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Zum Ende der Seite springen A Cavaliers Legend
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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
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Dabei seit: 01.05.2002
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Themenstarter Thema begonnen von Ace Kaiser
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Für nur einen Tag hatten sie eine ganze Menge geleistet, fand Zorn. Zwar war der direkte Zugang zu den unteren Etagen noch nicht wiederhergestellt worden, aber über den Kabelschacht kamen und gingen Soldaten und Techs nach oben und unten. So viele, dass sie eine Art Ampelverkehr hatten einführen müssen. Das war auch dringend notwendig, denn noch während die Pioniere im wahrsten Sinne des Wortes den Boden aufmeißelten, da sich der Einsatz von Sprengstoff aus logischen Gründen verbot, arbeiteten die MechTechs bereits daran, einzelne Komponenten für den Einsatz vorzubereiten sowie zwei der mittelschweren Mechs, die beiden JägerMechs des eingelagerten Regiments, aufgrund ihrer Luftabwehreigenschaften bevorzugt vorzubereiten. Das würde bis zum Starten der Fusionsreaktoren rund drei Tage dauern, aber Zorn hatte ohnehin nicht vor, den ersten Schritt zu tun und den Weg hinaus zu suchen.
Was so aber auch nicht ganz richtig und ganz falsch war. Um den Leuten Tageslicht und frische Luft zu verschaffen hatte er gestattet, dass jedermann, so er oder sie wollte, in einer Nichtgefechtslage auf eine der beiden Luftabwehrplattformen gehen durfte. Natürlich in limitierter Zahl mit limitierter Zeit. Nachts war verboten. Zu groß war die Gefahr, dass sie irrtümlich für Schleichkampfinfanterie gehalten wurden. Ein Koller seiner Leute im Kastell war eher nicht zu befürchten, denn sie alle waren routinierte Raumfahrer mit viel Lebenszeit in Landungsschiffen. Außerdem hatte die überwiegende Mehrheit von ihnen wenigstens einmal im Leben über einen längeren Zeitraum in einer Bunkereinheit verbracht. Und die Bunker der Nachfolgestaaten waren wesentlich schlechter konstruiert als jene des Sternenbunds. Wenn man man von den Bunkern unter Tharkad City, der Hauptstadt des lyranischen Teils des Commonwealths, absah. Diese Anlage und deren Atomreaktor, der die gesamte Stadt erwärmte und eisfrei hielt, stammte aus Sternenbundtagen, wenn auch nicht von Sternenbundingenieuren.
Dennoch, frische Luft, die Illusion von Freiheit, war wichtig. Deshalb ging er das Risiko ein, hatte seine Offiziere aber ausdrücklich ermahnt zu erklären, dass diese Ausflüge auf persönliches Risiko erfolgten. Jederzeit konnten die Plattformen attackiert werden, und es war nicht davon auszugehen, dass der Angreifer auf zufällig dort herumlaufende ungepanzerte Leute Rücksicht nehmen würden. Das, was er jetzt also tat, in den späten Nachtstunden, kurz vor der hiesigen Mitternacht, war also grob gesprochen ein Protokollverstoß. Aber wenn nicht er, wer dann sollte das dürfen? Außerdem hatte er das mit Winningham, der als Offizier vom Dienst die Kommandozentrale befehligte, abgesprochen.

Es war also Nacht, und die Plattform war unbemannt, Kirrans Kampfschütze abgezogen, aber einsatzbereit direkt hinter der gigantischen Stahltür, welche sogar einen taktischen Nuklearsprengkopf abwehren können sollte. Nicht, dass er das einmal ausprobieren wollte.
Bei ihm waren Lieutenant Nadeen Kenderson, Ilona Medice und Werner Friedrichson, ein achtzehnjähriger AsTech, der vor etwa vier Jahren damit begonnen hatte, an der Tech der Cavaliers zu schrauben, während sein Vater Arne den Dunkelfalke der Einheit geführt hatte. Bis zur legendären Falle vor nur wenigen Wochen. Die kam Zorn manchmal so weit entfernt wie ein ganzes Leben, aber es war auch sehr viel passiert.
Diese vier Leute traten auf die Plattform hinaus, nachdem sie sich bei den zuständigen Wachen angemeldet hatten und suchten sich eine Ecke jenseits der drei Infanteriewachen, die hier zusätzlich zu den Kameras nach etlichen Schweinereien bis hin zu getarnten Kletterern Ausschau hielten. Alle drei standen natürlich jederzeit in Kontakt mit der Zentrale, wo die AsTechs darauf achteten, ob zu diesen drei oder den anderen auf der zweiten Plattform der Kontakt abbrach. Was ein klares Indiz für einen Angriff gewesen wäre.
Pappas hatte eine Thermoskanne und Becher mitgebracht, AsTech Friedrichson und Nadeen Kenderson trugen vier einfache Klapphocker in den Händen. Und Zorn hatte ein paar frisch gebackene Kekse aus der Feldküche der Einheit mitgebracht.
Nachdem sie eine lauschige Ecke gefunden hatten, stellte Zorn ein kleines Kompaktradio auf, das nicht von diesem Planeten stammte und ließ es bei mittlerer Lautstärke einen beliebigen Radiosender spielen. Eine Mischung aus Country und Pop. Durchaus hörbar. Danach stellten sie die Hocker im Kreis auf, nahmen Platz, und Pappas schenkte Kaffee ein. Zorn ließ den kleinen Beutel mit den Keksen kreisen.

„Also gut, Werner, ich höre zu.“
Der junge Techniker wurde wie die anderen drei nur vom Licht der Sterne beschienen, aber ihre Augen waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt, sodass der Chef der Cavaliers durchaus sah, wie dieser die Augenbrauen hob. „Danke, Sir. Dass wir hier zu viert sitzen, hat wohl zu bedeuten, dass Sie mich ernst nehmen. Auch wenn ich die Anwesenheit von Miss Kenderson nicht so richtig nachvollziehen kann. Außer, Sie wollen das, was hier gesprochen wird, nicht wiederholen.“
Zorn konnte ein leichtes Grinsen nicht verhindern. „Sie müssen verstehen, Nadeen, unser Werner ist vielleicht im Moment nur AsTech. Aber seit er das erste Mal diese Werkzeugweste übergeworfen hat, im Dienste der Cavaliers, hat er sich schnell einen Namen als Computerfachmann gemacht. Er ist unter anderem zuständig für Platinenfehler und Programmierung bei den Mechs, und er ist gut. So gut, dass ich von seinen Plänen, zu ComStar zu gehen, nicht so begeistert bin.“
„Es ist nur eine Idee, aber Mr. Leary hat mir die Vor-, und Nachteile gut auseinander gesetzt. Aber dafür ist noch Zeit, mindestens bis zum Ende der Kampagne.“
„Das freut mich zu hören. Und jetzt raus damit. Was hast du auf dem Herzen?“
„Das wissen Sie doch schon, aber ich nehme an, auch das ist eine Information, die an Miss Kenderson gerichtet ist.“
Die derzeitige Anführerin der Firefighters verzog das Gesicht wie unter Schmerzen. „Ich komme mir leicht vorgeführt vor“, beklagte sie sich.
„Oh, es wird besser werden. Darf ich anfangen?“, fragte der junge, hagere Bursche mit einem Grinsen, das Grayson Death Carlyle zu Ehren gereicht hätte.
„Nur zu, Werner. Wir sind alle ganz Ohr“, sagte der Alte, wie man den Anführer einer Einheit oft mehr oder weniger liebevoll nannte .
„Es sind eher allgemeine Gedanken, wie sie sich jeder in der Einheit macht, Sir. Und es sind Gedanken, die keiner von uns ausspricht. Meistens jedenfalls nicht. Aber ich habe da doch einige Fragen, und die möchte ich mit ihnen klären, Sir. Bevor ich mich bei der falschen Person verplappere.“
„Die Tatsache, dass ich anwesend bin, bedeutet dann wohl, dass ich nicht zu den falschen Personen gehöre.“ Lieutenant Kenderson sah hinter sich. „Dass mittlerweile kein Infanterist mit geladener Waffe hinter mir steht, scheint das zu bestätigen.“
„Bleiben Sie ruhig, Nadeen. Ich hätte wesentlich schnellere und leichtere Wege gefunden, Sie und die anderen Firefighters loszuwerden, wenn ich das wollte. Immerhin sind Sie fern der eigenen Techs und haben nur ihre drei Kameraden dabei, solange Mr. Freemond das Lazarettbett hüten muss. Und das wird auch noch einige Zeit so bleiben. Und ja, ich vertraue ihnen und honoriere den Vertrag, den ich mit ihrem Boss ausgehandelt habe“, sagte Zorn. „Fahr fort, Werner.“
„Nun. Es geht um den Status der Einheit, genauer gesagt die derzeitige Stellung. Faktisch sind wir unangreifbar, seit wir hier im Kastell sind. Abgesehen vielleicht davon, dass jemand Atombomben auf uns werfen könnte. Aber ein klassisches Brian-Kastell sollte ein oder zwei Schläge überstehen können. Also erwarte ich nicht, dass selbst jemand wie Medice, der bereits geächtet und vogelfrei ist, so einen Angriff versuchen würde, selbst wenn er Zugriff auf atomare Mittelstreckenraketen oder taktische Nukes wie die Davy Crockett hätte, von denen es noch ein paar zehntausend in der Inneren Sphäre geben soll. Einfach weil sie ihm nichts nützen würden.“
„Soweit, so gut“, sagte Major Kenderson in das Schweigen hinein, das danach Einzug hielt. „Wo ist also das Problem?“
Der junge AsTech kratzte sich an der Stirn. „Ist das nicht offensichtlich? Nicht nur, dass wir hier drin nahezu unangreifbar sind, wir können auch jederzeit heraus, wenn … Falls wir das wollen. Die Cavaliers sind gerade der größte Junge auf dem Spielplatz, und wir können die anderen Kinder herumstoßen, wie immer wir wollen. Da draußen laufen ein paar kleinere Einheiten rum, aber seien wir ehrlich, selbst wenn sie sich einig wären und zusammen kommen würden, hätten sie was? Eine Kompanie? Zwei? Nichts, womit wir nicht den Boden aufwischen würden. Falls wir das wollen.
Aber es gibt ja noch mehr Optionen für uns. Wir können den ganzen Laden hier ausräumen, der Gouverneurin ihren Teil dalassen, die Miliz, die uns mitgegeben wurde, zur Bewachung zurücklassen, und mit unserer Beute zur Hauptstadt zurückkehren. Teufel auch, wir könnten sogar unsere Lander herkommen lassen und in aller Ruhe die Beute verladen. Unser Verbindungsoffizier wird schon den Mund aufmachen und sagen, was immer die planetare Regierung haben will und was wir für den Prinzen da lassen sollen. Kurz und gut, egal ob wir zur Hauptstadt zurückkehren, oder direkt vor Ort verladen, wir brauchen nur die Störenfriede da draußen zu beseitigen oder abzudrängen. Das wäre keine große Sache, selbst wenn sie einander nicht bekämpfen würden.“
Wie zur Bestätigung seiner Worte erklang ein kleines Donnergrollen, das sich am Berg brach. Zorn, der sich so gesetzt hatte, dass er die Plattform übersehen konnte, sah hinter einem der niedrigeren Berge eine Plasmalanze aufsteigen. Reaktortreffer. Irgend eine arme Sau war jetzt gut durch gebraten. Sollten sich die Einheiten da draußen gegenseitig dezimieren. So waren sie weniger und weniger ihr Problem.

„Sie wollen also sagen, wir haben schon so gut wie gewonnen“, sagte Nadeen Kenderson. „Und das ist es, was ihnen Bauchschmerzen beschert, AsTech.“
Der junge Cavalier nickte. „Ich fand es ein paar sehr gute Züge vom Alten, dass und wie er uns hier rein gebracht hat. In eine unangreifbare Position. Nahezu unangreifbar. Denn wäre sie perfekt unangreifbar, dann hätten die Sternenbundsoldaten damals nicht vor den Amaris-Truppen fliehen und ihr Tech verstecken müssen. Das ist übrigens richtig heißer Scheiß, Sir. Ich habe geholfen, den Computerkern des JägerMechs vom untersten Deck wieder hochzufahren. Feinste Tech, Sir. Und die Spare Parts, also die Ersatzplatinen, sind von gleicher Qualität. Und was die Programme angeht, die darauf laufen. Ich habe Jeannie bereits ein paar Vorschläge geschickt, welche Programme wir selbst verwenden oder nach deren Vorbild wir unsere eigene Software verändern sollten. Das ist viel besser als St. Jones. Teilweise die gleichen, aber eben sehr viel mehr. Alleine das, was im Gefechtsstandwagen zu finden ist, müssen wir unbedingt übernehmen, und ...“
Zorn hob eine Augenbraue.
Werner Friedrichson stockte. „Sorry. Zurück zum Thema. Also, wir sind hier unangreifbar und haben einen Schatz gefunden, den keiner von uns hier erwartet hat. Vielleicht Mr. Duvalle, aber der hat den Mund ja nicht aufgemacht. Ihnen gegenüber, Sir? Ja? Auf jeden Fall ergeben sich daraus ein paar Ungereimtheiten, die ich nicht verstehe, und die ich deshalb als Sicherheitsrisiko einstufe. Zum Beispiel warum der Bastard Medice zuerst St. Jones überfallen hat, anstatt zuerst hierher zu kommen, wo die größere Beute lauert. Aber hierauf ist die Antwort einfach: Er braucht die Feuerkraft.
Die braucht er eigentlich immer noch, aber da er heimlich operieren muss und wir mit Segen von Hanse Davion agieren, ist er im Zugzwang. Anstatt seine Truppe nach und nach aufzubauen, bis er stark genug ist, um das Kastell einzusacken, und damit das ganze Bataillon und die Panzer und die Fahrzeuge, muss er jetzt entweder alles verloren geben und versuchen, sich auf die kleineren Depots zu konzentrieren – oder zu verhindern versuchen, dass wir die Beute im Kastell einsacken. Selbst nachdem wir geteilt haben, ist das ein Riesenvermögen, und damit haben wir alle, alle in der Einheit, für immer ausgesorgt. Aber das ist nicht der Grund, warum wir zuerst hierher gekommen sind. Selbst wenn Sie wussten, Sir, dass dies der fetteste Happen der Beute ist.“
„Warum denkst du, dies ist der fetteste Happen, Werner?“, fragte Zorn trocken.
Dem jungen Mann entgleiste das Gesicht ein wenig. „Äh.“
„Du hast vollkommen Recht. Ich habe dieses Ziel gewählt, weil es das naheste der sechs Ziele ist. Medice kennt die Karte, die jetzt in unserem Besitz ist, und weiß das auch. Er könnte versuchen, eines der anderen Depots zu erreichen. Aber diese sind dann doch ein wenig verteilt. Deshalb habe ich mich auf Allans World eingeschossen. Ich habe durchaus erwartet, dass er bereits im Kastell sitzt und uns einen heißen Empfang bereitet, aber augenscheinlich konnte er nicht verhindern, dass wir, nun, vor ihm einziehen. Eventuell ist er auch noch nicht da. In dem Fall aber glaubt er, dass uns unser Vorteil, aus dem Kastell heraus zu handeln, nichts nützen wird. Soweit deine Gedanken, Werner?“
„Äh, ja, bis hierhin schon. Was mich zur zweiten Rutsche meiner Fragen bringt, und erklärt, warum unsere Infanteristen auf Wache unseren Unterstützungseinheiten lieber zweimal auf die Finger schauen.“
„Jetzt fängt er an, warm zu werden“, sagte Ilona Pappas. Sie trank einen Schluck Kaffee und knabberte dazu an einem Keks.

„Angenommen, er ist zu einem der anderen Depots weitergereist, stellt sich ohnehin die Frage, ob er genug Feuerkraft aufbringen kann, nachdem wir ihm seine Mechs weggenommen haben, oder? Ich meine, er könnte noch mehr Truppen in der Hinterhand haben. Diese merkwürdige Einheit mit dem verrückten Marodeur ist vielleicht ein Teil davon. Aber dann hat er definitiv geglaubt, sein Hinterhalt auf St. Jones würde ausreichen für das, was er vorhatte.“ Bei diesen Worten verkrampfte der junge AsTech seine Hände um die Kaffeetasse. Keiner der Cavaliers hatte seine persönlichen Verluste bereits verarbeitet. Oder vergeben. Oder beides. Auch ein Grund, warum Zorn zuerst hierher gekommen war.
„Ist er aber nicht weiter gereist, ist er sich sicher, dass er das Kastell nicht als erster zu besetzen braucht. Auch um die Beute scheint er sich keine großen Sorgen zu machen. Warum aber ist das so?“
„Das ist eine gute Frage. Wenn er selbst noch Einheiten aufbringen kann wie Logans Hangmen muss er sie vielleicht erst sammeln. Warum er dann eine ganze Lanze zum Stören der Aktion einsetzt und deren Verlust riskiert, das verstehe ich nicht“, sagte Nadeen Kenderson. „Ich meine, die vier Mechs waren sehr beeindruckend. Vor allem der Marodeur. Wir haben sehr viel Pech gehabt, denen in die Arme zu laufen, und die Cavaliers sehr viel Glück, dass unser Fehler dafür sorgte, dass sie nicht überfallen werden konnten. Ein Angriff auf eine kompakt marschierende Lanze oder aber auf eine Kolonne mit unbewaffneten Fahrzeugen und ausgefächertem Begleitschutz sind zwei unterschiedliche Dinge. Das hätte nicht nur Verluste, sondern auch einen nicht unerheblichen Aderlass bedeuten können.“
„Richtig. Einer der Gründe, warum ich Sie an Bord geholt habe, Nadeen. Sie und die Firefighters.“
„Danke, Sir.“
Zorn winkte ab. „Nicht dafür. Wie also geht dein Gedanke weiter, Werner?“

Der junge Mann entkrampfte die Hände und sah auf. Sein wehmütiger Gesichtszug wurde entschlossen. „Wir sind hier nur auf einige wenige Arten rauszubekommen. Oder angreifbar, wenn wir verladen. Ansonsten sind wir hier drin sicher. Das könnte man auf den ersten Blick durchaus meinen.“ Der junge Mann stand auf, ging ein paar Schritte, griff nach seiner kleinen Werkzeugtasche, die ihn fast überall hin begleitete, stellte sie wieder ab und setzte sich wieder. „Also, der große Schatz, den wir hier gefunden haben, setzt alle unter Zugzwang, außer uns. Die Meldung vom gewaltigen Fund ist natürlich per ComStar längst zu Prinz Davion rausgegangen. Der wird es sich nicht nehmen lassen, nicht nur auf seinem Anteil zu bestehen, sondern auch über die einzelnen Mechs zu verhandeln. Dafür wird er mit ziemlicher Sicherheit eine kleine oder mittlere Einheit schicken, die über ein entsprechendes Transportvolumen verfügen wird. Da hier mehr als genug Tech herumliegt, um – ich erwähnte es schon – uns alle reich zu machen, sind das Details, die uns nicht stören sollten. Jetzt gierig zu werden könnte ein böses Ende nach sich ziehen. Diese Einheit, die stark genug sein wird, um ihren Teil der Beute zu beschützen, dürfte in zwei, drei, maximal vier Wochen eintreffen. So lange können wir hier ausharren, richtig?“
Zorn nickte zustimmend. Zum Glück war ComStar neutral und erledigte seine Arbeit, wenn entsprechend bezahlt wurde. Außerdem hatte er persönlich beim Kommunikationsorden noch mehr als einen Gefallen gut, nachdem er das HPG auf St. Jones vor der Vernichtung bewahrt und die dortigen Adepten und Akoluthen vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
„Alles nur eine Frage der Zeit. Normalerweise.“
„Aber wir können nicht darauf hoffen, die Sache auszusitzen“, behauptete der AsTech. „Was sind also die Möglichkeiten, uns hier raus zu kriegen? Nummer eins: Wir sitzen auf einem Dutzend Bomben, die von draußen gezündet werden, um uns auszuräuchern oder die Bunkertüren aufzusprengen, damit wir gestürmt werden können. Eher unwahrscheinlich. Wir haben nach so etwas gesucht, und nichts gefunden. Sicherheitshalber haben wir aber Störfunk auf den üblichen Frequenzen für Fernzündungen aufgestellt und aktiviert. Und selbst wenn alle Zugänge zugleich angegriffen werden, haben wir nur kleine Bereiche zu verteidigen und können uns ewig halten. Auf jeden Fall aber, bis Entsatz eintrifft,
Möglichkeit zwei: Eine richtig große Schleichkampftruppe erkämpft sich den Zugang in das Kastell und versucht, die Tore zu öffnen. Oder jedermann im Innern umzubringen. Oder beides.“
„Möglichkeit drei: Wir haben den Gegner mit uns rein genommen, und der lauert jetzt auf seine Gelegenheit“, sagte Lieutenant Kenderson. „Da wir aber keine versiegelten Container mitgebracht haben, die voll mit Elitesoldaten sein können, und wir niemanden angetroffen haben, als wir hinein gingen, kommen nur wenige Andere in Frage. Darunter wir, die Firefighters.“ Sie sah ins Rund. „Dann noch die Wolfs Dragoner, die sind aber genau wie ich und meine Leute zahlenmäßig im Nachteil. Sie müssten alle acht in ihren Mechs sitzen, und unsere Leute nicht. Und schlussendlich Bloodbourne und die Miliztruppen, die uns zur Verfügung gestellt wurden.“
Zorn nickte, machte aber einen Einwand. „Wobei ich bei Jessica durchaus bereit bin, meine Hand ins sprichwörtliche Feuer zu legen, ebenso für Second Lieutenant Han und ihre Leute.“
„Das heißt, für Steyer und seine Panzerfahrer sowie die Reservisten für unsere freien Mechs nicht“, folgerte Lieutenant Kenderson. Sie stockte. Aber nicht um sich dafür zu entschuldigen, dass sie sich zu den Cavaliers hinzu gerechnet hatte. „Moment, all diese Überlegungen setzen entweder voraus, dass die Cavaliers und alle, die nicht auf Seiten der Angreifer sind, ausgelöscht werden, oder aber dass die Verräter dann angreifen, wenn hier draußen eine große Party steigt, die uns nicht gefallen wird.“
„Ich denke nicht, dass Steyer mit seinen Panzerfahrern oder die Reservisten eine Gefahr für uns sind. Und wir haben ansonsten niemanden auf dieser Welt angeworben“, sagte Zorn.
„Bleibt noch die größte militärische Einheit auf diesem Planeten“, sagte Werner. „Die Allans World-Miliz. Laut eigener Aussage in der Stärke einer Regimentskampfgruppe, aber sehr infanterielastig und Panzerstark, nicht unbedingt bei den Mechs. Aber ein Teil davon wäre bereits stark genug, um uns aus dem Kastell zu treiben, wenn es sein müsste. Zumindest mit Unterstützung von innen. Die muss nicht einmal bereits vor Ort sein, denn die Miliz kennt das Kastell ja jetzt schon ein paar Jahrhunderte.“
„Und sie könnte den Job vermutlich in ein, zwei Wochen erledigen, bevor Hanse Davions Spediteure eintreffen“, sagte Ilona.
„Wir haben aber einen Pakt mit der Gouverneurin, Sharon Gettysburg. Und wie gesagt, es ist genug für alle da“, wandte Zorn ein.
„Und wir haben Probleme mit der Miliz gehabt. Colonel Astro Luckner hätte beinahe auf den Alten schießen lassen“, erwiderte Werner. „Was, wenn das kein Symptom war, sondern eine ernsthafte Verspannung zwischen Miliz und Regierung? Was, wenn Medice hier seine Finger drin hat? Was, wenn es genau diese Miliz, oder ein Teil davon ist, der sich gegen uns wenden wird? Sie haben das einzige Militär, das groß genug ist, um so einen Stunt auszuführen. Genau wie Miss Pappas sagt, bevor unsere Verstärkung eintrifft. Und es gibt anscheinend genügend interne Spannungen, die sich ein Silbermaul wie Medice zu Nutzen gemacht haben könnte.“
„Ach, deshalb sitzen wir hier draußen“, kommentierte Nadeen Kenderson. „Das ist dann wohl der endgültige Beweise dafür, dass Sie mir und meinen Leuten trauen, Sir.“
Zorn nickte bestätigend. „Das sollte für Sie allerdings von Anfang an offensichtlich gewesen sein.“
„Man hat … Sicherheitsbedenken, auch wo eigentlich keine sein sollten, wenn man für die Leben Anderer verantwortlich ist“, erwiderte sie.
Zorn lachte abgehackt auf. „Das verstehe ich.“

Der Anführer der Cavaliers sah ins Rund. „Dieses Gespräch habe ich bereits mit Winningham geführt, mit unseren eigenen Offizieren und auch mit der Gouverneurin und Bloodbourne. Es hat seinen Grund, warum wir erst nach einigen Tagen hier raus sind. Ich brauchte die Gelegenheit, mich mit Sharon zu treffen und einige Dinge abzusprechen. Zuerst eines: Sie, und damit Colonel Kyrensky, hält keinen der Milizionäre, die wir mit rein genommen haben, für ein Problem. Nicht, dass ich Captain Hiller nicht eingeschärft habe, trotzdem auf Nummer sicher zu gehen.“
Verstehendes Nicken antwortete.
„Zweitens: Ich führe dieses Gespräch mit dir, Werner, und mit ihnen, Nadeen, weil du drohtest, dich zu verplappern. Es ist eben nicht ausgeschlossen, dass wir nicht doch ein paar Agenten mit rein genommen haben. Hiller hat vor allem Anweisung, seine Leute nach Gesichtern Ausschau halten zu lassen, die zwar unsere Uniform tragen, die aber keiner kennt. Dreist siegt, und ich wäre durchaus bereit, in ähnlicher Situation solch ein Husarenstück durchzuziehen.“
„Oder es ist simpler, und wir haben mit den Techs der Mech-Lanze einen oder mehrere Agenten mit eingeschleust“, wandte Ilona ein.
„Oder das. Jedenfalls wollte ich das Gespräch nicht zweimal führen, da haben Sie vollkommen Recht, Nadeen. Das Problem, das mir auseinander gesetzt wurde, ist tatsächlich folgendes: Die Miliz steht nicht voll und ganz hinter der Gouverneurin. Nicht mal jetzt, nach Luckners Tod, gab es eine Zäsur. Dazu hatte er zu viele eigene Leute im Offizerskorps der Miliz. Und die sind alle noch auf ihren Positionen. Immerhin, Astro Luckner war bereit, ganz zuletzt auf seine Gouverneurin schießen zu lassen, also gehen Sharon und ich davon aus, dass er das sowieso in naher Zukunft vorgehabt hatte. Er wollte seine Pläne nur ein wenig beschleunigen.
„Alter. Was ist das hier für ein Drecksplanet?“, entfuhr es Werner. Er hielt sich eine Hand vor den Mund und murmelte hastig eine Entschuldigung.
„Brauchst dich nicht entschuldigen, ich gebe dir ja Recht. Die Sache ist die. Luckner ist der Favorit von Wengenbaum. Er und seine ganze Familie sind sozusagen der militärische Arm der Wengenbaum-Dynastie. Die Wengenbaums und die Gettysburgs sind seit der Erstbesiedlung des Planeten Konkurrenten um die höchsten Ämter, und dazu gehören das Kommando über die Miliz ebenso dazu wie das Amt des Gouvernors. Dazu Senatssitze, Polizeivorsitz, wichtige Posten in der Verwaltung, so in etwa. Die meiste Zeit ist es eine relativ friedliche Kooperation miteinander. Aber in den letzten Jahren gab es einige empfindliche Verschiebungen in Richtung Wengenbaum, die Sharon mit mehr oder weniger Kraftaufwand, sagen wir, korrigiert hat, bis das normale Maß wieder hergestellt war. Das hat den Wengenbaums sichtlich nicht gefallen. Deshalb haben sie vor etwa einem Jahr Luckner in die Kommandeursfunktion gehievt. Dies geschah auf Weisung des Innenministeriums, und ich weiß nicht, wie die Wengenbaums das hingekriegt haben. Aber dass er immer noch Colonel war, und nicht wie der vorige Miliz-Chef Brigadegeneral, ist ein Zeichen davon, dass sich die Wengenbaums selbst nicht ganz sicher über diesen Erfolg waren. Zudem ist jetzt mit Kyrensky wieder ein Verbündeter der Gettysburgs Miliz-Chef, und damit ist das Gleichgewicht erheblich zuungunsten der Wengenbaums verschoben.“
„Kurz und gut: Hier wird es bald krachen. Und wir sind genau zur richtigen Zeit vorbei gekommen“, sagte Ilona.
„Das fasst es sehr gut zusammen. Dazu kommt der Schatz, den wir hier entdeckt haben. Für die Ambitionen der Wengenbaums ist das ein riesiges Geschenk – wenn sie so viel wie möglich für sich beanspruchen können. Möglich, dass sie die Füße still gehalten hätten, wenn die eingelagerten Waffen St. Jones nicht übertroffen hätten. So aber sitzen wir auf einer Kriegsmaschinerie, die so groß ist, dass wir ohne jede Not mit all unseren Partnern teilen können und dennoch gut abschneiden werden.“
„Frage, Sir“, sagte Lieutenant Kenderson. „Würde der Anteil der Miliz nicht ausreichen? Für die Wengenbaums? Ich meine, ich war erst einmal auf dieser Welt, und ich kenne die Familie und ihre wichtigsten Vertreter. Industriemogule, die zum Beispiel die wichtigsten Lieferverträge für die Miliz halten, und so.“
„Ja, man sollte annehmen, dass der Anteil, welchen ich mit Sharon ausgehandelt habe, mehr als genug ist für die Allans World-Milz“, sagte Zorn bestätigend nickend.

In die nun entstehende Pause sagte Werner plötzlich: „Und hier kommt eine Partei ins Spiel, die gar nichts abkriegen wird, aber alles haben will und mit niemandem teilen muss, wenn sie es nicht will. Medice.“
„Exakt. Angenommen, die Miliz, welche den Wengenbaums zugetan ist, erfindet ein Szenario, das es ihr erlaubt, das Kastell anzugreifen, dann wird sie das tun, um die Gettysburgs zu schwächen und so viel von der Beute einzusacken, wie es ihr möglich ist. Bis die Verstärkung durch die Abfuhrspedition eintrifft, kann die Miliz ein Dutzend Mechs und Fahrzeuge auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen und behaupten, sie wären als Kollateralschäden vernichtet worden. Dazu müssen die unteren Etagen nur gesprengt werden, um jede Untersuchung der Vorgänge im Keim zu ersticken.“
„Wussten Sie eigentlich, in was für ein Wespennest Sie da stehen, Zorn?“, fragte die Anführerin der Firefighters.
„Sagen wir, ich habe es geahnt, als ich statt von der Gouverneurin vom Chef der Miliz eine Antwort per ComStar bekam. Und wie diese Antwort erfolgte, war ebenso merkwürdig. Als wir dann ankamen und der Colonel immer noch so renitent war, ja, uns sogar ermorden wurde, da war mir klar, dass auf dieser Welt mit einem gewissen Einsatz gespielt wird. Mir waren nur die Spielfiguren nicht ganz klar, bis ich mit Sharon allein reden konnte.“
„Im Klartext heißt das, es kann sein, dass wir hier gemütliche zwei Wochen an Sommerfrische verbringen, bis Davion seinen Teil geholt hat, oder aber der seit langem schwelende Konflikt zwischen den beiden größten Familien entzündet sich bei Mechs und Fahrzeugen mit einem geschätzten Wert von etwa einhundert Milliarden C-Noten“, sagte Werner trocken. „Von dem die Miliz so gut wie alles einsacken könnte, wenn sie das Kastell vernichtet, bevor Haus Davion eintrifft. Soweit richtig?“
Zorn nickte. „Soweit richtig. Das ist es was ich dich, Werner, und Sie, Nadeen, habe wissen lassen wollen. Dass ich euch vertraue, und dass wir entweder eine sehr ruhige Zeit haben werden, oder eine extrem aufregende.“
„Die ruhige Zeit können wir getrost vergessen. Medice mag vieles sein, aber gewiss kein Drückeberger. Er wird kommen und seinen Teil fordern“, sagte Werner. Es klang gepresst.
„Und wenn er kommt, schnappen wir ihn uns.“
Werner schnaubte zustimmend. „Lässt Jeannie deshalb den Beute-Marodeur wieder herrichten?“
Zorns Lächeln war eiskalt wie das Licht der Sterne. „Exakt.“
„Major Kenderson!“, rief eine Bariton-Männerstimme, die Zorn als jene von Thomas Jackson erkannte.
„Ich bin hier, Tom.“
Der ehemalige Infanterist und jetzige MechKriegeranwärter orientierte sich kurz, dann eilte er heran. „Ein Major Sikorsky von der Miliz will Sie sofort sprechen! Er sagt, es ist unabdinglich.“
„Unabdinglich? Nicht sofort notwendig oder lebenswichtig?“
„Nein, Sir. Unabdinglich.“
„Na, dann wollen wir uns doch mal anhören, warum das Gespräch unabdinglich ist.“ Zorn erhob sich. „Ich komme. Ilona, du auch. Lieutenant Kenderson, Werner, ihr könnt uns als stille Mäuschen begleiten.“
„Sikorsky ist einer von Luckners Leuten, oder?“, fragte Nadeen Kenderson, als sie ebenfalls aufstand.
„Auf jeden Fall ist er nicht der Chef der Miliz. Das ist Kyrensky“, sagte der junge AsTech, als er sich erhob, um dem Alten zu folgen.
„Ja, das ist er.“
„Und so beginnt es“, sagte Ilona Pappas, als sie sich auch erhob.

***

Es gab nur eine Audio-Übertragung. Die bestand allerdings aus einer richtigen Telefonleitung, nicht aus einen Funkanruf. Entweder der Sternenbund, oder aber die Miliz von Allans World hatte sich hier tatsächlich die Mühe gemacht, die Hauptstadt störungsfrei mit dem Brian-Kastell zu verbinden.
„Major Kenderson hier.“
„Major Sikorsky hier. Ich rufe an im Auftrag von Colonel Pallas, dem neuen Kommandeur der Miliz von Allans World.“
„Weiß Kyrensky davon?“, fragte Zorn geradeheraus.
„Lieutenant Colonel Kyrensky ist zur Zeit nicht erreichbar“, erwiderte sein Gegenüber. „Er hat sich der Verhaftung entzogen und ist, wie nennen die Zivilisten das? Untergetaucht.“
„Die Gouverneurin?“
„Hat Hausarrest auf ihremAnwesen auf dem Land.“
„Aha. Der Grund, warum Sie mich anrufen, Major Sikorsky?“
„Wie Sie sicher gerade gemerkt haben, gab es heute ein paar kleinere Veränderungen in der politischen und militärischen Landschaft von Allans World. Es wurde offiziell Anklage wegen Mordes an Colonel Astro Luckner erhoben. Angezeigt sind die Gouverneurin, ihr Erfüllungsgehilfe Kyrensky, ihre direkte Vertraute, Lieutenant Bloodbourne, und Second Lieutenant Han mit ihrem Flügelmann Corporal Shanks. Auch würde der Staatsanwalt bezüglich ihrer Rolle bei diesem Vorfall gerne mit ihnen reden und erfahren, warum Sie das Verbrechen nicht verhindert haben. Kurz und gut, ich erwarte Sie, die Angeklagten und ihre Führungsoffiziere spätestens morgen früh in der Hauptstadt, wo ich Sie den Behörden, beziehungsweise in ihrem Fall, Major Kenderson, den ermittelnden Beamten übergeben werde. Sagen wir, acht Uhr ist eine gute Zeit.“
„Die Miliz ist nicht zuständig“, sagte Zorn.
„Bitte, was?“
„Ich sagte, die Miliz ist nicht zuständig. Guten Tag, Herr Major. Ach, und Gratulation zur Beförderung.“ Zorn hängte auf. Darauf begann das Telefon zu klingeln. „Kenderson.“
„Hören Sie! Sie WERDEN ...“
Zorn hängte erneut auf.
Der Chef der Cavaliers zählte leise. Bei dreißig stockte er. Wieder klingelte es und er nahm ab. „Kenderson.“
„Polizeipräsident Wengenbaum hier. Hören Sie, Major Kenderson, es wurde offiziell Anklage erhoben, und ich erwarte, dass Sie mit den Ermittlungsbehörden kooperieren. Ich kann Sie auch für Vogelfrei erklären lassen, das nur als Warnung.“
„Was ist mit Ian Gettysburg passiert? Er ist Polizeipräsident.“
„War.“
„Und was ist mit ihm?“
„Bis zur Aufklärung des Mordes an Astro Luckner hat er Hausarrest auf dem Landgut der Gouverneurin, Five Forks.“
„Mit anderen Worten, die Gettysburgs haben sich eingeigelt, und Sie kommen nicht an sie ran.“
„Machen Sie sich keine Sorgen darum, wie ich meine Arbeit erledigen werde, Major Kenderson. Sehen Sie zu, dass Sie sich und die Angeklagten in die Hauptstadt zurückschaffen.“
„Das riecht mir zu sehr nach Putsch. Da mische ich mich nicht ein. Sie können ihre Ermittler aber gerne zu mir raus schicken. Ich habe da eine GefechtsROM, die sie sehr interessant finden werden. Ach, und bevor Sie darüber nachdenken möchten. Die kleine Reserve meiner Leute in der Kaserne ist abgezogen und dürfte sich jetzt an Bord eines meiner Landungsschiffe befinden. Besagte Landungsschiffe stehen jetzt unter Verschlusszustand und haben meine Erlaubnis, sich zu verteidigen. Also, ich erwarte dann ihre Ermittler. Acht Uhr scheint mir eine angemessene Zeit zu sein, wenn sie sich beeilen.“
„Das ist es. Damit sind Sie Vogelfrei“, drohte der Polizeipräsident.
Zorn lachte abgehackt auf. „Mein Auftraggeber ist Hanse Davion. Ich werde dabei sein, wenn Sie ihm zu erklären versuchen, warum Sie die Cavaliers zu Vogelfreien erklärt haben. Auf Wiederhören, Herr Polizeipräsident.“
Damit hängte Zorn wieder auf. Diesmal klingelte das Telefon nicht erneut.
„Scheint so, als wollen die Wengenbaums All in gehen“, klang die Stimme von Winningham auf, der zu ihnen trat. „Wir Dragoner und die Cavaliers sind zum Glück nicht erpressbar. Aber was ist mit den Angehörigen unserer Milizionäre? Was ist mit Bloodbourne?“
„Ich werde allen freistellen, mitsamt ihrem Material das Kastell zu verlassen“, sagte Zorn. „Wenn sie bleiben wollen, lasse ich sie bleiben. Wir werden sie dann nicht ausliefern. Mehr können wir für sie nicht tun. Leider.“
Er sah Winningham an und lächelte schmallippig. „Immerhin wissen wir es jetzt konkret: Medice ist auf Allans World. Das ist nahe genug an seiner Handschrift dran.“
„Dann geht es wohl los?“, fragte der Wolfs Dragoner. „Wir sollten ComStar warnen. Wer einmal ein HPG angreift, tut dies auch wieder.“
„Tun Sie es, Captain.“
„Ja, Sir. Meed, eine Verbindung zu ComStar. Ich will direkt mit Adeptin Sommer sprechen!“
„Und was jetzt?“, fragte Werner.
„Jetzt“, echote Zorn, „warten wir, wie viele Miliztruppen dieser selbsternannte Colonel Pallas zusammenziehen kann, um uns hier auszuräuchern.“
„Das dürfte sehr verlustreich werden. Für die Angreifer.“
„Das wird Medice egal sein. Und die Wengenbaums haben sich bereits zu weit aus dem Fenster gelehnt, um nicht weiter zu investieren. Wir werden sehen, ab wann es für sie zu teuer wird.“

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8.
04. Juni 3043
Brian-Kastell
Hauptkontinent Pangea
Allans World

Die Nacht verlief für die kleine Armee im Brian-Kastell relativ ruhig, wenngleich einer der Kampfschütze gegen vier Uhr morgens Arbeit bekam, als er mehrere ferngesteuerte Drohnen aus dem Himmel putzen musste. Drei explodierten dabei, die anderen stürzten nur ab. Auf der anderen Plattform gab es noch nichts derartiges zu tun. Aber das konnte als Angriff gewertet werden.
Gegen sechs Uhr wurde Zorn geweckt und in den Kontrollraum gebeten, weil ein Fahrzeug der Miliz vor den Toren stand und um Aufnahme bat. Bloodbourne stand neben ihm, als er mit der Besatzung des Infanterietransporters Kontakt aufnahm.
„Hier spricht Major Kenderson“, sprach er ins Funkgerät. „Ich rufe die Besatzung des Maxim-Schwebepanzers vor dem Haupttor.“
Eine junge Männerstimme meldete sich. „Hier spricht Sergeant Nikolai von der Miliz. Sir, wir bitten Sie um Aufnahme. Als der Putsch ausbrach, waren wir gerade beim Nachtschießen, und dann ging alles so schnell, dass wir uns von unseren Begleitfahrzeugen getrennt und dann einzeln durchgeschlagen haben. Als klar war, dass dies hier der nächste sichere Stützpunkt für uns ist, sind wir hier raus gefahren.“
Bloodbourne beugte sich ein Stück vor. „Janns, bist du das?“
„Bei Blakes Wort, Jessica, ich hatte so sehr gehofft, dass ich mit dir sprechen kann“, sagte der Sergeant. „Ich weiß, was du jetzt denkst, aber du weißt, ich war nie einer von Luckners Parteigängern. Und für meine Besatzung lege ich die Hand ins Feuer. Ich habe alle Leute meines Platoons hier mit an Bord, zumindest die, welche ich retten konnte, als der Feuerzauber losging, und wir bemerkten, dass die nächste Schießgruppe, die auf das Landsdale kamen, uns zum Ziel nahm. Eigentlich hatte ich gedacht, mit dem Tod des alten Bastards ist dann endlich mal eine Zeitlang Ruhe.“
Zorn wandte sich einem der KomTechs zu. „Geben Sie Befehl, die Gegend nach weiteren Fahrzeugen abzusuchen. Die Späher sollen vor allem nach dem Symbol Ausschau halten, das auf diesem Maxim zu sehen ist. Ein taktisches Panzerjäger-Abzeichen mit zwei Strichen für eine Kompanie, und einer Drei vor dem Kasten und einer Fünf dahinter.“
„Fünftes Hauptstadt-Milizbataillon, dritte Kompanie“, bestätigte Bloodbourne. „Ich hätte nicht erwartet, dass sich die Wengenbaums dazu hinreißen lassen, die eigene Miliz zu attackieren.“
„Was ist, wenn das Ding ferngesteuert ist, und bis zum Rand mit Sprengstoff vollgestopft wurde?“, fragte Zorn. „Was ist, wenn jetzt jede Sekunde irgendwer den Maxim attackiert, um uns dazu zu verleiten, ihn schnell reinzulassen? Was ist, wenn das nicht Ihr Bekannter ist?“
„Vielleicht, vielleicht, und nein, Sir. Das ist definitiv Janns Nikolai. Eigentlich niemand, den man dem Lager der Wengenbaums oder den Gettysburg zurechnet. Aber es würde passen, wenn die Wengenbaumtreue Miliz auch die Neutralen attackiert, bevor die sich dazu entschließen, doch noch eine Seite zu wählen. Ich schätze, der neue Chef hat die Parole „Bist du nicht für uns“ herausgegeben.“
„Okay, wir machen die Sache kurz.“ Er ergriff das Funkgerät. „Hören Sie, Nikolai. Sie und Ihre Leute verlassen den Maxim, damit wir Sie zählen können. Dann können Sie unbewaffnet und einzeln ins Kastell kommen, wo wir Sie durchsuchen werden. Eines meiner Feuerteams wird, wenn wir die Zeit dafür haben, ihren Maxim untersuchen und gegebenenfalls ebenfalls ins Kastell bringen. Sie wissen, die Zeiten sind hart, und Sie könnten einen mit TNT vollgestopften ferngelenkten Panzer mitten zwischen meine Leute fahren wollen.“
„Sir, ich versichere ihnen, dass dies nicht der Fall ist. Wir gehen auf ihre Bedingungen ein.“
„Zorn, wir haben Bewegungen. Keine Anschleichbewegung, sondern zwei Kondor, die ziemlich genau mit Höchstgeschwindigkeit auf das Tor zuhalten. Fünf Klicks entfernt, etwa siebzig Km/H schnell.“
Er ergriff erneut das Funkgerät. „Ich habe hier zwei Saladin-Panzer, die schnell näher kommen. Freunde von ihnen, Nikolai?“
„Saladins? Die hat nur die Herfordt-Miliz im Nordteil des Kontinents. Wir hatten die Nacht auch mit keinen zu tun gehabt. Unser letzter Kontakt war mit zwei Kondor, die uns mit ihren Autokanonen durch den Wald gejagt haben. Als sie zurück mussten, um Munition aufzunehmen, haben wir eine falsche Richtung vorgetäuscht, sie abgehängt und sind dann hergekommen.“
„Test bestanden. Sie machen jetzt genau das, was ich ihnen gesagt habe. Dann kümmere ich mich um ihren Truppentransporter.“
„Sir, wir haben die Kondors jetzt auch in der Ortung. GAZ unter fünf Minuten. Wenn wir hier erst die Truppen rauslassen, könnte das eng werden. Sollen wir diese Bande erst mal wieder abhängen und wir kommen später wieder?“
„Tun Sie, was ich ihnen gesagt habe. Sie kriegen keine zweite Chance.“
Ein kurzes Zögern. Dann: „Jawohl, Sir.“

„Maxie, allgemeine Frequenz. Rufen Sie die Kondor-Panzer“, befahl Zorn.
„Aye. Hier sprich das Brian-Kastell unter der Kontrolle der Kenderson Cavaliers. Wir rufen die beiden Kondor-Panzer, die sich uns rasant nähern. Bitte identifizieren Sie sich und ihre Absichten. Ich wiederhole, bitte identifizieren Sie sich und ihre Absichten.“
Bloodbourne warf einen Blick auf den aktiven Transponder. „Erstes Bataillon. Luckners Haus-, und Magen-Einheit. Wenn die mit angeschaltetem Transponder rumfahren, glauben die eher nicht, dass sie uns täuschen können.“
„Hier spricht Lieutenant Casey von der Hauptstadt-Miliz, Erstes Bataillon, fünfte Kompanie. Wir sind auf dem Weg, um Fahnenflüchtlinge zu stellen und zu verhaften! Mischen Sie sich nicht ein, Cavaliers, das ist eine interne Miliz-Sache!“
„Sir, aus dem Maxim sind genug Soldaten für ein Platoon ausgestiegen“, sagte Bloodbourne. „Infanterie und Fahrzeugcrew eindeutig zu identifizieren.“
„Na, der Part stimmt ja schon mal. Hiller, Zeit für ihre Leute.“
„Sir, der Captain hat eigentlich noch Schlafenszeit, aber ich habe ihn wecken lassen. Baumgarten übernimmt.“
„In Ordnung. Maxie, antworten Sie den Kondor-Panzern, dass wir das Umfeld von drei Klicks um das Kastell als Sicherheitszone sehen, und so weiter.“
Der KommTech nickte. „Achtung, Kondor-Panzer! Kendersons Cavaliers betrachten das Umfeld um das Brian-Kastell im Radius von drei Kilometern als Sicherheitszone! Drehen Sie ab, bevor Sie diese Zone erreichen, oder wir betrachten Sie als legitime Ziele.“
„Brian-Kastell, ich wiederhole: Dies ist eine interne Miliz-Angelegenheit! Mischen Sie sich nicht ein!“
„Geben Sie mir direkten Kontakt. Hier spricht Major Kenderson. Lieutenant Casey, wenn Sie die Sicherheitszone betreten, eröffnen wir das Feuer. Das ist die letzte Warnung.“
„Brian-Kastell, ich wiederh ...“, klang es auf, aber Zorn machte die Geste, die Verbindung zu kappen.
„Gut. Wie sieht es an der Haustür aus? Vierunddreißig Leute?“
„Herr Major, bin gerade ans Tor gekommen und übernehme“, klang Hillers Stimme auf. „Wir schleusen die Leute mit aller gegebenen Vorsicht rein, aber so schnell wir können. Außerdem schicke ich bereits ein Squad los, das den Transporter untersucht.“
„Sehr gut. Machen Sie in Ruhe. Wir haben Zeit, Hiller.“
„Sind Sie da sicher, Chef?“, hakte er nach.
In diesem Moment überschritt der vorderste Miliz-Panzer die drei Kilometer-Marke. Prompt schlug ein PPK-Blitz in seinen Bug ein, was den Fahrer überzeugte, etwas mehr Abstand zum Berg einzunehmen.
„Guter Schuss“, lobte Zorn. „Das war Private Stones Greif, oder, Darnell?“
Der gerade hinzu kommende Wolfs Dragoner grinste verschmitzt. „Richtig. Aber das ist noch nicht das ganze Schauspiel.“

Auf der taktischen Anzeige bewegten sich zwei Mechs. Der bereits erwähnte Greif und ein Victor, auch von der Kompanie Winninghams. Die beiden Mechs sprangen von der unteren Luftabwehrplattform mit Hilfe ihrer Sprungdüsen in die Tiefe. Der nicht getroffene Kondor eröffnete mit seiner Autokanone das Feuer, aber der Victor, auf den er zielte, verlängerte seinen Sprung einfach und landete nicht dort, wohin der Schwebepanzer schoss. Stattdessen feuerte der Greif nun erneut seine PPK und hatte auch noch die Unverschämtheit zu treffen. Dies überzeugte nun auch die Besatzung des zweiten Panzers, doch ein wenig mehr Abstand zu halten. Als diese wieder außerhalb der Sicherheitszone waren, stoppten sie.
„Stone möchte bitte seine LSR abfeuern“, befahl Zorn. „Nur weil wir bei drei Klicks die Grenze ziehen, halten wir uns nicht sklavisch daran.“
Winningham grinste nun offen und breit. „Doug, der Alte hat angeordnet, dass wir die beiden Panzer noch ein Stück weiter schicken. Wer einmal eindringt, will vielleicht wiederkommen.“
„Verstanden, Sir. Ich gebe denen ein Abschiedsgeschenk mit.“ Vom Greif lösten sich zehn Langstreckenraketen und flogen etwa sechshundert Meter auf beide Panzer zu, bevor sie sich in zwei Fünfergruppen aufteilten. In die beiden Panzer kam Bewegung, und sie drehten ab, um in die Deckung mehrerer Bäume zu kommen,
„Cavaliers, was soll der Scheiß? Wir sind aus ihrer Sicherheitszone raus!“, rief Casey über Funk.
Zorn ergriff das Sprechgerät erneut. „Die Zone wurde gerade auf sechs Klicks erweitert. Finden wir Sie in drei Minuten noch innerhalb dieser Zone, werden Sie vernichtet.“
Eine direkte Antwort gab es nicht, aber die beiden Kondor, die von den PPK-Blitzen schwer auf den Fronten getroffen worden waren, beeilten sich, auch das kleine Waldstück hinter sich zu bringen. Dabei wurde das vordere Fahrzeug und das hintere dreimal von LSR getroffen und erschüttert, aber beide blieben manövrierfähig und flohen weiter.
„Genug gespielt, Kinder. Kommt wieder rein ins Warme“, sagte Winningham. „Ach, und gut geschossen war das.“ Er sah zu Zorn herüber. „Ich denke, der Alte ist zufrieden, so wie es gelaufen ist.“
Der Major nickte zustimmend. „Lob an ihre Leute, Darnell. Es schadet nichts, wenn unsere Gegner wissen, dass wir hier drin nicht eingesperrt sind.
Wie sieht es am Tor aus?“
„Wir haben die Infanterie jetzt drin. Drei Verletzte, Sir, einer braucht schnell eine Behandlung. Fahrzeug, soweit wir es gecheckt haben, ist sauber. Aber wir empfangen die Signale eines Peilsenders.“
„Ach, so haben die Kondor Nikolai wiedergefunden“, sagte Jessica Bloodbourne. Sie schüttelte den Kopf. „Das ist alles nie und nimmer eine spontane Sache, die sich entwickelt hat, weil Sie dieses Bataillon fabrikneuer Mechs gefunden haben, Sir. Das hat die Aktion vielleicht ausgelöst, beschleunigt, aber geplant wurde das sicher schon eine ganze Zeit. Es tut mir leid, dass Sie in die Interna von Allans World reingezogen wurden, Zorn.“
„Sagen Sie so etwas nicht, Jessie. Im Gegenteil, die Cavaliers benutzen ihren internen Konflikt, nicht umgekehrt. Auf diese Weise locken wir unseren Erzfeind aus seiner Deckung. Und dann töten wir ihn.“
Die Lieutenant musterte den Chef der Cavaliers einen Moment, der sich zur Ewigkeit zu dehnen schien. „Sie sind sich sicher, dass der Vicomte auf Allans World ist.“ Es war keine Frage.
„Fast sicher“, erwiderte Zorn.
„Zentrale, der Maxim ist sauber. Bitte um Öffnung des Tors, um ihn reinzufahren.“
„In Ordnung, macht dem Maxim auf. Die Verletzten sollen ins Lazarett gebracht werden, die Mannschaftsdienstgrade bekommen Schlafplätze zugewiesen und sollen sich was in der Kantine holen oder duschen gehen. Sergeant Nikolai meldet sich bei mir, sobald er kann. Habe ich was vergessen?“
„Ja, Sir. Bewaffnen wir die Besatzung des Maxims wieder?“, fragte Winningham. „Das kann immer noch eine Art Fünfter Kolonne sein.“
„Jessie, kümmern Sie sich darum, zusammen mit Sally Han. Schauen Sie sich alle Männer und Frauen an, die mitgekommen sind. Seien Sie streng und stecken Sie lieber einen zu viel in die Arrestzellen als zu wenig. Die, die übrig bleiben, können sich ihrem Kontingent anschließen.“
„Jawohl, Sir.“
Zorn sah ihr nach, bis sie die Zentrale verlassen hatte. „Und so beginnt wohl der Hauptakt dieser Tragikomik.“ Wenn er ehrlich war, hätte er durchaus darauf verzichten können, in die internen Händel der beiden wichtigsten Familien des Planeten reingezogen zu werden. Aber immerhin, es erhöhte die Chance, Janard Medice zu erwischen, und das ein für allemal.

***

Der gestrige Tag hatte für Sharon Gettysburg überhaupt gar nicht aufgehört, aber der neue schon angefangen. So stand sie hier, unfähig zu schlafen, in der Kommandozentrale der Five Forks genannten Ranch außerhalb der Hauptstadt. Sie hatte all das erwartet, sie hatte sich drauf vorbereitet, sie hatte Fluchtwege für die Familie und Fluchthelfer vorbereitet, damit im Falle eines Falles alle auf dem Anwesen unterkamen. Und doch hatten die Wengenbaums sie doch kalt erwischt. Es war nur Leuten wie Clannad Kyrensky zu verdanken, dass sich ein Gros ihrer Familie auf die Ranch hatten retten können – oder in Allan City untertauchen konnten. Sie hatte eigentlich erwartet, dass der Tod von Astro Luckner die Bemühungen der verfeindeten Familie zurückwerfen würde, aber letztendlich sah es so aus, als sei er tatsächlich als dicke rote Zielscheibe aufgebaut worden, und einer seiner angeblich fanatischen Untergebenen der eigentliche Machthaber gewesen, der jetzt die Miliz beherrschte.
Auch hier, totales Versagen auf ihrer Seite. Sie hatten jene Truppen, die mit den Gettysburg sympathisierten, noch warnen können, aber die neue Milizführung hatte sich auch gegen Einheiten gewendet, derer Loyalität sie sich nicht sicher gewesen waren. Oftmals wurden diese Truppen nur verhaftet, entwaffnet, eingesperrt, aber in der Hauptstadt hatten die Männer und Frauen von Astro komplett durchgedreht und wo sie konnten das Feuer eröffnet. Clannad hatte, nachdem er ihr die Flucht aus der Gouverneursresidenz ermöglicht hatte, es auf sich genommen, diese Einheiten zu warnen und sie zu unterstützen. Doch seitdem hatte sie von ihm nichts mehr gehört, denn natürlich hatten die Wengenbaums auch die Polizei übernommen und Ian geschasst, von dem sie seither auch nichts mehr gehört hatte.
Sie musste sich eingestehen, dass der Schatz, den Kenderson gefunden hatte, viel zu groß gewesen war, als dass die Wengenbaums dieser Beute hatten widerstehen können. Wenn es daher ohnehin ihre Absicht gewesen war, sich der Cavaliers zu entledigen, passte alles zusammen. Das erklärte dann auch, warum Astro sich so kurz vor seinem Tod derart aufgeführt hatte. Entweder waren ihm tausende Wunder versprochen worden, oder der unfähige Arsch hatte mal was Selbstloses getan und sich für die Familie, die ihn getätschelt und hofiert hatte, geopfert. Nein, das verwarf sie sofort wieder. Lucker war gut darin, andere zu opfern, aber sein eigener Arsch war ihm immer heilig gewesen.

„Miss Gouvernor?“
Sharon schreckte hoch. Hatte sie etwa für einen Augenblick geschlafen? Gedöst? War sie mit ihren Gedanken zu weit entfernt gewesen?
„Ja, Claudine? Neues von Clannad?“
„Nein, Ma'am. Aber ich habe gerade Nachricht gekriegt, dass Harry und Sally in Sicherheit sind. Und Captain Norrington hat gemeldet, dass sein Atlas jetzt wieder voll funktionsbereit ist. Die Assault Guard ist gefechtsbereit.“
„Das sind ja wenigstens ein paar Lichtblicke, Claudine. Und wirklich nichts von Clannad? Oder Ian? Percy oder Yuria?“
„Nein, Ma'am, leider nein. Ich habe allerdings veranlasst, dass der Zugriff der Polizei auf das öffentliche Telefonnetz gehackt wird. Für zwölf Stunden wird nichts aufgezeichnet, und sie können auch nicht mithören.“
„Zwölf Stunden?“
„Vielleicht fünfzehn. Es kommt drauf an, wie dämlich die Polizei geworden ist, jetzt wo die fähigen Leute suspendiert oder auf der Flucht sind“, sagte sie mit einem leichten Grinsen. Verständlich. Der Virus war von ihr programmiert worden. Und sie hatte den perfekten Zugriff zum Polizeinetz gehabt, um ihn dort zu platzieren. Manche Vorbereitungen hatten eben doch funktioniert.
„Miss Gouvernor? Lauren Wengenbaum auf der Vier.“
Sofort war Sharon hellwach. Lauren war die Nummer drei in der Familienhackordnung und eigentlich für Public Relation zuständig, um die Wengenbaums als fähig, und die Gettysburgs als unfähig darzustellen. „Ich nehme an. Gettysburg hier.“
„Sharon. Ich bin nicht sehr erfreut, ihre Stimme hören zu müssen.“
„Das Gefühl beruht auf Beiderseitigkeit, Lauren.“
„Nun werden Sie mal nicht gleich biestig. Five Forks ist sehr gut befestigt, aber irgendwann ist auch diese Verteidigung durchbrochen. Ihre Lasertürme werden Sie nicht ewig beschützen.“
„Was wollen Sie, Lauren?“
„Ich will ihnen eine letzte Chance geben, quasi die Hand reichen. Kapitulieren Sie sofort, treten Sie von all ihren Ämtern zurück, sammeln Sie ihre Familie und die getreuen Gefolgsleute ein, und verschwinden Sie von unserem Planeten.“
Sharon runzelte die Stirn. „Komisch. Das Gleiche wollte ich ihnen auch gerade sagen, Lauren.“
„Das mag sein, aber Sie haben nicht Percy und Yuria MacMallon in ihrer Hand. Oder Justice Farnham. Oder Helena Masters. Und auch nicht Ian Gettysburg.“
Sharon fühlte, wie ihr heiß und kalt zugleich wurde. Das war ein Drittel ihrer Generation in der Familie. „Was wollen Sie, Lauren?“
„Das habe ich ihnen gesagt. Kapitulation, Rücktritt von allen Ämtern, und dann runter vom Planeten.“
„Sonst?“
„Sonst dürfen Sie über die Telefonleitung dabei zuhören, wie wir ihre Familienmitglieder exekutieren. Ach, und noch neunzehn weitere ihrer Getreuen, die zu stur waren zu erkennen, dass der Stern der Gettysburgs erloschen ist.“
„Wie wollen Sie das vor dem Prinzen rechtfertigen?“, blaffte sie ins Telefon.
„Wir machen natürlich keine Aufzeichnungen davon. Es wird sich schon ein Weg ergeben, diesen kleinen Massenmord den Cavaliers unter die Schuhe zu schieben. Gleich nachdem wir das Depot ausgeräumt haben, das sich im Kastell befindet.“
„Ich will mit ihnen sprechen!“
„Natürlich, Sharon. Schaltet bitte Lyrcam Wengenbaum in die Leitung.“
„Wengenbaum.“
„Lyrcam, mein missratener Neffe. Mach diesmal was richtig, und halte Ian Gettysburg das Telefon an den Kopf. Aber bitte richtig rum.“
„Ja, Tante. Ian, du hast Telefon.“
„Sharon! Egal was sie sagen, geh nicht darauf ein! Du musst ...“
„Das genügt. Jetzt Yuria.“
„Wenn es Sie glücklich macht“, sagte Lyrcam.
„Yuria hier. Die Lage ist verzweifelt, aber nicht hoffnungslos.“
„Hast du ihnen gesagt, dass du schwanger bist, Schatz?“
„Darauf nehmen sie keine Rücksicht. Und DU AUCH NICHT! Sharon, überlass diese Welt nicht Leuten wie Lauren, Dagobert und Claus! Versprich mir, dass unser Tod nicht umsonst ist und ...“
„Genug geplaudert. Wollen Sie noch jemanden sprechen, Miss Gouvernor? Todd Svenson vielleicht?“
„Himmel, wie ist der alte Todd da reingeraten? Er ist in Rente!“, rief Sharon aufgebracht.
„Aber er ist immer noch ein treuer Anhänger“, sagte Lauren. „Und ich werde keinen Gettysburg-Anhänger auf dieser Welt dulden, der wie ein Krebsgeschwür nur darauf wartet, die alten Zustände wiederherzustellen. Möchten Sie noch jemanden sprechen?“
„Ma'am, fragen Sie nach Justice“, raunte Claudine ihr zu, während sie eine Stoppuhr bediente.
„Ist Justice da?“
„Justice kommt sofort. Hier, Kind, sprich da rein.“
„Ich bin keine Idiotin. Hallo, Tante. Ich bin hier. Sie haben mich aus dem Internat geholt, um drei Uhr morgens. Sie sind mit einer Wespe gekommen, und ich habe den Wachen gesagt, sie sollen nicht ihre Leben opfern.“
Claudine sah weiter auf ihre Stoppuhr. „Weiter, weiter“, flüsterte sie.
„Lauren, ich verstehe ihren Hass. Aber dass Sie bereit sind, eine Fünfzehnjährige zu töten, ist unterirdisch böse. Lyrcam, warum machen Sie da mit?“
„Weil der Trottel keine andere Wahl hat. Außer Sohn zu sein kann er ja nichts. Und wenn er nicht spurt, kann er gleich mit ihnen abreisen“, sagte Lauren. „Sicher, dass er das nicht lange überlebt. Wie ist ihre Entscheidung, Sharon?“
„Ich will vorher noch wissen, ob Roger Sternbaum dabei ist.“
„Lyrcam, haben wir einen Mister Sternbaum unter unseren Gefangenen?“
„Yes, Ma'am.“
„Dann sei so gut, und lass ihn mit der Miss Gouvernor reden.“
Es dauerte einen Moment, dann klang eine atemlose Männerstimme auf. „Roger hier, Ma'am.“
„Roger, wie sind Sie da reingeraten?“
„Wortwörtlich haben sie gesagt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Und dann haben sie zwei erschossen, Jarland und Cindy, und mich haben sie mitgenommen.“
„Lauren, Sie sind in unsere Bank eingebrochen?“
„Als wenn das jetzt noch etwas ausmacht. Also, ich denke, Sie haben lange genug geplaudert. Ich will jetzt ihre Entscheidung, sonst hören Sie gleich eine lustige Autopistole einunddreißigmal feuern.“

Sharon starrte auf das Telefon in ihrer Hand. „Wir geben auf. Garantieren Sie für unsere Sicherheit?“
Ein schrilles Lachen erklang. „Natürlich nicht! Und ich hatte auch nie vor, mit ihnen zu verhandeln. Ich wollte nur, dass Sie ihrer Familie und ihren Getreuen beim Sterben zuhören. Lyrcan, sei so gut und fang mit Justice an.“
„Nein! Warten Sie! Ich habe doch gesagt, wir geben auf! Tun Sie das nicht, Lauren! UM GOTTES WILLEN, NEIN!“
Das Zischen von Flechetten war zu hören, deutlich genug. Schmerzensschreie klangen auf, einzelne Pistolenschüsse kamen dazu, dann herrschte unmenschliche Stille.
Schritte kamen über die Telefonleitung, dann hörte Sharon, wie der Telefonhörer übergeben wurde. „Keine Verluste bei uns, Ma'am.“
Sharons Beine gaben nach, sie fiel nach hinten, und sie landete nur nicht am Boden, weil Claudine sie auffing. „Vorsicht, hier in den Stuhl, Sharon. Ja, so ist gut. Das war sehr knapp, Clannad.“
„Was sollte ich machen?“, erwiderte der neue Mann am Telefon. „Ich musste die ganze Mission quasi im Laufen planen, seit mein Insider bei den Wengenbaums mir berichtet hat, was die Familie vorhat. Ihre Leute sind übrigens alle tot, Mrs. Wengenbaum. Alle.“
„Dann danke ich ihnen, dass Sie mich endlich von diesem missratenen Neffen befreit haben“, sagte sie verärgert. „Sharon, es wird ein nächstes Mal geben!“
„Bitte legen Sie auf, Miss Governor“, sagte Clannad Kyrenksy.
Sie tat wie geheißen, und kurz darauf klingelte Leitung drei. „Gettysburg.“
„Lyrcan Wengenbaum hier. Kyrenskys Insider in der Familie. Keine Sorge, diese Leitung ist sicher und Gespräche werden nicht aufgezeichnet.“
„Lyrcan, Sie haben meine Familie gerettet. Egal, was Sie wollen, was immer Sie haben wollen, so es in meiner Macht steht, ich werde es ihnen geben!“
„Ich habe sie nicht gerettet, weil ich belohnt werden wollte, sondern weil Justice noch ein Kind ist, und Yuria im fünften Monat schwanger.“
„Hey! Ich bin kein Kind mehr!“
„Und weil die anderen es nicht verdient haben, zu sterben. Diese ganze verkorkste, durchgeknallte, verdorbene Familie kann wegen mir zur Hölle gehen. Alle bis auf vier.“
„Ich werde mir ihre Liste anhören und verspreche, was immer ich kann. Sie scheinen ja zu glauben, dass wir gewinnen werden.“
Beinahe glaubte sie den jungen Wengenbaum grinsen zu sehen. „Ich weiß, dass Sie es werden. Ich habe den großen Planer der ganzen Aktion kennengelernt, und er ist genau so wie Kenderson gesagt hat: So sehr von sich selbst überzeugt, dass Versagen für ihn keine Option ist. Und genau wie auf St. Jones steuert er lieber direkt auf eine Katastrophe zu als irgendwelche Fehler zuzugeben. Immerhin hat er diesmal nicht vor, ComStar anzugreifen. Und Atombomben hat er auch nicht. Glaube ich. Vertrauen Sie auf Clannad und Kenderson.“
„Das werde ich tun. Und jetzt seht zu, dass ihr da weg kommt, bevor ihr euch mit der Polizei schießen müsst.“
„Kyrensky hier. Wir sind schon dabei. Ich schicke dir, wen immer ich nach Five Forks rüberkriege, Sharon.“ Damit legte er auf.
Die Erleichterung war so groß, Sharon hätte sich nicht gewundern, wenn ihre Blase nachgegeben hätte. So aber zitterte sie nur wie nach einem kräftigen Orgasmus. „Claudine, ich nehme an, Sie standen mit Clannad in Kontakt und haben mich benutzt, um Zeit zu schinden.“
„Es war etwas hektisch und turbulent, um Sie einzuweihen, Sharon. Ich selbst wurde gerade erst kontaktiert und musste schnell schalten. Ein paar Sekunden zu spät, und ich weiß nicht, wie sich Lyrcan entschieden hätte mit dem eigenen Leben auf Messers Schneide.“
„Es ist egal. Er hat uns geholfen, Clannad hat alle gerettet, und Sie haben gemacht, was in ihrer Macht stand. Informieren Sie Zorn über das, was hier passiert ist. Er muss auf dem neuesten Stand bleiben.“
„Ich bin schon dabei.“
Dieser Janard Medice, was musste der für ein Mann sein, wenn er die wahrlich nicht gerade zimperlichen Wengenbaums zu so einer widerlichen Erpressung treiben konnte? Nein, korrigierte sie sich selbst. Zu diesem Mordversuch, denn Lauren Wengenbaum hatte ja gesagt, dass sie ihre Familienmitglieder so oder so erschossen hätte. Dieser Kelch war diesmal an ihr vorüber gegangen. Aber wie viele Federn würde ihre Familie in diesem ewigen Krieg noch lassen müssen? Es wurde wohl Zeit, die Sache mit den Wengenbaums ein für allemal zu beenden. Allerdings nicht so, wie Lauren oder Dagobert es gerade versucht hatten. Sie würde die Gettysburg-Methode anwenden. Und die Cavaliers würden dabei ihr Werkzeug sein.

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29.08.2024 22:40 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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Zorn hatte es sich ein wenig gemütlich gemacht und das Büro des Stützpunktkommandanten auf dem dritten Stock konfisziert. Ein großes, aber karg eingerichtetes Büro. Immerhin war es mehrfach geplündert worden. Alles, was hatte entfernt werden können, bis auf die Kommunikationseinrichtung, hatte im Lauf der letzten Jahrhunderte Füße gekriegt. Nun, da die Plünderer so einsichtig gewesen waren, nicht die Stromkabel aus den Wänden zu reißen, um das Kastell eventuell selbst nutzen zu können, hatte Zorn aus der Reserve nur einen Monitor und einen tragbaren PC anschließen müssen, um Zugriff auf das Komm-System und die Kameras zu haben, welche gut versteckt und notfalls gegen einen Atomschlag sicherbar in und um das Kastell verteilt waren. Ein Klapptisch und ein Bürostuhl aus dem zum HQ umgebauten Fahrzeug sowie zwei Besucherklappstühle vervollständigten die Einrichtung. Ja, karg, aber immerhin seines. Vielleicht wäre es im Wagen einfacher gewesen, doch man sollte die Abgeschiedenheit eines Büros nicht unterschätzen.
Dementsprechend war es nur logisch, dass Josie Halbard das Vorzimmer besetzt hatte und ihm von dort zuarbeitete. Wie sie auf die Schnelle ihre Einrichtung zusammen gekriegt hatte, die aus einem richtigen Schreibtisch bestand, war Zorn schleierhaft, aber er wollte auch nicht fragen.
Gerade hörte er sie sagen: „Gehen Sie durch. Er wälzt gerade nur ein paar Akten.“
Interessiert sah er von den Personalakten auf, die er gerade studierte. Wer mochte das sein?
Es klopfte zaghaft. „Major Kenderson?“
„Herein, Akeem“, rief er, der die Stimme des Chefs seiner Panzertruppe wohl erkannt hatte.
Die Tür öffnete sich ein Stück. „Sir, ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich wollte ihnen etwas erzählen, was mir vorhin wieder eingefallen ist.“
„Da Sie nicht im Laufschritt her geeilt sind, nehme ich an, wir können nebenbei einen Kaffee trinken, Akeem.“
Josie goss derweil zwei Tassen ein. Zorn wagte nicht zu fragen, wo sie die Tassen, das Kaffeepulver und die Kaffeemaschine her hatte. Die Tassen hatten das Logo des Sternenbunds als Aufdruck, und deshalb hatte er ein wenig Angst vor der Antwort. Wie hatte Josie geschafft, woran sogar Amaris' Raubritter gescheitert waren, geschweige denn die Miliz, die zwei Jahrhunderte Zeit für Plünderungen gehabt hatte?
„Zwei Stücke Zucker, schwarz für Captain Muller?“, fragte sie.
„Ja, danke, Miss Halbard“, erwiderte der breitschultrige, aber nicht besonders große ehemalige Infanteriekommandeur der Cavaliers.
„Josie, herrgottwieoftdennnoch? Akeem, wir kennen uns seit fünf Jahren, und ich rufe Sie beim Vornamen. Sie haben da nichts gegen, also warum nennen Sie mich nicht auch einfach bei meinem Vornamen?“ Mit etwas zu viel Schwung stellte sie die Kaffeetasse vor ihm ab. Der arme Klapptisch gab ein entsprechendes, warnendes Geräusch ab, was sie die Miene verziehen ließ. „Ich lasse einen richtigen Schreibtisch hoch schaffen, sobald der Durchbruch fertig ist“, sagte sie. „Hier, Zorn. Schwarz und stark, wie eine gewisse Griechin.“
Seine Tasse setzte sie vorsichtiger ab, aber ihre Worte irritierten ihn. Warum spielte die junge Frau jetzt gerade auf Ilona Pappas an?
„Danke, aber ich hätte gerne etwas Milch, damit er mehr den Haaren von Oberleutnant Kenderson gleicht“, sagte er, nur um die Sekretärin zu irritieren.
„Ach, interessiert dich doch endlich mal ein Mädchen? Ich hatte schon befürchtet, du würdest dich dem Asketentum zuwenden.“
„Josie ...“, sagte er tadelnd.
„Drei Jahre in der Einheit, und du hast nicht eine Beziehung geführt, Zorn. Weißt du, was für eine kalte Dusche das für die Frauen in der Einheit ist?“
Da hatte sie Recht, aber warum eigentlich? Wenn er ehrlich war, dann war Nicole Farnsworth seine letzte feste Beziehung gewesen, und die hatte geendet, als er zu den Cavaliers gegangen war. Sie hatte nicht mitkommen wollen, weil sie Mala nicht zurücklassen wollte, aber damals war kein Platz für die junge N'Gombe gewesen. Zumindest wenn er die Essenz ihrer vielen Gespräche auf den Punkt brachte. Mochte sein, dass er sich den Ärger, den eine Beziehung bedeutete, diesmal ersparen wollte.
„Manche behaupten ja, du wartest darauf, dass Ellie alt genug wird. Siehst du, wie arg es um dich steht, Zorn? Such dir eine Freundin. Es ist ja nicht so, als hättest du gerade nicht genug Zeit, solange sich die Idioten draußen gegenseitig die Köpfe einschlagen und noch keiner versucht, reinzukommen.“
„Muss das ausgerechnet jetzt sein? Und das vor Captain Muller?“, tadelte Zorn.
„Was? Ach, iwo. Akeem ist Beziehungsunfähig. Der versteht nicht mal, wovon wir reden.“
„Ich bin nicht beziehungsunfähig“, sagte der Panzerfahrer mit leichter Zornesröte. „Ich habe nur keine Zeit für so einen Unsinn!“
„So? Ist Essen für dich auch Unsinn, Akeem?“
„Natürlich nicht.“
„Na, dann kannst du ja mit mir zu Mittag essen, und wir sehen, ob sich was ergibt. Einverstanden?“
Der junge Cavalier war vollkommen überrumpelt. Hilfesuchend sah er Zorn an, der aber nur die Achseln zuckte. „Einmal essen gehen wird schon nicht schaden. Immerhin ist es unsere Kantine, und es gibt keine Rechnung.“
„Ja, einmal essen wird nicht schaden. Einverstanden … Josie.“
Das schien die Sekretärin des „Alten“ erfreuen. „Ach, Zorn. Akeem und du arbeiten seit drei Jahren zusammen. Du kannst ihm gegenüber ruhig etwas lockerer sein. Akeem, dann bis zum Mittagessen.“ Sie beugte sich vor und gab dem verdutzten Offizier einen Kuss auf die Wange. „Nicht vergessen, verstanden?“ Danach verließ sie das Büro und schloss die Tür so leise, dass sogar die quietschenden Türangeln leise blieben.

Zorn starrte der jungen Frau nach und verspürte kurz einen Stich Eifersucht. Wenn er ganz ehrlich zu sich war, störte ihn etwas am Gedanken, dass seine Josie mit Akeem Essen ging, auch wenn es nur die Kantine war. Er schüttelte den irritierenden Gedanken ab und griff nach dem Kaffee. Ein kurzer, heißer Schluck und die überraschende Erkenntnis, dass das Kaffeepulver garantiert nicht aus Sternenbundzeiten stammte später sah er zu Akeem herüber, der nun ebenfalls am Kaffee nippte.
„Guter Kaffee“, lobte er. „Apropos Kaffee. Was ich erzählen wollte, ist, dass ich während der Vorbereitungsphase allein und in Zivil in der Hauptstadt unterwegs war. Bisschen raus aus dem Milizviertel, in die Innenstadt. So ein wenig lauschen, was die Leute von Gettysburg halten, und wie sie den Tod von Astro Luckner sehen.“
„Sprechen Sie weiter“, sagte Zorn. Er hielt kurz inne, sich dran erinnernd, was Josie gesagt hatte, und fragte: „Darf ich du sagen, Akeem?“
„Wenn du es nicht angesprochen hättest, würde ich fragen“, erwiderte der Panzerfahrer grinsend. „Also du, Zorn.“
„Einverstanden. Sprich weiter, Akeem.“

„Wie ich schon sagte, ich wollte nur hier und da ein wenig lauschen. Was man so allgemein hören kann. Ich habe mir keine Illusionen gemacht, nicht sofort als Fremdweltler erkannt zu werden, auch wenn ich meine Kleidung an die einheimische Mode angepasst habe. Und das war im Nachhinein sogar mein Glück. Ein Unbekannter lud mich auf ein Bier in einer abgelegenen Bar ein und hat mir eine interessante Geschichte erzählt.“
Akeem nahm einen weiteren Schluck. „Er sprach mich direkt darauf an, dass ich ein Cavalier bin. Ich bejahte, da ich nichts zu verbergen hatte. Daraufhin lud er mich auf das Bier ein, und wir nahmen an einer gemütlichen Theke Platz. Dort, beim Bier, erzählte er mir, dass er Fluglotse am Raumhafen sei. Er hätte da etwas merkwürdiges beobachtet, aber das könne er niemandem vom Planeten erzählen. Zu große Gefahr, an einen Wengenbaum zu geraten, sagte er. Der Barkeeper, der uns bediente, war übrigens aus dem Gettysburg-Lager oder zumindest neutral, sodass er gar nicht erst versuchte, unsere Unterhaltung zu belauschen. Jedenfalls berichtete mir der Fluglotse, dass die Radarüberwachung über dem Conrad-Zacken seit Tagen eine Lücke hat.“
Zorn wandte sich dem Monitor seines Computers zu und rief eine Weltkarte von Allans World auf. Der die Welt beherrschende Hauptkontinent hatte mit viel Phantasie die Form eines Sterns, von dem Landschollen wie Zacken abstanden. Der flachste dieser Zacken, entstanden durch einen Subkontinent, der sich in die Hauptscholle hinein geschoben hat, hieß Conrad-Zacken. Das Interessante daran war, dass dieser Zacken ein Nachbar des Artif- Hochgebirges war, in dem sich das Brian-Kastell befand. Zorn war kein Geologe, aber er verstand genug von Tektonik, um zu sehen, dass das Gebirge auf diesem Zacken vom Conrad-Zacken aufgeschoben worden war. Der Subkontinent musste quasi teils unter der Hauptplatte, teils neben ihr her treiben. Möglich, dass der Hauptteil unter dem Artif-Zacken lag. Jedenfalls war die Information, dass jemand jemandem in relativer Nähe zum Brian-Kastell eine unbewachte Einflugschneise geöffnet hatte, leicht erschreckend. Und dies bereits mehrere Tage lang.
„Hat dein neuer bester Freund irgendwas dazu gesagt? Örtliche Behörden, seine Vorgesetzten, irgendwas?“
„Nein, leider nicht. Auf Conrad gibt es nur wenige Siedlungen, aber viele großflächige Agrarbetriebe. Wengenbaum-Land, so hat er es umschrieben.“
„Wengenbaumland“, echote Zorn. „Sie wollen, dass dort jemand oder jemande starten und landen können, ohne dass es Beweise gibt. Der hiesige Fluglotsenbetrieb arbeitet sicher mit ROM-Discs, richtig?“
„Jeder Fluglotsenbetrieb arbeitet mit ROM-Discs, nicht nur der hiesige. Deshalb wurde ja auch diese Lücke in der Radarüberwachung geschaffen. Soweit mein Kontakt weiß, ist das in diesem Jahr noch nicht vorgekommen, und auch nicht die letzten Jahre. Die örtliche Verwaltung macht Wartungsarbeiten am zuständigen Radar verantwortlich, veranschlagt allerdings noch mindestens drei Wochen für die Reparatur. Die Aufstellung eines mobilen Geräts wurde von der Miliz abgelehnt, weil der Conrad-Zacken „zu unwichtig“ ist. Das hat noch Luckner selbst entschieden. Und bevor Kyrensky was raus schicken konnte ...“ Akeem beendete den Satz nicht. Das musste er allerdings auch nicht. „Gibt es übrigens was Neues vom Putsch?“
„Ja. Die Wengenbaums haben versucht, einen Teil der Gettysburg-Familie umzubringen, aber sie konnten von Kyrensky gerettet werden. Unter ihnen war eine Teenagerin und eine schwangere Frau.“
„Zorn, ich kenne die Wengenbaums nicht, aber ich mag sie jetzt schon nicht.“
„Da sind wir schon mal zwei. Hast du eine Möglichkeit, den Fluglotsen zu kontaktieren?“
„Nur die Bar. Er hat mir nicht gerade seine Briefadresse oder seine elektronische gegeben. Ich sehe jetzt auch nicht, wie er weiter nützen sollte.“
„Hm“, machte Zorn. „Das kann man nie vorher wissen. Aber kümmern wir uns erst mal um die Hauptsache.“

Er griff zu seinem Telefon. „Josie, die sichere Leitung zu Madame Gouvernor, bitte.“ Zorn wartete ein paar Sekunden. „Die Gouverneurin, bitte. Wenn sie nicht da ist, gerne Kyrensky. Danke. Ich warte. Ah, Sharon. Nein, ich weiß nicht, ob es wichtig ist, das müssen Sie entscheiden. Einer meiner Offiziere berichtet mir vom Ausfall des Weltraumradars auf der Conrad-Zacke. Ja, über den mit Wengenbaum assoziierten Agrarbetrieben. Nein, tut mir leid, ich bin hier in den Artif-Bergen zu weit weg, und ich habe keine Hubschrauber. Ja. Ja. Okay. Danke, Sharon. Auf Wiederhören.“ Er legte wieder auf. „Sie senden einen Hubschrauber von einer Abteilung der Miliz, die auf Kyrensky hört. Der schaut mal vorsichtig nach, ob und was da unten los ist. Was offensichtlich ist: Da unten landen Truppen, die mit den Wengenbaums assoziiert sind. Ich dachte, wir könnten hier in Ruhe die Zeit aussitzen, bis Hanses Feuerwehr Allans World erreicht, aber es kann sein, dass ich mich da geirrt habe. Immerhin, diese Welt ist ein wichtiger Handelsknotenpunkt, vor allem weil Landungsschiffe nur einen guten Tag von den Sprungpunkten zum Planeten verlieren. Dazu liegt er an zwei wichtigen Handelsrouten, das könnte schon Begehrlichkeiten wecken.“
„Moment, nur damit ich das richtig verstehe. Wir suchen hier nach einem Sternenbunddepot, um Medice eine Falle stellen zu können, landen auf einem wichtigen Handelsplaneten und geraten in einen uralten Konflikt der beiden vorherrschenden Familien, der nun so weit geht, dass eine von ihnen einer Invasorstreitmacht unbekannter Größe ein Einflugtor auf den Planeten geöffnet hat? Also, wären wir in einem Roman, würde ich dem Autor jetzt auf die Füße treten, weil er übertreibt.“
„Aber es würde erklären, warum Medice solch eine Seelenruhe dabei hat, obwohl wir das Depot als Erste entdeckt haben. Und dass er keine Angst davor hat, dass Davion-Truppen uns in ein paar Wochen verstärken werden. Das muss nicht mal auf seinem Mist gewachsen sein, das kann auch von den Wengenbaums kommen. Wenn sie sich schon offen gegen die Gouverneurin stellen, uns das Depot wegnehmen wollen und noch einige andere Dinge tun wollen, für die Hanse viele, viele unbequeme Fragen stellen würde … Wäre da ein Wechsel des Hauses mitsamt dem ganzen Sonnensystem nicht die beste Option?“, sinnierte Zorn. „Oder übertreibe ich hier maßlos?“
„Es würde zumindest erklären, warum Luckner uns zur Not mit Waffengewalt davon abhalten wollte, nach dem Depot zu suchen“, sagte der Panzerfahrer. „Die Pläne der Wengenbaums waren in dem Moment gefährdet, als wir das im Kastell eingelagerte Regiment entdeckt haben. Und wenn sie jemand anderen vorschicken können, um das Kastell einzunehmen, umso besser für sie. Wir haben ja laut genug mitgeteilt, was es hier alles zu holen gibt.“
„Das ist gut. Dann würde ein eventueller Invasor seinen bestehenden Plan komplett über den Haufen werfen müssen, und er müsste improvisieren. Das macht ihn anfällig für Fehler“, sagte Zorn. „Aber so weit sind wir noch nicht. Die Draconier würden sich nicht so tief ins Gebiet der Vereinigten Sonnen wagen, auch wenn wir relativ nahe an der ehemaligen Peripherie stehen, die Capellaner sind noch weiter weg, und die Außenweltallianz hat kein Interesse an dieser Sternenregion. Ein anderes Haus wird hier schwerlich einschreiten, egal wie hoch der Profit sein könnte. Die Draconier müssten ein halbes Dutzend Welten erobern, nur um eine Verbindung zu ihrem eigenen Staatsgebiet zu haben. Das könnte man für einen Angriff auf New Avalon in Kauf nehmen, aber nicht für Allans World.“
„Bist du sicher, was die Draconier betrifft?“, fragte Muller. „Es sind nur siebzig Lichtjahre bis zu ihrer nächsten Welt, also minimal drei Sprünge. Es wäre zudem nicht das erste Mal, dass einer ihrer Distrikt-Kriegsherren versucht, auf eigene Faust Ruhm und Beute zu ernten.“
„Wir behalten das im Hinterkopf. Warten wir ab, was Clannad über diesen ominösen nicht überwachten Bereich herausfinden kann. Wir ...“
„Zacharias, es kommt wieder jemand ans Tor, soll ich dir ausrichten“, sagte Josie von der Tür.
„Ich hätte ihr das nicht erzählen sollen“, murmelte er, und etwas lauter: „Komme.“
„Zacharias?“, fragte Akeem verdutzt.
„ZORN“, korrigierte Zorn eine Spur zu laut. „Aber eigentlich Zacharias Orville Rudeus Napoleon. Zusammen Zorn. Ich habe das auch bereits offiziell ändern lassen. Und ich möchte nicht weiter drüber reden.“ Er kam um den Schreibtisch herum. „Wenn du Zeit hast, kannst du mitkommen. Ich bin gespannt, wer da gerade angekommen ist.“
„Ja, ich habe Zeit.“ Auch Muller erhob sich. „Aber Zacharias ...“
„Wir haben einen Brief an Zacharias Kenderson bekommen. Keiner wusste, wo er hin soll, bis er mir zugetragen wurde. Tja, und da musste ich Josie einweihen, dass der Brief für mich ist. Ich hätte lügen sollen.“
„Hast du aber nicht“, sagte Josie grinsend. „Aber keine Sorge, ich bleibe auch bei Zorn. Das klingt viel cooler.“
„Danke“, erwiderte der Chef der Cavaliers trocken und passierte den Vorraum, den Panzerfahrer dicht hinter sich.
Der murmelte den Kopf schüttelnd: „Zacharias ...“

Am Tor erwartete sie ein bekanntes Bild. Zwei Dachs-Panzer mit den Insignien der Miliz standen vor dem Tor, so wie der Maxim, und später zwei unterbesetzte Schwebepanzer vom Typ Harasser. Über Funk sprach die Kommandantin eines Dachs mit den Cavaliers.
„Holen sie Bloodbourne“, sagte Zorn beim Eintreten.
„Ich bin schon hier, Sir. Die beiden Panzer stammen aus der Hauptstadt-Miliz, 9. Kompanie. Ich kenne die Kommandeure persönlich, die Fahrer und Richtschützen aber nicht.“
„Gesinnung?“, fragte Zorn, während er näher trat.
„Lieutenant Matsumoto und Lieutenant Patchali sind nie durch irgendwelche Bekenntnisse zu einer der beiden großen Familien aufgefallen. Ich schätze, sie sind neutral. Eigentlich.“
Zorn ergriff das Mikrofon eines Sprechfunkgeräts im HQ. „Ist die richtige Frequenz eingestellt?“
„Ja, Sir.“
Er drückte den Sprechknopf. „Hier spricht Zorn Kenderson.“
Die Lippen von Muller bewegten sich, aber eine warnende Geste von Zorn, teils amüsiert, teils ernst, stoppte ihn.
„Karen Matsumoto hier, Sir. Entschuldigen Sie, dass wir hier so ungefragt aufgeschlagen sind, aber in der Miliz macht es die Runde, dass Sie einen sicheren Hafen für Leute wie uns bieten.“
„Leute wie Sie, Lieutenant?“
„Leute, die sich keiner Fraktion angeschlossen haben und von den Wengenbaums trotzdem als Bedrohung angesehen werden. Patchali und ich wurden von unserer Truppe getrennt, als diese angegriffen wurde, und nach einer halben Nacht der Hetzjagd waren wir zu weit entfernt, um wieder Anschluss zu finden. Keine Ahnung, wo der Rest unserer Kompanie ist. Aus Sicherheitsgründen gibt sie keine Positionsangaben durch, was ich verstehen kann. Und weil wir schon mal in diese Richtung gedrängt worden sind, dachten wir, dass wir unser Glück mit ihnen versuchen, Sir.“
„Ich soll Sie reinlassen?“
„Ja, Sir, und wenn es geht, möglichst schnell. Wir haben da immer noch ein paar Flöhe im Pelz, die jederzeit aufholen können.“
„Ihnen ist klar, dass wir hier einige von Gettysburgs Gefolgsleuten haben?“
„Ja, Sir, das verstehe ich. Aber seien wir ehrlich. Auch wenn ich selbst nie pro Gettysburg war, jetzt wo die Wengenbaum-Gefolgsleute auf uns geschossen haben, bin ich auf jeden Fall contra Wengenbaum.“
„Also gut, wir versuchen es mit ihnen. Bitte ohne Waffen aussteigen für eine Leibesvisitation. Einer meiner Infanterietrupps wird ihre Panzer auf Bomben und andere Schweinereien untersuchen. Danach lassen wir Sie alle rein.“
„Sir, wir sind neunzehn Leute, neun bei mir, und zehn bei Patchali, und nichts würden wir lieber tun, als auszusteigen und uns die Beine zu vertreten, aber ich habe ein klein wenig Angst vor feindlichem Feuer.“
„Verständlich, aber unnötig. Wir haben einen Bereich um das Brian-Kastell zu unserer Sperrzone erklärt und verteidigen diese. Ich verspreche ihnen, dass die nähere Umgebung bis zu zwei Klicks sauber gehalten wird.“
„Und wenn uns ein Sniper innerhalb dieser zwei Kilometer angreift?“, fragte sie zweifelnd.
„Dann, Lieutenant, haben Sie meinen herzlichsten Dank dafür, dass Sie ein Sniperteam, das uns nicht wohl gesonnen ist, aufgeklärt haben“, erwiderte Zorn trocken. „Nehmen Sie an, oder lassen Sie es.“
Jessica machte ein fragendes Gesicht, und Zorn nickte. „Lieutenant Bloodbourne hier. Karen, ihr seid nicht die ersten von der Miliz, die zu uns raus kommen. Ihr werdet vermutlich auch nicht die letzten sein. So wie ich mir das zusammenreime, ist die Hauptstadt mittlerweile in Wengenbaum-Hand und jeder, der nicht für sie ist, entweder tot oder auf der Flucht wie ihr. Die Cavaliers haben auch die vorigen Milizeinheiten so behandelt, aber auf ihre Ärsche aufgepasst. Also nimm an.“
„Wir könnten es wohl wesentlich schlimmer treffen“, erwiderte Matsumoto störrisch, bevor sie seufzte und hinzu fügte: „Natürlich nehmen wir an. Es ist wirklich, wirklich eng hier drin.“
„Dann steigen Sie jetzt aus und lassen die Waffen in den Panzern“, sagte Zorn. Sein Blick ging kurz zu den Leuten an den Kameras und der taktischen Anzeige, die jeden aktiven Kontakt in direkter Umgebung anzeigten.
„Im Moment ist alles sauber, keine Verfolger zu erkennen.“
„Die Gegend ist sicher, Lieutenant. Ich würde mich trotzdem beeilen.“
„Wir sind ja schon dabei“, erwiderte Matsumoto.
„Eine Frage noch. Wieso haben Sie dreizehn Leute mehr in den Panzern, als Sie brauchen?“
„Patchali und ich wollten sie nicht sterben lassen.“
„Das spricht für Sie, Lieutenant. Dann mal hurtig. Sie kriegen anschließend auch eine Dusche und eine warme Mahlzeit sowie einen kuscheligen Schlafplatz für sich und ihre Leute.“
„Das hätten Sie zuerst sagen sollen, Major Kenderson“, sagte die Miliz-Offizierin lachend. Kurz darauf öffneten sich die Luken der beiden Panzer, und es waren wirklich neunzehn Leute, die vor den Kampfwagen mehr oder weniger versuchten, Aufstellung zu nehmen. Einige der Extra-Leute waren Panzerfahrer, einige Infanteristen. Aber auch eine Zivilistin war dabei. Interessant daran war, dass Zorn selbst auf dem Kamerabild erkennen konnte, dass die Frau eine gewisse Ähnlichkeit mit Sharon hatte. Wie gefordert waren alle unbewaffnet.
„Hiller, wie die letzten beiden Male, bitte“, sagte Zorn über den Sprechfunk.
„Jawohl, Sir.“ Sekunden darauf ging ein Manntor raus, und wie beim Transporter und den beiden Panzern kam ein geschützter Trupp der Infanterie heraus und untersuchte die Soldaten auf Waffen und die Fahrzeuge auf Sprengstoff. Obwohl, so eng wie es darin gewesen sein musste, war garantiert kein Platz gewesen, um zusätzlichen Sprengstoff aufzunehmen.
„Sektor immer noch sauber?“, fragte Zorn.
„Immer noch keine Bewegung innerhalb unseres proklamierten Radius. Nicht mal die Kondor-Panzer von vorhin.“
„Wir sollten uns trotzdem beeilen. Jessie, Sie und Han ...“
„Schon verstanden, Sir. Wir beide schauen uns diese Leute an. Und das sehr genau.“
Zorn lächelte leicht. „Genau das wollte ich hören. Ausführung.“
„Ja, Sir.“ Die große Miliz-Offizierin verließ die Zentrale schnell, aber nicht hastig.
„Wenn sich das rumspricht, dass wir ein sicherer Hafen sind, werden vermutlich weitere versprengte Milizionäre zu uns fliehen, so sie die Chance dazu haben“, sagte Muller.
„Wir werden sie uns sehr genau anschauen. Es ist aber prinzipiell nichts dagegen zu sagen, unseren Milizanteil weiter aufzustocken. Wer weiß, vielleicht brauchen wir die Feuerkraft noch“, erwiderte Zorn. Und Extra-Leute waren auch eine gute Idee.
In einem Punkt war sich der Chef der Cavaliers sehr sicher: Als Sharon ihn beiseite genommen und die Fehde mit den Wengenbaums erklärt hatte, damit er verstand, warum Luckner etwas so verrücktes getan hatte, hätte niemand damit gerechnet, dass die Situation derart eskalieren würde. Zorn hatte sich einverstanden erklärt, einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber durch den Putsch war nun alles anders. Intensiver. Gefährlicher. Brutaler. Er hoffte, dass seine Leute den kommenden Tagen gewachsen sein würden, denn eine leise Stimme in seinem Kopf behauptete, dass Medice einen Weg gefunden hatte, um die Cavaliers aus dem Kastell zu holen. Und diese Stimme wollte einfach nicht verstummen.

***

Henriette Nagasawa hätte, wäre sie gefragt worden, zugegeben, eine kräftige Gänsehaut zu haben, als sie auf die Abraumhalde schaute, die sich vor ihr auftürmte. Soweit die Aufzeichnungen der Offiziellen von Valasha III richtig waren, musste unter diesen rund zehntausend Tonnen Schutt und Gestein, das vom Salzabbau übrig geblieben war, der Eingang zur Kaverne sein, wegen der sie hier raus geflogen waren.
„Es ist wie folgt“, klang Sojus Holms Stimme neben ihr auf. „Vor sechzig Millionen Jahren befand sich hier ein Meer. Ein ganz klassisches Salzwassermeer. Kein besonders großes. Etwa das Format der terranischen Nordsee, wenn ihnen beiden das etwas sagt. Jedenfalls hat es eine Plattentektonische Hebung gegeben, die etwa zwei Millionen Jahre andauerte und das Meer über die Nullhöhe gehebelt, also den Meereshorizont. Während des Vorgangs trocknete das Meer aus, und zurück blieb das Salz einer etwa einhundert Meter hohen Wassersäule. Da das ehemalige Meer mehrfach angehoben und wieder abgesenkt wurde, füllte sich das Gebiet mehrfach wieder mit Meerwasser. Auch dieses trocknete bei den nächsten Hebungen aus, bis die tektonische Bewegung endete. Dann, vor etwa fünfundfünfzig Millionen Jahren schob sich eine Kontinentalplatte unter jene von Braunheim und hob das Ganze endgültig weg von Meereshöhenniveau. Dabei entstand auch die Bergkette im Norden, von der Flüsse entsprangen, die über das Salz hinweg flossen. Dabei wurde natürlich ein Teil des Salzes wieder abgetragen und ins Meer transportiert, aber die Flüsse brachten Sedimente mit, welche das Salz nach und nach abdeckten, bis eine dicke Schicht entstanden war. Und darauf noch eine Schicht. Und noch eine Schicht. Ein paar ausbrechende Vulkane fügten noch Bimsgestein und Basalt dazu. Was dazu führte, dass eine einen Kilometer große Deckschicht schließlich das ehemalige Meer bedeckte.“
„Und dann?“, fragte Violet Hennet.
„Salz ist ein wichtiger Bestandteil von Sprengstoff, und das Salz, das hier gewonnen werden konnte, hat zwei existenziell gute Eigenschaften. Erstens, es ist das einzige derartige Lager im weiten Umkreis um dieses Sonnensystem. Zweitens, es lässt sich relativ leicht abbauen. Ließ. Ich meinte ließ. Denn unsere Vorfahren und später die Sternenbundingenieure haben so viel davon abgebaut, wie sie konnten, ohne dass jemandem die einen Kilometer große große Deckschicht auf den Kopf gefallen wäre. Tja, und hier stehen wir, vor dem zugeschütteten Zugang, und hoffen, dass dahinter ein Depot des Sternenbunds liegt, vollgestopft mit Mechs und dergleichen. Oder zumindest ein paar. Ich meine, wie viel Aufwand würde der Sternenbund für eine Kompanie betreiben?“
„So viel Aufwand ist es nun auch nicht. Diese Halde aufschütten und alles zu bepflanzen und zum Naturschutzgebiet zu erklären hat jetzt nicht sehr viel Arbeit gekostet“, sagte Henriette. Ja, das war der große Trumpf der Terraner gewesen. Einfach ein Naturschutzgebiet draus machen, um sicherzugehen, dass niemand jemals wieder hier graben würde, der in das Geheimnis nicht eingeweiht war. Nicht, dass die meisten Menschen nicht bereit gewesen wären, bei entsprechender Erfolgsaussicht den Naturschutz zum Teufel zu wünschen und dennoch hier zu graben. Aber das war eben der Punkt. Bis vor kurzem hatte keiner gewusst, dass es sich lohnte, hier zu graben. Und das Salzbergwerk galt als ausgereizt. Geschickte Bande, diese Terraner.

„Kommt, wir suchen nach dem Eingang“, sagte Henriette und schritt weit aus.
„Ist das hier nicht der Eingang? Ich wollte schon schweres Gerät kommen lassen“, sagte Sojus.
„Mitnichten. Ich bin mir absolut sicher, dass das Ingenieurkorps des SBVS eine elegantere, und vor allem schnellere Lösung eingebaut hat. Es war bereits genug Aufwand, die Halde aufzutürmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Plan war, alles wieder weg zu räumen. Abgesehen davon, dass sich die alten Terraner an ihre eigenen Naturschutzregeln gehalten haben. Meistens.“
„Und wie stellst du dir den Eingang vor, Henriette? Eine Schleuse mit Portier, wo wir eine Karte für den Abstieg in die Tiefe kaufen können?“, fragte ihre Stellvertreterin.
„Ein Portier würde mich jetzt doch überraschen“, erwiderte sie. „Aber ja, etwas in der Art erwarte ich tatsächlich. Lass mich überlegen. Als die Gray Death Legion ihr Lager gefunden hat, war der Zugang von einer riesigen Steinplatte versperrt, die ein Sternenbundpionier hatte drehen lassen, als verstecktes Zeichen an künftige Generationen, wo das Depot versteckt ist. Das war natürlich für Sternenbundtruppen gedacht gewesen. Also sollten wir denken wie die SBVS. Nehme ich an.“
„Und was passiert, wenn wir denken wie die Sternenbundverteidigungsstreitkräfte?“, fragte Sojus.
„Dann sagt uns dieses Denken, dass weder Amaris' Truppen, noch die Außenweltallianz-Truppen den Zugang finden sollen. Logisch, nicht?“, erwiderte sie.
„Sehr logisch. Bringt uns aber nicht einen Schritt weiter“, tadelte Holm. „Sollen wir dann denken wir Amaris' Schlächter und alle Orte aufsuchen, an denen wir den Eingang nicht vermuten?“, tadelte Holm.
„Das ist gar kein schlechter Ansatz.“ Henriette schwang sich in den offenen Personenwagen, der ihnen als Gefährt diente. Auf einer Welt, auf der kein saurer Regen mehr fiel und meistens Sonnenschein herrschte, ein gutes Beförderungsmittel. Als die anderen beiden ebenfalls an Bord kletterten, studierte die kleine Frau eine topografische Karte der genauen Umgebung. „Das schraffierte Feld, das ist die ausgebeutete Salzmine. Hier hinten endet der Bergbau, aber nur, weil dort eine andere aktive Mine ist. Immerhin ist das ehemalige Meer ziemlich groß gewesen.“
„Willst du also in die andere Mine rein und dich zu dieser hier durchgraben?“, fragte Violet.
„Das geht aus statischen Gründen nicht. Die Bergbauingenieure befürchten, dass dann beide Minen in sich zusammenfallen. Das hätte zwar wenig Auswirkungen auf die Menschen hier, aber die renaturierten Gebiete würden dabei zerstört werden“, sagte Sojus Holm. „Allerdings denke ich, dass ein kleiner Durchbruch möglich wäre.“
„Und unsere Zeit verschwenden? Nichts da.“ Henriette kletterte ans Steuer, warf den Verbrennungsmotor an, wendete den Wagen und fuhr von der Abraumhalde fort. Dabei passierten sie das Naturschutzgebiet, welches selbst in den späten Nachmittagsstunden einen farbenfrohen Anblick bot. Henriette ignorierte das und nahm einen Weg, der vom Gebiet weg führte. Schließlich hielt sie den Wagen an und stieg aus. „Wir sind da.“
„Wo sind wir da, Henriette?“, fragte Violet überrascht.
„Na, am einzigen Punkt auf dieser Karte, der nicht zum Naturschutzgebiet gehört. Alles hier ist geschützt, nur dieser eine Quadratkilometer nicht.“ Sie nickte in Richtung des flachen Hügels, der sich vor ihnen erhob. Auch hier stand eine Abraumhalde, auf der nichts wuchs. „Dieses Ding da ist mein erster Schuss.“ Mit ruhigen Schritten ging sie auf den Hügel zu. „Sind ihre Leute einsatzbereit, Sojus Holm?“
„Wir haben fünfzig Infanteristen, zwei Panzer und vier Infanteriekampffahrzeuge im Naturschutzgebiet.“
„Bitte rufen Sie sie rüber. Ich möchte keine unschönen Überraschungen erleben, falls das Tor tatsächlich hier sein sollte.“
„Natürlich, Henriette.“ Sojus griff sich ein Sprechfunkgerät aus seiner Jacke und sprach leise hinein. Kurz darauf grollte es in der Ferne, und die Panzer fuhren zu ihnen herüber. Auf seine Anweisung hin verteilten sich die gepanzerten Fahrzeuge rund um den Hügel, und die Infanterie saß ab, um sich zwischen den Panzern zu verteilen. Als das geschehen war, setzte Henriette den Weg zum Hügel fort. „Ist es nicht merkwürdig, dass das ganze Gelände so geformt ist, dass ein BattleMech, ja, ein Kettenpanzer problemlos bis zu seinem Fuß gelangen kann?“, sinnierte sie. „Und zwar führen alle Wege genau hierher.“
Da stand sie nun, fünf Meter vor der Abraumhalde, vor einer nahezu senkrechten Wand, während alle anderen Seiten eher flach anstiegen.
„Warum wurde hier, abseits der Grube, eine Abraumhalde aufgeschüttet?“, fragte Sojus Holm verwundert. „Es gibt durchaus weitere Halden, aber keine ist so weit entfernt. Das hat man getan, um die Last auf den Boden zu verteilen.“
„Und diese hier ist die am weitesten entfernte und dazu auch noch kleinste Abraumhalde“, schloss Henriette. Sie sah die Wand hoch, die gute dreißig Meter maß und knappe zwanzig breit war, bevor sie sich wieder etwas verflachte. Dann begann sie zu suchen, Steine zu nehmen, gegen die Wand zu werfen, mit einer kleinen Handschaufel zu graben.
„Soll ich ein paar der Infanteristen kommen lassen, damit sie mit ihren Klappspaten graben helfen?“, bot Holm an.
„Nein, danke, Sojus Holm. Im Moment suche ich den Türgriff. Bei den Cavaliers war es eine unter der Erde verborgene zweiflüglige Stahltür, die sie öffnen konnten, weil ein Spalt im Fels ihnen Zugang ins Innere gewährte. Auf Allans World wurden sie in einem Brian-Kastell fündig, das versteckte Etagen hat. Reingekommen sind sie, weil die hiesige Miliz das Kastell gepflegt und ihnen die Türschlüssel überlassen hat.“
„Vermutest du das Gleiche hier?“, fragte Violet.
„Verständlicherweise hat der Sternenbund keinen Türschlüssel hier gelassen. Aber sicher einen Weg, wie man reinkommt, ohne einen zu haben.“ Ein leichtes Lächeln ging über Henriettes Züge. „Wir dürfen halt nicht denken wie die Schergen von Stefan Amaris. Hm, wenn ich mir besonders schlau vorkäme und nicht wollen würde, dass mir Team Amaris in die Suppe spuckt, wie würde ich das machen?“
„Henriette, bist du sicher? Weißt du nicht, welchen Aufwand es bedeutet hätte, von hier draußen die Salzsohle anzubohren, und das in kurzer Zeit?“, warf Violet ein.
„Außer, der Zugang existierte schon früher, beziehungsweise die Terraner haben ihn früher getrieben. Dann kennen die hiesigen Offiziellen ihn natürlich nicht. Und, zugegeben, er liegt außerhalb des Naturschutzgebietes“, sagte Sojus.
„Wir halten fest“, sagte Henriette. „Amaris' Leute hätten sich eher durch die Abraumhalde gegraben, wenn sie überhaupt auf den Gedanken gekommen wären, dass etwas Wertvolles darunter sein könnte. Entschuldige, Sojus, aber ich nehme an, die Außenweltallianz hätte es ebenso gehalten. Also können wir davon ausgehen, dass der Zugang so zugeschüttet wurde, dass ein Ausgraben ohne die Aussicht auf großen Erfolg zu unwirtschaftlich angesehen worden wäre. Kommen wir also zu diesem Punkt, einer Abraumhalde, die steht, wo sie nicht stehen sollte, aber eben nicht zu unauffällig ist, weil solche kleineren Halden durchaus üblich waren. Damals.“ Suchend sah sie sich um, um etwas, irgend etwas unauffällig Auffälliges zu entdecken. Etwas, was durchaus mehrere Jahrhunderte überstehen würde. Nicht zu kompliziert, aber offensichtlich für Sternenbundsoldaten.

„NATÜRLICH!“, rief sie und lief am Hügel entlang. Ein paar hundert Meter von der Stelle entfernt, die sie als möglichen Eingang ansah, fand sie, was sie suchte. Violet und Sojus kamen ihr hinterher. „Und was haben wir hier?“, fragte der Offizielle schwer atmend.
„Ein Beet“, erwiderte Nagasawa. „Jemand hat sich die Mühe gemacht, an der Flanke der Abraumhalde, auf der wegen dem Salzgehalt nichts wächst, genügend fruchtbaren Boden heranuschaffen, damit darauf Sträucher und Blumen wachsen können. Und sogar ein paar Bäume. Das sind Eichen, oder? Zweihundert Jahre alte Eichen.“
Die anderen beiden bestaunten den Fleck kultivierter Erde. Wirklich, die Ecke hier war etwas versteckt, aber dort standen wirklich mehrere Eichenbäume, Büsche und Blumen.
Henriette umrundete das kleine, nur ein paar Dutzend Quadratmeter große Terrain mehrfach, bis sie erneut in der Flanke des Hügels zu graben begann.
„Jetzt wären Soldaten mit Klappspaten ganz nett. Außerdem noch ein paar BattleMechs“, sagte sie, während durch ihre Grabungsarbeiten ein Kasten zum Vorschein kam, der unter dem Schutt versteckt gewesen war. „Ich denke, das Areal kann jetzt eine Menge Schutz gebrauchen.“
Sojus starrte sie an wie einen Geist. „Ich glaube, das ist richtig.“ Er griff zu seinem Funkgerät. „Wir ziehen die BattleMechs nun nach“, orderte er. Henriette Nagasawa war eine ungewöhnliche Frau. Er verstand, wieso ihm diese Händlerin empfohlen worden war – und warum man ihn vor ihr gewarnt hatte.

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Ace Kaiser,
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Zwei Stunden später war der Eingang geöffnet, und ein alter Mech-Aufzug reaktiviert worden. Seit etwa zehn Minuten ging es in die Tiefe. Pro Sekunde schafften sie etwa einen Meter, weil diese Transportbühne auf die Sicherheit von rund hundert Tonnen Last ausgelegt war, nicht auf Geschwindigkeitsrekorde. Laut den Unterlagen war die oberste Abbausohle des Salzbergwerks allerdings in eintausendzweihundert Metern Tiefe, gemessen von einer theoretischen Meereshöhe, die es auf dieser Welt nicht gab, aber vielleicht wieder geben würde. Das bedeutete, dass sie etwa noch vierhundert Meter für das Hügelland über dem ehemaligen Salzmeer aufrechnen mussten, bis sie die Sohle erreichten.
„Eins muss man unseren Vorfahren vom Sternenbund lassen“, sagte Violet Sennet, während sie angestrengt in die Tiefe starrte, in der Hoffnung, im kargen Licht der regelmäßig angebrachten leuchtenden Lampen irgendetwas zu erkennen.
„Und das wäre, Violet Sennet?“, fragte Henriette Nagasawa, unwillkürlich – oder vollkommen gewollt – in Clanslang verfallend.
Violet ignorierte es, weil eine Korrektur nur Aufmerksamkeit bei Sojus Holm und den rund fünfzig Begleitern, Infanteristen und Pionieren der Außenweltallianz verursacht hätte. „Dass dieses verdammte Ding auch nach rund dreihundert Jahren funktioniert, als wäre es jeden Tag in Betrieb und würde regelmäßig gewartet werden.“
„Da hast du natürlich Recht. Das ist schon eine großartige Leistung.“ Nagasawa lächelte verschmitzt. Wer sie kannte, wusste, dass das etwas zu bedeuten hatte. Sie ging mit ihren Emotionen nur ungern hausieren, weil dies für einen Händler immer einen Nachteil bedeutete. Sie bevorzugte es, mit einem Pokerface durchs Leben zu gehen, und Emotionen nur dann zu zeigen, wenn sie ihr etwas nützten. Zum Beispiel, um ihre langjährige Freundin und Bettgefährtin Violet zum eigenen Vergnügen mal wieder scharf auf den nächsten sexuellen Interkurs zu machen.
Violet sah zu Holm herüber, und tatsächlich war ihr Lächeln für ihn gedacht. Der Außenweltallianzler fühlte sich dadurch animiert, sich an dem Gespräch zu beteiligen. „Ich war dieser Meinung bereits, als wir mit der Wespe den Hebel umgelegt haben, was das Tor in der Steilwand geöffnet hat. Was übrigens bedeutet, dass es keine irgendwie gearteten Sternenbundagenten gibt, welche den Untergang des Bündnisses überlebt haben, um dreihundert Jahre lang hier irgendeine Wartung zu übernehmen.“
„Das können wir nicht wissen, Sojus“, tadelte Henriette. „Es kann auch Mannschotts für den Zugang einzelner Personen geben. Oder wie im Fall der Cavaliers auf St. Jones einen Zugang, den sich die Natur gebrochen hat. Wobei ich bezweifle, dass Sternenbundagenten darauf angewiesen wären. Es wäre ja auch zu lächerlich, wenn diese Agenten jedes Mal, wenn sie hier runterkämen, das Schott neu verstecken müssten, inklusive dem Bewuchs, auch wenn dieser in der versalzenen Erde sehr spärlich war.“
„Hätte diese Konversation diese Stelle früher erreicht, hätte ich einen ScoutMech mit runter genommen“, sagte Holm mit leichtem Schauder in der Stimme. „Ich komme sehr ungern da unten an und stehe einem BattleMech mit feuerbereitem Arsenal gegenüber, der von einem fanatischen Überrest eines untergegangenen Sternenreichs gelenkt wird.“
„So weit würde ich jetzt nicht gehen“, wandte Violet ein. „Wir sind ja relativ spontan hierher aufgebrochen und auch noch nicht lange hier. Ein eventueller Agent, oder derer mehrere, hätten nicht viel Zeit, um uns zu bemerken, uns hinterher zu kommen und hier eine Falle vorzubereiten.“ Sie runzelte die Stirn. „Auszuschließen ist es nicht, daher sollten wir die Deospray-Pose ausprobieren.“
„Die Deospray-Pose?“, fragte Sojus Holm unverständig.
Violet Sennet hob beide Arme. „Die Deospray-Pose. Damit das Deo antrocknen kann.“
„Wir sollen uns ergeben?“, fragte einer der Infanteristen mit erschrockenem Ton.
„Je nachdem, was uns da unten erwartet, Sergeant Blunt“, sagte die Landungsschiffkapitänin. „Wenn es ein Fanatiker ist, der uns sicherheitshalber umzubringen wünscht, nützt natürlich gar nichts. Aber wenn es tatsächlich die Nachfahren von Sternenbundagenten sind, die sich dem Bund selbst noch verpflichtet fühlen, werden sie einen Teufel tun und auf sich ergebende Menschen schießen. Auch wenn wilde Geschichten und irre Gerüchte über die Vereinigungskriege kursieren, die Ares-Konventionen wurden immer eingehalten. Wir haben eine Chance, dass unsere Agenten, so es sie überhaupt gibt, sich daran halten würden.“
„Na, dein Wort in Blakes Ohr“, erwiderte Holm.

„Still!“, fuhr Henriette plötzlich auf. Alle hörten auf sie, auch die Soldaten, die sich leise im Hintergrund unterhalten hatten.
Dann fuhren sie an einem Objekt vorbei, welches aus einer breiten Betonfront bestand. Aus Schlitzen ragten Maschinengewehrläufe und die Spitzen von Flammerkanonen. Aber es geschah nichts, und schnell verschwand diese Stellung wieder in der Dunkelheit über ihnen.
Nagasawa atmete sichtlich auf. „Ich möchte behaupten, die Zeichen, dass niemand Zuhause ist, mehren sich. Dies wäre eine erstklassige Gelegenheit gewesen, uns allesamt zu rösten, sodass man da unten nur noch einen Besen und eine Schaufel gebraucht hätte.“
Blunt knurrte irgendetwas Unverständliches, fügte aber an: „Das Ding kam sehr überraschend. Und wenn es für uns eine Überraschung war, dann wäre es für jedermann überraschend geworden.“
„Ja. Aber bedenken Sie eines, Sergeant“, dozierte Nagasawa. „Diese Feuerstellung wurde vermutlich gebaut, um einen ersten Vorstoß zu verhindern oder zu verlangsamen. Einen ScoutMech kann man mit den MG's und den Flammern beeindrucken. Ein mittelschwerer Mech hat vermutlich genug Wärmetauscher, um solch einen Flammerbeschuss zu überleben.“
„Aber die Abwärme hätte ihn vermutlich bis runter zum Boden begleitet und ihm zu schaffen gemacht“, sagte Sennet.
„Gut mitgedacht, Violet“, lobte Henriette. „Wir halten also fest: Dumm waren die Sternenbundler nicht.“
„Was eine müßige Erkenntnis ist“, tadelte Holm. „Immerhin wissen wir ja schon alle vom nahezu genialen Trick mit dem Naturschutzgebiet, mit dem sie ihr Depot versteckt haben.“
„In dem wir hoffentlich BattleMechs und Ausrüstung im Wert von mehreren Milliarden C-Noten finden werden.“ Violet Sennet runzelte erneut die Stirn, als sie Henriettes skeptischen Blick sah. „Was? Das Depot, welches die Cavaliers ausgeräumt haben, soll Werte um die fünfhundert Millionen C-Noten beinhaltet haben. Das Ding unter uns ist groß genug, um den Pariser Eiffelturm aufzunehmen, und kann daher theoretisch bis zum Rand mit Kriegsgütern vollgestopft sein.“
„Und die sollen wo her kommen?“, fragte Henriette skeptisch.
Violet grinste und sah zum Secretary herüber. „Sojus, die Aufzeichnungen sagen, dass die Sternenbundtruppen es geschafft haben, mit Sack und Pack diese Welt zu verlassen, richtig?“
„Richtig.“
„Was, wenn sie aber gar nicht vorhatten, jeden Fetzen Ausrüstung und jeden Mech mitzunehmen, da sie ja über dieses vortreffliche Versteck verfügten?“
Henriette Nagasawas Mund öffnete sich, schloss sich wieder, und blieb dann ganz zu. Als sie erneut sprach, sagte sie langsam und bedächtig: „Ein sehr interessanter Aspekt. Eigentlich ging ich davon aus, dass die Sternenbundraumfahrer das Unmögliche möglich gemacht haben. Doch es wäre für sie viel einfacher gewesen, einige Sachen zurückzulassen, wenn sie geplant haben, wieder zu kommen.“
„Darüber haben wir, glaube ich, auch kurz in der Bibliothek gesprochen, beim Aspekt darüber, was wir hier vorfinden werden“, erwiderte Violet. „Die Frage ist, wie viel sie zurückgelassen haben könnten.“
Holm sagte: „Wenn du Recht hast, Senny, dann könnten sie hier einiges eingelagert haben. Zwar sagen unsere Aufzeichnungen einiges darüber, wie viel die Sternenbundtruppen in ihre Landungsschiffe gestopft haben, aber wir haben leider keine darüber, wie viel sie zuvor auf den Planeten geschafft hatten. Erst als sie abzogen, konnten unsere Vorfahren durchsetzen, ihre Arbeiten zu begleiten.“
„Schade, das wäre jetzt hilfreich gewesen“, erwiderte Henriette, die sich tapfer bemühte, bei der liebevollen Abkürzung ihres Vornamens keine Miene zu verziehen. Seit sie Sojus erlaubt hatte, sie zu duzen, hatte sich diese Koseform entwickelt, und der Außenweltallianzler meinte es auch nur gut. Aber es war selbst für sie, jemanden, der seit Jahren in der Inneren Sphäre unterwegs war, schwierig, zumindest ein Stirnrunzeln zu unterdrücken, weil Sojus nicht nur ihren Blutnamen unterschlug – selbstverständlich ohne Absicht, denn wie sollte er davon wissen – sondern auch noch ihren Vornamen abkürzte. Und das war nun wirklich in keinem Clan üblich. Stattdessen konzentrierte sie sich wieder auf die Umgebung. Es würde vermutlich noch ein paar Minuten dauern, bis sie den Grund des Salzstocks erreicht hatten, und wer wusste es schon, vielleicht gab es noch mehr Überraschungen wie diese nicht besetzte und nicht aktive Abwehrstellung.
„Was, wenn die Abwehrstellung wegen einer Art Sicherheitsprogramm nach sagen wir einhundert Jahren ohne Aktivität abgeschaltet wurde?“, warf Violet unvermittelt ein. „Was, wenn es weitere Abwehrstellungen gibt, die noch funktionieren?“
„Du meinst, wenn wir einen mittelschweren Mech dabei haben würden, wäre dieser von den Flammern geschwächt worden, und weitere Feuerstellungen hätten ihm dann den Rest gegeben?“, fragte Nagasawa mit einem Schaudern in der Stimme.
„Das klingt plausibel. Und es spricht dann einiges dagegen, dass dieses Depot tatsächlich von Nachfahren einiger Sternenbundagenten gewartet und gepflegt wurde.“
Lieutenant Krauss, welche die Infanteristen, Pioniere und Techs befehligte, die sie begleiteten, räusperte sich vernehmlich. „Wenn ich etwas dazu sagen darf, Sir, Ma'am, Ma'am“, begann sie, um auf das Nicken der drei fortzufahren: „Die Luft ist nicht feucht.“
Erwartungsvoll sahen die beiden Frauen die Offizierin an. „Und?“, fragte Nagasawa endlich.
„Wissen Sie, was hier unten die größte Gefahr für jede Form von Technik und Metall ist, Ma'am?“
„Hören Sie auf mit diesem Ma'am, und sagen Sie Henriette, Dolores. Was ist die größte Gefahr? Irgendwas mit Wasser sicherlich.“
„Korrekt, Ma... Ich meine Henriette. Salzige, feuchte Luft wäre ein echt übler Korrosionsbringer. Über die letzten dreihundert Jahre aber hätte durchaus Wasser in dieses ehemalige Bergwerk einbrechen können. Dadurch wäre salzhaltige feuchte Luft entstanden. Und diese Luft ist für alle Formen von Metall und Kunststoff sehr aggressiv, Sie verstehen?“
Henriette nickte zustimmend. „Ja, ich denke schon. Sie wollen mir damit sagen, dass die Abwehrstellungen nicht beschädigt worden sein können, weil trockene Luft kein Salz aufnimmt. Zumindest nicht genug, um schädlich zu werden.“
„Korrekt. Daher erwarte ich nicht nur eine funktionierende Technologie, sondern auch keine Schäden bei was immer hier unten eingelagert wurde, Ma... Henriette.“
„Das bedeutet, wir können die Abwehrstellung für uns selbst nutzen“, sagte Blunt. „Nur für den Fall, dass uns jemand hinterher kommt.“
„Und das würde bedeuten, dass unsere Mech-Lanze am Eingang zusammen mit der Infanterie ausgelöscht wurde. Oder zumindest von ihrer Stellung vertrieben“, wandte Holm ein. „Lieutenant, sobald wir unten angekommen sind, sorgen Sie dafür, dass wir alles reaktivieren was wir zu unserer Verteidigung nutzen können. Dieses Ding hat keine Bremse, aber eventuell kann man von unten steuern und diese Plattform auf Höhe der Feuerstellung stoppen lassen. Das Ding muss ja irgendwie erbaut worden sein und gewartet werden können. Eventuell finden Sie auch eine funktionierende Fernsteuerung unten auf der Sohle.“
„Das klingt plausibel, Sir. Jethrome und Barclay, Sie und ihre Leute nehmen sich der Sache an, verstanden? Jethrome hat das Kommando.“
„Jawohl, Ma'am“, erwiderten die beiden Soldaten. Wenn Jonas Barclay als Pionier Bedenken hatte, sich von Warrant Officer Janet Jethrome Befehle geben zu lassen, weil die Infanteristin ranghöher war, dann ließ er sich nichts anmerken. Immerhin, eine gute Eigenschaft.

Danach dauerte es noch ein paar Minuten, bis ihre Plattform den oberen Rand dessen erreichten, was das Salzbergwerk ausmachte. Quasi die Decke des Abbaudoms. Henriette hatte sich geringfügig schlau gemacht, wie man unter Tage Salz abbaute. Und sie war erstaunt gewesen, wie gewaltig die domartigen Strukturen waren, die beim Abbau entstanden. Dazu ließ man in gewissen Abständen einfach säulenartige Strukturen stehen, um die Decke zu stützen, was den Eindruck eines Tores erscheinen ließ. Hundert Meter Höhe waren da keine Seltenheit. Und nun sah sie in der schwachen Beleuchtung der Plattform genau diese Decke. Dahinter war undurchdringliche Schwärze.
Schließlich blieb die Plattform stehen, und sie musste ihre Augen anstrengen, um die Decke im Schummerlicht wiederzusehen. Das allerdings dauerte nur einen kleinen Moment, dann flammten nach und nach Beleuchtungskörper an ebendieser Decke auf. Nicht genug, um die künstliche Halle vor ihnen zu erhellen, aber es reichte aus, dass sie die beiden automatischen Geschütztürme sahen, welche rechts und links der Plattform aufragten, die mit ihren Waffen – AK-5 Autokanonen, wohlgemerkt – auf sie zeigten. Zum Glück gaben auch diese kein Anzeichen von Aktivität von sich. Noch nicht.
Nagasawa trat als Erste von der Plattform, was dazu führte, dass weitere Leuchtkörper aktiviert wurden. Nun konnte sie die Halle besser sehen. Und es war ein gewaltiger Dom, der sich ihr offenbarte. Sie konnte bis zu den ersten Stützen sehen, welche tatsächlich den Eindruck eines Tors erweckten. Was sie nicht sah, war irgendeine Form von Ausrüstung. „Schade“, seufzte sie.
„Schade, was? Es sind rund zehn Kilometer bis zum Eingang, über den die Sternenbundarmee das Naturschutzgebiet errichtet hat.“, wandte Sojus ein.
„Schade, dass wir hier das eingelagerte Material nicht finden“, sponn sie ihren Gedanken fort. „Ich hatte mir einige Hoffnung gemacht, dass was immer hier eingelagert wurde, über diesen Aufzug zurück an die Oberfläche geschafft werden sollte. Und dass die Techs des Sternenbunds daher bereits alles oder wenigstens einen Teil hierher geschafft haben.“
„So viel Zeit hatten sie vermutlich nicht“, sagte Sojus. „Die Akten aus dieser Zeit sagen zwar, dass der Sternenbundarmee großzügige Fristen eingeräumt worden waren, um ihr Material einzupacken und die Außenweltallianz zu verlassen, aber so großzügig nun auch wieder nicht.“
„Oder aber wir sehen das Ganze vollkommen falsch“, murmelte sie. „Auf jeden Fall haben wir einiges an Fußmarsch vor uns. Zehn Kilometer sind kein Pappenstiel. Und die Luft ist nicht nur verdammt trocken, sondern auch recht warm.“
„Zweiundzwanzig Grad Celsius, Ma... Henriette“, meldete Lieutenant Krauss.
„Inwiefern sehen wir das Ganze falsch, Henny?“ hakte Sojus nach. „Ich habe deinen klugen Kopf sehr zu schätzen gelernt, und du bist sicher einer Sache auf der Spur.“
Das Lob ehrte sie natürlich, aber es ärgerte sie, dass es ihr unmöglich war, den Kosenamen wieder aus der Welt zu schaffen. Ihr Blick ging zu Violet, und der sagte: Denk nicht mal dran.
Zum Außenweltallianzler sagte sie: „Was, wenn diese ganze Anlage einen vollkommen anderen Zweck hat, als wir gerade denken?“
„Und welcher Zweck sollte das sein?“
„Nun, Sojus. Wir wissen, dass Alekzandr Kerensky nach dem Zusammenbruch des Sternenbunds etwa achtzig Prozent der Sternenbundarmee aus der Inneren Sphäre hinausgeführt hat. Bevor die Generalstaaten, die nun die Nachfolgerstaaten geworden waren, die geballte Macht dieser Armee nutzen konnten, in welcher Form auch immer, und auch gegeneinander, was die Nachfolgekriege wahrscheinlich noch viel schrecklicher gemacht hätte, als sie ohnehin schon waren.“
„Das ist bekannte Geschichte“, erwiderte der Secretary of the State.
„Und weißt du auch, dass der letzte bekannte Sammelpunkt in der Peripherie des Draconis-Kombinats liegt? Er wurde von ComStar während des letzten Krieges zwischen den Vereinten Sonnen und dem Draconis-Combinats entdeckt. Ein luftleerer Mond, auf dem Alekzandr Kerensky einen Teil seiner Ausrüstung zurückgelassen hat. Hauptsächlich Schrott, aber man sagt, sein eigener Orion war auch darunter, allerdings komplett ausgeschlachtet. ComStar hat ihn damals wieder hergerichtet, damit Theodore Kurita ihn nutzen konnte.“
„Ich bin sicher, in meinem Büro dazu was in den Agentenberichten gelesen zu haben“, sagte Holm amüsiert. „Ergo?“
„Von diesem Mond aus hat Alekzandr Kerensky alles mitgenommen, was ihm von der Sternenbundarmee gefolgt ist. Jeden Soldaten, jeden Mech, jeden Panzer, jedes Landungsschiff, jedes Kriegsschiff.“
„Auch das ist bekannt.“
„Ja eben nicht. Er hat an verschiedenen Orten Teile der Ausrüstung zurückgelassen, um, sagen wir, mit leichtem Gepäck zu reisen. Deshalb hat er es auch nicht für notwendig erachtet, die Depots zu plündern, welche für den Vereinigungskrieg angelegt worden waren. Aber dies hier, dieses hier, hatte vermutlich einen ganz anderen Zweck“, sagte sie, die Arme ausbreitend, um alles am Salzbergwerk umfassen zu können.
„Du meinst, er hatte vorgehabt, auch hier einiges von seinem Material einzulagern, damit er es nicht mitnehmen musste?“, fragte Sojus Holm verdutzt.
„Auch die Außenweltallianz liegt teilweise an der Peripherie des Draconis-Kombinats, oder?“, wandte nun Violet Sennet ein.
„Was dann wohl eindeutig dafür spricht, dass Alekzandr Kerensky eher nicht in Richtung Plejaden aufgebrochen ist, weil dann dieser Planet doch von der Sternenbundarmee genutzt worden wäre.“
„Das sind allerdings immer noch viel zu viele Möglichkeiten, wohin immer sich die Armee gewendet haben kann, um einfach ein paar Explorer hinterher zu schicken, um sie wiederzufinden. Aber heißt es nicht ohnehin, dass die Sternenbundstreitkräfte über die Innere Sphäre wachen und wiederkommen werden, wenn es eine wirklich große Bedrohung geben sollte? Nicht, dass vier Nachfolgekriege nicht schon Bedrohung genug gewesen waren.“
„Gegen eine äußere Bedrohung, ja“, sagte Henriette. „Das sagt man, weil die Loyalitäten der meisten Soldaten der Armee wohl mindestens bei einem der Generalstaaten gelegen hätten, sei es die Terranische Hegemonie, seien es Vereinte Sonnen oder Liga Freier Welten. Der Hauptgrund, warum er abgezogen ist. Vermutlich gibt es noch einige Positionen wie diese hier in der Peripherie, von denen tatsächlich einige als Lager dienen. Nicht unbedingt für Material, das Alekzandr Kerensky nicht mitnehmen wollte, wohl aber für Material, das seine Armee eventuell in der Zukunft brauchen konnte.“
„Wenn ich dich zusammenfassen darf, Henny, willst du sagen, dass hier genauso gut das gesamte Bergwerk mit Mechs, Panzern und Ausrüstung hätte vollgestellt sein können“, sagte Holm. „Und jetzt steht hier nur, was die Armee nicht vom Planeten fortschaffen wollte oder konnte.“
„Ja, und das nicht hier, sondern am anderen Ende.“ Sie seufzte. „Gehen wir los.“
„Oder aber, wir nehmen die hier!“, klang die fröhliche Stimme von Sergeant Blunt auf, untermalt von dem Summen eines Elektromotors. Neben der Gruppe hielt ein Wagen, wie er noch immer auf Golfplätzen eingesetzt wurde, nur war dies hier ein wesentlich größeres Modell, das zwei Fahrer und acht Gäste befördern konnte. Er deutete hinter sich. „Da hinten im Dunkeln stehen fünf weitere dieser Wagen. Sie hängen alle an einer Ladestation, die mit einem Geothermalkraftwerk betrieben wird. Vermutlich das Gleiche, das die Lampen mit Strom versorgt. Ladestand bei allen ist einhundert Prozent, und sie sind komplett rostfrei.“
„Danke, Sergeant, Sie haben uns einen anstrengenden Marsch erspart“, sagte Henriette erleichtert. „Aber jetzt runter vom Fahrersitz. Ich ziehe es vor, selbst zu steuern.“
„Sie trauen mir nicht, Ma'am?“, beschwerte sich der Sergeant, machte aber gehorsam Platz.
„Glauben Sie mir, Sergeant, Sie werden nie erleben, dass Henriette Nagasawa auch nur ein einziges Mal den Beifahrer geben wird, wenn sie das entsprechende Vehikel selbst lenken kann. Nur bei Taxis macht sie eine Ausnahme“, sagte Sennet, während sie den Beifahrersitz erklomm.
Sojus bestieg den Wagen ebenfalls, während Lieutenant Krauss ihre Leute ausschickte, um weitere Wagen herzuholen. Dazu gab sie Warrant Officer Jethrome letzte Anweisungen, bevor sie ebenfalls Henriettes Wagen erklomm. Die restlichen Plätze wurden von Blunt und fünf ihrer Soldaten besetzt.
„Sitzen alle gut?“, fragte die Händlerin, und als die erste Antwort eintraf, trat sie das Pedal für den Vorwärtsgang durch. Dabei ignorierte sie Violets protestierendes: „HEEEEYYYYY!“

Während sie durch die Dunkelheit fuhren, die nur spärlich erhellt wurde, teils durch die recht schlaffen Scheinwerfer ihres Wagens, teils von den ihnen folgenden Elektrocarts, teils vom dünnen Funzellicht von den Decken, passierten sie mehrere der Stützpfeiler bei einer Geschwindigkeit von etwa zwanzig Kilometern die Stunde. Eine halbe Stunde Fahrt. Ein Fußmarsch hätte eindeutig länger gedauert und wäre anstrengender gewesen.
„Nach meiner Schätzung haben wir etwa acht Kilometer zurückgelegt. Der Weg hat dabei ein paar Abweichungen von einer gedachten Geraden gemacht, weil der Abbau dem Salz gefolgt ist“, sagte Holm, „aber wir sollten bald unter dem zugeschütteten Zugang ankommen. Wenn du Recht hast, Henny, stoßen wir da auf einiges an militärischem Material.“
„Womöglich mehr, als Zorn Kenderson und die Cavaliers gefunden haben“, erwiderte sie. „Aber ich bin schon froh, wenn wir überhaupt etwas finden, damit wir unsere Unkosten reinholen können. Unser Landungsschiff fliegt mit C-Noten, nicht mit dem Glauben an den heilig gesprochenen Kommunikationsminister Jerome Blake.“
„Hör mir auf mit ComStar“, sagte der Secretary. „Es hat seinen Grund, warum wir schon im Dritten Nachfolgekrieg dafür gesorgt haben, dass unsere Leute Zugang zu den Hyperpulsgeneratoren bekommen haben.“
„Ihr habt Zugang zu den HPG's?“, fragte Violet erstaunt.
„Genug, um die Anlagen notfalls selbst betreiben zu können“, erwiderte Holm. „Als ComStar das Interdikt über die Vereinten Sonnen verhängt hat, also das Ende der Übermittlung jedweder überlichtschnellen Nachricht, sind wir hierzulande ziemlich nervös geworden. Ich vermute, dass sich ComStar ins eigene Fleisch geschnitten hat, als es das Interdikt ausrief, weil Hanse Davion anschließend jedes einzelne HPG auf seinem Staatsgebiet stillschweigend von seinen Leuten übernehmen ließ, sodass die Technologie nicht mehr in den Händen ComStars lag. Da ist man im Orden wohl nervös geworden, genauso nervös wie wir geworden sind, als wir gesehen haben, was ComStar mit uns anstellen kann. Um zu verhindern, dass wir ähnliche Ambitionen entwickeln, machte uns Myndo Waterly weitreichende Zugeständnisse.“ Er zuckte mit den Schultern. „Vermutlich auch, weil wir anders als das Draconis-Kombinat keine große Rolle spielen. Unsere Positionierung am Rande der Peripherie der Inneren Sphäre ist Segen und Fluch zugleich. Manchmal.“
„Und du bist sicher, dass du uns diese Information geben darfst, Sojus?“, fragte Violet Sennet.
„Nein, natürlich darf ich das nicht, und ich muss euch nachher erschießen lassen. NATÜRLICH darf ich die weitergeben. Wen interessiert es schon, ob die Außenweltallianz Zugang zu den HPG's von ComStar hat? Immerhin kontrollieren wir die Geräte nicht, aber wir könnten es.“
„Und vermutlich würde es nicht nur niemanden außerhalb der Allianz interessieren, es würde auch keiner glauben. Du hast Recht, es ist ein Vorteil, dass dein Land in der Peripherie liegt.“
Sojus grunzte zustimmend. Dann aber kniff er die Augen zusammen und sah nach vorne. „Da hinten wird es etwas heller, wenn ich mich nicht irre.“

„Ich sehe was!“, rief Violet unvermittelt.
„Was sehen deine Elbenaugen, Violett Sennet?“, scherzte Henriette Nagasawa.
„Hast du schon wieder Tolkien gelesen?“, fragte Sennet, dahin nickend, wo sie das Lesepad ihrer Vorgesetzten und Freundin wusste.
„Es war eine lange Fahrt hier raus. Und der Ringkrieg ist immer wert, gelesen zu werden“, erwiderte sie flapsig. „Also, was siehst du?“
„Ein Licht. Ein sehr schwaches Licht.“
„Vermutlich die Reflexion einer Deckenlampe auf der Kuppel der Cockpitverglasung eines BattleMechs, der mit seinen zweitausend Kameraden dazu bereit steht, von uns abtransportiert zu werden“, scherzte sie.
„Gleich zweitausend, Ma'... Henriette? Geht es nicht etwas bescheidener?“, fragte Krauss amüsiert. „Nicht, dass wir uns nicht über zweitausend Mechs für unsere Armee freuen würden.“
„Na, vermutlich keine zweitausend. Aber mindestens einen hätten wir dann. Und damit wäre unsere Anreise finanziert, wenn wir halbe-halbe machen“, sagte Henriette salopp. Gut, dass sie die Konditionen für diese Schatzsuche schon vorab ausgehandelt hatte. Und man konnte von den Außenweltallianzlern sagen was man wollte, Verträge brachen sie nie.
„Ich sehe noch mehr“, sagte Violet, während der Elektrowagen unermüdlich Meter auf Meter fraß. „Das sind Silhouetten.“
Holm beugte sich von seinem Platz vor und schaute zwischen den beiden Frauen hindurch. Das war Henriette keinesfalls unangenehm, und sie zog ernsthaft in Betracht, mit diesem Mann zu schlafen, um die Beziehungen zu seiner Regierung zu festigen. So etwas funktionierte nicht nur zwischen Bluthäusern, sondern auch bei Staatsapparaten. Und weil sie Lust darauf hatte. Eventuell würde sie Violet Sennet dazu einladen, wenn sie hinzu kommen wollte. Wann hatte man schon die Chance, mit einem Secretary of the State zu schlafen?
„Diese Silhouetten erinnern mich an die Terrakotta-Armee.“ Als Sojus die verständnislosen Blicke der beiden Frauen sah, fügte er hinzu: „Terrakotta-Armee. Prästellares Terra. Ostasien, um genau zu sein China. Eines der Länder mit sechstausendjähriger Geschichte.“
Als die beiden immer noch nicht zu verstehen schienen, sagte er: „Die Terrakotta-Armee ist eine Grabbeigabe. Etwa zehntausend Soldaten, Pferde, Wagen, Waffen. Für den damaligen Herrscher, der auch heute noch der Erste Kaiser genannt wird. Mit ihm beginnt die Dynastienzählung in China.“
„Zehntausend Soldaten? Als Grabbeigabe? Die Chinesen haben nicht lange gefackelt damals, hm?“, frotzelte Violet. „Aber was soll man auch von einem Land halten, das in seinen großen Schutzwall, der die eigene Bevölkerung drinnen und die barbarischen Reiterstämme draußen halten sollte, der Großen Mauer, zehntausend Mann eingemauert hat?“
„Das ist so nicht ganz richtig. Zwar hatte der damalige Kaiser tatsächlich eine Prophezeiung bekommen, dass die Mauer scheitern würde, wenn er nicht zehntausend Mann darin einmauern würde“, dozierte Holm, „wobei wir nicht wissen, wie viel an der Geschichte wirklich dran ist. Aber laut der Legende hat der Kaiser damals einen Mann gesucht und gefunden, der Zehntausend heißt, und den anstelle von zehntausend Mann eingemauert. Und was soll ich sagen? Die Mauer hat Amaris überlebt und wird wahrscheinlich noch in eintausend weiteren Jahren stehen.“
„Also dort wurden keine zehntausend Mann geopfert. Aber beim Grabmal des Ersten Kaisers schon?“, hakte Henriette nach, während der Wagen unwiederbringlich Meter fraß.
„Nein. Was dem Kaiser als Grabbeigaben, oder vielmehr als Wächter mitgegeben wurde, waren Statuen. Aus Terrakotta. Diese aber waren individuell gestaltet. Man nimmt an, dass eine echte Armee von zehntausend Mann die Vorbilder für die Künstler geliefert haben. Das Gleiche gilt wohl auch für die Pferde aus Terrakotta. Übrigens sehr filigrane Arbeiten. Jedenfalls habe ich ein Holo von der Ausgrabungsstätte gesehen, die heute ein gut gepflegtes Museum ist. Dort durchzugehen und diese Gestalten zu sehen ist dieser Situation ziemlich ähnlich.“
„Na, wollen wir mal hoffen, dass es in unserem Fall keine Terrakottastatuen sind“, sagte Henriette fröhlich. „Und zwar schön viele, damit der Trip sich gelohnt hat.“

Langsam aber sicher schälten sich mehr Details aus der Dunkelheit. Die Scheinwerfer ihrer vier Wagen taten auch ihren Teil, aber sie enthüllten nur ein paar Mechfüße in der Dunkelheit. Aber je näher sie kamen, desto höher wurden die Schemen.
„Ist das in China genauso? Dann haben die meinen allergrößten Respekt“, sagte Lieutenant Krauss.
„Nein, natürlich nicht. Die Statuen haben originale Menschengröße, und in dieser Zeit ist selten ein Chinese an zwei Meter herangekommen“, sagte Holm. „Und an zehn sowieso nicht.“
Henriette hielt am Fuß des ersten Riesen. „Na, dann wollen wir doch mal schauen, was es hier zu entdecken gibt.“ Sie griff nach ihrem vorsorglich eingesteckten Handscheinwerfer, kletterte aus dem E-Cart und leuchtete auf den Giganten. Ihr Lichtkegel begann bei den Knien und wanderte dann die Beine hoch zum Torso. „Ein Kriegshammer. Eindeutig ein Kriegshammer.“ Ein zweiter Lichtstrahl kam hinzu und enthüllte weitere Details. Zum Beispiel, dass der Gigant unter einer Folie steckte, um ihn besser zu konservieren.
Andere Lampen leuchteten nach links und rechts und entrissen weitere stumme Giganten der Finsternis.
„Sie stehen unregelmäßig beieinander, und keinesfalls geordnet“, sagte Krauss. „Ausschwärmen“, befahl sie ihren Leuten. „Kroll, sehen Sie zu, ob Sie die Lichtschalter finden. Ich erkenne da oben an der Decke Lampen, die aber keinen Strom kriegen.“
„Jawohl, Ma'am.“
„Dieser hier ist ein Stadtkoloss“, meldete Holm. „Und der dahinter scheint eine Wespe zu sein.“
„Da habe ich mehr Glück. Hier steht ein Kampftitan hinter dem Kriegshammer“, gab Henriette zurück. Entschlossen trat sie an den anderen Mech heran und leuchtete ihn ab. Dann ging sie zur Maschine rechts davon. „Unverkennbar eine Krabbe.“
In der Zwischenzeit rief einer der Männer: „Wir zählen achtzehn, Lieutenant! Aber dahinter ist noch was! Sieht nach Fahrzeugen aus!“
„Gut, Kruger, gehen Sie weiter und zählen Sie alles durch!“, erwiderte Krauss. „Immerhin achtzehn Mechs, auf alle Klassen verteilt, wie es mir scheint.“
„Ja, das kann ich bestätigen“, sagte Holm.
Dann schlossen sie alle geblendet die Augen, und die Soldaten, einschließlich Holm, warfen sich zu Boden. Nur Krauss und die beiden Raumfahrerinnen blieben stehen.
Lieutenant Krauss grinste in der neuen Lichtfülle über das ganze Gesicht. „Schätze, Kroll hat den Lichtschalter gefunden. Praktisch, so ein geothermisches Kraftwerk zur Stromerzeugung.“
„In der Tat. So sehen wir ja auch gleich viel besser“, kam es von Violet Sennet. „Da hinten stehen Panzer. Daneben Mannschaftstransporter, wie es scheint. Dazu Lastenschweber, und noch ein paar weitere hübsche Vehikel. Und der Rumpf da, ist das etwa ein demontierter Hubschrauber?“
„LIEUTENANT!“, rief Kroll herüber. „KEINE ABWEHRSTELLUNGEN BEI DIESEM AUFGANG!“
„Kein Wunder“, sagte Henriette. „Offiziell wird der ja auch nie wieder benutzt werden. Ich gehe da mal rüber. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht irgend etwas von Interesse über die Geschichte dieser Anlage finden würden. Kommst du, Violet Sennet? Du auch, Sojus Holm?“
„Wir müssen uns mal echt über deine Marotte unterhalten, Leute mit ihren vollen Namen anzusprechen, Henny“, sagte der Secretary, während er sich den beiden Frauen anschloss.

Eine halbe Stunde später hatten sie eine erste grobe Bestandsaufnahme erstellt und ihren Fund bereits weitergemeldet. Der Funk mit den Soldaten, die sie an der Eingangssohle zurückgelassen hatten, funktionierte tadellos, und von dort erreichte der Trupp die Wacheinheit an der Oberfläche problemlos. Von dort gab es mittlerweile eine Standverbindung zur planetaren Regierung, und zum Secretary of Defense des Planeten. Der hatte bereits zugesagt, den Schutz der Anlage erheblich zu verstärken, jetzt, wo klar war, dass da unten ein Schatz im Wert von einer guten Milliarde C-Noten lagerte. Achtzehn Mechs, zehn Panzer, neun Infanterietransporter, elf Schweber, und dazu Ausrüstung und Munition. Eine Milliarde würde eventuell nicht ausreichen. Alles in allem hatte sich diese Expedition gelohnt, sie hatten Janard einen großartigen Fang weggenommen, und die Außenweltallianz militärisch verstärkt. Zumindest mittelfristig, denn all das Material musste nun geborgen, transportiert und an die Oberfläche geschaffen werden. Wobei Nagasawa nicht wirklich ihren Anteil mitnehmen wollte. Vielleicht ein paar besondere Mechs, etwas Ausrüstung, ein wenig nostalgische Dinge. Mehr zu bergen hätte für ihr Landungsschiff eine große Last bedeutet, und noch brauchte keiner von ihnen diese militärische Ausrüstung. Sie konnten sich also wie erfolgreiche Schatzsucher benehmen. Denn den Rest wollte sie sich auszahlen lassen. Eine Idee, von der Holm offen begeistert war.
„Ich bin drin“, sagte ebendieser Holm. Sie umstanden einen kleinen Schreibtisch, der noch vor kurzem unter einer Plane auf einen Benutzer gewartet hatte. Dieser befand sich in einem kleinen Behelfsbüro aus Fertigbauteilen, das neben der hiesigen Rampe errichtet worden war. In den Tisch eingebaut waren ein Monitor und ein Computer aus Sternenbundzeiten. Gerade war es dem Secretary gelungen, den Rechner hochzufahren. Und nun drang er bereits in das Betriebssystem ein, nachdem es ihm gelungen war, eine einfache Sicherheitssperre zu umgehen.
„Schau in den Posteingang des Mailprogramms“, bat Henriette.
„Okay. Was zum Henker soll wohl dieses Outlook bedeuten? Egal, hier sind die Mails drin.“
Holm arbeitete einige Zeit nahezu schweigend, nur ab und zu mit einem oder mehreren Worten kommentierend, was er gerade für eine Mail ins Auge fasste. „Ah ja.“ Er wandte sich den beiden Frauen zu. „Hier. Das ist eine Mail, die laut dem Computer von Terra gekommen ist. Ziemlich genau einen Monat, nachdem Amaris besiegt wurde.“ Er räumte den Sitz vor dem Schreibtisch und bot ihn Nagasawa an. „Bitte, Henny.“
Sie nahm Platz, nicht ohne ein Gefühl von tiefer Ehrfurcht zu empfinden. Der Briefkopf, den sie sah, kannte sie aus ihrer Ausbildungszeit. Er war direkt dem Stab von General Kerensky zuzurechnen. Schweigend las sie, was ein Colonel Ward im direkten Auftrag des Generals formuliert hatte. Dabei griff sie aber nach Violets Hand, die über ihre Schulter gebeugt mitlas. Sie drückten einander die Fingerspitzen. Der Text besagte, dass Alekzandr Kerensky persönlich den Außenweltallianzplaneten als möglichen Sammelpunkt für den Abflug der Sternenbundarmee in Betracht zog und die örtliche Garnison bat, für diese Möglichkeit Vorbereitungen zu treffen. „Das ist historisches Gebiet“, hauchte Henriette ergriffen.
„Wir sehen Geschichte und schreiben Geschichte“, erwiderte Violet.
Henriette sah zu Holm herüber. „Dieser Computer scheint für den Betrieb des Depots nicht besonders wichtig zu sein. Kann ich ihn für mich beanspruchen? Aus nostalgischen Gründen? Natürlich teilen wir die Daten, die sich darauf befinden. Dazu gehören genaue Aufschlüsselungen der letzten Wartungsmeldungen zu den Mechs da draußen.“
„Ich denke, es wird sich drüber reden lassen, dass die Außenweltallianz dir den Tisch samt Rechner überlässt. Als zusätzliches Dankeschön. Aber wie du ja gesagt hast, die Daten werden wir uns kopieren.“
„Gut gehandelt und akzeptiert“, erwiderte Henriette Nagasawa. Ja, dieser Trip hatte sich wirklich für sie und ihre Agentenmission gelohnt. Sie nahm sich vor, ein Dankesschreiben an Clan Vielfraß aufzusetzen und vielleicht sogar abzuschicken.

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9.
05. Juni 3043
Conrad-Zacken, nahe der Regionalhauptstadt New St. Petersburg
Hauptkontinent Pangäa
Allans World

Anfangs lief alles ziemlich glatt. Der von Gouverneurin Gettysburg ausgesandte VTOL vom Typ Donar flog unerkannt unter dem Flugleitradar auf den Subkontinent im Süden des Hauptkontinents Pangäa. Die Gegend war ein wenig angehoben, mehrere Hügelketten und ein Mittelgebirge erhoben sich hier, und bis auf einige Straßen und zwei Eisenbahnen, die durch dieses Gebiet führten, gab es kaum ernstzunehmende Siedlungen, aber viel Wald.
Captain Beatrice „Trish“ Godolsky, jüngste Milizionärin in ihrem Rang, und ihr Gunner, Lieutenant Tako „Draconier“ Rauschberg vollbrachten es, sich dem Einsatzgebiet zu nähern, ohne einmal von der Flugüberwachung geortet zu werden.
In der Nähe des Zielgebiets gingen sie runter, wechselten in Zivilkleidung und begannen, ihre Ausrüstung zusammenzubauen, in ihrem Fall Fahrräder fürs Gelände mit Hilfsmotoren. Trish war keineswegs so unvorsichtig, mitten in ein Gebiet einzufliegen, das potentiell feindlichen Landungsschiffen als Operationsbasis diente. Dann hätte sie ihren Donar auch selbst crashen können.
Nachdem sie die Räder montiert und ihren VTOL getarnt hatten, fuhren sie in Richtung der „toten Zone“, in der die Raumüberwachung abgeschaltet war, weiter. Dabei war Trishs Vorgesetzter, Colonel Kyrensky, schlau genug gewesen, ihr einen Landeplatz zuzuweisen, der nicht im Norden der Zone lag, sondern im Osten, weil, Spione würde man aus dem Norden am ehesten erwarten, wer immer dort tätig war. Aber sie waren ja keine Spione, sondern nur ein Pärchen auf einem Radausflug, der die ganze Sache mit der Miliz am Arsch vorbeiging. Außerdem war man loyal zu Wengenbaum, und was war sicherer, als wenn man in Wengenbaumland Fahrrad fuhr? Soweit die Theorie.
Als die Zweiergruppe, die vor allem deshalb ausgesucht wurde, weil Rauschberg in dieser Gegend mal einen entspannten Farmurlaub verbracht hatte und sie leidlich kannte, eine feste Straße erreichten, folgten sie dieser. Zumindest so lange, wie sie grob in die Richtung ihres Einsatzgebietes führte.

Es dauerte nicht lange, da kam ihnen eine kleine Kolonne an Zivilfahrzeugen entgegen. Die Piloten grüßten freundlich, aber das vorderste hielt an, und der Rest der Kolonne, die eh nicht schnell unterwegs war, hielt ebenfalls.
Aus dem vordersten Wagen, einem Kombi, stiegen vier Männer unterschiedlichen Alters aus, sehr klischeehaft mit Baumwollhemden und Latzhosen bekleidet. Auch aus den anderen Bodenwagen stiegen Menschen aus. Dort aber auch Frauen. Kinder blieben im Wagen, und es machte Trish ein klein wenig nervös, dass sie ein paar Jagdgewehre und sogar Autopistolen sehen konnte. Wer wusste schon, was die Leute noch in den Wagen hatten? Einige schienen den ganzen Hausrat zu transportieren, andere nur ein paar Koffer.
Der Vorderste, ein mittelalter Weißer mit breitem Kreuz und fast quadratischem Gesicht, bekleidet in besagter Latzhose, einem karierten Hemd und einer roten Baseballmütze, auf der das Logo der Angel Invader prangte, einer hiesigen Dritte Liga-Mannschaft im Fußball, trat sofort zu ihnen, die rechte Hand auf einem Holster, in dem eine Laserpistole steckte.
„Seid ihr Wengenbaums oder Gettysburgs?“, fragte er ohne jede Vorstellung.
„Wer will das wissen?“, erwiderte Rauschberg, der sich mit seinem Fahrrad zwischen die Männer und seine Vorgesetzte schob.
„Jemand, der sich dafür interessiert, dass jemand in diesen Tagen Fahrradtourist spielt. Wer seid ihr? Gettysburg-Spione?“
„Dies ist Wengenbaumland, oder?“, mischte sich Captain Godolsky ein. „Gettysburg-Spione müssten schon sehr dumm oder sehr waghalsig sein, um heutzutage freiwillig herzukommen, nicht?“
„Und ihr seid sehr dumm oder sehr waghalsig, oder?“
„Was passiert, wenn wir Gettysburg-Spione sind?“, fragte sie.
„Das sind Leute aus der Miliz, Neuntes Bataillon aus Neu-Friesland. VTOL-Truppe!“, sagte ein Mann, der zur Gruppe heran trat. Er trug die Uniform der Miliz, und auch Trish erkannte ihn wieder. Sergeant Gunter Ohnsorgen, eindeutig ein Wengenbaumer.
„Bist du dir da sicher, Gunter?“, fragte der mit der roten Mütze.
„Mein Wort drauf, Jack. Die beiden haben mit Wengenbaum so viel am Hut wie Tormana Liao mit demokratischen Wahlen.“

Nun galt es. Trish und Rauschberg tauschten einen schnellen Blick aus, und sie beschloss, durch ihren Co-Piloten gedeckt, ihre Waffe zu ziehen.
Der Mann, der Jack hieß, atmete erleichtert auf. Dann nahm er die Hand vom Holster. „ES SIND GETTYSBURG-SPIONE!“, rief er der Menge zu, die mit einem erfreuten Murmeln antwortete. „WIR FRAGEN SIE, OB SIE UNS HELFEN KÖNNEN!“
Verdutzt erstarrte Trish mitten in der Bewegung, ihre Waffe zu ziehen. Eben gerade dachte sie noch, in eine Todesfalle geraten zu sein, und jetzt kam es zur Hundertachtzig Grad-Wende? „Sarge, was ist hier los?“, zischte sie den anderen Milizionär an.
„Dies sind Zivilisten, die Hilfe brauchen. Ich gewähre ihnen diese Hilfe. Sie hoffentlich auch, Captain Godolsky.“ Er seufzte. „Um ehrlich zu sein, bin ich verdammt froh, Sie beide zu sehen, Godolsky, Rauschberg. Auf der Conrad-Zacke geht nämlich gerade einiges den Bach runter, um nicht zu sagen, dass die Kacke mal so richtig dampft.“
„Langsam, langsam. Eins nach dem anderen. Wir sind also unter Freunden?“, fragte Rauschberg.
„Wir versuchen jedenfalls nicht, Sie für dumm zu verkaufen“, versicherte Jack. „Wir haben die nötige Personenzahl, um Sie zu überwältigen oder zu töten, Captain. Daran liegt es also nicht. Aber ja, wir brauchen Hilfe. Gunter sagte, Sie gehören zu einer VTOL-Einheit. Das heißt, Sie sind mit einem Helikopter zu uns runter geflogen. Das ist sehr wichtig für uns, weil wir wissen müssen, welche Straßen noch frei sind.“
„Frei von was?“
„Frei von den verdammten Draconiern, die auf der Conrad-Zacke gelandet sind, verdammt!“, stieß Gunter zornig hervor.
„Moment mal, Moment, haben Sie gerade Draconier gesagt?“, fragte Rauschberg entsetzt. „Es sind mindestens drei Sprünge bis zur Grenze. Was sollen Dracs hier machen?“
„Es wird länger dauern, das zu erzählen. Fangen wir damit an, dass Sie uns sagen, was Sie über die Straßen und Pässe wissen. Wir wollen die B223 durch das Mittelgebirge nehmen, weil wir annehmen, dass die Dracs da noch nicht sind. Können Sie das bestätigen, Captain?“
Trish tauschte einen Blick mit Tako aus. Dann nickte sie und ließ die Waffe wieder in die Tasche an ihrer Mittelstange gleiten. „Wir sind an der B223 entlang geflogen, ja, nicht zu nahe, nicht zu weit weg. Sie ist absolut leer. Keine zivilen Fahrzeuge, keine militärischen. Was schon etwas ungewöhnlich war, wir haben zumindest Zivilverkehr erwartet.“
„Das ist das Reiseverbot“, erklärte Gunter. „Ich fange am besten ganz von vorne an, nachdem wir die Information bekommen haben, die wir brauchen.“
Jack sagte: „Laden Sie ihre Fahrräder auf den Pickup dort, da ist noch Platz. Dann setzen Sie sich zu uns in den Frontwagen. Stu, Henry, fahrt bei Ike mit. HEY, LEUTE, DIE B223 IST NOCH FREI!“
Diese Worte ließen einige entschlossen nicken, manche jubelten auch. Ein wenig.
„Kommen Sie, beeilen Sie sich. Sie brauchen nicht mehr zu scouten, wir erzählen ihnen alles, Captain. Wir wollen auch gar nicht wissen, wo der Hubschrauber ist. Sie sagen einfach, wann Sie aussteigen wollen, okay?“
„Ich glaube, die meinen es ernst“, sagte Rauschberg.
Trish stimmte zu, und so luden sie ihre Elektrofahrräder auf den Pickup-Schweber und setzten sich zu Jack und Gunter in den vordersten Wagen, weshalb Stu und Henry ebenfalls auf den Pickup stiegen.

„Es fing vorgestern an. Als alle Welt auf die Cavaliers schaute und ihren Plan, ein Depot mit militärischer Ausrüstung zu finden. Da kamen die ersten Lander runter. Zwei Leopard. Beide beladen mit jeweils einer Lanze sprungfähiger ScoutMechs. Als diese den Flughafen, auf dem sie gelandet waren, setzten noch zwei Union und ein Overlord auf. An Bord waren anderthalb Bataillone Mechs und eine Kompanie Panzer. Dazu kamen etwa zweihundert Infanteristen, teilweise mit Fahrzeugen ausgestattet. Jedenfalls hat der Flughafenkommandant diese Leute begrüßt. Recht freundlich, möchte ich betonen.“ Gunter atmete tief durch. „Ich war auf dem Flughafen, aber eher zufällig. Ich habe dort ein paar Ressourcen abgeholt, die für meine Einheit bestellt worden sind. Deshalb konnte ich aus allernächster Nähe einen Blick auf die Neuankömmlinge richten. Ich habe dann anhand des Einheitslogos rausgefunden, dass wir es mit einer Miliz aus Dieron zu tun hatten. Dracs. Hier. So tief in den Vereinten Sonnen. Und sie durften landen, und wurden wie gute Bekannte begrüßt.“
„Haben Sie das Logo identifiziert?“
„Jawohl, Captain. Und ich habe auch schon einige Daten über sie gesammelt. Akugawa-Miliz. Ist in Ungnade gefallen, weil sie dabei zugesehen hat, wie ein Schwert des Lichts von den Wolfs Dragonern auseinander gepflückt wurde. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind sie auf dem gleichen Status wie Ronin, und dieser riskante Trip hier raus stellt so was wie ihre letzte Chance dar, ihre Ehre wiederherzustellen. Jedenfalls begannen die Dinge schwierig zu werden, als die Miliz anfing, eine Nachrichtensperre und später ein Ausgangsverbot für die umliegenden Häuser und Ortschaften durchzusetzen. Dabei wurden sie von Wengenbaumtreuer Miliz unterstützt, aber nicht von allen. Augenscheinlich gilt meine Einheit nicht als loyal genug, weshalb das Hausverbot auch für uns galt.
In den umliegenden Gemeinden war man auch nicht gerade erfreut, und die Sache schaukelte sich schnell hoch, vor allem gegenüber den Wengenbaumern. Als es heute morgen geknallt hat, aber so richtig, bin ich mit meinen Leuten vom Flughafen weg, zurück zu unserer Kaserne. Da waren die Dracs aber schon mit ihren ScoutMechs und schossen die Wände zusammen. Also haben wir gewartet, bis sie fertig waren, und haben anschließend in den Trümmern nach Überlebenden gesucht.“ Er betrachtete bei diesen Worten seine Hände. Trish fiel das erste Mal auf, dass die Rechte bandagiert war. Dort, wo der Verband endete, lugte ein Stück einer aufgeplatzten Brandblase hervor.

„Wie schlimm war es?“
„Was wollen Sie hören, Captain? Wir sind nur ein kleiner Infanteriestützpunkt mit leichter Befestigung. Wir sollten nie einem Mech-Angriff standhalten können. Und selbst wenn wir hätten widerstehen wollen, wären wir mit rund fünfzig Mann zu wenige gewesen. Wir waren eh nur stationiert, um neben dem Flughafen auch Willisville zu beschützen. Also Präsenz zu zeigen. Ich und meine Leute, die fahren in den hinteren Wagen mit, damit die Waffen gut verteilt sind, sind die Letzten. Ich selbst habe Captain Scott den Gnadenschuss gegeben. Bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, und immer noch am Leben, die Schweine haben für die Gebäude neben den Lasern vor allem Flammer benutzt. Jedenfalls sind wir weiter nach Willisville, aber auch hier waren die Dracs schon mit Infanterie vor Ort und wollten das Ausgangsverbot durchsetzen. Als wir kamen, wurde schon geschossen. Also griffen wir ein, so gut wir konnten.“
Jack beugte sich zu Trish herüber. „Uns war klar, dass das gute alte „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ ab dem Moment auch für uns gilt. Also haben wir nach der Schießerei gepackt, was wir konnten. Und jetzt versuchen wir, nicht nur von der Zacke runter zu kommen, sondern auch so weit weg vom möglichen Aufmarschgebiet und den kommenden Schlachten, wie wir können.“
„Ich und meine Leute fahren mit, bis wir an einen Milizstützpunkt kommen, der uns aufnimmt, Captain“, fügte Ohnsorgen an. „Aber mindestens, bis wir das Gebirge hinter uns haben.“
„Sie sagen also, wir haben Dracs auf der Welt, ungefähr zwei Bataillone, und die ehemaligen Anhänger von Luckner laufen Amok?“
„So in etwa, Captain. Und dass wir, also mein Captain und meine Leute, nicht als loyal genug angesehen wurden.“
„Das muss ich erst mal verdauen.“
„Verdauen Sie das hier“, sagte Ohnsorgen, während er der Offizierin einen Notizblock reichte. „Meine Beobachtungen. Aufstellung ihrer Mechtruppe, Aufschlüsselung nach Typ, geschätztes Alter, Informationen zu den Piloten, soweit ich sie bekommen konnte. Auch zu den Panzern. Zwei Tage sind eine lange Zeit für diese Beobachtungen. Bei der Infanterie haben wir die Köpfe gezählt. Ihre Ausrüstung ist nicht auf Sprungtruppenniveau, deutlich drunter. Aber ihre Offiziere tragen alle Schwerter.“
„Und Scott wurde darüber nicht informiert?“, halte Rauschberg nach.
„Nein, Sir, kein Sterbenswörtchen zu uns. Wie ich schon sagte, wäre ich nicht zufällig mit meinen Leuten am Flughafen gewesen, wären wir in der Kaserne ebenso überrascht worden wie der Captain und der Rest von uns.“
„Dann wurden Sie von vorneherein als Gegner, zumindest aber als unzuverlässig eingestuft“, sagte Trish.
„Ja, so weit sind wir auch schon gekommen“, ätzte Gunter. „Verzeihung, aber es ist eine Menge passiert, und es ist nicht jedermanns Sache, ein paar Totalverbrannten, die zufällig noch leben, die Kugel geben zu müssen. Ich bin da wohl etwas dünnhäutig. Wissen Sie noch was, Captain? Es kommen noch mehr runter, mindestens zwei Union. Aber keine weiteren Dracs, sondern irgendwelche Hinterwäldler-Piraten, wen immer Wengenbaum anwerben konnte. Und wer weiß, ob dahinter nicht noch ein paar Lander im Anflug sind.“
„Das Brian-Kastell“, schlussfolgerte sie.
„Und das Regiment brandneuer Ausrüstung da drin. Das motiviert viele Leute, selbst auf die Gefahr hin, dass in sechs Wochen die Davion Light Guards vorbei kommen könnten. In der Zeit kann viel passieren. Dass ich Idiot mich wirklich gefreut hatte, auf Conrad zu sein und mich aus dem Streit zwischen den Wengenbaums und Gettysburg raushalten zu können ...“
„Es ist absolut untypisch für Dracs, mit Piraten zusammenzuarbeiten“, warf Rauschberg ein. „Andererseits ist es auch sehr untypisch, dass ein halbes Regiment drei Sprünge tief in unser Gebiet kommt, ohne vorher die etwa zwanzig Welten dazwischen zu erobern.“
„Auf jeden Fall ist das etwas, was Gettysburg wissen sollte, findet ihr nicht?“, fragte der Sergeant.
„Und ein gewisser Major Kenderson auch. Und das so bald wie möglich.“ Sie deutete auf eine Kurve, in der ein Weg in einen nahen Wald führte. „Ihr könnt uns dort absetzen. Wir fliegen für euch die B223 ab und kommen dann zurück, um Bescheid zu geben, ob sie immer noch frei ist.“
„Es reicht, wenn Sie für uns kundschaften. Kommen Sie nicht zurück, ist der Weg frei“, sagte Jack.
„Wir können dann genauso gut abgeschossen worden sein. Nein, wir kommen zurück.“
Jack hielt den Wagen an, und hinter ihm stoppte die Kolonne. „Einverstanden. Danke für ihre Hilfe, Captain.“
„Danke für die ihre, Jack, Gunter.“ Die beiden Piloten stiegen aus, holten sich ihre Fahrräder vom Pickup und verschwanden auf den Waldweg.
„Das ist wohl der Unterschied zwischen Wengenbaum und Gettysburg“, murmelte Ohnsorgen leise. „Ich habe sowas von deutlich aufs falsche Pferd gesetzt.“

***

Als die Gouverneurin ihren Bericht beendet hatte, sagte Zorn: „Respekt vor ihren Leuten. Sie hatten Glück, Schneid und die richtige Gelegenheit genutzt, als sie da war.“
„So kann man das natürlich zusammenfassen. Clannad hat übrigens ein paar weitere Leute ausgesandt, die nicht gleich mit einem Hubschrauber Bescheid sagen, dass sie da sind. Ihr Auftrag ist, sich beim Flughafen einzugraben und festzustellen, was noch so aus dem Weltraum runter kommt. Sechsundfünfzig Mechs der leichten und mittelschweren Sektion sind nicht zu unterschätzen, auch wenn die meisten von ihnen öfter geflickt worden sind als Frankensteins Monster aus Teilen besteht. Jeder Mech, der da zusätzlich zu kommt, ist auch schlecht für uns.“
„Weil sich das Machtverhältnis nun in Richtung der Wengenbaums verschiebt?“, warf Winningham ein, der dem Telefonat zuhörte.
„Weil unsere jeweiligen Streitkräfte bisher dezentralisiert waren, und wir jetzt das Problem haben, dass wir unsere Leute konzentrieren müssen. Geht es hart auf hart, müssen wir Five Forks aufgeben und allesamt in einem Fort der Miliz unterkommen. Da haben sich die Fronten mittlerweile recht gut geklärt, und bis auf zwei, drei abgelegene Einheiten auf den Kleinkontinenten hat sich jeder zu einer Seite bekannt. Erfreulich ist, dass viele neutrale Einheiten jetzt uns zu neigen. Nicht so erfreulich ist, dass die Wengenbaums von jenen Milizionären, die sich ihnen anschließen wollen, unerfreuliche Loyalitätsbeweise verlangen. Sie wissen schon: Exekutionen von Soldaten, die ihnen nicht genehm sind, Austausch der Führungsspitze, Übergabe von besonderem Material, und so weiter. Eine Truppe musste sogar einen Pionierstützpunkt angreifen, der neutral bleiben wollte. Im Endeffekt sind dann beide zu uns übergetreten. Nützt nur alles nichts, wenn weitere Spieler aufs Brett gelangen. Ihre Nemesis eingeschlossen, Zorn.“
„Das klingt zumindest nach Medice, Mrs. Gouvernor. Dennoch frage ich mich mehr und mehr, warum er die Zeit verschwendet hat, zuerst zu uns zu kommen, anstatt das hiesige Depot zuerst anzugreifen.“
„Zorn“, sagte die politische Anführerin von Allans World mit einem Seufzer, „manchmal hat der alte Blake Recht wenn er sagt, dass die einfachste Geschichte vermutlich die wahre Geschichte ist.“
Zorn spürte das dringende Bedürfnis, die Gouverneurin zu korrigieren und sie darauf hinzuweisen, dass das Zitat keinesfalls von Jerome Blake stammte, sondern Ockhams Skalpell entlehnt war. Schnitt man alles Unwahrscheinliche an einer Information weg, blieb am Ende höchstwahrscheinlich die Wahrheit übrig. „Und das bedeutet für meine Einheit?“
„Dass Janard Medice Sie als Testobjekt für seine neu trainierte Mech-Truppe herangenommen hat. Das Depot war ein Bonus. Ein wertvoller, großer Bonus, aber die Vernichtung ihrer Einheit war sein Primärziel. Wenn Sie ein wenig in seine Vergangenheit gehen, werden Sie vermutlich eine Überschneidung in den Lebensläufen von Medice und Cranston finden, oder einem anderen hochrangigen Mitglied der Einheit. Und haben Sie schon mal ihren Kontrakt geprüft, der Sie nach St. Jones geschickt hat? Würde mich nicht wundern, wenn der langweilige, aber lukrative Garnisonsauftrag in Wirklichkeit von Medice lanciert wurde, vermutlich um ein paar Ecken, um die Cavaliers da hin zu bringen, wo er sie haben wollte.“
„Sie meinen, Rache? Interessant.“
„Anfangs war es sicher Rache. Aber dann sind Sie eingesprungen, und jetzt sind Sie eine Bedrohung für all seine Pläne, deshalb ist er jetzt hinter ihnen her, Zorn.“ Wieder seufzte die Gouverneurin. „Und meine arme Welt, die gewiss genug eigene Probleme hat, wird der Spielball zwischen ihnen beiden. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mache ihnen keinen Vorwurf, dass Sie hier den größten militärischen Schatz seit den Nachfolgekriegen entdeckt haben. Das ist ein Fakt, den Sie nicht kontrollieren konnten, aber ich hätte es gekonnt. Jedoch habe ich, fürchte ich, ab hier nicht mehr viel zu sagen, was das weitere Geschehen angeht. Ich werde es ihnen und Clannad überlassen. Denn ich vermute, dass Sie die Option, den kleinen Bürgerkrieg im Brian-Kastell auszusitzen, eher nicht wahrnehmen werden.“
„So kurz wie wir uns kennen, so gut kennen Sie mich“, erwiderte Zorn. „Haben Sie jemanden dran an den Bewegungen der Draconier?“
„Godolsky und Rauschberg haben auf der B223, dem zweitwichtigsten Abmarschweg die Conrad-Zacke, eine automatische Kamera zurückgelassen. Andere Einheiten unter Clannads Befehl haben das Gleiche bei den anderen Straßen und den Bahnlinien gemacht oder gleich Beobachtungsposten eingerichtet, die genug Feuerkraft haben, um kleinere Formationen von Spähern auszuschalten.“
„Sie können uns also vorwarnen, wenn es bei denen losgeht?“, fragte Leary, der dritte Mann im Büro.
„Ja, Sir, das können wir. Sobald ernstzunehmende Kampfverbände verlegen, wissen wir das, und damit auch Sie und Zorn, Adept Leary.“
Kenderson lachte leise und etwas gekünstelt. „Okay, Sharon, ich denke, es wird Zeit, dass die Cavaliers einen abhörsicheren gemeinsamen Kanal mit Clannad einrichten. Alleine schon, um die Liste der Mechs der Draconier zu übermitteln.“
„Ich denke, Sie haben einen Plan.“
„Sagen wir, ich habe gewusst, dass Medice kommen wird, und da er nicht sofort aufgeschlagen ist oder sich mit uns ein Rennen in Richtung Depot geliefert hat, als unser Ziel offensichtlich wurde, wusste ich dass er meint, Zeit zu haben. Wenn er es tatsächlich geschafft hat, diverse Piraten anzuheuern, dazu eine draconische Milizgruppe, die mit einem selbstmörderischen Angriff versucht, ihre Ehre wiederherzustellen, dann verstehe ich jetzt seine Ruhe.“
„Bitte sagen Sie mir, dass Medice diese Ruhe nichts nützen, dass er scheitern wird, Zorn“, bat Gettysburg.
„Sie wird ihm nichts nützen, und er wird scheitern, Sharon. Und bevor Sie fragen, nein, ich habe nicht gelogen. Das ist meine volle Überzeugung, und wir haben für einen solchen Fall bereits Pläne in der Schublade. Alles, was wir brauchen, ist ein wenig Luftunterstützung von Zeit zu Zeit. Wie Sie wissen, haben die Cavaliers keine eigenen Luft/Raum-Jäger, keine Atmosphärejäger und auch keinen einzigen Hubschrauber.“
„Ich denke, das kann ich zusagen, auch ohne Clannad zu fragen. Ich stelle Sie jetzt zu ihm durch.“

Ihre Stimme verstummte, stattdessen erklang der bekannte Bariton vom neuen Chef der Miliz auf. „Kyrensky hier. Wie kann die Miliz den Cavaliers helfen, Zorn?“
„Plan N.“
„Haben Sie einen Weg gefunden, oder setzen Sie ausschließlich sprungfähige Mechs ein?“
„Wir haben einen Weg gefunden. Deshalb können wir etwa anderthalbtausend Tonnen einsetzen“, sagte Zorn. „Oder anders ausgedrückt, ich bringe eine Kompanie Mechs und eine halbe Kompanie Panzer zum Rendezvous-Punkt.“
„Nun, Zorn, ein Frachtfloß mit einer Kapazität für achttausend Tonnen Fracht wird für Sie am Punkt N bereit stehen.“
Zorn spürte die Versuchung zu grinsen. „Ich arbeite gerne mit ihnen zusammen, Clannad.“
„WIR arbeiten gerne mit ihnen zusammen“, warf Winningham ein.
„Das tun wir auch. Mit den Cavaliers gerne zusammenarbeiten. Tun Sie mir einen Gefallen, wenn Sie die Dracs angreifen: Lassen Sie einen Gruß von mir da.“
„Das werden wir“, versprach Zorn. „Auf Wiederhören, Clannad.“
„Auf Wiederhören, Zorn.“ Der Milizionär legte auf.
Zorn legte das Telefon ebenfalls beiseite. „Jetzt brauchen wir nur noch die Mitfahrgelegenheit, dann wird jemand eine wirklich böse Überraschung erleben.“
„Eine sehr böse, denn Jeannie meldete, dass ab jetzt Mechs Deck acht bis auf Deck zehn kommen können“, sagte Leary.
„Ich liebe es, wenn ein Plan sich wie gewünscht entfaltet. Die Fehlschläge kommen sicher noch früh genug, also genießen wir, was wir hier haben, solange wir es haben. Also, meine Herren, wen nehmen wir mit, und welche Mechs aus unserer Beute sollen kampfbereit gemacht werden?“

***

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Am Morgen des sechsten Juni 3043 bot sich ein merkwürdiger, aber auch interessanter Anblick, wenn man vom Meer aus auf Mount Brian schaute. Der größte und mächtigste Berg des Artif-Massivs, in dem der Sternenbund ein Brian-Kastell integriert hatte, diente einst als mächtige Trutzburg, die sogar Atombombenangriffen hatte standhalten sollen. Seinem Status als Trutzburg entsprechend hatte das Kastell einen wirklich schönen, aber gut zu verteidigenden Haupteingang nach Nordosten hin ins Risha-Tal. Dazu noch die beiden bekannten Luftabwehrplattformen. Zusätzlich gab es noch ein paar sogenannte Manholes für die Infanterie, die aber so gestaltet waren, dass man durch sie leicht das Kastell verlassen, aber nicht einfach betreten konnte. Eventuelle Verteidiger hatten mehr als eine Möglichkeit, hier gut vorbereitete Verteidigungsstellungen einzunehmen, welche jeden Angreifer erst mal auf den Präsentierteller brachte. Aber die Sternenbundingenieure waren nicht dumm gewesen, und deshalb gab es noch zwei weitere Ausgänge für Mechs und Panzer, deren Existenz aber nicht gerade an die große Glocke gehängt worden war. Die Cavaliers hatten sie erst nach aufwändiger Suche aufgespürt, nachdem sie die untersten Etage hatten betreten können. Der eine, welcher über einen Stollen in einen Nachbarberg führte, war von Sohle zwei, der zweituntersten, getrieben worden, und auch nur für Fahrzeuge, Panzer oder vierbeinige Mechs gut passierbar. Humanoide Modelle konnten auf Knien und Ellenbögen kriechen, ornitophe wie der Marodeur hingegen waren für diesen Gang nicht wirklich geschaffen. Mit großer Qual und etlichen Remplern an Decke und Wänden vielleicht.
Der andere Zugang aber, oder in diesem Fall Ausgang, endete auf der Südflanke des Bergs direkt an einer Steilküste, die für jeden Betrachter vollkommen unberührt wirkte. Aber das war sie nicht.
Jenem Betrachter, und den gab es wirklich, das war die Mannschaft der HELENSDOTTIR, einem kommerziellen Frachtschiff, das Mineralien, Erze und seltene Erden von den Fördergebieten auf den Kleinkontinenten nach Pangea brachte. In diesem speziellen Fall aber war Major der Reserve Sean Mitchel, der Kapitän, sehr kurzfristig daran erinnert worden, dass er immer noch Soldat war.
Als heimlicher Gegner der Wengenbaums war es ihm nicht schwergefallen, seinen Loyalitäten zu folgen und das „Floß“ an der Anlegestelle bei Steyr zu befestigen, einem auf die Landsohne und das Kliff gebaute Kleinstadt, die hauptsächlich vom Fischfang lebte.
Oben in der Wand, fast achthundert Meter über ihnen, öffnete sich plötzlich der Berg. An einer Stelle, an der niemand je erwartet hätte, dass es dort eine Öffnung oder ein Schott gab. Die Existenz des Brian-Kastells war ohnehin nichts, was der breiten Öffentlichkeit bekannt war und wurde erst seit dem spektakulären Fund von über einem Bataillon Sternenbundkampfmaschinen nach und nach in die Öffentlichkeit getragen. In der Miliz hatte sich die Nachricht besser verbreitet, was die vielen kleinen Einheiten bewiesen, die um Aufnahme in den Berg gebeten hatten. Aber das Loch da, das war eine echte Überraschung.

Als die ersten Mechs heraustraten, wurde erst klar, wie groß diese klaffende Etwas war. Die ScoutMechs, welche zuerst erschienen und die Umgebung sicherten, wirkten wie Spielzeuge bei den Dimensionen des klaffenden Spaltes. Und als der riesige Marodeur hindurch stapfte, war sogar noch zehn, fünfzehn Prozent Spiel nach oben.
Es waren insgesamt zwölf Mechs, die aus dem Brian-Kastell auf die Klippe hinaus traten und dann einem Serpentinenweg folgten, der vom Berg bis hinunter an die Küste ging. Einem Pfad, um dessen Existenz sich hunderte Legenden rankten, weil er auf eine Senke führte, die zwar tiefer ins Gebirge ging, aber kein wirkliches Ziel zu haben schien. Dass sie erbaut worden war, um Kampfmaschinen vom Format eines Mechs einen Ausgang zu bieten, war eine vollkommen unerwartete Überraschung. Und das war es, worauf Zorn setzte. Überraschung. Zumindest solange, bis irgendjemand, der den Wengenbaums auf irgendeine Weise verpflichtet war, davon erzählte, dass eine Kompanie Mechs gerade zur Küste hinab marschierte. Nicht, dass die Wengenbaums das verhindern konnten. Aber es wäre unschön gewesen, bei der Rückkehr nicht auf die gleiche Weise wieder ins Kastell zu können, der Zorn Kenderson und seinen Leuten eine leichte Rückkehr auf Ebene eins, die unterste des Forts, ermöglichen würde. Aber kam Zeit, kam Rat. Jetzt war es erst mal wichtig, die zwölf Maschinen, hinter denen sich der Berg wieder schloss, zuerst in die Kleinstadt, und dann auf die HELENSDOTTIR zu schaffen.
Als Zorn seinen BeuteMech, der glücklicherweise rechtzeitig fertig geworden war, die Serpentine herab steuerte, haderte er ein letztes Mal mit sich. Er hatte eine ziemliche Truppe zusammengewürfelt, um eine Kompanie aufwenden zu können. Außerdem hatte er keine drei Lanzen aufgestellt, sondern die Scoutlanze und die Kommandolanze der 1. Kompanie verstärkt. Wenn er schon darauf verzichtete, auf Winningham und seine Leute zurückzugreifen, der besteingespieltesten Truppe, über die seine Cavaliers gerade verfügte, wollte er nicht erst noch eine brandneue Lanze aufstellen und einarbeiten. Was übrigens in der Kürze der Zeit absolut unmöglich war. Dabei waren ihm natürlich sowohl zugute gekommen, dass Ilona Pappas rechtzeitig gesund geschrieben worden war und mit seinem Marodeur gut klar kam als auch dass die Kommandolanze ohnehin bereits über fünf Mechs verfügt hatte. Bei der Scoutlanze hatte er die Kommandeurin der Allans World-Milizlanze, Lieutenant Sally Han samt William Shanks, ihren Flügelmann, hinzu gefügt und ihr das Kommando über alle sechs ScoutMechs übergeben. Ohne Nedra, die noch ein paar Tage und mindestens einen weiteren Checkup ausfallen würde, war sie die ranghöchste Scout-Offizierin, auf die er zurückgreifen konnte. Zwei der Piloten der eigentlichen Scoutlanze waren eh Reservepiloten der Miliz, Thomas Jackson war, wenn auch viel versprechend, noch lange kein vollwertiger Krieger, und Nicole Farnsworth kannte die Leute noch nicht, würde als Stellvertreterin aber einen guten Job machen, wie immer.
Mit dieser kleinen, aber feinen Streitmacht gedachte Zorn, dem Aufmarsch der Draconier ein paar Schwierigkeiten zu bereiten. Damit, und mit den vier Motorrädern, welche sie begleiteten und von viel versprechenden Infanteristen besetzt waren. Sie würden weit unauffälliger aufklären können als die ScoutMechs.
Er hatte auch ursprünglich geplant, eine halbe Kompanie Panzer mitzunehmen, aber Leary hatte davon abgeraten, die Verteidigung des Kastells damit unnötig zu schwächen. Aber auch dass sie die Mobilität der Mechs auf die Fähigkeiten der Panzer reduzieren mussten, wollten sie sich im Ernstfall nicht von ihnen trennen, war ein gutes Argument gewesen. Mechs waren nun einmal agiler und weit geländegängiger als die Panzer, und sie machten sich auf den Weg ins Unbekannte. Also waren die Panzer „oben“ geblieben.
Auf weitere Infanterie hatte Zorn verzichtet, auch wenn sich Milizionäre dafür angeboten hatten. Ein wenig Eigennutz steckte dahinter, weil er sich nicht jedes Soldaten sicher sein konnte, die vor der Wengenbaum-Miliz geflohen waren. Mit Winningham hatte er zwar einen sehr verlässlichen Mann zurückgelassen, der mit seinen acht Leuten ein eingespieltes Team darstellte, außerdem waren da noch Muller und die Panzerabteilung, von der Infanterie ganz zu schweigen. Aber wenn es hart auf hart ging, und er schaffte es nicht mehr rechtzeitig zurück, würde Winningham auch nach außen einen guten Job machen. Das war zumindest seine Hoffnung. Dabei spielte natürlich auch eine Rolle, dass das, was er vorhatte, nicht unbedingt vom Kontrakt mit Hanse Davion gedeckt war, und er wollte nicht herausfinden, ab wann das der Fall war. Darnell hatte dennoch ausreichend dargestellt, dass er Zorn und die Cavaliers in jedem Fall unterstützen würde, auch bei der „privaten Absprache mit der Gouverneurin“. Grund genug, ihm dankbar zu sein und trotzdem selbst raus zu gehen.
Für einen Moment stellte Zorn sich vor, mit Winninghams acht Kriegern und einer eigenen Lanze rausgegangen zu sein. Da wäre es das Vernünftigste gewesen, zwar die Strategie vorzugeben, aber die Taktik dem mit den eingespielten Soldaten zu überlassen. Dagegen hatte sich was in Zorn gesträubt, und er war sich sicher, Darnell hätte sich gesträubt, sich eine Lanze und einen Kommandeur vorsetzen zu lassen, während er die Mehrheit der Leute am besten kannte. Die Selbstständigkeit seiner Kompanie war ihm daher auch sehr wichtig, und Zorn hatte das bei der Aufstellung der Einheit berücksichtigt.

Vor ihm bewegten sich die drei Heuschreck, zwei von Allans World mit Sally Han und William Shanks im Cockpit, und der eine aus dem Depot mit Jelena Crivic von der Miliz die Serpentine herab. Dem schlossen sich der Marodeur mit Ilona Pappas an, den Zorn vorgestern noch selbst gesteuert hatte. Der Tomahawk mit Ellie am Steuer ging direkt hinterdrein, obwohl sie mit den Sprungdüsen sehr viel schneller runter gekommen wäre, und springen, das hatte sie bewiesen, konnte sie. Vermutlich konnte Zorn eines Tages mehr als froh sein, dass die junge MechAnwärterin auf seiner Seite war. Dem folgte Kirran mit seinem Kampfschütze, bevor er an der Reihe war, den erbeuteten, hochgerüsteten Marodeur II hinab zu bewegen. Darauf folgen der Kreuzritter aus der Medice-Beute mit Lieutenant Bloodbourne, hintenan der aus dem Depot stammende Hermes mit Mala am Steuer. Den Abschluss bildeten die anderen drei ScoutMechs. Zuerst der Feuerfalke von Nedra Ventis, den im Moment Hasso Wardsteiger führte, ein ziemlich erfahrener ScoutMech-Pilot, auf den Zorn schon ein Auge geworfen hatte. Dem folgten die Wespe mit MechKrieger-Anwärter Jackson, und Nicole Farnsworth auf dem zweiten Hermes aus dem Depot.
Die letzten Tests mit den beiden Maschinen aus Sternenbundzeiten zeigten eine wesentlich höhere Leistung vor allem der Waffensysteme und bessere Geschwindigkeiten, weil die Myomermuskeln, welche für die Beweglichkeit zuständig waren, noch so neu waren, und nicht bereits dreihundert Jahre dauerbenutzt wie bei einem vergleichbaren Mech der Inneren Sphäre. Es hatte seinen Grund, warum Zorn „seine Mädchen“ Nicole und Mala auf diese Maschinen gesetzt hatte. Sie würden die höherwertige Kampfkraft und Mobilität einem guten Zweck zuführen.

Als der Konvoi den kleinen Ort erreicht hatten, herrschte hier durchaus ein wenig Aufruhr, aber es wirkte mehr nach Volksfeststimmung als nach Revolution oder gar Angst. Die Kradfahrer, welche zwischen den Mechs herab gekommen waren, wechselten mit verschiedenen Leuten kurze Sätze, was die Stimmung durchaus noch weiter anhob. Einer fuhr direkt zum Schiff weiter, kontrollierte kurz die Gegebenheiten und gab dann sein Okay. Oder besser gesagt, Eleni Baxter, ihres Zeichens Corporal, gab das Okay.
So marschierten die zwölf Kampfmaschinen unbedroht, aber mitunter bejubelt durch die paar Häuser in Richtung des Anlegers, dessen Verladekran bereit stand, um die Kampfmaschinen auf das große Deck zu hieven.
Zorn hatte mit den Gedanken gespielt, die Telefonleitungen des Dorfs zu kappen, aber so etwas war schnell wieder repariert, wenn sie nicht gleich eintausend Meter Leitung mitnahmen. Und das verhinderte auch nicht, dass jemand aufbrach und das nächste Telefon aufsuchte, um sie an die Wengenbaums zu verraten. Den ganzen Ort barbarisch abzuschlachten war ebenfalls absolut keine Option, und Zorn wunderte sich, dass er diesen Gedanken überhaupt formuliert hatte. Nun, dann wäre allerdings so gut wie sicher gewesen, dass niemand die Wengenbaums alarmierte. Aber erstens wusste niemand, wohin sie wollten, und zweitens war ihm nur bange vor der Rückkehr ins Kastell.
Falls die Wengenbaums benachrichtigt wurden, würde der kleine Ort zum Kampfplatz werden. Aber eine feindliche Einheit, stark genug, es mit seiner Truppe aufzunehmen, die sich hier auf die Lauer legen würde, konnte nicht anderswo kämpfen. Und das Kastell würde ihn höchstwahrscheinlich vorwarnen, weil die Landwege von dort aus voll einsehbar waren. Aber das stand in der Zukunft, und er hatte bereits ein halbes Dutzend Ausweichpläne geschmiedet.

Zorn hatte sich dazu entschlossen, dass alle Mechs traditionell verladen werden sollten, obwohl die sprungfähigen Mechs in der Lage waren, selbst auf das Schiff zu springen. Aber erstens würde der Packmeister des Schiffs die einzelnen Maschinen so austarieren, dass das Schiff fahrtüchtig blieb, und zweitens konnte eine Plasmasäule, wie sie ein Mech einsetzte, Schiffsstahl durchaus beschädigen, und das hielt er sich für einen Notfall auf.
Die Verladearbeiten gingen sehr schnell voran, und ruckzuck war er mit seinem Marodeur an der Reihe. Da waren sie noch nicht mal eine halbe Stunde aus dem Kastell raus.
An Bord und in Position gebracht wurde die Maschine von ihm in Hockstellung gebracht und von der Crew an den dafür vorgesehenen Ösen ans Deck gezurrt. Zeit für ihn, den BattleMech zu verlassen und mit dem Kapitän zu reden.
„Guten Morgen, Major Kenderson“, begrüßte ihn ein Mann in kurzem Hemd, auf dessen Schultern vier Sterne auf schwarzen Tressen prankten.
„Kapitän Mitchel, nehme ich an?“
„Exakt der.“ Die beiden reichten einander die Hände.
„Es freut mich, dass Sie uns heute unterstützen, obwohl ihr Schiff einer Wengenbaum-Firma gehört.“
Der Kapitän, ein noch recht junger Mann um die dreißig, hob eine Augenbraue. „Es ist richtig, dass eine Firma mit Geschäftskontakten zur Familie Wengenbaum mein Schiff für Erzlieferungen von den Kleinkontinenten chartert. Bis vor kurzem war das auch ein ganz normales, reguläres Geschäft. Aber das Schiff ist mein Eigentum, und die Crew von mir angestellt.“ Der Mann grinste plötzlich. „Aber wie es der Zufall so will, ist es dieser Geschäftskontakt, der nun nützlich werden wird, Major Kenderson. Niemand wird im Wengenbaumland ein Schiff stoppen, das für die dortigen Firmen fährt. Auch nicht zur Conrad-Zacke.“
„Meinen Sie nicht, wenn man die Mechs sieht, dass jemand misstrauisch werden wird?“, zweifelte Zorn.
„Wir kommen auf einer Route zur Zacke, auf der nicht viel los ist. Wir sollten ohne Sichtung bis zur alten Hafenmole von Prdicza kommen. Das ist ein aufgegebener Verladehafen, der zwanzig Kilometer weiter nördlich als Tiefseehafen neu aufgebaut wurde. Als ich das letzte Mal dort war, um etwas Extra-Fracht abzuladen, war er noch verlassen und die meisten Lagerhallen und Wohngebäude halb zerfallen. Aber das Pier mit der alten Eisenbahntrasse steht noch und wird es wohl auch noch einige Jahre tun. Immerhin wurden damals ganze Züge verladen, bevor der Hafen mit Schiffen für größeren Tiefgang gebaut wurden.“
„Extra-Fracht?“
„Fragen Sie nicht, dann muss ich auch nicht lügen. Nein, Spaß beiseite. Wenn wir für eine Fahrt noch Kapazitäten haben, nehmen wir gerne noch etwas extra mit, aber das können wir natürlich nicht unter den Augen der Firma tun, die uns chartert. Nachher wollen die einen Anteil an meinen Frachtgebühren. Daher der alte Hafen. Passagiere, Autos, Ersatzteile, so etwas halt, was sonst kommerziell und teuer verschifft werden müsste. Wir machen es wesentlich billiger.“
„Gut. Nehmen wir ihren Hafen, Kapitän.“
„Es ist mir eine Freude, hilfreich sein zu können. Wenn die Wengenbaums tatsächlich Dracs auf unsere Welt eingeladen haben, können sie nicht noch tiefer sinken. Es war schon schlimm, als sie aus der Gettysburg-Familie Geiseln genommen haben und Colonel Kyrensky sie vor der Exekution retten musste. Aber spätestens jetzt wird niemand mit reinem Gewissen oder klarem Verstand mit den Wengenbaums zusammenarbeiten. Bis auf die, die müssen.“ Er warf einen Blick an Zorn vorbei. „Ich schätzte, fünf Minuten noch, dann können wir ablegen. Die Fahrt wird etwa vier Stunden dauern, dann rechnen Sie noch mal eine Viertelstunde fürs Abladen. Wir bleiben dann auf See außer Sichtweite, aber jederzeit für Sie abrufbar. Haben Sie und ihre Leute schon gefrühstückt? Oder darf es ein heißes oder kaltes Getränk sein? Meine Kombüse hat sich vorbereitet.“
„Danke, ja, wir haben gefrühstückt. Aber ich persönlich habe nichts gegen einen Kaffee.“
Der Kapitän grinste erneut. „Dann ab mit uns zur Messe. Simmens, Sie übernehmen.“
„Aye, Skipper.“
„Mein EinsWO, der Erste Wachoffizier, wie es korrekt heißt. Sammeln Sie ihre Leute ein, Major Kenderson, ich warte so lange.“
Zorn tat wie geheißen, und bis auf zwei seiner Leute als Deckwachen folgten sie Mitchel in den Heckaufbau in einen großzügig gehaltenen Raum mit zwei großen Tischen. Dort erwartete sie bereits dampfender Kaffee und Tee. Kein Zweifel, hier waren sie unter Freunden.

***

Nach ziemlich genau vier Stunden Fahrt traf die HELENSDOTTIR wieder auf Land, und sie hielt sogar exakt auf die von ihr anvisierte Hafenmole des verlassenen Ortes Prdicza zu. Zorn saß ebenso wie seine Leute zu diesem Zeitpunkt bereits wieder im Cockpit und hatte die Maschine aktiviert, die Waffen bereit gemacht, aber aus Gründen der Seetüchtigkeit die Seile noch nicht entfernen lassen, welche die Maschine an Deck fixierten. Das Ufergebiet war leicht hügelig, und der Hafen stand mit seinen teilweise zerfallenen Hallen und Häusern davor. Ein tiefer Einschnitt in den Hügeln verriet, wo die Eisenbahn zum Hafen führte. Aif der Mole selbst endete das Gleis exakt an deren Ende. Alles in allem zählte Zorn etwa zehn Wohnhäuser unterschiedlicher Größe und fünf große Hallen, in denen ein Mech aufrecht stehen konnte.
Sie kamen seit der ersten Sichtung stetig näher. Nichts deutete darauf hin, dass ihre Ankunft registriert worden war, zumindest nicht bisher.
„Bewegung, Sir“, klang Ellies Stimme auf. Da waren sie noch gut achthundert Meter vom Ufer entfernt. „Dritte Lagerhalle von rechts, zwischen ihr und der vierten, habe ich eine Bewegung zur dritten hin zwischen den Gebäuden gesehen.“
Zorn checkte seine Aufzeichnungen und zoomte hinein. Ein Husar. Die Dracs hatten einige, also war es durchaus möglich, dass sie hier auf eine Erkundungseinheit der Drac-Miliz gestoßen waren. Deren Pech.
„Kenderson an alle, bestätigte Sichtung eines Husar! Haltet die Augen auf nach weiteren Mechs! Kapitän Mitchel, hören Sie mich?“
„Wir können noch abdrehen, wenn Sie das wünschen.“
Zorn dachte kurz darüber nach. Theoretisch konnte in den Hallen ein ganzes Bataillon an BattleMechs versteckt sein.
„Zweite Sichtung. Wespe. Springt in Richtung Hügelland“, sagte nun Nicole.
„Wir sind zu nahe dran. Bringen Sie uns wie geplant rein, Kapitän Mitchel“, entschied Zorn. Sein Gefühl verriet einen Teil seiner Aufregung, aber diese war nicht groß genug für eine Kompanie, geschweige denn ein Bataillon. Und er war geneigt, seinem Gefühl zu vertrauen.
„Verstanden. Sehen Sie zu, dass mein Schiff aus der Schusslinie bleibt.“
„Habe verstanden“, klang wieder Ellies Stimme auf. Bevor Zorn es verhindern konnte, löste sie die Sprungdüsen des Tomahawk aus. Die Crew musste den mittelschweren Mech eiligst von den Trossen, welche ihn stabil hielten, befreit haben, gleich nach der ersten Sichtung. Auch der Feuerfalke war nun befreit und schloss sich an. Die etwa nur noch zweihundert Meter waren für beide keine große Distanz.
„Sir? Soll ich mitgehen?“, fragte Bloodbourne, als sich auch noch die Wespe der Scoutlanze auf einer Feuersäule aufmachte, um die Hafenmole zu erreichen, auf der in diesem Moment der Tomahawk aufsetzte.
„Ja, springen Sie auch und übernehmen Sie das Kommando, Jessica.“
„Jawohl, Sir.“ Auch der Kreuzritter ritt nun auf seinem ultraheißen Plasma Richtung Hafen, moderaten Schaden an Deck anrichtend. Dafür würden sie Mitchel entschädigen müssen.
Zorn dachte nach. Zwei ScoutMechs. Er hatte hingegen drei mittelschwere Maschinen und einen Scout auf der Mole. Falls sich der Hafen nicht als große Falle erwies, sollte dieses Kräfteverhältnis ausreichen, um mit ihren Gegnern den Boden aufzuwischen.
„Dritter Mech, Hornisse!“, rief Wardsteiger. „Schaut nach einer Patrouille aus! Ich erkenne ein Mon!“
Mon, so nannte man die runden Bilder mit den Einheitssymbolen, die auf draconischen Mechs zu finden waren.
„Rechnet mit einem vierten Mech, also einer vollen Lanze!“, sagte Zorn. „Seht zu, dass sie nicht auf die Hügelkette oder durch die Schlucht der Eisenbahn entkommen! Wenn sie zur Drac-Miliz gehören, sollen sie unsere Ankunft nicht weitermelden.“
„Ich übernehme hier“, sagte Bloodbourne, als ihr Leih-Mech auf der Hafenmole landete. Die anderen drei Mechs warteten auf sie. Immerhin. Ellie hatte wohl doch etwas gelernt. Auch wenn ihr Sprung zur Hafenmole wieder sehr impulsiv gewesen war.
Die anderen drei Krieger bestätigten.
„Also vorwärts, wir suchen den vierten Mech!“
„Warum springt die Wespe nicht weiter?“, fragte Ellie.
„Vermutlich, weil der Mech erst auf die Hügel springt, wenn er seinen Kameraden Deckung geben muss“, sagte Zorn. „So würde ich das machen. Der erste Sprung muss Nervosität gewesen sein.“
Wie um seine Worte zu beweisen, sprang die Wespe auf den nördlichen Hügel, direkt über den Einschnitt der Eisenbahn. Unter ihr sah man nun den Husar auf den Einschnitt zuhalten, während der zweite sprungfähige Mech der Gruppe, die Hornisse, auf den gegenüberliegenden Hügel sprang. Der vierte Mech entpuppte sich als Panther. Die Maschine folgte dem Husar und deckte ihn ab, die wuchtige PPK in der rechten Faust trotzig in Richtung Hafen gestreckt. Warum sprang die Maschine nicht? Technisch war sie dazu in der Lage. Deckte sie den Rückzug des Husar?
Zorn checkte die Entfernung, während die HELENSDOTTIR abbremste, um anzulegen. Etwa eintausend Meter bis zu den Hügeln. Seine PPKs sollten soweit reichen. Das wussten die Draconier eventuell auch, und sie würden zusehen, dass sie weg kamen. Tatsächlich beschützten sie den Husar, der nicht sprungfähig war. Durchaus möglich, dass es sich hier um den Lanzenführer handelte.
„Die Mons sind bestätigt als Akugawa-Miliz“, sagte Kirran. „Wir haben unseren ersten Kontakt.“
Zorn richtete den rechten Mech-Arm mit M-Laser und PPK auf die Hornisse aus. „Feuer frei, Cavaliers.“ Dann schoss er mit der PPK auf den ScoutMech.

Auf der anderen Seite, bei den ScoutMechs, klang die Stimme des Wespen-Piloten auf. „TEKI! TEKI!“
Sho-i Renault Yamagata, der die Lanze vom Husar aus anführte, fluchte lauthals. Das hatte er vorher schon gewusst, aber er hätte halt gerne noch herausgefunden, wer da überhaupt ankam, bevor er das Landegebiet räumte. Denn die vier sprungfähigen Mechs dieser Kompanie, im Schnitt eine schwere Kompanie noch dazu, waren bereits an Land. Eine dreimal so große Einheit wie die seine, zudem in der Tonnage um den Faktor vier überlegen, würde, falls sie in Waffenreichweite blieben, mit seinen Leuten den Boden aufwischen. Es war allerhöchste Zeit, sich abzusetzen, wenn sie noch etwas retten wollten. Ansonsten konnten sie gleich Seppuku begehen, denn Chu-sa Steiger hatte klargestellt, dass nur der Sieg oder der Tod die Akugawa-Miliz von ihrer Schande reinigen konnte. „Ich weiß! Halten Sie die Position, Gun-so, bis wir die Klippe passiert haben! Dann springen Sie zurück! Können Sie Einheitsabzeichen erkennen?“
„Nein, aber einer der Mechs ist ein Tomahawk! Das sind Kendersons Leute!“
Verdammte Scheiße, was machten die hier? Zudem auch noch eine volle Kompanie? „Planänderung! Gun-so Mayer, Sie setzen sich sofort ab und fliehen! Informieren Sie die Basis über die Ankunft dieser Mechs!“
„Sho-i, ich werde nicht ...“
„Danach haben Sie die Erlaubnis, zurückzukehren!“, besänftigte er den Mann, der zweifellos eher den Tod wählen würde, als noch weiter in Unehre zu rutschen.
Ein Schuss gellte auf, dem Geräusch nach eine PPK. Aber da Yamagata weder bei sich noch bei Heicho Jura einen Schaden feststellte, tat er es ab.
„Gun-so Mayer, führen Sie den Befehl aus! Ittohei Wuchan, beginnen Sie, sich langsam zurückzuziehen, auf Höhe meines Husar und Heicho Juras Panther!“
„Verstanden“, sagte der Pilot der Wespe, löste die Sprungdüsen aus und sprang in Richtung Inland. Der Pilot der Hornisse aber blieb stumm.
„Ittohei Wuchan!“, blaffte der Sho-i. Der Feind hatte drei Heuschreck. Die waren in der Lage, die Wespe einzuholen und aufzuhalten, bevor sie Funkkontakt hatte. Es würde vielleicht ihre Pflicht werden, den Gegner am Ende der Schneise aufzuhalten und ein paar kostbare Minuten zu erkaufen.
„Ittohei Wuchan kann Sie nicht mehr hören, Chef“, klang die wie stets rotzige Stimme der einzigen MechKriegerin ihrer Kompanie auf, Heicho Mara Jura.
Irritiert über diese Aussage, noch während sein Mech sich weiter den Einschnitt hochbewegte, warf er einen Blick auf die Hornisse, die auf seiner rechten Seite auf der Klippe stehen sollte, um ihren Rückzug zu decken. Da war sie auch, aber etwas oder jemand hatte den Oberkörper pulverisiert, aber ohne den Reaktor, der in der Leibesmitte lag, zu vernichten. Dessen Explosion hätten sie mitgekriegt. Was aber absolut sicher war, das war der endgültige Tod von Wuchan. Das Cockpit war definitiv von einem Volltreffer zerstört worden.
„Aber wie …?“
„Der Marodeur hat geschossen. Eine seiner PPKs.“
„Das Schiff ist noch mehr als einen Kilometer entfernt!“ Verdammt, würde er mehr Tempo aus seiner Maschine rausholen können, hätte er das jetzt getan.
„Wir beziehen auf der Sohle des Einschnitts Deckung und schießen auf alles, was die Klippe hochspringt und die Schneise hochkommt, wenn wir oben sind! Die Heuschreck haben Priorität! Wir … HEY!“ Sein humanoider Mech hatte gerade den Kopf mit den Sensoren über den oberen Level der Klippe gesteckt und erfasste daher, dass der Tomahawk auf die Klippe gesprungen war und nun der Wespe hinterher hetzte. „TOMAHAWK! AUFHALTEN!“, blaffte er, und hoffte, dass Jura diesen Befehl richtig interpretierte.
Tatsächlich erhob sich der Panther mit Hilfe seiner Sprungdüsen in die Luft und richtete die PPK in der rechten Hand auf den SöldnerMech aus, der ihnen mit einem weiteren Sprung seine verletzliche Rückenpanzerung anbot. Ein guter Schuss, ein glücklicher Reaktortreffer, und ihr Problem reduzierte sich auf die Verteidigung der Klippe und die Abwehr der Heuschrecks. Doch bevor Jura abdrücken konnte, wurde der Mech getroffen und wie eine Feder von einem starken Wind hochgewirbelt. Die PPK löste aus und machte aus der Bewegung einen Purzelbaum. Noch während der sprungfähige Mech das rechte Bein verlor, stürzte er bereits haltlos zu Boden. Der Wumms, mit dem er aufschlug, war bis zu Yamagata ins Cockpit zu spüren.
„HEICHO!“
„Bin noch da, Shu-i“, klang die nun gequält klingende Stimme der Pilotin auf. „Aber ich habe einen Reaktorshutdown. Außerdem scheine ich mir was gebrochen zu haben. Ich kann ihnen nur noch als lebende Mine dienen, Sho-i. Zumindest, bis ich den Reaktor wieder zum Laufen gekriegt habe.“
„Wer zum Koordinator war das?“
„Wieder der Marodeur. Bei der Reichweite ist es einer von denen, die Wolfs Dragoner haben bauen lassen. Mit sogenannten ER-PPKs. Besonders lange Reichweite ohne Partikelstreuung. Ganz fiese Dinger“, erwiderte die Heicho.
„Wolfs Dragoner?“, fragte er überrascht. Dann aber erinnerte er sich, dass acht MechKrieger dieser Söldnertruppe den Cavaliers beigetreten waren. Ein Marodeur II hatte nicht auf der Liste ihrer Mechs gestanden, aber es war möglich, dass sie trotzdem einen mitgebracht hatten. Das war ein einhundert Tonnen-Monster. Und auch wenn es nur wenige gab, und noch weniger außerhalb der im Kombinat verhassten Dragoner, dieser eine war hier und hatte es auf ihn abgesehen.
„Heicho, Sie sind eine Rekrutin, keine geborene Milizionärin. Lassen Sie den Reaktor in Ruhe und ergeben Sie sich. Es ist kein Ehrverlust für Sie, wenn Sie ihr Leben retten.“
„Ich kann als Waffenplattform dienen, wenn der Reaktor wieder läuft! Die PPK ist unbeschädigt, und wenn ich den Panther auf die Seite gerollt kriege, kann ich die KSR abfeuern!“
Yamagata dachte kurz darüber nach. „Tun Sie es so, Heicho. Aber ergeben Sie sich rechtzeitig, bevor es um ihr Leben geht.“ Dann hielt er einen Augenblick inne, stoppte die Maschine unter seinem Hintern und führte sie auf die südliche Seite der Eisenbahnschienen. Er nahm sich einen Moment, bevor er in eines seiner Staufächer griff und dort einen Gegenstand hervor holte. Es war ein weißes Stirnband mit einem roten Kreis in der Mitte, bestickt mit glücksbringenden Worten in Katakana-Schrift, der Schrift der Krieger. Worte wie „Sieger“, „Erfolg“ oder „Goldbachelor“. Er band es sich auf die Stirn, ohne den Neurohelm abzusetzen. Dafür hatte er eventuell keine Zeit mehr. Sein Leben war verwirkt. Er hatte die Patrouille verloren, er hatte seine Mechs verloren. Und er hatte keine Chance zu entkommen. Dass der Tomahawk die eigentlich schnellere Wespe erreichen und stellen würde, war zwar noch nicht sicher, aber Yamagata hatte diesbezüglich ein mieses Gefühl. Der Pilot führte seine Maschine viel zu elegant, um nicht zu wissen, was er tat. Na, wenigstens würde er gegen einen würdigen Gegner fallen.

„Sho-i! VORSICHT!“, blaffte Jura auf. Dort wo das Wrack seiner Hornisse stand, war nun ein Kreuzritter gelandet.
Yamagata schwenkte ein und feuerte seine schwere Laserbewaffnung, aber die schwere Maschine nutzte das Wrack seines Untergebenen als Deckung, sodass nur ein Teil des Beschuss tatsächlich bis zu ihm durchschlug. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Auf den Schultern des 65-Tonners öffneten sich die Abschussluken, und zweimal fünfzehn Langstreckenraketen schossen hervor. Ihr Ziel: Sein Husar.
Sofort bewegte er sich zur Seite, um den Raketen die Zielerfassung zu erschweren, aber wenn auch nur die Hälfte, wenn nur zehn trafen, würde er ordentlich einstecken. Und dann hatte der Kreuzritter auch noch zwei Sechser Kurzstreckenraketenlafetten mit Zielsuchsystem, von den Lasern ganz zu schweigen.
Also versuchte er sich gar nicht erst auf Raketenabwehr, sondern feuerte seinen schweren ER-Laser erneut auf den Kreuzritter ab. Dann waren die ersten Raketen heran. Etwa fünf flogen an ihm vorbei, sieben gingen vor ihm zu Boden. Drei streiften ihn, richteten Beschädigungen an, aber explodierten nicht. Der Rest, fünfzehn Stück an der Zahl, schlugen auf seiner Maschine ein. Yamagata wurde kräftig durchgeschüttelt. Aber er biss die Zähne zusammen und bewegte den Mech weiter, die Statusanzeige, die satt in Gelb und Rot leuchtete, ignorierend. Wenn er diesen besonders wertvollen Mech verlor, war er sowieso tot.
Erneut feuerte er den Laser ab, trieb seine Abwärme hoch und warf die Maschine spontan herum, um einem zweiten Bombardement zu entgehen. Seinen Fehler erkannte er erst, als es zu spät war. Die Wespe war nun ebenfalls die Klippe hochgekommen und eilte auf Juras Maschine zu, die vergeblich versuchte, den Reaktor wieder hochzufahren, und dadurch gedeckt landete der Feuerfalke keine fünfzig Meter von ihm entfernt und richtete seine Hauptwaffe auf ihn, einen schweren Laser in der rechten Faust.
„Draconischer Pilot, ergeben Sie sich. Sie haben mehr als genug getan“, klang eine Stimme über den offenen Kanal auf.
„Mein Name ist Zorn Kenderson. Ich sicher ihnen eine Behandlung gemäß der Ares-Konvention zu.“
Yamagata erstarrte. Kenderson selbst war hier. Ein ehrenvoller Tod. Er öffnete einen Kanal. „Sho-sa, ich gestehe ihnen meinen Husar als Beute zu. Es ist besser, wenn diese edle Maschine nicht vernichtet wird. Im Gegenzug bitte ich Sie, mir Seppuku zu gestatten.“
Darauf folgte ein Moment der Stille.
„Fahren Sie ihren Reaktor herunter. Ihr überlebender Soldat im Panther kann ihnen assistieren. Sie haben mein Wort, dass Sie ihr Ritual ausführen dürfen.“
„Ich danke ihnen, Sho-sa.“ Tränen füllten seine Augen. Es war wie Steiger gesagt hatte. Der Tod würde ihn vom Versagen reinwaschen.

Als Ellie mit ihrer Maschine auf die Klippe sprang, hielt sie die Axt so wie Major Kenderson bei den meisten Sprüngen mit dieser Maschine. Das Blatt war gedreht, und sie hielt es sich vor Cockpit und Torso, sodass jeder Beschuss dieser empfindlichen Komponenten zuerst aufs Karbonblatt gehen würde. Etwas, was die Axt eher überlebte als ihr Mech. Auf der Steilküste angekommen orientierte sie sich schnell und erkannte die Wespe, gerade ihre Sprungdüsen auslösend, um schnell Distanz aufbauen zu können.
„Sir, die Wespe flieht, und der Panther und der Husar haben die Schlucht nicht verlassen. Die Hornisse wurde geköpft.“
Kenderson räusperte sich verlegen. „Glückstreffer, vermutlich. Kadett Watts, Sie sind der Wespe überlegen. Sie flieht vermutlich, um Funkkontakt zur eigenen Einheit zu bekommen. Unterbinden Sie das.“
„Ja, Sir!“ Ellie warf den Tomahawk in einen eiligen Trab, der schnell in einem Lauf überging. Als die Wespe erneut sprang, was ihre Abwärme zweifellos weiter in die Höhe trieb, sprang auch sie. Der Panther versuchte, sich auf sie einzuschießen, und die Kadettin wartete auf den verräterischen Impuls, der den Abschuss der PPK verriet und ihr die Chance gab, die Sprungdüsen zwischenzuzünden und auszuweichen, aber noch während der Gegner sprang, traf ihn ein PPK-Blitz, prügelte ihn erst in die Luft, und dann zu Boden, wo er schwer getroffen liegen blieb.
Ellie pfiff anerkennend. War das der Alte? Sie hatte seit dem ersten Tag ihres Trainings gedacht, ihm den Tomahawk „weggenommen“ zu haben wäre ein großer Fehler gewesen, weil er in den GefechtsROMs so großartig mit der Maschine umgegangen war. Aber Marodeur konnte er anscheinend auch. „Wenn ich auch solche Vorbilder habe ...“, murmelte sie mehr zu sich selbst, landete und setzte sofort zu einem weiteren Sprung an, solange ihre Abwärme dies erlaubte.

Da ihr Mech größere Sprünge machte und besser gewartet war, nämlich direkt von Oma Jeannie, kam sie schnell in Reichweite des fliehenden gegnerischen Scouts. Der glühte auf ihrem Infrarotscanner mittlerweile tiefrot auf und würde in den nächsten Minuten sicher nicht mehr springen. Also tat sie das, was Kenderson getan hätte, wäre er in der Situation gewesen, einen fliehenden Scout aufzuhalten, bevor er ihre Ankunft melden konnte. Sie warf die Karbonaxt nach der Feindmaschine und sprang kurz darauf, um von der Waffe abzulenken. Dazu feuerte sie mitten im Sprung die Autokanone ab. Die Salve kam dem fliehenden Scout sehr nahe, traf aber nicht. Dann aber traf die Axt, und das nicht nur ein kleines bisschen. Die Karbonschneide traf den schlecht gepanzerten Rücken, drang tief in ihn ein und warf den nur zwanzig Tonnen schweren Mech um. Da er mitten im Lauf gewesen war, überschlug er sich, fiel auf die Axt und trieb sie so noch tiefer in seinen Torso. Dann rollte er mehr oder weniger noch eine Umdrehung und blieb liegen.
In Ellies Cockpit blinkten mehrere Warnungen auf, und sie brach den Sprung ab, sobald sie es konnte. Etwa fünfzig Meter von der feindlichen Maschine berührte der Tomahawk wieder den Boden. Keine Sekunde zu früh, denn der Alarm hatte sich auf die Messwerte aus dem Gegner bezogen, und keine fünfzig Meter vor ihr ging der Fusionsreaktor der Maschine hoch. Eigentlich war es ein schöner, erhebender Anblick, und auch kaum radioaktiv, wenn man wie sie fünfzig Meter Abstand hatte und in einem Cockpit steckte, silbern, gleißend, eine meterhohe Fontäne, aber eben auch ultraheiß. Sie zerdrückte einen Fluch zwischen ihren Lippen, für den ihre Mutter ihr zwei Monate Hausarrest gegeben hätte und schaltete wieder auf den Kompaniekanal. „Wespe erledigt. Sie hat wahrscheinlich keinen Funkkontakt zu ihrer Einheit aufnehmen können.“ Sie räusperte sich ein klein wenig, bevor sie hinzu fügte: „Reaktortreffer. Habe niemanden aussteigen sehen.“
Es folgte ein klein wenig Pause auf der Frequenz, dann aber rief jemand: „Die Kleine ROCKT!“, und darauf folgte Zustimmung weiterer Piloten.
„Ich gratuliere zum zweiten Abschuss, Kadett Watts. Das ist gute Arbeit. Lohnt es sich, dort etwas zu bergen?“, fragte der Alte. „Hier ist die Situation unter Kontrolle.“
„MEINE AXT!“, rief sie plötzlich verzweifelt. Die hatte in einem durchgehenden Reaktor gesteckt. Ellie wollte sich gar nicht ausmalen, wenn die Waffe beschädigt oder gar zerstört war! Oma würde so mit ihr Schlitten fahren, dass sie die Nase über den Boden schliff, weil sie sich nicht mehr traute, aufzuschauen! Das hatte sie Jeannie schon ein paarmal machen sehen, und davor hatte sie echte Angst. Sie versetzte den Tomahawk wieder in Trab und kam dem Wrack näher. Ein, zwei Minuten in der Nähe des durchgegangenen Fusionsreaktor, um nach der Axt greifen zu können, würden nicht weiter schaden. Aber eventuell musste ihre Außenhülle dekontaminiert werden.
„Moment mal“, klang Adept Learys Stimme auf, „hast du die Wespe etwa mit der Axt erledigt, Ellie?“
„Es war eine Attacke wie im Lehrfilm neun von Major Kenderson“, sagte sie automatisch, während sie versuchte, in dem verdrehten Stahl und brennenden Myomer ihre Waffe wiederzufinden. „Erst habe ich die Axt geworfen, dann bin ich gesprungen, um davon abzulenken. Gefeuert habe ich auch. Und dann hat die Axt den Reaktor getroffen.“
Darauf folgte wieder Stille. Schließlich aber sagte der eine von der Miliz, der ihnen ausgeliehen worden war, dieser Wardsteiger: „Das ist ein sehr schwieriges Manöver mit hoher Fehlerquote.“
„Ja, das ist richtig, aber ich habe meinen Sprung so ausgelegt, dass ich in der Nähe der Axt landen werde, falls ich verfehle, für den nächsten Versuch.“ Ah, das sah aus wie das Blatt der Waffe. Leider hatte die Oberfläche einige Schmelzspuren. Verdammt, verdammt. Und da war der Stiel. Sie griff danach und dreht mit der Bewegung den Rest vom Wrack herum. Ob sie wirklich so richtig begriff, dass sie gerade das zweite Mal in ihrem Leben einen Menschen getötet hatte? Merkwürdigerweise fühlte sie gar nichts dabei. Später, nach dem Einsatz, würde sie sich einige Zeit verkriechen und heimlich weinen, aber im Moment funktionierte sie wie ein gut geführter Mech.
„Auch das ist nicht gerade einfach. Major Kenderson, Sie ziehen gerade ein Monster heran. Zum Glück ist sie auf unserer Seite.“
Beinahe sah sie den Major vor sich, sie angrinsend, als er erwiderte: „Ja, sie hat gewiss Talent, Wardsteiger.“
„Das ist die Untertreibung des Monats“, sagte Leary. „Und dieser Monat hat die Entdeckung zweier Sternenbundeinrichtungen gesehen.“
Derweil riss Ellie am Stiel und befreite schließlich die Axt aus den Trümmern. Die eine Schneide, mit der sie getroffen hatte, fehlte teilweise, Schmelzspuren überzogen das Blatt, und auch ansonsten hatte die Hitze ihr nicht gut getan. „Oma bringt mich um“, murmelte sie, und nun fühlte sie doch was. Panik.
„Die Axt ist kaputt, was?“, fragte Zorn.
„Nein, Sir, nur ist eine Seite weggeschmolzen.“
„Dann nehmen Sie die andere Seite, Kadettin. Und jetzt kommen Sie zurück. Halten Sie sich ein Stück abseits, bis einer von uns festgestellt hat, ob Sie die Maschine erst mal im Hafenbecken baden müssen. Und keine Sorge, falls Jeannie wütend wird, beschütze ich dich.“
„Okay. Danke“, sagte sie kleinlaut, aber tatsächlich dämpfte das ihre Panik ein wenig. Wenn Jeannie vor jemandem Respekt hatte, dann vor drei Leuten: Major Cranston, der auf St. Jones gefallen war, vor dem raubeinigen ComStar-Adepten Kirran Leary – und vor dem neuen Alten, Major Kenderson. Vielleicht wurde es doch nicht so schlimm für sie.

***

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