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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
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Dabei seit: 01.05.2002
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Themenstarter Thema begonnen von Ace Kaiser
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***
Der Pulk aus kaiserlichen Knights und gryanisch-republikanischen Rüster tauchte in die Exosphäre ein. Damit waren sie noch zehn Minuten vom Boden entfernt. Wenn Charles Monterney daran dachte, dass man vor der stellaren Expansion planetare Landungen erst nach mehreren Erdumkreisungen und dann nur auf vorgezeichneten, spiraligen Kursen gewagt hatte, fühlte er eine tiefe Dankbarkeit für die moderne Technologie. Heutzutage erfolgte eine Landung meist schneller als ein Start. Zugegeben, heutzutage musste eine raumtaugliche Maschine, egal ob Kampfroboter oder Raumschiff, auch keinen Treibstoff bunkern, um den Treibstoff befördern zu können, der den Treibstoff befördern sollte, der das Schiff bis in den Orbit brachte. Einfältige Narren, seine terranischen Vorfahren. Die einfachsten Lösungen hatten sie selten gesehen. Allerdings waren sie beharrlich gewesen, und genau deshalb befand er sich jetzt hier im Anflug auf eine Welt, die achthundert Lichtjahre von Terra entfernt war. Und das war in einer Galaxis, in der Menschen bereits in den Magellanschen Wolken lebten, wirklich nur eine minimale Distanz.
Er schnaubte leise. Zeit, wieder seinen Job zu tun.

"Schrader, sind Sie wieder obenauf?", fragte Charles mit belegter Stimme.
"Im Krieg fallen Soldaten, Sir", erwiderte der Offizier mit gepresster Stimme. "Ich konzentriere mich darauf, die anderen am Leben zu erhalten."
"Gute Antwort. Holokarte, Einsatzgebiet."
"Ja, Sir." Sowohl bei Monterney als auch im Knight von Major Schrader erwachte das Gefechtshologramm zum Leben. "Der Bunker mit Präsidentin Klages und ihrem Stab befindet sich unter dieser Militäranlage. Es ist eine Festung mit eigener Luftabwehr. Vielleicht einer der Gründe, warum die Reppies erst den Raumhafen genommen haben, der keine Raumverteidigung hat. Das verschafft uns einen Vorteil, solange die Miliz nicht auf uns schießt."
"Das wäre natürlich fatal, Sir", erwiderte Schrader.
"Das bedeutet einen Anmarschweg von vierzig Kilometern für den Gegner. Ein kommerzieller Frachthafen bedeutet für sie einen Geschwindigkeitsvorteil beim schnellen Entladen und bei der Herstellung der Abmarschbereitschaft ihrer regulären Truppen, allerdings bindet es auch ihre Lander auf dem Hafen selbst und macht sie angreifbar. Wie Sie sehen nehmen ein Teil der Truppen den direkten Weg und schneiden die Hauptstadt, während die schnelleren Panzerverbände und ein Teil der Rüster direkt auf die Militäranlage zu fliegen."
"Verständlich, Sir. Sie versuchen einen Teil der Stadt zu sichern, um entweder Einheiten aufzudecken, die sie aus der Deckung der Stadt angreifen können, oder um Stellungen zu errichten, mit denen sie zukünftige Angriffe aus der Stadt noch auf den Straßen abfangen können."
"Und der Rest steuert mitten auf den Sperrriegel der Miliz zu, der genau aus diesem Grund aufgezogen wurde." Monterney grinste. "Preisfrage: Was ist das Wichtigste für eine Militäroperation auf einem fremden Planeten, bei einer waghalsigen Landungsaktion mitten im Feindgebiet?"
"Geschwindigkeit, Sir."
"Nicht ganz richtig. Die Lander. Sie wissen nicht wie lange sie bleiben können, bevor Verstärkung eintrifft. Sie brauchen ihre verdammten Lander, um wieder in den Orbit zu krauchen und zu ihren Schiffen zurück zu kehren, damit sie jeder angreifenden MIlitärmacht ausweichen können. Ich könnte mir vorstellen, dass die Reppies bereits verunsichert sind, weil ihre Schiffe den stationären Orbit verlassen haben und sich nun vier kaiserliche Schiffe über ihnen befinden. Aber die Tatsache, dass weitere Schiffe auf dem Weg hierher sind, dazu vielleicht eine unbekannte Anzahl von Milizschiffen aus angrenzenden Systemen, könnte schon ein wenig Panik auslösen. Mit einem Lander kann man notfalls ein ganzes Sonnensystem durchqueren, sich auf jedem beliebigen Punkt im System von einem befreundeten Schiff aufnehmen lassen. Notfalls. Aber ohne Lander?"
"Ich denke, ich verstehe, Sir. Da wir ihnen im Nacken sitzen werden sie alles tun um ihren Auftrag so schnell wie möglich zu erledigen und die Verteidigung der Lander wird bestenfalls rudimentär sein. Andererseits werden sie die Verteidigung sofort verstärken, sobald diese angegriffen werden."
"Gut mitgedacht", lobte Charles. "Also, beschädigen Sie mir ein paar Lander und locken Sie so viele Feindeinheiten zu deren Schutz zurück wie Sie können, Schrader. Zerstören Sie ruhig einen, aber nicht mehr. Wir wollen sie auseinander ziehen, nicht dazu zwingen, sich in der Hauptstadt einzuigeln, bis Entsatz kommt. Dort sind sie immer noch nahe genug um unsere Operation zu stören."
"Ein Luftangriff? Werden sie darauf nicht vorbereitet sein?", wandte der Major ein.
"Werden sie das, solange ihre Fregatten, Zerstörer und Korvetten die Lufthoheit hatten? Sicherlich nicht."
"Kriege ich Rüster mit?"
"Daisy, wie sieht es aus?"
"Reichen Ihnen fünf Maschinen, Major Schrader?"
"Fünf sind mehr als ausreichend, Ma´am."
"Dann haben Sie fünf Rüster. Viel Glück, und lenken Sie uns diese Bastarde gut ab."
"Jawohl, Commander."
"Dann go!"
Fünf Rüster und vierzig Knights trennten sich leicht von der Formation, als sie in die Ionosphäre eintauchten. Die Entfernung war minimal, doch wenn sie am Boden ankamen würden daraus fast achtzig Kilometer geworden sein.

Sherwood lag vor ihnen, in kostbaren Jade- und Topas-Tönen, flog ihnen entgegen, halb verschleiert unter federweißen Wolken. Ihr Ziel lag auf der Südhalbkugel, relativ weit zum hiesigen Pol gelegen. Charles musste lächeln. In der Prästellaren Zeit wäre ein Anflug an einen solchen Ort aus dem Orbit auch unmöglich gewesen. Sie hätten zuerst in Äquatornähe eintauchen und dann innerhalb der Atmosphäre herüber fliegen können, was sie viele Stunden Flugzeit gekostet hätte. Er liebte es wirklich, in modernen Zeiten zu leben.
"Charles, hören Sie mich?"
"Nicht nur hören, ich kann Sie sogar sehen, Cecilia. Sie befinden sich mit Ihren Landern ungefähr zweihundert Kilometer hinter uns. Wünschen Sie Eskorte für den Abstieg?"
"Negativ, Charly. Die Fregatten übernehmen unsere Deckung. Aber eine schöne, gesicherte Landezone wäre nicht schlecht. Ich brauche mindestens zwanzig Minuten, um meine Infanterie und die Panzer raus zu bringen und zur Auffangstellung der Miliz zu schaffen. Unsere Lander sind auf Infanterie ausgelegt, nicht auf Panzereinheiten. Das macht das ent- und beladen etwas schwierig."
Charles grinste leicht. "Ich würde mir schon einen verstärkten Schutzriegel wünschen, an dem sich die Reppies die Zähne ausbeißen. Zwanzig Minuten? Ich werde Ihnen vierzig meiner Leute mitgeben und mit dem Rest zwischen Miliz und Militäranlage niedergehen. Ab da können wir sehen, wo wir am effektivsten beißen können."
"Wenn Sie die Militäranlage mit vierzig Knights halten wollen, wie wäre es dann mit ein wenig Verstärkung für Ihre Fronttruppe?", klang eine weitere Frauenstimme auf.
"Major Russel! Fühlen Sie und Ihre Leute sich eingeladen, uns zu begleiten und zu tun und zu lassen was immer Sie wollen."
"Danke. Gerne doch."
Der Oberst nickte grimmig. "Gouverneur at-Sherwood, können Sie mich hören?"
"Laut und deutlich, Oberst Monterney. Darf ich vorschlagen, dass Sie sich etwas beeilen? Meine Miliz hat wenig Kampferfahrung, und unsere alte Festung wurde bereits mehrfach von den Angreifern beschossen. Ich weiß nicht wie lange die Offiziere ihre Truppen noch beisammen halten können, und herausfinden will ich es erst recht nicht. Schon gar nicht aus erster Hand. Arlings Männer und Frauen an ihrer Seite dürften meinen Leuten jedoch den Motivationsschub geben, der sie durchhalten lässt." Die Stimme des Gouverneurs versagte. Er räusperte sich mehrfach, bevor er mit rauer Stimme wieder zu sprechen begann. "Immerhin werden wir alle hier bleiben und der Navy ausgeliefert sein."
Mist, da war ja noch was. "Keine Sorge. Wenn es uns gelingt, die Klages-Regierung in das Herculeanum zu schaffen, dann wird sie von dort Recht und Ordnung aufrecht erhalten. Der Militärputsch wird kollabieren, und den möchte ich dann sehen, der die Miliz einer Welt anklagen will, die auf der Siegerseite steht."
"Wenn es Ihnen gelingt", erwiderte der Gouverneur gepresst.
"Habe ich wenn gesagt? Ich meinte nachdem", erwiderte Charles fest. Sein Knight ruckte leicht an, als er die Mesosphäre verließ, um die Ozonschicht zu durchschlagen.
"Außerdem werden wir nicht genügend Truppen übrig lassen, die der Miliz gefährlich werden können." Charles fühlte, wie eine tiefe innere Zuversicht in ihm aufstieg. "Wir haben sechs Ninjas dabei."
"Ninjas? Ich dachte, das ist nur eine moderne Legende", erwiderte der Gouverneur.
"Überzeugen Sie sich selbst, warum sie eine Legende sind", schloss Charles. "Touchdown in fünf Minuten. Sagen Sie Ihren Leuten Bescheid, nicht auf die vielen Feuerbälle zu schießen, die gerade vom Himmel fallen."
"Meinen ja", erwiderte at-Sherwood. "Ich sehe Sie unten, Oberst."
Die Verbindung deaktivierte sich. Grimmig sah Charles auf den stetig abnehmenden Wert auf der Höhenanzeige. Wenn er das hier überlebte, wenn er den ganzen Feldzug überlebte, dann würde er gewiss ganzen Generationen von Enkeln und Urenkeln eine Menge zu erzählen haben.
***
Die Landeoperation hatte begonnen. Die ersten Informationen über den Anflug der Knights und Rüster waren erfolgversprechend, die Landeprognosen der Bodentruppen ließen Optimismus aufkommen. Nun kam es vor allem darauf an wie zügig die Evakuierung vollzogen werden konnte, wie gut sie die Rückzugsroute vom Gegner frei halten konnten. Mit ein wenig Glück würde die HOUSTON nicht einen Schuss abfeuern müssen. Mit Pech aber würden die schnelleren Einheiten nicht nur mit Höchstfahrt angreifen, sondern Arlings Flotte auch noch bis ins Herculeanum verfolgen.
Coryn Griffin schnaubte frustriert. Man musste wohl bei der Farce der Large Fleet im Stabiae-System dabei gewesen sein, um zu erkennen, dass die Flottenführung nicht länger im Sinne der Demokratie und ihrer gewählten Führung agierte. Alle anderen schienen hoffnungslos der Befehlskette hörig zu sein, und damit Sourakis und Starway zu gehorchen. Coryn machte sich da keine Hoffnungen: Hätte Starway alleine die Zügel in der Hand, wäre ihm Sourakis als Admiral of the Fleets längst in den Arm gefallen. Wäre Sourakis die Rädelsführerin, hätte Starway als Chief Inspector mit seiner Macht und seinem beträchtlichen Einfluss längst reagiert. Die Geschichte, dass der Bombardierungsbefehl von Admiral Goldmans Anwesen auf Anweisung des Vize-Präsidenten erfolgt sei, glaubte Griffin nicht eine Sekunde, denn die Regierung hatte keinen Nutzen davon, wenn der vermeintliche Drahtzieher der Stabiae-Annexion tot war. Nützlich war dies vor allem jenen, die tatsächlich hinter dieser zugegeben ziemlich geschickt eingefädelten Operation standen. Und egal wie weit oder wie wenig Goldman involviert gewesen war, Coryn würde all jenen die seinen Tod zum Vorwand nahmen um ihren eigenen Vorteil zu suchen beweisen, dass für manche von ihnen der Eid auf die Republik und die Verfassung nicht nur Makulatur war, die sie jederzeit beiseite schieben konnten, wenn es erforderlich war. Manche waren durch ihre Eide tatsächlich gebunden. So wie er.
"Commodore, wir empfangen ein C to C von der ANCHORAGE", meldete Captain Stiles.
"Captain to Captain? Die ANCHORAGE... Da will gerade nichts bei mir klingeln."
Stiles nickte geflissentlich. "Ein Zerstörer, Dunuesque-Klasse. 5.Flotte unter Ribauld, Sir. Sollte eigentlich an der katalaunischen Grenze stehen und Eridani Septus verteidigen."
"Der Skipper?"
"Amanda Martinez, Rang Captain. Hat die ANCHORAGE vor zwei Jahren zusammen mit der Beförderung übernommen." Stiles hüstelte verlegen. "Wir waren zusammen auf der Akademie."
"Ah. Gut, Verbindung auf den großen Schirm."
Das Hauptbild wechselte und zeigte das Gesicht einer hochgeschossenen blonden Frau mit dunklem Teint. Die fast schwarzen Augenbrauen verrieten sie als Vertreterin der Wenn die Natur es nicht alleine schafft, färbe ich eben-Fraktion, und das schmale, asketische Gesicht identifizierte sie als harte Arbeiterin. Die dunklen Augen, die wie schwarze Löcher jedes Detail der Zentrale der HOUSTON in sich aufzusaugen schienen, komplettierten den ersten Eindruck einer zwar nicht hübschen, aber doch auf ihre eigene Art attraktiven Frau mit enormer Persönlichkeit.
"Hallo, Lydia. Commodore Griffin, guten Morgen."
Coryn erhob sich. "Guten Morgen, Captain Martinez. Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Anrufs? Wie ich sehe, ist die ANCHORAGE noch über zwei Stunden von uns entfernt."
Sie verzog ihre Miene zu einem spöttischen Lächeln. "Anscheinend genug Zeit, um Ihnen in die Suppe zu spucken, Commodore. Entweder um Ihre Flotte abzufangen, oder um ihr zu folgen."
"Oh, fühlen Sie sich eingeladen, beides zu versuchen. Sie werden feststellen, dass wir sehr kräftige Zähne und eine hohe Motivation haben", erwiderte Coryn ärgerlich. Er hasste Drohungen, unverholene wie versteckte.
"Und Teufel auch, ich werde es!", rief Martinez wütend und schlug mit ihrer rechten Hand auf die Armlehne ihre Sitzes. "Das bin ich Juri schuldig."
Interessiert hob Griffin die Augenbrauen. "Sie meinen Admiral of Sector Juri Goldman?"
"Den toten Admiral of Sector Juri Goldman", korrigierte sie. "Den toten, verratenen und ermordeten Admiral of Sector Juri Goldman." Ihr strenger Blick ging über die Crew der Zentrale, blieb sehr lange an Stiles hängen und heftete sich dann an Griffin. "Wer sind Sie, junger Mann? Wer zum Teufel sind Sie?"
"Commodore Coryn Griffin, ehemals Achte Flotte, nun im direkten Auftrag von Admiral of Sector Juri Goldman unterwegs", erwiderte Griffin mit unbewegter Miene.
Martinez wurde kreidebleich. Für einen Moment befürchtete Griffin, die Frau würde kollabieren, aber schnell schoss das Blut wieder in die Wangen und ihre Augenbrauen schoben sich vor Ärger zusammen. "Sie berufen sich auf Goldman, während Sie ihn gleichzeitig verraten?"
"Mäßigen Sie Ihren Ton, Martinez!", erwiderte Griffin barsch. "Ich bin mit Recht und Diplom ranghöher als Sie!"
"Und Sie sind gerade dabei, diese Schlange Klages zu verteidigen, die..."
"Sie meinen die rechtmäßige Oberfehlshaberin von Heer und Navy, Präsidentin Rhyann Klages?", fragte er ungerührt.
Der Hieb hatte gesessen. Für einen Moment japste die Kapitänin der ANCHORAGE nach Luft. "Die Frau, aus dessen Büro der Befehl kam, ausgerechnet Juri Goldman abschlachten zu lassen", vollendete sie grollend ihren Satz.
"Du musst verstehen, Coryn, sie ist eine Goldman", sagte Captain Stiles ernst. "So wie ich eine bin."
"Entschuldige, Lydia, aber ich komme nicht ganz hinterher. Goldman hat zwar persönlich meine Versetzung in seinen Sektor bewirkt... Aber er kann doch nicht mit euch beiden verwandt sein, oder? Solche Zufälle gibt es doch nur in schlechten Romanen."
"Nein, nein. Es ist keine Verwandtschaft. Es ist eher eine Art Schule. Die Schule seiner Offiziere und Kapitäne. Admiral Goldman ist... War unser großes Vorbild. Unsere Leitfigur und unser Richtungsgeber. Viele Junioroffiziere eifern ihm nach. Er ist nicht nur eine Legende für uns, er ist beinahe Stifter eines Ordens, der seinen Namen tragen würde, wenn er es denn zugelassen hätte."
Griffin ließ ein kurzes Lächeln über seine Züge gleiten. "Ein schönes Vorbild, das höchstwahrscheinlich die illegale Annexion des Europa-Pakts mit seinen Sektor-Truppen geplant und durchgeführt hat. Und daran gescheitert ist."
Dies erregte, wie er erwartet hatte, den Zorn der großen Frau auf dem Bildschirm. "Und diese Worte kommen von einem Mann, der freiwillig eine herkuleanische Uniform trägt und das Vertrauen des Admirals so schändlich missbraucht hat, indem er ein Feind geworden ist?"
"Nicht ein Feind. Aber das Gestalt gewordene Gewissen des Admirals."
"Das Gestalt gewordene Gewissen? Sehen Sie sich doch an! In Ihren dämlichen blauen Hausuniformen eines untergegangenen Großreichs mit den Abzeichen einer idiotischen Hausgarde, die sich als Söldner durch die Galaxis schlägt, unfähig den großen Fuchs Arling auch nur anzukratzen, sich aber ihm andienen! Sie, Sir, sind der größte Fehler des Admirals! Und du, Lydia, hast mich sehr enttäuscht. Wenn nicht schon vorher, dann jetzt, während du hilfst, den Mörder des Admirals zu retten!"
"Sie, Ma´am, haben kein Recht, über meine Uniform oder die meiner Leute zu schimpfen! Die Gryanen sind ebenso wie die Perseii als auch die Phillippii Einheiten von anerkannter Würde, Ziel großer Hochachtung und Verfechter der Terranischen Erklärung par excellence. Sie, ihren Stolz und ihren Wert in Frage zu stellen ist eine Frechheit für die der Admiral Sie schwer getadelt hätte, Amanda!"
"Sie sind kein echter Gryane!", fauchte sie. "Und nennen Sie mich nicht bei meinem Vornamen!"
"Doch, wir sind echte Gryanen. Kennen Sie die alte Legende von der Erde, eine christliche Legende, die zu einer Heiligsprechung führte? Eine junge Prinzessin wollte dem Volk helfen, das in Not war und brachte jeden Abend heimlich Brot in ihrem Rockschoß in die Straßen und wurde dafür sehr verehrt. Ihr Gatte aber untersagte ihr diese Barmherzigkeit, und eines Abends lauerte er ihr auf. Er fragte sie, was sie denn bei sich trüge, und die Prinzessin erwiderte: Rosen. Da befahl der Gatte ihr, ihm die Rosen zu zeigen. Und als sie ihm das Brot zeigen wollte, war es tatsächlich zu Rosen geworden. Elisabeth von Thüringen hieß die junge Frau, und obwohl sie an dem Abend kein Brot verteilen konnte, wurde sie doch umso mehr geliebt.
Wir waren keine Gryanen, als wir starteten. Wir waren keine Gryanen, als wir uns Graf Arling angedient haben. Aber wir wurden es, Schritt für Schritt, mit unserer Wut, unserer Kampfkraft, unseren starken Herzen und unserer Entscheidung für die Schwächeren einzustehen. Als wir schließlich auf die Phillippii und die Perseii trafen, waren wir bereits so sehr Gryanen geworden, dass ihre beiden Admiräle uns im Namen der Gryanen zu Mitgliedern ernannten. So wurde auch aus diesem Brot Rosen."
"Was für eine poetische Geschichte. Kaschieren Sie damit Ihren Verrat am Admiral? Ihre Desertion aus der Navy? Oder den Betrug an Ihrem Gönner und Förderer?"
"Oh, ich habe den Admiral nicht verraten und gewiss nicht betrogen. Und ich bin auch nicht zum Verräter geworden. Im Gegenteil. Alles was ich tue, geschieht auf Befehl von Admiral of Sector Juri Goldman. Und ich bin mir sehr sicher, dass ich genau die Richtung nehme, die er mir vorgegeben hat." Sein Blick wurde hart. "Wobei ich mir auch sehr sicher bin ist, dass der Admiral sehr wohl wusste was im Bezug auf den Europa-Pakt geplant war und welche Rolle die diversen Flotten, angefangen bei der Large Fleet und der 18. spielen sollten. Und ja, ich glaube fest daran, dass er mich anstatt seines Gewissens an Arlings Seite platziert hat. Aber ich glaube nicht, dass ausgerechnet Jules Cranston den Befehl gegeben haben soll, ihn mit Hilfe eines Orbitalbombardements zu töten. Welcher Schiffskapitän würde schon auf einen Mann hören, der noch nicht einmal in der Flotte gedient hat? Aus welchem Grund auch? Die Präsidentin ist Oberbefehlshaberin der Armeen, nicht ihr Vize. Jedenfalls nicht, solange sie entscheidungsfähig ist. Und glauben Sie mir, Amanda, Cranston hat keine Lobby aus Flottenoffizieren, die ihm einen so verdammt großen Gefallen schulden wie es das Orbitalbombardement eines republikanischen Planeten erfordert."
"Was wollen Sie damit sagen?", fragte Martinez mit zusammen gekniffenen Augen.
"Dass Sie eine Idiotin sind!"
Aufgebracht japste sie nach Luft, aber Griffin ließ ihr keine Zeit, Atem zu schöpfen. "Cranston hat gewiss kein anderes Interesse am Admiral, als diese abgeschmetterte Invasion aufzuklären, aber gewisse Leute haben ein Interesse daran, den Mitwisser Goldman auszuschalten und die Präsidentin davon abzuhalten, seinen Tod genauer zu untersuchen. Ihren designierten Nachfolger unter Druck zu setzen, ihre gesamte politische Arbeit auf den Müllhaufen zu werfen, erscheint mir da eine gute Idee. Aber es läuft nicht alles so, wie die Verschwörer es sich ausgesucht haben. Präsidentin Klages spielt nicht so mit wie sie gedacht haben, und auch Admiral Goldman spielt nicht so wie sie es wollten. Er hat seinen Gegnern noch einen sehr netten Abschiedsgruß hinterlassen. Nämlich mich."
"Wie meinen Sie das? Hat er sie zu seinem Nachfolger ernannt?", fragte Martinez irritiert.
"Oh, viel mehr als das." Griffin sah mit einem warmen Lächeln zur Seite, wo Capitaine Cochraine saß. "Bitte."
Die Geheimdienstoffizierin langte in ihre Jacke und zog eine offizielle Depesche hervor. "Dies ist ein direkter Befehl aus Admiral Juri Goldmans Büro. Er sollte mir übergeben werden, wenn ich Gefahr laufe, eine Entscheidung zu treffen, die sich gegen die Interessen der Republik richten. Oder gegen mein eigenes Gewissen. Oder gegen beides. Oder falls ein Ereignis eintritt, das niemand erwarten konnte. Admiral Goldman hat so weit voraus gesehen."
Ungläubig starrte Martinez den Commodore an. "Was...", fragte sie mit heiserer Stimme, "...was hat er Ihnen befohlen, Griffin?"
"Commodore." "Commodore", wiederholte sie mechanisch, während ihre Blicke den offiziellen Umschlag durchdringen zu wollen schienen, um ihn selbst lesen zu können.
Griffin hielt ihn hoch in die Aufnahmeoptik. "Verifizieren Sie das Siegel."
Martinez sah für eine Sekunde beiseite, flüsterte mit ihrem Ersten Offizier. "Siegel bestätigt. Der Befehl ist echt."
"Dann lese ich Ihnen jetzt den Befehl vor. Von: Juri Goldman, Admiral of Sector. An: Commodore Coryn Griffin, unterwegs im Sonderauftrag der Republik.
Commodore Griffin, Coryn, mein Junge, wenn die Zeit kommt, tue was immer du willst.
Gezeichnet mit Admiral of Sector, Juri Goldman, gesiegelt, elektronisch und mechanisch am achtzehnten vierten dieses Jahres."
Griffin faltete die Depesche wieder ein und gab sie zur Aufbewahrung an Capitaine Cochraine zurück.
Die Lippen von Martinez bebten vor Aufregung. "Wissen Sie, was Sie da haben, Herrgottnochmal?"
"Die Erlaubnis zu agieren wie immer ich es für nötig erachte, besiegelt und bestätigt von Admiral Goldman."
"Nein, verdammt! Sie haben einen Blanko-Befehl erhalten! Sie können ALLES machen, was die Macht des Sektorenadmirals gestattet!" Sie blinzelte verwirrt und unterdrückte ein Auflachen. "Falls Sie jemanden finden, der dieser Macht gehorcht."
Griffin lachte abgehackt auf. "Dann übernehme ich doch hiermit Admiral Goldmans Amt als Admiral of Sector über den gesamten Katalaun-Diadochen-Quadranten." Mit einem amüsierten Schnauben schüttelte er den Kopf. "Stellen Sie es sich etwa so verdammt einfach vor, Martinez?"
"Amanda. Bitte, nennen Sie mich Amanda, Admiral."
"Admiral? Coryns Augen weiteten sich bedenklich. "Sie glauben doch nicht wirklich an diesen Blanko-Befehl?"
"Admiral", mischte sich Captain Stiles ein, "haben Sie Befehle an die Sektorenflotte?"
"Lydia, bitte, das Thema ist wohl etwas zu ernst, um..."
"Admiral of Sector Griffin, ich wage zu behaupten, dass alle Goldmans in der Flotte diesen Blanko-Befehl als gültig betrachten. Wie lauten Ihre Befehle?"
Erstaunt sah Griffin dabei zu, wie sich die Offiziere und Mannschaften in der Zentrale der ANCHORAGE erhoben und salutierten. Nach und nach erhoben sich auch die Männer und Frauen in seiner Zentrale und salutierten vor ihm.
"Admiral!" Der Bildschirm teilte sich und zeigte einen großen, kantigen Mann mit verwegenem Lächeln. "Colonel Robert Woodruff von 1. Blackwatch Regiment, namentlich an Bord der ANCHORAGE mit den Schwadronen eins bis vier an Bord, also fast einem vollen Bataillon. Ihre Befehle, Sir?"
"Das ist nicht euer Ernst!", stieß Griffin ungläubig hervor. "Herrschaften, dies ist kein Rollenspiel, und ich habe auch keine Fee gesehen, die mir drei Wünsche erfüllen wollte!"
"Sir, Sie sind Juri Goldmans Protégé! Sie haben selbst gesagt, er hat Sie als sein Gewissen Arling mitgeschickt. Vielleicht konnte er die Invasion des Europa-Pakts nicht stoppen, aber er hat dafür gesorgt, dass Sie es können. Und, auch wenn es nicht so auf Sie gewirkt haben mag, die Gryanen HABEN einen verdammt guten Ruf bei den Goldmans." Martinez lächelte zuversichtlich. "Ihre Befehle, Admiral."
"Na ja. Ein Schiff mehr ist ein Schiff mehr. Ein knappes Bataillon Rüster, dazu Black Watch, ist auch nicht zu verachten. Lydia?"
"Ich lege meine Hand für Amanda ins Feuer, Admiral."
Griffin seufzte vom tiefsten Grund seines Herzens. "Johann färbt ab, wie es scheint. Also gut, Captain, unterstützen Sie die Evakuierung der Regierung in Koordination mit den Gryanen. Ich nehme Sie unter meinen Oberbefehl. Die Black Watch sind besonders berüchtigt für ihre erfolgreichen Landungs- und Eskort-Missionen, oder, Colonel Woodruff?"
"Das sind wir, Sir! Und wenn ich es erwähnen darf, ich brenne darauf, nach Sherwood zu fliegen und mit Lucky Charly zu kämpfen, nur diesmal auf seiner Seite."
Griffin schüttelte sprachlos den Kopf. "Idealisten. Wohin man auch sieht, nur Idealisten."
"Oh, nicht nur. Die meisten Kapitäne im System sind keine Goldmans", erwiderte Martinez ernst. "Aber wer Angst vor Streit hat, soll die Fahne nicht tragen. Rudermann, wir schließen mit Höchstgeschwindigkeit zur gryanischen Flotte auf! Funk, empfehlen Sie uns bei Konteradmiral Rössing und übermitteln Sie ihm unsere Gefechtsleistungsdaten. Die wird er brauchen, um uns richtig einsetzen zu können. Oder übernehmen Sie das Kommando über die Flotte, Admiral?"
"Arling hat das Kommando über die Flotte", sagte Griffin bestimmt. "Aber ich erinnere mich nicht, dass er mich davon enthoben hat, sein Stellvertreter zu sein. Ach, und Amanda, versuchen Sie weitere Goldmans im System zu kontaktieren und auf unsere Seite zu ziehen. Wenn Präsidentin Klages ins Exil geht, können ein paar republikanische Schiffe als Geleit nicht verkehrt sein."
"Habe verstanden, Sir!" Sie salutierte, ebenso der Colonel, dann erlosch die Verbindung wieder.
"Hast du alles drauf gekriegt, Spence?", rief Carrie Rodriguez aufgeregt.
"Keine Sorge, ich habe alles aufgenommen."
Carrie Rodriguez trat mit zufriedenem Grinsen zu Griffin und schüttelte ihm die Hand. "Lassen Sie mich der erste Vertreter der Presse sein, der Ihnen zur Beförderung gratuliert. Und seien Sie versichert, mein Sender wird diese Kunde so schnell es geht in der Galaxis verbreiten. Coryn Griffin, das Gestalt gewordene Gewissen von Admiral Goldman. Ein toller Aufmacher."
"Wie es scheint haben Sie mit Ihrer Entscheidung richtig gehandelt, an Bord meiner HOUSTON zu kommen, anstatt Lucky Charly auf den Planeten zu begleiten", murmelte Griffin, während er mit Grauen das Live-Zeichen auf ihrer Brust bemerkte.
"Ach, wissen Sie, Admiral, nachdem Gerry so unverhofft Konteradmiral der Freiwilligen geworden ist, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass er Sie lange im Rang überholen würde. Nennen Sie es den Arling-Faktor. Ich wusste einfach, dass das nächste Weltereignis bei den Gryanen stattfinden würde."
"Damit wussten Sie mehr als ich", brummte Griffin teils verstimmt, teils amüsiert.
"Anruf von der HERCULES! Lord Arling möchte Admiral of Sector Coryn Griffin gerne zur Beförderung gratulieren."
"Himmel, das hatte ich ja verdrängt. Stellen Sie durch", erwiderte Griffin ergeben und rieb sich die schmerzende Stirn.
***
"Admiral, eine Kommunikation mit der EISENHERZ ist jetzt wieder möglich", meldete Patterson, der Funkoffizier der KRK.
"Gut, stellen Sie mich durch. Randy, wie sieht es bei Ihnen aus?"
Auf dem Hauptbildschirm erschien das Gesicht eines drahtigen Blondschopfs jenseits der vierzig. Er hatte verkrustetes Blut im Gesicht, sein Kopf war bandagiert. Im Zeitalter von Nanopflaster war das immer ein Zeichen für eine provisorische Behandlung, zum Beispiel in Gefechtssituationen.
"Randy?"
"Entschuldigen Sie, Admiral, aber ich konnte die Lage an Bord gerade erst wieder unter Kontrolle bringen. Wir hatten eine Meuterei an Bord. Mein Chefpilot hat versucht, mich mit ein paar Getreuen abzusetzen. Leider fing jemand an zu schießen, und bevor ich mich versah, flog mir eine Kugel an den Kopf. Ich schätze ich kann froh sein, dass es kein Laser war."
"Ihr Chefpilot?" Erstaunt richtete sich Carmeline Chun in ihrem Sessel auf. "Sagen Sie mir nicht, auf Ihrem Schiff gibt es Idioten, die an diesen Quatsch mit dem Blankobefehl von Goldman glauben?"
Lachend winkte der Mann ab. "Oh nein, Ma´am. Diese jungen Männer und Frauen haben sich an die alte Befehlskette gehalten und wollten Ihre Befehle ausführen."
"Na dann ist ja gut", erwiderte sie gedankenlos, bevor ihr in den Sinn kam, was der Kapitän der EISENHERZ gerade gesagt hatte. "Moment mal, Sie..."
"Richtig. Ich hingegen unterstelle mich dem Kommando von Admiral of Sector Coryn Griffin. Aus diesem Grund unterbreche ich jetzt die Kommunikation. Sie können mich aber gerne jederzeit wieder anfunken, falls Sie sich uns anschließen wollen oder den Drang verspüren, sich zu ergeben, Ma´am."
Die Bildverbindung erlosch. Chun starrte entsetzt auf den Schirm, der gerade noch einen ihrer Zerstörerkommandanten gezeigt hatte.
Wütend sah sie sich in der Zentrale um. "Ist hier vielleicht auch jemand der Meinung, er müsste auf Griffin hören?"
"Natürlich nicht, Ma´am!", erwiderte Captain McMarron steif. Die große Frau erhob sich und salutierte ihrer Admirälin zu. "Für meine Kids lege ich die Hand ins Feuer."
Auch die anderen Offiziere schlossen sich der Geste an.
Einigermaßen beruhigt lehnte sich Carmeline Chun in ihren Sessel zurück. "Na, immerhin etwas. Cameron, wie sieht unser Verhältnis jetzt aus?"
"Ma´am, mit der EISENHERZ sind nun insgesamt sieben Schiffe desertiert. Auf weiteren fünf wird gekämpft. Wir versuchen sie mit Bordinfanterie von loyalen Schiffen zu erreichen. Drei halten Funkstille. Zusammen mit dem versenkten Zerstörer LUDOVIC und den abgezogenen Fregatten PRIAMOS, SYDNEY und DIGNITY bedeutet dies, dass wir hiermit über fünfundzwanzig Schiffe verfügen. Die meisten davon Fregatten und Zerstörer, aber neben unserer KRK steht noch die IRKUTSK als Leichter Kreuzer zur Verfügung. Leider weit über das System verteilt, aber binnen weniger Stunden in Reichweite. Weitere Flotten haben ihr Eintreffen für die nächsten Stunden angekündigt. Unter ihnen die Large Fleet, Ma´am."
Die Admirälin runzelte die Stirn. "Bisschen mager. Arling alleine hat zehn Fregatten, fünf Zerstörer, die HOUSTON und dieses verdammte Höllending, das in einen planetaren Orbit springen kann. Rufen Sie die ANCHORAGE. Ich will versuchen, Captain Martinez zur Vernunft zu bringen. Wenn wir den ersten Stein im Turm herausziehen, bricht er vielleicht ganz ein."
"Aye, Admiral."
"Verbindung zur ANCHORAGE steht, Ma´am."
"Captain Martinez hier. Was kann ich für Sie tun, Admiral?"
"Einiges. Zum Beispiel könnten Sie diese blödsinnige Meuterei einstellen und Ihr Schiff wieder auf die alte Position schaffen!" Chun machte einen Laut des Unwillens. "Und wenn Sie es nicht können, dann vielleicht einer Ihrer Offiziere!"
Martinez biss die Zähne zusammen. Ihre Wangen begannen sichtlich zu mahlen.
`Treffer!´, dachte Chun bei sich, und beschloss nachzusetzen. "Sehen Sie, Captain, diese Operation ist ungeheuer wichtig. Wir konnten endlich Vize-Präsident Cranston stellen. Seine Verhaftung steht kurz bevor. Wir, wie alle guten, anständigen Offiziere der Navy wollen nur eines, nämlich, dass dieser ganze verdammte Horror endlich ein Ende hat und ein Mann für sein Verbrechen bestraft wird, einen verdammt guten Offizier mit eine Beiläufigkeit umzubringen, die in sich schon ein Verbrechen ist."
"Ach, meinen Sie die gleiche Beiläufigkeit, mit der die Admiralität Befehle erteilt, Ma´am?", erwiderte Martinez kalt.
"Dies und das kann man doch nicht vergleichen! Der Befehl für das Bombardement war unrechtmäßig, dass müssen doch gerade Sie sehen!"
"Ach, und der Befehl, Mr. Cranston zu verhaften ist rechtmäßig?", schoss sie wütend zurück. "Ma´am, ich sage Ihnen was: Finden Sie einen Offizier oder einen Matrosen in meiner Mannschaft, der Ihnen gehorchen will und lassen Sie ihn das Schiff übernehmen. Ich werde keinen Angriff auf ihn, sie oder wen auch immer befehlen."
Chun runzelte die Stirn. "Nun, Martinez, ich bin sicher, das kann man als Entgegenkommen werten, vor allem wenn man das Dilemma bedenkt, in dem Sie stecken."
"ABER", sagte sie scharf. Martinez lächelte dünn. "Aber ich weigere mich, das Kommando abzugeben. Ihr Mann oder Ihre Leute werden mich erschießen müssen."
Wütend fuhr Chun aus ihrem Sitz auf. "Das ließe sich einrichten, Captain Martinez!"
"Und ich werde in diesem Fall mit Freuden sterben!", schrie Martinez zurück. "Weil ich nicht vorhabe, auch nur eine Sekunde länger an dieser Idiotie teil zu nehmen, die Sie so vehement verbreiten! Sie sagen, der Befehl von Vize-Präsident Cranston war unrechtmäßig? NATÜRLICH war er unrechtmäßig! Ich habe keine Entschuldigung dafür, dass ich es nicht früher erkannt habe, oder es sehen wollte. Oh, wie blind muss ich vor Zorn und Trauer gewesen sein. Natürlich ist solch ein Befehl unrechtmäßig! Eigentlich ist er unmöglich, weil er zuerst über die Präsidentin gehen muss, dann über den Admiral of the Fleets. Erst von dort kann er weitergegeben werden. Aber der angebliche Befehl, den Captain Scott auf der CARTAGENA vorgehalten hat, kam direkt von Cranstons Büro."
"Halten Sie es für so verdammt unmöglich, dass Cranston einen eigenmächtigen Befehl gegeben hat?"
"Nein, ich halte es für unmöglich, dass ein solcher Befehl die Admiralität passiert haben soll! Ich halte es für unmöglich, dass ein Schiffskommandant in diesem Sektor einen Befehl ausführen würde, der den Beschuss eines unserer Planeten bedeutet! Ich halte es für unmöglich, außer der Befehl kam gar nicht erst von Cranston!"
Chun starrte die Frau an. "Wie wahnsinnig sind Sie eigentlich? Das Siegel wurde verifiziert! Der Befehl kam eindeutig aus Cranstons Büro! Das ist nicht zu leugnen, verdammt!"
"Dann hat Scott einen illegalen Befehl ausgeführt und gehört gekielholt! Aber auch das stinkt zum Himmel, weil Cranston ein verdammter linker Liberaler ist, der ständig danach schreit, der Navy das Budget zu kürzen und diesen Krieg mit Katalaun einzustellen! Kein Schiffskommandeur, den ich kenne, mag ihn genug, um für ihn einen Mord auszuführen."
"Zugegeben. Aber ich habe meine Befehle, und Sie haben die Ihren. Wir müssen ihn verhaften, nach Maynhaus schaffen und den Behörden übergeben. Sollen die sich um die Rechtslage kümmern."
"Noch so ein offensichtlicher Punkt, dass es mir schon weh tut, dass ich ihn nicht sofort gesehen habe!" Martinez fasste sich an den Kopf und schüttelte ihn, halb lachend halb erschrocken über die eigene Ignoranz. "Eine Anklage oder ein Befehl zur Verhaftung einer Person aus der Admiralität kann nur das Navy Justice Bureau ausstellen, also Admiral Pierrefontes! Sie kam jedoch direkt von Admiral of the Fleets, Helen Sourakis. Und dann ist da noch die nicht unbedeutende Tatsache, dass weder die Navy noch das NJB für diesen Fall zuständig ist! Zuerst hätte das Parlament die Immunität Cranstons aufheben müssen, und danach hätte ihn die Bundespolizei verhaften und in Gewahrsam nehmen können. Anschließend hätte der Generalstaatsanwalt Anklage erheben müssen. Aber das hätte ja bedeutet, die Polizei einzuschalten, und es nicht in die Hände der willfährigen, oder vor Hass halb blinden Flottenidioten zu legen, oder? Es tut mir Leid, Ma´am, aber im Gegensatz zu Ihnen werde ich ausnahmsweise mal das Richtige tun und rechtmäßig handeln! Spät zwar, aber besser als nie. Und sollte ich dabei sterben, dann kann ich kaum deswegen böse sein, denn ich habe genügend Mist zu verantworten." Wütend sah sie zu Boden. "Ich wollte blind sein. Ich wollte Juri Goldman rächen. Und jetzt bezahle ich den Preis."
Als sie wieder aufsah, wich Chun unwillkürlich nach hinten aus und wurde von der Lehne ihres Sessels gestoppt. "Also, wie sieht es anders herum aus? Hoffen Sie, dass der Plan gelingt und die Republik vor vollendete Tatsachen gestellt wird, oder versuchen Sie nicht, eine verdammte Karriereschlampe zu sein und tun etwas für Recht, Gesetz und Ordnung?"
"Halten Sie Ihre Klappe, Martinez! Halten Sie Ihre arrogante Klappe! Glauben Sie wirklich, Sie sind im Besitz der ultimativen Wahrheit? Glauben Sie wirklich, die Welt würde so funktionieren wie Sie es wollen? Ich werde mir die Antworten persönlich holen - nachdem ich Ihren Kahn entern ließ!"
"Ich erwarte Sie, Karriereschlampe!", erwiderte Martinez mit einem weiteren bösen Blick und deaktivierte die Verbindung.
Wütend schlug Chun auf die Lehne ihres Sessels. "Renitente Ziege! So kann sie nicht mit mir reden! Verdammtes Pack aus dem Goldman-Sektor. Wie weit ist die Large Fleet noch entfernt?"
"Noch sieben Stunden. Sie sind gerade gesprungen. Von ihrer Position brauchen sie dann noch weitere elf Stunden bis Sherwood, Admiral", erwiderte McMarron steif. Ihr Gesicht war wie gemeißelt und zeigte keine Gemütsregung. Auch ihre Augen waren tot und bar des üblichen Glanzes, aber das sah Chun nicht.
Die Admirälin schnaubte erstickt. "Sehen Sie zu, dass wir ein paar zusätzliche Einheiten auf diese Seite von Sherwood schaffen können. Vielleicht gelingt uns ein Angriff auf Arling, bevor der Rest seiner Flotte eintrifft und bevor sie Klages und Cranston evakuiert haben."
"In Frage kommende Einheiten sind bereits mit Höchstfahrt auf dem Wege hierher, Ma´am", erwiderte die Kapitänin der KRK ernst. "Sie laufen so schnell sie können, ohne ihre Antriebe zu riskieren."
Chun wollte aufbrausen, besann sich aber. Ohne funktionierende Antriebe und Steuerdüsen waren die Schiffe für sie nichts wert, bestenfalls als Bomben nützlich.
"Geplante Akunftszeit?"
"Zerstörer HELENA, Fregatte CHAMBERLAIN, GAZ neununddreißig Minuten. Zerstörer LÜNEBURG, Fregatten DÖNITZ und HOOD, GAR dreiundvierzig Minuten. Korvetten BRISTOL, BLACKMORANGIE und DOVER, GAZ neunundzwanzig Minuten."
"Das reicht für einen Angriff. Wir attackieren, sobald die LÜNEBURG-Gruppe bei uns ist."
McMarron salutierte. "Jawohl, Ma´am." Formvollendet wandte sie sich um, aber ihre Hände waren dabei geballt.
***
Als der Knight dem Planeten entgegen fiel, überkam Charles eine sentimentale Stimmung. Dies war seine einhundertste heiße Landung, seit dieser verdammte Krieg angefangen hatte. Seine Leute - also die Kerntruppe von der RHEINLAND vor der Flottillenbildung - hatten verdammt viel leisten müssen und es auch getan. In fast zwei Jahren waren sie einer der Gründe dafür, warum ein auf die Hälfte zusammen geschossenes Knight-Geschwader alleine schon bei bloßer Erwähnung Angst und Panik unter den Republikanern ausgelöst hatten. Die neuen Leute waren gut, zugegeben. Das hatten sie schon ein paarmal bewiesen. Aber Charles war dennoch froh, dass er seine Offiziere in der Kommandostruktur weit, weit oben hatte. Erstens schuldete er jedem einzelnen seine Beförderung, und zweitens waren gute Teileinheitskommandeure das A und O im Kampf, gerade bei einer hochflexiblen Truppe wie den Kaiserlichen Knights.
Als er den Blind Spot verließ, also jene Zone, in der die Reibungshitze seine Sensoren praktisch blind gemacht hatte, orientierte er sich zuerst über die Gegebenheiten, die sich ihm boten. Das Militärareal war von einer dichten Wolkendecke verdeckt. Der Wetterbericht sprach von Gewittern. Die Blitze konnten einem schlecht verkabelten Knight durchaus gefährlich werden. Allerdings hatte er keine schlecht verkabelten Knights unter seinem Kommando. Stattdessen würden die Interferenzen der Blitze und die gestörten Nachtsichtgeräte der Angreifer zu seinem Vorteil sein. Definitiv zu seinem Vorteil.
Die Republikaner waren auf dem Raumhafen von Scarlett gelandet. Wahrscheinlich aus dem schlichten Grund, weil sie die Präsidentin und die Regierung im Gouverneurspalast vermutet hatten. Demnach hatte ihr Plan eine Invasion der Planetaren Hauptstadt vorgesehen. Da Teile der Armee tatsächlich durch Scarlett zogen, räumte Charles dieser Idee große Wahrscheinlichkeit ein.
Die Wolkendecke kam immer näher, und die Ortung war noch immer sauber. Keine Jäger und keine Rüster in diesem Teil der Atmosphäre. Warum auch? Die Luftdeckung hätten normalerweise die Fregatten und Zerstörer übernommen, die Johann heim geprügelt hatte und die wohl gerade ihre Wunden leckten. Die ersten Rüster würden ihnen als Deckung für die Bodentruppen begegnen. aber bis dahin war der Verband hoffentlich schon auseinander gezogen, und die Milizstellung rund um die Militäranlage von seinen und Ganths Leuten verstärkt.
"Hergehört, Leute. Wir tauchen gleich in diese grummeligen Gewitterwolken ein. Ich glaube es nicht, aber da drin könnten sich ein paar Kampfroboter verbergen. Wir gehen nicht mit denen spielen, sondern brechen durch. Wenn wir sie nicht oder schlecht orten, beruht das auf Gegenseitigkeit, und wenn sie mit uns Spaß haben wollen, sollen sie an einen Ort kommen, wo wir sie sehen können."
Zustimmendes Gelächter antwortete ihm. "Schrader, Sie haben Go."
"Ja, Sir." Vierzig Knights und fünf Rüster scherten aus dem Verband aus. Sie entfernten sich nur langsam, aber wenn sie auf dem Boden aufsetzten würde aus dieser geringen Differenz dreißig Kilometer geworden sein.
"Wir werden direkt über der Milizlinie landen und versuchen, unsere Lander hin zu allen Himmelsrichtungen abzudecken. Oberst Ganth hat gesagt, sie braucht zwanzig Minuten für die Ausschiffung der Panzereinheiten. Die werden wir ihr geben. Vergesst eines nicht: Wir Knight-Piloten sind zwar das Rückgrat der Flotte und die Elite der Bodentruppen, aber wir sind Allrounder. Sie jedoch sind die Spezialisten, die auf ihrem eigenen Gebiet unendlich wertvoll sind. Also passt gut auf eure Brüder und Schwestern in den großen bodengebundenen Blechbüchsen auf. Ihr erinnert euch doch alle noch, wie effektiv sie in Hephaistos waren, oder?"
"Danke für diese aufmunternden und vollkommen neutralen Worte, Oberst Monterney", murrte Ganth.
"Oh, da nicht für. Ich war schon immer ein Freund davon zu nutzen was sich mir bietet. Apropos nutzen was sich mit bietet, Major Russel?"
"Hier."
"Haben Sie etwas spezielles geplant, oder wollen Sie sich einfach mit Ihren fünf Knights in unsere Stellung integrieren?"
"Mit Ihrer Erlaubnis gebe ich Ihnen vier meiner Ninjas. Zwei werden... Ninja-Sachen machen."
"Sie brauchen nicht meine Erlaubnis, um die gefährlichsten Soldaten Katalauns von der Leine zu lassen", erwiderte Charles mit einem Schauder in der Stimme. Oh, er hätte gewünscht, der Schauder wäre freudige Erregung und keine Angst gewesen.
"Danke schön, Lucky Charly", erwiderte sie. Kurz darauf zogen zwei der sechs schwarzen Knights aus der Formation mitten in die Wolkenbank.
"Wenn wir unten landen, erwarte ich die ersten fünf Minuten Konzentration auf die Miliz. Erstens wollen wir nicht auf ihnen landen und zweitens nicht in eine riesige Falle tappen", fuhr Charles fort. "Andererseits wollen wir aber auch nicht paranoid werden, Herrschaften."
"Warum erwähnst du dann so einen Mist überhaupt, Charly?"
"Weil ihr nicht dumm sterben sollt, Daisy."
"Ich würde vorerst gerne gar nicht sterben", erwiderte die Anführerin der Rüster.
"Oh, ich versuche das einzurichten."
"Wie nett von dir. Ich weiß es zu würdigen, dass der beste Knight-Pilot des Kaiserreichs auf mich aufpasst."
"Ich bin nicht der beste Pilot des Kaiserreichs", protestierte Charles. "Aber da mittlerweile einige bessere als ich gestorben sind, bin ich wohl endlich in den Top eintausend. Vielleicht aber auch nur der eintausenddreihundertzehntbeste."
Gelächter antwortete ihm, aber Charles hörte nicht wirklich hin. Zu leise für das Mikrofon flüsterte er: "Verdammt, Zak, warum musstest du ausgerechnet jetzt sterben?"
Hilflos schlug er gegen seine Armaturen. Der Schmerz half ihm auch nicht sonderlich weiter.
***

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Einen kleinen Moment stellte sich Jonathan Schrader Fragen. Zum Beispiel warum er Gewissensbisse hatte, auf eine Armee zu schießen, die sein Land ohne Vorwarnung überfallen hatte. Oder wie richtig beziehungsweise falsch diese Männer und Frauen handelten, wenn sie auf ihren Admiral hörten, aber nicht auf ihre Präsidentin. Oder schlicht und einfach, wie viele von ihnen in Wahrheit lieber Befehle ihrer Präsidentin angenommen hätten, aber wegen ihrer Offiziere und ihrer Kameraden stumm ihren Dienst erfüllten. Er fragte sich auch, wenngleich noch kürzer, ob nicht ein Mann wie Herzog Beijing das Wunder vollbracht hätte, die Spreu vom Weizen zu trennen. Und im gleichen Atemzug dauerte es ihn, alle anderen vielleicht töten zu müssen, die zur Spreu gezählt werden mussten. Jeder Mensch hatte einen Vater, hatte eine Mutter, hatte Großeltern, eventuell Geschwister, eigene Kinder, Nichten, Neffen, vielleicht schon Enkel. Jeder von ihnen war eingebunden in das Netzwerk einer Familie, mal mehr, mal weniger gut. Und aus diesem Netzwerk wurden diese Menschen heraus gerissen, wenn sie starben. Egal ob sie glaubten im Recht zu sein, oder im vollen Wissen über ihren großen Fehler kämpften. Und das war das traurige daran.
Andererseits, was würde passieren, wenn Admiral of the Fleets Sourakis hier siegreich war? Ursprünglich hätte es sicherlich eine Untersuchung geben sollen, mit der die Angriffe auf den verbündeten Europa-Pakt und die Verwicklung gewisser Admiräle darin aufgedeckt worden wären - im Idealfall. Das hätte bedeutet, dass zu den vielen tausend Raumfahrern der Republik noch einige Offiziere und Admiräle den eigenen Kopf rollen sehen würden, wenngleich auch nur symbolisch. Was aber wäre passiert wenn Klages mitgespielt, die Untersuchungen abgewürgt hätte? Oder wenn sie dies noch tun würde, sobald man sie gefangen gesetzt hätte? Oder wenn sie tot war? Dann blieben der Angriff und die Opfer ungerächt, die Motive ungeklärt, man würde sich mit einem großen Missverständnis herausreden. Vielleicht würden Herculeanum und Republik niemals wieder besonders gute Freunde werden, aber man würde Gras über die Sache wachsen lassen können. Vielleicht kam es auch zum Krieg, und gegen das unkonstituierte Großreich würde sich die Admiralität der Navy sicherlich gute Chancen ausrechnen, vielleicht sogar bei einem erneuten Vorstoß gegen Stabiae und seine Hauptwelt Vesuv.
Vielleicht aber würde auch nur der Krieg gegen Katalaun wieder aufgenommen werden, vielleicht würden die eigenen Verräter daheim die eine oder andere Welt kampflos aufgeben, um die frei gewordenen Truppen auf der anderen Seite Katalauns in den Kampf gegen Zyrrtekk und Jemfeld zu werfen und endlich den Plan zuende zu bringen, der im letzten Krieg wegen der Revolution der Herzen und Robert dem Fünften nicht hatte verwirklicht werden können: Die Unterwerfung der nichtmenschlichen Nachbarn. Ihm waren die Alien-Völker von Zyrrtekk und Jemfeld im Prinzip egal, er hatte keine Berührungspunkte mit ihnen, weil seine Heimatwelt B-King weit von der Grenze entfernt war. Andererseits war er ein Vertreter eines für einen Soldaten ungewöhnlichen Wahlspruchs: Leben und Leben lassen. Deshalb konnte er verstehen, dass die Aliens nach dem unprovozierten Überfallangriff zu Zeiten Frederecs des Ersten irgendwann einmal auf Revanche abzielen würden. Und ebenso logisch war es, dass die Verfechter dieses Konflikts ihrerseits Rache für die Schmach haben wollten, katalaunische Welten von ihnen erobert zu sehen. Unwillig schüttelte Schrader den Kopf. Das führte zu nichts, absolut zu nichts. Am besten war es, überhaupt gar keine Konflikte zu beginnen. Aber er war Soldat, weil er genau wusste, dass diese Philosophie nicht funktionierte, solange es Dinge wie Zweifel, Misstrauen und Angst vor dem Unbekannten gab. Also blieb ihm hier und heute nichts anderes übrig, als sein Bestes zu geben, seine Leute zu beschützen und wieder heil nach Hause zu bringen. Und zu hoffen, dass er nicht zu viele anständige Menschen tötete. Falls es welche unter ihnen gab.

"Feuerleitradar!", meldete einer seiner Knight-Piloten. Ein kurzer Blick auf die Höhenanzeige sagte ihm, dass sie in die Tropospause eintraten und rund acht Kilometer über Normalnull auf dieser Welt erreicht hatten. Die ideale Distanz, um kleine, mobile Ziele wie Knights und Rüster mit Abfangraketen zu beschießen. Ab zwei Kilometer würden Laser und Partikelwerfer hinzu kommen, Projektilgeschütze ab achthundert Meter. Alles andere galt bei der großen Mobilität der Kampfroboter als Munitions- und Energieverschwendung. Er persönlich hielt acht Kilometer für die Abfangraketen auch für Verschwendung. "Abwehrmaßnahmen", erwiderte er.
Von jeder Zehnergruppe seiner Knights stieß nun eine Maschine Störeinrichtungen aus. Die kleinen Bojen täuschten nun mehrere hundert Ziele vor, und nur einige wirklich gute Rechner würden anhand der Kurse bestimmen können, welches der Ortungsreliefs ein echter Knight oder nur eine elektronische Täuschung war. Doch das war noch nicht alles. Selbstverständlich gab es Abwehrmaßnahmen. Ein guter Knight-Pilot konnte eine angreifende Rakete mit der Unterstützung seines Bordcomputers auf neun Kilometern Distanz beschießen. Ob er traf war eine andere Sache. Und dann hatten die wendigen, schnellen Maschinen ihre Klingenwaffen, die den trainierten Piloten gegen Raketen mehr als einmal geholfen hatten, von den Schutzschilden, in denen sie sich in einer Atmosphäre aber nur im Notfall einhüllten, einmal ganz zu schweigen.
Die Täuschkörper stiegen auf und multiplizierten die Zahl der Knights ins Hundertfache. Auch die sie begleitenden Rüster hatten sich nun verdreifacht. "Störfunk", befahl Jonathan Schrader, und verurteilte die gesamte Truppe bis zum Angriffsbefehl dazu, dem infernalischen Lärm der Störsender zu lauschen. Aber es war allgemeine Praxis, dass die Funker des Gegners besonders aufmerksam darauf achteten, welche der Silhouetten mit anderen Funkkontakt hatten, sobald die Täuschkörper aktiv waren. Das wurde verhindert, indem das infernalische Kreischen der Störsender über sie hereinbrach. Seine Leute waren präpariert, aber er hoffte schon, dass er den einen oder anderen Reppie an seiner Arbeitsstation tüchtig erschrak oder entnervte. Er drosselte den Funkeingang, ebenso wie seine Kameraden.
Natürlich hätten sie das Feuer auf die republikanischen Lander bereits aus dem Orbit aufnehmen können, sogar noch aus der Stratosphäre, aber fünfundvierzig Maschinen, die direkt auf die schlecht verteidigten Pendler stürzten, waren wesentlich eindrucksvoller als jedes Bombardement.
Der Störfunk wurde kurz von einem Signallaut übertönt. Schrader, der das gleiche Signal hatte abgeben wollen, nickte nur. Der Feind hatte mit dem Raketenbeschuss begonnen. Und wenn seine Ortung korrekt war, dann waren zwischen den Landern einige Rüster aufgetaucht, die sich nun ebenfalls auf den Abwehrkampf einstellten und ihre Waffengarben in den blauen Himmel Sherwoods abfeuerten.
Dann waren die Raketen in Abwehrreichweite. Sein automatisches Abwehrsystem erkannte eine ballistische Waffe, die auf die Nachbarsilhouette ausgerichtet war. Obwohl er nicht selbst bedroht war, löste er das Raketenabwehrsystem aus. Unsichtbare Laserfinger griffen nach der Lenkwaffe, leckten über die Panzerung. Die zweite Salve des Lasers durchdrangen die Oberfläche und brachten den Sprengkopf zur Detonation. Mit etwas Glück würden die Schützen in der Bodenstation bei all den Interferenzen die Silhouette nun für den echten Knight halten. Aber sicher nicht für lange.
Jonathan Schrader lächelte düster. Er war ebenso wie seine Kameraden kräftig die Karriereleiter hinauf gefallen, seit ihr Abenteuer in Yura-Maynhaus glücklich hinter ihnen lag. Es wurde Zeit das er bewies, dass er sowohl des Majorsrang als auch eines Bataillons Knights würdig war.
"Action! Action! Action!", rief er in sein Mikrophon und löste damit die eigentliche Schlacht aus.

Die Störsender stellten die Angriffe ein, während rings um sie die Raketen explodierten, während die ersten Laserstrahlen und Partikelgarben nach seinen Leuten tasteten. In den alten Tagen hätte man gesagt: Blei füllt die Luft. Hier war es ähnlich. Nur tödlicher. Und kräftiger gefüllt.
Fünf Kilometer. Schrader hob seine Waffe, ein TelCon R-14 Snipergewehr, schaltete auf Panzerbrechend um und schoss eine Granate auf den Lander, der ihm am nächsten war. Koordiniert von seinem Feuerleitcomputer schossen neun weitere Knights mit ihm auf dieses Ziel. Die Hälfte der Garben vergingen im Energieschirm, der Rest schlug durch, als der überlastete Schutz in sich zusammen stürzte und die gepanzerte Hülle des Landes entblößte. Die Knights feuerten sofort eine weitere Salve, und das Glückliche geschah. Sekundärexplosion innerhalb des Landers. Zumindest einer von ihnen würde sich für einige Zeit nicht mehr vom Planeten erheben.
"Verluste?", blaffte er. Negative Meldungen kamen herein. Noch. Aber ein Kampf blieb nie ohne Verluste, vor allem keine Massenschlägerei wie diese.
"Reaktionen an der Stadt. Rüster aus Scarlett eilen heran", klang eine warnende Stimme an sein Ohr. "Ignorieren und solange weiter auf die Lander feuern, bis ich gegenteilige Befehle erteile", sagte Jonathan grimmig. "Und schießt nicht alle ab."
Die Antwort bestand aus Lachen. Der Major konnte sich selbst ein Grinsen nicht verkneifen, obwohl er seine Worte Todernst gemeint hatte. Er hätte mit mehr Widerstand gerechnet, mit besserem Schutz für die essentiell wichtigen Lander. Warum sandte der gegnerische Kommandeur erst jetzt Unterstützung aus der Hauptstadt? Hatte er geglaubt, der Kurs auf die Lander sei nur eine Farce, an deren Ende ein Schwenk auf Scarlett stehen würde? Oder hatte er geglaubt, die Knights würden die Lander ignorieren und lieber in einer verwinkelten Stadt angreifen? Wie dem auch sei, sein Befehl lautete, gegnerische Einheiten zu binden. Je mehr desto besser. Und wenn sie dabei einige Lander und einige Rüster abschossen, umso besser. Diese Einheiten würden dann nicht mehr auf sie schießen können. Ein kluger Mann hatte ihm einmal erklärt, kaum dass er der Kadettenschule beigetreten war: "Mein Job als Soldat ist es nicht für mein Land zu sterben. Im Gegenteil. Aber ich muss dafür sorgen, dass die armen Schweine auf der anderen Seite für ihres sterben."
Dem konnte Schrader nichts mehr hinzu fügen. Und er hoffte, dass dieser Trip so langweilig blieb wie er im Moment war. Denn Aufregung hätte Tod und Zerstörung mit sich gezogen.
***
Man konnte nicht sagen, dass die Entwicklung dieser Schlacht so verlief, wie Arling es voraus geplant hatte. Nicht einmal wie er es in ungefähr zwanzig Alternativen erwartet hatte. Zwar gab es eine Variante, in der er an weitere Schiffe gedacht hatte, die der Präsidentin zu Hilfe kommen würden, aber nie hätte er erwartet, dass sich Coryn selbst zum Admiral of Sector befördern, und damit auch noch durch kommen würde. Nun, zumindest bis zu diesem Moment, in einem recht eingeschränkten Maße. Nachdenklich taxierte er die Missionsuhr, die von Iolaos an einer Seitenwand projiziert wurde. Sie zeigte an, dass seit dem Sprung ins System eine Stunde und siebzehn Minuten vergangen waren. Der Kampf mit der KRK und ihren Begleitschiffen hatte kostbare fünf Minuten von Variante A des von ihm aufgestellten Kampfplans gefressen. Damit rutschten sie fast in Variante B. A stand selbstverständlich für ein reibungsloses Gelingen der Rettungsoperation, während B die verschiedenen Varianten berücksichtigten, die zu Verzögerungen oder Verlusten führten. Nun, solange sie nicht bis nach E rutschten, also eigene Schiffe verloren und Rettungsoperationen einplanen mussten, war alles in Ordnung.
Aber dennoch musste die Präsidentin in spätestens achtunddreißig Minuten im Orbit sein, mit oder ohne ihrer Regierung, sonst hatte seine Flotte keine Chance mehr auf einen geordneten Rückzug. Wenn sie zu lange im Orbit gebunden waren, dann würde nicht nur die Zahl feindlicher Schiffe zunehmen, sondern auch die Zahl der potentiellen Verbündeten. Und Arling war niemand der zwanzig oder mehr Schiffe dem Gegner überließ, nur um selbst zu entkommen. Im Gegenteil, er würde den Kampf aufnehmen. Das hätte natürlich bedeutet, Coryn Griffin und die B-King-Freiwilligen, wie Rössings umgebaute Flottille gerne genannt wurde, weiter an den Planeten heran zu ziehen, während die JULIET und ihre Schwesternschiffe den Ausbruch mit der Präsidentin an Bord wagen würden.
Ihm selbst blieb es dann, die freundlichen Schiffe in einem Verband zu vereinigen und einen gemeinsamen Ausweg zu suchen. Mit der HERCULES stand ihm die größte Feuerkraft im System zur Verfügung, und die HOUSTON suchte ihresgleichen was Kampfkraft und Erfahrung der Mannschaft anging. Aber viele Hunde konnten selbst einen Bären reißen, und die MILDRED, einer der fünf Zerstörer, war noch immer nicht auf voller Kampfbereitschaft angekommen, wurde sogar jetzt noch an allen Ecken und Enden geflickt.
Gewiss, ein guter Kommandeur konnte mit guten Mannschaften selbst gegen eine Übermacht bestehen, und solange es ihnen gelang, die Flucht von Rhyann Klages durchzuführen, hatten sie Erfolg. Aber im Idealfall hätte Johann schon gerne die Chance gehabt, nach Katalaun zurück zu kehren, den Thron zu retten und Robert wieder in sein Amt zu bringen. Natürlich nachdem er bewiesen hatte, dass der grauenhafte Bombenanschlag, der Robbie zum Rücktritt gezwungen hatte, in keinster Weise von ihm ausgeführt oder auch nur befohlen worden war.
Im nicht so idealen Fall würde er entweder im Orbit von Sherwood oder in der Peripherie des Absprungpunkts der drei Fregatten stehen und einherdringende Verfolger abwehren müssen. Eventuell bis dieses Schiff vernichtet war. Eventuell bis alle Schiffe vernichtet waren. Einmal hatte er in dieser Woche bereits dem Tod ins Auge gesehen und gedacht, er würde sich bald mit dem knochigen Gesellen Duzen. Aber ein zweites Mal würden gewiss keine achthundert Nymphen vorbei kommen, um ihn und seine Leute zu retten. Wie hatte Nyhartes doch gesagt: Nymphen griffen nicht oft in die Belange der Menschen ein, sie könnten sich sonst dran gewöhnen.
Und wenn nur er selbst gerettet würde, könnte er sich diesen einen Tag nie wieder verzeihen.
Er lächelte dünn und flüchtig, als ein sehr beruhigender Gedanken durch seinen Geist schoss. Sein Testament musste in diesem Moment auf dem Weg nach Katalaun sein, an Bord eines Diplomatenkuriers, der einerseits die Beziehungen zum Kaiserreich wieder aufnehmen würde und andererseits Ellies und sein Erbe nach B-King bringen würde. Es war sehr beruhigend zu wissen, dass von ihnen beiden etwas übrig bleiben würde, falls das hier alles mächtig in die Hose ging.
Ein anderer, erschreckender Gedanke ging ihm durch den Kopf. Im Moment schienen die Truppen nur den Befehl zu haben, Klages und Cranston lebend zu fangen. Für seine "Gerichtsverhandlung". Aber was war wenn die Admiräle und Generäle, die an diesem wahnsinnigen und beinahe erfolgreichen Komplott beteiligt gewesen waren, in Panik gerieten und jemanden fanden, der alle ihre Befehle ausführte? Was wenn Klages und ihre Regierung plötzlich auf der Abschussliste standen? Was wenn sie ihre eigenen Leute angriffen, nur um Klages zu bekommen?
Himmel, Teile der gelandeten Armee standen in Scarlett, von denen die Finte Schraders bestenfalls ein Viertel aus der Stadt hatte hervor locken können. Wenn sie die Städter als Geiseln nahmen, brach noch ein richtiger Aufstand los. Und danach? Ein Bürgerkrieg? Aber war er das nicht schon längst? Geplant und durchgeführt von hohen Flottenadmirälen? Ein fast perfekter Putsch, dem es nur an Schnelligkeit gehapert hatte, weil die Regierung Klages längst nicht mehr dort war, wo die Admiräle ihr Opfer vermutet hatten. Fast so als wären die Präsidentin und ihr Stellvertreter gewarnt worden. Fast so, als...
"Passt auf, er hat eine Idee", klang die teils amüsierte, teils spöttische Stimme von Carrie Rodriguez auf. Ihr Kameramann grinste breit und fokussierte ihn sowohl mit der tragbaren als auch der fliegenden Kamera. "Wäre ja beim Admiral der Blauen Flagge nichts besonderes." Er seufzte gespielt. "Egal was er sich ausgedacht hat, es bedeutet schwere Zeiten für die Yura-Maynhauser."
Arling winkte ab, enthielt sich aber einer Antwort. "Turnau, eine Direktverbindung zu Ganth."
"Aye, Mylord."
Cecilia Ganth erschien auf dem Hauptbildschirm. Sie trug ihre Gefechtsrüstung, die nur einen Teil ihres Gesichts frei ließ. Ihre Augen selbst verschwammen unter einer Vielzahl projizierter Hologramme, mit denen sie den Kampfeinsatz steuerte. Im Moment allerdings eher die Entladung der Truppen. "Mylord?"
"Haben Sie schon Verbindung zu at-Sherwood und die Militärbasis aufgebaut?"
"Ein Teil der Knights ist bereits gelandet. Ich habe in drei Minuten einen Panzerzug fertig, der genügend Kapazitäten hat, um die gesamte Regierung aufzunehmen. Sie stehen schon in den Startlöchern und brauchen nur noch einzusteigen. In zwanzig Minuten kann ich dann einen Pulk aus Knights zusammenstellen, der den Lander mit der Präsidentin in den Orbit bringt. Weitere zehn Minuten später räumen wir hier ein und sind acht Minuten darauf wieder im Orbit."
"Geht es schneller?"
"Wenn ich Material zurücklasse dauert es nur sechzehn Minuten", erwiderte Ganth ernst. Und Material zurückzulassen, wenn man eigentlich die Gelegenheit hatte es zu retten war etwas, was Katalaunische Offiziere seit Kriegsbeginn nur äußerst ungern taten. Viele hätten sich eher einen Arm abschneiden lassen als auch nur einen kampfbereiten Panzer zurückzulassen, geschweige denn einen Knight.
"Sie lassen kein Material zurück, Cecilia. Wir nehmen die Verzögerung in Kauf. Sie garantieren für einen geordneten Rückzug?"
"Jawohl, Mylord."
Arling lächelte dünn. "Ich habe einen Sonderauftrag für Sie, Cecilia. Haben Sie gewusst, dass Angriff schon immer die beste Verteidigung war?"
"Mylord?", fragte sie irritiert.
"Ihre Truppen sollten Zeit für einen schnellen Vorstoß haben. Sprechen Sie sich mit Charles ab, er wird Sie decken. Ich will, dass Sie in der Zeit voller Kampfbereitschaft einen Angriff auf die gelandeten Truppen fahren. Offensive statt Defensive. Wenn ich ehrlich bin habe ich Angst, dass gewisse Offiziere auf Zivilisten schießen, sobald Rhyann Klages und Jules Cranston in einen Lander steigen und zu entkommen drohen. Ich will Sie und Ihre Truppen dann dort haben, wo Sie dem Gegner weh tun können. Verlegen Sie auch die Lander näher an Ihre Linien. Das sollte der ganzen Mission den Abenteuercharakter nehmen."
"Es ist nicht so das ich was gegen Abenteuer hätte, Mylord. Aber eine solche Mission mit unzähligen taktischen Entscheidungen auf Divisionsniveau, mitten durch das schwerste feindliche Feuer, Luftkampf, Artilleriekampf und Nahkampf beinhaltend... Was soll ich sagen? Habe ich schon Geburtstag? Danke, Mylord!"
Arling unterdrückte einen Lacher. "Sie haben Ihre Befehle, Cecilia."
"Jawohl, Mylord."
"Ach, und Oberst Ganth?"
"Sir?" "In meinen Augen haben Sie sich voll rehabilitiert. Ich bin sehr froh, dass Sie anstelle von Major Ganther das Infanteriekontingent meiner Flotte stellen und kommandieren."
Für einen Moment schien die Offizierin verlegen. Sie räusperte sich geräuschvoll und nickte. "Danke, Mylord. Sie wissen ja gar nicht was mir diese Worte bedeuten. Ganth Ende."
Der Bildschirm wechselte wieder auf eine taktische Systemansicht.

"Meinst du das wirklich, Han? Die werden auf ihre eigenen Leute schießen, vielleicht sogar als Geiseln nehmen?", fragte Carrie und schüttelte sich, als würde ihr jemand einen Eiswürfel über den Rücken ziehen. "Was für eine schauderhafte Vorstellung."
"Ich hoffe nicht. Aber ich halte es für möglich. Und sollte es so passieren, werde ich nicht zimperlich sein. Weder ich, noch Cecilia Ganth."
"Verstehe", murmelte die Terranerin.
"Verzeihung, Mylord. Ich habe Befehl, Sie zu verpflegen", sagte eine junge Stimme neben Arling. Er sah auf und erkannte einen der Stewards, einen ziemlich jungen Burschen, der auf einem Tablett Fruchtsaft und einen Salat trug. Allerdings war der Salat unter derart vielen Eierwürfeln und Speckstreifen begraben, dass man dieser Kalorienbombe das Wort "gesund" ohne Gewissensbisse absprechen konnte.
"Danke, mein Junge. Sie sind Vincent, nicht?"
Der junge Mann räusperte sich überrascht. "Richtig, Mylord."
Sein Blick ging ironisch über die Schüssel. Wenn er das aß, musste er sich beim Schiffsarzt Roger Wilcox nachher noch Cholesterin-Blocker geben lassen.
"Und warum", sagte Arling in mahnendem Ton mit Blick auf das mächtige Essen, "hassen Sie mich so sehr, dass Sie mich partout umbringen wollen, junger Mann?"
Der Steward erschrak. Arling bemerkte diese Reaktion und klassifizierte sie nicht als das übliche Entsetzen auf einen solche derben Scherz. Es hatte etwas Schuldbewusstes. Konnte das sein? Konnte...
Vincent sprang zurück, ließ das Tablett fallen. Laut klirrend fiel es zu Boden und verteilte das Essen Arlings über das halbe Podest. Der junge Mann hatte derweil in seine Jacke gegriffen und eine schmale Waffe hervor gezogen. Die Mündung glühte in unheilvollem rot auf, und Johann erkannte darin einen sehr teuren Kompaktlaser, der auf diese Distanz tödlich sein musste. Tödlich für ihn. "Keiner rührt sich!", rief der Junge und richtete den Lauf auf Arling. "Oder ich erschieße Lord Arling!"
Turnau hatte ihre Dienstwaffe bereits gezogen. Die Wachen am Portal hatten sofort reagiert und ihre Karabiner im Anschlag.
Arlene Schlüter war auf ihrem Sessel herum gefahren. Wütend rief sie: "Verdammt, Matrose, was soll der Mist?"
"Keiner schießt, keiner rührt sich! Meine Waffe hat eine Totmannschaltung. Sobald ich den Griff loslasse oder mein Puls aussetzt, schießt sie!" Er leckte sich nervös über die Lippen und lächelte danach siegesgewiss. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich meine Chance noch mal kriegen würde, nachdem meine Gruppe im Stabiae-System von Bord der RHEINLAND geschickt wurde."
"Ihre Chance wofür, Junge?", fragte Arling starr. Diese Seite einer schussbereiten Handlaserwaffe behagte ihm überhaupt nicht. Da er ungeschützt war würde ein einzelner Schuss ein handtellergroßes Loch in ihn stanzen und den Rest in Flammen setzen. Aber da würde der Schock ihn bereits getötet haben.
"Mylord daran zu hindern, Katalaun weiter in den Untergang zu führen!" Wieder leckte er sich nervös die Lippen. Aber er ließ Arling dabei nicht aus den Augen. Kurz überlegte er, ob ein schneller Sprung ihn in Sicherheit bringen konnte. Leider war er nach über zwei Stunden in diesem verdammten Sessel mehr als steif.
"Iolaos?" "Ich kann nicht eingreifen, Mylord Admiral. Hätte der Admiralsplatz einen Individualschirm, hätte ich ihn längst aktiviert."
Arling schnaufte aus. "Ich nehme an, Katalaun zu retten bedeutet mich zu töten, oder?"
"Da haben Sie Recht, Mylord", erwiderte Vincent.
"Eine Frage: Warum lebe ich dann noch? Sie handeln nicht sehr professionell, wenn Sie mit Ihrer Beute spielen."
Vincent nahm kurz eine Hand ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Schweißbedeckte Stirn. "Es sind zwei Dinge, die mich so handeln lassen, Mylord. Der eine ist, dass ich im direkten Auftrag von Admiral von Hohenfels handle. Wer mich also bedroht oder gar tötet, bekommt es mit dem Admiral der Flotten zu tun. Ich wäre nicht dazu gekommen das zu sagen, wenn ich gleich geschossen hätte."
"Hört, hört", raunte eine Männerstimme. Johann glaubte, Raglunds Bariton erkannt zu haben.
"Das zweite ist, dass ich Mylord die Gelegenheit geben möchte, Buße vor Gott zu tun. Ich bin nicht so herzlos, dass ich seine Seele der Verdammnis überantworte, obwohl sie mit einem schlichten Eingeständnis seiner Schuld gerettet werden kann."
Die Situation begann absurd zu werden. Zwar hatte Johann Erfahrung mit Fanatikern, und bekanntlich erstreckte sich deren Wirkungsbereich nicht auf die Religion, aber dieser Junge schien nicht nur von seinem Glauben beseelt zu sein, sondern auch missionarisch tätig sein zu wollen.
Einer der Wachsoldaten kam langsam näher. Er winkte unauffällig in Arlings Richtung und tappte sich gegen seinen Brustpanzer, die einem einfachen Laserschuss weit genug widerstehen würde, ohne dass ein Körper und alles was dahinter war, durchschlagen wurde. Die Absicht des Soldaten war klar: Er wollte es zwischen den Lord und die Waffe schaffen.
"Buße?", rief Arling und begann zu lachen. Er musste Zeit gewinne, Zeit für diesen tapferen Wachsoldaten! "Buße für was? Für die vielen Soldaten, die in diesem Krieg schon durch meine Hand gestorben sind? Für meine Kameraden, die ich nicht habe beschützen können? Für all jene Hephaistianer, die ich nicht hatte retten können? Dafür Buße zu tun, das ist mir Recht. Denn ihr Blut klebt an meinen Händen, ihr Tod lastet auf meiner Seele."
"Buße tun dafür, Gott zu verleugnen! Den Menschen die Chance zu nehmen an ihren Gott zu glauben! Buße zu tun, weil Gott geleugnet wurde! Buße zu tun, um vor seinen Augen Gnade zu finden! Denn Ihr tretet vor Euren Schöpfer, Lord Arling!" Sein Blick ging zum Wächter. "Ich sagte keiner rührt sich! Sonst erschieße ich ihn, bevor er seinen Frieden machen kann!"
Der Wachsoldat erstarrte. Seine Miene versteinerte und entschlossen richtete er seine Waffe auf den Kopf des Attentäters. "Wenn seine Lordschaft stirbt, blase ich dir den Kopf weg", zischte er.
"Ich stehe unter dem Schutz der Kaiserin!", rief der junge Mann beharrlich.
"Meine Damen und Herren", klang nun Carries Stimme auf, "verfolgen Sie nun live mit uns das unglaubliche Ereignis! Was Soldaten und Schiffe nicht vermochten, das soll nun durch Verrat geschehen! Lord Johann Arling soll von einem seiner eigenen Leute ermordet werden! Der junge Mann wurde augenscheinlich von Admirälin Miranda von Hohenfels angestiftet, und ist sich nicht einmal bewusst, dass er einen Schuss auf Lord Arling nicht überleben wird!" Sie lächelte gewinnend und trat näher an den Sitz von Arling heran.
Johann legte eine Hand vor sein Gesicht und seufzte. "Verdammt, Carrie, musst du denn jede gute Geschichte gleich bis zur Neige ausweiden?"
"Entschuldige bitte, dass ich meinen Job tue, Han. Außerdem musst du es so sehen: Sobald dieses Kind dich erschossen hat, weiß die ganze Galaxis wie abgrundtief böse die falsche Miranda von Hohenfels ist. Und dein Attentäter weiß es auch, die halbe Sekunde, die ihm bleibt, bevor ihn zwanzig Waffen zerfetzen." Sie lächelte liebenswürdig, während eine Schwebekamera von Spence direkt neben ihrem Kopf folgte. "Eine Frage, Matrose Vincent: Glauben Sie wirklich, die Admirälin kann sie hier draußen beschützen?"
Der Steward fasste seine Waffe nach. "Wenn ich sterbe, wird niemand hier mehr eine Karriere haben!"
"Mag sein, Junge, aber wir haben dann wenigstens noch unser Leben, was man von dir nicht behaupten kann", sagte Arlene Schlüter streng und zog ihre eigene Dienstwaffe, um sie auf den jungen Matrosen zu richten.
Sein entsetzter Blick glitt für einen Sekundenbruchteil in die Runde, auf die Anzahl gezogener scharfer Waffen. Kein einziges Besatzungsmitglied in der Zentrale hatte nicht die Dienstwaffe gezogen, keiner hatte ein anderes Ziel als ihn gewählt. Somit zeigten über vierzig scharfe Waffen auf den jungen Mann, einige davon unheilvoll glimmende Energiewaffen, die einen schnellen, aber schmerzhaften Tod verhießen.
Dieser Augenblick der Unaufmerksamkeit reichte Carrie Rodriguez. Die fliegende Kamera von Spence sauste an ihr vorbei, blockierte das direkte Schussfeld auf Lord Arling, während sie mit einem schnellen Tritt die Waffenhand Vinvents traf. Der heftige Schlag war so stark, dass er die Kontrolle über die Waffe verlor. Sie entglitt seinen Fingern und segelte mehrere Meter über die Arbeitspulte hinweg. Rodriguez begnügte sich nicht mit dem Tritt gegen die Waffenhand; sie drehte sich in den Mann hinein, ihr linker Ellenbogen zuckte nach hinten, traf seinen Solarplexus und trieb ihm mit purer Gewalt die Luft aus den Lungen. Carrie griff nach dem rechten Arm, der nun wie hilfloser Ballast herabfiel, stemmte sich in den jungen Mann hinein und warf ihn mit einem klassischen Judogriff über die Schulter. Er landete mit einem lauten Schmerzensschrei direkt vor Arlings Füßen.
Rodriguez hielt immer noch die Rechte am Handgelenk. Sie benutzte nun rein mechanische Kraft, um den Attentäter auf den Bauch zu drehen. Dann streckte sie den Arm durch und drehte das Handgelenk mit dem Uhrzeigersinn, bis sie Widerstand spürte. Sie erhöhte den Druck, und ein lauter Schmerzensschrei entrang sich Vincents Kehle. Nun war der Wachsoldat heran, landete mit beiden Knien voran auf dem Rücken des Unglücklichen, was ihn vor Schmerz fast in eine Ohnmacht trieb. Er nahm das Handgelenk von Carrie Rodriguez entgegen und zückte Handschellen.
"Danke, Miss Rodriguez. Wir übernehmen ab hier."
"Gern geschehen, Feldwebel Leyter. Jederzeit wieder", flötete sie und schenkte ihm ein Lächeln. Ihre Miene verfinsterte sich, als sie in Spence´ Kamera sah. "Ich hätte nie gedacht, dass es solche Menschen wirklich gibt, die ihren Glauben über die Menschen setzen. Geht es denn noch dümmer? Gibt es denn ein höheres Gut als das Leben? Und diese Leute, sie... Sie..."
"Lass mich raten, Maddie", sagte Arling, "ihr nehmt hier wirklich Live auf, oder?"
Carrie Rodriguez warf dem Admiral einen amüsierten Blick zu. "Solltest du nicht eigentlich geschockt sein, Herz- und Atemprobleme haben und nicht in Versuchung sein, Hausdetektiv zu spielen, Johann Arling?"
"Mitnichten, Major Russel. Einer der Vorzüge, beim Militär zu sein ist, an den schnellen Wechsel von Situationen gewohnt zu sein. Erlaube mir, später in meiner Kabine den Nervenzusammenbruch nachzuholen." Sinnend betrachtete er die Frau vor sich, die eindeutig wie Carrie Rodriguez aussah, aber in Wirklichkeit die Anführerin der sechs Ninjas in der Flotte war, Madeleine Gräfin zu Solms für die Eingeweihten, für alle anderen Major Russel. Er deutete auf einen Hilfsmonitor an seinem Sitz, auf dem gerade Terra News Channel Live 1 lief, mit dem Direktbericht von Carrie Rodriguez von der HOUSTON, aufgenommen von ihrem Partner Spencer. "Da ich weiß, dass Carrie nichts vom Klonen hält und du eine ähnliche Statur wie sie hast, musste ich nur eins und eins zusammen zählen." Er nickte in Richtung des vermeintlichen Kameramanns.
Die falsche Carrie lächelte. "Einer meiner Ninjas. Entschuldige wenn ich vor einer internationalen Kamera keine Details nenne."
Arling schmunzelte. Den Rest konnte er sich denken. Entweder wurden also zwei der sechs Ninja-Knights von einer externen Quelle aus fern gesteuert, oder es saßen Techniker aus dem Begleitkommando der Ninjas an den Kontrollen. Was andernorts jeden Kommandeur dazu verleitet hätte, die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen war für die Ninjas und ihre Unterstützung normales Tagwerk. An die Ninjas wurden allerhöchste Ansprüche gestellt, und auch ihre Support-Truppen wurden nach multiplen Fähigkeiten ausgesucht. Es hätte Arling nicht gewundert, wenn die beiden derzeitigen Piloten der fraglichen Knights trainierte und aktive Piloten waren.
Mittlerweile war der zweite Wachsoldat hinzu gekommen, und zu zweit hatten sie den jungen Mann wieder auf die Beine gestellt. Zahlreiche Offiziere und Mannschaften der Brücke umstanden sie oder sahen zumindest herüber.
"Ich stehe unter dem Schutz der Kaiserin", zischte der benommene und lädierte junge Mann.
"Nein, Sie stehen unter meinem Schutz. Bis ich Sie einem katalaunischen Militärgericht übergeben kann. Die Hauptanklage wird auf Dummheit lauten, das verspreche ich Ihnen. Abführen."
Die beiden Wachen führten den Mann fort und übergaben ihn am Schott zur Brücke einer Streife, die den Attentäter in den Arrestbereich bringen würde.
Diesen kurzen Moment, in dem er sich unbeobachtet wähnte, nutzte Arling, um wenigstens einmal aufzuseufzen und tief einzuatmen. Verdammt, nach solchen Attacken wusste er wenigstens wieder das eigene Leben mehr zu schätzen.
"Wir haben immer noch eine Schlacht zu schlagen, Herrschaften", sagte er streng. "Kapitän Schlüter, bringen Sie Ordnung in Ihre Crew."
"Aye, Sir! Signalgast, blasen Sie "Alle Mann"."
Der Signalgast bestätigte und pfiff das alte Signal auf der Brücke der Iolaos. Kurz darauf kamen Bereitschaftsmeldungen aus allen Bereichen.
"Ordnung ist wieder hergestellt, Mylord", meldete Schlüter.
"Gut, dann lasst uns endlich diese Schlacht gewinnen", erwiderte Johann zufrieden.


5.
07.07.2613
Sanssoussi,
Montillon-System
Planetare Hauptstadt Neu-Berlin
Zur Zeit der Schlacht im Loxley-System

Wenn man eines über Neu-Berlin sagen konnte, dann sicherlich, dass sie eine vielschichtige Großstadt war. Die gewaltigste Stadt des Planeten war Nachbar unzähliger Vororte und des großen Admiral Angward-Raumhafens, dessen Besatzung oft genug Zerstreuung und Vergnügen in der Stadt suchte. Dazu kamen mehrere große Universitäten, die Militärakademie, Kasernen von Heer und Miliz sowie etliche industrielle, handwerkliche und Dienstleistende Betriebe.
In ihrem Sog folgten natürlich die Menschen, und in geringerem Ausmaß jene intelligenten Wesen des Kaiserreichs, die mit dem unzutreffenden englischen Wort für Fremde beschrieben wurden: Aliens.
Wie in jeder großen Stadt gab es auch hier verschiedene kulturelle Schichten, die sich aus persönlichen Möglichkeiten, Vorlieben und dem Angebot der Großstadt hervor taten. Natürlich gab es das große Opernhaus, verschiedene Theater, aber ebenso auch eine Unzahl an Bars, Tanztempeln, Gaststätten und Restaurants. In dieser riesigen Stadt Zerstreuung nach eigenem Gusto zu finden war nicht schwer. Und selten war es eine Frage des Geldes, denn die Künste wurden in Katalaun traditionell von öffentlicher, aber auch privater Hand gefördert. So war es nicht gerade ungewöhnlich, einen normalen Programmierer für ein Schiffsteilewerk direkt neben seinem Direktor in der Oper sitzen zu sehen, während im Umkehrschluss besagter Direktor mit besagtem Programmiere hinterher in der gleichen Kneipe beim Frisch gebrauten saß.
Natürlich gab es auch in dieser wie in jeder Gesellschaft Randgruppen. Alle großen Ereignisse spülten weitere Randgruppen an die Oberfläche, und gerade in der Anonymität einer Großstadt taten sie sich entsprechend leicht. Man ließ sie zumeist gewähren, solange sie sich selbst und Dritten nicht schadeten. Damit waren sie zwar vielen anderen, größeren Gruppen ein Dorn im Auge, aber welcher Rebell schämte sich schon, dass jene gegen die er rebellierte, auf ihn schimpften?
Viele dieser Gruppierungen bestanden aus Studenten und Jugendlichen. Einige von ihnen waren von radikalen religiösen Gruppierungen vereinnahmt worden, andere hatten sich erfolgreich gegen die Instrumentalisierung gewehrt und waren nun Feinde ihrer Occupateure. Einige waren auf einem gewissen Niveau angesehen, andere kokettierten damit, verrufen, verroht und vielleicht sogar barbarisch zu sein. Eine dieser Gruppen waren die PrAlis. Die PrAlis setzten ihren Namen aus Pro Alien zusammen, was bedeuten sollte, dass sie der allgemeinem Koketterie der menschlichen Gesellschaft gegen Aliens nichts abgewinnen konnten und ihr Heil eher darin sahen, ihnen ähnlich zu sein. Deshalb kleideten sie sich oft nach ausländischer Alienmode, klebten sich Accessoires an, die sie den Außerirdischen ähnlicher machte, also Federn, Schuppen, Fangzähne, falsches Körperfell und dergleichen, und rebellierten damit gegen ihre konservativen Elternhäuser, gegen eine elitär denkende Gesellschaft, gegen starre Normen und grundlosen Hass. Selbst der Kriegsbeginn mit Zyrrtek hatte ihnen wenig von ihrem Elan nehmen können, geschweige denn ihre Philosophie geändert. Das Erstaunlichste an den PrAlis war wohl, dass man die meisten als Kaisertreu bezeichnen konnte, die anderen zumindest tolerant oder oppositionell loyal. Viele, wenn nicht die Mehrheit, identifizierte sich mit Kaiser Robert und seiner Revolution der Herzen und deren Zielen. Sie verehrten ihn für seinen Kampf, für seinen Mut und für seine weitere Politik, welche das Lebensniveau nach dem Krieg in kurzer Zeit wieder auf ein hohes Niveau gehoben hatte. Sie kamen aus allen Schichten der Bevölkerung hatten unterschiedliche Bildungswege hinter sich, vor sich oder unterwarfen sich ihnen gerade. Gemein war ihnen vor allem eines: Ihre Umwelt mit ihrer plakativ zur Schau getragenen Sympathie für Außerirdische nachhaltig zu schocken, Pläne für die Zukunft von Menschen und Außerirdischen zu schmieden, und für die Wortgewandteren unter ihnen die religiösen professionellen Werber bloß zu stellen, die unter ihnen wieder und wieder Verbündete suchten. Nicht wenige waren Studenten, und die waren in den letzten Jahren ein primäres Ziel dieser Werbeaktionen gewesen.
Die Erfolge waren spärlich gewesen.
Über PrAlis konnte man vieles sagen, zum Beispiel, dass sie sich zu großen Gruppen in den Parks zusammen rotteten, dass sie mit ihrem aufgeklebten oder implantierten Körperschmuck kokettierten, dass sie zu gerne bereit waren lange für ihre Überzeugung zu diskutieren. Gewiss neigten auch einige zu der einen oder anderen Droge, und einer netten improvisierten Party waren die wenigstens abgeneigt. Sie waren eine Randgruppe, aber eine die sich zusammenrottete. Für viele ein Hobby, doch für manche der tatsächliche Lebenszweck. Man konnte noch viel mehr über sie berichten, aber der wichtigste Punkt war wohl, das Flüchtlinge in ihrer Mitte sicher waren. Es gab mehr als ein Dutzend Polizeieinsätze, bei der sich die Einsatzleiter plötzlich vor der unheilvollen Aufgabe sahen, tatsächlich einen Großeinsatz befehlen zu müssen, weil sich flüchtige Straftäter verschiedener Couleur, von unschuldig bis Bankraub in höchster Not zwischen sie geflüchtet hatte. Es musste Ironie pur sein, dass eine der größten PrAli-Gruppen Neu-Berlins im Robert der Erste-Gedenkpark mitten in der City wieder einmal einem Flüchtling Schutz gewährte, genauer gesagt zwei Flüchtlingen.

Ein kluger Mann hatte einmal gesagt: Es gibt keine Mehrheiten. Alles besteht aus Minderheiten, und die kleinsten Minderheiten sind die einzelnen Gedanken in deinem Kopf.
Im Klartext bedeutete dies, dass nicht zwei PrAlis die absolut gleichen Interessen oder gar den gleichen Hintergrund hatten. Zu oft war ihre Ablehnung, alles Schlechte auf Außerirdische zu schieben, der einzige Faktor, der sie zusammenführte und zusammenhielt. Eine waren ein paar Jahre aus Koketterie ein PrAli, andere blieben es ihr Leben lang, selbst wenn sie den auffälligen Schuppen- und Federschmuck längst gegen eine Uniform oder Geschäftskleidung getauscht hatten. Vom Kind hochgebildeter Eltern bis zum Sprössling von Hilfsarbeitern war in ihrer Mitte alles versammelt, und ungeahnte Koalitionen für die Zukunft entsprangen hier für die einen, während die anderen vielleicht einen Stapel guter und schlechter Erinnerungen von hier mitnahmen.
Gerrit Rend war in seiner Jugendzeit ein ziemlich aktiver PrAli gewesen. Er hatte es geliebt, mit Gleichaltrigen seine Zeit zu vergeuden, sich falsche Hörner anzukleben und mit Kontaktlinsen zu schocken, die seine Augen denen eines Javaren zum Verwechseln ähnlich machten. Man konnte nicht sagen, das er erwachsen geworden wäre und die PrAlis verlassen hätte. Er hatte nur den Standort getauscht und war mit seiner tiefen Überzeugung über die Gleichberechtigung von Menschen und Aliens in den Geheimdienst eingetreten. Dort hatte es ihn schnell zur Spionageabwehr verschlagen, und dank seiner Jugend war er zur Überwachung reaktionärer Gruppen an Schulen, Universitäten und Akademien eingesetzt worden. Mehrere spektakuläre Erfolge gegen Verfassungsfeindliche Gruppierungen und kriminelle Vereinigungen hatten ihn die Erfolgsleiter nach oben stolpern lassen. Längst hatte er das Recht, eigene Teams anzuführen, aber Direktor Mannth, die Chefin des Inlandsgeheimdienst, hatte ihren besten Mann so lange wie möglich "im Feld" halten wollen, wie sie sich ausdrückte. Tatsächlich gab es nur eine Handvoll Männer und Frauen, die um die wahre Identität von Hauptmann Gerrit Rend wussten, unter ihnen einzig der Chef des Auslandsgeheimdienst, Direktor Rütli. Direktor Maier vom Militärischen Geheimdienst, war nicht darüber informiert worden und hatte nach seinem Verrat von Gerrits Hand den Tod gefunden. Dennoch wussten lediglich Mannth, Rütli, Robert, Elisabeth und ein weiteres halbes Dutzend handverlesener Agenten, dass der selbst ernannte Beschützer ihrer Hoheit in der Tat einer der besten Agenten Katalauns war. Und dies mochte man als Zeichen dafür werten, wie gut er tatsächlich war.
Gerrit war nie abgehoben, hatte stets so gehandelt wie sein eigenes Gewissen es ihm vorschrieb. Und das war zwar nicht immer im Einklang mit den Wünschen seiner Vorgesetzten, aber sein Erfolg hatte ihm oft genug Recht gegeben, sodass Rütli, der die Geheimdienstarbeit für den Kaiser zusammenfasste, mehr als einmal gebeten hatte, Rend ausleihen zu dürfen. Das bedeutete für einen so jungen Feldagenten eine Anerkennung, die schwächere Leute schwindlig gemacht hätte.
Dennoch, seine Wurzeln hatte er nie vergessen, niemals sein Netzwerk vernachlässigt. Informationen waren für einen Agenten das täglich Brot. Und gute Kontakte konnten ihn in der Not aus der Scheiße ziehen. So wie seine Kontakte zu den PrAlis, die ihn und seinen Schützling nur zu gerne aufgenommen hatten, wenngleich auch hier nur eine Handvoll junger Leute wusste, um wen es sich bei Ger und Lissie wirklich handelte. Für alle anderen waren sie Bekannte von Reyner, einem ihrer Wortführer, der sie von seinen Besuchen bei Verwandten auf B-King kannte. Reyner war einer der wenigen, die ihre wahre Identität kannte. Manche in der Gruppe mochten sich also wundern, dass der ausgeglichene, freundliche Theologiestudent plötzlich paranoides Verhalten gegen neue Gesichter entwickelte.

Gerrit Rend und seine Schutzbefohlene hatten Maske gemacht. Er selbst hatte seine Haut rotschwarz gefärbt und pflegefreie schwarz glänzende Schuppen an den Armen aufgeklebt. Seine Haare waren nur schneeweiß gebleicht und mit einem medizinischen Regenerator um Armeslänge gewachsen.
Seine Kleidung bestand in erster Linie aus mindestens drei Nummern zu großer Militärkleidung, auf der frech die Rangabzeichen eines Hauptmanns prangten. Unter den weiten Falten der Vielzweckkleidung hatte er seine Handfeuerwaffe versteckt, jederzeit griffbereit. Mir Reyner und den anderen war ein Notfallplan besprochen, ein spezieller Fluchtweg, den er und Elisabeth nehmen würden, sobald sie entdeckt wurden. Tatsächlich rechnete er nicht damit, noch länger als ein oder zwei Tage sicher zu sein, obwohl man einen Diamanten am besten in einem Schatzhaufen versteckte. Er und Elisabeth hatten sich zwei Tage lang laut und auffällig verhalten, Passanten mit rassistischer Tendenz beleidigt und in provokative Gespräche gezwungen. Kurz, sie hatten ihr Bestes gegeben, um wie echte PrAlis keiner Norm zu entsprechen und "ihr eigenes Ding durchzuziehen".
Elisabeths Haare waren ebenfalls gebleicht worden. Geschickte Dauerschminke und künstlich geblasste Haut zusammen mit raffinierter Dauerschminke hatten sie zusammen mit einem weißen Hosenanzug ein beinahe elfenhaftes Aussehen gegeben, das aus der gerade hübschen Prinzessin eine atemberaubende Schönheit gemacht hatte. Eine künstliche Schönheit, wohlgemerkt, so zurecht gemacht, dass mehr als ein Javarenmann neugierig gefragt hatte, wann sie denn von den Heimatwelten nach Sanssouci gekommen war. Auffällig genug, um nicht in den Verdacht zu geraten, die untergetauchte Prinzessin Elisabeth Roxane von Versailles zu sein.
Überdies wurden die Medien nicht müde zu betonen, sie sei gegen ihren Willen entführt worden. Und das passte nicht zu der lachenden, streitlustigen und manchmal dreisten Schönheit, die sich mit einer Leichtigkeit zwischen den PrAlis bewegte, als würde sie schon seit Jahrzehnten dazu gehören.

Reyner und Kalif setzten sich neben Gerrit, der, einen Saft in der Hand, Elisabeth dabei beobachtete, wie sie mit einigen anderen PrAlis lachte und scherzte, die wie sie Javaren imitierten. Es war sogar ein echter Javare dabei, ein junger Bengel, der sich zwischen den Imitaten sichtlich wohl fühlte. Und der für die deutlich ältere Elisabeth mehr als familiäre Gefühle entwickelte. Gerrit sah das mit Unwillen. Immerhin kannte er Elises fürsorgliche Ader für seine Nichte und seinen Neffen und wusste, dass sie nur allzu bereit war, ihr Herz an andere zu binden. sie war weich, freundlich, schenkte Aufmerksamkeit im gleichen Maße wie sie sie genoss und blieb dabei immer herzlich, aufrichtig und brachte gerne andere zum lachen. Gerrit schnaubte halb amüsiert, halb frustriert. Wenn sie nicht die Prinzessin wäre... Wenn sie nicht die Freundin von Charles wäre... Wenn sie nicht seine Aufgabe wäre... Wenn sie ein klein wenig mehr sein Typ wäre...
"Ger?", fragte Kalif ernst. "Was? Ich war in Gedanken, scheint es."
Der große, strenge Mann, der als einziges PrAli-Zierrat mit einem Bier bewaffnet war, warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. "Ich habe gerade gesagt, dass sich ein paar Fremde für Lissie interessieren. Sie haben einige der Jüngeren aus der Gruppe über sie ausgefragt. Wo sie herkommt, wo sie hin will, wo sie schläft, mit wem sie zusammen ist. Einige waren dabei so geschickt, dass sie sogar Antworten gekriegt haben. Ich weiß nicht ob es sicher ist, euch wieder heute mit zu mir zu nehmen. Vielleicht sollten wir alle eine Nachtschicht einlegen und heute hier bleiben."
"Mitten in der Woche? Meinst du nicht, dass das auffällt? Außerdem gibt das der Polizei vielleicht einen Vorwand, um Lissie und Ger zu verhaften."
"Natürlich, Reyner. Gegen zweihundert von uns, oder was?"
Reyner machte einen Laut des Unmuts. "Du vergisst über wen wir hier sprechen. Wenn es die sind, die Ger und Lissie auf den Fersen sind, dann haben wir es mit Leuten zu tun, die Attentate auf einige der wichtigsten Militäroffiziere und Geheimdienstleute Katalauns durchgeführt haben; die mit ihren religiösen Spinnern über eine große, leicht manipulierbare Anhängerschaft verfügen; die keine Probleme hatten, zwischen ihren eigenen Leuten eine Bombe zu zünden, um es Robert anzulasten. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie uns womöglich bereits beobachten und belauschen, wenn sie wirklich einen konkreten Verdacht haben."
"Ich dachte, inmitten einer lärmenden, uns optisch verdeckenden Menge wären wir sicher, und kein Hochleistungscomputer könnte ausgerechnet unser Gespräch aus all den vielen Stimmen heraus filtern, solange wir mitten drin sitzen. Außerdem klingt es immer ein wenig komisch, wenn du Theologiestudent diese Typen religiöse Spinner nennst", bemerkte Kalif.
"Man kann nie vorsichtig genug sein, Kalif. Und du weißt wie ich das mit diesen Spinnern sehe. Religion an sich ist in Ordnung, und gerade die Historie ist sehr interessant. Aber die Leute, die Religion für ihre Zwecke pervertieren und missbrauchen haben schon das heilige Jerusalem geplündert, im Namen ihres Glaubens gefoltert und getötet, und in Neu-Berlin lauthals verkündet: Bist du nicht für uns, bist du gegen uns. So lange ist die Revolution der Herzen noch nicht her, dass du das nicht mehr erlebt hast, oder?"
"Hör auf davon zu erzählen. Wir können froh sein, dass der Aufstand, den Robert damals anführte, so glimpflich abgelaufen ist. Es hätte auch ganz anders werden können."
"Du meinst so wie es jetzt aussieht?", merkte Gerrit an. Die Worte von Kalif hatten ihn nervös gemacht. Mit den Augen suchte er die Umgebung des Parks nach auffällig unauffällig geparkten Transportern ab, die vielleicht eine Überwachungseinheit vom Geheimdienst beherbergen konnte.
"Ungefähr so wie jetzt. Deshalb halte ich eine Trennung von Kirche und Staat für sehr sinnvoll, Bruder Ger", scherzte Reyner. "Zu mir könnt ihr nicht, ich bin als PrAli-Führer zu bekannt. Ich halte auch nichts davon, dass wir heute Nacht hier bleiben. Zu schnell haben die irgendwas konstruiert, um hier notfalls mit ein paar Hundertschaften aufzutauchen. Die Putschisten schießen auch mit Kanonen auf Spatzen, vergesst das nicht."
"Was sind Spatzen?", fragte Kalif irritiert.
"Eine Art terranischer Vogel. Sehr klein und schwer zu treffen."
"Ah, ich verstehe den Sinn", brummte Kalif. "Hat sich dein Verbindungsmann noch nicht gemeldet? Wann könnt ihr weiter ziehen, Ger?"
"Geplant war ein sicherer Transport für morgen, wenn die hektische Suche ein wenig abgeflaut ist. Wenn sich das nicht ändert, sind wir morgen Abend raus aus Neu-Berlin. So lange müssen wir aushalten. So lange muss ich aber auch auffindbar sein."
"Gibt es einen Ausweichplan, Hauptmann Ger?"
Rend nickte. "Es gibt sogar mehrere, aber alle erfordern das ich Kontakt aufnehme, und im Moment vertraue ich niemandem. Außer euch beiden."
"Oh, wir fühlen uns geehrt, dass du uns mit der schlimmsten Last des Kaiserreichs belastest", erwiderte Reyner ironisch. Er schielte zur elfenhaften Elisabeth herüber und schmunzelte. "Allerdings einer außerordentlich hübschen Last. Sie sollte den Javaren-Look zur Staatskleidung erklären. Es steht ihr sehr gut."
"Ich werde sie darauf ansprechen, versprochen." Rend gestattete sich ein kurzes Schmunzeln. Doch er wurde schnell wieder ernst. "Es gibt ein Ausweichquartier, in dem wir bis morgen Abend bleiben können, und von dem aus ich meine Kontakte anwählen kann. Allerdings, sollten wir wirklich bereits ins Visier unserer Verfolger geraten sein, sind ein Mann und eine Frau, deren Staturen mit Rend und Elisabeth übereinstimmen, ein Leuchtfeuer in der Dunkelkammer. Egal, wie groß Neu-Berlin ist."
"Verständlich", murmelte Kalif. "Wir können mit der ganzen Gruppe gehen. Ich werde schon dafür sorgen, das sich niemand von euch verabschieden wird, wenn ihr euch absetzt. Lass das meine Sorge sein."
Gerührt nickte Rend. "Danke, Kumpel. Hast einen gut bei mir."
"Hey, wir können dich doch dabei nicht allein lassen. Was würde Herzog Beijing sagen, wenn er herausfinden würde, dass du versagt hast, weil wir dir nicht richtig geholfen haben?"
"Du meinst Graf Arling."
Kalif zog eine Augenbraue hoch. "Dieser ganze Adelsquatsch ist doch großer Mist. Ich steige durch dieses System nicht durch. Ist er nun Herzog oder ist er es nicht?"
"Er ist im Holovid, wie es scheint", merkte Reyner an und deutete auf eine Gruppe seiner PrAlis, die mit Elisabeth zu einer der Nachrichtensäulen herüber gegangen waren. Kaum war die Gruppe nahe genug, poppte ein Hologramm auf, das unverkennbar Terra News Channel Live 1 zeigte. Gerrit erkannte das wie lackiert wirkende Lächeln eines Sprechers, und das war auf dem Live-Channel das Anzeichen für eine mittlere Sensation. Live 1 wurde nicht moderiert. TNC ließ die Live-Bilder grundsätzlich für sich selbst sprechen. Im Hintergrund sah man ein Datenfenster, auf dem rechts Johann Arling in seinem Kommandosessel saß, und links ein katalaunischer Matrose mit Energiefeuerwaffe stand, die er auf den Grafen gerichtet hielt. Plötzlich huschte eine mobile Kamera auf ihn zu, versperrte ihm die Schussrichtung, und einen Augenblick später hatte Carrie Rodriguez den Attentäter zu Boden gezwungen, während ein Untertitel eindringlich darauf hinwies, dass es sich nicht um die beste Live-Reporterin von TNC handelte, sondern um einen kaiserlichen Ninja, der Lord Arling Undercover beschützt hatte. Zu Recht, wollte man sagen.
Die Gruppe eifriger PrAlis, die das Programm gespannt verfolgten, brachen in lauten Jubel aus, als diese Szene in Zeitlupe wiederholt wurde. Eine Einspielung am Rande zeigte eine aktuelle Umfrage des Senders zur Beliebtheit Lord Arlings auf Terra. Dreiundsiebzig Prozent der Befragten fanden "Arling gut", siebenundachtzig sagten, sie würden ihn kennen, und knappe dreißig gaben ihn als Vorbild an.
"Schwager, Schwager, in was für einen Mist hast du dich nun wieder rein geritten?", murmelte Gerrit grinsend. Und wie es schien, war er auch diesmal wieder aus dem Mist raus gestiegen, ohne eine Schramme abzubekommen. Von Rechts wegen hätte er sowieso noch von seiner Verletzung an der Schulter aus der Riverside-Schlacht laborieren müssen, und wenn schon nicht körperlich, dann zumindest mental.

"Hey, hey, da stimmt was nicht!", rief Reyner und sprang auf. Alarmiert erhoben sich Rend und Kalif. Elisabeth befand sich in einem heftigen Streit mit einem Passanten, der wirkte, als wäre er einem militärischen Werbeplakat entkommen. Spontan ordnete Rend den Mann als Unteroffizier, Infanterie, ganz vorne mit dabei und noch nicht lange im Ruhestand ein.
Als die drei Männer näher kamen, weitere interessierte PrAlis im Schlepp, hörten sie mehr vom Wortgefecht zwischen dem Fremden und der Prinzessin.
"Eine Schande, wie ihr euch benehmt! Dass unser Militär so etwas auch noch verteidigen muss! Dass ihr einem Verräter und Gotteslästerer zujubelt..."
Elisabeth ließ sich von der großen Gestalt nicht einen Moment einschüchtern. Gerrit wusste nur zu gut, dass ihre Lehrer ihr genügend Kampfsportkniffe gezeigt hatten, um selbst mit einem Mann diesen Kalibers und der Erfahrung eines Unteroffiziers fertig zu werden. Zudem war ihre Präsenz alleine schon eine Waffe. "Jetzt hör mir mal gut zu, mein Freund! Du und deine sogenannten Gottesgläubigen, die vorne Friede und Freundschaft beten und hinten nach jedem austreten der nicht eurer Meinung ist: Mein Vater ist wegen Idioten wir dir gestorben! Erst habt ihr Eiferer ihn benutzt, und als er alles getan hatte was ihr ihm abverlangen konntet, habt ihr ihn fallen gelassen und ihm auch noch sein Leben geraubt! Da stehe ich lieber tausendmal für einen Johann Arling auf und jubele ihm für seinen Mut und seine Taten zu, als dass ich mir ernsthaft anhöre, wie ihr die Worte aus der Bibel verdreht und in eurem Sinn auslegt! Oh ja, im Kriege beginnen und Menschen töten seid ihr groß. Aber Johann Arling ist groß im Kriege beenden und Menschen retten!"
Gerrit Rend ließ seinen Blick erneut in Paranoia über den Park schweifen. Nun, kein Eingeweihter konnte wissen, dass Elisabeth gerade über ihren Vater Frederec gesprochen hatte und dass Arling ihr Cousin war - eigentlich mehr ein Urgroßonkel - aber dem Geheimdiensthauptmann lief es dennoch kalt den Rücken hinab. Sein Gefahreninstinkt war bis zum Anschlag hoch gefahren, und die Alarmsirenen in seinem Kopf übertönten sich gegenseitig. Hastig kontrollierte er seine Waffe und nickte ein letztes Mal Reyner zu. Dann brach er mitten im gehen in die Knie ein. Verständnislos fand er sich fast am Boden wieder, mit Schwindel und mit beiden Armen auf dem Boden abgestützt.
Die Stimmen der anderen schienen ihm aus weiter Ferne zu kommen, und die Welt schien langsam gegen den Uhrzeigersinn zu rotieren. Die Stimmen schienen verschiedene Dinge zu rufen wie: Was ist mit ihm? Holt einen Krankengleiter!
Elisabeth tauchte vor ihm auf, nahm sein Gesicht in die Hände und sah ihn besorgt mit ihrem elfenhaften Gesicht an. Ihre Worte erreichten ihn nicht, und der Schwindel wurde nicht weniger. Er schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund sein Fell, um wieder klarer zu werden, aber es nützte nichts. Stattdessen fühlte er die Hände der anderen auf seinem Körper wie durch eine dicke Schicht Watte. Ein Halluzinogen, ging es ihm durch den Kopf. Ein ziemlich starkes Halluzinogen mit erschreckend schneller Wirkung. Wie war es ihm verabreicht worden? Einer der PrAlis? War es in dem Fruchtsaft, den er getrunken hatte? Vielleicht in kleine Biokapseln gehüllt, die durch den Einsatz bestimmter Taststrahlen aufgelöst wurden, um danach sofort ihre Wirkung zu entfalten?
Gerrit atmete tief ein, ergriff Elisabeths Hand und zog ihr Gesicht näher zu dem seinen. Die eigenen Worte erschienen ihm dunkel und lang gezogen. Er selbst verstand sie kaum: "Flieh... mit Reyner... Sofort."
Die Prinzessin sah ihn mit Unverständnis an und schüttelte heftig den Kopf. "Ich kann dich nicht zurücklassen!"
"Hau... ab...", entrang es sich seiner Kehle. Er wollte sie fortstoßen, zum gehen bewegen, Reyner und Kalif befehlen sie weg zu schaffen.
Aber in diesem Moment machte die bestürzte Gruppe PrAlis einem Notarzt und zwei Sanitätern Platz, die mit einer Schwebebahre heran kamen.
Ach so. Was für eine nette Taktik. Anstatt sie zu verhaften wurde Elisabeth dazu gebracht freiwillig mitzukommen, denn im Moment war er der einzige menschliche Faktor, mit dem sie zu irgendetwas gezwungen werden konnte.
Der Notarzt untersuchte Gerrit mehr als oberflächlich und gab dann die Anweisung ihn zuerst auf die Bahre und dann in den Rettungsgleiter zu schaffen. Er verlangte nach einer Begleitperson, und bevor es jemand verhindern konnte, war Elisabeth an seiner Seite. Verdammt, verdammt, verdammt. Einen solchen subtilen Schachzug hatte er seinen Gegnern nicht zugetraut. Das war eher etwas, was sich Direktor Rütli einfallen lassen würde und... Der Gedanke kroch noch einige Zeit zäh durch seinen Kopf, und er betrachtete ihn fasziniert und angewidert zugleich. Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.
Das Letzte was er hörte war Elisabeth, die verzweifelt seinen Namen rief.
***
"Ist es das, was Sie sich vorgestellt haben?", fragte Rütli ernst.
Die Frau, die neben ihm in dem kleinen Sportgleiter saß, schien zufrieden. "Ich hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn Sie ein paar dieser verrückten Kinder abgeschossen hätten. Aber man kann wohl nicht alles haben."
"Meine Leute, meine Methoden", sagte Rütli ernst.
Miranda von Hohenfels winkte hoheitsvoll ab. "Mir soll es recht sein. Hauptsache, Elisabeth kehrt in den Palast zurück. Und mit ihrer ausgesprochenen Vorliebe für Gerrit Rend haben wir sie noch besser in der Hand als zuvor." Sie musterte den Geheimdienstmann argwöhnisch. "Sie sorgen dafür, dass er sich nicht selbst umbringt?"
"Natürlich. Ich halte meine Seite des Deals ein. Und im Gegenzug..."
"Bekommen Sie die Oberaufsicht über alle drei Geheimdienste, wie abgemacht." Von Hohenfels musterte den Mann streng. "Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet der Initiator der Revolution der Herzen mir meine verlorene Prinzessin abliefert."
"Als ich die Revolution begann, habe ich es getan, um die Kontrolle über meinen Geheimdienst zu behalten. Die Zeichen standen auf Sturm, die Revolution war gemachte Sache, ob mit oder ohne Robert. Ich habe mich nur an die Spitze gestellt und bin vorweg gelaufen, und alle dachten ich würde sie anführen. Heute ist es ähnlich. Arling ist weit von Katalaun entfernt und stirbt vielleicht in der Fremde. Robert ist verschwunden, vielleicht tot. Und Ihre Partei aus Religionskriegern und Kreuzbrüdern übernimmt mehr und mehr Macht. Heute sind es Neu-Berlin und Sanssouci, morgen vielleicht schon B-King."
Von Hohenfels zuckte zusammen. "Woher wissen Sie..."
"Von Ihrem geplanten Angriff auf B-King, um die PRAG zu zerstören?" Rütli grinste wölfisch. "Ich bin Geheimdienstmann. Mir bleibt nur wenig verborgen. Ah, sehen Sie es als letzten Tritt, den ich gebraucht habe, um auf Ihre Seite zu kommen, verehrte Admirälin."
"Sie scheinen ein kluger Mann zu sein, Herr Direktor. Wollen Sie sich wirklich mit dem Posten des Chefkoordinators der Geheimdienste zufrieden geben? Ich hätte da auch noch einen Außenminister zu vergeben."
"Alles zu seiner Zeit, Frau von Hohenfels." Er lächelte grimmig, als der Gleiter startete und sanft beschleunigte. "Alles zu seiner Zeit."

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***
Als Gerrit Rend erwachte, brummte ihm gewaltig der Schädel. "Oh, verdammt", murmelte er und legte die Rechte an die Stirn. Verwundert registrierte er, dass man ihm keine Fesseln angelegt hatte. Zudem schien seine Linke in irgendetwas weichem, zartem zu stecken. Vorsichtig öffnete er die Augen, was ihm augenblicklich neue Kopfschmerzen bescherte, aber er erkannte verschwommen das Gesicht von Elisabeth über sich. Sie hielt seine Linke mit beiden Händen und lächelte ihn tapfer an. "Da sind wir ihnen aber ganz schön in die Falle gegangen, was, mein Ritter?", sagte sie mit einem Anflug von Schmerz in der Stimme.
Gerrit wollte antworten, aber es ging nicht. Erst nach einem befreienden Husten gehorchte ihm seine Stimme wieder. "Ein schöner Ritter bin ich", murmelte Gerrit betroffen. "Wo sind wir?"
"In der Krankenstation des Palasts. Du darfst dich in seinen Grenzen frei bewegen, bekommst aber ein paar Aufpasser mit. Sobald du wieder aufstehen kannst, heißt das natürlich."
Rend schnaubte leise. "Wem musstest du denn deine Seele verkaufen, um mein Leben zu bekommen, Majestät?"
Ihre Miene bekam einen bitteren Zug. "Frage nicht. Jedenfalls tut Miranda was ich will, solange ich für sie die Kaiserin spiele. Und ich will, dass mein Erster Ritter am Leben bleibt."
"Und sich frei bewegen kann", vervollständigte Rend.
Ein kurzes, schüchternes Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Sobald du aufstehen kannst. Rütli hat dich wirklich übel erwischt. Er hat was von Drogen erzählt, die auf Strahlung reagieren und sich dann frei setzen."
"Ich wusste es. Rütli war es. Ausgerechnet er. Die anderen wären bei weitem nicht so subtil vorgegangen. Weißt du ob Direktorin Mannth bereits etwas gesagt hat?"
"Direktorin Mannth ist nicht länger deine Vorgesetzte. Rütli hat dich ihm direkt unterstellt. Er sagte er würde sich mit dir befassen, wenn er die Zeit hat."
Die Tür zum Zimmer öffnete sich, und ein hoch gewachsener Offizier, der Rend unbekannt war, sah vorsichtig hinein. "Majestät, es wird Zeit."
"Natürlich, Major Lu. Ich komme." Sie ließ Rends Hand fahren und erhob sich. Sie trug nun eine schlichte zweiteilige Blusen- und Hosenkombination, nicht mehr ihr Kostüm. Immerhin hatte von Hohenfels diesmal darauf verzichtet, sie in Abendkleider zu stecken, um sie "kaiserlicher" aussehen zu lassen. "Komm zuerst zu mir, wenn du wieder gehen kannst, hörst du?" Sie lächelte sanft. "Rütli hat mir gesteckt, dass man meinen Ersten Ritter nicht gegen meinen Willen inhaftieren kann. Und du brauchst schließlich noch deine Ernennungsurkunde."
"Oh, welche Ehre", murmelte Gerrit leise. Er war verwirrt. Wie passte das alles zusammen? Welches Spiel spielt Direktor Rütli hier? Und warum? Auf wessen Seite war er letztendlich?
"Elise... Ich finde, die PrAli-Sachen haben dir besser gestanden."
Ein Schmunzeln huschte über ihre Miene. "Ich habe sie aufgehoben. Für unseren nächsten Besuch bei unseren Freunden." Sie nickte ihm noch einmal zu, dann passierte sie die Tür, welche der Major offen hielt. "Die Flotte ist also zusammengestellt?"
"Siebzehn Schiffe, davon drei Leichte Kreuzer, acht Zerstörer , der Rest Fregatten. Das sollte ausreichen, um die PRAG von B-King zurück zu fordern", informierte sie der Offizier sachlich.
"Was...?", fragte Rend und versuchte sich aufzusetzen.
"Es ist alles in Ordnung, Gerrit. Es ist alles unter Kontrolle. Konzentriere dich jetzt darauf, wieder auf die Beine zu kommen", mahnte sie und verließ das Krankenzimmer.
Gerrit ließ sich wieder zurück sinken. Er wünschte sich, wieder fit zu sein, seine Waffe zu haben und zwei Schritte hinter Elisabeth gehen zu können. "Verdammt, Johann, wo treibst du dich rum, wenn wir dich hier brauchen?"

In einem Nebenraum, in dem die Daten von acht Überwachungseinrichtungen im Krankenzimmer Rends ausgewertet wurden, stand eine nervöse Miranda von Hohenfels direkt neben Rütli. "Er weiß also wirklich nichts?"
"Er kennt seinen nächsten Kontaktmann. Wir fahnden bereits nach ihm, aber Rends Verhaftung hat ihn gewarnt. Admiral, wir reden hier über Mannths beste Leute."
"Die Sie immer noch nicht eingefangen haben!", warf sie ihm vor. "Wann liefern Sie die versprochenen Ergebnisse? Und warum liegt dieser Bastard nicht längst in Ketten?"
"Ich werde Ergebnisse liefern, sobald ich sie habe. Und ich werde sie kriegen, wenn Sie mich meinen Job machen lassen. Und Rend liegt deshalb noch nicht in Ketten, weil Sie Elisabeth zugestanden haben, ihren Ersten Ritter nicht einzusperren."
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Rütli kam ihr zuvor. "Es wäre unklug, das noch nachzuholen oder ihn gar zu töten. Mit Robert auf der Flucht ist er unser einziges Druckmittel gegen sie. Dieses Druckmittel selbst zu entfernen wäre töricht." Rütli warf ihr einen bedächtigen Blick zu. "Sind Sie töricht, Admiral?"
Unschlüssig sah sie ihn an, dann wandte sie sich abrupt ab. "Entschuldigen Sie mich, Direktor Rütli. Ich habe eine Flotte nach B-King zu schicken."
Rütli sah ihr nach und seufzte schließlich. Die erste Welle aus Fanatismus und Forderungen hatte ihren Höhepunkt erreicht und ebbte langsam ab, wie man an von Hohenfels sehen konnte. Aber was würde mit der zweiten Welle kommen, los getreten von der Industrie und den Fanatikern auf anderen Planeten? Es würde... Interessant sein, das zu beobachten.
***
Direktorin Mannth erwartete Rütli in seinem Büro. Sie war eine von den sehr wenigen Personen, die sich einerseits nicht in seinem Vorzimmer einrichten mussten und andererseits wussten wie sein Schrank mit den geistigen Reserven geöffnet werden konnte. Im Moment bediente sich die Geheimdienstchefin aus vollen Zügen am Inhalt, förderte jedoch keine Alkoholika zutage, wie Rütli für einen Moment gehofft hatte, sondern nur Eis für ihren Fruchtsaft. "Möchtest du auch einen, Carl?"
Rütli runzelte die Stirn und schlurfte zu seinem Sessel hinter dem Schreibtisch, dessen Tischplatte unter all den Datapads, Dokumenten und Hologrammen kau mehr zu erkennen war. "Ja, gerne. Maracuja, bitte. Und vielleicht mit ein wenig geistiger Gelassenheit, Eryn."
Direktorin Mannth runzelte die Stirn. "Alkohol, so früh am Tag? Willst du schon wieder Bionaniten schlucken müssen, um deine benachteiligte Leber reparieren zu lassen?"
Rütli dachte für einen Moment an den bitteren Trunk, den er vor fünfzehn Jahren jeden Tag dreimal hatte zu sich nehmen müssen, und fühlte eine Gänsehaut über seine Arme huschen. Damals hatten ihn der Stress und die Arbeit zum Alkoholiker gemacht, und er hatte sich tatsächlich die Leber ruiniert. Anstatt sich eine neue Leber züchten und einsetzen zu lassen, was ihn mindestens zehn Tage Krankenhausaufenthalt gekostet hätte, hatte er sich für Naniten und Zellreparatur entschieden. Heute würde er sich nicht mehr so entscheiden. Er seufzte. "Nur den Maracuja, Eryn."
Mannth kam mit zwei Gläsern und einem breiten Lächeln auf ihn zu. Ein Glas stellte sie vor Rütli ab, das andere stellte sie auf ihre Seite des Schreibtischs, der einzigen Ecke, die unter dem Wust an Dokumenten hervor ragte und verriet, dass die Tischplatte aus Marmor bestand. "Wie ist es gelaufen?"
"Gut. Gut, es ist wirklich gut gelaufen. Ich habe einen unserer besten Leute verraten, ich habe ihn und Elise in die Hände einer machtgierigen, fast verrückten Fälschung gespielt, und ich habe so ziemlich jedes Vertrauen zerstört, das es zwischen mir und meiner Kaiserin je gegeben hat, ganz zu schweigen von Gerrit Rend, einem Mann, den ich schon in meinem Direktorat gesehen habe."
"In meinem Direktorat, meinst du wohl. Nur weil ich ihn dir wegen der Verstrickungen der Kreuzbrüder mit der Republik überlassen habe, heißt das nicht, dass ich ihn nicht irgendwann zurück haben will."
"Aber Eryn", scherzte Rütli, "er ist doch viel zu jung für dich."
"Witzbold", brummte sie. Mannth nahm Platz und sah ihn über den Rand ihres Glases an. "Und? wann können wir Robert wieder auf den Thron heben? Haben wir endlich die Beweise dafür zusammen, wer für den Anschlag auf die Demonstration verantwortlich war?"
"Wir haben einiges, aber noch nicht die Drahtzieher. Sie haben sich unglaublich gut abgesichert, und im Moment kann ich nicht so wie ich wollte und würde." Hilflos krampfte er seine Hände zu Fäusten. "Verdammt, einmal zu laut niesen, und wir wecken schlafende Hunde. Die Religionskräfte sind diesmal viel aktiver als damals zu Zeiten von Freddie. Zwar machen sie nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung aus, aber es reicht bei weitem um Schaden zu verursachen. Großen Schaden, von dem sich das Kaiserreich wohl nie wieder erholen wird, wenn sie ihn tatsächlich anrichten."
"Du meinst es wird größeren Schaden anrichten als Mirandas Versuch, die PRAG im Cipangu-System zu erobern?", erwiderte sie spöttisch. "Ich denke nicht, dass es einen Johann braucht, um der Flotte einen ordentlichen Nasenstüber zu versetzen. Takeru ist mehr als Manns genug, um das selbst zu übernehmen. Und glaube mir, sauer ist er ein wunderbarer, Furcht einflößender Anblick."
Rütli nahm sein eigenes Glas auf und trank einen kurzen Schluck. "Damit enden unsere Sorgen noch nicht, sie fangen erst an. Unsere Miranda, unsere falsche, wurde gut präpariert und in eine sehr gute Position gebracht, indem ihr Stab bereits lange vor dem Austausch mit ihr ergebenen Leuten durchsetzt wurde. Dazu kommen ein paar Regimenter Infanterie, Panzer und Knights, die ihr gehorchen. All das bereitet mir Kopfschmerzen und schlaflose Nächte. Habe ich die Kopfschmerzen schon erwähnt?"
"Und dabei wurden diese Truppen erst einmal eingesetzt, um den Kaiser zu verhaften. Sollten sie Robert erneut aufspüren, könnten sie die halbe Stadt einäschern, nur um seiner habhaft zu werden. Und bei unserer von Hohenfels heißt das, dass der Zweck die Mittel heiligt. Sie würde jede noch so schwere Verwüstung, sogar offene Folter auf der Straße hinnehmen und damit rechtfertigen, das notwendige Dinge im Krieg eben getan werden müssten."
"Eine Ausrede, die ich bei meinen Leuten stets bestraft habe", brummte Rütli ernst.
"Und ich bei den meinen, Carl. Aber wir haben es nicht mehr mit der richtigen Miranda zu tun. Diese exzellente, jähzornige und machthungrige Kopie ist ein anderer Menschenschlag. Und leider hat sie noch nicht einmal einen Bruchteil dessen ausgeschöpft, was sie an Unterstützung hat. Hier und da ein paar Demonstrationen, am Kaiserpalast der Einsatz einer kleinen Elite-Infanterie, und dazu ihr Oberbefehl über die Flotte, der ihr erlaubt hat, auf die PRAG schießen zu lassen. Sie hat die militärische Macht kaum angerührt, sodass wir immer noch ein wenig im Zweifel sind, welche Einheiten ihr direkt ergeben sind. Es ist schlimm genug, dass es Offiziere und Regimentsführer gibt, die ihr einfach nur folgen, weil sie "Befehle befolgen müssen"."
"Ja, das ist sehr traurig. Und dazu kommt, dass wir noch immer nichts Handfestes über ihre Sponsoren wissen. Es steckt ein Teil der Hochindustrie als Geldgeber dahinter, das ist zumindest sicher. Und Ziel und Zweck der ganzen Aktion ist es, einen schwachen Kaiser auf dem Thron zu haben, der einerseits ihnen gehorchen muss und andererseits den Krieg gegen Zyrrtekk und Jemfeld weiter führt."
"So weit stimmen wir überein. So wie ich das sehe, befinden wir uns im uralten Kampf zwischen dem Kaiser und dem Geldadel, der Katalaun bewegt seit das Kaiserreich gegründet wurde. Nur welcher Geldadel? Wie viel steckt dahinter? Welche Motive? Geht es um Profit oder geht es um Macht? Für mich sind alle privaten und halbstaatlichen Rüstungsbetriebe automatisch auf der Verdächtigenliste."
"Eine Verdächtigenliste, die du wahrscheinlich bald verbrennen musst, Eryn, wenn du dein Amt behalten willst. Was nach deiner mehr oder weniger offensichtlichen Parteiname für den Kaiser ohnehin in Frage steht. Robert konnte zwar untertauchen, aber Elise wird bald zur Kaiserin gekrönt. Durch das mittlere Feuerwerk der Medien, die immer noch auf Mirandas Seite sind - weiß der Henker wie viel Mark hierfür geflossen sind - kann sich auch das Parlament nicht verschließen. Wenn dann der Rat der Herzoge die Wahl bestätigt, haben wir unsere Marionette auf dem Kaiserthron. Eine junge, beeinflussbare und zudem höchst verängstigte Frau, der man alles und allem was ihr lieb und teuer ist, die Pistole an die Schläfe gehalten hat. Ich denke, sie hat die Warnung verstanden, und sie wird ihr bestes tun, um zu retten was zu retten ist." Rütli seufzte schwer.
"Genau wie wir, oder? Positionen halten und sichern und aufpassen, dass Miranda nicht zu viel Geschirr zerschlägt." Mannth schüttelte den Kopf. "Verdammt, Robert war nicht nur ein gutes Staatsoberhaupt, er war auch ein guter Regent. Und er hat einen guten Job gemacht, Carl. Bei Elise bin ich mir aber sehr sicher, dass sie einen Regenten ernennen wird. Und ich bin sicher, dieser Regent wird uns nicht gefallen."
"Miranda? Unsere Fälschung?"
"Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Diese Puppe berauscht sich an militärischer Macht und träumt von grandiosen Siegen über die Aliens. Sie will sich ewigen Ruhm als Feldherr erwerben, auf Kosten von Millionen und Abermillionen Soldaten beider Seiten. Oder um es mit ihrem Gedankengut zu sagen: Den Preis für neuen Lebensraum für die Menschheit zahlen."
Rütli schüttelte sich. "Brrrr. Ich fühle mich gerade in die schlimmsten Tage von Freddys Politik zurückversetzt. Da hat Regent Wilbur ähnliche Reden geschwungen, um den Krieg gegen Zyrrtekk heiß zu halten."
"Wir alle wussten was die Stunde geschlagen hatte, als Frederec erklärte, er könne nicht Staatsoberhaupt und Regierungschef in einem sein. Und wir wussten genau wo wir Wilbur hin stecken mussten. Es war alles recht offensichtlich, aber wir konnten nichts gegen ihn tun. Uns waren alle die Hände gebunden. Beinahe hätte ich einen Ninja darauf angesetzt, um Wilbur liquidieren zu lassen."
"Was hat dich gehindert? Um die vorlaute Marionette wäre es nicht schade gewesen. Ein Idiot weniger, der damals den Palast voll geschissen hätte", brummte Rütli.
"Carl, bitte, sei nicht so ordinär."
"Ist doch wahr! Frederec glaubte, die Fanatiker für seine Zwecke einspannen zu können. Dann haben ihn alte Rechnungen eingeholt, und er musste bezahlen, unter anderem mit der Regierungsführung Katalauns. An die Macht kam ein Papagei, der große Reden schwang, sich vor seinen Anhängern produzierte und ansonsten ja und amen zu allem sagte was die Großindustrie ihm diktierte. Ein Vollidiot, der von einer erlesenen, fanatischen Truppe hoch gejubelt wurde. Dazu war unsere äußerst parteilose Presse auch noch sehr nett zu ihm, und das gemeine Volk stand vor der Wahl zu klatschen oder geklatscht zu werden. Ich möchte so etwas zu meinen Lebzeiten nicht wieder erleben. Kannst du diesmal bitte die Ninjas einsetzen?"
"Ich habe im Moment keine Ninjas. Die ganze Truppe ist da draußen, um Roberts Spuren zu verwischen und die Rends zu beschützen. Hätte ich welche über gehabt, dann hätte Gerrit Rend nicht alleine mit Elise fliehen müssen. Aber wenn es sein muss mache ich welche frei. Ich will nämlich auch keinen zweiten Regenten Wilbur an der Macht."
Rütli leerte sein Glas und bewegte es leicht, damit die Eiswürfel klimperten. Mannth erhob sich lächelnd, nahm es ihm ab und ging damit zurück zum Schrank, um es neu zu füllen.
"So weit sind wir dann wieder? Beim Scherben auflesen? Genau wie das letzte mal, nachdem Frederec Antonella die Dritte beerbt hat? Verdammt, wenn ich daran denke, welche Hoffnungen ich damals in den jungen Freddy projiziert habe, wird mir schlecht."
"Nicht nur du. Ich dachte wirklich, ein Neffe von Gandolf Zachary müsste es besser wissen. Aber wenn du leihst, musst du zurück zahlen, und das mit Zinsen." Sie lächelte dünn und stellte das frische Glas vor Rütli ab. "Diesmal jedoch ist es etwas anders. Wir haben einen Gegenkaiser, weißt du das nicht mehr?"
"Für eine gnädige Sekunde gelang es mir, Hannes vollkommen aus meinen Gedanken zu verdrängen. Glaubst du wirklich, wir werden weniger zu tun haben, wenn er es zurück nach Katalaun schafft, weniger Scherben auflesen müssen? Im Gegenteil, dann wird es noch mal heftig krachen, und das zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht einmal Söldner eingesetzt wurden. Noch so ein Punkt, der mir Magenschmerzen bereitet. Söldner und der Magno-Stahl-Aufstand."
"Denkst du nicht etwas zu weit voraus?", tadelte Mannth.
"Eryn, ich habe in letzter Zeit sehr kurzsichtig gehandelt, und das Ergebnis siehst du vor dir. Wir haben es nicht geschafft, Elise zum Kaiser zu schaffen oder sie wenigstens in Sicherheit zu bringen. Stattdessen mussten wir sie und Rend opfern, um uns bei Miranda anzubiedern." Seine Rechte schloss sich so fest um das Glas, dass das Material leise zu quietschen begann. "Ich sage mir jedesmal: Nie wieder! Und dann passiert es doch. Und wieder. Dann noch mal. Ich schätze, ich bin einfach besser im reagieren als im agieren."
"Ja, die Initiative hat dir nicht immer so gut gelegen. Deshalb bist du ja auch der beste Gegenspionage-Mann, den Katalaun je hatte", sagte Mannth schmunzelnd. "Aber diesmal habe selbst ich nichts tun können. Du hast das kleinere von zwei Übeln gewählt, und im Gegenzug konnten wir einige gute Leute in den Palast bringen. Und Rend ist immer noch an Elises Seite, diesmal sogar als ihr erklärter Erster Ritter. Du weißt was das Offizierskorps machen würde, wenn der Erste Ritter einer Kaiserin sang- und klanglos verschwinden würde."
"Oh, es käme zu einem wütenden Aufschrei, einem halben Aufstand. Denn wenn ausgerechnet der Ritter eines Kaisers verschwindet, dann kann es die normalen Offizier noch viel leichter treffen. In der Beziehung und im Zusammenhalt ist das katalaunische Offizierskorps sehr zuverlässig, jenseits aller Religionen und allem Fanatismus. Sicher, wir haben nun ein paar zuverlässige Leute in Elises Nähe, aber das ändert nichts daran, dass Miranda ihren Feldzug weiter führen wird. Im Moment geht es nur um die Welten des Kaiserreichs, auf denen noch Truppen stehen. Aber sind die erst einmal befreit, kommen die Schiffe und Truppen dazu, die unsere werte Admirälin mit bemerkenswertem Eifer von der republikanischen Front abgezogen hat. Mit dieser Streitmacht gelingt ihr mehr als ein Ausfall. Auch ein verdammt schlechter Stratege kann mit einer Übermacht gewinnen."
"Und wir wissen noch nicht einmal wie gut sie als Militär ist", murmelte Mannth in ihr Glas. "Oder wie schlecht."
"Wenn wir ihre Persönlichkeit als Anhaltspunkt nehmen, wohl eher der schlechtmöglichste Befehlshaber, den wir uns vorstellen können. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass Kress den Angriff anführt. Wenn wir schon kämpfen müssen, dann sollte auch jemand kämpfen, der sein Handwerk versteht und der gerne eigene Truppen mit nach Hause bringt."
Mannth runzelte die Stirn. "Wie gewagt, den Oberbefehl dem Heer zu geben."
"Wir reden hier immerhin von Sven Kress, dem Mann, der Gandolf Zachary von Beijing im Duell besiegt hat", warf Rütli mit einem bellenden Lachen ein. "Wer würde sich so einem Teufelskerl in den Weg stellen wollen? In der Flotte sicher niemand. Und immerhin hatte er schon mal den Job als Lordadmiral inne, bis unsere Kopie aufgetaucht ist. Oh, entschuldige, Eryn, ich hätte das nicht so sagen sollen."
Sie winkte ab. "Schon gut, Carl. Ich hatte genügend Zeit, um mich an den Gedanken zu gewöhnen. Es tut weh, aber nicht mehr so sehr. Außerdem hast du Recht. Sven wäre eine sehr gute Idee. Nicht nur weil er der beste Knight-Pilot ist, den Katalaun hat. Darüber hinaus ist es noch nicht so weit. Wir haben immer noch die Chance, dass es Hannes rechtzeitig zurück schafft. Falls er seine Spritztour nach Yura-Maynhaus überlebt."
"Aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass dieser Riesenpott, die HERCULES, ihn beschützen kann. Und wir können uns nicht darauf verlassen, dass er auf Sanssouci mehr tun kann als unsere Situation zu verbessern. Gewiss, seit der Rettung der kaiserlichen Untertanen von Vesuv hat er einen sehr guten Ruf, auch wenn die Medien den zu unterminieren versuchen. Aber von dort bis zu unser aller Rettung ist es ein weiter Schritt. Wenn ich ehrlich bin sehe ich Robert noch nicht wieder auf dem Thron."
"Wir werden sehen was passiert. Bis dahin geben wir unser Bestes", meinte Rütli und hielt Mannth sein Glas zum anstoßen hin. "Wie immer, Eryn."
Sie lachte und stieß ihr Glas klingend gegen seines. "Wie immer, Carl."


8.
08.07.2613
Rot-Rot-Leuchtturm, Transitsystem
Republik Yura-Maynhaus
Die Large Fleet, Flaggschiff KIEV

Admiral Leiff Kian beobachtete die vor ihm angetretenen Männer und Frauen genau. Er musterte ihre düsteren, ihre schuldbewussten und ihre vor Schmerz verzerrten Mienen, während er nachdenklich vor ihnen auf- und abmarschierte. Immer wieder ging sein Blick dabei zu den Wachsoldaten, die schussbereite Karabiner in den Händen hielten.
"Na herzlichen Dank! Großartig! Ihr habt es geschafft!", blaffte Kian plötzlich und baute sich vor Cornwall auf, dem Chefpiloten und Dritten Offizier des Kreuzers. "Die ganze KIEV ist im Arsch, Andrew, und Sie und Ihre Leute sind Schuld daran! Sie und Ihre verdammte Meuterei! Wissen Sie was ich mit Ihnen machen würde, wenn es Tote gegeben hätte? Ins All stoßen würde ich Sie, und durch ein Bullauge beobachten wie Sie platzen!"
Der Angesprochene schluckte erschrocken, wich einen halben Schritt zurück.
"Und das ist nicht nur hier geschehen! Auf nahezu allen Schiffen der Large Fleet kam es zu Streiks, Befehlsverweigerungen und Sabotagen! Wir hatten siebzehn Tote, verdammt noch mal! Siebzehn Tote! Zugegeben, bei einer Flotte unserer Größe ist das vergleichsweise wenig, aber passieren hätte es nicht müssen!" Seine scharfe Stimme schnitt durch die Bewusstseine der Anwesenden. Der eine oder andere, bereit aufzubegehren, senkte nun wieder den Kopf. "Wie dem auch sei, die KIEV hätte genau so gut im Blut versinken können. Das tut sie zwar nicht, doch dank Ihrer Sabotage fliegt sie auch nicht mehr."
Kian atmete lang und heftig aus. "Cornwall, Sie übernehmen hiermit das Kommando über die KIEV."
Der Dritte Offizier sah erstaunt auf. "Ich, Sir?"
"Sie sind der ranghöchste Rädelsführer. Natürlich Sie, oder soll ich Ensign Moretti damit beauftragen?"
Überrascht, ärgerlich und pikiert räusperte sich der Offizier. "Nein, Sir."
"Gut. Ich wechsle auf die ADIN und mache sie zu meinem neuen Flaggschiff. Dort erwartet mich wenigstens eine loyale Mannschaft!"
Diese Worte begleiteten die Wachen mit einem breiten Grinsen, während ein ärgerliches raunen durch die Angetretenen ging.
"Ich lasse neben der KIEV die SPENCER, die TORANAGA, die PICCADILLY und die EXETER zurück. Bereiten Sie sich darauf vor, Platz für eintausend weitere Meuterer zu schaffen, die von mir loyalen Schiffen auf diese Einheiten verteilt werden. Ich bin sicher, Rear Admiral Lifurt wird die KIEV zu seinem Flaggschiff machen und den Verband zum nächsten Stützpunkt führen. Das wäre dann soweit alles. Ach, und die Waffen sind übrigens für die nächsten acht Stunden gesperrt. Mehr als genug Zeit für uns, um ohne Sie im Nacken nach Sherwood zu springen. Freuen Sie sich, Andrew, Ihr erstes Kommando."
"Die Umstände sind beschissen, Sir", erwiderte der Mann ernst.
"Man nimmt die Chancen, die sich einem bieten. So sollte es ein guter Soldat halten, vor allem wenn er überleben will. Also überleben Sie, und vielleicht gibt es in der Zukunft wieder einen Tag, an dem wir Seite an Seite stehen. Nichts scheint mir unmöglich in diesen Tagen."
"Vielleicht, Admiral", erwiderte der Offizier, obwohl seine ganze Körperhaltung Ablehnung ausdrückte.
"Wir verlassen das Schiff", befahl Kian. Die ersten Wachen verschwanden daraufhin in der Schleuse, weitere loyale Crewleute, die ihren Admiral begleiten würden, ließen sich nun einschleusen. Kian folgte ihnen und war einer der letzten fünf Männer, die das Beiboot betraten. Bevor er sein altes Schiff verließ sagte er in Richtung Cornwall: "Ihr Kommando, Andrew. Bringen Sie die Leute sicher nach Hause."
"Admiral verlässt das Schiff!", gellte der scharfe Ruf des Offiziers anstelle einer Antwort auf, er salutierte, und eine wenige Crewmen taten es ihm nach. Dann ging die Schleuse zu, Kian war weg, und ihnen blieb nur noch, auf die loyalen Crewmen anderer Schiffe zu warten und wahrscheinlich darauf, dass Rear Admiral Lifurt die KIEV durch seine Anwesenheit zum Flaggschiff des Verbands der sabotierten und geschlagenen Schiffe machte.

Mit einem Gefühl tiefen Bedauerns sah Kian auf das stolze Schiff zurück, das ihm acht Jahre als Kapitän, und danach zehn als Admiral gedient hatte. Die Large Fleet war mal eine Flotte gewesen, die eine hervorragende Reputation genossen hatte, einen Ruf als gefährlicher und ernster Gegner. Dann war er auf Arling getroffen, an dem sich zuerst seine Zerstörer unter Lifurt eine blutige Nase geholt hatten, und danach er selbst, weil die Unterstützung für den Grafen buchstäblich aus jeder Raumzeitritze gekrochen gekommen war, um ihm zu helfen. Dies hatte ihn viel gekostet, vor allem aber persönlichen Ruf. Persönliche Ehre hatte er allerdings zuvor nicht mehr viel gehabt, denn er hatte von den Massenentführungen gewusst, sie geduldet und teilweise aktiv unterstützt. Er hatte ein paar halbherzige Lügen gefressen, sich eingeredet, es wäre das Beste für die Leute, und noch einige Dummheiten mehr begangen, die er bei seinen Offizieren rigoros bestraft hätte.
Nun hatte er die Gelegenheit, die Large Fleet wieder zu Anerkennung und Ruhm zu führen. Und Johann Armin Graf von Arling würde der Trittstein werden, damit er dies erreichen konnte. Lediglich zwei Stunden Flug trennten ihn von jenem Moment, der vielleicht all das wieder einrenken würde, was im Stabiae-System dank seiner Fehler über die Large Fleet herein gebrochen war. Oh, es würde ihm eine wahre Freude sein, dem Grafen erneut gegenüber zu treten. Auch wenn die Perseii und die Phillippii ihm diesmal nicht zur Seite stehen würden.
"Da kommt der Transporter von der ADIN", meldete der Pilot des Shuttles und deutete auf dem Ortungsschirm auf einen rot markierten Punkt. "Bringt siebzehn Rüster-Piloten und achtzig Crewmen und Offiziere zu KIEV. Die restliche Besatzung steht loyal zu Ihnen, Admiral."
Kian wollte für einen Augenblick auflachen, doch dann beließ er es dabei, hinter den Piloten zu treten und seine Hände um dessen Schultern zu krampfen. "Und all jene, die vorgeben, loyal zu sein. So ist das eben mit Meutereien und dergleichen. Man weiß nie, ob der Mann hinter einem nicht gleich ein Messer zückt und zusticht. Uns stehen sehr unruhige Tage bevor, Lieutenant Creed."
Der Pilot sah ihn burschikos an. "Unruhig ist mein zweiter Vorname, Sir. Und wenn Sie dabei sind, mache ich gerne mal ein Fass auf."
Beinahe hätte Kian geschmunzelt. "Wir werden sehen, Creed. Wir werden sehen."
***
Turnau sah erschrocken herüber. "Sir, wir haben hier eine Eilmeldung von der Oberfläche! Es gab eine Explosion im Stützpunkt der Miliz. Einer der Fahrstuhlschächte zum Tiefenbunker wurde schwer beschädigt."
"Oh nein, sagen Sie mir nicht, die Präsidentin war im Fahrstuhl", raunte Arling.
"Nein, Sir, sie kommt gerade über Direktverbindung rein", meldete Turnau.
"Verbinden Sie. Präsidentin Klages, wo befinden Sie sich gerade?"
Der Hauptbildschirm bildete das verängstigte und entsetzte Gesicht von Rhyann Klages detaillierter ab als es ihr lieb gewesen sein könnte. "Ich befinde mich in der Oberflächensektion des Bunkers, Mylord Arling."
"Gut, dann evakuieren Sie jetzt sofort! Ein Shuttle steht bereit, um Sie in den Orbit zu schaffen."
"Sie verstehen nicht! Die Explosion, die einen der Aufzüge beinahe ausgelöscht hat, hat meinen Stellvertreter verschüttet! Ich kann nicht ohne ihn gehen! Er ist mein Nachfolger, mein Vermächtnis, mein Goldschatz! Er wird mir als Präsident nachfolgen! Ich muss ihn mitnehmen!"
In Arlings Gesicht arbeiteten die Muskeln. Er kannte den Blick, welchen die Präsidentin von Yura-Maynhaus gerade machte. Und er wusste wie unerbittlich sich Menschen gaben, die solche Augen hatten. Andererseits musste eine Entscheidung getroffen werden. "Gewöhnen Sie sich an den Gedanken, Ihre Amtszeit zu verlängern, Ms. President."
"Sie wissen, dass ich das nicht kann, Johann. Sie wissen, dass ich weit in die Zukunft gesehen habe."
Arling seufzte zum Steine erweichen. "Okay, ich weiß, ich werde es bereuen, aber... Die JULIET soll sofort auf Rendezvous-Punkt mit dem Shuttle gehen, das Präsidentin Klages von der Planetenoberfläche schaffen wird. Anschließend verlässt sie das System auf schnellstem Wege in Richtung Herculeanum."
"Arling, ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich..."
"Sie werden fliehen, und wenn es das Letzte ist was ich hier tue!", blaffte der Herzog.
Erschrocken sah sie ihn an. "Es geht nicht, Johann! Es geht nicht ohne ihn!"
"Und es soll auch nicht ohne ihn gehen!" Mürrisch sah er die demokratische Führerin von Yura-Maynhaus an. "Ich werde alles daran setzen, um Ihren Vize-Präsidenten Jules Cranston zu bergen und ebenfalls aus dem System zu schaffen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Sein enormer Wert für Yura-Maynhaus und die Demokratie ist mir bekannt. Damit ich das aber tun kann, damit wir eine Hoffnung haben, die darüber hinaus geht, fliehen Sie, verdammt noch mal!"
Konsterniert starrte Klages Arling an. Schließlich nickte sie. "Sie sind nicht der Mann, der anderen frech ins Gesicht lügt. Also gut. Ich steige in das Shuttle, fliege auf die JULIET und verlasse das System in Richtung Herculeanum. Ich verlasse mich darauf, dass Sie Jules auch retten."
"Meine Leute und ich werden es wenigstens versuchen", erwiderte Arling und hielt Blickkontakt, bis Klages fort sah. "Und jetzt beeilen Sie sich, Ms. President!"
"Ich bitte Sie inständig, Johann Arling, tun Sie was immer Sie können."
"Mehr als mein Wort geben kann ich nicht, Rhyann", erwiderte Arling leise.
Die Präsidentin von Yura-Maynhaus seufzte tief und lang, bevor sie Arling wieder ansah. "Es tut mir Leid, dass dieser dumme Unfall vielleicht vielen Ihrer Leute das Leben kosten wird. Ich war nie ein Freund dieser Floskeln von höheren Zielen oder dem Wert eines Menschen. Ihr Leben, Johann, ist in meinen Augen sehr viel wert, vielleicht sogar wertvoller als meines. Dies von Ihnen zu verlangen ist..."
"Mein Leben ist nur dann wertvoll, wenn ich es einsetzen kann. Wenn ich es einsetze um die Demokratie zu retten, will ich es gerne tun." Er nickte lange und schwer. "Rhyann, ich werde Ihren Sohn retten. Sie haben mein Wort darauf als Arling, als Beijing und als Versailles."
Irritiert sah sie ihn an, während at-Sherwood an sie heran trat und am Oberarm ergriff. "Woher wissen Sie...?", begann Rhyann, doch da hatte der planetare Gouverneur, der seine gesamte Welt aufs Spiel gesetzt hatte, bereits aus der Bilderfassung gezogen.
"Ihr Sohn?", fragte Arlene mit indigniert hochgezogene Augenbraue.
"Entweder ihr leiblicher Sohn", erwiderte Arling müde, "oder ihr gefühlter Sohn. Ich mache da keine Unterschiede. Verbindung zu Griffin. Verzeihung, zum Admiral of Sector. Die JULIET und ihre Schwestern werden Geleitschutz brauchen."
"Aye, Sir", erwiderte Turnau.
"Und sagen Sie Lucky Charly Bescheid. Er wird sich nach der aufwändigen Entladeaktion freuen, dass sein Aufenthalt auf Sherwood nun doch etwas länger andauern wird. Als hätte ich es geahnt", fügte Arling hinzu.
Turnau erlaubte sich ein breites Grinsen. "Aye, Aye, Admiral."
"Jemand sollte ihm sagen, dass in der Miliz mindestens einer für die Gegenseite arbeitet", merkte Arlene ernst an.
"Charles ist nicht der Mann dafür, so etwas nicht zu erwarten. Eines Tages wird er einen sehr guten Politiker abgeben." Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Herzogs von B-King. "Was meinst du, sollte ich ihn adoptieren?"
"Meinst du wirklich, das ist nötig, nach dem was du und Ellie euch auf Leonidas geleistet habt?", spottete sie.
"Ich hielt es damals für eine sehr gute Idee", murmelte Arling düster.
"Das... Wird die Zukunft zeigen, Han." Arlene zwinkerte dem Freund und Vorgesetzten amüsiert zu.
***
"Entladeaktion abgeschlossen, Charles. Ich beginne mit der Strukturierung der Truppen. Kannst du mir acht Minuten geben?" Oberst Ganth wirkte fröhlich, hochmotiviert und schien sich köstlich zu amüsieren.
Charly schenkte der Frau auf Hilfsmonitor vier ein Lächeln. "Ich kann dir auch einen ganzen Tag geben. Die Navy hat dem Begleitschutz der Präsidentin vielleicht ordentlich eingeheizt, aber die Bodentruppen sind bei weitem nicht so gut."
"Danke, acht Minuten reichen mir. Ich werde sie zu drei Verteidigungskreisen formieren. Was meinst du, haben die Navy-Leute Satellitenwaffen im Orbit? Ich würde ungern ein Drittel meiner Truppen durch einen Orbitalschlag verlieren, weil ich sie nicht weit genug auseinander gezogen habe."
"Hätten sie Orbitalwaffen hier, wären sie bereits abgefeuert worden als ihr am abladen wart, in der verletztlichsten Stunde, Cecilia."
"Wer weiß, vielleicht sind sie unentschlossen. Oder schlau. Oder beides."
Die beiden Offiziere wechselten einen amüsierten Blick. "Eher nicht."
"Und damit geht unsere Achtunddreißig Minuten-Planung zum Teufel", seufzte Charles. "Na, wäre ja auch eine Schande gewesen, wenn der ganze Aufwand nur für eine Be- und Entladeübung gereicht hätte."
"Spotte nicht", tadelte Ganth. "Immerhin haben wir noch elf Minuten. Und unser Zeitfenster öffnet sich ein wenig mehr, weil die als feindlich deklarierten Schiffe auf Verstärkung warten. Iolaos hat uns noch einmal dreiundvierzig Minuten gegeben, die wir hier rumtrödeln können. Natürlich nur falls uns keine gegnerische Flotte auf dem Sprung ins Nachbarsystem entgegen kommt."
"Uns oder der JULIET und ihren Begleitschiffen. Cecilia, weißt du nicht das es eine ganz miese Angewohnheit ist, den Teufel an die Wand zu malen? Auf B-King würde ich dich jetzt steinigen lassen, vor allem wenn uns eine Flotte auf der Flucht entgegen kommt."
"Hallo, was habt ihr denn für raue Sitten auf B-King? Und ich dachte immer, Kernwelt und so, B-King muss eine hochzivilisierte Perle wie Sanssoussi sein", spottete Ganth.
"Wir verdanken unsere Zivilisiertheit vor allem der Tatsache, dass wir die Boten schlechter Nachrichten rigoros umbringen", erwiderte Charly im Brustton der Überzeugung. "Es hat sich bewährt. Dreihundert Jahre lang nicht eine schlechte Nachricht. Nur schlechte Tatsachen."
"Auch eine Möglichkeit, damit umzugehen", erwiderte Ganth amüsiert. "Wir... Was gibt es denn, Keaton? Was? Wie sicher ist das? Geheimdienst? Oh, Mist. Charles, neigst du eigentlich zu cholerischen Wutausbrüchen?"
"Das kommt drauf an. Ist etwas passiert? Gab es noch einen Attentäter, der Han diesmal erwischt hat? Dann würde ich zu einem sehr cholerischen, lang anhaltenden Amoklauf ansetzen."
Cecilias Gesicht zeigte das falscheste Lächeln, zu dem sie im Stande war. "Die designierte Kaiserin Katalauns hat Gerrit Rend soeben zu ihrem Ersten Ritter geschlagen. Kam gerade über die Nachrichtensender rein."
"Oh, das ist nicht schlecht. Ich traue dem Bengel seit einiger Zeit eine ganze Menge mehr zu als meine Steuergelder mit seinen staatlich subventionierten Studiengeldern zu verschwenden. Außerdem weiß er genau was ich mit ihm mache, wenn er nicht sehr gut auf Elise aufpasst." Charles stutzte. "Moment Mal, Oberst Ganth, über welchen Nachrichtensender kam die Meldung?"
"Sanssoussi eins, Direktbericht vom Hof. Du drehst jetzt doch nicht wirklich durch, oder?"
Charles Monterney saß da wie vom Donner gerührt. Sein Herz krampfte und ein tiefes Gefühl der Ohnmacht und der Enttäuschung breitete sich in ihm aus. Er hatte gewusst, dass Elise und Gerrit nicht automatisch in Sicherheit gewesen waren, nachdem sie den Palast hatten verlassen können. Es wäre töricht gewesen anzunehmen, es wäre so einfach für die zwei. Aber diese Nachricht bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass Elise wieder im Palast war. Zwar war Gerrit als ihr Erster Ritter ein kleiner Funken der Beruhigung für ihn, aber die Enttäuschung, sein Mädchen - oh, wie lange hatte er mit sich gerungen, bis er sie in Gedanken das erste Mal so bezeichnet hatte - wieder in den Händen dieses Doubles zu wissen, weckte die Wut in ihm.
Der Plan war so simpel wie genial gewesen. Zuerst hatte sich Robert mit Hilfe der Ninjas an einem unbekannten Ort vor dem Zugriff der falschen Hohenfels in Sicherheit gebracht, danach hätte Elisabeth auf dem gleichen Weg die Flucht gelingen sollen. Ohne einen legitimen Thronerben, der als Aushängeschild missbraucht hätte werden können, wäre die ganze Scharade im Parlament unter den Mühlen der Nachfolgeentscheidung bürokratisch zermalmt worden. Wäre dann Han die Rückkehr gelungen, dann hätten sie alle Asse auf der Hand gehabt. Charles wusste, dass einer der Gründe für seine Entscheidung, dem Hiferuf von Präsidentin Klages zu folgen die Gewissheit gewesen war, dass sich Elise dem Zugriff der religiösen Manipulateure entzogen hatte.
"Charles?"
"Was? Nein, ich bin in Ordnung. Ich würde zwar niemandem raten mich ausgerechnet jetzt zu ärgern oder zu beschießen, aber ich habe mich im Griff. Was sagt Han dazu?"
"Ich glaube nicht, dass der Herzog dafür Zeit hat. Alle Augen sind zur Zeit auf den Pendler gerichtet, der zur JULIET durch startet. Noch sind die Gegner ein paar Dutzend Kilometer entfernt, aber ein Rüster ist nicht nur klobig und groß, er ist auch schnell."
Der Knight-Pilot checkte seine Daten und beobachtete den Pendler, wie er aus dem Kaserneninnenhof abhob. Mehrere Dutzend Zivilisten beobachteten den Abflug. Mitglieder und Mitarbeiter der Regierung, die auf die Rettung von Cranston warteten und erst mit ihm fliehen würden.
"Sie werden sicher nicht auf Klages schießen. Es würde ihre Legitimation zerstören. Eher versuchen sie, den Lander zu kapern."
Charles ließ den Gedanken ein paar Sekunden durch seine Gedanken rollen. Dann, als sich die Fähre langsam in den Nachmittagshimmel von Sherwood erhob, gellte sein Befehl auf: "Alle Knights und Rüster durchstarten!" Er selbst trat die Schubpedale seine Maschine voll durch, wurde mit einem unwirklichen Ruck in den Sitz gepresst, während rings um ihn die anderen Knights und die gryanischen Rüster ebenfalls abhoben. Ein paar Sekunden später verzeichnete das Radar seiner Maschine den multiplen Anflug metallischer Objekte mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit, die unter ihnen auf den Positionen einschlugen, welche die Maschinen kurz zuvor inne gehabt hatten. Was für eine perfide Idee, sie mit Artillerie zu bekämpfen. Aber wenn die Reppies geglaubt hatten, seine Leute in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit zu erwischen, sahen sie sich nun getäuscht.
"Schrader", sagte Charles gedehnt.
"Sir?"
"Wenn Sie Ihre Aktion an Raumhafen erledigt haben, klären Sie mir die Artillerie auf, die uns gerade beschossen hat. Ich spiele mit dem Gedanken, mich mit einem Besuch zu revanchieren."
"Verstanden, Sir."
"Oberst Ganth, auf den überraschenden Beschuss", sagte Charles lächelnd und betonte überraschend überdeutlich, "sollte sicherlich ein Luftschlag, ein Bodenangriff oder beides erfolgen. Ich bin sicher, der ist nicht mehr aufzuhalten."
"Sollen sie nur alles schicken was sie haben, Charly", erwiderte die Marine.
***
Jonathan Schrader hatte immer Respekt vor den Republikanern gehabt. Sie waren stets hartnäckige Krieger gewesen, von großer Schläue, einer guten Portion Gewitztheit und den zwei Cent Bauernschläue, die einen Kampf unberechenbar machten. Das galt wohl aber nur für begrenzte Konflikte wie den Kampf um eine Frachterflotte. Sobald jemand mit Sternen auf der Schulter involviert war, schienen all diese Fähigkeiten ausgeknipst zu sein.
Der Major hatte vorgehabt, mit dem Angriff auf die Lander der Republikaner einen Teil der Soldaten wieder aus der Hauptstadt Sherwoods heraus zu ziehen. Er hätte seine Lander verteidigt wenn er auf einer potentiell feindlichen Welt gelandet wäre. Und Sherwood war feindlich, was man vor allem den örtlichen Medien entnehmen konnte, die immer wieder kleine Demonstrationen gewitzter, waghalsiger oder einfach nur verrückter Bürger zeigten, die gegen diese ungesetzliche Invasion demonstrierten, teilweise ganz klassisch mit beschrifteten, auf Holzbohlen genagelten Stoffbahnen, auf denen sie ihrem Unmut über die Navy Luft machten. Man konnte es in einem Satz zusammenfassen: Die Navy-Leute, die versuchten, Cranston zu inhaftieren, waren auf Sherwood nicht willkommen, und das nicht nur in Scarlett. Diese Welt mit ihrer wechselhaften und teilweise schmerzhaften Geschichte ließ sich weder schnell ins Bockshorn jagen, noch ein X für ein U vormachen. Eine zerstörte Hauptstadt war mehr als genug, um jedem Bürger klar zu machen was passierte, wenn man kuschte. Natürlich konnte die Hauptstadt gerade wegen dem Widerstand nun doch zerstört werden, das war eine traurige Alternative. Aber Jonathan bezweifelte stark, das die Marine-Soldaten der Navy tatsächlich dazu bereit waren, auf ihre eigenen Leute zu schießen. Sherwood war nicht aufwieglerisch, nicht hinterwäldlerisch und vor allem nicht dumm genug, um es den Soldaten leicht zu machen.
"Katalaun-Commander, hier spricht Commander Jensen Faerström! Hören Sie mich?"
"Laut und deutlich, Commander", erwiderte Jonathan, ein wenig überrascht über den Kontaktversuch über die offene Frequenz.
"Bitte stellen Sie Ihre Angriffe auf die Lander ein, Katalaun-Commander. Wir ergeben uns."
Schrader starrte seine Konsole an als hätte er einen Geist gesehen. "Was, bitte?", fragte er erstaunt, während seine Linke den schriftlichen Befehl an seine Leute eingab, das Gelände zu sichern.
"Zwei Lander brennen bereits, einer ist zu Schrottwert zusammen geschossen. Niemand naht zu unserer Rettung, wie Sie sehr wohl wissen. Ich bin nicht Schwein genug, um meine Leute zu opfern, wenn ich auf einer Heimatwelt bin."
"Auf einer feindlich gesonnenen Heimatwelt, Commander."
"Genau darin liegt das Problem. Sherwood sollte nicht feindlich sein."
"Vielleicht hätten Sie nicht versuchen sollen, Ihre eigene Präsidentin zu verhaften?", bot Schrader als Erklärung an.
"Ich bin Soldat, und ich führe meine Befehle aus. Mit Politik habe ich nichts am Hut. Eigentlich. Und im Moment sehe ich, dass meine Besatzungen und meine Transporter für was geopfert werden? Für einen sinnlosen Vorteil in einer Großstadt, die, wenn ihr Katalauner um sie kämpft, wie vielen Millionen republikanischen Bürgern das Leben kosten wird? Meine Schiffe stehen vor der Zerstörung, und meine Leute vor dem sicheren Tod. Und all das nur weil der Commander unserer Bodentruppen uns für entbehrlich hält."
Im Kopf von Jonathan machte es Klick. Es gab nur einen einzigen Grund, warum ein Offizier in Kommandoposition eine Evakuierungsmöglichkeit auf einer potentiell feindlichen Welt aus der Hand gab: Er erwartete entweder neue Evakuierungsmöglichkeiten, oder er rechnete damit gar nicht evakuieren zu müssen. Junge, Junge, dafür, dass Faerström nicht politisch eingestellt war, hatte er aber gerade ganz schön aus dem Nähkästchen geplaudert.
"Ich meine", fuhr der Commander mit einem gekünstelten Lachen fort, "wer ist schon die Large Fleet?"
Jonathan Schrader schluckte hart und rechnete kurz in Gedanken nach. Ja, das passte. Etwas zu gut. "Wie Sie sehen, Commander, haben wir die Angriffe eingestellt. Fahren Sie die Waffen runter und legen Sie die Reaktoren auf Standby. Das will mir für den Moment reichen."
"Ich danke Ihnen. Ich nehme nicht an, dass Sie meine Leute internieren werden?"
"Nur wenn wir vorhaben, Sherwood zu erobern. Und wir sind zumindest nicht hier, um eine republikanische Welt zu erobern."
"Autsch", erwiderte Faerström. "Ihre Zunge ist ein Florett, Sir."
"Manchmal", erwiderte der Major. "Verhalten Sie sich ruhig, schießen Sie nicht auf uns, und wir kommen klar."
"Unsere Waffen werden nicht mehr in den Kampf eingreifen", erwiderte der Commander. "Die paar die wir noch haben."
Mit dieser Entwicklung zufrieden deaktivierte Jonathan die Verbindung und öffnete einen Kanal zur HERCULES. "Sprechen Sie, Major", klang die Stimme von Leutnant Turnau auf.
"Ich habe Insider-Informationen für Lord Arling", sagte Jonathan und fühlte eine ungewöhnliche Hast in seinen Gedärmen wühlen. "Sagen Sie ihm, ein Vögelchen mit drei vollen Ringen am Ärmel hätte mir gerade geflüstert, dass die Large Fleet auf dem Weg ins Loxley-System ist."
***

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Im Zeitalter moderner Hochtechnologie waren die Waffengattungen natürlich nicht mehr mit jenen zu vergleichen, welche die Kriege der prästellaren Erde beherrscht hatten. Zwar gab es noch den klassischen Infanteristen; dieser war einem prästellaren Gegenstück jedoch ebenso überlegen wie eine Korvette der unbewaffneten antiken Raumstation ISS.
Auch andere Bereiche hatten sich radikal geändert. Die Luftwaffe zum Beispiel war von den hybriden Mecha-Konstruktionen verdrängt worden, die an Land, unter Wasser, im Weltall und in den Weiten der Atmosphäre agieren konnten.
Und auch die Artillerie hatte einige Veränderungen erfahren. Vorbei waren die Zeiten, in denen sie auf so genannte Spotter angewiesen waren, also Späher oder Melder der Infanterie, welche die Ziele vor Ort aufklärten und weiter meldeten. Vorbei die Zeiten, in denen Kanonen per Hand beladen wurden. Vorbei die Zeiten, in denen ein Ortswechsel eine langwierige Angelegenheit gewesen war. Wie alle modernen Waffen des interstellaren Zeitalters erreichte auch diese Waffe ihr Maximum an Mobilität.
Eine ganz spezielle Artillerie-Einheit war gerade dabei, einzuräumen und zu verlegen; sie hatte mit ihren acht Glattrohrkanonen Clustersalven auf die gegnerischen Knights und Rüster abgeschossen, dafür hatten sie sich in Scarlets größtem Park festgesetzt gehabt. Nach dem ergebnislosen Beschuss mussten sie zu Recht fürchten aufgeklärt zu werden und verlagerten zwanzig Kilometer fort von den kaiserlichen Streitkräften und damit endlich raus aus der Hauptstadt.
Die Spionsonden, flugfähige, kaum Handballengroße mobile Ortungs- und Beobachtungseinrichtungen, meldeten keine direkten Bewegungen in ihre Richtung, aber die Teileinheit, welche ihre Lander gerade zu Schrott schoss, konnte jederzeit zu ihnen herüber schwenken. Und ob die mobileren Laser- und Tachyonengeschütze dann schnell genug auf die flinken Ziele gerichtet werden konnten, wollte der Kommandeur nicht heraus finden.
Mit zusammen gebissenen Zähnen beobachtete Captain Cyrus Morgan den Abbau der Glattrohrkanonen, während die Tachyonengeschütze Wache schoben. Er hatte mehrfach angefragt, ob seiner Kompanie ein Zug Panzer zur Unterstützung zugeteilt werden konnte, aber seine Vorgesetzten hatten dies abgelehnt, ihm aber in der Taktik freie Hand gelassen.
Noch deutlicher hätten sie nicht sagen können, was sie an Ergebnissen von der Artillerie erwarteten, nämlich nichts von Bedeutung.
Morgans Zähne knirschten, als er sie aufeinander rieb. Die meisten Kämpfe, in denen seine Einheit seit Kriegsbeginn teilgenommen hatte, waren nicht besonders gut organisiert gewesen und oft dem Zufall überlassen geblieben. Aber dieser Kampf erschien ihm mehr und mehr wie die Panikreaktion seiner Mutter, die beim Anblick eines ekligen Insekts auf den nächsten Stuhl sprang, nicht wie eine sinnvoll und effektiv geführte Militäroperation. Dass ausgerechnet seine Artillerie in diesem Szenario offensichtlich entbehrlich war, ärgerte ihn ebenso maßlos wie ihn die Sorge antrieb, wie er seine Leute beschützen konnte.
First Lieutenant Arden salutierte vor ihrem Vorgesetzten. "Sir, die Spionsonden haben den neuen Standort ausgekundschaftet. Kein Anzeichen von feindlicher Aktivität. Allerdings sind die gegnerischen Linien damit hinter der Erdkrümmung verschwunden."
Morgan gestattete seiner verkrampften Muskulatur, sich zu lockern. "Gute Arbeit, Sonia. Die Glatrohrkanonen sollen sich sofort nach dem Ende der Beladung absetzen und nicht auf die Lasergestützten Waffen warten. Wir haben unsere Spionsonden vor Ort, sie können auch Schüsse über vierzig Kilometer und mehr einweisen. Dann können wir zwar wieder nicht unsere Energiewaffen einsetzen, aber darum geht es auch nicht."
"Jawohl, Sir. Dass der letzte Schlag in die Hose ging, ist aber nicht Ihre Schuld. Mehr als feuern, wenn die Katalauner am meisten abgelenkt sind, können wir nicht." Sie deutete nach oben, der feinen Kondesspur des startenden Shuttles hinterher. "Und der Moment der größten Ablenkung war es, als Präsidentin Klages gestartet ist."
Morgan kniff beide Augen zu Schlitzen. "Sehe ich da Zufriedenheit in Ihrem Blick?"
"Sagen wir Erleichterung. Ich verstehe noch immer unsere Befehle nicht, auch wenn ich sie ausführe. Himmel, ich habe sie gewählt."
Der Captain musterte seine Untergebene eine Weile, dann wandte er sich leicht ab. "Was mich stört ist die Tatsache, dass wir immer noch hier sind. Die Katalauner sind noch da, also ist ein Teil der Politiker noch immer hier unten. Deshalb frage ich mich, warum unsere Vorgesetzten immer "Klages, Klages" schreien, aber ihr eigentliches Ziel noch auf diesem Planeten ist." Morgan winkte ab. "Vergessen Sie das wieder. Ich mache mir nur komplizierte Gedanken, Sonia."
"Für einen Artilleristen nicht die schlechteste Beschäftigung, Sir", erwiderte sie lächelnd. "Vielleicht ist die Antwort simpel: Präsidentin Klages kann nicht entkommen, deshalb werden wir nicht mehr gebraucht. Wir... Sir, ich habe ein ernsthaftes Problem mit meinen Befehlen."
Mürrisch sah der Captain sie an. "Wird das hier eine Befehlsverweigerung, Lieutenant?"
"Nein, Sir. Aber ich protestiere hiermit formell gegen unsere Befehle."
"Nanu, Sie haben ja Mut. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Sonia."
"Auch Soldaten haben ihre Verantwortung jenseits ihrer Befehle, Sir", erwiderte sie gepresst. "Auch wir müssen uns immer fragen, ob unsere Befehle rechtens sind. Und im Moment glaube ich nicht, dass die Admiral of the Fleets das Recht hat, einen Haftbefehl für die Präsidentin auszusprechen."
Beinahe hätte Captain Morgan so etwas gesagt wie: Da sind Sie nicht die Einzige. Stattdessen aber dachte er an die Karriere seiner Untergebenen. "Registriert, Lieutenant. Davon abgesehen, kann ich mich auf Sie verlassen?"
"Natürlich, Sir. Ausgerechnet Arling ein paar Schmarren zu verpassen dürfte sich sehr gut in meinem Lebenslauf machen. Wer kann das schon von sich behaupten?", erwiderte sie mit einem dünnen Lächeln.
"Na, dann sollten wir uns..." Der Captain stockte, als eine Nachricht über sein KommSet herein kam. "Wiederholen Sie!"
Ein paar Sekunden und einige hastig hervor gestoßene Wörter später erbleichte Morgan. "Diese Wahnsinnigen! Was haben sie vor? Wollen sie diese Stadt dem Erdboden gleich machen?"
"Sir?", fragte Arden besorgt.
"Eine Korvette kommt auf die Stadt zu, genau gegenüber gesetzt von den Katalaunern. Was das bedeutet, muss ich Ihnen wohl kaum erklären."
"Tiefer Anflug unter dem Radar, Angriff auf den Feind, während die Stadt Deckung gibt. Eventuell Raketenbeschuss von Präsidentin Klages´ Shuttle." Ihre Augen waren weit aufgerissen. "Sir, niemand könnte es den Katalaunern verdenken, wenn sie zurück schießen! Und wenn eine Korvette über einer Millionenstadt wie Scarlett abstürzt, dann..."
"Dann sollten wir besser nicht mehr hier sein! Geben Sie Befehl, alle Geschütze sofort abzubauen! Wer damit fertig ist, soll sofort zum neuen Sammelpunkt fahren! Reihenfolge ist scheißegal!"
Die junge Frau schluckte.
"Nun machen Sie schon!", blaffte er.
Arden salutierte knapp und hastete davon.
Als er sicher war, dass seine Leute außer Hörweite waren, schaltete er das Chiffriergerät an seinem KommSet aus und rief das Mobile HQ, wo er sich lauthals über "den Verrückten" beschwerte, der mit seiner Korvette bald über ihren Köpfen fliegen würde, wenn er seinen Kurs nicht änderte.
Wie erwartet wurde ihm Stillschweigen befohlen. Danach kam der hastige Befehl, sich sofort abzusetzen, etwas was die Artillerie ohnehin schon tat. Morgan lächelte dünn. Spätestens jetzt wussten die meisten republikanischen Einheiten davon, in welche Gefahr die Stadt gestürzt werden sollte. Und sie würden ihre eigenen Schlüsse ziehen. Mit ein wenig Glück würden die Katalauner rechtzeitig aufmerksam werden. Mit etwas mehr als Glück. Aber mehr konnte er nicht tun, nicht einmal für die Millionenbevölkerung einer Großstadt.
***
"Jonathan?"
Major Schrader horchte auf. Etwas an dem Tonfall seines Vorgesetzten gefiel ihm nicht. "Oberst?"
"Hast du mir die Artillerie aufgeklärt?"
"Ach du verdammte Scheiße", hauchte er und räusperte sich vernehmlich. "Nein, Sir, ich bin noch nicht dazu gekommen. Ich schicke sofort ein Team los."
"Das war einer meiner Befehle, oder?", hakte Monterney nach.
"Ja, Sir", gab Schrader niedergeschlagen zu. "Warden, Reimann, zu mir aufschließen. Auf Bodentruppen und Rüster achten. Wir ziehen eine kurze Schleife über die Stadtgrenze. Ziel ist es die Artilleriestellung ausfindig zu machen, die auf unsere Stellungen mit Clustergranaten geschossen hat."
"Na ja, besser spät als nie. Ich bezweifle, dass wir die Ari-Leute noch dort antreffen werden, von wo sie geschossen haben - wenn sie einen guten Kommandeur haben. Aber den Versuch ist es wert."
"Ja, Sir", erwiderte Schrader aufatmend. Das wäre es gewesen. Ein paar Wochen Major und schon wegen Nachlässigkeit in Schwierigkeiten.
"Ach ja, Lord Arling lässt dir ausrichten, dass das gute Arbeit mit der Large Fleet war. Diese Information ist für uns überlebenswichtig."
"Danke, Sir", sagte Schrader, vergewisserte sich, dass Wardens Knight und Reimanns Rüster zu ihm aufgeschlossen hatten und trat die Pedale für den Schub durch. Es kam zum charakteristischen Überschallknall, als die drei Kampfroboter hart beschleunigten.
"Sag Bescheid, falls du noch irgendwas findest. Solltest du auf ausrückende Bodentruppen treffen, wäre eine kurze Nachricht auch ganz nett."
Der legere Ton, in dem Charles Monterney Offensichtliches angesprochen hatte, zeigte deutlich das der frisch gebackene Knight-Major keinesfalls von der Leine war. Im Gegenteil, eine weitere Nachlässigkeit, und ihm drohte Degradierung. Oder noch schlimmer, Nachhilfe von Lucky Charly selbst. Und das war immer sehr frustrierend, weil der Regimentskommandeur nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie verdammt gut er wirklich war. Und dann trieb er die Leute, die er trainierte, in die Verzweiflung. "Verstanden, Sir. Leute, wir achten auf aktives Radar. Wird einer angepeilt, taucht er sofort ab. Wir nähern uns den Vororten, da gibt es für ein paar beherzte Soldaten mit tragbaren Raketenwerfern genügend Ecken, aus denen sie uns einen überbraten können."
"Kein aktiver Kontakt, Sir", meldete Ensign Reimann. "Aber ich orte meinerseits starke Bodenverbände in der Innenstadt. Da scheint sich eine große Bewegung anzubahnen."
"Und die Bewegung wird nicht mit Luftabwehrbemühungen gedeckt? Nachlässig, wenn es gegen Knights geht. Charles, wir gehen einer ungewöhnlichen Truppenverschiebung in der Innenstadt nach. Bisher kein aktives Radar."
"Verstanden. Riskiert nicht zuviel. Vergiss nicht, der Rüster hat keinen Schirm."
"Keine Sorge. Es riecht nicht nach Hinterhalt. Es ist viel fauliger." Unbehagen stieg in Schraders Magen auf. Die Worte waren ihm spontan in den Sinn gekommen, aber je näher er und seine Begleiter der Stadt kamen, desto stimmiger schienen sie zu sein.
Plötzlich teilte sich unter ihnen das Häusermeer, um einer Ausfallstraße Platz zu machen. Auf der Asphaltschicht waren über zwanzig Panzereinheiten zu sehen, die mit Höchstfahrt die Stadt verließen - in Richtung Raumhafen. Sie würdigten die drei Kampfroboter keines Blicks, geschweige denn dass die drei Flak-Panzer der Truppe die Knights und den Rüster in ihre Ortung nahmen.
Jonathan Schrader, der die Daumen bereits auf den Feuerknöpfen gehabt hatte, entschloss sich nicht zu schießen. "Oberfaul", knurrte er. "Irgendwas ist hier oberfaul!"
"Sir!", meldete sich Feldwebel Warden zu Wort, "ich habe eine ungewöhnliche Masseortung aus Richtung Innenstadt. Wenn meine Daten korrekt sind, bewegt sich dort ein Objekt mit rund vierzigtausend Tonnen Masse."
"Vierzigtausend Tonnen? Stürzt ein Gebäude ein? Merkwürdig, wir haben nicht geschossen und in der Stadt wurde nicht gekämpft."
"Weitere Ortung! Wir... Ach du heilige Scheiße!" Die Stimme von Martha Reimann überschlug sich. "ANTISCHIFFSRAKETE IN DER ORTUNG!"
"RUNTER!", blaffte Schrader und drückte seinen Knight zu Boden. Hinter ihm landeten der Rüster und der zweite Knight zwischen den Wohnhäusern.
"Oberst Monterney hier! Bestätigen Sie die Ortung einer Antischiffsrakete, Ensign!"
"Bestätige, Sir! Eindeutig eine Antischiffsrakete. Ich habe für eine Sekunde die charakteristische Triebwerksstrahlung kurz vor dem Start erfasst! Sie kann jede Sekunde..."
Weiter kam die junge Republikanerin nicht, denn über ihren Köpfen huschte ein silberner Schemen auf einem Feuerstrahl dahin. Sein Kurs war die Frontlinie der katalaunischen Truppen.
"Eine Atombombe! Die verdammten Idioten schießen mit einer Atombombe!", rief Warden aufgebracht.
"Wo die herkommt gibt es sicher noch mehr", brummte Schrader. Erschrocken, tonlos und irgendwie sauer.
***
"Bestätige Antischiffsrakete im Anflug auf Ihre Stellung. Einschlag in siebzehn Sekunden, falls sie steigt, in neunzehn Sekunden im Shuttle der JULIET. Standard-Typ, Jubilee II mit einer Megatonne Sprengkraft."
"Verstanden, HERCULES. Wir kümmern uns darum", meldete Charles.
Der Marschflugkörper, eigentlich für die unendlichen Distanzen in der Leere des Weltalls konzipiert, verließ gerade die Stadt und hielt grob auf die Milizkaserne zu. Und damit direkt auf die katalaunischen Linien. Eine halbe Megatonne war eine Größenordnung, die er in den eigenen Reihen nicht explodieren sehen wollte. Entschärfen war sicherlich keine Option. Abschießen allerdings auch nicht. Blieb nur...
Bevor er den Gedanken beenden konnte, feuerte einer der Rüste eine Salve Sprengmunition ab. Deutlich konnte Charles von seiner Position aus die Garbe verfolgen. Er verlor sie dann aus den Augen, weil die Distanz zur Rakete zu weit war, aber das Malheur war schon angerichtet.
"Nicht frontal schießen!", rief er in sein KommSet. "Treffer im Sprengkopf zünden..."
Wieder wurde er unterbrochen, diesmal von einem Lichtblitz, dessen Anblick ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Zwar hatte der Knight rechtzeitig die Filter vor die Bildschirme geschaltet, aber unten in den Stellungen einen Kilometer hinter ihnen liefen genug Infanteristen herum, die nun Gefahr liefen zu erblinden. Das war zwar immer noch besser als in dieser Explosion zu verdampfen, aber nicht sehr viel.
"Treffer im Gefechtskopf lösen bei der Jubilee II die kritische Masse aus!", blaffte er in sein KommSet. Sie waren noch sieben Kilometer vom Ground Zero entfernt. Die Druckwelle verebbte weit vor der Stellung, und die Feuerwalze schaffte es glücklicherweise stark geschwächt bis zu ihnen und riss an den fliegenden Kampfrobotern, während die Infanterie am Boden Schutz hinter den Panzern suchte. "Eine kleine Schweinerei der republikanischen Waffeningenieure! Die sollten Sie eigentlich kennen, Gryane! Und genau aus diesem Grund zerstören wir die Rakete, aber nicht den Gefechtskopf!"
"Entschuldigen Sie, Sir, Lieutenant Randolph hier. Ich habe geschossen. Ich hatte eine klare Zielerfassung und wollte nicht..." Er schluckte hart. "Wollte nicht, dass der Marschflugkörper abtaucht. Das Gelände vor uns bietet dazu gute Gelegenheit."
"Das erzählen Sie mal den Einwohnern von Scarlett!", erwiderte Charles in harschem Ton. Glücklicherweise hatte die Rakete die Stadtgrenze bereits achtzehn Kilometer hinter sich gelassen, und eine Laune der Städteplaner hatte dafür gesorgt, dass man zwar die Hauptstadt in eine unfruchbare Steppe gebaut, aber zumindest zur Milizkaserne auf Trabantensiedlungen verzichtet hatte. Allerdings hatte die Stadt nun das einmalige Erlebnis einer ersten radioaktiven Kontamination durch aufgewirbelten Staub. Je nach Windrichtung konnte der Fallout ebenfalls in Richtung Hauptstadt treiben und die Situation verschlimmern. Ganz abgesehen von jedem einzelnen armen Bürger, der in die Explosion hinein gesehen haben könnte.
"Genau aus diesem Grund schießen wir diese Dinger seitlich ab! Wir zerstören den Antrieb und sorgen dafür, dass die Sprengköpfe nicht explodieren! Haben Sie das gefressen?"
"Ja, Sir", antwortete der Gryane kläglich.
"Gut. Dann können Sie das gleich mal ausprobieren! Schnappen Sie sich Ihr Team und fliegen Sie zum Zentrum der Explosion! Dort bleiben Sie, bis ich Sie zurück pfeife oder ihre Bordcomputer wegen der Radioaktivität Zeter und Mordio schreien. Und dort schießen Sie alles ab, was an Ihnen vorbei kommt und wie eine Antischiffsrakete aussieht. Und das seitlich, verstanden?"
"Ja, Sir!" Zehn Rüster starteten durch und machten sich auf den Weg nach Nordosten.
"Und was uns, Leutnant Turnau, angeht, würde ich wirklich gerne die erlösende Nachricht hören, dass zumindest Präsidentin Klages in Sicherheit ist", sagte Charles. "Jetzt geben Sie mir at-Sherwood."
"Verbindung steht, Sir."
"At-Sherwood hier. Ich habe es bereits beobachtet. Ihre Leute und die Gryanen trifft keine Schuld."
"Nett, das von Ihnen zu hören, Mr. Gouvernor, aber darum geht es im Moment nicht. Ich habe gerade weniger Angst davor wem dieser Atomschlag in die Schuhe geschoben wird als davor, wie viele Menschen durch die nächste Bombe getötet oder radioaktiv verseucht werden. Mr. Gouvernor, ich befürchte, die Hauptstadt wird zur atomaren Kampfzone."
"Colonel", rief at-Sherwood mit sich überschlagender Stimme, "Sie werden doch nicht mit Atomwaffen zurück feuern?"
Für eine Sekunde wankte Charles in seiner Meinung. Das war ein langer, gefährlicher Augenblick. Letztendlich aber hatte er gar keine Atomwaffen. Weder Raketen, noch taktische Granaten. Und nun wusste er wieder, warum das so war. Im Feld kam man zu leicht in Versuchung, sie einzusetzen.
"Natürlich nicht, Mr. Gouvernor. Aber unser Gegner wird weiter schießen. Und ich habe keine Ahnung worauf er zielen wird. Gut möglich, dass er selbst die Stadt beschießt, um eine Ausrede zu haben, warum er selbst Nuklearwaffen eingesetzt hat."
"Tun Sie Ihr möglichstes", krächzte at-Sherwood mit belegter Stimme, "um dieses Horroszenario zu verhindern, Oberst."
"Ich kann nur das tun, was in meiner Macht steht, Sir. Zwar habe ich bald ein paar Leute direkt am Gegner, aber ich weiß nicht, was sie dort tun können. Beeilen Sie sich damit, die Präsidentin in den Orbit zu schaffen und ihren Vize-Präsidenten hinterher zu schicken. Hat der Gegner keine Ziele mehr, dann hört er vielleicht auf damit, atomare Verseuchung zu verbreiten. Ach, und sicherheitshalber sollten Sie Scarlett evakuieren. Jedenfalls so viel wie möglich."
"Wir haben mobile Schutzschildgeneration in Schiffsstärke. Wir haben sie bisher nicht eingesetzt, um die Navy nicht unnötig zu provozieren. Aber jetzt ist vielleicht der richtige Zeitpunkt dafür gekommen."
"Wenn der Skipper dieses Schiffs Sie lässt. Wenn die Miliz nicht vorher beschossen wird. Wenn es nicht vorher zu Kämpfen mit den Bodeneinheiten kommt. Aber Sie haben Recht, das ist wahrscheinlich sinnvoller als eine Stadtweite Evakuierung. Sie sollten die Dinger allerdings erst einschalten, wenn es unbedingt sein muss. Einen Trumpf hält man in der Hand, bis man ihn wirklich braucht."
"Verstanden, Oberst. Ich werde die entsprechenden Befehle geben. Tun Sie bitte Ihr Möglichstes, um die Situation zu wenden. At-Sherwood Ende."
"Junge, Junge. Für jemanden, auf dessen Hauptstadt gerade mit einer Nuklearwaffe geschossen wurde, war er wirklich gefasst", sagte Charles. Er widmete sich den neuesten Daten, welche er von Major Schrader erhalten hatte. Sie zeigten die aus der Stadt strebenden und teilweise zum Raumhafen fliehenden Einheiten, wo sie allerdings die Einheiten des Majors erwarten würden. Der Trick dabei war abzuschätzen, ob er Schraders Bataillon verstärkte oder nicht.
"Oberst Ganth?"
"Hier."
"Schrader meldet aus der Stadt strebende Kolonnen. Einige halten auf uns zu, wie wir erwartet haben. Andere fahren zum Raumhafen, wo sein Bataillon steht. Wenn du Truppen übrig hast, die wir zudem schnell verlegen können, wäre jetzt die Zeit günstig."
"Sie kämen nie rechtzeitig genug an, um sich am Raumhafen einzugraben oder festzusetzen."
"Sie kämen aber rechtzeitig genug an um die Reppies vor die Frage zu stellen, ob sie es sich leisten können, zwischen zwei Fronten zerquetscht zu werden."
"Ein gemischtes Bataillon leichter Panzer und motorisierter Infanterie stände auf dem Sprung bereit. Ich wollte sie flexibel innerhalb der Sperrlinie einsetzen."
"Schick sie zum Raumhafen, Cecilia."
"Okay, ich bringe sie auf den Weg. Ach, und Charly?"
"Sprich."
"Bleibe mit deinen übergroßen Spielzeugen bitte weiterhin weit, weit vor meiner Front, ja? Uns bekommen Atomwaffen noch viel schlechter als euch."
"Sehr witzig", erwiderte Charles. "Du wirst noch nach uns rufen, wenn der Gegner in Schussreichweite ist."
"Wahrscheinlich ja. Bis dahin sorge bitte dafür, dass ich nicht herausfinden muss, wie gut die Panzer auf Vesuv gegen Radioaktivität abgesichert wurden."
Charles grinste schief. Letztendlich galten die Knight-Piloten mit ihren Waffen als Opportunisten, als Lückenbüßer und als Hauptzielscheiben. Das Arbeitstier der Armee waren Panzer und gerüstete Infanterie, nicht die Knights. Und wer in einen der Kampfroboter kletterte, die Qualifikation erwarb ihn zu führen, und in einem gemischten Gefecht stand, der musste seine Verantwortung für die anderen Truppengattungen ernst nehmen. "Ich sehe zu was ich tun kann. Du wirst schon nicht im Dunkeln leuchten, Cecilia."
"Na, da bin ich aber beruhigt. Ganth Ende."
Eine tolle Aufgabe hatte er sich da aufgehalst. Genau das richtige für die Knights und Rüster. Denn Charles hielt es für eher unwahrscheinlich, dass sein unbekannter Gegner es bei einer Jubilee II-Rakete belassen würde.
"Boogies, zwei, streben aus der Stadt hervor. Identifiziert als Jubilee II", meldete die Ortungsabteilung der HERCULES.
"Randolph, Feuer nach eigenem Ermessen."
"Jawohl, Sir."
"Und rechnen Sie damit, dass der Gegner weiß, wo Sie und Ihre Leute sind. Er könnte versuchen, eine Bombe zu opfern, nur um Sie und Ihre Rüster zu verdampfen."
"Meinen Sie wirklich?"
"ICH würde es tun, wenn ich skrupellos genug wäre um Atomwaffen einzusetzen und dies auch tun würde."
"Danke, Sir, ich achte auf diesen Punkt."
Charles lächelte knapp. Der Junge schien lernfähig zu sein. Vielleicht gab es an dieser Front weniger Probleme als er dachte - so wenig wie möglich war, wenn ein Kampfschiff mit Atomwaffen feuerte, eben. Und damit waren die Probleme nicht beendet. Da strebten immer noch ein paar hundert republikanische Einheiten auf ihre Stellungen zu. "Habt ihr Cranston immer noch nicht aus seinem Fahrstuhl befreit?", knurrte er.
"Schon mal versucht, in einem Kartenhaus die innersten Karten zu entfernen ohne alles zusammen stürzen zu lassen?", knurrte eine andere Stimme zurück. "Machen Sie Ihren Job da draußen, Oberst, und lassen Sie mich und meine Techs aus diesem verdrehten Wirrwarr ein paar lebende Menschen raus holen."
Das war definitiv nicht der Gouverneur. Der neue Gesprächspartner von Lucky Charly war eindeutig derber, aber in seiner Stimme schwang Autorität und die feste Überzeugung, dass er wusste was er tat. "Würde es helfen, die obersten Schichten des Kartenhauses mit Knights abzutragen?"
"Sollte ich so verzweifelt werden, um das Kartenhaus mit einem Vorschlaghammer behandeln zu wollen, melde ich mich bei Ihnen, Sir, versprochen."
Charles schnaubte amüsiert. "Sagen Sie einfach Bescheid. Ich komme dann sofort herüber."
"Das glaube ich Ihnen. Ihr Blech gibt Ihnen genügend Selbstvertrauen, eh? Machen Sie nur weiter das Grobe. Wir übernehmen die Feinarbeit. Er ist übrigens unverletzt. Wir wissen das, weil wir die Kommunikation zur Kabine wieder aufgebaut haben."
"Wer?"
Nun schnaubte sein Gesprächspartner amüsiert. "Vize-Präsident Cranston, natürlich. Wegen wem machen wir uns hier die Mühe und brechen unsere Rettungsoperation derart übers Bein? Und jetzt stören Sie mich nicht länger. Gehen Sie was abschießen oder irgendetwas sonst, was ihr Soldaten so macht."
Nun konnte Charles nicht mehr an sich halten. Er lachte laut auf. Die provokante, aber nicht trotzige Art des Technikers gefiel ihm. Und immer weniger gefiel ihm die Idee, at-Sherwood, seine Miliz und die planetare Bevölkerung im Stich zu lassen.
"Na, dann will ich mal auf den alten Mann hören", murmelte er belustigt und bekam gerade noch mit, wie sich das Panzerbataillon mit den Hephaistos-Veteranen in Bewegung setzte, um in die gerade beginnenden Kämpfe am Raumhafen einzugreifen.
***
"Ist mein Stellvertreter schon...", begann Rhyann Klages, kaum das sie per Schleuse auf die JULIET überwechselte. Commander Sharon Bigsby empfing die Präsidentin mit kleiner Ehrenwache und ohne großes Trara, der Situation angemessen. Dennoch hatte sie den zwanghaften Drang, die Ehrengarde aufmarschieren zu lassen und die Nationalhymne zu spielen. Immerhin war diese Frau ihre Präsidentin, die höchst Autorität innerhalb von Yura-Maynhaus! Nun, zumindest sollte sie das sein. Wie falsch die Aktionen gegen sie und ihren Stellvertreter Cranston waren, wurde Sharon in diesem Augenblick bewusster als in jedem anderen Moment. Verdammt, sie hatte diese Frau gewählt! Bereits viermal!
"Vize-Präsident Cranston ist noch immer unter den Trümmern eingeschlossen. Außerdem hat ein unbekanntes Kampfschiff Position in Scarlett bezogen und den Milizstützpunkt mit einer Atomrakete beschossen. Die Waffe konnte aber neutralisiert werden." Bigsby trat näher heran und sah ihrer höchsten Vorgesetzten in die Augen. Umso wichtiger ist es, dass Sie jetzt aus diesem System geschafft werden, Ms. President!"
Trotz regte sich in den Augen von Klages, Trotz und Widerworte. Sie wollte darauf beharren, nicht ohne ihren Thronerben zu fliehen, aber letztendlich hatte sie eine Aufgabe. Und Aufgaben hatten die Angewohnheit, ausgeführt werden zu wollen.
"Sie haben Recht. Leiten Sie alles nötige in die Wege, Commander, und lassen Sie uns den Orbit verlassen." Sie machte einen undefinierbaren Ton. "Haben Sie was dagegen, wenn ich bis zum Sprung beim Funk bleibe?"
Erleichterung fuhr Sharon durch die Glieder. Sie erlaubte aber lediglich ihren Augenmuskeln leicht zu kontraktieren, um nicht zuviel ihrer Gefühle nach außen zu zeigen. "Selbstverständlich, Ms. President. Seien Sie mein Gast."
Sie nickten einander zu und hatten damit einen Pakt geschlossen. Sie hatten beide ihre Aufgaben, und die würden sie erfüllen.
"Wir verlassen den Orbit!", befahl Bigsby noch während sie an der Seite der Präsidentin den Hangar verließ.
***
Achtzig Kilometer unter ihnen zerbiss sich ein junger Offizier vor Wut die Lippen, während er mit brennenden Augen auf den Gefechtsbildschirm starrte. Zwei Raketen diesmal, auf differenten Kursen, mit dem klaren Auftrag, in der Gefechtslinie der Katalauner einzuschlagen. Zwei, verdammt, dazu gedeckt durch den starken Infrarotschatten der ersten misslungenen Attacke und der damit verbundenen atomaren Detonation.
"Bravo und Charly passieren Ground Zero", meldete der Ortungsoffizier, als beide Raketen den Explosionskrater ihres ersten missglückten Versuchs überflogen. Der erfahrene Mann sah Stirnrunzelnd auf. "Kontakt zu Bravo und Charly verloren, Sir."
Lieutenant Commander Aaron Chamberlain sah herüber. "Ursache?"
"Sniper am Ground Zero. Man kann sagen was man will, aber die Katalauner haben Eier."
"Ms. Goodwill, dritte Welle starten. Alle vier Türme. Ziel: Die Milizkaserne. Multiple Kurse. Zwei über Ground Zero, zwei durch das ausgetrocknete Flussbett um Südwesten."
"Aye, Aye, Skipper."
Bigsby wischte sich über die erschreckend trockenen Lippen, und stellte irritiert fest, dass sein Handrücken anschließend Blutverschmiert war. Er war sich nicht bewusst gewesen, die eigene Lippe blutig gebissen zu haben. Wichtig war es indes auch nicht, denn hier, in diesem Moment stand und fiel seine weitere Karriere.
Er erinnerte sich noch gut daran, wie Admiral Chun ihm diese Korvette, das Raketenboot DAVY CROCKETT mit einer Notbesatzung übergeben hatte. Er erinnerte sich an jeden einzelnen Klang ihrer Worte, und er erinnerte sich an ihre beiden Versprechen.
"Bringen Sie sie um. Entweder Klages oder Cransten, noch besser beide. Wenn Sie das schaffen, sind Sie noch heute Captain und kriegen Ihren eigenen Kreuzer. Wenn Sie es nicht schaffen, lasse ich Sie fallen wie eine heiße Kartoffel, und wenn alle auf Ihnen rum treten, wird der härteste und spitzeste Absatz meiner sein. Haben Sie das verstanden?"
Oh, er hatte es verstanden. Vor allem die Chance, mit fünfundzwanzig Captain eines Kreuzers zu werden. Alles was er dazu hatte tun müssen war die atomaren Raketen der DAVY CROCKETT erfolgreich einzusetzen und gegebenenfalls ein paar Milizionäre mit zu verdampfen. Nicht, dass sie es nicht verdient hätten, solange sie zwischen ihm und seinem Kommando standen.
Deshalb war der Abschuss seiner ersten Jubilee II ein herber Schock gewesen. Dass die zweite Welle abgeschossen worden war ohne zu explodieren hatte seine Laune auch nicht gerade gesteigert. Zweiunddreißig Raketen für vier Werfer hatten ihm zur Verfügung gestanden, und genauso groß waren seine Chancen, Cranston zu verdampfen, nachdem ihm Klages in den Orbit entkommen war. Vielleicht hätte er doch nicht zuerst die Deckung der Stadt aufsuchen sollen, das Gegenfeuer der Miliz und der katalaunischen Einheiten im Orbit riskieren müssen. Das hätte aber die Überlebenschancen des Schiffs und der Freiwilligencrew stark eingeschränkt, und wäre kontraproduktiv für sein Vorhaben gewesen, der jüngste lebende Captain der Flotte zu werden.
"Dritte Welle abgefeuert", meldete der Waffenleitstand.
"Auf Gegenfeuer achten", murmelte er mehr aus Gewohnheit. Gegenfeuer? Die DAVY CROCKETT schwebte direkt über dem größten Platz von Scarlett und hatte zu den sie umgebenden Hochhäusern gerade einmal vierzig Meter Spiel zu den Seiten und noch einmal achtzig nach hinten und gute zweihundert nach vorne. Die Katalauner waren aber zu rührselig, um das Zentrum einer Großstadt zu beschießen - zumindest hoffte er das. Außerdem hatte er nur eine Richtung, in die er navigieren konnte, wenn sie wirklich beschossen wurden. Das war nach oben. Und dort wurde die Korvette erst recht zur Zielscheibe. Was wieder kontraproduktiv für seine Karrierepläne war, weil sie mit sterben zu tun hatten.
Chamberlain beobachtete den Kurs der beiden Jubilee II, die über den fetten Infrarotschatten der ersten Explosion hinweg fegten, und sah sie nacheinander verschwinden. Die beiden Raketen, die mit ihrer überlegenen Hightech durch das ausgetrocknete Flussbett schossen, waren noch unentdeckt. Es würde spannend sein zu sehen, wie weit sie kommen würden. Notfalls hatte er mehr als genügend Raketen an Bord, um sich den Weg zu Cranston atomar zu planieren. Und bei allem was ihm heilig war, er würde es tun!
***
Man sollte es für nahezu unmöglich halten, einen zehn Meter hohen Kampfroboter in einer Stadt verstecken zu können, geschweige denn drei zugleich. Aber Jonathan Schrader und seine beiden Begleiter waren bis jetzt noch nicht entdeckt worden. Was vielleicht daran lag, dass all jene, die sich freiwillig mit einem Kampfroboter der Knight-Klasse angelegt hätten, längst geflohen waren, und alle anderen sich einen Scheiß dafür interessierten, solange ein gigantisches Kampfschiff über ihren Köpfen hing und Atomraketen ausspie, als wäre es Feuerwerk am Silvesterabend.
Am liebsten wäre Jonathan Schrader auf den Hauptplatz raus geflogen, durch den Schirm gebrochen und hätte dafür gesorgt, dass der Beschuss aufhörte, indem er das verdammte Schiff einmal längs spaltete. Aber solche Szenen gab es nur in billigen Fernsehfilmen, in Comic-Büchern oder wirklich schlechten Romanen. In der Realität hatte niemand die Macht dazu, selbst eine kleine Korvette mit Hilfe eines Knights zu zerteilen. Wäre er allerdings in das Schiff gelangt, hätte die Szenerie schon anders ausgesehen. Interne Zerstörungen waren ein ganz anderes Kaliber, vor allem bei Schiffen, deren größte Panzerung außen lag. Das bedeutete meistens, dass sich Explosionsdruck schön gleichmäßig innen verteilte, bevor er über die wenigen natürlichen Kamine und die Hangarschotte austreten konnte.
"Na ja", ließ sich Ensign Reimann vernehmen, "die Artillerie haben wir nicht gefunden, aber eine Korvette der Plymouth-Klasse ist ja auch nicht schlecht."
"Ich verbitte mir die faulen Witze, Martha, außer sie kommen von mir", erwiderte Jonathan. Die Nervosität in seiner Stimme sprach Bände, aber wenigstens reichte es noch zu faulen Witzen.
"Verstanden, Sir. Und, was machen wir jetzt? Hoffen, dass der Kahn uns nicht entdeckt und eifrig jeden Raketenstart an die HERCULES melden?"
"Klingt nicht wie der schlechteste Vorschlag", meldete sich Feldwebel Warden zu Wort. "Solange das Mistding seine Schirme aufgespannt hat, kommen wir eh nicht dran. Und Lord Arling wird das Ding kaum durch Orbitalbeschuss knacken wollen, solange es mitten in Sherwoods wichtigster Großstadt schwebt."
"Sicher nicht, da gebe ich Ihnen recht, Warden", erwiderte Schrader. "Mehr können wir wohl wirklich nicht tun, außer wir bestehen auf einen schnellen, sinnlosen Tod."
"Nicht unbedingt, Sir. Orden sind nur dann schön, wenn man sie auch tragen kann", sagte Reimann.
"Wenn ich zum Heldentod was sagen dürfte, Major", meldete sich Warden erneut, "sehen Sie die zerstörte Front auf der rechten Seite? Bei drei Häusern ist auf der gesamten Länge die Fassade einen guten halben Meter eingedrückt."
"Das wird der Schutzschirm der Korvette gewesen sein. Wahrscheinlich als das Mistding hier nieder ging."
"Und es ist ein Anzeichen dafür, dass die Mühle unterbesetzt wurde."
Schrader verneinte. "Höchstens für einen schlechten Piloten. Hören Sie, Warden, ich suche ja auch verzweifelt nach einem Vorteil über dieses Höllending, aber..."
In diesem Moment begann die Korvette ihre vierte Salve auszuspeien. Dabei gierte sie für einen Moment, und der das Schiff umschließende Schutzschirm stieß zuerst auf den Boden, wo eine große Schicht aus Asphalt und Metallen wie reifes Obst zerplatzte und als Staub in alle Richtungen geschleudert wurde. Das riesige Schiff rutschte weiter nach links und drückte sich mehr und mehr auf die Front der Gebäude zu. Bevor die Korvette sich gefangen hatte, drückte der Schirm einen Teil der Fassaden ein, während die Zerstörung des Platzes eine unregelmäßige, zwei Meter tiefe Grube auf dem Platz geschaffen hatte, die einmal von der Fassadenfront über das erste Drittel des Platzes reichte. Mehrere Leitungen waren daraufhin geplatzt oder liefen einfach aus, weil der Schirm das Rohrsystem pulverisiert hatte. Frischwasser und Abwässer vermischten sich schnell zu einer ekligen braunen Brühe, während wilde Funken über die Flüssigkeit tanzten, als das verdreckte Wasser die ebenfalls halb zerstörten Energieleitungen erreichte.
"Okay, vielleicht haben sie einen miesen Piloten. Vielleicht sind sie aber doch unterbesetzt. Würde ja auch Sinn machen", sagte Jonathan gedehnt. "Gut beobachtet, Warden."
"Danke für das Lob. Aber die wichtigere Frage ist doch, was wir daraus machen", erwiderte der Feldwebel.
"Sir, ich habe hier ein dringenderes Problem! Da spricht uns einer an!"
"Wiederholen Sie das, Reimann, wenn es geht mit mehr Informationen", rief Schrader erstaunt.
Sie schluckte einmal und präzisierte dann: "Sir, ich melde einen uniformierten Mann, Offizier der Armee im Range eines Captains, der von hinten zu unseren Maschinen aufschließt. Er spricht."
"Aha. Und was sagt er?"
"Er fragt, Sir. Und zwar fragt er, ob wir zwei Minuten Zeit hätten!"
Jonathan wandte seinen Knight ab und verließ die Beobachtungsposition.
Tatsächlich, ein republikanischer Offizier der Bodentruppen. Jonathan erkannte den Kragenspiegel sofort als die eines Artillerie-Offiziers. Durchaus nicht das häufigste Truppengattenabzeichen, das er als Knight-Pilot in diesem Krieg gesehen hatte. Er öffnete die Außenlautsprecher und sagte: "Sie sollten Ihre zwei Minuten dazu nutzen, um die Zivilisten zu evakuieren, Sir!"
Der Mann lächelte und nickte ihm zu. "Das stimmt. Ich bin Captain Cyrus Morgan, und ich wäre für Ihre Hilfe, um die Zivilisten zu retten, sehr dankbar, Sir."
***
Vor knappen sechshundert Jahren hatte die Menschheit noch Schwierigkeiten gehabt, die Anziehungskraft der Erde zu überwinden, um überhaupt einmal in einen stabilen stationären Orbit in einen Bereich der Atmosphäre zu kommen, den die Wissenschaftler und Astronauten großspurig bereits Weltraum genannt hatten. Heutzutage sprang man von System zu System und konnte theoretisch die gesamte Galaxis durchqueren, ohne dafür ein ganzes Lebensalter zu benötigen. Und auch die Sache mit dem Orbit ging etwas fixer.
Die JULIET tauchte aus ihrem niedrigen Orbit wieder auf die Flughöhe der anderen katalaunischen und gryanischen Einheiten auf, stabilisierte für einen Moment die Höhe, um CALAINCOURT und REDWOOD die Chance zu geben, aufzuschließen, und verließ dann in der Formation eines gleichschenkligen Dreiecks die Schwerkraftsenke von Sherwood. Dabei wachte die HERCULES wie ein großer grimmiger Schäfer über ihre Abreise und beschützte die drei Fregatten auf den ersten dreihunderttausend Kilometern ihres Weges mit ihrer überlegenen Waffentechnik. Das klappte allerdings nur, solange der stationäre Orbit über Scarlett die HERCULES nicht zwang, nach und nach der planetaren Drehung zu folgen und ergo die drei Kampfschiffe aus der direkten Erfassung verlor. Dies wäre normalerweise für Carmeline Chun und ihre KRK die Chance gewesen, die drei Schiffe ohne die mächtige Begleitung durch das Schlachtschiff abzupassen und ihren Auftrag auszuführen. Allerdings hielten die drei Schiffe genau auf jenes Wurmloch zu, welches die Flotte Arlings benutzt hatte, um ins System zu kommen. Es wurde noch immer von seinen Schiffen gehalten. Und diese Schiffe erhielten immer mehr Zuspruch. Allerdings war dieser Zuspruch vorerst nicht viel wert, solange die republikanischen Schiffe sich nicht in direkter Nähe zu Arlings Verband befanden. Einige waren sogar auf der anderen Seite des Systems, was ihre Unterstützung eher symbolisch machte.
Bis zu Rendezvous mit Rössing und Griffin würden die drei Schiffe anderthalb Stunden brauchen. Danach noch einmal achtzig Minuten bis zum Sprung. Und dann erwartete sie das Transit-System Rot-Rot-Leuchtturm, ein reines Durchgangssystem mit einigen Robotposten ohne Planeten und jegliche Ressourcen. Von da waren es noch zwei Sprünge bis in das erste neutrale System, bevor man im Herculeanum ankam. In Sicherheit, und, ohne jeden Zweifel im Exil.
"Meldung!", schnarrte Bigsby, während sie auf ihrem Kommandosessel Platz nahm. Dabei legte sie beide Beine zusammen und schlug sie nach links weg, eine Marotte, die sie seit den Tagen als Kadett betrieb, als ihr eigener Vater angezweifelt hatte, dass eine Frau auch Soldat sein konnte. Sollte ihr alter Herr jemals eine Aufzeichnung seiner Tochter im Gefecht zu sehen bekommen, würde er über ihr Benehmen und ihre Körpersprache jedenfalls nicht zu meckern haben. In dem Punkt hatte sie sich weit genug getrimmt, um sich keine Blöße zu geben. Wenn sie da an burschikose Charaktere wie Rend oder Schlüter... Stieg jedoch der blanke Neid in ihr auf. Denn solche Frauen, direkt, aufrichtig und immer mit einem derben Fluch auf den Lippen hatten sie überhaupt erst dazu animiert, das Leben als Soldatin zu wählen. Aber manchmal musste man eben Kompromisse eingehen. Jedes Leben war eben anders.
"Die Stellungen unserer Bodentruppen werden noch immer von einem unbekannten Kampfschiff aus dem Herzen von Scarlett heraus beschossen, Ma´am", rief Lieutenant Carson, der Cheffunker, "aber unsere Rüster und Knights haben bisher sieben Raketen abschießen können. Nur die erste ist detoniert. Die Rettungsarbeiten gehen voran, und die Techniker sind sich zuversichtlich, dass Vize-Präsident Cranston in spätestens fünfzig Minuten in den Orbit gebracht werden kann."
"Zu langsam", raunte Rhyann Klages. Äußerlich zeigte sie kaum eine Regung, aber ihre Nervosität umgab sie wie eine unheilvolle Aura.
"Bedenken Sie bitte, das er an Bord der HERCULES gebracht werden wird, Ms. President."
"Und? Worauf wollen Sie hinaus, Commander Bigsby?"
"Die HERCULES ist direkt in den Orbit von Sherwood gesprungen, richtig?"
Klages runzelte die Stirn. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor der Groschen fiel. "Moment Mal, Sie wollen mir doch nicht etwa weis machen, dass..."
"Dass die HERCULES auch aus der Schwerkraftsenke von Sherwood hinaus springen kann. Genau das. Deshalb waren die Nemesis-Schlachtkreuzer damals ja auch so gefürchtet." Sie lächelte beruhigend. "Also machen Sie sich keine Sorgen. Schafft er es in den Orbit, ist er eher aus dem System raus als wir. Dann hinken wir nämlich hinten dran."
"Auch eine sehr beruhigende Perspektive", erwiderte die Präsidentin. Aber immerhin ließ ihre nervöse Aura nach, und sie nahm endlich auf einem der Notsitze Platz.
"Ms. Bluhm, wenn Sie weiter machen würden?"
Die Ortungsoffizierin fuhr schuldbewusst zusammen. "Natürlich, Ma am. Wir werden nicht verfolgt. Ich messe Streuemissionen von Korvetten und Fregatten an, die über den Horizont herüber lugen und uns in der Aktivortung halten, aber die Fregatten können uns nicht einholen, und die Korvetten würden es nicht überleben, wenn sie sich mit drei Fregatten anlegen."
"Wie treffend formuliert." Klages erschauerte. Nur zu gut war ihr noch der gescheiterte Flug mit der Fregatte PRETENDER im Gedächtnis. Damals hatten vier Korvetten das stolze Schiff hartnäckig verfolgt. Die Besatzung stand nun unter dem Schutz der Miliz, während die Fregatte als besseres Wrack im Orbit trieb. Außerdem hatte die PRETENDER auf ihren Befehl sich erst ernsthaft verteidigt, als das stolze Schiff einige Schäden eingesteckt hatte. Rhyann wusste, dass sie Kapitän und Mannschaft etwas schuldete. Dass die ganze Republik ihnen etwas schuldete. Zu einer Zeit als es aussah, dass der Plan von Starway und Sourakis aufzugehen drohte und sowohl ihr als auch Jules die politische Diskreditierung gedroht hatte, da war es Erina Mbeki gewesen, die das Husarenstück gewagt hatte, die Regierung der Republik an Bord zu nehmen und von Central fort zu schaffen.
Wenn dieser unglaubliche Anschlag auf die Demokratie keinen Erfolg hatte, wenn sie aus diesem Konflikt als Siegerin hervor ging, dann gab es da ein Schiff, dessen Crew ein paar außergewöhnliche Tapferkeitsmedaillen erhalten würde.
"Der Weg zum Sprungpunkt nach Rot-Rot-Leuchtturm ist frei von Feindeinheiten", fuhr die Ortungsoffizierin fort. "Unsere Verbündeten reduzieren die Geschwindigkeit, um auf Gegenkurs gehen zu können. Wenn wir uns ihnen anschließen, bedeutet das eine Eskorte aus mittlerweile siebzehn Schiffen aller Klassen."
"Wie nett. Damit können wir uns notfalls bis ins Herculeanum durch beißen." Ein undamenhaftes Grinsen huschte über Bigsbys Züge. "Und Coryn ist genau der Mann dafür, das auch zu tun, wenn es sein muss."
"Nicht nur Griffin", sagte Rhyann leise. Auch Arling würde die Sache durch ziehen, ebenso wie jeder seiner Kapitäne, die sie bisher kennen gelernt hatte.
"Oh, es geht anscheinend los", murmelte Carson vor sich hin.
"Was geht los, Ted?", hakte die Kapitänin der JULIET nach.
"Am Raumhafen, Ma´am. Abseits der hässlichen Möglichkeit, von Atomraketen beschossen zu werden prügeln sich republikanische Landungstruppen mit unseren Rüstern und Knights. Sie werden bald von einem Bataillon Panzer in die Zange genommen, die Ganth ihnen auf den Hals gehetzt hat, und ich glaube, das wissen sie auch. Sie versuchen vollendete Tatsachen zu schaffen."
"Ganth ist ein Bodentruppenkommandeur aus Katalaun. Die Panzerbesatzungen erfahrene Veteranen und Milizionäre. Sie werden nicht zulassen, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Ganz davon abgesehen, dass unsere Mecha-Truppen nicht so leicht zu überwältigen sind", sagte Bigsby mit Nachdruck. "Mehr Sorgen mache ich mir um den Raketenträger mitten in Scarlett. Wenn der Skipper die Geduld verliert, hat er immer noch zwanzig Atomraketen, mit denen er den Weg zur Miliz nuklear pflastern kann." Zwischen ihren Augen bildete sich eine tiefe steile Falte. "Und da er so genial war, innerhalb einer republikanischen Hauptstadt Atomwaffen abzufeuern, kann er nur noch siegen oder fulminant untergehen. Über einen Versager wird Sourakis jedenfalls nicht ihre schützende Hand halten."
"Nuklear pflastern? Was für ein Wahnsinn", hauchte die Präsidentin erschüttert. Wie viele Menschen waren da unten akut mit dem Tod oder einer mittelfristig tödlichen Verstrahlung bedroht? Wie vielen Familien würde das alte Leben genommen werden, und das Chaos für sie Einzug halten? Was wurde diesen Menschen, ihren Schutzbefohlenen, angetan? Sie hätte sich jetzt in Agonie verkriechen können. Hätte die Welt ausblenden oder in Schuldvorwürfen versinken können. Stattdessen öffnete sie die Augen. Oh, eine Heilige war sie nie gewesen. Jeder, der in Yura-Maynhaus planetare oder interstellare Politik machte, hatte mindestens eine sprichwörtliche Leiche im Keller. So war es auch bei ihr. Aber bisher hatte sie niemals ihre Prinzipien verraten, um ein Ziel zu erreichen, geschweige denn Menschen als Zahlen in einer Statistik gesehen, oder "geringe Verluste" als "erträglich" angesehen. Sie war nicht perfekt, kein Genie und sicherlich nicht die beste Präsidentin, die Yura-Maynhaus jemals gehabt hatte. Und das garantiert niemals für alle Bewohner ihrer Republik. Aber nun hatte sie eine Ahnung davon, was Machtmenschen anzurichten vermochten, wenn sie das Ruder in der Hand hielten. Wenn sie Notwendigkeiten vor Menschenleben stellten. Wenn sie sich verhielten, als würde sie niemals eine Strafe treffen können.
Nun, in diesem Punkt irrten sie sich, die lieben hohen Herren und Frauen in der Flotte, ihre Geldgeber und die Initiatoren dieses Wahnsinns. Das war sie allen bisherigen Opfern auf Sherwood und all jenen, die noch kommen würden, mehr als schuldig. Grimmig ballte sie die dünnen Hände zu Fäusten, bis sich ihre Nägel ins Fleisch bohrten. Manche hatten einen Beruf, einige eine Berufung. Endlich verstand sie ihre Berufung, jenseits ausgeglichener Haushalte, neuen Gesetzen, Modernisierung von Vorschriften und der Aufrechterhaltung eines schlanken Verwaltungsapparats. Und sie verstand, dass sie selbst auch mal kräftig zutreten musste, um die Ordnung wieder her zu stellen, die den Machtmenschen nicht passte, aber für die Republik das Beste war.
Oh, ja, sie würde treten. Und das vornehmlich in Helen Sourakis weiß uniformierten Hintern.
"Ortung, multipel", rief Lieutenant Carson. "Richtung Rot-Rot-Leuchtturm."
Der hagere Gryane sah auf. "Siebenundzwanzig Kontakte bisher, weiter steigend. Ma´am, soeben ist die Large Fleet mitten in unsere Fluchtroute gesprungen."
Einer der Bildschirme wechselte von einer Ansicht zu Rössings Konterfei. "Das hat Iolaos einkalkuliert. Gehen Sie auf neuen Kurs, Sharon. Sie springen nach London weiter. Das ist nur ein kleiner Umweg, und wir halten Kian davon ab euch zu folgen. CALAINCOURT und REDWOOD bleiben bei euch."
"ANCHORAGE hier", meldete sich Captain Martinez von einem weiteren zugeschalteten Bildschirm. "Admiral Rössing, wir sind der JULIET näher als der Flotte. Bitte um Erlaubnis, das Schiff zu begleiten. Unsere Rüster sind weiterhin auf dem Weg nach Sherwood."
"Erlaubnis erteilt. Viel Glück ihnen allen."
Ein weiter Schirm wechselte von einer Statistik zum Konterfei von Admiral Griffin. "Sharon, was ich Ihnen jetzt sage, ist mein erster absoluter Befehl, den Sie auf jeden Fall ausführen: Sie marschieren mit der JULIET durch. Selbst wenn das All brennt, selbst wenn Ihre Begleitschiffe drohen vernichtet zu werden! Sie bleiben auf Kurs ins Herculeanum!"
Bigsby schluckte heftig. Es gefiel ihr gar nicht, ihre Kameraden im Stich zu lassen, aber sie wusste ebenso gut wie Coryn Griffin, dass mit Rhyanns Tod die ganze Aktion beinahe sinnlos geworden wäre, vor allem zu einer Zeit, zu der es noch nicht sicher war, dass Cranston gerettet werden konnte. "Verstanden, Sir."
"Und ich werde dazu wohl gar nicht erst befragt, was?", fragte Klages traurig mit ein wenig Trotz in der Stimme.
"Sie kriegen noch genügend zu tun, Ms. President. Nachdem wir Sie in Sicherheit gebracht haben." Griffin salutierte und deaktivierte die Verbindung.
Auch die anderen Gesichter verschwanden nach und nach. Bigsby starrte die Sternenkarte an, die das Konterfei von Rössing ersetzt hatte. "Man merkt, dass er ein Schüler Arlings ist", scherzte sie. Langsam schlug sie die Beine übereinander. "Kurs auf den Sprungpunkt zum London-System."
"Aye, Ma´am."
***

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Ace Kaiser,
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Corrand Lewis,
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9.
08.07.2613
Sonderflotte PRAG
Montillon-System, beim Sprung in das Cipangu-System

Mit Stolz betrachtete Konteradmiral Röhrs die taktische Anzeige. Ihm unterstanden erstmals achtundvierzig Schiffe. Das war nicht genug für zwei Flotten, aber zuviel für eine einzelne Flotte. Dazu kam die Präsenz schwerer und schwerster Einheiten. Alleine zwanzig von ihnen waren Zerstörer der Trinidat- und Conquer-Klasse und gehörten damit zum feinsten was kaiserliche Schiffswerften je verlassen hatte. Acht waren, wie sein Flaggschiff VICTORY, Leichte Kreuzer der Hamburg-Klasse. Zehn gehörten zu den Fregatten der Admiral Schell- und der Panama-Klasse an, der Rest waren Korvetten aus der Trafalgar-Serie, schwer bewaffnete kleine Teufel für Nahbereichsverteidigung. Alles in allem eine Streitmacht, die sich sehen lassen konnte, während kampfstarke und Veteranenschiffe eigentlich an der Front standen oder auf den Depotwelten repariert wurden. Ein Großteil der Schiffe gehörte zur Montillon-Systemverteidigung, andere waren nach ihrem Werftaufenthalt für die Mission aquiriert und in Wartestellung geschickt worden. Das implizierte natürlich, dass diese Mission, seine Mission, schon seit Wochen festgestanden hatte, aber für die versprochene Beförderung zum Vize-Admiral und die damit verbundene Versetzung an die Frontlinie zu seiner eigenen Flotte, war Martin Röhrs gerne mal ein wenig betriebsblind. Zudem war der Auftrag mehr als simpel: Die PRAG im Cipangu-System zu stellen und nach Montillon zu schaffen, wobei alle Mittel erlaubt waren. Teufel, er konnte den Schweren Kreuzer sogar abschießen, wenn er es wollte. Solange er das Wrack oder das, was davon übrig geblieben war, herüber schleppte. Und ganz davon abgesehen handelte es sich bei Kapitän und Crew um Frederec-Parteigänger, durch die Bank durch und zurück. Das machte es ihm als Robertisten natürlich leicht, notfalls den Feuerbefehl zu geben.

Ein wenig Sorge machte ihm der amtierende Herzog von B-King. Zwar waren alle aktiven Schiffe bis auf das eine oder andere Kampfshuttle der Miliz mit Kriegsausbruch an die Front verlegt worden, unter ihnen so stolze Schiffe wie die RHEINLAND, die HIGGINS und die TAURAMANDIL, aber die Miliz war kampferfahren, erprobt und mit Veteranen der vielen Konflikte geradezu durchsetzt. Wenn sich Takeru Beijing dazu entschloss, dem Schiff, das er Asyl angeboten hatte, militärisch zu Hilfe zu kommen, würden knapp zweihundert Knights gegen seine Schiffe stehen. Die Flotte bot achthundert auf, unter ihnen Veteranenpiloten aus ungezählten Schlachten. Aber er konnte nicht berechnen, wie viele der Knight-Piloten und der Schiffskapitäne auf ihn hören würden, wenn er tatsächlich den Angriff auf die B-King-Truppen befahl. Rein gehen, drohen und mit der PRAG wieder raus springen war eine Sache - auf verbündete Einheiten schießen zu lassen war eine vollkommen andere. Auch wenn er eine schlechte Presse nicht fürchtete, so hatte er doch mehr als ein wenig Gewissensbisse, wenn er militärisch gegen B-King vorgehen musste. Es konnte nicht nur bedeuten, dass Kapitäne und Knight-Piloten ihre Befehle verweigerten. Nein, die aktiven Schiffe aus Cipangu würden sich nach dem Krieg wieder über B-King sammeln. Und die Leute aus dem Cipangu-System hatten ein verdammt gutes Gedächtnis. Vielleicht war das einer der Gründe, warum ein System, das so nahe an Sanssouci lag, noch nicht vollkommen von Militär und Wirtschaft der Hauptwelt vereinnahmt worden war.
Es sprach jedoch alles dagegen, dass Takeru Rüdiger von Kantou angesichts der schieren Übermacht an Schiffen ernsthaft den Versuch wagen würde, ausgerechnet ein Schiff, angefüllt mit Frederec-Getreuen, zu verteidigen und unnötige Verluste für seine eigenen Truppen in Kauf zu nehmen. Die B-King-Miliz kannte Ehre und Rückgrat. Genauso aber hielten sie nichts von aussichtslosen Gefechtsszenarien. Vielmehr entzogen sie sich solchen Situationen und schlugen zu, sobald sich die Umstände verbessert hatten. Doch bis dahin würde er mit seiner Beute längst wieder im Montillon-System sein.
"Admiral, alle Schiffe melden bereit zum Sprung."
Röhrs nickte fest. "Wir springen, Kapitän Lenz."
"Aye, Sir. Alle Schiffe klar zum Sprung."
Der Befehl wurde eifrig aufgenommen. Die Brücke der VICTORY versank kurz in Hektik, bevor sich für den unvoreingenommenen Beobachter die tiefere Ordnung in all der Hast hervor zu arbeiten begann. Letztendlich machte jeder Gang, jedes Wort und jedes Hologramm Sinn und trug zum Ganzen bei. Dann sprangen die ersten Fregatten der Flotte voraus.
Röhrs taxierte eine holographische Anzeige. Sein Schiff würde als siebtes springen. Keine allzu waghalsige Position, aber auch nicht zu sehr auf Sicherheit bedacht. Im Cipangu-System würde dann alles ganz schnell vonstatten gehen. Die Hauptsache war nur, dass der Flotte kein verdammter Cowboy auflauerte, der aus dieser einfachen Operation die Schießerei am O.K.-Corral machen würde. Letztendlich hatte er ein Riesenproblem damit, auf andere Roberttreue zu schießen, egal wie sehr Miranda von Hohenfels ihn bestechen mochte.

Eine halbe Stunde später tauchte die VICTORY mit Klar Schiff zum Gefecht im Cipangu-System aus dem Sprung auf. Rein rechnerisch hatten sie nun Taipeh erreicht, den fünften Planeten des Systems. Ein Gasriese, der just zu dieser Zeit nicht weit vom Sprungpunkt nach Montillon entfernt war. Die erste Pflicht war natürlich für die Mannschaft, diese Position zu verifizieren. Es wäre etwas peinlich für Röhrs gewesen, wenn ausgerechnet sein Flaggschiff auf der falschen Seite der Schwerkraftsenke von Taipeh heraus gekommen wäre und von der Flotte getrennt war. Zwar würden die Schiffe für den Marsch nach B-King schnell wieder zusammen finden, aber der Makel würde an seiner Astronavigationsabteilung haften bleiben. Allerdings würde er seine Admiralsflagge dann auf einem anderen Leichten Kreuzer hissen und die VICTORY in ihrer Unfähigkeit zurücklassen.
"Admiral, unsere Position wurde bestätigt", meldete Lenz. "Alle Schiffe sind an den richtigen Koordinaten heraus gekommen. Allerdings gieren wir bis zu dreitausend Kilometer weiter auseinander als erwartet.
Röhrs lächelte grimmig. Also hatte die Nähe von Taipeh doch den Sprung beeinflusst. Allerdings war diese Streuung vernachlässigbar.
"Orten Sie mir die PRAG und setzen Sie anschließend den Kurs. Einen Kanal zur Planetaren Regierung auf B-King."
"Aye, Sir." Lenz wandte sich nach einem Salut um und machte seinen Leuten Feuer unter dem Hintern. Anscheinend hatte er vor, seine VICTORY dauerhaft als Admiralsflaggschiff zu empfehlen, und dafür wollte er einen guten Eindruck machen. Tatsächlich funktionierte die Crew der VICTORY sehr gut. Eine Hand griff in die andere, kein Schritt ging ins Leere. Schon nach kurzer Zeit kamen die ersten Rückmeldungen.
"PRAG geortet. Sie befindet sich in einem Orbit um B-King!" Der Ortungsoffizier sah mit bleichem Gesicht zu Lenz herüber. "Sie liegt inmitten eines Pulks aus Kampfschiffen."
"Was? Geben Sie mir die Ortungen auf mein Holo, Gerber. Da soll mich doch eine Sternschnuppe treffen! Transponder?"
"Flaggschiff des Verbands identifiziert als GRANADA, Sir, Schwerer Kreuzer."
Der Skipper wandte sich Röhrs zu. "Sir, die GRANADA ist das Flaggschiff von Großherzog Johannes von Baaden. Weitere Signaturen lassen auf seine Schiffe, aber auch Einheiten aus anderen Systemen schließen."
"Wir haben Kontakt. Ich stelle Admiral von Baaden durch."
Okay, jetzt war Röhrs überrumpelt. Allerdings fing er sich schnell, als der Eitelschrecken das Gesicht des kleinen Mannes übergroß wiedergab. Johannes von Baaden brauchte keine Körpergröße um wirklich groß zu sein. Innere Größe war bei ihm nicht nur eine Floskel, sondern eine Tatsache.
"Admiral von Baaden, was hat das zu bedeuten?", fragte Röhrs gefährlich leise und erhob sich aus seinem Sessel.
"Das Gleiche wollte ich gerade Sie fragen, Martin. Was machen Sie hier mit der halben Systemflotte von Montillon? Wenn es zu einem Überraschungsangriff der Republikaner oder dem Herculeanum kommen sollte, informieren Sie mich etwas spät."
"Kein Überraschungsangriff, Sir", erwiderte Röhrs. Zumindest nicht durch die Reppies, fügte er in Gedanken hinzu.
Okay, es war nicht schwer zu erraten, warum von Baaden hier war. Der Mann war wie er selbst Robertist und stolz darauf. Selbst die jüngste Entwicklung hatte nicht dazu beigetragen, seine Meinung wanken zu lassen. Die Medien auf Sanssouci hatten deshalb alle möglichen Arten von Schmähungen für von Baaden gefunden. Von reserviert-unterkühlt bis zur offenen Hetze, je nachdem wie weit die Redakteure für die Admirälin der Flotte bereits die Hosen runter gelassen hatten. "Ich habe Befehl zu einer Polizeiaktion. Ich nehme an, Sie wissen, dass die PRAG im Orbit um B-King ist?"
"Gewiss. Sie wird repariert. Es scheint, dass man über Sanssouci etwas ruppig mit ihr umgegangen ist. Kommodore Popow erzählte mir davon, dass er massiv daran gehindert wurde, einem Notruf von Prinzessin Elisabeth Folge zu leisten. Er wurde sogar in der Atmosphäre von Antischiffsraketen angegriffen, wie die Aufzeichnungen belegen."
Aha, Prinzessin, nicht Majestät. Damit waren die Fronten vollends klar.
"Im Gegenzug wurde der Zerstörer LYON beinahe abgeschossen. Die PRAG war nicht gerade kleinlich beim austeilen." Röhrs straffte sich. "Ich bin hier um das Schiff zu übernehmen und die Mannschaft zu internieren. Ihre Majestät besteht auf eine vorbehaltlose und lückenlose Aufklärung des Vorfalls."
"Admiral, es befinden sich achtundsechzig Schiffe aller Klassen im Orbit, die PRAG und die GRANADA mitgezählt", flüsterte Lenz ihm zu.
Röhrs spürte, wie er blass wurde. Zwei dieser Schiffe waren Schwere Kreuzer, und das bedeutete eine ziemlich harte Nuss. Zudem wussten sie jetzt, dass er kam und würden ihn erwarten. In einer Verteidigungsstellung, die ihm alleine beim Anflug Verluste einbringen würde.
"Und mir hat das Computersystem versichert, dass die PRAG nicht einen einzigen Schuss auf ein katalaunisches Schiff abgegeben hat."
"Ist es nicht Sache des Militärgerichts, darüber zu entscheiden?", warf Röhrs spitzfindig ein.
"Normalerweise hätten Sie da Recht, Martin. Aber es ist eine besondere Zeit, und es sind besondere Umstände. Der amtierende Herzog hat dem Schiff Asyl gewährt. Und soweit ich weiß, hat er eine Versammlung der Herzöge einberufen, um die Anschuldigungen an die PRAG zu klären. Immerhin unterstützen Kapitän und Mannschaft offen Prinzessin Elisabeths Anspruch auf den Zedernholzthron, da können wir bei einem Arling-Gefolgsmann wie Takeru nicht unbedingt von Parteinahme sprechen. Eher von gutem Urteilsvermögen."
Natürlich war es eine Option, den Fall vor den Herzögen zu verhandeln, obwohl das äußerst selten vor kam. Normalerweise wusch die Flotte ihre dreckige Wäsche selbst. Doch das Schiff war Elisabeths Eigentum, und die Offiziere und Mannschaften hatten ihr Gefolgschaft geschworen, vergleichbar einem Ritter, der einem Grafen oder Herzog diente und im Gegenzug von ihm beschützt wurde. Deshalb, solange keine akute Notwendigkeit bestand, war eine Verhandlung vor den Herzögen nicht die dümmste Idee. Im Gegenteil, da ohnehin bald eine Versammlung statt finden würde, um Elisabeth zu krönen, zudem eine sehr gute Gelegenheit. Röhrs fühlte wie ihm die Felle davon schwammen. "Mylord, Sie sind doch eher dem Arling-Lager zu zu rechnen. Was interessiert Sie die PRAG?"
Von Baaden lächelte dünn. "Ich bin in der Tat hier, um Johann von Arlings - Verzeihung, Johann von Versailles´ Thronanspruch zu unterstützen. Er hat so viel für mein kleines Reich getan, den Krieg beendet, den Handel mit dem wiedererstandenen Herculeanum eröffnet, zwei Millionen Katalauner in illegaler Deportation gerettet, man muss seinen Anspruch auf den Thron einfach anerkennen. Andererseits bin ich als einer von drei noch amtierenden Großherzöge auch dem alten Adelssystem verpflichtet. Natürlich wissen wir die Arbeit unserer Regionalparlamente, der Planetenparlamente und der Reichsversammlung zu schätzen. Aber wir Herzöge dienen ein Leben lang, und dies tun wir, weil wir immer noch denken, dass ein Mensch in zwanzig Jahren Regentschaft mehr bewirken kann als fünf Menschen in jeweils vier Jahren. Unsere Wege in unsere Ämter sind immer steinig, schwer, und die Zeiten im Amt niemals leicht, weil wir teilweise unglaubliche Bürden tragen müssen. Aber wir tun es, für die Menschen, die auf uns vertrauen. Für die Menschen, die ihre normalen Leben auf normalen Welten leben wollen, für die Menschen, die uns vertrauen. Dafür genießen wir gewisse Privilegien, ein paar Freiheiten, die ein normaler Bürger nicht hat. Eines davon ist das Recht, persönliche Ritter zu berufen. Diese Ritter dienen zumeist zugleich in der Miliz oder im Militär, weshalb ich denke, dass es keine Verschwendung von Steuergeldern ist. Und dieses Recht muss ich als Großherzog beschützen, weil auch das sich bewährt hat." Von Baadens Miene wurde ernst. "Vergessen Sie nicht, es waren Roberts geschworene Ritter, die Schlimmstes verhindert haben, als die Revolution der Herzen Sanssouci erreicht hat. Viele sind dabei gefallen, aber sie haben ihren Schwur gehalten, ihre Pflicht erfüllt. Wie kann ich angesichts der Tapferkeit dieser Männer und Frauen, angesichts dieses Opfermuts plötzlich die Ritter eines anderen so einfach jeder Ehre entblößen, sie behandeln wie gemeine Verbrecher? Sie wissen die Antwort: Gar nicht. Kommodore Popow und sein Crew sind die geschworenen Leute von Elisabeth, und ich respektiere das. Mehr noch, ich verteidige das. Es gibt nur eine Instanz, die über die Geschworenen einer Kaiserkandidatin richten kann, und das ist die Vollversammlung der Herzöge."
"Eine nette Rede, Mylord, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass meine Flotte voll bewaffnet und feuerbereit ist. Bitte übermitteln Sie Kommodore Popow meine Aufforderung, seine Schilde und Waffen zu deaktivieren, und sich meiner Flotte anzuschließen, um mit uns ins Montillon-System zurück zu springen."
"In dem Fall bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen, dass meine Flotte die PRAG als Sekundanten begleiten wird."
"Äh, was, bitte?"
"Wenn Sie die PRAG in Ihre Obhut nehmen, erlauben Sie mir als Sekundant, Ihre Flotte in meine Obhut zu nehmen und Sie zu begleiten, Martin." Von Baaden lächelte nun grimmig. "Das beinhaltet natürlich den Feuerbefehl für alle meine Einheiten, wenn Ihre Schiffe es wagen sollten, die PRAG in aktive Zielerfassung zu nehmen."
"Sie drohen mir?"
"Ich komme Ihnen entgegen. Ich bin bereit, die PRAG mit Ihnen fliegen zu lassen, wenn Sie meinen Status als Sekundanten anerkennen. Moment, bitte."
Von Baaden verschwand für einen Augenblick vom Bildschirm. Als er wiederkehrte, grinste er breit. "Siebzehn Schiffe von Akretus, Schönfeld und Triest sind soeben ins System gesprungen und haben sich meinem Kommando unterstellt. Wenn Sie also so nett wären, uns eine Formationsaufstellung zukommen zu lassen, sind wir gerne bereit, Ihren Schiffen entgegen zu fliegen."
Entsetzen kroch in Konteradmiral Röhrs hoch. Wenn er sich einer Sache in diesem ganzen Durcheinander sicher war, dann das Miranda von Hohenfels eine Flotte von beinahe hundert Schiffen aller Klassen, das nach Montillon vorstieß, während sie die halbe Wachflotte bedrohten, nicht gut heißen würden. Vor allem würde Miranda es überhaupt nicht gut aufnehmen, von der Existenz derart vieler Schiffe zu vernehmen, wenn jedes frei gewordene Kampfschiff eigentlich auf dem Weg nach Zyrrtekk sein sollte. Mit einem Anflug von Panik begriff er die Nachlässigkeitssünde der Admirälin. Sie hatte zwar die Yura-Maynhausfront entblößt und alle verfügbaren Schiffe beschäftigt, aber sie hatte nicht daran gedacht, dass die Diadochenfront ebenfalls eine Menge Schiffe freistellen konnte, wenn auch nur kurzfristig. Aber es reichte, um eine ernsthafte Bedrohung für ihre Machtposition zu sein. Von seiner Beförderung konnte sich Röhrs verabschieden. Solange sie aus den Händen von Miranda von Hohenfels kommen sollte. Oder wie die Person wirklich hieß, die sich seit Monaten für sie ausgab.
Der Admiral gab sich einen Ruck. "Kapitän Lenz, Befehl an die Flotte: Beidrehen und bereit machen zum Rücksprung. Nachricht an Admiral der Marine Miranda von Hohenfels: PRAG steht unter dem Schutz von Johann von Baaden. Springe unverzüglich nach Montillon zurück. Bericht folgt."
Der Skipper der VICTORY salutierte knapp und korrekt und gab die Befehle weiter.
"Ich weiß Ihre Entscheidung zu schätzen, Martin", sagte von Baaden mit neutraler Miene. "Ich werde mich beizeiten daran erinnern."
"Ich tue nur meine Pflicht. Auch wenn ich manchmal vielleicht nicht sofort weiß, was meine Pflicht eigentlich gerade ist", erwiderte Röhrs. Er salutierte. "Ich empfehle mich, Admiral von Baaden."
Der Großherzog erwiderte den Salut. "Wir sehen uns im Montillon-System, Martin."
Und Röhrs wusste, das war keine Drohung gewesen, sondern ein Ausblick in die Zukunft. Nun, vielleicht war seine Beförderung doch nicht so tot. Noch nicht. Wenn er seine Karten richtig ausspielte.
***
Oberst Charles Monterney zeigte keinerlei Reaktion, als der Alarm für aktive Erfassung aufgellte. Sein Gefechtsdisplay informierte ihn schon seit Minuten darüber, dass gut zwei Drittel der auf Sherwood gelandeten Bodentruppen Kurs auf seine Stellung hielten, dabei aber wohlweislich jenen Bereich meidend, der unter dem Beschuss der Raketenkorvette stand. Und so war die Situation: Ein Drittel seiner eigenen Truppen prügelte sich am Raumhafen mit dem Rest der Reppies, hinter ihm versuchten at-Sherwood und seine Leute, Cranston aus seiner misslichen Lage in einem Fahrstuhl im Tiefenbunker der Milizanlage zu befreien, direkt hinter ihm hatte sich Ganth mit Panzern und Fußtruppen fest gekrallt. Und schräg vorne rechts dampfte noch immer der Boden von der Gewalt einer atomaren Explosion, während die Zahl der Trümmer weiterer Jubilee II-Raumkampfraketen immer weiter zunahm. Es fehlte nur noch, dass die KRK und ihre Begleitschiffe erneut über den Horizont gekrochen kamen und das Feuer auf ihre Stellung eröffneten. Charles rechnete so ziemlich mit jeder Schweinerei: von einer zweihundert Raketen-Salve der republikanischen Schiffe bis hin zu Selbstmordkommandos. Oder noch schlimmer, damit, dass der Skipper der Raketenkorvette sich tatsächlich seinen Weg zur Milizkaserne atomar planierte, um die katalaunischen und sherwoodischen Verteidiger daran zu hindern, alle Raketen abzuschießen, die er auf sie feuerte. Der Deckschatten einer Nuklearexplosion bot dafür gute Chancen, selbst bei der feinfühlen Ortungstechnik des Kaiserreichs.
Zu allem Überdruss suchten die Bodentruppen den Kampf, gerade jetzt, wo die katalaunisch-gryanische Linie ordentlich bedrängt wurde. Charles wusste nicht, was man diesen Leuten gesagt hatte, um sie dazu zu bringen, ihre eigene Präsidentin inhaftieren zu wollen, aber mit Katalaunern funktionierte das ja auch, wie die jüngste Geschichte und die erfolglose Großfahndung auf den Kaiser gezeigt hatte. Und das weckte seinen grimmigen Trotz.
"Werde erfasst", meldete er dem taktischen Zentrum auf der HERCULES weiter. "Grendel IV-Panzer, siebzehn Kilometer entfernt, schnell näher kommend."
"HERCULES, hier HERCULES. Nicht feuern. Ich wiederhole, nicht feuern."
Charly runzelte die Stirn. "Han, das ist aber eine sehr dumme Idee. Ich meine, da oben bedrängt die Large Fleet die Präsidentin, hier unten müssen wir den Vize-Präsidenten aus dem Boden puhlen, auf meiner Flanke schmeißt ein Irrer mit Atomraketen um sich, halb um den Planeten lauern ein Leichter Kreuzer und seine Begleitschiffe, ich kann jede Sekunde beschossen werden, und was du mir rätst ist: Nicht feuern?"
"Es ist mir klar", antwortete Graf Arling mit amüsierter Stimme, "dass du und Ganth da unten eine Menge zu tun hattet und deshalb nicht mehr auf dem neuesten Stand seid. Ihr kriegt gerade Verstärkung. Und zwar eine Verstärkung, die hier die gleiche Wirkung hat, wie die Gryanen im Herculeanum."
"Was soll das für eine Verstärkung sein, Han?", fragte der Oberst argwöhnisch.
"Ortungen, Multipel. Transponder deklarieren sie als freundlich. Einheitskennung ist Black Watch!", meldete der Computer des Knights.
"Black Watch?" Charles checkte seine Monitore und sah achtundvierzig verifizierte Kontakte als Feuerball durch die Atmosphäre dem Erdboden von Sherwood entgegen fallen. Irgend etwas blitzte dort oben auf, und wenige Dutzend Meter vor Charles´ Knight sauste ein schwerer Metallgegenstand zu Boden und bohrte sich bis zum Griff in den Erdboden. Die Klinge glühte noch von der Reibungshitze, aber er erkannte sie sofort als die Waffe, die er im letzten Scharmützel gegen die Black Watch eingebüßt hatte. Damals, als sie die Gryanen mit einem von Hans Zaubertricks nach Katalaun geholt hatten. "Teufel, Woodruff, sind Sie das?"
"In der Tat, Herr Oberst. Und heute erfülle ich mir einen Herzenswunsch und kämpfe mal mit Ihnen statt gegen Sie!" Ein Hilfsbildschirm flammte auf und zeigte das grinsende Gesicht des republikanischen Rüster-Piloten. "Bitte um Erlaubnis, mein Bataillon einreihen zu dürfen."
"Erlaubnis erteilt, Lieutenant Colonel."
"Oh, es heißt mittlerweile nur noch Colonel. Ich wurde befördert, nachdem ich das Duell mit Ihnen überlebt habe, Charles. Man hielt das im Armeehauptquartier für eine unglaubliche Leistung, gegen den besten Knight-Piloten Katalauns zu bestehen."
"Ich bin nur der eintausendzehntbeste", wiegelte Charles ab.
"So? Mein Oberkommando ist da anderer Ansicht."
Wie glühende Perlen tropften die Rüster der Elite-Einheit vom Himmel und reihten sich rasch in die Formation ein. Sie suchten sich jeweils Plätze rund um die gryanischen Rüster und machten aus ihrer Front eine noch gefährlichere Phalanx.
"Charles, die Bodentruppen haben gestoppt", meldete Oberstleutnant Madison.
"Wie, die Bodentruppen haben gestoppt, Jaime?"
"Gestoppt wie angehalten. Seit das erste Mal das Wort Black Watch fiel, haben mehr und mehr Einheiten verzögert. Mittlerweile stehen sie alle."
"Oberst Monterney, darf ich dazu folgendes empfehlen?", sagte Woodruff.
"Mit den Bodentruppen Kontakt aufnehmen und sie zum Seitenwechsel auffordern?"
"Was? Quatsch! Zwischen sie stoßen und sie in alle Winde verstreuen! Wenn sie keine Kampfeinheit mehr sind, können sie sich immer noch entscheiden, wem sie ihre Treue geschworen haben!"
"Von meiner Seite gibt es keine Einwände. Hole sie dir, Lucky Charly", klang Arlings Stimme auf.
"Was ist mit dem Raketenkreuzer?"
"Du hast doch Leute detachiert, die die sie abschießen sollen. Bete, dass sie gut sind."
"Du hast gut reden", knurrte Monterney. "Also gut! Cecilia, ich brauche die Panzer. Als Ausgleich lasse ich Dir zwanzig Knights hier!"
"Sehr schön. Hauptmann Keaton hat bereits eine schwere Einheit zusammen gestellt. Sie wartet nur noch auf deinen Befehl."
"Gestoppt haben wir sie ja schon", fügte Woodruff hinzu. "Jetzt zersprengen wir sie. Immerhin habe ich Klages gewählt."
Das war Wahnsinn, blanker Wahnsinn mit einem durch gedrehten Raketenträger an der Flanke. Allerdings war die Bodeneinheit die größere Bedrohung, und bald, sehr bald mussten sie den Planeten verlassen, bevor sich die Large Fleet um sie kümmern konnte. Im Wahnsinn regierte nicht die Vernunft, sondern die Spontaneität. "Angriff", befahl er mit fester Stimme und trat die Schubdüsen seines Knights durch.
***
Chamberlain straffte sich. Immer wenn er eine weit reichende Entscheidung getroffen hatte, richtete er sich so weit wie möglich auf, stellte sich gerade hin. Versuchte größer zu sein als noch kurz zuvor. Er kam eher selten dazu wichtige Entscheidungen zu treffen, die nicht nur ihn und sein Schiff betrafen. Im Moment aber hatte er eine Entscheidung getroffen, die das Leben von fünfzehn Millionen Menschen sehr negativ beeinflussen konnte. Gerade erst waren die Raketen mit den Kennungen, Hotel, India Juliet und Kilo vernichtet worden, natürlich ohne zu explodieren. Zugleich wurde der Sprung der Large Fleet ins System gemeldet. Daraus ergab sich eine erschreckende Tatsache: Er versagte nicht nur gerade, er wurde auch sehr bald nicht mehr gebraucht, wenn es Kian gelang, die Präsidentin aufzubringen. Nun gab es für ihn nur zwei Möglichkeiten. Eine verbot sich von selbst, nämlich zu den regierungstreuen Truppen überzulaufen. Nicht, nachdem er den Vorgarten der planetaren Hauptstadt gerade mit zwanzig Millionen Grad radioaktiv geröstet hatte.
Möglichkeit zwei war, erfolgreich zu sein, bevor seine Befehle aufgehoben wurden.
"Wir schießen einen Teppich. Vier Raketen, multiple Explosion alle zehn Kilometer, im Abstand von jeweils fünfzig Sekunden. Auf vierunddreißig Kilometer feuern wir dann alles ab, was die Werfer her geben.
"Sir, zehn Kilometer ist zu nahe an der Hauptstadt. Laut Computer erfassen wir dabei die Vororte mit der Feuerwalze und..."
"Ja, meinen Sie, dass wir nicht ohnehin schon vor dem Kriegsgericht stehen, Goodwill?", blaffte Chamberlain. Entschlossen sah er auf die taktisch Anzeige. "Nur der Erfolg und eine Empfehlung bei Admiral Starway kann uns jetzt noch unsere Karrieren retten. Also feuern Sie diese verdammten Raketen ab!"
Goodwill schluckte trocken. Der eigene Arsch war jedem stets am nächsten. Man hing ja auch an ihm. "Jawohl, Sir. Vierersequenzen, multiple Explosionen, alle vier Kilometer. Auf vierunddreißig Kilometer alles was wir haben."
"Sehr gut", knurrte Chamberlain für den Moment zufrieden. Wie viele Menschen würde er eigentlich mit der Feuerwalze der Explosion töten? Wie viele mit der Druckwelle? Wie nachhaltig würde er die Hauptstadt verseuchen? Sherwood hatte mit Marion bereits eine Hauptstadt verloren, in einem ganz ähnlichen Konflikt. Und wenn die Bürger dieser Welt ihm nicht so scheißegal gewesen wären, hätte er vielleicht die Sensibilität besessen, nicht zu feuern. Aber als Auswärtiger durfte man ja ruhig mal Schwein sein. "Feuer!", blaffte er.
Das Ergebnis war anders als erwartet, als statt der üblichen Abschussvibrationen schwerste Erschütterungen durch die Korvette liefen.
"Was ist los?"
"Heftiger Beschuss im Heck, Sir!", rief Lieutenant Goodwill. "Wir haben da ein Artilleriebataillon unserer Bodentruppen im Nacken, und sie feuern was das Zeug hält! Die Außenschilde sind bereits ausgefallen!"
Für eine Sekunde wollte Chamberlain befehlen, zum Kommandeur der Truppe durchgestellt zu werden und eine Erklärung zu verlangen. Aber er kannte die Antwort auch so. Der Kommandeur der Truppe war als Untergebener von Admiral Sourakis auf dieser Welt gelandet, und schoss nun als Gefolgsmann der Präsidentin auf den Arsch seiner Korvette. Die Frage war, wer am Ende der Deserteur sein würde - Chamberlain oder der andere Offizier.
"Warum feuern wir nicht?", brüllte er, während eine neue Salve ins Schiff einschlug.
"Die Sicherheitsprotokolle haben den Abschuss gestoppt! Ein gezielter Abschuss ist nicht mehr möglich!"
"Umgehen! Und dann raus mit den Dingern, solange wir es noch können! Die Raketen suchen sich ihr Ziel, sobald sie raus sind! Aber abfeuern müssen wir sie! Los jetzt, Goodwill! Scheiß auf die DAVY CROCKETT!"
"Aye, Sir!"
Eine erneute Erschütterung jagte durch das Schiff und es begann nach Steuerbord zu gieren. Der innere Schild brach zusammen, und die Flanke des Schiffs raste ungeschützt in die Flanke der Stahlbetonbauten. Weitere Salven schlugen ein, aber mit einem wilden triumphierenden Blick registrierte Chamberlain den Abschuss der ersten Vierersalve. Vielleicht würden sie es schaffen, trotz dieser verdammten Verräter.
***
"Das hat gesessen!", rief Captain Morgan hoch erfreut, als die Korvette durch den Beschuss den zweiten Schirm verlor. Das Kampfschiff bekam Schlagseite und gierte nach rechts. Die Gebäude auf dem Platz waren über die Rückseiten evakuiert worden, so gut sie es in der Kürze der Zeit hatten durchführen können, deshalb musste er sich darum keine Sorgen machen. Wichtiger war die Fähigkeit der Raketenkorvette, weiterhin Jubilee II-Antischiffsraketen abzufeuern, jeder einzelne Gefechtskopf mit einer Sprengkraft von einer halben Megatonne TNT.
Lieutenant Arden rief ihm aus nächster Nähe etwas ins Ohr. "Die Werfer, Sir!"
Morgan nahm seinen Feldstecher zu Hilfe und inspizierte das von der DAVY CROCKETT, was er vom Heck aus sehen konnte. Tatsächlich, die Raketenwerfer machten sich zur nächsten Salve bereit.
"Major Schrader, Sie kriegen Arbeit!"
"Ich habe schon jemanden dafür abgestellt. Danke für das deaktivieren der Schirme. Ich werde Sie lobend erwähnen." Zwei Knights zischten in die Höhe und hielten seitlich auf die Korvette zu. Teufel, wenn er nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, das die Katalauner da gewesen waren, er hätte es nicht vermutet. Diese Dinger verschmolzen einfach mit der Umgebung, wurden auffällig unauffällig, und schlugen zu wenn es niemand erwartete. "Wollen Sie wirklich nur einen Knight zur Raketenabwehr einsetzen?", rief Morgan zweifelnd.
Schrader lachte leise zur Antwort, während die Raketenwerfer einer nach dem anderen eine Jubilee II ausspuckte - Sekunden bevor Schraders Knight auf der Oberfläche der Korvette landete. Schraders Knight hob ein überdimensioniertes Kampfmesser, und trieb es einmal quer durch die Abschussvorrichtung, während sein Partner mit einer Tachyonenkanone die zweite Abschussvorrichtung und einen Teil der Panzerung zerschmolz. "Lassen Sie das mal nicht Ensign Reimann hören. Sie benutzt im übrigen einen Rüster", erwiderte er.
Zeitgleich zuckten Feuergarben über den Platz, trafen teilweise die Fassaden der oberen Stockwerke. Morgan war sich zudem sicher, dass die herab fallende Munition, die nicht getroffen hatte, weitere Schäden anrichtete, aber das war ein kleiner Preis dafür, wenn diese Raketen ihr Ziel nicht erreichten und nicht detonierten. Dann schaltete der Rüster die Energiewaffen dazu, und eine Rakete nach der anderen, obwohl sie bereits mehrere hundert Meter entfernt waren, explodierten in der Luft und stürzten in der Stadt ab.
Derweil hatten Major Schrader und sein Partner auch die anderen beiden Abschussvorrichtungen zerstört.
"Ich gestehe, ich bin beeindruckt", rief Morgan, während die nächste Salve seiner mittelschweren Artillerie ins Heck der Korvette einschlug. "Machen wir der Sache ein Ende, Major."
"Ich stimme zu!", erwiderte Schrader, hob seine Klinge und trieb sie einmal tief in die Panzerung des Schiffs. Dann drehte er die Waffe einmal um sich selbst und produzierte damit ein bequemes Loch. Sein Partner trat heran, setzte seine Tachyonenwaffe auf das Loch und feuerte.
Das Ergebnis waren eine Reihe interner Explosionen. Nun gierte das Schiff zur anderen Seite und begann abzusacken. Mit ohrenbetäubendem Lärm schlug es auf dem Platz auf, ruinierte ihn vollständig. Aus den Lecks züngelten Flammen, während auf Höhe der noch unbeschädigten Sektionen Mannschotts aufgingen, um die Besatzung heraus zu lassen. Soweit sie noch lebte.
"Sonia, schnappen Sie sich ein paar Leute und kassieren Sie mir diese Wahnsinnigen ein, die in einer republikanischen planetaren Hauptstadt mit Nuklearwaffen um sich geschmissen haben. Und jemand soll Lord Arling melden, dass die DAVY CROCKETT für eine lange Zeit nicht mehr feuern wird!"
"Ja, Sir." Der weibliche Offizier stutzte. "Lord Arling, Sir?"
"Unser Funk wird ja wohl kaum zum Admiral of Sector reichen, oder?", erwiderte Morgan amüsiert.
"Das stimmt, Sir. Darf ich meinen offiziellen Protest wieder zurücknehmen, Sir?"
"Registriert, Sonia. Registriert", brummte Morgan und musterte die Überlebenden der Korvette. Wie nett. Einer hatte die drei vollen Ringe eines Commanders am Ärmel. Es würde interessant werden, sich mit ihm zu unterhalten.
"Major Schrader, das war eine durch und durch gelungene Aktion. Erinnern Sie mich daran, dass ich Sie lobend weiter empfehle."
"Erinnern Sie mich daran, dass ich Sie lobend empfehle", erwiderte der Katalauner. "Nämlich den Gryanen. Sie haben sich richtig entschieden."
"Auch wenn wir dafür vielleicht vor ein Kriegsgericht kommen", schloss Morgan leise, und mehr zu sich selbst. Letztendlich würden die Präsidentin und ihr Vize Cranston das System verlassen und es der Sourakis-treuen Flotte überlassen. Was das für sie bedeutete konnte Morgan noch nicht sagen. Gefallen würde es ihm sicherlich nicht. Andererseits hatte der Bastard mit Atomwaffen geschossen. Und er hatte ihn daran gehindert, damit weiter zu machen. Vielleicht war das etwas wert. Irgendwann einmal.
***
Gott wird die seinen erkennen, hatte es irgendwann einmal auf der Erde geheißen. Das Militär hatte daraus den Spruch gemacht: Tötet sie alle und lasst Gott sortieren.
Beides waren keine sehr netten Varianten, aber sie drängten sich Charles Monterney geradezu auf, denn die angreifenden Gegner waren nicht nur in vollkommener Auflösung inbegriffen, sie waren auch ein wilder Fleckenteppich aus fliehenden, kämpfenden und sich ergebenden Einheiten. Binnen der ersten fünf Minuten hatten er und Woodruff fünf Maelstrom-Panzer vernichtet - und sieben quasi gefangen genommen. Dabei hatten die beiden Männer noch eine gute Quote vorzuweisen, denn mit dem Antritt der Black Watch im Gefecht war die Zahl jener, die sich ergaben, rapide in die Höhe geschnellt. Das Ergebnis war absolutes Chaos, und ein paar Dutzend Knights und Rüster, die wie Racheengel über dem Schlachtfeld schwebten, und in dem Gewimmel auf all jene schossen, die es wagten, ihre erhabene Existenz mit Waffenfeuer zu beschmutzen. Komplette, umfassende Siege sahen anders aus. Endgültiger. Deutlicher. Dies hier war Domino für Fortgeschrittene, Mosaikfresken mit dem Hauch des Wahnsinns. Also alles was einem guten Offizier graue Haare wachsen ließ.
"Jonathan hat das Raketenboot erwischt!", rief Jaime Madison hoch erfreut über Funk. "Er hat mit Hilfe einer republikanischen Artillerieeinheit das Mistding vom Himmel gepflückt, bevor es richtig Ärger machen konnte!"
"Mit Hilfe einer republikanischen Einheit?"
"Manchmal begegnen einem merkwürdige Verbündete, Charles."
"Wie wahr, wie wahr", klang die Stimme von Woodruff auf. "Wir werden uns noch ausgiebig mit Admiral Chun unterhalten, das verspreche ich. Einen Raketenträger mitten in einer Stadt feuern zu lassen, ist verwerflich und gehört bestraft."
Charles landete seinen Knight neben einem Eraser, der von seiner Besatzung verlassen worden war. Die Panzerfahrer standen vor der schweren Maschine und hatten die Hände hinter den Kopf gelegt, wie es Panzerfahrer zu tun pflegten.
"Und einige gehören nicht bestraft", murmelte Charles. "Ich tue nur meine Pflicht ist zwar eine Scheiß Ausrede, aber manchmal überzeugt sie sogar mich."
"Du hast leicht reden, Charly. Du bist der Ritter eines Herzogs", warf ihm Commander Attainborough vor. Ihr Lachen ließ die Worte nicht so ernst klingen.
"Was hat das hiermit zu tun?", fragte er irritiert.
"Alles und nichts. Du darfst den Ritter spielen. Wir dürfen nur Soldaten sein."
"Sagte die Gryane", spottete Charles.
"Ich protestiere ebenfalls", sagte Woodruff amüsiert.
"Wir ziehen uns auf die Ausgangsstellung zurück", befahl Charles und ließ seinen Knight durch starten. "Die Linien sind in Unordnung, das Chaos ist perfekt. Gefangene mitnehmen können wir eh nicht. Missionsziel erreicht."
"Heißt das, wir nehmen die Lander nicht mit, die Schrader erobert hat?", merkte Attainborough an.
"Und füllen sie womöglich noch mit Kriegsgerät? Daisy, die Large Fleet kommt bald über uns. dann sollten wir alle möglichst wieder auf der HERCULES sein, unserer einzigen Chance hier raus zu kommen."
Nach und nach lösten sich die Knights und Rüster vom Gegner. Geschossen wurde ohnehin nicht mehr viel, ein Grund warum das Absetzmanöver problemlos vonstatten ging.
"Über Vesuv haben wir ausgehalten, auch gegen überlegene Feindkräfte. Wir haben unsere Verstärkungen bekommen, und wenn das nicht der Fall war, haben wir uns gestellt und tapfer gekämpft", murmelte Attainborough verbissen.
"Damals mussten wir die Evakuierung von zwei Millionen Menschen schützen. Diesmal sind es nur zwei Hände voll", erwiderte Monterney.
"Und ein ganzer Planet, der sich seiner Präsidentin verpflichtet gefühlt hat, und den wir nun zurück lassen. Ausliefern." In der Stimme der Rüster-Pilotin klang Ärger und Verzweiflung auf. "Vielleicht sollte ich..."
"Was? Hier bleiben und kämpfen bis du getötet wirst? Das lässt du mal schön bleiben! Coryn reißt mir die Haare einzeln aus, wenn ich seine beste Rüster-Pilotin an eine Selbstmordmission verliere!"
"Es ist nicht so, als hätte es Sherwood nicht verdient beschützt zu werden", murmelte Woodruff.
"Natürlich nicht, Colonel, aber..." "Sagen Sie ruhig wieder Robert zu mir."
"Colonel... Robert. Ihnen kann ich nicht befehlen mir zu folgen. Aber würden Sie mir glauben, dass Zeiten kommen werden, in denen die Chancen besser stehen werden? Also schlucken Sie Ihren Ärger runter, und kommen Sie mit. Wir finden ein paar lauschige Nischen auf der HERCULES für Sie und Ihre Leute, und ich verspreche beim Scatch die ersten Runden zu verlieren."
"Das macht es nicht einfacher, Charly."
"Nein, sicher nicht. Und einfach soll es auch nicht werden. Aber wenn es Sie beruhigt, Robert, ich verspüre den Wunsch, hierher zurück zu kommen und einiges zu korrigieren."
"Es wäre mir eine Ehre, Sie dabei zu haben", erwiderte Woodruff.
"Ich bin dabei", klang noch einmal Attainboroughs Stimme auf.
"Und schon haben wir drei Idioten zusammen, die freiwillig in die Hölle reiten werden", scherzte der Colonel.
"Vier", sagte Jaime Madison mit ruhiger Stimme.
***
"Lord Arling. Es ist mir eine außergewöhnliche Freude, Sie erneut zu treffen. Nie hätte ich gedacht, dass ich so schnell die Gelegenheit dazu haben würde."
"Admiral Kian. Wie ich sehe haben Sie Ihr Flaggschiff gewechselt. Kein Vertrauen mehr in Kreuzer?"
Kian schüttelte leicht den Kopf. "Eine kleine Meuterei auf meinem alten Flaggschiff. Ich musste die Meuterer und einige schwer beschädigte Schiffe zurück lassen. Ich habe dafür gesorgt, dass sie mir die nächsten acht Stunden nicht folgen können. Danach haben sie genügend Kapazitäten, um den nächsten Planeten mit Werft zu erreichen. Ich war großzügig. Letztendlich konnte ich die Beweggründe der Meuterer nachvollziehen."
"Es freut mich, dass Sie gnädiger sind als noch im Stabiae-System, Admiral. Mir scheint, Sie werden weiser mit der Zeit."
"Oder weicher, Mylord. Vielleicht verständnisvoller, denn wenn das alles hier vorbei ist, dann werde ich mit vielen der Offiziere und Mannschaften, die ich zurück gelassen habe, womöglich erneut zusammen arbeiten. Böses Blut wäre dann mehr als hinderlich. Mehr böses Blut als es ohnehin schon gibt."
Arling lächelte verstehend. "Und jetzt sind Sie hier, um Tatsachen zu schaffen?"
"Und jetzt bin ich hier um Tatsachen zu schaffen. Ich nehme an, Präsidentin Klages befindet sich auf einer der drei Fregatten, die gerade den Kurs geändert haben?"
"Sie werden verzeihen, wenn ich diese, zugegeben offensichtliche, Information nicht an Sie weitergeben werde."
"Und Sie, Sir, werden verzeihen, wenn ich darauf bestehen muss. Wie sonst sollte ich meine Flotte aufstellen, wenn mir diese wichtige Information vorenthalten wird?"
Die beiden Männer taxierten sich mit Blicken. "Seit wann bin ich verpflichtet Ihnen zu helfen?"
Kian seufzte. "Hören Sie, Johann, über Vesuv habe ich einiges, vielleicht alles falsch gemacht. Meine stille Duldung für die Entführung der Katalauner, diese ganze Operation, die Verwicklung meiner Large Fleet, und so weiter, war so lange ein gute Sache, wie es auch funktioniert hat. Dann ging es in die Brüche, und es wurde ein Scherbenhaufen. Nun stehe ich vor den Scherben, kann sie nicht weg kehren oder verstecken. Das will ich auch gar nicht. Ich will es nur diesmal besser machen. Erfolgreicher sein. Mich dem Admiral of Sector empfehlen. Also, befindet sich die Präsidentin auf einer der Fregatten, Mylord?"
"Sie werden entschuldigen, wenn ich Präsidentin Klages nicht für Ihre Ansicht für Reputation opfern kann", erklärte Arling jovial.
Kian starrte ihn verblüfft an. Dann begann er laut zu lachen. "Ich glaube, ich verstehe. Mylord, erinnern Sie sich noch daran, dass Sie mir und meiner Flotte den Arsch aufgerissen haben? Ich habe nicht nur verdammt schlecht dabei ausgesehen, ich habe auch noch eine ordentliche Lektion erteilt bekommen. Nun, die Lektion hat gewirkt."
"Was, bitte?"
"Ach, kommen Sie, Johann! Sie sind doch nicht schwer von Begriff! Diese ganze Flottenkungelei mit der Industrie und mit dem Europa-Pakt hat mich doch erst in die Scheiße geritten, und mit mir meine Leute! Jetzt geht die Flotte illegal gegen die gewählte Präsidentin vor, und alles was ich tun kann ist es diesmal besser zu machen! Kurz und gut: Ich unterstelle mich und meine Flotte Admiral of Sector Coryn Griffin."
Überrascht ließ sich Arling tiefer in seinen Sessel sinken. "Iolaos, was sagt die Stimmanalyse?"
"Von meinem Standpunkt aus sagt er die Wahrheit. Oder er glaubt, die Wahrheit zu sagen. Ich kann keine Anzeichen von Manipulation erkennen. Nebenbei bemerkt gibt es auch keinen republikanischen Computer, der mich in irgend einer Form täuschen könnte.
"Danke, Iolaos. Sie wollen mir also sagen, Leiff, dass Sie mit fliegenden Fahnen zu Präsidentin Klages überlaufen?"
"Mit allen Schiffen, Mann wie Maus", bekräftigte der Admiral fest. "Darüber hinaus bringe ich Ihnen Grüße von Admiral Strombach. Sie führt ihre 17. Assault Fleet gerade um Loxley herum und blockiert die Sprungrouten nach Kansas und Piccadilly, von wo weiterer Nachschub für unsere Gegner zu erwarten wäre. Und zwar erreicht sie ihre Positionen in etwa... Jetzt."
"Die 17. hat hauptsächlich schwere Schiffe und Mecha-Träger", raunte Schlüter. "Siebenundzwanzig Einheiten. Das wäre eine Verstärkung, mit der wir Sherwood halten können."
"Ein altes Sprichwort von der Erde lautet: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Admiral Griffin, was sagen Sie dazu?"
Ein Bildschirm flammte auf und schaltete den Kommandeur der Gryanen hinzu. "Willkommen im Team, Admiral Kian."
"Dann ist es entschieden. Wir bleiben im Loxley-System und warten die weitere Entwicklung ab." Ein Lächeln huschte über Arlings Züge. "Jemand soll Admiral Chun vorschlagen zu kapitulieren, solange sie es noch kann."
Gelächter antwortete dem Grafen. "Sofort, Sir."

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10.
09.07.2613
Loxley-System, Sherwood
Planetare Hauptstadt Scarlett
Republik Yura-Maynhaus

"Hier ist Carrie Rodriguez live für TNC! Ich befinde mich nach Sensationen, Nerven aufreibenden Ereignissen die ganze Sternenreiche verändern, einer mittleren Revolution und den üblichen Begleiterscheinungen der Anwesenheit von Johann Arling in einem Sonnensystem direkt vor den Toren der planetaren Hauptstadt Scarlett auf dem Planeten Sherwood. Vor nicht einmal zwanzig Stunden noch feuerte eine republikanische Korvette Antischiffsraketen auf die fliehende Präsidentin. Danach feuerte die Korvette auf die Milizanlage, in der ihr Nachfolger unter Trümmern gefangen war.
Jeder dieser Sprengköpfe hatte eine Detonationskraft von einer halben Megatonne TNT, oder um es mal anders auszudrücken, dieser riesige Krater, den wir gerade dank der fliegenden Kameras von Spence aufnehmen können ist nicht nur hochgradig radioaktiv kontaminiert, sondern das Ergebnis einer Kernexplosion in wenigen hundert Metern Höhe.
Zum Glück explodierte nur einer dieser Gefechtsköpfe, möchte man sagen. Eigentlich. Aber wenn man dann bedenkt, dass in diesem Moment ein ungünstiger Wind Sand und Staub, beides radioaktiv hochgradig verseucht, in die Hauptstadt trägt, wird einem ganz anders.
In diesem Moment sind Spezialschiffe der Navy auf dem Weg hierher, welche die Kontamination in einem mehrere Monate dauernden Prozess beseitigen können. Doch bis sie ihre Arbeit aufnehmen, ist der einzige Schutz für die Hauptstadt der Kordon aus republikanischen Schiffe, die rundum der Peripherie von Scarlett gelandet sind, ihre Schilde hoch gefahren haben und damit ein nahezu undurchdringliches Bollwerk bilden. Nun, nicht ganz undurchdringlich, denn überall wo die Schilde kollidieren entstehen immer wieder Interferenzzonen, in denen radioaktiver Staub hindurch ziehen kann.
Die Bevölkerung wurde gebeten Zuhause zu bleiben, Miliz und Polizei patrouillieren die Straßen mit Dosimetern und Geigerzählern, um in kontaminierten Bereichen aktiv werden zu können. Man kann nicht gerade behaupten, dass die Menschen es hier leicht haben. Dennoch, es ist umso erstaunlicher, wie fröhlich die Bewohner von Scarlett sind. Wie sehr sie ihre Präsidentin feiern. Wenn Rhyann Klages irgendwo in der ganzen Republik Rückhalt finden konnte, dann sicherlich zuallererst im Loxley-System, hier auf Sherwood.
Alle Zeichen stehen auf Happy End, auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg zu sein scheint. Andererseits wartet Graf Arling nicht auf das "Happy" und zieht das "End" vor. Nachdem es nicht mehr notwendig geworden ist, Präsidentin Klages aus der Republik heraus zu eskortieren, bereitet er den Abflug nach Katalaun vor, wo er noch immer gegen die erzwungene Inthronisierung seiner Cousine Elisabeth kämpfen will. Und Spence und ich, liebe Zuschauer, bleiben da am Ball, versprochen.
Ich bin Carrie Rodriguez für TNC. Geben sie mir fünf Minuten ihrer Zeit, und ich gebe ihnen das Universum."
***
Frieden war eine wunderschöne Sache, fand Charly. Eben gerade noch hatten sie in einem furchtbaren Abwehrkampf gestanden, hatten unter Beschuss von Atomraketen gelegen und an drei Fronten gleichzeitig gekämpft. Nun aber, eine halbe Stunde später, schien das alles wie weg gewischt und nie passiert. Die Geigerzähler registrieten eine leicht erhöhte Radioaktivität, und erste gelandete Schiffe der Republik hatten bereits ihre mächtigen Schirme aufgespannt, um den radioaktiven Staub von der Explosionsstelle der ersten Rakete davon abzuhalten in die Stadt einzudringen. Doch das war so ziemlich das einzige Zeichen dafür, dass diese Welt kurz davor gestanden hatte, der Auslöser für einen Republikweiten Bürgerkrieg zu sein. Na ja, flottenrechtlich musste man wohl eher von einem Putsch sprechen.
Seit die Raketenträger-Korvette in Scarlett vom Himmel gepflückt worden war und Straters Team die Raketenwerfer vernichtet hatte, war nichts mehr wie zuvor. Selbst Admiral Chun auf der KRK hatte nichts gegen einen Waffenstillstand einzuwenden gehabt, wohl wissend, das sie nun verdammt vorsichtig sein musste und noch mehr Glück brauchen würde, wenn der Kommandeur der DAVY CROCKETT sie nicht in die Pfanne hauen sollte. Was wiederum die einzige Chance von Chamberlain war, wenn er nicht wegen versuchtem Massenmord angeklagt und dran gekriegt werden wollte.
Vieles hatte sich geändert, vor allem durch die Ankunft der Large Fleet und die Intervention der 17. Assault Fleet, die in diesem Moment die Anmarschwege nach Loxley besetzt hielt. Dazu trafen beinahe im Minutentakt Meldungen über weitere Schiffe ein, die sich der Präsidentin unterstellten.
Alles in allem konnte man sagen, das es vorbei war. Aber Charles war nicht Oberst geworden, weil er sich auf seinem strahlenden Heldenlächeln ausruhte, sondern weil er immer darauf geachtet hatte, wenn ihm irgendetwas instinktiv nicht gepasst hatte. So wie in diesem Moment, als der einsame Schwebewagen aus der ausgedorrten Steppe auf die Milizkaserne zuhielt, in der die Pioniere noch immer versuchten, den gesprengten Schacht in den Tiefenbunker frei zu bekommen, ohne Vize-Präsident Cranston einen freien Fall über zweihundert Meter zu bescheren.
"Oberstleutnant Madison, übernehmen Sie", murmelte er und trat die Sprungpedale seines Knights durch. Beinahe gleichzeitig erhob sich ein Rüster neben ihm. Ein zweiter folgte nur wenige Augenblicke danach.
"Wo immer du hin willst, Charly, ich habe zufällig Zeit und komme mit."
"Wenn Sie erlauben, Oberst Monterney, würde ich mich sehr gerne anschließen", klang die Stimme von Woodruff auf. "Ab und an muss ich meinen Leuten mal etwas Leine lassen, damit sie selbstständig bleiben."
"Fühlt euch eingeladen, alle beide." Charles lenkte den Knight nach Süden in Richtung der Kaserne. Während des kurzen Flugs kontaktierte er die beiden auf seiner privaten Frequenz.
"Leute, hört mal, vielleicht höre ich auch nur die Ameisen husten, aber..."
"Aber ein Schweber der Miliz, der ausgerechnet aus der entgegengesetzten Richtung des Raketenangriffs kommt, und dessen Bordcomputer eindeutig die Signatur zur hiesigen Miliz sendet hat deine Ohren spitz gemacht. Prompt hast du sie aufgestellt und gehst der Sache nach", stellte Attainborough fest.
"Ich für meinen Teil vertraue darauf, das Sie mich zur Action führen, Oberst Monterney", fügte Woodruff an. "Allerdings, jetzt wo Sie es sagen, Attainborough, kommt mir der Schweber auch verdächtig vor. Ein Deserteur vielleicht, den nun das schlechte Gewissen gepackt hat?"
"Iolaos sagt, dass er den Wagen vor dem Atomschlag vor der Kaserne geortet hat. Danach war der Transponder für die Identifikation eine dreiviertel Stunde abgeschaltet, bis er sich wieder der Kaserne näherte", widersprach Charles. "Wenn er ein Deserteur ist, kann ich ihm kaum einen Vorwurf machen. Ich hatte auch Schiss vor den Kernwaffen, und ich stecke im Besten was einen einzelnen Mann vor einer atomaren Explosion schützen kann."
"Aber?", hakte Commander Attainborough nach.
Charles grinste dünn. "Aber sein Commander kann ihm einen Vorwurf machen. Und da will ich zu gerne bei sein."
"Ein Kammerstück für zwei Personen? Der große Anschiss. Gefällt mir. Haben Sie uns Plätze in der ersten Reihe reserviert, Sir?"
"Rüster und Knights können sich nach vorne durch drängeln", sagte Charles.
"Gutes Argument." Woodruff lachte laut.

Die drei Kampfroboter landeten im Innenhof der Kaserne auf der markierten Landefläche, die für Rüster permanent frei gehalten wurde. Von hier hatten sie nur wenige Schritte zu den Wartungshallen, die aber im Moment von den im All fürchterlich zusammen geschossenen Miliz-Rüster belegt waren. Ein Wunder, das es überhaupt einige zurück auf den Planeten geschafft hatten,
Und sie hatten nur wenige Schritte zum Oberflächenbunker, in dem der Fahrstuhlschacht seinen Anfang nahm. Noch immer bedeckten Trümmer das Gelände. Nur die Notfallsysteme hatten Schlimmeres verhindert, nachdem die obere Kabellage den Weg allen Irdischen gegangen war, wie es nach ein paar Kilo TNT üblich war.
Mittlerweile stellte niemand mehr Sabotage in Frage, nachdem Reste von Kristallsprengstoff aus den militärischen Beständen der Miliz gefunden worden waren. Und die Notwendigkeit, Cranston aus seinem Gefängnis zu retten stellte im Moment die Frage nach dem Wer und Warum kurzfristig hintenan. Zumindest für die Miliztechniker und jene Handvoll Soldaten, die ihnen halfen.
at-Sherwood, der immer noch im Tiefenbunker gefangen war, hatte sich per Kamera hinzu schalten lassen. Ungewöhnlich für einen ranghohen Menschenführer war, dass er weder versuchte die Arbeiten zu behindern, noch sie zu beschleunigen. Er war Charly von vorne herein wie ein kompetenter Mann vorgekommen.
"Können wir Ihnen helfen, Sir?", rief einer der Milizwachtposten nach oben zu Charles. Die sechs Goldpins auf der Schulter seines Knights identifizierten ihn sehr effektiv als Ranghöchsten in der Gruppe.
Charly öffnete ein Außenmikrophon. "Erweiterter Begleitschutz für Jules, Corporal. Nur für den Fall, dass Admiral Chun noch immer nicht eingesehen hat, das sie auf der Verliererseite steht."
Der Unteroffizier warf einen unsicheren Blick auf den Knight. "Sind wir denn die Gewinner, Sir?"
Die Frage ließ Charly stutzen. Sie verblüffte ihn. Leise begann er zu lachen. "Noch nicht, mein Junge. Aber wir sind nahe dran. Sagen Sie, Corporal, wie gehen die Arbeiten voran?"
Der Miliz-Soldat nickte in Richtung des Fahrstuhls. "Bei denen? Sie haben die Kabel frei gelegt und gesichert. Im Moment versuchen sie das Notfallsystem zu deaktivieren, um die Kabine bewegen zu können. Ein Pionierwagen mit Kran dürfte jede Sekunde eintreffen. Wesentlich besser als die Idee, die Kabine mit einem Laster hochzupullen, wenn Sie mich fragen, Sir."
"Eventuell. Und, ist das gefährlich?"
"Gefährlich? Das ist der kritische Moment. Ohne die Sicherheitssysteme hat Cranston einhundert Meter freien Fall vor sich. Ganz davon abgesehen, dass man einer Bombe, die von oben in den Gang fliegt, nicht ausweichen kann."
"Oh. Sie vermuten Sabotage, Corporal?"
Der junge Mann deutete auf den eingestürzten Bau. "Sie meinen mehr als ohnehin schon?"
Charles lachte amüsiert. "Wir beziehen Eskortposition", befahl er.
Die drei Kampfroboter setzten sich in Bewegung, verließen die markierte Fläche und stellten sich schließlich in einem gedachten gleichseitigen Dreieck rund um den Fahrstuhlschacht auf.
Charles setzte den Fuß seines Knights einen wuchtigen Schritt vor und versperrte dem gerade aus der Wüste ankommenden Schwebepanzer effektiv den Weg. "Sperrgebiet für die Dauer der Bergung", erklärte er dem überraschten Fahrer.
"Schon gut. Ich gehe zu Fuß weiter." Hastig verließ der Mann in Miliz-Uniform den Wagen.
Charles drückte den Knight in die Hocke. "Sie können Ihrem Kommandeur noch früh genug erklären, wo Sie während der gesamten Schlacht waren. Bis dahin sollten Sie einen Kaffee trinken."
"Halten Sie mich bitte nicht für einen daher gelaufenen Deserteur, Sir. Ich bin Captain Stark vom Geheimdienst. Ich war in taktischer Mission in Johntown, um unser weiteres Vorgehen mit dem dort stationierten Miliz-Bataillon abzusprechen", knurrte er wütend. "Im Gegensatz zu Ihnen müssen wir nämlich hier bleiben und weiter kämpfen. Und jetzt lassen Sie mich meine Arbeit machen!"
Mit wütendem Gesichtsausdruck griff der Captain nach seinem Diplomatenkoffer und stapfte grimmig zwischen den Beinen des Knights hindurch.
Dann ging alles verdammt schnell. Eine Hand legte sich wie ein Schraubstock um die Rechte von Captain Stark, bis dieser die Tasche fallen ließ. Dann brachte ihn ein Tritt gegen sein Führungsbein komplett aus dem Gleichgewicht, und bevor er sich versah, lag er mit dem Gesicht nach unten im Dreck. Nach einem sehr, sehr harten Aufprall. Er ächzte unterdrückt und spuckte Blut und Schmutz aus, während die gleiche unnachgiebige Hand seinen rechten Arm bis zum Kopf hoch drückte.
Die andere Hand inspizierte die Tasche. "Oberst Monterney, wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie bitten, diese Tasche zu entsorgen. Ein bis zwei Kilometer Distanz dürften reichen."
Stirn runzelnd griff er mit der modellierten Knight-Hand nach der Tasche. Er holte aus und warf sie im weiten Bogen davon. Sie verging nach gut vierhundert Metern in einer netten Explosion mitten im Flug. "Oh", murmelte er.
"Ja, oh!" Der Corporal zog einen Kabelbinder hervor und band dem Geheimdienstmann die Hände auf den Rücken. "Ihr Gedanke war gut, Sir, und Sie haben richtig gehandelt. Nur zum Schluss waren Sie nicht konsequent genug. Sie haben sich bluffen lassen."
"Tadel ist angekommen", erwiderte Charles. "Welcher sind Sie? Stockwood? Anatoli? Weiss?"
"Kiribati, Sir, Ninja seiner Majestät." Die Agentin deutete eine spöttische Verbeugung an. "Wir haben die Basis gleich nach dem Ende der Kämpfe infiltriert. Major Russel hat sich so eine Entwicklung schon gedacht."
"Ein wenig paranoid, die gute Russel", sagte Charles.
"Paranoia gehört zu den Grundanforderungen in unserem Job, Sir. Immer das schlimmste befürchten, und ständig neue Methoden entwickeln um sie zu verhindern, das ist unser Job."
Sie hustete unterdrückt, erhob sich und gab dem sich wütend sträubenden Mann einen kräftigen Tritt gegen die Rippen. "Ihr könnt ihn mitnehmen. Der Gouverneur wird sich freuen, ihn persönlich verhören zu können", rief sie einer Gruppe Milizsoldaten zu. Erst danach schaltete sie ihren Stimmmodulator ab, der ihr einen Männerbariton verliehen hatte und löste die Mimikry-Maske, welche ihr ein neues Gesicht simuliert hatte.
"Paranoia mit System also", warf Colonel Woodruff ein. "Wie passt es dann dazu, dass Sie sich demaskiert haben, Ma´am?"
Die Ninja grinste diabolisch. "Taktik, Colonel. Taktik. Oder können Sie erkennen wo die anderen drei Ninjas meines Kommandos stecken?"
"Ich werde verrückt. Ansteckende Paranoia mit System. Betonung auf ansteckend", sagte Commander Attainborough beeindruckt.
"Ich glaube, die Kaserne ist in guten Händen", sagte Charles. Andererseits hatte er nicht vor, die Geleitschutzpositionen aufzugeben. Auch er hatte einen leichten Hang zu Paranoia, solange Admiral Chun nicht kapituliert hatte.
***
"Admiral an Deck!" Die Ehrengarde der JULIET zeigte ihre hohe Klasse durch die absolute Präzision, mit der sie in die Hab acht- Stellung ging.
"Salutiert!" Waffen wurden präsentiert, die Hände der Offiziere flogen an die Mützen.
Commander Bigsby wandte sich dem Neuankömmling an der Schleuse zu. "Mylord, es ist mir und meiner Crew eine verdammt große Ehre, Sie einmal an Bord begrüßen zu können."
Johann Arling erwiderte den Salut mit einem korrekten Gruß und einem nicht ganz so korrekten Lächeln.
"Es ist mir eine Ehre, heute auf die JULIET zu kommen, Sharon. Auch wenn ich eigentlich nicht für das Schiff und seine Crew herüber gewechselt habe."
"Das ist uns allen klar, Sir, aber es mindert nicht die Ehre, Euch an Bord zu haben, Mylord."
Arling hüstelte verlegen. "Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Ma´am."
Nun war es an Bigsby, verlegen zu sein. "Erlaubnis erteilt, Mylord." Sie räusperte sich. "Mylord, hissen Sie Ihre Fahne an Bord der JULIET für die Dauer Ihrer Anwesenheit?"
Erwartungsvolle Blicke trafen Arling, während er an der Spitze seiner kleinen Delegation die JULIET betrat. Zwar war dieses Schiff eines der Gryanen, jeder einzelne Matrose trug stolz den Gryanen-Pin am Revers und gehörte damit eigentlich den republikanischen Truppen an, doch die gemeinsame Zeit hatte sie alle geprägt. Nicht zuletzt Arlings Entscheidung, Griffin und sein Kommando zu begleiten hatte für einen neuerlichen Popularitätsschub gesorgt.
"Natürlich hisse ich meine Fahne auf der JULIET. Wenngleich ich nicht länger als ein paar Stunden bleiben kann."
"Natürlich, natürlich. Erlauben Sie mir, Ihnen einige meiner Crewmen vorzustellen, die sich in den letzten Schlachten hervor getan haben und denen ich die Ehre übergeben wollte, Eure Fahne zu hissen?"
"Es wäre mir eine Freude sie kennen zu lernen."
"Sofort, Mylord! Ensign Futabe, vortreten! Petty Officer East, vortreten! Crewman Taylor, vortreten!"
Zwei Männer und eine Frau traten aus den Reihen hervor und salutierten erneut vor Arling. "Mylord, Ensign Futabe. Ich melde das Flaggenkommando angetreten."
"Zur Kenntnis genommen. Julian?"
Der Oberleutnant trat vor, griff in seine Uniformjacke und zog ein schwarzes Etui hervor. Daraus zog er den Datenträger, auf dem die blaugoldene Flagge gespeichert war. Diesen legte er Futabe in die Rechte. "Gehen Sie sehr sorgsam damit um, Ensign. Diese Flagge wehte bereits über der RHEINLAND. Sie können gar nicht ermessen, wie viel sie mir persönlich bedeutet."
Der weibliche Ensign schluckte hart. "Keine Sorge, Sir. Wir verteidigen die Flagge mit unserem Leben."
Widerstrebend löste Julian Kress seinen Griff um die Flagge. "Dann tun Sie Ihre Pflicht, Ensign."
"Jawohl, Sir!" Sie salutierte erneut, wandte sich um und verließ mit ihren Kameraden den Hangar.
"Diesmal keine große Zeremonie?", fragte Carrie Rodriguez von hinten. "Spence, schicke trotzdem eine Kamera mit."
"Aye, Aye, Ma´am", scherzte der Kameramann.
"Es ist nicht üblich einen so großen Trara zu machen, nur weil ich von einem Schiff meiner Flotte zu einem anderen wechsle", sagte Arling sachlich, bevor ihm dämmerte was er gesagt hatte. "Entschuldigen Sie, Sharon, ich habe mir da etwas heraus genommen."
"Im Gegenteil, Mylord. Ihre Aussage macht uns alle sehr stolz. Wir sind Teil Eurer Flotte, und wir sind stolz darauf. Ich nehme an, Ihr wollt sofort zur Präsidentin?"
"ASAP", bestätigte Arling lächelnd.
"Bitte folgen Sie mir. Lieutenant, lassen Sie weg treten!"
"Aye, Ma´am! Kompanie rührt euch!"
"Sie warten darauf, das du den Hangar verlässt, Chef", raunte Hauptmann Schmitt Arling vertraulich zu. "Vorher wird sich hier niemand durch legeres Auftreten eine Blöße geben. Nicht vor dir."
Arling unterdrückte ein amüsiertes Schnauben. "Als wenn ich das Paradebeispiel für Zucht und Ordnung wäre."
***
Auf dem Weg zum Konferenzraum, in dem ihn die Präsidentin von Yura-Maynhaus erwartete, begegnete Arling ausschließlich Besatzungsmitgliedern, die ihn mit Respekt grüßten. Er hatte das erwartet, aber es berührte ihn dennoch. Immerhin hatten die Gryanen im Stabiae-System Kameraden verloren, dennoch hielten sie den Mann in Ehren, der sie überhaupt erst in diese Gefechte geführt hatte.
Ein Pfeifsignal über die interne Kommunikation wies die Besatzung auf die kurze Flaggenzeremonie hin. Das Bordfernsehen übertrug das hissen live aus dem Flaggmast. Als schließlich das Hologramm der blaugoldenen Flagge über dem Schiff wehte, applaudierten die Gryanen spontan. Erneut fühlte sich Arling tief berührt.
"Na, wahrscheinlich hat sich die Opposition in den Kabinen verkrochen", murmelte er leise.
"Welche Opposition?", merkte Bigsby an und lächelte zurückhaltend. Dabei glitt ihre Hand wie zufällig über ihr Gryanenabzeichen am Revers, das auf Hochglanz poliert worden war.
Egal was diese Leute von ihren Karrieren erwartet hatten, egal wohin es sie gezogen hatte, der Graf aus Katalaun musste es ihnen gegeben haben, ohne es zu merken.
"Hier, bitte, Mylord", sagte Bigsby und deutete auf ein Schott, das von zwei Ehrenwachen eingerahmt wurde. Die beiden Infanteristen salutierten und ließen den Grafen passieren.
Im Konferenzraum erwartete sie eine Delegation aus acht Personen, angeführt von Rhyann Klages persönlich. Die Minister und Staatssekretäre spendeten kräftig Applaus, als Arlings Delegation eintrat. Der hielt sogar noch an, als er Klages längst die Hand gereicht hatte.
"Mylord, ich verdanke Ihnen mein Leben, und Yura-Maynhaus sogar noch viel mehr."
"Nicht, das ich das vor einem halben Jahr noch vorgehabt hätte", scherzte Arling. "Vergessen Sie bei alldem aber nicht Ihren neuen Admiral of Sector, der Unmenschliches geleistet hat."
"Schön, das Sie gleich zum Thema springen, Johann." Klages deutete auf den Tisch. Die Männer und Frauen nahmen Platz. Schiffsordonnanzen servierten Tee und Kaffee. Auf Arami-Salz musste Arling verzichten. Dafür bot man ihm allerdings braunen Jega-Kandis an, um seinen Tee zu süßen.
"Kommen wir gleich auf den Punkt: Wie lange brauchen Sie mich noch hier, Ms. President? Ich habe da immer noch einen Kaiser zurück auf seinen Thron zu hieven."
"Mit dem Eintreffen der Large Fleet und der Unterstützung durch die 17. würde ich sagen, dass Sie jederzeit abfliegen können. Wenn Sie jedoch Admiral Griffins neugegründeten Verband mitnehmen wollen, möchte ich Sie nachdrücklich darum bitten, noch achtzehn Stunden zu warten, bis die 1., die 4. und die 9. Flotte eingetroffen sind. Andernfalls könnte der Aderlass von neunzehn Schiffen unsere immer noch recht wacklige Position gefärden."
Arling dachte einen Moment nach. Natürlich, wenn Coryn mit ihm kommen würde, dann würde er seine Schiffe mitbringen. Nichtmehr die kleine Flottille, aus denen die Gryanen bestanden, sondern der mittlerweile kräftig angewachsene Verband. Andererseits, konnte Arling diese Schiffe mitnehmen? Würde er sich dann nicht selbst dem Vorwurf aussetzen, den Feind quasi selbst bis vor die Haustür zu schleifen? Alleine dieser Vorwurf konnte ihn wertvolle Stimmen kosten.
"Wir bleiben noch für zwölf Stunden im Orbit. Admiral Chun hat noch acht Stunden Bedenkzeit für ihre Kapitulation. Anschließend werden wir gute vier Stunden brauchen, um ihre restlichen sieben Schiffe zu übernehmen und die Mannschaften nach Sherwood runter zu schaffen." Arling schnaubte amüsiert. "Dort würde ich sie am liebsten mit Schaufeln und Eimern ausrüsten, damit sie die hochgradig verstrahlte Erde im Ground Zero entsorgen können, aber das würde drei Viertel von ihnen binnen von vierundzwanzig Stunden töten."
"Vielleicht würde es reichen, Chun mit dieser Arbeit zu betrauen, Mylord", warf Kress ein. "Dann träfe es keinen falschen."
"Interessanter Ansatz." Er strich sich nachdenklich über die linke Schläfe. "Zwölf Stunden, danach fliegen wir ab."
"Das bedeutet, Sie fliegen ohne die Gryanen, Mylord?", hakte die Präsidentin nach.
Arling nickte. "Unsere Geschäfte in Katalaun lassen sich nicht länger aufschieben. Bevor wir uns aber wieder trennen, Ms. President, würde ich gerne ein Gespräch unter vier Augen mit Ihnen führen."
Klages hob die linke Augenbraue. "Ein Gespräch unter vier Augen?"
"Rein informell, Ms. President. Ich denke, das habe ich mir mit der Rettung von Jules Cranston verdient."
Klages kaute auf Luft herum, so als würde sie ein wirklich zähes Stück Synthofleisch klein kriegen müssen. Schließlich atmete sie heftig aus. "Alle raus."
Die Minister und Staatssekretäre verließen ohne Widerspruch den Raum. Auch die meisten Katalauner schlossen sich ihnen an.
"Julian", hielt Arling seinen Adjutanten zurück. "Mylord?" "Bitte begleiten Sie Miss Rodriguez und ihren Kameramann nach draußen."
"Moment mal, Johann, du wirst mir doch nicht meine Story verderben?"
Kress stellte sich zwischen die Reporterin und den Grafen. "Miss Rodriguez, wenn Sie mir bitte auf die Brücke folgen würden, wo Sie die Gelegenheit erhalten werden, mit Commander Bigsby und ihrer Crew zu sprechen."
"Johann...", quengelte sie.
"Jeremy, würden Sie anschließend den Raum auf achtlos fallen gelassene Aufnahmegeräte scannen und ihren Eigentümern zurück geben?"
Carrie erstarrte. Dann blies sie wie ein frustriertes Kind die Wangen auf. "Ich hätte es ja nicht gleich gesendet!", murrte sie und verließ demonstrativ den Konferenzraum.
Hauptmann Schmitt folgte ihr, nachdem er sicher war, alle ihre kleinen Überraschungen gefunden zu haben.

"Also, reden wir Tacheless. Ich frage, Sie antworten, Ms. President. Der Ausgang dieses Gesprächs wird vielleicht über die zukünftigen Beziehungen zwischen Katalaun und Yura-Maynhaus entscheiden."
"Ach, Sie meinen, es geht noch schlechter als Krieg?", sagte Klages sarkastisch.
"Eventuell. Wie würde es Ihnen gefallen, auf der einen Seite von terranischen Flotten erobert und auf der anderen Seite von Katalaunern besetzt zu werden? Ich bin sicher, mein guter Ruf würde Dutzende Systeme dazu bringen, unsere Schiffe mit offenen Armen zu empfangen, bevor die Terraner es bis zu ihnen schaffen."
"Lassen wir mal schön die Fregatte im Hangar, wir ihr Navy-Typen immer zu sagen pflegt. Noch sind wir nur bei Waffenstillstand, Mylord." Sie seufzte. "Also schön, was wollen Sie wissen?"
"Der Angriff auf Goldman?"
"Kam für uns alle absolut überraschend. Ich stand im engen Kontakt mit Juri, hatte einen meiner engsten Berater an seine Seite entsandt. Die Nachricht, das sein Anwesen dem Erdboden gleich gemacht worden war, hat uns alle ziemlich kalt erwischt."
"Es gab also definitiv keinen Befehl dazu, weder von Ihnen noch von Cranston?"
"Ich habe persönlich alle Kommunikationslogbücher eingesehen. Selbst die Routinemeldungen, die zwischen Goldman´s World und meiner Administration ausgetauscht worden waren. Kein direkter Befehl, keine geheime Nachricht, nichts. Merkwürdigerweise wurde Admiral Starway davon genauso kalt erwischt wie wir." Sie strich sich müde über die Nasenwurzel. "Zu dem Zeitpunkt wurden wir bereits von der Presse kalt gefressen wegen der Sache mit den zwo Komma eins Millionen Katalaunern im Stabiae-System, und es war abzusehen, dass Sourakis und Starway bald würden handeln müssen, wenn sie die Schuld noch auf jemand anderen abschieben können sollten. Deshalb habe ich die Evakuierung bereits in Erwägung gezogen und teilweise sogar vorbereitet. Bevor ich jedoch ein paar mir persönlich ergebene Kapitäne und ihre Schiffe versammeln konnte ging der ganze Ärger um Jules los, und mir blieb nichts anderes übrig als das zu nehmen, was sich mir bot. Das war die PRETENDER. Schiff und Mannschaft haben für diese Entscheidung, für ihre Loyalität furchtbar gelitten. Vielleicht hätte ich auf meine eigenen Leute warten müssen, aber ich war mir sicher, dass die Zeit nicht reichen würde."
"Wer aber hat dann Juri Goldmans Tod befohlen?" Arling stutzte kurz. "Wer hat befohlen, auf sein Anwesen zu schießen? Und was wissen wir über Captain Scott, der den Beschuss auf das Anwesen ausgeführt hat?"
Nachdenklich fixierte Klages einen Punkt an der Wand hinter Arling. "Rodman Scott kommandierte die CARTAGENA. Ein Leichter Kreuzer, der direkt dem Sektorenkommando unterstellt ist. Haben Sie schon mal von den Goldmännern gehört, Mylord? Jener Gruppe von Offizieren und Kapitänen, die Juri Goldman zu ihrem militärischen Gott erhoben haben? Scott war einer von ihnen, außerdem einer der lautesten. Es wundert mich, dass er einen so ominösen Befehl ausgeführt hat."
Arling lächelte still. "Aber das Ziel wurde erreicht, oder nicht? Sourakis und Starway wurden zum schnellen Handeln gezwungen und haben das Geschenk mit der Unterschrift Ihres Stellvertreters sehr dankbar angenommen. War der Befehl echt?"
"Die Unterschrift war echt, aber das Siegel gefälscht. Der Befehl war also nicht gültig. Abgesehen davon, dass nur ich Befehlsgewalt über die Flotte habe, nicht aber mein Stellvertreter. Entweder wurde die Unterschrift gestohlen, oder man hat sie ihm mit einem Stapel anderer Dokumente zum unterschreiben untergeschoben. Aus genau diesem Grund siegeln wir unsere offiziellen Schreiben ja."
"Als herauskam, dass das Dokument falsch war, hatte Sourakis aber schon die Verhaftung von Cranston befohlen und Sie, Ms. President, waren mit der Regierung geflohen. Also kehrten die sauberen Damen und Herren Admiräle alles unter den Teppich und ließen die Hetzjagd erst so richtig beginnen, um vollendete Tatsachen zu schaffen."
"Sieht ganz so aus. Das erklärt auch, warum die vier Korvetten, die mich und die PRETENDER verfolgt haben, mit ihren schweren Bordwaffen gefeuert haben."
"Hm." Arling nahm einen Schluck heißen Tee. "Die Frage, die sich uns nun stellen muss ist: haben Sie Starway und Sourakis fest genug an den Eiern gepackt, um einen Bürgerkrieg zu verhindern? Das was die beiden getan und befohlen haben, ist nicht sehr weit von einem Militärputsch entfernt. Sie können jetzt nur einen Bürgerkrieg riskieren, oder weit, weit zurück rudern, ihren Abschied nehmen und sich aus internationaler Politik heraus halten. Und wenn Admiral of the Fleets Helen Sourakis und Inspector of the Navy Gordon Starway genügend Rückhalt in der Flotte und der Armee haben, werden sie es tun."
"Ich befürchte, das sie versuchen werden an der Macht zu bleiben. Aber für diesen Fall habe ich bereits vorgesorgt. Ich habe jetzt genügend authentisches Material, um beide nachhaltig zu diskreditieren. Sie werden die Wahl haben, ob sie sich friedlich aufs Altenteil verabschieden, oder ob sie die offene Schlammschlacht mit mir riskieren." Klages grinste schief. "Letztendlich bin ich die Politikerin, und die beiden sind in meinen Kampfring geschliddert."
"Wie nett. Wer hängt noch mit drin? Wem können Sie fortan vertrauen?"
"Ich denke, das führt bereits zu weit. Ich weiß, dass wir nach dem Rücktritt der beiden noch ein paar weitere Sterneträger werden entfernen müssen. Auch Admiral Kian stand ziemlich weit oben auf meiner Liste, bevor er zu unseren Gunsten eingegriffen hat. Aber jeder der Karriere gemacht hat, hat die eine oder andere Leiche im Keller. Wenn die Admiralität nicht kastriert werden soll, was unsere Flotten zu einem immobilen Haufen und einer leichten Beute machen würde, muss sie funktionieren. Wir werden Kompromisse eingehen müssen und Entscheidungen treffen, die uns nicht immer gefallen. Aber ich hoffe, dass es reichen wird, einige von ihnen in den Ruhestand zu schicken, um den Rest wieder auf die Spur zu bringen."
"Wir haben ein Sprichwort auf B-King: Töte einen Mann, und es warnt einhundert. Auf Ihre Situation angewandt, Ms. President, wird es aber nicht reichen. Sie brauchen loyale Leute in wichtigen Positionen. Sie brauchen loyale Leute für Cranston in wichtigen Positionen."
"Ich weiß. Uns steht da noch eine Menge Arbeit bevor. Ich hoffe ja, dass einige Sterneträger dem Beispiel Kians folgen werden. Das würde uns einige schmerzhafte und gefährliche Entscheidungen ersparen."
Arling nickte ernst. "Alles in allem kann ich also davon ausgehen, dass der Krieg gegen Katalaun für sagen wir ein Jahr eingestellt wird."
"Mylord, meine erste Amtshandlung nach meiner Rückkehr nach Maynhaus wird es sein, den Waffenstillstand unbegrenzt zu verlängern und Katalaun Friedensgespräche ohne Vorbedingungen anzubieten. Es wäre mir dann eine Ehre, mit Ihnen als Kaiser von Katalaun zu verhandeln."
Verblüfft sah Arling die Präsidentin an. "Hören Sie, Rhyann, ich kämpfe nicht wirklich um die Kaiserwürde und den Zedernholzthron. Ich versuche nur meine Cousine vor den Konservativen zu retten und Robert den Thron zu sichern. Ich bin Soldat, kein Politiker."
"So? Eine Schande ist das."
"Wie dem auch sei." Arling machte eine fahrige, wegwischende Geste. "Kommen wir zu den Dingen, die mir wichtig sind. Der Krieg und Vesuv. Wie viel wussten Sie, Ms. President?"
"Der Reihe nach? Das wird etwas dauern, Mylord."
"Ich habe zwölf Stunden Zeit, Ms. President."
Die Präsidentin von Yura-Maynhaus sah Arling in die Augen. Ihre rechte Augenbraue zuckte dazu rhythmisch. "Sie wollen die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit?"
"Im Moment reichen mir auch ein paar gute Erklärungen."
Klages begann ihre Hände zu kneten. Sie starrte auf die Tischplatte. Als sie seufzte und wieder aufsah, hatte sie ihre Entscheidung getroffen. "Eridani Alpha bis Sixtus sowie Trondheim und alle drei Sterne Kasachstan-Dreieck. Unser Operationsziel waren nie die Sauerstoffwelten und ihre Bewohner. Wir wollten Katalaun lediglich die Eridani-Gruppe abnehmen und unseren Einfluss auf die Rohstoffsysteme Trondheim und Kasachstan ausweiten. Sie erinnern sich doch noch daran, dass wir unter Frederec hart attackiert wurden und Eridani Quintus und Sixtus ans Kaiserreich verloren hatten? Damals waren die Flotten ohne Kriegserklärung und ohne Warnung über uns her gefallen. Es war ein Entlastungsangriff um von der neuen Offensive gegen Jemfeld abzulenken, aber ein ungewöhnlich erfolgreicher. Unser Militär hat das nie verwunden, und als uns vorgeschlagen wurde, unsererseits dem Kaiserreich zu schaden, gab es viele Stimmen, die dafür sprachen. Gründe gab es mehr als genug. Also koordinierten wir uns mit Jemfeld und Zyrrtekk, schlossen Lieferverträge mit den Diadochen und begannen unsere Offensive. Bis zu diesem Punkt lief alles nach Plan. Damals wusste ich noch nicht, dass die Flotte ihre eigenen Pläne hatte."
Ernst sah sie Arling in die Augen. "Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Mylord: Ich wusste von den Entführungen auf katalaunischen Welten wie Munich und Bentz. Ich wusste wer daran beteiligt war und wohin die Menschen gebracht worden waren. Allerdings habe ich erst hinterher davon erfahren, als das Kind bereits in den Brunnen gefallen war. Mir blieb zu diesem Zeitpunkt nichts anderes übrig als zu mauern und Schadensbegrenzung zu betreiben. Das gelang mir für etwa ein Jahr, das ich nutzte, um den Vorfall von innen her aufzurollen. Da dachte ich noch, es ginge wirklich um Zwangsarbeiter, und nicht um den Raub eines kompletten Diadochen-Staates.
Wissen Sie, Johann, ich mache den Job schon einige Zeit, stehe seit meinem zwanzigsten Lebensjahr in der interstellaren Politik. Ich habe alle Formen der Korruption erlebt, alle Ausreden die ein Mensch haben kann, um seine Ziele zu rechtfertigen. Ich glaubte alle Tiefen und Erniedrigungen erlebt und gesehen zu haben, die Menschen einander antun können. Aber diesmal, dieses eine Mal, habe ich absolut und vollständig versagt. Ich kann Sie nur stellvertretend für alle katalaunischen Bürger und für Ihren Kaiser um Verzeihung bitten."
"Ich glaube Ihnen kein Wort", warf Arling trocken ein.
"Was, bitte?"
"Oh, Sie haben mich schon verstanden. Ich glaube Ihnen nicht, dass sie nicht im Vorfeld über die Zwangsrekrutierungen der Werftarbeiter informiert wurden. Ich glaube Ihnen nicht, dass ihnen der Plan unbekannt war, die Zwangsarbeiter extrem günstige Rüstungsgüter für den Krieg produzieren zu lassen. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie zu alldem nicht Ihr Okay gegeben haben. Was ich Ihnen aber glaube ist, dass Sie wirklich vom Plan ausgingen, die Eridani-Gruppe und die anderen Rohstoffsysteme seien das Ziel. Ich denke, das man eine Eroberung verbündeter Systeme mit Ihnen nicht hätte vereinbaren können. Jedenfalls nicht im Vorfeld und nicht wenn das Unternehmen gescheitert ist. Hätten die Admiräle allerdings Erfolg gehabt, hätten Sie sicher einiges getan, um die eroberten Systeme permanent in die Republik zu integrieren."
Die Miene von Präsidentin Klages wirkte wie versteinert. "Was schlagen Sie vor, Johann?"
"Ich habe Ihnen nichts vorzuschlagen. Ich habe Ihnen allerdings auch keine Vorwürfe zu machen, Rhyann. Sie sind, wie Sie selbst immer sagen, interstellare Politikerin. Und diese Politik, gerade im Krieg, wird nur zu gerne ein wenig grausam. Nach sechzig Jahren in diesem Metier kämpft man augenscheinlich nicht mehr um jedes einzelne Leben, weil man, Hm, eben müde ist. Das ist Schade, aber man kann es nur ändern, indem man Jüngeren das Feld überlässt."
"Erpressen Sie mich gerade, Johann Arling?"
"Ach, glauben Sie, meine eigene bescheidene Meinung wäre in Yura-Maynhaus irgend etwa wert?"
"Einige meiner besten Offiziere hören auf Sie. Die internationale Presse hört auf Sie. Mein eigenes Volk hat Sie auf Platz eins der beliebtesten Persönlichkeiten gewählt, und das war gleich nach der Riverside-Schlacht. Heute würden Ihre Beliebtheitswerte durch die Decke rauschen. Nein, Sie haben hier natürlich keine Macht. Ein Johann der Erste von Katalaun..."
"Der Zweite, Ms. President. Ich wäre der zweite Johann auf dem Thron. Aber wie ich schon sagte, kein Interesse."
"Ein Johann der Zweite von Katalaun würde nur einen neuen Pro Katalaun-Trend in der Republik auslösen und beliebter sein als die republikanischen Politiker. Also, Johann, was wollen Sie von mir?"
"Oh, wollen? Nichts! Aber es wäre mir eine Beruhigung zu wissen, dass Jules Cranston weder den Befehl zur Bombardierung des Goldman-Anwesens gegeben hat, noch das er in die Entführung von zwei Millionen katalaunischen Bürgern involviert war. Wenn das garantiert werden kann, wäre es mir eine Freude, als Verhandlungsführer des Kaisers mit einem Präsidenten Cranston den Friedensvertrag auszuhandeln. Sie wollten ohnehin zurücktreten, oder, Rhyann?"
"Das heißt dann wohl, dieses Gespräch bleibt unter uns, oder?"
"Ich denke nicht, dass ich der einzige Mensch bin, der über ein solches... Szenario nachdenkt. Aber Sie können sicher sein, dass ich nicht zu lauten Spekulationen neige."
"Sie verlangen nichts von mir, was ich nicht ohnehin zu geben bereit war", stellte Klages fest.
"Sehen Sie es als mein ganz persönliches Dankeschön an einen Ihrer vorausschauensten Offiziere."
"War Ihnen die Hilfe von Admiral Griffin so viel wert?"
"Die Hilfe von Admiral Griffin wäre mir einen Arm wert. Aber ihn meine ich diesmal nicht. Mein Dank gilt Juri Goldman, Ms. President. Ich bin sicher, der alte Fuchs steckte bis zum Hals mit drin in der ganzen Affäre. Und er hat sie auf seine ganz persönliche Weise beendet."
"Sie trauen Juri eine Menge zu."
Arling grinste böse. "Der Mann hat mich durch Yura-Maynhaus gejagt. Ich kenne seine Gedanken. Und es würde mich zum Teufel nochmal nicht wundern, wenn er den Befehl gegeben hat, seine eigene Villa einzuäschern."
Klages sprang von ihrem Sessel hoch. "Aber das würde ja bedeuten, dass..."
"Dass er auch für eine zweite Überraschung gut ist. Vielleicht lebt er noch. Überraschen würde es mich nicht."
Langsam ließ sich Rhyann Klages wieder in ihren Sessel gleiten. "Hm. Ich denke, dieser ganze Stress, diese ewigen Intrigen und all die internationalen Verwicklungen sind nichts für mich. Ich sollte meine Geschäfte nach und nach auf Jules übertragen und dann endlich in eine schöne lange Pause gehen, bevor ich zu alt und zu verbraucht bin, um sie noch würdigen zu können. Ist Ihnen ein halbes Jahr als Übergangszeit Recht, Johann?"
Der Admiral machte eine gleichgültige Geste. "Es wäre mir Recht, wenn ich in dem Punkt auch nur das Geringste zu sagen hätte, Rhyann."
"Sie sind ein verdammter Tiefstapler, Lord Arling", tadelte sie mit einem feinen Lächeln. "So fühlt sich also eine Niederlage gegen Sie an. Interessant."
Arling leerte seine Tasse. "Niederlagen gibt es nur im Kampf. Ich habe Ihnen lediglich zugehört. Meinen Sie, wir können die anderen wieder herein bitten? Mein Tee ist alle."
Klages nickte fahrig. "Natürlich. Wir haben sicherlich vieles zu besprechen, Johann."
Carrie Rodriguez war die Erste, die wieder in den Konferenzraum eintrat. Sie musterte Arling und Klages mit ernster Miene und seufzte danach lange und tief. "Es riecht hier irgendwie nach Alderaan-Award und Pulitzer-Preis."
"Vielleicht tröstet Sie ja die Information, dass ich noch in diesem Jahr an Jules Cranston übergeben werde", sagte Rhyann Klages.
"Nach Alderaan, Pulitzer und dem großen internationalen SysBor-Fernsehpreis", brummte sie missmutig.
***
Es gab einen fernen, namenlosen Asteroiden mitten im Nichts zwischen den Systemen Berkley, Thule und Scottsdale, der in nur einer Handvoll Dokumenten verzeichnet war. Seine genaue Position war ein Staatsgeheimnis, und die Kommunikationseinrichtungen, die in ihm verbaut worden waren, hätten ausgereicht, einen großen galaktischen Nachrichtensender wie Terra News Service aufzubauen. Gedacht war dieser Asteroid als kraftvolles Funkrelais im Kriegsfall, um selbst nach dem schlimmsten aller Fälle eine leistungsfähige Kommunikation zu gewährleisten. Von hier ließen sich Befehle bis ans galaktische Zentrum versenden, und es konnte als Relais für alle achtundneunzig republikanische Flotten dienen. Bisher war Yura-Maynhaus nie überrannt worden, aber es entsprach nicht dem Wesen eines guten Maynhauser Admirals, eine derart wertvolle und zudem wichtige Anlage vollkommen ungenutzt zu lassen. Über die Jahrzehnte war dieser Ort zum Treffpunkt geworden. Zuerst nur für Konferenzen jenseits der großen Zentralen, später dann als konspirativer Ort im Nirgendwo, wohin man seine Funkdaten sendete und mit anderen Konspirateuren zusammen treffen konnte, ohne sie durch ihre Position zu kompromittieren.
Als Admiral Shazhou, Chef des Navy-Geheimdienstes in seinem Büro die Verbindung zum geheimen Konferenzraum etablierte, überraschte ihn der Anblick des computergenerierten Bildes erheblich. Alles hatte er erwartet, als er symbolisch an dem Tisch aus Laserlicht Platz nahm, damit sein eigenes Bild dorthin projiziert werden konnte, nur nicht Juri Goldman am Tisch sitzen zu sehen. Der Admiral saß an seinem Stammplatz und hatte sich über einen Stapel Notizen gebeugt, den er eifrig bearbeitete. Nach einiger Zeit atmete Shazhou tief ein und wieder aus. Eine Aufzeichnung. Eine Daueraufzeichnung, die wieder und wieder Goldmans Abbild auf den Asteroiden schickte. In seinem ehemaligen Sektorenhauptquartier musste es drunter und drüber gehen. Natürlich, das war die Lösung. Irgendjemand hatte blauäugig eine getarnte Routine gestartet, und nun versetzte das Abbild des toten Admirals am Konferenztisch alle Neuankömmlinge in Angst und Schrecken und Entsetzen.
"Juri? Das ist unmöglich, du bist...", klang die Stimme von Gordon Starway auf, bevor auch der Inspector of the Fleets zum gleichen Schluss wie der Geheimdienstchef gekommen war. Er räusperte sich verlegen. "Hallo, Goran. Wir sollten dringend ein paar Leute in Juris Büro schicken, um die Kontaktdaten für unseren Treffpunkt löschen zu lassen."
"Ja, das ist doch...", klang die Stimme von Admiral of the Fleets Helen Sourakis auf. Aber sie fing sich weit schneller als die Männer. "Was für ein makaberer Scherz. Oder dummer Zufall."
"Irgendjemand muss in seinem Büro herum gefingert haben. Wir sollten den Verantwortlichen bestrafen lassen."
"Später Gordon. Wir haben viel wichtigere Dinge zu besprechen als eine Holoaufzeichnung unseres alten Freundes Juri." Das Hologramm von Helen Sourakis wandte sich dem Geheimdienstchef zu. "Wir sitzen ziemlich in der Tinte, Goran. Admiral Bauer und Admiral Tornelli haben sich bereits auf die Seite der Präsidentin geschlagen. Und Admiral Radmer wartet die weitere Entwicklung ab."
"Dann hat sie den kernwärtigen Sektor, den Terrawärtigen Sektor und den Katalaun-Diadochen-Sektor auf ihrer Seite. Das ist nicht gut. Vor allem nicht für uns", murmelte Starway.
"Du untertreibst wie immer, Gordon. Es ist eine mittlere Katastrophe. Als Juri ermordet wurde haben wir alle unsere große Chance gesehen, indem wir zuerst Rhyann fest setzen und danach die ganze Schuld am gescheiterten Feldzug auf sie schieben können. Das hat nicht funktioniert, dank diesem widerwärtigen Beijing."
"Meine Unterlagen berichten mir, das er lieber weiterhin Arling gerufen wird", warf Shazhou ein.
"Das tut doch jetzt überhaupt nichts zur Sache! Viel wichtiger ist, dass uns dieser Mann immer und überall in die Quere kommt! Zuerst unternimmt er diesen Husarenritt durch unser Hinterland, das uns alle wie Idioten aussehen lässt, dann findet und befreit er die katalaunischen Zwangsarbeiter, und schließlich und endlich steht er auch noch seiner ärgsten Feindin zur Seite! Dieser Beijing - oder meinetwegen Arling - ist eine verdammte Seuche. Wir sollten ihn töten lassen."
"Dazu bräuchten wir eine Flotte. Und es ist nicht so als hätte Chun es nicht bereits versucht. Vor ihr war es Kian, davor Lifurt, und hier in Katalaun hat Denver ihn gehetzt und beinahe gestellt. Der Mann hat einen enormen Verschleiß an Admirälen."
"Kommen wir zum Thema zurück, bevor wir unsere kostbare Zeit vollkommen auf Arling verschwenden", mahnte Starway. "Wir brauchen eine Ablenkung, und zwar eine große, mit der wir der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen und das Ruder für uns erneut herum reißen können. Wir brauchen eine katalaunische Offensive."
"Die wird es nicht geben. Unsere Freundin von Hohenfels hat jedes entbehrliche Schiff abgezogen und an die Jemfeld-Front geworfen. Etwas mehr als dreihundert zusätzliche Einheiten aller Klassen fallen gerade über unsere Verbündeten her. Ein Schlag gegen Katalaun dürfte nun sehr erfolgreich sein. Leider haben wir so gut wie niemanden mehr, dem wir den Angriff befehlen könnten. Und nachdem Arling die Präsidentin beschützt hat, können wir eine erneute Invasion nicht begreiflich machen. Nicht ohne eine massive Provokation durch das Kaiserreich."
"Die es nicht geben wird, weil von Hohenfels jetzt ihren Lieblingskrieg mit den Aliens hat, in dem sie sich ihre Sporen als legendäre Feldherrin verdienen will." Sourakis schüttelte verständnislos den Kopf. "Unser Verbündeter hat von vorne herein eine verdammt schlechte Wahl getroffen, als er Selma als Ersatz für Miranda von Hohenfels ausgesucht hat. Sie nützt uns zur Zeit gar nichts, wir haben nicht eines unserer Ziele erreicht, ergo können wir weder unsere Taten noch einen erneuten Angriff rechtfertigen. Ich schlage vor, wir vernichten die relevanten Unterlagen und sitzen die Sache aus. Wir wissen von nichts und haben stets nur nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt."
Goran Shazhou klopfte nachdenklich mit dem rechten Zeigefinger gegen sein Kinn. "Hm. Hm. Was spricht eigentlich gegen eine katalaunische Invasion?"
"Die fehlenden Schiffe?", erwiderte Starway.
"Ach, ist das so?" Der Geheimdienstchef grinste wölfisch. "Wir brauchen doch gar keine echte Invasion. Wir müssen die Navy nur denken lassen, es gäbe eine. Wenn sie sich gegen den gemeinsamen Feind wieder aufgestellt haben, greift auch die Befehlskette, und bevor wir uns versehen ist die Geschichte mit Rhyann Geschichte, und wir sitzen wieder fest im Sattel. Dann können wir diese Lappaille mit einem Schulterzucken abtun und zur Tagesordnung übergehen. Eventuell kommen wir dann doch noch dazu, ein paar katalaunische Siedlungswelten zu erobern und dauerhaft zu halten. Ich lasse ein paar Holovids fälschen und Notrufe entsenden. Ein Angriff auf Eridani Septus erscheint mir da sehr plausibel. Eventuell noch Angriffe auf zwei, drei, bewohnte Welten. Das dürfte dramatisch genug sein."
"Ein Entsetzensschrei wird durch die Republik gehen. Wir werden drei bis vier Tage fürs gruppieren brauchen, eventuell einen halben, um Arlings Flotte zu stellen und zu versenken. Immerhin ist er Katalauner. Und am fünften Tag wird niemand mehr unsere Befehle in Frage stellen."
"Machbar, Gordon. Hat aber einen Haken." Goldman erhob sich und musterte seine Admiralskollegen. "Erstens: Ich lebe noch. Zweitens: Ich bin wirklich hier, in diesem Raum. Meine Techniker sind gerade dabei, diese Unterhaltung mit zu schneiden. Die bisherigen Aufnahmen sind sehr spektakulär. Und drittens: Wir haben mittlerweile den Ausgangspunkt jeder Transmission auf den Millimeter genau lokalisiert. Viertens: Bleiben Sie wo Sie sind, Herrschaften. Sie werden gleich wegen Hochverrats verhaftet werden."
Goldman lächelte dünn. "Und bevor ihr fragt, mit welcher Befugnis ich das tue, muss ich gestehen: Ja, ich habe mein Anwesen selbst bombardieren lassen. Ich wusste, ihr würdet dann eure Masken fallen lassen und die Gelegenheit ergreifen. Immerhin musstet ihr glauben, euer Sündenbock Nummer eins wäre nicht mehr am Leben. Und ja, ich bin ein Verräter. Ich habe euer Vertrauen erschlichen, mich in dieser Gruppe platziert und jedes kleine Detail weiter gemeldet. Dabei hatte ich immer das Ziel, euch bei einem Verbrechen dran zu kriegen und ein für allemal dingfest zu machen. Und noch mal ja, all das habe ich im Auftrag von Präsidentin Klages getan. Falls ihr mir das nicht glaubt..." Goldman winkte jemandem näher zu kommen.
Urban Keith, Berater der Präsidentin und Regierungssprecher für Militär- und Haushaltsfragen, trat an den Tisch. "In dem Fall kann ich es nur bestätigen. Ich habe Hand in Hand mit Juri zusammen gearbeitet, um euch korrupte Schweine endlich dran zu kriegen. Dafür haben wir sogar das Leid von zwei Millionen Katalaunern in Kauf genommen, denn wenn wir euch weiter schalten und walten lassen, hätte es hunderte Millionen weit schwerer getroffen." Keith schnaubte wütend. "Wenn ihr kooperiert, keinen Widerstand leistet und alle Unterlagen willig zur Verfügung stellt, kehren wir die ganze Geschichte unter den Tisch. Ihr werdet wegen der Vesuv-Affäre unehrenhaft und ohne Pensionsansprüche entlassen. Mit euch natürlich eure gesamte Seilschaften, nur damit das klar ist. Aber Geldmangel müsst ihr sicher nicht fürchten. Wenn ihr aber Widerstand leistet oder versucht, irgend etwas zu euren Gunsten zu manipulieren, geht die Geschichte vor das Kriegsgericht. Überlegt es euch: Ruhestand oder zwanzig Schützen, was ist euch lieber?"
Hastig sprang der Geheimdienstoffizier auf. Sein Holo erlosch, die Verbindung brach zusammen.
Keith sah zu Starway und Sourakis herüber. "Und ihr?"
"Ich nehme die unehrenhafte Entlassung. Ich weiß wann ich verloren habe, Urban", sagte Starway grimmig.
"Mich solltet ihr besser erschießen lassen. Denn wenn ich nur den Hauch einer Chance kriege, mich zu revanchieren, dann werde ich das tun", zischte Sourakis böse.
Urban Keiths Gesicht verdüsterte sich. "Lassen Sie es wie einen Selbstmord aussehen, Commander."
"Commander? Hier... Wer sind Sie? Lassen Sie mich los! Ich bin Admiral of the Fleets! Ich..."
Als das Hologramm von Sourakis erlosch, musterte Starway Goldman und Keith mit steinerner Miene. "Goran auch?"
"Dürfte in diesem Moment in Handschellen liegen. Eventuell auch auf der Flucht erschossen. Du hast die beste Wahl getroffen, Gordon", sagte Keith und deaktivierte die Verbindung von seiner Seite aus. "So, das Schlimmste ist vorbei. Jetzt lass uns aufräumen gehen."
"Das Schlimmste ist immer noch in Yura-Maynhaus", erwiderte Juri Goldman ernst. "Erst mal muss ich dafür sorgen, dass Arling schnellstmöglich die Republik wieder verlässt, solange wir noch eine haben."
Urban Keith lachte laut auf. "Das ironische an deinen Worten ist, sie sind vollkommen wahr."

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"Ihr glaubt, das war es jetzt? Ihr glaubt, wir haben alle Ziele erreicht? Ihr glaubt, wir stehen vor dem Ende all unserer Anstrengungen? Wacht auf. Der schwere Teil beginnt hier erst."
(Graf Arling im Kreise seiner Offiziere nach dem Ende der Sherwood-Krise)

"War es das wert?", fragte Johann Arling an niemanden bestimmtes, während er in seinem Flaggbüro auf der HERCULES saß und die Verlustlisten studierte.
Die planetare Miliz hatte furchtbar gelitten, um Präsidentin Klages zu schützen, hatte fast alle Rüster und alle vier Korvetten verloren, tausende der Soldaten waren dabei gestorben, noch weit mehr verletzt worden.
Bei den Kämpfen in der Hauptstadt Miliz gegen Armee hatte es auf beiden Seiten empfindliche Verluste gegeben. Zudem war die Armee auf eine Bevölkerung getroffen, die sie keinesfalls mit offenen Armen empfangen hatte. Es war zu Übergriffen gekommen, die Fall für Fall der Klärung bedurften. Im Gegenzug aber hatten sich einige Bürger benommen als wären sie einem kriegsverherrlichendem Vid mit einem unverwundbaren Actionhelden entsprungen. Es wurde für Johann wieder einmal deutlich, dass der Krieg als Krise das schlechteste ebenso wie das beste im Menschen an die Oberfläche beförderte.
Die Offiziere und Mannschaften der Artillerietruppe, die beispielsweise die DAVY CROCKETT vom Himmel geputzt hatten, wären bei einer Niederlage zweifellos wegen Landesverrats vors Kriegsgericht gekommen. So aber galten sie als loyale Soldaten, die weiterhin ihren Dienst ausüben durften, während tausende der Männer und Frauen im Dienste von Armee und Flotte vorübergehend suspendiert waren. Auf einige würden Strafverfahren warten, andere vielleicht doch mit der berühmten Floskel: "Ich habe nur Befehle ausgeführt" davon kommen. Letztendlich hatte niemand in der Regierung ein Interesse daran, die Flotte oder die Armee derart zu kastrieren, das sie auf Jahrzehnte handlungsunfähig war. Es würde Verfahren gegen die Rädelsführer geben, Degradierungen für die Offiziere, die sich besonders des Kollaboratismus schuldig gemacht hatten, und die Mannschaften, sofern sie nicht selbst an Greueln wie in Scarlett beteiligt waren, würden stillschweigend und ohne große Aufmerksamkeit zu erregen wieder ihren Dienst aufnehmen.
Diese Geschichte kannte eine Menge Gewinner und ebenso viele Verlierer. Wer hier auf keinen Fall verloren hatte, das war die Demokratie. Sie existierte noch immer, sie hatte das Ruder in Yura-Maynhaus wieder in der Hand, und sie war gestärkter denn je. Der Staat im Staate, die Flotte der Republik, hatte einen enormen Dämpfer bekommen. Alte Seilschaften von Nutznießern der geschlossenen Gesellschaft Streitkräfte waren unwiderbringlich zerrissen worden. Es war als hätte man von einem Haus die Fassade abgenommen und würde nun alles sehen können, was die Bewohner jeden einzelnen Tag taten. Es gab kein Privatleben mehr für Armee und Flotte. Das hatten sie verspielt, als sie geputscht und versagt hatten.
Einige besonders prominente Rädelsführer hatte man erwischt. Die Republik war geschockt und überrascht gewesen, in welchem Maße ausgerechnet der Inspekteur der Flotte, Gordon Starway, nicht nur in die Entführung und Versklavung der katalaunischen Bürger verwickelt war, sondern auch, oder vielmehr erst recht von der Tiefe der Eroberungspläne der Flotte, die sich nun erst in all ihrer Tiefe offenbarten. Natürlich wollte die Republik nicht all die Kritik und die ganze Schande alleine auf sich nehmen, darum lud die Presse mehr als genug an diesen Vorgängen auf den ehemaligen Führern des Europa-Pakts ab, und ein nicht unerheblicher Teil traf ausgerechnet Admiral der Flotten Miranda von Hohenfels, die für die freie Presse der Republik als der katalaunische Verbündete fest stand, der diesen Plan in allen Details überhaupt erst möglich gemacht hatte. Erste internationale Meinungen unterstützten diese These vorsichtig. Wie sich das weiter entwickeln würde war noch nicht abzusehen, aber Johann befürchtete nicht gerade eine Verbesserung ihrer Situation.
Einige waren entkommen. Admiral Shazhou war auf der Flucht erschossen worden, Admiral Sourakis im Handgemenge mit ihrem Haft-Kommando durch einen Fehlschuss gestorben...
Und Carmeline Chun, die Admirälin, welche den atomaren Beschuss einer republikanischen Miliz befohlen und dafür eine Korvette nach Scarlett mitten in die Stadt geschickt hatte, war nach der Übergabe der KRK an loyale Kräfte tot in ihrem Flaggbüro aufgefunden worden. Sie hatte ihre volle Gala-Uniform mit all ihren Orden und Auszeichnungen angelegt, sich auf die Kriegsflagge der Navy drapiert und anschließend einen Laserimpuls aus ihrer Dienstwaffe durch den Kopf gejagt. Im Angesicht der Tatsache, was das Militärgericht mit ihr angestellt hätte, wäre sie dort erst einmal gelandet, eine konsequente Handlung. Johann störte allerdings die Uneinsichtigkeit in ihrem Abschiedsbrief, in der diese Frau, die ein paar Millionen Bürger der Gefahr des atomaren Feuertods ausgesetzt hatte, all die Schuld auf die demokratische Regierung schob, die sich einfach nicht hatte ergeben wollen. Dass sie es war, die jede einzelne Stufe der Eskalation betreten hatte - und das mehrfach alleine - klang nicht einmal an. Aus dem Grab heraus schlug sie noch um sich, verteilte Halbwahrheiten und Gerüchte. Daraufhin hatte der neue Inspector of the Fleets, der unglaublicherweise von den Toten zurückgekehrte Juri Goldman, Carmeline Chun rückwirkend unehrenhaft aus dem Dienst entlassen, was bedeutete das sie zum Zeitpunkt ihres Freitodes keine Admirälin gewesen war. Alle militärischen Ehren, die ihr bei der Beerdigung zugestanden hätten, waren damit hinfällig geworden. Darüber hinaus hatte Goldman sie zum einfachen Crewman degradiert, was wohl die größere Strafe war. Johann fand es nur konsquent. Da sie sich in den Tod geflüchtet hatte, konnte man sie nur im Leben bekämpfen. Und sie hatte Strafe mehr als verdient. Mit Unglauben schüttelte Arling den Kopf als er an die verseuchte Zone vor der Hauptstadt dachte, die bis zum eintreffen der Spezialkommandos mit tödlichen Strahlungsdosen eine latente Gefahr für Scarlett und ihre Bevölkerung darstellte. Er hätte zu gerne dabei zugesehen, wie die selbstherrliche Frau vor dem Kriegsgericht zurecht gestutzt worden wäre.
Der Lieutenant Commander, Chamberlain, der die DAVY CROCKETT befehligt hatte, ließ im Nachhinein kein gutes Haar an seiner Vorgesetzten. Er war schlau genug gewesen, sich seine Befehle schriftlich geben zu lassen und würde wohl mit etwas Glück einigermaßen ungeschoren davon kommen. Sicher war jedoch, dass Goldman dafür sorgen würde, dass dieser Mann nie wieder ein Schiff befehligen würde, was für einen Raumfahrer eine empfindliche Strafe darstellte.

Alles in allem war das Abenteuer Yura-Maynhaus glimpflicher abgelaufen als Arling es befürchtet hatte. Oh, es WAR vollkommen richtig gewesen, dem Ruf von Klages zu folgen und sie gegen ihre eigene Flotte zu verteidigen. Und es WAR richtig gewesen, das Blut und die Toten zurück zu zahlen, welche Griffin und seine Gryanen für die katalauner Freunde bezahlt hatten. Außerdem stellte ein gemeinsames Manöver ihrer beiden Verbände für Arling ohnehin mehr Freude als Mühen dar. Darüber hinaus schätzte er Griffin schon lange als guten Freund und Gewissen. Der mittlerweile als Admiral mit vier Sternen bestätigte Offizier war weitaus mehr ein weißer Ritter als er selbst. Vor ihm zu bestehen bedeutete, ein guter Mensch zu sein. Arling war dankbar dafür, solch einen Mann kennen gelernt haben zu dürfen.Und vielleicht war es diese Freundschaft, die viel mehr zum Ende der Kämpfe zwischen Republik und Kaiserreich beitragen würde als die Verpflichtung, die Arling bei Klages und Cranston erworben hatte, die Bringschuld für deren Rettung.
Arling sah auf den Chronometer an der Wand, der auf Neu-Berliner Zeit eingestellt war. Noch zwanzig Minuten, bis die Flotte das Loxley-System wieder verlassen würde. Dann waren es nur noch anderthalb Tage bis in die Kommunalität Principe, und von dort zwei Sprünge bis nach Neukölln. Im Neukölln-System würde sich Arling dann entscheiden müssen, ob er direkt nach Montillon weiter sprang, oder den Umweg über Cipangu nahm. Beide Optionen machten Sinn. Aber welche brachte ihm den größten Vorteil im Kampf um Roberts Thron?

"Ich gratuliere zur Rettung der Demokratie, Admiral Beijing", erklang eine angenehme Bariton-Stimme hinter Arling.
Der Graf fuhr herum. Natürlich, er hatte es nicht anders erwartet. Wieder einmal bekam er Besuch von Nyhartes Daiana Nissos, die sich irgendwie mehr und mehr zu seiner ganz persönlichen Nymphe entwickelte. Beinahe fühlte sich die sphärische Außerirdische wie Familie für ihn an.
Neben ihr stand eine nahezu transparente Gestalt, deren entfernt männliche Züge Arling ein breites Grinsen schenkten. "Gute Arbeit, mein Junge, verdammt gute Arbeit. Ich bin stolz auf dich."
Arling hob eine Augenbraue. "Willkommen auf der HERCULES. Eure Anwesenheit bedeutet wohl nicht, dass mein kleiner Nemesis-Schlachtkreuzer eingemottet werden wird, oder?"
Nyhartes hob abwehrend beide Hände. "Oh nein, mach dir darum keine Sorgen. Wir haben keinerlei Interesse daran, die HERCULES zu sperren. Im Gegenteil, wir sind alle sehr stolz auf dich und das was du erreicht hast."
Die männliche Nymphe grinste nur noch breiter. "Wobei wir eines klarstellen müssen: Der Part, der uns begeistert, ist die Tatsache, dass du Rhyann Klages zum Rückzug überredet hast. Ach was rede ich, du hast sie erpresst. Was für ein Husarenstück. Das erspart uns mindestens zwei Jahre, in denen wir noch mit einer störrischen Staatschefin der alten Garde hantieren müssten. Der gute Jules hingegen ist durchaus in der Lage, gute Absichten als gute Absichten zu erkennen und sich nicht gegen jemanden zu sträuben, der für eine Freundlichkeit nichts verlangt, während Rhyann misstrauisch ablehnen würde, selbst wenn es ihr das Leben kostet." Die männliche Nymphe räusperte sich verlegen. "Nun, das ist zumindest meine Sicht der Dinge. Aber ich bin unhöflich, mein guter Junge. Nyhartes kennst du ja schon ein gefühltes Jahrzehnt, nicht wahr? Aber ich bin, Hm, neu für dich. In einem gewissen Sinne. Mein Name ist Harold Zachary Chun."
Unwillkürlich schoss das Bild von Carmeline Chun in Johanns Gedanken, aber er schob es schnell beiseite. Diese männliche Nymphe hatte mit der Admirälin in etwa so viel zu tun wie das Abendrot mit dem Feuer einer Nova im Zentrum der Milchstraße. "Ein recht merkwürdiger Name für eine Nymphe", stellte er fest.
"Nun, normalerweise benutze ich diesen Namen nicht, wenn ich unter euch Menschen bin. Dort heiße ich zumeist Harzza Charyc Chun. Aber gegenüber dir, ehrenwerter Nachfahr, benutze ich ruhig mal meinen richtigen Namen."
Für eine geschlagene Sekunde fühlte sich Arling, als wäre er vor eine Partikelkanone geschnallt worden, und jemand hätte den Schießbefehl gegeben. Ihm fiel wieder ein, woher er den alltäglichen Namen Chun noch kannte - im direkten Bezug auf sich selbst. "Der Pferdedieb!", stieß er ungläubig hervor.
Harry verzog das Gesicht wie unter Zahnschmerzen. "Nennt ihr mich immer noch so? Ich verstehe ja die Koseform dieses Namens, aber irgendwann sollte man mich schon für meine Leistungen ehren, und nicht länger nur meinen reichlich übertriebenen Ruf sehen."
"Entschuldige bitte wenn ich darauf gerade nicht eingehe, weil ich immer noch zu Tode erschrocken bin! Du hast gerade gesagt, eine Nymphe ist mein Vorfahr? Wie ist das denn möglich?"
Nyhartes räusperte sich vernehmlich und tat den Schritt zur vollkommenen Stofflichkeit. Sie trat zu Arling, umschlang seinen Kopf mit beiden Armen und drückte ihn an ihren Busen. "Verwirre den armen Jungen doch nicht so sehr, Harry. Erkläre es ihm richtig. Wir wollen doch nicht, dass der nächste Kaiser von Katalaun mit einem Trauma auf den Thron steigt."
"Ist ja gut, ist ja gut. Ja, ich bin eine Nymphe, mein Junge. Und ja, ich bin dein Vorfahre. Und ja, es ist mir ohne weiteres möglich, als Mensch aufzutreten. Weißt du, es ist einfacher ein Mann zu sein und Kinder zu zeugen, als eine Frau zu werden und Kinder zu bekommen. Neun Monate stofflich zu bleiben ist eine große Herausforderung, auch wenn manche Nymphen das auf sich nehmen - aus welchen Gründen auch immer. Und nein, meinem Auftritt in der Menschenwelt lag kein großartiger Plan zugrunde. Ich habe einfach nur getan was ich glaubte tun zu müssen. Dass du letztendlich das Ergebnis sein würdest hat mich im Nachhinein schon überrascht."
"Nette Rede. Aber das interessiert mich gerade nicht so sehr wie ein anderer Faktor", nuschelte Arling aus der Geborgenheit der Oberweite von Nyhartes. "Warst du schon eine Nymphe, bevor du Harry wurdest?"
"Oh, du willst wissen, ob ich eine geborene Nymphe bin, oder ob ich eine wurde." Er sah Nyhartes fragend an. "Was hast du ihm verraten?"
"Oh, nichts davon. Ich denke, diese Frage hat er sich selbst zusammen gereimt. Er ist eben ein kluger Junge, unser guter Johann. Und er wird einen guten Kaiser abgeben."
Trotzig befreite sich Arling aus der Umarmung und stand auf. "Zum letzten Mal: Ich will nicht Kaiser werden! Ich mache das alles nur, um zu verhindern das Robert den Thron verliert und Elisabeth missbraucht wird! Ich habe keine Ambitionen auf den Zedernholzthron! Kaiser zu sein wäre mir viel zu viel Verantwortung, nebenbei bemerkt! Ich habe mit meiner Flotte schon zu viel um die Ohren!"
"Also kein Kaiser." Nyhartes Daiana Nissos seufzte. "Aber den Herzog von Beijing wirst du wohl nicht mehr los. Oder hast du vor, den Job Takeru vor die Füße zu schmeißen?"
"Takeru wäre kein schlechter Herzog. Im Gegenteil, er macht gerade einen sehr guten Job. Ich bin nicht sicher, ob ich all die Riffe, die sich ihm und B-King in den Weg stellen, derart galant umschifft hätte und auch noch in der Lage gewesen wäre, meinen Selbstsüchtigen Onkel in der Flotte zu unterstützen. Aber, nein, ich habe nicht vor, den Titel abzulehnen. Das schulde ich Zak, das schulde ich mir, und das schulde ich allen Menschen auf Arling und B-King. Ich habe nicht das Recht, die Verantwortung abzulehnen, in die ich hinein geboren wurde, und für die man mich ein Leben lang ausgebildet hat."
"Es war eine kluge Entscheidung, auf dich zu setzen, mein Junge. Du wirst einen verdammt guten... Herzog abgeben", stellte Harold zufrieden fest. "Und deshalb erlaube mir, dich zu belohnen. Du darfst mich frei befragen. Aber ich werde nur darauf antworten wenn ich glaube, dass dir die Antwort etwas nützt."
"Das ist ja nett. Dazu brauche ich deine Erlaubnis nicht. Bei dir klingt das wie ein Privileg, aber eines das mir keine Vorteile bringt."
"Wer weiß? Versuche es doch mal."
Arling atmete tief ein und wieder aus. "Okay. Warum mischt ihr euch ausgerechnet jetzt ein? Fünfhundert Jahre lag dieser Teil des Universums im argen, und heute kommt ihr hervor und beeinflusst unsere Leben."
"Oho. Ich habe mit vielem gerechnet, aber nicht, dass er mich bei meinen immateriellen Eiern packen und durchschütteln würde." Harold lächelte schief. "Nyhartes, wenn du so nett wärst..."
"Johann, es ist nicht so als wären wir untätig geblieben. Im Gegenteil, wir haben nach dem Zerfall des Herculeanums versucht, den Wahnsinn der Menschen in einem wahnsinnigen Krieg einzudämmen, wo immer wir es konnten. Deshalb schickten wir die Gryanen, die Phillippii und die Perseii fort, und mit ihnen zwei Nemesis-Schlachtkreuzer. Deshalb übernahmen wieder und wieder Nymphen die Patenschaft über besondere Menschen, um ihnen Anleitung und Lehrer zu sein."
"Zwei Schlachtkreuzer der Nemesis-Klasse?", argwöhnte Arling mit hoch gezogenen Augenbrauen.
"Zwei. Die Gryanen haben auch einen", warf Harold ein.
"Jedenfalls denken wir Nymphen in etwas anderen Maßstäben als ihr Menschen. Ich habe dir schon erzählt, dass viele meines Volkes es nicht ertragen haben, die Menschen so schnell wieder sterben zu sehen, kaum das sie geboren waren und das sie sich deshalb von ihren Schutzbefohlenen abgewendet haben. Das war kurz vor dem Sturz der herculeanischen Dynastie besonders schlimm. Kaum eine Nymphe hielt damals Kontakt zu Menschen, wir lebten für uns in unserer eigenen Sphäre, unserer eigenen Dimension. Und genau deshalb öffneten wir dem Putsch Tür und Tor, und damit dem Verderben über das gesamte Herculeanum, einem Ort, der Frieden hatte bringen und bewahren sollen.
Es war nie unsere Absicht, als Schattenkaiser über die Menschen insgeheim zu regieren oder ihnen unseren Willen aufzuzwingen. Sie zu beherrschen, in welcher Form auch immer. Das wollten wir nicht, das taten wir nicht und wir tun es noch immer nicht. Aber wir wollten Wohlstand und Frieden fördern, die Bildung und die Lebensqualität, Philosophie und Wissenschaften. Wir wollten die Menschen begleiten, auf ihrem Weg zu weiseren, unverletzlicheren Wesen, auf dem gleichen Weg, den wir einst beschritten hatten. Doch dann ließen wir sie allein. Dies war unsere größte Schuld.
Es ist nicht bestätigt, weil keine Nymphe anwesend war, aber die Menschen erzählen sich von einem Verhör eines der Rädelsführer des Aufstands, der aus dem Herculeanum die Diadochen gemacht hatte. Darin hieß es, dass einer der Gründe für den Aufstand darin gelegen hatte, dass die Herrscher den Kontakt zu den Nymphen vernichtet hatten, um sich über sie zu erheben, ihren Rat abwiegeln zu können, besser als sie zu sein. Nach dem Ende der Herrscherdynastie war es eines der Ziele gewesen, die Nymphen erneut zu kontaktieren und ins Leben der Menschen zurück zu holen."
"Oder sie zu benutzen, um ein Alibi, eine Rechtfertigung zu haben. Wir haben die Worte dieses Menschen, nicht aber seine Gefühle und Absichten", mahnte Harold. "Und deshalb können wir seine Worte weder ignorieren, noch sie für sachliche Information nehmen. Wir können nur daraus lernen."
"Und dieses lernen hat bis zum heutigen Tag gedauert, bis in eine Zeit, in der wir Nymphen unsere Schüler, teilweise deren Kinder und Kindeskinder, auf ihren Lebenswegen begleitet haben. Dann ergab sich diese grandiose Chance, um das Herculeanum wieder zu beleben und es zu mehr zu machen als einer Farce, einem Abklatsch alter Größe. Wir haben sehr fähige Herrscher in den ehemaligen Diadochen, die erstmals in einer Zusammenarbeit über den Städterat hinaus einen Riesenvorteil für ihre Länder und ihre Völker sehen. Wir mussten sie nutzen. Wir mussten dich nutzen, Johann."
"Das ist in Ordnung, vollkommen in Ordnung." Arling strich sich mit der Rechten übers Kinn. "Mich interessiert immer noch viel mehr, ob du schon immer eine Nymphe warst oder erst dazu geworden bist, Harry. Ich meine, weißt du welche Konsequenzen es hat, wenn man Nymphe WERDEN kann?"
"Das ist mir durchaus bewusst. Aber die Antwort auf diese Frage musst du schon selbst herausfinden."
"Lüge mich an."
Harold seufzte tief. "Okay. Ja, ich war schon immer eine Nymphe. Zufrieden?"
"Danke. Egal ob das stimmt oder nicht, ich kann es jetzt wenigstens geistig beiseite schieben. Es hätte mich bei meinem Vorhaben nur gestört, oder noch schlimmer, meinen Sinn für Realität in Zweifel gestellt. Wisst ihr wie schrecklich es ist, wenn man an der Realität zweifelt? Die Verlorenheit? Die Angst? Die neuen Erkenntnisse, die über einen herein zu brechen drohen? Das kann ich jetzt gerade nicht gebrauchen."
"Hm, verstehe. Ihr Stofflichen halt. Was hätte ich anderes erwarten sollen?", spottete Harold. "Aber davon einmal abgesehen, mein Junge, muss ich dir noch eine wichtige Frage stellen. Hannes, bist du dir sicher bei dem was du tun willst? Wirst du deinen Weg bis zum Ende gehen?"
"Das waren aber zwei Fragen, Harry."
"Dann eben zwei Fragen. Und die Antworten lauten?"
"Nun, ich sehe keinen Grund, auf meinem Weg zu straucheln. Elise wird augenscheinlich noch immer benutzt, um obskuren Eliten als Marionette zu dienen, und Robert wurde mit Lug und Trug aus dem Amt gejagt. Ich werde meinen Weg gehen, bis zum bitteren Ende. Auch, entschuldigt bitte, wenn er zum Bürgerkrieg führen wird. Ich kann nicht hier bleiben, oder meinetwegen auf B-King, mit den Zähnen knirschen und dabei zusehen wie etwas, was ich als vollkommen falsch empfinde der Galaxis als richtig verkauft wird. Vielleicht habe ich Recht, vielleicht habe ich Unrecht. Aber ich ziehe die Sache durch. Für mich, für Elise, für Robbie."
Nyhartes lächelte zufrieden. "Von mir kommt auch noch eine Frage. Han, mein Junge, willst du unsere Unterstützung? Sollen die Nymphen dir beistehen? Offiziell, inoffiziell, wie immer du möchtest?"
Überrascht sah Arling die weibliche Nymphe an. "Das ist ein sehr großes Angebot. Ein verdammt großes Angebot. Ich habe noch nicht vergessen, dass ihr es wart, die mich und meine Crew aus der RHEINLAND geborgen haben, als ich mit dem Leben bereits abgeschlossen hatte. Ich kenne euren Wert, eure hohen Maßstäbe und eure bewundernswerte Moral. Selbst im Hintergrund, als Boten zum Beispiel, wärt ihr eine echte Bereicherung."
"Aber?", fragte Harold wissend.
Arling schmunzelte. "Aber ich kann nicht. Ich kann euch nicht in Katalaun einsetzen, wie auch immer. Der Grund ist simpel: Euch kennt niemand in Katalaun! Selbst nach all der Berichterstattung, in der ihr und vor allen Nyhartes eure Auftritte hattet, bleibt das vage, schwammige Gefühl, das einen befällt, wenn man plötzlich weisgemacht kommt, das die eigene Welt in Wirklichkeit eine ganz andere ist als man dachte. Im Herculeanum wäre eure Unterstützung durch nichts zu überbieten, aber in Katalaun wärt ihr nur eine Public Relations-Maßnahme. Und dafür seid ihr mir zu schade."
"Ein weißer Ritter, was?", sagte Nyhartes in Richtung von Harold.
"Schau mich dabei nicht so an, meine Liebe. Ich war nie so. Von mir hat er das nicht", konterte der amüsiert. Er sah Arling wieder an, trat einen Schritt vor und legte ihm die Rechte auf die Schulter. "Junge, dein Vater wäre sehr stolz auf dich. Nicht wegen der Schlachten, die du geschlagen hast, nicht wegen deiner Siege, nicht wegen den Menschen, die dir aus freien Stücken folgen. Nein, weil du geblieben bist was du immer warst. Weil du deinen Prinzipien treu bleibst. Und weil du das Glück der Menschen über die Logik stellst. Wir werden deinen weiteren Weg beobachten, junger Beijing. Und ich bin sicher, du wirst uns stets überraschen, jedoch nie enttäuschen."
"Wir verlassen dich nun. Falls du uns doch brauchst, wir sind auf Leonidas zu erreichen." Nyhartes trat an Arling heran und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Kurz nach der Berührung verschwammen ihre Konturen wie ein Hologramm auf immer dünner werdendem Nebel.
Schließlich war sie ganz verschwunden, und mit ihr Harold, der Pferdedieb.
"Sir? Es wird Zeit. Man erwartet Euch auf der Brücke, Mylord Admiral."
"Iolaos, wie oft habe ich dir gesagt... Ach, lassen wir das. Informiere Kapitän Schlüter, dass ich auf dem Weg bin."
"Verstanden. Soll ich das Gespräch mit Nyhartes Daiana Nissos und Harold Zachary Chun vertraulich behandeln und ein persönliches Archiv anlegen?"
"Du hast uns beobachtet?"
"Beobachten. Das klingt so verboten. Ich bin ein Geschöpf der Nymphen, Mylord Admiral. Sie haben nie vor gehabt, sich vor mir zu verbergen. Es ist sogar meine Pflicht, all ihre Bewegungen an Bord zu dokumentieren."
"Gut, das lasse ich als Ausrede gerade so durchgehen", erwiderte Arling. Er ergriff seine Dienstmütze und verließ das Flaggbüro, das vor dreihundert Jahren mal einem namhaften Vertreter der herculeanischen Dynastie gehört haben musste. Die Episode in Yura-Maynhaus war damit beendet. Der letzte Akt erwartete ihn und seine Leute. Es würde der schwerste von allen werden.


11.
11.07.2613
Kaiserreich Katalaun
Montillon-System, vierter Planet Sanssouci
Versailles, Mond von Sanssouci
Planetare Hauptstadt Ikarus, geheimes Hauptquartier des Kaisers

"Gentlemen, der Kaiser!", klang die Stimme des Haushofmeisters auf, als Robert der Fünfte das kleine Amphietheater betrat. Die anwesenden Offiziere und Mannschaften, die meisten schon seit fünf oder mehr Generationen im Dienste des Hauses Versailles, erhoben sich und begannen zu applaudieren.
Robert nahm die Ovationen mit steinerner Miene zur Kenntnis. So gut es auch tat, die Begeisterung seiner ureigensten Leute, seiner persönlichen Hausmacht entgegen zu nehmen, so wenig konnte es ihn davon ablenken, wie viel gerade schief lief. Noch vor kurzem hatte alles gut ausgesehen. Ihm war mit seinen engsten Beratern die Flucht geglückt, die Minister und Direktoren, die er zurück gelassen hatte, waren nahtlos in Elises Regierung integriert worden - etwas, wofür man das verrückte, trickreiche kleine Biest nachhaltig loben sollte, so abgebrüht wie sie gehandelt hatte, um ihren Willen durchzusetzen, ohne aufzufallen - und sie hatten nahezu alle Ninjas, sofern sie nicht im Einsatz waren, aus der Schusslinie bringen können. Jene, die an der Frontlinie aktiv gewesen waren, hatten von Hohenfels´ loyale Truppen entweder getötet oder inhaftieren lassen. Die Inhaftierten hatten sich schnell befreit oder waren von ihren Unterstützungskommandos gerettet worden, die Toten summierten das Konto der falschen Admirälin auf eine beträchtliche Summe, die Robert auf einen Schlag einzufordern gedachte. Der Rest der Ninjas hatte ihn begleitet und beschützt, während das einzige Kommando außerhalb Katalauns Johann Arling begleitete und beschützte.
Und dann hatte alles begonnen, schief zu laufen. Elises Flucht war nicht geglückt, der alte Zak war ausgerechnet von Sven Kress getötet worden, neue junge und wahrscheinlich fanatische Offiziere hatten ehemals neutrale oder ihm loyale Offiziere in Armeehauptquartier und Flotte verdrängt. Ach, und sein Cousin Johann hatte ein- zweimal vor dem sicheren Tod gestanden. Grund genug für ihn, ein paarmal knapp an einem Herzinfarkt vorbei zu schrammen.

Robert trat an das Rednerpult. Die Männer und Frauen, die sich hier versammelt hatten, waren die persönliche Garde der Versailles. Viele von ihnen führten ihre Ahnenlinie bis zur ersten Besiedlung von Sanssouci zurück und nicht wenige stammte aus Nebenlinien der weit verzweigten Versailles-Familie. Den Hauptstrang indes bildeten im Moment lediglich er selbst und seine Nichte Elisabeth, der nächstwichtigste Nebenzweig waren die Beijings. Die weiteren Versailles waren zumeist Angehörige dritten, vierten oder fünften Grades, Nachfahren von Thronfolgern im zweistelligen Bereich und dementsprechend zumeist weiter vom Thron entfernt als eine planetare Herzogin wie Miranda von Hohenfels oder Patrick von Stegman. Dennoch waren sie unbedingt loyal, und, in dem Punkt war sich Robert sicher, hätten sie schon tausend Gelegenheiten gehabt, ihn zu verraten, seit er in den Hauptsitz seiner Familie zurückgekehrt war.
"Meine Damen und Herren, ich muss mich bei ihnen allen für diesen warmen Empfang bedanken. Es tut gut zu wissen, dass ich hier auf Versailles weder verfolgt noch verdächtigt bin."
Zustimmende Rufe und weiterer Applaus klangen auf.
Robert ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Er kannte viele beim Namen, war mit einigen von ihnen Jahre seines Lebens zusammen gewesen. Er wusste was Ruhmsucht, Geldgier und Opportunismus aus einem Menschen machen konnte, aber die Bindung zu diesen Leuten war tiefer als ein normales Verhältnis zwischen Kaiser und Soldat, mehr als zwischen Herzog und seiner Garde. Diese Männer und Frauen dienten nicht dem Kaiser Robert dem Fünften, sie dienten dem Oberhaupt der Versailles, und das taten sie bedingungslos. Sie bildeten auf dieser Welt die größte ständige Miliz in Divisionsstärke, hatten eigene Schiffe und Knight-Einheiten. Zwar waren zwei der Regimenter und das Gros der Schiffe an der Front zu Jemfeld im Einsatz, doch dieses eine Regiment vor ihm hatte genügend Chuzpe, um es selbst mit angreifenden Raumschiffen aus dem Orbit aufzunehmen. Dafür waren sei trainiert. Punktverteidigung und schnelle Konterangriffe waren ihre Spezialität. Sie waren einerseits supermobil gerüstet und andererseits schwerstens armiert. Sie deckten eine Position massiv, waren aber jederzeit bereit, den Feind in einem schnellen Vorstoß zu vernichten. Das machte die 1. Versailles-Division zu einer der besten Militäreinheiten des Kaiserreichs. Sie waren in etwa mit den hervorragenden Polizeioffizieren zu vergleichen, welche B-King in stoischer Perfektion jedes Jahr ausbildete.
"Sie alle kennen die neuesten Nachrichten über Lord Arling." Robert sah in die Runde, sah die Leute nicken. "Wir alle sind froh und dankbar dafür, dass es Johann nicht nur geschafft hat, am Leben zu bleiben, sondern der Republik jeden moralischen und taktischen Rückhalt zu nehmen, um weiterhin gegen Katalaun Krieg zu führen. Ich weiß nicht wie lange der Frieden dauern wird, den Johann für uns erkämpft hat, aber ich weiß mit Sicherheit, das die Flanke, welche die falsche von Hohenfels entblößt hat, nicht von der Navy der Republik heim gesucht werden wird. Wir sind sicher an dieser Front. Und das gibt uns die Chance, endlich zu handeln."
Zustimmendes Raunen erfüllte das Amphietheater.
"Herrschaften, ich werde Versailles heute von Sanssouci los sagen. Letztendlich bin ich hier oben der Herr, und ich habe das Recht dazu."
Dies brachte doch Aufregung in die Reihen. Teilweise protestierten die Soldaten und Offiziere. Die anderen warteten gespannt auf die Begründung.
"Sie alle wissen, wie knapp mir die Flucht nach Versailles gelungen ist. Und sie alle wissen, das ich genügend loyale Leute da unten zurück lassen musste, die noch immer ihre Aufgabe erfüllen, nämlich dem Kaiserreich zu dienen. Dies ist auch hier und heute meine Pflicht. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen in exakt drei Stunden zu enthüllen, wo ich mich befinde und bei dieser Gelegenheit Versailles´ Unabhängigkeit auszurufen. Wir werden danach sofort dem zweiten Kernsitz meiner Familie zugeordnet werden, nämlich B-King im Cipangu-System."
Erkennen ging wie ein Raunen durch die Menge.
"Damit erschaffe ich einen sicheren Stützpunkt für unsere Opposition, für all jene, die nicht damit einverstanden sind, dass meine Nichte Elisabeth als Marionette missbraucht wird. Wir werden eine Enklave sein, rechtlich wie militärisch. Aber diese Enklave müssen wir uns erkämpfen. Notfalls auch gegen die Milizeinheiten, die neben den 1. Versaillern auf unserem Mond stationiert sind."
Diesen Worten folgte grimmige Entschlossenheit. Ja, auf diese Leute konnte er sich verlassen. Jederzeit.
"Wir alle wissen, dass Johann Arling eine solche Basis nur zu gut gebrauchen kann. Vor allem wenn sie ihm gehört. Denn ihm wird die Oberhoheit von Versailles zufallen, sobald der Mond unter B-King einzuordnen ist. Und, Herrschaften, das ist auch gut so, denn damit haben wir das ganze Sonnensystem da, wo es ihnen weh tun wird: In Hilflosigkeit, jenseits ihrer Propaganda, ohne ihre Masken. Dies ist meine Entscheidung. Ich bitte sie alle, sie mit mir zu tragen."
Beinahe sofort begannen die Offiziere und Mannschaften zu applaudieren. Einige pfiffen, andere stampften mit den Füßen auf. Wenn man bedachte, das diese Soldaten zur obersten Elite des Kaiserreichs gezählt werden mussten, konnte jedem Gegner Angst und Bange werden.
"Miranda?"
Die Admirälin der Flotte nickte knapp und trat an die Stelle des Kaisers vor das Rednerpult. "Herrschaften! Das wird weder ein Spaziergang, noch werden die Putschisten sich kampflos ergeben. Der Magno-Stahl-Konzern und weitere hochrangige Unternehmen haben Milliarden in diesen Aufstand gepumpt, und hunderttausende ihrer Anhänger mobilisiert. Sie werden sich jetzt, wo sie bereits Elise sicher auf dem Thron glauben, nicht zurück ziehen. Sie werden den Konflikt suchen, so wie meine missratene Nichte versucht hat, ausgerechnet B-King zu überfallen."
Gelächter erklang. Miranda von Hohenfels - die echte - war bereits kurz nach dem Attentat auf ihr Leben auf Wunsch des Kaisers nach Versailles geschmuggelt worden. Der kurze Moment, den Sven Kress sie aufgehalten hatte, hatte ihr Leben gerettet. Hier hatte sie sich im Herzen der Versailles versteckt, nachdem ihre Doppelgängerin aufgetaucht war und auf den Moment gewartet, zurück zu schlagen. Dieser Augenblick war nun gekommen.
"Sie, und damit meine ich meine Nichte Marina die sich krampfhaft als Miranda zu verstellen versucht sowie ihre Geldgeber, werden wissen was die Stunde geschlagen hat, wenn Versailles sich für unabhängig erklärt. Aber niemand wird dem Herzog von Beijing den Einflug ins Montillon-System verweigern können, aus keinem einleuchtendem Grund, wenn ihm in diesem System ein ganzer Mond gehört." Miranda atmete tief ein. "Drei der fünf Milizregimenter von Versailles werden höchstwahrscheinlich die Entscheidung mittragen - und damit auch die Kämpfe, die zu erwarten sind. Die Putschisten haben nur zwei Chancen, um zu verhindern, dass ihr größter Feind direkt vor ihrer Haustür steht. Chance Nummer eins ist Robert zu töten und die 1. Versailler auszulöschen."
Ein wütender Aufschrei erhob sich in der Menge der Soldaten. Die meisten waren aufgesprungen, vor Wut, vor Entsetzen. Normalerweise hätte dieser Zorn, diese Opferbereitschaft, dieser Fanatismus Miranda schockiert, weil er schnell unkontrollierbare Truppen schuf. In diesem Fall aber war es ihr Fanatismus, und sie gedachte ihn zu nutzen. "Die zweite Möglichkeit ist Elisabeth zu verheiraten, zu krönen und vollendete Tatsachen zu schaffen."
Wieder wurde aufgeschrien, aber nicht ganz so laut. Letztendlich war sie die Nichte des Kaisers, letztendlich hatte sie, wenn auch ohne es gewollt zu haben Robert vom Thron gestürzt. Dennoch, sie war eine Versailles, und alleine das reichte dieser Miliz-Truppe.
"Mit Möglichkeit eins werden wir sehr bald Bekanntschaft machen. Sie werden einen harten, schnellen Schlag führen, sie werden versuchen uns aus dem Orbit zu bombardieren. Sie werden Truppen heran führen, deren einziger Sinn und Zweck es ist, uns auszulaugen, uns zu dezimieren und dafür zu sterben, bevor sie uns müde und abgekämpft vernichten können. Sie werden Möglichkeit eins in jedem Fall versuchen. Sie können gar nicht anders. Meine kleine verrückte Nichte kann nicht anders, wenn ihr Traum von ruhmreichen Siegen an der Jemfeld-Front nicht vernichtet werden soll.
Unsere einzige Chance ist stand zu halten und Roberts Leben zu beschützen! Das ist unsere wichtigste, unsere allerwichtigste Aufgabe in den nächsten Tagen!"
"Für den Kaiser!", rief jemand, und die anderen fielen ein, bis es von den Wänden wiederhallte.
Der Kaiser dankte seinen loyalen Truppen mit einer langen und tiefen Verbeugung.
"Wenn Möglichkeit eins nicht gelingt, werden die Putschisten versuchen, Elisabeth auf den Thron zu bugsieren, den sie bereits kommissarisch verwaltet. Sie werden einen Regenten ernennen, und sie werden mit dem Hinweis auf die noch laufenden Kämpfe an der Jemfeld-Grenze versuchen, jede Kritik und jeden Widerstand im Keim zu ersticken, weil er "unpatriotisch" ist. Aber wir stehen auf Versailles, dem Mond unserer Hauptwelt, wir sind nur dreihunderttausend Kilometer von ihnen entfernt, und sie werden unseren Atem jederzeit im Nacken haben! Wir werden nicht vergessen was sie uns angetan haben, was sie Sanssouci und insbesondere Neu-Berlin anzutun versucht haben, was sie noch immer versuchen! Wir sind die Garanten dafür, das Elisabeth das Schicksal als Marionette erspart bleibt, wir sind der Garant dafür, das Katalaun wieder das Katalaun wird, das es unter Robert war. Wir sind der Garant dafür, das all die Ungerechtigkeiten, die Verbrechen, die Grausamkeiten und die Greuel nicht vergessen werden, dass wir sie korrigieren, wo immer wir können und das wir aus allen anderen lernen, damit sie niemals wiederholt werden können!"
Nun erhielt auch die Admirälin der Flotten stehende Ovationen.
"Und wir beginnen unseren Kampf mit dem unwiderlegbaren Beweis, dass Robert rein gar nichts mit dem Bombenanschlag auf die Demonstrantengruppe zu tun hat, die ihm zur Last gelegt wurde!"
Als der Jubel erneut durch das Theater brandete, musste Miranda lächeln. Die Beweise für die Unschuld des Kaisers hatten sie schon seit Wochen. Aber nun war endlich die Gelegenheit gekommen, um sie zu präsentieren.
"Herrschaften!", rief Miranda in den Jubel hinein, "wir haben ein Kaiserreich aufzurütteln!"
"Und wir werden es aufrütteln", rief ihr Robert über den Jubel hinweg zu, der nun ausbrach.
***

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***
Es gab im Leben eines welterfahrenen Staatsmanns wie Takeru Rüdiger von Kantou wenige Dinge, die er als Überraschung bezeichnen würde. Das Gros der in diese Definition fallenden Ereignisse hatten zumeist mit Tod, Gewalt und Schmerz zu tun. Aber auch für ihn gab es Überraschungen jenseits solcher Dinge, wie er feststellen musste. Am 12.07. trafen endlich die acht Whale-Transporter in Begleitung der OLYMP in Katalaun ein. Einen Tag später sprangen sie, eskortiert vom Nisos-Kreuzer CEPHEUS und einigen katalaunischen Kriegsschiffen, die Ehrengeleit gaben, direkt nach Cipangu, obwohl dies einen Umweg von anderthalb Tagen für sie bedeutete.
Die über zwei Millionen katalaunische Bürger an Bord der Großraumtransporter hatten sich durch Mehrheitsbeschluss dafür entschieden, einen Abstecher nach B-King zu machen, um damit ihre Unterstützung und vor allem ihre Dankbarkeit für den heldenhaften Einsatz der Flotte unter Johann Arling zum Ausdruck zu bringen.
Selbstverständlich wurde den Zivilisten gestattet, B-King aufzusuchen, um ein letztes Mal vor der endgültigen Heimreise auf ihre Heimatwelten frische Atmosphäre schnuppern zu können. Richard und Mikhail hatten beide die Hände voll gehabt, um für ihre zwei Millionen Gäste aus dem Nichts eine Feier zu stampfen, und seltsamerweise gab es diesmal vom Parlament keine Forderung nach einem Kostenvoranschlag und die Aufforderung, die Kosten vorzeitig einem Budget zu zu ordnen. Im Gegenteil, ganz B-King, ja das ganze Sonnensystem befand sich in Feierlaune, seit die AGAMEMNON als erster der acht Transporter eine stabile Umlaufbahn um B-King eingenommen hatte.
Einheiten der Nisos Elektron hatten die umgebauten Frachter bis auf katalaunisches Gebiet eskortiert und dort regulären Flotteneinheiten übergeben. Als Ausdruck der Anerkennung von Arlings Leistungen sowie um sich in Wort und Tat von der Entführung der katalaunischen Facharbeiter zu distanzieren hatte Commodore Ravell, Kommandeur der CEPHEUS, darum gebeten, ihnen bis zu den acht Heimatwelten Geleit geben zu dürfen, von denen sie entführt worden waren. Die Menschen in den Systemen Munich, Konot, Liberty, Danzig, Dachau, Praha, Wien und Stuttgart erwarteten die Heimkehrer jedenfalls bereits mit Hochspannung. Durch die internationale Berichterstattung war ihr Fall nicht nur bekannt geworden, ihre Rettung hatte mittlerweile den Status einer Legende erreicht. Ihnen würde ein Empfang bevor stehen, wie ihn Katalaun noch nicht erlebt hatte. Und sie hatten sich diesen Empfang, diese Heimkehr, nach all den Schrecken, den Entbehrungen wirklich verdammt noch mal verdient. Wenn B-King also seinen Teil in Form von achtzig Millionen Mark leisten musste, um den Heimkehrern eine ordentliche Feier zu liefern, dann musste das auch so sein. Notfalls war Takeru bereit, einen Teil oder gleich den ganzen Betrag aus dem Familienvermögen der Beijings zu bestreiten.
"Mylord Beijing?", klang die Stimme von Archdyne Voskresenskij auf. Die Bürgermeisterin der Hauptstadt hatte nach Gandolfs Tod einige Aufgaben den ihren hinzugefügt, die ansonsten an Takeru und Richard gefallen wären, um die Männer zu entlasten. Damit war sie ein wichtiger Teil des Teams geworden, das anstelle des alten großen Mannes die Geschicke des Cipangu-Systems lenkte.
"Komm rein, Arc, und lass diesen Quatsch. Ich bin Interims-Herzog, aber ich hänge nicht an dem Titel. "Was gibt es?"
Die alte Berufspolitikerin lächelte dünn. "Natürlich, Mylord. Wir alle erwarten die Rückkehr von Johann Arling und seine Übernahme der Ämter des Herzogs von Beijing." Sie hustete in ihre hohle Hand und sagte dabei etwas, was entfernt nach "wahrscheinlich" klang, während sie an Takerus Schreibtisch trat. "Ein Landungsboot der CEPHEUS ist auf dem Raumhafen gelandet. Antoni Ravell ist an Bord. Er bittet dich um einen Termin am Hafen. Und er hat es dringend gemacht. So dringend, das ich direkt informiert wurde, anstatt die Bitte über den Dienstweg erfolgt ist."
"Bitte? Das klingt mehr nach einem Befehl", erwiderte Takeru und besah sich seufzend das Wirrwarr aus Papierdokumenten und Hologrammen, die seit Gandolfs Tod sein Leben waren. Mit einer Handbewegung brachte er die Hologramme zum erlöschen, dann raffte er die Dokumente übersichtlicher zusammen. "Ich denke, eine halbe Stunde kann ich erübrigen. Solange die Whale-Transporter im System sind brauchen wir kaum einen offenen Angriff befürchten."
Bei den Worten "offener Angriff" hatten sich die Augen Archdynes kurz geweitet, aber eine Sekunde später hatte sie sich bereits wieder gefangen. "Der Commodore bat auch um die Anwesenheit von Richard und Mikhail."
"So, hat er das? Klingt wieder nicht wie eine Bitte." Er atmete seufzend aus. "Sie sind verfügbar?"
"Ich habe das bereits überprüft. Richard ist in einem Meeting mit Johannes von Baaden und Oberstabsbootsmann Patekar. Mikhail leitet gerade eine Übung der Miliz, kann aber in zwanzig Minuten am Hafen sein."
"Okay, gib ihnen Bescheid. Die Nisos Elektron hat Han die meiste Hilfe zukommen lassen. Sie nun warten zu lassen wäre nicht nur unhöflich, es wäre eine Frechheit." Takeru lächelte schief. "Außerdem können wir die gute Publicity gerade jetzt gebrauchen."
Er verließ sein Büro, die Bürgermeisterin von Port Arthur im Schlepp. "Ich hoffe, es ist wenigstens wichtig", murmelte er.

"Entschuldigen Sie, Commodore", meldete sich Mikhail von Angward zu Wort und kratzte sich erstaunt am Haaransatz, "aber sind die Dinger das wofür ich sie halte?"
"Ich denke, die Aufschriften sind eindeutig. aber selbstverständlich hat Ihr Zoll die Warenbriefe und den Inhalt auf Echtheit überprüft."
Der Hafenmeister, ein vierschrötiger B-Kingler, der wie die meisten Einwohner vier oder fünf ethnische Gruppen als Vorfahren hatte, nickte bestätigend. Er war kreidebleich und nervös. Ebenso das zwanzigköpfige Polizeikommando, das einen inneren Schutzring in der Lagerhalle errichtet hatte. Die Miliz indes war in diesen Minuten dabei, einen äußeren anzulegen.
"Vier?" Richard Johnston hielt sich die Stirn und schüttelte den Kopf. "Vier Stück auf einmal? Han, Han, Han, was hast du dir dabei gedacht?"
"Ich nehme an, Mylord Nanking, Lord Arling wollte einfach auf Nummer sicher gehen. Es handelt sich hierbei zwar um die neueste Technologie, über die unsere Nisos Elektron, und in diesem Fall speziell Leonidas verfügt, aber sicher kann man sich erst nach einiger Zeit sein. Als wir das Go der Techniker bekamen, haben wir alle vier eingepackt und den Begleitschutz der katalaunischen Bürger als Vorwand genommen, um sie ihren rechtmäßigen Eigentümern zu bringen, dem Volk von B-King."
Takeru von Kantou sagte nichts. Ihm fehlte es im Moment an allem: Blut, Spucke, Nerven und Worten. Er starrte die mannshohen bombenförmigen Hightech-Produkte an, als wären es Nuklearsprengköpfe kurz vor der Detonation. Dann gab er sich einen Ruck und trat näher. Vorsichtig strich er mit der Hand über die Typenbezeichnung der vordersten Bombe.
"Fass es besser nicht an", sagte Mikhail ängstlich. "Nicht, dass du was kaputt machst."
Dies schien den Commodore einerseits zu amüsieren, andererseits zu verärgern. "Die Dinger sind narrensicher. Außerdem ist die kritische Phase bereits vorbei. Jeder Idiot, der lesen kann, bringt sie jetzt über die Zeit. Für das Finale würde ich aber raten, Ihre Fachleute sehr intensiv trainieren zu lassen, falls sie mit dieser Technologie noch keinen Kontakt hatten. Ich habe mir sagen lassen, dass es relativ simpel ist, aber untrainierte Leute werden nervös, und nervöse Leute machen Fehler."
"Tadel zur Kenntnis genommen", erwiderte Takeru und schüttelte in fassungslosem Staunen den Kopf. "Wir müssen Johannes von Baaden informieren. Er muss diese Dinger unbedingt sehen."
"Was für ein schönes Mitbringsel von Han", murmelte Richard mit einem ersten Hauch Amüsement in der Stimme. "Ein nettes kleines trojanisches Pferd im Viererpack."
"Nein", entschied Takeru ernst. "Schlimmer als das trojanische Pferd. Viel schlimmer."
***
"Schalten Sie das aus, verdammt!", schimpfte Miranda von Hohenfels, während sie mit General Lück durch den Palast der Kaiserin schritt. Wütend deutete sie auf mehrere aktive Holosäulen, die im Dauerprogramm die Berichte von Versailles zeigten. "Schalten Sie alles aus! Und danach schicken Sie eine Flotte zum Mond hoch und klären Sie ein für allemal, wer hier die Admirälin der Flotten ist, und wer das billige Imitat!"
"Mit Verlaub, Ma´am, die Situation ist nicht so einfach. Wir haben keinen Zugriff auf die Ninjas, und der rechtliche Status von Versailles erlaubt uns eine offene Intervention mit der Flotte nicht. Zumindest keine offizielle."
"Mann, Lück, provozieren Sie einen Zwischenfall! Erfinden Sie einen Notruf! Tun Sie irgendetwas, um auf diesen kleinen Dreckball Truppen zu schaffen, die auf mich hören! Und blockieren Sie DAS DA!"
Sie passierten eine weitere Holosäule, auf der ebenfalls in Dauerprogramm Miranda von Hohenfels zu sehen war, allerdings nicht mit derart karikierten Verletzungen, wie sie die Admirälin der Flotten seit dem Anschlag offen zur Schau trug. Physiometrische Messungen von Gesicht, Stimme und Mimik, die nebenbei über das Gesicht liefen, behaupteten mit einer Akuresse von einhundert Prozent, dass diese Frau echt war, und jene Frau, die gerade im Kaiserpalast unterwegs lediglich eine entfernte Cousine namens Marina, verbunden mit der Aufforderung an jeden Matrosen und jeden Offizier, die Hochstaplerin festzunehmen.
Plötzlich änderte sich das Bild. Die Admirälin und der Geheimdienstchef blieben verblüfft stehen, als ein neues Gesicht erschien. Das von Robert dem Fünften. Bisher hatte man nur verkündet, Robert würde leben, und er hätte sein persönliches Lehen unter vollen Einfluss der Familie gestellt. Miranda hatte dies als Prolog des Fluchtversuchs des ehemaligen Kaisers auf den Mond Montillons gesehen und dementsprechend den Zivilverkehr unter stärkere Überwachung gestellt.
"Mein Name ist Robert von Versailles, bis vor kurzem noch bekannt als Robert der Fünfte und Kaiser von Katalaun. Ich erkläre hiermit und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dass die Frau, die sich als Miranda von Hohenfels meinen Rücktritt herbeigepresst hat. Sie war es, die den Auslöser für die Bomben gedrückt hat, die eintausend Demonstranten das Leben gekostet hat. Sie war es, die mir gedroht hat, weitere Bomben zu zünden, wenn ich meine Abdankungserklärung nicht unterschreibe. Sie war es, die ein gescheitertes Attentat auf mein Leben verüben ließ. Damals konnte ich nicht wissen, wie viel Macht sie wirklich in Händen hielt, aber die Tatsache, dass sie mit einem Regiment meiner Elitetruppen in meinem Garten gelandet war, sowie die Drohung weitere Demonstrationen zu sprengen, ließen mich die Sicherheit meines Volkes vor das Amt des Kaisers stellen. Heute aber, am Vorabend der Rückkehr meines Cousins Johann von Beijing ins Kaiserreich, am Vorabend der Herausforderung meiner Nichte Elisabeth vor dem Parlament, das einen neuen Kaiser bestimmen wird, versuche ich Schaden von all meinen Untertanen fern zu halten, nicht nur von jenen in der Hauptstadt Neu-Berlin. Miranda von Hohenfels - die falsche Miranda, die in Wirklichkeit Marina heißt und vierhundertsiebte in der Thronfolge ist - ist Teil eines großen Komplotts das weite Teile unserer Gesellschaft durchzieht, das verantwortlich war für die Entführung von zwei Millionen katalauner Bürger, für den Angriff von vier uns umgebenden Reichen auf unsere Welten und Systeme, für den Ausverkauf unserer Grenzen. Es hat lange gedauert bis ich genügend Beweise beisammen hatte, und diese Suche ist noch lange nicht beendet. Aber dank der Präsidentin von Yura-Maynhaus, Rhyann Klages, und dank der Unterlagen, welche sie mir über republikanische Flottenoperationen auf Welten wie Munich und Dachau zur Verfügung gestellt hat, können wir einen weiten Kreis schließen, einerseits zu den Verschwörern in unseren eigenen Reihen, andererseits bis zu den Verschwörern in der republikanischen Flotte sowie dem Rat des ehemaligen Europa-Pakts. Die Beweise sind noch nicht vollständig, aber sie reichen aus für eine Anklage. In diesem Moment übergibt mein Repräsentant eine Kopie aller Beweise an den Generalstaatsanwalt Hagen Tremelin. Eine formelle Anklage sowie ein Haftbefehl für Marina von Hohenfels und ihre Komplizen ist danach nur noch eine Frage der Zeit. Ich..."
Das Gesicht von Robert verging in Feuer und Rauch, als der Projektor Funken sprühend explodierte.
Mit stark geröteter Miene steckte Miranda von Hohenfels ihre Dienstwaffe wieder weg. "Wir müssen sofort zur Kaiserin!", zischte sie.

Als sie den Arbeitsraum der Kaiserin betrat, schoss sie mit der Sicherheit eines kaiserlichen Mark XIV-Torpedos direkt auf ihren Schreibtisch zu. "Majestät, es ist einfach ungeheuerlich, zu welchen Lügen man sich hinreißen lässt, um mich zu diskreditieren! Wir..." Verwirrt verstummte sie, als ihr bewusst wurde, dass nicht nur diese kleine Zecke Gerrit Rend hinter ihrem Schreibtisch stand. Der zweite Mann war breitschultrig, hochgeschossen und hatte recht dunkle Haut. Seine Gesichtszüge waren männlich, aber durchaus anziehend. "Was machen Sie hier, Anazasi?", fragte sie scharf.
"Meine Pflicht, Admiral. Nur meine Pflicht", erwiderte der Mann jovial. "Mir scheint, Sie haben noch einen Satz zu vollenden, Ma´am."
Von Hohenfels räusperte sich ärgerlich. Der Mann war nur ein kleiner Anheizer, einer aus dem mittleren Management, der die Massen heiß und gefügig machen sollte. Sie wusste nicht, wie so ein Lakai der vierten oder fünften Reihen es geschafft hatte, einerseits durch die Reihen der Palastsicherheit zu kommen und andererseits Gnade vor Gerrit Rends Augen zu finden, um bis zu Elisabeth vorgelassen zu werden, aber das war im Moment reichlich egal. "Majestät, ich ersuche Euch, Robert von Versailles sofort zu enteignen! Wir können es uns nicht leisten, ausgerechnet unseren eigenen Mond als exterritoriales Gebiet hinzunehmen! Wenn Ihr es wünscht kann ich sofort eine Flotte in Marsch setzen, um Versailles zurück zu erobern."
Auf ihre Worte folgte Stille. Erwartungsvoll musterte sie Elisabeth, aber die junge Frau schwieg.
"Majestät?"
"Wir tun gar nichts. Stattdessen warten wir darauf, dass der Haftbefehl für Sie rechtskräftig wird, Marina von Hohenfels."
Die Admirälin erstarrte. "Bitte? Majestät, ich glaube, ich habe Euch nicht richtig verstanden."
"Oh, Sie haben schon richtig gehört, Sie Kopie. Wir warten auf Ihre Verhaftung und bitten anschließend Miranda von Hohenfels, ihren Dienst als Admirälin der Flotten wieder aufzunehmen."
Für einen Augenblick wurde Marina kreidebleich, darauf aber sofort puterrot. Sie schnappte empört nach Luft, wollte antworten, aber dann flackerte Erkenntnis in ihren Augen. "So sieht das also aus."
"So sieht es aus", erwiderte Elisabeth.
Gerrit Rend legte eine Hand an seine Strahlerwaffe. Sie war entsichert und Schussbereit.
Neben Marina wich Lück entsetzt einen halben Schritt zurück.
"Dann brauchen wir uns ja um die Formalitäten keine Gedanken mehr zu machen, Mädchen", sagte sie mit einer Spur Trotz in der Stimme. "In diesem Palast habe noch immer ich das sagen. Auf mich hören noch immer die Flotte, die Polizei, die Armee und die Miliz. Noch immer habe ich hunderttausende Anhänger da draußen, die auf einen Wink von mir die Hauptstadt und diesen Palast stürmen. Ich werde dir jetzt etwas sagen, Mädchen, und du wirst erstens sehr genau zuhören und zweitens exakt das tun, was ich dir sage, wenn das Montillon-System nicht ein einziger Brandherd werden soll. Haben wir uns da verstanden?"
Claymore Anazasi lachte laut auf. "Ich glaube, junge Frau, dass wir das nicht tun werden. Im Gegenteil. Wir werden alle hier in Ruhe abwarten, bis Sie abgeführt werden. Ihre Kontrolle über Polizei, Miliz und Militär ist vielleicht nicht einmal ansatzweise so groß, wie Sie es gerne hätten. Und was die Hunderttausenden angeht, die auf Ihren Befehl die Hauptstadt stürmen sollen, sollten Sie sich fragen, auf wen sie wirklich hören. Auf eine Betrügerin, Hochstaplerin und Massenmörderin, oder auf mich."
"Lück, erschießen Sie den Mann", zischte Marina zwischen zusammengepressten Zähnen.
Anazasi berührte ein Schmuckstück an seinem Kragen, und sein Gesicht verschwamm. Als das Flimmern aufhörte, hatte es sich vollkommen verändert. "Sie können sicherlich den Tod von Claymore Anazasi befehlen, aber sicher nicht den Tod von Anrid Takh, dem Präsidenten von Magno Unlimited. General Lück, würden Sie bitte Frau Marina von Hohenfels vorübergehend festnehmen?"
"Sehr wohl, Mylord Takh", erwiderte der Geheimdienstdirektor und zog seine Dienstwaffe. Auch Rend hatte schon seine Waffe gezogen. Er stellte sich einen halben Schritt vor Elisabeth.
Entsetzt sah Marina in das entschlossene Gesicht von Lück, und dann die eindeutige Gestik von Rend. Das leidlich veränderte Gesicht von Takh sprach Bände. Er war der echte Zampano. War er die ganze Zeit schon als Anazasi unterwegs gewesen, oder gab es mehrere Agenten der Magno-Stahl, die damit herum liefen? Und war dies alles von langer Hand geplant? Marina lächelte dumpf und zerbiss eine winzige Kapsel, die für diesen Zweck in ihr Zahnfleisch implantiert worden war. Dann rieb sie sich mit dem kleinen Finger der rechten Hand die Nase und saugte das feine Pulver ein, das sich bei dieser Prozedur vom Nagel löste. In Verbindung mit der Substanz in ihrem Zahnfleisch entstand so eine gefährliche Mischung, deren Wirkung spektakulär sein würde. "Ich trage eine Totmann-Schaltung", sagte sie so sachlich, als spräche sie über das Wetter. "Schlägt sie an, geht eine Funkmeldung an die Admiralität. Dort arbeiten Männer und Frauen, die besonders mir persönlich vollkommen loyal sind. Sie haben die Anweisung, im Falle meines Todes das Inferno zu entfesseln." Sie lächelte böse. "Takh, Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Schiffe ich wirklich beherrsche, wie groß meine Macht wirklich ist."
"Da wir nicht vorhaben, Sie zu töten, Marina, ist der Punkt nichts wert", erwiderte der Industrielle fest.
"Sie vielleicht nicht", erwiderte von Hohenfels. Eine Sekunde später fiel sie wie ein nasser Sack zu Boden. Einen Bruchteil darauf setzte ihr Herz aus, und die Totmannschaltung wurde aktiviert.
"STÖRFUNK!", rief Rend und stürzte zum nächsten Kommunikator. "ERRICHTET SOFORT STÖRFUNK!"
"Interessant", murmelte Takh und runzelte die Stirn. "Sie hat sich selbst getötet. Damit habe ich nicht gerechnet."
"Damit hat wohl keiner gerechnet. Und was nun, Anrid?", fragte Elisabeth mit beißender Schärfe in der Stimme.
"Nun werden wir erleben, wie groß ihre Macht mittlerweile geworden ist." Unwillkürlich ging sein Blick an die Decke.
***
Die Totmannschaltung erfüllte ihren Zweck, und irgendwo in der Admiralität begann ein einziger Offizier eine bestimmte Zeichenfolge ins System einzugeben, während zwanzig andere Soldaten und Offiziere versuchten, so viel Aufmerksamkeit wie irgend möglich zu bekommen, um von diesem einen abzulenken.
Die Zahlenkette löste eine Flut lange vorbereiteter Befehle aus, die über Neu-Berlins größten Sender gingen und sich im gesamten System verteilten. Letztendlich waren es nur dreiundvierzig Schiffe aller Klassen, die daraufhin ihre Positionen änderten, dies in den meisten Fällen nur durch die Macht, die der Kapitän oder das Gros der Offiziere hatte. Aber der Totalausfall der Sendeanlagen einige Momente später würde für das perfekte Chaos sorgen, sowie für mehr als eine Gelegenheit, um der Hauptwelt Katalauns zu schaden. Es begann mit der Bombardierung der Versailles-Residenz durch drei Zerstörer.
Ohne direkte Befehle durch die Admiralität gerieten die Kapitäne der übrigen Schiffe ebenso in Verwirrung wie die Befehlszentralen von Raumabwehr und Miliz. Die einzige vorbereitete Gruppe war die 1. Versailles, die auf das Bombardement mit Antischiffsraketen antwortete. Jeder Treffer, der in die Schilde der Residenz versenkt wurde, bekam eine knallharte Antwort.
Auf dem Admiral Angward- Gedächtnisraumhafen ließ ein Fregattenkapitän sein Schiff ohne Befehl durchstarten. Der Hafenkommandeur hätte beinahe das Feuer eröffnet, bevor offensichtlich wurde, dass sich das Schiff, die Fregatte HANNIBAL, in den Kurs von zwei Leichten Kreuzern stellte, die ohne Befehl und ohne Funkanrufe zu erwidern Kurs auf Neu-Berlin und speziell den Kaiserpalast genommen hatten. Doch selbst jetzt war nicht sicher, auf wessen Seite die HANNIBAL und ihr Skipper wirklich waren. Das Chaos war komplett. Als schließlich Armeeeinheiten und Miliztruppen ihre Kasernen verließen, nahm es eine vollkommen neue Dimension an. Es war abzusehen, dass bald jeder auf jeden schießen würde, und man hinterher sortieren würde, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gezählt hatte.
Niemand hätte in dieser Zeit auf den Direktor der Magno Unlimited geachtet, der stumm einen Countdown herab zählte. Als dieser Null erreichte, lächelte er.

Acht Lichtstunden von Sanssouci entfernt sprang eine Flotte in das System. Das war eigentlich nichts ungewöhnliches, wäre die Kennung nicht bekannt und gefürchtet in diesem Teil der Galaxis. Sekunden darauf ließ der stärkste Schiffssender des bekannten Universums beinahe die Empfänger durchschmoren, als der Funkruf sämtliche Frequenzen überlagerte.
"Hier spricht Admiral Marama Papeete von der 1. Terranischen Außenflotte! Dies ist eine offizielle terranische Intervention! Ich wiederhole, dies ist eine offizielle terranische Intervention! Aus Gründen des Selbstschutz für das katalaunische Kaiserreich wird hiermit allen Truppen und allen Schiffen untersagt, die eigenen Waffen zu benutzen! Schutzschirme und Positionen der Schiffe sind von diesem Befehl nicht betroffen! Alle katalaunischen Einheiten bleiben ab sofort an ihren Positionen oder suchen sich einen festen Orbit, den sie binnen der nächsten zehn Minuten erreichen können! Achtung, ich weise darauf hin, dass wir exakte Aufzeichnungen von den Vorgängen im System machen. Die neunzehn Schiffe mit katalaunischer Kennung, die in diesem Moment Waffengewalt benutzen, werden von unseren Kommandos aufgebracht, geentert und interniert werden, bis die Untersuchung abgeschlossen sind! Alle Schiffe, die ab jetzt Waffengewalt nutzen, werden ebenfalls geentert und interniert. Alle Schiffe, die ich gegen die Internierung widersetzen, werden als feindlich deklariert und abgeschossen! Die Hauptstadt und der Kaiserpalast sind sofort zu räumen. Terranische Elite-Truppen werden die Kontrolle und Sicherung übernehmen, sobald wir den Orbit von Sanssouci erreicht haben, bis die Untersuchung beendet ist! Ihre derzeitige provisorische Majestät, Elisabeth Roxane von Versailles, steht ab sofort unter unserem Schutz! Zu diesem Zweck rückt in diesem Moment eine Elite-Einheit aus der terranischen Botschaft aus, um die Kontrolle über den Palast zu übernehmen! Zuwiderhandlungen werden als Versuch gewertet, Katalaun oder der Kaiserin zu schaden und dementsprechend geahndet!"
Den Worten des Admirals folgten achtunddreißig Schiffe der Marauder-Klasse, die exklusiv den Terranern zur Verfügung stand und nie nach außen verkauft wurde. Ein Marauder war am ehesten mit einem Schweren Kreuzer gleich zu setzen, seine sechs Beiboote entsprachen jedoch der Stärke einer Fregatte, was diese Schiffe äußerst erfolgreich, unanfechtbar und jedem vergleichbaren Schiffstyp überlegen machte. Achtunddreißig, sprich die 1. Außenflotte, hatte genügend Schlagkraft, um es mit allen katalaunischen Schiffen im System aufzunehmen. Und Terraner waren dafür bekannt, dass sie eher selten drohten und lieber Taten sprechen ließen. Zwanzig Einheiten hielten auf Sanssouci zu, während sich die restlichen Schiffe in drei kleinere Verbände aufteilten, die ihre Beiboote ausschleusten und andere wichtige neuralgische Punkte des Systems als Ziel anflogen. Man konnte über die Terraner und ihre Hybris, galaktische Polizei spielen zu wollen, sagen was man wollte, gründlich waren sie auf jeden Fall.
***
"Sie haben mir eine Überraschung versprochen, Anrid Takh", stellte Elisabeth fest. "Es scheint, sie ist eingetreten. Und prompt steht das Herz des Kaiserreich unter der Kontrolle der Terraner!"
Dieser Vorwurf ließ Takh die Stirn runzeln. "Die Terraner sind nicht wegen dieser kleinen Revolte von Marina hier. Sie wurden gerufen, weil katalaunische Bürger in ihrer Religionsfreiheit behindert werden und wurden. Ihr Cousin Han kann der galaktischen Öffentlichkeit viel erzählen über die Menschen, die nach Hephaistos deportiert wurden, doch der Vorwurf der religiösen Diskriminierung bleibt bestehen. Ebenso die Diskriminierung von religiös orientierten Studenten bis hin zu Mord."
Takh machte eine Verlegenheitsgeste. "Ihr müsst verstehen, Majestät, das ich nicht hier bin um das Reich zu retten. Ich bin, wie Ihr Geheimdienst es so treffend formuliert hat, als Anheizer unterwegs gewesen, um die Menschen auf die bevorstehende religiöse Revolution vorzubereiten. Dabei habe ich sie kennen gelernt, diese Menschen. Ich kenne sie, und ich schätze sie. Und ich kann nicht verstehen warum Kaiser Robert diesen Menschen so viel genommen hat und anderen wie den Somona-Piraten oder den Javaren so viel gibt. Wir waren unter Frederec und seinen unfähigen Kanzler Wilbur eine Zwei Klassen-Gesellschaft, und unter Robert waren wir auf dem besten Wege, wieder eine zu werden. Haben Sie eine Ahnung, wie nahe wir eigentlich einem wilden Aufstand waren, der auf jeden Fall erfolgt wäre, egal welche Pläne Marina von Hohenfels und ihre Hintermänner verfolgt haben? Ich weiß es, aber ich war ja auch direkt an der Front." Er sah zu Rend herüber. "Ebenso wie Hauptmann Rend."
Ein kurzer Funken der Überraschung schoss durch die Augen Gerrits, dann hatte er sich wieder gefangen. Es hatte nicht für immer geheim bleiben können, dass er tatsächlich der Spionageabwehrabteilung des Inlandgeheimdienstes angehörte. Dementsprechend wertlos war diese Spitze gewesen.
"Ich weiß auf jeden Fall Ihre Hilfe im Fall Marina von Hohenfels zu schätzen", sagte Elisabeth in Takhs Richtung. Dann wandte sie sich General Lück zu. "Und Ihrer Entschlossenheit, einen unrechtmäßigen Befehl zu verweigern, General."
Der alte Mann nickte knapp als Antwort.
Sie wandte sich wieder dem Industriellen zu. "Also, Anrid Takh, welches Spiel spielen Sie? Und was könnte mich glauben lassen, dass Sie nicht der Hintermann sind, der hinter Marina steht?" Sie deutete nebenbei auf den Teppich. "Und erklären Sie mir dann auch gleich das."
Lück hatte sich bei den Worten gegen den Direktor von Magno Unlimited lautstark geräuspert, beließ es jedoch dabei.
"Das da?" Abfällig sah Takh auf den reglosen Leib der falschen Admirälin. "Sie ist nützlich für mich und und für die Menschen. Zumindest war sie es, solange sie sich an den Plan gehalten hat. Wir hatten nie vor, Robert mit einer Erpressung vom Thron zu jagen, geschweige denn treue katalaunische Bürger deportieren zu lassen, um sie als Sklaven für eine fremde Kriegsindustrie schuften zu lassen. Ich kann Euch auch leider nicht sagen, wie groß die Gruppierung ist, die ihr auf diesem Weg gefolgt ist. Aber ich bin sicher, Leute wie Mannth, Rütli und Lück werden mit Hilfe der Hinweise und Namen, die ich recherchiert habe, den gesamten Sponsorenring dieser Aktion auffliegen lassen. Was sie selbst angeht, so dürfte sie in acht bis zehn Stunden aus der Totenstarre wieder erwachen. Sie ist nicht für einen Cent mutig genug, um den Freitod zu wählen. Eher geht sie in einen Scheintod und rechnet sich die Zeit aus, bis der Palast in der Hand ihrer Leute ist und sie sicher wieder erwachen kann."
Lück legte eine Hand auf seine Dienstwaffe. "Erschießen? Lebend kann sie uns viel schaden."
"Sie hat Namen, General. Namen, die ich hören will", sagte Elisabeth fest.
Lück sah von ihr zu Takh, der zustimmend nickte. "Sehr wohl, Majestät. Ich werde sie in den Sanitätsbereich des Palastes bringen lassen." Er deutete eine Verbeugung an und ging in den Vorraum.
Elisabeth schnaubte halb amüsiert und halb entsetzt. "Sie haben Lück in der Tasche?"
Das Lächeln verschwand von Takhs Gesicht. "Ihn, ein paar Offiziere, einen Großteil des Netzwerks der Kreubrüder und anderer religiöser Fraktionen. Fragen Sie nicht wie viele es sind. Es würde Euch entsetzen, Majestät. Dazu kommen die terranischen Einheiten, die sich jeder Kontrolle entziehen, sobald man sie einmal gerufen hat. Sie werden so lange bleiben bis sie glauben, dass die religiöse Diskriminierung beendet ist. Sie haben eine Flotte Marauder, und sie werden sie benutzen, wenn es sein muss."
"Was schlagen Sie also vor, Herr Direktor?", fragte Rend gefährlich leise.
"Wie ich schon sagte, wir standen kurz davor einen Teil der Bevölkerung zu Menschen zweiter Klasse zu machen. Seht, Majestät, Hauptmann Rend, ich bin ein Mann, der, ah, oberen Zehntausend. Ich bin reich, berühmt, haben großen Einfluss und große macht. Aber was nützt mir all das, wenn ich es nicht benutze? Wenn ich nicht Themen vertrete, die mir am Herzen liegen? Wenn ich nicht für Menschen versuche, die Dinge besser zu machen? Majestät, ich vertrete all jene da draußen, die ein Stirnmal tragen, ein Kruzifix, die mit bedecktem Haupt in ihre Synagoge gehen, die sich zum Gebet auf einen Teppich knien oder eine Gebetsmühle drehen. Natürlich vertrete ich auch eine beträchtliche Wirtschaftskraft, die sich in meiner Hand vereinigt, aber die ist nur ein Mittel für mich. Die Menschen und ihr Glück sind mein Ziel." Seine Augen wurden für einen kurzen Augenblick schmal. "Dafür zu kämpfen habe ich mir geschworen. Notfalls mit allen Mitteln."
"Ich verstehe", erwiderte Elisabeth trocken. "Aber ich nehme an, es muss weder zur Bildung zweier Klassen von Menschen kommen, noch zu diesem Kampf, den Sie vorhaben, Anrid Takh. Welche Lösung bieten Sie mir an?"
Takhs Gesicht hellte sich merklich auf. "Durch unsere Gesellschaft geht ein Riss. Es ist an der Zeit, in ein für allemal zu kitten. Versteht bitte, Hoheit, mir liegt nichts daran, über Alienvölker herzufallen um sie zu massakrieren, zu diskriminieren oder zu konvertieren. Für mich sind dies tatsächliche oder zukünftige Handelspartner. Ich will nur für die Menschen einstehen, die auf mich hören und die mir ihre Sorgen zur Aufgabe gemacht haben. Zugleich weiß ich aber, dass wir die andere Hälfte der Gesellschaft nicht vernachlässigen dürfen. Im Gegenteil. Wir müssen beide losen Enden verbinden. Jetzt, bevor ein Schaden entsteht, den wir nicht wieder gut machen können, bevor Katalaun geteilt oder zerbrochen wird wie einst die Diadochen."
Ein wenig nachdrücklicher sagte Elisabeth: "Was schlagen Sie also vor, Herr Takh?"
Wieder huschte ein kurzes Lächeln über seine Züge. "Tanto monta, monta tanto."
Elisabeth lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sah den Industriellen aus zusammen gekniffenen Augen zusammen. "Ist es Hybris? Wahnsinn? Oder sehen Sie wirklich einen Nutzen darin, mich zu heiraten?"
"Was?", stieß Rend hervor und legte einen Arm beschützend vor die Brust Elises.
"Tanto monta, monta tanto war das Motto von Ferdinand dem Zweiten und Isabella der Ersten. Beiden gehörten Besitztümer im zerrissenen Spanien, einer Halbinsel auf dem terranischen Kontinent Europa. Die Menschen und die Adligen in diesen Teilstaaten hätten niemals akzeptiert, unter einem fremden Herrscher zu leben, darum heirateten die zwei und herrschten gleichberechtigt. Aus ihrer Verbindung aber entstanden Kinder, die nach mehreren Umwegen tatsächlich ein geeintes und stabiles Spanien erbten." Ihre Augen wurden zu Schlitzen. "Sie wollen Kinder mit mir, Herr Takh?"
"Ich schätze, eine politische Hochzeit könnte Katalaun endlich Ruhe und Frieden bringen. Die Kluft schließen. Die ganze Macht des Landes endlich wieder vereinen. Und ein Spross oder gar mehrere könnten diese Einigung permanent machen." Der Blick Takhs ging zu Rend herüber. "Sie haben doch Erfahrungen mit dem Invitro-Verfahren, nicht wahr, Gerrit?"
Elisabeth räusperte sich vernehmlich. "Ein Tag Bedenkzeit. Und lassen Sie endlich das da wegräumen", sagte sie.
"Wenn sich Majestät zu einer Hochzeit entscheiden würde, und ich bin sicher, dass Ihr das tun werdet, zum Wohle aller Untertanen des Zedernholzthrons, dann sollten wir nicht mehr allzu lange zögern. Die Menschen brauchen ein Zeichen dafür, dass Veränderungen auch tatsächlich stattfinden. Admiral Papeete braucht Zeichen dafür, dass Veränderungen tatsächlich stattfinden. Ich erwarte Eure Antwort heute Abend, Majestät. Danach könnten wir die Unterzeichnung des Ehevertrags formell morgen in Angriff nehmen."
Rend keuchte böse auf.
"In drei Tagen", erwiderte Elisabeth ernst. "Es mag keine Hochzeit sein, die ohnehin in so kurzer Zeit nicht zu organisieren wäre, aber eine solche Zeremonie könnte mir für meine Prüfung durch das Parlament den nötigen Rückhalt geben, um tatsächlich den Thron zugesprochen zu bekommen."
"Nicht, dass irgendjemand jemals daran gezweifelt hätte", erwiderte Takh lächelnd. "Ich bin einverstanden. War dies übrigens ein ja, oder soll ich heute Abend wieder kommen?"
Elisabeth nickte schwer. "Es war ein Ja. Ich nehme Ihren Antrag an, Anrid Takh."
Neben ihr stieß Gerrit einen Laut des Unglaubens aus.
"Ich sehe, Euer ganzes Volk liegt Euch am Herzen, Majestät. Ich werde morgen wiederkommen, um wichtige Details zu besprechen. Bis dahin aber werde ich einerseits dafür sorgen, dass jemand Admiral von Hohenfels eine Transportmöglichkeit zurück nach Neu-Berlin verschafft, um Admiral Papeete zu empfangen." Er ging auf die wie tot liegende von Hohenfels zu, ergriff ein Bein und zog sie hinter sich her. Die Dienstmütze blieb auf dem Boden liegen, der Dienstrock ihrer Uniform verschob sich ein Stück nach oben, aber Takh achtete nicht darauf. Er wandte sich noch einmal um und lächelte Elisabeth an. "Auf bald, meine Verlobte."
Elisabeth nickte ihm stumm zu. Dann hatte Takh das Büro verlassen.

"Bist du verrückt geworden?", blaffte Rend. "Dieses Schwein steckt doch bis zum Hals in Marinas Machenschaften mit drin! Er ist wahrscheinlich der Anführer dieses verdammten Komplotts! Noch schlimmer, wir wissen nicht, wie viele Leute es im Palast gibt, die tatsächlich auf ihn hören! Bei den Dienern würde ich mich auf nahezu alle verlassen, aber bei den Wachen bestimmt nicht! Gerade jetzt nicht mehr, wo sich herausgestellt hat, dass Lück auf ihn hört, und... Wo war ich gleich noch mal? Er ist ein Arsch, und er hat Dreck am Stecken! Du wirst ihn doch nicht wirklich heiraten? Elise!"
"Was bleibt mir anderes übrig?", fauchte sie. "Mit Lück hat er eindrucksvoll bewiesen, dass sein Einfluss größer ist als das, was Marina uns als falsche Miranda präsentiert hat! Er hat die Terraner gerufen, Gerrit! Die verdammten Terraner! Nicht einmal Han kommt mit seiner HERCULES gegen achtunddreißig Marauder an!" Elisabeth stützte ihre Stirn auf der Rechten ab und schnaubte frustriert. "Ich weiß selbst, dass er tief drin steckt. Ich weiß selbst was passiert, wenn ich ihn geheiratet habe. Er wird mich dazu bringen, ihn zu meinem Regenten zu ernennen, und dann hat Magno die Macht in Katalaun, aber nicht die Versailles. Sein Hinweis auf dich, mein Erster Ritter, soll mir die Sache wohl insoweit schmackhaft machen, als das er nicht vorhat mich anzutatschen."
"Macht es das besser?", knurrte Rend. "Außerdem glaube ich nicht, dass er der Gelegenheit wird widerstehen können, sobald ihr zwei erst einmal rechtskräftig verheiratet seid, Invitro-Geburten hin, Invitro-Geburten her."
"Uns sind die Hände gebunden, Gerrit. Ich dachte, Rütli hätte uns mit weiteren Verbündeten ausgestattet, uns den Gegenputsch erleichtert. Aber heute weiß ich weniger denn je, wem wir trauen können. Sicher bin ich mir nur bei dir, mein Erster Ritter", sagte sie leise und legte eine Hand auf seinen Unterarm.
Rend schluckte hart. "Danke", hauchte er. "Trotzdem müssen wir etwas tun."
"Du meinst, zum Beispiel deine Familie in Sicherheit bringen lassen, bevor er auf die Idee kommt, sie entführen zu lassen und als Druckmittel zu benutzen?" Sie bemerkte Rends Erstaunen. "Was denn? Denkst du wirklich, ich habe auch nur eine Sekunde sein Geschwafel vom Riss in der Gesellschaft und seinem Desinteresse an der Unterwerfung von Aliens geglaubt? Seine erste Handlung als mein Regent wird wahrscheinlich sein, den Javaren und anderen nichtmenschlichen Völkern in unserem Staatsgebiet einen Teil ihrer Rechte abzuerkennen. Wir..."
Elisabeth stockte und wurde bleich. "Wir sollten dringend mit Rütli und Mannth sprechen."
"Elise?" "Sein Hinweis auf die Uterusreplikatoren war mehr als das Versprechen, mich nicht anzutatschen. Er hat mir sehr deutlich gesagt, dass er mich eigentlich gar nicht braucht. Nur meine Ova, meine lebensfähigen Eizellen."
Rend erstarrte. "Er heiratet dich, du fällst einem Attentat zum Opfer. Derweil wurde aber schon der nächste Kaiser von Katalaun im Invitro-Verfahren angesetzt. Er trauert offiziell um dich und führt für sein ungeborenes Kind und später für den unmündigen Kaiser die Amtsgeschäfte. Normalerweise würde das Parlament nach deinem Tod einen neuen Kaiser bestimmen, aber es gibt ja den Regenten und ein Kind von deinem Blut. Ein Plan, der funktioniert, vor allem wenn der reiche Idiot sein Vermögen und seinen Einfluss benutzt."
"Ein teuflischer Plan", hauchte sie. "Und während ich um mein Leben fürchten muss kann er tun und lassen was er will. Die Frage ist nicht mehr ob er mich töten lässt, nur noch das wann entscheidet."
Ein unwillkommener Gedanke ging durch Rends Gedanken, der an eine Elisabeth, die Anrid Takh im luftigen Negligé um Sex anbettelte, nur um ihm einen Grund zu liefern, sie am Leben zu lassen. So angenehm der Gedanke an Elise in einem Hauch von Nichts auch war, so widerwärtig erschien ihm der Plan dahinter. "Und das war sicher nicht einmal der Anfang", sagte er wütend. "Den Krieg mit Jemfeld wird er auch am laufen halten. Wir können uns nicht zurück ziehen. Wir müssen eine starke Position wahren. Wir wurden angegriffen. Wir müssen eine angemessene Vergeltung üben, wenn wir an dieser Grenze Ruhe haben wollen."
"Und einfach den Thron wieder an Robert geben wird nicht funktionieren. Einerseits weil er in der Versailles-Residenz traurigerweise sicherer ist als hier unten in seinem eigenen Palast, und andererseits weil er mit einem Kaiser Robert nur wieder neue Vorwände erfinden muss, um ihm das Leben schwer zu machen. Falls er es überhaupt bis in den Palast schafft, geschweige denn auf den Thron." Missmutig ließ sie ihren Kopf auf die Tischplatte sinken. "Verdammter Mist. Ich fühle mich gerade als würde ich siebzehn Partien Schach zugleich spielen und auf allen Brettern verlieren."
"Charly wird nicht glücklich sein, wenn er von dieser Verlobung hört, das kommt auch noch dazu."
"Danke, dass du mich an diesen äußerst angenehmen Umstand erinnerst", erwiderte Elisabeth trocken. "Wenn etwas schief geht, muss gleich immer alles schief gehen, oder? Jetzt kann nicht einmal mehr Han zurückkommen, weil die Terraner das System blockieren."
"Noch so ein Punkt! Die Terrys sind so stolz auf ihr Gerechtigkeitsempfinden, und nun helfen sie der falschen Seite." Wütend ballte Rend die Hände zu Fäusten.
"Oh, nach dem Empfinden von Anrid Takh helfen sie der richtigen", klang es zynisch von der Tischplatte auf. "Und ich bezweifle, dass Admiral Papeete sich so ohne weiteres dazu beschwichtigen lässt, das Montillon-System wieder zu verlassen, weil wir die Situation schön reden."
Rend legte beide Hände auf die Schultern der designierten Kaiserin. Langsam, bedächtig und mit wenig Kraft begann er sie zu massieren. "Okay, hier ist der Plan. Du heiratest den Mistkerl, kehrst aber nicht in den Palast zurück. Die Situation hat sich nicht nur für ihn geändert, sondern auch für mich. Ohne die falsche Miranda und mit der echten wieder in der Admiralität habe ich plötzlich wieder viel mehr Kontakte, die ich nutzen kann. Außerdem bin ich mir sehr, sehr sicher, dass entweder Mannth oder Rütli uns unterstützen werden."
"Und was dann? Was geschieht, wenn ich nicht in den Palast zurückkehre?"
"Du wirst nach B-King fliehen, und dort werde ich dich an Charly weiter geben. Du kannst hier ohnehin nichts mehr tun, außer dich missbrauchen zu lassen. Den Rest werde ich mit Rütli in die Wege leiten. Mannth hingegen traue ich nicht so recht."
Elisabeth lachte leise. "Gerrit, Eavy Mannth ist meine Tante. Eine Versailles. Wenn, dann traue ich eher ihr als Rütli."
Rend stockte in seinem Kampf gegen Elises verkrampfte Schultermuskulatur. "Na, das nenne ich mal eine Offenbarung. Dein Glück, dass ich den Raum erfolgreich auf Wanzen geprüft habe."
"Ja, was für ein Glück. Wir brauchen die beiden trotzdem. Wir müssen Abwehrmaßnahmen entwickeln. Wer weiß was Takh vorbereitet hat, um Admiral Papeete von der religiösen Diskriminierung der Bevölkerung zu überzeugen." Ihre Stimme nahm einen schalkhaften Ton an. "Denn ich mag ja nicht viel tun können, ich armes schwaches Mädchen, aber ich kann ja zumindest zuhören."
Sie stieß einen kleinen Schmerzenslaut aus, als Rend etwas härter zupackte. "Untersteht Euch, mir meine eigenen Worte im Mund umzudrehen und gegen mich zu verwenden, Majestät."
"Gut, gut, versprochen. Aber nur wenn du noch fünf Minuten weiter massierst."
"Einverstanden", brummte Gerrit und packte erneut etwas fester zu.
"Sanfter", begehrte sie auf. "Sonst petze ich bei Charly."
"Um Himmels Willen. Ich wette er hat mich ohnehin schon auf dem Kieker", erwiderte Rend in gespielter Panik. "So besser, Majestät?"
"Viel besser, mein Erster Ritter. Du wirst mal für jemanden einen guten Ehemann abgeben."
"Nicht, wenn ich es verhindern kann", orakelte Rend und erntete dafür ein leises Kichern seiner Kaiserin. Doch seine Miene blieb ernst. Dass das Netzwerk der religiös motivierten Rebellen größer war als sie je erkannt hatten, war ihm und Rütli und auch Robert klar geworden. Nun gegen sie eingesetzt musste es aufgedeckt und zerschlagen werden. Er würde sich dieser Aufgabe widmen, nachdem er Elise in Charles´ sicherer Obhut zurückgelassen hatte. Takh hatte die zweite Runde eingeläutet, die wahren Protagonisten hatten sich in den Ring begeben. Und er würde erfahren müssen, dass ein offener Schlagabtausch mit Hauptmann Rend sehr schmerzhaft sein konnte. Verdammt schmerzhaft.
Wieder quiekte Elise auf. "Gerrit!"
"Ups, tut mir Leid. Besser so?"
"Besser so. Aber du entfernst dich immer mehr von der Ernennung zum kaiserlichen Masseur, junger Mann", beschwerte sie sich.
"Ich bin untröstlich."
"Du lügst ohne rot zu werden, Gerrit."
"Du kannst mich doch gar nicht sehen."
"Du lügst trotzdem ohne rot zu werden."
"Ein Punkt für dich, Elise", erwiderte Rend amüsiert. Elisabeth war mehr als seine Schutzbefohlene, mehr als die Freundin, die er in ihr sah. Sie war Familie. Und er würde sie beschützen, so gut er konnte. Das hatte er sich schon lange selbst geschworen.
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"...in meiner Amtszeit als Regent meiner zukünftigen Frau werde ich verschiedene Reformen anstoßen. Es ist zwingend notwendig, die beginnende Kluft in unserer Gesellschaft nicht größer werden zu lassen, ja, zu schließen. Wenn es uns jetzt nicht gelingt, dann befürchte ich ein Schisma, das Katalaun auf ewig zu den zweiten Diadochen werden lässt. Wir können nicht einerseits die Religion verdammen, wie es Robert der Fünfte getan hat und andererseits Säkularismus von der Flotte und der Politik fordern, wenn doch genau diese Religiösität tief in uns und unserer Gesellschaft verwurzelt ist. Religion darf die Politik nicht dominieren, aber Politik muss sie respektieren.
Ich habe in meiner Eigenschaft als Direktor des Magno-Konzerns vieles erlebt, vieles erfahren. Dadurch, dass die Firmengeschichte in Verbindung mit einem Bürgerkrieg steht, waren mir seit jeher gewisse Türen verschlossen, während sich andere nur zu leicht öffnen ließen. Ich habe an der Spitze meines Konzerns eine besondere Welt kennen gelernt, und die Menschen die in ihr leben.
In meiner Identität als Claymore Anazasi jedoch, undercover für die religiöse Basis lernte ich das Volk kennen. Ihre Ängste, ihre Sorgen, ihre Nöte. Ihre Wünsche, ihre Hoffnungen und ihre Sehnsüchte. Ich kenne die Menschen, vom gewaltbereiten Radikalen bis hin zum still leidenden Hilfsarbeiter.
In meiner Hand versammelt sich das Wissen um beide Bevölkerungsschichten, und um etliche Minderheiten dazu. Ich kenne die Menschen, ich kenne Katalaun. Und ich sehe den historischen Auftrag, der an Elisabeth vom Volk gestellt wird, sie wieder zu einem Volk, zu einem Katalaun zu machen. Gewiss, nicht alle Schritte auf diesem Weg werden populär sein. Manche werden hart wirken, vielleicht sogar grausam. Aber um das große ganze zu retten, um uns alle zu retten, werden wir ein paar Kröten schlucken müssen, um nicht selbst verschluckt zu werden. Da kommen wir einfach nicht drum herum. Mein Job wird es sein, dafür zu sorgen, dass wir immer die kleinsten Kröten bekommen.Ich weiß, manche werden nun sagen, ich als Vertreter von Magna bin keine gute Wahl als Regent, weil die alte Rivalität zwischen uns und den Versailles augenscheinlich ist. Aber ich frage sie alle: Was bringt uns diese Rivalität? Wohin soll sie führen? Soll sie eine zweite, eine dritte, eine vierte Spaltung unserer Gesellschaft herbei führen? Soll sie die Besten der Besten auf ewig voneinander trennen, sie gegeneinander antreten lassen, wo sie doch gemeinsam dem Volk soviel besser dienen könnten? Mit unserer Hochzeit werden nicht nur zwei Menschen vereint, wir beenden auch unseren eigenen Streit, den zwischen dem Mega-Konzern und der Familie Versailles. Wir überspringen unsere ganz eigene Kluft und schließen sie für immer. Dies soll zum Vorbild werden für uns alle, für ganz Katalaun. Wir müssen nicht gespaltet sein, wir müssen uns nicht separieren, aufteilen, unterscheiden. Wir können, wenn jeder ein klein wenig von sich her gibt, ein geeintes Volk, ein geeintes Reich, ein geeintes Land sein. Wir können gemeinsam stehen, gegen die Unbilden der Zukunft stehen, die uns heute wie morgen hart ins Gesicht wehen. Unsere Solidarität, unsere Gemeinschaft wird die Mauer sein, die diesen Wind blockiert, zurückwirft, und das beschützt, was wir zusammen geschaffen haben und zusammen erschaffen werden.

Jeder Mensch hat eine Stimme. Viele dieser Stimmen habe ich gehört, und noch viel mehr will ich hören. Ich werde für mehr Demokratie stehen, die Rechte der Parlamente stärken, mit gutem Beispiel voran gehen. Bisher hat der Kaiser oder sein Regent seine Minister selbst ausgesucht. Ich will mich auf die Empfehlungen eines parlamentarischen Ausschuss verlassen, auf den gleichen Ausschuss, der auch einen neuen Kaiser gewählt hätte. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen sich aktiv an der Politik beteiligen, Flagge zeigen und nicht nur reden sondern auch Taten folgen lassen. Auf kleinster Ebene beginnt unsere Demokratie, und dort müssen wir sie auch verteidigen. Vom Ortsrat bis zum Parlament der Kaiserin müssen wir jeden Tag aufs Neue für sie streiten, und je mehr dies tun, desto sicherer wird sie werden. Ich würde mich heute eher als morgen darüber freuen, auch einmal Politiker aus einfacheren Verhältnissen im Parlament begrüßen zu können, mit ihnen arbeiten zu dürfen, mit jenen die direkt am Puls des Volkes stehen die Zukunft zu gestalten.
Aber wir dürfen dabei nicht jene vergessen, die hart für unser aller Sicherheit gekämpft haben, die ihr Leben riskierten und oft genug verloren. Unsere Helden aus Armee und Miliz, unsere Jungen und Mädchen auf den Schiffen der Flotte, die wieder und wieder Katalaun verteidigt haben, oft zum Preis der eigenen Gesundheit und gar des eigenen Lebens, dürfen nicht vergessen sein. Weder ihre Namen, noch ihre Taten. Neben einer Veteranenstiftung für die Versehrten des Yura-Maynhaus-Krieges muss es ein Museum geben, das die Taten und den Heldenmut von Männern wie Johann Arling im richtigen Rahmen würdigt. Männer und Frauen wie er, Soldaten wie er, sind das Vorbild für ganze Generationen tapferer junger Menschen, die den Weg gehen, den er geht, nämlich die Verteidigung unseres gemeinschaftlichen Heimatlandes, die Verteidigung unserer geeinten, zusammen stehenden Bevölkerung. Und wir müssen ihn belohnen, diesen Heldenmut. Viele Orden, Beförderungen, Belobigungen und parlamentarische Auszeichnungen werden dem Ende des Krieges mit Yura-Maynhaus folgen, doch stellvertretend für alle diese tapferen Soldaten will ich eine zuallererst aussprechen: Die Ernennung von Johann Arling zum Volladmiral und die Versetzung zur Übernahme des Regionalflottenhauptquartiers Yura-Maynhaus und die defacto-Kontrolle der 1., 3., 5., 7., und 12. Flotte.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Mögen Sie alle diesen Frieden so genießen wie wir es verdient haben. Möge Gott uns alle schützen."
Das Bild von Anrid Takh verblasste, und machte einem Sprecherduo Platz. Jolena Torm und Adriano Grando waren keine Reporter vom Kaliber einer Carrie Rodriguez, aber in der Prime Time der Hauptstadtsender eine unbestreitbare Größe.
"Dies war die offizielle Ansprache des zukünftigen Regenten ihrer Majestät, Elisabeth der zweiten", sagte Torm und lächelte zu ihrem Kollegen herüber. "Worte, die Hoffnung machen, nicht, Adriano?"
"Hoffnung auf ein Ende der Unsicherheiten. Wir erinnern uns alle an die vielen Demonstrationen, die Neu-Berlin in Atem hielten und Robert den fünften zur Abdankung zwangen. Es scheint so, dass niemand ihn wieder auf seinem Thron sehen will, wohl aber Elisabeth. Ihre Umfragewerte sind berauschend hoch, und seit Bekanntgabe der Verlobung mit Anrid Takh haben sie noch einmal zugelegt. Andere Aspiranten auf den Thron haben im Angesicht dieses Rückhalts ihre Ansprüche auf den Thron zurückgestellt."
"Ja, das stimmt natürlich. Selten hat ein Kaiser oder eine Kaiserin so viel Vertrauen, so viel Rückhalt genossen. Und dazu brauchte es nicht einmal die Unterstützung der Terraner. Zum Glück waren sie da, als die verrückte Marina von Hohenfels ihre Mörderschiffe auf uns los ließ."
"Da hast du Recht, Jolena. Ohne die terranischen Marauder hätte es zehntausende, ja, hunderttausende Opfer geben können. Wir haben allerdings berechtigten Grund zu hoffen, dass solche Bilder, solche Szenen, solche Erlebnisse ein für allemal der Vergangenheit angehören, sobald die Vereinigung der Versailles mit dem Magno-Konzern endlich vollzogen ist. Wenn dann zusammenwächst was zusammen gehört, wird ganz Katalaun diesem Beispiel folgen."
"Und wir wünschen uns dafür die Unterstützung aller, Jolena. Regent Takh hat es deutlich gesagt, er wünscht sich mehr einfache Leute in der Politik."
"Und er hat den Heldenmut eines Johann Arling gelobt, der über zwei Millionen Katalauner im Angesicht einer Übermacht von einem fremden Planeten gerettet hat. Ein eindeutiger Beweis dafür, wie richtig die Entscheidung des Regenten war, ihm die gesamte Yura-Maynhaus-Front anzuvertrauen. Eine sehr gute Wahl für einen sehr guten Offizier, Adriano."
"Ha, ha. Das ist wahr. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass er dort besser aufgehoben ist als auf dem katalaunischen Thron. Was würde er hier auch noch wollen? Der Mond Versailles gehört nun ihm, Robert ist sein dortiger Statthalter, er trägt nun vier goldene Sterne auf der Schulter und seine Cousine wird Kaiserin. Ich denke, mehr Wünsche kann ein Mann nicht haben. Alles andere wäre Hochmut. Vor allem wenn man bedenkt, wie gut die Nachricht von dieser Verbindung in den Medien und auf den Straßen angekommen ist. Die Menschen wollen diese Entwicklung, diese Kaiserin, diesen Regenten. Und sie wollen einen starken Johann Arling, der über unsere Grenzen wacht, Jolena."
"Um das Montillon-System muss er sich jedenfalls keine Sorgen machen, solange die Terraner mit ihren Maraudern hier sind."
"Sicherlich nicht. Und derweil steuert Katalaun seit langer Zeit in eine Zukunft des Wohlstands, des Friedens und der Stabilität. Ich bin Adriano Grando."
"Ich bin Jolena Torm. Das waren die Hauptstadt-Nachrichten."

"Und? Was sagen Sie dazu, Admiral?", fragte Takh mit einem feinen Lächeln.
Marama Papeete runzelte die sonnengegerbte Stirn. "Wozu? Zu Ihren kleinlichen Propagandaspielchen und den offensichtlichen Bestechungen für Ihre Rivalen? Lassen Sie mich eines klar stellen, Mr. Regent, meine Flotte ist nicht hier, um Ihnen bei Ihrem versteckten Putsch Schützenhilfe zu geben. Innenpolitik, Außenpolitik, all das interessiert Terra nicht. Wir vertreten nur unsere Moralvorstellungen."
"Ich habe gewusst, dass Sie so etwas sagen würden, Admiral." Das Lächeln von Anrid Takh wurde ein breites Grinsen. "Also werden Sie mich auch nicht behindern."
"Das steht außer Frage. Wir sind hier her gekommen, weil wir durch die Live-Reporterin Carrie Rodriguez von Terra News Channel eindeutige Beweise erhalten haben, dass Yura-Maynhaus in Menschenhandel und Sklaverei verwickelt ist. Wir trafen leider zu spät ein um unsere Hilfe über Vesuv anzubieten, aber nachdem sich der Tatumstand als wahr erwiesen hat, zog meine Flotte hinter Arlings Whale-Transportern her. Bis Sie mich darüber informierten, welches Schicksal das Montillon-System und seine Hauptwelt Sanssouci erwarten würde, sobald Sie die falsche Miranda von Hohenfels enttarnen würden. Auch das ist eingetreten, und eine unserer Maximen ist und war es, Zivilisten vor dem Wahnsinn des Krieges zu beschützen. Die Toten auf den Schiffen, jene durch Bombardements, all dieser Schrecken ist es wogegen wir stehen. Es sind immer ein paar, die einen dummen Konflikt vom Zaun brechen, ihn wachsen lassen und pflegen und hegen, aber es sind immer einfache Leute, die dagegen so wenig tun können wie gegen einen Regenguss. Sie sind ausgeliefert." Papeete zeigte ein sarkastisches Lächeln, das seine polynesischen Züge gefährlich wirken ließ. "Oft genug in der Geschichte der Menschheit waren Politik und Autarkie Ausreden für menschliche Bestien oder für ausgeuferte Konflikte, ihr Schild um Einmischungen von außen zu verhindern. Terra hat schon vor sehr langer Zeit aufgegeben, die Leben von ungezählten Intelligenzen zu opfern, daneben zu stehen und hilflos zu zu sehen, nur um die Autorität des dem Wahnsinn verfallenen Staates zu wahren, in dessem Gebiet sie sterben. Wir benutzen keine Ausreden mehr. Wir handeln. Gut, gut, wir greifen eher selten ein, weil wir uns auf der anderen Seite nicht leichtfertig missbrauchen lassen wollen, so wie Sie es versucht haben, Takh. Aber wenn wir einmal etwas anfangen, bringen wir es auch zu Ende. Und im Moment sind Sie und Ihr kleiner Putsch mein Problem."
Anrid Takh sah den Admiral mit erstarrter Miene an. "Ich denke nicht, dass ich Ihnen auch nur einen Grund für eine Intervention Terras liefern werde", erwiderte er trocken. "Arling ist als Befehlshaber der Grenze mehr als geeignet, und mit ihm an diesem Platz wird es sich Yura-Maynhaus zehnmal überlegen, ob sie jemals wieder ins Kaiserreich einfallen wollen. Seine wichtigsten Offiziere bekommen die Flotten, die er fortan kommandiert, und alle anderen werden wie ein kleiner Massenexodus ein bis zwei Ränge hinauf stolpern. Viele werden eigene Schiffe erhalten. Viele Kapitäne werden größere Schiffe, größere Verantwortung bekommen. Als Industrieller bin ich es gewohnt, Potential das ich sehe, auch zu benutzen. Diese Männer und Frauen haben ihr Potential, ihre Hingabe und Opferbereitschaft für Katalaun, mehr als bewiesen."
"Hm. Und Ihr ehemaliger Kaiser?"
"Wird einen hervorragenden Admiral der Flotten abgeben, nachdem Miranda sich auf ihren Planeten zurückgezogen hat. Er war als Kaiser nie so glücklich wie er es in der Flotte war. Ohne den Tod seiner Eltern wäre er wahrscheinlich auch nie in diese Lage geraten, Kaiser sein zu müssen."
"Unter Ihrer Kontrolle."
"Von meinen Gnaden, aber nicht unter meiner Kontrolle. Ich verstehe nichts von der Flotte oder von der Armee. Ich würde diese Aufgaben gerne weiterhin von Profis bewältigt sehen. Vornehmlich Profis die auf mich hören werden."
"Wie nett. Und die anderen? Die Menschen? Die Außerirdischen auf Ihrem Staatsgebiet? Was wird mit denen?"
"Weitreichende Reformen. Noch befinden wir uns im Krieg und müssen viele Dinge rationieren oder subventionieren. Doch durch den wieder auflebenden Handel mit dem Herculeanum und den zu erwartenden Handel mit Yura-Maynhaus werden wir ein saftiges Konjunktur-Plus erleben, dessen Segnungen bis hinunter zum kleinsten Arbeiter reichen werden. Es wird uns allen sehr viel besser gehen als zu Kriegszeiten. Die Aliens... Nun, ich habe nichts gegen sie. Ich mag sie nicht, das gebe ich offen zu. Und ich würde, wenn ich die Wahl hätte, immer zuerst den Menschen wählen. Aber ich habe keine Fieberphantasien von ihrer Ausrottung oder ihrer Versklavung. Wir werden uns miteinander arrangieren, wie wir es schon seit Jahrhunderten tun. Sie werden erleben, dass es sehr vielen Menschen in Katalaun deutlich besser gehen wird, wenn mal ein Manager die Regierung anstelle eines Soldaten leitet."
Papeete schnaubte amüsiert. "Mich müssen Sie nicht überzeugen. Sparen Sie sich Ihre Bestechungen und Blendversuche für das Volk, für das Sie verantwortlich sind." Der Admiral beugte sich drohend ein wenig vor. "Allerdings werden wir noch ein wenig hier bleiben. Wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, bin ich Ihnen gegenüber leicht skeptisch, und wenn die 1. Außenflotte schon mal im Einsatz ist..."
"Es drängte sich mir im Ansatz auf", erwiderte Takh sarkastisch. "Andererseits interessiert Innenpolitik Sie ja nicht so sehr, Admiral."
"Nicht im geringsten. Genau deshalb sind wir ja nach Sanssouci gekommen", antwortete Papeete. Er lächelte breit. "Gute Nacht, Regent."
"Gute Nach, Admiral." Das Hologramm, direkt in Takhs neues Büro projiziert, erlosch, und ließ den Industriellen mit seinen Gedanken allein. Nun, Papeete mochte glauben, dass er die Kontrolle über seine Flotte hatte, aber Takh kannte nun die Stichwörter, mit denen sich dieser lenken ließ. Solange Papeetes kostbare 1. Terranische Außenflotte in seinem Staat unterwegs war, würde sie auch nach seinem Willen handeln. Ein dünnes Grinsen flog über seine Züge. Es wurde an der Zeit, die eigene Stellung weiter zu stützen.


12.
12.07.2613
Kaiserreich Katalaun
Lasharta-System, Sprungrichtung Montillon

Johann Arling klopfte nachdenklich auf die Lehne seines Sessels, während er auf einem Hilfsmonitor die neueste Datei studierte. "Iolaos, die wievielte Nachricht ist das hier?"
"Die zweitausendelfte, Mylord Admiral. Ich habe sie vorselektiert, weil sie von einer Schulklasse Achtjähriger stammt. Bitte beachten Sie auch den Anhang mit den selbst gemalten Bildern der Kleinen."
"Ach, wie niedlich. Würde ich beinahe sagen, wenn ich Kinder mögen würde", klang die Stimme von Arlene Schlüter neben Johann auf. "Viel kann man nicht erkennen, aber dieser unförmige Wächter sollst wohl du sein, was? Und der Text, zusammen mit der Lehrerin verfasst... Lieber Onkel Johann, bitte mach das so ein Krieg nie wieder kommt und schütze unsere Grenze." Arlene schüttelte sich. "Starker Tobak."
"Wie man es nimmt." Arling schaltete zum nächsten ausgewählten Schriftstück um. Es stammte von Radost von Bern, Herzogin des gleichnamigen Planeten. Ausführlich hob sie die Vorteile der Doppelregentschaft von Elisabeth und Takh hervor, schrieb von Opfern, die jeder von ihnen bringen musste und forderte Arling auf, ihnen allen diese Chance nicht zu verderben.
"Wie viele Nachrichten dieser Art gibt es insgesamt, Iolaos?"
"Etwas über achtzehntausend. Die meisten haben den gleichen Tenor. Es gibt aber einen Block von etwa viertausend Schriftstücken, die Euch eindeutig ermutigen, den bisherigen Weg bis zur Selektion als Kaiser weiter zu gehen. Jedoch stets von Einzelpersonen oder Schiffskapitänen.
"Sie setzen dich ganz schön unter Druck, was?" Arlene sah Johann mitfühlend an.
"Und beweisen damit, wie viele sie sind. Herzoge, die in dieser Situation ihren Vorteil suchen, Lehrer, die ihre Schulklasse benutzen..." Arling schüttelte den Kopf. "Takh hat Recht. Es geht ein Riss durch die Gesellschaft. Und ich bin nicht gerade dabei, ihn zu kitten."
"Du wirst doch nicht auf dieses Blabla rein fallen?", argwöhnte Arlene. "Ich meine, Hey, danke, die 1. Flotte wollte ich schon immer kommandieren, und ich wette, Gerry wird sich über die 8. auch sehr freuen. Aber bin ich die einzige, die sich bestochen oder mit Schweigegeld beworfen fühlt?"
"Andererseits können wir auf Besserung hoffen, wenn das Parlament wirklich Takhs Minister bestimmt und Magic Miranda tatsächlich wieder Admiral der Flotten wird. Vom Ende der Demonstrationen auf Sanssouci ganz zu schweigen", sinnierte Arling. "Was denkst du, Lenie? Eine ganze Reihe guter Leute kommt auf erhobene Positionen. Wir rutschen Rang-, Sold-, und Ansehensstufen hinauf."
Sie schnaubte und lächelte böse. "Was ich davon halte? Myrte und Harris wurden nicht befördert und auch nicht auf ein größeres Schiff versetzt. Das halte ich davon. Und ihre Schiffe müssensie auch abgeben, obwohl die eigentlich B-King gehören."
Arling lächelte leicht. "Was also rätst du mir, Lenie?"
"Scheiß auf das ganze Gerede von Friede, Freude und Eierkuchen. Oder glaubst du ernsthaft, der Bursche hat keine Leichen im Keller? Oder würde den Krieg gegen Zyrrtekk und Jemfeld beenden? Davon mal abgesehen hat er selbst zugegeben, dass seine Firma und die Versailles alte Feinde sind. Alter Hass rostet nicht, Han. Vor allem nicht wenn der Friedensschluss mehr einer feindlichen Übernahme gleicht."
"Du rätst mir also, da rein zu fliegen und auf eine Stichwahl zwischen mir und Elisabeth zu pochen? Auch wenn dies anscheinend hunderttausende Katalauner nicht wollen?"
Unsicher sah Arlene neben Arlings Platz, wo Carrie Rodriguez die Konversation mitverfolgte. "Ich recherchiere nur. Keine Aufnahme, keine Sendung", sagte sie und hob abwehrend die Hände.
"Ich sage, die Sache stinkt, und zwar gewaltig!"
"Und damit hast du auch noch Recht", schloss Arling. "Und dennoch, ich kann nicht eingreifen, wenn die öffentliche Meinung so gegen mich steht. Allerdings kriege ich ein halbes Dutzend Flotten geschenkt, und wenn dieser Bastard in Zukunft einen Fehler macht, kann ich über ihn kommen wie ein Racheengel."
"Und bis dahin? Lieferst du Elise ihm aus? War es nicht dein Hauptanliegen, dass sie sicher ist?"
Arlings Augen wurden schmal. "Meinst du nicht, dass es uns mehr bringt, wenn du und Gerry zwei komplette Flotten mit Fronterfahrung kommandieren? Uns mehr Rückhalt und vor allem politisches Gewicht geben? Takh hat vom Riss in der Gesellschaft gesprochen, wie man ihn schließt. Wir könnten dafür sorgen, dass aus dem schließen des Risses keine Sturmflut auf unsere Seite wird."
"Du hast meine Frage nicht beantwortet! Lieferst du diesem Arsch deine kleine Cousine aus?", blaffte sie.
Johann Arling faltete die Hände auf seinem Schoß zusammen und lächelte Arlene an. "Manchmal muss man als Anführer Prioritäten setzen."
"Dann war der ganze Flug hierher eine Lüge? Die Situation eine Lüge? Der Versuch Robert wieder auf den Thron zu setzen eine Lüge?" Arlene straffte sich. "Admiral, Kapitän Schlüter bittet darum von ihren Pflichten entbunden zu werden."
"Dich auf deinem Platz zu belassen gehört auch zu meinen Prioritäten, Lenie." Arling warf einen Blick auf den nächsten Zeitmesser. "Abgelehnt. Sie bleiben Kapitän der HERCULES, Kapitän Schlüter. Und jetzt treten Sie bitte einen Schritt zurück, denn der nächste Kunde wartet schon."
Wütend und überrascht blies Arlene Schlüter die Wangen auf und taumelte mehr als das sie einen Schritt nach hinten tat.
In diesem Moment fuhr eines der Schotts zur Brücke auf, und Charles Monterney stürzte herein. "Han, du wirst doch nicht wirklich auf die gequirlte Scheiße reinfallen, die dieser Takh-Spinner verzapft hat? Das ist doch nur heiße, faulige Luft, die er ausgestoßen hat."
Ein kurzes Lächeln traf Arlene Schlüter, und überrascht hob sie eine Augenbraue.
Arling wiederholte das Lächeln, und seufzend trat Arlene wieder einen Schritt vor. "Vergiss es. Unser großer, weiser und wagemutiger Anführer hat sich dafür entschieden, das Angebot anzunehmen und Admiral der Grenzverteidigung zu werden." Sie lächelte sarkastisch. "Ich bin sicher, du kannst auf einen Generalsrang und deine eigene Division hoffen, Charly."
"Was?", fragte Charles bleich. "Han, okay, ich sehe da auch die Vorteile, vor allem bei all der Schlagkraft, die wir dann in unserer Hand haben, ganz davon abgesehen, dass du für die meisten Soldaten der Flotte schon ein Held bist, aber..."
"Aber?", fragte Arling und lächelte Monterney an. "Aber, Herr Oberst?"
"Aber du kannst deine Cousine doch nicht wie Handelsware oder wie ein Stück Fleisch veräußern! Wo sind wir denn? Im terranischen Mittelalter?"
"Als Teil der Herrscherfamilie hat sie stets gewusst, dass sie mehr wird opfern müssen als andere Menschen", erwiderte Arling und sein Lächeln verschwand. "Aber tröste dich. Ich bezweifle, dass sie noch unschuldig ist, doch Gerrit Rend wird schon dafür sorgen, dass Takh nicht zum tatschen neigen wird."
"Darum geht es doch gar nicht!", rief Monterney aufgebracht.
"Worum geht es dann?"
"Wir wollten doch Robert wieder auf den Thron setzen!"
"Robert hat sich selbst ziemlich hohe Hürden gesetzt, nachdem er ausgerechnet Versailles verbal in Richtung B-King geschoben hat. Seine Chancen stehen mehr als schlecht. Und jetzt wo Marina fort ist, haben sich nicht nur einige Konstellationen zu unseren Gunsten verschoben. Ich denke, wir könnten mit einer Kaiserin Elisabeth gut leben und einen Regenten Anrid Takh noch besser unter Kontrolle halten."
"Das ist doch alles Politik! Das ist doch alles nicht relevant!", blaffte Charly.
"Oh doch, das ist relevant, das muss relevant sein. Was wäre ich für ein Anführer, was für ein Herzog, wenn ich das Schicksal vieler unter das Schicksal eines einzelnen stellen würde? Sei ein Mann und akzeptiere, dass wir das kleinere Übel wählen müssen."
"Ein Mann? Ich sage dir, was ein Mann tun würde! Er würde sich ein Schiff schnappen, sich durch all die verdammten Terrys kämpfen und die Frau retten! Das würde er tun! Das werde ich tun, verdammt noch mal! Auch ohne deine Hilfe!"
"Und warum, mein guter alter Freund, willst du so etwas waghalsiges und dummes tun?"
Verzweifelt sah Charles den Freund aus Kindertagen an. Er sah zu Carrie herüber, dann zu Lenie, schließlich suchte er den Blick der Junioroffiziere. "Weil ich sie liebe, Han, und sie mich liebt. Wenn sich das geändert hat, will ich es aus ihrem Mund hören, Auge in Auge. Wenn es sich nicht geändert hat, dann werde ich sie aus Takhs Klauen retten, und wenn sich ganz Katalaun mir in den Weg stellt!"
Aufgeregtes Raunen ging durch die Zentrale.
Arlings Lächeln wurde breiter. "Dann werde ich wohl das tun müssen, was alle guten Freunde füreinander tun müssen, gerade wenn die große Liebe im Spiel ist. Ich stelle dir eine Transportmöglichkeit mit Sprungfähigkeit zur Verfügung, um nach Sanssouci zu kommen."
Überrascht sah Charles Arling an. "Danke, Han. Ich werde eine Fregatte gut gebrauchen können, auch wenn ich nicht weiß, ob..."
"Du kriegst keine Fregatte." Arling zwinkerte Arlene zu, die daraufhin Haltung annahm. "Die HERCULES ist Eigentum von B-King. Admiral Arling hat uns gerade ausgeliehen! Ihre Befehle, Oberst Monterney?"
"Was? Die HERCULES?", hauchte Charly mit fast erstickter Stimme.
Arling erhob sich und klopfte dem Freund auf die Schulter. "Dachtest du wirklich, ich würde meine süße kleine Elisabeth verschachern oder Robert im Stich lassen? Ich hatte eben vorher das Bedürfnis, eine wichtige Sache zu klären, bevor ich auch dafür mein Leben wage."
"Du meinst, ich musste meine Liebe gestehen?" Charles schluckte hart.
"Nun ja, aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man doppelt so hart kämpft, wenn es um die eigene große Liebe geht. Und für die Liebe eines Kameraden kämpft es sich doch gleich mit doppelt so leichtem Herzen."
"Du bist verrückt!", stieß Charles hervor. Sein Blick ging ins Rund, wo sich die Offiziere und Mannschaften nach und nach erhoben, um dem Knight-Piloten zu salutieren. "Ihr seid verrückt! Ihr alle!"
"Aber?", fragte Lenie lächelnd.
Charles grinste von einem Ohr bis zum anderen. "Aber ich danke euch allen aus ganzem Herzen. Lenie, nimm Kurs auf das Montillon-System. Ich habe ein Rendezvous mit Elise!"
"Verstanden, Sir." Schlüter wandte sich um und rief: "Die HERCULES aus dem Verband lösen! Sprung berechnen! Antrieb zum Sprung präparieren! Wir nehmen Fahrt auf mit achtzig Km/s! Nachricht an die Flotte: Wir springen nach Sanssouci weiter!"
Oberleutnant Turnau wandte sich mit überraschter Miene um. "Ma´am! Ich habe KtoK-Kontakte von allen Schiffen der Begleitflotte!"
"Stellen Sie durch."
Der Hauptbildschirm wurde in mehrere Untersequenzen aufgeteilt. Auf jedem erschien das Gesicht eines katalaunischen Schiffskommandeurs.
Den Anfang machte Gerard Rössing. "Die STONEWALL wird die HERCULES begleiten. Keine Widerrede, Lenie."
"Das gleiche gilt für die ELISABETH", sagte Eleonor Rend lächelnd. "Auch ich will tun was ich kann, wenn es um die große Liebe meines besten Freundes geht."
Charles wurde rot. "Danke. Glaube ich."
Arling warf einen Blick zu seiner Rechten, wo noch immer Miss Rodriguez stand. "Keine Aufnahmen, keine Übertragung, eh?"
"Keine Aufnahmen, keine Aufzeichnungen. Nur ein wenig Fernsehen für die Schiffe der Begleitflotte", sagte sie entschuldigend.
"Sir!" Myrtes kräftiger Bariton klang auf. "Die ROBERT begleitet Sie selbstverständlich durch dick und dünn!"
"Das gleiche gilt für die FREDEREC, Oberst Monterney. Wir sind zusammen zu weit gekommen und haben zusammen zu viel erlebt, um an dieser Stelle tatsächlich umkehren zu können. Es ist mir eine große Ehre, Sie in diese Mission zu begleiten."
"Danke, Kapitän Myrte, danke, Kapitän Harris. Es tut gut, Ihre Unterstützung zu haben."
"Oberleutnant Strater von der REDWOOD, Sir. Selbstverständlich werde ich nicht derjenige sein, der ein Gewinnerteam aufbricht. Wir kommen mit."
"Das gleiche gilt für die CALAINCOURT und ihre Kapitänin", meldete sich Atura Tiki zu Wort. Die schmale junge Frau salutierte schneidig. "Für die Liebe, Sir."
"RICHMOND, Aadil Chalid, Sir. Ich werde ein Gewinnerteam auch nicht auseinander brechen."
"Haben Sie drei herzlichen Dank", sagte Charles mit einem dicken Kloß im Hals.
"Vergessen Sie uns nicht, Lucky Charly. Die Veteranen aus Hephaistos schulden Ihnen mehr als ein Dankeschön. Weit mehr." Der unvermeidliche Hühnerknochen blitzte vom linken Ohr seines Gesprächspartners. Allan Rochefort, Kommandeur der VERSAILLES und Anführer der Widerstandsgruppe in Hephaistos, grinste ihn breit an.
"Ich bin zwar schon etwas alt um mich in Liebesabenteuer zu stürzen", klang die letzte Stimme auf, "aber ich habe nichts dagegen, Sie bei der Eroberung einer Prinzessin zu unterstützen, Oberst Monterney. Die B-King fliegt auf Ihren Befehl, Sir."
"Kapitän Rochefort, Kapitän Sands, Sie haben meinen tief empfundenen Dank." Er sah wieder zu Arlene Schlüter herüber. "Lenie, wenn du dann so gut wärst..."
"Natürlich. Zurück in den Verband mit unserer prächtigen HERCULES. Verbandsflug berechnen, Sprung überarbeiten und dann nichts wie los."
"Einen Augenblick noch, Kapitän Schlüter."
Erstaunt wandte sie sich um. "Admiral?"
"Wir warten noch."
"Sir?"
"Aus der Sprungrichtung Cipangu müsste jetzt eigentlich ein Verband ins System kommen. Oberleutnant Turnau, funken Sie ihn sofort an und weisen Sie ihn ein, sobald Oberleutnant Raglund seine Ankunft gemeldet hat. Anschließend warten wir, bis der Verband zu uns aufgeschlossen hat." Arling lächelte dünn. "Ich gebe zu, ich habe schon etwas weiter in die Zukunft geplant."
"Ein Verband, der zu uns stößt? Han, was hast du da wieder verbrochen?"
"Oh, nur das eine oder andere Schiff requiriert, das bereit ist, auf mein Kommando zu hören. Nicht viele, aber eine Handvoll Schiffe werden dir hilfreich sein, um Elise zu retten, Charles. Und mir werden sie helfen, um Robert wieder auf seinen rechtmäßigen Platz zu schaffen."
Arling sah zur Seite. "Nimmst du auch alles auf, Carrie?"
"Nur aus historischen Beweggründen, Mylord. Damit wir hinterher Faktengewissheit haben", beteuerte sie.
"Faktengewissheit. Was für ein elegantes Wort", schmunzelte Arling.
***
Über Neu-Berlin war Nacht. Das hatte nicht besonders viel zu sagen, denn die weit ausufernde Großstadt war das Zentrum Katalauns, und nachdem die unruhigen Zeiten ein für allemal vorbei zu sein schienen, war der Strom der Nachtschwärmer auf ein normales Maß angeschwollen und machte die Nacht zum Tage.
Beschaulicher ging es in den Vororten zu, auch wenn dort der eine oder andere sich genötigt sah auszuprobieren wie gut die Schallbarrieren zum Nachbarn wirklich waren.
Place des Étoiles gehörte da eher zu den ruhigen Ecken, in denen Flottenangehörige und Pensionäre wohnten. Hier aktivierte man eher die energetische Schalldämmung, als tatsächlich die Nachbarn zu stören. Und mitten in der Nacht bedeutete hier tatsächlich mitten in der Nacht. Im Volksmund wurde diese Uhrzeit auch Schlafenszeit genannt, und genau dies tat Familie Rend gerade.
Nach den aufregenden Tagen, die der Kaiser versteckt in der Rend-Residenz verbracht hatte, war auch hier Ruhe eingekehrt. Stuart Rend selbst hatte eine Riesenfreude gehabt, einerseits ein Suchkommando der falschen Miranda ins Leere laufen zu lassen und andererseits eine gepfefferte Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Amtsmissbrauch und Nötigung vom Stapel zu lassen. Die aktuelle Entwicklung gefiel ihm überhaupt nicht und ließ ihn eher unruhig schlafen. Aber ändern konnte er nichts, also entschloss er sich dazu, im Wohnzimmer noch ein Glas warme Milch zu trinken. Anusha konnte das natürlich nicht erschüttern. Wenn sie einmal schlief, konnte ein Knight neben ihr landen, sie würde nicht aufwachen. Stuart lächelte bei diesem Gedanken und gab seiner Frau einen Kuss auf die Schulter. Vielleicht sollte er sie dazu überreden, den Inkubator ein viertes Mal anzuwerfen? Noch ein Mädchen wäre doch keine so schlechte Idee.
Seufzend schob er den Gedanken beiseite. Moderne Elternzeitungen empfahlen, dass man als Vater bei der Geburt oder der Entnahme aus dem Inkubator nicht älter als einhundert sein sollte, und er war noch weit davon entfernt, aber wie würde sie das sehen? Genauso entspannt, oder würde sie wieder einmal behaupten, zu alt dafür zu sein?
Stuart Rend stieg die breite Treppe hinab. Im geräumigen Wohnzimmer erwartete ihn eine Überraschung. Mark Rend saß auf dem kleinen Sofa und beobachtete interessiert mehrere Programme auf der Holosäule über dem Tisch.
"Vater", sagte er ernst und prostete ihm mit seinem Glas zu. Eiswürfel klimperten, und ein leichter Hauch nach Ahornsirup erfüllte die Luft. Plünderte der Bengel also wieder seine Whisky-Vorräte.
"Nur ein Absacker", beschwichtigte Mark und widmete sich wieder seinem Programm. "Aus der Turkman Blend-Flasche, die ich dir zu Weihnachten geschenkt habe, übrigens."
Stuart Rend ging an die Sammlung seltener Whisky-Sorten und füllte sich einen Fingerbreit vom gleichen Schnaps ins Glas - einer der seltenen Momente, in denen er sich darüber freute, so klobige Hände zu haben. "Und das da? Auch ein Absacker?"
Mark schnaubte amüsiert. "Die Holos? Es ist doch erstaunlich, wie wir verarscht und für dumm verkauft werden. Da wollen uns die Medien doch tatsächlich weismachen, mit Takh würde alles anders werden, und doch sind es die gleichen Zeitungen, Nachrichten und Sender, die zuvor von Hohenfels in den Himmel gelobt haben. Alles wird gut? Mir wird schlecht. Hoffentlich kommt Hannes bald und rettet uns aus dieser Scheiße."
Stuart setzte sich neben seinen ältesten Sohn. "Du magst Han, oder?"
Mark grinste breit. "Natürlich mag ich ihn. Ich bete den Boden unter seinen Füßen an. Jeder der es schafft, mein geliebtes Schwesterchen dazu zu bringen, sich wenigstens ein klein wenig wie eine Frau zu benehmen, ist für mich mit göttlichen Fähigkeiten ausgestattet. Ich und Gerrit, der kleine glückliche Bastard, haben das nie geschafft."
"Ihr habt es ja auch mit hänseln, verspotten und triezen versucht", tadelte Stuart seinen Sohn. "Vielleicht auch ein Grund, warum sie Kadett geworden ist."
"Oh, so habe ich das noch nie gesehen", versicherte Mark mit treuherzigem Blick.
"Wieso glücklicher Bastard?"
"Was? Gerrit? Na sieh doch mal an, für welche Frau er jetzt arbeitet. Ich kenne Männer die töten würden, um für sie töten zu dürfen." Er zwinkerte seinem Vater zu. "Erzähl das bloß nicht Karen, sonst komme ich nicht nur zum Hologucken rüber, sondern kann mich zwei Wochen auf deiner Couch einrichten."
Stuart Rend verdrehte die Augen in komischer Verzweiflung. "Bloß nicht. Das Wohnzimmer wäre ein einziges Schlachtfeld. Du bist auch der einzige Mensch auf Sanssouci, der achtzig Quadratmeter nicht nur in Beschlag nehmen sondern sie auch noch nachhaltig verwüsten kann."
Mark grinste seinen Vater frech an. "Gelernt ist eben gelernt." Er deutete auf die Holos. "Was denkst du? Wird sich noch was ändern? Die da wollen uns jedenfalls unterjubeln, das alles bereits in Stein gemeißelt wäre. Ich und einige meiner Kollegen denken über eine Beschwerde bei unserem zuständigen Parlamentsabgeordneten nach."
"Du willst dich freiwillig ins Schussfeld begeben? Glaube mir, mein Junge, das hier ist tatsächlich alles Fassade. Ob mit der falschen Miranda oder ohne, genauso wird es weiter gehen. Und ich schätze wir sollten uns besser Gedanken über einen Umzug nach Versailles machen, bevor ein zweites Kommando rein schneit, das nur diesmal nicht Robert, sondern uns sucht."
Mark grinste wölfisch und nahm einen Schluck aus seinem Glas. "Dazu müssten sie erstmal hier eindringen. Und dann müssten sie uns überwältigen." Mark präsentierte seine Faust. "Hier, rieche mal. Aroma Verderben."
"Angeber. In der Flotte hätten dich jetzt schon zwanzig Leute zu einem Kampf herausgefordert, um dir die große Klappe zu stopfen."
"Und ich würde es locker bis zum elften schaffen. Am Stück, meine ich."
"Das lose Mundwerk hast du jedenfalls nicht von mir, mein Junge", brummte Stuart Rend amüsiert.
Er nahm einen kräftigen Schluck und ließ den feinen Tropfen über die Zunge rollen. Ahornsirup, ein leichtes brennen vom Alkohol sowie eine feine Note nach Rohrzucker. Mark hatte einen guten Geschmack für Blends, das musste der ehemalige Hauptstabsbootsmann zugeben.
"Nein, das muss von Mutter oder Opa Iwan kommen. Wundert mich, dass du das nicht geerbt hast."
Stuart lächelte dünn. "Das erste was man in der Flotte lernt ist Selbstkontrolle. Der einzige Moment in dem ich mich nicht unter Kontrolle hatte, das war deine Zeugung, Junge. Mit mir bist du nach Versailles rauf geflogen, und mit deiner Mutter kamst du zurück."
"Danke", erwiderte Mark und warf seinem Vater einen säuerlichen Blick zu. "So genau wollte ich das nie wissen, Vater."
Ein Geräusch wie ferner Donner ließ Mark kurz aufsehen. "Kommen sie jetzt doch um uns zu holen, oder was?"
"Hm? Ach, du meinst das Geräusch. Entweder hat da einer auf dem Admiral Angward Raumhafen einen Zerstörer sehr unsanft aufgesetzt, oder vor der Tür ist ein Knight gelandet. Ich tippe da eher auf den Raumhafen", murmelte Stuart und trank sein Glas leer. "Außerdem sind wir hier noch eine Zeitlang sicher, bevor Elise uns nicht mehr schützen kann. Sie ist ein gutes Mädchen."
"Schützen? Was wenn sie Elise und Gerrit mit uns erpressen wollen? Dann brauchen sie uns so früh wie möglich, und glücklicherweise auch lebend."
"Sie? Wer ist sie?"
"Die gleichen Idioten, die versucht haben, Elise auf Ellies Verlobung zu ermorden? Es muss ja nicht alles auf dem Mist der religiösen Spinner wachsen, Vater."
"Die sollten eigentlich unter der Kontrolle von Takh sein."
"Und was ist wenn Takh entscheidet, dass er Geiseln braucht, um Elise und vor allem Gerrit zu erpressen? Dann würde es mich nicht wundern, wenn jederzeit ein Haufen gepanzerter Idioten durch die Balkontür bricht und..."
Das Geräusch von reißendem Kristall ließ beide Rends herum fahren. Die Tür zum Balkon zersprang in einem feinen Regen und ließ drei schwer bewaffnete Männer ein. Sie trugen keine Körperpanzer, aber die feuerbereiten Laser in ihren Händen sagten genug aus. Die Haustür flog auf und ließ weitere Männer herein. Einer von ihnen trug eine Pistole, mit der er suchend herum wedelte, bis er die beiden Rends im Visier hatte. Er lächelte unter seiner Tarnschminke süffisant. "Na also. Mark Rend und Stuart Rend. Fehlt nur noch Anusha Rend."
Hinter ihm erklang auf dem Gang eine helle Kinderstimme. Kurz darauf schrie eine Frau in Panik auf.
"Maximilian Rend, Susanne Rend und Karen Rend, abgehakt. Ich empfehle, meine Herren, dass sie sich in ihr Schicksal fügen. Sie werden sonst feststellen, dass ich kein kuschelweicher Kommodore mit Moralkomplex bin."
Mark spannte sich an und ballte die Fäuste.
"Ruhig, mein Junge! Spiele jetzt nicht den Helden! Das kann nur ins Auge gehen!"
"Aber Vater, diese Scheißkerle..."
"MARK!", rief Stuart laut. Im oberen Stock klang die entrüstete Stimme seiner Frau auf, als man sie rüde aus dem Schlafzimmer zerrte.
"Schon gut, Vater!", murmelte er dumpf. Sein Blick war hasserfüllt, und der alte Soldat befürchtete, dass der junge Mann sehr bald etwas sehr dummes tun würde.
"Stuart, was ist hier los? Was wollen die Leute von uns?", rief Anusha Rend, wand sich im Griff ihres Gegners, und als dieser nicht aufpasste, ließ sie ihren linken Hacken zwischen seine Beine fahren.
"Zwecklos. Ich bin gepanzert!", blaffte der Mann und stieß sie die letzten Treppenstufen hinab. Anusha keuchte erschrocken auf, verstolperte die letzte Treppenstufe und stürzte der Länge nach zu Boden. Stuart wollte zu ihr eilen, wurde aber vom Anführer gehindert. "Keine Mätzchen jetzt. Vielleicht brauchen wir gar nicht alle!", zischte er bissig.
Auf dem Gang gellte wieder ein Frauenschrei auf, voller Entsetzen. Die beiden Kinder begannen zu weinen.
"Wenn man mit Amateuren arbeitet... Ich sagte, ihr Idioten sollt sie unversehrt lassen! Denkt ihr denn nur mit euren Eiern?"
"Sie irren sich. Dieser Schrei hat sicher nichts mit gewaltsamen Missbrauch von Frau Rend zu tun", sagte eine ruhige Stimme vom Balkon. Die Männer wandten sich um und erkannten einen finsteren Umriss, wenn auch nur vage. "Und ja, Hauptstabsbootsmann Rend, es war das Geräusch eines landenen Knights. Genauer gesagt das Geräusch von vier landenden Knights."
Der Schatten zog eine Klinge hervor, und ein erschrockenes raunen ging durch die Eindringlinge.
In der Tür zum Flur erschienen zwei weitere Schemen, beide hielten ebenfalls gezückte Waffen in den Händen. "Im übrigen brauchen wir keinen von euch lebend", sagte der Schemen von der Tür. Dann war die Luft erfüllt von Schreien, Laserimpulsen, von einem Schlag gegen Stuart Rends Kniekehlen der ihn zu Boden trieb.
Schließlich herrschte Stille.
"Stuart Rend und Mark Rend gesichert."
"Anusha Rend gesichert."
Aus dem Treppenhaus meldete sich eine weitere Stimme: "Maximilian Rend, Susanne Rend und Karen Rend gesichert."
Eine kräftige Hand zog Stuart auf die Beine. "Können Sie stehen, Sir?"
"Ja, kann ich. Danke für die Rettung."
Neben ihm kam auch Mark hoch. Er musste mit der gleichen Effektivität zu Boden geschickt worden sein wie sein Vater. "Schauen Sie nicht hin, Sir. Ist ein schrecklicher Anblick. Andererseits haben diese Kerle es nicht besser verdient. Wir rücken ab. Seht zu das die Kinder nicht noch mehr zu sehen kriegen. Hauptstabsbootsmann Rend, Frau Rend, Herr Rend, packen sie nichts ein. Wir bringen sie so schnell es geht nach Versailles rauf."
"Sie haben damit gerechnet, dass diese Schweine kommen?", fragte Mark und kämpfte mit der Versuchung, einer der Leichen einen saftigen Tritt zu verpassen.
"Nein, Sir. Wir überwachen Sie seit Kaiser Robert Sie verlassen hat und sorgen für Ihre Sicherheit?"
"Sie überwachen uns? Davon habe ich nichts bemerkt."
"Natürlich nicht", erwiderte sein Gegenüber amüsiert. "Das wäre sonst ein Armutszeugnis für die Ninjas."
"Ninjas? Robert hat vier Ninjas zu unserem Schutz abgestellt?"
"Es sind sechs, aber, ja, er hat Ninjas zum ihrem Schutz abgestellt. Und jetzt erwartet er die gesamte Familie in seinem Anwesen auf dem Mond. Beeilen wir uns. Falls noch mehr kommen sollten wir nicht mehr hier sein. Ninjas sind leider nur fast unbesiegbar, Herr Rend."
Mark nickte dumpf. "Dürfen wir wenigstens Schuhe anziehen?"
"Laufen darfst du, und zwar so flink dich deine Beine tragen!", rief Stuart und gab seinem Sohn einen kräftigen Klaps auf den Rücken. "Ab zu deiner Familie, Junge!"
Mark nickte verstehend und lief auf den Gang hinaus. Die erfreute, aber immer noch panische Stimme von Karen klang zu ihnen herein, während das weinen der Kinder zu einem Schluchzen verstummte.
Stuart ergriff die Hand seiner Frau. "Gehen wir. Wenn wir zurückkommen, wird so etwas nie wieder passieren, Schatz."
"Unter Robert wäre so etwas nicht möglich gewesen", murrte sie, ließ sich aber von ihrem Mann aus der Wohnung führen.
"Operation gelungen. Wir rücken ab", sagte der Anführer. Er lüftete seine Maske und enthüllte ein feminines Gesicht. "Und so arbeiten Profis. Merkt euch das, ihr Amateure." Verächtlich sah sie auf die Toten hinab, schloss die Maske wieder und verließ die Wohnung über den Balkon.
***

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Anrid Takh wusste nicht genau zu sagen, ob er es als Ehre oder als taktischen Schachzug empfinden mochte, dass Admiral Papeete seine heiß geliebte TERRA IV verlassen hatte, um sich in seinem Büro häuslich niederzulassen. Tatsache war, dass der Admiral nun schon seit acht Stunden hier war und ihm bei allem was er tat über die Schulter sah. Einerseits begrüßenswert, denn dies vermittelte den Eindruck, er hätte die volle Rückendeckung Terras. Andererseits machte es ihn nervös, wenn jemand alles was er tat überwachte. Nicht, das Anrid mehr zu verbergen gehabt hätte als jeder andere Politiker oder Geschäftsmann in seiner Position - eher weniger. Er hatte sich immer für einen gerechten, aufgeschlossenen und fairen Menschen gehalten. Etwas intelligenter als der Durchschnitt, etwas reicher und vielleicht auch etwas fähiger, was ihn zu einem natürlichen Anführer machte. War es falsch, dieses Talent nicht zu vergeuden? War es falsch, die Menschen mit der Nase darauf zu stoßen, wie der richtige Pfad in die Zukunft auszusehen hatte? Letztendlich wollte er nur das Beste für alle Menschen, und er wollte das der beste Mann im Staat dies verwirklichte. Er. Von seinem Standpunkt war das ebenso legitim wie seine tief empfundene Auffassung, dass die Menschen die Krone der Schöpfung waren und alle anderen Intelligenzen, egal auf wie viel Jahrtausende Kultur sie auch zurückblicken mochten, nur von ihnen lernen konnten. Demnach mussten sie aber auch den Platz einnehmen, der den Schülern gegenüber den Lehrern zustand, um die größere kosmische Ordnung zu wahren. Und wo dies nicht möglich war, mussten die Berührungspunkte minimiert werden.
Er persönlich hielt nichts davon, auf Kosten von Zyrrtekk und Jemfeld zu expandieren, obwohl dies eine Kernaussage der Regierungszeit von Frederec gewesen war. Andererseits war er überzeugt davon, dass sich Katalaun nicht schwach geben durfte. Nachdem die Grenzwelten zurück erobert waren, musste es definitiv ein deutliches Zeichen geben, was all jenen zustand, die gegen die Stärke der Menschen standen. Nein, nicht solche Kinkerlitzchen wie im Atomfeuer zu Asche verbrannte Welten. Nicht so primitive Methoden schlichter Rache. Aber Handelskonzessionen waren eine gute Idee, Reparationszahlungen und dergleichen. Immerhin waren Jemfeld und Zyrrtekk in diesem Krieg die Aggressoren gewesen. Wenn auch mit bescheidener Mithilfe bei der Erarbeitung des Masterplans durch ihn und seinen Vorstand. Aber das stand doch auf einem ganz anderen Blatt.
Vielleicht sah Admiral Papeete das anders, aber es verlangte ja niemand von Anrid, den Terry mit der Nase auf die Fakten zu stoßen.

"Ein Rechenfehler", merkte der Admiral an.
Erstaunt sah Takh auf. "Was, bitte?"
"Im aktuellen Dokument ist ein Rechenfehler. Eine Nachkommastelle ist verschoben, was den Kostenaufwand für die Jemen-Werft um zwei Millionen Mark pro Monat ansteigen lässt. Der Fehler taucht im Text nur bei der Modellrechnung auf. Außerdem ist er im Ergebnis enthalten."
Takh runzelte die Stirn und widmete sich den nackten Zahlen. Tatsächlich. Ein Rechenfehler. Oder hatte der Direktor der Werft den Fehler eingebaut, in der Hoffnung, der Kaiser, die Kaiserin oder der Regent würden ihn übersehen, unterzeichnen und ihn fortan mit überschüssigen Geldern gesund subventionieren? Frustriert versah er das Dokument mit einer Anmerkung und schickte es ins zuständige Ministerium zurück. Was für Pfeifen arbeiteten eigentlich im Schiffsbauministerium, wenn dieser gravierende Fehler nicht schon vorab erkannt und korrigiert wurde? Oder noch schlimmer, welcher Sterneträger steckte mit drin und hatte vorsätzlich versucht, diese kleine Zahlenmanipulation an ihm vorbei zu schleusen? In seiner Firma wäre das nicht passiert. Sein Mitarbeiterstab arbeitete auf höchstem Niveau. Die meisten seiner Untergebenen waren Star-Absolventen der Elite-Universitäten Katalauns und teilweise mit eigenen Befugnissen ausgestattet, die einem Konteradmiral sehnsüchtige Blicke beschert hätten. Allerdings nahm er diese Leute auch hart ran, bis er sich sicher war, wie sie tickten. Das, so erkannte er, konnte sich Magno vor allem deshalb leisten, weil das Unternehmen im Gegensatz zu Katalaun winzig klein war. Der Gewinn dieses Sternenreichs war zur Zeit durch den Krieg nichtexistent, der Staat selbst bei Privatbanken und ausländischen Kreditgebern in der Kreide. Aber alleine das Geldvolumen, welches die Steuern durch die Kassen spülten, übertraf den durchschnittlichen Umsatz seines Konzerns um das Hundertfache. Dies war einer der seltenen Momente, in denen Takh einen Hauch von Ehrfurcht für etwas anderes als sein Lebenswerk verspürte. Katalaun war nicht ein Mega-Konzern, sondern alle zusammen. Dazu die mittelständischen Betriebe, die Kleinstbetriebe, ein Sammelsurium der Religionen und Welten, ein großer Topf, in dem achtzehn Milliarden Menschen und Aliens versuchten miteinander zu leben. In so einem überwältigend großen System gab es natürlich Vetternwirtschaft, Korruption, Bestechung und dergleichen. Es blieb gar nicht aus, weil der Verwaltungsapparat gigantisch war. Es wunderte ihn nur, dass er noch nicht früher auf Manipulationen von Kosten, frisierte Geschäftsberichte und fingierte Anforderungen gestoßen war. Widerwillig zog er das Argument heran, dass die meisten Staatsdiener da draußen ihren Job ernst nahmen, mit Hingabe versahen und weder bestechlich noch gierig waren.
"Und das war nur ein Rechenfehler von wer weiß wie vielen. Was wollen Sie bei größeren Projekten tun? Alle Posten nachrechnen?" Papeete lachte leise. "Lassen Sie sich klonen, dann kommen Sie vielleicht mit den vierundzwanzig Standard-Stunden eines Tages aus."
"Ich kann Ihren Sarkasmus wirklich gerade gebrauchen", erwiderte Takh. "Es ist nicht so als hätte ich keine Erfahrung in der Führung eines großen Unternehmens."
"Allerdings haben Sie das. Aber Katalaun ist kein großes, sondern ein riesiges Unternehmen. Eines das funktioniert, eines das seine Bevölkerung selbst im Angesicht eines Krieges mit mehr versorgt als den notwendigsten Bedarfsgütern. Eines, in dem eine ganze Menge Generaldirektoren sitzen, die in ihren Bereichen bisher unmenschliches geleistet haben, um dieses Unternehmen am laufen zu halten. Und Sie wollen diese Generaldirektoren ersetzen und eigene Leute auf die Ränge bringen."
"Ich habe vor, die Minister vom Parlament bestimmen zu lassen, um ein Zeichen für mehr Demokratie zu setzen", widersprach Takh.
"Das ist das gleiche. Das Parlament wird in weiten Teilen Ihren Empfehlungen folgen."
"Sie erstaunen mich, Admiral. Ich dachte, die Innenpolitik wäre Ihnen egal?"
"Oh, das ist sie auch. Betrachten Sie meine Äußerungen als Hobby. Ich studiere gerne fremde politische Systeme, bevor sie den Bach runter gehen."
"Es ist wohl noch etwas früh dafür, um so etwas behaupten können", sagte Takh ärgerlich. "Abgesehen davon habe ich fähige Leute für alle Positionen, die sich in der Verwaltung des Kaiserreichs auftun werden."
"Leute, die nicht eingearbeitet sind. Sie werden Chaos produzieren. Sie gehen den absolut falschen Weg", bemerkte der Admiral amüsiert.
"Und wie, oh allmächtiger terranischer Weiser, soll ich Ihrer Meinung nach vorgehen?"
"Ernennen Sie Ihre Leute zu Stellvertretern, die die Minister ein Jahr lang begleiten. Dann sollten die meisten in der Lage sein, die Amtsgeschäfte ihrer Vorgänger nahezu problemlos zu übernehmen."
"Heutzutage sind wir alle etwas schlauer, besser ausgebildet und können uns auf bessere Computersysteme verlassen, Admiral", erwiderte Takh sarkastisch. "Außerdem kommt es bei einem Regierungswechsel fast immer zu einem vollständigen Austausch der Minister. Katalaun ist davon noch nie zusammengebrochen."
"Ja, weil die Mitarbeiter in den Ministerien geblieben sind. Aber auf die wollen Sie sich ja auch nicht verlassen und Ihren zukünftigen Ministern eigene Stäbe mitgeben. Die werden bei Null anfangen. Und dann haben Sie den Salat, Herr Regent."
"Für einen neutralen Beobachter haben Sie aber sehr viele fundierte Meinungen", erwiderte Takh.
"Von neutral kann keine Rede sein. Sie mögen denken, ich bleibe aus reiner Langeweile mit meiner Flotte im System, aber ich verspreche Ihnen, es ist ein Irrtum, das zu glauben. Mich interessieren die Menschen, nicht die Herrscher. Ein gutes politisches System, eine effiziente Verwaltung kommt den Menschen zugute. Sie zu vernichten, aus Stolz, Bigotterie oder aus Motiven der Rache ist eine riesige Dummheit, die zum Beispiel in Katalaun ein paar Millionen Menschen das Leben kosten kann. Das wäre ein Umstand, der meine Flotte zwingen würde, in Aktion zu treten."
Takh fuhr auf. "Admiral, drohen Sie mir?"
Verdutzt sah Papeete den Industriellen an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. "Junge, wie dumm sind Sie eigentlich? Die 1. Außenflotte IST eine verdammte Drohung! Oder wenn Sie es genauer wissen wollen: Ja, ich werde meine Schiffe in Marsch setzen um Ihnen mächtig in den Arsch zu treten, wenn Sie wirklich Ihre ganzen kleinlichen, dummen und zerstörerischen Ideen durchsetzen werden. Das ist ein Versprechen, Herr Regent." Papeete grinste breit. "Gewöhnen Sie sich daran, dass die Luft da wo Sie hin wollen, noch um einiges dünner ist als dort wo Sie herkommen. Und es wird schlechter werden, nicht besser."
"Wissen Sie, dass ich gerade überlege, wie viele Schiffe ich zusammen ziehen muss, um Ihre verdammte 1. Außenflotte mit einer blutigen Nase nach Hause zu jagen?"
"Verständlich. Ich war ja nicht gerade nett zu Ihnen. Andererseits haben Sie es sich nicht verdient, dass ich nett zu Ihnen bin. Es ist mir nicht entgangen, dass Sie mich für Ihre Zwecke missbraucht haben. Mich und meine Leute. Wir Terraner haben genug Unglück, Ungerechtigkeit, Leid, Tod und Schmerz erlebt und teilweise selbst verursacht, dass es für Generationen genug ist. Deshalb reisen wir in die Galaxis und versuchen die unschuldigen Intelligenzen davor zu bewahren, auf den Altaren der Fadenscheinigkeit, der Priorität und der Vorurteile geopfert zu werden. Und deshalb mag ich es nicht besonders, wenn jemand glaubt, er könne über eine terranische Flotte gebieten."
"Wir wurden angegriffen", zischte Takh. "Unschuldige Zivilisten wurden von den Putschisten bombardiert!"
"Und wir haben die Situation bereinigt. Bevor ich mich aber nicht sicher bin, wie tief Sie selbst Ihre Finger im Spiel hatten, mein lieber Herr Regent, werden Sie in mir Ihren neuen besten Freund haben, der Sie auf Schritt und Tritt begleitet." Sein grinsen wurde überheblich. "Und glauben Sie mir, ich habe die Macht dazu, um mich durchzusetzen."
"Meinetwegen. Ich habe nichts zu verbergen", zischte Takh heiser, während er wütend die Hände zu Fäusten ballte. "Aber aus meinem Schlafzimmer bleiben Sie raus, oder?"
"Natürlich. Dort wird ohnehin nichts interessantes passieren, da Sie und Ihre Verlobte nicht körperlich miteinander verkehren wollen. Ist ein offenes Geheimnis."
"So, meinen Sie", knurrte Takh.
"Siebenundachtzig Schiffe aller Klassen mit einem Überhang bei den Zerstörern", sagte Papeete.
"Was?"
"Ihre Rechnung. Sie brauchen siebenundachtzig Kampfschiffe aller Klassen, um meine Flotte aus dem System und aus Katalaun zu werfen. Das wäre eine Plus-Minus-Situation für mich, bei der ich die Vernichtung eines Drittels meiner Streitkräfte riskieren würde. Katalaunische Militärtechnologie ist recht gut. Man geht sie nicht mit gleicher Stärke an, sondern aus der Überlegenheit heraus."
"Ach, wie interessant. Vielleicht kriege ich die Schiffe zusammen."
"Und vielleicht kehre ich dann nicht nur mit der 1., sondern auch noch mit fünf weiteren Flotten hierher zurück", schloss Papeete trocken.
Takh schluckte hart. Das wäre gleichbedeutend mit der Annexion des Kaiserreichs durch Terra.
"Vielleicht würde ich auch genügend Schiffe zusammen ziehen können, um auch die anderen vier Flotten wieder aus Katalaun zu werfen."
"Hätte, hätte, Würstchenkette. Dann kontere ich mit zwei weiteren Flotten. Hören Sie auf mit diesen Gedankenspielchen, Herr Regent. Ein großer Vorzug guter Politiker ist es, sich mit manchen Themen erst zu beschäftigen, wenn sie akut sind."
"Sie versuchen mich zu belehren, Admiral."
"Nein, versuche ich nicht. Ich glaube, Sie sind belehrungsresistent. Also warne ich Sie nur."
Langsam entkrampfte Takh seine Hände. "Wie dem auch sei. Ich habe zu arbeiten. Sobald Admiral von Hohenfels die Admiralität wieder übernimmt, wird sie von mir verlangen, dass ich die versprochenen Beförderungen für Arling und seine Kapitäne bestätige, und das erfordert noch ein wenig Vorarbeit."
"Interessant, dass Sie das Thema ansprechen. Sie haben allen Kapitänen eigene Flotten oder stärkere Schiffe versprochen. Soweit ich weiß haben Sie Arlings Verlobter den Kapitänsposten auf der PRAG zugesagt, um mal ein Beispiel zu nennen. Aber Myrte und Harris werden von ihren Kommandos abgezogen. Warum, Herr Regent?"
Erstaunt musterte Anrid Takh den Admiral. "Myrte und Harris?"
"Sie kommandieren die FREDEREC und die ROBERT."
"Ach, die beiden Zerstörer, die Arling zusammen mit der ELISABETH im Pakt gekauft hat." Takh rief die entsprechenden Daten auf seinem Arbeitsplatz auf. "Ach, ich erinnere mich. Ich dachte, ihnen den Ruhestand mit großzügigen Pensionszahlungen schmackhaft machen zu können."
"Ruhestand? Beide sind gerade mal dreißig Standardjahre alt."
Takh lächelte Oberlehrerhaft. "Mein lieber Admiral Papeete, ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Harris ein Javare ist? Und Myrte gehört einer Gruppe Raumnomaden an, die sich immer noch Somona-Piraten nennt. Ich bitte Sie. Solchen Leuten ein Kommando in der Flotte zu geben fordert das Schicksal doch heraus. Nachher glauben sie irgendwann, mit uns Katalaunern gleich gestellt zu sein."
"Oh. Jetzt verstehe ich Ihre Entscheidung. Ihre Idee mit den erhöhten Pensionszahlungen ist auf jeden Fall großzügig."
"Ja, ich denke, so können wir das friedlich beilegen und dafür sorgen, dass ordentliche Katalauner in Zukunft diese Schiffe kommandieren." Als darauf keine Reaktion des Admirals kam, lehnte sich Takh für den Moment zufrieden nach hinten und rief das nächste Problem auf. Vielleicht war der Terry ja doch irgendwo lernfähig und verstand, womit sich die Katalauner tagaus, tagein herum schlagen mussten.

Als die Tür zu seinem Büro aufgestoßen wurde, konnte Takh den Ärger beinahe riechen. Es gab nur zwei Gruppen von Personen, die ohne Voranmeldung in das Büro des Regenten kamen. Die eine war schwer bewaffnet, zu allem entschlossen und hatte sich durch die gesamte Palastgarde gekämpft. Die andere bestand aus Elisabeth Veronique von Versailles und ihrem Ersten Ritter Gerrit Rend. Da von einer planetaren Invasion sowie schweren Gefechten innerhalb des Palasts nichts zu hören gewesen war, blieb nur Gruppe zwei übrig.
Rend war der erste. Er stürzte in den Raum und fingerte auffällig gefährlich am Griff seines Strahlers herum. Ein Blinder konnte sehen, dass der Mann sauer war.
Elisabeth, die hinter ihm eintrat, trug die Zufriedenheit auch nicht gerade ins Gesicht geschrieben.
"Oh, Elise, Erster Ritter. Normalerweise würde ich fragen, was mir das Vergnügen eurer Anwesenheit einbringt, aber an Gerrits Miene kann man problemlos erkennen, dass ihr nicht zum Vergnügen hier seid." Er sah Gerrit Rend in die Augen. "Muss ich meine Sicherheitsleute rufen, Hauptmann Rend?"
Der Erste Ritter erwiderte den Blick, dann zog er langsam, sehr langsam die Hand von der Waffe zurück. "Noch nicht", sagte er gepresst.
"Interessante Antwort. Also, Elise, was ist hier los?"
"Ich erwarte nicht eine ehrliche Antwort zu bekommen. Aber ich bin es meinem Stolz schuldig, diese Frage zu stellen: Hast du Gerrits Familie verschleppen lassen?"
"Was, bitte?" Takh sah seine Verlobte mit hoch gezogenen Augenbrauen an. "Rends Familie verschleppen? Ich habe nichts derartiges angeordnet. Weder offiziell noch inoffiziell."
"Die Stressroutine seiner Stimme beweist, das er die Wahrheit sagt", warf Admiral Papeete ein.
Die Prinzessin und Rend fuhren zusammen, als sie den terranischen Admiral entdeckten.
"Mylord Admiral, entschuldigen Sie. Wir sind hier wohl mit etwas Tunnelblick rein gestürmt. Guten Morgen, Sir", sagte Elisabeth hastig.
"Guten Morgen, Admiral."
"Hoheit, Erster Ritter." Der Terraner nickte ihnen zu.
Elisabeth und Gerrit wechselten einen kurzen fragenden Blick. "Wie sicher ist das, Admiral, diese Stimmstressanalyse?"
"Es gibt nichts auf der Welt mit einhundert Prozent. Aber reichen Ihnen achtundneunzig?"
Widerstrebend nickte Elisabeth.
"Vielleicht können wir aufhören das Pferd von hinten aufzuzäumen und es ausnahmsweise mal mit Vertrauen probieren?", rief Takh ärgerlich. "Also, was ist überhaupt passiert?"
Elisabeth straffte sich merklich. "Wir haben vor einer Stunde versucht, bei Gerrit anzurufen. Als niemand den Anruf entgegen genommen hat, wollten wir einen Nachbarn kontaktieren. Stattdessen wurden wir zur örtlichen Polizei umgeleitet. Es sieht ganz so aus als wären gegen zwei Uhr nachts mehrere Transporter in der Straße gewesen, die ein Einsatzkommando vor Gerrits Haus entlassen haben. Nach diversen Schussgeräuschen wurde die örtliche Polizei informiert. Sie fand das Haus verwüstet und von den Rends verlassen vor. Das ist der Stand der letzten fünf Minuten! Danach sind wir sofort hierher."
"Positiverweise wurden also keine Leichen deiner Familie gefunden, Erster Ritter?", hakte Takh nach.
"Nein, keine Leichen", sagte der junge Mann zähneknirschend.
"Und ihr zwei hattet nichts besseres zu tun als mich sofort unter Generalverdacht zu stellen?", fuhr Takh auf.
"Entweder das", erwiderte Elisabeth, "oder um dich an deine Arbeit zu erinnern! Solche Dinge fallen ins Aufgabengebiet des Residenten, oder?"
"Da hat sie nicht ganz unrecht", warf Papeete schmunzelnd ein.
"Kümmere dich darum, mein lieber Verlobter!" Sie wandte sich um und rauschte wieder aus dem Büro hinaus. Rend folgte ihr auf dem Fuß.
"Und Sie haben sich das mit der Verlobung und der Regentschaft wirklich gut überlegt?", spottete der terranische Admiral.
"Keine Ablenkungen, bitte. Ich habe zu arbeiten. Jenkins, verbinden Sie mich mit dem Polizeipräsidium Place des Étoiles."

Zehn Minuten später war der Regent im Bilde. Er seufzte lang und tief und rieb sich die Schläfen. "Eine der religiösen Gruppen. Verdammt. Was wollten sie nur mit so einer Dummheit bezwecken?"
"Wahrscheinlich Elisabeth und Gerrit kontrollieren. Das ist ein kluger Schachzug, denn wenn Sie es nicht waren, was ja feststeht, dann sind Sie gegenüber der Prinzessin in der Bringschuld. Was ausreichend bewiesen wurde." Papeete runzelte die Stirn. "Was macht Sie so sicher, es mit einer Splittergruppe Ihres Interessenverbunds zu tun zu haben?"
Takh lächelte dünn und vergrößerte eines der Tatortfotos, die ihm zur Verfügung gestellt worden waren. Die Toten waren demaskiert und fotografiert worden. "Ich habe mich oft als so genannter Anheizer in holographischer Maske an der religiösen Basis bewegt, um ein Bild davon zu bekommen, was ich überhaupt vertreten werde. Und natürlich um auf diese Weise für meine Sache zu werben. Dabei war ich unter dem Künstlernamen Claymore Anazasi unterwegs."
"Claymore ist eine mittelalterliche Waffe. Und Anazasi ist ein altes Wort für die nordamerikanischen Ureinwohner an der Westküste. Interessantes Namenskonstrukt. Und das bedeutet?"
Takh zeigte auf die Gesichter der Toten. "Die Polizei hat einen von ihnen als Claymore Anazasi identifiziert, zumindest mit achtzig Prozent Akuresse." Das konnten nur Leute arrangieren, die meine Scheinidentität mindestens so gut kannten wie mein eigener Stab."
"Interessant. Und was sagt uns das? Dass Sie Ihre Schäfchen nicht im Griff haben?"
"Nein, es sagt mir, dass man es niemals allen Recht machen kann. Und das Leute, die einmal etwas mit blanker Gewalt erreicht haben, versucht sind, dies wieder zu tun."
"Und was gedenken Sie im Falle der verschwundenen Familie Rend zu tun, Herr Regent?"
"Ich bezweifle, dass sie in Gefahr sind. Und ich habe eine Ahnung, wo sie gefunden werden können, wenn sie dies wollen. Die Toten sind die Entführer, oder?" Takh nickte nach oben. "Robert hat sie. Und Elise wird da auch bald drauf kommen."
"Interessante Interpretation der Dinge."
"Trotzdem beginnt das Thema jetzt erst für mich. Irgendjemand da draußen hat eine Horde halbwegs ausgebildeter Leute, die er in Kommandoeinsätze schickt. Sie sind nicht unter meiner Kontrolle. Das ist ein Problem." Seine Augen wurden zu Schlitzen. "Ich werde es korrigieren."


13.
13.07.2613
Kaiserreich Katalaun
Montillon-System

Manchmal begannen Dinge, die das Universum veränderten, ganz leise, schlichen sich an wie eine Katze auf Samtpfoten oder wie ein leisetretender Dieb in der Nacht. Diese Veränderung nicht. Sie trat auf mit einem Paukenschlag, mit der Urgewalt einer Explosion und mit der Macht, auf immer im Gedächtnis all jener zu bleiben, die das Privileg hatten, dabei gewesen zu sein.
Als die HERCULES am Systemrand von Montillon aus dem Sprung fiel, hatte sie sofort acht Wachschiffe in nächster Nähe auf der Ortung. nach der letzten Phase der offenen Rebellion, nach dem Schwanengesang der falschen Admirälin der Flotte und den einher gehenden Verwüstungen, die ohne das Eingreifen der Terraner noch schlimmer geworden wären, mehr als nervös.
Als das legendäre Schlachtschiff ins System zurück fiel, hetzten vier der Schiffe - zwei Korvetten, ein Zerstörer und ein Leichter Kreuzer - mit Todesverachtung auf den vermeintlich neu aufgetauchten Feind. Sogar ein Marauder der Terraner änderte seinen Kurs, um das Gigantschiff abzufangen.
Dies änderte sich, nachdem das Kampfschiff seine Signatur gesendet hatte. Als der Riese als die HERCULES identifiziert worden war, beendeten die Kapitäne der Kampfschiffe die Alarmbereitschaft, hielten aber weiterhin auf das Schlachtschiff zu.

"Skipper, wir haben Funkkontakt zum Führungsschiff, dem Leichten Kreuzer MAGDEBURG."
Kapitän Schlüter erhob sich von ihrem Platz, lächelte Arling an und nickte schwer. "Oberst Monterney, Sie haben Startfreigabe. Wünschen Sie wirklich nicht näher an Sanssouci heran gebracht zu werden?"
"Wie soll ich ein Held werden wenn ich es mir leicht mache? Lass mich schon von der Leine, Lenie."
"Kontakt zur MAGDEBURG bestätigen. Katapultstart von Oberst Monterney durchführen. Danach Massenausschleusung des Regiments vorbereiten."
"Aye, Ma´am."
Der Hauptbildschirm veränderte sich. Das Gesicht einer Frau erschien. "Kapitän Conte hier. Lassen Sie mich die Erste sein, die Admiral Arling von seiner äußerst erfolgreichen Mission zurück begrüßt. Die HERCULES hat Freigabe für den Anflugkorridor nach Versailles."
"Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Wir fliegen nicht Versailles an, wir halten Kurs auf Sanssouci", erwiderte Arlene kühl.
Conte zog überrascht die Stirn kraus. "Abgesehen davon, dass Sie mir eine Menge Ärger erspart hätten, wenn Sie einfach so getan hätten, als würden Sie nach Versailles fliegen... Die HERCULES hat nur Anflugerlaubnis auf Versailles, Kapitän Schlüter. Die Befehle der Admiralität sind eindeutig. Sie... Haben Sie gerade einen Knight ausgeschleust?"
"Oberst Charles Monterney, um exakt zu sein. Er will sich um seinen Nebenbuhler kümmern, der ihm versucht die Freundin auszuspannen."
Ein dünnes Lächeln huschte über Contes Gesicht. "Ich bin sicher, dass ein einzelner Knight nicht gleich einen Staatsstreich plant. Was aber die HERCULES angeht, sollten Sie zur eigenen Sicherheit und zur Sicherheit von Lord Arling Versailles ansteuern. Wir haben achtunddreißig Marauder der Terraner im System, Ma´am."
Johann Arling beugte sich vor. "Kapitän Conte, dieses Schiff wird Sanssouci anfliegen."
"Das könnte Ihnen als feindlicher Akt ausgelegt werden, Mylord."
Arling lachte laut. "Es IST ein feindlicher Akt." Er faltete die Hände vor dem Gesicht zusammen und sah sie über die Finger hinweg an, während die Ellenbögen auf den Sessellehnen ruhten. "Ich erobere gerade Sanssouci, das Montillon-System und Katalaun."
"Verzeihung, Mylord, aber habe ich Fiebervisionen? Haben Sie gerade das Wort erobern benutzt?" Irritiert schüttelte Conte den Kopf. "Mylord, egal wie mächtig die HERCULES auch ist, wir haben immer noch über einhundert Schiffe im System! Ich tue das Ganze mal als Scherz ab, aber ich muss Sie eindringlich darauf hinweisen, dass Sie nur einen Anflugkorridor auf Versailles haben."
"Tun Sie es nicht als Scherz ab, wenn Sie nicht sterben wollen", erwiderte Arling mit ernster Miene. "Regiment ausschleusen."
"Aye, Aye, Admiral! Regiment raus schießen! Oberstleutnant Madison, weiten Sicherungskordon ziehen!"
"Verstanden, Skipper!"
Überrascht, beinahe panisch, sah Conte die Offiziere in der Zentrale der HERCULES an. "Aber... Aber..."
"Direkter Funkkontakt von Sanssouci, Mylord!"
"Stellen Sie durch, Oberleutnant Turnau."
"Hallo, Han."
"Elise. Hallo." Arling lächelte dünn. Sein Blick glitt kurz zur Seite, wo die Abordnung der Pressevertreter auf Notsitzen die Situation gespannt verfolgte. Das Live-Zeichen leuchtete von ihren Kleidungsstücken aggressiv hervor. "Jetzt beginnt es, Herrschaften. Nicht zwinkern, sonst verpasst ihr was."
Er wandte sich wieder Elisabeth zu. "Ich bin wieder zurück, Elise."
"Das sehe ich. Und wie immer willst du mit dem Kopf durch die Wand. Du willst tatsächlich Sanssouci erobern? Diese Welt mit der Waffe einnehmen? Den geballten Willen des Volkes ignorieren, der Herzöge, des Militärs, die dich an der Grenze als ersten Wächter und mich als Kaiserin sehen wollen?"
"Nun, um es knapp und kurz auf den Punkt zu bringen: Ja."
"Du willst das etablierte System davon fegen, alles vernichten was wir uns in fünfhundert Jahren erarbeitet haben und deinen Willen durchsetzen?"
"Das ist zwar noch nicht alles, aber generell: Ja."
"Und warum?"
Arling lächelte düster. "Meine Ziele haben sich nicht geändert. Nur meine Methoden."
"Du willst also tatsächlich kämpfen?" Elisabeth schnaubte ungläubig. "Entweder muss diese HERCULES ein Wunderschiff sein, oder irgendjemand hat dir ausgeredet, Angst zu empfinden! Han, du hast nur deinen Wunderpott! Aber in diesem System befindet sich eine komplette Flotte der Terraner, von unseren eigenen Schiffen mal ganz abgesehen! Die werden alle auf dich feuern, wenn du schon so ankommst! Ihnen bleibt gar keine andere Wahl!"
"Zwei Dinge, Elise. Erstens hasse ich die heimlich Tour wirklich. Und zweitens ist mir der Wille der Herzöge, der Presse und der Bevölkerung gerade furchtbar egal. Ich tue das, was ich glaube tun zu müssen. Und das ist, mein Heimatland zurück zu erobern für all jene, die hier in Frieden und Freiheit leben wollen. Wenn dies bedeutet, dass ich auf die Marine schießen muss, werde ich das tun."
"Verdammt, Han, du bist allein!"
"Nein, bin ich nicht. Charles ist gerade durch gestartet und auf dem Weg nach Sanssouci. Er hat vor, sich bis zu dir durch zu kämpfen, deinem Verlobten die Meinung zu sagen und dich zu retten."
Die Augen der Prinzessin weiteten sich. "Charly kommt? Hierher?" Entsetzt sprang sie auf. "Alleine?"
"Keine Sorge, er ist der eintausendeinhundertzehntbeste Knight-Pilot Katalauns. Und bevor er gelandet ist, wird er noch um einige Ränge aufsteigen."
Elisabeth schüttelte fassungslos den Kopf. "Du bist verrückt, Han. Charly ist verrückt! Ihr werdet sterben, wenn ihr so weiter macht."
"Und wir tun es gerne, wenn es nur endlich etwas ändert. Charles kämpft für seine Liebe. Ich für mein Kaiserreich."
"Du meinst, er stirbt für seine Liebe, und du stirbst für dein Kaiserreich", erwiderte sie frostig.
"Im Prinzip ja, aber der Part mit dem sterben ist noch nicht so raus. Oberleutnant Raglund?"
"GAZ der Flotte in achtzehn Sekunden, Mylord."
"GAZ? Flotte?"
"Ein Ausdruck aus dem militärischen Sektor. GAZ steht für geplante Ankunftszeit und bezeichnet den Moment an dem eine mobile Einheit..."
"Ich weiß, was GAZ heißt", erwiderte sie ärgerlich.
"Touchdown, Mylord! Alle achtundvierzig Einheiten sind aus dem Sprung gekommen!"
"...zu einem zuvor avisierten Zeitpunkt ein bestimmtes Ziel erreicht. In meinem Fall die mich unterstützenden Schiffe das Montillon-System."
"Und was jetzt? Willst du Verhandlungen aufnehmen? An der Regierung beteiligt werden? Nachbesserungen verlangen? Was tust du jetzt, Han?"
"Du solltest mich so gut kennen, Elise." Er wandte den Kopf zur Seite. "Carrie, was denkst du, werde ich jetzt wollen?"
Die terranische Reporterin verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. "Genau das was du gesagt hast: Katalaun erobern. Und keine terranische Friedensflotte wird dich dabei aufhalten."
"Trotzdem, deine Schiffe sind..."
"Touchdown der republikanischen Einheiten, Mylord!", meldete Raglund.
"Sir, Funkkontakt zur MAYNHAUS, dem Flaggschiff von Admiral of the Sector Coryn Griffin!"
"Auf den Schirm. Coryn, es tut gut dich zu sehen."
"Was denn, was denn? Wenn du schon etwas derart dummes machst, kann ich doch nicht daneben stehen und zusehen." Griffin lächelte ihn vom Eitelschrecken aus an. "Dir ist bewusst, dass dein Name mittlerweile magische Wirkung hat, oder? Ich musste nur erwähnen für wen ich fliege und was ich tun will, und ich wurde durch die katalaunischen Linien gelassen, als hätte es nie einen Krieg gegeben. Ach, schöne Grüße vom frisch vereidigten Präsidenten Jules Cranston. Er bedauert, nicht mehr Schiffe erübrigen zu können als meine vierundachtzig Einheiten. Einige Schiffe wirst du sicherlich wieder erkennen, unter ihnen die HOUSTON, die nun als Flaggschiff der 1. Defense Fleet dient. Ich war auch so frei, die 19. und Admiral Kian mitzubringen."
"Und noch einige mir positiv aufgefallene Schiffe dazu. Allerdings vermisse ich die PRETENDER."
"Liegt noch in der Werft. Sie wurde übelst zusammen geschossen. Aber ich hoffe, acht Leichte Kreuzer, dreiundvierzig Zerstörer und dreiundzwanzig Fregatten reichen dir als Ersatz, Han."
"Ich nehme an, du hast Captain Stiles mit auf die MAYNHAUS genommen?"
"Es heißt Rear Admiral, Han. Sie kommandiert die 4. Flotte, welche von der MAYNHAUS angeführt wird. Ihr Skipper ist Captain Slodowsky."
Angenehm überrascht lächelte Johann. "Manchmal entwickeln sich die Dinge zum Guten."
"Noch ein Anruf von Sanssouci, Mylord. Regent Takh ist in der Leitung."
"Durch stellen. Guten Tag, Regent Takh. Oder sollte ich besser Claymore Anazasi sagen?"
"Damit kommen Sie nie durch, Arling! Sie führen ausgerechnet republikanische Schiffe mitten ins Herz Katalauns! Sie reißen alles nieder was als richtig gilt, nur um Ihren Willen zu kriegen! Aber glauben Sie nur nicht, Sie hätten gewonnen! Admiral der Flotten Miranda von Hohenfels ruft bereits alles zurück was in Reichweite ist und fliegen kann! Außerdem ist immer noch die 1. Flotte der Terraner im System!"
Ein weiterer Kontakt gesellte sich dazu. "An dieser Stelle würde ich gerne anmerken, dass Lord Arlings Wille auch der meine ist."
"Johannes von Baaden! Ihr unterstützt diesen Wahnsinn?"
Der kleine Mann nickte schwer. "Ich sehe in Johanns Tun mehr Sinn und mehr Nutzen für Katalaun als in dem, was Sie veranstalten, Takh. Sie sollten besser zu Ihren Bilanzen zurückkehren. Davon einmal abgesehen, hat Johann nicht einfach die republikanischen Schiffe eingeschleust."
"Ach nein? Hat er ihnen auch noch unsere Verteidigungspläne verraten?", ätzte Takh.
"Ein wenig subtiler, Herr Regent."
"Mylord! Die Phillippii und die Perseii sind unter Führung der IOLAOS gerade ins System gesprungen! Außerdem vermelde ich die Ankunft eines starken herculenanischen Verbands unter der Führung der PHILLIP IV!"
"Gute Arbeit, Raglund. So, das sind dann drei Schlachtkreuzer und weitere einhundertvierzig Schiffe aller Klassen obendrauf. Ziehen Sie ruhig alles zusammen was fliegen kann. Bis dahin habe ich jeden Gegner aus dem System gewischt, der zwischen mir und der Macht in Katalaun steht."
"Kontakt zur PHILLIP, Mylord! Der Despot Theseus für Sie."
"Durch stellen, Turnau. Mylord Theseus?"
"Lord Arling. Wir haben es, wie es scheint, noch rechtzeitig geschafft. Wisst Ihr eigentlich wie einfach es war, durch die katalaunischen Linien zu kommen, wenn man Euren Namen benutzt?"
"Es wurde mir vereinzelt zugetragen", erwiderte Arling und tauschte ein Schmunzeln mit Griffin aus.
"Die IOLAOS ruft, Mylord. Ich stelle durch."
"Hier ist Admiral Bekatorou. Mylord Arling, ich soll Sie darüber informieren, dass die Whale-Transporter mit den Hephaistos-Flüchtlingen unter Führung der AGATHA kurz nach uns ins System springen werden."
Arling sah überrascht zur Söldnerin herüber. "Was? Warum setzen sie sich dieser Gefahr aus?"
"Es sieht so aus als hätten man an Bord aller acht Whale-Transporter abgestimmt und beschlossen, Euch zu unterstützen, Mylord, und sei es nur durch die bloße Anwesenheit der zwei Komma drei Millionen Menschen, die Ihr gerettet habt."
"Ich und die gesamte Einsatzflotte, inklusive Admiral Toral."
Bekatorou hustete leise. "Wir wollen jetzt nicht erbsenzählen und genauer sein als Iolaos, Mylord."
"Das macht es nicht leichter, das sie sich wissentlich gefährden. Himmel, es sind Zivilisten!"
"Zivilisten, die ein Zeichen setzen wollen! Für sie habt Ihr, Mylord, alles riskiert: Einen internationalen Zwischenfall, die eigene Karriere, Ruf und Ansehen und schließlich auch das Leben. Könnt Ihr diesen Menschen wirklich verübeln, dass sie sich nun beschwingt, begeistert und inspiriert fühlen und das tun wollen, was Ihr tut? Nämlich das Richtige?"
Arling stockte. "Verdammt, Bekatorou, Sie passen mir auf die acht Whale-Transporter auf!"
"Natürlich, Mylord. Eine Schande, dass Ihr mich dazu auffordern zu müssen glaubt", erwiderte die Admirälin pikiert. Aber das dauerte nur einen Moment, dann lächelte die Söldnerin schon wieder. "Ich soll Euch Grüße von Jenna überbringen. Sie wächst langsam in ihre Rolle rein und hofft, das diese Unterstützung das Land rettet, welches das Herculeanum neu entstehen ließ."
"Ich bin der Königin zu tiefem Dank verpflichtet, Admiral", erwiderte Han leise. Er räusperte sich mehrmals, um den Kloß im Hals los zu werden.
"So wie sie es Ihnen gegenüber ist - und die Bevölkerung des Herculeanums ebenfalls", schloss Bekatorou. Sie lächelte milde. "Terraner im System, eh? Mit denen wollte ich mich schon lange mal messen. Habe ich Erlaubnis, mit der IOLAOS zur Speerspitze des Vorstoßes nach Sanssouci zu stoßen?"
"Die gleiche Frage wollte ich auch gerade stellen, Mylord Arling", klang die Stimme von Theseus dem Dritten auf. "Admiral Wickers bittet um die Ehre, die PHILLIP IV ebenfalls zur Angriffsspitze zu führen."
"Erlaubnis erteilt. Drei so stolzen Schwesterschiffen sollte ab und an erlaubt werden, Seite an Seite zu kämpfen."
"Neuer Kontakt von Sanssouci, Mylord", meldete Turnau. "Diesmal ist es Admiral Papeete."
"Auf den Schirm. Admiral, Sir."
"So, so. Sie sind also dieser Arling, der die halbe Galaxis verrückt macht und dort wo er in persona auftaucht die Naturgesetze biegt. Ich muss zugeben, ich bin ein Fan von Ihnen, seit Miss Rodriguez das erste Mal von Ihnen berichtet hat, Arling."
"Das freut mich zu hören. Und Carrie wahrscheinlich besonders."
"Dennoch muss ich Sie darüber informieren, dass sowohl die Interims-Kaiserin als auch die Bevölkerung des Systems unter dem Schutz der 1. Terranischen Außenflotte steht."
"Damit habe ich kein Problem. Ich will dieses System erobern, nicht einäschern."
"Sie riskieren einen Kampf, Arling."
"Dessen bin ich mir bewusst. Allerdings verspreche ich Ihnen, Admiral, dass meine Schiffe und Verbündeten nicht zuerst schießen werden."
"Wir werden sehen, was davon zu halten ist, Arling. Ich erwarte Sie und Ihre Verbündeten im Orbit über Sanssouci." Sein Bildsegment erlosch wieder.
"Ortung", sagte Raglund ernst. "Terranische Marauder nehmen Kurs auf Sanssouci."
"Er zieht seine starken Einheiten zusammen", sagte Arlene verärgert. "Spielverderber."
"Auch die katalaunischen Einheiten werden sich über Sanssouci zusammen ziehen. Oder sich uns anschließen. Oder sich raus halten." Arling lächelte dünn. "Doch das ändert nichts daran, dass wir mit dieser Anzahl an Schiffen Katalaun erobern können."
"Willst du es nicht lieber über die Parlamentswahl probieren? Muss es erobern sein?", klang erneut Elisabeths Stimme auf.
Arlings Miene wurde hart. "Elise, du siehst wohin dich das beherrschende System gebracht hat. Du bist gezwungen, einen Fremden zu heiraten, der dich benutzen will, um sich für die Macht in Katalaun zu legitimieren. So ein System will ich für das Land, in dem ich lebe, nicht haben. So ein System will ich für meine Kinder nicht haben. Deshalb fege ich es hinweg und errichte es neu." Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. "Dafür werde ich kämpfen."
"Und nebenbei erhalten wir die einmalige Gelegenheit, gegen terranische Einheiten zu kämpfen. Was wird das für ein Gefecht", sinnierte Schlüter genießerisch.
"Pfeife deinen Kampfhund zurück, Han. Wir Republikaner wollen auch ein wenig vom Spaß haben", warf Griffin lachend ein.
Arling zuckte die Schultern. "Erst einmal müssen wir beschossen werden. Danach bleibt genug für alle übrig." Sein Blick ging zu Schlüter. "Lenie, es wird Zeit."
"Aye, Aye, Admiral." Sie straffte sich. "Korvettenkapitän Lüding!"
Der Erste Offizier der HERCULES kam herbei. "Ma´am?"
Sie überreichte ihm einen Datenstick. "Hier ist die überarbeitete Kriegsflagge des Hauses Versailles, versehen mit dem Logo von Johann von Versailles. Übertragen Sie die Flagge an alle verbündeten Einheiten und geben Sie Befehl zum hissen."
"Jawohl, Ma´am." Lüding nahm den Datenträger entgegen und ging zur Nische der Kommunikationsspezialisten. "Hier. Übertragen Sie die Flagge und den Befehl zum hissen. Wir wollen doch wenigstens alle unter der selben Flagge fahren, wenn wir schon aus drei verschiedenen Staaten kommen."
Turnau nahm den Datenträger andächtig entgegen. "Natürlich, Sir."

Ein paar Minuten später entfalteten sich an den Fahnenmasten der Arlingschen Verbündeten neue Flaggen direkt unter den Nationalitätsflaggen. Die holographischen Meisterwerke verwendeten wieder gold auf blau, nur war diesmal das Wappensymbol der Beijingsche Adler, nicht der Löwe.
Auf über zweihundert Schiffen wehend war dies wahrlich ein grandioser Anblick - sofern man über Nachbearbeitungssoftware verfügte, denn im Weltall waren die Schiffe derart verteilt, dass sie füreinander lediglich Lichtpunkte waren.
Andererseits verstanden die Reporter von Arlings internationalem Pressekorps ihren Job, als sie die Neuigkeiten und die Bilder in der Galaxis verteilten.

"Mylord, ich melde die Ankunft der acht Whale-Transporter und Führung der AGATHA."
Ein erfreutes raunen ging durch die Reihen der Soldaten und Offiziere.
Arling schmunzelte. Diese durchaus kleine Geste der von Hephaistos geretteten Zivilisten wurde auf diese Weise zu einem gigantischen Wink. "Grüßen Sie sie, Oberleutnant. Sie sollen sich im Hintergrund halten, während wir Katalaun erobern."
Turnau lächelte breit. "Aye, Aye, Admiral."

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"Er kommt also", sagte Miranda von Hohenfels bedächtig und betrachtete das große Holo über ihrem Schreibtisch, in dem die Positionen der Schiffe Arlings verzeichnet waren.
"Ja, Ma´am", erwiderte Sven Kress leise.
"Und er kleckert nicht, er klotzt."
"Sieht ganz so aus, Ma´am."
Von Hohenfels klopfte die Fingerspitzen aneinander. "Ich weiß nicht was er sich davon verspricht, Katalaun zu erobern, aber ich habe Vertrauen in ihn. Ich habe immer damit gerechnet, das er eines Tages auf diesem Stuhl sitzen würde. Habe ich das schon erwähnt, Sven?"
"Mir gegenüber noch nicht, Ma´am."
Die Admirälin der Flotten seufzte. "Himmel, da hat man einmal einen guten Kandidaten als Nachfolger an der Hand, und schon ist man gezwungen, ihn auf eine Selbstmordmission zu schicken. Und kaum hat er die überlebt und erfolgreich absolviert, visiert er nicht deinen Stuhl, sondern den vom Chef an. Die Welt ist ungerecht, Sven."
"Das kann ich nicht beurteilen, Ma´am. Zu mir war die Welt bisher recht gut."
"Grinsen Sie etwa, Sven? Soll ich das als Missachtung meiner Person verstehen?"
"Niemals, Ma´am. Nebenbei bemerkt, es tut gut, endlich wieder mit Ihnen zu reden, und nicht mit Ihrer größenwahnsinnigen Cousine." Er räusperte sich vernehmlich. "Und bevor Sie fragen: Selbst wenn ich es nicht persönlich gewesen wäre, der Sie nach Versailles hat schaffen lassen, nachdem abzusehen war, dass Sie ein primäres Ziel dieses missratenen Putsches sein würden, ich hätte in jedem Fall erkannt, wen ich da vor mir habe."
"So, hätten Sie?", fragte von Hohenfels schmunzelnd.
"Ma´am, man kann kommandieren, oder man kann Befehle geben. Man kann Entscheidungen treffen, oder man kann Taten sprechen lassen. Ihre Cousine war ein wilder junger Kadett, dem in einer Simulation eine zu große Flotte zugeteilt worden war. Sicher, für ihre begrenzte Welt hat sie gute Arbeit geleistet, sowohl dabei, ihre Agenten in mein Flottenhauptquartier zu schleusen als auch ihren Coup vorzubereiten, der uns beinahe ein paar hunderttausend Tote gekostet hätte. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man Flöte spielt oder ein Orchester dirigiert." Kress ließ die Augenbrauen in komischer Manier auf- und abwippen. "Ich habe zwei Drittel aller Entscheidungen aus ihren Büro nachbearbeitet, um überhaupt so etwas wie eine Linie hinein zu bekommen. Bei Ihnen hätte ich mich das nicht gewagt. Die Gefahr wäre zu groß gewesen, einen Plan zu gefährden, der in dreißig Tagen oder einem halben Jahr seine schreckliche Effektivität entfaltet hätte."
"Freut mich zu hören, dass Marina nicht mein Genie hatte. Hätten Sie sie nicht früher entfernen können?"
"Ich musste auf das Okay des Kaisers warten. Außerdem war ich ebenfalls der Meinung, all ihren Verbindungen hinterher zu spüren sei das Risiko wert. Nicht, dass ich mit der jetzigen Entwicklung vollkommen zufrieden bin, mit dem Kaiser auf dem Mond und seiner Nichte hier unten in den Klauen eines Großindustriellen."
Miranda seufzte. "Nicht, dass wir etwas dagegen tun können, solange Takh das Parlament und die Bevölkerung in der Tasche hat. Nicht im Moment, zumindest. Wir sind halt nicht frei in unseren Entscheidungen und müssen uns darauf beschränken, die potentiellen Schäden so gering wie möglich zu halten. Vor allem aber müssen wir verhindern, dass die Terraner uns aus lauter Nächstenliebe annektieren."
"Ein wichtiger Punkt, Ma´am."
"Sie sind ab sofort Vollgeneral, Sven."
"Ma´am?"
"Sie haben mich schon verstanden. Stecken Sie sich den vierten Gold-Stern auf die Schulter."
"Ma´am, ich weiß nicht was ich sagen soll."
"Bedanken Sie sich nicht bei mir. Durchgesetzt hat diese Beförderung Gandolf Zachary von Beijing."
Kress wurde blass. "Ma´am?"
"Details brauchen Sie nicht zu interessieren. Aber über zwei Dinge müssen Sie sich klar sein, Sven. Nummer eins ist, dass wir beide letztendlich auch nur Befehlsempfänger sind. Wir haben leider nicht das Recht, Befehle zu verweigern und wissentlich jene zu gefährden, für deren Schutz wir eigentlich da sind. Egal wie sehr wir mit Lord Arling sympathieren."
"Verstehe, Ma´am. Allerdings kann ich auch jederzeit meinen Abschied nehmen und bei Graf Arling anheuern."
"Vorsicht, treiben Sie es nicht zu weit. Mehr als ein Oberst-Posten ist da gewiss nicht für Sie drin, also überlegen Sie sich das gut, Sven."
"Meine Gedanken sind theoretischer Natur, Ma´am."
"Und wie lange noch?"
Kress erwiderte ihren Blick mit steinerner Miene. "Und Nummer zwei, Ma´am?"
"Nummer zwei?" Miranda grinste schwach. Sie manipulierte das Hologramm und zoomte ein bestimmtes Signal hervor. "Nummer zwei ist, dass einer der besten Knight-Piloten Katalauns gerade dabei ist, auf dieser Welt zu landen, sich durch den Palast zu kämpfen und Prinzessin Elisabeth von Versailles aus den Klauen ihres Verlobten Anrid Takh zu reißen."
"Die Tat eines Wahnsinnigen. Er wird sterben, bevor er auch nur den Orbit erreicht hat."
Miranda seufzte laut. "Mein lieber Sven, ich weiß, Sie sind kein Romantiker, aber trotzdem haben Sie es zumindest auf einen Sohn geschafft. Dennoch, ein Klischee-Held ist nicht gerade an Ihnen verloren gegangen.
Charles Monterney ist einer der besten Knight-Piloten Katalauns, trotz allem. Und er ist bis über beide Ohren in seine Freundin verliebt. Wenn man so tief drin steckt wie er wird man zwar ein wenig blauäugig und übersieht einiges - zum Beispiel die geschlossene Nahverteidigung von Sanssouci - aber es verleiht auch riesige Kräfte. Er kann es schaffen. Gegen die gesammelte Orbitalabwehr? Wer weiß? Andererseits, Sven, ICH bin Romantikerin, und ich möchte den Jungen nicht vollkommen ins Chaos stürzen lassen. Anstatt gegen die ganze Verteidigung zu kämpfen, reicht es eigentlich..."
"Wenn er gegen mich kämpft? Interessanter Gedanke. Wenn ich als Verteidiger ein Duell ausrufe, wird die Nahverteidigung nicht involviert. Und wenn ich ihn besiege, kann ich ihn auf Sanssouci herunter schaffen."
"Und wenn er Sie besiegt, Sven?"
"Das ist durchaus im Bereich der Möglichkeiten. Aber Sie werden verstehen, Ma´am, dass mich der Gedanke deshalb umso mehr reizt. Ich treffe hier auf einen Mann, der zeitweise von Zachary ausgebildet wurde. Auf einen Mann, der auf meiner Liste der besten zehn Knight-Piloten Katalauns steht. Es elektrisiert mich, an die Möglichkeit eines Duells zu denken."
"Na, dann gehen Sie und spielen Sie schön. Wer weiß, vielleicht müssen Sie Ihre Liste anschließend überarbeiten", schmunzelte von Hohenfels.
"Ein wünschenswerter Umstand, Ma´am. Ich liebe positive Überraschungen." Er nickte kurz in die Richtung der Admirälin und wandte sich zum gehen. "Was mir gerade noch einfällt, ich habe diskret General Lück verhaften lassen. Er sitzt derzeit in den Arrestzellen im Keller. Aber Takh wird ihn schnell wieder raus lassen, sobald er erst rechtskräftig Regent ist."
"Wir sollten jede Sekunde genießen, die wir ihn da unten schmoren lassen können", erwiderte von Hohenfels säuerlich. "Und jetzt gehen Sie, Sven. Ich muss mich noch mit einem wild gewordenen Kandidaten für das Kaiseramt herumschlagen."
"Aye, Ma´am."
Als sich die Tür hinter Kress schloss, seufzte von Hohenfels erneut. "Es scheint, ich bin eine Woche zu früh auf die Bühne zurückgekehrt. Den ganzen Ärger hätte ich dir nur zu gerne überlassen, Marina." Sie schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu verscheuchen, denn Marina in dieser wichtigen Zeit am Ruder zu belassen hätte in ein weit schlimmeres Chaos geführt als selbst zwei Arlings anrichten konnten. Sie war dort wo sie jetzt war, unter schwerster Bewachung in der Untersuchungshaft der Reichspolizei, sehr gut aufgehoben und fernab jeder Möglichkeit, wieder Ärger zu machen. Die große Frage, die sich Miranda von Hohenfels nun stellen musste, war, was die Terraner machen würden. Von Papeetes Reaktion hing vielleicht das ganze Kaiserreich ab.
***
"Hältst du das wirklich für so klug?", fragte Carrie schließlich, als sie beinahe schon vor Neugierde zu platzen drohte. "Han? Ich rede mit dir."
"Ich halte was für klug?", fragte der Graf erstaunt.
"Na, mit den Gryanen, den Perseii, den Phillippii UND mit der republikanischen Flotte in Katalauns Hauptsystem einzufallen. Ich sehe schon, wie dich die einheimische Presse verreißt. Und die internationale Presse wird das auch tun. Du wirst vom charmanten Weltenretter, vom Kriegsheld zum machtbesessenen Eroberer gewandelt werden, und du kannst nichts dagegen tun. Du wirst deine persönliche Integrität verlieren."
Arling wandte sich ihr zu. Er lächelte mit schmalen Lippen. "Meine liebe Carrie Rodriguez, wenn alles was ich in diesen Stunden und Tagen verliere meine Integrität sein sollte, dann gebe ich sie gerne mit beiden Händen her. Wenn ich mein Amt, mein Kommando, ja, mein Anrecht auf den Platz in meiner Familie auf B-King verliere, gebe ich es zu gerne her. Wenn das alles ist was das Schicksal fordert, dann opfere ich es anstelle der Schiffe und der Mannschaften, die mir folgen, mir vertrauen. Wenn ich als einziger fallen muss, dann soll es der tiefste Fall von allen sein, ich trete ihn gerne an und zaudere nicht vor der Finsternis am Grund. Hoffentlich ist es so einfach..." Zum Ende hin war Arling mehr und mehr ins Flüstern gefallen. In der Zentrale der HERCULES herrschte nun absolute Stille, weil niemand die Worte Arlings hatte verpassen wollen. Selbst die Presseleute verzichteten auf Kommentare und lauschten gebannt.
"Du verstehst mich nicht. Oder, Carrie?", fragte Arling leicht resignierend.
"Irgendwie kann ich dir nicht ganz folgen", gab sie zu.
Arling lachte leise auf. Dann rieb er sich die Augen. "Stimmt. Ich kann mir auch nicht ganz folgen. Aber ich glaube... Ich weiß, dass dies der einzige richtige Weg ist, den wir... Den ich gehen muss."
Er machte eine fahrige Geste mit den Händen, die Verzweiflung ausdrückte, vielleicht ein wenig Kraftlosigkeit. "Es steht viel auf dem Spiel. Vielleicht zu viel. Ich kann und werde nicht zulassen was nicht sein darf."
"Diese Formulierung macht deine Situation nicht besser", tadelte Carrie.
Arling rieb sich die Schläfen. "Bevor ich aufgebrochen bin, um die katalaunischen Bürger von Vesuv zu retten war Robert noch der Kaiser. Während ich versuchte meine Landsleute aus der Zwangsarbeit zu befreien, wurde er gezwungen abzudanken. Und eine falsche von Hohenfels versuchte mir einzureden, die Katalauner NICHT zu befreien. Es... Es geschah so viel, gutes wie schlechtes, großes wie kleines. Jede meiner Entscheidungen hat etwas bewirkt, und bei manchen dieser Entscheidungen sehen wir erst in achtzehn oder zwanzig Jahren, was wirklich daraus geworden ist. Jedenfalls wurde Elisabeth auf den Thron gezwungen, um als Marionette zu dienen. Für wen? Die Magno Unlimited? Die religiösen Fanatiker? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, das eine Kaiserin Elisabeth auf dem Thron geduldet worden wäre, weil man sie für leicht zu manipulieren hält. Es war nie ihr Wille das zu tun, nach der Krone zu greifen, auf dem Thron Platz zu nehmen, und einen Regenten zu ernennen. Noch schlimmer, sie wird im Namen der Vernunft und der Stabilität Katalauns dazu gezwungen, eben diesen Regenten zu heiraten, ungeachtet all ihrer Gefühle und Wünsche. Das ist nicht das Leben, das sie leben will. Das ist nicht das Leben, das ich mir für sie wünsche. Wir haben in Katalaun bereits einen Kaiser, und er ist gut in seinem Job. Wir brauchen niemanden, der sich für einen besseren Kaiser hält und meine Cousine als Marionette vor sich her schiebt."
Arling lächelte Carrie etwas unsicher an. "Ich weiß nicht wie du es siehst, aber ich denke nicht, dass ich den Leuten, die Elisabeth auf dem Thron sehen wollen, weiter trauen sollte als ich die HERCULES werfen kann. Sie ist eine gute Offizierin und wird eines Tages mal einen hervorragenden Admiral abgeben, aber sie hat weder die Wirtschaftserfahrung noch die sozio-ökonomischen Kenntnisse, die das Amt des Kaisers verlangen. Gewiss mag ein guter Regent die Lösung sein, aber Anrid Takh ist Wirtschaftsspezialist. Er hat keine Ahnung von Justiz, Polizei, Landwirtschaft, Sozialfragen und Bergbau, und all den anderen Bereichen, die fortan seine Aufgabe bilden.
Als Graf von Arling musste ich mich all diesen Aufgaben stellen, musste ich jeden Tag Entscheidungen treffen, die das Leben Tausender beeinflusst haben, bevor ich schlussendlich in die Flotte eintrat. Selbst danach habe ich in Friedenszeiten meine Amtsgeschäfte, sofern sie Takeru nicht erledigen konnte, nachgearbeitet. Und auch im Krieg habe ich hart daran gearbeitet, auf dem Laufenden zu bleiben. Katalaun, das ist Arling in groß. In sehr viel größer, sprich gigantischer. Vielleicht wäre er ein guter Minister für Wirtschaft und Finanzen, aber gewiss kein guter Regent. Und von schlechten Regenten haben wir eigentlich seit den Zeiten von Frederec und Wilbur die Nase voll. Es scheint nur, dass das einige vergessen haben."
"Nettes Plädoyer gegen die politische Erfahrung deines Angstgegners. Und schöner Hinweis auf die immer noch unbekannten Hintermänner, die auch nicht gerade vaporisiert sind. Aber da ist immer noch der gesellschaftliche Riss, von dem Takh gesprochen hat, und den er mit seiner Heirat mit Elisabeth kitten will."
"Den er oder zumindest die religiösen Gruppierungen überhaupt erst erschaffen haben." Arling schnaubte amüsiert. "Wir haben in Katalaun Religionsfreiheit. Aber es kommt schon seit Jahrhunderten immer wieder vor, das eine besonders puritanische oder meinetwegen reine Religion von einer anderen Welt aufbricht, um "die Zivilisation vor sich selbst zu schützen, den Glauben an Gott zu retten und die Bigotterie im Kaiserreich zu beenden, um all die gefährdeten Seelen zu schützen". Auch sehr beliebt ist immer "wir müssen doch darauf achten, welche Zukunft wir den Kindern bereiten, denn was soll aus ihnen werden, fern von Gott, fern von Autorität, fern von einer Gesellschaft, die rein ist von Schmutz, Gewalt und Pornographie". Entschuldige, Carrie, aber so etwas habe ich schon viel zu oft gehört. Und ich weiß was jedes Mal dabei heraus kommt. Dabei ist es egal, ob wir es mit einer Religion zu tun haben, oder mehreren, wie im Moment, oder mit einer wirtschaftlichen Idee, einem Paradigmenwechsel. Es ist immer so: Eine Minderheit baut ihre Stimmen aus, wird beachtet, vertritt ihre Meinung und macht den Rest, die große Mehrheit, glauben, sie sei plötzlich die Minderheit. Und dann schalten und walten sie, bis sie doch einmal gestoppt werden können. Das letzte Mal war es Robert, der Frederec davor bewahrte, mitschuldig am Mord von Millionen Intelligenzwesen zu werden. Dieses Mal bin ich es, der Elisabeth davor bewahren will, als Kaiserin des Zerstörungskrieges gegen Jemfeld und Zyrrtekk in die Geschichte einzugehen."
Carrie verzog nachdenklich den Mund. "Glaubst du wirklich, es wird so schlimm? Ich meine, dieser Takh, auch wenn er wie du sagst keinerlei Erfahrung im Justiz- und Sozialsektor hat, erschien mir doch ein recht kompetenter Mann zu sein."
"Und wie ist er dahin gekommen, wo er jetzt ist? Ein kluger Mann hat mal gesagt, jemand der in einem Amt dieser Ordnung gelangt ist, hat garantiert Leichen im Keller. Seine Leichen sind die Gefälligkeiten, die Kontakte und seine Geschäftsverbindungen, auf die er Rücksicht nehmen muss, die er nicht ignorieren oder verärgern darf. Er ist Teil eines großen Gespinstes, das genauso nützlich wie schädlich sein kann. Aber ich wette, das viele Leute die Schuld eintreiben werden, die der Vorsitzende von Magno Stahl sich hat geben lassen und die Regent Takh wird bezahlen müssen."
Carrie lächelte spöttisch. "Und du? Hast du als Regent von Arling keine Leichen im Keller?"
"Oh, nicht unbedingt. Ich war immer gut darin, meine Geschäftspartner glauben zu lassen, sie würden mich mehr brauchen als ich sie. Der Herzog eines Kontinents zu sein war da immer recht hilfreich", erwiderte Arling mit einem Zwinkern.
"Dennoch, nach allem was bereits war, nach den großen Demonstrationen, die wir über die internationalen Netze gesehen haben, dort unten in Neu-Berlin, während wir über Vesuv schwebten, nach den Völkermassen, die gegen Robert demonstriert haben, denkst du da wirklich, du sprichst für die Mehrheit, Han?"
Arling lächelte schwach. "Was ist denn schon eine Mehrheit? Es gibt keine Mehrheiten, es gibt immer nur Minderheiten. Und der kleinste Nenner ist eine der Meinungen in deinem Kopf. Mehrheiten entstehen nur, wenn sich einige Menschen in einem Thema auf die gleiche Bedeutung, das gleiche Ziel einlassen. Im nächsten Thema sind sie dann bereits eine zerstrittene Horde. Aber zugegeben, im Moment sehe ich eine Mehrheit, hier auf Sanssouci, im Kaiserreich Katalaun. Diese Mehrheit entspricht einer gemeinsamen Stimme, einem gemeinsamen Wert, der die Menschen eint, der sie zumindest in diesem Punkt einig sein lässt. Und das ist der Wunsch, wieder in Frieden leben zu können, den Krieg hinter uns zu lassen. Die Leiden beenden, die Soldaten heim holen, mit unseren Nachbarn Handel und nicht länger Händel zu betreiben. Vielleicht sind die Menschen in allen anderen Fragen uneins. Vielleicht streiten sie sich mit ihrem Nachbarn bereits ausgiebig über das Programm ihrer Lieblingssender. Vielleicht haben sie große Kontroversen bereits in der Kommunalpolitik. Nein, nicht vielleicht, es ist garantiert so. Aber ich glaube, dass dieser eine Punkt sie eint, und sie zur Mehrheit in Katalaun macht. Zu einer Mehrheit, die den Frieden, die persönliche Freiheit als ihr höchstes Gut ansieht. Und wenn es diese Mehrheit gibt, dann will ich ihr dienen.
Aber wenn ich mich irre, und diese Mehrheit existiert nicht, dann werde ich mein Bestes geben, um sie dazu zu zwingen.
Die Regentschaft von Robert hat Katalaun gut getan, und bevor der Krieg ausbrach hatten wir alle ein gutes Leben. Ich will diese Zeit zurück. Ich will den Krieg beenden. Ich will vielleicht nicht tun was populär ist, aber ich will tun was richtig ist. Etwas von dem ich denke, von dem ich fühle, von dem ich weiß, dass es richtig ist."
Arling erhob sich. Sein Blick ging über die anwesenden Offiziere und Mannschaften, über die Reporter, von denen viele das Live-Zeichen auf der Kleidung trugen. "Ich werde das tun, was ich für richtig, für gut halte. Ich werde es tun, auch wenn es unpopulär ist. Dies ist meine Pflicht Katalaun gegenüber, und egal wie pathetisch das klingt, du siehst hier Menschen, die glauben das ich die Pflicht habe, Roberts Katalaun wieder zu errichten. Dass wir alle die Pflicht haben, es wieder zu errichten."
Zustimmendes Gemurmel erklang von den Soldaten.
"Man kann es niemals allen Recht machen. Das weiß ich selbst. Aber man kann zwei Fehler vermeiden. Einerseits, es nur einer kleinen Gruppe recht zu machen und andererseits es anderen Gruppen in keinem Punkt jemals recht zu machen. Man kann wie Robert für ganz Katalaun ein Kaiser sein, oder nur für sich selbst." Arling senkte kurz den Blick, sah wieder auf und lächelte. "Ich weiß, diese Worte haben viele Fehler, und einige werden mir zu Recht vorwerfen, nur mit Schlagworten um mich zu werfen. Aber ich habe vor, Taten sprechen zu lassen. Und ich habe nicht vor, mich aufhalten zu lassen. Ich habe meine Pflicht erkannt. Und ich erfülle sie zur Not mit meinem eigenen Leben."
"Und dem seiner treuen Offiziere!", rief Arlene Schlüter mit geröteten Wangen dazwischen. "Tschuldigung."
Arling, der für einen Moment entsetzt auf seine Kapitänin geblickt hatte, lächelte nur noch breiter. "Das ist nichts, was ich von euch verlangen kann, Lenie, aber ich habe zumindest das Recht, darum zu bitten", sagte er mit Dankbarkeit in der Stimme und klopfte der großen Frau auf die Schulter.
"Für deinen Weinkeller gehe ich durch die Hölle, das weißt du doch", scherzte sie und tätschelte seine Hand auf ihrer Schulter. "Aber den Pathos üben wir noch, okay? Ich hatte nicht mal eine Gänsehaut. Vor allem nicht bei der Pflicht und erfüllen-Stelle."
"Pathos?", fragte Arling irritiert.
Arlene griente an ihm vorbei zu Carrie herüber. "Hast du das, Schatz?"
"Jede Szene, jede Geste, jedes Zucken. Danke, du bist wie immer ein guter Zuarbeiter, Lenie", erwiderte die Reporterin fröhlich.
"Habt ihr zwei mich schon wieder vorgeführt?", argwöhnte Arling.
"Ach weißt du, Großer", sagte Schlüter und tätschelte noch einmal Arlings Linke, "deine Reden sind immer dann am besten wenn du nicht merkst, das du eine hältst. Deine Ehrlichkeit ist entwaffnend."
"Und ich muss dir danken, Han. Es kommt nicht alle Tage vor, dass du die Mehrheit zum offenen Aufstand rufst. Das werden sehr gute Bilder werden, wenn Befürworter und Gegner auf offener Straße aufeinander prallen. Aber letztendlich wird die Masse deiner Anhänger den Ausschlag geben", sinnierte Carrie. "Wir werden viel zu berichten haben."
"Aufstand? Um Himmels Willen, ich rufe doch nicht zum Aufstand auf! Denkst du, ich wäre mit all diesen Schiffen hier her gekommen, wenn ich ein blutiges Gemetzel in der Zivilbevölkerung wünschen würde? Denkst du ich würde das Risiko auf mich nehmen, fortan als der große Verräter in die Geschichte einzugehen, wenn ich es mir leicht machen und andere für mich kämpfen lassen würde? Ich glaube du hast mich missverstanden, Carrie. Ich will Frieden und Freiheit für die Mehrheit, aber in diesem Fall umfasst diese Mehrheit alle Bürger Katalauns. Ich kann hier nicht stehen und für zwei Drittel oder drei Viertel agieren, ich kann es nur für alle tun."
"Wie soll das denn funktionieren? Johann, manche der Menschen auf Sanssouci, in Neu-Berlin, vertreten eine vollkommen andere Philosophie als du. Es sind die Menschen, die deine so genannte Mehrheit zwingen wollen, im Krieg zu bleiben und die Länder Zyrrtekk und Jemfeld anzugreifen. Du bist hier um sie zu stoppen und deiner Mehrheit den weiteren Krieg zu ersparen. Wie kannst du da auch für sie sprechen wollen? Das ist so arrogant, Johann von Arling, ich kann es kaum in Worte fassen. Oder um es anders auszudrücken, sie wollen dich doch gar nicht!"
"Und weißt du wie egal es mir ist, das sie mich nicht wollen? Ich bin es Leid! Ich werde gewiss nicht neben einem Menschen stehen, warten bis er auf einen Javaren geschossen hat und ihn hinterher in Handschellen legen und wegen Mordes vor Gericht stellen! Ich will ihm vorher in den Schuss fallen und ihn daran hindern, ein wertvolles, unersetzliches Leben auszulöschen!
Die religiöse Minderheit ist geputscht von falscher Überheblichkeit, von Rassismus, der ihnen erlaubt sich selbst besser zu sehen als Javaren, Jesber und Kalvoren, vom Versuch, am Elend anderer gemessen selbst größer zu erscheinen. Aber solch ein Verhalten entsteht immer nur aus Angst, aus Unwissenheit, aus instinktiver, tief sitzender Furcht. Aber deshalb alle Außerirdischen als minderwertig einzustufen beweist nur, das sie nicht dazu lernen wollen. Wenn sie das nicht lernen wollen, dann zwinge ich sie eben dazu!"
"Aber es sind Außerirdische", gab Carrie zu bedenken. "Sie sind vollkommen anders als wir. Wir können nicht zusammen arbeiten, nicht zusammen leben, oder auch nur mit ihnen handeln."
"Oh, wie oft habe ich das gehört? Zu oft, und es wird weder besser noch wahrer, egal wie oft ich es höre. Es gab Zeiten, da hat man das gleiche über die Javaren gesagt. Und heute sind sie vollwertige, gleichberechtigte Bürger des Kaiserreichs, auch wenn manche ewig gestrigen das nicht wahr haben wollen. Man hat auch von den Republikanern oft so gesprochen, von den Menschen in den Diadochen, außer Frage gestellt, das wir mit Menschen die in vollkommen anderen Kulturen aufgewachsen sind, die vollkommen unterschiedlichen politischen Systemen entstammen und uns fremden Ideologien folgen, jemals würden in Frieden leben, geschweige denn zusammen arbeiten können. Und was ist heute? Wir stehen Seite an Seite, als Kameraden und Freunde, im Dienste des Friedens für ganz Katalaun. Auch mit Jemfeld und Zyrrtekk wird dies eines Tages so sein, und unsere Kultur wird von ihnen bereichert werden, in einem Maße wie wir es jetzt noch nicht zu denken wagen."
"Und was ist, wenn die Minderheit Recht hat? Was ist wenn wir mit ihnen einfach nicht leben können, weil wir zu unterschiedlich ist?"
Arling lächelte sanft. "Dann werden wir den Kontakt auf ein Minimum beschränken. Das ist allemal besser als sie gleich auszurotten und uns die Chance zu nehmen, mit ihnen im Guten auszukommen."
"Gute Taktik." Carrie sah ihn berechnend an. "Und was, du großer Held, tust du, wenn du da unten plötzlich Anhänger hast, und diese beginnen, deine Gegner zu bekämpfen?"
"Wieso meine Gegner? Dies hier ist nicht meine persönliche Fehde gegen den Rest der Welt. Wenn, dann sind sie unsere Gegner. Und das auch nur in diesem Moment, in dieser speziellen Frage." Arlings Hände verkrampften sich leicht. "Ich kann dir nicht versprechen, dass jeder von denen, die in den letzten Monaten gegen den Staat gearbeitet haben, die Robert zum Abdanken gezwungen haben, die unglaubliche Verbrechen begangen haben, straffrei ausgehen werden, aber ich verspreche dir, dass dies nichts mit dem einfachen Menschen auf der Straße zu tun hat. Wenn sich diese Menschen bedroht sehen, wenn sie glauben kämpfen zu müssen, werde ich diese Kämpfe beenden. Zum Wohl beider Seiten."
"Mylord, Oberst Monterney erreicht die Schwerkraftsenke von Sanssouci", meldete Oberleutnant Raglund.
"Wird auf ihn gefeuert?"
Timo Raglund lächelte breit. "Dann wären sie ja schön doof, wo die Terraner doch versprochen haben, auf jeden los zu gehen, der seine Waffen benutzt."
Arling lachte prustend. "Keine dumme Idee, junger Mann. Wie sieht es aus, wollen wir ausprobieren, wie gut die Terraner wirklich sind? Was ihre Ideale taugen? Oberleutnant Turnau, Signal an die Flotte: Die einzigen Waffensysteme, die benutzt werden dürfen, dienen zur Abwehr von Antischiffsraketen. Für alles andere haben wir die Terraner."
"Mylord?" Fragend zog Arlene die Augenbrauen hoch. "Ein sehr gewagtes Spiel."
"Wieso gewagt? Admiral Papeete hat mit keinem Wort gesagt, das er uns stoppen will, geschweige denn mit Gewalt. Er hat nur gesagt, dass die Bevölkerung und Elisabeth unter seinem Schutz stehen. Und in dem Punkt können wir uns die Hände reichen."
"Verstanden, Sir."
"Und damit hängt es an den Terranern", murmelte Schlüter amüsiert. "Die haben mehr Ruf zu verlieren als wir, oder?"
"Den Terranern geht es nicht um Ruf. Das ging es noch nie", erwiderte Arling leise. "Sie handeln einfach, und hoffen, dass sie das Richtige tun. Und genau deshalb bin ich auf Admiral Papeete sehr gespannt.
Aktivität bei Oberst Monterney?"
"Keine Feuergefechte, aber ein guter alter Knight-Kampf mit Klingenwaffen, Mylord", sagte Raglund. "Auf den Schirm?"
"Auf den Schirm. Mal sehen wie sich der beste Knight-Pilot in drei Sternenreichen so macht."
***
"Das tut mir jetzt mehr weh als dir", raunte Charly und warf den Knight mit brachialer Gewalt aus dem geraden Kurs. Dabei wirkten als Maximalwert achtfache Gravitation auf den Knight, bevor er sieben Grad Kursabweichung gewonnen hatte.
"Ich glaube dir kein Wort", ächzte Spence vom Notsitz. "Anzug hin, Anzug her, ich glaube, ich habe mir gerade die Nieren gequetscht."
"Was?" Irritiert wandte sich Charles für einen Augenblick nach hinten, wo sich der Reporter mit seiner Kamera festgeschnallt hatte, während zugleich ein bedauernswerter Knight der Heimatverteidigung einen dringenden Termin in der Werkstatt haben würde - vornehmlich weil sein Sensorkopf fehlte.
"Schon gut. Das war dann Nummer vier, oder?"
Charles grinste breit. "Ich bin gnädig, Spence. Ich könnte sie auch aus ihren Knights schälen und ein wenig im Raumanzug im All treiben lassen. Ich finde, jeder, der sich in einen Knight setzt und auf Leben und Tod kämpft, sollte diese Erfahrung wenigstens einmal gemacht haben. Aber ich befürchte, sie ziehen mir die Reparaturkosten vom Sold ab, wenn ich es übertreibe." Charles kniff die Augen zusammen. "Die Zeit der Einzelgefechte scheint vorbei. Da zieht sich ein halbes Bataillon zu unserer Begrüßung zusammen. Zum Glück wagen sie ebenso wenig wie wir mit Energiewaffen rum zu ballern, weil das die Terraner anlockt. WHOW, wo kommt die denn her?"
"Ein Marauder-Begleitschiff? Wie sind die so fix in unseren Kurs gekommen?"
"Das habe ich eben gerade schon gefragt. Als ich das letzte Mal auf die Nahbereichsortung geschaut habe, war das Ding jedenfalls noch nicht da!"
"Er hat keine Schilde aktiviert. Und er bewegt sich Richtung Sanssouci", merkte Spence an.
"Ausweichen ist jetzt eh schwieriger als landen! Halte dich fest, Spence!", rief Charles und trat die Pedale für die Sprungdüsen durch. Das Beiboot, eigentlich eine eigenständige Fregatte, raste ihnen entgegen und füllte bald den gesamten Bildschirm aus.
Spence sah sie schon auf diesem stolzen Schiff der terranischen Flotte als großer Metallhaufen enden, der zudem ein paar DNS-Reste als Schmierflecken enthielt, als ein leises Klacken verkündete, dass die Metallsohlen des Knights überraschend sanft Kontakt mit dem Schiff geschlossen hatten.
"Das Schiff rollt, und zwar von den Verteidigern fort. Ich weiß nicht wie du es siehst, aber entweder ist das hier ein Riesenzufall, und die Terraner haben nicht bemerkt, wer da auf ihrem Schiff zu Besuch ist, oder sie helfen mir gerade, durch diese Linie zu brechen."
"Wir sind keine völligen Idioten", wandte Spence ein, "aber ich glaube auch nicht, dass ausgerechnet terranisches Marinepersonal so einseitig in einen Konflikt eingreifen würde."
"Dann vielen Dank an die Besatzung, dass sie uns nicht geholfen hat. Wir haben das Schiff jetzt nämlich zwischen uns und den Verteidigern und auf den nächsten vierhundert Kilometern freie Bahn!" Charles ließ den Knight durch starten und sich von dem Begleitschiff entfernen, weiter Richtung Sanssouci.
"Oh, es war sicher alles Zufall", merkte Spence an. Seine Stimme war mit Wohlwollen gesättigt.
"So, ich habe Neu-Berlin in der Erfassung! Wir brechen hier durch die Raumverteidigung durch. Auf dem Admiral Angward-Raumhafen, in der Nordstadtmilizkaserne und im John Rock-Trainingszentrum sind Knight-Divisionen stationiert, die sich um uns kümmern werden, sobald wir weit genug in der Atmosphäre sind und von den Raketen und der Artillerie nicht erwischt wurden."
"Aha. Warum habe ich mich gleich noch mal freiwillig zu diesem Todeskommando gemeldet?"
"Carrie hat dich gezwungen, und du sollst die herzzerreißende Szene filmen, in der ich mit Elisabeth wieder vereint werde. Entweder wie ich sie küsse oder wie sie mir für meine Blödheit eine scheuert", erwiderte Charles mit Sarkasmus in der Stimme. "Nachdem wir uns mit zweitausend Knights angelegt haben."
"Die Raketen und die Artillerie nicht vergessen. Und das meine ich ernst, denn ich will nicht von Raketen und Artillerie zerfetzt werden."
"Gut, gut, Meister der aufnehmenden Zunft, ich werde darauf achten, das wir überleben."
"Wieso? Hattest du das vorher nicht vorgehabt? Charles, als Märtyrer nützt du gar nichts, daran erinnerst du dich doch, oder?", fragte Spence in einem Anflug von Panik.
"Besuch, auf gleicher Ebene sechs Uhr, neun Uhr, ein Uhr." Charles ließ den Knight neben dem bisherigen Schwert ein zweites ziehen, jene Waffe die Woodruff ihm zurück gegeben hatte. "Der Plan ist, Elise zu retten. Nicht sinnlos in Fetzen zerballert zu werden, Spence."
"Es beruhigt mich ungemein das zu hören. Sag mal, was ist das für ein Geräusch?"
"Annäherungsalarm in Kursrichtung. Jemand kommt mir auf gerader Linie aus der Richtung entgegen, die ich gerade nehme. Und das ist Blutritter!"
"Blut-wer?", rief Spence, während der Knight ein Auseichmanöver flog, das ihn in die Gurte drückte.
"Blutritter! Die persönliche Maschine von General Kress, dem Oberkommandierenden des Hauptquartiers der Armee, dem wir Marine-Infanteristen unterstellt sind! Mein Boss, wenn du so willst, und wie er im Orbit von B-King bewiesen hat, zudem der beste Knight-Pilot Katalauns."
"Sollte ich jetzt vielleicht hysterisch werden und Dinge schreien wie "Wir sind verloren", oder hast du noch ein Ass im Ärmel?"
"Vielleicht kein Ass, aber manche Leute sagen ja, Liebe würde beflügeln. Vielleicht meinen sie damit eine Beschleunigung der Reflexe, und das wäre gerade sehr gut für uns."
"Hier spricht General Kress. Hören Sie mich, Oberst Monterney?"
"Laut und deutlich, Sir. Freut mich, Sie zu sehen, Sir. Noch, meine ich."
"Es freut mich auch, Sie zu sehen, Monterney. Vor allem die Tatsache, dass wir beide mal nicht auf der gleichen Seite stehen. Ich fordere Sie zu einem Duell, junger Mann. Sie haben sich während des Feldzugs gegen die Diadochen und im Einsatz in Yura-Maynhaus erheblich verbessert. Ich bin gespannt ob es reicht, um mit dem Bezwinger von Gandolf von Beijing mitzuhalten. Motiviert Sie das, um Ihr Bestes zu geben, Monterney?"
"Sie unterliegen da einem sehr populären Irrtum, Sir. Sie stehen zwischen mir und Elise. Mehr Motivation brauche ich nicht. Ich nehme Ihr Duell an. Aber beschweren Sie sich hinterher nicht, wenn Sie tot sind."
Kress lachte schallend. "Im Moment habe ich Sie auf der Liste der besten auf Platz acht, gleich hinter Oberst Allana Whitley und Hauptmann Craig Schmidt. Mal sehen wo Sie hiernach stehen."
"Nicht lange reden, Taten zählen!", rief Monterney und trieb seinen Knight weiter nach vorne. Während des Stoßangriffs wich Kress seitlich aus, und für den winzigen Augenblick, den beide Knights auf einer Höhe waren, versuchte er mit seiner eigenen Waffe nach Monterney zu stechen. Charles blockierte mit gekreuzten Waffen, auf denen sich der Stoß verfing. Dann hatten die Eigengeschwindigkeiten der beiden Kampfroboter die Kämpfenden schon auseinander getrieben.
Kress kehrte seinen Schub um und beschleunigte in Richtung des Oberst, der seinerseits in die Atmosphäre stürzte.
Achtzehn Kilometer tiefer hatten sie einander wieder eingeholt. Charles und er General tauschten wilde Hiebe gegeneinander aus, während die Maschinen einander umkreisten. Langsam wurde die Atmosphäre dichter und verursachte erste Reibung. Beide Knights verzichteten auf Schirme.
Charles gab kurz Gegenschub, fiel hinter Kress zurück und landete einen Hieb auf dessen rechter Ferse. Stotternd gab die Korrekturdüse auf und explodierte schließlich. Kress nutzte den Angriff für einen Gegenschlag, aber seine Waffe wurde von dem Oberst gekontert.
Da tauchte eine weitere Klinge auf, die Kress den anderen Knight ins Zentrum des Leibes bohrte. Wann hatte er die zweite Waffe gezogen? Es gelang Charles, die Waffe abzulenken, indem er wüst mit seiner Waffe zuschlug, jedoch war das unheilvolle kratzende Geräusch, mit dem die Klingenspitze über die Panzerung raste, bis ins Cockpit zu hören.
Wieder ließen die Knights voneinander an. Mittlerweile waren sie durch die Reibung beinahe rotglühend, während sie kopfüber in die Tiefe stürzten.
Sie griffen einander wieder an, tauschten mächtige Hiebe, und Charles gelang es, auf dem bereits lädierten Gegner einen Tritt zu landen. Die Maschine von Kress strauchelte, taumelte, und diese Bewegung brachte seinen linken Schwertarm überraschend näher an Monterney heran. Mit einem kräftigen Hieb trennte er den Sensorkopf von den Schultern.
Charles fluchte, nutzte aber das kurze Zögern von Kress nach dessem Erfolg eiskalt aus und stürzte seinen Knight Blutritter direkt in die Arme.
Dann stürzten die beiden Giganten eng umschlungen als lodernde Fackeln weiter in die Tiefe.

Unten, am Boden, auf dem Gelände des Admiral Angward- Gedächtnisraumhafens, sah man bald den großen flammenden Punkt, der wie eine Bombe auf sie herab fuhr. Männer und Frauen sahen mit staunenden Augen zum Schauspiel hinauf, während sich mehr und mehr Konturen abzeichneten. Schließlich verloschen die Flammen der Reibungshitze, und die beiden Knights fielen haltlos dem Boden entgegen. Sie standen noch immer kopfüber. Befehle wurden gebellt, die voraussichtliche Absturzstelle wurde geräumt, Piloten hetzten zu ihren Maschinen, und jene die sich bereits in der Luft befanden, versuchten die abstürzenden Kampfmaschinen zu erreichen, um ihren tödlichen Fall zu bremsen.
Kurz über dem Boden reagierte einer der Knights, drehte sich in der Luft und wandte nun die Düsen dem Erdboden entgegen. Er umklammerte die andere Maschine und reduzierte seine Geschwindigkeit auf Volllast. Es reichte nicht ganz, die beiden Giganten trafen mit erheblicher Wucht auf dem Boden auf, der gewohnt war, die Landung von Zerstörern zu überstehen.
Man konnte das Geräusch, als Stahl riss und Carbonpolymere zerrissen, über den ganzen weiten Platz hören.
Dann war da nur noch Stille.
Eine Sirene heulte auf, rief Feuerwehr und Rettungskräfte herbei, während Knights neben den beiden Wracks landeten, es aber nicht wagten, diese verdrehten Knäuel zu berühren.
Schließlich bewegte sich ein rotbraun lackierter Roboterarm, rührte mit seinem Schwert wild umher und bekam einen Druckpunkt zu fassen. Langsam stemmte der Arm seinen Torso in die Höhe, der sich kurz darauf öffnete und den Blick ins Cockpit frei gab.
Inzwischen waren die Spezialisten der Feuerwehr erschienen, die mit tausendfach eingeübter Routine den Knight erklommen, um dem Piloten zu helfen. Weitere Feuerwehrleute mit Panzerungsschneidern und Schweißgeräten kletterten auf die nicht weniger verdrehte blutrote Maschine weiter.
Helfende Hände streckten sich dem Piloten und seinem Passagier entgegen und zogen die zwei aus den Trümmern heraus.
"Danke, ich bin unverletzt", sagte Charles Monterney. "Mir dröhnt nur ein wenig der Schädel. Spence, bist du in Ordnung?"
"Ich lebe noch, danke. Und ich habe den Verdacht, das ich das nicht dir zu verdanken habe", murrte der Kameramann, während er eine seiner Mobilkameras Aufnahmen der beiden Wracks und der tapferen Helfer machen ließ.
Über ihnen erklang ein derber Fluch, als das Cockpit von Blutritter aufgebrochen wurde. Zwei Helfer zogen Sven Kress hervor. Der General hielt sich den Schädel und musste den ganzen Weg die Trümmer hinab gestützt werden. Dankbar begab er sich in die Behandlung der wartenden Mediker. "Monterney, verdammt!", blaffte er und wurde dafür mit einer erneuten Schmerzwelle bestraft.
Charles und Spence gingen zu Kress herüber. "Hier, Sir."
"Das war ein verdammt guter Kampf. Aber Sie fliegen sehr riskant. Dadurch das Sie mich gerettet haben, wären Sie beinahe selbst als Fleck auf dem Asphalt geendet. Das war sehr waghalsig. Vor allem wenn man bedenkt, dass Sie einen Passagier an Bord hatten."
"Ich kannte die Gefahr vorher, General. So etwas lernt man, wenn man länger mit Arling und seinen Leuten unterwegs ist", antwortete Spence fest.
"Bitte, bringen Sie mich nicht zum lachen, grinsen, kichern oder schmunzeln. Das löst alles Kopfschmerzen aus." Er seufzte und legte sich auf seiner Liege lang aus. "So, so, Ihren Knight hat es also erwischt, Charles?"
"Leider."
"Bis in die Innenstadt und zum Palast sind es aber noch ein paar Kilometer, oder?
"Sir?"
"Wie geht es Ihnen überhaupt, Charles? Und wie geht es Ihnen, Spence?"
"Gut, Sir." "Wer mit Carrie arbeitet braucht nen Dickschädel, General."
"Das reicht mir nicht. Alle beide einsacken, mitnehmen und untersuchen. Ich will nicht daran Schuld sein, wenn der beste Pilot Katalauns an einem Blutgerinnsel stirbt, das nicht entdeckt wurde, weil er Schiss vor dem Arzt hat."
"Sir!", rief Charles entrüstet.
"In der Zeit sehe ich zu, was ich für Sie tun kann. Irgendein fahrbarer Untersatz wird sich schon auftreiben lassen." Er gab den Ärzten einen Wink, die Charles und Spence trennten, und zu verschiedenen Rettungswagen führten.
Kress winkte den Einsatzleiter heran. Leise flüsterte er mit ihm.
Der Mann sah Kress erstaunt an. "Zwei Stunden? Aber... Nein, das kann ich erledigen. Natürlich, Sir. Ich habe verstanden."
Seufzend schloss Kress nach dem kurzen Gespräch die Augen. Oh ja, der Bursche hatte ihn besiegt. Und vor dem Tod bewahrt. Es schien ganz so, dass die neue Generation bereits einen größeren Piloten als ihn hervor gebracht hatte, genauso wie Kress den besten Piloten der vorigen Generation besiegt hatte. Andererseits hätte er nicht erwartet, dass es so schnell geschah. Aber es war beruhigend zu wissen, dass Katalaun einen solchen Soldaten hatte. Und damit das auch so blieb, würden Monterney und der Kameramann die nächsten zwei Stunden in Obhut der Ärzte verbringen, um, ah, die Dinge ins rollen zu bringen.
"Die Terraner haben sich nicht in unseren Schwertkampf eingemischt." Kress öffnete wieder die Augen und sah in den blauen Himmel hinauf. "Wie interessant. Wie überaus interessant."
***

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"Spence, muss das denn sein?", murrte Charles.
Der Kameramann lächelte scheinheilig. "Aber Charly, jemand muss doch dokumentieren, was die Ärzte hier mit dir anstellen. Vor allem wenn du plötzlich versterben solltest, haben wir dann Beweise."
"Na, danke. Welch löbliche Aussicht. Weißt du, gerächt werden ist ja ganz schön, aber ich bin eigentlich lieber am Leben. Autsch! Was soll denn diese Riesenspritze? Ich dachte, Medikamente werden heutzutage pneumatisch unter die Haut geschossen."
"So wie du geflogen bist hätte ich das mit dem Leben nicht vermutet", erwiderte Spencer trocken.
"Im Prinzip haben Sie Recht, Lucky Charly, aber es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel wenn man Blut haben will, klappt das mit dem reinschießen nicht. Oder glauben Sie, wenn ich genügend Luft in Sie pumpe, kommt es irgendwo an den Ohren wieder raus?"
"Sehr witzig, Doc. Wann lassen Sie mich hier raus? Und warum ist der Witzbold da schon wieder auf freiem Fuß?"
"Danke für den Witzbold. Die zweitklassigen Scherze machst du ja wohl von uns beiden", erwiderte Spence pikiert.
"Hm, lassen Sie mich überlegen... Sie sind aus einem planetaren Orbit gefallen, mit der kinetischen Energie zweier kaum gebremster Knights auf dem Raumhafen aufgeschlagen und haben den zweiten Knight auch noch gefangen. Wenn es nach mir ginge würde ich Sie in Scheiben schneiden, um zu ergründen, warum Sie nicht als tausendteiliges Puzzle eingeliefert wurden, aber leider geht es nicht nach mir."
"Eher glücklicherweise. Ich brauche alle meine Scheiben noch. Also, wie lange?"
"Hm. Wären Sie so kooperativ wie Mr. Spencer, dann wären Sie schon fertig. Aber irgendwie haben alle anderen, von der Schwester über die Stationsärztin bis zum Oberarzt bei Ihnen aufgegeben, weil Sie auf keinen gehört haben, Oberst Monterney. Es musste ja erst ein Hauptstabsarzt im gleichen Rang kommen, damit Sie wenigstens etwas kooperieren."
"Und Sie haben sich sehr viel Zeit gelassen, Doc. Entschuldigen Sie, bitte, aber ich bin vor allem deshalb auf diese Welt abgestürzt, um..."
"Den besten Knight-Piloten Katalauns in den Arsch zu treten?", klang die amüsierte Stimme von General Kress von der Tür auf.
Spence dirigierte seine verbliebene fliegende Kamera auf den Oberbefehlshaber des Heeres, während er mit seinem Hauptgerät weiter auf Charles hielt.
"Auch", sagte der Oberst mit einem dünnen Grinsen. "Aber in erster Linie, weil ich ein Versprechen einzuhalten habe. Ich habe Elisabeth gesagt, dass ich sie holen komme. Und das ziehe ich jetzt auch durch."
"Oh, ein Romantiker. Dann wird Sie folgendes zu hören sicher freuen, Lucky Charly." Kress kam herein und stellte sich neben das Krankenbett, auf dem Charles behandelt wurde. "Es ist immer noch kein Haftbefehl für Sie ergangen. Sobald Sie die Prozedur durchlaufen haben, kann ich Sie also in den nächsten Dienstwagen werfen und zum Palast karren."
Misstrauisch kniff der Oberst die Augen zu Schlitzen zusammen. "Einfach so? Direkt an mein Ziel? Ohne Verzögerungen?"
Kress lachte. "Man will Sie ohnehin im Palast sehen, nachdem Sie die Nahverteidigung Sanssoucis nahezu lächerlich gemacht haben. Ich bringe Sie nur hin. Wie es weiter geht, liegt nicht mehr in meiner Macht. Meinetwegen versuchen Sie es und retten Sie Ihr Mädchen. Was aber wenn es gar nicht gerettet werden will und Sie nur einem riesigen Missverständnis oder einer Hormonlaune aufgesessen sind?"
"Hormonlaune?"
"Kleine Mädchen verlieben sich schnell. Vielleicht sind Sie längst nicht mehr aktuell, Charly."
Monterney schnaubte abschätzig. "Dann soll sie mir das ins Gesicht sagen. Solange sie das nicht tut, ist sie für mich in Gefahr, und ich werde sie retten."
"So, so. Retten. Und notfalls gegen die gesamte Palastwache kämpfen, die terranischen Bodentruppen, die von der Botschaft rüber gekommen sind, und jeden einzelnen Menschen in Sanssouci, der anderer Meinung ist als Sie?"
Charles nickte fest. "Genau so, Sir. Bringen Sie mich hin. Ich schlage mir meine Bresche schon."
"Wow. Da sieht man mal wieder, was für arrogante Säcke ihr Kampfroboterpiloten doch seid! Charles, hast du eigentlich auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass Elisabeth versucht dein Leben zu retten? Das sie dich nicht in Gefahr sehen will? Und dann machst du so etwas dummes und trittst gegen... Mit Miliz etwa achtzigtausend Gegner an? Du hast im Moment nicht mal einen Knight!", rief Spence.
"Seit wann machst du denn Carrie Konkurrenz? Ich dachte, das ausmalen von unschönen Szenarien wäre ihr Job."
"Nun ja, man schnappt halt einiges auf, wenn man sie ein paar Jahre begleitet. Aber lenke jetzt nicht ab. Antworte auf die Frage!"
"Hm. Wenn sie nicht will, das ich verletzt werde, oder sogar getötet, dann hätte sie sich nicht mit mir einlassen dürfen. Ich bin Soldat. Ich lebe nun mal gefährlich, gerade als Knight-Pilot. Und was die andere Sache angeht... Ich werde nicht mein eigenes erbärmliches Leben retten, während sie in Gefahr ist, und Johann von Arling mit ein paar zehntausend Freunden das gleiche versucht! Sorry, aber wenn sie das erwartet, dann bin ich definitiv der falsche für sie."
Kress lehnte sich gegen die Wand und runzelte die Stirn. "Nun, mit der Verhaftung der falschen Miranda von Hohenfels sind Ihre Karten wieder gestiegen, mein Junge. Zumindest behauptet jetzt niemand mehr, Sie hätten Ihre Befehle nicht befolgt. Alle Anweisungen der falschen Miranda wurden für nichtig erklärt. Sie haben also niemals den Befehl verweigert. Andererseits gehören Sie zu der Truppe, die gerade versucht, Sanssouci laut eigenen Angaben zu erobern. Und das ist Meuterei, wenn nicht ein Akt der Piraterie. Ihr einziger Vorteil ist, dass Ihnen niemand Verschwörung beweisen kann, solange Lord Arling nicht feuert. Aber es kann genauso gut sein, dass das einigen egal ist. Legen Sie sich besser ein dickes Fell zu."
"Wie, noch dicker?", scherzte Charles. "Danke für die Aufmunterung. Aber nachdem der Herr Knochenflicker mit mir fertig ist..." "Knochenflicker? Ich bin promovierter Internist und habe einen Lehrstuhl, junger Mann!"
"Ist ja schon gut. Also, wenn Herr Professor mit mir fertig ist, würde ich gerne den Wagen haben, Sir."
"Keine Sorge, ich halte mein Wort. Aber falls Arling doch noch feuert, werde ich Sie an Ort und Stelle verhaften. Ist mir irgendwie lieber als Sie im Affekt erschossen im Staub der Straße zu sehen."
"General Kress, Sie schaffen es wirklich immer wieder einem Mann Mut zu machen", tadelte Spence.
"Oh, für einen Knight-Piloten ist das Mut machen. Wir sind Schlimmeres gewöhnt, nicht wahr, mein Junge?", schmunzelte Kress.
"Meistens. Heute ist es dagegen noch recht ruhig", erwiderte Monterney.
Die beiden Piloten tauschten ein jungenhaftes, freches grinsen, das sie eindeutig dem gleichen Stall zuordnete, dem der Knight-Piloten. "Übrigens, Sir, solange Professor Dracula mich leer saugt, hätte ich gerne ein paar Takte zum Rüster verloren. Die sind in Kombination mit den Knights ihr Geld wirklich wert. Wir sollten echt überlegen, ein großes Kontingent zu kaufen, hoch zu rüsten und sie mit unseren Maschinen zu kombinieren und... Was ist das denn draußen für ein Lärm? Kommt schon das Mordkommando?"
"Ich bitte Sie! Dies ist ein Militärkrankenhaus! Wenn es ein Mordkommando ist, wird es auf Männer mit Waffen treffen! Und jetzt halten Sie still, damit ich endlich Ihre Vene treffen kann! Für einen Mann wie Sie, der ständig unter Starkstrom steht, treten sie wirklich kaum hervor."
"Wird das nicht normalerweise mit einem Handscanner gemacht?", argwöhnte Spence. "Warum diese schmerzhafte Fummelei?"
"Weil ich es kann, Mr. Spencer", erwiderte der Arzt trocken, "und weil Oberst Monterney es verdient hat."
"Na herzlichen Dank. Spence, schaust du draußen mal nach? Falls scharf geschossen wird, ist uns dein Tod dann eine Warnung."
"Zu liebenswürdig, wie du an meinen Ruhm denkst, Charly. Aber für so einen Fall habe ich doch meine fliegenden Kameras", säuselte Spence und schickte die Kamera auf den Flur. Über seinem Handgelenk entstand ein Hologramm mit dem Kamerabild, welches er von winzig auf erkennbar vergrößerte, ein Sonderservice für die drei Stabsoffiziere.

Die Kamera wandte sich nach links, den Korridor hinab, vorbei an geöffneten Türen, aus denen neugierige Patienten hervor lugten. Die Quelle des Ärgers waren zwei große, breitschultrige Militärpolizisten, die wirkten, als hätte man sie für diesen Zweck im Genlabor zusammengeklont.
Einer der beiden hielt ein keifendes, um sich tretendes Bündel Mensch am Kragen weit von sich fort. "Nun rege dich ab, Kleiner!", stellte der Militärpolizist, ein Obergefreiter, trocken fest. "Und dann geh nach Hause. Solange wir hier stehen kommt hier keiner ohne Passierschein vorbei!"
Die Gestalt strampelte für einen Moment noch wütender im Griff des MP, dann beruhigte sie sich. "Kleiner?" Wütend starrte die Gestalt den Riesen an und nahm das Dienstkäppi ab. "Kleine wäre wohl treffender! Und wenn du großer plumper Teddybär mich nicht sofort wieder auf den Boden runter lässt, dann gibt das Ärger, aber nicht zu knapp, das sage ich dir!"
"Eine Frau", sagte der Obergefreite erstaunt und hielt sie etwas höher, mehr auf Augenhöhe. "Und was mache ich jetzt mit ihr? Im Fundbüro abgeben?"
Der andere MP lachte. "Wenn du nicht weißt was du mit einer Frau anstellen sollst, dann gib sie lieber mir. Aber Vorsicht, jeden Moment erzählt sie uns, sie sei Meisterin in einer uralten terranischen waffenlosen Kampfkunst und prophezeit uns, in drei Minuten zerschlagen und ohnmächtig am Boden zu liegen."
Misstrauisch beäugte der Obergefreite die junge Frau, die nun wieder heftiger strampelte. "Meinst du? Was sollte sie denn gegen uns ausrichten können?"
"Warst du nicht beim Taek Won-Do, wie ich es dir geraten habe? Nein, ich sehe schon, du warst nicht da. Und Aikhido?"
"Ich war nur beim Culan-Hi-Bai, dem avarischen Kurs."
"Das ist gut. Erinnerst du dich an die Vorführung, in der der Lehrer eine Holzplatte zertrümmert hat, indem er nur den Finger auf sie gelegt hat?"
"Ja, das war sehr interessant. Hat etwas mit dem Bewegungsmoment an sich und so zu tun. Genauso wie Wasser irgendwann seinen Weg durch Felsen wäscht, nur halt etwas schneller. Aber du brauchst dreißig Jahre Training um da hin zu kommen." Vorwurfsvoll hob er die Frau noch ein Stück höher. "Und du meinst, sie kann so was?"
"Was weiß ich? Frage sie doch selbst."
"Hm, gute Idee. Also, Schätzchen, in welcher Disziplin bist du gut genug, um uns einzuseifen?"
Die junge Frau hatte es sich nun leidlich bequem gemacht und die Arme vor der Brust verschränkt. Abschätzig sah sie die beiden MPs an. "Im meine große Brüder rufen. Darin habe ich eine Meisterschaft erreicht."
"Interessante Kampfkunst. Meine kleine Schwester beherrscht die auch und hat deshalb bis jetzt jeden Kampf gewonnen!", rief der andere MP laut lachend.
"Vorführung gefällig?", fragte die junge Frau grinsend und aktivierte ihren Kommunikator. "Oberst Monterney in meinem Flur lokalisiert. Erbitte dringend Unterstützung! Was? Nein, die fliegende Kamera von diesem Reporter schwebt vor mir. Ja, ich denke auch, dass Lucky Charly dann nicht weit sein kann. Beeilung, bitte."
Die beiden Militärpolizisten sahen sich staunend an. "Die hat wirklich ihre Brüder gerufen."
"So was kann ich auch", erwiderte der Obergefreite. "Posten drei hier. Notfall! Wir brauchen sofort Unterstützung. Na, wie ist das, Mädchen?"
"Wird dir der Arm nicht irgendwann mal lahm, Teddy?", fragte sie hoffnungsvoll.
"Leutnant Cross!", erklang ein lauter Ruf aus der Tiefe des Gangs. Vier kräftige Männer und Frauen eilten herbei.
"Er ist hier! In diesem Gang! Brechen Sie durch, Feldwebel!"
"Aye, Ma´am!", rief der Anführer und beschleunigte. Die Neuankömmlinge trugen keine Waffen, also verzichteten auch die MPs darauf, ihre Pistolen zu ziehen. Stattdessen zogen sie ihre Schlagstöcke. "Ich stell dich mal ab", brummte der Obergefreite und ließ die junge Frau hinter einer Türecke einfach los. Mit einem Schmerzenslaut fand sich Leutnant Cross auf dem Boden wieder.
Da war aber bereits ein heftiger Nahkampf entbrannt. Vom einen Ende des Korridors eilten weitere MPs herbei, während vom anderen Ende noch mehr Infanteristen kamen. Nur ein paar Augenblicke später war das Chaos perfekt.
Cross erhob sich, klopfte sich imaginären Staub von der Kleidung und bedeutete der Kamera mit einem Zeigefinger auf den Lippen, keinen Lärm zu verursachen, welcher die Kämpfenden auf sie aufmerksam machen konnte. Dann eilte sie tiefer in den Gang, die Kamera hinter ihr, riss eine Tür auf - und Spence sah sich selbst auf seinem Display.
"Oberst Monterney, Sir!"
"Ja, Himmel, Janet! Was zum Henker tun Sie hier?"
Die junge Frau grinste breit. "Wir haben abgestimmt, Sir, und wir haben uns entschlossen, Sie zu retten. Alle machen mit, bis hin zu Major Ganther! Aber wir haben keine Waffen mitgenommen, ganz wie Lord Arling gesagt hat: Wir geben nicht den ersten Schuss ab."
Kress blickte die junge Frau aus entsetzten Augen an. "Ganther? Sie gehören zur Marine-Infanterie, die von Oberst Ganth auf der RHEINLAND abgelöst wurde?"
"Und anschließend zur Neustrukturierung auf dem Raumhafen stationiert zu werden. Wir erweitern uns gerade auf Bataillonsstärke, General Kress. Sie haben eine Menge Leute aus unserer Truppe dafür befördert, einschließlich dem Major." Sie schluckte heftig, als sie realisierte, was seine Anwesenheit ihr für einen Ärger einbringen konnte. Und dem Bataillon erst einmal.
Kress, der endlich verstand, lachte laut. "Keine Sorge, Leutnant, Sie sind hier unter Freunden. Allerdings kann ich Ihnen nicht erlauben, Oberst Monterney mitzunehmen, bevor seine Untersuchungen abgeschlossen sind. Es wäre mir äußerst peinlich, wenn er vor der Kaiserin steht und dann plötzlich wegen einer Gehirnblutung stirbt, die er sich beim Sturz aus dem Erdorbit zugezogen hat. Und die Sache da draußen regele ich besser auch mal", sagte Kress und deutete im gehen auf Spencers Hologramm.
Er trat auf den Flur hinaus und besah sich das Knäuel der kämpfenden Männer und Frauen, das mittlerweile wohl das dritte Dutzend überboten hatte.
"ACHTUNG!", bellte er.
Die Kämpfenden hielten inne, und als sie ihren Oberbefehlshaber erkannten, begannen sie sich voneinander zu lösen. "Ganther, sind Sie auch irgendwo dazwischen?"
"Ich bin hier, Sir, auf der anderen Seite. Sie sind mir ein paar Sekunden zuvor gekommen."
"Gut. Dann bitten Sie doch Ihre Infanteristen darum, nicht länger meine Militärpolizei zu belästigen. Mag ja sein, dass diese Männer und Frauen eine kleine Prügelei ab und an als herrliche Abwechslung ansehen, aber ich finde, das macht sich nicht gut im internationalen Fernsehen. Vor allem nicht, wo wir doch alle auf der gleichen Seite stehen und Oberst Monterney beschützen wollen."
Erstauntes raunen ging durch die Menge. MPs und Infanteristen beäugten sich misstrauisch, bevor einzelne Gegner erstaunt ihren Gegenüber fragten, ob das wahr war. Darauf folgte ein Tohuwabohu an lauten Solidaritätbekundungen, spontanen Verbrüderungen, und schließlich und endlich eine gewisse Ordnung, die Major Ganther nutzte, um mit seinen wichtigsten Offizieren bis zu Kress durch zu kommen. "Bitte um Erlaubnis, mich dem Kommando anschließen zu dürfen, Sir."
"Erlaubnis erteilt. Kommen Sie und lenken Sie mit mir Oberst Monterney von den Untersuchungen ab. Irgendwann landet dann auch Graf Arling."
"Aye, Sir. Erstaunlich, wie viele Leute auf seiner Seite stehen, oder?"
"Was ist daran erstaunlich? Ich glaube, kaum ein Soldat auf dem Admiral Angward-Raumhafen dürfte sein Gegner sein", dozierte Kress. "Immerhin ist Elisabeth eine von uns, und wir sorgen uns um unsere Kameraden."
Ganther nickte ernst. "Aye, das tun wir, Sir."


14.
13.07.2613
Kaiserreich Katalaun
Montillon-System
Orbit um Sanssouci

Man sagte, in der unendlichen Weite des Alls verlören sich selbst die riesigsten Objekte bis zu einem Grad der Verlorenheit, der dem unabhängigen Betrachter Tränen der Demut in die Augen treiben konnte.
Nun, wer immer diesen Spruch erfunden hatte, war sicher nie in den Genuss gekommen, drei Schlachtschiffe der Nemesis-Klasse in einen planetaren Orbit schwenken zu sehen, begleitet von Dutzenden Schiffen aller Klassen, unter ihnen über dreißig der gefürchteten Marauder der Terraner, deren Beiboote bereits abgelegt hatten und Feuerbereit waren.
Vielleicht konnte man die drei Riesen HERCULES, IOLAOS und PHILIPP IV irgendwo da draußen in der Verlorenheit des Alls, fern jedes Bezugspunkts für winzig halten, aber sicher nicht im Orbit eines Planeten, während sie in den beginnenden Nachmittagsstunden über Neu-Berlin deutlich am Himmel zu sehen waren, als hätte Sanssouci drei neue Monde erhalten, die von zahlreichen Satelliten umschwirrt wurden.
Anrid Takh fühlte seine Hände klamm werden, als er an die Bilder dachte, die ein Schlachtschiff der Nemesis-Klasse in Aktion gezeigt hatten, im Orbit über Sherwood. Damals hatte Arling einen erheblichen Teil seiner Feuerkraft zurück gehalten und seine Crew war untrainiert und mit dem Giganten kaum vertraut gewesen. Die IOLAOS und die PHILIPP hingegen wurden von routinierten ausdauernden und kampfbereiten Mannschaften geführt. Die kannten ihr Geschäft, sie machten aus den beiden Schiffen wahre Monster, die auch für die terranischen Marauder mehr als ernste Gegner waren.
"Regent, die Flotte überquert in acht Minuten Trondheim", sagte von Hohenfels ruhig. "Wie Sie vielleicht wissen, haben wir auf Trondheim einen großen Teil der Raketen-Stellungen aufgebaut, welche die Hauptstadt beschützen. Wenn Arling festen stationären Orbit erreicht, werden selbst die Schlachtschiffe anfällig für Beschuss. Dies ist die erste und einzige Gelegenheit, um Lord Arling zu stoppen." Sie sah den Verlobten von Elisabeth zwischen zusammen gekniffenen Augen ernst an. "Oder um es präziser zu sagen, es ist Ihre einzige Chance, den Weg weiter zu gehen, den Sie mit Ihrer Verlobung eingeschlagen haben. Es besteht keinerlei Zweifel, dass ein Johann Arling, der auf Sanssouci landet, das alte System umwerfen wird. Und sollte er in den Straßen von Neu-Berlin getötet werden, wird es einen Bürgerkrieg auslösen."
"Vergiss nicht, das Arling nur so weit gekommen ist, weil er sich mit unseren traditionellen Feinden verbündet hat, Anrid", sagte Gerrit Rend mit spöttischer Stimme. "Wenn das keine ausreichende Begründung für die Medien ist, dann weiß ich es auch nicht."
Takh erkannte sehr wohl die beißende Ironie in Rends Worten. Andererseits hatte der Ritter aber auch Recht. Er suchte den Blick von Elisabeth, und fand ihn starr auf sich gerichtet. Sie erwartete etwas von ihm, und beinahe konnte er ihre Gedanken verstehen. Sie sorgte sich um Lucky Charly, der im Militärkrankenhaus des militärischen Raumhafens eingeliefert worden war, nachdem er spektakulär bewiesen hatte, wer die Nummer eins in Katalauns Knight-Rängen war. Wahrscheinlich hoffte sie, dass Johann Arlings Landung von ihm ablenken würde. Takh wusste selbst viel zu gut, dass längst nicht all jene da draußen auf ihn hörten, welche sich der Bewegung der Religiösen angeschlossen hatten. Und etliche würden nun, nachdem sich Anazasi als Teil der Oberschicht verraten hatte, wieder ihre eigenen Wege gehen wollen. Das Schlimme an dem Szenario war schlicht und einfach, dass der stille Bürgerkrieg zwischen Robert-Gegnern und Robert-Befürwortern viel zu viel Personal beansprucht hatte. Etliche Klein- und Kleinstbewegungen, die bisher überwacht worden waren, hatten untertauchen können. Niemand wusste was sie fortan tun würden. Aber die Gefahr bestand, dass Marina von Hohenfels sie bewaffnet hatte. Eine weitere späte Rache wie der Angriff der ihr hörigen Schiffe war gewiss nicht auszuschließen. Und da war noch dieses vortreffliche Argument, dass ein toter Arling einen Bürgerkrieg auslösen würde. Das stand außer Frage, wenn man sich all die Unterstützung ansah, die Arling erhalten hatte. Alleine im Gefolge des Großherzogs von Baaden waren siebzehn planetare Herzöge mitgereist.
Konnte Takh nach allem was er erreicht hatte, wirklich einen Bürgerkrieg zulassen? Er hatte eigentlich vor gehabt, die drohende Kluft zu überbrücken, sie zu schließen. Warum war Arling so verdammt starrsinnig und blieb nicht da wo er hin gehörte?

Er sah zu Papeete herüber. Seine Schiffe hatten nicht gefeuert, genau wie er es versprochen hatte. Seine Leute würden nur auf jene schießen, die ihrerseits um sich schossen.
"Admiral der Flotten, eine Frage."
"Regent?" "Wenn die Raketenbatterien auf Trondheim feuern, wie schnell können die Geschützmannschaften ihre Stellungen verlassen?"
"Sir?" "Sie haben mich schon verstanden. Oder müssen sie gar nicht vor Ort sein?"
"Wir brauchen ein Team von vier Mann ohne kommandierenden Offizier für eine einzelne Geschützstellung. Aus Sicherheitsgründen können Antischiffsraketen nur zu fünft ausgelöst werden. Nach dem Abschuss bräuchten sie ein Fahrzeug und etwa eine Minute, um einen Kilometer Abstand zum Raketenwerfer zu erreichen."
"Die Marauder", begann Papeete ernst, "würden mit den Schiffspartikelkanonen auf den Abschuss von Antischiffsraketen antworten. Die Feuererwiderung würde zwanzig Sekunden brauchen, dazu das Okay vom Kapitän. Sie decken einen Bereich von einem halben Kilometer ab, mit einhundert Prozent Vernichtung im Radius von einhundert Metern, ab da linear abfallend bis zum Rand bei einer Treffertoleranz von zwanzig Metern. "
Takh schluckte langsam "Wie viele feuerbereite Stellungen haben wir, Admiral?"
"Einhundert, Regent."
"Und sie würden es nicht aus dem Feuerradius der Marauder schaffen, sehe ich das richtig?"
Von Hohenfels stutzte. "Nein, Sir. Aber sie sind Soldaten. Sie werden ihre Befehle ausführen."
"Das ist wohl die Standard-Antwort von euch Soldaten, was? Ich für meinen Teil bin nicht in der Lage, fünfhundert katalaunische Soldaten wissentlich in den Tod zu schicken, ohne die Garantie zu haben, dass die Raketen ihre Ziele erreichen. Wir feuern nicht."
"Aye, Regent. Bedeutet das, Lord Arling hat Landeerlaubnis?"
"Fragen Sie mich jetzt wegen jedem Scheiß um Erlaubnis? Sie sind die Admirälin der Flotten! Das ist Ihr Ressort. Regeln Sie es selbst. Ich bin in meinem Büro."

Takhs Rückzug glich einer kleinen Flucht. Er brauchte seine abhörsichere Kommunikation, und das sehr, sehr schnell. Arling würde jetzt landen können, keiner der verdammten Marauder hatte auch nur ansatzweise versucht, ihn aufzuhalten. Ein Arling, dessen Gedärme über die Straßen von Sanssouci verteilt waren, nützten niemandem etwas, außer vielleicht der Bestattungsbranche, die nach dem anschließenden Bürgerkrieg auf Jahre hinaus zu tun haben würde. Takh musste dringend kontrollieren wie groß seine Macht noch war, und auf wen sie sich auswirkte. Und dazu brauchte er Unterstützung vom Geheimdienst.
Als er sein Büro erreichte, aktivierte er seinen Kanal zum Vorzimmer. "Ich brauche sofort General Lück in meinem Büro."
Der Feldwebel vom Dienst erwiderte: "Tut mir Leid, Sir, aber General Lück wurde von General Kress inhaftiert. Ich habe die Formulare für eine Aufhebung des Befehls angefordert. Sie können in zwanzig Minuten hier sein."
Takh erstarrte. Nein, nicht jetzt, nicht ausgerechnet jetzt!"
"Regent?", klang die Stimme des Feldwebels erneut auf. "Direktor Rütli und Direktor Mannth bitten um einen sofortigen Termin."
"In der Not frisst der Teufel Fliegen! Sollen rein kommen", knurrte Takh. Dann musste er eben Katalaun mit diesen beiden retten.
***
Im Haupthangar der HERCULES wurde es langsam voll; Dutzende Shuttles setzten auf das Flaggschiff über und entließen ihre prominenten Passagiere. Sämtliche Kapitäne waren dabei, ebenso natürlich von Baaden und die Arling unterstützenden Herzöge. Admiral Bekatorou hatte es sich ebenso wenig nehmen lassen überzusetzen wie Admiral Wickers, der Kommandeur der PHILLIP IV.
Sie hatten beschlossen, gemeinsam mit Arling an Bord eines einzigen Pendlers zu gehen und gemeinsam mit ihm zu landen. Gerade kam ein republikanisches Shuttle an Bord und entließ Coryn Griffin und seine Kapitäne. Der Ehren-Gryane und Admiral of Sector eilte sofort zu Arling herüber, schüttelte ihm erst die Hand, und danach umarmte er ihn. "Teufel auch, Han, wer hätte gedacht, dass du es so weit treibst. Aber danke, das wir mitspielen dürfen!" Misstrauisch beäugte er die Umgebung. "Oberst Ganth, wo ist die Leibwache von Admiral Arling?"
Die Infanterie-Offizierin, die in ihrer besten Uniform neben dem Grafen stand, schnaubte für einen Moment frustriert. "Lord Arling hat Begleitschutz vehement abgelehnt, Admiral. Zudem hat er alle Anwesenden gebeten, ihre persönlichen Waffen auf der HERCULES zu lassen."
Erstaunt sah Griffin den Grafen an. "Das ist nicht dein Ernst, Han. Willst du da runter gehen und Zielscheibe spielen? Nimm wenigstens gepanzerte Infanterie mit, die unbewaffnet ist. Das reicht zum Kugeln fangen."
Arling seufzte. "Coryn, was soll ich denn mit Wachen da unten? Soll ich die Menschen von mir fort drücken lassen? Soll ich einen Wall zwischen ihnen und mir aufbauen? Ich habe nicht vor, die Zielscheibe zu spielen. Aber ich habe auch nicht vor, mich den Rest meines Lebens hinter anderen Leuten zu verstecken."
Ein neues Shuttle landete und entließ Kapitän Rend. Sie eilte sofort zum Grafen herüber und wurde von ihm herzlich umarmt. Ein Blick auf ihre geröteten Wangen ließ erahnen, was die beiden noch getan hätten, wenn keine internationalen Kameras und ein paar hundert Zuschauer zugesehen hätten.
"Verdammt, Rend, reden Sie mit ihm. Er will da runter, ohne Begleitschutz, ohne Infanterie."
"Ich bin nicht im Krieg mit Sanssouci. Und ich bin nicht gewillt, der planetaren Bevölkerung jede kleine Entscheidung abzunehmen. Wenn die Menschen meinen, sie können es einem einzelnen oder einer Gruppe erlauben, auf mich zu schießen, mich zu töten, dann soll das so sein. Ich verbiete es nicht. Aber ich halte es für eine armselige und feige Haltung, denn immerhin geht es hier um mehr als mein Leben. Es geht darum, in welche Richtung Katalaun in Zukunft gehen wird. Sich dieser Frage zu entziehen ist... Dumm."
"Und außerdem hat er Leibwächter", stellte Eleonor Rend ernst fest. "Uns."
Griffin sah die junge Frau skeptisch an. Schließlich nickte er. "Ich denke, das ist richtig. Er hat uns." Er sah Arling in die Augen. "Aber falls du so dumme Sachen denken solltest wie "Ich würde tot einen guten Märtyrer abgeben", dann haben wir zwei ein Problem miteinander, Johann."
"Ein guter Witz", erwiderte Arling.
"Mylord, das letzte Shuttle ist angekommen. Wir können jetzt jederzeit auf dem Admiral Angward-Raumhafen landen." Oberleutnant Russeau deutete eine leichte Verneigung an.
"Sehr gut, Jacques. Sie fliegen uns persönlich?"
Der Offizier grinste breit. "Um nichts in der Welt würde ich mir das nehmen lassen, Sir. Allerdings hoffe ich doch sehr, dass wir den Flug nach Tripolis nicht wiederholen und diesmal wesentlich erfolgreicher sind."
Arling schmunzelte leicht. Der Flug nach Tripolis hatte damals darin geendet, das sie von der Kommunalität Principe inhaftiert worden waren. Sicherlich kein Vorgang, den er gerne wiederholen wollte.
"Aber falls doch habe ich mir erlaubt, ein frisches Scatch-Blatt einzupacken, Sir", sagte Russeau und zog aus der Brusttasche ein verschweißtes Set Spielkarten.
Arling griff an seine eigene Brust und zog ein benutztes Set hervor. "Sie sehen, ich bin auch gerüstet."
"Ist das das Blatt, das Sie aus dem Gefängnis mitgenommen haben, Sir?"
"Richtig geraten. Die Dinger sind unverwüstlich, weil sie auf der Rückseite Metallbedampft sind. Die werde ich wahrscheinlich noch meinen Enkeln vererben. Und jetzt lassen Sie uns fliegen, Jacques."
"Aye, Admiral. Das wird die friedlichste Eroberung aller Zeiten."
"Ihr Wort in Gottes Ohr", raunte Griffin und folgte dem Oberleutnant zum Großraumlander.
***
Mittlerweile hatten die Knights der HERCULES im stationären Orbit Gesellschaft bekommen. Die Marauder hatten nach und nach eigene Kampfroboter ausgeschleust, und auch wenn es hieß, dass der Knight das derzeit beste Modell in diesem Teil der Milchstraße war, so waren die drei Grundtypen der Terraner, die Sparrow, Hawk und Eagle genannt wurden, dicht genug dran, um jedem Knight-Piloten eine gesunde Dosis Vorsicht zu empfehlen.
Zwar hatten die Katalauner mittlerweile von allen Schiffen zusammengenommen sechstausend Knights im All treiben, aber die Terraner brachten es immerhin auf zweihundert Maschinen aller drei Typen pro Marauder, was bei dreißig im Orbit um Sanssouci auch sechstausend machte.
"Ruhig bleiben, Leute", sagte Madison zum fünften Mal. "Die wollen nur spielen. Und solange wir nicht als erste feuern, können die uns alle mal." Leiser, damit die Mikros es nicht übertrieben, hängte er einen Fluch an. "Verdammte Scheiße, Charles, warum bist du gerade jetzt nicht hier? Das ist dein verdammtes Regiment!"
"Eine Frage, Jaime, brauchst du vielleicht ein wenig Hilfe?", klang eine erfrischend bekannte Stimme in seinem Funk auf.
Jaime checkte sein Radar und fand dort einen Kampfroboter, der als Freund markiert war und auf seine Position zuhielt. Sehr erfreulich dabei war, dass er fast eintausend Maschinen anführte - alle vom Typ Rüster.
"Selbstverständlich, Daisy. Du und deine Leute sind mir hoch willkommen, solange Lucky Charly Planetenluft atmet."
"Was denn, was denn, ansonsten sind wir nicht willkommen, Madison?", klang nun der Bass von Colonel Woodruff auf. Ein schneller Check zeigte, das er an der Spitze eines vollen Regiments Black Watch ebenfalls auf Madisons Position zu hielt.
"Sie sind mir immer willkommen, Sir. Aber das nächste Mal bitte zum Bier, und nicht zu einer planetaren Eroberung."
"Schade. Dabei sind wir doch dabei immer am besten", scherzte der Black Watch.
"Entschuldigen Sie meine Einmischung, aber falls sie ein paar Hawks gebrauchen können - die Perseii und die Phillippii haben immer nur vom Allerbesten."
"Identifikation, bitte."
"Coronel Philipe Dante, Oberstleutnant Madison. Kommandeur der Kampfroboter der IOLAOS. Wir hatten über Vesuv kurz das Vergnügen."
"Ich erinnere mich. Einige unserer Leute sind mit einigen Ihrer Leute Patrouillen geflogen, bevor wir weiter geflogen sind."
"Richtig. Vielleicht können wir diesmal unsere Bekanntschaft etwas vertiefen. Ich steuere eintausend Hawks, zweihundert Sparrows und vierhundert Eagles dazu. Sie stammen von den Schiffen der Perseii und der Phillippii und sind bereit, sich unter Ihr Kommando zu stellen, Oberstleutnant Madison."
"Ich danke für diese recht kräftige Personalspritze, Coronel. Das kommt genau zur rechten Zeit."
"Wenn ich dazu auch etwas sagen dürfte... Coronel Micaels von der PHILIPP IV, Sir. Ich weiß, im Allgemeinen seht ihr Kaiserlichen auf unsere Hydrae etwas herab, aber ich könnte mit sechshundert Einheiten dienen."
Überrascht japste Jaime auf. Sicherlich, die Aufrechnung Hydrae gegen Knights verlief für die wendigeren, aber schlecht bewaffneten und noch schlechter gepanzerten Kampfroboter der Herculeaner nicht besonders gut, aber sechshundert Einheiten waren sechshundert Einheiten.
"Willkommen im Team, Ma´am. Iolaos, hörst du mich?"
"Laut und deutlich, Sir. Womit kann ich dienen?"
"Änderung am Abstiegsmuster für den Begleitschutz von Lord Arling. Ein Begleitkontingent jeder Fraktion muss dazu aufgerechnet werden."
"Ich nehme an, Sie wollen das Begleitkommando anführen?"
"Korrekt. Major Strater übernimmt hier oben den Rest. Mach mir keine Schande, hörst du?"
"Ich glaube, nach der Konfrontation mit mehreren Halbmegatonnen-Sprengköpfen kann mich ohnehin nichts mehr erschüttern. Gehe ruhig auf den Planeten etwas spielen, Jaime", scherzte der Major.
"Befehle sind raus. Formation wurde auf Ihren Computer übertragen, Oberstleutnant Madison. Lord Arlings Lander hat Startfreigabe."
"Dann sollten wir unsere Plätze einnehmen. Ach, und Conrad?"
"Sir?" "Ich weiß, dass es jeden guten Knight-Piloten in den Fingern juckt, sich mit einem Hawk oder einem anderen terranischen Mecha zu messen. Aber um des lieben Friedens willen, halte deine Leute an der kurzen Leine."
"Aber verteidigen dürfen wir uns doch, oder?", erwiderte er sarkastisch.
"Fragt vorher bei mir nach", scherzte Madison. "Begleitkommando, Positionen einnehmen." "Roger."
Kurz darauf tauchte der Lander mit einem Ehrengeleit von fünfzig Maschinen aller Klassen und aller Fraktionen in die Atmosphäre Sanssoucis ein.

Obwohl er es nicht zugab, so verbrachte Arling doch die halbe Stunde, die der Abstieg in die Atmosphäre dauerte, wie auf glühenden Kohlen. Jede Sekunde befürchtete er, von einem grellen Blitz geblendet und getötet zu werden. Okay, er wurde von grellen Blitzen geblendet, nämlich immer dann, wenn einer der Reporter der internationalen Presse ein Bild von ihm machte. Blitzlicht war schon seit Jahrtausenden überflüssig, aber die Presse verwendete es noch immer, allerdings aus rein atmosphärischen Gründen. Was wäre auch eine Pressekonferenz ohne Blitzlichtgewitter? Außerdem konnte es nervöse Prominente noch immer unvorsichtig werden lassen, sodass sie mehr sagten als sie eigentlich vorgehabt hatten. Erfolgversprechende Methode, denn im Moment irritierte das Blitzlichtgewitter Arling fast so stark wie die bevorstehende Landung.
Arling sortierte seine Gedanken, während seine Linke fest in Ellies Rechter ruhte. Sobald sie unten angekommen waren, würden sie gemeinsam den Raumhafen verlassen. Dazu würden sie Fahrzeuge benötigen, denn selbst wenn das Shuttle am Rand des Raumhafens niederging, der an Neu-Berlin grenzte, bedeutete dies noch immer fünf Kilometer Fußweg. Der Admiral Angward-Raumhafen, nach einem seiner Vorfahren benannt, hatte selbst die Ausmaße einer Großstadt, wenngleich er nicht mit ganz Neu-Berlin mithalten konnte.
Von dort waren es noch einmal acht Kilometer durch die Innenstadt bis zur Bannmeile rund um den kaiserlichen Palast. Die Meile maß eins Komma drei Kilometer, und auch wenn er als Eroberer kam, so musste er sich fragen, ob er das Fahrverbot der Bannmeile respektierte. Nur avisierte Regierungsfahrzeuge durften die Straßen benutzen. Das hatte weniger sicherheitstechnische als ästhetische Gründe, denn den Kaiserpalast umgab eine der schönsten und bestgepflegtesten Parklandschaften Katalauns, der allen Bürgern jederzeit zur Verfügung stand. Deshalb hatte jeder Kaiser dafür Sorge getragen, den Fahrverkehr so gering wie möglich zu halten. Arling konnte kaum mit einem einzelnen Wagen vorfahren und seine Gäste und Unterstützer laufen lassen. Genauso wenig konnte er dulden, von den Kampfrobotern eskortiert oder gar getragen zu werden. Das war alles kontraproduktiv und würde seinem Ansinnen, Robert wieder zurück auf den Thron zu bringen eher schaden als nützen. Nein, die Fahrzeuge, die ihn und seine Unterstützer transportierten, würden an der Bannmeile anhalten müssen. Und ab diesem Punkt würden sie alle laufen müssen. Dies womöglich durch ein sehr schlecht gelauntes Publikum, das ihn, Johann Armin von Arling, als das neue Übel der Welt identifiziert hatte. Ein flüchtiges Grinsen huschte über seine Züge. Sollten sie ihn doch hassen. Sollten sie ihn verabscheuen, schneiden, verachten. Umso mehr würden sie Robert auf dem Thron zurück wünschen, nachdem sie Elise vor Takh und seinen Hintermännern gerettet hatten.
Das war der erste und wichtigste Punkt für ihn: Zuerst Elisabeth unter seinen Schutz zu stellen. Ein Unding, dass seine Tante Eryn und Rütli das noch nicht selbst gemacht hatten, geschweige denn Magic Miranda, die ja wohl wieder fest genug im Sattel saß und auch noch Kress an ihrer Seite hatte. Aber nein, stattdessen duldeten sie, dass ein Kerl wie Takh sie dazu nötigte, ihn zu heiraten. Und das war der unverzeihlichste Punkt von allen. Er persönlich hatte nichts dagegen, wenn ein Mensch, der in verantwortungsvoller Position stand, persönliches Wohlbefinden und Komfort zurückstellte, um besser der Allgemeinheit dienen zu können. Aber es wurde dann richtig übel, wenn es mit Verzicht einher ging, Verzicht auf die ganz persönlichen Freiräume, die Dinge die man wirklich liebte. Das konnte die Lieblingsfernsehserie sein, das konnte ein Lieblingsautor sein. All das brauchte ein Mensch, um zu funktionieren. Ein zweihundert Jahre alter Bourbon hingegen war vernachlässigbarer Luxus, auf den man verzichten konnte. Gerade wenn dies der großen Mehrheit nützte, aber auf die eigene Liebe verzichten erschien Arling eine unmögliche Forderung. Takh hatte sie gestellt, und Arling würde ihm dafür die Rechnung servieren.
Wieder huschte ein Grinsen über seine Züge, als er sich vorstellte, ganz Neu-Berlin zu einem zweihundert Jahre alten Scotch einzuladen. Wie viele würden keinen Bourbon mögen? Wie viele keinen Alkohol trinken? Wie viele würden ihn beschuldigen, damit Brandy, Wodka und Rum den Gnadenstoß versetzt zu haben? Und wie viele Flaschen zu fünfhundert Mark das Stück würde er letztendlich brauchen? Wahrscheinlich würde er eine Zeitmanipulation herbei führen müssen, um in fernster Vergangenheit genügend Flaschen produzieren zu lassen, um sie heute verfügbar zu haben.

Aber zurück zum Thema. In einer Sache war sich Johann so sicher, wie er sich der Frau an seiner Seite sicher sein konnte: Charly und Elise liebten einander. Aufrichtig und tief, von ganzem Herzen, wie frisch dem Klischee entsprungen. Manchmal stimmte das Klischee. Manchmal waren solche Dinge einfach wahr. Manchmal gehörten Menschen einfach zusammen und waren erst dann komplett. Manchmal gab es so viel Glück, dass es sich kaum ertragen ließ.
Aber der wichtigste Punkt in der Geschichte war, dass Charles, wenn er Elise heiratete, nicht auf den Gedanken kommen würde, ihm doch noch seine Ellie auszuspannen. Die beiden standen sich einfach zu nahe, und Johann liebte jeden einzelnen viel zu sehr als ihn unglücklich sehen zu können. Aber anstatt zurück zu stecken und auf sein eigenes Glück zu verzichten brauchte er ja nur Elise retten. Damit hatte er zwei verdammt große Brummer inklusive seiner eigenen primitiven und naiven Ängste mit einer Klappe geschlagen.

"Und nun, verehrte Zuschauer, während ich versuche, meinen treulosen Kameramann einzuholen, der nichts besseres zu tun hatte als zu Lucky Charly ins Cockpit zu steigen, zeige ich ihnen Johann Arling kurz vor seiner wichtigsten Stunde. Er ist dermaßen konzentriert und vertieft in seinen Gedanken, das er mich erst bemerkt hat, als ich anmoderiert habe."
Arling sah auf. Vor seinem Sitz stand Carrie Rodriguez und griente ihn keck an. "Na, wieder bei uns, Han?"
"Störe ihn nicht, Carrie. Wenn er so ist, dann brütet er einen Schlachtplan aus. Eine halbe Stunde Stirn runzeln, und er bringt vier halb zerstörte Schiffe mitten durch eintausend republikanische Einheiten."
Zustimmendes Gelächter erklang hinter seinem Sitz. "Das stimmt allerdings", merkte Arlene Schlüter amüsiert an. "DIR wäre nie was eingefallen, Gerry."
"Ha. Du warst da meine Vorgesetzte. Es hätte dir einfallen müssen", konterte der Admiral. "Autsch, hau mich nicht. Ich bin dein Vorgesetzter."
"Du bist ranghöher, aber nicht mein Vorgesetzter, Admiral der Freiwilligen. Nicht wahr, Han?"
"Ärgere ihn nicht, sonst stellt er dich noch unter Gerrys Kommando", scherzte Ellie.
"Keine Sorge, Kapitän Schlüter. Sollte das wirklich passieren, biete ich Ihnen jederzeit eine eigene Flotte in meinem Kommando an", klang Griffins Stimme von rechts auf.
"Wow, du hast ja einflussreiche Freunde, Lenie. Bist ja richtig dicke mit dem Admiral of Sector. Man könnte fast glauben, das wäre geplant, damit du die Nationen wechseln kannst."
"Aber, aber. Gerry, du bist doch nicht etwa eifersüchtig?", spottete Arlene.
"Eifersüchtig? Auf das Angebot von Admiral Griffin, ja."
"Dann schlafe doch mit ihm. Vielleicht gilt das Angebot dann auch für dich."
"Entschuldigung, aber was immer Sie sich gerade vorstellen, Schlüter, ich muss es rigoros unterbinden. Ich kommandiere meine Untergebenen nicht durch Gefälligkeiten, und ich bin in festen Händen. Unglaublicherweise." Griffin hielt die Rechte von Capitaine Cochraine hoch, die neben ihm saß und nun sanft errötete. So hartgesotten sie als Geheimdienstoffizierin auch war, im Moment schien sie eher Butter zu sein.
"Sag mal, Han", raunte Carrie und beugte sich zum Grafen herunter, "läuft das was zwischen Lenie und Gerard? Wir haben da ein altes Sprichwort auf Terra: Wer quietscht, will geölt werden. Lassen die zwei es vielleicht irgendwann mal krachen?"
Schalk glomm in Arlings Augen auf. "Was? Die zwei? Das ist rein platonisch. Weißt du, sie ist lesbisch, und er... Nun, er steht eher auf Männer."
"WAS?" Schlüter und Rössing waren entsetzt aufgesprungen.
"Nicht, das ich intolerant gegenüber Homosexuellen wäre, aber, Han, so ein Gerücht über die internationale Presse zu verbreiten wird mir ewig anhängen", sagte Schlüter entrüstet. "Weißt du, wie viele Frauen mir schon Anträge gemacht haben, seit ich eine Uniform trage? Die halten mich ohnehin schon für den Prototyp der Karriere-Schwulen. Und das nervt, weil ich so auch kaum eine Chance habe, irgendwann mal den richtigen Mann zu finden."
"Ach, und du meinst, ich habe es leichter, wenn mich Han über die halbe Galaxis als Homosexuell hinstellt? Und ja, ich habe Vorurteile! Nach Möglichkeit lasse ich solche Leute nicht in mein Schlafzimmer." Rössing schnaubte amüsiert. "Allerdings, wenn ich es mir überlege, wärst du wirklich eine gute... Nun. Dominant, direkt und jederzeit bereit das Kommando zu übernehmen, kein Wunder das Frauen dich bewundern. Du hast mehr Eier als mancher Mann."
"Ich bedanke mich für dieses zweifelhafte Kompliment. Du würdest aber auch vortrefflich in eine homosexuelle Beziehung passen. Du bist wirklich der fürsorgliche, mütterliche Weibchen-Typ."
Rössing schnappte nach Luft. "Wie bitte?"
"Vielleicht hat Han ja Recht und ich habe es all die Jahre nur nicht gemerkt, dass du... Tja, eben auf der anderen Seite fischst. Vielleicht hast du es auch nur selbst noch nicht gemerkt."
"Vorsicht, Lenie, das ist ganz gefährliches Eis. Ich bin einhundert Prozent Hetero. Was ich dir gerne demonstrieren kann, wenn du möchtest. Aber dazu bringe besser eine Freundin mit, denn nur mit deinem Anblick leistet ein Mann ja Übermenschliches."
"Ach ja? Mein lieber Gerard Rössing, ich mache nicht nur in meiner Uniform eine gute Figur. Fast bin ich versucht, es zu beweisen, nur um deine stammelnden Entschuldigungen zu hören, nachdem du meinen Traumkörper gesehen hast."
"Tsss. Kannst du überhaupt hören, wenn dir das Blut in den Adern rauscht, weil du einen Prachtkerl wie mich vor Augen hast?"
"Vorsicht, das ist jetzt ganz dünnes Eis für dich, Schatz. Was tust du, wenn ich einverstanden bin?"
"Denkst du, ich stecke zurück? Ich? Warum sollte ich? Das einzige was ich verlieren kann ist mein Augenlicht, wenn ich dich ohne Uniform sehe."
"Hey, das ist mein Text, Herr Admiral!"
"Fein. Dann ist das also eine Herausforderung?"
"Fein, das sehe ich genauso." "Fein!" "Fein!"
"Wenn das hier alles vorbei ist!"
"Gerne! Ich werde dich dran erinnern!" "Fein!" "Fein!"
Ärgerlich setzten sich die beiden wieder. Dennoch konnte einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, dass in ihren Augen leichte Panik stand.
Arling wandte sich nach hinten um, musterte die zwei, die unter seinem Blick Entschuldigungen murmelnd beiseite sahen, und nickte schließlich.
"Nun guck nicht so zufrieden. Du bist ja überhaupt erst schuld daran, dass es so eskaliert ist", murrte Schlüter. Unsicher sah sie zu Rössing herüber. Der wiederum fand seine Nägel sehr interessant. Erstaunlich bei einem Mann, der problemlos eine eigene Flottille kommandierte.
"Wie auch immer. Schafft es aus der Welt. Ich kann es mir nicht leisten, wenn sich meine beiden besten Offiziere streiten, oder noch schlimmer nicht mit einander sprechen."
"Ich mache bestimmt keinen Rückzieher", murmelte Lenie leise.
"Und ich bringe eine Sonnenbrille mit. Sicher ist sicher. Au, nicht schon wieder hauen."
"Gerry, du bist unmöglich." "Manchmal", gab der Konteradmiral zu.
Arling lächelte still und sah wieder nach vorne.
"Und was sollte das jetzt?"
"Nun, Miss Rodriguez, du darfst zwar jede Frage stellen, die dir in den Sinn kommt, aber ich kann und werde sicher nicht jede beantworten", sagte Arling ernst.
"Oh. Darf ich spekulieren?"
"Unterstehe dich", sagte Arling streng.

"Achtung, hier spricht ihr Pilot. Wir landen in wenigen Minuten. Bitte anschnallen. Ich rechne zwar nicht mehr mit Beschuss oder ähnlichen Schweinereien, aber da ich leider nicht in die Zukunft sehen kann, tun sie mir alle bitte den Gefallen. Und Miss Rodriguez, verankern Sie Ihre fliegende Kamera irgendwo, wo sie niemandem an den Kopf fliegen kann. Sie sind so schon schlimm genug!"
Leises Gelächter klang auf. "Kleiner Flegel! Zu Ihnen komme ich auch noch mal, verlassen Sie sich drauf, Russeau", schimpfte Carrie gespielt. Sie verankerte die Kamera zu ihren Füßen und schnallte sich neben Arling an. "Und jetzt beginnt der richtige Spaß."
"Eventuell", erwiderte Han. "Fragt sich nur, für wen es ein Spaß ist."
***

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Der erste, der den Lander der HERCULES verließ war Graf Arling selbst. ihm folgten zuerst die Soldaten, danach die Presse. Zum Schluss kamen die Politiker.
Als Empfangstruppe standen, Kress, Ganther, Lucky Charly und knappe sechshundert Infanteristen bereit.
"Willkommen auf Sanssouci, Mylord", sagte Kress nach einem kurzen Salut. "Wir haben Wagen vorbereitet, um Euch und Eure Begleiter bis zur Bannmeile zu fahren. Allerdings habe ich eine Ausnahmeerlaubnis erwirkt, um direkt bis zum Palast durch zu fahren, und..."
"Abgelehnt. Ab der Bannmeile gehe ich zu Fuß."
Kress schnaubte ärgerlich. "Mylord, es gibt Anzeichen, das ein Attentat auf Euch geplant ist."
"Und? Seit wann interessiert Sie meine Sicherheit? Oder die meiner Familie?"
Konsterniert erstarrte Kress. Der Seitenhieb auf das Duell des Knight-Piloten mit Johanns Vater hatte gesessen. "Seit heute, Mylord!", erwiderte Kress ärgerlich. "Es mag ja sein, dass Ihr mit Eurem Leben zu spielen bereit seid, ich bin es nicht!"
"Und ich, mein werter Sven, habe nicht vor mich zu verstecken. Ich will diese Welt erobern, aber nicht als Heimlichtuer, als Schleicher, als Despot. Ich werde offen ausschreiten und jedem der es hören will sagen, dass ich Robert wieder auf dem Thron sehen will."
Arling sah zur Seite. "Charles, weit bist du ja nicht gekommen."
"Nicht meine Schuld. General Kress ist ein verdammt zäher Gegner. Dann wurde ich durch das eine oder andere Missverständnis aufgehalten, und ich dachte mir, dann kann ich auch auf dich warten, alter Junge."
Arling lächelte zustimmend. "Wo treibt sich Spence rum?"
"Irgendwo da hinten. Er interviewt Soldaten."
"So, tut er das. Wird der kleine Kameramann etwa größenwahnsinnig?", rief Carrie Rodriguez mit Ironie in der Stimme. "Oder glaubt er etwa, er hat sich bei mir mittlerweile genug abgeguckt?"
"Weder noch. Mir hat er gesagt, er will sich einfach die Gelegenheit nicht entgehen lassen."
"Oh. Verdammt gutes Argument."
Arling schmunzelte kurz. "Ganther. Schön Sie zu sehen. Beförderung, wie ich sehe."
Der Infanterist salutierte. "Aye, Sir. Und ich habe nicht vergessen, unter wessen Kommando ich diese Beförderung erhalten habe. Schön, Sie wieder zu sehen, Admiral."
Arling lächelte warm. "Eine kleine Delegation der Mecha-Piloten wird uns begleiten, Ganther, bitte sorgen Sie für weitere Transportmöglichkeiten."
"Damit habe ich gerechnet, Sir. Drei Jahre unter Ihrem Kommando, und man bereitet sich automatisch auf alle Eventualitäten vor."
Die beiden Männer wechselten einen wissenden Blick.
"Da kommen die Piloten", stellte Charles fest. Er hob die Hand und winkte. "Woodruff! Daisy!"
"Und da kommen die Transporter", brummte Kress. "Mylord, ich muss auf bewaffneten Begleitschutz bestehen. Außerdem denke ich, zumindest Euer Wagen muss bis zum Palast durch fahren."
"Bestehen Sie und denken Sie, soviel Sie wollen. Ich für meinen Teil treffe meine eigenen Entscheidungen. Das einzige, was Sie tun können, General, ist diese mitzutragen oder mich daran zu hindern."
"Aye, Mylord", knurrte Kress verärgert. Dies konnte entweder ein sehr langer Tag werden - oder ein verdammt kurzer.
***
Die kleine Gruppe bestand aus drei Männern und drei Frauen. Sie alle gehörten mehr oder weniger der Familie Magno an, die als Stahlkonzern begonnen hatte und mittlerweile in so ziemlich jeder wichtigen Brance Fuß gefasst hatte, vom Holosender bis hin zur selbst zubereitenden Konservendose. Sie alle hatten sich ihrem Erbe der Magnos verschrieben, die Rache auf ihre Fahnen gemeißelt und die Vernichtung der Versailles herbeizuführen versucht. Die Demütigung, die Pein, und der Verlust des guten Namens ihrer Firma, ihrer Familie, hatte das ehemals auf Sanssouci beheimatete Unternehmen gezwungen, auf eine andere Welt auszuweichen. Natürlich vergaßen die Leute, natürlich war ihnen Geld irgendwann wichtiger als Geschichte. Und natürlich hatte Magno-Stahl damals "die Verantwortlichen" aus der Familie identifiziert und ausgeliefert. Die Schuld der vier Männer und Frauen war vor Gericht bewiesen worden und sie waren im Rahmen der Gesetze bestraft worden. Einer von ihnen, Johann Magno, war für den Befehl, die männlichen Vertreter des Hauses Beijing zu liquidieren, zu fünfhundert Jahren Haft verurteilt worden, der höchsten Strafe, die Katalaun gegen Nichtmilitärs aussprechen konnte. Er hatte bereits nach wenigen Jahren Selbstmord begangen. Damit hätte der Name der Magnos wieder rein gewaschen sein müssen, auch und gerade weil sehr große Summen geflossen waren, um den Wiederaufbau der durch den Aufstand zerstörten Städte und Industrien Katalauns zu ermöglichen. Damit verbunden war natürlich ein gewisser Einfluss der Geldgeber auf Planeten gewesen, auf denen sie zuvor keinerlei Einfluss gehabt hatten, und das war ein unerwarteter Erfolg der ganzen Geschichte gewesen. Aber die Beijings vergaßen nicht. Sie vergaßen niemals. Und Gandolf Zachary von Beijing im besonderen nie. Er hatte einerseits nie zugelassen, dass Reparationszahlungen auch seine Heimatwelt erreichten, und andererseits hatte er als Herzog Magno bekämpft und gestört wo immer er nur gekonnt hatte. Selbst dann noch, als sich der Vorstand längst von den "Fehlern der irre geleiteten Familienmitglieder" distanziert hatte.
Dies hatte nun ein Ende. Gandolf war tot. Aber sein Erbe existierte weiter. Einerseits war da sein Sohn, der wie durch ein Wunder die unglaublichsten Situationen überlebte, als hätte er ein Dutzend Leben. Und dann waren da noch seine beiden Enkel und sein Urenkel, welche die Grafen seiner Heimatwelt stellten. Mit den Versailles, den eigentlichen Auslösern des ganzen Konflikts, waren sie beinahe fertig geworden, jetzt wo Frederec tot und Robert vom Thron verjagt war. Aber plötzlich stand das alles wieder auf der Kippe. Alles. Sie drohten wieder am Anfang zu stehen.

"Es sieht so aus als hätte Anrids Plan nicht funktioniert", sagte eine der Frauen ernst. Sie lächelte süffisant, verschränkte die Hände unter dem Kinn und fügte hinzu: "Nicht, das ich von Anfang an große Hoffnungen darin hatte, das sein defensiver Weg funktionieren würde. Wir sehen ja was daraus geworden ist. Arling ist auf dem Weg zu ihm, reißt ihm sein Druckmittel aus den Händen und jagt ihn aus dem Palast."
"Es wäre ja auch nicht richtig gewesen", murmelte einer der Männer. "Wir wollten von vorne herein Rache an den Verrätern an unserer Familie. Sie länger als unbedingt notwendig leben zu lassen passt da nicht und gibt der Sache einen bitteren Beigeschmack."
"Dennoch, es war ein interessanter Infiltrationsversuch. Und er hätte uns erlaubt, ein nahezu unversehrtes Kaiserreich zu übernehmen und den alten Streit endlich zu beenden. Die Frage ist, was wir jetzt tun müssen."
"Arling töten", sagte eine der anderen beiden Frauen wie aus der Pistole geschossen. "Bringen wir ihn um, und seine ganze Koalition fällt in sich zusammen. Ein nervöser Feuerleitoffizier, der auf den Tod seines geliebten Grafen reagiert, und die Terraner nehmen uns die ganze Mühe ab. Und sie vernichten diesen Emporkömmling Griffin gleich mit."
"Macht ihn das nicht zum Märtyrer?", wagte einer der Männer einzuwenden.
"Wir kontrollieren die Medien. Wir haben Einfluss in hunderten Firmen und auf ihre Belegschaft. Wir haben trotz dem Verlust von Marina immer noch Einfluss auf die Flotte und die Armee. Und auf uns hören immer noch die Kreuzbrüder und einige andere bewaffnete Vereinigungen", schloss die erste Frau wieder. "Lassen wir ihn erst einmal sterben. Danach regeln wir alles andere schon."
"Und wie wollen wir es machen? Ein Scharfschütze? Jemand der ihn aus nächster Nähe tötet? Eine Bombe? Denkbar wäre auch ein langsames Sterben, indem wir ihn über unsere Medien als Verbrecher und Vergewaltiger verleumden. Die Beweise hierfür lassen sich leicht zusammenstellen und manipulieren. Und da Arling zur herrschenden Schicht gehört, brauchen wir nur die Geschichten von den angeblichen Orgien im Kaiserpalast erneut zu bringen. Das macht dann unsere Vorwürfe so glaubwürdig, dass alleine die Presse ihn hinweg fegt, ihn bricht und so sehr diskreditiert, das er sich nicht einmal mehr auf seinen Heimatplaneten trauen wird. Das wäre vielleicht weit reizvoller als ihn zum Märtyrer zu machen."
"Ihr seid doch alles Idioten", zischte die letzte Frau. "Wir sind hier nicht im Europa-Pakt! Die meisten Bürger Katalauns und die Einwohner von Neu-Berlin empfangen internationale Medien, die wir wegen der terranischen Verträge garantieren müssen! Wir treten nicht nur gegen Arling an, sondern auch gegen das Bild, das diese Sender von Arling zeichnen! Am Ende werden wir eine Polarisierung haben, nämlich jene, die der terranischen Reporterin glauben, und jene, die der einheimischen Berichterstattung glauben. Da die internationale Presse sich hingegen verdammt einig ist, was Arling betrifft, aber wir immer noch von illegalen Webzeitungen, Papierflyern und journalistischen Blitzaktionen torpediert werden, steht die Quote wohl im günstigsten Fall sechzig zu vierzig für Arling, nicht für uns. Er ist populär, verdammt, und dagegen kommen wir nicht an! Aber wir können ja einen Märtyrer aus ihm machen, einen der halb Katalaun nach den Schuldigen suchen lässt... Und irgendwann kommen sie doch einmal bis zu uns. Was dann? Oh, glaubt nicht, das wäre unwahrscheinlich, denn Klages kennt eure Namen! Sie steht in der Schuld von Arling und hat jetzt nichts mehr zu verlieren. Im Gegenteil, sie kann sich und ihrem Nachfolger enorme Sympathien sichern, wenn sie uns anschließend opfert."
"Tötet Anrid", sagte eine vierte Männerstimme.
Die Anwesenden fuhren herum. "Reklin."
Der alte Mann kam zum Vorstandstisch und ließ sich dort nieder. Er schloss erschöpft die Augen. "Diese Tage haben viel gesehen. Den Tod meines alten Erzfeindes, die Vernichtung der Dynastie der Versailles und das politische Ende eines Beijings."
"Noch sind die Versailles nicht vernichtet, und noch ist Arling in Neu-Berlin", wandte der dritte Mann ein.
"All das wird sich ändern wenn Anrid stirbt. Was meint ihr, wem wird die Schuld an seinem Tod vorgeworfen werden?"
"Das wird uns nichts nützen, selbst wenn die terranischen Medien mitspielen und unsere Sicht der Dinge verbreiten sollten. Nein, ein toter Anrid bedeutet nur weniger Probleme für Arling. Nicht, das ich besonders viel auf einen kleinen Emporkömmling aus einer Seitenfamilie geben würde, aber so funktioniert es nicht."
"Und wenn Arling auch stirbt, was meinst du wird passieren, Junge?"
"Na", spottete die erste Frau, "bestimmt keinen Frieden. Beide Seiten werden sich an die Gurgel gehen so gut sie es können und so weit es die Terraner zulassen. Und am Ende..."
"Am Ende übernehmen wir eine leicht angesengte Hauptwelt aus den Händen der Terraner zur Verwaltung, haben die Versailles endlich vernichtet und können die große Einigung unseres Volkes, das durch Frederek und Robert gespaltet wurde, vornehmen. Und dann... Dann können wir endlich beenden, wofür unsere Vorfahren im Auftrag der herculeanischen Herrscher ihre Leben riskiert und teilweise auch verloren haben." Der alte Mann atmete sichtbar aus. "Seit unsere Vorfahren die Ikarii verlassen haben, seit sie ihr Glück in der Wirtschaft gesucht haben, schwelte der Konflikt zwischen ihnen und der kaiserlichen Familie von Robert dem Ersten. Ihr wirtschaftlicher Erfolg und der damit verbundene Machtzuwachs war enorm, zu enorm für den Kaiser, um uns unterdrücken oder gar kontrollieren zu können. Also versuchte er uns mit Gesetzen Einhalt zu gebieten. Und als dies nicht den Erfolg brachte, brach er selbst das eigene Gesetz und setzte Flotte und Armee gegen uns ein. Doch wir wehrten uns. Heuerten Söldner an. Gingen auf das gleiche ehrlose Niveau wie der Kaiser und legten unsere Hand auf seine nächsten Verwandten, die Beijings, um den Wahnsinn zu beenden. Aber dem Kaiser waren verwandtschaftliche Bande egal, und er ließ sie einen nach dem anderen sterben. Nicht wir haben sie getötet, sondern der sture Mann auf dem Thron, der nie hat zugeben können, wenn er Fehler gemacht hatte. Im Gegenteil, er machte neue Fehler, schlimmere Fehler, und verkaufte sie als Erfolge. An seinen Händen klebt das Blut von zwanzig männlichen Beijings. Nicht an meinen... Nicht an meinen..."
Er schloss die Augen und seufzte. "Anrid ist ein guter Junge. Er war uns sehr nützlich und hat meistens sehr gute Arbeit für uns geleistet. Auch wenn er nur aus einem Nebenzweig stammt, er hätte den Namen Magno tragen können, wenn er doch nur ein klein wenig mehr verstanden hätte, dass die Sache mit den Versailles nicht um Planeten oder Sternenreiche ging, sondern um die Toten! Um all jene, die für die Familie zu sterben bereit waren, und die dank der Versailles auch gestorben sind! Rache ist unser Motiv, nicht ein schlichter Kurswechsel in der Politik, nicht ein überarbeitetes Verhältnis zu Jemfeld und Zyrrtekk. Wir wollen Rache, und wir wollen sie bald!
Langsam öffnete er die Augen wieder, mit der vollen Last seiner zweihundertvierzig Jahren als Gewichten auf den Lidern. "Tötet beide. Arling, um seine Anhänger aufzubringen, und Takh, um die Religiösen zum Krieg zu treiben. Wenn alles vorbei ist und der Staub sich gelegt hat, dann werden wir vielleicht eine neue Thronwelt brauchen, aber in jedem Fall ein paar neue Herzöge, und einen neuen Kaiser."
"Du willst also den großen Bürgerkrieg, Reklin", stellte die erste Frau fest.
"Die Terraner werden dafür sorgen, dass der Konflikt Montillon nicht verlässt", antwortete der alte Mann leise. "Leitet alles in die Wege. Ich will die Vernichtung der Versailles vor meinem Tod erleben können."
Die erste Frau nickte, dann griff sie zu einem Kommunikator und sprach nur zwei Worte hinein, die aber ein ganzes Sternenreich ins Chaos stürzen würden: "Tötet beide."
Dann ging alles seinen Gang, unaufhaltbar, unwiderruflich.
***
Als die Wagenkolonne, angeführt und abgeschlossen von Polizei-Einheiten, den großen Raumhafen verließ, war noch alles in Ordnung. Zwar hatte die Ankunft Arlings und sein kurzer Aufenthalt Aufregung verursacht, aber bei Soldaten konnte man zumindest davon ausgehen, dass diese Aufregung in geordneten Bahnen verlief.
Als die Kolonne dann auf den Schnellweg zwischen Saint-Lazare und NeuKölln auffuhr, sahen sie die ersten Anzeichen für die Veränderung. Menschen säumten die Straßen. Hunderte, Tausende. Zehntausende. Johann Arling hatte nicht gerade damit gerechnet auf Verständnis zu treffen, geschweige denn die laute Propaganda der einseitigen katalaunischen Medien übertönt haben zu können. Denn realistischerweise stand es dann auch nur Aussage gegen Aussage. Am meisten hätte er sich über ein gepflegtes Maß Desinteresse oder Passivität seiner Mitmenschen gefreut. Aber das war die mittlerweile vielleicht hunderttausend an den Tag legten, war gewiss kein Desinteresse oder Passivität. Dennoch, die Menge war diszipliniert, ungewöhnlich ruhig und außerdem sehr ernst. Menschen, die sie passiert hatten, gingen auf die Straße und folgten den Wagen.
Arling hätte es verstanden, wenn sie protestiert hätten. Wenn sie Schilder hoch gehalten hätten mit Aufschriften wie "Arling, go home". Aber dieses Verhalten war irgendwie beängstigend. Kurz spielte er mit dem Gedanken, umzukehren, einen Flugwagen zu nehmen und die Straßen von Neu-Berlin zu vermeiden. Aber fliehen war nur eine taktische Option, wenn alle anderen Optionen versagten.
Arling beugte sich vor. "Fahrer, die Kolonne soll halten."
"Halten, Mylord?", fragte Kress irritiert.
"Aye, Sir."
Nacheinander stoppten die Wagen. Einer der hinteren konnte nur durch eine Vollbremsung einen Auffahrunfall verhindern. Erschrocken und bleich saß der Mann hinter seinem Steuer und bemühte sich die Fahrtunterstützung wieder zu aktivieren, die ihn vor Beinaheunfällen bewahrte.
Arling lächelte dünnlippig. Dann öffnete er die Fondtür und verließ die Limousine. Er richtete sich auf, setzte die Dienstmütze auf und sah in die Runde. Von seiner Position konnte er vielleicht zweitausend Menschen erkennen. Plus jene, die hinter der nächsten Biegung auf ihn warteten und mehrere zehntausend, welche auf der Straße hinterher kamen.
"Guten Tag, Neu-Berlin!", sagte Arling.
Ein vielstimmiges Gewirr antwortete ihm, das man mit Wohlwollen als Erwiderungen seines Grußes werten konnte.
"Darf ich fragen, was die Herrschaften vor haben?"
Nun wurde das Stimmgewirr lauter, und damit auch leider unverständlicher. Arling erkannte zwischen den Bürgern Neu-Berlins hier und da eine Infanterie-Gefechtsrüstung der Terraner, die vereinzelt ebenfalls die Straße säumten. Das machte die Sache nicht einfacher, eher komplizierter. Johann stellte sich ohnehin schon ständig die Frage, wann Papeete genug vom Hinhaltespielchen hatte und endlich eingriff. Es wäre zumindest vernünftig gewesen.
Der Herzog von B-King hob beide Hände. "Nicht alle auf einmal, bitte."
Ein weiteres, teils amüsiertes Raunen antwortete ihm.
Weiter vorne, auf Höhe des voran fahrenden Polizeiwagens, kam ein kleiner dicklicher Man aus der Menge. Er trug einen Anzug der neuesten Mode, allerdings hatte er sich dazu entschlossen, sich den Luxus einer Halbglatze zu gönnen, die ihn älter, reifer und intellektuell wirken ließ. Der Mann diskutierte ein wenig mit dem Wachtmeister, der den Wagen fuhr, nickte schließlich heftig und kam auf Arling zugeeilt.
"Mylord, vielleicht, wenn ich das erklären dürfte... Ich bin Zargan Dorenk, der Bürgermeister von NeuKölln. Seien Sie unbesorgt, die gesamte Fahrtstrecke wird von den Bürgern meines Stadtteils abgesichert! Und an der Grenze nach Neu-Remagen übernimmt Euch meine Kollegin, Francine Orly mit ihren freiwilligen Bürgern."
"Freiwillige? Bürger?" Arling hob irritiert eine Augenbraue. "Freiwillig für was?"
"Freiwillig dafür, Euch zu beschützen, Mylord", sagte der kleine Mann stolz. "Wir wissen, dass weder Ihr noch Eure Begleiter Waffen tragen. Und wir wissen, dass Ihr lediglich versucht, Euer Recht durchzusetzen, um Katalaun endlich wieder in einen Ort des Friedens zu verwandeln. Es wäre eine Schande, wenn so viel persönlicher Mut, wenn so viel Opferbereitschaft einfach ein paar Irren mit Waffen geopfert werden würde. Es wäre Schade, Euch zu opfern, Mylord! Deshalb haben die Bürger von Neu-Berlin entschieden, Euren Weg zum Palast zu beschützen, Mylord! Ihr habt ein Anrecht darauf, den Thron zu fordern, und mit Verlaub, wir alle glauben, dass Ihr ein hervorragender Kaiser werdet, Mylord!"
"Langsam, langsam!", lachte Arling. "Mir geht es im Moment darum, dass Elisabeth nicht länger dazu gedrängt wird, die Strohpuppenkaiserin für die Konservativen zu spielen. Danach wird hoffentlich Robert wieder den Thron besteigen."
"Nun, wir werden sehen, wie die Geschichte ausgeht. Auf jeden Fall werdet weder Ihr noch Eure Begleiter, Mylord, in NeuKölln auf irgendeine Gefahr stoßen. Wir säumen den kompletten Weg, wir sind auf allen Dächern, in allen Straßen und Gassen und in allen Wohnungen! In NeuKölln gibt es in diesem Moment keinen einzigen Ort, von dem aus ein einzelner oder eine Gruppe auf Euch schießen könnte. Und die Menschen hier unten auf der Straße sind mehr als entschlossen, jedwelches Attentat auf Euch zu verhindern, Mylord."
Arling bezweifelte ernsthaft, dass die Menschen etwas gegen eine in der Kanalisation angebrachten Haftmine ausrichten würden. Oder gegen einen Attentäter, der aus der Sicherheit einer Menschengruppe eine Granate nach ihm warf. In den letzten Jahrzehnten waren die Mistdinger kleiner, gefährlicher und tödlicher geworden. Aber er sah hier eine Menge geballte Zivilcourage und persönlichen Mut auf einem Haufen. Und das beeindruckte ihn sehr.
Mittlerweile waren auch seine Begleiter ausgestiegen und zeigten sich beeindruckt von so viel Courage. Leiser Applaus erklang von ihnen, was die Menge mit Jubel erwiderte.
Der Bürgermeister griff beherzt nach Arlings Unterarm und legte eine Hand auf dessen Rücken. "Nun haben wir aber genug geplaudert, Mylord. Ihr solltet jetzt weiter fahren. Der Palast wartet auf Euch."
"Sie stellen mich auf ein viel zu hohes Podest, Bürgermeister. Was habe ich schon großartiges geleistet, um so viel Vertrauen zu verdienen?", tadelte Arling.
"Das Herculeanum wieder errichtet und auf ewig in die Schuld des Kaiserreichs gestellt, nebenbei den Krieg beendet. Das gleiche wie in Yura-Maynhaus."
"Aber das habe ich doch unabsichtlich gemacht! Außerdem ist es so nicht korrekt."
"Umso besser, Mylord", erwiderte Dorenk und drückte Arling mit sanfter Gewalt wieder in den Wagen. "Und nun fahrt, Mylord."
Nachdem Griffin und Charles wieder eingestiegen waren - Johann hatte den meisten seiner Freunde verboten, mit ihm in einem Wagen zu sitzen, weil er sich zu Recht als Ziel glaubte, aber nicht diese zwei abwehren können - setzte sich die Kolonne wieder in Bewegung.
"Tatsächlich. Oben auf den Dächern sind Zivilisten. Und wenn sie wirklich in jeder Wohnung sind... Nun, die Wohnungen gehören den Bürgern dieses Stadtteils. Also, die Menschen hier in NeuKölln hast du schon mal motiviert und für den Frieden begeistert, Johann", merkte Charles an. "Wenn das so weiter geht, dann schaffen wir es bis in den Palast. Und dann muss Papeete Farbe bekennen."
"Wenn das unser ganzes Problem wäre", murmelte Arling. "Da fängt es erst an, denn Admiral Papeete, seine Schiffe und seine Leute sehen wir wenigstens. Gefährlicher sind all jene die wir nicht sehen." Arling machte eine weit ausholende Geste. "Die religiösen Fanatiker haben in den Jahren von Roberts Regentschaft nicht nur ein weitgespanntes Netz an Verbindungen aufgebaut, sondern auch viele kleine autarke Terrorzellen errichtet, die am Tag X bereit stehen und für ihre Sache kämpfen sollen. Der Geheimdienst hat immer mal wieder ein paar von ihnen enttarnt und ausgehoben, aber die Dunkelziffer wird um einiges höher sein. Wenn sich eine dieser Gruppen dazu entschließt, ohne Rücksicht auf Verluste auf mich zu schießen, werden viele gute Bürger, die glauben hier und heute das Richtige zu tun, ziemlich brutal sterben."
"Und seit wann bist du ein Mann, der anderen das Recht abspricht, sich wissentlich in Gefahr zu begeben?", fragte Coryn Griffin trocken.
"Das ist jetzt sehr zynisch, Admiral of Sector."
"Mag sein. Und es ist wahr, oder?" Coryn deutete nach draußen, wo die Menge nun dazu übergegangen war, der Wagenkolonne zu zu winken. "Ich weiß nicht ob du es merkst, Johann, aber wir nähern uns dem Kern des Problems, unserem eigentlichen Gegner, nicht nur seinen Vasallen, seinen Lohndienern, seinen Strohmännern. Wir stehen bald jenem gegenüber, der den Krieg von vier Nationen gegen Katalaun organisiert hat, darunter meine eigene. Wir sehen bald jenen, der erst den Krieg, dann katalaunische Bürger hier und im Europa-Pakt verführt und missbraucht hat, und schließlich und endlich sogar die Terraner gerufen hat. Wir haben uns vorgekämpft, Schritt für Schritt. Wir haben gelitten. Wir haben Tote auf unserer Seite, die niemals mehr wieder kommen werden. Du hast deinen Vater verloren. Unsere Opfer waren groß. Aber nun sitzen wir hier in einer sehr bequemen Limousine, und wir sind weder ausgeliefert noch hilflos. Im Gegenteil, so wie wir hier Waffenlos und provokativ offen zu Palast fahren, sind wir die schlimmste Bedrohung für die Pläne unseres Gegners, die dieser sich überhaupt vorstellen kann. Wenn wir ankommen, dann bricht weit mehr zusammen als die Kriegstreiberei, als der Versuch, Zyrrtekk und Jemfeld auszurotten. Mehr als der Missbrauch der religiösen Fanatiker. Die ganze alte Zeit wird fort sein, und wir blicken für Katalaun in eine neue Zukunft, die so viel gutes bringen kann. Und wenn der richtige Mann diesen Augenblick erkennt und für all seine Mitbürger nutzt, dann wird es sogar noch besser als ich zu hoffen wage." Verträumt sah Coryn Griffinins Leere. Schließlich räusperte er sich verlegen. "Scheint so als sollte ich mich von dir für die kaiserliche Marine anwerben lassen."
"Danke, das baut mich auf", erwiderte Arling.
"Und er hat Recht damit!", ereiferte sich Charles. "Was denkst du, Han, wie lange dieser Konflikt schon geht? Seit Kriegsbeginn? Sicher nicht. Seit jenem Tag, an dem Mikhail entführt werden sollte. Vielleicht sogar noch weit früher, zu Zeiten der Ermordung deiner Beijing-Vorfahren. Immer konnte der Gegner zurück gedrängt, doch nie gestellt oder gar besiegt werden. Du bist der Erste, der ihn an den Eiern hat."
"Ich sehe in meiner Faust nichts, was aussieht wie ein Paar Eier", erwiderte Arling burschikos.
"Höre auf meine Worte, Han", orakelte Charly.
"So, dies ist also Neu-Remagen? Der Bürgermeister hat nicht übertrieben. Hier stehen eher noch mehr Menschen als in NeuKölln. Was für eine schöne Motivation für dich, Han, keinen einzigen von ihnen enttäuschen zu wollen."
"Ich liebe es wirklich, wenn du mich unter meiner moralischen Last ächzen siehst, und dann noch ein paar Kilo obenauf legst, Coryn."
"Oh, gerne geschehen. Wozu hat man sonst Freunde", erwiderte der Republikaner süffisant.
Arling antwortete mit einem frustriert-amüsierten Schnauben.

Als die Wagenkolonne wieder hielt, hatten sie die Sperrzone erreicht. Polizisten winkten die einzelnen Wagen durch; nach einer kurzen Diskussion mit der Führungsmannschaft im vorderen Polizeiwagen änderten sie ihre Pläne und dirigierten die Wagen durch die Menschenmenge in den Innenhof der Flottenzentrale, die genug Platz für alle Wagen bot.
"Haben sie hier nicht das Attentat auf Miranda von Hohenfels veranstaltet, dem sie nur entkommen ist, weil Kress sie aufgehalten hat? Ein toter Fahrer und zwei tote Leibwächter, wenn ich mich recht entsinne."
"Richtig."
"Und hier winken sie dich rein? Es scheint so als wenn die Polizei nicht auf deiner Seite wäre, alter Freund."
"Nach der Sache mit Marinas Anhängern, die versucht haben, Robert auf Versailles aufzumischen, hat man hier ordentlich ausgemistet. Und danach haben sich Magic Miranda und Kress noch einmal am Personalbestand gütlich getan. Hier ist mittlerweile jeder einzelne Soldat und Mitarbeit so loyal wie der Hausmeister. Und der dient hier schon seit fünfzig Jahren."
"Loyal? Bei wie vielen Kaisern?", argwöhnte Coryn.
"Loyal zu Recht, Gesetz und Ordnung."
"Drei der Dinge, die wir heute zu brechen beabsichtigen.", warf Charly sarkastisch ein.
"Nicht brechen. Nur korrekt anwenden", korrigierte Arling.
Die Tür wurde geöffnet und ein Polizei-Oberwachtmeister sah in den Fond. "Mylord, wir halten es für das Beste, wenn Ihr den Umweg über das Finanzministerium nehmt. Der Park zwischen hier und dem Palast ist besetzt. Und wie es ausschaut, nicht gerade mit Euren Freunden."
"Religiöse Fanatiker?"
"Religiös ja, fanatisch nein, jedenfalls jetzt noch nicht. Auf jeden Fall blockieren sie den Weg zum Palast. Die Zufahrtsstraße auf dieser Seite wurde von einem Dutzend Gleiter zugeparkt und von weiteren gut vierhundert Leuten besetzt. Wenn Ihr aber einen Bogen schlagt und den Verbindungstunnel zwischen Finanzministerium und Palast benutzt, kostet Euch das nur fünf Minuten mehr."
"Machen Sie mal Platz, guter Mann", sagte Arling seufzend und drückte sich am Polizisten vorbei.
"Oh mein Gott, er ist wieder im Heldenmodus", seufzte Charles. "Retten wir die Juwelen und gehen wir in Deckung."
"Und?", erwiderte Griffin schmunzelnd. "Wir wollen doch sowieso Katalaun erobern, hast du das vergessen?"
Charles lachte, während er die Limousine verließ. "Auch wieder wahr."

"Was habe ich dir gesagt, Lenie? Natürlich geht er mit dem Kopf durch die Wand!", erklang Eleonor Rends klare Stimme links von ihnen. Die Kapitäne der Arling-Flotte kamen geschlossen herüber, allen voran seine Verlobte. "Han, du solltest dir wirklich überlegen, den Tunnel zu nehmen. Oder einen der Flugwagen der Fahrbereitschaft. Ich bin sicher, man wird dir einen leihen."
"Deine Sorge in allen Ehren, aber seit wann nehmen Eroberer freiwillig einen Umweg?"
"Okay, wir nehmen dich in die Mitte. Admiral Griffin, ich hoffe doch, ich kann mich auf Ihre Kapitäne ebenfalls verlassen?"
"Natürlich... Majestät", scherzte Griffin bei Rends resolutem Tonfall.
Kress prustete lachend. "Wenn er das zulässt, dann gebe ich freiwillig drei meiner Sterne ab."
"Und ich lege meine Goldpins oben drauf", sagte Charly.
"Du brauchst keine Angst zu haben, Ellie. Oder hast du schon vergessen? Wir können jetzt doch gar nicht mehr verlieren."
"Ich will mir zwei Dinge niemals vorwerfen lassen, Han", sagte sie trotzig. "Einerseits will ich von niemandem hören, ich wäre zu feige gewesen, zwischen dich und einen Schuss zu treten."
"Viel Erfolg bei Hochleistungslasern", raunte Rössing. "Die durchschlagen einen kleinen Menschen einfach so."
"Drei Menschen. Und dann haben sie noch die Kraft den vierten zu töten", fügte Arlene Schlüter hinzu.
"Dann bin ich eben die erste, die sich dazwischen stellt. Und entweder hoffe ich auf eine Projektilwaffe, oder ihr dürft knobeln, wer hinter mir stehen darf", erwiderte Rend ärgerlich.
"Da bin ich aber vollkommen dagegen. Ich mache das hier alles für Katalaun, aber dein Leben wäre ein Preis, den ich nicht bezahlen will."
"Und ich will dein Leben nicht verlieren, verstehst du das nicht?", hauchte sie verletzt.
"Die zwei können ja abwechselnd voreinander treten", klang die Stimme von Carrie Rodriguez auf. Sie drängte sich neben Arling und Rend. Ihr Blick ging in die Runde. "Herrschaften, Lord Arling und seine Verlobte wollen etwas Privatsphäre haben. Alle Mann vier Schritte zurück treten und Rücken zu den beiden." Sie sah ihren Kameramann an. "Spence, du auch."
"Wow, du verzichtest freiwillig auf eine Aufnahme?" Spencer runzelte die Stirn. "Tun wir lieber was sie sagt. Glaubt mir, ihr wollt Carrie Rodriguez nicht sauer erleben."
"Also dann, alles kehrt und vier Schritte gerade aus!", befahl General Kress.

Kurz darauf standen Eleonor Rend und Johann Armin von Arling in einem kleinen Vakuum mitten in der Menge.
"Versprich mir, dass du nichts so dummes tust, wie zwischen mich und einen Schuss zu springen", sagte Arling ernst. "Bei einem Laser ist das ohnehin unmöglich, und ein Hochgeschwindigkeitsprojektil geht auch über alles hinaus, was deine Reflexe leisten können."
"Nur wenn du mir versprichst, nicht da raus zu gehen und zu denken, dass du einen guten Märtyrer für Robert und deine Familie abgeben würdest. Bitte, versprich mir das."
"Ach, komm. Ich habe noch lange nicht vor zu sterben. Außerdem habe ich das hier." Arlig klopfte sich gegen die Brusttasche. "Die Metallbedampften Karten aus Principe. Wenn mich ein Laserstrahl in Herz trifft, halten die Karten das ab."
Eleonor Rend kicherte. "Die Karten werden abbrennen und schmelzen. Selbst wenn der Laser sie nicht durchschlägt, haben wir dann einen unvorsichtigen Johann Arling, der gerade von ultraheißem, flüssigen Metall schwer verbrannt und zu Tode traumatisiert wird, während seine Uniform in Flammen aufgeht. Außerdem liegt deine Brusttasche nicht über deinem Herzen."
"So viel also zum Wunder meiner Rettung", schmunzelte er und schloss seine Verlobte in die Arme. "Und was ist die zweite Sache, die du dir niemals vorwerfen möchtest?"
"Nummer zwei ist, dich in diese letzte Schlacht nicht ungeküsst ziehen zu lassen. Vielleicht hilft es ja etwas."
"Nicht unbedingt gegen Waffen oder gegen die Terraner."
"Nicht dagegen. Dafür." Sie schlang ihre Arme um Arlings Hals, stellte sich leicht auf die Zehenspitzen und gab ihm einen sanften Kuss. "Denn dieser Kuss ist ein Versprechen auf nachher. Und für nachher müssen wir beide leben."
"Eine ganz hervorragende Idee, Eleonor Rend." Der Graf küsste sie seinerseits. "Es funktioniert eventuell in beide Richtungen."
Die beiden sahen sich lächelnd in die Augen. Und sie bemerkten, dass Carrie Rodriguez sie ihrerseits lächelnd beobachtete. "Eine wunderschöne Szene. Ich wünschte ich hätte nicht mein Wort gehalten und das alles aufgenommen."
"Du hast dich nicht umgedreht? Carrie!", tadelte Eleonor schwach.
"Von mir war nie die Rede. Und einer muss ja als Augenzeuge später berichten können, was für ein guter Küsser der nächste Kaiser von Katalaun ist."
"Ich werde nicht...", begann Johann Arling, doch da leuchtete bereits wieder das Live-Zeichen auf ihrer Jacke auf.
Arling seufzte schwer. "Okay. Ich übernehme die Spitze. Ich habe mich noch nie versteckt, und ich fange heute bestimmt nicht damit an."
"Wusste ich. Da hätte ich gleich noch meine Pension mit verwetten können", gestand General Kress grinsend.
"Wenn Ihr gestattet, Mylord", sagte Julian Kress und stand plötzlich links von Arling.
"Admiral, wenn Sie die Umstände entschuldigen könnten", sagte Jeremy Schmitt, und war auf Arlings anderer Seite. "Wir haben gelost, und wir zwei sind die glücklichen Gewinner, die Seit an Seite mit Johann Arling in die Geschichte eingehen dürfen."
"Den Quatsch glaube ja nicht mal ich!", dröhnte die Stimme von General Kress auf. Ein wenig zornig musterte er den Adjutanten und den Geheimdienstoffizier. "Julian, junger Mann, es ist offensichtlich, dass Sie vorhaben durchzuziehen, was Lord Arling seiner Verlobten gerade verboten hat. Sohn, ich sehe das überhaupt nicht gerne. Deine Mutter wird mich langsam umbringen, wenn du dir auch nur eine einzige Schramme holst."
"Ich bin der Adjutant von Admiral Arling, Dad!", erwiderte Julian Kress ernst. "Bisher hat das Mom immer sehr gefallen. Und da hatte ich schon oft mein Leben riskiert."
Kress atmete verärgert aus und sah den anderen jungen Mann an.
"Sorry, General, aber ich bin der Leiter für Geheimdienstaufgaben an Bord der HERCULES. Ich muss immer dicht an meinem Befehlshaber bleiben, um ihn auf dem neuesten Stand zu halten."
"Und bei dieser glatten Lüge verziehen Sie nicht mal eine Miene. Er seufzte und ließ die Schultern kurz in sich zusammen fallen. Doch diese Pose währte nur einen Augenblick. "Wollen wir dann, Mylord? Wenn ich mich recht entsinne, wolltet Ihr Katalaun erobern."
"Ich bemühe mich", erwiderte Arling grinsend. An der Spitze der Menschen verließ er den Innenhof des Flottenhauptquartiers. Ohne Bombenanschlag, glücklicherweise. Aber Admiral von Hohenfels war ja schließlich auch nicht da gewesen, ging es Arling ironisch durch den Kopf.
***
Man konnte einen Menschen niemals vollständig beschützen. Es gab immer einen Weg, um ihn zu verletzen oder zu töten. Keine Abschirmung war komplett, und kein Kreis eingeschworener Beschützer war homogen genug, um volle Loyalität zu bieten.
Die Geschichte des Personenschutz hatte begonnen, seit sich der erste Clanchef in der Altsteinzeit seinen ersten Feind gemacht hatte. Mag sein, dass dieser die ersten Unzufriedenen um sich scharte und eventuell versuchte, seinen Widersacher klar und schnell zu beseitigen, indem er die viel versprechendsten Unzufriedenen ausschickte, um ihn zu töten. Mag sein, dass sie es schafften, mag sein, dass dieser Feind nun Chef wurde, und seinerseits irgendwem auf die Füße trat und sich selbst einen Feind erschuf. Mag aber auch sein, dass der Chef seine eigenen Leute hatte, die überhaupt nicht damit einverstanden war, ob und wie ihr Boss abgelöst werden sollte. Mag sein, dass eine gewisse Stimmung in der Gruppe sie auch rechtzeitig vorwarnte, ihnen riet, beim Jagdausflug aufmerksamer auf die anderen zu achten oder an einem Steilhang mehr als einmal nach oben zu sehen. Mag sein, dass der Chef ihnen persönlich etwas bedeutete, mag sein, dass sie nur ihren eigenen Vorteil sahen. Mag auch sein, dass sie den Schutz des Chefs als Pflicht empfanden. Tausende Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Tausende Szenarien, die garantiert alle passiert sind.
Natürlich entwickelte sich alles weiter. Darunter die Menschheit, darunter die Stämme, die später einmal Siedlungen bildeten, später Städte, den Handel erfanden und Kontakte zu weit entfernten anderen Clans suchten. Mag sein, dass in diese Zeit nicht nur die erste Stadt-Bildung fiel, sondern auch die erste Staatsbildung. Und damit bekam die ganze Geschichte etwas alles umfassendes, aber auch etwas unpersönliches. Plötzlich konnte sich ein Chef durch eine unpopuläre Entscheidung gegen einen Nachbarn, ein unterworfenes Volk oder einen Kriegsgegner wirklich unbeliebt machen und eine Reihe stümpferhafter, brutaler und auch erfolgreicher Attentate provozieren.
Mag aber auch einfach sein, dass er Chef A war, Herr der Stadt X. Und ein anderer Chef, B, Herrscher über die Stadt Y, war zu dem Entschluss gekommen, dass es besser war, Chef A still und heimlich töten zu lassen - möglichst ohne das ein Verdacht auf ihn fiel. Das einfachste war da noch, Chef C alles in die Schuhe zu schieben. Nun gewann das Beschützergeschäft eine ungewohnte Dynamik, nämlich Attentäter, die sich nicht durch Animositäten verrieten, weil sie den Tod von Chef A als Job betrachteten. Als Arbeit. Als Weg ans Ziel. Ein Ziel, das sie emotionslos verfolgten, für das sie Dinge taten, die sie andernfalls verabscheut hätten. Ein Ziel, für das sie alles unterordneten; ihre Ehre, ihre Familien, ihre Leben, ihr kulturelles Verständnis. Einfach alles.
Und die Leibwächter von Chef A hatten nun die unangenehme Aufgabe, diesen potentiellen Attentätern quasi in den Kopf zu schauen. Anfangs nahmen sie sicher die direkte Methode, und mancher despotischer Herrscher ergab sich in Paranoia und wechselte seine Belegschaft auf eine Art und Weise, die modernen Finanzkapitänen Bewunderung abringen würde - sie ließen alle umbringen und eine neue Truppe einstellen. Mag sein, dass manche von ihnen deshalb länger lebten. Mag sein, das einige von ihnen aus genau diesem Grund nicht länger lebten.
Fakt ist, das beide Aufgaben Berufe und Berufungen wurden. Die Attentäter gründeten Gilden, Kasten, eigene Dörfer, in denen sie ihre besten für die Morde vorbereiteten. Und die Leibwächter gründeten Schulen, auf denen sie ihren Eleven alles beibrachten was sie wussten, und sie zudem lehrten, wie sie neuen Attentatsmethoden auf die Spur kamen.
Dieser Kampf tobte auch heutzutage noch immer, und ein Ende war nicht in Sicht.

Der nicht mehr ganz so junge Mann war ein Attentäter; er hatte diesen Teil der Aufgabe übernommen, gerade weil er schon älter war, und weil er voraussichtlich weder die Chance auf Flucht, noch auf Überleben hatte. Er würde sehr nahe an sein Ziel heran kommen müssen, quasi bis auf Sichtweite. Die Dächer und die Wohnungen rund um den Park des Palasts schieden aus, weil zehntausende Menschen sie besetzt hatten. Jemand, der mit einer Waffe auf Arling zielte, würde von ihnen überwältigt werden. Was für eine verkehrte Welt, in der sich Menschen plötzlich nicht mehr vor Waffen zu fürchten schienen und ihre Leben einem Fremden und dessen Gesundheit unterordneten. Aber dieser Wall aus Leibern war nicht zu überwinden. Eine Kugel oder sogar ein Laser würden von fünf oder sechs von ihnen abgefangen werden, sie zwar töten, aber Arling retten. Nein, er musste nahe ran, er musste Arling in die Augen sehen. Und dann musste er ihn töten, aus nächster Nähe, mit einem Kompaktlaser. Er war all die Jahre sehr gut bezahlt worden. Er hatte im Luxus geschwelgt. Und er hatte gewusst, dass dafür eines Tages die Rechnung kommen musste. Nun hatte sie ihn ereilt. Er hatte sich freiwillig für diesen Teil des Auftrags gemeldet und sich von seiner Gruppe getrennt. Die anderen, teilweise erheblich jünger als er, würden zeitgleich im Palast aktiv werden, würden Takhs Büro stürmen und ihn töten. Vielleicht konnten sie sich mit besonderer Loyalität zur Prinzessin heraus reden. Vielleicht gelang ihnen in all dem Trubel auch die Flucht. Auf jeden Fall waren ihre Chancen besser als seine.
Natürlich gab es Alternativen. Tödliche Naniten, Blaspfeile mit Giften, eine besonders kräftige Bombe, ein kleines, aber tödliches parasitäres Tierchen, das man Arling an den Körper setzen konnte. Aber da seine Auftraggeber nicht damit gerechnet hatten, dass es der Graf an den verlausten Terranern vorbei schaffen würde, hatten sie nichts vorbereitet. Außer einem Freiwilligen, einem starken Kompaktlaser und einer Gelegenheit. Denn auch wenn Arling eine Rüstung aus Fleisch Knochen, gebildet von hunderttausenden Menschen, umgab, so hatte auch diese Rüstung eine Schwachstelle. Und dies war die Menschenmenge. Die nicht kontrollierte, homogene Menschenmenge, in der ein Gesicht vollkommen namenlos war. Seine Chance.
Er seufzte und machte sich auf zum Parkrand. Zweifellos würde sein Name in den Geschichtsbüchern Katalauns stehen. Aber es würde darauf ankommen, wer aus diesem Konflikt als Sieger hervor ging, um zu sagen, ob er bei den Helden, oder bei den Mördern aufgeführt werden würde. Allerdings würde man seinen Namen immer im gleichen Atemzug wie Arlings aussprechen.

Der Palast war eine weitläufige Anlage, bestehend aus mehreren Einzelgebäuden, die ihrerseits durch Zwischenbauten verbunden waren. Es gab mehrere Innenhöfe mit Gärten, und etliche riesige Panoramafenster, welche die Sicherheitsexperten schon zu Zeiten der Ikarii in den Wahnsinn getrieben hatten. Mit der Zeit hatte sich die Terroristenszene immer wieder verändert, und der Palast war an diese Veränderungen angepasst worden. Vor einhundert Jahren hatte man das Panzerglas der Fenster ausgetauscht, weil es im Takt der Stimmen mitvibrierte und somit jedem heimlichen Lauscher verraten konnte, was im Palast gesprochen wurde. Vor achtzig Jahren waren alle Fenster mit Naniten bestäubt worden, die im Falle großer Hitze oder starken Drucks verschachtelte Türmchen bildeten, in denen sich die Wucht eines Laserschuss oder einer Explosion fangen konnte.
Vor dreißig Jahren hatte man die Sicherheitsdrohnen eingeführt, kleine autarke Beobachtungsmaschinen, zentral gesteuert und überall präsent, die aber bei jedem kleinen Konflikt wieder deaktiviert wurden, weil man befürchtete, sie könnten vom Feind gecrackt und eingesetzt werden. Dabei wären gerade die Stunner-Funktionen mit dem Elektroschocker manchmal sehr nützlich gewesen.
Der livrierte Diener seufzte tief und lang. Er diente nun schon seit dreißig Jahren im Palast, verrichtete unter Anweisung des Chefbutlers seine Schicht und widmete sich danach seiner zweiten Aufgabe. Er hatte jeden Korridor, jedes Zimmer und jeden geheimen Verbindungsgang in seinem Leben mindestens eintausend Mal betreten. Dieser Palast bot ihm keine Geheimnisse. Und das war auch gut so, denn von allen Dienstboten, Pagen, Butlern und anderen eifrigen Geistern war er der Erfahrenste und Beste. Ständig präsent, immer vor Ort, und allzeit bereit. Außer natürlich, wenn er seinen Jahresurlaub antrat oder für seinen Kaiser in besonderer Mission unterwegs war.
Seit einigen Wochen hielt er sich vermehrt in den kaiserlichen Gemächern auf. Diskret im Hintergrund, stets nur ein Schatten, aber immer bereit, auf einen einzigen Wink zu reagieren und das Gewünschte zu beschaffen oder bestimmte Zustände her zu stellen. Seit Elisabeth von Versailles dazu gezwungen worden war ihren Anspruch auf den Zedernholzthron auszusprechen verlief seine Schicht, und nicht selten eine Doppelschicht, hier in diesem kleinen Trakt, der zuvor Robert und davor Frederec gehört hatte. Hier war er nun, hilfreich, aber unpräsent, still wie ein Möbelstück, jedoch allzeit bereit.
Im Augenblick befand er sich in Anrid Takhs Büro, zusammen mit Mannth und Rütli. Still und leise in einer Ecke, so unauffällig, das man ihn nicht einmal gesehen hätte, wenn man den Blick auf ihn gerichtet hätte. Selbst die Flammen eines Großbrandes hätten ihn verschont, weil sie ihn nie gefunden hätten. So stand er nach dem servieren von Kaffee und Tee still an der Wand und lauschte mit einem Ohr den Ausführungen zwischen den beiden Direktoren und dem zukünftigen Regenten, die sich um autarke Zellen religiöser Fanatiker, aber auch professioneller Attentäter drehte, sowie dem verzweifelten Versuch der beiden Geheimdienstchefs, diesem Chaos Herr zu werden.
Als der kleine Projektor in seinem rechten Auge anschlug und einen Schriftzug direkt auf seine Pupille projizierte, hätte er beinahe laut aufgeseufzt. Doch das ziemte sich nicht als Butler des Kaisers, erst Recht nicht als Livrierter in den Farben des Hauses der Versailles. Allerdings war die kurze Nachricht genau das, was er seit langem befürchtet hatte. Nur das Ziel irritierte ihn für ein paar Sekunden. Der Diener schlug den rechten Arm aus; diese Bewegung ließ eine halbmeterlange, rasiermesserscharfe Klinge hervor fahren, deren Schneide ihren spitzen Winkel bis in den Molekülbereich stabil trug. Gerüchte über diese Waffe wollten wissen, dass man mit ihr sogar Laserschüsse schneiden konnte. Entschlossen trat der Diener einen Schritt vor, den Arm mit der Klinge gehoben. Dabei erhielt er seitdem die Getränke serviert waren, zum ersten Mal wieder Aufmerksamkeit.
Takh wurde bleich, als er die Klinge sah, die aus seinem rechten Arm zu ragen schien. "Sie...", begann er erschrocken. Doch er sprach nicht weiter, denn der Diener setzte die Klinge bereits ein.
***

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Was passierte, wenn ein lebendes Wesen zwischen zwei rutschende Hänge geriet? Das konnte man simpel erklären: Es blieb auf der Strecke, zerquetscht von hinten und von vorne gleichermaßen, verraten, begraben und verkauft.
Nicht viel anders fühlte sich Arling für einen Moment, nachdem er das erste Mal die massive Kette eng beieinander stehender Kreuzbrüder vor dem Park sah. Es mochten acht-, neunhundert sein, sie standen zehn Mann stark über die gesamte Breite des Parkzugangs und blockierten ihn effektiv, indem sie sich beieinander eingehakt hatten. Viele zeigten ihre religiösen Symbole offen: Das Kreuz, den Halbmond, den Davidstern, einige trugen die Weisheiten ihrer religiösen Vorbilder auf die Kleidung gestickt, andere begnügten sich mit ihrer Anwesenheit in der Kette, ohne ihre Religion besonders hervor zu streichen. Neben und hinter Arling waren seine Leute, umgeben von einem Kordon an Bürgern der Stadtteile Neu-Remagen und NeuKölln. Diese drückten und drängten immer mehr heran, und es war abzusehen, dass sie bald die gesamte Straße füllen würden. Wenn diese Bewegung nicht stoppte, dann würden hunderttausende Bürger zehntausende puschen und schieben und durch diese Kette bringen, ohne zu wissen wie viele Menschen sie dabei zerquetschten. Es war eine gewaltige, aber sehr stille Macht, fand Arling. Dennoch definitiv tödlich. Durch die Kette kamen sie also so oder so, ging es ihm in einem Anflug von Ironie durch den Kopf.
Nein, das war nicht richtig. Auch wenn immer mehr Bürger von Neu-Berlin einher drängten, so würden sie doch inne halten, wenn es nicht weiter ging. Ganz so endgültig wie eine Gerölllawine, die in ein schmales Tal hinunter rauschte und alles zu bedecken drohte, war es dann doch nicht. Andererseits, wenn eine Panik ausbrach, durch einen Schuss, durch einen Bombenanschlag, dann konnte wer weiß was passieren. Nicht gerade das erstrebenswerteste Szenario. Eher das endgültigste. Arling hatte nicht vor, auch nur ansatzweise mit einer Massenpanik nähere Bekanntschaft zu machen. Dafür waren ihm die turbulenten Szenen noch zu sehr im Gedächtnis, die sich jedes Mal abspielten, wenn er wieder nach B-King zurück kam. Nein, es war besser, die Situation schnell zu bereinigen. Er neigte nicht zum verstecken. Nicht mehr seit er auf die harte Tour hatte lernen müssen, dass sich die Aufgaben, denen man sich auf diese Weise entzog, entweder schlecht erledigt wurden, oder sich zu noch mehr unerledigten Aufgaben multiplizierten.

Links ging die Straße weiter um den Park herum, bevor sie scharf rechts auf der schmalen, einspurigen Straße zum Palasthof führte. Rechts folgte sie ebenfalls dem Verlauf des Parks, knickte dann aber in Richtung Stadtmitte nach Aamsterdaam ab. Gerade aus war der kürzeste Weg, aber im Moment nicht der schnellste. Kurz dachte Arling darüber nach, entweder über die ganzen Bodenwagen und Schwebeautos zu steigen, welche die Straße zum Palast blockierten, oder aber über die Köpfe der Demonstranten vor sich hinweg zu klettern. Sicherlich spektakuläre Bilder für Carrie und ihre internationalen Kollegen. Aber das eine war lächerlich, und das andere war gefährlich.
Arling stoppte, noch zwei Meter von dem Kordon aus Leibern entfernt. Neben und hinter ihm stoppten die Offiziere. Kress und Schmitt traten unauffällig einen halben Schritt näher, um im Falle eines Angriffs schnell genug reagieren zu können. Misstrauisch beäugten sie die Szene. Oh, seine Tante hätte an diesem vorbildlichen Verhalten als Leibwächter seine Freude gehabt.
Arling räusperte sich laut. "Kann ich mal durch?", fragte er gerade heraus.
Diese einfache, direkte Frage schien die Demonstranten zu überraschen. Hatten sie bisher schweigend gewartet, mit starrem Blick und Wut in den Augen, so schienen sie nun verwirrt, beinahe ein wenig entsetzt.
"Ach, kommt, Leute, ich muss in den Palast, und dies hier ist der kürzeste Weg! Könnt ihr bitte etwas Platz machen und mich durch lassen? Bitte. Ich habe es eilig."
"Nein, Sie dürfen nicht durch! Verziehen Sie sich wieder auf Ihr Gigantraumschiff und hauen Sie ab, zurück auf Ihren Scheiß Planeten!" Die Worte eines Mannes in der vordersten Reihe wurden vom zustimmenden Gemurmel der anderen unterstrichen.
Arling musterte den Mann. Er trug ein goldenes Zierkreuz um den Hals. Es bildete einen scharfen Kontrast zu seiner dunkelbraunen, fast schwarzen Haut. Sein schwarzes Haar lag nach studentischer Mode lang und glatt auf seinen Schultern, und in seinen braunen Augen funkelte Ärger.
"Moment Mal, junger Mann, ich habe höflich gefragt, und als Antwort ernte ich von Ihnen Beschimpfungen? Was bringt man euch heutzutage bei auf der Schule, auf den Universitäten? Höflichkeit scheint jedenfalls nicht dazu zu gehören", tadelte Arling streng. "Und ich will hier immer noch durch!"
"Wenn Sie glauben, Sie können sich hier durch quatschen, dann haben Sie sich geschnitten, Arling!", rief der Mann mit dem Goldkreuz. "Wir sind hier auf Sanssouci, nicht im Herculeanum! Bei uns denkt man noch gerne und mit Vorliebe selbst!"
"Ach, wie interessant. Und was denken Sie im Bezug auf die Tatsache, dass Sie und Ihre Kameraden mich nicht zum Palast gehen lassen wollen? Schauen Sie auf mich herab, weil ich von B-King komme? Bin ich Ihnen zu hellhäutig oder zu dunkelhäutig? Oder sehen Sie in mir einen primitiven Soldaten, der mit seiner Unreinheit den Palast nicht beschmutzen sollte?"
"Wir denken, dass Sie hier sind, um alles schlimmer zu machen."
Überrascht sah Arling den großen Mann an. "Schlimmer? Hören Sie, junger Mann, es ist nicht meine Art zu prahlen, aber im Zusammenhang mit meiner Mission haben wir einen Waffenstillstand mit dem Herculeanum und der Republik erarbeitet, der demnächst vertraglich bestätigt werden wird. Ich weiß nicht wie Sie das sehen, aber zwei Komma drei Millionen entführte Katalauner haben das als besser definiert, nicht als schlimmer."
Die Gesichtsmuskeln seines Gegenübers arbeiteten, so als würden sie eine verdammt große Kröte durch kauen bevor er sich entschließen konnte, sie letztendlich zu schlucken. Er löste sich aus der Kette und kam zwei schnelle Schritte nach vorne. Mit der Rechten griff er nach dem Kreuz, um es Arling zu zeigen. "Sehen Sie das, Arling? Sehen Sie dieses Symbol? Es ist ein religiöses Symbol, jenes der Christenheit. Ja, ich bin bekennender Christ. Und viele meiner Mitstreiter hier sind auch bekennende Christen, bekennende Moslems, bekennende Sikh, Hindu, Taoisten und was der Religionen mehr ist. Menschen, gegen die Sie kämpfen, nur weil Sie ihren Glauben nicht verstehen!"
Arlings Miene versteinerte. Sein Gegenüber war vielleicht Mitte zwanzig, nicht viel mehr als ein Jahrzehnt jünger als der junge designierte Herzog. Sie beide sollte eigentlich nicht so viel Lebenserfahrung trennen. "Wie heißen Sie, junger Mann?"
Nun war der junge Kreuzbruder an der Reihe, um überrascht zu sein. "Cormick, Iesaia Cormick."
"Mr. Cormick, wie kommen Sie darauf, dass ich gegen Sie und Ihre Freunde kämpfen will oder kämpfen werde?"
"Weil Sie einen Sündenbock brauchen, genau wie Robert damals", zischte der große Schwarze zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. "Weil Sie jemanden brauchen, auf dem Sie die Kriegsschuld abladen können, jemand auf den Sie mit dem Finger zeigen können! So hat es Robert gemacht, und so werden Sie es auch machen, Arling!"
"Ja, um Himmels Willen, warum sollte ich so etwas tun wollen?", rief Arling erstaunt.
Cormick stockte. "Ich weiß nicht. Weil Sie Religion hassen?"
"Hassen? Ich bin designierter Herrscher von B-King! Wir haben dort mehr Religionen als Kartoffelsorten! Würde ich sagen, dass ich Religionen hasse, wäre das der leichteste Weg für mich, um alle Bürger auf einen Schlag zu verärgern. Obwohl ich sicher bin, dass man mir nicht lange böse wäre."
"Sie... Sie sind Atheist! So steht es in Ihrer Akte!"
"Gezwungenermaßen. Meine Familie hat schon vor langer Zeit entschieden, keine Religion zu bevorzugen. Offiziell pflegen wir keinen speziellen Glauben, aber inoffiziell hat jedes Mitglied meiner Familie seinen eigenen Glauben. Wir hängen das nur nicht an die große Glocke." Arling lächelte schief. "Meine Eltern haben in der Kathedrale von Port Arthur geheiratet. Es gab eine großangelegte, konfessionsübergreifende Zeremonie, an deren Gestaltung alle eingetragenen Glaubensgruppen von B-King beteiligt waren. Es soll ein sehr interessantes Beispiel der Zusammenarbeit der verschiedenen Konfessionen gewesen sein. Also ganz ähnlich wie das Beispiel, das Sie und Ihre Freunde heute demonstrieren, Mr. Cormick. Wissen Sie, ich stelle meinen eigenen Glauben einfach ein wenig zurück und bin neutral. Dafür verzeihen mir die religiösen Organisationen meiner Heimat, wenn ich auch in der Kathedrale heirate." Kurz sah Arling mit einem Blick voller Wärme zur Seite. Eleonor Rend fing diesen Blick auf, errötete leicht und räusperte sich verlegen.
"Das glaube ich Ihnen nicht, Arling! Warum sollten ausgerechnet Sie darauf verzichten, auf den religiösen Gruppen herum zu hacken? Warum sollten Sie besser sein als Robert in seiner Regierungszeit? Sicher, klar, die bösen, bösen Religionen haben Frederec gezwungen, über die Insekten herzufallen, damit wir sie missionieren können, ihnen den einzig wahren Glauben bringen können, und um all jene auszuradieren, die sich nicht konvertieren lassen.Und als Robert in der Revolution der Herzen an die Macht kam, da versprach er ein Ende des Krieges und eine Bestrafung der Urheber. Frederec wurde ins Exil geschickt, und viele hochrangige Politiker und Industrielle wurden in der Folge angeklagt und verurteilt. Aber hat ihm das gereicht? Nein! Er konnte uns, der Masse, die nur ihre Religion lebte, ja nichts beweisen! Was hat er also stattdessen gemacht? Uns diffamiert! Sich dafür eingesetzt, Religion zu ächten! Er hat uns als das Übel Katalauns bezeichnet, uns all die Schuld zugeschrieben! Wir sollten nicht nur für die Fehler verantwortlich sein, die zum Krieg führten, wir waren der Fehler!"
Anklagend hob Cormick beide Arme und machte eine umfassende Geste, die seine Kameraden einschloss. "Aber Religion ist nicht einfach so fort geredet! Religion kann nicht per Dekret verbannt werden! Wir sind immer noch hier!"
Leiser Jubel antwortete ihm.
Arling schüttelte verständnislos den Kopf. "Robert hat nie eine Kampagne gegen Religionen gefahren, geschweige denn unterstützt."
"Das brauchte er auch gar nicht. Er war der Sieger des Bürgerkriegs, er war der neue Kaiser. Er musste nur andeuten, was er wollte, wie Katalaun auszusehen hatte. Und schon fanden sich eifrige Gefolgsleute, Arschkriecher und dergleichen, die den Willen des Kaisers im Kleinen umsetzten! Dort wird jemand nicht eingestellt, weil er die Spalte Religion in seiner Bewerbung nicht freigelassen hat, da fällt ein Makel auf jemanden, nur weil er von einer kirchlichen Mittelschule kommt. Und bei uns, an der Universität, wird uns bekennenden Gläubigen das Leben besonders schwer gemacht! Schlecht bewertete Abschlussarbeiten, lange Wartezeiten, bis hin zu offenen Anfeindungen!"
Wieder erhob sich zustimmendes Gemurmel seiner Kameraden.
Arling runzelte die Stirn. "Es ist erwiesen, das Frederec von einer Gruppe aus der Hochfinanz und von religiösen, einflussreichen Persönlichkeiten zu diversen Entscheidungen gedrängt wurde, bis hin zur Ernennung eines Regenten. Auf sie geht primär die Entscheidung zurück, die Entsendung von Missionaren zu unterstützen, und, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war, zu ihren Gunsten militärisch zu intervenieren. Wäre Robert nicht gewesen, um als Zweiter in der Thronfolge Frederec abzusetzen, hätte es einen weitaus blutigeren Bürgerkrieg gegeben. Diese Entscheidung und der Krieg gegen Zyrrtekk und Jemfeld waren von vorne herein unpopulär." Arling senkte kurz den Blick. Damals war er Erster Offizier gewesen, auf der guten alten RHEINLAND. Sein Skipper, Kommodore Darik, möge es ihm gut gehen wo er heute war, nämlich in der Pensionssiedlung Radtstadt auf B-King, war dazu bereit gewesen, einen Bürgerkrieg auszulösen. Etliche Kapitäne hatten diese Bereitschaft geteilt. Bevor der Krieg mit seiner ganzen vernichtenden Kraft los geschlagen hätte, hätten sie los geschlagen. Und er, der junge Johann Arling, wäre stolz und aufrecht in diesen Kampf gegangen, jederzeit bereit, den Platz seines Kapitäns einzunehmen, oder gar sein Leben zu lassen, um sowohl die Außerirdischen zu schützen als auch die eigenen Bürger...
"Und?", fragte Cormick trocken.
"Wie, und?"
"Ja, Himmel, haben Sie jemals daran gedacht, das ich damals gerade mal auf der Mittelschule war? Dass die meisten meiner Kommilitonen und Begleiter, die heute hier stehen, noch nicht einmal das Wahlrecht hatten? Was hatten wir damit zu tun? Und warum müssen wir heute noch darum leiden? Warum werden wir in die kriminelle Ecke gedrängt? Warum bedeutet es ein Kreuz zu tragen automatisch ein Kriegshetzer zu sein? Ich frage Sie, Arling, wenn Sie jeden Tag wegen Ihrer Religion angefeindet, geschnitten und benachteiligt werden, was würden Sie tun? Sich von der Religion abwenden, und diesen Idioten den Sieg gönnen? Oder würden Sie sich wehren, sich organisieren, aus einigen wenigen viele machen und versuchen, diesen Missstand zu beenden?"
Arling lächelte dünn. "Ich hätte mich gewehrt."
"Und genau das haben wir auch gemacht! Wir haben uns gesucht, uns gefunden, Versammlungen organisiert, unsere Stimmen gebündelt. Wir waren einzelne, dann wurden wir viele. Und je mehr wir wurden, desto nervöser wurde der Kaiser. Desto stärker wurde die Überwachung unserer Gruppen, unserer Anführer. Es wundert mich, dass Männer wie Claymore Anazasi nicht bereits im Frühstadium verhaftet wurden."
Arling fühlte sich versucht, dem jungen Kreuzbruder zu verraten, wer dieser Claymore Anazasi wirklich war, ließ es dann allerdings doch. Es war nicht seine Aufgabe, den Zweifeln dieser Menschen neue Zweifel hinzu zu fügen.
"Ihr hattet Förderer. In der Politik, in der Finanzwelt. In einigen anderen Gruppen mit Einfluss. Gruppen, die den Krieg mit unseren Nachbarn initiierten."
"Zugegeben, aber ich frage noch mal: Was haben wir damit zu tun? Ich kann mich nicht daran erinnern, in Yura-Maynhaus angerufen zu haben, um ihrem Admiral of the Fleets mitgeteilt zu haben, sie sollen unsere Bürger entführen. Oder um ihnen vorab ein paar unserer Sonnensysteme zu versprechen, wenn wir dafür in Ruhe über Jemfeld herfallen können. Wir hatten Förderer, wir haben noch immer Förderer. Das heißt aber nicht, dass diese Förderer für uns sprechen, oder wir für diese Förderer sprechen. Glauben Sie mir, Arling, wir wollen keinen Krieg. Alles was wir wollen ist, als Religionsgemeinschaft ernst genommen zu werden, ohne dass uns gleich Hochverrat unterstellt wird. Ich verlange ja nicht, dass ganz Katalaun meinen Glauben teilt. Ich erwarte auch nicht, dass die Jemfelder allesamt zu Konvertiten werden. Sollte ihnen meine Religion gefallen, wer kann es ihnen verdenken. Aber sie dazu zu zwingen, einen Gott anzubeten, der nicht der ihre ist, kann ich nicht verlangen. Ich tue es auch nicht. Aber ich will glauben dürfen. Ist das so viel verlangt, Arling? Das mag von Ihrem Standpunkt aus irrational und vielleicht ein wenig irre sein, aber mir hat mein Glaube oft sehr geholfen. Vor allem in schwierigen Lebenslagen."
"Und damit wollen Sie mich einseifen, Iesaja?", fragte Arling grinsend. "Ergreifende Rede. Aber sie erklärt nicht, warum es Terrorgruppen aus den Reihen der Kreuzbrüder gab, die Anschläge auf die Regierung Roberts verübten."
Die Miene Cormicks versteinerte. "Ich kann nicht gut heißen, was diese Leute getan haben, was sie tun und tun werden. Mein Glaube sagt, dass mein Gott alle und jeden liebt, und er spricht nicht von Gewalt. Er spricht nur davon alle zu lieben, um Liebe zurück zu erhalten. In unserer Geschichte wurde diese tiefere Wahrheit, diese große innere Würde oft verraten und missbraucht. Meistens dann von Staatsmännern wie Ihnen, Arling. Und sie wurde in letzter Zeit missbraucht. Aber ich bin nicht bereit, einem Menschen mit einer Bombe meinen Glauben als Ausrede zu überlassen. Nicht heute, nicht in Zukunft."
Arling seufzte. "Was also schlagen Sie vor, Iesaia?"
"Sie meinen außer dafür zu sorgen, dass man vielleicht auch mal in einem öffentlichen Gebäude über Religion diskutieren darf, ohne das einen der Geheimdienst automatisch mit zwei unauffällig-auffälligen Agenten überwacht? Uns unseren eigenen Weg gehen lassen, das schlage ich vor. Sie sehen es doch an Gerrit Rend, wie zuverlässig wir sind, wie aufopferungsvoll. Wie tapfer und wie selbstlos, wobei der Tod von zwei Menschen durch Gerrits Hand nicht gerade zu seinem Seelenheil beitragen wird."
"Na toll", brummte Arling, "auf mein Konto gehen ein paar Tausend. Sie sind ein Freund meines Schwagers?"
"Er ist ein Kreuzbruder, wenngleich kein besonders aktiver. Aber erlauben Sie mir, dass ich und meine Kameraden stolz auf ihn sind, vor allem weil er die Kaiserin so selbstlos beschützt hat."
Zustimmendes Gemurmel antwortete Cormicks Worten.
Der Graf unterdrückte das dringende Verlangen, Iesaia zu erklären, wer Gerrit Rend in Wirklichkeit war, nämlich ein Geheimdienstoffizier, der nicht unauffällig-auffällig auftrat, ließ es dann aber doch. "Im Rahmen unserer Gesetze und unserer Kultur."
"Was, bitte?" "Ihre Eigenverwirklichung. Solange Sie im Rahmen unserer Gesetze und unserer Kultur bleiben ist nichts gegen die Ausübung Ihres Glaubens zu sagen."
"Gesetze? Kultur? Brechen Sie nicht gerade all das, um selbst Kaiser zu werden?"
"Ich will nicht Kaiser... Ist ja auch egal. Nein, ich breche noch keine Gesetze. Im Gegenteil, ich nutze die Gesetze in meinem Sinne. Und es gibt kein Gesetz in dieser Galaxis, die es einem katalaunischen Thronanwärter verbietet, zu seiner Prüfung ein paar Freunde mitzubringen."
"Ein paar Millionen scheint mir die treffendere Zahl zu sein", merkte Cormick sarkastisch an.
"Ein paar Millionen", bestätigte Arling verlegen. "Ich sagen Ihnen jedenfalls wie ich die Situation sehe. Sobald ich im Palast bin, wird Katalaun um die Chance ärmer sein, diesmal eine Kaiserin zu erhalten. Sobald Elisabeth unter meinem Schutz steht, oder meinetwegen unter dem von Charly, werde ich die Regierunggeschäfte kommissarisch übernehmen, bis Robert der Fünfte wieder den Planeten betreten hat und in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte weiter zu führen. Und sobald dies geschehen ist, werden wir uns über Ihre Interessengruppe unterhalten."
Charles Monterey sah verlegen zu Boden, als er sich den direkten Blicken von ein paar tausend Katalaunern ausgesetzt sah.
"Und wie werden diese Gespräche aussehen, Mylord?", fragte Cormick ernst.
"Nun, zuerst einmal werde ich dafür sorgen, dass Ihre Gruppe ernste Einschränkungen auf sich nehmen muss!"
Aufgeregtes Raunen klang auf. Verärgerung klang darin mit.
Arling hob dozierend den rechten Zeigefinger. "Keine Zwangsmissionierung egal welcher Art, egal an welchem Ort in dieser Galaxis. Strikte Trennung von Religion und Staat. Keine Extrawürste, aber auch keine offenen oder versteckten Benachteiligungen. Alle Mitglieder religiöser Gruppierungen unterstehen der vollen und mittelbaren Rechtsgewalt katalaunische Gesetze und unserer Gerichte, aber in keinem stärkeren oder schwächeren Maße als selbst der Kaiser. Habe ich etwas vergessen?"
Cormick hob die Hand. "Ja, Iesaia?"
"Es ist nichts dagegen zu sagen, dass der Kaiser sich für Javaren, Shomona-Piraten, Igseren und Türüz-Clans einsetzt. Im Gegenteil, dieses Engagement ist aus Sicht eines Christen bewundernswert und richtig. Aber dabei soll er bitte nicht seine Bürger vergessen, die er direkt vor seiner Nase findet."
Arling schmunzelte. "Ich denke, darüber lässt sich reden. Noch etwas?"
"Ja, Mylord. Wer garantiert uns, dass Ihr das nicht alles vergesst, sobald Ihr im Palast seid?"
"Das ist eine gute Frage. Carrie?"
Die Reporterin von Terra trat lächelnd ein Stück heran. "Vielleicht weil ich alles was passiert ist, live per Terra über die halbe Galaxis verbreite. Vielleicht weil ich noch ein wenig in Katalaun bleibe und darauf achte, dass der Herr Graf und Thronanwärter nicht nur heiße Luft von sich gegeben hat. Vielleicht weil da draußen zwei Komma drei Millionen Katalauner im Weltraum in ihren Transportern sitzen und all die Enge und all die Ungemütlichkeit eine weitere Woche auf sich genommen haben, weil sie glauben, das sei es wert solange es Johann Armin von Arling nützt. Vielleicht weil..."
"Schon gut, schon gut, ich habe es ja kapiert!", rief Cormick und hob abwehrend die Hände. "Ich glaube, ein besseres Angebot kriegen wir heute nicht mehr, oder? Wir müssen wohl mit dem leben was wir hier kriegen."
"Was soll das denn heißen: Was Sie hier kriegen? Ich komme mir gerade vor wie ein Trostpreis", sagte Arling mit gespieltem Ernst.
Leises Lachen ging wie ein Raunen über die Menge auf beiden Seiten der imaginären Trennlinie zwischen Befürwortern und Gegnern.
"Mag sein, aber Ihr seid unser Trostpreis, Mylord." Iesaia Cormick machte eine einladende Geste auf die Menschenkette zu. "Ihr könnt passieren. Und wir werden Euch beizeiten daran erinnern, was Ihr versprochen habt, Mylord. Mit oder ohne Ms. Rodriguez."
Die Menge öffnete sich, trat enger zusammen, reihte sich auf und bildete eine passable Lücke, die sich stetig vergrößerte. Durch diese Bresche stürmte ein Mann vor. In seiner Hand blitzte der Fokussierungsstrahl eines Kompaktlaser auf. Als der grüne Lichtschein Arling kurz blendete, hatte er keinen Zweifel daran, wer das Ziel sein sollte.
"Was zum...?" Überrascht fuhr Cormick herum, sah den schnell näher kommenden Mann und breitete die Arme aus. "Lauft, Mylord!"
Der Unbekannte schoss, und er zielte auf Arlings Herz. Vor seinen Augen sah er den linken Arm des Studenten am Bizeps regelrecht explodieren, als der Waffenstrahl einen Teil seiner Hitze hier abgab. Laser waren lichtschnell, und das bedeutete, dass der Energiestrahl Arling in der gleichen Sekunde traf, in der er die Auswirkung des Treffers bei Iesaia Cormick beobachtete. Drei Leute, vielleicht vier konnte der Schuss durchschlagen, und hatte immer noch genügend Kraft, um den letzten in der Reihe zu töten. Das dämliche, Metallbedampfte Kartenspiel konnte ihn jedenfalls nicht retten. Die Waffe zielte nicht auf seine linke Brusttasche. Sie zielte tiefer.
***
Vier Männer waren es, gekleidet in die Uniformen von Marine-Infanteristen. Ihre Einheitszugehörigkeitszeichen identifizierten sie als Mitglieder der Palastgarde. Ihre Bewaffnung war klassisch zu nennen, Hochgeschwindigkeitsprojektilpistolen und Laserhandwaffen. Wesentlich klobiger als die zierlichen Kompaktlaser, dafür ließen sie aber auch mehr als fünf Schüsse zu. Besonders in einem Feuergefecht war das entscheidend. Sie trugen über ihren Uniformen Schutzwesten, ausgelegt um stumpfe, spitze und säurehaltige Gegenstände abzuwehren, um Kugeln mit einer Aufschlagsenergie bis viertausend Joule pro Quadratzentimeter abzufangen und einem Laserschuss von rund viertausend Watt Leistung zu widerstehen. Ihre Helme, intelligente Protektor-Einrichtungen mit automatischer Schadenserkennung, Notfallreparatursystem, Kommunikation, Taktiksystem und Unterstützung externer Waffen, waren noch etwas besser geschützt, weil man Köpfe weit schwieriger nachzüchten konnte als andere Gliedmaßen und Organe. Die Männer waren schnell und effektiv. Als das Signal zum Angriff gekommen war, hatten sie gewusst, dass ihnen bestenfalls zwei Minuten blieben, bevor die anderen Palastwachen eingreifen würden. Zugleich würden alle verfügbaren Wächter vor Elisabeth von Versailles' Büro zusammengezogen werden, weil sie das prominenteste potentielle Opfer war. Bis das Überwachungsbüro ihren Fehler einsah, hatten die vier Männern längst einander getroffen und ihr Ziel erreicht.
Das Vorgehen war burschikos, radikal und schnell, beinahe als hätten die vier Männer den Einsatz in gerade diesem Büro tausendfach geübt. Zwei Männer traten schnell ein, sicherten die Seiten und bedrohten Mannth und Rütli. Einer sicherte nach hinten, während der vierte sofort mit der Laserwaffe auf Takh anlegte. Zögern war hier die größte Gefahr, die einem Agenten drohte, deshalb betätigte er sofort den Sensor für die Schussauslösung. Sobald Takh tot war würden sie die Waffen fallen lassen, sich ergeben und behaupten, die Prinzessin beschützt zu haben. Ein eingängiger Grund, vor allem nachdem der Halunke da sie zur Ehe genötigt hatte. Ein selbstgefälliges Lächeln ging über die Züge des Schützen. Aber es verwandelte sich bald in Irritation, als er bemerkte, dass Takh noch nicht tot war. Dabei hatte er mit der Helm-Unterstützung direkt auf seinen Kopf gezielt! Der Mann hätte längst wie ein Kartenhaus tot zusammenklappen müssen! Immer noch irritiert warf der Schütze einen Blick auf seine Laserwaffe... Aber sie war nicht da wo er sie vermutete. Die Waffe und die Hand, die sie gehalten hatte, lag auf dem Boden, während aus dem Armstumpf, an dem sich beides von vor Augenblicken befunden hatte, das Blut pulsierend hervor schoss. Ungläubig starrte er auf die Wunde, griff mit der anderen Hand zu, wollte die Blutung stoppen. Wie hatte das passieren können? Er sah zur Seite, wo sein Flankenschutz gerade in sich zusammenrutschte. Der Kopf glitt nach links, der Körper fiel nach rechts.
Jetzt erst sah der Schütze den Livrierten. Der Butler huschte an ihm vorbei, ihn vollkommen ignorierend, und trennte mit einer eiskalten Effizienz auch seinen linken Flankenschutz die Waffenhand vom Körper. Dann wirbelte der Butler herum, gerade als der Mann der Rückendeckung sich umdrehte und mit der Waffe herum wirbelte. Die Unterarmlange Klinge des Butlers zischte vor wie eine gefährliche Natter und drang ohne jedes Geräusch in die winzig kleine Stelle zwischen Helm und Brustpanzerung ein, die entstand, wenn man sich zu weit nach hinten neigte, oder etwas nach vorne beugte. Eine mikroskopisch kleine Bruchstelle, die der Livrierte eiskalt ausnutzte. Es gab auch jetzt kein Geräusch, als der Butler die Klinge ohne sichtbare Anstrengung seitlich hervor riss und dabei den Helm von innen aufriss. Blut schoss hervor, der Mann der Rückendeckung sackte auf die Knie und fiel vornüber.
Der Schütze erkannte eine grausame Wahrheit. Dieser Mann, dieser Livrierte, ging mit einer eiskalten Strategie vor. Zuerst schaltete er die Waffen aus, danach die Leute. Wenn er einen Gegner schneller töten als entwaffnen konnte, tat er es, weil er damit beide Ziele auf einen Schlag erreichte. Dies tat er elegant, fließend, wie ein austrainierter Tänzer mit Jahrzehntelanger Bühnenerfahrung. Er war ein tödlicher Engel, der sich nicht eine Sekunde um seinen eigenen Schutz sorgte. Wozu auch? Keiner der Männer wäre ihm auch nur ansatzweise gewachsen gewesen. Und er vergeudete nicht einen einzigen Augenblick. Kaum war die Rückendeckung erledigt und die Waffe wieder frei, wandte er sich den beiden Schwerverwundeten zu. Er hob den Arm mit der Klinge nur auf Taillenhöhe. Mehr würde er nicht brauchen, um die beiden Attentäter zu enthaupten.

"Es ist genug, James", sagte Direktorin Mannth ernst. "Überlassen Sie die beiden Überlebenden den Verhörteams."
Der Butler verharrte mitten im Schlag, die hochgefährliche Molekularklinge nur noch einen Fingerbreit vom Hals des Schützen entfernt. Er nahm den Arm zurück, die Waffe schnappte irgendwo ein, verschwand als hätte es sie nie gegeben. "Sehr wohl, Madame."
Manierlich trat er zur Seite, ging an die Wand und postierte sich dort, so als wäre diese Szene hier nie geschehen. Selbst der Schütze fühlte sich als wäre er in Wirklichkeit gar nicht hier.
Als dann die anderen Wachen herein stürzten, machte sich der Schütze klar, dass nicht einmal eine Minute vergangen sein konnte, seit sie das Büro gestürmt hatten. Vielleicht sehr, sehr viel weniger.
Als ihm jemand eine Projektilwaffe vor die Nase hielt, verstand er nicht ganz warum. Er war zu einhundert Prozent besiegt. Wahrscheinlich war es der Nervosität der Wachen geschuldet, die von diesem Blutbad ebenso geschockt waren wie der Schütze selbst. Er seufzte, und der Blutverlust führte endlich zu einer gnädigen Ohnmacht, die ihn dieser unwirklichen Situation entriss. Aber der Butler begleitete ihn in die schwarze Dämmerung, hinüber in das gnädige Nicht-Sein. Was für ein perfekter Killer, ging es ihm bewundernd durch den Kopf.

Mannth sah dabei zu, wie die Wachen den Tod von zweien der Attentäter feststellten und den anderen beiden an ihren Stümpfen notdürftig Erste Hilfe leisteten. Sanitäter waren bereits unterwegs. Die beiden hatten gute Chancen zu überleben und ihre Hände zurück zu erhalten. Und sie hatte eine gute Chance, über die Überlebenden an die Hintermänner des Attentats heran zu kommen. Um sie zum reden zu bringen würde sie einfach nur James mitnehmen müssen. Das würde höchstwahrscheinlich ausreichen.
Ohne auf die Aufräumarbeiten und die Rettungsaktion weiter zu achten, wandte sie sich wieder Takh zu. "Das waren keine meiner Leute", stellte sie fest.
"Das Gleiche gilt hier", sagte Rütli betont.
"Ich glaube, ich weiß wer sie geschickt hat", erwiderte Takh tonlos. "Ich dachte, Sie zwei hätten hier aufgeräumt!"
"So gut wir es konnten und so sehr es uns der Regent gestattet hat", erinnerte Mannth. Ihre Stimme hatte nun etwas beißendes, gefährliches.
"Oh. Natürlich." Takh wurde nachdenklich. "Regieren ist gefährlicher als ich dachte. Man trifft so leicht eine falsche Entscheidung, die nicht korrigierbar ist."
"Korrigierbar ist alles, nur manchmal nicht mehr von dem, der die Entscheidung getroffen hat. Das ist das Spiel, wenn man in der Politik ist", sagte Rütli mit leicht amüsierten Unterton. "Es gibt immer jemanden, der hinter einem her räumt."
"Was er damit sagen will ist, dass Menschen in Führungspositionen wichtig und notwendig sind, aber nie unersetzbar", fügte Mannth hinzu.
Beeindruckt schwieg Takh eine Zeitlang. Dann klopfte er nachdenklich mit der rechten Hand auf seiner Tischplatte. "Wir sollten über ein weiteres Thema reden", sagte er leise.
***
Fakt war, das nichts in diesem Universum schneller als das Licht war. Licht bedeutete das absolute Maximum, was man an Geschwindigkeit erreichen konnte. Die Tatsache, dass es überlichtschnelle Fortbewegung und Kommunikation gab, war da kein Widerspruch, sondern hochmoderne Schummelei: Man krümmte einfach den Raum und schuf so Abkürzungen. Teilweise erhebliche Abkürzungen.
Ein Waffenstrahl war lichtschnell. Das bedeutete, er war mit etwas weniger als dreihunderttausend Kilometern pro Sekunde unterwegs. Was wiederum bedeutete, dass ein Laserschuss sein Ziel bereits getroffen hatte, wenn man ihn sah. Falls man ihn sah, denn die wenigsten Waffenlaser waren so kalibriert, damit man sie sehen konnte. Eine kleine, militärische Entscheidung, an die sich Laser-Entwickler aller Zeiten und Generationen gehalten haben. Ebenso wie an die Regel, Laserstrahlen auf taktischen Displays farbig nachzuzeichnen und mindestens drei Sekunden stehen zu lassen.
In diesem einen speziellen Moment glaubte Johann Arling, den Laserstrahl sehen zu können, der Iesaia Cormick den Arm amputiert hatte. Sah wie ein Teil der Welle wie eine Kaskade verging, sah den Rest wie einen kleinen, massiven Block auf sich zurasen. Sah ihn näher kommen. Näher. Noch näher. Glaubte bereits seine Hitze spüren zu können. Das Gute an einem Laser war, dass er selten schmerzte, wenn er traf. Außerdem kauterisierte er den Schusskanal. Die meisten Laser neigten dazu entweder einen halben Meter Schusskanal zu erzeugen, oder sie zersprengten das Ziel gleich komplett durch ihre überhohe Wattleistung. Aber sie kauterisierten die Reste. Johann würde keine Schmerzen haben, weder beim Aufschlag, noch Sekunden später, wenn das was von ihm übrig war, zu Boden fallen würde. Mindestens zwei seiner Freunde, Bekannten und Unterstützer hinter ihm würden dem Waffenstrahl ebenfalls zum Opfer fallen, und das ärgerte ihn. Auch wenn Eleonor ihm diese Geisteshaltung sicher nie verziehen hätte, aber er hatte sein eigenes Leben als Preis für die Freiheit und den Frieden Katalauns stets für klein gehalten. Dass nun andere ebenfalls sterben mussten, weil ein mit Wasser gefüllter Sack aus Materialien für zehn Mark, Mensch genannt, einem Kompaktlaser leider nicht genügend Widerstand bot, regte seinen Trotz. Nicht, das er etwas tun konnte, aber es regte seinen Trotz. Und das war vielleicht nicht die schlechteste Art, um abzutreten.
Plötzlich konnte er den Laserstab aus Licht und Hitze nicht mehr sehen. Eine dunkle Masse verdeckte die Sicht. Für einen Augenblick dachte er, bereits tot zu sein, die gnädige Schwärze über sich kommen zu sehen, im nächsten Augenblick identifizierte er die dunkle Masse jedoch als Rückenpanzerung einer terranischen Infanteristenrüstung. Wie zum Henker...?
Dann war da die Kaskade, die über Arme und Schultern des gepanzerten Mannes floss, so als hätte ihn ein Wasserstrahl getroffen, und kein Kompaktlaser. Partikel die nach oben und zu den Seiten spritzten, sich dabei verloren und nach wenigen Zentimetern als harmloses Licht vergingen.
Es dauerte einen Augenblick, bis Johann Arling zwei wichtige Dinge begriff. Nummer eins war die Tatsache, dass er zumindest diesen ersten Laserschuss überlebt hatte. Nummer zwei war, dass er dies einem terranischen Infanteristen zu verdanken hatte, der zwischen ihm und dem Schuss aufgetaucht war. Hatte der Mann ihn unsichtbar begleitet? Hatten die Terraner Tarntechnologie bis auf diesen Wert verfeinert? War er durch eine Raumzeitverwerfung vor ihn geworfen worden? Was wurde hier gespielt, und warum waren die Terraner involviert? Weil sie versprochen hatten, sich um jene zu kümmern, die zuerst schossen?

Der Infanterist wandte sich ihm zu. Ein braunes, junges Gesicht mit ebenso jungen, strahlenden Augen lachte ihn an, heiter, geradezu gelöst, während hinter ihm der Attentäter von einem halben Hundert Menschen zu Boden gebracht wurde.
"Das war knapp, was, Hannes?" Sein Lächeln wich Besorgnis, während er Arling musterte. Als er keine Verwundung erkennen konnte, lächelte er jedoch wieder. Er salutierte lässig mit dem rechten Zeige- und Mittelfinger... Und war verschwunden. Jetzt erst schoben sich Kress und Schmitt vor ihn, unendlich langsam, geradezu wie in Zeitlupe, und Han überkam der Verdacht, dass die Zeit für ihn im Moment sehr viel schneller ablief als für alle anderen. Als die beiden jungen Männer vor ihm den Schulterschluss getan hatten, brach mit einem Mal der Lärm über ihn herein.
"Mir geht es gut", sagte er resolut und wehrte die hilfreichen Hände der anderen ab.
Er bahnte sich einen Weg zwischen Kress und Schmitt hindurch und stand bald vor Cormick.
Der dunkelhäutige Mann starrte zu ihm hoch. Ihm stand Schweiß auf der Stirn, aber er schien keine Schmerzen zu haben. "Wie schlimm ist es, Mylord?"
"Der Arm ist ab. Aber da Sie bisher nicht am Schock gestorben sind, wird wohl alles gut werden. Man wird Sie ins Krankenhaus bringen, Iesaia."
"In ein Christliches?", scherzte der Mann und wurde mit einem Hustenanfall bestraft. Ernst sah er Arling an. "Das war sicher keiner von uns, Mylord."
"Ich glaube Ihnen, Iesaia. Wir werden uns später noch ausführlich unterhalten, wenn die Ärzte Sie wieder in Ruhe lassen. Okay?"
"Okay."
Arling sah in die Runde. "Wir brauchen hier zwei Sanitätsteams. Eines für Mr. Cormick, und eines für den Attentäter. Hoffentlich haben meine Beschützer was von ihm übrig gelassen."
Nervöses Gelächter klang leise auf.
"Ich gehe dann jetzt in den Palast", sagte er zu dem Studenten.
"Tut das, Mylord. Ach, und werdet ein guter Kaiser, für alle Katalauner."
"Ich habe nicht vor, Kaiser... Ist ja auch egal." Arling seufzte. Dann prüfte er für einen winzigen Augenblick sich selbst. Weiche Knie? Ein wenig. Gehorchten die Gliedmaßen? Einigermaßen. Hatte er Kontrolle über seine Gesichtszüge? Anscheinend ja.
"Carrie, ich brauche nachher eine Aufzeichnung des Attentats. Ich würde gerne den terranischen Infanteristen identifizieren, der mich gerettet hat. Immerhin verdanke ich ihm mein Leben."
"Dem was?", erwiderte sie erstaunt. "Ich dachte, du trägst einen Körperschild, oder so etwas! Ich werde das sofort überprüfen... Moment, Sequenz zurückfahren und... Da brat mir doch einer eine neue Bundesregierung! Tatsächlich! Ein Infanterist in voller Gefechtsmontur, für exakt zweieinhalb Zehntelsekunden! Na, auf DIE Erklärung bin ich aber gespannt, mein lieber Admiral Papeete!"
Arling sagte nichts weiter dazu. Er schritt voran, durch die Lücke, die Cormicks Freunde ihm geschaffen hatte, und seine Verbündeten folgten ihm. Vor allem sagte er nicht, dass er den Infanteristen erkannt zu haben glaubte. Der Mann, der ihm da so jungenhaft zugelächelt hatte, war Harzza Charyc Chun gewesen, die männliche Nymphe, die behauptete, sein Vorfahr Harry zu sein, der legendäre Pferdedieb. Anscheinend lag er dem immateriellen Wesen weit mehr am Herzen, als er selbst gedacht hatte. Aber wenn er Recht hatte, dann kam Admiral Papeete in erhebliche Erklärungsnot. Und allein das war es wert, das auf ihn geschossen worden war.

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15.
13.07.2613
Kaiserreich Katalaun
Montillon-System
Palast des Kaisers

In Gedanken ging Johann Arling jene Dinge durch, sie sich ihm jetzt noch in den Weg stellen konnten, während er besagten Weg im wahrsten Sinn des Wortes beschritt. Er passierte die Haupteingangshalle, ohne von den Wachleuten und der Dienerschaft aufgehalten zu werden, geschweige denn von den auffällig platzierten terranischen Infanteristen in ihren Universalgefechtsrüstungen. Von der Palastverwaltung war also kein Eingreifen zu erwarten, und fünf bis zehn gefühlte Hinterhalte, Mordaktionen und Putschversuche hatten wohl auch die Zahl der Anhänger seiner Hauptgegner im eigentlichen Palast mehr als ausgedünnt.
Für einen Moment blieb Arling stehen, als medizinisches Personal des Kaiserin Anna-Hospitals zwei offensichtlich gefüllte Leichensäcke auf Antigravliegen durch einen Seitenweg zu einem der Nebenausgänge fuhren. Sein fragender Blick wurde von einem der Butler beantwortet: "Ein Attentatsversuch auf Regent Takh, Mylord. Man hat sich darum gekümmert."
Ein stilles grinsen überzog Arlings Miene. Wenn es einen Beweis dafür gab, dass Roberts radikale Vertreibung und die damit verbundenen neuen Gesichter auf ein beinahe normales Maß korrigiert worden waren, dann war es die funktionierende Abwehr der vielleicht letzten Attentäter ihrer großen Gegenspieler im Hintergrund.
Arling schritt weiter aus, neben und hinter sich seine Unterstützer. Ellie ging direkt hinter ihm. Er hätte sie gerne neben sich gehabt, zumindest in der gleichen Reihe, aber er hatte sie von Anfang an nicht auch noch mit Gewalt einer größeren Gefahr aussetzen wollen als dieses Unternehmen eigentlich schon war... Wie man an dem Attentatsversuch mit dem Kompaktlaser gesehen hatte. Aber so wusste er sie zumindest in seiner direkten Umgebung und spürte ihre kraftvolle, energische Aura, die ihn schon immer an der kleinen Person so fasziniert hatte. Eigentlich hätte er sich schämen müssen, seine ehemalige Schutzbefohlene zu seiner Geliebten gemacht zu haben. Und eigentlich war es auch illegal, mit Vertretern zweier fremder Sternenreiche die designierte Kaiserin zu stürzen. Und eigentlich hätte er bei dem Attentatsversuch verdammt noch mal anständig zu sterben gehabt. Und eigentlich war ihm "eigentlich" scheiß egal. Und deshalb war Ellie seine Geliebte, deshalb stürzte er mit einem Admiral of Sector und herculeanischem Militärpersonal die designierte Kaiserin, und deshalb war er eben nicht gestorben.
"Der Weg ist abgesichert, Mylord", meldete der Butler von vorhin und ging voran. Arling kannte den Mann. Jenkins hieß er, und Johann kannte ihn schon, seit Frederec der Meinung gewesen war, Gandolfs Erben im Kaiserpalast eine Ausbildung in Staatsetiketten zukommen lassen zu müssen. Der Mann schien seither weder gealtert, noch seine steife Würde verloren zu haben. Vielleicht waren die Gerüchte ja doch wahr, und Jenkins war ein Roboter in menschlicher Maske? Arling schmunzelte und folgte dem Mann.
Es ging vorbei an einigen der größten Schätze Katalauns, Dinge die in einem Museum in größerer Gefahr gewesen wären als in der kaiserlichen Residenz, die ohnehin sehr gut geschützt war - und deren Schutz nur ein gleichzeitiger Angriff von innen und von außen hatte aufknacken können. Zukünftige Generationen an Sicherheitskräften würden dafür Sorge tragen, dass in Zukunft nicht einmal ein Admiral der Flotten einen erfolgreichen Putsch durchführen konnte, und Arling begrüßte das sehr. Nicht nur weil dies bedeutete, dass so wertvolle Utensilien wie die katalaunische Version der Beitrittsurkunde der Javaren oder die Vibrolanze des ersten jemals in Dienst gestellten Knights perfekt vor Verwüstung, Zerstörung und Vergessen geschützt waren. Sondern auch, weil dies bedeutete, dass ein Kaiser in Zukunft dort entmachtet wurde, wo auch Frederec all seine Macht eingebüßt hatte: Im Parlament, und nicht auf der Straße oder diesem ehrwürdigen Museum.

Sie passierten einen Saal für sich war, und in dem die Ordensverleihungen an Arling selbst und seine Kapitäne inszeniert und in ganz Katalaun verbreitet worden. Dennoch wurde er spöttisch als "der kleine Saal" bezeichnet, was an die wahren Kapazitäten des Kaiserpalasts erinnerte. Fünftausend Menschen hatten hier bequem Platz zum essen, feiern und tanzen gefunden. Im Alltag diente er als Hauptkorridor zum Thronsaal. Nun, funktionelle Improvisation war schon immer eine katalaunische Stärke gewesen, fand Arling.
Sie passierten die Geheimtür, durch die sie spät nachts zur Spielwiese des Kaisers gebracht worden waren, quer durch die Eingeweide des großen Bauwerks, und Arling riskierte einen Blick. Er konnte die perfekt getarnte Tür jedoch nicht erkennen.
Hinter dem Korridor erwartete sie ein etwas kleinerer Korridor, der in drei Richtungen führte. Links ging es zur Flugbereitschaftsplattform im Hof, die jederzeit bereit stand, um den Kaiser zum Parlament oder einem anderen Ort seiner Wahl zu fliegen, wenn es wirklich mal eilig war. Rechts ging es zu den privaten Gemächern des Kaisers, die im Moment von Elisabeth mit Beschlag belegt worden waren. Man nannte sie auch die Junggesellenklause, weil ein Kaiser mit Ehefrau oder gar Familie meistens in den großzügigeren Nordflügel wechselte, der eher für eine Familie geeignet war. Diese Zimmerflucht wurde dann meistens zum Arbeitsbereich degradiert oder diente als Notquartier, falls eine internationale Krise anstand, oder es wirklich einmal zu spät geworden war, um noch die achthundert Meter in den Nordtrakt zurück zu legen.
Gerade aus führte noch ein erhebliches Stück Korridor. Vorbei an Büros, kleineren Verwaltungstrakten, Sicherheitszentralen und diversen Kleinigkeiten, die aus diesem Bereich des Palasts eine paranoide Schlangengrube machten. War absolute Sicherheit nicht wahrlich erstrebenswert? Der Korridor endete an zwei großen Flügeltüren, die auf schwangen, kaum das Arling seinen Blick auf sie gerichtet hatte. "Charles", sagte er ernst.
"Schon verstanden." Der gebürtige B-Kingler tauschte den Platz mit Hauptmann Schmitt.
Ein Kordon aus Livrierten beiderlei Geschlechts, Sicherheitswachen des Palastes und weiteren auffällig platzierten terranischen Elite-Wachen flankierte diese letzten Meter.
Was ihn wieder an seine Hindernisse erinnerte. Nachdem der Palast gesichert war, blieb als einziges noch ernst zu nehmendes Hindernis, abgesehen von einer Nuklearexplosion innerhalb des Gebäudetrakts, Admiral Marama Papeete. Bisher hatten seine Infanteristen Arling und dessen Unterstützer passieren lassen. Bisher hatten er und seine Begleiter ja auch nicht gegen die Regel Nummer eins verstoßen und keinen einzigen Schuss abgegeben. Angesichts der gewaltigen Raumschlacht, die ein einziger Verräter an Bord der HERCULES auslösen konnte, wenn es ihm gelang auch nur eine einzige Bordkanone abzufeuern, wurde Arling kurz schlecht. Andererseits war jetzt nicht die Zeit, um Risiken abzuwägen, nachdem er bereits einen Attentatsversuch überlebt hatte und die meisten Risiken schon eingegangen war. Dennoch, wie würde Papeete seine eigenen Worte auslegen? Und würde er den Putsch Arlings als gewaltsamen Akt werten? Und wie würde Elisabeth reagieren? Letztendlich war sie Freddys Tochter, und vielleicht hatte sie Gefallen an der Macht gefunden? Arling schämte sich dieser Gedanken, kaum das er sie formuliert hatte, obwohl er wusste, dass sie vom psychologisch geschulten Offizier kamen, nicht von Elises Verwandtem. Sein Blick ging zu Charles. Um seinetwillen und des harten Kampfs, den sein Freund gefochten hatte, um der Liebe mit Elise eine Chance zu geben, hoffte Arling inständig, dass sie nicht zu kühl reagieren würde. Andererseits, sie waren lange fort gewesen.

Arling passierte das Spalier mit einem harschen: "Guten Tag!"
Die Menschen im Spalier antworteten unisono: "Guten Tag, Lord Arling." Das war ein gutes Zeichen für den Adligen. Mit seinem militärischen Rang betitelt zu werden hätte er als Widerstand gegen seinen Plan interpretieren müssen. Da ihn die Bediensteten aber Lord genannt hatten, erkannten sie seinen Anspruch auf den Thron an. Eine sehr beruhigende Entwicklung. Und auch wenn das Palastpersonal bei Roberts Vertreibung nicht geglänzt hatte, so war es doch eine nicht zu unterschätzende Macht, das selbst während der Infiltration durch Marinas Fanatiker die Palastroutine perfekt aufrecht erhalten hatte.

Kurz bevor Johann Arling den Thronsaal betrat, schossen ihm noch tausend Worte durch den Kopf. Er wünschte sich eine Pause herbei, bevor er diesen letzten Schritt tat, alleine schon um noch einmal in den Spiegel schauen zu können, damit er wenigstens einigermaßen passabel aussah, während die internationale Presse ihn aufnahm und der Galaxis präsentierte. Aber es gab keine Pause. Es gab nur den Moment, und der setzte ein, kaum das sein Fuß den weißen Marmor des Thronsaals betreten hatte. Forsch schritt er aus, links von sich Charles, rechts Julian Kress, in Richtung des kleinen Podests mit dem Zedernholzthrons. Fünf Personen erwarteten ihn dort: Seine Schwester Eryn, die den Inlandgeheimdienst leitete, Direktor Rütli, natürlich Elisabeth in Begleitung ihres Ritters Gerrit Rend, und Anrid Takh.
Arling hatte noch nicht einmal zehn Schritte getan, als er mit lauter und fester Stimme zu sprechen begann. "Ich protestiere nachdrücklich dagegen, Elisabeth zu verheiraten! Ich protestiere energisch dagegen, sie auf den Thron..."
"Charles!", rief Elise aufgeregt, die bis eben konzentriert mit Rütli gesprochen hatte. Nun erst sah sie die Neuankömmlinge an, und mit einem freudigen Ton, den man selbst bei einer katalaunischen Prinzessin nur mit äußerstem Wohlwollen als freudiges, mädchenhaftes Quieken bezeichnen konnte, stürzte sie das Podest mit dem Zedernholzthron herab und eilte auf den Oberst zu.
Der überlegte nicht lange und lief ihr entgegen.
Verdutzt blieb Arling stehen.
Die beiden fielen sich in die Arme. Sie umklammerten sich wie Ertrinkende, drückten die Wangen aneinander und flüsterten sich hektische, leise Worte ins Ohr. Gemeinsam sanken sie in die Knie und fanden sich bald auf dem Boden wieder. Arling bezweifelte, das sie überhaupt bemerkt hatten, dass sie auf den Knien hockten. Sie lösten sich kaum voneinander, um sich in die Augen zu sehen. Wieder flossen kleine Worte, fröhliche Nichtigkeiten, die Verliebte manchmal von sich gaben. "Du hattest mir Zeit gegeben, um über uns nachzudenken, Elise. Ich habe nachgedacht." Die ernste Miene von Charly wich einen frohen Lachen. "Meine Antwort ist ja!"
Elisabeth ließ den Piloten los, schlug beide Hände vors Gesicht und starrte ihn entsetzt an. Dann brach sich ihre Freude Bahn, sie schluchzte vor Freude auf, und fiel ihm erneut um den Hals.
"Meiner", stellte sie zufrieden fest. Die beiden sahen sich in die Augen und...
"Falls ihr zwei ein Zimmer braucht, ich bin sicher, Robert besteht nicht darauf, das du sofort aus der Zimmerflucht auszieht", schmunzelte Johann, während er sich zu den beiden herab beugte.
Röte schoss über Elisabeths Züge, und Charles Monterney murmelte eine leise Entschuldigung.
"Aber küssen geht wohl in Ordnung, wenn ihr nichts gegen die internationale Presse habt", fügte der Graf hinzu und deutete hinter sich, wo sich Carrie Rodriguez mit Spence bereits den besten Kameraplatz erobert hatte.
"Oh, lasst euch von uns und unseren vierunddreißig Milliarden Zuschauern bloß nicht aufhalten", sagte sie und machte eine abwiegelnde Handbewegung.
Die beiden tauschten einen irritierten Blick, bevor sie lachten. Arling streckte beide Hände nach ihnen aus und zog sie wieder auf die Beine. "Wie Carrie schon sagte, lasst euch nicht aufhalten. Nicht mehr, und bestimmt nicht von der halben Galaxis."
Wieder wechselten die beiden einen kurzen Blick. "Du willst ja nur, das Carrie ein vollständiges Set an Küssen bekommt", murrte Charles.
"Ist das denn jetzt wichtig, Pilot?", hauchte Elise, griff an sein Kinn und drückte sanft ihre Lippen auf die seinen.
Irgend jemand murmelte: "Na endlich!" Ein vielstimmiges, zustimmendes Gemurmel antwortete ihm.
Charles unterbrach den Kuss ein wenig unsanft. "Später. Wir haben noch etwas zu erledigen."
"Okay", murmelte Elise. "Okay."
Charles wandte sich dem Podest zu. "Gerrit, es sieht so aus als würde ich bei dir verdammt tief in der Kreide stehen."
"Du hast gar keine Ahnung wie tief, Charly", erwiderte der Erste Ritter und kam nun ebenfalls langsam das Podest herab.
Johann Arling nickte ihm zu. "Ihr hattet turbulente Zeiten, wie ich sehe."
Die beiden Männer wechselten einen festen Händedruck. "So wie ihr. Es wurde nie langweilig", erwiderte Rend.
Arling nickte in Richtung seiner Verlobten. "Nun geh schon. Den Rest schaffe ich alleine."
Erleichtert atmete Gerrit auf, bevor er an Arling vorbei ging und zu seiner Schwester trat. Erleichtert nahm er sie in die Arme.
Arling beobachtete die Szene einen Moment, dann schritt er energisch weiter auf das Podest mit dem Kaiserthron zu. "Wie ich schon sagte, ich protestiere. Aber augenscheinlich ist die Verlobungsgeschichte vom Tisch. Oder wie sehen Sie das, Regent Takh?"
Der Regent war bleich und wirkte ausgezehrt. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und seine rechte Hand zitterte leicht. Langsam kam er vom Podest herab. "Ich denke, die Verlobung wurde hiermit aufgelöst. Ich verfolge keine weiteren Ansprüche."
Arling musterte den Regenten. "Auf Sie wurde ein Attentat verübt. Wie geht es Ihnen, Takh?"
"Wie es mir geht? Bescheiden, um es höflich zu formulieren. Ich bin hier angetreten um etwas zu bewirken, etwas zu verändern. Um Hoffnung zu bringen, wo es keine gibt. Um Recht und Gleichheit wieder zu etablieren. Erreicht habe ich, dass ich selbst eine Zielscheibe wurde." Er lachte gehässig. "Mylord, ich nehme nicht an, dass Ihr darauf besteht, das ich Regent bleibe?"
"Weder ich noch Robert brauchen einen Regenten", sagte Arling ernst. Milder fügte er hinzu: "Allerdings kann diese Regierung immer ein paar kluge Köpfe mit Erfahrung in der freien Wirtschaft gebrauchen."
Takh machte abwehrende Geste. "Nein, danke. Nicht heute, Mylord. Und sicher auch nicht morgen. Ich... Habe heute eine sehr harsche Lektion erteilt bekommen. Ich werde dringend daraus lernen müssen, sonst ist die nächste Lektion womöglich erfolgreich."
"Ich verstehe. Kann ich Sie in irgend einer Form unterstützen?"
Takh lachte leise. Es klang ein wenig verzweifelt. "Ich glaube nicht, Mylord. Ich bin mir selbst noch nicht ganz im klaren, was ich nun tun muss und werde, aber ich bin sicher, es wird nicht sehr viel mit dem Kaiser und der Familie Versailles zu tun haben. Aber es muss halt getan werden."
Arling hielt den Mann auf, als er vorbei gehen wollte. "Rache ist eine verdammt dumme Idee. Vielleicht sollten Sie es mal mit Vergebung probieren, Takh", sagte Arling ernst.
"Es geht nicht um Rache. Es geht um Gerechtigkeit", presste Anrid zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Arling ließ ihn gehen.

"Ich denke, es wird Zeit, Mylord", sagte Rütli ernst. "Der Thron ist gerade vakant, und es sollte jemand darauf Platz nehmen. Und sei es nur als Zeichen an die Bevölkerung, dass die nächsten Tage kein Chaos bringen werden." Rütli lächelte schief. "Zumindest kein größeres als wir dank Euch ohnehin schon haben, Lord Arling."
Johann Arling nickte schwer. Mit einem Seufzer schritt er weiter aus. "Warum nicht? Drauf sitzen wollte ich ohnehin schon immer mal." Dabei verschwieg er wohlweislich, dass er als Junge auf dem Thron meistens seine Hausaufgaben gemacht hatte, bis einer der Diener genügend Mut aufgebaut hatte, um den frechen Ratz zu verscheuchen. Er betrat das Podest. "Einwände, Eryn?"
Die Direktorin des Inlandgeheimdienstes setzte eine unschuldige Miene auf. "Ausgerechnet ich sollte meinem kleinen Bruder den Thron nicht gönnen? Besser du als ich, Herzog von B-King."
Arling schnaubte amüsiert. Dies war der einzige Grund, warum er tatsächlich hier stehen durfte: Er war der Erbe seines Vaters und der nächste Herzog von B-King. Und es schien ganz so als würde die Frau, die er in seinem Leben bestenfalls ein paar Tage gesehen hatte, darüber gerade sehr froh sein. "Was sagt Admiral Papeete?"
Rütli rieb sich nachdenklich die Schläfe. "Ich denke, das werden wir heraus finden, sobald Ihr Platz genommen habt, Mylord. Noch habt Ihr nichts getan, was das eingreifen Terras rechtfertigen würde." Einladend deutete er auf den Thron, den die Jahrhunderte dunkel gebeizt hatten. Er wirkte, als wäre er aus einem einzige Stück schwarzen Marmors geschnitten worden.
Unwillkürlich stockte Arling. Als Frederec noch auf diesem Platz gesessen hatte, war ihm dieser Mann immer so groß, so allmächtig vorgekommen. Und auch als Robert hier gesessen hatte, da war der Raum von Autorität erfüllt gewesen. Vom Ernst der Geschichte. Johann hatte schon oft auf ihm gesessen, aber noch nie offiziell. "Es ist ja nur für ein paar Stunden", murmelte Arling und setzte sich auf die hölzerne Sitzfläche.
Johann Arling legte beide Hände auf die Armlehnen, atmete tief ein, und sah in den Saal hinab. "Und? Wie steht er mir?"
Als Antwort erhielt er eine Welle donnernden Applaus.

Neben dem Thron flammte ein Hologramm auf. "Majestät!", klang die Stimme von Miranda von Hohenfels auf, noch bevor ihr Gesicht erschien. "Ich habe soeben die Nachricht verbreiten lassen, dass Ihr als Interimskaiser auf dem Thron Platz genommen habt. Zugleich habe ich die Angriffsarmada, die in Richtung Zryytekk und Jemfeld unterwegs war, zu ihren Heimathäfen befohlen. Das Parlament wurde informiert, und der Rat der Herzöge einberufen."
"Das sind gute Neuigkeiten. Warum haben Sie die Schiffe nicht eher gestoppt, Admiral?"
Pikiert verzog sie die Miene. "Ich bin Soldat. Ich führe Befehle aus. Im Gegensatz zu Euch tauge ich nicht viel zur Rebellin."
"Danke für den Tiefschlag", erwiderte Arling ärgerlich. "Was machen die Terraner?"
"Keine besondere Aktivität bei den Schiffen. Die Marauder verhalten sich ruhig und friedlich."
"Admiral Papeete?"
"Ist gerade dabei, in den Thronsaal zu kommen, Majestät." Der Terraner schritt durch die Reihen seiner Unterstützer wie ein Wellenbrecher. Vor dem Podest blieb er stehen und deutete eine Verbeugung an. "Ich habe meine Vorgesetzten informiert, dass Ihr den Schutz von Elisabeth von Versailles übernommen habt. Ebenso, dass Ihr auf dem Kaiserthron Platz genommen habt. Unsere Aufgabe ist damit beendet. Wir werden jedoch, Euer Einverständnis voraus gesetzt, noch ein paar Tage im Orbit bleiben. Nur für den Fall, dass Eure Regentschaft nicht so stabil ist, wie wir uns das wünschen."
"Tun Sie was Sie nicht lassen können. Bisher haben sich die Terraner vorbildlich verhalten. Ich sehe keinen Grund, ihnen das nun zum Vorwurf zu machen. Im übrigen sitze ich hier ohnehin nur für ein paar Stunden."
"Johann!" Auf der anderen Seite des Throns manifestierte sich ein lebensgroßes Hologramm von Robert. "Es tut mir Leid, dir das sagen zu müssen, aber ich werde noch einige Zeit auf Versailles bleiben müssen. Der Hauptsitz hat eine Menge abbekommen, und viele Mitglieder der Familie und der Ersten Versailler wurden verletzt und getötet. Ich werde hier gerade als Oberhaupt der Familie gebraucht. Ich bitte dich hiermit, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen."
Johann nickte. "Natürlich, Robert. Ich übernehme die Regierungsgeschäfte. Versailles ist deine Heimatwelt. Ich verstehe deine Priorität."
"Danke. Du machst es mir sehr leicht", erwiderte Robert aufatmend. Sein Holo erlosch ohne einen weiteren Gruß.
"Also doch eher ein paar Tage, was?", fragte Papeete grinsend. "Das passt sich ja hervorragend."
Arling ignorierte den amüsierten Unterton des Admirals. "Direktor Rütli, was sagt das Protokoll für diesen Fall? Muss ich jetzt einen Regierungsnamen annehmen?", scherzte er.
"Da es bisher keinen Johann Armin in der Thronfolge gab, denke ich, erübrigt sich das."
"Johann Armin der Erste. Klingt gut." Eryn Mannth lächelte sanft.
"Es ist zwar nur ein Provisorium, aber ehrlich gesagt kann ich mich an diesen Anblick gewöhnen", scherzte Monterney. "Stell dir doch mal vor, die ganze Macht Katalauns in deinen Händen. Verlockt dich das nicht?"
Arling erhob sich wieder vom Thron. Bequem war das Ding ohnehin nicht, aber er wollte sich auch nicht gerade dran gewöhnen. "Komisch. Ich sehe nicht die Macht, nur die Verantwortung für ein paar Milliarden Leben. Das ist eine Menge Arbeit. Und Katalaun verdient jemanden, der sie so gut macht wie Robert."
"Komm schon, Han, hast du nicht einmal Ansatzweise das Verlangen nach dem Thron?", fragte Griffin.
"Verlangen? Nein. Höchstens ein Empfinden von Verantwortung gegenüber dem Thron und den Menschen und Außerirdischen, für die er steht. Ich will den Job gewiss nicht. Es gibt bessere dafür."
"Nicht allzu viele bessere", wandte Gerard Rössing ein.
"Zugegeben", schmunzelte Arling.
"Das war es also?" Frustriert sah Carrie in die Runde. "Das war alles? Keine Paraden, kein Jubel, kein Applaus? So nüchtern kenne ich euch Katalauner gar nicht."
"Wenn du Theatralik willst, hättest du auf die falsche Miranda setzen sollen, Carrie. Außerdem ist Han im Moment der Verwalter des Throns, nicht sein Eigentümer", sagte Elisabeth.
"Ich weiß. Aber man wird ja träumen dürfen." Ihre Augen leuchteten. "Wird Roberts Rückkehr auf den Thron opulenter ausfallen?"
"Sehr viel opulenter", versprach Arling. "Aber jetzt lasst uns doch ein wenig feiern. Immerhin haben wir Elisabeth zurück. Falls Charly bereit ist, sie heute zu teilen."
"Eventuell. Wenn ihr nett seid", sagte Charles und imitierte einen blasierten Tonfall.
Leises Lachen erfüllte den Raum.
"Jenkins." "Majestät?" "Bitte versorgen Sie meine Gäste, so gut Sie es vermögen und statten Sie sie mit angemessenen Gästequartieren aus."
"Ein Snack wurde im kleinen Saal vorbereitet, Majestät. Im Büro des Kaisers liegen einige Sachen bereit, die dringend bearbeitet werden müssen. Aber nicht mehr als eine halbe Stunde Lesearbeit."
Arling schnaubte amüsiert. Dem zivilen Verwaltungskram entkam er wohl nie. "Eine halbe Stunde?"
"Höchstens, Majestät." "Gut. Ellie, als meine Frau bist du hier die Gastgeberin. Kümmerst du dich um alle?"
Erschrocken sah die Kapitänin ihren Verlobten an. Schließlich nickte sie. "Bedienst du hier Rollenklischees? Aber meinetwegen. Ich werde das schon hinkriegen."
"Kein Klischee. Aber ich bin auf den Thron gestiegen, nicht du."
"Glücklicherweise", erwiderte sie amüsiert. "Beeile dich bitte."
"Versprochen." Arling nickte den beiden Geheimdienstdirektoren zu.
Admiral Papeete schloss sich unaufgefordert an.
Derweil geleiteten die Livrierten die anderen Gäste zurück in den kleinen Saal.
***
Als sie das Büro des Kaisers betraten, nahm Johann wie selbstverständlich auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch Platz. Wie Jenkins versprochen hatte, deutete ein Hologramm auf Arbeit hin. Zusätzliche Papierdokumente lagen auf einer Kante der Arbeitsfläche.
"Also, wie geht es weiter?", fragte Arling ernst. "Da auf mich geschossen wurde, gehe ich nicht davon aus, dass ich vollkommen unangefochten auf Roberts Thron sitze. Übrigens danke für die Rettung, Admiral Papeete. Sie müssen mir beizeiten verraten, welche Technologie Sie eingesetzt haben."
Der Terraner verzog keine Miene, als er antwortete. "Ein andernmal, Majestät."
"Wir haben die letzte Stunde damit verbracht, zusammen mit dem ehemaligen Regenten Takh ein Protokoll zu erstellen, in dem er Namen und Stützpunkte einiger militanter Kreuzbrüder angegeben hat, die ihm bekannt sind. Wir haben diese Liste ergänzt und sind zu einem stattlichen Dossier gekommen. Takh kannte einige uns noch unbekannte Gruppen und hat uns Orte genannt, an denen wir jene wiederzufinden hoffen, die sich absetzen konnten." Mannth nahm gegenüber von Arling Platz. "Ich etabliere gerade ein Beobachtungsnetzwerk, um sie im Falle einer subversiven Tätigkeit in Flagranti zu erwischen."
"Sie wollen die Gruppen nicht hoch nehmen? Auch in Katalaun bedeutet, ein Verbrechen zu planen, eine Straftat", wandte Papeete ein. "Machen Sie sich dabei um meine Leute keine Sorgen. Wir haben nicht vor, Verbrechen und Terrorismus zu begünstigen."
"Das ist es nicht, Admiral", sagte Rütli und machte sich am großen Sekretär an der Wand zu schaffen. "Viele dieser Gruppen werden uns zu Hierarchien führen, die wir noch gar nicht kennen. Andere haben noch nicht einmal ansatzweise Pläne für Aktionen oder gar Terrorismus. Solange kein Richter einen Haftbefehl ausstellt, beobachten wir nur und greifen erst ein, wenn sie das Leben katalaunischer Bürger bedrohen." Rütli stellte ein Longdrinkglas vor Mannth und Arling ab, bevor er mit zwei schweren Bleikristallschwenkern zu Papeete ging. "Ein alkoholfreier Fruchtsaft für Familie Beijing, und ein einheimischer Arami-Schnaps für die Erwachsenen."
Misstrauisch beäugte der Admiral das Glas. "Ist Arami-Salz nicht ekelhaft süß?"
"Erst probieren, dann meckern", mahnte Rütli und drückte Papeete das Glas in die Hand.
"Anrid Takh wird in diesem Moment den Palast verlassen und untertauchen", sagte Mannth und griff nach ihren Glas. "Er wird wahrscheinlich seine Tarnidentität als Claymore Anazasi annehmen, und danach hoffentlich gegen seine ehemaligen Kollegen der Magno Holding aktiv werden. Etwas, was wir im Moment nicht können. Aus den gleichen Gründen, die uns seit fast zweihundert Jahren die Hände binden."
"Und diese Gründe wären, Eryn?"
Die Direktorin für den Inlandgeheimdienst lächelte dünn. "Katalauns größte Stärke und zugleich größte Schwäche. Wir haben zwar Indizien, aber leider keine Beweise. Außerdem muss Magno Holding nur ein paar Springer und Läufer opfern, um aus dem Schneider zu sein."
"Wir nutzen ihn, um uns an der Spitze zu rächen?", argwöhnte Arling.
"Wir nutzen ihn, um die Spitze beschäftigt zu halten, während wir reguläre Ermittlungen betreiben. Der Attentäter, der versucht hat, Elisabeth zu töten, hat uns einige interessante Ansatzpunkte über eine gewisse Rivalität in der Führungsebene geliefert. Sie sind uneinig, was man wohl auch daran sieht, das der eine Elisabeth benutzen wollte, und der andere sie lieber tot gesehen hätte."
"Ich dachte, der Kerl hätte sich umgebracht."
Mannth zuckte mit den Schultern. "Zeugenschutzprogramm. Er fand ein neues Leben unter neuem Namen am anderen Ende Katalauns wesentlich interessanter als das Kriegsgerichtsverfahren und die Todesstrafe durch erschießen."
Arling ließ einen leisen Laut des Missfallens hören. "Für jemanden, der damit rechnen musste, während des Attentats erschossen zu werden ist das eine sehr erstaunliche Einstellung. Seit wann hängt er so am Leben?"
"Seit er Schmerzen hatte, Majestät", sagte Rütli ernst. "Als sein Attentat scheiterte, hat Oberst Monterney ihn übelst umgehauen. Das hat ihm richtig weh getan. Manche Menschen werden dann nachdenklich, wenn sie sich ihrer eigenen Verletzlichkeit bewusst werden."
"Ich verstehe. Es wäre nicht schlecht, wenn wir die ganze Geschichte in Ruhe abwickeln können. Letztendlich ist Magno zu groß, als dass wir es uns leisten können, den Konzern zu zerschlagen. Ich will die Täter, ich will sie vor Gericht und bestraft sehen. Aber ich will nicht vier Millionen Katalaunern erklären müssen, warum sie ihre Arbeit verloren haben."
"Einer der Vorteile eines börsennotierten Unternehmens, Majestät, ist die Flexibilität an der Führungsspitze", erinnerte Rütli mit einem bösen grinsen. "Und die Chance, mit einer Aktienmehrheit diesen Wechsel einzuleiten. Geld war schon immer eine bevorzugte Waffe gewisser Kreise in Katalaun. Es wird Zeit, ihnen zu zeigen, dass das Spiel in beide Richtungen funktioniert."
"Hören Sie auch gut zu, wie wir hier Staatsgeheimnisse besprechen, Admiral?", fragte Johann sarkastisch.
"Bisher haben Sie nichts gesagt oder getan, was das Eingreifen meiner Flotte nach sich ziehen würde. Seien Sie unbesorgt, Johann."
"Gut, damit kann ich leben. Ich nehme an, Sie übernehmen diesen Job und kaufen Aktien auf, die im Ausland kursieren, Direktor Rütli?"
"Richtig. Dadurch erhöhen wir die Chance, dass Magno Stahl nichts vom Übernahmeversuch mitbekommt. Jedenfalls nicht sofort."
"Gehen Sie davon aus, dass Ihre ganze Aktion in keinster Weise geheim ist. Sonst fürchte ich, das sie scheitern wird", mahnte Arling.
"Dann können wir sie gleich sein lassen, und das wäre nicht im Sinne Katalauns. Aber ich werde mit entsprechender Vorsicht operieren."
"Einverstanden. Was haben wir von den religiösen Gruppen zu erwarten, die Elisabeth gerne in unbefleckter Empfängnis gesehen hätten?"
Mannth lachte unterdrückt. "Was, bitte?"
"Hast du das nicht gehört, Eryn? Die ganzen Gerüchte, und so weiter, die wissen wollten, dass Elisabeth schon mit dem nächsten Thronerben Katalauns schwanger sei, ohne ihn auf natürlichem Wege gezeugt zu haben?"
"Hätte ich es gehört, hätte ich laut gelacht. Gibt es tatsächlich solche Gruppen, und sind sie mir entgangen? Oder haben meine Leute mir diese Informationen nicht zugearbeitet, weil sie sich nicht lächerlich machen wollten? Ich muss passen, Hannes. Davon weiß ich überhaupt nichts."
"Und wenn an den Gerüchten was dran gewesen wäre, dann hätte sich mal jemand angeregt mit Gerrit unterhalten müssen", bemerkte Arling amüsiert. Er winkte ab. "Nein, das traue ich weder ihm, noch Elise zu."
"Oh, die beiden stehen sich recht nahe. Vielleicht noch um einiges näher als Oberst Monterney und Elisabeth", merkte Papeete an. "Zu nah wahrscheinlich. Deshalb ist er keine Konkurrenz für Lucky Charly."
"Und den Beinamen Lucky hat er dann auch wirklich verdient, wenn Sie recht haben, Admiral." Arling hob sein Glas und prostete dem Terraner zu.
"Gibt es weitere Schwierigkeiten, vor denen wir stehen?"
"Nichts, was du nicht auch in den Dokumenten finden würdest. Außer vielleicht einer spontanen Party in den Straßen von Neu-Berlin, die unsere Sicherheitskräfte nervös macht." Mannth lächelte spitzbübisch. "Aber solange sie nur deinen erfolgreichen Coup feiern, Hannes, anstatt zu demonstrieren, sehe ich da keine Schwierigkeiten. Bombenleger sind auch keine in Sicht, also hoffen wir das Beste. Notfalls kann uns ja der Admiral mit seinen hervorragend ausgerüsteten Infanteristen aushelfen, nachdem sie dir bereits das Leben gerettet haben, Hannes."
"Eventuell", sagte Papeete, ohne eine Miene zu verziehen.
"Hoffen wir das Beste. Hoffen wir darauf, das wir diesmal Frieden schließen können. Und hoffen wir, dass er lang anhalten wird." Arling griff nach dem ersten Dokument. "Lasst uns arbeiten. Auch wenn ich den Job nur temporär mache, möchte ich ihn doch gut machen."
"Ein guter Vorsatz, Majestät", bestätigte der Terraner mit einem Schmunzeln.
***
Nach nicht ganz zwanzig Minuten kehrte Arling dem Büro den Rücken zu und betrat den Kleinen Saal. "Der Kaiser von Katalaun", meldete Jenkins mit großartiger Geste und unbewegter Miene.
Johann Arling, der wusste das der offizielle Titel des Kaisers fünf bis sechs Sätze erforderte, bemerkte durchaus den provisorischen Charakter seiner Vorstellung. Deutlicher hätte der Livrierte nicht sagen können, dass Arlings Status kein endgültiger war. Glücklicherweise.
Applaus klang auf, als er über die Schwelle schritt, und der steigerte sich immer mehr, bis er eine ohrenbetäubende, sintflutartige Welle geworden war, die alles und jeden übertönte.
Peinlich berührt winkte Arling ab, und die Menge beruhigte sich wieder. Der Graf erkannte etliche Gesichter nicht wieder, wohl aber die Bürgermeister von NeuKölln und Neu-Remagen. Etliche Bürger von der Straße waren also ebenso im Saal. Ein Umstand, der Johann Arling ein Lächeln entlockte. An solche Zustände hätte er sich gewöhnen können.
Eleonor Rend kam zu ihm herüber und drückte ihm ein Sektglas in die Hand. Dankbar nahm er es entgegen und bedankte sich mit einem leichten Kuss auf ihre Wange, was amüsierte Zustimmung aufklingen ließ.
Johann Arling hob die linke Hand, und die Stimmen verstummten.
Er machte eine verlegene Geste, die einmal den Saal umfasste. "Gentlemen, wir alle haben einen weiten, steinigen Weg hinter uns. Wir sind ihn gegangen. Einige bis Vesuv und zurück, andere durch die unruhigen Zeiten hier oder an anderen Orten in Katalaun. Gegangen werden musste jeder einzelne. Denn wir haben das nicht für uns getan, für Ruhm, Ehre und Eitelkeit, sondern für jeden einzelnen Bürger unter der Krone, um ihm Frieden, Wohlstand und Freiheit zu garantieren. Diese Worte klingen markig, ich weiß. Und einige werden sagen, sie seien schwierig zu erfüllen. Aber dennoch, wert es zu versuchen sind sie allemal."
Zustimmung brandete als lautes Gemurmel durch den Saal.
"Robert wird in einigen Tagen nach Neu-Berlin kommen und seinen Thron wieder übernehmen. Allerdings wird er sich auch dem Parlament stellen, das sicherlich über sämtliche Beweggründe seines erzwungenen Rücktritts informiert werden will - aus erster Hand. Wir gewinnen damit einen Mann mit Herz zurück, mit Verstand, mit Erfahrung und mit Kompetenz auf mehr Gebieten als ich aus dem Stand aufzuzählen vermag. Das wird ihn erneut zum ersten und zum besten Diener Katalauns machen. Denn wenngleich wir ihn Kaiser nennen und Majestät rufen, der wahre Kaiser Katalauns sind seine Bürger. Und wir alle dienen ihm mit unserer Hingabe und unserem besten Können. Deshalb wollen wir unsere Gläser erheben und gemeinsam auf den wahren Herrscher trinken: Auf den Kaiser!"
"Auf den Kaiser!", wiederholte die Menge, und nicht wenige sprachen die Worte voller Inbrunst aus. Für einen Moment fühlte Arling seinen ganzen Körper prickeln. Er wusste, dass alle Mühen, Rückschläge, die Verluste, der Schmerz und die Toten diesen einen magischen Moment wert gewesen waren. Diesen Punkt in der Raumzeit, in dem er nach Hause gekommen war.
***
„Hier ist Carrie Rodriguez live aus Neu-Berlin für Terra News Channel. Geben sie mir fünf Minuten ihrer Zeit und ich gebe ihnen das Universum.
Ich sende gerade direkt aus dem Kaiserpalast, genauer gesagt aus dem Arbeitszimmer des Kaisers selbst. Majestät, Ihr habt nun seit vier Tagen kommissarisch das Amt des Kaisers übernommen. Wie fühlt Ihr Euch dabei?“
Johann Arling sah lächelnd in die stationäre Kamera von Spence, während die beiden fliegenden Modelle ihn auf der Suche nach einer guten Perspektive umschwirrten wie Motten das Licht. "Wie ich mich fühle? Etwas merkwürdig, zugegeben."
"Merkwürdig?"
Er räusperte sich. "Ich bin einen verdammt weiten Weg gegangen, um hier her zu kommen, habe Gefahren auf mich genommen und über jene gebracht, die mir gefolgt sind. Ich habe mich mit dem gesamten Kaiserreich angelegt, und nun habe ich gewonnen. Bei all den Schwierigkeiten, die ich hatte, bei all den Hindernissen, die sich uns in den Weg gestellt haben, erscheint es mir zu leicht. Ich habe die große Befürchtung, dass der Friede und die Ruhe in Katalaun nur das kurze Atem holen vor einer wirklichen Katastrophe ist."
"Was für eine Katastrophe könnte das sein?" Carrie legte nachdenklich die Stirn in Falten. "Zyrrtekk hat um Waffenstillstand gebeten, kaum das Ihr das Kaiseramt provisorisch übernommen habt, und die Mehrzahl der Herzöge unterstützt Euch nun offen. Des Weiteren haben sich sogar die katalaunischen Medien darauf verlegt, Euch für den Frieden mit dem Herculeanum und der Republik zu belobigen, was davor nur Untergrundsendern und illegalen Infosites vorbehalten war. Würde der Kaiser Katalauns aufgrund seiner Beliebtheit in den Medien gewählt werden, könnte Euch niemand den Thron streitig machen, Majestät."
Arling lachte gehässig auf. Admiral Papeete, der lässig an der gegenüberliegenden Wand lehnte, unterdrückte einen Lacher.
"Carrie, wie lange kennst du mich jetzt schon? Seit wann gebe ich auch nur einen Funken darauf, was die Medien mir vorschreiben, was ich zu glauben und zu wissen habe? Ich tue das, wovon ich glaube, dass es das Richtige ist. Wäre dem nicht so, hätte ich die katalaunischen Zwangsarbeiter nie von Vesuv befreit, nie den Waffengang mit der Large Fleet gewagt und wäre der früheren Präsidentin Klages nie zu Hilfe gekommen."
"Ihr stellt Euren Medien gerade ein ziemliches Armutszeugnis aus, Majestät", sagt Carrie amüsiert.
Das brachte Arling zum kichern. "Oh, ich stelle lediglich fest. Ich bewerte nicht. Jedes Informationsmedium hat einen gewissen Auftrag, den es erfüllen sollte. Ohne der Gehilfe eines Lobbyisten, eines Politikers oder einer Interessengruppe zu sein. Die meisten offiziellen katalaunischen Medien, vor allem hier auf Sanssouci, haben bewusst falsch, verzerrt und unwahr über meine Leute und mich berichtet. Ohne die internationalen Kanäle, und nicht zuletzt Carrie Rodriguez, hätten katalaunische Bürger keine Chance gehabt, sich aus weiteren Quellen zu informieren." Arling faltete die Hände vor sich auf dem Schreibtisch zusammen. "Ich will nicht sagen, dass Live-Bilder nie zu manipulieren wären. Aber dein guter Ruf, Carrie, und deine wahre Flut von Live-Bildern hat nicht viel Raum für Fehlinterpretation, für Spekulation oder gar Missbrauch gelassen. Die Bilder standen gut so für sich selbst."
"Das freut mich zu hören. Ich komme dann nächsten Monat vorbei und hole mir den katalaunischen Fernsehpreis ab", scherzte sie.
"Oh, das kann durchaus passieren."
Für einen Augenblick wirkte Carrie überrascht. Aber das überspielte sie mit Aktivität. "Majestät, gibt es etwas, was Ihr den katalaunischen Medien mitteilen wollt?"
"Da wäre in der Tat etwas. Ich würde es als persönlichen Affront ansehen, wenn sich besagte Medien nun dazu entschließen würden, nach ihren Sponsoren während der Vesuv-Krise nun mir in den Arsch zu kriechen. Das wäre nicht nur unglaubwürdig, es würde auch die Intelligenz der Bürger Katalauns beleidigen."
"Harte, deutliche Worte. Aber hat das die Presse wirklich verdient?"
"Ich sage es wie ich es sehe. Journalisten sollen informieren, Fakten liefern, Aussagen recherchieren, meinetwegen Szenarien erstellen. Wenn sie aber Recherche und Berufsethos über Bord werfen, um einem Geldgeber oder einem Kaiser zu gefallen, sind sie Werbefachleute, aber gewiss keine Journalisten mehr." Arling sah kurz zur Seite, wie um sich zu sammeln. "Carrie, ich weiß, dass die freie Presse es in den letzten Wochen sehr schwer hatte. Ich weiß, dass die Chefredakteure von Eigentümern, Werbekunden und öffentlichen Briefaktionen erheblich unter Druck gesetzt wurden. Ich weiß, dass manche Redakteure und auch Reporter bedroht wurden. Ich weiß, dass etliche entlassen wurden und im Geheimen ihre Untergrund-Zeitungen betrieben haben. Ich weiß, dass kein Mensch unbestechlich und unerpressbar ist. Aber genau das ist es, was wir brauchen, genau das ist es, was die Menschen haben sollen: Eine gut recherchierte Presse, die nicht auf Schlagzeilen, sondern auf Qualität aus ist. Eine Presse die informiert, nicht provoziert. Eine Presse, die sich an jemandem wie dir orientiert, Carrie."
Die TNC-Reporterin lachte auf und schlug gespielt nach Arling. "Mir zu schmeicheln bringt dir überhaupt nichts, Han. Aber um mal eine Lanze für meine Kollegen zu brechen, nicht alle sind so verrückt wie ich und stehen darauf, Live-Berichte aus dem dicksten Getümmel zu senden, mit einer achtzigprozentigen Chance, dabei auch noch drauf zu gehen. Die meisten hängen am Leben."
"Achtzig Prozent? Ich glaube, ich kündige", brummte Spence.
"Scherzkeks. Also, Majestät, Ihr seid mit der Berichterstattung während der Vesuv-Krise unzufrieden, wenn ich das so mal zusammen fassen darf. Und Ihr wünscht Euch eine unabhängigere Presse für die Zukunft. Auch wenn dies bedeutet, dass sie Euch wieder ins Visier nimmt. Ich glaube ohnehin, dass neben der Legendenbildung, die um Admiral Arling gerade entsteht, die ersten bereits daran arbeiten, um die Legende zum bröckeln zu bringen. Nicht weil sie Euch nicht mögen, Majestät, sondern weil es ihr Job ist."
"Ach, wie nett. So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Allerdings schätze ich Kritik und Opposition, solange sie auf Fakten basiert und sachlich bleibt. Ich habe nur etwas gegen reißerische Schlagzeilen, Halbwahrheiten und haltlose Behauptungen, die als Realität in die Welt gesetzt werden. Als ich Herzog von Arling wurde, habe ich mir das Vertrauen der Bevölkerung und den Respekt der Presse hart erkämpfen müssen. Ich stand unter Beobachtung und ich war ein Kandidat für gravierende Fehler. Die Berichterstattung war roh, aber immer ehrlich und offen. Und als ich bewiesen hatte, das ich den Job beherrsche, bekam ich Applaus für meine gute Arbeit. Damals habe ich das erste Mal gelernt, wie ich meine Arbeit zu verrichten habe, nämlich nach bestem Wissen und Gewissen, und nicht anhand von Schlagzeilen." Arling lachte. "Okay, ich gebe zu, ich lasse mich nicht immer von der Presse beeinflussen. Aber ich achte schon darauf, welche Zeitungsartikel ich lese, welche Redaktion effektiv recherchiert und wer mir Blickwinkel vermitteln kann, die ich naturgemäß als Graf von Arling nicht haben konnte. Das habe ich während meiner letzten Mission vermisst."
"Aber ist der Journalismus Katalauns hier nicht eher Opfer als Täter? Viele Organe der Presse, seien dies nun Fernsehen oder Zeitungen, sind in mehrerlei Hinsicht abhängig. Materialkosten müssen bezahlt werden, Journalisten verlangen Gehälter, und auch Layouter arbeiten nicht für Luft und Liebe. Ich will das nicht als Ausrede wählen, Majestät, aber doch als Hintergrundinformation. Immerhin hat nicht jeder Reporter wie ich auch einen Live-Sender im Rücken. Und selbst der nützt mir an manchen Orten gar nichts. Höchstens der Strafverfolgungsbehörde, die meine Mörder jagt."
"Ich glaube, ich kündige wirklich. Wirst du gerade depressiv, Carrie?"
"Ruhe auf den billigen Plätzen, Spence. Majestät, kann man das nicht als mildernden Umstand gelten lassen?"
Arling strich sich amüsiert übers Kinn. "Carrie, wie gut hörst du mir eigentlich zu? Siehst du deine eigenen Sendungen überhaupt nicht? Ich erwarte einen Neuanfang von der Presse, und dazu mehr Fakten und weniger Schlagzeilen. Wahrscheinlich ist das für einige Medien unmöglich, aber ich bin für jedes Verlagshaus und jeden Sender dankbar, der es versucht."
"Kommen wir mal weg von den Medien, kommen wir zu Themen, die meine Zuschauer beinahe noch mehr interessieren: Wo sind Elise und Lucky Charly?"
"Hier im Palast", sagte Arling ohne eine Miene zu verziehen.
Carrie hob viel sagend die Augenbrauen. "A-ha. Tatsächlich? Komisch, ich habe überall nachgefragt, aber niemand konnte mir sagen, wo sie sich exakt aufhalten."
"Sie sind im Palast", beharrte Arling.
"Du meinst doch jetzt den Kaiserpalast? Oder redest du heimlich von deinem Anwesen auf B-King und sprichst es frecherweise nur nicht aus?"
Arling schmunzelte. "Wenn du es so siehst, es gibt viele Paläste, und das nicht nur auf Sanssouci und B-King."
"Im Palast also." Resignierend zuckte sie mit den Schultern. "Und gleich die nächste Frage: Wo steckt Fregattenkapitän Rend?"
"Holt zusammen mit ihrem Bruder Gerrit die Familie ab, die gerade aus ihrem Exil in der Residenz der Versailles zurück kehrt. Sie wurden von Ninjas dort hin evakuiert, als sie ins Visier der Extremisten gerieten. Immerhin sind sie zukünftige Verwandte des Kaisers, und unsere Gegner waren in diesem Fall besonders ruchlos."
"Apropos Versailles. Wann kommt der Kaiser endlich nach Neu-Berlin?"
"Das frage ich mich auch", murmelte Arling fast unhörbar. Aber Spence hatte nicht umsonst intelligente Mikrophone an seinen Kameras. "Tatsache ist, dass die Milizeinheit der Ersten Versailler, quasi die allerletzte Verteidigungslinie der katalaunischen Kaiser, beim Militärputsch heftig hat bluten müssen. Große Teile der Residenz wurden zerstört und viele Mitglieder der EInheit getötet. Einige davon waren entfernte Verwandte aus Nebenzweigen der Versailles-Familie. Außerdem wurden die Gravitron-Anlagen und die Atmosphäreschilde beschädigt. Das sind alles Dinge, um die man sich kümmern sollte, wenn einem der ganze Mond gehört."
"Der Mond gehört. Ihr habt so lustige Umschreibungen für Eure Lehen, Ihr Adligen."
Arling grinste breit. "In diesem Fall ist es keine Umschreibung. Der Mond Versailles gehört tatsächlich zu einhundert Prozent Robert. Die Familie hat schon immer große Gebiete auf dem Mond ihr Eigen genannt, und dies lange vor dem Terraforming. Über die Jahrhunderte wurden nach und nach alle Gebiete dazu gekauft, bis der Mond vollständig in Familienbesitz war. Heutzutage werden Bauten und Grundstücke lediglich verpachtet, aber nicht verkauft. Und im Prinzip sind sechzig Prozent aller Bewohner von Versailles direkt oder indirekt bei Robert angestellt."
Carrie schlug die Stirn in Falten. "Mit anderen Worten: Entweder sitzt er auf einem Riesenberg Schulden, weil er den ganzen Mond unterhalten muss, oder er ist stinkreich."
"Eher letzteres. Es gibt eine Menge Pächter auf Versailles. Aber um auf deine Frage zu antworten: Heute ist die letzte Beisetzung der Opfer des Militärschlags. Robert wird morgen in aller Frühe herunter kommen und sofort in den Palast geflogen werden."
"Er wird nicht wie du mit dem Bodenwagen herfahren?"
"Oh, er ist dazu bereit, dieses Risiko einzugehen." Seine Miene wurde hart. "Ich hingegen nicht."
"Eine vorletzte Frage: Robert der Fünfte hat abgedankt. Er muss also vom Rat der Herzöge wieder bestätigt werden, wenn er auf den Thron zurück will. Deshalb kommen die planetaren Lehensherrscher Katalauns nach und nach ins Montillon-System. Wann wird die Versammlung beschlusskräftig sein?"
"Mit zwei Dritteln aller Herzöge. Dies wird übermorgen der Fall sein. Ich selbst werde dann als Herzog von B-King für ihn stimmen."
"Okay, so viel zu den offiziellen Fragen. Kommen wir zu meiner brennenden Neugier. Die zwei Komma drei Millionen aus Hephaistos geretteter Katalauner sind mittlerweile wieder auf dem Weg zu ihren Heimatwelten, um dort ihre alten Leben wieder aufzunehmen. Aber habe ich vorhin tatsächlich Sören Keaton im Palast gesehen?"
Arling lächelte. "Richtig. Major Keaton befindet sich noch immer auf dem Palastgelände. Er und ein paar hundert Panzerfahrer, Knight-Piloten und Infanteristen haben sich freiwillig gemeldet, um weiterhin auf der HERCULES zu dienen. Wir haben vor, dem Prachtschiff eine volle Offensiv-Division zu zu teilen und haben daher die Rauminfanterie auf zwei Regimenter aufgestockt, ein Bataillon Panzer aufgestellt und die Knight-Division von Oberst Monterney komplett auf dem Schiff zusammen gezogen. Major Keaton wurde nach seiner mustergültigen Leistung auf Sherwood befördert und mit der Bildung des Panzerbataillons betraut. Bis dahin sind diese Männer und Frauen Gäste des Kaisers."
"Und wer kommandiert die HERCULES in Zukunft, Majestät?"
"Oh, es wird Veränderungen in meiner Flottille geben. Aber daran arbeiten wir noch. Da ist nichts entschieden oder in trockenen Tüchern. Außerdem wird ein Großteil der Flotte wieder eingelagert werden, sobald ein stabiler Friedensvertrag mit Jemfeld und Zyrrtekk zustande kommt. Das bringt Frieden so mit sich."
"Frieden. Was für ein schönes Wort. Auch wenn es bedeutet, dass nun viele Soldaten wieder zivilen Berufen nachgehen werden. Aber zumindest ziehen dann die terranischen Marauder ab, oder, Admiral Papeete?"
Der Terraner schenkte seiner Landsmännin ein dünnes grinsen. "Um nichts in der Welt wollen wir die Friedensverhandlungen und natürlich die Unterzeichnung der Dokumente verpassen. Danach warten allerdings neue Aufgaben auf uns."
"War das ein ja?"
"Wieso fragen Sie, Carrie? Sie haben schon fünf Flotten zu ähnlichen Einsätzen begleitet. Also sagen Sie es mir, ob wir abziehen oder nicht."
Trotzig sah sie den Admiral an. "Ich würde abziehen."
"Ich bin vielleicht der gleichen Meinung. Wir werden sehen", antwortete Papeete.
Mit einem Schmunzeln wandte sie sich vom Admiral ab und sah in die Kamera. "Das war Carrie Rodriguez live für Terra News Channel, direkt aus den Büro des Kaisers von Katalaun. Die letzten Tage auf Sanssouci waren ruhig, geradezu entspannt. Es gab kleinere Demonstrationen gegen den Interimskaiser Johann Arling, aber meistens forderten sie ohnehin nur, was er bereits versprochen hat. Das Experiment Friede in Katalaun scheint also ein Erfolg zu werden. Geben Sie mir fünf Minuten Ihrer Zeit, und ich gebe Ihnen das Universum. Geben Sie mir zwanzig Minuten wie gerade geschehen, und ich gebe Ihnen einen Helden. Ich bin Carrie Rodriguez für TNC."
"Und wir sind runter vom Live-Stream. Ein gutes Interview, Lord Arling."
"Danke. Ach, ihr zwei, tut mir einen Gefallen. Keine Nachforschungen nach Charles und Elise, bitte."
"Du gönnst uns auch gar keinen Spaß", murrte die terranische Reporterin.
"Aber ich lade dich und Spence zu meiner Hochzeit ein."
Carries Augen leuchteten erfreut auf. "Schon überredet!"
"War da nicht irgendwas vorhin im Interview wie unbestechlich? So im Zusammenhang mit einer gewissen Live-Reporterin?", tadelte Spence grinsend.
"Bestechlich? Ich? Quatsch, ich habe nur meine Prioritäten gesetzt. Das ist alles. Und jetzt komm, Spence. Wir schnappen uns Sören und nehmen ihn ordentlich durch die Mangel. Zwei Beförderungen in einem Monat, der Kerl schwebt bestimmt auf Wolke sieben und erzählt uns glatt seine ganze Lebensgeschichte."
Spence seufzte. "Okay, das ist Carrie, wie sie leibt und lebt." Der Kameramann folgte ihr auf den Gang und winkte zum Abschied noch einmal in den Raum. Hinter ihm schloss sich die Tür.
Arling sah ihnen nach und begann laut und herzlich zu lachen, bis er nicht mehr konnte.
Papeete fiel ein.
"Einen Tee, Admiral?", fragte Johann, noch immer schmunzelnd.
"Mit Arami, bitte", erwiderte der Terraner und nahm am Schreibtisch Platz. An manche Dinge konnte man sich in Katalaun irgendwie gewöhnen.
***

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***
Das Shuttle war ein militärisches Modell, wie Eleonor Rend mit sicherem Auge erkannte. Es war bewaffnet, und erst als es in die Schutzsphäre des Admiral Angward-Raumhafens eintauchte, deaktivierte es den eigenen Schild. Mit diesen Dingern hatten sie die Landungen auf Vesuv und Sherwood durchgeführt. Sie waren robust, hatten starke Generatoren für die Schilde, zur Not eine Mehrschichtpanzerung, die auch gröbere Behandlungen und direkte Treffer nicht so übel nahm, und eine kräftige Offensivbewaffnung, die durchaus mit einem Knight mithalten konnte. Für alles andere gab es die vier Ninja-Knights, die den Lander bis zum Boden begleiteten, und danach auf Wachposition gingen.
Eleonor warf ihrem Bruder einen erfreuten Blick zu. Der nickte fröhlich. Jetzt war Familie Rend wieder komplett. Zumindest die essentielle Kernmannschaft. Die Neuanwärter in Form der Beijing-Vertreter würden aber noch früh genug dazu kommen.
Das Boot setzte auf. Sicherheitslichter warnten vor den heißen Rückstrahldüsen und den ultrahocherhitzten Gasen, die sie als Abfallprodukte noch immer verließen. Dann schalteten die Signallampen auf grün. Eine Rampe fuhr auf, und zwei hoch dekorierte Flottenoffiziere betraten den Boden Sanssoucis. Ihnen folgte Familie Rend. "Tante Ellie!", rief Susanne aufgeregt, riss sich von der Hand ihrer Mutter los, wuselte kurz zwischen den Beinen des linken Offiziers hindurch und flog Eleonor dann um den Hals. "Hallo, Susu", sagte sie mit einem Kloß im Hals und umarmte ihre Nichte, bevor sie sich wieder erhob und das Mädchen dabei auf die Arme nahm.
"Was denn? Und mich begrüßt du nicht?", scherzte Gerrit.
Allerdings hörte das Mädchen ihm überhaupt nicht zu. "Wir waren auf dem Mond, zusammen mit Robert. Und er hat uns ganz toll viele Sachen gezeigt! Er hat eine ganze riesige Farm da oben, und da gibt es Pferde. Richtig große und Ponys und ganz kleine Pferde, und Kühe, und Schweine und Schafe, und..." Sie haspelte kurz, zählte in Gedanken auf was sie gesehen hatte. "Und Elefanten!"
"So, so. Elefanten", erwiderte Eleonor Rend schmunzelnd. Gut, Robert hatte ihre Familie nicht in der Residenz behalten, die kurz darauf bombardiert worden war - nachdem der Kaiser sie selbst zur Zielscheibe gemacht hatte. Sie hätte es nicht einmal Robert verziehen, wenn er DAS ihrer Familie angetan hatte.
"Eleonor!", rief ihre Mutter und winkte aufgeregt. Auf ihrem Arm trug sie Max, der nun auch zu winken begann. Karen und Mark folgten ihr dichtauf. Eleonor fiel vor allem die ernste Miene ihres ältesten Bruders auf. Zuletzt kam Vater die Rampe runter. Auf dem Weg hinab diskutierte er mit einem weiteren Marine-Angehörigen. Ellie schluckte trocken, als sie ausgerechnet Hauptstabsbootsmann Patekar wieder erkannte. Steckte der Kerl denn überall mit drin und war bei allem dabei, was in Katalaun geschah? Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Züge. Wahrscheinlich ja, und glücklicherweise.
Mutter umarmte beide herzlich, und hielt dabei strikt die Reihenfolge der Geburt ein, also bekam Ellie ihre mütterliche Portion Zuneigung als Letzte.
Danach waren Mark und Karen an der Reihe. Doch während seine Frau im Anbetracht der Erlebnisse in sich ruhend und fröhlich wirkte, war ihr großer Bruder mehr denn je ein Ausbund an schlechter Laune. "Mark, was ist?" Eleonor stockte, griff nach der Hand ihres Bruders und zog ihn näher. "Ist das ein schlecht zugeschminktes blaues Auge, Mark Rend?", tadelte sie.
"Ach, das kommt vom Training. Frage mich nicht wieso, aber dein feiner Bruder, der mein Ehemann ist, hat sich dazu entschlossen, Kampfsport zu lernen. Und nein, es braucht ja nicht bloß einer zu sein, er lernt gleich drei. Das blaue Auge hat er übrigens beim Karate kassiert. Und wenn ich mich nicht ganz irre, nimmt er auch Schießstunden. Aber wage es nicht, ihn nach dem Grund zu fragen. Diese Information ist besser geschützt als der kaiserliche Thronsaal." Karen Rend dachte kurz über das Gesagte nach und fügte schmunzelnd hinzu: "Vor dem Putsch, meine ich."
Eleonor ließ den Arm ihres Bruders los. Sie konnte nur zu gut nachvollziehen, was es bedeutete, sich nicht verteidigen zu können. Oder die, die man liebte. Noch wichtiger aber war es zu wissen, wann man sich besser verteidigte und wann man sich in sein Schicksal fügte. Als die Ninjas die Entführung der Rends verhindert hatten, da war Mark ein Ausbund an Hilflosigkeit gewesen. Seine kleine Schwester war Flottenoffizierin und begeisterte Kickboxerin. Und sein kleiner Bruder war Hauptmann im Geheimdienst, Undercover-Agent und Meister in mindestens zwei sportlichen Disziplinen. Wie er im Kaiserpalast bewiesen hatte, gehörte Scharfschießen definitiv dazu. Mark hatte sich immer geweigert, diesen Quatsch mitzumachen. Aber seine eigene Hilflosigkeit und die seiner Familie hatte diese Einstellung wohl nachhaltig geändert.
Mark sah mürrisch zur Seite. "Es ist nichts. Ich habe nen Augenblick nicht aufgepasst."
Stuart Rend klopfte seinem Ältesten auf die Schulter, bevor er zuerst Ellie und danach Gerrit umarmte. "Gut seht ihr aus. Gute Arbeit, alle beide. Du hast Elise wirklich hervorragend beschützt, Gerrit. Ich muss Eryn Mannth ein Lob für deine Ausbildung aussprechen. Und du, Ellie, hast meine Erwartungen noch allesamt übertroffen. Scheint so als wäre Mark jetzt etwas hintenan. Gerrit, bringe deinem großen Bruder noch was bei, okay?"
Der Mittlere der Rend-Kinder war schon immer ein besonders schneller Kopf gewesen, und deshalb erkannte er sofort die Kernaussage seines Vaters, nämlich dem unerfahrenen und mit einer furchtbaren Gefahrensituation konfrontierten Mark den Kopf wieder gerade zu rücken und verdauen zu helfen. "Natürlich, Vater. Falls Mark keine Angst vor mir hat."
"Na, das wollen wir doch mal sehen", brummte der Älteste.
"Eine nette Familie haben Sie da, Eleonor Rend. Ich hatte die Ehre, sie auf dem Flug hier runter begleiten zu dürfen." Patekar schüttelte zuerst Ellie und danach Gerrit die Hand. "Ich glaube, ich habe auch mal mit Ihrem Vater gedient. Wir haben schon unsere Karrieren abgeglichen, aber noch keine Gemeinsamkeit entdecken können." Patekar und Stuart Rend tauschten anerkennende Schulterklopfer aus. Ellie zog die Augenbrauen hoch. Ein spontanes männliches Verbrüderungsritual? Dann sollte jemand besser Hühnerblut und irgend etwas zum köpfen besorgen. "Sie waren auf Versailles, Ganesh?", hakte Eleonor nach.
"Oh, während Sie weg waren, habe ich einige Welten besucht. Das gehört zu meinen Aufgaben als Unteroffizier der Flotte. Ich war auf Granada, Stolzenberg, Munich, Düsseldorf, B-King, Versailles... Alles in allem dreißig Planeten und Monde."
Eleonor musterte den Unteroffizier skeptisch. Ein altes Sprichwort lautete, das ein guter Unteroffizier dafür sorgte, dass der Kapitän glaubte, er führe das Schiff. Das erschien Ellie gerade sehr wahrscheinlich zu sein. Diese dreißig Welten, waren sie Teil einer Stimmungstour gewesen? Hatte Patekar um Unterstützung für Han geworben? Was für ein faszinierender Gedanke. "Dann willkommen zurück, Ganesh. Fahren Sie gleich in den Palast?"
"In der Tat. Mein Herr und Meister will mich zum Rapport sehen. Ich nehme an, Familie Rend fährt erst mal nach Hause?"
"Das ist wohl das Beste. Ich hoffe, das Chaos ist nicht zu groß", seufzte Anusha.
"Keine Sorge, Mutter. Die Scheiben sind alle ausgetauscht worden. Ich habe mich um die Details gekümmert", sagte Ellie fest.
Anusha schloss ihre Tochter wohlwollend in die Arme. "Du bist so ein gutes Mädchen, Ellie. Dass du daran gedacht hast. Sind die Betten frisch schallgeduscht?"
"Aber selbstverständlich. Denkst du ich vergesse die wichtigsten Details?"
"Nein, natürlich nicht. Nicht meine Tochter." Beinahe erschien es Ellie, als würde Anusha Rend vor mütterlichem Stolz platzen. Anusha senkte die Stimme und beugte sich verschwörerisch vor. "Aber sag mal, Ellie, wann wirst du nun Kaiserin?"
Erschrocken zuckte Eleonor Rend einen Schritt zurück. "Was? Ich werde doch nicht Kaiserin!", rief sie entsetzt.
"Was? Hat Johann sich entlobt? Na, dem werde ich was erzählen!"
"Mutter! Was redest du da? Natürlich hat er sich nicht entlobt! Vater, hilf mir doch bitte mal!"
"Anusha, was redest du denn da wieder. Han ist doch nur Interimskaiser. Jedenfalls so lange bis Robert wieder nach Neu-Berlin kommt." Misstrauisch musterte er seine Tochter. "Aber er will dich doch immer noch heiraten, oder?"
"Natürlich! Zweifelst du etwa an Johann?", rief Ellie entrüstet.
Stuart schnaubte zufrieden und wechselte einen kurzen Blick mit Ganesh Patekar.
Der Inder nickte schließlich. "Gut, ich muss dann. Ich hoffe, wir sehen uns alle bald wieder. Korvettenkapitän Rend, wir beide sehen uns nachher im Palast."
"Sicher. Ich komme nach", versprach sie.

Als der Hauptstabsbootsmann in einen bereit stehenden Wagen gestiegen war, nahm Ellie ihren Vater kurz beiseite, während der Rest der Familie Patekar hinterher winkte. "Ist alles in Ordnung? Ich meine außer Mark?", flüsterte sie.
"Ach du meinst wegen der misslungenen Entführung? Susu war in Behandlung und hat das Geschehen bereits verarbeitet. Max ist noch viel zu jung, um zu verstehen was er gesehen hat, und Karen war in Therapie. Wie es Mark geht hast du ja erlebt. Er macht sich Vorwürfe, weil er seine Familie nicht beschützen konnte. Die ruhigen Tage auf Roberts Farm haben ihm gut getan. Aber die ersten Nachrichten der Bombardierung der Residenz waren nicht so gut für ihn. Überlasse das Gerrit. Der weiß wie man so was anpackt."
"Ich werde mich nicht darum reißen, meinem ältesten Bruder den Kopf wieder richtig aufzusetzen", wiegelte sie ab. "Jetzt erst mal nach Hause. Danach müssen Gerrit und ich wieder in den Palast." Ein Lächeln spielte über ihre Züge. "Morgen kommt endlich der Kaiser nach Hause."
Stuart schmunzelte. "Richtig. Morgen wird ein besonderer Tag."
***
Das Morgengrauen war seit Anbeginn der Geschichtsschreibung eine mystische Zeit. Ein Moment der Ruhe, des Atem holens. Vorbote großer Schlachten, weltumspannender Ereignisse und Beginn von Tagen voller zukünftiger Geschichte.
Das Morgengrauen des 15.07.2613 war trotz der frühen Stunde bereits angenehm warm. Einige Frühnebelfelder verblassten gerade, und auf dem Admiral Angward-Raumhafen stand die Luft klar und rein wie über einem Bergsee. Montillon schickte ihre goldenen Strahlen über den Betonplastit, ließ ihn auffunkeln wie einen Juwelenteppich. Einige übrig gebliebene Pfützen, kondensierte Reste des Nebels, bildeten goldene Seen und Flüsse inmitten der gigantischen Landefläche. Nichts störte diesen Moment des Friedens. Nichts außer einer Unruhe, die den Ort wie eine Manifestation erfasst zu haben schien. Die Männer und Frauen, die zu dieser frühen Stunde noch oder schon wieder arbeiteten, schienen für den zauberhaften Sonnenaufgang keine Augen zu haben. Aber sie ahnten, sie spürten, sie atmeten aus, das ein ganz besonderer Moment in der Luft lag. Dass ein Augenblick nahte, der später einmal in den Geschichtsbüchern stehen würde.
Dann fielen acht nachtschwarze Knights aus dem Himmel über Neu-Berlin herab.
Acht Ninjas setzten ihre Maschinen auf dem Admiral Angward-Raumhafen auf, sicherten nach allen Seiten. Ihnen folgten zwei militärische Lander, die, kaum das sie aufgesetzt hatten, zwei Kompanien der gepanzerten Infanteristen der 1. Versailler entließen. Schließlich und endlich aber kam das letzte Shuttle. Ein ziviles Modell, unscheinbar, unauffällig. Wäre da nicht der gekrönte goldene Löwe auf königsblauem Grund gewesen. Der eine Lander, dieser besondere Lander, der nur eine Aufgabe hatte: Robert den Fünften zurück nach Sanssouci zu bringen, zurück nach Neu-Berlin zu bringen. Das Fernsehen übertrug live.

Als das Shuttle aufsetzte und sich eine Rampe öffnete, war sich Robert bewusst, dass ein paar hundert Holokameras auf ihn gerichtet waren. Und vielleicht ein paar nicht so schöne Sachen, die vom Schutzschirm des Raumhafens hoffentlich abgefangen werden konnten. Er wusste nicht zu sagen, wie viele Menschen die Rückkehr ihres Kaisers an den Sendern verfolgten, aber er bezweifelte doch stark, das er eine derartig hohe Resonanz erzielte wie sein Cousin Johann.
Zwei der Knights bewegten ihre Hüftmodule und richteten ihre Waffen auf ein näher kommendes Fahrzeug. Es wurde in diesem Moment ein Dutzend Mal gescannt. Der Bodenwagen war angekündigt, aber ein Ninja ließ nie seine Deckung fallen.
Robert atmete auf, als er die rote Standarte auf beiden Seiten des Wagens erkannte. Die schmucklose rote Fahne war schon seit jeher das Wappen der amtierenden Admirälin der Flotten, Miranda von Hohenfels. Es war mehr als erfreulich, dass sich die höchste Flaggoffizierin Katalauns persönlich einfand, um ihren Kaiser abzuholen.
Der Wagen rollte ein paar Meter von der Rampe entfernt aus. Als sich die Tür öffnete, und Sven Kress ausstieg, bellte der ranghöchste Offizier der Versailler einen Befehl. Die Infanteristen salutierten. Dem General folgte Admirälin von Hohenfels. Dankbar nahm sie seine Rechte aus Ausstiegshilfe an.
"Majestät, es tut gut Euch zu sehen. Langsam kommen die Dinge wieder ins Lot", sagte sie.
Robert schritt heran, reichte zuerst ihr, dann Kress die Rechte. "Es tut gut, wieder hier zu sein. Ist Ihr Bodenwagen flugfähig?"
Miranda lächelte schief. "Hannes hat darauf bestanden. Aber ich fand, Eure Anweisung hat höheres Gewicht."
Robert lächelte dünn. Nachdem sein Cousin quasi zu Fuß durch die Menschenmassen Neu-Berlins gegangen war, konnte er als Kaiser kaum dahinter zurückstecken. Er musste schon die Straßen benutzen, auch wenn das sein persönliches Risiko erhöhte. Andererseits war dieser ganze verdammte Scheiß-Job ein Risiko an sich. Robert winkte seine Adjutanten heran, dann stieg er in den Bodenwagen. "Dann wollen wir keine Zeit mehr verschwenden. Katalaun braucht einen Kaiser auf dem Thron."
"Aye, Majestät."
***
"Robert!" Mit vor Freude strahlendem Gesicht ging Johann Arling rasch auf den Neuankömmling zu. Er ignorierte die ausgestreckte Hand und umarmte den Jüngeren herzlich. "Lass dich anschauen. Dünn bist du geworden. Und alt wahrscheinlich auch, wenn du dich von einer falschen von Hohenfels hast austricksen lassen."
"Sagte der Mann, der sich von einem gewissen Willowby beinahe nach Hause hat scheuchen lassen", konterte Robert. Sein Blick ging durch die Empfangshalle und die angetretenen Livrierten und Diener. "Dafür, das sich so viel verändert hat, scheint hier noch alles beim alten zu sein."
"In der Tat, Majestät. Wir haben uns bemüht", erklärte Jenkins mit unbewegter Miene. "Das Büro steht bereit. Wir haben bereits einen Snack serviert und frischen Kaffee aufgesetzt."
"Danke, Jenkins. Gute Arbeit, wie immer." Robert deutete einladend den Gang hinab, der zum Thronsaal führte. "Im Moment bist du der Hausherr, Han."
"Also nach dir, Robbie", sagte Arling schmunzelnd, legte eine Hand auf den Rücken des Kaisers und drückte ihn sanft vor sich her.

Im Arbeitsbüro erwartete sie das, was andere ein üppiges Buffet genannt hätten. Diese Version aber sollte von nur zwei Personen konsumiert werden. Drei, wenn man Admiral Papeete hinzu rechnete, der schon wieder möglichst unauffällig an der Wand lehnte. Er hatte die letzten Tag eine Schwäche sowohl für katalaunisches Essen als auch Johanns Einladungen entwickelt. Mittlerweile wusste niemand mehr zu sagen, ob er wegen des Essens oder wegen der Situation blieb.
Zwei Livrierte servierten Kaffee, dann verließen sie auf Arlings Bitte das Büro.
Johann ließ sich auf den bequemen Sessel hinter den Schreibtisch fallen. "Kriege ich den, wenn ich wieder ausziehe?", scherzte er.
"Sicher nicht. Der gehörte Robert dem Vierten und ist eigentlich ein Museumsstück. Der bleibt hier im Büro", erwiderte Robert trocken.
"Wie schade. Verdammt bequem, das Ding." Arling wurde ernst. "Für heute Nachmittag ist eine Anhörung angesetzt. Parlament und Rat der Herzöge werden dich zu den Vorfällen befragen. Wenn die Sache gut läuft, bist du morgen bereits wieder bestätigter Kaiser von Katalaun. Wenn es schlecht läuft, musst du erneut durch die parlamentarische Prüfung. Ein leichter Umbau deiner Ministerriege ist dann auch nicht verkehrt."
"Wie schätzt du unsere Chancen ein? Ich meine, Elisabeth wäre schon einmal gegen ihren Willen beinahe Kaiserin geworden."
"Marionettenkaiserin. Das wollen wir nicht vergessen. Sie ist noch zu jung, zu unerfahren, um so ein Amt anzunehmen. Vor allem jetzt, wo sie nur noch Charly im Kopf hat." Johann lächelte leicht. "Ich hatte eigentlich vor, sie als Offizierin auf die HERCULES zu versetzen."
"Du suchst wohl Streit mit den Flotten-Puritanern, was?", scherzte Robert.
Arling atmete heftig aus. "Nach der Kommune Principe, nach dem Europa-Pakt, nach Admiral Chun und Sourakis' Verschwörung und schließlich und endlich den Terranern glaube ich nicht, dass diese Leute mir etwas antun könnten, was mich merklich beeinträchtigen könnte."
Robert unterdrückte ein breites grinsen. "Einige werden dir vorwerfen, du bringst sie aus der Schusslinie, um mich zu beschützen."
"Um euch beide zu beschützen. Und um Elise zu Charly zu bringen. Die zwei haben sich das verdient, einfach verdient. Jeder durch eigene Schmerzen, eigene Verluste, eigene harte Arbeit. Wer das nicht versteht, kann gerne zu mir kommen und vorstellig werden. Ich werde es dann erklären, bis ihm die Ohren bluten. Außerdem will sie überhaupt nicht Kaiserin werden. Und im Gegensatz zu dir wurde sie nicht dazu gezwungen, das zu sagen."
Robert lächelte schmallippig. "Gut, dann haben wir das aus der Welt geschafft. Was aber nichts daran ändert, das sie im Moment die Thronfolgerin ist. Man könnte sie immer noch einsetzen und dich bitten, ihr Regent zu werden. Du hast den Laden in den letzten Tagen gut im Griff gehabt, oder?"
Abwehrend hob Arling beide Hände. "Gnade, Robert. Normalerweise fängt man an, einen Politiker nach frühstens hundert Tagen zu beurteilen, nicht bereits nach hundert Stunden."
Papeete räusperte sich von seiner Position. "Ist Arami-Salz da?"
"Natürlich, Admiral. Bitte, bedienen Sie sich."
"Danke." Der Terraner kam zum Schreibtisch, beugte sich zum Tablett vor und nahm sich einen Löffel vom süßen Salz. "Er hat einen guten Job gemacht, Majestät."
"Das habe ich erwartet, Marama." Die beiden tauschten einen spöttischen Blick miteinander.
Robert griff nach einem Brötchen und brach es durch. Nachdenklich begann er auf einer Hälfte herum zu gnabbeln. "Es ist immer noch eine Option, Han. Und wir können sie nicht bitten, konsequent auf den Thron zu verzichten. Vielleicht brauchen wir sie in der Zukunft noch als Kaiserin. Ich lebe auch nicht ewig."
Arling zog lächelnd einen Mundwinkel hoch. "Du solltest endlich heiraten, Robert. Aber da bin ich nicht der einzige, der dir das ständig sagt."
"Du meinst, so wie du? Als ich dich gebeten habe, ein Auge auf Rends kleine Tochter zu werfen, habe ich eigentlich nicht erwartet, dass du dich in sie verliebst. Und ich habe nicht erwartet, das du zwei Jahre brauchst, um das zu erkennen."
"Sie... War in ihrer Laufbahn auf der RHEINLAND überkorrekt, penibel, gab sich nie eine Blöße. Sie war... Ein kalter Fisch trifft es nicht. Eher so kalt wie das Vakuum. Ich mochte sie für diese Eigenschaften, weil sie einen guten Job machte." Arling lächelte. "Aber wegen Charly merkte ich irgendwann, dass das alles nur eine Maske war. Ihr Offiziersgesicht. Antrainierte Wesenszüge. An diesem Tag wurde sie zu meinem Hobby, zu meinem Versuch ihr klar zu machen, das sie auch eine gute Offizierin sein konnte, ohne sich zu verstellen. Als sie das begriffen hatte, wurde sie eine noch bessere Offizierin. Der Mensch hinter dieser Fassade war lustig, lebensfroh, ein wenig einfältig, aber auch mal in der Lage, einen Fehler zu zu geben. Ich habe mich damals oft dafür geschämt, das ich ihre Fassade für real gehalten habe, und das ich sie wegen diesem Auftreten geschätzt habe. Offener und freier bekam sie unter ihren Leuten viel mehr Rückhalt und wurde eine so wichtige Stütze für mich, dass..." Arling zögerte. "Ich kürze es wohl besser mal ab. Als ich dachte, sie hätte was mit Charly, habe ich sie zusammen in eine Prise gestopft. Ich dachte, das wäre das Beste für mich, für Charles und für Ellie."
"Leider hast du die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wie die Terraner sagen", sagte der Kaiser amüsiert.
"Nur in Europa, Majestät", kommentierte Papeete schmunzelnd.
"Leider hatte Ellie da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und merkwürdigerweise hatte sie sich in mich verliebt." Überwältigt von seinen Erinnerungen lehnte sich Arling zurück und schloss die Augen. "Was für ein schönes, was für ein großartiges Gefühl. Ich kann es nur jedem Menschen wünschen, es einmal selbst erleben zu dürfen, in voller Tiefe, in voller Konsequenz. Liebe ist vielleicht das Größte, was ein Mensch empfinden... Oh, entschuldige, Robert. Ich wollte dich nicht langweilen."
"Du langweilst mich nicht, Han." "Dann eben nicht irritieren."
"Okay, du irritierst mich. Du erinnerst mich gerade an die einzige Frau, die ich je geliebt habe. Die einzige, bei der ich je gedacht habe: Das ist sie!"
"Das sind ja ganz neue Töne. Wer war sie? Lebt sie noch? Können wir sie kontaktieren?"
Robert lachte hässlich. "Meinst du, ich habe sie noch nicht suchen lassen? Ich habe sie auch gefunden, aber... Sie ist keine Katalaunerin."
"Ach, da dämmert mir was. Diese Austauschstudentin also. Dann weißt du ja jetzt wenigstens, wohin sie zurückgekehrt ist. Also, ruf sie an, vereinbare ein Treffen und schau ob die alten Gefühle noch da sind."
"Zwecklos. Sie hat Angst vor mir, Han."
"Angst vor dir? Dann war die Geschichte einseitig?", argwöhnte Arling.
"Sie hatte Angst vor Prinz Robert, den Erben des Kaisertitels von Katalaun. Sie fühlte sich dem wohl nicht gewachsen, geschweige denn reif genug, um damit umgehen zu können. Dann war ich ja noch eine Zeitlang in der Flotte, und danach wurde ich schon Kaiser, und... Na ja, wer weiß wie sie nach fünfzehn Jahren darüber denkt. Vielleicht hat sie jetzt erst Recht Angst vor Kaiser Robert. Ich weiß es nicht. Und ich habe Angst vor ihrer Antwort. Dabei hatte ich immer gedacht, sie würde mich auch lieben. Aber anscheinend nicht genug. Kann natürlich auch sein, dass sie sich von der öffentlichen Diskussion anstecken ließ, die natürlich nur eine geborene Katalaunerin an meiner Seite sehen wollte. Ich weiß nicht was ihr mehr zu schaffen gemacht hat: Die Tatsache, dass die Medien sie wegen ihrer ausländischen Herkunft so überheblich behandelt hatten, oder die Ignoranz, mit der sie anonymisiert und regelrecht verheimlicht wurde. Ich weiß, dass es ihr weh tat. Und ich kann verstehen, dass sie geflohen ist. Vor mir, vor dem Kaiser, vor Katalaun." Robert seufzte. "Du kannst dir vorstellen, dass Onkel Freddy nicht gerade meine größte Stütze war."
"Kein Wunder. Stattdessen hat er dir sicher ein paar hundert adliger oder berühmter Frauen im besten Heiratsalter vorgestellt. Ich erinnere mich an die Cinderella-Bälle. So haben wir sie jedenfalls genannt."
"Und du, alter Junge, hast mich wann immer du konntest, aus diesem Albtraum raus gehauen." Eine Welle des Glücks schien über Roberts Gesicht zu huschen, seine Züge milder zu machen. "Du bist wirklich mein großer Bruder, Han. Du warst bisher immer für mich da. Und ich habe keine Zweifel, dass du auch in Zukunft zu mir hältst."
"Natürlich. Was sollte ich denn sonst machen? Haben Sie eine Idee, Admiral?"
"Putschen?" "Nein, keine Option. Das wäre im Moment zu einfach für mich. Die Leute würden nicht glauben, dass ich Sanssouci schon wieder erobern will, sie würden glauben, ich hätte noch gar nicht damit aufgehört."
Die drei Männer lachten aus vollem Hals. Als sich Robert wieder etwas beruhigt hatte, meinte er: "Johann Armin von Arling, dein Galgenhumor wird noch mal dein Untergang sein."
"Oh, ich kann mir schlimmeres vorstellen als gut gelaunt unter zu gehen." Fröhlich angelte er nach einem Croissant.
"A propos schlimmeres. Magic Miranda und Kress haben mich mit einem Bodenwagen abgeholt."
"Was? Ich hatte doch Anweisung gegeben, dich rüber zu fliegen!"
"Ich finde, es war die richtige Entscheidung. Sollte ich mich etwa verstecken müssen, wenn mein großer Bruder quasi durch die Menschenmassen gelaufen ist?"
"Gutes Argument, Majestät. Hattet Ihr viel Publikum?"
"Erstaunlicherweise ja, Admiral, trotz der frühen Uhrzeit. Die Meinungen dieser Menschen waren... Gemischt. Aber ich glaube, ich hatte eine gute Mehrheit." Robert schüttelte nachdenklich den Kopf. "Auf einem Plakat stand, ich solle dir nicht den Thron stehlen, Han."
"Als wenn ich ihn würde haben wollen", erwiderte Arling.
"Ich habe auch nicht gerade den Eindruck, dass man dir den Thron entreißen muss, Han. Allerdings würde ich dich sofort und eiskalt stehen lassen, wenn ich mich zwischen meiner großen Liebe und dem Kaiserthron entscheiden müsste. Das nur mal als Warnung."
"Ha. Das würde ich sogar verstehen. Aber glaube mir, ich würde nur kämpfend untergehen. So leicht kommst du mir nicht davon. Immerhin geht es hier darum, das Kaiseramt vom besten besetzen zu lassen. Wie hat Stuart mir doch neulich mal gesagt?"
"Mach wichtige Dinge immer selbst. Tust du es nicht, machen sie schlechtere Leute als du. Etwas in der Art?"
"Ja, das dürfte in etwa hin kommen. Und so bequem der Sessel hier auch ist. Es wird Zeit, das wieder ein fähigerer Mann als ich hier Platz nimmt."
"Nun stelle dein Licht mal nicht so unter den Scheffel. Du bist auch nicht schlechter als ich, Johann Arling."
"Nicht viel schlechter, vielleicht." Arling nickte leicht. "Aber das hier ist dein Platz."
"Ja, ich weiß. Es gibt keinen Grund für mich, die Verantwortung auf dich abzuwälzen. Vor allem jetzt, wo du heiraten und eine Familie gründen willst."
"Ich glaube, es hat geklopft", merkte Papeete an. Er stieß sich von der Wand ab und öffnete die Tür. "Ja, Hallo, was haben wir denn da?"
Arling richtete sich halb auf, um in den Gang spähen zu können. Was er sah, irritierte ihn erheblich. Spencer hatte Carrie in den Armen - allerdings nicht auf sehr romantische Art. Sie wehrte sich stoisch, von ihm ins Büro geschoben zu werden, allerdings griff sie nicht zu körperlicher Gewalt. Das hinderte sie jedoch nicht daran, Spence zu erpressen. "Das kannst du mir doch nicht antun! Spence, mein alter Kollege! Mein bester Freund! Meine Rückendeckung! Meine... Oh, Hallo, Robbie. Tja, so sieht man sich wieder."
"Carolina?"
Spence hatte die Reporterin vor sich her ins Büro bugsiert. "Wenn ich dich los lasse, unterlässt du dann so dumme Dinge wie Fluchtversuche, dir die Ohren zu zu halten oder aus dem nächsten Fenster zu springen?"
"Warum tust du mir das an, Spence? War ich nicht immer gut zu dir?"
"Weil ich dein Gejammere über verpasste Chancen nicht mehr ertragen kann. Hier und jetzt hast du die Chance zu kontrollieren, ob da noch was zwischen euch beiden ist. Also, benimmst du dich?"
Sie nuschelte undeutlich vor sich hin. "War das ein ja?" "...Ja."
"Gut." Spencer öffnete die Arme und entließ sie aus seinem Griff. Sofort tauchte Carrie unter seinen Armen durch, schlängelte sich zur Tür, und scheiterte dort an Admiral Papeete. Dessen Gesichtsausdruck machte klar, dass er sie nicht durchlassen würde.
"Verräter! Das erzähle ich dem Flottenkomitee!", fauchte sie.
"Carolina, ich verstehe nicht... DU bist Carrie Rodriguez?"
Seufzend wandte sie sich wieder um. "Robbie, es tut mir Leid. Es tut mir wirklich, wirklich Leid. Aber ich kann nicht mit Kaiser Robert zusammen sein. Ich dachte, ich könnte es vielleicht einmal, wenn ich alle Tricks der Medien selbst beherrsche, wenn ich ausgebuffter als alle anderen bin. Aber du bist Katalaun. Ich bin einfach nur Carrie..."
"Moment Mal!" Arling kam um den Schreibtisch herum. "Noch mal für die billigen Plätze! Was ist hier los? Und warum ist, was immer ihr hier absprecht, nicht schon raus gekommen, als ihr einander im Fernsehen gesehen habt?"
"Ha! Carrie hat immer gewusst, wer Robert ist. Sonst hätte sie ja keine Angst vor ganz Katalaun haben können", sagte Spence. "Aber dieser grüne Bursche da, der hat sie nur als Jugendliche gesehen. Würde mich nicht wundern, wenn er sie gerade erst erkannt hat."
"Ich glaube euch kein Wort", knurrte Arling. "Die ganze Geschichte, bitte."
Carrie seufzte schwer. "Vor siebzehn Jahren kam ich als terranische Austauschschülerin nach Katalaun. Ich ging auf ein Gymnasium, hier in Neu-Berlin. Zufällig war es die gleiche Schule, die Robbie besuchte. Wir lernten uns kennen, schätzen, mögen... Und dann hat mir eine dritte Partei gesagt, dass er Anwärter auf den Thron ist. Kronprinz, solange Elisabeth nicht volljährig ist. Dann bekam die hiesige Presse davon Wind und der Tanz ging erst richtig los. Ich habe das nicht lange ausgehalten, und... Robbie, bitte sieh mich nicht so an. Du weißt, du kannst mich nicht überreden. Ich kann Katalaun lieben, aber gewiss nicht den Kaiser."
"Carolina, ich bitte dich. Du stehst hier vor mir, bist wieder in mein Leben getreten, und willst schon wieder gehen? Kannst du mir nicht eine Chance geben? Eine winzig kleine?"
"Nein, Majestät. Ich kann nicht ganz Katalaun heiraten."
Verzweifelt sah Robert den Grafen an. "Han. Ich liebe sie. Ich... Han!"
"Was? Oh nein, versucht mir nicht weis zu machen, das wäre hier alles spontan! Ihr habt das doch inszeniert! Und ihr schauspielert hier gerade einen echten Tränendrücker zurecht. Und wofür das alles?"
"Für das Liebesglück deines kleinen Bruders?", fragte Robert hoffnungsvoll.
Arling schlug sich eine Hand vor die Stirn. "Oh, ich BITTE Euch. Beleidigt nicht meine Intelligenz. Versucht mir wenigstens nicht zu erzählen, ihr hättet in den letzten fünfzehn Jahren keinen Kontakt gehabt, oder du hättest das bekannteste Gesicht von TNC nicht erkannt, Robert."
"Du hast gut reden. Dich hindert ja auch nichts, Ellie zu heiraten. Sie ist Katalaunerin durch und durch. Aber ich? Ich muss auf meinen Thron verzichten, nur damit ich die einzige Frau lieben darf, die ich je haben wollte! Han, ich bleibe auf ewig kinderloser Single, wenn ich sie jetzt nicht zu fassen kriege!"
"Hast du das gehört, Carrie? Kinderloser Single, und du bist Schuld."
"Du kannst mich nicht erpressen. Eure Scheiß Medien haben mich schon einmal fertig gemacht, und sie werden nicht zögern, das ein zweites Mal zu tun! Frage mich das in zwanzig Jahren noch mal, wenn ich TNC selbst leite und mich besser wehren kann!"
"Han...", bettelte Robert.
Arling schüttelte ärgerlich den Kopf. "Das hast du ja schön eingefädelt. Erst sorgst du dafür, dass ich gar nicht erst auf den Gedanken komme, eventuell für Elisabeth den Regenten zu spielen. Dann inszenierst du eine Oper, bei der mich meine Schuldgefühle den Rest meines Lebens verfolgen werden, wenn ich dir hier und jetzt dein großes Glück verbaue... Es ist doch das große Glück, oder, Carrie?"
"Ich heirate ihn vom Fleck weg, wenn er nicht mehr Kaiser ist", versprach sie mit todernster Miene.
"Dazu kommt noch Carries kaltherziger Verrat", seufzte Arling.
"Und die Tatsache, dass ich niemals wirklich der Kaiser aller Katalauner war. Ich war nur der Kaiser der Gemäßigten. Du aber, Han, kannst der Kaiser aller Katalauner sein. Ein Kaiser, den sie alle akzeptieren werden. Du hast Versprechen gegeben, und du wirst die Macht erhalten, sie auch einzuhalten. Und vergiss nicht, wenn ich heirate und wir zwei Kinder bekommen, dann muss Elise die Linie der Versailles nicht alleine erhalten."
"Das ist Erpressung! Widerliche, eklige, fiese und hinterhältige Erpessung! Robert, wie kannst du mir das antun? Carrie, warum? Spence, wieso steckst du da mit drin? Und Sie, Admiral, Sie wissen doch auch mehr als ich. Warum tut ihr mir das an?"
"Weil ich nicht der Beste für den Zedernholzthron bin, Han. Du bist es", sagte Robert sanft und legte eine Hand auf dessen Schulter. "Das glaube ich aus tiefstem Herzen. Und, funktioniert es?"
"Funktioniert was?", fragte Arling ärgerlich und lugte zwischen zwei Fingern hervor.
"Dich zu erpressen."
Arling holte tief Luft, und entließ sie langsam wieder. Er seufzte. "Halunke, adliger. Ihr alle seid Halunken, so wie ihr hier steht! Mich dazu zu erpressen, Kaiser von Katalaun zu werden..."
"Ist das ein ja?", frohlockte Robert.
"Das ist ein ja." Mit einem weiteren Seufzer nahm Arling die Hand wieder ab. "Und ich wette Spence hat alles aufgezeichnet und wird es gleich Galaxienweit verbreiten lassen."
"Hallo? Ich bin Reporter! Natürlich werde ich das tun."
"Wenigstens ist er ehrlicher als ihr alle zusammen. Aber eines sage ich euch, wenn Ellie nein sagt, dann bin ich hier weg, egal was dann aus euch beiden wird, verstanden? Ihr könnt ja wohl kaum von mir verlangen, Verständnis für eure Liebe zu haben und dann dabei zusehen, wie meine zerstört wird."
Robert hielt ihm einen Kommunikator hin. "Frag sie, Han."

Arling nahm den Kommunikator entgegen. Ein kleines Hologramm wurde direkt in seine Augen projiziert. Als das Bild von Ellies Mutter erschien, lächelte Arling. "Rend?" "Hallo, Anusha. Johann hier."
"Johann! Wann kommst du endlich wieder mal vorbei? Okay, das letzte Mal war es der Auftakt zum größten Abenteuer meines Lebens, aber es ist nicht so als würde ich Abenteuer hassen."
"Ich wollte eigentlich heute noch kommen, aber mir ist etwas dazwischen gekommen. Kannst du mir Ellie geben?"
"Warte, ich wähle sie dazu. Sie spielt mit Susu und Max. Ellie? Han für dich."
Das Holo splittete sich auf und zeigte nun auch Eleonor Rend, deren Haare gerade nachhaltig von Susanne zerzaust wurden. "Han? Du willst mir jetzt doch nicht so etwas sagen wie, das es länger dauert?"
"Auch. Aber eigentlich wollte ich dich was wichtiges fragen. Robert ist gerade in meinem Büro, zusammen mit unserem Reporter-Dreamteam. Er und Carrie sind alte Freunde, eigentlich mehr Jugendlieben füreinander. Und anscheinend lodern die Flammen gerade wieder bis zur Decke."
"Wow! Das sind ja Neuigkeiten! Dann kommt der Stromer also endlich in eine feste Beziehung?"
"Der Stromer kann dich hören, Ellie", mahnte Robert grinsend von der Seite.
""Und warum sehe ich dich dann nicht? Muss ich etwa extra in den Palast kommen, damit ich dein glückliches Lächeln sehen kann?" Sie setzte ein breites Grinsen auf. "Oder muss ich dazu nur TNC Live 1 anschalten?"
"TNC Channel 5", half Carrie aus. "Wir senden in fünf Minuten Zeitverzögert.
"Ich denke, ich komme trotzdem mal rüber. Carrie und Robert, das muss ich mit eigenen Augen sehen."
"Das sind doch sehr gute Nachrichten. Der Kaiser hat eine Freundin."
"Mutter, warum bist du noch in der Leitung?" "Niemand hat mir gesagt, dass das ein geheimes Gespräch ist."
"Na, ist ja auch egal. Bald weiß es ohnehin die halbe Galaxis. Okay, ich komme dann rüber. Nein, Susu, Elise ist sowieso nicht da. Du kannst ein andernmal mit. Bis gleich, Leute."
"Warte, Ellie!", rief Arling. "Sei doch nicht immer so hastig! Die ganze Sache hat ein Problem aufgeworfen. Carrie nimmt Robert nur, wenn er seinen nervenaufreibenden Job gegen was ruhigeres tauscht. Ich soll sein Nachfolger werden."
"Was? Wow, das nenne ich mal eine Steigerung. Ich habe dich immer mal als Admiral der Flotten gesehen, aber nicht unbedingt... Warte Mal, Han, heißt das du wirst Kaiser? Ich meine, DER Kaiser? UNSER Kaiser?"
"Was überrascht dich daran so? Das war doch euer Plan, oder etwa nicht?", rief Spence.
"Eigentlich nicht wirklich. Aber... Was soll ich sagen? Gratuliere, Han. Du hast dir den schwierigsten Job von Katalaun aufdrücken lassen."
"Mäuschen, übersiehst du da nicht etwas wichtiges?", hakte Anusha nach.
Eleonor Rend runzelte die Stirn. "Und zwar?"
"Du wirst dann Kaiserin."
Sie lachte auf, machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ach, Kaiserin. Ich heirate doch schon Han, und... Der wird Kaiser... Ohmeingottohmeingottohmeingott!"
"Ellie, geht es dir gut? Du bist so blass! Ich habe es euch gesagt, Leute, wenn sie nicht will, dann ist es Essig mit Johann Arling auf dem Thron!"
"Ich glaube, das war nur der Schreck. Ich gehe jetzt mal mit nem Schnaps rüber, dann geht es ihr gleich besser", schmunzelte Anusha und verschwand aus dem Hologramm.
Bei Ellie hörte man die Stimme ihrer Schwägerin Karen. "Was ist denn, Susu? Warum ziehst du denn so? Was... Ellie? Was ist los mit dir?"
"Ach, sie hat sich nur erschrocken, weil sie gerade erfahren hat, dass Han Kaiser wird."
"Ach ja? Er ist immerhin die Idealbesetzung. Manchmal gehen Wünsche eben doch in Erfüllung", sagte Karen zufrieden.
Anusha tauchte nun im Hologramm vor Ellie auf. "Hier, trink das, Mäuschen. Keine Sorge, Hannes, gleich ist sie wieder ansprechbar."
Eleonor kippte das gut gefüllte Glas mit einem Haps weg. Sie hustete für einen Moment, aber ihre Wangen röteten sich bereits. Ängstlich sah sie in die Aufnahmeoptik. "Meinst du denn, ich schaffe den Job? Ich meine, Robert hat alles alleine gemacht, aber ich werde dir dann doch hoffentlich irgendwo eine Hilfe sein können. Bitte sag, das ich dir nicht unnütz am Bein hängen werde, Han."
Sprachlos starrte Arling auf das Hologramm. Es vergingen bange Sekunden, bevor ihm wieder einfiel, dass er atmen musste. "Es ist mir eine große Ehre, mit dir zusammen für ganz Katalaun zu sorgen, Ellie. Wenn ich dich nicht an meiner Seite hätte, um diese schwere Aufgabe zu übernehmen, wie sollte ich sie sonst schaffen?"
Eines der schönsten Lächeln, die Han je gesehen hatte, huschte über Eleonor Rends Gesicht und ließ ihm die Knie weich werden. In Momenten wie diesen wusste er wieder, warum er diese Frau so sehr liebte. "Wenn du es mir zutraust, dann traue ich es mir auch zu. Dann machen wir diesen Job gemeinsam, Han."
Neben Arling atmete Robert geräuschvoll aus. "Halleluja. Damit hat Katalaun wohl wieder eine Kaiserin. Ellie, jetzt musst du natürlich so schnell du kannst rüber kommen! Wir schicken dir einen Luftwagen! Besser zwei. Bringe die ganze Familie mit. Ich muss ohnehin noch einiges mit Stuart besprechen!"
"Verstanden. Bis gleich." "Dann sollten wir uns etwas aufbretzeln, meine Damen", klang Anushas Stimme auf, bevor das Hologramm erlosch.
"Und damit haben wir unseren Kaiser", rief Robert hoch erfreut und klopfte Arling auf die Schulter.
"Freue dich nicht zu früh. Ich kann immer noch durch die Prüfung des Parlaments fallen", sagte Han säuerlich.
"Pah. Dein Ego ist viel zu groß, als dass du etwas anderes tun würdest, als diese Prüfung mit perfekter Wertung zu bestehen!"
Papeete trat zu ihnen heran, in der Hand ein Tablett mit Getränken. "Wir sollten das begießen. So schnell und vor allem so einfach ist noch niemand Oberhaupt eines Staates geworden. Das ist doch wohl einen Drink wert."
"Und worauf wollen wir dann trinken?", fragte Robert spitzbübisch und angelte sich einen Sekt. "Natürlich auf den Kaiser!"
"Auf den Kaiser!", intonierten die anderen.
Arling lächelte dünn, als er den Salut erwiderte. "Verrückte Bande", tadelte er und nahm einen Schluck Whisky. So einfach konnte man also Kaiser werden. Interessant.
"Und jetzt senden wir das ganze Geschehen", verkündete Carrie. "Hast du einen Holovid im Büro, Han? Kanal fünf auf TNC, bitte."
Arling schnaubte amüsiert. Er hatte zwar gewusst, dass er seiner Pflicht nicht würde entkommen können, aber er hatte nie geahnt, woraus seine Pflicht eines Tages bestehen würde. Aber es war ein beruhigender Gedanke, dass er nicht alleine sein würde. Da waren seine Freunde, seine Gefährten.. Und Eleonor Rend. Vielleicht klappte das sogar.

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16.
17.07.2613
Palast des Kaisers
Neu-Berlin
Sanssouci
Montillon-System

"Nein!" "Majestät, ich muss darauf bestehen, dass Ihr die Möglichkeit zur Kenntnis nehmt, und die bestmögliche Entscheidung im Sinne Katalauns trefft!"
Böse sah Johann Arling den Butler an. "Ich sagte nein, und dabei bleibt es! Bin ich nun Kaiser, oder bin ich es nicht?"
"Es steht zweifelsfrei außer Frage, dass das Parlament Majestät bestätigen wird. Gerade jetzt, nachdem die Republik und das Herculeanum einen bedingungslosen Friedensvertrag angeboten haben. Aber auch der Kaiser muss im besten Sinne des Landes handeln. Majestät, Ihr solltet in Betracht ziehen, in eine politische Heirat einzuwilligen. Der Nutzen, den das Land davon haben wird, ist enorm und darf nicht so ohne Weiteres abgetan werden!"
Arling stoppte, und der Livrierte hielt neben ihm. "Krug war Ihr Name, richtig? Sie sind der Nachfolger von Rothenau als Zeremonienmeister und Protokollführer. Wie lange dienen Sie schon im Palast?"
"Seit vier Jahren, Majestät." "Gut. Wenn Sie wollen, dass daraus fünf Jahre werden, dann wagen Sie es nicht, wagen Sie es ja nicht, mir noch einmal mit dem Thema "politische Heirat" zu kommen! Haben wir uns dabei verstanden?"
"Kapitän Rend kann ja immer noch..."
"Vorsicht, wenn Sie diesen Satz beenden, schmeiße ich Sie hochkant raus!"
Über die starren Züge des Butlers huschte ein verächtliches Lächeln. "Majestät kann nicht auf mich verzichten. Es ist übrigens nicht unüblich für einen katalaunischen Herrscher, die eine oder andere Geliebte zu haben."
Arling atmete mit einem lauten Seufzer aus. "Okay, Sie haben es so gewollt. Jungs, kommt mal her!"
Zwei Wachsoldaten in der Uniform der kaiserlichen Garde verließen ihre Plätze. "Majestät?"
"Korporal, Sie und Ihr Kamerad werden jetzt Mr. Krug in die Mitte nehmen und zum Wohntrakt der Butler führen. Dort werden Sie dafür Sorge tragen, dass Mr. Krug seine persönlichen Habseligkeiten packt und in einem Koffer mit sich führt. Danach werfen Sie ihn zur nächstbesten Tür raus. Haben wir uns verstanden?"
Der Korporal grinste breit. "Jawohl, Sir." Sein Kamerad und er stellten sich links und rechts vom Butler auf und ergriffen den Mann an den Armen. "Das wagen Sie nicht!", zischte er Arling an. "Das werden Sie nicht tun!"
"Ich habe es bereits getan!", zischte Arling zurück. "Weg mit ihm!"
Der Korporal zwinkerte verschwörerisch und begann den Mann mit sich zu ziehen.
"Das hat ein Nachspiel! Das verspreche ich! Ich bin kein Niemand in diesem Palast!"
"Stopp!", rief Arling.
Die beiden Wachsoldaten hielten an.
"Ach, habt Ihr es Euch anders überlegt, Majestät?", fragte Krug spöttisch.
"Korporal, vergessen Sie nicht, sich bei Ihrem Vorgesetzten abzumelden. Immerhin haben Sie und der Gefreite auf meinen Befehl hin Ihre Posten verlassen."
"Danke für die Erinnerung, Sir", erwiderte der Gardist. Sein Grinsen wurde noch breiter.
"Ach, und bevor ich es vergesse. Mr. Krug, auch ich bin hier kein Niemand im Palast! Ich bin der Kaiser! Weitermachen."
Abrupt wandte sich Arling ab und ignorierte das laute Schimpfen und die Drohungen des entlassenen Livrierten.

Charles Monterney starrte den Freund mit großen Augen an. Dann wandte er sich um, formte mit beiden Händen einen Trichter und rief: "Alle Mann Platz machen! Der knallharte Kaiser von Katalaun kommt durch! Meidet Augenkontakt, ich wiederhole, meidet Augenkontakt!"
"Sehr witzig", sagte Arling amüsiert, als er zu Charles aufgeholt hatte. "Ihr seid schon zurück von Trondheim?"
"Um nichts in der Welt möchte ich die Ankunft meines Grafen verpassen. Und Elise hat auch noch das eine oder andere mit Mikhail zu besprechen. Wenn du verstehst, was ich meine." Er deutete den Gang hinab, wo die beiden Gardisten mittlerweile nicht mehr zu sehen waren. "Musste das sein? Warst du nicht zu hart? Er wird dich jetzt bestimmt verklagen."
Arling lachte prustend. "Oh, verdammt, meinst du wirklich? Wir sollten der alten Tradition gemäß den Fall direkt vor dem Kaiser verhandeln."
"Jetzt bist du witzig, Majestät. Muss ich eigentlich einen Diener machen?"
"Werde nicht albern. Natürlich nicht. Erst nachdem ich meine Ernennungsurkunde habe."
"Ich merke schon, zumindest mehr Humor wird hier in den Palast einziehen", schmunzelte Charles und setzte sich an Arlings Seite in Bewegung. "Trotzdem, war das nicht übertrieben? Ich meine, hat der Mann nicht einfach seinen Job getan als er meinte, du solltest dich für Katalauns Wohl verheiraten?"
"Willst du auch deinen Job verlieren, Charly? Oder noch besser, soll ich dich bei Ellie verpetzen?", drohte Arling gespielt.
"Ich rede hier über rein theoretische Aspekte, Mylord", wehrte Monterney ab.
Johann Arling seufzte erneut. "Vielleicht ist da der Flottenoffizier in mir durchgebrochen. Du weißt was mit einem Schiff passiert, auf dem niemand auf den Kapitän hört. Vielleicht hatte ich auch einfach keine Lust, mich für Krugs kleine Intrigen und Geschäfte einspannen zu lassen. Eryn hat mich davor gewarnt, dass er so etwas versuchen würde. Hätte er mir vorgeschlagen Jenna Toral zu heiraten, dann hätte ich ihn nicht gefeuert. Das hätte wenigstens Sinn gemacht. Nicht, das ich es getan hätte."
"Schon klar. Einmal Ellie, immer Ellie. Aber dieser Krug wird dir ganz schön den Arsch weg klagen. Fristlose Kündigung entgegen des Arbeitsvertrags, gewaltsame, entwürdigende Entfernung aus dem Palast..."
"Was wird er mir wohl antun? Ob er als Ausgleich für den Verdienstausfall das Kantou-System haben will? Werde realistisch, Charly. Ich bin reich. Außerdem werde ich nicht umsonst von einer Kamera von Spence begleitet."
Erschrocken zuckte Charles zusammen, als er die Kamera bemerkte, die knapp unter der Decke schwebte. "Sendet die etwa live?"
"Sie zeichnet nur auf. Noch. Aber Carrie hat erste Wahl bei den aufgenommenen Bildern. Das musste ich ihr für den Einsatz einer nicht lizensierten Kamera im Kaiserpalast versprechen."
"Na, dann dauert es ja nicht mehr lange, bis die Galaxis über das beste Komikerduo Katalauns lacht", sagte Charles pessimistisch.
"Genug von diesen Themen. Wo ist Elise?"
"Bei Ellie und ihrer Familie, wo denn sonst? Wahrscheinlich küsst sie deiner Verlobten gerade die Füße aus lauter Dankbarkeit, weil sie jetzt nicht mehr Kaiserin werden muss. Steht ihre Versetzung zur HERCULES eigentlich schon fest?"
"Ich habe alles arrangiert. Allerdings bleibt das Schiff im stationären Orbit, bis Lenie eine wirklich schlagkräftige Crew aufgestellt hat." Arling musterte die Schultern des Freundes. "Sieht so nackt aus ohne Goldstern, findest du nicht?"
"Oh, werde ich schon wieder befördert? Wie angenehm."
"Hat der Kaiser dir nicht einen Goldstern dafür versprochen, wenn du die Mission erfolgreich beendest? Es sieht so aus als würde auch sein Nachfolger an dieses Versprechen gebunden sein."
"Ein Hurra für die Moral und die Ehre der Beijings!" Charles runzelte die Stirn. "Scheiße, verdammt. Dann muss ich ja die ganzen Lehrgänge in Infanterie- und Panzerführung noch mal auf mich nehmen. Das letzte Mal habe ich die besucht, als ich ein Fähnrich war. Ich habe nie geglaubt, mal eine Verbundwaffendivision zu befehligen."
"Und die auch noch komplett versammelt auf einem Schiff zu haben. Das ist das eigentliche Wunder.
Guten Morgen, Admiral Papeete. Sind Sie es immer noch nicht müde, in Katalaun zu bleiben?"
"Guten Morgen, Majestät. Bei dem Kaffee, den Ihr serviert, warum sollte ich da gehen wollen?" Er lächelte freundlich. "Aber keine Sorge. Sobald ich denke, dass Ihr keinen Schutz durch die terranische Flotte mehr benötigt, werde ich die Marauder abziehen."
"Habe ich das gerade richtig gehört? Sie beschützen Johann? Sie überwachen ihn nicht? Seit wann das denn?"
Papeete lachte laut. "Seit dem Moment, als er in den Thronsaal kam und den Kaisertitel forderte. Nachdem Prinzessin Elisabeth eindeutig bewiesen hatte, nicht am Thron interessiert zu sein, wurde Kaiser Johann meine neue Priorität. Immerhin sorgte er nicht nur für ein Ende des Krieges mit Yura-Maynhaus und den ehemaligen Diadochen, sondern er hat auch einen bedingungslosen Waffenstillstand mit Jemfeld und Zyrrtekk befohlen. Dem muss natürlich noch ein Friede folgen, aber es ist ein sehr guter Anfang."
"Ein Ziel, an dem wir hart arbeiten werden", versprach Arling.
Der Terraner nickte zufrieden. "Ich habe nichts anderes erwartet. Allerdings rechne ich immer noch damit, das ein paar enttäuschte oder erschrockene Offiziere und Mannschaften von der Yura-Maynhaus-Front, die sich durch den plötzlichen Frieden verraten fühlen, hier aufkreuzen und versuchen Euch zu töten, Majestät."
"Direktorin Mannth hat das selbe gesagt, und Direktor Schmitt hält den Marinegeheimdienst bereits auf Trab, um solchen Gruppen und Einzelgängern hinterher zu spüren. Meinen Sie nicht auch, dass diese Leute dringend psychologische Behandlung benötigen, wenn sie mit dem Frieden, für den sie gekämpft haben, unzufrieden genug sind, um sogar einen Kaiser ermorden zu wollen?"
"In der Tat. Wen habt Ihr nach der Entlassung des bisherigen Chefs des Navy-Geheimdienst als Nachfolger geplant?"
"Allzu viele Kandidaten gibt es nicht, die in Frage kommen. Notfalls mache ich Charly zum Geheimdienstchef."
Abwehrend hob der Oberst die Hände. "Bitte verschone mich mit Büroarbeit, die über die Führung einer Division hinaus geht, Han. Suche dir ein anderes Opfer. Wie wäre es mit Gerry?"
"Eventuell. Wir... Moment, der Kommunikator. Arling? Was? Ja. Gut. Wie? Okay. Verstanden."
Arling deaktivierte die Verbindung wieder. "Es geht los. Takeru und die anderen sind gerade mit der PRAG ins System gesprungen. Sie werden in fünf Stunden landen. Kleiner Empfang, nur im Kreis der Familie."
"Also ich auch." "Falls Elise nett genug ist, um dich mitzunehmen", scherzte Arling.
"Sehr komisch, Majestät. Wirklich sehr komisch."
"Oh, das wirklich komische kommt noch. Takeru und die anderen haben uns etwas mitgebracht. Eine kleine, wertvolle Fracht, die durch die jüngste Entwicklung sehr beruhigend auf Katalaun wirken wird. Und die einige unbequeme Diskussionen ein für allemal beendet."
"Na, da bin ich aber gespannt. Nein, das ist gelogen. Ich platze fast vor Neugier."
"Ich auch, nebenbei bemerkt."
"Tja, da hilft nur warten", sagte Arling schmunzelnd.
***
Der Palast des Kaisers war ein Riesenkomplex. Nicht nur, weil die Regierungsmannschaft hier ihre Büros hatte, nicht nur weil die Hälfte aller Ministerien hier residierten, nicht nur weil er über eigene Kasernen, Trainingsanlagen und Knight-Hangars verfügte. Nicht nur weil in ihm permanent zehntausend Menschen lebten. Er war einfach ein riesiger, zyklopenartiger Kasten. Damals, als die Ikarii Sanssouci zur Thronwelt der Versailles erkoren hatten, hatte es an dieser Stelle verschwenderisch viel Platz gegeben. Um diesen Platz war nach und nach erst Alt-Berlin gewuchert, und danach, Stadtteil für Stadtteil, die Millionenmetropole Neu-Berlin. Dementsprechend konnte Johann froh sein, dass seine Vorfahren in so ausgesprochen großzügigen Dimensionen gedacht hatten, als sie den Palast errichtet hatten. Robert Versailles, erster Kaiser und Anführer der Ikarii, hatte anscheinend weit voraus gedacht. Weiter auf jeden Fall als an den Tag, an dem aus dem Namen Versailles der Titel der Kaiser-Dynastie Katalauns geworden war. Er hatte sogar an große Lagerhallen gedacht, von denen einige mit wenig Aufwand für besondere Staatsempfänge umgestaltet werden konnten. In einer dieser Hallen, einem Monster mit dreihundert Metern Bodenlänge im Quadrat und einer Höhe von zwanzig Metern, würde der Empfang der drei Grafen von B-King statt finden. Ein stilles, heimliches Treffen vor dem offiziellen Empfang mit nicht mehr als neun Leuten. Zehn, wenn Johann seinen ewigen Schatten Admiral Papeete hinzu rechnete.

Die Weitläufigkeit des Palastes hatte Vorteile und Nachteile. Der größte Vorteil war sicherlich, dass ein bewegungswilliger Kaiser seine Fitness nur mit dem Wechsel von einer Halle zur anderen erhalten konnte. Der Nachteil, dass man für manche Distanzen besser einen Schwebewagen oder ein Gravboard benutzte. Im Moment benutzte Johann seine Füße, auch wenn er dafür einen knappen Kilometer laufen musste.
"Ich frage mich", sagte Eleonor Rend, "warum Takeru darauf besteht, uns vorab zu treffen, bevor die PRAG in einer Stunde offiziell in den Orbit schwenkt."
"Er wird seine Gründe haben", antwortete Johann kurz angebunden. Takeru war ein sehr ernsthafter, gewissenhafter Mann mit einem starken Sinn für Verantwortungsbewusstsein. Andererseits war er sich für keinen Witz und keinen Kalauer zu schade. Den amtierenden Kaiser von Katalaun ordentlich vorzuführen, um ihn auf dem Boden der Tatsachen zu halten traute Johann ihm durchaus zu.
"Der Empfang der Grafen von B-King wird als wichtiges Ereignis gewertet", warf Papeete von hinten ein. "Immerhin ernennt seine Majestät einen von ihnen zum neuen Herzog von Beijing, bestimmt quasi seinen Nachfolger. Und e macht damit für sich selbst ein Rückzugstürchen dicht. Nicht wenige Kaiser waren zugleich auch Herzog von Versailles, ohne es wirklich zu müssen. Robert zum Beispiel hat die Herzogswürde ruhen lassen, bis er sich entschloss, den Titel und den Mond von Sanssouci zu seinen Waffen zu machen. Robert der Dritte hingegen war Herzog von Versailles, und als er nach dem Ende des Magno-Stahl-Aufstands zurücktrat, hat er den Herzogstitel behalten und sich den Rest seines Lebens um sein Lehen gekümmert.
Es gibt nicht wenige Menschen in Katalaun, die befürchten, dass ihr Johann ihnen irgendwann eine lange Nase dreht und wieder Herzog von B-King wird. Diese Entwicklung wird einen weiteren Popularitätsschub für den Herrscher Katalauns auslösen, Majestät."
Eleonor Rend winkte verlegen ab. "Lassen Sie doch das mit der Majestät, Marama. Noch hat Johann die Prüfung zum Kaiser nicht abgelegt, und noch sind wir beide nicht verheiratet."
Arling griff nach Ellies Schulter, zog sie zu sich heran und drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Lippen. "Richtig. Noch nicht."
Bei seinem warmen Lächeln schmolz die junge Frau dahin wie Wachs in praller Sonne. Bald, ja bald. Der Kaisertitel war ihr egal, aber diesen Mann wollte sie nie wieder entkommen lassen. "Han..."
Papeete räusperte sich vernehmlich, als die beiden stehen geblieben waren. "Darf ich daran erinnern, dass das Shuttle mit den Grafen in dieser Sekunde landet? Und wir haben noch zwei Korridore vor uns."
"Ja. Natürlich." Arling ergriff Eleonors Rechte und zog sie hinter sich her.
Der Admiral trat an eine Wand und betätigte einen verborgenen Schalter. Dahinter erschien ein Gang, der von einer Wachdrohne geschützt wurde. "Wenn ich diesen Weg vorschlagen dürfte, Majestät? Er endet fast genau vor dem Personentor des Hangars."
Arling zog die Stirn in Falten. "Nanu? Sie kennen sich erschreckend gut in meinem Palast aus, Admiral."
Der Terraner lächelte dünn. "Einer der Gründe dafür, das wir durch die Galaxis reisen und uns als Weltverbesserer aufspielen können ist unsere exzellente Vorbereitung. Hätte ich den Palast mit Waffengewalt nehmen müssen, wäre das Wissen über die Dienstbotengänge und die Geheimgänge essentiell gewesen, oder?"
"Zugegeben. Aber es beunruhigt mich, dass Sie dieses Wissen haben", murrte Arling und passierte die Drohne.
Irgendwo vor ihm im Gang klangen laute Schritte auf. Es war das typische Geräusch der schweren gepanzerten Stiefel eines Gefechtsanzugs. Licht flammte auf und entriss vier bewaffnete Wachsoldaten der Dunkelheit.
"Identität erkannt. Arling, Johann von", schnarrte die Drohne. Zugleich wurden die Wachsoldaten informiert. Sie stockten im Lauf und verharrten schließlich. Aufgeregtes, doch erleichtertes Geplapper klang zu ihnen herüber.
Papeete klang amüsiert, als er den Vorgang kommentierte. "Volle Rüstung, Reaktionszeit elf Sekunden, bis sie im Gang waren. Verdammt fix, Ihre Wachleute, Majestät. Vor allem wenn man bedenkt, das die Wachstube, von der aus sie die Gänge schützen, dreihundert Meter entfernt ist." Entschlossen passierte er die Drohne, die den Vorgang stumm hin nahm. Alle Begleiter eines Kaisers waren sakrosant und brauchten nicht identifiziert zu werden. Es gab Ausnahmen, gewiss.
Papeete winkte den Wachleuten freundlich zu und deutete in einen t-förmig abzweigenden Gang. "Hier bitte entlang."
Die beiden Katalauner folgten dem Terraner in den Geheimgang, bis sie wieder auf eine Tür trafen. Gehorsam glitt sie auf und entließ die drei tatsächlich kurz vor dem Hangar.
"Himmel, Arsch und Zwirn! Johann Arling, willst du mir einen Herzinfarkt beschweren?", rief Charles Monterney entrüstet. "Kommst hier einfach so aus dem Nirgendwo!"
"Hör nicht auf ihn. Als Knight-Pilot braucht er Nerven wie Stahlseile", stichelte Elisabeth. "Nicht, Schatz?"
"Elise, ich muss doch nicht etwa nett zu Johann sein, oder?"
"Etwas netter als zuvor schon. Immerhin ist er der Kaiser."
"Aber das ist doch kein Grund. Was meinst du dazu, Ellie?"
"Oh, behandele ihn ruhig wie immer. Aber bedenke, was er jetzt tun kann, wenn er böse mit dir ist, Charly."
"Oh. Gutes Argument. Ade, ihr vielen, lieb gewonnenen Sticheleien mit dem kleinen Grafen." Charles seufzte ausgiebig.
"Na, du hast dich ja schnell von deinem Herzinfarkt erholt, Kleiner", sagte Arling und klopfte die geballte Rechte spielerisch gegen Charlys Schulter. "Ellie, ich vermisse deine Eltern."
"Oh, die sind schon drin", half Elisabeth aus. "Sie wollen keinen Augenblick verpassen, wenn sie ausgeladen werden."
"Richtig. Da war ja noch was." Burschikos legte Charles einen Arm um Arlings Schultern. "Alter Halunke. Immer ein Ass im Ärmel, was? Ich glaube, dieser Kaiser wird keine Gegner haben - nur Opfer."
"Witzbold", brummte Johann und entwand sich der Umarmung, bevor Charly einen Schwitzkasten draus machen konnte. "Gehen wir auch rein."
Das Hangartor öffnete sich vor ihnen. Deutlich konnten sie den kleinen Pendler erkennen, der bereits gelandet war und gerade entladen wurde.
"Admiral?"
Papeete hob abwehrend die Rechte. "Ich bitte Euch, Majestät. Dies ist eine Privatangelegenheit. Ich folge Euch schließlich auch nicht auf die Toilette, oder?"
"Wie Sie meinen." Zu viert traten sie ein.

"Hannes!" Links hinter der Tür standen die Rends mit den drei Grafen Katalauns zusammen. Richard Johnston von Nanking hatte gerufen, und er war auch der Erste, der auf die kleine Gruppe zu kam. Mit weit ausgebreiteten Armen trat er auf die Gruppe zu, und bevor sich einer der vier hätte zurückziehen können, umarmte er sie alle. Danach gab er jedem einzeln die Hand. "Hannes, gute Arbeit bis hier. Ellie, bist du noch hübscher geworden? Elise, der Kerl steht dir wirklich gut. Den würde ich behalten. Charly, sicher das du so ein tolles Mädchen auch verdient hast? Ich meine, reichen fünf legendäre Heldentaten schon? Herkules hat zwölf erledigen müssen."
"Rede nicht soviel!", beschwerte sich Mikhail von Angward, schob seinen Onkel mit gespielter Gewalt zur Seite und umarmte jeden einzelnen herzlich. Elisabeth sah er dabei ernst an. "Jetzt schuldest du mir was, Elise."
"Da hast du Recht. Deinen Ritter kriegst du trotzdem nicht wieder", erwiderte sie und umarmte Charles, um ihren Besitzanspruch zu unterstreichen.
"Oh, ich leihe ihn dir gerne." Dabei betonte Mikhail das Wort leihen besonders.
"Kindsköpfe", tadelte Takeru Rüdiger von Kantou. Er schüttelte allen vieren die Hand, bevor er Han und Ellie seine Hände auf den Rücken legte und sie mit Nachdruck auf das Shuttle zu bewegte. Die Rends schlossen sich an.
"Also, was habt ihr zwei mir zu sagen?", fragte Takeru in tadelndem Tonfall.
Entschuldigend hob Arling die Schulter. "Wir waren in Eile."
"Und wir mussten eine Entscheidung treffen", fügte Ellie an.
"Wir hielten es damals für die richtige Entscheidung. Und wir stehen heute immer noch dazu."
"Ich sehe keinen Fehler", sagte Ellie.
Takeru seufzte. "Und warum vier?"
Eleonor Rend und Johann Arling tauschten einen scheuen Blick aus. "Wir wollten halt auf Nummer sicher gehen. So vieles hätte schief gehen können. Es gibt bei jeder Probe eine zwanzigprozentige Wahrscheinlichkeit, das sie scheitern kann. Also haben wir vier angesetzt. Nur um wirklich auf der sicheren Seite zu sein."
"Und warum dann nicht einfach zwei?"
Ellie räusperte sich verlegen. "Wir haben uns auf mindestens zwei geeinigt. Da war drei die sicherste Zahl."
"Und es sind vier geworden", erinnerte Takeru. "Ihr geht wirklich kein Risiko ein, was?"
"Sind alle Proben gelungen?", fragte Eleonor, von einem Moment zum anderen enthusiastisch.
Mittlerweile waren die Entladearbeiten beendet, und vier bombenförmige, meterhohe Behälter standen am Fuß der Rampe. Die Kontrolldisplays aller vier leuchteten in sattem, zufriedenen grün.
Takeru seufzte. "Alle vier Proben waren erfolgreich. Sie haben sich hervorragend entwickelt. Heute, nach vierzehn Tagen, können wir auch sicher sein, dass es zu keinen Abstoßungen aus dem Tank mehr kommen wird. Falls also den Inhibitoren nichts mehr passiert, dann werdet ihr in gut neun Monaten vierfache Eltern, Ellie, Hannes. Ich gratuliere." Takeru Rüdiger von Nanking machte eine einladende Geste auf die vier Brutkammern zu. "Darf ich euch vorstellen? Eure beiden Töchter und eure beiden Söhne. Ich war so frei, ihnen Namen zu geben. Anhand der sehr kalt gehaltenen Seriennummern habe ich ihr Alter bestimmt. Ihr könnt die Namen natürlich noch ändern und dafür die Seriennummern behalten..."
"Ich bin sicher, du hast dir ein paar gute Namen überlegt", flüsterte Johann und trat mit Eleonor an die vier Behälter heran. Sie hielte sich dabei an den Händen. Ihre Blicke waren ehrfürchtig, beinahe ängstlich.
"Charlotte Anusha ist die Älteste. Sie hat die niedrigste Seriennummer. Darauf folgen ihre beiden Brüder Johann Takeru und Stuart Zachary. Das Nesthäkchen ist damit Madeleine Frederike", erklärte Takeru, während der Rest der Familie langsam näher trat.
"Das sind gute Namen", sagte Johann leise. Er stoppte auf halbem Wege, bevor er den Inhibitor seiner ältesten Tochter berührte. "Ist es... Ist es sicher?"
"Du brauchst keine Angst zu haben, du Hasenfuß", sagte Stuart Rend mit Freude in der Stimme. "In diesen Dingern sind die Kinder so sicher wie auf der HERCULES. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, das Takeru Recht hat. Nach zwei Wochen befinden sie sich in der Gastrulation. Damit haben sie alle den Sprung ins Leben halb geschafft."
"Erstaunlich, was du alles weißt, Stuart", sagte Arling. "Gastu.. Gasp... Ich kann es nicht mal aussprechen."
"Das Embryo entwickelt in dem Stadium eine erste Form anhand einer Achse, die später der Leib wird", half Anusha aus. "Was meinst du wohl, wer ihm all dieses Wissen eingetrichtert hat, als Mark in einem dieser Dinger steckte?"
Ein Lächeln huschte über Arlings Züge. Noch waren sie nur Embryos, aber bald würden es Föten sein. Und nach gut neun Monaten würden die Medizintechniker vier Neugeborene aus diesen Tanks holen. Ellies und seine Neugeborenen. Ihre gemeinsamen Kinder. Arlings Hand stockte. Vier zukünftige Prinzen und Prinzessinnen von Katalaun. Potentielle Thronanwärter. Das bedeutet nicht automatisch, dass er sein Amt eines Tages an Charlotte oder Johann Junior weiter geben würde, geschweige denn an Stuart Junior oder Madeleine, denn davor hatte das Gesetz die Prüfung gestellt. Aber er selbst, ihr Vater, hatte dieses Amt gerade inne. Damit brachte er die Kinder in Gefahr. Wie sehr konnte niemand sagen. Er seufzte lang und tief. Was hatte er nur getan?
Eine schmale, sanfte und weiche Hand legte sich auf seine Schulter. Ellie sah ihn mit einem warmen Lächeln an. Johann konnte nicht anders, er erwiderte dieses Lächeln. Getan war getan. Sie konnten jetzt nur noch eines tun, und das war, den vier Kindern die bestmögliche Kindheit zu bereiten und sie danach ihre eigenen Wege suchen gehen zu lassen. Gemeinsam. Er und Ellie.
"Zwei Namen aus meiner Familie. Na, das wird Gerrit hoffentlich zufrieden stellen", seufzte Eleonor Rend. "Dann vergisst er hoffentlich, dass er die ersten elf Rend nennen wollte."
Johann breitete die Arme aus. "Wir können ja noch acht weitere ansetzen, Schatz."
Eleonor Rend lächelte Johann an. "Das war das erste Mal, das du mich Schatz genannt hast. Ich habe nichts gegen elf Rends und einen zwölften Arling."
"Ich glaube, da haben aber ich und das gesamte Universum etwas dagegen", wandte Charles ein. "Ich meine, vier Arlings zusätzlich wird für die Milchstraße schon schwer zu verkraften sein. Aber zwölf? Wollt ihr zwanzig Milliarden Sonnensysteme komplett auf den Kopf stellen?"
Die beiden grienten einander an. "Warum nicht vierundzwanzig? Das ist im Herculeanum eine Glückszahl, Ellie."
"Vierundzwanzig. Dann dürfte es erstmal genügend Nachschub an Arlings im Universum geben, oder?"
"Vier reichen vollkommen!", rief Charles. "Werdet erstmal mit denen fertig, dann könnt ihr über Nachschub reden."
Johann seufzte. "Ich glaube, er hat Recht, Ellie."
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Han." Sie wandte sich der Familie zu. "Und? Was sagt ihr zu unserem Nachwuchs?"
Nun traten die anderen hinzu, und erneut wurden Hände geschüttelt.
Stuart Rend klopfte dabei Takeru anerkennend auf die Schulter. "Danke für die Vererbung meines und Anushas Namen, Takeru. Ich habe das sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Nun muss nur noch Gerrit endlich ruhiger werden und selbst Kinder in die Welt setzen. Dann kann ich die restlichen einhundert Jahre meines Lebens genießen."
Der Graf von Nanking lachte. "Rudi. Bitte nenne mich so, Stuart. Takeru sagen nur die Kinder und mein Onkel. Freunde in meinem Alter benutzen meinen Rufnamen."
"Verwirrende Sache, das, mit dem Onkel, und so", murmelte Rend. "Und auch die Geschichte mit der Nymphe in eurer Ahnengalerie, Rudi. Aber ich habe nichts anderes von der Familie Beijing erwartet. Du hast nicht zufällig jemanden in deiner Familie, die den besten Geheimagenten Katalauns zähmen könnte?"
"An jungen, intelligenten und zähen Frauen hat es uns Beijings nie gemangelt", erwiderte Takeru grinsend. "Einige sind dabei auch noch hübsch, wenngleich sie es nicht mit unserem Mikhail aufnehmen können."
"Das habe ich gehört!", beschwerte sich der Graf von Angward. "Hübscher als die Mädchen. Wenn ich das Zuhause erzähle..."
"Werden sie zustimmend nicken", rief Richard.
In das allgemeine Gelächter murmelte Mikhail beleidigt: "Fällst du mir also in den Rücken, Onkel Richard?"

"Genug gescherzt." Arling winkte einen der Butler heran. "Simeon, bitte lassen Sie die vier Inhibitoren in die Krankenstation des Palasts schaffen. Ein Technikerteam, das mit dieser Technologie vertraut ist, soll sie peinlich genau überprüfen."
"Und danach, Majestät? Wenn sie regelmäßig gewartet, gefüllt und die Filter fristgerecht getauscht werden, kann man sie praktisch überall aufstellen." Der Butler trat an den linken Behälter heran, berührte das Display und aktivierte damit ein Hologramm. Es bildete den Embryo ab. Darüber schwebte ihr Name. "Außerdem kann man über das Beobachtungsdisplay den Fortschritt der Entwicklung beobachten. Wenn Ihr es wünscht, Majestät, weise ich Euch in die Bedienung ein."
Erschrocken fragte Arling: "Ich kann die Inhibitoren doch hoffentlich nicht damit aus Versehen ausschalten, oder"?
Simeon erlaubte sich ein dünnes grinsen. "Selbst wenn Ihr das irgendwie schaffen würdet, Majestät, hätten ich oder ein anderer versierter Bediensteter des Palasts drei Stunden Zeit, bevor die Inhibitoren gefährlich abgekühlt sind. Und selbst dann haben wir noch eine Sicherheitsfrist von acht Stunden, bevor der mechanische Filtermechanismus versagt. Aber nein, über dieses Display könnt Ihr den Inhibitor nicht manipulieren, Majestät. Es ist einzig zur Beobachtungssteuerung gedacht. Kapitän Rend, wollen Sie das Hologramm mal bedienen?"
"Das ist ein Punkt, über den wir dringend mal reden müssen", warf Takeru säuerlich ein. "Nein, nicht über die Bedienung des Hologramms. Über euren Namen, sobald ihr heiratet. Han, du wirst morgen geprüft werden und damit offiziell Kaiser von Katalaun."
"Was macht dich so sicher, dass ich die Prüfung schaffe?", scherzte Arling.
"Die Tatsache, dass ich Sibylle auf dich hetze, wenn du versagst."
"War nur ein Witz. Du musst nicht gleich fies werden", wehrte Arling ab. Sie warfen einander einen schelmischen Blick zu, bevor sie wie über einen guten gemeinsamen Witz lachten.
"Wie auch immer. Eure Hochzeit und damit deine Erhebung zur Kaiserin, Ellie, ist für dieses Wochenende angesetzt. Damit hätten wir sowohl den Kaiserthron in guten Händen als auch das Erbe der Beijings gesichert. Aber da bleibt eine wichtige Frage: Wie soll eure Dynastie heißen?"
"Wie? Dynastie? Was für eine Dynastie?", fragte Eleonor erstaunt.
"Unsere, Schatz. Jene, die wir mit diesen vier Kindern gründen. Nicht, dass das eine Garantie dafür ist, dass einer von ihnen oder potentielle Enkel einmal auf dem Zedernholzthron Platz nehmen werden."
"Ein beängstigendes Wort. Das hätte man doch auch anders sagen können", tadelte sie. "Wie wäre es mit Rend, Takeru?"
"Ellie...", mahnte Charly weinerlich. "Bleibe bitte ernst."
"Ich befürchte, so sehr das deinen Eltern gefallen würde, das können wir nicht machen. Immerhin wird Johann der Kaiser."
"Und nicht ich, was? Seit wann haben wir den Rückschritt ins Patriarchat gemacht?", scherzte sie.
"Oh, du kannst meinetwegen auch den Anspruch auf den Kaiserthron aussprechen und dich der Prüfung durch das Parlament und den Rat der Herzöge stellen, junge Dame."
Abwehrend hob Ellie beide Hände. "Nur ein Witz, Takeru. Nur ein Witz. Ich bin froh und glücklich, wenn die Situation so bleibt wie sie ist. Also kein Rend. Versailles vielleicht?"
"Ich habe mir dazu schon Gedanken gemacht. Den Namen kann ich nicht annehmen, Ellie. Ich habe absolut keine Lust darauf, dass Robert, dieser verliebte treulose Schuft, mir auch noch Versailles und den Herzogtitel aufs Auge drückt. Nein, nein, der soll ruhig wieder Oberhaupt der von Versailles werden."
"Du wärst dran mit dem Titel Beijing", erinnerte Richard ernst. "Dein Vater hat immer darauf hin gearbeitet."
"Aber keiner von euch wäre ein schlechterer Herzog als ich. Ausgenommen Mikhail, vielleicht."
"Wieso nimmst du ausgerechnet mich aus? Menno", sagte der junge Graf beleidigt.
"Stoß du dir erstmal deine Hörner am Militär und am Abenteuer ab. Die Pflicht bricht noch früh genug über dir zusammen", sagte Richard und schlug dem Jüngeren kräftig auf die Schulter. "Mach erstmal dein Miliz-Ding, denke über einen Eintritt in die Flotte nach. Danach hast du mehr als genug Zeit, um dich von deinem Titel gängeln zu lassen."
"Ich wünsche mir, dass du den Namen Beijing annimmst, Takeru", sagte Johann ungewöhnlich ernst. "Ich bitte dich darum, nächster Herzog von Beijing zu werden. Und ich wünsche nachdrücklich, dass Caitie deine Nachfolgerin als Gräfin von Nanking wird."
"Caitlin? Ich hatte eigentlich gehofft, ich könnte sie zur Gräfin von Arling ernennen."
Johann lächelte dünn. "Tut mir Leid. Aber meine Tochter wird das Amt für mich übernehmen. Ich kann Arling nicht völlig aufgeben, weder den Namen, noch meinen Kontinent. Deshalb lege ich eine weite Spur nach B-King zurück. Meine Reißleine, sozusagen."
Takeru seufte tief. "Okay, was hast du vor? Wem kungelst du hier einen Grafentitel zu? Ich hoffe, es ist die süße kleine Lenie. Meinetwegen auch diese durchgeknallte Reporterin Carrie. Bei allen anderen wirst du viel zu tun zu haben, um mir eine Adoption und eine solche Protektion zu erklären."
"Elise!", sagte Arling laut, "Ich glaube, er hat was dagegen, das du Gräfin von Arling wirst?"
"Wieso das denn?", rief sie gespielt wehleidig. "Ich habe mich so auf meinen eigenen Strand für meinen Zukünftigen und mich gefreut. Nicht, das wir oft da sein werden, solange wir in der Flotte sind, aber gefreut hätte es mich schon. B-King ist die Welt, mit der ich die meisten guten Erinnerungen verknüpfe."
Takeru starrte den Mann, den er selbst ausgebildet hatte, mit schreckensweiten Augen an. "Du Halunke. Du Schuft. Du Verbrecher. Du kleines, missratenes Monster. Aus meinen Augen, bevor ich mich vergesse, weil du ausgerechnet deinen Lehrmeister vorgeführt hast!", rief er, bevor er in lautes Gelächter ausbrach. "Guter Schachzug, Hannes. Du brauchst sie dafür aber nicht zu adoptieren. Du musst es ihr nur befehlen. Damit verhinderst du, das sie schon wieder die nächste Thronerbin ist."
"Ach ja, daran habe ich gar nicht gedacht", murmelte Johann erschrocken.
"Gut, das du mir nicht in allen Dingen voraus bist", stellte Takeru zufrieden fest.
"Also, dann heißt die neue Familie Arling, und Rudi wird neuer Herzog von B-King?" Richard ballte beide Hände zu Fäusten und ließ einen triumphierenden Laut hören. "Ich behalte die Heimatflotte! Ja! So muss es laufen, Baby!"
"Ha! Ist jemand tapfer genug, um Gerard die schlechte Nachricht zu überbringen? Immerhin gehört seine kleine Flottille offiziell zur Heimatverteidigung von B-King. Das macht Richard zu seinem Vorgesetzten", scherzte Mikhail.
"Und zu deinem Vorgesetzten, Herr Miliz-Hauptmann. Vergiss das nicht, Kleiner."
"Mist. Ich frage mich, ob Magic Miranda einen neuen Adjutanten braucht."
"Und Lise wird also Gräfin von Arling. Seid froh, das Hannes ein so verdammt gutes Team aufgebaut hat. Du brauchst dein Offizierspatent und den Platz auf der HERCULES also nicht zurückgeben. Es wäre aber dennoch nett, wenn du öfter als Hannes nach dem rechten siehst", sagte Takeru ernst.
"Da die HERCULES vorerst im System bleibt, bin ich ja nicht so weit weg", sagte sie lächelnd. "Außerdem kann ich ja immer noch Charly vorbei schicken, wenn ich mal nicht kann."
"Als wenn man auf mich hören würde", murrte Monterney.
"Du meinst, sie werden auf den besten Knight-Piloten Katalauns, meinen Ersten Ritter, den Gefährten der Gräfin von Arling, den Helden von Hephaistos und Sieger von Scarlett nicht hören wollen?" Mikhail lachte rau. "Du unterschätzt die Intelligenz von Johanns Leuten. Sie schlagen keine verlorenen Schlachten."
"Oh. Gut zu wissen."

Mittlerweile traf ein Technikerteam ein, um die Ungeborenen abzutransportieren. Ein Trupp schwer gepanzerter Infanterie begleitete sie. "Befehl von General Ganth, Majestät. Wir gehen kein Risiko ein", meldete Oberst Steyer, der die Truppe anführte. "Nicht das geringste."
Arlings Blick ging über das zwanzigköpfige Einsatzteam. Viele kannte er vom sehen von den Einsätzen auf Vesuv und Sherwood. "Ich wüsste nicht, wem wir unsere ungeborenen Kinder sonst anvertrauen könnten, Carlin."
Der schlacksige Offizier räusperte sich verlegen. "Verlasst Euch auf uns, Majestät."
"Ich denke, für unser aller Seelenheil sollten wir die Brutkammern begleiten", sagte Arling. "Nur um mindestens genauso sicher zu gehen wie Cecilias Elite-Infanterie."
Leises, zustimmendes Gelächter erklang.
Als sich die Palette mit ihrer kostbaren Fracht in Bewegung setzte, folgte die Familie. Alle wollten sicher gehen, dass es den Ungeborenen gut ging.

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17.
18.07.2613
Parlament
Neu-Berlin
Sanssouci
Montillon-System

"Großherzog von Baaden, auf ein Wort!"
"Ah, die einheimische Presse wagt sich auch wieder aus der Deckung. Haben Sie sich endlich dazu entschlossen, die wirkliche Arbeit nicht länger der internationalen Presse zu überlassen?"
"Ihr seid ungerecht, Mylord. Es waren auch katalaunische Journalisten in Lord Arlings Pressekorps."
"Deren Arbeiten dann auf Anweisung von Marina von Hohenfels verfälscht wurden, weil unsere eigene Presse umgefallen ist."
"Ein Vorwurf, den wir uns gefallen lassen müssen. Hoffen wir, das die Arbeitsbedingungen unter dem nächsten Kaiser besser werden. Womit wir schon beim Thema sind. Wie seht Ihr die Chancen von Johann von Arling, die Prüfungen zu überstehen?"
"Eigentlich sehr gut. Da er große Erfahrung in der Führung seiner Grafschaft hat und zudem in der Flotte gedient hat, sollten zwei Prüfungspunkte nach einer Anhörung von Lord Arling und politischer Größen des Kontinents Arling erledigt sein. Ich habe auch keine Zweifel, dass Admiral von Hohenfels - Miranda, um keine Zweifel aufkommen zu lassen - ihrem untergebenen Admiral ein erstklassiges Zeugnis ausstellen wird, wenn man im Rat und im Parlament nach seinem Betragen fragen wird."
"Ein sehr guter Übergang. Wo wird es Lord Arling Eures Erachtens nach schwerer haben, im Rat der Herzöge oder im Parlament?"
"Zweifellos im Parlament, obwohl ich nicht wirklich von Schwierigkeiten sprechen will. Der Rat sorgt dafür, dass Katalaun einen repräsentativen Kaiser auf den Thron setzt, das Parlament sorgt dafür, dass es ein kompetenter Kaiser ist."
"Ihr habt bereits zwei Kernprüfungen erwähnt, den Dienst an der Allgemeinheit, die Lord Arling als Soldat geleistet hat, und natürlich die Wirtschaftskompetenz. Welche Prüfungen werden für Lord Arling leichter, wo wird er Probleme haben?"
"Natürlich kann man die Dimensionen eines Kontinents, so groß er auch sein mag, nicht mit der Situation Katalauns gleich setzen. Deshalb wird auch Johann von Arling nach seiner Bestätigung als Kaiser in kurzer Zeit sehr viel lernen müssen. Und viele Vorgehensweisen, die bisher für ihn funktioniert haben, werden neuen besseren Methoden weichen müssen, die ihm erst als Kaiser zur Verfügung stehen. Ich denke, Justiz wird ein Knackpunkt für ihn werden. Das letzte Jahrzehnt hat er als Flottenoffizier verbracht, und die Flotte hat einige direktere und schärfere Regeln als die zivile Justiz. Von Zivilrecht auf Flottenrecht umzudenken ist erst einmal für jeden Offizier ein großes Umdenken."
"Und seine Stärken?"
"Zweifellos neben Wirtschaftsfragen das Militär."
"Also seht Ihr Lord Arling bereits auf dem Kaiserthron?"
"Ich sehe ihn weiterhin auf dem Kaiserthron. Ich habe bereits eindeutige Signale aus dem Rat der Herzöge erhalten, die sich bereits jetzt nahezu geschlossen darauf geeinigt haben, dass Johann von Arling ein sehr guter Repräsentant Katalauns sein wird."
"Warum nahezu geschlossen?"
"Es gibt einen Block von achtzehn planetaren Herrschern, die definitiv mit nein stimmen werden. Unter ihnen auch die Herzöge der acht durch Zyrrtekk und Jemfeld besetzten Welten."
"Und das Parlament?"
"Dem Parlament geht es nicht so sehr darum, Zensuren zu vergeben und eine Prüfung abzuhalten. Das Parlament will Arlings Wissensstand, seine Bereitschaft weiter zu lernen und seine Flexibilität testen. Ein Kaiser ist nicht nur der erste Diener Katalauns, er ist auch ein sehr flexibler Krisenmanager mit sehr breiter Machtbasis. Ohne diese Basis hätte Kaiser Robert damals die Angriffe von Yura-Maynhaus und Jemfeld nicht so schnell stoppen können. Wir haben sie Frederecs Regenten in dessen recht eigenwillige Hände kommen lassen, und hätten dies im Fall Elisabeth Roxane von Versailles beinahe wieder getan. Wahrscheinlich wird das Parlament Lord Arling zur Auflage machen, diesmal keinen Regenten zu bestellen, und damit zu den stabilen und sicheren Zeiten von Robert dem Fünften zurück zu kehren."
"Eine letzte Frage: Wie seht Ihr persönlich die anstehende Regentschaft von Kaiser Johann dem Zweiten?"
"Mit Euphorie, mit Freude und mit geradezu kindlicher Begeisterung."
"Großherzog von Baaden, wir danken für das Interview."
"Oh, ich danke für Ihre professionelle Pressearbeit."
***
Als es an der Tür zu Miranda von Hohenfels' Büro klopfte, bat sie automatisch herein. Es gab nur drei Menschen in dieser Galaxis, die sich nicht vom Vorzimmer-Bootsmann ankündigen lassen mussten. Der eine war gerade im Fernsehen, während das Parlament ihn auf Herz und Nieren prüfte. Nummer zwei war im Moment am Parlament und koordinierte den Einsatz der Ninjas, die den jetzigen und zukünftigen Kaiser Katalauns beschützten. Und Nummer drei kam gerade zur Tür rein. "Störe ich?", fragte Robert lächelnd.
Miranda winkte ihn herein. "Kommen Sie, kommen Sie. Die Show ist eh fast vorbei. Sieht so aus als würden rund achthundert Abgeordnete für ihn stimmen. Das sind ein paar mehr als bei Ihnen, oder, Robert?"
"Ich hatte eine Menge Enthaltungen und wenige Nein-Stimmen", erwiderte Robert amüsiert. Er nahm auf dem Besuchersessel Platz und wandte sich ebenfalls der Übertragung zu.
"Wie sehen denn Ihre weiteren Pläne aus, Herzog von Versailles? Ich meine, so für die allernächste Zukunft?", fragte sie wie beiläufig.
"Die allernächste Zukunft... So schnell wie möglich Carrie zu einem Ehevertrag überreden, bevor sie es sich anders überlegt. Dann werde ich sie eine Zeitlang begleiten. Immerhin kriegt sie so ziemlich jeden Journalistenpreis, den die Milchstraße zu bieten hat, vom Pulitzer bis zum Orion-Award. Danach werden wir uns entscheiden müssen, ob und wie lange diese Wanderung weiter gehen wird."
Miranda von Hohenfels lächelte den ehemaligen Kaiser übertrieben freundlich an. "Oh wie schön. Sie versuchen tatsächlich, Ihre alte Lehrerin zu verarschen. Wie wagemutig. Wie nett. Also, was ist wirklich geplant?"
Robert seufzte. "Ihnen kann ich wohl nichts vormachen, Miranda, oder? Wir unterzeichnen einen Ehevertrag über zwei Jahre. In dieser Zeit begleite ich sie auf ihre Reportagen. Dann unterzeichnen wir einen weiteren Ehevertrag für zwei Jahre. In der Zeit werden wir in Katalaun leben. Und danach entscheiden wir uns, ob wir eines der Leben zusammen führen können, oder ob sich unsere Wege trennen."
"Klingt für mich nicht so, als wäre das erst gestern entschieden worden, Robert."
"Oh, ich hatte nur sehr selten Kontakt zu ihr. Seit ich sie das erste Mal im Fernsehen wieder erkannt habe, meine ich. Aber ich hatte einen regen Kontakt zu Spence. Und als es dann abzusehen war, dass sie Johann nach Sanssouci begleiten würde, haben wir Pläne geschmiedet. Ich und Spence. Die ließen sich dann tatsächlich umsetzen. Ich meine, ich bin überrascht. Ich bin ein hoffnungsloser Romantiker und Träumer, mir war klar, dass ich Jahre brauchen würde, um über Carrie hinweg zu kommen. Aber ich wusste nicht, dass sie genauso fühlt. Und das unsere alte Liebe derart heiß wieder aufflammen würde, wenn wir uns nur sehen." Entschuldigend hob Robert die Arme. "Es war geplant, zugegeben. Allerdings sehr kurzfristig. Liebe lässt sich nichts befehlen, aber jetzt bin ich froh, dass ich Carrie über ein Jahrzehnt in meinem Herzen aufbewahrt habe. Für sie würde ich alles tun."
"Hm", machte Miranda mürrisch. "Vier Jahre, also? Vier Jahre, bis ich mehr weiß? Junger Mann, ich bin kein Wein. Ich werde nicht besser, ich werde nur älter. Ich soll vier weitere Jahre ausharren, um zu wissen, ob es sich lohnt, Sie als meinen Stellvertreter aufzubauen? Ursprünglich wollte ich Ihren Vetter, aber da Sie den erfolgreich zum Kaiser getrickst haben, nahm ich eigentlich an, Sie würden nun seine anderen Verantwortungen übernehmen."
Erstaunt sah Robert zur Admirälin der Flotten herüber. "Hat Katalaun keine fähigeren Admiräle?"
"Keinen, den ich ruhigen Gewissens auf diesen Stuhl lassen würde. Dabei geht es nicht einmal so sehr um die Fähigkeiten. Gute Admiräle und Generäle gibt es da draußen wie Sand am Meer. Seien sie nun aus adligen Familien, aus bürgerlichen Familien, Selfmademen oder hierarchischen Familiendynastien entsprungen. Es geht mir darum, dass Johann sich nicht hätte erpressen lassen. Er war viel zu nahe dran an der Macht, viel zu hoch auf der Leiter. Und er brachte die Fähigkeiten und die Erfolge mit, die man für diesen Posten braucht."
"Ach. Und jetzt soll ich sein Nachfolger werden?", warf Robert spöttisch ein. "Ich bin ja wohl sehr weit von der Macht entfernt, seit ich abgedankt habe."
"Dennoch sind Sie derzeit Thronerbe Nummer fünf, bis Johanns Kinder mündige Erwachsene sind. Ihnen macht auch niemand etwas vor. Und glauben Sie mir eines: Admiral der Flotten zu sein ist wesentlich angenehmer als Kaiser von Katalaun zu sein."
"Von den Bombenanschlägen mal abgesehen."
"Von Elite-Infanteristen, die auf den Palast regnen, auch mal abgesehen."
Die beiden maßen sich mit ihren Blicken. "Sie haben eine Pflicht, diesem Land gegenüber, Robert."
"Ich dachte, ich hätte diese Pflicht endlich erfüllt", erwiderte er gepresst.
"Diese Pflicht endet für einen von Versailles immer erst mit dem Tod, so wie bei Ihrem Onkel Frederec", sagte Miranda hart. "Vier Jahre, Robert! Sie kriegen diese vier Jahre! Aber dann will ich nicht nur die Entscheidung hören, ob und wo Sie mit Miss Rodriguez leben, ich will dann auch wissen, ob Sie mein Nachfolger werden!"
"Man entkommt der Pflicht wohl wirklich nicht, nachdem sie einen einmal im Griff hatte", sagte Robert ärgerlich.
"Nein, man entkommt ihr nicht. Aber sie bietet im Gegenzug einen interessanten Job und jede Menge Freiraum in der Entscheidungsgewalt", erwiderte sie aufatmend.
Miranda erhob sich. "Eine halbe Stunde noch, bis die Entscheidung bekannt gegeben wird. Bis dahin sollten wir im Parlament sein. Soll ich Sie mitnehmen?"
"Ich bitte darum. Als Ex-Kaiser darf man in der Wahl seiner Beförderungsmittel nicht pingelig sein."
"Gut. Sie sind immer noch Realist, Robert."
"Leider viel zu sehr", murmelte der ehemalige Kaiser, erhob sich und folgte Miranda von Hohenfels aus dem Büro.
***
Die Prüfung durch den Rat der Herzöge abzuschließen erwies sich für Johann Arling leichter als er befürchtet hatte. Eigentlich hatte er erwartet, vom Rat ordentlich durch die Mangel gedreht zu werden. Er hatte eine ganze Reihe fragwürdiger militärische Entscheidungen getroffen, eigenmächtig gehandelt und sich Befehlen der Admirälin der Flotten widersetzt, als er bestenfalls vermuten konnte, es nicht mit dem Original zu tun zu haben.
Stattdessen hatte ihn der Rat ausdrücklich gelobt und seine Leistungen in den Vordergrund gestellt. Außerdem wurde, gegen den Protest der kleinen Gruppe politischer Gegner, der bedingungslose Waffenstillstand mit Yura-Maynhaus ausschließlich ihm zugeschrieben. Ihm, und seiner politisch mutigen Entscheidung, ausgerechnet die gewählte Präsidentin vor der eigenen Flotte zu beschützen. Der Rat hatte ihn nachdrücklich belobigt, auch wenn jedem normalen Katalauner ein Staatsoberhaupt für nur vier Jahre gewähltes Staatsoberhaupt leicht absurd vorkommen musste.
Das hatte er nicht zuletzt der Gruppe von Adligen um Großherzog Johannes von Baaden zu verdanken, die ihn bei seiner Gegenkandidatur unterstützt hatten. Wahrscheinlich hatte von Baaden sogar darauf gehofft, dass Arling tatsächlich Kaiser werden würde.
Johann selbst hätte lieber Robert wieder auf dem Thron gesehen. Aber letztendlich hatte sein Schwiegervater Recht, wenn er sagte, dass man vor seiner Verantwortung nicht fliehen sollte. Denn wenn man sie anderen überließ, übernahmen schlechtere Männer und Frauen diese Aufgaben. Und schlechtere Leute leisteten schlechtere Arbeit. Schlechtere Arbeit bedeutet negative Folgen für jene, die ihnen unterstellt waren. Und da er ohnehin dazu erzogen und ausgebildet worden war, um der Gemeinschaft zu dienen, Verantwortung zu tragen und unbequeme, aber wichtige Entscheidungen zu treffen, hätte er sich diesen Ausgang eigentlich denken können. Spätestens seit er sich das erste Mal der falschen Miranda widersetzt hatte, waren die Chancen sprunghaft gestiegen, dass er wirklich auf dem Zedernholzthron Platz nehmen würde. Auch den Opfertod seines Vaters sah Johann nun in einem ganz anderen Licht.

Der alte Fuchs hatte viel weiter gesehen und viel weiter geplant als alle anderen. Vielleicht stimmte das nicht ganz, und Zak war nicht für ihn gestorben. Aber Johann hoffte es, wünschte es und betete, das es die Wahrheit war. Es gab dem Tod seines Vaters einen tieferen, aufrichtigen und heldenhaften Sinn. Davon wurde Zak nicht wieder lebendig, aber seine Gesinnung, seine Persönlichkeit wurde dadurch übermächtig. Ein strahlendes Vorbild für alle Menschen. Daran wollte Johann glauben, mit jeder Faser seines Herzens.
Sein Vater hatte einen großen Teil seiner Ausbildung Sibylle und Takeru überlassen, aber er war immer für seinen Sohn da gewesen, hatte stets alle wichtigen politischen Entscheidungen mit ihm diskutiert, niemals mit ja und nein gearbeitet, sondern Johanns politischen Verstand nach und nach geformt. Johann hatte seinen alten Herrn sehr geliebt, obwohl sie nicht so oft beieinander gewesen waren, wie es sich seiner Meinung nach für Vater und Sohn gehörte.
Dank dieser Ausbildung durch seine Familie und die Unterstützung seines Vaters hatte er die erste Hürde problemlos überstanden.

Auch die Konfrontation mit den Parlamentariern lief relativ glimpflich ab. Zwar wurde Johann Arling von den Volksvertretern erheblich mehr drangsaliert und in die Enge getrieben, aber letztendlich hatte er auch hier mit wehenden Fahnen bestanden. Die Aussage eines Abgeordneten aber gab ihm zu denken. Der Mann von Plymouth hatte dagegen gestimmt, ihn zum Kaiser zu ernennen. Er hatte gesagt: "Wenn Johann Armin von Arling nicht von vorne herein geplant hat, Kaiser zu werden, und dies alles kein groß angelegter, genialer Plan war, um ihm die Thronfolge zu sichern, bin ich nicht bereit, ihm Katalaun anzuvertrauen."
Eine interessante Meinung, die Johann noch viel Stoff zum nachdenken geben würde.
Als der Lord unter dem Applaus der Abgeordneten das Rednerpult verließ, an dem er geprüft worden war, winkte er erleichtert in die Runde. Oh, er hatte keine Zweifel, das ihm auch die Unterstützung des Parlaments sicher war. Aber wie viele gewählte Volksvertreter würden ihn wählen? Und wie viele gegen ihn stimmen? Wenn die Entscheidung knapp ausfiel, hatte er den denkbar schlechtesten Start ins Kaiseramt, den man sich vorstellen konnte. Letztendlich war er Berufspolitiker und wusste viel zu gut, dass er sich ein solches Ergebnis nicht leisten konnte. Weder für sich, noch für Katalaun. Und erst recht nicht für sein Ego. Und da schwebte immer noch das Damokles-Schwert der Enthaltungen über seinem Haupt. Genügend Enthaltungen konnten schließlich sogar die Ja-Stimmen drücken. Ein Nein aus dem Parlament war dann möglich. Kein potentieller Kaiser, der derart abgestraft worden war, hatte je das Amt angetreten. Johann würde allerdings der erste sein, der es trotzdem tat.

"Gute Arbeit, Han", sagte Robert und schüttelte dem Cousin die Hand. "Sie hatten dich ja beinahe schlimmer am Wickel als mich. Und damals wollte das Parlament nur sichergehen, dass ich Frederecs Politik nicht fortsetze."
Arling winkte ab. "Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie doch irgendwie freundlich mit mir umgesprungen sind. Ich habe mir sagen lassen, dass Johann der Erste erheblich mehr hatte leiden müssen, bevor das Parlament ihm seine Zustimmung gab."
"Kein Wunder. Er war ja auch nur ein eingeheirateter Versailles, und damit einer der wenigen Kaiser Katalauns, die nicht direkt aus unserer Familie stammten. Bewerber der Versailles kriegen immer einen kleinen Bonus." Elisabeth räusperte sich verlegen. "Normalerweise."
Arling lächelte als Antwort. Er ließ sich auf der Bank nieder, auf der seine beiden Verwandten saßen. So kam er in Griffreichweite zu seinen anderen Gästen und Unterstützern, die weder im Rat der Herzöge, noch im Parlament saßen.
"Gute Arbeit, Schatz", sagte Eleonor und küsste ihn auf die Wange. "Ich wäre spätestens bei der Präsentation der Wirtschaftslage deines Kontinents Arlings verloren gewesen."
"Dir hätten sie andere Fragen gestellt. Zum Beispiel über den ökonomischen Kreislauf deines Schiffs. Das ist ja auch eine kleine, geschlossene Wirtschaftsregion."
"Ich möchte doch sehr bezweifeln, das Eleonor Rend jemals geprüft worden wäre, ob sie das Wissen hat um Kaiserin zu werden", erwiderte Ellie belustigt. Nachdenklich kniff sie die Augen zusammen. "Ich werde doch nicht geprüft, oder?"
Arling lachte leise und tätschelte ihre Hand auf seiner Schulter. "Nein, Schatz. Sei unbesorgt. Solange du nicht meinen Job willst, wird das nicht passieren."
"Hauptsache, du willst nicht meinen Job, Ellie", merkte Arlene Schlüter an. "Die HERCULES würde ich nämlich ungern wieder her geben."
Skeptisch betrachtete Eleonor Rend ihre Kameradin. "Keine Sorge, die HERCULES nehme ich dir nicht weg. Aber bist du immer noch kein Kommodore geworden? Ich meine, Gerry, du bist zwar Konteradmiral, aber Konteradmiral der Freiwilligen. Du wirst doch nicht die HERCULES-Flotte übernehmen, oder?"
"Was wäre schlecht daran, wenn ich sie übernehme? Abgesehen davon, dass wir selbst nach dem halben Dutzend Schlachten bestenfalls als leidlich erfahren gelten und ohne Han unser taktisches Genie Nummer eins nicht mehr zur Verfügung haben."
"Gerry, hast du gar nichts bei mir gelernt?", tadelte Arling.
"Drauf hauen wenn man drauf hauen kann. Fasst das deine Philosophie zusammen, Han?"
"So in etwa." Der Kaiser räusperte sich leise. "Allerdings habe ich mit Admiral von Hohenfels die Möglichkeit besprochen, rund um die HERCULES ein eigenes Geschwader aufzubauen. Ursprünglich wollte ich Robert das Kommando übertragen, aber der brennt ja lieber mit der Reporterin seines Herzens nach Terra durch."
Abwehrend hob Robert die Hände. "Wäre Ellie nicht Ellie, sondern Carrie, würdest du doch das gleiche tun. Also beschwere dich nicht, Johann Armin Arling. Außerdem will ich die Flotte nicht. Ich möchte sie weder Rössing noch Schlüter weg nehmen."
"Das Kommando über eine Flotte wird doch stark überschätzt", murmelte Lenie. "Ich bin auch schon mit der HERCULES glücklich."
"Nanu? Seit wann bist du so bescheiden?" Argwöhnisch betrachtete Arling seine Untergebene. "Jetzt sag bloß, du wärst auch damit einverstanden, Gerry als befehlshabenden Offizier zu akzeptieren."
"Es gibt ja wohl schlimmeres", sagte sie leise. "Ich meine, immerhin verstehen wir uns blind und arbeiten sehr gut zusammen. Hören auf die Meinung des anderen, und so."
Gerard Rössing räusperte sich. "Ich könnte auch gut damit leben, wenn Lenie weiterhin meine Vorgesetzte wäre."
Zwei kräftige Arme umschlangen Schlüter und Rössing von hinten. Charles steckte seinen Kopf zwischen die beiden. "Das sind ja ganz neue Töne, Herrschaften. Woher kommt dieses neue Verständnis füreinander? Habt ihr endlich gelernt, das man seinen Freunden treu bleiben muss, wenn man in der Flotte etwas erreichen will? Ich meine, Johann ist raus und wird so schnell keine Flotte mehr kommandieren. Und Magic Miranda wird ausgerechnet euch beiden niemanden vor die Nase setzen, der nicht mindestens Volladmiral ist. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich euch an gegenüberliegende Standorte an Katalauns Grenzen versetzen, damit ihr euren neuen Vorgesetzten nicht gemeinsam in den Wahnsinn treiben könnt."
"Nun rede nicht so als wären wir so schlimme Junior-Offiziere", erwiderte Gerard brüsk.
Arling winkte ab. "Wenn sie zusammen dienen wollen, dann lass sie doch. Sie..." Der Kaiser stutzte. "Das ist der Knackpunkt eurer neuen Friedfertigkeit, oder? Ihr wollt nicht getrennt werden. Habe ich Recht?"
Über Gerard Rössings Wangen huschte gesunde Röte, während Arlene Schlüter verlegen hüstelte und beiseite sah.
Grinsend setzte Lucky Charly zu einem weiteren Kommentar an, aber Johann winkte entsetzt ab. Mit einem panischen Blick bedeutete er seinem alten Freund, die beiden vorerst in Ruhe zu lassen. Zuerst war der beste Knight-Pilot Katalauns erstaunt, dann aber sackte die Erkenntnis bis zu ihm durch. "Oh", machte er und setzte sich wieder ordentlich auf die dritte Bankreihe.

Ein Gong klang auf und setzte der Diskussion ein Ende. Die Alterspräsidentin des Parlaments erhob sich, um die Entscheidung zu verkünden. Von Renata Casoli wusste Johann nicht sehr viel, wohl aber, das ihr Planet sie schon seit vierzig Jahren nach Sanssouci entsandte, um seine Interessen zu vertreten. Das war im relativ kurzlebigen Parlament eine verdammt lange Zeit.
"Mylord Arling, Parlamentarier und Besucher, ich bitte sie alle, sich zu erheben", sagte die Berufspolitikerin mit kräftiger Stimme.
Im Saal waren mehr als dreieinhalbtausend Menschen, über eintausend von ihnen Abgeordnete. Dazu kamen gut fünfhundert Reporter, die per Los ausgewählt worden waren und Einlass zum wichtigsten Ereignis des Jahrzehnts erhalten hatten. Per Los, oder wie in Carrie Rodriguez' Fall durch kaiserliches Dekret.
"Bevor ich das Ergebnis des Parlaments verkünde, möchte ich noch einige Worte zur Sache sagen. Als ich das erste Mal von den Plänen hörte, ausgerechnet Graf Arling zum nächsten Kaiser von Katalaun zu machen, war ich ehrlich gesagt nicht besonders begeistert. Nicht schon wieder ein Soldat, war mein erster Gedanke. Dieses ehrwürdige Haus hat, seit ich ihm angehöre, fünf Kaiser ernannt. Drei von ihnen kamen aus der Flotte, einer aus der Armee. Von diesen vier Kaisern mit militärischer Vorbildung hat sich letztendlich nur Robert der Fünfte als Glücksgriff erwiesen, der die Javaren enger in das Reich band, der Außenseitern wie den Shomona-Piraten eine Chance bot, gleichberechtigt in unserer Gesellschaft zu leben. Sein Vorgänger Frederec war uns allen damals als gute Wahl vorgekommen, nachdem uns die schwache Regierungszeit seines Vorgängers in eine schwere innenpolitische Krise geführt hatte. Frederecs Kriege und die Ernennung seines Regenten Wilson haben aus seiner Zeit auf dem Thron allerdings nicht gerade ein Ruhmesblatt gemacht. Roberts Amtszeit hingegen hat viele unserer Erwartungen mehr als erfüllt, selbst noch als der Krieg ausgebrochen war. Doch Robert wurde zum Abdanken gezwungen, und ausgerechnet die politisch unerfahrene Tochter Frederecs - nichts für ungut, Hoheit - sollte ihn ersetzen. Dies löste großen Unwillen im Parlament aus. Die Abgeordneten formierten sich zum Widerstand. Nicht unbedingt weil ersichtlich war, das sie als Marionette dienen sollte, sondern weil ihre Regierung nicht solide aufgestellt war. Erst als Elisabeth erklärte, mit Anrid Takh einen erfahrenen Wirtschaftskapitän zum Regenten zu berufen, bröckelte die Front gegen sie.
Doch dann kam der große Knall, der große Gegenkandidat. Wieder ein Soldat, typisch. Und sein heraus ragendstes Prädikat war, ausgerechnet der Sohn von Gandolf Zachary zu sein. Dies war der erste Trugschluss, dem ich selbst unterlag. Ich gebe zu, ich habe es Johann Arling nie leicht gemacht mich zu überzeugen. Aber es war ja auch nie meine Aufgabe, ihn zu mögen."
Die Alterspräsidentin unterbrach kurz, als das Gelächter zu laut wurde.
"Wie sieht dieser Johann Arling aus? Ein Befehlsverweigerer, ein Meuterer, ein Rebell. Wie können wir so einem Mann nur den Thron anvertrauen? Einem Fraternisierer, einem Waghals, einem Regelfeind? Ich gebe zu, ich habe mehr auf die katalaunische Presse gehört als auf eine daher gelaufene, live berichtende Terranerin wie Carrie Rodriguez. Hätte ich das aber früh genug gemacht, dann hätte ich sicher vieles anders gesehen, was Johann Arling betraf. Natürlich musste er den Befehl verweigern, wenn ihm befohlen wurde, über zwei Millionen in die Fremde entführte katalaunische Bürger auf Vesuv zurück zu lassen. Und natürlich war es keine Meuterei, als er diesen Weg konsequent weiter beschritt. Und ein Rebell war er sicherlich nicht, als er sich dazu entschloss, die so genannte Large Fleet im Stabiae-System zu stellen und aufzuhalten, bevor sie Vesuv erobern konnte. Dies sind die Pflichten, wie wir sie seit jeher den guten Leuten anvertrauen. So verhalten sich die besten, jenseits von Karrierewahn und Öffentlichkeitswirksamkeit.
Katalaunische Medien klagten ihn wegen der Rolle der Gryanen an, warfen ihm Freundschaft zum Feind vor, als diese enttarnt wurden. Zugleich fanden sie sich aber auch nicht zu unlogisch, als sie Arlings Rettung der Maynhauser Präsidentin verteufelten, weil wir ja eigentlich Waffenstillstand mit der Republik hatten. Und letztendlich, letztendlich wurde ihm vorgeworfen, die Spielregeln der Monarchie nicht zu kennen. Sich einzumischen wo man sich nicht einmischen darf, sich anzumaßen was ihm nicht erlaubt war. Doch er hatte das Recht dazu, egal was eine gekaufte, eingeschüchterte oder vorauseilend gehorsame Medienlandschaft berichtete, um der Regierung in den Arsch zu kriechen. Ich hoffe, meine Damen und Herren von der Presse, ihre Berichterstattung wird freier, unabhängiger, besser recherchiert und vor allem ehrlicher, sonst sehe ich den Tag kommen, an dem zwar die internationale Presse im Presseraum des Kaisers sitzen wird, aber kaum ein katalaunischer Journalist."
Ein leises Raunen ging durch den Saal.
"Und sie sollten sich das gut überlegen, denn sie sind dabei, es sich mit dem Kaiser zu verscherzen! Mit einem Mann, der als Held aus diesem Krieg mit den Diadochen und Yura-Maynhaus kommt, der ihn mit eigenen Händen beendet hat. Ein Mann mit großer wirtschaftlicher Kompetenz, der durch seine Tätigkeit als Graf von Beijing Fachwissen in allen Regierungsrelevanten Bereichen besitzt und verinnerlicht hat. Kurz und gut, Johann Armin von Arling, regierender Kaiser Katalauns, wurde von dieser Versammlung mit eintausendundachtzehn Ja-Stimmen bei elf Enthaltungen und zweihundertundneun Gegenstimmen als neuer Kaiser Katalauns bestätigt!"
Applaus brandete auf, teilweise von Jubel und zustimmenden Pfiffen unterstützt, wenngleich die einheimische Presse ein wenig still und nachdenklich schien.
"Majestät, bitte kommt nach vorne!"
Unter dem Applaus und dem Jubel der Anwesenden erhob sich Johann wieder und ging zum Rednerpult zurück. Unterwegs schüttelte er Dutzende Hände von Abgeordneten, Herzögen und auch einigen Presseleuten.
Alterspräsidentin Casoli erwartete ihn bereits, während von der anderen Seite des Saals Großherzog von Baaden als Vertreter der Herzogsversammlung näher kam.
Als Johann die Abgeordnete erreichte, ergriff sie seine Hand und schüttelte sie mit festem, trockenen Händedruck.
"Herzlichen Glückwunsch zur Bestätigung als Kaiser, Majestät. Wir alle hoffen und wünschen uns, dass Ihr Katalaun in eine Zukunft führt, die besser ist als seine Vergangenheit."
"Auch von mir herzlichen Glückwunsch, Johann." Von Baaden ergriff die Hand des Kaisers und schüttelte sie fest.
"Im Namen des Volkes von Katalaun überreiche ich Euch, Johann Arling, hiermit die Ernennungsurkunde zum höchsten Exekutiven Katalauns. Als Kaiser Johann der Zweite seid Ihr fortan in Pflicht und Schuld unserer Nation." Mit diesen Worten überreichte Casoli Johann das Dokument, das ihn als Kaiser bestätigte.
"Ich nehme das Amt in aller Bescheidenheit an. Frau Alterspräsidentin. Großherzog von Baaden."
Johann Arling öffnete die Rolle, breitete sie aus und hielt sie mit einem weiten Schwenker für alle Anwesenden vor sich. Dies löste einen lang anhaltenden, donnernden Applaus aus. Die Menschen erhoben sich, und einige pfiffen begeistert.

Auf dem großen Balkon drängten sich zwischen den fast zweitausend Schaulustigen auch etliche Flottenoffiziere. Einen besonders großen Pulk bildeten dabei die Offiziere und Kapitäne aus Arlings Flotte. In einer Dreierreihe ganz vorne am Geländer standen Oberstleutnant Jaime Madison und die Korvettenkapitäne Rowland T. Myrte und Loggan Harris beisammen.
"Und, meine Herren, was denkt ihr?", fragte Madison grinsend.
"Ich für meinen Teil frage mich gerade, wann ich zum Fregattenkapitän befördert werde. Immerhin ist so ziemlich jeder die Treppe rauf gefallen, nur ich und Loggan nicht", scherzte Myrte.
"Na, na. Der Esel nennt sich immer zuerst", tadelte Madison grinsend.
"Bei mir sieht es etwas anders aus", meldete sich der Javare zu Wort. "Ich müsste eigentlich das große Unglück bedauern, das der Flotte nun bevorstehen würde."
"Großen Unglück? Bevorstehen würde? Haben wir javarische Rätselstunde?", fragte Myrte skeptisch.
Loggan seufzte schwer. "Das große Unglück ist, dass Lord Arling nicht mehr in der Flotte ist. Jaime, du hattest Recht mit jedem einzelnen Wort, das du uns auf Springe gesagt hast. Ich werde es sehr vermissen, unter Johann Arling zu dienen. Er hat viel verlangt, aber auch viel gegeben. Und er hat uns durch Weltbewegende Ereignisse geführt, von denen ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Normalerweise müssten wir nun alle zittern und wehklagen, weil die Flotte ihr größtes taktisches Genie mit dem meisten Biss verliert. Ich meine, wie viele Offiziere hätten sich offen gegen einen Befehl von Magic Miranda gestellt, um das Richtige zu tun, nämlich unsere Leute auf Vesuv zu beschützen? Wir junge Offiziere treten hier in ein Erbe, in Fußstapfen, die wir nicht einmal zu zweit ausfüllen können."
Madison nickte bedächtig. "So gesehen hast du Recht, Loggan. Aber was soll da diese Einschränkung mit dem würde?"
Harris grinste breit. "Es würde ein großes Unglück für die Flotte sein, wenn Lord Arling nicht höchstpersönlich für Frieden mit den Diadochen und der Republik gesorgt hätte. Den Rest kann er getrost uns überlassen. Falls er nicht mit Zyrrtekk und Jemfeld auch überraschend Frieden schließt."
"Herculeanum, Loggan. Herculeanum", mahnte Myrte.
"Ja, Herr Oberlehrer." Der Javare unterdrückte ein Auflachen. "Sollte jemals ein Film über uns gedreht werden, dann hätte ich einen Titel: Sie gingen in die Diadochen und kehrten aus dem Herculeanum zurück."
"Entbehrt nicht eines gewissen Charmes", sagte Madison. "Also, meine Herren, machen wir uns fertig. Der offizielle Teil ist hiermit beendet, und Kaiser Johann der Zweite geruht heute Abend in seinem bescheidenen Anwesen eine Feierlichkeit zu Ehren seiner Ernennung zu geben. Es werden wohl läppische fünftausend Gäste kommen, während ein paar Milliarden Bürger die Veranstaltung über die Sendeanstalten verfolgen werden."
"Und wir gehören zu den glücklichen geladenen Gästen", stellte Harris mit Nachdruck fest. "Da soll noch mal einer sagen, die ganzen Gefechte hätten sich im Endeffekt nicht gelohnt."
"Du gibst dich aber mit wenig zufrieden, Loggan. Ich für meinen Teil hätte immer noch gerne meine Beförderung", murrte Myrte.
"Dann müssen wir wohl den Dienstweg gehen, um die Beförderungen in die Wege zu leiten", sagte Madison.
"Dienstweg? Du meinst, wir stellen einen Antrag im Flottenhauptquartier?"
"Nein, Loggan. Wir jammern ein wenig bei Ellie, und die trägt es dann direkt zu seiner Majestät." Madison zwinkerte vergnügt. "Der kurze Dienstweg halt."
Die beiden Kapitäne sahen den Knight-Piloten verblüfft an. Dann begannen sie zu schmunzeln.
"Kurzer Dienstweg, eh? Führt der nicht über dich, dann über die frisch zur Brigadegenerälin ernannte Cecilia Ganth, und von dort über Oberst Monterney und seine Freundin, Prinzessin Elisabeth, an die Ohren von Johann dem Zweiten?"
"Äh, nein. Das ist der mittlere Dienstweg."
Die drei Männer lachten leise miteinander. Diese Reise hatte ihnen nicht nur einen neuen Kaiser beschert, sondern auch die Freundschaft zueinander. Und dafür waren sie dankbar.
***
Der Empfang war schon ein ganz anderes Kaliber als die eher schmucklose Ernennungszeremonie. Die knapp fünftausend geladenen Gäste wurden im Kleinen Saal durch Delegationen aus jenen Stadtteilen verstärkt, die damals ihren Kandidaten Johann heldenmutig gegen potentielle Attentäter verteidigt hatten. Auch die Vertreter verschiedener religiöser Gruppen waren anwesend und trugen ihre Glaubenssymbole offen zur Schau. Allerdings war dies nur ein Bekenntnis, kein Versuch der Bekehrung. Der Wandel von der Aggressivität zu Zeiten Frederecs zu einer toleranten Normalität war nicht zuletzt dem Mann zu verdanken, der gerade dem Kaiser die linke Hand gab, weil die Rechte noch immer mit einem komplexen medizinischen System dazu stimuliert wurde, wieder an den Oberarm anzuwachsen und das durch den Strahlschuss verlorene Knochen- und Muskelgewebe zu ersetzen. Der Arm war ruhig gestellt, aber dafür strahlten die Augen des Kreuzbruders umso mehr. Johann Arling begrüßte Iesaia Cormick wie einen guten Freund und erkundigte sich nach seinem Gesundheitszustand, obwohl laut Hofprotokoll jeder Gast nur zehn Sekunden für einen Händedruck und ein paar unverbindliche Worte hatte. Einen entsprechenden Hinweis eines Livrierten brachte der Kaiser jedoch mit dem Hinweis auf einen gewissen Herrn Krug blitzartig zum verstummen. Admiral Papeete, der eigentlich diskret hinter dem Kaiser stand, bekam einen Lachanfall. Es schüttelte ihn so sehr, dass er sich beide Arme um den Leib legte und dabei leicht vorbeugte. Er beruhigte sich erst, als der terranische Botschafter an der Reihe war, und das auch nur weil der alte Smith Papeete einen mörderischen Blick zu warf.
"Halte durch, Han", murmelte Madison in sein Glas mit Arami-Sekt, während er die Szene beobachtete, "nur noch gut eintausend Hände, die du schütteln musst."
"Kein falsches Mitleid mit ihm", mahnte Loggan Harris grinsend und stieß mit seinem Fruchtsaft bei Jaime an. "Er hat die tatkräftigsten Helfer des Kaiserreichs. Und damit meine ich nicht nur seine Verlobte, die da neben ihm steht und hilft, die Gratulanten zu beschäftigen. Damit meine ich vor allem uns, seine Kampfgefährten."
"Wir gehören nicht gerade zu deren Erster Garde", murmelte Madison und nickte grüßend in Richtung von Charles Monterney, der zufällig in ihre Richtung sah. "Dies ist wohl anderen Leuten vorbehalten, zu Beispiel Admiral Griffin, der gerade an der Reihe mit gratulieren ist."
"Ein Empfang mit allen Ehren", stellte Lüding fest, während er sich zu den beiden Offizieren gesellte. "Hat schon jemand gesehen, ob Attainborough dabei ist?"
"Keine Sorge, du wirst schon nicht lange auf deine Daisy verzichten müssen", neckte Madison. "Sie ist im Gefolge des Admiral of Sector auf Sanssouci angekommen. Und sie wird bis zur Hochzeit am ersten August bleiben. Zeit genug für dich, um sie zu einem Kurztrip nach Trondheim zu überreden, mein Lieber."
"Es wird viel schwerer, sie dazu zu überreden, auf die HERCULES zu wechseln", mischte sich Myrte ein, trat hinzu und drückte dem Ersten Offizier des Schlachtschiffs ein frisches Glas in die Hand. "Normalerweise würde sich jeder Soldat die Finger danach lecken, wenn er auf die HERCULES kommen könnte. Aber sie ist eine republikanische Gryanin, und das ist wie eine große, fette Auszeichnung. So ähnlich wie diese Offiziersclique, die sich rund um Admiral of the Fleets Juri Goldman gebildet hat, nur noch strikter und elitärer."
"Na, danke", murrte Madison. "Ihr macht mir ja Mut. Allerdings hat der alte Teufelsbraten Coryn seine Juliet Cochraine dabei, und die beiden wollen sogar heiraten. Eigentlich ist die Dame sogar zwei großen ehemaligen Diadochen-Staaten zutiefst verbunden, und sie hat das alles zugunsten von Griffin aufgegeben. Man soll die Hoffnung also nie aufgeben."
"Ja, ein verdammtes Glück hat der Kerl", murmelte Madison und trank sein Glas leer. Als ihm jemand ein neues vor die Nase hielt, griff er sofort zu. "Danke."
"Warum hat der Kerl ein verdammtes Glück? Reiche ich dir nicht mehr?", tadelte Cecilia Ganth.
Erschrocken zuckte der Knight-Pilot zusammen, als er sah, wer ihm das neue Glas gegeben hatte. "Was? Aber... Aber... General, ich meine doch..."
Die Infanteristin seufzte tief. "Dachte ich es mir. Du kriegst Manschetten, weil der Boss mich zum Brigadegeneral befördert hat."
"I-ich meine ja nur, jetzt wo du den Goldstern trägst, und ich gerade mal zwei Goldpins habe, da..."
Cecilia Ganth seufzte erneut. "Meine Herren, was soll ich mit diesem Trottel machen?"
Rowland grinste breit. "Zugreifen, solange er keinen höheren Rang hat als du, Ceci. Und das, bevor eine andere dir zuvor kommt. Devote hochrangige Offiziere sind bei Frauen sehr begehrt."
"Wer ist hier devot?", rief Madison ärgerlich und erntete prompt Dutzende Blicke der Umstehenden.
"Zugreifen klingt gut. Was ist, Oberstleutnant Madison, kann das klappen mit uns beiden? Ich meine, immerhin habe ich hier einen der besten Knight-Piloten Katalauns vor mir, der gerade aus der verrücktesten Kampagne aller Zeiten gekommen ist."
"Einer der Besten? Ich bin bestenfalls der eintausendeinhundertundelftbeste..."
"Weiß Lucky Charly, dass du seine Sprüche klaust?", tadelte Loggan lachend.
"Der ist vakant, seit Charles offiziell der beste Knight-Pilot Katalauns ist", erwiderte Madison.
"Ich warte immer noch auf eine Antwort, Oberstleutnant", tadelte Ganth.
"Also, ich weiß nicht wie du das siehst, aber ihr macht der Rangunterschied scheinbar nichts aus. Und sie hat erstaunlicherweise immer noch Interesse an dir. Außerdem möchte ich dich an einen gemeinsamen Abend auf Springe erinnern, Jaime. Du weißt schon, Minirock und bauchfreies Shirt. Weißt du was du alles verpasst, wenn du jetzt nicht klug bist?", sagte der Pirat eindringlich.
"Danke für die Vorlage, Rowland." Cecilia schlug von oben herab mit ihrer Rechten auf Rowlands ausgestreckte Hand.
"Gern geschehen, mein Infanterie-Engel. Also, Jaime, was nun?"
"Hast du denn wirklich noch Interesse für mich?", fragte der Oberstleutnant zweifelnd.
Wortlos nahm sie ihm das Glas aus der Hand und reichte es mit ihrem eigenen an Harris weiter. Dann machte sie eine einladende Geste und deutete auf ihren perfekten Körper, der in einem hautengen weißen Abendkleid steckte. "Wenn dir gefällt was du siehst, kannst du es haben. Nur musst du endlich einmal lernen, dass du auch zugreifen musst. Ein Gentleman ist zwar gut und schön, Jaime, aber auch die sind Männer. Ich..."
Madison trat einen Schritt vor, zog Ganth in seine Arme und gab ihr einen Kuss. Ängstlich sah er sie an, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. "Und jetzt?"
"Und jetzt kommt eigentlich der Part, wo du die Frage stellst, ob wir lieber zu dir oder zu mir wollen", schnurrte sie und rieb mit ihrem Zeigefinger über seine Brust.
"Zu gerne würde ich mitkriegen, ob er es wirklich macht, aber... Leider ruft die Pflicht", meldete sich eine weitere Frauenstimme zu Wort. Major Russel, in ein schulterfreies schwarzes Abendkleid gekleidet, schob sich in die Gruppe.
"Wow, Maddie, mit dem Aufzug kannst du mir schon gefährlich werden, ohne eine Ninja zu sein", staunte Myrte.
"Später, Rowland, später. Ich habe eine kleine Nachricht an euch, die ihr bitte an Strater, Tiki und Chalid weitergebt: Der Chef zieht sich in etwa drei Stunden zurück. Dann ist es Mitternacht. Zu diesem Zeitpunkt wird ein Livrierter kommen und euch abholen. Seht zu, dass ihr dann beisammen steht und nicht erst gesucht werden müsst."
"Abholen? Ich wollte eigentlich...", begann Madison wenig begeistert, noch immer Ganth in den Armen haltend.
"Sie werden doch keinen Befehl des Kaisers verweigern, Oberstleutnant Madison?", fragte Russel amüsiert.
Der Knight-Pilot sah Cecilia Ganth sehr lange an, bevor er schließlich heftig ausatmete. "Natürlich nicht, Ma'am."
"Das war ja süß, so lange wie du gezögert hast, Jaime." Madeleine tätschelte die Wange des Offiziers. "Du wirst ja noch richtig erwachsen, mein Großer."
"Maddie...", tadelte der Pilot, widerstand aber der Versuchung, ihre Hand fort zu schieben.
"Geht am besten rüber zu Schlüter und Rössing. Ach, und wenn ihr schon dabei seid, fangt mir auch noch Richards und Rouven ein."
"Gerne. Aber, wenn die Frage gestattet ist, wohin führst du uns, holde Elfe?", fragte Harris.
Ein Lächeln glitt über Russels Züge. "Wohin? Natürlich zu einer Orgie. Also, wir sehen uns später. Und kein ausreißen, ihr zwei." Tadelnd winkte sie mit dem Zeigefinger in Richtung von Ganth und Madison, bevor sie weiter eilte.
"Eine Orgie? Und das wo ich heute keine Unterwäsche trage", brummte Ganth empört.
"Cecilia, du machst es mir gerade sehr schwer, meinem Kaiser zu gehorchen", sagte Madison stockend.
"So? Du bist süß, Jaime."
Mit einem Räuspern wandte sich Myrte von dem küssenden Pärchen ab. "Nur nicht zu viel davon, sonst kriegst du einen Zuckerschock."
"Wir könnten, während die beiden beschäftigt sind, Sarah und Wim einfangen. Idealerweise, bevor Wim einen schwarzen Hahn zum Ruhm des Kaisers schlachtet."
"Ach, richtig, da war ja noch was." Mit einem resignierten Laut folgte Harris dem Shomona-Piraten.
***
Es war noch nicht ganz ein Uhr, als tatsächlich ein Butler des Palastes an sie heran trat. Er sprach jeden einzelnen Offizier nach Rang und Dienstzeit gestaffelt persönlich an, bevor er die magischen Worte sprach: "Bitte folgen sie mir, Herrschaften."
Interessiert und beeindruckt folgten die Kapitäne und Offiziere dem Livrierten. Arlene Schlüter und Gerard Rössing hingegen machten so ernste Gesichter, als würden sie zu ihrer eigenen Erschießung gehen müssen.
Atura Tiki, die Kapitänin der CALAINCOURT, warf dem Livrierten einen unsicheren Blick hinterher. "Und wo bringt er uns jetzt hin?"
Schlüter sah sich zu einer Antwort genötigt. "Wahrscheinlich sind wir auf die Spielwiese eingeladen worden, Atura. Keine Sorge, das wird lustig."
Dem Gesichtsausdruck der jungen Kapitänin war anzusehen, dass sie diese Meinung in keinster Form teilte.
Der Butler führte sie durch eine getarnte Tür in einen halbdunklen Laufgang, der von zwei Wächtern in martialischen Kampfrüstungen und einer Sicherheitsdrohne überwacht wurde. Die Angestellten des Kaiser-Palastes benutzten ihn, um ungesehen von den Gästen Essen und Getränke zu holen.
Der Gang wurde heller, war bald gut erleuchtet. Nur im Eingangsbereich war er dunkel gehalten, um eventuellen Eindringlingen gegenüber den Wächtern einen Nachteil zu bieten.
Sie wechselten den Gang über eine Kreuzung, mussten einen Fahrstuhl nehmen und noch einem Gang folgen. Danach traten sie wieder in den eigentlichen Palast ein. Es handelte sich um einen stillgelegten Wohnflügel, der vor ewigen Zeiten einmal vom Vater Frederecs bewohnt worden war. Nachdem sie den Trakt betreten hatten, verabschiedete sich der Diener mit einer leichten Verbeugung. „Die Damen rechts, die Herren links, bitte. Ich werde sie wieder in Empfang nehmen, wenn ihnen danach ist, den Abend zu beenden.“ Mit einer erneuten Verbeugung verabschiedete sich der Butler und verließ den Trakt wieder.
Unruhig trat Tiki von einem Bein aufs andere. "Und was nun?"
"Na, was wohl?" Schlüter ergriff ihren Arm und zog sie hinter sich her. "Wir gehen rechts rein, die Herren links."
"Was sonst?" Mit einem breiten grinsen folgte Ganth, und schließlich schloss sich auch Sarah Richards an.
"Und was machen wir jetzt?", fragte Madison unsicher.
"Wir nehmen die linke Tür", sagte Loggan Harris bestimmt, ergriff den Knight-Piloten am Arm und schob ihn mit sanfter Gewalt vor sich her.

Im Zimmer erwarteten die Frauen zwei Dienerinnen und eine Garderobe mit großer Auswahl.
„Guten Abend, General Ganth, Kapitän Schlüter, Kapitänleutnant Richards, Kapitänleutnant Tiki“, sagte die ältere der beiden. „Wenn sie uns bitte ihre Uniformen übergeben würden? Dort sind Umkleidekabinen. Vorher können sie sich neue Bekleidung in der Kollektion aussuchen. Keine Sorge. Alle Sachen sind frisch gewaschen.“
„Neue Bekleidung?“, fragte die Kapitänin der CALAINCOURT mit einem Anflug von Panik in der Stimme.
Die jüngere Dienerin lachte kurz prustend und murmelte eine Entschuldigung, als die Ältere sie strafend ansah. Danach seufzte sie und begann im jovialen Ton eines Menschen, der immer wieder die gleichen Worte wiederholte: „Sie befinden sich in der Spielwiese des Kaisers. Dieser Trakt diente bereits Robert dem Fünften und seinen Gästen zur Entspannung und zur Abwechslung. Kaiser Johann und seine Verlobte setzen diese Tradition nun fort.
Wir bieten diverse Gesellschaftsspiele wie Karten, Roulette und Billard, ein Schwimmbad, eine Sauna, mehrere Massageräume, einen kleinen Fußballplatz, Minigolf, Arcade-Spiele, ein kleines Kino und ein paar Fernsehzimmer. Da diese Tätigkeiten mit Ausgehuniformen nicht konform gehen, geschweige denn mit manchen pompösen Ballkleidern und Anzügen, bietet die kaiserliche Dienerschaft ihnen die Möglichkeit, etwas bequemeres anzuziehen, um den Abend genießen zu können. In dieser Zeit reinigen wir ihre Uniformen und verwahren sie, bis sie uns verlassen wollen. Selbstverständlich können sie in der bequemen Kleidung gehen oder sie auch nur mitnehmen, wenn sie es wünschen.“
„Keine Orgie“, sagte Ganth in Richtung von Tiki. "Hast Pech gehabt, Mädchen."
"Damit macht man keine Scherze", erwiderte sie mit Erleichterung in der Stimme.
Schlüter sah die ältere der beiden Dienerinnen an und nickte ihr auffordernd zu.
„Ich kann eine organisieren, wenn sie es wünschen, meine Damen“, sagte die ältere Dienerin in einem nebensächlich klingenden Tonfall. "Der kaiserliche Palast hat schließlich einen Ruf zu wahren."
Als die Dienerin das offene Entsetzen der drei nicht eingeweihten weiblichen Offiziere sah, schmunzelte sie und sagte: „Entschuldigen Sie bitte meinen Hang zu derben Scherzen. Natürlich organisieren wir keine Orgien. Wenngleich Admiral Rössing dafür bekannt ist, gerne mal eine Fressorgie zu zelebrieren. Hier entlang, bitte, meine Damen.“
„Ich bin für die Kosmetik zuständig. Wenn sie es wünschen, schminke ich sie ab und trage ein dezenteres Make-Up auf. Oder eine Tagescreme und ein wenig Lippenstift. Ich stehe ganz zu ihrer Verfügung“, sagte die Jüngere. "Sie sollen sich schließlich wohl fühlen auf der Spielwiese des Kaisers."
"Und vor allem wollen wir, das sich Kapitän Rend wohl fühlt, damit wir baldmöglichst eine Kaiserin bekommen", fügte die Ältere hinzu.
"Na, da kann man wohl nichts machen, oder?" Ganth trat an die Wäscheständer heran. "Ist ein Mini zu gewagt? Ich will ja nicht Minigolf spielen oder bowlen..."
Schlüter drückte Tiki nach vorne. "Ran an die Klamotten. Sachen aussuchen. Und in unter fünf Minuten umziehen und abschminken."
"J-jawohl, Ma'am."
"Dann wäre das wohl auch erledigt. Resi, haben Sie meine Kleidung vom letzten Mal noch vorrätig?"
Die Ältere präsentierte einen Kleiderbügel. "Als hätte ich es geahnt, Ma'am."
"Danke. Sie sind die Beste. Sandy, ich komme gleich als erste zu abschminken zu Ihnen. Heute wird es etwas Gloss tun."
"Der Kunde ist König, Ma'am", erwiderte die Jüngere lächelnd.
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Die Spielwiese des Kaisers erwies sich als äußerst weitläufig. Dennoch konnten sich die Kapitäne und Offiziere nicht sofort verteilen, auch wenn die eine oder andere Beschäftigung oder Bar lockte. Hauptmann Jeremy Schmitt, Gerüchten zufolge kurz vor der Zwei-Stufen-Beförderung zum Oberstleutnant, und heißester Aspirant auf den Chefsessel im Militärischen Geheimdienst, nahm sie in Empfang und führte sie in einen mit mehreren Sitzgruppen komfortabel eingerichteten Saal, der von beinahe einhundert Leuten in Beschlag genommen wurde. Diener huschten zwischen den Gästen umher, die aus Militär, Politik, Wirtschaft und den öffentlichen Leben stammten. Gerard Rössing erkannte neben Carrie Rodriguez auch Karen O´Connely von Yura-Maynhaus Independent, die erst vor kurzem auf Sanssouci eingetroffen war. Sie hatte die entführten Katalauner bis Munich begleitet und über sie berichtet. Auch erkannte er Toras Hekki Lanma, den Rydanen aus Jemfeld, der mit seinem Team trotz des Krieges sehr objektiv über die Mission berichtet hatte. Wenn es in naher Zukunft zu einem Frieden mit Zyrrtekk und Jemfeld kommen konnte, dann sicherlich nicht zuletzt wegen diese Mann.
Schmitt bedeutete ihnen, sich einen Platz in der Nähe des Kaisers zu suchen. Er ging direkt zu Johann durch. Allerdings standen sie nicht lange alleine da, denn ein Diener versorgte sie sofort mit ihren Lieblingsgetränken. Rössing stellte erstaunt fest, das man sogar daran gedacht hatte, dass er zwar am liebsten Wodka trank, aber zum anstoßen grundsätzlich Schaumwein bevorzugte. Als er die Champagnerflöte in die Hand gedrückt bekam, stahl sich ein Lächeln auf seine Züge. Vor den Spaß hatte der Kaiser nun mal die Arbeit gestellt. Wenn sie Pech hatten, würde Han also eine Rede halten. Wenn sie Glück hatten, würde er eine seiner berühmten, mitreißenden Reden halten. So oder so würde es nicht ohne einen Salut gehen.

Schmitt erreichte die Seite des Kaisers, der von mehreren hochrangigen republikanischen Offizieren und den Rends umgeben war. Er flüsterte ihm etwas ins Ohr. Erfreut nickte Johann. Dann ließ er sich seinerseits ein Champagnerglas geben und ergriff die Hand seiner Verlobten.
"Da wir nun endlich vollständig sind, erlaubt mir, liebe Weggefährten, Kameraden, Freunde und Gleichgesinnte, ein paar Worte zu sagen. Als ich damals mit vielen von euch über Vesuv in der Klemme steckte, da hätte ich mir zwei Dinge niemals träumen lassen. Nummer eins war, mich um das Kaiseramt zu bewerben. Nummer zwei war, die republikanische Demokratie zu verteidigen."
Leises Gelächter erklang.
"Merkwürdigerweise hat beides funktioniert. Nun sitze ich hier, bin verlobt und stehe kurz vor meiner Hochzeit, habe meine Ernennungsurkunde zum Kaiser erhalten und regiere Katalaun. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, daran zu denken, und mich selbst mit dem Johann Arling zu vergleichen, der seinem Vater ein paar Wochen zuvor noch die Frau fürs Leben vorgestellt hat. Ich denke, ich bin in dieser Zeit erheblich schlauer geworden. Auch mein dickes Fell hat um einige Zentimeter zugelegt. Und die Zahl meiner Vertrauten, meiner Freunde, hat erheblichen Zuwachs erhalten - obwohl ich nie damit gerechnet hätte, ausgerechnet unter Maynhauser Offizieren wahre Freunde zu finden."
Coryn Griffin neigte spöttisch das Haupt, als Arling ihm zu zwinkerte.
"Zu dem weiser sein gehört meine wichtigste Erkenntnis. Man spricht mir den Friedensvertrag mit der Republik als alleinigen Verdienst zu, und das mag sogar richtig sein. Aber es wäre töricht, die Erfolge der Rheinland-Gruppe zu monopolisieren. Denn egal wo ich war, egal was ich getan habe und egal was ich befohlen habe, ich hatte immer Männer und Frauen um mich, auf die ich mich verlassen konnte, die mir zugearbeitet haben oder die meine ausführenden tausend Hände waren, meine zusätzlichen grauen Zellen, meine zusätzlichen Gewissen. Über Vesuv, als die Entscheidung fiel, Hephaistos zu nehmen, konnte ich dies nicht alleine tun. Ich hatte Offiziere und Mannschaften an Bord unserer Schiffe, die nicht nur meine Entscheidung getragen haben, sondern sie auch ausführten. Wir arbeiteten an Dutzenden Fronten miteinander, und haben eine große Katastrophe verhindert. Viele von uns haben dies mit ihren Leben bezahlt. Ich möchte aber weder ihren Tod verklären, noch den Wert dieses Opfers schmälern. Sie sind Mahnungen für mich, das das Richtige zu tun oft teurer ist als nichts zu tun, oder das Falsche zu zu lassen. Aber letztendlich werden Nichtstun und das Falsche eine höhere, grausamere Rechnung präsentieren und weit mehr Menschen schaden.
Als wir unser Konklave veranstalteten, um zu entscheiden, ob wir die tapferen Gryanen begleiten sollen, um ihre Präsidentin zu schützen, so haben alle Anwesenden dafür gesprochen, den Blutpreis, den sie für unsere katalaunischen Zivilisten zahlten, auf Heller und Pfennig zurück zu zahlen. Viele unserer Kameraden konnten und wollten nicht für die Republik kämpfen und blieben in der Nisos Elektron zurück. Aber auch sie waren sofort wieder bereit, ihre Leben zu riskieren, sobald wir sie auf Leonidas wieder aufgenommen hatten, solange es nur für das Wohl Katalauns war."
Einige Anwesenden sahen betreten zu Boden oder zur Seite.
Der Kaiser sah dies und machte eine wegwischende Handbewegung. "Ruhig, Leute. Schämt euch nicht dafür, dass ihr für das eingestanden seid, woran ihr glaubt. Damit seid ihr schon mal um einiges besser als unsere käufliche Presse. Im Gegenteil, seiner Meinung treu zu bleiben und eine unbequeme Entscheidung zu treffen ist viel schwerer als sich einfach mit dem Strom treiben zu lassen und die Konsequenzen aufs eigene Gewissen zu laden, obwohl man es gar nicht will. Wir haben gemeinsam über Vesuv gekämpft, wir haben zusammen in der brennenden RHEINLAND gestanden. Andere sahen dem Tod ins Auge, als sie unter Commander Slodowsky vier Whale-Transporter mit ihren Leben verteidigt haben. Das ist Heldenmut, jener kleine Moment hehrer Uneigennützigkeit, die niemand fordern darf, und die zu geben so unendlich schwer ist. Jeder Mann und jede Frau in diesem Raum hat Heldenmut gezeigt, auf seine oder ihre Weise. Jeder hier hat meinen Respekt, und wenn er oder sie es wünscht, auch meine Freundschaft.
Als Kaiser bin ich nichts. Nur ein Mann mit einem Titel. Erst mit euch, meine Freunde, werde ich ein vollwertiger Kaiser, werde ich der Regent Katalauns. Erst mit euch euren Augen und Ohren, euren Meinungen, eurem Verstand, werde ich Kaiser. Und ich wünsche mir aufrichtige, tapfere und ehrliche Freunde, so wie jeder einzelne hier im Raum. Dies ist die wichtigste Lektion, die ich über Vesuv oder über Sherwood lernen konnte: Alleine bin ich nichts... Aber ich bin nicht allein. Ich habe euch."
Zustimmendes Raunen erfüllte den Saal. Ein paar Anwesende klatschten symbolisch.
"Zusammen, liebe Freunde, können wir vielleicht der Kaiser sein, den Katalaun braucht und der stets das Beste für das Kaiserreich, aber auch seine Nachbarn tut. Der letzte Krieg hat uns furchtbare Narben geschlagen, zehntausenden das Leben gekostet und etliche stolze Schiffe versenkt. Sechzehn unserer Welten wurden erobert und sind es teilweise immer noch. Millionen unserer Bürger waren entführt und sind es teilweise immer noch. Manchmal höre ich Stimmen, die sagen: Es ist vorbei. Dann möchte ich gerne antworten: Es hat noch gar nicht angefangen. Wir stehen erst am Anfang. Am Anfang einer Zeit, die Kriege hinter sich lassen sollte. Einer Zeit, in der gute Nachbarschaft vor dem Schiffsneubau steht. Einer Zeit, in der wir vielleicht eines Tages ebenso arrogant wie die Terranische Republik sein können und unsere Flotten in die Galaxis hinaus schicken werden, um den armen primitiven Völkern vorzuführen, wie man es besser macht."
Admiral Papeete grinste breit zum wohlmeinenden Gelächter der Anwesenden, und verbeugte sich spöttisch.
"Doch das kann erst gelingen, wenn wir hier, wenn wir heute, wenn wir, die wir gemeinsam erst der Kaiser sind, auch gemeinsam daran arbeiten, erst Frieden und Wohlstand in Katalaun zu schaffen, danach Frieden und Wohlstand bei unseren Nachbarn, und letztendlich für die ganze Galaxis schaffen, egal ob für Menschen oder für die Angehörige extrakatalaunischer Zivilisationen. Das ist ein edles, aber fernes Ziel. Doch ich werde froh sein, wenn meine Amtszeit Zuende geht, und man künftig von mir sagt, das in meiner Zeit als Kaiser Kriege beendet, aber nicht begonnen wurden. Blauäugig? Illusorisch? Richtig, aber das sind Träume doch immer. Dennoch kann man ihnen folgen, sie in der Realität ausprobieren. Wer weiß, vielleicht werden wir alle überrascht sein, und diese Träume werden sich überraschend gut realisieren?"
Johann nahm einen Schluck aus seinem Glas. "Wir leben mit den Javaren zusammen, mit den Trontes, den Kyihatenen, die der Anzahl ihrer bewohnten Planeten entsprechend ihre Herzöge zu meiner Wahl entsandt haben. Wir kennen die Igseren und Türüz-Clans, die Shomona-Piraten, die attarischen Reisenden, die Katalaun durchqueren und keine Herzöge kennen. Aber sie schickten ihre Abgeordneten im Parlament, das mich wählte. Wir leben bereits in unseren Grenzen in einer wilden Mischung aus Menschen und jenen Völkern, die wir in unserer rassischen Arroganz Außerirdische nennen, weil wir alles und jedem einen Namen abverlangen, und wir leben gut mit ihnen. Dieses Jahr hat darüber hinaus nicht nur das Ende eines Krieges gesehen, sondern auch die Auferstehung des Herculaneums. An unserer Grenze zu den ehemaligen Diadochen und zur Republik herrscht nun Frieden. Und auch wenn ich unrealistisch bin und man mir Träumerei vorwerfen kann, so wünsche und hoffe ich doch, das dieser Frieden ewig hält und unsere drei Reiche in Freundschaft und Verständnis miteinander leben."
Tosender Applaus unterbrach den Kaiser. Er kam besonders stark von den Republikanern und den Herculeanern, aber die Katalauner bemühten sich, nicht nach zu stehen.
Johann Arling hob beide Hände. Stille kehrte ein.
"Heute habe ich, gleich nach meiner Ernennung, mit zwei besonderen Menschen konferiert. Die eine Person war Jenna Toral. Die andere Rhyann Klages. Wir sind überein gekommen, dass der Frieden, von dem ich träume, in diesen Tagen davon abhängt, was und wer ich bin - und vor allem das ich lebe. Deshalb haben wir uns entschlossen, aus dem Wort Freundschaft Realität zu machen. Wir werden darum eine gemeinsame Kampftruppe aufbauen, die im Namen unserer drei Nationen gleichberechtigt an unseren gemeinsamen Grenzen patrouillieren wird. Königin Toral stellt dafür die Perseii zur Verfügung. Rhyann Klages wird als ihre letzte Amtshandlung in vier Monaten die republikanischen Gryanen stiften. Und Katalaun wird die Ikarii wieder entstehen lassen, die damals Katalaun besiedelt und erschaffen hat. Wir erschaffen eine gemeinsame Flotte mit über dreihundert Kampfschiffen aller Klassen, die darüber hinaus auch exterritorial agieren wird. Wenn wir gemeinsam kämpfen, kämpfen wir nicht gegeneinander. Und wer weiß, vielleicht ist dies der erste Schritt zu mehr Gemeinsamkeit, zu einem Staatenbund. Aber das sind Zukunftsvisionen. Ich wollte dies heute vor allem deshalb erwähnen, weil Admiral von Hohenfels die HERCULES zum Flaggschiff der Ikarii und Kapitän Schlüter zu ihrer Kommandeurin bestimmt hat. Selbstverständlich verbunden mit einer Beförderung zum Konteradmiral. Entschuldige, Lenie, ich wollte dich zum Vize-Admiral machen, aber Magic Miranda hat mich überstimmt."
"Das kommt mir bekannt vor", kommentierte Robert und prostete in Richtung der Admirälin der Flotten. Dies ging jedoch in dem Begeisterungstaumel unter, der sich rund um Arlene entwickelte. Glückwünsche wurden gerufen, Hände wollten geschüttelt werden. Rössing war der Erste, der ihr die Hand gab. "Gratuliere, Admiral. Ich habe kein Problem damit, unter dir zu dienen, wenn ich damit zu den Ikarii kommen kann."
"Das freut mich zu hören, Gerry", erwiderte sie schmunzelnd.

"Wie ich vorhin schon sagte", begann Johann erneut, als es etwas ruhiger geworden war, "verlasse ich mich auf eure Freundschaft, euer Wohlwollen und eure Unterstützung, um ganz Katalaun für alle Katalauner in eine glückliche Zukunft zu führen. Vielleicht eine Zeit, in der du dich umschulen lassen musst, Gerrit." Er klopfte seinem zukünftigen Schwager auf die Schulter. Der grinste über den Rand seines Glases in die Runde und kommentierte das teils amüsierte Gelächter mit einem Nicken. "Da kommst du etwas spät, Han. Als Erster Ritter der Gräfin von Arling begleite ich sie selbstverständlich nach B-King. Sie soll es ja nicht zu leicht haben, oder?"
Wieder wurde gelacht, diesmal aber auf Kosten von Elisabeth. Die junge Versailles nahm es mit Humor.
"Schade. Ich hätte ansonsten eine wunderbare Stelle für dich gehabt, wie für dich geschaffen. Da du ja schon Erfahrungen bei deiner Nichte und deinem Neffen hast, hätte ich dich glatt als Kindermädchen engagiert. Ellie und ich haben uns ja in der Nisos Elektron leicht übernommen."
"Vier Kinder auf einen Schlag im Invitro-Verfahren anzusetzen ist nicht leicht übernommen, sondern hemmungslos übertrieben", tadelte Gerrit. "Nach meiner Vorstellung sind vier aber immer noch zu wenig. Immerhin braucht ihr elf Rends, und nicht nur vier, bevor ihr euch an Arlings machen könnt."
Ein Raunen ging durch die Anwesenden, teils amüsiert, teils gespielt resignierend. "Gut, gut", rief Gerrit und hob abwehrend die Linke, "ausnahmsweise dürft ihr einen der vier Arling nennen."
"Bruderherz", tadelte Ellie seufzend. "Zwei?", bot er hoffnungsvoll an. Wieder wurde gelacht.
"Ich fürchte, für die Vererbung des Familiennamens seid Mark und du verantwortlich." Ellie legte den Kopf schräg, als würde sie nachdenken. "Okay, Mark ist dafür zuständig."
"Was soll das denn heißen?", brummte Gerrit ärgerlich. Diese Lacher gingen eindeutig auf seine Kosten.
"Vielleicht haben Ellie und ich uns übernommen", sagte Johann schmunzelnd, "vielleicht waren wir zu eifrig, zu vorsichtig, zu ängstlich. Aber es ist eine Tatsache, dass wir vierfache Eltern werden. Das alleine ist schon eine schwierige Aufgabe. Nebenbei müssen wir uns auch noch um Katalaun kümmern und die Visionen verwirklichen, die wir für unsere Bürger haben. Wenn dann noch eine Mutter und ein Vater für Charlotte, Johann, Stuart und Madeleine da sein können, dann nicht zuletzt, weil ihr uns helft, diese schwere Bürde zu bewältigen. Deshalb wünsche ich mir, das diese Tage in unser aller Leben, in denen wir etwas Besonderes wurden, etwas edleres, etwas besseres, ewig währen." Johann hob sein Glas. "Und deshalb erlaubt mir, auf diesen ganz besonderen, hundertköpfigen Kaiser von Katalaun zu trinken. Auf den Kaiser!"
"Auf den Kaiser!"
Gerard prostete dabei ebenfalls, aber sein Salut galt alleine Johann. Johann, der sie sicher durch das Maynhauser Hinterland gebracht hatte. Johann, der sie bis ins Stabiae-System und zurück geführt hatte. Johann, an dessen Seite er seine STONEWALL in die Schlacht geführt hatte. Johann, der über Sherwood die Geschichte umgeschrieben hatte. Johann, der ohne einen Schuss abzugeben den Kaiserthron erobert hatte. Johann, sein Freund, sein Vorbild. Dieser Gedanke gefiel ihm. Beinahe noch mehr als weiterhin mit Lenie dienen zu können.
***
"Majestät, auf ein Wort."
Arling wandte sich der vertraut klingenden Stimme zu. "Lanma, was kann ich für Sie tun?"
Der Reporter aus Jemfeld wirkte verlegen, selbst bei der befremdlichen Körpersprache der Rydanen. "Kann ich mit Euch sprechen, Majestät? Ich weiß, der Abend sollte eine Feier sein, aber..."
"Hören Sie, Lanma, Sie haben mehr als einen gut bei mir. Sie besitzen meinen Respekt und mein Vertrauen. Die Frage, die sich Ihnen stellt ist also nicht ob Sie mit mir sprechen können, sondern wo, wann und mit wem?"
Der Rydane war überrascht. "Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich den Kreis gerne klein halten. Jedoch wäre es nicht verkehrt, Admiral von Hohenfels, die Direktoren Mannth und Rütli, Admiral Griffin und Admiral Bekatorou hinzu zu ziehen."
"Julian, rufen Sie die Betreffenden zusammen."
Der Adjutant des Kaisers nickte eifrig. "Natürlich, Majestät. Darf ich das erste Fernsehzimmer vorschlagen? Dort sitzt man sehr bequem um einen großen Tisch und hat Platz für zehn Leute."
"Wir treffen uns dort." Arling machte eine einladende Geste. "Hier entlang, Torasa Hekki Lanma."
Ellie erhob sich und wollte den beiden folgen. "Schatz, wenn du schon neugierig bist, nimm doch bitte Robert noch mit, ja?"
Ein Schmunzeln glitt über ihre Lippen. "Robert. Geht klar."

Als sie den Fernsehraum erreichten, erwartete sie bereits ein Livrierter. "Kaffee, Majestät? Und Termi-Tee, Herr Lanma?"
"Kaffee klingt gut, James." Der Kaiser ließ sich auf einem breiten Sofa nieder und bedeutete dem Rydanen, gegenüber Platz zu nehmen.
"Termi-Tee. Danke, guter Mann." Ächzend setzte sich der Reporter. Terranische Möbel waren nicht grundsätzlich mit rydanischen Körpern kompatibel, aber die weitflächigen, weichen Sofas im Fernsehzimmer kompensierten einige Unterschiede, sodass Torasa Hekki Lanma bequem sitzen konnte.
Nach und nach trafen weitere Zuhörer ein. In der Zwischenzeit servierte der Livrierte die heißen Getränke. Anschließen positionierte er sich am Tischende, einen halben Schritt von der Stelle entfernt, die er einnehmen musste, um den Rydanen vom Kaiser zu trennen.
"Also, Torasa Hekki, sprechen wir Klartext", sagte Johann ernst, während Eleonor neben ihm Platz nahm und sich an ihn drückte, "für wen sprechen Sie in Jemfeld? Den Rat? Den Präfekten? Eine oppositionelle Gruppe?"
Der Rydane wirkte nicht überrascht, aber amüsiert. "Scharfsinnig wie immer, Majestät. Tatsächlich wurde ich nicht nur auf die Mission der Rheinland-Gruppe geschickt, um über Euch zu berichten. Ich kam damals im Auftrag des Präfekten, doch mittlerweile spreche ich auch für den Rat.
In Jemfeld ist man von Euren Taten beeindruckt, Majestät. Schwerstens beeindruckt. Normalerweise hätten wir uns Zuhause göttlich darüber amüsiert, wenn sich Terranerabkömmlinge gegenseitig massakrieren, aber Euer Fall war sehr speziell. Man sagt, die Familie Beijing hätte auf Terra eigene Fanclubs. Nun, Ihr, Majestät, habt in Jemfeld eigene Fanclubs, und eine ganze Reihe junger, idealistischer Offiziere würde lieber heute als morgen einen Orden gründen, der Euren Idealen nacheifert.
Was ich sagen will ist: Die Gelegenheit ist günstig. Jemfeld wünscht sich Frieden, und Ihr, Majestät, seid der Mann, mit dem Frieden möglich ist."
Lanma ließ seine Worte sacken. Vereinzelt sah er in ungläubige Mienen, hier und da ein wissendes Nicken. Nur der Kaiser zeigte ein Emotionsfreies Gesicht.
"Wie Ihr Euch denken könnt, befinden sich die entführten Bürger Katalauns auf Jemfelder Gebiet. Allerdings behaupte ich, das wir sie besser behandeln als unsere Antipoden im Europa-Pakt. Wir sind jederzeit bereit, über die Rückführung der Zivilisten zu verhandeln."
Erfreutes Raunen ging durch den Saal.
Admiral Papeete räusperte sich. "Sie wissen, was Sie gerade getan haben, oder, Lanma? Ich könnte nun jederzeit meine Flotte los schicken, um die katalaunischen Entführungsopfer zu retten."
Der Rydane machte eine amüsierte Geste. "Warum etwas mit großem Aufwand tun, wenn man es umsonst haben kann? Für einige Garantien, unsere Grenzen betreffend, ein paar wegfallende Schutzzölle Katalauns, eine Handelslizenz hier und da sowie den erneuten Austausch von Botschaftern wäre Jemfeld normalerweise bereit, den unsäglichen Krieg zu beenden."
"Aber?", fragte Arling ernst.
"Aber es ist keine normale Zeit, Majestät. Und wir haben keinen normalen Verbündeten. Zyrrtekk ist hier das große Problem. Und ich möchte betonen: Zu Recht. Es ist zwar richtig, das wir Zyrrtekks Kriegsbemühungen mit Geld und Material unterstützen, und das sie acht katalaunische Welten erobert haben. Aber fünf dieser Welten gehören erst seit Frederecs Invasion von Zyrrtekk zum Kaiserreich."
Arling faltete die Hände ineinander und legte die Zeigefinger auf seine Nasenspitze. "Reden wir hier über Frieden zwischen Jemfeld und Katalaun, oder spielt Zyrrtekk da noch mit rein?"
"Im Gegensatz zur Republik - entschuldigen Sie, Admiral Griffin - werden wir die Zyrrtekk nicht für einen Separatfrieden zurücklassen. Natürlich sprechen wir über Frieden zwischen allen drei Kriegsparteien."
"Und Bedingung für diesen Frieden ist es, die besetzten Welten zurückzugeben?", fragte Johann mit Erleichterung in der Stimme.
"Nein, Majestät. Das ist keine Bedingung. Das ist nur eine Bitte um Verständnis."
"Sie sehen mich verwirrt, Torasa Hekki."
Der Rydane atmete tief ein. Er sah einmal durch den Raum und atmete wieder aus. Das Ergebnis war ein tiefer Seufzer voller Zweifel. "Majestät, Ihr habt die Ikarii ausgerufen. Darf ich also annehmen, dass Ihr besser über die Gründung Katalauns informiert seid als alle anderen Bürger, jenseits der Geschichtsprofessuren?"
"Sie dürfen. Ich hatte die Ehre, von der Nymphe Nyhartes Daiana Nissos im Vesuvischen Geschichtsarchiv über das Wirken der Ikarii informiert zu werden. Oder sagen wir lieber Pech dazu."
"Dann erzähle ich Euch ja nichts Neues, wenn ich über die Zyrrtekk berichte, und wie sie damals als Waffe missbraucht wurden."
"Geht es etwas ausführlicher? Für alle die nicht mit Han im Archiv auf Vesuv waren?", hakte Robert nach.
"Das dürften dann wohl so ziemlich alle sein", sagte Griffin schnaubend.
"Nun... Darf ich, Majestät? Katalauner mögen diese spezielle Wahrheit oft nicht so sehr."
"Fahren Sie fort, mein Freund."
"Der offiziellen Geschichtsschreibung Katalauns nach - und ich meine die aktuelle, die unter Robert etabliert wurde und nahezu unverfälscht ist - kam Kaiser Robert der Erste aus dem Herculeanum. Er brachte eine Flotte mit, und einte dieses zerrissene, Krieg führende und bigotte Raumgebiet, schloss die Menschen und die Javaren zusammen zu einer Gemeinschaft. Er ließ sich als Erster Kaiser ausrufen, und damit begann die Expansion Katalauns erst."
"Soweit nichts Neues", murmelte Admiral Hohenfels.
"Er führte dabei eine Garde an, die Ikarii. Genau die Garde, die seine Majestät heute wiederbelebt hat. Genauer gesagt eine königliche Garde des Dionysos. Man kannte damals vier Garden: Die Perseii, die Phillippii, die Gryanii und Ikarii. Dionysos erteilte Robert dem Ersten den Befehl, dieses Raumgebiet anzugreifen, zu erobern und einen Satellitenstaat zu gründen, der fortan das Herculeanum schützen sollte."
"Schützen vor was?", fragte Mannth scharf.
"Vor den Zyrrtekk." Der Rydane sah zu Arling herüber. "Majestät?"
Er nickte. "Wer weiß etwas mit dem Begriff Telvar anzufangen?"
"Telvar. Ein avionides Alien-Volk Jemfelds. Relativ unbedeutend. Achtzehn Systeme", zitierte Rütli aus dem Gedächtnis.
"Damals, vor gut dreihundert Jahren, waren sie etwas mächtiger. Ihr Reich umfasste drei Viertel aller von dem Javaren besiedelten Systeme. Die Telvar hatten sie attackiert, vertrieben oder ausgerottet und ihre Welten in Beschlag genommen, bis die Ikarii sie aufhalten, stoppen und zurückwerfen konnten. Der Haken bei der Geschichte war, dass die Telvar damals eine unglaublich vielseitige Waffe verwendeten: Die Zyrrtekk."
"Kannst du das bitte etwas genauer erklären, Johann?", fragte Griffin. "Ich glaube, sonst entgleitet mir mein Sinn für Realität. Womit haben wir es zu tun? Mietsöldnern, Kriegssklaven?"
"Eigentlich mit Jugendlichen. Ich weiß wie das klingt. Und dies ist sicher auch ein Grund, warum die Telvar heutzutage nicht nach Expansion streben." Arling seufzte leise. "Die Zyrrtekk sind eine insektiode Spezies aus eingeschlechtlichen Wesen. Ursprünglich haben sie sich aus Staatenbildenden Insekten entwickelt. Dann entstand die Staatenintelligenz, danach die individuelle Intelligenz. Die Zyrrtekk traten in eine Zeit des Chaos und der Kleinstaaterei ein, in der jedes Weibchen und jedes Männchen fortpflanzungsfähig war. In diesem Zustand, die Schwelle zur Intelligenz hinter sich gelassen, entdeckten die Telvar dieses Volk. Ich weiß nicht was dann geschah, aber danach gingen sie stets nach der gleichen Praxis vor. Sie warfen auf einer Welt, die sie erobern wollten, mehrere sogenannte Königinnen-Eier ab. Von diesem Punkt an mussten sie nur noch warten. Warten bis die Königinnen Staaten gebildet hatten, und bis diese Staaten alles Leben von der Welt getilgt hatten, inklusive aller konkurrierenden Zyrrtekk-Staaten. Danach war es ein Leichtes, die unbesiedelten Welten in Besitz zu nehmen und eventuell überlebende Königinnen zu eliminieren. Die Telvar waren zu einer neuen Siedlungswelt gelangt."
"Aber... Aber das ist Wahnsinn!", stieß von Hohenfels hervor. "Ich selbst habe schon mit Zyrrtekk-Offizieren verhandelt, mit ihren Politikern gesprochen. Sie haben ihre eigene Gesellschaft, eigene Werte und Normen, aber sie sind definitiv keine primitiven Fressorganismen!"
"Sie sehen da etwas grundlegend falsch, Admiral", mahnte der Rydane ernst. "Sie sind es nicht mehr. Nachdem die Ikarii sowohl die Telvar besiegt als auch die Zyrrtekk aus ihren Kriegszwängen befreit haben, wurden die Insektoiden aus ihrer Fressrolle befreit. Es war letztendlich Robert, der entschied, diesem jungen Volk eine Chance zu geben und seine Intelligenz zu kultivieren. Und es waren ikariische Spezialisten, die den Zyrrtekk dabei halfen, eine eigene Zivilisation aufzubauen.
Die Zyrrtekk, die von den Telvar missbraucht worden waren, waren Kinder ohne Werte und ohne Normen, ohne Wissen und ohne jeden Halt. Alles was sie hatten war ihre Existenz. Stellen Sie sich Kinder vor, Jugendliche, die ohne einen Funken Wissen in die Welt geworfen wurden, die keine Ahnung von Wissenschaft und Forschung haben, die hungrig sind und essen wollen. Stellen Sie sich Wesen vor, die ihre Intelligenz dazu benutzen, um leichter an Essen zu kommen, nicht um Philosophien oder Ideologien zu entwickeln. Stellen Sie sich Wesen vor, die es einfach nicht besser wissen. Missbraucht, misshandelt, geschändet am Geist und daran gehindert, mehr zu sein als große Esser. Das waren damals die Zyrrtekk. Und hätten sie nicht Jahre für die Eroberung einer Welt benötigt, hätte das Herculeanum sie erst bemerkt, wenn die ersten Welten von den Zyrrtekk angegriffen worden wären. So aber hat Dionysos rechtzeitig reagiert. Zu spät für Millionen Javaren, aber für viele andere Millionen noch rechtzeitig.
Die Ikarii haben ihnen das Leben geschenkt. Und dafür sind die Zyrrtekk noch heute dankbar."
"Eine schöne Dankbarkeit, wenn sie dafür auf unser Gebiet einfallen", murmelte Rütli.
"Wundert Sie das wirklich, Direktor Rütli? Nach all dem, was Katalaun den Zyrrtekk in den letzten Jahren angetan hat, alleine unter Frederec?"
"Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil, die Zyrrtekk haben geradezu menschlich reagiert."
Lanma sah Johann in die Augen. "Die Insektoiden sind schwer enttäuscht. Sie haben die Ikarii immer als ihren Prometheus verehrt, als ihre Heilsbringer. Ihre Götter. Für sie, die höheren Wesen, die ihnen das Licht und das Feuer geschenkt hatten, hätten die Zyrrtekk früher alles getan. Frederec hätte die Welten nicht erobern müssen, er hätte es sich nur wünschen müssen, um sie geschenkt zu bekommen!"
"Das ist dann doch ein klein wenig weit hergeholt", wandte Rütli erschrocken ein.
"Warum sollte es das? Die Soldaten Frederecs waren Soldaten eines Gottes, eigentlich selbst schon Götter. Verehrungswürdige Wesen. Höheres Leben. Existenzen, die verehrt gehören. Übrigens ist das der Grund, warum die entführten katalaunischen Bürger zu uns nach Jemfeld gebracht wurden. Die Zyrrtekk hätten nie gewagt, die Katalauner in Zwangsarbeit zu führen.
Frererec hat das nie kapiert, nie verstanden. Aber letztendlich ging es den Angreifern, den Hardlinern, wir ihr Katalauner so schön sagt, nicht darum, fremde Welten zu erobern, sondern die Zyrrtekk auszulöschen. Ohne Robert und die Revolution der Herzen hätte es Millionen Tote auf Seiten der Zyrrtekk gegeben. Hoheit, Ihr habt damals, ohne es zu wissen, mit Eurem bedingungslosen Rückruf all diese Leben gerettet."
Robert räusperte sich verlegen. "Es war nur natürlich, dass ich einen Kampf beende, den ich nicht zu tragen bereit war."
"Und dafür schätzt man Euch sowohl in Zyrrtekk als auch in Jemfeld. Euch persönlich, nicht länger die Katalauner. Frederec hat mit seinen Taten die Götter der Zyrrtekk gestohlen, sie entfremdet, sie gewandelt, ins Böse geführt. Und die Zyrrtekk machten sich auf die Suche nach ihnen, um sie wieder zu finden, neu zu beleben. Zurück zu erhalten, wonach sie sich so sehr sehnen."
"Das haben sie auf eine merkwürdige Art getan", warf Mannth ein.
"Auf genau die Art, die ihnen Katalaun vorgeführt hat", widersprach Lanma. "Majestät, es ist ganz einfach: Zyrrtekk wird auf seine fünf angestammten Welten widerstandslos verzichten, solange Ihr bereit seid, wieder der Gott ihrer Kultur zu werden."
Johann lehnte sich nach hinten, rieb sich die plötzlich schmerzende Stirn. "Götter? Wer hat hier vor, ein Gott werden zu wollen? Nein, Torasa Hekki. Auch Robert der Erste wollte nicht Gott für sie sein, sonst wäre er es geworden. Und ich habe keinerlei Bedürfnis, mir etwas anzumaßen, was ich selbst kaum verstehe. Keine katalaunischen Götter für Zyrrtekk. Das bringt nur Ärger, wie wir oft genug erleben durften. Selbst die Nymphen, die am ehesten dem entsprechen, was man Götter nennen dürfte, haben kein Interesse an dem Job. Alles was wir Zyrrtekk anbieten können sind gleichberechtigte Verhandlungen auf Augenhöhe, gegenseitiger Respekt und gegenseitiges, wachsendes Verständnis."
"Keine Götter?", hakte Lanma nach.
"Keine Götter, und erst Recht keinen Obergott Johann."
"Dann, befürchte ich, werden wir mit ganz weltlichen Verhandlungen um die Rückgabe der fünf durch Katalaun besetzten Welten und gegenseitige Aufrechnung der Reparationen Vorlieb nehmen müssen."
Arling schnaubte amüsiert. "Lieber eine Verhandlung, die vielleicht scheitert als eine, die mit einer handfesten Lüge beginnt. Katalaun will Frieden, Torasa Hekki. Und für diesen Frieden, Sicherheit an unseren Grenzen und die Rückführung unserer Bürger, sind wir bereit, einiges zu tun."
"Lieber harte Verhandlungen als harte Kriege, Majestät."
Der Kaiser erhob sich und streckte dem Reporter auf katalaunische Art die Rechte entgegen. "Als ich Sie das erste Mal gesehen habe, hielt ich Sie für einen guten Mann, Torasa Hekki. Es freut mich, dass ich mich nicht geirrt habe."
Der Rydane ergriff die Hand und drückte sie fest. "Ich bedaure, das damit der Krieg nicht beendet ist. Aber Jemfeld wird nun entsprechend Einfluss auf Zyrrtekk nehmen und die Dinge ins Rollen bringen."
Leise applaudierten die Umstehenden. Vielleicht war in diesem Moment ein Grundstein für einen dauerhaften Frieden mit den beiden Alien-Nationen gelegt worden. Vielleicht hatten sie Geschichte geschrieben. Vielleicht auch nur etwas dazu gelernt. Das waren alles positive Aspekte, fand Johann.
***
Zehn Minuten später waren nur noch vier Personen im Fernsehzimmer. Robert hatte den Raum als erster verlassen, wahrscheinlich um die brandheiße Neuigkeit seiner Freundin zu erzählen. Danach hatte sich der Raum gemächlich geleert. Die letzten Anwesenden waren nun Johann, Eleonor, der Livrierte und Admiral Papeete.
"Wünscht Ihr noch etwas zu trinken, Majestät?", fragte der Butler mit unbewegter Miene.
"Nein, James. Das wäre alles."
Der Butler warf Papeete einen mürrischen Blick zu. "Wenn Ihr zustimmt, Majestät, widme ich mich wieder meiner regulären Tätigkeit."
"Ja, danke, James. Ach, und James? Sie leisten sehr gute Arbeit."
Der Livrierte lächelte dünn. "Ich bin nicht Krug, Majestät."
"Ich weiß." Arling erwiderte das Lächeln.
"Entschuldigt mich." Steif ging der Butler zur Tür.
"Ich glaube, er lässt Euch nicht gerne mit mir allein, Majestät", sagte Papeete grinsend.
"Nein, warum sollte er auch? Es ist sein Job, auf mein Leben zu achten. Nicht, das es bei Ihnen in Gefahr wäre, Admiral."
"Nicht im Moment, das ist richtig."
Eleonor Rend hob fragend den Kopf. "Wie lange bleiben Sie uns eigentlich noch erhalten, Marama? Wie lange bleiben Sie noch in Katalaun?"
Der Befehlshaber der 1. Terranischen Außenflotte hob entschuldigend die Arme. "Sie müssen verstehen, Ellie, dass wir Terraner zwar relativ schnell einen humanitären Einsatz in die Wege leiten können, aber wir müssen ihn auch rechtfertigen. Das bedeutet, das so ein Einsatz mindestens ein halbes Jahr dauern muss. Alleine schon wegen der freigegebenen Ressourcen. Erst dann hat sich eine Mission auch für die terranischen Versorgerfirmen rentiert. Und die meisten Missionen unserer Friedensflotten dauern meist ein Jahr oder länger an."
"Dann haben wir ja noch ein paar Monate zusammen." Arling schmunzelte. "Das ist gut. Wir werden für die gemeinsame Truppe aus Gryanen, Ikarii und Perseii die terranischen Erfahrungen sehr gut gebrauchen können, wenn wir schon nicht die überragende Technologie Terras unser eigen nennen können."
"Gerne stehe ich mit Rat und Tat zur Seite." Papeete unterdrückte einen Lacher. "Aber was die überlegene Technologie angeht... Nun, Majestät, sicher habt Ihr festgestellt, das es kein Terraner war, der Euch vor dem Attentäter gerettet hat, der Euch aus den Reihen der Christen am Palastpark angegriffen hat."
"Es war eine Nymphe. Genauer gesagt ein er, der mir persönlich bekannt ist."
"Richtig. Aber es ist nicht so, dass wir Euch nicht hätten retten können." Sein Blick bekam einen amüsiert-gefährlichen Touch. "Wir haben es der Nymphe lediglich erlaubt."
"Vorsicht, Marama, lehnen Sie sich nicht zu weit aus dem Fenster", mahnte Ellie schmunzelnd.
"Oh, wir kennen die Nymphen schon lange und schätzen sie als neutrale Schutzmacht. Selbstverständlich hatten wir Gelegenheit, ihre Fähigkeiten zu studieren." Papeete hob seinen linken Arm, drückte einen Knopf und musterte das entstandene Display. "Zum Beispiel befinden sich in diesem Moment zwei Nymphen im Raum. Drei Meter zur Linken, vor der Fernsehwand."
Vor der Wand flimmerte es, dann entstanden die Konturen von zwei entfernt menschenähnlichen Wesen. "Scharfsinnig wie immer, Marama", sagte Nyhartes Daiana Nissos.
"Nur ein wenig aufmerksam." Papeete verbeugte sich leicht. "Wenn Ihr mich entschuldigen wollt... Majestät, Ma'am." Ohne ein weiteres Wort verließ Marama Papeete das Zimmer.
Die zweite Nymphe war Harold Zachary Chun, jene Nymphe, die für sich in Anspruch nahm, der Dynastievater der Beijings zu sein. "Hallo, mein Junge", sagte er freundlich. "Ellie."
Nyhartes wurde stofflich. Sie trat auf den Kaiser zu und setzte sich neben ihn. Sie ergriff seine Hände und drückte sie fest. "Hannes, du hast dich richtig entschieden. Ich bin sehr stolz auf dich. Du hast die Hybris, ihr Gott zu werden, abgelehnt. Genauso hat sich damals Robert Versailles entschieden, die Zyrrtekk nicht auszulöschen, sondern ihnen ein Leben zu geben. Darüber hinaus gab er ihnen Herzen und Seelen."
"Muss ich mir jetzt Sorgen machen?", fragte Eleonor leise.
Die Nymphe musterte sie verwundert, dann ihre eigenen und Johanns Hände. Schließlich begann sie zu lachen und ließ seine Hände wieder los. "Nein, das musst du nicht, Ellie. Ganz gewiss nicht."
"Bei mir musst du da schon mehr Angst haben", säuselte Harold, und lehnte sich auf Arlings Schultern. "Ich stehe total auf den Heldentypus."
"Sehr komisch, werter Vorfahr."
Die Nymphe schnaubte amüsiert. "Jedenfalls ist das kein Freibrief für dich, junger Mann. Im Gegenteil. Wir werden des öfteren mal vorbei schauen, und dir auf die Finger sehen. Es kann ja keiner von dir verlangen, das deine Serie ungebrochen anhält."
"Nun tue nicht so als wärst du mein Vater", brummte Johann.
Verblüfft richtete sich Harold wieder auf. Er lachte stockend. "Ich bin dein Vorfahr. Das zählt doch auch etwas, oder?"
"Auf einen Vorfahren, der mich bewacht, kann ich durchaus verzichten", erwiderte Johann ernst. "Aber das heißt nicht, das ihr nicht öfters vorbei schauen könnt. Oder ganz hier bleibt."
"Nein, das wird nicht gehen", sagte Nyhartes bedauernd. "Das Herculeanum ist gerade erst wieder entstanden, und die Probleme nehmen naturgemäß mit jedem Tag eher zu als ab. Und je weniger die ehemaligen Diadochen in Blut und Tod versinken, desto höher werden die Forderungen, welche die Herrscher der Diadochen für ihre Teilnahme am Herculeanum stellen. Unsere Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass das Herculeanum nicht doch noch scheitert."
"Die Übersetzung lautet: Wir kommen nicht so oft, wie wir wollen. Aber wir kommen so oft wie wir können", scherzte Harold.
"Du bist wie immer sehr gut in Form, Zak", tadelte Nyhartes. Sie erhob sich wieder und wurde teilstofflich. "Wir werden wieder nach Sanssouci kommen, wenn ihr beide heiratet, als offizielle Vertreter der Nymphen. Wir begleiten Jenna Toral. Danach werden wir es wohl erst wieder schaffen, wenn ihr eurem Nachwuchs auf die Welt helft."
"Reife Leistung übrigens, alle vier Kinder auf einen Schlag haben zu wollen. Wenn ich daran denke, das meine Kinder alle gemeinsam auf die Welt gekommen wären... Es sind eure Kinder. Ihr müsst es wissen." Harold winkte ihnen zum Abschied zu. Auch Nyhartes hob grüßend die Hand. Augenblicke später verblassten sie wie Frühnebel, der von Wind zerzaust wurde.
Eleonor Rend schmiegte sich wieder an Johann an. "Und was nun, mein Kaiser?"
"Nun, meine zukünftige Kaiserin, bereiten wir uns auf das nächste große Spektakel vor, das sogar die Riverside-Schlacht in den Schatten stellen wird: Unsere Hochzeit. Und danach wird es auch nicht langweiliger werden, versprochen."
"Ich habe nichts anderes von Johann Arling erwartet", erwiderte Ellie todernst.
"Was, das es nicht langweilig wird?"
"Nein, das du mich heiratest, Han."
Verständnislos räusperte sich der Kaiser. "Du hast doch nicht etwa an mir gezweifelt?"
"Nein. Habe ich ja eben nicht. Und danke, dass du diesen Butler Krug raus geworfen hast. Mir ging er ständig damit auf die Nerven, das ich nicht die richtige Partie für dich wäre, und so."
"So! Schade, das ich ihn schon gefeuert habe. Ich heirate nämlich wen ich will." Zärtlich sah er Ellie in die Augen. "Und das bist einzig und alleine du."
"Ich weiß", schmunzelte sie und küsste ihn kurz auf die Lippen, bevor sie aufsprang. "Schluss jetzt. Gehen wir zurück zu unseren Gästen. Immerhin ist das hier deine inoffizielle Krönungsfeier."
"Zugegeben", murmelte Johann schmunzelnd und ließ sich von ihr auf die Füße ziehen.

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18.
03.03.2614
Port Ivanhoe
Kontinent Arling
B-King, Cipangu-System

"So, und das ist euer neues Reich", verkündete Elisabeth stolz, während sie mit beiden Armen eine weit ausholende, alles umfassende Geste machte, so als wolle sie die Villa als Ganzes ergreifen und den beiden Menschen vor ihr reichen.
"Ist das nicht viel zu groß?", fragte Soraya Iskender staunend, die ehemalige Erset Offizierin der PRAG.
"Nein. Oh nein, nein, das ist nicht zu groß", sagte Elisabeth hastig, trat auf die ältere Frau zu und ergriff ihre Hände. "Nein, Soraya, bitte, ihr müsst mich etwas für euch tun lassen dürfen! Ihr habt Vater so lange und so treu gedient, und ich hatte nie die Chance, es euch irgendwie wieder zu vergelten. Im Gegenteil, während ich auf Sanssouci mein ruhiges, geregeltes Leben gelebt habe, musstet ihr mit der Crew der PRAG auf Greenday versauern."
"Wir sind nicht versauert", merkte Popow verstimmt an. "Gewiss, Greenday ist eine Agrar-Entwicklungswelt der übelsten Sorte. Aber das Leben dort war herrlich unkompliziert. Warum können wir nicht einfach nach Greenday zurück kehren? Wir wurden abgemustert und haben die PRAG Admiral Rössing als persönliches Flaggschiff übergeben. Unsere Zeit des Bangens ist vorbei. Alles was wir jetzt noch wollen ist an einem Platz leben, der uns gefällt." Zaghaft griff Popow nach der Hand seiner ehemaligen Stellvertreterin, eine Geste, die er zehn Jahre lang unterdrückt hatte. Sie lächelte nur und ergriff ihrerseits seine Hand. In Liebesdingen waren sie beide unbeholfen und unerfahren, weil der Dienst sie so lange in Beschlag genommen hatte. Aber als der Abmusterungsbefehl gekommen war, hatten sie einander beinahe sofort gefunden. Endlich gefunden.
Charles Monterney, der lässig an der Wand lehnte, meldete sich mit einem Räuspern. "Ich denke in achtzehn Zimmern auf drei Etagen und mit zweitausend Quadratmetern Garten lässt es sich sehr gut leben. Draußen geht der Ko vorbei, deshalb ist diese Ecke von Arling immer grün und fruchtbar. Der Garten ist ziemlich toll. Und der Pool hat eine Bahn von fünfundzwanzig Metern."
"Mit Verlaub, General Monterney, aber das ist doch alles viel zu groß, viel zu viel Platz. Ich bin mein Kapitänsquartier gewöhnt, bescheidenere Verhältnisse. Was soll ich mit... Mit so viel Luxus?"
"Zweitausend Quadratmeter Garten?", fragte Soraya mit leuchtenden Augen. "Darf... Kann ich ihn sehen?"
Ein warmes Lächeln huschte über Elisabeths Züge. Sie umarmte die Offizierin, die sie schon von Kindesbeinen an kannte. "Natürlich kannst du ihn sehen. Ab heute gehört er ja dir, Soraya."
"Mylady, ich...", krächzte sie, als ihr ein Gefühl der Beklemmung die Kehle zuschnürte.
Popow seufzte schwer. "Ein Pool, sagten Sie, Charly? Vielleicht lohnt sich ja ein Blick darauf. Allerdings habe ich absolut keine Ahnung was ich mit achtzehn Zimmern anfangen soll. Ja, Himmel, soll ich vielleicht dem Beispiel des Kaisers folgen und schnell noch eine Großfamilie in die Welt setzen?"
"Wäre nicht die dümmste Idee, Sergej", sagte Charles und stieß sich von der Wand ab. "Achtzehn Räume und sechs Bäder. Die werden Sie noch bitter brauchen. Das Gros der Mannschaft Ihrer PRAG hat sich ebenfalls dazu entschlossen, auf B-King zu siedeln, viele wohnen hier in Port Ivanhoe oder drüben in Port Lancelot. Sie werden ständig ein volles Haus haben, Sergej. Es wird Ihnen eher an Platz mangeln, fürchte ich."
Elisabeth hatte indes Soraya Iskender am Arm zur großen Panorama-Tür geführt. Dort depolarisierte sie auf Zuruf die Scheibe und machte den Blick frei auf ein wahres Blumenmeer, welche eine riesige Rasenfläche und den Pool einrahmten. "Es wird eine Menge Arbeit, den Garten zu pflegen. Es gibt in Port Arthur ein Verbot, Arbeitsroboter einzusetzen, weder im Garten, noch im Haus. Aber ich habe bereits Angebote sehr zuverlässiger Firmen eingeholt, die sowohl Gärtnerdienste als auch Hausbedienstete anbieten. Selbstverständlich werde ich diese Leute bezahlen. Und keine Widerrede."
Mit großen Augen sah Soraya auf die Blumenpracht hinaus. Die große Panoramatür öffnete sich vor ihr und ließ sie in den Garten. Mit vierunddreißig Grad war es recht warm, aber der leichte kühle Wind, der vom Fluss kam, trug den Duft der zehntausenden Blüten bis zu ihr ins Haus. Sie schloss die Augen, breitete die Arme aus und atmete tief ein.
"Sieht so aus, als würde es ihr gefallen", stichelte Charles.
Popow schnaubte viel sagend. "Okay. Ich weiß, wann ich verloren habe. Soraya hat sich gerade Hals über Kopf in den Garten verliebt. Ich denke, wir werden dann wohl einziehen. Auch wenn ich noch gar keine Ahnung habe, wie ich achtzehn Zimmer füllen soll."
"Keine Sorge, die Gräfin von Arling macht keine halben Sachen. Natürlich wird das Haus voll möbliert. Noch bevor wir zur offiziellen Hochzeitsfeier des Kaiserpaars abfliegen, wird das Haus voll möbliert sein."
"Gräfin von Arling. Die neue Zeit kam etwas plötzlich und etwas heftig, finde ich.Und etwas zu gewaltig. Hätten Sie mich vor einem Jahr gefragt, ob ich all das kommen sehe, dann hätte ich Sie für verrückt erklärt."
"Und?", fragte Charles grinsend.
"Ich bin im höchsten Maße erstaunt, wie gut sich die Dinge entwickelt haben. Frieden mit dem Herculeanum und Yura-Maynhaus, ernsthafte Friedensverhandlungen mit Jemfeld und Zyrrtekk... Ich hätte für Lord Arlings Karriere als Kaiser einen beschwerlicheren Start erwartet. Stattdessen scheint ihm das halbe Universum Gefälligkeiten hinter her zu werfen. Und so lange die terranische Flotte das Montillon-System beschützt, sehen das viele Katalauner als terranische Legitimierung seiner Regentschaft."
"Terranische Flotte hin, terranische Flotte her, was ihm wirklich genutzt hat, neben dem Rückhalt von seinen Freunden, das ist die Repatriierung der zwei Millionen katalaunischen Zwangsarbeiter aus Jemfeld. Per Erster Klasse-Tickets und mit fetten Abfindungen im Gepäck."
"Zugegeben. Wir können es leugnen, wir können es ignorieren, aber Geld ist immer noch ein sehr wichtiges Argument für uns Menschen", bemerkte Popow amüsiert. Er deutete nach oben. "Auch dieses Haus bedeutet Geld, das geflossen ist."
"Allerdings. Aber freuen Sie sich doch, Sergej. Sie haben nur achtzehn Räume. Ich muss mich ganz Schloss Arling herumschlagen. Das sind, die Säle eingeschlossen, fast einhundert Räume."
"Sie haben mein tiefstes Mitgefühl, Charles", spottete Popow. "Zum Glück verlassen Sie die Ikarii eher selten und müssen sich daher nicht besonders oft mit Ihrem Einhundert Zimmer-Anwesen herumschlagen."
"Und den Farmen, den Weinbergen, den Arlingschen Industrien... Ohne Edmont wüsste ich gar nicht wo mir der Kopf steht. Hans Hauptverwalter schafft es sogar, Elise etwas wirtschaftlichen Sachverstand einzubleuen."
"Allerdings. Hinter vorgehaltener Hand nennt man ihn in gewissen Kreisen auch den Kleinen Kaiser, der Johann Arling in Wirtschaftsfragen ausgebildet hat. Ich glaube, das ist so weit nicht her geholt. Wenn Sie mich fragen würde er einen sehr guten planetaren Verweser abgeben."
Charles seufzte. "Zum Glück zeigt er keinerlei Ambitionen das Amt als Verwalter der Arlingschen Besitztümer aufzugeben. Sogar Hans Einladung, nach Sanssouci zu kommen und dort als Wirtschaftsminister zu dienen hat er zugunsten dieses Postens ausgeschlagen."
Popow hüstelte amüsiert. "Wie viel Mark kostet diese Treue im Monat?"
"Er kriegt jetzt achtzehntausend Mark netto. Ohne Urlaubsgeld und sonstige Leistungsgratifikationen. Und er ist jeden einzelnen Pfennig mehr als wert." Ein piepsender Kommunikator riss Charles aus dem Gespräch. "Ah, nur der Alarm. In einer Stunde müssen Elise und ich am Raumhafen sein. Dann nimmt uns ein Beiboot der PRAG auf. Wir wollen schließlich mit ein paar Tagen Vorsprung eintreffen, um dem glücklichen Paar bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen."
"Es ist ja nicht weit bis Port Arthur. So gesehen sollten Soraya und ich höchst dankbar dafür sein, dass Sie und Lady Elisabeth sich die Zeit genommen haben, um uns das Haus zu zeigen, Charles."
"Das ist das mindeste, was wir tun können, Sergej. Sie haben in allen Stufen unseres Plans, und auch an den Stellen, wo wir improvisieren mussten, hervorragende Arbeit geleistet. Sie könnten heute wieder Konteradmiral sein."
Der ehemalige Kommandant der PRAG seufzte. "Nein, Charles. Ich habe genug gesehen. Ich kann diese Bühne getrost Johann Arling und seiner Frau überlassen. Vor allem jetzt, wo es Elisabeth augenscheinlich so gut geht, und Sie dieses liebenswerte Mädchen auf Händen tragen. Wann werden Sie eigentlich seiner Lordschaft nacheifern?"
"Und heiraten? Auf jeden Fall nach Han und Ellie. Ich bin ja überhaupt froh, dass sie sich nach der kleinen Feier im engsten Familienkreis nach Hans Ernennung zum Kaiser doch noch zu einer großen Zeremonie entschlossen haben. Mit genau all dem großen Tamtam, das Han eigentlich überhaupt nicht mag."
"Trotzdem eine der besten Entscheidungen, die das Kaiserpaar bisher getroffen hat. Vor allem eine sehr populäre Entscheidung. Zuerst haben sie bescheiden im kleinen Rahmen gefeiert. Und erst nachdem ein paar Millionen Bittschriften den Palast überschwemmt haben, kam es zur Entscheidung zu dieser Feier. Eine perfekte Inszenierung. Und wenn es nicht inszeniert ist, ein verdammt toller Zufall."
"Vielleicht ein wenig von beidem", schmunzelte Charles. Er legte einen Arm um die Schultern des Kleineren und zog ihn mit sich nach draußen in den Garten, wo Elisabeth und Soraya ihre Füße im Pool baumeln ließen.
"Wong und Mireille werden im Laufe der Woche in das Haus gegenüber ziehen. Fünf weitere Offiziere und Mannschaftsdienstgrade beziehen dann andere Häuser in der Straße. Alles in allem bringen wir hier zwei Drittel Ihrer ehemaligen Leute unter."
"Hier in diesem Haus? Ich wusste, es gibt einen Haken bei den achtzehn Zimmern", scherzte Popow.
Charles lachte kurz höflich. "Ihr Nachbar zur Rechten ist zur Zeit im Urlaub. Aber Ihr Nachbar zur Linken hat bereits großes Interesse an Ihnen und Soraya gezeigt. Ein Ehepaar, verheiratet, zwei Kinder wohnen bei ihnen, die Älteste ist schon lange aus dem Haus. Als ich heute morgen mit ihnen gesprochen habe, sagten sie mir, Sie sollten heute noch vorbei schauen. Es sind tolle Nachbarn, sie werden Ihnen gefallen, Sergej." Charles zog den Mann mit sich an die niedrige Hecke. Von hier aus konnte man das Nachbargrundstück inklusive der großzügigen Terrasse einsehen, die sich in den Garten erstreckte. Auf der Terrasse stand ein großer schlanker Mann an einem arbeitenden Grill, während seine Frau hinter ihm den Tisch eindeckte. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, spielten ausgelassen im etwa nur halb so großen Pool.
"Fred! Wilhelmina!", rief Charles und winkte. "Dies hier ist euer neuer Nachbar, Sergej Popow!"
Der Mann am Grill winkte. "Herzlich willkommen in Port Ivanhoe, Sergej! Sie kommen doch mit Ihrer Freundin noch rüber, oder? Ich habe extra viel aufgelegt!"
Konsterniert starrte Popow den Mann an. Dann ging sein Blick zu der weißblonden Frau. Entsetzt und sprachlos starrte er Charles an. "Was? Aber... Aber..."
"Ich glaube, das soll ja heißen! Fred, kannst du dich der beiden annehmen? Elise und ich müssen jetzt nämlich langsam los, wenn wir nicht den Flugplan der Ikarii durcheinander bringen wollen."
"Natürlich, Charly. Absolut kein Problem. Viel Spaß auf Sanssouci, und grüß mir Hannes!"
"Versprochen! Elise, wir müssen! Soraya, es gibt da jemanden, der Sie sehen möchte."
"Ich komme!" Elisabeth stand auf und half dabei der Offizierin auf die Beine. Sie wechselten noch ein paar Floskeln miteinander, dann eilte sie Charles hinterher, der schon auf dem Weg zur vor dem Haus geparkten Gleiterlimousine mit der gräflichen Standarte unterwegs war.
Mittlerweile war Fred an die Hecke gekommen. Er nickte den beiden zu. "Sergej. Soraya."
Erschrocken legte die ehemalige Erste Offizierin der PRAG beide Hände vor den Mund. Beinahe wäre sie gestürzt, aber Popow stützte sie schnell. "Was? Aber... Aber wie?"
Fred deutete auf eine Pforte in der Hecke. "Unsere Verbindungstür. Ich hoffe, wir werden sie gerne und oft benutzen. Ich bin sehr froh, dass ihr zwei euch für das Haus entschieden habt. Sonst hätte Mina und mir was gefehlt. Das letzte halbe Jahr war schon schwer genug. jetzt kommt doch erst mal rüber. Wir erklären euch dann alles."

Nur zögernd betraten die beiden das Nachbargrundstück. Unwillkürlich gingen ihre Blicke zu den spielenden Kindern. "Vivienne", stellte Popow beinahe tonlos fest. "Steven."
"Hast du immer noch Zweifel, alter Freund?", fragte Fred lächelnd und führte die beiden an den Tisch. Dort hatte die Herrin des Hauses das eindecken gerade beendet. "Was wollt ihr trinken? Wein, Bier, Fruchtsaft, Wasser?"
"Wasser, bitte", bat Soraya mit erstickender Stimme.
Fred schob ihr den Stuhl zurecht und ging dann zu Popow. "Bier, oder, Sergej?"
"Ja, bitte."
Der Hausherr griff in eine Kühlbox und holte zwei Flaschen hervor. Eine reichte er Popow, die andere stellte er auf seinen Platz. "Grill auf Wartestellung", befahl er. Der Grill bestätigte durch einen automatischen Laut und fuhr die Hitze herunter. "Wir schulden euch wirklich eine Erklärung."
"Das kann man wohl laut sagen!", brach es aus Soraya hervor. "Himmel, wir dachten ihr seid tot!"
"Ein eigentlich dilettantischer Schachzug von Onkel Zak, zu behaupten ich hätte mich umgebracht, und eine Körperkopie von mir zu präsentieren. Aber er hat wohl Recht, wenn er sagt, dass man manche Dinge einfach simpel halten sollte. Umso eher gehen sie als wahr durch. Die Behauptung, Mina hätte sich auch umgebracht, haben die Medien anstandslos geschluckt, sobald man meine Leiche präsentiert hat. Eine eher schlechte, hastig ausgeführte Kopie, die später dann gegen eine ausgereiftere Version ausgetauscht wurde, die sogar eine DNS-Analyse überstanden hätte."
"Wir konnten damals nur hoffen, dass man unsere Kinder in Ruhe lassen würde, und das Hannes genügend Energie besitzt, um Elisabeth zu retten", sagte Wilhelmina ruhig, während sie Salate servierte. "Kinder, kommt aus dem Wasser. Wir haben Gäste!"
"Und es ist alles gut gegangen. Ohne mich und Zachary in der Thronfolgerliste hatte Hannes einen sehr direkten Anspruch auf den Thron, der, wie wir wissen, erfolgreich verlaufen ist."
"Ist Herzog Gandolf etwa auch...?", begann Popow zögernd.
Frederec schüttelte den Kopf. "Nein, er ist tot. Gefallen im Kampf gegen Kress und seinen Knight Blutritter. Ich wünschte, es wäre anders gekommen. Aber ich bin sicher, Onkel Zak ist jetzt an einem besseren Ort."
Ungläubig breitete Popow die Arme aus. "Aber wie... Und warum..."
"Wieso wir euch das erzählen?" Frederec lächelte still. "Nun, diese Wohnsiedlung ist etwas ganz besonderes. Um nicht zu sagen, etwas sehr besonderes." Er machte eine weit ausholende Geste. "Als uns Onkel Zak dieses Haus zugewiesen hat, mitten in diesem Neubaugebiet, hat er alle anderen Häuser auch gekauft, beziehungsweise erst errichten lassen. Alle Menschen, die hier leben, in einem Umkreis von achthundert Metern, gehören mehr oder weniger direkt zu meinem persönlichen Personenschutz, oder sind entweder ehemalige oder potentielle Polizeioffiziere und Gegenspionageagenten. Wenn du so willst habe ich hier die größte Leibwache Katalauns für mich und meine Familie, und damit auch die beste Geheimhaltung. Diese Männer und Frauen, und auch ihre jugendlichen Kinder, sorgen für meinen Schutz. Allerdings sorgen sie auch dafür, das ich mich niemals mehr für Politik interessieren, aber das ist mir schon vergangen, seit Elisabeth bedroht wurde. Mein ganz persönliches Exil, aber es lebt sich gut hier."
"Und was wenn ein neugieriger Reporter doch einmal bis hierher durchbricht? Was wenn jemand euer Geheimnis aufdeckt?", zweifelte Popow.
"Wenn es wirklich mal jemand so weit schafft, um uns auffliegen zu lassen, wissen unsere Beschützer wenigstens, wie sie es nächstes Mal besser machen können", sagte Wilhelmina schmunzelnd.
"Für alles andere sorgt Takeru. Plan A lautet, solche Leute zu bestechen. Und Plan B willst du gar nicht kennen."
Popow lachte leise. Amüsiert griff er nach seinem Bier. "Das Universum ist doch gerecht. Ab und zu nur, aber es ist ein Anfang. Prost, Fred."
"Prost. Und willkommen in eurem neuen Zuhause", erwiderte der ehemalige Kaiser und stieß mit ihm an.
***
05.03.2614
Kathedrale des gemeinsamen Glaubens
Planetare Hauptstadt Neu-Berlin
Sanssouci, Montillon-System
Kaiserreich Katalaun

"Und da kommen sie auch schon hervor!", rief Sharon Gettis aufgeregt, als das Brautpaar auf die große Treppe vor der Kirche trat. "Nach einer wunderschönen Zeremonie, in der alle religiösen Gruppen Katalauns ihren Beitrag und ihren Segen erteilen durften, treten nun Kaiser und Kaiserin vor die jubelnden Menschen!"
"Ein bewegender Moment. Das muss sogar ich als abgeklärte Terranerin sagen", schmunzelte Carrie Rodriguez.
"Schön, dass du wieder bei uns bist, Carrie. Wie hast du es so schnell aus der Kirche raus und wieder bis zu unserer Sendekabine geschafft? Immerhin bist du die Trauzeugin der Kaiserin."
"Oh, als Live-Reporter lernt man ein paar Kniffe hier, ein paar Schleichwege da. Und man lernt vor allem, das man für eine gute Reportage einiges leisten muss." Sie räusperte sich. "Ich habe mich fahren lassen. Auf einem Gravboard, gesteuter von Mikhail von Angward."
"Du bist erstaunlich, Carrie. Aber das wissen wir ja spätestens seit deinen Live-Reportagen von B-King, Vesuv und Sherwood. Wie war denn die Atmosphäre in der Kirche? Wie haben die vielen internationalen Gäste das ökumenische Programm aufgenommen?"
"Die Vertreter der Hephaistos-Gesellschaft wohl eher befremdlich. Viele von ihnen praktizieren Voodoo, und leider wurde dem Oberhaupt der Voodoo-Kirche untersagt, die Trauung traditionell zu segnen. Nein, frage nicht, wie er das tun wollte. Und auch ihr Zuhörer da draußen, recherchiert das im Datennetz nur, wenn ihr gesunde Mägen habt."
"Uh, ich glaube, ich will es gar nicht wissen. Wer war aber neben der Kaiserin die strahlendste Frau in der Kirche, Carrie? Elisabeth vielleicht?"
"Meines Erachtens nach die ehemalige Präsidentin Rhyann Klages, die President Jules Cranston begleitet. Sie macht in ihrem engen Kleid auch jenseits der sechzig noch eine sehr gute Figur. Aber auch Admiral Bekatorou sieht sehr gut aus, wenn sie statt der Uniform einmal weiblichere Kleidung trägt. Man sollte diese erfahrenen Frauen nicht unterschätzen. Allerdings muss ich gestehen, dass Admiral Lydia Stiles ihnen fast die Show gestohlen hat."
"Eine illustre Runde. Und bei den Männern? Abgesehen vom Trauzeugen, Admiral Gerard Rössing, der mit seiner Freundin und Weggefährtin des Kaisers, Admiral Arlene Schlüter, in der Kirche war?"
"Coryn Griffin!", sagte Carrie wie aus der Pistole geschossen. "Obwohl das wohl am ehesten am sehr guten Geschmack seiner Frau Juliet Cochraine liegt, die ihren Mann wieder einmal hervorragend eingekleidet hat. Aber auch Tyrann Theseus sieht heute sehr gut aus. Vor allem seit er auf dieses dämliche Bärtchen verzichtet, das ihn unnötig alt gemacht hat."
"Mein Geschmack geht ja eher in Richtung eines Takeru von Kanton oder Leonard Renski."
"Ah, dann doch eher Admiral Papeete", meinte Carrie schmunzelnd. Sie sah nach oben. "Über unseren Köpfen versammeln sich jetzt gerade die Schiffe der Ikarii, allerdings ohne ihre Kapitäne, die allesamt in der Kirche waren. Sehr verdiente Leute wie General Cecilia Ganth und General Charles Monterney. Oberst Carlin Steyer wollen wir da ebenso wenig unterschlagen Major Sören Keaton, einen der Helden von Hephaistos. Kapitän Lüding, der in Abwesenheit der Kapitäne und Offiziere die Flotte führt, hat uns allen eine Überraschung versprochen. Ich bin schon sehr gespannt. Hoffentlich hat Andreas daran gedacht, dass ein Feuerwerk am hellichten Tage nicht besonders prächtig ist."
"Vielleicht kriegen wir eine Vorführung der Knights und Rüster zu sehen, mit denen die Flotte ausgerüstet ist. Immerhin ist Oberst Madison da oben, dazu Colonel Woodruff und Captain Attainborough. Alle drei sind Meister ihres Fachs, und ihre Piloten gehören zum Besten was zwei Sternenreiche zu bieten haben."
"Solange Major Russel ruhig und gelassen hinter dem Brautpaar her geht, mache ich mir zumindest keinerlei Sorgen um die Sicherheit", merkte Carrie lächelnd an und spielte mit der Tatsache, dass die Offizierin eine so genannte Ninja war, eine der besten Soldaten Katalauns.
"Da, das Kaiserpaar geht weiter. Sie werden mitten in die jubelnde Menge geführt, wo bereits der Konvoi mit Schwebewagen wartet!"
"Damit sind sie aber auch in der Mitte des Platzes", orakelte Carrie. "Sanssouci, heute siehst du ein Wunder."
"Da!", rief Gettis plötzlich. "Da sehe ich das erste Schiff! Das ist die HERCULES! Dahinter folgt die PRAG! Aber... Merkwürdig, die HERCULES führt die Formation nicht an!" Sie manipulierte ihren Bildschirm, um das Bild heran zu zoomen. Erschrocken sah sie zu Carrie herüber. "Hast du das gewusst?"
"Es gab Hinweise", wich Carrie aus. "Aber wir haben es wohl hiermit eindeutig mit dem Geschenk zu tun, das Königin Jenna Toral ihrem guten Freund Johann dem Zweiten für diese Hochzeit versprochen hat. Dieses Schiff, das die Formation anführt, ist tatsächlich die gute alte RHEINLAND! Die Herculeaner müssen in kürzester Zeit Übermenschliches geleistet haben, um aus dem explodierten Wrack wieder dieses stolze Schiff zu machen. Es ist fast ein Wunder."
"Nein, Carrie", korrigierte die Katalaunerin. "Das ist ein echtes, richtiges Wunder. Das Kaiserpaar hat geheiratet, wir stehen einen Monat vor der offiziellen Geburt der vier kaiserlichen Kinder, und nun ist das berühmteste Schiff Katalauns wie ein Phönix aus der Asche zu uns zurück gekehrt! Und, es sieht so aus als hätte seine Majestät die RHEINLAND erkannt. Himmel, darf ein Leichter Kreuzer so tief über der Hauptstadt fliegen?"
"Anscheinend nur die RHEINLAND. Die anderen Schiffe halten einen höheren Orbit ein. Und was ist das? Der Kreuzer zieht einen Glitterschweif hinter sich her. Soll Neu-Berlin mit einem Schnee aus Goldglitter berieselt werden?"
"Es sieht aus als würden sich ein paar Milliarden Sterne auf uns herab senken", hauchte Sharon ergriffen. "Ich habe selten etwas schöneres gesehen."
"Und heute beginnt die neue Zukunft Katalauns ja erst", orakelte Carrie breit grinsend.
***
Als Johann Arling nach der kirchlichen Trauung vor die Kathedrale trat, erinnerte ihn die Geräuschkulisse an seine Heimatbesuche auf B-King. Es war halt nur lauter.
Mit Eleonor Arling am Arm führte er die Prozession seiner Gäste bis zum Absatz der großen Granittreppe an. "Recht voll hier", sagte Johann.
"Recht voll?", rief Gerard von hinten. "Du übertreibst. Auf diesem Platz passen achtzigtausend Menschen! Und wir haben lediglich unsere kleine Schneise bis zur Straße. Also heißt es nicht recht voll, sondern richtig voll, Majestät!"
Arling sah grinsend zurück. "Gute Ohren wie immer, Admiral."
"Die braucht man auch, damit man Lenies Piepsstimme verstehen kann."
"Wer hat hier eine Piepsstimme?", fauchte Arlene Schlüter, die neben Rössing ging.
"Nun lass dich doch nicht ärgern", mahnte Eleonor von vorne. "Oder bist du immer noch böse mit mir, weil du nur meine zweite Brautjungfer bist?"
"Nein, ich bin sauer, weil Carrie schon wieder abgehauen ist. Für eine gute Reportage tut sie wohl alles."
"Das ist neu für dich?", spottete Johann. Kurz warf er einen Blick zurück und suchte nach Spencer, der auch irgendwo in der langen Reihe zu finden war. Seine fliegenden Kameras hatten jedenfalls die Hochzeit begleitet.
"Wie auch immer", sagte Eleonor. "Katalaun hat entschieden, dass es ein Recht auf eine große Trauung des Kaisers mit seiner Kaiserin hat. Und ihr macht jetzt gefälligst alle eine gute Miene."
"Ellie, die PR-Beraterin", spöttelte Arlene.
"Du bist sauer", erwiderte Eleonor missmutig.
Julian Kress eilte überraschend an die Seite des Kaisers. "Majestät, der Plan wurde umgeworfen. Königin Jenna hat eine erfreuliche Überraschung in die Flottenparade eingebaut, wie sie sagt." Er hob abwehrend beide Hände. "Ich weiß nicht was sie vor hat, aber Admiral von Hohenfels hat es genehmigt."
"Hm. Sonst wäre es ja auch keine Überraschung mehr, oder?" Arling schmunzelte. "Also gehen wir bis zur Mitte durch. Ellie?"
Lächelnd ergriff sie Johanns Hand.
An der Spitze der Prozession setzten sie sich wieder in Bewegung, während der Jubel der Menge noch weiter zunahm. Dutzende fliegender Kameras machten dabei deutlich, dass darüber hinaus halb Katalaun die Live-Übertragung mitverfolgte. Und so genervt und abgespannt wie Major Jeremy Schmitt vor dem Kirchgang gewirkt hatte, waren alle Kameras mehrfach überprüft worden, bevor sie ihre Freigabe für den Platz vor der Kathedrale erhalten hatten.
Johann führte seine Frau bis zur exakten Mitte, nur noch einen Katzensprung bis zum ersten wartenden Schwebewagen der Kolonne. Sie hielten und schauten nach oben.
Die Menge wurde leiser. Anscheinend hatte es sich schon herum gesprochen, das Königin Toral die Flottenparade der Ikarii mit einer besonderen Überraschung gewürzt hatte.
"Ich bin gespannt was es sein wird", murmelte Johann. "Ich hoffe, mindestens ebenso eine Überraschung wie Admiral Kians Ernennung zum Maynhauser Botschafter in Katalaun."
"Hast du nicht schon genug Aufregung mit der baldigen Geburt deiner Kinder?", kam es von Rössing. "Da wirst du noch genügend Überraschungen erleben, Han."
"Hoffentlich nur Erfreuliche."
"Keine Sorge", sagte Eleonor und tätschelte Arlings Handrücken, "ich kenne mich ja mit Kindern aus."
"Das beruhigt mich ungemein, Ellie."
"Da, sie kommen. Sieht nach der HERCULES an der Spitze aus", sagte Schlüter. "Und gleich dahinter folgt die PRAG. Das macht aus den Ikarii einen sehr schlagfertigen Verband."
"Und mit der RHEINLAND erst einmal", murmelte Rössing ungläubig.
"Mit der was?"
"Unter ihnen fliegt die RHEINLAND. Ich würde diesen Bug jederzeit wieder erkennen. Ich habe ihn als Fähnrich mal schrubben müssen. Ich habe fünf Tage und tausend Liter Wasser gebraucht."
Arling kniff die Augen zusammen. Tatsächlich, leicht vorneweg und unterhalb der anderen Schiffe flog sein altes Schiff.
Major Schmitt tauchte direkt neben dem Brautpaar auf. "Keine Bedrohung, Majestät." Einen Augenblick später war er schon wieder weiter geeilt.
"Dann schenkt uns das Herculeanum also das Schiff, das wir versenkt im Stabiae-System zurück gelassen haben", hauchte Arling. Ein merkwürdiges Gefühl erfüllte seine Brust, bis sie fast zu platzen drohte.
"Es ist tatsächlich die RHEINLAND!" sagte Eleonor neben ihm. "Ich kann den Schriftzug erkennen! Vorweg eskortieren Rüster und Knights!"
"Also das nenne ich wirklich mal eine Überraschung", murmelte der Kaiser erstaunt.
Rufe und laute Gespräche in der Menge ließen den Lärmpegel erneut ansteigen, aber es blieb auf einem erträglichen Maß.
"Es ist die RHEINLAND!", rief jemand, und der Ruf pflanzte sich über den ganzen Platz fort.
Der Respekt vor seinem alten Schiff, der Gedanke an ihre gemeinsamen Abenteuer, seine Zeit, die er an Bord verbracht hatte und die ihm Ellie an die Seite gestellt hatte, all das erfüllte seine Brust mit Zufriedenheit und Stolz. Er liebte dieses Schiff. Und er hatte nicht gewusst, wie sehr er die RHEINLAND vermisst hatte. Bis zu diesem Augenblick. Spontan führte er die Rechte an die Stirn und erwies dem Leichten Kreuzer durch den militärischen Salut Respekt. Die anderen Offiziere in der Reihe seiner Gäste und die Soldaten, welche den Korridor zu den Wagen frei hielten, taten es dem Kaiser nach. Auch Eleonor salutierte, obwohl sie in einem vollkommen unmilitärischen Brautkleid steckte, und die anderen Soldatinnen taten es ihr nach.
Als die RHEINLAND tonnenweise feinen Goldglitter über Neu-Berlin entließ, klang lauter Applaus auf, der irgendwo unter der RHEINLAND begonnen und sich nun bis zum Platz vor der Kathedrale vorgearbeitet hatte, bis die achtzigtausend Menschen dem Schiff in einem wahren Begeisterungstaumel applaudierten.
Verstohlen wischte sich Eleonor Rend eine Träne aus dem linken Auge. "Die RHEINLAND! Das ist ein sehr gutes Zeichen für die Zukunft!"
"Es ist das beste aller Zeichen!", erwiderte Johann euphorisch. Und während das stolze reparierte Schiff über den Platz hinweg flog und alles in einem Regen aus Goldglitzer versinken ließ, zog Johann seine Frau zu sich heran und gab ihr einen langen Kuss, der vom Goldglitter verdeckt wurde. Ihnen allen stand eine grandiose Zukunft bevor. In diesem Moment wussten es der Kaiser, die Kaiserin, die Ehrengäste und alle anderen Menschen, die zum stolzen und berühmten Schiff hinauf sahen, zu jenem Schiff, das wie kein anderes für Durchhaltevermögen, Einfallsreichtum und Ehrenhaftigkeit Katalauns stand: Der RHEINLAND.
In diesem Moment begann die Zukunft gerade erst. Aber sie würde eine ganze Region mit über sechshundert besiedelten Welten für immer verändern.

Etwas abseits des Trubels standen drei Personen im Schatten der Kathedrale und betrachteten das Treiben.
Nyhartes Daiana Nissos warf Admiral Papeete einen warnenden Blick zu. "Terra wird nicht eingreifen?"
Marama lachte leise. "Terra verhindert doch keine positiven Entwicklungen. Im Gegenteil. Wir alle sind sehr erfreut darüber, dass die Region rund um Katalaun so ein leuchtendes Vorbild wie Johann Arling erhalten hat. Und ein so unerreichbares."
"Hört, hört", spottete die dritte Person, Harry Chun. "Wo wir doch alle wissen, dass einzelne Menschen immer wieder an Grenzen stoßen."
Papeete seufzte leise. "Zak, es gibt hier zwei Faktoren, die ihr Nymphen wieder einmal überseht. Ein ähnlicher Fehler von euch hat damals beinahe zur Entvölkerung des Herculeanums durch Massenmord und Massenflucht geführt."
Nyhartes schnaubte amüsiert. "Man kann Terra verlassen, aber man kann nicht entkommen, wie es scheint."
"Nein, kann man nicht. Aber letztendlich verfolgen wir auch Jahrhunderte nach dem Schisma immer noch die gleichen Ziele. Und das ist doch ebenso beruhigend wie die Wiederentstehung des Herculeanums."
"Und, was sind diese zwei Faktoren?", hakte Chun nach.
"Nummer eins ist die schlichte Tatsache, dass ihr einfach zu sehr auf eurer Welle der Vergeistung reitet. Entweder ihr lebt mit den Menschen zusammen, oder ihr lasst sie in Ruhe. Immer mal wieder die Welt retten ist nicht nur unökonomisch, sondern auch den Menschen gegenüber unfair."
"Und die zweite Sache? Wobei ich betonen möchte, das ich eine in dem Fall untypische Nymphe bin."
Marama Papeete lächelte breit. "Nummer zwei ist eine schlichte Tatsache: Johann ist nicht allein. Und das hat er schon vor langer Zeit begriffen."
"Natürlich nicht. Er hat all diese Menschen, die mit ihm die Zukunft gestalten", sagte Nyhartes leise. Sie ergriff Harrys Hand. "Und er hat uns."
Ein Lächeln ging über die Züge der Nymphe, die sich selbst als der Gründer der Dynastie B-Kings bezeichnet hatte. "Ja. Er hat uns. Und wir werden gut auf ihn aufpassen."
"So lange ihr mich dabei nicht stört, ist das in Ordnung", warf Papeete ein.
"Marama...", tadelte Nyhartes. Die drei sahen einander an und begannen zu lachen. Was auch immer geschehen würde, die Zukunft versprach sehr interessant zu werden.
Denn dies war nicht das Ende einer Geschichte, dies war erst ihr Anfang.

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Ace Kaiser,
Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

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