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Ace Kaiser Ace Kaiser ist männlich
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Dabei seit: 01.05.2002
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Themenstarter Thema begonnen von Ace Kaiser
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„Setzt alles in Bewegung!“, rief Robert Hausen aufgebracht. „Nutzt unsere hiesigen Kontakte und findet heraus, wer mir da ans Bein pinkeln will! Soweit kommt es noch, das jemand Freunde von mir vor meinen Augen aus einem Hotel entführt! Ich will Namen! Und ich will Köpfe!“
Die chinesischen Bodyguards nickten bestätigend. Sie arbeiteten mittlerweile lange genug mit Robert Hausen zusammen, um mehr als genügend Regeln und Tricks kennen gelernt zu haben, die sie für eine internationale Bühne benötigten.
Er sah zu seinen Gästen herüber. „Keine Sorge. Wenn diese Idioten auch nur die kleinste Spur hinterlassen haben, finde ich sie! Und wenn ich sie finde und sie haben Melissa und Thomas auch nur ein Haar gekrümmt, dann...“ Seine finstere Miene verriet genug darüber, was dann war.
Kim begann zu schluchzen. „Wenn sie hier geblieben wären, wäre das nicht passiert.“
„Mach dir keine Sorgen. Melissa ist bei ihm“, sagte Theresa im verzweifelten Versuch, Kim zu trösten.
„Meinst du ich bin dumm? Keine Kampfspuren im Pavillon bedeutet, dass sie ohne Gegenwehr fortgeschafft wurden. Was bitte soll denn eine betäubte Melissa Mao reißen? Oder ein betäubter Thomas Kramer?“
Tessa fühlte sich von Kims verzweifelten Blick fixiert. Und sie führte die gleiche Verzweiflung nun durch ihre eigenen Adern kriechen. „Melissa...“, hauchte sie.
„Himmel“, brummte Kurtz Weber ärgerlich. „Es ist nicht gerade hilfreich, wenn ihr in Simultantrauer ausbrecht. Wenigstens Kaname macht nicht so ein Theater.“
Die junge Frau mit den langen dunkelblauen Haaren stand am Fenster und sah wie gebannt hinaus. „Was? Ich habe nicht zugehört. Sousuke, kannst du mal kommen? Du weißt doch sicherlich, was für ein militärischer Hubschrauber das dort ist.“
„Militärischer Hubschrauber? Mitten in Las Vegas? Das ist doch etwas...“, begann Sagara, während er ans Fenster trat. Entsetzt riss er die Augen auf, warf sich auf Kaname und riss sie zu Boden. Zugleich brüllte er: „RUNTER!“
Kurtz reagierte, warf Tessa und Kim um. Robert Hausen stand ein wenig höher als die fünf und starrte mit immer größer werdendem Entsetzen, wie die Glasscheiben der Panoramafenster splitterten und als scharfer Regen in den Innenraum fegten. Eine MG-Salve kam durchs Fenster und hinterließ Spuren wie ein Reißwolf, einmal vom Wohnzimmer zur Küche.
Robert trat drei schnelle Schritte zurück und befand sich in der Deckung der nächsten Wand. Für Kugeln dieses Kalibers nur ein minimales Hindernis, aber immerhin würden sie abgebremst werden. „Verschlusszustand!“, herrschte er seine Untergebenen an, von denen einige ebenfalls zu Boden gehechtet waren.
Einer nickte ihm zu, eilte zum Sicherungskasten und betätigte einen großen roten Knopf. Rund um sie begann es zu rauschen, und kugelsichere Jalousien bedeckten die zerstörten Fenster.
„Das wird uns ein paar Sekunden Zeit erkaufen“, rief Hausen mit japsender Stimme. „Lin, bist du in Ordnung?“
„Ich bin in der Küche! Du glaubst ja gar nicht wie sehr ich die Marmorverkleidung des freistehenden Herds plötzlich zu schätzen weiß.“
„Bleib wo du bist! Der Blitz schlägt niemals zweimal am gleichen Ort ein!“, rief Robert ihr zu. Er eilte zu einem unscheinbaren Schrank und zog das EMP-Gewehr hervor, das sich dort befand. Zeitgleich prasselten weitere Schüsse gegen den Schutz.
„Sagara!“
Sousuke sah herüber. „Hier!“
„Hier! Es ist entsichert! Zehn Sekunden Aufladezeit, ein Schuss. Sobald du fertig bist, fahre ich die Rollos wieder hoch! Du hast eine Sekunde, dann bricht die Hölle über uns zusammen!“
Sousuke fing das Gewehr, machte sich kurz mit der Bedienung vertraut und nickte. „Kaname, nimm die anderen und geh sofort zu Herrn Hausen herüber.“
„Dazu müsstest du erstmal von mir runter gehen“, tadelte sie den Arm Slave-Piloten.
Der Gun-so errötete und beeilte sich, ihrer Aufforderung nach zu kommen.
Danach eilte sie erst zu Kurtz, und mit den anderen zu Hausen.
„Wir sollten uns beeilen. Es ist ein russischer Werewolf, und ich habe Raketen gesehen“, sagte Sousuke konzentriert.
„Aufladen, Gun-so!“
Sousuke nickte und betätigte den entsprechenden Sensor. Nach zehn Sekunden nickte er.
„Fahrt die Fenster wieder hoch!“, befahl Hausen.
Die schweren Rollos wurden wieder in die Höhe gezogen, und kaum das die Lücke groß genug für den Lauf der Waffe war, hatte Sousuke reagiert und auf den Hubschrauber angelegt. Er feuerte im gleichen Moment, in dem auf beiden Seiten die Antriebe zweier Raketen aufheulten. Sein Schuss traf eine Viertelsekunde früher, und die Maschine verlor die Kontrolle. Sie driftete mit der Schnauze in die Höhe und sackte nach schräg hinten weg.
Die Raketen verbrannten ihren Treibstoff in den Halterungen, gingen aber nicht hoch. Stattdessen fiel die Maschine immer tiefer, nur notdürftig vom natürlichen Auftrieb eines Rotors gehalten, der sich durch den Luftdruck noch drehte.
„Sind noch alle am Leben?“, rief Hausen in die Runde.
Als diese Frage zu seiner Zufriedenheit beantwortet war, richtete er sich auf und besah sich die Bescherung genauer. „Okay, ab jetzt ist es persönlich! Es ist Krieg!“

„Was ist denn hier passiert?“, fragte eine erstaunte Stimme vom Fahrstuhl herüber.
Einer der Leibwächter begleitete den Mann und starrte überrascht auf das Chaos. „Ein Gast für Tai-sa Testarossa. Er hat sich als Captain von Mithril ausgewiesen und... Verdammt, ich würde auch gerne wissen, was hier passiert ist.“
„Nur ein kleiner Luftangriff“, versetzte Robert Hausen ernst. „Und eine Kriegserklärung, die ich anzunehmen gedenke. Tessa? Du hast Besuch! Captain Karasov von der FEANOR!“
Wenn Karasov überrascht war, vom Söldner erkannt worden zu sein, dann zeigte er es nicht. Stattdessen wich er den geschäftig durcheinander eilenden Leibwächtern aus, machte höflich Platz, als Lin in einem Pulk aus jungen Frauen aus dem zerstörten Appartement gebracht wurde und begrüßte sie mit einem Nicken... Und stand dann mitten in einer Horde aufgekratzter, halb angezogener Menschen.
„Captain Karasov. Das ist eine Überraschung.“
Der Russe salutierte. „Ma´am, ich hoffe eine angenehme. Ich bin Teil einer Backup-Operation für Major Kramer, und ich darf Ihnen berichten, dass wir sowohl den Major als auch So-sho Mao befreien und auf die Kensington Air Force Base bringen konnten. Sie alle werden dort erwartet.“
„Aber wie... Aber warum...“, stammelte Kim. „Geht es beiden gut?“
„Sie sind wohlauf. Aber ich denke, wir sollten hier wirklich verschwinden. Die Mission wird abgebrochen. Keiner von uns muss mehr hier bleiben.“
Er wandte sich halb um, und beinahe lächelte der Infanterist. „Herr Hausen, diese Notizen werden Sie interessieren. Die Namen der Männer, die wir bei unserer Befreiungsaktion identifizieren konnten. Sie gehören einem örtlichen Mafia-Zweig an. Bisher leben sie alle noch. Aber wenn Sie andere Pläne haben...“
„Dass ich da andere Pläne habe, darauf können Sie sich verlassen“, sagte der Deutsche wütend und nahm die Dokumente entgegen. Er sah seine Gäste an. „Ihr solltet jetzt gehen. Sobald Lin in Sicherheit ist, schlage ich zurück. Und da sollte keiner von euch dabei sein. Oder im Detail wissen, was ich geplant habe. Ich habe euer Gepäck bereits in eine Zimmerflucht in der unteren Etage bringen lassen, wo ihr euch umziehen könnt.“
„Danke, Robert“, sagte Theresa Testarossa. „Du bist wie immer ein guter Freund für uns.“
„Es ehrt mich, dass du mir altem Gauner so etwas nettes sagst. Grüßt mir die zwei, wenn ihr sie seht. Und das nächste mal wenn Thomas heiraten will – ich glaube die Antarktis dürfte sicher sein.“
***
Die Kensington Base war relativ neu. Ursprünglich als Arm Slave-Stützpunkt für die Nationalgarde gedacht, war sie danach etwas größer ausgefallen, nachdem die Vereinigten Staaten regelmäßige Stützpunkte für die Versorgung ihrer schnellen mobilen Arm Slave-Verbände benötigt hatten, um die Flexibilität an ihr Maximum zu bringen. Man sagte, eintausend Arm Slaves konnten dank dieser Stützpunkte jeden Punkt in Nordamerika binnen von acht Stunden erreichen. Sie hatten unrecht. Es waren nur sechs Stunden. Und in unsicheren Zeiten wie diesen, in denen der Bürgerkrieg in Osteuropa wieder und wieder Feuer an die Welt zu setzen drohte, eine zugegeben kostspielige, aber notwendige Einrichtung, wie Thomas fand.
Der Major sah den Gernsback hoch. Die Unterwasseroperation im Colorado hatte Schäden verursacht, und diese half er nun zusammen mit Melissa Mao zu beheben. Sie hatten ihre Abendgarderobe nach einer heißen Dusche und einem medizinischen Checkup auf Restspuren der Betäubung gegen schmucklose Universaloveralls eintauschen können und genossen nun in einem Hangar der Anlage Narrenfreiheit. Und den Schutz von zweihundert hoch motivierten, elitären Arm Slave-Soldaten. Natürlich war der Gernsback für die neugierigen Elite-Soldaten ein gefundenes Fressen, aber die Anweisungen von Mithril waren eindeutig. Den Verbündeten wurde kein Zugang zu Mithril-Maschinen gestattet. Ein Grund warum Sam Rogers so verdammt sauer war. Hätte sie sich alleine an diese Arbeit machen müssen, wäre sie in einer Woche noch nicht fertig gewesen. Alleine die Fehlerdiagnose erforderte vier, besser sechs Augen. Zu diesem Zweck steckte Sam im Cockpit, und Melissa arbeitete sich zusammen mit Thomas durch die Wartungsklappen.

„Thomas!“, rief eine helle Mädchenstimme in den Hangar hinein.
Der Major von Mithril hatte gerade noch Zeit sich aus der Wartungsklappe hervor zu arbeiten und aufzurichten, als ihm schon fünfzig Kilo Mensch entgegen flogen und sich ihm an den Hals warfen. Überrascht fing er die junge Frau auf, die sofort zu weinen begann.
„Ich hatte solche Angst um dich! Ich dachte, du stirbst!“
„Nee-chan!“
Mit pochender Schlagader auf der Stirn und ihrem rechten Fuß auf seiner Brust hinderte Melissa Mao Gun-so Weber daran, ihr um den Hals zu fallen. „Denk nicht mal dran.“
Mit perfekt gespielter Verzweiflung zerdrückte Weber eine imaginäre Träne zwischen den Lidern. „Wie gemein.“
„Melissa!“ Die Umarmung von Tessa ließ sie sich da schon eher gefallen.
„Schön sie beide wieder wohlauf zu sehen!“, rief Sousuke mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, und bekam dafür einen wohlwollenden Schlag von Chidori auf den Hinterkopf.
„Sei nicht so steif, Sousuke. Wenn du dir Sorgen um die zwei gemacht hast, kannst du es ruhig sagen.“
„Sorgen? Warum das? Thomas hatte So-sho Mao dabei.“
„Das ist aber eine Menge Verantwortung, die du mir da aufhalst. Und was hatte ich für eine Hilfe?“, fragte Melissa amüsiert.
„Ma´am, Sie hatten schließlich Thomas dabei. Ich weiß was er leisten kann wenn er muss.“
„Nur wenn ich muss? So-sho, Ihr Untergebener ist nicht sehr galant zu mir“, beschwerte sich Thomas grinsend.
„Oh, ich entschuldige mich für ihn. Und ich verspreche ihn ordentlich maßzuregeln, versprochen.
Du kannst mich jetzt wieder loslassen, Tessa.“
„Und du kannst mich wieder loslassen, Kim“, fügte Thomas an.
„Ich lasse dich nie wieder los“, brummte sie und trocknete ihr tränennasses Gesicht in seinem Hemd ab. „Nie wieder.“
Mit sanfter Gewalt befreite sich der Major aus ihrem Griff. „Ich laufe nicht weg, versprochen.“
„Was genau hast du in Japan eigentlich gemacht?“, ließ sich Sam Rogers vernehmen, während sie aus dem Cockpit konsterniert beobachtete, wie Thomas von der Whispered umarmt wurde, die sie in Rumänien gerettet hatten.
„Es ist nicht so wie es aussieht.“
„Ist es doch!“
„Okay, es ist so, wie es aussieht. Kim hat einfach einen Narren an mir gefressen und sich wirklich Sorgen um mich gemacht.“
„Und um Melissa“, kam es trotzig von der jungen Frau.
„Und um Melissa.“ Thomas schmunzelte. „Danke übrigens nochmal für die Rettung, Sam. Die Idee, mich mit dem Ziellaser auf dich und deinen Gernsback aufmerksam zu machen war genial. Nur weil ich dich im Wasser erkannt habe, ist Melissa und mir die Flucht gelungen. Andernfalls wären wir zwei ziemlich hässliche Flecken in der Landschaft gewesen.“
„Bei uns war es auch nicht gerade harmlos. Sie haben einen Werewolf auf uns gehetzt, der mal eben das ganze Stockwerk durchgequirlt hat“, brummte Kurtz. „Zum Glück kann man sich auf zwei Dinge verlassen: Auf die Paranoia von Robert Hausen, und darauf das Sousuke sogar unter widrigsten Umständen genügend Ruhe für einen gezielten Schuss hat.“
„Ein russischer Kampfhubschrauber? Seid ihr sicher? Seid ihr alle in Ordnung?“
„Ja und ja.“ Kurtz grinste breit. „Zur Zeit dient der Hubschrauber als neue Dekoration im Teich vor dem Bellagio. Macht sich ganz gut da, wenngleich die Polizei die beiden Piloten einkassiert hat. Hausens Männer waren ein paar Sekunden zu spät dran. Dieses französische EMP-Gewehr ist wirklich nicht zu verachten, Thomas. Ich hätte dran denken sollen, mir eins zu organisieren.“
„Auf jeden Fall seid Ihr in Sicherheit. Verdammt, dass es so weit kommt hätte ich nie gedacht. Ansonsten hätte ich euch in den nächsten Flieger gesetzt und nach Japan zurückgeschickt.“ Thomas sah zu Melissa herüber. Die junge Frau nickte zufrieden. „Mehr ist wohl nicht zu erreichen. Lassen wir den Dingen ihren Lauf.“
„Und was ist mit euch? Wollt ihr immer noch heiraten?“, fragte Kim.
„Nein, wozu? Unser Auftrag ist erfüllt. Wir haben eine Menge Dreck aufgewirbelt. Der Rest liegt am Geheimdienst. Sollen sie die Wogen glätten.“
Erschrocken starrte Samantha Rogers ihren Vorgesetzten an. „E-es war ein Auftrag? Du wolltest gar nicht heiraten, Boss? Aber... A-aber...“
„Nicht soviel denken, mehr nachdenken. Natürlich war es eine Operation, Sam. Wir haben uns auffällig benommen, und Spezialteams unseres Geheimdiensts haben beobachtet, wer sich für uns interessiert. Ich nehme an, eines dieser Teams hat euch auf den Plan gerufen.“
„Lieutenant Scott hat das Team begleitet, das Ihre Entführung beobachtet hat, Major Kramer. Wir erwarten ihn jede Stunde hier zurück.“
„Gut.“ Thomas sah zu Sousuke herüber. „Was stellt Hausen gerade an?“
„Er nimmt die Sache sehr persönlich. Richtig persönlich. Für ihn ist gerade ein Krieg ausgebrochen.“
„Er wird uns mitteilen was er herausfindet. Und er wird uns vielleicht um Hilfe bitten. Aber ich kann verstehen das er sauer ist: Seine Frau ist schwanger, und diese Bastarde schießen auf sie. Hoffen wir das er sauer genug ist, um uns ein Gros der Arbeit abzunehmen.“
„Das ist nicht lustig, Thomas“, tadelte Theresa.
„Klang es so als hätte ich einen Witz machen wollen?“ Der Major sah in die Runde. „Ich breche den Einsatz hiermit ab. Wir haben eine Transportmaschine zu unserer Verfügung, dazu einen Gernsback. Wir können auf unauffällige Hilfe der Behörden hoffen, sowohl der Polizei als auch der Armee. Eine Arm Slave-Truppe von der Kensington Base gibt unserem Flug Geleit bis zur texanischen Karibikküste. Auf jeden Fall müssen wir alle Nicht-Mithril-Angehörigen erstmal aus der Schusslinie bringen, und das schnell.“
„Und schnell bedeutet in diesem Fall die FEANOR“, fügte Melissa mit einem Lächeln an.
„Und was passiert in der Stadt? Was ist mit der Mission?“, fragte Kurtz ungläubig.
„Im Moment halten sich über einhundert Geheimagenten von Mithril in der Stadt auf, dazu kommen FBI, CIA und einige Geheimdienste, die von Rechts wegen dienstlich nichts in Amerika verloren haben. Wenn die in diesem Aufruhr nicht ein paar Spuren finden, wer dann?“ Thomas winkte ab. „Wir fliegen in einer Stunde. Ihr könnt die Halle verlassen wenn ihr wollt, aber geht nicht zu weit. Zweihundert Leibwächter mit Arm Slaves sind eine Menge, aber wenn hier ein Venom auftaucht hilft uns nur ganz schnell ganz weit weg zu sein. Wir haben keinen Arm Slave mit Lambda Driver.“
Samantha Rogers grinste und legte burschikos einen Arm und die Schultern ihres Vorgesetzten. „Aber wir haben den einzigen Menschen hier, dem es je gelungen ist, einen Lambda Driver ohne eigenen Lambda Driver zu besiegen.“
„Das war nur Glück“, murmelte Thomas und schob den Arm der jungen Frau von seiner Schulter. „Napoleon soll gesagt haben: Gut wenn man Glück hat, aber drauf verlassen sollte man sich nicht. Entschuldigt mich bitte. Ich muss noch meinen Bericht aufsetzen. Melissa, du musst mir assistieren.“
„Natürlich, Thomas.“
„Eines noch“, sagte Kim schnell. „Das heißt doch jetzt ein für allemal, dass ihr nicht heiratet? Jetzt wo die Mission geplatzt ist?“
„Ja, das heißt es.“ Thomas warf ihr einen ernsten Blick zu. „Aber die Mission ist nicht geplatzt. Im Gegenteil, jetzt fängt sie erst an. Aber für dich und Kaname bedeutet es, dass ihr so schnell wie möglich wieder nach Japan geschafft werdet.“
Konsterniert sahen sich die beiden jungen Frauen an.
„Sousuke nicht?“, stellte Kaname überrascht fest.
„Er wird nachkommen, aber in der Mission assistieren“, erwiderte Thomas. „Theresa, Kurtz und Melissa hingegen werden ebenfalls nach Südostasien zurück gebracht werden. Dein Schiff kann nicht so lange auf dich verzichten, Tessa.“
Schuldbewusst sah die weißblonde Italienerin den Deutschen an.
„Und was ist mit dir? Wirst du nachkommen?“
„Ich weiß es nicht, Kim. Diese Mission hat ergeben, dass euer Schutzschild nicht so dicht ist, wie Mithril es sich für zwei Whispered wünscht. Sicherlich wird das ganze Sicherheitskonzept von Grundauf überdacht werden. Ob ich dann noch Teil davon bin oder ob ich mein Kommando auf der FEANOR wahrnehmen werde, kann ich dir noch nicht sagen.“
„Und was ist mit Sousuke?“, fragte Kim nach einer bangen Minute eisigen Schweigens.
„Er hat eine Sonderabmachung mit der Admiralität in Sydney, wie ich gehört habe. Er wird in jedem Fall zurückkehren.“ Thomas sah jeden einzelnen noch einmal an, dann nickte er So-Sho Mao zu. „Beeilen wir uns.“

Die beiden verließen den Hangar, passierte einen wartenden M-6 und seinen Piloten, der ihnen salutierte und gingen auf das ferne Stabsgebäude mit den Computerarbeitsplätzen zu. Ungefähr auf der Hälfte kommte Melissa Mao nicht mehr an sich halten.
„Du hättest nicht so schroff sein müssen, Thomas. Du weißt doch das Kim in dich verliebt ist“, murrte die Halbchinesin.
„Sie ist in ein Idealbild verliebt, nicht in mich. Ich sage nicht, dass ich das schlecht finde, aber ich sage das ich nicht weiß was wirklich gut für sie ist. Bisher haben die Psychologen dazu geraten, eine enge Bindung zu ihr aufrecht zu erhalten, aber meine Abwesenheit während dem Rumänieneinsatz hat sie gut vertragen. Außerdem kennt sie jetzt ihre Vergangenheit. Vielleicht der beste Weg, um von ihrem Traumbild zu einem echten Freund zu werden.“ Der Major schnaubte spöttisch. "Oder bist du etwa ein Anhänger der Idee, das ich sie heiraten sollte, solange sie auf mich fixiert ist?"
"Die Gelegenheit ausnutzen? Ist es das was du sagen willst?"
"Wer weiß? Wann kriegt ein alter Kommisskopf wie ich schon mal die Gelegenheit, sein Leben mit so einem jungen Ding zu verbringen. Himmel, wenn ich das sage, dann könnte ich mich selbst anspucken."
"Thomas", sagte Mao nachdenklich, "hast du bei all dem vielleicht eines vergessen? Was wenn sie wirklich in dich verliebt ist? Was wenn aus dieser anfänglichen Fixierung wirkliche Liebe geworden ist? Immerhin ist sie ein heller Kopf, und sie hat dich im letzten halben Jahr sehr gut kennen gelernt. Was ist wenn sie..."
"Und wenn schon! Mir ist egal was sie will! Mir geht es nur darum, was ich will!"
"Und was ist es, das du willst, Thomas Kramer?"
"Ich will mich jetzt, wo sie emotional und sozial auf eigenen Beinen stehen kann, wo sie ihre Familie wieder hat, wo sie einen passenderen Mann als mich finden kann... Jünger, besser aussehend, intelligenter... Aus ihrem Leben heraus halten. Ein für allemal."
"Und was tust du wenn sie damit nicht einverstanden ist?"
Thomas öffnete die Tür zum Stabsgebäude für die Halbchinesin und winkte sie durch. "Ich sagte es schon, es geht nicht darum was sie will. Und diese letzte Szene direkt vor Sams Augen war für mich den entscheidende Auslöser. Ich muss aus ihrem Leben verschwinden, damit sie eines hat. Das ist meine Meinung, und davon lasse ich mich auch nicht abbringen."
"Mag sein, aber was ist, wenn sie nicht mitspielt?"
"Sie wird es lernen. Sie wird lernen zu verzichten."
"Oder ist es dir einfach peinlich, ausgerechnet von Lieutenant Rogers erwischt worden zu sein, wie sie dir deine Tagesration an körperlicher Nähe gab, mein lieber Thomas?", neckte Mao.
Kramer lächelte dünn. "Du weißt doch, die einzige Frau die ich je genug geliebt habe um sie heiraten zu wollen, bist du."
"Ich weiß nicht ob mich diese Antwort beruhigen soll", brummte Melissa ärgerlich.

Sie trat ein, salutierte der Türwache und folgte anschließend dem Major in eines der Büros.
Ein Sergeant vom Dienst ließ sie ein und servierte Kaffee.
Nachdenklich begann Thomas zu schreiben, während sich die So-sho mit dem Kaffebecher in der Rechten auf seine Schulter abgestützt hatte und mitlas.
"Meinst du wirklich, wir können mein Brautkleid von den Spesen absetzen? Ich habe es nie bekommen, weil wir vorher entführt wurden."
"Ich bin sicher, der Geheimdienst wird es nicht nur bezahlt, sondern auch beiseite geschafft haben. Die Schwierigkeit daran ist, dass du es bekommst, Melissa."
"Ich denke nicht, das ich Verwendung für ein Brautkleid haben werde. Zumindest nicht in naher Zukunft." Nachdenklich nahm sie einen Schluck Kaffee. "Die Rolle von Hausen hältst du jedenfalls recht klein, wie ich sehe."
"Warum unnötig Aufmerksamkeit auf ihn lenken? Er ist ohnehin schon im Fokus von einigen Dutzend Geheimdiensten, Amalgam und Mithril außen vor gelassen. Wir müssen nicht mehr über ihn erzählen als wirklich passiert ist. Er rutschte zufällig ins Geschehen. Und er ließ sich äußerst bereitwillig einfangen, oder?"
Mao grinste burschikos. "Da hast du allerdings Recht. Für die Chance, uns vor dem Altar zu sehen hat er einigen Aufwand betrieben."
"Für die Chance, den ganzen Trubel mitzuerleben, wenn wir uns unseren Freunden stellen müssen, hat er einigen Aufwand betrieben. Und er hätte auch einiges geboten bekommen, wenn wir nicht ausgerechnet vom Mob entführt worden wären. Weil du dir ein paar Italiener zum Feind gemacht hast, Melissa."
"Tut mir Leid, aber das war dienstlich." Sie nippte erneut an ihrem Kaffee und murmelte: "Immerhin hat er eine ganze Menge für seinen Aufwand geboten bekommen. Vielleicht nicht ganz das was er erwartet hat."
Thomas unterdrückte ein Schmunzeln. "Sicherlich nicht."

5.
Als Robert Hausen in das Penthouse eintrat, hatte er Mühe, nicht den Kopf zu schütteln. Wie viele Klischees wollte dieser verdammte Spaghetti eigentlich bedienen? Nicht nur das er in Las Vegas selbstverständlich in einem Casino residierte, auch die Inneneinrichtung sah aus als hätte er sie direkt nach Der Pate IV gekauft und hier aufstellen lassen.
"Ah, Roberto, mein alter Freund. Komm, lass mich dich begrüßen."
"Antonio. Es ist eine Freude, dich zu sehen." Robert trat vor und drückte dem Italiener die Hand.
Missmutig sah ihn der schwarzhaarige Mann an. "Roberto, warum so kalt? Was habe ich dir getan?"
"Nun, wir können damit anfangen, dass du zwei meiner Gäste im Schlaf hast entführen und vom Hoover-Damm werfen lassen", erwiderte Hausen eisig.
Der Italiener erbleichte. "Scusi, das waren Freunde von dir? Gute Freunde?"
"Ich verdanke ihnen mein Leben. Antonio, wären die beiden jetzt tot, müsste ich eine Blutrache gegen dich führen. Ihre Leben für deines."
Die Leibwächter raunten wütend auf, aber Tony winkte ab. Erschrocken und entsetzt, nahe der Ohnmacht. "Aber Roberto, bedeutet dir unsere Freundschaft gar nichts mehr? Hast du alles vergessen, was meine Familie für dich getan hat?"
"Du meinst alles was ich für deine Familie getan habe", erwiderte Hausen schroff. "Ich erinnere mich gut daran, dass ich deiner Familie im Namen des alten Don Giovanni, Gott zeige seiner Seele Gnade, stets wohlgesonnen war. Und so dankst du es mir? Was habe ich getan, um so eine Behandlung zu verdienen? Was, Antonio, was?"
"Ent- entschuldige, aber ich wusste nicht, das sie deine Gäste waren. Guiseppe, der nervige Bruder meiner Frau, hat die Dame erkannt und mir gesagt, dass sie ihrerseits einen Gas aus dem sizilianischen Anwesen meines Großonkels entführt hat. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd starben acht seiner Leute, und fünf Wagen wurden vernichtet."
"Ja, das klingt nach ihr", meinte der ehemalige Waffenhändler sinnierend. "Gut, ich will nicht so sein und gebe zu, dass sie deiner Familie zuerst Ärger gemacht hat, bevor du mich beleidigt hast, Antonio. Darum will ich dir vergeben. Aber für den Hubschrauberangriff..."
"Scusi, Roberto, redest du von der Sache in den Nachrichten? Hat das Ding auf dich geschossen? Du musst mir glauben, ich würde niemals das Militär auf dich hetzen, Fratello mio!", rief der Italiener im Brustton der Überzeugung. "Ich habe sie nicht bestellt und ich kenne sie auch nicht!"
"Aber wer hat sie dann geschickt? Dein Schwager vielleicht?"
"Wenn er das wirklich hinter meinem Rücken getan hat, dann... Ricardo, hole meinen unnützen Schwager!"
Einer der Männer nickte und verschwand in einem der Räume.
Ein lädiert wirkender junger Mann trat hervor, eines seiner Augen unter einem halben Pfund Rindersteak verborgen, das er sich aufs Gesicht presste. "Was willst du denn noch, Tony? Reicht es dir nicht, dass du mich grün und blau schlägst?"
Interessiert hob Hausen die Augenbrauen.
"Oh, er ging mir einfach auf die Nerven. Und da ihn umbringen meine Schwester verärgert hätte, habe ich mich damit begnügt, ihm ein blaues Auge zu verpassen. Schau, ich habe sogar vorher meine Ringe abgenommen." Der Italiener hob die Rechte um zu zeigen, das er tatsächlich keine Ringe trug. Dann wandte er sich dem jungen Mann zu. "Guiseppe, dies ist Fratello mio Roberto Hausen."
"Oh. Herr Hausen." Entsetzt nahm der Junge das Fleisch vom Gesicht und verbeugte sich.
"Wegen dir habe ich zwei seiner Gäste entführt, mein Junge. Und wegen dir hat ein Hubschrauber sein Appartement im Treasure Island angegriffen!"
Der junge Mann erbleichte. "Uno Momento, Tony, du glaubst doch nicht etwa, das ich... Ich? Bis eben wusste ich nicht einmal, dass Herr Hausen in Las Vegas ist! Por vavore, Toni, ich war es nicht!"
"Aber Tatsache ist, das auf ihn geschossen wurde. Und das kurz nachdem wir mit dem Pärchen zum Hoover-Damm raus gefahren sind. Was hast du mir zu sagen, Guiseppe?"
"Ich war es nicht, Tony! Bitte, Herr Hausen, das müssen Sie mir glauben! Aber..." Er stutzte. "Nein, das ist leider keine Möglichkeit. Ich dachte ich kenne jemanden, der uns sagen kann was hier passiert ist. Aber wenn mein Schwager schon nicht weiß wer in seiner Stadt auf harmlose Hotels schießen lässt, dann..."
Ärgerlich hob Tony die Augenbrauen. Einerseits, weil der freche Bengel ihn beleidigt hatte, andererseits weil er Recht hatte. "Dann?", fragte er scharf.
"Dann kenne ich nur zwei Personen, die Herrn Hausen Rede und Antwort stehen können. Die Hubschrauberpiloten."
"Guiseppe, wie stellst du dir das vor? Sollen wir zur Vordertür der Polizeiwache hereinmarschieren und einfach ein Gespräch mit ihnen verlangen?"
"Das ist eine gute Idee." Nachdenklich strich sich Hausen übers Kinn. "Wenn du auf der Polizeiwache erscheinst und mit den beiden zu reden wünschst, könnten die Polizisten vielleicht die Piloten verlegen wollen. Zur Bundespolizei beispielsweise."
"Und auf dem Weg könnte man, ah, versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen", vollendete Tonys Schwager. Grinsend legte er das Fleisch wieder auf sein Veilchen. "Mir gefällt es wie Sie denken, Herr Hausen."
"Idiot! Eine solche Tat würde Krieg bedeuten! Und was haben wir von einem Krieg mit der Polizei oder gar dem FBI?"
"Was mich angeht, bin ich bereits im Krieg, Tony", sagte Robert Hausen düster. "Sie haben auf meine schwangere Frau geschossen, und das verzeihe ich ihnen niemals. Weißt du wie ich die Sache in Afrika geregelt hätte? Alles was ich gebraucht hätte wären ein Nilpferd, ein Baum und ein Seil gewesen. Und dann nur ein klein wenig Zeit."
"Die Familie ist wichtig", stimmte Tony zu, während er sich vorzustellen versuchte, wie ein Baum, ein Seil und ein Nilpferd zusammenpassten. "Guiseppe, du holst die beiden Männer. Aber baue diesmal keinen Mist, sonst wird es dir diesmal gar nichts nützen, dass du der Bruder meiner Schwester bist!"
"Du kannst dich auf mich verlassen, Tony!", rief der junge Mann enthusiastisch. Er angelte nach seinem Handy und begann hektisch zu telefonieren.
***

__________________
Ace Kaiser,
Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

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16.04.2009 23:46 Ace Kaiser ist offline E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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Ein wenig nervös saß Sergeant Cox auf einer der harten Bänke des Gefangenentransporters, der die beiden unidentifizierten Häftlinge von Las Vegas in die Hauptstadt Nevadas bringen sollte. Neben ihm saßen die Officer Patterson und Chavez, beide gute Polizisten mit einigen Jahren Erfahrung in der Spezialeinheit. Auch sie zeigten Anzeichen der Nervosität. Immer wieder fingerten sie an ihren Heckler&Koch Maschinenpistolen herum, überprüften die Sicherung, den Ladezustand der Magazine. Cox konnte sie verstehen. Ihm wäre es auch lieber gewesen, wenn sie schon am Zielgefängnis angekommen wären, oder noch besser ein anderes Team mit der Bewachung der beiden Gefangenen beauftragt worden wären.
Mit einem nervösen Blinzeln sah er die beiden Männer an. Der eine war Asiate oder Mischling, schwarzhaarig, klein geraten, mit dünnem schwarzen Schnurrbart und kleinen Augen. Apathisch saß er auf seinem Platz und bewegte sich nicht. Die vernehmenden Detectives hatten nichts aus ihm heraus holen können.
Der zweite war Kaukasier, ein großer blonder Mann mit kräftigem Kiefer und stahlblauen Augen, den man für einen Schweden oder einen Russen halten konnte. Das linke Auge war blauviolett unterlaufen. Ein Geschenk eines entnervten Officers, der auch aus diesem Mann nichts herausbekommen die Beherrschung verloren und sich eine zweiwöchige Suspendierung eingehandelt hatte. Die Untersuchung ihrer DNS und der Fingerabdrücke hatte nichts ergeben. Beide waren international unbeschriebene Blätter. Sie hatten, als man sie verhaftet hatte, keine Ausweispapiere bei sich gehabt. Lediglich ihr Fahrzeug, eine waschechte sowjetische Kamov Ka-60 Werewolf, gab überhaupt einen Anhaltspunkt darauf, woher diese Männer gekommen waren, allerdings nicht warum ihnen das oberste Appartement des Treasure Island als verlockendes Ziel erschienen war. Aber das war genauso rätselhaft wie der Absturz kurz danach. Sicher war nur eines: mit dieser Attacke hatten die beiden Männer den Mob angepinkelt. Der Don der Stadt war persönlich auf dem Revier erschienen und hatte mit den beiden Männern "sprechen" wollen. Angeblich hatte er auch einen diskreten Umschlag mit hunderttausend Dollar Inhalt über den Schreibtisch geschoben, um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen. Natürlich hatte der Chief diese offensichtliche Bestechung abgelehnt, auch wenn sie hart an seiner Schmerzgrenze gelegen hatte. Stattdessen hatte er sich dazu entschlossen, die Gefangenen zu deren eigener Sicherheit zu verlegen und nach Carson City zu bringen. Las Vegas war vieles, aber sicherlich keine Problemstadt, weshalb das offensichtliche Interesse des Dons auf nicht geklärte Sicherheitsfragen geprallt war.
Auf eine Verlegung mit Hubschrauber hatten sie verzichtet. Stattdessen war der Transporter in einer Nacht- und Nebel-Aktion genutzt worden, mit einer unauffälligen, minimalen Begleittruppe aus zwei Zivilfahrzeugen. Cox hielt das für zu wenig, andererseits hätten sie bei einem größeren Aufwand auch gleich fliegen können. Das wäre aufs gleiche raus gekommen.
So aber steckte er selbst im dicksten Gewühl, quasi im gleichen Boot wie seine Gefangenen. Nun, er traute dem Mob hier in Vegas nicht gerade einen Polizistenmord zu, aber mit Schaudern dachte er daran, dass Zuhause seine junge Frau auf ihn wartete. Sie zu entführen und ihn damit zu erpressen wäre schon eher ihr Stil gewesen.
Wenn nur dieser verdammte Klapperkasten schneller gefahren wäre! Aus der Stadt raus hatte so wunderbar geklappt, und nun schlichen sie dahin wie Schildkröten im Rückwärtsgang.
Chavez spielte mit seiner Sicherung. Klick, klack, klick, klack. Cox konnte den Mann nur zu gut verstehen, dennoch raunte er: "Du nervst."
Der Mann sah überrascht zu ihm herüber, wurde sich bewusst was er tat und murmelte eine Entschuldigung. Gut, vielleicht würde er das nervöse Spiel für die nächsten fünf Minuten sein lassen. Oder auch nicht.

Als der Wagen langsamer wurde, gellte in Cox´ Geist die Alarmsirenen! Sie hatten klaren Befehl, nonstop durch zu fahren und nicht einmal anzuhalten wenn das Playmate des Jahres nackt am Straßenrand stand und einen auf Anhalter machte!
Der Blick des Sergeants ging kurz über die Gefangenen, über ihre Hand- und Fußfesseln. Dann ging er nach vorne, klopfte ans Guckloch. "Was ist los, verdammt?"
"Vor uns ist ein Unfall. Der Verkehr wird auf der Innenspur dran vorbei geleitet. Kein Grund zur Panik."
Cox schnaubte frustriert und keinesfalls beruhigt. Wenn der Wagen langsamer fuhr, ging er ein Risiko ein. Wenn er stand, ein noch viel größeres. Wer sagte denn, dass der Unfall nicht inszeniert war? Er entsicherte seine Heckler&Koch und deutete auf die Tür. Seine Männer verstanden, entsicherten ebenfalls und richteten ihre Waffen aus.
Cox gab den beiden Gefangenen zu verstehen, dass sie sich ducken sollten. Schlau genug seinem Rat zu folgen waren sie jedenfalls.
Plötzlich war draußen ein Schrei zu hören. Ein Schuss fiel. Die Polizisten wechselten nervöse Blicke, Cox zog schnell den Riemen seines Einsatzhelms nach. Patterson und Chavez entsicherten nun auch. Sie richteten ihre volle Aufmerksamkeit auf die Tür. Wer immer hier rein wollte, konnte nur diesen Weg nehmen. Und wenn er dies tat, würde ihn ein Hagel aus 5,62mm-Geschossen empfangen. Draußen waren wieder Schüsse zu hören, dann wurde es still. Voller Spannung, volle Erwartung starrten sie auf die Flügeltüren. Ob es vielleicht besser war sich zu ergeben? Würden die unbekannten Angreifer überhaupt Gefangene machen?
Plötzlich war da dieses prasseln, prickeln in der Luft, und Cox fühlte, wie die Dunkelheit nach ihm griff. Haltlos fiel er zu Boden, stürzte schwer ohne sich abstützen zu können. Auch die Gefangenen sackten in sich zusammen. Chavez, der schwere Hund, fiel auf ihn drauf, mit seinen vollen neunzig Kilo. Das war der letzte Eindruck, den Sergeant Cox von der Welt hatte, bevor ihn die Schwärze vollends umfing.

Als er die Augen wieder öffnete, ging sein wilder Griff zuerst nach seiner Waffe, aber er fand sie nicht. "Ruhig, Cox, ruhig!", hörte er eine vertraute Stimme rufen.
Verwirrt blinzelte der Mann mehrfach und erkannte schließlich seinen Chief über ihm. Moment, war er nicht auf den Bauch gefallen? Hastig richtete er sich auf, bezahlte die Quittung dafür mit drohender Schwärze vor den Augen und stöhnte auf.
Der Chief griff nach seiner Schulter und stützte ihn.
"Wo sind...", begann der Sergeant mit rauer Stimme, die er kaum als seine eigene erkannte.
"Was unsere Leute angeht ist alles in Ordnung. Sie haben alle überlebt." Der Chief sagte dies mit einer gewissen Erleichterung in der Stimme. "Aber wie erwartet haben sie unsere beiden John Does mitgenommen."
"Gibt es Spuren...", krächzte Cox.
"Wir sind natürlich hinter der Arbeiterkolonne her, die hier den Highway aufgerissen hat. Und wir vernehmen etwas über zweihundert Zeugen. Es ist hoffnungslos. Jeder sagt etwas anderes. Nur in einer Sache sind sie sich einig: Die Angreifer haben den Gefangenentransporter unter Strom gestellt. Ein Wunder, dass Sie keine Verbrennungen haben, Cox. Patterson wird gerade mit Herzrhythmusstörungen ins Hospital gefahren, aber es könnte schlimmer sein."
"Unter Strom gesetzt?" Cox lachte heiser. "Verdammte Schweine."
"Sie hätten sie auch alle töten können. Aber anscheinend wollten sie keinen Krieg mit den Cops beginnen."
"Denken Sie etwa, der Mob hat hier die Finger drin?"
"Ich denke, wir sollten die Ermittlungen zuerst der Forensik und danach einigen fähigen Special Agents vom FBI überlassen", erwiderte der Chief ernst. "Andererseits sehe ich Tonys Besuch jetzt in einem etwas anderen Licht. Dieser alte Halunke."
Der Chief richtete sich auf und streckte Cox eine Hand hin. "Können Sie aufstehen?"
"Ja." Langsam ließ er sich auf die Beine ziehen. Was immer hier gespielt wurde, dessen wurde sich Cox bewusst, die Polizei von Las Vegas war definitiv aus dem Spiel. Sie waren geschlagen wie ein billiger Bauer auf dem Schachbrett.
***
"Diese Schlitzaugen machen mich nervös", murmelte Guiseppe. Er nestelte an einem Päckchen Kaugummi.
"Das sehe ich. Vielleicht solltest du im Wagen warten. Und trinke am besten keinen Kaffee mehr heute."
Erstaunt über diesen Tadel packte der junge Mann das Kaugummi weg. "Nein, ich denke, ich werde mir ansehen, wofür ich mein Leben riskiert habe. Ah, Herr Hausen! Wir haben Ihre beiden Vögel!" Mit dem Enthusiasmus der Jugend deutete der junge Mann auf die beiden gefesselten Männer auf den beiden einsamen Stühlen inmitten der Halle. Bullige Wachen standen rund um sie verteilt, und eine Gruppe Chinesen hielt sich etwas abseits, um jederzeit eingreifen zu können, falls die Wächter versagten.
Hausen kam in den Raum und orientierte sich gut. Er reichte Tony die Hand. "Danke, das du das für mich tust, Fratello mio."
"Geschenkt, Roberto. Damit sind wir dann jetzt quitt."
"Das sind wir, Antonio." Hausen sah Guiseppe ernst an. "Ihr Plan war ein voller Erfolg, wie ich hörte. Können Sie dafür belangt werden?"
"Ich war vorsichtig beim verwischen der Spuren. Aus ausgebrannten Wagen kann man keine DNS-Spuren mehr ziehen", erwiderte der junge Mann pikiert.
"Ich wollte Sie nicht tadeln, Junge. Eigentlich wollte ich Sie loben." Er deutete auf die beiden gefesselten Männer. "Kann ich sie mitnehmen?"
"Mitnehmen? Ich dachte, Sie würden sie sofort hier verhören. Sie wissen schon, wegen dem Angriff auf Ihr Appartementhaus und so weiter."
"Verhören? Ich?" Hausen lachte rau. "Nein, das werde ich bestimmt nicht. Diese Männer werden die beiden mitnehmen und nach Hong Kong schaffen. Diese zwei Idioten haben auf eine Prinzessin der Triaden geschossen, und ihr Vater und seine Söhne wollen nun ihre Rache haben. Nach guter alter Triaden-Art mit vielen Schmerzen, die möglichst lange andauern. In dreitausend Jahren hatten die Triaden Zeit und viel Gelegenheit, um ihre Folterkünste zu perfektionieren. Ich denke nicht, dass mein Schwiegervater irgendetwas von ihnen wissen will. Er wird sie einfach nur langsam und genüsslich töten lassen, als Warnung an alle, die seine Familie angreifen wollen. Ich werde den Teufel tun und mir das ansehen. Ich habe einen schwachen Magen."
"Es war doch nur ein Job!", heulte der Asiat plötzlich. "Wir wussten nicht, dass wir auf Lady Lin schießen würden!"
"Harry, halt die Klappe!", zischte der Kaukasier. "Du ziehst uns nur noch tiefer rein!"
"Halt du die Klappe! Da wo wir hingehen wird uns niemand retten, und unser Tod wird lange dauern!", rief der Asiat aufgebracht. "Herr Hausen, vielleicht will Ihr Schwiegervater nicht wissen, wer uns beauftragt hat, aber Sie..."
"Charly", sagte Hausen ernst.
Einer der großen, breitschultrigen Chinesen trat zu ihm. "Sir?"
"Dein Wakizashi, bitte."
Der große Mann öffnete sein Jackett und zog das plump wirkende kurze Schwert hervor. Er hatte es bei einem Kampf gegen Yakuza erobert und fand die ultrascharfe Klinge als sehr nützlich. Dennoch zögerte er keine Sekunde, sie Hausen zu reichen.
"Nicht für mich. Für die da." Hausen nickte in Richtung der zwei Männer. "Macht sie los!"
Verwirrt sahen die Mafia-Leute den Deutschen an, aber Tony nickte zustimmend. "Roberto weiß immer was er tut."
Zögernd lösten sie die Fesseln. Charly trat vor sich, das Wakizashi in der Hand.
"Mein Schwiegervater wird eine Genugtuung haben wollen. Er hat ein Faible für die Yakuza, deshalb gibt es einen Weg, vor seinen Augen zu sühnen", stellte Hausen fest.
Die beiden Männer sahen erschrocken auf.
Der Asiat namens Harry rieb sich die schmerzenden Handgelenke und starrte fasziniert auf das mattschwarze Futter des Wakizashis. "Ein Stück Finger?"
"Den ganzen kleinen Finger. Ihr habt nicht irgendwen zu töten versucht."
Zögerlich griff der Asiat nach der Klinge und zog sie blank. Diese eine Bewegung genügte, um dreißig Pistolen und Revolver zu zücken und auf ihn zu richten.
"Das ist Wahnsinn! Das ist doch Wahnsinn!", stammelte der Europäer, der gefangen zwischen Ekel und Faszination dabei zusehen musste, wie sich Harry den kleinen Finger mit einem schnellen Schnitt amputierte.
Charles reichte ihm ein Taschentuch. Mit dem zweiten klaubte er den Finger auf. Er winkte einen der Subalternen zu sich und reichte ihm den Finger wie eine Kriegsbeute.
Hausen richtete seinen Blick auf den Kaukasier. "Jetzt du."
"Ich mache sowas nicht! Ich bin doch nicht wahnsinnig!"
"Wahnsinnig bist du, wenn du dich nach China bringen lässt, du Idiot!", rief Harry und drückte ihm das Schwert in die Hand.
Unschlüssig starrte der europäische Mann auf die Klinge, und Wahnsinn flackerte in seinen Augen. Er sprang mit einem urtümlichen Schrei auf, stürzte auf den erstbesten Gangster zu, und wurde zugleich von über dreißig Schüssen getroffen. Als lebloses Häufchen Mensch sackte er zu Boden.
Hausen ignorierte die Leiche und trat zu dem Asiaten herüber. "Also, Junge, was hast du mir zu sagen?"
"I-ich weiß nicht viel", stotterte er.
"Was und wieviel du weißt, wie wertvoll es ist, entscheide ich. Und danach entscheide ich, ob ich deinen Ringfinger meiner Frau bringe oder nicht", raunte Hausen gefährlich leise.
Stockend begann Harry zu erzählen was er wusste.
***
Die M-9 der Ranger begleiteten den Transport bis nach Texas, dann drehten sie ab. Der Arm Slave-Transporter stieg daraufhin auf Fugzeughöhe und änderte den Kurs in Richtung Karibik.
Davon bekamen die Passagiere nicht allzu viel mit. Sie waren dem höllischen Lärm ausgesetzt, der Militärmaschinen mangels Isolierung zu eigen war und widmeten sich, notdürftig mit Oropax ausgerichtet, trivialem Zeitvertreib. Die Frauen spielten Karten, Weber schlief, und Sagara pflegte seine Dienstwaffe.
Thomas hatte das Privileg seines Rangs genutzt und befand sich zusammen mit Captain Karasov vorne im besser isolierten Cockpit. Dort überwachten sie den Flug und unerhielten sich mit der dreiköpfigen Besatzung des Transporters. Die Maschine war von Mithril, das erleichterte die Situation ungemein.
"Noch eine halbe Stunde bis Corpus Christi", meldete der Captain. "Ein Boot steht bereit, um den Arm Slave von Captain Rogers aufzunehmen. Ebenso ein Kurierflugzeug, um unsere Freunde von der Pazifiksektion zum nächsten internationalen Flughafen in Houston zu bringen. Die FEANOR wartet außerhalb der Drei Meilen-Zone vor dem amerikanischen Festland."
"Ach, sie ist schon da?" Karasov schmunzelte. "Dem alten Sander muss die Zeit ja unter den Nägeln brennen."
"Liegen die nächsten Einsatzbefehle vor?", fragte Thomas argwöhnisch.
"Nein, an Ihrem Einsatz hat sich nichts geändert. Aber wir warten auf die Auswertung der Geheimdienstaktion in Las Vegas. Falls sich daraus eine konkrete Spur ergibt, werden wir augenblicklich handeln."
"Verstehe." Er lehnte sich in seinem Sitz so bequem zurück wie er es vermochte. "Wecken Sie mich kurz vor der Landung", sagte er ernst und zog seine Mütze tief ins Gesicht.
"Sollten Sie nicht lieber etwas anderes tun, Thomas?", fragte Karasov ernst.
"Zum Beispiel? Ich habe seit heute morgen noch nicht ein Auge zugekriegt, und dieses verdammte Betäubungsgas hat seine Spuren in meinem Kreislauf hinterlassen. Ich will einigermaßen aktionsfähig sein, wenn wir in Corpus Christi landen."
"Zum Beispiel könnten Sie sich um Ihre kleine Freundin kümmern. Sie wird es nicht besonders gut vertragen, ohne Sie auskommen zu müssen."
"Was soll ich tun? Einen direkten Befehl ignorieren?", erwiderte Thomas und gähnte herzhaft.
"Vielleicht sich anständig verabschieden", murmelte der Russe.
Mit einem wütenden Stirnrunzeln schob Thomas die Mütze wieder hoch. "Sergej, in aller Freundschaft, was denken Sie eigentlich was ich und Kim Sanders für eine Beziehung haben? Ich bin nichts weiter als ihr ehemaliger Leibwächter, und als dieser wurde ich abgelöst. Ende der Geschichte."
"Sie wird das ein wenig anders sehen", warf Karasov ein.
"Und wenn schon. Sie kann ohne mich leben. Das hat sie bewiesen. Sie hat eine Vergangenheit, und sie hat auch eine Zukunft. Irgendwann hätte sie ohnehin auf meine Hilfe verzichten müssen, und ganz ehrlich, wir haben sie viel zu sehr verwöhnt und mich länger an ihrer Seite belassen als gut für sie war.
Oder für mich. Ja, für mich. Ich kann schließlich nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, auf ein kleines Mädchen aufzupassen und dafür mein eigenes Leben opfern."
"So klein ist das Mädchen gar nicht. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie einfach nur auf Sie fixiert ist, oder ob da noch mehr hinter steckt, Thomas. Auf jeden Fall sollten Sie..."
"Auf jeden Fall sollte ich jetzt etwas schlafen", erwiderte Thomas scharf. Er zog die Mütze wieder vor die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich schlafend.
Karasov schnaubte frustriert und wandte sich ab. Der Heilige hatte entschieden was das beste für Kim Sanders war, und das war eine Zukunft ohne ihn. Das Schlimme daran war, dass er vielleicht auch noch Recht damit hatte.
***
Der Transporter landete unbeachtet und rollte bis zum Rand des Landefelds, wo bereits ein Tieflader auf den Arm Slave wartete. Ein Hubschraubertransporter der Bell-Serie stand ohne laufendem Motor in der Nähe. Der restliche Flug würde für die Whispered und die drei Söldner der Pazifik-Division von Mithril sehr viel angenehmer ausfallen als der Herflug.
Noch während Captain Rogers´ Arm Slave entladen wurde, verabschiedete sich Thomas von den Freunden. An dieser Stelle trennten sich ihre Wege. Keine wusste für wie lange.
"Wenn du noch mal heiraten möchtest", scherzte Thomas, während er Melissa Mao umarmte.
"Dann denke ich zuallererst an dich. Du bist Garant dafür, dass die Hochzeit alles wird, nur nicht langweilig", erwiderte sie lächelnd. "Allerdings bin ich mir über deine Rolle dann nicht im Klaren."
"Du weißt, ich stehe immer gerne ganz vorne mit dabei."
"Witzbold", tadelte sie und trat zu den beiden Offizieren der Atlantik-Division, um ihnen zum Abschied die Hand zu schütteln.
"Sir!" Mit steifer Miene, die Hände an der Hosennaht, sah Sousuke Sagara den Vorgesetzten an.
"Soll ich salutieren, oder was?", murrte Thomas und streckte dem Mann die Rechte entgegen. Zögerlich, fast ein wenig ängstlich, als würde er eine Falle vermuten, griff Sagara zu.
Als er festen Griff um die Hand des Gun-so hatte, zog Thomas ihn an sich und umarmte ihn. "Pass auf die Mädchen auf, hörst du, Kleiner?", flüsterte er.
Eine vorsichtige Hand des Japaners berührte Thomas an der Schulter, begleitet von einem Versprechen. "Selbstverständlich."
Als nächstem wandte sich Thomas Kurtz Weber zu. Als die beiden sich die Hand gaben, schien zwischen ihnen statische Elektrizität umher zu springen.
"So, wir sind dich also für einige Zeit los im Pazifik."
"Sieht ganz so aus, Kurtz. Aber ich gebe zu, es hat Spaß gemacht. Sogar mit dir."
"Wenn das ein Kompliment war", erwiderte der Deutsche, "dann möchte ich nicht deine Verwünschungen hören, Thomas."
"Oh, die hast du schon gehört." Die beiden grinsten sich an und gaben sich die Hand. Dabei gab niemand auch nur einen Fingerbreit nach. Erst ein Überschallknall in der Ferne unterbrach ihr Duell.
Tai-sa Testarossas Augen schimmerten feucht, als sich Thomas ihr zuwendete. Er bot ihr die Hand, aber die junge Italienerin fiel dem Freund in die Arme.
Konsterniert sah Thomas auf das schluchzende weißblonde Bündel Mensch vor sich.
Als sie sich wieder etwas gefangen hatte, lächelte sie verlegen. "Entschuldige, aber Abschiede fallen mir so schwer. Vor allem wenn man nicht weiß, wann man einander wiedersieht."
Thomas lächelte und klopfte ihr auf die Schulter. "Wir werden uns wieder sehen. Und dann möchte ich unbedingt den Freund kennen lernen, den du dann haben wirst."
Tai-sa Testarossa starrte ihn verblüfft an. Dann wurde sie rot. Im nächsten Augenblick wandte sie sich scheu ab. "Ein Freund? Ich? Thomas, sag doch so was nicht."
Ein neuer Knall hallte über das Gelände, nur diesmal war es ein äußerst kräftiger Nieser von Gun-so Sagara, der ebenfalls beiseite getreten war, um mit den anderen Mithril-Offizieren zu sprechen, beziehungsweise ihnen Rede und Antwort zu stehen.
Kaname Chidori sah ihm mit einem fröhlichen Lachen entgegen und streckte ihm in burschikoser Manier die Hand entgegen. Thomas griff zu und war erstaunt über die Kraft, welche in dem zarten Mädchenkörper steckte. Dazu lachte sie laut und klopfte mit der Linken auf seine Schulter. "Wir sehen uns doch bald wieder, oder, Thomas? Was sollte ich sonst der ganzen Klasse sagen?"
Ihr Gesicht rückte dem seinen ganz nahe. Ein düsterer, beinahe dämonischer Eindruck huschte darüber hinweg. "Du bist doch nicht imstande und lässt die arme Kim auf ewig im Ungewissen, oder? Ich weiß, wo du arbeitest."
Thomas schluckte hart. "N-natürlich nicht."
Übergangslos lächelte sie wieder. "Na dann ist ja alles in Ordnung. Auf bald, Thomas."
Die letzte in der Runde war Kim Sanders, die junge Whispered, die als deutsche Gräfin in den Unruhen des osteuropäischen Bürgerkriegs verschwunden und ohne Erinnerung in einem mobilen Labor von Amalgam wieder aufgetaucht war. Sie strahlte den Deutschen förmlich an, doch je nähe er ihr trat, desto mehr Tränen schossen ihr in die Augen, sodass ihr schließlich zwei kleine Bäche über die Wangen flossen. "Ich wollte tapfer sein. Ehrlich."
Sanft nahm Thomas die junge Frau in die Arme. "Es tut mir Leid, was ich auf dem Stützpunkt gesagt habe. Weißt du, Kim, ich habe dich sehr lieb, aber nicht so sehr wie du es verdienst. Ich werde nie ganz aus deinem Leben verschwinden, das verspreche ich dir, aber vielleicht tut es dir mal ganz gut, wenn du nicht ständig diesen großen, gut aussehenden Mann im Anzug vor der Nase hast."
"Thomas", mahnte sie halb heulend und halb lachend.
"Ich weiß nicht was du von hier ab entdecken wirst in deinem Leben. Aber ich habe fest vor, ein zwar rarer, aber fester Bestandteil deines Lebens zu sein. Vergiss nicht, du hast in Deutschland Familie, die du fast ein Jahr nicht gesehen hast. Und in deiner Klasse gibt es durchaus ein paar nette Jungs. Du könntest mit einigen ausgehen und mit mir vergleichen. Dann kannst du ihnen einen Korb geben."
"Du bist unmöglich", murmelte sie. "Aber deswegen liebe ich dich ja so."
Thomas erstarrte. Sie hatte es tatsächlich gesagt. Und wenn man dem Blick in ihre Augen trauen konnte, dann meinte sie es todernst. Er seufzte lang und schwer. "Lassen wir die Zeit das beantworten. Bleibe vorerst in Tokyo bei Kaname. Ich versuche ein paar Arrangements für eine Deutschlandreise zu treffen, damit du deine Eltern wiedersehen kannst. Und das ist nicht sehr weit von der Styx-Basis entfernt. Wir können uns also schon bald sehen. Dann wird vielleicht schon vieles vollkommen anders sein."
"Vielleicht", erwiderte sie im Tonfall von jemandem, der total entgegengesetzter Meinung war.
Der Major wollte sie daraufhin tadeln, aber wieder erklang ein Überschallknall und machte jedes weitere Wort unmöglich. Thomas lächelte durch diese akustische Störung hindurch, aber sein trainiertes Auge erfasste einige winzige Details. Auf der anderen Seite der Stadt stiegen Rauchwolken auf, und die Crew des Transporters unterbrach die Entladeoperation. Hastig versuchten sie den Gernsback wieder zu verladen, während einer von ihnen zu Sam herüber lief. Auch der Hubschrauber warf die Rotoren an. Der Co-Pilot sprang raus, öffnete den Passagierbereich und winkte hastig.
"Da ist was passiert!", rief Thomas. Die anderen Mithril-Offiziere folgten seinem Blick. Und sie reagierten.
Thomas schob Kim an sich vorbei in Richtung Mao. Sie und Kurtz ergriffen sie je an einem Handgelenk.
Sousuke schnappte sich Tessa und Kaname und begann zu laufen.
Der Major indes winkte in Richtung Transporter. "Zurück!"
Die drei Offiziere der FEANOR nickten zustimmend. Der schwere Transporter begann gerae sich zu drehen, um wieder starten zu können. Die Rückladearbeit war fast beendet, die Rampe aber immer noch unten, um die Mithril-Offiziere an Bord zu lassen. In der Ferne waren weitere Rauchsäulen zu sehen.
Irgendwo aus dem Nichts erklang ein helles kreischen, eine Sekunde später stieg eine große Rauchwolke aus dem Tank im linken Flügel ihres Transporters.
Für einen Moment zögerte der Major. "Zurück! Ab zum Terminal! Sam, dein Passwort!"
"Passwort? Du willst doch nicht etwa..."
"Das ist ein Befehl, Captain!"
"Monte Christo."
"Gut, und jetzt haut ab!"
Kramer hetzte weiter auf den Transporter zu, während die Tragfläche lichterloh zu brennen begann. Zum Glück waren die Tanks nahezu leer, er hatte also eine reelle Chance, den Gernsback da raus zu holen und zu überleben.
Die Crew indes verließ die brennende Maschine. Kurz bevor er auf die Rampe stieg, konnte er verfolgen, wie der Hubschrauber startete und knapp über dem Boden von der Stadt fortstrebte. Gut, sie wurden nicht beschossen. Für den Moment waren seine Freunde in Sicherheit. Aber wer zum Henker veranstaltete hier mitten in den USA einen zweiten Showdown am O.K. Corral?
Hastig hackte er den Öffnungscode für das Cockpit in das Notfallpanel ein. Er startete die Betriebssequenz mit der Linken, mit der Rechten schloss er die Gurte. "Monte Christo! Überrangorder Major Kramer!"
Die Displays erhielten alle einen grünen Rahmen. Er hatte den Arm Slave erfolgreich aktiviert.
Sofort richtete er die Maschine so weit auf, wie die Stahltrossen es zuließen. Als er Widerstand spürte, stemmte er sich mehr hinein. Nacheinander rissen die Bänder und gaben die Maschine frei.
Thomas nutzte beide Arme, um sich aus dem Rumpf der Maschine heraus zu ziehen. Dort erst richtete er den Arm Slave auf und erhob sich mit der Maschine. Zum Glück lag das Gewehr, das Rogers bevorzugte, griffbereit auf der Schiene.
Derart bewaffnet wechselte er als erstes die Position. Er verschwand hinter einem Lagegebäude, aktivierte die Tarnung und sprang über das Gebäude hinweg. Dann ging er in die Hocke und legte die schwere Waffe an. Langsam begann er die Umgebung abzusuchen. War die Gefahr schon vorbei? Dann hatte er zumindest den Gernsback gerettet. Aber nein, das konnte nicht sein. Noch immer standen ihm die Härchen auf dem Handrücken zu Berge. Er konnte es spüren, ja fast schon schmecken, dass es gerade erst los ging. Am Rande seines Blickfelds eilten ein paar M-9 mit den Abzeichen der Nationalgarde auf das Landefeld. Sie waren anscheinend auch nicht der Meinung, dass es schon vorbei sein konnte.
Für einen Moment war er versucht, die Piloten über seine Anwesenheit zu informieren. Aber nur für die eine Sekunde, die er brauchte um zu verstehen, dass man Unbekannten bei einem Angriff durch Unbekannte normalerweise nicht traute. Vor allem nicht, wenn man es mit der Nationalgarde zu tun hatte, und nicht der regulären Armee.
Während er mit schussfertiger Waffe die Gegend absuchte, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren. Wie war die Situation? Die Entsendung der Garde ließ auf etwas schließen, womit die Polizei nicht klar kam. Aber warum war die Garde so schnell bereit gewesen? Unwillkürlich schwenkte er den Lauf der Waffe auf das halbe Dutzend M-9. Was, wenn die da falsch waren? Was, wenn sie der Gegner waren? Vielleicht sollte er, nur zur Vorsicht, die sechs Maschinen aus dem Rennen nehmen? Er zoomte näher an die Hüfte der vordersten Maschine heran, genau auf jenen Punkt, an dem sich bei diesem Arm Slave ein Lüftungsschacht für die Abwärme befand. Ein Schuss hier rein konnte die Maschine minutenlang handlungsunfähig machen, bis es dem Piloten gelungen war, den Überhitzungsalarm zu umgehen. Die Gernsback hatten diese Schwäche glücklicherweise nicht.
Aber was wenn es doch einen Gegner gab? Sie hatten zwar beim Abflug noch nichts über eine nationale Krise gehört, aber in den drei Stunden Flugzeit hatte viel passieren können. Vielleicht zu viel. "Wenn das auch ein Ergebnis der Aktion "Schütteln wir den Baum und schauen wir was herab fällt" ist, dann haben wir eindeutig übertrieben, General Amit." Dennoch, nichts sprach für einen Feind, geschweige denn einen, der sich für dieses Landefeld interessierte. Was gab es hier auch schon zu gewinnen, mitten in der texanischen Provinz?
Natürlich, seine Kollegen und diesen Arm Slave! Er wandte sich wieder den Garde-Arm Slaves zu, nahm erneut den vordersten ins Visier. Der begann plötzlich zu zucken wie eine Marionette, die von einem Epileptiker während eines Anfalls gelenkt wurde. PAnzerplatten wurden abgesprengt, Schmierflüssigkeit schoss hervor, und eine interne Explosion beendete die Aktion des M-9.
Für eine Sekunde erstaunt starrte Thomas mit Hilfe der Vergrößerung und der Zielhilfe auf den zusammen geschossenen Arm Slave. Also, er hatte nicht geschossen. Andererseits deuteten die Waffeneinschläge auf kein Kaliber hin, das über mehr als einen Kilometer hinweg abgefeuert werden konnte, wenn es noch diese Schäden anrichten wollte.
Thomas schwenkte erneut herum, suchte den Feind und erkannte die bittere Wahrheit: Die Nationalgarde wurde angegriffen, von einer getarnten Maschine. Und die Partikeltarnung hatten derzeit nur zwei Fraktionen. Die eine war Mithril, die andere Amalgam!
Hastig richtete Thomas den Arm Slave auf, wechselte die Position, suchte den Gegner. Wie fand man einen Unsichtbaren? Anhand seiner Fußspuren?
Der zweite M-9 schüttelte sich unter den Treffern, die anderen Maschinen spritzten jetzt endlich auseinander. Anhand der Mündungsblitze!
Er hielt seinen Gernsback an, ging in die Hocke und feuerte eine Serie von mehreren Schüssen. Alle gingen ins Leere, also wechselte Thomas erneut die Position.
"Falke eins, hier Falke eins, an alle befreundeten Einheiten! Getarnter Feind auf dem Spielgelände! Ich wiederhole. Getarnter Feind auf dem Gelände!"
"Falkenhorst, hier Falkenhorst. Wir schicken die Jagdfalken aus! Einheiten der Air Force sind ebenfalls zur Unterstützung unterwegs!"
"Schön, Ihre Stimme zu hören, Skipper", murmelte Thomas zu leise für das Mikrofon.
Erneut prasselten Einschläge über einen M-9, doch diesmal schaffte es der Pilot aus der Schussbahn zu kommen. Thomas suchte das Mündungsfeuer, fand es und feuerte eine Serie von drei schnellen Schüssen. Die erste Kugel prallte seitlich auf eine Art Sphäre, von der sie mit hoher Geschwindigkeit reflektiert wurde. Dabei flackerte für einen Augenblick ein Bild des angreifenden Arm Slaves auf. Es schien ein Gernsback zu sein, und auf seinem Rücken prangte das Mithril-Logo!
Als die zweite Kugel einschlug, mittig diesmal, wusste Thomas längst, dass dieses Ding ein zweiter Arbalest sein musste, also mit Lambda Driver. Er erkannte mit Entsetzen auch, dass direkt hinter ihm das Terminal stand, in dem seine Kameraden Zuflucht gefunden hatten. Eine durch den Lambda Driver verstärkte Kugel würde das Gebäude einebnen. Er konnte also nicht ausweichen! Als der Lambda Driver aufleuchtete und die Kugel verstärkt zurück warf, zog Thomas die einzig mögliche Konsequenz, eine knappe Sekunde bevor das Projektil zurück geschleudert wurde.
Sekunden darauf explodierte der Gernsback unter der Wucht des Treffers, und nach einer kurzen Phase unglaublich grellen Lichts beutelte die Druckwelle der Explosion den Mithril-Offizier. Darauf folgte... Schwärze.
***
"Wenn ich es Ihnen doch sage!", rief Karasov aufgebracht in sein Handy. "Es ist ein Gernsback mit Lambda Driver! Wir haben gerade Kramer an dieses Ding verloren! Ich habe gerade meine liebe Mühe, das Hauptgebäude zu evakuieren, solange sich der Gegner nicht für uns interessiert! Sagen Sie der Nationalgarde, sie soll ihre Maschinen zurück ziehen, die sind nur Spielzeug für einen Lambda Driver! Unsere Super Harrier übernehmen das ab hier, indem sie das Gelände flächendeckend bombardieren. Ja, meinetwegen, beteiligen Sie sich am Bombardement. Ja, wir weisen Sie ein! Wir haben Erfahrung mit dieser Waffe!"
Karasov sah kurz auf und schrie eine Anweisung an Timothy Scott herüber. Der junge Mann reagierte, wenn auch schwerfällig. Das Knattern weiterer Salven lag in der Luft, und der Russe konnte sich einen Fluch nicht verkneifen. Das war wie Schafe zur Schlachtbank zu führen!
Sekunden darauf rauschten zwei Super Harrier über die Landebahn hinweg und entließen je zwei Raketen auf das Gelände. Die nachfolgenden Harrier kamen im Neunzig Grad-Winkel zur ersten Rotte an und setzten ein paar schön streuende Cluster-Bomben.
Karasovs Hände verkrampften sich, während er sich vorstellte, dass diese Waffen zwar die Überreste des Gernsback mit Sicherheit unbrauchbar machten, die Geheimnisse Mithrils bewahrten, aber auch jede Hoffnung, jeden kleinen Funken auf das Überleben von Major Kramer ein für allemal ausradierten. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass der Angreifer das Mithril-Logo getragen hatte. Hätte er es da schon gewusst, und nicht erst durch die Aussagen der überlebenden Piloten der Nationalgarde, hätte er versucht, möglichst nahe am Gelände weitere Informationen zu sammeln, anstatt zu fliehen.
Manche Entscheidungen konnte man nie wieder korrigieren, egal wie sehr man es sich wünschte. Sie blieben entgültig.

Epilog:
Der kräftige, breitschultrige Mann strich sich nachdenklich über den gepflegten Vollbart und drehte anschließend verspielt um die Spitze am Kinn, während er auf das große Sichtfenster zum Behandlungszimmer starrte. "Ist es das wert?", fragte er geradeheraus. "Oder bindet dieser Bursche nur Ressourcen, die wir anderweitig brauchen?"
Sein Begleiter, ein schlanker, sehr großer Mann mit langem weißblondem Haar, verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. "Wert ist er es sicherlich, ein wenig in ihn zu investieren. Seine körperlichen Schäden sahen dramatischer aus als sie tatsächlich waren. Wichtiger sind die Ressourcen, um aus ihm einen künstlichen Whispered zu machen, damit wir ihn zu unseren Zwecken einsetzen können. Er hat uns nur Ärger gemacht: Im Kingdom Sahara, in Rumänien, in Südchina, und jetzt wieder bei unserer jüngsten Operation in den USA. Es gibt wohl kaum einen Menschen, den ich lieber benutzen würde, um ihn gegen seine Freunde zu wenden. Nebenbei, er ist ein exzellenter Arm Slave-Pilot. Vielleicht der beste den Mithril je hatte."
"Ich hoffe, es bleibt bei diesem "hatte", Leonardo", brummte der Mann grimmig und wandte sich ab. "Du hast freie Hand. In einer Woche will ich die USA brennen sehen."
"Ich werde ein eifriger Brandstifter sein", versprach der Blonde, ohne seine Aufmerksamkeit vom Behandlungsraum abzuwenden. Im Raum lag ein nackter Europäer in der Behandlungsröhre. Operationsarme versorgten mehrere Splitterwunden, eine großflächige Verbrennung auf dem Rücken und einen Teil der Schädeldecke, von dem das Haupthaar weggebrannt worden war. Alles in allem, wenn man die gebrochenen Arme, das gestauchte Rückgrat und die anderen Verbrennungen hinzu rechnete, hatte es den Jungen übel erwischt. Die Erstversorgung, nachdem man ihn vom Schlachtfeld entführt hatte, war auch nicht die Beste gewesen. Andererseits lebte er, und das war wohl mehr als man erwarten durfte, wenn man sich einem Lambda Driver in den Weg stellte.
Der große Mann namens Leonardo lächelte, diesmal zynisch. Nach der Narkose würde die Hypnose erfolgen, danach das Training. Und danach würde sie bereit sein, seine Waffe. "Gute Nacht, Major Kramer. Ich wünsche Ihnen süße Träume, denn Ihr Leben wird ab hier ein Albtraum sein." Er stieß sich vom Fenster ab, schwebte auf den Gang hinaus und passierte dabei ein großes Panoramafenster. Die Erde war zu sehen, halb von der Nacht bedeckt. Für einen Moment ließ sich Leonardo davon fangen, aber mit einem Seufzer wandte er sich wieder ab. Das da würde ihm sowieso sehr bald gehören. So oder so.

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Full Metal Panic! Nordatlantik
Episode sechs: Der dritte Mann

Prolog:
Seit die FEANOR als zweites Schiff der Tuatha de Dannan-Klasse in Dienst gestellt wurde, war noch kein volles Jahr vergangen. In dieser Zeit hatte es bereits einige teils sehr gefährliche Kämpfe gegeben, in denen auch das Mutterschiff verwickelt gewesen war. Es hatte Verluste gegeben, teils empfindliche Verluste. Es hatte sehr gefährliche Situationen gegeben, die ohne weiteres bei einem gravierenden Fehler der Crew mit der Vernichtung der FEANOR hätte enden können. Aber selten war es nach einer Mission so still an Bord gewesen wie in diesen Tagen. Selten hatte eine solche Mischung aus Depression, Niedergeschlagenheit, Trauer und fest unterdrückter Wut die Räume gefüllt. Diesmal war alles anders. Diesmal kam eine allumfassende Hilflosigkeit hinzu. Eine Hilflosigkeit, die leicht in Verzweiflung zu münden drohte.

Die FEANOR befand sich in der Nähe von Port-au-Prince, in einem von Mithril gekauften ehemaligen französischen Unterseeboothafen auf der haitianischen Karibikinsel, der im Geheimen vor dem Zweiten Weltkrieg angelegt, aber niemals genutzt worden war, um die Seepassagen zu den Kolonien Frankreichs offen zu halten. Genau wie der Styx-Stützpunkt hatten Mithrils Spezialisten ihn aufgespürt, in aller Heimlichkeit gekauft, instand gesetzt und nutzbar gemacht. Hier sollte dereinst die TINÙVIEL stationiert werden, die zweite Schwester der TUATHA DE DANNAN, um fortan für den amerikanischen Raum zu beiden Seiten des Panama-Kanals, und primär den Südatlantik zuständig zu sein. Heute aber diente der Hangar der FEANOR als Zufluchtsort und Refugium. Wobei das riesige Unterseeboot gerade mit großer Not Platz im größten der drei Becken Platz fand, während sich in den anderen beiden vier Boote der Los Angeles-Klasse mit ebensolcher Mühe in den anderen beiden Becken beinahe schichten mussten.
Seit die FEANOR angekommen war, befand sich Kapitän Sander in einer Dauerkonferenz mit der Admiralität in Sydney. Diese hatte vor neun Stunden begonnen und war immer noch nicht am Ende angelangt.
Zusätzlich zur Trauer und zur Irritation der Besatzung kam nun eine tiefgreifende Verärgerung, Unverständnis über das offensichtliche Zögern der Admiralität, endlich zu handeln und seinen militärischen Arm, die Mannschaft der FEANOR, von der Leine zu lassen.
Dementsprechend hatte sich bereits eine Reihe sehr nervöser Offiziere und Mannschaften vor dem holographischen Konferenzraum versammelt und wartete ungeduldig. Angeführt wurde die illustre Runde von niemandem anderen als Commander Allister, die entgegen ihrer eher unterkühlten Art beinahe Fingernägel kaute.
Endlich öffnete sich die Tür, und ein sichtlich erschöpfter Johann Sander stolperte mehr als das er ging, auf den Gang hinaus. Allister sprang auf, um den Skipper zu stützen, aber er wehrte ab. Er musterte die Gesichter der Wartenden, sah einigen in die Augen. "Sie erklären ihn nicht für tot."
Ein erleichtertes Aufatmen ging durch den Gang. Jemand schluchzte erleichtert auf, und es war schwierig zu sagen, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war.
Sander räusperte sich leise. "Wir haben Marschbefehl, zum Styx-Stützpunkt zurück zu kehren. Wir laufen sofort aus. Weitere Instruktionen erteile ich auf hoher See."
Nun antwortete erstauntes Raunen dem Captain.
Allister wandte sich zu der wartenden Menge um und stemmte die Hände in die Hüften. Bei der resoluten Irin war das Warnstufe eins von zwei, und noch nie hatte jemand Warnstufe zwei überlebt und den Wunsch verspürt, diese jemals wieder zu erreichen. "Alle Mann an Bord. Klar Schiff zur Abfahrt!", sagte sie laut genug, um überall im Gang gehört zu werden. Normalerweise hätte das genügt, um die Leute laufen zu lassen. Diesmal jedoch löste sich der Pulk äußerst langsam auf.

Endlich standen Allister und Sander alleine im Gang.
"War es hart?", fragte die Irin mitfühlend.
"Natürlich war es hart. Wir sind die ROM-Aufzeichnungen der Nationalgarde so oft durch gegangen, bis mir die Augen geblutet haben. Computerspezialisten kamen zu Wort, es gab eine taktische Auswertung von Clouseau auf der DANNAN, und schlussendlich konnten wir uns dazu durchringen, dass Kramer überlebt haben kann." Er atmete heftig aus. "Aber da die Amerikaner ihn im Anschluss an die Gefechte nicht finden konnten, bedeutet das auch, dass er sich jetzt in der Hand von Amalgam befindet, wenn er wirklich überlebt hat. Immer voraus gesetzt, dass der eingesetzte Gernsback, der uns in Corpus Christi aufgemischt hat, überhaupt von Amalgam kam, und nicht von einer Organisation, die wir noch gar nicht kennen. Und, und, und... Dazu kommt die bange Frage: Was werden sie mit Kramer anstellen?"
Für einen Moment schien es so als wollte Allister eine Hand auf die Schulter ihres Skippers legen, aber sie stockte. "Sie werden den Heiligen kaum brechen können", wandte sie ein.
"Jeder bricht irgendwann. Jeder hat sein Limit. Und ich befürchte, dass sie Thomas Kramer noch viel leichter brechen können als jeden anderen Menschen auf diesem Planeten. Seine Tugenden werden zu seinen Sünden, und seine Sünden werden seine Tugenden." Sander lachte leise auf. "Und es gab mal eine Zeit, in der ich gedacht habe, solche Dinge wären seine Vorzüge. Ich hätte nie erwartet, dass sie sich jemals gegen ihn wenden würden."
"Vielleicht lassen sie ihn aber auch...", begann der Erste Offizier leise.
"Was? Ihn sterben? Er wurde ohne jeden Zweifel zumindest verletzt. Sie hätten ihn nicht mitgenommen, um ihm beim Verrecken zu zu schauen. Nicht einmal Amalgam ist so tief gesunken. Nein, sie haben ihn. Und wenn sie ihn wieder einsatzfähig kriegen, werden sie ihn benutzen. Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem ich gegen ihn kämpfen muss."
"Sie sehen zu schwarz. Vielleicht wollen sie auch nur die Informationen in seinem Kopf", wandte Allister ein.
Sander schnaufte in einer Mischung aus Gelächter und Verzweiflung. "Wenn sie nur sein Wissen wollen, dann ist er so gut wie tot, Sharon."
Allister, die gerade etwas hatte ergänzen wollen, stockte mitten im Wort. "Mist."
"Ja, Mist. Und weil wir uns nicht sicher sein können, es mit Amalgam zu tun zu haben, haben wir nicht mal den Hauch einer Ahnung wo wir ihn suchen sollten. Außerdem haben wir alle Amalgam-Stützpunkte die wir kannten zerstört. Kingdom Sahara, die China-Festung, der Flughafen auf Sri Lanka, die Villa des Waffenschiebers in Rumänien. Wo also wollen wir weiter machen? Wo können wir weiter machen?"
"Wenn er noch lebt, werden wir ihn finden", erwiderte Sharon Allister fest.
"Nein, Sharon. Wir dürfen nicht blauäugig sein. Wir dürfen uns nicht in Wünschen und Träumen verlieren. Wir... Wir müssen realistisch sein. Entweder ist Thomas nun schon lange tot, oder er ist bei unserer nächsten Begegnung ein Feind. Niemand, nicht einmal er, kann die Qualen ertragen, die diese Welt einem Menschen bereiten kann. Oder einer Gehirnwäsche widerstehen. Oder einer Erpressung. Oder... Es gibt so viele Möglichkeiten, das es beinahe weh tut."
Die beiden Offiziere von Mithril starrten aneinander vorbei. "Gibt es denn gar nichts Gutes zu berichten, Johann?"
"Wir haben ihn nicht für tot erklärt. Das bedeutet, jemand ganz oben hat die Hoffnung, dass er nicht nur noch lebt, sondern auch zu uns zurück kehren wird. Eine Hoffnung, auf die ich nichts gebe." Leiser fügte er hinzu: "Aber die ich teile."
"Verstehe."
"Ach, und Rogers kriegt den Gernsback ersetzt. Dazu konnten sich die Herren Admiräle auch durchringen."
"Immerhin etwas." Allister straffte sich. "Sie haben Thomas nicht für tot erklärt. Das ist es, was wir alle gehofft und gewünscht haben. Der Gernsback wurde zwar von einer durch den Lambda Driver verstärkte Kugel getroffen und vollständig zerstört, aber man hat keine Reste des Piloten gefunden. Zudem beweisen Teile der Cockpitstruktur, dass sie sich im geöffneten Zustand befand, als der Arm Slave getroffen wurde. Er kann es hinaus geschafft haben. Wenn nicht er, wer dann?"
Sander lächelte still. Dann setzte er sich in Bewegung. "Ich werde mich bei Juanita für ihre Gastfreundschaft bedanken und dann an Bord kommen. Wir brechen dann sofort auf. Ich will in zwei Tagen wieder in Griechenland sein. Von Styx aus haben wir die besten Möglichkeiten und das beste Informationsnetz. Wenn wir irgend etwas tun können, dann von Zuhause aus."
"Zu Befehl, Skipper." Ein schmales Lächeln umspielte die Lippen der Irin, bevor sie salutierte, und den Gang in die Gegenrichtung durchquerte.


1.
Der Transporthubschrauber hatte die kleine Gruppe Reisender aus dem brennenden Inferno des Regionalflughafens Corpus Christi sicher aus der Stadt und nach Süden gebracht. Nach einigen Stunden Flug war er sicher in Miami gelandet, wo Tai-sa Testarossa und So-sho Mao beinahe sofort Zugang zum internen Netzwerk von Mithril bekommen hatten.
"Es sieht ernst aus. Ein getarnter Gernsback mit Mithril-Abzeichen hat den Angriff auf den Flughafen und die Stadt ausgeführt. Dabei wurde eine 727 der Air Force abgeschossen. Es handelte sich um ein so genanntes Kommandoflugzeug für Spionage-Einsätze, mit denen sie Agenten und Sonderkommandos von bis zu einhundert Mann koordinieren können. Aber ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass das Ziel des Gernsback ein anderes war. Ursprünglich sollte eine andere Maschine in Corpus Christi landen, wurde aber nach Denver umgeleitet, weil es in Las Vegas zum Einsatz der Nationalgarde kam. Dieses Flugzeug ist allgemein bekannt als Air Force One." Melissa Mao warf einen ernsten Blick in die Runde, taxierte jeden einzelnen der hier im Hotelzimmer wartenden. "Wisst ihr was es bedeutet hätte, wenn ein Gernsback von Mithril die Maschine des amerikanischen U.S.-Präsidenten abgeschossen hätte?"
"Nichts gutes, zumindest", murmelte Kim Sanders betreten.
"Nichts gutes ist die Untertreibung des Jahres. Wir hätten uns im Krieg befunden. Alle unsere guten Beziehungen zu Air Force, Army, Navy und natürlich dem Marine Corps wären nichts mehr wert gewesen. Und bis wir diesen Irrtum hätten aufklären können, wäre wer weiß was angerichtet worden", sagte Theresa ernst.
"Oh, es wurde genügend angerichtet, immerhin ist eine Maschine mit Geheimdienstequipment für vierhundert Millionen Dollar mit achtundzwanzig Handverlesenen Agenten zum Teufel gegangen. Das hätte schon gereicht um uns vier fest zu setzen", sagte Melissa und sah nacheinander Kurtz Weber, Sousuke Sagara und Theresa Testarossa an. "Allerdings gab es den Amis schon zu kauen, dass ein anderer Gernsback von Mithril ihre M-9 der Nationalgarde verteidigt hat."
"Thomas!", rief Kim im Tonfall von jemandem, dem etwas sehr wichtiges einfiel, nachdem er es verdrängt hatte. "Wie geht es ihm?"
So-sho Maos Blick wurde hart. "Der gegnerische Gernsback verfügte über den Lambda Driver. Thomas´ Gernsback wurde vollkommen zerstört. Von ihm fehlt jede Spur. Wir... Wir wissen nicht ob er noch lebt."
"So? Dann geht es ihm gut", meinte Kim mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Er hat schon ganz andere Sachen überlebt. Das wäre dann das dritte Mal, dass er einen Kampf mit einem Lambda Driver übersteht."
"Hey, Mädchen, du nimmst das ja reichlich gelassen und sehr selbstverständlich", meinte Kurtz. "Genauso gut könnte Thomas in tausend Tei..."
Mao warf dem deutschen Scharfschützen einen wütenden Blick zu, der ihn verstummen ließ. Abwehrend hob Kurtz die Hände und lächelte verlegen.
"Ihm wird schon nichts passiert sein. Ich hätte es gespürt, wenn es so wäre", sagte Kim im Brustton der Überzeugung. "Ich... Weiß einfach, das er noch lebt, auch wenn das Gefühl so merkwürdig verschwommen ist. Seit er mich aus diesem Tank geholt hat, da..." Hilfe heischend sah sie die anderen beiden Whispered im Raum an, Kaname Chidori und Theresa Testarossa. "Habt ihr keine solche Verbundenheit mit einem anderen Menschen?"
Die beiden Mädchen wechselten einen erstaunten Blick, und sahen danach beinahe gleichzeitig zu Sousuke herüber, der davon glücklicherweise nichts mitbekam, weil seine volle Aufmerksamkeit im Moment Melissa Mao gehörte. Schließlich seufzten beide zum Steine erweichen.
"Also eher nicht", stellte Kim fest. "Aber das Gefühl ist da. Ich kann es nicht genau fassen, aber es ist da. Und es ist mit der Zeit stärker geworden. Seit er mich damals in Rumänien aus dem Tank gehoben hat, da... Ich weiß, das klingt vollkommen verrückt und an den Haaren herbei gezogen."
Kaname räusperte sich verlegen. "Glaub mir, verrückt und an den Haaren herbei gezogen sind Worte, mit denen ich einen Großteil meiner Erfahrungen bei Mithril im besonderen umschreiben würde. Ich habe Sachen gesehen und Dinge getan, die... Die ich nie für möglich gehalten habe.
Also bleibe bei deinem Gefühl. Mit solchen Freunden ist eben alles möglich."
Kims Augen begannen zu schwimmen. Sie sah Kaname mit einer Mischung aus Glück und Tränen an. Einen Augenblick später umarmte sie die verdutzte Japanerin. "Kaname!"
Verdutzt erwiderte sie die Umarmung. "Es wird alles gut, du wirst schon sehen."
Sousuke hob fragend eine Augenbraue in Richtung seiner direkten Vorgesetzten. Die nickte in Richtung Vorraum und bezog Theresa und Kurtz mit ein.
Sousukes stiller Blick bat Kaname als Zivilistin darum, Kim noch ein wenig abzulenken, was diese mit einem lautlosen Seufzer bestätigte.

Im Vorraum angekommen fragte Sousuke als erstes: "Jagen sie uns?"
"Irgend jemand ist hinter uns her. Es war kein Zufall, dass die Air Force One ausgerechnet nach Corpus Christi unterwegs war. Der Präsident war nicht an Bord, aber der Ärger wäre dennoch unvermeidbar gewesen. Irgend etwas im Plan unserer Gegner ist schief gelaufen, wir wissen noch nicht was. Vielleicht sind wir es sogar, die schief gelaufen sind. Vielleicht haben sie nicht mit uns gerechnet, oder es ist etwas vollkommen anderes. Auf jeden Fall verlassen wir so schnell es geht das Land, solange die CIA uns noch wohl gesonnen sein kann. Wir fliegen nach Mexiko, und von dort geht es direkt nach Australien. Da übernimmt uns ein Transporter von Mithril und bringt uns nach Hause, und ein zweiter dich, Sousuke, zusammen mit Kim und Kaname nach Tokyo."
"Ich nehme an, wir verstärken den Überwachungsschild für die beiden?"
"Darauf kannst du Gift nehmen."
Kurtz räusperte sich leise. "Wie dem auch sei, ich werde euch jetzt verlassen. Ich muss noch einige Zeit im Land bleiben."
So-sho Mao sah ihren Untergebenen erstaunt an. "Du musst was?"
"Erinnerst du dich noch an unseren neuen besten Freund, den Waffenhändler Robert Hausen? Ich habe mit ihm ein paar Kontaktwege vereinbart, für den Fall der Fälle. Der ist ja nun wohl eingetreten. Ich weiß nicht wie lange ich hier bleiben muss. Ich komme nach sobald ich kann."
Mao sah ihn zweifelnd an. Sicher, Weber steckte voller Überraschungen, und gerade ihn nach seinem meist oberflächlichen Verhalten oder nur seinem Äußeren zu beurteilen wäre ein großer Fehler gewesen. Aber ihn selbstständig als Verbindungsmann in einer Geheimdienstoperation in einem potentiell unfreundlichen Land zu lassen ging ihr eigentlich gegen den Strich. "Tessa?"
Die Kapitänin der DANNAN nickte. "Einverstanden, Kurtz. Aber ich verlange mindestens zweimal täglich eine Kontaktaufnahme mit uns. Kannst du nicht binnen eines Tages mit Robert Kontakt herstellen, folgst du uns sofort. Kommt ihr aber zusammen, entscheidest du wie lange du bleibst, bis wir dich zurück rufen."
"Macht das wirklich Sinn?", zweifelte Melissa. "Unsere Mission war es, die Bäume zu schütteln und zu schauen was runter fällt. Der Geheimdienst sollte nun dabei sein und all das aufklauben, was jetzt herum liegt. Eigentlich haben wir keine Verwendung mehr für Hausen, auch wenn das hart klingt."
"Du irrst dich, Melissa. Wir haben heute sogar noch mehr Verwendung für ihn als zuvor", erwiderte Theresa. "Denn Robert kann Dinge tun, die nicht einmal General Amit möglich sind. In zwölf Stunden erwarte ich den ersten Rapport, Kurtz."
Der Deutsche nickte erleichtert. "Über den üblichen Weg, versprochen." Ohne ein weiteres Wort verließ er das Hotelzimmer, ohne sich ein weiteres Mal umzusehen.
"Er hat nicht einmal auf Wiedersehen gesagt", murmelte Mao bestürzt.
"Daran kannst du sehen, dass ihm die Sache mindestens ebenso an die Nieren geht wie uns." Theresa ballte die Hände zu Fäusten. "Ich wünschte, ich wäre jetzt auf meinem Schiff und könnte irgend etwas hilfreiches tun. Irgend etwas."
"Wir werden etwas tun", sagte Sousuke ernst. Es war wie ein Versprechen.
***
Es war immer wieder die gleiche Szene: Er stand in dem dunklen Zimmer, drückte sich an einen Schrank und feuerte sein Sturmgewehr in den Raum ab. Kugeln antworteten ihm, suchten ihn, trafen seine Schulter, zerfetzten den Schrank, schlugen hinter ihm in der Tür ein. Er orientierte sich daraufhin am Mündungsfeuer und schoss erneut. Eine weitere Antwort blieb aus. "Sicher", sprach er in sein Kehlkopfmikrophon. Als hinter ihm einer seiner Leute als Verstärkung auftauchte, wagte er es einen Scheinwerfer zu aktivieren. Der Suchkegel glitt durch den Raum, rissen die zerschossene Einrichtung der Finsternis, blieben über einem lädierten Sofa hängen. Es stand etwas von der Wand abgerückt.
Die Waffe auf diesen Spalt gerichtet näherte er sich von der Seite, um einen Blick dahinter zu werfen, immer darauf gefasst von einer Kugel, die unter dem Sofa abgefeuert wurde, von den Beinen gerissen zu werden. Doch nichts dergleichen geschah.
Er leuchtete in den Spalt hinein. Eine Waffe reflektierte das Licht des Scheinwerfers. Es war eine silbern glänzende Pistole, kein Armeemodell. Dann sah er die Hand, in der die Waffe lag. Der Scheinwerfer wanderte weiter... Und entriss zwei tote Kinder der Finsternis!

Mit einem Aufschrei setzte sich Thomas Kramer in seinem Bett auf. Das heißt er versuchte es und kam genau bis zu dem Gurt, der ihn in der Schwerelosigkeit in seinem Schlafsack hielt. Er atmete schwer, und Schweiß floss in dicken Strömen über sein Gesicht.
"Na? Greift die Schuld wieder nach dir?", hörte er die beinahe feminin klingende Stimme des Bastards, der ihn hier gefangen hielt. Thomas sah wütend auf, direkt in das für einen Mann viel zu hübsche Gesicht, eingerahmt von langen weißblonden Strähnen. Er lächelte, auch dies auf eine viel zu feminine Art, und legte seine grazile Rechte an das Kinn seines Opfers. "Was war es denn diesmal? Wieder der Balkan? Die Intervention in Finnland? Oder was ganz Neues, was du uns noch gar nicht gebeichtet hast, Thomas?" Seine Miene verhärtete sich, und die sanft auf seinem Gesicht liegende Hand holte zu einer Ohrfeige aus, die sich gewaschen hatte. "Du hast vielleicht gedacht, mit deiner Flucht nach Mithril deinen Opfern zu entkommen, Thomas Kramer. Aber wie überall sind deine Opfer schon vor dir hier. Du kannst fliehen, aber du wirst nie entkommen."
Thomas wollte etwas tun, aufbegehren, sich verteidigen, den Mann vor sich, Leonardo, anspucken, nur um irgendetwas zu tun. Aber ihm gelang nur ein gequälter Seufzer, der all die Pein in sich trug, die er gerade empfand. Finnland, der Balkan, die Türkei, Helmajistan, Pakistan, und wo er noch überall gewesen war, ließen ihn nicht mehr los, seit er zu seiner allergrößten Überraschung lebendig aufgewacht war. Alle seine Fehler, alle Situation, die damit geendet hatten, dass er Unschuldige getötet hatte - und das war oft vorgekommen - oder Kombattanten die noch Kinder gewesen waren, kochten seither in ihm hoch. Sicher, er war nie angeklagt worden. Er hatte nie einen wirklichen Fehler begangen, aus militärischer Sicht gesehen. Aber seine Opfer sahen das anders. Wirklich anders. Und nun waren sie gekommen, um jede seiner träumenden Minuten heim zu suchen.
Selbst als er geglaubt hatte weit genug geflohen zu sein, mit Mithril ein für allemal Abstand von seinen Risikoeinsätzen im Dienste der KSK gewonnen zu haben, hatte die Zahl seiner Opfer nicht abgenommen. Im Gegenteil.
Wie ein brennender Scheit, den man ihm in die Augen drückte, brannte noch immer die Erinnerung an Kurasows rumänische Villa in ihm. Wie er mit Sousuke aufgebrochen war um eine Whispered zu retten, und wie er dann das zerstörte Kinderzimmer mit der blutigen Mädchenleiche entdeckt hatte.
Seine Hände begannen zu zittern, und er war froh, festgeschnallt zu sein. Er seufzte zum Steine erweichen. Allerdings beeindruckte das Leonardo nicht im geringsten.
"Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Die gute zuerst. Deine Verletzungen verheilen sehr schnell. Wir kriegen sogar die Verbrennungen am Kopf im Griff und lassen deine Haare wieder wachsen. Du musst also nicht wie ein Geschöpf aus dem Höllenfeuer herum laufen. Und jetzt die schlechte. Mithril hat dich heute symbolisch zu Grabe getragen. Für sie bist du tot. Ein weiterer Söldner, der Material gekostet hat, und den sie nun nur noch von ihrer Lohnliste streichen müssen."
Thomas wollte aufbegehren, Einspruch erheben, aber letztendlich war es ziemlich logisch, dass sich der Skipper dazu entschlossen hatte, ihn für tot zu erklären. Immerhin hatte er wieder alleine gegen einen Lambda Driver gekämpft. Und da aller guten Dinge drei waren, hatten Sander und die anderen keinerlei Ansatzpunkt zu glauben, er sei nicht vom gegnerischen Lambda Driver pulverisiert worden. Zumal seine Leiche nicht gefunden werden konnte, weil er sich hier befand, im Orbit über der Erde.
"Ist die schwarze Technologie nicht Klasse? Deine Armbrüche sind bereits verheilt. Aber schone sie trotzdem noch ein wenig, die Bruchstellen müssen erst wieder aushärten. Deine Verbrennungen haben wir bestens im Griff, und die ganzen kleinen Splitterwunden haben sich schon geschlossen. Früher hättest du mit den Verletzungen keinen Tag überlebt. Aber bei unserem technologischen Vorsprung hier bei Amalgam kannst du theoretisch übermorgen wieder in einen Arm Slave klettern."
Abwehrend und sehr filigran hob Leonardo beide Hände. "Nein! Oh nein, es verlangt keiner von dir, dass du gegen deine, Hm, Freunde und Söldnerkollegen von Mithril kämpfst. Obwohl sie dich aufgegeben haben. Obwohl sie dich zurückgelassen haben. Obwohl du für sie nur ein Strich auf ihrer Liste bist. Nein, du sollst nicht gegen sie kämpfen. Du sollst nichts tun, was du nicht auch willst. Aber du verstehst, dass wir einen Gegenwert fordern müssen. Für den Transport in den Orbit. Für deine Behandlung. Für die Operation, die du zunichte gemacht hast. Na, okay, dafür vielleicht nicht, denn der Präsident war gar nicht an Bord. Du hast jedenfalls eine Menge Schulden bei uns. Und mir täte es Leid dich zu töten, nur weil du dich nicht revanchieren willst. Nach all der Zeit, nach all den Kosten. Nach der ganzen aufopfernden Pflege. Nicht, Doktor?"
Im Schott zu seinem Krankenzimmer schwebte eine Frau mit langem braunen Haar. Sie trug eine Brille, und ihr schmales, hübsches Gesicht kannte Thomas sehr gut. Angela Lear war eine amerikanische Renegatin, die schon sehr lange für Amalgam arbeitete. Sie war zeitweise in der Hand von Mithril gewesen, war aber durch den Söldner Robert Hausen befreit worden. Ihr Spezialgebiet war die Schwarze Technologie, eine eigene Wissenschaft, die einen Technologieschub beschrieb, welcher der heutigen modernen Technik fünfzig Jahre voraus war. Es gab einige wenige, eine Handvoll Menschen, die diese Technologie in sich trugen. Kaname, Kim und Tessa beherbergten diese Technik in ihrer Erinnerung. Man nannte sie Whispered, und man wusste nicht, wie die drei Mädchen oder die anderen Whispered an diese Daten gekommen waren. Aber man wusste, wie man die Daten extrahierte und nutzbar machte. Genau das war ihr Job. Sie hier zu sehen machte Thomas misstrauisch.
"Direktor, ich muss Sie sprechen", sagte sie und stieß sich am Schott ab, um den Raum wieder zu verlassen.
Leonardo lächelte auf eine viel zu hübsche Art. "Es scheint so, dass mein Riecher richtig gewesen ist. Und dein Wert für uns ist gerade gestiegen, mein deutscher Freund. Lauf nicht weg." Er stieß sich am Bett ab und schwebte ebenfalls in den Gang hinaus.

Thomas hörte vereinzelt Stimmfetzen einer Unterhaltung, die manchmal laut, manchmal leiser wurde. "...die Tests eindeutig... ...die Daten wohl eher trivial und bekannt... ...kann nie wissen... ...in ihrer kompletten Form kennen... ...kann das nicht verantworten..."
Leonardo beendete die Diskussion dann ziemlich eindeutig, als er wieder ins Krankenrevier schwebte: "Es ist mir egal, wie er Amalgam nützt. Aber ich will, dass er einen Nutzen für uns hat. Wenn wirklich auch nur ein einziger uns noch nicht bekannter Gedanke in seinem Kopf steckt, will ich, dass Sie ihn extrahieren. Wir sind kein Wohlfahrtsverein, sondern eine revolutionäre Gruppe." Er wandte sich wieder Thomas zu. "Freue dich. Du bist gerade in die sehr exklusive Gruppe der Whispered aufgenommen worden. Es scheint so als würdest du so oder so einen Nutzen für uns haben. Darum muss ich mir also keine Sorgen mehr machen. Wie erfreulich."
Thomas runzelte die Stirn. "Aber die Daten scheinen nicht neu zu sein."
"Vielleicht gibt es irgendwo in diesem leicht verbrannten Köpfchen eine Information, die uns noch unbekannt ist. Das wäre eine Untersuchung wert. Wenn du wieder gesund bist, Thomas. Vorher wäre es besserer Mord. Andererseits muss ich aus dir Nutzen ziehen, und das schon bald. Wir werden sehen wie belastbar du bist." Leonardo lächelte ihn an, stieß sich am Bett ab und verließ das Revier wieder. Er ließ Kramer zurück, der in seinem Bett gefesselt war. Die Müdigkeit kam zurück. Und mit der Müdigkeit würden die Träume kommen. Die Träume von seinem Versagen, von seinen Fehlern und von seinen Opfern. Er fürchtete sich davor, die Augen zu schließen.
***
"Sie sind ein sehr perfider Mensch, Direktor Testarossa", sagte Doktor Lear, während der große Mann die Einspielung des neuesten Albtraums in die REM-Phase seines Gefangenen überwachte.
"Perfide? Ich bevorzuge effizient. Am Ende dieser Woche wird mich Thomas Kramer anflehen, etwas gegen diese Träume zu tun. Ich werde ihm sagen, dass ich sie für immer aus seiner Erinnerung löschen kann. Natürlich nicht die Erinnerung daran, dass sie einst da waren. Und ich werde ihm meinen Preis nennen. Und er wird einwilligen. Können Sie eine sehr langwierige, schmerzhafte und allgemein unbequeme Sitzung in einem Ihrer Tanks arrangieren, um ihm zu zeigen, wie wir uns die Entnahme seines Wissens als Whispered vorstellen, Doktor Lear?"
"Ich kann. Und ich muss, wie es aussieht. Aber geht das nicht alles zu weit?"
Testarossa lachte. "Der Chef will Ergebnisse, und das schnell. Und ich will sie von Thomas Kramer. In einem Punkt lüge ich ganz und gar nicht: Er muss einen Nutzen für uns haben. Hat er den nicht, ist er für uns nur Ballast."
"Was genau haben Sie für ihn vorgesehen? Abgesehen davon, dass Sie ihm einreden, er wäre ein Whispered?"
"Ach, nichts besonderes. Er soll nur die USA in Chaos stürzen. Keine großartige Sache, eigentlich."
Dr. Lear fröstelte. "Nein, tatsächlich keine großartige Sache. Und das soll er allein tun?"
"In Rumänien hat er es allein getan. Zum großen Ärger vieler weltweiter Unternehmen, die in diesem Land ihre Produkte getestet haben. Er wird es wieder tun, nur diesmal für mich."
Wieder fröstelte es Doktor Lear. Das Vakuum des Alls erschien ihr ein wärmerer Ort zu sein als die Nähe dieses Mannes.


2.
"Wissen Sie, ich mag diesen Burschen eigentlich nicht. Genauer gesagt, ich hasse ihn sogar. Er ist laut, polternd, ignorant, stiehlt die Aufmerksamkeit die mir zusteht, und ist immer im Rampenlicht."
"Das klingt nach einer ekelhaften, egozentrischen Person." Heiseres Keuchen war zu hören. "Und was habe ich damit zu tun?"
Kurtz Weber grinste den Mann an, der in fünfzig Metern Höhe eines Neubaus an einem einsamen Stahlträger hing, während er mit dem Haken spielte, der seinen effektvollen Sturz in den Tod verhinderte. "Da sehen Sie, was ich bereit bin für meine Feinde zu tun. Jetzt stellen Sie sich mal vor, was ich für meine Freunde machen würde."
"Okay, okay, ich habe verstanden! Was wollen Sie wissen? Ich sage Ihnen alles, nur ziehen Sie mich wieder hoch!"
Kurtz kniete sich nieder. "Flug siebzehn vierunddreißig von Denver nach Corpus Christi. Wer hat Sie dafür bestochen, damit Sie die Frachtpapiere fälschen?"
"Was? Ich weiß nicht, wovon Sie reden! Ich..."
Kurtz trat mit Wucht gegen den Stahlträger. Das massive Metallstück klang hell auf.
"Okay, okay! Da war vielleicht was! Ich meine, wer transportiert schon vierzig Tonnen Computer und wieder zurück, und..."
"Und wieder zurück?" Argwöhnisch hob Kurtz die Augenbrauen. "Und wieder zurück nach wohin?"
"Denver?", bot der Mann ängstlich an.
"Sind Sie da sicher?"
"Hören Sie, ich bin der Hafenmeister! Wenn Sie wissen wollen, wohin der Vogel zurück geflogen ist, sollten Sie einen Fluglotsen verhören! Und dafür wäre ich im Moment wirklich sehr dankbar."
Ärgerlich trat Kurtz erneut gegen den Stahlträger.
"Okay, okay, hören Sie auf damit! Vielleicht kann Jenkins Ihnen was dazu sagen! Er ist zwar neu, aber er hat an dem Abend Dienst gehabt! Sie treffen ihn Zuhause, weil er krank geschrieben ist! Das FBI hat ihn den ganzen Nachmittag wegen dem abgeschossenen Flugzeug verhört, und dabei gingen die Agents nicht gerade zimperlich mit ihm um."
Ein dünnes Lächeln huschte über das Gesicht de Scharfschützen. "Wie neu ist Jenkins?"
"Wir haben ihn auf Anweisung des Dachkonzerns letzte Woche zugewiesen bekommen. Muss irgend eine Quotenregelung sein, denn der Bursche hat sich ganz schön tollpatschig angestellt. Es muss wohl jemand gedacht haben, das er auf Corpus Christi nicht so viel Schaden anrichten kann wie auf einem Großflughafen! Hören Sie, ich habe Ihnen alles gesagt! Lassen Sie mich jetzt frei, und wenn es geht nicht abrupt in Richtung Boden!"
In Webers Gesicht arbeitete es. "Ich glaube Ihnen. Vorerst." Er wandte sich ab und ging.
"Moment! Was tun Sie da? Ich habe Ihnen alles gesagt! Bitte, ziehen Sie mich hoch!"
"Ich werde die Polizei wissen lassen, wo man Sie findet. Und Sie, mein Herr, sollten sich besser schon mal einen guten Anwalt überlegen." Kurtz grinste wie ein Wolf. "Denn Sie haben den Arm Slave auf das Flughafengelände geschleust, indem sie ihn als Computerteile deklariert haben."
"Was? Aber es war doch ohnehin ein Inlandflug! Ich meine, das war doch keine große Sache! Ich dachte wirklich, die wollen in einer ruhigen Ecke noch ein wenig zusätzliche Fracht ausladen, und..."
"Ich denke nicht, dass das FBI oder die NSA sich dafür interessiert, was Sie gedacht haben. Aber Ihre Verbindung zum Anschlag auf den Präsidenten wird sie sehr interessieren."
"Aber ich habe nicht... Ich wollte nicht... Gehen Sie nicht weg! Ich habe Ihnen alles gesagt! Lassen Sie mich frei! Hören Sie mich nicht? Sie..."

Ungerührt betrat Kurtz Weber der Bauaufzug und drückte den Knopf für die unterste Etage des Neubaus. Dabei tickerte er eine Kurznachricht an die Polizei, in der er merkwürdige Lichter in fünfzigsten Stock dieses Rohbaus meldete, natürlich über ein Relais, das eine Identifikation des eigentlichen Anrufers unmöglich machte und über eine Scheinidentität lief. Die Polizei und später der Zoll würden sich garantiert für den Hafenmeister interessieren, und wenn einer von ihnen auch nur annähernd so pfiffig war wie Kurtz, würde er den Spuren des Gernsback folgen. Genauso wie er selbst und ein halbes Hundert CIA-Agenten, die über den Tod von fast dreißig Kollegen alles andere als erfreut waren.
Kurtz hatte so doppelt zu tun. Einerseits musste er den Gernsback wieder aufspüren. Andererseits musste er jeden Hinweis auf Mithril vernichten. Und das so schnell wie möglich. Der nächste lancierte Beweis über eine Verstrickung der Geheimorganisation in diesem Anschlag auf Amerika war vielleicht nicht so vage wie ein Wappen, das jedermann auf einen Arm Slave pinseln konnte.
Und dann war da noch Amit, der ihm ebenfalls im Nacken saß, und der Weber in einem Gespräch dreimal ermahnt hatte, nicht selbst aktiv zu werden und in Miami mit den anderen zu warten, bis die Feldagenten aus Las Vegas eingetroffen waren. Erst der Hinweis, dass er selbst schon spät dran war, weil er erst aus Miami nach Corpus Christi hatte zurückkehren müssen, hatte den alten Israeli wenigstens so weit einlenken lassen, dass er Weber ermahnt hatte, die Beziehungen zu den USA wenigstens nicht zu sehr zu strapazieren - und ihn sofort persönlich zu informieren, sobald er neue Erkenntnisse hatte.
Auf der Erdgeschossetage öffnete ihm ein gepflegter junger Mann im schwarzen Anzug die Tür des Bauaufzugs. "Wir haben den Dientshabenden Fluglotsen erwischt", sagte er ernst. "Man verhört ihn gerade in einer sicheren Lagerhalle in der Nähe des Flughafens. Sein Name ist Jenkins, aber meine erste Recherche hat ergeben, das die Identität so falsch ist wie die Zähne meiner Urgroßmutter."
"Danke, Antonelli." Weber schritt auf den wartenden Wagen zu, der Italiener folgte ihm. "Sicher, dass das FBI euch nicht gefolgt ist?"
"Was ist schon sicher? Wir waren vorsichtig, genauso wie Sie es verlangt haben, Mr. Weber. Wir mussten ihn allerdings recht hart anpacken. Er war bewaffnet."
Während der Italiener Kurtz die Tür aufhielt, um ihn einsteigen zu lassen, fragte er: "Wann habt ihr ihn erwischt?"
"Einer meiner Männer hat vor dem Polizeirevier gewartet, in dem er verhört wurde. Anschließend verfolgte er den Mann, der erstaunlicherweise nicht zu seiner Wohnung zurückkehrte, sondern zum nächsten Busbahnhof fuhr. Nachdem er sich eine Fahrkarte nach Denver gekauft hatte, griffen wir schnell und hart zu."
Denver. Schon wieder. Entweder lag sein Ziel auf dem Weg nach Denver, oder die Großstadt war seine Zwischenetappe zum eigentlichen Ziel seiner Suche, dem verschwundenen Gernsback. "Weiß das FBI, dass seine Identität falsch ist?"
"Sie haben das bisher nicht recherchiert, sonst hätten sie ihn gewiss nicht gehen lassen. Immerhin hat ihn das FBI ja auch nur zum Anflugkorridor der abgeschossenen Frachtmaschine befragt."
"Gut recherchiert, dafür, dass Sie zur Mafia gehören, Antonelli."
Der große Mann zuckte mit den Schultern. "Mafia hin, Mafia her, jemand versucht hier mein Heimatland anzupissen. Und das darf nur ich. Gestatten Sie mir also, dass ich rechtmäßig sauer bin. Es ist natürlich hilfreich, dass Onkel Toni Sie empfohlen hat, Mr. Weber."
"Ihr erwachender Nationalstolz ist erfrischend, Antonelli. Wir fahren zum Flughafen und schauen dabei zu, wie dieser Jenkins in die Mangel genommen wird."
"Ich habe nichts anderes erwartet", sagte der Italiener grinsend, schloss die Tür und ging zur Fahrerseite. "Und was interessiert Sie so sehr an internen amerikanischen Vorgängen, Mr. Weber?"
"Ich könnte Ihnen jetzt etwas vorlügen und behaupten, ich sei ein Altruist. Aber in Wirklichkeit suche ich nur jemanden. Jemand, der genau wie ich in die internen amerikanischen Vorgänge hinein geraten ist." Seine Miene wurde ernst. "Und dabei ist es mir egal, wer auf der Strecke bleibt, bis ich mein Ziel erreicht habe."
"Wow", sagte der Mafiosi. "Erinnern Sie mich daran, auf Ihrer guten Seite zu bleiben, Mr. Weber."
***
"Wie fühlen Sie sich, Major Kramer?"
Thomas stieß sich leicht ab, um die Röhre zu verlassen. Die Schwerelosigkeit hatte enorme Vorteile, wenn man es genau betrachtete. Auch wenn dies im Umkehrschluss bedeutete, dass auf seine verheilenden Knochen besonderes Augenmerk gelenkt werden musste. "Den Umständen entsprechend, Doktor Lear." Sein Blick ging zur bewaffneten Wache am Eingang, die mit aktionsbereitem Stunner die gesamte Sitzung des Mithril-Piloten beobachtet hatte. Eine kluge Entscheidung, denn eine Projektilwaffe verursachte Rückstoß, ein Stromschlag nicht. "Es ist schmerzhaft und verwirrend."
"Und es wird noch schmerzhafter werden. Zu meiner allergrößten Überraschung habe ich tatsächlich Spuren der schwarzen Technologie in Ihrem Geist aufgespürt, aber sie sind verstreut, kaum vorhanden, schwer zu identifizieren."
Thomas verkniff sich bei diesen Worten jede Gesichtsregung.
"Es scheint Sie nicht besonders zu überraschen, dass Sie kein Whispered sind", sagte die Ärztin trocken. "Zumindest kein Vollwertiger."
"Es hat mich von Anfang an gewundert, welches Interesse der Direktor daran haben kann, mich einerseits wieder einsatzfähig zu bekommen und mich andererseits nicht auf Mithril anzusetzen. Es wundert mich, das er versucht mich mit den schmerzhaften Sitzungen bei Ihnen unter Druck zu setzen, anstatt mir chemisch das Gehirn zu waschen oder mich zu hypnotisieren."
"Oh, das wäre kontraproduktiv. Ein Arm Slave-Pilot, der den Lambda Driver aktivieren kann, ohne Geistesverändernde Medikamente nehmen zu müssen, ist pures Gold wert. Direktor Testarossa hat Sie lieber bei klarem Verstand, Thomas."
"Stattdessen versucht er mir einzureden, dass ich in diesem Tank sterben werde. Bei der nächsten, bei der übernächsten Untersuchung. Weiß er, das Sie mir gerade seine Pläne verraten?"
"Wissen Sie, das er nicht gelogen hat, als er sagte, dass Sie einen Nutzen für ihn haben müssen, damit Sie weiter leben dürfen? Einen Lambda Driver aktivieren zu können ist wirklich unendlich kostbar. Aber auch nur wenn der Pilot es auch tut."
Thomas schüttelte langsam den Kopf. "Tut mir Leid, aber ich kann keinen Lambda Driver aktivieren. Ich..."
"Meine Testberichte sind eindeutig. Es hängt eventuell mit den Spuren der schwarzen Technologie zusammen. Das muss ich noch näher herausfinden. Aber Sie sind definitiv mit einem Lambda Driver kompatibel. Daran habe ich nicht die geringste Zweifel."
Thomas hielt verdutzt inne und suchte sich einen festen Halt im Untersuchungszimmer. Verblüfft kramte er in seinen Gedanken, seinen Erinnerungen, um die These der Doktorin zu widerlegen. Und fand nur Bilder, die es bestätigten. Zum Beispiel damals am südchinesischen Grenzfort, aus dem er Tessa und Kim befreit hatte. Er hatte Sousuke den Arbalest gebracht, war von einem Venom mit aktiven Driver beschossen worden und hatte überlebt. Damals hatte er es auf sein Glück geschoben, nicht auf den aktiven Lambda Driver des Arbalest.
Oder das andere Mal, das Gefecht in den Außenbezirken von Katmandu, als er aus seinem Gernsback geschossen worden war und sich mit dem abgeschossenen Venom hatte behelfen müssen, dem er selbst das halbe Cockpit samt Piloten zerfetzt hatte. Damals hatte er auch einen Schuss eines aktiven Drivers abgewehrt, allerdings war er immer davon ausgegangen, die Energie des Schusses hätte sich aufgezehrt, als sie durch über vierzig Gebäude gerauscht war und das Elendsviertel fast eingeebnet hatte. Thomas hob die Linke vor Augen. Verdammt viel Blut an seinen Händen. Wirklich, verdammt viel Blut.
"Was will er dann von mir? Das einzige Ziel, das sich mit einem Driver anzugreifen lohnt ist Mithril. Und ausgerechnet das will er mir ersparen?"
"Es gibt andere Ziele", erwiderte die Ärztin. "Zum Beispiel die Organisation, die uns in Corpus Christi vorgeführt hat."
Der Wächter brummte missmutig, weil die Ärztin zuviel gesagt hatte. Verschüchtert sah sie fort.

Aber es war bereits zu spät. Direktor Testarossa stürzte ins Labor, an Thomas vorbei, und schlug Doktor Lear mit dem Handrücken der Rechten übers Gesicht. "Verdammt, Sie sollen ihn untersuchen! Mehr nicht!"
Thomas griff zu, als der Direktor erneut ausholte. "Ich denke, sie hat verstanden. Und über vergossene Milch streitet man sich nicht."
Der Mann an der Tür stieß sich ab und kam näher, aber Testarossa brachte ihn mit einem stummen Blick dazu, sich am nächsten Halt wieder zu fangen und auf seine Beobachtungsposition zurückzukehren. "Ich sollte Sie jetzt am besten erschießen lassen, Thomas. Sie haben keinen Wert für mich, wenn Sie meinen Befehlen nicht folgen."
"Wenn das so ist, dann können Sie mir ja vorher die Frage beantworten, ob Sie auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten geschossen haben."
"Ist das wichtig, Mann von Mithril?", spottete er.
"Hören Sie, ich bin kein Söldner von Amalgam. Geld bedeutet mir nur im geringen Maße etwas, und meine Einstellung ist die eines Soldaten, der etwas beschützt, etwas bewahrt. Wir sind unvereinbar, Sie und ich. Deshalb sehen wir Fakten und Argumente auch unterschiedlich. Deshalb ist es für mich wichtig. Haben Sie auf die Air Force One schießen lassen, Direktor Testarossa?"
Mit einem Ruck befreite sich Testarossa aus dem Griff des Majors. Er sah zur Ärztin herüber, die sicherheitshalber bis an die Wand zurück geschwebt war. "Folgen Sie mir, Major."

Sie erreichten ein kleines Büro und schwebten hinein. Thomas' Wächter blieb draußen.
"Unser Ziel bei der Aktion in Corpus Christi war der Transport des Arm Slaves auf die FEANOR", eröffnete Testarossa. "Wir wollten unseren Gernsback gegen den von Captain Rogers austauschen, mit einem unserer Piloten an Bord. Das Ziel war es natürlich, die FEANOR zu versenken oder zumindest schwerstmöglich zu beschädigen. Eine kleine Revanche für Sri Lanka, Südchina, Sahara und Rumänien."
"Schön, das es gescheitert ist", sagte Thomas trotzig.
"Wie man es nimmt. Wir bemühen uns nach besten Kräften, Amerika darauf zu stoßen, dass Mithril hinter dem Anschlag steckt. Leider konnten wir sie bisher nur des Angriffs auf eine Kompanie der Nationalgarde bezichtigen."
Thomas hob fragend eine Augenbraue. "Sie haben keine Bilder vom Arm Slave, der auf die Air Force One schießt?"
"Nicht die Air Force One, sondern ein Lockvogel, vom CIA umgeleitet. Wir waren alle bei dieser Entwicklung überrascht. Amalgam vor allem, weil wir vollkommen andere Ziele hatten."
Der Direktor drehte den großen Bildschirm auf seinem Schreibtisch so, dass Thomas ihn erkennen konnte. Deutlich war zu sehen, wie ein M9 mit Langstreckenbewaffnung auf die Maschine im Landeanflug feuerte. "Eine Boeing 737, voll gestopft mit CIA-Agenten und ihrem Material. Eine fliegende Kommandozentrale für geheime Militärschläge der USA. Vor allem Inlandsoperationen gegen kriminellen Missbrauch von Arm Slaves."
"Sie meinen kriminellen Missbrauch wie diesen M9?" Thomas runzelte die Stirn. "Was ist das? Eine Milizmaschine?"
"Einer unser derzeitigen Partner in den USA. Keine Miliz. Er hat eigene M9, einige M6, ein paar Dutzend Savages und soweit ich weiß drei bis vier Kompanien Mistral II. Bisher erschien er zuverlässig zu sein, doch seit einige seiner Anführer ausgetauscht wurden, ist er für uns etwas... Unbequem geworden."
Thomas pfiff anerkennend. "Das ist eine beachtliche Streitmacht. Was hat Ihr Partner damit vor? Das Land erobern?"
"Genau das." Die Stimme Testarossas hatte trocken geklungen, todernst. Und ein Blick in seine Augen verriet dem Mithril-Piloten, das er glaubte, was er gerade gesagt hatte.
"Interessant. Und da es selbst bei dieser Menge an Arm Slaves noch nicht für den offenen Kampf reicht, verlegt Ihr Partner sich auf Terroranschläge."
"In der Tat. Ursprüngliches Ziel war tatsächlich der US-Präsident."
"Und anschließend sollte all das Mithril angehängt werden."
"Nein." Der Direktor lächelte dünn. "Amalgam. Dabei haben wir zu diesem Zeitpunkt noch kein Interesse daran, Amerika zu erobern."
"Zu diesem Zeitpunkt noch kein Interesse?", echote Thomas.
"Alles zu seiner Zeit, Herr Major. Alles zu seiner Zeit." Er taxierte den Deutschen nachdenklich. "Wollen Sie leben, Thomas?" "Was?"
"Ich habe Ihnen eine einfache Frage gestellt. Wollen Sie leben? Die Alternative wäre, dass ich Doktor Lear auf Sie loslasse, um diese merkwürdigen Fragmente in Ihrem Geist zu analysieren, die Sie dazu befähigen, den Driver zu aktivieren. Ich würde natürlich erstens sicherstellen, dass Sie dabei sterben, und zweitens, das es schmerzhaft bleibt. Oder eher noch schmerzhafter."
"Sie wissen, dass ich mich nicht gegen Mithril stellen werde. Oder die EU."
"Das beantwortet meine Frage nicht."
"Sie beantworten meine nicht. Mithril und meine Heimat sind Dinge, die über meinem Leben stehen."
Testarossa lachte leise. Er winkte, und bevor sich der Deutsche wehren konnte, hatte eine stahlharte Pranke sein Genick ergriffen. Der Druck würgte ihm die Luft ab, ließ seine Wirbelsäule knacken, schnitt tief in sein Fleisch. Er wand sich in dem Griff so gut er konnte. Was er sah, ließ ihn an Halluzinationen glauben. Ein miniaturisierter Arm Slave war gerade dabei, ihn zu erwürgen. Verdammt, der wäre doch eigentlich nicht zu übersehen gewesen. Andererseits hatte er immer mit dem Tod durch einen Arm Slave gerechnet, also war das schon irgendwie in Ordnung.

Übergangslos bekam er wieder Luft.
"Sind Sie jetzt bereit, meine Frage zu beantworten, Thomas? Wollen Sie leben?"
"Wenn es sich einrichten lässt", krächzte der Deutsche.
"Gut, dann bekommen Sie einen Wert für mich. Gehen Sie wieder runter auf die Erde. Vernichten Sie unseren unzuverlässigen Partner. Sie kriegen dafür unseren Arbalest-Nachbau."
Ein stechender Schmerz fuhr Thomas durch den Hals.
"Ach ja, bevor ich es vergesse: Wir haben Sie gerade mit einem Toxin injiziert, zugleich mit dem Gegenmittel, welches das Gift für zehn Tage aufhält. Danach werden Sie qualvoll sterben... Außer ich erneuere das Gegengift. Reichen Ihnen zehn Tage für Ergebnisse, Thomas?"
"Weiß nicht", krächzte er. "Gegen wen soll ich denn überhaupt antreten?"
"Sie nennen sich ASRAA, Arm Slave Republican Army of America. Eine rechtskonservative, militante Gruppierung, die nach Dominanz über ganz Amerika strebt. Ich will, das sie aufhört zu existieren, Herr Major. Ich will jeden einzelnen ihrer Arm Slaves vernichtet sehen. Und zwar bevor ich Ihnen das Gegengift setze." Er lächelte schmallippig. "Ich gebe Ihnen ein eigenes Team mit. Nur für den Fall, dass der große Thomas Kramer Hilfe braucht. Eigentlich undenkbar bei dem Mann, der alleine Rumänien erobert hat."
"Sehr komisch. Was passiert, wenn das Gegengift keine zehn Tage vorhält?", fragte Thomas mit rauer Stimme.
"Dann sterben Sie, wenn Sie nicht schnell genug fertig werden, Thomas", drohte Testarossa flüsternd. "Und ich hoffe, ich habe dann das Vergnügen, dabei zu zu sehen. Also, enttäuschen Sie mich, Thomas. Bitte."
"Wäre da nicht dieser Mini-Arm Slave hinter mir, würde ich Ihnen jetzt das hübsche Gesicht eindellen."
"Wäre da nicht ein Hauch von Nutzen, den Sie für mich haben könnten, würde ich ihn erneut zudrücken lassen. Nur diesmal, bis Ihr dürrer Hals richtig dürr ist, Thomas", erwiderte der Direktor mit sardonischem Lächeln. "Ich bin gespannt, wie lange ich auf dieses Schauspiel warten muss."

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3.
"Testarossa", sagte Theresa automatisch, als sie das Gespräch auf ihrem privaten Kanal annahm.
"Weber." Tessa fuhr zum Bildschirm herum. Eine Direktverbindung mit Kurtz konnte alles Mögliche bedeuten. Wirklich alles Mögliche, gutes wie schlechtes. Sie konnte nicht verhindern, dass sich Hoffnung in ihre Augen schlich. "Etwas Neues über Thomas?"
Der Deutsche sah sie mit nichtssagendem Ausdruck in den Augen an. Lediglich der Mund war zu zwei schmalen Strichen zusammen gedrückt. Dunkle Schatten unter seinen Augen verrieten die Anstrengungen, die er in den letzten sechzig Stunden durchgemacht hatte. "Wie man es nimmt, Tessa-chan. Ich bin jetzt in Denver. Hier gibt es viele interessante Informationen, und ich stehe jetzt vor der Qual, einen offiziellen Bericht abgeben zu müssen. General Amit würde sich freuen."
Als der Name des obersten Geheimdienstchefs Mithrils fiel, zuckte die Kapitänin der DANNAN zusammen. Irgendwie war all das von vorne herein die Schuld des Israeli gewesen, auch wenn es ungerecht war, so etwas zu denken. Es war ein Auftrag gewesen, nur ein Auftrag, aber auf jemanden mit dem Finger zeigen zu können, das erleichterte so sehr. "Offizieller Bericht?", fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
Kurtz Weber räusperte sich. "In den Rocky Mountains gibt es einen Black Technology-Fahrstuhl."
"Langsam, langsam. Nicht so hastig. Was gibt es in den Rockys, und wozu dient es? Und was hat das mit Thomas zu tun?"
"Ich weiß nicht wo in den Rocky Mountains, aber es scheint, als wenn Thomas mit Hilfe des Fahrstuhls in den Erdorbit gebracht wurde. Zu irgend einer ominösen Einrichtung namens LIBERATION. So viel habe ich raus gefunden, dank meiner neuen italienischen Freunde. Es gibt hier eine kleinere Amalgam-Niederlassung. Wir hatten den ersten Schuss, mussten danach jedoch das Feld dem FBI überlassen. Ich habe den Chef mitgenommen, und er hat sich als sehr redebereit heraus gestellt. Er wusste auch einiges über den Vorfall in Las Vegas zu berichten, und noch vieles mehr. Fest steht auf jeden Fall, dass Thomas gelebt hat, als er durch Denver gekommen ist. Sie haben ihn in irgend ein Ding gepackt, das ihn am Leben erhalten hat."
"Einen Womb."
"Ein... Wie bitte? Womb ist das englische Wort für Gebärmutter."
"Womb ist der Projektname. Es heißt mit vollem Namen Reactivation and Recreation Nano-Tank. Eine experimentelle medizinische Einheit, an der Mithril arbeitet, und die wir aus der Black Technology extrahiert haben. Es sieht so aus als wäre Amalgam da schon weiter als wir." Tessa unterdrückte ein Gefühl der Freude. "Wenn Thomas also in einem Womb lag, dann stehen die Chancen gut, das er immer noch lebt. Ein Womb sollte in der Lage sein, selbst Schäden auf zellularer Ebene, zum Beispiel durch Strahlung, zu beseitigen." Ihre Miene wurde düster. "Gibt es Beweise, dass Thomas durch Denver geschleust wurde?"
"Ich habe die Bänder der Überwachungskameras kopiert. Ich konnte ihn eindeutig identifizieren. Er lag nackt im Tank und hatte großflächige Verbrennungen. Aber er hat gelebt."
Tessa atmete tief aus. "Gott sei Dank. Ich hätte nicht gewusst, was ich Kim hätte sagen sollen, nachdem wir ihre Hoffnung so sehr geschürt haben." Sie zögerte. "Nachdem wir unser aller Hoffnungen so sehr geschürt haben."
"Junge, Junge, wenn ich mal verschollen bin, macht ihr euch dann auch solche Sorgen um mich?", scherzte Kurtz.
Sie sah ihn mit klarem, ernstem Blick an. "Natürlich."
Weber schluckte trocken, um den Kloß aus dem Hals zu kriegen, der sich dort wie ein Savage breit gemacht hatte. "Natürlich", echote er gerührt.
"Kommen wir wieder zum Fahrstuhl. Was hast du darüber heraus gefunden?"
"Nicht besonders viel. Es ist ebenfalls ein Produkt der Black Technology. Nicht unbedingt ein echter Fahrstuhl, mehr eine Art... Ich weiß nicht, ob ich das richtig verstanden habe, aber das Ding in den Rockys soll in der Lage sein, etwas in den nahen Weltraum zu drücken. Und es von dort wieder runter zu holen, ohne dass es die Erde umkreisen muss. Es war zu kompliziert für mich. Auf jeden Fall kann der Fahrstuhl Objekte von bis zu vierzig Tonnen in acht Minuten ins All bringen, und in zwanzig runter holen. Und das Ganze funktioniert mit Magnetismus." Er zuckte die Schultern. "Irgendetwas in der Art, halt. Es scheint, als wenn ich hier einen Eierkopf von Amalgam erwischt habe."
"Du weißt definitiv, dass Thomas zu diesem Fahrstuhl gebracht werden sollte?", hakte sie nach.
"Definitiv. Ob er es geschafft hat, ob er zu diesem Objekt, nach LIBERATION gebracht wurde, kann ich nicht sagen. Die Spur wird hier kalt, denn der exakte Ort, an dem der Fahrstuhl steht, ist nur den Pendlern bekannt, die Waren bringen oder abholen. Leider habe ich mir die Chance verbaut, auf einen von ihnen zu warten, als ich den Stützpunkt hoch nahm. Eventuell war ich auch nur etwas schneller als das FBI. Ich weiß es nicht."
"Für den Moment wissen wir drei Dinge. Thomas lebt, er könnte theoretisch auf einem Objekt im Weltall sein das LIBERATION heißt, und wir müssen den Fahrstuhl im südlichen Teil der Rocky Mountains suchen."
"Was macht dich so sicher, dass es die südlichen Rockys sind, Tessa-chan?"
Sie winkte ab. "Das hat was mit Aerodynamik und Ballistik zu tun. Je näher am Äquator, desto besser kann man in den Weltraum vordringen, oder ihn verlassen. Deshalb starten die Amerikaner ihre Raketen ja auch in Florida. Und wenn sie es könnten, würden sie in Kuba oder Venezuela starten."
"Ah, verstehe. Deshalb starten die Franzosen auch aus Französisch-Guayana."
"Exakt." Sie runzelte die Stirn. "Du wirst nicht umhin kommen, einen offiziellen Bericht einzureichen, Kurtz. Wenn dieser Fahrstuhl funktioniert, dann..." Ihr stockte für einen Moment der Atem. "Dann kann Amalgam da oben einen halben künstlichen Mond im Orbit haben. Das ist eine Bedrohung, auf die wir so schnell wir können reagieren müssen."
"Verstanden. Weitere Befehle?"
"Versuche, den Standort des Fahrstuhls heraus zu finden. Er muss gut geschützt sein, sonst hätten unsere Satelliten oder die Amerikaner ihn längst gefunden. Es kann nichts schaden, wenn du da unten weiter suchst. Am besten nach großen Materialmengen, die im Nichts verschwinden."
Weber machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. "Na toll. Feldrecherche. Ich hasse Feldrecherche. Zahlen wälzen, Leute schicken, noch mehr Zahlen wälzen."
"Sie haben Ihre Anweisungen, Gun-so", tadelte Theresa, und unterdrückte ein amüsiertes Lächeln.
Der Deutsche salutierte karikiert. "Jawohl, Ma'am. Aber was mache ich, wenn die Special Operations andere Anweisungen für mich haben?"
"Dir wird schon etwas einfallen, Kurtz", sagte sie im ungewöhnlich freundlichen Ton, der selbst unmögliche Aufgaben plötzlich einfach erschienen ließ.
"Ich werde mir etwas einfallen lassen. In Ordnung. Ich gehe dann meinen Bericht abgeben. Oder meinst du, das was der Geheimdienst aus dieser Übertragung auslesen kann, reicht?"
Theresa schmunzelte kurz bei der Unterstellung des Gun-sos, dass die private Nachrichtenleitung der Kapitänin der TUATHA DE DANNAN vom eigenen Geheimdienst überwacht sein konnte. Was ehrlich gesagt nicht unwahrscheinlich bei einer Geheimorganisation wie Mithril war, die vom Wohlwollen ihrer bezahlten Soldaten abhängig war. "Ich bin sicher, General Amit würde einen detaillierten Bericht bevorzugen, Gun-so."
"Okay. Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt."
"In Ordnung. Ich warte auf die nächste Meldung. Bis dann." Sie deaktivierte die Verbindung.

Der Türsummer gellte auf, und Tessa fuhr zusammen, als hätte man sie bei etwas Verbotenem erwischt. "Herein."
Es überraschte sie nicht, Kalinin zu sehen. Der große Russe beschäftigte sich nun schon seit zwei Tagen mit Schadensbegrenzung gegenüber den Amerikanern, und mit dem Zwischenfall in Corpus Christi im Besonderen. Dass Chu-sa Mardukas dabei war, überraschte sie dann doch etwas.
"Gentlemen. Nehmen sie Platz."
"Danke, Skipper." Die beiden Offiziere setzten sich.
"Darf ich ihnen etwas anbieten? Tee? Kaffee?"
"Nein, Ma'am, danke", antwortete Mardukas. "Ich denke, wir sollten zuerst mit unseren Bericht beginnen. Nach der Kontrolle aller Fakten kommen wir zu sehr vielen erstaunlichen Erkenntnissen. Eventuell sollten wir die DANNAN an die nordamerikanische Westküste verlegen."
Überrascht zog Tessa die Stirn kraus. "Erklären Sie das, Chu-sa."
"Zuerst die gute Nachricht: Kramer lebt."
Die Italienerin verzog keine Miene. "Das Gleiche hat Gun-so Weber gerade berichtet. Man hat ihn schwer verbrannt in einer Lebenserhaltungsmaßnahme in den Orbit geschafft."
"Es scheint, dass Gun-so Weber noch mehr Interessantes zu berichten hatte", sagte Sergej Kalinin überrascht. "Aber eines nach dem anderen."
"Ma'am", nahm Mardukas den Faden wieder auf, "es sieht so aus, als hätte Amalgam dem Major aufgelauert."
"Sie hat was?"
"Wir vermuten, dass die Aktion ausschließlich Major Kramer galt. Das würde einiges erklären. Zum Beispiel warum der gegnerische Gernsback-Pilot den Major geborgen hat, nachdem die vom Lambda Driver reflektierte Kugel die Maschine des Majors halb zerstört hat.
Die Reflektion zerfetzte die Beine von Captain Rogers' Arm Slave, in dem Major Kramer zu dem Zeitpunkt saß. Wir haben in den Aufnahmen sehen können, nachdem die Explosionshelligkeit herunter geregelt werden konnte, dass der Torso und ein Arm unversehrt geblieben sind. Weitestgehend. Auch das Cockpit hat den Angriff überstanden. Wir wissen nicht, was danach geschah, denn die Sensoren der Nationalgarde können die Partikeltarnung des gegnerischen Gernsback nicht durchdringen. Aber wir wissen, dass zwischen der ersten Reflektion und der Detonation und einem Schuss, der den Arm Slave praktisch auf Urnengröße reduzierte, fast zwei Minuten vergangen sind. Zu dem Zeitpunkt waren Sie, Ma'am, bereits etliche Kilometer entfernt. Die Zeitspanne reicht aus, um einen verletzten, verbrannten, und halb toten Thomas Kramer aus seinem Cockpit zu ziehen. Zusammen mit Gun-So Webers Aussage bedeutet dies zweifelsfrei, dass Major Kramer noch lebt. Beziehungsweise den Angriff mit dem Lambda Driver überlebt hat. Ob er jetzt, in diesem Moment, noch lebt, wissen wir nicht."
"Andererseits", resümierte die Kapitänin der DANNAN, "warum sollte sich Amalgam die Mühe machen, Thomas in einen Womb zu stecken und fortzuschaffen, nur um ihn zu töten? Amalgam arbeitet nach dem Nutzen-Prinzip."
Die beiden Männer zeigten keine Regung, als die Kapitänin dieses Detail, das ihnen unbekannt war, einwarf. "Was uns zu einer weiteren, äußerst interessanten Wendung bringt." Kalinin erhob sich, Mardukas ebenso. "Tai-sa, wenn Sie uns bitte in den Hangar folgen wollen. So-sho Mao hat eine Erklärung vorbereitet, Major Kramer und seinen Wert betreffend."
"Seinen Wert für uns, oder seinen Wert für die Mühen, die Amalgam auf sich nimmt?"
"Ich fürchte, beides."
Theresa Testarossa erhob sich langsam. "Jetzt bin ich gespannt." In ihrem Hinterkopf meldete sich eine leise Stimme der Ahnung, dieses "interessante" betreffend, aber sie wollte nicht vorgreifen. Eigentlich wusste sie schon, was sie zu hören bekommen würde.

Melissa Mao empfing sie mit einer bis zum Filter herunter gerauchten Kippe. Ihre Hände zitterten, und etliche Äderchen in ihren Augäpfeln waren deutlich zu sehen. Ein halbes Dutzend zertretener Kippen zu Füßen des Arbalests ließen nichts Gutes vermuten.
Als sie die Neuankömmlinge bemerkte, warf sie die letzte Kippe auch zu Boden, und trat sie aus. "Gut, dann sind ja alle versammelt", sagte sie in Theresas Richtung. Sie gab dem Bein des Arbalests einen kräftigen Tritt. "So, Blechbüchse. Nun sag ihnen mal, was du mir vorhin gesagt hast."
Die Augen des Arbalests glühten für einen Augenblick hell auf. "Was betreffend, So-sho Mao?"
Ihre Miene füllte sich mit Ärger. Und ihre Augenbrauen stießen beinahe aneinander. "Major Kramer betreffend. Was hat er im Südchina-Einsatz mit deinem Lamda Driver gemacht, bevor er den Platz mit Gun-so Sagara getauscht hat?"
"Er hat ihn aktiviert, und damit einen von einem Venom-Driver verstärkten Schuss gestoppt."
Theresa Testarossa hatte diese Worte erwartet, aber sie trafen sie dennoch wie ein Hammerschlag. "Thomas kann also den Lambda Driver aktivieren."
"Ohne Medikamente", fügte Chu-sa Mardukas hinzu. "Auf der gleichen instinktiven Ebene wie Gun-so Sagara. Und wir haben es nicht gewusst."
Entsetzt sah Tessa von ihrem Ersten Offizier zu Kalinin, und dann zum Arbalest. "Aber... Warum hast du uns etwas so wichtiges nicht gesagt, Al?"
Die Maschine, vielmehr ihre Künstliche Intelligenz, schwieg einen Augenblick. "Sie haben mich nicht gefragt."
Sprachloses Entsetzen ergriff die Gruppe. Nur Mao ließ einen herzhaften Fluch hören, und trat erneut gegen den Arm Slave.
"Wir haben nicht gefragt? Aber..." Entsetzt sah Tessa sich um, und erkannte die gleiche Fassungslosigkeit auch bei den Soldaten und Technikern, die ebenfalls im Hangar waren und zugehört hatten. "Wie kannst du mit so einer Information warten, bis sie abgefragt wird?"
Die Augen des Arbalests leuchteten erneut auf. "Ma'am, darf ich Sie daran erinnern, dass ich nur eine Künstliche Intelligenz bin? Meine Denkstrukturen sind auf Waffen, Taktik und Gefechtsstrategie ausgelegt. Natürlich habe ich bemerkt, dass Major Kramer den Lambda Driver benutzen kann. Das stand für mich schon länger fest. Ich habe das registriert, und meiner Programmierung gemäß eine Routine geschrieben, die es Major Kramer erleichtert, meine Sicherheitsprotokolle zu überwinden." Wieder glühten die Augen auf. "Für den Notfall."
"Und wir haben dich nicht gefragt. Deshalb hast du uns diese Information nicht weiter gegeben", sagte Tessa tonlos.
"Nach den Ereignissen an der südchinesischen Festung ging ich davon aus, dass dieses Wissen allgemein existiert. Ich hielt es für vollkommen undenkbar, dass die Analytiker Mithrils nicht zum richtigen Schluss gekommen sind, nachdem sie die Gefechtsaufzeichnungen studiert hatten. Es war zu offensichtlich. Damit war das Thema für mich abgeschlossen, bis zum nächsten Einsatz mit Major Kramer."
"Aber wenn die Analytiker..." Theresa stutzte. Ihr Blick ging zu Kalinin, der verstehend nickte und den Hangar verließ.
Mardukas sah ihm mit gerunzelter Stirn hinterher. "Ein Sicherheitsleck?"
"Wenn die Aufzeichnungen so offensichtlich sind, dann muss die Information absichtlich unterdrückt worden sein. Und eventuell hat sie jemand weiter verkauft", schloss Theresa. "Jetzt haben wir also ein Motiv und die Gelegenheit." Sie sah Mardukas an. "Gun-so Weber hat mir berichtet, dass Amalgam in den südlichen Rocky Mountains eine wichtige Einrichtung unterhält. Setzen Sie Kurs auf Kalifornien, Chu-sa Mardukas."
Der Engländer salutierte stramm. "Aye, Ma'am." Er drehte auf dem Absatz und verließ mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit, die seine Würde zuließ, den Hangar.
"Soll ich", begann Al, "für die Zukunft ein Protokoll schreiben, mit dessen Hilfe ich solche Informationen automatisch verbal weiter gebe?"
"Das ist eine sehr gute Idee", sagte Tessa ernst. "Melissa, sag Chu-i Clouseau Bescheid. Es kann sein, dass es bald einen brandgefährlichen Einsatz gibt."
"Aye." Sie zog ihre Zigarettenschachtel hervor, entdeckte das sie leer war und zerknüllte sie. Mit einer nebensächlichen Bewegung warf sie die Packung weg. Danach klopfte sie ihre Taschen nach einer weiteren Schachtel ab. "Dieser verdammte Thomas. Das war heute schon meine zweite Packung."
"Melissa." Vorwurfsvoll deutete Theresa auf die leere Packung und den Haufen zertretener Zigaretten. "Wir machen uns alle Sorgen um Thomas. Aber deswegen nicht selbst aufzuräumen geht gar nicht."
Konsterniert starrte Mao ihre Chefin an. "Oh." In ihrem Kopf schien es Klick zu machen. "OH! Natürlich. Das ist keine Entschuldigung. Hey, kann mir jemand mal ein Kehrblech bringen?"
"Und vielleicht solltest du auf eine dritte Packung verzichten. Du nützt uns überhaupt nichts, wenn du ein schwächelndes Nikotinwrack bist", tadelte Theresa und verließ den Hangar.
Das amüsierte Schnauben Maos klang bis zu ihr in den Gang nach. "Ich glaube, das hatte ich verdient."
Theresa lächelte. Melissa war nun mal Melissa. Daran würde sie nie etwas ändern. Hoffentlich.


4.
Es war ein sehr ungewohntes Gefühl für Thomas, als der Weltraumfahrstuhl jenen Bereich der Atmosphäre erreichte, in dem der Zug der Schwerkraft mehr und mehr auf ihn zunahm. Der Fahrstuhl war ein Erlebnis, ohne Frage. Plötzlich wieder Gewicht zu haben, nicht mehr zu schwimmen, traf ihn beinahe wie ein Hammerschlag. Er war recht froh, dass er sich ebenso wie die anderen Leute im Fahrstuhl mit den Füßen in die Bodenschlaufen eingehakt hatte, auch wenn er den Sinn der Aktion bei der Abfahrt noch nicht verstanden hatte. Beinahe hätte er es übersehen, vielleicht ignoriert, und damit unliebsame Bekanntschaft mit dem Boden gemacht.
Aber der Anblick, den der auf die Erdoberfläche fallende Fahrstuhl bot, wäre diese Schmerzen wert gewesen. Thomas sah dabei zu, wie die Atmosphäre dichter wurde, wie sie eine Gewitterwolke passierten. Bemerkte die ersten Lichter am Erdboden. Man hatte ihn grob instruiert wohin man ihn brachte. Also wusste er, dass ihn sein Weg in ein abgelegenes Tal der Rocky Mountains führte. Er machte sich allerdings weder Hoffnungen noch Illusionen, sich die Position des Weltraumfahrstuhls merken zu können, geschweige denn ohne kundige Hilfe jemals wiederzufinden. Im Moment war es ihm auch egal, denn neben der Faszination seiner Umgebung meldete sich der gerade verheilte Bruch durch die ungewohnte Belastung zurück. Und auch die großflächigen Verbrennungen begannen schmerzhaft zu spannen. Der Deutsche wusste, das er mit medizinischem Gerät der Schwarzen Technologie behandelt worden war. Vielleicht ein Grund, warum er noch lebte. Warum er nach wenigen Tagen schon wieder gerade stehen konnte, anstatt auf Wochen oder Monate ans Krankenbett gefesselt zu sein.
Aber der Bruch war wieder verheilt. Und durch die extrem kurze Rekonvaleszenz ächzten seine Muskeln zwar protestierend, aber sie mussten nicht erst durch langfristige Rehabilitation an die alte Leistung herangeführt werden, weil er kaum Gelegenheit gehabt hatte, sie durch Trainingsmangel abzubauen. Die Verbrennungen und der mit ihnen einher gegangene Schock waren ebenfalls sehr gut im Griff. So gut, dass selbst die fortschrittliche Technologie Mithrils auf medizinischem Gebiet dagegen aussah, als würde ein Landarzt gegen den Chefarzt einer Fünftausend-Betten-Klinik antreten. Mittlerweile fragte sich der Deutsche resignierend, warum Amalgam ihm nicht einfach einen neuen Körper geklont und anschließend sein Gehirn verpflanzt hatte.
Und er fragte sich nicht zum letzten Mal, was sich Leonardo Testarossa wirklich von ihm erhoffte. Der Mann war ohne Zweifel hoch intelligent, gerissen, verschlagen, mit allen Wassern gewaschen. Ein Stratege, eventuell ein Genie. Ein gefährlicher Mensch, der gefährlich war, weil er es sein wollte. Und das machte die Sache wiederum für Thomas interessant.
Welchen Nutzen hatte ein Arm Slave-Pilot von Mithril für ihn? Bisher hatte Amalgam nicht versucht, an die doch sehr beträchtlichen Insider-Informationen in Thomas' Schädel zu kommen. Und wenn sie es getan hatten, dann hatten sie es sehr gut vor dem Deutschen verborgen.
Brauchte Testarossa dieses Wissen nicht? War Thomas als Pilot eines Arm Slaves mit Lambda Driver wirklich so wertvoll für die Terrororganisation? Musste er dann nicht eigentlich die Konsequenzen ziehen, und den Freitod suchen, um Leonardo aus dem Tod heraus zu verspotten? Immerhin hatte er den Deutschen aus einem bestimmten Grund so schnell wieder einsatzfähig machen lassen. Immerhin hatte er seinen Spaß daran, Thomas mit den Sitzungen zur Erforschung der Schwarzen Technologie in seinem Kopf schmerzhaft zu foltern und damit in seinem Sinne unter immensen Druck zu setzen.
Und immerhin hatte Leonardo ihm einen Haufen falscher Erinnerungen in den Kopf gesetzt. Thomas war kein Idiot, jedenfalls kein so großer Idiot, wie der weißhaarige Halunke da oben hoffte oder dachte. Jeder Idiot mit zumindest ein wenig Selbstkritik musste einfach merken, dass mit seinen Erinnerungen etwas nicht stimmte. Diese ganzen Erinnerungen an Einsätze, die so furchtbar schief gegangen waren, konnten unmöglich alle echt sein. Sonst hätte er schon vor langer Zeit den Dienst quittiert, oder sogar den Freitod gewählt. Vielleicht waren ein paar authentisch, das wollte er nicht ausschließen. Doch alle? Sicher nicht.
Aber die falschen Erinnerungen waren sehr gut gemacht. Er würde, falls er jemals dazu kam, sehr intensiv seine Akten lesen müssen, um heraus zu finden, ob und wo er das Blut Unschuldiger vergossen hatte, und was Leonardo ihm ins Gehirn gepflanzt hatte, um den Deutschen über seine Schuldgefühle zu einem willfährigen Werkzeug zu machen. Alleine das wäre Grund genug gewesen, überleben zu wollen. Um Leonardo ins Gesicht zu lachen, und ihm zu sagen, das sein Plan nicht aufgegangen war.
Doch da war noch mehr. Dieses Interesse, dieses wirklich große Interesse an ihm, es faszinierte ihn. Und es eröffnete ihm eine Chance. Je mehr Testarossa ihn brauchte, desto mehr gab er sich in Thomas' Hände. Und das war es wert, wirklich wert, noch ein wenig länger zu leben und zu schauen, was passierte. Vielleicht die Situation gegen Testarossa zu verwenden. Der Deutsche war niemand, der eine gute Gelegenheit verstreichen ließ. Dazu kam auch noch, dass die Vernichtung der ASRAA durchaus im Sinne von Mithril lag. Und vielleicht erlaubte ihm die Mission sogar, seinen Kameraden ein Zeichen zu hinterlassen.
Was auch passieren würde, eines würde nie geschehen: Er würde sich nie gegen Mithril wenden. Den Handlanger für Amalgam würde er nur so lange mimen, wie deren Ziele auch seine Ziele waren. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass Testarossa das auch wusste. Was die Sache nicht unbedingt uninteressanter machte.
***
Als der Fahrstuhl fest verankert war, erlaubte der Fahrstuhlführer den Fahrgästen, die Füße aus den Schlaufen zu lösen, oder, bei denen die eine sitzende Reise bevorzugt hatten, wieder aufzustehen. Das Außenschott öffnete sich, und ermöglichte Thomas, einen Blick auf den großen Frachtfahrstuhl zu erhaschen, der in diesem Moment ebenfalls ankam; der Deutsche war angemessen beeindruckt von dieser technischen Meisterleistung, mit der ein Arm Slave ins Weltall verschickt werden konnte.
Über diese Faszination hinweg hätte er beinahe die schlanke Kriegerin mit dem graubraunen Kurzhaarschnitt übersehen. Inklusive der beiden Testosteron-Bomber, die mit der MP im Anschlag hinter ihr standen. Die junge Frau versuchte ein Lächeln, das allerdings etwas kläglich ausfiel, als sie die gerade erst verheilende großflächige Brandwunde in Thomas' Gesicht sah.
Thomas ließ die anderen Passagiere zuerst aussteigen, bevor er ihnen folgte. Trotz allem war die Schwerkraft für ihn etwas ungewohnt, und er hatte die wenigen Minuten ohne freien Fall gebraucht, um nicht beim ersten Schritt wieder hinzufallen. Mit einem Nicken verabschiedete er sich vom Fahrstuhlführer und trat hinaus. Noch immer zeigten die Waffenöffnungen der beiden Gorillas auf ihn.
Die junge Frau schluckte erneut. "Major Thomas Kramer? Ich bin Precious Weissmann, Second Lieutenant im Arm Slave-Kontingent der Puma-Basis. Willkommen in Nordamerika, Sir."
Thomas betrachtete die Frau, suchte etwas Bekanntes an ihr. Sie war ihm noch nie auf Fahndungbildern aufgefallen, aber dennoch hatte sie etwas Bekanntes, wenn auch nur flüchtig. Der Name Weissmann ließ eine leise Ahnung in ihm klopfen. "Kein Major. Kein Sir. Ich bin Ihr willfähriger Gefangener. Verfügen Sie über mich, wie es Ihnen beliebt", sagte Schneider.
Der linke Gorilla, ein stiernackiger Rotschopf, dem man das Wort "Schotte" am liebsten quer über die Stirn hätte tätowieren wollen, lachte abgehackt. "Klasse! Zehn Sekunden bei Amalgam, und schon baggert er den Lieutenant an. Du hast echt Eier, Kleiner."
"Weiß nicht. Habe mich noch nicht getraut nachzusehen, seit ich in meinem Cockpit fast von einer Explosion durch einen Lambda Driver getötet wurde", erwiderte Thomas scharf.
Es folgten einige Sekunden Schweigen. Schweigen durch Verblüffung. Der Schotte starrte ihn mit halb geöffneten Mund an. Dann sicherte er die MP, trat einen Schritt vor, und schlug Thomas mit der Kraft eines ungestümen Jungbullen auf die linke Schulter. "Du gefällst mir, Kleiner. Schlagfertig, und Humor. Schade, dass du bei den Mithril-Ratten bist."
Der weibliche Second Lieutenant sah ihn böse an. "Das ist Geheimsache, Edgar. Woher weißt du das?"
Der wütende Blick und die Autorität der Frau ließ ihn einen schnellen Schritt nach hinten gehen. "Aber jeder auf der Basis weiß das doch! Es hat doch jeder mitgekriegt, als dieser Typ hier im Sarkophag ankam und dann nach oben geschickt wurde! Wir haben uns alle gefragt, warum wir für eine Mithril-Ratte so einen Aufstand machen!" Sein Blick war unsicher. Er wusste nicht, ob diese Entschuldigung ausreichen würde. Und Thomas konnte nicht ahnen, welche Strafen die unschuldig aussehende junge Frau verhängen konnte oder würde.
Sie seufzte und wandte sich wieder Thomas zu. "Ich hätte dran denken sollen. Als Kaprinsky mit Ihnen zurück kam, war tatsächlich die ganze Basis in Aufruhr. Allerdings..."
"Ich kann einen Lambda Driver nutzen, ohne mir Drogen einschmeißen zu müssen, Edgar", erklärte Thomas, ohne den Blick mit der jungen Frau zu unterbrechen. "Und damit ich diese Fähigkeit für Amalgam einsetze, hat mir Ihr Direktor Testarossa ein Gift injiziert, das mich in knapp zehn Tagen töten wird. Also, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Lieutenant, würde ich gerne so schnell wie möglich anfangen. Mir wird die Zeit knapp."
Ihr rechter Begleiter brummte böse. Der blonde Mann war ebenfalls ein wahrer Schrank, aber seine kleinen Schweinsäuglein glitzerten bedenklich intelligent. Thomas hatte schon immer Respekt vor den schweigenden Männern gehabt. Die hörten zu und dachten sich ihren Teil, um es dann gegen einen zu verwenden, wenn man nicht mehr damit rechnete.
Weissmann winkte ab. "Nein, Gary. Er ist noch in Rekonvaleszenz. Wenn du ihm wehtust, könntest du ihn umbringen. Und dann badest du den Ärger ganz alleine aus, hast du verstanden?"
Wieder brummte der Blonde, trat dann aber gehorsam einen Schritt zurück. Im Gegensatz zum Schotten nahm er seine Waffe jedoch nicht ab.
Der weibliche Lieutenant rang sich ein Lächeln ab. "Vielleicht haben wir falsch angefangen, Major Kramer. Vielleicht haben Sie auch ein vollkommen falsches Bild von Amalgam. Ich möchte da nicht mit Ihnen streiten, und ich bedaure, dass Sie vergiftet wurden, um mit uns zusammen zu arbeiten. Aber ich weiß einen Arm Slave-Piloten zu schätzen, der einen Lambda Driver benutzen kann, und dabei kein halb wahnsinniger, psychopathischer Massenmörder ist." Sie zögerte einen Moment. Dann reichte sie Thomas die Rechte. "Willkommen auf der Puma-Basis, Major Kramer."
Thomas beschloss, für den Moment mit der Situation zu leben. Er ergriff ihre schlanke Rechte, drückte sie gerade fest genug, um ihre Haut zu fühlen, und erwiderte: "Danke. Auch wenn es kein Vergnügen ist."
Zögernd ließ sie seine Hand los. In ihrem Blick stand Unsicherheit der Situation und vor allem ihm gegenüber. "Ich habe mich eigentlich darauf gefreut, einmal mit einem Offizier zu arbeiten, der vernünftig ist." Sie versuchte sich wieder an einem zaghaften Lächeln. "Ich nehme an, Sie haben wirklich keine Ahnung, was Amalgam wirklich ist, oder?"
"Es mag sein, dass ich eine sehr vorgefasste Meinung dazu habe. Bitte, können wir ab hier weitermachen?"
"Natürlich. Bitte hier entlang. Gary, nimm endlich die Waffe runter. Kommen Sie, Sir, wir müssen die Rampe frei machen. Es ist nur ein kurzes Stück bis zu den Elektrowagen."

Aufmerksam sah sich Thomas um. Hinter ihm war der Personenfahrstuhl, der Menschen in die Gegenstation im eisigen All brachte. Vor ihm war der Frachtaufzug, ein achtmal so großes Ungetüm, das wie der gewaltige Weltenbaum Yggdrasil in die Unendlichkeit ragte. Dazwischen und dahinter befand sich gut ausgeleuchtetes Gelände, auf dem M9-Arm Slaves, Vemons und Infanteristen in voller Ausrüstung patrouillierten. Dazwischen huschten Verlade-Exoskelette herum, die sich um die einzelnen Container kümmerten. Im Hintergrund startete eine DC-28 vom nahen Flughafen. Er erkannte mehrere Gebäude, hauptsächlich Lagerhallen, aber auch Funktionsgebäude. In der Ferne schimmerten die Lichter weiterer Häuser.
"Die Puma-Basis bringt nicht nur Waren ins All, oder?", mutmaßte Thomas.
Weissmann ignorierte ihn.
"Sie ist ein Knotenpunkt, eine Art Drehkreuz für den Waren- und Waffentransfer von Amalgam." Wieder schwieg Weissmann.
Thomas setzte nach. "Nein, warten Sie. Natürlich, wie konnte ich so dumm sein. Sie haben mehr als diesen einen Fahrstuhl. Sie haben zwei, vielleicht drei, vier oder fünf. Sie schaffen die Waren hierher zu den Fahrstühlen, bringen sie in den Orbit, und transferieren ihn dort von Kopf-Station zu Kopfstation, in einem Zehntel der Zeit, die einem Frachtflugzeug möglich wäre. Die Zeitersparnis könnte den Weltwarenhandel auf interkontinentaler Ebene revolutionieren."
"Sehen Sie jetzt", begann Weissmann leise, "dass Amalgam mehr ist als Sie dachten? Was Amalgam der Menschheit schenken kann?"
"Moment, Sie nutzen die Fahrstühle kommerziell?", riet Thomas.
"Wir sind die schnellste Spedition der nördlichen Halbkugel", bestätigte die junge Frau, ohne sich umzudrehen.
Diese Antwort verwirrte den Arm Slave-Piloten. Mit dieser Entwicklung hatte er nicht gerechnet. Aber wenn Amalgam seine gierigen Finger im Waffenhandel hatte, was sprach dagegen, dass die Organisation auch im Frachtsektor tätig war? Waffen wollten schließlich auch von A nach B befördert werden.
Sie hielten inne, als zwei dunkelgrau lackierte M9 an ihnen vorbei marschierten, und setzten ihren Weg auf die fernen Lichter fort.
"Links ist der Flughafen. Wir können hier pro Stunde vierhundert Tonnen Fracht be- und entladen. Rechts ist unser Lagerkomplex. Dort vorne, abseits der Startbahn, sehen Sie schon das Verwaltungsgebäude. Rechts hinten, am Rande des Talkessels, sehen Sie die Unterkünfte und den Tunnel, den einzigen Zugang zum Tal, der nicht über die Luft erfolgt."
Sie erreichten ein Überdach, unter dem eine Reihe Golf-Caddys standen. "Wir nehmen zwei", befahl Weissmann. "Ihr zwei nehmt den hinteren. Ich steige mit Major Kramer in den vorderen."
"Was? Aber wie sollen wir ihn dann bewachen?", begehrte der Schotte auf.
"Dummkopf. Wie willst du ihn bewachen, wenn du steuern musst? Oder willst du ihn fahren lassen?"
"Okay, das leuchtet ein", brummte der Riese und nahm bereitwillig Platz. Der Blonde zögerte.
"Das ist ein Befehl, Gary." Wieder brummte der Riese etwas Unverständliches und ging dann ebenfalls zu seinem Caddy. Lieutenant Weissmann und Kramer stiegen in den Vorderen.

"Warum wollen Sie mit mir alleine sein?", fragte Thomas unvermittelt, als sich zwischen ihrem Golfwagen und dem der Gorillas eine Lücke von etwa zwanzig Metern gebildet hatte.
Die junge Frau fuhr vor Schreck zusammen. "Was?"
"Es ist doch sehr offensichtlich. Einen Antrag wollen Sie mir sicher nicht machen, nehme ich mal an."
"E-es ist nicht so als würde ich mich darum reißen, mit Ihnen allein zu sein, Major Kramer. Aber..." Sie seufzte leise. "Verdammt, Kramer. Wissen Sie, wo ich herkomme? Aus den Bürgerkriegsgebieten um die Sowjetunion. Bevor ich Amalgam beigetreten bin, habe ich mein ganzes verdammtes bisheriges Leben im Bürgerkrieg verbracht. Ich weiß, dass Sie wissen, wovon ich rede. Sie sind der Mann, der den Bürgerkrieg in Rumänien beendet hat. Ich meine, die Welt hat mir genug Schrecken gezeigt und mir genug angetan. Ich schulde ihr nichts. Und ich erwarte nichts von ihr. Außer einer guten Bezahlung und der Sicherheit, nicht eines Morgens mit einer Pistole am Schädel aufzuwachen und von einem Dutzend geifernder, stinkender Männer begafft zu werden." Ein Zittern ging durch ihren Körper. Aber der Moment währte nur kurz, und machte Ärger Platz. Mit wütend funkelnden Augen sah sie Thomas an. "Ich lasse mich also von Ihnen nicht moralisch bewerten, in keiner verdammten Weise!"
Als Kramer darauf nicht reagierte, setzte sie nach. "Und ich lasse auch Amalgam nicht von Ihnen bewerten! Ihre Organisation, das ach so heilige Mithril, tötet gezielt Terroristen, fällt mit verdeckten Operationen in unbeteiligte Länder ein und kooperiert mit dem organisierten Verbrechen!"
Abwehrend hob Kramer beide Hände. "ICH kooperiere mit dem organisierten Verbrechen. Schließen Sie bitte nicht von mir auf ganz Mithril."
"Und schließen Sie nicht wegen eines Verrückten wie Schneider auf ganz Amalgam!", blaffte sie wütend.
Gegen seinen Willen musste Thomas schmunzeln, auch wenn dabei die tiefrot leuchtende, gerade erst verheilende Haut furchtbar zu spannen begann. "Wissen Sie, bisher habe ich die Söldner von Amalgam bekämpft, wo immer ich sie getroffen habe. Auf den Gedanken, mich mal mit ihnen zu unterhalten, bin ich nie gekommen. Nun gut, ich halte mit meiner Meinung von Amalgam zurück. Vorerst jedenfalls. Mehr bin ich nicht bereit zu tun. Können Sie damit leben?"
"Okay. Das ist ein Deal", erwiderte sie, noch immer wütend, aber wenigstens mit Blick auf die Straße.

Es vergingen ein paar Minuten, bevor sie weiter sprach. "Ich hatte eine schwere Zeit. Meine ganze Familie hatte eine schwere Zeit. Wer einigermaßen komfortabel leben wollte, verkaufte irgendwann seinen Körper, oder seine Kampfkraft. Ich selbst habe seit dem elften Lebensjahr in einer Miliz gedient, in der ich das Glück hatte, nicht vergewaltigt zu werden. Oder... Vielleicht haben sie es getan, und ich habe es auch nur wieder verdrängt. Das weiß ich nicht, und ich will es auch gar nicht wissen. Meine ganze Familie hat sich verdingt. Ich habe Orte gesehen, die... Dinge getan, die... Ich bin nicht auf alles stolz, was ich damals getan habe, oder was ich mit ansehen musste. Und ich bin dankbar dafür, dass... Wenigstens einer... Wenigstens Rumänien..." Sie verstummte und schluckte hart. "Irgendwann bin ich dann bei Amalgam gelandet. Habe die Bürgerkriegsregion verlassen. Bekam eine ordentliche Ausbildung für die Arm Slaves. Begann einer besseren Sache zu dienen als dem eigenen Überleben oder dem meiner Familie im Chaos und Wahnsinn des Bürgerkriegs. Ja, ich bin geflohen. Habe die Menschen zurückgelassen, davon viele, mit denen ich befreundet war. Aber ich schätze, meine Familie besteht im Großen und Ganzen aus Opportunisten." Sie seufzte leise. "Und während ich zu Amalgam ging, hat es meine kleine Schwester nach Mithril verschlagen. Sie... Nun, seither sind wir einander nicht mehr begegnet, und ich habe auch nur auf Umwegen davon erfahren. Sie haben nicht zufällig etwas über sie gehört? Ihr Name ist Grace."
"Grace Weissmann?" Das war also der Grund dafür, das sie hatte mit ihm allein sein wollen. Es ging um ihre kleine Schwester. Etwas in seinem Kopf machte Klick, und endlich war die gewünschte Information parat. "Grace Weissmann. Vor der Rumänien-Mission gegen einen Waffenhändler, ausgeführt mit der FEANOR, haben wir Mithril-Mitglieder gesucht, die aus der Region stammen, um Insider-Wissen zu erhalten. Darunter fiel auch Ihre Schwester. Es tut mir Leid."
Die anfangs freudig aufleuchtenden Augen der jungen Frau wurden zu sprödem Glas, als Thomas die letzten vier Worte sprach.
"Was?" Beinahe ängstlich hauchte sie das Wort.
"Es tut mir Leid. Sie wurde mit einem Fünferteam Arm Slaves nach Helmajistan geschickt, um einen Top-Agenten von Amalgam namens Gauron auszuschalten. Es ging um einen russischen Atomsprengkopf auf einer Interkontinentalrakete. Es gab nur einen Überlebenden, Sergeant Sagara. Die anderen vier wurden vom Amalgam-Agenten abgeschlachtet."
Für einen Moment zitterte die junge Frau am ganzen Leib. Dann sah sie fort, wischte sich verstohlen mit der Linken über die Augen und sah stoisch geradeaus. "War zu erwarten gewesen, dass Mithrils Kommandos unseren Leuten unterlegen sind. Ich nehme an, es war Gauron, der sie getötet hat?"
"Ja. Das hat Sagara berichtet. Er hat auch die Interkontinentalrakete geborgen. Es gelang ihm allerdings damals nicht, das Kommando zu retten, oder Gauron für immer auszuschalten. Aber soweit ich weiß, hat er das bei der Eskalation in Hong Kong vor einem halben Jahr nachgeholt. Diesmal hoffentlich für immer."
Weissmann hielt sich gerade, so gut sie es konnte. Es war eine Fassade, die sie mit aller Kraft aufrecht erhielt. In einem Impuls hätte Thomas gerne tröstend seinen Arm um sie gelegt, aber das hätte sie entblößt, gedemütigt. Und eventuell hätte einer der Gorillas im hinteren Wagen die Geste als Angriff missverstanden und das Feuer auf ihn eröffnet.
Thomas ließ der jungen Frau Zeit, um sich zu fangen. Sie hatte gerade die Nachricht erhalten, dass ihre Schwester tot war. In Verbindung mit der Tatsache, dass ihr Mörder ebenfalls tot war. Dass er zu Amalgam gehört hatte war dabei eher nebensächlich zu nennen. Allerdings behielt Thomas die Augen auf dem Weg und die Linke griffbereit, um ihr ins Steuer greifen zu können, wenn es brenzlig wurde.

Als ein Seufzer aufklang, und sie sich sichtlich entspannte, schien sie ihre Krise überwunden zu haben. Vorerst. Weissmann sah ihn eine Zeit lang von der Seite an. "Ich habe Gauron nie gemocht. Ein Radikaler. Ein schießwütiger Irrer. Jemand, der für seinen Spaß tötet. Ich habe nie verstanden, warum wir diesem Wahnsinnigen eine so lange Leine gelassen hat. Aber das ist zum Glück vorbei." Sie stutzte. "Nicht, dass wir nicht genügend von dieser Sorte in Reserve hätten. Manche sind recht nützlich, richtig eingesetzt." Ein düsteres Lächeln umspielte ihre Lippen.
"Apropos eingesetzt. Sie kriegen ein Team aus vier Arm Slaves, Major Kramer. Ihre Maschine wird der Gernsback sein, der mit einem Lambda Driver ausgestattet wurde. Sie haben, soweit ich informiert bin, das Kommando über die Mission." Erwartungsvoll sah die junge Frau ihn an.
Na toll, und dabei hatte er gerade erst erfahren, dass er den Lambda Driver einsetzen konnte. Wie er es auch immer geschafft hatte, er wusste es nicht. Und nun wurde von ihm erwartet, diese Waffe in einem Gefecht einzusetzen. Die geringe Anzahl von vier Arm Slaves gegen die zu erwartenden Gegner verriet ihm überdeutlich, das man von ihm forderte, den Lambda Driver einzusetzen.
Er lächelte wölfisch. "Ich brauche keine Begleiter, Lieutenant. Und ich brauche auch keine Aufpasser."
"Es ist nicht so, dass man auf jemanden aufpassen kann, der einen Lambda Driver einsetzt", rechtfertigte sie sich. "Aber Sie werden drei zusätzliche Augenpaare und Ohrenpaare noch sehr zu schätzen wissen, Sir. Einmal ganz abgesehen von den Waffen. Nicht einmal ein Arm Slave-Pilot, der den Lambda Driver beherrscht, kann überall zugleich sein."
Thomas legte kurz den Kopf schräg. "Ich habe das Kommando?" "Ja."
"Sie steuern keinen verdammten Venom?" "Nein. Mein Gehirn ist mir zu Schade dafür."
"Und Sie hören auf meinen Befehl?" "Solange wie ich das Gefühl habe, dass Sie mich nicht grundlos verheizen wollen, ja."
"Und es geht gegen die ASRAA?" "Jawohl, Sir. Gegen eine verräterische kleine Miliz, die glaubt, sie könnte Amalgam verarschen."
"Ich hoffe, es gibt jemanden der weiß, wo ASRAA stecken. Ich habe keine Lust, neun Tage suchen zu müssen, um am zehnten Tag zu sterben."
"ASRAA hat mehrere Stützpunkte im Mittleren Westen. Wir werden sie nacheinander abklappern. Unsere Verbindungsleute in der Regierung und in den einzelnen Staaten werden dafür sorgen, dass Nationalgarde und Armee zufällig nicht in der Nähe sein werden. Einmal ganz davon abgesehen, dass ASRAA ohnehin Wert darauf legt, in isolierter Lage zu trainieren."
Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen. "Ich glaube, wir zwei werden noch sehr gute Freunde, Lieutenant Weissmann."
"Sie haben zehn Tage Zeit dafür, um das zu erreichen. Eine ausgerottete militante Miliz wäre da ein guter Anfang", schmunzelte sie. Düsterer fügte sie hinzu: "Das erinnert mich sehr daran, wie der Bürgerkrieg bei uns begonnen haben soll. Das wünsche ich keinem."
Den Rest der Fahrt zum Stabsgebäude schwieg sie, und Thomas sah keinen Grund, seinerseits das Schweigen zu durchbrechen. Er hatte eine interessante Aufgabe erhalten, wie sie auch Mithril mitunter vergab. Und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmte, was er über Amalgam wusste, dann waren die Vorschriften bei dieser Truppe nicht halb so einengend wie bei seiner Einheit. Beinahe hätte er sich daran gewöhnen können.

"So, wir sind da. Ich zeige Ihnen Ihre Stube. Bleiben Sie dort, bis ich Sie morgen früh wieder abhole, Sir. Die Wachen mögen keine unbekannten Gesichter, die über die Puma-Basis streunen. Dann folgt ein Briefing, und wir brechen auf. Haben Sie Fragen?"
Thomas schüttelte den Kopf. Dann erklärte er bestimmt: "Sie sind mein Stellvertreter."
"Man wird sehen, was der Standortkommandeur davon hält."
"Nein. Sie sind mein Stellvertreter. Da gibt es nichts zu diskutieren. Denken Sie nicht, dass mir die Fähigkeit, den Lambda Driver ohne eure verdammten Drogen zu aktivieren, ein wenig Autorität verleiht?"
Für einen Moment wirkte sie konsterniert. "Seien Sie nicht zu nett zu mir, Major Kramer. Sonst vergesse ich womöglich noch, dass Sie eigentlich zum Feind gehören. Da ich nicht jung sterben will, wäre das Schade für mich."
Thomas schwang sich aus dem Caddy. "Sind das meine Probleme? Seien Sie versichert, ich schieße meinen Leuten nie in den Rücken, nur meinen Feinden. Also seien Sie mein Freund. Zumindest die nächsten zehn Tage."
Weissmann und die beiden Gorillas eilten ihm nach, um zu ihm aufzuschließen. "Wir werden sehen, wie lange wir Freunde bleiben können", erklärte sie leise. Eventuell hatte sie kurz vergessen, dass Thomas Kramer nur unter Zwang hier war; das er genau in diesem Moment mit dem Gedanken spielte, auszubrechen und zu Mithril zurückzukehren, darauf vertrauend, dass die Ärzte der Organisation das Gift in seinem Körper erkennen und neutralisieren würden, bevor er in zehn Tagen daran starb. Dass sie im Moment nur das verdammte Gift und ein gemeinsamer Feind vereinte.
Und dass er wieder ihr Feind werden würde. Irgendwann. Irgendwo. Eventuell am letzten Tag, wenn er keine Hoffnung darauf sah, dass Direktor Testarossa sein Leben verlängerte, und er sich ein letztes Mal effektvoll von Amalgam verabschieden würde. Dieser Gedanke lockte ein zaghaftes Lächeln auf die Züge des Deutschen. Sie hatten ihn verbrannt, aus seinem Cockpit geschossen, verschleppt und gefoltert, indoktriniert, vergiftet, gedemütigt. Aber sie hatten ihn nicht getötet. Noch nicht. Und bevor sie die Gelegenheit bekamen, das nachzuholen, würde er ein letztes Mal die Hölle auf Erden entfesseln. Beinahe freute er sich darauf. Ihm blieben dafür neun Tage und siebzehn Stunden.

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5.
Von außen konnte man nur ein dünnes Grollen hören, also musste jenseits der massiven Stahltür kräftig geschrien werden. Es war laut genug, um das Interesse einiger Crewmitglieder der FEANOR zu erwecken, die sich fragten, wer sich ausgerechnet mit Einsatzleiter Santos einen derart heftigen Disput lieferte. Das Schiff befand sich auf der Rückfahrt zum Styx-Stützpunkt und würde die Straße von Gibraltar in achtzehn Stunden passieren. Ein Einsatz stand nicht bevor. Wenn sich also wirklich jemand lautstark mit dem alten Hasen anlegte, konnte es dafür nicht allzu viele Themen geben. Und nicht allzu viele Personen, die es wagten, Santos anzuschreien, dazu noch laut genug, um zwei Zoll Stahl zu durchdringen. In Frage kamen dafür eigentlich nur Alexi Valeri, der Chef der Superharriers, oder die Interimschefin der Arm Slaves, First Lieutenant Samantha Rogers. Alle anderen trauten sich nicht, bei Santos laut zu werden. Oder sie brauchten nicht zu brüllen.
"Was ist denn hier los?", klang die interessierte Stimme von Rogers auf, als sie, mit Lesebrille bewaffnet und den Arm voller Akten, auf dem Weg zur Brücke war. Irritiert registrierte sie enttäuschte Blicke und unwilliges Murren, als die Menge sie erkannte. Zugegeben, bei diesem seriösen Auftritt, der einer Verkleidung gleich kam, fiel das auch ein wenig schwer.
Sie drehte leicht den Kopf in Richtung Tür, um das Brüllen zweier Stimmen besser zu hören. "Ist Valeri da drin?", fragte sie interessiert.
Von Richtung der Brücke kamen Lieutenant Steinfeld, die Cheffunkerin, dicht gefolgt vom Rudergänger, Lieutenant Agedi. "Gibt es hier was umsonst?", fragte die Israeli erstaunt, als ihr Blick über die Menschenmenge glitt, die den Gang versperrte.
"Keine Ahnung", antwortete Sam wahrheitsgemäß. "Aber Valeri scheint sich mächtig mit Santos zu fetzen. Man kann sie sogar durch die Stahltür hören.
Steinfeld spitzte die Ohren. "Oh ja, das ist der Bass von Santos. Der Lieutenant Colonel sollte sich endlich mal abgewöhnen, auf die Frage "Kann ich frei sprechen?" mit Ja zu antworten. Unser russischer Harrier-Pilot ist mit seiner freien Meinungsäußerung auf die Dauer schlecht fürs Herz." Sie unterdrückte ihr Grinsen und hüstelte verlegen. "Weiß einer worum es geht? Der Einsatz in Corpus Christi wurde für die Flieger doch als Erfolg gewertet."
"Das ist nicht Valeri", sagte Agebi ernst. Der in Deutschland aufgewachsene Syrer drückte ein paar Leute beiseite, drängte sich bis vor die Tür und legte ein Ohr aufs Metall. Schließlich schüttelte er den Kopf. "Ich kenne die Stimme nicht. Wer immer da drin ist und Colonel Santos gerade einen Herzinfarkt zu bescheren versucht, ich habe ihn noch nie brüllen hören."
"Dann ist Karasov wohl letztendlich doch mal der Kragen geplatzt", mutmaßte Sam. "Musste ja passieren, dass die Zwei irgendwann mal aneinander geraten und es austragen."
In diesem Moment flog die Tür auf, First Lieutenant Timothy Scott kam hervor und brüllte halb rückwärts gehend: "Sie und Ihre verdammten Regeln! Wollen Sie wissen, was sie mich mal können?" Er salutierte übertrieben exakt, nur um anschließend das Schott mit voller Kraft ins Schloss zu werfen.
Als er bemerkte, das er regelrecht umringt war, hob er hochnäsig den Kopf und rief: "WAS?"
Dies war der Auslöser für die Crewleute, sich daran zu erinnern, welche wichtigen Arbeiten oder Freizeitaktivitäten sie gerade verpassten. Kaum einer hatte den Hubschrauberpiloten je anders als ausgeglichen, gelassen, ja geradezu unterkühlt erlebt. Den Engländer jetzt in dieser Stimmung zu sehen, mit einem Blick, der Fragestellern Prügel versprach, war für mehr als einen eine kalte Dusche.

Wenige Sekunden später war der Gang geleert. Bis auf Sam Rogers.
Wütend sah Scott sie an. "Bist du immer noch hier?"
Sam schnaubte unaufgeregt. "Glaubst du wirklich, du könntest mich einschüchtern? Ich komme von den Army Ranger. Dort haben wir mit nur einer Hand euch Hubschrauberjockeys in zwei Teile zerbrochen."
"Willst du es drauf ankommen lassen?", blaffte er aufgebracht.
"Ruhig, Mr. Hyde. Ruhig. Warum erzählst du mir nicht einfach, was gerade passiert ist, anstatt mich aufzufressen? Ich schätze, nach diesem Auftritt bin ich dein einziger Freund an Bord."
Diese Worte schienen wie eine kalte Dusche zu sein. Verblüfft, beinahe erschrocken sah Tim die Arm Slave-Pilotin an. "Gehen wir ein paar Schritte."
Langsam ging er voraus, fort von der Brücke, tiefer ins Schiff hinein.
"Dieser verdammte Spanier. Ich wollte meinen Jahresurlaub nehmen, ihn notfalls opfern. Unbezahlten nehmen. Meinetwegen suspendiert werden! Ich habe noch fünfzig Urlaubstage offen, und wir haben keinen Alarm oder wichtige Missionen vor uns. Ein Transporthubschrauber könnte mich jederzeit nach Spanien rüber bringen. Aber lässt er mich von Bord? Nein!"
Sam Rogers, einen halben Schritt hinter ihm, ergriff den Piloten am Arm. Der wirbelte wütend herum und riss sich los. "Lass das, Sam!"
"Die Phase mit Dr. Jekyll hat ja nicht lange gedauert", spottete sie milde. "Ich glaube, ich weiß warum Santos dich nicht von Bord lässt, und vor allem nicht jetzt. Du würdest sofort in den nächsten Jet steigen, rüber in die USA fliegen und Thomas suchen, oder?"
"Und? Was wäre falsch daran?" Mit zornig funkelnden Augen sah er sie an.
"Du würdest einer Menge guter Agenten von Mithril im Wege sein, die versuchen sein Leben zu retten?", schlug sie vor.
Das schien für einen Moment zu wirken. Sein Blick verlor das Stechende, die Schärfe. "Ich gebe zu, es ist ein wenig her, aber ich habe nicht alles vergessen, was ich gelernt habe."
Interessiert hob Rogers die Augenbrauen.
"Ich habe die SAS geflogen. War für den Geheimdienst tätig. Ich habe eine Field-Ausbildung erhalten und habe mehrfach bei Ermittlungen in der Gegenspionage assistiert. Ich kann unmöglich alles verlernt haben."
"Das steht nicht in deiner Akte", meinte Rogers stirnrunzelnd.
"Es steht vieles nicht in meiner Akte. Zum Beispiel steht da nicht, das ich vier Monate in Einzelhaft in Deutschland gesessen habe, nachdem eine inoffizielle Spionagemission furchtbar schief ging und mein Heli abgeschossen wurde. Ja, wir haben in Deutschland spioniert. Ja, es ging um Wirtschaftsdaten eines Großkonzerns. Ja, ich wurde fallen gelassen, um internationale Verwicklungen zu vermeiden. Und nein, das ist kein Vorrecht von Mithril oder Amalgam. Moderne Staaten können sich Verbündete leisten, aber sicher keine Freundschaften."
Sein Blick wurde wieder stechend. "Und ja, ich stehe jetzt vor dir, weil mich ein Gernsback aus meinem Gefängnis raus geschnitten hat. Das war Thomas. Wir waren damals schon Freunde, und irgendwie hat er heraus gefunden, dass ich spurlos verschwunden war. Frag mich nicht, was er auf sich genommen hat, um mich zu finden. Um mich zu befreien. Aber das Singen eines arbeitenden Arm Slave-Messers habe ich seither nie vergessen. Es ist das angenehmste Geräusch der Welt für mich. Danach bin ich ihm zu Mithril gefolgt. Ich war ja eh offiziell ein gesuchter Verbrecher in Deutschland und in meinem Heimatland. Aber ich konnte nie diese große Schuld auch nur annähernd zurückzahlen. Ich konnte ihm nie genug Gutes tun, Sam. Verstehst du das? Und jetzt ist er tot oder verschollen, und ich darf nicht einmal nach ihm suchen!"
"Nun halt aber mal die Klappe! In zwei Tagen sind wir auf Styx. Da kannst du dann deinen Urlaub nehmen, und dann kannst du tun was du willst, oder?"
Scott sah zur Seite, mied ihren Blick. Das machte Sam misstrauisch. "Moment Mal, alter Junge, du denkst, dann könnte es schon zu spät sein. Du weißt mehr als wir."
Scott sah immer noch beiseite, aber seine Backenzähne begannen zu mahlen.
"Du hast einen Grund, so schnell von Bord zu verschwinden! Und du wagst es tatsächlich, mir davon nichts zu sagen? Tim, das ist so unfair! Ich mache mir auch Sorgen um ihn, und..."
"Ja, ich weiß mehr als du. Ja, ich muss so schnell ich kann von diesem Boot runter. Und ich sehe im Moment nur einen Weg, um das zu erreichen!" Er sah sie wieder an, und sein Blick wurde mehr als ernst, beinahe wölfisch. Mit einem schnellen Schritt war er bei Sam, drängte sie an die nächste Wand. "Wenn alle Stricke reißen, dann muss ich eben..."
Erschrocken ließ die Arm Slave-Pilotin ihre Akten fallen und drängte sich an die Stahlwand. Sie hatte beide Arme schützend vor ihre Brust gehoben und starrte nun mit Entsetzen auf das entschlossene Gesicht des Hubschrauberpiloten. Sie fühlte, wie er seinen Körper an sie presste, spürte die Wärme, schmeckte seinen Atem. Und war das da etwa seine Dienstpistole? "Tim, nein...", hauchte sie erschüttert.
Nur um eine Sekunde später zu realisieren, dass er von ihr abgelassen hatte.
Aus großen Augen starrte Scott die Amerikanerin an. "Sam... Warum hast du mich noch nicht durch den halben Raum geprügelt? Zu Boden geworfen, einen Arm gebrochen? Dich verdammt noch mal gewehrt wie ein Army Ranger? Du versaust mir meinen ganzen Plan."
Das Entsetzen wich einer wichtigen Erkenntnis. Beinahe verlegen nahm sie die Arme ab und klopfte sich imaginären Staub von ihrer Kombi. "Ah, also nur ein Strohfeuer. War ja klar, Tim." Ihre Miene bekam etwas spöttisches. "So, so. Du hast also damit gerechnet, das ich dich für diese Scharade zusammenprügele und danach sofort zu Santos renne, um dich zu verpfeifen. Dann wärst du suspendiert worden und hättest dein schönes Insiderwissen mit an Land genommen." Sie räusperte sich verlegen. "Hat wohl nicht funktioniert. Kein Durchhaltevermögen, was?"
"Es ist ja auch nicht gerade so, als würde ich dir wirklich etwas antun können", erwiderte Scott verärgert.
"Tim...", hauchte sie.
"Eigentlich dachte ich, ihr Army Ranger vergesst eure Ausbildung nie. Stattdessen passiert so was." Er legte eine Hand auf ihre Schulter, und sah mit wachsendem Entsetzen, dass die lebendige Kampfmaschine mit einem hohen, weiblichen Laut zusammenfuhr. Allerdings schien es kein Angstlaut gewesen zu sein. "Sam, alles in Ordnung mit dir? Du bist so merkwürdig."
"N-nein, es ist gut. Alles in Ordnung. Es ist nur so, dass ich..." Ja, was war eigentlich mit ihr los? Normalerweise hätte sie einem Kerl, der sie so plump bedrängt hätte, längst beide Beine über dem Kopf verknotet. Aber bei Tims Berührungen fühlte sie sich wie ein wandelndes Klischee. Nicht gerade hilflos und schwach, aber... Neugierig, wie weit er gehen würde.
"Ach du heiliger Mist...", hauchte sie. "Das kann doch nicht wahr sein. Das ist doch ein schlechter Witz!"
"Sam, bist du in Ordnung?", fragte der Engländer jetzt mit Sorge in der Stimme. Das war ungefähr eine Sekunde, bevor er doch noch Sams gut trainierte Rechte spürte - um seinen Kragen gewickelt. "Mein Quartier. Deines ist zu weit weg", bestimmte sie, ging voran und zog Scott hinter sich her, der gerade noch die Gelegenheit nutzte, ihre Akten vom Boden aufzuklauben.
"Sam, was ist denn jetzt los? Sam? Sam? Sam?"
***
"Das ist unglaublich!", rief Sander aufgebracht. "Das ist... Das ist..." "Skandalös", half McAllister aus.
"Danke, Eins O. Ja, das ist skandalös! Sie beide sind Offiziere unter meinem Kommando! Unter meinem Kommando! Ich bin verantwortlich für Ihr Betragen, für Ihren Leumund. Für Ihr Vorbild! Und was passiert?" Resigniert legte der Skipper die Rechte an die Stirn und schüttelte den Kopf. "Lieutenant Rogers, Lieutenant Scott, ich sehe ein, dass man auch an Bord der FEANOR Mensch bleiben muss. Und dass dazu gewisse Bedürfnisse gehören. Auch solche sexueller Natur. Aber Himmel noch Mal, mussten Sie zwei das ganze Schiff dabei zusammenschreien? Wer war eigentlich der Idiot von Ihnen beiden, der an die Sprechanlage gekommen ist?"
Die beiden Delinquenten standen mit gesenkten Häuptern und kräftig geröteten Wangen vor ihm. Ein zaghafter Zeigefinger zeigte von Scott zu Rogers.
"Obwohl ich mir habe sagen lassen, dass es die Sprechanlage gar nicht gebraucht hätte. Sie zwei waren laut genug, um in der Kantine gehört zu werden! Was sagt das über die Disziplin an Bord aus? Was sagt das über Sie zwei als Führungsoffiziere aus? Wir sind zwar nur Söldner, aber wir sind verdammt noch mal stolze Söldner! Und wir fallen nicht übereinander her wie läufige wilde Tiere!"
"Ja, Skipper", murmelten Scott und Rogers bedrückt.
"Oh mein Gott, verschwinden Sie einfach aus meinem Büro. Verschwinden Sie einfach von meinem Schiff, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Sie beide sind zwei Wochen suspendiert. Ein Transporthubschrauber wird Sie zu den Kanarischen Inseln fliegen. Ich hoffe, wenn Sie sich in zwei Wochen auf dem Styx-Stützpunkt melden, haben Sie sich etwas abreagiert.."
Die beiden wechselten einen erstaunten Blick. "Jawohl, Skipper!"
"Und jetzt raus hier, bevor ich drei Wochen draus mache!" "Jawohl, Skipper!" Die beiden wandten sich um und wollten das Büro verlassen.
"Ach, eines noch. Das nächste Mal bitte diskreter. Haben Sie zwei das verstanden?"
Wieder wurden die Lieutenants verlegen. "Ja, Skipper."
"Dann hauen Sie schon ab. Alle beide."
Mit einer gemurmelten Entschuldigung verschwanden die beiden auf dem Gang.

Leise begann Sander zu lachen. "Ich kann es nicht glauben. Über Lautsprecher. Über das ganze Schiff. Wäre die Situation nicht so ernst, ich würde mich köstlich darüber amüsieren."
"Sir, Sie wissen, dass es Rogers und Scott provoziert haben? Sie wollen unbedingt in die USA zurück."
"Ich weiß. Und ehrlich gesagt ist es mir so lieber als auf die zweite Art, in der die beiden einen Kampfhubschrauber und einen Arm Slave stehlen und auf eigene Faust aufbrechen. Informieren Sie lediglich den Geheimdienst von dieser Entwicklung und von meinem Verdacht. Aber die Nachricht hat keine Eile. Es ist immer noch früh genug, wenn sie von der Styx-Basis abgeht."
Eines von McAllisters flüchtigen Lächeln huschte über ihre Züge. "Verstanden, Sir."
***
Lieutenant Rogers wusste nicht genau was peinlicher für sie war. Die eindeutigen, hoch amüsierten Blicke von First Lieutenant Lilian Walker, der Kommandeurin der Hubschraubergruppe, die es sich nicht hatte nehmen lassen, sie und Timothy persönlich nach Gran Canaria zu fliegen... Oder die Gewissheit darüber, warum sie zwei suspendiert worden waren. Immer wenn sie daran dachte, schoss ihr die Röte ins Gesicht. Das war gewiss nicht ihr erster Sex gewesen, und eine Zeit lang hatte es zu ihrer Persönlichkeit gehört, die Männer schneller zu jagen als diese es mit ihr hatten tun können. Dementsprechend hatte sie auf ein reichhaltiges Repertoire an Techniken und Erfahrung zurückgreifen können. Dennoch, es beruhigte sie nicht, Timothy als einen Abschuss abhaken zu können. Bei ihm war es irgendwie anders. Sie wusste noch nicht genau wie sie dieses anders definieren sollte, aber ihr war klar, dass sich gestern Nacht etwas entladen hatte, was sich zwischen ihnen beiden seit zweieinhalb Jahren aufgestaut hatte. Die Franzosen nannten den Orgasmus mitunter "Le petit Mort", den kleinen Tod. Bei ihrem Sex war es eher ein Urknall gewesen und hatte mit Tod absolut nichts zu tun gehabt. Wieder fühlte sie Blut in ihre Wangen rauschen, und hastig mied sie Timothys Blick. Der Engländer indes verfügte über ein großes Repertoire stoischer Blicke, mit denen er diese peinliche Situation zu überwinden gedachte. Dennoch sah sie deutlich, wie sich seine Wangen röteten, wann immer sie ihn ansah. Außerdem war diese Beule in seiner Hose mehr als verdächtig. Was sie wiederum daran erinnerte, das Teile ihres Körpers besonders empfindlich zu sein schienen, seit sie neben ihm saß. Es war ein unglaublich intensives Gefühl, das sie so noch nie erlebt hatte. Mit keinem Mann. Sie fragte sich ernsthaft, ob sie wohl in Timothy verliebt war. Und wenn ja, wie lange schon. Bisher hatte sie sich immer nach besten Kräften bemüht, dem Alpha-Mann nachzulaufen. Das war seit der Gründung ihres Arm Slave-Teams immer Thomas gewesen, der jedoch nie Interesse an ihr über ihre Freundschaft hinaus gezeigt hatte. Nun, sie hatte ihn auch nie bedrängt oder "gejagt", aber verärgert hatte es sie schon ein wenig. Er hätte wenigstens mal einen Quickie in einer abgeschiedenen Materialkammer in Betracht ziehen können. Hätte das vielleicht funktioniert, wenn Thomas nicht Chef der Arm Slaves gewesen wäre? Aber dann hätte sie mit Sicherheit kein Interesse an ihm entwickelt, so ganz ohne Duft des Alpha-Manns um ihn herum. Was war also wirklich zwischen ihr und dem zurückhaltenden, steifen, von den meisten Offizieren an Bord wie ein kleiner Bruder behandelten Timothy Scott passiert? Sie wusste es nicht. Und ehrlich gesagt interessierte sie die Antwort darauf nicht. Sie interessierte nur eine andere Frage: Wie lange würde es dauern, mit ihnen beiden gut gehen?

Walker grinste die beiden über den Innenspiegel des Cockpits an. "Oh, lasst euch von Ray und mir nicht stören. Wenn Ihr was dringendes hinter euch bringen wollt, tut euch keinen Zwang an. Aber Vorsicht, nach eurer Live-Übertragung in die ganze FEANOR erwarte ich da einiges."
"Das ist sexuelle Nötigung, Lieutenant", sagte Rogers unterkühlt.
"Gemach, gemach, junge Frau. Kennst du das Sprichwort: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!? Das ist eure Situation im Moment, und ehrlich gesagt, wenn ich nicht wenigstens ein paar Witze darüber machen darf, dann platze ich noch vor Neid." Sie zwinkerte vertraulich. "Sam, war er gut?"
Ihr Co-Pilot verschluckte sich bei dieser Frage und hustete unterdrückt.
Sam sah die Offizierskollegin verdutzt an, während Tim neben ihr einen hochroten Kopf bekam.
Sie sah in das verschmitzt lächelnde Gesicht Lilians und fühlte sich plötzlich genötigt, Tims Ehre hoch zu halten. "Keine Beschwerden, Lieutenant."
"Das werte ich mal als ja." Ihr Grinsen wurde breiter. "Und wo wir gerade beim Thema Beschwerden sind..." Walker reichte eine Pappmappe nach hinten. "Hier drin sind Ihre Ausweise, Visa und Anweisungen. Ein Flugzeug von Mithril, das ein Rudel Geheimagenten aus den Ermittlungen des Kingdom Sahara rüber nach Corpus Christi bringen soll, landet in einer Stunde auf dem Aeropuerto de Gran Canaria. Das nimmt Sie beide mit nach Amerika. Von Corpus Christi fliegen Sie weiter zu einem Rendezvous mit einem persönlichen Freund von Major Kramer, einen gewissen Robert Hausen. Er führt private Ermittlungen durch und wird Ihnen beiden im Rahmen seiner Möglichkeiten Informationen und Unterstützung gewähren. Sie haben zwei Wochen Zeit, um Ergebnisse zu liefern. Danach heißt es zurück nach Hause. So oder so." Wieder grinste Walker über beide Ohren. "Ist das in etwa der Liebesurlaub, den Sie zwei sich vorgestellt haben?"
"Ich... Ich gebe zu, ich bin überrascht. Das habe ich nicht erwartet", gestand Sam.
"Ach, kommen Sie. Ein Blinder mit 'nem Krückstock kann erkennen, warum Sie das halbe Schiff unterhalten haben. Dem Skipper haben Sie damit genau den Vorwand geliefert, den er brauchte, um Sie von Bord gehen zu lassen. Und der alte Santos brauchte eh ein paar Augen bei Hausen, die einerseits Thomas gut genug kennen und andererseits Amerika. Allerdings hat McAllister versprochen, Ihnen zwei den Arsch bis zum Anschlag aufzureißen, wenn die Falken und Turmfalken durch Ihre Abwesenheit in ihren Leistungen nachlassen. Dann gibt es einen Eintrag in die Akten. Soweit alles klar?"
"Alles klar", erwiderte Scott, nachdem er sich geräuspert hatte. "Ich bin überrascht über die Hilfe."
"Ach, kommen Sie, Tim. Thomas der Heilige ist nicht nur der Privatbesitz der Arm Slave-Leute oder des Kampfhubschrauber-Teams. Er gehört uns allen. Und wir wollen ihn alle wieder haben." Ihr Grinsen machte einen Moment einem melancholischen Blick Platz. "Verdammte Scheiße, Leute, denkt Ihr zwei denn, Ihr seid die einzigen, denen der heilige Thomas jemals geholfen hat? Also, macht eure Sache gut und bringt ihn mit zurück, oder ich helfe beim in den Arsch treten, versprochen."
Verdutzt wechselten Rogers und Scott einen langen Blick. "Versprochen, Lilian."
"Na, dann ist ja alles in Butter." Sie begann wieder zu grinsen. "Wollt Ihr die Zeit bis zur Landung nutzen? Wir haben einen Vorhang eingebaut..."
"Lilian!" "Ich meinte es ja nur gut. In einer TransAll voller Agenten habt Ihr jedenfalls keine ruhige Zeit für Euch."
"Lilian!" "Schon gut, schon gut. Landung auf Gran Canaria in achtzehn Minuten."
Erleichtert wechselten die beiden Suspendierten einen weiteren Blick. Ihnen wurde geholfen. Allerdings wurden auch hohe Erwartungen in sie gesetzt. Vielleicht zu hohe. Aber sie hatten eine Chance. Sie hatten verdammt noch Mal eine Chance.


6.
Der nächste Morgen brachte für Thomas den Besuch in einem großzügigen Hangar, in dem er sich frei bewegen konnte, während Lieutenant Weissmann mit einem der Techniker Details besprach. Ihm fiel dabei eine Maschine auf, die ihm irgendwie bekannt vor kam. Es war ein M9, und alleine vom Gefühl war sich Thomas sicher, dass dies die Maschine mit Lambda Driver sein musste. Interessiert trat er näher und betrachtete sie. Mit ein wenig Glück würde er den M9 noch heute verladen können und morgen mit ihm kämpfen. Hoffentlich, denn ihm blieb nicht mehr viel Zeit, um Direktor Testarossas Auftrag auszuführen.
Auf den ersten Blick hatte ein Arm Slave immer etwas Ehrfurchtgebietendes. Vor allem die Gernsback, die mehr wie schlanke Menschen in filigranen Rüstungen denn wie Kampfroboter aussahen, beeindruckten gerade dann, wenn man an ihren Füßen stand, und den Kopf in den Nacken legen musste, um nach oben sehen zu können.
"Himmel, Arsch und Zwirn!", hallte es oben aus dem Cockpit. Es folgte ein weiterer, garantiert nicht stubenreiner Fluch, und einen Sekundenbruchteil später flatterte ein großes Buch gen Boden. Thomas Kramer fing es auf und erkannte es als gedruckte Betriebsanleitung für einen M9.
"Tschuldigung, könnten Sie das Ding wieder hochwerfen? Arschloch!"
Kramer kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und musterte seinen Gesprächspartner. Der hagere Mann mit dem schütteren Blondhaar wirkte auf den ersten Blick recht freundlich, aber seine Attitüde war keinesfalls nett.
"Sir!", rief Weissmann erschrocken und fiel Thomas in die Arme, als er das dicke Buch wie gefordert zurück werfen wollte. Wenn auch etwas kräftig und zwischen die Augen. "Das ist Lieutenant Thackeray. Er steuerte bisher unseren Gernsback mit Lambda Driver. Er war es auch, der Sie aus dem zerschossenen M9 gerettet hat. Er hat eine lose Zunge, aber ansonsten ist er in Ordnung." Sie deutete mit dem rechten Zeigefinger auf ihre Schläfe und drehte den Finger im Kreis.
Thomas hob die Augenbrauen.
"Die Drogen, Sir", flüsterte Weissmann. "Er braucht Drogen, um den Lambda Driver aktivieren zu können... Und die haben bei ihm einiges kaputt gemacht. Unter anderen leidet er jetzt am Tourette-Syndrom."
Nun, das erklärte einiges. Das Tourette-Syndrom löste den unstillbaren Drang aus, unkontrolliert zu fluchen. Eine sehr interessante Krankheit. Außer, man hatte sie.
"Oh, Sie sind Kramer, nicht?", rief Thackeray erfreut und verließ das Cockpit. Geschickt wie ein Affe kletterte er zu Boden. "Ich bin froh, dass Sie endlich da sind. In letzter Zeit musste ich etwas zu oft mit dem ALTEN WICHSER, ich meine mit dem Gernsback hier ran, weil Mithril in letzter Zeit acht Piloten mit Lambda Driver-Fähigkeit getötet hat. Ich habe gehört, einer geht auch auf Ihr Konto?"
"Ich habe nicht mitgezählt", erwiderte Thomas steif.
Thackeray streckte ihm die Rechte hin. "Wenn Sie die Kiste übernehmen, dann kann ich etwas kürzer treten. HURENBOCK! Ich bin ein guter Arm Slave-Pilot, aber diese VERFICKTEN Medikamente machen aus meinem Hirn langsam Sülze. Andere werden davon einfach nur verrückt, aber ich kriege Tourette, wie Sie eventuell registriert haben. Die Welt ist ungerecht. Aber die Bezahlung ist sehr gut. Ich hoffe, Sie lassen sich hier die Rosette vergolden, Kramer."
"Wie man es nimmt. Im Moment werde ich in neun Tagen an einem Gift sterben. Über einen Sold habe ich mit Direktor Testarossa noch nicht verhandelt."
"Gift?" Thackeray zog die Stirn kraus. "Was hat der alte Schleimschlecker denn jetzt schon wieder vor? Hat er Sie mit seinem Puppengesicht nicht becircen können?"
"Es war eher ein Arm Slave, der mich becirct hat", erwiderte Thomas. "Sie haben mich also in Corpus Christi beinahe abgeschossen?"
Hastig ließ Thackeray die Hand Kramers los und ging einen halben Schritt zurück. "Sie sind doch hoffentlich nicht nachtragend. Ich habe nur meinen SCHEIß Job gemacht, Kramer."
"Keine Sorge. Ich bin nicht nachtragend. Ich bin nur SCHEIßE sauer."
"Oh. Das kann ich verstehen. Jedenfalls, der Gernsback gehört Ihnen. Ich habe gerade meine Pilotenkonfiguration gelöscht, und die Maschine ist bereit für einen neuen Benutzer. Klettern Sie einfach hoch und stellen Sie ihn auf Ihre Werte ein. Ich für meinen Teil freue mich über die Pause. Aber wie gesagt, die VERFICKTEN Zuschläge sind eigentlich einen kleinen Hirnschaden wert."
"Sie machen mich neugierig. Und dabei ist der Sold bei Mithril schon ausgesprochen gut." Er sah zu Weissmann herüber. "Darf ich?"
"Natürlich, Sir. Dies ist jetzt Ihre Maschine." Unwillkürlich sah sie nach links herüber, wo sich gerade zwei Gernsback von ihren Wartungsgestellen erhoben. Thomas war sich ziemlich sicher, dass Edgar und Gary in den Cockpits steckten und den Auftrag hatten, ihn aufzuhalten, falls er Amok lief. Verdenken konnte er es ihnen nicht. Vor allem nicht, solange dieses Misstrauen gegen Testarossa in ihm pochte, das ihm einreden wollte, dass der weißhaarige Puppengesichtige Bastard sein Versprechen sowieso nicht halten würde. Und dass er besser mit einem Knall untergehen sollte, solange er es noch konnte. Ein zerstörter Weltraumfahrstuhl und eine vernichtete Puma-Basis wäre ein tolles Fanal gewesen. Aber... Nein, noch war es nicht soweit. Noch gab es die ASRAA, und gegen sie zu kämpfen, sie zu vernichten sah Thomas durchaus als erstrebenswertes Ziel im Sinne von Mithril an.
Mit einem schnellen Sprung kletterte Thomas auf den linken Oberschenkel des Gernsback. Von dort erklomm er das Brustschild. Er war immer noch ein wenig steif, und die Nacht unter normaler Schwerkraft hatte ihm seine Beweglichkeit nicht gerade zurück gegeben. Aber angesichts seiner Verletzungen konnte er mehr als froh sein, dass er auf beiden Beinen stand. Deshalb ignorierte er den beißenden Rückenschmerz, als er sich über die Kante ins Cockpit schwang. Wohlweislich trug er dabei keinen Einsatzanzug, um Weissmann und ihre beiden Schläger nicht zu beunruhigen, sondern die Kombi, die er aus dem Erdorbit mitgebracht hatte. Nicht, dass das einen Unterschied gemacht hätte, wenn er wirklich vorgehabt hätte, Amok zu laufen.
Er nahm auf der Pilotenliege Platz. "Verschluss."
Das Cockpit fuhr zu, und die Anzeigen erwachten zum Leben. "Neuer Benutzer", meldete sich eine wohlmodulierte rauchige Frauenstimme. "Bitte identifizieren Sie sich und hinterlegen Sie ein Passwort."
"Kramer, Thomas. Passwort: Iden des März."
"Verifiziert, Kramer, Thomas. Sie sind nun als primärer Benutzer eingetragen. Wünschen Sie einen Funktionstest?"
"Primäre Funktionskontrolle. Das ganze Programm. Ich will über deine Leistungsfähigkeit informiert werden. Wie heißt du, K.I.?"
"Mein voriger Primärbenutzer nannte mich "Scheiß lahmes Drecksding". Initiiere primäre Funktionskontrolle."
Thomas lachte leise. "Kann ich den Namen ändern?"
"Ich bitte darum, Kramer, Thomas."
"Hm. Dein Name ist ab sofort Peggy."
"Verifiziert. Diese Einheit identifiziert sich ab sofort als Peggy. Darf ich fragen, wieso Sie diesen Namen gewählt haben, Sir?"
"Oh, deine Stimme erinnert mich an eine Frau, die ich mal gekannt habe."
"Interessant. In welcher Beziehung standen Sie zu dieser Frau, Kramer, Thomas?"
"Es war ein One Night Stand."
"Ich hoffe, das wirft kein Symbolhaftes Licht auf unsere künftige Beziehung, Sir. Systemtest durchgeführt. Interne Funktionen bereit. Ortung bereit. Funk bereit. Waffen bereit. Computersystem auf einhundert Prozent. Volle Agilität. Keine Schäden. Ich melde mich einsatzbereit."
"Gut. Ortung aktivieren. Wie viele Arm Slaves erkennst du in deiner Reichweite?"
"Vierundachtzig, Sir. Davon achtzehn Mirage, zwölf Savages Mark II, achtunddreißig M6 und acht M9. Soll ich die Ziele als Gegner einstufen, Sir?"
"Nein, Peggy. Ziele sind als freundlich einzustufen." Thomas musste an sich halten, um nicht "noch" hinzu zu fügen. "Ich übernehme die Kontrolle."
"Verstanden, Sir. Sie haben vollen Zugriff."
Thomas fuhr mit seinen Armen in die Manschetten der Steuerung. Seine Beine fanden zielsicher die Pedale. Diese Maschine unterschied sich kaum von einem normalen Gernsback, und auf dem hatte er über dreitausend Stunden absolviert. In einer einzigen fließenden Bewegung ließ er den Arm Slave aufstehen. Langsam trieb er ihn ein paar Schritte voran. Auf dem Bildschirm konnte er beobachten, wie Weissmann mit gezwungenem Lächeln zu ihm hoch sah. Die Frau schwitzte mit Sicherheit gerade Blut und Wasser. Immerhin entschied es sich genau jetzt, ob er zu einer Orgie der Zerstörung startete, oder doch ihr temporärer Verbündeter war.
Thomas ließ die Maschine in die Hocke gehen, und sprang anschließend aus dem Stand in die Höhe. Mit federnden Beinen fing er den Gernsback wieder ab. Die Rückkopplungen waren gut justiert und erträglich. Er hatte ein sehr gutes Gefühl bei diesem Arm Slave. "Du bist gut eingestellt, Peggy."
"Danke, Sir. Lieutenant Thackeray ist, abgesehen von seiner verbesserungswürdigen Ausdrucksweise, ein Pilot mit feinem Gespür für Balance und Interaktionen."
"Dem kann ich nur zustimmen." Der Deutsche atmete tief ein. Der nächste Schritt würde über einiges entscheiden. Unter anderem wie lange er noch zu leben hatte. Ob er die Chance ergriff, nach neun Tagen vielleicht wirklich das Gegengift zu erhalten, oder nicht. "Aktiviere den Lambda Driver, Peggy."
"Jawohl, Sir. Aktiviere Lambda Driver."
Als die Rückenlamellen des Lambda Drivers ausfuhren, wichen die Zuschauer unwillkürlich einen Schritt zurück.
Edgar und Gary führten ihre Maschinen vorsichtig näher, wohl wissen, dass sie für einen Arm Slave mit Lambda Driver bestenfalls ein Frühstück waren. Auch oder gerade in ihren Gernsback.
Thomas fühlte das Feedback über die Steuerung, erahnte das was um ihn herum geschah. Spürte, wie die Sphäre des Drivers sich aufbaute. Spürte, wie seine Sinne eine gewisse Erweiterung erfuhren. Der Driver wurde durch Emotionen gelenkt. Durch starke Emotionen. Positive Emotionen. Sousuke hatte ihm einmal erzählt, wie Kaname ihn für seinen ersten Kampf gegen Gaurons damaligen Venom vorbereitet hatte. Sie hatte ihm eine schaurige Vision unterbreitet, in der ihr, seiner Schutzbefohlenen, unsagbare Dinge angetan wurden. Sie hatte seinen Trotz geweckt, seinen Widerwillen, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Und dann hatte sie ihm gesagt, dass er die Emotionen packen, bündeln und benutzen sollte.
Thomas versuchte ruhiger zu atmen, als ihm zumute war. Beschwor vor seinem inneren Auge die Szene am Hoover-Damm. Stellte sich vor, er hätte Sams Arm Slave nicht unter dem Wasser näher kommen gesehen. Stellte sich vor, wie Melissa vor seinen Augen in die Tiefe, den sicheren Tod gestoßen wurde. Dann nahm er dieses Gefühl, und entließ es in einem Schrei. Sein Kopf sank ihm auf die Brust, und eine gewisse Leichtigkeit machte sich in ihm bemerkbar. Er lachte leise, und nur langsam stellte er sich wieder der Realität. "Lambda Driver runter fahren, Peggy."
"Ja, Sir. Fahre Lambda Driver runter. Keine großen Schäden soweit."
Thomas runzelte die Stirn. "Wovon redest du, Peggy?"
"Sie haben die Aura entladen, Sir. Dabei wurden die näher stehenden Personen davon gewirbelt. Einige Maschinen wurden aus ihren Halterungen gerissen, und die beiden Gernsback, die von Süden auf uns zu gekommen sind, liegen noch immer am Boden. Aber ich kann keine großen Schäden feststellen. Und die Menschen bewegen sich auch wieder."
Thomas wurde bleich. "Ich habe doch gar nicht geschossen. Ich habe doch nur geschrien."
"Und damit haben Sie die Aura auf das zwanzigfache ausgedehnt, wenn auch nur für einen Moment. Sie hat dann alles gleich behandelt, unabhängig von der eigentlichen Masse, Menschen wie Arm Slaves. Na, fast. Die Menschen sind weiter weg geflogen."
Der Deutsche suchte nach Precious Weissmann und Thackeray, die sich gerade benommen wieder auf die Beine mühten. Sie lagen zehn Meter von ihm entfernt. "Wir kehren in das Wartungsgestell zurück. Danach fahr dich runter und öffne das Cockpit. Wir machen später weiter."
"Für elf einhundert ist meine Verladung geplant, Sir. Wenn Sie keine nachvollziehbaren Einwände haben, würde ich bis dahin aktiv bleiben und weitere Diagnosen fahren."
"Keine Einwände", erwiderte Thomas. Um elf Uhr Ortszeit sollte der Gernsback verladen werden? Da Thomas der designierte Pilot war, stand für ihn außer Frage, dass auch er dann aufbrechen würde. "Wo geht es denn hin, Peggy?"
"In unser Einsatzgebiet, Sir. Nach Iowa. Hat man Ihnen das noch nicht erzählt?"
"Nein, bisher noch nicht." Der Gernsback trat in das Wartungsgestell zurück und ließ sich in die Hocke sinken. Danach fuhr das Cockpit auf. "Ich fahre derweil die Selbstdiagnosen, Sir."
"Tue das", murmelte Thomas, zog die Hände zurück und kletterte aus dem Arm Slave.
Precious Weissmann stand bereits am Fuß der Maschine. "Sir, ich freue mich ja wirklich, dass Sie bereits so gut mit dem Lambda Driver umgehen können. Aber bitte beachten Sie doch zwei gut gemeinte Ratschläge von mir."
"Und die wären, Precious?"
"Erstens: Bitte testen Sie den Lambda Driver in Zukunft nicht in einer Wartungshalle. Sie haben den Technikern gerade ein paar zusätzliche Sonderschichten beschert."
"Einverstanden. Und die zweite?"
"Warnen Sie mich um Himmels Willen das nächste Mal vor, ja?"
"Einverstanden." Thomas ging an ihr vorbei und klopfte auf ihre Schulter. "Aber Sie haben es ja überlebt, oder?"
"Gerade so", brummte sie ihm nach.
Der Deutsche ging weiter durch die Halle, verfolgt von erschrockenen, feindseligen oder erstaunten Blicken. Freunde hatte er sich nicht gerade gemacht. Aber dafür war er ja auch nicht hier. Er reichte Thackeray die Rechte zum Aufstehen.
"Verdammte geile Scheiße, Kramer. Ich glaube, Sie passen ganz gut zu meinem Baby. Ich wäre gerne dabei, wenn Sie diese verräterischen, Vertragsbrüchigen ASRAA-Schweine filetieren."
"Wir werden sehen, was passiert, Thackeray." Er sah zu Weissmann zurück. "Verladung ist um elf einhundert?"
"J-ja, Sir. Das wollte ich Ihnen noch sagen. Wir werden ins erste Einsatzgebiet geflogen. Für den Anfang nehmen wir uns den Iowa-Tribe der ASRAA vor. Gut dreißig Arm Slaves aller Klassen. Zum Aufwärmen."
Thomas grinste dünn. "Ich bin gespannt, was passieren wird, Lieutenant. Sogar sehr gespannt."
***
Es geschah eher selten, dass der alte Keith Wong Süd-China verließ. Als Anführer der Gesellschaft von grauen Drachen am gelben Fluss hatte er das auch nicht nötig. Er besaß über fünfzigtausend willige Untertanen, die für ihn jederzeit um den Erdball geflogen wären. Seit er in die höchsten Spitzen der Gesellschaft eingeheiratet hatte, war viel für ihn passiert. Mit dem gewaltsamen Tod aller männlichen Erben der Herrscherfamilie vor Augen hatte er vor der Wahl gestanden, entweder mit seiner Frau zu fliehen und irgendwo ein geheimes Leben aufzubauen, jenseits des Todes und der Gewalt der Triaden-Banden, oder die Gesellschaft zu retten, bevor die Alten Männer sie in gierigen Machtkämpfen zu zerreißen und zum willigen Opfer der anderen Triaden-Banden zu machen. Keith hatte sich dafür entschieden sie zu retten, und war mit seiner Frau als Aushängeschild der Anführer der Gesellschaft geworden. Dies war nun vierzig Jahre her, und seitdem hatte er sich einen Ruf als ehrenwerter Gauner im Sinne der alten Werte etabliert. Oder um es burschikos zu sagen: Er legte Wert darauf, Verräter langsam zu Tode zu foltern, und Betrügern möglichst keine zweite Chance einzuräumen. Zusammen mit seinen drei Söhnen dirigierte er eine der kleineren, dafür aber kompakten Familien. Sie waren ein Fels, von außen nahezu unangreifbar, und bei Gegnern gefürchtet. Keith hatte beizeiten dafür gesorgt, dass die anderen Familien lernten, nicht neidvoll auf seine Gesellschaft und ihren Besitz zu schauen. Natürlich alles im Rahmen der Traditionen. War er aber nicht in einer verteidigenden Haltung, hätte man ihn durchaus als Schöngeist, Mäzen und großzügigen Menschen bezeichnen können. Leider lenkten seine Feinde, allen voran die Intrigen der anderen Ratsherren der Familie, ihn nur allzu oft ab. Wenn also Keith Wong freiwillig das Land verließ, und seinen Söhnen die undankbare Aufgabe überließ, daheim die Stellung zu halten, dann hatte etwas seine Aufmerksamkeit erregt. Oder seinen Zorn. Oder beides.

Die Ankunft des Triaden-Boss in Las Vegas kündigte sich mit einer Flut von schwarz gekleideten Sonnenbrillenträgern an, die zuerst den Flughafen fluteten, und danach das Venetian, in dem der Herr der Gesellschaft der Grauen Drachen vom Gelben Fluss Hof halten würde. Dafür hatte der alte Wong die Venetian Luxus Suite und die darunter liegenden Räumlichkeiten gebucht. Insgesamt bezahlte er über achtzig Räume und Suiten im Hotel. Und für einen äußerst großzügigen Obolus erlaubten es die Betreiber seinem persönlichen Sicherheitspersonal, überall im Hotel Aufstellung zu beziehen, und sogar den Service und die Küche mit seinen Leuten zu beschicken. Die ganze Aktion hatte gerade mal eine Nacht und einen Morgen gedauert, und danach waren etliche ausquartierte Gäste um ein paar tausend Dollar reicher. Nicht, dass es wirklich jemand ohne das US Marine Corps in der Hinterhand gewagt hätte, Keith Wong zu widersprechen oder ihm einen Wunsch zu verweigern.
Nach einem erklecklichen Rundgang durch das Hotel, unter dem künstlichen Himmel des Kanals und einer Gondelfahrt mit seiner Ehefrau Lucy über die Nachbildung des Canale Grande bezog er schließlich die vorbereitete Luxus-Suite. Wohl wissend, das den örtlichen FBI- und CIA-Agenten seit seiner Ankunft die Finger zitterten und die Ohren bluteten. Wohl wissend, dass Organisationen wie Amalgam und Mithril hunderte Agenten in der Stadt hatte. Wohl wissend, das er auf die Spionage und Gegenspionage, die seit dem Vorfall am Treasure Island in der Stadt herrschte, gehörig durcheinander wirbelte. Und das alleine nur, weil er da war.
Nach einer kurzen Nachmittagsruhe und einem leichten Abendbrot meldete sich sein Schwiegersohn an. Der Mann seines jüngsten Kindes, seiner einzigen Tochter besaß bei Keith hohes Ansehen, obwohl die meisten Alten den Deutschen lieber tot gesehen hätten, als im Bett von Lin. Nur allzu deutlich stand ihnen noch vor Augen, wie Keith in der Familie den Weg an die Spitze geschafft hatte. Und falls einige von ihnen eine Wiederholung der Ereignisse planten, hatten sie es diesmal nicht einfach nur mit einem angeheirateten jungen Mann zu tun, sondern mit einem internationalen Agenten mit eigenen Leuten, besten Verbindungen und langjähriger Erfahrung selbst im tiefsten Dreck, den die Erde zu bieten hatte.
Keith selbst mochte ihn vor allem deshalb, weil er nicht auf den Mund gefallen war. Einem anderen Mann wäre es auch nie gelungen, Lin zu zähmen. Und natürlich, weil er sich von Robert Hausen ein wenig an sein eigenes Schicksal erinnert fühlte.
Keith neigte dazu, dem Deutschen nicht zu sehr zu zeigen, dass er ihn mochte. Auch tendierte der Chinese dazu, ihm regelmäßig drakonische Strafen für den Fall anzudrohen, das seiner einzigen Tochter irgend etwas passierte. Nun war etwas passiert, und der Vater wollte wissen, wie viel Schuld an der Situation ausgerechnet Robert Hausen trug.

Michael Yin, Chef seiner Leibwächter und wie er selbst Hong Kong-Chinese, beugte sich zu ihm vor. "Wir haben Besuch, Sir. Ihr Schwiegersohn ist vorgefahren und hat mehrere Gäste mitgebracht. Die Scans haben nichts ergeben. Ihre Handwaffen haben sie am Fahrstuhl abgegeben."
"Gäste?" Wong sah besorgt zu seiner Frau herüber.
Lucy lächelte ihn mit Wohlwollen und Liebe an. "Lass nur, Schatz. Wenn Bertchen dabei ist, wird schon alles seine Richtigkeit haben. Er ist nicht dumm genug, um ausgerechnet dich zu gefährden. Und er ist viel zu schlau, um sich ausnutzen zu lassen."
Widerwillig gestand er sich ein, dass seine bessere Hälfte wie immer einen exzellenten Überblick über die Situation hatte. Wahrscheinlich einen besseren als er selbst. "Führt sie herein, Michael."
"Ja, Sir."

Die Flügeltüren der Suite öffneten sich, und zwei Bodyguards ließen eine Gruppe von vier Männern herein. Einer war Robert. Hinter ihm stand ein Asiat, den Wong nicht kannte, aber neben dem ging einer von Roberts Leibwächtern. Vorneweg aber kam ein Mann, den zu sehen Keith Wong nun schon einige Jahre nicht mehr die Freude gehabt hatte. "Anthony!"
Der Mafia-Pate breitete die Arme aus. "Keith! Fratello mio!"
Die beiden begrüßten einander auf die stürmische italienische Art. Dann herzte und küsste der Italiener auch seine Ehefrau. "Lucy, du wirst von Mal zu Mal schöner. Wie macht ihr Chinesen das nur?"
"Ein Betriebsgeheimnis", erwiderte sie lächelnd. "Entschuldige, dass wir uns nicht gleich bei dir gemeldet haben, wenn wir schon in deine Stadt gekommen sind, aber..."
"Ma no! Sorella mio, ich habe vollstes Verständnis für Eure Situation. Wenn irgend so ein Halunke auf meine einzige Tochter schießen würde, dann würde ich mich auch zuerst um ihn kümmern. Und danach, wenn die Familienangelegenheit beendet ist, würde ich mich den weniger wichtigen Dingen widmen. Entschuldigt bitte, dass ich hier so rein platze, aber ich helfe Roberto bei seinen Hausaufgaben. Tatsächlich ermitteln wir zusammen, welcher Stupido hier in meiner Stadt einen sowjetischen Kampfhubschrauber aufgefahren hat. Glaubt mir, es macht mich wütend, dass auf so brutale Weise auf Lin und Roberto geschossen wurde, auch wenn alles gut ausging."
"Ihr arbeitet zusammen?", hakte Keith nach, und bot dem Italiener einen Sitzplatz in der Couchecke an. Dann nickte er seinem Schwiegersohn zu, der steif näher kam, seinen Schwiegervater mit Handschlag begrüßte, und danach seiner Schwiegermutter Küsschen auf die Wangen gab.
"Si. Und ich muss zugeben, es macht einen riesigen Spaß. Ich wette, wir sind schon um etliches weiter als das FBI. Und wir wissen jetzt auch ziemlich genau, wer auf deine Tochter und Roberto schießen ließ. Aber es war eine anstrengende Arbeit."
"Genauer gesagt haben wir Indizien dafür, wer die Hubschrauberbesatzung beauftragt hat", warf Hausen ein. Er nickte seinem Leibwächter zu. Der Chinese verließ kurz den Raum und kam dann mit einer Box zurück. Die Größe der Box wies auf den Inhalt hin.
"Du brauchst sie nicht zu öffnen. Ich weiß das Geschenk zu schätzen, Robert", sagte Keith kühl. "War es der Schütze, oder der Pilot?"
"Der Schütze." Hausen nickte in Richtung des Asiaten. "Dies ist der Pilot. Er hat ein Geschenk für dich, Schwiegervater."
Der Asiate wurde kreidebleich, während er in seinem Jackett nach einem Baumwolltuch suchte. Er verbeugte sich tief von den Wongs, dann legte er das Tuch respektvoll auf dem Tisch ab. Sorgsam schlug er es auseinander. "Bitte, Wong-sama, Wong-hime, nehmen Sie dies als bescheidenen Versuch, mich für meine Dummheit zu entschuldigen."
"Der ganze Finger?", fragte Keith leicht erstaunt.
"Er hat geholfen, auf Lin zu schießen. Wäre er der Bordschütze gewesen, hätte ich mich nur mit der ganzen Hand zufrieden gegeben", log Hausen.
Keith Wong starrte auf das Tuch, dann sah er den Fremden an. Der Mann mied den Blick des Triaden-Herrschers und sah respektvoll zu Boden.
Langsam griff Wong nach dem Tuch, schlug den Finger wieder ein und steckte ihn in seine Jacke. "Ich akzeptiere deine Entschuldigung. Da du noch lebst, nehme ich an, dass auch meine Tochter deine Entschuldigung angenommen hat."
"Hai, Wong-sama."
"Und jetzt reden wir darüber, wie du deinen Fehler wieder gut machen kannst. Ich kann gute Piloten brauchen, auch wenn sie nur neun Finger haben. Du wirst meiner Familie in Zukunft dienen."
"Ja, Wong-sama."
"Gut. Und jetzt sollte mein Schwiegersohn mir erklären, warum auf seine Frau geschossen wurde."
Hausens Miene verdüsterte sich. "Durch meinen Fehler. Ich könnte ihn nicht mal sühnen, wenn ich dir meinen rechten Arm anbieten würde, Vater."
Lucy wollte aufbegehren, Partei für ihren Schwiegersohn ergreifen, aber Keith bat sie mit einem Wink um Stille. "Erkläre mir deinen Fehler, Robert."
"Der Angriff war eine Strafe. Einer meiner Auftraggeber hat versucht, mich umbringen zu lassen. Ich habe damit gerechnet, aber nicht damit, dass er zu solchen Mitteln greifen würde."
"Und wie heißt der ehemalige Auftraggeber, der dir und meiner Tochter nach dem Leben getrachtet hat?"
Hausen atmete heftig aus. "Amalgam."
Bedächtig legte Wong die Fingerspitzen beider Hände aneinander. "Dann", sagte er leise, "sollten wir uns bemühen, Amalgam eine Lektion zu erteilen."

7.
"Und ich hatte wirklich gehofft, ich würde den Rest meines Lebens von diesem Anblick verschont bleiben", seufzte Kurtz Weber laut genug, damit das Pärchen, das gerade den Flughafen von Dallas verließ, ihn hören konnte.
"Und ich habe wirklich gehofft, nie wieder dein After Shave riechen zu müssen. Mir hat sich drinnen schon die Nase gekräuselt, Kurtz", konterte Samantha Rogers.
Weber stieß sich von seinem Platz am wartenden Auto ab und kam langsam näher. "Mr. Scott, ich habe mir sagen lassen, dass Sie eine wahre Großtat vollbracht haben. Ich würde diese Frau nicht mal mit der Kneifzange anfassen."
"Siehst du. Das ist der Unterschied zwischen dir und einem Mann", erwiderte Sam.
"Will ich wissen, was hier vorgeht?", fragte der Hubschrauberpilot.
Weber und Rogers begannen zu lachen, dann begrüßten sie sich mit einer kurzen Umarmung. "Schön, dich zu sehen, Kurtz. Ich hoffe, du bist nahe dran."
"Schön auch dich zu sehen, Sam. Nicht so nahe wie ich gerne sein würde, aber ich habe ein paar interessante Informationen zusammen getragen." Er reichte Tim die Hand. "Mr. Scott, schön, Sie wieder zu sehen."
"Danke, Mr. Weber. Sie bringen uns auf den neuesten Stand?"
"Natürlich." Weber nickte dem jungen Mann mit der Sonnenbrille zu, der am Wagen stand. Flugs öffnete er die Fondtüren des Autos. "Ist das alles, was Ihr an Gepäck habt? Gut. Wir sollten jetzt fahren. Ich erkläre alles andere unterwegs." Er deutete in den Innenraum. "Ich habe ein paar Dosen Bier kalt gestellt."
"Na, der Mann gefällt mir", rief Sam hoch erfreut, reichte dem jungen Mann ihr Gepäck und stieg in den Wagen ein. Tim folgte ihr nach. Hinter Kurtz Weber wurde die Tür geschlossen, und der junge Mann stieg wieder ein. "Wie geplant, Sir?"
"Ja, fahr uns nach Fort Hood. Keine Sorge, es dauert nur ein paar Stunden. Das III. Army Corps wird uns bei dem was kommen wird, hilfreich zur Seite stehen."
"Also, jetzt bin ich aber gespannt", brummte Sam, öffnete den Kühlschrank und zog drei kalte Dosen Bier hervor.

Mit der offenen Bierdose in der Hand betrachtete Weber die beiden Offiziere von der FEANOR, während sie über die Akten gingen, die er ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Sie enthielten alle seine Berichte bis zum Amalgam-Stützpunkt in Dallas, an dem sich die Spur irgendwo in den Rocky Mountains verlor.
Sam klappte die Akte zu. "Und das heißt?"
"Das heißt, dass wir ihn nicht aus eigener Kraft finden können", sagte Kurtz gedehnt.
"Und das bedeutet was?", hakte Scott nach.
"Das bedeutet, dass wir Amalgam deshalb ein wenig auf die Nerven gehen sollten, anstatt die halben Rocky Mountains nach dieser geheimnisvollen Basis durchzukämmen."
"Und wie stellst du dir das vor, Kurtz?"
Weber grinste. "Wir haben hier einen Hubschrauberpiloten und zwei erfahrene Arm Slave-Piloten. Wir fahren auf einen Militärstützpunkt der US Army. Und wir wissen einiges über die Geschäfte, die Amalgam tätigt."
"Ach, diese Art von auf die Nerven gehen. Werden wir Ärger bekommen, auf diversen Abschusslisten stehen und anschließend durch halb Amerika gehetzt werden?"
"Garantiert, Sam."
"Das klingt nach deinem letzten Urlaub, Sam", merkte Tim an. "Von mir aus kann es losgehen. Wo setzen wir an?"
"Wir wissen, dass in den Corpus Christi-Zwischenfall, der den CIA rebellisch gemacht hat, eine Gruppierung namens ASRAA involviert war. Eine von diesen Banden von Fanatikern, die behaupten in allem was sie tun im Recht zu sein. Ohne auch nur irgendeine Form von Mehrheit hinter sich versammeln zu können. Sie haben Amalgam neulich ans Bein gepinkelt, und dürften demnächst in einige... Unerfreuliche Entwicklungen geraten."
"Moment, Kurtz, du willst uns hier doch nicht den alten Der Feind meines Feindes ist mein Freund-Scheiß andrehen?", fragte Sam argwöhnisch.
"Wir sollten die Möglichkeit in Betracht ziehen." Eine weitere Akte landete auf dem Schoß der Arm Slave-Pilotin. "Iowa. Dort steht eine Brigade der ASRAA. Sie ist den Rockys am nächsten. Und ich wette, wenn wir irgendwo auf Amalgam treffen, dann hier."
"Das wäre allerdings das erste Mal, dass sie sich offen stellen, anstatt mit Hilfe von Verrätern, Hinterhalten und anderen fiesen Tricks zu agieren", merkte Tim an.
"Es gibt für alles ein erstes Mal, Mr. Scott." Kurtz' Grinsen wurde breiter. "Wir Sie beide eindrucksvoll bewiesen haben."
Die linke Augenbraue von Lieutenant Rogers zuckte für einen Moment unkontrolliert. "Ich nehme noch ein Bier, Kurtz."
***

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Peggy erwies sich als gut gewartet. Der erste Eindruck hatte Thomas nicht getäuscht. Und die künstliche Intelligenz schien nach der ersten ausgiebigen Unterhaltung nicht weit hinter der des Arbalests zurück zu sein. Er hatte, abgesehen davon dass er in knapp neun Tagen sterben würde, keinen Grund sich zu beklagen.
Auch die Informationen, die er serviert bekam, ließen es an Detailfreudigkeit nicht mangeln. Der Feldagent, ein pausbäckiger, dicklicher Mann, der sich Wigfield rufen ließ, wischte sich während seiner Erklärung mehrfach die Schweißbedeckte Stirn ab. "Es ist unglaublich heiß, finden Sie nicht, Major Kramer? Also, wie ich bereits erwähnte, der Iowa Tribe ist die kleinste Gruppierung der ASRAA, und gleichzeitig auch die offizielle Seite. Alle Arm Slaves befinden sich auf einem privaten Gelände und sind in Privatbesitz. Jeder einzelne hat einen anderen eingetragenen Eigentümer. Das Gelände im ehemaligen Schaben Park nahe Woodbine dient offiziell als Trainingsgelände für Freizeit-Jockeys, die hier ihre unter der Woche eingestellten Arm Slaves Gassi führen. Natürlich weiß das Federal Bureau of Investigation sowohl von den umstürzlerischen Statuten der ASRAA, als auch davon, dass einige der Arm Slaves niemals auf legale Weise in Privatbesitz gekommen sein können. Aber rein von der Rechtslage her können sie nichts dagegen unternehmen, denn das erweiterte Waffenrecht von '11 erlaubt es jedem amerikanischen Staatsbürger neben dem Recht Waffen zu tragen auch einen eigenen Arm Slave zu besitzen. Und wie gesagt, das Trainingsgelände ist privat. Außerhalb der Anlage jedoch gelten die Arm Slaves als Behinderung des Straßenverkehrs, ein Umstand, den der Sheriff von Woodbine rigoros ahndet. Allerdings kann auch er nur den Arm Slave zurück auf das Gelände bringen lassen und dem Piloten eine Geldstrafe aufbrummen." Wigfield tauschte sein Taschentuch gegen ein frisches aus. "Organisationen wie die National Rifle Organisation und die Arm Slave Weapon Foundation achten peinlich genau darauf, dass das Recht auf eigene Waffen nicht verletzt wird. Die ASRAA benutzt den Schaben Park vor allem, um den Feddies, wie sie die offiziellen Vertreter Washingtons nennen, zeigen zu können wie hilflos sie sind. Dass sie derweil in Alabama und Tennessee ernsthaft am Umsturz der Bundesregierung arbeiten, ist den Behörden offiziell nicht bekannt." Weissmann reichte ihm ein Glas Wasser, was der untersetzte Mann dankbar annahm. "Jedenfalls wäre Sheriff Winston lieber heute als morgen froh darüber, im Schaben Park einmal richtig aufräumen zu können. Noch lieber wäre ihm allerdings, wenn die ASRAA ein für allemal verschwinden würden. Seiner Meinung nach sind solche ultranationalen Organisationen im modernen, aufgeklärten Norden völlig fehl am Platz und unerwünscht. Da wir nun ein wenig Streit mit der ASRAA haben, habe ich mit dem Sheriff verhandelt und die Möglichkeit eingeräumt, das Problem für ihn zu lösen, falls er eine Zeitlang in die andere Richtung sieht. Übrigens befindet sich die Nationalgarde derzeit in einer Katastrophenübung in den Amish-Siedlungsregionen am Mississippi. Ich bin sicher, dass die Garde im Falle einer Gefahr eher dazu tendiert, die friedlichen Amish zu schützen, als auf ein Gelände zu stürzen, auf dem sie befürchten muss, nicht nur vom Angreifer, sondern auch von der ASRAA angegriffen zu werden. Hier oben weiß man recht schnell und recht genau, wer Freund und wer Feind ist."
"Verstehe ich Sie richtig? Die ASRAA versaut Iowa ihr Image als weltoffener, friedlicher US-Staat, und würde die ASRAA lieber heute als morgen aus dem Land haben?", fragte Thomas.
"Das ist in etwa die Zusammenfassung. Die Nationalgarde würde die Verfassung jederzeit mit ihren Leben verteidigen, aber die tapferen Männer und Frauen sind schon ein wenig davon entnervt, dass die vielen Bürgerrechte, die alle amerikanischen Staatsbürger genießen, manchmal gegen die Verfassung gewendet werden, gegen ihre Vorstellung von Gleichheit, Rechtmäßigkeit und Freiheit." Wigfield suchte nach einem dritten Taschentuch. "Natürlich habe ich mit niemandem jemals gesprochen. Natürlich kennt man mich hier nur als gelegentlichen Besucher der privaten Manöver im Schaben Park. Kein Sheriff, kein Deputie und kein Mitglied der Nationalgarde würde hier je auf die Idee kommen, einem Bürger notwendige Hilfe zu verweigern, selbst wenn er einen Arm Slave besitzt und den Umsturz der Bundesregierung plant."
"Aber sie dürften etwas, nun, langsam reagieren?", hakte Thomas nach.
"Reicht Ihnen eine Stunde? Der Sheriff wird nicht viel Lust haben, in ein Arm Slave-Gefecht mit einem Streifenwagen einzugreifen, und vorher wird die Nationalgarde, ganz zu schweigen die Army keine Fahrzeuge hier her beordern können. Und die Air Force dürfte zu diesem Zeitpunkt kein Interesse an einer zivilen Auseinandersetzung haben. Wir sorgen dafür, dass das auch eine Stunde lang so bleibt."
"Eine Stunde ist mehr als reichlich." Thomas sah sich die Unterlagen an, die Wigfield mitgebracht hatte. Nachdem der Schaben Park vor acht Jahren gegen Höchstgebot verkauft worden war, hatte er sich verändert. Der Kernbereich war weitestgehend abgeholzt worden und beherbergte nun die Unterkünfte und Wartungsgestelle der ASRAA. Das umliegende Land diente als Manövergelände. Die Betreiber der Anlage waren mit Kollateralschäden nicht besonders zimperlich. Vor allem weil es ihnen als Warnung an Feddies und den Sheriff diente, nicht zu neugierig zu sein. Denn wie schnell konnte so ein Gigant versehentlich daneben treten?
Thomas zählte siebzehn dezentrale Gebäude. Die meisten von ihnen waren Wartungseinrichtungen. Mehr als genug um vierzig, fast fünfzig Arm Slaves aufzunehmen und instand zu halten. Derzeit erwartete er dreißig der verschiedensten Klassen. Vom Rand des Geländes über das Übungsgebiet zu den Gebäuden im Wald waren es fünf Kilometer. Mehr als genug Zeit, um die Verteidiger zu warnen. Ob die Warnung ihnen etwas nützte, war allerdings fraglich.
"Gibt es Fallen auf dem Gelände? Scharfe Munition?"
"Ich war, solange ASRAA und Amalgam noch in die gleiche Richtung geschossen haben, ein paarmal Gast bei "Colonel" Frank Saunders, dem Betreiber der Anlage. Fallen habe ich nie entdeckt. Ich habe aber auch nie danach gefragt. Scharfe Munition gibt es allerdings mehr als genug. Auf dem Gelände gibt es einen Schießstand. Die Munitionsvorräte reichen, um alle Maschinen für drei Gefechtstage mit Munition zu versorgen."
"Die Frage ist, Sir, wie schnell die Techniker der ASRAA arbeiten. Die Frage ist, ab wann sie merken, das sie angegriffen werden", warf Weissmann ein.
Thomas sah zu Wigfield herüber. "Wie sieht es aus? Wird der Sheriff uns verpfeifen? Hat die ASRAA Leute bei seinen Männern? Was ist mit dem FBI? Die werden das Gelände doch sicher beobachten. Wenn ihre Nachrichtenkanäle angezapft sind, reicht das bereits."
"Ich kann Ihre Bedenken nachvollziehen. Aber das FBI wird bis zum Beginn Ihrer Aktion nicht mehr zu sehen kriegen als einen Arm Slave, der regulär auf das Gelände transferiert wird." Er musterte Weissmann und die anderen beiden Piloten aufmerksam. "Sie sind sich sicher, dass Major Kramer diese Aktion allein durchführen wird?"
"Wir sind in der Nähe auf Standby. Sollte er Probleme haben, oder sollte es notwendig sein, mehrere Arm Slaves einzusetzen, werden wir eingreifen", erwiderte die Pilotin. Etwas frustriert fügte sie hinzu: "Aber ich befürchte, das müssen wir nicht."
Edgar lachte zu diesen Worten sichtlich amüsiert. Gary hingegen schien die Gemütsregung seines Lieutenants zu teilen.
"Beeindruckend. Das ist also die Stärke eines Arm Slaves mit Lambda Driver. Wann wünschen Sie, dass wir mit der Aktion beginnen, Major Kramer?"
Der Deutsche griff nach seinem bereit liegenden Kampfanzug. "Sofort, Mr. Wigfield. Ich habe keine einzige Sekunde zu vergeuden."
"Aber wollen Sie nicht erst noch die Fotos mit den primären Zielen ansehen?", rief der Agent.
"Wozu? Mein Auftrag lautet, die ASRAA in Iowa auszulöschen. Wenn ich fertig bin, wird es keine Arm Slave Republic Army of America mehr geben. Und eine Army auch nicht mehr. Es bleibt dann nur noch das Republic America. Falls ich ihnen das überhaupt lasse."
"Sie haben es sehr eilig, Major Kramer", tadelte Wigfield.
Thomas grinste dünn. "Geschwindigkeit ist die Lebensversicherung eines Arm Slave-Piloten. In meinem Fall gilt das besonders."

Der Deutsche verließ den Besprechungsraum und suchte die Duschen der großen Wartungshalle auf. Bedächtig wechselte er von seiner neutralen Uniform in den Kampfanzug. Zweifel kochten in ihm hoch. Zweifel darüber, ob er den Lambda Driver überhaupt einsetzen konnte. Zweifel, ob er genügend Willenskraft besaß, um die Waffe auch nur annähernd so lange einzusetzen, wie es die mit Drogen voll gepumpten Venom-Piloten geschafft hatten. Zweifel, die nächsten acht Tage zu überstehen, unabhängig vom Gift in seinem Körper. Und Zweifel am Sinn der ganzen Mission, gepaart mit der Angst, Unschuldige zu töten. Oh, er war sich mittlerweile relativ sicher, dass die meisten Erinnerungen, in denen er Kinder und Zivilisten tötete, aufindoktriniert waren. Aber er war sich auch sehr sicher, dass die Angst, ungewollt Zivilisten zu töten durchaus zu seiner Persönlichkeit gehört hatte, bevor Amalgam damit begonnen hatte, ihn mit der Black Technology zu foltern und zu manipulieren. Als er in die Arme des Anzugs schlüpfte, ballte er beide Hände probeweise zu Fäusten. Jemand würde dafür bezahlen. Jemand würde für diese künstlichen Erinnerungen zahlen. Und dieser Jemand hatte langes weißes Haar und ein Mädchengesicht.
Doch tief in ihm pochte die irrationale Angst, dass er sich irrte, dass er verdrängte, dass all diese Erinnerungen genauso gut wahr sein konnten. Das ängstigte ihn weit mehr als die Aussicht, in knapp neun Tagen an Testarossas Gift zu sterben. Aber er würde es nicht zeigen. Niemals. Diese Genugtuung gönnte er Testarossa nicht. Langsam stand er auf, streckte die Arme aus. Er war bereit, um Tod und Verderben zu bringen. Wieder einmal.
***
Kurtz Weber hatte ganze Arbeit geleistet. In Ford Hood hatte sie nicht nur ein Paar einsatzbereiter, aufmunitionierter M9 Gernsback erwartet, die startbereit auf einem Hercules-Transporthubschrauber bereit lagen, nein, er hatte auch einen vollen Satz Papiere für die beiden Mithril-Agenten von der FEANOR besorgt. Mit diesen Ausweisen und den dazu gehörigen Sondervollmachten hätte es Tim leicht gehabt, ins Pentagon rein zu marschieren. Darüber hinaus hatte Kurtz für eine fähige Verladecrew und einen schweigsamen Co-Piloten gesorgt, die ihre Mission unterstützen würden. Tim wusste nicht genau, wie Weber diese US Ranger dazu gebracht hatte, mit Mithril zu kooperieren. Aber sicherheitshalber stellte er keine entsprechende Frage an seinen Co-Piloten, um keine schlafenden Hunde zu wecken.
Sie hatten eine freigegebene Flugroute bis Des Moines, Iowa. Dort wollten sie sich auf die Lauer legen und den einzigen offiziellen Stützpunkt der Arm Slave Republican Army of America observieren, in der Hoffnung das Amalgam die Provokation von Corpus Christi nicht auf sich beruhen ließ, und ihnen damit eine Spur legte. Eventuell konnten sie mit zwei Spitzenpiloten wie Kurtz und Sam sogar den Amalgam-Angriff abschlagen und Gefangene machen. Falls kein Venom mit Lambda Driver eingesetzt wurde. Eine, wie Tim zugeben musste, sehr flüchtige Hoffnung. In jedem Fall würden sie von Des Moines mehr Informationen erhalten als sie brauchten, denn obwohl es keine Beweise dafür gab, dass die ASRAA im Anschlag auf den US-Präsidenten verwickelt war, so reichten die Vermutungen allemal, damit das FBI die ohnehin schon unter Beobachtung stehende, militante Truppe noch schärfer ins Visier nahm. Derweil würden der Hercules-Hubschrauber und die beiden Arm Slaves in Dauerbereitschaft stehen, um jederzeit ins Zielgebiet bei Woodbine rüber zu fliegen.
Und mit ein bisschen Glück wusste das FBI die waffentechnische Unterstützung zu schätzen, die zwei voll ausgerüstete, mit Elite-Piloten bemannte M9 bedeuteten.

"Das hat mir gerade noch gefehlt!", fluchte Special Agent Casoli beim Anblick der drei Mithril-Agenten. "Ich stecke mit meinen Kids bis zur Halskrause in der Scheiße, und die Idioten vom Pentagon drücken mir ein paar Cowboys aufs Auge!"
Der erschreckend hagere Mann musterte die beiden Männer und die junge Frau ärgerlich. Wenn er sich bewegte wurde deutlich, wie knochig er war, und wie wenig er seinen unauffälligen Geschäftsanzug wirklich ausfüllte. Dieser Posten schien eine Menge Stress zu bedeuten. Oder aber Casoli war einfach der hagere Typ. " Geben Sie mir Ihre Papiere!" Mit wütender Miene vertiefte er sich in die Unterlagen der drei Mithril-Agenten.
"Ich kann es nicht glauben. Unterschrieben vom Minister für Justiz und Heimatschutz. Hier steht, dass ich Sie in allen Wünschen und Belangen zu unterstützen habe." Wütend sah er von den Dokumenten auf. "Okay, jetzt sage ich Ihnen, wie wir das hier draußen regeln. Ich bin seit anderthalb Jahren hier vor Ort, und seit vier Monaten Teamleiter! Ich beobachte diese kleinen reaktionären Scheißer und ihre Arm Slaves, und ich bin bereit, beim kleinsten Anzeichen einer Straftat oder illegalen Handlung da rein zu rauschen wie der Erzengel Michael auf die Horden der Hölle hernieder fährt! Ich will diese Bastarde lieber heute als morgen vor Gericht schaffen, und für all die kleinen Dinge büßen lassen, die sie meinen sich leisten zu können, weil die Verfassung sogar sie beschützt! Und da gibt es eines, was ich nicht akzeptieren werde! Wenn mein Fall platzt, wenn irgend ein Bundesgericht einen Grund findet, meinen Prozess wegen Verfahrensfehlern oder illegalen Handlungen während der Verhaftung einzustellen, dann habe ich anderthalb Jahre meines Lebens ins Klo gespült! Anderthalb Jahre! Für uns vier heißt das, dass Sie sich in diese Halle begeben, und dort bleiben. Und zwar genau so lange, bis ich Sie rufe! Und danach handeln Sie nach meinen Anweisungen, und zwar exakt nach meinen Anweisungen! Tun Sie das nicht, kante ich Sie erst aus Des Moines, und danach aus Iowa wieder raus! Ich lasse mir die Arbeit von achtzig Agents und dreißig US-Marshals nicht kaputt machen! Ist das klar?"
Sam schnaubte abfällig. "Special Agent Casoli, wenn ich..."
"Sir reicht vollkommen, Lady! Mit wem habe ich die Ehre?"
"First Lieutenant Rogers. Sir. Ich bin die ranghöchste Offizierin dieser Mission." Die beiden maßen sich mit stechendem Blick. Diese Musterung schien zu Casolis Zufriedenheit auszufallen. "Reden Sie, First Lieutenant."
"Wir haben weder vor, Ihre Ermittlungen zu sabotieren, noch etwas dummes anzustellen, das irgend ein Gericht dazu zwingt, diese Fanatiker wieder ungeschoren laufen zu lassen. Aber wir sind auch nicht hier, um Ihnen zu helfen. Wir haben lediglich im Moment die gleichen Ziele. Sie allerdings, Sir, sind hier, um uns zu helfen, wenn ich Sie an das Schreiben des Ministeriums erinnern darf. Nein, lassen Sie mich ausreden. Also, wir sind gerne bereit, uns in die Halle zurückzuziehen, und auch dort zu bleiben, bis unsere Missionszeit abläuft, falls wir unseren Einsatz nicht kriegen. Aber wir wollen weder von den Informationen abgeschnitten werden, noch demütig darauf warten, dass Sie uns die Erlaubnis zum Einsatz geben. Wir sind Profis. Soldaten. Wir haben eine andere Erfahrung als Sie und kennen das Arm Slave-Geschäft. Als Profis wissen wir, wann wir gebraucht werden. Ich bitte Sie also höflichst darum, bei der Entscheidung, ob unser Einsatz benötigt wird, die vorhandenen Spezialisten zu Rate zu ziehen. Und das sind wir drei, wenn es Recht ist."
Special Agent Casoli sah sie einige Zeit an, dann räusperte er sich. "Das hatte ich ohnehin vor. In der Halle steht mein Hauptquartier. Die Daten von einhundert Kameras, fünfzig Richtmikrophonen und einem Satellit laufen dort zusammen. Sie haben freien Zugriff. Und ja, ich werde Sie von der Entscheidung nicht ausschließen, ob Ihr Einsatz notwendig ist oder nicht. Ich denke, damit können wir alle leben." Er wandte sich in Richtung Halle und winkte seinen Agenten. "Kommen Sie, Mithril, da drin gibt es einen hervorragenden Kaffee!"
"Na, das nenne ich doch mal Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen", frohlockte Weber und folgte dem Special Agent.
"Mich wundert, dass du so ruhig und geduldig geblieben bist, Sam", schmunzelte Tim und folgte ebenfalls.
"Du tust ja gerade so, als wäre es meine Natur, alles und jeden anzuschreien, und Probleme mit Wutanfällen zu lösen, Tim", tadelte sie. "Sag mal, lachst du gerade?"
"Wie kommst du denn darauf, Sam?", fragte Tim unschuldig.
***
Es gab Dinge, die waren einfach nicht fair. Für Kaname Chidori fiel unter diesem Begriff alles, was ihren Schlaf unterbrach. Seit sie mit Mithril zusammen geraten war, seit sie Sousuke kannte, hatte sie oft genug keinen oder wenig Schlaf bekommen. Grund genug, aus ihrem Recht auf ausreichend Schlaf am Stück einen Grundanspruch zu machen. Oder anders ausgedrückt, sie wurde sehr schnell sehr wütend, wenn sie geweckt wurde. Allerdings wurde sie auch immer sehr vorsichtig, denn seit einiger Zeit war mit dem Aufwecken auch mal Tod, Zerstörung und Gewalt verbunden.
Im Moment wurde ihre Vordertür geradezu mit Gewalt malträtiert. Da das Ding aus Metall war, hallte es nicht nur durch die ganze Wohnung, sondern auch gleich durch das ganze Treppenhaus. Kaname machte sich klar, dass ihr unbekannter Besucher damit über kurz oder lang die Polizei auf den Plan rufen würde, und dann war es vorbei mit der restlichen Nachtruhe. Ihre gesunkene Reputation bei den Nachbarn war auch noch zu bedenken. Sie lebte seit Anbeginn ihrer Highschool-Zeit alleine, und sie hatte bewiesen, dass sie mit der Situation sehr gut umgehen konnte. Sie war selbstständig, und ihre Nachbarn akzeptierten das. Diese Lärm-Aktion hingegen würde ein umso schlechteres Licht auf sie werfen, je länger es dauerte. Außerdem war es eher unwahrscheinlich, dass Amalgam anklopfen würde, um in ihre Wohnung einzudringen.
"Was ist denn?", fragte Kim verschlafen.
Kaname beneidete die Deutsche um ihre Fähigkeit, immer und überall so tief zu schlafen, dass selbst eine Bombe neben ihr explodieren konnte, ohne sie zu wecken. "Irgendwer an der Tür", brummte sie missmutig. "Schlaf weiter."
"Um diese Zeit?" Sie gähnte herzhaft. "Aber es ist... Warte, halb eins am Morgen. Wer kann das sein?"
"Wer immer es ist, ich hoffe ich kenne ihn nicht, denn jetzt bin ich in der Lage, ihn zu töten!", erwiderte Kaname und stapfte an Kims Zimmer vorbei.
"Warte einen Augenblick", bat Kim. Sie verschwand kurz wieder, und hatte danach eine Pistole in der Hand. "Ist zwar eher unwahrscheinlich, dass Amalgam anklopft, aber Thomas sagt immer, man hat schon Pferde kotzen sehen."
Ungläubig starrte Kaname auf die Pistole. "Seit wann hast du eine Waffe?"
"Habe ich das nicht erzählt? Ich habe einen Waffenschein und eine Waffenbesitzkarte. Meine Botschaft hat dafür gesorgt, dass ich sie auch ganz legal in Japan tragen darf. Und ich kann sie zur Selbstverteidigung einsetzen." Ihr leicht verschlafenes Gesicht wich gespannten Zügen. "Also eventuell in einer Minute."
Ernüchtert setzte sich Kaname wieder in Bewegung. Sie verzichtete darauf, Kim dafür zu tadeln, dass sie eine Waffe in ihre Wohnung gebracht hatte, denn eventuell würde die Walter PPK gleich sehr nützlich sein - höchstwahrscheinlich aber auch nicht.
"Chidori, öffne bitte!", klang die Stimme von Sagara jenseits der Tür auf.
Kims Züge entspannten sich wieder. Sie ließ die Waffe sinken und sicherte sie. "Sousuke. Also keine Gefahr. Er würde niemals im Leben zulassen, dass dir etwas passiert. Eher würde er sterben."
Kim lächelte von einem Ohr bis zum anderen. "Du weißt doch, er ist bis über beide Ohren in dich..."
"Was auch immer", sagte Kaname hastig. "Wenn Gun-so Sagara keinen wirklich guten Grund hat, uns um halb eins am Morgen aus dem Bett zu schmeißen, dann werde ich ungemütlich. Ja, doch, ich komme schon!"
Kaname ging an die Tür, riss sie auf und murmelte: "Und das muss ein wirklich guter..."
Als die Japanerin mitten im Satz stockte, horchte Kim auf. "Und? Hat er einen guten Grund?"
Anstatt zu antworten, zog Kaname die Tür ganz auf. Im Flur standen Sousuke Sagara und ein gutes Dutzend lächelnder asiatischer Frauen in schwarzen Anzügen mit klassischen Ray Ban-Sonnenbrillen. Nun, sie hatten keine Waffen in der Hand, aber das hieß nicht, dass sie keine hatten.
"Lass es mich erklären", sagte Sousuke hastig.
Kaname hatte mittlerweile die Arme vor der Brust verschränkt. "Das solltest du wirklich, Gun-so Sagara!"
Als sie seinen militärischen Rang benutzte, zuckte der Elite-Pilot merklich zusammen.
"Verzeihung, Miss Chidori, aber dürfen wir eintreten?", fragte eine der Frauen. Sie hatte einen starken chinesischen Akzent, und irgendwie kam sie Kaname bekannt vor. "Nur ein kleiner Check-Up. Und wir bedauern die Umstände."
"Oh!" Im Augenblick der Erkenntnis schlug die Oberstufenschülerin die geballte Rechte in die offene Linke. "Du bist Mei. Die Chefin von Lins Leibwache."
Die Chinesin verbeugte sich leicht. "Es freut mich, dass Sie mich wiedererkannt haben, Miss Chidori. Äh, dürfen wir? Wir wollen nur feststellen, von welchen Positionen aus in Ihre Wohnung geschossen werden kann."
"Ja, ja, natürlich." Erschrocken und überrumpelt ließ sie die zwölf Frauen an sich vorbei in die Wohnung. Es war kurz und schmerzlos.
"Und, Gun-so?"
Sousuke begann merklich zu schwitzen. "Du weißt, ich würde nie etwas tun, was dich gefährden könnte", sagte er zaghaft.
"Aber?" "Robert Hausen hat mich angerufen. Er hat seine Frau aus den USA ausfliegen lassen. Er hat ein paar Gefallen eingefordert, die ich ihm schulde. Er möchte, dass seine Frau nicht nur von ihrer Garde beschützt wird, sondern auch von Mithril. Und da..."
"Und weil Mithril mich und Kim ohnehin rund um die Uhr bewacht, hast du dir gedacht, bis die da oben reagieren, bringst du sie in meine Wohnung."
"Ja, das ist in etwa die kurze Version."
"Ja, worauf wartest du denn noch? Die Frau ist schwanger! Lass sie nicht so lange unten warten, Gun-so!"
Wieder begann der Elite-Pilot zu schwitzen. "I-ich muss erst..."
Mei erschien wieder, und ihr Lächeln war noch breiter. "Danke, Miss Chidori. Wenn Sie erlauben, holen wir jetzt unsere Herrin."
"Tun Sie das, Mei." Sie nickte der Chinesin freundlich zu, die sodann die Hälfte ihrer Leute wieder auf die Straße schickte.
"Und nun, Gun-so? Willst du da stehen bleiben, oder rein kommen? Ich denke, wir könnten eine erste Verteidigungslinie von Mithril gebrauchen, oder?" Kaname trat zur Seite, griff in den Kragen Sagaras, und zog ihn hinter sich her. "Und nein, ich bin dir nicht böse, dass du Lin hier her gebracht hast."
"Aber auf irgend etwas bist du böse, oder?", riet Sousuke.
"Ja, darauf, dass du uns zu dieser Unzeit geweckt hast", klang Kims Stimme auf. Ihre Tür öffnete sich, und sie schob zwei der Leibwächterinnen nach draußen. "Wie machen wir das denn, wenn die alle hier bleiben wollen? Ich meine, ich bin ja schon eine mittelschwere Belastung für deine Wohnung, Kaname. Und unser lieber Sousuke hat da sicher nicht dran gedacht."
"Die Leibwächter werden teilweise hier im Gebäude untergebracht", erklärte Sagara mit möglichst sachlicher Stimme. "Ein paar werden immer vor oder in der Wohnung sein, solange Lin hier ist. Nur wenn sie ebenfalls in deiner Wohnung ist, wird gewährleistet, dass Mithril im Falle einer Penetration auch eingreift."
Kaname zog weiter an Sousukes Kragen. Kim folgte den beiden. "Jetzt wird es wohl interessant."
"In der Tat. Gun-so, du wirst mir jetzt erklären, warum Lin Amerika verlassen musste."
"Sie ist schwanger", erklärte Sousuke.
"Und? Was noch?"
"Wie, was noch? Robert hat sich mit Amalgam angelegt, weil die den Kampfhubschrauber geschickt haben. Er befürchtet, dass es genug Ärger gibt, um Lins Leben zu gefährden. Deshalb hat er sie aus der Schusslinie gebracht. Sie wird nur ein paar Tage bleiben, bis ihre Eltern, die gerade in Las Vegas sind, nach Shanghai zurückkehren. Dann kann sie sicher sein, dass sie auch in ihrem eigenen Zuhause sicher ist."
"Was ist mit der Villa hier in Japan?", fragte Kim. "Ich dachte, Robert lässt sich die Sicherheit einiges kosten."
"Ein Großteil der Sicherheit der Villa besteht darin, dass niemand den Besitzer kennt. Ansonsten ist sie sehr leicht anzugreifen, aber schwer zu verteidigen", erklärte der Arm Slave-Pilot. "Und im Moment steht es um die Geheimhaltung nicht so gut. Lin soll auch nicht..."
"Zum Druckmittel für Robert werden", klang eine neue Stimme aus dem Flur auf. Lin betrat den Wohnraum. Sie strahlte vor Freude, und obwohl sich die Frauen noch vor wenigen Tagen in Las Vegas gesehen hatten, schloss sie Kaname und Kim herzlich in die Arme. "Meine Mädchen. Ich freue mich so, euch schon wieder zu sehen." Sie sah Kaname direkt in die Augen. "Und? Gewährst du mir Asyl? Immerhin ist das hier dein Reich, und dein Sousuke war zwar ein hilfreicher Kontakt, aber er ist weit davon entfernt, über deine Wohnung zu verfügen, oder?"
Kaname seufzte ergeben. "Wie könnte ich so herzlos sein, und eine schwangere Freundin in Not raus werfen? Natürlich kannst du bleiben. Und da Mithril noch keine Arm Slaves geschickt hat, dulden die oberen Stellen deine Anwesenheit auch, denke ich mal. Kim, kannst du kurzfristig zu mir ziehen und dein Zimmer Lin überlassen?"
"Selbstverständlich. Ich packe mir nur ein paar Sachen um."
"Einen Futon haben wir mitgebracht", sagte Sousuke. "Du kannst mich jetzt übrigens wieder los lassen, Kaname."
Die Whispered lächelte ihn engelsgleich an und zog sein Gesicht bis kurz vor ihres herab. "So, kann ich das, Gun-so Sagara?"
"Ich habe nichts gesagt."
Lin lachte leise. "Ihr seid ein sehr interessantes Paar. Keine Sorge, Kim, der Futon ist für mich. Ich kann dir ja dein Bett nicht wegnehmen."
"Und ich kann nicht zulassen, dass eine schwangere Freundin auf einem dünnen Futon schlafen muss, während ich in einem weichen Bett liege. Keine Widerrede. Es ist ja nur für ein paar Tage."
Lin wischte sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augen. "Danke. Und das, obwohl ich dir und Tessa damals so viele Schwierigkeiten gemacht habe."
"Oh, ich erinnere mich vor allem an die gute Pflege, die du uns nach den Sitzungen in der südchinesischen Einrichtung gegeben hast. Und an unsere riskante Flucht, die du organisiert hast. An Schwierigkeiten erinnere ich mich kaum."
Bei Lin brachen alle Dämme. Dankbar umarmte sie Kim. Dabei heulte sie Rotz und Wasser.
"L-lass doch das Weinen, bitte. Sonst... Sonst muss ich auch..."
Als Kim einfiel, wurden selbst Kaname die Augen feucht. Sagara, der die Chance sah, sich in diesem unbedachten Moment zu befreien, merkte verwundert, dass die Whispered ihren Griff noch verstärkt hatte. "Denk nicht mal dran, Gun-so. Und ich hoffe, die Leibwächter haben auch einen Futon für dich, denn du wirst diese Wohnung nur noch für die Schule verlassen. Oder denkst du wirklich, ich will in dieser Situation keinen schnellen Ansprechpartner von Mithril direkt vor Ort haben?"
Das ließ die Deutsche und die Triaden-Prinzessin aufhorchen. "Mei, wir brauchen noch einen Futon."
"Natürlich, Mylady." Die Anführerin der Leibwächter nickte einer ihrer Frauen zu. Die überprüfte ihren Satz an goldenen Kreditkarten und zog sofort los. Der erste Futon wurde gerade geliefert und in Kanames Raum gebracht.
"Kim, hältst du es vielleicht ein wenig mit mir aus?", fragte Lin lächelnd.
"Was? Natürlich halte ich es mit dir... Ach so, du meinst... Natürlich. Es wäre mir eine Ehre und eine Freude, mit dir ein Zimmer zu teilen. Ich meine, Sousuke ist ja für Kanames Schutz eingeteilt, und wir können ihn ja nicht in ein anderes Zimmer stecken. Das würden deine Leibwächter sicher auch nicht so gerne sehen, oder?"
"Hä? Und wo soll Sousuke dann schlafen? In meinem Zimmer?"
"Kaname, das ist eine sehr gute Idee. Das Wohnzimmer wird wohl von den Leibwächtern belegt werden. Dann ist das der einzige Platz für ihn. Außer, du quartierst ihn in der Dusche ein."
"Aber... Aber... Aber... Natürlich quartiere ich ihn nicht in der Dusche ein."
Nun begann der Arm Slave-Pilot richtig zu schwitzen.
Verlegen sah Kaname von ihm fort, eine Hand am Mund, um die Peinlichkeit zu verbergen. Ihren Griff um seinen Kragen verstärkte sie dabei noch. "Aber ich alleine mit Sousuke in einem Zimmer? Ich meine..."
"Keine Sorge", sagte Kim beinahe ein wenig enttäuscht. "Ich bin mir sehr sicher, dass Gun-so Sousuke Sagara seine Pflicht sehr ernst nehmen und dich perfekt beschützen wird."
"Ja, das befürchte ich auch", meinte Lin mit einem Seufzen.
Kaname sah Sousuke wieder an. Der junge Mann zitterte am ganzen Leib. "Hältst du es denn mit mir aus, Sousuke? Ich meine, ich bin nicht Tessa, und..."
Durch den jungen Mithril-Söldner ging ein Ruck. Er richtete sich trotz des Zugs von Kanames Hand auf. "Natürlich. Du kannst dich einhundert Prozent darauf verlassen, dass ich dich notfalls mit meinem Leben beschützen werde."
Ein wenig enttäuscht sah die junge Frau zur Seite. "Ja, das habe ich mir gedacht. Bei dir bin ich sicherer als in Fort Knox. In wirklich jeder Beziehung."
"Selbstverständlich bist du das, Kaname. Ich... Warum guckt ihr mich alle so merkwürdig an?"
"Schon gut, Gun-so", sagte Kim ergeben. "Wir haben ehrlich gesagt nichts anderes erwartet."
In diesem Moment schien allen Frauen im Raum ein kollektiver Seufzer zu entfahren. Kaname ließ sogar seinen Kragen los.
"Ich verstehe nicht", stammelte Sagara.
"Auch das war uns klar." Kim lächelte die Chinesin an. "Na dann, willkommen bei uns, Lin."
"Ja, fühle dich ganz wie Zuhause. Und frage ruhig, wenn du etwas brauchst."
Lin sah die beiden Mädchen durch einen Schleier aus Tränen an. "Kaname... Kim... Ihr seid so gut, so nett und so lieb." Sie schloss die beiden in die Arme und weinte ungehemmt.
Sousuke, mit der Situation überfordert, aber schlau genug dies nicht zuzugeben, tat das was er am besten konnte. Er richtete sich kerzengerade auf und wartete ab, bis dieser gefährliche Moment vorüber war. Manchmal war militärischer Drill auch im realen Leben mehr als nützlich.
***
"Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr. Hausen." Jovial reichte Sheriff Winston dem Waffenhändler die Hand. "Mein Vetter Tony hat nur Gutes über Sie berichtet."
"Ihr Vetter?", argwöhnte Robert Hausen und ergriff die dargebotene Rechte für einen deftigen Shakehands.
"Vetter fünften Grades. Aber wir haben uns eigentlich immer gut verstanden, solange jeder auf seiner Seite geblieben ist. Es hat sich jedoch heraus gestellt, dass wir ab und an gut daran getan haben, unseren Kontakt nicht abreißen zu lassen. Beziehungen auf beiden Straßenseiten sind manchmal sehr nützlich."
"Ich verstehe." Hausen lächelte dünnlippig. Der Sheriff hatte ihm gerade zu verstehen gegeben, dass er genug über die kriminellen Machenschaften von Onkel Tony wusste, und dass sie ab und an zusammenarbeiteten, wenn es für das Gesetz alleine oder die Mafia auf sich gestellt zu schwierig wurde. Ansonsten blieb jeder da wo er war. Alles in allem war dieser Kontakt eine mehr als glückliche Fügung für Roberts Rachepläne an Amalgam. Kurtz Weber, und speziell seine Rechte Hand Pietro Antonelli berichteten nicht nur Mithril, sondern auch ihm. Deshalb wusste er von der Verwicklung der ASRAA in den Vorfall in Corpus Christi, der Tessa und die anderen beinahe das Leben gekostet hatte. Deshalb wusste er, dass Amalgam den untreuen Partner ASRAA schon sehr bald zur Rechenschaft ziehen würde. Schmerzhaft, gewalttätig, so schwer, dass die Revoluzzer es nie wieder vergessen würden. Falls es sie danach überhaupt noch gab. Und das war die Stelle, an der Robert Hausen die Bühne betrat. Nach dem misslungenen Anschlag auf sein Leben und das seiner Frau - was er persönlich noch viel übler nahm - würde er seinerseits eine Warnung an Amalgam schicken. Und auch diese Warnung würde die Organisation nicht so schnell vergessen.
"Was kann ich Ihnen also Gutes tun, Mr. Hausen?"
Robert sah kurz hinter sich. Fünf Männer seiner Garde standen bereit, wachsam die Umgebung musternd. Einer von ihnen trug einen langen, schmalen Aluminiumkoffer mit sich, in der sich das Werkzeug befand, mit dem er seine Rache beginnen würde. "Für den Anfang reicht mir ein Hotel für mich und meine Männer. Danach wäre Zugriff auf das Funknetz der Polizei ganz nett."
Winston grinste schief. "Solange am Ende diese verdammten ASRAA-Idioten aus meinem County verschwinden, würde ich Ihnen Zugriff auf meinen Fernseher geben, Mr. Hausen."
Robert lächelte kalt. "Oh, ich bin sicher, dass die ASRAA nicht mehr lange ein Problem sein wird. Nicht in Iowa. Und ich werde dafür sorgen, dass keine weiteren Probleme entstehen werden."
"Ich glaube, wir beide werden richtig gute Freunde", stellte der Sheriff zufrieden fest.
"Auf jeden Fall werden Sie sich immer an mich erinnern", versprach Hausen.


8.
"Und Sie wollen wirklich keine Unterstützung?", fragte Weissmann bereits zum dritten Mal.
Ärgerlich blieb Thomas stehen. "Hören Sie, Precious, wenn ich eine Glucke oder ein Kindermädchen hätte haben wollen, wäre ich verheiratet. Ich brauche Sie für den Job nicht. Halten Sie mir einfach den Rückweg frei, in Ordnung? Dann bringe ich die Sache hier sauber zu einem schnellen Ende, und kann mir im Orbit mein Gegengift abholen." Er stapfte weiter. Dankbar registrierte er, dass Weissmann noch immer wie angewurzelt an der Stelle stand, an der er sie zusammengepfiffen hatte. Er erreichte Peggy, die bereits auf einem Tieflader geladen war.
Wigfield erwartete ihn bereits, heftig schwitzend, wie immer. Thomas hatte mal einen anderen hochrangigen Feldagenten von Amalgam gekannt. Er hatte dessen tote Überreste in einem rumänischen Schloss gefunden. Ob es ein Einstellungskriterium der Geheimdienstsektion von Amalgam war, fett zu sein? Wirkten dicke Agenten harmloser als drahtige, schlanke Agenten?
"Und Sie wollen..."
"Falls Sie mich fragen wollen, ob ich die Sache wirklich alleine durchziehen will, lassen Sie es stecken, Mr. Wigfield. Sie fahren mich rein, ich mache aus der gesamten Anlage Kleinholz, und wir sind beide ein Problem los."
"Aber es sind dreißig Arm Slaves aller Klassen, Major Kramer. Selbst für einen Lambda Driver dürfte das zu viel sein."
"Wir werden sehen, ob ich mich übernehme oder nicht. Fest steht, dass ich in jedem Fall sterben werde. Wenn ich nicht gut genug bin, wird das in knapp neun Tagen der Fall sein. Wenn ich schlecht bin, habe ich heute Termin mit dem Sensenmann. Aber wenn alles klappt, dann verschiebt sich der Termin leicht in die Zukunft. Und ich hatte eigentlich vor, sehr alt zu werden, Mr. Wigfield." Thomas erklomm den Tieflader und kletterte in das Cockpit des liegenden Arm Slaves. "Ich sehe Sie dann am Pickup-Point!"
Wigfield lächelte unsicher. Er schien immer noch nicht zu glauben, dass ein einzelner Lambda Driver mächtig genug war, um es mit dem Dreißigfachen aufzunehmen.

"Cockpit schließen, Peggy." Der Arm Slave stellte Verschlusszustand her.
"Ist es so weit, Kramer, Thomas?", fragte die Künstliche Intelligenz.
"Es ist so weit. Sensorcheck, Waffencheck, Bewegungscheck."
"Sensorcheck läuft. Drei deaktivierte Arm Slaves vom Typ Gernsback in der Halle geortet. Siebzehn Personen geortet. Sensorcheck positiv. Waffencheck läuft. Externes Gewehr bereit und funktional. Sensorkopf-MG eins und zwei Gefechtsklar und voll aufmunitioniert. Kampfmesser funktional und bereit. Externe zweite Waffe, MP, liegt auf dem Tieflader bereit. Voll aufmunitioniert und einsatzbereit. Ich gebe Ihnen ein Go, Sir."
"Teste den Lambda Driver."
"Fahre Lambda Driver an. Test Spule eins bis drei. Eins positiv. Zwei positiv. Drei positiv. Lambda Driver funktional."
"Gut. Gehe auf Standby-Modus, bis ich dir einen anderen Befehl erteile. Richte dich auf ein hartes Anti Arm Slave-Gefecht ein."
"Verstanden. Erlauben Sie mir, Ihnen Glück für die kommende Schlacht zu wünschen, Sir."
"Danke, Peggy. Aber das werden die arglosen Bastarde, die wir heimsuchen werden, nötiger haben als du und ich." Ein grimmiges Lächeln huschte über sein Gesicht. "Das verspreche ich."
"Gut zu hören, Sir." Das Cockpit ging auf Standby, es wurde dunkel um Thomas herum. Nur das Glimmen einiger weniger Tasten erhellte die Umgebung unwesentlich. Kurz darauf spürte Thomas die Bewegung des Lasters. Es hatte also begonnen. Die Fahrt würde in etwa dreißig Minuten dauern. Und dann würde er Tod und Verderben säen. Wieder einmal.

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Nach gefühlten zwei Stunden, obwohl seine Armbanduhr stoisch behauptete, es wären erst achtundzwanzig Minuten vergangen, hielt der Laster mit einem Ruck an. Ein zweiter Ruck folgte, also musste der Fahrer eine Vollbremsung hingelegt haben. Thomas lauschte, und hörte das rhythmische Stampfen von Arm Slave-Füßen. Vom Geräusch her mussten es Savages sein, aber der Mistral I klang ganz ähnlich. Sie hatten also das Tor erreicht. Wigfield würde ab hier versuchen, ihn so tief wie möglich auf das Gelände zu bekommen, bevor er angriff. Allerdings hätte Thomas auch kein Problem damit gehabt, sich seinen Weg ins Camp hinein zu erkämpfen.
Er spitzte die Ohren und lauschte. Gedämpft durch die Panzerung konnte er den Amalgam-Agenten mit einem Mann streiten hören. Mehrfach fiel das Wort "Colonel" in Zusammenhang mit "Geschenk". Thomas grinste schief. Das waren Sicherheitswörter, die für ihn gedacht waren. Solange sie fielen, war draußen alles in Ordnung. Der Ärger begann, wenn jemand die Trossen löste, die Peggy auf dem Tieflader fixierten. Das war das Zeichen dafür, dass entweder ein Angriff bevor stand, oder Wigfields Redekünste nicht ausreichten, um sie auf das Gelände zu bringen. Die beiden Situationen unterschieden sich nur unwesentlich, und verlangten von Thomas, dass er die Wache stehenden Arm Slaves ausschaltete und danach auf eigene Faust vorstieß.
Das Gespräch wurde lauter, und mehrfach hörte er das Wort "beschweren". "Geschenk" fiel nicht mehr. "Geht wohl gleich los", murmelte er.
Kurz darauf wurden die Trossen auf der rechten Seite gelöst. Thomas zählte bis fünf, um den beiden Helfern Zeit zu geben, vom Wagen fort zu kommen, um nicht von den umher springenden Trossen geköpft zu werden. Dann begann er. "Aktivieren, Peggy."
"Jawohl, Sir." Der Arm Slave erwachte zum Leben, fuhr seine Systeme hoch, und das Cockpit wurde taghell.
Thomas griff nach den Kontrollen, tastete nach der zweiten Waffe neben Peggy und rutschte mit dem Arm Slave von der Ladefläche. Bevor einer der beiden Savages reagieren konnte, setzte er das Gewehr auf den Bauch des rechten Arm Slaves, und jagte einen Schuss durch den Rumpf, der den Piloten unmöglich hätte verfehlen können. Mit der Pistole deutete er auf den Rumpf des zweiten Arm Slave und feuerte eine Serie von vier Schüssen, die den Savage tanzen ließ, bevor er wie eine Marionette zu Boden fiel, der man die Fäden gekappt hatte.
Thomas hielt kurz inne. Zwei down. "Gehen Sie jetzt, Mr. Wigfield. Ich erledige den Rest."
Und das meinte er wörtlich.
Ohne auf eine Antwort zu warten, trat Thomas die Pedale durch. Peggy machte einen weiten Satz über die Anti-Fahrzeugabsperrung hinweg, auf das Gelände des ehemaligen Schaben Park. Der Arm Slave begann zu rennen. "Lambda Driver, Sir?"
"Noch nicht, Peggy. Noch nicht. Ortung?"
"Interferenzen, Sir. Eine ungewöhnlich starke Quelle von Elektromagnetismus behindert mich ein wenig. Aber ich messe die ungefähre Position von achtundzwanzig weiteren Arm Slaves. Acht davon sind aktiv."
"Wir wollen zu den inaktiven, Peggy." Thomas grinste. Wenn es ihm gelang, möglichst viele inaktive Arm Slaves auszuschalten, bevor ihre Piloten sie bemannen konnten, hatte er sehr viel weniger Arbeit.
"Zweitausend Meter voraus, Sir."
"Danke, Peggy." Diese Störungsquelle, war das eine gewollte Abwehrmaßnahme? Nein, dann hätte sie besser funktioniert. Dann hätte er keinen einzigen gegnerischen Arm Slave orten können. Eventuell war es einer dieser gigantischen Zufälle, die dem Verlauf seiner ganz persönlichen Geschichte einen Kick in eine ganz andere Richtung geben würde. Es hätte ihn nicht überrascht.
"Mistral I, achthundert Meter voraus. Vorsicht, er hat ein Snipergewehr im Anschlag, Sir."
"Hat ihn schon!", rief Thomas, wich seitlich aus, verschwand kurz zwischen den Bäumen des ehemaligen Schaben Park und visierte den Gegner an. Es war immer recht leicht, aus einem Wald heraus zu schießen. Wer aber hinein schießen wollte, der sah sehr schnell nur noch eine dunkle grüne und braune Masse wogen. Allerdings hatte Thomas nicht vor, seine Zeit damit zu verschwenden, auf Sicherheit zu spielen. Einhundert Meter näher am Gegner kam er wieder aus dem Dickicht hervor. An dieser Position hatte sein Gegner ihn nicht erwartet und schwenkte mit der Waffe herum. Thomas war schneller und hatte bereits einen Schuss durch den Oberkörper des Arm Slaves gejagt, bevor dieser auch nur ansatzweise auf ihn schießen konnte. Der Mistral I brach steuerlos zusammen.
Der Gernsback schoss weiter die gut ausgebaute und leicht zu begehende Straße hinab. "Gib mir die Positionen der aktiven Arm Slaves auf die Karte, Peggy."
"Sehr wohl, Sir." Auf dem Display leuchtete eine Karte des Schaben Parks auf. Die aktiven Maschinen waren verzeichnet. Ebenso die inaktiven, die alle in den Gebäuden standen. Gut, es befand sich keiner hinter ihm. Noch nicht. Das war beruhigend. Nicht, dass es ihn merklich gebremst hätte.
"Lambda Driver, Sir?"
"Wieso?"
"Weil wir einen haben, Sir? Weil wir unseren Auftrag schneller und effektiver erledigen werden, wenn wir ihn benutzen?"
"Regel Nummer eins: Zeige dem Gegner nie alles was du kannst. Außer es gibt hinterher keinen Gegner mehr. Die Information, dass du einen Lambda Driver besitzt, werde ich so lange ich es mir leisten kann, für mich behalten."
"Verstanden, Sir."
"Gut. Dann zoome mir mal den M6 heran, der von links fast auf die Straße tritt."
Ein weiteres Fenster poppte auf und zeigte den Giganten, der gerade um die Ecke bog, ein schweres Maschinengewehr in der Hand, das Tod und Verderben verteilte, lange bevor er Thomas überhaupt im Visier hatte.
Der Deutsche feuerte eine Serie eher schlecht gezielter Schüsse mit dem Gewehr ab, alle drei trafen den Torso der Maschine, schalteten sie aber nicht aus. Schon Manfred von Richthofen, einer der legendären Piloten des Ersten Weltkriegs, hatte erkannt, was eine gegnerische Maschine ohne ihren Piloten war: Nichts. Deshalb hatte er als Angriffsregel empfohlen, auf den Piloten zu schießen. Thomas war in dieser Angelegenheit ein eifriger Schüler. Auch wenn der Cockpitbereich besser gepanzert war, solange man genügend Beharrlichkeit an den Tag legte, konnte man den feindlichen Piloten ausschalten, und seinen Arm Slave damit zu ein paar Tonnen wertlosen Metall machen.
Der Strom der Granaten schwenkte zu Thomas herum, und der Deutsche machte mit Peggy einen Satz auf den Gegner zu. Er feuerte die Pistole in der rechten Hand ab, traf viermal, richtete aber nicht den erwünschten Schaden an. Thomas warf die Pistole zu Boden, zog mit der linken Hand seines Arm Slaves das Messer und aktivierte die Sägefunktion. Als er direkt vor dem M6 zu Boden kam, schwang er die Klinge gegen das MG. Das Messer schnitt durch den Stahl und machte aus der Waffe Altmetall. Der Deutsche setzte das Gewehr auf den Torso des Gegners auf. Ein Schuss beendete die Sache. Er war heute wirklich nicht hier, um nett zu sein. Allerdings würde er weniger Leute töten müssen, wenn er die inaktiven Arm Slaves rechtzeitig zerstörte.
"Ich messe weitere vier Arm Slaves an, die sich aktivieren. Zudem vernehme ich ein akustisches Signal über dem Gelände. Es klingt wie eine Sirene."
"Aha, sie schlagen Alarm." Thomas verifizierte die Positionen der übrigen sechs Arm Slaves, und danach jene der vier Maschinen, die gerade aktiviert wurden. Das würde eng werden, wirklich eng.
Er steckte das Messer wieder weg und langte nach der Pistole. Dann machte er sich auf den Weg.
Mehrere militärische Bodenfahrzeuge mit aufmontierten MG'S versuchten in seine Flanke zu kommen. Ihre Munition konnte seinem Arm Slave nicht zerstören, aber durchaus beschädigen. Diese Schäden konnten wiederum die Arm Slaves ausnutzen. Wenn ein MG beharrlich genug war, konnte es seine Panzerung eventuell durchschlagen. Er hatte nie das Bedürfnis gehabt, das auszuprobieren. Er aktivierte die MG's am Kopf, und zog eine Spur von Tod und Verwüstung durch die vier Bodenwagen. Einer überschlug sich, zwei fuhren ineinander und bleiben verkeilt stehen. Der letzte Wagen rauschte in eine Hallenwand und blieb dort stecken.
Thomas rauschte weiter, zwischen die Gebäude. Einige waren Unterkünfte, andere Wartungshangars. Aus einem dieser Hangars trat gerade ein indischer Rama IV. Der Deutsche ließ dem Piloten keine Chance, um sich zu orientieren und feuerte noch im Lauf das Gewehr ab. Diesmal traf er zuverlässiger als beim M6. Er warf den erstarrten Arm Slave zu Boden, ließ Peggy in die Halle schauen und erkannte einen Mistral II, der sich gerade aus seinem Wartungsgestell erheben wollte. Thomas hob die Pistole und schoss auf den Oberkörper mit dem Cockpit, bis die Waffe leer war. Dann tauschte er sie gegen das Kampfmesser. Sechs Arm Slaves standen hier noch herum, einer von ihnen ein wertvoller M9. Er trieb die Klinge einmal durch die Rumpfpanzerung, während er mit dem Gewehr Schüsse in die offenen Cockpits der anderem Maschinen jagte, um sie unschädlich zu machen. "Feind hinter der Südwand!", warnte Peggy. Das war im Moment genau hinter seinem Rücken. Die Anzeige deutete auf einen weiteren Mistral II hin, der augenscheinlich nicht den Eingang benutzen wollte. Als er durch die massive Betonwand trat und seine Waffe suchend herumschwenkte, hatte sich Thomas bereits hinter einen bereits ausgeschalteten türkischen Saladin geduckt. In aller Seelenruhe legte er auf die Höhe des Cockpits an. Als der Gegner ihn endlich entdeckt hatte, schoss er genau einmal. Die große Maschine fiel haltlos zu Boden.
"Wie viele noch, Peggy?"
"Sieben aktive Arm Slaves, elf inaktive Arm Slaves. Aktive Arm Slaves nähern sich von mehreren Richtungen. Sie bilden Gruppen."
"Ah, von der Schnelllerner-Sorte, die Jungs." Thomas orientierte sich kurz, dann verließ er die Halle durch das Loch, das der Saladin geschaffen hatte. Er durchbrach die nächste Wand auf die gleiche Weise wie sein letzter Gegner, und kam in eine Wartungshalle, in der weitere sechs inaktive Arm Slaves standen. Menschen liefen in der Halle umher, und die meisten verließen sie zu ihrem eigenen Glück. Jene, die zu den wartenden Maschinen liefen, wurden Opfer der MG's. Danach kümmerte er sich in bewährter Manier um die inaktiven Maschinen und ruinierte sie nachdrücklich.
Ein Blick auf die Ortung zeigte ihm, dass der Eingang frei war. Abgesehen von einigen Thermalschatten eines guten Dutzend Menschen, die sich an der Wand des Gebäudes abduckten. Beinahe hätte Thomas gelächelt, denn die Absichten der ASRAA-Leute war so leicht zu durchschauen. Anti Arm Slave-Kommandos, die wirklich glaubten, der Quatsch, der ihnen hier beigebracht worden war, würde ihnen gegen einen ausgebildeten Soldaten helfen. Fast war er versucht, die Infanteristen wegen ihrer Blauäugigkeit zu verschonen. Andererseits wäre er der Idiot gewesen, wenn er es einer Waffe erlaubte, auf ihn gerichtet zu bleiben. Die MG's übernahmen wieder die blutige Arbeit. Ob diese Anfänger jemals gewusst hatten, dass ein M9 durch diese dünnen Betonwände schießen konnte? Nun, jetzt ja, aber es nützte ihnen nichts mehr.

Thomas verließ die Halle wieder. Das machte nur noch fünf inaktive Arm Slaves. Und deren Position wurde auf der anderen Seite des Geländes angezeigt, während die aktiven Gegner sich genau hier konzentrierten. Das war eine interessante Wendung der Ereignisse. Und eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen konnte. Er sprang mit Peggy auf das Dach der Halle, durchaus bereit in Kauf zu nehmen, das es das Gewicht des Arm Slaves nicht aushielt. Es knirschte bedrohlich, gab ihm aber genügend Zeit für einen zweiten Sprung, der ihn hinter die Halle brachte. Das Dach brach zusammen, als er ihm mit der Bewegung endgültig den Rest gab. Zwischen seinem Ziel und seiner jetzigen Position lag noch eine weitere Halle. Peggy hatte aus ihr keine besonderen Ortungen, aber sie würde eine formidable Abkürzung darstellen.
Der deutsche Arm Slave-Pilot schoss sich seinen Weg hinein frei - und erstarrte, als hätte ihm jemand den Strom abgedreht. Es dauerte einige Zeit, bis er sich daran erinnerte, dass er atmen musste. Das tat er dann mit einem entsetzten Keuchen. "Was zum Henker..."
"Es handelt sich hierbei um einen Arm Slave-Arm, Sir", erklärte Peggy stoisch. "Um einen Arm mit lokaler Energieversorgung. Er ist gleichzeitig die Quelle unserer Ortungsstörungen."
"Himmel, das ist kein Arm für einen Arm Slave! Er ist dreißig Meter lang!"
"Achtunddreißig, Sir. Meine Analyse ist fehlerlos. Auch wenn der Arm Slave, für den dieser Arm gedacht ist, dann fast neunzig Meter hoch sein muss."
"Ach du heilige Scheiße. Ich wusste, dass das hier viel zu leicht ging."
***
"Verdammt, kommen Sie schnell, Lieutenant, und bringen Sie Ihre Leute mit!", rief der hektische FBI-Agent, der ohne Vorwarnung die Tür zu Rogers Quartier aufgerissen hatte. Der Mann war aufgeregt, so aufgeregt, dass er nicht einmal bemerkte, dass die Mithril-Pilotin nahezu nackt war.
"Was zum Henker ist passiert?"
"Da mischt jemand die ASRAA auf! Und das sehr heftig!"
Sam Rogers griff nach einem großen Handtuch und verknotete es über der Brust. Sie eilte dem FBI-Mann hinterher und drosch dabei auf die Türen von Weber und Tim. "Ärger, Jungs! Ärger!"
Die beiden reagierten nicht weniger schnell als sie.
In der Halle selbst wuselten FBI-Agenten und US Marshals wie zornige Bienen durcheinander.
Casoli bemerkte sie trotzdem und winkte sie an die Monitore heran. "Kommen Sie, Mithril. Ich glaube, irgend eine höhere Macht hat Sie genau zur richtigen Zeit zu mir geschickt. Kommen Sie, und schauen Sie sich das an." Er deutete auf eine Reihe Kameras, die Standbilder zeigten. Die meisten waren Satellitenaufnahmen. Auf jedem Bild waren Verwüstungen und leblose Arm Slaves zu sehen.
"Was ist passiert?", fragte Sam. Hinter ihr kamen Weber und Scott angelaufen.
"Ein Tieflader mit einem Gernsback kam. Smithers, spulen Sie mal die Aufnahme zurück und zeigen Sie es von Anfang an."
"Jawohl, Sir." Einer der Bildschirme wechselte und zeigte nun die Szene vom Tor. Der Gernsback auf dem Tieflader wirkte harmlos, bis die Begleitleute die Trossen lösten und eilig davon liefen. Kurz darauf entfesselte die Maschine eine Orgie der Gewalt. Sie schaltete die beiden Wächter binnen weniger Sekunden aus.
Sam blieb die Spucke weg. "Der Bursche ist verdammt gut."
"Das ist noch eine Untertreibung", knurrte Weber. "Außerdem ist er eiskalt. Er zielt direkt auf das Cockpit. Es gibt nicht viele, die sich mit der härteren Panzerung hier anlegen und auch noch die Frechheit haben, durch zu kommen. In beiderlei Hinsicht." Er grinste düster. "Wie weit hat er es geschafft?"
Casoli deutete auf die Satellitenaufnahmen. "Er ist immer noch drin, und metzelt sich durch die Reihen der ASRAA. Das Ganze hat vor knapp fünf Minuten begonnen, und er hat schon die Hälfte ihrer aktiven Arm Slaves ausgeschaltet. Dazu ein paar Wagen. Ach ja, und ein trainiertes Anti Arm Slave-Kommando hat er ausgeschaltet, bevor sie auch nur einen Schuss in seine Richtung abgeben konnten. Und wir sind uns ziemlich sicher, dass er nicht einmal einen Kratzer abgekriegt hat. Was für ein Monster."
Weber kratzte sich am Haaransatz. "Eieiei. Ich frage mich gerade, ob Sousuke noch in Japan ist."
"Hoffentlich. Wissen wir, wer der Angreifer ist? Unser erwarteter Gast von Amalgam, vielleicht? Und wollen Sie uns nun einsetzen, Special Agent Casoli? Immerhin überfällt hier jemand US-Bürger. Das FBI könnte einschreiten und dabei unauffällig das gesamte Gelände untersuchen. Bei einem Fall dieser Größenordnung müsste das ganze Gelände auf Tage oder Wochen peinlich genau untersucht werden. Und eventuell würden dabei Daten ans Licht kommen, die der ASRAA das Genick brechen könnten."
Casoli nickte. "Sie haben ein Go. Schalten Sie diesen Angreifer aus, ob von Amalgam oder nicht. Und lassen Sie sich von den ASRAA-Maschinen nichts gefallen. Sie handeln jetzt im Auftrag der Regierung. Sichern Sie das Gelände." Casoli zog eine Augenbraue hoch. "Und ziehen Sie bitte vorher etwas an, Lieutenant Rogers."
"Wir starten in zwei Minuten, Tim. Kurtz, Gefechtsanzüge. Wir wollen mit diesem Typen mal so richtig Spaß haben."
"Wer wohl mit wem Spaß haben wird", murrte Scott, machte sich aber gehorsam auf dem Weg zum wartenden Hercules-Transporthubschrauber.
***
In Des Moines startete wenige Minuten später der Hubschrauber mit zwei startbereiten Arm Slaves an Bord.
In Woodbine hingegen saß ein äußerlich gelassener Robert Hausen in einem wirklich prächtigen Ledersessel und lauschte dem Polizeifunk. Ein Lächeln zierte seine Lippen. Die Meldungen überschlugen sich, berichteten von Gefechtslärm, Kriegsähnlichen Zuständen und einem Strom teilweise verletzter Menschen, die vom Gelände der ASRAA flohen und von den Deputies aufgegriffen wurden. Sie waren hysterisch, teilweise konfus. Einige plapperten nur Unsinn von einer angreifenden Arm Slave-Armee, während andere von einem einzigen M9 berichteten, der ihre Siedlung auseinander nahm. Sie waren also da. Beziehungsweise einer war da. Und er leistete ganze Arbeit. Wenn er damit fertig war und noch lebte, würde sich Robert um den Rest kümmern.
Er beugte sich etwas vor. "Sheriff, teilt das FBI Ihnen mit, wenn dieser Arm Slave das Gelände wieder verlässt?"
"Sicher. Auch wenn es ein Fall von nationalem Interesse ist, so werden wir hinzu gezogen, um Absperrungen zu errichten und Handlangerdienste zu versehen."
"Wird man Ihnen auch sagen, wohin der freundliche Arm Slave ziehen wird, der Ihnen gerade die ASRAA vom Hals schafft?"
"Mit Sicherheit. Damit wir nicht Gefahr laufen, in ihn hinein zu rauschen."
Hausen erhob sich. Er sah auf seine Uhr. "Sein Operationsfenster wird fünfzehn Minuten nicht übersteigen. Das bedeutet, er wird bald stiften gehen."
Einer seiner chinesischen Leibwächter warf Hausen einen Helm zu. Draußen vor dem Sheriff-Büro heulten die Motoren zweier Yamahas auf, die für den Einsatz besorgt worden waren. Die Männer tunten sie, so weit sie es in der Kürze der Zeit schafften. Hausen nickte dem Mann mit dem Silberkoffer zu. "Wir gehen auf die Jagd, Ken. Sobald wir wissen, wohin es unsere Beute zieht."
Der Chinese nickte, ohne die Miene zu verziehen. Aber er verstärkte den Griff um den Koffergriff, wie um sich Halt zu holen.
***
Die Explosion in der zentralen Halle bewirkte, dass zwei Savages durch den Fronteingang hinein stürmten. Was sie fanden, war eher ernüchternd. Das Schultergelenk des gigantischen Arm Slave-Arms rauchte und brannte. Mutwillig und mit Hilfe von ein paar hundert Kilo Munition in Brand gesetzt und sicher vorerst nicht mehr zu verwenden. Ein Loch auf der anderen Seite der Wand zeugte vom Fluchtweg des Vandalen, der dies hier angerichtet hatte. Weitere Arm Slaves traten in die Halle, ein M6 und ein Saladin. Das Malheur ließ sie stoppen.
Das war eine Sekunde, bevor der feindliche Gernsback von der Decke fiel und zwischen ihnen federnd auf dem Boden aufkam. Bevor sie sich versahen, hatte der erste Savage das Kampfmesser in der Brust und im Cockpit. Der Saladin bekam eine Serie aus drei Schüssen in den Rücken und wurde dadurch effektiv ausgeschaltet.
Thomas riss das Kampfmesser aus dem zerstörten Savage hervor und warf es in den M6. Die Maschine stockte, blieb bange Sekunden stehen und fiel dann hintenüber.
Der letzte Arm Slave, der zweite Savage, brachte seine Waffe herum und versenkte einen Schuss in Peggys rechtes Bein. Damit hatte er mehr Erfolg bei der Abwehr des dämonischen Angreifers als all seine Kameraden zusammen. Allerdings bewahrte ihn das nicht davor, kurz darauf vom Gewehr des Gernsback ausgeschaltet zu werden.
Thomas keuchte erschöpft auf. "Wie viele habe ich jetzt, Peggy?" "Ich messe mittlerweile zehn aktive Arm Slaves an, dazu vier inaktive. Das macht vierzehn Maschinen. Die anderen sechzehn haben wir ausgeschaltet."
"Das ist doch eine gute Zwischenbilanz, oder?", fragte Thomas gespielt fröhlich. Er hatte noch über acht Minuten seines Zeitfensters offen, bevor er befürchten musste, über Polizeiwagen und FBI-Agenten zu stolpern. Von Army, Nationalgarde und Luftwaffe ganz zu schweigen, falls Wigfield mit seiner "ungestörten Stunde" übertrieben hatte. Und Thomas verließ sich ungern auf zu optimistische Prognosen. Er musterte die Karte mit den verzeichneten Kontakten. Sie entfernten sich, allerdings in Fünfergruppen. Es war augenscheinlich, dass sie sich in der Gruppe größere Chancen erhofften. Stattdessen machten sie es Thomas nur leichter, sie zu finden und zu vernichten. Doch zuerst verließ er die Halle durch das Loch, das er als Ablenkung geschlagen hatte, betrat die Wartungshalle dahinter und schaltete die letzten vier inaktiven Arm Slaves aus. Danach waren es nur noch er und seine zehn Freunde da draußen.
"Soll ich jetzt den Lambda Driver aktivieren, Sir?"
"Nein, sollst du nicht. Gib mir eine Atempause, das reicht. Für diese Schwächlinge brauche ich den Lambda Driver nicht."
"Ich frage ja auch nur, weil ein Hercules-Hubschrauber gerade zwei Arm Slaves vom Typ Gernsback auf der Hauptstraße entlädt. Sie sind lediglich anderthalb Kilometer von diesem Ort entfernt. Alternativ könnten wir die Partikeltarnung aktivieren."
Thomas runzelte die Stirn. Wer immer sie waren, zur ASRAA gehörten sie sicherlich nicht. Außerdem hatte der Deutsche generell ein Problem damit, harmlose Army-Leute abzuschießen, die ihm nichts getan hatten. Bei radikalen Revoluzzern hingegen machte er gerne mal eine Ausnahme.
"Zeige mir die Positionen der Fünfergruppen relativ zu unseren Neuankömmlingen."
Die Karte variierte und schwankte leicht. Sein Ziel war klar. Wenn er die nördliche der beiden Arm Slave-Gruppen angriff, dann würden die Gernsback entweder die andere Gruppe umgehen müssen, oder durch sie hindurch brechen. Die Frage war auch, ob sich diese fünf Piloten umgehen lassen würden. Thomas lächelte. Gegen ein wenig Hilfe war nichts einzuwenden, oder?"
***
"Also, du bist der beste Scharfschütze den ich kenne, Kurtz. Ich gehe voran und spiele den Köder, und du hältst mir den Rücken frei. Einverstanden?"
"Nanu? Sind wir seit Neuestem eine Demokratie, Lieutenant?", scherzte Weber.
"Halt die Klappe und mach deine Arbeit, Gun-so", konterte Rogers. "Und denke dran, dass diese Babys zwar wie unsere Gernsback aussehen, aber keine Partikeltarnung haben. Außerdem sind sie nur achtzig Prozent so agil und schnell wie unsere. Also übernimm dich nicht."
"Sagte der Esel zum Maultier."
"Das habe ich gehört, Kurtz."
"Das war ja auch der Sinn der Sache. Übernimm dich nicht, Sam. Du sitzt nicht in deiner üblichen Maschine, und du hast einen Gegner vor dir, von dem du nur weißt, dass er zwanzig Arm Slaves abgeschlachtet hat."
"Die meisten in ihren Wartungsgestellen."
"Während die anderen eine überwältigende Übermacht gebildet haben, ohne ihn stoppen zu können. Teufel, ich könnte schwören, wenn Sousuke nicht in Japan wäre... Am besten lockst du ihn in meine Schussrichtung, und ich erledige den Rest."
"Guter Plan, aber vorher müssen wir erst mal bis zu ihm durch kommen. Er zieht eine ASRAA-Gruppe zwischen sich und uns. Wenn er jetzt abhaut, haben wir schlechte Karten."
"Wieso? Wir gehen einfach durch sie hindurch. Hast du vergessen, was Casoli uns gesagt hat? Wir sollen uns nichts gefallen lassen. Ein Schuss in unsere Richtung, und wir machen sie so fertig, dass sie glauben, ihr Angreifer hätte noch einen Zwillingsbruder."
"Na, dann halten wir uns besser ran. Wir... Oh, das war jetzt aber sehr dumm."
"Was war dumm, Sam?"
"Der englische Whitworth der Truppe hat mich gerade beschossen. Die meisten Schüsse gingen daneben, aber ich habe einen Treffer am rechten Knie kassiert."
"Sieht ganz so aus wie ein mutwilliger Angriff auf uns", bestätigte Kurtz. "Ich denke, wir sollten die fünf Arm Slaves zu ihrer eigenen Sicherheit ausschalten." Sein Gernsback hob das Sniper-Gewehr.
"Die anderen schießen jetzt auch auf mich!", beschwerte sich Sam, während sie ihre Maschine elegant ausweichen ließ. "Warum tun sie das? Ich hatte doch noch gar keine Gelegenheit, sie sauer zu machen."
"Schatz, ich bin sicher, das holst du gerne noch nach", erwiderte Weber grinsend. Er gab den ersten Schuss ab, der einem indischen Rama genau zwischen zwei Schweißnähte fuhr, die seitlich am Cockpitschutz verliefen. Kurtz war gnädig. Der Treffer röstete die Platinen der Bordintelligenz, aber nicht den Piloten. Prompt klappte das indische Modell zusammen.
Sam ließ ihren M9 springen. Er landete federnd inmitten der Gegner. Ihr Kampfmesser heulte auf, und wo immer ihre Hand hinfuhr, fielen Panzerplatten zu Boden, und Elektronik gab zischend ihren Geist auf. Sie stahl einem Savage seine Panzerfaust und feuerte sie auf einen M6, der etwas weiter entfernt stand. Nach der Explosion griff sie mit der linken Hand in die entstandene Bresche, und zerrte eine Faustvoll Kabel hervor. Als sie daran riss, erloschen die Sensoraugen des M6. Langsam folgte er dem Zug ihrer Hand und fiel vornüber.
Kurtz wechselte sein Ziel und traf den Saladin der Truppe. Sein Schuss zerstörte den Sensorkopf, und machte das türkische Modell damit faktisch blind und handlungsunfähig. Das wusste auch der Pilot, der das Cockpit öffnete, seine Maschine verließ und Fersengeld gab. Sam hatte mittlerweile ihr Ziel gewechselt und trieb ihre Klinge einem Mistral I in die Eingeweide. Sie schnitt ihm einmal quer über den Torso und durchtrennte dabei den Großteil der Stromversorgung. Funken sprühten, Flammen schlugen aus der Bresche, und endlich stellte der Arm Slave seine Bewegungen ein.
Es war beinahe ein Kinderspiel für die beiden Mithril-Agenten. Ein Kinderspiel, das Jahre des Trainings voraussetzte, damit ihre Bewegungen wie jene von leichtfüßigen Elben wirkten, während ihre untertrainierten Gegner im Kontrast wirkten wie schlecht koordinierte Volltrunkene.
Kurtz legte auf den letzten Gegner an, einen Savage, und auch Sam wandte sich ihm zu. Die große, bauchige Maschine schien zu zittern. Der Savage warf seine Waffe weg, löste die Panzerfaust vom Rücken, warf sich herum und stürmte in Richtung Wald.
"Ein kluger Kopf", murmelte Sam zufrieden, Sekunden bevor die Maschine mit einer Serie von acht Schüssen perforiert und zu Boden geschickt zu werden. Anscheinend ließ ihr Freund niemanden entkommen, und war als Scharfschütze mindestens auf durchschnittlichem Mithril-Level. Sam ließ ihre Maschine springen, raus aus der Schussbahn des Gegners. Es war leichtsinnig von ihr gewesen, einen Feind zu unterschätzen, der mit solcher Leichtigkeit zwischen dreißig Arm Slaves aufgeräumt hatte.
"Ich habe ihn!", sagte Weber, und schoss auf das rechte Kniegelenk des Gernsback. Er erkannte seinen Fehler eine halbe Sekunde später.
***
Thomas verfolgte, wie die zweite ASRAA-Gruppe die beiden Neuankömmlinge angriff. Die ließen sich nicht lange bitten, und schalteten vier der fünf Maschinen mit der Leichtigkeit von langjährigen Frontkämpfern aus. Einer ging in den Nahkampf, der andere schoss aus der Distanz. Sie waren gut, keine Frage. Der Deutsche wusste, dass er nur zwei Möglichkeiten hatte: Entkommen oder töten. Und die beiden gehörten definitiv nicht zur ASRAA, und nicht zu Amalgam. Blieben noch Army und Nationalgarde, aber die weißen Roboter waren nicht markiert. Oh, es wäre geradezu entsetzlich gewesen, wenn die beiden Piloten von Mithril waren. Auf seine eigenen Kameraden zu schießen war eine Angst, die an ihm nagte, seit dieser Bastard mit dem Mädchengesicht ihn auf Peggy versetzt hatte. Thomas beschloss auf Nummer sicher zu gehen, die restlichen Feinde auszuschalten und dann stiften zu gehen, bevor es zum Kampf mit den Neuankömmlingen kam.
"Sie lassen einen Savage entkommen, Sir", meldete Peggy.
Automatisch feuerte Thomas ihm eine Schussfolge hinterher, die den Arm Slave von den Beinen holte. Er stand nicht wieder auf. Thomas wandte sich den letzten fünf Gegnern zu, die den besseren Teil der Tapferkeit suchten, und sich ihm frontal näherten. Wahrscheinlich rechneten sie damit, dass er keine fünf Ziele zugleich bekämpfen konnte. Ihm konnte das nur Recht sein. "Lambda Driver, Peggy. Jetzt."
"Verstanden, Sir. Lambda Driver aktiv in drei... Zwei... Eins... Jetzt."
Es war ein merkwürdiges Gefühl, den Driver zu aktivieren. Es war merkwürdig gewesen, als er ihn das erste Mal bewusst aktiviert hat, wohl wissend das er die Fähigkeit dazu hatte, in der Halle auf der Puma Basis. Es war jetzt ein merkwürdiges Gefühl, mitten im Gefecht. Und je mehr er sich darauf einließ, desto größer wurde seine Wahrnehmung.
"Gegner eröffnet das Feuer, Sir", meldete Peggy.
Thomas grinste. "Sollen sie doch. Sie werden schon sehen, was sie davon haben."
Hinter ihm erklang eine Explosion. Der Deutsche zuckte zusammen. "Was? Die M9? Aber hast du nicht gesagt..."
"Der hintere Gernsback hat mit einem Scharfschützengewehr geschossen. Die Reflektion hat seine Maschine gestreift, aber definitiv zerstört."
Thomas fühlte wie sein Mund trocken wurde, wie seine Hände von klammen Schweiß bedeckt wurden. Wenn das Mithril-Leute waren, dann hatte er gerade einen ungebracht. "Was macht der zweite Gernsback?"
"Bewegt sich nicht von seiner Position. Vordere Gegner eröffnen das Feuer."
Thomas suchte den zweiten Gernsback. Er stand knapp vierhundert Meter hinter ihm, mitten auf dem freien Gelände. Er schien mitten im Lauf erstarrt zu sein. Er zeigte keinerlei Reaktion. Es schien beinahe so, als wäre die riesige, tödliche Maschine vor Angst erstarrt. "Sam", schoss es ihm durch den Kopf. "SAM!" Oh Gott, hatte er dann gerade Ciavati getötet, wenn auch ungewollt?
Der Driver arbeitete trotz seiner Sorgen und Ängste einwandfrei. Zwei Kugeln wurden reflektiert und verstärkt. Sie vernichteten einen Savage und einen Mistral II. Die Explosionen beschädigten ihre Kameraden nachhaltig.
Thomas sah wieder nach vorne. Er schluckte die Wut runter, die Verzweiflung, den Ärger und die Angst. Er nahm all diese Emotionen und bildete aus ihnen in Gedanken eine Kugel, die er mental in sein Gewehr lud. Sie waren Schuld, nur sie, und niemand sonst! Wären sie geflohen, oder hätten sie ihre Arm Slaves gar nicht erst bemannt, dann hätte ein Mithril-Unteroffizier nicht sterben müssen!
Vielleicht war das ein wenig an den Haaren herbei gezogen, zweideutig und inkorrekt, aber das war Thomas in diesem Moment furchtbar egal. Er schoss auf die drei verbliebenen Arm Slaves. Dann ließ er die Waffe sinken, und verließ sie in Richtung Westen zum Pick Up-Point mit Wigfield und Weissmann.
***
Sam Rogers hatte bereits vieles erlebt in ihrem Leben. Besonders, seit sie bei Mithril war. Sie hatte schon Lambda Driver gesehen und gegen sie gekämpft. Dabei wäre sie beinahe gestorben, und nur dank Thomas hatte sie überlebt. Sie hatte nicht geahnt, sie hatte nicht gewusst, dass sie Angst vor einem weiteren Kampf gegen einen Feind mit Lambda Driver hatte. Sie hatte nicht gewusst, dass die Panik sie lähmen würde, die Todesangst über ihr zusammenschwappte, ihr Körper einfror und ihr Atem zusammen mit dem Herzen einen tödlichen Stakkato bildeten.
Er hatte Kurtz erwischt, dieser verdammte Bastard. Verdammt, er hatte Kurtz erwischt, und als Nächstes würde er sie erwischen. Sie wusste das. Dennoch konnte sie keinen Muskel bewegen, den M9 nicht steuern, sich selbst nicht retten. Stattdessen atmete sie so schnell, dass es nur noch ein Hecheln war, während sie gebannt dabei zusah, wie der feindliche Gernsback mit aktiviertem Lambda Driver auf die verbliebene Dreiergruppe schoss.
Danach ging er einfach weg. Fort von den drei Arm Slaves, fort von ihr und fort von dem verdrehten Wrack, das einmal Webers Maschine gewesen war. Er würde sie nicht töten.
Erleichtert sackte sie auf ihrem Sitz zusammen, spülte die Angst schwinden, zumindest zum Teil. Sie hatte versagt, einfach versagt. Blutig versagt. Ein Blick auf den rauchenden Krater, an dessen Stelle vorhin noch ein M6 und zwei Mistral II gestanden hatten, sagte genug darüber aus, wovor sie gerade entkommen war. Ein ängstigender Gedanke. Ein peinlicher Gedanke. Verdammt, sie hätte damit rechnen müssen, dass Amalgam einen Arm Slave mit Lambda Driver einsetzen würde. Nicht einmal der heilige Thomas würde es von sich aus mit dreißig Gegnern aufnehmen wollen. Nicht einmal... Sie aktivierte ihre Lautsprecher. "Kurtz? Lebst du noch?"
"Ich bin hier!", rief eine reichlich raue Männerstimme. Weber hing im Geäst einer nahen Eiche. "Autsch, das tut weh. Kannst du bitte einen Krankenwagen und eine Leiter kommen lassen? Ich fürchte, als ich aus dem Cockpit gesprungen bin, hat mich der Explosionsdruck nicht nur in den Baum geweht. Ich habe mir dabei wohl auch was gebrochen."
Mit Brüchen oder nicht, Kurtz lebte! Sie hatte nicht versagt! Nicht vollkommen! Und das war im Moment alles was zählte. "Bin schon dabei!" Sie wechselte auf Funk. "Special Agent Casoli, hören Sie, das Gelände ist jetzt gesichert. Bringen Sie die Rettungsteams jetzt rein. Ach, und bitte auch die Feuerwehr. Gun-so Weber muss aus einem Baum gerettet werden!"
"Aus einem Baum? Na, auf die Erklärung bin ich gespannt. Die Rettungskräfte stoßen bis zu Ihrer Position vor. Übrigens habe ich die Air Force angefordert. Vier Falcons sind auf dem Weg hierher, um unseren neuen besten Freund entweder zur Aufgabe zu überreden, oder zu vernichten."
"Dumme Idee, Sir. Der Lambda Driver, mit dem er ausgestattet ist, schickt alle Waffen mit verstärktem Potential an den Absender zurück, und..." Sie stutzte. "Kurtz, wie zum Henker bist du entkommen?"
"Das ist nicht das erste Mal, das ich blauäugig auf einen Driver schieße. Damals war es noch knapper für mich. Dagegen geht es mir heute regelrecht gut." Der Deutsche grinste schief. "Ich war schon halb draußen, bevor der Driver auch nur aufgeleuchtet hat. Sonst wäre es mir gegangen wie den armen Schweinen da drüben, wo jetzt der Krater ist."
"Ah, verstehe."
"Hören Sie, Lieutenant Rogers? Die Falcons greifen nach dem gleichen Muster an, das einer Ihrer Feldoffiziere in der Sahara angewendet hat. Sie schießen und verlassen sofort ihre alte Position. Selbst wenn die Waffen reflektiert werden, gehen sie ins Leere. Avisierte Ankunftszeit elf Minuten."
"Okay, das könnte funktionieren", murmelte sie. "Es wird ihn nicht aufhalten, solange wir keinen Berg auf ihn werfen, aber vielleicht ein wenig stoppen."
"Ich frage mich gerade, ob das eine gute Idee ist, Sam!", warf Kurtz ein. Aus seiner unbequemen Haltung deutete er auf die nächste Hangarwand. Jemand hatte mit Hilfe einer Anti Arm Slave-Klinge etwas in den Beton geritzt: Falke 1 alive.
Sam fühlte sich, als würde ihr größter Albtraum gerade zum Leben erwachen. Ihr Blick suchte den feindlichen M9, fand ihn aber nicht mehr. War das Thomas? Oder jemand, der für ihn eine Nachricht überbracht hatte? Erleichterung durchfuhr sie, nur um erneut von Ängsten überschattet zu werden, Ängste davor, was Amalgam Thomas antun würde. Und sie hatte Todesangst vor einem einzigen Lambda Driver. Sie atmete heftig aus. "Kurtz, meinst du, wir können Sagara und den Arbalest anfordern?"
"So wie ich das sehe, Schatz", brummte Weber, "wird das Oberkommando uns Sousuke und den Arbalest aufdrängen, nach dem was hier heute gelaufen ist."

Epilog:
Thomas ließ den restlichen Wald des Schaben Parks hinter sich. Dann überwand er die Manöverstrecke, auf denen die ASRAA für ihre Revolution trainiert hatte. Nicht besonders erfolgreich, wenn sie gegen Profis antreten mussten. Doch das war kein Trost dafür, was er gerade getan hatte. Auch wenn es eine automatische Reaktion des Drivers gewesen war, er war der Pilot dieses Gernsback. Er hatte wahrscheinlich gerade einen Kameraden von Mithril getötet. WÜtend ballte er die Hände zu Fäusten. Noch ein Grund mehr, diesen Bastard Testarossa gewaltsam mit seinen Fäusten zu verschönern. Und da war immer noch der riesige Arm, der zu einem neunzig Meter hohen Arm Slave passen sollte. Warum war das Ding hier, im Schaben Park? Und noch viel wichtiger, wo war der restliche Arm Slave? Und was hatten die ASRAA mit diesem Giganten vor? Konnte sich dieses Monster überhaupt bewegen, ohne in den Boden einzubrechen?
Am Rande seiner Erinnerung pochten kurz ein paar über zwei Jahre alte Nachrichtenbilder aus Japan. Damals war so ein Riesen-Arm Slave in Tokio Amok gelaufen. Wo er her gekommen war, wer ihn erbaut hatte, das war alles unklar. Vor allem weil die Regierung die Reste beschlagnahmt hatte. Mithril hatte das geduldet, weil die Rettung der Stadt ihnen weit reichende Rechte in Japan eingebracht hatte. Damals hatte sich das Monster mit Hilfe eines Lambda Drivers bewegt, wenn sich Thomas noch korrekt an die Details erinnerte. Es hatte eines zweiten Lambda Drivers bedurft, nämlich des Arbalests, um ihn aufzuhalten.
Was, wenn es die Fabrik, die dieses Monster produziert hatte, noch immer gab? Was, wenn sie einen für die ASRAA gebaut hatte? Was, wenn...
"Sir? Zwei Motorräder nähern sich mit hoher Geschwindigkeit. Zwei Personen. Beide bewaffnet. Einer von ihnen trägt eine starke Energiequelle bei sich."
Thomas schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf die Wirklichkeit. Motorradfahrer konnte ihm nicht besonders gefährlich werden. Aber sein soldatischer Verstand sagte ihm, dass er ungepanzerte Personen, die es mit einem M9 aufnehmen wollten, nicht unterschätzen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Trumpf gegen seine Maschine in der Hand hatten, war ebenso gegeben wie die Möglichkeit, dass sie einfach nur selbstmörderische Idioten waren.
"Zoom", befahl er. Auf dem Head Up-Display erschien ein Bild der beiden heran brausenden Maschinen. Der Vordere der beiden hob eine Waffe, ein mattschwarz lackiertes Gewehr, und richtete es auf den Arm Slave. Thomas kannte diese Waffe, es war das fiese kleine französische EMP-Gewehr. "STANDBY, PEGGY!"
***
Über einen Feldweg rasten die beiden Motorräder auf den Gernsback zu. Hausen beglückwünschte sich dazu, dass er sich für Motorräder entschieden hatte. Bodenfahrzeuge wären dem Piloten eventuell als Bedrohung erschienen und wären vielleicht beschossen worden. Für einen sicheren Schuss aber musste Hausen auf gute zweihundert Meter heran.
Er aktivierte die Aufladung für den EMP-Schuss und riss das Gewehr auf die Schulter. Ein gutes, gerades Stück Weg lag vor ihm, ideal um quasi aus der Hüfte zu schießen. Als die Waffe Bereitschaft meldete, legte er auf den Arm Slave an und drückte ab. Die EMP-Welle zischte auf die schwere Maschine zu, umhüllte sie, umtanzte sie, ließ Überschlagsblitze über ihre Oberfläche wandern. Der Effekt war bemerkenswert. Die Maschine erstarrte mitten im Lauf und kippte, vom eigenen Schwung getrieben, vornüber, wo sie eine acht Meter lange Schneise trieb.
Hausen lächelte kalt. Beinahe tat es ihm um diesen exzellenten Piloten Leid. Aber es war Krieg, und er hatte nicht vor, diesen Krieg zu verlieren.
Die beiden Motorräder hielten neben dem gestürzten M9. Hausen sicherte das EMP-Gewehr und lehnte es gegen sein Motorrad. Dann griff er in seine Jackeninnentasche und zog einen Smith&Wesson-Revolver 629 hervor. Langsam ging Hausen, die gezückte Waffe auf den Arm Slave gerichtet, auf die gestürzte Maschine zu. Als er sie erreicht hatte, fand er schnell die Notfall-Entriegelung. Ein Zug am Hebel, und das Cockpit lag offen vor ihm. Der Elektromagnetische Impuls hatte ganze Arbeit geleistet, und nur noch die Mechanik des Arm Slaves übrig gelassen. Und die war leicht zu überwinden.
Hausen wartete ein paar Sekunden, um sicherzugehen, dass der Pilot kein schießwütiger Cowboy war, der nun ein paar hundert Schuss Munition durchs offene Cockpitluk rotzte, dann kletterte er auf die Maschine. "Hey, Amalgam! Schöne Grüße von meiner Frau!", rief Hausen, und hielt seinen Revolver ins Cockpit. Dann bellte ein Schuss auf.

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Full Metal Panic!: Nordatlantik

Episode sieben: Arm Slave-Inferno

Prolog:
Der Raum war groß und weit. Man hätte ein Einfamilienhaus darin errichten können. Dennoch wirkte die Einrichtung nicht verloren; zwei großzügige Sofa-Sitzecken, kostbare Teppiche auf dem Boden, riesige Spiegel und Gemälde an den Wänden und ein halbes Dutzend Kristallkronleuchter, die von der Decke hingen, füllten das Ambiente angemessen. Als Kontrast drängte sich der massive Eichenschreibtisch geradezu in eine Ecke des Raums. Der ältere Herr, der im bequemen Ledersessel dahinter saß, wirkte fast ein wenig verloren. Vier bequeme Sessel, die in Front des Schreibtischs standen, machten allerdings deutlich, dass diese kleine Ecke des Raums anderen Regeln gehorchte als der Rest. Der Raum war dekorativ, und vieles an ihm schrie "Victorianisches Zeitalter" und "Herrenhaus", aber der kleine Bereich mit dem Schreibtisch schien wertvoller zu sein als selbst die riesigen Gemälde oder die kostbaren persischen Läufer.
Im Moment war nur einer der Ledersessel besetzt. Ein mittelgroßer Mann mittleren Alters saß am linken Rand, und betrachtete mit störrischer Miene das Hologramm, welches der Ältere hinter dem Schreibtisch aufmerksam betrachtete.
Das Hologramm bewies, dass die moderne Technik in diesem Saal nicht bei den mit Energie sparenden LED-Lampen an den Kronleuchtern aufhörte. Im Schreibtisch war ein PC untergebracht, der noch vor dreißig Jahren als Gotteswunder bezeichnet worden wäre. Und der Holoprojektor gehörte zur allerfeinsten Hardware, über die Mithril verfügte.
Der ältere Mann war Lord Mallory, Chef des Mithril-Konzils, und damit eigentlicher Anführer der Söldnereinheit. Natürlich umfasste die Organisation noch weit mehr als den militärischen Arm, und Lord Mallory hatte weit mehr zu tun, als ab und an per Hologramm an einer Sitzung des Gremiums teil zu nehmen und Entscheidungen zu treffen. Aber viele Mitarbeiter von Mithril wussten aus Sicherheitsgründen nicht, zu wem sie eigentlich gehörten. Oder vielmehr zu was. Nachdem es etliche Verräter in den Reihen der Söldnerorganisation gegeben hatte, was zum Tod einiger wirklich sehr fähiger Leute geführt hatte, war klar warum sich die Hauptorganisation mit Nichtwissen schützte.
Der Mann vor dem Schreibtisch war Mayer Amit, Geheimdienstchef von Mithril, und ehemaliges Mitglied des israelischen Mossad. Er kannte sein Geschäft, sowohl von der besten als auch von der dreckigsten Seite. Und er wusste, was es mit Mithril und seiner Dachorganisation auf sich hatte. Das war notwendig, um zu vermeiden, dass er versehentlich gegen Verbündete vorging. Meistens klappte das auch.

Lord Mallory stoppte das Hologramm, griff hinein und bewegte die Hand gegen den Uhrzeigersinn. Der Computer erfasste, was Lord Mallory erreichen wollte, und drehte das Hologramm um die eigene Achse. Es zeigte einen Arm Slave vom Typ M9, einen sogenannten Gernsback. Eine wichtige Funktion unterschied ihn aber von den handelsüblichen Gernsback in den westlichen Armeen oder den Funktionsverbesserten Modellen von Mithril. Er besaß einen Lambda Driver. Das war nicht verwunderlich, denn die Venoms von Amalgam, der Terrororganisation, die ihnen schon so viel Ungemach bereitet hatte, besaßen diese sehr starke Waffe ebenfalls. Wenn man Lambda Driver produzieren konnte, lag der Gedanke nahe, sie auch in einen M9 einzubauen. Und sei es nur zum einzigen Zweck, um Mithril zu diskreditieren. Die Aufnahme stammte aus Corpus Christi und war geschossen worden, Sekunden nachdem der M9 von Major Kramer zerstört worden war.
"Und Sie sind sich sicher, dass dieser M9 nichts mit dem Anschlag auf die CIA-Maschine zu tun hatte?"
Amit räusperte sich. "Nach Auswertung aller Unterlagen, der automatischen Kameras der Helikopter und der Beobachtungskameras vor Ort kann ich sagen: Ja, ich bin sogar sehr sicher. Selbst ein Venom hätte es nicht in der Zeit vom Beschuss bis zu dieser Aufnahme zum Flughafen geschafft, geschweige denn gegen Major Kramer kämpfen können."
"So, so. Amalgam spielt also mit härteren Bandagen, aber wir wissen nicht, wogegen sie boxen wollen."
"Nein, Mylord. Wir sind uns ziemlich sicher, dass der Amalgam-Gernsback gegen First Lieutenant Rogers' Arm Slave ausgetauscht werden sollte, um ihn auf die FEANOR bringen zu lassen. Was ein Arm Slave mit Lambda Driver auf einem Boot der Dannan-Klasse anrichten kann, hat uns Gauron effektvoll vorgeführt. Wir vermuten, dass der Angriff auf die CIA-Maschine, der eigentlich auf die Air Force One geplant war, durchgeführt wurde, um entweder Amalgam als Sündenbock hinzustellen, oder die Aktion des M9 als Rückendeckung zu benutzen. Die Aktion gelang. Es wurde nur das falsche Flugzeug abgeschossen." Amit räusperte sich. "Die Informationen wurden uns mit Hilfe von Gun-so Weber und der Mafia zugespielt. Die Organisation, die hinter dem Anschlag steckt, nennt sich ASRAA. Eine gewaltbereite Miliz, die den Umsturz des herrschenden föderalen Systems in den USA betreibt. Gun-so Weber geht davon aus, dass Amalgam und ASRAA zumindest kooperiert haben. Nach dem Vertrauensbruch durch die Miliz erwartet er, dass Amalgam ein Exempel statuiert. Aus diesem Grund überwacht er zusammen mit Lieutenant Rogers in Iowa die offizielle Miliz-Basis der ASRAA in Erwartung eines Vergeltungsschlags. Gun-so Weber hofft, dadurch die verlorene Spur zum entführten Major Kramer wieder zu finden."

Lord Mallory manipulierte das Hologramm. Diesmal bildete es ein zweidimensionales Foto ab. Nach einiger Rechenzeit wurde ein dreidimensionales Hologramm daraus. Es zeigte einen Sarkophag, in dem ein nackter, verbrannter Mann in einer Flüssigkeit trieb. Atemschläuche ragten aus seiner Nase, der Mund war versiegelt. Der Computer hatte die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei um Thomas Kramer handelte, mit achtundneunzig Prozent angegeben. "Dieses Foto hat auch Gun-so Weber besorgt, richtig?"
"Richtig, Mylord. Mit Hilfe seiner Mafia-Kontakte. Die hat er wiederum von Robert Hausen, dem Waffenhändler, mit dem wir seit kurzem zusammenarbeiten."
"Der Rechner gibt die Echtheit mit achtundneunzig Prozent an. Also können wir davon ausgehen, dass wir hier tatsächlich Major Kramer sehen, der durch einen Amalgam-Posten geschleust wurde. Und wir können davon ausgehen, dass er in einem Womb steckt, einer Medizin-Technologie, die wir gerade erst entwickeln."
"Wir können davon ausgehen, dass, wenn der Womb so funktioniert wie er soll, Kramer bereits seit einigen Tagen größtenteils regeneriert wurde. Das heißt, den Womb verlassen konnte." Amit zögerte. "Wir haben Hinweise darauf gefunden, dass die Einrichtung, zu der Major Kramer geschafft wurde, unter dem Kommando von Mr. Silver steht."
Mallory sah erstaunt auf. "Haben wir die Existenz dieses Phantoms endlich beweisen können?"
"Zu viele Amalgam-Agenten behaupten, ihn gesehen oder gar mit ihm gesprochen zu haben. Er sitzt verdammt weit oben in der Hierarchie. Wir müssen davon ausgehen, dass ein Top-Agent mit dem Decknamen Mr. Silver existiert. Und das es nur einen Mr. Silver gibt, keine Stafette Agenten, die gemeinsam diesen Namen nutzt. Eine Identifikation liegt bisher nicht vor. Und die Spuren sind alle kalt. Unsere größte Hoffnung liegt bei First Lieutenant Rogers in Iowa."
"Wird uns die Aktion Major Kramer zurück bringen?", fragte Mallory skeptisch.
"Es ist eine reelle Hoffnung. Ja, Mylord."
"Dann wollen wir hoffen, dass Weber und Rogers Erfolg haben. Mithril kümmert sich um seine loyalen Leute." Lord Mallory deaktivierte das Hologramm und sah Amit direkt an. "Mayer, wie steht es um unser Verhältnis zum amerikanischen Präsidenten?"
"Besser als ich vor einer Woche noch zu hoffen gewagt hätte. Wir haben seine volle Unterstützung."
"Es gibt also noch gute Nachrichten in diesem Tohuwabohu." Lord Mallory lehnte sich zurück. "Als Sie diese Aktion mit Kramer und Mao geplant haben, Mayer, hatten Sie da auch nur einen Hauch an Idee, was alles passieren könnte?"
Der Israeli runzelte die Stirn. "Ich wusste, dass die beiden Aufmerksamkeit erregen würden. Ich wusste, dass eine steigende Anzahl Agenten Gegenagenten auf den Plan rufen würde. Aber ich hatte weder einen Kampfhubschrauber, der in Las Vegas ein Hotel angreift, auf dem Plan, noch eine Horde rachsüchtiger Mafiosi, die So-sho Mao wegen der Italien-Sache mit dem Verräter Vincent Bruno heimsucht. Und das ist ehrlich gesagt mein Fehler, denn in meinem Job muss man mit allem rechnen."
"Und das bedeutet in der Zusammenfassung?"
"Das bedeutet, dass unsere letzten Schläge gegen Amalgam bei weitem nicht hart genug waren. Die Organisation ist weit mächtiger als sie uns zu zeigen bereit war. Unser kleiner Konflikt mit diesen Terroristen ist eigentlich ein Krieg. Und so müssen wir ihn in Zukunft auch behandeln, wenn wir am Ende als Sieger hervor gehen wollen. Dieser Kampf kennt nur einen Gewinner, Mylord."
"Hm", machte Lord Mallory. "Haben wir Sander im Griff? Haben wir Testarossa im Griff?"
"Da beide ihre Augen quasi vor Ort haben, ja, Mylord. Ich rechne nicht mit überraschenden, eigenmächtigen Aktionen der beiden Kapitäne unserer Dannan-Unterseeboote. Aber ich fürchte, wir werden sie sehr bald einsetzen müssen."
"Auf welcher Informationsgrundlage?"
"Mein Magen, Mylord. Er verrät mir, dass wir schon bald in der Scheiße stecken", erwiderte Amit.
"Und wahrscheinlich hat er dabei auch Recht. Hoffen wir also, dass die richtigen Leute auf den richtigen Positionen bereit stehen und die richtigen Entscheidungen treffen. Ich würde diese Welt nicht Amalgam überlassen wollen, nur weil es Mithril nicht mehr gibt."

Ein optisches Signal auf dem Schreibtisch informierte Lord Mallory darüber, dass eine Nachricht mit Top-Priorität eingetroffen war. Zugleich summte Amits Handy. Die beiden riefen ihre Nachrichten auf.
"ASRAA Iowa?", fragte Amit.
Der Lord nickte. "Ausgelöscht. Von einem einzigen M9. Ich schätze, es geht jetzt los, mein lieber Mayer."
"Und es wird mit Sicherheit kein ruhiger Spazierritt", fügte Amit pessimistisch hinzu.


1.
"Verdammte Scheiße! Thomas!", blaffte Hausen wütend. Vor wenigen Sekunden hatte er das Cockpit des Amalgam-M9 erstürmt, in der festen Absicht, den Piloten zu töten und der verbrecherischen Organisation damit eine eindeutige Nachricht zu schicken. Er hatte geschossen, und dank der schnellen Reaktion des Piloten nicht das Gesicht, sondern das Herz getroffen.
Der Mithril-Pilot ächzte gequält auf. "Ist es sicher, deinen Revolver los zu lassen?"
"Natürlich. Hätte ich gewusst, dass du der Pilot bist..." Hausen nahm den Druck von der Waffe, und Kramer sackte erleichtert in sich zusammen. "Tut es weh?"
"Wie die Hölle. Aber es ist nicht annähernd so schlimm wie das, was Amalgam mit mir gemacht hat."
Hausen nickte mitfühlend. Er wusste, dass die meisten Pilotenanzüge heutzutage mindestens Kevlar-Panzerung hatten, die Projektile abwehrte. Aber bei dem dünnen Material tat es immer noch so weh wie der Schlag eines Preisboxers. Thomas hatte den Schuss geistesgegenwärtig nach unten gelenkt, weg vom ungepanzerten Gesicht. Und Hausen war froh über diese Reaktion. Er hätte ungern einen der wenigen Männer erschossen, die er auf dieser Welt Freund zu nennen bereit war. "Himmel, Thomas, was ist mit dir passiert?"
"Wir haben nicht viel Zeit, Robert! Höre mir jetzt genau zu! Steig auf dein Bike und hau wieder ab, so schnell es geht, bevor mein Backup-Team kommt! Die haben M9!"
"Aber was ist mit dir? Sind wir jetzt Feinde?"
"Nein, ich bin auf die ASRAA angesetzt! Und wenn du Zeit hast, schau mal in die zentrale Halle." Der Deutsche hustete gequält. "Autsch."
"Und was ist mit dir? Willst du zu Amalgam zurück?"
"Meinst du, ich habe eine andere Wahl?"
Hausen zog die Augenbrauen hoch. "Gift oder eine Bombe?"
"Gift."
Der deutsche Waffenhändler steckte den Revolver weg und zog ein Messer. Bevor Kramer es verhindern konnte, hatte Hausen ihm einen tiefen Schnitt im Gesicht verpasst. Die Klinge wurde vom Blut rot gefärbt. Das Messer war so höllisch scharf, dass Kramer den Schnitt nicht einmal spürte.
"Ich helfe dir. Irgendwie. Versprochen!" Hausen hielt das Messer vorsichtig waagerecht, während er sich rückwärts aus dem Cockpit schob. "Halte den Kopf unten, Thomas!"
"Können vor Lachen!", erwiderte der Mithril-Pilot bärbeißig. Er war gerade beinahe von einem Freund niedergeschossen worden. Damit hatte der Tag eine unheilvolle Wendung genommen, einem schlechten Omen gleich. Hoffentlich wurde es nicht noch schlechter.
Draußen heulten die Motorräder auf. Thomas erkannte auch das charakteristische Rattern eines M9-MG's. Verdammt, Weissmann reagierte ausgesprochen fix.
"SIR!", klang ihre besorgte Stimme nur eine Minute später auf. Sie erschien im Cockpit und keuchte erschrocken auf.
"Ist nur ein Schnitt und ein Schuss in die Brust", sagte Thomas ärgerlich. "Ich habe Peggy auf Standby geschickt, bevor mich die EMP-Waffe getroffen hat."
"EMP-Waffe?"
"Eine Spielerei der Franzosen. Kostet wahrscheinlich mehr als wir beide in diesem Leben als Sold erhalten werden. Autsch."
"Ich habe einen Erste Hilfe-Kasten. Ich..."
"Hören Sie mir jetzt ganz genau zu, Precious: Steigen Sie in Ihren Gernsback, geben Sie Ihren beiden Genies Befehl, unseren Rückzug zu decken, und dann schleppen Sie Peggy hier raus! Eventuell fährt sie wieder hoch, aber im Moment bin ich nur eine Zielscheibe!"
Sie zögerte einen Moment. Dann nickte sie. "Jawohl, Sir."
Na, wenigstens war sie eine gute Soldatin, wenn sie auch für das falsche Team spielte. Genau wie er selbst.
Kaum eine weitere Minute später wurde seine Maschine angehoben. Eine gute Soldatin, und eine gute Pilotin. Thomas beschloss, Precious Weissmann mehr zu mögen als gut für ihn war.
***
Das Timing und die Pfiffigkeit der Amalgam-Leute ließ Thomas staunen. Normalerweise hätte er nicht einen Cent darauf gewettet, dass ein zehn Meter hoher Gernsback einer ernsthaften Suche durch Polizei und Nationalgarde entkommen könnte, geschweige denn vier auf einmal. Er hätte einige Hoffnung auf die Partikeltarnung gesetzt und auf gutes Wetter gehofft, zugegeben. Aber mit den Ereignissen um die ASRAA im Hinterkopf musste jedem Idioten klar sein, dass die Behörden jedes verdammte Fahrzeug in Augenschein nehmen würden, das in der Lage war, einen Arm Slave zu transportieren. Ebenso jeden Zug, jedes private Flugzeug und jeden verdammten Hubschrauber.
Anfangs hatten sich die drei Arm Slaves seiner Untergebenen, Peggy zwischen ihnen, auch brav mit Hilfe der Partikeltarnung abgesetzt. Sie waren auf einem Fabrikgelände untergekommen, das mehrere große Produktionshallen besaß, in denen ein Arm Slave aufrecht stehen konnte.
Die Arbeiter, fast einhundert, mussten in irgend einer Weise involviert sein, eingeweiht sein. Das ließ Thomas ein wenig schaudern. Wie groß war Amalgam wirklich? Wie viel Macht hatte diese Organisation? Wie viele Mitwisser? Und wie sicher war es, so viele Menschen an diesem Wissen zu beteiligen, wenngleich auf dieser Ebene sicherlich nur rudimentär? Letzteres war sicher nicht seine Sorge, sondern die von Amalgams Gegenspionage. Der Rest aber würde ihm noch zu schaffen machen, sobald er das Gift los geworden war, sobald er wieder gegen Amalgam kämpfen konnte, und nicht mehr für sie.
Als die Luke erneut aufging sagte Weissmann: "Können Sie aufstehen, Sir?"
Ihr besorgtes Gesicht hatte etwas Rührendes. Man hätte es für einen Versuch halten können, den Deutschen über Emotionen zu manipulieren, aber Thomas glaubte das nicht. Andererseits konnte er aber auch nicht verstehen, warum Precious in so kurzer Zeit einen solchen Narren an ihm gefressen hatte. "Mir geht es gut", erwiderte er und erhob sich. Er ergriff ihre helfend ausgestreckte Hand, und ließ sich hoch ziehen. In diesem Moment erkannte er, dass er die Osteuropäerin emotional manipulierte, und das war kein schönes Gefühl.
"Wir sollten vielleicht zuerst zum Arzt gehen, Sir. Ich bin sicher, der Anzug hat den Schuss gut abgefangen, aber mit einer gebrochenen Rippe ist nicht zu spaßen."
"Mir geht es so gut, wie es einem Mann gehen kann, der in acht Tagen sterben wird", versetzte Thomas bissig und bereute seine harten Worte sofort.
Schuldbewusst zuckte Weissmann zusammen. "Entschuldigung."
"Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Precious. Sie haben mir dieses verdammte Gift ja nicht injiziert", erwiderte der Deutsche mit einem Seufzer. Er kletterte auf die kleine Bühne neben seinem Arm Slave und half dann Weissmann hinüber. Während er die Treppe hinab ging, suchte sein Blick den Cheftechniker. "Peggie wurde mit einem EMP-Gewehr beschossen. Ich habe sie auf Standby geschickt, bevor wir getroffen wurden, aber bisher ist es mir nicht gelungen, sie neu zu booten. Kümmern Sie sich darum, und ermitteln Sie den Datenverlust."
"Was glauben Sie, wer Sie hier sind, Mithril?", blaffte der ältere Mann wütend. "Das hier ist meine Werkstatt, und hier entscheide immer noch ich, was und in welcher Reihenfolge ich tue!"
Thomas sprang die letzten Stufen hinunter, trat vor den Techniker, hob in quälender Langsamkeit den rechten Fuß, und trat ihm kraftvoll in den Bauch. Von der Wucht getragen flog er nach hinten, und rutschte auf dem Rücken noch mehrere Meter, bevor er sich vor Schmerzen zusammen krümmte. Einer der anderen Techniker fluchte und eilte zu dem lädierten Cheftechniker.
Der Blick Kramers ging durch die Reihen der übrigen Techs. "Um das mal klar zu stellen: Ja, ich bin ein Offizier von Mithril. Ja, ich würde nichts lieber tun, als diesen netten kleinen Stützpunkt mit Peggy hoch zu nehmen. Leider habe ich weder die Kraft noch die Zeit, um das zu tun. Stattdessen muss ich vorläufig mit Amalgam kooperieren. Und damit meine ich, dass ich einsatzbereit bleiben muss. Einsatzbereit heißt auch, dass mein Arm Slave einsatzbereit ist. Ich will, dass Peggy wieder aktiv ist, bevor meine Einheit hier wieder abzieht."
"Sie verdammtes Schwein", presste der alte Techniker zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Das haben Sie nicht umsonst gemacht! Dafür will ich Ihren Kopf!"
Thomas wandte sich Precious zu. "Töten Sie ihn."
"Sir?", fragte sie verwundert.
"Ich bin derzeit Amalgams einziger Pilot, der ohne diese Scheiß Drogen einen Lambda Driver bedienen kann. Ich bin die nächsten acht Tage, die ich noch lebe, extrem wertvoll. Dieser Mann hat mein Leben bedroht. Es besteht die Gefahr, dass er sein Vorhaben ausführt. Das wäre gleichbedeutend mit Ungehorsam gegenüber Direktor Testarossa, vom Wertverlust ganz zu schweigen. Also, bitte."
Die Techs raunten erschrocken auf, als Weissmann wie befohlen ihre Dienstwaffe aus dem Seitenholster zog und durchlud. "Verstanden, Sir." Mit schnellen hastigen Schritten ging sie auf den alten Techniker zu.
"Warten Sie! Warten Sie!", rief der Mann hastig. "Ich habe das nicht so gemeint! Wirklich nicht!"
"Stop, Precious!" Weissmann verharrte, die Pistole auf den Kopf des Mannes gerichtet. "Sir?"
Thomas ging ebenfalls herüber. "Sie mögen das nicht so gemeint haben. Aber ich kann Ihnen nicht trauen. Wer garantiert mir, dass Sie mich nicht hinterrücks angreifen? Oder einen Ihrer Leute schicken?"
"W-wenn Sie mich töten lassen, könnte einer meiner Leute auf den Gedanken kommen, mich zu rächen!", brachte er hastig hervor.
Edgar und Gary kamen herüber, die Hände bedrohlich auf den Seitenholstern abgelegt.
"Das ist ein Argument", erwiderte Thomas nachdenklich. Er nickte dem Mann zu, der zu dem Alten gestürmt war. "Helfen Sie ihm hoch."
Kurz darauf stand der Cheftechniker mit zitternden Beinen vor Thomas.
"Hauen Sie ab. Beide. Sehe ich Sie zwei, oder auch nur einen noch einmal in diesem Hangar, oder auf diesem Gelände solange ich hier bin, dann..." Thomas nickte Weissmann zu. "Eine Demonstration, bitte, Lieutenant."
Weissmann begriff und feuerte einen Schuss in die Luft. Die beiden Männer erbleichten. "Und jetzt hauen Sie zwei ab!"
Die beiden Techniker gingen zuerst ein paar Schritte rückwärts, doch nach ein paar Metern wandten sie sich um und verließen die Halle so schnell wie sie gehen konnten.
Wieder sah der Deutsche ins Rund. "Ich brauche einen neuen Cheftechniker." Er nickte einem schmächtigen jungen Mann zu, der seine arabischen Vorfahren nicht leugnen konnte. Er grinste schon, seit der alte Cheftechniker seine Flucht angetreten hatte. "Kriegen Sie einen Gernsback auf die Reihe?"
"Bin praktisch in einem geboren, Sir", erwiderte der Mann selbstbewusst.
"Gut. Sie bringen Peggy wieder zum Laufen. Ich erwarte Vollzug in einer Stunde. Danach bereiten Sie alle vier Mechs zum Abtransport vor, für den Fall, dass wir dringende neue Befehle erhalten."
"Verstanden, Sir. Während ich an Peggy arbeite, werde ich die anderen drei Arm Slaves schon mal zerlegen lassen."
"Zerlegen?", echote Thomas.
"Wir teilen die Gernsback auf, Sir. Zwei Arme, zwei Beine, Cockpit, Torso, Rumpf und Kopf, und versenden alles einzeln. Die Nationalgarde sucht nach vier Arm Slaves, nicht nach so kleinen Dingen wie einem Arm Slave-Bein."
"Pfiffig", kommentierte Thomas. "Tun Sie es so."
Er sah Weissmann an. "Kennen Sie sich auf diesem Stützpunkt aus, Precious?"
"Nein, Sir."
"Gary? Edgar?"
"Nein, Sir."
"Ich brauche jemanden, der mich herum führt. Wir brauchen Aufenthaltsräume, eine Kommunikationseinrichtung und Verpflegung."
"Sicher, Sir. Stu, du führst sie."
"Geht klar, Iskender. Hier entlang, bitte. Wir haben Räume und dergleichen vorbereitet."
Thomas grunzte zufrieden und folgte dem großen Schwarzen. Weissmann setzte sich an seine Seite, und die beiden wandelnden Schränke folgten hintenan.

"Danke, dass Sie mich zurückgepfiffen haben", raunte Weissmann ihm zu.
"Oh, ich wusste, das keine Gefahr bestand. Hätte ich nichts gesagt, wäre Ihnen selbst etwas eingefallen, um nicht schießen zu müssen. Aber danke, dass Sie den Schein aufrecht erhalten, Sie und die beiden Gorillas würden mir gehorchen."
Für einen Moment wirkte Weissmann verletzt, doch schnell setzte sie ein Lächeln auf. "Spezieller Service, Sir. Wo kommen wir denn da hin, wenn ein Arm Slave-Techniker einem Piloten den Gehorsam verweigert?"
Über die Miene des Deutschen huschte ein Lächeln. "Stuart!"
Der Schwarze wandte sich halb um. "Sir?"
"Haben Sie jemanden hier, der eine Wunde nähen kann? Ich habe da ein hübsches Andenken mitgebracht", sagte Thomas und deutete auf seine Schnittwunde.
"Ich schicke Ihnen den Betriebsarzt", versprach der Techniker.
"Edgar, Gary, geht duschen und ruht euch aus. Oder geht meinetwegen etwas essen", sagte Kramer ernst. "Precious und ich müssen uns derweil beim Direktor melden."
Die beiden Riesen brummten, und es fiel schwer, darin Ablehnung oder Zustimmung zu erkennen. Aber es war egal, solange sie seinen Anweisungen folgten.
***
"Special Agent Casoli? Wir haben einen der beiden Männer gestellt, die den flüchtenden Gernsback angegriffen haben. Genauer gesagt ist er selbst zu uns gekommen", flüsterte einer der Agenten seinem Einsatzleiter ins Ohr. "Er will die Mithril-Leute sprechen."
Casoli verzog keine Miene bei diesen Worten. "Name?" "Robert Hausen."
Casoli runzelte die Stirn. "Sagt mir nichts. Lieutenant Rogers!"
"Sir?" "Ein gewisser Hausen will zu Ihnen! Er war einer der Leute auf dem..." "Hausen? Wir müssen ihn sofort sprechen!"
"Lassen Sie den Mann vor", entschied Casoli und entließ seinen Agenten mit einem Kopfnicken.
Einige Minuten später trat Hausen auf die Gruppe zu. Casoli sagte: "Mr. Hausen, können Sie mir erklären, wie Sie einen Arm Slave mit Lambda Driver stoppen konnten?"
"Das tut nichts zur Sache", erwiderte der Waffenhändler. "Außer, Sie wollen sich mit Ihren französischen NATO-Verbündeten auseinander setzen."
"Vielleicht will ich das", sagte Casoli gedehnt.
"Ich aber nicht. Kurtz, Lieutenant Rogers, in dem verdammten Cockpit steckte Thomas."
"Das wissen wir schon", erwiderte Rogers und schüttelte dem Waffenhändler die Hand. Auch Weber kam herbei, allerdings leicht gebeugt und mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht. "Nicht wundern. Ich musste aus einem Baum befreit werden. Ich war so dumm, auf den Lambda Driver zu schießen", sagte er, und schüttelte Hausen ebenfalls die Hand.
"Aber du warst schlau genug, vorher auszusteigen", schloss Hausen. "Wie habt Ihr es erfahren?"
Wortlos deutete Sam auf die Wand, auf der die Nachricht von Thomas an Mithril prangte: Falke 1 alive.
"Seine Handschrift ist grauenhaft", sagte Hausen in einem Anflug von Humor. Er griff in seine Jackentasche und zog einen Plastikbeutel hervor. "Thomas ist nicht freiwillig mit den Amalgam-Leuten unterwegs. Sie haben ihn vergiftet und locken ihn mit dem Gegenmittel. Hier im Beutel ist mein Kampfmesser. Das Blut von Thomas klebt daran. Lasst es untersuchen. Eventuell findet Ihr eine Spur vom Gift und könnt ihm helfen."
Beinahe ehrfürchtig nahm Sam den Beutel entgegen. Doch dann schien es Klick zu machen, und sie sah erschrocken auf. "Sie haben Kramer verletzt?"
"Ich habe ihm einen harmlosen Schnitt im Gesicht versetzt, weil ich weiß, dass diese Wunden sofort bluten. Und ich brauchte eine Blutprobe, wenn ich ihm helfen will."
"Natürlich. Verstehe."
Hausen lächelte gekünstelt und nickte Sam zu. Er ließ seinen Blick über das Gelände schweifen, sah die Zerstörungen und die Reste der vernichteten Arm Slaves. Forensiker waren gerade dabei, die Reste von dem zu bergen, was früher einmal Anti Arm-Slave - Infanterie gewesen war. "Ja, man sieht, dass Thomas hier war. Er hat ganze Arbeit geleistet, wie es scheint."
"Das ist noch nicht alles. In der zentralen Halle gibt es..."
"Moment, Lieutenant Rogers, das ist Top Secret!", fuhr Casoli dazwischen.
"Wenn ich es weiß, wird es bald Mithril wissen. Wenn Mithril es weiß, erfährt es Hausen ohnehin", erwiderte sie schroff. "Also, wo ist das Problem?"
"Er ist ein Mitglied von Mithril?"
"Er ist ein informeller Mitarbeiter", wich Sam aus. "Er arbeitet genau wie wir am Fall unseres verschwundenen Vorgesetzten."
Casoli räusperte sich ärgerlich. "Meinetwegen."
Sam unterdrückte den Drang zu lächeln. "In der mittleren Halle liegt der Arm eines Arm Slaves. Wenn wir die Dimensionen richtig geschätzt haben, wird der fertige Arm Slave gut neunzig Meter hoch sein."
Hausen kniff die Augen zusammen. "Das erinnert mich an den Vorfall in Tokio vor knapp zwei Jahren. Damals ist ein ähnlicher Gigant vom Hafen aus Richtung Innenstadt gestapft. Er konnte gestoppt werden."
"Wir hielten die Terrororganisation, die den Arm Slave erbaut und bemannt hatte, für ausgelöscht, auch wenn wir nie die Produktionsanlagen für dieses Monster gefunden haben. Wie es aussieht, wurde mindestens ein weiteres Exemplar erbaut. Vielleicht mehrere."
Hausen strich sich übers Kinn. "Das klingt nicht gut. Das klingt gar nicht gut. Ich werde meine Kontakte nutzen und schauen, ob irgendwelche großen Geldtransfers ins Nirgendwo verschwunden sind. Oder ob große Beträge bei potentiellen Zulieferern aufgetaucht sind."
"Ich hätte gerne eine Kopie dieser Ermittlungen", warf Casoli ein und erinnerte die drei daran, dass sie sich immer noch mitten in einer staatlichen Ermittlung befanden. "Immerhin stehen die Chancen nicht schlecht, das dieser Gigant nicht nur hier in Amerika zusammen gesetzt werden soll, sondern das er hier auch eingesetzt wird."
"Mithril wird Ihnen die Daten zur Verfügung stellen", versprach Sam. "Wenn Sie alle mich kurz entschuldigen wollen, ich werde mich mit Hilfe meines Arm Slaves mit meinen Vorgesetzten in Verbindung setzen. Wir brauchen Sagara hier in Amerika, und das sofort!" Sie wandte sich ohne ein weiteres Wort abzuwarten ab, und lief auf ihren Gernsback zu.
"Sagara?", fragte Casoli verständnislos.
"Er hat den Giganten von Tokio aufgehalten. Er ist vielleicht der einzige Mensch, der diese Monster stoppen kann", erklärte Kurtz. "Sie hat vollkommen Recht. Wir brauchen ihn hier, wir brauchen ihn sofort."
Hinter ihnen wurden unverletzte oder zumindest leichtverletzte Überlebende der ASRAA abgeführt. Mindestens fünfzig Verstöße gegen die Kriegswaffenkontrollgesetze erlaubten die vorübergehende Festnahme und die Vorführung vor dem Haftrichter. Die Männer und Frauen taumelten teilweise wie lebende Leichen neben den FBI-Agenten dahin. Die wenigen, die nicht den Schreck ihres Lebens gekriegt hatten, skandierten ASRAA-Parolen gegen die Zentralregierung in Washington.
"Die haben anscheinend noch nicht aufgegeben", merkte Weber an.
Casoli nickte. "Wenn sie tatsächlich so ein Monster bauen und gegen Amerika einsetzen, haben sie auch noch keinen Grund, aufzugeben."


2.
Obwohl dies Kanames Wohnung war, schaffte es Theresa Testarossa alleine durch ihre Anwesenheit, der Situation und dem Raum etwas Militärisches zu geben. Selbst die beachtliche Anzahl an Leibwächtern der Triaden-Prinzessin Lin Hausen beeinflusste die Aura der Kapitänin der DANNAN nicht. Dafür sorgte, zu einem nicht geringen Teil, Melissa Mao, die hinter Tessas Sessel stand und kühle Professionalität eines Berufssoldaten verströmte. Eine Aura, die von den weiblichen Leibwachen Lins respektiert wurde. Sie teilten quasi einen ähnlichen Nestgeruch.
Sousuke Sagara hatte sich der Situation vollkommen ergeben und in das umgeschaltet, was Kaname halb lächelnd und halb weinend als seinen "Militärmodus" bezeichnete.
"Gun-so Sousuke Sagara meldet sich wie befohlen, Tai-sa!" Wie mit dem Lineal gezogen stand Sagara vor der Kapitänin der DANNAN, während er ihr meldete.
Die Italienerin nickte zufrieden. "Sie kommen zur rechten Zeit, Gun-so. Wir haben eine dringliche Anfrage aus Nordamerika erhalten. Es sieht ganz so aus, als würde die ASRAA mindestens einen der Giganten einsetzen wollen, der damals auf Tokio losgelassen worden war. Wir haben einen Arm gefunden, der zum Muster der vernichteten Maschine passt. Wir brechen sofort auf, durchqueren den Panama-Kanal und suchen die Nordostküste der USA auf. Zeitgleich wird die FEANOR aus dem Mittelmeer aufbrechen und sich mit uns auf der Höhe der Bahamas vereinigen. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass der US-Präsident ausdrücklich die Hilfe unserer beiden Schiffe und des Arbalests verlangt hat."
"Ma'am!", sagte Sagara fest. Doch die Fassade bröckelte schnell, als Besorgnis über sein Gesicht huschte. "Ma'am, Major Kramer betreffend..."
Für einen Augenblick wirkte Testarossa unsicher. Sie sah zur Seite, wo Kim und Kaname saßen. Ein leiser Seufzer war zu hören. "Was ich jetzt sage, klingt schlimmer als es ist. Aber Thomas kämpft gegen die ASRAA. Im Auftrag von Amalgam."
Kims Gesicht wurde puterrot. "Thomas würde niemals...!"
"Beruhige dich. Er ist zwar Schuld daran, das wir einen Gernsback verloren haben und Kurtz aus einem Baum pflücken lassen mussten, aber er macht das nicht freiwillig. Soweit es der Geheimdienst abschätzen kann, bemüht er sich überdies, Kollateralschäden und Kämpfe mit unseren Leuten zu vermeiden."
"Kurtz aus einem Baum gepflückt?", fragte Kaname.
"Er hat auf den aktivierten Lambda Driver von Thomas geschossen."
"Aktivierter Lambda Driver? Habe ich etwas nicht mitbekommen?", staunte Kim.
"Amalgam hat ihn in einen Gernsback gesetzt, der über einen Lambda Driver verfügt. Augenscheinlich ist er in der Lage, diesen zu aktivieren. Amalgam verfügt über Drogen, um Menschen das zu ermöglichen, was Gun-so Sagara und der Arbalest ohne Drogen schaffen. Derart gerüstet hat er die ASRAA-Dependance Iowa alleine und in weniger als einer Stunde komplett ausgelöscht. Das FBI kontrolliert das Gelände. Es ist alles recht kompliziert." Sie seufzte und sah dabei Lin an. "Dein Mann war vor Ort und konnte kurz mit Thomas reden. Er hat Blut von ihm mitgebracht, das gerade in einem Labor untersucht wird, weil Thomas nach eigener Aussage vergiftet wurde, um den Befehlen Amalgams zu folgen."
"Hat er sich schon wieder direkt an die Front gewagt? Er ist viel zu abenteuerlustig", murrte sie und fasste sich unbewusst an den Bauch. Die Geste wurde von einigen der Leibwächterinnen nervös zur Kenntnis genommen. Die Schwangerschaft ihrer Herrin und Schutzbefohlenen machte sie nervöser, als wenn sie das Kind hätten selbst austragen müssen. Lin winkte ab und beruhigte sie damit wieder.
"Jedenfalls", nahm Tessa den Faden wieder auf, "haben wir den Befehl erhalten, unsere Einsatzkräfte, speziell unsere Arm Slaves und besonders natürlich Gun-so Sagara und den Arbalest so schnell wie möglich zur Ostküste zu schaffen. Und das werden wir auch tun."
"Wäre es denn nicht besser, wenn die Maschinen eingeflogen werden?", fragte Kim, nachdem sie zaghaft wie im Unterricht die Hand gehoben hatte.
"Das wäre es in der Tat, wenn es nur um die Arm Slaves gehen würde. Aber wir brauchen auch unsere erfahrenen TacOps, also unsere eingespielte Einsatzzentralen, die Jets, die Kampfhubschrauber, unsere Infanterieteams. Und nicht zuletzt unsere Raketenbewaffnung. All diese technischen Einrichtungen sind denen der Amerikaner überlegen, und das wissen sie auch. Wir von Mithril sind noch am ehesten in der Lage, den Kampf mit dem Riesenroboter zu einem chirurgischen Eingriff zu machen, der so wenig Kollateralschäden wie möglich verursacht. Und wenn wir es schaffen, stehen die Amerikaner tief in der Schuld von Amalgam."
"Moment Mal, Raketenbewaffnung? Du wirfst doch nicht etwa mit Atombomben um dich, Tessa?", argwöhnte Kaname.
Über Sagaras Gesicht huschte so etwas wie ein Lächeln. "Heißt das etwa, die DANNAN wurde nach meiner Empfehlung mit taktischen Atomsprengköpfen nachgerüstet?"
"Nein, das heißt es nicht, Gun-so", seufzte Tessa. "Wir haben keine Atomsprengköpfe, weder interkontinentale, noch taktische. Und das bleibt auch so, solange ich etwas zu sagen habe."
"Hat dann wenigstens die FEANOR...", fragte Sagara mit stetig leiser werdender Stimme, als er den zunehmenden Ärger der Tai-sa in ihren Augen sah.
"Nein, auch die FEANOR hat keine dieser zu groß geratenen Männerspielzeuge an Bord. Davon abgesehen werden wir kein Land, auf dessen Unterstützung wir angewiesen sind, auch nur im Ansatz radioaktiv verseuchen! Nur für den Fall, dass Sie über eine Atombombe stolpern und diese einzusetzen gedenken, Gun-so."
"Das ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt", lachte Lin auf. Als sie aber die ernsten Mienen der anderen Mädchen sah, runzelte sie die Stirn. "Ach kommt, das ist doch vollkommen unwahrscheinlich!"
"Bei Sousuke ist alles möglich", erwiderte Kaname, und die Mädchen nickten zustimmend.

Tessa sah die Mädchen ernst an. "Ihr dürft mitkommen, wenn Ihr wollt, Kaname, Kim."
"Na, das ist doch ein Wort!", rief Kaname erfreut.
"Reiner Eigennutz. Wenn Ihr zwei hier auf der DANNAN seid, dann haben unsere Gegner keine Chance, zwei Whispered zu entführen." Sie sah zu Lin herüber. "Und da Robert gerade mit uns zusammen arbeitet, haben mir meine Vorgesetzten erlaubt, dich und deine Leibwächter ebenfalls an Bord zu nehmen. Auf der DANNAN bist du in jedem Fall sicherer als hier in Tokio. Außerdem können wir immer noch behaupten, wir benutzen dich als Geisel, um Robert bei der Stange zu halten."
"Das lasst mal besser sein", sagte Lin mit gerunzelter Stirn. "Ich nehme dein Angebot gerne an, aber du hast keine Ahnung davon, was meine Familie machen wird, was Robert machen wird, wenn du so eine Behauptung in die Welt setzt."
"Himmel, es war nur ein Scherz. Müsst Ihr denn alle plötzlich so überexakt und übernervös sein? Seht mich an: Ich bin die Ruhe selbst!"
"Ja, jetzt bist du die Ruhe selbst. Aber den ganzen Flug nach Tokio hast du dir um Thomas Sorgen gemacht", klang die Stimme von Melissa Mao auf.
"Sousuke, ich habe einen Verteidigungsraster ausgearbeitet, der sogar bei diesen Giganten wirken wird. Wir können dank dir auf eine Menge Daten zurückgreifen. Wir... Ach, du bist ja ganz rot geworden, Tessa. Wie niedlich. Und das nur weil ich erwähnt habe, dass du dir Sorgen um Thomas machst? Dabei habe ich ja nicht mal erwähnt, dass du Nägel gekaut..."
"Melissa...", sagte sie gequält.
Maos breites Grinsen wich einem traurigen Lächeln. "Wir machen uns alle Sorgen um ihn."
"Aber wir werden ihn zurückholen", sagte Kim bestimmt.
"Falls er zurückgeholt werden möchte", murmelte Sousuke.
Kaname sah den Gun-so erschrocken an. "Was hast du da gerade gesagt, Sousuke? Warum sollte er nicht zurückgeholt werden?"
"Genau! Warum würde er das nicht wollen?", hakte Kim nach. Allerdings überwog bei Kaname der Ärger, und bei Kim die Besorgnis.
Sagara räusperte sich vernehmlich und überlegte, wie er aus dem Dilemma wieder raus kommen konnte. "Nun, einerseits hat Thomas noch gut acht Tage Zeit, die er bei Amalgam verbringen kann. Er erhält Einblicke in die Organisation, die wir bisher kaum kannten, und die uns immer mehr offenbart, wie gut sie doch strukturiert ist. Und andererseits... Nein, das ist ein dummer Gedanke."
"Raus damit, Gun-so." Streng sah Tessa den Unteroffizier an. "Was steht bei andererseits auf Ihrer Liste?"
"Nun, wenn Amalgam ihm das Gegenmittel gibt, dann wirkt es vielleicht nur eine gewisse Zeit, und er wird noch länger bei ihnen bleiben müssen, bis wir die Chance haben, das Gift zu identifizieren und selbst ein Gegenmittel zu finden. Kriegt er aber das Gegenmittel nicht, dann wird Thomas mit einem Knall abtreten wollen. Einem Knall, den man um den halben Erdball hören wird, da bin ich mir sicher."
Kim ballte die Hände zu Fäusten. "Hoffen wir, das es nicht so weit kommt. Aber wenn doch, dann will ich die Explosionen sehen, die er verursachen wird."
Die anderen schwiegen betreten nach diesen Worten.

Es dauerte einige Zeit, bis Mao wieder etwas sagte. "Nun ja, Explosionen sind bei Thomas durchaus zu erwarten. Wir sollten auch vor dem Ablauf der acht Tage nach Explosionen Ausschau halten. Das zeigt uns den Ort, an dem er gerade wütet."
"Plausible Argumentationskette", sagte Tessa.
Die anderen nickten zustimmend. "Ja, das passt zu Thomas." Kaname griente breit. "Explosionen, Sousuke. Das ist ein Punkt, in dem du noch etwas von ihm lernen kannst."
"Aber... Explosionen sind ineffizient", erwiderte der Gun-so mit Entsetzen in der Stimme. "Klare, präzise militärisches Vorgehen hat schon immer bessere Ergebnisse gebracht als Effekthascherei mit Explosionen."
Mao begann schallend zu lachen. "Manchmal ist Ineffizienz die bessere Vorgehensweise, Gun-so. Denk mal drüber nach."
"Also, wie schnell könnt Ihr packen?", fragte Tessa.
"Ich bin abreisebereit", sagte Sagara.
"Du hast ja nie viel Gepäck", stellte Kaname spöttisch fest. Spöttisch und ein wenig enttäuscht, denn dank Tessas Blitzbesuch hatten sie nur eine gemeinsame Nacht in ihrem Raum verbracht. Eine Nacht, in der sie vor lauter Nervosität nicht hatte schlafen können, aber Sousuke hatte ohnehin nichts getan, was man auch nur ansatzweise als Eigeninitiative hätte bezeichnen können. Das war so... Typisch für ihn, dass sie hätte schreien wollen.
"Gib uns zehn Minuten", sagte Kim und sprang vom Möbelstück auf. "Zehn? Ach, fünf reichen!"
Ein wenig irritiert sah Theresa Testarossa der Whispered nach, dann schüttelte sie den Kopf und wandte sich den anderen wieder zu. "Zwanzig reichen auch. Wir haben einen militärischen Jet, der startet, wann ich es befehle.
Wir fliegen zuerst bis Hawaii, und lassen uns von dort zur DANNAN raus fliegen. Sie dürfte dort in acht Stunden vorbei kommen, wenn sich Chu-sa Mardukas an den Marschplan hält. Dann können wir in dreißig Stunden durch den Panama-Kanal durch sein, und in vierzig in Norfolk anlanden."
Sie sah Sousuke an. "Dort beginnt der kombinierte Einsatz mit der FEANOR, der unsere Offensivmittel verdoppelt, Gun-so. Und der Preis ist die Hauptstadt der USA."
Sagara straffte sich. "Ich habe verstanden, Tai-sa."
Na, wenigstens in dem Punkt war auf Sousuke Verlass. Kaname konnte sich sicher sein, dass er das wirklich verstanden hatte. Immerhin ging es um rein militärische Belange.
"Was passiert, wenn wir bei der Aktion auf Thomas treffen?"
"Nichts, solange wir in die gleiche Richtung schießen", stellte Mao fest. "Und noch gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass dies nicht der Fall sein wird." In ihrer Stimme klang ein "hoffentlich" mit. Sie brauchte es nicht auszusprechen. Es stand deutlich im Raum.
***
Der Flug nach Hawaii und die Hubschrauberreise zur TUATHA DE DANNAN, die Hawaii fast eintausend Kilometer entfernt passierte, waren für die Mädchen schnell gegangen; und kaum auf der DANNAN eingetroffen, hatten sich Tessa, Melissa und Sousuke in den Dienst an Bord eingeklinkt, als wären sie nie fort gewesen. Derweil waren den Zivilisten Quartiere zugewiesen worden, und grimmige Marines-Wachen machten Lins Leibwache klar, wer hier das Recht hatte, wen zu beschützen. Anschließend kam es, wie später zu hören war, zwischen den Leibwächterinnen der Triaden-Prinzessin und den Infanteristen aus Kalinins Team zu mehreren Trainingskämpfen, mit durchaus durchwachsenem Erfolg, der aber Respekt für die Gegenseite erzeugte. Alles andere wäre an Bord auch problematisch geworden.

Mao und Sagara meldeten sich als Erstes bei Sho-sa Kalinin
"Setzen Sie sich. Setzen Sie sich beide, bitte." Kalinin seufzte leise. "Sie wissen vom Tai-sa, dass wir zu einer besonderen Mission aufbrechen. In den USA wird mindestens ein Arm Slave zusammen gebaut wie jener, den Sie hier in Tokio gestoppt haben, So-sho, Gun-so. Eingesetzt wird er wahrscheinlich von der ASRAA, der Arm Slave Republican Army of America. Wir haben es also mit einem ähnlichen Akt von Terrorismus zu tun wie vor zwei Jahren. Aber es besteht zu befürchten, dass es diesmal zwei oder sogar noch mehr Arm Slaves sein werden."
Mao und Sagara sahen interessiert auf. Das war eine neue und gefährliche Information.
"Über die Angriffsziele braucht nicht spekuliert zu werden. Was wir in jedem Fall wissen, das ist,
dass die Gruppierung der Zentralregierung gegenüber feindlich eingestellt ist, und ihre Vernichtung propagiert. Das logische Ziel für sie ist also Washington D.C. Was wir noch wissen, ist dass sich diese Giganten nur bewegen können, weil sie mit Lambda Drivern ausgerüstet sind. Das ermöglicht diesen Giganten nicht nur die Bewegung, sondern macht sie auch nahezu unangreifbar. Wir sind nicht einmal sicher, ob ein Schlag mit taktischen Atomgranaten einen Erfolg zeitigen würde. Uns hilft in diesem Fall nur ein Lambda Driver." Er fixierte Sagara. "Gun-so, ich hoffe, Ihre Probleme mit dem Lambda Driver gehören endgültig der Vergangenheit an. Denn wenn wir nicht von Seiten Amalgams-", er sprach den Namen Kramer nicht aus, aber er schwang im Raum, "-unerwartete Schützenhilfe bekommen werden, sind Sie der einzige lebende Mensch, der einen aktivierten Arm Slave dieser Klasse aufhalten kann."
"Keine Probleme seit Monaten, Sir", verkündete Sagara steif.
"Sir, halten Sie es für möglich, dass Amalgam seine Lambda Driver auf unserer Seite einsetzen wird? Oder zumindest solange den Kampf mit uns meidet, bis die Gigant-Arm Slaves ausgeschaltet wurden?", hakte Mao nach. "Dass sie Major Kramer einsetzen werden?"
"Es besteht eine gewisse Sicherheit bei dieser Hypothese. Der Angriff auf die ASRAA-Dependance Iowa war ein recht eindeutiges Zeichen dafür, dass zwischen ihnen und ASRAA offener Krieg ausgebrochen ist. Verlassen werden wir uns darauf aber nicht."
"Sollte Amalgam erneut Major Kramer einsetzen, können wir uns zumindest sicher sein, dass von ihm keine Gefahr droht", stellte Mao fest.
Kalinin sah für einen kurzen Augenblick zu Boden. "Ich muss Ihnen da widersprechen, So-sho Mao. Es gibt... Da gewisse Umstände, die ich Ihnen nun mitteilen muss, und die diesen Raum nicht verlassen dürfen. Major Thomas Kramer ist sicherlich einer der besten Arm Slave-Piloten, die wir haben. Aber... Sein Ausscheiden aus der Bundeswehr wurde... Nun, wie sage ich es am Besten? Kramer hat bei mehreren wichtigen Einsätzen zwar die Gefechtsziele erreicht, dabei aber Kollateralschäden verursacht. Sprich, es wurden Zivilisten getötet. Etliche Zivilisten. Seine Vorgesetzten kamen zu dem Schluss, dass Umstände und Feindeinwirkung keinen anderen Ausgang zugelassen hätten. Aber Major Kramer wurde von Schuldgefühlen und Selbstzweifeln zerfressen, bis er aufgrund seiner Psychosen ehrenvoll entlassen wurde. Als wir ihn zu Mithril holten, geschah dies, weil wir ihm helfen konnten diese Psychosen mit besonderen Medikamenten in den Griff zu bekommen. Die Schwarze Technologie hat uns nicht nur in technologischer Hinsicht voran gebracht." Kalinin klopfte nachdenklich auf die Tischplatte seines Schreibtischs. "Unter der Haut des linken Handgelenks hat Kramer eine Medikamentenpumpe, die ihn ein halbes Jahr mit seinem Medikament versorgt. Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, wenn ich sage, dass dieses halbe Jahr seit einiger Zeit um ist. Hinzu kommt, dass er von Amalgam unter Drogen gesetzt wurde, um die Fähigkeit zu erhalten, einen Lambda Driver zu aktivieren. Darüber hinaus wissen wir, dass er vergiftet wurde, damit er Amalgams Befehlen gehorcht. Und all das interagiert in seinem Körper.
Wir können uns nicht einmal ansatzweise ausmalen, was in Kramers Biochemie gerade passiert. Sein Medikament wird ihm nicht mehr verabreicht, seine Psychosen kehren zurück. Dann wird er von den Amalgam-Drogen und der Vergiftung noch weiter aus dem Gleichgewicht gebracht. Und darüber hinaus wissen wir, dass er bei der Vernichtung des ASRAA-Stützpunkts Iowa über jedes Maß brutal vorgegangen ist. Gun-so Webers Verletzungen ordne ich allerdings nicht als solchen Angriff ein."
"Wie sollen wir das verstehen, Sho-sa? Dass Thomas bald eine Gefahr für sich selbst, und damit auch noch für uns ist?", fragte Mao schockiert.
"Es kann sein, dass wir uns dazu entschließen müssen, Kramer zu eliminieren. Diesmal jedoch nicht nur zum Schein."
"Aber das ist doch..."
"So-sho Mao! Wenn Kramer zum Psychopathen wird, zum Massenmörder mit einem Lambda Driver, übernehmen Sie dann die Verantwortung für all die Menschen, die er töten wird? Kramer ist ein ausgebildeter Elite-Soldat, der auf das Töten trainiert wurde! Wenn er ausflippt und alle Hemmungen von ihm abfallen, wenn er jedes Maß verliert, dann möchte ich nicht in der Stadt sein, die ihm am Nächsten ist!" Kalinin faltete bedächtig beide Hände zu einem Zelt. "Gun-so Sagara, Sie sind der Einzige, der Major Kramer stoppen kann. Bereiten Sie sich mental darauf vor, ihn notfalls auszuschalten. Ich spreche hier bewusst nicht davon ihn zu töten. Aber sollte das die einzige Möglichkeit sein, um ihn zu stoppen, werden Sie sie ergreifen. Haben Sie verstanden?"
"Ich habe verstanden, Sho-sa."
"Aber Sousuke, du..."
"Es ist das Beste! Für uns und vor allem für Kramer! Treten Sie jetzt beide weg."
"Aber Sho-sa, ich..."
"So-sho Mao!"
Die Arm Slave-Pilotin schluckte heftig. "Ja, Sir. Verstehe, Sir."
Mao und Sagara salutierten, dann verließen sie Kalinins Büro.
Der russische Offizier seufzte leise. "General Amit, damit haben Sie mir eine große Bürde auferlegt." Blieb nur noch zu hoffen, dass Kramer und Sagara nicht tatsächlich aneinander geraten würden.
***
Der Direktor war ein nervöser kleiner Mann, von sieben geöffneten Laptops umgeben, von weiteren vier Hologrammen umschwirrt, und irgendwie mit allen zugleich beschäftigt. Kein Wunder, das er nervös war, wenn er seine Aufmerksamkeit auf so viele Informationen zugleich lenken musste.
"Was wollen Sie, Kramer?", fragte er ohne aufzusehen. "Sie haben Ihre Arm Slaves sicher hergebracht, Ihren Auftrag erledigt und Ruheräume zugewiesen bekommen. Außerdem hat sich bereits jemand um den hässlichen Schnitt gekümmert, den Ihnen der widerliche kleine Waffenhändler Hausen verpasst hat."
"Mich melden, Sir. Wenn das verkehrt ist, gehe ich sofort wieder."
Der kleine Mann sah auf. Er drehte einen Laptop so, dass Kramer den Bildschirm sehen konnte. "Nein, bleiben Sie ruhig. Bleiben Sie, und erklären Sie mir das hier."
Ein Video wurde abgespielt, aufgenommen von einem Satelliten. Es zeigte die Motorräder, Peggy, und wie sie plötzlich erstarrte. "Erklären Sie mir das, bitte."
"Eine neue französische Waffe. Das EMP-Gewehr. Es gibt noch nicht allzu viele davon. Hausen hat sie auch schon gegen den Kampfhubschrauber eingesetzt, der ihn aus seinem Appartement im Treasure Island heraus ballern wollte."
"Eine tragbare EMP-Waffe." Der Direktor seufzte viel sagend. "Das bedeutet neue Forschungen, neue Entwicklungen, Updates für existierende Arm Slaves... Sie bringen mir nichts als Arbeit ein, Kramer."
"Das sollte einen Industriellen doch freuen, oder?", konterte der Major.
"Wenn ich eines dieser Gewehre hätte, dann ja. So aber muss ich erst erforschen, wie diese Dinger funktionieren, und danach erst, wie ich meine Arm Slaves davor schützen kann. Und in der Zeit sind diese Gewehre kleine Teufeleien, die die Welt verändern können." Er rieb sich die Schläfen. "Es ist keine Schwarze Technologie aus dem Gehirn eines Whispered, oder?", fragte der Direktor ernst.
"Es wäre mir neu, dass Frankreich Whispered hat und ausbeutet", sagte Kramer. "Ausschließen kann man es nicht. Es gibt genügend europäische Whispered."
"Hm. Gut. Waren Sie mit dem Betriebsarzt zufrieden? Wie sieht es mit Ihren Quartieren aus? Hat man Ihnen schon die sicheren Räume gezeigt, für den Fall einer Razzia? Ich pumpe zwar gerade die örtlichen Behörden mit Bestechungen voll, aber ab und zu trifft man mal auf einen unbestechlichen Idioten. Und dann tut es uns gut, Sie nicht erst irgendwo auf dem Gelände suchen zu müssen, Kramer."
"Die Saferooms gehörten noch nicht zu meiner Führung. Mit dem Rest bin ich zufrieden, danke."
Der Direktor drehte das Laptop wieder zu sich. "Gut, Kramer. Lauschen Sie mir jetzt angestrengt. Ich habe hier eine Beschwerde meines Cheftechnikers gegen Sie. Ich habe den Mann beurlaubt, solange Sie hier sind. Und das wird hoffentlich nicht mehr lange der Fall sein. Ich habe hier immerhin eine Firma zu leiten. Ich kann nicht auch noch für Amalgams jüngstes Sorgenkind das Kindermädchen spielen."
"Keine Sorge, Sir. Ich habe mein eigenes Kindermädchen", erwiderte Kramer.
Weissmann neben ihm grinste spöttisch.
"Gut. Informieren Sie sich über die Lage der Saferooms. Und dann versuchen Sie, den internen Betrieb nicht mehr zu stören. Ich rechne noch heute mit neuen Anweisungen von der Hauptdirektion. Hoffen wir das nichts weiter passiert, bis ich Ihre Arm Slaves zerlegt, verladen und fortgeschickt habe." Er sah Weissmann an. "Sie sorgen dafür, dass das übliche Chaos ausbleibt, das dieses Alpha-Tier verursachen will. Meinetwegen sperren Sie ihn ein, wenn es sein muss. Es ist mir gleich." Er winkte mit der Linken. "Gehen Sie was essen, baden Sie und schauen Sie anschließend Fernsehen. Aber stören Sie mich nicht."
Kramer verneigte sich amüsiert. "Ich werde mich bemühen, Sir."
"Das will ich Ihnen auch geraten haben."
Kramer nickte erneut, bevor er vor Weissmann das Büro verließ.

Auf dem Gang erwartete sie der große Schwarze. "Kein Geschrei? Der Alte scheint Sie zu mögen, Sir."
"Das nennen Sie mögen?", fragte Weissmann erstaunt. "Das war mögen?"
"Wenn er jemanden nicht mag, hört man ihn noch in der Wartungshalle", sagte Stuart grinsend. "Eine seiner guten Seiten, wie ich finde."
"Das ist eine gute Seite?" Weissmann runzelte die Stirn. "Will ich die schlechten Seiten kennen lernen?"
"Es geht weniger um das Wollen als um das Werden", erwiderte der Techniker. "Kommen Sie, ich bringe Sie jetzt zu Ihren Quartieren."
"Sie sollen uns die sicheren Räume zeigen, Stuart", sagte Kramer.
"Sie haben einen Zugang direkt in der Nähe Ihrer Unterkünfte. Es handelt sich um einen getarnten Bunker, den der KGB für den großen Krieg mit Amerika angelegt hat. Gut getarnt und großzügig dimensioniert. Für ein Agentenfeldlager. Nicht unbedingt für Arm Slaves."
"Verstehe."
"Und, wie ist das Essen hier so?", fragte Kramer.
Stuart grinste über die Schulter zurück, während er die beiden Piloten weiter führte. "Geben Sie mir eine Minute, dann können Sie sich in der Kantine selbst ein Bild machen."
"Wissen die Leute hier, dass sie für Amalgam arbeiten?", hakte er nach.
"Die Meisten. Und sie fahren ganz gut damit in einem Land, in dem die Regierung einen Bürger nicht mal vor solchen Idioten wie den ASRAA-Anhängern beschützen kann", antwortete der Schwarze, mit deutlichem Ärger in der Stimme. "Manchmal wendet sich die Freiheit gegen jene, die sie verteidigen. Aber manchmal kommt auch jemand vorbei und leistet ganze Arbeit. So wie Sie heute, Major Kramer."
Thomas schnaubte amüsiert. Als Teil von Mithril war er es gewohnt, Dinge zu tun, die in mehr als einem Land höchst illegal waren. Seine Ausrede war die hohe Moral und die hehren Ziele von Mithril. Ihr Führer schien als Ziel den Selbstschutz erwählt zu haben, auf einem zugegeben nicht mehr illegalen Weg.
"Beschützt Amalgam Sie und Ihre Familie, Stuart?"
Der große Schwarze blieb stehen. "Die Firma bietet den Mitarbeitern Wohnraum auf dem Gelände, eigene Einkaufsmöglichkeiten und eigene Schulen. Wir sind eine eigene kleine Stadt hier draußen, umgeben von Stacheldraht und Torwachen. Ich habe Angst, verstehen Sie? Da draußen mag die Regierung ihr Bestes tun, um das Land sicher und stabil zu halten, aber ich möchte bei diesen Versuchen nicht auf der Strecke bleiben. Oder eines Tages ein Kind zu Grabe tragen zu müssen, weil dieser Staat einem Verrückten seinen Arm Slave erst dann weg nimmt, wenn er mutwillig gemordet hat. Nein, hier hinter diesem Zaun bin ich sicher. Sicherer als da draußen. Und ich arbeite hier als Teil der Firma. Sollte die Zugehörigkeit zu Amalgam jemals ein Problem sein, wird es uns Arbeiter und Angestellte vielleicht nicht treffen. Vielleicht aber auch doch. Aber gewiss nicht unsere Familien. Und das ist mehr wert als alles andere in diesem Land. In diesen Zeiten der Waffenfreiheit von Arm Slaves."
"Ich verstehe."
Stuart grinste nun wieder. "Hier ist die Kantine. Soll ich warten, oder wieder hier abholen?"
"Haben Sie schon gegessen? Oder erwartet Iskender Sie zurück?"
"Oh, ja, da war ja noch was. Der Cheftechniker..." Er räusperte sich amüsiert. "Der neue Cheftechniker braucht mich für die Zerlege-Aktion."
Stuart sah auf seine Armbanduhr. "Ist eine halbe Stunde in Ordnung? Und nur für den Fall: Der Zugang zum Saferoom ist in der Küche. Das Küchenpersonal wird Sie, sollte es nötig sein, evakuieren."
"Danke, Stuart. Eine halbe Stunde erscheint mir angemessen. Und danke für den Hinweis mit dem Saferoom." Mit einer freundschaftlichen Geste klopfte er Stuart auf die Schulter, bevor der Techniker sie wieder verließ.

"Setzen Sie sich schon, Sir. Ich hole Ihnen Ihr Essen. Was hätten Sie denn gerne?"
Dankbar lächelte Thomas die junge Frau an, aber seine Miene wurde schnell wieder ausdruckslos, als er sich vorwarf, sie mit seiner Freundlichkeit zu manipulieren. "Danke, Precious, das ist nett von Ihnen." Er musterte die Menutafeln, die oberhalb der Ausgabe prangten,und prüfte seinen eigenen Appetit. Normalerweise hätte er etwas genommen, was der Situation angemessen gewesen wäre, nämlich leicht verdauliche Kost in annehmbarer Menge, um problemlos in einen plötzlichen Einsatz gehen zu können. Andererseits hatte er noch bestenfalls acht Tage zu leben, wenn kein Wunder geschah. Und so stritt der Teil in ihm, der sich auch mal was gönnen wollte mit dem Teil, der der moderne, pflichtbewusste Soldat war. Endlich seufzte er. "Bringen Sie mir..."
"Bin schon wieder da", sagte Weissmann, und stellte einen prall gefüllten Teller vor ihm ab. "Da Sie sich augenscheinlich nicht entscheiden konnten, bin ich als guter Stellvertreter eingesprungen. Keine Sorge, es ist leicht und lecker." Sie deutete auf den extra großen Teller Spaghetti mit Meeresfrüchten und lächelte dazu. Für sich selbst hatte sie ein Steak und eine Ofenkartoffel mitgebracht. Nicht gerade das leichteste Essen, aber der Klecks Quark gab dem Teller ein gesundes Sahnehäubchen. "Meeresfrüchte?", fragte Thomas argwöhnisch.
"Meeresfrüchte. Scampi, Muschelfleisch, Tintenfisch, und noch ein paar Sorten Fischfilet. Alles sehr lecker. Ich habe vorher gekostet. Die Qualität stimmt, Sir."
"Wenn Sie das so gerne mögen, warum haben Sie sich dann ein Steak geholt?", fragte Thomas mit indigniert hochgezogener Augenbraue.
"Damit ich Ihnen was abgeben kann, wenn ich meine Portion nicht schaffe, Sir."
Thomas lachte auf. "Precious, ich beginne wirklich, mich in Sie zu verlieben."
Weissmanns Reaktion überraschte ihn. Sie wurde tatsächlich rot, und ihre bereits gehobene Gabel verfehlte den Teller. "S-sir, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie solche Scherze lassen würden."
In seinem Verstand machte es klick. Da hatte er sich geschämt, für den Gedanken, sie zu manipulieren. Und nun musste er feststellen, dass er es tatsächlich geschafft hatte. Eventuell spielte sie ihm nur etwas vor, um wiederum ihn zu kontrollieren, aber dann hatte sie eine denkbar schlechte Ausgangslage, wenn sie sich ihm offensichtlich unterordnete. Und das, obwohl sie seine Aufpasserin sein sollte. Nun, sie war ein Feind, das war es was er denken sollte. Aber der gute alte Thomas Kramer hatte niemals nur schwarz und weiß gedacht und immer gewusst, dass man die Leichen meistens in den Kellern jener Hausbesitzer fand, von denen man es nicht erwartet hatte. Dennoch, anstatt diese Situation auszunutzen, für seine eigene Zwecke zu nutzen, fühlte er sich für sie verantwortlich. War es das, was einen Offizier ausmachte? Selbst einen tödlich vergifteten, missbrauchten Offizier? Oder war es das, was ihn zu einem Offizier von Amalgam machte?
Langsam griff er nach Gabel und Löffel, langsam drehte er sich einen Ballen Spaghetti. "Meeresfrüchte, was? Man soll ja öfter mal was Neues im Leben probieren." Mit diesen Worten schob er sich den ersten Happen in den Mund. Zu seiner Überraschung sagte es ihm zu. Eventuell hatte er auch einfach nur einen Bärenhunger.
***
Als Thomas im dunklen Zimmer hoch schreckte, wusste er für einen Moment nicht, wo er war. Erst nach und nach stellten sich die Erinnerungen ein. Er tastete links und rechts neben sich nach dem Lichtschalter, und erwischte dabei etwas weiches, warmes. Precious Weissmann machte einen quiekenden Laut der Überraschung, dann sah er ihre Augen in der Dunkelheit vor sich glitzern wie von einer Katze. "Sir?"
Entsetzt durchforschte Thomas sein Gedächtnis. Hatte er getrunken? Hatten sie getrunken? Hatten sie...?
"Precious? Haben wir...?"
"Was meinen Sie, Sir?" Sie langte an ihm vorbei und aktivierte das Licht. Als das Bett der Dunkelheit entrissen wurde, registrierte er, dass sie beide auf den Laken lagen. Und dass sie beide zumindest die Funktionsunterwäsche trugen, die unter den Arm Slave Suits getragen wurde.
"Hatten wir Sex?"
Precious begann leise zu kichern. "Wenn, Sir, dann würden Sie sich daran erinnern. Dafür garantiere ich."
Thomas hüstelte verlegen und provozierte damit weiteres Gelächter der jungen Weissmann.
"Und was ist dann passiert? Ich kann mich nicht so recht dran erinnern."
"Nun, nach dem Essen wollten Sie nicht alleine sein, und ich habe Ihnen Gesellschaft geleistet. Wir haben fünf oder sechs Stunden nur geredet, Geschichten ausgetauscht. Und irgendwann sind Sie eingeschlafen, Sir. Und weil ein Platz in einer provisorischen Unterkunft so gut ist wie jeder andere, bin ich gleich liegen geblieben. Dieses Bett war wenigstens vorgewärmt."
"In unserer Unterwäsche", sagte Thomas zweifelnd, kurz bevor er sich daran erinnerte, wie sie einander aus den Anzügen geholfen hatten, nur um anschließend nacheinander zu duschen.
"Ich kann mich nicht daran erinnern, den Befehl bekommen zu haben, mich auszuziehen", erwiderte sie amüsiert.
"Ich habe Ihnen also nichts getan", stellte Thomas fest. Soviel also zum Manipulieren.
"Nichts, womit ich nicht einverstanden gewesen wäre", erwiderte sie.
Der Deutsche zuckte zusammen. "Was, bitte?"
Sie lächelte. "Wir haben uns... Sie haben mich... Nun, kurz bevor Sie ganz weggetreten waren, haben wir ein wenig geknutscht. Harmloser geht es doch nun wirklich nicht, Sir."
"Oh. Und Sie waren damit einverstanden?"
"Das war schon in Ordnung, Sir. Da war ich eh neugierig drauf. Was ich nicht so toll fand, war, dass Sie mich Melissa genannt haben."
"Melissa?" Thomas rieb sich die Schläfen, die ihm plötzlich zu zerspringen drohten. Na, immer noch besser, als dass er..." "Und Kim. Und einmal nannten Sie mich Tessa..."
...Namen der anderen Mädchen ausgesprochen hätte, die immerhin noch nicht einmal volljährig waren. "Uff, da bin ich ja beruhigt", sagte Thomas, und versuchte Ruhe in seine Stimme zu legen. "Dann war das ja keine große Affäre."
"Wie man es nimmt. Als Sie mich Kaname genannt haben, da..."
"Okay, Precious, ich habe verstanden. Sie haben meine Akte gelesen."
"Äh, in dem Ausschnitt, den ich erhalten habe, stand jedenfalls nichts von Ihren verflossenen Beziehungen", erklärte sie verlegen.
Innerlich atmete Thomas auf. Ja, das würde funktionieren. Zumindest bis Precious Weissmann herausfand, wer Melissa, Tessa, Kim und Kaname waren. Und er hatte ihre Namen gemurmelt und dabei rum geknutscht? Sicher, er empfand etwas für jede dieser Frauen, und am Meisten, wie er geglaubt hatte, für Melissa. Aber dass er an sie gedacht hatte, während er mit Weissmann geknutscht hatte, war ihm mehr als peinlich. Bei diesen Gedanken verblassten sogar seine Selbstvorwürfe und die mentalen Spannungen durch die indoktrinierten falschen Erinnerungen. Für einen Moment fragte sich Thomas, wieso ihn das so sehr mitnahm. Es gab da eine verdammt hohe Wahrscheinlichkeit, nach der er in spätestens acht Tagen tot sein würde. Und dann regte er sich über ein paar harmlose Küsse im Halbschlaf auf? Himmel, stattdessen hätte er den Heiligen in ihm über Bord werfen sollen, um mit Precious zu schlafen! Und damit würde er bei ihr nicht einmal auf Ablehnung stoßen.
Er schnaufte aus, amüsiert und sich selbst tadelnd. "Verflossene Beziehungen würde ich sie nicht nennen", sagte er, aus einer inneren Ehrlichkeit heraus. "Und schon gar keine aktuellen Beziehungen. Aber ich fürchte, mein Beschützerinstinkt ihnen gegenüber treibt ein paar merkwürdige Blüten."
"Ach", raunte sie, und war ihm plötzlich ganz nahe, "haben Sie etwa gerade entdeckt, dass in dem Soldaten Thomas Kramer auch noch ein Mann steckt?"
"Vorsicht, Precious, Sie sind mir zu nahe."
"Das hat Sie vorhin aber nicht gestört, Sir." Sie lächelte ihn an. "Und mich stört es auch nicht. Wissen Sie, Sir, ich denke, solange ich noch so verrückt bin, solange dieses Bett noch warm ist, sollten wir... Sollten wir..."
"Was, Precious?", fragte Thomas. Er sah ihr in die Augen.
Sie schluckte unbeholfen, und ein schüchternes Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Finden Sie mich attraktiv, Sir?"
"Überaus attraktiv. Sie sind eine sehr schöne Frau mit einer tollen Figur. Und ich schätze Sie wegen Ihrer Fähigkeiten als Soldatin und Ihrer Intelligenz, Precious."
"Wäre es dann vermessen von mir, wenn ich Sie frage, ob wir..."
Thomas drehte den Oberkörper in ihre Richtung und spürte irgend etwas in seinen Kopf rauschen. Kurz darauf konnte er es schon hören. Dazu drang ihr Körpergeruch in sein Bewusstsein und verstärkte das Rauschen nur noch. Etwas in diesem Geruch stachelte ihn an. Es war viel zu lange her, dass er das bei einer Frau gerochen hatte, viel zu lange her, dass er so darauf reagiert hatte. Viel zu lange her, dass er...
"Major Kramer!", klang Edgars Stimme von der Tür her auf. "Einsatzorder in zehn Minuten beim Direktor!"
Die ganze Spannung, die ihn erfüllt hatte, verließ seinen Körper wieder. Er sackte halb aufs Bett nieder, und neben ihm kam Weissmann mit einem frustrierten Seufzer zu liegen.
"Verstanden, Edgar."
"Sagen Sie das bitte auch Lieutenant Weissmann", rief der Mann. "Bis gleich dann."
"Ups", meinte Weissmann.
"Ups trifft es ganz gut, Lieutenant. Aber keine Sorge, ich werde abstreiten, dass Sie in meinem Raum waren. Es ist ohnehin nicht genügend passiert, um es zu vertuschen oder behalten zu wollen."
Sie blies nach einer Strähne ihres Ponys. "Er hat zehn Minuten gesagt. Das könnte passen."
Thomas lachte leise. "Nein, Precious. Mit zehn Minuten komme ich nicht aus. Bei mir kommen auch die Frauen auf ihre Kosten. Eine Stunde müssen Sie mir schon geben."
"Okay, Sir. Ich werde auf Ihr Angebot zurückkommen." Sie schwang sich mit einem Lächeln aus dem Bett. "Ersatzanzüge, Sir. Die alten werden noch gereinigt." Sie reichte ihm seinen.
Thomas griff automatisch danach. Für ihn war der Suit wie eine zweite Haut, er war ihn gewohnt und trug ihn wie eine Art Uniform. Ebenso automatisch kontrollierte er das Kleidungsstück, bevor er es anzog. Dabei fiel sein Blick auch auf die fast verheilten Verbrennungen, die er Corpus Christi und Amalgam verdankte. Der Womb hatte gute Arbeit geleistet. Und dieser verdammte Psychopath Testarossa fast ebenso gute Arbeit beim Versuch, ihn zu zerstören. Noch immer war er sich nicht sicher, ob nicht einige der Erinnerungen echt waren. Und er wusste ganz genau, dass das der Plan dieses weißblonden Teufels gewesen war. Nur hatte Thomas ihm nicht den Gefallen getan, ein zitterndes ängstliches Bündel Mensch zu werden.
Das war er einmal in seinem Leben gewesen. Einmal, und danach nie wieder. An jenem Tag hatte er beschlossen, nie wieder Opfer zu sein, und auch beim Anblick einer Pistolenmündung aufrecht zu bleiben. Und genauso schwor er sich, es Testarossa heim zu zahlen. Vor allem falls er in acht Tagen wirklich sterben musste. Das Problem dabei waren einige Menschen, die ihm, wie es so seine Art war, selbst bei Amalgam ans Herz gewachsen waren. Precious, Edgar, Gary, die Jungs von der Wartung hier in der Firma.
Menschen waren eben nicht nur gut oder nur böse. So etwas gab es nicht. Aber es gab kollidierende Interessen und verschiedene Wege, diese durchzusetzen. Und Möglichkeiten.
"Precious, desertieren Sie für mich?"
Erschrocken sah sie ihn an. "Was, bitte?"
"Desertieren Sie für mich? Falls ich in neun Tagen noch lebe."
Entgeistert starrte sie ihn an, ein Bein im Anzug, das andere noch draußen. "Nein, Sir, natürlich nicht." Ihr Lächeln erstarb. "Ich desertiere auch für Sie, wenn Sie nur noch acht Tage zu leben haben."
Thomas seufzte, halb zufrieden, halb verzweifelt. Jetzt, genau jetzt hatte er für sie und ihre beiden Kameraden die volle Verantwortung übernommen. Es schien ganz so, als würde er nicht so ohne Weiteres sterben dürfen. Diese letzten acht Tage - oder sieben, je nachdem wie lange er geschlafen hatte - würden in ihrer Aktivität vielleicht einem halben Menschenleben gleichkommen. Aber, warum auch nicht?
Thomas schloss die letzten Verschlüsse und setzte die Sensormanschette auf die Stirn. "Schreiten wir voran, Precious."
Sie schlüpfte gerade in den rechten Arm und begann ihre Verschlüsse zu schließen. "Jawohl, Sir."
***
"Ich mache es kurz", sagte der Direktor. "Ihre Arm Slaves sind zerlegt und abmarschbereit. Und ich habe Anweisungen erhalten, Sie in Marsch zu setzen, Kramer. Wir verschicken Sie und Ihre Arm Slaves über Land, und, um den Untersuchungen durch das FBI und die Polizei zu umgehen, erst einmal nach Westen. Sie werden einen kleinen Umweg von dreißig, fünfunddreißig Stunden nehmen, bevor Sie Ihr eigentliches Einsatzgebiet erreichen."
"Darf ich fragen, wo dieses Einsatzgebiet ist?"
"Natürlich. Und stellen Sie sich vor, Sie dürfen sogar auf Antwort hoffen." Der kleine Mann grinste blasiert. "Oben geht man davon aus, dass Sie die ASRAA so sehr aufgescheucht haben, dass unseren ehemaligen Freunden nun ordentlich die Sause geht. Sie werden ihre Pläne nun überstürzen. Oder anders ausgedrückt, das erklärte Ziel der ASRAA ist die Vernichtung der föderalistischen Zentralregierung in Washington D.C.! Auch ohne Agenten im inneren Befehlskreis zu haben, können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass der Angriff binnen der nächsten Tage beginnen wird. Wahrscheinlich werden die Teile gerade so nahe wie möglich nach D.C. gebracht, um sie zu montieren. Möglichst nahe, um den Anmarschweg so kurz wie möglich zu halten. Wir rechnen damit, dass der Angriff in drei bis vier Tagen beginnt. Und dann wird es an der Zeit, der ASRAA in die Suppe zu spucken." Der Direktor sah grinsend auf . "Sie werden ihnen in die Suppe spucken, Kramer."
"Ich habe verstanden." Er hob eine Augenbraue. "Sie schicken mich gegen diese Giganten? Ich hätte erwartet, die anderen Stützpunkte der ASRAA zum Ziel zu bekommen."
"Unnötig. Sobald der Gigant auf Washington D.C. zumarschiert, wird sich die Bundespolizei automatisch um alle ASRAA-Einrichtungen kümmern. Außerdem treffen wir sie viel härter, wenn wir ihre Wunschträume in den Staub treten. So viel von meinen Vorgesetzten." Er widmete sich wieder seinen Laptops. "Sie brechen sofort auf, aber nehmen leihweise ein paar meiner Leute als Techniker mit. Sie haben die Arm Slave zerlegt, und deshalb werden sie fixer dabei sein, um sie wieder zusammen zu setzen. Außerdem bringe ich so ein wenig Ruhe in meine Werkshallen, die Sie durcheinander gewirbelt haben, Kramer."
"Einverstanden. Ich nehme an, Iskender führt die Truppe an."
"Das sehen Sie richtig. Und jetzt verschwinden Sie von meinem Grund und Boden, bevor das FBI doch noch auf den Gedanken kommt, hier nach Ihnen zu suchen."
"Na, dann will ich nicht länger stören. Danke für die Gastfreundschaft, Sir." Er sah zur Seite. "Kommen Sie, Precious, uns wurde ein Ortswechsel verordnet."
"Natürlich, Sir." Ohne ein weiteres Wort folgte sie ihm nach draußen.

Zurück blieb der Direktor, leise seufzend. "Das war nur ein einziger Tag. Was hätte er wohl angerichtet, wenn er eine Woche oder länger hier gewesen wäre?" Er lachte bei diesem Gedanken. Allerdings verstummte das Lachen, als er sich bewusst machte, dass er einen hoch verängstigten und zugleich von Mordgedanken getriebenen Dienstleiter wieder auf den Teppich holen musste.
"Hoffentlich sind Sie auch den ganzen Ärger wert, Kramer", brummte er missmutig.


3.
"Wir können den Arm nicht kompensieren!", rief einer der Anwesenden. Ein großer, breitschultriger Mann, der wie die anderen eine wallende rote Robe trug. Auf seiner Brust prangte eine gewaltige römische neun. Das machte ihn bei den dreißig Anwesenden zu jemandem aus dem oberen Drittel. "Vor allem nicht so schnell!"
Der Mann, der den Vorsitz führte - oder er war eine verdammt hässliche faltige Frau mit Altstimme - wandte sich seinem Nachbarn zu. "Gibt es Chancen, den Arm von den Feds zurückzuerhalten? Können wir jemanden bestechen?"
Nummer zwei brauchte nicht lange zu überlegen. "Nein. Der Arm wir von den Feds in ihre Trutzburg gebracht, die sie hochtrabend Washington nennen. Und es sind nur Federal Marshalls am Transport beteiligt, keine Deputies, kein FBI. Zwanzig Männer und Frauen mit nicht weniger als zehn Jahren Diensterfahrung, und genügend Bewaffnung für einen kleinen Krieg. Die Route ist geheim, und wird erst vor D.C. wieder vorhersagbar."
Nummer eins sah verärgert drein. "Als Oberhaupt der ASRAA sage ich, dass das eine sehr unbefriedigende Antwort ist, Kennard!"
"Aber wir haben Einfluss auf den Lagerort. Unsere Kontakte können den Arm vorbereiten, damit er angepasst wird, um sofort eingesetzt zu werden."
"Was? Von dem Leviathan selbst vielleicht?", klang die spöttische Stimme von Nummer neun auf.
"Nein, aber von einer Handvoll loyaler Techniker, die wir rechtzeitig in Position bringen!", donnerte Nummer zwei wütend. "Und während Leviathan eins und drei Tod und Vernichtung über die Feds, ihre Hauptstadt und ihren korrupten Präsidenten bringen, machen wir Leviathan Nummer zwei ebenso tödlich wie sie und besiegeln das Ende. Für die angebliche Hauptstadt, für die Feds, für ihre Armee, ihren Geheimdienst, für all die Sklaven und Steigbügelhalter, die sich gegen wahre Freiheit und Demokratie stemmen! So holen wir uns Amerika zurück!"
Ein weiterer Anwesender, die Ziffer auf seiner Brust war die römische Dreißig, meldete sich zu Wort. "Wir wissen, dass der Leviathan, der Tokio angegriffen hat, ausgeschaltet wurde, bevor er die Stadt zerstören konnte. Deshalb haben wir uns ja dafür entschieden, statt nur einen drei Leviathane ins Feld zu führen, um auf Nummer sicher zu gehen. Um die Zerstörung dieses gotteslästerlichen Pfuhls zu garantieren! Dabei macht es keinen Unterschied, ob einer der Leviathane beim Anmarsch einen oder zwei Arme hat. Die Hauptsache ist, er hat beide Arme, wenn er dieses Gomorrha vernichtet."
Zustimmendes Gemurmel der Anwesenden klang auf. Die ASRAA sprach hier mit einer Stimme.
Nummer eins hob beide Hände, um Ruhe einzufordern. "Dann sind wir uns also einig: Wir verschieben die Endmontage von Leviathan Nummer zwei, und schicken alle drei auf den Weg nach Washington, um die Feds ein für allemal in diesem Land auszuradieren. Zwei vollständig einsatzbereite Leviathane sollten schon alleine ausreichen. Und dank der Lambda Driver sind sie gegen konventionelle Angriffe perfekt geschützt. Selbst wenn sich die Feds in die Hosen machen und Atombomben werfen, werden die Lambda Driver stand halten. Bringen wir also das Feuer der Läuterung über die Feds, und geben wir dieses Land seinen Bürgern zurück!"
Zustimmendes Gebrüll klang auf.
"Ich bitte um Abstimmung!", rief Nummer zwei.
Keine Rechte blieb unten. Manche der dreißig Abgeordneten der ASRAA hoben sogar beide Hände.
Zufrieden sah Nummer eins in die Runde. "Wir starten Operation Leviathan in acht Stunden, Kennard."
"Endlich!", entfuhr es dem Mann, und nicht wenige im Raum nickten dazu.
***
"Autsch!" Böse sah Kurtz Weber den Sanitäter an, der ihn verarztet hatte. "Mensch, das tut doch weh!"
"Wenn Sie nicht immer so zappeln würden, Gun-so, dann würden Sie Ihre gebrochenen Rippen überhaupt nicht spüren", konterte der Mann, während er den Verband um Webers Brustkorb stramm zog.
"Genau deshalb bevorzuge ich die Behandlung durch eine Frau. Die - Autsch - sind viel zärtlicher."
"Ach, der Gun-so möchte gerne von mir versorgt werden?", flötete Captain Rogers, und warf ihm einen koketten Augenaufschlag zu.
"Nein, verzichte dankend, Sam. Du bist ja noch brutaler als dieser Quacksalber hier."
"So, fertig", sagte der Sanitäter lächelnd, und zog den Verband dabei so stramm, dass eine Schmerzwelle durch den Deutschen fuhr, die sich gewaschen hatte. Anschließend fixierte er das Ende. "Kommen Sie doch morgen zur gleichen Zeit wieder, damit ich den Verband erneuern kann. Die Schnittwunden nicht zu vergessen, Gun-so."
"Ich bin nicht sicher, ob ich nach dieser Behandlung überhaupt in der Lage bin, das Lazarett zu verlassen", murrte Kurtz, griff nach seinem Uniformhemd und erhob sich mit lautem Ächzen.
Samantha Rogers, die mit spöttischem Lächeln neben der Eingangstür gewartet hatte, stieß sich ab und kam tiefer in den Raum. "Wenn wir morgen noch hier sind, Sergeant. Wir rechnen damit, dass wir bald Richtung Washington befohlen werden."
"Oh, in dem Fall lassen Sie mich doch bitte Ihren neuen Standort wissen, damit ich die dortige Lazarettbelegung vorwarnen kann. Ich denke, man könnte ein paar Navy Seals damit beauftragen, Gun-so Weber in Zukunft zu verarzten."
"Na, na, Sarge, Sie tun ja gerade so, als wäre es eine große Sache, sich um mich zu kümmern", beschwerte sich Weber.
Der Army-Unteroffizier beugte sich mit plötzlich düsterer Miene vor und sah ihm aus allernächster Nähe in die Augen. "Sir, um es auf den Punkt zu bringen: Sie sind der schlimmste Patient, den ich je hatte. Und es gibt nur einen einzigen Grund, warum ich Sie nicht ganz weit weg wünsche, nämlich weil ich damit einem anderen den Ärger aufbürde, den ich jetzt mit Ihnen habe!" Der Sergeant richtete sich wieder auf, und die düstere Miene wich wieder dem leutseligen Lächeln. "Captain, Sie können Ihren Mann jetzt wieder mitnehmen. Aber darf ich vorschlagen, dass Sie eine Bullentreiberlanze benutzen? Ich denke, ein paar Starkstromschläge können diesem Mann nur gut tun."
"Führen Sie mich nicht in Versuchung, Sergeant DaCosta", erwiderte Sam amüsiert. "Komm schon, Kurtz. Wir müssen uns bei unseren Chefs melden."
Weber schloss gerade das Hemd, nicht ohne eine angemessene Portion an unterdrückten Flüchen und leisen Schmerzenslauten. Aber noch immer bereitete ihm die Tatsache, auf einen aktivierten Lambda Driver geschossen zu haben, mehr Schmerzen als die Explosion danach. Und die Wunden, die er sich bei seinem beherzten Rettungssprung in dem hilfreichen Baum geholt hatte. Im Nachhinein wusste er immer noch nicht zu sagen, wie er so schnell hatte aus der Maschine kommen konnte. Und warum er die Zeit nicht dazu genutzt hatte, gleich den ganzen Arm Slave aus der Schussbahn zu bewegen. Abgesehen davon, dass seine reflektierte Kugel dann mit ziemlicher Sicherheit Sam getroffen hätte. Und das hätte er sich selbst nie verziehen. Zurück blieben Schmerzen, eine tiefsitzende Demütigung wegen der falsch eingeschätzten Lage, und die Gefahr durch den Giganten, dessen Arm seine Existenz bewies.
Schwierige Zeiten. Aber diese Zeiten hatten schon seit langem bewiesen, dass sie keinesfalls leichter werden würden.
Er schloss sein Uniformhemd vollständig und erhob sich von der Behandlungsliege. "Ich folge Ihnen auf dem Fuß, oh Captain, mein Captain."
"Vorsicht", sagte sie mit leidlich amüsierter Stimme, "wenn du deine Spielchen übertreibst, überlege ich mir das vielleicht noch mit der Treiberlanze."
"Ja, ja, schon kapiert. Bringen wir die Anrufe hinter uns."

Sie wussten beide, dass die DANNAN und die FEANOR mit Höchstfahrt auf dem Weg nach Amerika waren. Und sie wussten beide, dass die Kacke ganz klassisch am Kochen war, seit sie den Riesenarm entdeckt hatten. Über die Zielsetzung der ASRAA, einer primitiven, pseudofreiheitlichen Vereinigung gewaltbereiter Radikaler, brauchten sie sich nicht viele Gedanken zu machen. Mit solch einer Waffe in Händen würden sie natürlich ihre Ziele erreichen wollen. Diese Ziele waren unter anderem die Zerstörung der USA als Staat, und die Vernichtung ihrer Armeen, um "dann das Leben selbst zu bestimmen", oder übersetzt, eine demokratische Regierung durch die Diktatur der ASRAA zu ersetzen. Nun, die Vernichtung von ASRAA Iowa hatte sicherlich ihren Zeitplan durcheinander gebracht, ganz davon abgesehen, dass es ihnen offensichtlich gelungen war, ein Manöver dieser Größenordnung vor allen amerikanischen Geheimdiensten vollkommen zu verbergen. Aber tatsächlich marschierte der Roboter noch nicht auf D.C. zu, und mit ein wenig Glück würde er es auch nicht tun, bevor die Einsatztruppe von Mithril mit dem Arbalest bereit für den Gegenschlag war. Was sie als Unterstützungstruppe ebenfalls ins Spiel brachte. Kurtz selbst hatte bewiesen, dass der Gigant auch mit normalen Waffen bekämpft werden konnte. Wenn schon nicht gestoppt oder gar zerstört, so doch zumindest gebremst. Und die vereinigten Arm Slaves der DANNAN und der FEANOR würden ihr Bestes geben, um Sousuke zu unterstützen. Ganz davon abgesehen, dass die ASRAA neben den Giganten über Dutzende, ja hunderte weitere Arm Slaves verfügte. Kurtz war sich sicher, dass der Präsident seinen Amtsvorgänger, der das "Ein Mann, ein Arm Slave"-Gesetz als Erweiterung des Waffenrechts durchgeboxt hatte, nun am liebsten erwürgen würde. Denn die hohen Betriebskosten für Arm Slaves ließen sich durch poolen relativ leicht reduzieren, und das hatte die ASRAA gut erkannt. Und getan.
"Na, wie geht es unserem verletzten Hascherl?", klang die spöttische Stimme von First Lieutenant Timothy Scott auf.
"Ich verhelfe dir gerne zu einem ähnlichen Gefühl", bot Weber in freundlichem Ton an.
"Danke, ich verzichte. Die blauen Flecken über deinen gebrochenen Rippen sahen sehr schmerzhaft aus. Die Erfahrung möchte ich nicht gerne teilen." Er lächelte, aber es erreichte seine Augen nicht. Der spöttische Tonfall verschwand. "Ihr könnt euch den Weg sparen. Während du Kurtz beim Onkel Doktor die Hand gehalten hast, wurde ich schon in den Nachrichtenraum gerufen. Wir haben Marschbefehl. In einer Stunde haben wir ein Abflugfenster aus Fort Hood raus."
"Es geht nach D.C., wie wir bereits dachten", stellte Sam fest.
"Nicht ganz. Wir fliegen nach Fort Belvoir, etwas mehr als zwanzig Kilometer südlich der Hauptstadt. Von dort wollen die Amerikaner die Abwehr koordinieren. Und wir werden von dort eingesetzt werden. Wir und die DANNAN und die FEANOR."
Anerkennend pfiff Kurtz. "Belvoir? Dort sitzt das Kommando über fünf Arm Slave-Divisionen. Unter anderem."
"Der richtige Platz, um einen Kampf gegen andere Arm Slaves zu koordinieren", erwiderte Tim. "Nahe genug an der Hauptstadt, um auf unliebsame Überraschungen zu reagieren, aber weit genug entfernt, um D.C. nicht zu gefährden, wenn das Fort ein Primärziel wird. Nun, zumindest nicht sofort." Er nickte den beiden zu. "Wir sollten packen gehen."
"Packen gehen? Wir fliegen doch erst in einer Stunde", beschwerte sich Sam. "Ich hatte eigentlich eher ein ausgiebiges zweites Frühstück im Sinn."
Kurtz grinste schief. "Oh, packen. Das sollten Sie besser nicht aufschieben, Captain. Was erledigt ist, ist dann erledigt, und danach hat man Zeit für ein zweites Frühstück. Eventuell."
"Du klingst wie mein Drillsergeant, Kurtz. Also gut, packen wir eben zuerst. Die paar Sachen."
Scott eilte behende neben sie, als sie in Richtung ihrer Unterkünfte fort ging. "Warte, ich gehe dir zur Hand." Dankbar für diese Vorlage zwinkerte er Weber zu, der ihm mit erhobenem Daumen antwortete. Dann ließ er den beiden ein paar Minuten Vorsprung, bevor er hinterher ging. Im Gegensatz zum verliebten Pärchen von der FEANOR würde er nach dem Packen Zeit für ein zweites, ausgiebiges Frühstück haben. Voraussichtlich.
***
Der junge Mann war fahrig. Seine Hände strichen immer wieder nervös über seine Oberschenkel und die Unterarme. Sein Gesicht war wund und rot von den vielen Kratzern. Ihn juckte es am ganzen Körper, und nur der Pilotenanzug verhinderte, dass er sich die Haut bis aufs blanke Fleisch abschabte. Er war fünfzehn, vielleicht sechzehn. Und er war vollgepumpt mit der exotischen Droge, die ihn befähigte, einen Lamdba Driver zu aktivieren. Ihm war klar, dass er die Hauptstadt der USA zerstören würde, zerstören musste. Ihm war auch klar, dass er diesen Einsatz nicht bei voller Gesundheit überstehen würde. Wer immer diese Droge nahm, riskierte beträchtliche Schäden im Gehirn. Die glücklicheren Probanden entwickelten nur ein Tourette-Syndrom. Die nicht so Glücklichen hingegen wurden aggressiv, gewaltbereit und in vielen Fällen überreaktional brutal.
Seine Aggressivität richtete sich gegen ihn selbst. Seine Unterarme waren zerschnitten, weil der Schmerz, der süße Schmerz Ablenkung versprach, Erleichterung. Ebenso wie die wundgekratzten Stellen im Gesicht und an den Beinen. Hätte er gekonnt wie er wollte, wäre seine gesamte Epidermis bereits eine rohe, blutende Masse, frei von diesem permanenten Juckreiz, und voll des herrlichen, süßen Schmerzes.
Oh ja, der Schmerz. Was für ein geringer Preis dafür, dass das Land fortan in Freiheit leben durfte. Was für ein geringer Preis dafür, dass die wahren Demokraten der ASRAA dieses Land bald zu den Prinzipien ihrer Väter zurückführen würden. Seine Gesundheit, sein Leben, was für ein geringer Preis dafür, dass die Feds endlich für die Unterdrückung seiner Leute bezahlen würden. Amerika würde wieder frei sein, und er würde in einem Atemzug genannt werden mit wahren amerikanischen Helden wie Davy Crockett, General Custer und General Patton. Er würde diese verdammten Hauptstadt-Nazis vernichten, auch wenn es ihm das Leben kostete. Ein anderer Nachwuchspilot der ASRAA-Jugendsektion stand schon bereit, um die Kontrolle über seinen Leviathan zu übernehmen. So groß war die Opferbereitschaft in der Organisation. Und all das nur für das heilige Amerika und die Freiheit seiner Leute. Nein, die Freiheit aller Leute von der Bevormundung durch jene lächerlichen Bürokraten in Washington D.C., die es wagten, über SEIN Leben zu entscheiden, SEINE Rechte und Pflichten bestimmten, SEINE Waffen konfiszieren wollten. Bald, schon sehr bald würden sie zurückschlagen. Sie würden Feuer säen und die Apokalypse ernten. Sie würden der Schlange ihr Haupt abschlagen. Und dann würden sie das wahre Amerika errichten.
Der junge Mann spürte kaum, wie ihm jemand eine Kapsel zwischen die Lippen schob. Dann folgte ein Schwall Wasser, und er schluckte automatisch. Nach einiger Zeit wurde er angesprochen, doch es musste nur unwichtiges Zeug sein, nicht relevant für seinen Auftrag. Nicht relevant für seine Ziele.

Zweifelnd betrachtete der Mediziner den jungen Mann vor sich, griff nach einer kleinen Taschenlampe und suchte nach Pupillenreflexen. Er schüttelte den Kopf. "Den hat die Droge auch zerschossen. Wie viele macht das jetzt? Fünf? Sechs?"
"Das braucht Sie nicht zu kümmern, Doktor. Machen Sie seinen Ersatzmann bereit. Ich will, dass dieser Leviathan noch in dieser Stunde auf die Hauptstadt der Feds marschiert."
"Ist es so viel wert, dass wir Kinder opfern?", murrte der Arzt anklagend.
"Es ist so viel wert, dass wir alle Kinder opfern", raunte der Mann ihm ins Ohr. "Und jetzt machen Sie Ihren Job!"
"Jawohl."
***
Die FEANOR erreichte den Rendezvous-Punkt an der Küste Floridas zuerst. Das Unterseeboot hatte gegenüber der DANNAN nicht nur eine kürzere Strecke zurückzulegen, sondern musste auch nicht den Panama-Kanal queren. Das war immer eine heikle Angelegenheit, und die besten submarinen Kriegswaffen der Welt waren dabei jedem öffentlich einsehbar, der einen Satelliten in passender Position hatte, um einen solchen Kanal zu überwachen. Das galt auch für flache, viel befahrene Seestraßen. Es blieb nicht aus, dass Geschichten von gigantischen Unterseebooten die Runde machten, trotz aller Geheimhaltung. Andererseits aber waren diese Geschichten nicht so spektakulär wie jene über die Wunder-Arm Slaves, die angeblich sogar eine atomare Detonation überleben konnten.
Nun, ob sie es tatsächlich konnten, war noch nicht bewiesen. Überhaupt nicht bewiesen. Aber einer dieser Arm Slaves, der Arbalest mit seinem Piloten Sousuke Sagara, war auf dem Weg zu ihnen. Ihm gegenüber würde ein anderes Monster stehen, ein Leviathan mit Lambda Driver, die vielleicht schrecklichste Waffe, die jemals aus der Black Technologie hatte geboren werden können. Bisher hatte Gun-so Sagara seine Duelle mit anderen Lambda Drivern für sich entscheiden können. Die Frage war halt, wann er einmal verlieren würde. Hoffentlich nicht in diesem Einsatz.
Sander schnaubte bei diesem Gedanken unwillig.

"Skipper? Langweile ich Sie?", fragte Lt. Colonel Santos mit leisem Vorwurf in der Stimme.
Sander winkte ab. "Nein, Miguel, um Himmels Willen. Aber es ist so viel passiert, seit Kramer auf diese verdammte Vegas-Mission abkommandiert wurde, da schwirrt einem eben der Kopf. Ich bin wohl gedanklich an einigen Details der Mission hängen geblieben. Bitte fahren Sie fort, Miguel."
Colonel Santos nickte ernst, als er sich der vollen Aufmerksamkeit der Offiziere am Konferenztisch wieder sicher war. "Wie ich schon sagte, konnten wir einige wichtige Parameter des ersten Leviathans ermitteln. Unter anderem viele exotische Bausteine für diesen Giganten, ganz einmal abgesehen von den Unmengen an Stahl, die verbaut wurden. Es ist uns nie gelungen, die Werkshalle zu finden, die diesen Giganten erschaffen hat. Aber unser Geheimdienst überwacht den weltweiten Warenfluss, um drei Dingen, die auf einen weiteren Leviathan ermöglichen, rechtzeitig auf die Spur zu kommen: Achttausend Tonnen deutscher Stahl, fünf Kilo Germanium für den Lambda Driver, und jene achtzehn exotischen Substanzen, die Bestandteil der Droge sind, die einen Menschen befähigen, einen Lambda Driver zu aktivieren. Über die exotischen Drogen versuchen wir übrigens auch, weitere Stützpunkte von Mithril zu finden. Aber in den letzten beiden Jahren gab es nur Treffer bei den Drogen. Genauer gesagt bei minderwertigen Substituten, die jene Inhaltsstoffe in kleinerem Maße enthalten. Dadurch muss die Qualität der Droge abgenommen haben. Aber die Bezugsquellen haben sich auf wundersame Weise vertausendfacht. Es ist so ein wenig wie die Produktion von Sprengstoff mit Haushaltschemikalien. Wenn man erst mal weiß wie es geht und was man dazu braucht, dann kriegt man auch einen funktionsfähigen, preiswerten Sprengstoff hin.
Das Gleiche gilt natürlich auch für den deutschen Stahl. In den letzten zwei Jahren sind nie bemerkenswerte Mengen über den tatsächlichen weltweiten Verbrauch produziert, beziehungsweise abgezweigt. worden. Soweit die guten Nachrichten. Jetzt kommen die Schlechten: Stattdessen wurden über Mittelsmänner, Scheinfirmen und Weiterveräußerungen durch etablierte Fabriken andere Stahlsorten im großen Stil aufgekauft. Stahl, der nicht ganz so hochwertig ist wie deutscher Stahl. Daher auch billiger zu besorgen und leichter zu bekommen. Das ist einem der Spooks eingefallen, nachdem wir der Masche mit den minderwertigen Zutaten für die Lambda-Droge auf die Spur gekommen sind." Santos räusperte sich leise. "Spook, so nennen wir die Analytiker, die sämtliche Daten unserer Feldagenten analysieren und bewerten."
"Schon klar. Sie sind nicht der einzige Mensch mit Geheimdiensterfahrungen an Bord", sagte Sander. "Fahren Sie fort."
"Jedenfalls wurde von einer unbekannten Quelle genügend Stahl aufgekauft, um mindestens zwei Leviathane zu bauen."
Allister schnaubte erschrocken auf. "Teufel, ich weiß nicht was mir an diesem Satz weniger gefällt - die zwei oder das "mindestens"."
"Also rechnen wir mit zwei Leviathanen, von denen voraussichtlich auch noch einer vollständig ist", sagte Captain Valeri verdrossen. "Na, wenigstens werden diese Dinger nicht zu verfehlen sein."
"Aber ein Lambda Driver, der ein Objekt dieser Größe umfasst bedeutet auch nicht besonders viel Spielraum zum ausweichen", mahnte Karasov. "Und die Reflexionen dieser Waffentreffer dürften im dicht besiedelten Washingtoner Großraum einiges an Schäden verursachen. Von den Toten wollen wir besser gar nicht erst reden."
"Und genau deshalb werden wir auch den Arbalest mit Gun-so Sagara einsetzen. Außerdem unsere Gernsback, denn wie Gun-so Weber bewiesen hat, kann man die Leviathane zumindest auf kurze Distanz bekämpfen, ohne den Lambda Driver auszulösen." Santos sah ins Rund. "Herrschaften, wir stehen hier vor dem größten terroristischen Akt, den die Menschheit je erlebt hat. Alles andere verblasst davor. ALLES! Es ist die größte Katastrophe, die wir erleben können. Krieg gegen Terroristen ist immer schrecklich und verlustreich, vor allem desillusionierend. Aber wenn Terroristen ihre Hände auf solche Waffen bekommen, könnten sie auch gleich Atombomben verwenden. Das Ergebnis wäre das Gleiche. Abgesehen von der überragenden desillusionierenden Wirkung. Wir müssen hoffen, dass Gun-so Sagara es mit zwei Leviathan aufnehmen kann, um einerseits die Zerstörungen und andererseits diese psychische absolute Katastrophe zu verhindern."

Als die Tür zum Konferenzraum aufging, erhob sich Sander halb.
"Entschuldigen Sie, Colonel, dass ich hier so reinplatze, aber wir haben eine wichtige Meldung von den Amis für den Skipper gekriegt.
Sander nickte dem Helmsman zu als Zeichen dafür, das er reden konnte.
"Sir, die Leviathane sind aufgetaucht. Sie befinden sich achtzehn, beziehungsweise neunzehn Marschstunden vom Stadtrand Washington D.C.s entfernt. Ihre Spuren wurden in industrielle Großhallen zurückverfolgt, und das FBI filzt die Firmen, denen die Hallen gehören. Ebenso wurde eine allumfassende Razzia gegen alle ASRAA-Einrichtungen angeordnet."
"Es ist gut, Miller. Wir können jetzt nicht mehr tun als zu warten. Außer, die Admiralität erlaubt es mir, unsere Arm Slaves ohne die Unterstützung durch den Arbalest einzusetzen." Er setzte sich wieder und massierte seine Nasenwurzel. "Plural, eh? Also sind es tatsächlich zwei."
"Äh, nein, Skipper. Es sind drei."
"DREI!" Sander fuhr in seinem Sitz auf. "Wie, verdammt noch mal? Drei?"
"Ja, Skipper. Das wurde von Mithril-Satelliten verifiziert."
"Okay, das bedeutet, wir können uns den Luxus nicht mehr leisten, auf Befehle zu warten. Wir fahren sofort Richtung D.C. weiter und bringen die Arm Slaves an Land. Sharon, kontaktieren Sie Tai-sa Testarossa und empfehlen Sie ihr, Gun-so Sagara mit den Transportfliegern frühzeitig ins Einsatzgebiet zu schaffen. Wir tun derweil, was immer wir können. Haben wir schon jemanden vor Ort?"
"Ja, Skipper. Captain Rogers, Lieutenant Scott und Gun-so Weber befinden sich seit einer Stunde in Fort Belvoir nahe Washingtons."
Erleichtert atmete Sander aus. Rogers, Scott und Weber würden es zwar kaum mit drei Leviathanen aufnehmen können, aber sie vor Ort zu haben war besser als nichts. Und Weber war zudem einer jener Soldaten, die bereits gegen einen Leviathan gekämpft hatten. Gegen einen aus dem guten, deutschen Stahl. Das konnte sich vielleicht noch als Vorteil erweisen.
"Haben Sie noch etwas, Miguel?"
"Nein, Sir, ich bin fertig."
"Gut. Dann beende ich die Konferenz hiermit. Alle Teineinheitsführer gehen in ihre Verfügungen und bereiten sie auf die kommende Schlacht vor. Die FEANOR zieht in den Krieg!"
Schweigend, aber entschlossen nickten die Männer und Frauen am Konferenztisch ihrem Kapitän zu.
***
"Ich hätte mit Ihnen schlafen sollen, Precious", sagte Thomas griesgrämig.
Die weißblonde Frau sah ihren Vorgesetzten in einer Mischung aus Erstaunen und Spott an. "Haben Sie einen besonderen Grund für Ihren Meinungswandel?"
"Ja", erwiderte Thomas und stützte sich mit beiden Armen ab, als eine heftige Schlingerbewegung drohte, ihn an ebendiese zu schleudern. "Ich befürchte, diesen Flug nicht zu überleben. Dann hätte ich wenigstens eine schöne Erinnerung, bevor ich sterbe."
Gary lachte wiehernd wie ein Pferd bei diesen Worten. Edgar beließ es bei einem flüchtigen Schmunzeln.
"Oh, das haben Sie schön gesagt, Sir. Na, mal sehen ob wir den Flug überleben. Vielleicht ergibt sich dann ja noch eine Gelegenheit, Erinnerungen zu machen."
"Flirten Sie mich an, Precious?", scherzte Thomas.
"Entschuldigung, ja, Sir. Ist aber rein dienstlich", erwiderte sie todernst.
Die beiden sahen sich an und begannen prustend zu lachen. Diese Dreiertruppe wurde ihm mehr und mehr sympathischer. Der ewig gut gelaunte Gary, der verschlossene, aber zuverlässige Edgar, die begeisterte Precious, sie waren alle gute Leute. Thomas konnte es sich durchaus vorstellen, länger mit ihnen zusammen zu arbeiten als die gut sieben Tage, die ihm noch blieben.
Wieder schleuderte ihn eine heftige Schlingerbewegung fort, diesmal hart nach hinten. Nur der Beckengurt verhinderte Schlimmeres. Er schlug heftig mit dem Rücken gegen die andere Wand. Mürrisch musterte er die einfache Sitzreihe der altertümlichen Propellermaschine, die noch keine Sechspunktvergurtung besaß. Zwei Dinge wunderten Thomas. Das erste war, woher Amalgam diese Maschine gezaubert hatte, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg geflogen worden war. Das zweite war die Frage, ob es wirklich nötig gewesen war, ihn und sein Team mit dieser Uraltmaschine nach Washington D.C. zu bringen. Sicher, es war unauffälliger. Wer vermutete ihn auch an Bord eines antiquierten B 17-Bombers, der vom Mittelwesten zu einer Flugschau an der Ostküste unterwegs war?
Wie allerdings Peggy und die anderen Arm Slaves ebenfalls ins Einsatzgebiet geschafft werden sollten, war Thomas schleierhaft. Eigentlich nicht seine Sorge, aber...

Als sie mitten im Nirgendwo gestoppt wurden, hatte Thomas mit dem Schlimmsten gerechnet, nämlich gerettet zu werden, und damit dem Gifttod ausgesetzt zu sein. Aber es war noch schlimmer gekommen, denn die Männer und Frauen, die ihn und die anderen drei Piloten aus den Lastwagen geholt und zum nächsten Feldflughafen komplimentiert hatten, wären einer klassischen trojanischen Kassandra würdig gewesen. Thomas hatte geglaubt, sein Herz müsse stehen bleiben, als ihm eröffnet worden war, dass nicht ein, sondern drei Leviathane in genau dieser Stunde mit ihrem Marsch auf die Hauptstadt begonnen hatten, und dies keinen ganzen Tag Fußmarsch entfernt.
Ihre Technikercrew würde mit den zerlegten Gernsback folgen. Die Aufgabe von Thomas, Precious und den anderen beiden Piloten würde sein, ihre neue Operationsbasis für ihre zukünftigen Bedürfnisse einzurichten. Es würde schwer werden, einen Stab zu formieren, Informationsflüsse zu dirigieren und Menschen in vielleicht aussichtslose Stellungen zu scheuchen, während in wenigen Kilometern Entfernung der gestaltgewordene Tod vorbei marschierte. Und es würde schwer werden, auf die Teile ihrer Arm Slaves zu warten. Es war jetzt schon schwer. Thomas hatte die Rolle als passiver Beobachter schon immer gehasst. Auch wenn die aktive Rolle automatisch für Kollateralschäden, sprich tote Zivilisten... Autsch. Da hatte ihn die falsche Erinnerung wieder dran gekriegt. Mühsam drängte er die Bilder zurück, verbannte sie in sein Innerstes, überlagerte sie, überblendete sie. Falsche Schuldgefühle konnte er ausgerechnet jetzt nicht gebrauchen. Nicht hier. Nicht auf diesem Flug.
Langsam vergingen die Bilder, vergingen die Selbstvorwürfe, als er die Lügen fortdrückte. Langsam, aber stetig.
"Ein Anfall, Sir?", fragte Precious mitfühlend.
"Nein, nur ein kleines Geschenk von Direktor Testarossa", erwiderte Thomas gepresst. "Er mag es wirklich, mir das Leben schwer zu machen."
"Oh. Ja, das kann ich nachvollziehen." Sie starrte für einen Moment geradeaus, und woran immer sie dachte, es schien nicht erfreulich zu sein. "Wissen Sie, Sir, ich frage mich gerade, wie sicher unser neuer Stützpunkt ist. Welche Möglichkeiten wir vorfinden werden. Und ob jemand so dumm war, ASRAA zu verraten, dass der Mann, der die ASRAA Iowa ausgelöscht hat, in der Nähe ist. Wo er ist."
"Ja, das könnte fatal werden. Thomas rieb sich die Schläfen. "In den Geheimakten von Mithril steht, dass der Pilot des Tokio-Leviathan extrem Hassgetrieben und Gefühlsgesteuert war. Er wurde von seiner Medikamentation regelmäßig in den emotionalen Sektor seines Ichs vertrieben. Wenn also jemand diesen drei Piloten die Information zukommen lassen würde, das ich in der Region bin, könnte das übel für uns enden. Vor allem wenn wir nicht mal Arm Slaves zur Verfügung haben."
"Oh. Dann sollten wir für bestmögliche Geheimhaltung sorgen, Sir", erwiderte Precious lächelnd.
Gary nieste heftig. "Oder eben nicht."
Die beiden Offiziere sahen den Arm Slave-Piloten erstaunt an. "Nicht?", fragte sie wie aus einem Mund.
"Sie sind ein guter Arm Slave-Pilot, Sir. Besser als ich, aber das ist nicht schwer zu glauben. Außerdem ein exzellenter Taktiker. Ihre Strategien in Rumänien, vor allem gegen Lambda Driver, waren exzellent. Sie haben Dinge geleistet, die niemand, der die Driver kennt, so für möglich gehalten hat."
Thomas winkte ab. "Ach, ich habe doch nur herum probiert."
"Und das erfolgreich", warf Edgar ein, bevor er sich wieder der gegenüberliegenden Wand widmete.
"Zugegeben", sagte Thomas. "Ich hatte halt Glück."
"Meinen Sie, Sir, Sie hätten auch Glück, wenn Sie die eine oder andere Aktion aus Rumänien adaptieren und hier anwenden?" Der Riese grinste breit. "Es wäre doch einen Versuch wert."
"Welche eine oder andere Aktion meinen Sie genau, Gary?" Thomas begann nun ebenfalls zu grinsen. Eventuell gab es da eine Möglichkeit, ein wenig mit den Leviathans zu spielen, auch ohne das er Peggy steuerte.
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