von den geplanten Nachschubflügen abzweigen. Deshalb würde die Brigade Schlüter in voller Stärke landen. Die zweite Welle – die man nur dann starten lassen würde, wenn die erste Erfolg hatte – bestand aus Nachschubmaterial und den nachrangigen Diensten der Brigade.

Es war ein bunter Haufen, der sich im Hangar staute. Die Nationalgardisten, Soldaten der auf der NAKANO TAKEKO zusammengestellten USMC-Alarmkompanie, die zunächst zurückbleibenden Unterstützungsverbände der Landungstruppen – und, eine Premiere auf den meisten terranischen Schiffen: ein halbes Dutzend Nichtmenschen. Mit der ersten Welle würden auch einige Dutzend Konkordatssoldaten landen, denn jedes der fünf Bataillone der Brigade verfügte über einige Verbindungsoffiziere für die Kommunikation und Kooperation mit der Vierten Sturmdivision, dem 30. Korps und der örtlichen Guerilla. Nach den letzten Spannungen zwischen den Verbündeten waren sie wichtiger denn je. Dazu kam eine Handvoll Begleitsoldaten.

Viele der UMSC-Soldaten verstanden das Hornsignal nicht wirklich, aber sie richteten sich nach dem Vorbild ihrer Nationalgarde-Kameraden, als sie antraten. Und so nervös wie sie waren, hätte ohnehin der kleinste Anlass ausgereicht, um sie in hektische Aktivität verfallen zu lassen. Sie trugen bereits alle ihre Gefechtsanzüge und die Handfeuerwaffen – wenngleich diese noch ungeladen waren. Doch allein das reichte schon aus, um ihnen ein wahrhaft martialisches Aussehen zu verleihen, auch wenn die schwereren Waffen – Mörser, Schnellfeuerlaser und Raketenwerfer – bereits auf die Shuttles verladen worden waren.
Nicht wirklich vonnöten, aber eine nette Geste war eine Gruppe Besatzungsmitglieder des Kreuzers, die in ihrer knappen Freizeit zusammengekommen waren, um ihren Kameraden das Geleit zu geben.
Drei Fahnen zierten die angetretenen Reihen. Den USMC-Marines hatte man die Ehre überlassen, eine Fahne der Bundesrepublik aufzupflanzen. Über der Kompanie der Nationalgarde prangte eines ihrer Banner mit der aufgehenden Sonne. Und die Handvoll Peshten scharrte sich um die Flagge des Konkordats. Dass sie ungeachtet ihrer geringen Zahl gleichberechtigt behandelt wurden, war zweifellos auch eine politische Geste.

Corporal Mariza de Menezes Cordeiro alias deMeCo alias Urutu hatte einen Platz in der vordersten Reihe ihrer Kompanie ergattert – was sie ihrem Rang und ihrer Funktion als Scharfschützin verdankte. Über ihrer Schulter hing das schwere Ruger-Scharfschützengewehr, dazu kam eine Laserpistole als Seitenwaffe. Ihr Spotter Zolin Morientes hatte zwar ‚nur‘ ein normales Sturmgewehr und einen Handlaser, aber dafür war seine Weste so modifiziert, dass er sie mit einem reichlichen halben Dutzend Handgranaten bestücken konnte. Beide Marines führten zudem Seitengewehre mit sich. Der Rest der Kompanie sah ähnlich martialisch aus. Dazu trug bei, dass alle Soldaten mit hellerer Haut jeden Zentimeter ihres Körpers, der nicht unter Uniformschichten verborgen war, mit Tarnfarbe beschmiert hatten. Auch die Ausrüstung war überprüft und alle hellen oder blinkenden Teile geschwärzt worden. Immerhin stand eine Landung im Morgengrauen an, und man durfte es den Echsen nicht zu leicht machen.
Die Nationalgardisten setzten in punkto Waffen noch einen drauf, da Offiziere und Unteroffiziere – wie auch einige Soldaten – zusätzlich ein gut meterlanges gebogenes Schwert mitführten. Urutu fragte sich, ob einige der weiblichen Nationalgardistinnen vielleicht sogar diese merkwürdigen Schwertlanzen, mit denen sie und andere Crewmitglieder regelmäßig zu trainieren pflegten, an Bord ihrem Sturmbootes gebracht hatten. Nun, bedachte man die Fixierung mancher Marines auf ihre Dolche, konnte man ihnen das nicht wirklich vorwerfen. Und außerdem, so mancher Marineinfanterist hatte eigens seinen Klappspaten angeschliffen…
Für einen Moment spekuliert Urutu darüber, ob die Echsen bei dem Anblick dieser bis an die Zähne bewaffneten Horde professionaler Kehlenschlitzer nicht gleich Reißaus nehmen würden. Aber ganz so viel Glück würden sie denn wohl doch nicht haben!

Der Auftritt von Bataillonschef Hanzo Nagata war perfekt choreografiert. Der Nationalgardist trug wie seine Untergebene Gefechtsrüstung, damit die Akarii ihn nicht auf den ersten Blick als Kommandeur erkennen würden. Er erwiderte den Salut der angetretenen Soldaten, dann verneigte er sich dreimal – einmal in Richtung jeder der Flaggen.
„Offiziere, Soldatinnen und Soldaten des Fünften Bataillons der Brigade Schlüter, Kameraden der Streitkräfte des Konkordats!
In wenigen Minuten beginnt für uns alle der Einsatz, auf die wir uns in den letzten Tagen unermüdlich vorbereitet haben – die Landung in Arta’Rijen. Ihr kennt eure Ziele, und ihr kennt eure Mitstreiter neben euch. Wir werden die Stadt und Brücke für die Vierte Sturmdivision und das 30. Korps sichern.
Ich will euch nichts vormachen. Dieser Kampf wird nicht leicht werden. Die Kaiserlichen wissen, dass es für sie um Alles geht, und auch wenn wir sie überraschen, und die peshtische Guerilla den Angriff vorbereitet, werden unsere Feinde ihre Stellung nicht kampflos aufgeben. Doch ich weiß, dass wir unserer Aufgabe mehr als gewachsen sind!
Diese Schlacht ist mehr als nur ein Hauen und Stechen um einen Namen und ein paar Linien auf der Landkarte. Für unsere peshtischen Kameraden geht es um die Befreiung ihrer Heimat von der Tyrannei der kaiserlichen Truppen. Und wir Terraner stehen heute hier, damit niemals mehr ein Bürger der Bundesrepublik erleiden muss, was man den Bürgern des Konkordats angetan hat. Wir werden die imperialen Truppen schlagen, denn unser Angriff ist nicht nur das Ende der irrigen Hoffnung des Gegners auf den Sieg auf Gamma Eridon – er ist auch der Beginn des Endes ihrer Schreckensherrschaft!
Schaut euch die Männer und Frauen an eurer Seite gut an. Sie sind es, mit denen ihr in die Schlacht zieht. Und auch wenn wir aus einem Dutzend Einheiten stammen – der Nationalgarde der japanischen Republik, den Brigaden der USMC, den Verbänden des Konkordats – so eint uns unser Ziel, unser Feind, und unsere Entschlossenheit zum Sieg.“
Als der Offizier eine Pause machte, jubelten einige der Soldaten, vor allem der Marines. Nicht unbedingt, weil Nagata ein besonders guter oder origineller Redner war, aber vor der Landung war ihnen alles Recht, um ihre uneingestandene Angst niederzubrüllen. Vermutlich hätten sie auch ein Zitat aus der Dienstvorschrift bejubelt…

Doch der Nationalgardist war noch nicht ganz fertig: „Offiziere, Soldaten und Soldatinnen! Unsere Götter, unsere Ahnen, unsere Heimat schauen auf diese Schlacht, sie schauen auf diese Stunde – sie schauen auf uns. Geben wir ihnen Grund, auf unseren Kampf stolz zu sein!“
Er zog sein Schwert, und diesmal jubelten auch die Peshten, und ebenso die Nationalgardisten. Und mit jedem Mal wurde der Jubel lauter:
„Für den Sieg!“
„Für das Konkordat!“
„Für die Republik!“
Seine letzten Worte aber galten seinen eigenen Männern und Frauen: „Für den Tenno!“
Und bei diesen Worten zogen die Nationalgardisten ihre Schwerter, oder pflanzten die Seitengewehre auf, reckten die Waffen oder auch einfach nur die geballten Fäuste nach oben: „Tenno haika Banzai! Banzai! BANZAI!“

Dann schmetterte erneut ein Hornsignal durch den Hangar – eines, dass Urutu zufällig kannte. Es war ‚Stiefel und Sättel‘, der Befehl zum Aufsitzen.
„Gruppenweise – einbooten!“
Durch das Spalier der Crew und anderen Zurückbleibenden rückten die Landungstruppen ab, um an Bord ihrer Shuttles zu gehen. Letzte Grüße und gute Wünsche wurden ausgetauscht – und für praktisch jeden Nationalgardisten fand sich jemand, der ihm oder ihr ein Stirnband mit dem roten Sonnensymbol und einem der fremdartigen Schriftzeichen in die Hand drückte. Doch auch so manche von den Marines, und sogar von den Peshten wurde bedacht. Wo die terranischen Marines im ersten Moment zögern mochten, hatten die Soldaten des Konkordats keinerlei Hemmung, die Glücksbringer anzulegen – wenngleich manche sie auch um den Arm oder Hals banden, anstatt um die Stirn.
Während Mariza dem Knallen ihrer Kampfstiefel auf dem Boden lauschte – ein scharfer Klang unter so vielen anderen – dachte sie daran, dass ähnliche Szenen sich im Moment auf zahlreichen anderen Schiffen abspielten. Auf der COLUMBIA, den Kreuzern, aber auch etlichen der leichteren Schiffe des Verbandes.
Die Landung der Brigade Schlüter lief an.

***

TRS COLUMBIA, zur selben Zeit

Einmal mehr starteten in rascher Folge die Kampfflieger der Angry Angels. Lieutenant Commander George ,Blackhawk‘ Lincoln, der geduldig auf die Freigabe wartete, mühte sich, seine Nervosität zu unterdrücken, auch wenn niemand ihn sehen konnte. Der letzte ,Besuch‘ der Angels in Arta’Rijen war geradezu katastrophal verlaufen – kaum ein ermutigendes Vorzeichen. Und dann kam hinzu, dass seine Jäger in erster Linie für den Angriff auf Bodenziele bestückt worden waren. Das hieß, sie trugen nur je zwei Sidewinder-Kurzstreckenraketen – ohnehin nicht das beste Modell für Hochgeschwindigkeitskämpfe – und ansonsten eine Mischung aus ungelenkten und ferngesteuerten Bomben. Sollte die Echsen es schaffen, mehr als nur eine Handvoll Kampfflieger zusammenzukratzen, stand den TSN-Fliegern ein hartes Gefecht bevor.

In Gedanken ging Blackhawk noch einmal die Ziele durch, die man seinen Piloten anvisiert hatte. Die Peshten hatten mitgeteilt, dass die Lage am Boden in Bewegung war, so dass einiges vom Ermessen der Piloten abhängen würde. Man hatte aber immerhin einige wahrscheinliche Flakstellungen und Stützpunkte des Gegners markiert. Südlich des Flusses waren die ROE’s aufgehoben worden, so dass die Angels glücklicherweise nicht warten mussten, bis sie beschossen wurden – zumindest bis die Marines gelandet waren. In Nera’Rijen hingegen sollte weiterhin Vorsicht gewahrt bleiben, auch wegen der Präsenz von Guerillas. Blackhawk hoffte, dass die Untergrundkämpfer wirklich ein paar der nördlichen Luftabwehrstellungen ausgeschaltet hatten oder zumindest beschäftigt hielten. Diese erst anzugreifen wenn man von dort beschossen wurde, war eine Garantie für Verluste. Da man Flexibilität erwartete, war diese undankbare Aufgabe bei seiner Staffel gelandet.
Das Gros der Jabos und der schweren Jäger würde sich auf das Südufer konzentrieren. Dort würde das Gros der TSN-Truppen landen, und da dort gut 80 Prozent des Stadtgebietes lagen, war auch davon auszugehen, dass die meisten der Imperialen sich auf dieser Seite des Flusses aufhielten.

Die Anzeigen und sein Bordfunk informierten ihn, dass er an der Reihe war, und tatsächlich wurde die Griphen in Startposition befördert. Durch das Cockpitfenster sah der Staffelchef der Gelben die aufgereihten Piloten der Fighting Stallions. Unübersehbar war die Staffelchefin, die bolzengerade dastand und den startenden Kameraden salutierte, während der Rest der Staffel frenetisch winkte. Eine nette Geste, und es war beruhigend, dass die Verteidigung der COLUMBIA in bewährten Händen blieb.
Blackhawk versuchte sich daran zu erinnern, ob er jemals so diensteifrig gewesen war wie Lilja und ihresgleichen. Er hatte immer seine Pflicht getan, aber wenn er jemals solchen geradezu fanatischen Enthusiasmus verspürt hatte, war ihm der schon vor langer Zeit abhandengekommen. Ein Stück weit bedauerte er, dass man ihn nicht auf seinem Posten in der Ausbildung belassen hatte. Der unerbittliche Einsatzwillen von Piloten wie Lilja, Kano, Phönix und einigen anderen war bewundernswert, aber manchmal auch kaum verständlich.
Andererseits…er hätte das nicht offen ausgesprochen, aber er hätte sich doch etwas sicherer gefühlt, wenn die Grünen ihnen Geleitschutz gegeben oder – frevlerischer Gedanke – den Platz der Jaguars eingenommen hätten. Die Peshten hatten versprochen, einige planetengestützte Interceptoren zu schicken, um die Terraner zu unterstützen, doch die Zusammenarbeit zwischen dem Konkordat und TSN hakte immer wieder. Nicht zuletzt seit dem letzten Zwischenfall…
Die Stallions wären deshalb eine willkommene Absicherung oder Ersatz gewesen. Doch die Grünen und die arg gebeutelte Blaue Staffel mit ihren schnellen Abfangjägern mussten zurückbleiben, um das Mutterschiff zu schützen, Und dazu waren sie weit besser geeignet als die Griphen.

Der Start verlief glatt und binnen kurzem hatten die Gelben sich formiert und in den rasch wachsenden Schwarm von Maschinen eingegliedert.
Würden die Echsen sich erneut täuschen lassen? Die Terraner wollten die Landung an der Rijen-Brücke so lange als möglich verschleiern. Das hieß, sie bemühten sich, den Anflug der Angels als einen schweren Luftangriff zu maskieren, wie das Geschwader ihn bei der gestrigen Landung geflogen hatte. Deshalb war der Flugvektor mit Bedacht gewählt. Da er auf den Angriffssektor des 30. Korps zielte, waren diesmal auch einige Crusader der Bronze-Staffel mit von der Partie, die aus dem Orbit angreifen konnten – während die Landungsboote, die inmitten der startenden Kampfflieger von der COLUMBIA und ihren Begleitschiffen ausgeschleust wurden, sich bemühten, Bomber zu spielen. Es war zweifelhaft, dass das lange gutgehen würde, schließlich hatten sie eine gut 50 Prozent höhere Masse als die schweren Bomber. Nun, vielleicht würden die Störsender der begleitenden Rafale etwas bewirken und der Gegner den Braten zu spät riechen …
In diesem Moment fiepte das Armaturenbrett. Die Peshten speisten die aktualisierten Zielkoordinaten ein. Der Führer der Stalking Jaguars atmete noch einmal tief durch. Es gab kein Zurück mehr. Die Schlacht um Arta’Rijen hatte für die Angry Angels begonnen.

***

Die besetzte Stadt Arta’Rijen, imperiales Hauptquartier

Die Phosphorgranate zerplatzte in einem blenden Feuerball, der die Kamera der Aufklärungsdrohne überlastete. Es dauerte einen Moment, ehe die Aufnahme sich stabilisierte, zumal in rascher Folge weitere Granaten einschlugen. Als das Feuer schließlich stoppte, war der Behelfsflugplatz ein flammendes Inferno, in dem halbverbrannte Körper den Boden bedeckten – einige wenige Unglückliche bewegten sich noch ein wenig.
Ober Golis atmete keuchend ein, wobei ihm erst in diesem Moment klar wurde, dass er den Atem angehalten hatte. Es war scheußlich, eine eigene Stellung beschießen zu müssen, doch noch schlimmer wäre es gewesen, wenn diesem Abschaum imperiales Kriegsgerät in die Hänge gefallen wäre. Lieber verbrannte er den letzten Transportheli zu Asche!
„Mörserstellung Eins – gute Arbeit. Ich…“
Seine Worte wurden rüde unterbrochen: „Stross hier! Ich brauche verdammt noch mal Feuerunterstützung. Diese weichschuppigen Irren greifen schon wieder an, und ich habe keine Munition mehr für meine beiden Werfer! Sie beschießen die Brücke mit schweren Waffen, und ich brauche Hilfe um sie auszuräuchern!“
Golis überging die Impertinenz seines Untergebenen – offenbar hielt heutzutage jeder Hauptmann sich gleich für einen wiedergeborenen Rikata!
„Mörserstellung Eins…“
„Sir, wir haben ebenfalls nur noch wenig Munition. Wir haben Nachschub angefordert, aber der ist immer noch nicht da.“
Der Oberst unterdrückte einen Fluch. Eigentlich sollte man meinen, er hätte genug Munition, um wenigstens die Stellung direkt neben seinem verdammten Hauptquartier zu versorgen. Aber nein, die Herren Frontkommandeure hatten ihn bei seinen Bittgängen damit abgefunden, dass er mit einem reduzierten Gefechtssatz auskommen musste. Sie brauchten jede Granate an der Front oder im Einsatz gegen die Vierte, da gab es keine Möglichkeit, die Garnisonstruppen umfangreicher zu versorgen. Er hätte ein paar Kisten ,umleiten‘ lassen sollen, aber dafür war er sich zu fein gewesen…
„Major Varran? Können Sie einspringen?“
Die Stimme des Artilleristen klang nervös: „Ich habe fast ein Viertel meiner Werfer eingebüßt, und die Hälfte der übrigen muss Selbstschutz schießen. Überlegen Sie sich genau, WO ich helfen soll, denn viel kann ich Ihnen nicht anbieten. Außerdem habe ich nicht mehr viel Sprengraketen für den Bodenbeschuss übrig – wir hatten ja von Anfang an nicht viele…“
Der Stadtkommandant fluchte diesmal wirklich, egal was sich gehörte. Es war zum Schuppenausreißen. Kaum hatte er einen Brandherd ausgetreten, flackerte der nächste auf. Und seine unterbesetzte und vor allem knapp munitionierte Garnison stieß an ihre Grenzen. Wenigstens hielten sich die wichtigen Stellungen auf dem Nordufer, und die Angreifer hatten deutliche Verluste erlitten. Und abgesehen von einigen Heckenschützen gab es inzwischen kaum noch Kampfhandlungen auf dem Südufer – mit den wenigen größeren Gruppen die sich dort rumtrieben und nicht rechtzeitig geflohen waren, hatte man offenbar kurzen Prozess gemacht. Aber er konnte dem Feind auf dem Nordufer nicht auf die Weise Druck machen, wie es nötig gewesen wäre, um die Sache zu einem Ende zu bringen.

Er hätte sich im Grunde schon lange mit seinen Vorgesetzten im Armeehauptquartier in Verbindung setzen sollen. Doch leider gehörte die Langstreckenkommunikation zu den ersten Opfern des Angriffes, und seine Leute arbeiteten immer noch daran, eine sichere Verbindung aufzubauen, die nicht dauernd unterbrochen wurde, nicht abgehört oder angepeilt werden konnte. Das letzte was er brauchen konnte waren Peshten die mitbekamen, WIE schlecht es hier stand. Zudem ging er nicht davon aus, dass das Armeehauptquartier viel helfen konnte. Vor allem, Golis konnte sich vorstellen, wie die Reaktion ausfallen würde wenn er einräumen musste, dass die Brücke zwar noch in kaiserlichen Hand war, aber für alles unterhalb eines Panzer zu gefährlich zum Überqueren. Er musste die Lage in den Griff bekommen, sonst konnte er gleich höflich anfragen, ob er sich erschießen, oder doch lieber in sein Schwert stürzen sollte.

„Gut, Varran, Mörserstellung Eins – ich schicke Ihnen gleich eine Liste von Zielen. Schießen Sie nur Einzelfeuer.“
Der Oberst empfand es als Zumutung, dass er sich darum kümmern musste, welches Geschütz wohin feuerte, aber wenn es um das Management seiner knappen Ressourcen ging, war es besser er behielt die Dinge in der Hand.
Zumindest waren nicht alle Nachrichten schlecht. Stross‘ Lamento zum Trotz war die Brückenstellung sicher. Der dilettantische Angriffsversuch einer Horde befreiter Kriegsgefangener hatte sich schnell festgelaufen, und zwei Radpanzer der Alarmkompanie – einer davon mit einem weitreichenden Flammenwerfer anstelle des Granatwerfers ausgestattet – hatten die Kerls erst einmal zum Rennen gebracht. Leider waren beide Fahrzeuge beschädigt worden, als sie sich bei der Verfolgung des Gegners zu weit vorgewagt hatten, und mussten zurück in Richtung Brücke humpeln. Aber seitdem wagten die Angreifer nur Feuerüberfälle und Nadelstiche gegen die Brückenstellung.
Golis‘ Alarmkompanie hatte zwei belagerte Stützpunkte entsetzt und die Guerilla in einem überrannten Außenposten zu Paaren getrieben. Zu mehr fehlte ihr freilich die Feuerkraft, zumal die Gefahr bestand, dass die kaiserlichen Truppen in den nächtlichen Straßen in Hinterhalte gerieten. Sie hatten ohnehin bereits einen ihrer Schützenpanzer und einen Radpanzer verloren – ein geringer Trost, dass ihre Scharfschützen mehrere Teams der Möchtegern-Panzerjäger der Peshten zusammengeschossen hatten.

In diesem Moment meldete sich ein Kanal, der bisher relativ ruhig geblieben war: „Yalat hier. Wir haben einen Krat und zwei Chr’Chr einsatzbereit gemacht, die in einer der Werkstätten standen. Sie können aber nicht mit voller Kraft fahren, und die Raketenwerfer haben nicht viel Munition… Wir ziehen jetzt los, mit dreißig meiner besten Schützen.“
Dem Oberst fiel ein Stein vom Herzen. Er registrierte sehr wohl, dass die betagte Offizierin offenbar ihre ad-hoc-Kampfeinheit selber führen wollte. Da sie früher in einem mechanisierten Infanterieregiment gedient hatte, kam dies wenig überraschend: „Yalat, wenn es den Gardetitel für Instandsetzungstruppen gäbe, würde ich Sie dafür vorschlagen! Gehen Sie über die Brücke und helfen Sie Stross, die Umgebung zu sichern.“
Das konnte genau das sei, was er benötigte. Mit gut und gerne 70 Tonnen war der schwere Kettenpanzer für Infanterie – besonders mäßig trainierte und ausgerüstete Guerilla – kaum zu bezwingen. Das Hauptgeschütz, eine 180-Milimeter-Railgun, war eine wahrhaft vernichtende Waffe, und die zwei Impulslaser und der automatische leichte Granatwerfer galten als sehr effektiv gegen ungepanzerte Infanterie – selbst wenn die zweite Hauptwaffe, ein überschwerer Zwillingsraketenwerfer, im Häuserkampf von begrenztem Nutzen war.
Es sah tatsächlich aus, als würde sich das Blatt nun endgültig zum Besseren wenden.

***

TSN-Landungsshuttle, über Arta‘Rijen

Mariza fühlte ein beklemmendes Gefühl. Es wirkte fast schon wie ein Déjà-vu. Manchmal war der Krieg eine Bestie, die sich in den eigenen Schwanz biss. Da war der Evakuierungsflug aus dem brennenden Vorort von Pa’schuk gewesen, keine zwei Wochen war das her. Und nun trug dasselbe Shuttle, erneut eskortiert von Jägern der Angry Angels, sie und ihre Kameraden zurück nach Gamma Eridon. In die Randgebiete einer Stadt, in der Flammen loderten.
Sie wusste natürlich, dass diese Gedankenspielchen nur dazu dienten, von der Furcht abzulenken, ein feindlicher Kampfflieger oder eine SAM könnte das Landungsboot anvisieren und ihnen allen einen schnellen, schrecklichen Tod in einem rauchenden Krater bescheren. Angesichts der bemalten, oft auch maskierten Gesichter konnte sie nicht wirklich die Mienen ihrer Kameradinnen und Kameraden lesen, aber sie war sich sicher, dass so mancher mit Mühe den nervösen Brechreiz bekämpfte, mit den Zähnen knirschte oder krampfhaft Speichel sammelte, um die ausgedörrte Kehle zu befeuchten. Die Hände tasteten immer wieder nach den Sicherheitsgurten – zunehmend aber auch nach den Waffen.

Wie beim Flug zur NAKANO TAKEKO hatte sich Urutu einen Platz dicht am Cockpit gesucht. Als Scharfschützin gehörte sie nicht zu den ersten, die aus dem Landungsboot würde stürmen müssen – was eine Erleichterung war. Und so bekam sie wenigsten mit, wie der Anflug verlief, auch wenn sie den Ausgang nicht beeinflussen konnte. Außerdem informierten die Cockpitcrew die Marines über die Highlights.
„Sieht nicht so aus, als ob wir diesmal Kampfflieger auf den Hals kriegen, die Echsen haben wohl nicht genug zusammentrommeln können.“
„Angels überholen uns, die wollen wohl die Flakstellungen ausleuchten.“
Keine Minute später hieß es freilich: „Achtung, Gegner peilt, wir fliegen Abwehrmanöver…“
Das Landungsboot begann zu vibrieren. Selbst Schilde und Trägheitsabsorber konnten die Beschleunigung der abrupten Manöver nicht ganz kaschieren. Urutu lockerte – vorschriftswidrig – ihre Sicherheitsgurte, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. So erhaschte sie einen Blick in den morgendlichen Himmel. Da waren die flammenden Triebwerke von dutzenden Kampffliegern und Shuttles, dazu kamen hunderte Flares – Radar-, IFF- und Infrarot-Täuschkörper. Es war noch mehr Feuer am Himmel – vielleicht feindliche Raketen, die an Dummies zerbarsten, vielleicht aber auch eine brennende TSN-Maschine? Das ließ sich unmöglich sagen.
Da das Shuttle die Nase gesenkt hatte, konnte die Marineinfanteristin auch einen Blick auf das breite Band des Rijen werfen und auf die Stadt auf beiden Seiten des Flusses. Sie brannte an Dutzenden Stellen, und über den Rauchschwaden huschten die Kampfflieger der Angels hin und her.

„Achtung, die haben tatsächlich ein paar Bettwanzen heranrufen können...“
Die wenige schmeichelhafte Bezeichnung galt den gebräuchlichen imperialen Kampfhubschraubern. Mariza hoffte, die Angels würden die Maschinen ausschalten – mit ihrer extremen Wendigkeit, einem Doppelimpulslaser und acht Waffenraks waren sie für Bodentruppen eine echte Gefahr, zumal sie im Stadtkampf von ihrer extremen Beweglichkeit profitierten.
Das Shuttle schüttelte sich erneut, diesmal aber nicht wegen geflogener Ausweichmanöver. Der Rückenturm spuckte Laserimpulse und zwei Sparrow-Raketen rasten dem Boden entgegen, als das Landungsboot in den Kampf eingriff.
„Bereitmachen – 30 Sekunden bis zur Landung!“
Wenn dies überhaupt möglich war, verkrampften sich die Marines noch mehr als zuvor. Nur nicht jetzt noch abgeschossen zu werden! Nur runter auf den Boden, wo sie wenigstens einen beschränkten Einfluss auf ihr Schicksal hatten, und zurückschießen konnten…
Das Shuttle legte sich auf die Seite, als der Pilot es in eine Kurve zwang – offenbar, um sein Ziel direkt aus Richtung des aufgehenden Tagesgestirns anzufliegen. Ein cleverer Schachzug, denn das bedeutete, dass die feindlichen Infanteristen möglicherweise geblendet waren, wenn sie versuchten, die landenden Marines in Visier zu nehmen. Das würde nicht viel helfen, aber jedes bisschen half.

Unablässig feuerte der Rückenlaser und Raketenwerfer des Shuttles – wobei ein Gutteil der Schüsse wohl einfach dazu diente, mögliche Gegner in Deckung zu zwingen. Und dann, mit einem Schlag, den jeder in der Maschine von den Zehenspitzen bis zum Scheitel spürte, setzte das Landungsboot auf. Die Shuttlerampe begann sich zu öffnen, und die Marines waren auf den Beinen, noch ehe sie ganz auf war. Sie stürmten in den Rauchvorhang, den das Shuttle gelegt hatte, dabei blind einige Blendgranaten in alle Richtungen abfeuernd.
Urutu reihte sich ein. Das Scharfschützengewehr über den Kopf sprintete sie los, nur einen Gedanken im Kopf – weg vom Shuttle, und dann eine Feuerstellung finden!
Die Geräuschkulisse der Schlacht traf sie wie ein Vorschlaghammer. Waffenfeuer aller Typen, von Sturmgewehren bis zu Mörsern, wurde untermalt durch gebrüllte Befehle, erste Schmerzensschreie und vor allem das ohrenbetäubende Heulen der Triebwerke der TSN-Kampfflieger. Das sensorische Bombardement ignorierend hetzte sie voran. In wenigen Sekunden war sie heraus aus dem Nebelschwaden.
Ein gutes Stück zur Rechten konnte sie das Sturmboot der Nationalgarde erkennen, und fast schon am Ufer die beiden Sturmboote der INDOMITABLE. Es schien, als sei zumindest ihr Bataillon vollzählig am Boden angekommen – und sogar bemerkenswert zielgenau.
Eine Bodenwelle bot ihr erste Deckung für eine Orientierung, für einen Blick auf das Geschehen.
Während sie ihre Waffe langsam schwenkte, auf der Suche nach einem Ziel – ihr Spotter schloss gerade zu ihr auf – sah Mariza, wie die Nationalgardisten vorrückten, ihre Gefechtsfahne über ihren Köpfen. Unter den Strahlen der morgendlichen Sonne – das letzte, was so mancher spüren würde – verzogen sich die Lippen der Scharfschützen zu einem spröden Lächeln. Tatsächlich – nun ging wohl nicht nur EINE Sonne rot über Nera’Rijen auf…

***

Die besetzte Stadt Arta’Rijen, Ai’Shan-Park

Oberst Dun Golis wäre um ein Haar gestürzt, doch einer seiner Untergebenen sprang vor und packte den betagten Offizier am Arm. Halb gestützt auf den jungen Infanteristen taumelte der Stadtkommandeur mehr in Richtung des wartenden Schützenpanzers, als das er lief. Noch immer trug er die hastig übergeworfenen Uniformteile, doch waren diese nun mit Staub und Rauch besudelt. In der Hand hielt der Oberst einen Handlaser, aber so wie die Waffe zitterte, würde er wohl kaum in der Lage sein, ein Ziel sicher zu treffen.
Der Motor des Fahrzeuges heulte bereits auf, und die Maschine kreiste langsam, während sich der Turm drehte, und auf mehrere gefährlich nahe liegende Ziele feuerte.
Gefechtslärm flackerte auf, nahebei, eine Kakophonie von Schreien, Kleinwaffenfeuer und Explosionen. Ein paar hunderte Meter entfernt blühte mit einmal eine feurige Blume auf, umkränzt von Trümmerteilen und schwarzem Rauch, um sofort wieder in sich zusammenzusacken – der Einschlag einer Bombe oder Rakete. Der Oberst konnte es immer noch nicht fassen oder verstehen. Alles hatte sich zum Schlechteren gewendet, und das in wenigen Minuten.

Es war nicht viel Zeit geblieben zwischen der Meldung von Varrans Radarbeobachtern, deren Effektivität durch die Kämpfe natürlich gemindert worden war. Sie hatten die anfliegenden feindlichen Maschinen zu spät entdeckt. Schon der Angriff von 50 oder mehr TSN-Kampffliegern wäre geeignet gewesen, das Blatt zu wenden, zumindest in Nera’Rijen. Aber dass sie begleitet wurden von mehr als einem Dutzend Shuttles voller terranischer Sturmtruppen machte aus einem Rückschlag eine Katastrophe.
Die dezimierte imperiale Luftabwehr war schnell niedergekämpft worden, wenn auch nicht ohne Gegenwehr. Eine Lenkbombe hatte die Kommandozentrale getroffen. Es war ein Glücksfall, dass die Schäden nicht schlimmer gewesen waren, aber das Abwehrfeuer der SAM-Stellung im Ai’Shan-Park hatte die Zielgenauigkeit der Weichhäute beeinflusst. Die Kommunikation zu den einzelnen Stützpunkten und Verbänden war fast sofort abgerissen.
Die Brücke kämpfte noch, soviel war zu erkennen, aber zwischen ihr und Golis‘ Gefechtsstand war bereits der Feind, baute ständig seine Stellung aus. Leuchtraketen markierten das Vorgehen der Terraner für die Kampfflieger, die sie intensiv unterstützten.
Es war unklar, wo Yalats Kampfgruppe oder die Alarmkompanie stand. Die Mörser im Ai’Shan-Park waren längst verstummt, entweder weil ihnen die Munition endgültig ausgegangen war oder die feindlichen Kampfflieger sie ausgeschaltet hatten.

Oberst Golis hatte tun müssen, was für einen imperialen Kommandanten schlimmer war als der Tod in der Schlacht – den Rückzug anordnen. Aber mit einer Handvoll Stabswachen und zwei Dutzend Kommunikationsspezialisten konnte er das beschädigte Hauptquartier unmöglich verteidigen.
Schlimmer noch, er wusste nicht einmal, wie viele seiner Untergebenen den Befehl zum Absetzen noch erhalten würden. Aber auf ihren isolierten Positionen über die Stadt verteilt konnten sie nicht viel erreichen. Nera’Rijen war mit Sicherheit verloren, aber er musste versuchen, am südlichen Rand von Arta‘Rijen so etwas wie eine Kampflinie zu etablieren. Wenn Varran noch lebte und seine dortigen Flakstellungen noch schossen, mochte das vielleicht etwas Schutz vor den feindlichen Kampffliegern bieten. Dann konnten sie sich halten, bis Verstärkung eintraf, und Stross entweder entsetzen oder zumindest die Brücke zurückerobern. Vielleicht…
Golis wusste, dass man ihn geschlagen hatte. Es spielte keine Rolle, dass seine Chancen von Anfang an schlecht gestanden hatten, wenn man bedachte, was alles gegen Arta’Rijen aufgeboten worden war. Er hoffte nur, dass dies nicht der Auftakt für eine viel schlimmere Niederlage war.

******

* Kitiri ist ein verbreitetes und intensiv gezüchtetes, wechselwarmes, bevorzugt amphibisch lebendes Reptil, etwas größer als irdisches Schwein, das als Schwein- und Lederlieferant dient.
Karr’Karr sind bis zu zwei Meter große flugunfähige Wasservögel von der Sudhalbkugel Akars. Fleisch, Eier, Federn besonders die stark ölhaltige Leber sind schon seit vorgeschichtliche Zeiten begehrt, was zur Ausrottung mehrerer Wildarten führte und das Tier zu einem frühen Ziel der Domestizierung machte.
Steinkröten sind bis zwei Kilogramm schwere Amphibien, die als Fleischlieferanten dienen.
Looson-Seerosen werden in vielfältiger Weise verarbeitet. Die Knospen sind eine Delikatesse, die Wurzeln können getrocknet werden und halten sich lange – was ihren Export erleichtert. Eine Verwendung ist ein Brei als Mahlzeitgrundlage.

** Yabun-Kompanie – veralteter militärischer Slangausdruck der kaiserlichen Infanterie, bezieht sich auf den weit verbreiteten Kriegsbogen der Eisenzeit und bezeichnet Schützenkompanien. Oft etwas pejorativ verwendet, da Bogenschützen in der militärischen Tradition der Akarii nicht sehr hoch gewürdigt wurden.



Geschrieben von Cattaneo am 29.09.2021 um 14:27:

 

Stiefel am Boden, Flügel in der Luft

Uferstreifen von Nera’Rijen, Gamma Eridon

Das dumpfe Kläffen des leichten Granatwerfers – vermutlich eine Unterlaufwaffe – war die einzige Warnung, die Corporal Mariza de Menezes Cordeiro alias deMeCo alias Urutu bekam. Glücklicherweise war sie erfahren genug um zu wissen, was zu tun war. Aus dem geducktem Lauf ließ sie sich vornüberfallen, wobei sie den Sturz mit den gepanzerten Ellenbogen abfing. Schließlich durfte sie ihr Gewehr nicht beschädigen. Einen Sekundenbruchteil später lag sie lang, mit geöffnetem Mund.
Die Explosion – nein, mehr als eine – war nah, viel zu nah. Das teuflische Zischen der Granatsplitter in den Blättern der umgebenden Büsche war ein Laut, der selbst gestandene Veteranen dazu trieb, sich angstvoll zusammen zu kauern.
Die Scharfschützin schüttelte den Kopf, um das Klingeln in den Ohren zu vertreiben. Für einen Moment wartete sie, ob da noch etwas kam.
,Hm, sieht nicht so aus.‘
Vorsichtig erhob sie sich, blickte sich sichernd um und machte sich dann daran, in dieselbe Richtung zu schleichen, aus der sie gerade gekommen. Sie HASSTE den Teil ihres Jobs!

Ihre Ruger 47 Präzisionslaserwaffe hatte zahlreiche Vorteile gegenüber den antiquierten konventionellen Scharfschützengewehren, mochten einige verkalkte Veteranen ihnen auch den Vorzug geben. Das Lasergewehr war im Einsatz nahezu lautlos, sein 15-schüssiges Energiemagazin wog weit weniger als die gleiche Zahl Patronen einer Waffe mit vergleichbarer Durchschlagskraft. Die Reichweite ließ natürlich keine Wünsche offen. Und vor allem war die Zielgenauigkeit deutlich überlegen. Mit einer Laserwaffe musste man sich kaum Gedanken über Dinge wie Wind oder Bahnneigung machen. Es war auch unwahrscheinlich, dass der Feind sich aus der Schussbahn bewegte – der Energieimpuls schlug fast im selben Moment ein, in der man den Abzug drückte.
Das hatte jedoch einen Preis. Beim Einsatz in der Atmosphäre war die Schussbahn durch den hochenergetischen Laserimpuls oft schon mit bloßem Auge zu erkennen, in jedem Fall aber konnte ein gut platzierter Beobachter mit einem Sichtgerät die Schützenstellung vergleichsweise präzise anpeilen. Und das bedeutete, ein Sniper mit einem Lasergewehr war geraten, sich nach dem Schuss möglichst schnell abzusetzen. Denn stets bestand die Gefahr, dass der Feind – wie in diesem Fall – die vermutete Position des Scharfschützen mit einer Granate bedachte. Scharfschützenduelle waren ein wahrer Alptraum, denn wenn er erste Schuss nicht traf, konnte es sehr gut sein, dass der zweite – gegnerische – direkt im Ziel saß.

Ihre Aufgabe war nicht unbedingt heroisch, aber notwendig – den rückwärtigen Bereich der Landungszone absichern. Das Fünfte Bataillon schob seine Position immer näher an die Brücke über den Rijen heran, doch musste zugleich sichergestellt werden, dass die restlichen Kaiserlichen in Nera’Rijen den Landungstruppen nicht in den Rücken fielen. Zwar war der Feind ohnehin durch den Kampf gegen die Guerilla angeschlagen, und die Luftangriffe der Angels zeigten offenkundig ebenfalls Wirkung. Aber die Gefahr war noch nicht gebannt, und die Jabos konnten nicht überall sein. Ziele gab es genug, und der Vormarsch des Bataillons benötigte einen Großteil der Unterstützung.
Deshalb hatte der Bataillonschef einen dünnen Schleier aus Infanterie zur Absicherung zurückgelassen, der jedem übermütigen Imperialen den Schneid abkaufen sollte. Urutus Waffe, geeignet noch auf einen Kilometer Entfernung ihr Ziel mit tödlicher Präzision zu treffen, war in den vergleichsweise offenen Uferwiesen mit ihren Büschen und kleinen Wäldchen fast so effektiv wie ein Schnellfeuerlaser. Sie hatte denn auch in der letzten halben Stunde fünf generische Soldaten getötet oder schwer verletzt – im Moment war das eine so gut wie das andere – und mit einem knappen Dutzend Kameraden anderthalb bis zwei Züge feindliche Infanterie davon abgehalten, auf dumme Gedanken zu kommen. Sie wollte allerdings lieber nicht daran denken, was passierte, wenn der Gegner Verstärkung erhielt und entschlossener vorging, etwa falls er ein, zwei leichte Panzerfahrzeuge lockermachen konnte. Es WAR möglich, mit einer Ruger gepanzerte Ziele auszuschalten, doch es war sehr, sehr schwer. Ihre einzigen anderen panzerbrechenden Waffen waren ein paar Unterlaufgranatwerfer, und die waren nicht besser…
Am besten wäre es natürlich gewesen, hätte man sich mit den Guerillas austauschen oder abstimmen können. Aber das war praktisch undenkbar, schließlich hatten die keine zentralisierte Befehlsstruktur, und sichere Kommunikationskanäle gab es schon gar nicht. Na ja, hoffentlich zogen sie zumindest etwas von der feindlichen Aufmerksamkeit auf sich.

Keine halbe Minute später hatte Mariza ihren Spotter Zolin Morientes wiedergefunden und war erneut in Position. Der Gegner hatte sich nicht gerührt – kein Wunder, immerhin lagen an diesem Uferstreifen verstreut fast ein Dutzend tote oder schwerverletzte Imperiale, nicht gerechnet die Leichtverwundeten, die es geschafft hatten in Deckung zu gehen. Ohne einen rücksichtslosen Offizier der sie antrieb oder ausreichend Feuerunterstützung musste es den Kaiserlichen zu gefährlich erscheinen, energisch anzugreifen. Selbst wenn sie die Terraner – die sich redlich mühten mehr zu erscheinen als sie waren – überrennen konnten, wären die Verluste drastisch gewesen.
Im Moment beschränkte sich das Gefecht auf sehr sporadische Schusswechsel – wohl auch, weil beide Seiten mit ihrer Munition haushalten mussten.
Eines musste man den Echsen jedoch lassen, dämlich waren sie nicht. Mariza hatte gehofft, dass der Gegner sich unvorsichtiger verhalten würde – schließlich hatte er hier keine Laufgräben zur Verfügung, und der Schutz eines Baumstammes war höchst fragwürdig gegen eine Waffe wie die ihre. Aber die Imperialen verstanden es recht gut, sich abzuducken.
Ihr Sprechfunk meldete sich, der Truppführer der kleinen Streitmacht: „Lagebericht?“
Mariza überließ ihrem Spotter die Antwort. Nicht nur, dass sie die Aufmerksamkeit nicht zwischen der Zieloptik und der Kommunikation aufteilen wollte, Zolin hatte auch die bessere Übersicht: „Es rührt sich nichts. Entweder die buddeln gerade einen Tunnel um uns zu überraschen, oder wir haben sie erst einmal eingeschüchtert.“
Das wurde mit einem halben Lachen quittiert: „Nur nicht übermütig werden. Vergesst nicht, die Echsen müssen keine 100 Schritte rennen, dann stehen wir ihnen Auge in Auge gegenüber. Und das würde ein sehr kurzer Showdown.“
„Verstanden, aber…Achtung! Multiple Abschüsse!“

Mariza brauchte nicht den Funkspruch abzuhören um zu wissen, was gemeint war. Auf der anderen Seite kläfften erneut ein, zwei Unterlaufgranatwerfer los. Für einen Moment erhaschte sie eine Bewegung im Unterholz, doch ehe sie das Ziel anvisieren konnte, war der Akarii schon wieder in Deckung gegangen – nachdem er eine Handgranate geworfen hatte. Mariza war zu erfahren, um ihre Position wegen eines unsicheren Schusses zu riskieren. Aber wenn da drüben nicht Grakon der Schreckliche* in Stellung lag, dann hatte er keine Chance, die Granate auch nur halbwegs bis zu den terranischen Linien zu werfen…
Doch das war auch gar nicht der Plan: sowohl die Hand- als auch die Werfergranaten waren offenkundig Rauchbomben. Und so geballt wie der Gegner sie einsetzte, waberte binnen kurzem eine dichte Wolke Thermorauch über das Schlachtfeld, von einem leichten Wind in Richtung der terranischen Stellungen getrieben.
„Sperrfeuer!“ Die Stimme des Truppführers überschlug sich förmlich. Kam also doch der feindliche Sturmangriff!
Mariza senkte blitzartig die Waffe, zog mit einer fließenden Bewegung ihren Handlaser und begann, das Magazin in Richtung Feind zu leeren. Neben ihr fauchte der Schnellfeuerlaser ihres Spotters los. Mit kurzen, kontrollierten Salven deckten sie ihren Bereich der Front so gut ab wie es nur ging.
Kampfschreie wurden auf der anderen Seite laut, und mehrere Waffen gaben Salvenfeuer. Im dichten Rauch war für keine von beiden Seiten zu erkennen, worauf sie eigentlich schossen. Einzelne scharfe Explosionen brüllten auf, als Marines versuchten, mit Granaten den feindlichen Angriff zu stoppen, und vervollständigten die Kakophonie aus optischen und akustischen Effekten.

Es brauchte eine gute Minute, bis den Terranern aufging, dass die Echsen eigentlich inzwischen schon in ihren Stellungen hätten angelangt sein müssen.
„Dreckskerle!“ meinte Mariza, aber es klang fast bewundernd. Sie ahnte, was hier passiert war.
Und wirklich, als sich der Rauch langsam lichtete, war vom Gegner nichts mehr zu sehn.
„Die türmen!“ kam es von ihrem Beobachter. „Ich glaube, sie haben den Rauchvorhang genutzt, um ihre Leute über ein paar freie Flecken zu kriegen, an denen wir noch ein paar erwischt hätten. Hätte nicht gedacht, dass kaiserliche Soldaten so leicht aufgeben.“
„Kürzer fassen!“ kam es vom Truppführer: „Der Sprechfunk ist nicht dafür da, zu quasseln. Und die türmen nicht – sie haben sicher einen Rückzugsbefehl.“
Was auf dasselbe herauskam, sie waren hier wohl erst mal sicher.
„Sollen wir vorrücken?“
„Negativ. Ich habe Meldung von der Kompanie. Wir bleiben. Und Urutu – du und deine Quasselstrippe werdet bei der Kompanie gebraucht. Bewegung.“

***

Nicht lange danach, nahebei

Die Stimme von USMC-Captain Rui Graca klang ruhig – vielleicht zu ruhig, während er auf seinem kleinen Bildschirm die taktische Lage verdeutlichte. Kern der Anzeige bildete ein einstöckiges Gebäude von vielleicht 100 bis 150 Quadratmetern Grundfläche, das halb in den Uferhang hineingebaut war.
Theoretisch hätte die Konferenz mit den Gruppenführern auch via Sprechfunk geführt werden können, inklusive Übermittlung der taktischen Daten. Aber im Kampf gegen einen technisch ebenbürtig bis leicht überlegenen Gegner musste man immer mit Störsendern und besonders mit der Gefahr rechnen, abgehört zu werden, Verschlüsselung hin oder her. Deshalb war es besser, manche Dinge lieber von Angesicht zu Angesicht zu besprechen.
„Laut unserer Informationen handelt es sich bei dem Gebäude um den Teil einer kleinen Wasserkraftanlage, wohl ein Reservewerk im Fall von Ausfällen. Die Mauern sind ausreichend massiv, wohl als Schutz gegen Hochwasser – oder die Peshten haben es von vorneherein als Behelfsbunker gedacht. Unserer Aufklärer gehen davon aus, dass dort vielleicht ein halber Zug Imperiale sitzt, mit mindestens einem Schnellfeuerlaser. Wir müssen sie ausräuchern, und das schnell.“
Auf der digitalen Karte war in Rot die Brücke hervorgehoben – und es war klar, dass ihr Ziel als vorgeschobene Sicherung an der südlichen Flanke der Brücke fungieren konnte: „Wenn wir diese Drecksäcke nicht ausschalten, müssen unsere Jungs und Mädels durch das Kreuzfeuer – und der Gegner hat eine Chance sie noch etwas früher zu bemerken. Also müssen wir die Stellung ausheben. Wenigstens kann die Brücke nicht mehr Feuerunterstützung schießen, ihre Mörser feuern schon seit einer Weile nicht mehr.“
„Warum lassen wir nicht einen Luftangriff fliegen?“ Die Sprecherin, ein hochgewachsener dunkelhäutiger Lieutenant musterte die Karte etwas missmutig.
Graca lächelte schief: „Oder gleich ein Orbitalbombardement anordnen, Lieutenant Nadal? Das wäre mir auch lieber.“ Er seufzte, und ein Stück weit schien er mit sich selbst zu sprechen: „Im Grunde ist es einfach. Die Angels haben ihre Lenkbomben schon abgeworfen, und Bordwaffenbeschuss ist nicht präzise genug, dass ich sie auf 50 Meter an uns heranlassen will. Das sind Raumjockeys, keine ausgebildeten Heeresflieger. Wir müssten unsere Leute mindestens ein-, zweihundert Meter zurückziehen um sicherzugehen, dass sie uns nicht zufällig erwischen. Und die Truppe dann wieder nach vorne bringen.“ Die hohe Fluggeschwindigkeit der Raumjäger machte derartige Präzisionsarbeit schwierig, und angesichts der Durchschlagskraft und Kadenz der Bordwaffen konnte selbst eine geringfügige Fehlkalkulation furchtbare Konsequenzen haben.
„Außerdem muss es schnell gehen. Wir sind ohnehin schon hinter dem Zeitplan. Die Brücke MUSS Fallen, und das heißt, wir müssen diesen Pickel ausdrücken.“
Er ging nicht darauf ein, dass ihm weniger als dreißig Soldaten zur Verfügung standen – die Kompanie hatte bereits Verluste erlitten, und fast ein Drittel ihrer Kämpfer sicherte diesen Abschnitt des Landungskopfes dürftig gegen Angriffe von der Landseite ab.
„Wir gehen die Sache wie folgt an…“

Mariza schwenkte langsam, SEHR langsam ihr Gewehr, ließ ihren durch das Zielgerät verstärkten Blick über die feindliche Stellung wandern. Massive Wände, aber ausreichend Fenster, um Ausblick zu bieten. Fenster, die man mit Sandsäcken und Stahlplatten in Schießscharten verwandelt hatte. Eine vorgezogene Drahtbarriere, die Annäherung verhindern sollte. Vermutlich nicht vermint, aber sicher mit ein paar Sensoren versehen, damit sich nicht ein Peshtensaboteur ungesehen einschleichen konnte. Keine sonderlich elaborierte Stellung, aber eine, die ernst zu nehmen war. Und sie sollte helfen, diese zu knacken. Neben ihr raschelte es, als immer mehr terranische Marines sich heranschoben, in einem Halbkreis auf die feindliche Stellung vorrückten, peinlich darauf bedacht, in Deckung zu bleiben. Wer auch nur daran dachte, den Kopf ein wenig zu heben, wurde scharf zurechtgewiesen. Leider würde das nicht mehr lange gutgehen, denn es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Gegner Lunte roch.
Die Scharfschützin holte tief Luft.

Eine Salve aus einem Lasergewehr eröffnete den Angriff, und sofort fielen weitere Waffen ein. Unterlaufmörser bellten, Einschläge schleuderten Fontänen von Erde, kleinen Steinen und Granatsplittern gegen die Schießscharten. Laserimpulse deckten die feindlichen Feuerstellungen ein – doch sofort blitzte drüben die Antwort auf.
Das Gefecht währte noch keine dreißig Sekunden, da rollte sich der erste Marine mit schmerzerfülltem Heulen auf dem Erdboden. Nur in schlechten Filmen litten Soldaten stumm, waren entweder nur unwesentlich oder gleich tödlich verwundet.
Mariza blendete dies alles aus. In diesem Moment war sie ganz allein, das ganze Schlachtfeld bestand nur aus ihr und dem Ziel. Langsam erhöhte sie den Druck auf den Abzug…Treffer!
Der Laserimpuls des Ruger 47, um ein vielfaches stärker als der eines Sturmgewehrs, durchschlug glatt die Sandsackbarriere am Fenster, brachte eine der feindlichen Waffen zum Verstummen. Sofort ließ sie das Visier weiterwandern.
Natürlich konnte sie nicht darauf hoffen, alle Gegner auf diese Weise auszuschalten. Aber sie konnte sie in Deckung zwingen.

Granaten wirbelten durch die Luft, Handgranaten diesmal. Sie schienen viel zu kurz zu fallen, landeten mitten im Drahtverhau. Dumpfe Explosionen grollten, fetzten den Stacheldraht auseinander. Normale Handgranaten wären dazu nicht in der Lage gewesen, aber diese waren ihrerseits mit Stacheldraht umwickelt worden. Wenn die Drahtstränge sich im Verhau verfingen, konnten sie ihn weit effektiver beschädigen. Gleichzeitig zündeten Rauchgranaten, an allen drei Landseiten des Gebäudes zugleich. Dann begann der Sturmangriff.
Mariza schoss. Sie sah natürlich schon lange kein klares Ziel mehr – aber sie wusste ziemlich genau, wo die Schießscharten waren, und hielt genau hinein. Es kam nur darauf an, den Feind unten zu halten, so dass er nicht sicher sein konnte, wo der Angriff genau erfolgte.
Sie sah nicht, wie ein, zwei der stürmenden Marines stürzten, tot oder verwundet, wie einer im Drahtverhau hängen blieb.
Sie sah auch nicht, wie Lieutenant Nadal den Häuserwand erreichte, in jeder Hand eine Handgranate, kaltblütig zählte, und dann die Geschosse im genau richtigen Moment hineinschleuderte.

Die dumpfe Doppelexplosion gingen fast im Chaos des Gefechts unter – doch gleichsam als Antwort brüllte eine weitere Explosion im Innern des Gebäudes auf, weit heftiger noch als die Handgranaten. Hatte Nadal per Zufall einige Reservegranaten des Gegners zur Explosion gebracht?
Es dauerte dennoch einige Sekunden, ehe die Marines registrierten, dass das feindliche Feuer aufgehört hatte.
Langsam erstarb der Beschuss. Misstrauisch warteten die Terraner, ob der Gegner das Feuer erneut eröffnen würde, doch es blieb ruhig – fast unwirklich still nach dem Chaos des Kampfes.
„Nicht…schießen!“
Die Stimme klang seltsam gepresst, offenkundig von einer Kehle ausgestoßen, die weder für menschliche Laute geformt noch an sie gewöhnt war. Mit erhobenen Händen taumelte ein unbewaffneter Akarii in ruß- und blutbesudelter Uniform aus der Tür. Nadal, die die nächste Granate in der Hand hielt, schickte ihn gestikulierend weiter. Dahinter kamen noch zwei weitere Kaiserliche, die einen dritten, offenbar schwer Verwundeten stützen. Sonst kam keiner mehr.

Die Angriffstrupp schwärmte vorsichtig aus, um das Gebäude zu sichern. Die meisten Marines in der Feuerlinie blieben in Deckung – schließlich konnte es ja sein, dass doch noch ein Imperialer am Leben und entschlossen zum Kämpfen war und auf ein leichtes Ziel wartete. Die einzige Ausnahme waren jene, die sich um die getroffenen Kameraden zu kümmern hatten – so kurz der Kampf gewesen war, er hatte doch Opfer gekostet.
Mariza lag weiter in Feuerstellung, ließ ihren Blick langsam über die feindliche Stellung wandern, jederzeit bereit, auf eine Bedrohung zu reagieren.
Und so sah sie es in voller Klarheit, wie einer der Soldaten des Angriffstrupps sich umdrehte, und ohne ein Wort oder Warnung das Feuer auf die überlebenden Kaiserlichen eröffnete. Es war eine vollautomatische Salve aus nächster Entfernung, präzise und erbarmungslos. Zwei der Soldaten brachen sofort zusammen, ihnen war nicht einmal mehr genug Zeit für einen Schrei geblieben. Der dritte versuchte zu fliehen, doch nach wenigen Schritten trafen auch ihn mehrere Energieimpulse. Als das Feuer mit dem charakteristischen Zischen einer entladenen Energiezelle endete, lebte nur noch der Schwerverwundete. Er schien in einem Mischmasch aus Akarii-Idiomen und Englisch um sein Leben zu betteln – doch der Marine zog nur seine Laserpistole und streckte den Imperialen mit zwei Schüssen aus nächster Nähe nieder. Die erneute Stille schien mit einmal drückend.

Niemand sagte ein Wort – Mariza nicht, nicht ihr Spotter, auch keiner der Offiziere. Es gab viele Gründe für Kriegsverbrechen wie dieses. Hass auf den Feind, natürlich, Wut über eigene Verluste, Frustration über langwierige Kämpfe oder den Kriegsverlauf. Oft aber ging es auch um einen brutalen Pragmatismus. Truppen während eines Sturmangriffs, vor allem tief hinter den feindlichen Linien, betrachteten Gefangene oft als eine riskante Belastung. Sie mussten bewacht werden, wo man kaum genug Leute detachieren konnte, um die eigene Stellung zu sichern und Verwundete zu versorgen. Und so kam es immer wieder vor, dass man sich besiegter Gegner einfach ,entledigte‘, auf eigene Faust oder mündlichen Befehl eines Offiziers. Auch diesmal hatte man ihnen vor dem Einsatz eingeschärft, dass Geschwindigkeit überlebenswichtig war, und NICHTS den Vormarsch aufhalten durfte. GAR NICHTS.
Und wenn so etwas erst ein, zwei Mal geschehen war, war die Hemmschwelle beim nächsten Mal umso geringer.

Ein Stück weit wusste Mariza, sie – sie alle – hätten etwas sagen oder tun sollen. Vielleicht. Aber ein anderer Teil von ihr war schon beim nächsten Gefecht, bei den Kämpfen der kommenden Tage. Wen kümmerte da das Schicksal von ein paar Echsen?!
Sicher nicht Captain Graca. Die Stimme des Kompaniechefs klang vielleicht etwas zu bemüht gelassen, nichts desto trotz ging er über das Geschehene einfach hinweg
„Nadal – gut gemacht, für den Sturmangriff schlage ich Sie zum Bronze Star vor. Sichern Sie das Haus und sagen Sie dem Shuttle, wir haben Verwundete für die Evakuierung. Ich lasse Ihnen ein paar Leute Trupp da. Der Rest – Bewegung! Die Brücke wartet auf uns!“
Mariza sicherte ihr Gewehr und warf es sich über die Schulter. Sie bedauerte, dass sie nicht überprüfen konnte, wie viele tote Kaiserliche im Inneren des Gebäudes auf ihr Konto gingen – einer, vielleicht zwei? Für Scharfschützen war die Abschussliste fast so wichtig wie für Jagdflieger. Na, sie würde noch Gelegenheit haben, an ihrem Ranking zu feilen…
Zusammen mit dem Rest der Kompanie huschte sie geduckt den Hügel hinan, mit den Gedanken war sie bereits beim Sturm auf die Rijen-Brücke. Sie schaute nicht hin, als sie an den erschossenen Kaiserlichen vorbeilief.

***

Im Luftraum über Nera‘Rijen

Lieutenant Commander George ,Blackhawk‘ Blackhawk betätigte den Auslöser für den Flare-Werfer, während er gleichzeitig seine Maschine ein Ausweichmanöver fliegen ließ. Er hatte geglaubte, die letzte SAM-Stellung auf diesem Flussufer erledigt zu haben, aber ein paar schultergestützte Werfer waren immer noch aktiv.
„Habt ihr endlich den Fluss gesäubert?“
First Lieutenant Elisabeth „Fox“ Lisiewicz, deren Sektion abgestellt worden war, um Luftabwehrstellungen am Ufer und auf dem Wasser auszuschalten, klang definitiv nervös, als sie antwortete: „Vier Boote versenkt oder schwer beschädigt, von daher sollte also alles klar sein. Und ich habe ein paar Schützenstellungen am Ufer umpflügen lassen. Octo musste abdrehen, ihre Maschine ist zu sehr beschädigt Sie fliegt zusammen mit den Havaristen der anderen Staffeln zurück.“ Die Pilotin erwähnte es nicht explizit, aber natürlich hatte nicht jeder Angel seine Maschine am Himmel halten können. „Aber ich meinte eigentlich, wir hätten alles ausgeschaltet. Bleibt natürlich noch die Brücke.“
Blackhawk schnaubte: „Man sollte ja meinen, wir hätten denen ordentlich eingeheizt…“
Unter den ersten Angriffszielen der Stalking Jaguars war die Brücke gewesen. Es war ein Blitzangriff geworden – ein extremer Tiefflug, bei dem sie eine Ladung Rockeye-Streubomben abgeworfen hatten. Die Bomblets waren bei weitem nicht stark genug, um die Brücke selbst ernsthaft zu beschädigen, aber man hatte gehofft, so schweren Schaden an der Brückenverteidigung anrichten zu können. So ganz freilich schien das nicht geklappt zu haben – wahrscheinlich hatten die Imperialen sich rechtzeitig in die Deckung der Brückenbunker retten können. Aber wenigstens war das Luftabwehrfeuer der Brücke deutlich schwächer als zuvor. Allerdings war es schwer, Einzelheiten zu erkennen. Die Brücke war eingenebelt worden, als die Angels vom Feind geortet worden waren – natürlich, das war Standartmanöver. Inzwischen lichtete sich der Nebelvorhang zwar etwas, vermutlich auch, weil einige Nebelwerfer nicht mehr betriebsbereit oder inzwischen verschossen waren. Aber die Brücke war dennoch nicht wirklich gut zu erkennen.

Der Staffelchef prüfte die Statusmeldungen seiner Staffel. Nach Octos Ausfall und den Verlusten der letzten Tage hatte er noch neun Maschinen im Einsatz – und nur noch eine Reservemaschine an Bord der COLUMBIA. Zwei Piloten waren ernsthaft verletzt und würden so schnell nicht wieder in ein Cockpit klettern können. Er wusste, bei den meisten anderen Staffeln sah es nicht viel besser aus. Immerhin vermissten die Angels nicht weniger als ein Viertel ihrer Staffelchefs.
Blieb die Frage, was die Jaguars in diesem Gefecht noch tun konnten. Es sah nicht so aus, als ob die Akarii ihren begrenzten Luftwaffenressourcen in einem Kampf um die Stadt am Rijen verschleißen wollten – eine eigentlich recht kluge Entscheidung. So stark wie die Angels waren, hätte man auf der gegnerischen Seite schon mindestens drei, vier Staffeln mobilisieren und koordiniert einsetzen müssen, um auf nennenswerte Erfolge hoffen zu können.
Nun ja, seine Mehrzweckjäger waren ihre Bomben inzwischen losgeworden, aber auch die Bordwaffen konnten massiven Schaden anrichten...
„In Ordnung, Fox, flieg mit deiner Sektion Patrouille – haltet Ausschau nach Artilleriestellungen, falls die Echsen irgendwo noch einen Radpanzer, einen Raketenwerfer oder was in der Art haben. Aber vorsichtig, die Guerilla hat auch motorisierte Einheiten, erst Schießen, wenn das abgeklärt ist.“
Im Grunde war das eine unmögliche Situation. In einer brennenden Stadt mit anhaltenden Kämpfen war es fast unmöglich, Feind und Freund auseinander zu halten, zumal viele der Freunde keinerlei Kommunikation mit den Kampffliegern oder auch nur mit Majorin Schlüter hatten. Was bedeutete, seine Leute mussten warten, bis man sie beschoss, ehe sie sich halbwegs sicher sein und einen Angriff planen konnten. Und dann war der Feind vielleicht schon wieder in einer Seitenstraße und unter den Schutz der Rauchschwaden entwischt.
Er aktivierte den Kanal zum Brigadegefechtsstand. Der Kontakt mit den Gefechtskompanien des Fünften Bataillons war bestenfalls von wechselhafter Qualität, und er hoffte, dass Schlüter noch so etwas wie eine Gesamtübersicht hatte: „Jaguar für Stiefel – gibt es im Moment klar erkannte Ziele im Norden?“
Die Antwort dauerte eine Weile – offenbar war man im Gefechtsstand momentan mehr als beschäftigt.
„Negativ. Riegeln Sie weiter das Gefechtsfeld ab.“
Blackhawk bestätigte.

Ein wenig fragte sich der Chef der Jaguars, wie lange sich die Mission noch hinziehen würde. Sie mussten mit Treibstoff haushalten, denn das ständige Beschleunigen in der Atmosphäre ging an die Reserven. Schließlich stand ihnen auch noch ein Flug zur Überwindung der planetaren Anziehungskraft bevor, und eine gewisse Sicherheitsmarge brauchte man, für den Fall, dass doch noch feindliche Kampfflieger auftauchten. Vermutlich würde die Angels in absehbarer Zeit…
„Einschlag! Schwerer Einschlag!“
Die Stimme von Fox klang aufgeregt. Blackhawk rief sie zur Ordnung: „Wo und was? Und Ruhe bewahren!“
„Wir haben mehrere schwere Einschläge südlich und nördlich der Brücke. Massive Gebäudeschäden!“
Im selben Augenblick meldete sich der Gefechtsstand der Marines – und zwar über die Geschwaderfrequenz, also an alle Staffeln gleichzeitig: „Achtung, wir haben eine oder mehrere schwere Einheiten auf der Brücke! Schafft sie uns vom Hals – sonst schießen die uns den Vormarsch zusammen.“
Stafford schaltete sich ein: „Cowboy hier – meine Leute haben ihre Lenkwaffen schon verbraucht. Können Sie wenigstens Spotter vorbringen, oder den Gegner mit Schulterraketen ausschalten? In dem Dunst ist ein Angriff mit Bordwaffen nicht wirklich praktikabel.“
Die Stimme, die jetzt zu hören war, war eine andere – Major Schlüter höchstpersönlich. Und obwohl sie eigentlich einen niedrigeren Rang als Stafford hatte, schien sie nicht in der Stimmung für Diskussionen; „Negativ! Die Echsen haben Scharfschützen an beiden Brückenenden, wir können unsere Leute nur langsam näherschieben. Und jede größere Gruppe läuft Gefahr mit schwerem Feuer belegt zu werden. Hören Sie Cowboy, wir haben kein Ari, keine Panzer und vor allem haben wir nicht unbegrenzt Zeit. Also schaffen Sie uns die Scheißpanzer vom Hals, und zwar sofort, denn das ist genau der Grund, aus dem Sie hier sind!“

Der Commander schwieg für einen Moment. Möglicherweise war er verärgert auf diese Weise abgefertigt zu werden, doch natürlich war auch ihm klar, dass jetzt wirklich nicht der Moment für eine Diskussion war.
„Wir machen das.“ Die Stimme der Interims-Staffelchefin der Schwarzen, die ungefragt ihren Senf dazugab, klang ebenso selbstsicher wie energisch.
Stafford schien nicht übermäßig überzeugt: „Haben Sie denn noch ausreichend Munition? Der letzte Angriff der Butcher Bears gegen die Brücke war vielleicht nicht gerade erfolgreich, aber Sie sollten nicht denken, hier etwas beweisen zu müssen.“
Huntress schnaubte: „Nein, Lenkbomben haben wir keine mehr – und wir sollen ja auch aufpassen, dass die Brücke intakt bleibt. ABER…ich habe einen Plan.“

***

Die Brücke über den Rijen, nur wenig später

Der Rauchvorhang an der Brücke war inzwischen deutlich durchlässiger geworden – die Nebelmaschinen waren nicht dazu gedacht, auf Dauerbetrieb zu laufen. Allerdings hing über der gesamten Stadt inzwischen eine Dunstglocke aus Staub und Rauch, der aus brennenden Fahrzeugen und Gebäuden aufstieg. Es war noch kein Großbrand – die Peshten bauten solide – aber dennoch stiegen an mindestens zwei Dutzend Stellen Rauchsäulen in den Himmel.
Rund um die Brücke blitzte es in rascher Folge – terranische Mörser schossen Sperrfeuer, und die Akarii antworteten mit Kleinwaffen, um die feindliche Infanterie auf Abstand zu halten. Hin und wieder war der peitschende Überschallknall des 180-Milimeter-Gaussgeschützes des schweren Kampfpanzers zu hören. Die Kaiserlichen setzten jedoch weder Infanteriemörser noch die Raketen ihrer Kampffahrzeuge ein – vermutlich war ihnen die Munition ausgegangen oder zumindest so knapp, dass sie die letzten Schüsse sparen wollten. Es ging für sie ja in erster Linie darum, Zeit zu gewinnen. Es konnte nicht lange mehr dauern, und die terranischen Jäger mussten abdrehen – und dann fiel nicht nur ein Gutteil der Unterstützung der Landungstruppen weg, vielleicht bot sich gar die Gelegenheit für imperiale Verstärkungen, sei es auf dem Luftweg oder am Boden. Schwebepanzer und Schützenpanzer konnten schließlich weit mehr als 100 Kilometer in einer knappen Stunde zurücklegen…
Dass ihre Kameraden noch kämpften, bewiesen die Bordwaffenangriffe, die die Kampfflieger der Terraner am Stadtrand flogen – Gebäude und Stellungen, die als Rückhalt für die Kaiserlichen dienten, wurden immer wieder angeflogen. Die Jäger und Jagdbomber tauchten todesmutig in die Straßenschluchten, und die Einschläge ihrer Energiewaffen vergrößerten den Rauch- und Staubvorhang noch zusätzlich.

Der Angriff brach mit aller Macht über die imperialen Brückenstellungen herein. Je drei Griphen-Kampfflieger rasten von Norden und Süden im Tiefflug heran, geschickt die Deckung nutzend, die ihnen Rauch und Gebäude boten. Dies erschwerte zwar die Zielerfassung, aber es ging ihnen offenbar gar nicht um Präzision. Die Bordwaffen spien einen wahren Hagel von Energieimpulsen aus, die mühelos die Sandsackstellungen an beiden Brückenenden durchlöcherten und selbst recht solide Mauern oder Stahlplatten zu durchschlagen vermochten. Die Erde und Straßenbelag wurden regelrecht umgepflügt.
Es sprach für die Entschlossenheit der kaiserlichen Truppen, dass einige dennoch Widerstand wagten – wenngleich zweifellos viele Deckung suchten und sich angstvoll in die zweifelhafte Sicherheit ihrer Stellungen kauerten.
Feuer von Schnellfeuerlasern und einzelnen schultergestützten SAM-Raketenwerfern tasteten nach den Angreifern, wenngleich die ständig abgefeuerten Flares jeden Beschuss mit Lenkwaffen erschwerten. Doch dies waren nicht die einzigen Optionen, die den Verteidigern zur Verfügung standen.
Erneut war der Überschallknall des Panzergeschützes zu hören. Zwar war die Trefferwahrscheinlichkeit mit einem Vollgeschoss trotz der hohen Mündungsgeschwindigkeit gering, doch die Echsen hatten schon lange Railgungeschosse entwickelt, die sich in der Luft zerlegten und wie eine gigantische Schrottflinte fungierten. Und sowohl der Kampfpanzer als auch die zwei Schützenpanzer verfügten noch über einige wenige Lenkraketen.

Eines der Geschosse traf ihr Ziel – eine unheilverkündende Rauchsäule hinter sich herziehend, drehte eine terranische Maschine ab. Mit einem Mal bäumte sie sich auf, raste gut hundert Meter in einem steilen Winkel empor. Auf dem Höhepunkt der Flugbahn katapultierte der Pilot sich heraus, während die getroffene Griphen dem Boden entgegentaumelte und schließlich am Flussufer einschlug.
Doch die Imperialen sollten kaum Gelegenheit haben, ihren Sieg zu feiern. Denn noch während die Terraner abdrehten – offenbar vorher abgestimmt, so dass die Flugbahn der Kampfflieger sich nicht kreuzten – fiel der nächste Schlag.
Die zwei Nighthawks waren praktisch auf Bodenhöhe – ja sogar tiefer – angeflogen, folgten sie doch dem Flussverlauf, so dicht, dass sie förmlich das Wasser zu berühren schienen. Das Gegenfeuer der Kaiserlichen auf ihre Kameraden verriet ihnen deren Position. Direkt vor der Brücke zogen sie hoch, und die Bordkanonen sprachen, unterstützt durch Raketen.
Der Krat-Panzer wurde voll in die Flanke getroffen. Die Wucht des doppelten Raketeneinschlages fegte ihn beinahe von der Brücke, verwandelte den Koloss in ein rauchendes Wrack. Einer der Schützenpanzer wurde ebenfalls schwer getroffen, und nur eines der Fahrzeuge entkam – kollidierte bei den panischen Ausweichmanövern mit dem Brückengeländer. Der Äther füllte sich mit dem Triumphgeheul der Butcher-Bear-Piloten. Diese besondere Mission hatte Huntress für sich und Phoenix reserviert.
Und im selben Moment stiegen südlich und nördlich der Brücke Leuchtkugeln auf – der entscheidende Sturmangriff der Landungstruppen begann.
Fünf Minuten später war alles vorbei. Die Brücke über den Rijen gehörte nun den Terranern.

***

* Bösewicht eines recht verbreiteten zeitgenössischen Digitalcomics, hat echsische Züge, besitzt übermenschliche Kräfte.



Geschrieben von Cattaneo am 06.11.2021 um 18:45:

 

Das Warten beginnt

Brücke über den Rijen zwischen Nera’Rijen und Arta’Rijen, Gamma Eridon

Urutu kostete den Moment aus. Er würde natürlich nicht lange währen, bis man sie wieder zum Einsatz hetzte, aber für ein paar Minuten wollte sie einen wichtigen Etappensieg genießen.
Begleitet von einer Handvoll ihrer Kameraden spazierte sie durch die zerschossenen Sandsackstellungen der Imperialen, die bis vor kurzem noch die Auffahrt zum Nordende der Brücke über den Rijen bewacht hatten. An einigen Stellen rauchte es noch immer, ein scharfer Geruch nach Feuer, Blut und Tod hing in der Luft. Die Brücke ragte aus den sich langsam auflösen Rauch- und Nebelschwaden und bot im roten Licht der emporsteigenden Sonne ein fast unirdisches Bild. Freilich – seit der Landung war noch nicht so viel Zeit vergangen.
Der Fluss präsentierte sich in trügerischer Friedfertigkeit. Die feindlichen Boote waren vertrieben oder schwammen in Einzelteile zerlegt inzwischen ein paar Meilen stromabwärts. Freilich würde man im Hinterkopf behalten müssen, dass der Flusslauf ein potentielles Einfallstor für Schweber und feindliche Angriffsboote blieb.
Eine imperiale Flagge lag am Boden, gierig beäugt von einigen Soldaten – vermutlich fragten sie sich, ob sie damit durchkommen würden, das gute Stück verschwinden zu lassen. Die Scharfschützin kicherte leise, als sie sich eine ausbrechende Massenprügelei um die Fahne vorstellte. Grundlos wäre dies nicht – solche Souvenirs waren nicht nur eine Karte für Freigetränke bis ans Lebensende, wenn man sie in den richtigen Kneipen herumzeigte. In einigen Fällen hatten sie auch einen beträchtlichen monetären Wert.
Zeitgleich hisste ein Nationalgardist ein neues Banner – überraschenderweise weder ein Truppenbanner seiner Einheit mit der aufgehenden Sonne noch die Flagge der Republik, sondern die Fahne des Konkordats. Zweifellos eine Geste für das kleine Grüppchen Verbindungsoffiziere, die über die Brücke marschierten, um sich mit ihren Kameraden auf der anderen Flussseite zu treffen.

Eskortiert von terranischen Soldaten und angetrieben mit einem Mischmasch aus Befehlen in den verschiedenen Akarii-Dialekten – und gelegentlichen Stößen mit dem Gewehrkolben – taumelten die überlebenden kaiserlichen Soldaten der Brückenverteidigung davon. Es waren einige Dutzend, etliche von ihnen verwundet. An ihrer Spitze humpelte ein Infanterieoffizier in der Uniform eines Hauptmanns, sicher der Kommandeur der Einheit. Die Wachen hielten argwöhnisch Abstand zu ihm und seinen Untergebenen – auch unbewaffnet waren die Echsen im Nahkampf achtungsgebietende Gegner. Die Besiegten wirkten zwar desorientiert und entmutigt, aber darauf konnte man sich nicht verlassen. Und tatsächlich hatten einige noch genug Widerstandswillen um trotzig dreinzublicken, als sie bemerkten, dass ihr Abmarsch von einzelnen Soldaten aufgenommen wurde – Bilder für die terranischen und Konkordats-Nachrichten, oder simple individuelle Andenken.
Man würde sie vermutlich zu den Shuttles bringen und direkt zu den Peshten oder dem terranischen Expeditionskorps abschieben.

Urutu, die reflexartig jeden Gedanken an die erschossenen Gefangenen vor dem ,Blockhaus‘ am Flussufer verdrängte, musste ein dreckiges Grinsen unterdrücken, als sie daran dachte, wie die Drähte wegen diesen Gefangenen heißlaufen mochten. Denn eigentlich waren dies ja Gefangene des USMC, das freilich auf Gamma Eridon die kleinste Teilstreitmacht stellte. Würde die terranische Armee sie bekommen oder die Peshten, schließlich war dies ja ihr Planet?
Nicht jeder Imperiale hatte dem Leben und der Schande Vorzug vor der Ehre und dem Tod gegeben. Inmitten einer Handvoll toter Kaiserlicher lag eine Akarii im Rang eines Hauptmanns. Ihr Truppenabzeichen wies sie als eine Angehörige der Instandsetzungsdienste aus, und auch die Toten um sie gehörten zu den „Schraubern“ oder Nachschubtruppen. Dennoch hatten sie sich offenbar bis zuletzt verteidigt. Die meisten Toten wiesen mehrere Verletzungen auf, mit Ausnahme eines Akarii, dessen Gesicht von einer schweren Energieentladung zerfetzt worden war. ,Ob ich das wohl war?‘ dachte Urutu unwillkürlich.
Die letzte Verteidigerin war offenkundig im Nahkampf gefallen, wenn man die klaffende Schwertwunde in ihrem Gedicht bedachte.
Nationalgardisten durchsuchten die Stellungen und sogar die Leichen und stapelten Ausrüstungsteile und Waffen auf.
Allerdings lagen auch etliche tote Marines und Nationalgardisten direkt neben der Brückenauffahrt. Man hatte sie notdürftig mit Zeltplanen bedeckt und diese mit Sandsäcken gesichert, damit der Wind die Gesichter und furchtbaren Wunden nicht enthüllte. Der Kampf war kurz, aber hart gewesen. Für die Toten und Gefangenen war er erst einmal vorbei – doch wie viele mochten ihnen noch folgen?
Mitten in diese Gedanken meldete sich der Kompaniefunk: „Urutu? Dein Typ wird verlangt. Wir haben Meldungen von ungeklärten Fahrzeugbewegungen.“
Die Scharfschützin seufzte. Nicht nur für die Bösen gab es offenkundig keine Ruhe. Es war freilich verständlich – ihre Kompanie hatte nur eine Handvoll Panzerjäger, und so musste sie sich bereithalten um als Ersatz herzuhalten. Sie überprüfte den Ladestand ihres Gewehres – noch neun Schuss im Energiemagazin. Und sie hatte noch drei von den sechs 15-Schuss-Reservemagazinen, die sie bei der Landung am Körper getragen hatte. Das sollte ausreichen.
Die gesicherte Waffe in Händen trabte sie geduckt los.

***

Kommandostand der Brigade Schlüter, Ai’Shan-Park, Arta’Rijen

USMC-Major Ariane Schlüter hatte schon an schlimmeren Orten gekämpft. Ihr momentaner Kommandostand war verglichen mit den Tunneln von Hellmountain geradezu paradiesisch zu nennen, wenngleich auch etwas beengt und exponierter als ihr lieb war.
Man hatte ganz einfach ein S-41 Landungsshuttle modifiziert, damit es als Behelfs-HQ fungieren konnte. So war sie von der ersten Minute der Invasion an voll einsatzbereit. Sollte der Gegner sie natürlich mit schwerer Artillerie anpeilen oder die Luftüberlegenheit zurückgewinnen…aber dann waren sie sowieso im Arsch.
Der Gefechtslärm hatte sich zu einem fernen Murmeln abgeschwächt, obwohl die Shuttleluke offen stand. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, denn es galt immer noch Fracht auszuladen, und manche Information war zu sensibel für eine nur notdürftig gesicherte Funkverbindung. Aber inzwischen waren die meisten Imperialen einige Kilometer zurückgewichen, und die restlichen Widerstandsnester – ebenso wie die terranischen Landungstruppen, die sie blockierten oder angriffen – setzten ihre Munition nur sparsam ein.
Auf einem der Kartenbildschirm prangte ganz Nera’Rijen und große Teile Arta’Rijens in freundlichem Blau. Das mochte etwas optimistisch sein – in Nera’Rijen waren die terranischen Streifen erst dabei, das Stadtgebiet wirklich zu durchkämmen. Aber bisher war kein Widerstand mehr gemeldet worden und es gab Berichte, dass sich zumindest die Echsen nördlich des Flusses komplett aus dem Stadtgebiet abgesetzt hatten.

Die Kommandeurin unterdrückte ihr erleichtertes Lächeln nicht. Das hätte auch ganz anders laufen können. Im Moment waren die Kaiserlichen in Arta’Rijen im Wesentlichen bis in die südlichen Vororte zurückgeworfen. Dort allerdings – und in einigen eingekreisten Widerstandsnestern im Stadtinnern – hielten sie sich weiterhin. Und ohne ausreichend schwere Waffen, reichlich Munition und präzise Luftunterstützung war die Brigade einfach nicht stark genug, sie ohne unverhältnismäßig hohe Verluste ganz aus der Stadt zu werfen. Es würde schwierig genug werden, die letzten Stützpunkte in relativer Nähe zur Brücke auszuräuchern. Verluste aber konnte sie sich nicht leisten.
Die Angels waren erst einmal abgeflogen und würden frühestens in zwei Stunden wieder jemanden schicken können, und selbst dann bestenfalls ein paar Maschinen. Schließlich mussten die Kampfflieger gewartet und aufmunitioniert werden, und irgendwann sollten die Piloten sich ja auch ausruhen, um für den Notfall frisch zu sein. Schlüter hatte zwar die COLUMBIA in der Standleitung, aber das hieß nicht, dass die Trägermaschinen auf Abruf bereitstanden.
Am besten wäre es natürlich, die Peshten oder das terranische Interventionskorps hätte Heeresflieger in Arta’Rijen stationieren können – aber ebenso gut hätte sie sich auch ein persönliches Artillerieregiment und eine Panzerbrigade wünschen können. Dass man ihr Flieger aus dem Frontbereich schicken würde, war auch kaum zu erwarten. Zu gefährlich, und man hatte viel zu wenig davon…
Aber selbst wenn sie am Ende Luftunterstützung erhielt, war diese zu wichtig um sie für ein oder zwei Dutzend oder eingekreiste Echsen einzusetzen. Die Luftwaffe würde genug zu tun haben, um die praktisch unvermeidlichen feindliche Gegenangriffe zu erschweren – oder die Vierte auf ihrem Vormarsch zu unterstützen. Bei den Kämpfen im Stadtgebiet würde die Brigade also mit dem klarkommen müssen, was sie hatte.

Die Aufgabe eines Kommandeurs war ein Stück weit Strategie, etwas Taktik, ein wenig Psychologie und Diplomatie, aber vor allem viel Logistik. Und so hatte sie vor allem mit letzterem zu kämpfen. Die ersten Stunden bei Einrichtung eines Landungskopfes waren entscheidend, denn die Fehler, die sie jetzt machte – so lange der Gegner noch in Schockstarre war, und ihre Leute nicht mehr in vollem Einsatz standen – würden schwer wiegen, und alle Erfolge sich doppelt und dreifach auszahlen.
Inzwischen lagen ihr von den einzelnen Bataillonen Gefechtsberichte vor. Die Zahlen konnten sich natürlich stündlich ändern.
Die Brigade hatte bisher etwa 100 Verluste an Toten und Verletzten zu verzeichnen. Dem standen wohl um die 400 bis 500 Imperiale gegenüber, die im Zuge der chaotischen Kampfhandlungen gefallen waren. Diese Rechnung trog in ihrer Eindeutigkeit natürlich. Ein Teil der kaiserlichen Verluste ging auf das Konto der Guerilla, und vor allem hatten die Angry Angels großen Anteil an den Zerstörungen. Was sie freilich mit dem Verlust von mehreren Maschinen bezahlt hatten – so waren drei terranische Kampfflieger im Stadtgebiet abgeschmiert, und mehrere nur noch flügellahm nach Hause gekrochen.
Außerdem mussten zu den Gefallenen und Verwundeten der Terraner die Verluste der Guerilla hinzugerechnet werden. Die Brigade hatte nur Kontakte zum einen Teil der Untergrundkämpfer. Es hakte mit der Kommunikation, und andere Gruppen hatten sich bereits wieder abgesetzt. Aber insgesamt waren wohl mindestens ebenso viele Untergrundkämpfer wie Marines getötet oder verletzt worden. Und was die ehemaligen Kriegsgefangenen anging, die sich in die Kämpfe eingemischt hatten, so waren deren Verluste sogar noch höher.

Was sie zum nächsten Punkt brachte…
Die Majorin wandte sich an einer der Funker, die ihr bei der Koordination ihrer Truppen half: „Haben Sie Verbindung mit Major Tash? Dann rufen Sie ihn!“
Kurz darauf hatte sie den Peshten am Apparat: „Wie sieht es aus? Konnten Sie Ordnung in die befreiten Gefangenen bringen?“
Ihr Gegenüber war ihr zwar im Rang ebenbürtig, hatte aber weit weniger Kampferfahrung, und wirkte deshalb ein wenig nervös, obwohl an seiner Professionalität kein Zweifel bestand. Sonst hätte man ihn nicht zum obersten Verbindungsoffizier ihrer Brigade gemacht: „Durchwachsen. Es gibt einen harten Kern von Kampfbereiten, die haben freilich ernste Verluste einstecken müssen. Ein Gutteil der ehemaligen Gefangenen sind jedoch Instandsetzungsdienste und Nachschubfahrer, die sich nach dem Ausbruch der Gefangenen vielfach erst einmal abgeduckt haben. Man könnte sie in einer Einsatzkompanie organisieren, aber ich bezweifle, dass die viel wert wäre. Ihre Gefangenenahme hat sie schon erschüttert, und die heutige Nacht…“
„Ich fürchte, Sie werden ihnen in den Hintern treten müssen. Möglicherweise – vermutlich – werden wir bald jeden Mann und jede Frau brauchen, die eine Waffe halten können. Ich kann es mir nicht leisten, kampffähiges Personal auszufliegen, wir haben genug damit zu tun, Verwundete und Gefangene zu evakuieren – und da sind auch noch die Zivilisten, die ich gerne zügig los wäre…“
Die Zahl der imperialen Gefangenen hielt sich in Grenzen, die meisten davon waren beim Sturm auf die Brücke geschnappt worden. Über die genauen Gründe, warum etliche Kompanien nur relativ wenige Gefangene eingebracht hatten, wollte die Majorin lieber nicht spekulieren…
Aber es waren immer noch gut 100, vielfach verwundete, entwaffnete Imperiale, die sie schleunigst aus der Stadt haben wollte. Glücklicherweise standen ihr einige Landungsboote zur Verfügung, die neben Verwundeten auch Gefangene und eben auch Zivilisten ausfliegen konnten, sobald sie abhoben. Einen Gutteil ihrer eigenen Verwundeten hatte sie bereits evakuiert – die Shuttles konnten natürlich nur starten, wenn sie Geleitschutz hatten, also würden die nächsten Flüge noch eine Weile warten müssen.
Schlüter wollte nicht schuld sein, falls peshtische Zivilisten in das Kreuzfeuer einer ausgewachsenen Schlacht gerieten. Sicher konnte deren Unterstützung wertvoll sein, aber wie sollte man sie versorgen und nötigenfalls beschützen? Außerdem traute sie den Einheimischen die in der besetzten Stadt geblieben waren nicht wirklich. Die Mehrheit waren sicher keine Kollaborateure – aber wie sollte man die einen von den anderen unterscheiden?
Leider war abzusehen, dass der Platz an Bord der Shuttles nicht für jeden reichen würde, selbst wenn man berücksichtigte, dass man ihr weitere Flüge mit nachrangigen Diensten und Nachschub versprochen hatte. Ihre Soldaten bereiteten bereits eine Landezone vor und versuchten Transportfahrzeuge zusammenzubekommen, um jegliche Ladung schnell verteilen zu können. Man musste es feindlichen Fliegern und Artillerie ja nicht ZU einfach machen…
„Sehen Sie zu, dass Sie mir aus den Befreiten ein oder zwei Kompanien aufstellen. Denken Sie, man kann erfahrene Soldaten und Grünlinge mischen, damit uns die Leute nicht beim ersten Schuss auseinanderlaufen?
Alle regulären Terraner gehen an unsere Truppen, aber es ist natürlich Ihre Sache, wen man als Offizier für die Peshten und Söldner einsetzt. Sobald das klar ist, würde ich diese Offiziere gerne sprechen. Und wie steht es mit den Guerilla?“
Tash gab ein merkwürdig gepresstes Knurren von sich: „Da ist es noch schwieriger. Nicht zuletzt, weil sich bei denen jeder, der auch nur 50 Leute führt, mindestens Major wenn nicht gar Oberst oder was weiß ich noch nennt. Versprengten Soldaten kann ich vielleicht mit ihrem Diensteid kommen…“
„Verstehe. Nun, wen Sie nicht einreihen können – können Sie versuchen den zu überzeugen, dass er NICHT eine Woche lang wegrennt? Ein paar Untergrundgruppen im Umfeld der Stadt wären nützlich. Selbst wenn sie die Echsen nicht angreifen, ihre Informationen können hilfreich sein.“
,Und der Gegner wird todsicher jemand abstellen, um sie zu jagen. Das Risiko kann er nicht eingehen, dass sie sagen wir seine Artilleriestellungen angreifen.‘ Kein sehr mitfühlendes Kalkül, aber sie konnte es sich nicht erlauben, zimperlich zu sein.
„Das kann ich versuchen. Sie haben nicht zufällig einen Koffer mit Bestechungsgeld dabei?“
Schlüter war sich nicht sicher, ob der Peshte scherzte oder nicht. Vermutlich ersteres, denn er sprach unvermittelt weiter: „Die Guerilla hat halbwegs grundlegende Ausrüstung, doch was die ehemaligen Kriegsgefangenen angeht…Ich brauche in jedem Fall mehr Waffen, Munition und sonstige Ausrüstungsteile.“
„Verstehe. Ich weiß nicht, ob ich was einfliegen lassen kann – unsere Schiffe sind nicht gerade für einen längeren Bodenkrieg ausgerüstet. Aber ich habe meinen Leuten schon Befehl gegeben, jede Waffe, jedes bisschen Munition, jeden Helm, jede Eiserne Ration und jedes Medpack zu sammeln, das den Kaiserlichen gehört hat.“
Schlüter wusste, dass einige der Marines Souvenirs beiseiteschaffen würden, aber das beschränkte sich hoffentlich auf ein Dreeh oder eine Laserpistole.
Sie hatte gehört, dass einige Nachschubdepots entdeckt worden waren. Hoffentlich enthielten die nicht nur Militärunterwäsche und Vitaminpillen. Mit Sicherheit würden ihre Leute nicht gerade über volle Waffen- und Munitionsmagazine stolpern, aber jedes bisschen half. Wenn sie ihren Leuten ein wenig mehr Feuerkraft verschaffen konnte…
„Lassen Sie rumfragen, wer sich unter den Befreiten mit imperialer Technik auskennt. Wir haben nach den letzten Meldungen einen Schweber-Schützenpanzer und zwei Radpanzerwagen erbeutet, die noch halbwegs einsatzbereit sind, und schlachten ein paar Wracks aus. Keine Ahnung, ob wir mehr als diese drei Fahrzeuge zum Laufen bringen können, aber ich brauche Fahrer, die schon mal eine kaiserliche Maschine von innen gesehen haben und vielleicht sogar mit den Bordwaffen umgehen können.“
Schlüter wusste, dass die Peshten seit Jahren erbeutete Technik einsetzten. Die Chancen waren also nicht schlecht. Und sie würde jedes bisschen an Feuerkraft benötigen, das sie kriegen konnte. Ihre Leute versuchten auch alles an Transportfahrzeugen greifbare und sogar die wenigen noch in der Stadt befindlichen zivilen Vehikel einsatzbereit zu machen, um Material und Menschen schnell von einem Ort zum anderen befördern zu können. Einzelne Fahrzeuge waren als Verwundetentransporter vorgesehen und würden eine entsprechende Kennzeichnung erhalten – obwohl es zweifelhaft war, dass die Imperialen deren theoretische Unantastbarkeit respektieren würden.
Ein eher phantasievoller denn erfahrener Kommandant hätte geplant, mit Hilfe der Beutefahrzeuge die eingeschlossenen imperialen Stützpunkte auszuheben oder gar die Auffangstellungen der Kaiserlichen zu infiltrieren um ihnen noch ein paar schmerzhafte Schläge zu verpassen. Aber Schlüter wusste, solche Husarenstücke waren eher etwas für den Bildschirm oder einen E-Roman als den richtigen Krieg. Zuviel konnte schiefgehen, zu viel stand auf dem Spiel. So einen Stunt konnte man vielleicht einmal durchziehen, und es stellte sich immer die Frage, ob er das Risiko wert war…

***

Randgebiete von Nera‘Rijen

Urutus Atem ging schnell als sie die Stufen zum Keller hinunterhastete. Ein anderer Marine wies ihr den Weg. Das Haus – ein Apartmentblock mit drei Etagen – war von den vorrückenden Terranern zumindest flüchtig durchsucht und als gesichert eingeordnet worden – ein Farbspritzer neben der Tür bewies das.
Was für die meisten Gebäude in Nera’Rijen noch lange nicht galt. Bis auf weiteres musste man deshalb davon ausgingen, dass sich noch immer versprengte Kaiserliche in der nördlichen Vorstadt herumtrieben. Wenigstens war der Angriff so überraschend und schnell erfolgt, dass der Gegner kaum Gelegenheit gehabt hatte, Sprengfallen und ähnliche Sauereien zu hinterlassen. Allerdings, um eine Tür mit einer entsicherten Handgranaten zu ,verminen‘ brauchte man nicht viel Zeit…
Die Scharfschützin huschte in die Richtung, die ihr gewiesen wurde. Der Keller glich einerseits sehr einem menschlichen – auch eine Peshten-Warmwasser- und Fernwärmeanlage unterschied sich nicht SO sehr von einer terranischen, und über die Jahre angefallener Alien-Plunder unterschied sich nicht so sehr von irdischem, wie man vielleicht angenommen hätte.
Andererseits wiederrum…da war der Raum mit zugemauerten Fenstern an dem sie vorbeimusste und in dem SEHR beunruhigend wirkende Schriftzüge und schemenhafte Gesichter im Dunkel leuchteten, offenbar weil man sie mit selbstleuchtender Farbe an die Wände gemalt hatten – selbst der Fußboden leuchtete in einem matten Rot. Dergleichen erinnerte einen daran, wie ANDERS die Peshten in bestimmten Dingen waren.
Sie erreichte ihr Ziel, einen kleinen Trocken- oder Vorratsraum. Mit zwei Schritten war sie am Fenster, drehte den Kopf weg, während sie ausholte und mit einem einzigen wohlgezielten Kolbenschlag das Glas zerschmetterte. Sie stützte die Mündung ihres Gewehres auf den Fensterrand und visierte die Straße an. Keine Sekunde zu früh…

„Sehen Sie etwas?“ Die Stimme von Private Jaeger klang hochgradig nervös. Erstaunlich für jemanden, der sich durch besetztes Gebiet geschlagen und Teil einer amorphen Guerillaorganisation geworden war. Aber vermutlich machte sogar ihm der Gedanke Angst, von den eigenen Leuten erschossen zu werden.
Kano verdrängte den Gedanken daran, was ein Laserimpuls mit der Frontscheibe des zivilen Schwebers und seinem Gesicht dahinter anstellen konnte und spähte nach draußen: „Nicht wirklich. Ich glaube, da vorne war Bewegung, aber es ist nichts Genaues zu erkennen.“
Was wenig verwunderlich war, denn nach Luftangriff, Anschlägen der Guerilla und Nahkämpfen lag einiges an Rauch und Staub über Nera’Rijen und der eigentlichen Stadt Arta’Rijen.
Er war durch den Angriff seiner Geschwaderkameraden auf das Stadtgebiet aus dem unruhigen Schlaf gerissen worden. Es war frustrierend, dass es keinen Kontakt mit den Angels gab, aber fürs Erste hatte man nur abwarten können und hoffen, dass keine Bombe zufällig ihr Versteck traf. Das Auslegen einer Konkordatsflagge war erwogen worden, aber bei dem Rauch und der Geschwindigkeit der Kampfflieger hätte es schon ein gigantisches Banner sein müssen, damit Chancen bestanden, dass es auffiel. Und das mochte wiederrum imperialen Beschuss provozieren. Also hatte man nur abwarten können, und die dezimierten Guerilla hatten ohnehin alle Kampfhandlungen einstellen müssen. Ihre begrenzten Munitionsvorräte waren deutlich zusammengeschmolzen, etliche der besten Kämpfer tot oder verwundet.
Sowie die Luftangriffe nachgelassen hatte, hatten die Guerilla entschieden, dass es an der Zeit war, den Kontakt mit den Terranern zu suchen. Schließlich wollte man nicht irrtümlich zum Ziel werden, und hoffte auf deren medizinische und materielle Unterstützung. Es war nur logisch gewesen – wenn auch vielleicht nicht sehr rücksichtsvoll – für diese Aufgabe die Terraner loszuschicken. Und deshalb waren sie hier.

„Meldung?“ Lieutenant Nadals Stimme erklang flüsternd – offenbar war die Zugführerin in einer exponierten Position, und zog es vor leise zu sprechen.
Mariza spähte durch die Optik ihres Gewehres. Normalerweise übernahm ihr Spotter so etwas, aber der war an anderer Stelle im Einsatz um die Säuberung von Nera’Rijen zu unterstützen: „Ziviler Schweber, drehbarer Hardpoint auf dem Dach, kein Schütze an der Waffe, ich vermute, das Fahrzeug hat provisorische Innenpanzerung. Eine große Konkordatsflagge und improvisierte Hoheitsabzeichen. Insassen nicht eindeutig erkennbar.“
Sie visierte die Fahrerkabine an. Das KONNTE Guerilla sein – oder ein mieser Trick der Imperialen. Wenn da ein halbes Dutzend kaiserliche Infanteristen in dem Fahrzeug saßen, konnte es blutig werden: „Feuerfreigabe?“
Nadal schien zu zögern…dann fasste sie offenbar einen Entschluss: „Wir klopfen erst einmal an. Mariza, halt du dich bereit, ihnen das Licht auszuknipsen…“

Die Lasersalve kam gleichsam aus dem Nichts und hinterließ kleine Einschlaglöcher im Straßenbelag. Jaeger trat auf die Bremse. Er wusste, wer da geschossen hatte, war entweder ein ganz miserabler Schütze, oder er wollte, dass seine Botschaft verstanden wurde.
„Nicht schießen! Wir sind Terraner und arbeiten für den Konkordatswiderstand!“
Er hatte von vorneherein vermutet, dass die Hoheitszeichen und die Flagge nicht ausreichen würden. Hoffentlich half der Lautsprecher.
Irgendwo weiter vorne erklang eine Stimme, elektronisch verstärkt: „Aussteigen, ohne Waffen und mit den Händen über dem Kopf. Und keine schnelle Bewegung, oder ihr seid tot!“
Die Terraner schauten sich an – jetzt galt es. Das konnte leicht ins Auge gehen. Einer nach dem anderen legten sie ihre Waffen ab und stiegen aus.

Kano war fast stolz darauf, immer noch schaffte halbwegs aufrecht zu stehen und Fassung bewahren zu können. Nach den physischen und psychischen Strapazen der letzten zwei Tage war das keine Selbstverständlichkeit. Mit dem ,Hände über den Kopf‘ sah es freilich nicht so toll aus, da seine eine Schulter lädiert war und er den Arm stützen musste. Seine beiden Kameraden sahen in etwa so nervös aus, wie er sich fühlte.
Der Pilot hatte Verständnis für das Misstrauen der Marines. Immerhin war ja nicht auszuschließen, dass die Kaiserlichen menschliche Gefangene als Schutzschilde benutzten. Blieb nur zu hoffen, dass die Paranoia und Nervosität der terranischen Soldaten nicht ZU ausgeprägt war.
Und tatsächlich – sie hatten sich erst ein paar Meter von ihrem Fahrzeug entfernt, als der erste Marine sich blicken ließ. Ein drahtiger Mann mit dem Sturmgewehr an der Hüfte glitt um eine Häuserecke. Seine Finger lagen nahe am Abzug, sodass er binnen Sekundenbruchteilen eine Salve oder auch eine Granate aus seinem Unterlaufwerfer abfeuern konnte.
,Wenn auch nur einer im falschen Moment niest, gibt es ein Blutbad – in unserem Blut.‘, dachte der Japaner
Langsam, ständig nach allen Seiten sichernd, kam der Marine näher. Er passierte die drei anderen Terraner und kontrollierte das Fahrzeug. Dann entspannte er sich. Er musste per Funk Mitteilung gemacht haben, denn jetzt tauchten weitere Marines aus der Deckung auf. Sie rückten langsam vor und dehnten ihren Kontrollbereich aus, bis sie hinter dem Schweber in Stellung gegangen waren.

Erst dann wandte sich eine hochgewachsene dunkelhäutige Marine – vermutlich die Kommandeurin der kleinen Truppe – den ,Gästen‘ zu: „Ich bin Lieutenant Nadal.“ Sie trug keine sichtbaren Rangabzeichen, sicher wegen den feindlichen Scharfschützen, die mit Vorliebe Offiziere aufs Korn nahmen.
Kano salutierte: „Lieutenant Commander Nakakura, TSN-Fliegerkorps.“ Nach ihm machten seine beiden Begleiter Meldung. Die Marine erwiderte den Gruß: „Ein Angel? Sie sehen ja zum Fürchten aus. Dann wollen wir mal sehen, dass Sie wieder in den Himmel kommen. Am besten schicken wir Sie mit dem Schweber zum Hauptverbandplatz. Das sind drei Kilometer von hier, in Arta‘Rijen.“ Sie schien nicht zu glauben, dass Kano einen so weiten Fußmarsch durchhalten konnte, und hatte vermutlich auch Recht: „Brauchen Sie Schmerzmittel?“
Der japanische Pilot hätte am liebsten die Frage bejaht, aber er riss sich zusammen. Die Marines würden sehr wahrscheinlich jedes bisschen Medizin noch dringend benötigen. Außerdem wollte er nicht mit einem Kopf wie in Watte gepackt auf der COLUMBIA ankommen.
„Ich halte es auch so durch.“
Nadal nickte fast respektvoll: „Gut.“
Jaeger mischte sich ein: „Lieutenant, die Guerillagruppe benötigt medizinische Hilfe. Wir haben Verwundete nach den Gefechten der letzten Nacht und…“
Nadal musterte ihn prüfend, vielleicht etwas kühl: „Wir werden sehen. Führen Sie mich hin. Und informieren Sie mich über Stärke und Bewaffnung unserer Verbündeten. Wir sind zwar nicht ausgerüstet für die Versorgung von Aliens, aber ich hoffe wir können wenigstens eine Evakuierung organisieren. Haben Sie Handfeuerwaffen in ihrem Fahrzeug? Gut, nehmen Sie die wieder an sich.“
Jaeger nickte dankbar, musste aber bei den folgenden Worten vermutlich ein Stirnrunzeln unterdrücken: „Und von jetzt an, Ensign, gehören Sie wieder zum USMC, nicht zur Guerilla. Und wir werden Ihnen – wie jedem Terraner – einen Platz in einer republikanischen Einheit zuweisen.“

Wenige Minuten bahnte sich der ehemalige Guerilla-Schweber seinen Weg durch die Straßen von Nera’Rijen. Offenbar hatte man ihre Ankunft angekündigt, denn trotz des eher exotischen Aussehens wurde das Fahrzeug nicht aufgehalten. Dazu trug wohl auch der Marine bei, der an der Dachlafette stand und deutlich demonstrierte, wer hier das Sagen hatte.
Kano presste die Hände zusammen, um ein Zittern zu unterdrücken. Nach zu viel Stress, Schmerzen und Anstrengung bei zu wenig…nun, im Grunde zu wenig von allem – Schlaf, Wasser, Essen und medizinische Versorgung – zeigte sein Körper ihm deutlich die Grenzen auf. Es war vor allem die antrainierte Selbstdisziplin, die ihn noch aufrecht hielt. Das, und die Aussicht, die COLUMBIA, seine Kameraden und vor allem Helen wiederzusehen.
Dennoch schaute er sich neugierig um. Letzte Nacht hatte er nicht viel sehen können. Bei Tag wirkten die im Dunkeln scheinbar endlosen Straßen und Gassen weit weniger bedrohlich, die Entfernungen schienen förmlich zu schrumpfen. Vielfach waren Spuren von Kämpfen zu sehen: durch Bomben und Granaten beschädigte Häuser, hin und wieder ein ausgebranntes Fahrzeug, und vor allem Tote. Es handelte sich dabei ausschließlich um Imperiale und andere Peshten. Vermutlich hatten die Terraner ihre Opfer bereits geborgen, waren aber noch nicht dazu gekommen, sich um die gefallenen Feinde und Guerillakämpfer zu kümmern. Begleitet von einzelnen Marines waren Konkordats-Zivilisten dabei, dies nachzuholen.

Das nunmehr dritte Mal erblickte der Kommandeur der Schwarzen Staffel die große Brücke über den Rijen. Das erste Mal war während des so katastrophal gescheiterten Luftangriffs gewesen, das zweite Mal als Gefangener während der nächtlichen Fahrt. Überall herrschte emsige Geschäftigkeit. Es war offensichtlich, dass die Terraner sich darauf einrichteten, eine Weile zu bleiben und nötigenfalls um den Besitz der Brücke zu kämpfen. Die imperialen Stellungen wurden eifrig ausgebessert.
Der Schweber stoppte an der Auffahrt zur Brücke. Eine Marine seiner Eskorte – die viel zu klein für ihr schweres Scharfschützengewehr erschien – sprang aus dem Fahrzeug und parlierte mit einem Offizier. Vermutlich konnte auch ein terranisches Fahrzeug – zumal eines, das keine terranischen Abzeichen trug – nicht einfach so über die Brücke fahren.
„Wir sollen warten.“ Die Marine die sich mit dem unmöglichen Namen Urutu vorgestellt hatte, klang unzufrieden. Offenbar hatte sie es eilig, ihre Fracht loszuwerden.
„Stimmt etwas nicht?“
„Nein, wir müssen nur auf ein paar andere Maschinen warten. Wir sollen zusammenbleiben. In Arta‘Rijen sind sie noch nicht mit den Säuberungsarbeiten fertig.“ Natürlich, es konnte ja noch versprengte Imperiale geben.
Es dauerte in der Tat nicht lange, bis sich zwei weitere Fahrzeuge näherten. Es handelte sich offenbar um provisorische Verwundeten- und Gefangenentransporter – einen erbeuteten imperialen Rad-Lastkraftwagen und einen zivilen Schweber, die beide ein halbes Dutzend Einschusslöcher aufwiesen. Mehr als ein Dutzend schwer bewaffnete Terraner sicherten den Transport.
Der kommandierende Offizier bellte einen Befehl, und seine Untergebenen sprangen von den Transportern.
Kano zuckte unwillkürlich zusammen und wäre beinahe selber aus dem Schweber gesprungen. Für einen Moment hatte er sich in seine paramilitärische Ausbildung versetzt gefühlt, eher er der TSN beigetreten war. Wie seine damaligen Ausbilder sprach der Offizier nicht etwa Englisch, sondern Japanisch – und das mit einiger Lautstärke. Das kam wohl nicht von ungefähr. Nahezu jeder der Soldaten trug ein Stirnband mit japanischen Schriftzeichen, mal Kanji-Zeichen, mal andere. Und auf ihren Schultern prangte statt dem Abzeichen der USMC die aufgehende Sonne der Nationalgarde der Japanischen Republik. Der Pilot musste über die Ironie lächeln, dass er so weit von der Erde entfernt wie man sich nur vorstellen konnte ausgerechnet einer Einheit seiner Landsleute begegnete. Kano hatte nie der Nationalgarde angehört, aber vermutlich hatten viele der Gardisten eine ähnliche ,traditionelle‘ Ausbildung genossen wie er. Für so manchen musste dieser Morgen der erste wirkliche Kampfeinsatz gewesen sein, aber sie ließen sich keine Schwäche anmerken.
Ein weiterer Radtransporter fuhr an den Rand der Brückenrampe. Auf seiner Ladefläche lagen die Leichen imperialer Soldaten, zum Teil furchtbar verstümmelt.
Für einen Moment fühlte Kano Übelkeit – es war etwas anderes, Bomben zu werfen oder auf den Abzug zu drücken, als zu sehen, was die Waffen am Boden anrichten konnten. Selbst wenn es nur Akarii waren…

Doch Schwäche zu zeigen stand natürlich außer Zweifel. Und so wahrte er stoische Ruhe – auch, als die terranischen Soldaten und einige Zivilisten begannen, die Leichen nach einer kurzen Untersuchung – bei der sie ihnen letzte Besitztümer, aber auch noch verwendungsfähige Rüstungsteile abnahmen – eine nach der anderen in den Fluss zu werfen.
Urutu freilich war seine Irritation aufgefallen: „Ein kleiner Gruß an die Imperialen. Der Unterlauf des Rijen ist noch in kaiserlicher Hand. Ich denke ja nicht, dass es viel helfen wird, aber vielleicht gibt es ja doch der einen oder anderen Echse was zu denken.“
Sie lachte: „Und immer noch besser, als ihre Köpfe zu sammeln und zu präsentieren, ne?“
Der Pilot lächelte schwach. Offenkundig hatte sie so einiges von ihren Kameraden aufgeschnappt, auch wenn sie nicht wie eine Japanerin aussah.
Mit einmal wurde die Marine wieder ernst: „Es geht weiter!“
Sie nickte Kano zu: „Denken Sie daran, in Arta’Rijen wird noch gekämpft. Halten Sie die Pistole bereit.“
Der kleine Konvoi setzte sich in Bewegung und überquerte die Brücke. Kano war auf dem Weg nach Hause.

***

Kommandostand der Brigade Schlüter, Ai’Shan-Park, Arta’Rijen

Die Brigadekommandeurin trommelte nachdenklich mit den Fingern, während sie die Daten auf dem Bildschirm überflog: „Wie ist Ihr Eindruck – werden die Guerilla Schwierigkeiten machen? Ich weiß, dass kann man unmöglich mit Sicherheit sagen, aber was DENKEN Sie?“
Sie lauschte der Einschätzung: „Verstehe. Gut, hier meine Anweisungen. Ich schicke gleich jemanden von unseren Verbindungsoffizieren rüber, der die Truppe eingliedern soll. Sie geben ihm Rückendeckung. Und damit meine ich VOLLE Unterstützung. Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt, aber im Notfall müssen wir den Untergrundgruppen klar machen, wer hier das Sagen hat. Was wir NICHT gebrauchen können sind irgendwelche Möchtegernsoldaten, die in der Stadt auf eigene Faust Krieg spielen. Und wenn das heißt, dass wir für unsere Peshten-Freunde ein oder zwei größenwahnsinniger Guerillaführer festnehmen müssen und ihren Leuten klarmachen, dass die Dinge nun anders laufen, dann muss es halt so sein. Aber wie gesagt, das ist nur der letzte Ausweg. Stellen Sie sicherheitshalber schon mal ein Eingreifteam zusammen das bereit ist, sollte es soweit kommen.“
Wenigstens war nicht zu erwarten, dass die versprengten Terraner Probleme machen würden. Deren Loyalitäten waren ja wohl hoffentlich klar, und sie würden umgehend in die Brigade eingegliedert werden.

Schlüter beendete das Gespräch, da sie sah, dass einer ihrer Untergebenen ihre Aufmerksamkeit benötigte: „Was gibt’s?“
„Meldung von der Brücke – Lieutenant Yatims Leute sind mit der Überprüfung fertig. Die Sprengkammern sind leer, die Echsen haben diese wohl ausgeräumt.“ Bei der Eroberung der Stadt durch die Imperialen war die Siedlung so schnell gefallen, dass die Peshten keine Zeit mehr gehabt hatten die Brücke in die Luft zu jagen, obwohl eigentlich Befehl bestand, kriegswichtige Infrastruktur in Frontnähe entsprechend zu präparieren.
„Myisha ist ganz aufgekratzt, dass die Imperialen den Sprengstoff nicht abgekarrt, sondern in der Nähe eingelagert haben, getrennt von den Zündern. Ich nehme an, bei dem rapiden Vormarsch hatten sie noch keine Gelegenheit, das Zeug wegzuschaffen. Sie sagt, damit haben wir eine Vierteltonne hochexplosiven Sprengstoff parat.“
Schlüter musste ein Lächeln unterdrücken. ,Aufgekratzt‘ war nicht das Wort, das ihr in den Sinn kam, wenn sie an die toternste Seaforterin dachte, die das kleine Pionierkontingent der Brigade befehligte.
Das war ein weiterer unerfreulicher Punkt. Eine Einheit in der Größe der „Brigade“ hatte normalerweise mindestens eine verstärkte Pionierkompanie zur Verfügung, aber sie musste mit gerade einmal einem Zug zurechtkommen, zusammengekratzt aus einem guten Dutzend unterschiedlicher USMC- und sogar Heereseinheiten.
„Dann soll sie sofort daran gehen, das Zeug einzusetzen. Holen Sie sie her, wir gehen die Ziele durch.“
Den Marines fehlte es vor allem an schweren Waffen, und falls der Gegner mit Panzerunterstützung zum Gegenangriff überging, würden Minen und Sprengfallen überlebenswichtig sein. Nur hatte sie von all dem viel zu wenig, um alle möglichen Einfallwege zu blockieren. Sie plante, ein paar Gebäude zur Sprengung vorzubereiten, um nötigenfalls den feindlichen Schwebern den Vormarsch zu erschweren, und die feindlichen Truppen in eine bestimmte Marschrichtung zu lenken, wo Minen und Marines mit Raketenwerfern in Stellung gebracht wurden. Und natürlich musste sie auch daran denken, dass der Gegner versuchen konnte, sie über den Fluss zu flankieren – für Schweber war der fast so gut wie jede Straße.
Für den Feind, aber auch für die Vierte Sturmdivision und das 30. Korps würde es ein Wettrennen werden – ihre Leute konnten nur warten, sich so gut es ging vorbereiten und durchhalten.
Sie fürchtete, das Warten bis zum ersten Angriff würde nicht mehr allzu lange währen…

Ende



Geschrieben von Ace Kaiser am 24.11.2021 um 23:27:

 

Nach einer allzu kurzen Kaffeepause saßen sie wieder auf, und Pashka-Vier begleitete Bogenas' Truppe wieder auf das Feld. Ziel war ein Halbzug Panzer der Eingreifreserve. Es waren zwei leichte Radpanzer und ein mittelschwerer Schützenpanzer, die Jagd auf Guerilla-Fahrzeuge machten. Auf dem gut ausgeleuchteten hügeligen Land war gut zu sehen, dass die kaiserlichen Panzer weit hinter den wendigeren, schnelleren Schwebern und Bodenfahrzeugen der Rebellen zurückblieben, dennoch gelang es ihnen, einen Schweber durch präzisen Beschuss zu vernichten. Dies war der Moment, in dem die Einheiten von Bogenas feuerten und die Panzer, etwas sechshundert Meter entfernt, auf sich aufmerksam machten. Pashka-Vier wartete mit dem gestohlenen Radpanzerfahrzeug, dass sich die Kaiserlichen provozieren ließen und ihnen zu nahe kamen.
Wie erwartet nahmen die leichten und mittelschweren Panzerfahrzeuge die wahnwitzigen Schweber des Kommandos aufs Korn. Einer der Radpanzer schwenkte ab, die anderen fuhren ihrem bisherigen Ziel hinterher. Die Einheit trat geschlossen den Rückzug an, mal weniger, mal mehr effektiv an der Panzerung des einsamen Verfolgers nagend, während dieser versuchte, den einen guten Schuss anzubringen.
Tai'fal warf einen nervösen Blick zur Seite. Dann sah er mich an.
„Natürlich habe ich das gewusst“, sagte ich. „Dachten Sie, Bogenas nennt sich selbst Major? Er und seine Einheit sind die Reste eines Regiments, das auf dieser Seite der Front aufgerieben wurde. Aufgerieben, nicht vernichtet. Und wie gute Peshten nun mal sind, haben sie das Beste aus der Situation gemacht. Es ist klar, dass sie ihre Überfälle mit den leichten Fahrzeugen begehen, und die dickeren Vehikel in Reserve halten. Das heißt, das Baby da draußen kommt nur selten in den Einsatz, gerade weil es zu leicht zum Futter für die Kaiserlichen werden kann. Dass Bogenas es geschafft hat, die MAMA BURGA herzuschaffen, habe ich gehofft, aber nicht erwartet.“ Ich verkniff mir ein Grinsen. „Eine dreißig Tonnen-Wanne ist nicht so leicht zu verlegen, geschweige denn zu verstecken wie ein Zwei Tonnen-Schwebefahrzeug.“
„MAMA BURGA? Ein netter Name für eine Panzerwanne, auf das jemand zu viele Lasergeschütze installiert hat“, sagte Taku-Taku.
„Seien wir froh, dass wir das Ding da haben. Es wird noch nützlich sein, wenn die Gegenangriffe beginnen und die Guerilla von außen zu stören versuchen“, erwiderte ich.

Die Schweber waren heran, fuhren über die Bodenwelle, die uns Deckung gab, den leichten Panzer noch gut vierhundert Meter hinter sich, da bekam der Panzer, eine Nephir-Wanne mit Flak-Laseraufbau, der garantiert nie einem der leichten Nephir-Peshten-Panzerfahrzeuge gehört hatte, das Signal. Das rund vierzig Tonnen schwere Gefährt fuhr an, kam mit den Geschützen über die Bodenwelle, und begann den Vierlingslaser spucken zu lassen, was die Waffe hergab. Die Laserbolzen waren nicht zu sehen, aber deutlich konnten wir sehen, wie sie den Boden vor dem Panzer umflügten, glasierten, und dann über den Leichten Akarii-Radpanzer hinweg wanderten und übel verprügelten. Der Gegner eröffnete das Feuer, irgendjemand fluchte über Gefechtsfunk, dann ging MAMA BURGA wieder den Abhang hinab in Deckung. Was den Gegner ermunterte, weiter näher zu kommen.
Dies war der Augenblick für Pashka-Vier. Der gepanzerte Wagen fuhr an, kam über den Rand, hielt sich seitlich des Gegners und beregnete ihn mit der eigenen Hauptwaffe. Der Leichte Panzer versuchte, uns mit dem Turm in den Fokus zu kriegen, fuhr aber weiter Richtung Bodenwelle, und damit in Richtung von MAMA BURGA. Die ließ sich die Offerte, die der Akarii ihr bot, nicht nehmen. Der Peshte kam wieder über den Rand, feuerte erneut, wenngleich nur noch drei der vier Flak-Geschütze arbeiteten, und vollendete das Werk der Zerstörung, das sie bereits angerichtet hatte. Drei, vier Impulse schlugen in den Bug ein, weitere sechs in die linke Kette und zerschlugen erst die Schutzmanschette, dann dann die Kette selbst. Bevor der Turm wieder herum schwenken konnte, hatte MAMA BURGA es einfacher. Der Panzer lag nun havariert und fuhr nicht mehr. Ein Kind hätte ihn treffen können. Und MAMA BURGA traf.
Fast zehn Sekunden lang gaben die Laser her, was die Batterien speisen konnten. Gigajoule um Gigajoule fuhr in Turm und Frontpanzerung, und als der Turm plötzlich still stand, wusste ich, dieser Panzer fuhr heute nirgendwo mehr hin. Eine Luke flog auf, ein einzelner Soldat versuchte, aus dem Turm zu entkommen, aber er brannte, und das lichterloh. Sonst versuchte niemand zu entkommen. Der einzelne Akarii fiel vom Panzer, anstatt herab zu klettern und brach, als er auf dem Boden aufkam, zusammen. Die Flammen verheerten ihn weiterhin.
Ein Laserschuss jaulte auf. Die lichterloh brennende Gestalt des Akariis durchlief ein letztes Zucken, dann lag sie still. Dak grunzte zufrieden und ließ sein Lasergewehr wieder sinken. Er sah mich mit dem Blick an, den Menschen „hochgezogene Augenbrauen“ nannten. „Was?“
„Ein Gnadenschuss?“, fragte ich den T'rr.
„Selbst ein Kaiserlicher verdient ein Ende seines Leidens, wenn der Tod unvermeidbar ist.“
So, wie der dabei grinste, schien er diese Regel nicht nur zu befolgen, sondern auch sehr flexibel auszulegen. Nicht, dass ich dagegen protestiert hätte. Der unbekannte Panzerfahrer war schon tot gewesen, als die Luke aufflog. Apropos Luke. Aus dieser schossen nun große Flammenzungen. Es schien, als würden die Laserbatterien brennen. Kurz darauf ging die Munition für die leichten Raketenwerfer hoch und weidete das leichte Fahrzeug von innen aus. Zurück blieb nur eine Menge rauchender, brennender Schrott.

Vacani wendete den eroberten Akarii-Panzerwagen von Pashka-Vier und eilte zurück zu Rest der Einheit. Eine rote Signalrakete schoss über das Gefechtsfeld, und allen Guerillas war klar, was das bedeute. Abbruch.
Auch die Besatzung von MAMA BURGA wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Mit Höchstfahrt verließ der zusammengeschusterte, aber recht effektive mittelschwere Panzer das Gebiet, auf dem gleich die großen Jungs zum Spielen kommen würden. Unser Ziel war ein Flussauenwald in knapp dreißig Kilometern Entfernung, der der Truppe um Bogenas Schutz bieten würde, bis ihr Einsatz wieder gefragt wurde. Eigentlich sollten meine Kameraden von den Angry Angels wissen, dass dieser Wald weder beschossen, noch bombardiert werden sollte. Eigentlich.
Unser Folgeeinsatz konnte irgendwann am Nachmittag sein, wenn die Marines der COLUMBIA und der Begleitflotte mit Spielen fertig waren, vielleicht auch früher. Je nachdem wie die Kämpfe liefen.
„Hat er noch mehr, der Herr Major?“, fragte Taku-Taku, auf MAMA BURGA deutend.
„Ein oder zwei“, antworte ich ausweichend. Pashka-Vier durfte alles essen, aber brauchte nicht alles zu wissen.
***
Bedingt durch die Krümmung des Planeten sahen wir nur einen Teil der Landung des Marine Corps. Von uns aus gesehen verschwanden sie mit der Stadt hinter dem Horizont. Was ich aber mit meinem Feldstecher beobachten konnte, waren die Angriffe der Angry Angels, die Attacken auf die Brücke, einige Abstürze und schließlich und endlich der von unseren Jägern eskortierte Abstieg der Kampfshuttles. Für uns bedeutete das, wenn wir nicht zwischen die Mühlen geraten wollten, uns bedeckt zu halten, bis ein neuer Einsatzbefehl kam. Major Bogenas fuhr für dieses Danach zu einer provisorischen Besprechung der überlebenden Kommandeure. Man würde herausfinden, was die Guerilla noch würden leisten können und dies den Terranern anbieten. Letztendlich war dies ein Peshtenplanet, und keiner von ihnen war sich zu fein, die eigene Heimat zu verteidigen, wenn Terraner genauso bereit waren, für diesen Zweck zu sterben.
„Was schätzt du, Flyer?“, fragte Taku-Taku. „Wie lange, bis wir zur Brücke fahren können?“
Ich setzte kurz das Fernglas ab und sah die Akarii neben mir an. „Ihr wollt über die Brücke?“
„Neues Missionsziel. Außerdem können wir dich dann drüben am Sammelplatz für die Verwundeten absetzen. Ich nehme an, du willst schnellstmöglich wieder zurück.“
Nachdem ich ein paar Abstürze von Geschwaderkameraden gesehen hatte, war meine Antwort klar. Natürlich wollte ich schnellstmöglich zurück und wieder in ein Cockpit steigen.
Ich trank einen Schluck von jenem Getränk, das die Guerilla Kaffee nannten, aber das womöglich noch nicht mal jemals eine Kaffeebohne gesehen hatte. Aber es war heiß und aufputschend. Und bitter. „Ich schätze, so wie es bisher läuft... Gegen Mittag können wir es riskieren. Könnt ihr uns voranmelden? Wir fahren immerhin in einem Panzer der Kaiserlichen herum.“
„Wir haben unsere Methoden, ja“, sagte sie. „Wir brechen auf, bevor Bogenas zurückkommt.“
„Damit es keine Fragen wegen dem Licca-Gewehr gibt?“
Taku-Taku grinste. „Auch. Aber vor allem, weil wir es eilig haben und du schnell wieder auf die COLUMBIA willst, oder?“
Nun musste ich auch grinsen. Mir war klar, dass Pashka-Vier die Panzerbüchse, die Bogenas ihnen „geliehen“ hatte, nicht wieder rausrücken würden. Sie war zu praktisch. Und zugegeben, in den Händen der Spezialeinheit tödlicher als bei den Guerillas, wenn sie schon mich als Piloten in Ermangelung eines Scharfschützen damit eingesetzt hatten. „Ich sehe, wir haben ähnliche Ziele. Muss ich wieder irgendwen spielen, der ich nicht bin?“
Taku-Taku salutierte vor mir. „Im Gegenteil, Commander. Wir brauchen Sie als genau das, was Sie sind: Ein Staffelführer der Angry Angels. Wenn wir nicht sofort auf Sicht erschossen werden, bist du unsere beste Chance.“
„Wie nett. Dann werde ich versuchen, ein wenig Schlaf nachzuholen. Viel gab es ja den Morgen nicht. Und wer weiß, wann ich wieder welchen kriege?“
„Ich sehe, du bist schnell von Begriff wie immer, Flyer.“ Sie nickte mir zu und wandte sich zum Gehen.
„Taku-Taku.“ Die Akarii-Frau wandte sich mir wieder zu. „Ja?“
Ich reichte ihr meine Medienbibliothek. „Hier, die schenke ich dir. Ich habe noch eine komplette zweite auf der COLUMBIA. Wir sind leider nicht dazu gekommen, um über Literatur zu diskutieren. Vielleicht ist was dabei, was du magst.“
„Komisch, ich hatte was ähnliches vor.“ Während sie meinen Minicomp nahm, reichte sie mir einen kleinen Datenträger. „Gedichte und Literatur der Akarii-Kultur der Colonial Confederation aus meiner Bibliothek. Ich dachte, ein Spacer wie du weiß das zu schätzen.“
„Das tue ich“, sagte ich lächelnd und nahm den Chip entgegen. „Danke.“
„Ich danke dir.“ Damit wandte sie sich endgültig ab. Ich sah kurz noch mal auf die Stadt, über der etliche Rauchwolken standen, und das nicht erst, seit die Marines gelandet waren. Mein Ziel war zum Greifen nahe. Eine Transportmöglichkeit zurück zur COLUMBIA. Obwohl, so schlecht war es mir hier unten nicht ergangen. Ich hatte einiges an Glück gehabt. Vielleicht würde mein Leben davon abhängen, dass es weiterhin anhielt.
***
Drei Stunden später, die Anzahl der Explosionen war stark zurückgegangen, bekamen die Guerilla erstmals Funkkontakt mit den Landeeinheiten. Es handelte sich um ein eilig zusammengestelltes Korps der Marines von Bord der COLUMBIA und den anderen Begleitschiffen. Das gab mir einen Stich durchs Herz. Auch wenn meine Schwester gerade nicht bei ihnen war, so hatte ich doch einige Freunde unter ihnen. Und paradoxerweise tat es mir deshalb leid, dass Jean nicht vor Ort war. Sie hätte ihr Bestes gegeben, um ihre Kids durch diese Schlacht zu bringen. Der Professor, wie sie sie nannten, hatte einen sehr guten Ruf unter ihnen.
Bei der Gelegenheit meldete Bogenas' Einheit meine Anwesenheit und bat um Anweisungen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und war eindeutig: Ich sollte zum Sammelplatz kommen. Mitten in der Stadt. In der noch immer gekämpft wurde. Auf der anderen Seite des Rijen. Über die verdammte Brücke rüber.
Zum Glück waren zwei Dinge auf meiner Seite. Erstens Pashka-Vier, die mich sowieso benutzen wollten, um über die Brücke und damit ihr neues Einsatzgebiet zu kommen, für dessen Erreichen ihnen noch acht Stunden blieben. Zweitens, dass der provisorische Shuttle-Hafen, den die Marines der COLUMBIA, die mein Ziel waren, auf der grünen Wiese eines Parks errichtet hatten, auch auf der anderen Seite der Brücke war. Aber bis wir überhaupt bis zur Brücke fahren konnten, saßen wir in einem Akarii-Panzerfahrzeug und hatten jede Menge misstrauische Terraner und ein paar befreite Peshten auf der anderen Seite, die zuerst schossen und dann fragten.

Nach einer frugalen, aber herzlichen Verabschiedung durch die Truppe fuhren wir los in Richtung der Stadt. Und solange wir keine Rauchwolken sahen, benutzten wir noch den Akarii-Transponder, um uns vor dem Beschuss durch irgendwelche versprengten Einheiten der Kaiserlichen zu bewahren, die wohl gerade auf der Flucht waren und gerne ein leichtes Ziel gehabt hätten.
„Ich habe eine Idee“, sagte Shana plötzlich. „Vacani, fahr mal einen Umweg über Dresten.“
„Was willst du denn in dem kleinen Kaff?“, fragte die Fahrerin, aber nahm an einer Abzweigung gehorsam die Straße, die sie näher an die zweitausend Seelen-Gemeinde bringen würde, einen der kleinen Vororte der beiden Rijen-Städte, die davon lebten, welcher Verkehr aus der Stadt und in sie hinein ging, indem man sie an einer Zubringerstraße errichtet hatte.
„Erstens gibt es da einen Woller Hops, und so weit wie die Straße am Fluss ist, können wir davon ausgehen, dass hier kaum Kaiserliche durchgekommen sind, also könnten wir im Eisfach noch ein paar Happas und vielleicht sogar Burger Buns finden.“
Tai'fal lachte kurz auf. „Das ist doch schon ein gutes Argument. Und was ist die zwei?“
Die T'rr grinste ihr echsisches Grinsen. „Ich muss da dringend mal was drucken. Dresten hat den größten Copyshop außerhalb Nera'Rijen.“
„Was kopieren?“, fragte ich irritiert. „Was denn?“
„Na, dich natürlich, Flyer“, sagte sie grinsend. Dabei lehnte sie sich zurück und ließ sich kein weiteres Wort entlocken.
Huan sah sie interessiert an und knurrte fragend. Erstaunlich, was der Geit-Hund mit seinen beschränkten Kommunikationsfähigkeiten so alles mitteilen konnte. Aber auch er konnte die Sanitäterin dazu bringen, ihre Gedanken preis zu geben.
Nur Drehh lachte plötzlich auf. „Ach so.“ Aber auch hier, kein Wort der Erklärung.
Ich seufzte und ließ den Kopf hängen, und der Geit-Hund tat das Gleiche. Als uns das bewusst wurde, lachten wir alle beide. „Na meinetwegen. Behaltet eure Geheimnisse“, sagte ich. „Aber wird es weh tun?“
„Niemandem, nicht mal deinem Ego“, erwiderte Drehh. Sie kicherte auf die typische Akarii-Art, und Shana fiel ein. Ich wusste da noch nicht, wie wahr das wirklich sein würde.
***
Eine Stunde später hatten wir uns verproviantiert. Dabei hatten wir dem Woller Hops, einem Fast Food-Restaurant, nur das aus den noch laufenden Tiefkühlschränken entnommen, was wir auftauen und auch essen konnten, da wir selbst keine Tiefkühlmöglichkeiten hatten. Die Happas, das waren kleine vorfrittierte Fleischbällchen, die aussahen wie Chicken Nuggets, aber aus anderem Fleisch bestanden, die wir nur noch aufwärmen mussten. Die Burger Buns erklärten sich selbst, mussten aber, nachdem sie aufgetaut waren, noch gebraten werden. Alles in allem ein sehr ungesundes Essen. Leider würde ich nicht mehr lange genug bei Pashka-Vier bleiben, um am nächsten Essen teil zu nehmen, auf diesem oder auf dem anderen Weg. Tai'fal ließ es sich nicht nehmen, einen Wechsel in die Kasse zu legen, der genau aufführte, was Pashka-Vier entnommen hatte, adressiert an eine Sturmdivision, die für Akquirierungen als Zahlkasse herhalten musste. Die war groß genug, sodass niemand die kleine Spezialeinheit anhand der Wechsel würde einordnen oder gar verfolgen können.
Danach dauerte es auch nicht mehr lange, bis Taku-Taku, Shana und Drehh wieder zu uns stießen. Natürlich hatten wir die kleine Stadt so gut wir konnten aufgeklärt und Huan hatte behauptet, es würde sich niemand in ihr befinden, nachdem er sie einmal durchschnüffelt hatte. Zumindest nicht in der Nähe unserer Frittenbude. Dennoch bewegten sie sich wie in einem aktiven Kampfgelände, und das war mit dem Fahnenmast, den sie bei sich trugen, ein schwieriges Unterfangen und ehrlich gesagt lustig anzuschauen. Als sie uns mit der etwa sechs Meter hohen Metallstange erreichten, setzten sie das Ding erst mal ab.
„Ist das nicht etwas groß für eine Funkantenne?“, fragte ich amüsiert.
„Das ist keine Funkantenne. Daran wirst du hängen, Flyer.“
Für einen Moment fühlte ich meine Knie weich werden. „Ihr meint, da oben dran?“
Die Spezialisten nickten. Ich sah sie irritiert an. „Dass ich Höhenangst habe, glaubt mir hier wohl keiner, oder?“
„Keine Sorge“, sagte Taku-Taku und klopfte mir auf die Schulter. „Du wirst es mögen, und uns bringt es durch die eigenen Linien. Und jetzt hilf uns, das Ding durch die Schützenluke im Wagen zu installieren, damit es sicher steht und einiges an Gewicht und Wind aushalten kann.“
„Habe ich da noch ein Mitspracherecht?“, fragte ich nervös.
„Nein.“ „Gut, dass wir das geklärt haben.“
***
Eine Viertelstunde später hielten wir den leicht gepanzerten Wagen auf der Straße nach Arta'Rijen an. Wir hatten ein paar versprengte Akarii gesehen, zumindest aus der Ferne und hauptsächlich auf den größeren Straßen, die nicht am Fluss entlang führten. Alle hatten sich von der Stadt fortbewegt, also lag der Verdacht nahe, dass es irgendwo da einen Sammelpunkt gab und wir uns verdammt noch mal beeilen sollten. Aber nun waren wir an einem Punkt angelangt, an dem wir auf die ersten Terraner treffen mussten.
Ich warf dem Mast einen weiteren, schiefen Blick zu. „Und ihr glaubt wirklich, dass das funktioniert? Ist es überhaupt stabil genug?“
„Was denn?“, fragte Aka beinahe beleidigt. „Du hast geholfen, den Mast zu befestigen. Traust du deiner eigenen Arbeit nicht, Flyer?“
„Klar funktioniert das“, behauptete Shana. „Und wenn nicht, dann funktioniert es zumindest für dein Ego.“ Dabei strahlte sie mich an wie ein Sonnenaufgang auf dieser schönen Welt.
„Okay“, sagte ich. „Tun wir es. Mehr als lachen können die Marines auch nicht.“
Natürlich hätte Pashka-Vier das auch ohne meine Erlaubnis getan, aber es war der Effekt, den sie von mir erwarteten, und den wollte ich nicht verderben, wenn ich da oben hängen würde.
Lieutenant Marcus grinste so breit wie die anderen, als er die Leine des Masten ergriff.
„Transponder ist aus“, meldete Vacani.
„Dann hängen wir Ace doch mal auf“, sagte der Neue der Truppe gut gelaunt und zog am Seil. Über ihm in sechs Meter Höhe wickelte diese Bewegung eine Fahne ab, die nun im leichten Wind begann, sich aufzublähen. Das gute Stück war etwa drei Meter hoch und fünf Meter lang.
Ein ganz tiefer Seufzer entrang sich meiner Kehle und ich bettete mein Gesicht in beide Hände. „Scheiße, es gefällt mir. Was sagt das jetzt über mich?“
Die Anderen lachten laut und lange. Erst als auch Huan das letzte Glucksen von sich gegeben hatte, fuhr der Wagen wieder an und brachte uns dem ersten Kontrollposten näher. Dabei wurde die Fahne richtig aufgefaltet und entblößte ihre ganze Schönheit, nämlich mein Konterfei. Mir war klar, warum es ausgerechnet ein Copyshop hatte sein müssen. Aber es erstaunte mich, dass der Laden dafür ausgerüstet war, die hohe Stofffahne beidseitig in wenigen Minuten zu bedrucken, geschweige denn dass die den Offsetdrucker steuernden Computer noch gut genug funktioniert hatten. Über meinem Kopf schwebten goldene Lettern, und unter dem Gesicht kamen zwei weitere Wörter. Zusammengesetzt hieß es: „Angry Angel on Board.“ Und das beidseitig. Ich kannte meine Marines genau. Viele kannten mich zumindest vom Sehen, und die Behauptung, einer der Staffelkapitäne der Angry Angels würde in diesem Fahrzeug sitzen, würde sie neugierig genug machen, um uns vorfahren zu lassen. Und es machte uns zum Ziel für alle Kaiserlichen, die sich womöglich noch in der Stadt verbargen wie zurückgelassene Scharfschützen, die uns das Leben schwer machen sollten. Aber besser, die schossen auf das da als auf mich.
Als die erste Barrikade in Sichtweite kam, reduzierte Vacani die Geschwindigkeit, und Tai'fal versuchte, Funkkontakt mit dem Posten zu bekommen. Sicherheitshalber kreuzte die Fahrerin ein wenig auf der Straße, damit man die Fahne auch von der Barrikade aus gut sehen konnte.
Überraschend schnell kam der Kontakt zustande, wohl auch deshalb, weil wir auf der richtigen Frequenz mit dem richtigen Zerhacker funkten: „Kommt rein, ihr Wahnsinnigen!“
Vor uns öffnete sich die Barrikade, nicht um uns davor stehen zu lassen, sondern damit wir in den Bereich dahinter fahren konnten. „Soweit, so gut“, murmelte jemand, und ich vermutete, dass ich das selbst gewesen war.

Als wir durch die Barrikade waren, wurden wir von mindestens zwanzig schwer bewaffneten Marines gestoppt. Tai'fal hob seine leeren Hände als Zeichen, dass er keine Waffe auf die Marines richten würde. „Wir sind bewaffnet, aber wir haben gerade leere Hände! Wir sind Pashka-Vier!“
Einer der Marines, ein Sergeant, kam an sein Fenster, als müsste er nicht ordentlich misstrauisch sein. „Ja, ja, Spezialeinheit, ihr wurdet angekündigt. Aber ist er auch in diesem Wagen?“ Die Frau, die ihren Kopf frech ins Innere steckte, kannte ich.
„Sind Sie das, Johnson?“, fragte ich. Eine ehemalige Stubenkameradin von Jean und eine relativ gute Bekannte von mir. Nicht so gut, dass ich sie auf dem Schlachtfeld mit Vornamen angesprochen hätte.
„Ace!“, rief sie hoch erfreut. Die Marine, auf deren Schultern stolz die Sergeant-Abzeichen leuchteten, sah hinter sich. „Er ist es! Gebt es gleich an Big Mama weiter!“ Sie sah wieder herein. „Commander, es tut sehr gut, Sie lebend und ausnahmsweise in einem Stück wiederzusehen.“
„In einem Stück?“, fragte Vacani.
„Ich war mal verstrahlt und musste den Arm amputiert bekommen“, erklärte ich. „Längere Geschichte.“
„Und was für eine längere Geschichte.“ Sie machte die Seitentür auf, kletterte halb hinein und schüttelte mit beiden Händen meine Rechte. „Es tut wirklich, wirklich gut, Sie zu sehen, Sir. Ich bin hier als Verbindungsoffizier für die Marines der INDOMITABLE, während unsere Leute drüben im anderen Stadtteil gelandet sind. Ich will nicht sagen, dass es uns Hoffnung gibt oder einen Pusch, dass Sie wieder da sind, aber letztendlich ist unser Kontingent ja an Bord der COLUMBIA, um euch Piloten zu schützen. Es fühlt sich an, als wäre etwas wichtiges erledigt worden.“ Sie ließ meine Hand wieder fahren, räusperte sich verlegen und scheute dann die Marines weg, die nun ebenfalls bis an den Wagen gekommen waren und ihn umstanden.
Ein weiterer Marine, auch ein Sergeant, trat heran. „Ist es der Pilot, Johnson?“
„Wenn das nicht Ace ist, dann will ich in Zukunft Störtebecker heißen.“
Der andere Sergeant nickte, sah selbst kurz in den Wagen und murmelte: „Willkommen. Sie können passieren, Pashka-Vier und Commander Davis. Sie haben freie Fahrt bis zur Brücke. Ich informiere die anderen Posten. Aber stecken Sie nicht die Köpfe raus. Wir haben hier und da noch ein paar Versprengte, und ein paar Sniper, die sich auch gut bei uns Marines machen würden, liegen hier und da auf der Lauer. Solange Sie das da tragen, sind Sie leider ein Ziel.“
„Wir holen es sofort wieder ein.“ Der Peshte drehte sich zu uns nach hinten.
Johnson protestierte. „Nein, lassen Sie es da oben. Bitte. Für die Kaiserlichen ist es sicher eine Zielscheibe, und das ist besser, als wenn sie auf den Wagen schießen, oder? Außerdem waren wir hier vorne verdammt beeindruckt von dem Ding, und ich will, dass die Anderen die Fahne auch sehen. Stellt so in etwa das Ego unseres geschätzten Clifford Davis dar, würde ich sagen. Vielleicht noch etwas zu klein.“
Es wurde laut gelacht, und ich drohte Johnson gespielt mit dem rechten Zeigefinger.
„Ja, lassen Sie es oben“, sagte der Sergeant der INDOMITABLE. „Es wird Sie besser identifizieren als ein Transponder.“ Er klopfte gegen die Panzerung. „Weiter fahren, Pashka-Vier. Die Marines wollen was zu gucken haben!“
Vacani bestätigte, und nachdem die Marines wieder so etwas wie Ordnung zusammengebracht hatten, fuhr Vacani weiter. Ich nickte Johnson noch einmal zu, dann waren sie und die anderen Marines schnell aus der Sicht verschwunden.

Auf dem Weg zur Brücke passierten wir zwei weitere Checkpoints, die uns kurz anhalten ließen, um uns zu begrüßen und dann weiter fahren ließen. Zwischendurch wurden wir höchstens dreimal beschossen, aber wie Johnson gesagt hatte, alle Schüsse trafen die Fahne. Was ein paar unschöne Brandlöcher hinein schmorte. „Feuerfest?“
„Natürlich feuerfest. Ich klaue nur das Beste“, sagte Shana beinahe entrüstet.
An der Brücke wurden wir wieder aufgehalten. Unsere Ankunft löste einen Schub aus, den ich erst nach einiger Zeit als Aufregung klassifizieren konnte. Es war ein zu großes Durcheinander.
„Ja, Himmel auch, ich hab's für einen dummen Scherz gehalten. Aber da fährt wirklich ein Pilot durch Nera'Rijen und stellt sein Gesicht auf einem Drei Meter-Banner aus. Kann ich ein Foto machen, bevor Sie weiterfahren?“, fragte der Lieutenant, der uns angehalten hatte. Seine Kameraden warteten nicht auf Erlaubnis, sondern fotografierten oder filmten einfach drauflos. Wenigstens verließen die meisten dafür ihre Stellungen nicht. „Beschossen worden?“, fragte der Lieutenant, der seine Fotos natürlich auch ohne Erlaubnis machte.
„Ein klein wenig“, sagte Tai'fal. „Die Fahne ist eine gute Ablenkung, haben wir festgestellt.“
„Ja, kann ich mir vorstellen.“ Er musterte die Fahne. „Einer zwischen die Augen, zwei jeweils in die Schläfenlappen. Ein netter Kommentar von den Kaiserlichen. Sie können weiterfahren. Und lassen Sie ja die Fahne da oben wehen. Das ist echt ein Anblick, den man noch nie gesehen hat. Sorry, Commander.“
„Schon gut, ich habe mich nicht beschwert“, sagte ich schnell.

Vacani fuhr wieder an und wir fuhren die Rampenauffahrt zur Brücke hoch. Wo vor kurzem noch akariische Panzer zur Flak-Unterstützung gestanden hatten, gab es nur noch schwarze Trümmer. Mein Geschwader hatte ganze Arbeit geleistet. Stattdessen standen hier nun leichtere Einheiten mit Zwillingslasern und Raketenträgern, um diese Aufgabe fortzuführen, nur eben gegen die Akarii.
Langsam fuhren wir unter den ersten Träger. „Passt“, kommentierte Daka grinsend. Der Flaggenmast berührte die Aufbauten der Brücke nicht. Also fuhren wir schneller. Und während wir das taten, erregten wir einiges an Aufmerksamkeit. Diese Soldaten hatte man definitiv nicht informiert. Einige sahen uns fasziniert kommen und nahen, manchen stand der Mund offen, andere lachten. Einer musste seine Waffe sichern, weil er vor Lachen beinahe geschossen hätte.
Zügig fuhren wir voran, und mir wurde klar, dass sich in Arta'Rijen die Pfade von mir und Pashka-Vier endgültig trennen würden. Nicht, dass ich das nicht schon gewusst hätte, aber in dem einen Tag, den wir unterwegs waren, war mir die Truppe ans Herz gewachsen. Diese tödlichen Halunken.
Bei der Rampe die Brücke runter wurden wir wieder angehalten, natürlich für Fotos. Es gab keinen Grund, uns wegen unserer Identität anzuhalten. Wir waren Pashka-Vier, sonst wären wir nie auf die Brücke gelassen worden.
Zufällig ging mein Blick auf die andere Seite der Brücke, wo die Bahnschienen verliefen. Züge fuhren gerade nicht, also hatten die Marines einen Teil der Trümmer auf die gerade nutzlosen Schienen verfrachtet. Ein Panzer und ein Haufen ausgebrannter leichter Fahrzeuge. Hier musste sich eine tödliche, aber nichtsdestotrotz interessante Geschichte abgespielt haben.
Als der letzte Marine sein Foto geschossen hatten, bekamen wir die Freigabe und den Weg zum Flugplatz gewiesen. Wieder fuhren wir bis zum nächsten Checkpoint, aber in Arta'Rijen wurde zumindest die Flagge nicht mehr beschossen.

Schließlich erreichten wir das freie Gelände für die Shuttles im Ai'Shan-Park, wie man uns sagte. Fünf standen bereit für den Start, und mir war klar, dass sie auf Geleitschutz warteten, bevor sie es wagten, sich zu erheben und in den Orbit zu klettern.
„Hier gilt es also“, sagte ich, ein klein wenig deprimiert.
„Ab hier geht jeder seinen eigenen Weg“, erwiderte Tai'fal. Er wies sich gegenüber einem Lieutenant des Infanteriekontingents der COLUMBIA aus, das heißt, er wollte es, aber die Frau deutete nur auf die Fahne über uns und grinste breit. Wir verließen den Bereich, der als Tor genutzt wurde, und fuhren auf eine Art Parkplatz. „Also dann.“ Ich erhob mich.
Flyer nestelte am Flaggenmast, aber die Lieutenant sagte: „Bitte lassen Sie den Mast und die Fahne stehen. Das ist ihr Erkennungszeichen, um die Stadt zu verlassen. Am letzten Posten können Sie sie dann abgeben, Pashka-Vier.“ Sie zwinkerte mir zu. „Den Fahnenmast werden wir hier lassen, aber die Flagge werden wir schon irgendwie in den Orbit schaffen, Commander.“
Erstaunt runzelte ich die Stirn. „Danke?“
„Oh, keine Ursache. Und Sie schaffen wir auch in den Orbit. Sie sollten sich beeilen, der Begleitschutz ist unterwegs und trifft in achtzehn Minuten ein. Das Shuttle ganz rechts. Sie sind für den Jumpseat gebucht. Das macht ihnen doch nichts aus, Commander?“
Ich schüttelte den Kopf. „Es ist mir viel wichtiger, dass ich diesmal aus eigener Kraft an Bord und wieder runter gehen kann.“
„Verstehe. Die Gespenstgeschichte und so.“ Sie grinste erneut, salutierte zu knapp, um es ernst zu meinen und zog sich dann zurück.
„Na dann.“ Zuerst reichte ich Lieutenant Marcus die Hand, verbunden mit einigen Schulterklopfern. Dann riss Shana mich an sich und drückte mich schnurrend wie ein Raubtier. Dak und Aka schüttelten mir ebenfalls die Hände und deuteten an, sich gegen eine mögliche Umarmung zu wehren. Wir lachten. Drehh und ich tauschten einen stummen, aber kräftigen Händedruck aus. Dann reichte ich Huan die Hand, und er ergriff sie mit seiner rechten Pfote. Fragend jaulte er leise.
„Keine Sorge, ich komme auch ohne dich zurecht, alter Junge.“ Das überzeugte ihn nicht, daher seufzte er von ganz tief unten.
Als ich Taku-Taku die Hand reichen wollte, überraschte sie mich damit, dass auch sie mich umarmte. Also drückte ich die Akarii ein Stück an mich, aber nicht so stark, wie Shana mich gedrückt hatte.
Ich verließ das Fahrzeug und ging nach vorne. Tai'fal und ich schüttelten einander die Hände. „Danke für alles.“ „Danke für die Panzerbüchse“, erwiderte er grinsend, wie es nur einem Peshten möglich war.
Schließlich und endlich ging ich um den gepanzerten Wagen herum, um mich von der Fahrerin zu verabschieden. Vacani angelte mich mit einem ihrer langen Arme heran und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Sei vorsichtig da oben. Wir haben dich nicht so lange am Leben gehalten, damit irgendein nichtsnutziger kaiserlicher Idiot deine Strähne beendet.“
„Ich verspreche, dass ich überleben werde.“ Ich winkte in die Runde und entschied mich für einen alten Scherz unter Soldaten. „Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Nach dem Krieg um drei Uhr Nachmittags?“
„Nein, zu kurz wegen unserer Nachbesprechung“, erwiderte Tai'fal todernst. „Sagen wir nach dem Krieg um fünf.“
„Also gut, nach dem Krieg um fünf. Wo?“
„Du brauchst uns nicht zu finden, Flyer. Wir finden dich.“ Der Wagen ruckte an und fuhr zurück zum Tor, wo er anstandslos passieren konnte. Dann erst wandte ich mich ab und stapfte zu „meinem“ Shuttle.

Der Lademeister empfing mich. „Nette Flagge. Hätte ich auch gerne.“ „Ist aus einem Copyshop in der Vorstadt. Vielleicht landen Sie da einfach mal beim nächsten Flug.“
Der Petty Officer lachte laut und schief. „Vielleicht machen wir das sogar. Willkommen an Bord, Ace. Gehen Sie gleich durch ins Cockpit. Ein Notanzug ist bereit. Abflug in sieben Minuten.“
„Verstanden.“ Ich trat an dem Mann, der weit jünger war als ich – Gott, wie lange dauerte dieser Krieg schon – vorbei und betrat den Innenraum des Shuttles. Er war gut gefüllt, aber hauptsächlich durch medizinisches Material und Personal, das die besonders schweren Fälle nach „oben“ bringen würde.
Als ich an einem Asiaten vorbei kam, der nur einen Kochsalztropf bekam, wunderte ich mich, warum der Mann evakuiert wurde, bis mir auffiel, dass er einen verdreckten, teils zerrissenen Pilotenanzug trug, nämlich das Ding, das wir unter den Gravanzügen benutzten. In diesem Moment krallte sich eine Hand in mein Bein. Ich blieb stehen. Die unrasierte, schmutzige Gestalt war … Ohka? „Cliff.“
„Kano, bist du das? Ich meine, bist du irgendwo unter der Schmutzschicht?“
Der Japaner lachte kurz und trocken. „Glaub es nur, ich bin es. Ach ja, das kannst du nicht wissen. Wurde bei einem Angriff runtergeholt, zwei Tage nach dir. Fast direkt auf der Front ging ich runter. Da hatte ich dann eine Fifty-Fifty-Chance, wer mich zuerst erreichen würde. Waren dann die Akarii.“ Er grinste freudlos. „Wurde ... verhört. Als sich mich dann durch Nera'Rijen geschafft haben, brach der Aufstand los und ich konnte mich befreien und dann stiften gehen. Ein Marine hat mich aufgegabelt, als die Akarii mir auf den Fersen waren und zum Widerstand gebracht. Als die Kämpfe dann abgeflaut sind, wurden wir zu den Marines geschickt, ich für den Rücktransport, die anderen für Nachschub. Und jetzt bin ich hier, verletzt, geknickt, aber unbesiegt. Und bei dir so?“
„Du bist aus der Gefangenschaft ausgebrochen“, fragte ich anerkennend. „Das nenne ich eine Leistung.“
Ohka winkte ab. „Gefangenschaft ist nicht so toll, wie man immer sagt. Dazu die Verletzung, mit der haben die Echsen rumgespielt. Frag nicht nach Details. Da dachte ich mir, mach ich doch mein eigenes Ding. War wesentlich besser. Aber nun sag schon. Wie war's bei dir?“
„Ich traue mich das kaum zu sagen, aber nach meinem Absturz hat mich eine Guerillatruppe aufgelesen. Die habe ich dann die letzten Tage begleitet, während ich auf meine Chance gewartet habe, wieder hoch geschickt zu werden. Ich bin ihnen hier und da ein wenig zur Hand gegangen. Beim Angriff auf Arta'Rijen hatte ich dann einen super Beobachtungsposten, und eine peshtische Spezialeinheit hat mich über die Brücke und bis hier zum Landeplatz gebracht. Es gibt ein wenig mehr zu erzählen. Geht es dir gut, Kano?“
„Ich liege hier nur auf Anweisung meiner Ärzte und wegen der Infusion. Danach werde ich wohl auch wieder selbst stehen können. Erzählst du mir die lange Version, wenn wir keinen Geleitschutz mehr brauchen? Oder erst auf der COLUMBIA?“

„Commander Davis! Wir wollen starten!“, kam es von vorne. „Drei Minuten für den Anzug.“
„Sobald wir die Akarii hinter uns gelassen haben und ich wieder in den Frachtraum kommen kann. Versprochen.“ Ich winkte Ohka zu, dann eilte ich ins Cockpit und zog den leichten Raumanzug über. Pünktlich zum Start saß ich auf dem Jumpseat, dem Notsitz, den jedes Shuttle für Fälle wie diesen im Cockpit hatte. „Fertig.“
Der Pilot, ein First Lieutenant, der mir nicht bekannt war, musste von einem der Begleitschiffe sein, grinste mich an. „Na, wenn ein Pilot es nicht so schnell schafft, wer dann? Willkommen zurück, Commander. Mein Baby ist vielleicht nicht so beweglich wie eine Nighthawk oder eine Falcon, aber ich bringe Sie schon sicher zurück auf die fette Lady.“
„Und ich weiß das zu schätzen“, erwiderte ich, verbiss mir dabei aber den Witz: „Wie reden Sie eigentlich über Captain Ahn?“
Das Shuttle startete. Ein vertrautes Gefühl. Ich war wieder auf dem Weg in den Orbit, zurück auf mein Schiff, zurück zu meinem Geschwader. Zurück in mein Cockpit. Und zurück bei meiner Staffel. Je nachdem wie lange die Schlapphüte mich verhörten und die Ärzte sicher gehen wollten, dass ich nicht in der nächsten Sekunde ansatzlos tot umfiel. „Wann kann ich wieder in den Frachtraum?“
Der Pilot, laut Brustschild Summers mit Namen, sah mich interessiert an. „Sie bringen nicht nur mich, sondern auch Ohka mit nach oben. Staffelchef der ...“ „Butcher Bears, ich weiß. Wow, noch mehr Prominenz. Cowboy haben wir aber nicht geladen, oder? Nicht dass der sich in nächster Zeit auf einen Peshtenplaneten trauen dürfte.“
Ich runzelte die Stirn. „Warum nicht?“ „Was?“ „Warum kann sich Staffort nicht auf einen Peshtenplaneten trauen?“
„Ach, davon wissen Sie ja gar nichts.“ Und dann erzählte mir Summers die Geschichte vom abgeblasenen Angriff auf ein Krankenhaus und den höchsten Feldkommandeur der Akarii. Mist, ging es mir durch den Kopf. Es wurde wirklich Zeit, dass ich wieder zurückkam.
***
Als Pashka-Vier den letzten Posten erreichte, spielte sich noch einiges an Theater ab; wieder wurden viele Fotos gemacht und Filme gedreht, denn wann hatte man je so etwas auf den Schlachtfeldern gesehen? Fotos der Einheit verboten sich von selbst, das musste nicht erst gesagt werden. Anschließend ließen es sich zwei Marines nicht nehmen, die Flagge selbst zu senken und danach mit zwei weiteren Marines so zusammenzulegen, dass sie dabei nicht den Boden berührte. Das dadurch entstehende, nicht gerade kleine Päckchen wurde fast mit der gleichen Würde wie die Nationalfahne bei der Flaggenzeremonie behandelt und anschließend auf der Ladefläche eines Patrouillenfahrzeugs verstaut mit der Aufgabe, die Fahne sicher zum Hauptquartier zu bringen. Dann demontierten die Marines auch den Flaggenmast. Anschließend wurde die Einheit mit einem Salut verabschiedet, den Pashka-Vier zurückgab.
„Sergeant, wir werden etwa in sechshundert Metern ein gestohlenes Akarii-Transpondersignal aktivieren. Ich kann mich drauf verlassen, dass ihre Leute uns nicht plötzlich beschießen werden?“
„Meine Leute bestimmt nicht. Verlassen Sie sich darauf. Aber seien Sie trotzdem vorsichtig, Pashka-Vier. Da draußen haben wir noch nicht aufgeräumt, und nicht jeder Aka... Kaiserliche ist so schnell davon gerannt, wie ihn seine Beine tragen konnten.“
„Danke für die Warnung. Jetzt wo unsere Zielscheibe weg ist, müssen wir halt ein wenig aufpassen.“
Darauf lachte der Sergeant und gab den Weg für den gepanzerten Bodenwagen frei.
„Na dann, auf ein Neues“, sagte Vacani und fuhr an. „Hätten wir Flyer nicht behalten können? Kluger Kopf. Hätte sich gut bei uns gemacht, oder, Snaps?“
Lieutenant Marcus schnaubte leise und zuckte die Achseln. „Ich glaube, wenn er seine Staffel führt, ist er für uns wertvoller.“
„Argument“, erwiderte die Fahrerin mit Bedauern in der Stimme. Sie ließ den Wagen beschleunigen. Ihre neuen Befehle waren eindeutig, und sie hatten nur noch fünf Stunden, um ins Zielgebiet zu kommen.



Geschrieben von Cattaneo am 27.11.2021 um 21:08:

 

Zielwechsel I

Hangar der TRS COLUMBIA, Gamma-Eridon

Als Commander Staffords schwerer Nighthawk-Jäger schließlich auf dem Landedeck der COLUMBIA aufsetzte und als gesichert durchgewunken wurde, atmete der Geschwaderchef der Angry Angels auf. Nicht, dass er sich wegen des Manövers wirklich Sorgen gemacht hätte. Allerdings hatte seine Maschine während des Einsatzes über Arta’Rijen gleich zwei leichte SAM-Treffer kassierte. Es hätte ihm gerade noch gefehlt, wenn sich eine Funktionsstörung im falschen Moment bemerkbar gemacht hätte.
Wie wohl jeder Pilot der Angels hatte er in den letzten Tagen eine Menge Flugstunden angesammelt, und das machte sich bemerkbar. Stafford wusste, dass sein Terminkalender voll war, denn als Geschwaderkommandeur hatte er neben dem Staffelbetrieb – bei dem ihm seine XO weitgehend entlastete – eine Menge Verpflichtungen, die sich eben NICHT delegieren ließen. Aber er hoffte, dass ihm zumindest eine kleine Ruhepause blieb, obwohl natürlich der letzte Einsatz des Geschwaders ausgewertet und der nächste vorbereitet werden musste. Der Geleitschutzeinsatz für die COLUMBIA schien glücklicherweise weitgehend als Selbstläufer zu funktionieren, ohne dass er sich einmischen musste. Man konnte vieles über Lilja sagen, und einiges davon war Schlechtes, aber ihr Handwerk verstand sie. Allerdings hatte der Kommandeur der Angels so das Gefühl, dass er seine persönliche Sicherheit der narbengesichtigen Russin zumindest im Moment besser nicht anvertrauen sollte.
Was er freilich nicht erwartet hätte, war der Anblick ebendieser Russin in Dienstuniform, die direkt neben seinem Jäger wie aus dem Nichts auftauchte, als habe sie nur auf diesen Moment gelauert. Was sie vermutlich tatsächlich hatte.

Liljas Gesicht wirkte oft düster, und in den letzten Tagen war sie dem Geschwaderkommandeur sogar noch reservierter gegenübertreten als zuvor. Sie war freilich nicht die einzige gewesen. Stafford hatte sich ausrechnen können, dass nicht jeder im Geschwader mit ihm gut klarkommen würde, aber selbst nach dem etwas holperigen Start hatte ihn die Reaktion auf seine Entscheidung überrascht, den Luftangriff auf den feindlichen Armeeoberbefehlshaber abzubrechen. Zahlreiche Geschwaderangehörige aller Dienstgrade – und sogar einige Angehörige der Schiffscrew – waren spürbar auf Distanz zu ihm gegangen. Die militärische Grußpflicht wurde gerade so im Rahmen des Akzeptablen befolgt, die Mienen etlicher Piloten blieben jedoch ebenso eisig wie die Stimmen und seine sozialen Kontakte zu den Untergebenen hatten sich von deren Seite drastisch reduziert. Zudem merkte er natürlich, dass man hinter seinem Rücken über ihn tuschelte. Bisher hatte noch niemand im direkten Kontakt eine Grenze überschritten – aber das mochte noch kommen.
Diese Krise kam genau zur falschen Zeit. Ein Geschwader, in dessen Führung es kriselte, drohte an Effizienz zu verlieren – und zugleich hatte er sich in den Augen vieler Angels noch nicht „bewähren“ können. Idealerweise hätten die Piloten ihn von Anfang an fraglos akzeptieren sollen, aber er war nun einmal ein Seiteneinsteiger, kein langgedienter Pilot des Geschwaders. Schon das schuf Vorbehalte, wenn nicht gar insgeheim Frustration bei einigen Staffelchefs, die sich den Posten des Geschwaderchefs selbst zugetraut hatten. Man wurde nicht Schwadronskommandeur ohne ein gewisses Ego, und die meisten hatten genug Ehrgeiz, um auf noch höhere Positionen zu zielen.
Einem Kommandeur den man kannte, hätte man eine umstrittene Entscheidung eher nachgesehen. Man murrte vielleicht und schimpfte, aber Jahre des gemeinsamen Einsatzes fungierten als Kitt, der zumeist über solche Konflikte hinweghalf. Doch Stafford hatte im Geschwader kaum jemanden, der ihn mehr als ein paar Monate kannte, und seine Zeit bei den Angels war nahezu ausschließlich mit Trainingseinsätzen und einem Transferflug ausgefüllt gewesen. Kampferfahrung hatte man nur wenig gemeinsam sammeln können. Und er war dazu noch nicht einmal ein ,waschechter Terry‘ – was mit Sicherheit zum Murren angesichts seiner jüngsten Entscheidungen beitrug.

Stafford hatte lernen müssen, dass die Angels durchaus in der Lage waren, ihr Missfallen kreativ auszudrücken – wie sie bereits in der Vergangenheit mit Karikaturen und Flüsterwitzen bewiesen hatten. So war neuerdings ein Flugblatt mit einem mäßig gut gereimten Spottgedicht im Umlauf, das sich des Langen und Breiten über einen „einsamen Cowboy“ ausließ, der aus falschem Ehrgefühl einem gesuchten Verbrecher laufen ließ, aber einem Sheriff in einem albernen Streit niedergeschossen hatte. Stafford hatte im Moment nicht die Zeit herauszufinden, wem er diesen Tiefschlag zu verdanken hatte. Und er konnte sich auch nicht darauf verlassen, dass seine Staffelchefs sich darum kümmern würden oder es überhaupt wollten.
Möglicherweise waren einige ja sogar eher Teil des Problems als der Lösung. Er meinte, sich auf Razor verlassen zu können. Lilja allerdings hatte sich anscheinend die Zeit genommen, sowohl physisch als auch elektronisch das Schwarze Brett des Geschwaders mit einer auserlesenen Sammlung von Berichten und Aufnahmen von imperialen Kriegsverbrechen auf Gamma Eridon zu versehen – vorzugsweise solche, für die man Tyrosch Anwhar direkt oder mittelbar verantwortlich machte. Zweifellos hatte sie sich die Sammlung über den Konkordats-Verbindungsoffizier beschafft. Und der Commander konnte der Russin schwerlich einen Strick daraus drehen, dass sie, wie sie es ausdrückte, das Geschwader daran erinnern wollte, gegen wen sie kämpften. Es war ja auch nicht das erste Mal, dass sie die Kommissarin spielte.
Natürlich war ihm klar, dass dies direkt gegen ihn gerichtet war. Aber die Russin aufzufordern ihr Propagandamaterial zu entfernen würde zwar vermutlich befolgt werden, aber seine Position eher noch mehr untergraben als stärken. Im Grund war es Irrsinn, dass er sich in der momentanen Lage um das Vertrauen seiner Untergebenen fast ebenso sorgen musste wie um den Gegner – doch bisher war ihm kein Weg eingefallen, das Problem zu lösen.
Schlimmer noch, er war sich nicht einmal sicher, wie die kommandierende Admirälin die Sache sah. Girad war nicht umsonst für ihr ,unorthodoxes‘, rücksichtsloses Vorgehen gegen die ehemaligen Verbündeten bekannt. Wenn sie zu einer ähnlichen Ansicht kam wie Lilja und Konsorten, würde er wohl nicht lange CAG bleiben.

Als der Commander aus dem Jäger kletterte, nahm die Russin Haltung an. Sie salutierte, keineswegs enthusiastisch, aber akzeptabel, auch wenn ihr Gesicht einen verbissenen Ausdruck zeigte: „Commander.“
Für einen Moment spielte Stafford mit dem Gedanken, sie stehen zu lassen, zur Rede zu stellen – doch wofür? – oder sonst IRGEND ETWAS zu tun, aber er wusste, auf dem Feld konnte er eigentlich nicht gewinnen.
„Was gibt es?“ Er klang möglicherweise etwas erschöpft bis genervt, aber das lag zum Gutteil auch daran, dass er einen anstrengenden Einsatz hinter sich hatte.
„Ich werde Sie zur Geschwaderbesprechung briefen. Die anderen Staffelchefs sind schon benachrichtigt und warten auf uns.“
Das kam nun wirklich überraschend: „Geschwaderbesprechung? Wer hat die angeordnet? Und warum?“
Die Russin fixierte einen Punkt über seiner Schulter. Ihre Stimme klang kühl und monoton: „Anordnung von Admiral Girad. Was den Grund angeht, möglicherweise steht es Offizieren vom Rang eines Lieutenant-Commanders – und auch anderen – nicht unbedingt zu, die Beweggründe eines Admirals erraten zu wollen, sondern ihre oder seine Befehle auszuführen...Sir. Aber vermutlich soll ich Sie aus dem Grund briefen.“ Das kam einer Unverschämtheit schon ziemlich nahe, aber die Russin hatte ihre Worte mit Bedacht gewählt.
Tatsächlich sah es so aus, als ob die Staffelchefs der Angels sich von ihren Maschinen entfernten, alle mit demselben Ziel. Das Gefühl des Unheils, dass Stafford beschlichen hatte, verstärkte sich nur noch – sofort nach einem Einsatz alle Offiziere zu versammeln, und ihnen nicht einmal groß Zeit zu geben sich frisch zu machen oder zu erholen, konnte einfach nichts Gutes bedeuten.
Er biss die Zähne zusammen: „Gehen Sie voran, Lieutenant Commander.“

***

Eine halbe Stunde später, Besprechungsraum

Als der Lagebericht endete, wirkten die Gesichter der meisten Offiziere sehr ernst – und das lag nicht nur daran, dass viele deutliche Zeichen von Erschöpfung zeigten. Es war eine recht große Runde, die hier versammelt war. Neben den Staffelchefs der Angels – zwei davon allerdings bloße Nachrücker, auch wenn Huntress wirkte, als würde sie damit rechnen, den Posten als Kommandeurin der Schwarzen Staffel auf Dauer auszufüllen – waren natürlich die Admirälin wie auch die Kapitänin der COLUMBIA anwesend. Commodore Schupp und der Kommandeur der leichten Begleitschiffe des Trägergeschwaders hatten sich per Bildschirm zugeschaltet. Dass Commander Stacy dem Treffen fernblieb, war vielen sicher Recht – jemand musste ja auf der Brücke stehen. Aus demselben Grund fehlten auch die Staffel-XOs der Angels. Stafford hatte fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen, weil er so viel Arbeit auf Kali ablud. Es war bewundernswert, wie die Pilotin sich hielt, wenn man bedachte, dass ihre Vergangenheit mit Ace und ihre…Freundschaft…mit Ohka nicht wirklich geheim waren. Jetzt saß Ace irgendwo bei der Guerilla fest und Ohka war verschollen. Sein Absprung hinter der imperialen Front war bestätigt, doch seitdem fehlte jede Spur von dem Chef der Schwarzen Staffel. Aber egal wie es Kali emotional gehen mochte, sie versah eisern ihre Pflicht – wenngleich sie mit Sicherheit nicht die professionelle Gefühlkälte einiger anderer Piloten besaß.

Admiral Girad war niemand, der lange um den heißen Brei herumredete: „Sie sehen also, die Lage ist ernst. Wir müssen davon ausgehen, dass die Akarii tatsächlich weit früher als berechnet einen Konvoi auf den Weg geschickt haben. Dies ist offenkundig kein Täuschungsmanöver, um die Columbia vom Planeten wegzulocken. Alles deutet darauf hin, dass der Gegner das Gegenstück zu wenigstens einer kompletten Divisionen und zwei unabhängigen Brigaden – nach terranischen und Peshten-Maßstäben, vielleicht zwei imperialen Brigaden nach ihren Maßstäben – mit Luftunterstützung geladen hat. Im Moment haben sie noch Jägerdeckung vom Sprungpunkt her, aber sie werden diesen Bereich in den nächsten Stunden verlassen. Bei den gegenwärtigen Beschleunigungsdaten können sie in sechs Tagen über dem Planeten sein, wobei freilich nur am letzten Tag irgendwelche Unterstützung von den bodengestützten Imperialen zu erwarten ist.“
Commodore Schupp klang keineswegs eingeschüchtert, aber ernst: „Ich nehme an, man wünscht sich, dass wir den Konvoi weit genug vor seinem Ziel abfangen, damit es dem Gegner nicht gelingt, irgendwelche Schiffe durchzubringen.“
Girad nickte: „Die Peshten haben das klar gemacht. Es steht auch so schlecht genug am Boden. Kaiserliche Verstärkung könnte in dieser Situation in die Katastrophe führen. Und dabei reden wir schlimmstenfalls vom totalen Zusammenbruch der Verteidigungsfront und dem Verlust von tausenden, zehntausenden Quadratkilometern Land. Außerdem…Sie haben das nicht gesagt, aber jede Stunde in der dieser Konvoi unangefochten näherkommt, ist natürlich eine Ermutigung für den Feind, und lässt die Sorge bei unseren Verbündeten wachsen – und Sie können darauf wetten, dass es nicht lange geheim bleiben wird, was hier im Anmarsch ist. Wir können uns also auch nicht zu viel Zeit lassen, ehe wir den Feind stellen.“
Stafford sah sich genötigt, auf das Offensichtliche hinzuweisen: „Wir können aber nicht gleichzeitig den Konvoi im Tiefraum abfangen und Unterstützung für Arta’Rijen fliegen. Ganz abgesehen davon, dass die Piloten das nicht auf Dauer durchhalten. Nachdem wir unseren eigenen Konvoi durchgebracht UND die letzten Tage fast pausenlos Atmosphäreneinsätze geflogen sind, sind sie ohnehin erschöpft.“ Er sprach es nicht aus, aber kaum eine Staffel hatte noch Sollstärke.

„Dann müssen die Marines ohne uns klarkommen. Vielleicht kann man dem Konkordat eine Zusage auf verstärkte Unterstützung aus dem Kreuz leiern.“
Es kam nicht allzu oft vor, dass sich Lilja so forsch einmischte, aber die Russin hatte ihren vergleichsweise ruhigen Posten als Trägerschutz offenbar genutzt und war wesentlich besser im Bilde – und ausgeruhter – als ihre Kameraden. Ihre Position war natürlich ebenso kaltherzig wie effizient. Die Beziehungen zwischen dem Geschwader und den ,Fußlatschern‘ von den Bordmarines waren zwar schwerlich herzlich zu nennen. Aber etliche Staffelchefs schienen sich doch etwas unbehaglich zu fühlen, diesen Punkt einfach so abzuhaken. Lilja sprach hastig weiter, ehe ihr jemand ins Wort fallen konnte: „Ich meine, wenn die Kaiserlichen durchkommen, reden wir von tausenden Toten, wenn nicht mehr. Commodore, wenn ich das richtig sehe, dann hat der Gegner etwa 50 Prozent mehr Kriegsschiffe in allen Klassen, abgesehen in Punkto Trägerunterstützung.“
Schupp nickte: „Korrekt. Was die feindlichen Flieger angeht – die Aufklärung hat die Flugmuster analysiert und ist sich relativ sicher, dass die Kaiserlichen nur zwei bordgestützte Staffeln einsetzen – Maschinen des Golf-Kreuzers. Allerdings wäre es denkbar, dass sie einen ihrer Frachter mit Jägern bestückt haben oder der Golf über Normalbelegung fährt. Ich meine, es wäre nur sinnvoll, wenn sie nach den letzten Verlusten auch das bodengestützte Raumfliegerkorps verstärken wollen. Einen direkten Austausch Geschütz gegen Geschütz können wir jedenfalls schwerlich gewinnen. Wir haben nur zwei schwere Kreuzer, einen leichten und einen Flakkreuzer – plus die COLUMBIA – gegen vier schwere und zwei leichte Kreuzer. Und einige unsere Schiffe sind nicht gerade das modernste Material. Bei leichten Schiffen steht es vierzehn zu neun. Die vier Frachter und drei Truppentransporter des imperialen Konvois sind zwar im direkten Schlagabtausch nicht viel wert, aber besonders die Whiskey-Transporter haben eine ziemlich schwere Abwehr.“
Er lächelte schwach, wenn auch nicht ohne Ironie und neigte den Kopf gegenüber Stafford: „In dem Fall müssen wohl eher die Velites als die Triarier fechten.“ Das brachte ihm von den meist ,ungebildeten‘ Anwesenden mehrheitlich verständnislose Blicke ein.

Stafford hatte so etwas vermutet: „Sie reden von einem Langstreckengefecht mit Jägern? Machbar, aber das ist nicht so einfach, wie es vielleicht scheint. Auf dem Papier steht es acht – nun, sagen wir eher knapp sieben – Staffeln gegen zwei bis drei. Aber wir müssen nicht nur den Golf als Flugabwehrschiff berücksichtigen. Mit Sicher hat der Feind einige Flakschiffe unter seinen leichten Einheiten. Und wir können die COLUMBIA nicht schutzlos lassen. Es ist durchaus denkbar, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass die Imperialen noch einmal so etwas versuchen wie gegen unseren Konvoi – dass sie elektronisch abgeschirmte oder ballistisch fliegende Schnellboote und Jagdbomber loszuschicken. Es braucht ja nicht mehr als eine Staffel oder ein halbes Dutzend Schnellboote um einigen Schaden anzurichten. Wir brauchen mindestens eine, eher anderthalb Staffeln für unseren Träger.“
„Können wir den Gegner nicht etwas aufweichen?“ Irons hielt sich bei Geschwaderbesprechungen oft zurück, aber was die Bomberpilotin sagte, hatte so gut wie immer Hand und Fuß: „Ich meine, die Echsen haben uns das ja vorexerziert. Wir lassen ihnen ein paar Minen in den Weg treiben, oder ein paar passive ortende Selbstschusssatelliten mit Antijägeraketen, um ihre Jäger und Shuttles auszudünnen. Sie haben es ja eilig, also werden sie kaum zacken und wir können ihre Flugbahn halbwegs gut vorausberechnen. Wir werden vielleicht nicht viel Schaden anrichten, aber jedes bisschen hilft, und entnervt die Echsen.“
Der Commodore nickte: „Das ist grundsätzlich keine schlechte Idee. Aber ich muss gestehen, viele unserer Schiffe haben kaum einen halben Minensatz parat. Schließlich sind wir nicht zu einem Einsatz hinter den feindlichen Linien vorgesehen gewesen. Und die Peshten werden uns auf die Schnelle auch nicht wirklich weiterhelfen können. Aber ich setze meine Waffenabteilung darauf an.“

Girad übernahm wieder die Führung: „Commander, können die Angels das schaffen? Dem Konvoi einen harten Schlag versetzen? So hart, dass er weder ausreichend Schiffe durchbringen kann, um die feindliche Armee zu verstärken, noch unseren Trägerverband im Nahkampf anzugehen wagt?“ Es war klar, dass auch die Ankunft von gut 20 feindlichen Kriegsschiffen das Gleichgewicht über dem Planeten kippen konnte. Selbst wenn die Schiffe nur den „umstrittenen“ Bereich bombardieren konnten, ohne Gefahr zu laufen, von bodengestützten Atomraketen beschädigt oder gar zerstört zu werden, auch dies konnte jede Offensive des Konkordats in Blut ersticken. Es ging also auch darum, den Geleitschutz des Konvois abzufangen.
Für einen Moment zögerte Stafford. Er wusste, er konnte eigentlich nur eine Antwort geben – der Ruf des Geschwaders und die Situation ließ eigentlich nichts anderes zu. Dann nickte er: „Jawohl, Admiral.“
Er wünschte nur, er hätte Gewissheit verspürt, dass er das Versprechen auch erfüllen konnte.
„Allerdings müssen wir unsere Ziele mit Bedacht wählen. Die Feuerkraft unserer Jabos und Bomber reicht nicht aus, um die Kreuzer und die Frachter zeitgleich gesichert auszuschalten. Andererseits…wenn wir erst einmal das Flaggschiff und ein, zwei andere Dickschiffe flügellahm schießen…“
„Wir können weit mehr tun als das.“ Das war wieder Lilja. Der Blick, den ihr Stafford zuwarf, war eine deutliche Warnung wegen ihrer Einmischung, wurde aber trotzig ignoriert: „Schließlich sollen wir den Echsen nicht nur einen Denkzettel verpassen. Die Jabos und Crusaders kümmern sich um die Dickschiffe…“ Ihr Stimme bekam einen leicht giftigen Unterton: „Und die Schwarzen braten ein paar tausend Echsen kross. Ist das nicht der Grund aus dem wir Krieg führen – um den Feind zu erledigen? Also tun wir das auch. Wozu haben wir denn die neuen Knallfrösche an Bord, wenn nicht, um sie in genau so einer Situation einzusetzen? Lasst uns die Jäger der Schwarzen Staffel mit Arrows bestücken, die haben die meiste Übung. Die Echsen werden nie erwarten, dass ein paar Nighthawks ihre Transporter einfach so auseinanderreißen. Eine Sektion auf jeden Whiskey, und falls sie am Ende nicht alle Raketen verbrauchen, kriegen die leichten Frachter den Rest ab…“
Stafford war sich nicht sicher, ob Liljas wenig subtile Spitze gegen ihn gerichtet war oder gegen Martin ,Razor‘ Durfee, den Chef der Silbernen Staffel. Dass der Jabopilot lange damit zu kämpfen gehabt hatte, gleich zweimal einen voll besetzten Truppentransporter der Imperialen zerstört zu haben war nichts, wofür jemand wie Lilja Verständnis aufbringen konnte.
Huntress hingegen schien förmlich aufzublühen bei dem Gedanken, sich derart beweisen zu können: „Lilienmädchen, für die Idee könnte ich dich auf der Stelle küssen!“
Die Russin schnaubte sarkastisch: „Jägerin, so einen Spruch klopfst du noch einmal wie oft an einem Tag?“ Das brachte ihr einige Lacher ein. Huntress war in der Tat nicht gerade dafür bekannt, sonderlich zurückhaltend zu sein was das Fraternisierungsverbot betraf – ein Punkt, an dem sie und Lilja offenbar über Kreuz lagen.

Das war etwas, woran sich Stafford immer noch nicht gewöhnt hatte. Die Staffelchefs der Angels waren zumeist altgediente Veteranen und – wie er zugeben musste – ihm an Gefechtserfahrung mitunter deutlich voraus. Wenn sie eine Idee hatten, dann hielten sie selten den Dienstweg ein, sondern platzten direkt damit heraus. Zweifellos brachte das Ergebnisse, denn einige dieser Ideen waren wirklich gut. Aber wenn man nicht einen festen Stand als Kommandeur hatte – und seiner wackelte im Moment etwas – ließ dies den Geschwaderchef leicht als schwach erscheinen.
„Immer vorausgesetzt, Decker gibt seine Lieblinge frei.“, schränkte er ein.
Die Russin zuckte mit den Schultern, dann verneigte sie sich leicht vor Admiral Girad: „Sein Ego ist ja enorm, aber Ihnen wird er garantiert nichts abschlagen!“ Auch das mochte eine verdeckte Spitze gegen Stafford sein – oder auch nur Liljas berühmte Zielstrebigkeit, die nie viel darüber nachdachte, ob sie jemanden damit kränkte.
Es war nicht zu übersehen, dass der Vorschlag der Russin der Admirälin sichtlich gefiel. Doch Girad war zu sehr Profi, um sich blindlings mitreißen zu lassen: „Ich will so schnell als mögliche eine Machbarkeitseinschätzung. Commander Stafford, schließen Sie sich mit Decker zusammen. Falls er Einwände hat, sagen Sie ihm, ich sanktioniere es. Wenn er Proteste erhebt, soll er das meinethalben in den Akten archivieren. Ich will wissen – und das am besten VOR EINER STUNDE – wie die Erfolgschancen sind, wie viele Arrows wir haben – und dass die noch einmal Stück für Stück gründlich überprüft werden. Finden Sie heraus, ob er dem Einsatz der Schwarzen zustimmt oder wir zusätzlich auch noch andere Sektionen einsetzen sollten. Aber wir dürfen uns nicht auf EINE Möglichkeit verlassen.“
Schupp war bereits einen Schritt weiter: „Können wir nicht versuchen, den Peshten zumindest etwas Unterstützung aus dem Kreuz zu leiern? Wer alles defendieren will, defendiert gar nichts – es nützt ja wohl wenig, wenn sie irgendwelche Reserven zurückhalten, nur um zuzusehen wie sie den halben Planeten verlieren.“

Girad wirkte nicht sonderlich optimistisch: „Wenn man ihre Flottenchefs so hört…aber vielleicht gibt es ja wirklich eine Möglichkeit. Die Einheiten der Konvoisicherung für die Transportschiffe der Vierten Sturmdivision sind noch in Reichweite. Das sind zwei Brandenburg-Fregatten und vier Duquesne-Zerstörer. Alte Schiffe, aber modernisiert. Die Fregatten sind in einem Nahkampf nicht viel wert, aber die Zerstörer sind schon etwas anderes. Wenn das Konkordat sie uns unterstellen würden, gleicht das die Unterlegenheit gegenüber den Schiffen der Kaiserlichen etwas aus.“
Stafford überlegte laut: „Die Peshten haben ja auch drei…ja, ich glaube drei Hilfsträger im System. Ich denke nicht, dass sie die riskieren wollen und uns einen als direkten Begleiter für die COLUMBIA überlassen. Aber wenn sie einen, vielleicht gesichert von den beiden Fregatten, ein Stück achtern von unserem Verband platzieren, könnten ihre Jäger helfen unser Mutterschiff abzusichern. Auch wenn dabei nur eine oder eine halbe Staffel Jäger herausspringt, das macht ein paar unserer Maschinen frei.“
Die Amirälin lachte bitter: „Das ist aber eine lange Wunschliste, die ich dem Konkordat vorlegen soll. Aber schließlich geht es um ihren Planeten. Also gut. Wir machen es so…“
In wenigen Sätzen umriss sie das weitere Vorgehen – wobei sie die Vorschläge der Offiziere aufnahm.
„Nächste Besprechung in spätestens acht Stunden. Das Geschwader fliegt weiterhin Unterstützung für die Marines am Rijen, aber wir werden ihnen klarmachen müssen, dass das bestenfalls noch anderthalb Tage so weitergeht. Die Piloten haben dann die Transferzeit bis zum Einsatz gegen den feindlichen Verband, um sich auszuruhen. Ich werde beim Oberkommando unseres Expeditionskorps anregen, zwei oder drei Schwadronen Erdkampfflieger bereitzuhalten, damit Arta’Rijen auch künftig Luftunterstützung erhält. Aber dass dies klappt ist vermutlich der unwahrscheinlichste Teil unseres Vorhabens. Meine Damen und Herren – an die Arbeit.“

Die Anwesenden erhoben sich, als die Admirälin den Besprechungsraum verließ. Es wäre zu viel gesagt gewesen, hätte man behauptet, dass Tatendrang und Kampfgeist sie beseelte – nun ja, zumindest bei den meisten, denn Lilja und Huntress beispielsweise hielten sich anscheinend in der Tat durch einen gehörigen Adrenalinschub in Schwung. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Aber auch die übrigen Offiziere wirkten entschlossen, trotz aller Müdigkeit. Der Kampf gegen den feindlichen Konvoi war etwas anderes als die kaum minder gefährlichen Bodenangriffe, die jedoch nur wenig Einfluss auf das Kampfgeschehen zu haben schienen.
Die Angry Angels bildeten sich einiges darauf ein, ein Geschwader der Entscheidungsschlachten zu sein – verdrängten aber dabei standhaft, dass dies stets einen hohen Preis gefordert hatte.
Stafford wusste, er würde etwas wegen der Stimmung im Geschwader unternehmen müssen, aber im Moment war dazu einfach keine Zeit. Das musste warten bis nach der Schlacht. Wenn es denn ein ,danach‘ gab…
Als er auf den Gang trat, bemerkte er, dass Lilja sich mit einem Unteroffizier von der Crew unterhielt. Und – oh Wunder – die Russin schien tatsächlich zu lächeln. Diese Regung – zumindest wenn es kein grimmiges Grinsen war – war derart selten, dass sie das Gesicht der Staffelchefin förmlich verwandelte, und sie so jung erscheinen ließ, wie sie wirklich war: „Wir haben soeben Meldung von den Marines bekommen. Sie haben Ohka und Ace eingesammelt!“
Manchmal geschahen eben doch noch Wunder. Stafford entschied, dies als ein gutes Omen zu nehmen. Sie konnten jedes Quäntchen Glück gebrauchen.
Die Angels bereiten sich vor auf neue, größere Ziele…

Ende



Geschrieben von Ace Kaiser am 02.12.2021 um 22:42:

 

Ich musste eingedöst sein, denn als das Shuttle landete, schreckte ich auf dem Jumpseat des Shuttles ziemlich unsanft auf. Dies brachte mir einen spöttischen Blick des Piloten ein.
„Wie lange?“, fragte ich.
„Sie sind sofort weggenickt, nachdem Sie aus dem Frachtraum zurück waren. Hatten Sie eine so anstrengende Diskussion mit Commander Nakakura?“, fragte Summers grinsend.
Anstrengend war es schon gewesen, denn verletzt oder nicht, Ohka die Würmer einzeln aus der Nase zu ziehen, damit ich überhaupt zum Teil wusste, was in ihn vorging und in welcher Scheiße er gesteckt hatte, bedeutete immer schwere Arbeit. Aber tatsächlich war das wohl nur die Nachwirkungen der langen Gefechtsnacht gewesen, und mein Körper war noch immer im Soldatenmodus, der besagte: Wenn du schlafen kannst, dann schlafe. „Geht so“, erwiderte ich. „Ich nehme an, Sie müssen das Shuttle schnell räumen?“
„Sicher“, sagte er. „Aber erst mal muss ich erklären, warum ich hier landen musste, anstatt auf meinem eigenen Schiff.“
„Und wo ist dieses Hier?“, fragte ich.
„Die beste Adresse am Ort“, sagte er achselzuckend und erhob sich. „Natürlich die COLUMBIA.“
Für einen Moment überkam mich so etwas wie Heimatgefühl. Die COLUMBIA. Mein Trägerschiff. Ich war Zuhause. Zumindest, solange wie der Krieg dauerte.
„Mach die Routine, Ella, ich kläre das mit der Entladung“, sagte er seiner Co-Pilotin. „Ace, war eine Freude, Sie wieder hochzuholen.“
„War eine Freude von ihnen beiden geflogen zu werden“, erwiderte ich und folgte ihm in den Frachtraum. Summers nahm die erstbeste Luke nach draußen, und selbst hier drin konnte ich ihn mit dem Lademeister sprechen hören. Ich hingegen folgte nicht sofort, sondern ging erst mal zu Ohka. Ich reichte ihm die Hand, als er sich unter Schmerzen zu erheben versuchte. Der Arm musste ihm zu schaffen machen. Als er meiner Gegenwart angesichts wurde, stellte er die Emotionen in seinem Gesicht sofort wieder ab. „Schon gut, Antischmerzchampion. Nimm einfach meine Hand, und wir tun so, als wären die letzten sieben Tage nie passiert.“
Nun huschte doch eine Emotion über sein Gesicht. Es war Amüsiertheit. Er griff zu und ließ sich hoch ziehen. „Arigatou“, sagte er.
„Stehst du sicher genug?“
„Ja, es geht. Wieso?“
„Ich höre Helens Stimme vor dem Shuttle. Irgendwas scheint sie aufzuregen.“
„Viele Sachen regen sie auf. Unmöglich, darauf zu schließen, was es diesmal ist“, scherzte er. Ich lachte leise, dann gab ich ihm einen gut gemeinten, leichten Stoß gegen den Rücken. „Lass sie nicht warten. Sie wird wegen dir hier sein.“ Ich zwinkerte.
Für eine Sekunde huschte etwas über sein Gesicht, was ich nicht deuten konnte, es sah nach Wehmut, vielleicht Verlangen aus. Verstehen konnte ich es. Nach der Zeit in Akarii-Gefangenschaft konnte er sich sicher einiges vorstellen, was er mit unserer todbringenden Kali anstellen würde. Sich auf der Krankenstation besuchen lassen gehörte sicher nicht dazu.
„Und du?“
„Ich komme nach“, sagte ich. Langsam machte ich eine Geste, die den Frachtraum umfasste. „Mir scheint, ich bin einer von den Gesunden, also schaue ich mal, wo ich helfen kann.“
„Ist gut“, erwiderte Kano Nakakura, seines Zeichens Lieutenant Commander, und schlich zur Personenschleuse. Kurz bevor er die Rampe hinab stieg, straffte er sich aber merklich und ging beinahe normal. Ein Anblick, den ich kannte, zweifellos.
„Doc? Kann ich helfen?“ „Eine Trage tragen. Kriegen Sie das hin, Commander?“
„Habe ich oft genug gemacht in meinem Leben.“ „Na, dann packen Sie mal mit an.“
***
Im Hangar des Trägers herrschte das vertraute Durcheinander eines Großeinsatztages. Wenn überhaupt möglich, dann war der Betrieb sogar noch chaotischer als in den Tagen zuvor. Seitdem die Angry Angels nicht mehr Langstreckengeleiteinsätze zum Schutz des anrückenden Truppenkonvois fliegen mussten, konzentrierten sie sich vor allem auf die Luftunterstützung für die hinter den feindlichen Linien gelandeten alliierten Truppen. Die Einsätze dauerten üblicherweise nur wenig Stunden und erlaubten mehrere Feindflüge am Tag. Jedenfalls, solange die Männer und Frauen an Bord diese Einsatzfrequenz durchhalten konnten…

Helen ‚Kali‘ Mitra trommelte nervös mit den Fingern ihrer Linken auf ihrem Oberschenkel, während sie einen Blick auf die Zeitanzeige des Komms an ihrer Rechten warf: „Das dauert zu lange! Meine Sektion muss in einer halben Stunde raus und sie ist noch nicht mal betankt? Schaffen Sie das nicht alleine?!“
Der Teamchef der an den Maschinen arbeitenden Bodencrew schnaufte ungnädig: „Also wenn Sie wollen, können Sie mir…“
„Überlegen Sie sich genau, was Sie jetzt sagen, wenn Sie auf die Intaktheit Ihrer Zähne Wert legen.“
Der vierschrötige Man schnaufte noch einmal, öffnete den Mund…dann sah er das gefährliche Glitzern in den Augen seines Gegenüber und entschloss sich, lieber zu schweigen.
„Na also.“
„Statt sich hier aufzuspielen, könnten Sie lieber ein Auge darauf haben, dass die Startbahn auch frei ist. Die Vögel nützen Ihnen gar nicht, wenn sie nicht starten können!“
Kali folgte der rüden Handbewegung des Technikers mit den Augen und blickte sich um: „Was zum…“ Soeben passierte ein im Griff des ATLS steckendes Transportshuttle die Hangarabschirmung und setzte zur Landung an: „Was will dieser Schrotthaufen hier?!“
„Sagen Sie das diesen Schneckenpiloten.“, der Techniker grinste: „Wie wär’s, wenn Sie Ihren ‚Charme‘ mal dort einsetzen. Und meine Jungs und Mädels können ungestört weitermachen.“
„Hauptsache schnell!“, fauchte Kali. Dann wirbelte sie herum und marschierte mit unheilverkündender Miene in Richtung des landenden Shuttles.
„Was ist denn mit unserer Todesgöttin los?“, wunderte sich eine Technikerin: „Die ist doch sonst nicht so fuchtig. Hat Sie vielleicht ihre…“
„Vorsichtig.“
„Ich darf das sagen.“
„Ich glaube, das liegt eher daran, dass ihr Piloten-Schmuckstück aussteigen musste.“
Die Technikerin winkte ab: „Die ollen Kamellen?! Ich sage doch, Sie hatte nie etwas mit Blauhaar. Sie und Ace sind nur Freunde.“
„Sowas wie nur Freunde gibt es nicht…“
„Musst du ein einsames Leben führen.“
„Aber den meine ich gar nicht. Ich rede von Ihrem ANDEREN Schmuckstück. Ihr wisst schon, unser japanisches Steingesicht von Staffel Schwarz. Der mit dem Stock im Arsch.“
„Schon wieder? Darf der überhaupt noch in einen Raumjäger steigen? Bei der Geschwindigkeit, mit der er Maschinen und Flügelmänner verschleißt…“
Ein anderer lachte boshaft: „Na er hat das Mädchen und fast fünfzig Abschüsse. Er macht wohl etwas richtig.“
Seine Kollegin nickte: „Auch wenn ich der Meinung bin, dass unsere Todesgöttin gar nicht hätte wählen müssen. Sie könnte beide haben.“
„Ich glaube nicht, dass so was funktioniert…“, spöttelte ein weiterer Tech: „Dennoch hast du Recht. Von der Bettkante würde ich keinen von beiden schubsen.“
„Da fehlt dir aber die Anatomie, um eine Chance zu haben.“
„Wer weiß. Vielleicht haben sie es nur noch nicht versucht…“
„Wenn du dich nicht beherrschen kannst, nuckle doch an `nem Tankstutzen! Genug gequatscht, ihr notgeilen Idioten. Ich will diese Scheißdinger fertig haben, bevor das Miststück zurück ist und ernst macht. Sie will unbedingt mit den Imperialen raufen? Soll sie!“

Die Bodencrew hatten keine Ahnung, wie viel Glück sie hatten, dass Kali dieses Gespräch nicht mitbekam. Aber tatsächlich hatte sie das frühere Wortgefecht schon wieder vergessen. Offenbar war Sie nicht die einzige, der die durch das landende Shuttle verursachte Störung des Hangarbetriebs aufgefallen war. Ein ihr unbekannter Lieutenant – den Abzeichen nach zur Logistik gehörend – war bereits dabei, den Piloten abzukanzeln. Der sich freilich nicht allzu sehr davon beeindrucken ließ: „Ich weiß, dass ich eigentlich zur NAKANO sollte. Aber die haben mich wieder weggeschickt. Sie haben keinen Platz. Und ich tue ihr…“, zu Helens Überraschung deutete der Pilot lässig auf sie, „…und unseren Raumjockeys einen Gefallen.“
Der Lieutenant wirbelte zu Kali herum: „Wenn es hier um eine Schwarzmarktlieferung oder so etwas geht, dann kann ich Ihnen versprechen…“
„Ich habe keine Ahnung, was er meint!“, wehrte die indische Pilotin ab: „Und keiner von meinen Leuten würde so etwas tun!“
Insgeheim hoffte sie, dass das auch stimmte. Wäre Radio noch am Leben gewesen, wäre er ihr nächstliegender Verdacht gewesen. Ace? Nein, auch wenn er wohl noch immer Connections zum bordeigenen Schwarzmarkt hatte, eine solche Aktion würde er sich nicht erlauben.
„He, entspannen Sie sich alle beide!“, mischte sich der Shuttlepilot sichtlich amüsiert ein: „Ich habe nicht von Kontrabande geredet.“
„Also, wofür hatte die NAKANO keinen Platz?“
Statt einer Antwort deutete er mit dem Daumen auf die Seitenluke des Shuttles, die sich gerade öffnete.
Der Anblick, der sich den beiden Lieutenants bot, ließ sie den sich anbahnenden Streit vergessen. Denn die Männer und Frauen, die aus dem Shuttle kletterten oder von Soldaten mit dem rotem Kreuz auf dem Arm herausgehoben wurden, sahen aus, als wären sie durch die Hölle gegangen: verdreckt, abgerissen, blutig, erschöpft.
„SANITÄTER!“

Kali war hin- und hergerissen. Zum einem wollte sie helfen. Andererseits aber wusste sie, was ihre eigentliche Aufgabe war. Starten und sicherstellen, dass Shuttles wie dieses durchkamen. Und den gelandeten Truppen Luftdeckung geben, damit so viele wie mögliche ihrer Kameradinnen und Kameraden am Boden erst gar nicht verletzt ausgeflogen werden mussten.
„Hallo Helen.“
Die stellvertretende Staffelchefin der Roten Schwadron wirbelte herum und starrte den Neuankömmling wortlos an. Kurz schien sie zu zögern: „Ach zum Teufel.“
Dann schloss sie Kano in die Arme, ohne sich um mögliche Augenzeugen dieser die Grenzen des Fraternisierungsverbots überschreitenden Geste zu kümmern. Allerdings nur kurz, dann schob sie den japanischen Piloten eine Armeslänge von sich fort. Und schlug ihm gegen die linke Schulter: „Du Idiot! Ich habe dir nicht diesen Akarii vom Rücken geschossen, damit du dich vom Himmel holen lässt!“
Kano schaffte es, den nächsten Schlag mit seiner Linken abzufangen. Er lächelte etwas verzerrt: „Ich habe dich auch vermisst.“
„Wenn ihr beiden Turteltäubchen etwas Zeit für euch braucht…“, spöttelte der Shuttle-Pilot. Kali zeigte ihm den Mittelfinger: „Mal im Ernst, Danke. Aber Ihre Maschine muss hier weg.“
„Und dass ein bisschen plötzlich.“, schaltete sich der Logistik-Offizier ein: „Wir haben für Sie noch eine Ladung, die auf die NAKANO muss.“

Helen zog Kano beiseite aus dem sie umgehenden Chaos: „Wie zur Hölle bist du auf einem Sani-Shuttle der Marines gelandet?!.“
Kano winkte ab – vorsichtig. Den rechten Arm trug er in der Schlinge und vermied so weit wie mögliche schnelle Körperdrehungen oder heftigere Schulterbewegungen. Jetzt fiel Helen auf, wie bleich ihr Verlobter war.
„Wie geht es dir?“
Kano lächelte still: „Nachdem ich in imperialer Gefangenschaft aufgewacht bin, lief es eigentlich ziemlich gut. Sie haben mich zum Glück über Arta’Rijen transportiert…“
„Spiel verfluch noch mal nicht die Helden! Du warst in Gefangenschaft?!“
„Nur ganz kurz…“
„Und dein Arm?“
Wieder winkte der Pilot vorsichtig ab: „Hauptsächlich eine Fleischwunde. Ich hatte schon schlimmeres…“
„Ich war dabei, erinnerst du dich? Die Feststellung ist nicht wirklich SO beruhigend.“ Kali war sich sicher, dass Kano sowohl seine Zeit in imperialer Gefangenschaft als auch seine Wunde herunterspielte. An seiner Stelle hätte sie es genauso gemacht.
„Die Imperialen haben die Wunde gesäubert und versiegelt. Ich schaue mal, was unsere Krankenstation zu sagen hat.“
„Hm. Aber nicht, dass du auf die Idee kommst, jetzt die Lilja zu machen.“
Kanos frühere Flügelfrau war trotz ihres ‚einnehmenden Charakters‘ im Geschwader eine Legende, seitdem sie verletzt und gegen den Anweisungen des Bordarztes gestartet war, gesiegt hatte und sogar zurückgekommen war.
„So schlimm steht es wohl noch nicht um uns.“
„Das ist keine Antwort.“
„Erzähl mir lieber, wie es dir ergangen ist.“
Kali registrierte sehr wohl, dass Kano sich um eine klare Antwort herumdrückte, beließ es aber bei einem drohenden Fingerzeig: „So leicht kommst du mir nicht davon…
Es ging erstaunlich glatt. Stuntman musste eingeschleppt werden – er ist immer noch kein echter Teamplayer. Die Jagdbomber hat es etwas schwerer erwischt. Die imperialen Flugabwehrsoldaten sind echte Cracks.“
„Habe ich mitbekommen.“
„Sie sind schon sonst ein harter Gegner, aber jetzt…
Die Imperialen schießen selbst unter schwerstem Beschuss zurück, bis ihre Werfer und Kanonen nur noch Schrott sind. Und überhaupt die Bodentruppen: Schnellfeuerlaser, schultergestützte Boden-Luft-Raketen, Infanteriewaffen...
Vermutlich würden sie auch mit Radmuttern nach uns schmeißen, wenn sie die schnell genug von den Reifen herunter bekommen würden.“, Sie stieß Kano leicht mit der Schulter an: „Aber das hast du natürlich auch hautnah mitbekommen.“

„Und Blackhawks Schwadron?“
„Die Gelben sind erstaunlich gut durchgekommen. Fox musste aussteigen, aber sie konnten sie wieder aufsammeln. Und Tiburons Jäger ist ziemlich Schrott, aber das kriegen sie schon wieder hin.“, trotz der eigentlich eher positiven Bilanz klang Kali irgendwie abwesend. Als würde etwas in ihr arbeiten.
„Was ist los?“
„Ich weiß nicht…ich habe nur das Gefühl, dass das noch nicht alles war.“
„Meinst du…“

Mit erhobenem Zeigefinger bedeutete ihm Helen zu schweigen, da sich jetzt ihr Handgelenk-Komm meldete: „Lieutenant Mitra hier…
Ist das ein Witz?! Wir sollten in einer halben Stunde starten!
Ich soll das übernehmen? Was meinen Sie, was ich die ganze Zeit tue, während…
Verzeihung, Sir.
Ja.
Selbstverständlich.
Zu Befehl, Sir.“, sie schaltete das Komm ab: „Du mich auch, Arschloch.“
Um Kanos Lippen zuckte es: „War das Stafford? Hältst du es für klug…“
„Ich halte die Rote Staffel am Laufen. Das gibt mir wohl das Recht, nicht nur als Lückenbüßer und Wasserträger zu fungieren.“
„Und was war da los?“
„Unser aller Anführer hat mir mitgeteilt, dass er für den nächsten Flug ausfallen wird und ich einspringen soll. Noch eine Doppelschicht – aber warum eigentlich nicht?“
Kano reagierte mit einer durch seine Verwundung etwas ungeschickte einarmige Umarmung: „Keine Ruhe für die Besten, nehme ich mal an.“
Für ein paar Sekunden erlaubte sich Kali, die Augen zu schließen und in die Umarmung zu lehnen. Aber nur kurz, dann straffte sie sich: „Richtig. Wenn du mir einen Gefallen tun kannst: Kannst du die Augen offenhalten, was mit Stafford läuft? Ich glaube, da steckt etwas Großes dahinter. Sie werden ihn doch nicht nur einbestellt haben, nur um noch mal wegen dieser Geschichte mit dem abgebrochenen Luftangriff den Kopf zu waschen.“
***
Nachdem alle Entladungsarbeiten erledigt waren, bei denen ich hatte helfen können, verließ ich den Entladebereich und ging zu Ohka und Kali herüber. Ich hatte sie bis zu mir fluchen gehört, einer der Gründe, warum ich das nicht früher getan hatte. Wenn Helen Mitra auf etwas oder jemanden sauer war, ließ sie ihren Ärger nie an Dritten aus. Aber neben ihr zu stehen, während ihre Seele brannte, verursachten schweren Sonnenbrand auf dem eigenen Herzen.
Das Herz, ja. Ein leichter Stich ging mir durch meines, als ich die große, stolze Inderin neben Kano stehen sah. Eine Zeitlang, nicht gerade eine kurze, hatte ich gehadert und dem Japaner in Gedanken vorgeworfen, mir Kali weggeschnappt zu haben. Ich bedauerte es heute noch, dass nichts aus uns beiden geworden war. Aber ich war sehr froh darüber, dass wir heute zumindest Freunde waren. Ich hörte gerade den letzten Satz zwischen den beiden, in dem sie Ohka bat, aufzupassen, was mit Staffort lief. Dass der einiges um die Ohren hatte, konnte ich mir lebhaft vorstellen.
„Sollte ich das nicht für Kano tun, Helen?“, fragte ich und trat hinzu. „Schau ihn dir an. Sein Weg führt zur Krankenstation, aber nicht auf die Brücke oder in die CIC.“
Entgeistert starrte sie mich an. „Clifford!“
„Genau der. Immer noch.“
Ein Zeigefinger richtete sich auf Ohkas Brust. „Du hast mir kein Wort davon gesagt!“
Abwehrend hob er den linken Arm in eine bestimmte Höhe, wie um einen Schlag zu parieren. „Ich bin irgendwie nicht dazu gekommen. Und bevor du fragst, nein, wir haben uns erst an Bord des Shuttles getroffen.“
„Das euch dann beide zur COLUMBIA geflogen hat. Was für ein Zufall. Und ein Riesenglück für uns. Hallo, Cliff. Es tut gut, dich einigermaßen in einem Stück zusehen. Ist man ja auch so nicht gewohnt“, sagte sie und zog mich in eine schnelle Umarmung. Ich drückte sie auch einen Moment an mich, und als sie mich wieder fahren ließ, musste ich mich zwingen, meine Arme wieder zu öffnen. Ihre Nähe hatte etwas sehr Beruhigendes auf mich.
„Was ist passiert?“
„Das muss ich erst mit den Schlapphüten klären“, erwiderte ich. „Nur so viel, die Guerilla hat sich um mich gekümmert und nach der Schlacht um Arta'Rijen am Evakuierungspunkt abgesetzt. Im Shuttle bin ich dann über Ohka gestolpert, und na ja, der Geleitschutz war gut, jetzt bin ich wieder hier.“
„Das war die sehr kurze Version“, stellte Kano fest. „Das, was du mir erzählt hast, war weit länger.“
„Es gibt ja auch mehr zu erzählen. Aber ich schätze, du humpelst jetzt besser zur Krankenstation, und ich gehe auf die Brücke und melde uns beide bei Staffort zurück.“
„Willst du mein Armband nutzen?“, fragte Helen.
„Nein, seit ich ein Geist war, mag ich es, die Reaktionen der Leute auf mein urplötzliches Erscheinen zu sehen“, sagte ich mit dünnem Grinsen. „Bringst du Kano vielleicht rüber, wenn du die Zeit dafür hast? Ich denke, mich erwartet keiner auf der Brücke, aber sie werden froh sein, mich zu sehen.“
„Da hast du wohl Recht. Vor allem Chip wird froh sein, dich zu haben. Er tut was er kann, und er macht einen guten Job, aber nicht so gut wie du. Und Lilja unterstützt ihn, aber sie scheucht ihn auch kräftig herum. Wäre Imp nicht... Nun. Dann komm mal, Kano. Die paar Minuten kann ich mir noch abzwacken.“ Sie hängte sich bei ihm ein und stemmte sich unter seinen linken Arm. „Keine Widerrede.“ Womit sie bewies, dass sie auf Ohkas „mir geht es gut“-Schauspiel nicht reingefallen war.
Bevor die zwei los gingen, sagte sie noch zu mir: „Erzähl mir genau, was Cowboy für ein Gesicht gemacht hat, ja?“
„Versprochen“, erwiderte ich.

Kaum war sie fort, wurde ich von mehreren Piloten anderer Staffeln angesprochen. Ich gab eine relativ kurze Erklärung ab, was passiert war, dann verwies ich auf die CIC und machte mich auf den Weg. Es waren hauptsächlich Bomberpiloten und einige Gelbe von der Griphen-Staffel gewesen, die ich, wenn auch nicht gut, schon Jahre kannte, und es tat mir leid, sie derart abzukanzeln, aber ich hatte mir schon viel zu viel Zeit genommen. Die Verhöre und die medizinische Untersuchung würden noch lange genug dauern, und ich musste verdammt noch mal in meine Verfügung. Also machte ich mich auf den Weg.
„Clifford Davis! Wenn du wieder die gleiche Nummer wie damals als Geist abziehen willst...!“, rief eine Frauenstimme aus einem Nebengang.
Ich blieb stehen. Natürlich, mein Glück hielt an. Von allen Piloten an Bord musste ich als einer der Ersten Lilja in die Arme laufen. Allerdings, gelaufen schien sie zu sein, war sogar etwas außer Atem. Ich lächelte verschmitzt. „Hallo, Tanja. Ich bin gerade erst an Bord gekommen. Zusammen mit Kano. Die Marines haben uns in Arta'Rijen aufgegabelt. Und jetzt bin ich als Erstes auf dem Weg zur Brücke, um mich und Ohka zurück zu melden und...“
„Halt mal ein paar Sekunden die Klappe“, mahnte sie mich, packte mir ziemlich grob an den rechten Arm, betrachtete mich, brachte mich dazu, mich einmal zu drehen und grinste dann zufrieden. „Diesmal bist du anscheinend in einem Stück zurück gekommen. Sehr schön. Genau rechtzeitig, wenn wir dich brauchen. Und, war er schön, dein Landgang?“
„Ich habe Kaiserliche gesnipert“, rutschte es mir raus.
Für einen Moment sah sie mich mit merkwürdigem Blick an. Dann verzog sie die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Wenn du denkst, das beeindruckt mich, irrst du. Komm wieder, wenn du sie mit dem Messer erledigt hast. Oder von Angesicht zu Angesicht zu Boden gerungen und ihnen das Genick gebrochen hast. Snipern ist auch nicht viel anders als in einem Jäger Gegner zu töten.“
„Du sagst das so, als wäre es nichts Besonderes.“
„Das habe ich nicht gemeint. Ich habe nur gesagt, es beeindruckt mich nicht. Aber...“ Sie trat an mich heran, drückte mich kurz und sagte: „Willkommen zurück, Lieutenant Commander. Es tut gut, dich gesund wiederzusehen. Ich habe dich vermisst.“
„Wie sehr hast du denn...“, begann ich, aber Lilja verbot mir den Mund. Um genauer zu sein küsste sie mich. Knapp und kurz auf die Lippen, wie sie ihren Bruder zu küssen pflegte. Also sollte ich mir darauf nichts einbilden, und ich wusste, wenn ich jetzt falsch reagierte und den Kuss meinerseits forcierte, machte ich vielleicht doch noch Bekanntschaft mit ihrem Stiefelmesser. Also wartete ich schweren Herzens einfach ab, bis sie genug hatte. Und das war viel zu schnell der Fall. Sie löste sich von mir, richtete meinen Kragen und besah mich genau. „Kannst du deine Staffel wieder voll übernehmen? Wie lange wird es dauern?“
Ich musste einen Kloß in meinem Hals bekämpfen. „Ich bin gesund und einsatzbereit. Ich schätze, eine Untersuchung und die Nachbesprechung bei den Schlapphüten ist alles, dann kann ich Chip entlasten.“
„Das kommt genau richtig. Die Akarii schicken einen Transport mit Kriegsgerät für die Offensive. Wir müssen ihn aufhalten, und dafür wirst du gebraucht, blauer Leader.“
Ich salutierte gespielt vor ihr. „Jawohl, Ma'am.“
Sie lachte, wenn auch nur kurz, dann schlug sie nach mir, gespielt, aber mit der für sie üblichen Härte. „Geh dich zurück melden. Ich sage deinen Blauen Bescheid, dass du wieder da bist, okay?“
„Danke, Tanja. Du bist die Beste.“ Ich zwinkerte ihr zu und machte mich wieder auf den Weg zur Brücke.
„Beeil dich gefälligst mit den Verhören, und danach kannst du mir dein Schießbuch zeigen. Es beeindruckt mich nicht, aber vielleicht mag ich ja, was ich sehe!“, rief sie mir nach.
Wie hungrig war ich danach, von ihr beachtet zu werden? Wie sehr, auf ihrer guten Seite zu stehen? So schnell, wie ich den Gang hinunter ging, wohl nicht gerade wenig. Was waren wir Männer doch für leicht manipulierbare Idioten.
Dennoch, ich freute mich darauf, auf der Brücke und in der CIC auch ein paar wohlwollende Worte zu empfangen. Bevor die unvermeidliche Untersuchung und das unvermeidliche Verhör stattfand. Ich konnte ja immer noch ein Agent sein, der sich nur als Ace ausgab...
***
Es war mitten in der Nacht der Bordzeit der COLUMBIA, aber Lieutenant Commander Shanks kam gerade erst in seiner Kabine an. Erst mit Gerard an Bord gekommen hatte er sich als Nummer zwei ins JAG-Büro an Bord eingefügt und bisher vor allem die Fleißarbeit gemacht, mit der der Commander ihn vollgestopft hatte. Dazu gehörte natürlich auch, dass er den Angriff auf die beiden Rijen-Städte der Marines der COLUMBIA in der OPS begleitet hatte. Nicht, um mögliche Rechtsverstöße festzustellen. Solche Sachen kamen meist Wochen, wenn nicht Monate, nach einem Einsatz dieser Art hoch und veranlassten das JAG-Team, auszurücken. Sondern um Präsenz zu zeigen. Irgendwann war seine Schicht vorbei gewesen, und nach einem sehr kurzen Absacker in Form von heißer Milch in der Offiziersmesse hatte er sich auf eine vierstündige Nacht eingestellt.
Als er eintrat, hörte er auf dem Schreibtisch ein Gerät summen. So, wie das Geräusch klang, tat es das schon eine ganze Zeit. Es war ein Kommunikator, mit dem er normalerweise pflegte, Kontaktleute und Informanten anzurufen. Für diesen Zweck war es speziell gesichert, auf seinen Fingerabdruck geeicht, und in der Lage, sich bei falscher Handhabung selbst zu zerstören. Sein letzter Job in der 4. Flotte hatte leider gezeigt, wie nötig es war, sich und seine Informanten zu schützen, auch vor dem eigenen Geheimdienst.

Shanks entriegelte die Schublade mit einem achtstelligen Code, nahm den Komm entgegen, identifizierte sich mit seinem Fingerabdruck, wartete drei Sekunden, bis das Gerät festgestellt hatte, dass der Finger lebendes Gewebe mit normaler Körpertemperatur war, kein aufgewärmtes totes Stück Fleisch, und entfaltete dann eine Tastatur und einen Bildschirm. Er nahm den Anruf entgegen. „Parzival.“
Die Stimme, die antwortete, hatte nicht viel Menschliches. Sie war eine Mischung aus Bass, Bariton und vereinzelten Sopranspitzen. „Grüße von der Front, Parzival.“
„Wer spricht?“, fragte er.
„Das tut nichts zur Sache. Dass ich meine Gesundheit in den Dienst des Gesetzes stelle, muss reichen.“
„Das reicht mir aber nicht.“
„Ich bin Angehöriger der Einheiten, die in Arta'Rijen gelandet sind. Mehr sage ich nicht.“
„Das allerdings reicht mir.“ Auch wenn das den Personenkreis auf knapp eintausend Leute einschränkte, es tat zumindest einiges. „Wie kann ich Sie nennen?“
„Mordred.“ „Mordred?“, fragte Shanks erstaunt. Mordred, der uneheliche Sohn, den Artus aus Unwissenheit mit seiner Halbschwester gezeugt und der letztendlich sein Königreich und das eigene gleich mit vernichtet hatte, war der Name für einen Verräter.
„Tun Sie nicht so überrascht, Parzival. Ich bringe Sie auf den Pfad, auf dem Sie den Gral finden werden. Einen Gral voll mit Blut, bis zum Rand.“
„Das sind normale Dinge in einem Krieg, schätze ich.“
Leises, dissonantes Gelächter antwortete ihm. „Wie sagte Garcia y Morales? Wir mögen gezwungen sein, Krieg zu führen, aber keiner zwingt uns dazu, Giftpfeile zu benutzen. Habe ich ihre Aufmerksamkeit, Parzival?“
„Die haben Sie“, versicherte der Commander.
„Es wird Sie nicht überraschen, dass die Kämpfe um beide Rijen-Städte hart und teilweise erbarmungslos waren.“
„Nein, sicher nicht. Ich habe einiges in der OPS mitverfolgen können.“
„Dann wird Sie nicht überraschen, was ich jetzt sage. Über den Daumen wurden etwa achtundvierzig sich ergebende Akarii ohne Warnung erschossen, kaum dass sie sich ergeben, ihre Deckungen verlassen und ihre Waffen fallengelassen hatten.“
„Das sind schwerwiegende Anschuldigungen“, sagte Shanks, dabei seine Aufregung verbergend. Was für andere ein ganz normales Phänomen des Krieges war, bedeutete für ihn seine Lebensgrundlage. Kriegsverbrechen. Verstöße gegen die Gesetze der Republik und speziell die Rechtsprechung der Streitkräfte. Schwere Verstöße gegen den Ehreneid, den Kodex. Hier ein klarer Bruch dessen, was das Marine Corps bei ihren eigenen Leuten immer und jederzeit erwartete. „Haben Sie Beweise, Mordred?“
„Halten Sie mich da raus. Ich riskiere bereits mein Leben, indem ich Sie anrufe. Und bevor Sie fragen, ja, ich bin an Bord der COLUMBIA. Oder dies ist eine Aufzeichnung. Oder ein Computerprogramm, das auf simple Reizwörter die vorgsprochenen Sätze abspult. Suchen Sie sich was aus. Aber worum es mir geht: Selbst wenn die Mehrheit der Marines nicht zu diesem Haufen „Ich mach mir doch nicht die Hände an Gefangenen schmutzig, erschießt sie und wir haben unsere Ruhe“-Idioten gehört, so ist jeder, der bei einem dieser Verbrechen dabei war und dazu geschwiegen hat, anstatt es zu melden, mitschuldig, und das erkauft ihr Schweigen. Noch schlimmer. Es könnte die Mehrheit zu meinem Feind machen. Also stehe ich als Zeuge nicht zur Verfügung.“

Shanks atmete einmal tief durch.War das Marine Corps, waren die Truppen von der COLUMBIA, von den Begleitschiffen bereits so tief gesunken? Er erinnerte sich daran, wie schlecht die Stimmung war, seit Staffort den Angriff auf eine kaiserliches Feldlazarett abgebrochen hatte, in das er vom peshtischen Verbindungsoffizier getrickst worden war, um den feindlichen Feldkommandeur zu bombardieren – auf Kosten des Krankenhauses. Freunde machte man sich nicht mit einer Einstellung, die die Rechtmäßigkeit der Handlung des CAGs bestätigte. Andererseits war er nicht zum JAG gegangen, weil er scharf auf Freundschaften war. Er war Anwalt geworden, um die kämpfenden Soldaten daran zu erinnern, dass das terranische Recht auch für sie galt. Immer und jederzeit. Denn wer das Recht für den Feind vergaß, der vergaß es auch für die eigenen Leute und auch für die eigenen Zivilisten. Und wenn sie das vergaßen, war er die Nemesis in ihrem Nacken.
„Sie haben einen Plan“, sagte er mit ruhiger Stimme.
„Ich habe die Aufnahmen meiner Bodycam, die genau diese Situation mit fünf abgeschlachteten kaiserlichen Soldaten zeigt.“
„Die Sie mir nicht zur Verfügung stellen werden.“
„Exakt. Ich bin immer noch kein Selbstmörder, und anhand des Aufnahmewinkels kann ich identifiziert werden.“
„Was tun wir dann?“
„Nun, Sie haben einen anonymen Hinweis, der Sie dazu berechtigt, Ermittlungen zu betreiben“, sagte die verzerrte Stimme. „Es gibt überall in der Stadt zivile Kameras. Sie wissen, wie medienverrückt die Peshten sind. Und Sie wissen, dass die Akarii die Kameras haben weiterlaufen lassen, vor allem jene, die auf ihre Stellungen gezeigt haben, damit sie die Bilder als Frühwarnsystem nutzen konnten. Kameras, von denen einige noch Strom hatte und die während der Kämpfe munter weiter gelaufen sind. Kameras, deren Speicherinhalte nicht gelöscht wurden. Noch nicht.“

Shanks schwieg, machte nur einen ermutigenden Laut an Mordred, weiterzusprechen.
„Ich habe einen dieser Speicher kopiert. Es gibt drei davon. Einen habe ich einem der erschossenen Kaiserlichen die Kehle runter gedrückt. Einen trage ich bei mir, versteckt in meiner Trinkflasche. Der dritte liegt an einem Gebäude, das wir das „Blockhaus“ nennen, unter einer kleinen Schicht Steine, die von oben betrachtet ein Ypsilon bilden. Es kann sein, dass die Akarii untersucht werden und dabei der Speicher zum Vorschein kommt. Dass jemand drauf schaut, entsetzt ist und dann den JAG alarmiert. Aber...“ „Unwahrscheinlich“, kommentierte Shanks.
„Richtig. Deshalb habe ich Sie angerufen, Parzival, anstatt drauf zu warten, dass der Ball vielleicht von alleine rollt. Und durch meine Anzeige rollt der Ball. Außer, Sie wollen nicht, dass er rollt.“
Für eine Sekunde lachte Shanks gehässig auf. Wenn die Lage wirklich derart vergiftet war, dann wurde es Zeit, unter den Marines nachhaltig aufzuräumen. Nur ein „Ich darf das, wenn alle dichthalten“-Gefühl brachte normale Marines dazu, umfassend gegen terranische Gesetze zu verstoßen, mehr noch, gegen den Esprit de Corps. Sie waren Krebsgeschwüre in der Gesamtheit der Marines, und er war die Makrophage, die sie aufspürte und rausfraß. „Ich liebe Fußball“, entgegnete er.
„Dann kommt jetzt das, was Sie tun sollten. Mit dem nächsten Shuttle, das Nachschub bringt, können Sie runter gehen. Beide Stadtteile sind weitestgehend gesichert. Niemand wird Sie an den Ermittlungen hindern können, ohne sich verdächtig zu machen. Finden Sie das Blockhaus und den Datenspeicher. Und mehr noch, finden Sie weitere zivile Kameras in der Nähe von Kampfplätzen und sammeln Sie deren Speicher ein, vor allem auf der Brücke. Tun Sie das, bevor die Täter und ihre schweigenden Unterstützer auf den gleichen Gedanken kommen. Mehr noch, gehen Sie sofort zu Schlüter und ziehen Sie eine Kopie des gesamten kurzen Funkverkehrs zwischen den Platoons. Manche haben damit geprahlt, wie viele Akarii sie hinterrücks erschossen haben. Ziehen Sie auch sämtliche Daten der Bodycams aus dem taktischen Computer Schlüters. Tun Sie das früh genug, bevor jemand auf die Idee kommt, diese Daten zu frisieren. Noch sind unten alle außer Atem. Aber wenn das schlechte Gewissen einkickt, kann es hier ganz schnell gehen. Ach, und natürlich wäre es eine gute Idee, die schweigende Mehrheit von vorne herein zu amnestieren. Umso eher kriegen Sie später Aussagen, die diese ruchlosen Arschlöcher, die es nicht wert sind, ein Marine zu sein, vor Gericht bringen.“
„Gut. Was ist für Sie dabei drin?“
„Dass mein Marine Corps ein Ort des Anstands, der Ehre und der Menschlichkeit bleibt. Ich will so etwas nicht wieder sehen müssen. Ich will so einen Anruf nicht anonym tätigen müssen, aus Angst um mein Leben. Sie verstehen, Parzival?“
„Ich verstehe. Gibt es noch mehr?“
„Ich habe versucht, eine eigene Kopie des Bodycamservers zu ziehen, aber ich konnte noch nicht sichten, ob die Daten, die ich mir erhofft habe, drauf sind. Sehen Sie das als Notfallversicherung an. Bei Gelegenheit werde ich ihnen diesen zuspielen, sofern es mir gelingt. Außerdem, wie gesagt, sammeln Sie Speicher automatischer Kameras in der Nähe der Akarii-Stellungen ein. Das ist mein letzter Rat und mein einziger Kontakt zu Ihnen, Parzival. Wünschen Sie mir Glück, wie ich Ihnen Glück wünsche.“
„Ich wünsche uns beiden Glück. Wenn ich es kann, werde ich auf Sie achten.“
Wieder lachte die mechanische Stimme. „Falls ich auffliege, werden wir herausfinden, wie verrottet der Korpsgeist meiner Marines mittlerweile schon ist. Schützen können Sie mich nicht. Das kann nur das Corps. Wenn es das will. Ach, und versuchen Sie gar nicht erst, die Stimme zu analysieren. Ich benutze einen peshtischen Computer und erzeuge die Stimme synthetisch. Wenn ich kann, will ich im Zusammenhang mit diesen Morden nie genannt werden, schon gar nicht als Kronzeuge.“
„Ich entspreche Ihrem Wunsch. Leben Sie wohl, Mordred.“
„Leben Sie wohl, Parzival, und enttäuschen Sie mein Vertrauen in Sie nicht.“
Der Andere legte auf und ließ Shanks bebend zurück. Bebend vor Aufregung, vor Wut, einen Aktivitätsschub spürend. Dann rief er seinen Commander an. Egal ob mit oder ohne ihn, er würde runter auf den Planeten gehen und Gerechtigkeit geschehen lassen. Auch gegen den offenen oder versteckten Widerstand der Marines, die eigentlich seine Kameraden sein sollten.



Geschrieben von Ace Kaiser am 16.12.2021 um 21:58:

 

Natürlich darf niemand auf die Brücke eines schweren Trägers, einfach weil er es will. Die Einzigen, die ohne Probleme an der Brückenwache vorbei kommen, sind die, die dort ohnehin arbeiten, der CAG, der Captain, der Admiral, der EinsO, die Brückencrew, der Stab des Admirals. Natürlich gehören dazu auch die Staffelführer, immerhin müssen wir in die CIC, und das mitunter schnell. Normale Besatzungsmitglieder, die Offiziere anderer Decks, Unteroffiziere und nachrangige Piloten dürfen nicht ohne Erlaubnis rein, denn wenn die Zentrale des Kampfverbands eines nicht gebrauchen kann, dann Überschwemmung durch neugierige Leute, die ihre Arbeit behindern.
Also, normalerweise hätte ich mit einem Nicken oder einem kurzen Salut auch die Brücke betreten können, was ich tatsächlich versuchte. Aber da ich offiziell als vermisst galt, hielt mich der Corporal, der die Türwache anführte, erst einmal auf.
„Sir, bitte bleiben Sie stehen.“
„Ich finde es auch schön, Sie wiederzusehen, Henrikson“, sagte ich in sarkastischem Ton.
„Sir, Sie sind auf der Vermisstenliste. Bitte warten Sie einen Moment.“
„Aber erkannt haben Sie mich zumindest!“, rief ich ihm hinterher, während er die Brücke betrat, um irgendwen zu finden, der was zu sagen hatte.
„Und, Jones, läuft alles daheim? Was macht Ihre Schwester? Der Termin muss doch gerade erst gewesen sein“, plauderte ich salopp mit der Private, die mich stattdessen davon abhielt, die Brücke zu betreten.
„Danke, es läuft alles gut, Sir. Das Kind ist aus dem Inkubator. Ein gesundes Mädchen. Keine Komplikationen. Sie haben sie Eleni genannt.“
„Was? Nicht nach einem Piloten der COLUMBIA? Ich bin entsetzt“, scherzte ich.
Das brachte die Miene der steinern dreinblickenden Marine zumindest zum Lächeln. „Vielleicht wird sie ja mal Pilotin.“
„Wollen wir hoffen, dass es in Friedenszeiten erfolgt, und nicht in so einem verdammten Krieg“, erwiderte ich. „Das Beste für Ihre Nichte, Jones.“
„Danke, Sir.“
Das schwere Panzertor öffnete sich wieder und der Corporal trat heraus. Bei ihm war Commander Stacy.
„Davis, mein Gott, als mir Henrikson gesagt hat, wer da vor meiner Tür steht, wollte ich ihn zuerst in eine Ausnüchterungszelle stecken. Entschuldigen Sie, Corporal, ich nehme meine Worte zurück und behaupte das Gegenteil. Waren Sie schon beim Geheimdienst und beim medizinischen Check?“
„Ich halte mich ans Prozedere und melde mich zuerst bei Captain und CAG zurück, Sir“, erwiderte ich.
„Dann müssen Sie gefilzt werden. Sie verstehen.“
„Natürlich. Ich kann ja ein Akarii sein, der nur die Haut von Clifford Davis trägt.“
„Und genauso einen schlechten Humor hat. Bitte, Jones, ihr Opfer.“
Der Corporal trat zwei Schritte aus meiner Reichweite und legte die Hand auf die Pistolentasche, öffnete sie aber nicht. Trotzdem würde die Zeit reichen, mich niederzuschießen, wenn ich mich verdächtig verhielt.
„'zeihung, Sir“, sagte die Private und begann mit einer schnellen, sehr exakten Leibesvisitation. Sie war sehr gründlich und griff mir auch in den Schritt, wo die coolen Attentäter ihre Waffen versteckten. „Vorsicht mit den Familienjuwelen, Jones. Vielleicht brauche ich die noch.“
Im Gegensatz zu eben rührte sie wegen Stacy keine Miene und ging auch nicht auf den derben Scherz ein. Stattdessen trat sie zurück und sagte: „Sauber.“
„Also gut. Lassen Sie Lieutenant Commander Davis eintreten. Ich übernehme.“
„Jawohl, Sir.“ Beide Marines stellten sich zum Spalier und ließen mich eintreten.

„Bleiben Sie bei mir, Ace. Sie gehen nicht allein über die Brücke oder in die CIC, solange der Geheimdienst Sie nicht auch gefilzt hat.“
„Noch mal?“
„Sie wissen, was ich meine, Ace. Skipper?“
„Was gibt es, Nummer eins?“
Stacy deutete auf mich. „Sieht so aus, als könnte ein Foto von der Gedenktafel runter.“
Ahn wandte sich mir zu. „Commander Davis. Wie zum Henker sind Sie an Bord gekommen? Wie sind Sie zurückgekommen?“
„Ich war dabei, als die ersten Shuttles mit Verwundeten Arta'Rijen verlassen haben, Ma'am. Melde mich zurück an Bord.“ Ich salutierte knapp.
„Das war die ganz kurze Erklärung, oder?“, fragte sie ein wenig säuerlich.
„Ich muss erst mal schauen, was mir die Schlapphüte erlauben zu sagen. Sie wissen, ich bin da ein gebranntes Kind“, erwiderte ich. „Aber ich kann wohl verraten, dass die Guerilla mich aufgepickt hat. Später hat sie dafür gesorgt, dass ich zum provisorischen Raumhafen kommen konnte. Und nun, hier bin ich. Ich hatte einen Platz auf dem Jumpseat eines Shuttles der Begleitflotte, das auf die COLUMBIA umgeleitet wurde.“
„Schön, dass Sie keinem Verwundeten den Platz weggenommen haben. Die Guerillas, sagen Sie? Müssen interessante Zeiten gewesen sein.“
„Wie man es nimmt. Ich durfte ein wenig tätig werden und habe gesnipert.“
„Und, auch was getroffen?“, scherzte sie.
„Ich habe Schießbuch geführt. Ich zeige es ihnen gerne, wenn ein gewisser Geheimdienstoffizier mir das erlaubt.“
Ahn lachte kurz. „Wenn er das tut, bin ich hoffentlich die Erste, die einen Blick reinwerfen darf.“ Ein noch kürzeres Lächeln ging über ihr Gesicht. „Willkommen zurück, Ace. Nun gehen Sie schon. Sie kommen genau zur richtigen Zeit zurück. Wir brauchen Sie dringend.“

„Ich habe noch eine Meldung zu machen, Skipper.“
„Und zwar? Soll ich Sie einige Zeit vor Lilja beschützen? Ließe sich einrichten“, scherzte sie.
„Danke, Ma'am, ich weiß das Angebot zu schätzen. Aber Commander Pawlitschenkow bin ich bereits über den Weg gelaufen und habe keinen Kratzer abbekommen. Es geht um Lieutenant Commander Nakakura.“
Ihre Augenbrauen gingen hoch. „Schön für Sie, dass Sie die Begegnung mit ihrer besten Freundin gut überstanden haben. Wissen Sie etwas über Ohkas Verbleib?“
„Der Lieutenant Commander ist mit mir an Bord gekommen, Ma'am. Er ist im Gegensatz zu mir verletzt, allerdings bin ich auch nicht in kaiserliche Gefangenschaft geraten und musste mich selbst daraus befreien.“
Ahn pfiff anerkennend. „Das sind gute Neuigkeiten, und auf den Bericht bin ich besonders gespannt. Wie schlimm hat es ihn denn erwischt?“
„Er kann alleine stehen, aber minimal würde ich ihm ein oder zwei Tage Schlaf gönnen und zumindest eine provisorische Versorgung seiner Wunden, bevor ich ihn wieder in einen Jäger stopfen würde.“
„Hiermit zur Kenntnis genommen. Commander Stacy, setzen Sie Commander Davis auf aktiv und Commander Nakakura auf verwundet.“
„Aye, Skipper.“
Sie nickte in Richtung der CIC. „Jetzt aber, Ace. Staffort ist da, und wenn er hört, dass gerade zwei seiner Staffelchefs wieder aufgetaucht sind, wird er denken, für ihn ist Weihnachten und Ostern an einem Tag. EinsO, Sie übergeben bitte an einen Marine und gehen in ihre Verfügung zurück.“
„Jawohl, Ma'am.“
„Ach, noch besser, ich mach's selbst. Kommen Sie, Ace.“
Die Kapitänin ging voran und ich folgte ihr in Richtung der Einsatzzentrale des Flottenträgers. „Gesnipert also. Auch ein paar Akarii erwischt?“
„Ein paar“, sagte ich leise, sodass sie mich über den Lärm der Zentrale gerade so hören konnte. „Und eine SAM-Raketenstellung.“
Verdutzt wandte sie sich mir wieder zu. „Haben Sie gerade gesagt, Sie haben eine SAM-Stellung gesnipert?“
„Nein, natürlich nicht, Ma'am. Das gehört zu den Dingen, die mir zu sagen nur erlaubt wird, wenn der Geheimdienst diese Information freigibt.“
„Es scheint, Sie haben da unten Erfahrung mit Minenfeldern gesammelt, Ace“, sagte Ahn.
„Außerdem war ich in dem Fall nur der Spotter.“
„Vorsicht, Pilot, spielen Sie nicht zu viel mit mir. Ich muss Sie nicht bei den Schlapphüten verpetzen, um ihren Spaß mit mir in meinen Spaß mit ihnen umzudrehen“, sagte sie amüsiert.
Schade. Das war spaßig gewesen, aber viel zu schnell vorbei. „Jawohl, Skipper.“

Wir betraten die CIC, und außer Staffort waren noch zwei weitere Staffelchefs anwesend, die Griphen und die Bomber. Ich grüßte beide knapp mit einem Nicken. Es wäre eine Untertreibung gewesen, hätte man gesagt, sie wären nicht überrascht gewesen.
„Cowboy, ich habe zwei gute Nachrichten für Sie.“
„Und was sind das für gute Nachrichten?“, fragte Staffort, über eine taktische Karte gebeugt.
„Die erste gute Nachricht steht neben mir.“
Er sah auf, zu Ahn, dann zu mir. „Ace! Ace, verdammt, woher sind Sie denn gekommen? Welcher Höllenpfuhl hat Sie ausgespuckt?“
„Die Oberfläche, Sir. Ich melde mich hiermit zurück zum Dienst. Meines Ermessens nach bin ich einsatzbereit. Aber dazu müssen ...“
„Ja. Dazu müssen Sie erst das Okay vom Doc und von der Geheimdienstabteilung bekommen. Sie denken, Sie sind einsatzbereit?“
„Ja, Sir. Ein, zwei gute Mahlzeiten, etwas echter Kaffee und vielleicht eine ganz durchschlafene Nacht, und ich kann wieder in ein Cockpit steigen. Meine Zeit unten war nicht übermäßig hart.“
„Das freut mich zu hören, Ace. Und Chip wird das auch freuen, wenn Sie wieder übernehmen. Ich glaube, Lilja hat ihn etwas sehr getriezt für ihre Hilfe.“
„Kann ich mir absolut nicht vorstellen“, sagte ich im Brustton der Überzeugung.
„Wie auch immer“, sagte der CAG, ohne zu lachen. „Was ist die zweite gute Nachricht?“
„Ich kam auf dem Jumpseat eines Shuttles mit hoch. Im gleichen Shuttle wurde Commander Nakakura als Verwundeter mit transportiert. Er sollte jetzt auf der Krankenstation liegen.“
„Wie verwundet war Ohka denn?“, hakte Staffort nach.
„Ich bin kein Medizinier, aber er kann alleine stehen. Was beachtlich ist, wenn man bedenkt, dass die Akarii ihn aufgepickt und nicht gerade freundlich behandelt haben, wenn Sie verstehen, und er alleine fliehen musste. Ich denke, dank unserer modernen Medizin sollte er in einer guten Woche aber wieder einsatzfähig sein. Wie ich ihn kenne, wird er schon nach vier Tagen quengeln.“
„Ja, das klingt nach ihm. Und was haben Sie Schönes da unten gemacht? Mit den Akarii fangen gespielt?“
„Etwas in der Art.“ Ich grinste schmallippig. „Eine Guerillaeinheit hat mich aufgepickt. Ich durfte mit ihnen kämpfen und habe ein wenig gesnipert.“
„Erzählen Sie das mit der SAM“, sagte Ahn.
„Noch nicht, Ma'am. Das bleibt unser Geheimnis.“
„Sie haben eine SAM gesnipert?“, fragte Staffort.
„Natürlich nicht, Sir, ich war nur der Spotter.“
„Ach so, und …“ Kurz riss er die Augen auf. „Also, jetzt würde ich gerne ihren Bericht in Händen halten.“
„Den bekommen Sie, Sir.“ Ich trat näher, streckte die Hand aus. Staffort griff automatisch zu. Ich hielt seine Hand fest und zog ihn ein Stück zu mir. Der Colonial versteifte sich in Erwartung eines Angriffs, aber ich senkte nur die Stimme. „Sir, was ich ihnen unbedingt sagen muss“, sagte ich so leise, dass es klang, als wollte ich nicht, dass die Leute in der CIC hörten, was ich sagte, aber laut genug, dass die meisten es mitbekommen würden. „Was die Sache mit dem Angriff auf das Feldlazarett angeht, den Sie abgebrochen haben.“
Staffort versteifte sich erneut. Ich erhöhte den Druck meiner Hand. „Seien Sie absolut versichert, dass ich hinter ihrer Entscheidung stehe, Sir. Verlassen Sie sich auf mich. Ich habe keine Angst, das auch laut zu sagen und zu verteidigen.“
Der Druck von Stafforts Hand verstärkte sich für einen Moment, dann ließen wir beide langsam wieder los.
„Danke, Ace. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mich unterstützen. Aber jetzt sollten Sie nach der Kür noch die Pflicht absolvieren. Lassen Sie sich vom Arzt gesund schreiben und geben Sie dem Flottengeheimdienst ihren Bericht. Skipper, kann ich Sie damit belästigen, ihn aus der Zentrale zu werfen?“
„Natürlich, CAG. Kommen Sie, Ace.“
Ich nickte noch mal allen Anwesenden zu, dann Staffort selbst. „Herrschaften. Ich hoffe, es geht schnell und ich bin dann wieder öfter hier.“
„Das hoffen wir. Es steht was Dickes an.“
„Ja, schon gehört.“ Mit Ahn an der Seite verließ ich die CIC wieder.

Sie brachte mich tatsächlich bis zur Tür, wie man so schön sagte. „Soll ich eine MP-Streife rufen, oder gehen Sie direkt aufs Revier?“
„Ich brauche etwa drei Minuten. Sollte ich in zehn noch nicht als angekommen gemeldet werden, sollten Sie die Lüftungsschächte nach dem dreckigen Akarii-Spion durchsuchen lassen, der in der Haut von Clifford Davis die COLUMBIA infiltriert hat und jetzt versucht, allein das Schiff zu sprengen“, sagte ich amüsiert.
Ahn schnaubte aus, und es klang nur teilweise amüsiert. „Jones, bringen Sie den Commander aufs Krankenrevier. Henrikson, melden Sie Jones vorerst ab.“
„Jawohl, Ma'am!“
„Sie kommen genau zur rechten Zeit, Ace. Falls Sie nicht doch ein Akarii sind, der nur seine Haut trägt.“ Der Skipper grinste, nickte noch einmal, wandte sich um und ging zurück auf die Brücke. Das Panzerschott schloss sich hinter ihr.
„Wenn ich bitten darf, Sir“, sagte Jones und deutete den Gang hinab.
„Wer würde so einer Einladung widerstehen können.“ Ich setzte mich in Bewegung, und die Private schloss zu mir auf und ging neben mir. Allerdings auf meiner rechten Seite, sodass ihre Pistolentasche von mir weg zeigte.
„Was macht der Roman? Weiter gekommen?“
„Sechshundert Worte mehr, Sir.“
Na, wenigstens brauchte ich mich bei diesem Marsch nicht zu langweilen.



Geschrieben von Tyr Svenson am 08.01.2022 um 18:44:

 

„Die Spartaner fragen nicht wie viele sondern wo.“
Ausspruch aus dem antiken Kriegerstaat Sparta, Authentizität umstritten.


Gamma-Eridon, knapp anderthalb Tage nach Beginn der Operation ‚Markat‘


Am Südufer des Rijen, im Vorland von Arta‘Rijen


„Dann versuchen Sie es eben noch mal, verdammt!“, Oberst Golis knallte die Faust auf den Tisch, auf dem er sich mit der anderen Hand abstützte. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen. Aber zum Glück fing er sich, bevor er sich vor seinen Untergebenen blamieren konnte. Seine Autorität war ohnehin angeschlagen. Er war der Standortkommandant von Arta’Rijen gewesen, verantwortlich nicht nur für die auf beiden Seiten des Rijen gelegene Stadt und die sie verbindende, strategisch wichtige Brücke, sondern für die gesamte Besatzungszone 22. Ein verantwortungsvoller Posten, der die Krönung seiner vierzigjährigen Karriere in den imperialen Streitkräften hätte sein sollen. Doch das machte es zu SEINEM Versagen, dass der Gegner es geschafft hatte, hunderte Kämpfer unbemerkt an die Stadt heranzuführen. Schlimm genug, dass sie eine Reihe von imperialen Stellungen überrennen oder ausgeschaltet hatten: unterstützt durch die folgenden Luftlandungen hatten sie Golis aus seiner eigenen Stadt geworfen. Mit ohnmächtiger Wut und Scham dachte er daran zurück, wie sein Versuch, die eingesickerten Angreifer zu stellen und zu vernichten zu einem Kampf um das eigene Überleben geworden war.
Golis war nur mit knapper Not entkommen und hatte erst nach langem Umherirren von einer bedrohten Stellung zur anderen außerhalb seiner EIGENEN Stadt wieder Halt machen können. Die folgenden Stunden war ein Kampf gegen Windmühlen gewesen – der frustrierende Versuch, mit ungenügenden Kommunikationsmitteln und viel zu wenigen Soldaten die konfuse Situation zu stabilisieren. Wenigstens waren die Angriffe des Feindes irgendwann abgeebbt. Golis hätte nur zu gerne geglaubt, dass dies den verbliebenen Widerstandsnestern und den rund um die Stadt entstandenen imperialen Blockstellungen zu verdanken war. Tatsächlich aber fürchtete er, dass seine Untergebenen einfach so schnell davongelaufen waren, dass der Gegner sie nicht mehr hatte einholen konnte. Oder dass die Alliierten ihre Ziele bereits erreicht hatten.

Ein Blick aus dem Fenster bot ein sehr uneinheitliches Bild. An der Magnettrasse und den beiden Zufuhrstraßen, die den kleinen Vorort mit Arta’Rijen verbanden, waren imperiale Soldaten in Stellung gegangen. Hastig ausgehobene Schützenlöcher, improvisierte Barrikaden und zwei kurze Gräben boten zweifelhaften Schutz. Ein paar Bomben- oder Granattrichter waren ebenfalls zu Feuerstellungen umfunktioniert worden. Einzelne Schützen hatten sich in den Gebäuden am Ortsrand eingenistet. Sollte der Gegner seinen Vorstoß erneuern, würde er auf heftigen Widerstand stoßen. Allerdings stellte der Mangel an schweren Waffen ein Problem dar. Abgesehen von tragbaren Schnellfeuerlasern, zwei leichten Granat- und einigen schultergestützten Raketenwerfern konnten die Truppen an dieser Stelle nur eine auf ein Spähfahrzeug montierte leichte Plasmakanone und zwei vorsintflutliche Schnellfeuerkanonen auf Dreibeinlafette aufbieten. Ein Wunder, dass die Bedienungsmannschaften es im Chaos der letzten Nacht geschafft hatten, die schweren Waffen mitzuschleppen. Oberst Golis nahm sich vor, die Verantwortlichen zu belobigen.
Ein lafettierter Vierlingslaser, ein Luftabwehrpanzer und die nahegelegenen SAM-Stellungen boten in Kombination mit den schultergestützten Flugabwehrwaffen der Infanterie zumindest Schutz gegen erneute Luftangriffe. Außerdem konnte der Flugabwehrlaser auch im Bodenkampf eingesetzt werden.

Die Truppen allerdings, die diese Waffen bedienen…
Nur ein Teil der in Feuerstellung liegenden Soldaten waren tatsächlich Infanteristen und bei längst nicht allen an den Geschützen stehenden Männer und Frauen handelte es sich um ausgebildete Artilleristen. Der Rest bestand aus rekonvaleszenten Soldaten, die auf der Durchreise gewesen und in die Kampftruppen eingereiht worden waren, Mitgliedern der nachrangigen Dienste, den Männern und Frauen einer Sicherungseinheit, die auf eigene Faust zu Hilfe geeilt waren...
Auf dem Hauptplatz der Siedlung, der an das von Golis als Not-Befehlsstand requirierte Kommunalgebäude grenzte, lagerten seine kümmerlichen Reserven, die teilweise nicht einmal über Waffen verfügten. Ein ehemaliges Einkaufsgebäude fungierte als Feldlazarett, in dem die Verletzten der letzten Nacht versorgt wurden.
Selbst auf diese Entfernung wirkten viele Soldaten eher desperat als kampfbereit. Die Männer und Frauen waren nach den Kämpfen der letzten Nacht verdreckt, erschöpft und angespannt. Doch im Fall eines feindlichen Angriffs würden sie sich verbissen wehren. Wie lange sie das freilich durchhalten und ob sie auch zu einem Angriff zu bewegen sein würden…
Wenn er seinen Untergeben in die Augen blickte, glaubte Golis dort Fragen zu lesen, die er nicht beantworten konnte, sah er Verwirrung, Wut und Enttäuschung. Und nur wenig Vertrauen.
Und dabei wussten die Männer und Frauen noch nicht einmal, welche Befehle ihr Kommandeur vor kurzem erhalten hatte. Er hatte die jüngste Order aus dem Hauptquartier für sich behalten, in der Hoffnung, das Schicksal doch noch wenden und die drohende Demütigung verhindern zu können.
Er wandte sich wieder an den Kommunikationsoffizier: „Ich brauche endlich Verbindung mit…“
Golis wurde durch einen hereinstürzenden Soldaten unterbrochen, der in seiner Aufregung nicht einmal salutierte: „Unsere Außenposten melden eine sich nähernde Kolonne! Panzer. Unsere Panzer!“
Hoffnung keimte in Golis auf, die jedoch einen schalen Beigeschmack hatte. Für die Schlacht um Arta’Rijen mochte das die Wendung sein. Aber das würde nicht mehr in seiner Hand liegen. Langsam fuhr er mit den Händen über seine Dienstuniform. Jetzt war er froh, dass er keine Zeit gefunden hatte, sich umzuziehen. Die Ruß- und Staubflecken waren ein Beweis für seinen Einsatz in der letzten Nacht. Was auch immer das wert sein würde. Der Oberst straffte sich und winkte seinen Untergebenen, ihm zu folgen: „Kommen Sie mit.“

Der Anblick, der sich ihm bot, war beeindruckend. An der Spitze der sich der Siedlung nähernden Kolonne rollte ein knappes Dutzend Kampfwagen, zum größten Teil schwere Durchbruchspanzer der Krat-Klasse. Mit einer schweren, überlangen 180-Millimeter-Magnetkanone als Hauptwaffe wich der massiv gepanzerte Krat-Kettenpanzer von der imperialen Panzerdoktrin ab, die auf Raketen als Primärbewaffnung und auf den schnelleren, aber teuren, treibstoffintensiven und weniger geländegängigen Hooverantrieb setzte. Ein automatischer 50-Millimeter-Granatwerfer, zwei Impulslaser und ein schwerer zweirohriger Multifunktions-Raketenwerfer vervollständigten die beeindruckende Bewaffnung.
Gefolgt wurden die Kampfkolosse von etwa zwanzig Chr’Chr-Schützenpanzern. Wie die Krat trugen sie allesamt das gleiche Emblem: einen sonnengebleichten Menschenschädel, der von einem schwarzen Blitz gespalten wurde.
Hinter den Chr’Chr folgte noch einmal ungefähr dieselbe Anzahl Fahrzeuge: gepanzerte und ungepanzerte Mannschaftstransporter mit Rad-, Ketten- oder Schweberantrieb, leichte Spähpanzer und Patrouillewagen, auf gepanzerten oder ungepanzerten Fahrzeugen motorisierte Flugabwehr und Artillerie, Versorgungsfahrzeuge und sogar einige zivile Transporter.
Die Soldaten, die sich auf den Fahrzeugen drängten – vermutlich weil im Inneren kein Platz mehr war – boten einen mindestens ebenso uneinheitlichen Anblick wie ihre Transportmittel. Nur ein Teil trug die schwere Ganzkörperpanzerung der Frontlinieninfanterie. Andere stammten offenbar aus Garnisons-, Sicherungs- und Nachschubverbänden und mussten sich mit Helmen und Schutzwesten begnügen. Einige hatten nicht einmal das. Aber immerhin waren alle bewaffnet.
Die einzigen Fahrzeuge der Kolonne, die nicht bis auf den letzten Quadratzentimeter mit Soldaten, Munitions- und Nachschubkisten beladen waren, waren die wenigen Flugabwehreinheiten, deren Kanonenläufe und Abschussrohre einsatzbereit in den Himmel starrten.
Aber Oberst Golis Blick erfasste die Kolonne nur flüchtig und kehrte dann sofort zu dem Führungspanzer zurück. Oder vielmehr zu der hochaufgeschossenen Offizierin, die im Turmluk des Kampfpanzers stand. Der Gefechtshelm mit dem heruntergeklappten Displayvisier verbarg ihr Gesicht. Die Arme auf die Ränder des Turmluks gestützt, glich sie mit dem Oberkörper die Erschütterungen aus. Trotz der Schutzweste wirkte sie eher schlank als muskulös. Der über der rechten Schulter der Tarnuniform drapierte schwarz-rote Dreieckwimpel identifizierte sie als eine Anhängerin des verstorbenen Kronprinzen Jor Thelam – und zwar als eine hartnäckige, war doch die offizielle Trauerzeit inzwischen verstrichen und das Ansehen des gefallenen Thronnachfolgers auf einem historischen Tiefstand.

Als sie Kolonne in den kleinen Ort einrollte, wurde das Dröhnen der schweren Panzermotoren von den Häuserwänden zurückgeworfen und vermischte sich zu einem dumpfen, unheilvollen Dröhnen, das die verbliebenen Fensterscheiben zum Klirren brachte und das man bis in die Magengrube spürte. Oberst Golis fühlte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen. Er wandte sich kurz zu seinen Untergebenen um: „Lassen Sie die Truppen antreten.“
„Aber…“
„Sie haben mich gehört.“
„Zu Befehl.“
Während Kommandos über den Platz erschallten und die Soldaten hochtrieben, die trotz der herannahenden Kolonne teilweise immer noch am Boden kauerten oder an den Häuserwänden lehnten, holte Oberst Golis tief Luft. Jetzt war es also soweit.

Der Platz reichte für nicht einmal die Hälfte der Fahrzeugkolonne. Der Rest der Transporter und Kampfpanzer hielt in den angrenzenden Straßen. Mit widerwilligem Respekt registrierte Golis, wie sich die Flugabwehreinheiten am Stadtrand verteilten und die meisten Fahrzeuge – zumindest die mit dem gespaltenen Menschenschädel an der Seite – auf Manöverraum zwischen den einzelnen Einheiten achteten. Ob Zufall oder Absicht: der Führungspanzer kam keine fünf Schritt von Golis entfernt zum Stehen und überragte den untersetzten Oberst bei Weitem.
Die Panzerkommandantin wandte den Kopf zur Seite und aktivierte ihr Helmkomm. Ihre Stimme klang erstaunlich jung, hatte aber einen schleifenden Unterton: „Die Truppen sollen absitzen und etwas essen.“
Mit der Gewandtheit jahrelanger Übung schlüpfte sie aus dem Turmluk und ließ sich zu Boden gleiten. Golis registrierte die Rangabzeichen einer Majorin und stellte fest, dass der Trauerwimpel nicht der einzige Punkt war, in dem die Ausstattung der Panzerführerin von der Norm abwich. Statt des Standart-Handlasers trug sie eine langrohrige, halbautomatische Magnetpistole: eine Waffe, die ob ihrer Durchschlagskraft spöttisch ‚Handartillerie‘ oder ‚Taschen-Pak‘ genannt wurde. Dazu kam auf der linken Seite ein gerader, anscheinend terranischer Kampfdolch. Unter anderen Umständen hätte eine solche Ausrüstung bei einer Panzerfahrerin lächerlich gewirkt - wie bei einem uniformierten Zivilisten, der meinte, dass Militärkleidung ihn gefährlicher erscheinen lassen würde. Aber irgendetwas an den geschmeidigen Bewegungen der Majorin ließ Golis zu dem Schluss kommen, dass sie mit ihren Waffen umzugehen wusste.
Als die Panzerkommandantin dann den Helm abschnallte und in die Armbeuge nahm, erlebte Golis die nächste Überraschung. Denn die Majorin WAR tatsächlich jung, sicher noch keine dreißig Jahre alt. Das bedeutete, das sie entweder sehr gut war oder sehr mächtige Gönner hatte – vielleicht auch beides. Auf jeden Fall machte sie das gefährlich. Früher hatte man ihr Gesicht vermutlich hübsch oder sogar schön genannt. Aber jetzt nicht mehr, auch wenn es schwer zu vergessen war: Auf der linken Seite waren die in einem ungewöhnlichen Bronzeton schimmernden Schuppen infolge einer schweren Brandverletzung vernarbt, teilweise miteinander verschmolzen und verzerrten den schmalen Mund zu einem ständigen, höhnisch wirkenden Grinsen.

Die Verletzung konnte nicht allzu alt sein. Bis vor ein oder zwei Jahren hatten sich Offiziere solche Narben in der Etappe chirurgisch entfernen lassen können. Seitdem allerdings hatten die schwieriger werdende militärische Lage und der Mangel an erfahrenen Offizieren dafür gesorgt, dass eine derartige Großzügigkeit nur noch selten gewährt wurde.
Oder – wahrscheinlicher – die Offizierin hatte sich die Narben auf Gamma-Eridon geholt. Angesichts der angespannten Nachschubsituation der imperialen Streitkräfte waren die medizinischen Kapazitäten zu knapp bemessen, um sie für derart triviale Belange zu verschwenden. Solange Narben ihre Träger nicht ernsthaft in ihrer Diensterfüllung behinderten, mussten sie lernen mit ihnen zu leben.
In diesem speziellen Fall hätte sich ein phantasievollerer Mann vielleicht gefragt, ob die Narben der Panzerkommandantin nicht das offensichtlich machten, was ohnehin hinter der hübschen Fassade lauerte. Oder ob die schweren Wunden den Geist der Majorin geformt – vielleicht auch deformiert hatten. Müßige Gedanken, die Golis für zu esoterisch gehalten hätte…doch als er in die dunklen Augen seiner Gegenüber blickte, in denen ein kaltes Feuer zu flackern schien, fröstelte er unwillkürlich.

Der Salut der Panzerführerin jedenfalls war schwungvoll und routiniert: „Oberst Golis, Majorin Danik Atara, Division ‚Herolde des Todes‘, 98. Angriffsregiment.“
„Majorin.“, Golis war froh, dass er seine Stimme gleichmäßig halten konnte, während er den Salut erwiderte. Dann kam der Augenblick, den er gefürchtet hatte: Atara nestelte einen Datenstick hervor, den der Oberst mit einem seltsam tauben Gefühl entgegenahm und in sein Handgelenk-Komm schob. Er brauchte die Worte nicht zu lesen, die über den Holo-Bildschirm flimmerten. Einen Augenblick lang fühlte er sich versucht, den Befehl zu ignorieren. Aber das wäre Verrat gewesen. Und wahrscheinlich auch sinnlos, denn ein Blick in Ataras Augen überzeugte Golis, dass sie sich von solchen Spielchen nicht aufhalten lassen würde.
Die Rituale der imperialen Armee gaben ihm die Kraft, das Unvermeidliche durchzuziehen. Noch einmal salutierte er. Golis‘ Stimme war belegt aber deutlich: „In Übereinstimmung mit den Befehlen des Oberkommandierenden übergebe ich Ihnen die Befehlsgewalt über Arta’Rijen und den 22. Besatzungsbezirk, Kampfkommandantin Atara.“
Die Majorin erwiderte den Salut: „In Übereinstimmung mit den Befehlen des Oberkommandierenden übernehme ich die Befehlsgewalt über Arta’Rijen und den 22. Besatzungsbezirk, Oberst Golis.“ Trotz ihrer markanten Stimme hatte Golis Mühe, Ataras Worte zu verstehen. Sie klangen dumpf in seinen Ohren, so als würde er seinen Kopf unter Wasser halten.

Wenige Augenblicke später fand er sich im Lagezimmer seines – nein seines EHEMALIGEN Not-Hauptquartiers wieder und sah zu, wie seine neue Vorgesetzte den Besprechungstisch umrundete, auf dem ein Hologramm von Arta’Rijen flimmerte.
„Falls Sie sich Frischmachen wollen…“, schaltete sich Golis Adjutant ein, der ihnen mit den übrigen Stabsoffizieren gefolgt war.
„Keine Zeit.“, winkte die Kampfkommandantin ab, während sie sich über die Holokarte beugte: „Ich gehe davon aus, dass die Angaben zum Frontverlauf und den feindlichen Stellungen aktuell sind?“
„Soweit wir das sagen können. Im Moment haben wir keine stabile Verbindung zu etwa der Hälfte unserer verbliebenen Stellungen im Stadtgebiet. Versuche, mithilfe von Aufklärungsdrohnen den Frontverlauf zu präzisieren, waren leider erfolglos. Mit unseren verbliebenen Kräften auf der Brücke besteht ebenfalls kein…“
„Wir sollten davon ausgehen, dass der Feind die Rijen-Brücke inzwischen vollständig in seiner Hand hat.“
„Unsere Soldaten und Hauptmann Yalat…“
„Sind tot. Ich hoffe jedenfalls, dass sie den ehrenvollen Tod im Gefecht der Kapitulation vorgezogen haben.
Oberst Golis, über welche Panzerreserven verfügen Sie?“
Der Oberst fuhr leicht zusammen: „Panzer?“
„Kurz bitte.“
Golis kam der unbehagliche Gedanke, dass man es versäumt hatte, Majorin Atara über das Ausmaß der Krise zu informieren. Das konnte unschön werden: „Panzerfahrzeuge sind kaum vorhanden. Viele der zur Garnison gehörenden Einheiten haben wir in den letzten Tagen an die Frontverbände abgegeben. Im Rahmen der nächtlichen Gefechte wurden die meisten der verbliebenen Einheiten vernichtet, beschädigt, mussten als nicht mehr fahrfähig aufgegeben oder gesprengt werden oder sind momentan mit der Unterstützung einzelner Widerstandsnester gebunden. Den Rest setzen wir zur Kontrolle der Stadtgrenzen ein.“
Die Majorin presste kurz die Lippen zusammen: „Luftunterstützung?“
„Luftunterstützung ist ebenfalls kaum vorhanden. Der Verlust des lokalen Feldflughafens, die gestrigen Kämpfe und vorher die Verlegung mehrerer Einheiten zum Einsatz gegen die feindlichen Luftlandetruppen…
Wir hatten eigentlich gehofft, dass Sie…“
Die Kampfkommandantin schnaubte abfällig: „Wir konnten von Glück reden, dass die Alliierten uns nicht in Stücke gebombt haben. Wir hatten im Wechsel eine Halbstaffel Atmosphärenjäger als Luftdeckung. Weitere Maschinen stehen angeblich in Kürze als Alarmflieger für den Fall erneuter feindlicher Luftangriffe bereit. Ich gebe Ihrem Flugabwehrkoordinator die entsprechenden Frequenzen. Aber falls Sie glauben, dass ich mal eben einen Luftschlag organisieren kann, muss ich Sie enttäuschen. Der Großteil unserer Luftstreitkräfte ist mit der Bekämpfung der Vierten Sturmdivision beschäftigt oder fliegt Einsätze gegen das 30. Korps. Die durch den feindlichen Vormarsch notwendig gewordene Räumung mehrerer Einsatzflughäfen hat die Situation nicht gerade erleichtert.
Was ist mit Artillerie?“
„Artillerie ist auch kaum vorhanden, abgesehen von leichten Direktfeuerwaffen und einigen wenigen Mörsern und Granatwerfern.“
„Munition und Treibstoffreserven?“
„Kaum vorhanden. Mehrere Depots mussten aufgegeben oder gesprengt werden, eine Räumung war nicht möglich. Falls Sie Reserven haben sollten…“
„Machen Sie Witze?! Wir haben etwa anderthalb Gefechtssätze, nicht mehr. Vielleicht können wir einige Runden Salvenwerfer-Munition abgeben, aber ansonsten…
Infanterie?“
„Infanteriereserven sind ebenfalls kaum vorhanden. Die Garnison war bereits in den letzten Tagen unter Soll-Stärke und nach der letzten Nacht…
Ein Großteil unserer Soldaten ist mit der Sicherung des Stadtrandes gebunden oder sitzt in den verbliebenen Widerstandsnestern fest. Ich kann zwei Züge stellen. Für die verbliebenen Reservemannschaften fehlen uns Waffen, Ausrüstung und Munition.“, Oberst Golis fühlte sich zunehmend unwohl: „Wenn Sie ein paar Stunden warten…“
„Ich HABE keine paar Stunden. Was ich habe, ist die Weisung, dass Arta‘ bis heute Abend wieder in imperialer Hand sein muss.“, Atara richtete sich auf: „Sie können also weder Panzer, noch Artillerie, Luftunterstützung oder nennenswerte Munitions- und Treibstoffreserven zur Verfügung stellen. Und weniger als eine Kompanie Infanterie.
Und wie sieht es mit dem Kampfgeist Ihrer Soldaten aus?“
Oberst Golis öffnete den Mund: „Das…“, dann hielt er inne.
Die Kampfkommandantin presste die Lippen zusammen und nickte langsam: „Kaum vorhanden.“

Ein paar Augenblicke herrschte lähmende Stille. Dann richtete sich Majorin Atara auf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken: „Nun, dann muss es eben so gehen.
Nachricht an unsere Truppen auf der anderen Seite des Rijen. Auf Befehl hin sollen Sie einen Ablenkungsangriff starten. Wenn möglich sind noch bestehende Widerstandsnester und Stellungen am Stadtrand auszuweiten, aber entscheidend ist es, die feindlichen Verbände beschäftigt zu halten. Ich will keine alliierten Verstärkungen auf meiner Seite des Flusses sehen.
Wenn ich recht informiert bin, konzentriert sich der Feind auf dieser Seite des Rijen vor allem in der Nähe der Brücke sowie im Bereich des Bahnhofs.“
„Das sind die Stellungen, die wir aufklären konnten. Darüber hinaus vermuten wir Blockstellungen hier, hier und hier, um die Zugänge zu den strategisch wichtigen Punkten abzusichern. Und wahrscheinlich Vorposten am Stadtrand, um unsere Truppenbewegungen im Auge zu behalten sowie als Artillerie-Beobachter.“
„Was denn für Artillerie? Soweit ich informiert wurde, handelt es sich beim Gegner um Guerillas, Luftlandetruppen und vielleicht einige durch unsere Linien geschlüpfte Kommandos. Abgesehen von ein paar Granatwerfern…“
Major Varran räusperte sich. Die folgenden Worte mussten für den Artilleriebefehlshaber von Arta’Rijen einem Schuldeingeständnis gleichkommen: „Wir können nicht ausschließen, dass der Feind einige unserer schweren Waffen intakt in die Hände bekommen hat.“
„Natürlich, wie konnte ich diese Möglichkeit vergessen…
Entspannen Sie sich Major, ich will Sie nicht auffordern, sich in Ihr eigenes Schwert zu stürzen. Wenn wir das so handhaben würden, hätten wir nicht mehr genug Offiziere. Außerdem…“, Ataras verzerrtes Grinsen vertiefte sich: „…irgendjemand muss dieses chaotische Sammelsurium kommandieren, das momentan unseren Artilleriepark bildet.
Soviel ich weiß, gibt es in diesem Drecknest nur wenige Straßen, die breit genug sind, damit mehrere Panzer nebeneinander fahren beziehungsweise ein Kampfwagen problemlos wenden kann. Namentlich hier – und auf der Hauptachse, die zur Brücke führt.“
Eine Hauptfrau der Garnisonsinfanterie räusperte sich: „Dazu kommen noch die Straße Nr. 24 und die Tempelallee…hier. Aber die verlaufen durch die Außenbezirke der Stadt und ich fürchte…“
„Wir haben sowieso nicht die Kräfte, um auf vier Straßen gleichzeitig vorzurücken. Also bilden wir zwei Angriffskeile mit jeweils zwei Kompanien Infanterie und einem von Ihren Infanteriezügen, Golis. Das macht ihren Leuten hoffentlich Mut genug, dass sie nicht gleich beim ersten Auftauchen einer Glatthaut in Deckung hüpfen.
Jeder Angriffskeil besteht also aus etwas mehr als 300 Mann, leider nur partiell mechanisiert. Und jeweils einem Zug Krat-Kampfpanzer.
„Was ist mit ihren Chu’kara-Panzern?“, warf Golis ein, der die Kritik an der Moral seiner Soldaten ignorierte. Leider hatte Atara nämlich keineswegs Unrecht…
„Die Schweberpanzer bilden unsere mobile Reserve. Ihre Raketen-Primärbewaffnung ist im Stadtkampf ohnehin nicht sehr effektiv. Und ihre überlegene Geschwindigkeit bringt auch nicht viel. Außerdem brauche ich sie und einen Teil der Schützen- und Spähpanzer, um unsere unterstützende Artilleriestellung zu sichern…Hier.“
Oberst Golis warf Major Varran, der nur zu begierig schien, die Scharte der letzten Nacht auszuwetzen, einen warnenden Blick zu und räusperte sich: „Ich rate beim Einsatz der Artillerie zur Vorsicht. Abgesehen von der Gefahr, unsere verbliebenen Widerstandsnester zu treffen, sollten wir Arta’Rijen so intakt wie möglich zurückerobern.“

Der ‚Seid-nett-zu-den-Aliens‘-Doktrin des verstorbenen Kriegsministers folgend hätte Golis vermutlich auch darauf hinweisen sollen, dass sich wahrscheinlich immer noch hunderte wenn nicht tausende peshtische Zivilisten im Stadtgebiet aufhielten. Aber das war ihm im Augenblick herzlich gleichgültig – und Majorin Atara ganz bestimmt auch.

Die Kampfkommandantin schnaubte abfällig: „Mir ist eine brennende Stadt in meiner Hand lieber als eine unversehrte in den Händen des Feindes. Die Brücke hält ein paar Schläge aus und Straßen kann man wieder frei räumen. Was ich jedoch nicht kann, ist einen Kuchen backen, ohne ein paar Eier zu zerbrechen. Aber wir werden uns bemühen…“
„Und was wollen wir mit diesem Angriff erreichen? Wir müssen mit mindestens eintausend feindlichen Guerillas, Spezialeinheiten, Luftlandetruppen und ehemaligen Kriegsgefangenen rechnen. Mit siebenhundert imperialen Soldaten, ein paar Panzern und Schützenpanzerwagen…“
„…werden wir die Barbaren zu Paaren treiben. Unser Feind verfügt weder über ausreichend Munition noch über schwere Waffen oder einen echten Zusammenhalt. Wenn wir gleichzeitig und entschlossen an mehreren Stellen angreifen, haben wir die Chance, den Gegner zu isolieren und seine Stellungen zu überrennen. Außerdem bezweifle ich, dass es tatsächlich so viele sind. In der Dunkelheit haben ihre Leute vermutlich doppelt gesehen.
Sie fragen, was ich erreichen will? Ich will den Feind suchen, ihn aufstöbern und ihn vernichten. Ich will die Glatthäute und ihre dreiäugigen Lakaien Luftblasen spucken sehen, wenn ich sie im Rijen ersäufe. DAS ist mein Ziel.
Sonst noch Fragen oder Anmerkungen? Nicht?
Gut. Lassen wir den Männern und Frauen noch eine halbe Stunde zum Essen und Ausruhen. Dann geht es los.“



Geschrieben von Ace Kaiser am 18.01.2022 um 22:44:

 

Nach dem obligatorischen Besuch beim Arzt, bei dem ich, was nach einer Ladung Verwundeter per Shuttle verständlich ist, ein wenig warten konnte, kümmerte sich Doktor Pfeiffer persönlich um mich.
Der Mann, der mir das Leben gerettet hatte, untersuchte mich kurz, aber gründlich, um mir anschließend genug Gesundheit zu bescheinigen, um weiter intelligente Lebewesen zu töten. Bedeutete, ich war diensttauglich geschrieben. Danach begleitete mich meine MP zum Geheimdienst, der, während ich auf der Krankenstation gewesen war, insgesamt fünfmal angefragt hatte, wo ich denn bliebe. Wohl ein Grund, warum sich der Doc für mich losgemacht hatte. Warum mich die Schlapphüte, die Ohka im Krankenbett interviewten, wo er am Tropf hing, nicht gleich mit befragten, wusste der Henker.
Ich wurde im Geheimdienstbereich auch gleich in das klassische Verhörzimmer mit dem einseitig verglasten Spiegel geführt. Höflich wie ich war, winkte ich in Richtung der unsichtbaren Zuschauer, bevor ich mich der Anweisung fügte, Platz zu nehmen und auf den Spook zu warten, der mich befragen würde. Immerhin, mir wurde Kaffee angeboten, so schlecht konnte mein Status nicht sein.
Jones wartete draußen auf mich. War klar, dass die Schlapphüte keine Störungen wollten, sich aber gerne der MP versicherten, wenn sie Hilfe brauchten.

Ich wurde etwa zwei Minuten schmoren gelassen, dann betrat ein Corporal mit meinem Kaffee das Verhörzimmer und servierte ihn perfekt. Gut, ich war in diesem und in seinem Pendant an Bord der REDEMPTION ja auch schon ein paarmal gewesen, und der Geheimdienst hatte mich eine sehr lange Zeit abgehört, bis mein „Vater“, Commander Bayonne, dem einen Riegel vorgeschoben hatte. Oder die Wanzen wurden jetzt besser versteckt, jedenfalls fand ich keine mehr in meinem Quartier und in meinem Büro.
Danach betrat eine First Lieutenant im Khaki-Anzug des normalen Schiffsdienst den Raum. Einzig, sie trug einen Rock, das unterschied sie von den meisten Frauen, die zum Beispiel auf der Brücke Dienst taten. Auf ihrem Namensschild stand Claris. Sie musste neu an Bord sein.
Ich erhob mich. „Ma'am.“
„Miss“, erwiderte sie. Blonde Haare, blaue Augen, ein schmales, gleichmäßiges Gesicht mit guter Symmetrie und hohen Wangenknochen, die Bluse der Uniform eine Spur zu eng, um das, was sie an Oberweite hatte, etwas stärker zu betonen, ohne dass sie Knöpfe geöffnet gehabt hätte, dazu der eng anliegende Rock und die nicht unattraktiven, langen Beine, die daraus hervor kamen, waren ein schöner Anblick. Sie setzte sich, legte ihr Pad auf den Tisch und sah mir in die Augen. „Commander Davis. Ich habe den Bericht überflogen, den Sie geschrieben haben, während sie auf der Krankenstation gewartet haben. Erwarten Sie ernsthaft, dass wir ihnen das abkaufen sollen?“, tadelte sie.
Irritiert runzelte ich die Stirn. „Ich habe für jede Minute, die ich auf dem Planeten verbracht habe, einen Zeugen. Ich war nie verschwunden, geschweige denn lang genug unbeobachtet, um ausgetauscht, oder auf unbekannte Weise umgedreht zu werden, Lieutenant. Aber wenn Sie auf die alte Sache anspielen wollen, ich sei im Camp Hellmountain gegen einen Akarii ausgetauscht worden, dann ...“
„Das hat man über Sie gesagt?“ Amüsiert zog sie eine Augenbraue hoch.
„Ich wurde in der Richtung befragt und untersucht, kaum dass ich mit Admiral Alexander vom Planeten hoch auf die COLUMBIA gekommen war.“
„Und das hat tatsächlich jemand geglaubt?“ Sie schien amüsiert zu sein, aber auch fassungslos.
„Ob man es geglaubt hat oder nicht, es war eine Option auf dem Tisch. Ich an der Stelle der Geheimdienstler hätte zumindest alles getan, um es auszuschließen.“
„Und, Commander Davis, konnte man es ausschließen?“
Ich erwiderte ihr burschikoses Grinsen. „Ich bin einhundert Prozent Naturzucht Mensch, Lieutenant.“
Ihr Lächeln verlor sich. „Zurück zum Wichtigen. Sie schreiben, Sie wurden abgeschossen stürzten hinter den feindlichen Linien nahe eines Waldes ab und dort hat sie Major Bogenas, der Anführer einer versprengten Teilstreitkraft der Peshten, aufgegabelt und in seine Widerstandsgruppe integriert. Soweit richtig?“
„Ja, Miss Claris.“
Si escrollte auf ihrem Pad weiter. „Ab hier wird es extrem unglaubwürdig. Wir haben hier die Meldung eines Funkspruch, der lautet: Ace alive. Daraufhin gingen wir davon aus, das ist ein Lebenszeichen von ihnen, Commander.“
„Ja, Miss, auch das ist richtig. War übrigens mein Vorschlag.“
„So, so. Und nachdem Bogenas Sie aufgegabelt hat, integrierte er Sie in seine Kampftruppe, und Sie haben die nächsten fünf Tage damit verbracht, mit einem Panzerabwehrgewehr, was immer das sein mag, drei Fahrzeuge, einen leichten Panzer und neun Akarii abzuschießen. So steht das zumindest hier.“
Ich griff in die Brusttasche meines Anzugs und zog ein kleines schwarzes Büchlein hervor. „Hier, mein Schießbuch. Ich habe jeden einzelnen Schuss dokumentiert, den ich durchgeführt habe, sowie die Ziele. Die Treffer habe ich schriftlich bestätigen lassen. Außer für die Nacht des Angriffs auf Arta'Rijen.“
„Denken Sie nicht, dass es etwas viel ist, was Sie da abgeschossen haben wollen, Davis?“, fragte sie, erneut die Augenbraue hoch ziehend. „Sie waren da nicht mal eine Woche auf der Welt, von Verletzungen beim Abschuss wollen wir gar nicht reden.“
„Ich habe das bis auf ein paar Prellungen und einen schmerzenden Rücken gut weggesteckt. Und die peshtischen Versorger, die die Guerillas unterstützen, haben extrem gute Massagehände. Ich war dann sehr schnell wieder fit genug, um ein Gewehr auszurichten. Zudem steckten wir mit unserer Einheit mitten in einem Aufmarsch von Unterstützungskräften für den kaiserlichen Großangriff und haben die hinteren Wege gesäubert. Wir und noch fünf weitere Einheiten im Sektor. Es war relativ viel Verkehr, und wir konnten ein paarmal erfolgreich angreifen.“
Sie nahm das Schießbuch entgegen, durchblätterte es und sah wieder zu mir herüber. „Es gibt keine Einträge über Arta'Rijen.“
„Die Seiten musste ich raus reißen“, entgegnete ich. „Das Gewehr wurde an eine peshtische Kommandoeinheit verliehen, und ich gleich mit. Alles, was ich mit der Truppe erlebt habe, unterliegt der peshtischen Geheimhaltung. Solange die Peshten mich nicht davon entbinden, kann ich darüber nichts erzählen, vor allem nicht, Entschuldigung, Miss, einem kleinen Lieutenant.“
„Geheime Kommandoeinheit?“ Sie blätterte durch ihr Pad. „Pashka-Neun war in der Gegend aktiv, als einzige.“
„Pashka-Vier“, rutschte es mir raus. Natürlich war ich nicht wirklich verpflichtet, den Namen geheim zu halten, aber ich sah jetzt auch nicht ein, diesen Teil meiner Erlebnisse jedem Trottel - sorry, Miss Claris – auf die Nase zu binden, wenn Pashka-Viers Existenz auch davon abhing, dass nicht jeder wusste, wo die kleine, aber feine Truppe war, und wo sie gewesen sein konnte.

„Pashka-Vier also.“ Sie machte eine Notiz auf ihrem Pad. „Sehr umtriebige kleine Gruppe. Hat eine unserer Leute zugeteilt bekommen, als die Akarii die Front überrannt haben. Versteckten sich in den Sümpfen und sind damit hinter die Linien gekommen.“
Ich ließ das unkommentiert. Ein billiger Sieg musste reichen.
„Hören Sie, Davis, es ist löblich, dass Sie sich für Pashka-Vier einsetzen, aber Sie sind schneller hier wieder raus, wenn Sie kooperieren und gleich alle Karten auf den Tisch legen. Zum Beispiel, waren Sie wirklich der Spotter für Lieutenant Marcus, als dieser eine SAM-Rakete zerstört hat?“
Widerwillig musste ich zugestehen, dass es an Bord einen Bericht geben musste, der lange vor mir angekommen war. „Ja, Miss. Das war ich.“
„Dann haben wir doch schon einige wichtige Dinge geklärt. Zum Beispiel, dass Sie mir nichts verraten, wenn es um Pashka-Vier geht. Also, können wir dann richtig in die Nachbesprechung gehen, und wir müssen das Ganze nur einmal durchkauen, oder versteifen Sie sich auf ihre Loyalität gegenüber einer peshtischen Kommandoeinheit?“
„Können Sie mich nicht einfach mit einer Wahrheitsdroge vollpumpen, und ich gestehe Ihnen im Halbschlaf alles, was ich weiß?“, fragte ich ironisch.
„Das wurde diskutiert, Commander, und einige im Team hielten das für eine gute Idee. Leider kam eine Depesche der Admirälin rein, kurz bevor ich das Verhörzimmer betreten habe, und darin stand, dass wir Sie so schnell wie möglich für den Dienst freigeben oder direkt einkerkern sollen. Man braucht den Blauen Staffelführer. Also, Davis, wie sieht es aus? Können wir dann richtig reden?“
„Und das wird wie aussehen?“
„Ich rufe den Ablauf ihres Planetenaufenthalts auf und Sie nicken oder schütteln den Kopf, wenn ich ein Ereignis hervor hebe. Okay?“
„Was bleibt mir anderes übrig?“, brummte ich. Diese verdammten Schlapphüte. Ich musste mir eingestehen,dass sie vermutlich bereits alles wussten, was während meiner Missed in Action-Zeit passiert war. Wahrscheinlich konnte ich wirklich nur noch nicken oder mit dem Kopf schütteln.
***
Das Verhör dauerte etwa zwei Stunden, was weit weniger Zeit war, als ich erwartet hatte. Das Verhör war dementsprechend auch glimpflich verlaufen, wenngleich Lieutenant Claris akribisch all meine Kampfaktivitäten zu verifizieren versuchte, über die sie nicht nur aus meinem Bericht wissen konnte. Vor allem der Nachtangriff auf Arta'Rijen interessierte sie, und sie zwang mich förmlich dazu, zuzugeben, dass der Fehlschuss auf die Gasflasche hinter dem Zelt Drehh, der stellvertretenden Kommandantin von Pashka-Vier beinahe das Leben gekostet hätte, auf meinen Befehl ausgelöst worden war.
Danach ging es wesentlich gelöster zu, und nach besagten zwei Stunden kamen wir zu einem Ende. Mit einigen Scherzen und einem gespielten Schlag für eine freche Erwiderung gegen meine Schulter ließ sich mich dann gehen, nicht ohne mir ihren Vornamen zu verraten, der Dolores lautete, was ich wiederum alsVerbrechen ihrer Eltern empfand, aber es sicherheitshalber zu Dolores Claris nicht sagte. Sicherheitshalber behandelte ich sie so, als wäre das Verhör noch nicht vorbei und blieb höflich-distanziert, auch wenn sie über meine schlechten Witze lachte.

Danach konnte ich Private Jones entlassen, die treu vor der Tür gewartet hatte. Nachdem der Geheimdienst mir die Freigabe gegeben hatte, musste ich nicht mehr bewacht werden.
„Das passt. Ich habe gleich Dienstende. Sir.“ Sie nickte mir zu. „Private“, erwiderte ich mit dem gleichen Nicken. Dann drehte sie sich um und verschwand im Gang. Ich wandte mich ebenfalls um und ging in die andere Richtung zur Pilotensektion, die natürlich näher am Hangar lag als die Zentrale.
Mein Wiedersehen mit Chip verzögerte sich, da auf Patrouille. Stattdessen erwartete mich ein Wust an Arbeit, zu der mein Stellvertreter augenscheinlich nicht gekommen war. Und da ich natürlich noch nicht wieder auf dem Flugplan stand, beschloss ich, den zuerst auf die Reihe zu bringen und mich zwei Schichten später selbst einzutragen. Den Rest dieser Schicht würde ich die Büroarbeit aufarbeiten, die nächste Schicht schlafend verbringen. Danach würde mich der willkommene Alltag der COLUMBIA wieder haben. Aber ausgeruht und gestärkt. Hoffentlich.
Und ich erwartete, meinen Piloten zu begegnen, zumindest jenen, die weder draußen waren, noch ihre Ruhephase hatten.
***
Second Lieutenant Starry Wong von den MP sah Lieutenant Commander Shanks noch einmal an. Der Commander trug eine schmucklose Fleckentarnuniform der Marines ohne Rangabzeichen, volle Gefechtsrüstung, ein Seitengewehr, Pistole im Holster und volles Marschgepäck. „Ich weiß, ihre Infanterieausbildung ist ein wenig her, Commander, aber es ist nicht schlecht, wenn Sie sich gerade jetzt an die wichtigsten Details erinnern.“
„Ich glaube, ich werden ihnen wenig Sorgen machen, Commander. Ich gehe regelmäßig schießen und beherrsche Karate zum Braunen Gürtel und den ersten Dan in Aikhido. Außerdem halte ich mich fit.“ Amüsiertheit schlich sich in seine Züge. „Außerdem habe ich vor, ihre Anweisungen silbengenau zu befolgen, damit Sie uns beide wieder lebend auf die COLUMBIA bringen.“
„Das ist genau das, was ich hören will“, sagte Wong, „und ich hoffe sehr, das war kein Lippenbekenntnis, denn ich habe vor, Sie wieder zurückzubringen, und das nicht in der Verwundetenbay eines Shuttles.“ Auch die MP trug eine volle Ausrüstung ohne Rangabzeichen. Man sagte, Arta'Rijen war noch heiße Zone, obwohl die Hauptstraßen fest in terranischer Hand waren, und ein Angriff konnte nur noch wenige Tage, wenn nicht Stunden ausbleiben.

Im Prinzip war es Wahnsinn, da unten runter zu fliegen. Aber als das JAG-Büro ins Büro der MP gekommen war, um das Anliegen vorzutragen – Kriegsverbrecher auszusortieren, die heute auf Akarii schossen und morgen auf Kameraden, das taten diese enthemmten Bestien statistisch nämlich viel zu oft, hatten beide Büros die ganze Sache durchgesprochen. Natürlich musste der Funkserver ebenso wie der Videoserver der Bodycams gesichert werden, bevor jemand da unten deutlich genug zur Ruhe kam, um auf den Gedanken zu kommen, brisantes Material zu löschen. Es sollte daher nicht allzu schwer sein, vom Landehafen zu Schlüters HQ durchzukommen und dort mit der Autorisation des JAG-Büro eine Kopie als Beweismittel anzulegen. Schwieriger war es bei den Datenträgern, die Mordred, der geheimnisvolle Informant, in der Näher der „Baracke“ zurückgelassen hatte. Der andere Vorschlag von Mordred, nach aktiven zivilen Kameras zu suchen und deren Aufzeichungsgeräte zu sichern, hatte man im MP-Büro schnell verworfen. Zu aufwändig, zu gefährlich. Und vor allem wollte man Schlüter und ihrem Korps nicht zu viel unnötige Arbeit bereiten, sonst kam noch jemand auf die Idee, den Commander in Richtung eines feindlichen Scharfschützen zu schicken.

Schlussendlich und angesichts der Tatsache, dass die Kampflage schlechter und nicht besser werden dürfte, hatte man sich gemeinsam dazu entschlossen, nur den Chip vom Blockhaus zu holen und die Datenbank in Schlüters HQ-Shuttle zu ziehen. Zugleich sollte die Anweisung gegeben werden, dass nach dem Einsatz sämtliche Bodycams zum Auslesen beim JAG vorgelegt wurden, aber das war eigentlich nur eine Farce, eine Ablenkung, um sowohl die Täter als auch ihre aktiven und passiven Unterstützer abzulenken. Alles in allem würden sie Mittags am Rijen runterkommen, nicht mehr als fünf, höchstens sechs Stunden auf der Oberfläche verbringen und mit dem nächsten Transport, der Zivilisten oder Verletzte ausflog, die Stadt wieder verlassen. Wenn sie schneller waren und Zeit damit verplemperten, auf den Start der Shuttles zu warten, warum nicht?
Letztendlich hatte es sich nur noch darum gedreht, wer gehen sollte. Sergeant Spencer, ein Mp wie aus dem Lehrbuch, groß, bullig, Ringer, Boxer, Bodybuilder, hatte sich sofort bereit erklärt, mit runter zu gehen, aber genauso gut hätten sie auch Shanks eine Zielscheibe auf den Rücken schnallen können. Also hatte Starry sich gemeldet. Sie war mit eins siebzig keine kleine Frau, aber auch keine große, sie hatte genug Kampferfahrung bei den Marines gesammelt, bevor mit dem Offizierslehrgang der Reserve auch ein Wechsel der Waffengattung stattgefunden hatte. Klein, flink, schnell und gut mit der Waffe. Zudem gewohnt, für jemanden den Babysitter zu spielen. Das war Starry Wong. Für das JAG würde Shanks gehen. Das wollte er sich nicht nehmen lassen, und niemand sonst aus dem Büro sollte das Risiko für „seinen“ Fall übernehmen. Starry fand das entweder mutig, oder leichtsinnig. Sie würde herausfinden, was es bei Shanks war.
„Also, Gordon“, sagte sie, „die Shuttles, die die Verletzten hoch gebracht haben, starten gleich mit den neu zusammengezogenen Marines von den aufgelösten Einheiten. Wir reihen uns bei ihnen ein, ich habe sichergestellt, dass Platz für uns ist, ohne dass kämpfende Leute an Bord bleiben und wir Schlüter einen Kämpfer wegnehmen.“
„Wollten wir nicht die Jumpseats der Cockpits benutzen?“, fragte Shanks.
„Das hätten wir getan, wenn unter den Marines kein Platz gewesen wären. Vermutlich werden wir das für den Rückflug tun müssen. Dann teilen wir uns auf und sitzen in verschiedenen Shuttles im Cockpit. Das bedeutet dann aber auch, dass wir beide überlebt haben, sonst könnten wir uns nicht aufteilen.“ Ein Gong erklang. „Also gut, Gordon, es gilt. Folgen Sie mir. Ihre kurze Karriere als Infanterist der Marines beginnt genau jetzt.“

Die beiden betraten den Shutttlehangar, in dem mehrere der gepanzerten Gefährte bereit standen. Vor ihnen saßen Marines in vollem Marschgepäck auf dem Boden und warteten auf das Signal zum einschiffen. Wong nickte einem Captain zu, und der nickte zurück. Daraufhin setzten sie sich in die hinterste Reihe „seiner“ Marines. Kurz darauf kam der Befehl „Auf, Marsch, Marsch“, und die Infanteristen erhoben sich, um in geordneten Reihen das ihnen zugewiesene Shuttle zu betreten. Wong und Shanks waren irgendwo dazwischen, kamen an Bord, nahmen wie alle das Marschgepäck ab, setzten sich auf die Bänke und schnallten sich an. Kurz nach der Freigabe durch den Lademeister sprang die Bereitschaftsanzeige auf grün und das Shuttle hob ab. Die nächste halbe Stunde lagen ihre Leben nicht in den eigenen Händen. Danach, wusste Starry, lagen ihrer beider Leben allein in ihrer Hand. Um das zu gewährleisten, hatte sie die allerneuesten Luftaufnahmen studiert und den Weg vom Landeplatz im Park erst zum HQ, und dann zum Blockhaus am Fluss genau studiert. Auf ihrem Pad war zudem die letzte aktuelle Karte digitalisiert, darauf eingetragen die Stellungen der Marines und jene der Widerstandsnester, die noch immer existierten. Sie traute es sich zu, sie beide zu den zwei Positionen zu bringen und zurück zu den Shuttles, selbst wenn es ihnen nicht gelang, einen fahrbaren Untersatz zu ergattern. Dazu hatte sie ein aktuelles Codebook, mit dem sie beide an den aktiven Stellungen vorbei oder sogar hinein kommen würden, alles frisch aus der CIC der COLUMBIA. Falls sie nicht einem feindlichen Scharfschützen vor die Flinte liefen, oder einer der eigenen Leute auf sie schoss, war die Sache machbar. Solange sie dafür da war, sie am Leben zu halten, und er dazu da war, die Beweismittel zu sichern.
Ein Ruck ging durch das Shuttle, als es auf die Atmosphäre aufschlug. Nun würde es nicht mehr lange dauern. Merkwürdigerweise spürte sie nur wenig Angst, aber dafür die vertraute Aufregung kurz vor dem Einsatz. Mit ein wenig Glück würden sie wieder weg sein, bevor es da unten wieder richtig heiß wurde. Vielleicht mit etwas mehr Glück.



Geschrieben von Cattaneo am 29.01.2022 um 14:45:

 

Die Stunde der Elefanten I

Arta’Rijen, ca. zwei Tage nach Beginn der Operation ,Markat‘, gut zwölf Stunden nach der Landung der Terraner

Majorin Ariane Schlüter war wahrhaftig eine vielbeschäftigte Frau. Schließlich hatte sie nicht nur den Einsatz ihrer ,Brigade‘ zu koordinieren, sondern zugleich die Zusammenarbeit mit dem bunten Sammelsurium an verbündeten Einheiten. Ehemalige Kriegsgefangene und Guerilla sowie einige Freiwillige unter den verbliebenen Einwohnern und Flüchtlingen waren so gut es ging in Verbände gegliedert und in die Verteidigungsfront der Terraner integriert worden. Und manchmal ging das eben NICHT gut. Zwar hatten die Armeeführung der Konkordats kategorische Anweisung erlassen, dass die lokalen Guerillagruppen sich der Verteidigung von Arta’Rijen unterstellen sollten. Ihr Nutzen im freien Gelände war schließlich sehr begrenzt, außer als kurzfristige Ablenkung und minderes Ärgernis für die Imperialen – im Moment galt sicherzustellen, dass Operation Markat glückte.
Aber bei weitem nicht jeder Partisanenkommandeur schien willens, den Befehl auszuführen – oder erwies sich zumindest als schwieriger Untergebener. Das peshtische Oberkommando hatte ebenso rasch wie pragmatisch reagiert und dem ranghöchsten Verbindungsoffizier der Brigade, Major Tash, den Brevet-Rang eines Lieutenant-Colonels und Schlüter gar den Rang eines Colonels verpasst. Damit waren sie jedem tatsächlichen oder selbsternannten Guerillakommandeur der Region vorgesetzt. Aber so ganz perfekt schien das immer noch nicht zu funktionieren.
,Ich hoffe, ich muss keinen dieser selbsternannten Majore oder was auch immer erschießen lassen.‘
Und schließlich waren da noch die Arbeitskommandos, die von Offizieren des Konkordats unter den Zivilisten aufgestellt worden waren. Sie waren auch da sehr pragmatisch verfahren – die Angehörigen von Familien, aus denen sich ein arbeitsfähiger Mann oder Frau zur Verfügung stellte, wurden bevorzugt aus der Stadt evakuiert. So verfügten die Brigade und ihre Verbündeten zumindest über ausreichend Hilfskräfte für den Stellungsbau, Verwundetentransport und ähnliche manuelle Aufgaben. Es stellte sich natürlich die Frage, wie weit man den Peshten trauen konnte.
Auch sonst gab es Probleme. Die befreiten Kriegsgefangenen und vor allem Guerilla taten sich schwer, Teile ihrer Ausrüstung abzugeben – mochten dies nun Fahrzeuge oder schwere Waffen sein. Schlüter hatte einige Male zurückstecken müssen, schließlich wollte sie nicht, dass Tash sich allzu unbeliebt machte, wenn er ihren Standpunkt vehement unterstützte. Das gemischte Peshtenbataillon, das der frischgebackene ,Lieutenant-Colonel‘ inzwischen kommandierte, war noch stärker zusammengewürfelt und improvisiert als die ohnehin recht heterogenen Einheiten von Schlüters Brigade. Sie hatte so ihre Zweifel, dass es wirklich einsatzbereit war. Aber im Moment blieb gar keine Wahl, als zusammenzukratzen, was eben ging.

Wenigstens standen ausreichend leichte Infanteriewaffen und Munition zur Verfügung, zumindest vom Schnellfeuerlaser an abwärts. Auch Lebensmittel waren reichlich vorhanden, wenngleich weniger dank menschlicher Planung und Logistik – da sah es ziemlich mies aus, vor allem falls die Ankunft der Konkordatsstreitkräfte länger als geplant auf sich warten lassen würde. Vielmehr war einiges an Material in imperialen Kasernen und Vorratslagern erbeutet worden. Akarii-Rationen waren für Menschen und Peshten zumindest notdürftig verwendbar, Güter wie Schokolade und Tabak oder deren Ersatz galten sogar bei einigen als hochwertig. Zudem waren die Echsen ohnehin gezwungen gewesen waren, auf einheimische Produkte zurückzugreifen. Deshalb wurde die Ausbeute gesichtet und kategorisiert – je nachdem, was man wem vorsetzen konnte, ohne gesundheitliche Folgen (oder eine Meuterei) zu riskieren. Vorsorglich hatte Schlüter zudem strickte Order erlassen, dass Peshtenzivilisten bei ihrer Evakuierung alles an Verbrauchsgütern abzuliefern hatten, namentlich Lebensmittel und Medikamente. Requirierungskommandos aus einigen wenigen Terranern der rückwärtigen Dienste und zivilen Arbeitern plünderten systematisch die örtlichen Supermärkte, namentlich alle Regale und Lagerhallen mit haltbaren Produkten. Es kursierten bereits Witze, dass ein Koch seinen Soldaten Gulasch aus Fleischkonserven serviert hatte, die eigentlich für einheimische Haustiere gedacht gewesen waren…
Die Brigadekommandeurin ließ darüber hinaus sämtliche Apotheken und Arztpraxen in ihrem Einflussbereich ausräumen. Sie handelte weniger aus direkter Not oder weil sie sich auf eine lange Belagerung vorbereiten wollte – ihre Handvoll Soldaten würden das wohl kaum lange überstehen.
Aber Schlüter dachte voraus – wenn die Vierte Sturmdivision ankommen würde, war anzunehmen, dass es um ihre Versorgung nicht zum Besten stand. Und deshalb erschien ratsam, vorsorglich etliche tausend Rationen bereitzuhalten die schnell verteilt werden konnten, Quartiere für abgekämpfte Soldaten vorzubereiten – und Behelfskrankenhäuser, in denen die Verwundeten warten konnten, bis das 30. Korps eingetroffen war oder ein Shuttleflug in die Sicherheit möglich war. Diese Arbeiten machten tatsächlich gute Fortschritte. Die Stadt war von den Peshten so schnell aufgegeben worden, anschließend von den Akarii nur unvollständig ausgeplündert und dann so rasch an die Terraner gefallen, dass sich immer noch viel Material finden ließ, und Platz war natürlich ebenfalls genug da.
Selbstverständlich war an eine flächendeckende funktionierende Strom- und Wasserversorgung nicht zu denken, diese war nach der Besetzung durch das Imperium weitgehend zusammengebrochen. Aber nach Jahren des Krieges verfügte alle relativ frontnahen Konkordatsstädte über eine Anzahl redundanter Noteinrichtungen, die in den einzelnen Stadteilen für den Fall feindlicher Luft- und Raketenangriffe zumindest eine grundlegende Versorgung sicherstellen sollten. Die Kaiserlichen hatten diese Notsysteme für eigene Zwecke genutzt und dies kam jetzt ihren ,Nachmietern‘ zugute.

In anderer Hinsicht sah es düsterer aus. Schwere Waffen waren knapp, und auch mit Fahrzeugen war man nur dürftig ausgestattet. Natürlich hatten die Peshten auf ihrer Flucht von den Imperialen die meisten Transportmittel mitgenommen.
Die Evakuierung der verbliebenden Zivilisten war ein zusätzliches logistisches Problem. Da sich weit über 5.000 Männer, Frauen und Kinder in Arta’Rijen aufhielten – so genau kannte keiner die Zahl – zog sich der Abtransport hin. Die Angst unter den Einheimischen war förmlich spürbar, nicht zuletzt wegen der Luftangriffe der Angry Angels und der Furcht vor einem imperialen Gegenangriff. Schlüter hatte festgelegt, dass Verwundete – Peshten wie Terraner ohne Unterschied – zuerst ausgeflogen wurden, dann kamen die Gefangenen an die Reihe, und zuletzt unverletzte Zivilisten. Das war den verängstigten Einwohnern freilich nur schwer zu vermitteln.
Und so drängten sich viele Zivilisten im Herzen des Landungskopfes, zwischen Bahnhof und Ai’Shan-Park, in der Hoffnung rechtzeitig mit einem Shuttle ausgeflogen zu werden. Die wenigen verfügbaren peshtischen und terranischen Sicherheitskräfte hatten Mühe, die Lage unter Kontrolle zu halten. Man konnte schließlich nicht erwarten, dass sie zu robust gegen angsterfüllte Frauen und Kinder vorgingen…
Die Evakuierung der Zivilisten würde wohl noch mindestens einen Tag dauern.

All dies war wahrlich ausreichend, um graue Haare zu bekommen. Doch nicht genug damit, gab es offenbar immer noch Leute, welche die feste Absicht hatten, ihr zusätzlich Probleme zu bereiten. Und damit waren nicht einmal nur die Kaiserlichen gemeint. Wie sie erfahren hatte, schnüffelten ein JAG-Anwalt und seine ,Kettenhündin‘ tatsächlich im Landungskopf herum und hatten es sogar geschafft, sich Zugang zum HQ zu verschaffen.
,Es ist wirklich unfassbar. Ich mühe mich ab, mit meinen paar Leuten eine zehn Kilometer lange Front ohne ausreichend Waffen zu sichern und tausende Zivilisten zu evakuieren, und diese Idioten haben nichts Besseres zu tun, als meine Leute von der Arbeit abzuhalten!‘
Natürlich war das ungerecht. Viele Angehörige des JAG leisteten tatsächlich gute Arbeit und kultivierten ein gutes Betriebsklima. Sie kooperierten mit ihren Offizierskollegen und sogar dem NIC, wofür man weiß Gott fast schon die Geduld eines Heiligen brauchte, standen den Soldaten in juristischen Fragen bei – und sie hatten im Laufe der Jahre auch gelernt, dass man die Buchstaben des Gesetzes nicht immer ganz genau nehmen durfte. Egal wie die eigene Position aussah, mitunter musste man nun einmal Kompromisse machen, aus Pragmatismus, im Sinne des Gefechtsauftrages. Spätestens seit den Kämpfen im Graxon-System hatte sie diese Lektion verinnerlicht.
Aber manche beim JAG realisierten offenbar selbst nach mehr als einer halben Dekade Krieg nicht, dass ihre Hauptaufgabe darin bestand, der Truppe zu helfen. Nicht aber von gesundem Menschenverstand unbeleckt in der Feuerlinie herumzuturnen und den Prinzipienreiter um jeden Preis zu spielen. Aber vermutlich mussten sie sich mit Gewalt von der eigenen Relevanz überzeugen.
,Das kommt davon, dass diese Typen seit Jahren nicht mit der Nase im Dreck gelegen haben, wenn überhaupt jemals. Sobald Männer und Frauen mit verbrannten Gesichtern wimmern wie kleine Kinder, mit zerfetzten Gedärmen wie Tiere heulen, sehen die Dinge eben anders aus als von der sicheren Perspektive hinter einem bequemen Schreibtisch.‘
Natürlich hatte sie es sich versagt, persönlich etwas zu unternehmen. Ihre Verpflichtung als Kommandeurin ließ das gar nicht zu. Aber sie hatte in einer Nachricht an die COLUMBIA und an den NIC klargemacht, was sie davon hielt, und dass sie dringend Aufklärung erwartete.
Es war jedenfalls zu erwarten, dass die Anwesenheit der Schnüffler sich im Laufe der Zeit herumsprechen – und bei den Soldaten natürlich nicht gut ankommen würde. Genau das, was ihr gerade noch gefehlt hatte.
,Irgendjemand sollte den JAG-Typen mal verklickern, dass wir verfickt nochmal im Krieg sind – und er im Moment nicht so gut läuft, wir um unser verdammtes Leben kämpfen!‘

Als Befehlshaberin gehörte Schlüter zu den wenigen, die permanent eine Transportmöglichkeit zur Verfügung hatte. Die meisten Soldaten und Offiziere mussten laufen, denn die erbeuteten Fahrzeuge wurden benötigt, um einerseits Material zu den Stellungen und deszentralen Versorgungsdepots im Innern des Landungskopfes zu schaffen und andererseits Verwundete, Gefangene und Zivilisten zum Ai’Shan-Park zu transportieren.
Ungeachtet dieser und anderer Probleme hatte sie es sich nicht nehmen lassen, einen Abstecher zur zentralen Reparaturwerkstatt der Imperialen zu unternehmen. Diese befand sich neben einem der Depots, die von den Besatzungstruppen eingerichtet worden waren. Die Kaiserlichen hatten bei ihrem Rückzug natürlich sämtliche fahrtaugliche Vehikel mitgenommen und versucht, in den Anlagen und fahruntauglichen Fahrzeugen Feuer zu legen. Aber da aus dem Rückzug schnell eine regellose Flucht geworden war, hielten sich die Schäden in Grenzen. Die Terraner hatten sogar ein halbes Dutzend Rad-, Ketten- und Schwebertransporter erbeutet, und auch eine schweres Pionierfahrzeug – geeignet als Baugerät wie als Bergepanzer – flottmachen können. Solche nicht kampftauglichen Maschinen zu zerstören hatte nicht an der Spitze der Dringlichkeitsliste der Kaiserlichen gestanden.
Die Reparaturwerkstatt bot sogar für eine Veteranin einen beeindruckenden Anblick. Die Militärfahrzeuge hatten durch das Feuer zumeist nur leichten Schaden genommen – und bildeten eine erlesene Sammlung. So waren allein drei schwere Kampfpanzer und ein Artillerieschweber sowie fast ein Dutzend leichterer Gefechtsfahrzeuge zurückgeblieben. Leider waren sie sämtlich weit von der Fertigstellung entfernt, ihre Munitionsmagazine waren leer, und sie hätten noch eine Menge Zeit und Ersatzteile benötigt, bevor sie wieder einsatzbereit waren. Die Ersatzteile waren zweifellos noch immer da – doch fehlten die geschulten Techniker, und mit Sicherheit auch die Zeit. Einige Konkordatssoldaten hantierten gerade an einem Midget-Radpanzer, der noch den besten Eindruck machte. Das Fahrzeug verfügte über einen vierrohrigen Raketenwerfer. Wenn es gelang, ihn einsatzbereit zu machen, würde er das wohl schwerste Stück Artillerie darstellen, über das die Brigade verfügte. Was einiges über ihre Situation aussagte…
Doch es sah nicht so aus, als ob die Reparatur so schnell abgeschlossen sein würde – immerhin verfügte das Gefährt im Moment nicht einmal über einen Motor, nachdem der Antrieb offenbar in einem früheren Gefecht durch ein Geschoss ausgeknockt worden war.

Dieser Ortstermin diente einerseits dazu, sich einen persönlichen Überblick von der Beute zu machen – jedes instandgesetzte schwerere Gefechtsfahrzeug würde die Schlagkraft der Marines deutlich verbessern. Es ging aber auch um Bilder für die peshtische, sekundär auch für die terranische Heimatfront, denn die Moral von Truppen und Zivilisten waren fast ebenso wichtig wie die materielle Ausstattung. Auch wenn die wenigsten Menschen Gamma Eridon auf einer Sternkarte gefunden hätten…
Die Majorin wusste, was sie sich schuldig war, und so trat sie ganz als die souveräne Siegerin auf, welche das zurückgelassene Kriegsgerät der geschlagenen Gegner besichtigte. Zwar war die schwarzhaarige Offizierin für eine Marine nicht sehr hochgewachsen und eher drahtig als muskulös, aber sie konnte ebenso einschüchternd wie zuversichtlich auftreten. Als Offizierin war man eben immer auch ein Stück weit Selbstdarstellerin – gegenüber den Vorgesetzten, den Untergebenen, wenn man Glück hatte auch den Medien, und manchmal auch für sich selbst. Sie hatte ihre Eskorte aus drei schwerbewaffneten Marines Abstand nehmen lassen, schließlich sollte nicht zu offensichtlich sein, dass man innerhalb der Stadt bei weitem noch nicht in Sicherheit war.
Aber es war, wie sie befürchtet hatte – eine Lösung ihrer Probleme würde sie auf absehbare Zeit hier kaum finden. Namentlich des Problems, dass sie mit weniger als 2.500 kampftauglichen Terranern, Peshten und Söldnern hinter den feindlichen Linien festsaß, keinen verlässlichen Zugriff auf Fernartillerie oder Luftunterstützung hatte, und der Entsatz durch das 30. Korps und die Vierte Sturmdivision allem Anschein nach noch etwas auf sich warten lassen würde.
In diesem Moment meldete sich ihr Funkgerät. Wenigstens funktionierte die Kommunikation – im Moment.
„Aufklärung meldet Bewegung, schwere Fahrzeuge in mindestens Kompaniestärke von Süden. Noch keine eindeutige Identifizierung.“
Schlüter war hin- und hergerissen von Hoffnung und düsteren Ahnungen. Kam dort die Rettung, das 30. Korps? Oder waren es die Kaiserlichen?
Mit wenigen Sätzen – zum Teufel mit der Würde – war sie bei ihrem Fahrzeug und winkte ungeduldig ihren Leibwachen zu: „Fahren Sie los, zum HQ!“
Während das Fahrzeug beschleunigte, hängte sie sich ans Funkgerät…

***

Nera’Rijen, kurz darauf

„ALAAAARM!“
Der Schrei gellte in den Ohren – physisch wie auch über Sprechfunk, riss die Soldaten und Offiziere hoch, ob sie nun in Stellung lagen oder sich von den Anstrengungen des Ausbaus ihrer Verteidigungspositionen zu erholen suchten. Es war nicht wirklich Zeit gewesen, Schützengräben auszuheben, aber glücklicherweise war selbst ein Vorort wie Nera’Rijen im Grunde ein dreidimensionales Stellungssystem, wenn man es nur richtig zu nutzen verstand. Barrikaden und Sandsackbarrieren waren ohnehin von begrenztem Nutzen gegen einen Gegner mit überlegener Feuerkraft, doch glücklicherweise boten sich Alternativen. Es gab massive Bauten, die als Bunker dienen konnten – freilich auch die Gefahr boten, als erstes vom Gegner zerschossen zu werden. Dächer und Türme boten sich für Aufklärer und Scharfschützen an, vorzugsweise, wenn es nicht nur ein oder zwei gab, damit man nicht Gefahr lief, prophylaktisch heruntergeschossen zu werden, wenn ein Angreifer die wenigen herausragenden Punkte ausschaltete. Hausecken und Kellerluken sowie die Fenster mehrgeschossiger Gebäude eigneten sich als Feuerstellungen, die vom Gegner nur schwer aus der Distanz zu identifizieren waren. Natürlich brauchte der Ausbau der Positionen Zeit, doch der Anfang war definitiv gemacht.
Das Fünfte Bataillon war durch eine Anzahl befreiter terranischer Kriegsgefangener verstärkt worden, die man direkt den Kompanien eingegliedert hatte. Leider hatte dies kaum ausgereicht, die bisherigen Verluste auszugleichen. Zudem war eine peshtische Kompanie in Stellung gegangen, doch der buntscheckige Haufen mit seiner nicht minder farbenfrohen Ausstattung aus terranischen, peshtischen und imperialen Handfeuerwaffen wirkte eher wie eine Räuberbande als eine militärische Einheit. Andererseits musste man froh über jedes bisschen Hilfe sein. Mit weiterer Verstärkung war nicht zu rechnen.

Urutu brauchte einen Moment, um wach zu werden. Hinter ihr lag nach den Kämpfen bei der Einnahme der Stadt und einer allzu kurzen Pause ein nervenzerfetzender Einsatz in Alta‘Rijen, während dessen sie ihr Konto um zwei weitere gesicherte Abschüsse hatte erweitern können. Die Marine hatte auf der anderen Flussseite als Scharfschützin ausgeholfen, denn an Spezialisten mangelte es in allen Einheiten. Die meisten Bordmarines hatten ihre Langstreckenwaffen seit Jahren nur unter simulierten Bedingungen abgefeuert und auch der Kampf im Gelände war nur begrenzt geübt worden. Dies war nicht dasselbe wie Praxiserfahrung, und so war sie eingesprungen. Denn in Arta‘Rijen waren die feindlichen Stellungen noch in Schussweite, während die Kaiserlichen am Nordufer mehrere Kilometer zurückgewichen waren.
So hatte sie dazu beigetragen, den Ausbau der feindlichen Stellungen zu behindern und feindliche Feuerstellungen niederzuhalten. Die gegnerischen Sniper taugten nicht viel, zweifellos weil die örtlichen Verbände eher Reservetruppen waren.

Todmüde, nachdem das Adrenalin aus der Blutbahn gewichen war, hatte Mariza sich schließlich nach Ende dieser ,zweiten Schicht‘ zu ihrer Einheit zurückgetrollt und in einem ausgeräumten Keller im Garten eines Apartmentblockes bequem gemacht. Oder vielleicht war es ja auch ein heiliger Ort gewesen, das wusste man bei den Peshten nie so genau. Jedenfalls war er unterirdisch und der Eingang aus der Luft nicht gut zu erkennen, das genügte ihr.
Sehr lange hatte sie jedoch nicht ausruhen können – es war immer noch hell draußen, auch wenn es auf den frühen Abend zuging.
Sie unterdrückte den fast unwiderstehlichen Drang, den außerhalb des Bunkers wachestehenden Soldaten, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte, in die Genitalien zu treten – ja, natürlich behielt sie ihre Stiefel beim Schlafen an, man wusste nie, wann es mal schnell gehen musste, so wie jetzt – und stand schwankend auf. Ihr Spotter und ein paar andere Soldaten, die den Unterstand ebenfalls als Schlafstätte genutzt hatten, rappelten sich ebenfalls fluchend auf. Metallisches Klappern erklang, als die Männer und Frauen ihre Waffen hoben, sie kurz überprüften – das letzte, was jeder Marine vor dem Einschlafen tat, und das erste, wenn er oder sie aufstand – und einer nach dem anderen aus dem Keller huschten. Urutu wusste, wohin sie musste. Als Scharfschützin war ihr Platz ein Stück flankierend von der Hauptstraße in einem Wohnblock, von dem aus sie gutes Schussfeld auf anrückende Gegner aus dem Norden und Osten hatte. Es sah so aus, als ob es wieder einmal ernst wurde…

Wenige Minuten darauf war Mariza in Position. Sie überprüften ein letztes Mal ihre Waffe – ein nervöser Tick, den sie mit vielen Scharfschützen teilte. Die Fensterscheiben des Gebäudes waren natürlich herausgeschlagen worden, damit der Luftdruck nahebei explodierender Granaten und Raketen das Glas nicht in Schrapnelle verwandelte. Die Marine prüfte ihre improvisierte Waffenauflage in Gestalt eines Tisches: „Wie sieht es aus?“
Ihr Beobachter spähte durch den Feldstecher: „Staubentwicklung mehrheitlich direkt aus dem Norden, mehrere Fahrzeuge…verdammt, jetzt wird es ernst!“
Letzteres bezog sich auf ein fernes, aber charakteristisches Jaulen – ein schwerer Mehrlingsraketenwerfer, vielleicht auch mehr als einer. Wie stets in solchen Momenten fühlte Urutu den Drang sich zu einem Ball zusammenzurollen. Es nützte wenig, dass sie sich selbst sagte, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering war, dass eine Rakete ausgerechnet ihr Gebäude traf.
Die Einschläge folgten wenige Sekunden später, dumpfe Schläge, die Fontänen von Dreck und zerschmettertem Stein und Metall emporschleuderten. Sie lagen ein gutes Stück entfernt, so dass die Zerstörung beinahe klinisch wirkte. Natürlich, für die unglücklichen Seelen, die in diesem Teil der Stadt in Stellung lagen, musste es wahrhaftig die Hölle sein. Glücklicherweise war selbst eine Vorstadt wie Nera’Rijen vergleichsweise großflächig, und die Kaiserlichen hatten offenbar weder unbegrenzt viel Waffen noch Munition, so dass sie keinen flächendeckenden Beschuss anordnen konnten.
Mariza zwang sich, ihren Blick von dem Inferno abzuwenden, das durch weitere Raketensalven noch vergrößert wurde, und spähte durch das Visier ihrer Waffe dorthin, wo Staubwolken die näherkommenden Feinde ankündigten. Die genaue Zahl des Gegners ließ sich unmöglich mit Sicherheit abschätzen. Wenigstens waren bisher keine feindlichen Flieger aufgetaucht. Die Luftabwehr der Gelandeten beschränkte sich auf eine Anzahl Infanterie-SAM und die wenigen Luftabwehrwaffen, die sie intakt erbeutet hatten.

„Warum feuern wir nicht?“ Zolins Stimme klang so nervös, wie Mariza sich fühlte. Er war kampferfahren, wie die meisten Angehörigen ihrer Kompanie, aber dieses Festsitzen tief hinter den feindlichen Linien war nicht leicht zu verkraften.
Die Scharfschützin versuchte, sich gelassen zu geben: „Munitionsmangel. Ohne klare Zielerfassung kannst du mit unseren paar Mörsern nicht viel gegen Fahrzeuge ausrichten.“
Ihr Bataillon verfügte nur über zwei terranische V/S-31 Granatwerfer und einen erbeuteten 90-Milimeter-Werfer der Kaiserlichen, der von einigen Peshten bedient wurde. Das war nicht viel – doch die vier – mit den Peshten fünf – restlichen Bataillone auf der anderen Seite des Flusses verfügten INSGESAMT über bestenfalls die doppelte Anzahl eigene und Beute-Mörser und einige wenige andere schwere Waffen. Terranische Waffen waren rar, und die Munition und trainierte Bedienungsmannschaften für Beutewaffen sogar noch knapper. Von daher wäre es zwecklos gewesen, Granaten oder schultergestützte Raketen auf Fahrzeuge zu verschwenden, die mit Höchstgeschwindigkeit und im Zickzack fuhren. Die Marines mussten abwarten, bis der Gegner näher herankam.
Dann blitze es drüben auf, als die leichten feindlichen Fahrzeuge – Pot-belly-Schützenpanzerwagen und Midget-Radpanzer – das Feuer eröffneten. Mariza atmete tief durch und fasste die Waffe fester. Der Kampf begann.

***

Arta’Rijen, etwa zur selben Zeit

Nach der Einnahme einiger weniger der verbleibenden imperialen Widerstandsnester im Stadtgebiet – jene, die besonders isoliert oder störend erschienen – hatten die Kämpfe in Arta‘Rijen erst einmal weitgehend aufgehört. Schusswechsel beschränkten sich auf das Katz-und-Maus-Spiel der Scharfschützen, oder jener, die sich dafür hielten. Sowohl die Terraner als auch die Kaiserlichen hatten einfach nicht genug Munition, um sich großzügig mit Raketen und Mörsergranaten zu beschießen, und es fehlte ihnen an Fahrzeugen und Truppen um größere Angriffsoperationen durchzuführen. So hatte es über den Tag hinweg nur sporadische Feuergefechte innerhalb der Stadt und einige Mörserduelle an den Stadtgrenzen gegeben. Auch die schwere Artillerie der Echsen hielt sich zurück – nicht zuletzt, weil man sicher Angst hatte, die Aufmerksamkeit der Angels auf sich zu ziehen. Tatsächlich hatten die Kampfflieger noch einige sporadische Angriffe geflogen, auch wenn ihre Präsenz in punkto Zahl deutlich nachgelassen hatte. Angels begleiteten die sporadisch startenden und landenden Shuttles, und warfen mitunter Lenk- und Streubomben im Umland ab. Die feindliche Luftabwehr war freilich noch nicht völlig ausgeschaltet, und spätestens ab dem Nachmittag zeichnete sich ab, dass das terranische Trägergeschwader nur noch sehr sporadisch Maschinen verfügbar machen konnte. Schließlich mussten die Piloten auch einmal ausruhen, die Maschinen nach dem zweiten oder dritten Einsatz gründlich überprüft werden.

Und so hieß es für die Brigade Schlüter ,Warten‘. Auf einen imperialen Gegenangriff – oder auf das Eintreffen von Horoks Panzertruppen und der Vierten Sturmdivision. Optimistisch gestimmte Marinelandetruppen hatten sogar angefangen zu wetten, welche der verbündeten Einheiten den Rijen zuerst erreichen würde. Und sie waren bereit gewesen, ferne Truppenbewegungen, schwach an ihre Ohren dringenden Fahrzeug- oder Gefechtslärm und das Ausbleiben einer imperialen Konterattacke als Zeichen zu werten, dass der ersehnte Ersatz sich näherte.
Erfahrenere Soldaten und Offiziere waren weitaus vorsichtiger mit ihren Hoffnungen und Erwartungen. Oder sie hüteten sich jedenfalls davor, diese laut werden zu lassen. Denn wann hatte ein Plan schon einmal reibungslos funktioniert?
Dennoch waren Hoffnungen aufgeflammt, als die am Stadtrand stationierten Vorposten das Anrücken einer Kolonne schwerer Kanonenpanzer aus Richtung Süden meldeten – verzichtete doch der Standart-Kampfpanzer der Imperialen zugunsten einer Raketenbewaffnung auf ein Magnetgeschütz als Primärwaffe. Aber es war nicht das 30. Korps, das in die von den nächtlichen Kämpfen und Luftangriffen schwer gezeichnete Stadt einrollte. Es waren die Akarii. Während das dumpfe Dröhnen der schweren Kampfwagenmotoren, das Surren der Schweberrotoren und das metallene Klirren der Panzerketten immer lauter wurde, entfaltete sich vor den Augen der angespannt lauernden Marines das furchteinflößende Panorama einer imperialen Angriffskolonne.

Dem Plan von Kampfkommandantin Danik Atara folgend drangen die Truppen in zwei massierten Angriffskeilen in das Stadtgebiet ein. Voraus rollten leichte Späh- und Schützenpanzer gefolgt von den schweren Kampfpanzern. Dann kam der Hauptpulk der Transport- und Schützenpanzer. Einige Spähpanzer bildeten den Schluss.
Im letzten Augenblick hatte sich Danik dagegen entschlossen, auch ungepanzerte Transportfahrzeuge mitzuschicken. Zu groß war das Risiko, dass sie abgeschossen wurden und sich in brennende Hindernisse für ihre Kameraden verwandelten. Das bedeutete freilich auch, dass ein Teil der Infanterie als Reserve zurückbleiben und ein anderer Teil auf den Panzerfahrzeugen mitfahren musste. Die aufgesessenen Soldaten konnten zwar schneller in den Kampf eingreifen als ihre im Inneren der Transporter wartenden Kameraden und zudem die Fenster, Dächer, Innenhöfe und Seitengassen der an die Straße angrenzenden Gebäude im Auge behalten. Allerdings boten sie auch leichtere Ziel, trotzdem es sich bei ihnen ausschließlich um gepanzerte Sturminfanterie handelte. Die wenigen Stücke imperiale Artillerie – selbstfahrende Raketenwerfer, aber auch einige gezogene Rohr- oder Raketenwaffen und Infanteriemörser, gesichert durch die wenigen schweren Schwebepanzer – gaben aus sicherer Entfernung Feuerschutz für die Annäherung der Kolonnen. Wenige Salven genügten, um am Stadtrand die ersten Rauchsäulen aufsteigen zu lassen, Staubschwaden legten sich wie ein tödlicher Nebel über die Straßen.

Die westliche Kampfgruppe stieß zügig vor. Ein übereifriger Verteidiger feuerte eine schultergestützte Panzerabwehrrakete, doch die reaktive Panzerung des Ziels – der vorderste schwere Kettenpanzer – fing das Geschoss mühelos ab. Der Gegenschlag erfolgte mit vernichtender Wucht, denn das schwere Magnetgeschütz des Panzers legte das halbe Haus in Trümmern, aus dem der Angriff gekommen war. Die leichten Waffen der Kampfpanzer und begleitenden Fahrzeuge tasteten die Fensterhöhlen ab – zum Gutteil wohl reine Einschüchterungstaktik, die freilich durchaus effektiv war. Immer wieder bellten Magnetkanonen und winselten Raketenwerfer, bahnten der Formation den Weg in einer Bahn der Verwüstung.
Doch sobald die Kaiserlichen den Stadtrand passierten, stießen sie auf härteren Widerstand. Die Straße vor ihnen – eine der Hauptmagistralen – schien frei zu sein, terranische Sperren waren erst ein gutes Stück im Stadtinneren gemeldet worden. Doch schon aus der zweiten Seitengasse grüßte ein kurzer, aber intensiver Hagel aus Laserimpulsen die Angreifer. Die Waffen waren zwar zumeist zu schwach, die gepanzerten Fahrzeuge zu gefährden – doch gelang es den Terranern, mehrere aufgesessene Infanteristen herunterzuschießen. Leichte Granatwerfer – vermutlich Unterlaufmodelle – feuerten indirekt, ihre Splitter- und Phosphorgranaten detonierten inmitten der Angriffskolonne.
Ein modifizierter Schützenpanzer rollte vor, der statt eines Raketenwerfers einen Plasma-Flammenwerfer trug. Er badete die Seitenstraße in tödliches Feuer und der Vorstoß ging weiter.

Keinen halben Kilometer weiter im Stadtinnern steigerte sich die Intensität des Feuergefechts. Hier hatte sich ein Zug der kaiserlichen Garnison in einem quadratischen Häuserblock eingeigelt, unterstützt von einem Schützenpanzerwagen im Innenhof. Die Terraner hatten nicht die Zeit und Feuerkraft gehabt, die Kaiserlichen hinauszuwerfen – auch wenn zwei Lenkbomben Teile des Gebäudes verwüstet hatten. Der Angriffsverband stellte Verbindung mit den Eingeschlossenen her, doch zugleich geriet er unter verstärktes Feuer.
Die Terraner agierten überaus flexibel. Sie feuerten aus Fenstern und Kellerluken, nur um sofort abzutauchen, ehe der Gegner seine schwere Feuerkraft effektiv einsetzen konnte.
Eine schultergestützte Rakete riss einen Schützenpanzer auf, nur ein Teil der Insassen konnte sich – vielfach verletzt – ins Freie retten. Wütend tauschten kaiserliche und terranische Infanteristen Schützenfeuer aus. Als eine weitere Rakete einen der schweren Panzer nur knapp verfehlte, ein Scharfschützengewehr einen Kacha-Radpanzer mit drei schnellen Schüssen schwer beschädigte, reichte es dem imperialen Kommandanten.
Die Panzerfahrzeuge steigerten ihre Geschwindigkeit. Die überschweren Krat-Panzer übernahmen die Führung. Hinter ihnen formierten sich die leichteren Einheiten. Magnetkanonen bellten, Impulslaser strichen die flankierenden Gebäude ab, um die Verteidiger in Deckung zu zwingen. Granat- und Raketenwerfer deckten die Umgebung mit Sperrfeuer ab, unterstützt durch die Fernartillerie. Ein schneller Vorstoß, wenige Kilometer noch – dann würde man sich dem Ai’Shan-Park im Bogen von Südwesten nähern, und zusammen mit den Panzern der ,Totengräberin‘ die feindliche Landungszone in die Zange nehmen. Und dann käme die Brücke an die Reihe…

***

Nera‘Rijen

Es begann mit einem seltenen Glückstreffer – der feindliche Schützenpanzer kassierte einen Volltreffer durch eine lasergelenkte Mörsergranate. Der terranische Artilleriespotter war wahrlich vom Schicksal begünstigt gewesen, dass er die Zielerfassung die entscheidenden Sekunden hatte halten können. Schultergestützte Raketen suchten sich ihre Ziele, und auch wenn etliche ihr Ziel verfehlten oder abgewehrt wurden – dicke, schwarze Rauchschwaden kündeten von beschädigten oder zerstörten Fahrzeugen. Natürlich war das Gefecht alles andere als einseitig. Die imperialen Waffen nahmen jede potentielle Feuerstellung unter konzentrierten Beschuss, und dazu schoss die kaiserliche Artillerie Sperrfeuer.
Mariza blendete all dies aus. Die Befehle über Funk, gemischt von den schrecklichen, nur zu vertrauten Schmerzensschreien und Hilferufen, die Explosionen. Nichts davon hatte eine Rolle zu spielen. Was zählte, waren die Zielangaben ihres Spotters, der Blick durch das Visier, die Anzeigen ihrer Waffe – der sich verstärkende Druck auf den Abzug und das befreiende Gefühl des Schusses. Selbst die Genugtuung über einen Treffer, der Ärger über einen Fehlschuss drang nur seltsam gedämpft an ihr Bewusstsein. Zielen…Einatmen…Ausatmen…FEUER! Auf die feindlichen Fahrzeuge, auf die Infanterie der Kaiserlichen, die versuchte, im Schutz der Panzerfahrzeuge nach Nera’Rijen einzusickern…

WAMMM!
Die dumpfe Explosion – nah, viel zu nah – riss die Schützin aus der Halbtrance.
„Granatwerfer!“ Die Stimme ihres Spotters überschlug sich. Er packte sie an der Schulter und zerrte sie in Richtung der Tür. Mariza stolperte, wäre um ein Haar hingefallen. Mit einem scharfen Zischen flog ein silbrig glänzendes Geschoss durch eines der Fenster, landete auf dem Fußboden des Zimmers, rollte über den Boden wie eine groteske Murmel und prallte an der Wand ab – eine 50-Milimeter-Granate.
Urutu handelte mehr instinktiv als bewusst, als sie sich förmlich im Schlusssprung aus dem Raum katapultierte.
Die Explosion traf sie wie ein brutaler Faustschlag – akustisch, und gleich darauf in Form des Luftdrucks, obwohl sie bereits draußen im Hausflur auf dem Boden lag. Ein stechender Schmerz schien förmlich in ihrem Kopf zu explodieren, dann deckte ein Leichentuch aus pulverisiertem Beton und Staub zu.

Als Mariza wieder zu sich kam – wenige Sekunden und zugleich gefühlte Stunden später – erkannte sie ihr Umfeld, ihren Kameraden, sich selbst kaum wieder. Alles war mit Staub und Dreck bedeckt. Alle Geräusche klangen seltsam gedämpft und unreal. Und als sie unwillkürlich die Hand erst an das eine, dann an das andere Ohr hielt, klebte beim zweiten Mal Blut daran.
Nur mit Hilfe ihres Spotters – er schien in deutlich besserem Zustand, wenngleich ebenfalls von Kopf bis Fuß mit Dreck bedeckt – kam sie auf die Beine. Die beiden Marines stolperten das Treppenhaus hinab.
Erst beim dritten Versuch verstand Mariza, dass Zolin sie fragte, ob sie einen Sanitäter braucht. Sie schüttelte den Kopf. Es fiel ihr schwer die eigene Stimme zu verstehen, aber sie brachte einen halbwegs klaren Satz heraus: „Haben…Wichtigeres zu tun. Los. Schauen wir, wie es steht.“
Sie überprüfte ihre Waffe. Das Visier hatte sich zweifellos verzogen, aber glücklicherweise konnte man mit einem Lasergewehr auch ohne Zielfernrohr vergleichsweise effektiv schießen. Da Wind, Bahnneigung der Kugel und dergleichen keine Rolle spielte, war die Waffe auch ohne Hilfsmittel auf mehrere hundert Meter präzise und tödlich. Sie lud nach und betete, dass die Waffe keine weiteren Schäden abbekommen hatten. Dann begann sie mühsam zu laufen, auf der Suche nach einer neuen Feuerstellung.

Doch ein weiterer Beitrag zum Kampf war an diesem Tag nicht mehr von Nöten. Als das Scharfschützenteam eine neue Stellung bezogen hatte, waren die Kaiserlichen bereits abgerückt. Zu schwach waren ihre Kräfte, zu stark die Gegenwehr. Sie ließen zwei zerstörte Panzerfahrzeuge und über 20 Gefallene zurück.
Doch Freude kam unter den Verteidigern nicht auf. Sie hatten selbst Verluste hinnehmen müssen – und der vom anderen Flussufer herüberschallende Kampflärm bewies, dass Nera’Rijen nur ein Nebenschauplatz gewesen, der Vorstoß vielleicht nicht mehr als ein energischer Täuschungs- oder Erkundungsvorstoß.
Die Entscheidung fiel an anderer Stelle, im Süden.

***

Alta‘Rijen

Die westliche Panzerkolonne stieß vor. Die Straßensperre der Terraner flog auseinander, als konzentrierter Beschuss aus drei schweren Magnetgeschützen – die diesmal Streumunition feuerten – die Barriere aus Sandsäcken und schwer beschädigten imperialen Fahrzeugen förmlich auseinanderriss. Ein weiser Entschluss – zwei schwere Explosionen verrieten, dass die Terraner die Barrikade von vorneherein als reines Täuschungsmanöver geplant hatten. Wären die Panzer einfach durchgewalzt…
Vorbei an den rauchenden Resten der Barriere rollten die Panzer, scheinbar unaufhaltsam. Bis zu dem Moment, da die Explosion ertönte.
Es war ein dumpfes Wummern, eine Explosion, nein, zwei, ja drei fast gleichzeitig – und viel stärker als jedes Geschütz oder Rakete der Kaiserlichen, ganz zu schweigen von den erbärmlichen Waffen der Terraner und ihrer Verbündeten am Ufer des Rijen.
Direkt neben der Straße schossen Fontänen von Dreck und pulverisiertem Beton aus einem zehnstöckigen Hochhaus. Für einen Moment stand der Gigant noch, unbesiegt in Rauch und Staubschwaden – dann neigte er sich, einem ebenso bedächtigen wie zerstörerischem Titanen gleich, auf die Kolonne der Kaiserlichen zu. Mit erderschütternder Gewalt stürzten hunderte Tonnen von Stahl und Beton herab – und begruben den mittleren der drei Führungspanzer, stoppten die Angriffskolonne.
Und während emporgeschleuderter Staub und Rauch auf hunderte Meter im Umkreis die Sicht nahmen, schwärmten die Terraner vor.

Das Gefecht war reines Chaos. Die imperialen Fahrzeuge waren geblendet, einige durch herumfliegende Trümmerteile beschädigt, Sensoren beeinträchtigt. Der unverhoffte Rückschlag hatte ihre Kampfmoral erschüttert. Zwischen ihnen schlugen Granaten und Raketen ein – die Terraner wussten genau, wo die feindliche Kolonne sich befand. Da sie sich auf dem Straßenabschnitt vor dem gigantischen Trümmerhaufen des gesprengten Wohnblocks staute, den die Radpanzer und Schweber unmöglich überwinden konnten, brauchten die Marines nur draufzuhalten – die Wahrscheinlichkeit eines Treffers war hoch genug. Die imperialen Fahrzeuge rammten sich gegenseitig beim Versuch Bewegungsfreiheit zu gewinnen, und es war ihnen in dem Staub fast unmöglich, den Gegner zu erfassen. Blindlings feuerten sie sie in alle Richtungen – doch auch wenn sie auf gut Glück immer wieder einmal ein Ziel trafen, der gegnerische Beschuss lag deutlich präziser.
Das Ende für den vordersten, vom Rest der Einheit getrennten und durch herumfliegende Trümmer bereits beschädigten Krat kam, als ein Marine sich durch den Staub vorarbeitete, und aus nicht mehr als 30 Metern Entfernung eine Rakete auf das Heck des Kampfgiganten abfeuerte. Die Hohlladung zerstörte den Motor und machte das Fahrzeug bewegungsunfähig. Kurz darauf traf eine weitere Rakete den Turm und blockierte den Drehkranz. Damit war das Fahrzeug effektiv ausgefallen.
Der Kommandant des Angriffsverbandes konnte nichts anderes tun, als den Rückzug befehlen. Hier war einfach kein Durchkommen. Zwei seiner schier unersetzbaren schweren Panzer und zu viele seiner leichten Fahrzeuge waren verloren oder beschädigt, die Infanterie dezimiert. Er wusste, seine Vorgesetzte erwartete von ihm, dass er weiter angriff. Doch er würde seine Männer nicht in einem blindwütigen Frontalangriff verheizen. Auch wenn das hieß, dass er zurückstoßen musste. Eine neue, wenngleich weniger breite Straße finden. Die Kolonne in Ordnung bringen und das weitere Vorgehen mit den übrigen Verbänden koordinieren.
Der Tag war nicht verloren, doch der Weg zum Sieg war zweifellos noch weit.



Geschrieben von Cattaneo am 06.02.2022 um 16:47:

 

Die Stunde der Elefanten II

Im Süden von Arta‘Rijen

Es war von vorneherein naheliegend gewesen, dass die kaiserlichen Truppen über die Hauptstraße angreifen würden. So kurzsichtig es gewesen wäre, sich allein auf diesen Weg zu konzentrieren, so war die breite Trasse, die direkt am Bahnhof vorbei und zur Brücke über den Rijen führte doch viel zu wertvoll, um sie zu ignorieren. Dazu war sie eine der wenigen Einfallsrouten, auf denen sich feindliche Panzerfahrzeuge nicht zwischen zehn- oder mehrstöckigen Hochhäusern eingezwängt fanden. Die gab es zwar auch an den Rändern der Hauptstraße. Doch mit fast 30 Metern Breite bot die Straße weit mehr Platz zum Manövrieren.
Folgerichtig hatte die Brigade Schlüter mehr als ein Zehntel ihrer Truppen, namentlich die Hälfte des 4. Bataillons – eine Kompanie CAV-Soldaten und eine unterbesetzte Alarmkompanie USMC-Marines, die aus versprengten Soldaten und den Insassen einer Militärarrestanstalt formiert worden war – mit dem Schutz der Hauptstraße und der flankierenden Gassen betraut. Die Männer und Frauen, im Unterschied zu den meisten anderen Bataillonen mehrheitlich kampferprobte Veteranen, hatten unterstützt von peshtischen Arbeitskommandos unermüdlich geschanzt, hatten Sprengfallen ausgelegt und sich Feuerstellungen gesucht. Sie hatten sich so gut wie möglich vorbereitet, auch wenn der imperiale Gegenangriff schneller und heftiger erfolgte, als angenommen. Doch sie waren entschlossen, die kaiserlichen Truppen aufzuhalten, koste es, was es wolle.

Die Doppelexplosion war ohrenbetäubend und schleuderte gigantische Wolken von Dreck und Rauch auf. Und dann – wie nahezu zeitgleich sein Zwillingsbruder im Südwesten der Stadt – begann sich der Büroturm zu neigen, bis er schließlich in einer zerschmetternden Lawine von Stahl, Glas und Beton zu Boden stürzte. Ein imperialer Midget-Radpanzer wurde von Trümmern, so groß wie das Fahrzeug selbst, einfach zerquetscht, als wäre er wirklich nur ein lästiges Insekt. Ein Schützenpanzer konnte demselben Schicksal nur um Haaresbreite entgehen, kam aber abrupt zum Stehen, halbverschüttet und mit schwer beschädigtem Turm.
Einzelne der Verteidiger – Soldaten der CAV – stießen schrille Triumphschreie aus, als sie ausschwärmten um die sichtlich erschütterten imperialen Soldaten und Fahrzeuge der feindlichen Vorhut im Nahkampf auszuschalten, die vom Haupttrupp abgeschnitten waren.
In diesem Moment fühlten sie Siegeszuversicht, hatten sich doch die bedrohlichen Stahlgiganten des Gegners als verletzlich erwiesen.

Die vormalige Confederate Army- und jetzige CAV-Majorin Manabe Ashiihi führte ihre Truppen selbst in den Kampf, obwohl sie sich als Bataillonschefin auch hätte zurückhalten können. Doch das hätte weder zu der Tradition gepasst in der sie erzogen war – wenngleich sie nicht WIRKLICH Akariiskalpe und ähnliche Trophäen sammelte, wie man es ihr unterstellte – noch zu ihrem Anspruch, durch Vorbild zu inspirieren. Geduckt hinter einem Stahlträger gab sie eine lange Salve von vielleicht zehn Schüssen ab, welche einen feindlichen Infanteristen wie eine Marionette zu Boden gehen ließ, deren Fäden durchtrennt worden waren. Die typische Drei-Schuss-Salve reichte oft nicht aus, die Panzerung der feindlichen Truppen zu durchbrechen, zumindest wenn es um vollwertige Gefechtsanzüge ging und nicht die veralteten Schutzwesten der Garnisons- und Reserveeinheiten. Vor dem Gegenfeuer des Feindes tauchte sie weg: „GRANATE!“
Das Kläffen eines Unterlaufgranatwerfers antwortete auf ihren Befehl, und wenige Sekunden später zwang das Splittergeschoss die feindliche Infanterie in Deckung. Sie rollte sich ab, so dass sie seitlich an ihrer Deckung vorbeischießen konnte. Wenn sie die feindliche Infanterie noch ein wenig niederhalten konnten, würden die Panzerbekämpfungstruppen die bewegungsunfähigen Fahrzeuge ausschalten. Nur noch ein kleines Stück…
In diesem Moment hörte sie die Panzerketten. Wie ein Monster aus der Legende, riesig, unheilverkündend, walzte sich der gepanzerte Koloss heran.

Der schwere Kampfpanzer kroch vorwärts, zermalmte Trümmer unter seinen Ketten, wuchtete sich über Spalten und Mauerreste. Das Bürogebäude war nach den Sprengungen nicht ganz so zusammengebrochen, wie es für die Absichten der Verteidiger perfekte gewesen wäre – kein Wunder, schließlich waren sie keine professionellen Abrissspezialisten. Wohl war ein beträchtlicher Teil der Trümmer auf die Hauptstraße gestürzte, doch große Teile des Gebäudes waren eher entlang der Straße statt quer zu ihr gefallen. Sie hatten Nachbargebäude beschädigt, doch war die Haupttrasse nicht vollständig blockiert, die Trümmer überwindbar. Und die gegnerische Kommandeurin war nicht gewillt, auch nur einen Moment in ihrem Angriff nachzulassen. Während die restlichen leichten Radpanzer und weniger geländegängigen Schwebefahrzeuge sowie ein Teil der Infanterie ihres Haupttrupps und der Nachhut durch Seitengassen vorrückten, trieb sie die Kettenfahrzeuge voran, um zu der bedrängten Kolonnenspitze aufzuschließen.

Manabe betätigte erneute den Abzug ihres Lasergewehrs, bestrich einen ganzen Abschnitt der Trümmer mit wütendem Sperrfeuer. Ihre Untergebenen taten es ihr gleich, zwangen den Gegner in Deckung und forderten von den geduckt durch die immer noch wabernden Rauch- und Staubschwaden vorgehenden kaiserlichen Infanteristen einen beträchtlichen Blutzoll. Wenn sie es schafften, die Infanterie des Gegners von den Panzern zu trennen…
Direkt vor ihr huschte ein konföderierter Akarii zwischen den Trümmern vor. Er stoppte, hob den Mehrzweck-Raketenwerfer. Der CAV-Soldat wartete auf den richtigen Moment, wohl wissend, dass er nur EINE Chance für den perfekten Schuss hatte, den Schuss, der zählte. In dem Moment, wo der Spitzenpanzer mit einem wütenden Aufheulen der Motoren und Getriebe einen Trümmerberg überwand, handelte er.
Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ er sich auf ein Knie nieder, stützte den Werfer auf der Schulter ab. Die Mündung deutete auf die vergleichsweise empfindliche Bodenwanne des Behemoth, den das Ungetüm seinen Gegnern unbeabsichtigt präsentierte. Seine Mitstreiter hielten derweil die feindliche Infanterie nieder. Er krümmte den Finger um den Abzug…
Im letzten Moment – als ahne er das drohende Verhängnis – machte der feindliche Kampfpanzer geradezu einen Satz vorwärts. Der Gigant bäumte sich auf – und überwand die letzte Steigung. In dem Moment, wo die Rakete das Rohr der Schulterwerfers verließ, sackte der schwer gepanzerte Bug des Panzers herab, direkt in die Bahn des Geschosses. Ein Feuerregen, als die reaktive Panzerung die Bedrohung gerade noch rechtzeitig abwehrte – und der Panzer schob sich weiter voran. Seine Impulslaser überzogen die Trümmer mit einem tödlichen Hagel von Energieimpulsen. Majorin Ashiihi sah noch, wie der Raketenwerferschütze von einer Salve niedergeworfen wurde, tödlich getroffen durch dutzende Energieimpulse, dann musste sie selber in Deckung gehen. Und hinter dem schweren Kampfpanzer tasteten sich schemenhaft seine ,Geschwister‘ voran, hielten die Verteidiger nieder und bahnten der Infanterie den Weg.
Diese Stellung war nicht mehr zu halten.

***

Ai’Shan-Park, Arta’Rijen

„Ja, es ist mir bewusst, dass auch die Truppen auf dem Nordufer im Gefecht stehen, aber ich brauche verdammt noch mal das Mörserfeuer im Süden. Also führen Sie den Befehl aus, oder ich übergebe das Kommando jemandem, der es tut!“
Majorin Schlüter war gemeinhin niemand, der gleich laut wurde. Aber angesichts der bedrohlich auf den Bahnhof vorrückenden Kaiserlichen zeigte auch sie Nerven. Umso mehr, da sie den feindlichen Vormarsch auf den taktischen Anzeigen verfolgen konnte, trafen doch sporadisch Meldungen von den Gefechtskompanien ein. Idealerweise hätte sie natürlich präzise Echtzeitinformationen erhalten müssen, und ebenso unverzüglich mit ihren Untergebenen kommuniziert um zu reagieren. Tatsächlich jedoch wurde die Verbindung in beide Richtungen immer wieder zeitweilig unterbrochen, waren Übertragungen schwer verständlich oder unvollständig. Feindliche Störsender, Interferenzen infolge der Kämpfe und der künstlichen Gebirgslandschaft, welche die Stadt nun einmal darstellte, dazu störanfällige Ausrüstung, die überhastet für den Einsatz der Brigade aus allen möglichen Quellen zusammengesammelt worden war, trugen zu dieser frustrierenden Situation bei. Wenigstens musste man…noch…keine Meldegänger losschicken, aber die Realität unterschied sich eben wieder einmal deutlich von irgendwelchen sterilen Kriegsspielchen.
Als Einheitskommandeurin war es Schlüters Aufgabe, in der Krise zu führen. Das Problem war, dass ihr kaum Mittel blieben, die sie führen konnte, um dem Gegner Paroli zu bieten.
Einen ihrer wenigen Trümpfe – wenngleich diese Bezeichnung etwas zu prahlerisch klang – hatte sie bereits ausgespielt. Die Sprengung der Hochhäuser entlang der naheliegenden Einfallsstraßen hatte in einem Fall sogar wie gehofft funktioniert. Doch an der Hauptstraße war es weniger gut gelaufen und der feindliche Angriff ging kaum gebremst weiter. Für mehr als diese zwei Hochhäuser – und zwei weitere auf naheliegenden alternativen Einfallsrouten, welche die Akarii aber bisher ignorierten – hatte der Sprengstoff und die erbeutete Munition nicht gereicht. Ein Gutteil war sowieso auf kleinere Sprengfallen draufgegangen.
So hatte sie sich schweren Herzens entschlossen, aufs Ganze zu gehen. Und das hieß, auch noch die letzten Reserven mobil zu machen, egal wie riskant dies war. Zumindest schien der Gegner ebenfalls über sehr begrenzte Mittel zu verfügen. Es gab bisher keine Anzeichen, dass die Akarii jenseits der beiden Hauptangriffskeile mehr als begrenzte Störangriffe durchführten. Und so dirigierte sie Alarmkompanien von den Bataillonen ab, die andere Abschnitte der Stadt verteidigten, um die feindlichen Vorstöße zu bremsen. Sie komplett stoppen oder gar im Gegenangriff zurückzuwerfen, dafür würde die Brigade Schlüter freilich mehr als Infanteristen benötigen. Sie brauchte konzentrierten Beschuss mit schweren Waffen – und so forderte die Kommandeurin auch Feuerunterstützung von den Mörsern in Nera’Rijen an, obwohl das 5. Bataillon selber im Gefecht stand. Und betete, dass die Brigade durchhielt, bis ENDLICH die Piloten der COLUMBIA ihre weichen Betten und reichgedeckten Speisesäle verließen und sich bequemten, ein paar Bomben zu schmeißen. Natürlich hatte Schlüter längst Luftunterstützung angefordert. Aber ihr Mutterschiff war etwas vage geblieben, wann die Hilfe kommen würde. Bis dahin mussten sie alleine durchhalten.
„Hören Sie, Major Tash, ich brauche mindestens eine Kompanie ihrer Leute. Lösen Sie am besten aus jeder Gefechtskompanie ein Platoon, ich brauche aber immer jeweils mindestens ein schweres Waffenteam und zwei, drei Schützen mit Granatwerfern pro Platoon. Ein paar Scharfschützen wären auch gut. Schicken Sie die nach…“

***

Im Süden von Arta’Rijen, auf der Hauptstraße

Majorin Danik Atara versagte es sich, lauthals zu fluchen, obwohl der Angriff sich keineswegs nach Wunsch entwickelte. Ihre eigene Kolonne war zwar noch im Zeitplan, aber die Verluste waren bereits jetzt höher als erhofft. Vor allem, die zweite Sturmtruppe steckte offenkundig fest und hatte wohl ein halbes Dutzend Fahrzeuge verloren, darunter zwei schwere Kampfpanzer – im Moment so gut wie unersetzbar. Und das gegen eine Handvoll weichhäutiger Affen und peshtischer Verräter!
Eine traditionell denkender Kommandeur hätte ein systematischeres Vorgehen angeordnet, gewartet, bis der Angriff zwischen ihrer Kampfgruppe, ihren dezimierten Mitstreitern, der Artillerie und am besten noch der imperialen Luftwaffe koordiniert worden war. Doch Danik wusste, dass die Effektivität der Heeresflieger auf einem Gefechtsfeld wie Arta’Rijen begrenzt war. Und wenn sie wartete, bis alle Vorbereitungen getroffen waren, mochte es leicht geschehen, dass die terranischen Kampfflieger sie mit einer ähnlichen Wucht trafen wie diese Hochhäuser, die die Weichhäute gesprengt hatten.
Sie MUSSTE einfach weiter Druck machen, so lange es noch vorwärts ging. Sie musste die Brücke erreichen oder zumindest nahe genug herankommen, um sie dauerhaft unter Feuer nehmen zu können. So lange die Menschen und Peshten nach Wunsch über den Fluss setzen konnten, war es unmöglich die Schlinge um den Hals der Vierten Sturmdivision zuzuziehen. Eine Division, die mit jeder Stunde weiter auf den Rijen vorrückte.

Im Moment hatte die Intensität des Kampfes etwas nachgelassen. Die Terraner hatten das Scheitern ihrer kleinen Falle nur schwer verkraftet. Abgesehen von einigen leichten Sprengfallen – von denen die meisten rechtzeitig geortet worden waren – hatte es keine derartigen Überraschungen mehr gegeben. Allerdings waren die feindlichen Heckenschützen weiterhin aktiv, und Danik vergaß keine Sekunde, dass die meisten ihrer Fahrzeuge und Soldaten nicht annähernd so gut geschützt waren wie sie selbst in ihrem Krat-Panzer. Immerhin hatte ihre Einheit bereits drei leichte Fahrzeuge verloren – abgeschossen oder bewegungsunfähig und damit für den weiteren Vormarsch auf den Ai’Shan-Park und die Brücke nutzlos. Egal wie gründlich die imperialen Streitkräfte potentielle Schützennester unter Feuer nahmen, wie gut die Infanterie den Vormarsch der Panzer abzusichern suchte – in einer Stadt gab es einfach zu viele Verstecke, in denen sich ein Terraner mit einem Raketenwerfer oder ein Peshte mit einem panzerbrechenden Scharfschützengewehr verstecken konnte. Dazu kamen Minen, improvisierte Sprengladungen unter dem Straßenbelag und in Gullys… Man konnte unmöglich jede potentielle Gefahr bedenken und vorausschauend neutralisieren, oder die Fahrt zum Fluss hätte ein paar Tage gedauert. Sogar ihr eigener Kampfgigant war angeschlagen – obwohl sie nicht einem Gegner gesichtet hatte, der auch nur halbwegs ebenbürtig war. Danik hatte den Überblick verloren, wie oft ihr Panzer angesprengt oder beschossen worden war. Die reaktive Panzerung wies bereits deutliche Lücken auf, und ihr Munitionsvorrat für Kanone und besonders den Granatwerfer war deutlich zusammengeschmolzen, einer der Impulslaser ausgefallen. Zwei ihrer Kameras waren inzwischen zerstört, doch glücklicherweise arbeitete das Fahrzeug mit redundanten Systemen, so dass sie nicht wirklich blinde Flecken hatte.

Danik Atara war zwar jung, aber bereits eine erfahrene Panzerkommandeurin. Doch selbst für sie gab es Momente, in denen alle Erfahrung versagte. Eben noch war die Kolonne vorgerückt, die Panzer auf der Hauptstraße, begleitet von leichten Fahrzeugen, die immer wieder in die flankierenden Seitenstraßen vorstießen, um Widerstandsnester niederzukämpfen und sicherstellen sollten, dass der Gegner die Truppe nicht von hinten angriff.
Und so erkannte sie zu spät, dass der Chr’Chr-Schützenpanzer, der seitlich aus einer Gasse schoss, keine korrekte digitale Kennung aufwies, sondern eine veraltete Signatur der Garnison. Doch dieser Fehler wurde ihr erst bewusst, als der Schweber den Turm schwenkte, und sein Raketenwerfer drei panzerbrechende Geschosse ausspuckte – direkt auf Daniks Panzer. Die Terraner und Peshten hatten es offenbar geschafft, eine Beutemaschine in Gang zu setzen.
In einem Film hätte dieser gewagte Streich den Sieg, zumindest aber einen Teilerfolg gebracht. Doch in der Realität schossen die drei Raketen knapp am Turm des Kampfpanzers vorbei. Die Crew der Fahrzeugs – zweifelsohne zusammengewürfelt aus ehemaligen Kriegsgefangenen verschiedener Einheiten, ohne viel Erfahrung in einer imperialen Maschine und angesichts eines mindestens doppelt so schweren Gegners und eines Dutzend weiterer kaiserlicher Fahrzeuge begreiflicherweise mehr als nervös – hatte viel zu früh gefeuert. Der Schützenpanzer feuerte Rauchgranaten, während er eilends zurückstieß, und um dieselbe Häuserecke verschwand, hinter der er hervorgeschossen war.
Doch Danik war zwar jung, aber sie war bereits erfahren: „Zwei Vollgeschosse, 45 und 47 Grad!“
Der Krat schwenkte sein Rohr und feuerte, zwei peitschende Schüsse, so schnell hintereinander wie die Lademechanik es erlaubte. Die Geschosse durchschlugen ohne Probleme Häuserwände – und sie durchschlugen auch den Schwebepanzer HINTER dem Haus.
Die Kommandeurin fühlte keine Genugtuung über ihren Sieg. Es war nötig, dieses Peshten-Ungeziefer zu zerquetschen, aber dass sie mit ihren stinkenden Hintern imperiale Kampftechnik besudelten war eine Beleidigung, nicht zuletzt für diese feigen Versager, die zugelassen hatten, dass ein funktionstüchtiges Panzerfahrzeug in die Hand des Feindes gefahren war.
„Vorwärts!“
Nur noch wenige Kilometer, und der Fluss, die Brücke – der Sieg waren in Reichweite.

***

„Stopp!“ Der Befehl wurde in Englisch gegeben, auch wenn nur einer der drei Insassen des Fahrzeugs ein Mensch war. Aber die dominierende Sprache der FRT und CC war ein Idiom, das in den Söldnerverbänden der Peshten verbreitet genutzt wurde, da praktisch alle menschlichen und auch viele nichtmenschliche Soldaten es zumindest leidlich verstanden. Das Panzerfahrzeug erschauderte, und weiter vorne war ein besorgniserregendes Knirschen zu hören.
Der Kommandeur schickte ein stummes Gebet gen Himmel – an seine Götter und an alle anderen himmlischen Wesen, die zuhören mochten.
Im Grunde war ihr Einsatz eine reine Verzweiflungstat, aber dasselbe konnte man auch von der Landung der Vierten Sturmdivision und dem gesamten Einsatz der Brigade Schlüter sagen.
Entgegen aller Bemühungen hatten die Mechaniker hatten es natürlich nicht geschafft, den erbeuteten leichten imperialen Artilleriepanzer wieder in Gang zu setzen. Doch davon hatte man sich nicht aufhalten lassen. Als die Annäherung feindlicher Panzer gemeldet worden war, hatte man kurzerhand das bewegungsunfähige Fahrzeug an eine schwere Zugmaschine angekoppelt. Und so rumpelten sie als Tandem los, um in die Schlacht zu ziehen. Denn eines war klar, eine stationäre Feuerstellung wäre angesichts der feindlichen Artillerieüberlegenheit Selbstmord gewesen. Solange sie sich bewegten, hatten sie zumindest eine gewisse Chance und konnten kämpfen. Mit einem Munitionsvorrat, der besorgniserregend gering war – und dazu zusammengestückelt aus Raketen, die man in zerschossenen Feindfahrzeugen und gestürmten Stellungen geborgen hatte und bei denen keiner so genau wusste, ob sie noch funktionierten. Mit Kommunikationsmitteln, die bestenfalls rudimentär mit den peshtischen und terranischen Systemen kompatibel waren. Und einer Crew, deren Erfahrung mit imperialen Fahrzeugen bestenfalls begrenzt zu nennen war.
Na ja, besser hier, als an der Frontlinie mit einem Sturmgewehr in der Hand…

Der menschliche Funker fluchte lauthals, während er versuchte, vernünftige Zielpeilungen zu bekommen. Es war fast unmöglich, die Sensorangaben der wenigen Drohnen und Kameras der Verteidiger in das imperiale System einzuspeisen, und selbst der Funkkontakt war bestenfalls sporadisch. Schließlich gab es auf und widmete sich den aktiven und passiven Ortungssensoren: „Achtung, habe eine erste Funkpeilung. Werfer schwenken für Beschuss Planquadrat A-15…nein 16.“
Da die Terraner und Peshten von vorneherein damit gerechnet hatten, dass ihre Kommunikation nicht reibungslos funktionieren würde, hatten sie vorsorglich digitale Stadtkarten mit Planquadraten ausgegeben, die eine grobe Orientierung boten. Zur Verfeinerung der Zielerfassung griff man auf fast archaische Methoden zurück. Die Infanterietrupps, die ohnehin dicht am Gegner blieben, setzten automatisch sendende Funkgeräte als Funkbaken ein. Und dazu…
„Achtung, Sekundärpeilung, zweite Funkbake…Triangulation läuft…DA!“
Der Soldat brüllte beinahe, als er auf den Bildschirm deutete. Zwischen den Rauchschwaden und verwaisten Häusern stieg weit voraus eine giftgrüne Leuchtkugel auf, gefolgt von einer roten: „Zielangabe 1200, fünf Grad Abweichung, Schusswinkel 80 Grad…FEUER!“
Der Werfer spuckte vier Raketen aus, die mit einem schrillen Jaulen emporstiegen. Eine driftete zu weit zur Seite und detonierte an einer Häuserwand, aber die anderen waren offenbar auf gutem Weg. Sie kamen außer Sicht – dann kündete ein dumpfes Grollen und ferner Flammenschein von den Einschlägen.
„25 Meter weniger…Feuer!“ und vier weitere Raketen folgten.
Der Kommandant schaltete sich ein: „Zugmaschine – bringt uns hier weg, und zwar schnell!“
Natürlich – die Kaiserlichen würden versuchen, die terranische Artillerie anzupeilen.
Während das Tandem Fahrt aufnahm beugte sich der Kommandant über die Munitionsanzeige. Lange würden ihre Raketen nicht mehr reichen…
Blieb nur zu hoffen, dass sie etwas ausrichteten.

***

Südlich der Stadt

„WAS?! Sie wissen nicht, wo Major Danik ist oder wie man sie erreichen kann? Bei den Göttern der Sternenleere, sie ist Ihre verdammte Einheitskommandeurin! Dann FINDEN SIE SIE – oder jemand, der an ihrer Stelle übernimmt!“
Major Varran war sich halb bewusst, dass er sein Gegenüber in etwa auf dieselbe Art und Weise anschnauzte, wie ihn besagte Majorin Danik ihrerseits vor wenigen Minuten angefahren hatte, weil es immer noch nicht gelungen war, die feindliche Artillerie zum Schweigen zu bringen. Der Gegner hatte nicht viel – ein, zwei Mehrfach-Raketenwerfer und maximal ein Dutzend leichte und mittelschwere Mörser auf beiden Seiten des Flusses. Aber irgendwie schaffte er es, sowohl das Feuer aufrecht zu halten als auch sich der Erfassung zu entziehen. Die Kaiserlichen hatten nicht genug Aufklärungsdrohnen – von Kampffliegern ganz zu schweigen – um die gegnerische Artillerie aus der Luft zu orten oder gar zu zerstören. Natürlich störten die Terraner die Kommunikation der Drohnen und schossen jede herunter, die sie erblickten. Und die Sichtverhältnisse waren ja auch alles andere als optimal. So musste sich Varran vor allem auf sporadische Funkmeldungen und das Radar verlassen – das angesichts der Stadtlandschaft und des sprichwörtlichen Nebel des Krieges nicht sehr verlässlich arbeitete. Selbst wenn es ihm gelang, eine gegnerische Feuerstellung anzupeilen, schaffte es der Gegner immer wieder, sich rechtzeitig abzusetzen. Vermutlich verlagerte er die Mörser nach wenigen Schüssen per Lastenschweber – oder hatte sie gleich auf Rad- oder Kettenfahrzeuge montiert und feuerte von diesen Behelfs-Selbstfahrlafetten. Aber Majorin Danik war nicht in der Stimmung gewesen, zu diskutieren was möglich war und was nicht.

Und jetzt war auch noch der Kontakt zu ihr abgebrochen. Der Artillerie-Major ahnte Unheil. Irgendetwas, etwas GROßES war in der Stadt in die Luft geflogen, etwa dort, wo der Hauptangriff lief. Vielleicht ein gegnerisches Munitionsdepot, vielleicht irgendein ziviles Warenhaus, dessen explosiver Inhalt nicht geräumt worden war…vielleicht aber auch ein Krat-Panzer mit seinem Treibstoff und halbvollem Raketendepot.
Das wäre in jedem Fall ein schwerer Schlag, sollte es sich aber gar um Daniks Panzer handeln, dann war das eine Katastrophe. Für den laufenden Angriff, die Kampfmoral, ja für die ganze Schlacht – denn wer sollte die ,Totengräberin‘ ersetzen? Sicher nicht Oberst Golis…
Deshalb versuchte er verzweifelt, eine Verbindung herzustellen, während er zugleich so handelte, wie Danik es vermutlich erwartet hätte: „Haben wir jetzt eine vernünftige Peilung?“
„Nein. In den letzten Minuten hat der Gegner aus mindestens zehn Feuerstellungen auf dem Süd-, und sieben Feuerstellungen auf dem Nordufer mit indirekten Waffen gefeuert. Zeitlicher Abstand legt nahe, dass sie ständig verlagern. Kein Bewegungsmuster erkennbar.“
Natürlich, das wäre ja auch zu schön gewesen, wenn die Weichhäute einfach immer dieselbe Straße rauf- und runtergefahren wären.
Aber irgendetwas musste geschehen. Und wenn er schon die Hände des Gegners nicht abschlagen konnte…
„Achtung, an alle – Standortwechsel. 3000 vorwärts… Zielkoordinaten folgen“
Er musste ein Risiko eingehen, sich dem Kampfgebiet gefährlich nähern, doch vertraute der junge Offizier darauf, dass die feindliche Artillerie zu schwach war und eine zu geringe Reichweite hatte, um wirksam Konterbatteriefeuer geben zu können.
Wenige Minuten später waren sie am Ziel – die umkämpfte Stadt war schon gut zu erkennen.
Die Sa’toko Artilleriepanzer richteten ihre primären Werfer neu aus, ebenso die schweren Schwebepanzer, die als Geleitschutz dienten, und auch die leichten Hilfsartilleriefahrzeuge. Mehr als fünfzig Rohre schwenkten synchron nach Varrans Vorgaben: „FEUER!“

***

Ai’Shan Park


Das erste Mal seit Beginn des Angriffs gab es echten Grund zu Hoffnung. Nera’Rijen hatte den nicht sehr energischen Angriff von Norden abschmettern können, und eine Angriffskolonne in Alta’Rijen war gut einen Kilometer zurückgegangen und schien im Moment eher damit beschäftigt, sich zu reorganisieren. Sie würden zweifellos wieder angreifen, aber nachdem sie zwei von drei schweren Kampfpanzern und einiges an leichten Fahrzeugen und Infanterie eingebüßt hatte, konnten die Imperialen kaum darauf hoffen, entscheidende Erfolge zu erzielen. Hoffentlich war ihnen das auch klar.
Die Angriffskolonne auf der Hauptstraße lag ebenfalls fest, auch wenn sie weit, sehr weit vorgestoßen war. Im Moment befand sie sich anderthalb Kilometer vor dem Hauptbahnhof und damit zweieinhalb vom Park entfern. Die Terraner und Peshten hatten den gegnerischen Verband – mit ebenso viel Glück wie Verstand und Wagemut – aufspalten können, als konzentrierter Beschuss der Artillerie und tollkühne Angriffe von Infanteristen kurz nacheinander mehrere feindliche Fahrzeuge ausgeschaltet hatte. Die Wracks und Granattrichter bildeten zusammen mit dem pausenlosen Beschuss der Infanterie und dem Beschuss der terranischen schweren Waffen eine Barriere, welche die Echsen bisher nicht hatten überwinden können. Sie hatten einen ihrer schweren Panzer verloren, ein zweiter war offenbar lahm geschossen. Zwei Versuche des Gegners, wieder Fühlung zwischen den Kampfgruppen herzustellen, waren abgeschlagen worden, wenn auch nur um Haaresbreite. Natürlich würde das nicht mehr lange gutgehen. Schlüter hatte nicht genug Artilleriemunition, um den Druck beliebig lange aufrecht zu erhalten.
Was die Brigade im Moment so dringend – dringender – brauchte wie das Brot zum Essen, waren ein paar Thunderbolt-Jagdbomber, die Lenkbomben warfen. Und zwar bald, so lange der Feind seine Angriffskeile nicht ausweiten konnte. Noch hielten die Kaiserlichen im Grund nur zwei lange ,Schläuche‘ im Stadtgebiet, mit bestenfalls ein paar Seitengassen zu beiden Seiten der Hauptstraßen, auf denen sie angegriffen hatten. Man musste sie packen eher sie die Einbrüche ausweiten, ihre Fahrzeuge besser verteilen und Luftabwehr nachziehen konnten. Und wenn man dann mit den zusammengekratzten Reserven nachsetzte, bestand eine Chance, den Einbruch der Echsen weitgehend, wenn nicht gar vollständig zu beseitigen. Dass die feindliche Artillerie ihre Feuerstellung verraten hatte und ebenfalls zum Ziel werden konnte, kam hinzu.

Schlüter hatte nicht wirklich Gelegenheit gehabt, Angst zu empfinden. Zum einen, so viel Zeit war noch gar nicht vergangen – keine Stunde seit dem Beginn der Kämpfe. Ihr Befehlsstand war zwar ziemlich exponiert – ein umfunktioniertes Shuttle, das vor Boden- und Luftsicht notdürftig getarnt war, aber eben doch im Freien stand. Aber die massiven Panzerplatten boten ziemlich verlässlichen Schutz vor allem was der Gegner auffahren konnte, unterhalb einer überschweren Lenkbombe oder Direktbeschuss mit einer Railgun. Natürlich hatte sie Nervosität gespürt, als die Symbole der feindlichen Angriffsspitzen scheinbar unaufhaltsam auf ihre eigene Position zu gekrochen waren. Aber nach den Kämpfen in der, nun ja, Hölle von Hellmountain war sie relativ abgehärtet gegen solche Schrecken. Hier hatte man wenigstens freien Himmel über dem…
„Beschuss!“
Der Ruf schnitt durch das Stimmengewirr des Kommandostandes. Schlüter blickte auf: „Was…?“
Sie kam gar nicht dazu, eine Frage zu artikulieren, denn ihr Untergebener fiel ihr ins Wort: „Orte massierten indirekten Beschuss auf den Park, Einschlag in…“ Er schluckte sichtlich: „Jetzt.“

Schlüter blickte unwillkürlich zum Geschützturm des Shuttles. Er bot keinen wirklichen Schutz vor massiertem Beschuss, konnte bestenfalls einzelne Geschossenen abfangen. Und natürlich bestand strikte Anweisung, nur im Fall eines drohenden Volltreffers zu feuern – zu groß war die Gefahr, die eigene Stellung zu verraten. Das wäre eine Einladung für konzentrierten Feindbeschuss gewesen.
Im Innern des Shuttles – immerhin ausreichend versiegelt, um gefahrlos durch den luftleeren Raum zu fliegen – war von den Detonationen ringsum nichts zu hören. Alles was man spürte, war ein leichtes Schaukeln, als der Luftdruck der Explosionen auf den Rumpf traf, gefolgt von einem kaum hörbaren Trommeln, wie Regentropfen auf einem Fahrzeugdach – emporgeschleuderte Erde, Trümmerteile, vermutlich auch Geschosssplitter. Nichts davon war eine Gefahr für ein Shuttle mit geschlossenen Luken.
Die Kommandeurin wurde dennoch kreidebleich. Sie wusste, ihre Pflicht lag darin, Befehle zu geben, doch sie konnte nicht anders, als versteinert auf die Bildschirme zu starren, welche die Aufnahmen der Außenkameras zeigten.
Es war nicht der Anblick der gegnerischen Geschosse, der sie erschütterte – auch wenn die Salven flammenspuckender Raketen ein beängstigendes Bild boten. Die wenigen erbeuteten Luftabwehrgeschütze, die im Bereich der Brücke standen, gaben Sperrfeuer mit ihren Zwillings- und Vierlingslasern, richteten aber wenig aus. Weit schrecklicher war jedoch der Anblick, der sich im Park selber bot.
Der Park, gleich zu Beginn der Landung vom COLUMBIA-Bataillon besetzt und tief in der von den Terranern befreiten Stadt gelegen, war von Anfang an zur primären Start- und Landebahn für die Nachschubsshuttles der Brigade avanciert. Er lag zentral, war damit für zu evakuierende Verwundete und Gefangene relativ schnell zu erreichen, und umgedreht ließen sich hier ausgeladene Mannschaften und Güter zügig verteilen. Und noch immer lagerte einiges an Fracht hier, das noch nicht hatte verteilt werden können. Weiträumig und frei von hohen Gebäuden bot er mehr als ausreichend Platz, und war weit entfernt von den verbliebenen Widerstandsnestern der Imperialen.
Auch die Evakuierung der Zivilisten war deshalb hier abgewickelt worden. Als der feindliche Angriff begann, hatten wohl einige der Peshten Zuflucht in umliegenden Häusern und Kellern gesucht, etwa in der naheliegenden Hauptbibliothek, die den Kaiserlichen als HQ gedient hatte. Was der Grund war, aus dem die Terraner das Gebäude gründlich durchsucht, aber anschließend wohlweißlich gemieden hatten. Andere waren im Tempel der namensgebenden Sonnengöttin im Zentrum des Parks verschwunden – viele andere waren aber auch im Freien geblieben. Sie waren so verzweifelt erpicht darauf, eine Maschine aus der Stadt zu erwischen, dass sie um keinen Preis ihren Platz in der Schlange aufgeben wollten. Außerdem lag der Park nun einmal weit von der Kampffront entfernt – und das Näherkommen der feindlichen Verbände hatte eher noch mehr Flüchtlinge ins Innere der befreiten Zone getrieben. Die Terraner hatten sich bemüht, die Zivilisten von dem Teil des Parks fernzuhalten, der für militärische Zwecke genutzt worden war, aber die letzten Aufpasser waren kurz nach Beginn des Angriffs abgezogen worden. Schlüter brauchte jeden an der Front, der eine Waffe halten konnte.

Der Anblick war grauenerregend. Rings um das Shuttle – manchmal nur wenige Dutzend Meter entfernt – schlugen imperiale Artillerieraketen ein, eine nach der anderen, in Wellen der Vernichtung, so schnell der Gegner feuern konnte. Sie schleuderten Fontänen von Dreck, Rauch und Feuer empor – und zerfetzte Körper. Zwischen den kleinen Nebentempeln und Schreinen, den Bäumen und Hecken, welche die Eroberung der Stadt durch die Akarii und dann den Angriff der Terraner relativ unbeschadet überstanden hatten, irrten buchstäblich hunderte vollkommen panische Zivilisten umher wie Ameisen, deren Haufen von einem gleichgültigen oder boshaften Kind zertreten wurde. Wohin sie sich auch wandten, immer wieder schlug der Tod ebenso wahl- wie erbarmungslos zu, zermalmte, zerfetzte, verbrannte, verstümmelte.
Schlüter beobachtete regungslos, wie eine kleine Gruppe Zivilisten in Richtung des Shuttles rannte. Eine Peshtenfrau mit zwei kleinen Kindern, ein Baby auf dem Arm. Ein Marine hob den Arm, um die Luke zu öffnen, doch noch ehe die Majorin etwas sagen konnte, ließ er ihn bereits wieder sinken. Es war ausgeschlossen, mitten im feindlichen Beschuss die Sicherheit des Kommandostandes zu gefährden. Für die Zivilisten gab es im Moment keine Hilfe – ob sie starben oder lebten entschied allein der Zufall.
Schlüter wandte sich ab. Auch wenn sie die brutalen Kämpfe in den Tunneln von Hellmountain gesehen hatte – das wahre Gesicht des Krieges, die wahre Hölle waren Dinge wie diese.
Ihre Stimme klang belegt: „Funkspruch an das Feldlazarett. Sie sollen sich bereitmachen, Teams herzuschicken, so wie der feindliche Beschuss eingestellt wird.“
Dann verbannte sie jeden Gedanken an die Zivilisten. Sie hatte eine Schlacht zu führen. Und vielleicht konnte sie diese immer noch gewinnen. Wenn es Hoffnung für ihre Leute und auch für die Peshten gab, dann nur durch diesen Sieg.
„Geben Sie mir die Reservekampfgruppen, ich will sie in spätestens zehn Minuten in Position haben. Und wo zum Teufel bleiben die verdammten Jagdbomber?!“



Geschrieben von Tyr Svenson am 12.02.2022 um 06:53:

 

Half a league, half a league,
Half a league onward,
All in the valley of Death
Rode the six hundred.
‘The Charge of the Light Brigade’, von Alfred Lord Tennyson

Gamma-Eridon, weit hinter den imperialen Linien, etwa zwei Tage nach Beginn der Operation ‚Markat‘


Der Rand des kleinen, namenlosen Wäldchens lag scheinbar verlassen. Nichts regte sich. Die Tiere waren verstummt, geflüchtet oder verbargen sich – vor dem was sich in dem Wald versteckte.
Einige hundert Meter vom Waldrand entfernt, im Herzen des Gehölzes, starrte Oberst Clas Schiermer stirnrunzelnd auf den Bildschirm, der die Aufnahmen einer Drohnenkamera übertrug. Die Qualität der Wiedergabe war schlecht, das Bild war körnig und flackerte immer wieder. Schiermer unterdrückte den Impuls, dem Wiedergabegerät einen Schlag zu versetzen. Allerdings sah er auch so genug, was seine Laune nicht verbesserte.
„Also, was haben wir?“
„Wir vermuten mindestens ein halbes Dutzend Panzerabwehrstellungen entlang dieser Linie…sowie vier bis sechs getarnte Panzer oder Schützenpanzer, auch wenn die Signaturen zu schwach für eine eindeutige Identifizierung sind.“
„Wieder unsere Freunde vom Dritten Schweren Regiment?“
„Vermutlich, obwohl sie wohl Verstärkung bekommen haben. Immerhin hatten sie beim letzten Mal noch keine Artillerieunterstützung, auch wenn sie zum Glück anscheinend nur über wenig Munition verfügen. Sonst würden sie sicherlich mehr herüberschicken als Störfeuer.
Leider kann ich unmöglich sagen, wieviel feindliche Infanterie zusätzlich in Stellung gegangen ist, aber wir haben wenigstens ein halbes Dutzend Späher gezählt. Jedenfalls…“
„Wenn wir hier mit dem Kopf durch die Wand gehen wollen, holen wir uns eine blutige Nase.“
Seine Gegenüber zögerte – vielleicht weil die Offizierin erst einmal gedanklich die Bedeutung der terranischen Redewendung übersetzen musste. Dann nickte sie: „Ja, Sir. Zumal die Einschätzung der gegnerischen Stärke nur das erfasst, was wir sehen oder vermuten. Es würde mich nicht wundern, wenn die Imperialen auch Minen gelegt hätten. Oder…“
„Ich kann es mir vorstellen.“ Offenbar waren die Akarii nicht gewillt, es der Vierten Sturmdivision leicht zu machen. Und sie hatten einen guten Grund, eine Linie im Sand zu ziehen. Denn hinter den feindlichen Stellungen lag der Ganntik-Komplex. Und der bestand nicht nur aus einem der wenigen im Marschkorridor der Sturmdivision verbliebenen imperialen Flugplätze, sondern umfasste auch ein großes Reparatur- und Nachschublager, das die Imperialen unmöglich so schnell geräumt haben konnten. Dieses Lager zu erobern oder zu vernichten wäre ein wichtiger Sieg für die Vierte gewesen. Ein Sieg, der allerdings momentan reichlich unwahrscheinlich schien.

„Colonel, die Generalin will Sie sprechen.“
Kurz hatte Schiermer so etwas wie ein Déjà-vu. Das hatte er doch schon einmal gehört…
Dann verdrängte er den nutzlosen Gedanken: „Stellen Sie durch.“
Einer der anderen Bildschirme in dem Kommandofahrzeug erwachte zum Leben und teilte sich in mehrere Felder. Offenbar war nicht nur Lieutenant General Tesh’ta zugschaltet, sondern auch Colonel Orta und Colonel Gabani, die die beiden anderen Infanterieregimenter der Vierten kommandierten, Colonel Hamat von den Panzern sowie Colonel Morka, die dem Artillerieregiment vorstand. Dazu kamen Colonel Frost von den Pionieren, Major Gai’it von der technischen und Majorin Lossa von der Nachschubabteilung. Die meisten Offiziere schienen sich ebenfalls in ihren Kommandofahrzeugen zu befinden. Hamat hingegen saß offenbar im Turm eines Kampfpanzers, Frost hatte sein Holokom anscheinend auf einer Waldlichtung aufgebaut und Gai’it sah so aus, als hätte man ihn UNTER einem Panzer hervorgezerrt. Das war keine Überraschung – die technische Abteilung machte Überstunden, um alle Fahrzeuge am Laufen zu halten.
„Ich wusste nicht, dass das eine Konferenzschaltung wird.“, Hamat klang nicht erfreut. Die Panzerführerin war nicht gerade für ihr sonniges Gemüt bekannt.
„So spare ich mir die Mühe, Sie einzeln informieren zu müssen.“, konterte die Divisionskommandeurin: „Wie Sie alle wissen, ist die terranische Marineinfanterie bei Arta’Rijen auf beiden Seiten des Flusses gelandet.“
„Wir haben davon gehört.“, warf Colonel Orta ein. Der T’rr klang ungeduldig.
„Vor wenigen Stunden haben die Akarii einen Gegenangriff gestartet. Soviel wir wissen in Regimentsstärke und mit schweren Waffen – überwiegend Einheiten der ‚Herolde‘.“
„So schnell?“ Colonel Gabani vom Dritten Infanterieregiment der Sturmdivision klang geschockt: „Unmöglich!“
Colonel Hamat, die T’rr-Kommandantin des Panzerregimentes, fluchte hingegen nur unflätig, assistiert von Colonel Orta vom Ersten Infanterieregiment.
„Wenn ich fortfahren darf…offenbar waren die Imperialen dabei, mechanisierte Verbände in den rückwärtigen Heeresbereich oder wahrscheinlicher zu den Imperialen Rangern von General Jeron zu verlagern und haben einfach umdisponiert.“
„Egal, wie sie es geschafft haben.“, winkte Schiermer ab: „Wichtig ist, was sie erreicht haben.“
„Der Angriff wurde zurückgeschlagen. Aber die Imperialen haben eine Reihe von Punkten im Stadtgebiet zurückerobert und die Luftlandetruppen eingekreist. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass sie sich damit zufriedengeben. Sie werden sich inzwischen vermutlich ausrechnen können, warum die Marines in Arta’Rijen gelandet sind.“
„Wenn sie keine Idioten sind.“, gab Schiermer ihr Recht: „Und wir alle wissen, dass weder General Bû noch Generalin Jeron Idioten sind. Und Generaloberst Tyrosch Anwhar auch nicht.“
„Also werden sie erneut angreifen. Und zwar bald und mit größerer Kraft.“, nahm Generalin Tesh‘ta den Ball wieder auf: „Und wenn es ihnen gelingt, die Landezone auf einer der beiden Flussseiten einzudrücken, bevor wir oder der Rest des 30. Korps den Rijen erreichen…dann wird diese Offensive scheitern. Dann können wir von Glück sagen, wenn wir wenigstens einen Teil unserer Truppen retten können.“
„Diese Siegeszuversicht ist erfrischend, Generalin.“, spottete Schiermer: „Aber Sie haben uns doch nicht an die Bildschirme geholt, nur um uns das zu sagen.“
Die Generalin warf ihrem Untergebenen einen ausdruckslosen Blick zu, ging aber nicht auf seinen Tonfall ein: „Wir sind hinter unserem Zeitplan. Auch der Rest des 30. Korps unter General Horoks kommt nicht so schnell wie geplant voran.“
„Welche Überraschung.“, spottete Colonel Hamat: „Ich wette, niemand von den Intelligenzbestien, die sich diese Offensive ausgedacht haben, hat mit DER Möglichkeit gerechnet.“
„Sparen Sie sich ihren Sarkasmus für die Siegesparade.“, winkte Generalin Tesh’ta ab: „Wir müssen uns erst einmal um uns selbst kümmern. Und um die Marines, die Arta’Rijen ohne schwere Waffen und Unterstützung nicht lange werden halten können.“
„Vielleicht überraschen die Menschen Sie ja.“, warf der Ex-Marineinfanterist Schiermer ein.
„Na ja, vielleicht. Aber darauf wollen wir uns doch lieber nicht verlassen.“, spottete Hamat.
„Was ist mit unseren Luftstreitkräften?“, kam es von Colonel Frost.
„Die müssen auch noch unseren Luftraum und das 30. Korps sichern. UND den Rest der Front. Sie können sich also ausrechnen, dass die Kapazitäten unserer Luftstreitkräfte momentan ziemlich beansprucht werden. Und was die Unterstützung durch unsere Raumjäger angeht, sieht es auch nicht gut aus. Die Angry Angels fliegen seit Tagen rund um die Uhr. Und jetzt haben die Imperialen auch einen Nachschutzkonvoi auf den Weg geschickt. Wir sollten lieber davon ausgehen, dass die Angry Angels uns nicht auf unbegrenzte Zeit weiter zur Verfügung stehen werden.“
„Die haben sich in letzter Zeit ohnehin rar gemacht.“, warf Schiermer ein, der ein etwas kompliziertes Verhältnis zu dem Geschwader seines alten Mutterschiffs hatte.
„Wie dem auch sei. Wir stehen also unter Termindruck und müssen versuchen, die verlorene Zeit wettzumachen. Statt wie geplant binnen drei Tagen die eigenen Linien zu erreichen, können wir von Glück reden, falls wir morgen oder übermorgen wenigstens im Raum Arta’Rijen eintreffen. Und auch das nur, wenn wir ohne weitere Verzögerungen vorankommen. Und das heißt, wir können hier nicht bleiben.“
„Sie meinen, der Angriff auf Ganntik fällt aus.“, präzisierte Schiermer: „Mir soll es Recht sein. Die Imperialen haben sich ziemlich tief eingegraben. Wir könnten sie vermutlich aus ihren Löchern holen, aber das würde blutig werden.“
„Wir hauen einfach ab? Kann nicht wenigstens unsere Artillerie…“
„Meinen Werfern und Geschützen fehlt die Munition.“, konterte Colonel Morka den Vorschlag von Colonel Hamat: „Wir haben noch zwei, maximal drei Gefechtssätze, nicht mehr.“
„Also fällt auch diese Möglichkeit weg.“, bilanzierte Schiermer: „Wir sollten vermutlich froh sein, wenn uns die Akarii überhaupt fort lassen.“
„Ihre Zuversicht ist erfrischend, Colonel.“, kam die zu erwartende Retourkutsche von Tesh’ta: „Aber Sie haben Recht, eine Division in Marschkolonne könnte für unsere imperialen Freunde eine ziemliche Verlockung sein. Vor allem, wenn sie die Befehle erhalten haben, von denen ich ausgehe. Also sollten wir mit einem Angriff rechnen. Und da kommen Sie ins Spiel, Hamat…“


***


Ungefähr eine Stunde später, am Rande der Ganntik-Basis


„Sie wollen was?“, Lieutenant Kazirs Stimme klang ungläubig.
„Sie haben mich verstanden. Die Vierte Sturmdivision zieht ab. Und wir werden da nicht einfach nur zusehen. Also greifen wir an.“
„Wir haben nicht mal ein volles Regiment Panzerfahrzeuge – und sollen eine Division angreifen? Finden Sie das nicht ein bisschen sehr unsportlich?“
„Eine Division auf dem Marsch. Außerdem wird das nur ein schneller Schlag in die Flanke, wir greifen nicht frontal an.“
‚Na, hoffentlich halten sich die Alliierten daran, wie sie sich unserem Plan nach zu verhalten haben und entwickeln keine eigenen Vorstellungen.‘, dachte Kazir sarkastisch, sparte sich aber die erneute Formulierung seiner Bedenken. Nach mehreren Gefechten mit der Vierten Sturmdivision war der zum Dritten Schweren Regiment der imperialen Armee gehörende Zugführer vorsichtiger geworden. Aber das galt wohl nicht für alle imperialen Offiziere.
Wie ihm die Stimme seines Vorgesetzten bestätigte: „Genug geschwätzt. Sie kennen Ihre Befehle. Abrücken in zwei Minuten.“
„Bestätigung.“, knurrte Kazir. Er drehte den Kopf zur Seite und registrierte, wie der Richtschütze von Panzer Zwei ihm einen bedeutungsvollen Blick zu warf: „Mach nicht so ein langes Gesicht! Du hast den Mann gehört! Funkkanal zu den anderen Einheiten öffnen. Wir haben neue Befehle…“

Gleich darauf erwachte der Hauptantrieb des schweren Chukara-Schwebepanzers mit einem dumpfen Röhren zum Leben. Panzer Zwei machte einen Satz nach vorne und brach aus seiner Deckung – genauso, wie es rechts und links die anderen Einheiten des Zuges taten. Ihnen folgten mehrere Spähpanzer, die die schwereren Einheiten rasch überholten.
Kazir warf einen Blick auf den Radarbildschirm und registrierte das Vorrücken der anderen Einheiten der ad-hoc zusammengestellten Kampfgruppe. Und dort, dort musste die Marschsäule der Vierten Sturmdivision in der Ortung auftauchen.
Es sah gut aus. Nach den bisherigen Informationen bestand die Flankensicherung der Vierten aus leichten Einheiten, während die schweren Kampfpanzer weiter vorne fuhren. Jetzt kam es auf Geschwindigkeit an. Wenn sie schnell und entschlossen zuschlugen…
„Panzerraketen laden. Primärziel Außensicherung, schießen nach Vorgabe. Achtung, Panzer Vierundzwanzig, Zielzuweisung folgt…“
Mit einem leisen Schleifen und einem Doppelklick wurden die panzerbrechenden Raketen automatisch in den Primärwerfer des Kampfpanzers geschoben. Ein fast melodischer Pington informierte die Besatzung, dass das ausgewählte Ziel – ein leichter Späh-Schweberpanzer – erfasst worden war, auch wenn die Entfernung noch zu groß für einen optimalen Schuss war. Kazir registrierte, dass auch die feindlichen Einheiten zu reagieren begannen: die alliierte Flankensicherung fächerte auf. Die leichten Einheiten schienen allerdings eher daran interessiert, Deckung zu suchen, statt in eine vorteilhafte Schussposition zu kommen.
Kazir runzelte die Stirn. Das ergab wenig Sinn. Wenn die imperialen Angriffsspitzen erst einmal auf Kernschussweite heran waren, würden ein paar Bäume und Felsen den sehr viel leichter bewaffneten und gepanzerten Feindeinheiten auch nicht viel helfen.
„Panzer Dreizehn, aufschließen, Sie hängen zurück. Feuerfreigabe in…“
Ein schriller Alarmton schnitt durch Kazirs Worte und rechts von Panzer Zwei stieg eine Explosionswolke in den Himmel, rasch gefolgt von zwei weiteren.
„Verdammt, wo kommt das her?!“
„Wir werden angegriffen! Wiederhole, werden angegriffen! Bin getroffen!“
„Feindbeschuss von der rechten Flanke!“
„Melde acht, ich korrigiere mehr als ein Dutzend Feindkontakte – KAMPFPANZER!“

Mit ohnmächtiger Wut musste Kazir mit ansehen, wie erneut ein imperialer Schlachtplan in Chaos und Feuer aufging, als feindliche Panzer in Bataillonsstärke an der Flanke der Angriffskolonne auftauchten. Natürlich kamen die nicht einfach aus dem Nichts. Vermutlich hatten sie mit heruntergefahrenen Motoren und in der Deckung von Vegetation und Tarnnetzen auf der Lauer gelegen – offenbar in der Erwartung, dass die Imperialen genauso handeln würden, wie sie es getan hatten: mit einem Angriff in die Flanke der alliierten Marschkolonne. Kazir HASSTE es, vorhersehbar zu sein.
„Panzer beidrehen auf 30 Grad! An Alle – Feuer nach eigenem Ermessen!“
Panzer Zwei kränkte bei der scharfen Gefechtskurve so sehr zur Seite, dass Kazir einen Augenblick lang fürchtete, der Schweberpanzer würde sich überschlagen: „Ziel erfassen!“

Aber auch wenn die Panzer seines Zuges mit der gewohnten Professionalität und Schnelligkeit reagierten, befürchtete Kazir, dass es nicht genug sein würde.
Im Gegensatz zu dem, was viele Zivilisten glaubten, waren Mut, Entschlossenheit und persönliche Leistung im Panzerkampf von nur zweitrangiger Bedeutung.
Entscheidender war häufig, wer den moderneren Panzer mit der dickeren Panzerung und der besseren Bewaffnung, Sensorik und Defensivelektronik besaß. Und wenn – wie in diesem Fall – die Gegner technologisch beinahe ebenbürtig waren, dann entschied meist das Überraschungsmoment über den Gefechtsausgang. Oder wer als erstes das Feuer eröffnete.
Und was das anging, hatten die Peshten diesmal die Trumpfkarten in der Hand.


*


Fast gleichzeitig, nur etliche hundert Meter entfernt

„Ziel auf 11 Uhr!“, das Rohr der Magnetkanone schwenkte in die vorgegebene Richtung. Als der unsichtbare Strahl der Laser-Zielerfassung den Rumpf des imperialen Panzers berührte, erklang im Gefechtsraum von Colonel Hamats Panzer der vertraute Doppelton: „Feuer!“
Das Hauptgeschütz des Jackhammer-Kampfpanzers entlud sich mit einem peitschenden, metallischen Knall und spuckte eine 15 Zentimeter messende, überschallschnelle Metallkugel aus. Der feindliche Kampfpanzer hatte Glück. Das Geschoss traf die geneigte Panzerung in einem ungünstigen Winkel und konnte sie nicht durchschlagen. Der Feindpanzer nebelte und zog sich hinter einen flachen Hügel zurück.
„Hamat, hier Tesh’ta: Angriff abbrechen, einnebeln und zur Hauptkolonne aufschließen.“
Die fast ausdruckslose Stimme der Divisionskommandeurin erwischte die Kommandantin des Panzerregiments wie eine kalte Dusche: „Abbrechen?! Wir treiben die Imperialen vor uns her! Wir stoßen vor und überrollen Ganntik! Dann…“
„…sind Sie in bequemer Schlagweite der imperialen Artillerie. Und der Panzerabwehr. Wenn Sie versuchen Ganntik einzunehmen, werden Sie zusammengeschossen. Und selbst WENN Sie es schaffen – von unseren Panzern wäre dann nicht mehr viel übrig.“
„Aber…“
„Nichts aber. Wir haben dem Feind einen Nasenstüber verpasst und ihm die Lust auf weitere Vorstöße genommen. Das ist genug. Verluste können wir uns nicht leisten. Wir brauchen unsere Panzer am Rijen. ALLE unsere Panzer.“
Hamat war versucht, Kommunikationsprobleme zu simulieren und den Angriff fortzusetzen. Aber obwohl die T’rr als Hitzkopf galt – SO desperat war sie nun wieder auch nicht: „…bestätigt, General.“, Hamats Stimme klang gepresst.
„Keine Sorge. Sie werden Gelegenheit bekommen, sich mit den Imperialen zu raufen. Ich lasse Morkas Artillerie eine Salve Thermorauch und Radartäuscher schießen.“
Hamat schluckte ihre Enttäuschung herunter und aktivierte den Regimentskanal: „Achtung, Hamat an alle: Nebeln und Zurückziehen. Ich wiederhole: Einnebeln und Zurückziehen. Zugsweise gegenseitig Deckung geben.“


*


Etwa eine Stunde später, ganz in der Nähe


Lieutenant Kazir stützte sich mit den Armen an der Rumpfpanzerung seines Kampfpanzers ab und atmete tief durch. Und musste sofort husten: die Luft schmeckte widerlich nach heißem Metall, verschmortem Kunststoff, Thermorauch und den chemischen Rückständen der Raketentreibladungen und -sprengkörper.
Panzer Zwei sah genauso aus, wie der junge Zugführer sich fühlte. Die Panzerung des Kampfwagens war rußgeschwärzt und an zwei Stellen durch feindliche Geschosse angeschlagen. Schlimmer noch, einer der Treffer hatte die vordere Schweberturbine beschädigt: „Versuch es noch mal!“
Die Fahrerin von Panzer Zwei, deren Kopf aus der vorderen Rumpfluke ragte, hob bestätigend den Arm und verschwand im Inneren des Kampfwagens. Gleich darauf erwachte der Motor dröhnend zum Leben. In das Wummern der schweren Maschine fiel sofort das stetige Summen der Rotorenblätter ein und der schwere Panzer erhob sich mehrere Fuß in die Luft. Aber nur kurz, denn sofort schnitt ein hohes, arrhythmisches Kreischen durch das gleichmäßige Summen und verwandelte es in ein unregelmäßiges Stottern. Der Bug des Panzers sackte wieder nach unten, während das hechelnde Summen der Bugturbine immer schriller wurde, bis es schmerzhaft wurde und Kazirs Zähne vibrieren ließ: „STOP!“
Die Lärmkakophonie verstummte und der Panzer sackte wieder auf den Boden. Kazir trat wütend gegen die Flanke des immobilisierten Kampfwagens: „Verdammt, verdammt, verdammt!“
Der Kopf der Fahrerin erschien wieder in der Luke: „Was?“
Der Zugführer winkte ab: „Nichts. Alles. Das haben wir verpatzt.“ Er meinte nicht nur die Schäden an seinem Kampfpanzer. Das Gefecht hatte kaum mehr als eine halbe Stunde gedauert und dennoch dem Imperium ein Dutzend Panzer und Spähpanzer gekostet, die entweder vernichtet oder schwer beschädigt worden waren. Was bedeutete, dass Kazirs Verband fast ein Viertel seines Bestandes verloren und nichts erreicht hatte. Und dabei zählte Kazir noch nicht einmal die beschädigten Maschinen mit, die wie Panzer Zwei wieder repariert werden konnten. Irgendwann.
Die Verluste des Gegners waren im Vergleich dazu unbedeutend. Von seinem Standpunkt aus zählte Kazir nicht mehr als drei oder vier alliierte Panzer, die durch imperiale Geschütze oder Raketen ausgeschaltet oder so schwer beschädigt worden waren, dass der Gegner sie hatte aufgeben müssen. Der Rest der feindlichen Division war längst seinen Blicken entschwunden, auf dem Weg nach Arta’Rijen – einem Marsch, an dem Kazir und seine Kameraden sie nicht würden hindern können: „So eine Scheiße.“



Geschrieben von Tyr Svenson am 20.02.2022 um 08:49:

 

Außerhalb von Arta’Rijen, Ende des zweiten Tages der Operation ‚Markat‘


Ein weiteres Gefecht der Schlacht um Arta’Rijen war geschlagen worden. Und das Imperium hatte nicht gewonnen. Die Operation hatte von Anfang an unter einem ungünstigen Stern gestanden. Der von Kampfkommandantin Atara geführte Angriff war unter hohen Verlusten gestoppt und keines der ambitionierten Ziele erreicht worden. Der Bahnhof und vor allem die Brücke über den Rijen befanden sich immer noch in alliierter Hand. Teilweise hatten die imperialen Truppen fast bis zu ihren Ausgangsstellungen zurückweichen müssen. An anderen Stellen hatten sie sich zwar im Stadtgebiet festkrallen, belagerte imperiale Widerstandsnester entsetzen und alliierte Stellungen erobern können, aber zu einem hohen Preis.
An einigen Stellen wurde noch immer gekämpft, ansonsten beschränkte sich der Schlagabtausch inzwischen aber überwiegend auf Schützen- und Mörserfeuer. Und Oberst Golis‘ Kontakt zu Kampfkommandantin Danik Ataras Panzer war vor zwei Stunden abgebrochen und es war bisher noch nicht gelungen, die Funkverbindung wieder herzustellen.

Der Oberst hatte mit einer Mischung aus Frustration und heimlicher Genugtuung wieder die Befehlsgewalt übernommen, die er erst vor wenigen Stunden an Majorin Atara hatte abgeben müssen. Viel Freude hatte er mit seinem neuen alten Kommando allerdings nicht gehabt. Trotz des Einsatzes der letzten Reserven und eines Gutteils der kostbaren Munitionsreserven für die Artillerie, war es nicht gelungen, dem Kampf eine entscheidende Wende zu geben. Aber wenigstens hatte er das Erreichte sichern können.
Und jetzt…: „Was soll das heißen, Sie wollen nicht angreifen?“
Statt einer Antwort drang aus dem Kopfhörer ein misstönendes, stakkatoartiges Fauchen, das von einem dumpfen Doppelknall und berstenden Prasseln übertönt wurde.
„Was…“
„Ich habe den Kopfhörer aus dem Fenster gehalten. Das reicht hoffentlich als Antwort auf Ihre Frage.“
Diese Anmaßung verschlug Golis kurz die Sprache, während der Infanterie-Lieutenant ungerührt fortfuhr: „Wenn wir jetzt angreifen, endet das in einem Blutbad. Wir kämen keine zwanzig Schritt weit. Ich brauche mehr Leute, wenn ich die Verbindung zu unseren nächsten Kampfstellungen stabilisieren, geschweige denn ausweiten soll. Wir können uns halten – aber nicht mehr. Ich brauche Nachschub, Munition und vor allem Verstärkung. Sagen Sie das der Kampfkommandantin.“
„Sie werden verdammt noch mal…“, Aber Golis sprach in eine tote Leitung. Entweder war die Verbindung schon wieder zusammengebrochen – oder der feldbeförderte Kompanieführer hatte einfach aufgelegt. Oberst Golis fluchte herzhaft. Das kam dabei heraus, wenn man einer Bataillonsführerin die Verantwortung für eine Brigade und einen kompletten Besatzungsbezirk gab. Majorin Ataras Idee, den überhasteten Gegenangriff persönlich zu führen, mochte die Truppen motiviert und zu den partiellen Erfolgen beigetragen haben. Aber auf Kosten der Koordination und der Gefechtsfeldübersicht. Und jetzt, da Atara plötzlich nicht mehr zu erreichen, abgeschnitten, vermisst, vielleicht sogar gefangen oder tot war, war es an ihm, die Scherben zusammenzukehren und mit vorlauten Frontkämpfern klarzukommen: „Verdammt!“
Bevor Golis sich in Selbstmitleid ergehen konnte, verlangte das Schrillen des Komms erneut seine Aufmerksamkeit.


*


Etwas später

Ein Klopfen riss Golis aus der morbiden Überlegung, ob Ataras möglicher Tod sich für ihn als Glück oder Unglück erweisen würde: „Was ist jetzt schon wieder?“
Es war Lieutenant Haktar, sein Adjutant: „Die Verletzten kommen rein, Herr Oberst. Es sind…viele.“
Golis winkte ab: „Da brauchen Sie mir nicht extra Meldung zu machen. Diese Blutrechnung geht an…“, er unterbrach sich. Nicht nur, weil das, was ihm auf der Zunge lag, nicht für die Ohren eines subalternen Offiziers bestimmt war. Außerdem…: „Was ist los, Haktar?“
„Es ist die Kampfkommandantin.“

Als Oberst Golis ins Freie trat ihm, empfing ihn eine nur zu bekannte Szenerie und der ebenso allzu vertraute Geruch nach Blut und Rauch. Die wenigen Sanitätsfahrzeuge der Kampfgruppe reichten nicht einmal annähernd für die Verletzten, die deshalb vielfach in Mannschaftstransportern und requirierten Zivilfahrzeugen eintrafen. Einige Leichtverletzte waren anscheinend sogar zu Fuß zurückgeschickt worden.
Und dort, neben einem ziemlich ramponierten und angeschmorten Radpanzer stand tatsächlich die vermisste Kampfkommandantin Danik Atara und half einem notdürftig verbundenen Marineinfanteristen aus der Luke: „Schön langsam, Kamerad. Das ist kein Wettbewerb.“
Der Soldat lachte schnaufend, trotz des Bluts, das durch die Bandagen um seine Rippen sickerte: „Das…ist…das erste Mal…dass die Armee…“, der Rest des Satzes wurde von einem Hustenanfall verschluckt. Majorin Atara packte den Marines etwas fester an der Schulter und verhinderte so, dass er umkippte: „Sanitäter!“
Sie selber sah auch nicht gerade frisch aus: den Helm einer Panzerfahrerin ersetzte eine ölverschmierte, unprofessionell um den Kopf gewickelte Bandage. Ihre Kleidung war verdreckt, rußgeschwärzt und an mehreren Stellen blutbefleckt.
„Majorin.“
Die Kampfkommandantin nickte dem Sanitäter zu, der den taumelden Verwundeten wegführte, dann erst drehte sie sich um: „Oberst Golis. Ich muss Ihnen ein Kompliment machen. Ihr Lazarett ist unter den herrschenden Umständen ziemlich gut sortiert.“
„Haben Sie sich davon persönlich überzeugt, Majorin?“
Die Kampfkommandantin schnaubte: „Seien Sie nur nicht zu begeistert über meine Rückkehr. Aber nein, das ist nur ein Kratzer.“
„War dieser ‚Kratzer‘ der Grund, warum wir den Kontakt zu Ihnen verloren haben?“, Golis wusste, dass es gefährlich war, jemanden wie Atara zu reizen, aber seine Geduld hatte Grenzen.
„Der Grund dafür waren zwei Panzerabwehrraketen-Treffer. Sie haben die Panzerung nicht durchschlagen können, aber unsere Kommunikation lahmgelegt.“, Sie tastete nach dem Verband: „Unter anderem. Und dann wurde es richtig brenzlig.“ Sie winkte ab: „Unwichtig. Einsatzbesprechung in zehn Minuten.“
„Wie bitte?“
„Wir haben genug Zeit verschwendet. Kommen Sie schon.“
Oberst Golis öffnete den Mund – und schloss ihn wieder, bevor er etwas sagen konnte, das den Tatbestand der Insubordination erfüllte. „Zu Befehl.“ Seine Stimme klang etwas erstickt. Allerdings war er trotz der in ihm kochenden Wut aufmerksam genug zu registrieren, dass die Schritte der Kampfkommandantin unsicher wirkten. Einmal musste sie sich an einem parkenden Fahrzeug abstützen, auch wenn sie es geschickt überspielte.
„Darf ich vorschlagen, dass Sie es in Zukunft unterlassen, den Angriff so…risikoreich von vorne zu führen?“
„Nur der Offizier, der beim Angriff der Erste und beim Zurückweichen der Letzte, der jede Gefahr mit seinen Untergebenen zu teilen bereit ist, der hat es verdient, dass sie seinen Befehlen folgen – und sei es auch in den Tod.“, zitierte Majorin Atara spöttisch eine alte Gefechtsdoktrin der imperialen Infanterie: „Mein Problem ist, dass zu wenige Mitglieder dieser Kampfgruppe Frontlinienkaliber sind. Diese Männer und Frauen brauchten einen moralischen Schub. Den Beweis, dass ich an den Erfolg ihres Angriffs glaube. Oder denken Sie wirklich, die Reste ihrer Garnison oder dieses Durcheinander aus Rekonvaleszenten, Alarm- und Nachschubeinheiten hätten den Kopf aus der Deckung gehoben, weil ich aus sicher Deckung ‚VORWÄRTS!‘ brülle? Falls das der Fall ist, beneide ich Sie um Ihre Zuversicht.“
„Und wie viel Zuversicht würde es wohl verbreiten, wenn Sie das nächste Mal in Ihrem Kampfpanzer verbrennen?“
„Ihre Fürsorge ist geradezu rührend!“, spottete Majorin Atara: „Aber Sie können sich ihre Einwände für unsere Siegesparade sparen.“
„Ich…“
„Im Übrigen bin ich sicher, dass Sie mich gut vertreten können. So wie Sie es jetzt getan haben. Wollen wir also?“
Oberst Golis Zähneknirschen war so laut, dass es ein Wunder war, dass seine Vorgesetzte es nicht hörte. Oder sie ignorierte es ganz einfach.

Die Runde, die sich wenige Minuten später versammelte, unterschied sich nicht wesentlich von der, die einige Stunden zuvor bei der Ankunft von Kampfkommandantin Atara zusammengekommen war. Aber die Situation war eine andere. Der auf Befehl und Drängen der Majorin durchgeführte Angriff war gescheitert. Logischerweise musste das Auswirkungen auf Ataras Machtposition haben. Wenn die Kampfkommandantin allerdings derartige Befürchtungen hegte, verbarg sie es gut. Ihre Stimme klang jedenfalls – fast – so selbstbewusst wie bei der letzten Zusammenkunft: „Wie Sie alle wissen, hat unser Angriff nicht die erhofften Erfolge gebracht. Der Gegner hat sich als zahlreicher, besserausgerüstet und auch standhafter erwiesen, als wir angenommen hatten.
Nichtsdestotrotz konnten wir eine Reihe imperialer Widerstandsnester entsetzen und unsere Stellungen in das Stadtgebiet verschieben.“
„Wenn auch zu sehr hohen Kosten.“, warf Oberst Golis ein, der Atara nicht so leicht vom Haken lassen wollte: „Drei Kampfpanzer wurden vernichtet oder kampfunfähig geschossen, dazu kommt mindestens ein Dutzend leichterer Fahrzeuge. Wie viele Einheiten beschädigt wurden, konnten wir noch nicht feststellen. Und was unsere Mannschaftsverluste angeht, müssen wir von etwa 200 Gefallenen, Verletzten, Verschollenen oder Gefangenen ausgehen. Vielleicht sogar mehr. Dieser Angriff…“
„Musste erfolgen.“, fertigte Atara ihren Stellvertreter brüsk ab: „Sie kennen die Befehle des Oberkommandierenden. Und die Verluste wären noch höher gewesen, wenn wir dem Gegner noch mehr Zeit gegeben hätten, sich einzugraben.“
‚Einzugraben‘…, irgendetwas kratzte an der Oberfläche von Golis‘ Unterbewusstsein, wurde allerdings sofort von dem in ihm hochlodernden Verdruss verdrängt: „Heißt das, Sie beabsichtigen einen erneuten Angriff? Mit diesen Kräften und gegen diese Stellungen?!“
„‘Ja‘ zu Ihrer ersten Frage, ein ganz entschiedenes ‚Nein‘ zu Ihrer zweiten Frage und ein ‚Ja, mit einem neuen Ansatz‘ zu Ihrer Dritten. Wie ich schon sagte ist der Gegner offensichtlich stärker als erwartet. Wir brauchen mehr Truppen, Panzerfahrzeuge und Artillerie. Wenn Sie uns auf den neuesten Stand bringen könnten, was unsere Verstärkung angeht, Oberst Golis?“
Der schluckte seine Wut herunter, während er auf seinem Handgelenk-Holoschirm die aktualisierten Zahlen aufrief: „Was weitere Verbände der ‚Herolde des Todes‘ angeht, so erwarten wir in den nächsten sechs bis zwölf Stunden drei Kompanien mechanisierte Infanterie und eine Kompanie Panzer. Ich würde freilich nicht damit rechnen, dass sie volle Stärke haben. Außerdem zwei Batterien mechanisierte Raketen- und Geschützartillerie. Das ist alles.“
Es hätte nicht viel gefehlt und Majorin Atara wäre zusammengezuckt. Ihre Stimme gewann einen gefährlichen Unterton: „Ich habe mich wohl verhört. Es waren Truppen in Regimentsstärke angekündigt worden und jetzt kommen nicht einmal zwei Bataillone?“
Oberst Golis hielt seine Stimme ausdruckslos, auch wenn er fast so etwas wie ein reichlich unprofessionelles und unangebrachtes Gefühl der Genugtuung verspürte: „So wurde uns mitgeteilt. Der Rest wurde offenbar für den geplanten Gegenangriff auf das 30. Korps zurückbeordert. Wenn Sie wollen, können Sie natürlich bei General Bû anfragen…“
„Sehr witzig. Was sonst?“
„Ein Halbzug mechanisierte Vierlingslaser-Flak und ein Zug Laka-Panzerjäger.“
„Die sind zwar besser zum defensiven Einsatz geeignet, aber wir können nicht wählerisch sein.“

Bei dem nach einem nashorngroßen Panzerreptil von Akar benannten Laka-Sturmgeschütz handelte es sich um eine ‚verbilligte‘ Variante des ohnehin kostengünstigen Krat-Kampfpanzers. Das Panzerfahrzeug verzichtete auf den Zwillingsraketenwerfer und einen der Impulslaser des Krat. Und statt in einem Panzerturm war die Hauptbewaffnung in Form einer 18-Zentimeter-Magnetkanone in den Rumpf verlagert worden. Der Verzicht auf den Turm gab dem von den Menschen ‚Rhino‘ genannten Jagdpanzer auf Kosten seiner Kampfkraft in Bewegungsgefechten eine sehr niedrige Silhouette. Durch das Anmontieren zusätzlicher Panzerschichten war der Laka sogar noch schwerer gepanzert als der Krat.

„Bei der Infanterieverstärkung sieht es auch nicht viel besser aus. Wir können mit zwei, maximal drei Kompanien aus Versprengten, Garnisonseinheiten und dergleichen rechnen. Es könnten mehr sein, aber ein Gutteil ist immer noch damit beschäftigt, sich um die Guerillas zu kümmern, die den Angriff unterstützt haben und jetzt versuchen, in ihre Löcher zurück zu kriechen.“
„Die hätten erst gar nicht so stark werden dürfen.“
„Dazu kommt eine Kompanie des Jagkommandos ‚Son‘ der Turam-Brigade, die sich gerade in unserem Hinterland ebenfalls um diese verdammten Guerillas kümmert.“
„Wie großzügig von denen, ein paar Leute für den RICHTIGEN Kampf abzustellen. Hoffentlich wissen diese Etappenhelden, dass der Kampf gegen alliierte Fallschirmjäger etwas anderes ist, als das Abschlachten von Zivilisten und Möchtegern-Wegelagerern.“

Die nach den berüchtigten Akarii-Piraten der späten Stein- und frühen Bronzezeit benannte Brigade war wie die Kacha-Radpanzer, die ‚Krat‘-Durchbruchstanks und die Laka-Panzerjäger mehr ein Notbehelf als eine Innovation. Als sich die erstarkende Peshten-Guerilla für die imperialen Streitkräfte auf Gamma-Eridon immer mehr zu einem Problem entwickelte, war bald klar geworden, dass die Garnisonstruppen und die die Transportwege sichernden Verbände zu ihrer Bekämpfung nicht ausreichten. Meist nicht allzu geländegängig und durch ihre Wach- und Sicherungsaufgaben eingebunden, fehlten ihnen die Ausrüstung und die Zeit, feindlichen Guerillaverbänden in unwegsamem Gelände nachzustellen. Und Frontlinienverbände waren einfach zu ‚wertvoll‘, um auf Partisanenjagd zu gehen. Außerdem war ihre schwere Ausrüstung für diese Aufgabe nur bedingt geeignet. Nach einigen nur mittelmäßig erfolgreichen Versuchen, im Hinterland auffrischende Fronttruppen ‚nebenbei‘ für Konterguerillaaufgaben einzusetzen, war die Aufstellung der Turam-Brigade die Antwort auf das Dilemma war gewesen.
Ihre einzige Aufgabe war das Aufspüren und Vernichten von Guerillaverbänden. Die Jagdverbände der Brigade, üblicherweise nach ‚Königen‘ oder Kleinreichen der Turam-Piraten benannt, operierten in Kompanie- bis Bataillonsstärke. Sie waren an keine Bezirks- oder Abschnittsgrenzen gebunden und hatten bis auf die Kompanieebene Verbindungsoffiziere zu den imperialen Geheimdiensten. Außerdem hatten sie Handlungsfreiheit und waren den Kommandeuren der einzelnen Besatzungszonen nur zur Seite, jedoch nicht unterstellt.
Freilich ließen die Ausrüstung und die Qualität der Truppe zu wünschen übrig. Die Jagd auf Guerilla wurde von traditionell eingestellten Offizieren als zweitrangig angesehen. Dementsprechend erhielt die Brigade nicht gerade die besten Kandidaten: viele Frontkommandeure und Garnisonskommandanten nutzten die Brigade als Abklingbecken für unbequeme und unzuverlässige Untergebene, deren Enthusiasmus dementsprechend gering war.
Angesichts der schwierigen Nachschublage waren die Partisanenjäger überwiegend auf leichten Transport- und Schützenpanzern mit Rad- oder Kettenantrieb motorisiert, weil Schwebereinheiten für die Frontlinientruppen reserviert blieben. Sie verfügten über keine Kampfpanzer und nur über leichte Artillerie.
Dass die Turam-Verbände ihre Defizite durch eine selbst für imperiale Verhältnisse harsche Disziplin und ein besonders rücksichtsloses Vorgehen gegen angebliche oder tatsächliche Guerillas und deren Unterstützer kompensierten, hatten sie bei den Peshten gefürchtet und bei den eigenen Einheiten berüchtigt gemacht. Selbst Frontkommandeure wie Atara, die kaum Rücksicht auf die peshtische Zivilbevölkerung nahmen, stießen Gerüchte von Folter, Misshandlungen und der fast schon routinemäßigen Ermordung von Gefangenen und ‚verdächtigen‘ Zivilisten ab. Dass die Jagdkommandos zu den wenigen imperialen Einheiten gehörten, die auch Einheimische einsetzten, machte sie weder bei den eigenen Einheiten noch der Peshten-Bevölkerung beliebter, denn die Hilfskräfte benahmen sich keinen Deut besser als ihre Akarii-‚Kameraden‘.

In dieser Hinsicht teilte Golis ausnahmsweise die Ansichten seiner Vorgesetzten, spätestens seitdem er ein paarmal mit einem Jagdkommando der Turam-Brigade zu tun gehabt hatte. Das hatte gereicht: „Jedenfalls brauchen wir uns dann wohl keine Sorge darüber zu machen, was wir mit Gefangenen tun sollen.“
Atara schnaubte abfällig: „Wir müssen ihnen nur klar machen, dass wir wenigstens von den Menschen einige lebend brauchen.“

In den imperialen Streitkräften galt eine Kapitulation vor dem Gegner als schmachvoll und ehrlos, besonders gegenüber allgemein als ‚minderwertig‘ angesehenen Nicht-Akarii. Und diese Einstellung färbte auch auf den Umgang mit feindlichen Gefangenen ab:
Peshten wurden als ‚heimtückische Prinzenmörder‘ verachtet, denen man nicht trauen konnte. Dementsprechend schlecht wurden sie behandelt. Peshten-Guerillas wurden vielfach erst gar nicht gefangengenommen. Akarii, die in den gegnerischen Streitkräften dienten, galten als ‚Verräter‘, selbst wenn ihre Vorfahren schon vor Generationen dem Imperium den Rücken zugekehrt hatten. Und T’rr wurden teilweise als so gefährlich angesehen, dass manche Imperialen sie erst gar nicht gefangen nahmen. Dass auch der Ehrenkodex vieler T’rr eine Kapitulation verbot – und sie bei den Akarii den Ruf hatten, im wahrsten Sinne des Wortes Kopfjäger zu sein – trug dazu bei, die Zahl der kriegsgefangenen T’rr niedrig zu halten.
Paradoxerweise hatten Menschen noch die besten Chancen auf eine Gefangennahme und eine zumindest halbwegs korrekte Behandlung. Zwar waren sie vielen Imperialen verhasst, aber ähnlich wie die T’rr genossen sie eine Art widerwilligen Respekt. Die Tatsache, dass der Krieg inzwischen fast ausschließlich auf imperialen Boden geführt wurde, trug dazu bei, den ‚Wert‘ terranischer Gefangener als Informationsquellen und potentielles Austauschsubjekt zu steigern.
Dazu kamen die vom letzten Kriegsminister erlassenen Richtlinien zum korrekten Umgang mit Kriegsgefangen. Auch wenn Tobarii Jockham inzwischen tot war und viele Offiziere seine Befehle als ‚Seid-nett-zu-den-Aliens‘ verspotteten, waren sie nicht aufgehoben worden. Freilich waren sie auch zu Tobariis Lebzeiten bei weitem nicht von allen befolgt worden.

“Soll ich ihnen sagen, dass sie wieder verschwinden sollen?“
„Sehr witzig.“, konterte die Kampfkommandantin, „Richten Sie dem Kommandanten des Jagdkommandos meinen Dank für die Unterstützung aus. Sie können ihm auch sagen, dass es fantastisch wäre, falls er ein paar halbwegs unversehrte Guerilla-Offiziere einfangen könnte. Oder sie zumindest lange genug am Leben lässt, bis sie über die Stärke der feindlichen Verbände Auskunft geben. Was die ‚Verstärkung‘ für uns angeht…wir können leider nicht wählerisch sein. Zumindest zur Frontsicherung sollten wir sie einsetzen können, um ECHTE Soldaten freizumachen.“
„Für einen neuen Großangriff?“, Golis schaffte es nicht, die Skepsis aus seinen Worten herauszuhalten.
„Sobald wie möglich. Aber der Gegner ist offenbar stärker als gedacht. Bevor die Verstärkung eingetroffen und eingewiesen ist – und wir einen präzisen Überblick über die gegnerischen Stellungen und Verbände haben – hat ein Großangriff wenig Sinn.“
„Und der Oberbefehlshaber?“, konnte sich Golis nicht verkneifen nachzuhaken.
„Darum kümmere ich mich.“, konterte Kampfkommandantin Atara. Golis war sich nicht sicher, ob er ihr die Selbstsicherheit abnahm.
„Bis dahin müssen wir das Erreichte sichern. Kommunikations- und Versorgungslinien ausbauen, die Front verstärken. Ich will nicht, dass die Menschen uns das Erreichte gleich wieder abnehmen – wir haben teuer genug dafür bezahlt. Und wir brauchen vorgeschobene Artilleriebeobachter auf den höheren Gebäuden.
Major Varran, der Artillerieschlag auf das feindliche Flugfeld kam im rechten Augenblick, aber die Terraner werden sich möglicherweise eine neue Start- und Landezone suchen. Und sie konnten während des Gefechts Verstärkung vom anderen Ufer heranholen. Beides darf nicht noch einmal geschehen. Ich will, dass niemand einen Fuß auf die Brücke setzen kann, oder dass auch nur eine Fliege in Arta’Rijen landet, ohne dass Sie das mitbekommen und einen Artillerieschlag anordnen.“
„Die Brücke…“
„Ich weiß. Aber ich habe nicht gesagt, dass Sie Spreng- und Panzersprengmunition einsetzen sollen. Splitter- und Brandgranaten dürften in dem Fall reichen. Das hält die Brücke aus. Wenn diese widerlichen Grauhäute etwas können, dann stabil bauen. Vermutlich müssten wir einen subtaktischen Sprengkopf zünden, um die Brücke zu sprengen.“
„Aber dann brauche ich mehrere Spähposten und zwar weit vorne. Und verlässliche Kommunikation, die vom Gegner weder angepeilt noch gestört werden kann. Das…“
„Ich habe nicht gesagt, dass es einfach ist. Nur, dass es geschehen muss.“

Major Varran sparte sich eine Aufzählung der Schwierigkeiten, die mit der Erfüllung seiner Aufgabe verbunden sein würden. Einen weiteren Einwand konnte er sich allerdings nicht verkneifen: „Auf jeden Fall brauche ich mehr Munition. Wir haben bereits mehr als die Hälfte unseres Gefechtssatzes verbraucht.“
„Was das angeht, kommt langsam Bewegung in die Sache.“, schaltete sich Golis ein: „Man hat uns mehrere Transporter mit Granaten und Raketen angekündigt, die binnen der nächsten Stunden eintreffen sollten.“, er räusperte sich: „Mittelfristig könnte es allerdings mit dem Nachschub schwierig werden. Solange der Gegner die Rijen-Brücke hält, sind wir von den Depots am anderen Ufer abgeschnitten – oder die Versorgungskonvois müssen einen riesigen Umweg fahren. Schweber und Boote reichen nicht aus, um das benötigte Material einsatznah über den Fluss zu schaffen. Vor allem, weil unsere Kameraden auf dieser Seite des Flusses ja auch noch den Angriff des 30. Korps abwehren müssen. Ich erbitte um Erlaubnis, den Bau einer Ponton-Brücke zu beginnen.“
„Was glauben Sie denn, wie viel Zeit wir hier haben? Eine Brücke…“
„Kann in ein bis zwei Tagen fertig sein, falls wir das nötige Material erhalten. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Kameraden den Vormarsch des 30. Korps und der Vierten Sturmdivision weiter verlangsamen können. Aber selbst wenn der Gegner hier eintreffen SOLLTE – dann brauchen wir erst Recht eine Ersatzbrücke, um unseren Schwerpunkt gegebenenfalls zu verlagern.“

Ein paar Augenblicke herrschte eine angespannte Stille in der Kommandozentrale. Egal wie Golis es auch formulieren mochte, de facto spielte er damit auf die Möglichkeit an, dass ein Rückzug notwendig werden konnte. Majorin Atara war zu intelligent, um das nicht zu verstehen. Unwillkürlich wappnete sich Golis für eine verbale Explosion.
Die jedoch ausblieb. Stattdessen nickte Atara widerwillig: „Sehen Sie zu, was Sie organisieren können. Und da sowohl die ‚Herolde‘ als auch die ‚Ranger‘ ihren Vormarsch stoppen mussten, sollten auch die ihr Brückenbaumaterial nötigenfalls nach hinten verlagern können. Wenn Sie die nötigen Transporter freistellen können.
Ich kann allerdings keine Soldaten entbehren – und auch keine Transporter. Vielleicht können Sie ja ein paar Peshten-Arbeitskompanien heranholen. Soviel ich weiß sind etliche auf dieser Seite des Flusses im Einsatz, um Gefechtsschäden zu beseitigen und eroberte Feindstellungen instand zu setzen.“

Was sie damit meinte, waren einheimische Zwangsarbeiterkommandos, die von der imperialen Armee für nachrangige Bau- und Instandsetzungsaufgaben eingesetzt wurden. Sie wurden miserabel bezahlt, scharf überwacht und oft rücksichtslos zur Arbeit angetrieben. Aber in dieser Phase des Krieges war die imperiale Armee auf Gamma-Eridon zunehmend darauf angewiesen, ALLE Ressourcen zu nutzen. Man setzte sogar kriegsgefangene Feindsoldaten für Arbeiten ein, auch wenn die noch schärfer bewacht werden mussten als die feindlichen Zivilisten.

Golis hatte leichte Schwierigkeiten, die überraschende Einsicht der ‚Totengräberin‘ zu akzeptieren und konnte es sich nicht verkneifen, noch mal nachzuhaken: „Wir greifen also nicht mehr an?“
„Das habe ich nicht gesagt. Ich meinte, dass wir vorerst auf einen erneuten GROSSANGRIFF verzichten. Aber ich sagte nicht, dass wir untätig bleiben. Sobald unsere Frontlinien stabilisiert und die ersten Verstärkungen eingetroffen sind, will ich, dass Sie unsere Frontkaliber aus der Gefechtslinie herauszuziehen beginnen und in Angriffskompanien formieren. Die mechanisierte Infanterie der ‚Herolde’, Marineinfanterie…Männer und Frauen mit Kampferfahrung. Die Frontsicherung können die Garnisonstruppen, unsere Partisanenjäger und das übrige Kroppzeug übernehmen.“
„Und diese Angriffskompanien…“
„Rüsten wir für den Häuserkampf aus. Granaten, Sprengmittel, Flammenwerfer, zusätzliche Schnellfeuerlaser. Panzerstecher und geschärfte Spaten. Sie kennen das Programm.“
Golis nickte langsam und zögerlich. Ihm gefiel das Bild nicht, dass Atara da zeichnete: „Das wird ein blutiger Nahkampf werden.“
„Das hat Stadtkrieg nun mal so an sich. Wir haben uns dieses Gefechtsfeld nicht ausgesucht. Aber ich will verdammt sein, wenn ich dem Gegner die Initiative überlasse. Keine Sorge, ich habe nicht vor, dass unsere Männer und Frauen den Feind alleine mit Grabenkriegswaffen aus seiner Deckung reißen. Wir bringen mechanisierte Artillerie, Geschütz- und Raketenpanzer für die Direktunterstützung vor. Aber wir müssen bald wieder zuschlagen. Und sei es nur an ein paar Stellen. Ich will die Schwachstellen in der feindlichen Gefechtsordnung finden. Die Terraner dürfen keine Ruhe bekommen. Ich will nicht, dass sie sich noch tiefer eingraben können.“
Oberst Golis runzelte die Stirn. Da war es wieder. ‚Eingraben…‘
„Ist noch etwas, Oberst?“
Golis schüttelte den Kopf: „Nein, Kampfkommandantin.“
„Gut. Das wäre dann alles, meine Damen und Herren. An die Arbeit.“, schloss Kampfkommandantin Atara das Treffen: „Wenn Sie noch einen Augenblick warten könnten, Lieutenant?“, wandte sie sich dann an den Adjutanten von Oberst Golis, während die anderen Offiziere den Raum verließen.
„Natürlich, Majorin.“
„Sie hatten heute Mittag die Möglichkeit offeriert, mich frischzumachen…Lieutenant, Haktar, richtig?“
„Äh…ja.“
„Wenn Ihr Angebot noch besteht, würde ich es jetzt in Anspruch nehmen. Und falls Sie auch etwas Essen und eine Feldliege organisieren können, wäre das fantastisch.“
„Selbstverständlich. Einen Augenblick nur.“
Die Kampfkommandantin winkte ab: „Ich werde nicht weglaufen. Und Sie können sich Zeit lassen. Ich muss dem Oberbefehlshaber erklären, warum die Brücke über den Rijen immer noch nicht in unserer Hand ist. Und das sollte ich wohl besser in Kampfmontur tun, um meine Erklärungen etwas…authentischer wirken zu lassen.“
Lieutenant Haktar räusperte sich verlegen: „Ich…“
„Schon gut. Sie können gehen.“
Der junge Offizier salutierte sichtlich erleichtert und schloss die Tür beim Hinausgehen leise hinter sich.

Ein halbe Stunde später stand er wieder vor der Tür des Besprechungsraum, lauschte kurz und klopfte dann leise an. Niemand antwortete. Haktar räusperte sich und klopfte noch einmal vorsichtig: „Kampfkommandantin Atara?“ Immer noch keine Antwort.
Nach kurzem Zögern fasste er sich ein Herz und öffnete die Tür.
Zu seiner Überraschung hatte die Kampfkommandantin den Raum tatsächlich nicht verlassen. Sie saß auf einem der Feldstühle. Die Majorin hatte ihren Kopf auf die auf der Tischplatte verschränkten Arme gelegt, über denen immer noch das Gefechtsfeldhologramm von Arta’Rijen flimmerte – und schlief. Die scharf geschnittenen Gesichtszüge hatten sich entspannt. Selbst das permanente Grinsen, zu dem die schweren Brandnarben ihren Mund verzerrten, wirkte jetzt nicht mehr höhnisch, sondern fast ein wenig melancholisch.



Geschrieben von Ace Kaiser am 18.04.2022 um 16:51:

 

Meine Pause, bevor ich wieder "ran" musste, war sehr, sehr kurz. Nicht, dass ich mich beklagte. Nach meinem spektakulären Absturz hatte ich mir kaum etwas getan und war nicht wie Kano in Feindeshand gefallen und gefoltert worden. Zudem hatte ich bei den Rebellen sowohl genug Schlaf als auch genug für Terraner verträgliche Nahrung bekommen. Dass der letzte Einsatz ein Nachteinsatz gewesen war und ich kaum geschlafen hatte, schränkte mich nicht besonders ein. Ich hatte in Shuttle ein wenig Schlaf nachgeholt und mich selbst kurz nach Übernahme der Staffelgeschäfte - warum hatte Chip noch mal auf seinem Pad ein X gemacht? - für ein paar weitere Stunden ins Bett geschickt. Jetzt war ich wieder fit, aber anstatt mich um meine Staffel kümmern zu können, hatte Stacy mir eine Privataudienz gewährt, um mich auf den neuesten Stand zu bringen, was die Situation sowohl auf dem Planeten, als auch mit dem sich nähernden Konvoi war, und zwar nicht den Briefing-Kram, den wir alle erzählt bekamen, sondern das, was an limitierten Informationen nur den Staffelchefs und dem CAG zugänglich gemacht wurde. Zusätzlich hatte die Admiral Zeit gefunden, für zwei Minuten in Stacys Reich zu kommen, um mir zur Rückkehr zu gratulieren, mich zu fragen, wann ich wieder einsatzbereit war und mir eine steile Karriere in der Flotte zu prophezeien. Danach war sie mit einem: "Weiter so, und Sie werden in Nullkommanichts Commander, Ace!" gegangen, und wir wussten alle, dass das eine Standardfloskel von ihr gewesen war.

Damit war das Gespräch aber noch nicht beendet. Stacy hieß mich wieder zu setzen, sah mich ernst an und sagte: "Ihre offene Unterstützung für den CAG macht die Runde, Soldat."
"Und?", fragte ich.
"Es hat einige aufgebracht, die ihn ohnehin auf dem Kieker haben, seit der Hospitalgeschichte."
Ich schürzte verächtlich die Lippen. "Normalerweise habe ich eine hohe Meinung über meine Kameraden. Aber wer immer denkt, wir hätten das Krankenhaus bombardieren sollen, ist ein Idiot."
"Andere sehen das anders. Ich will es ihnen nur sagen, Ace."
"Was wäre passiert, wenn wir es gemacht hätten? Die Peshten hätten uns ausgetrickst, wären nicht ehrlich mit uns gewesen. Und das wäre vielleicht der Anfang von etwas viel Schlimmeren geworden. Misstrauen. Dutzendfache Überprüfung von Daten, die zwischen uns wechseln. Und mit Misstrauen meine ich mehr Misstrauen, als diese Aktion ohnehin schon zwischen uns gesät hat. Eine dumme, eine sehr dumme Aktion der Peshten."
Ich faltete die Hände ineinander und legte sie auf den Schreibtisch. "Ich will das erklären. Hätten wir das Hospital bombardiert, wäre dies geschehen, weil die Peshten uns belogen haben. Jetzt gerade sind sie sogar sauer auf uns, weil wir ihre Lügen durchschaut haben. Und die Kaiserlichen? Hätten sich dankbar drauf gestürzt und in ihre Propaganda eingebaut, und seien wir ehrlich, weder Troffen, noch Mithels Rundreise durchs Feindesland haben unsere diplomatische Position gestärkt. Berechtigt kritisiert zu werden, und das ausgerechnet von den Akarii, hätte auch das Potential von einem Bruch. Vielleicht denke ich hier schon zu weit, aber die Heimlichkeit, mit der der CAG manipuliert worden wäre, mit der das Geschwader hintergangen worden wäre, spricht bereits Bände. Ganz davon abgesehen, dass eine Bombardierung eines Lazaretts nach unseren eigenen Maßstäben ein Kriegsverbrechen sind. Eines, das sich nicht hätte vertuschen lassen wie ... So einige andere."
Ich entfaltete die Hände. "Dazu kommt, wären die Peshten ehrlich gewesen, hätten wir einen vernünftigen Zugang zur Sache gehabt. Die Akarii-Gefechtsdoktrin schützt ihre Kommandeure, je höher, desto mehr. Wäre der Akarii-Oberbefehlshaber tatsächlich im Lazarett gewesen, hätten wir einen Angriff auf die SAM fliegen können, die das Feldlazarett schützen. Dieser Angriff hätte sehr wahrscheinlich dazu geführt, dass er evakuiert worden wäre, um sein Leben zu schützen. Ein Vorgang, für den wir eine Alarmrotte hätten abstellen können, die sich dann dem Konvoi angenommen hätten, regulären militärischen Zielen. Wir hätten ihn also mit einer reellen Chance umbringen können, und das auch noch rechtlich vollkommen einwandfrei - nach unseren Gesetzen. Die Chance haben wir verpasst, weil Staffort angelogen wurde. Und das halte ich für sehr, sehr dumm von der Seite unserer Verbündeten. Vor allem, wäre es ihnen gelungen, was wäre passiert, nachdem bei Hardlinern wie Lilja die erste Euphorie über den, nennen wir es Sieg, verklungen wäre? Es hätte bestimmt keinen Respektzuwachs für Staffort gegeben. Im Gegenteil, er hätte mächtig an Ansehen eingebüßt, und er hat bisher noch keinen sicheren Stand bei uns, ohnehin nicht. Ihn jetzt zu unterstützen heißt aber, das Geschwader stabil zu halten. Abgesehen davon, dass ich nach der Bombardierung eines Lazaretts natürlich einen offiziellen Protest eingereicht hätte. Also, lassen Sie die anderen Piloten, die mich jetzt von ihrer Freundesliste streichen, ruhig meine Sorge sein."
"Wenn Sie es so sehen. Aber ich warne Sie, Ace. Von Logik sind ihre neuen besten Freunde nicht gerade geleitet."
"Ich habe nicht vor, ihnen was zu erklären oder mich zu verteidigen. Ich habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass Staffort meine Unterstützung hat, ohne wenn und aber. Ich sehe nicht, wie eine Unterminierung unseres CAG so kurz vor einem Schlagabtausch mit dem Akarii-Konvoi dem Geschwader helfen statt schwer schaden könnte. Wenn es das gewesen ist, Mr. Stacy?"
"Natürlich, Ace. Sie haben in einer Stunde einen Flug zur Unterstützung von Arta'Rijen. Vielleicht ihr letzter Flug da runter, bevor wir in den tiefen Raum abdrehen."

Also machte ich mich wieder in meine Verfügung auf, ging in mein Büro und erledigte so viel Schreibarbeit, bevor ich mich für meinen Start umziehen musste. Aber immerhin, ich war dankbar, dass keiner aus meiner Staffel und auch niemand sonst aus dem Geschwader versuchte, meine Tür einzutreten, um mich zur Rede zu stellen. Zumindest bisher nicht. Andererseits gab es ohnehin nicht viele Leute, die mir körperlich gewachsen waren, zumindest bei den Piloten.
"Letzter Einsatz, um den Maries unten zu helfen, hm?", murmelte ich vor mir hin. Plötzlich war ich froh, dass Jean immer noch auf ihrem Offizierslehrgang war, anstatt bei ihren Leuten da unten.
***
Als das Shuttle gelandet war und die Truppen ausbooteten, grüßte Lieutenant Wong von der MP ein letztes Mal ihren Bekannten von den Marines und setzte sich mit Shanks von der Truppe ab. Der Landebereich der Shuttles lag auf einem großen Platz vor dem wichtigsten Tempel der Peshten in der Stadt, und auch Major Schlüters HQ, Shuttle COL-24, umgebaut für Kommunikation, stand hier.
"Wohin zuerst?" "Gehen wir zu Major Schlüter und melden uns auf dem Gefechtsfeld an", sagte Shanks.
"Sollten wir nicht zuerst zum Blockhaus und den Datenträger suchen, den Mordred dort versteckt hat? Und die anderen Hinweise abgehen?"
Shanks deutete nach oben. Ein Krachen lag in der Luft, immer wieder untermalt von Luft, das explosiv in ein Vakuum strömte, wenn ein Panzerlaser abgeschossen worden war. "Ich denke, wir sollten unseren Aufenthalt auf dieser Welt zu effektiv wie möglich, aber auch so kurz wie möglich halten. Deshalb holen wir zuerst das, was wir sofort bekommen können, nämlich die Funkprotokolle und die Bodycamaufzeichnungen. Haben wir die im Sack, geht es zum Blockhaus, und wenn wir die Chance haben, suchen wir ein paar Orte mit noch funktionierenden Zivilkameras auf, um deren Speicher zu kopieren. Danach sehen wir zu, dass wir dieses Schlachtfeld wieder verlassen. Nicht nur, dass wir hier stören, ich fürchte, unser Zeitfenster ist viel kleiner als gedacht."
"Äh, ich will nicht mosern, Commander", sagte Starry mosernd, "aber wecken wir nicht all die schlafenden Hunde, wenn wir zu Schlüter gehen und sagen, was wir hier wollen? Ich meine, es sind weite Wege durch die Stadt, und ein mies gelaunter Scharfschütze, der vor uns gewarnt wurde, könnte sich unserer entledigen. Sie wissen schon, im Eifer des Gefechts und so."
"Im Prinzip haben Sie Recht, Lieutenant. Aber ich werde Major Schlüter eine Karotte vor die Nase halten, der sie nicht widerstehen kann, egal ob sie die Kriegsverbrecher in ihren Reihen unterstützt oder nicht. Sie, Starry, müssen nur zu einem Computerterminal gehen und die Bodycamdaten und die Funkprotokolle sichern, was an Bord dieses Shuttles überall geht. Wir müssen halt reinkommen und an einen solchen Arbeitsplatz gelangen. Das geht am schnellsten mit Schlüters Erlaubnis."
"Karotte, Sir?"
"Lassen Sie mich nur machen. Ich habe den Gefechtsfunk mitgehört, während wir gen Erde gefallen sind, Sie auch?" "Ja, Sir."
"Ihre Einschätzung?" "Die Einheit ist mindestens zwei Tage zu früh gelandet und wird kräftig verprügelt, Sir."
"Das ist auch meine Meinung. Also beeilen wir uns etwas. Wenn alle Stricke reißen, müssen wir ein Funkgerät finden und die Daten auf die COLUMBIA senden, während wir beide selbst hier bleiben und uns nützlich machen, weil wir keinen Flug mehr hier heraus bekommen können."
"So schlimm ist es noch nicht", wiegelte die MP ab.
"Warten Sie eine Stunde ab. Welches ist das HQ?"
Wong deutete auf ein Shuttle in Tarnfarbenanstrich, auf das man eine dunkelgrüne 24 gemalt hatte. Da die Cameo in Grüntönen gehalten war, konnten Akarii diesen Farbton vom Rest des Anstrichs nicht unterscheiden. Ein speziesspezifischer Fehler wie bei manchen Terranern die Rotgrün-Blindheit.
"Na, dann wollen wir doch mal höflich bitten, ob man uns reinlässt."

Die beiden Soldaten marschierten über den Platz. Da sie mit einem Shuttle gekommen waren, standen ihnen hier so gut wie alle Richtungen offen. Wer runter wollte, hatte es leicht. Wer rauf wollte, nicht so sehr. Auch vor dem HQ-Shuttle standen bewaffnete Wachen der Marines.
"Das ist nahe genug, GI!", rief der linke Wachsoldat. "Hände weg von den Waffen." Immerhin, er hatte dem Griff am Feuerknopf, aber seinen Laserkarabiner nicht auf die beiden gerichtet. "Name und Einheit."
"Lieutenant Commander Gordon Shanks, COLUMBIA. Dies ist Second Lieutenant Starry Wong, COLUMBIA."
"Geht es etwas genauer?"
"Natürlich. Lieutenant Wong ist von der MP. Ich bin vom JAG."
Entgeistert sah der Marine die beiden an. "Ja, Himmel, was zum Henker machen Sie hier unten? Sie sind ja wohl kaum freiwillig hier! Moment mal! Sind Sie runtergekommen, um zu schnüffeln? Wir kämpfen und wir sterben hier, und Sie gehen irgendeinem Quatsch nach?"
"DISZIPLIN!", blaffte Wong. "Erlauben Sie uns, näher zu treten, unsere ID-Karten identifizieren zu lassen und melden Sie uns dann bei der Innenwache an. Je schneller wir da rein können, desto schneller sind wir wieder raus und auch wieder weg, haben Sie verstanden, Corporal?"
"Ja, Ma'am!", sagte er zähneknirschend. "Treten Sie vor und präsentieren Sie ihre Ausweise!"
Die beiden taten wie geheißen, immer schön die Finger von den Waffen und präsentierten die ID-Karten. Der zweite Wachmann scannte sie ein. "Bestätigt, Commander, Lieutenant. Willkommen in Arta'Rijen. Ich melde Sie an."
"Du wirst doch nicht ...", beschwerte sich der Erste, aber da ging Shanks schon an ihm vorbei, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: "Entspannen Sie sich, Corporal. Wir sind hier alle auf der gleichen Seite, und ich bin keinesfalls hinter Unschuldigen her. Und je weniger wir aufgehalten werden, desto schneller sind wir wieder weg, verstanden?"
"Ja, Sir", sagte der Marine zähneknirschend.
"Sie können rein." Tatsächlich öffnete sich ein Mannschott am Shuttle, und ein Marine, die Waffe in der Hand, aber nicht im Anschlag, winkte sie heran.

Als sie das Shuttle betraten, wandten sich ihnen die Blicke von über zehn Anwesenden zu. "Wo ist der Major?"
Der Wachmann deutete zu einem Taktiktisch weiter hinten. "Danke. Major Schlüter? Commander Shanks vom JAG und Lieutenant Wong von der Military Police."
Die Offizierin, umgeben von Untergebenen und Analytikern, sah vom taktischen Gefechtsfeld auf. "JAG? MP? Was zum Henker machen Sie auf meinem Schlachtfeld?"
Shanks trat näher, salutierte knapp. "Nur meinen Job, Ma'am. So wie Sie ihren Job machen. Sehen Sie, es gab eine anonyme Anzeige eines Vorfalls gegen die Gesetze der Republik, und das bedeutet, dass jemand in die Rijen-Städte muss, um Indizien zu sammeln. Und gibt es genug Indizien, wird es eine offizielle Untersuchung geben."
"Indizien welcher Art?", fragte Schlüter.
"Akarii-Leichen mit Schmauchspuren zum Beispiel, oder aufgesetzten Laserhöfen, wie es bei Exekutionen üblich ist. Sie verstehen. Dazu wurde ein Tatort genannt, und wir werden eine Sichtung vornehmen. Sagt ihnen der Begriff "Blockhaus" etwas?"
"Eine kaiserliche Bastion, die wir mühevoll ausgeräuchert haben. Ein kleinerer Industriekomplex. Soweit ich weiß, gab es keine Überlebenden bei den Verteidigern. Zu viele Granaten durch zu viele Fenster."
"Sehen Sie, und unser Informant will gesehen haben, dass überlebende Akarii das Blockhaus verlassen haben und aus kurzer Distanz erschossen wurden. Die Beschreibungen waren sehr detailliert, sodass wir die Spuren der Schüsse noch finden können. Eventuell auch die dazu gehörenden Leichname."
"Sie kommen also auf mein Schlachtfeld, während ich alle Hände voll zu tun habe, meine Leute am Leben zu erhalten, die Peshten dazu, und schließlich auch noch die überlebenden Zivilisten ausfliegen muss, und fahren mir so richtig in die Parade? Sorry, wenn Sie zum Blockhaus wollen, kann ich Ihnen keine Truppen zu ihrer Sicherung abstellen. Es gibt hier bereits viel zu viele Lücken zu stopfen."
"Das ist auch nicht meine Absicht, Ma'am. Ich möchte nur mich und Lieutenant Wong auf dem Schlachtfeld anmelden. Erlaubnis, dies tun zu dürfen, Ma'am?"
Schlüter sah ihn missmutig an. "Das Terminal ist frei. Sie können das hoffentlich selbst, oder muss ihnen einer meiner Leute helfen, die ich eigentlich für die Gefechtsanalyse brauche?"
Wong setzte sich an den freien Platz. "Ist schon her, dass ich mit den alten Dingern hier gearbeitet habe. Ich brauche wohl ein paar Versuche und eine interne Freigabe, aber ich wühle mich schon da durch", sagte Starry.
"Was den Ärger angeht, Major Schlüter, ich versuche, unseren Aufenthalt so kurz wie möglich zu halten und ihre Leute nicht zu stören. Ich habe auch nicht vor, irgendjemand zu verhaften, Sie verstehen? Nachdem die Peshten versucht haben, uns zu einem Kriegsverbrechen zu verführen, ist man in der Führungsspitze etwas nervös. Falls da etwas dran ist, will man es wissen, bevor es vielleicht bei den Akarii für die Propaganda Verwendung findet. Sie verstehen? Ach, noch etwas." Shanks trat an den Tisch heran, scheuchte ein paar Leute fort, beugte sich zu Schlüter herüber. "Wenn das hier vorbei ist, egal auf welche Weise, werden die Daten aus den Bodycams vom JAG kopiert und ausgewertet werden, ebenso die Funkprotokolle. Verstehen Sie mich? Jedes Mal, wenn ein Marine mit einer Bodycam hoch zur COLUMBIA fliegt, wird dies geschehen. Ich denke, ihre Leute sollten das wissen. Ich denke, ihre Leute sollten das verstehen."
"Ich werde die Nachricht weiter verbreiten. Hören Sie, ich mag keine Kriegsverbrechen, erst recht nicht, wenn meine eigenen Leute diese verüben sollten, aber dies ist der Krieg, und wir kämpfen hier um unsere Leben. Und da muss man fünfe auch mal gerade sein lassen."
"Meine Vorgesetzten sind der gleichen Meinung. Deshalb bin ja auch nur ich runter gekommen, um die Indizienlage abzuchecken. Sollte die dürftig ausfallen und sollten die Daten aus den Bodycamspeichern kein weiteres belastendes Material ergeben, können wir die anonyme Meldung getrost zu den Akten legen."
"Ich verstehe." Schlüter wirkte nicht erfreut, aber auch nicht verärgert. Nur ein wenig erleichtert.
"Könnten Sie mir auf dieser Karte zeigen, wo das Blockhaus ist, Ma'am?"
"Ja, natürlich. Schauen Sie, hier unten am Fluss, fünfhundert Meter von der Brücke entfernt. Ich lasse einen der freiwilligen Marines, die wir aus der Kriegsgefangenschaft befreien konnten, mit einem zivilen Schweber kommen, von denen haben wir ein paar. Sie wollen die zwei Kilometer doch sicher nicht laufen?"
"Doch, Ma'am, das war eigentlich der Plan."
"Ein sehr riskanter Plan. Lloyd! McEvedy soll vorfahren!" "Ja, Ma'am."
"Ich bin fertig, Ma'am", sagte Wong. "Hat ein wenig gedauert. Das System hat mich ständig wieder rausgekickt, bis ich mich dran erinnert habe, dass man bei diesem OS mit offenem Kontextmenu arbeiten muss, wenn es stabil bleiben soll." Wong erhob sich, verließ die Arbeitsstation und trat neben Shanks. "Wir kriegen einen fahrbaren Untersatz und einen Fahrer? Luxus."
"Ja, wir haben wirklich Glück. Wenn wir mit unserem Besuch fertig sind, melde ich mich noch mal bei Ihnen, Major, damit Sie wissen, dass Sie uns auch wirklich los sind."
"Ja, das wüsste ich zu schätzen. Und jetzt lassen Sie mich arbeiten, alle beide. Man hat Panzer in Batallionsstärke gespottet, eventuell mehr, und das könnte noch richtig schmerzhaft für uns werden."
Shanks salutierte, wandte sich um und verließ das Shuttle durch das Mannluk, Wong im Schlepp. "Haben Sie uns anmelden können?" "Ja, Sir. Der Computer weiß jetzt, dass ein JAG und ein MP auf dem Schlachtfeld angekommen sind. Falls es irgendjemandem in den Fingern jucken sollte, werden wir nicht sang-, und klanglos verschwinden."
"Das verunsichert mich jetzt mehr, als dass es mich erleichtert", erwiderte Shanks säuerlich.
Als sie ein Stück Abstand zu den Wachen hatten, fragte er leise: "Alles?"
"Ja, Sir. Ich ziehe gerade eine Kopie auf einen zweiten Chip." Sie reichte ihm einen dünnen Datenträger. "Jetzt hat jeder einen."
"Danke." Shanks klemmte ihn unter seine Hundemarke.
Neben ihnen hielt ein ziviler Schweber, auf den jemand eine dicke Peshtenflagge gemalt hatte. Der Fahrer sah zu ihnen heraus. "Sergeant McEvedy, zur besonderen Verwendung. Normalerweise bringe ich Sniper zu neuen Locations oder liefere besondere Munition oder Medikamente aus. Aber jetzt soll ich Sie fahren. So verlassen, wie Sie beide hier rumstehen, sind Sie doch Shanks und Wong, oder?"
Der JAG grinste. "Also, ich mag ihn. Ja, das sind wir, Sarge."
"Na, dann mal rein. Im Moment ist wenig Laserlicht in der Luft, da sollten wir es fix schaffen. Blockhaus war es, oder?"
Der JAG und die MP kletterten an Bord. "Ja, das ist der Ort. Werden wir lange brauchen?"
McEvedy dachte nach. "Wir haben auf der ganzen Strecke über sechshundert Meter Luft zur Frontlinie, und es sind auch keine Snipernester der Kaiserlichen auf dem Weg. Dafür aber drei Kontrollposten. Sagen wir eine Viertelstunde."
"Dann sollten wir uns beeilen", schloss Shanks. "Je schneller wir fertig sind, desto schneller können wir die Marines wieder ihrer Schlacht überlassen."
"Was immer Sie meinen, Sir." Kaum dass die beiden saßen, gab McEvedy Gas, wendete den Wagen und fuhr zum Tor.
"Eine Menge Zivilisten", sagte Wong, auf die Peshten deutend, die auf dem Gelände waren.
"Die letzten Zivilisten. Wenn wir die ausgeflogen haben, sind nur noch die Freiwilligen da. Noch eine Shuttletour, und wir haben es geschafft. Machen Sie sich nicht allzu große Sorgen. Sie wollten im Tempel Zuflucht suchen, aber da hatten die Kaiserlichen ihr Hauptquartier, deshalb haben wir das verboten. Zu leichtes Ziel für deren Artillerie. Stattdessen campieren sie am Rande des Landeplatzes und können notfalls in den Keller des Museums. Das Ding ist wie ein Bunker. Und wenn wir sie raus haben, können wir alle leichter atmen."
Ohne Probleme konnten sie das Gelände verlassen.


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