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Geschrieben von Tyr Svenson am 12.11.2015 um 18:21:

  Hinter den feindlichen Linien - Season 4

An: Lieutenant Commander Justin McQueen, 2. Flotte
Von: Quartermasterkomando, 2. Flotte


Melden Sie sich am 18. September 2636 auf dem Navystützpunkt Miramar, Californien, USA zur weiteren Verwendung.
Die Zeit, die zwischen dem 18. September und Ihrer Ankunft auf der Erde liegt, gilt als Sonderurlaub.

Gezeichnet
Quatermasterkommando
2. Flotte

***

An: 1. Lieutenant Tatjana M. Pawlitschenko
Von: Quartermasterkomando, 2. Flotte


Melden Sie sich am 18. September 2636, jedoch spätestens nach Ihrer Rekonvalenz auf dem Navystützpunkt Miramar, Californien, USA zur weiteren Verwendung.
Die Zeit, die zwischen dem 18. September und Ihrer Ankunft auf der Erde liegt, gilt als Sonderurlaub.

Gezeichnet
Quatermasterkommando
2. Flotte

***

An: 2nd Lieutenant Kano Nakakura
Von: Quartermasterkomando, 2. Flotte


Melden Sie sich am 18. September 2636 auf dem Navystützpunkt Miramar, Californien, USA zur weiteren Verwendung.
Die Zeit, die zwischen dem 18. September und Ihrer Ankunft auf der Erde liegt, gilt als Sonderurlaub.

Gezeichnet
Quatermasterkommando
2. Flotte

***

An: 1st Lieutenant Curtis D. Long
Von: Quartermasterkomando, 2. Flotte


Mit Datum vom 20. August werden Sie zum Lieutenant Commander, mit allen Rechten, Pflichten und Privilegien, der Terran Space Navy befördert.
Melden Sie sich am 18. September 2636 auf dem Navystützpunkt Miramar, Californien, USA zur weiteren Verwendung.
Die Zeit, die zwischen dem 18. September und Ihrer Ankunft auf der Erde liegt, gilt als Sonderurlaub.

Gezeichnet
Quatermasterkommando
2. Flotte

***

An: Commander Lucas Cunningham
Von: Quartermasterkomando, 2. Flotte


Melden Sie sich am 18. September 2636 auf dem Navystützpunkt Miramar, Californien, USA zur weiteren Verwendung.
Die Zeit, die zwischen dem 18. September und Ihrer Ankunft auf der Erde liegt, gilt als Sonderurlaub.

Gezeichnet
Quatermasterkommando
2. Flotte

***

An: TRS Relentles
Von: Operationskommando 2. Flotte

Hiermit werden Sie angewiesen sich im Texassystem der Kreuzerschwadron 2.3 unter dem derzeitigem Kommando von Captain Henning Schupp TRS Tiredless anzuschließen.

****

Fort Eric Kirkland, Titan,
Saturnumlaufbahn,
Hochsicherheitsbereich


Die Schwerkraft zog an ihm. Nein, rief er sich ins Gedächtnis, die zweieinhalbfache Schwerkraft. Langsam stapfte er über die künstliche Düne im Übungsbereich von Fort Eric Kirkland.
Fort Eric Kirkland, die Heimatbasis der härtesten Elitetruppe, die die Bundesrepublikanische Armee aufzubieten hatte. Dem Special Air Service - SAS.
Er wollte dazugehören, darum plackerte er sich ab, seid Tagen und jetzt bei diesem Marsch. 98 Kilometer hatte er hinter sich, zwei lagen nur noch vor ihm.
60 Kilo Gepäck trug er bei sich. Sein H&K Sturmgewehr mit Bajonett, eine H&K Pistole, drei Energiezellen pro Waffe als Reserve, beide Waffen geladen. 15 Handgranaten: 5 Rauch, 5 Blitz und 5 mit Sprengwirkung. Ein zusammenklappbarer Raketenwerfer steckte im Rucksack, zusammen mit 7 Raketen.
Verpflegung und Wasser für mehrere Tagen, Verbandsmaterial, eine Tarnplane und vieles mehr.
Die schweren Kampfstiefel kamen ihm vor, als seien sie mit Blei ausgefüllt.
Nur noch bis zum Lastwagen, ja, das haben sie gesagt, bis zum Lastwagen.
Da kam er ins Blickfeld, ein Hover-Truck in Wüstentarnfarben, leicht gepanzert, mit einem leichten Impulsgewehr auf der Fahrerkabine.
Er - Marc Singer - schlurfte immer weiter auf den Lastwagen zu. Immer näher und näher. Auf der Ladefläche, auf der Linken Seitenbank saß ein Soldat, ob Mann oder Frau konnte Singer nicht erkennen, ein Gewehr auf den Beinen und blickte ihm entgegen.
Ja, jaaaaaaaaaahhhhhhhhhh, geschafft, noch 100 Meter. Der Soldat, ja, eindeutig eine Frau winkte ihm zu und er beschleunigte den Schritt, bis er schließlich 20 Meter vor dem Lastwagen stand.
Da schlug die Soldatin an die Rückwand der Fahrerkabine und der Motor des Hover-Truck erwachte zum leben, mit leisem Summen.
Sie wunk ihm noch mal zu und der Truck setzte sich in Bewegung und ließ ihn zurück.
Dann summte es im Trainingsgebiet erneut auf und Marc ging in die Knie, sie hatten die Schwerkraufrezeptoren auf eine höhere Stufe gestellt.
Er rappelte sich auf und marschierte weiter. Er stellt fest, das der Laster keine 100 und keine 1000 Meter gefahren war, nein, ganze 10 Kilometer ließ man ihn noch laufen.
Schließlich kam er erneut zu dem Laster, es saß wieder die Soldatin auf der Ladefläche. Marc nahm ihren mitfühlenden Blick wahr, doch er beachtete ihn nicht.
Er schleppte sich zum Hover-Truck und zog sich auf die Ladefläche. Dort brach er zusammen.
Lieutenant Debora Quinn klopfte dem ohnmächtigen auf die Schulter: "Willkommen beim SAS, Sportsfreund. Willkommen beim SAS."

**********

Navy Hauptquartier,
New Nork, USA, Erde

Das Shuttle landete mit kreischenden Turbinen. Laub wurde aufgewirbelt.
Auf dem Landeplatz standen haufenweise Marines, mit weißen Schirmmützen, dunkelblauen Hosen und kakifarbenen Hemden.
Ein Captain und ein weiblicher Commander standen in ihren dunkelblauen Uniformen, mit den weißen Schirmmützen. Die rechte Brust jeweils mit Kampagnenbändern und Ordenssprangen überhäuft.
Aus dem Shuttle stieg etwas, was man in New York selten sah.
Jean Baptist Renault trug seine vier Admiralssterne - diese an sich nicht gerade selten in New York - an einer kakifarbene Dienstuniform der TSN. Die rechte Brust jedoch war bar jedes Campagnenbandes, wie es sich für die Dienstuniform traditionsgemäß gehörte.
Ihm folgte ein kleiner Stab, ebenfalls in Dienstuniform.
"Sir, Captain Monroe, aus Admiral von Richters Stab." Der Captain hielt dem Admiral - statt zu salutieren - die rechte Hand hin.
Renault ignorierte die Hand, die jetzt wie ein Fisch in der Luft hing.
"Wenn ... wenn Sie mir folgen wollen Sir."
Renault nickte und Monroe eilte voran.
Im Hauptquartier herrschte reges Treiben, überall war das blitzende Gold der Rangabzeichen zu sehen.
Sie betraten das Vorzimmer des Chief of Naval Operations.
"Hellen, melden Sie dem Chef, dass Admiral Renault da ist." Wieß Monroe die Vorzimmerdame an, doch Renault ignorierte die beiden und ging ohne anzuklopfen durch in von Richters Büro.
"Hallo Jean", grüßte von Richter mit sarkastischen Unterton.
Nathan Frost der an einem Kaffeetisch auf der rechten Seite des Büros saß erhob sich und nickte Renault grüßend zu.
"Sparen wir uns irgendwelche Freundlichkeiten Klaus", Renault funkelte seine beiden Vorgesetzten wütend an, "Birminghams neuer Militärberater hat mich herbestellt, also, wann geht es los? Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt um diesen Termin wahr zu nehmen."
"Die Präsidentin und ihr Beraterstab verspäten sich etwas."
"Verdammt nochmal, ich führe da draußen einen Krieg!" Explodierte Renault.
"Wir hier auf der Erde auch", michste sich Frost ein, "wir sorgen dafür, dass Sie maximale Unterstützung dort draußen erhalten...."
"NATHAN!" Donnerte Renault. "Gerade auf Ihre Hilfe kann ich verzichten. Dieser Blödsinn, den Sie da mit Troffen unterstützt haben."
"Reden wir nicht DAVON", kam von Richter seinem Stabschef zu Hilfe.
Die Sprechanlage knisterte: "Sir, die Präsidentin und Ihr Stab."
Schon wurde die Tür von einem der bewaffneten Leibwächtern der Präsidentin geöffnet und Patricia Birmingham trat ein.
Dicht gefolgt von Allen DeMarko dem Verteidigungsminister, der Finanzministerin Miranda Cruz, sowie diverse Sekretäre.
Am Ende betrat Charles Vance das Büro des CNO, der Direktor des TIS - Terran Inteligence Service.
"Guten Morgen meine Herren." Begrüßte die Präsidentin die drei vier Sterne Admirale.
Sie schüttelte zuerst von Richter die Hand: "Klaus." Dann Nathan Frost. "Admiral." und dann Renault. Sie hielt seine Hand und hob fragend die rechte Augenbraue.
"Jean Renault, CO 2. Flotte."
"Ahh, nett Sie persönlich kennen zu lernen, aber sollten Sie nicht bei Ihrer Flotte sein."
"Ich habe ihn gebeten an dieser Besprechung teil zu nehmen", mischte sich DeMarko.
"Aha", machte die Präsidentin, "nun denn, wollen wir mal beginnen."
Von Richter führte sie zu dem Konferenztisch in der linken Ecke seines Büros.
Es wurde sich nach Rangordnung am Tische verteilt, die Präsidentin am Kopfende. Zwei Unteroffiziere der Navy servierten Kaffee und Tee, jedem das richtige.
Als erstes machte man sich daran Birmingham über die neuesten militärischen Ereignisse in Kenntnis zu setzen.
Schließlich kam das Gespräch über die letzte Operation, die Geleitzugschlacht in Jollarahn.
"Und dieses ... Desaster ... wollen Sie mir doch tatsächlich Erfolg verkaufen?" Sie blickte Renault an, der bis jetzt geschwiegen hat.
"Nun Madam, tatsächlich kann man dieses Desaster, wie Sie es so treffend nannten als Erfolg bezeichnen, da wir sehr viel von Jors Nachschub vernichtet wurde haben wir jetzt Reaktionszeit, wo wir handeln können, ohne durch eine schnelle Offensive der Akarii überrannt zu werden." Er nahm einen Schluck Kaffee. "Aber Tatsache ist: Wir verlieren diesen Krieg."
Einige der Sekretäre keuchten auf.
"Wie können Sie das jetzt schon sagen?" Frage Birmingham. "Wir haben acht Flottenträger an der Front, wenn man den alten Träger der Zeus-Class mitzählt neun."
"Das ist richtig Madam, doch nur die 3. Flotte unter Girad kann wirklich über einen Vorstoß in Akarii-Gebiet berichten und das wohl auch nur, weil die Akarii die Colonial Navy stark unterschätzt haben. Die 4. Flotte unter Niemann ist inaktiv, da unsere nachrichtendienstlichen Informationen über den Grahshh-Sektor bisher mehr als nur mangelhaft waren. Desweiteren ist die 2. Flotte nicht in der Lage Texas gegen einen aggressiven Angriff der Akarii zu halten."
Birmingham nickte: "Laut einer Simulation von Admiral Westerguard, wäre alles, was sich durch Texas durchschießt, wäre nicht in der Lage das Terrasystem zu erobern."
"Das ist richtig", stimmt Renault zu, "doch von Texas aus kann man Sterntor erreichen. Und wenn die Akarii Sterntor in ihrer Hand haben ..."
Birmingham nickte, Renault musste nicht aussprechen, dass dann der Krieg verloren wäre.
"Madam, wir müssen in die Offensive gehen, wir müssen den Moment ausnutzen und den Krieg zu den Akarii tragen."
"Bei dem Sterntorargument höre ich schon die ersten Leute nach Befestigungsanlagen auf Sterntor schreien. Aber bitte erzählen Sie mir, was Sie dazu brauchen um eine Offensive gegen die Akarii einleiten zu können."
Renault nickte, das lief ja besser als geplant: "Als erstes die Freistellung der 1. Flotte, zumindest um die 2. Bei Texas abzulösen und dieser die Mobilität zu verschaffen um die Akarii anzugreifen. Dann die Verabschiedung von Militärnotstandsgesetz 228." Er hielt inne und sah wie Birmingham erbleichte.
"Meine eigene Partei würde mich lynchen, wenn ich auch nur eine Ihrer ersten beiden Bitten erfülle. Himmel, dann kann ich nie wieder hoffen für die Demokraten auch nur als Bürgermeißterkandidatin auf einer abgelegenen Kolonialwelt aufgestellt zu werden.
"So, ist es für Sie wirklich wichtig Ihre Politische Karriere fortzusetzen?" Er blickte in Birminghams fassungsloses Gesicht. "Ich werde Ihnen mal was zu denken geben: Wenn wir diesen Krieg verlieren, werden Sie nie wieder für die Demokraten auch nur las Bürgermeißterkandidatin auf einer abgelegenen Kolonialwelt aufgestellt werden, dann wird hier in diesem Raum ein dicker Fetter Akarii sitzen. Und in Ihrem Büro auch und er wird nicht weiter als Governeur einer abgelegenen Kolonialwelt sein. Von den Akarii. Aber vielleicht interssiert es Sie gar nicht. Vielleicht ist es Ihnen wichtiger, wie Sie jetzt vor Ihren Parteieinpeitschern darstehen ..."
"Wie können Sie es wagen?"
Renault holte einen Stapel Din A 4 Blätter aus seiner Aktentasche und schob ihn der Präsidentin hin.
"Was ist das?"
"Das Madam, ist eine Liste. Eine Liste von allen Männern und Frauen, die an dem, was Sie vorhin Desaster nannten teil genommen haben. 20.331 an der Zahl.
Jeder Name ist gekennzeichnet, alle jene, von den wir wissen, dass sie tot sind sind mit KIA gekennzeichnet. Die jenigen, dessen verbleib uns unbekannt ist, ist mit MIA gegenzeichnet. Jeder der überlebt hat und mit WIA gekennzeichnet ist, wurde im Gefecht verwundet."
"Was ist mit jenen, die überhaupt nicht gekennzeichnet sind?"
"Das sind diejenigen, die Glück hatten, die weder getötet, verwundet und nicht vermisst werden."
Birmingham schluckte: "Es sind so wenige."
"Ja, und nun sorgen Sie dafür, dass diese vielen nicht umsonst ihre Haut auf die Schlachtbank marschiert sind."
Birmingham starrte den Admiral lange an.
DeMarko schob ihr eine geöffnete Ledermappe hin. Es war das Gesetz 228. DeMarkos Unterschrifft war schon darunter, ihre fehlte.
Das war gegen die Gebräuche, sie hatte zuerst zu unterschreiben.
Sie war DeMarko einen giftigen Blick zu, den dieser jedoch ignorierte.
Birmingham zückte ihren Füllfederhalter mit der goldenen Miene und kritzelte ihre Unterschrift unter das Militärnotstandsgesetz.
"Was die 1. Flotte angeht, so werde ich eine Verlegung erst erlauben, wenn die Columbia einsatzbereit ist. Und es werden auch nur zwei Träger der 1. Flotte verlegt."
"Madam, ich brauche die Columbia, aber ich verspreche Ihnen, dass die 1. Flotte zwei Träger hat, wenn ich den Rest verlegen lasse." In Renaults Augen brannte ein Feuer.
Nathan Frost und Klaus von Richter wechselten besorgte Blicke.



Geschrieben von Tyr Svenson am 12.11.2015 um 18:24:

 

„Das ist nicht dein Ernst“, rief Mariana Mbane und warf ihrem Sohn einen vernichtenden Blick zu. Sie sah zu ihrem Mann Klaus und rief: „Nun sag doch auch mal was!“
Klaus Mbane lächelte nur still und gab seinem Sohn mit dem Grinsen seines perlweißen Gebiss im tiefschwarzen Gesicht zu verstehen, dass er ihn voll und ganz unterstützte.
Albert huschte ein kurzes Lächeln über sein Gesicht.
„Männer!“, blaffte Mariana und warf die Arme hoch.
Albert fand, dass es nun an der Zeit war. Er erhob sich und setzte sich auf die Dreiercouch zu seiner Mutter. „Kannst du das nun für mich arrangieren oder nicht? Bitte, es ist mir sehr wichtig, Mom.“
Seine Mutter sah ihn böse an. „Du wirfst das Erbe deiner Vorfahren fort, vergisst deine Wurzeln, für was? Für das Andenken an ein Kalkgesicht! ALBERT!“
„Es ist nicht irgendein Kalkgesicht, Mom. Er war mein Ausbilder, mein Freund und mein Schutzengel. Er war bei mir, als ich in meine erste Gefechtssituation geriet. Er hatte ein Auge auf mich und putzte mir eine Bloodhawk vom Heck weg. Und letztendlich starb er, damit ich einen Platz zum landen hatte. Außerdem entstammt er einer alten, ehrwürdigen Raumfahrerfamilie. Sein Großvater ist Commodore a.D.“
„Raumfahrer, hm?“ Seine Mutter machte ein nachdenkliches Gesicht. „Wenn dir soviel daran liegt, Albert, dann brauche ich noch den letzten Rest an Gefallen auf, den ich habe und mache deine Versetzung zur HORNET rückgängig. Ich werde dafür sorgen, dass Du bei den Veteranen der Roten Staffel bleibst. Aber Vorsicht, ich habe keine Ahnung, wie sie eingesetzt werden. Kann sein, dass Du dich auf einem Garnisonsposten wieder findest.“
„Das ist in Ordnung. Ich will nur die Lücke ausfüllen, die Cliff hinterlassen hat. Danke, Mutter.“
„Was die andere Sache angeht… Ich will nicht, dass Du dein Callsign änderst. Was ist schlecht an Shaka? Shaka Zulu war ein großer Krieger und Anführer unseres Volkes.“
„Du musst das verstehen“, griff nun Klaus Mbane ein. „Albert will wirklich die Lücke füllen, die der Tod von Lieutenant Davis hinterlassen hat. Sein altes Callsign Ace anzunehmen füllt gewissermaßen diese Lücke endgültig. Das ist so ein Männerding, verstehst du?“
„Nein, ich verstehe nicht. Aber das erklärt wahrscheinlich, warum ich in meinem Job auf der HORNET so viele Probleme mit euch Kerlen habe.“ Wieder warf sie die Arme in die Luft.
Dann sah sie Albert an und lächelte. „Es sind schwierige Zeiten, mein Sohn. Wir alle müssen große Opfer bringen. Wenn dir diese Namensänderung hilft, dass es dir leichter fällt, dann hast du meinen Segen. Ich wünschte nur, ich hätte diesen Ace ein einziges Mal kennen gelernt.
Aber wenn er nur ein wenig so ist wie sein Großvater Montgommery, habe ich keine Bedenken.“
„Du kanntest seinen Großvater?“, fragte Albert erstaunt.
„Er war eine Zeitlang mein Akademieausbilder. Nur durch ihn bin ich heute XO. Nur durch ihn.“
„Wie klein das Universum doch ist“, murmelte Albert und griff sich ans Herz.



Geschrieben von Tyr Svenson am 12.11.2015 um 18:24:

 

Heimkehr

Lilja ignorierte die Schmerzen in ihrer Brust – ebenso, wie sie es auch verschmähte, sich nach Hilfe umzusehen. Ihrer Meinung nach hatte man sie lange genug in Watte gepackt. Sie hatte nicht vor, übermütig zu werden, nachdem sie ihren Aufpassern entkommen war, aber sie wollte sich auch nicht wie eine Invalide behandeln lassen. Sicher, es wäre töricht gewesen, gleich übermütig zu werden – aber wenn ihr noch ein paar mal irgendwer gesagt hätte, sie solle sich schonen, wäre sie vermutlich aus der Haut gefahren. Allerdings sah es nicht so aus, als ob sich irgendwer sonderlich für sie interessierte. In dem geschäftigen Treiben fiel sie mit ihrer Uniform kaum auf, auch wenn ein genauer Beobachter den Unterschied zu den meisten anderen Militärs erkannt hätte. Sie gehörte nicht zu den Verteidigungsstreitkräften der Erde oder zu den örtlichen Sicherheitskräften, sondern zu den Fronttruppen. Da sie jedoch darauf verzichtet hatte, ihre Abzeichen anzustecken, mußte man schon sehr genau hinschauen. Die Menschen gaben ihr genug Freiraum, damit sie sich mit ihrem Seesack und ihren Krücken bewegen konnte – aber das war es auch schon. Und manchmal nicht einmal das.

Sie befand sich auf dem Flughafen von Kasan. Trotz der großen Vergangenheit war von der Bedeutung der Stadt, immerhin Hauptstadt der Autonomen Republik Tartarstan, nicht viel zu spüren. Nun, die regionalen Verwaltungsbezirke auf der Erde spielten in der großen Politik sowieso nur noch eine sehr geringe Rolle, höchstens noch bei der Wahl der Senatoren. Genauer gesagt bei der Wahl EINES Senators. Und deshalb war die Stadt auch nicht an das Hochgeschwindigkeits-Schienennetz angeschlossen worden. Die Verbindung mit dem Umland besorgten normale Züge, Flieger – und zum Gutteil altmodische Straßenverbindungen. Die Stadt war einfach nicht bedeutend genug. In der Schule hatte man Lilja zwar etwas vom alten Kasan-Khanat erzählt, von Ivan IV. „Grozny“, von dem Bauernführer Pugatschow, doch all das war schon lange her, sehr lange. Vieles hatte sich auf der Welt gewandelt, und viele einst bedeutende Städte hatten in die zweite Reihe, oder noch weiter, zurücktreten müssen. Gerade für die russischen Gebiete war es stets eine gewisse Demütigung gewesen, daß weder Moskau noch eine andere Stadt Rußlands in dem Maße zur neuen Metropole geworden war, wie etwa Peking, New York oder Berlin. Und das – wie man mit Verbitterung feststellte – obwohl Rußland bei der Gründung der Republik seinen Teil beigetragen hatte, und nach Meinung vieler in größerem Maße als etwa die deutschen Gebiete. Angeblich hatte es verschiedene Vorschläge gegeben, die menschliche Bevölkerung zunehmend in den Städten zu konzentrieren, und dann die ganzen Kleinstädte endgültig aufzulösen. Viele von ihnen waren im Laufe der Jahre stark geschrumpft, zu regelrechten Geisterstädten geworden. Hätte man auch die übrigen noch zugunsten der Großstädte und Ballungsgebiete aufgegeben, so argumentierten einige Politiker, dann würde das die Versorgung erleichtern, das Transportnetz entlasten und die Umwelt schonen. Aber irgendwie war alles in den Mühlen des üblichen Parteiengezänks versandet.

Lilja tangierten solche Dinge eher am Rande. Natürlich war sie Patriotin – und das bedeutete, sie achtete die Republik, aber vor allem ihre HEIMAT. Im Augenblick allerdings hatte sie anderes im Sinn als über die Entwicklung Kasans nachzusinnen, das sich im 27. Jahrhundert mit einer ziemlich bescheidenen Rolle abfinden mußte. Und mit vielleicht 300.000 Einwohnern, wo es früher mehr als doppelt so viele gewesen waren. Dennoch herrschte ein recht reger Verkehr, denn Kasan war immer noch ein Zentrum – wenn auch ein Zentrum für eine eher agrarisch und forstwirtschaftlich geprägte Region – nicht zu vergessen den Tourismus. Für den war die „Vernachlässigung“ Kasans eher ein Anreiz. So waren viele der Menschen am Flughafen Touristen. Sie eilten emsig hin und her und waren stets darauf bedacht, ihren Anschluß nicht zu verpassen. Lilja quittierte das Treiben mit eher finsterer Miene. Für sie war es nicht ganz verständlich, wie die Menschen Urlaub machen konnten, während ein Krieg tobte, während Menschen starben und verwundet wurden. So machte sie sich ziemlich schlecht gelaunt auf den Weg. Sie hatte es glücklicherweise nicht allzu weit.

Es war schon fast auffällig, wie wenig in dem ganzen Komplex an den Krieg gemahnte. Natürlich – die Zeiten, wo Krieg Erdbunker, Luftschutzräume und Flakstellungen bedeutete, in der bewaffnete Miliz die Passagiere überwachte und kontrollierte – die waren längst vorbei. Der Krieg fand Lichtjahre entfernt statt, und selbst wenn er die Erde erreichen würde, so war es wesentlich wahrscheinlicher, daß Kasan aus dem Orbit eingeäschert würde, als daß sich die Akarii die Mühe machen würden, hier zu landen. Liljas scharfem Auge entging nicht, daß die wenigen Flakpanzer, die überhaupt auf dem Gelände zu sehen waren, uralte Modelle waren – höchstens ein halbes Dutzend. Es war zweifelhaft, daß anderswo in der Stadt oder Umgebung viel mehr zu erwarten war. Aber es war nicht nur dieses Fehlen von eindeutiger Kriegsatmosphäre, das Lilja ins Auge sprang.

Auch ansonsten unterschied sich nicht viel von dem üblichen Friedensbetrieb auf einem Flughafen. Die Reklametafeln warben für Zigaretten, Kleidung und dergleichen – nirgendwo aber entdeckte man Plakate, die dazu aufriefen, für den Sieg zu arbeiten, sich freiwillig zur Armee zu melden, oder sein Geld zu spenden. Und über die Lautsprecher kamen nur die üblichen Ansagen, vermischt mit Werbespots. Keine Frontkommuniqués, geschweige denn Appelle, oder auch nur Marschmusik oder Kriegslieder. Die Zeitungen – ob Printmagazine oder elektronische Programme, die der Käufer in eine Brille oder einen Taschencomputer einlesen konnte – zeigten wohl nicht selten reißerische Überschriften, die von den Erfolgen an der Front kündeten. Doch ebenso gab es eine ganze Menge, die ihre Aufmerksamkeit ganz anderen Dingen widmeten.

Lilja entging dies natürlich nicht – und ihr Ärger wuchs, während sie sich durch den Strom von Reisenden drängelte. Sie hatte seit ihrer Reaktivierung in einer Umwelt gelebt, die zu mindestens drei Vierteln aus diesem Krieg bestanden hatte – zumal sie ja auch auf „Urlaub“, auf der Perseustation, ständig daran gemahnt worden war. Und sie selber hatte sowieso vor allem an die zurückliegenden und noch kommenden Kämpfe gedacht. Hier aber war davon nichts zu merken. Es war, als hätte sie auf einmal eine ganz andere Welt betreten. Selbst auf Perseus, mit der Vielzahl der Uniformen, den MP auf Patrouille, den nahen Weltraum und den angedockten Kriegsschiffen, selbst auf dieser Raumstation, die doch angeblich dazu dienen sollte, den Krieg zu vergessen, war es ihr nie so ergangen. Aber hier fühlte sie sich auf einmal irgendwie verloren und orientierungslos. Und das steigerte ihre Wut. ,Die tun so, als würde es reichen, wenn sie einfach nicht an den Krieg denken!‘ dachte sie aufgebracht: ,Wir tragen unsere Haut zum Markte, und die begaffen hier Werbeplakate für Seidenblusen. Sie können doch nicht alle so blöd sein, und nicht WISSEN, was da draußen vor sich geht! Ist ihnen denn alles egal?‘ Es war Verbitterung, aber auch ein Gefühl der Verletzung. Sie haßte es, wenn man ihr wegen ihrer Verwundung mit übertriebener Rücksicht begegnete, gewiß. Aber in ihrem Verständnis hätten die Menschen anders sein müssen. Ernster, zielstrebiger – sich ihrer Rolle bewußt. Oder besser, der Rolle, die sie Liljas Meinung nach spielen sollten. Irgendwie hatte sie gedacht, man würde den Soldaten – vor allem denen, die offenbar von der Front kamen – Platz machen, als Zeichen des Respekts. Aber nichts dergleichen. Sie hätte beinahe ebenso gut eine Touristin sein können.

Die junge Pilotin kniff wütend die Lippen zusammen, und die schwarzen Augen blickten beinahe bösartig. Es besserte ihre Laune nicht, daß das ihr noch eher dabei half, ihr Ziel zügig zu erreichen. In ihrem Kopf wälzte sie ein paar Unflätigkeiten. An einem Kiosk erstand sie eine Packung Tabak und eine Zeitung. Der Verkäufer, der möglicherweise eine übliche nichtssagende Bemerkung hatte machen wollen, schluckte diese schnell herunter, als er den Gesichtsausdruck seiner Kundin sah. Diese schnappte sich, was sie eingekauft hatte, ohne es genauer zu betrachten, denn „ihre“ Marke und Zeitung kannte sie, und marschierte weiter. Wütend stieß sie die Krücken auf. In ihrem Kopf wirbelte alles mögliche durcheinander. ,Seit mehr als einem halben Jahr bin ich nicht hier gewesen! Ich sollte lachen und tanzen vor Glück, und den Leuten um den Hals fallen – und mir nicht wünschen, ein paar Ohrfeigen zu verteilen! Wie können sie nur!‘ Oder, so überlegte sie sich – lag es vielleicht an ihr? Sie hatte nie diesen Unfug geglaubt, dieses Geschwafel von der „verlorenen Generation“ und dergleichen. Aber warum fühlte sie sich hier so als Fremde?

Sie hatte absichtlich darauf verzichtet, ihre Familie zu benachrichtigen. Der genaue Termin ihrer Ankunft war nicht klar gewesen, und dazu kamen die ziemlich strikten Vorschriften, was das Ausplaudern von Schiffsbewegungen in Privatnachrichten anging. Als ob die Gefahr bestanden hätte, daß sich eine schmierige Echse in den Funkverkehr zwischen Perseus und Erde einschaltete und dann einfach so ein Abfanggeschwader aus dem Hut zauberte, um der „Maria Theresia“ aufzulauern. Aber so waren sie nun einmal, die Herren und Damen von der Sicherheit.

Außerdem hatten ihre Eltern genug zu tun. Ihr Vater hatte einen Posten in der Zentralverwaltung, und ihre Mutter arbeitete als Physikerin in einer Forschungsanlage der Heeres, die auf dem Kuibyschewer Stausee lag. Ihren Bruder, ein niederer Offizier der Waffenabteilung eines Zerstörers der Norfolk-Klasse, der „Dimitrij Donskoij“, hatte sie seit Beginn der Kämpfe nicht mehr getroffen, und sie erwartete auch nicht, jetzt so viel Glück zu haben, ihm zu begegnen. Alle hatten sie ihre Pflichten zu erfüllen. Und außerdem – sie war KEIN Krüppel, der jemanden brauchte, der ihn abholte! Sie würde, sie wollte selber klarkommen. Man hatte ihr gesagt, sie sollte sich in regelmäßigen Abständen bei einem Arzt zur Untersuchung melden. Dazu, so war ihr „geraten“ worden, sollte sie jede übermäßige Anstrengung unterlassen – als ob sie mit einem Bein schon im Grabe stände! Allein der Gedanke daran führte dazu, daß sie mit den Zähnen knirschte. Was bildeten die sich eigentlich ein? Sie hatte trotz Verbrennungen und Blutverlust ihren Jäger zurückgebracht – und die schrieben ihr vor, sie solle bloß nicht zu schnell laufen! Aber bis man sie endgültig wieder kv schrieb, bis dahin war sie auf das Urteil der Ärzte angewiesen. Und mußte kuschen, denn einige Leute würden es glatt fertig bringen, ihre Beteuerungen, sie sei wieder einsatzbereit, zu ignorieren. Und so sehr sie ihre Familie liebte, oder eher noch deswegen – sie wollte keinen Tag länger als nötig als dienstuntauglich gelten. Einerseits brauchte sie das für ihr Selbstbewußtsein. Mehr aber noch zählte etwas anderes – sie wollte auf keinen Fall riskieren, daß IRGEND jemand ihr auch nur indirekt vorwarf, sie gäbe sich absichtlich keine Mühe, gesund zu werden. Diese Schande konnte sie ihren Angehörigen keinesfalls antun.

Sie wußte nicht genau, was sie getan hätte, wenn sie das Treiben am Flughafen noch viel länger hätte ertragen müssen, so verbittert wie sie war. Vielleicht hätte sie Beherrschung verloren und jemanden angeschrien. Ihre Selbstkontrolle war, obwohl sie sich stets um ein ruhiges Auftreten bemühte, mangelhaft. Vor allem, wenn sie sich mit einer Auffassung zu bestimmten Themen konfrontiert sah, die sie nicht verstehen konnte oder wollte. Aber sie hatte keine weite Strecke zurückzulegen, um zum zentralen Busbahnhof zu kommen. Und glücklicherweise brauchte sie nicht lange zu warten, bis sie ein passendes Fahrzeug bekam. Außer ihr warteten nur ein Dutzend Leute – die meisten wohl Landbewohner, die zurück nach Hause wollten. Wie eigentlich sie auch. Normalerweise genoß sie durchaus die Gesellschaft ihrer Landsleute, aber heute stach ihr zu sehr ins Auge, daß die meisten offenbar nur mit ihren privaten Angelegenheiten beschäftigt waren – und sie weitestgehend ignorierten. So verharrte sie in düsterem Schweigen.

Als der Bus schließlich eintraf, stieg sie etwas schwerfällig ein. Auch wenn sie es sich nicht recht eingestehen wollte – sie war noch lange nicht wieder in Bestform. Der Fahrer lächelte sie routiniert an – so wie vermutlich jeden Fahrgast mit ähnlichen Problemen: „Brauchen Sie Hilfe?“ Lilja schüttelte abwehrend den Kopf. Als der Mann – wohl nicht mit irgendwelchen Hintergedanken – fragte: „Was haben Sie denn mit sich angestellt?“ brach sich der Ärger Bahn, den sie die ganze Zeit vorher in sich hineingefressen haben: „ Na was wohl, was denkst du denn? Woher und von wem werde ich das wohl haben? Schon mal gehört, daß wir Krieg haben? Oder ist dir das entgangen?“ Dann knallte sie ihren Seesack auf einen Sitz und nahm daneben Platz, in wütendem Schweigen. Der Mann schwieg völlig verdutzt – er hatte nicht mit so einem Ausbruch gerechnet. Er errötete, aus welchem Grund auch immer. Offenbar war er nicht daran interessiert, der Pilotin Kontra zu geben. Die anderen Fahrgäste warfen Lilja einige Blicke zu – einige zeugten vielleicht von Respekt, doch es mochte auch sein, daß andere ungehalten waren, weil sie an etwas erinnert hatte, was man lieber vergessen wollte.

Lilja starrte nach draußen, als der Bus anfuhr. Die Straßenzüge Kasans zogen an ihr vorüber, doch das geschäftige Treiben nährte ihren Ärger nur. Sie war freilich auch etwas mit sich selbst unzufrieden. Ihr war klar, daß sie sich fast, nun ja, zickig benahm. Erwartete sie etwa, daß man sie als Heldin feierte? Der Krieg war etwas, was nur einige Millionen der Milliarden Menschen betraf, und er fand weit weg statt. Aber dennoch – diese Verdrängung der Tatsachen. Im Grunde sah es hier nämlich nicht viel anders aus, als vor dem Krieg. Diese Ignoranz, sie weigerte sich, ein anderes Wort zu gebrauchen, die Ignoranz war ihr während ihrer zeitweiligen Suspendierung nicht aufgefallen. Vermutlich hatte sie sich zu der Zeit vor allem mit ihrer eigenen Unzulänglichkeit gequält. Aber jetzt fiel ihr das Verhalten der meisten Menschen auf, und erfüllte sie mit Wut.

Erst als die Fahrt aus der Stadt heraus führte, entspannte sie sich langsam. Hier zogen sich die Wälder und Felder dahin, und sie genoß diesen Anblick. DAS vor allem war ihre Heimat. Das, und Schuran, die kleine Stadt mit vielleicht 5.000 Seelen. Oder, wenn man es genau nahm – wie sie spöttisch dachte – etwa 3.000 Seelen, denn der Rest der Einwohner hatte sich vom Glauben abgewandt. In den Zeiten, wo der Mensch immer weiter in den Kosmos vorgestoßen war, hatte der Glauben nicht unbedingt Hochkonjunktur. Wie den ersten Kosmonauten war den Sternenfahrern auf ihren Reisen Gott niemals begegnet, und nie hatten sie eine Spur von ihm gefunden. Technik und Rationalität bestimmten das Leben – der Glauben war oft, wenn überhaupt, nur ein Lippenbekenntnis. Und der Krieg würde daran wohl nicht viel ändern, denn die Kirchen hielten sich nach ihren schlechten Erfahrungen in der Geschichte etwas damit zurück, zum Heiligen Krieg aufzurufen. Was sie in den Augen von Leuten wie Lilja eher noch mehr in Mißkredit brachte.
Dennoch – gerade in den ländlichen Regionen, abseits der Großstädte und Metroplexe, hielten sich Volksfrömmigkeit und Glauben. Und mit einer solchen Gemeinde konnte Schuran sich schon sehen lassen. Lilja allerdings hatte die orthodoxen Kirchen ihrer Heimatstadt, neun an der Zahl, nur selten von innen gesehen. Und seit sie selber zu den Sternen aufgebrochen war, hatte sie kein Gotteshaus mehr betreten – was sie auch nicht zu ändern gedachte. Ihre Heimatliebe war ihre ganze Religion. Und mehr als der Gesang des Chors ging ihr das Rauschen des Windes auf den Wellen des großen Stausees zu Herzen, und die grüne Stille des Waldes.

Sie brauchte lange, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder etwas anderem zuwendete. Der Anblick hatte ihre Wut besänftigt, und auch wenn sie sich noch lange nicht satt gesehen hatte, so wußte sie, sie würde in den nächsten Wochen genug Zeit haben, das Land ihrer Kindheit wieder zu durchstreifen und zu bewundern. Sie griff zu der Zeitung, die sie gekauft hatte. Obwohl die elektronischen Zeitungen den gedruckten weit überlegen waren – immerhin boten sie kurze Filmsequenzen, konnten in verschiedene Sprachen übersetzt werden und was dergleichen mehr war – bevorzugte sie zumeist die altmodische Variante. Zum einen verwendete sie das Papier für ihre Selbstgedrehten, denn die Druckerschwärze gab angeblich der Machorka erst den ‚richtigen‘ Geschmack. Zum anderen – sie hatte genug mit Technik zu tun, da schadete es nichts, wenn man es auch mal auf die althergebrachte Art und Weise versuchte. Wer wie sie oft stundenlang vor verschiedenen Bildschirmen saß, der genoß so eine Abwechslung sogar. Und sie war neugierig, was die Lokalnachrichten für wichtig hielten. Reflexartig verdrängte sie den aufkeimenden Ärger – die interessierten sich sicher eher für die Ernteprognosen und irgendwelche lächerlichen Skandale der Lokalprominenz, als für den Krieg – und begann zu lesen. Sie merkte bald, daß sie sich hier getäuscht hatte.

Eigentlich hätte es sie nicht sonderlich überraschen dürfen. Sie hatte – wie immer – die lokale Variante des „Narodyna“ gekauft. Das Blatt war eindeutig patriotisch eingestellt und propagandierte einen nicht geringen Nationalstolz. Was einer der Gründe war, aus dem es in Liljas Familie und Bekanntenkreis zu den am häufigsten gelesenen gehörte. Und ob es sich nun um die Produkte der Moskauer Zentralredaktion handelte, oder um die mit einem Lokalteil versehenen Tochterorgane, an dem Grundtenor änderte sich nichts. Und was im „Dritten Rom“ recht war, war in der alten Zarenstadt Kasan nur billig.
Schon auf der ersten Seite fiel ihr besonders eine Überschrift auf: „Großer Sieg unserer Flotte!“. Lilja brauchte nicht lange, um herauszufinden, daß damit das Gefecht bei Jollahran gemeint war. Von den anderen Kriegsschauplätzen gab es wohl im Augenblick nicht viel zu melden. Sie zögerte kurz, denn ihre Erinnerungen an die Schlacht waren immer noch frisch und schmerzhaft, doch dann las sie weiter. Wer auch immer den Artikel verfaßt hatte – jedenfalls verstand er oder sie sein Handwerk. Lilja war selber dabeigewesen, und sie betrachtete das Gefecht keineswegs als großen Sieg. Allerdings – sie war nur eine Pilotin, keine Expertin für Raumkriegsführung. Und wie es hier dargestellt wurde...
Der Reporter warf geradezu mit militärischen Begriffen um sich. Die Tonnageverluste beider Seiten wurden verglichen, und offenbar war man der Meinung, die menschlichen Streitkräfte hätten immer noch gut abgeschnitten. Ausführlich wurde die ungeheure Konzentration von Schiffen geschildert, die den Konvoi hatte schützen sollen. Drei kapitale Großkampfschiffe, jedes weit größer als einer der drei Träger der Erdstreitkräfte, dazu ein Dutzend Kreuzer und die doppelte Anzahl kleiner Kampfschiffe. Eine Flotte, die der terranischen an Zahl und Kampfkraft mehr als ebenbürtig war. Und dennoch – so der Grundtenor – war es den Akarii nicht gelungen, ihren Konvoi zu schützen. Die Verluste des terranischen Angriffsverbandes wurden zwar nicht völlig verschwiegen, aber sie tauchten lediglich in Nebensätzen auf, im vorletzten Abschnitt. Und der letzte war eine erneute Lobeshymne und eine Analyse, wie sehr der Verlust von 20 bis 30 großen Frachtern die Fortsetzung der Akariioffensive erschweren würde. Die Bilder zeigten auch ausnahmslos zerstörte Akariischiffe. Als besonderen Leckerbissen eine Aufnahme des zum Wrack geschossenen Schlachtschiffs der Akarii, aufgenommen vermutlich von der Agamemnon. Lilja konnte es sich selber nicht erklären – obwohl sie die Schlacht anders erinnerte, las sie begierig, jede Zeile auskostend. Ungeduldig blätterte sie um. Im Anschluß an den zweiseitigen Bericht hatte man einen Nachruf an die Gefallenen abgedruckt. Captain Usher, andere Schiffskommandanten, der Prinz von Windsor, dazu kamen Bilder von den zerstörten Trägern. Noch einmal wurde an die ruhmreiche Karriere der „Majestic“ und der „Redemption“ erinnert und ihr Opfer gewürdigt – im großen und ganzen nach dem Motto: „Es war notwendig – und der Verlust wird gerächt werden!“.

Es war jedoch der dazugehörige Artikel im Lokalteil, der ihr am meisten zu schaffen machte. Es war kein besonders langer Beitrag, und er wies auch nicht viele Bilder auf – aber unter anderem ging es um sie selber. Und relativ bald lief die Pilotin doch etwas rot an. Auf diese Art und Weise von sicher selber zu lesen, das war schmeichelhaft. Im Grunde war das weit mehr als nur schmeichelhaft. Und anscheinend hatte man sie schon einmal einer Erwähnung für wert befunden – offenbar, als sie nach ihrer ersten Feindfahrt auf der Redemption den Bronze Star bekommen hatte, und in einem Interview ausgefragt worden war. Wenn jemand wie McLean von TNN sich mit ihr unterhielt, gab ihr das zu Hause offenbar beinahe Starstatus. So gesehen stand natürlich nicht allzuviel drin. Zwei Abschüsse, beides schwere Bomber, einen davon noch mit ihrer schon schwer beschädigten Maschine, und daß sie ihren wracken Jäger dennoch bis zurück gebracht hatte. Sie starrte ihr Foto an wie das einer Fremden. Es war wohl nach ihrer Auszeichnung und Beförderung gemacht worden, als man sie für das Interview „instruiert“ hatte. Sie hätte nicht gedacht, daß der Orden und die Uniform sie – trotz einer unterschwelligen Nervosität, die sie damals verspürt hatte – so, nun, eindrucksvoll aussehen ließen. Und einige der Adjektive, die man im Zusammenhang mit ihr und anderen Besatzungsmitgliedern verwendete...
Sie bemerkte, daß ihre Wangen glühten.

Vermutlich war ihr nicht einmal selber bewußt, daß sie zum Teil hier selber der Täuschung aufsaß, die für die Menschen in der Heimat bestimmt war. Denen wollte, ja mußte man nun einmal Helden präsentieren. Und Lilja war gewiß nicht erste Wahl, doch für eine lokal begrenzte Region wie ihre Heimat war sie schon durchaus vorzeigbar. Auf jeden Fall nachdem sie, wenn auch nur für höchstens eine Minute, in TNN zu sehen gewesen war. Für die Pilotin aber war das genau die Bestätigung, nach der sie hungerte. Wie alle Soldaten sehnte sie sich nach Ruhm und Ehre, oder besser nach Ruhm. Was die Ehre anging, nun, das war eine Frage der Definition. Und das führte dazu, daß sie die Worte des Artikels nicht nur las – sie wollte sie auch glauben. Sie hätte es eigentlich besser wissen müssen, vor allem dahingehend, daß die Schlacht von Jollahran im besten Fall ein Unentschieden war. Jedenfalls kein großer Sieg, wenn man die Opfer bedachte. Aber es war einfach zu verführerisch, den Worten zu glauben. Zumal sie ja nicht direkt logen, sondern nur eine gewisse Sichtweise boten. Lilja hatte ihre Versetzung in die Reserve lange mit sich „herumgeschleppt“. In ihren Augen war das eine Schande gewesen, und es hatte ihr Selbstbewußtsein schwer getroffen. Zu den Nutzlosen, den Versagern abgeschoben zu werden, ohne jede Hoffnung, Rache zu nehmen, mit dem Stigma der Unfähigkeit – so zumindest hatte sie es aufgefaßt. Allerdings hatte sie daraus auch die Kraft geschöpft, mit verbissenem Elan an einer Rehabilitierung zu arbeiten und, einmal wieder im Dienst, zu zeigen, was in ihr steckte. Jetzt solches Lob zu ernten, war genau das, was sie ersehnt hatte – und mehr, als sie zu hoffen gewagt hätte. Sie las die Artikel ein zweites, ein drittes Mal. Als die Landschaft immer vertrauter wurde und in der Ferne die gewaltige Wasserfläche des Stausees blinkte, hatte sie die Beiträge so oft und intensiv gelesen, daß sie vermutlich Wort für Wort hätte wiederholen können.

Als sie aufstand fühlte sie sich eigenartig beschwingt. Es war fast ein Gefühl wie in der Schwerelosigkeit, als schwebe sie. Für einen Augenblick nahm sie ihre Verletzungen kaum wahr. Das Lächeln auf ihrem Gesicht milderte die alten Narben etwas ab und nahm ihrer Miene viel von der kalten Strenge, die sie sonst unnahbar erscheinen ließ. Sie lächelte dem Fahrer freundlich zu und stieg aus. Daß der Mann ihr verdattert hinterherschaute, entging ihr – sie hatte wohl bereits vergessen, wie sie ihn vorher angefaucht hatte. Die Busstation mochte klein sein, und Schuran nur ein besseres Dorf – aber im Augenblick war Lilja wirklich glücklich, das erste Mal seit langer Zeit. Ihre Augen nahmen die vertrauten Bilder in sich auf. Es waren überwiegend kleine Einfamilienhäuser, und so etwas wie ein großes Industriewerk suchte man vergeblich. Die höchsten Gebäude waren oft die Türme der orthodoxen Kirchen, die sich in den Himmel reckten, als sei die Menschheit nicht schon seit Jahrhunderten der Erde und ihren Göttern entwachsen. Nun, vielleicht war dieser Schritt auch nicht SO segensreich gewesen, wie viele gemeint hatten. Der Aufbruch zu den Sternen hatte zum Kontakt mit anderen Rassen geführt – und gerade heute gab es Stimmen, die meinten, die Menschheit hätte sich besser auf ihren Ursprung besinnen sollen, als ihr Glück in den Weiten des Alls zu suchen. Nicht, daß Lilja auf solche Stimmen etwas gegeben hätte, oder sie überhaupt groß zur Kenntnis nahm. Und jetzt dachte sie schon gar nicht daran. Ihre Überzeugung war einfach. Hier war ihre Heimat, und das hier war es wert, dafür zu kämpfen, zu töten, und zur Not auch zu sterben. Ohne einen Gedanken an ihre Wunden zu verschwenden, machte sie sich auf den Weg. Sie war daheim.



Geschrieben von Tyr Svenson am 12.11.2015 um 18:26:

 

Der Transrapid kam zum Halt. Murphy griff nach seiner Tasche und trat an die Tür. Draußen regnete es Bindfäden und alles schien grau zu sein. Dann glitt die Tür beiseite. Murphy setzte seine Uniformmütze auf und stieg aus. Er war froh, dass er den schweren Uniformmantel übergezogen hatte, denn er war die kalten Temperaturen nicht mehr gewohnt. Zwar war der Bahnhof komplett überdacht, aber es zog wie Hechtsuppe. Er brauchte nicht lange suchend in der Gegend herumzublicken, um seinen Gastgeber zu erblicken, dessen Uniform aus der Menge, die Zivilkleidung trug, herausstach.
Murphy ging Jackson Hayes entgegen und salutierte.
Hayes grinste, erwiderte den Salut und bot Jack dann die Hand an, die er kräftig schüttelte.
„Man, ist das lange her. Es freut mich, Jack, dass Du meiner Einladung gefolgt bist. Ich hatte schon befürchtet, du würdest dich nach Irland verziehen und dort die Schafe zählen.“
„Nein, Irland....“ Murphy schwieg.
„Immer noch Deine Eltern?“
Jack nickte nur.
„Lass uns hier erst mal verschwinden.“ Hayes winkte einen Able Seaman heran, der offensichtlich sein Adjutant war.
„Jeffers, nehmen sie die Sachen des Commanders und dann ab zum Auto.“
Murphy drückte dem verdutzten Jeffers, der offensichtlich andere Gepäckgrößen gewohnt war, seinen Koffer in die Hand und folgte diesem dann, als dieser die beiden Offiziere zum Auto führte.
„Rang hat also immer noch seine Privilegien.“
„Vor allem, wenn man zum Bürokraten wird.“ Hayes lächelte.
„Ich hatte gedacht, wir fahren erst mal zu uns, damit Du Dich frischmachen kannst und dann wird es ein schönes Beefsteak geben. Laura hat sich, nach allem, was sie mir heute über Fon erzählt hat, sehr viel Mühe gegeben und dann kannst du auch Andy und Mike kennenlernen.“
„Deine beiden kleinen?“
„Ja. Mike ist jetzt zwei Jahre alt. Und Andy vier.“
„Oh, ein kleiner Racker.“
„Ja, vor dem ist momentan nichts sicher. Das Kindermädchen ist schon richtig verzweifelt....ah, da sind wir ja schon.“
Hayes wies auf eine geräumige Limousine, die im VIP Bereich stand. Offensichtlich kannte er wirklich die richtigen Leute, denn Jack hatte schon deutlich ranghöhere Leute erlebt, die die normalen Eingänge nutzen mussten. Die Männer stiegen in das Fahrzeug ein und nach kurzer Zeit waren sie auf einer Straße, die stadtauswärts führte. Offensichtlich konnte sich Hayes, der aus einer reichen Familie kam, ein Haus in einem der angesagten Villenviertel leisten. Murphy’s Vermutungen diesbezüglich wurde fünf Minuten später bestätigt. Der Wagen hielt vor einer kleinen, aber exquisiten Jugendstilvilla, welche laut Inschrift über dem Torbogen 1901 erbaut worden war. Er sah Hayes an und zog die Augenbrauen hoch.
„Hihi, ja, wir haben unser Haus in London verkauft. Es sieht ja doch so aus, als wenn ich längere Zeit hier in Berlin bleibe und die Villa war wirklich günstig.“
„Kontakte?“
„Was sonst.“ Beide lachten. Schon früher war Murphy immer wieder erstaunt gewesen, wen Hayes alles kannte. Mittlerweile, so ahnte Murphy, dürfte fast jede wichtige Person in der Admiralität, aber auch in der Berliner Szene in der Adressdatenbank von Hayes stehen.
„Wer war denn der Vorbesitzer?“
„Ein Industrieller in Geldnöten, der dringend und diskret Geld brauchte.“
„Soso....“
„Du weißt doch, wie die Leute sind. Stellen bei Pokerpartien Geld aus und wollen nachher nicht, dass der Inhaber damit hausieren geht. Ich hab sie dann ausfindig gemacht und dem Inhaber abgekauft.“
„Du bist immer noch der alte.“
„Sicher, ansonsten hätte sich meine Frau doch schon von mir scheiden lassen.“
Beide gingen lachend zur Haustür, die noch bevor die beiden Männer sie ganz erreicht hatte, von innen geöffnet wurde. Laura Hayes, eine reife Schönheit mit kastanienbraunem Haar und grünen Augen stand im Türbogen und lächelte, als sie die beiden Männer sah, die sie etwas verdutzt anblickten.
„Woher...“
„Jeffers hat mir eine Nachricht geschickt, damit ich das Essen fertig machen konnte. Hallo Jack!“
„Hallo Laura.“ Jack küsste galant ihre Hand, dann erwiderte er das Lächeln.
„Ganz der Alte....aber kommt doch erst mal herein.“


Nach dem Essen und weiterem Smalltalk erfuhr Jack unter anderem, dass die Kinder gerade im Zoo waren und wohl erst abends zurückkommen würden. Dann entschuldigte sich Laura und die Männer zogen sich in die Bibliothek zurück, wo schon ein warmer Karmin und zwei bequeme Ledersessel auf sie wartete.
„Immer noch dasselbe?“
„Wenn Du immer noch was von dem Zeug orderst...sicher.“
Jackson grinste und goss Murphy und sich selbst einen doppelten Dalwhinnie ein. Dann setzte er sich zu seinem alten Freund.
„Also, wie läuft es da draußen?“
„Immer direkt auf den Punkt, Jackson...Du hast Dich wirklich nicht verändert....die Lage ist sicherlich nicht wirklich rosig. Der Feind hat gutes Material, gut ausgebildete Leute und offensichtlich auch einen guten ND. Jollahran wird vielleicht als Erfolg verkauft, aber das Gefecht war in meinen Augen eine Niederlage. Wir haben das falsche Material eingesetzt, einen falschen Plan verfolgt und insgesamt Material verloren, das die Gewinne nicht wirklich aufwiegt. Die Träger sind schließlich doch der Dreh- und Angelpunkt unserer Strategie, egal was die Kreuzerleute sagen... Ein Umstieg auf eine kreuzergestützte Strategie wäre, selbst wenn sie grundsätzlich richtig wäre, wohl nicht mehr zu bewerkstelligen, dazu haben wir uns zu sehr festgelegt.“
„Sind die Akarii Mann gegen Mann stärker?“
„Kommt drauf an. Unsere Veteranen können da gut gegenhalten, zumal ich denke, dass unsere taktische Doktrin besser ist. Aber unsere Greenhorns...die sind schnell Echsenfutter, wenn es hart auf hart geht. Dummerweise haben wir massig erfahrene Leute verloren.“
„Ja. Und nicht nur bei euch. Einer unserer Experimentalbombergeschwadern ist nur knapp aus einer Falle entkommen, aber nicht ohne vorher die besten Leute am Feind zu lassen.“
„Die Jungs zahlen sowieso den höchsten Blutzoll. Die Miragestaffeln der Red haben richtig gelitten...und mit Jägern alleine werden wir den Krieg nicht gewinnen. Ich meine, die Hydras sind eine Hilfe, aber keine Lösung. Wir hätten die Mirageformationen schon vor einigen Jahren auf die Crusaders umrüsten sollen. Dann wären zwar die kleinen Träger ohne Bomber gewesen, aber wie wir bewiesen haben, ist das von der Kampfkraft eh nicht so wirklich sinnvoll. Dann hätte man Schiff wie die Red eher für andere, defensivere Aufgaben verwenden können und mit den Flottenträgern Schläge führen können. Eine leichter Träger mit reinem Jägergeschwader ist defensiv fast so stark wie ein Flottenträger, aber offensiv? Zwei Staffeln Mirage sind einfach zu wenig.“
„Du weißt doch, was die Erbsenzähler sagen: Crusader sind zu teuer, zu aufwendig in der Crewausbildung und nicht atmosphärentauglich. Von dem Problem mit den leichten Trägern mal abgesehen.“
„Ist es immer noch so schlimm? Ich hab einige Kommentatoren gehört, als ich im Landeanflug war...“
„Schlimmer. In den Ausschüssen, wo ich auftreten darf, wenn der Boss keine Zeit hat, sitzen einige Leute, die denken, die Echsen seien Kuscheltiere, mit denen man reden könne. Und wenn man ein Debakel meldet, bekommt man zu hören, das Militär sei aufgrund seiner agressiven Haltung selber schuld.“
Murphy nahm einen kleinen Schluck aus seinem Glas und genoß die torfige Note des Islay Malts. Dann wandte er sich wieder Jackson Hayes zu.
„Wir müssen diesen Krieg gewinnen. Dazu sind wir schon zu weit gegangen.“
Hayes zog die Augenbrauen hoch.
„Ist der Raum sicher?“
„Ja, ansonsten säßen wir jetzt nicht hier.“
„Wirklich sicher?“
Hayes sah seinen Freund erstaunt an. Da lag etwas in der Luft.
„Ja. Ich habe ihn heute noch überprüfen lassen. Dich bedrückt doch etwas.“
„Sagt Dir Troffen etwas?“
„Troffen? Nein.“
Murphy lehnte sich zurück. Dann begann er zu erzählen. Hayes wurde immer ruhiger und lies seinen Freund ohne Zwischenfragen erzählen. Dann lehnte er sich zurück und überlegte, während er an seinem Scotch nippte.
„Du bist sicher, dass das alles so passiert ist?“
„Soweit ich es selber sehen konnte...ja. Verdammt, Jackson, ich bin die PostStrike Aufklärung geflogen, mit Lone Wolf am Flügel. Da lebte gar nichts mehr. Was immer die NICler da gemacht haben, alle Hinweise sind in atomarem Feuer verglüht.“
„Hmmm.....ich werde mal nachsehen, was davon im System noch verfügbar ist. Ich kenne ja auch ein paar Freunde beim NIC, die mir noch einen Gefallen schulden. Erzähle aber niemandem hiervon. Deine Vorsicht ist mehr als berechtigt....und jetzt würde ich sagen...schlafen wir darüber. Du bist sicherlich müde.“
Murphy nickte, trank seinen Scotch aus und erhob sich. Nachdem er den Raum verlassen hatte, schüttelte Hayes den Kopf. Dann machte er einige Anrufe.



Geschrieben von Tyr Svenson am 13.11.2015 um 12:37:

 

Der indische Ozean brandete in unzähligen Wellen an den Strand von Bombay City. Die Sonne brannte herunter und das Wasser war angenehm warm. In der Innenstadt riefen die Mullahs zum Gebet, während eine Prozedur Hindis mit einem heiligen weißen Elefanten die Promenade hinab zog.
Vieles hatte sich in den letzten Jahrtausenden geändert. Aber längst nicht alles.
Juliane Volkmer schob ihre Sonnenbrille die Nase runter, um besser lesen zu können.
In diesem Moment flog ein wahrer Strom an Tropfen auf ihr Datapad.
Neben ihr kam Helen Mitra zum stehen. Sie lachte und schüttelte ihr schwarzes Haar. „Warum kommst du nicht rein, Huntress? Das Wasser ist herrlich.“
Juliane warf einen schiefen Blick in Richtung Wasser, wo sich Ohka mit Demolisher balgte.
Nachdem sie bei dem riesigen Schwarzen Urlaub gemacht hatte, war er einfach mit nach Indien gekommen. Nun waren er und der schlanke Japaner Spielkameraden. Das war wohl das erste Mal, dass der introvertierte Nakakura so aus sich herausging.
„Später vielleicht. Ich muss noch ein paar Berichte lesen.“
„Ach, Bullshit!“ Helen ergriff Julianes Arm und zog sie in die Höhe, den unwilligen Trotz überhörte sie. „Nun komm schon, Huntress. Diesen Quatsch über statistische Feindbewegungen kannst du immer noch lesen.
Zwei Männer sind mir ein wenig viel. Ich brauche Hilfe.“
„Na gut, du Nervensäge. Na gut. Sitzt mein Bikini gerade?“
„Ist ja kein Flottenmodell“, erwiderte Helen spitz. „Außerdem frag das nicht mich, sondern die Zaungäste dort drüben.“ Sie deutete auf die Horde. So nannte Juliane bei sich die Versammlung an Verehrern, die sich jeden Tag am Strand versammelte, wenn sie mit Helen und den Jungs schwimmen ging.
„Ja, ja. Denen wäre es ganz recht, wenn das hier textilfreie Zone wäre. Und dem da wahrscheinlich auch.“ Juliane nickte in Richtung Kanos, der gerade von Thomas Paul einige Meter durch die Luft geworfen wurde.
Helen grinste, bis ihr der tiefere Sinn der Worte klar wurde. „Gehen wir vorher ein paar Meter, okay? Wir können uns ein Eis kaufen.“
Juliane nickte.

Sie winkten zu den beiden Männern herüber, die sie beim toben im Wasser nicht einmal bemerkten und schlenderten den Strand hinunter zu dem kleinen Softeisstand. Amüsiert bemerkte Juliane, dass ein richtiger Mensch hinter dem Kühlaggregat stand und das Eis portionierte und verkaufte.
„Und? Schläfst du mit ihm?“ Helen nickte nur.
„Wie lange schon? Du weißt, es hat mich wirklich gewundert, ihn hier zu treffen. Nein, eigentlich nicht wirklich.“
„Ich… habe ihn eingeladen. Es… Es erschien mir richtig. Wenn ich mit ihm zusammen bin, dann… dann geht es mir besser. Er ist gut für mich, Julie.“
Juliane Volkmer nickte. „Ja. Das sehe ich.“ Sie streckte der Freundin die Zunge raus. „Wollte ja auch nur wissen, ob Ihr dazu ein Kama Sutra benutzt.“
„Oooh“, machte Helen und tat als wolle sie nach der älteren Pilotin schlagen.
Die beiden erreichten den Eisstrand und kauften sich extra große Portionen. Helen bezahlte mit ihrem Daumenabdruck, der Betrag würde direkt von ihrem Konto abgebucht werden. „Ich lade dich ein, Huntress.“
„Gehen wir noch ein Stück. Wir können ja nicht mit dem Eis ins Wasser gehen, nicht?“
Helen kniff die Augen zusammen und lächelte ihr süßestes Lächeln. „Hai!“, rief sie.
„Du lernst ausländisch?“ Juliane schmunzelte.
„Mata ne“, erwiderte Helen und winkte ab. „Nur ein paar Brocken, so ka.“
„Verstehe. Dann ist es also ernst mit euch beiden?“
Helen sah zu Boden. „Ich weiß es nicht. Ich weiß es noch immer nicht. Man sagt ja, ein Mann braucht Sex um zu lieben. Eine Frau liebt, wen sie in ihr Bett lässt.“ Sie warf einen schrägen Blick zu Juliane rüber.
Die hob abwehrend die Hände. „Hey, hey, hey, was willst du damit sagen?“
„Ace.“, brummelte sie. „Ace“, erwiderte Juliane. „Schon wieder.“
„Weißt du, das erste Mal habe ich mit Kano geschlafen, als wir beide sturzbetrunken von PERSEUS zurückkamen. Es ist einfach passiert. Ich war frustriert und hatte mich das erste Mal seit Wochen so richtig gut amüsiert. Das erste Mal, seit dieser Idiot wie ein Elefant im Porzellanladen durch meine intimsten Gefühle gestapft war.
In dem Moment erschien es mir so richtig, so gut.
Am nächsten Morgen warf ich ihn raus. Und fühlte mich doppelt schlecht.“
Sie sah Juliane in die Augen. „Julie. Eine lange Zeit dachte ich, er wäre mein Ersatz für Ace. Oder das ich eine Schuld bei ihm hätte, die ich mit Sex abbezahle. Aber das stimmte alles nicht. Ich… Wie soll ich das erklären? Vielleicht war es nur die Gefahr. Die Gefahr, bei etwas verbotenem erwischt zu werden. Vielleicht sollte ich mich doch wieder darauf konzentrieren, ein Pilot der TSN zu sein und diesen Fehler korrigieren. Im Einsatz können wir sowieso nicht zusammen sein und Gefühle behindern nur.“
„Idiotin!“ Die Offizierin und Kameradin sah auf Kali hinab. „Idiotin. Das haben sie beide nicht verdient. Ace nicht und Ohka nicht.“
Helen griff sich an die Wange, als hätte sie eine saftige Ohrfeig erhalten. Der düstere Blick, mit dem Huntress ihre Worte kommentierte, war mindestens ebenso saftig.
„Du bist wirklich ein Trottel, wenn du so denkst. Dann hast du beides nicht verdient. Weder das Andenken an Ace noch die Zuneigung Ohkas.
Sieh es endlich ein. Vielleicht hast du Ace geliebt.
Vielleicht habe ich… Ace geliebt. Und ich habe es mir nicht eingestanden und den Sex vorgeschoben. Erst um etwas von ihm über den Roten Baron zu erfahren, dann um ihm eine imaginäre Schuld zu bezahlen. Ich ärgere mich heute jeden Tag, dass ich es mir nicht eingestanden habe. Dieser verdammte junge Bengel, dieser Heißsporn mit den blauen Haaren, ich…“ Übergangslos brach Huntress in Tränen aus. „Es tut mir leid, Helen, aber wir waren wohl doch Rivalinnen. Und ich war viel näher dran als du.“
Kalis Augen begannen feucht zu schimmern. „Julie…“
Die Pilotin ergriff die Schultern ihrer Indischen Kollegin und hielt sie. „Es war falsch von mir, Ace so zu behandeln und den Sex vorzuschieben. Es war mehr. Sehr viel mehr.
Und es ist sehr viel mehr, wenn du mit Kano schläfst. Gestehe es dir ein, bevor es zu spät ist. Wenn er erst gefallen ist, dann ist es zu spät. Und du weißt, in diesem Krieg kann das jederzeit sein. Wir sind keine verdammten Nutten, die mit irgendwem schlafen.
Wir sind Offiziere der TSN, und wenn wir… Wir schlafen mit ihnen aus einem tiefen Gefühl heraus. Ace ist tot. Bewahre sein Andenken, aber empfinde keine Schuld. Sei ehrlich zu dir, was du für Kano empfindest, aber tu es schnell.“
„Julie…“
„Ace ist tot, aber Kano ist noch da. Und er liebt dich. Vielleicht dienen wir wieder alle zusammen und wir müssen dem Dienst den Vorzug geben. Das ist unser Schicksal als Soldaten. Aber deswegen müssen wir nicht unsere Gefühle kastrieren.“
Nun brach auch Helen in Tränen aus. Die Eistüten fielen in den Sand, als die beiden Frauen sich umarmten und gemeinsam weinten.
„Ich… Ich habe ihn auch geliebt, Julie. Ich war so dumm, so dumm.“
„Ja. Aber Ace mochte Kano. Ich weiß… Ich weiß er würde dir wünschen, dass Ihr zwei zusammen seid. Es wäre eine Beruhigung für ihn, dich glücklich zu sehen, egal wo er gerade ist.“
Helen schniefte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Hai, wakarimassu. O-nee-chan.“
Juliane lachte und schüttelte den Kopf, dass die Tränen dabei weg stoben. „So ka, nee-chan. Lass uns ein neues Eis kaufen und zurückgehen. Aber diesmal bezahle ich.“
„Okay.“
Die beiden gingen zum Stand zurück und kauften sich neue Tüten. „Sag mal, Helen, meinst du, Kano bringt mir auch japanisch bei?“
„Weiß nicht. Frag ihn doch.“

Demolisher und Ohka waren derweil aus dem Wasser zurückgekehrt und saßen zusammen auf der Liegedecke. Nakakura Kano winkte zu ihnen herüber. „Es gibt Neuigkeiten“, rief er und hielt seinen Pager hoch. „Ihr solltet eure auch checken.“
Demolisher grunzte zustimmend. „Am achtzehnten sollen wir rüber nach Californien.“
Juliane zog ihren eigenen Pager hervor und kontrollierte die Nachrichten. „Ich auch.“
„Ich auch. Ich… Wir… Heißt das, die Blaue, dir Grüne und die Rote Staffel bleiben zusammen?“ Helens Miene wankte zwischen Hoffnung und Verzweifelung.
„Es sieht zumindest so aus.“
„Ooooooh, das ist großartig!“ Spontan umarmte Helen Ohka und küsste ihn.
Der Japaner war von soviel offener Zuneigung überrascht, akzeptierte sie aber.
„Da ist noch was. Ein Datalink zur Flottendatenbank“, brummte Juliane und aktivierte die Netzverbindung über ihren Pager. „Ich habe da ein paar Suchbegriffe laufen. Was aus unserem Geschwader wird, wie es meinen Leuten geht… Oh.“
Juliane sah zu Helen herüber. „Ace. Zwei Orden und eine posthume Beförderung zum First Lieutenant.“
Wieder schwankte Kalis Miene. Plötzlich lächelte sie und drückte Kano einen Kuss auf die Wange. „Das sind gute Neuigkeiten. Das hat er sich aber auch verdient, nicht, Kano-chan?“
Der Japaner sah sie erstaunt an. Dann nickte er lachend. „Haiiiii!“
„Am achtzehnten, ja? Na, dann haben wir ja noch zwei Tage Zeit am Strand. Danke für das Eis, Huntress.“
„Heeyyyyy“, beschwerte sie sich, als der Riese ihr Softeis fortnahm. Thomas Paul hielt es so hoch, dass Juliane nicht herankam. „Piloten sollten immer auf ihre Figur achten, Huntress!“
„Sehr witzig“, kommentierte sie und sprang in die Höhe, um ihr Eis wieder zu bekommen.
Kali und Ohka lachten bei dieser Szene.
„Na warte“, rief Huntress keuchend, „lass uns beide wieder im Dienst sein…“



Geschrieben von Tyr Svenson am 13.11.2015 um 12:38:

 

Das STARGAZER, ein kleiner, abgelegener Schuppen in der Peripherie der Amüsiermeile der PERSEUS-Station war der Haupttreffpunkt der Besatzung der KAZE. Vielleicht auch deshalb, weil kaum ein anderer Gast hinein passte, sobald sich die Crew nahezu geschlossen versammelt hatte.
Der Besitzer sah es gerne, denn das war eine der seltenen Gelegenheiten, in denen sein Lokal wirklich gut gefüllt war. Da fielen die paar Tische und Stühle nicht weiter ins Gewicht, die bei den gelegentlichen Raufereien der Marines und Techniker zu Bruch gingen.

Bis auf eine Rumpfwache aus Junioroffizieren und Unteroffizieren hatten sich alle Mannschaftsmitglieder auch diesmal im STARGAZER eingefunden. Die Offiziere saßen still vor sich hinbrütend in einem Sépareé und starrten in ihre Drinks.
„Warum der Skipper wohl zum NIC musste?“, fragte Lieutenant Li leise. Der Ortungs- und Funkspezialist sah kurz in die Runde, widmete sich dann aber wieder seinem Schälchen mit Reisschnaps, als keiner seiner Offizierskollegen reagierte.
Johansson füllte sich gerade einen Halbliterkrug Bier aus der großen Karaffe ein und beobachtete penibel die Schaumentwicklung, um ja keinen Milliliter zu wenig einzuschenken, der in sein Glas passen mochte. „Pah!“, meinte er, „sie werden ihn wegen dem Konvoi ausquetschen. Ihm wird schon nichts passieren. Ihm passiert doch nie etwas.“
„Und wenn doch?“ Amber Soleil sah von ihrem Sherry auf und starrte Johansson an. „Was, wenn sein verteufeltes Glück diesmal endet? Was wenn sie ihm wegen irgendwas einen Strick drehen wollen? Erst letztes Mal wollten sie ihm den Prozess machen, weil er angeblich während der Feindfahrt Alkohol erlaubt hat.“
Johansson hustete in seine Faust. Es klang fast wie die Frage: „Angeblich?“
Amber strafte den Marine mit einem bösen Blick ab. Natürlich, es war ein offenes Geheimnis, dass Schneider während der Freiwache Alkohol und Tabak duldete, solange die Soldaten diensttauglich blieben. Die Vorräte der KAZE vor einer Feindfahrt waren immer beträchtlich.
Und es hatte die Crew einiges an Mühe gekostet, die Reste rechtzeitig beiseite zu schaffen, um der Inspektionstruppe, die gegen den Skipper ermittelt hatte keine Beweise in die Hände zu spielen. Johansson grinste bei diesem Gedanken. DAS war ein Spaß gewesen. Vor allem die langen Gesichter der blasierten Idioten in ihren gestärkten Hemden waren es wert gewesen.

„Was, wenn sie ihn wirklich dran kriegen?“ Ishihiro sah von seinem Wein auf. „Das hätte er nicht verdient. Der Skipper ist ein feiner Kerl.“ Das zu erkennen hatte Haruka fünf Feindfahrten und endlose Nerven gekostet.
„Nett, das von Ihnen zu hören, Lieutenant“, klang hinter ihm die irgendwie immer fröhlich klingende Stimme Schneiders auf.
„Captain!“, rief Haruka Ishihiro peinlich berührt. Das dieser Typ aber auch ausgerechnet jetzt auftauchen musste. Und das Schneider dann auch noch seine Worte mitgekriegt hatte, wo er doch immer den disziplinierten Offizier mimte, der den Captain kritisierte und seine laxe Disziplin bemängelte. Natürlich nur wegen der Hoffnung, aus Justus Schneider könnte noch mal ein richtiger Offizier werden.
„Captain“, sagte nun auch Amber Soleil. Sie deutete auf den Platz zwischen sich und Eavy Jones, der Pilotin der KAZE. „Nehmen Sie doch Platz.“
„Danke, Commander.“ Schneider flegelte sich auf den Stuhl und beinahe erwarteten die anderen am Tisch, er würde die Schuhe ausziehen, um es noch bequemer zu haben. „Das tut gut, zwischen zwei hübschen Frauen zu sitzen.“
„Captain“, raunte Second Lieutenant Jones und wurde puterrot.
„Das ist jetzt nicht die Zeit zum shakern, Captain“, ermahnte ihn Commander Soleil.
„Aber wenn nicht in der Freizeit, wann dann? Werden Sie locker, Amber. Ich beiße Sie ja nicht.“
„Ich will aber nicht locker werden“, erwiderte sie. „Und gebissen werden schon gar nicht.“
Justus Schneider verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. „Sehen Sie? Und genau das ist Ihr Problem, Amber. Äh, nicht das beißen. Das locker werden, Sie wissen schon.“
Für einen Moment sah es so aus, als wolle ihr berüchtigtes Temperament mit ihr durchgehen. Aber mit einem Mal wurde sie ruhig. Beinahe lächelte sie, als sie Schneider direkt in die Augen sah. „Vielleicht haben Sie Recht, Captain. Ich sollte die Dinge ausgerechnet in meiner Freizeit nicht so verbissen sehen und lockerer werden.“
„Sag ich doch“, kommentierte der Captain der KAZE und zeigte ihr die zum V geformten Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand.
„Was hat da eigentlich so lange gedauert, Captain?“, wechselte Haruka schnell das Thema, da ihm die Entwicklung des alten nicht geheuer war. „Haben die Schlapphüte mit Ihnen eine Sonderschicht geschoben?“
„Ja, das haben sie.“
„Und? Worum ging es? Hat die Crew Fehler gemacht?“
„Nein, nein, Lieutenant, alles in Ordnung.“
„Dann waren wir unvorsichtig?“
„Auch nicht. Weit daneben.“
„Ja, dann sagen Sie uns doch, worum es ging, Captain.“
„Geht leider nicht. Geheime Verschlusssache. Bedienung? Wo bleibt mein Whisky?“
„Geheime Verschlusssache? Was an diesem Observierungsauftrag kann den so wichtig gewesen sein?“, murmelte Commander Soleil leise.
„Oh, da gibt es was“, meinte Schneider, „aber wenn ich Ihnen das erzählen würde, Amber, müsste ich Sie einsperren lassen und mich gleich dazu. Die Sache ist Top III.“
Johansson pfiff anerkennend. „Was kann so wichtig sein, springt uns aber nicht sofort ins Auge? Wenn der Skipper es nicht verraten darf, können wir es vielleicht erraten. Li, Sie haben die Ortungsbilder des Geleitzugs gemacht. Ist Ihnen was Besonderes aufgefallen?“
Der Angesprochene schenkte sich gerade Reiswein nach. „Hm? Abgesehen davon, dass es der größte Konvoi war, den ich jemals bei den Akarii gesehen habe? Eigentlich nicht.“
„Li kann da auch nicht helfen“, feixte Schneider und nahm lächelnd seinen Scotch entgegen.

„Das ist mir zu dumm. Sagen dürfen Sie es nicht und raten können wir es nicht. Ich gehe zurück an Bord.“ Amber Soleil stand auf und eilte an den Tischen mit den anderen Besatzungsmitgliedern vorbei nach draußen. Sie hatte es fast geschafft, als eine Hand auf ihrer Schulter sie inne halten ließ. Schneider. Es konnte niemand anders sein.
„Amber“, sagte er, und seine Stimme wurde traurig. „Ich kann doch gar nicht anders handeln. Sie dürfen alle nicht wissen, worum es in der Top III-Besprechung ging. Und erraten dürfen Sie es auch nicht. Ein unbedachtes Wort vor der falschen Person, und einige, wenn nicht alle haben das JAG am Kragen.“
Er drehte sie langsam um und lächelte sie an. „Sie wissen doch, wir alle haben so unsere Vergangenheit. Der eine oder andere Offizier in meinem Kader könnte schon aus der Navy geschmissen werden, nur weil sich die Anwälte für ihn interessieren.“
Sie konnte es an seinen Augen sehen, dass er vor allem sie meinte.
„Amber, mögen die anderen Offiziere und Mannschaften hier auf PERSEUS von uns auch denken, was sie wollen, mögen sie uns für Quertreiber, Befehlsverweigerer oder sogar Pazifisten halten, wir alle wollen unserer Heimat als Soldaten dienen. Und die KAZE ist für viele, wenn nicht für alle die einzige Möglichkeit, dies zu tun. Die meisten könnten ihren Abschied nehmen, ohne ihrer Pension zu schaden. Dennoch bleiben sie. Tun ihre Pflicht.
Das will ich keinem nehmen.
Aber ich will auch keinem die wenige Freizeit verderben. Wenn Sie diese kleine Frotzelei auf sich bezogen haben, so tut es mir leid. Ich will Sie weder verletzen noch verärgern. Ich brauche Sie doch. Ohne Sie wäre ich nur ein halber Captain, und die KAZE wäre ohne Seele.

Manchmal frage ich mich, warum ich überhaupt noch diene. Und die einzige Antwort, die ich dann finde ist meine Crew, die ohne den Dienst auf der KAZE vielleicht niemals mehr die Möglichkeit hat, die Karriere in der Flotte fort zu setzen.“
„Captain“, hauchte sie ergriffen.
„Bitte, wenn Sie jetzt gehen wollen, ich halte Sie nicht auf. Aber ohne Sie wäre ich auch hier nur ein halber Captain.“
Sie starrte ihn an, dann wandte sie sich abrupt ab. Ohne ihren Vorgesetzten anzusehen sagte sie: „Nun ja, da steht ja immer noch mein Drink auf dem Tisch, oder?“
Schneider lachte über das ganze Gesicht, als er seinen XO zum Tisch zurück begleitete.
Justine Lacroix, die Bordärztin der KAZE hatte die ganze Szene beim eintreten mitbekommen. Und im Gegensatz zu den Besatzungsmitgliedern oder gar den Offizieren hatte sie jedes gesprochene Wort gehört. Sie schüttelte den Kopf und ging langsam auf den Offizierstisch zu. „Das es jemand schafft, einen Hitzkopf wie Commander Soleil zu bändigen… Sachen gibt’s.“



Geschrieben von Tyr Svenson am 13.11.2015 um 12:38:

 

Vickers Interstellar,
Marsraumwerft


Das Shuttle näherte sich dem riesigen Habitat. Es war die größte Werft, die es im gesamten von Menschen besiedelten Raum gab.
Langsam schwenkte das Shuttle in eines der inneren Werftmodule ein.
Der Shuttlecrew und über Monitor den Passagieren kam ein Schiff im inneren des Moduls zu Gesicht.
Majestätisch schwebte der Flottenträger der Pegasusklasse genau zentriert im Dock.
Am Heck prangte schon der Name, unter dem der Träger in Dienst gestellt werden würde.
T.R.S. Columbia CV 49.
Das Shuttle wurde vom ATLS des Schiffes eingefangen. Ganz sanft, kein Ruck war zu spüren.
Das Shuttle setzt auf dem riesigen Landedeck auf und wurde weiter hineingeschleppt.
Die Luke schwang auf, als sich gerade eine Ehrenwach formierte.
Ein Chief trällerte auf seiner Bootsmannspfeife.
"Admiral kommt an Bord!"
Renault verließ das Shuttle, ein schlanker, Mann mittleren Alters eilte ihm schnellen Schrittes entgegen, schaffte es dennoch Würde auszustrahlen.
"Bitte um Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen." Fragte Renault dem Protokoll halber.
"Erlaubnis gewährt." Antwortete der Mann, dessen Adlerabzeichen am Kragen ihn als Captain auswiesen.
"Sie sind Waco?" Wollte Renault wissen.
"Yeah, James Waco, was kann ich für Sie tun, Sir?"
"Sie können mich über die genaue Lage an Bord informieren. Und ich habe ein paar Neuigkeiten, Sie werden der 2. Flotte zugeteilt."
"Aha, bei Texas Wache schieben, aber nun ja, in vier Tagen laufen wir aus zum Maschinentest, danach laufen wir wieder ein, um sechs Tage später haben wir Taufe. Die Besatzung ist zur Hälfte an Bord, in der Woche nach der Taufe bekommen wir die zweite Hälfte. Allerdings, habe ich Probleme mit meinem Bordgeschwader."
"Ihr vorgesehener CAG fällt aus, Estelle Henriques richtig?" Hakte Renault nach.
"Ja, ihre Rekonvalenz dauert noch gut ein Jahr länger als geglaubt."
"Und noch keinen Ersatz gefunden?"
"Nein, obwohl es genügend befähigte Leute hier im System gibt, aber ich glaube kaum, dass das Oberkommando sie jetzt noch rausrückt, wo die Columbia Terra verlässt."
Sie kamen zu Wacos Büro.
"Ich hätte vielleicht einen Mann für Sie Captain."
Waco setzte sich hinter seinen Schreibtisch, bot Renault eine Zigarre an und zündete sich selbst, ungerührt von Renaults Ablehnung eine an: "Wen?"
Renault holte einen Datenchip aus seiner Hosentasche und reichte ihn Waco.
"Lone Wolf Cunningham, dass kann nicht Ihr Ernst sein, ich kenne den Kerl, arroganter Drecksack."
"Nun, als ich ihn vor ein paar Tagen traf, war nicht viel von Arroganz bei ihm zu entdecken, ich denke, der Krieg hat ihn verändert, ich denke, er kann Ihnen ein guter Geschwaderkommandant sein."
"Und wenn ich diesen Cunningham nicht als Geschwaderchef haben will?"
Renault antwortete mich einem Lächeln: "Sie können versuchen jemanden zu finden, der Ihnen genehm ist."
"Ich will zumindest zuerst mit diesem veränderten Cunningham sprechen."
"Und wie sieht es mit dem Rest Ihres Geschwaders aus?"
Waco lehnte sich zurück und zeigt ein verrücktes Grinsen, welches seinem Callsign - Wacko - mehr als gerecht wurde: "Auch nicht viel besser, ich hatte ja irgendwie darauf gehofft, die Imperial Starlancers als Bordgeschwader zu bekommen, oder die Red Arrows als Grundstock für was vernünftiges."
"Es werden gerade massenhaft Kampferfahrene Leute nach Miramar verlegt, daraus kann man einen guten Grundstock für ein Geschwader formieren. Dann werden demnächst Milizpiloten an die Front geschickt, ich werde mich dafür stark machen, dass die Columbia 40 Piloten von der New Bosten Space Force zugewiesen bekommt."
"In Ordnung, ich bin bestochen, ich werde mir diesen Cunningham angucken, wenn Sie ihn herschaffen."
"Das lässt sich sicher einrichten. Aber ich bräuchte noch in einer anderen Sache Ihren Rat."
"Sir?" Waco hob erstaunt die Augenbraue.
"Ich brauche einen qualifizierten Captain für die Moskau. Die Moskau muss in vier Wochen auslaufen."
Waco blickte den Admiral erstaunt an: "Die Moskau? Nun, ich habe mir das ... Wrack ... von Schiff angesehen, ich bin mir nicht sicher, ... naja, eigentlich bin ich mir schon sicher, und zwar in der Hinsicht, dass die Moskau in vier Wochen nicht in der Lage ist, auslaufen zu können."
"Die Moskau muss auslaufen, daher wird sie auslaufen, Ende der Diskussion."
"Und Sie brauchen einen Captain, Chris Dehaver und Marina Jensen sind für die beiden leichten Träger vorgesehen", ein feines Lächeln umspielte Wacos Lippen, "die eigentlich für unsere Colonistenfreunde vorgesehen waren. Hidoshi Nakagawa befindet sich noch in der Rekonvalenz, dürfte aber meiner Meinung nach die beste Wahl sein, Sir."

Eine Stunde später hob das Admiralsshuttel wieder von der Columbia ab und strebte einem weiteren Werftmodul zu.
Es war eines der äußersten Module. In ihm hing die Moskau, ebenfalls ein Träger der Pegasusklasse. Doch dieser sah nicht annähernd so majestätisch aus wie die Columbia. Der Rumpf der Moskau war überseht mit Brandspuren von Raketeneinschlägen und Laserstrahlen.
Renaults Shuttle bekam auch keine Landeerlaubnis, sonder musste an einer Luftschleuse andocken.
Erwartet wurde er von einen Lieutenant Commander und einem zivilen Ingenieur von Vickers.
"Sir, willkommen auf der Moskau. Lieutenant Commander Torben Warmbold." Begrüßte ihn der Lieutenant Commander.
"Commander." Renault nickte ihm zu.
Der Ingenieur streckte ihm die Hand entgegen: "Willard Moreland."
Renault nahm Morelands Hand: "Mr. Moreland. Ich mache nur eine kurze Stippvisite und ich möchte Tacheles sprechen: In vier Wochen wir dieses Schiff das Dock für mindestens 14 Tage verlassen."
Die beiden Männer guckten ihn an als habe er sich vor ihren Augen in einen Akarii verwandelt und beeilten sich dann sich gegenseitig dabei zu übertönen, ihm zu erzählen, dass sein Vorhaben unmöglich sei.
"RUHE!" Donnerte Renault schließlich. "Commander Warmbold: Ich erteile Ihnen hiermit folgenden Befehl: Bis zum Eintreffen des neuen Kommandanten, werden Sie alles erdenkliche unternehmen, dieses Schiff für ein Auslaufen in exakt 28 Tagen vorzubereiten. So bald Ihr neuer Captain an Bord, kommt, werden Sie abgelöst, der Befehl jedoch bleibt bestehen. Dieses Schiff hat am 13. Oktober 2636 für eine Flottenparade auszulaufen und weitere 13 Tage im Raum zu bleiben."
"Sir, ich ...."
"Bestätigen Sie den Befehl!"
Warmbold schluckte: "Befehl erhalten und verstanden! Aye, aye Sir! Ich bitte meinen Protest im Logbuch zu vermerken."
Renault nickte: "In Ordnung, vermerken Sie Ihren Protest."



Geschrieben von Tyr Svenson am 13.11.2015 um 12:39:

 

Gonzalez stand auf der Brücke seines Schiffes. Das gefiel ihm nicht besonders, denn auf SEINEM Stuhl sass dieser idiotische Sesselfurzer, den ihm das Oberkommando auf das Auge gedrückt hatte. Wenigstens was Commodore Reich nicht so dreist, ihm das Rauchen auf seiner Brücke zu verbieten.

Reich war wie angekündigt auf der Dauntless angekommen und hatte alle Anzeichen eines Bürohengstes gezeigt. Zuviel Gepäck. Zu pedantische Inspektion der angetretenen Crewmitglieder. Die Liste lies sich fortsetzen. Dazu kam, dass die Brücke der Dauntless nicht wirklich als Flagbrücke ausgerüstet war. So kam es, dass Gonzalez den Posten von Turner übernahm und dieser im CIC Stand bei O’Keefe war. Letzterer war wohl der Einzige, der davon profitierte, weil er so eine Menge von Turner lernen konnte.
Auf der Brücke wurde Gonzalez ständig durch Nachfragen genervt, die der Commodore mit einem Blick auf das Display vor sich selbst hätte beantworten können. Außerdem stellte er taktische Planspiele auf, die nach Gonzalez Ansicht etwas vor 20 Jahren aktuelle gewesen waren. Es wurde zudem immer offensichtlich, dass er die Möglichkeiten der Dauntless vollkommen falsch einschätzte.
Immerhin war er aber nicht komplett beratungsresistent. Langsam merkte Gonzalez, wie er Reich anfassen musste, ohne dass sich dieser übergangen fühlte.

Reich indessen betrachtete den Schirm vor sich. Innerlich hoffte er, dass der Konvoi möglichst von den Akarii unbemerkt an seinem Bestimmungsort ankam. Denn er wusste nicht, was er von den Fähigkeiten seines Flaggschiffes halten sollte. Auch der Captain der Dauntless war ein Rätsel für ihn. Beide hatten innerhalb der Flotte einen zweifelhaften Ruf, der Kreuzer galt als Fehlkonstruktion, und das sowohl bei den Fliegern als auch bei den traditionellen Dickschiffleuten. Gonzalez selbst hatten den Ruf eines aufsässigen, unkonventionellen Aufsteigers. Aber Reich musste zugeben, dass die Mannschaft einen guten Eindruck machte, auch wenn die anfängliche Parade ihn das schlimmste hatte befürchten lassen. Da waren ihm nämlich neben diversen Alkoholfahnen und anderen Ausdünstungen auch die alles andere als vorschriftsmäßige Haltung der meisten Männer und Frauen aufgefallen. Aber auf der Fahrt schien die Besatzung ihre Arbeit zu machen. Er musste sich auch zugestehen, dass Gonzalez ihm immer mehrere Schritte voraus war, was Vertrautheit mit dem neuen Schiff und der Besatzung zeigte. Andererseits fand er Gonzalez Angewohnheit, fortwährend mit einer Zigarre in der Hand auf der Brücke herumzulaufen, ausgesprochen irritierend.
„Gonzalez, was meinen Sie, eine weitere Übung zur Koordination der Flotte?“
„Sir, ich glaube, wir sollten erst mal innehalten. Alle Mannschaften sind schon seit geraumer Zeit ohne große Pause auf Feindfahrt.“
„Einverstanden. Setzen Sie die nächste Übung dann in vier Stunden an.“
„Jawohl, Commodore. Sir, mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich kurz in die Gefechtszentrale begeben.“
„Machen Sie das.“ Reich ahnte, dass Gonzalez unglücklich über die Situation war, aber daran konnte er aus seiner Sicht nur wenig ändern.

Gonzalez griff nach seiner Mütze und verließ die Brücke. Zwei Minuten später stand er neben Turner und O’Keefe in der Gefechtszentrale.
„Also, ich habe gesehen, es gibt Probleme mit dem achteren SM2 System?“
„Ja und nein, Sir.“
Gonzalez zog ob der kryptischen Bemerkung von O’Keefe die Augenbrauen hoch.
„Es ist nicht das SM2 System, sondern die Energiezuführung dorthin, die ein Problem aufwies. Allerdings legt dies faktisch das SM2 und einige Subsysteme, insbesondere passive Sensoren lahm. Das Problem wird gerade behoben.“
„Gefahr, dass es wieder auftritt?“
„Eher gering, scheint sich schlichtwegs um ein Verschleißteil zu handeln, das auf Perseus nicht gewartet wurde.“
„Gut, halten Sie ein Auge drauf, O’Keefe. Wie war die Übung ansonsten?“
Turner ergriff nun das Wort: „An sich erfolgreich. Wir haben alle simulierten Ziele bekämpft, bevor sie wirklich gefährlich wurden. Der Computer war sich aber unsicher, ob wir den einen Flugkörper abgeschossen hätten. Ich empfehle hier, das Amraam System noch genauer auszurichten, es könnte wirklich was ausmachen.“
„Gut, fügen Sie das dem Trainingsplan und dem taktischen Handbuch hinzu. Ich will sehen, ob sie Ihre These bestätigt. Sonst noch was?“
„Nein Sir....doch Sir....“
„Warren?“
„Naja, wir fragen uns, was wir im Gefechtsfalle tun sollen. Mehrfach haben Sie Order gegeben, ohne dass der Commodore diese sanktioniert hatte.“
„Hat er ihnen widersprochen?“
„Nein, Sir.“
„Geben Sie als mein XO nur Befehle, die ich herausgegeben habe?“
„Nein, Sir.“
„Dann handeln Sie entsprechend. Und im Zweifelsfallen denken Sie daran, dass der Commodore neu auf dem Schiff ist. Ich bin wieder auf der Brücke.“
Gonzalez ging, ohne weiter die fragenden Gesichter seiner Leute weiter zu beachten. Denn sie berührten einen wunden Punkt, über den er sich auch noch nicht im Klaren war. Tatsache war, dass er nicht gewillt war, die Kommandokette zu durchbrechen. Denn die stellte sich für ihn wie für wohl jeden Offizier als absolut unantastbar dar. Andererseits konnte er nicht warten, bis Reich zu einem Entschluss kam, wenn jeder Sekundenbruchteil zählte. Innerlich hoffte er, dass die Feuertaufe der Dauntless noch bis zur Ankunft des Konvois an seinem Bestimmungsort auf sich warten lies.

Turner und O’Keefe waren nicht minder ratlos. Was der Alte gerade vom Stapel gelassen hatte, war ungefähr so hilfreich wie ein Kühlschrank in der Antarktis.
„Douglas, haben Sie das verstanden?“
„Sir, nein, nicht wirklich. Aber mit Verlaub, Sie kennen den Captain doch besser als ich.“
„Ja, das schon....aber so was hat er noch nie zu mir gesagt. So missverständlich drückt er sich nur aus, wenn er dies auch will. Im Zweifelsfalle reagieren wir auf einen Befehl von der Brücke, egal von wem er kommt. Ich hoffe nur, die beiden denken wenigstens in gleichen Bahnen, sonst wird es unangenehm.“
O’Keefe nickte nur.
„Dann zurück zur Simulation, ich will doch mal sehen, ob wir den idealen Abschusswinkel nicht noch näher bestimmen können.“
„Sir, noch eine Frage, stimmt es, dass der Captain und Sie das Taktische Handbuch für diese Klasse schreiben?“
„Ja, das ist allgemein so üblich, wenn eine neue Klasse eingeführt wird.“
„Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich auch etwas dazu beitrage?“
„Nein, Douglas, sicher nicht.“ Turner lächelte. „Sie haben ja schließlich mehr Systemerfahrung an einigen Teilen hier als wir alle zusammen.“
„Dann könnten wir doch jetzt auch noch mal eine Simulation einspielen, die ich hier zwischendurch mal entwickelt habe. Es geht darum, die SM2 Werfer beide einzusetzen, was ja an sich fast nicht möglich ist.“
Turner nickte. Die SM2 Systeme waren bugwärts und „oben“ und achtern und „unten“ angebracht. Da die Werfer nicht schwenkbar, sondern senkrecht eingebaut waren, war es theoretisch nicht möglich, beide Werfer gleichzeitig auf ein Ziel einzusetzen. Allerdings hatte die SM2 die Möglichkeit, auch um die Ecke zu peilen, wenn sie Verbindung zum Radar der Dauntless hatte. Doch die Simulationen in dieser Hinsicht waren bisher nur mäßig erfolgreich gewesen. Warren Turner war gespannt, was dem Nachwuchs da eingefallen war und wies ihn daher an, die Übung laufen zu lassen. Langsam machte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breit....



Geschrieben von Tyr Svenson am 13.11.2015 um 12:42:

 

„BOMBAY – SPACEPORT, ZENTRALBAHNHOF!“ Der Bordlautsprecher trieb Kano auf die Beine. Ein paar Sekunden wußte er nicht, wo er war, glaubte in dem Lautsprecher die monotone, aber harte Stimme des Kommunikationsoffiziers der „Redemption“ zu erkennen, der Großalarm gab.
Während Kano hochfuhr, taste er reflexartig nach dem Spind, in dem sein Pilotenanzug hängen mußte. Deshalb stieß er sich den Kopf UND den Arm. Immerhin weckte ihn der Schmerz endgültig auf und machte ihm bewußt, wo er sich befand.
Er war nicht mehr an Bord eines TSN-Trägers, sondern in dem Transrapid Tokio – Hanoi – Delhi – Bombay. Die „Redemption“ war seit nunmehr zwei Monaten Geschichte und die weiche, weibliche Stimme, die aus den Lautsprechern ertönte, hatte wirklich keine Ähnlichkeit mit dem Kommunikationsoffizier der „Redemption“. Nur die kalte Funktionalität des Zugabteils erinnerte an die Einrichtung eines veralteten Langstreckenshuttles.
Während Kano verärgert den Kopf rieb, sah er sich vorsichtig um, ob jemand seine Ungeschicklichkeit bemerkt hatte. Er hatte Glück gehabt. Die meisten anderen Passagiere schienen immer noch zu schlafen, wurden gerade wach – oder waren damit beschäftigt, ihr Gepäck zu ordnen. Der junge Pilot schulterte seinen Seesack. Wenn der Dienst bei den Streitkräften etwas für das Zivilleben lehrte, dann die Fähigkeit, mit extrem leichten Gepäck zu reisen.

Als Helen ihn angerufen hatte, hatte Kano spontan seine Urlaubspläne umgeworfen, den Rest seines Urlaubs in Tokio zu verbringen. Kano hatte sofort ja gesagt, als sie ihn gefragt hatte, ob er sie besuchen wolle.
Sein Bruder Tarro, seit Iouras Tod Kanos einziger Bruder, war schon wieder an Bord des Zerstörers „Caulaincourt“, der zur 3. Flotte gehörte. Die zwei Jahre Altersunterschied hatten ihre Bedeutung verloren, denn obwohl Tarro Waffenoffizier und nicht Jagdflieger war, teilten sie doch ähnliche Erfahrungen.
Und seine Eltern... .
Kano lächelte etwas schuldbewußt. Tadamori, Kanos Vater, war nach zwanzig Jahren aktiven Dienst auf dem Flottenträger „Akagi“ in die Etappe gewechselt und diente nun in der Verwaltung eines im Großraum Tokio stationierten Phantome-Geschwader. Die Vernichtung seines alten Trägers und der gleichzeitige Tod seines älteren Sohns Ioura über Manticore war ein schwerer Schlag für den alten Soldaten gewesen. Dennoch hatte er mit Stolz reagiert, als Kano auf eine Fronteinheit versetzt wurde - und noch mehr, als er gesund mit dem Flight Cross zurückgekommen war. Sein Vater hatte mit trockenem Humor reagiert , als Kano seine Urlaubsplanung änderte.

Kanos Mutter Hiromi hatte Kano allerdings ziemlich eingehend über Helen befragt, was ihn etwas nervös gemacht hatte. Es war ja nicht gerade so, daß er und Helen heiraten wollten – sie waren schließlich beide Soldaten der TSN.
Hiromi war, für eine die japanischen Traditionen achtende Familie nicht unüblich, nicht berufstätig. Den ältesten Sohn an den Krieg zu verlieren und Tarro und Kano in ständiger Lebensgefahr zu wissen, war hart für sie. Kanos Mutter bemühte sich zwar, sich wenig anmerken zu lassen. Aber als sich Kanos fünfzehnjährige Schwester Sakura, das jüngste Kind der Familie, für die Jagdfliegerausbildung auf dem Mars interessiert hatte, hatte Hiromi das Gespräch fast sofort unterbrochen. Das war eine der seltenen Gelegenheiten gewesen, als es offenen Streit gegeben hatte und die sonst immer beherrschte Hiromi lauter geworden war. Und wenn Kano von seinen Erfahrungen erzählt hatte, mit den Händen verdeutlichte, wie sich die Jagdflieger im Weltraum umkreisten und gegenseitig hetzten, da war es ein-, zweimal vorgekommen, daß seine Mutter fast schmerzhaft das Gesicht verzog und sehr still wurde. Dann dachte sie wohl an Ioura und an die Gefahren, die vor Kano und Tarro lagen. Kano glaubte zu verstehen, warum sie nicht wollte, daß auch Sakura in die TSN eintrat.
Er hatte versprechen müssen, so häufig wie möglich anzurufen – auf jeden Fall, wenn er neue Befehle bekäme oder irgendetwas über seinen zukünftigen Einsatzort erfahren würde.

Der Zug verlangsamte. Man brauchte allerdings schon extrem feine Sinne, um eine Veränderung zu bemerken, die auch Kano mehr erahnte als wahrnahm. Der unterirdische Bahnhof von Bombays Raumflughafen unterschied sich nicht wesentlich von den gleichartigen Einrichtungen beim Kosmodrom Baikonur, in Tokio – oder wo auch immer auf der Erde. Nur die ethnische Zusammensetzung des Personals und der Passagiere mochte etwas variieren, eine andere Sprache neben den „internationalen“ Inschriften und Ankündigungen in Englisch verwendet werden. Und wie auf den Bahnhöfen von Baikonur und Tokio wurde auch hier der Krieg nach Kräften verdrängt. Es fehlte an Plakaten, die den Betrachter aufforderten, sich freiwillig zu melden, oder für den Sieg zu spenden. Und auch die meisten Nachrichtenorgane thematisierten den Krieg kaum. Kano verzog den Mund. Es versetzte ihm immer noch einen Stich, daß die meisten Menschen – wohl vor allem die, die keine Angehörigen bei den Streitkräften hatten – den Krieg am liebsten ignorierten und gar nicht wahrnehmen wollten, daß jenseits des Horizonts ein erbitterter Weltraumkonflikt tobte. ‘Wir riskieren unser Leben, so viele sind gestorben – und sie wollen es nicht einmal wahrnehmen!‘ Aber das brachte ihn nicht weiter. Die Menschen, die ihm etwas bedeuteten, verdrängten den Krieg bestimmt nicht. Und er hatte schließlich diese Berufung nicht nur deshalb gewählt, um allgemeine Anerkennung zu erringen.
Kano orientierte sich kurz und drängte sich durch die Menschenmenge, die auf dem Bahnsteig drohte. Hoffentlich verfehlte er Kali nicht.
Doch er war noch keine zwanzig Schritt weit gekommen, als er erkannte, daß der Krieg auch in Bombay angekommen war. Wie Wellenbrecher in der Flut ragte eine Kette Armeesoldaten aus der hin und her wogenden Menge. Mit ihren geschlossenen Visierhelmen, den schweren Körperpanzerungen und den quer vor der Brust getragenen H&K 322x – Sturmgewehren wirkten sie unnatürlich massig, fremdartig - und bedrohlich. Ein kleingewachsener, dunkelhäutiger Lieutenant und vier Mitglieder des Sicherheitsdienstes kontrollierten nach einem verwirrenden, planlos wirkenden Muster die ID’s einzelner Personen, ohne einen Grund für ihr Tun anzugeben. Obwohl sich die Menge an dieser Blockade staute, der ganze Bahnhofsbetrieb aufgehalten wurde, gab es kaum Protest. Die Menschen verhielten sich ruhig, wichen den Blicken der Soldaten aus.

Dann geschah es: der Lieutenant schien einen Augenblick wie erstarrt, dann eine ruckartige, schnelle Kopfbewegung - praktisch im selben Augenblick brachen sich zwei Armeesoldaten rücksichtslos Bahn, warfen sich auf einen völlig unauffällig, normal wirkenden Mann, der unter dem brutalen Angriff zu Boden ging. Die Menge flutete zurück, irgendwo schrie eine Frau auf, ertönten Flüche.
Doch es war schon vorbei. Der Angegriffene hing halb bewußtlos im Griff der Soldaten, die ihn hochrissen. Mit routinierten Bewegungen bildeten die Gepanzerten einen Schirm um den Verhafteten. Den Lieutenant an der Spitze rückten sie ab, sorgfältig nach außen sichernd. Die Sicherheitsleute folgten.
Praktisch sofort schloß sich die Menge hinter ihnen, kehrte anscheinend wieder die Normalität zurück.
Doch etwas nachdenklich versuchte Kano noch einen Blick auf die Gruppe zu erhaschen, aber die Soldaten passierten bereits eine der für normale Zuggäste gesperrten Ausgänge, verschwanden aus seinem Sichtfeld. ‚Ein Spion? Kaum, so was gibt es doch nur im Film... .‘

An anderer Stelle:
„Dein Samurai wird sich doch nicht verspätet haben?“ Demolisher schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. Kali winkte ab, ohne sich umzudrehen, während Huntress sich zu dem hochgewachsenen Schwarzen wandte: „Wir sind doch nicht etwa eifersüchtig? Rechnest du dir Chancen aus?“
Demolisher grinste: „Na, da hätte ich wohl keine guten Karten. Du bist ja auch noch da. Was man so hört... .“
Huntress runzelte in scheinbarem Ärger die Stirn: „Wenn du wieder mit DIESER Geschichte anfängst, riskierst du unsere Freundschaft! Ich will doch hoffen, daß dir mal was Neues einfällt.“
„Nun mal sehen. Gibt es da nicht...“ Seine Worte gingen im Aufheulen eines schweren Motors unter. An der kleinen Gruppe Piloten dröhnte ein gepanzertes Einsatzfahrzeug der Armee vorbei, gefolgt von einem leichten Wagen der Sicherheit.
Huntress deutete in die Menge „ Na also. Da kommt er ja... .“

Kano hatte Kali bemerkt. Den Seesack von der rechten auf die linken Schulter wechselnd wand er sich durch die Menge, erreichte die Gruppe: „Helen!“
Kali war schneller als er, umarmte ihn.
Demolisher grinste schief: „Ein süßes Bild, nicht?“
Huntress schüttelte den Kopf: „Wenn dir das Programm nicht gefällt, kannst du ja den Kanal wechseln.“ Der großgewachsene Pilot grinste nur. Jetzt hatte Kano die anderen beiden Piloten bemerkt. Etwas verlegen drehte er sich zu Huntress zu: „Lieutenant Commander Volkmer... .“ Hinter Kanos Rücken verdrehte Kali die Augen. Sie hatte gewußt, daß es so kommen würde. Als sie Kano kennenlernte, hatte sie geglaubt, er würde damit versuchen, bei Vorgesetzten Punkte zu sammeln. Aber die Wahrheit war, Kano war einfach so – ranghöhere Offiziere redete er grundsätzlich mit Sir, Ma’m oder eben dem Dienstgrad an.
Demolisher lachte auf, während Huntress grinste. „Immer die alte Schule, Kano? Trage ich zur Zeit Uniform?“
Kano grinste leicht. Das Kleid, das Juliane Volkmer trug konnte man beim besten Willen nicht als der Dienstnorm entsprechend bezeichnen. Kein Wunder, daß sich in ihrer Nähe der Strom der vorbeieilenden Reisenden verlangsamte: „Nein.“
„Solange wir im Urlaub sind, habe ich keinen Dienstgrad – außer, ich sage was anderes. Für’s erste bin ich Juliane, einverstanden? Aber das andere kannst du für die nächste Feindfahrt aufheben. Und vielleicht bringst du es diesem grinsenden Wollkopf neben mir bei… .“
„Einverstanden, Juliane.“
.
Als die vier Piloten zu dem Transporter gingen, hielt sich Kano dicht neben Kali. Halblaut beantwortete er ihre Fragen, wie es seiner Familie ging.

Im Laufe der letzten Jahrhunderte hatte sich Indien stark verändert. Das Zusammenwachsen der Nationalstaaten und der Aufbruch zu den Sternen hatten endlich genug Mittel zur Verfügung gestellt, die Armut zurückzudrängen. Zwar gab es sie immer noch, vor allem in einigen ländlichen Gebieten und an der Peripherie einiger Großstädte. Aber sie war nicht mehr so ein Massenproblem wie in der Vergangenheit. Das Kastensystem war endgültig zerbrochen. Neben den immer noch erhaltenen Kulturwundern und den Naturparks war Indien nun auch bekannt für eine florierende Wirtschaft – und der bevölkerungsreiche Subkontinent war die ursprüngliche Heimat vieler Kolonisten, die nun die Welten der Republik bevölkerten.

Daß Kalis Familie schon früher eine ganze Reihe Offiziere für die TSN hervorgebracht hatte, wußte Kano bereits. Aber außerdem schien sich dieser Dienst auch gelohnt zu haben, denn Kalis Familie gehörte ein größeres Landhaus in der Umgebung von Bombay. Damit zählten sie bereits zu der gehobenen Schicht der indischen Gesellschaft.
Die Fahrt dauerte vielleicht eine Stunde. Trotz der fortgeschrittenen Zeit herrschte in der Großstadt dichter, fast chaotisch wirkender Verkehr. Einmal mußten sie auf den Bürgersteig fahren, um einer Militärkolonne Platz zu machen – fast ein Dutzend gepanzerter Truppentransporter der Army, mit je zwei Spähpanzern voraus und hinterher. Die schweren, gedrungenen Kriegsmaschinen bildeten einen merkwürdigen Gegensatz zu dem bunten Lichtermeer der Leuchtreklamen.
Außerhalb der Stadt jedoch ließ der Straßenverkehr schnell nach. Kali fuhr schnell und konzentriert – vielleicht stimmte es ja wirklich, daß Jagdpiloten auch im Zivilleben und mit Bodenfahrzeugen hervorragende Fahrer waren. Kano steuerte relativ wenig zu der Unterhaltung bei, die vor allem Huntress und Demolisher bestritten. Aber es interessierte ihn schon, was sie von anderen Mitgliedern des Geschwaders gehört hatten. Ansonsten gab es aber nichts Wichtiges – vor allem keine Nachricht, was mit den Angry Angels werden sollte. Nur einen Haufen unbestätigter Gerüchte und Latrinenparolen.
Aber nicht mal daß konnte Kanos Laube trüben. Er fühlte sich aufgekratzt, aber gleichzeitig angespannt. Immer wieder sah er zu Kali hinüber, die allerdings meist auf die Straße konzentriert war. Aber ein-, zweimal begegnete sie seinem Blick, erwiderte sein Lächeln. Auf der Rückbank unterhielten sich Huntress und Demolisher halblaut. Einmal lachte Huntress laut auf – und stieß ihrem Kameraden dann blitzschnell den Ellbogen in die Seite.

Dann waren sie da. Binnen ein paar Minuten absolvierte Kano eine etwas verwirrende Abfolge von Vorstellungen bei Kalis Eltern, ihren Geschwistern und einigen engen Verwandten die wohl extra wegen Kalis Heimaturlaub zu Besuch gekommen waren. Die Begrüßung war freundlich, ja herzlich.

Das Gästezimmer war größer und natürlich besser eingerichtet als das Quartier, daß Kano an Bord der „Redemption“ mit einem anderen Piloten geteilt hatte. Aber er hatte kaum einen Blick für das Zimmer, sondern nur für Kali. Auch sie sah ihn direkt an. Keiner von beiden sagte etwas.
Es war ganz einfach, natürlich. Ihre Hände fanden sich, verschränkten sich, er fühlte Helens Körper an seinem. Sie küßten sich, hastig, hungrig. Kano schob seine Hand unter ihr Hemd, Helen warf den Kopf zurück, ihr Atem ging schneller. Wieder küßten sie sich... .

„Das dauert aber lange, das Gästezimmer zu zeigen... .“ Demolisher grinste anzüglich.
„Laß doch die Kinder... . Der Urlaub ist sowieso bald genug vorbei... .“
Der dunkelhäutige Pilot kicherte: „Kinder, na ja... . Also gut ‚Mama‘! Und falls du deine fürsorglichen Gefühle auch auf mich konzentrieren wolltest... .“
„Ja, also wenn du wirklich noch jemanden brauchst, der dir die Windeln wechselt?“
„Nun, das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings schlage ich vor… .“
Huntress schüttelte lachend den Kopf: „Träum weiter!“



Geschrieben von Tyr Svenson am 14.11.2015 um 11:26:

 

Stimmen aus dem Grab

Ein anhaltendes, nervtötendes Geräusch weckte Präsidentin Patricia Birminham. Einen kurzen Augenblick wußte sie nicht, wo sie war. Dann kehrte ihre Erinnerung zurück. Sie war noch einmal den Bericht durchgegangen, den der Innenausschuß über die psychologische Entwicklung an der Heimatfront erstellt hatte. Im Allgemeinen schien ihre „Notstandsrede“ gut angekommen zu sein. Die demographischen Untersuchungen hatten sogar eine Zunahme ihrer gesunkenen Beliebtheit festgestellt. Die Menschen waren offenbar bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen, erhofften sich jetzt die Wende.
Deshalb warnte der Bericht auch, daß im Falle eines Ausbleibens von Erfolgen, oder gar einer Niederlage, der leichte Aufwärtstrend binnen kurzem umkippen würde. Als wenn sie das nicht selber gewußt hätte... .
Bei der Durchsicht der aufgestellten Modelle für die zukünftige Entwicklung mußte sie eingenickt sein. Und jetzt... . Patricia Birmingham aktivierte die Komeinheit. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht des Verteidigungsministers Allan De Marko. Die Präsidentin fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Wenn De Marko zu dieser Zeit noch anrief... .
„ Was gibt es?“ Es gelang ihr nicht völlig, ihre Unruhe zu verbergen. De Marko lächelte müde, aber beruhigend, als wollte er signalisieren, daß es nicht die gefürchtete Nachricht vom Beginn der nächsten Akariioffensive war: „Guten Abend, Frau Präsidentin. Sie baten mich, Sie bei jeder Nachricht von Manticore zu informieren. Eines unserer Aufklärungsschiffe am Rand der umkämpften Zone fing vor ein paar Tagen einen Richtspruch ab. Ich nehme an, Sie wollen ihn sehen.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten beugte sich De Marko vor, der Bildschirm explodierte in grauem Rauschen.
Genauso plötzlich war das Bild wieder da. Der Bildschirm zeigte jetzt einen düsteren, kahlen, fensterlosen Raum, der Patricia Birmingham sofort an einen Bunker erinnerte. Ein Mann stand in der Mitte des Raums. Er mochte vielleicht Mitte Vierzig sein. Eher kleingewachsen, hager, dunkelhaarig und mit einer beginnenden Glatze war er alles andere als beeindruckend oder auffallend. Ungewöhnlich war allerdings seine Hautfarbe. Trotz der schlechten Farbqualität der Aufzeichnung fiel die merkwürdig dunkle, fast gelblich Haut auf, ob nun von einer Krankheit oder jahrelangem Aufenthalt in extremen Klima. Er wirkte unausgeschlafen, war schlecht rasiert. Seine schwarzen Augen starrten müde in die Kamera. Er trug eine schlechtsitzende Armeeuniform ohne Rangabzeichen. Immer wieder liefen graue Fäden über den Bildschirm. Die Stimme des Mannes war ruhig. Er sprach sehr sorgfältig, allerdings durch einen starken Akzent schwer zu verstehen:

„Hier spricht Paul Jaluzot, chef de bataillon, Légion Étrangère, Feldkommandeur der verbliebenen Verteidigungsstreitkräfte Mantikor. Der reguläre Widerstand ist zusammengebrochen. Es gibt keine größeren Verbände des Marinekorps oder der Armee auf dem Planeten Mantikor mehr. Dies wird die letzte Nachricht von diesem Planeten sein, es ist uns unmöglich, diese Anlage weiterhin zu sichern.
Nach Tod oder Gefangennahme der kommandierenden Offiziere habe ich den Befehl übernommen. Die verbliebenen Streitkräfte, etwa 5.000 Mann der Legion, der Coloniale, der Armee und örtlicher Ad hoc – Verbände, sind in den Bevölkerungszentren untergetaucht oder in unbewohnte Gebiete ausgewichen. Schwere Waffen stehen uns nicht mehr zur Verfügung. Aber wir werden nicht kapitulieren. Wir werden den Kampf fortsetzen. Unsere Truppen bilden kleine Kampfgruppen, die dem Gegner wann immer möglich Verluste zufügen werden. Auch wenn wir nicht die Macht haben, den Feind zu vertreiben, wird er blutig für seinen feigen Angriff bezahlen.
Wir sind uns über den Ernst unserer Lage bewußt. Es mangelt uns an Nachschub. Wir wissen auch, daß die Republik uns in absehbarer Zeit keine Verstärkung schicken kann. Doch solange die Republik noch kämpft, solange die Heimat bedroht ist, werden auch wir kämpfen, unwichtig, wie aussichtslos unsere Lage auch scheint. Ich hoffe, diese Nachricht erreicht die Republik, als Botschaft an unsere Familien und unsere Kameraden. Sie sollen wissen, daß wir vor diesem Feind nicht kapituliert haben und daß es Hoffnung gibt, solange der Widerstand anhält.
Es lebe die Republik! Es lebe die Legion! Jaluzot, Ende.“

Patricia Birmingham fühlte einen kalten Schauer ihren Rücken hinaufkriechen. Trotz allem Pathos und Trotz, in der Stimme des Offiziers hatte eine düstere Schicksalsergebenheit und Trostlosigkeit gelegen – Jaluzot wußte ohne Zweifel, wie seine Chancen standen. Die Nachricht war die Botschaft eines zum Tode Verurteilten gewesen, eine Stimme aus dem Grab... .
Sie verdrängte die abergläubische Anwandlung, stellte die Verbindung zu De Marco wieder her: „Sie hatten recht. Das war wichtig. Allerdings - halten Sie diese Nachricht für echt?“
„Die Nachricht wurde eindeutig von einem unserer Kommunikationsgeräte abgeschickt. Und vor allem – was hätten die Akarii davon, so eine Nachricht zu lancieren?“
„Wir können nichts tun?“
„Nichts. Wir haben nicht die Kräfte oder Fähigkeiten, nach Mantikor Verstärkung zu schicken. Über dem Planeten sammeln sich Flottenträger und Raumkampfverbände des Gegners für die neue Offensive. Ein Wechsel unserer Strategie wäre sinnlos und riskant. Selbst wenn wir nach Mantikor durchbrechen würden, wir könnten es nicht halten. Und wie wollen wir 5.000 Mann helfen, oder sie einsammeln, wenn sie über den ganzen Planeten verstreut sind? Nein, die Operation gegen die Gefangenenlager hat Priorität. Für Jaluzots Soldaten können wir nichts tun.“
„Was ist das für ein Mann? Ich kenne mich mit den Rängen der Legion nicht aus.“
„Ich habe mir seine Akte angesehen. Ein ‚chef de bataillon‘ entspricht nach den normalen Rangtabellen einem Major. Jaluzot ist seit 30 Jahren bei der Fremdenlegion. Feldkommandos auf etwa 20 Planeten, in allen Unruhen und Konflikten des letzten Vierteljahrhunderts. Aber er hat nie mehr als 300 Mann kommandiert. Er wird als guter, aber nicht herausragender Offizier charakterisiert.“
„Und jetzt hat er das Kommando über die verbliebenen Verbände von Mantikor.“
„Was das auch immer bedeuten mag. Der Krieg schafft Blitzkarrieren. Immerhin, etwas gibt mir Hoffnung. Er ist vielleicht kein neuer Rommel. Aber er hat Erfahrung im Guerillakrieg.“
„Mag sein wie es will, militärisch bringt uns dies natürlich nicht viel. Wenn wir Glück haben, wird es einige Verbände der Akarii binden. Ansonsten bleibt uns nur, daraus das Beste zu machen.“
De Marko verzog das Gesicht. Er wußte, was die Präsidentin meinte Er hatte auch schon daran gedacht. Nicht, daß es ihm gefiel: „Ja, wir werden immerhin einen gewissen propagandistischen Nutzen daraus ziehen. Heldenhafter Widerstand bis zum Letzten, Niemals kapitulieren... . Ich schlage vor, Jaluzot zum Colonel zu befördern. Unsere Pressestellen werden das schon richtig rausstellen... .“
„Ich werde die entsprechenden Anweisungen geben. Danke.“
„Gute Nacht, Frau Präsidentin. Wir sehen uns morgen.“
Als Präsidentin Patricia Birmingham den Bildschirm ausschaltete, fühlte sie plötzlich ein starkes Gefühl des Schuldbewußtsein. Dieser unscheinbare, müde Major der Fremdenlegion hatte mehr verdient, als die Propagandahülsen der regierungstreuen Zeitungen und eine wirkungslose Beförderung. Aber mehr lag nicht in Patricias Hand. Obwohl sie die Präsidentin der Erdrepublik war...



Geschrieben von Tyr Svenson am 14.11.2015 um 11:27:

 

Bedingt Abwehrbereit

Lieutenant Commander Marek Rogulski bemühte sich, einen klaren Kopf zu bekommen. Die Brücke, sonst ein Musterbild vorschriftsmäßiger Ordnung, bot einen chaotischen Anblick. Auf den Anzeigetafeln überwogen die Farben Gelb oder Rot, falls die Bildschirme nicht ganz ausgefallen waren. Mehrere Besatzungsmitglieder lagen am Boden oder hielten sich anscheinend nur noch mit letzter Kraft aufrecht. Commander Raffarin, die im Kommandosessel saß, klammerte sich an die Armlehnen, als hinge ihr Leben davon ab. Was so gesehen gar nicht so falsch war. Ihre Stimme klang schwankend, gewann aber an Sicherheit: „Statusbericht!“ Der Lieutenant Commander warf einen Blick auf die Anzeigen: „Schilde – null. Hüllenbruch in Sektion A-12 bis 19. Primärwerfer ausgefallen. Sekundärwerfer feuerbereit, ebenso Geschütze drei, sechs bis zehn und zwölf. Impulslaser unklar...“ Die anderen Meldungen hörten sich nicht besser an: „Geschwindigkeit bei 30 Prozent, Gefahr der Reaktorüberlastung. Sauerstoffverlust. Brände in den Ebenen B und C“ In Ebene A wurden keine Feuer registriert, dort mangelte es inzwischen an Luft. „Feindschiffe formieren sich erneut zum Angriff!“

Der primäre Taktikschirm flackerte, erlosch, flammte wieder auf und zweigte die feindliche Flotte. Zwei Zerstörer der Akarii, neben und über ihnen mindestens eine Staffel Jagdbomber und Sturmjäger. Etwas weiter zurück der Golf-Kreuzer, von dem die Jäger kamen. Und die Überreste einiger zerstörter Schiffe beider Seiten. Seitdem Alarm gegeben worden war, waren nicht mehr als 15 oder 20 Minuten verstrichen, aber die Zeit hatte ausgereicht, um mehr als ein halbes Dutzend stolzer Schiffe in hilflose Wracks zu verwandeln. Und die Akarii ließen keinen Zweifel daran, daß sie die Sache zu Ende bringen wollten.

„Drehung um 90 Grad, T-Formation! Feuerfreigabe nach eigenem Ermessen! Tertiäre Raketenwerfer – Sektor 3-3-4!“ Die Amram-Werfer, besser gesagt diejenigen, die noch über Munition verfügten und feuerbereit waren, spien ihre Flugkörper aus, direkt in die Flugschneise der feindlichen Kampfflieger. Die Lasergeschütze tasteten nach ihnen, während der Exocet-Werfer eine Salve schwerer Schiff-Schiff-Raketen auf den Weg brachte. Rogulski bellte Befehle, während er selber den Leitstand für den Exocetwerfer übernahm – die ursprüngliche Bedienung lag zu seinen Füßen, und er mußte aufpassen, nicht auf sie zu treten. Einige der Kampfflieger flackerten und verschwanden von den Anzeigen.

„Jäger und Zerstörer feuern Raketen!“ Raffarin reagierte sofort: „Vollschub! Erneut 90 Grad, Maschine AK!“ Offenbar war sie entschlossen, jegliche Warnungen des Maschinenraums in den Wind zu schlagen. Der Waffenoffizier ließ die leichten Raketenwerfer auf die Schiff-Schiff-Raketen wechseln. Einer der feindlichen Zerstörer wurde von dem atomaren Feuer verzehrt, daß drei Exocet entfesselten, die sein Abwehrfeuer durchbrachen. Der große Nachteil der meisten kleinen Schiffe war ihr Mangel an Impulslasern. Die Akarii-Zerstörer waren in dieser Hinsicht zwar oft besser als ihre menschlichen Gegenstücke, aber es reichte dennoch nicht immer. Zwei Jäger in seiner Nähe erwischte es gleich mit. Nur dem Umstand, daß die „Relentless“ selbst jetzt noch über eine schwere Feuerkraft verfügte, rettete sie vor der Vernichtung. Eine einzige Rakete, die den Feuerschirm durchbrach, würde genügen...
Der Zerstörer drehte bei, tauschte Breitseiten mit dem Erdkreuzer. Es war dem Akarii wohl klar, daß er alleine keine Chance gegen einen schweren Kreuzer hatte, selbst wenn dieser schwer beschädigt war. Also versuchte er ein Passiermanöver. Die verbleibenden Jäger schirmten ihn ab. Auf einen gebrüllten Befehl hin– Raffarin verlor sonst nie die Beherrschung – schloß der Kreuzer zu seinem Gegner auf. Die Vibrationen des Schiffsrumpfes und das „Knarren“ im „Gebälk“ deuteten darauf hin, daß die „Relentless“ die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht oder bereits überschritten hatte. Tachyonen- und Lasergeschütze hämmerten auf den Rumpf des leichteren Schiffes ein, schlitzen es auf. Der Feind verlor rapide an Geschwindigkeit, driftete seitlich weg. Dann beschleunigte der Zerstörer auf einmal -–auf die „Relentless“ zu. „ALPHASCHLAG!“ Für einen Moment mußten alle die Augen schließen, so grell war das Licht, das nun auf den Bildschirmen aufflammte. Im gleichen Augenblick kam die Schockwelle. Es dauerte scheinbar eine Ewigkeit, ehe die Besatzung wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Selbst wenn man die kosmischen Maßstäbe berücksichtigte, bei denen einige Kilometer quasi schon Nähe waren – das Schiff war SEHR nah explodiert. Raffarins Stimme klang schwankend: „Mel...Meldung!“ Für einen Augenblick war nichts zu hören, dann kam schließlich die Antwort: „Akariizerstörer explodiert. Feindjäger ziehen sich zurück.“ Rogulski schloß sich an – freilich mit weniger guten Nachrichten: „Sekundärwerfer ausgefallen. Feuerbereit noch Tertiärwerfer drei und vier, Lasergeschütze sieben bis zehn, Tachyonengeschütze eins bis drei.“ Die weiteren Statusberichte klangen ähnlich – ein Viertel des Schiffes hatte Atmosphärenverlust oder Feuer zu melden. Der Maschinenraum meldete, daß nur noch Schleichfahrt möglich war. Von der Krankenstation kam überhaupt keine Meldung – sie lag in den Bereichen, in denen das Feuer wütete.

Auf der Brücke stand vielleicht noch die Hälfte der Belegschaft auf den Beinen. Oder, besser gesagt, saß, denn zum stehen hätte es bei einigen wohl nicht mehr gereicht. Die Kommandeurin bot einen nicht viel besseren Anblick an der Rest der Crew, und das hieß schon einiges. Nur vereinzelte Sensorschirme arbeiteten noch, und dasselbe galt für die meisten Kommandopulte. Auf der anderen Seite mußte man zugeben, daß zum Beispiel die Waffenabteilung auch nicht mehr viel hatte, was man bedienen konnte. „Status Gegner?“ Die Stimme der Französin klang ruhiger, als sie sich fühlen mochte. „Golf nimmt Jäger auf und... zieht sich zurück!“ Einen Moment zögerte Raffarin noch, dann ließ sie sich mit einem erleichterten Seufzen in den Kommandosessel zurücksinken. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, und ihr Blick traf den des Waffenoffiziers. „Akarii springt.“ Meldete der Kommunikationsoffizier, der auch die Ortung hatte übernehmen müssen. Erleichterung war auch in seiner Stimme zu hören. Raffarin straffte sich und stand auf: „Kampfbereitschaft aufgehoben!“

Mithel begegnete dem Blick von Captain Schupp gewiß nicht mit Unterwürfigkeit. Seine Miene zeigte einen angemessenen Respekt, aber als devot konnte man seinen Gesichtsausdruck kaum bezeichnen. Er achtete Schupp als seinen augenblicklichen Vorgesetzten, und er war sich der Verdienste seines Gegenübers durchaus bewußt. Immerhin war Schupp Veteran der Schlacht um Manticor, in der Mithel sein erstes Kommando auf einem Großkampfschiff übernommen hatte. Mithel hatte sich nach der Versetzung zur 2. Flotte relativ problemlos in die Kreuzerschwadron integriert, und Schupp legte offenbar auch keinen gesteigerten Wert darauf, übertrieben ehrerbietig behandelt zu werden. Es genügte, daß der Captain gehorchte, und Haltung annahm, wenn es angebracht war. Wie jetzt. Der Kampfgruppenkommandeur nickte seinem Offizierskollegen zu: „Setzen Sie sich!“ Er wartete, bis Mithel der Aufforderung nachkam, dann fixierte er ihn kurz: „Ihre Meinung?“

Der Kapitän der ,,Relentless" kam sofort zur Sache: „Nun, meiner Meinung nach war die Übung so gesehen ein Erfolg. Nicht eben ein überragender, aber dennoch ein Erfolg.“ Andere Offiziere hätten Mithel widersprochen. Schupp hingegen hatte den Krieg, und vor allem den Gegner, gut genug kennengelernt. Allerdings versagte er es sich nicht, leicht die Stirn zu runzeln: „Wir haben zwei leichte Kreuzer verloren, Ihr eigenes Schiff ist schwer beschädigt. Die beiden Fregatten und die Zerstörer sind ebenfalls vernichtet oder mußten zumindest aufgegeben worden. Die Verluste der Akarii sind zwar auch nicht leicht, aber sie können ein Yankee und fünf Charlie wohl besser entbehren, ebenso wie die weiteren Schäden. Zumal der Golf nur seine Jäger verloren hat. Halten Sie das für...Zufriedenstellend?“ Für einen Augenblick wirkte Mithel fast resignierend: „Angesichts dessen, was wir in den bisherigen Schlachten erlebt haben – durchaus. Unsere Schiffe sind den beiden Fregatten sofort zur Hilfe geeilt – und haben den Akarii hohe Verluste beigebracht. Trotz, wie ich hervorheben möchte, der grundsätzlich besseren Ausrüstung der Akarii und des Umstandes, daß ich schon relativ früh ausgefallen bin.“ Sein Gesicht zeigte, daß er auch meinte, was er sagte. Da war kein unruhiger Blick, kein Zögern oder dergleichen. Nun, natürlich hieß es auch, daß man als Kapitän eines Schiffes auch immer ein Stück weit Schauspieler war...

Die Übung basierte auf den ersten Gefechten des Krieges. Vorpostenschiffe – in diesem Fall zwei Fregatten der Brandenburg-Klasse – wurden von einem Verband der Akarii, bestehend aus zwei schweren Kreuzern, fünf Zerstörern und einer Korvette angegriffen. Dies rief die Deckungsgruppe der Terraner auf den Plan – so der vorgesehene Ablauf der Übung. Und die Deckungsgruppe hatte sich den Akarii zu stellen. Mit bekanntem Ausgang. Die Akarii hatten am Ende nur noch das Hybridschiff und eine arg zusammengeschossene Korvette gehabt – die Menschen hingegen...
Natürlich war die Übung nur simuliert abgelaufen – die Einheiten der Akarii waren rein computersimuliert und wurden von menschlichen Taktikoffizieren „geführt“. Wie auch die Schiffe des terranischen Verbandes, außer der Relentless und eines der leichten Kreuzer. Wenn man in einem System stationiert war, daß bald Hauptkampflinie – HKL nannte man das im Militärjargon – werden konnte, dann sorgte man dafür, daß die Schiffe möglichst einsatzbereit blieben. Aber natürlich durften die Leute auch nicht einrosten.

Verglichen mit den Erfahrungen, die im Krieg wieder und wieder gemacht worden waren, war dies kein schlechter Ausgang gewesen. Die TSN hatte lernen müssen, daß die Akarii Meister in fast allen Gebieten des Raumkampfes waren. Ihre Schiffe waren gut, ihre Kommandeure sorgfältig ausgesucht, die Mannschaften sorgfältig ausgebildet – und Offiziere wie Matrosen hoch motiviert. Jeglicher Chauvinismus hatte sich grausam gerächt. In einer Reihe äußerst verlustreichen Kämpfen war der republikanischen Flotte Respekt eingeprügelt worden.

Schupp blieb also nicht viel anderes übrig, als zu nicken: „Worin sehen Sie die Gründe für Ihren... ,Erfolg‘?“ Das Wort schmeckte bitter, sehr bitter. Fast so bitter wie die Wahrheit, die dahinter stand. Mithel überlegte: „Der Gegner hatte nicht ausreichend starke Kräfte als Flankenschutz detachiert. Er verließ sich auf die Korvette als Radaraufklärer – und als unser ECM eine Entdeckung verzögerte, haben die Akarii ein wenig zu langsam reagiert. Manchmal verlassen sie sich zu sehr auf ihre technische Überlegenheit. Der Kommodore des feindlichen Geschwaders zögerte, den Hybridkreuzer im Nahkampf einzusetzen. Einerseits verständlich, aber letzten Endes verantwortlich für die hohen Verluste. Unsere Flotte agierte mit angemessener Koordination, und die Mannschaften gaben ihr Bestes.“ Schupp nickte: „Exakt. So gesehen können wir zufrieden sein...“ Er sprach nicht weiter – wozu auch. „Ihre Ersatzcrew hat gute Arbeit geleistet.“ Für einen Augenblick lächelte der Flottillenkommandeur leicht: „Eigentlich sollte der Kapitän eines Schiffes nicht so leicht ersetzbar sein.“ Mithel nickte mit einem schiefen Grinsen – ein auf seinem Gesicht eher ungewohnter Anblick: „Nun, so lange sie es sich angewöhnen, und am Ende meinen, sie könnten es sowieso besser als ich...“

Er konnte seine Zufriedenheit nicht verbergen, und er wollte das wohl auch nicht. Trotz des beschämenden Ausgangs der Jollahran-Operation war es ihm gelungen, seine Crew bei der Stange zu halten. Und inzwischen genügte sie sogar zunehmend seinen gewiß nicht geringen Ansprüchen. Von seinen unmittelbaren Untergebenen hatte er sowieso eine hohe Meinung. Schließlich waren sie „handverlesen“. Wer in Mithels Augen nicht ausreichend Leistung erbrachte, oder mit seinem Führungsstil nicht klar kam, der fand sich meist ziemlich schnell auf einem anderen Schiff wieder. Und konnte von Glück sagen, wenn es ohne Schaden für die eigene Karriere abging. Chris Mithel war ein Mann, dem wenige Fehler seiner Untergebenen entgingen, vor allem, wenn er darauf aus war, welche zu finden. In der Hinsicht hatte er keinerlei Hemmungen. Auch nicht gegenüber Vorgesetzten, obwohl er dort natürlich behutsamer vorging.

Allerdings hatte er sich bisher gut in die Flottille eingefügt. Das mochte auch daran liegen, daß die Offiziere der Kreuzerschwadron 2.3 teilweise von so ziemlich der gleichen „Blutgruppe“ waren. Henning Schupp, Kommandeur der „Tiredless“, war kampferprobt und ein ebenso entschlossener wie erfahrener Kommandeur. Jorge Caneira, ein schweigsamer Brasilianer, kommandierte die „Merciless“. Auch er hatte schon einige Einsätze durchgeführt und sich bei „Husar“ durchaus bewährt. Caneira galt als eiskalt. Seine geringe Körpergröße minderte seine Autorität nicht im Geringsten. Er hatte zumindest einen Teil Indioblut in den Adern, und gelegentlich witzelten seine Untergebenen hinter seinem Rücken, daß er eine private Sammlung von Schrumpfköpfen hätte, Akarii, Piraten und angeblich auch andere...
Die vierte im Bunde war Solveig Sturlasdottir, die, wie sie gelegentlich scherzte, einzige isländische Frau im Range eines Captains in den Streitkräften und damit Ehrenschild der alten Seefahrernation. Sie war als Vertreterin des sogenannten „schwachen“ Geschlechts von den vier Kapitänen wohl die größte und kräftigste. Ihr Schiff, der leichte Kreuzer „Obliterator“, hatte sie nach Ausbruch des Krieges übernommen. Auch sie hatte bereits einige Gefechte erlebt, allerdings noch keine größere Schlacht. Anders als ihre Kollegen galt sie als mitunter recht temperamentvoll, besonders wenn sich ein Untergebenen langsam zeigte.

Schupp kannte die Stärken und Schwächen seiner Untergebenen. Immerhin konnte er froh sein, daß man ihm erfahrenen Kapitäne unterstellt hatte, die bereits Erfahrung in der Führung von Großkampfschiffen hatten. Wie die meisten Kapitäne war er Traditionalist, und deshalb schätzte er keine Senkrechtstarter. Auch wenn Protektion in der Flotte durchaus keine Neuheit war, so sollte man sich, so weit verbreitete Meinung, doch bitteschön auch ein wenig nach dem Dienstalter richten. Und wer den Ruf eines Quereinsteigers hatte, ob zu Recht oder nicht, der hatte oft nicht viel zu lachen. Deshalb war Schupp zufrieden mit den ihm unterstellten Offizieren.
Mit einer knappen Bewegung tat der Geschwaderführer diese Gedanken ab. Es gab anderes zu bedenken. Im Offizierskorps war es offenes Geheimnis, daß der Krieg nicht sehr gut lief. „Radio Bambus“, „Grabenfunk“, „Latrinenparolen“ – es gab unzählige Namen für ein und das selbe Phänomen. Was in der Flotte geschah, das blieb nicht geheim. Auch wenn es eigentlich „keiner“ wissen sollte. Irgendwie erreichten die neusten Verlustmeldungen immer die kämpfende Truppe. Früher oder später. Und vor allem die Kapitäne wußten recht genau, wie es stand. Die Maßnahmen der Führung, die eigentlich einen Sieg ermöglichen sollten, waren da deutliche Signale. Zum Beispiel die Sache mit den Hilfsträgern. So gesehen eine logische und nützliche Idee. Man verwendete die Rümpfe von Raumtransportern, die mit relativ wenig Aufwand so umgebaut werden konnten, daß sie in der Lage waren, ein Dutzend Kampfflieger in den Einsatz zu bringen. Billig und effizient. Doch wer würde nicht lieber einen ECHTEN Träger einsetzen? An denen mangelte es aber, und die Werften waren nicht einmal annähernd in der Lage, die Verluste zu ersetzen. Mit solchen... „Krücken“... Krieg zu führen, daß war kaum Zeichen des nahen Sieges, ganz gewiß nicht.

Da die 2. Flotte im Texas-System, dessen Name Symbol der „Kreativität“ terranischer Sternenfahrer war, mehr oder weniger untätig dalag, und auf einen feindlichen Angriff wartete, gab dem Gerede noch Auftrieb. Um so mehr, da es so aussah, als würde es vielleicht nicht mehr ewig dauern, bis die Akarii den Vormarsch wieder aufnahmen. Offiziell gab es natürlich kein Getuschel, keine Unsicherheit. Inoffiziell lief die Flottenpolitik – die manchmal einen Vollblutintriganten vor Neid erblassen lassen konnte – auf Hochtouren. Auch wenn die Befehle von oben kamen, selbst der loyalste Offizier hatte seine Ansichten, die er im Freundeskreis auch mal aussprach. Angreifen? Abwarten? Und wenn es zum Kampf kam – wie sollte man Kämpfen? Flottenfraktion versus Trägerfraktion, Schwerter gegen Schilde – die Konfliktlinien waren mannigfaltig und vergifteten die kollegialen Beziehungen in mehr als einem Falle. Die Flotte hatte sich in den Jahren des Friedens angewöhnt, mit Zähnen und Klauen um jeden Fleischtopf für die eigene Fraktion zu kämpfen. Das Geld reichte ja nicht für alle, und jeder wollte der erste sein, bei dem neues Material angeschafft und altes modernisiert wurde. Und von diesen Angewohnheiten kam man nicht so schnell ab. Zumal es im Grunde immer noch die selbe Situation war. Die Erwägungen einiger Träger- und Kampffliegeroffiziere, man sollte vielleicht auch einige Kreuzerrümpfe zu Trägern umbauen, hatte ebenso für böses Blut gesorgt, wie entgegengesetzte Vorschläge.

Mithel hatte sich, allerdings vorsichtig, positioniert. Wer neutral blieb, machte sich fast noch mehr verdächtig, als irgendein Parteigänger. Nun, wenigstens funktionierte die Zusammenarbeit immer noch ausreichend gut. Die standhafte Nibelungentreue, der unverbrüchliche Burgfrieden – den suchte man freilich vergeblich.

An der ganzen Situation war lediglich ein Umstand positiv zu werten. Da Schiffe auf Wurmlöcher angewiesen waren, war ein feindlicher Überraschungsangriff fast unmöglich. Außer, der Gegner hatte irgendwo ein Wurmloch entdeckt – in relativer Nähe des Systems, aber weit genug entfernt, daß es bei der Erforschung nicht gefunden worden war. Aber das war ziemlich unwahrscheinlich. Der Gedanke, selber Wurmlöcher zu „schaffen“ war etwas für die Autoren von Sience-Fiction Romanen geblieben. Auch wenn immer mal wieder Behauptungen auftauchten, andere, untergegangene Kulturen, von denen man Spuren gefunden hatte, wären dazu fähig gewesen. Nach Meinung der meisten Forscher war dies Humbug.
Indes, so sehr dies auch mitunter hinderlich war, jetzt hatte es auch sein Gutes. Nur deshalb konnte man sich so etwas wie diese Übung überhaupt erlauben, konnte Schiffe für diese Zwecke detachieren. Allerdings, wenn es hart auf hart kam, würden sie sehr schnell in den Einsatz gehen. Und vielleicht würde es dann nicht einmal so „gut“ ausgehen wie in der Übung.

All dies war den beiden Männern bekannt. Sie waren erfahren genug, um es zu wissen. Sie waren klug genug, um ihre Chancen zu kennen. Aber sie waren auch gehorsam genug, um ihr Schicksal nicht in Frage zu stellen. Wozu auch? Siegen oder untergehen, eine andere Wahl schien gegen diesen Gegner kaum möglich. An Verhandlungen, Kapitulation gar, dachte kaum jemand. Die Flotte gierte nach Blut, nach Rache – und nach der Möglichkeit, sich auszuzeichnen. Vor allem aber wußte sie, wie erbarmungslos der Konflikt ausgetragen wurde. Alle hier wußten von Manticor. Und mit diesem Gegner zu verhandeln...
Wer so etwas dachte, der schwieg wohlweislich. Die Ehrengerichte, Krebsgeschwür jeder „normalen“ Justiz oder unverzichtbarer Garant der Integrität und der Tradition der Flotte, je nach Standpunkt, hätten keine Gnade gekannt. Seit über einem Jahrhundert, hieß es, sei kein „schwarzes“ Todesurteil mehr verhängt worden. Aber die alten Geschichten wirkten fort.

Der Kommandeur des Kreuzergeschwaders und Mithel hatten sich nicht viel zu sagen. Die Übung war so gut abgelaufen, wie es in diesem Krieg nun einmal laufen konnte. Wozu sich etwas vorlügen? Nach einem kurzen Gruß trennten sie sich. Sie hatten ihre Aufgaben, und die würden sie erfüllen. Wenn die Akarii kamen, und das würden sie sicherlich, dann war zumindest dafür Sorge zu tragen, daß ihr Vorstoß gestoppt wurde. Und sei es nur, um Zeit zu gewinnen. Für ein Wunder, die Wennde, was auch immer.

Schupp wußte es, so wie Mithel es wußte. Ihnen blieb nichts, als die Zähne zusammenzubeißen und weiterzumachen. Auch, weil eine Alternative in ihrem Weltbild fehlte. Und so wie sie dachten viele. Die Flotte war ein scharfer Kampfhund, und wenn er erst einmal seine Zähne in ein Opfer geschlagen hatte, wenn er bis aufs Blut aufgepeitscht war – dann war es die Frage, wer hier noch Herr, wer Diener war. Wer wem am Ende gehorchen würde. Auch wenn es keiner aussprach, die Flotte erwartete einen Sieg. Und ob sie etwas anderes würde hinnehmen können, sollte es dazu kommen, das war unsicher.



Geschrieben von Tyr Svenson am 14.11.2015 um 11:28:

 

Der Parlamentssaal im Haus der Republik, Berlin auf Terra war überfüllt.
Es war verbreitet worden, dass Patricia Birmingham eine Erklärung zur Kriegslage abgegeben werden würde. Das war in, so fern ungewöhnlich, dass diese eben in einem spezielle Rednersaal abgegeben wurden.
Der Parlamentssaal war gut gefüllt, auch wenn nicht alle Abgeordneten anwesend waren. Die Pressetribühne war reichlich gefüllt.
Ein Blitzlichtgewitter erhellte den Raum und nahm noch zu, als Birmingham den Saal betrat und direkt zum Rednerpult ging.
Nachdem mehrmaliges Klopfen mit dem alten Holzhammer des Senatspräsidenten für Ruhe gesorgt hatte, ordnete die zierliche Blondine noch ihre Unterlagen und begann dann mit kräftiger, selbstbewusster Stimme zu sprechen:
"Sehr geehrte Abgeordneten der Mitgliedsplaneten der Bundesrepublik, sehr geehrte Gäste von der Presse, liebe Bürger und Bürgerrinnen der Bundesrepublik Terra:
Seid nunmehr einem Jahr befinden wir uns im Krieg mit dem Sternenimperium der Akarii. Einem Krieg, den wir nicht gewollt haben, einen Krieg, den wir unter allen umständen verhindert hätten, hätte dies in unser Macht gestanden. Doch um den Frieden zu erhalten braucht es immer zwei.
Es sieht so aus, als war es eine einsamer Marsch auf der Straße des Friedens für uns."
Sie machte einen betroffenen Gesichtsausdruck.
"Ein Jahr, eigentlich eine kurze Zeit, doch im Krieg, es muss für all die Tapferen Männer und Frauen, die unseren Frieden und unsere Freiheit verteidigen ein ganzes Menschenleben sein."
Birmingham blätterte um.
"Ich hatte vor vier Tagen eine Besprechung mit dem Oberkommando der TSN und mit Admiral Renault von der 2. Flotte. Man teilte mir mit, dass es an der Zeit sei, die Anstrengungen zu intensivieren um unserer Navy, jetzt da die Reihen konsolidiert sind, die Möglichkeit zu geben einen Offensivkrieg zu führen." Aus den Augenwinkeln sah sie die Führer ihrer eigenen Partei unruhig auf den Stühlen hin und her rutschen.
"In Übereinstimmung mit den Notstandsgesetzen und den in Kriegszeiten bestehenden Exekutivrechten meines Amtes habe ich auf Anraten meiner militärischen Berater das Notstandsgesetz Nummer 228 unterschrieben. Mit sofortiger Wirkung sind sämtliche Raummilizen der Kategorie A direkt in die entsprechenden Teilstreitkräfte einzugliedern Sämtliche Reservisten der Kategorien A und B haben sich zum Kriegsdienst zu melden.
Sämtliche Preise für alle Waren sind mit sofortiger Wirkung eingefroren, ebenso die Löhne. Ein allgemeines Streikverbot tritt in kraft."
Sie nahm ein Schluck Wasser und blickte sich kurz um. Sands und Jeromin waren bleich vor Wut. Allan DeMarkos Gesicht zeigte Stolz.
"Desweiteren habe ich mich heute Morgen mit dem Botschafter und dem Marineattache der Colonial Konföderation getroffen, als Entschädigung für die Einbehaltung leichten Träger, die in den nächsten Tagen in der Carsdale Raumwerft über New Boston fertig gestellt werden, bekommt die Colonial Navy eingemottete 40 Zerstörer der Duquesne-Class aus dem Navy-depot Capetown. Die weiteren in Captown eingemotteten 40 Zerstörer werden von der TSN schnellstmöglich in Dienst gestellt. Ebenso habe ich zugesichert, das die nächsten beiden leichten Träger der Majestics-Class an die Colonial Navy ausgeliefert werden, wie auch die TRS Libberty an die Colonisten übergeben wird, so bald bei uns Ersatz für diesen Träger vorhanden ist.
Gestern habe ich mich mit dem Direktor von Vickers Interstellar getroffen und die Strittigen Punkte über die Lieferung der restlichen Träger der Pegasus-Class geklärt, die letzten drei im Bau befindlichen - was auch die Columbia beinhaltet - werden schnellst möglich fertig gestellt, danach werden die Kapazitäten darauf konzentriert noch mindestens acht Flottentärger der Lexington-Class zu bauen."
Im Raum brach Tumult aus, der nur durch heftigsten Einsatz des Holzhammers, durch den Senatspräsidenten, beendet werden konnte.
"Ladies und Gentlemen", fuhr Birmingham fort, "wir befinden uns im Krieg, einem Krieg, den sowohl das Oberkommando der TSN als auch ich zu gewinnen gedenken."



Geschrieben von Tyr Svenson am 15.11.2015 um 10:46:

 

„Also was weißt du?“
Michael Renner verzog spöttisch den Mund. Das war sogar auf dem kleinen Sichtschirm zu erkennen: „Das ist ja wirklich wichtig für dich. Aber da seid ihr Raumjäger alle gleich. Kaum hat man euch zurückgeschleppt und zusammengeflickt, da habt ihr nur das neue Schiff im Kopf. Ich frag mich warum?“
Kano zuckte mit den Schultern. Renner hatte zu seiner Klasse auf der Jagdfliegerakademie gehört. Allerdings hatte er den Abschluß nicht geschafft und war in den Marinewerften des Mars hängengeblieben. Trotzdem er das Leben leichter nahm als Kano, waren sie gut miteinander ausgekommen. Und jetzt saß Renner direkt an der Quelle, was Informationen über neu gebaute oder reparierte Träger betraf. Also hatte Kano sich an ihn gewandt, um etwas über die Zukunft in Erfahrung zu bringen. Daß die beiden Soldaten mit ihrem Gespräch gegen diverse Sicherheitsvorschriften verstießen war Renner vermutlich egal. Kano nahm das nicht so leicht, hatte die Gewissensbisse aber in den Hintergrund gedrängt.

„Ich will wissen, ob sie unser Geschwader in die Reserve stecken. Und wenn sie zum Beispiel einen neuen Träger in Bau hätten, oder einen der Beschädigten von Manticor wieder kriegsbereit – dann kommen wir bestimmt in den aktiven Dienst. Die Angry Angels sind zu gut, um in so einem Fall in der Etappe zu versauern.“
„Du redest ja schon wie ein alter Krieger. Mischen die euch auf den Frontschiffen was in‘s Essen, daß ihr so scharf auf Akariiblut seid? Du solltest eher hoffen, daß du in der Etappe landest! Draußen hast du die besten Chancen, mit dem Goldenen Löwen abgespeist zu werden!“
„Was soll ich in der Etappe? Was sollen die Angry Angels in der Heimatreserve? Dann müßten andere, schlechtere Piloten raus, unsere Pflicht übernehmen, obwohl wir viel besser währen. Und SIE würden sterben, während wir leichten Dienst schieben. Wir währen mitschuldig daran. Und - irgendwann, am Ende, würden uns die Akarii doch noch einholen. Verdammt! Wir müssen sie JETZT aufhalten, sie abblocken, zurückschlagen, ihnen den Krieg, den sie losgelassen haben, in ihre Kehle zurückrammen! Du warst nicht dabei... .“
Hatte Renner zuerst mit einem spöttischen Lächeln zugehört, wurde seine Miene jetzt ernst, ja unruhig: „Schon gut, schon gut! Ich hab‘ verstanden. Ich WEISS, wie es steht. Immerhin kriegen wir die Wracks, die sie gerade noch eingeschleppt haben. Aber glaub mir, ich bin nicht scharf darauf, daß noch mehr von unserer Klasse draußen bleiben.“ Sein schräger Humor kehrte zurück: „Was soll ich denn dann alleine beim Klassentreffen?“
Kano hatte sich schon wieder beruhigt, selber überrascht von seinem Ausbruch, und paßte sich Renners Ton an: „Wenigstens wird dir keiner vorhalten, daß du die Abschlußprüfung gekippt hast, um einen bequemen Druckposten zu bekommen. Oder daß du das zweite Gesicht besitzt und dich deshalb rechtzeitig vor der Frontverschickung abgesetzt hast.“
Renner grinste etwas gallig, das war nicht das erste mal, daß er so etwas hörte: „Hab‘ ich nicht. Sonst würde nicht die Hälfte meines Lohns beim Roulette draufgehen... .“
„Also, wie sieht es aus? Bekommen wir einen Träger?“
„Das hast du aber nicht von mir. Sonst mach ich auf Kronzeugenregel und enttarne dich als Akarii-Spion... .
Laß mal sehen... wir haben hier vier Großfrachter, von der Marine gechartert, die sie zu ‚Carracks‘ und ‚Strikes‘ umrüsten.“
Kano verzog das Gesicht leicht und murmelte eine Verwünschung.
„Hast du was gegen unsere neuste Waffe? Was stört dich an den Hilfsträgern?“
„Sie sind langsam, schlecht gepanzert und schlecht bewaffnet. Damit kann man vielleicht auf Piratenjagd gehen oder über einer Kolonialwelt Wache schieben. An der Front – oder im Kaperkrieg – aber sind das raumgängige Särge. Außerdem würden sie unser Geschwader dann doch noch auseinanderreißen und auf diese ‚Hilfkriegsschiffe‘ verstreuen.“
„Wir werden aber wählerisch. Kaum stecken sie euch das Flight Cross und den Silberlöwen an – hübsches Lametta übrigens – glaubt ihr, lange Zähne machen zu können. Ich weiß schon, was dir nicht an den Hilfsträgern gefällt. Die Chance für Heldentaten und Abschüsse wären wohl nicht ganz so gut? Die acht Abschüsse reichen nicht? Du hättest es schlechter treffen können... .“
Kano wischte den gutmütigen Spott beiseite: „Du willst mir doch nicht erzählen, daß ihr auf dem Mars nur diese Frachter aufrüstet und die Homefleet lackiert?!“
„Du solltest auf deinen Ton achten, Samurai. Du klingst schon wie ein richtiges Rundauge. Oder sagt ihr Milchgesicht?“
Kano grinste: „WIR sagen gajin, du mehlhäutiger Barbar. Und du hast meine Frage nicht beantwortet.“
„Also gut. Da wäre zuerst die ‚Moskau‘. Zur Zeit arbeiten sie mit Hochdruck an den Maschinen. Aber ich schätze, einige Monate braucht es noch, bis dieser wracke Raumwal mehr kann, als von einer Reparaturwerft zur anderen zu hinken. Und da ist dann noch 'Columbia'.“
„'Columbia'? Der Name sagt mir ehrlich gesagt nichts. Mach es nicht so spannend - was für eine Klasse?“
„Einen brandneuen Flottenträger. Für volle acht Staffeln. Alles inklusive: S-S-Werfer, Laserbatterien und Anti-Jäger-Raketen. In ein paar Wochen haben wir das Monstrum fertig. Gute Chancen für euch... .“

Kano entspannte sich etwas. Das war eigentlich genau daß, was er gehofft hatte zu hören. Auch wenn die Angry Angels momentan heimatlos waren, sie würden das neue Schiff bekommen, da war er sich jetzt sicher. Nun gut, vielleicht würde ein neues Großgeschwader aufgebaut werden, mit einem neuen Namen – die kampffähigen Überlebenden des „Redemption“-Geschwader würden höchstens ein Drittel der Piloten für den Flottenträger stellen können. Aber sie würden nicht in die Etappe abgeschoben werden als „ausgebrannt“ oder „abgeflogen“. Die „Angry Angels“ würden zusammenbleiben. Und das war, aus vielen Gründen, sehr wichtig für Kano.

„Danke, Renner. Das ist eine wirklich gute Nachricht.“
Der andere grinste und gab sich übertrieben selbstgefällig: „Ja nun, dazu sind wir ja da. Du weißt schon – alles für die Front, alles für den Krieg. Wir tun hier unseren Teil... .“
Kann schüttelte den Kopf und murmelte etwas unfreundlich klingendes. Renner lachte, stockte dann und fixierte Kano: „Sag mal, Samurai. Das war ja ziemlich wichtig für dich, daß eure Rasselbande zusammenbleibt. Alles nur euer komischer Korpsgeist? Oder habe ich was verpaßt?“
Kano’s Miene wurde ausdruckslos, so einfach wollte er es Renner nicht machen. Der hatte zwar eine ganze Reihe positiver Eigenschaften, war aber fast so schlimm wie Radio, was Klatsch und Latrineparolen betraf.
„Es gibt viele Gründe. Es wäre eine Schande gewesen, wenn sie uns verstreut hätten. Da haben wir etwas besseres verdient... .“
„Hm... Sicher. Laß mal sehen. Aus Tokio rufst du jedenfalls nicht an. Sondern aus... .“ Renner beugte sich vor. „...Indien! Sind deine Leute umgezogen? Oder... . Ihr Piloten seid doch alle gleich. Bei diesen zölibatären Bordvorschriften – und jetzt habt ihr keine Akarii mehr zum Frustabbau. Wer ist sie denn? Eine aus dem Geschwader? Oder vom Borddienst? Besonders viel Auslauf, um jemanden kennenzulernen, habt ihr da draußen ja nicht... .“
Kano schüttelte den Kopf und antwortete bestimmt, aber nicht unfreundlich: „Das, mein Freund, geht dich überhaupt nichts an.“ Erst als Renner lauthals loslachte, wurde Kano bewußt, daß er Renners Frage beantwortet hatte. Der legte jedenfalls Kanos Worte so aus. Und er hatte ja auch Recht... .
Renner grinste anzüglich: „Na ja, kein Grund mich zu beißen. Ist doch schön, wenn du Anschluß findest.“
Kanos konterte trocken: „Du ahnst ja gar nicht, wie viel mir deine Meinung bedeutet.“
Renner lachte wieder und schüttelte den Kopf. Dann sah er auf seine Armbanduhr und fluchte leise: „Verdammt! Also gut Kano, daß war’s. ICH jedenfalls HABE jetzt ein Rendezvous... . Du schuldest mir was.“
„Solltest du doch noch zur kämpfenden Truppe kommen und bei uns landen, dann werde ich sehen, was ich tun kann. Ansonsten wird es wohl bis zum Frieden warten müssen. Ich bin sicher, du wirst es nicht vergessen – und dafür sorgen, daß ich das auch nicht tue.“
„Erraten. Aber du kannst lange warten, bis sie mich nach vorne schicken. Wir Experten sind eben unabkömmlich. Also dann bis nach dem Krieg. Aber sei pünktlich!“ Übergangslos wurde Renner ernst: „Im Ernst. Paß auf dich auf. Und toi, toi, toi.“
Kano grinste kurz: „Danke. Und ich werde da sein. Auch dir viel Glück... .“

Dann unterbrach Renner die Verbindung, während er aufsprang. Kano verzog kurz den Mund. Renner hatte zwar fast die ganze Zeit seine übliche Schnoddrigkeit aufgesetzt gehabt, mit der er der Schreck einiger Ausbilder gewesen war. Dazwischen aber und am Schluß... . ‚Er hat mich angesehen, wie einen Todgeweihten. Als rechnete er nicht wirklich damit, daß wir uns noch mal begegnen.‘ Aber das war eigentlich nicht weiter verwunderlich, machte sich Kano bewußt. Renner war zwar weitab von der Front stationiert – aber angesichts der eingeschleppten, zusammengeschossenen TSN-Schiffe, den zwangsläufig durchsickernden Verlustzahlen, konnte sich Renner bestimmt ein recht detailliertes Gesicht vom Kriegsverlauf machen, ein düsteres Bild... .
Manche nannten die Jagdflieger bereits „Morituri-Krieger“ oder „Raumgladiatoren“... . Kano schob die düsteren Gedanken beiseite. Er hatte überlebt, er würde weiter überleben. Und wenn daß Schicksal es anders wollte... . ‚Kein Sinn, sich mit ‚Vielleicht‘ und ‚Möglicherweise‘ verrückt zu machen. Nimm es, wie es kommt – und als Samurai, als Soldat.‘ Es gelang Kano jedoch nicht völlig, sich selbst zu überzeugen. Mit schmerzhafter Intensität zogen an seinem inneren Auge die Niederlagen und Verluste vorbei, die er miterlebt hatte. Sie hatten Schlachten, Schiffe – und Kameraden verloren, viel zu viele. Kanos Gesicht verhärtete sich: ‚Und viel zu wenige Akarii haben dafür bezahlt.‘.
Gewaltsam verdrängte er die düstere Stimmung. Immerhin, was er erfahren hatte, war wichtig – und eine gute Nachricht. Helen würde das interessieren – und auch Huntress und Demolisher. Er würde... .

Irgendwo im Haus knallte eine Tür, Kano hörte das Geräusch eiliger Schritte, dann Kalis Stimme, laut und dringend : „KANO!“
Er sprang auf und stürzte aus dem Zimmer. Beinahe stieß er mit Kali zusammen, die auf der Suche nach ihm die Treppe heraufgerannt kam.
„Was ist?!“
„Großankündigung! Die Präsidentin!“
Mehr erfuhr er nicht, denn Kali machte auf dem Absatz kehrt. Kano folgte ihr auf dem Fuß.
In dem riesigen Wohnzimmer hatte sich bereits Kalis Familie versammelt. Auch Demolisher war da – und Huntress, die wohl gerade unter der Dusche gestanden hatte, denn sie trug nur ein um den Körper gewickeltes Handtuch und ihr nasses Haar klebte am Kopf. Aber das registrierte Kano nur am Rand. Wie die anderen Anwesenden konzentrierte er sich auf den Bildschirm. Von einem wahrem Gewitter von Blitzlichtern umgeben war dort Präsidentin Patricia Birmingham zu sehen, ihre ruhige, autoritäre Stimme füllte den Raum:

„…eine Besprechung mit dem Oberkommando der TSN und mit Admiral Renault von der 2. Flotte. Man teilte mir mit, dass es an der Zeit sei, die Anstrengungen zu intensivieren um unserer Navy, jetzt da die Reihen konsolidiert sind, die Möglichkeit zu geben einen Offensivkrieg zu führen... ."

Als die Rede der Präsidentin zu Ende war, schaltete irgend jemand den Bildschirm aus. Huntress Gesicht verzerrte sich kurz zu einer Grimasse, in der sowohl Angst, Haß aber auch Freude zu liegen schienen: „Verdammt! Jetzt geht’s los – in die Offensive!“
„Das paßt. Das ist unser Marschbefehl!“ Bei diesen Worten Kanos richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf Kano. Etwas verlegen fuhr er fort: „Ich habe – gehört, von einem Freund, daß sie bei den Marswerften einen neuen Flottenträger ausrüsten. Pegasus-Klasse, fast fertig. Aber sie haben noch keine Flugstaffeln verlegt... .“
Die Piloten sahen sich an. Ein paar Augenblicke sagte keiner der vier etwas. Dann stieß Kali die Luft aus: „Ja, das sind wir!“ Demolisher grinste, oder bleckte vielmehr raubtierhaft die Zähne: „Ein Flottenträger. Das nächste mal werden wir nicht davonschleichen. Das nächste mal...“
Kali beendete den Satz: „...wird die Rechnung beglichen.“
Als Kano sich ihr zuwandte, sah er zufällig Kalis Mutter ins Gesicht. Sie sah ihn nicht an, ihre ganze Aufmerksamkeit war auf ihre Tochter gerichtet. Sie hatte Angst. Angst um ihre Tochter.
Unwillkürlich schämte sich Kano beinahe für die Nachricht, die er überbracht hatte.



Geschrieben von Tyr Svenson am 15.11.2015 um 10:49:

 

Gleichzeitig im Senat:

„DAS WORT HAT SENATOR MANSFIELD, VORSITZENDER DES VERTEIDIGUNGSAUSSCHUSS.“
Der Senator, der ans Rednerpult trat, war nicht mehr jung. Seit mehr als 40 Jahren diente er der Republik, wie er es verstand. Als einer der jüngsten Abgeordneten der Demokraten war er in den Senat eingetreten und war in dem knappen halben Jahrhundert zu einer der wichtigen Männer seiner Partei geworden. Allerdings hatte er auch „an der Front“ gearbeitet. Insgesamt dreimal hatte er den Posten eines planetearen Gouverneurs innegehabt, wenn auch auf eher unbedeutenden Planeten. Dafür waren es zweimal ausgesprochene Krisenfälle gewesen, mit bewaffneten Unruhen oder einer aktiven Guerilla. Viermal hatte er in ähnlichen Fällen als Vermittler fungiert. Auch wenn sich die Republik liberal gab – in dem riesigen interstellaren Verwaltungsgebiet, auf den zahlreichen Planeten, gab es zu jeder Zeit irgendwo separatistische Bestrebungen, bewaffnete Unruhen oder sogar regelrechte Bürgerkriege, die neben den planetearen Streitkräften den Einsatz der Armee oder des Marinekorps verlangten, die oft als eine Art „Puffer“ fungierten.
Aber alle Krisen und Unruhen der Vergangenheit waren nichts im Vergleich zu der Bedrohung, die nun gegen die Republik vorrückte.

„Frau Präsidentin, Senatoren und Senatorinnen der Erdrepublik.“ Mansfield sprach ruhig, aber entschlossen. Die Unruhe, die durch Präsidentin Birminghams Verkündung des Kriegsnotstandes entstanden war, hatte sich wieder gelegt. „Der Ausschuß für Verteidigungsfragen beauftragte mich vor zwei Wochen mit einer Inspektions- und Konferenzreise zu unseren Hauptwerften und den Kommandostellen unserer Streitkräfte.
Senatoren und Senatorinnen – ich stimme vollkommen mit der Präsidentin und den Befehlshabern der Streitkräfte in ihrer Einschätzung der Lage überein, dahingehend, daß die Lage ernst ist und umfassende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Doch muß ich in anderen Punkten eine andere Ansicht vertreten.“

Das sorgte für erste Unruhe. Präsidentin Birmingham nahm den Senator genauer in Augenschein. Sie kannte Mansfield, einen der „Alten Männer“ ihrer Partei. Wenn er jetzt in die Opposition ging... . ‚Aber es mußte sein.‘ Hoffentlich würde allerdings Mansfield – und die anderen Demokraten dies auch erkennen. Wenn sie den Rückhalt in ihrer eigenen Partei verlor – Notstandsgesetz oder nicht, ihre Lage würde schwierig werden. In diesen unangenehmen Betrachtungen gefangen, verpaßte Patricia Birmingham die nächsten Worte des alten Senators. „...nach den schweren Verlusten über Manticore gelang es unseren Streitkräften zwar, die Front zu stabilisieren. Unsere leichten Streitkräfte gingen sogar zur Offensive über und fügten den Versorgungslinien der Akarii schwere Schäden zu. Ob auf dem Boden oder im Raum – unsere Truppen haben Übermenschliches geleistet...“ Kurz zögerte Mansfield, und fuhr dann fort: „...doch das ist nicht genug. Wir müssen uns der Realität in ihrer schonungslosen und brutalen Klarheit stellen. Der Realität, daß wir in diesem Krieg verlieren.“

Das schlug wie eine Bombe ein. Ein Raunen ging durch den Raum, in dem die ersten Zwischenrufe laut wurden. Verunsichert durch den Auftritt der Präsidentin vergaßen Senatoren die sonst gepflegte Fassade von kühler Gelassenheit und Distanz. Einige wußten, wie es um den Krieg stand, einschließlich Präsidentin Patricia Birmingham. Deshalb hatte sie ja das Militärnotstandsgesetz unterzeichnet. Die Situation aber offen im Senat zu verkünden, selbst jetzt, nach Verkündung des Kriegsnotstandes, war doch etwas anderes – war politischer Selbstmord... .

Senator Mansfield ließ sich von der Unruhe nicht aus dem Konzept bringen. Seine Stimme wurde lauter, schnitt durch den Lärm: „Wir haben mehr als die Hälfte unserer leichten Trägereinheiten verloren, der Rest ist zum Großteil auf Monate hinaus im Dock. Das gleiche gilt für die Kreuzer- und Zerstörerflotten. Die Reaktivierung der eingemotteten Zerstörer mag zeitweilig Abhilfe bringen. Aber die Fortsetzung des Kaperkrieges ist in der alten Stärke kaum mehr möglich. Die Verluste unserer Erste-Linie-Verbände waren schwer, daß brauche ich wohl nicht zu wiederholen. In einer Schlacht ging fast eine gesamte Trägerflotte verloren.
Die verbliebenen Flottenträger sind vollkommen in der Verteidigung der Frontlinien eingebunden. Die Admiralität will die Offensive beginnen – daß ist durchaus eine richtige Strategie, angesichts der Gegebenheiten. Doch haben wir die Kräfte dazu eine Niederlage – oder sogar ein blutiges Patt – zu verkraften? Es ist eindeutig, daß der Feind eine neue Offensive vorbereitet. Über Jollahran haben wir mindestens zwei Elitegeschwader verloren und Trägereinheiten und Begleitschiffe in der Stärke von zwei Trägerkampfgruppen. Das soll kein Vorwurf an unsere Streitkräfte sein, die einem haushoch überlegenen Feind schwere Verluste zufügten. Doch im Gegensatz zu uns kann sich der Feind diese Verluste leisten – und trotz aller Tapferkeit kam mehr als die Hälfte des Nachschubs durch. Dieses Material – verstärkt durch weitere Konvois, die die geschwächten Einheiten von Plan „Husar“ nicht aufhalten können – reicht aus, um eine Großoffensive zu beginnen, darin sind sich die strategischen Analytiker einig. Es muß davon ausgegangen werden, daß die Front ohne schnelle Zuführung von Reserven nicht zu halten sein wird. Das bedeutet die Entsendung der Homefleet oder eben den militärisch riskanten Versuch einer Gegenoffensive um dem Feind die Initiative aus der Hand zu nehmen. Aber uns fehlen Schiffe, Jäger und ausgebildete Mannschaften.
Falls es dennoch gelingt, die Offensive aufzufangen – und dies ist keine Gewißheit – wird der Gegner jedoch binnen Jahresfrist zu einer neuen Offensive in der Lage sein. Auf unserer Seite jedoch wird dann alles vorne sein, nichts in der Hinterhand. Die Front wird zerbrechen. So sieht die Lage aus.“
Ein Senator sprang auf: „DAS IST VERRAT!“
„Es ist kein Verrat, die Wahrheit zu sagen! Wir befinden uns zunehmend in einer kritischen Nachschubslage. Unsere Rüstungsindustrie ist noch nicht einmal in der Lage, unsere Soldaten mit modernem Gerät auszustatten. Wenn wir verlangen, daß sie mit veralteten Waffen kämpfen, dann ist das Mindeste, daß wir aufhören uns selber zu belügen. Die Ausbildung fähiger Piloten und Matrosen dauert JAHRE. Wir müssen jetzt schon die Garnisonseinheiten, die Flugschulen und die Militärgefängnisse leeren, die Milizen an die Front schicken. Die Ausbildungszeit wurde gekürzt – und bedenken Sie, dies alles nach der ersten Offensive des Gegners. Weitere Großangriffe werden folgen.
Um zu gewinnen, müßte unsere Flotte mehr gegnerischen Schiffsraum vernichten, als wir verlieren. Und dies gegen technisch überlegene und kampferprobte Einheiten. Sich darauf zu verlassen ist Wahnsinn!
Wir müssen die Front gegen einen zahlenmäßig überlegenen Feind halten, der problemlos Schwerpunkte bilden kann. Während sich unsere Truppen zu verzetteln drohen, werden die Akarii angreifen wann und wo sie wollen. Und es wird in absehbarer Zeit keine größeren Verbände mehr geben, die wir an bedrohten Punkten zuführen können. Es sei denn, wir schicken die Homefleet. Und danach gibt es nichts mehr.“
Senator Mansfield sprach jetzt lauter, die Stimme zwingend, als fürchtete, nicht mehr ausreden zu können. Aber noch schritt keiner ein. Die Präsidentin starrte mit ausdrucksloser Miene zum Rednerpult, während Mansfield fortfuhr: „Der allgemeine Notstand wurde ausgerufen. Dieser Schritt war notwendig, denn wir befinden uns in einem totalen Krieg, in dem ALLE Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen. Davor haben, im Einklang mit den Bestimmungen unserer Verfassung, zivile Rechte und Freiheiten zurückzustehen. Wir werden die Presse zensieren, die Medien restlos und absolut in den Dienst des Krieges stellen. Die Formierung planetearer Selbstschutzverbände für den Fall einer Invasion von republikanischen Planeten muß erfolgen.
Es ist unumgänglich, die Finanzierung des Krieges sicherzustellen. Zusätzlich zu den Maßnahmen, die Präsidentin Birmingham dargelegt hat, schlage ich vor, die Verabschiedung von Sondersteuern auf Kriegsgewinne ins Auge zu fassen. Die Verfassung gibt uns auch dazu das Recht.
Wo die Selbstregulierung des Marktes nicht greift, wird die Administration eingreifen, um alle verfügbaren Ressourcen zu nutzen. Selbst die Idee eines staatlich organisierter Arbeitsdienst für die Forcierung der Wirtschaftanstrengungen und die Befestigungsmaßnahmen sollte erwogen werden.“

Es war immer stiller geworden. DAS war nicht, was die Senatoren und Senatorinnen nach dieser Einleitung erwartet hatten. Auch wenn solche Vorschläge in normalen Zeiten unerhört gewesen wären – dies waren keine gewöhnlichen Zeiten und sie schlossen sich nahtlos an die Verkündung des Notstandes an. Mochte es nicht unpatriotisch sein, zu protestieren, auch wenn es den politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen vieler Senatoren widersprach?

Mansfield zögerte ein paar Herzschläge. Dann fuhr er fort: „Alle diese Maßnahmen dienen der Erhöhung unserer Kampfkraft. Aber sie haben nur unterstützende, bestenfalls aufschiebende Wirkung. Sich darauf zu verlassen, daß dies genügt, um uns den Sieg zu schenken wäre unverantwortlich. Erinnern wir uns daran, daß die Akarii mindestens 10 vergleichbare Konflikte geführt – und gewonnen haben. Die Erfordernisse der totalen Kriegführung sind ihnen deshalb durchaus vertraut, das entsprechende Prozedere geläufig, welches in der Republik erst anlaufen muß. Wenn wir allein auf militärische Aktionsmittel setzen, drohen wir auf jeden Fall zu verlieren.
Da im Feld unsere Fähigkeit zu Offensivmaßnahmen begrenzt sind, müssen wir zusätzlich zu den militärischen Aktionen eine diplomatische Offensive starten. Das bedeutet, die engere Zusammenarbeit mit der Konföderation nicht nur im militärischen und logistischen, sondern darüber hinaus auch im wirtschaftlichen und politischen Sektor. Dabei wird der langfristige Nutzen vorerst als sekundär behandelt werden müssen. Was alleine zählt, ist der Krieg. Die Entsendung von Schiffen mag ein Anfang sein, weitere Maßnahmen werden folgen.“

Auch diese Vorschläge stießen auf wenig Protest. Es wurde allerdings bei Mansfields nächsten Worten wieder unruhiger: „Wir haben die Neutralen sträflich vernachlässigt. Allen von Ihnen, Senatoren und Senatorinnen, dürfte bekannt sein, daß die diplomatischen Beziehungen zu den anderen interstellaren Mächten in den letzten zwanzig Jahren praktisch nicht vorhanden waren. Der Kalte Krieg an der Akariigrenze hat zu einer verhängnisvollen Abschottungspolitik und einer gefährlichen Xenophobie gegenüber Nichtmenschen geführt. Das muß sich ändern. Auch wenn es utopisch wäre, die Hoffnung auf eine militärische Allianz gegen die Akarii zu hegen, so wird doch die fortgesetzte Expansionspolitik und das unverhüllte Hegemonialstreben des akariischen Sternenimperiums nicht nur von der Republik und der Konföderation als Bedrohung empfunden. Zumindest würden solche diplomatischen Kontaktaufnahmen auch die Akarii zu Reaktionen zwingen, vielleicht sogar zum Abzug von militärischen Kräften an andere Grenzen, um Stärke zu demonstrieren. Ganz abgesehen von der durchaus gegebenen Möglichkeit des Austausches von kriegswichtigen Materialien, Informationen oder Technologie mit anderen weltraumfahrenden Mächten. Außerdem könnten über solche Kontakte weitere diplomatische Maßnahmen eingeleitet werden.“
Eine Stimme übertönte die Unruhe. Senator Hiroito Fukuda zeigte wenig von dem Klischee des immer beherrscht bleibenden Japaner: „Ich sehe, wohin ihre Argumentation führt, Mansfield. Sie wollen...“
Mansfields Stimme wurde scharf, fast schneidend, als er Fukuda ins Wort fiel: „Wir dürfen uns nicht der Möglichkeit einer diplomatischen Lösung der Situation verschließen. Immer noch ist nicht ganz klar, welche Motive die Akariis antreiben. Streben sie die hegemoniale Vorherrschaft an? Oder wollen die Akarii die Republik ganz besetzen? Oder gibt es andere, politische, wirtschaftliche, oder vielleicht sogar religiöse Motivationen? Unsere Ahnungslosigkeit kann tödlich enden. Wir müssen herausfinden, WAS die Akarii eigentlich wollen und wie wir ihren Ambitionen begegnen können! Wir können angesichts einer ausblutenden Front nicht wagen, auch nur EINE Möglichkeit unbeachtet zu lassen, mit der dieser Konflikt beendet werden könnte. Wir müssen alle Optionen in Betracht ziehen. Denn wir kämpfen um den Bestand der Republik! Und diese Notwendigkeit bedeutet auch, daß wir diplomatische Kontakte zu den Akariis etablieren!“
Seine letzten Worte gingen in einem Aufschrei der Empörung unter. Senatoren und Senatorinnen, Republikaner, Unabhängige, aber auch zahlreiche Demokraten sprangen auf, Schreie und Beschimpfungen wurden laut. Als Mansfield vom Rednerpult abtrat und zu seinem Platz zurückging, schritt er durch einen regelrechten Orkan von Rufen und Gegenrufen, Protesten und Beschimpfungen.

Nach dem Senator sprachen noch fast zwei Dutzend Senatoren und Senatorinnen. Andere schwiegen lieber. Doch keiner stellte sich hinter Mansfields Forderung nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen... .



Geschrieben von Tyr Svenson am 16.11.2015 um 09:59:

 

Die Dunkelheit war erst spät gekommen, es war ja noch Spätsommer. Eine kühle Brise wehte von der gewaltigen Fläche des nahen Stausees herüber und ließ die letzten Reste der Hitze des Tages vergehen. Still war es hier, sehr still, wenn man an die nie schlafenden Großstätte und Ballungszentren dachte, in denen ein Mensch sein ganzes Leben verbringen konnte, ohne etwas anderes zu sehen als Häuser und gepflegte Grünflächen, ohne einmal einen Stern zu erblicken. Hier draußen, weitab von den Pulsadern des Lebens, hier draußen leuchteten nachts noch Sterne und Mond. Und manchmal, besonders im Winter, antwortete den Dorfhunden ein Echo aus dem Wald, das die meisten Menschen nur noch vom Bildschirm her kannten. Die ersten Nachtvögel und wohl auch Fledermäuse zogen in der Dunkelheit ihre Bahn. Schuran – eine Kleinstadt, eigentlich fast mehr ein vergrößertes Dorf – lag in schlafend in den Schatten, und nur wenige Lichter leuchteten in der herabsinkenden Nacht.
Der Klang des Akkordeons störte die Stille kaum. Das leise Lied fügte sich in die nächtlichen Geräusche ein, manchmal nicht viel hoffnungsvoller als das Klagen der Wölfe in den Wintermonaten. Jetzt war nicht mehr die Zeit für die kämpferischen Gesänge, die trotzigen Kriegslieder, die man vorher angestimmt hatte. In der Dunkelheit, so sagte man, verwischten sich die Grenzen zwischen den Lebenden und den Toten, und manchmal mochte es scheinen, als ob in der Runde diejenigen weilten, die für immer gegangen waren. Die Gesichter der Männer und Frauen lagen im Schatten, und wer konnte jetzt noch genau sagen, wer ein Geist war, und wer nicht?

Lilja summte leise das Lied mit, daß der Akkordeonspieler angestimmt hatte. Sie kannte viele Weisen, und diese waren ihr treue Begleiter und nicht selten einziger Trost gewesen. Fern von der Heimat, im Krieg, wo vertraute Gesichter dahinschwanden, sich manchmal bis zur Unkenntlichkeit veränderten, eingeschmolzen in den Feuern von Tod und Vernichtung. Die Lieder waren das einzige, was blieb, und was es auch weiterhin geben würde. Selbst wenn jene, die sie angestimmt hatten, längst tot waren.

Ihre Eltern hatten die Freunde der Familie eingeladen – zur Feier von Liljas Rückkehr. Sie hatten zwar nur den ungefähren Termin gewußt, aber das hatte genügt, ausreichend Vorbereitungen zu treffen. Und als man mit den ersten Umarmungen fertig war, hatte man sich gleich an die Arbeit gemacht. Wobei Lilja, trotz des gutmütigen Protests ihrer Mutter, mitgeholfen hatte. Aber zum einen genoß die Pilotin die einfachen Handgriffe beinahe, denn die erinnerten sie so gar nicht an ihre Wunden. Zum anderen war sie einfach nicht in der Stimmung, sich zurückzulehnen – die Erkenntnis, daß sie zumindest im lokalen Umfeld für ihre Leistungen respektiert wurde, hatte sie in ein Hochgefühl versetzt, welches keine Untätigkeit zuließ. Außerdem war sie, auch wenn sie es sich kaum selbst eingestand, doch ziemlich aufgeregt beim Gedanken an die Feier. Die war ja sozusagen zu ihren Ehren, und das schmeichelte ihr ungeheuer. Hier draußen waren die Verbindungen zwischen den Nachbarn oft noch um einiges enger, anders als in den Städten, wo jeder für sich lebte. Wenn eine solche Gelegenheit anstand, dann nutzte man sie. Genau so, wie man selber hinging, wenn bei den Nachbarn eine Heimkehr zu feiern war, oder ein Verlust zu beklagen. Es würde also keine kleine Feier werden, mit dreißig oder vierzig Personen war sicher zu rechnen. Zumal es kaum eine Möglichkeit gab, abzusagen. Natürlich lud man immer die ganze Familie ein. Bei der nächsten Gelegenheit würden die anderen sich revanchieren, so war es Sitte.

Zunächst, im Lichte des Tages, war es noch erheblich munterer zugegangen. Nach dem Essen – Lilja hatte das genossen, denn trotzdem die Armeeverpflegung nicht schlecht war, war es doch nichts gegen heimatliche Kost – hatte man zunächst vor allem die glückliche Heimat der Tochter der Pawlitschenkos gefeiert. Lilja war angemessen bewundert worden mit dem ganzen ,Lametta’, das sie trug. Flying Cross, Bronce Star, Verwundetenabzeichen und Fliegerspange – nun, das ließ sich schon sehen. Und sie war keineswegs so bescheiden, nicht stolz darauf zu sein, auch wenn sie sich bemühte, sich das nicht anmerken zu lassen. Sie hatte einige Geschichten zum besten gegeben – wie sie dem Frachter den Fangschuß verpasst hatte, einiges aus den Gefechten und ein paar Bordanekdoten. Normalerweise hätte dies auch an den tiefen, kaum vernarbten Wunden gerührt, die sie mit sich herumtrug. Der Verlust von Kameraden, die Zerstörung ihres Trägers, ihre eigenen Zweifel, ob sie wirklich das Bestmöglichste getan hatte, die Ungewißheit, was weiter würde – all das belastete sie ja nicht eben wenig.
So im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen machte es jedoch recht leicht, einiges zu vergessen oder zu verdrängen. Und der Zeitungsartikel trug natürlich auch dazu bei. Sie hatte ihn sich ausgeschnitten und in einem ihrer Bücher verwahrt – natürlich hatte ihre Familie diesen wie auch den ersten Beitrag ebenfalls ,archiviert’. Lilja glaubte nun zum Teil wirklich, Jollahran wäre so gesehen noch halbwegs erfolgreich gewesen. Sie kannte die Verluste – aber hätte es nicht noch VIEL schlimmer kommen können, und hatten sie den Akarii nicht hohe Verluste beigebracht? So sehr konnten die Zeitungen doch nicht lügen, das sagte sie sich zumindest.

Die Lieder, die man zuerst sang, waren voll Trotz und Entschlossenheit. Es gab für jede Stimmungslage etwas. Erst im Laufe der Zeit waren die Trinksprüche, die Lieder – und natürlich auch die Stimmung – ruhiger geworden. Jetzt überwog die Nachdenklichkeit. Man verdrängte die Toten und Verwundeten nicht, denn sie waren Teil der Siege, Teil des eigenen Überlebens, das man feierte.
Jetzt klangen die Stimmen gedämpfter, und die meisten sangen nicht mehr laut mit. Vielleicht verbarg der eine oder andere in der Dunkelheit auch eine Träne. Die Familie von Tanja war nicht die einzige, die ein Kind in den Streitkräften hatte. Die Flotte, die Armee oder das Marinecorps waren für einige Familien Teil der Tradition, und in anderen hatten die Kinder sich für diese Arbeit entschieden, weil diese Laufbahn immer noch von einem besonderen Glanz umgeben war. Zudem war es natürlich auch ein gut bezahlter Job, und in Friedenszeiten nicht unattraktiv. Man kam oft weiter herum in der Republik, als man sonst die Möglichkeit gehabt hätte. Der Krieg war dazwischen gekommen und hatte blutigen Ernst aus allen Worten von Ruhm und Aufstiegschancen gemacht. Der Preis, der jetzt für alle Versprechungen eingefordert wurde, war hoch – wie hoch er am Ende sein würde, konnte keiner sagen. Deshalb schienen Lieder wie „Der Unterstand“ jetzt passender.

Auch Liljas Hochstimmung hatte einen gewissen Dämpfer erhalten. Sie belog sich nicht so sehr, daß sie den Preis des Sieges, den Preis für ihre Orden völlig verdrängte. Allerdings – im Augenblick schien er ihr es wert. Vor allem, wenn sie daran dachte, daß sie ja letztendlich auch für diese Menschen hier kämpfte, sie schützte. Sie, ihre kleinen Häuser und Gärten, die schimmernde Wasserfläche des Sees, die auch jetzt noch im Licht des Mondes funkelte. Und den Wald, die Wiesen und Felder. Kurz, die Heimat, das heiligste, was ein Mensch ihrer Meinung nach haben konnte. Hier fühlte sie sich geborgen, ein Gefühl, daß sie an Bord des Trägers nie gehabt hatte. Natürlich hielt sie auch jetzt noch etwas die Maske der perfekten Soldatin aufrecht – sie konnte nicht ganz aus ihrer Haut. Aber sie entspannte sich. Hier mußte sie nicht so sehr Acht geben, was sie sagte oder tat. Den Leuten um sie vertraute sie. Gegenüber ihren Kameraden empfand sie solche Gefühle selten, von ein oder zwei Ausnahmen vielleicht abgesehen.

Sie unterhielt sich mit Leonid Sasonow. Der alte Mann, alt selbst in der heutigen Zeit, war nie Soldat gewesen, und deshalb eigentlich ein ungewöhnlicher Gesprächspartner für die junge Pilotin. Sein Lebtag lang hatte er in einer Fischereigenossenschaft gearbeitet, die den Stausee als Zuchtbecken nutzte. Die Fischer erzählten sich immer, die Größe ihrer Fische hätte etwas mit der Forschungsanlage auf dem See zu tun. Das war natürlich nur nachbarliches Gestichel, und man war immer gut miteinander ausgekommen. So hatte er Liljas Eltern kennengelernt, und sich mit ihnen angefreundet. Er war schon seit vielen Jahren im Ruhestand, und inzwischen über achtzig Jahre – sein wahres Alter, so sagte er, sei sein wichtigstes Geheimnis. Von der Rente, seinem Garten und seiner Angel lebte er so, daß er nicht zu klagen hatte. Es hätte auch für einen Platz in einem Heim gereicht, aber er sagte immer, der Tag, an dem er sich nur noch in den Lehnstuhl setzen würde, wäre der Tag, an dem der Tod ihn holen käme.

Auch wenn sein Leben mit dem Liljas nichts zu tun hatte, so war er für sie praktisch so etwas wie ein Großvater. Sie kannte ihn, seit sie ein kleines Kind gewesen war, und er war immer ein guter Freund gewesen. Einer der drei Menschen, denen sie voll vertraute, außerhalb ihrer Familie. Und er war sogar noch wichtiger für sie gewesen, als sie nach ihrem Zusammenbruch am Anfang des Krieges in der Reserve gelandet war. Über manche Dinge hatte sie selbst mit ihren Eltern kaum sprechen können. Ihm gegenüber hatte sie sich ihrer Ängste und Selbstzweifel nie geschämt, und sie wußte, wieviel sie ihm zu verdanken hatte. Ihr Gespräch war von Pausen unterbrochen, in denen sie beide der Musik lauschten, doch sie verstanden sich auch ohne Worte gut.

Der Alte musterte Lilja aufmerksam. Die Dunkelheit verbarg ihr Gesicht, so daß er nicht sagen konnte, ob sie lächelte oder weinte, beides war möglich. Auch die Narben, ob von Stahl und Feuer, ob von Bitterkeit und Trauer geschlagen, verbarg das Zwielicht. Sie lauschte schweigend den letzten Klängen von „Wart‘ auf mich...“ Nachdem sich der letzte Ton verloren hatte, herrschte einen Augenblick Stille, nur unterbrochen von halblauten Gesprächen. „Gibt es eigentlich jemand, der auf dich wartet?“ Er hatte die Frage leise ausgesprochen, aber Lilja zuckte unwillkürlich zusammen. Sie zögerte, schien mit sich zu ringen. Einem anderen hätte sie wohl eine barsche Antwort gegeben. Ihre Stimme klang unsicher: „Nein... Das heißt – meine Familie natürlich. Dann du, hoffe ich mal. Und natürlich Alexander.“ Der alte Mann seufzte: „Natürlich. Aber du weißt, Tanja, das meinte ich eigentlich nicht.“ Die Pilotin schwieg. „Nein.“ Sagte sie schließlich. „Nein, es gibt niemanden.“ Sie lachte halbherzig: „Wundert dich das?“ Lilja berührte unwillkürlich ihre Wange: „Ich bin auch nicht gerade eine Schönheit.“ Ihre Stimme klang unbekümmert. Leonid zuckte mit den Schultern: „Ein Dummkopf schaut nur mit den Augen. Ein klügerer Mensch schaut mit dem Herzen.“ Lilja wußte nicht recht eine Antwort zu geben, sie spürte, wie sie rot wurde, und war dankbar für die Dunkelheit, die dies verbarg. Als Ace, kurz bevor er gestorben war, etwas ähnliches gesagt hatte – das unter der zynischen, vernarbten Oberfläche immer noch ein Mensch war – da hätte sie ihm am liebsten den Kopf abgerissen. Vor allem, als der Schwachkopf sie auch noch geküßt hatte. Es war nicht der Kuß an sich, der in ihr immer noch Wut, ja Haß weckte, wenn sie an den toten Kameraden zurückdachte. Sie hatte sich gedemütigt gefühlt, geradezu erniedrigt. Er hatte, vielleicht ohne es zu wollen, ohne es zu wissen, ihre alten Wunden berührt. Ihr Gefühl, nach ihrer Verletzung nicht mehr ganz die alte zu sein, sondern ein halber Krüppel. Die Angst davor, bloßgestellt zu werden, ihre Schwäche zu offenbaren. Das war ihm mehr als einmal geglückt, und deshalb haßte sie ihn auch, selbst jetzt noch. Jeder, der versuchte, ihren Panzer zu durchbrechen, konnte dies nur tun, um sie zu verletzen – zumindest wenn dieser jeder so jemand wie Ace war. Ob er es wollte oder nicht. Daran gab es für sie keinen Zweifel.

Ihre Mutter hatte sie etwas ähnliches gefragt, halb im Scherz, nach der ersten Wiedersehensfreude. Ljudmilla Pawlitschenko war in dieser Hinsicht keineswegs wie die ,typische‘ Soldatenmutter, also jene, die oft in Literatur oder Film gezeigt wurde. Sie akzeptierte den Lebensweg, den ihre Kinder gewählt hatten, und sie akzeptierte damit auch, daß nicht unbedingt damit zu rechnen war, daß Lilja jemanden fand, mit dem sie eine Beziehung eingehen wollte. Lilja hatte mit einem Scherz darauf geantwortet, wie immer. Sicher hofften die Eltern, daß ihre Kinder eine Familie gründeten – aber jetzt war Krieg. Und der Kampf war richtig und notwendig.

Es war auch schwer, eine Antwort zu geben. Lilja hatte sich bemüht, nie zu viele Gedanken an dieses Thema zu verschwenden. Es war schwer genug, jemanden zu verlieren, mit dem man befreundet war. Dieser Schmerz hatte ihr das Herz zerrissen, und sie empfand ihn heute noch genau so wie am ersten Tag. Wenn Liebe vielleicht noch mehr war – wie sollte sie dann jemanden lieben, den sie vielleicht verlor? Wie sollte sich von jemanden lieben lassen, und ihm diesen Schmerz zufügen, wenn sie selber starb? Nein, sicher nicht. Besser, sie ließ niemanden zu sehr an sich heran. Die Angst, einen ihrer wenigen echten Freunde zu verlieren, ließ ihr Herz zittern. Mehr würde sie nie zulassen.

Sie schüttelte den Kopf: „Ich habe Freunde, ich habe meine Familie. Und den Krieg. Daneben – daneben ist kein Platz mehr. Vielleicht später einmal...Aber sprechen wir von etwas anderem!“ Leonid sagte nichts, aber sie spürte seine Trauer. Es war kein billiges Mitleid – sicher verstand er sie. Eher bedauerte er, was für sie nicht möglich war, nicht seien konnte.

Als der Mond seine Reise am Himmel fortsetzte, über das weite Land und den Stausee hinweg, saß Lilja noch lange schweigend am Fenster ihres alten Zimmers. Sie weinte nicht, und sie trauerte auch nicht. Der Nachtwind spielte mit ihrem Haar, mit dem leichten Rauch ihrer Zigarette – und wer wußte schon, an was sie dachte...



Geschrieben von Tyr Svenson am 16.11.2015 um 10:00:

 

Auch in Wien sah man die Übertragung der Rede der Präsidentin. Lieutenant Commander Wolfgang Graf Berg von Hauenstein sah seinen Gegenüber an.
„Es kommt ins Rollen. Unsere Quellen in Berlin und der Flotte haben bereits berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass sich die Gangart verschärfen wird.“
„Es sind schon viele gute Männer und Frauen dafür gestorben.“
„Ja, Wolfgang, ich weiß. Wir werden sehen, was wir tun können.“
„Ich möchte Fall Pazival auslösen.“
„Hm....das haben einige von uns auch überlegt. Aber Du weißt, dass Du für die Führung nicht in Frage kommst. Deine Mitgliedschaft ist in einigen Zirkeln schon zu bekannt.“
„Wäre es nicht an der Zeit, aus dem Versteck herauszukommen?“
„Nein, das würde mehr Schwierigkeiten aufwerfen als es lösen würde. Auch mir würde es mehr behagen, wenn sich die Streiter Gottes nicht so verstecken müssten. Aber wir leben in schwierigen Zeiten. Und keiner von uns hat Interesse daran, sich mit der Presse herumzuschlagen. Außerdem würden unsere Freunde etwas nervös werden, wenn wir unseren Einfluss offenbaren würden. Vergiß nicht, dass außerhalb dieser Mauern nur wenige erahnen, wie viele Freunde wir haben.“
Der Graf nickte.
„Also?“
„Ich habe da einen Mann im Auge, den wir prüfen werden. Er wird bald kommen.“
„So sei es. Komtur, ich werde mich solange in Wien aufhalten, aber jetzt muss ich los.“
„Du bist entlassen. Danke, dass Du für einen alten Mann Zeit hattest.“
„Alt vielleicht, aber....“
Der Graf verbeugte sich und küsste den Ring seines Gegenübers, der im Gegensatz zum üblichen Prälatenschmuck sehr schlicht gehalten war. Im Wesentlichen bestand er aus Weißgold, dessen einziger Schmuck ein aus Onyx geschnittenes Kreuz war.
Dann verließ er das Kloster.


Zwei Stunden später sass er in einem der Wiener Kaffeehäuser. Kurze Zeit später kam auch Freya, mit der er sich erneut verabredet hatte.
„Guten Mittag, holdes Geschöpf.“
„Guten Morgen mein edler Graf.“
Beide grinsten. Die Freifrau orderte einen Cappucino, dann begab sich das Paar in einer hinteren Nischen.
„Was gibt’s neues aus der Gerüchteküche?“
„Abgesehen von der Rede von Birmingham und den Auswirkungen?“
„Auswirkungen?“
„Nunja, die Rede zwingt nun jedermann dazu, Farbe zu bekennen. Einige der Falken wollen regelrecht zur Taubenjagd blasen. Die Tauben hingegen überlegen teilweise ernsthaft, die Präsidentin zu stürzen.“
„Manchmal wünsche ich mir ernsthaft eine Monarchie zurück.“
„Sag doch gleich, Du willst, dass Preußen wieder aufersteht. Der Traum ist doch in Eurer Familie nie gestorben.“
„Jedenfalls hat es mehr als einiger Aliens bedurft, um Preußen niederzuringen. Schau Dir doch an, wohin uns diese Demokraten gebracht haben. Wir kämpfen ums nackte Überleben und einige von den Helden im Parlament reden von Friedensverhandlungen.“
„Ich stimme Dir ja zu....aber ich würde Dir raten, die Meinung nicht zu offensiv zu vertreten. Es gibt mehr Tauben, als man denkt und manch eine ist der Meinung, dass im Militär nur Betonköpfe sitzen. Fakt ist, dass der Krieg nicht gerade gut läuft. Ich denke, dass Leute wie Renault versuchen werden, auch gegen die Politiker den Krieg zu gewinnen. Aber der Franzmann alleine wird es schwer haben.“
„Wenn ich nur wieder in eine Crusader kommen würde....“
„Das wird schneller gehen, als Du denkst. Sie rüsten die Columbia aus und außerdem wird die Moskau flugfähig gemacht.“
„Die Moskau? Die ist doch ein Wrack!“
„Ich weiß. Aber Renault hat irgendwas damit vor.“
„Aber das mit der Columbia klingt interessant. Wer bekommt da den Oberbefehl?“
„Das ist – zumindestens nach dem, was meine Quellen sagen – noch nicht raus. Aber es spricht einiges dafür, dass es jemand von den leichten Trägern wird.“
„Also einer ohne Erfahrung mit schweren Bombern. Die Flotte lernt wirklich nie aus. Immer befördern sie die Jagdflieger und wundern sich dann, dass die Bombermissionen scheitern. Und es kann gut sein, dass sie mir jetzt wieder so einen Heini vor die Nase setzen.“
„Hast Du schon einen Namen?“
„Nein, ich weiß nur, dass er wohl bald nach Wien kommt.“
„Ich kann ja mal ein wenig herumwühlen. Unsere Dossiers könnten ja bereits einen Aufschluss hierauf geben. So viele Leute mit entsprechenden Qualifikationen gibt es auch nicht....“
„Das ist wahr. Danke. Was liegt heute abend an?“
„Oper. Ich habe Karten für Cosi fan Tutte.“
„Das klingt doch gemütlich. Und danach...fahren wir zu Dir.“
„Einverstanden, mein Fahrer holt Dich gegen sieben ab.“


Zur gleichen Zeit befand sich Brawler in Istanbul. Die Tage auf dem Land waren entspannend gewesen, aber er merkte doch, dass es nicht mehr seine Welt war. Alles war so ruhig und die gemeinsamen Gesprächsthemen hatten sich schnell erschöpft. Natürlich konnte er der Dorfjugend zehnmal erzählen, wie er einen Abschuss erzielt hatte, aber das half ihm nicht wirklich weiter. Hier in der Stadt pulsierte das Leben. Einige seiner Freunde lebten immer noch hier. Selim Öger war so einer. Beide waren auf der Kadettenschule gewesen, aber Selim hatte dann Probleme mit dem Rücken bekommen, weshalb er ausgemustert worden war. Stattdessen hatte er ein Auktionshaus eröffnet und war mittlerweile so erfolgreich, dass er den Markt in Istanbul schon fast kontrollierte. Selim hatte ihn nach Istanbul in eines der Kaffeehäuser eingeladen und da Brawler wusste, dass Selim genau wie er auch einen starken guten Mocca zu schätzen wusste, beschleunigte er seinen Schritt noch. Doch das bunte Treiben lenkte ihn immer wieder ab. Die Basare, die schon vor Jahrhunderten Fremde und Einheimische zugleich anzogen, waren etwas, an dem er nicht vorübergehen konnte. So erstand er einige Früchte, einen Korb für seine Mutter und eine verbilligte Schachtel Zigaretten für den Vater.
Dann kam er endlich im „Mustafa’s“ an.
„Selim!“
„Muhammad.“ Die Männer fielen sich in die Arme.
„Du hast Dich aber ganz schön verändert! Man sieht Dir den Reichtum förmlich an.“ Tüncay grinste.
Selim antwortete lachend:“ Tja, ich brauch ja nicht mehr schlank und rank zu sein, nachdem ich ausgemustert bin.“
„Dann scheinen die Geschäfte ja wirklich gut zu laufen.“
„Klar, aber es wird allmählich etwas viel. Mein Angebot steht immer noch und ich könnte dich heute noch mehr brauchen als damals.“
„Du weißt, mein Herz hängt an der Fliegerei...und wenn ich jetzt die Navy verließe, dann sähe das wie Fahnenflucht und Feigheit aus. Dazu haben zu viele meiner Freunde Leben oder Gesundheit verloren.“
„Ja, das dachte ich mir. Aber nach dem Krieg...“
„Nach dem Krieg, so Allah will, werde ich ernsthaft darüber nachdenken, versprochen.“
„Hast Du denn wenigstens schon eine Frau gefunden? Oder muss ich da auch noch für Dich Ausschau halten?“
„Ähm...“ Muhammeds Gedanken schweiften gen Indien, wo Snake-Bite sich wohl momentan aufhielt.
„Ahja, wenigstens in dieser Hinsicht kommst Du voran. Erzähl mal.“
„Es ist nichts...es darf auch nichts sein.“
„Eine Pilotin?“
„Ja, aus meiner Staffel.“
„Weiß Sie es?“
„Ich hoffe nicht. Es reicht, wenn einer im Gefühlschaos sitzt. Ich weiß da ehrlich gesagt nicht mehr weiter.“
„Du wirst das schon machen, Du bist bisher noch immer auf den Füßen gelandet....weißt Du noch, als Du Major Arikan den Raki aus dem Kabinett geklaut hast? Alle anderen wären richtig fertig gemacht worden, aber Du hast es irgendwie geschafft, die Flasche bei der Inspektion zu verbergen...wie hast Du das eigentlich gemacht?“
„Das bleibt mein Geheimnis.“ Brawler lachte und nippte an seinem Mocca.



Geschrieben von Tyr Svenson am 16.11.2015 um 10:02:

 

Die Kampfflugzeuge am Himmel bewegten sich in perfekter Synchronisation. Wie auf ein stummes Zeichen hin brach die Formation genau in dem Augenblick auf, als sie den Platz überflogen. Eine Gruppe hielt Kurs, die beiden anderen scherten nach rechts und links aus. Dann zog die mittlere Gruppe hoch und flog – immer noch synchron – eine Rolle. Die Flankengruppen hatten inzwischen einen Kreis geschlagen und schlossen sich dem Führungsverband wieder an. Kleine Rauchbehälter an den Maschinen sorgten für ein verwirrendes, grandioses Farbmuster am Himmel. Es war, als führe ein Maler mit mehreren Pinseln über eine tiefblaue Leinwand. Sogar das Wetter zeigte sich heute gnädig, so daß die Flugshow ausreichend gewürdigt werden konnte. Auf dem farbigen Himmel schossen die Maschinen der Boston Space Miliz dahin wie kleine Fische in einem Korallenriff. Allerdings Fische mit großen Zähnen.

Aus den Lautsprechern dröhnten die letzten Worte – gerichtet an die etwa vier Dutzend Männer und Frauen, die vor der Front der versammelten Truppen angetreten waren. Und natürlich sprach der Redner auch das Publikum an, ebenso wie die übrigen Nationalgardisten. Ob Infanterie, Panzertruppen oder nachrangige Dienste – heute waren sie alle die Stars des Geschehens. Im Zentrum natürlich die Piloten. Aber der Neid hielt sich wohl in Grenzen, und es mochte viele geben, die um keinen Preis ihren weniger ehrenvollen Platz mit einem im Zentrum der Parade getauscht hätten. Möglicherweise hätten einige von denen, die vorne standen, es vorgezogen, ebenfalls zurücktreten zu können in die Anonymität der Masse. Sie ließen es sich allerdings nicht anmerken.

„…die hinausziehen, um einmal mehr ihre Heimat zu schützen – so wie sie es schon so oft getan haben! In bester Tradition und mit vorbildhaftem Mut…“
Die angetretenen Piloten blickten stur geradeaus. Genau wie es Vorschrift war, und dem Anlaß angemessen. In den Galauniformen boten sie einen durchaus imposanten Anblick. Die meisten waren mittleren Alters, in den Dreißigern und Vierzigern. Einige mochten noch älter sein, aber glücklicherweise war im 27. Jahrhundert das Problem der äußeren Alterung zumindest teilweise kontrollierbar. Die Soldaten spötteln freilich insgeheim über jegliche ,Puder- und Perückenshow‘, wie sie das Herausputzen vor dem Festakt nannten. Eine Parade der strahlenden Jugend, unsterbliche Hoffnung der Republik, war dies also nicht. Nun, so erweckten sie wenigstens nicht den Eindruck, die Republik risse sich ihre letzten Kinder von der Brust, um sie dem Kriegsmoloch zu opfern. Richtig aufgemacht – und das war die Parade – verkörperten die Piloten Kompetenz und Erfahrung. Sie hatten alle eine gewisse Routine mit solchen Auftritten, wenn auch meistens in etwas kleinerem Rahmen, und das sah man ihnen auch an. Nur wenn man genauer hinschaute, dann bemerkte man, daß sowohl Fliegerkreuze als auch Verwundetenabzeichen die Ausnahme waren. Die meisten Auszeichnungen waren „Karriereorden“ – Abzeichen, die man im Laufe der Jahre eben bekam, wenn man sich nicht sehr dumm anstellte. Auch die große Zahl von vergleichsweise höheren Rängen – die First Lieutenants überwogen deutlich – hätte in den Augen eines kundigen Beobachters da wenig geändert. Doch natürlich war es nie leicht, aus bloßem Hinsehen die Qualität der Piloten zu bestimmen. Alte Hasen konnten im Angesicht des Krieges versagen, und junge Grünschnäbel sich bewähren. Umgedreht war es allerdings mindestens ebenso oft geschehen.

„…nicht achtend der Gefahr, jetzt, da es gilt, zu verteidigen, was wertvoller ist als…“
Falls einer der Soldaten sich gelangweilt fühlte von dem Sermon, welcher von einem Redner nach dem anderen über sie ausgegossen wurde – sie ließen es sich jedenfalls nicht anmerken. Mit den Gedanken waren einige wohl sowieso woanders. Bei der Abschiedsfeier, die jeder auf seine Art und Weise gefeiert hatte, bei der Familie, bei dem, was in den nächsten Wochen kommen mochte. Die meisten hatten genug Lebenserfahrung – und ein aufmerksames Ohr für die Medien – um zu wissen, daß auf sie kein Erholungsurlaub zukam. Fast alle hatten Familie, eine Beziehung, oder sonst etwas, für das zu kämpfen es sich lohnte. Allerdings – genau das legte nahe, bei dem Kampf möglichst nicht zu sterben. Aber sie wußten, was sich gehörte. Und wenn man ihnen schon keine Wahl ließ, so hieß es, das Beste daraus zu machen.

„…entbieten wir euch, tapfere Piloten, unseren Gruß. Euer leuchtendes Beispiel von Pflichtbewußtsein und Tapferkeit wird in der Boston Space Miliz niemals vergessen werden. In unseren Herzen, unseren Gebeten werden wir stets einen Platz für euch haben. Ich danke euch!“
Jetzt – endlich – war die Zeremonie zu einem Ende gekommen. Die Worte hatten ihre Wirkung besonders unter den Zuschauern entfaltet, für die sie ja auch bestimmt waren. Ein weit lohnenderes Ziel als vier Dutzend Soldaten, die sowieso nur taten, was ihre Pflicht war. Was nicht bedeuten sollte, daß nicht auch dort einige das Kreuz noch einmal richtig durchdrückten und den ,männlich beziehungsweise weiblich-entschlossenen’ Blick aufsetzten, der Stunde und Ort angemessen schien. Wie ein Mann salutierten sie – und die angetretenen Soldaten und Offiziere erwiderten den Gruß der scheidenden Kameraden. Dann stieg die Fahne der Republik und der Miliz am Flaggenmast empor, und die Nationalhymne erklang. Der Geschwaderführer der Miliz salutierte vor einem Navy-Offizier und übergab ihm symbolisch das Kommando über die ausgewählten Soldaten und Offiziere. Ab jetzt gehörten sie voll und ganz wieder zur Flotte und zum Jagdfliegerkorps. Manche der Zuschauer hatten Tränen in den Augen. Teils vor Ergriffenheit, aber das war wohl nicht der einzige Grund. Die Angehörigen und engen Freunde – man hatte ihnen eine Sondertribüne zugeteilt – blickten wohl überwiegend mit gemischten Gefühlen auf New Bostons Beitrag für den Krieg. Auch wenn die Verlustlisten natürlich nicht offiziell in den Nachrichten verlesenen wurden – die Verluste der Kampfflieger ließen sich nicht völlig verheimlichen. Wenn, wie erst kürzlich bei Jollahran, drei erfahrene Geschwader vernichtete oder schwer dezimiert wurden, dann mußte man schon blind und taub sein, um sich keine Sorgen zu machen. So war in den Kelch der Ehre auch die Asche künftiger Trauer gemischt, und der Trank schmeckte bitter. Doch gab es natürlich kaum eine Alternative, als ihn bis zur Neige zu lehren…

Vier Stunden später drängten sich die Piloten in einem Shuttle, das sie zu ihrem Transporter bringen sollte. Schon die Anreise zur Erde würde nicht sehr bequem werden, so viel war sicher. Da die ganze Operation reichlich überhastet ablief, hatte man sie kurzerhand auf einem zivilen Frachter einquartiert – nicht eben komfortabel. Der Waren- und Personenverkehr litt unter den Auswirkungen des Krieges, denn mehr und mehr zivile Schiffe wurden für Navyzwecke beschlagnahmt oder eingesetzt. Also waren nur Kabinen für jeweils vier Personen verfügbar – mit einer Inneneinrichtung, die selbst einen alten Zeus-Träger wie ein Fünf-Sterne-Hotel erscheinen ließ. Bad auf dem Gang, und Essen aus der Dose, über die Freizeit- und Trainingseinrichtungen schwieg man lieber…
Der Enthusiasmus – so vorhanden – verflüchtigte sich so recht schnell. Allerdings, richtig auf den Kampf zu brennen schien hier schon von Anfang an keiner. Die meisten Piloten nahmen es mit Gleichmut. Die üblichen Flachsereien und Witze, hundertmal durchgekaut und reanimiert, wurden gewechselt. Die meisten fanden irgend eine Beschäftigung. Da das Essen nicht viel hergab, verlegten sich einige aufs schlafen. Auch wenn sie nicht im eigentlichen Sinne Veteranen waren, so hatten sie genug Routine, um nicht völlig aus dem Häuschen zu sein. Ob sich das im Kampf nicht ändern würde, blieb abzuwarten.

Die Raumstation von New Boston – je nach Lust und Laune „Boston“, „Blecheimer“, „Bastion“ oder sonst irgendwie bezeichnet – hatte einige boshaft-gutmütige Kommentare ausgelöst, als das Shuttle sie passierte. Alle hatten sie dort schon mal Dienst geschoben. Ein wenig Beklommenheit mochte auch dabei sein, aber die überspielte man. Die Aufgekratztheit, die einige verspürt hatten, wich inzwischen eher der Routine. Allerdings waren nicht alle bereit, einfach in ihren Kojen zu liegen. Ein paar Unentwegte lasen nicht nur die verschiedenen ,Soldatenzeitungen’ – was das auch immer heißen mochte – oder schrieben Briefe nach daheim, sondern blätterten neugierig in den letzten Frontberichten oder diskutierten über die Frage, wohin sie kommen würden. Der Hoffnung, auf eine Reserveposition zu kommen, gaben sich die wenigsten hin. Einige spielten Karten oder umlagerten eine uralte Wiedergabeeinheit, die offenbar nur „Das Blaue Band“ und ähnliches zu bieten hatte. Irgendein ,Patriot’ hatte es wohl etwas zu gut gemeint. Ein Epos über Heldenmut und Opferbereitschaft war nur bedingt geeignet für dieses Publikum. Andererseits ließ sich zu den meisten Pilotenstreifen herrlich über Manöver und Personen lästern – besser als gar nichts.

Manuel Karanka hingegen befand sich auf der zentralen Balustrade des Lagerraumes – eine Halle, die groß genug schien für eine ganze Panzerdivision. Verladekräne und gewaltige Containerstapel füllten den Raum beinahe aus, aber etwas Platz war noch vorhanden. Er beobachtete die Gestalt, die zügig und ohne anzuhalten eine Runde nach der anderen drehte. Auch von hier oben war gut zu erkennen, daß der Sportfanatiker ein Hüne von einem Mann seien mußte. Der First Lieutenant unterdrückte ein Grinsen – es war wieder einmal typisch, das der Sportler, auch bekannt als Einar Haugland, vor unterdrücktem Tatendrang etwas ,aus dem Häuschen’ war. Das äußerte sich zwar oft auf unterschiedliche Art und Weise – man hätte kaum vermutet, daß der selbe Mann stundenlang vor dem Modell eines Deltavogel sitzen und an den Plasteteilen schnitzen konnte, um maximale Detailtreue zu erreichen – aber mit IRGEND ETWAS mußte „Tyr“ sich offenbar immer beschäftigen.

Karanka warf einen Blick auf die Stoppuhr, die er hielt. Ja, Haugland lag gut in der Zeit. Noch zwei Runden zu laufen, und er hatte noch ein gutes Zeitpolster…
Schließlich signalisierte ihm der großgewachsene Läufer, daß er fertig war. Karanka stoppte und ging dann zu einer der Leitern. Dort kam ihm Haugland schon entgegen. Wortlos händigte der kleinere Pilot seinem Kameraden die Uhr aus. Das Grinsen Hauglands war schon fast selbstzufrieden zu nennen: „Na, ausgezeichnet. Wenigstens werden wir hier kein Moos ansetzen. Ich mach mich frisch – dann essen wir einen Happen, einverstanden.“ Sein Kamerad nickte nur. Überhaupt war das typisch für ihre Freundschaft. Karanka agierte eher im Hintergrund – allerdings würde neben jemanden wie Haugland wohl fast jeder etwas zurücktreten. Stimme, Statur und Auftreten waren wie auf maximale Wirkung bedacht.
Die beiden boten schon einen merkwürdigen Anblick, wie sie so durch die Gänge des Schiffes schlenderten. Karanka, einen guten Kopf kleiner, war keineswegs zierlich gebaut – aber wo Haugland eine Statur wie ein Schrankwand aufzuweisen hatte, war sein spanischstämmiger Kamerad eher hager und gelenkig. Das scharfgeschnittene Gesicht war gewiß nicht schön zu nennen – außer, er lächelte. Haugland andererseits war durchaus gutaussehend – wenn man einen solchen Geschmack hatte. Ein offenes, sympathisches Gesicht und eigentlich auch ganz gute Manieren. Aber wie so oft trog der erste Augenschein.
Während Manuel Karanka seit nunmehr 24 Jahren glücklich verheiratet war, und nie einer anderen Frau als seiner eigenen einen Blick gegönnt hatte – also keineswegs der ,heißblütige Spanier’ war, der in einigen Klischees auftauchte – war sein Kamerad auf diesem Gebiet ein ziemlicher Versager. Seine meisten Beziehungen waren schiefgegangen. Zu den zwei Kindern aus seiner Ehe hatte er keinen Kontakt mehr. Er wusste allerdings einiges über sie, und wenn er das auch nie zugegeben hätte – seine Frau und die Kinder schienen es mit ihrem neuen Leben besser getroffen zu haben. Nicht das Haugland ein Schläger gewesen wäre, oder sonst wie etwas, das man als ehepartnerliche Katastrophe bezeichnen konnte – er und seine Frau hatten einfach ihre verschiedenen Lebensauffassungen und Berufe nicht unter einen Hut bekommen können.

Aber über solche persönlichen Dinge befragte man ihn lieber nicht. Sein Jähzorn – zumeist unter Kontrolle – war ein oder zweimal mit spektakulärem Ergebnis hervorgebrochen, allerdings nur, wenn ihn jemand provoziert hatte. Aber wenn ein Zweimeter- und Zweizentnermann die Beherrschung verlor…
So spotteten nur wenige über das Bild, das die beiden boten.
Die Mannschaftsmesse bot eigentlich nur für ein Dutzend Leute Platz – deshalb aß man in Schichten. Besatzung und ,Passagiere’ teilten sich in die Zeiten – da der natürliche Biorhythmus im Raum sowieso leicht aus dem Gleichgewicht kam, machte dies kaum Probleme. Das Essen freilich…
Haugland betrachtete angewidert seinen Teller. Ein Stück Roastbeef, dem man die Aufschrift ,100 Prozent Chemie’ förmlich ansah, blasse, verkochte synthetische Kartoffeln, von beinahe weißer Färbung, eine undefinierbare Soße – und zum Nachtisch chemierote Fruchtspeise mit gelbem Vanilleersatz. Der Kaffee roch und saß aus, als könne man damit Tote aufwecken, Lebende unter die Erde bringen und dazu auch noch Rohre reinigen oder ein Loch in eine Panzerwand ätzen.

„Schweinefraß!“ knurrte Haugland, während er sich eine reichliche Ration geben ließ. Sein Kamerad lächelte spöttisch: „Wenn du was übrig läßt, kannst du es mir geben...“ Es war bekannt, daß Haugland selten etwas auf seinem Teller verschont ließ, auch wenn er sich beschwerte. Der empörte Blick des Hünen erntete deshalb nur ein schiefes Grinsen. Beide suchten sich einen Platz und machten sich daran, ihr Essen zu vertilgen. „Warum sie uns nicht gleich Schweißbrenner oder Motorsägen gegeben haben, verstehe ich nicht.“ wütete Haugland weiter. „Das Zeug ist ja zäher als Leder.“ Karanka kommentierte emotionslos: „Sprach er, während er sich ein 100-Gramm-Stück abschnitt...“ Sein Kamerad warf den Kopf in den Nacken und lachte brüllend. Die anderen Soldaten hoben kaum den Kopf. Sie waren das, nun ja, extrovertierte Verhalten des ,Schwergewichts‘ ihrer Staffel gewohnt. „Schon gut, schon gut, ich bin ja still. Aber das ist einer der wenigen Gründe, aus denen ich mich auf den Flottendienst freue – dort wirst du für SO etwas gekielholt.“ „Hoffen wir mal, daß der Krieg daran nichts geändert hat.“ Haugland wurde ernst: „Ja, hoffen wir.“

Eine Weile beschäftigten sie sich mit ihren Portionen. Dann blickte Haugland zu seinem Kameraden herüber: „Weswegen bist du überhaupt so bereitwillig bei der Sache dabei? Klar, du verstehst mehr davon als die meisten von uns – was den echten Kampf angeht, meine ich – aber ich hatte nicht den Eindruck, daß du dich in die aktive Zeit zurück sehnst. Und auch wenn sie uns ziehen – du hättest doch sicher eine Lücke finden können.“ Karanka legte den Kopf schief: „Du meinst, weil ich Familie habe und all das? Vielleicht auch mal Großvater werde und meine Enkelkinder noch sehen möchte?“ Haugland zuckte mit den Schultern. Er vermied normalerweise solche Themen. Sie erinnerten ihn an seine wenig glückliche familiäre Vergangenheit: „In der Art. Wenn du dich umbringen läßt, wird Ines dich an den Ohren aus dem Grab zerren, um dir noch mal die Meinung über deine Dummheit sagen zu können. Und Recht hat sie.“ Der Spanier lächelte versonnen, als Haugland seine Frau erwähnte: „Schon möglich. Aber auf der anderen Seite – du weißt, wie es läuft. Sie brauchen Piloten. Allein bei Jollahran haben sie, wieviel, na, 130 oder so Piloten verloren. Bei Mantikor waren es noch erheblich mehr, und das ist ja noch nicht alles. Wenn man die bodengestützten Verbände mitrechnet, die weiteren Verluste von ,Husar‘ – ihnen werden die Leute knapp.“ Sein Kamerad seufzte: „Erzähl mir nicht irgend welchen Quatsch von Ehre und Pflicht. Wir haben unsere aktive Laufbahn hinter uns. Wenn die Navy uns haben will, müssen wir schon selber wollen – oder sie kann uns meinethalben am Arsch lecken. Und wenn sie uns einlochen.“ Karanka nickte: „Richtig. Ich bin auch eher hier, weil ich eine Ahnung habe, wie es werden wird, wenn es zum Äußersten kommt. Du hast gehört, was die Schweine auf Mantikor angerichtet haben. Wenn Widerstand geleistet wird, hauen sie drauf – auch mit Atomwaffen. Mir wird speiübel bei dem Gedanken, daß die nach New Boston kommen könnten. Unsere Jungs werden kämpfen – Dreck, wenn es so weit ist, rechne ich fest damit, daß man Karabiner und Einwegwerfer an die Zivilisten verteilt, damit sie kämpfen! Im günstigsten Fall schießen die Akarii unsere Städte in Fetzen bei der Eroberung. Oder sie hauen gleich drauf, und verwandeln alles in eine atomare Wüste. Wir wissen ja nicht einmal, ob sie für uns eine Verwendung haben!“ Seine Stimme klang entschlossen: „Und deshalb, denke ich, ist es besser, wir versuchen, sie vorher zu stoppen.“ Er verzog das Gesicht: „Obwohl ich mir bei dem Gedanken daran, daß wir es bald mit Frontfliegern zu tun, schon Sorgen mache.“ Haugland grinste: „Also ich bekleckere mich halb vor Angst.“ Es war eher ironisch gegen sich selbst als gegen Karanka gemeint, was dieser sehr wohl wußte.

„Bleibt die Frage – was machst DU hier? Ich wette, du hättest schneller eine bequeme Gefängnisstrafe kassieren können, als ich den Navyeid herunterbeten kann.“ Haugland winkte ab: „Die Navy zahlt gut. Und vielleicht schaffe ich es jetzt mal weiter als nur bis zum First Lieutenant.“ Ob ihm sein Kamerad glaubte, war nicht so leicht zu bemerken. Aber er respektierte die flapsige Erklärung. Da ihm klar war, daß Haugland nicht weiter darüber sprechen wollte, wechselte er das Thema: „War übrigens eine nette Abschiedsfeier, muß ich sagen. Der ganze Schwulst, den die Herren und Damen da verzapft haben – also halb habe ich mich schon im Grab gefühlt. Derartige Lorbeeren gibt es normalerweise nur hinterher, wenn man eine brave Heldenleiche ist – und nichts mehr falsch machen kann.“ Beide lachten, ein leicht galliges Lachen allerdings. Etwas unbehaglich war ihnen schon zumute, ohne Frage. Dann schlug Karanka seinem Kollegen auf die Schulter: „Übrigens – das Gesicht von unserem Einheitspfarrer war wirklich ein Bild für die Götter, als er herausbekam, wer da vier Plätze neben ihm Platz nehmen würde.“ Haugland brüllte vor Gelächter. Zwischen den einzelnen Lachsalven brachte er hervor: „Ich habe auch drum gebeten... daß ich einen Abzug ...Bildern bekomme.“ Jetzt fiel auch sein Kamerad in das ,Gewieher‘ ein. Er war von seinem Kameraden einiges gewohnt, aber dieses Abschiedsgeschenk an seinen Intimfeind war von ausgesuchter Bosheit.

Haugland und der Geschwaderpfarrer hatten seit Jahren einen ebenso intensiven wie inzwischen in der Einheit legendären Kleinkrieg gegeneinander geführt. Auf der einen Seite Adrian Ferry, altgedientes Schlachtroß Gottes, in seiner Gemeinde durchaus respektiert – die Truppe betreute er nebenher. Ein ruhiger, besonnener und eigentlich nicht übermäßig fanatischer Gottesmann. Und auf der anderen seine Antithese, Einar Haugland. Der trank reichlich, und führte Gottes und des Teufels Namen nur im Munde um zu fluchen, was er häufig tat. Nächstenliebe war auch nicht gerade seine Stärke, und was sein Privatleben anging...
Die Kirche hatte ja mit der modernen Zeit ihren Frieden gemacht, und mit dem Töten schon lange – aber für einen überzeugten Christen war jemand wie Haugland schwer erträglich. Irgendwie hatte sich die anfängliche milde Antipathie hochgeschaukelt. Vielleicht aber war es auch für beide eine liebgewordene Beschäftigung gewesen, sich mit jemanden konfrontiert zu sehen, der eine ziemlich entgegengesetzte Lebensauffassung hatte.

Der Pfarrer war sicher nicht überrascht gewesen, daß Haugland unter den Gezogenen war. Er kannte seinen ,Feind‘ recht gut, und er kannte das Geschäft. Und sicher hatte er auch erst gar nicht damit gerechnet, daß dieser zur Beichte gehen würde – wie es viele andere gemacht hatten, und sei es nur aus Aberglaube. Aber womit er nicht gerechnet hatte war, daß Haugland dafür sorgen würde, daß auf der Tribüne, die für die Angehörigen, nahe Freunde und eben auch solche Personen wie der Pfarrer und der Bürgermeister des Stationierungsortes gedacht war, auch seine derzeitige ,Favoritin‘ Platz fand – eine junge Frau mit einem Ruf, den man mit Fug und Recht eigentlich nicht zweideutig nennen konnte, denn er war eher ziemlich eindeutig. Und wohlbegründet.
Nicht, daß sie nicht ein dem Auge wohlgefälligen Anblick geboten hätte. Aber inmitten der örtlichen Honorationen und damit auch im Lokalfernsehen...

Der Pilot, der aussah wie der Prototyp des nordländischen Barbaren, beruhigte sich wieder: „Ich versteh aber nicht, was die haben. War doch für nahe Freunde, oder nicht? Und wenn es nun mal nicht der alte Lehrer ist, der einen durchs Examen geschleift hat – warum haben die sich nur so?“ Karanka schüttelte den Kopf. Er war gläubiger Christ, wenn auch keiner von der Sorte, die ständig vor Gott auf den Knien lagen oder ihn in Gebeten anbettelten. Aber er hatte schon lange gelernt, daß man Haugland nehmen mußte, wie er war. Immerhin – bei seinen Kameraden kam er damit an...

Als die Nachspeise – nicht ohne boshafte Kommentare – vertilgt worden war, marschierten die beiden zu ihrem Raum zurück. Haugland erwähnte, daß er sich auf der Erde mit Vorräten einzudecken gedachte. Er hatte extra deshalb nicht alles von seinem Sold bei seinen ,Abschiedsfeiern‘ durchgebracht – normalerweise tat er dies mit einem Gutteil seines monatlichen Soldes, Altersvorsorge über das gesetzliche Hinaus war nicht seine Sache. Karanka wußte, dies bedeutete, daß sein Kamerad eine höchst eigenwillige Sammlung aus Alkoholika, Tabakwaren – aber auch Plaste, Farbe und Kleber – an Bord seines neuen Schiffes schaffen oder schmuggeln würde. Genug, um sich den Einsatz zu verkürzen. Die beiden machten sich natürlich auch Gedanken darüber, in was für einer Einheit sie landen würden. Wer würde der Befehlshaber sein? Sie hatten von den neuen Behelfsträgern gehört, und rechneten sich keine schlechten Chancen aus, auf so einem Kahn zu landen. Keine schöne Aussicht – aber die schweren Träger hatten seit Anfang des Krieges auch mächtig Prügel bezogen.

An den Mutmaßungen beteiligten sich auch die anderen Zimmerinsassen. Es war wohl ein untrügliches Anzeichen, daß sie ihre Nervosität zwar überspielen, aber nicht ganz unterdrücken konnten. Etwas schimmerte doch durch. Letzten Endes, das war allerdings klar, lag es nicht in ihrer Macht.



Geschrieben von Tyr Svenson am 16.11.2015 um 10:07:

 

Militärhospital
Lunapolis, Luna

Lucas betrat das Militärhospital in Lunapolis auf dem Mond der Erde.
Er trug die Galauniform, alle Ordens- und Kampagnenbänder über der linken Brusttasche. Es herrschte Hochbetrieb und er brauchte einige Zeit, biss er die Aufmerksamkeit einer der Empfangsdamen hatte: "Ich suche Commander Melissa Auson, Sie wurde vor einigen Tagen hier eingeliefert, kam von der TRS Redemption und wurde von der Maria Theresia hierhergebracht."
Die junge Frau bearbeitete kurz die Tastatur ihres PCs: „Stockwerk 8, Korridor C, Zimmer 23 Sir. Aber ich muss Sie bitten, sich erst beim Stationsarzt zu informieren, ob Commander Auson schon Besuch empfangen darf."
Mit einem schnellen, "Danke." war er dann auch wieder verschwunden.

Im Fahrstuhl konnte er einfach nicht still stehen, tippte mit dem Fuß auf, kratzte sich den linken Handrücken, kratzte sich hinter dem rechten Ohr, fuhr sich durch die Haare.
Als die Türen auf gingen drängelte sich Lucas an zwei Krankenpflegern vorbei. Er beachtete den Protest nicht weiter und strebte dem Arztzimmer entgegen. Er klopfte kurz an und trat dann unaufgefordert ein.
Eine ältliche Frau am Telefon blickte ihn fragend an: "Macht es Ihnen was aus, wenn ich zu Ende telefoniere oder ist es von der gleichen Wichtigkeit wie eine Akarii-Invasion Terras? Nein? Dann warten Sie bitte draußen."
Sie wandte sich wieder ihrem Gesprächspartner zu und Lucas wollte erst Konter geben, hörte jedoch schnell heraus, dass sie mit einem Kollegen einen komplizierten Fall besprach.
Also wartete er vor der Tür.
Nach ein paar Minuten vor der Tür, die er mit Zupfen an der Uniform verbrachte öffnete sich die Tür: "Kommen Sie rein Commander. Was kann ich für Sie tun?"
"Nun Ma... Doktor, ich wollte Sie um Erlaubnis ersuchen, eine Ihrer Patientinnen zu besuchen, Commander Auson."
"Auson, einen Augenblick bitte." Sie bearbeitete ihre Tastatur. "Ich bin mir nicht sicher. Wie Sie vielleicht wissen hat Commander Auson Ihren rechten Arm verloren. Ich weiß nicht, wie die Patientin auf Besuch reagieren würde. Sie gibt uns Anlass zur Sorge, hin und wieder verfällt sich in schockartiges Starren. In welcher Beziehung standen Sie zu Commander Auson?"
Lucas scharrte kurz mit dem Fuß: "Bleibt das unter uns?"
"Sie beiden waren oder sind ein Liebespaar, okay, das verkompliziert die ganze Angelegenheit zusätzlich."
"Das habe ich nicht gesagt!"
Die Ärztin lehnte sich im Sessel zurück und schmunzelte: "Ach, haben Sie nicht, ich muss besser zwischen den Zeilen lesen können, als ich dachte."
"Hören Sie Doc, ich muss sie sehen, bitte. Ich weiß nicht, wann ich wieder in den Einsatz muss, ich möchte nicht verschwinden ohne noch mal mit ihr gesprochen zu haben, mich bei ihr selbst nach dem Wohlbefinden zu erkundigen ..."
"... um ihr Lebewohl zu sagen", unterbrach sie ihn.
Lucas viel die Kinnlade herunter: "Nun es ist wahr, dass ich daran durchaus gedacht habe, doch, was ich hier und heute eigentlich will ..." Er holte ein kleines Kästchen hervor.
"Okay, Commander, nicht länger als 30 Minuten und bitte schonend, sehr schonend."
Er bedankte sich und suchte das Zimmer von Mel auf.

Leise, ja beinahe sachte klopfte er an und öffnete langsam die Tür. Er blickte ins trübe Dämmerlicht des Krankenzimmers und klopfte erneut.
Auf dem einzigen Bett im Krankenzimmer bewegte sich ein Bündel aus Decken und ein schwaches "Herein" erscholl.
"Störe ich?"
"Lucas ... ich ... ", Tränen glänzten ihn ihren Augen und sie wandte sich von ihm ab, er betrat das Zimmer trotzdem.
"Wie geht es Dir Schatz?"
"Bitte lass mich ..."
"Komm Mel, ich habe nur 30 Minuten, dann werde ich hier - sowie die Stationsärztin aussieht - notfalls mit Gewallt weggeschafft."
Sie drehte sich wieder zu ihm um: "Was willst Du hören? Mir geht es dreckig! Mein Arm schwebt irgendwo in Tau Ceti, ich habe starke Schmerzen trotz Medikamenten. Gliedmaßenregeneration ist die Hölle."
Sie fing hemmungslos an zu weinen und zu schluchtsen: "Ich ... ich ... ich will meinen echten Arm wieder haben ...."
Lucas nahm sie in den Arm und hielt sie eine weile einfach nur fest, ehe er zu sprechen begann: "Als wir unsere Beziehung begannen, da dachte ich erst, es sei etwas Kurzfristiges, solange wir auf dem gleichen Schiff dienen. Ohne Verpflichtungen." Sie schniefte und er streichelte ihr über die Wange. "Aber, als, als in Jollahran alles begann in sich zusammen zu brechen, da hatte ich Angst um Dich, panische Angst. Und als ich hörte Du wärst verletzt und ich konnte meine Arbeit nicht stehen und liegen lassen, es war die Hölle.
Ich habe mein Geschwader allein los geschickt zur Galileo um auf die Krankenstation zu kommen um nach Dir zu sehen, aber Du warst nicht mehr da und niemand konnte mir über Dich Auskunft geben ..." Seine Stimme versagte und auch ihm liefen Tränen über die Wangen.

Lucas kniete sich nieder, nahm die übergebliebene Hand von Auson in seine linke und holte mit der rechten Hand das kleine Kästchen heraus, klappte es auf, so das ein goldener Ring zum Vorschein kam: "Melissa Auson, ich liebe Dich, ich liebe Dich von ganzen Herzen, ich weiß, ich bin ein verwöhnter Bengel aus Boston und kann daher nicht mit Originalität oder Einfallsreichtum aufwarten, daher habe ich nur die einfachen Worte: Willst Du mich heiraten?"



Geschrieben von Tyr Svenson am 16.11.2015 um 10:08:

 

Am nächsten Abend saßen Hayes und Murphy wieder im Karminzimmer des Commodores. Den Tag hatte Murphy mit etwas Sightseeing verbracht, wobei er von Laura Hayes begleitet worden war. Am Mittag hatten die beiden etwas im Adlon gegessen, dann war man gemächlich durch die Innenstadt gezogen. Doch am Abend brüteten die beiden Männer wieder über ernste Dinge. Die Rede der Präsidentin hatte auch Hayes ein wenig überrascht, ebenso wie die harsche Opposition einiger Senatoren. Die Friedensfraktion war stärker, als die beiden Soldaten gedacht hatten. Hayes konnte diese Haltung noch nachvollziehen, denn er merkte selbst, wie sehr man vom Kriegsgeschehen daheim isoliert wurde. Murphy als Frontschwein hingegen konnte diese Ansichten nicht verstehen und er brachte auch wenig Toleranz für diese Meinungen auf. Nur sein eher ruhiges Temperament hatte ihn in der Innenstadt davon abgehalten, einen Friedensdemonstranten lauthals anzufahren. Sein grimmiger Blick hatte genügt, um den Mann auf die andere Straßenseite zu verscheuchen und auch Laura war in jenem Moment erschrocken gewesen.

„Also, Jack, ich habe mich umgehört. Die meisten Deiner alten Kameraden werden nach Miramar versetzt, von wo es wohl auf einen Träger, wahrscheinlich einen Flottenträger geht. Die Columbia ist da sicherlich ein heißer Tip. Was Dich angeht, so soll ich Dir einen Posten auf dem Mars anbieten. Wir brauchen händeringend Ausbilder, um Umschulungen durchzuführen und Rekruten schneller an die Front zu bringen.“ Bevor Murphy den Mund aufmachen konnte, wedelte Hayes mit der Hand und fuhrt fort.
„Aber ich habe gleich gesagt, dass das nicht der richtige Job für Dich wäre, auch wenn Du in der Tat als Ausbilder einen sehr guten Ruf genießt.“
„Komisch, ich war doch nicht lange auf dem Mars.“
„Richtig, aber die Zeit hat gereicht. Commodore Mueller strahlt jetzt noch wie ein Honigkuchenpferd, wenn man Deinen Namen nennt. Und Deine Arbeit bei der VF 2710 ist auch nicht unbeachtet geblieben.“
„Mueller ist Commodore?“
„Jup, den Mann haben sie kurz nach Deiner Versetzung befördert. Er ist jetzt auf dem Mars `nen hohes Tier.“
„Aber Du hast Recht, der Mars wäre jetzt nichts für mich.“
„Das Problem ist, dass man ansonsten nicht so recht weiß, was man mit Dir machen soll. Einige Leute scheinen ihren Einfluss geltend zu machen, um ihre Leute auf die Columbia zu bekommen.“
„Einige Leute? Sag mir nicht, Du weißt nicht, wer es ist.“
„Ich weiß es in der Tat nicht. Die Verstrickung innerhalb der Navy haben mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass die Intrigen am byzantinischen Hof wie einen Kindergeburtstag aussehen lassen. Die Aktivierung der Milizen macht die Sache noch haariger, jetzt haben wir Pensionäre, die teilweise einen hohen Rang, aber keine aktuelle Kampferfahrung haben. Verdammt, die meisten kennen die aktuellen Muster gar nicht mehr, sondern nur die alten Vorkriegsmaschinen. Du weißt doch selbst, wie viele Waffen- und Systemupdates Ihr bekommen habt.“
Murphy nickte und erinnerte sich schaudernd an die Erprobung der Hydras.
„Jedenfalls wird das Ganze ein Alptraum sondergleichen. Die Politiker haben wieder nur auf die Zahlen geschaut, ohne sich die praktischen Probleme vor Augen zu führen...andererseits muss ich zugegeben, dass wir Leute brauchen, dringend. Und das sind wahrscheinlich die Leute, die wir am schnellsten in die Maschinen bekommen.“
Murphy nickte wiederum und nippte am Wasser, dass er heute gewählt hatte.
„Jackson, vergiß nicht, wenn wir erfahrene Leute als Korsettstangen nehmen, sollte es zumindestens in den älteren Flugzeugmustern wie dem Griphen wenig Probleme geben. Jedenfalls, solange wir ein wenig Zeit zum Training haben. Ich frag mich nur, wie es bei den neueren Mustern werden soll.“
„Das ist der wunde Punkt. Wir werden sehen.“
Die Männer schwiegen eine Weile und schauten ins offene Feuer.
„Laura sagte, Du würdest uns morgen verlassen?“
„Ja, zumindestens für einige Tage. Ich habe ja recht lange Urlaub, wie es aussieht.“
„Stimmt, komm noch mal vorbei, bevor Du verschwindest.“
„Sicher, versprochen.“

Am nächsten Mittag verabschiedete sich Murphy von den Hayes` und stieg in einen Navydienstwagen, den Jackson ihm organisiert hatte. Dann fuhr er in Richtung Süden.

***

Lieutenant Shukova konnte derweil zum ersten Mal seit ihrem Ausstieg das Bett verlassen. In ihrem grünen Kittel lief sie in Schlappen über den Flur der Station. Die Krankenschwester beäugte sie misstrauisch, sagte aber nichts. Die Ärzte hatte nach langem Zetern nachgegeben, so dass sie endlich die Öde des Bettes verlassen konnte, solange sie sich schonte. Als erstes überprüfte sie am Comterminal, ob Nachrichten eingegangen waren – nahezu die gesamte Staffel hatte sich nach ihr erkundigt und ihr Genesungswünsche gesendet – und sandte dann eine kurze Nachricht an ihre Eltern. Diese wohnten in der Nähe von St.Petersburg auf dem Land. Als sie gerade das Terminal ausschalten wollte, kam der behandelnde Arzt zu ihr.
„Lieutenant.“
„Ja, Doc?“
„Sie werden verlegt. Es geht auf die Erde. Sie werden ins Zentralmilitärhospital in Moskau gebracht.“
„Wann?“
„Morgen.“
Ohne den Arzt weiter zu beachten, sandte Valeria eine weitere Botschaft an die Familie, und nach kurzem Nachdenken auch an ihre Kameraden. Dann ging sie, geschwächt von dem kurzen Ausflug, zurück in ihr Zimmer. Endlich nach Hause!

***

Am frühen Abend kam Murphy an seinem Bestimmungsort an. In Wien nahm er sich in einem günstigen Hotel ein Zimmer, dann machte er sich frisch und begab sich in ein kleines Restaurant, in welchem es augenscheinlich für einen guten Preis einheimische Küche gab. Zum Essen trank Murphy ein Glas Wasser. Als er das Lokal wieder verließ, regnete es draußen. Er zog den Kragen seines Mantels hoch und stapfte durch die Dämmerung, die sich langsam über die Stadt legte. Die relative Stille in den kleineren Gassen beruhigte ihn und als er an einer kleinen Gemeindekirche vorbeikam, betrat er diese kurzentschlossen für ein längeres Gebet. Die älteren Frauen, die sich in dem Gotteshaus aufhielten, sahen den uniformierten Mann – Murphy hatte noch immer keine Zeit und Lust gehabt, sich Zivilkleidung zu besorgen - mit Befremden an, doch Jack störte dies nicht sonderlich. Eine halbe Stunde lang versank er im Gebet, als er sich danach wieder umsah und aufstand, war niemand mehr in der Kirche zu sehen. Bedächtig verließt er das Gebäude und trat wieder auf die Straße. Langsam machte er sich auf den Rückweg zum Hotel. Die Leute auf der Straße hasteten an ihm vorbei und der Regen fiel ihm ins Gesicht. Murphy genoss dieses Gefühl der kühlen Nässe, es erinnerte ihn an Irland. Der Gedanke an die Heimat jedoch ließ ihn wieder schwermütig werden und so gab er ein nicht gar so prächtiges Bild ab, als er in die Hotellobby trat. Der Portier, der sich schon vorher über den Gast gewundert hatte – Militärs mit Dienstwagen stiegen normalerweise in anderen Hotels ab – sah den Soldaten irritiert und betreten an, nicht wissend, ob er ihn ansprechen sollte. Murphy nickte ihm nur zu und ging auf sein Zimmer. Dort angekommen, tätigte er zwei Anrufe, ein Ortsgespräch und ein Gespräch nach Irland.
Dann legte er sich schlafen.



Geschrieben von Tyr Svenson am 16.11.2015 um 10:13:

 

Irgend jemand packte Kano an der Schulter, hielt ihm gleichzeitig den Mund zu.
Schlagartig war er alarmiert, vom Schlaf sofort zum Wachsein wechselnd. Reflexartig ballte er die Faust, riß sie hoch, um dem Angriff zu begegnen. Dann entspannte er sich etwas – es war Kali, die jetzt seinen Mund frei gab. Kanos Stimme war nur ein Flüstern: „Was ist, Helen?“
„Leise! Irgendwas ist unterwegs. Etwas großes! Vielleicht... .“

Während er Kali nach draußen folgte, fragte sich Kano zum ersten Mal, ob die Idee mit dem Ausflug nicht eine Dummheit war, die sie besser unterlassen hätten. Die Sache hatte sehr harmlos angefangen. Einer von Huntress „Zaungästen“ hatte sich ihr gegenüber als Angestellter des Chandrapur–Naturparks vorgestellt. Wohl um sie zu beeindrucken und mit eindeutigen Hintergedanken und Absichten hatte er sie zu einem Kurzurlaub im Schutzgebiet eingeladen. Huntress war durchaus interessiert gewesen. Was aber Amit Kapur, so der Name ihres Verehrers, nicht erwartet hatte, Huntress hatte die Einladung auf die anderen Piloten ausgedehnt. Als Entschädigung der Hoffnungen Amits hatten Demolisher, Kali und Kano sich allerdings an den Kosten beteiligt.
Als sie zu Fuß an einem unbewachten Tor den Park betraten, war Kano allerdings der Verdacht gekommen, daß die Sache vielleicht nicht völlig legal sei. Aber er hatte diese Gedanken unterdrückt. Auf jeden Fall hatte Amit die nötige Ausrüstung gestellt. Einschließlich eines Vier-Mann-Kuppelzeltes. Demolisher hatte einige Vermutungen darüber angestellt, warum denn ein Vierer-Zelt zur Ausrüstung gehört hatte, wenn ursprünglich nur Amit und Huntress die Tour machen sollten.
Die nächsten Tage waren wirklich einmalig gewesen. Geführt von Amit waren sie den Patrouillerouten der Parksicherheit gefolgt, hatten in Rangerhütten übernachtet. Die Tiervielfalt war beeindruckend – vor allem wenn man, wie Kano, aus einem hochtechnisierten Land wie Japan kam.
Hirsche, Büffel, Affen, einmal sogar eine kleine Elefantenherde, die sich ihren Weg durch den Urwald brach, hatten die Zeit unvergeßlich gemacht.

Am letzten Tag hatten sie es nicht mehr geschafft, die Rangerhütte zu erreichen und deshalb im Urwald das Lager aufgeschlagen. Auch davon verstand Amit natürlich mehr als die Piloten. Allerdings hatte sich ein kleines Problem ergeben. Kali, Huntress, Amit und Kano paßten problemlos in das große Zelt. Für Demolisher war aber der Platz nicht ausreichend. Hochgewachsen und breitschultrig wie er war, war Demolisher einfach zu groß. Deshalb hatte er draußen sein Nachtlager aufgeschlagen, ein paar Schritte neben dem Zelt, vor den Mücken geschützt durch den Spezialschlafsack ,mit integriertem Moskitonetz.
Jetzt allerdings fragte sich Kano, ob sie nicht ein zu großes Risiko eingegangen waren. Denn der Chandrapur–Nationalpark hatte in den Reiseprospekten einen ganz besonderen Namen:
‚Tigerland‘...

Draußen umgab Kano die „laute Stille“ der Tropennacht: das Knarren des Holzes, das Zirpen und dumpfe Summen nachtaktiver Insekten. Irgendwo in der Ferne ertönte der Warnruf eines Axishirsches – jedenfalls hatte ihr Führer den Laut so erklärt. Aber sonst – nichts.
„Was hast du genau gesehen?“
Kali wandte den Kopf zu ihm um: „Nichts Genaues... Eine Bewegung, aber das war kein Hirsch.“
Aber so sehr Kano auch in die von Mond- und Sternenlicht nur schwach aufgehellte Nacht starrte, er konnte nichts erkennen. Neben dem Zelt schien Demolisher immer noch ruhig und fest zu schlafen. ‚Hat sie sich nur getäuscht?‘
„Du bist dir ganz sicher, das da etwas war?“
Kali stieß einen unterdrückten Laut aus, fast ein wütendes Knurren. Ihre Stimme war verärgert, blieb aber leise: „Hältst du mich für verrückt? Wenn ich dir sage, da war etwas...“
Kano war sich immer noch nicht ganz sicher, dennoch: „Schon gut, ich wecke Amit. Der weiß am besten, was zu tun ist.“ Kali murmelte irgend etwas Ärgerliches, ohne aber den nahen Rand des Urwalds aus den Augen zu lassen. Kano beugte sich in den Zelteingang. Offenbar hatte der Angehörige der Parkranger einen leichten Schlaf: er war schon wach, halb erhoben sah er Kano fragend an. Auch Huntress hatte die Unruhe im Zelt offenbar geweckt. Sie grinste Kano an: „Na was ist, ihr Turteltauben – kleinen Mondspaziergang gemacht?“
Kano kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Denn von einer Sekunde zur anderen, hatte ein kalter Schauder seinen Nacken gepackt. Kali hatte recht gehabt. Da draußen war etwas – und es beobachte ihn, genau jetzt. Plötzlich leuchtete in Huntress Hand eine Taschenlampe auf, beleuchtete das erbleichte Gesicht des Rangers.
„Was ist los?“

Bei Huntress lauten Worten zuckte Kano zusammen. Mit einmal wurde ihm bewußt, daß draußen jedes Geräusch verstummt war, kein Tierlaut mehr an sein Ohr drang. Kalis Stimme, nur ein Hauchen klang unnatürlich laut in der Totenstille: „Kano, verdammt...“
Amit zuckte zusammen, bückte sich, riß mit fliegenden Händen das alte Nachtsichtgerät und die geräuscharme Präzisionswaffe, die zur Standartausrüstung der Parkranger gehörte, an sich: „Kein Laut...“ Seine Stimme war leise aber scharf, fast zischend.
Und dann durchschnitt ein anderer Laut die Stille. Ein dumpfes Grollen: „Pfrrrrrrr...“
Amit stieß Kano fast beiseite, die Waffe im Anschlag, den Kopf suchend hin und her drehend, den Waffenlauf seinen Blicken folgen lassend. Leise, unterdrückt, fluchte er.
Auch Huntress war jetzt endgültig wach, die Situation erfassend. Ihre aufgerissenen Augen verrieten ihre inneren Angst, ihre leise Stimme sich überschlagend: „Was siehst du, Amit?“
Der riß sich das Nachtsichtgerät vom Gesicht: „Nichts, verdammtes Gerät!“
Fast unwillkürlich hatten Kanos Hände nach dem Überlebensmesser gegriffen, daß jeder von ihnen trug. Das Messer hatte eine schwere, an zwanzig Zentimeter lange Klinge. Aber jetzt...
Kano kämpfte mit einer irrationalen, aus Panik gespeisten Heiterkeit. Sie hatten die größte Raumschlacht seit Manticore überlebt, gegen einen haushoch überlegenen Feind – um jetzt der Gnade eines Raubtiers ausgeliefert zu sein.

Plopp – Plopp
Amit hatte geschossen. Schnell, fast unwillkürlich. Die Schüsse waren kaum lauter, als das Knacken eines zerbrechenden Astes. Die Reaktion erfolgte prompt – aber nicht die, auf die der Ranger gehofft hatte:
Ein lautes Rascheln und Prasseln zeigte, wo ein schwerer Körper durch das Unterholz brach. An Kano vorbei, der das Messer in sinnloser Abwehrbereitschaft erhoben hatte, jeden Augenblick mit dem Angriff rechnend, rammte Huntress dem Ranger die Faust in die Seite: „Wo haben sie euch Schießen gelehrt?! Hör auf, du Idiot, du machst ihn nur wütend!“
Amit antwortete nicht, schoß aber auch nicht noch einmal. Ohne sich zu rühren, atemlos, hörten sie, wie der Tiger wütend raunzend das Unterlaub verwüstete, dann ebenso abrupt verstummte, wie er begonnen hatte. Und das war fast noch schlimmer, als der Lärm vorher. Wie Ewigkeiten verrannen die Sekunden in angespanntem Lauschen...

Die Morgensonne schien auf vier übernächtigte, mit ihren Nerven am Ende befindliche Menschen, denen der Dschungel ein für allemal klar gemacht hatte, daß sie hier Fremdlinge waren, die ebenso rasch Beute sein konnten. Und daß es immer noch Raubtiere gab, die dem Menschen über waren.

Demolisher hatte von der ganzen Aufregung nichts mitbekommen. So weit er sich erinnern konnte, hatte er ruhig und tief geschlafen. Nur einmal hatte er gefühlt, wie einer seiner Kameraden wohl beim Verlassen des Zeltes gegen seinen Schlafsack gestoßen war. Deshalb wurde er mißtrauisch, als am Morgen erst Huntress und dann Amit sich erkundigten, wie er denn geschlafen hätte. Als dann Kali als dritte ankam und Kano mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck zu ihm herübersah, hielt es der Pilot nicht mehr aus: „Was zum Teufel ist denn los?! Wenn das ein Witz sein soll, dann würd‘ ich gerne mitlachen!“
Kali sah ihn ein paar Augenblick an – dann deutete sie wortlos auf den Erdboden. Kaum einen halben Meter vom Kopfende seines Schlafsacks entfernt hatten sich die Abdrücke riesiger Pfoten tief in den Boden geprägt...


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