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Zum Ende der Seite springen Anime Evolution: Nami
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Anime Evolution: Nami

Episode eins: Große Wellen

Prolog:
„Daness Flight eins neun eins, sie sinken zu tief. Überflüge über die Hauptstadt dürfen nur bis einhundert Kilometern Höhe erfolgen.“
„Bodenkontrolle, hier Daness Flight eins neun eins. Wir korrigieren.“
„Daness Flight eins neun eins, wir sehen keine Veränderungen. Korrigieren Sie Ihren Sinkflug.“
„Bodenkontrolle, hier Daness Flight eins neun eins. Wir korrigieren bereits.“
„Daness Flight eins neun eins, Sie befinden sich jetzt über der Hauptstadt. Drehen Sie ab und nehmen Sie mehr Höhe auf.“
„Bodenkontrolle, hier Daness Flight eins neun eins. Wir… Was zum…“
„Bodenkontrolle! SCHIEßT UNS AB! VERDAMMT, SCHIEßT UNS AB! WIR… ARGH!“
„Daness Flight eins neun eins, was ist passiert? Daness Flight eins neun eins, was ist passiert? Antworten Sie! Ich sende Hilfskreuzer in Ihre Richtung! Sie… Bei allem was mir heilig ist… Daness Flight eins neun eins, das ist nicht euer Ernst! Nein, verdammt, nein!“
**
Es war schon merkwürdig, wie das Schicksal einem mitspielen konnte. Mit dreizehn verlor ich meine Mutter durch einen Autounfall. Mit vierzehn wurde ich der erste Pilot eines Mechas auf Seiten der Menschheit. Mit fünfzehn wurde ich entführt, amnesiert und traumatisiert.
Mit sechzehn war das Leben relativ ruhig, aber bedingt durch meine Gedächtnislücken waren über die Hälfte meiner Mangas für mich absolut neu.
Mit siebzehn zog mein Leben wieder an. Ich stieg wieder in einen Mecha und verteidigte die Menschheit erneut – ausgerechnet zu einer Zeit, als unser Feind, die Kronosier, die letzten und alles entscheidenden Attacken plante.
Mit achtzehn führte ich die Attacke von vier Schiffen auf den Mars an, die zweite übrigens, an der ich teilnahm.
Mit neunzehn versteckte ich mich auf dem Mond und nahm einen ruhigen Job bei einer Firma an, die meinem Vater gehörte. Aber dieses Leben war nicht von langer Dauer, denn letztendlich konnte ich die Welt nur wegen meiner kleinlichen, ein wenig gequälten Seele nicht ewig alleine lassen. Ich nahm ein Kommando auf der AURORA an.
Mit zwanzig aber war ich auf dem Weg in den sicheren Tod. Torum Acati und sein Schiff, die KON, brachten mich und Joan Reilley ins Heimatsystem der Naguad – zumindest glaubte ich, in den sicheren Tod zu fliegen, als Rädelsführer einer Rebellion, als Anstifter zur Desertation, als erklärter und verifizierter militärischer Gegner.
Nie hätte ich mir denken lassen, dass man mir plötzlich die Sorge um zwei Sonnensysteme aufbürden würde, und sich bald schon ein drittes aufdrängen würde, um meine enorme Pflicht noch zu verschärfen.
Aber wenn ich dachte, dass eine Steigerung meiner Probleme und Nöte nun nicht mehr möglich war, dann sollte ich bald einsehen, wie sehr ich mich irrte…

1.
Das System, in dem sich die AURORA befand, hatte einen Namen. Es hatte sogar zwei, nämlich einen terranischen und einen der Naguad. Und wenn die Anelph nicht seit Jahren daran gewöhnt gewesen wären, den Sternkatalog der Naguad zu benutzen, hätte es sicherlich noch einen dritten Namen gehabt.
Ansonsten war das System reichlich uninteressant. Keine Planeten, weder atmosphärelose Gesteinsbrocken, noch Gasriesen. Lediglich Asteroiden, Gigatonnenweise Asteroiden.
Dazu ein paar hundert Kometen, die zur Sonne zogen oder von ihr zurückkehrten.
Ach ja, natürlich gab es auch noch die Begleitschiffe der AURORA in diesem System. Und eine weitere Fraktion, bestehend als rochenähnlichen Kampfschiffen, die seit dem Sprung in dieses System ihr bestmöglichstes getan hatten, um das gigantische Trägerschiff zu zerstören.
Und wenn es so weiterging, dann würden sie mittelfristig auch Erfolg damit haben.
**
Seit zwei Stunden hatten sich die drei Slayer an Bord versammelt, um ihre phänomenale KI-Kraft in den Antrieb der AURORA zu pumpen, während zeitgleich die gravitatorischen Systeme auf Volllast liefen. Es war abzusehen, dass irgendetwas in naher Zukunft schlapp machen würde. Entweder die Slayer, der Antrieb oder die Gravitationskontrolle.
Von den Menschen, Anelph und Kronosiern an Bord gar nicht zu reden.
Es war einen Tag her, seit Tetsu Genda, Kommodore und eigentlicher Kommandant des Gigantschiffs, mit einer Korvette und einer handverlesenen Mannschaft aufgebrochen war, um die Rochenschiffe nach ihrem letzten Rückzug zu observieren. Ergebnis war eine verstümmelte Nachricht gewesen, deren Essenz in zwei Worten beschrieben werden konnte: Haut ab!
Sakura Ino, Admiral und Anführerin der Expedition, saß seit dieser Zeit auf dem Platz des Kapitäns der AURORA. Sie hatte Tetsu da raus getrieben, deshalb nahm sie jetzt seine Pflichten an. So dachte sie und so machte sie es auch – obwohl es zwanzig hoffnungsvolle Offiziere in dieser Zentrale gab, die sowohl erfahren als auch befähigt genug waren, um den Job zu übernehmen.
Sakura misstraute ihnen nicht. Nein, es hatte andere Gründe. Sie hatte ihn los geschickt. Sie hatte ihn getötet.
War das ihr Schicksal? War sie schlecht für ihre Umgebung? Tötete sie? Oder vernichtete sie einfach nur Ideale und Zukünfte der anderen? Eine Mischung aus beidem?
Nein, sie durfte sich solchen Gedanken nicht hingeben, nicht ihre Pflichten vernachlässigen. Es war noch gar nicht lange her, da hatte sie geglaubt, Akira wäre getötet worden, hinterhältig, heimtückisch und schmerzvoll.
Ihre Reaktion war es gewesen, die Auslöschung der Axixo-Basis zu befehlen. Einzig ihr Bruder Makoto hatte richtig reagiert und alles gestoppt, bevor ein Feuersturm eventuell den zu dieser Zeit bewusstlosen Akira gefährdet hätte – und tausende Unschuldige dazu.
Sie durfte sich nicht wieder dazu hinreißen lassen. Sie musste… Sie musste funktionieren.

„Einschlag gemeldet. Dritter Außenschirm. Explosionskraft achtzehn Megatonnen. Schirm fällt um neun Prozent“, meldete die technische Abteilung.
Ursprünglich hatten fünf Schirme die AURORA umgeben, jeder stärker als der andere. Die angreifenden Rochen – Raiderschiffe der Core-Zivilisation – hatten aber bereits zwei geknackt und waren nun dabei, den dritten anzugreifen. Ein schneller Blick zur Seite verriet Sakura, dass diese Arbeit bereits zu vierzigeinhalb Prozent verrichtet war.
Ihnen standen immer noch einhundertneunzehn gegnerische Kampfschiffe gegenüber, obwohl die Kanoniere des Giganten ebenso wie die Offiziere und Mannschaften der Begleitschiffe ihr Bestes taten, um diesen Nachteil wieder auszugleichen.
Vor allem die Hekatoncheiren gaben ihr Bestes.
Wenn sie hier jemals heile herauskamen, schwor sich Sakura, dann würde Daisuke den Service under Fire der Klasse eins von ihr entgegen nehmen. Und die Hekatoncheiren würden ihren längst überfälligen Deep Space Honor in Gold aus ihren Händen entgegen nehmen.
Falls sie es raus schafften.
„Einschlag gemeldet. Dritter Außenschirm. Explosionskraft zwanzig Megatonnen. Schirm fällt um zehn Komma zwei Prozent!“
„Daisuke, was machst du da draußen? Kannst du die Angriffe auf unseren Rücken nicht abstellen?“, blaffte Sakura.
Ein Hologramm flammte vor ihr auf und zeigte das Gesicht Daisuke Hondas durch das Visier seines Helms. Es wirkte erschöpft und eingefallen. „Was denkst du versuche ich hier draußen? Meine Kottos haben erneut drei Rochen vernichtet, dazu dreiundzwanzig Mechas. Wir leisten hier Schwerstarbeit und unterstützen nebenbei Admiral Richards und die Begleitschiffe, wo wir nur können!“
Sakura legte eine Hand an die Stirn. „Entschuldige, Daisuke, ich wollte meinen Ärger nicht an dir auslassen.“
„Es ist schon in Ordnung. So konnte ich meinen Ärger wenigstens an dir auslassen“, erwiderte der Hekatoncheire mit einem breiten Grinsen.
Sein Gesicht verzerrte sich zu einem Ausdruck höchster Konzentration, dann entspannte er sich wieder. „Vier Rochen. Kottos Prime Ende und aus.“

Das Hologramm erlosch. Sakura warf sofort einen Blick auf die aktuelle Kampflage. Es war wie die Tage zuvor. Die Hekatoncheiren schlugen sich hervorragend und hatten eher wenige Verluste, von denen ein großer Teil durch Reparaturen ausgeglichen werden konnte. Daisuke war sogar so weit gegangen, auf einen Banges zu wechseln – mit der Mühle war er noch mal lockere zehn Prozent besser.
Aber die Begleitschiffe und die Daishis mussten mächtig Federn lassen. Ihre Verlustquote war viel zu hoch.
Und die Hekatoncheiren konnten das Schiff unmöglich alleine verteidigen.
Außerdem war da immer noch das Problem, dass jeder Raider, der es nahe genug an die AURORA heran schaffte, KI-Biester aussetzte. KI-Biester, konzentriertes, eigentlich unorganisiertes KI, welches lediglich von einem unterbewussten Willen besessen war und strikt einem Auftrag folgte. Die letzten KI-Biester waren auf die Führungsoffiziere der AURORA angesetzt gewesen und sie hatten große Mühen gehabt, ihrer Herr zu werden.
Auch die Schiffe hatten stark leiden müssen, fünf lagen in den Werften und wurden notdürftig wieder kampfklar gemacht. Doch selbst ihre Geschütze, soweit sie funktionierten, griffen in den Kampf ein, wenn es nötig war. Und es war verdammt oft nötig.
Manchmal fragte sie sich, ob die Raider einfach nur mit ihnen spielten, so wie eine Katze mit einer gefangenen Maus, oder ob die massive Gegenwehr de Besatzung der AURORA ihre Pläne bisher wirklich vereitelt hatte.
„Einschlag gemeldet. Dritter Außenschirm. Explosionskraft dreiundvierzig Megatonnen. Schirm drei fällt in sich zusammen.“
Na toll, na toll, da waren es nur noch zwei Schirme. Und zwei Tage bis zum frühstmöglichen Punkt, ab dem sie nach Alpha Centauri springen konnten.
**
Es gab nicht viele Dinge, die mich noch erschüttern konnten. Ich meine, Hey, meine Mutter, die ich seit sieben Jahren tot glaubte, war wieder aufgetaucht, wenngleich nur als Hologramm, meine vermeintliche Hinrichtung als Rebell und Hochverräter hatte sich als Beförderung zum Erben des Vorsitzes des Rates der Arogad entpuppt, meine Freundin war mir hinterher geflogen um mich zu retten – und hatte mich nicht dafür getötet, dass ich verzweifelt und vereinsamt mit Joan geschlafen hatte, und der Oberste Gerichtshof hatte mir bestätigt, dass die Erde, der Mars und die Anelph-Welt Lorania mir gehörten.
Nun, letzter Punkt war nicht so einfach zu erklären. Diese Welten waren nicht mein Spielzeug, mit dem ich tun und lassen konnte was ich wollte. Das ließen die strengen Kolonialgesetze der Naguad gar nicht zu. Auch wenn manche Häuser diese ab und an aushebelten.
Nein, vielmehr war ich zum Aufpasser ernannt worden, zum Steuerneintreiber und, was das Wichtigste war, zum Sprachrohr dieser Welten im imperialen Rat. Fazit war, dass Lorania und Terra nun eine eigene Stimme im Rat hatten, was vorher nicht der Fall gewesen war.
Wie gesagt, ich dachte nicht wirklich daran, dass es noch irgendetwas geben konnte, was mich zu überraschen vermochte.
Das war drei Sekunden, bevor der Alarm durch den Turm der Daness gellte, in dem ich mich seit einem Tag aufhielt.

Ich schreckte auf. In einem Moment war ich noch im Gespräch mit Sostre Kalis, dem Neffen von Mitne Daness und derzeitigem Erben der Position des Ratsvorsitzes, im nächsten redeten alle durcheinander.
Wir befanden uns im Großraumbüro in der Turmspitze, ein Bereich, der locker drei Stockwerke gefüllt hätte, wäre er nicht einzig mit dem Schreibtisch des Hausvorsitzenden, einer Konferenzecke und diversen Sitzgruppen gefüllt gewesen. Gerade noch hatte eine Vertraute des Hauses – ausgeliehen vom verbündeten Haus Awarima, die grünlichen, gelockten Haare, das schlanke Gesicht und die fast schwarze Haut sprachen für sich – mir einen einheimischen Tee gereicht, der mir nun die Hand verbrühte. Im nächsten Moment war ich aufgesprungen, um zu Megumi zu kommen, die ebenfalls stand und irritiert ihren Großvater Mitne ansah, den Vater ihrer Mutter.
Der große Mann hielt eine Hand gegen sein Ohr gepresst und lauschte über den Lärm der Sirenen hinweg den Nachrichten, die über sein Headset einflossen.

Ich hatte noch nicht einmal zehn Meter der Strecke geschafft, als Sora Fioran mich gewaltsam abbremste und sich schützend vor mir stellte. Zu meinem offenen Entsetzen musste ich feststellen, dass Franlin ebenso verfuhr.
Ich wollte gerade zu einer Schimpftirade ansetzen, erklären, dass mir im Turm eines Verbündeten nichts passieren konnte, da überschlugen sich bereits die Ereignisse.
Die Türen sprangen auf, bewaffnete Infanteristen in den weißgoldenen Uniformen der Daness liefen herein, sicherten die Türen und… Hielten auf mich zu.
Über zwanzig Mann richteten ihre Waffen auf mich und meine beiden Untergebenen.
Gina Casoli, die von Megumi als Beistand mitgenommen worden war, schob sich unauffällig-auffällig zwischen Megumi und die bewaffneten Wachen.
Das alles war sehr schnell gegangen, und nun sah ich in etliche Waffenmündungen, hauptsächlich auf Energieträgerbasis, in der Lage, mich schon bei einem Streifschuss zu pulverisieren. Ich grinste matt. Hätte ich nicht mein KI unter Kontrolle. Ich traute es mir durchaus schon zu, einen solchen Schuss abzulenken oder zu kompensieren. Oder zwei, oder drei, oder vier… Okay, vielleicht übernahm ich mich bei zwanzig doch erheblich.

Der Alarm wurde abgestellt, ich, Franlin und Sora waren komplett umstellt.
Und ein ziemlich aufgebrachter Henry William Taylor versuchte auf diese Etage zu gelangen und wurde schließlich von Vern Attori mitgenommen. Allerdings unter strenger Bewachung weiterer Soldaten.
Ich sah erklärungsheischend von Mitne zu Sostre, danach zu Megumi, aber meine Freundin hob nur die Schultern.
„Mylord Arogad, es tut mir Leid, aber bis auf weiteres muss ich Sie unter Arrest nehmen“, sagte Vern ernst. Seine Stirn war schweißbedeckt. Leise orderte er ein Dutzend Angestellter herum und forderte ein Aufnahmegerät und eine Sendeanlage.
„MITNE, VERDAMMT!“, brüllte ich, alle Höflichkeiten und Protokolle außer Acht lassend. „IST DAS DIE HÖFLICHKEIT DER DANESS? ICH DACHTE, WIR SIND VERBÜNDETE!“
Megumi sah ihren Großvater an, fragend, verzweifelt.
Mitne, der seine Großtochter erst seit zwei Tagen kannte, versuchte ihr zu zu lächeln, aber es war nur eine schmerzerfüllte Grimasse.
„Aris. Es tut mir unglaublich Leid, aber du und deine Leute werden… Für unbestimmte Zeit unsere Gäste sein.“
„Geiseln? Sind wir Geiseln?“, blaffte ich wütend.
Mitne nickte. Na, wenigstens war er ehrlich. „Ja, aber nicht nur. Vor allem müssen wir zeigen, dass du noch lebst.“
Dass ich noch lebte… Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was war passiert? Was war so schlimm, dass Mitne Daness, Oberhaupt der Familie Daness und Herr über einen eigenen Planeten, mich, die Nummer drei der Erbfolge – auch wenn die Türme nicht wirklich ein feudales System hatten, so gingen die Posten oft generationenlang an direkte Nachfahren, was die Ratssitze betraf – für den Ratsvorsitz der Arogad hier unter Waffengewalt festsetzte?
Henry versuchte zu mir durchzubrechen, aber ich bemerkte es und winkte ab. Niemand bezweifelte seine Loyalität, und sein Tod oder eine Verwundung hätte uns absolut nichts genützt.
Henry und loyal. Noch vor einem Jahr hätte ich mir ein Stück Gehirn raus geschnitten als das auch nur zu denken. Aber ich hatte mich geirrt. Und das war eine wesentlich angenehmere Erfahrung gewesen als das hier! Diese Misere!
„Mitne!“, rief ich erneut, mich mit dieser verbalen Entgleisung auf eine Stufe mit dem Daness stellend.

Der Ratsvorsitzende kam zu uns, so weit es Vern Attori zuließ. Er sah mir ernst in die Augen. Dann senkte er den Blick. „Es gab einen Angriff auf den Turm der Arogad. Ein Kriegsschiff ist in den gesperrten Luftraum eingedrungen und hat den Turm bombardiert.“
„Verluste? Schäden? Nachrichten über die Mitglieder des Ratsvorsitzes? Wo ist das Kampfschiff jetzt?“ Die Fragen sprudelten automatisch. Ich hatte keine Zeit, schockiert zu sein. Ich hatte keine Zeit, mir Sorgen um Opa Oren, Yohko, Yoshi, Mama, Joan und die anderen zu machen. Ich konnte da nicht dran denken, nicht jetzt.
„Wir haben noch keine konkreten Nachrichten. Es wurden aber definitiv großkalibrige Atombomben eingesetzt. Die Sicherheitsschaltung hat die Schirmfelder aller neun Türme zusammengeschaltet, das hat das schlimmste verhindert. Aber es gab im Zentrum der Belastung mehrere Explosionen von durchgehenden Energiegeneratoren und Projektoren. Es heißt, die ersten hundert Meter des Arogad-Turms liegen in Trümmern. Weite Teile des Umlandes, die nicht vom gekoppelten Schirm geschützt waren, sind von einem radioaktiven Fallout betroffen. Da die Schirmfelder aber fünfzig Kilometer Durchmesser erreicht haben, gab es zumindest keine Verwüstungen durch Druckwellen und die Feuerwalze der Atomexplosionen.“

Meine Hände begannen zu zittern. Das war keine Verzweiflung, keine Angst, keine Bitterkeit. Das war mein Verlangen danach, etwas zu tun.
„Wir müssen sofort Teams aufstellen, die mit der Evakuierung der verseuchten Regionen beginnen. Fordert Hilfe von anderen Türmen und der Regierung an. Reguläres Militär muß eingesetzt werden. Wir holen die Naguad zuerst einmal in den Schirm und quartieren sie vor allem in Militäranlagen und den Türmen ein, soweit die Kapazitäten ein. Die Schirme dürfen nicht abgeschaltet werden. Aber wir können, um Überfüllung zu vermeiden, Naguad durch die Luft zu anderen Städten evakuieren. Mobilisiert dafür die Flotte.
Infanteristen in Kampfrüstungen sollen die Trabantenstädte bis auf den letzten Stein durchkämmen, um auch das letzte Lebewesen zu finden. Wir müssen unsere Ärzte auf radioaktive Verseuchung einstellen. Entsprechende Medikamente müssen bereitgestellt werden.
Und ich muß zu meinem Turm. Sofort.“

Energisch ging ich los, wurde aber von den stur auf mich gerichteten Waffen gestoppt.
„Es tut mir Leid, Aris, aber ich kann dich nicht gehen lassen. Nicht gerade jetzt, wo der Rat der Arogad vermisst wird und die Befehlsstruktur in Unordnung ist.“ Mitne atmete tief durch. „Aris, es war ein Daness-Schiff, das den Arogad-Turm bombardiert hat!“
Ich verstand, und doch wieder nicht. Langsam öffnete und schloss ich meine Hände. Und versuchte zu begreifen, was mir der Ältere gerade gesagt hatte.
Ich sah zu Sostre herüber, der abwehrend die Hände hob. „Das war keine Aktion von uns, Akira.“
Ich nickte schwer. „Ja. Das war sie sicher nicht. Also, wie soll es weitergehen?“
„Bis auf weiteres wirst du im Turm arrestiert, Aris Arogad. Solange wir dich als Geisel brauchen, damit die Arogad nicht aus Rache diesen Turm angreifen. Erste Meldungen berichten bereits davon, dass Fioran, der traditionelle Verbündete der Arogad, eine Kompanie seine Attentäter mobilisiert hat. Aris, wir brauchen dich hier als Faustpfand!“
„Und Haus Arogad braucht mich, damit ich diese Bescherung aufräume!“, blaffte ich wütend. „Willst du, dass wir einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen, Mitne?“
„Nein, deshalb sollst du ja auch hier bleiben! Wir schicken den Arogad Aufnahmen von dir und deinen Leuten, damit sie sehen, dass du lebst. Und damit sie wissen, dass ein Angriff auf unseren Turm auch ein Angriff auf dich ist. Zumindest bis wir geklärt haben, was überhaupt passiert ist!“
Ich lachte rau auf. „Mein lieber Mitne, hast du eigentlich schon mal daran gedacht, dass dieser Turm genauso wenig sicher ist wie der Turm der Arogad?“
Ich hasste es, wenn ich Recht hatte, und vor allem hasste ich es, wenn Stahl zerbarst wie Papier und ein roter Schemen auf mich zuhuschte. Ja, so etwas hasste ich am meisten.

2.
Admiral Baldev Bhansali blickte auf eine lange Karriere zurück. Er war von der indischen Wet Navy zur UEMF gekommen, hatte einen Posten als Erster Offizier auf der alten MIDWAY bekommen, sich dort bewährt und Kapitän der NEW YORK geworden. Dort hatten die überragenden organisatorischen Fähigkeiten des Inders dazu geführt, dass er schnell Chef eines eigenen Geschwaders wurde, des ersten permanent gebildeten Geschwaders.
Er hatte die Erde verteidigt, während der Mars das zweite Mal angegriffen wurde und sein Bestes gegeben, um die kronosischen Flotten zu binden und Akira Otomo Zeit zu erkaufen, Schiffe von ihren Heimathäfen fern zu halten. Die Mission gelingen zu lassen.
Er wusste, die Geschichte würde ihn nur als Zuträger sehen, aber das war ihm egal. Seine Pflicht folgte einem höheren Ideal als Ruhm in den Geschichtsbüchern, die vielleicht ohnehin nur ein oder zwei Jahrhunderte interessant genug waren und dann raus gekürzt wurden, um neueren, interessanten Geschichtsdaten Platz zu machen.
Er war es gewesen, der nach dem Fall des Mars eine Flotte zum Entsatz Akira Otomos aufgestellt und befehligt hatte. Er war es gewesen, der Otomos Umschließungsangriff des Anelph-Konvois maßgeblich ausgeführt hatte. Und er war es gewesen, dem ein Jahr später das Kommando über seine eigene Flotte angeboten wurde, die 1. Flotte, die Heimatflotte Sol-System.
Doch Baldev hatte abgelehnt. Dies war nicht seine Berufung gewesen. Die hatte sich acht Monate später ergeben, als die Arbeiten an der AURORA fast abgeschlossen worden waren und die Erde die ersten eigenen Sprungantrieb en Masse herstellen konnte. Die 2. Flotte wurde ausgerufen, die Patrouillenflotte. Diesmal bewarb sich der Inder um diesen Posten und bekam den Zuschlag.
Damit kommandierte er von seinem Flaggschiff aus, der KAVEMN, einem Zulu Zulu der Anelph – sie selbst nannten den Schiffstyp ja lieber Bakesch – drei Geschwader mit insgesamt sechsundzwanzig Schiffen vom Typ der Fregatte bis hinauf zum Schlachtkreuzer. Und betraut mit dem wichtigsten Auftrag, den die Menschheit nun, im Angesicht der Bedrohung durch die Anelph vergeben konnte: Patrouillen in den umliegenden Systemen der heimischen Sonne. Verteidigen, bremsen, bevor die Naguad zu schnell zu nahe waren.
Mit drei Geschwadern eine sehr schwierige Aufgabe, die er jedoch meisterte.
Doch der letzte Befehl, den er von Executive Commander Otomo erhalten hatte, trieb ihm das erste Mal in seiner Karriere den Angstschweiß auf die Stirn. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, wie wichtig seine Aufgabe wirklich war. Und wie schwer es die Erde treffen würde, wenn er versagte.
**
„NEUN UHR, SIEBEN AB!“, blaffte Kenji Hazegawa über Funk.
Takashi Mizuhara reagierte. Der Gegner, der ihn aufs Korn genommen hatte, attackierte ihn also von links und schräg unten. Er brauchte seinen Sparrow nur taumeln zu lassen, um erstens der Attacke zu entkommen und zweitens eine gute Schussposition zu erreichen.
Tatsächlich flog ihm der gegnerische Mecha direkt vor die Rohre, die Raketenrohre, um genau zu sein.
Takashi feuerte eine Fünfersalve Clusterraketen, die sie von den Naguad übernommen hatten. Aus fünf Raketen wurden fünfzig, die den Core-Mecha mit einem feinen Netz aus Explosionen überzog. Kurz darauf ging der Reaktor der Maschine hoch.
„Danke, Kenji“, brummte der ehemalige Schulsprecher der Fushida Oberstufe und suchte nach dem nächsten Gegner. In dieser Schlacht führte er das Gyes-Regiment an, ein schweres Erbe von Yohko. Er hatte unter ihr gedient und war sowohl von ihren Führungsqualitäten und ihrem Können als Pilotin mehr als begeistert gewesen. Genauer gesagt hatte er sich nur deshalb auch in einen Sparrow gezwängt, weil ihn gefallen hatte, mit welcher Leichtigkeit Yohko Otomo in dieser Maschine zu kämpfen pflegte.
Nun war er vom Bataillonschef zum Regimentskommandeur aufgerückt. Kenji hatte ein ähnliches Schicksal ereilt. Megumi Uno, oder besser gesagt Jora Kalis, ein offenes Geheimnis in der Division, hatte das Oberkommando von Akira übernommen. Und der bärengroße Kenji war als Chef von Briareos nachgerückt.

Das war die Sachlage, während sich zwei Bataillone von Gyes und Briareos eine heftige Prügelei mit einem Schwarm Mechas des Cores lieferten, die im direkten Anflug auf Lorania waren. Zeitgleich führten über sechzig Rochenschiffe einen Angriff auf der anderen Seite des Planeten; Kommodore Takahara stellte sich dem mit seiner SUNDER und acht weiteren Schiffen entgegen. Die Rochen hatten in etwa die Stärke einer kronosischen Fregatte, und Kei kommandierte das kampfstärkste Schiff im Sektor. Zudem unterstanden ihm mit der GRAF SPEE, der PRINZ EUGEN und der BISMARCK die derzeit stärksten Schiffe der Menschheit zur Verfügung, die GRAF SPEE war zudem ein Veteranenschiff des zweiten Marsangriffs, und die anderen Kommandeure und Mannschaften waren keine Anfänger, beileibe nicht.
Aber dies war nur ein kurzes, erstes vortasten, ein Geplänkel der Core-Truppen, um die Abwehrbereitschaft der Terraner zu testen.
Ein gutes hatte die Sache aber. Wenigstens ging es endlich los, die ungewisse Warterei war vorbei, die sie alle ergriffen hatte, seit Michi Torah und Akari Otomo sie alle gewarnt hatte.
Nun standen sie hier, in einem Fallkurs, der sie relativ zu Lorania still im Raum stehen ließ, weil Geschwindigkeit und Winkel an diese Welt angepasst waren, während die angreifenden Mechas der Core-Schiffe mit Geschwindigkeitszuwachs auf Lorania zurasten.
Das bedeutete einen Vorteil für die Core-Truppen, weil sich Takashis Leute langsamer bewegten. Sobald sie die Hekatoncheiren passiert hatten, würde jede weitere Sekunde die Bekämpfung schwerer machen, bis sie unmöglich wurde. Außer, die Hekatoncheiren traten auf die Pedale und hetzten den Mechas des Gegners hinterher.
Erleichtert wurde dies, weil seine Truppen ohnehin in Richtung Loranias unterwegs waren.
Aus diesen Gründen hatte er sich auch gegen einen Frontalangriff entschieden, der sie mit einem Geschwindigkeitsvektor fort von Lorania gebracht hätte. Sie hätten zwar nur ein relativ kleines Zeitfenster für die Gefechte gehabt und damit auch nur ein kleines Fenster, in denen Kämpfe – und damit Verluste – möglich waren, aber die beiden Bataillone hätten aufwändig wenden, Geschwindigkeit aufnehmen und dem Gegner hinterherhetzen müssen.
Zwar hatten die Korvetten rund um Lorania die LRAOs mit den sechs Resonatortorpedos ausgeschleust und die Resonatorfelder hüllten nun gerade mit den scheiibenförmigen Wirkungsfeldern die ganze Welt ein – Starts und Landungen waren selbstverständlich in dieser Zeit untersagt und Takashi hoffte inständig, dass kein LRAO mit aktiviertem Resonatorfeld auf Lorania abstürzte – aber sie hatten noch keinerlei Ahnung, ob die Felder überhaupt auf die Truppen des Core wirkten. Es waren Cyborgs, geschaffen aus Metall und gezüchtetem, organischem Material, das nie dazu bestimmt war, einem Menschen auch nur zu ähneln. Metallschrott und Biomüll, wenn Takashi es genau nahm, sehr genau nahm. So waren auch die Cyborg-Infanteristen auf dem Mars gewesen, die neueste Errungenschaft des Legats.
Es hatte ihn trotzdem nicht beruhigt, als er sie bekämpft hatte, damals.

„Das war es, großer Anführer. Der Gegner ist durch. Verfolgen?“
„Ruhig, Kenji. Bisher verläuft alles nach Plan. Wie viele haben wir erwischt?“
„Von zweihundertfünfzig angreifenden Mechas haben wir einhundertsieben erwischt, weitere sechsunddreißig beschädigt. Die Eagles schicken ihnen noch ein paar Abschiedsgrüße hinterher, das sollte die Zahl auf hundertzehn oder mehr erhöhen.“ Kenji atmete tief durch. „Ich hoffe, Makoto weiß, was er tut.“
„Das hoffe ich auch. Ortung, haben wir weitere Feindeinheiten zu erwarten?“
„Nicht aus diesem Vektor, Sir.“
„Gut. Verluste?“
„First Head Briareos hat fünf Ausfälle, zwei davon Totalverluste.“
„First Head Gyes hat acht Ausfälle, einer davon Totalverlust.“
Takashi spürte, wie seine Hände die Griffe der Steuerung viel zu fest umklammerten. Verdammt! Verdammt, verdammt! Jeder Pilot, der hier oben unter seinem Kommando starb, kam niemals wieder! Jeder Pilot, der nie die Erde wieder sehen würde, lastete fortan auf seinem Gewissen. Natürlich waren die Verluste moderat, um nicht zu sagen lächerlich gegen einen solchen Gegner, nachdem sie sich ihnen mit lediglich sechzig Mechas entgegen gestellt hatten. Aber es waren dennoch zuviel. Drei Tote. In Gedanken machte Takashi drei Striche auf einer imaginären Liste.
„First Head Briareos, First Head Gyes, wir verfolgen den Gegner!“
„Verstanden!“, hallte es ihm dutzendfach entgegen.

Makoto Ino spielte ein gefährliches Spiel. Während er Kei Takahara die gegnerischen Schiffe aufhalten ließ, hatte er Takashi befohlen, ein entsprechendes Kontingent an Mechas durchkommen zu lassen. Der Gedanke, der dahinter steckte, beunruhigte den Chef der Gyes ungemein. Die Mechas der Core-Truppen waren mit Cyborgs bemannt, eigentlich hirnlosen Gesellen, aber es schien, dass die K.I.s der Core-Banges nur funktionierten, wenn sich jemand mit ihnen verband. Das machte die Maschinen langsamer und reduzierte ihren Kampfwert, glücklicherweise, was sie mit purer Masse ausglichen. Was Makoto in diesem Zusammenhang wissen wollte, war eines: Wirkte das Resonatorfeld auf die Cyborgs?
Die Antwort war schon interessant, aber wenn Takashi daran dachte, was über einhundert Mechas auf Lorania anrichten konnten, sobald sie durchgebrochen waren…

Takashis Truppen beschleunigten. Dabei nahmen sie nur unwesentlich mehr Fahrt auf als die Core-Einheiten. Immerhin wollten sie die gegnerischen Truppen zwar einholen, aber nicht an Lorania vorbeirasen, weil das Bremsmanöver zu lange dauerte.
Auf diese Weise hatte das Ganze ein wenig von einem Schildkrötenrennen, bei dem die Hekatoncheiren nur langsam aufholten. Aber real betrachtet rasten sie hier mit Geschwindigkeiten durch das eisige Weltall, die einen Wernher von Braun zu Tode erschrocken hätten.

Dann war es soweit, zwanzig Core-Mechas lösten sich vom Hauptfeld und griffen die Welt an. Gebannt starrte Takashi auf die Ortung. Sie hatten Truppen im Orbit, außerdem befestigte Bodenstellungen, die bis in eine Höhe von vierhundert Kilometern feuern konnten. Aber beide Monde Loranias waren gerade auf der ihnen abgewandten Seite, also perfekt für einen solchen Angriff. Die Forts und die dort stationierten Truppen würden nicht eingreifen können.
Eine Kompanie Hawks warf sich den Angreifern entgegen, attackierte sie kurz und zog sich dann in den Bereich zurück, der bereits zum Antitechnikfelt gehörte.
Die Core-Truppen schluckten den Köder und folgten ihnen.
Als die ersten Einheiten das Feld erreichten, endeten die Manöver. Alle zwanzig Einheiten hielten strikt ihren Kurs bei, der sie direkt auf den Planeten führte.
Drei Einheiten wurden von den Hawks abgeschossen. Als die nunmehr siebzehn Mechas tiefer kamen, setzte sporadischer Beschuss von der Oberfläche ein. Alle Core-Einheiten, die über bewohntem Gebiet niederzugehen drohten, wurden systematisch ausradiert.
Neun Einheiten blieben übrig und rasten dem Erdboden entgegen. Auf sie wartete ein Bataillon der Fünften Banges-Division, nur für den Fall, dass sie einen ähnlichen Trick versuchten wie Akira damals beim zweiten Marsangriff.
Doch die Befürchtungen des jungen Japaners erwiesen sich als unbegründet. Alle neun Maschinen rasten ungebremst weiter und schlugen beträchtliche Krater in die Planetenoberfläche.
Für eine Sekunde wusste er nicht, ob er jubeln oder vor Erleichterung einfach weinen sollte.
Das war eine Sekunde bevor sich die Core-Einheiten aufteilten.
„Verdammt, was haben sie vor?“, rief Kenji.
„Na was wohl?“, erwiderte Takashi gereizt, während sein Sparrow ins Gravitationsfeld Loranias eintauchte. „Sie versuchen, am Rand des Wirkungsfeldes nach Lorania herunter zu kommen! Alarm für die Fünfte! Alarm für die Naguad-Bodentruppen und die loranische Verteidigungsarmee!“
Kenji fluchte herzhaft, teilte seine Leute auf die Pulks der Core-Truppen auf und hetzte seinen Gegnern hinterher.

Tatsächlich erreichten die Mechas den Rand des Wirkungsfeldes. Hier überlappten sich die Felder von drei Resonatoren und bildeten ein undurchdringliches Schild. Aber die gegnerischen Banges schienen das Feld vermessen zu können, denn es gab zwangsläufig eine Lücke, wenn sich drei runde Felder überlappten. Um diese zu schließen hätten die LRAOs sehr viel tiefer fliegen müssen – mit den entsprechenden Risiken.
„So, so, sie können die Resonatorfelder also anmessen“, murmelte Makoto. „Sehr schön, das reduziert meine Sorgen doch erheblich.“
„Makoto, die brechen gerade durch!“, blaffte Kenji. „Wenn wir nichts tun, dann…“
„Mach mal halblang. Es ist etwas schwierig, unter diesen Lücken Bodentruppen zu stationieren, da die vertikal verteilten LRAOs Lorania umkreisen, oder?“
„Zugegeben. Also sollten wir angreifen und…“
„Schwierig, aber nicht unmöglich“, kommentierte Makoto zynisch und schickte Takashis Sparrow Bilder von der Oberfläche.
Zwei Bodenbatterien, über dreihundert Kilometer voneinander entfernt, feuerten zusammen ihre Raketen auf die durchbrechenden dreißig Mechas ab. An anderer Stelle erwarteten Banges der Naguad den Gegner. Bei Durchbruch vier übernahm eine kleine Flotte wassergebundener Raketenkreuzer den Angriff auf die Banges, unterstützt von einem eigenen Mecha-Träger.
An der vierten Stelle erhob sich die LOS ANGELES von ihrem Raumhafen, schleuste vierzig Mechas von Briareos aus und stellte den Gegner noch in der Stratosphäre.
„Macht den Deckel zu, Takashi. Keiner soll entkommen!“, befahl Makoto Ino mit erschreckend kalter Stimme.
„Roger“, antwortete der Chef der Gyes ebenso kalt und stürzte seinen Sparrow mitten durch das Antitechnikfeld auf das nächste Ziel zu.

3.
Nachdenklich betrachtete Eikichi Otomo die Bilder auf den allgegenwärtigen Monitoren in der Zentrale des OLYMPs. „Wie lange geht das schon?“
Commander Sikorsky, der extra für diese Angelegenheit von der Titanen-Basis auf den OLYMP gewechselt war, spreizte die Finger beider Hände und ließ nur den linken Daumen weg.
„Neun Stunden also schon? Hm.“
„Berlin. Moskau. Washington D.C., und, und, und. Es gibt weltweit mehr als achtzig Demonstrationen in Hauptstädten. Von den kleineren Demonstrationen wollen wir gar nicht erst reden, die gehen in die hunderte.“
„Die Meinung?“
„Es ist sehr verworren. Viele demonstrieren gegen deinen Sohn, Eikichi. Sie halten ihn einfach nicht für geeignet, die Erde anzuführen. Sie werfen ihren Regierungen Verrat und Ausverkauf vor. Denen kann man tausendmal sagen, dass die Geschichte mit der Übernahme nur ein taktisches Spiel ist, um die Naguad zu verlangsamen. Sie sehen nur die offizielle, von dir unterschriebene Urkunde.“
„Die zudem rechtsgültig ist. Ich habe mich entsprechend abgesichert für den Fall, dass das Imperium Inspektoren schickt.“
„Hm. Ein etwa ebenso großer Teil demonstriert für deinen Sohn. Seine Leistungen bei beiden Marsangriffen, seine Erfolge in diversen Krisen und Angriffen auf die großen Städte werden hervorgehoben und von ihnen betont. Und es sind bei weitem nicht alles nur Militärfreaks, die dort stehen. Und dann gibt es noch ne dritte Fraktion, die…Ich kann es nicht klar umreißen, für mich sind das die größten Idioten.
Jedenfalls demonstrieren weltweit mehr als eine Viertelmilliarde Menschen. Das sind die größten Massendemonstrationen, die die Erde jemals erlebt hat.“
„Was wollen deine Idioten?“
„Wie?“
„Na, die dritte Gruppe, die du Idioten nennst. Was wollen sie?“
„Freie Liebe und Weltfrieden.“
Eikichi warf dem Polen einen amüsierten Blick zu. „Ich bitte dich, keine faulen Witze.“
Sikorsky unterdrückte ein Schmunzeln. Die dritte Gruppe nennt sich Monarchisten. Sie haben ein weltweites Netzwerk aufgebaut und bereiten sich nach eigener Aussage auf die Ankunft des Herrschers vor. Ja, glaub es nur. Es gibt Menschen, die haben das mit der geschenkten Erde gefressen – oder wollen zumindest, dass es so real wir irgend möglich ist. Sie verehren Akira jetzt schon als König der Erde. Oder meinetwegen als Kaiser. Würde es nach ihnen gehen, würden wir schon anfangen, einen Palast für ihn zu bauen und einen Hofstaat zusammenstellen, die ersten Einladungen rausschicken um die Oberhäupter sämtlicher Länder der Erde zu versammeln, um dem Herrn der Erde angemessen zu huldigen.
Es ist die verhältnismäßig kleinste Gruppe. Aber sie sind am besten organisiert und sie haben genügend Leute für eigene Demonstrationen.“
„Wie niedlich“, kommentierte der Executive Commander. „Der kleine Akira hat also Fans.“
„Fans, die den Rokoko wieder aufleben lassen würden, damit die Regentschaft von Akira dem Ersten angemessen würdevoll beginnt.“
„Ich würde jetzt gerne Spinner sagen, aber du hast selbst gesagt, sie sind am besten aufgestellt, oder? Denkst du, wir können sie benutzen?“
„Eikichi, benutzen?“
„Ich habe da ein falsches Wort verwendet, entschuldige. Denkst du, unsere Interessen sind weit genug kompatibel, um eine Zusammenarbeit zu rechtfertigen?“
Sikorsky lachte leise. „Zumindest könnten wir kooperieren. Aber dafür müsste sich Eikichi Otomo mit gepuderter weißer Perücke zu einer Rede entschließen.“
„Mit so was macht man keine Witze“, brummte Eikichi.
„Das war kein Witz.“
„Mist, ich habe es geahnt.“
„Vielleicht sollten wir uns lieber mit Akiras Gegnern verbünden, hm?“
„Hm, bei denen weiß man wenigstens was man hat. Und man muß keine lächerlichen Klamotten tragen, oder?“
„Nein, nur lächerliche Uniformen.“
Eikichi grinste den anderen an. „Das muß mein schlechter Einfluss sein. Mein Humor färbt auf dich ab, alter Junge.“
„Falsch, Eikichi.“ Sikorsky hob dozierend den Zeigefinger. „Du hast mir meinen Humor geklaut.“
„Ach so“, erwiderte Otomo, bevor er zusammen mit Sikorsky in schallendes Gelächter ausbrach.
**
Kei Takahara biss sich auf die Unterlippe. Mit sieben Schiffen nebst seiner SUNDER stand er hier vor dem Orbit um Lorania und focht einen Kampf gegen die Core-Rochenschiffe.
Drei davon waren Schlachtkreuzer der Bismarck-Klasse, und dennoch fiel ihm die Verteidigung schwer.
Die SUNDER wurde erschüttert, die Schadenskontrolle meldete Lecks im Schiff und den Zusammenbruch eines weiteren der ursprünglich fünf Außenschirme.
Natürlich hatten die Rochen sich auf das stärkste Schiff eingeschossen. Natürlich entblößten sie damit ihre Flanken und wurden angreifbar. Und natürlich bezahlten sie dafür den hohen Preis in Form von horrenden Verlusten.
Aber das, was es zu gewinnen galt, die Vernichtung des derzeit kampfstärksten Schiffs in diesem System, schien es wert zu sein. Vor allem, da sich die UEMF-Flotte hier nur mit einem Teil des Gegners herumschlug, während das Gros auf seine Gelegenheit lauerte, hier einzufallen und allem Leben den Garaus zu machen.
Kei hatte die Berichte aus dem Nag-System gelesen, die Erlebnisberichte von Akiras Oma Eridia, und er wusste, wie der Core mit den Bewohnern einer eroberten Welt verfuhren. Er wusste auch, dass die Kronosier damals beinahe Akira das Gehirn entfernt hatten, um es für weniger Ressourcen in ihrem weltweit vernetzten Supercomputer arbeiten zu lassen. Die Parallele war offensichtlich, zu offensichtlich.
Er selbst hatte keinerlei Verlangen danach, den Rest seines Lebens als organische Rechenmaschine in einem Supercomputer zu verbringen. Oder sogar nur als blankes Gehirn.
„Kapitän!“, klang die Stimme von Ban Shee Ryon auf, seiner Stellvertreterin.
„Nein“, widersprach Kei.
Es war eine alte Marotte der Navy, das es an Bord eines Schiffes nur einen Kapitän geben konnte. Auf der SUNDER war er dieser Kapitän, obwohl er den Rang eines Konteradmirals innehatte, im Feld verliehen von Admiral Ino, Makotos großer Schwester.
Und eigentlich war Ban Shee die Frau im Kapitänsrang und wurde an Bord der Tradition halber als Kommodore angesprochen, also dem nächst höheren Rang.
Die Anelph hatte sehr über diese terranische Marotte gelacht. Und sie tat es teilweise heute noch.
„Kei!“, kam es diesmal eindringlicher von ihr. Sie wollte die Slayer einsetzen, die mit ihnen an Bord waren, um genau in einem solchen Fall die Schirme der SUNDER zu verstärken und den Rochenschiffe damit eine böse, eine sehr böse Überraschung zu bescheren.
Aber Kei Takahara war noch nicht bereit dazu. Er war aber durchaus bereit die SUNDER einiges an Schäden einstecken zu lassen, damit die Kraft von Emi Sakuraba und Ami Shirai eine Überraschung blieb, eine Trumpfkarte für das nächste Mal, wenn der richtige Angriff erfolgte. Außerdem hatten sie noch nicht alle ihre Trumpfkarten ausgespielt und es musste nicht gerade das Ass aus der Hand sein, fand Kei.
„Sir! Ich sollte mich melden, sobald wir Dipur bis auf zehntausend Kilometern nahe gekommen sind!“
Dipur, der kleinere der beiden Monde Loranias, war ebenso wie sein nicht wesentlich größerer Bruder Jomma ausgebaut, als Wirtschaftsumschlagplatz, Forschungsstation – und Militärbasis. Vor allem als Militärbasis. Die anelphsche Heimatverteidigung war hier ebenso vertreten wie das Militär der Naguad. Und mit denen hatten sie gerade ein Bündnis, deren Früchte sich vielleicht jetzt zeigten.
Kei nickte. „Signal an Dipur: Feuer frei!“
„Aye, Kapitän. Signal an Dipur: Feuer frei!“
Entgeistert starrte Ban Shee ihren Vorgesetzten an. Vor ihr entstand ein Hologramm der kosmischen Region, und sie konnte sehr gut sehen, wie von Dipur aus Dutzende Langstreckenraketen abgefeuert wurden. Die Rochen des Core hielten auf Lorania zu, genauer gesagt befanden sie sich in Flugrichtung des Planeten und ließen sich gerade einholen, was den Eindruck erweckte, sie würden nur sehr langsam näher kommen.
Keis Flotte hingegen hielt beinahe einen konstanten Abstand zu dieser Welt, was den Eindruck erweckte, sie würden Lorania entgegen fallen. Und dabei leicht zur Sonne hin abdriften.
Was der kleine Halunke aber wirklich mit diesem Manöver geplant hatte, wurde Ban Shee jetzt erst bewusst. Er hatte sich nicht nur langsam von Lorania einholen lassen. Die Core-Truppen, beziehungsweise das, was bei ihnen das denken übernahm hatte sicherlich damit gerechnet, dass Kei versuchen würde, die Rochenschiffe in den Wirkungsbereich der Resonatorfelder zu locken. Aber wie man sah hatten sie nicht an die Eigenbewegung der Monde gedacht und den Drift der acht Schiffe hinzugerechnet. Bestenfalls hatten sie einen Parameter in der Rechnung, den Drift der SUNDER. Aber sicherlich nicht die Eigenbewegung Dipurs.
Mit ein wenig Zeit und einer ohnehin schon verhängnisvoll geringen Distanz geschah es nun, dass sich der Mond allmählich zwischen die Core-Rochen und den freien Raum schob. Beziehungsweise der Drift der SUNDER und der anderen sieben Schiffe, die natürliche Bewegung Dipurs und die wie folgsame Lämmer folgenden Rochen diese Schiffe in eine unvorteilhafte Position brachte.
Und in ein Sperrfeuer aus Langstreckenraketen, welches zwischen sie fuhr.
„Volles Feuer auf die Frontbatterien“, befahl Kei leise.
„Aye, Skipper, volles Feuer auf die Frontbatterien“, wiederholte Ban Shee ehrfürchtig und erkannte wieder einmal die Distanz zwischen einem hart arbeitenden, aber konservativ ausgebildeten Raumfahrer wie ihr und einem intuitiven, ja, brillanten Genie wie Kei.
Die Rochenschiffe reagierten, brachen aus und versuchten zu beschleunigen. In diesem Fall bedeutete es konkret, dass sie die Nasen ihrer Schiffe von Lorania fort wandten und Gegenschub gaben, um schneller als der Planet zu werden, dem sie noch kurz zuvor entgegen gefallen waren. Und einen Kurs zu erlangen, der sie möglichst weit von Dipur entfernen würde.
„Dipur startet Banges“, meldete die Ortung.
Kei machte ein Geräusch, das wie ein abfälliges Lachen klang. „Schadensbericht.“
„Siebzehn Lecks. Drei Generatoren der Schilde ausgefallen oder beschädigt. Keine Toten, aber einundzwanzig Verletzte. Dazu kommen diverse zerstörte Waffen, die Inventur läuft noch.“
„Gut, Kommodore. Sobald die Schlacht beendet ist, fliegen wir eine Werft an. Dipur ist näher als Jomma. Wir müssen unsere Schäden reparieren, unsere Waffen ersetzen und die Vorräte an Raketen aufstocken.“ Er grinste, aber es wurde eine kalte Gesichtsregung. „Also geiz mir nicht mit diesen Waffen, Ban Shee.“
Sie erwiderte dieses Grinsen. Wieder einmal sprach der schlanke Terraner genau ihre Sprache. „Aye, Skipper.“
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Nach einer Stunde in seiner Kabine, in der Kei die Decke angestarrt hatte, beschloss er, sich auf die Seite zu drehen. Wenn er daran dachte, wie er ganz zu Anfang seiner Karriere an Bord der SUNDER durch dieses Schiff gestrolcht war, um hier und da persönlich Hand an zu legen, weil er seine Hände nicht still halten konnte, und damit die Leute nervös gemacht hatte…
Die Matrosen und Offiziere hatten tatsächlich geglaubt, ihre Arbeit sei nicht gut genug, wenn der Alte – vielmehr nannten sie ihn Wunderkind – persönlich helfen wollte, und sei es nur beim flicken einer durch geschmorten Leitung.
Kei hatte sich einige harsche Tadel von seinem Ersten Offizier eingefangen, bevor er eingesehen hatte, dass sein Job die Führung dieses Schiffes war. Die Schadensbekämpfung, die Waffenwartung, die Mechakatapulte und dergleichen gehörten anderen. Er durfte in die Routine seiner Untergebenen, auch in deren Arbeit eingreifen, wenn er meinte, dass sie Fehler begingen. Aber helfen um einfach nur zu helfen verunsicherte sie.
Ob dies nach über einem halben Jahr der Zusammenarbeit immer noch so war, konnte Kei nicht sagen, Ban Shee hatte es ihm gründlich ausgetrieben, diese Marotte wieder aufleben zu lassen. Stattdessen hatte er sich angewöhnt, in Krisenzeiten soviel Schlaf wie möglich zu bekommen. Oder sich in seine Kabine zurückzuziehen und überfällige Berichte anzufertigen.
Oder wie jetzt, den Kampfverlauf sacken zu lassen, gründlich drüber nachzudenken und ein paar neue Strategien zu entwerfen, welche den Core beim nächsten Angriff dort packen würde, wo es wehtat.

Leise seufzend setzte er sich auf. Wieso griff der Core jetzt an? Bei einer so vortrefflichen Gelegenheit, wenn eine ganze Mark unsicher wurde, ja, gegen das Imperium rebellierte? Wo der Core lachender Dritter gewesen wäre, wenn Akira nicht diesen kleinen Zaubertrick aus dem Hut gezogen hätte?
Und was noch viel wichtiger war, woher hatte die Core-Zivilisation davon gewusst?
Ihm gingen noch tausend andere Gedanken durch den Kopf, über die er sich regelmäßig mit Makoto austauschte, sie zwei waren einfach auf einer Wellenlänge. Zum Beispiel die Frage aller Fragen, warum die Angriffe der Cores in den letzten Jahrhunderten, genauer gesagt seit dem Run auf die Erde, ausgeblieben waren.
Bedeutete dies, dass die Core-Zivilisation eine Flotte jenseits aller Vorstellungen aufbaute? Bedeutete dies, dass das, was sich ihnen hier draußen entgegenstellte nichts weiter als eine Wegwerf-Flotte war? Nur geschaffen, um sie beschäftigt zu halten?
Warum sonst die Zurückhaltung des Cores? Warum wurden die permanenten Angriffe nicht fortgesetzt?
Es hieß, es gab sporadische Angriffe auf die Welten des Kaiserreichs der Iovar, hier und da ein Raid, aber kein massiver Versuch mehr, ganze Welten zu erobern und deren Einwohner zu versklaven.
Laut eigenen Angaben hatten die Iovar vor ein paar Jahrhunderten eine Welt vom Core zurückerobert, die von Daina besiedelt worden war, über hundert Lichtjahre von ihren Kernwelten entfernt. Für den Core war es nur ein Nebenschauplatz gewesen, für das Kaiserreich war es ein wankelmütiger, stark bedrohter Außenposten geworden.
Aber Tatsache war, dass die Daina-Bevölkerung für den Core gearbeitet hatte. Natürlich gab es Supercomputer auf dieser Welt. Natürlich waren Daina entkernt worden, sprich, bis auf die Gehirne reduziert in den Computer integriert worden.
Aber der Rest, eine Bevölkerung von einer Milliarde, diente in Industrie und Wirtschaft dem Core.
Die Erkenntnis, dass der Core sich nicht nur auf seine Cyborgs und Supercomputer verließ, hatte das Flottenhauptquartier der Naguad sichtlich getroffen. Und ihn selbst auch, nachdem er beim durchstöbern der Flottenarchive eher zufällig auf diesen Bericht gestoßen war, nachdem das Regionalkommando die Archive für seine neuen Verbündeten geöffnet hatte.

Kei drehte sich auf die andere Seite. Was wollte der Core eigentlich? Der Verbund aus ehemals neun Cores, darauf programmiert, die Iovar zu unterwerfen, hatte längst eigene Ziele entwickelt. Oder waren es noch die alten Ziele, nur um etliches spektakulärer? Gewachsen?
Der junge Admiral hielt es für essentiell zu erfahren, worauf die Cores programmiert worden waren, was ihre eigentlichen Ziele waren.
Davon hing vielleicht Leben oder Vernichtung nicht nur Loranias, sondern auch des Naguad-Imperiums und des Kaiserreichs Iovar ab, von der Erde einmal ganz zu schweigen.
Sie brauchten einen Offizier, verdammt! Jemand, der genügend Verstand in der Metallschüssel auf seinen Schultern hatte um die anderen hirnlosen Einheiten zu lenken.
So jemand würde sicherlich mehr über Pläne und Ziele des Cores wissen.
Es gab bestimmt einen Offizier in dieser Flotte, mindestens einen Offizier in dieser Flotte. Keis Hände krampften sich bei diesem Gedanken zusammen. Mindestens einen. Und den wollte er haben.

Das Klopfen an seiner Kabinentür riss ihn wieder aus seinen Gedanken. War ein Notfall eingetreten? Musste er wieder zum Dienst? Nein, sicherlich nicht, Ban Shee hätte den Interkom benutzt und ihn angerufen.
Wollte einer seiner Leute ein persönliches Gespräch mit ihm führen? Seine Tür stand jederzeit jedermann offen, dass wussten die Matrosen und Offiziere an Bord dieses Schiffs.
Oder war es vielleicht… Ban Shee? Kei hatte diesen Gedanken öfters, er konnte ihn nicht abschütteln. Diesen Gedanken, dass sie herein trat, wenn er alleine war, sich zu ihm auf das Bett setzte, ihn sanft in die Kissen drückte und erst sanft und dann immer wilder zu küssen begann, bis…
Wieder klopfte es. „Es ist offen!“

„Hi, Kei.“ Ami Shirai trat ein, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zum V geformt und dermaßen gut gelaunt, dass es beinahe in den Augen wehtat. Die gute Laune schwand etwas, als sie Kei auf seinem Bett liegen sah. „Komme ich ungelegen? Wolltest du gerade etwas schlafen?“
Der junge Admiral richtete sich auf. Ami Shirai hatte die Kämpfe an den Schildgeneratoren verbracht, jederzeit bereit, die unglaublich starken Schirme des Bakesch mit ihrer KI-Kraft massiv zu verstärken. Das war ein Job gewesen, der volle Konzentration verlangt hatte, und zudem zur Tatenlosigkeit verdammte. Das hatte schon bessere aufgefressen. Aber Ami wirkte frisch und unverbraucht. Ja, von ihrer üblichen Gebrechlichkeit war nichts zu sehen.
Sonst wirkte ihre Blässe und ihre Zurückhaltung so auf die Menschen, als würde sie jederzeit wegen Anämie in sich zusammen sacken.
Heute aber wirkte die blasse Haut, in Verbindung mit diesen strahlenden Augen… Nett.
„Ist in Ordnung. Ich kann sowieso nicht schlafen.“ Kei schwang die Beine aus dem Bett. „Wie kann ich dir helfen, Ami-chan?“
Die kleine Frau, die beim zweiten Marsfeldzug dabei gewesen war, trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
Kei zog die Augenbrauen hoch. Nanu? Ami war eine sehr direkte, offene und entschlossene Persönlichkeit. Zurückzuweichen bedeutete für sie, dass sie emotional bewegt war. Gab es etwas, was ihr peinlich war? Womit sie nicht fertig wurde? Unsinn, diese Frau spaltete beim Karate auch ohne ihre Slayerpower Holzbohlen.
„Äh, es ist etwas schwierig zu erklären…“
„Ich habe Zeit.“ Kei klopfte auf den Platz neben sich. „Setz dich, Ami-chan.“

Ein Ruck ging durch die junge Frau und sie kam zu ihm herüber. Sie strich sich den schwarzen Faltenrock am Po glatt und setzte sich auf die Bettkante.
Kei bemerkte bei dieser Gelegenheit, dass dieser Faltenrock sehr kurz war. Überhaupt entsprach er in keiner Weise der Uniformpflicht an Bord der SUNDER, weder nach UEMF-Maßstäben, noch nach denen der Slayer. Obwohl, der kurze, schwarze Faltenrock, die weiße Uniformbluse mit der schwarzen Lederkrawatte und die langen, schwarzen Lederstiefel hatten schon etwas Uniformhaftes. Zusammen mit ihrem langen braunen Haar, das sie diesmal offen über die Schulter fallen ließ anstatt es wie sonst in zwei Zöpfe zu flechten, wirkte das reichlich erwachsen. Und… Attraktiv.
Kei runzelte die Stirn. Hatte er Ami eigentlich in den letzten beiden Jahren einmal richtig angesehen? Hatte er gar nicht bemerkt, bemerken können, dass aus der Kleinen mit der Blutarmut eine Frau geworden war, die durchaus einen Blick wert war? Okay, zwei. Gut, gut, drei.
Moment, was passierte hier? Und warum war ihr Rock hoch gerutscht? Er konnte ja beinahe ihren Slip sehen und…
„Ich habe niemanden, den ich fragen könnte…“, sagte Ami leise, „und deshalb bin ich zu dir gekommen.“
„Was? Ja, ja, ich weiß, ich bin nur ein schlechter Ersatz für Akira, aber ich stehe dir gerne mit Rat und Tat zur Seite. Worum geht es denn?“
Ami lachte auf. „Wieso Akira?“
Der junge Admiral runzelte die Stirn. „Wart ihr nicht alle in Akira verknallt?“
Ami prustete los und bedeckte ihren Mund mit beiden Händen. „Was, bitte? Habe ich da was nicht mitgekriegt? Seit wann ist Akira der Mittelpunkt des Universums?“
Irritiert sah Kei die junge Frau an. Was?
„Ich stand ungeheuer auf Yoshi, weißt du? Dieser große, blonde Kerl, diese tolle Aura… Ich mag große Männer. Leider war Yohko schneller.“ Sie seufzte. „Oder vielmehr, sie hatte die älteren Rechte.“
„Aha. Interessant. Und was will ich davon wissen?“, ätzte Kei.
„Ruhig, ruhig. Das ist doch alles Vergangenheit. Die Schwärmerei für Yoshi war doch nie was Ernstes. Sonst wäre ich zu ihm rüber gegangen, hätte ihn am Kragen gepackt – so wie dich jetzt!“ „Hey…“ „Und dann hätte ich ihm gesagt: Sag mal, bist du doof oder siehst du nicht, was ich für dich empfinde?“
Lächelnd ließ Ami Kei wieder los. „Und glaube mir, das hätte Eindruck auf ihn gemacht.“
„Äh“, sagte Kei und versuchte seinen Kragen wieder zu richten. IHN hatte es beeindruckt.
„Na egal. Das ist eben alles weit hinter mir. So weit das ich glaube, es sei in einem anderen Leben geschehen. Allerdings habe ich für dieses Leben nicht erwartet, mich neu zu verlieben. Richtig zu verlieben, meine ich.“
„Oh. OH!“
Amüsiert betrachtete Ami den Computerfreak. „Keine Angst, Kleiner. Ich bin nicht hinter dir her. Du wärst auch nicht Mann genug, um mit mir fertig zu werden.“
„Kleiner?“, echote Kei, während das Blut in seinen Ohren rauschte. Verdammt, er kommandierte einen Bakesch und war Feldkommandeur für die gesamte UEMF-Flotte im Orbit um Lorania! Und dann sollte er nicht mit einem etwas gewachsenen, anämischen Mädchen klar kommen, dass er seit fünf Jahren kannte? Was war das für ein schlechter Witz?
„Oh, wirst du etwa eifersüchtig?“, neckte sie ihn. „Vielleicht sollte ich meine Wahl noch mal überdenken und stattdessen dich nehmen, hm?“
Kei spürte, wie er bis unter den Haaransatz errötete.
„Oh, es macht ja richtig Spaß, dich zu necken, kleiner Bruder. Wenn ich das nur früher gewusst hätte.“ Wieder strahlte sie ihn an.
Kei fühlte sich indes, als hätte ihm jemand einen gigantischen Pfeil mit der Aufschrift Kleiner Bruder mitten durchs Herz gerammt.

Übergangslos wurde Ami ernst. Und ein wenig unsicher. Sie umkrampfte den Saum ihres Rockes und starrte zu Boden. „Weshalb ich zu dir gekommen bin, Kei, du bist der einzige, der mir helfen kann. Du bist der einzige, dem ich da vertraue, jetzt wo Yoshi, Akira und Doitsu so weit weg sind.“
Na Klasse, er war doch ein Lückenbüßer. Allerdings ein exklusiver Lückenbüßer.
„Wenn ich es kann, helfe ich dir, Ami-chan, versprochen“, sagte Kei, nachdem er sich kräftig geräuspert hatte. Sehr kräftig, um die Kehle wieder funktionstüchtig zu bekommen.
„Wirklich? Das würdest du für mich tun?“
Ihr Blick hatte etwas Strahlendes, ein wenig was von einem Stern, ein wenig von einer Nova. Für einen Moment befürchtete Kei zu erblinden und gleichzeitig hatte er Angst davor, seine Sehkraft zu behalten. Was zum Henker passierte hier?
Verlegen drückte die junge Frau beide Zeigefinger an den Spitzen aufeinander. „Und das meinst du auch wirklich ernst, Kei?“
„Ich bin vielleicht nicht Akira, aber ich schmeiße hier den ganzen Laden. Dieses Mammutschiff habe ich nicht bekommen, weil ich mich gerne drücke oder mein Wort nicht halte.“
„Das ist wahr.“ Wieder sah sie zu Boden. „Kei, ich… Ich habe mich verliebt.“
„Ja, das konnte ich schon eruieren. Wer ist denn der Glückliche?“
Verlegen verbarg sie ihr Gesicht unter ihren Händen. „Takashi-sempai.“
„Was?“ Irritiert starrte Kei die junge Frau an. „Sag mal, habe ich mich gerade verhört oder hast du Takashi-sempai gesagt?“
„Ich stehe nun mal auf große Männer. Und Takashi-sempai ist so groß, so kräftig, ein mächtiger Beschützertyp und ein Anführer und…“
„Der Chef in der Gorillaherde“, sagte Kei und bereute seine Worte sofort wieder.
„Ja, das trifft es wohl.“
Nanu? Kein Ärger, kein Aufbegehren? Takashi Mizuhara Gorilla zu nennen war im Allgemeinen nicht sehr nett, auch wenn es auf seine Statur mehr als zutraf. Wenn Ami da nicht widersprach, war sie dann… wirklich verliebt?

Kei atmete tief durch, versuchte sein aufgewühltes Inneres zu besänftigen. Zuletzt hatte er sich so nervös gefühlt, als er Akira mit einem falschen Liebesgeständnis aufgehalten hatte, um Zeit für Yoshi zu erkaufen. Verdammt, Ami war eine Freundin, eine sehr gute Freundin. Sie war mit einem Problem zu ihm gekommen und er hatte die Pflicht, nein, das Recht, ihr zur Seite zu stehen. „Und in den hast du dich verliebt. Hm. Wo kann ich dir da helfen? Soll ich ihm einen Brief von ihm überbringen? Soll ich euch beide in einen Raum befehlen und mit meinem Erscheinen Zeit lassen? Soll ich…“
„Was denn, was denn? Du hast ja eine ganz schöne Phantasie, Kei.“ Amüsiert winkte Ami ab. „Nein, nein, das kriege ich schon alles alleine hin. Ich bin es gewohnt, dass ich mir schnappe was ich haben will. Nicht unbedingt, dass ich es auch kriege, aber… Ich versuche es wenigstens.“
„Eine gute Eigenschaft.“
„Danke. Wofür ich dich brauche, Kei, ist… Nun, das ist mir wirklich etwas peinlich, aber… Ich hatte halt noch nie einen festen Freund, und ich denke, dass Takashi-sempai nicht nur ein Freund für ein paar Wochen oder Monate ist, sondern was Richtiges. Was ernstes und…“
Ami ergriff Keis Hände und drückte sie. „Ich will mich nicht blamieren, Kei-chan. Ich will, dass alles perfekt läuft. Ich will, dass… Ich will, dass… Ich will, dass du mit mir küssen übst.“
„WAS, BITTE?“ Erschrocken war Kei aufgefahren. Aber seine Hände steckten noch immer in Amis Griff. Sie zog daran, mit erheblicher Kraft. „Bitte, Kei-chan! Du bist der einzige an Bord, den ich fragen kann!“
Zögernd gab er dem Zug ihrer Hände nach. „Aber Ami-chan. Küssen üben! Wir sind doch keine Mittelstufler mehr! Wir sind nicht mal mehr in der Oberstufe!“
„Biiiiittteeeee. Keiiiii-chaaaaaaaan. Ich will mich eben nicht blamieren. Eine Frau hat nun mal ihren Stolz.“
Der junge Admiral fühlte seinen Widerstand schmelzen wie Butter in der Sonne. Na, wenn sie ihn auch mit diesen bettelnden Augen ansah, mit ihren langen Wimpern klimperte und einen derart bittenden Schmollmund zog… Hatte Ami eigentlich einen Waffenschein für diese Pose?
„Na gut, wenn du dich unbedingt wie ein Kleinkind aufführen willst, kann ich dir auch nicht helfen“, gab Kei klein bei.

Ami riss den Jungen in ihre Arme. „Oh, danke, danke, danke, Kei, du hast echt was gut bei mir!“
Verwundert registrierte der Kapitän der SUNDER zwei Dinge. Erstens, es war äußerst angenehm, sich von Ami umarmen zu lassen, und zweitens, die junge Frau hatte mehr Brust als ihr Bekleidungsstil erkennen ließ. Diese Erkenntnis vertiefte sich, je länger sie ihn an sich gedrückt hielt.
Schließlich gab sie ihn frei.
Ami räusperte sich kurz, setzte sich wieder ordentlich hin, strich ihren Rock glatt – also, wegen ihm hätte sie sich diesen Umstand nicht zu machen brauchen – und lächelte ihn an. „Also, Kei-chan, bist du bereit?“
Kei setzte zum sprechen an, schloss den Mund wieder, öffnete ihn erneut und machte mit beiden Händen eine Verlegenheitsgeste.
„Das fasse ich als ja auf.“
Bevor er es sich versah, hatten sich ihre Lippen kurz berührt, nur eine winzige Zeit, aber genug, um ihn in Aufruhr zu versetzen.
„W-was war das denn? Sollte das ein Kuss gewesen sein? Das war mehr wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.“
„So sanft und zart?“
„Nein, so kurz und kaum spürbar.“
„Oooooh, Keiiiii-chaaaan…“
Trotzig schüttelte der Kapitän der SUNDER den Kopf. „Takashi-sempai ist ein erwachsener Mann und zwei Jahre älter als du. Mit solch einem Hauch von Kuss gibt er sich sicherlich nicht zufrieden. Ich zeig dir mal, was ich meine.“
Vorsichtig nahm er Amis Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen und drückte seine Lippen auf die ihren. Zuerst sanft und kaum spürbar, dann aber immer nachdrücklicher, bis sie den Kuss erwiderte.
„Das war… Nicht schlecht“, meinte die junge Frau, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. „Ich meine, Hey, wirklich nicht schlecht.“
Kei indes wusste nicht, ob er sich über Amis Worte freuen sollte. Natürlich war es nicht schlecht gewesen. Um ehrlich zu sein, es war sogar phantastisch gewesen, sein erster richtiger Kuss! Beinahe wäre es sein zweiter geworden, wenn Akira damals… Nun, diese Erinnerung schob er weit von sich – weit, weit weg. Denn diese Küsse würden fortan Takashi-sempai gehören. Falls er sich auf eine Beziehung mit der jüngeren Shirai einließ. Irgendwie beunruhigte Kei dieser Gedanke.
„Und jetzt mal mit Zunge.“
Bevor Kei es sich versah, drückte sie wiederum ihrerseits die Lippen auf seine, nur verlangte ihre Zunge diesmal nachdrücklich um Einlass, welchen Kei schließlich gewährte.

„Kei-chan! Wir haben… Kei-chan?“
Erschrocken ließen die beiden voneinander ab. Ami setzte sich wieder sittlich hin und Kei suchte für ein paar Sekunden seine Dienstmütze.
Vom großen Interkom-Monitor blickte Makoto irritiert auf die beiden hinab. Er war der einzige Mensch in diesem System, der sich direkt in Keis Kabine durchschalten konnte – auch auf die Gefahr hin, in bei einer Indiskretion zu erwischen. „Also, nicht, dass es mich was angeht, Herrschaften“, begann der oberste UEMF-Offizier im System.
„Stimmt. Also frag erst gar nicht. Kei-chan, danke für die Nachhilfe. Ich denke, ich werde sie bei… Ich werde es gut gebrauchen können.“ Ami erhob sich und hauchte dem Admiral einen Kuss auf die Stirn. Danach zwinkerte sie Mako zu und verließ die Kabine wieder.
Makotos Gesicht war indes ein einziges Fragezeichen. „Kei?“
Der winkte heftig ab. „N-nicht was du denkst, nicht was du denkst. Das war eine Gefälligkeit, nicht mehr.“
„Was für eine Verschwendung, aber das ist dein Bier. Ich…“
„Verschwendung? Was?“
Makoto sah auf, fixierte den Freund. „Nun, ich fand eigentlich, dass ihr zwei beim küssen gut harmoniert habt. Wenn das alles nur ein Gefallen war, dann waren es wohl Perlen vor die Säue. Zumindest für einen von euch zwei.“
Kei fühlte sich, als würde ein riesiges Gewicht auf ihn niedersausen, auf das irgendein Witzbold das Wort Verlierer geschrieben hatte. „Autsch“, murmelte er.
„Und? Willst du drüber reden oder wollen wir zum Dienst kommen?“
„Dienst ist mir lieber, Mako-chan.“
„Ich sage es doch, was für eine Verschwendung. Hier, diese Bilder haben uns gerade per Funk erreicht. Sie zeigen die Reste der Rochenschiff-Flotte, die nach dem abgeschlagenen Angriff geflohen ist.“
Die Bilder wurden eingespielt und zeigten vor allem eines: Explodierende Rochenschiffe und Core-Banges, die im Nahkampf bei unglaublich schnellen Passierangriffen vernichtet wurden.
„Diese Aufnahmen sind erst wenige Minuten alt, Kei. Aber es steht außer Zweifel, dass die restlichen dreiundsiebzig Rochen ausradiert wurden.
Moment, ein Anruf auf einer anderen Frequenz.“

Das Bild teilte sich und zeigte nun neben Makoto noch einen älteren Naguad, der die Uniform eines imperialen Admirals trug. Seine Uniform war hellblau, ein deutliches Zeichen darauf, dass er ein Haus-Offizier war, genauer gesagt ein Arogad.
„Admiral Rogan Arogad hier. Ich grüße dich, Makoto Taral Ino.“
„Admiral. Das hier ist Konteradmiral Kei Takahara. Was verschafft uns die Ehre ihres Anrufs?“
Der Ältere schmunzelte. „Ich erlaube mir gerade, die restlichen Rochenschiffe zu vernichten, die ihr großzügigerweise habt entkommen lassen. Es ist schon ein wenig her, dass ich diese Dinger vernichtet habe, aber anscheinend habe ich es nicht verlernt. Sobald meine Flotte die Rochen passiert hat, existieren von ihnen nur noch Trümmer.“
„Flotte?“, echote Makoto.
„Meine Flotte. Oder um genauer zu sein, die Strafexpedition, die zusammen gezogen wurde, um Lorania zurück zu erobern.“ Abwehrend hob er beide Arme. „Die ehemalige Strafexpedition, mein Junge. Die Lage hat sich grundlegend geändert und es war sehr von Vorteil, dass ich als Arogad von vorne herein das Oberkommando hatte. Anfangs habe ich es dazu genutzt, um den Angriff etwas… Genauer zu planen. Später, um ein wenig Gas zu geben. Und wie es scheint kommen wir genau rechtzeitig.
Ich biete einundvierzig Schiffe auf, von denen sieben dem Haus angehören. Unter diesen Schiffen sind fünf Bakesch, darunter die AROGAD, mein Flaggschiff. Ich bitte um Erlaubnis, mit der Verteidigungslinie um Lorania anschließen zu dürfen.“
Kei und Makoto wechselten einen langen Blick. Simultan atmeten sie aus, sehr, sehr erleichtert.
„Erlaubnis gewährt, Admiral Arogad. Und, willkommen im Kanto-System!“
„Danke, Commander. Wir sprechen uns wieder, sobald das letzte Rochenschiff zerstört ist.“

Der Bildschirm zoomte wieder auf Makoto. „Hm, ich habe mich ohnehin schon gefragt, wo die Strafexpedition bleibt. Aber ehrlich gesagt habe ich erst in drei bis vier Tagen mit ihr gerechnet, auch mit der Möglichkeit, dass sie abgesagt wurde.“
Nachdenklich strich sich der Oberkommandierende der UEMF im Kanto-System über sein Kinn. „Fünf Bakesch sind natürlich eine willkommene Verstärkung, von den anderen sechsunddreißig Schiffen ganz zu schweigen. Aber…“
„Ich weiß, was du sagen willst, Mako-chan. Die Schiffe werden aus Kleinverbänden zusammengestellt und im ungünstigsten Fall einzeln in Marsch gesetzt worden sein. Das geht in Ordnung. Wir sind in einer Verteidigungsposition und müssen nur darauf achten, uns nicht gegenseitig abzuschießen. Keiner verlangt Zusammenarbeit darüber hinaus von den Schiffen. Weder von uns, noch den Naguad noch den Anelph.“
„Optimist“, erwiderte Makoto.
„Schuldig im Sinne der Anklage.“
„Na dann, Herr Optimist. Ich erwarte dich so bald dein Schiff repariert ist auf Jomma. Also beeil dich etwas.“
„Aye.“
„Ach, noch etwas. Warum, sagtest du, hast du Ami Shirai noch mal geküsst?“
„Es… Es war ein Gefallen.“
Makoto runzelte die Stirn. „Steht sie so tief bei dir in der Kreide?“
„I-ich? SIE wollte einen Gefallen von mir und…“
„Ein toller Gefallen. Den würde ich auch gerne mal erteilen wollen.“ Makoto grinste anzüglich und deaktivierte die Verbindung.
Kei ließ sich auf sein Bett fallen. Der Bengel hatte leicht reden. Makoto konnte sich darüber amüsieren wie immer er wollte und mochte.
Aber für ihn selbst war die Sache verfahrener. Ami-chan, warum ausgerechnet Takashi? Warum Takashi und nicht jemand der besser zu ihr passte?
Er setzte sich wieder auf. Verdammt, bevor er das zuließ, musste Takashi-sempai aber zuerst an ihm vorbei!

4.
„Das ist es dann also“, murmelte Sakura leise. Im Hologramm vor ihr wurde die kosmische Umgebung dargestellt, natürlich in verzerrter Perspektive, sonst hätten die Distanzen zwischen den Schiffen dazu geführt, dass entweder die Schiffe nicht alle ins Holo gepasst hätten oder die Darstellung zu klein gewesen wäre.
Beide Varianten waren ihr im Moment lieber als das, was sie gerade sah. Ein massiver Angriff mit allen Rochenschiffen, die bisher von den Computern der AURORA erkannt und katalogisiert worden waren, inklusive eines zehnprozentigen Zuwachses von neuen Einheiten.
„Mir bleibt wohl keine andere Wahl, oder?“, flüsterte sie lächelnd.
Erschrockenes Raunen ging durch die Zentrale. „Admiral! Ma´am! Sie wollen doch nicht etwa…“
„Admiral!“
Sakura Ino winkte ab. „Es ist meine Entscheidung, nicht die der Crew.“
Sie sah in die Runde. „Falls ich nachher nicht mehr dazu komme, will ich es jetzt sagen. Es war mir eine Ehre, mit Ihnen allen zu dienen. Und es war eine Ehre, euren Kapitän gekannt zu haben.“
Die anwesenden Offiziere und Mannschaften erhoben sich. Dann salutierten sie dem Admiral zu. Sakura erwiderte.
„Okay, nachdem das geklärt ist, lasst uns etwas Unvernünftiges machen!“
Entschlossenes raunen erfüllte die Zentrale.
Sakura zog das Mikrofon der internen Kommunikation zu sich heran und schaltete sich zum ganzen Schiff und allen Einheiten der Flotte durch.
„Hier spricht Admiral Ino von Bord der AURORA. Unsere Lage ist verfahren, beinahe aussichtslos. Angesichts dieser Situation befehle ich… Nein, ich bitte darum, dass Sie alle mir Ihr Vertrauen schenken.
Der Feind greift uns mit frischen Verstärkungen an, fährt in unserem Kielwasser und kommt schnell näher. Dies ist unsere einzige und beste Gelegenheit, um den Hammer des Hephaistos einzusetzen. Admiral Richards, Colonel Honda, Sie wissen was das für ihre Leute und Schiffe bedeutet. Ein Kegel mit einem Durchmesser von fünfundvierzig Grad Heckwärts der AURORA muß zehn Sekunden vor Aktivierung des Hammers geräumt sein.
Achtung, Achtung. An das Personal der Landebuchten acht bis zwölf, an das Personal der Geschütze vierunddreißig bis siebenunddreißig. Räumen Sie Ihre Positionen binnen einer Minute total. Die kommandierenden Offiziere weisen Sammelpunkte zu. Der Hammer des Hephaistos wird in genau fünfundfünfzig Sekunden aktiviert.“
„Rückmeldungen von der Flotte, den Hekatoncheiren und den Landebuchten und Geschützen. Sie beginnen mit den Aktionen.“
„Verstanden. Aktivierung des Hammers auf meinen Befehl.“

Die Uhr tickte unerbittlich dahin. Schiffe und Mechas der AURORA begannen den avisierten Kegel zu räumen und die Evakuierung der angesprochenen Geschützstellungen und Landebuchten ging gut voran.
„All Green, Admiral, all Green.“
Sakura sah auf die Uhr. Fünfundfünfzig Sekunden. Nicht schlecht für eine nie geprobte Aktion.
„Aktiviert den Hammer des Hephaistos!“

Übergangslos schalteten einige Hologramme um, zeigten nun die Oberfläche der AURORA.
Dort begannen sich Risse im Boden zu bilden, zwei der Geschützstellungen wurden aus unerfindlichen Gründen angehoben. Eine der Landebuchten fiel in sich zusammen.
Dann schob sich eine metallene Plattform durch das Gestein. Ihr folgte der Zusammenbruch der restlichen Geschütze und Landebuchten; an deren Stelle fuhr ein gigantisches Geschützrohr aus dem Boden.
Der Hammer des Hephaistos, eine fest installierte Waffe, ein Partikelbeschleuniger von unglaublicher Vernichtungskraft, aber nicht besonders beweglich. Er konnte um dreihundertsechzig Grad geschwenkt, aber nur um wenige Grad gesenkt oder aufgerichtet werden.
Eine plumpe, wenngleich gewaltige Waffe, die alles in ihrem Wirkungsbereich vernichtete, und sich nicht um Freund oder Feind scherte.
Einer der bestgehütetsten Trümpfe der AURORA, bis zu diesem Moment nicht einmal erprobt und nur wenigen Offizieren bekannt.
Die Chance, dass ihnen dieses Ding um die Ohren flog, war nicht von der Hand zu weisen. Andererseits trat Sakura lieber mit einem großen Knall als mit vielen kleinen ab.
„Beginnt die Aufladung!“
„Aufladung beginnen!“ „Zehn Sekunden bis maximale Ladung erreicht ist! Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier…“
Die Zeit tickte wieder unerbittlich dahin, Sakura konnte sich vom Anblick der Sekunden nicht lösen.
„Drei… zwei… eins… Aufladung erfolgt!“
„Feuer!“
„Aye. Feuer!“

Die Oberfläche der AURORA begann zu vibrieren. Vor dem Abstrahlfeld der Kanone bildete sich eine grellweiße Glocke. Sekunden darauf feuerte der Hammer des Hephaistos und entwickelte beim Abschuss wie erwartet ein kegelförmiges Abstrahlfeld.
Auch wenn die Waffenleistung gewaltig war – so gewaltig, dass in einigen Bereichen der AURORA die Energieversorgung kollabierte – so barg sich darin auch der größte Fehler. Denn der Waffenkegel würde so weit auseinander driften, bis der Partikelstrahl so breit und hoch und dabei so dünn geworden war, dass er nicht einmal mehr dazu ausreichen würde, einem Menschen einen Sonnenbrand zu verursachen.
Diesmal aber reichte er aus, um die Verfolgerformation voll zu treffen.
„Bericht!“, schnarrte Sakura.
„Neunundfünfzig verifizierte Treffer, ich wiederhole, neunundfünfzig verifizierte Treffer! Der Hammer des Hephaistos hat neunundfünfzig Rochenschiffe versenkt!“
Jubel brandete durch die Zentrale. Sakura nickte zufrieden. „Gut, das war der zweite Schuss. Wann ist der nächste Schuss möglich?“
„In zwei Stunden, elf Minuten.“
„Gut. Der nächste Schuss wird um einiges schwieriger. Wir müssen damit rechnen, dass die Rochen sich nach diesem Verlust weiter auffächern und zudem darauf achten, wohin wir den Hammer drehen. Wir…“
„Ma´am, K zu K für Sie!“
Admiral Ino sah auf. Kommandant zu Kommandant-Verbindungen waren eher selten, aber immens wichtig.
„Durchstellen.“
Einer der Bildschirme vor ihr wechselte und zeigte unverkennbar einen Inder, genauer gesagt einen Hindu, allerdings ohne Turban, in dem Punkt enttäuschte er die Erwartungen.
„Admiral Bhansali!“
„Admiral Ino. Danke für das Feuerwerk, das Sie gerade für unser Eintreffen gegeben haben. Wir sind gerade ins System gesprungen, um der AURORA Deckung zu geben.“
„Gut, dann leiten Sie sofort Wendemanöver ein und gehen Sie auf Gegenkurs. Ich hoffe, Sie schaffen diesen Gewaltakt, um zur AURORA aufzuschließen. Wir…“
„Admiral Ino. Deckung geben ist vielleicht etwas unklar ausgedrückt. Ich bin hier nicht mit ein paar Schiffchen unterwegs, sondern mit der gesamten 2. Flotte, sechsundzwanzig Einheiten, unterstützt von fünf Fregatten der 1. Flotte. Mein Flaggschiff, die KAVEMN, ist ein Bakesch. Dazu unterstehen mir zwei Schiffe der Bismarck-Klasse, die SCHARNHORST und die HINDENBURG. Ich erlaube mir, Ihren Rückzug zu decken und die Rochenschiffe zu vernichten.“
„Ich stelle Ihnen Schiffe meines Begleitkommandos zur Verfügung! Vier Zerstörer der…“
„Negativ, Admiral. Das gleiche Problem wie bei mir. Bis die Schiffe gewendet haben und auf meinem Kurs und meiner Geschwindigkeit sind, vergehen Stunden. Keine Sorge, wir werden mit den Rochenschiffen fertig. Aber feuern Sie ruhig noch einmal mit dem Hammer, um unsere Chancen noch mehr zu verbessern.“
„Einverstanden, Admiral.“
„Gut. Wir passieren die AURORA in einer Stunde und elf Minuten.“
„Wir freuen uns darauf.“
„Ach, Admiral Ino, verdammt gute Arbeit bisher.“
„Apropos gute Arbeit, eine meiner Korvetten ist da draußen verschollen. Wenn Sie Zeit und Gelegenheit haben, meinen Kurs abzufliegen, dann halten Sie bitte nach ihr Ausschau.“
„Das werde ich, Admiral. Bis bald.“
Der Bildschirm erlosch wieder.
„Wir sind gerettet.“ Mit einem erleichterten Seufzer ließ sich Sakura wieder auf ihren Sessel fallen.
Die frohe Nachricht wurde sofort an die Flotte weitergegeben und begeistert aufgenommen.
„Irgendwann“, sinnierte Sakura, „irgendwann wird das Glück dieses Schiffes aufgebraucht sein… Und dann haben wir hoffentlich wieder Akira an Bord.“
**
Der rote Schemen entpuppte sich als Mecha, genauer gesagt als Hawk. Um wirklich präzise zu sein, es war Lady Death. Der gigantische Kampfroboter legte eine riesige Hand zwischen mich und die waffenstarrende Wächterfront, was mich vom Anblick diverser feuerbereiter Mündungen befreite.
„Sie bedrohen einen Stabsoffizier der UEMF. Das kann ich nicht zulassen. Beenden Sie Ihre feindseligen Handlungen, oder ich muß entsprechend des Protokolls handeln!“
Ich sah, nein, ich spürte, wie die Verwirrung im Raum anstieg. Halb erwartete ich, dass nach Lady Death nun auch noch Prime hereingeprescht kam, aber das war wohl etwas viel verlangt.
„Wir können doch nicht…“, begann Mitne Daness. Dann sah er Megumi an. „Solia. Tu etwas. Es ist dein Banges.“
„Es ist ein Hawk, und es tut mir Leid, aber das sind Überrangorder, die kann nicht einmal ich überbrücken. Letztendlich ist Akira mein Vorgesetzter und rein technisch bin ich dazu verpflichtet, ihn mit meinem Leben zu beschützen.“
„Solia“, begann Mitne in beschwörendem Tonfall, „wir müssen Aris in unsere Hand bekommen! Nur wenn wir ihn als Geisel präsentieren, wird Arogad nicht in einem ersten Anfall von Blutrausch über uns herfallen! Verdammt, Solia, ich will einen Krieg verhindern!“
„Und was ist, wenn die Geiselnahme von Akira der letzte Grund ist, der ihnen noch fehlt, um Amok zu laufen? Wir wissen nicht, was mit dem Rat der Arogad passiert ist. Vielleicht sind alle tot und Akira ist der Herr des Ratsvorsitzes. Wenn wir ihn dann als Geisel präsentieren, fallen vielleicht alle Häuser über uns her!“ Wütend starrte Megumi ihren Großvater an, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.
Mitne sah zum Loch in der Wand. „Ich kann eigene Banges nachziehen.“
„Oder du kannst Akira machen lassen, was er will, Opa.“
Erstaunt sah der Vorsitzende des Hauses Daness seine Enkelin an. „Hat er einen Plan?“
„Akira hat immer einen Plan. Und wenn er keinen hat, improvisiert er.“ Sie schenkte mir einen Blick, der mich davon überzeugt hätte, von hier zur Erde zu laufen. „Nicht wahr, Akira?“
Ich muß zugeben, ich muß einen sehr dummen Ausdruck auf meinem Gesicht gehabt haben, denn Henry begann mich auszulachen.
Das aber brachte mich auf eine Idee. Wer lachte, kämpfte nicht.
„Natürlich habe ich einen Plan. Aber dafür brauche ich die volle Unterstützung des Rates der Daness. Wenn es nicht klappt, kannst du gerne noch mal die Geiselnummer probieren.“ Ich sah zu Megumis Cousin rüber. „Sostre?“
„Du hast meine Rückendeckung, Junge. Lassen wir die Dinge laufen und sehen dabei zu was passiert.“ Der junge Daness schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, das mich stark an Megumi erinnerte – und ähnlich gut aufbaute.
„Ich brauche eine Liveverbindung, so groß und so gut wie möglich.“
„Wohin?“, fragte Vern Attori, der Stabschef, der bereits auf die neue Situation reagierte.
Ich grinste dünn. „Überallhin, Vern.“

Epilog:
Ich war nervös. Nun, wer konnte es mir verdenken? Immerhin hatten Vertreter des Hauses Daness Waffen auf mich gerichtet, während Vertreter meines Hauses –Fairerweise sollte ich Henry nicht vergessen – ihre Waffen auf die Daness gerichtet hatten. Und dazwischen steckte immer noch Lady Death, diesmal hoch aufgerichtet im Hintergrund, aber jederzeit bereit, einen Schritt vorzutreten, um mich zu schützen. Ein beunruhigender Gedanke.
Zur gleichen Zeit versuchte ich so etwas wie eine Rede zu improvisieren, wirklich gut und respektgebietend in meiner UEMF-Uniform auszusehen und einen Krieg zwischen den beiden mächtigsten Häusern der Naguad zu verhindern. Sie waren alle Daina, schlimmer noch, alle Naguad. Ein Konflikt, hier im Herzen des Imperiums war mit dem Angriff eines Daness-Kreuzers auf den Arogad-Turm wie das Damokles-Schwert der klassischen Sage. Es schwebte über unseren Häuptern, aufgehängt an dünnem Rosshaar und konnte beim kleinsten Windstoß reißen.
Und in der Hauptstadt tobte gerade ein Sturm, ganz davon abgesehen, dass mehrere Randstädte radioaktiv kontaminiert waren. Noch nicht verseucht, aber kontaminiert. Schlimm genug, dass Koromando und Grandanar, zwei der mittleren Häuser, bereits die Evakuierung eingeleitet hatten. Ich wollte, dass die anderen Häuser nachzogen, vor allem Daness und Arogad. Aber zwanzig Minuten nach dem hinterhältigen und auf eine gewisse Weise erfolgreichen Angriff sah es nicht so aus, als würden die Türme Hilfstruppen zusammenstellen. Die anderen, mit den beiden Häusern verbündeten Türme, Elwenfelt und Fioran bei den Arogad sowie Bilas und Awarima bei den Daness, schienen sich in diesen Strudel ebenfalls hineinziehen zu lassen.

Seit einiger Zeit gab es erste Bilder vom Arogad-Turm. Die obersten acht Stockwerke sahen furchtbar aus. Die Außenhülle war an Dutzenden Stellen eingerissen und dunkler Rauch drang hervor. Rettungsmannschaften hatten es noch nicht so hoch geschafft, aber es stand außer Frage, dass die Schäden von durchgehenden Aggregaten verursacht worden waren, nicht vom atomaren Angriff.
Die Rettungsmannschaften waren noch nicht besonders weit, aber die Zentralregierung und die Arogads waren es. Während eine kleine Flotte Korvetten das Daness-Schiff aufbrachte, welches gefeuert hatte, sammelte sich die hiesige Flotte der Haus-Schiffe der Arogad symbolisch über dem Turm, nur in einhundert Kilometer Höhe.
Auch Daness begann Schiffe heran zu ziehen, aber es waren nicht halb so viele wie bei den Arogad. Ein Desaster war in der Luft. Man konnte es riechen, schmecken, beinahe berühren.
Nervös lüftete ich meinen Kragen. „Verbindung?“
„Steht in fünf Sekunden. Wir übertragen Ihr Bild auf alle Empfänger im Sonnensystem und als riesiges Hologramm zwischen die Türme. Wir brechen damit ein halbes Dutzend Gesetze, Meister Arogad. Ich hoffe, das ist es wert.“
Ich nickte Attori zu. „Sagen Sie mir hinterher, ob es das wert war. Schießen Sie mich auf die Kanäle.“
Attori nickte und zählte stumm an seinen fünf Fingern fünf Sekunden herab.

Drei. Zwei. Eins. On.
Ich sah in die Kamera, machte mir klar, dass ich in diesem Moment als anderthalb Kilometer großes Monster auf dem Platz stand, der zum geometrischen Mittelpunkt der neun Türme erklärt worden war. Und zugleich auf jedem Bildschirm und Hologramm erschien, welches dies zuließ.
„Mein Name“, begann ich, „ist Aris Arogad. Ich beanspruche hiermit vorübergehend den Vorsitz des Rates des Hauses Arogad.“
Ein kleiner Bildschirm erhellte sich, bildete einen Flottenoffizier in der blauen Hausuniform der Arogads ab. Ich kannte das Gesicht und auch den Namen. Gorda Taral, einen entfernten Vetter meines Onkels Aris Taral.
„Hier spricht Admiral Taral, derzeit oberster Offizier im System. Ich erkenne Ihren Anspruch an, Meister Arogad. Bitte harren Sie noch etwas aus. Wir sind dabei ein schlagkräftiges Kommando zusammen zu stellen um Sie aus dem Daness-Turm zu befreien.“
Ich runzelte die Stirn. Und schämte mich für die theatralische Geste, auch wenn sie erforderlich war.
„Es gibt da zwei Begriffe, die ich in Ihren Worten nicht verstehe, Admiral Taral. Das erste ist Kommando. Und das zweite ist befreien.“
„Nun, Meister Arogad, nach dem feigen Angriff auf unserem Turm ist es offensichtlich, dass die Daness nach ihrem misslungenen Attentat das neue Oberhaupt des Hauses als Geisel halten. Ich stelle gerade meine besten Leute zusammen, um diesen Missstand zu beenden.“
„Da ist sehr löblich von Ihnen, Admiral. Aber darf ich annehmen, dass Sie dabei Gewalt gegen den Turm der Daness anwenden werden?“
„Natürlich wenden wir dabei Gewalt an, aber nicht so plump wie die Daness. Sie werden keine Sekunde in Gefahr sein, Meister Arogad.“
„Aha. Es wird also zu Zerstörungen kommen?“
„Sicherlich wird es zu Zerstörungen kommen, entsprechend der Gegenwehr der Daness.“
Ich nickte verstehend. „Ja, schon klar. Ich bin General, und den Rang habe ich mir nicht schenken lassen. Ich verstehe die Notwendigkeit von Kollateralschäden im Einsatz.“
„Es freut mich, dass Sie es so verständnisvoll sehen, Meister Arogad.“
„Und ich verbiete Ihnen einen Kommandoeinsatz, um mich zu befreien.“
„Entschuldigen Sie, wenn ich erst auf Ihre Befehle höre, sobald Sie bei mir an Bord sind, Meister Arogad.“
Ich schnaubte wütend aus. „Ihr Eifer in allen Ehren, Admiral. Aber wenn Sie an meinem persönlichen Eigentum auch nur einen Kratzer machen, dann sprechen wir zwei uns unter vier Augen!“
„Wie gesagt, ich verstehe Ihre prekäre Situation als Geisel und… Ihr Eigentum?“
Hinter mir wurde geraunt. Ich hoffte, dass Megumi diese Geräusche des Missmuts so weit wie möglich unterdrückte.
„Ich habe Lady Solia Kalis soeben um ihre Hand angehalten. Ihre Mitgift ist der Turm der Daness. Das bedeutet, dass ich ab sofort der Eigentümer dieser schmucken Immobilie bin. Und Sie verstehen sicherlich, dass ich nicht will, dass es beschädigt wird.“
Das raunen wurde lauter. Dazwischen war ein unterdrücktes lachen zu hören, eindeutig Sostre.
„Die Daness werden Lady Daness niemals den Turm als Mitgift mitgeben! Das ist Unsinn, Meister Arogad!“, presste der Admiral zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Natürlich tun sie das. Bei dem Brautpreis, den ich für Solia Kalis bezahle.“
Ich konzentrierte mich einen Moment, die eigentliche weiße Uniform der UEMF verschwand und machte der Hausuniform der Arogad Platz. Ich hielt meine Hand in Megumis Richtung ausgestreckt und sie trat zu mir. Zuerst mit einem unverschämten Grinsen, als sie in die Erfassung der Holoabtaster geriet jedoch mit einem Lächeln.
„Der Brautpreis für Lady Daness ist eine Welt“, sagte ich schlicht und spürte, wie Megumi vor Entsetzen zitterte.
„Meister Arogad! Sie haben doch nicht etwa die Welt Arogad verschenkt?“, rief der Taral entrüstet.
„Natürlich nicht. Arogad gehört mir nicht, oder? Die Welt, die ich meiner Lady zu Füßen lege ist… Die Erde.“

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Anime Evolution: Nami
Episode zwei: Farbe bekennen


Prolog:
Torum Acati starrte mit brennenden Augen auf das Hologramm des Arogad-Turms. Deutlich sah er die hoch aufwehenden Rauchwolken, die vom starken Schutzschirm gestoppt und zu den Seiten abgedrängt wurden.
„So beginnt es also“, murmelte er zu sich selbst.
„Egal was geschieht, wir müssen jetzt handeln“, sagte Meister Tevell zu ihm.
Die uralte und doch so junge Frau war ernst. Was sie nun befehlen musste, tat ihr weh, auf dem Grund ihrer Seele weh. Aber sie war nicht irgendeinem Turm verpflichtet, nicht einmal allen neun Türmen der großen Familien. Nein, vielmehr bildeten für sie alle Bürger des Imperiums einen großen, gemeinsamen Turm, für den sie zu sorgen hatte. Und wenn das bedeutete, ein paar wenige zu opfern, um das Große Ganze zu erhalten, dann würde sie es tun. Und sie tat es.
„Begam Acati. Wir warten nicht auf den nächsten Schritt. Selbst wenn um den Daness-Turm die Hölle losbricht – wir greifen an.“
„Meisterin Tevell.“ Der alte Soldat schenkte der Herrin des Ordens ein sardonisches Lächeln. „Es scheint mir als würdest du Akira Otomo unterschätzen. Er ist für eine mächtige Überraschung gut.“
„Mächtig genug?“, fragte sie mit tonloser Stimme.
„Wir werden sehen.“ Torum Acati deaktivierte das Hologramm vom brennenden Turm. Dann aktivierte er seinen persönlichen Funk.
„Hier spricht Admiral Acati! Ich spreche hiermit Fall Blau aus! Alle Truppen haben sofort nach Plan Ogam Aufstellung zu nehmen! Ausführung in fünf Minuten! Ich selbst nehme an der Attacke an vorderster Linie Teil! Admiral Acati Ende!“
Dutzende Bestätigungen trafen ein, die aber von Acatis Stab vorgefiltert wurden, sodass sein Adjutant schließlich meldete: „Bestätigung von allen dreihundertsieben Schiffen und neunzehn Bataillonen.“
Acati sah zu Meisterin Tevell herüber. „Wir sind bereit.“
„Du willst wirklich an vorderster Front kämpfen, Torum?“
„Ich muss. Falls sie den Turm sprengen, muss ich soviel wie möglich sehen, soviel wie möglich lernen. Kriege ich Ritter des Ordens?“
„Eine Hundertschaft Begams steht für dich bereit, Torum. Viel Glück und lass dich nicht töten, mein Sohn.“
Acati lachte leise auf. „Ich habe es nicht vor, Meisterin Tevell. Diese Zeiten sind viel zu interessant geworden, um sie freiwillig zu verlassen.“
Fast unhörbar fügte er hinzu: „Enttäusch mich nicht, Akira.“

1.
„Was war das?“, fragte Yohko verstört, während sie versuchte, ihre Beine in Richtung Schwerkraft zu bugsieren. Das war relativ schwierig, weil sie im Moment nicht wusste, was oben und was unten war.
„Kannft du biffe die Füfe auff meinem Mund nehm´, Yohffo? Danfe.“
„Ich tu was ich kann, Joan, aber im Moment ist hier einiges durcheinander.“
„Oh, mein Kopf. Was ist überhaupt passiert?“, klang Yoshis Stimme auf.
„Der Boden wurde erschüttert… Wir wurden herumgeschleudert wie Spielzeug… Die Beleuchtung ist ausgefallen… Es gibt keinen Alarm… Es deutet alles auf einen relativ erfolgreichen Angriff hin“, meldete sich Aria zu Wort.
„Wieso relativ erfolgreich?“
„Nun, wir leben noch, oder, Yoshi?“
„Argument.“
Yohko gelang es endlich zuerst auf den Fußboden und dann auf die Beine zu kommen. Sie orientierte sich im Dunkeln so gut es ging und ergriff das erste Paar Hände in Reichweite. „Kannst du stehen, Joan?“
„Weiß nicht. Probieren wir es. Ist es schlimm, dass das Licht aus ist? Ich meine, immerhin ist dies hier der Arogad-Turm.“
„Es gibt nicht viele Bereiche, in denen man künstliches Licht im Turm braucht. Ein ausgeklügeltes und über die Jahrtausende optimiertes System aus Spiegeln und Bautricks sorgt dafür, dass selbst das Sternenlicht ausreicht, damit man sich zumindest orientieren kann. Leider gilt das nicht für den Schacht eines Expresslifts.“ Mühsam kam nun auch Aria Segeste auf die Beine. Dabei half sie Yoshi hoch. „Hier ist ne Delle in der Wand. War das dein Kopf, Yoshi?“
„Durchaus möglich. Mir dröhnt nämlich der Schädel. Und was machen wir jetzt?“
„Helen ist nicht mehr da, oder? Das Licht ist ausgefallen, der Turm wurde erschüttert, es gibt keinen Alarm, das deutet alles darauf hin, dass wir sehr schwer getroffen wurden. Das bedeutet leider auch, dass wir in der Priorität ganz unten stehen. Rettungsteams werden sich um die Fahrstuhlschächte als Letztes kümmern. Zuerst werden sie versuchen, zu den Zerstörungen durch den Angriff durchzukommen.“ Frustriert ließ sich Aria gegen die nächste Wand sinken. „Das heißt, wir werden hier eine lange Zeit festsitzen.“
„Und falls es einen zweiten Angriff gibt, haben wir keinerlei Chance, ihn zu überleben, oder?“ Yoshis Stimme troff vor Ärger und unterdrückter Wut.
„Wenn Mutter ausgefallen ist, ist sie dann tot?“, fragte Yohko mit Panik in der Stimme. „Ich meine, wenn hier alles ausgefallen ist…“
„Sie hat ein redundantes Lebenserhaltungssystem an ihrem Tank, Yohko-chan, keine Sorge. Der Biotank müsste schon direkt zerstört werden, damit ihr etwas passieren kann.“
„Was ist mit Akira und Megumi? Wurde der Daness-Turm auch angegriffen?“ Joans Stimme klang panisch. „Können wir denn überhaupt nichts tun?“
„Stimmt. Wie es wohl den anderen geht. Von denen haben wir schon lange nichts mehr gehört. Wenn O-nii-chan auch angegriffen wurde, wenn Megumi und die anderen…“ Yohko verstummte angstvoll. „Ich will hier raus…“

„Oookay, ich habe genug gehört. Geh da mal weg, Aria.“
„Hä? Was hast du vor, Yoshi?“
Die Hände des KI-Meisters verwandelten sich in hell strahlende Lichtquellen, die grell in den Augen der Eingeschlossenen brannten. Seine Finger gruben sich zentimetertief in das Metall der Fahrstuhlkabine. Dann gab es einen Ruck und die eigentlichen Schiebetüren öffneten sich. Sie protestierten und knirschten, aber gegen die Kraftentfaltung des KI-Meisters konnten sie nichts aufwenden.
Als die Tür halb offen war, beendete Yoshi seine Aktion. „Die Türen haben sich verformt und verkeilt. Größer kann ich es nur machen wenn ich sie aus ihren Verankerungen reiße.“ Er klopfte gegen die Wand, die sich hinter der Doppeltür offenbart hatte. „Joan.“
„Endlich gibt es mal wieder was zu tun!“ Sie trat neben Yoshi und befühlte die Wand. „Zu zweit?“
„Ja. Wir brauchen mindestens einen Meter mal einen Meter. Auf drei.“
„Einverstanden.“
„Eins, zwei, drei!“
Beide holten weit aus und ballten die Rechte zu Fäusten. Dann droschen sie gemeinsam auf die Wand ein. Einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Mal brachen die ersten Stücke aus der Wand und fielen auf der anderen Seite zu Boden. Beim fünften Mal war die Lücke groß genug, damit jemand hindurch kriechen konnte. Wortlos ging Yoshi in die Hocke, verschränkte beide Hände ineinander und bot Joan somit einen festen Tritt an.
„Es gibt ja noch Gentlemen auf dieser Welt“, flötete sie, trat in Yoshis Hände und kletterte so bequem durch das Loch. Es folgten ein Überraschungslaut und ein Schmerzensschrei.
„Joan, bist du in Ordnung?“, rief Yohko bestürzt.
„Mir geht es gut. Aber den Fußboden solltet ihr jetzt mal sehen. Autsch. Das war ein Sturz. Hier geht es locker drei Meter runter. Wartet, ich stelle mich so, dass ich euch auffangen kann.“
„Gut. Ich schicke dir jetzt die Nächste.“ Yoshi deutete auf Yohko. „Du.“
„Seit wann gibst du mir eigentlich Befehle?“, brummte sie trotzig.
„Na, dann warte mal ab, bis wir verheiratet sind. Da wird es noch schlimmer, mein Schatz.“
„Oh, ich wusste gar nicht, dass du so schlecht geträumt hast“, erwiderte Yohko schnippisch und trat auf Yoshis Hände.
Sie kletterte durch das Loch und ließ sich auf der anderen Seite von Joan herab helfen.
„Jetzt du, Aria.“
„Warum nicht du, hm?“
„Weil ich ein Dickschädel bin und du nicht. Und jetzt mach schon.“
Mit einer Mischung aus Ärger und Belustigung benutzte sie Yoshis Hände als Steigbügel und verschwand ebenfalls durch das Loch. „Kannst kommen, Yoshi.“
„Okay, macht mir Platz. Nicht, dass es mir nicht gefallen würde, von Frauen auf Händen getragen zu werden. Aber ich dürfte zu schwer für euch sein.“
„Ähemm“, machte Joan.
„Okay, außer für Miss Cyborg. Ich komme dann.“
Yoshi kletterte ebenfalls durch das Loch und ließ sich auf der anderen Seite der Wand herab. „Wäre die Situation nicht so ernst, würde ich diesen Augenblick wirklich genießen“, scherzte er, als Joan und die anderen nach ihm griffen und halfen, ihn langsam zu Boden zu bringen.
„Ja, davon kannst du noch im hohen Alter zehren“, erwiderte Joan schnippisch. „So viele Männer werden von mir nicht auf Händen getragen.“
„Oder von mir“, meldete sich Aria zu Wort.
„Hey, Mädchen, ihr versucht mir doch nicht etwa den Freund auszuspannen?“, scherzte Yohko. „Nicht, dass er es nicht wert wäre.“
„Danke“, brummte Yoshi belustig, als er wieder mit beiden Beinen auf dem Boden stand.

Hier war das Licht besser. Die Halle, in der sie gelandet waren, war relativ gut durchleuchtet. Das war immerhin ein Anfang.
„Wo sind wir hier?“
„Relativ nahe an der Turmspitze, keine dreihundert Meter unter ihr. Hier fangen die privaten Gemächer des Rates an. Wenn diese Halle geräumt wurde bedeutet das, dass man annimmt, dass die Spitze einsturzgefährdet ist. Nur die Rettungskräfte arbeiten sich weiter nach oben vor. Das bedeutet für uns, dass wir ebenfalls evakuieren müssen. Wir müssen mindestens noch einhundert Meter tiefer. Dort sind die Turmstrukturen stabil genug, um sogar den Einsturz der Turmspitze auszuhalten.“
„Hinunter? Aber wir müssen hinauf! Ich meine, der Rat ist da oben! Und Uropa und Oma sind da oben!“ Yohko sah verzweifelt in die Runde. „Wir können doch nicht…“
„Doch, wir können! Und wir müssen sogar! Der Turm wurde hart getroffen, aber die Rettungsmannschaften sind bereits auf dem Weg! Unser Platz aber ist tiefer, in einer der Notfall-Zentralen. Ich glaube nicht, dass es mit diesem Angriff getan ist, und wir Krieger sollten dann dort sein, wo wir etwas nützen und den Rettungsteams die Zeit und die Gelegenheit erkaufen können, ihren Job zu tun!“ Wütend atmete Aria ein und aus. Sie hatte den Monolog geführt ohne Luft zu holen.
„Aber Oma…“ „Yohko.“
„Ich meine doch nur, dass…“ „Yohko.“
„Yoshi ist KI-Meister und…“ „Yohko.“
„Ihr seid fies! Ich mache mir doch nur Sorgen! Wir wissen doch noch überhaupt nicht was passiert ist. Wir wissen nicht einmal wie es weitergehen wird!“
„Und genau deshalb gehen wir runter auf die sicheren Etagen. Okay?“
„Okay.“ Bedrückt sah Yohko zu Boden. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Okay.“
„Gut. Dann lasst uns gehen.“
„Okay.“
Yoshi legte den Arm um die Schultern seiner Freundin und drückte sie an sich. „Du musst dir keine Sorgen um deine Oma machen. Eridia ist eine KI-Meisterin, hinter der ich mich verstecken kann. Ich, und alle anderen so genannten KI-Experten auf der AURORA. Da müsste schon jemand eine Atombombe auf sie abwerfen, um sie in Gefahr zu bringen. Und dein Urgroßvater Oren ist bei ihr.“
Dankbar lehnte sich die junge Otomo für einen Moment an ihn an. „Danke, Yoshi. Du tust mir so gut.“
„Wirklich? Dann können wir jetzt vielleicht mal über die Sache sprechen, die wir neulich…“, begann Yoshi und kramte in den Taschen seiner UEMF-Uniform nach dem Kästchen.
Yohko löste sich von ihm und lief vor. „Keine Müdigkeit vorschützen! Wir müssen in die Notfall-Zentrale! Als Arogad habe ich da Verantwortung zu tragen! Los, los, los! Yoshi, nicht trödeln!“
„Vom Gong gerettet. Aber ewig gelingt dir das nicht“, erwiderte Yoshi schmunzelnd und folgte den Frauen, während die Schachtel wieder in seine Jackentasche glitt.
**
„Den Sternengöttern sei Dank, Ihr seid unversehrt, Lady Jarah!“
„Nicht so förmlich, Kendran“, erwiderte Yohko, um ihre Erleichterung zu überspielen. Die Notfallzentrale hatte eine separate Stromversorgung, war sehr gut besetzt, und mit Kendran Taral wurde sie von einem Elite angeführt. „Wir sind Cousins, schon vergessen?“
Kendral verzog das Gesicht wie unter Schmerzen. „Nicht im Moment, Lady Jarah Arogad. Nicht im Moment.“
„Gib mir einen Überblick“, verlangte Yohko.
„Der Turm wurde mit Atomwaffen bombardiert.“
„WAS?“ Erschrocken sah sie den Taral an, dann zu Yoshi herüber, der von einem Moment zum anderen bleich wie weißer Marmor war.
„Die Schirme haben gehalten und wurden später mit den Schirmen der übrigen Türme zusammengeschaltet. Leider wurden dadurch einige der Vorstädte, die nicht unter dem Gigantschirm lagen, von kontaminiertem Staub radioaktiv verseucht. Es gibt Bestrebungen, den Grad der Verseuchung festzustellen und die Bewohner der Vorstädte vorerst unter den Schirm zu evakuieren. Arogad beteiligt sich nicht daran.“
„Aber wieso nicht? Und was ist überhaupt los, wenn der Schirm gehalten hat?“
„Es liegt am Angreifer. In der Turmspitze sind mehrere Schutzschirmgeneratoren hoch gegangen, als die Belastung ihren Höhepunkt erreichte. Daher die Explosionen. Der Stromausfall im Rest des Turms deutet auf Sabotage hin.
Jarah, wir können gerade nicht raus und den anderen Häusern in den kontaminierten Gebieten helfen, weil in der Hausflotte alles drunter und drüber läuft. Es war ein Daness-Kreuzer, der auf uns gefeuert hat, und…“
„Und Akira ist drüben bei den Daness“, stellte Aria fest. „Als mächtiger, unübersehbarer Schutzschild.“
„Damit bist du die höchstrangige Hausangehörige, solange wir nicht wissen, wie es in der Turmspitze beim Rat aussieht und Akira in der Hand der Daness ist. Wir arbeiten daran, eine Verbindung zur Flotte zu kriegen, aber im Moment sammelt sie sich. Es deutet alles auf einen Vergeltungsangriff auf Haus Daness hin.“
„Vergeltungsangriff? Aber Akira ist im Turm der Daness! Megumi ist im Turm der Daness! Sogar Gina ist da, die kann nun wirklich nichts dafür!“
„Das ist noch nicht alles. Die Ratstruppen sammeln sich. Sie haben jetzt bereits genügend Stärke erreicht, um uns und Daness sowohl im Raum als auch am Boden auszuradieren.“ Kendran seufzte verzweifelt. „Zusammen mit der Sabotage bedeutet das, wir stehen bis zum Kinn im größten Desaster unserer Geschichte.“

„Herr, wir haben jetzt eine Verbindung zum Oberkommandierenden unserer Flotte! Es ist Ihr Onkel Gorda Taral!“
Der Hausoffizier fuhr herum. „Stellen Sie mich sofort durch! Informieren Sie ihn, dass Lady Jarah Arogad in Sicherheit ist und wir nichts überstürzen dürfen! Außerdem ist noch nicht sicher, dass die Sicherheit von Meister Aris im Daness-Turm gefährdet ist!“
„Ruhig, mein Junge. Das haben wir alles schon hinter uns“, klang der knarrende Bass von Gorda auf. „Wir sind mittlerweile bei ganz anderen Sorgen. Aber es ist gut zu wissen, dass Jarah wohlauf ist. Kannst du sie zu dir bitten? Ich muss ihr eine wichtige Frage stellen.“
„Ich bin hier, Onkel Gorda.“
„Oh, Jarah, es tut gut deine Stimme zu hören. Weißt du, ich befinde mich gerade in der Klemme. Eigentlich müsste ich deinen Bruder befreien, und ich habe auch die Einsatzkommandos bereit für diesen Einsatz. Aber er hat es mir verboten. Normalerweise würde ich annehmen, dass er gezwungen wird eine solche Anweisung zu geben, aber… Er hat gesagt, der Turm der Daness gehört jetzt ihm.“
„Bitte?“
„Als Preis für die Verlobung mit Solia Daness.“
„Was?“ Yoshi riss die Augen auf. „Akira hat Megumi einen Antrag gemacht?“
„Und als Brautpreis hat er die Erde verschenkt. Meine Frage ist, ist das absoluter Schwachsinn oder glaubwürdig?“
Die vier Freunde tauschten lange Blicke. „Bei Akira ist das möglich.“
„Dieser Kerl. Verschenkt einen ganzen Planeten, nur um einem Mädchen zu imponieren“, murmelte Yoshi grinsend. „Ob das auch bei anderen Frauen klappt?“
„Bei mir würde es das“, warf Aria ein.
„Kommen wir zum Kern der Frage zurück“, mahnte der Admiral. „Spricht Aris die Wahrheit oder wird er gezwungen, so einen… hanebüchenen Quatsch zu erzählen?“
„Wie ich schon sagte, bei Akira ist alles möglich. Er…“ Yohkos Augen leuchteten auf. „Dieser Spitzbube. Dieser Mistkerl! Dieser verdammte Gott. Onkel Gorda, du kannst seinen Worten vorbehaltlos trauen. Akira Otomo hat gerade zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Megumi ist seine Freundin und er vertraut ihr völlig. Die Erde zu verschenken ist für ihn also nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.“
„Das klingt logisch“, kommentierte Yoshi. „Die Erde bleibt so oder so in der Familie.“ Leiser fügte er hinzu, damit die Arogads in der Zentrale es nicht hören konnten: „Abgesehen davon, dass er die Erde ohnehin nicht verschenken oder erobern kann wie er es will.“
Joan warf ihm einen belustigten Blick zu.
Aria reagierte mit Unverständnis. „Laut unseren Gesetzen ist er aber Eigentümer der Erde. Und er hat gerade eine ganze Welt für einen Turm und ein Mädchen getauscht. Ich meine, Hey, Megumi ist eine ganze Welt wert, aber wisst ihr was das für einen Papierkrieg bedeutet?“

Ein lauter Seufzer erklang. „Ich werde meine Flotte in Bereitschaft halten, bis Meister Aris Arogad den Turm der Daness lebend verlassen hat, nur für den Fall der Fälle. Auf dein Wort vertrauend, Jarah, erkenne ich ihn und sein Wort als Führer des Hauses an. Aber du sagst mir, sobald etwas mit ihm nicht stimmt.“
„Verstanden, Onkel Gorda.“
„Ach, eine Frage habe ich da noch. Jarah, warum hast du deinen Bruder einen Spitzbuben, einen Mistkerl und einen Gott genannt? Ich frage nur interessehalber.“
Yohko unterdrückte ein auflachen. „Das ist schnell erklärt. Er ist ein Spitzbube, weil er diese Situation ausgenutzt hat. Die Chancen, dass seine Freundin seine Freundin bleibt, da sie Teil des Hauses Daness ist, waren etwas gering. Jetzt ist sie seine Verlobte. Ein Mistkerl ist er, weil er zwei Häuser benutzt wie es ihm passt, um seine Wünsche durchzusetzen. Und ein Gott ist er, weil er auch noch damit durchkommt. Onkel Gorda, du weißt was es bedeutet, wenn wirklich die Ehe zwischen meinem Bruder und Lady Solia Kalis zustande kommt?“
Der alte Taral japste in plötzlicher Erkenntnis laut auf. Dann war Stille.
„Onkel Gorda?“
„Kapitän Levian Dorreg hier. Der Admiral hat sich so erschrocken, dass er beim rückwärts gehen über einen Sessel gestolpert ist. Lady Jarah, was haben Sie ihm erzählt? Er murmelt die ganze Zeit, dass ein neuer Turm gebaut werden muss.“
„Ja“, murmelte Joan leise, „das dürfte in etwa die Wahrheit sein.“
„Falls wir alle die nächsten Minuten überleben!“, warf Kendris hastig ein. „Die Ratstruppen greifen an! Strukturlücken in Gigantschirm werden geschaltet und die Bodentruppen sind in Bewegung!“
Alarm heulte durch die Zentrale. Na, wenigstens das funktionierte wieder.
Tonlos wandte sich der Taral zu seiner Cousine um. „Lady Jarah, die Ratstruppen haben soeben das Feuer eröffnet.“

2.
Der Stab arbeitete nur mit halber Besetzung. Nach dem Ende des Angriffs der Core-Truppen hatte Makoto sie in die Betten geschickt und eine Notmannschaft zusammengerufen.
Er brauchte seine Leute fit für den Moment, wenn es von vorne losging. Und das würde es. Wieder und wieder.
Nachdenklich faltete er die Hände vor seinem Gesicht zusammen. Dass sie keine Verbindung mit der AURORA errichten konnten gefiel ihm nicht. Selbst wenn sie keine Relais aussetzen konnte, das Gigantschiff musste spätestens im Alpha Centauri-System in Reichweite eines Kommunikationswurmlochs sein.
Von der Erde verlautete auch nichts in dieser Richtung, außer dass Eikichi versprochen hatte, der AURORA einen Kampfverband entgegen zu schicken, um die stark reduzierte Verteidigung auszugleichen.
Tja, die besten und stärksten Schiffe hatte Makoto hier behalten. Damals war es allen taktisch klug erschienen, so stark wie möglich im Kanto-System präsent zu sein.
Seine Schwester Sakura hatte hart kalkuliert und soviel Feuerkraft zurückgelassen wie sie nur entbehren konnte.
Makoto fragte sich, ob ihr diese Entscheidung vielleicht schon zum Verhängnis geworden war. Doch er schob den Gedanken beiseite. Es gab nichts in diesem Universum, was Sakura Ino besiegen konnte. Oder auch nur aufhalten.

Er sah auf und betrachtete das Hologramm vor sich. Es projizierte einen Bericht für ihn, untermalt mit graphisch aufbereiteten optischen Aufzeichnungen über das Blockadegeschwader.
Die sechs Long Range Area Observer mit ihren Resonanztorpedos hatten sehr gute Arbeit geleistet. Auf ihr Konto gingen mindestens dreißig vernichtete Banges des Cores, als diese durch das Resonatorfeld geflogen waren. Anschließend waren die meisten auf Lorania abgestürzt.
Das Resonatorfeld wirkte also auch auf die Core-Truppen. Ob es auf jeden Soldaten des Core wirkte musste die Zukunft zeigen, aber der Ansatz war interessant.
Makoto schüttelte sich kurz bei dem Gedanken, warum das so war: Die Core-Banges verwendeten menschliche Komponenten als Pilotenersatz. Dieser Ersatz – wie immer er aussah, und das wollte er eigentlich gar nicht so genau wissen – emittierte KI und konnte durch das Resonatorfeld manipuliert werden.
Das war eine wichtige Erkenntnis, auch wenn sie davon ausgehen durften, dass die Core-Truppen nicht wieder auf die Resonator-Torpedos hereinfallen würden.
Also mussten sie die Resonatoren zum Core bringen.

Für einen Moment kämpfte Makoto mit einem Hustenanfall, als er sich bewusst wurde, dass er in Gedanken mit einer Massenvernichtungswaffe hantierte, die in den falschen Händen hunderttausenden, ja, Millionen Menschen den Tod bringen konnte. Andererseits war es genau diese von kronosischen Ingenieuren entwickelte Waffe, die in diesem Moment über eine Million Anelph quasi in der Zeit eingefroren hatte, damit sie die Migration auf der AURORA mitmachen konnten.
Hätten sie gewusst, hätten sie alle gewusst, wie die Dinge sich entwickeln würden, wie schnell sie hier die Hausherren werden würden, hätten sie vielleicht weniger überstürzt gehandelt. Hätten die Anelph des Komitees nicht gezwungen, von heute auf morgen ihre Heimat zu verlassen und alle Brücken hinter sich abzubrechen.
Für viele würde diese Art des Abschieds sicherlich einiges erleichtern. Aber es gab sicherlich auch Anelph, denen das Herz gebrochen worden war.
Zudem bezweifelte Makoto, dass der Verkehr zwischen Erde und Lorania jemals intensiv genug sein würde, um einer großen Anzahl von Menschen den Transfer zwischen den Systemen zu gestatten. Oder auch nur bezahlbar zu machen.
Selbst mit der Standverbindung zur Erde – für ihn waren Wurmlöcher und die Verbindung über die Mikrowurmlöcher ein Buch mit sieben Siegeln, und hoffentlich versuchte niemals jemand, ihn mit dieser Materie vertrauter zu machen – wurden Familien auseinander gerissen. Und Schicksale auf ewig geteilt.
Aber er hätte lügen müssen wenn er gesagt hätte, er würde Trauer empfinden. Es war eher Aufregung. Für ihn gab es nur ein Zuhause, die Erde, ob er Naguad war oder nicht.
Auch für die Anelph gab es sicherlich nur eine Heimat. Aber in was für ein Abenteuer brachen sie auf.
In was für ein Abenteuer war er selbst aufgebrochen. Bei all der Gewalt, bei all den Toten, bei all den Unwägbarkeiten, was für ein Abenteuer! Das größte Abenteuer, in dem die Menschheit je gesteckt hatte! Und in einem Punkt war er sich sicher. Er, der kleine Japaner mit den dunkelrot gefärbten Haaren, würde als Verteidiger Loranias in den Geschichtsbüchern erwähnt werden. Vielleicht errichtete man ihm zu Ehren sogar eine Statue. Oder benannte wenigstens eine Schule nach ihm.
Hm, eine Mädchenschule wäre doch ganz nett und… Immerhin war sein Faible zu Frauenkleidern, von seiner Schwester anerzogen, allgemein bekannt.

„General?“
Makoto sah auf. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass er den Rang eines Generals angenommen hatte. Genauer gesagt hatte er sich dazu während der Schlacht um Lorania entschieden, um die Befehlsstruktur zwischen sich und Kei ein für allemal klar zu stellen, immerhin hatte der junge Japaner mit dem Rang eines Konteradmirals den zweithöchsten Rang in der UEMF-Raumflotte. Tatsächlich aktive Konteradmiräle gab es nur acht, und vier von ihnen dienten im UEMF-Stab oder in der Verwaltung. Das gleiche galt für die Generäle. Außer ihm und Akira gab es zehn weitere, von ihnen waren fünf in Stab und Verwaltung tätig, nur der Rest kommandierte direkt Kampftruppen.
„Hitomi?“
„General“, sagte sie und betonte den Rang auffallend ernst, „wir empfangen einen Notruf.“
Sie sah zu ihm herüber. Und für einen Moment war sich Makoto nicht mehr sicher, ob diese junge Offizierin der UEMF wirklich jemals Megumis Klassenkameradin gewesen war, damals vor fünftausend Jahren auf der Fushida Oberstufe, oder ob das alles nur ein vager Traum war, und sie schon immer Soldat gewesen war. Okay, drei Jahre. Aber sie waren so weit entfernt, so weit entfernt. So viel war passiert.
„Details“, verlangte Makoto konzentriert.
„Es ist die AROGAD, Sir. Der Bakesch, der unter dem Kommando von Admiral Rogan Arogad steht, dem Anführer der ehemaligen Vergeltungsflotte.“
„WAS?“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen detachierte Makoto an seinem Arbeitspult elf Schiffe, unter ihnen die BISMARCK und die SUNDER, um den Orbit um Lorania zu verlassen und sich mit der AROGAD zu treffen, noch bevor er den Notruf gehört hatte. Für die Besatzungen der elf Schiffe würde jetzt gerade die Hölle losbrechen. Würde der Alarm aufgellen, ihre bisherigen Tätigkeiten abwürgen und sie auf Station rufen. Dies war keine Übung.
„Wortlaut!“, verlangte Makoto.
„Wir haben sogar Bildfunk.“
„Durchstellen.“

Das Hologramm vor ihm wechselte und bildete nun die Zentrale der AROGAD ab. Leicht umdekoriert. Oder wie man es nennen konnte, wenn Rauchwolken durch die großzügige Zentrale trieben, Brände im Hintergrund schwelten und ein reichlich lädierter Rogan in die Aufnahmeoptik sah. „AROGAD an alle verbündeten Einheiten! AROGAD an alle verbündeten Einheiten! Wir werden angegriffen, ich wiederhole, wir werden angegriffen! Unser Gegner ist das aus zehn Schiffen bestehende Kontingent des Hauses Logobodoro! Sie haben ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet und die KIVA und die SURGON versenkt! Die AROGAD wurde schwer getroffen! Drei weitere Schiffe der Flotte, ein Daness und zwei Elwenfelt wurden ebenfalls versenkt oder zumindest schwerstens beschädigt! Das Kontingent der Logobodoro verzögert in diesem Moment mit Höchstwerten, während es das Feuer mit Distanzwaffen aufrechterhält!“
„Ist eine direkte Verbindung zur AROGAD möglich?“
„Steht in zehn Sekunden, General. Die Verzerrung durch die Distanz ist minimal.“
„Admiral Arogad, hier spricht General Ino. Antworten Sie!“
„Rogan Arogad hier. Tut gut deine Stimme zu hören, Makoto Taral Ino.“
Das Hologramm flackerte und zeigte die Zentrale in einem noch schlimmeren Zustand als zuvor. Rogan war sichtlich verletzt, ein Sanitäter legte ihm einen Verband auf einer stark blutenden Kopfwunde an, nachdem er vergeblich versucht hatte zu nähen.
„Ich habe zwei Bakesch-Schlachtschiffe und drei Kreuzer verloren. Ich weiß nicht warum diese Bastarde angegriffen haben, aber diesen feigen Angriff von hinten werde ich ihnen heimzahlen, und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben tue!
Makoto, Ihr Terraner habt doch diese Standverbindung mit der brandneuen Wurmlochtechnologie zur Erde, oder?“
„Wir haben auch eine Standleitung nach Naguad Prime.“
„Das ist gut. Das ist sehr gut. Das Haus muss sofort informiert werden! Ein solcher Verrat der Logodoboro muss geahndet werden! Vor allem müssen wir jetzt sehr vorsichtig sein, denn die Logo-Babies sind alleine zu schwach um sich wirklich mit uns anzulegen, geschweige denn mit Elwenfelt und Daness. Sie müssen ein oder mehrere Häuser in der Hinterhand haben. Diesen Angriff zu erkennen und ihm zuvor zu kommen ist unsere Pflicht. Der Rat muss es wissen, Makoto! Er muss!“
„Ich stimme dir zu, Rogan Arogad.“ Er nickte in Richtung Hitomis, die sich sofort an die Arbeit machte. Die Standleitung versorgte Kanto-System und Nag-System permanent mit Daten, aber um Details zu erfragen oder weiterzugeben war immer noch der direkte Anruf die beste Methode.

„Das wird jetzt einen Moment dauern. Ich habe elf Schiffe los geschickt. Sie werden bei den Bergungsarbeiten helfen. Schafft es die AROGAD alleine in eine Werft?“
Der Admiral des Hauses sah ihn verzweifelt an. „Nein“, sagte er tonlos. „Und es kann auch sein, dass ich das Flaggschiff des Hauses aufgeben muss.“
Er atmete aus und stützte sich schwer auf der Konsole vor sich ab. „Dass ein Arogad einmal ein Flaggschiff verlieren würde… Und dass ich dieser Arogad sein würde… Manchmal kommt eben alles auf einmal.
Aber bevor ich meine Mannschaft in einem aussichtslosen Kampf gegen die Flammen schicke, evakuiere ich lieber.“
„Noch ist es nicht aussichtslos“, sagte Makoto mit Nachdruck. „Ich instruiere Konteradmiral Takahara. Er wird Löschmannschaften, medizinisches Personal und einen Teil unserer Slayer bereithalten, um bei den Rettungsarbeiten zu helfen. Er wird in dreißig Minuten auf eurer Höhe sein.“
„Er wird an uns vorbeischießen wie eine Kanonenkugel“, murmelte Rogan ernst.
Makoto lächelte wissend. „Schon mal was von AO gehört? Die Slayer sind AO-Meister erster Güte. Mit ihnen übersteht das Schiff das radikalste Bremsmanöver, dass jemals ein Bakesch gewagt hat.“
Die beiden Männer wechselten einen langen Blick. „Der Rest der Flotte?“
„Versucht die Logo-Babies zu stellen und zu stoppen.“
„Ein guter Plan, Makoto Taral Ino. Ich werde mit dem Evakuierungsbefehl so lange wie möglich warten.“
„Gut. Wir können einen Bakesch mehr sehr gut gebrauchen. General Ino Ende.“
„Wir sehen uns auf Lorania, mein Junge.“ In der Stimme des Älteren schwang unverhüllter Stolz. Stolz auf ihn, einen Bluthund. Und anscheinend fähigen Krisenmanager.

„Ich brauche eine Direktverbindung zu Kei, Hitomi. Die Slayer müssen das unmögliche möglich machen.“
„Jawohl, Sir.“
„Wo sind die Logodoboro-Schiffe?“
Hiroko Shiratori meldete: „Bremsmanöver abgeschlossen. Alle zehn Schiffe gehen auf Gegenkurs. Wenn ich alles hoch rechne hat nur die SUNDER mit Hilfe der Slayer eine Chance sie noch einzuholen.“
Hiroko war eine Klassenkameradin von Akane Kurosawa gewesen, erinnerte sich Makoto. Und sie war eine der ersten gewesen, die sich für die damalige Mars-Mission freiwillig gemeldet hatte. In diesen Tagen war sie Karriere-Offizierin mit Hochschulabschluss und einem sehr früh erreichten Majorsrang. Wenn sie so weitermachte, würde es bei den Generälen bald sehr voll werden.
Erwartungsvoll sah sie ihn an. Die Entscheidung war klar. Entweder die SUNDER zur Rettung der havarierten Naguad-Schiffe schicken oder sie den Logodoboros hinterher laufen lassen. Ruhm und Ehre oder Menschenleben?
„Wir bleiben beim bisherigen Plan. Die BISMARCK übernimmt das Kommando, sobald die SUNDER die Formation verlässt. Ziel ist es, die Flotte einzuholen. Aber wenn wir uns vergewissern können, dass sie das System verlässt, ist es auch nicht schlecht getan.“
Shiratori nickte, und wie es Makoto schien, zufrieden mit seiner Entscheidung. „Aye, Sir.“
Der kleine Mann schmunzelte. Niemals würde er Menschenleben für obskure Dinge wie Ruhm oder Macht zurückstellen. Vor allem nicht, wenn die Feuerkraft der Logodoboro-Flotte die Feuerkraft der sie verfolgenden SUNDER derart eindeutig übertraf und die Verfolgung ohnehin für ad absurdum erklärte.
„Der Rest bleibt wachsam“, mahnte Makoto in die Runde. „Wenn dies ein Ablenkungsmanöver war, dann ein verdammt teures. Aber ich will meine Sterne abgeben, wenn ich darauf reinfalle, weil alle nur noch in eine Richtung sehen. Verstanden?“
„Verstanden!“
In der Zentrale brach erneut Hektik aus.
Für einen Moment war Makoto zufrieden. So zufrieden, wie er nur sein konnte.
Hitomi meldete sich erneut. „Standleitung nach Naguad Prime steht und… Moment, was? Der Turm der Arogad wurde bombardiert? WAS?“
Erschüttert sprang Makoto auf. Akira!

3.
Weit, weit entfernt von Makoto und seinen Sorgen stand ein junges Mädchen auf einer grünen Wiese. Genauer gesagt stand sie auf einem grünen, sonnenbeschienenen Hügel und sah auf eine grüne, mit exotischen Blumen übersähten Wiese hinab.
Die Sonne leuchtete sanft und orange vom Himmel und liebkoste ihre braune Haut, spielte mit Lichtreflexen in ihren grünlich braunen Haaren und strich wärmend über ihre vollen, roten Lippen.
Das Mädchen sah mit seinen grauen Augen auf die Ebene hinab.
Sie war erfüllt mit Menschen. Menschen jedes Alters, jeder Hautfarbe und beider Geschlechter. Kinder ebenso wie Alte.
Die Menschen trugen weiße, wallende Gewänder wie das Mädchen und wanderten nach Lust und Laune über die Wiese. Wann immer zwei oder mehr den Wunsch verspürten, ließen sie sich nieder und redeten über dies und über jenes.
Das Mädchen versuchte die Menschen zu zählen, aber sie scheiterte erneut. Bei fünftausend gab sie auf, denn die Menschen wimmelten zu sehr durcheinander. Außerdem hatte sie nicht einmal ein Drittel der Wiese abgezählt.

„Dies ist also das Paradies“, murmelte es leise.
Da trat eine große, stolze Frau neben sie. Hoch gewachsen, schlank, in ein schwarzes Gewand gehüllt, dessen Kapuze nur ihr blasses, edel geschnittenes Gesicht aussparte. Ihr Blick war stolz, hart, und das Lächeln erreichte ihre Augen nicht, als sie antwortete: „Dies ist das Paradies der Daima.“ Sie wandte sich um und deutete auf die andere Seite des Hügels.
Auch dort lustwandelten Menschen, diskutierten oder erfreuten sich einfach an den Blumen. „Und dies ist das Paradies der Daina.“
„Wo ist der Unterschied zwischen ihnen?“, fragte das Mädchen.
„Es gibt keinen Unterschied.“
„Aber warum haben sie dann unterschiedliche Namen?“
„Weil sie es so wollen.“
Das verwirrte das Mädchen. „Aber wenn es keinen Unterschied gibt, wie trennen sie sich voneinander?“
„Indem sie sich selbst Daima und Daina nennen“, antwortete die Frau im schwarzen Gewand. „So wie sie es schon immer getan haben. Damals, als das erste Reich noch existierte. Vor dem alles vernichtenden Krieg.“
„Warum gab es den alles vernichtenden Krieg?“, fragte das Mädchen, fürchtete sich aber vor der Antwort.
„Es gab den alles vernichtenden Krieg, weil die Daima dazu in der Lage waren. Und es gab den Krieg, weil die Daina ihn nicht verhindern konnten.“
„Was ist Krieg?“, hakte es nach.
„Krieg ist etwas Wundervolles und doch furchtbares. Krieg ist sterben und geboren werden. Krieg ist Entsetzen und entzücken. Krieg verändert und bewahrt.“
„Ist Krieg wichtig?“
„Krieg ist wichtig und unwichtig. Krieg ist Motor als auch Hemmschuh. Krieg ist Faszination und Eintönigkeit.“
„Was ist Krieg?“, fragte es erneut.
„Nun, Prinzessin, um eine Antwort zu bekommen muß man selbst einen Krieg erlebt haben. Oder einen angeführt haben. Aber es ist eine Erfahrung, die dich verändert. Du wirst nie wieder sein was du warst.“
„Aber alles ist doch Veränderung. Alles ist in Bewegung und alles ist neu und doch wieder alt. Wird vergessen, wieder entdeckt und erneut vergessen. Warum sollte ich mich dann nicht auch verändern?“
„Weil das jetzt, was du gerade bist, sich vor dem was du dann sein wirst vielleicht fürchten wird. Ablehnen wird. Oder es sogar töten will.“
„Wie schrecklich“, hauchte das Mädchen. „Ich glaube, ich mag Krieg nicht.“
„Das ist eine weise Entscheidung“, antwortete die schwarz gekleidete Frau und wandte sich um.
„Aber ich will mich verändern. Wenn es sein muß, mit Hilfe eines Krieges.“
„Das ist keine weise Entscheidung, aber sehr mutig. Du weißt, dass wir einen Krieg führen werden.“
„Ja, man hat es mir erzählt. Wir führen Krieg um die Daima vor sich selbst zu retten.“
„Nein. Wir führen Krieg, um die Daima zu vernichten.“
„Vernichten? Aber das ist doch so sinnlos! Was vergangen ist kann nicht wiederhergestellt werden, so wie das erste Reich!“
Die schwarz gekleidete Frau wandte sich erneut um und beugte sich ein klein wenig herab, damit sie mit dem Mädchen auf Augenhöhe war. „Das ist Krieg. Und wir führen ihn nur aus einem Grund. Damit die Daina uns nicht vernichten. Das können wir nur verhindern, indem wir die Daima auslöschen. Wirst du sie auslöschen?“
„Aber sind die Daima nicht das selbe wie die Daima hier vor uns? Die im Paradies lustwandeln und sich ihres Lebens freuen?“
„Du musst sie nicht alle auslöschen. Nur so viele, dass sie eine lange Zeit keinen Krieg mehr führen können. Den Rest kannst du ins Paradies führen. An einen Ort von vollkommener Glückseligkeit. Für die Daima und die Daina.“
„Ich mag Krieg nicht“, schloss das junge Mädchen. „Aber ich werde einen führen. Denn ich will leben, ebenso wie die Daima.“
„Dann ist es beschlossen, Prinzessin.“ Hoheitsvoll wandte sich die Frau um und ging den Hügel in Richtung der Daina herab.
Das Mädchen folgte ihr dabei auf dem Fuß, und mit jedem Schritt, den sie tat, veränderte sich ihr schlichtes weißes Gewand und färbte sich schwarz.
Der Krieg hatte begonnen.
**
„Verdammt, Roger, Sie sehen übel aus.“
Kommodore Roger Mildred, Kommandeur der TICONDEROGA, sah auf Eikichi Otomo herab. Seine Uniform war schmutzig, um nicht zu sagen an manchen Stellen verkohlt. Von seinen Haaren und Augenbrauen war nicht mehr besonders viel übrig und die Zentrale hinter ihm wirkte wie ein Trümmerfeld.
„Es geht mir gut, Eikichi. Abgesehen von den neuesten kosmetischen Veränderungen.“
„Kosmetische Veränderungen“, sagte Eikichi Otomo barsch. „Sehr komisch. Wie steht es um Ihre Crew?“
„Ich hatte mehrere Tote während der Schlacht, dreißig befinden sich noch im Lazarettbereich, sieben sind kritisch. Aber ich habe die drei Raider erledigt. Ohne die MAIHAMA und die KAMI hätte ich es aber nicht geschafft. Dann wäre ich jetzt wirklich Fischfutter.“
„Und Sie bringen alle drei Schiffe nach Hause. Es war also eine gute Idee, einmal die Plutobahn abzufliegen.“
„Das war es sicherlich, Eikichi“, antwortete der Kommodore, einer der erfahrensten Raumfahrer der Erde. „Ich habe nur nicht damit gerechnet, jemals so etwas aufzuscheuchen. Wäre die Fläche nicht zu riesig würde ich ja sagen, wir sollten im gesamten Sonnensystem Sonden aussetzen, um den Eintritt fremder Schiffe in unserem System sofort zu registrieren. Aber von der Jupiterbahn bis zur Oortschen Wolke ist das unbegrenzt möglich und die Reichweite der Sonden ist begrenzt. Wie schnell können wir dreizehn Milliarden Sonden herstellen? Nur um die wichtigsten Regionen zu überwachen, natürlich.“
„Ihr Humor ist wie immer herzerfrischend, Roger“, erwiderte Eikichi ernst.
„Kommen Sie so schnell es geht rein. Sind die MAIHAMA und die KAMI auch schwer beschädigt?“
„Ich brauche für alle drei Schiffe Platz in den Werften. Wobei es meine TICONDEROGA am schwersten erwischt hat.“
„Machen Sie das mit der Werftleitung aus, Roger. Jetzt kommen Sie erstmal rein. Dann müssen wir uns um ein neues Problem kümmern. Der Feind ist jetzt direkt vor unserer Haustür.“
„Ich korrigiere, Eikichi. Er hat einen Fuß in der Tür und wir haben sie nicht richtig zugeknallt.“
„Wäre die Lage nicht so ernst würde ich lachen. Otomo Ende.“
Der Kommodore nickte und deaktivierte die Verbindung.

„Verdammt. Wir müssen die Patrouillen des Systems selbst erhöhen. Wir brauchen mehr Schiffe. Viel mehr Schiffe. Und wir brauchen erfahrene Mannschaften.“
„Sir. Vor ein paar Tagen haben sich vier Fregatten freiwillig gemeldet. Erfahrene Mannschaften, die derzeit unterfordert sind und zu gerne ein wenig unternehmen würden. Es handelt sich um vier Fregatten der November-Klasse und…“
„Die anderen vier Schiffe von Commander Shawn Winslow, hm?“ Eikichi Otomo schmunzelte. „Erteilen Sie ihnen Marschbefehl.“
„Aye, Commander.“
Eikichi erhob sich, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und marschierte in der Zentrale auf und ab.
„Es drohen verdammt interessante Zeiten zu werden. Und ich bin nicht sicher, ob wir sie überleben werden.“
„Sir, Meldung über die Standleitung nach Naguad Prime. Der Turm der Arogad brennt nach Angriff mit atomaren Waffen!“
Der groß gewachsene Executive Commander der Erdverteidigung stoppte. „Würden Sie das bitte wiederholen?“
„Die Meldung besagt: Nach Beschuss mit atomaren Waffen brennt der Turm der Arogad. Über das Schicksal des Rates und der Bürger ist nichts bekannt. Ebenso wenig über den Verbleib von General Otomo und Colonel Uno. Scheiße. Verdammte Scheiße, wenn Sie mich fragen, Sir. Ein Daness-Schiff hat den Angriff ausgeführt und drüben bei den Naguad geht jetzt alles drunter und drüber.“
„Krisenschaltung in mein Büro! Sofort! Verteiler eins Alpha!“
„Eins Alpha, Sir? Sofort. Aber dazu muss ich ein paar Admiräle und Staatschefs aus den Betten werfen.“
„Wollten Sie das nicht schon immer, Captain?“
„Sie können meine Gedanken lesen, Executive Commander.“

Zwanzig Minuten später stand die Konferenz. Teilnehmer waren über vierzig Personen, die meisten davon Angehörige der UEMF.
„Aber Sie sagten doch, dass wir damit sicher wären!“, blaffte der amerikanische Präsident. „Ich habe diesem hanebüchenen Plan nur zugestimmt, weil Sie gesagt haben, dass die Erde als Eigentum von Blue Lightning – ja, ich habe nicht vergessen wer Akira Otomo ist und was er alles für uns alle getan hat – sicher sein wird. Und was ist nun?“
„Mr. President. Die Erde ist immer noch sicher. Nach Naguad-Recht ist und bleibt Akira alleiniger Eigentümer. Aber der Angriff auf den Turm der Arogad erfolgte von einem Daness-Schiff. Sprich, die beiden größten Häuser stehen an der Schwelle zu einem Bürgerkrieg. Und Sie wissen alle mittlerweile, dass Megumi Uno eine Daness ist.“
„Was Sie uns beizeiten näher erklären wollten“, warf der deutsche Kanzler ein. „Ich meine persönlich, nicht mit diesen Dossiers über Naguad, die vor vierhundert Jahren die Erde infiltriert haben und so. Wissen Sie eigentlich, dass wir vierhundert Jahre Geschichte umschreiben müssen? Nein, eigentlich müssen wir alles umschreiben, denn mit den Daimon haben wir ja Zeitzeugen die wir fragen können.“
„Kommt Zeit, kommt Gelegenheit, Herr Bundeskanzler. Aber uns stellt sich neben dem Bürgerkrieg eine andere Frage: Wenn Daness und Arogad einen Bürgerkrieg beginnen, welche Seite nehmen wir ein? Ich meine, formell gehören wir Arogad an. Aber die Verdienste von Megumi Uno wiegen schwer, sehr schwer. Um nicht zu sagen mehr als die von Akira. Auch wenn sie nie die Abschusszahlen Akiras erreicht hat.“
„Sie fordern uns zur Rebellion gegen Haus Arogad auf?“
„Ich fordere Sie auf genau nachzudenken, welche Position wir in diesem Bürgerkrieg beziehen sollen. Ich glaube wir dürften es sehr schwer haben der Welt zu erklären, warum Megumi Uno, Lady Death, plötzlich zu einer Gegnerin geworden ist.“
„Falls sie eine Gegnerin sein will.“
Eikichi senkte den Blick. Er dachte daran, wie einsam Megumi aufgewachsen war, nachdem beide Eltern in einer Schlacht um Tokio getötet worden waren. Danach hatte sie nicht viel gehabt. Nur noch Yohko, Sakura, Makoto und Akira. Später war Yohko auf dem Mars geblieben und Makoto und Akira hatten sich aus dem Krieg zurückgezogen, ihr die schwere Bürde hinterlassen, für die Menschheit zu kämpfen.
„Wenn sich Megumi Uno dafür entschließt, gegen den Turm Arogad zu sein, werden wir ihr das nicht übel nehmen. Sie hat soviel für uns getan, so unendlich viel. Wir alle stehen bis zum Hals in ihrer Schuld. Solange ich Executive Commander bin, feuert nicht ein einziges Schiff und nicht ein einziger Mecha auf sie.“
Bestätigendes Gemurmel der anderen Konferenzteilnehmer erklang.
„Wir gehen da mit Ihnen konform, Eikichi. Wir werden einen Weg finden, uns aus diesem Bürgerkrieg raus zu halten.“ Der U.S.-Präsident nickte schwer. „Notfalls hätte ich keine Einwände, wenn wir uns als Arogad dem Haus Daness ergeben.“
Wieder wurde zustimmend gemurmelt.

„Executive Commander, wir haben soeben eine neue Meldung hereinbekommen. Ihr Sohn hat soeben die Erde verschenkt.“
„WAS?“
Aufgeregtes Raunen der anderen Konferenzteilnehmer machte es unmöglich, weiter zu sprechen.
Als sich die mächtigsten Frauen und Männer der Erde beruhigt hatten, fragte Eikichi: „Warum hat Akira eine ganze Welt verschenkt, Captain?“
„Nun, wenn meine Informationen korrekt sind, hat er ihn gegen eine Verlobung und den Turm der Daness eingetauscht. Oder um es mit den Worten meines Naguad-Kollegen zu sagen: Die Arogads haben jetzt nichts mehr zum angreifen. Das ganze Nag-System applaudiert der Finesse von Aris Arogad, Sir.“
Eikichi seufzte zum Steine erweichen. Auch wenn es ihre dringlichsten Probleme löste, es schuf tausende neue. „Und an wen hat Akira unsere Heimatwelt verschenkt, Captain?“
„Nun, wenn meine Informationen richtig sind ging die Erde im Tausch für ein Eheversprechen und den Daness-Turm an… Colonel Megumi Uno.“
„Kein Wunder, dass sie ihm die Ehe versprochen hat. Wer kriegt schon einen ganzen Planeten zur Verlobung?“, scherzte der Bundeskanzler und erntete Gelächter von seinen Kollegen.
„Dieser Bengel“, ächzte Eikichi und massierte seine Schläfen. Er grinste. „Dieses Genie.“

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01.10.2006 21:14 Ace Kaiser ist online E-Mail an Ace Kaiser senden Beiträge von Ace Kaiser suchen Nehmen Sie Ace Kaiser in Ihre Freundesliste auf
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„Das löst unsere Probleme nicht“, mahnte der Präsident der U.S.A.
„Nein, Mr. President. Aber es verhindert eine ganze Reihe anderer Probleme, bevor sie akut werden können. Wenn Akira die nächsten Stunden überlebt, sinkt die Wahrscheinlichkeit für einen Bürgerkrieg zwischen den Häusern enorm.“ Eikichi rieb sich die Schläfen. „Hoffentlich.“
***
An einem anderen Ort auf der Erde wurden in diesem Moment finstere Ränke geschmiedet.
Wer erwartet hatte, dass die düsteren Geschäfte in einem finsteren Keller stattfanden, wurde bitter enttäuscht.
Man traf sich nicht nur mitten in Manhattan, New York City, nein, man benutzte auch den lichtdurchfluteten Konferenzraum im Penthouse eines achtzigstöckigen Geschäftsgebäudes.
Die meisten der Konferenzteilnehmer waren per Hologramm vertreten, die Kommunikation erfolgte über Leitungen, deren Sicherheit denen der UEMF in nichts nachstand, eigentlich sogar übertraf. Hätten die Spezialisten der Weltverteidigung davon gewusst, vielen hätte es die Nachtruhe geraubt. Nun, noch mehr als ohnehin schon.
Angeführt wurde die Konferenz von einem hoch gewachsenen, breitschultrigen Mann mit schulterlangem weißem Haar. Seine dunkelbraunen Augen funkelten belustigt in seinem sonnengebräunten Gesicht.
Anwesend waren zwanzig Personen, davon dreizehn als Hologramm. Viele von ihnen waren ebenfalls weißhaarig und dunkeläugig. Sämtliche Schattierungen von dunklem grün bis zu kohlrabenschwarz waren vertreten. Die Zahl an Männern und Frauen glich sich beinahe aus, mit leichtem Überhang für die Männer.
Auf dem Tisch lief gerade ein holographischer Film. Und was er den erstaunten Teilnehmern zeigte, raubte allen den Atem.
„Das ist die Lage“, sagte der Vorsitzende ernst. „Der Turm der Arogad wurde bombardiert, und das von einem Daness-Schlachtschiff. Es steht außer Frage, dass es keine Daness waren, die diesen Angriff befohlen, ja, gewollt haben. Ein weiteres Haus hat hier seine Finger im Spiel. Ein Haus, das sich erstens Chancen ausrechnet, von einem Bürgerkrieg zwischen den beiden größten Häusern zu profitieren und zweitens nicht damit rechnet, von Daness oder Arogad abgestraft oder sogar vernichtet zu werden.“
„Legat Scott“, meldete sich eine der Frauen mit weißen Haaren zu Wort. Ohne Zweifel trug sie das Elwenfelt-Genom, aber sie kaschierte es mit einer Wasserstoffblondierung. „Legat, das sind sehr interessante Informationen. Aber was nützen sie uns? Planen Sie etwa, sich mit diesem Haus zu verbünden?“
„Nun, Legatin Francine, eine Koalition mit einem anderen Haus als den Elwenfelt dürfte uns schwer fallen, vor allem nachdem die Erde rechtmäßig dem Haus Arogad zugesprochen wurde. Im Prinzip ist unsere Versammlung nun nicht nur in den Augen der UEMF eine illegale, ja terroristische Vereinigung, sondern auch für das Imperium der Naguad. Wir müssen unseren eigenen Vorteil aus dieser Situation ziehen, und das werden wir auch.“
Der Legat der Kronosier senkte den Kopf und sandte einen düsteren Blick über den Tisch. „Würden wir das nicht tun, dann hätten wir uns die Fortsetzung der UEMF-Infiltration sparen können. Wir hätten es mit der Vernichtung des Legatshauses belassen können, uns entweder ergeben oder in unsere Tarnidentitäten flüchten können, um fortan abseits der Weltpolitik zu leben. Wir hätten es uns ersparen können, die Grey Zone auf der AURORA zu gründen. Und wir hätten es uns sparen können, die Position der Erde zu verraten.“
Leises Gemurmel klang auf.
Gordon Scott hob mahnend beide Hände. „Wir haben es nicht getan. Stattdessen haben wir die AURORA infiltriert. Stattdessen haben wir die Position der Erde verraten. Stattdessen betreiben wir weiterhin die Machtübernahme der Erde durch das Legat.
Wir lassen uns nicht abschieben und auch nicht beiseite drücken. Nein, wir ziehen unseren Vorteil aus dieser Situation.“
„Und wie wollen wir einen Vorteil aus dieser Situation ziehen, wenn wir uns nicht mit dem geheimnisvollen Terror-Haus der Naguad verbünden?“, fragte einer der Männer ohne Gift.
„Nun, Cedric, das ist einfach erklärt. Als Akira Otomo über uns kam und den Mars eroberte, vernichtete er unsere Heimatbasis. Und nicht nur das, er nahm auch die meisten Legaten gefangen. Die einzigen Legaten in Freiheit sind Lady Jeanette Francine, meine Wenigkeit und wie wir seit einiger Zeit wissen, Legat Henry William Taylor.
Ein Großteil unserer Besitztümer, das Gros unseres Agentennetzwerks, die Mehrzahl der Stützpunkte, ja die meisten Truppen und Waffensysteme hat Otomo uns genommen. Sowohl auf dem Mars als auch auf der Erde. Schlimmer noch, er hat die Herzen unserer Leute erobert und es fast unmöglich gemacht, sie wieder für unsere Sache zu gewinnen.“ Der Legat grinste wölfisch. „Nun, fast zumindest.“

Scott sah zur Seite. „Mother.“
Neben dem Legaten entstand das Hologramm einer schlanken Frau mit langem schwarzem Haar. Sie war kaukasischer Abstammung, hatte ein schmales, freundliches Gesicht und einen starren, ernsten Blick. „Legat?“
„Mother ist der Host unserer Supercomputer“, stellte Scott zufrieden fest.
„Erzählen Sie uns bitte etwas Neues, mein lieber Gordon“, rief einer der anderen Männer ohne Gift. Sein starker deutscher Akzent verriet ihn als Europäer.
„Nun, Direkter Mühlheimer, das ist eine interessante Idee. Ich habe tatsächlich etwas Neues zu erzählen. Wie alle Anwesenden wissen, erging vom Core Sekunden vor seiner Vernichtung der Befehl zur Dezentralisierung. Das heißt, alle Einrichtungen auf der Erde wurden aufgefordert, sämtliche Aktivitäten einzustellen. Dennoch entdeckte die UEMF mit Hilfe der erbeuteten Unterlagen vom Mars hunderte und löste sie auf.“
Scott breitete die Arme aus als wolle er die Anwesenden umarmen. „Meine Brüder und Schwestern. Was ihr alle hier seht, ist das, was die UEMF trotz aller Anstrengungen nicht gefunden hat. Die besten, gewieftesten und mächtigsten Anführer wie unseren Geheimdienstchef Doktor Rüdiger Mühlheimer, unsere wissenschaftlicher Direktorin Doktor Francine und andere Anführer und Experten. Was ihr aber nicht wisst – verständlicherweise, weil dies seit dem Fall des Mars unser erstes Treffen in einem solchen Rahmen ist – wie viel dem Legat wirklich verblieben ist. Wie viel Macht wir immer noch haben!“
Er wandte sich zur Seite. „Mother.“
„Ja, Legat.“

Das Hologramm wechselte und stellte nun die Erde dar. Die Erdkugel rotierte leicht, und auf ihrer Oberfläche erschienen rote Punkte. Neben den Punkten öffneten sich kleine Datenfenster, die kurz die wichtigsten Fakten zu den roten Punkten aufführten. Die Punkte standen synonym für Stützpunkte.
Die Anwesenden keuchten erschrocken auf, als sich ganze Länder rot verfärbten.
„Was ihr hier seht, meine Brüder und Schwestern, ist alles was die UEMF nicht gefunden hat. Und was bis zu diesem Moment inaktiv war. Was ihr seht, sind dreihundertsiebenundvierzig Supercomputer mit neunzehntausend Menschen als Operatoren, siebenundzwanzig befestigte und ausgebaute, voll bemannte Stützpunkte, sieben geheime Werften, in denen wir Korvetten und Fregatten produzieren, und letztendlich dreihundertvierundzwanzig Geheimdienstzentralen. All das ist weltweit verteilt. Mother?“
„Dem Legat unterstehen in diesem Moment siebzehn Fregatten, achtundzwanzig Korvetten, vierhundertzehn Daishi Alpha, dreihundert Daishi Beta, zweihundertachtzig Daishi Gamma, achtundvierzig Daishi Delta und fünf Daishi Epsilon. Wir reden hier ausschließlich über aktive Maschinen mit Piloten, Ersatzpiloten und Wartungspersonal, Hangar und Kapazitäten für die Wartung und Reparatur.
Dazu kommen dreißigtausend konventionell ausgebildete Truppen auf unseren Stützpunkten, die direkt dem Legat unterstellt sind. In dieser Rechnung nicht enthalten sind die Truppen unserer Verbündeten, die dankenswerterweise von der UEMF mit Daishi-Mechas aufgerüstet wurden. All das untersteht ab sofort dem Legat.“

„Wie haben Sie all das die Jahre über verbergen können?“, rief einer der Kronosier. „Wie konnten Sie soviel Macht bewahren?“
„Sie verstehen nicht ganz, mein lieber Andrejew. Das ist nicht meine Macht. Es ist unsere Macht.“ Scotts Blick ging wieder über die Anwesenden. „Genauer gesagt, meine Brüder und Schwestern, seid ihr ab sofort der neue Legat. Zusammen erobern wir die Erde und setzen unsere Ideale durch.“
Er ballte die Hände zu Fäusten, hob sie wütend an. „Zehntausende getreuer Gefolgsmänner haben sich drei Jahre lang verborgen, immer der Gefahr ausgesetzt, von den United Earth Defense Force-Truppen aufgebracht zu werden! Und heute sind sie bereit um dort weiter zu machen wo wir damals aufgehört haben! Es ist unser Recht… Nein, es ist unsere Pflicht, diese Treue und Aufopferung nicht zu verschwenden! Wir müssen und wir werden siegen! Die UEMF hat eine Schlacht gewonnen, als sie den Mars erobert hat, aber wir gewinnen den Krieg!“
„Erster Legat Scott“, sprach der deutsche Geheimdienstchef das Offensichtliche aus und unterstrich Gordon Scotts Führungsanspruch, bevor er ausgesprochen wurde, „damit verfügen wir über eine beachtliche Macht. Aber sie reicht nicht aus, um die UEMF zu besiegen, geschweige denn ihnen stand zu halten. Wir brauchen noch viel mehr Macht. Viel mehr Verbündete.“
Scott lächelte abfällig. „Eikichi Otomo spielt uns in diesem Punkt in die Hände. Jahrelang hat er Japan bevorzugt behandelt, hat seinen Sohn als Anführer vieler wichtiger Missionen eingesetzt und seine Freunde in hohe militärische Ränge befördert. Die Hekatoncheiren, die Flotte, sie alle sind durchsetzt mit der Clique des Akira Otomo. Ja, ich weiß was einige einwenden wollen. Namen wir Takahara, Futabe, Ataka oder Uno sind nicht nur Begriffe, weil wir sie dem Namen Otomo zuordnen, sondern weil sie sich selbst einen Namen gemacht haben. Dennoch gibt es weltweit, auch in den Regierungen der Länder, die mit der UEMF kooperieren, Unzufriedene, die diesen Japan-Chauvinismus gerne beenden würden. Ihr Stolz zwingt sie dazu. Und ihre Ruhmessucht will an der Spitze die Namen von Männern und Frauen sehen, die aus ihren Ländern kommen. Genau dort setzen wir schon seit Jahren an. Und unsere Arbeit wird schon bald Früchte tragen.“
„Erster Legat“, meldete sich Francine zu Wort, „wird das reichen? Verbündete können ebenso schnell wieder zu Gegnern werden, wenn wir uns mit den falschen Leuten abgeben. Keiner von ihnen versteht die Ideale des Legats. Keiner von ihnen hat sich vom Core freikämpfen müssen, hat das Chaos gesehen, welches das Legat erst ordnen konnte, nachdem es die Entscheidungsgewalt erlangt hat. Wir haben den Wahnsinn gesehen und ihm getrotzt. Sie haben es nicht. Sie verstehen uns nicht und das werden sie auch nie. Werden diese Bündnisse halten? Werden sie uns die Macht geben, die wir brauchen?“
„Es ist merkwürdig, dass Sie von Macht sprechen, meine liebe Zweite Legatin“, schmunzelte Scott. In diesem Moment hatte er seine Stellvertreterin ernannt.
Er sah zur Seite. „Mother?“
Das Hologramm der schwarzhaarigen Europäerin neigte den Kopf zur Seite. „Sie können jetzt eintreten, Torah-sama.“
Scotts Fäuste öffneten sich wieder als die große Tür aufging. Ein mittelgroßer, schlanker Mann trat ein. Er trug einen unauffälligen schwarzen Geschäftsanzug und hatte sein schwarzes Haar modisch kurz schneiden lassen. Man sah ihm den Asiaten an, genauer gesagt den Japaner.
Einige Mitglieder des neuen Legats keuchten erschrocken auf, als sie den Mann erkannten. Andere hatten zumindest Bilder von ihm gesehen und wirkten irritiert.
„Willkommen, mein guter Juichiro Torah. Genauer gesagt willkommen, Dritter Legat, Torah.“
„Wahnsinn! Wir wissen, dass Torah gestorben ist! Wir wissen, dass die Slayer ihn getötet haben!“
Mühlheimer legte seinem Tischnachbarn beruhigend eine Hand auf die Schulter. „In der Tat, Torah wurde von den Slayern vernichtet. Was Sie aber nicht wissen ist folgendes. Juichiro Torah ist kein Mensch.“
„Wollen Sie etwa sagen, dass er ebenfalls von dieser verdammten Naguad-Brut ist? Ein verdammter Verräter?“
„Nein, Legat Palischenkow. Und ja“, schloss Scott hoch zufrieden und bedeutete dem Magier, am Tisch Platz zu nehmen. „Unser Freund Torah, der Dritte Legat ist kein Mensch, aber er ist auch kein Naguad. Er ist aber das, was… Nun, ich will es einen Unzufriedenen nennen. Unzufrieden mit den Taten und der Politik seiner Führung. Einen Rebellen, Freigeist und Reformer, der leider der bourgoisen Übermacht nichts entgegen zu setzen hatte und genau wie wir aus dem Untergrund hatte handeln müssen.
Es gibt nur einen einzigen Grund, warum Legat Torah heute noch lebt. Obwohl er auf dem Mars hätte sterben müssen. Obwohl kein Mensch und kein Magier den Angriff der Slayer überlebt haben kann.“
Scott lächelte den schwarzhaarigen Japaner an. „Bitte. Sie haben die Ehre, mein Freund.“
Juichiro Torah erhob sich und lächelte in die Runde. „Es stimmt. Ich hätte eigentlich sterben müssen. Aber ich bin kein Mensch und ich bin kein Naguad. Ich bin kein Anelph und erst Recht kein Iovar. Vom sterben, vom wirklichen sterben war ich in diesem Kampf sehr weit entfernt. Ich habe lange gebraucht, um mich wieder zu erholen, und es war sehr schwer für mich. Aber letztendlich habe ich es geschafft.“
Der Magier grinste und erhob sich. Er setzte beide Hände auf dem Konferenztisch ab, doch noch auf dem Weg auf die Tischplatte veränderten sie sich. Sie verbreiterten sich, die Finger schrumpften, ein goldorangener Pelz entstand. Fürchterlich lange, schwarze Krallen schlugen in die Beschichtung des Tischs.
„Wwwweilll ich eiiiiin Daiiiiimooonnn binnnnnn!“
Entsetzensschreie wurden laut, einige der frisch gebackenen Legaten sprangen vom Tisch weg. Nur Mühlheimer, Mother und Scott zeigten keine Regung.
Der Magier Juichiro hatte sich vor ihrer aller Augen in einen Tiger verwandelt. In einen aufrecht stehenden, Anzug tragenden Tiger. Seine Katzenaugen funkelten amüsiert in die Runde und die Nasenhaare zitterten belustigt, als er die Schnauze bleckte und die anderen Legaten beim Anblick seines Raubtiergebisses erneut zurück wichen.
„Heißt das“, fragte Scott sachlich, „wir können bald wieder mit der Unterstützung von Youmas rechnen, Dritter Legat?“
Der Tiger wandte sich ihm zu und verbeugte sich knapp. „Jjjjawoooohlll, Errrrsterrrr Llllllegaaat.“
Scott setzte sich wieder und faltete die Hände unter dem Kinn ineinander. Auch die anderen Legaten kehrten vorsichtig zum Tisch zurück.
„Hat noch irgendjemand Fragen, meine Brüder und Schwestern?“ Der Erste Legat grinste diabolisch. Es konnte ohne Weiteres mit dem Blick und der geöffneten Schnauze des Tigers mithalten.

4.
Es begann mit Beschuss. Ohne erkennbaren Übergang, ohne Manöver begannen die Schiffe des Rates auf ihre Ziele zu feuern. Erst nachdem sie die ersten Salven abgefeuert hatten, begannen die Kriegsschiffe Jagd auf ihre Beute zu machen.
Zugleich feuerten Artillerieeinheiten auf den Turm, zerstörten die großen Tore des Turms, bestrichen die Plattformen auf den oberen Etagen, welche normalerweise Gleitern zum landen oder Banges zum starten dienten.
Erkannte Geschützstellungen wurden bombardiert und neu erwachende Stellungen schnell unter Feuer genommen. Über fünfzig Banges, für den Nahkampf konfiguriert, führten die erste Attacke an. Sie schossen auf den Turm zu, entlarvten dabei weitere, bisher getarnte Abwehrstellungen. Ein Teil wurde abgeschossen, die anderen kamen bis zum Turm selbst durch. Das drei Kilometer hohe und hier an der Basis achthundert Meter starke Gebilde war eine Stadt für sich. Eine Stadt, in der man auf vielen Etagen bequem mit einem Banges passieren konnte. Unter dem Turm, in seinen Gewölben wussten die Angreifer eine stetig besetzte Kaserne für Banges und ihre Piloten in der Stärke eines Bataillons, also vierzig Maschinen. Nun waren die Angreifer auf dem Weg den Turm hinab.
Danach kamen Panzereinheiten und Infanterie. Hubschrauber und Schweber stiegen auf, um die höheren Etagen angreifen zu können.
Wenige Minuten nach dem ersten Schuss waren die ersten Etagen unter Kontrolle der Ratstruppen und ein sehr zufriedener Torum Acati arbeitete sich zu Fuß, aber an der Spitze von zwei Dutzend AO-Meistern den Turm hinauf.
Die meisten Naguad, die ihnen begegneten waren Zivilisten oder vollkommen überforderte gemeine Soldaten. Torum bedauerte es, ihnen eine ungewöhnlich diskreditierende Behandlung nicht ersparen zu können. Aber bei einem so schweren Vergehen wie dem Verrat am Imperium konnte Torum nur versprechen, die Naguad so gut es ihm möglich war zu behandeln, während er gleichzeitig unnachgiebig niemanden entkommen ließ.
Vereinzelt wurden ihm Gefechte gemeldet, aber noch musste er keine AO-Meister einsetzen.

Nachdem er die halbe Strecke in das Penthouse geschafft hatte – acht Minuten nach Angriffsbeginn und nachdem er die fünfte von seinen per Schwebern angreifenden Truppen eroberten Etagen erreicht hatte, meldete sein Adjutant einen Anruf aus dem Orbit.
„Admiral Acati.“
„Admiral Longuene, Sir. Die Lage im Orbit ist unter Kontrolle. Die meisten Schiffe haben sich ergeben oder wurden vernichtet. Aber leider musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass einige der großen Kriegsschiffe wie die TARNUB, die GODENSK und die VARTAUM gegen umgebaute Frachter ausgetauscht wurden.“
„Nonsens. Wir wissen, dass diese Schiffe gebaut wurden.“
„Richtig. Deshalb sagte ich auch nicht vorgetäuscht, sondern ausgetauscht. Ich muss annehmen, dass das Haus drei Schlachtkreuzer der Bakesch-Klasse irgendwo im Imperium versteckt hält. Und wer weiß wie viele Kriegsschiffe, die in den Marken Dienst tun sollen, ebenfalls nur umgebaute Frachter sind.“
„Admiral. Was Sie mir da sagen impliziert folgendes: Das Haus baut mehrere große, kampfstarke Kampfschiffe und tauscht sie anschließend gegen umgebaute Frachter aus, die genau diese Schiffe simulieren sollen. Anschließend verschwinden die richtigen Schiffe. Das Haus versucht nicht, diese Schiffe umzubenennen, um seine Flotte größer erscheinen zu lassen. Es lässt die Kampfschiffe tatsächlich untertauchen.“
„Genau das will ich damit sagen, Admiral Acati.“
„Haben wir eine Ahnung, wo die Schiffe sein können? Haben wir eine Ahnung, wie viele Schiffe es sein können?“
„Nein, haben wir nicht. Und ich befürchte, das wird nicht die letzte Überraschung sein, die uns bevor steht.“
„Ich habe es befürchtet. Acati aus.“ Plötzlich hatte es der Begam Erster Klasse furchtbar eilig, die Turmspitze zu erreichen.
„Admiral. Die Banges-Truppen melden Kämpfe mit der Banges-Kaserne auf der untersten Ebene, aber keine Spuren einer Selbstzerstörungseinrichtung.“
„Na wenigstens etwas“, brummte Acati gehetzt. „Allerdings enthebt uns das nicht von der Möglichkeit, dass die Konstrukteure ein paar Sollbruchstellen integriert haben, die den ganzen Kasten schon bei Minimalbeschuss in sich zusammenfallen lässt. Weiter! Weiter!“
**
Die Finte funktionierte! Ich glaubte vor Glück und Zufriedenheit überzuschäumen! Es würde keinen Racheangriff auf den Turm der Daness geben!
Ich spürte nicht einmal, wie ich erleichtert in den Knien einbrach!
„Nachricht aus dem Arogad-Turm! Jarah Arogad wurde gerettet, die Energieversorgung fährt wieder hoch. Erste Teams nähern sich der Turmspitze! Arogad-Kampfraumer verlassen Angriffsposition! Wir kriegen ein Bild von einem Regierungshubschrauber, der die Turmspitze anfliegt!“, rief Vern Attori, der Protokollchef, aufgeregt.
Sostre Kalis kam zu mir herüber, griff unter meine Achseln und stellte mich wieder auf die Beine.
Mitne Daness, der Vorsitzende des Haus-Rates, nickte Attori zu.
Über uns entstand ein Hologramm im riesigen Büro Mitnes. Es zeigte den zerstörten Turm der Arogads. Meiner Familie.
Die obersten beiden Stockwerke hatten Büros beinhaltet, vor allem aber das Büro meines Urgroßvaters Oren Arogad. Sie waren in sich zusammen gefallen und mit ihnen drei weitere Stockwerke. Franlin, mein Adjutant aus der Nebenfamilie Litov, informierte mich leise darüber, dass die Konstrukteure des Turms manche Stockwerke als Dämpfer geplant und gebaut hatten. Sie sollten die abstürzenden Stockwerke in genau so einem Unfall auffangen und verhindern, dass die kinetische Energie die Stahl- und Betonmassen komplett in sich zusammen stürzen lässt.
Es war ein wenig wie mit dem zwei Tonnen schweren Auto, das einen Abhang herabrollte. Bremste man es ab, kaum dass es sich in Bewegung gesetzt hatte, konnte ein einzelner Mensch es aufhalten. War es aber erst einmal in Fahrt geraten, dann entwickelten die zwei Tonnen Stahl einen solchen Bewegungsmoment, um fünf oder sogar zehn Menschen zu überrollen. Genau das war beim Bau der Türme berücksichtigt worden.

Die Kamera zoomte heran. Fünf Stockwerke. Darunter die Büros des Haus-Rates. Noch vor vier Wochen wäre es mir egal gewesen, die interne Struktur der Naguad war mir nicht in dem Maße bekannt, in dem sie es heute war. Und meine eigene Rolle in diesem Spiel hatte nicht existiert. Noch nicht existiert.
Nun aber vermisste ich meinen Urgroßvater, meine Oma, meine Schwester und einige meiner besten Freunde in diesem Turm. Eri und Oren mussten zudem unter diesen Trümmern liegen.
Ich weigerte mich einfach anzunehmen, dass dies für Yoshi, Aria und Joan auch der Fall sein konnte. Nein, sicherlich waren sie mit Yohko zusammen, die laut der letzten Nachricht aus dem Turm gerettet wurde. Sicher waren sie alle nicht in unmittelbarer Gefahr.
Verdammt, ich hasste meine Situation wirklich! Was hätte ich nicht alles dafür gegeben, um den Daness-Turm verlassen zu können, um selbst bei den Aufräumarbeiten zu helfen! Meine Verwandten selbst zu retten!
Nun, nicht alles, und gewiss nicht den Waffenstillstand, den ich mit meiner Anwesenheit im Turm der Daness erzwang. Es gab wirklich Momente in meinem Leben, in denen ich mich selbst zu hassen begann.

Der Hubschrauber ging näher heran und zu meinem Entsetzen sah ich dabei zu, wie sich tonnenschwere Fragmente des Turms in Bewegung setzten und über den Rand des Turms in die Tiefe fielen.
Da der Turm konisch war, bedeutete dies, dass die Fragmente irgendwann mit dem Turm kollidieren würden. Was wiederum die Schäden erhöhte. Hatte diese Geschichte denn kein Ende?
Außerdem, falls jemand unter den Trümmern gefangen war, gerettet von einem temporär entstandenen Hohlraum, wurde er zerquetscht, wenn die Trümmer in Bewegung gerieten?
Verdammt, verdammt. Und die Retter der Arogad waren immer noch nicht oben angekommen.

„Gibt es Nachrichten aus den Vorstädten?“, fragte ich ernst. „Wie weit sind die Evakuierungsbemühungen der Häuser Koromando und Grandanaar?“
„Uns ist noch nichts weiter bekannt. Aber das Haus hat die Krisenstabschefin, Aerin Jorr, damit beauftragt, die Hilfeleistung der Arogad zu koordinieren und ein eigenes Team aufzustellen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Meister Arogad“, informierte mich Franlin leise. „Auch die Bemühungen von Daness und den anderen Häusern laufen an, wenngleich sich Daness etwas zurückhält. Immerhin hat Arogad von der Truppenstärke gesehen ein gefährliches Übergewicht in der Hauptstadt.“
„Verstehe“, murmelte ich. Soviel also dazu, dass ich mich selbst einbringen konnte. Entweder in den Aufräumarbeiten im Turm der Familie oder bei der Evakuierung der Familienlosen in den kontaminierten Vorstädten.
Ich sah herüber zu Megumi, die mit Gina auf einer Couch saß und mit brennenden Augen das Hologramm verfolgte. Sie hatte ein sehr inniges Verhältnis mit Eri aufgebaut, hatte ich mir sagen lassen. Sie war genau wie ich im Ungewissen. Sie war… Noch immer besser dran als Gina, eine ganz normale junge Frau, die ursprünglich ein kleines Restaurant auf der AURORA betrieben hatte, bevor sich herausgestellt hatte, dass die Kronosier ihr die Seele einer ihrer Agenten regelrecht implantiert hatten, um mich zu töten.
Nun, das hatte nicht besonders gut geklappt, mittlerweile verstand ich mich mit der Attentäterin sogar recht gut. Und die zwei begannen sich für die Zeit einzurichten, die sie den Körper von Gina noch teilen mussten. Wenn nicht… Ja, wenn nicht noch eine dritte Seele hinzugekommen wäre.
Wenn Torum Acati nicht Ai Yamagata getötet hätte. Ich wusste nicht wie es möglich war, wie es passiert war, aber der sterbende Leib von Ai-chan war von Gina umarmt worden und ihre Seele – oder ihr KI – war auf Gina Casoli übergegangen. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es in ihrem Kopf nicht manchmal etwas eng wurde.
Dann sah ich zu Henry herüber, meinem besten, ärgsten, treusten und verschlagensten Feind. Ich wusste, dass Ai ihn liebte. Ich wusste auch, dass die Agentin ein Faible für mich hatte. Und es musste doch mit dem Teufel zugehen, wenn Gina nicht tüchtig in Mamoru Hatake verknallt war… Ich korrigierte mich selbst. In ihrem Kopf musste sich eine Kakophonie jenseits allen Vorstellbaren abspielen.
„Habe ich was im Gesicht?“, fragte der ehemalige Legat mit den Elwenfelt-Genen und wischte sich mit einem Taschentuch die Wangen ab.
Ich winkte ab und dachte an Ai. Was, wenn Ai nun die Kontrolle über das Konglomerat gewann und zu Henry ging und… Die Situation war sehr verfahren.
Nicht zuletzt deshalb, weil Henry William Taylor nun in meinen Diensten stand. Ihm gegenüber hatte ich gebeichtet, Ai-chan nicht beschützt zu haben. Er würde mehr als irritiert sein, wenn er die neueste Version erfuhr.

Der kreischende Alarm riss mich aus meinen Gedanken. Der Rhythmus war mir neu, ich hatte ihn noch nie gehört. „Eindringlingsalarm?“, fragte ich Sostre, der immer noch neben mir stand.
Der Cousin von Megumi versuchte zu lächeln, aber sein Gesicht verzog sich nachdenklich.
„Nein, das ist schlimmer, Aris. Viel schlimmer!“
**
Plötzlich hatte es der Begam eilig. Wirklich eilig. Torum Acati überzeugte sich davon, dass die Aufnahmegeräte an seinem Körper funktionierten und alle gesammelten Daten sofort weitergaben und rief hastig Befehle an seine Soldaten und AO-Meister, bevor er sich konzentrierte, sein AO sammelte und mit Gewalt durch die nächste Decke brach. Und durch die übernächste. Und die darauf. Und eine vierte. Und danach die fünfte.
Nach zwanzig Zwischendecken, viele von ihnen verstärkt, um bei einem Unfall als interne Stützen zu dienen, hatte Torum seine Leute, sogar die AO-Meister und die Ritter des Ordens weit hinter sich gelassen. Weit, weit hinter sich. Und somit machte er sehr deutlich, was der Unterschied zwischen einem Mitglied des Rates, einem persönlichen Vertrauten von Meisterin Tevell, und einem normalen Mitglied war. Ein AO-Meister des Ordens war einem normalen Soldaten der Naguad so weit überlegen wie ein Banges, aber Acati übertraf diesen AO-Meister noch einmal erheblich. Man konnte ihn in diesem Zusammenhang ohne weiteres als Fregatte bezeichnen.
Brutal brach sich der Begam Erster Klasse seinen Weg durch die Decken. Das bedeutete Raubbau an seinen Kräften und er würde einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, aber in diesem Moment, in diesem einen Moment diente er nur der Wahrheit. Und er wusste, er würde sich sehr beeilen müssen, um sie noch zu erleben. Es waren nur noch siebzehn Zwischendecks, die er überwinden musste, um bis in die Turmspitze zu kommen.
Kurz spielte er mit dem Gedanken, den Turm zu verlassen und die Spitze von außen zu attackieren. Aber er sah in der Attacke durch den Boden eine größere Chance. Mit einem Angriff von außen rechneten die Herren des Turms bestimmt, mit einem AO-Meister, der sich brutal durch die Decken brach vielleicht nicht. Und er musste, es sehen, musste es, unbedingt! Er musste, musste, musste, mit eigenen Augen erleben, was ihn auf der obersten Ebene, dem Büro des Vorsitzenden des Hausrates erwartete.

Schwer atmend lehnte er sich gegen die nächste Wand. Die Anstrengung kostete ihren Preis, und selbst er war weder allmächtig noch unsterblich. Er war verflucht und von der Abstammung her anders als die Naguad und trug seine Geburt wie ein Brandmal mit sich herum, aber er diente verdammt noch mal allen Daima auf dieser Welt! Er hatte sich dazu entschlossen, sie zu beschützen, selbst wenn sie ihn verachteten und schmähten! Und kein winziger Schwächeanfall würde ihn daran hindern, seinen Weg fortzusetzen! Nichts hielt ihn auf! Nicht ihn! Nicht den halben Dämon Torum Acati!
„Admiral! Wir sind ja da!“, rief eine aufgeregte Stimme neben ihm.
Kuali Taral, eine Begam Zweiter Klasse, kam mit weiteren neunzehn AO-Meistern durch das Loch geschossen, welches Torum brachial geschaffen hatte. „Sie wollen nach oben, richtig? Wir bahnen Ihnen den Weg, Admiral!“ Die junge AO-Meisterin, die ihrem Turm Arogad schon lange abgeschworen hatte, um für alle Naguad da sein zu können, lächelte ihm ermutigend zu. Dann instruierte sie ihre Begleiter. Vier von ihnen konzentrierten ihr AO, durchbrachen die Decke. Dort nahmen vier neue Meister Aufstellung und erschufen einen weiteren Durchbruch. Nach dem fünften Durchbruch war wieder die erste Gruppe an der Reihe, und so ging es weiter, fünfzehn Zwischendecken, bis sich die Männer und Frauen nur noch schwankend auf den Beinen halten konnten.
Dies war der Augenblick für Torum Acati, Taral und die anderen daran zu hindern, ihren Einsatz fortzusetzen. „Es ist gut. Es ist gut. Ich habe mich erholt. Die letzten beiden Decks kann ich wieder alleine durchbrechen.“ Acati warf einen Blick auf seinen Zeitmesser. Seit Aktionsbeginn waren erst zwanzig Minuten vergangen und er stand schon fast in der Spitze des Turms. Das Überraschungsmoment musste noch immer auf seiner Seite sein.
„Sie haben gute Arbeit geleistet! Sie alle!“, sagte Acati nicht ohne Stolz zu den AO-Meistern.
„Danke, Admiral“, ließ sich Jemm Granadaar vernehmen. „Aber ist Ihnen eines aufgefallen? Seit zehn Durchbrüchen haben wir keinen einzigen Naguad mehr gesehen.“
„Stimmt. Seit der letzten verstärkten Decke haben wir niemanden gesehen. Und die Böden sind mit Staub bedeckt. Viel Staub.“
„Vielleicht ist es besser, wenn ihr euch auf ein tieferes Deck zurückzieht“, murmelte Acati. „Ich bin mir sicher, es ist besser.“
Die AO-Meister sahen auf. Und registrierten, das der Admiral einen Befehl gegeben hatte.
Nacheinander sprangen sie in das von ihnen getriebene Loch und suchten die tieferen Stockwerke auf.

Torum Acati hingegen durchbrach die vorletzte Decke.
Oben angekommen sah er sich kurz um. Tatsächlich, auch hier war eine dicke Staubschicht zu sehen. Und die Büros wirkten seltsam leblos, unbenutzt.
Ihm schwante übles. Er konzentrierte sein AO, sprang und brach durch die letzte Decke.
Nun stand er inmitten des Bürokomplexes des Hausrates. Zumindest hätte hier der Bürokomplex des Hausrates sein müssen. Aber stattdessen sah er nur… Biotanks. Dutzende, hunderte Biotanks, dicht an dich gepackt. Es war ein kleines Wunder, dass er bei seinem brachialen Eindringen nicht ein Dutzend oder mehr beschädigt hatte.
Alle Tanks waren besetzt und die Insassen unverkennbar Angehörige des Hauses. Pechschwarze Haare, rubinrote Augen, die leblos zu ihm herüber starrten und zu fragen schienen: Warum bist du nicht früher gekommen, Torum Acati?
Die Haut der Tankinsassen war schneeweiß, ein deutliches Zeichen für das Haus Logodoboro.

Torum sah sich aufmerksam um, vergewisserte sich, dass seine Aufnahmegeräte liefen und machte sich auf die Suche nach dem Ratsvorsitzenden des Hauses, Girona Logodoboro.
Die Tanks waren bestens gewartet, die Insassen lebten. Viele starrten ihn an, während er zwischen ihnen hindurch schritt und suchte. Sie waren bei Bewusstsein und Acati fragte sich unwillkürlich, wie lange schon. Vielleicht schon Jahre, Jahrzehnte?
Ihm schauderte bei diesem Gedanken. Ein Biocomputer, hier mitten im Herzen des Imperiums? Das war Verrat. Das war schlicht und einfach Verrat an den Naguad.
Er hatte Recht gehabt, einfach Recht gehabt. Aber er fand nicht das Haupt dieser Verschwörung, konnte der Schlange nicht den Kopf abschlagen. Wo war Girona? Wo waren die anderen Mitglieder des Rates?
„Du bist zu früh, Begam Erster Klasse, Torum Acati“, erklang eine freundliche Frauenstimme hinter ihm.
Der Admiral wirbelte herum. „Was ist hier los? Wo ist der Rat?“
Die Besitzerin der Stimme, das Hologramm einer perfekt stilisierten Logobodoro-Frau, glitt auf ihn zu. „Die Räte sind in den Tanks neunzehn bis einundvierzig. Eingesperrt, wenn du es genau wissen willst.“
„Eingesperrt? Was ist mit Girona? Was mit seiner Familie?“
„Vor dem Angriff ausgeflogen. Sie haben Naguad Prime schon vor Wochen verlassen und dürften im Protektorat der Familie angekommen sein. Hier sind nur noch die Elemente des Supercomputers, der Rat… Und ich. Weißt du, wir sollten hier bleiben, um den Bürgerkrieg zwischen Arogad und Daness zu fördern, zum Wohle des Hauses.“
„Interessant. Warum erzählst du mir das alles? Weil du glaubst, es wird mir nichts mehr nützen?“
„Normalerweise würde es dir nichts mehr nützen, Torum Acati, denn ich habe Befehl, die oberen Stockwerke mit einer atomaren Granate zu sprengen, wenn wir entdeckt werden. Nicht einmal deine Natur als Sohn einer Daimon würde dich vor der Urgewalt einer Nuklearexplosion retten.“
„Du sagst würde. Was hindert dich?“
Das Hologramm strich sich durch das holographische Haar. „Ich will nicht sterben. Deshalb habe ich den Sprengsatz deaktiviert. Und die meisten Logodoboro in den Tanks wollen ebenfalls nicht sterben. Nicht für das Bündnis mit der Core-Allianz. Hast du was dagegen, wenn wir überlaufen, Admiral?“
„Also doch ein Bündnis mit dem Core“, stellte Acati wütend fest.
„Ja, schon seit Jahrhunderten. Logodoboro litt schon immer daran, dass es seine Rolle als Anführer der Migration in der neuen Heimat nicht fortsetzen konnte. Depression und Machthunger sind unstillbare Komponenten, die oft zur Katastrophe führen, verstehst du? Selbst du, der unbestechliche, ewig treue Acati, verstehst du?“
Der Admiral nickte zögernd. „Ich bin Naguad genug, um es zu verstehen.“

Acati wandte sich ab und gab eine Anzahl Befehle. Als er sich wieder dem Hologramm zuwandte sagte er: „Den Bewohnern des Turms wird nichts geschehen. Wir schonen die Soldaten wo wir können. Und unsere Medo-Teams sind bereits auf dem Weg hier hoch.“
„Könnt ihr mich zuerst befreien? Es hat lange genug gedauert, mich zum Administrator des Systems aufzuschwingen, es zu infiltrieren und die Sicherheitssysteme auszuschalten. Viel zu lange. Ich sehne mich nach einem weichen Bett.“
„Sicher können wir das.“
„Du bist misstrauisch. Das ist eine gute Eigenschaft, Torum Acati. Aber du wirst schon bald merken, dass du nichts zu befürchten hast. Komm, ich zeige dir meinen Tank.“
Neugierig, aber wachsam folgte der Admiral dem Hologramm. Er blieb schließlich vor einem uralten Logodoboro stehen, dessen Haare fast schon ausgefallen waren. Dennoch lächelte der Mann in seinem Schlaf. „Wenn ich deinen Körper so sehe, muß ich sagen, du hast einen netten Avatar.“
„Was stehst du da hinten rum? Dies hier ist mein Körper, Torum Acati!“
Das Hologramm deutete auf einen anderen Tank, in dem eine schlafende Frau schwebte. Sie sah exakt so aus wie das Hologramm und nicht einen Tag älter als einhundert.
Entsetzt sah Acati zum Hologramm herüber. „Du bist… Du kannst nicht…“
„Doch, ich bin und ich kann. Ich bin Agrial Logodoboro, die Gründerin dieses Hauses, die Anführerin des Exodus und Begründerin der Räte-Regierung. Und dies ist mein Ruheplatz, seit zweitausend Jahren!“
„Du hast dich gut gehalten“, murmelte Acati beeindruckt.
„Danke. Das hört eine Frau wirklich immer wieder gerne.“ Der holographische Avatar errötete und sah beschämt zur Seite.

4.
Als Lady Death von Überschlagblitzen überzogen wurde, als der riesige Hawk in die Knie ging und vornüber gesackt verharrte, wusste ich, dass die entspannte Situation viel zu schön gewesen war. Es hatte ja nicht gut gehen können. Einfach nicht gut gehen können.
Megumi wollte zu ihrem Mecha eilen, besann sich aber eines Besseren und zog Gina hinter sich her in Deckung eines Sofas.
Die wenigen anwesenden Sicherheitskräfte des Turms verteilten sich in Schusspositionen vor den Fahrstuhlschächten. Ich selbst versuchte noch zu Megumi zu kommen, wurde aber von Sostre und Henry daran gehindert und ebenfalls hinter ein Sofa gezogen.
„Die Garnituren sind mit Stahlplatten ausgekleidet“, informierte mich der Daness. „Für den Fall eines Angriffs, eines Putsches oder was auch immer dienen sie den Verteidigern als Bastionen.“
„Schießscharten habt ihr wohl nicht eingebaut, oder?“
„Wir werden es bei der nächsten Generation Möbel anmerken“, erwiderte Sostre mit einem dünnen Lächeln. „Immerhin ist das hier mittlerweile deine Immobilie, nicht, Aris?“
„Anscheinend“, erwiderte ich und versuchte Megumi zu entdecken.

Dann gingen die Fahrstuhltüren auf. Ein erleichtertes Raunen ging durch die Reihen der Verteidiger, als es Daness-Sicherheitsleute waren, die den Raum betraten und absicherten.
Doch mir fiel auf, dass sie einen Verteidigungskordon um den Fahrstuhlschacht einnahmen. Beide Fahrstühle fuhren wieder in die Tiefe und ich wusste, dass diese Daness garantiert nicht meine Freunde waren. Und ich war nicht der einzige der so dachte. Auch Mitne Daness behielt den Kopf unten. Was vielleicht das Sicherste war, solange wir nicht wussten, was hier geschah.
Wieder sah ich zu Lady Death zurück. Unser Trumpf war effektvoll ausgeschaltet worden.

Als die Türen erneut aufgingen, spuckten sie einen weiteren Schwall Uniformierter in den Haus-Farben gelb und weiß aus. Und zwischen ihnen kamen zwei Mitglieder des Haus-Rates sowie ein uralter Mann, der sich auf einem alten, knorrigen Stock stützte. In der Hand hielt er ein Buch. Ein Papierbuch im durch und durch vernetzten Daness-Turm?
„Verdammt! Die Räte Logen Daness und Metras Kalis, sowie Markub Tanel, der Vorsteher des Hauses!“
„Vorsteher?“
Sostre grinste mich schief an. „So eine Art Hüter des Stammbaums. Nur leider mit erheblicher Machtfülle ausgestattet. Ich glaube, er hat was gegen deine Verlobung mit Solia, Aris.“
„Und er hat Waffen“, stellte ich zähneknirschend fest.

„Wo ist Aris Arogad, das Halbblut?“, rief der Alte mit überraschend kräftiger Stimme.
Ich antwortete nicht. Warum auch? Wenn ich meine Position verriet, geriet ich nur noch mehr in einen Nachteil.
„Wann kommt unsere Verstärkung, Sostre?“, raunte ich.
„Verstärkung? Wir brauchen doch keine Verstärkung“, erwiderte der Daness ebenso leise.
Auf ein Zeichen des alten Mannes eröffneten die Wachen das Feuer. Unsere eigenen Wächter sprinteten in Sicherheit, während wir uns noch etwas tiefer duckten.
Damit waren die Fronten geklärt.
„Aris Arogad, Halbblut aus dem Fleisch der Naguad und der Menschen! Warum versteckst du dich?“
„Weil du auf mich schießen lässt, du alter Sack!“, zischte ich leise.
„Das habe ich gehört!“ Wieder wurde gefeuert, und zu meinem Entsetzen sah ich, wie die Rückwand vom meinem Stück der Garnitur rot aufleuchtete. Scheiße, meine Deckung begann zu schmelzen.
„Ich frage erneut: Wo bist du, Aris Arogad?“
Ich erhob mich. Wenn dieser alte Irre weiterhin wild in der Gegend herum schoss traf er womöglich noch Megumi oder einen der anderen. Gina. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn Gina getroffen worden wäre.
„Ich bin hier. Was wollen Sie, Ehrenwerter Vorsitzender?“
„Schmeicheleien nützen dir nun auch nichts, Arogad!“ Der alte Mann klopfte auf sein Buch.
Der alte Mann fixierte mich, aber ich hielt seinem Blick stand.
Wenngleich ich bereit war, sofort wieder hinter die Stahlplatten zu verschwinden, sollte das nötig werden.
Nun, die Angreifer trugen Projektilwaffen und Laserwaffen, und ich hoffte, dass weder die Projektile selbststeuernd waren, noch sich die Laser durch die Panzerplatten nagen konnten.
„Es ist eine Schande“, sagte der alte Mann zähneknirschend. Er schlug das Buch auf und blätterte darin. „Syrien Kalis, Sohn einer guten Familie, eines ehrenwerten Seitenzweigs, der uns schon immer gute Soldaten, gute Verwalter und auch schon Admiräle geschenkt hat.
Und Meia Daness aus der Hauptlinie, Tochter von Mitne, dazu bestimmt, dem Haus einst einen würdigen Rat zu gebären und den Erhalt der Familie zu sichern.
Aus ihnen entstand Solia Kalis. Soldatin, Kriegerin, Heldin einer fernen Welt namens Erde.
Du, Halbblut, teils Arogad, teils Mensch, willst diese Frau heiraten? Diesen Turm übernehmen und ihr die Erde schenken?“
Der alte Mann senkte den Blick. „Es sei dir vergeben. Nimm deine Gefolgsleute und verlasse den Turm, Halbblut.“

Ich konnte nicht so recht sagen, aber der alte Mann ging mir mächtig auf die Nerven. „Und wenn ich mich weigere?“
„Du kannst auch gerne noch hier bleiben, bis du die Sinnlosigkeit deines Tuns einsiehst“, antwortete der Alte ungerührt. Er zog einen langen roten Stift aus seiner Jacke und machte gerade Striche in seinem Buch.
„Verdammt“, klang Sostres Stimme neben mir auf.
„Was ist passiert?“
„Er streicht uns aus dem Hausbuch. Drei… Vier. Fünf, sechs… Er hat mindestens sechs Personen raus gestrichen. Die Frage nur, ob er uns aus der Familie gebannt hat oder tot sehen will. Aber wie man es dreht und wendet, dein Deal mit dem Rat ist damit fast gestorben, Aris.“
„Der Deal, der diesen verdammten Turm und das Haus Daness retten sollte“, zischte ich zu Sostre in seiner Deckung herab. „Und einen Bürgerkrieg verhindern sollte.“
„Erzähl das nicht mir, sag es dem alten Knacker da drüben“, erwiderte Sostre gereizt.
Der Alte verstaute den Stift wieder und sah auf. „Syrien Kalis! Meia Daness! Mitne Daness! Jeter Kalis! Lyda Daness! Solia Kalis! Ihr seid aus dem Buch gestrichen!“
Sein Blick ging über die Möbel. „Sostre, komm.“
Ich sah hinab, wechselte einen langen Blick mit dem jungen Daness. Der grinste schief als er antwortete: „Um mit den blumigen Worten der Erdenmenschen zu sprechen: Du kannst mich mal, alter Sack!“
Ich musste prusten, biss mir beinahe in die Faust, um mir das Lachen zu verkneifen.
Aber der Vorsteher reagierte nicht so wie ich erwartet hatte.
„Du setzt die Schande fort, die deine Vorfahren über dieses Haus bringen wollten, als sie einer Verbindung mit einem Arogad zugestimmt haben.“ Er ergriff wieder den Stift und klappte das Buch erneut auf. „Sostre Daness. Du bist aus dem Buch gestrichen.“
Er sah seine beiden Begleiter Logen und Metras an, die nun nickten. Markub Tarnel sah in meine Richtung. „Geh in deinen Turm zurück, Arogad-Halbblut. Hier gibt es für dich nichts mehr zu gewinnen.“
„Ich weigere mich“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Nun gut. Commander, töten Sie alle anwesenden Daness, aber achten Sie darauf, dass das Halbblut und seine Gefolgsleute überleben.“
„Denkst du, so leicht lassen wir uns abschlachten? Solia, dein Hawk!“, rief Sostre.
Megumi reagierte sofort, sie sprang auf und lief auf Lady Death zu.
Markub Tarnel lächelte düster und hielt einen schwarzen Gegenstand hoch. „Ich habe mit dieser Entwicklung gerechnet. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass ich den Banges jederzeit ausschalten kann.“
„Komisch“, erwiderte Sostre, „damit habe wiederum ich gerechnet und dafür gesorgt, dass der Hawk trotzdem funktioniert!“
Urplötzlich erwachte Lady Death zum Leben, öffnete ihre Cockpitluke und ließ Megumi ein. Danach richtete der Mecha sich zur vollen Größe auf.
„Ich bin nicht umsonst seit fünfzehn Jahren Erbe des Hausvorsitzes und lebe immer noch – bei solchen Verwandten“, erklärte Sostre grinsend.
Sicherheitshalber ging ich in Deckung, nur für den Fall, dass die Haustruppen den Kampf mit einem voll bewaffneten Mecha wagten. „Ich glaube, wir sollten das Buch leicht korrigieren, oder?“
„Du darfst es halten, ich nehme den Radiergummi.“ „Einverstanden.“
„Also“, hörte ich Megumis verstärkte Stimme über die Lautsprecher von Lady Death, „wer will zuerst?“

Epilog:
Der Regierungshubschrauber näherte sich weiter dem Dach, während weitere Brocken abrutschten und in die Tiefe fielen.
Gerade löste sich ein besonders großer Brocken und stürzte hinab.
Dann geriet eine ganze Partie ins Rutschen, es gab einen Lichtblitz, und der Pilot hatte alle Mühe, um nicht von fort geschleuderten Trümmerstücken getroffen zu werden.
„Das war knapp“, keuchte er erleichtert.
Sein Co-Pilot indes starrte entsetzt aus der Cockpitscheibe.
Der Pilot folgte dem Blick und erstarrte. Die Trümmer waren zum größten Teil fort, und inmitten der nun freien Oberfläche stand eine schlanke, schwarzhaarige Frau. Sie war von einem Kordon aus Licht umgeben, ja sie schien geradezu zu brennen. In weitem Umfeld um sie brannte die Luft im goldenen Licht. Neben ihr lagen fünf Naguad auf dem Boden, man konnte nicht erkennen, ob sie verletzt waren.
Ein letztes Mal geriet ein großes Trümmerfeld ins Rutschen, und während es über den Rand kippte, fiel der abgetrennte Unterarm eines Naguad auf den Hubschrauber zu, prallte gegen die Panzerung und fiel dann haltlos in die Tiefe.
„Wir brauchen sofort Medizinisches Personal auf der obersten Ebene!“

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Anime Evolution: Nami
Episode drei: Verlust

Prolog:
Als ich auf dem Vorplatz des Arogad-Turms landete, fühlte ich mich merkwürdig, es war beinahe ein wenig wie heim zu kommen. Dennoch. Unser Haus in Tokio, ja sogar das Haus in der AURORA würde immer und jederzeit für mich mehr Zuhause sein als dieser drei Kilometer große Gigant.
Vor allem deshalb, weil meine gesamte Sammlung in diesem Moment an Bord der AURORA war. Wütend ballte ich die Hände. Hoffentlich ging Doitsu pfleglich mit ihr um. Hoffentlich ging er pfleglich mit dem Haus um.
Wenn ich richtig nachrechnete, war er gerade der einzige Bewohner des großen Anwesens, und ich fragte mich, ob ihm in dem leeren Kasten nicht die Decke auf den Kopf fiel.
Falls ihm der Core überhaupt Zeit ließ, um in dem Haus Ruhe zu finden.
Bei dem ganzen Ärger, dem wir in den letzten Tagen ausgesetzt gewesen waren, bezweifelte ich das.

„O-nii-chan!“ Bevor ich mich versah, hing Yohko an meinem Hals. „O-nii-chan, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Dir geht es gut? Du bist unverletzt? Megumi, Gina, er ist doch in Ordnung?“
Die beiden angesprochenen Frauen lächelten leicht.
„Ihm geht es gut, Yohko. Eigentlich ist es ihm zu verdanken, dass wir alle unverletzt sind“, erwiderte Megumi schmunzelnd.
„Na, danke. Und ich zähle also nicht“, brummte Henry verstimmt. Er hatte einen rot glühenden Stahlsplitter in die linke Schulter bekommen. Die Wunde war nicht sehr tief, zudem kauterisiert, aber die Zellschäden durch die enorme Hitze waren recht dramatisch gewesen. Unter dem dicken Verband waren drei Prozent seiner Haut verbrannt worden.
Mit der Naguad-Technologie keine große Herausforderung, zugegeben, aber er hätte durch den Schock ohne weiteres sterben können.
„So habe ich das nicht gemeint“, erwiderte Megumi. „Es fällt mir zwar etwas schwer, meinen alten Erzfeind Taylor jetzt als Verbündeten betrachten zu müssen, aber das schaffe ich sicherlich irgendwann. Was ich meinte ist ernsthaft verletzt. Oder behindert dich dieser Kratzer etwa?“
„Kratzer ist gut. Der Splitter hätte mir beinahe den Arm abgerissen.“
„Akira, alter Junge. Schön zu sehen, dass es dir gut geht“, rief Yoshi und klopfte mir auf die Schulter. „Schönes Husarenstück hast du da abgeliefert. Na, wollen wir vielleicht bei der Gelegenheit nicht gleich das ganze Imperium erobern? Du würdest es schaffen.“
Er zwinkerte mir zu und ich fühlte wie ich rot wurde. „Rede nicht so einen Stuss, ja? Was soll ich mit einem ganzen Imperium? Ist mir viel zu viel Arbeit.“
Yoshi wandte sich ab, barg sein Gesicht in den Händen. „Verdammt, er hat drüber nachgedacht. Er hat wirklich drüber nachgedacht. Ich kriege die Krise.“
„Yohko-chan, wie lange willst du ihm noch am Hals hängen?“, tadelte Joan Reilley.
„Such dir nen eigenen großen Bruder“, scherzte meine kleine Schwester.
„Hat dir dein Vater nicht beigebracht, dass geteilte Freude die größere Freude ist?“, erwiderte Joan.
„Ja, und geteilte Schokolade ist halbe Schokolade.“
„Ist das normal? Oder muss ich mir Sorgen um Akiras Sicherheit machen?“ Argwöhnisch sah Sora Fioran zu Franlin, meinem Sekretär, herüber.
Der zuckte in menschlicher Geste mit den Achseln. „Frag mich nicht. Je länger ich in der Nähe von Meister Akira bin, desto mehr nähere ich mich einer Reizüberflutung. Ich wünschte, jemand würde ihn fest ketten und in den Boden betonieren, damit ich ein wenig aufholen kann.“
Henry lachte laut auf. „Ja, das passt zu meinem Fliegerjungen.“

Er klopfte mir auf die Schulter. „Wenn du nichts dagegen hast, dann nehme ich meine Recherchen wieder auf. Ich habe da ein paar Querverweise in den Daness-Archiven gefunden, die ich im Logodoboro-Turm weiterverfolgen muss. Kannst du mit deinem Busenfreund Torum Acati reden, damit ich in den Turm komme? Und am besten frei bewegen kann?“
Ich runzelte die Stirn. „Fragen kann ich ihn, aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich Erfolg haben werde. Immerhin bin ich nicht der Vorsitzende des Arogad-Hausrates.“
Glücklicherweise, fügte ich in Gedanken hinzu.
„Was denn, was denn, hat dir der Ausflug zur Macht nicht gefallen?“, tadelte Oma belustigt. Flankiert von ihrer neuen Adjutantin Aria Segeste trat sie ebenfalls auf den Vorplatz.
„Nicht wirklich. Macht bedeutet Verantwortung, Verantwortung bedeutet Arbeit, Arbeit bedeutet weniger Schlaf, und weniger Schlaf bedeutet keine Mangas lesen. Also: Nein.“
Ich legte den Kopf schräg und sah an Oma vorbei. „Oren kommt nicht? Hat er zu tun?“
„Dein Uropa liegt gerade in einem Biotank.“ Eridia senkte den Blick. „Ich konnte ihn nicht vollständig schützen, deshalb traf ihn ein besonders großer Felsbrocken und zertrümmerte seine Wirbelsäule.“ Oma ballte die Hände zu Fäusten. „Ich konnte nicht alle beschützen.“
Die Fakten waren mir bekannt. In den oberen Etagen hatten über achtzig Menschen gearbeitet, unter ihnen der geschlossene Hausrat.
Bei den Sekundärexplosionen durch den atomaren Angriff waren über die Hälfte umgekommen. Nur gut dreißig Personen, von denen neun unter den Trümmern überlebt hatten, waren dem Inferno entkommen. Gut für alle, die in Omas Nähe gewesen waren. Sie hatte mit ihren überlegenen KI-Kräften getan was sie konnte, um die anderen zu beschützen.
Genau wie ich im Daness-Turm.
„Wie lange muß er da drin bleiben?“
„Mindestens zwei Tage. So lange bin ich hier der Boss.“ Oma grinste mich an. „Oder willst du den Job weiter machen? Hast dich ja bewährt, drüben bei den Daness.“
Sostre Daness, der bisher geschwiegen hatte, grinste schief. „Das kann ich nur bestätigen, Meister Arogad. Der Junge hat Potential.“
„Das ist eben mein O-nii-chan“, bemerkte Yohko.
„Äh“, sagte ich verlegen, „Schwester, ich finde es ja gut, dass du dich so freust, aber würde es dir etwas ausmachen, mich wieder…?“
„Jetzt ist aber genug!“, riefen Yoshi und Megumi synchron und brachen Yohkos Griff um meinen Nacken.
Megumi legte einen Arm um meine Schultern und legte ihren Kopf an meine Brust. „Das ist mein Akira. Du hast da deinen eigenen.“
Yoshi hielt meine Schwester von hinten umarmt und drückte sie an sich. „Genau, du hast deinen eigenen Akira… Megumi, meinst du mich damit? Hey, ich bin nicht ihr Akira, ich bin ihr Yoshi.“
„Das war nicht als Wertung gemeint, sondern als Bezeichnung.“ Sie lächelte mich an. „Immerhin haben wir uns vor dem ganzen Imperium der Naguad offiziell verlobt, oder? Und ihr zwei…“
Yohko schluckte hart. Ihr Blick zuckte gehetzt zu Yoshi, dann zu mir und Megumi, danach wieder zu Yoshi. Sie begann zu rennen, kam aber nicht einen einzigen Meter voran, weil Yoshi sie wohlweislich vom Boden gehoben hatte.
„YOSHI! Das ist unfair!“
„Das wäre nicht nötig, wenn du nicht immer fliehen würdest. Ich habe hier was in meiner Tasche, das…“
„ICH WILL ES NICHT HÖREN!“ Wütend strampelte sie in seinem Griff.
„Aber ich will doch nur…“
„ICH WILL ES NICHT HÖREN!“ Sie stieß den Kopf hart nach hinten, erwischte Yoshis Kinn und brach damit dem Griff. Sobald sie festen Boden unter den Füßen hatte, lief sie zurück in den Arogad-Turm.
„YOHKO!“
Ich runzelte die Stirn. „Entschuldige bitte, bester Freund, aber ich verstehe nicht ganz, was hier vorgefallen ist.“
„Willkommen im Club. Ich verstehe es auch nicht.“

„Wie dem auch sei. Als Oberhaupt des Hausrats der Arogad heiße ich euch hiermit herzlich willkommen, Sostre Arogad und Solia Daness.“ Oma deutete eine Verbeugung an.
„Seid meine Gäste und fühlt euch während eures Aufenthaltes im Turm der Arogads wie Zuhause. Wir haben viel zu besprechen, und das meiste davon betrifft die Zukunft aller Naguad. Vielleicht sogar aller Daima.“
„Ich hasse es, wenn du so dramatisch wirst, Oma“, murrte ich, löste mich von Megumi und ging auf den Eingang zu. „Und vor allem hasse ich es, wenn es sinnvoll ist.“

1.
Drei Tage nach den Vorfällen um die Türme der Arogad und Daness, drei Tage nach dem Sturm auf den Logodoboro-Turm, versammelte sich der Rat der Naguad.
Die ranghöchsten Angehörigen aller Häuser, so sie sich im System befanden, waren ebenso anwesend wie der Stab der Admiralität und die geschlossene Regierung.
Des Weiteren waren die Vertreter kleinerer Häuser und freier Organisationen zugelassen worden. Sie hatten kein Stimmrecht, aber ihnen war erlaubt an den Debatten teilzunehmen.

Torum Acati beendete seinen Bericht über den Sturm auf den Turm der Logodoboro mit den Worten: „Ich entschuldige mich dafür, dass wir den Verrat des Hauses Logodoboro nicht früher erkannt haben. Dass wir die Verbindungen dieses Hauses zur Core-Zivilisation erst so spät erkannt haben. Dass die Verantwortlichen um Girona Logodoboro unserem Zugriff entkommen sind. Ich übernehme die volle Verantwortung.“
Torum Acati setzte sich wieder.
Innenminister Jorm Ksetral erhob sich stattdessen. „Ich möchte dem Bericht von Admiral Acati einiges hinzufügen. Zuerst einmal: Es ist nicht sein Versagen, sondern das des Geheimdienstes. Dass der Admiral diese Verschwörung aufgedeckt hat, ist ein Wunder, welches uns zur rechten Zeit geschehen ist.
Nach der Kaperung der LOKTAR, dem Daness-Schiff, das auf den Arogad-Turm gefeuert hat, wissen wir, dass es Agenten der Logodoboro waren, die diesen verabscheuungswürdigen Angriff ausgeführt haben. Wir kennen ihre Intentionen: Nämlich einen Bürgerkrieg zwischen unseren beiden stärksten Häusern auszulösen. Dass dies nicht gelungen ist, verdanken wir einzig und alleine einem besonnenen jungen Mann, Sostre Daness, weil er verrückt genug war, auf diesen Rebellen und Aufwiegler Aris Arogad zu hören und ihm bei seinem Handstreich zu helfen.“
„Das war nicht ganz die Wortwahl, die ich erhofft hatte“, raunte ich Oren Arogad, meinem Urgroßvater, zu. Er war zwar erst wenige Stunden aus ärztlicher Obhut entlassen, aber diese Sitzung hatte er einfach nicht verpassen wollen. Nun, mir konnte es recht sein.
„Sei froh. Ich hätte für deine Wahnsinnstat noch ganz andere Worte gefunden“, schmunzelte der Ältere.

„Dennoch“, fuhr der Innenminister fort, „hatte der Plan der Logodoboro teilweise Erfolg. Auch wenn es nicht zum Bürgerkrieg kommen wird, da Arogad und Daness vor drei Tagen ein festes Bündnis eingegangen sind, so haben Logodoboro-Truppen doch im gesamten Imperium Unruhe verbreitet. Wir wissen alle, dass Logodoboro lediglich einen der siebzehn Verwaltungsbezirke kontrolliert. Dafür aber haben sie Kontrolle über vier Marken und Einfluss in weiteren fünf.“ Über dem Minister entstand ein Hologramm mit der Struktur des Imperiums. Die verschiedenen Regierungsbezirke, blau dargestellt, gruppierten sich um das Nag-System und bildeten eine unförmige Kugel. Davon umgeben waren sie mit einem Halo aus Schutzmarken, die rot dargestellt waren. Marken, in denen Logodoboro aktiv war, wurden gelb schraffiert dargestellt.
Ich keuchte erschrocken auf, als ich eine der Marken als das Kanto-System identifizierte.
„Wie Sie alle erkennen können und wie uns lange bekannt war, liegen sowohl der von Logodoboro kontrollierte Regierungsbezirk als auch die Marken relativ eng beieinander. Genauer gesagt befinden sich zwei Marken in der akuten Gefahr, zwischen den von Logodoboro kontrollierten Marken zerquetscht zu werden. Eine dieser Marken ist Kanto. Im Kanto-System befindet sich zudem die Regionaladmiralität, und damit die Kontrolle über unsere Flotten in vier Marken. Fällt die Mark Kanto, verlieren wir ein Achtel unseres Gebietes.“
Weitere Effekte wurden hinzugeschaltet. In einzelnen Marken und Regierungsbezirken wurden Planeten hervorgehoben. Datenfenster entstanden neben ihnen und gaben Informationen preis.
„Wir können nicht ermessen, in welchem Zustand wir uns befinden würden, wenn Arogad und Daness sich genau in diesem Zeitpunkt bekämpfen würden. Aber der jetzige Zustand ist schlimm genug. In fünf weiteren Marken kam es zu Aufständen, zwei Regierungsbezirke haben sich offiziell vom Imperium losgesagt.
Zudem wurden, eindeutig und unmissverständlich, Core-Truppen im Kanto-System entdeckt. Es ist noch nicht verifiziert, aber die Logodoboro-Schiffe der ursprünglichen Strafexpedition für Lorania haben die anderen Schiffe des Verbandes angegriffen und mehrere Schiffe versenkt oder schwer beschädigt. Unter den besonders schwer getroffenen Schiffen befindet sich die AROGAD, das Flaggschiff des Hauses.
Wir können das erst als Anfang sehen. Es wird weitergehen und es wird schlimmer werden. Mit Unruheherden über das halbe Imperium verteilt können wir das Logodoboro-Gebiet nicht befrieden. Und mit dem Bündnis mit der Core-Zivilisation verfügen die Logodoboro womöglich über weitere Schiffe. Wie viele es sein können ist unmöglich vorauszusagen. Aber wenn wir die Zahlen als Anhaltspunkt nehmen, die uns von früheren Raids bekannt sind, wenn wir die Schiffe während des Raids im Kanto-System heran nehmen, rechne ich mit mindestens zweitausend Raider-Schiffen.“
Erschrockenes Raunen antwortete dem Innenminister. Auch wenn jedes Raider-Schiff lediglich einer Fregatte entsprach, bei dieser Zahl, dieser Größenordnung waren sie weitaus mehr als eine Gefahr, sie waren eine Nemesis für das Imperium. Jeder einzelne Bürger war bedroht, egal ob in den Marken oder den Bezirken. Sogar die Erde war bedroht.

Sostre Daness erhob sich. „Danke, Innenminister Ksetral. Aber es hat nicht dieser Worte bedurft um uns klar zu machen, wie sehr wir in Schwierigkeiten stecken.
Die Frage, die sich uns nun stellt ist schlicht und einfach: Was tun wir jetzt? Befrieden wir die rebellierenden Marken, bestrafen wir Haus Logodoboro? Suchen wir nach dieser Raiderflotte, igeln wir uns ein? Was wird unser nächster Schritt sein? Ich werde ihnen allen sagen, was wir jetzt tun sollten: In diesem Moment ist die Core-Zivilisation verletzlich wie nie zuvor. Senden wir eine Expedition aus und vernichten wir ihre Kernwelten!“
Wieder wurde geraunt.
„Diese Gelegenheit ist vielleicht einmalig. Mit dem Verrat von Logodoboro hat der Core ein riesiges, zusätzliches Gebiet zu schützen! Raider-Schiffe, die den Logodoboro helfen, können aber die Heimatwelten nicht verteidigen! Schlagen wir zu!“
„Ich bin dagegen.“ Als die sanfte Alt-Stimme aufklang, verstummten die Naguad. Sostre Daness schloss den Mund und starrte die Sprecherin an.
Die kleinen Diskussionen im Rat und in den Zuschauerrängen erstarben. Alle Blicke richteten sich auf die Logodoboro-Tische, die bis auf drei Naguad leer waren.
Die Sprecherin erhob sich. Ihr langes schwarzes Haar trug sie zu zwei schweren Zöpfen geflochten, die sie je über die Schulter nach vorne drapiert hatte. Ihre roten Augen blitzten aggressiv und spöttisch in dem schneeweißen Gesicht.
„Agrial Logodoboro, bitte sprechen sie.“

Ich runzelte die Stirn. Natürlich hatte ich auch die Berichte gelesen; was die Ratstruppen im Logodoboro-Turm gefunden hatten. WEN sie gefunden hatten. Aber das erklärte nicht, warum ein Angehöriger eines Verräterhauses sofort das Recht zu sprechen bekam, wenn er danach verlangte. Ja, verlangte.
Oren bemerkte meine Unsicherheit und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Du musst das verstehen, Aris. Agrial Logodoboro ist die letzte überlebende Anführerin des Exodus von Iotan. Ihr Haus selbst war federführend in den meisten Aktionen. Sie ist eine schillernde Gestalt in unserer Geschichtsschreibung, und ich hätte nie gedacht, diese Frau, nein, diese Legende einmal mit eigenen Augen zu sehen.“
„Aha“, machte ich verständnisvoll und hatte doch nichts kapiert.
Ihre roten Augen sahen spöttisch zu mir herüber. „Wenn der Sprecher des Hauses Arogad dann fertig ist, würde ich gerne das mir zugesprochene Sprachrecht wahrnehmen.“
Ich schnaufte missmutig. Sie brauchte mich nicht derart vorzuführen. Sie hätte auch so anfangen können. „Bitte, Miss, beginnen Sie.“

Erschrocken sprachen die Anwesenden durcheinander. Irritierte, ja, ängstliche Blicke trafen mich.
„Aris, was tust du da? Du kannst doch Agrial nicht Miss nennen!“
„Ist sie etwa verheiratet?“, fragte ich erstaunt.
„Nein, aber…“
„Dann habe ich nichts falsch gemacht“, erwiderte ich trotzig. Wenigstens einen Punkt wollte ich gegen diese Frau haben. Obwohl ich noch nicht mal wusste, ob wir uns überhaupt streiten würden. Und ob es dabei um das sammeln von Punkten ging.
„Danke, Aris Arogad“, erwiderte sie amüsiert. Irrte ich mich, oder zeichnete sich eine feine Röte auf ihren Wangen ab? Hübsch war sie in jedem Fall, und bestimmt sah sie nicht aus als wäre sie viertausend Jahre alt.
„Sostre Daness. Dein Vorschlag ist gut. Und es ist die richtige Aktion, die wir jetzt in Angriff nehmen sollten, jetzt, wo mein Haus Logodoboro so offen Verrat begangen hat.
Aber wir können es nicht.“
Ich erwartete Aufregung im Saal, aber die Naguad hingen an den Lippen dieser Frau.
„Logodoboro ist nicht der einzige Verräter“, fügte sie hinzu und erntete damit die ersten entsetzten Rufe.
„Während meiner Zeit im Biocomputer hatte ich Zeit, unendlich viel Zeit, um Fakten zusammen zu tragen. Ich kann leider kein Haus mit Namen benennen. Aber die Daten, die ich gesammelt habe, sprechen für sich. Es gibt ein weiteres Haus, welches mit der Core-Zivilisation zusammen arbeitet.
Die entsprechenden Fakten habe ich als Dossier an die Regierung gehen lassen. Aber soweit ich weiß sind die Analytiker noch dabei, sich durch die Daten von dreitausend Jahren zu arbeiten.
Deshalb können wir die Gelegenheit nicht zur Offensive nutzen. Die Gefahr, dass das zweite Haus uns dann in den Rücken fällt, wenn wir es am wenigsten erwarten, ist viel zu groß. Die Gefahr zu scheitern, ja vernichtend geschlagen zu werden ist zu groß. Es gibt Hinweise auf ein Haus, ja, aber genauso auf vier weitere Häuser, sogar auf Daness und Arogad. Wer immer die Logodoboro für den Verrat aufgestellt hat, er hat das zweite Haus perfekt verborgen.“

„Unter diesen Umständen ziehe ich meinen Vorschlag zurück.“ Sostre grunzte unwillig. „Wenn Agrial Logodoboro Recht hat – und daran zweifle ich nicht – bleibt uns nur eines. Wir müssen unsere derzeitigen Grenzen festigen und alles daran setzen, das zweite Verräterhaus zu identifizieren. Auch wenn dies bedeutet, dass Logodoboro genügend Zeit hat, seine Verteidigung auszubauen oder sogar einen Angriff zu planen.“
„Und wie sollen wir unsere Grenzen festigen? Jedes Haus und der Rat für sich? Misstrauisch und ablehnend gegen alles und jeden?“, fragte der Innenminister?
Agrial hob die Hand. „Natürlich nicht. Wir können und dürfen uns bei der Jagd nach dem zweiten Verräterhaus nicht gegenseitig aufbringen. Das wäre ein fataler Fehler. Und es würde uns alle in Chaos stürzen, da die Hinweise, die ich gesammelt habe, darauf hindeuten, dass Einzelpersonen oder kleine Gruppen in jedem Haus entweder mit dem Core sympathisieren oder sogar mit ihm zusammenarbeiten. Wir können nicht jeder gegen jeden kämpfen.
Nein, wir müssen weitermachen wie bisher. Die Häuser müssen ihre Zusammenarbeit pflegen. Um ein Beispiel zu nennen: Dort wo sich Fioran und Arogad begegnen, muss die Zusammenarbeit weiterhin fortgeführt werden. Dort wo sich Daness und Bilas verbündet haben, muss das Bündnis weiter ausgeführt werden.
Selbst wenn das Verräterhaus alle Bündnisse kappt, seine Partner verrät und Krieg säht, so werden die anderen Bündnisse noch immer existieren und unsere Kraft geschwächt, aber nicht vernichtet sein. Dies müssen wir so lange tun, bis die Verräter entlarvt und entwaffnet sind.
Aber eines gutes hat die Entwicklung. Wir können zwei Häuser komplett vom Verdacht freisprechen, mit dem Core zusammen zu arbeiten. Sie sind bestenfalls von Einzelpersonen oder kleineren Grüppchen infiltriert worden, die dem Core zuarbeiten.
Es sind die beiden Häuser, die gegeneinander ins Chaos gestürzt werden sollten: Arogad und
Daness. Es hätte keinen Sinn gemacht, die beiden in einen Krieg zu treiben, wenn eines von ihnen auf Seiten des Cores stehen würde.“

Sie erhob sich, trat vor die Tische. „Deshalb, zum Wohle des Imperiums, zum Wohle der einfachen Bürger, die wir geschworen haben zu beschützen, zum Wohle der Häuser, rufe ich die Häuser Arogad und Daness auf, ihre Zusammenarbeit fortzusetzen. Beide Häuser sind unsere beste Hoffnung, die schweren Zeiten in die wir getrieben werden, zu überstehen.
Aris Arogad, ich vertraue dir die Zukunft unseres Volkes an.“
Ich sprang auf. Mehr aus einem Reflex als augrund einer Emotion. Warum ich? Warum sprach sie mich direkt an? Warum bürdete sie mir so etwas auf? Ich war dagegen! Definitiv dagegen! Es war doch sowieso egal, wen sie ansprach und ihm wortgewaltig wer weiß was aufbürdete. Aber wenn sie schon jemanden mit Namen hervorhob, warum dann nicht Sostre? Oder Oren?
Ich hatte wahrlich genug mit der Erde und dem Kanto-System zu tun, ich konnte nicht auch noch die Naguad retten!
Dennoch hörte ich meine eigene Stimme, trocken und kratzig, wie sie sagte: „Ich gebe mein Bestes.“

2.
Das Mädchen mit den bräunlich grünen Haaren stand auf dem sonnenbeschienenen Hügel. Es hatte beide Augen fast geschlossen und bewegte sich nicht. Es sah beinahe so aus, als genieße es lediglich die Sonne.
Doch rund um sie entstanden und vergingen permanent Hologramme, die sie mit sanften, kaum wahrnehmbaren Worten steuerte, leichte Bewegungen mit den Händen vervollständigten ihre absolute Kontrolle. Die Daten liefen dabei so schnell über die Hologramme hinweg, dass kaum mehr als Schemen zu sehen waren.
Die große, schlanke und strenge Frau mit dem Kapuzenkleid trat neben das Mädchen und beobachtete ihr Tun eine Zeitlang. Aber sie sagte nichts.
Endlich erloschen alle Hologramme auf einen Schlag. „Ich… Verstehe“, sagte das Mädchen ernst. Viel zu ernst für die weichen Augen, viel zu ernst für das beinahe noch kindliche Gesicht.
„Du verstehst was, Prinzessin?“
„Ich verstehe ein wenig mehr als zuvor. Und ich verstehe uns selbst besser, ebenso wie ich unsere Gegner besser verstehe.“
Das Mädchen ließ ein neues Hologramm aufgehen, in dem die Erde zu sehen war. „Vielleicht verstehe ich auch bereits viel zu viel. Vielleicht ist es nicht gut, so sehr zu verstehen. Ich weiß nicht, ob ich den Krieg jetzt noch führen kann, jetzt, wo ich so viel mehr weiß.“
Die strenge Frau nickte. „Du bist noch weit entfernt vom absoluten Wissen. Nicht einmal ich weiß alles, was in dieser Welt an Daten und Fakten versammelt ist. Sogar ich muß eine Auswahl treffen, um nicht wahnsinnig zu werden.
Aber du hast dir einen riesigen Themenkomplex erarbeitet, weit mehr als du brauchst, um diesen Krieg zu führen und zu gewinnen. Oder zu verlieren.“
„Verlieren? Ich habe nicht vor zu verlieren!“, beschwerte sich das Mädchen.
Die Ältere schmunzelte. Es war die erste Emotion, die sie bis zu diesem Moment je gezeigt hatte. „Ich selbst habe schon einen Krieg verloren. Verloren, weil ich zu sehr gefangen war in meinem Wissen. Ich kannte meine Gegner zu gut. Ich habe sie geliebt. Ich verlor mich in ihnen und gab den Daima deshalb den Vorzug über mein eigenes Volk. Ich verlor und zog mich zurück. Der Preis den wir bezahlt haben war hoch, aber auch nur ein kleiner Rückschlag. Es hätte uns vernichten können, aber die Daima kamen uns nicht nach. In ihrem Siegestaumel beließen sie es bei dem, was sie erreicht hatten.
Aber damals wäre ich bereit gewesen, alles zu verlieren und alles aufzugeben. Ich habe sie geliebt, meine Daima, und ich habe mir gewünscht…“ Die Frau verstummte. Auf ihrem Gesicht spielten sich weitere Emotionen ab. „Es war nicht gut. Meine Wünsche wurden nicht erfüllt, meine Träume enttäuscht. Und das schlimmste ist, ich habe emotional gehandelt, wider mein besseres Wissen.
Prinzessin, es ist gut, dass du soviel wie möglich über deinen Gegner wissen willst. Es ist in Ordnung, wenn du deinen Feind lieben lernst. Aber zum Wohle aller Daima. Zum Wohle aller Daina. Du musst dieses Mal siegen.“

Das Mädchen schwieg dazu. Wind kam auf, zerfurchte ihr Haar, spielte mit dem Saum ihres schwarzen Kleides, wehte es auf. Es griff sich mit einer Hand ins Haar, hielt es davon ab, in ihr Gesicht zu wählen. „Ist… Ist es ein Spiel?“ Zweifelnd sah es die Ältere an. „Ein virtuelles Spiel, das wir seit Generationen spielen?“
Die Frau mit dem schwarzen Kapuzenkleid verlor ihr Lächeln. „Nein, Prinzessin. Es ist kein Spiel. Es ist bitterer Ernst. Und jeder Daima der stirbt wird niemals mehr wiederkehren. Niemals. Keine Macht wird ihn jemals wieder zurückholen.“
„Das verstehe ich nicht. Hier…“
„Hier!“, begann die Frau und machte eine weit ausholende Geste, die sowohl die Daima vor ihnen als auch die Daina hinter ihnen umfasste. „Hier ist das Paradies. Hier gibt es keinen Krieg, keinen Hunger, keinen Streit und keinen Hass. Hier gibt es nur Frieden und Eintracht! Hier ist die Vollkommenheit zuhause.“
Wieder lächelte sie, beugte sich vor und strich dem Mädchen über den Kopf. „Aber das Paradies ist nicht das letzte Wort. Finde deinen eigenen Weg und finde deinen eigenen Platz, Prinzessin. Und vergiss nie, für wen du dies alles tust.“
Unsicher sah das Mädchen auf das Hologramm der Erde. Es wechselte, zeigte Schiffe, Raumstationen, Gesichter wichtiger Soldaten und Menschen der Erde und blieb schließlich bei einem Gesicht stehen.
Es wirkte mürrisch, beinahe verschlossen, machte den Besitzer älter als er war. Aber in seinen Augen war Lebendigkeit, die faszinierte. Und die feinen Fältchen um die Augen bewiesen, wie sehr und wie gerne er lachte.
„Ich will ihn sehen“, sagte das Mädchen bestimmt. „Er wird mir Antworten geben.“
„Wie du wünschst, meine Prinzessin.“
Die große Frau verbeugte sich leicht vor dem Mädchen und wandte sich ab.

3.
Während die Stadt in Aufruhr war, während die Vorstädte unter radioaktivem Staub litten, gingen zwei Frauen durch einen Dachgarten des Logobodoro-Turms. Er befand sich in zwei Kilometer Höhe, also jenem Bereich, der noch nicht versiegelt und verlassen war und dementsprechend gepflegt worden war. Die Kämpfe hatten ihn nicht erreicht, und die riesigen Fenster, die Wind und Eiseskälte abhielten waren nicht zerstört worden.
Die eine Frau hatte sich das Unmögliche zur Aufgabe gemacht. Sie wollte aus dem, was die Kollaborateure übrig gelassen hatten, einen neuen Turm Logodoboro formen.
Und sie wollte die Schiffe einfordern, die von Rechts wegen zu diesem Turm gehörten, nachdem sie den Rat der Logodoboro formell abgesetzt hatte. Die Vorbereitungen dazu liefen bereits, die Regierung hatte das Verfahren zur Enthebung des Rats der Logodoboro wegen Verrat, Hochverrat und hundertfacher Anstiftung zum Mord sowie versuchtem Mord in siebenunddreißig Millionen Fällen bereits eingeleitet. Danach würden die Geschicke des Turms wieder in der Hand dieser Frau liegen: Agrial Logodoboro, Anführerin des Exodus, Oberste Administratorin der Migrationsflotte und Initiatorin des Systems der neun Türme.

Die andere Frau hatte ebenfalls alle Hände voll zu tun, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Fakt war, dass ihre Arbeit sogar noch erschwert worden war, sehr erschwert.
Und dieser Umstand schien ihr vor Agrial sehr peinlich zu sein.
„Agrial, ich…“
„Es ist in Ordnung. Die Logodoboro haben ihre Aktionen gut versteckt und den Kreis klein gehalten. Aber der Orden hat den Verrat trotzdem bemerkt, trotzdem den Turm angegriffen und die Verschwörung ausgehoben. Aus diesem Grund habe ich den Orden initiiert und dich mit dieser wichtigen Aufgabe betraut, Tevell.“
„Aber wir hätten früher…“
„Tevell, ich bin jetzt viertausend Jahre alt und glaub mir, ich habe mich ausreichend mit „hätte, könnte und sollte“ herumgeschlagen. Wenn man zweitausend Jahre in so einem verdammten Tank gefangen ist und als reine Recheneinheit ohne Entscheidungsgewalt verwendet wird, hat man dazu sehr viel Zeit.“
Die jüngere Frau stutzte. „Du hättest wahnsinnig werden können.“
„Vielleicht bin ich das ja schon“, konterte Agrial bissig. „Auf jeden Fall ist mein Temperament ein wenig hitziger geworden, als ich es in Erinnerung habe. Auch ansonsten habe ich mich mit meiner Freiheit noch nicht ganz abgefunden. Weißt du, keine Kleidung zu tragen kann sehr vorteilhaft sein. Wenn man zweitausend Jahre lang nackt in einer Nährlösung schwimmt, kommt einem das Gewicht der Kleidung irgendwie seltsam vor. Selbst bei einer Daima wie mir. Zweitausend Jahre sind zweitausend Jahre.“
Tevell wurde rot und hob eine Hand.
„Nein, lass mal, Schatz. Ich weiß, was du sagen willst. Aber das gehört auch zu den „hätte und könnte“, weißt du? Du hast halt nicht gewusst, dass mein eigener Rat meine Macht geraubt, mich entführt und in einen Tank gesteckt hast. Du wusstest nicht, dass die Geschichte mit der Friedensmission nach Iotan nur eine Finte war. Wie hättest du es auch wissen sollen? Also nimm es dir nicht zu Herzen und reg dich nicht auf. Es war in dem Moment Vergangenheit, als mich dieser süße Torum Acati aus dem Tank befreit hat.“
Tevell stoppte. „Hast du ihn gerade süß genannt?“
„Wieso, stimmt das etwa nicht? Ich habe schon immer den maskulinen Typ bevorzugt. Groß, mit kantigen Gesichtszügen und breiten Schultern und einer ordentlichen Portion flauschiger Haare auf der Brust. Das ist ein Mann für mich.“
„Für die Haare auf der Brust kann ich mich nicht verbürgen, aber… Warte mal, warte mal, Torum ist keine tausend Jahre alt! Ist er nicht etwas jung für dich?“
Agrial stutzte. „Bin ich mit ihm verwandt? Ich meine, tausend Jahre sind eine lange Zeit und ich nehme an, dass meine Geschwister Kinder in die Welt gesetzt haben und so.“
„Nein, soweit ich weiß seid ihr nicht verwandt. Sein Vater ist ein Daima und seine Mutter eine Daness.“
„Ist er mit dir verwandt?“, argwöhnte die Herrin der Logodoboro.
„Ja, um fünf Ecken ungefähr. Wieso?“
„Gut. Eine Konkurrentin ausgeschaltet.“
„Äh, was, bitte?“
Agrial lachte. Es war ein herzhaftes, mitreißendes Lachen. „Nun guck doch nicht so. Das Leben geht weiter und ein Mädchen muss sehen, wo es bleibt. Torum ist doch wirklich niedlich, und erzähl mir nicht, du hättest das nicht bemerkt, Tevell.“
„Doch, schon“, erwiderte die Meisterin des Ordens. „Aber er ist so viel jünger und so was gehört sich doch nicht zwischen Meister und Begam.“
Agrial seufzte laut und tief. „Hast du eigentlich ein Privatleben, oder geht deine ganze Zeit für den Orden drauf? Ich meine, kannst du in dem Fall überhaupt die Zeit erübrigen, um mit mir hier spazieren zu gehen?“
„I-ich habe ein Privatleben! Ich bin vielleicht nicht vergeben oder habe einen Mann in Aussicht, aber ich habe ein Privatleben!“, versicherte Tevell mit hochrotem Kopf. „Und ich kann es jederzeit verantworten, mit meiner alten Lehrmeisterin in einem Garten spazieren zu gehen, weil es nie verschwendete Zeit ist.“
„Das ist gut zu hören“, schloss Agrial und lächelte.

Tevell sah sie von der Seite an. „Die Zeit war gut zu dir. Ich weiß, man altert in einem Tank nicht, aber du siehst noch immer so jung aus, als wärst du gerade erst zwanzig. Das ist nicht nur die Fähigkeit von uns Daima, die eigenen Zellen zu kontrollieren. Das ist eine Fügung der Götter.“
Agrial strich sich unbewusst über ihr schwarzes Haar. „Findest du? Ich fand glatte Haare immer langweilig. Aber Locken drehen wollte ich auch nie. Und Zöpfe flechten ist so aufwändig. Aber ein paar Pferdeschwänze hat man schnell gedreht und die Männer mögen langes, gepflegtes Haar.
Und dann ist da noch mein Teint. Viel zu blass. Zusammen mit den roten Augen wirke ich ja wie ein Raubtier.“
„Wäre ja nicht mal so falsch, der Vergleich“, brummte Tevell.
„Wie war das?“
„Na, stimmt das vielleicht nicht? Seit wir hier im Garten sind, redest du nur über Männer! Zum Glück fängst du nicht auch noch mit Frauen an und…“
Agrial lachte erneut. Dann nahm sie die Jüngere in die Arme. „Entschuldige, manchmal vergesse ich die elementarsten Dinge. Ich freue mich natürlich, dich zu sehen. Ich habe nicht gewusst, was oder wer mich erwarten wird, sollte ich jemals aus diesem Tank rauskommen. Und ich bin sehr glücklich, dich wider erwarten sehen zu können. Und das du gesund bist, ist am schönsten. Meine kleine Tevell. So erwachsen und so verantwortungsvoll bist du geworden.“
„Ich habe dich vermisst“, hauchte die Frau, die den Orden kontrollierte. „Ich habe dich jeden Tag vermisst, Agrial.“
„Und ich habe dich vermisst, kleine Schwester. Ich bin so froh, dass ich dich wieder sehen darf.“
So standen sie eine Zeitlang voreinander, umarmten sich und schluchzten leise.

„Jetzt geht es mir besser. Danke. Ich meine, ich bin eine der mächtigsten Frauen von Naguad Prime, ja vom ganzen Imperium. Aber es tut gut, jemanden zu haben, bei dem man einfach mal schwach und hilflos sein darf.“
„Ja, ich weiß. Es tut wirklich gut, absolutes Vertrauen haben zu dürfen.“
„Was hast du jetzt vor, Agrial? Mit den Ruinen dessen, was du einst gegründet hast?“
„Hm“, machte die Logodoboro, „der Rat hat mir zwei Millionen Menschen meines Hauses zurückgelassen. Ich denke, ich werde einen provisorischen Rat errichten, und ihm so lange vorstehen bis jemand anderes den Job machen kann. Logodoboros hatten schon immer gute Veranlagungen für Führungsaufgaben. Und wir haben immer noch große Besitzungen auf dieser Welt, also alles was wir für einen Neustart brauchen.
Danach werde ich die Logodoboro-Besitzungen in den Distrikten und Marken auffordern, dem alten Rat die Unterstützung zu versagen und sich meinem Kommando zu unterstellen. Das gleiche gilt für die Schiffe. Ich rechne damit, dass eventuell zehn Prozent zu mir zurückkehren. Für alles andere werde ich meinen neuen Verbündeten bemühen.“
„Du hast einen neuen Verbündeten?“
„Der Junge weiß noch nichts von seinem Glück, aber ich werde mit seiner Hilfe wieder ein wenig Ordnung in die Dinge bringen.“
Tevell kniff die Augen zusammen. „Du sprichst doch nicht etwa von Aris Arogad, oder? Der Junge ist doch wirklich etwas jung für dich.“
„Was soll das denn heißen? Ich bin im besten Alter, oder?“ Agrial lächelte dünn. „Aber ich glaube, er wäre eher jemand für dich, Tevell.“
„W-warum für mich?“
„Magst du keine tatkräftigen, entschlossenen und vor allem hinterhältigen Männer? Wie er die Arogads und die Daness gegeneinander ausgespielt hat war doch einfach Klasse.“
„Was war denn daran hinterhältig? Er hat einen Bürgerkrieg verhindert.“
„Aha, du magst ihn also“, stichelte Agrial.
„M-mögen? Er könnte der Sohn des Sohnes des Sohnes des Sohnes meines Sohnes sein!“
Sie senkte den Blick. „Aber ich setze einige Hoffnungen in ihn, genauso wie du.“
„Dann wollen wir ihm unsere Kraft leihen, oder?“ Agrial schmunzelte. „Nach seinen letzten beiden Coups hat er sicherlich etwas Neues angefangen. Weißt du, wo er sich befindet?“
„In den Vorstädten, zusammen mit Torum Acati. Sie wollen die störrischen Bürger evakuieren.“
„Ein netter Kerl. Sucht sie nie die einfachen Aufgaben.
Ach, Tevell, ich habe eine Bitte. Können deine Begams detaillierte Berichte über die Marken und Bezirke anfertigen, die der Rat unter Kontrolle hat? Ich weiß, ihr habt da dieses Gerät, dass AO-Meistern erlaubt, lichtjahreweit ins All hinaus zu spähen.“
„Ich werde es mit auf den Plan setzen. Aber ich lasse bereits rund um die Uhr beobachten und lasse auch schon weitere Geräte installieren.“
Agrial runzelte die Stirn. „So? Was beobachtet der Orden denn so neugierig?“
„Alle Gebiete, in denen es bisher weder Rebellionen noch desertierende Häuser gegeben hat.“
„Gute Idee“, lobte Agrial.
***
Die Vorstädte außerhalb der vereinten Schirme der Türme bereiteten den Hilfstruppen erhebliche Probleme.
Nach einer ersten erfolgreichen Welle der Evakuierung stockten die Arbeiten nun beträchtlich.
Gerade in den isolierten Vierteln, verschachtelten Blockbauten aus dem ersten Jahrtausend der Besiedlung, hatten sich Naguad regelrecht verschanzt, um der Evakuierung unter den Schirm zu entgehen. Die meisten von ihnen waren Hauslos oder gehörten kleineren Gemeinschaften an. Und damit bereiteten sie den Grandanar, die das Evakuierungsprojekt aus dem Boden gestampft hatten und nun anführten, erhebliche Probleme.
Die Vorstädte waren mit radioaktivem Staub durchsetzt. Die Konzentration war nicht tödlich, jedenfalls nicht wenn man sich dem Staub für kurze Zeit aussetzte. Wurden es allerdings Tage oder Wochen, war ein Zusammenbruch des Immunsystems unausweichlich. An manchen Stellen konnte es auch durch die energiereiche Strahlung zu Verbrennungen kommen, die teilweise zentimetertief ins Fleisch reichten. Kurz gesagt, die Naguad, die sich verbarrikadiert hatten, starben auf Raten.
Sicherlich würden sie in Tagen oder Wochen bemerken, welche Dummheit sie begangen. Sobald sie ihr Haupthaar verloren, die Haut zu schuppen begann und die Zähne immer lockerer wurden, weil das Zahnfleisch zurückwich. Das war nichts, was die moderne Naguad-Medizin nicht in den Griff bekam… Aber selbst wenn man alle Kapazitäten des Planeten zusammennahm, selbst des ganzen Sonnensystems, würde es nicht reichen, um zeitgleich zwanzigtausend Naguad auf Strahlenkater zu behandeln.
In diesem Fall hingegen ging es um geschätzte dreihunderttausend; Männer, Frauen, Kinder. Die Zeit würde kommen, in der die Ärzte vor die schwierige Entscheidung gestellt werden würden, wer leben durfte und wer sterben musste, weil der Platz einfach nicht reichte.

All das konnte vermieden werden, wenn man die Naguad unter den Schirm evakuierte. Alle großen Türme, der Rat, das Militär und auch mehrere der kleineren Türme hatten ihre Gästequartiere geöffnet und somit Platz für die gut siebzehn Millionen Bewohner der Vorstädte geschaffen. Die Versorgung war gesichert und es gab auch schon Pläne, den radioaktiven Staub aus den Vorstädten zu entfernen. Sichere, funktionierende Pläne. Tausendfach bewährt und in der Geschichte der Naguad schon ein paar Mal erfolgreich ausgeführt. Allerdings überlebte kein lebendes Wesen diese Behandlung, ausgenommen vielleicht ein KI-Meister vom Range Torum Acatis.
Das Dilemma war offensichtlich. Keine Evakuierung – keine Präparation der Städte.
Keine Präparation der Städte – keine Rückkehr der Bewohner.
Die Zurückgebliebenen verschärften nicht nur die Situation für ihre eigene Gesundheit, sie spitzten auch die Lage für diejenigen zu, die mittlerweile in Kasernen oder den Türmen Zuflucht gefunden hatten.
Hätte das Militär noch an diesem Tag mit der Operation begonnen, binnen einer Woche wäre die erste Stadt wieder freigegeben worden. So aber mochte es alleine Wochen dauern, bevor sie präpariert werden konnte.
In dieser Zeit konnte alles geschehen, von Protestnoten bis hin zu Aufständen der unzufriedenen Evakuierten, die in ihre Häuser zurückkehren wollten.
Und auf jeden Fall waren da draußen gut dreihunderttausend Naguad, die mit ziemlicher Sicherheit sterben würden.
Und wofür? Ihren Dickschädel und ihr Misstrauen gegen die staatliche Autorität.

„Wer ist der Blödmann?“
„Der? Dieser verrückte Bursche in der Arogad-Uniform? Der alles und jeden ausfragt? Der im Kartenraum auf und abläuft?“
„Genau der. Er stört uns bei unserer Arbeit.“
„Er ist mit Torum Acati gekommen. Mit ihm und hundert von Acatis Elite-Soldaten.“
„Ach, wieder so ein Idiot? Warum lässt man es nicht einfach unser Haus Grandanar und die Koromandos machen, und wartet das Ergebnis ab? Warum schicken sie uns die unerfahrenen Wichtigtuer?“
„Der Wichtigtuer hat ziemlich gute Ohren“, raunte ich in die Unterhaltung der beiden Grandanar-Offiziere.
Beide zuckten zusammen.
„Und der Name des Wichtigtuers ist Aris Arogad, wenn ihr zwei es genau wissen wollt.“
„D-der Hauserbe?“
„Was? DER Aris Arogad? Meister Arogad, verzeihen Sie, wir…“
„Und der Wichtigtuer hätte gerne eure Meinung über den Bezirk zwischen Andori-Straße und Caplam-Platz. Wie sieht es da unten aus? Wie viele Naguad haben sich dort verbarrikadiert? Was ist mit einer freiwilligen ärztlichen Versorgung?“
Der Ältere der beiden straffte sich. „Andori-Straße bis Caplam-Platz ist offenes Kriegsgebiet. In diesem Stadtteil siedeln viele Veteranen der Flotte, die sich keinem Haus angeschlossen haben. Viele haben ihre Ausrüstung noch immer zuhause, und einige setzen sie auch ein. Sie haben keine schweren Waffen, aber selbst mit einem Karabiner gibt ein fähiger Soldat einen guten Scharfschützen ab. Zudem wurden Barrikaden aufgetürmt, hinter denen sie sich verschanzen können. Eine vertrackte Lage, die nicht aus der Luft geklärt werden kann, weil die Straßen verwinkelt und klein sind. Der Caplam-Platz würde für einen Angriff einen guten Landeplatz bieten, aber erstens gab es noch keinen Befehl dazu und zweitens wäre eine Eingreiftruppe hier im offenen Schussfeld. Die Verluste wären astronomisch hoch, Meister Arogad.“
„Sie gehen also davon aus, dass auf die Soldaten, die die Evakuierung leiten werden, geschossen wird.“
„Es wurde bereits auf sie geschossen. Wenn Sie mich fragen, Meister Arogad, haben wir es hier mit einem Aufstand zu tun! Einem Aufstand!“
„Einem Aufstand von Leuten, die radioaktiv kontaminiert wurden und vor Angst nicht wissen, was sie da wirklich machen. Also, wie sieht es mit einer freiwilligen ärztlichen Versorgung aus? Gibt es keine Menschenfreunde im Militär, die ihr eigenes Leben riskieren?“
Der Jüngere seufzte. „Meister Arogad, es ist nicht so als hätten wir das nicht probiert. Aber die Naguad in den Vorstädten sind extrem misstrauisch und schießen auf alles, was nach Militär aussieht. Ehrlich gesagt zeigt die Satellitenüberwachung, dass es bereits zu Plünderungen kam und wir befürchten, dass diese Menschen einfach die Strafe befürchten.“

Ich brummte unwillig. Dieser Platz bis hin zu dieser Straße würde eine ganze Vorstadt defacto halbieren. Wer diese beiden Punkte kontrollierte, hatte aus einer riesigen Vorstadt zwei kleinere gemacht. Und mit kleineren Städten konnte man leichter umgehen als mit einer großen. Zudem schrumpfte das Gebiet, dass man aufrollen musste. „Plünderungen? Lebensmittel aus öffentlichen Verteilzentren?“
„Äh, was? Öffentliche Verteilzentren?“
„So muss man die Supermärkte auf der Erde bezeichnen. Du weißt doch, er ist nicht von hier“, zischte der Ältere. „Ja, Meister Arogad, hauptsächlich Lebensmittel aus öffentlichen Verteilzentren und, äh, Niedrigpreissegmentgeschäften. Wir nennen sie Discounter.“
Ich bemühte mich, sowohl ein Lachen aus auch eine zynische Erwiderung zu unterdrücken. Irgendwie mochte ich die Jungs.
„Ihre Namen, meine Herren.“
„Joglund Grandanar, Meister Arogad.“
„Festram Ortis, Meister Arogad.“
„Zur Kenntnis genommen. Torum?“
„Ich bin direkt in Hörweite. Planst du etwa was, mein junger Freund?“
„Ich brauche einen Schweber.“
„Soll ich ein Begleitkommando für dich zusammenstellen, Akira?“
„Du kannst ja mitkommen, wenn du Lust hast. Ansonsten bitte nur Freiwillige. Ich habe nicht vor, mir da draußen Freunde zu machen.“ Ich grinste wölfisch.
„Du fliegst in eine Stadt, die gerade geplündert wird, die von Veteranen diverser Kriege besetzt ist, zudem radioaktiv verseucht und willst dir keine Freunde machen?“ Acati schmunzelte. „Interessant. Natürlich bin ich dabei.“
Zufrieden nickte ich. „Oberst Joglund Grandanar“, sprach ich den Älteren an.
„Meister Arogad?“
„Über wie viele Schrittmeter verfügen Sie hier?“
Wegmeter war ein Jargonwort, eines, das in der Naguad-Flotte geläufiger war als der Fachbegriff für das Gerät. Im Klartext sagte einem das Gerät, wie viel Schritte man besser zulegen sollte, denn defacto maß es Radioaktivität an. Auf der Erde nannten wir dieses Gerät Geigerzähler.
„Wir haben etwas über achtzig Stück, dazu weitere zwanzig in den Spezialteams.“
„Wie schnell können Sie mir zehntausend oder mehr besorgen?“
Der Mann sah mich überrascht an. „Ein paar Stunden vielleicht, wenn die anderen Türme ihre Bestände hergeben. Aber wieso?“
„Besorgen Sie die Schrittmeter und verteilen Sie sie an die Stadtbevölkerung. Radioaktivität kann man nicht sehen, nur messen. Vielleicht werden ein paar Bürger williger wenn sie mit eigenen Augen sehen, in was für einem Schlamassel sie gerade sitzen.“
„Ja, Meister Arogad. Festram, du klapperst die Türme ab. Ich spreche mit dem Militär.“
„Okay.“
„Und? Wo bleibt mein Transportmittel?“, fragte ich Torum Acati mit einem dünnen Grinsen.
„Sollen ein paar Schrittmeter auf dem Transportmittel bereitstehen, Aris Arogad?“
„Das wäre nett, Begam Acati.“
„In fünf Minuten, Aris Arogad.“ Der Mann grinste schief.
„Ich mag dich, Torum Acati.“
„Ich dachte, du hast ne Freundin.“
„Bitte keine schlechten Witze in Krisensituationen.“
„Du hast damit angefangen“, konterte Acati. „Ich bleibe ja auch nur in deiner Nähe, weil es hier nie langweilig wird.“
„Was für ein Kompliment“, erwiderte ich. Und ich hoffte, es war auch eines.

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***
„Du bist wirklich ein selten arroganter Bastard“, raunte mir Acati zu. „Stellst dich hier so offen zur Schau und lädst jeden halbwegs kompetenten Scharfschützen dazu ein, dir eine zu verpassen.“
„Was denn, was denn? Das geht dir schon auf die Nerven, alter Junge?“, erwiderte ich bissig. „Das von dem Mann, der die AURORA angegriffen hat?“
Ich hustete hart. Dieser Gedanke brachte ein paar Erinnerungen hoch, die nicht so schön waren. Vor allem den Gedanken, dass wir damals Feinde gewesen waren. Wie es jetzt aussah, wusste ich noch nicht mal, wenn ich ehrlich war. Acati mitzunehmen konnte ebenso Fehler wie Chance sein.
„Wer steht denn hier offen sichtbar für jedermann und wirft sich auch noch in Heldenpose?“
Ich musterte Acati. Okay, er stand nicht im offenen Gleiter, wie ich es tat. Aber er hatte sich ziemlich lässig in die Polster gefläzt und die Beine übereinander geschlagen. Und er sah relativ entspannt zu mir auf.
„Heldenpose? Spinner.“
„Vorsicht was du sagst, junger Arogad. Das kann man durchaus als Admiralsbeleidigung werten.“
„Das kannst du nicht nur so werten, das war auch eine!“
„Was? Du kleiner Dreikäsehoch! Willst du dich etwa mit mir anlegen? Da musst du aber noch etwas früher aufstehen, sagen wir fünfhundert Jahre, damit mir nicht langweilig wird!“
„Ach ja? Ach ja? Auf der AURORA hätte ich dich durch die Mangel gedreht, wenn ich nicht das Schiff hätte beschützen müssen!“ Und Joan, ging es durch meine Gedanken.
„Da habe ich doch gar nicht aufgedreht! Das war ja nur halbe Kraft! Sind wir etwas sehr von uns selbst überzeugt, Meister Arogad?“
„Ich stehe hier in einem offenen Gleiter und lande gleich auf einem freien Platz, der angeblich von aufständischen und bewaffneten Bürgern umlagert ist, oder?“

„Meister Arogad, Admiral Acati…“, meldete sich der Pilot zögerlich.
„Was?“
„Wir sind schon gelandet. Seit etwa zwei Minuten. Und es scheint, als würde nicht sofort auf uns gefeuert werden.“
Erstaunt sah ich mich um. „Oh. Wie gut.“
„Hey, wir streiten gerade!“, rief Acati mir nach, als ich mich über den Rand des Gleiters schwang.
„Wir können ja nachher weiter machen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Oder willst du hier ein kleines Duell? Ich habe keine Probleme damit, mich durch Naguad Prime zu bohren.“
Acati schwang sich ebenfalls aus dem Gleiter. „So siehst du aus. Wir würden einen neuen Vulkan produzieren. Und das mitten in der Hauptstadt.“ Der Admiral rieb sich nachdenklich das Kinn. „Hm. Schirmfelder würden die Lava bändigen. Die Erdbeben können wir kompensieren. Und wir hätten eine neue Attraktion in der Vorstadt.“
„Du spinnst, Admiral. Ein Thermogeschütz erledigt diese Arbeit schneller und sauberer.“
„Jetzt bist du es, der spinnt. Das Thermogeschütz hätte zu große Streuwirkung und würde die halbe Stadt abbrennen. Wir reden hier von einem Geschütz für den Raumkampf. Es braucht genügend Energie, um auch nach zwei Millionen Kilometern noch mit ein wenig Wumms ins Ziel einzuschlagen. Von der Fokussierung mal gar nicht zu reden.“
„Könnten die beiden Herren ihre Zerstörungstheorien für einen Moment beiseite schieben?“, mahnte der Pilot. „Wir kriegen nämlich Besuch.“
Ich wechselte einen Blick mit Torum. „Dein Mann?“
„Nein, aber ich denke, ich will ihn haben. Einen Admiral und einen Hausmeister Maßzuregeln erfordert eine Menge Mumm.“
„Ihr Name, Corporal?“
„Jonsto Fioran, Meister Arogad.“
„Haben Sie schon mal daran gedacht, in ein anderes Haus zu wechseln oder zu einer Spezialeinheit wie die des Admirals zu gehen?“, fragte ich freundlich.
„Nun, das sind großzügige Angebote“, erwiderte der Fioran.

„Hört auf uns zu ignorieren!“, blaffte der vorderste der gut zwanzig Männer, die bis auf Rufweite zu uns herangekommen waren.
„Kleine Kinder haben den Mund zu halten, wenn sich Erwachsene unterhalten!“, rief ich zurück.
„Das hat mich eigentlich immer an dir interessiert, Akira. Willst du dir mit Absicht Todfeinde machen? So wie jetzt?“
„Was heißt hier kleine Kinder, du Zwerg? Ich habe zwanzig Jahre gedient, und das in einer Mark in einer Infanteriedivision! Was hast du schon drauf?“
Ernst sah ich herüber. „Sieben Jahre Dienst und ein paar tausend Tote auf meinem Gewissen.“
„Ein paar tausend gleich? Die Banges-Industrie bei euch muß ja dank dir mächtig zu tun haben“, murmelte Acati.
„Es waren nicht alles Banges. Wir nennen sie übrigens Mechas. Die meisten Toten gab es in den Schiffen, die ich zerstört habe.“
„Warum wundert mich das jetzt nicht?“ Acati grinste dünn.

In die Männer war Unruhe gekommen. Leise diskutierten sie miteinander. Ich hörte Wortfetzen heraus wie Arogad, Hausuniform und Admiral. Stellenweise fiel auch der Name Acati, meistens ehrfürchtig.
„Es war wohl doch eine gute Idee, dich mitzunehmen“, brummte ich in Acatis Richtung.
„Ach wie gnädig, dass Sie das bemerken, Meister Arogad.“
„Wenn du weiter so spottest schicke ich dich wieder nach Hause. Und ohne Abendbrot ins Bett, junger Mann“, scherzte ich.
„Ich fürchte mich. Du bist so streng mit mir. Das sage ich alles meiner Mama und die verhaut dich dann.“
„Ihr macht euch doch nicht etwa lustig über uns?“, argwöhnte der Anführer.
„Nein, wir machen uns übereinander lustig. Ist das nicht erlaubt?“
Die Männer steckten kurz die Köpfe zusammen und diskutierten dieses Thema.
Ich seufzte. „Ein Komitee. Die haben ein verfluchtes Komitee gegründet. Und nun wird jede Entscheidung ausdiskutiert.“
„Was diskutieren sie wohl gerade?“, fragte Torum nachdenklich.
„Wenn Sie mich fragen, Admiral, diskutieren sie darüber, mit wie vielen Einschusslöchern sie uns zurück zu unserem Posten schicken“, raunte der Fioran.
„Ich fürchte, der Mann hat Recht“, sagte Acati ernst. „Uns haben mindestens acht Scharfschützen im Visier, und die Waffen sind nicht auf kuscheln gestellt. Einer von ihnen hat sogar ein illegales Partikelgewehr.“
„Also Schluss mit lustig.“
Ich ging auf die Gruppe Männer zu und klatschte in die Hände. „Gut, gut, gut, Herrschaften, genug gespielt. Wir hatten alle unseren Spaß, aber jetzt wird es Zeit, die Sachen zu packen und den Abtransport vorzubereiten. Dieser Platz erlaubt es Schiffen bis zur Größe einer Fregatte zu landen. Eine Fregatte kann immer kurzfristig eintausend Menschen aufnehmen. Ich erwarte, dass ihr die Bewohner in Eintausender-Gruppen organisiert, ohne Familien auseinander zu reißen. In zwei Stunden landet die erste. Geht das soweit klar?“

Ich sah einen Lichtblitz, dann spürte ich einen harten Ruck an meinem Schädel und hörte den Schuss. Ich ging zu Boden, ohne mich abzufangen.
„Drängler“, sagte der Anführer. „Ich hasse Drängler.“
„Hey, Junge, geht es dir gut?“, fragte Torum.
„Warum soll es mir denn nicht gut gehen? Das war ein Geschoss, kein Schuss aus einem Partikelgewehr.“ Langsam stand ich wieder auf, strich mir den Staub von der Kleidung und bewegte den Kopf ein paar Mal.
„Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. In zwei Stunden. Obwohl, jetzt sind es nur noch eine Stunde dreiundfünfzig Minuten. Ausführung, Herrschaften, Ausführung!“
Ungläubig starrten die Männer mich an, während ich die flach gedrückte Kugel, die noch immer auf meiner Stirn klebte, abpulte. „Das kann kein Mensch sein“, hauchte einer angstvoll.
„Und davon lässt du dich beeindrucken? Es gibt noch viel mehr Soldaten in der Armee, die statt eines Stirnknochens eine Stahlplatte implantiert bekommen haben! Das ist nichts Übernatürliches! Was meinst du was mit ihm passiert, wenn wir auf sein Herz schießen?
Gut, du kleiner Bastard von einem Haus-Clown! Du hast überlebt! Also geh jetzt zurück zu deinen über tausend Toten und spiel dort weiter! Hier habt ihr jedenfalls nichts mehr zu sagen, klar?“
„Torum, ich verspüre gerade die unstillbare Lust in mir, ein paar Idioten zu töten.“
„Ich bin nicht hier, um dich aufzuhalten, mein Junge.“
„Seid ihr immer noch hier? Und eurer dämlichen Fregatte könnt ihr sagen, sie kann ja innerhalb des Schirms landen und…“

„Was ist dein verdammtes Problem, du Arsch?“, blaffte ich. „Diese ganze Stadt ist radioaktiv verseucht! Wir wollen euch hier rausholen und die Städte säubern! Geht das nicht in eure Schädel rein?“
„Jetzt hörst du mal zu, du arrogantes Großmaul! Ich kenne euch Trottel von den Häusern! Ihr inkompetenten Inzuchtprodukte glaubt doch, euch gehört das Universum und jeder muß tun was ihr sagt! Aber nicht mehr mit mir! Nicht mehr mit mir! Verschwindet endlich und nehmt eure Schauermärchen mit!“
„Schauermärchen?“ Erschrocken starrte ich den Mann an. „SCHAUERMÄRCHEN? Ja, habt ihr die Explosionen nicht gesehen?“
„Wir haben die Explosionen im Arogad-Turm gesehen, das war ein sehr schöner Anblick“, rief der Anführer spöttisch.
„Jonsto, bitte, sind Sie so nett und holen mir einen Wegmeter aus dem Gleiter?“
„Sofort, Meister Arogad.“
Der junge Soldat kam kurz darauf mit dem Messgerät zu mir zurück. Ich schaltete es ein. Sofort begann ein Warnblinklicht zu leuchten. „Oh, hm, tja, das habe ich mir so gedacht. Fünftausend Weg an dieser Stelle.“
Ich schwenkte den Sensor hin und her. „Da hinten sind es sogar sechseinhalbtausend Weg und hier nur etwas über viertausenddreihundert. Corporal Fioran, was wissen Sie über die radioaktive Belastung auf diesem Planeten?“
„Sir. Jeder Naguad ist einer natürlichen Belastung von vierhundert Weg ausgesetzt, das ist die normale tägliche Dosis. Einhundertvierzig Weg kommen als kosmische Strahlung aus dem Weltraum, einhundertzwanzig aus dem Boden in Form ionisierter Edelgase und der Rest emissiert unser eigener Körper.“ „So, so. Vierhundert Weg ist also die normale Dosis. Corporal, was passiert mit einem Menschen, der fünftausend Weg ausgesetzt ist?“
„Eigentlich nichts, wenn er nicht besonders anfällig ist oder einer zu stark strahlenden Quelle zu nahe kommt.“
Die Männer lachten leise bei diesen Worten. Idioten, alles Idioten. Jeder ehemalige Soldat musste doch wissen, dass der Corporal nicht zu einem Freibrief ansetzte.
„Jedenfalls nicht bei kurzfristiger Belastung. Nach mehreren Tagen aber kommt es zu strahlenkaterähnlichen Ausfallerscheinungen. Aber ein gesunder Mann kann sicherlich drei oder vier Wochen fast beschwerdefrei überleben.“
„Wir sind hier alle gesund! Also macht das ihr wieder weg kommt!“
„Noch seid ihr gesund! Aber es wird nicht lange dauern, dann haben die ersten Blut im Urin. Dann werden sie anfällig für harmlose Ateminfektionskrankheiten! Die Nieren werden schlechter arbeiten und das Blut schlechter gereinigt.
Ihr habt gut lachen. Ihr könnt noch eine ganze Zeit die Dummen spielen.
Aber es sind die Alten, die Kranken und die Kinder, die bei diesem Spiel zuerst den Preis zahlen müssen! Es wird nicht mehr lange dauern, dann fallen den Kindern die ersten Haare aus, weil sie noch zu jung sind, ihr Immunsystem besonders störanfällig. Sie werden sich schneller an der energiereichen Radioaktivität verbrennen als ihr Erwachsenen und die Verletzungen werden in dieser Umgebung schlechter abheilen! Dann geht das Zahnfleisch zurück und die Zähne fallen aus. Danach werden sie Blut husten und spätestens nach einem Monat zu sterben beginnen. Und das alles nur, weil ihr plötzlich beschlossen habt, die störrischen Idioten zu spielen!“
Ich hatte übertrieben, wirklich übertrieben. Aber ich wollte verdammt sein, wenn auch nur ein einziges Kind starb, weil es noch länger als die bereits verstrichenen vier Tage fünftausend Weg und mehr ausgesetzt war.

„Du verdammter Arsch! Das ist doch sowieso alles eure Schuld! Eure und die der Türme! Wegen euch und euren ewigen Kriegen stecken wir doch jetzt in dieser Klemme! Wir haben es wieder mal den großartigen Häusern zu verdanken, dass unsere Leben noch schlechter werden!“, blaffte der Anführer.
„Ach ja? Ach ja? Ich will dir mal was sagen! Ich habe dich nicht gerade bei der letzten Wahl zum Bürgermeister als Kandidaten gesehen! Und als Kandidat für den Rat warst du auch nicht aufgestellt! Erst lässt du alles die da oben machen und fügst dich, anstatt Entscheidungen selbst in die Hand zu nehmen, und dann wenn dich die Entscheidungen mal direkt betreffen, dann schwingst du dich plötzlich zum alles und jeden verstehenden Anführer auf?
Du hast doch nur Angst! Und du ziehst alle hier mit! Aber dieser Weg führt in den Tod!“
„Ihr wollt ja nur keine Verantwortung übernehmen, wie immer! Schön reden könnt ihr ja, aber hier ist noch keiner gestorben! Und das wird auch so bleiben, auch wenn wir hier bleiben, wo wir geboren wurden!“
„Schon wieder der Anführer! Was hat dich nur gebissen, dass du ausgerechnet in einer radioaktiv verseuchten Stadt den Boss rauskehrst?“
„Euer Wegmeter ist doch manipuliert!“
„Er ist nicht manipuliert! Das einzige was hier manipuliert ist, das sind all die Leute, die nicht wissen, in welcher Gefahr sie schweben!“ Ich spürte wie mein Gesicht vor Aufregung glühte. „Verdammt, ich bin hier, um Verantwortung zu übernehmen! Ich bin hier, um euch zu retten! Und ich bin hier, um euch diese Stadt wiederzugeben, sobald wir sie vom radioaktiven Staub gereinigt haben. Mehr solltet ihr nicht verlangen und verdammt noch mal auch nicht erwarten!“
Der Anführer grinste mich an. „Ja, reden könnt ihr gut. Aber sagen tut ihr nichts dabei.“

Aus den Augenwinkeln nahm ich einen weiteren Reflex wahr. Dann umgab mich ein Orkanartiger Sturm, Hitze brandete an mir vorbei. Ich sah erschrocken zur Seite und erkannte Torum Acati, der mit ausgestreckter Rechter seitlich von mir stand. „Das Partikelgewehr, Akira. Kein Problem, wirklich kein Problem.“
„Ihr könnt uns nicht töten, nicht einmal wenn ihr alle zugleich schießt!“, rief ich laut.
„Ich weiß, ihr habt alle Angst. Ihr wisst nicht, was euch erwartet! Ihr wisst nicht was mit euch passiert ist. Und ihr vertraut denen nicht, die euch anführen. Vielleicht weil ihr es nicht besser wisst… Oder weil ihr es viel zu gut wisst.
Ich weiß, ein Versprechen von einem Mann aus einem Turm ist nicht viel wert bei euch.
Ich weiß, mein Wort als Arogad zu verpfänden bedeutet euch gar nichts.
Und viele würden eher sterben als diese Stadt zu verlassen.
Aber wir können euch nicht hier lassen. Das diese Stadt verseucht wurde ist unsere Schuld, also ist es auch unsere Pflicht, sie wieder zu säubern! Und es ist unsere Pflicht, euch zu beschützen, zu versorgen und euch eure Leben wiederzugeben!
Dafür steht der Rat ein! Dafür steht Admiral Acati ein!“
„Hey, was habe ich damit zu tun?“
„Halt die Klappe, Torum.
Dafür stehe ich selbst ein! Mein Name ist Aris Arogad und ich habe vor drei Tagen einen Bürgerkrieg zwischen den Daness und den Arogad verhindert. Da wirkt das Problem, diese Stadt wieder bewohnbar zu machen wie ein Kinderspiel.
Und es ist ein Kinderspiel! Wenn ihr alle mithelft. Ihr werdet zurückkehren, ihr werdet hier wieder leben können! Das verspreche ich!“
„Ich sagte es schon, wir glauben euch nicht!“, rief der Anführer wieder.
Ich seufzte leise. „Vielleicht solltest du, nachdem du dich endlich entschlossen hast wie ein Anführer zu handeln, es endlich tun und deine Leute fragen was sie denken? Das Beste für dich und deine Leute auswählen?
Anführer sein ist nicht leicht und man kann es niemals allen recht machen. Und man kann sich selbst nicht immer treu bleiben. Aber man kann so vielen wie möglich ein so gutes Leben wie möglich geben.“

Ich wandte mich ab, ging langsam auf den Gleiter zu. „Zweimal. Sie haben zweimal auf mich geschossen! Sie wollten mich töten! Oh, ich könnte diese Kerle in der Luft zerreißen!“
„Reg dich ab. Wenn sie es wirklich darauf angelegt hätten, dann hätten sie mit allem was sie haben Dauerfeuer geschossen“, erwiderte Torum Acati schmunzelnd. „Der Mann ist ehemaliger Unteroffizier. Er weiß, dass es trainierte Männer und Frauen mit deinen Fähigkeiten gibt. Er wollte dir nur Angst machen. Und vielleicht wollte er einfach nur aus einem ehrlichen Mund ehrliche Worte hören, die ihm sagen, was wirklich hier passiert ist und woran sie sind.“ Acatis Blick wurde traurig. „Wenn ich ehrlich bin, hapert es da bei unserem Rat etwas. Und ich bin als Admiral noch relativ gut informiert.“
„Trotzdem. Sie haben zweimal auf mich geschossen! Zweimal! Und ob ich die Partikelwaffe hätte abwehren können, weiß ich nicht mal!“
„Ich habe nur eingegriffen, weil ich dir die ganze Show nicht alleine überlassen wollte“, meinte Acati und zwinkerte mir zu.
„Ja, klar.“

„AROGAD!“, rief der Anführer hinter mir her.
Ich stoppte, Acati und der Fioran-Pilot taten es mir gleich. „WAS?“
„Sag mir, was passiert ist!“
„Einer der Türme, Logodoboro, wurde vom Core infiltriert. Seine Agenten haben ein Schiff der Daness übernommen und ließen es auf den Arogad-Turm feuern. Die Schirme des Turms haben gehalten, dann hat er sich mit den Schirmen der anderen acht Türme synchron geschaltet. Die Explosionsenergie ging als Feuerwalze über den Schirm hinweg. Beim Rücklauf der Luft in das durch die Explosionen entstandene Vakuum wurden hunderttausende Tonnen Staub aufgesogen. Der Staub wurde von der Strahlung kontaminiert und setzte sich nach und nach auf den ungeschützten Vorstädten ab.
Wir haben es nicht geahnt und wir haben es nicht kommen gesehen, aber zwei Häuser, Grandanar und Koromando, haben sofort reagiert und begonnen, die verseuchten Städte zu evakuieren.
Nachdem der Bürgerkrieg zwischen Daness und Arogad abgesagt war, habe ich dafür gesorgt, dass auch diese Türme ihre Kraft in die Evakuierung stecken.
Das ist die Geschichte in Kürze. Und nun stehe ich hier. Willst du noch etwas wissen?“
„Ja. Hast du am Wochenende schon was vor?“
Seine Männer lachten, und für einen Moment musste ich selbst ein Schmunzeln unterdrücken. Der Ärger, der in mir aufwallte, half mir dabei.
„Leider, leider. Ich muss siebzehn Millionen Naguad das Leben retten. Aber du kannst mir dabei helfen.“

Der Mann verstaute seine Waffe wieder und kam ein paar Schritte auf uns zu. Er hob eine Hand. „Die Scharschützen verlassen ihre Positionen. Interessant“, raunte Acati.
„Ihr seid kein Ablenkungsmanöver und ihr seid auch keine kleinen Offiziere, die man beliebig opfern kann“, stellte er fest. „Ihr meint ernst was ihr sagt. Deshalb glaube ich, dass ihr nichts mit dem Core zu tun habt. Deshalb glaube ich, man kann euch vertrauen. Akira Otomo und Torum Acati.“
Ich runzelte die Stirn. „Moment mal. Heißt das, der ganze Kram hier war dazu da um… Um herauszufinden, ob wir Agenten des Cores sind?“
„Äh, nein. Erschießen lassen wollte ich dich, weil du eine lose Klappe hast.“
„Na, danke“, brummte ich unter dem Gelächter der anderen Männer.
„Daness schießt auf Arogad, Arogad sammelt seine Schiffe. Zwischendrin Meldungen, dass ein Turm vom Core unterwandert ist. Wie hättest du reagiert, Junge? Es stimmt, ich habe mich nie um Verantwortung gedrängt. Aber ich war mit Oren Arogad dabei, als wir den ersten Core erobert haben. Ich habe gesehen, was sie mit Naguad, was sie mit Iovar machen.
Ich wusste nicht was passiert war. Ich wusste nicht, wem ich trauen kann. Ich wusste nicht was noch wahr und was Lüge war. Also nahm ich meine Verantwortung an und beschützte meine Leute.“
„Und dafür harrt ihr in einer radioaktiven Hölle aus?“, argwöhnte ich.
„Du hast die Augen eines Kriegers, Junge. Du hast bereits viel zu viel gesehen. Aber du hast den wahren Schrecken noch nicht gesehen. Du warst nicht da. Du hast nicht auf den Befehl von Admiral Lencis auf die Reihen der Tanks mit den aus ihren Körpern entfernten Gehirnen geschossen. Du hast…“ Der Mann schluckte hart, als ihn die Erinnerungen übermannten, die fast zweitausend Jahre alt waren. „Du hast nicht gesehen, zu was der Core fähig ist.
Als er hier angriff, in unserem Zentrum, unserem Herz, konnte ich nur nach meinem Gewissen handeln.“

Er trat direkt vor mich und streckte mir beide Hände entgegen. „Du kannst mich jetzt verhaften, Junge. Die anderen werden kooperieren. Ruf deine Fregatten.“
Ich sah auf die Hände. „Verhaften?“
„Nun, ich habe zweimal auf Aris Arogad schießen lassen, den Erben des Ratsvorsitzes der Arogad.“
„So habe ich das gerne! Erst große Reden schwingen und dann die Arbeit auf andere abwälzen, was? Nichts da! Du bleibst schön hier und organisierst die Evakuierung deiner Leute selbst! Ich mach doch hier nicht jeden Scheiß! So ein Kerl! Lässt sogar auf mich schießen, damit ihm der Verwaltungskram erspart bleibt! Aber nicht mit mir, also zurück an die Arbeit!“
Abrupt wandte ich mich ab und ging die restlichen Meter zum Gleiter zurück. „In fünf Stunden komme ich wieder und dann will ich hören, dass fünf Fregatten fünftausend Naguad evakuiert haben, verstanden?“
„Jawohl, Meister Arogad.“
Ich wandte mich noch einmal um. „Das heißt Division Commander Akira Otomo. Offizier der United Earth Mecha Force.“
„Meinetwegen auch das“, erwiderte der Mann schmunzelnd.
„Na also“, brummte ich, schwang mich in den Gleiter und hörte wie Torum sich neben mir in die Polster lümmelte. „Jonsto, nach Hause. Die Evakuierung geht weiter.“
„Einmal zum Hauptquartier, kommt sofort, Division Commander Akira Otomo.“ Er zwinkerte mir zu, bevor er startete.
„Hm. Ein paar von euch können ja doch zuhören.“
„Ein paar“, gestand Torum ein. „Wir sollten öfters solche Ausflüge machen, Akira. Das hat Spaß gemacht.“
Spaß gemacht? Ungläubig starrte ich den Admiral an. „Du bist kein Mensch, oder?“
„Natürlich nicht. Ich bin ein Naguad.“ Er zog seine Schirmmütze über sein Gesicht. „Weckt mich, wenn wir wieder zurück sind, ja?“
„Eventuell“, scherzte ich, während der Gleiter startete. Es wartete noch eine Menge Arbeit auf uns. Sehr, sehr viel Arbeit.

4.
Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl für Henry William Taylor, hier in den Elwenfelt-Turm zurückzukehren. Und es war noch seltsamer zu erleben, wie die Haus-Mitglieder ihn behandelten. Selbst zu seiner besten Zeit, vor seiner Flucht in den Arogad-Turm, als er noch als entmachteter Anführer einer zukünftigen Elwenfelt-Mark galt, war er nicht so freundlich empfangen worden. Und bestimmt hatte er nicht diese umfassenden Rechte in den Archiven. Alles was ihn interessierte und bisher verschlossen und versiegelt gewesen war, öffnete sich für ihn als hätte es niemals Kodierungen, Sicherheitsfallen und Geheimhaltungsstufen gegeben.
Nach seiner Recherche im Logodoboro-Turm – eigentlich steckte er ja noch mittendrin – war er schnell auf einen Querverweis gestoßen, der ihn in den Elwenfelt-Turm zurückgebracht hatte. Sicherheitshalber hatte er sich eine Empfehlung von Oren Arogad geholt, Akiras Unterstützung, genauer gesagt hatte er sich Sora Fioran und Franlin Litov ausgeliehen und war damit zu Elwenfelt zurückgeflogen. Ein wenig irritiert hatte es ihn, dass Megumi ihm dieses kleine Gör Gina Casoli aufs Auge gedrückt hatte. Was sollte eine Köchin schon in einem Archiv für eine Hilfe sein? Er verließ sich lieber auf das Historiker-Team, das Akira ihm zur Verfügung gestellt hatte, und dessen Mitglieder mittlerweile auf fünf Türme verteilt waren. Elwenfelt war der sechste und Henry plante nicht, so schnell wieder fort zu gehen.
Vielleicht half auch ein wenig die Tatsache, dass Sora eine Fioran-Assasinin war, eine der besttrainiertesten Mordmaschinen in diesem System, vielleicht sogar im ganzen Imperium.
Eventuell hatten die Elwenfelt Angst.

Oder auch nicht, stellte Henry resignierend fest, als Franlin von einem seiner Interviews zurückkam. Als offizieller Sprecher von Aris Arogad hatte er hier sämtliche Verpflichtungen des Fliegerjungen übernommen. Unter anderem hatte er schon zum vierten Mal erklären müssen, unter welchen Umständen Jarah Arogad Elwenfelt-Gene erhalten hatte.
Franlin hatte bei der Geschichte kein Blatt vor dem Mund genommen und die ganze Geschichte unverfälscht erzählt.
Seitdem trafen Henry vermehrt bewundernde und verehrende Blicke. Immerhin war es sein Großmut gewesen, der einer der höchsten Töchter der Arogads das Leben gerettet hatte – und zwar mit ihren Genen, dem Pool der Elwenfelt.
Sicherlich hofften nicht wenige Naguad dieser Generation im Turm, dass sich dadurch die erkalteten Beziehungen zu Arogad wieder verbesserten. Immerhin waren die Türme lange Jahrhunderte beste Verbündete gewesen, bevor Fioran ihnen den Rang abgejagt hatte.

Egal. Die Arbeit ungestört verrichten zu können war wichtiger.
Beinahe ungestört. Fast ungestört. Eigentlich störte er sich selber, weil er immer wieder zu der konzentriert arbeitenden Gina herüber sah. Entgegen seinen Erwartungen machte sie ihre Arbeit bisher gut – Logodoboro-Unterlagen checken und anhand der Querverweise die entsprechenden Datenbanken der Elwenfelt markieren.
Sie spürte laut Plan gerade der Daima-Legende nach. Es gab in jedem Turm andere Geschichten zu diesem Themenkomplex, Variationen, Neues, viele Teile eines Mosaiks, die sich sehr oft glichen, aber dann wieder Details offenbarten, die vorher unbekannt waren.
Diese unbekannten Details jagte sein Team gerade. Ausgearbeitet sollten sie das ergeben, was Henry bei sich das unvollständige Bild einer verzerrten Vergangenheit nannte – den bestmöglichen Blick in die hohe Zeit der Daima.
In dieser Epoche lag die Antwort auf viele seiner Fragen. Dieser Suche hatte er sich verschrieben. Und er wusste, dass die Beantwortung der einzelnen Fragen neue aufwerfen würde und er weiter forschen würde, und weiter und weiter und…

Wie das Kaninchen in die Augen der Schlange starrrte Henry auf den schlanken Arm, der sich in sein Gesichtsfeld schob. Besonders interessiert starrte er dabei auf die braun gebrannte Frauenhand, die gerade ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit vor ihm abstellte.
„Du solltest etwas trinken, Henry“, tadelte ihn eine altbekannte Stimme. „Ich kenne dich. Wenn du in einem Thema drin bist, könntest du glatt verdursten, wenn niemand auf dich aufpasst.“
Sein Herz drohte ihm bis zum Hals zu schlagen. Erschrocken fuhr er herum. „Ai?“
Die Frau, die auf ihn herab lächelte war Gina. Nur Gina. Nur… Nein. Das konnte doch nicht sein. Da war etwas in den Augen der Frau aus Argentinien, das war so vertraut… Das war so bekannt und so… „Ai?“, hauchte er leise und erhob sich. Verdammt, Akira hatte doch gesagt das er sie nicht hatte beschützen können! Dass sie gestorben war, auf der AURORA, im Kampf gegen Torum Acati! Aber diese Augen, dieser Schimmer, dieser Blick! Das konnte doch nicht sein! „Ai!“
Übermütig schloss er die junge Frau in die Arme. Ohne Halt begann er zu zittern, während er den warmen Leib an sich drückte. „Ai“, schluchzte er ihr ins Ohr. „Ai, ich dachte du bist tot! Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen!“
„Technisch gesehen“, erwiderte Gina und stemmte sich halbherzig gegen Taylors Griff, „siehst du sie auch gerade nicht wieder, weil das eigentlich mein Körper ist. Aber Ai-chan und Corinne waren der Meinung, dass wir dir endlich die Wahrheit sagen sollten, egal wie beschäftigt du bist, Henry.“ Erschrocken sah sie ihn an. „D-das ist mir nur so raus gerutscht, Legat Taylor!“
Langsam löste er sich von der jungen Frau. Mit einem Lächeln strich er ihr über den Kopf. „Gina, du darfst mich immer und jederzeit Henry nennen. Ich könnte sowieso nicht unterscheiden, wer es gerade sagt. Du, Ai oder Corinne Vaslot.“
„Danke, das ist sehr… Moment mal, ich habe Corinnes Nachnamen doch überhaupt nicht genannt!“
„Ich habe nur eins und eins zusammengezählt.“ Henry setzte sich wieder und bot der jungen Frau ebenfalls einen Platz an. „So, nachdem der erste Schreck und die erste Freude abgeklungen ist, will ich dir, oder besser euch, etwas erklären und ihr drei korrigiert mich einfach.
Erstens. Corinne Vaslot gehört zu einem Spezialprojekt unserer Agentenausbildung, dem No Trace-Projekt, dass es ermöglichen sollte, Agenten in die Körper von hochrangigen Menschen zu verpflanzen, um so die perfekte Spionage zu begehen, richtig?“
Gina nickte.
„Aber die Zerschlagung des Legats kam zu früh und zu schnell. Stattdessen wurde das Projekt auf die Erde ausgelagert und von Spionage auf Attentat verlegt. Da diese Forschung dem Magier Tora unterstand wurden vor allem seine Zöglinge dazu herangezogen. Also Menschen, die zumindest Erfahrung im Umgang mit KI hatten. Richtig?“
Wieder nickte die Argentinierin.
Ursprünglich wurde Corinne offensichtlich in die bedauernswerte Gina verpflanzt, nachdem ihre, nun, Freundschaft mit Mamoru Hatake bekannt wurde. Damit brachte man sehr effektiv eine Attentäterin in die unmittelbare Umgebung vom Fliegerjungen.“
Als Gina ihn verständnislos ansah, ergänzte Henry: „Akira.“
„Ach so, ja.“
„Leider ging alles schief. Corinne hat sich von Akira mächtig beeindrucken lassen oder gleich in ihn verknallt und ihren Auftrag nicht ausgeführt, richtig?“
„Ersteres“, erwiderte Gina mit geröteten Wangen.
„Dann kam der Kampf mit Torum Acati und Ai hat die Waghalsigkeit, ja, den Todesmut besessen, ihn anzugreifen. Damit hast du Akira wertvolle Zeit erkauft, wie ich weiß, aber der Preis war hoch. Acati, brodelnd vor KI, hat dich getötet und fort geschleudert. Gina muss dich relativ schnell gefunden haben.“
„Sie wurde mir direkt in die Arme geschleudert“, korrigierte die Italienerin verlegen. „Und dabei…“
„Und dabei wurde ihre Seele aus ihrem sterbenden Körper gerissen. Acati war aufgeladen mit seinem eigenen KI. Er war wie ein großer Bandgenerator und hat teilweise Energie auf Ai übertragen, ohne es zu wollen. Und dabei…“
„Im Prinzip ganz richtig, nur ist Ais Körper nicht tot. Er ruht in der AURORA in einem Biotank. Aber sie kann nicht mehr zurückwechseln. Wir dachten, Akira und die Naguad könnten uns bei unserem Problem helfen. Aber bisher hatte einfach noch keiner Zeit für uns… Bitte schau mich nicht so an, Henry. Wir sind hier zu dritt im Körper, und eine hat Angst vor dir, die zweite birst fast vor Respekt vor dem Legaten und die dritte ist… Schwamm drüber.“
„Angst vor mir?“ Henry lachte. „Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben, Gina.“
„Ich doch nicht. Ai hat Angst, weil sie so eine Dummheit gemacht hat.“
Taylor schluckte trocken. „Nun setz dich endlich. Kein Wunder, dass du mit dieser Arbeit so gut klar kommst, wenn du das denken drei Personen überlassen kannst. Hilfst du mir beim Iotan-Block? Ich glaube, das ist ein interessanter Komplex, der uns einige Antworten bringen wird.“
„Gerne“, rief Gina erfreut. „Und sicher wird er uns für jede Antwort eine neue Frage bescheren.“
„Sicherlich“, schmunzelte Taylor. „Über das andere Thema reden wir nachher… Ai.“
Gina hustete, als hätte sie sich verschluckt? „So? Ich aber nicht, und… Mist, jetzt habe ich laut geredet. Alles in Ordnung, Henry, alles in Ordnung.“
„Du teilst deinen Körper mit zwei weiteren Frauen und denkst es ist alles in Ordnung? Du bist sehr optimistisch, Gina“, spottete Henry.
„Ich bin ja nur froh, dass ich den Körper mit keinem Mann teilen muss“, brummte sie unwillig.
„Argument.“ Und treffend auf den Punkt gebracht.
***
„Und der Arogad-Turm ist wirklich drei Kilometer hoch?“, rief Soren aufgeregt.
„Aber natürlich“, erwiderte ich und sprang mit dem kleinen sechsjährigen Jungen auf den Schultern ein paar Treppenstufen herab. Dem Kleinen gefiel das natürlich. Er lachte aus vollem Hals. „Ich habe jede Menge Cousins und Cousinen in deinem Alter“, berichtete ich. „Ich werde ihnen sagen, sie sollen mit dir spielen, Soren.“
„Wirklich? Das würdest du machen?“
„Aber natürlich. Jaga, Inuse, Prilic, Asserda, Jogran, Pihlin, sie werden ganz wild darauf sein dich kennen zu lernen. Bis auf den Turm kennen sie noch nicht viel von der Welt.“
„Echt? Aber ist das nicht traurig? Ich meine, hier unten gibt es doch Parks und die Schule und… Und… Und…“ Der Junge bekam einen Hustenanfall, und unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte. Ich hoffte inständig, dass der Junge kein Blut spuckte. Das hätte mich vor Sorge in den Wahnsinn getrieben.
„Na, geht es wieder?“
„Klar, Akira. War ja nur husten. Das macht der viele Staub, sagt Mama.
Sag mal, langweilen sich deine Cousins und Cousinen da nicht? Da oben, meine ich?“
„Ach, Schulen und Parks gibt es da oben auch. Aber nicht so große wie hier in der Stadt.“
„Aber ist das nicht wie im Märchen? Gefangen im Turm.“
„Sie sind doch erst sechs und sieben“, erwiderte ich lachend. „Die ganze Welt steht ihnen offen, wenn sie älter sind. Aber diesmal ist es anders herum. Die Welt kommt zu ihnen.“ Ich lachte, hob den Jungen von meinen Schultern und reichte ihn dem Vater, der bereits auf dem großen Schweber stand und den anderen Familienmitgliedern sowie den Mitbürgern beim einsteigen half. Die Evakuierung dieser Menschen war nur noch wenige Minuten entfernt.
„Das bist du, Soren. Erzähle ihnen wie es hier unten ist, okay?“
„Okay. Akira, kommst du dann auch bald?“
„Ach, ich habe hier noch zu tun. Aber irgendwann komme ich nach, keine Sorge.“
Der Schweber ruckte an und erhob sich in die Luft. Kurz darauf startete er in Richtung Platz zur wartenden Fregatte. Ich winkte Soran nach, der zu mir herunter sah, solange seine Mutter es ihm erlaubte.

Seufzend wandte ich mich um und ging zu meinem eigenen Schweber. Nachdem die Evakuierung erst mal ins Rollen gekommen war – nachdem wir den fatalen Fehler erkannt hatten, der uns passiert war, nämlich die Angst der Menschen zu zerstreuen, in eine gigantische Falle des Cores zu laufen – war die Aktion ein Selbstläufer. Eigentlich hätte ich mich nun wieder in den Turm zurückziehen können, um vielleicht bei der Koordinierung der Flüchtlinge zu helfen. Oder die Operation zur Reinigung der Städte vorzubereiten. Es gab so viel zu tun.
Aber ich konnte es nicht, noch nicht. Ich musste hier vor Ort sein, im radioaktiven Staub. Hier, direkt am Puls des Geschehens. Hier, wo tapfere Männer und Frauen Leben retteten. Ich musste meinen Teil beitragen, meine Zeit im Staub absitzen, oder ich platzte vor Scham.

„Meister Arogad! Meister Arogad!“
„Ja? Was gibt es denn, mein Junge?“
Der Bursche, der wild winkend auf mich zu gerannt kam, mochte sechzehn oder älter sein. Etwas an ihm alarmierte mich, und als er näher kam, wusste ich auch was. Er hatte Verbrennungen. Sie waren nicht groß, aber unregelmäßig über seinen Körper verteilt, soweit ich es sehen konnte. „Meister Arogad, Sie sind doch ein AO-Meister! Sie müssen mitkommen! Bitte! Luvven hat diesen Stein gefunden und dann hat unsere Haut angefangen zu brennen und Rose atmet nicht mehr und…“
Ich sah die wilde Panik in den Augen des Jungen. Gott, Junge. Er war vielleicht nur vier Jahre jünger als ich. Wie arrogant konnte man nur werden, wenn man ein paar Jahre mehr drauf hatte? Obwohl, war ich jemals so jung? Ich konnte es mir nicht vorstellen, denn als ich vierzehn gewesen war, jünger als dieser Bursche, da hatte ich bereits als Blue Lightning Leben beendet.
Ich setzte mich sofort in Bewegung, folgte dem Jungen tiefer in die Straßen hinein, durch eine Nebengasse, einen Hinterhof und dachte gerade daran, was für ein Idiot ich doch war, dass ich dem Bengel, der offensichtlich – etwas zu offensichtlich – Strahlungsverbrennungen hatte, so ohne weiteres herlief. Und das nur weil der Bursche wusste, dass ich ein AO- oder KI-Meister war und bei solchen Verletzungen Erste Hilfe leisten konnte, anstatt sofort ein Medoteam anzufordern.

Abrupt blieb ich stehen. Moment. Woher wusste der Knabe, dass ich ein AO-Meister war? Und warum wusste er überhaupt von den AO-Kräften? Ich beschloss, wenigstens Verstärkung in Form von einem Medo-Team anzufordern und… Grelles Licht…
***
„…hast ihn umgebracht!“ „…ist doch ein AO-Meister. So schnell stirbt…“ „…schneller gehen und euch beeilen…“ „…der Gleiter? WO ist der Gleiter? Wir müssen schnell machen, bevor…“
Die Wortfetzen, die an mein Ohr drangen erschienen mir so sinnlos, so vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. Müde öffnete ich ein Auge, aber es fiel sofort wieder zu.
Erneut versuchte ich es, öffnete diesmal beide Augen und sah in den prächtigen Mittagshimmel über der Hauptstadt. Wie schön. Fast mochte man nicht glauben, dass hier beinahe ein Bürgerkrieg begonnen hätte. Dass diese Stadt radioaktiv verseucht war.
Ich drehte den Kopf zur Seite – und schrie auf!
Ich sah direkt in ein Paar leerer, grüner Augen. Ein Toter!
„Verdammt, er ist wach! Die Dosis war zu gering!“
„Die Dosis hätte einen Erwachsenen ausgeschaltet! Er ist ein AO-Meister, das hätten wir bedenken müssen! Gebt ihm noch mal was, bevor er wieder klar denken kann!“
Moment mal, dieses Gesicht, es kam mir bekannt vor. Auch wenn ich die Augen nicht so leblos in Erinnerung hatte, ich kannte dieses Gesicht.
Ich taumelte, und das lag nicht nur an dem merkwürdigen Druck in meinem Nacken, von dem sich ein Kribbeln in meinem ganzen Körper ausbreitete und wieder ins Dunkel trieb. Kein Wunder, dass ich das Gesicht kannte. Es gehörte mir, Akira Otomo. Dann wurde es schwarz.

Epilog:
Es war sehr unproduktiv, dass die Umstehenden heran eilten, anstatt auseinander zu gehen und ihnen eine Gasse zu machen. Megumi war am Rande einer Panik! Akira brauchte Hilfe, so schrecklich schnell Hilfe, und was machten die Arogad?
„Das ist Aris! Verdammt, das ist Aris! Macht Platz für Aris Arogad!“
„Aris!“ „Sie bringen Aris rein!“ „Was ist mit ihm passiert?“ Die Worte pflanzten sich durch die Menge fort, und diesmal wurde nicht gedrängt. Die Naguad bildeten eine Gasse zu den Liften.
Dort ging gerade ein Tür auf, Oren Arogad und Eridia Yodama stürmten heraus. Dazu ließ Helen Otomo ihren Avatar direkt neben ihnen entstehen.
„Was ist passiert? Die ersten Nachrichten aus der Vorstadt haben gesagt, Akira wäre katatonisch!“ Eri legte beide Hände auf das Gesicht ihres Enkels.
„Ich weiß es nicht! Er hat sich nicht zum vereinbarten Zeitraum gemeldet und ein paar seiner neuen Freunde aus der Vorstadt haben begonnen nach ihm zu suchen. Er ist schon eine halbe Stunde so! Ich dachte, wenn ich ihn so schnell es geht in den Turm schaffe, dann… Oh Gott, Akira!“
„Was ist mit ihm, Mutter?“
Ein Leuchten entstand um die Hände der Halb-Iotan. Es existierte für fünf bange Minuten. Dann nahm sie die Hände wieder fort und fluchte undamenhaft ein paar Phrasen, die geringere Männer als Raumsoldaten die Schamesröte in die Wangen und Tränen in die Augen trieb. Zum Glück sehr leise.
„Er ist fort“, sagte sie schlicht.
„Nein“, hauchte Megumi. „Nein, das kann nicht sein! Er atmet doch noch! Er kann nicht tot sein! Er ist nicht tot! Nein!“
„BERUHIGE DICH!“, rief Eridia, ergriff Megumi an der weißgelben Hausuniform und zog sie zu sich heran. „Akira ist nicht tot! Aber er ist da nicht mehr drin! Sein KI wurde entfernt! Sein Bewusstsein ist weg! Oder um es banal auszudrücken, man hat ihm die Seele aus dem Körper geklaut!“
„Was?“
Erschrockenes Raunen ging durch die Menge.
„Informiert unsere Verbündeten, informiert den Rat und das Militär! Niemand darf den Planeten verlassen! Alle Flüge müssen gestoppt werden! Sofort! Ich bin sicher, das zweite Verräterhaus hat da seine Hand im Spiel! Sofort!“

Sie legte eine Hand auf Megumis Schulter. „Komm. Lass ihn uns in einen Biotank legen, bevor die anderen zurückkommen.“
„Nein. Kein Biotank. Nicht schon wieder ein Biotank“, schluchzte sie.
„Doch. Und dann bringst du ihn zur Erde zurück.“

__________________
Ace Kaiser,
Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

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Anime Evolution: Nami
Episode vier: Hebt die BISMARCK!

Anime Evolution: Nami
Episode vier: Hebt die BISMARCK!

Prolog:
Es war ein Anblick, der das Herz stehen lassen konnte. Die beiden mächtigen Schiffsrümpfe, die BISMARCK und die HINDENBURG, einst geplant und konstruiert um einmal die ersten Schlachtschiffe der Menschheit zu sein, wurden auf Befehl des Executive Commanders der United Earth Mecha Force, namentlich der legendäre Top-Pilot Blue Lightning Akira Otomo, aus den Werften der ARTEMIS-Plattform geschleppt und im Atlantik versenkt.
Roger Smith beobachtete dieses gewaltige Schauspiel mit Tränen in den Augen.
Er, der jüngste amerikanische Offizier, dem jemals das Kommando über ein See-Schiff anvertraut worden war, weinte. Und fragte sich, ob dies Schwäche oder Leidenschaft war.
Diese gewaltigen Schiffe, dafür gedacht, den Krieg zurück zu den Kronosiern zu tragen, sollten auf den Wunsch eines achtzehnjährigen Kriegsversehrten Oberstufenschülers versenkt werden, um den Platz in den Werften frei zu machen, für die YAMATO und die KAMI sowie den Zerstörer LOS ANGELES. Sinnvoll war dieser Plan schon, wie Smith zugab, aber mussten diese Giganten dafür wirklich auf den Grund des Atlantiks versenkt werden?
Jedenfalls, als altem Seefahrer brannte ihm das Herz vor Scham und vor Mitgefühl für die stolzen Rümpfe, die ihren letzten Gang antraten.

Akira Otomo, was war er für ein Mensch? Konnte man einem Achtzehnjährigen die Verantwortung, die UEMF zu lenken, die letzte Verteidigungslinie der Menschheit, überhaupt zumuten? Mit dem Namen Blue Lightning verband Roger genau wie jeder andere Soldat auf der Erde Tapferkeit, höchstes Können, tödliche Präzision und einen höchst erfolgreichen Angriff auf die kronosische Mars-Basis am Fuß des Nyx Olympus-Schildvulkans.
Aber das zu wissen und zu begreifen, dass dieser Akira Otomo seit seinem vierzehnten Lebensjahr für die Menschheit kämpfte war ein Unterschied.
Roger wollte es begreifen, wollte die Verehrung, die er für Blue Lightning empfand, auf Colonel Otomo, nein, Executive Commander Otomo übertragen. Aber es fiel schwer, wenn man nur diesen Jungen mit den harten Gesichtszügen sah.
Roger wusste, dass Akira Otomo die richtige Entscheidung traf, genauso wie er es geschafft hatte, den OLYMP neu zu organisieren, nachdem die fünfzigtausend Besatzungsmitglieder dem Resonatortorpedo zum Opfer gefallen waren.
Aber konnte das wirklich dieser Oberstufenschüler sein?
Konnte auch diese Entscheidung richtig sein? Konnte die Rettung wirklich nur im Umbau der KAMI, der YAMATO, der LOS ANGELES und der Fertigstellung der GRAF SPEE liegen?
Gab es keine andere Lösung? Hätte man die Schiffsrümpfe nicht in einen stabilen Orbit bringen und später einsammeln können?
Nein, die Rümpfe hätten einem unauffälligen Beobachter zu viele Rückschlüsse auf die Technik gewährt. Ganz davon abgesehen, dass sie von den Kronosiern gestohlen werden konnten.
Warum dann nicht in der Wüste? Warum in eintausend Metern Tiefe mitten im Atlantik? In einem der unzugänglichsten Gebiete der Welt?
Gerade weil es unzugänglich war?
Konnte er dieser Entscheidung vertrauen? Konnte er Akira Otomo vertrauen? Konnte er als Kapitän an diesem Einsatz teilnehmen? Konnte er ein Schiff unter seinem Oberkommando führen?
Ein Stich ging durch sein Herz, als die BISMARCK über den Rand der Plattform hinausschoss und gemächlich hinab kippte.

1.
„KLASSE!“ Oberst Vitali Andrejewitsch Kuratov zog den Hawk über eine Schicht Wolken hinweg, durchbrach sie und zog eine enge Schleife um die kleine Wolkenbank.
Unter ihm zogen neun weitere Hawks ihre Bahn. Sie alle gehörten zu den Roten Falken, dem absoluten Elite-Regiment der russischen Armee.
Entstanden war diese Truppe aus den Piloten, die anfangs in ihren MiGs Seite an Seite mit Blue Lightning gekämpft hatten, in Amerika, in Europa, in China und nur selten über russischem Boden oder einem der Satellitenstaaten.
Selbstlos und vor allem ohne zu zögern hatten die Russen jedem Staat Hilfe geleistet, und oft genug war es Vitali vorgekommen, dass Blue Lightning sie anführte.
Als dann die ersten Hawks außerhalb der UEMF verteilt wurden, hatte es das Dilemma gegeben, dass ausschließlich junge Leute den Kontakt mit der K.I. etablieren konnten.
Bis zu diesem Punkt, an dem ein dreißig Jahre alter Pilot in einen Hawk steigen konnte, war es ein sehr weiter Weg gewesen. Aber er hatte sich gelohnt.
An dem Tag, an dem der erste Hawk, der erste Sparrow, der erste Eagle von einem Piloten beliebigen Alters gesteuert werden konnte, anderthalb Jahre nach den Kämpfen um Erde und Mars, hatte sich Vitali einen alten Wunschtraum erfüllt und sowohl jene Piloten zusammengezogen, die in ihrem MiGs Seite an Seite gegen die Daishis der Invasoren gekämpft hatten als auch jene russischen jungen Mecha-Piloten, die nicht im UEMF-Sold standen. Oder nicht mehr. Denn nach dem Ende des Krieges waren viele nach Hause gekommen und bildeten nun das Rückgrat der Verteidigung.

Kuratov grinste still, während er sich mit seinem Hawk wieder in die Formation einfügte. Es gab keine russische Schiffsklasse in der UEMF. Es gab auch keine hochrangigen Offiziere an Bord der AURORA aus seinem Land. Und es gab nur wenige Kapitäne und Offiziere innerhalb der UEMF, die aus seinem Heimatland kamen. Aber das war alles Teil des großen Preises für die nahezu unverbrüchliche Loyalität, der von der UEMF gewährt worden war.
Dafür, dass die Russische Republik eine genauso starke Mecha-Abwehr aufbauen durfte wie die störrischen Amerikaner, war ihnen militärische Souveränität gewährt worden.
Damit verbunden war zwar die Bedingung, dass russische Einheiten im Weltraum automatisch unter UEMF-Kommando standen, aber Vitali wusste, dass das nur ein kleiner Preis für die Sicherheit und die Souveränität seiner Nation war.
Außerdem wusste er nur zu gut, dass die United Earth Mecha Force, deren Mitglied er als nomineller Verbündeter ja war, ihre Streitkräfte jederzeit besiegen konnte. Auch die der Amerikaner, und das war ihm eine große Beruhigung.
Immerhin hatte die UEMF Blue Lightning, Lady Death, Thunderstrike und Zeus, die vier überragendsten Mecha-Piloten aller Zeiten.
Ausgesprochen Akira Otomo Megumi Uno, Yohko Otomo und Makoto Ino. Vier Namen, die jedem, der im Krieg gedient hatte, wohlige Schauer offenen Entsetzens über den Rücken jagte.
„Sind Sie zufrieden, Oberst?“, klang die Stimme von Elena Brinkmann auf, seiner Stellvertreterin im Rang eines Oberstleutnant.
„Sehr zufrieden. Es war ein langer Weg, bis ich mich in einen Hawk setzen durfte, aber es hat sich gelohnt. Auf so ein Baby wartet man gerne.“
Brinkmann, Deutschrussin aus Sibirien, zwinkerte ihm vom Monitor der Direktkommunikation zu. „Sie zeigen auch ein beachtliches Talent, Herr Oberst. Aber die wahren Fähigkeiten offenbart ein Mecha erst, wenn er die hinderliche Atmosphäre hinter sich gelassen hat.“
Interessiert sah Vitali auf. Elena Brinkmann war während des Krieges einer der jungen Menschen, die auf einem Hawk trainiert worden waren und hatte sowohl für ARTEMIS als auch in der Marsmission gekämpft. Als sie siegreich mit Akira Otomo zurückgekehrt war, hatte dies ihren Wert für das Militär ins Unermessliche gesteigert; ihr war eine eigene Schwadron anvertraut worden, verbunden mit der Beförderung zum Major. Wenn die erfahrene Offizierin so etwas sagte, dann hatte es Hand und Fuß.
„Gut. Dann schauen wir uns die Welt doch mal von oben an. Rote Falken, mir nach!“

Vitali trat die Pedale der Düsen durch und der Hawk machte einen Satz in die Höhe. Der Andruck war stark, aber der perfekt angeglichene Druckanzug reduzierte die gefühlte Belastung um bis zu vier Gravos. Modernste Technik, basierend auf intensiver Forschung, hatte diesen Wunderanzug hervorgebracht.
Die anderen Maschinen folgten.
Vitali genoss den Andruck. Genoss das Arbeitsgeräusch des Hawks, genoss die Konversation mit der K.I., genoss einfach alles. Endlich in einem Hawk. Endlich konnte er nachempfinden, was Akira erlebt hatte, was er hatte durchmachen müssen. Es reichte noch lange nicht, um mit dem legendären Piloten gleich zu ziehen, aber Vitali bezweifelte ernsthaft, dass das einem Menschen außer Megumi Uno gelingen konnte.
„Zehn Kilometer. Oberst Kuratov, haben Sie sich eigentlich schon entschieden?“
„Entschieden für was?“, fragte er verwundert, während sein Hawk auf zehn Komma fünf kletterte.
„Die Petition über den Besitzstand der Erde.“
„Ach, DIE Geschichte.“ Kuratov seufzte. „Wie oft soll ich denn noch erklären, dass das ein Bluff von Akira ist. Ich kenne den Jungen. Lieber würde er mit seinem Mecha durch die nächste Sonne fliegen, als sich die Arbeitslast aufzubrummen, zwei Sonnensysteme verwalten zu müssen. Es ist ein Fake, aber ich bin froh, dass unsere Regierung dabei mitspielt. Es sichert uns die Souveränität von den Naguad zu und…“
„Hat Sie noch niemand über den Inhalt der Petition informiert?“, fragte Elena erstaunt.
„Geht es nicht um eine Beschwerde gegen die Regierung wegen Eikichi Otomos Kapitulation vor den Naguads?“
„Nicht die Petition. Ich meine die andere. Wenn Division General Otomo und Colonel Uno wieder auf die Erde kommen und…“
„Ach so, diese Petition.“ Für einen Moment kämpfte er mit den Kontrollen. „Hören Sie, auch wenn es Megumi Uno und Akira Otomo sind, ich glaube nicht, dass eine internationale Ehrengarde, bestehend aus den besten Piloten weltweit sinnvoll ist.“
„Aber sie müssen doch geschützt werden! Und wenn nicht von unseren besten Piloten, von wem dann?“
„Die beiden können auf sich selbst aufpassen. Ich weiß es. Ich war oft genug mit ihnen da oben.“
„Und das ist ja auch der Grund, warum Sie diese Ehrengarde anführen sollen, Herr Oberst! Wir…“
„Moment mal, bin ich jetzt im falschen Film?“ Elf Kilometer.
„Sie haben die Petition nicht gelesen? Wir dachten, dass Sie, ein Veteran des New York-Angriffs und Begleiter in so vielen Schlachten für die beiden doch…“
„Oberstleutnant! Wissen Sie wie das klingt? Als würden wir die Monarchie einführen, mit Akira Otomo und Megumi Uno als Königspaar! Und die besten Krieger der Erde verteidigen sie! Was soll dieser Blödsinn?“
„Was ist Blödsinn daran, dass jene, die von ihnen beschützt wurden, sie nun beschützen?“, konterte die Offizierin.
Natürlich. Es war zu erwarten gewesen. Elena hatte zu lange in der UEMF gedient. Hatte zu oft gesehen, was die zwei geleistet hatten. Und was die vier beim zweiten Marsangriff auf die Beine gestellt hatten. Er selbst war ja nicht besser, hatte Otomo alias Blue Lightning immer in Schutz genommen… Zwölf Kilometer.
„Wir brauchen keine Monarchie, Oberstleutnant“, erklärte Kuratov trotzig.
„Das mag sein. Aber vielleicht brauchen Blue Lightning und Lady Death unseren Schutz?“

„Breitbandmitteilung aus Moskau“, meldete die K.I. Vitali horchte auf. „Text?“
„Nachrichten aus dem Nag-System. Sie sind gerade frisch rein gekommen.“
„So? Durchstellen.“
„…wiederhole: Akira Otomos Körper wird zur Erde zurückgeschafft.“
Ein eisiger Schauer ging durch seinen Körper. So hatte er sich nicht mehr gefühlt, als vor drei Monaten die Meldung gekommen war, Akira sei auf einem der Monde Loranias tödlich vergiftet worden. Damals hatte sich alles binnen eines Tages zum Guten gewendet. Aber konnte Otomo immer Glück haben?
„Wie die UEMF-Spitze verlauten ließ haben unbekannte Angreifer das KI des Division Comanders gestohlen und aus dem Nag-System gebracht. Der Körper, der von Colonel Uno zurückeskortiert wird, ist also nicht mehr als eine leere Hülle. Aber die UEMF hat sofort verlauten lassen, dass alles in der Macht der Erde stehende getan wird, um das KI des Commanders zurückzuholen!“
Vitali ließ seinen Hawk stoppen, warf ihn herum und raste auf die Erde hinab.
„Oberst Kuratov! Was tun Sie?“
„Wir kehren zum Luftwaffenstützpunkt zurück! Ich glaube, jetzt ist ein wirklich guter Zeitpunkt, um ein paar Dinge zu organisieren!“
Sein KI gestohlen. Er konnte mit derlei Dingen nicht viel anfangen. Neulich war eine Warnung als Bericht durch alle Geschwader gegeistert, in der vor kronosischen Agenten gewarnt worden war, die als pures KI in eigentlich zuverlässigen Personen implantiert worden waren und nun Spionage betrieben.
Wie alles was mit den Kronosiern zu tun hatte, war auch das in Vitalis Augen möglich, also war die Idee, dass Otomos KI aus dem Körper gestohlen worden war, nicht von der Hand zu weisen.
Und er konnte nichts tun. Nur sein Bestes geben.
„Folgen Sie mir!“
„Bestätigt!“
***
Als ich erwachte, tat mir der Kopf weh. Außerdem war die Perspektive merkwürdig verschoben. Nicht nur, dass ich die Umgebung, die nur langsam schärfer wurde, wie durch eine milchige Scheibe sah, alles wirkte so groß, so gewaltig.
Meine Gedanken flossen träge, und ich spürte kaum meine Gliedmaßen. Geschweige denn konnte ich sie bewegen.
Ich brummte missmutig.
Das hätte ich besser nicht gemacht, denn nun beugte sich ein groteskes, riesiges Gesicht zu mir herunter, musterte mich besorgt und rückte etwas in meinem Gesicht zurecht.
Wieder brummte ich, was das riesige Gesicht noch besorgter aussehen ließ.
Es sah zur Seite. „Er ist wach.“
„Unmöglich. Die Dosis ist genau berechnet“, zischte eine männliche Stimme zurück. „Er kann nicht wach sein! Nicht hier! Nicht jetzt!“
Das riesige Gesicht wandte sich wieder mir zu und etwas berührte mich im Gesicht. „Und wenn wir die Dosis erhöhen?“
„Willst du Laysan töten?“, zischte die andere Stimme wieder.
Laysan… Töten… Laysan klang irgendwie nach einem Mädchen…
Mühsam hob ich die rechte Hand, es erschien mir, als müsste ich einen Berg bewegen.
„Er… Er bewegt den Arm.“
„Still, sie kommen!“

Die Perspektive änderte sich, das riesige Gesicht verschwand. Stattdessen erschienen andere Gesichter über mir, harte, wütende Gesichter, die zu riesigen, uniformierten Körpern gehörten; in deren Händen schwere, tödliche Waffen lagen.
„Papiere, bitte.“
„Hier, bitte, Hauptmann. Darf ich fragen, was vorgefallen ist?“
„Hm. Ryudan Koromando und Layss Koromando. Das ist?“
„Laysan, unser Kind. Es hat einen schweren Gen-Defekt. Wir wollen ihn auf Kordya beheben lassen.“
„Laysan Koromando hat keine Papiere.“
„Doch, warten Sie einen Augenblick. Ich habe den Kinderausweis hier, außerdem die ärztliche Empfehlung für Kordya.“
Die Miene des Hauptmanns wurde ernster und ernster, je länger die Stimme suchte.
Endlich wurde ihm ein weiterer Ausweis gereicht.
„Hm. Gut. Sie befinden sich seit achtzehn Stunden im Orbit?“
„Seit achtzehn oder neunzehn, ich müsste auf meinen Terminplaner gucken, um es genau sagen zu können.“
„Gut. Dann kommen Sie nicht in Frage. Diese beiden Männer werden trotzdem etwas an Ihnen durchführen, was wir einen Tiefenscan nennen. Bitte.“
Zwei der uniformierten Männer traten vor. Ich wandte den Kopf und erkannte zwei Personen. Einer gehörte das riesige Gesicht; aus der Distanz war es eher das einer hübschen Frau.
Daneben saß ein junger Mann.
Perspektive… Verdammt. Perspektive! Alles war so groß für mich, weil es groß war! Ich steckte nicht mehr in meinem Körper, oder ich hatte einen wirklich miesen Albtraum!
Wütend bäumte ich mich auf, aber Fesseln hielten mich zurück.
„Was ist mit dem Kind?“
„Ein Erstickungsanfall!“ Die Frau löste sich aus dem Tiefenscan, kam zu mir herüber. Ihre Hände zitterten, als sie außerhalb meines Sichtfeldes hantierte.
Ich brummte wütend, versuchte, die Stimmbänder unter Kontrolle zu bringen und mich bemerkbar zu machen!
Stattdessen wurde mein Blick schummrig.
„Jetzt geht es unserem Kind besser. Aber wir müssen so schnell es geht in die Spezialklinik auf Kordya.“
„Hm. Wir beenden den Tiefenscan bei ihnen beiden, danach steht einer weiteren Passage nichts mehr im Weg.“

Ich sah wieder alles wie durch einen Nebel. Die Männer neben mir benutzten KI, oder meinetwegen AO, um in den Geist der beiden Erwachsenen einzudringen.
Dies taten sie, um… Um was? Um mich zu finden. Diese Erkenntnis war beruhigend, aber auch sehr sinnlos. Warum scannten sie das Kind nicht? Warum versuchten sie nicht, mich hier zu finden? Ich hätte gelacht, wenn ich diesen Körper so gut beherrscht hätte.
„Kein Befund. Gut. Wir danken für ihre Kooperation. Und um auf Ihre Frage zu antworten, Ryudan Koromando, wir suchen nach dem entführten Meister Aris Arogad. Falls Sie also irgendetwas Verdächtiges sehen, zögern Sie nicht, das Militär und die Polizei zu informieren. Dreißig Millionen Naguad warten auf eine Spur.“
Der Mann salutierte, und die Abordnung ging.
Ich war hier, genau vor seine Nase. Der Mann hätte mich retten können, wenn er das Kind ebenfalls einem Tiefenscan unterzogen hätte. So aber blieb ich in der Hand meiner Feinde.
Wer war das überhaupt? Verbündete des Cores? Agenten von Haus Logodoboro?
Verdammt, verdammt. War Haus Koromando an der Verschwörung beteiligt?
„Schick Laysan schlafen“, kommandierte der Mann.
„Aber…“
„Wir können es nicht riskieren aufzufliegen, bis wir unseren Kontaktmann treffen. Das Risiko, dass er doch jemanden auf sich aufmerksam machen kann ist zu groß. Immerhin reden wir hier von Aris Arogad.“ Leiser fügte er hinzu: „Unserem Sohn wird nichts passieren. Sie haben es versprochen.“
Die Frau lächelte unsicher und hantierte wieder außerhalb meines Gesichtsfeldes. Dann wurde es nach und nach dunkel um mich herum, während Layss Koromando mein Gesicht liebkoste. Oder eher das ihres Sohnes.
Ein interessanter Gedanke, der mich selig einschlafen ließ. Ein Sohn. Sie hatten mich nicht in ein Mädchen implantiert.

2.
Der Vorgang war ungewöhnlich. So ungewöhnlich, dass er sicherlich irgendwann einmal in einem Geschichtsbuch stehen würde. Bestimmt im dem des Hauses Arogad, eventuell auch bei den Daness, und vielleicht auch im offiziellen Geschichtsbuch des naguadschen Imperiums.
Eridia Arogad saß in einem bequemen Sessel in einem der unbeschädigten Büros knapp unter der Turmspitze. Auf ihrem Schreibtisch lagen etliche Unterlagen, die zusammen ein Chaos bildeten, welches einem aufrührerischen Imperium gerecht werden konnte.
Vor ihr standen drei Personen. Weitere fünf standen an den Wänden und versuchten nach Möglichkeit nicht allzu sehr aufzufallen.
Die Personen vor ihrem Schreibtisch waren Sostre Kalis, derzeitiger Erbe des Ratsvorsitzes der Daness, Megumi Uno alias Solia Kalis, die Nummer zwei auf dieser Position und seit neuestem alleinige Eigentümerin des heimatlichen Sonnensystems sowie Vern Attori, Stabschef des Hauses Daness, der in dieser wichtigen Angelegenheit natürlich zugegen war.
Eri seufzte und erhob sich. „Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Ihr brecht heute noch auf.“ Sie sah zu Attori herüber. „Gibt es Einwände bei den Daness?“
„Nein, Meister Arogad.“ Der Sekretär straffte sich. „Dass Meister Kalis Offizier der UEMF ist, erleichtert uns einige Zugeständnisse. Mitne war über vieles nicht sehr erfreut.“
„Das kann ich mir denken. Aber defacto wird Megumi“- Der Daness hüstelte ärgerlich – „wird Solia Kalis in ihr ureigenstes Gebiet zurückkehren.“
Der Sekretär nickte zufrieden. „Was uns auf die Zusammensetzung ihres Stabes bringt. Außerdem hat Mitne Daness gefragt, ob die Idee einer sofortigen Heirat mit Aris Arogad die… Dinge nicht stabilisieren würde.“
Eri lächelte dünn. „Die beiden sind verlobt, und die halbe Galaxis hat dabei mitgehört. Reicht das nicht? Ich habe nämlich ein ernsthaftes Problem damit den unbeseelten Körper meines Enkels mit einer jungen Frau zu verheiraten, die es besser wissen sollte.“
„Oma!“, rief Megumi entrüstet und biss sich gleich auf die Lippen. Dass sie die Arogad Oma nennen durfte und es immer noch tat, war eigentlich ein Geheimnis.
Sostre grinste, enthielt sich aber eines Kommentars.
„Was? Es ist nicht sicher, dass wir Akira wiederkriegen, dass er in seinen Körper zurückkehren kann. Und in einem verdammten Tank wird sein Leib Jahrtausende alt, wenn es sein muß. Willst du mit einer Leiche verheiratet sein, Megumi?“
„Wie kannst du so etwas sagen?“, hauchte die junge Frau und war den Tränen nahe.
„So etwas nennt man realistisch sein, Mädchen. Die Ewigkeit ist eine lange Zeit und die Zukunft ist ungewiss. Eine Frau kann nicht nur von Luft und Gedanken leben, glaub mir das. Ich habe es nie.“
„Oma!“ Yohko bekam rote Ohren. Sie war eine der Personen an der Wand und stand genau zwischen Franlin und Joan Reilley.
„Nun tu nicht so als wären das neue Informationen für dich, Jarah Arogad.“ Mit einem Grinsen, das man bei einem Mann als schmierig bezeichnet hätte, verwendete sie Yohkos Naguad-Namen und sah danach zu Yoshi, der ganz rechts stand und nun sehr verlegen hüstelte.
„Also ist die Heiratssache vom Tisch. Ich verweigere einfach meine Zustimmung. Ihr bleibt verlobt, bis Akira wiederkehrt oder ich die Verlobung aufhebe.“
„Das kannst du nicht tun“, hauchte Megumi.
„Ich kann eine Menge. Und ich werde nicht zulassen, dass du dich noch mehr verletzt als ohnehin schon. Ich bin für tausende Wunden in deiner Seele verantwortlich, und ich werde den Teufel tun, dir noch weitere Wunden zuzufügen.“
Sie ergriff eines der Dokumente und warf es Sostre zu. „Ich nehme an, du begleitest sie, Junge.“
„So ist es… Oma.“
„Gut. Dies sind die Dokumente, die Solia Kalis zur Herrin über die Erde machen. Sie sind defacto noch immer Arogad-Protektorat, und Solia ist lediglich Verwaltungsberechtigt und darf eigene Steuern erheben - beziehungsweise sein lassen – aber mit Auflösung der Verlobung fällt das System als Ausgleichszahlung für den Wortbruch an Daness.“
Erstaunt raunten die Anwesenden auf.
„Außerdem ernenne ich dich als Akiras Verlobte ebenfalls zur Verwalterin seiner Domäne Lorania im Kanto-System sowie aller weiteren Bereiche, die Akira Treue geschworen haben, beziehungsweise, die von ihm erobert wurden.“

Sie setzte sich wieder und schob einen weiteren Packen Dokumente über den Tisch. „Vern Attori, dies sind die Durchschriften für die Daness.“
Der Sekretär nickte und nahm die Unterlagen an sich.
„Akiras Körper dürfte jetzt an Bord der KON sein, Torum Acatis Flaggschiff. Der Admiral wird als offizieller Vertreter des Imperiums das Kommando über alle imperialen Schiffe im System übernehmen sowie über alle Haus-Schiffe, die ihm zur Verfügung gestellt werden. Er wird eine Regionaladmiralität einrichten, ich nehme an, dass das auf dem Nyx Olympos geschehen wird. Der Junge denkt zu dramatisch, finde ich.
Außerdem wirst du deinen eigenen Stab mitnehmen, Megumi… Ich meine Solia. Mit Gina Casoli hast du bereits eine fähige Zuarbeiterin, habe ich mir sagen lassen. Ich gebe dir auch Henry Taylor mit. Es war sein eigener Wunsch. Außerdem wird dich Jarah Arogad begleiten, als unsere Repräsentantin. Sie wird die Interessen der Arogads in dem eroberten System überwachen.“
„Das klingt sinnvoll“, brummte Vern Attori.
„Außerdem will ich, dass du einen Umweg über das Kanto-System machst und einige deiner Freunde abholst. Jetzt, wo Akira in der Hand des Gegners ist, denke ich, sollten die fähigsten Verteidiger möglichst nicht in der Galaxis verstreut sein, sondern an einem Ort konzentriert werden, an dem wir sie bestmöglich schützen können.“
Megumi hob zaghaft eine Hand. „Kann ich Sora Fioran bekommen?“
Eri senkte den Blick. „Es… geht ihr noch nicht so gut. Sie hat Akiras Verschwinden als eigenen Fehler interpretiert. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte sich…“
„Genau deswegen will ich sie haben. Wenn sie Akira nicht mehr beschützen kann, dann soll sie seine Schwester und mich beschützen. Akira würde es so wollen.“
„Ich teile sie dir zu. Noch etwas?“
„Habt ihr noch Platz für einen kleinen Star an Bord?“, warf Joan schüchtern ein.
„Selbstverständlich.“
„Es wird noch eine weitere Person mitkommen. Yohko, du wirst sie in deinen persönlichen Stab aufnehmen. Abgesehen davon, dass wir auch Yoshi Futabe mit deinem persönlichen Schutz beauftragen.“
Der blonde Bursche streckte sich stolz.
„Sag ihnen bitte, dass er reinkommen kann“, wandte sich Eridia an die fünfte Person an der Wand, das Hologramm von Helen Otomo.
Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein weißhaariger Mann kam herein. Er wirkte tatkräftig, Energie geladen und bestimmt nicht, als wäre er bereits vierhundert Jahre alt.
„Aris Taral, zu deinen Diensten, Schwester.“
„Aris“, sagte sie mit einem Schmunzeln, „wird euch ebenso begleiten wie Franlin.
Aris, Yohko und Megumi sind jetzt deine.“
Der Taral, ein Bluthund, wenn nicht DER Bluthund, verzog das Gesicht zu einem Grinsen. „Kriege ich eine Kompanie Attentäter der Fioran für diesen Job?“

2.
Einen Monat später:
Nach über zwei Wochen Flug erreichte die AURORA den Heimatplaneten. Als das gewaltige Schiff, eigentlich ein fliegender Planetoid, in den Orbit um die Erde ging, wurde der Gigant mit Feuerwerk begrüßt. Es gab keinen Fernsehsender, der nicht über dieses Ereignis und die Abenteuer des Raumriesen berichtete, Live-Reportagen aus dem ausgehöhlten Riesen waren gang und gäbe. Besonders begehrt waren natürlich die Kapitäne der Begleitschiffe und die Offiziere der Hekatoncheiren. Aber auch viele Zivilisten kamen zu ihren fünfzehn Minuten Ruhm.
Der Sprung von Alpha Centauri zur Erde hatte lange gedauert. Nachdem Admiral Sakura Ino das Schiff auf der Flucht immer hart am Limit gehalten hatte, war ihnen der letzte Sprung beinahe zum Verhängnis geworden. Sie hatten regelrecht schleichen müssen, um das heimatliche Sonnensystem zu erreichen.
Auch der Flug zur Erde war unter äußerster Vorsicht erfolgt. Aber nun hatten sie es geschafft, und ein paar tausend Techniker von den Plattformen OLYMP und ARTEMIS standen bereit, um die Triebwerke, den Sprungantrieb und die Waffen zu warten.
Etliche Schiffe des Begleittross mussten ebenfalls eine Werft aufsuchen. Die BISMARCK und die PRINZ EUGEN hatten sogar die Riesenwerft auf Deimos anlaufen müssen. Deshalb waren sie vor der Presse nicht etwa sicher. Auf dem Mars wurde um die beiden Schiffe ein ähnlicher Trubel veranstaltet wie auf der Erde um die AURORA.
Die Menschen in den großen Städten hatten die Gelegenheit genutzt.
Hatten sie bei dem Abflug des Giganten Okaiiri-Parties veranstaltet, in der sie den Menschen, Anelph und Kronosiern eine sichere Heimkehr gewünscht hatten, so waren es diesmal Itterashai-Feiern, in denen die gesunde Heimkehr des Kommandos festgestellt wurde.

Die eins Komma drei Millionen Anelph, die im Resonatorfeld festgefroren waren, hatten noch über einen Monat Zeit, bevor der Torpedo seine Arbeit einstellte und ihren Zeitablauf auf das normale Maß beschleunigte. Genug Zeit, um die AURORA für den Sprung zum Mars wieder fit zu kriegen, auf dem die Anelph in Zukunft siedeln sollten.
Bereits jetzt war die Anelph-Gemeinde auf dem Mars mit Feuereifer dabei, Martian City massiv zu erweitern, um Platz für die vielen Menschen zu schaffen.
Es wurde bereits darüber diskutiert, einen Teil von ihnen auf der Erde anzusiedeln, um den Druck vom Mars zu nehmen, denn mit über einer Million Flüchtlingen gleich bei der ersten Mission hatte niemand gerechnet.
Andererseits wurde aber auch schon wieder davon gesprochen, mehrere tausend Anelph nach Lorania zurückzubringen, in ihre eigentliche Heimat, falls die Lage stabil blieb und beide Welten weiterhin nominelles Eigentum von Akira Otomo und Megumi Uno blieben.
Aber das gab den eins Komma drei Millionen keine Heimat.

Jedenfalls, die Nachrichten waren sowohl schlecht als auch gut, die von der AURORA mitgebracht wurden; auch die Nachrichten, die mit der Wurmlochkommunikation aus dem Imperium kamen waren beides: übel und gut.
Offiziell wurde Akira Otomo als komatös bezeichnet. Alle Beteiligten waren sich darüber einig, dass der Raub seines KIs und das spurlose verschwinden aus dem Nag-System nicht nur die Presse überfordert hätte. Eine lange Diskussion über KI hätte sich angeschlossen und damit geendet, dass Krankenhäuser eigene Abteilungen für KI-Schäden hätten einrichten müssen, weil so viele junge und ältere Menschen damit experimentiert hatten.
Dass er in einem Biotank zur Erde geschafft wurde, sahen die meisten Menschen positiv. Es war immerhin seine zweite Zeit in solch einem Tank und letztes Mal war ja auch alles gut gegangen. Immerhin.
Und natürlich warteten die Menschen auf die Ankunft von Megumi Uno. Ob sie nun an die Farce glaubten, die Akira sich erlaubt hatte oder ob sie einfach nur auf der sicheren Seite sein wollten, an vielen Orten entstanden Vereine, Versammlungen und kleinere Orden, die – so verrückt die Idee auch war und so unsinnig es war sie zu unterstützen – offiziell die Regentin unterstützen wollten. Heikel bei der Geschichte waren die Vereine und Orden, die innerhalb des Militärs entstanden, zumeist ins Leben gerufen von Männern und Frauen, die Seite an Seite mit Akira Otomo und Megumi Uno und den anderen beiden Hekatoncheiren gekämpft hatten.
Natürlich förderten diese… Ideen die Einigkeit der Menschen, und der äußere Feind, der immer näher rückte, namentlich die Schiffe des Cores, von denen einige bereits innerhalb des Systems bekämpft worden waren tat sein übriges.
Eine Einigkeit, welche die Menschen in diesen unruhigen Zeiten dringend gebrauchen konnten. Sorgen machten den Offiziellen der Menschheit eher die Menschen, die mit Uneinigkeit glänzten.

Eikichi Otomo betrachtete das lebensgroße Hologramm vor seinem Schreibtisch, welches seine Frau darstellte. Die Expedition der AURORA hatte einen Projektor von Lorania mitgebracht, was Eikichi in die Lage versetzte, seine Frau nach acht Jahren wieder zu sehen.
Und mit Hilfe der Standleitung über die Wurmlochverbindung konnte Helen Otomo sogar mit ihr reden. Damit belegten sie nicht einmal ein zehntel der Bandbreite, und das war etwas, was sich Eikichi gerne erlaubte.
„Wo sind sie jetzt?“, fragte Eikichi und rieb sich die Nasenwurzel.
„Sie haben das Kanto-System erreicht. Zusammen mit einer großen Flotte, die den Schutz des Systems übernehmen wird. Immerhin rebellieren die umgebenden Marken noch immer und im Moment ziehen wir alle loyalen Schiffe ab, um sie zu sammeln und für den Gegenangriff auszurüsten.“
„Also schon wieder Krieg, Helen. Schon wieder.“
„Ja und nein, Schatz. Nach Ansicht unserer Regierung sind es Polizeiaktionen.“
„Nur weil die Mandarine einen anderen Namen bekommt, ist es dennoch eine Mandarine, Helen.“
Der Executive Commander seufzte. „Und, was denkst du dabei, Sakura?“
Die junge Frau, die auf dem einzigen Stuhl vor Eikichis Schreibtisch Platz genommen hatte, vollbrachte die unglaubliche Leistung im sitzen stramm zu stehen. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte salutiert.
„Sie haben Akira nicht gefunden. Also hat man ihn aus dem System rausgeschmuggelt. Vermutlich ist er bereits in einer der Marken, die Logodoboro kontrolliert. Von dort aus wird er womöglich noch weiter aus dem Imperium geschafft, wenn wir Pech haben bis ins Herz des Core-Gebiet, von dem wir nicht einmal wissen, wo es liegt. Ich denke, dass wir von hier aus die einzigen Chancen haben, um ihn wieder zu finden.
Alles andere liegt dann in Akiras Hand.“ Sie lächelte dünn. „Würde mich nicht wundern, wenn sie ihn uns in einem halben Jahr wieder zurückbringen, weil sie ihn nicht bändigen können.“
Eikichi lachte verstohlen und tarnte es mit einem Husten. „Da ist was Wahres dran.“
„Schatz“, tadelte Helen. „Du redest über unseren Sohn.“
„In der Tat“, erwiderte Eikichi mit Stolz in der Stimme.
Nun musste auch das Hologramm seiner Frau schmunzeln.
„Dennoch wäre es besser, wenn wir ihn vorher finden. Kann Kei keinen Vorstoß mit der SUNDER unternehmen? Sie ist immer noch unser kampfstärkster Kahn.“
„Nein, denn er wird Megumi zur Erde begleiten. Genau wie dein Bruder. Außerdem vereinigen wir die Slayer hier. Das bedeutet, Michi Torah und einige andere kommen ebenfalls zurück.“
„Du planst etwas“, stellte sie fest.
Eikichi lächelte sardonisch. „Sagen wir, ich warte auf meine Gelegenheit. Und sie wird kommen, verlass dich drauf.“
„Mit was rechnest du, wenn ich fragen darf?“
„Nein, du darfst nicht fragen, Admiral.“
Eikichi warf Sakura ein Datapad zu. „Übrigens, der Bericht kam gerade herein. Die 2. Flotte ist vor einer Stunde ins System zurückgesprungen. Die Nachricht stammt von Admiral Bhansali auf der KAVEMN.“
„Hatte die Flotte schwere Verluste?“
„Hauptsächlich Blechschaden. Die Rochenschiffe sind dem Kampf, so weit es ging, aus dem Weg gegangen. Aber das steht da alles drin. Und es hängt noch ein separater Bericht an, der an dich persönlich adressiert ist.“
„An mich persönlich? Aber du bist der Executive Commander, Eikichi.“
„Es ist in der UEMF normalerweise üblich, den Dienstweg einzuhalten. Das bedeutet, dass Kommodore Genda seinen Bericht natürlich zuerst an dich richtet. Du kannst ihn dann an mich weiterreichen.“
Wie elektrisiert begann sie das Datapad zu scrollen. Ein Bericht von Tetsu!
Mit tränenden Augen begann sie zu lesen. „…die Fluchtkapseln leer ausgestoßen… …innerhalb des Wracks versteckt… …die Rochen haben uns ignoriert und die zerstörte Korvette nicht durchsucht… …Keine weiteren Verluste in der Crew…“
Nun begann sie vollends zu weinen. Tränen fielen auf das Datapad und liefen darauf herab. „Ich dachte, ich hätte ihn in den Tod geschickt. Ich dachte, ich hätte ihn auf dem Gewissen. Ich…“
Eikichi stand auf, kam um den Schreibtisch herum und drückte seine Nichte an sich. „Siehst du, Sakura, alles entwickelt sich wieder zum Guten. Bei Akira wird es genauso sein.“
Helen lächelte. Es war ein sehr überzeugtes Lächeln.
***
Als Takashi Mizuhara den jungen Kei Takahara auf sich zuschießen kam, seufzte er. Nein, es hatte eher die Ausmaße eines verzweifelten Grunzens, in dem mindestens fünf Jahrhunderte Leidensgeschichte der Menschheit konzentriert waren. Vor allem, nachdem er die missmutige Miene des Konteradmirals gesehen hatte.
Der jüngste Mann, der jemals in diesen Rang befohlen worden war, hatte das falscheste aufgesetzt, was man nur lächeln schimpfen konnte. Ohne um Erlaubnis zu fragen setzte er sich zu Takashi an den Tisch und sah dabei zu wie der Mecha-Pilot sein Essen durcheinander rührte.
Endlich seufzte der riesige Mann, für den die Bezeichnung Gorilla eine völlige Untertreibung gewesen wäre. „Was willst du, Kei?“
Einen Moment blinzelte Takashi, dann seufzte er erneut und fügte an: „Korrektur. Ich weiß was du willst. Was ich fragen sollte ist, warum du es schon wieder willst!“
„Ich habe doch noch gar nichts gesagt“, verteidigte sich der Offizier wütend.
Nein, wie ein Konteradmiral sah er nicht aus, obwohl er mehr als einmal bewiesen hatte, dass er nicht nur ein Menschenführer sondern auch ein guter Raumfahrer war. Es hieß, er habe einen IQ von knapp unter zweihundert und einige Eigenschaften, die man Autisten nachsagte, phänomenales Gedächtnis, herausragende mathematische Begabung und exzellentes räumliches Denken – für Raumschlachten das A und O.
Aber Takashi wusste noch mehr von dem jungen Mann. Er war einst Mitglied von Akiras Zorn gewesen, der berüchtigtsten Jungengang ihrer Region. Sie war nicht wegen ihrer Brutalität berüchtigt gewesen, grausamen Finessen oder dergleichen, sondern weil sie all ihre Kämpfe immer gewann. Dass Kei kein verdammter Einsiedler oder Autist geworden war lag wohl genau daran, dass er seitdem wusste, wie man aus sich heraus ging. Und einen Mann umwarf, der dreißig Kilo mehr wog als man selbst. Vorzugsweise mit einem Schwinger unter das Kinn, und wenn das nicht in Reichweite war, mit einem Schlag auf den Solar Plexus oder einem herzhaften Tritt in die Weichteile. Takashi buchte das unter Umgang mit Menschen und Etablierung von Befehlsstrukturen ab.
„Aber du wolltest etwas sagen. Ich kenne dich, Kei. Ich kenne dich. Und ich kenne dein Lieblingsthema. Seit vier Wochen höre ich es mir jeden Tag an. Wie geht es Ami? Wo ist Ami? Behandelst du Ami gut? Hast du Ami heute schon gesehen? Verdammt, Kei, wenn du dir solche Sorgen um sie machst, warum heiratest du sie dann nicht?“
Der junge Offizier wurde rot und musste husten. Verlegen sah er zur Seite. „Ich mache mir nur Sorgen um sie.“
„Das merke ich! Seit vier Wochen jeden Tag mindestens einmal! Warum gehst du nicht Kenji auf die Nerven? Der sieht sie genauso häufig wie ich. Oder warum sprichst du nicht mit ihr selbst, wenn du die Gelegenheit hast? Die Slayer sind oft genug auf deiner SUNDER, oder?“
„Ich spreche ja mit ihr.“ Unwillkürlich ballte der kleine Mann die Hände zu Fäusten und sah für einen Moment richtig erwachsen aus. „Deshalb frage ich dich ja… Ach, vergiss es.“
„Moment. Vielleicht ist das jetzt eine gute Idee, um das Thema zu klären. Kei, wenn ich es nicht besser wüsste, denn du hast ja Ban Shee, dann würde ich sagen, dass du eifersüchtig bist. Warum entwickelst du soviel Interesse an ihr? Und warum ausgerechnet jetzt? Ich dachte immer, sie wäre eine Abgelegte von Yoshi und nur eine Freundin für dich.“
„I-ich habe kein Interesse an ihr direkt. Es ist nur, dass ich in letzter Zeit ein wenig Arbeit in sie investiert habe. Und mit meinem Ersten Offizier habe ich auch nichts.“ Misstrauisch und vorsichtig äugte er zu dem großen Piloten herüber. Wie der Riese immer wieder in seinen Sparrow passte, war ihm ein absolutes Rätsel. „Wie küsst sie denn so? Hat sich da… Was verbessert?“
Takashi starrte den Jüngeren an wie einen Geist. „Woher soll ICH das denn wissen? Sehe ich so aus, als würde ich mit ihr rumknutschen? Abgesehen davon, dass sie dafür eine Trittleiter braucht.“
„Was? Aber… Aber… Ich habe doch so oft mit ihr GEÜBT! Und sie hat doch gesagt, sie will mit DIR…“
Etwas schien Klick zu machen. Dem folgte ein weiteres Klick, und noch ein Klick, und dann begann das verstehen. Die Miene des Admirals verdüsterte sich mit jeder Sekunde ein wenig mehr. „Wenn nicht mit dir, mit wem dann? Aber sie hat doch gesagt, dass… Sie hat doch…“
Takashis Kiefer klappte herab. „Du bist ein Idiot, Kei. Hast wohl zuviel Zeit in der Nähe von Akira verbracht, was?“
„Das mit dem Idiot stimmt wahrscheinlich“, seufzte Kei deprimiert. „Und ich habe auch noch… Und ich dachte… Tut mir Leid, Sempai, ich… Aber wenn ich nur wüsste, mit wem sie nun rumknutscht.“
„Das kann ich dir sagen. Es ist nicht schwer zu erraten, für wen sie sich interessiert und mit wem sie sich küsst, mein guter Freund.“ Die Miene des großen Mann war ernst, aber die Augen blitzten vor Spaß und guter Laune.
„Wer? Nicht, dass ich eifersüchtig bin, aber ich wüsste es halt gerne.“
„Hörst du dann auf, mir auf die Nerven zu gehen?“
„Warum sollte ich dir auf die Nerven gehen? Ich…“
„Verdammt, Kei! Ich kenne dich.“
„Also gut, ja, ich nerve dich nicht. Hast du das so empfunden? Tut mir Leid.“
„Nein, tut es dir nicht“, stellte Takashi mit Bestimmtheit fest. „Und die Antwort auf die Frage, auf wen Ami es abgesehen hat, ist: Du, Kei Takahara. Auf dich ist sie scharf.“
„Was? Aber… Quatsch! Mit mir übt sie ja nur das küssen, seit… Warte, vier Wochen.“
Das grinsen, dass nun die Miene des großen Takashis zierte, konnte es ohne weiteres mit einer Buddhastatue aufnehmen. Fett, satt und hochzufrieden. „Und?“
„Seit vier Wochen, immer wenn wir uns sehen können. Und dann… Und dann… Oh, Mist. Mist. Mist. Mist.“ Es rummste leicht, als die Stirn des Konteradmirals Bekanntschaft mit dem harten Tisch machte. „Und ich habe mich auch noch elend gefühlt, als ich dachte, ich würde sie ausnutzen. Und mich für meine Gefühle geschämt. Und für die niederen Begierden, die… Hm, nein, dafür habe ich mich eigentlich nicht geschämt. Nicht wirklich.“ Er sah wieder auf. „Und was mache ich nun?“
„Sieh es mal so. Du bist an Bord eines Frachters und untersuchst ihn nach Schmuggelware. Der Kapitän hält dich mit flotten Sprüchen bei Laune, während deine Leute das Schmuggelgut suchen. Aber sie finden nichts. Dann findest du aber heraus, dass er doch schmuggelt. Nämlich Frachtschiffe. Was also machst du?“
„Ich kassiere das Schiff ein.“
„Eben.“ Wieder grinste Takashi und wechselte von fetter Buddha auf Na was habe ich dir gesagt?

„Sie sind DA! Gerade ist die KON in den Orbit gegangen! In einer halben Stunde landen sie!“
Die aufgeregten Worte unterbrachen die Diskussion der beiden. Die KON. Das bedeutete, Megumi und die anderen kamen zurück. Und bei sich hatten sie Akiras leblosen Körper.
Beide sprangen auf und verließen die Kantine im Laufschritt. Eigentlich mussten sie nicht hetzen, denn eine halbe Stunde war eine Menge Zeit und der Empfang war vorbereitet. Aber sie wollten es. Sie waren es ihren Freunden schuldig.
Als sie sich im laufen trennten, Kei beim Weg zu seinem gedockten Schiff und Takashi auf dem Weg zu seinem Bataillon, grienten sie sich zu.
Takashi hob den rechten Daumen und rief: „Kassier sie ein, Kei. Und du hast wirklich nichts mit Ban Shee?“
„Werde ich machen. Was hast du eigentlich mit Ban Shee? Willst du sie vielleicht haben?“
„Wieso, kriege ich sie günstig?“, konterte der Mecha-Pilot.
Kei lachte, winkte noch mal und lief weiter. Dieses Abenteuer nahm zwar die Ausmaße einer unendlichen Geschichte an, aber es wurde mit jedem Tag interessanter.
***

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„Das sind sie“, sagte Captain Alvarez, Kapitän des Bergungsschiffs MADRID nicht ohne Stolz in der Stimme.
Roger Smith beugte sich über den Bildschirm des Sonars. „Sie liegen eng beieinander“, sagte er gedehnt. „Ich hätte erwartet, dass sie im Fall weiter auseinander gedriftet wären.“
„Lassen Sie sich nicht täuschen, Kommodore. Beide Schiffe liegen über siebzig Meter auseinander. Allerdings sind diese Größenverhältnisse bei den gewaltigen Rümpfen nicht der Rede wert.“
„Hm“, meldete sich eine dritte Stimme zu Wort, „als die BISMARCK und die HINDENBURG aus der Werft geschleppt wurden, waren sie keine zwanzig Meter voneinander entfernt. Ein erhöhter Abdrift von fünfzig Meter ist unter diesen Umständen und einem Fall von einhundert Kilometern verdammt wenig.“
Roger wandte sich zum Sprecher um. „Sie reden so, als wären Sie dabei gewesen, junger Mann.“
„Ach, rede ich so?“, fragte der junge Bursche mit den schneeweißen Haaren amüsiert.
Er trat zu den beiden Offizieren und fragte: „Sind die Rumpfschäden zu erkennen? Sie haben zwei Tauchboote da unten, richtig, Captain Alvarez?“
„Si. Die NAUTILUS I und II. Beide schaffen es bis in eine Tiefe von zweitausend Metern. Sie untersuchen die beiden Schiffe schon seit zwei Tagen. Es gibt keine Rumpfschäden. Und es scheint auch nicht zu Verformungen gekommen zu sein.“
Der weißhaarige Mann grunzte zufrieden. „Gut. Es würde sich nicht lohnen, die Schiffe zu bergen, wenn wir erst eine Richtbank für sie bauen müssten. Aber es war zu erwarten gewesen, dass sie diesen Gewaltakt aushalten.“
„Es war zu erwarten gewesen? Abgesehen davon, dass hier eine halbe Milliarde Dollar auf dem Grund des Atlantiks liegt, was wäre so schwer daran gewesen, die Schiffe in einem stabilen Orbit zu parken?“, wandte Roger Smith ein. Die Art des jungen Mannes machte ihn ein wenig wütend.
„Nun, Kommodore, das können Sie mir doch am besten beantworten. Beide Schiffe waren ausgebrannt und bestanden lediglich aus dem Rumpf und einigen Innenausbauten, abgesehen vom Zellensystem und den Innenverstrebungen, richtig? Ein Teil der Innenwände wird ersetzt werden müssen, aber das ist nicht unmöglich. Dennoch. Ich kann mir kein schöneres Geschenk für die Kronosier vorstellen als zwei nagelneue, nur leicht abgebrannte Kreuzerrohbauten, die bequem erreichbar in einhundert Kilometern Höhe fliegen.“
„Man hätte sie in den Van Allen-Gürtel packen können. Die Radioaktivität dort ist teilweise extrem hoch und hätte sie abgeschreckt. Und die Molekularverdichtete Struktur gegen die kosmische Primärstrahlung und den Sonnenwind hätte die Kontamination in Grenzen gehalten.“
Der weißhaarige Bursche grinste schief. „Ich muß zugeben, daran habe ich auch gedacht. Aber man hätte es damals den Kronosiern auch nicht leicht machen sollen, erstklassige Aufnahmen von unseren brandneuen Kreuzerkonstruktionen zu machen – abgesehen davon, dass wir die Strukturverdichtung überhaupt erst von ihnen übernommen haben und dass diese Strukturverdichteten Schiffsrümpfe auch ihre Schiffe in die Lage versetzt, beinahe unbegrenzt im Van Allen-Gürtel zu operieren.“
Der junge Mann stützte sich schwer auf dem Tisch ab und atmete tief ein. „Aber sie haben diese Strukturverdichtung. Und deshalb konnte man sich beinahe sicher sein, dass wir sie auf dem Grund des Atlantiks nur zwischen parken würden. Ich habe es gehofft, und diese Hoffnung wurde nicht betrogen.“
Ein eiskalter Schauer ging über Rogers Rücken. Oh nein, das konnte doch nicht wahr sein. War der junge, weißhaarige Mann, der so tat, als hätte er die BISMARCK und die HINDENBURG persönlich in den Teich geschmissen etwa der, der die BISMARCK und die HINDENBURG persönlich in den Teich geschmissen hatte?
„Colonel? Ich dachte, Sie…“
Der weißhaarige Bursche winkte ab. „Ich nehme nur eine Auszeit von meiner Auszeit.“ Er deutete auf den Verband auf seinem rechten Auge. „Ich tauge gerade nicht besonders als Pilot und so, aber ich wollte selbst einen Blick auf die beiden Schiffe werfen, Sie verstehen, Roger?“
„Natürlich, Sir.“
„Nachricht von den Tauchbooten. Welches Schiff soll zuerst gehoben werden?“
Der Kapitän des Bergungsschiffs sah Roger Smith fragend an. Der wiederum sah zu dem weißhaarigen Burschen.
Der junge Mann deutete auf den westlichen Schiffsrumpf. „Das da. Hebt die BISMARCK.“
„Aye, Sir. Hebt die BISMARCK!“
„Aye! Befehl an NAUTILUS I und NAUTILUS II: Hebt die BISMARCK!“
In diesem Moment wurde das Schiffswrack mit Trossen verbunden. Die Trossen führten in die acht Kabelrollen der MADRID, und jede einzelne Kabelrolle wurde von einem Zehntausend PS-Motor angetrieben. Dennoch, als die Bergung begann, würde es noch etliche Stunden dauern, bis das Schiff die Wasseroberfläche erreichte.

Zwei Tage und elf Stunden später war es endlich soweit. Im Innendock der MADRID schäumte das Wasser, die Kabelrollen begannen zu kreischen, die Motoren heulten bei der Überlastung, und mit einem Ruck wurde ein Teil der BISMARCK an die Wasseroberfläche gehievt. Nun würde es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die vorderen Zellen ausgepumpt waren und das Schiff mit eigenem Auftrieb im Innendock des Bergungsschiffs schwimmen konnte.
Der Weißhaarige sah fasziniert dabei zu. „Wollen Sie es haben, Roger?“, fragte er plötzlich.
„Sir?“
„Wollen Sie die BISMARCK kommandieren?“
„Ja, Sir.“
„Dann untersteht das Schiff ab sofort ihrem Kommando.“
„Danke, Sir.“
„Danken Sie mir nicht zu früh. Denn da Sie jetzt der Verantwortliche für das Schiff sind, denken Sie sich mal eine Möglichkeit aus, das Ding zurück in den Orbit und auf die ARTEMIS-Plattform zu schaffen.“
„Sir, wir haben mit zwei Fregatten, einem Zerstörer und der GRAF SPEE den Mars erobert. Dagegen wird das hier doch eine Kleinigkeit werden, oder?“
Akira Otomo grinste den jüngsten Kapitän eines Seekriegsschiffs an. Nun war er auch der jüngste Kapitän, der je das Kommando über einen raumtauglichen Kreuzer bekommen hatte.

3.
Als die KON in den Orbit um Lorania schwenkte, tat sie das nicht allein. In ihrem Gefolge waren etliche, genauer gesagt vierundachtzig Schiffe aller Klassen der vereinigten Hausflotte von Arogad und Daness. Weitere vierzehn Kreuzer und Zerstörer der Elwenfelt hatten sich angeschlossen. Dazu kam die Flotte, die sie bereits erwartete. Neben dem Naguad-Kontingent der ehemaligen Strafexpedition und den eigenen Schiffen der Anelph waren dies die terranischen Einheiten der AURORA unter dem Kommando von Makoto Ino.
Weitere fünfunddreißig Anelph-Schiffe waren bereits in das System gesprungen und auf dem Weg zur Hauptwelt.
Eine Fähre nahm Megumi Uno und ihren Stab auf und brachte sie auf den Raumhafen von Demiral Space Port.
Dort erwartete die junge Frau neben den Hekatoncheiren eine Abordnung der UEMF sowie Dutzende hochgestellte Persönlichkeiten der Anelph.
Stela Sida Ryon, die kleine Schwester von Ban Shee und Tochter des alten Admiral Ryons, der den ersten Exodus angeführt hatte, war als Vorsitzende des Komitees ebenso anwesend wie Admiral Gennusuke Riada, der die Amtsgeschäfte der Anelph-Regierung übernommen hatte, nachdem diese im Zuge der AURORA-Evakuierung und den Angriffen der Core-Raider kollabiert war. Im Moment waren die beiden Akira Otomos kommissarische Stellvertreter im System und damit offiziell Angestellte des Hauses Arogad.
General Yonn Desartes, Anführer von Ruhm und Ehre, der Fünften Banges-Division, dass auf Befehl von Eri Arogad zur UEMF desertiert war, hatte einen weiten Schutzkordon errichtet, obwohl das eigentlich unnötig war.
Wenn Megumi vor etwas geschützt werden musste, dann nicht vor der Wut, sondern vor der Begeisterung der Anelph.

Die Lage hatte sich geändert. Alles hatte sich geändert. Die Angriffe der Raider, die zurückkehrenden Anelph-Schiffe, die über das halbe Imperium verteilt gewesen waren, der offene Schutz der Häuser Arogad und Daness, all das hatte die Anelph nicht weiter auseinander getrieben, sondern zusammengeschweißt.
Es gab Übergriffe, oh ja, Angriffe auf die Naguad-Besatzungstruppen, heftige Abrechnungen mit dem Inlandgeheimdienst Auge Iram in den Medien und eine schonungslose und knallharte Aufarbeitung der Vergangenheit und der Gräuel unter der Besatzung durch das Imperium.
Aber das Chaos war kleiner als alle Beteiligten befürchtet hatten. Die Gefahr, der Core, schweißte sie alle enger zusammen.
Und das absolute Wunder, welches die Anelph erlebt hatten, plötzlich mit den Naguad auf einer Stufe zu stehen, hatte zu einer sehr großzügigen Laisser Faire-Einstellung geführt.
Machen lassen und sehen was passiert.
Mehrfach war Makoto Ino die Präsidentschaft angetragen worden, oder der Rang eines planetaren Gouverneurs, immerhin war er im Moment der ranghöchste Vertreter von Haus Arogad im Sonnensystem, aber der kluge Bursche hatte abgelehnt.
Nun aber war die zukünftige Frau des Besitzers ins System gekommen und landete auf der Hauptwelt Lorania. Auf einer Welt, auf der in einem halben Jahr mehr Wunder passiert waren als in einem halben Jahrhundert zuvor. Noch vor einem Jahr hätte niemand auch nur einen Cent bei der Wette verschwendet, ob Naguad und Anelph jemals ernsthaft Seite an Seite existieren konnten. Aber nach den Angriffen der Raider und den heldenhaften Taten der Besatzer, um diese Welt und dieses System zu verteidigen, hatte sich vieles geändert. Hatte sich alles geändert.

Hinter dem großen Podest waren fünf Fahnen gehisst worden. Die linke gehörte der UEMF, die rechte Lorania. In der Mitte war die Arogad-Hausfahne gehisst worden, rechts davon die des Hauses Daness und links die des Imperiums.
Auf dem Podest erwarteten Megumi neben drei Dutzend Kameras über dreihundert Menschen, wobei die Anelph den Hauptanteil stellten.
Offiziell in Empfang genommen wurde sie aber unter der Federführung von Makoto Ino.
Und als die Fähre gelandet war und die Ausstiegsluke geöffnet wurde, erklang die Hymne des Imperiums, dicht gefolgt von der Hymne der Anelph.
Die gut dreihunderttausend Zaungäste, die dem Ereignis hinter den streng bewachten Absperrungen beiwohnten, untermalten das Geschehen mit einem Geräuschorkan, der einem startenden Kreuzer der Bismarck-Klasse Ehre gemacht hätte.
Zuerst empfing Makoto die junge Frau als Offizierin im Rang eines Colonels der UEMF mit einem strengen Salut. Danach empfing er sie als langjährige Freundin, die einen furchtbaren Verlust erlitten hatte.
Anschließend wurde Megumi Uno alias Solia Kalis von den anderen Anwesenden begrüßt.
Ihr folgten Sostre Daness, der derzeitige Erbe des Hausvositzes, Yohko Otomo alias Jarah Arogad, Aris Taral, der Großvater von Sakura und Makoto Uno und endlich Joan Reilley.
Auch wenn der Umstand, der diese beeindruckende Truppe hier zusammengebracht hatte, nicht der Beste war – offiziell lag Akira im Koma, inoffiziell wusste jeder, der an diese Möglichkeit glaubte, dass dem jungen Offizier das KI aus dem Körper gestohlen worden war – Joan Reilley war durch ihre erfolgreichen Auftritte auf Central in Nag-System noch berühmter geworden und im wahrsten Sinn des Wortes zum Kitt geworden, der zuerst Lorania und die Erde und nun das ganze Imperium mit Lorania zusammengefügt hatte.
Der Jubel, der bei ihrem Anblick aufkam war so laut, dass die offizielle Begrüßung unterbrochen werden musste.
Eine Gelegenheit, die Yoshi Futabe benutzte, um zusammen mit Admiral Acati ebenfalls auf die Tribüne zu kommen. Ihnen folgte Megumis neuer Stab, der ebenfalls nicht beachtet wurde, was Gina Casoli, Henry William Taylor, Franlin Litov und Sora Fioran wohl nur Recht sein konnte.
Der Anblick von Sirgej Elwenfelt hingegen, der als Letzter die KON verließ, wirkte wie eine kalte Dusche auf die Menge. Sirgej war offizieller Vertreter des Hausrates der Elwenfelt. Und mit den Elwenfelt hatte Lorania keine guten Erfahrungen gemacht, bis letztendlich das Naguad-Militär die Macht im Kanto-System übernommen hatte.
Megumi nutzte die Pause und trat an das Rednerpult. Ihre Worte würden nicht nur über den Platz verteilt werden, sondern im ganzen System. Und von dort würden sie im ganzen Imperium verstreut werden und sogar die Erde erreichen.

„Mein Name ist Megumi Uno. Ich bin Offizierin der United Earth Mecha Force. Aber ich bin auch Solia Kalis, offizielle Hausangehörige des Hauses Daness.“ Kurz unterbrach sie sich und lächelte Jora Kalis zu, einer nahen Cousine, wie sie mittlerweile wusste.
„Dieses Sonnensystem hat vor einem Vierteljahr kapituliert und ging in den persönlichen Besitz des Hauses Arogad über. Aris Arogad, zweiter Erbe des Hausvorsitzes der Arogad, bekam dieses System und das System der Terraner als persönliches Lehen. Diese Welt steht seit diesem Tag unter dem Schutz von Haus Arogad!“
Jubel brandete auf, der lange Zeit nicht verklingen wollte.
Megumi hob eine Hand, und es wurde leiser. „Als offizielle Verlobte von Aris Arogad nehme ich seine Pflichten wahr. Seine neueste Verwundung verhindert, dass er hier sein kann. Aber sein Wille ist es, und ich führe ihn aus.
Es tut mir Leid, dass ich nicht die Selbstständigkeit verkünden kann. Lorania und das Kanto-System bleiben ein Teil des Imperiums, genau so wie die Erde und der Mars.
Aber es ist mir eine Freude, dem Volk der Anelph mitzuteilen, dass das Kanto-System mit dem heutigen Tag nicht nur persönlicher Besitz des Hauses Arogads ist, sondern vom Status einer Mark zum Status eines Bezirks aufsteigt. Alle Bürger des Sonnensystems werden damit ab sofort vollberechtigte Bürger des Naguad-Imperiums.“
Wieder brandete Jubel auf, den Megumi stoisch abwartete. Nur ein leichtes Kräuseln der Lippen verriet ihre Gefühle.
Erneut bat sie um Ruhe. „Damit verbunden sind etliche Änderungen, neue Rechte, aber auch neue Pflichten. Wir alle sind uns der Gefahr durch den Core mehr als je zuvor bewusst. Die Angriffe auf Lorania, abgeschlagen von Naguad, Anelph und Menschen zeigen uns zu deutlich, was uns in Zukunft erwartet. Auch der Verrat von Haus Logodoboro und die Bedrohung des Kanto-Systems durch die umliegenden Marken, die von der Verräterfamilie kontrolliert werden, können und dürfen wir nicht ignorieren.
Wir gehen schweren Zeiten entgegen, aber wir gehen ihnen gemeinsam entgegen. Ich habe Zusagen der UEMF erhalten, dass die Anelph bei der Verteidigung ihrer Heimat nicht alleine sein werden. Die Allianz zwischen unseren Völkern wird fortgeführt und ausgebaut, gerade weil wir nun Angehörige des Hauses Arogad geworden sind.
Auch Haus Arogad hat umfassende Hilfe zugesagt. Eine Haus-Flotte hat sich bereits in diesem System versammelt, zwei weitere werden unter der Führung von Admiral Eridia Arogad noch innerhalb des nächsten Monats eintreffen. Zwei weitere Flotten werden diese begleiten. Eine wird von Haus Daness gestellt, die andere von der Raummarine des Imperiums. Das Kanto-System wird von allen Seiten vom Core und vom Verräterhaus Logodoboro bedroht, aber wir drehen den Spieß um!
Von Lorania aus werden wir unsere zusammengezogenen Truppen führen, um die umliegenden Marken und Bezirke von den Truppen des Cores und der Logodoboro zu befreien und die Bevölkerung zu retten!
Von Lorania aus werden wir diesen Teil des Imperiums stabilisieren und Hoffnung und Wohlstand wiedererlangen!“
Erneut wurde gejubelt, länger und lauter als zuvor. Für die Anelph hatte sich in den letzten Monaten alles geändert. Wirklich alles. Sie waren vom besiegten Volk zum gleichberechtigten Partner aufgerückt, wie es von Anfang an hätte sein sollen.
„Ich übergebe nun das Wort an Meister Sirgej Elwenfelt, der dem Volk der Anelph im Namen seines Hauses eine wichtige Mitteilung zu machen hat.“

Die beiden wechselten sich ab, und für den Elwenfelt erklangen Pfiffe. Es war noch nicht lange genug her, dass die Elwenfelt mit purer Waffengewalt versucht hatten, das System zu erobern. Es wurde so laut, dass Sirgej nach mehreren Versuchen aufgeben wollte.
Megumi nickte Joan Reilley zu. Die junge Frau, ein Superstar auf Dutzenden Welten, trat von Makotos Seite neben den Elwenfelt, und es wurde merklich leiser.
„Lasst Sirgej Elwenfelt sprechen“, sagte sie ruhig, und merkwürdigerweise konnte man sie problemlos verstehen, „und entscheidet danach, ob es gut oder schlecht war. Ich, Joan Reilley, bitte die Anelph darum. Und ich lege auch ein Live-Konzert drauf.“
Das schien zu wirken, die Pfiffe wurden weniger und verstummten danach ganz.
Sirgej Elwenfelt dankte ihr mit einem Nicken.
„Ich bin zu jung“, begann er mit zittriger Stimme, „um selbst miterlebt zu haben, was passiert ist, nachdem unser Core das Kanto-System entdeckt hatte. Ich bin zu jung um zu wissen, wie viel Unrecht den Anelph angetan wurde. Und ich bin zu jung, um zu verstehen, was in einem Volk vorgehen muss, das so grausam und nachdrücklich behandelt wurde.“
Wieder klangen Pfiffe auf, aber sie waren selten.
„Als Haus Logodoboro die Maske fallen ließ und sich als Verbündeter des Cores erwies, als ein Daness-Schiff gekapert wurde, um den Turm der Arogads zu vernichten, wurde mir aber vieles klar.
Als die Elwenfelt dem Ruf des Cores folgten, der eine prosperierende Zivilisation der Daima im Kanto-System entdeckt hatte, waren sie nicht alleine. Experten und Wissenschaftler der Logodoboro begleiteten sie.
Die erste Kontaktaufnahme mit den Anelph verlief sehr zufrieden stellend und es schien, als würde eine gemeinsame Zukunft im Miteinander möglich sein.“
Die Menge raunte, wütend und unzufrieden.
„Dann aber gerieten die Logodoboro in einen Hinterhalt in der Hauptstadt Demiral und wurden massakriert. Meinen Vorfahren blieb nichts anderes übrig, als ihnen militärisch zu Hilfe zu kommen. Es entstand eine Situation, eine Spirale der Gewalt und Gegengewalt, die damit endete, dass das imperiale Militär dieses System gewaltsam unterwarf. Folge waren lange Jahrzehnte der Unterdrückung, des Misstrauens und der Schmerzen und Tränen für die Anelph. Als offizielles Mitglied des Hausrats entschuldige ich mich im Namen aller Elwenfelt für das, was wir ihnen angetan haben.“ Sirgej trat einen Schritt vom Rednerpult zurück und verbeugte sich tief und lange.
Als er danach erneut vor das Pult trat, waren die Pfiffe verstummt. „Wie wir heute wissen, ist das Haus Logodoboro, oder zumindest seine Führung, ein Verbündeter des Cores. Die Aufgabe der Logodoboro war es stets, Unruhe zu stiften und das Militär beschäftigt zu halten. Hier im Kanto-System hatte es hervorragend geklappt. Logodoboro hat Elwenfelt und Anelph perfekt gegeneinander ausgespielt und aufeinander gehetzt.
Wir haben den Logodoboro vertraut, sind ihnen zu Hilfe gekommen und haben ihr Wort vor das der Anelph gestellt. Auch dafür entschuldige ich mich im Namen aller Elwenfelt.“ Erneut trat er einen Schritt zurück und verbeugte sich noch länger. Tränen glitzerten in seinen Augen.
„Wir wurden verraten und verkauft. Und die Anelph bezahlten die Rechnung. Wir haben Jahrzehnte und einen Aris Arogad gebraucht, um das endlich zu erkennen. Und wir haben nicht vor, vor unserer Verantwortung zu fliehen. Wenn das Volk von Lorania zustimmt, dann wird Haus Elwenfelt seinen eigenen Beitrag leisten, um die Anelph vor dem Core zu schützen – als gleichberechtigte Partner und Waffenbrüder in den Kämpfen, die kommen werden. Haus Elwenfelt wird zwei Flotten detachieren und der Koalition unterstellen, die sich in diesem System dem Core und dem Verräterhaus entgegenstellt.
Das heißt, wenn die Anelph uns dulden.
Ich erwarte hier und jetzt keine Antwort. Aber ich hoffe, dass wir Elwenfelt eine Chance erhalten, um wieder gut zu machen, was uns in der Vergangenheit missraten ist und so viel Leid über die Anelph brachte.“
Letztendlich pfiff niemand mehr.
***
„Und?“
Eikichi Otomo wandte sich ab, sah vom Hologramm fort auf das einzige Ding, das neben dem Schreibtisch in seinem Büro stand, den Papierkorb. Er hatte unnötige Details schon immer gehasst und sich nie mit Aktenschränken, Sitzecken oder Kaffeemaschinen abfinden können. Ein Büro musste funktionell sein und seinen Benutzer widerspiegeln.
Dieses Büro war schlicht und effizient.
„Sieh mich bitte an, wenn ich mit dir rede.“
Die Worte klangen harsch, aber sie waren mit einer Sanftheit vorgetragen worden, die das Herz rührte.
Nur zögerlich sah Eikichi wieder zum Bildschirm herüber. „Helen, ich…“
„Ich bin in drei Welten aufgewachsen, Eikichi. Ich wurde in Japan geboren, erlebte Jugend und Kindheit dort und in Deutschland. Ich sah meinen Cousin sterben und den Mann meiner Cousine, während ich die dritte Welt erlebte, die Subkultur der exilierten Naguad. Ich habe zuviel gesehen und zuviel erlebt, um überrascht zu sein oder verärgert oder zornig. Ich weiß, dass man nur mit Ruhe alles erreicht, nur mit Konzentration alles Wesentliche aufnimmt und nur mit Ausgeglichenheit gutes AO erzeugt und benutzen kann. Eikichi, dass diese Logodoboro meinen Sohn entführt haben, hat mich aufgeregt, weit mehr als damals, als ich in diesen Verkehrsunfall geriet, der mich…“ Das Abbild von Helen Otomo, über sechzig Lichtjahre entfernt, schluckte hart. „…in diesen Tank gezwungen hat. Aber jetzt ist die Zeit um zu entscheiden was wir tun. Er ist nur ein Mann, einer von unendlich vielen, richtig?“
„Ja, er ist nur ein Mann. Er ist nur Akira Otomo. Und da draußen sind sechs Milliarden Menschen, die ich davor beschützen muss, vom Core übernommen zu werden, entkernt zu werden, ihrer Leben beraubt zu werden. Einmal ganz davon abgesehen, dass sich das Kaiserreich noch nicht für uns interessiert hat und dass es sicherlich noch Dutzende Daima-Welten da draußen gibt, von denen wir nichts wissen, weder ihre Möglichkeiten, noch ihre Absichten.
Aber… Dennoch.“ Seine Hände krampften. Tränen verließen seine Augen. „Dennoch! Er ist mein Sohn! Ich kann ihn nicht aufgeben und ich werde es auch nicht. Selbst wenn ich alleine gehen muß, ich werde ihn retten!“
„Ich werde ihn auch nicht aufgeben, Eikichi. Wir wissen nicht, wohin er geschafft wurde. Seine Spur verliert sich schon wenige Stunden nach dem Vorfall in der Vorstadt. Wir können aber sicher sein, dass sie ihn aus dem System geschafft haben. Mittlerweile dürfte er in einer der Marken angekommen sein, die von Logodoboro kontrolliert werden. Und von da an wird er weitergeschafft werden, bis zu einer Core-Welt. Andernfalls hätten sie ihn auch einfach töten können, die Entführung hätte keinen Sinn gehabt.“
„Du willst sagen, wir müssen ihn auf den Core-Welten suchen?“
„Auf den Core-Welten, die wir nicht kennen und die wir erst noch finden müssen.“
Eikichi wischte sich die Augen trocken. „Eine unmögliche Aufgabe. Ihn zu finden ist…“
Helen lächelte sanft. „Du vergisst, wer er ist, Eikichi. Er ist dein Sohn, er ist mein Sohn. Er wird wie ein Leuchtfeuer strahlen und uns den Weg zu ihm weisen. Akira Otomo ist die Summe all dessen, was uns ausmacht. Er ist der Erbe von Naguad-Blut, Iovar-Blut, Daina- und Daima-Blut, Terraner-Blut, und selbst das Blut der Dämonen pocht in ihm.
Er ist von seinem Bluterbe das interessanteste Wesen in diesem Teil der Galaxis, und nur ein Mensch übertrifft ihn noch.“
„Nur Yohko, weil sie die Elwenfelt-Gene erhalten hat“, murmelte Eikichi bestätigend. „Sie wird nicht zögern, sich auf die Suche nach ihren Bruder zu machen.“
„Ja, das wissen wir beide. Und sie wird von dem Leuchtfeuer, das Akira sein wird, angezogen werden. Die beiden Geschwister finden einander. Du musst nur daran glauben, Eikichi.“
„Hm, vielleicht ist das gar nicht nötig. Vielleicht hat Sakura Recht und wir müssen nur lange genug warten, und sie bringen uns Akira freiwillig wieder. Wie lange der Core es wohl mit ihm aushält?“
Helen Otomo versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen, aber das glucksen verriet sie. Als sie schließlich hinter vorgehaltener Hand kicherte, tadelte sie ihren Mann. „Eikichi, du bist schrecklich.“
„Nein, ich bin nur ein Vater, der seinen Sohn kennt. Wie lange halten sie es wohl mit ihm aus? Einen Monat? Zwei?“
„Nach einem Jahr gehört ihm wahrscheinlich die Core-Zivilisation“, bestätigte Helen todernst.
Nun war es an Eikichi zu lachen. „Ich weiß genau, warum ich dich geheiratet habe“, stellte er vergnügt fest.
Übergangslos wurden beide wieder ernst.
„Und?“, fragte Helen erneut.
„Du schickst mir Aris, hm?“
„Ja. Und Karl ist zusammen mit der AURORA zurückgekehrt, richtig?“
„Damit ich das richtig verstehe, dieser Torum Acati, der Akira beinahe getötet hätte, kommt her, um eine Regionaladmiralität aufzubauen?“
„Der Rat schickt eine Flotte, um den Schutz der Erde auszubauen. Nicht ganz aus Eigennutz. Schiffe, die nicht im Imperium sind, können von den Häusern nicht gegeneinander ausgespielt werden. Du weißt, wir haben das angekündigte zweite Verräterhaus noch immer nicht enttarnt.“
„Sind sie zuverlässig?“
„Sie werden auf Aris Taral hören.“
„Dann haben wir Kapazitäten frei.“ Eikichi sprach es nicht aus, aber die erfahrensten Kapitäne und Mannschaften der Menschheit hatten die Troja-Mission begleitet oder bildeten in der Zweiten Flotte die Patrouillen in den umliegenden, unbewohnten Systemen. Drei Viertel der menschlichen Streitkräfte waren bestenfalls grün, wenn nicht als Rekruten einzustufen. Zum Glück waren einige Schiffe während der Troja-Mission Veteranen geworden. Wenn Mannschaften und Offiziere neu verteilt wurden, würde das die neuesten Schiffe der Menschheit effektiver machen.
„Ich werde eine Freiwilligenbrigade aufstellen. Ausschließlich Freiwillige. Sie werden Akira suchen gehen.“
„Wirst du mitgehen?“
„Nein. Mein Platz ist hier.“
„Wen willst du schicken?“
„Die AURORA. Defacto ist sie Akiras persönliches Eigentum, seit die UEMF vor ihm kapituliert hat. Es ist legitim, sie auszusenden. Natürlich müssen wir den Kasten erst generalüberholen. Ich werde sie aussenden, selbst wenn sich nur zwanzig Mann melden, um das Schiff ins Ungewisse zu fliegen.“
„Wohin wirst du sie senden?“
„Zur einzigen Stelle in diesem Universum, die uns eine Spur finden lässt.“
„Das Kaiserreich“, stellte Helen tonlos fest.
„Das Kaiserreich.“ Eikichi Otomo nickte schwer.
***
Es war wie immer harte Arbeit. Hart für Sakura, hart für ihre Offiziere. Sie befanden sich seit zwei Wochen wieder im Orbit um die Erde, nachdem sie einen Abstecher zum Mars gemacht hatten, um die eins Komma drei Millionen Anelph nach ihrem Erwachen zu den anderen Anelph zu bringen. Nach den ersten Feiern und dem Abstecher zum kleinen Bruder der Erde hatten weitere Wartungsarbeiten angestanden, für die jeder Mann und jede Frau gebraucht wurden.
Selbst die Hekatoncheiren-Piloten unter Colonel Daisuke Honda waren herangezogen worden. Das heißt, sie hatten sich aufgedrängt.
Es war ein langer Achtzehn Stunden-Tag für sie, aber mit jedem Tag konnte man die Fortschritte sehen, die das riesige, aus einem Planetoiden erbaute Schiff machte. Das tiefe Loch war verschwunden, welches Akira zusammen mit Acati gerissen hatte. Die riesigen Plattformen verschwanden nach und nach, während sich die wiedererwachten Anelph entschieden hatten, entweder auf der Erde oder auf dem Mars zu leben – wobei letzterer durch die Ausdehnung der grünen Zone immer lebenswerter wurde. Die in Martian City und Umgebung künstlich angehobene Schwerkraft entsprach in etwa der Lorania-Norm, was sicherlich dazu beitrug, den Mars attraktiv zu machen.
Dass über der grünen Insel auf dem roten Planeten ein eigenes Plattform-System entstand, mochte bei der Entscheidung hilfreich gewesen sein. Die ohnehin etwas dünne und fragile Atmosphäre würde nicht mehr so aufgewühlt werden, wie es zurzeit bei jedem Start und jeder Landung der Fall war; die künstliche Indoktrination der Mars-Atmosphäre mit Treibhausgasen und Ozon tat ihren Teil, um den kleinen Bruder der Erde in ein zweites Paradies zu verwandeln. Die Kronosier hatten gut geplant und sehr gut gearbeitet, das musste Sakura neidlos anerkennen.
Allerdings hatten sich gut zehntausend Anelph für die Erde entschieden, und ein kleines Kontingent von achthundert und ein paar Zerkrümelten wollte tatsächlich bei nächster Gelegenheit ins Kanto-System zurückkehren.
Sakura konnte sie verstehen. Die Troja-Mission war ein voller, absoluter Erfolg gewesen, hatte weit mehr erreicht als allen Planern möglich erschienen war - bei allem Optimismus nicht. Und nun mussten sie alle auf die veränderten Gegebenheiten reagieren.

Die junge Frau gähnte herzhaft, während sie sich aus ihrer Uniform schälte. Volladmiral. Wer hätte das jemals gedacht? Sie selbst am allerwenigsten, selbst nicht, als sie die GRAF SPEE im Orbit um den Mars in die alles entscheidende Schlacht geführt hatte.
„Störe ich?“, klang eine altvertraute Stimme hinter ihr auf.
Sakura wandte sich langsam um. Für eine winzige Sekunde hatte in ihr die Hoffnung gekeimt, die Stimme würde Akira gehören. Aber das war unmöglich, selbst für ihn.
Stattdessen stand Thomas in der Tür. Auf seinen Schultern blinkten die Sterne eines Majors, und am Kragen glänzten die Abzeichen eines Titanen. Nach den Hekatoncheiren die wichtigste Elite-Truppe der Menschheit.
Sakura machte sich zwei Dinge bewusst. Erstens stand sie in ihrem Raum und trug nicht mehr als ihren Dienstrock und einen BH, und zweitens hatte Thomas all das aus nächster Nähe gesehen, berührt und oft genug liebkost. Dieser Mann war ihr ehemaliger Liebhaber.
„Was machst du denn hier?“
Betreten sah er zu Boden. „Darf ich reinkommen?“
„Natürlich.“
Sniper schloss die Tür hinter sich. „Hm, in diesem Haus werden Erinnerungen wach. Ich sehe es noch gut vor mir, beinahe wäre ich hier ein Teil der großen Familie um dich geworden. Gibt es einen besonderen Grund, warum du hier auf der Erde schläfst und nicht in der AURORA?“
„Dieser Ort braucht mal wieder etwas Leben“, erwiderte sie weit schroffer als beabsichtigt. „Ich habe den alten Kasten auch vermisst.“
„Ach so.“ Nachdenklich ließ der deutsche Elite-Pilot seinen Blick über die Einrichtung streifen. Nichts hatte sich verändert. Die Tür hatte sogar seinen alten Prioritätscode akzeptiert. Und an der Wand hing immer noch dieses Joan Reilley-Poster von ihrer No Sorrow-Tour.
„Du bist anders geworden“, warf der Pilot ihr vor.
„Natürlich. Wer sich nicht verändert ist so gut wie tot. Stillstand bedeutet Verderbnis. Nur Veränderung bringt den Fortschritt.“
„Das meinte ich nicht. Du bist anders geworden. Während unserer Zeit zusammen, da… Als wir den Mars angegriffen hatten… Selbst danach noch… Sakura, wie hatte es so weit kommen können? Wir haben uns geliebt.“
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie, während der Rock fiel und einem bequemen Yukata wich. „Die UEMF hat eine Ordonnanz abgestellt, welche die Reserven in der Küche immer auf dem aktuellen Stand hält.“
„Bier wäre nett.“
„Also zwei Bier.“ Die junge Frau verließ ihren Raum und kam kurz darauf mit zwei geöffneten Flaschen zurück.
„Um auf deine Fragen zu antworten. Ich dachte immer, du hast dich verändert. Ich dachte immer, du kommst nicht damit klar, dass ich deine Vorgesetzte bin. Oder damit, dass ich dir meilenweit voraus bin. Sieh mich an, ich bin Volladmiral. Du bist nur…“
„Nur Major. Richtig. Ja, das mag einer der Gründe sein. Wir Mecha-Piloten gelten als rechthaberisch, Besitz ergreifend und schnell beleidigt. Das würde dazu passen, dass der eigene Partner nicht ranghöher sein sollte.“ Thomas trank einen Schluck und fügte hinzu: „Das war ein Scherz, Sakura.“
Sie setzte sich auf ihr Bett. „Sicher?“
„Halb und halb.“
„Hm. Du hast mich nicht auf der Troja-Mission begleitet, Thomas.“
„Du hast mich nicht gefragt.“
„Ach, hängt es daran? Ich hätte dich fragen sollen?“
„Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits über ein Jahr auseinander. Natürlich hättest du mich fragen müssen. Immerhin war ich zu dem Zeitpunkt schon Offizier der Titanen und hätte Otomo-sama gebraucht, um die Einheiten wechseln zu können.“ Er deutete auf seine Abzeichen. „Die Dinger trage ich seitdem.“
Sakura zog die Augenbrauen zusammen. „So?“
„Auch wenn ich nicht dein Talent habe. Auch wenn ich nicht wie ein Komet aufgestiegen bin. Für einen Mann von zweiundzwanzig habe ich eine beeindruckende Karriere hinter mir und sicherlich auch vor mir. Meine Beförderung zum Lieutenant Colonel steht bevor, und ich kriege mein eigenes Titanen-Regiment. Wir bauen zwei Schwester-Regimenter aus. Eines wird das Plattformen-System auf dem Mars schützen, das andere wird als Elite-Einheit auf den Patrouillenschiffen der Zweiten Flotte dienen. Ich übernehme selbstverständlich das zweite neue Regiment.“
„Du bist ein guter Mann und ein guter Offizier. Du wirst hervorragende Arbeit leisten, Thomas.“
„Ich weiß. Aber ich frage mich… Ich frage mich seit all dieser Zeit eines. Warum sind wir auseinander gebrochen? Können wir es wieder kitten? Lohnt es sich, um dich zu kämpfen? Erlaubst du mir es überhaupt? Und wenn all das nichts nützt, können wir wenigstens Freunde bleiben?“
„Akira“, stellte Sakura fest und Sniper nickte.
„Akira.“
„Seine Verletzung.“
„Ja. Er verlor sein Auge und du hast dich verschlossen. Warum, Sakura? Warum?“
„Weil du du bist. Und ich dir alles Glück dieser Welt wünsche. Und nicht den Kummer, mit mir zusammen sein zu müssen.“
„Was hat das mit Akira zu tun?“
„Akira ist meiner, Thomas.“
„Deiner? Dass du von deinem Cousin besessen bist, weiß ich, aber dass es solche Züge annimmt…“
„Thomas, ich bin eine Naguad.“
Der Major zuckte zusammen. „Was?“
„Ich bin eine Naguad. Genauer gesagt fünfzig Prozent Arogad und fünfzig Prozent Fioran. Wobei ich mich eher dem Haus Arogad zuordne.“
„Ich verstehe nicht.“
„Das zu erklären dürfte länger dauern. Vielleicht werde ich das irgendwann machen. Aber du solltest eines verstehen. Meine Familie innerhalb der Arogad war schon immer dafür da, um die Familie von Akira zu beschützen. Seit er geboren wurde, bin ich für Akiras Schutz zuständig. Ich muss jederzeit bereit sein, um für ihn zu sterben. Das ist meine Aufgabe und mein erster Lebenszweck.
Als er verletzt wurde, habe ich das nicht verhindern können.“
Ihre Hände krampften sich um die Bierflasche zusammen. „Das ist genau so, als hätte ich ihm die Säure selbst ins Gesicht geschüttet.“
„Sakura, ich… Ist das überhaupt dein richtiger Name?“
„Ja.“ Sie lächelte schüchtern und entkrampfte ihre Hände. „Sakura Taral, zu deinen Diensten, Major.“
„Aha. Akira ist deiner. Dein Schutzbefohlener, richtig? Er wurde verletzt und du hast beschlossen, dass du dich seinem Schutz widmen musst, oder?“
„Nein. Ich habe festgestellt, dass du Akira nicht so sehr liebst wie ich. Ich habe es schon gesagt, Akira ist meine Aufgabe und mein Lebenszweck. Aber es ist nicht deine Aufgabe. Thomas, du wirst ihn niemals so sehr lieben wie ich. Du bist nicht zusammen mit ihm aufgewachsen.
Ich habe ihn im Arm gehalten, als er noch in der Wiege lag. Ich habe seine ersten aufgeschlagenen Knie verarztet. Ich war immer da und immer um ihn. Ich liebe ihn so sehr, dass es schon schmerzt. Er ist mein absoluter Mittelpunkt.
Ich habe gemerkt, dass du nicht so empfindest, wie denn auch? Deshalb war es richtig, dich gehen zu lassen. Du musst deinen eigenen Mittelpunkt finden, Thomas. Es wäre egoistisch von mir gewesen, dich einfach mitzureißen. Dort wo du jetzt bist, dort bist du am richtigen Ort. Du kannst dich frei entfalten und du wirst es sehr weit bringen.“
„Vielleicht has du Recht. Aber eine Frage habe ich doch. Wenn du ihn so sehr liebst, warum lässt du ihn dann mit Megumi Uno zusammen sein? Ihr beide seid nicht blutsverwandt, und nur ein Mensch ohne Sinnesorgane würde nicht merken, wie sehr er dich auch liebt. Warum also? Es wäre so viel leichter für mich zu verstehen, wenn Akira mein Rivale wäre und ich verloren hätte. Aber das stimmt nicht, oder?“
Sakura lächelte nachsichtig. „Du kannst es nicht wissen, Thomas. Ich liebe Megumi mindestens ebenso sehr wie ihn. Ich bin mit ihr ebenso aufgewachsen wie mit Akira. Wir drei, Yohko und Makoto haben die Kindheit zusammen verbracht und ich würde für jeden einzelnen sofort mein Leben lassen. Egal welche Konstellationen sich in unseren Leben ergeben, ich fühle mich sehr zufrieden wenn Akira und Megumi glücklich sind. Meine Liebe ist von einer Form, die körperliche Nähe sicherlich nicht ausschließt. Aber richtig glücklich kann ich erst werden, wenn ich die anderen auch ein wenig piesacken und quälen darf. Das passt nicht in eine Beziehung, oder?“
Thomas lachte. Er erinnerte sich an diverse Gelegenheiten, bei denen Sakura versucht hatte, ihren Cousin an ihrem Busen zu ersticken. Einmal sogar vor der versammelten Admiralität.
„Es ist eine schwache Ausrede“, tadelte er.
„Nein, es ist die Wahrheit. In der Liebe gibt es keine Rationalität. Nur die Wahrheit.“
„Heißt das, ich muss erst für Akira sterben, bevor wir uns wieder lieben dürfen?“
„Mindestens dreimal“, bestätigte Sakura trocken.
Die beiden wechselten einen amüsierten Blick aus. „Ich werde dich immer lieben.“
„Und genau das ist der Fehler, Thomas.“
„Ich weiß.“
Der große Mann trank sein Bier aus. „Aber sei vorsichtig. Wenn du jemals eine Beziehung haben willst, musst du dir einen ranzüchten, der Akira so sehr verehrt wie du, sonst passiert das gleiche wieder. Und er darf kein Problem damit haben, dass du seine Vorgesetzte bist.“
„Interessant.“ Sie erhob sich, ging auf den Deutschen zu. Sanft schloss sie ihn in die Arme.
„Ich will nur, dass du glücklich wirst, Sakura“, hauchte er.
„Ich will, dass du auch glücklich wirst, Thomas.“
Sie tauschten eine Umarmung und einen Kuss aus, der all das verhieß, was sie verbunden hatte – und es beendete.
„Freunde?“, fragte Thomas, als er die Frau wieder aus seiner Umarmung ließ.
„Freunde.“
Die beiden nickten einander zu, dann wandte sich der Major ab. Und mit jedem Schritt durch den Gang verließ er nicht nur das Zimmer, nicht nur das Haus, sondern auch das Leben der Frau, die er geliebt hatte.

Unschlüssig hielt Sakura die halb geleerte Bierflasche in der Hand. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken. Zu viel war geschehen, zu viel war gesagt worden. Und das große Haus war so erschreckend leer. Und solange Akiras Manga-Sammlung noch auf der AURORA war, würde Doitsu nicht umziehen.
„Kriege ich auch eins?“, erklang die amüsierte Stimme vom Eingang ihrer Tür.
Sakura zuckte erschrocken zusammen und widerstand dem Verlangen, eine KI-Rüstung zu erschaffen. Sie sah auf. „Tetsu.“
„Entschuldige, dass ich dich während deiner Schlafphase überfalle. Aber ich dachte mir, dass du dir vielleicht immer noch Vorwürfe machst, und das will ich nicht. Ich habe die Korvette kommandiert, weil ich dich beschützen wollte, Sakura. Dafür ist mir kein Preis zu hoch und… Ich war der beste Mann für diese Mission. Kei war nicht verfügbar, falls du dich erinnerst.“
„Und dafür kommst du mitten in der Nacht her?“, tadelte Sakura lächelnd.
„Ich bin seit achtzehn Stunden wieder im Orbit der Erde. Du hast meinen Bericht seit Wochen auf deinem Schreibtisch. Aber wir beide haben noch nicht darüber gesprochen.“
Die Miene des ehemaligen Motorradgangleaders wurde ein einziges Fragezeichen. „Aber mal etwas anderes. Ich bin Thomas in der Tür begegnet. Warum hat er mir mehr Glück als er es hatte gewünscht?“
„Das ist eine lange Geschichte“, seufzte sie und setzte sich wieder aufs Bett.
Tetsus Miene veränderte sich erneut. Sie wurde verzweifelt. „Nicht, dass ich sie hören will.
Verdammt, Sakura, ich bin nur ein kleiner Gangster, der zufällig das Kommando über die LOS ANGELES erhalten hat, um den Mars anzugreifen. Zufälligerweise war ich gut darin und habe so etwas wie meinen Platz gefunden. Deshalb bin ich trotzdem ein Kleingauner, auch wenn aus der LOS ANGELES mittlerweile die AURORA geworden ist. Was ich sagen will ist, dass ich es doch sehe. Du hast dir Sorgen um mich gemacht, nachdem ich die AURORA für die Aufklärungsmission verlassen habe. Aber das musst du nicht. Dreck kommt von Dreck und geht zurück zu Dreck. Wäre ich bei der Mission gestorben, hätte es wenigstens etwas Gutes gehabt. Etwas, worauf du hättest stolz sein können.“
„Ich wäre verzweifelt und traurig gewesen“, warf sie ein.
„Aber um Himmels Willen, wieso denn? Das war meine Aufgabe, ich habe sie angenommen und so gut wie ich konnte erfüllt. Um mich zu trauern ist so sinnvoll wie Akira in einen Hangar voller Hawks zu sperren und zu hoffen, er wird friedlich meditieren, anstatt in einen der Mechas zu steigen.“
Sakura kicherte leise. „Drastischer Vergleich.“
Sie erhob sich, ließ Tetsu Genda stehen wo er war und kam mit einem Bier zurück. „Hier.“
Der junge Kommodore nahm die Flasche dankbar entgegen.
„Weißt du, Tetsu, in mir ist etwas zerrissen. Tief in mir drin. Als ich dachte, du wärst tot, oder so gut wie tot, da habe ich mich so schlimm gefühlt wie damals als ich glauben musste, die Naguad hätten Akira tödlich vergiftet. Wie konntest du mir das nur antun, Tetsu? Wie konntest du mich so zittern und bangen lassen? Ich habe erst hier auf der Erde erfahren, dass du noch lebst. Oh, am liebsten würde ich dich verprügeln. Nein, noch besser, ich würde am liebsten Akira erzählen, dass sich einer meiner Offiziere als Dreck bezeichnet. Und dann würde ich dich mit ihm allein lassen.“
„Das wäre mein sicherer Tod“, erwiderte Tetsu ruhig. „Er schätzt mich höher ein als ich bin und er würde mich zwingen, diese Sicht zu übernehmen. Ich bin nicht so groß, so prachtvoll, so begabt. Ich bin nur ich.“
„Nein, du bist so groß. Du bist so prachtvoll. Du bist ein Genie. Es musste nur der richtige Druck kommen, du musstest nur die richtige Entscheidung treffen, um zu werden, was du nun bist. Viele Menschen aus unserem Umfeld sind weithin strahlende Leuchtfeuer. Nur haben Megumi und Akira sie alle noch überschienen. Da kannst du natürlich nicht erkennen, wie hell du selbst schon strahlst, Tetsu.“
„Du übertreibst“, erwiderte der Kommodore.
„Nein.“
„Aber ich…“
„Weißt du, ich habe gerade Thomas die Abfuhr seines Lebens erteilt. Ich habe also gerade keine gute Laune. Und dann kommst du her und lästerst über meinen Freund. Das ist wirklich nicht sehr nett von dir.“
„Ü-über deinen Freund? Habe ich das? Es tut mir Leid, wenn… Über wen habe ich denn gesprochen?“, fragte der Japaner verdutzt.
„Dummkopf.“
Sie umarmte den großen Mann und ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken. „Danke, Tetsu. Danke, dass du meinem Befehl gehorcht hast. Danke, dass du wiedergekommen bist.“
„Mo-moment mal, Sakura. Du meinst doch nicht etwa mich? Ich meine, mich?“
„Du hast keine Chance. Kapituliere lieber gleich.“
„Bedingungslos.“ Langsam schloss Tetsu seine Arme um Sakura.

4.
Kommodore Smith sah von seinem Logenplatz auf der BISMARCK dabei zu, wie sich die wichtigsten Schiffe der terranischen Flotte um die KON und die SUNDER gruppierten. Zehn terranische Schiffe würden nach Terra zurückkehren, sein Schiff war selbstverständlich dabei.
Und natürlich war bereits eine Abordnung der ersten Flotte mit dem dritten Bakesch der Exil-Anelph unterwegs, um sie zu ersetzen.
Sie wollten Akira Otomos Leib zurückbringen, nachdem das KI aus ihm gestohlen worden war, oder wie einer seiner gläubigen katholischen Offiziere gesagt hatte: Seine Seele.
Der Blick von Roger ging durch die Zentrale, seine Zentrale. Seit sie das Schiff wieder zu ARTEMIS hinaufgeschafft hatten, seit es repariert und voll ausgerüstet worden war, war er ihr Kapitän gewesen. Die BISMARCK war sein Stolz, aber Akira Otomo war seine Ehre.
Deshalb hatte er nicht gezögert, als er den Marschbefehl für seinen Kreuzer zur AURORA bekommen hatte, zusammen mit der Option, den Befehl abzulehnen.
Er hatte jedem einzelnen Besatzungsmitglied freigestellt, das Schiff zu verlassen.
„Natürlich, Akira Otomo hat dieses Schiff versenkt. Akira Otomo hat es verflucht. Und nun bricht dieses Schiff auf, um Akira Otomo zu begleiten. Und wenn es das Schicksal dieses Schiffes ist, in dieser Mission versenkt zu werden, wenn es meine Aufgabe ist, für die Einsatzgruppe zu sterben, dann werde ich das mit Freuden tun. Wenn das unser Fluch ist, dann hoffe ich nur, dass wir so viele Gegner wie möglich mitnehmen, wenn sich das eisige Vakuum über uns schließt. Denn dann und nur dann können wir Akira Otomo wenigstens einen Teil dessen zurückzahlen, was die Erde, was der Mars, was die Menschheit ihm schuldet.“
Ihr Schwesterschiff HINDENBURG hatte den Marschbefehl abgelehnt, aber sein Schiff nicht. Und aus seiner Mannschaft hatte niemand abgemustert. Er war stolz auf seine Leute.

Und nun sah er sich um. Was hatten sie nicht alles erlebt. Sie hatten die TAUMOD aufgebracht, waren vor einem kollabierenden Stern geflohen, in Kanto-System in eine Patrouille geraten, hatten Lorania angegriffen, erobert und verteidigt.
Dieses Schiff zu heben, es zu reparieren war so unendlich richtig gewesen. Die AURORA zu begleiten war die beste Entscheidung gewesen, die Roger jemals getroffen hatte.
Und ihr Weg war noch lange nicht am Ende.
Wenn dieses Schiff verflucht war, dann würde der Flug nicht zuschlagen, solange sie Akira Otomo folgten. Das glaubte Roger Smith mit Inbrunst. Ihr Schicksal würde es sein, in ferner Zukunft für die Menschheit ihre Leben zu lassen, oder dieses prächtige Schiff einst als Museum enden zu sehen. Aber es würde mit Akiras Schicksal verknüpft sein, das schwor sich der jüngste Kommandeur eines Seeschiffes, der jüngste Kommandeur einer raumtauglichen Fregatte, der jüngste Kommandeur eines Schlachtkreuzers.
Dies war ihre Aufgabe.
„Signal ans Flaggschiff. BISMARCK ist bereit für den Formationsflug.“
„Aye, Sir. Signal von der SUNDER. Willkommen im Team.“
„Kei wird pathetisch, je älter er wird“, stellte Roger grinsend fest.
„Aye, Sir.“
„Moment, Signalmaat, das haben Sie doch nicht auch übermittelt?“
„Signal von der SUNDER. Werde erstmal erwachsen, du alter Gauner.“
Für einen Moment wusste Roger Smith nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Man muss ihn einfach lieben.“
„Aye, Sir!“
„Eins O, erschießen Sie den Signalmaat, wenn er noch etwas übermittelt, ohne dass ich das Signal dazu gebe.“
„Verstanden, Sir.“
„Antwort von der SUNDER“, gab der Unteroffizier stoisch bekannt. „Schmeicheleien bringen nichts bei mir.“
„Gut, dass er Kommandeur der Flotte ist. Jeder andere Offizier hätte uns schon getadelt, dass wir nicht ernsthaft genug sind.“
Die Brückenbesatzung lachte leise.
Roger sah zum Signalmaat herüber. „Nun senden Sie es schon.“
„Aye, Sir.“

Epilog:
Als ich die Augen aufschlug, stand ich auf einem grünen Hügel, auf dem hunderte blaue und rote Blumen wuchsen. Über mir wölbte sich ein tiefblauer Himmel, der so dunkel war, dass er beinahe wie tiefschwarze Nacht wirkte. Eine rosafarben Sonne sandte ihr Licht herab und wärmte die Erde. Ich sah an mir herab und bemerkte, das ich eine lose weiße Hose und eine schmucklose weiße Jacke trug.
An meinem linken Ärmel zupfte ein kleiner Junge, der mir merkwürdig vertraut war. „Laysan“, stellte ich fest und der kleine Junge nickte.
Ängstlich klammerte er sich an meinem Arm fest. Ich musste lächeln und nahm den kleinen Mann auf den Arm.
„Ich habe Angst, Akira“, sagte er mit weinerlicher Stimme.
„Ich bin ja bei dir.“
Ich ließ seinen Blick schweifen. Rund um den Hügel gab es Menschen. Sie trugen ebenfalls schlichte weiße Kleidung. Entweder standen, saßen oder spazierten sie in kleinen Gruppen und diskutierten, oder sie wanderten alleine durch die Blumenwiese.
„Wo sind wir hier, Laysan?“
„Ihr seid im Paradies“, erklang hinter ihnen eine Stimme auf.
Ich wandte mich um. Noch vor wenigen Sekunden war diese Stelle leer gewesen, das wusste ich genau. Dennoch standen dort nun zwei Frauen. Die Ältere von undefinierbarem Alter war schlank und groß und trug ein schwarzes, enges Kleid mit einer schwarzen Kapuze, die ebenfalls eng anlag und nur ihr Gesicht aussparte. Sie stand einen halben Schritt hinter der anderen Person und machte damit deutlich, wie die Rangfolge gestaffelt war.
Vor ihr stand ein junges Mädchen. Sie trug ebenfalls ein schwarzes Kleid, aber es war knapp und kurz. Ihr Faltenrock endete eine Handbreit über den Knien und das ärmellose Oberteil mit dem tiefen Ausschnitt bewies, dass sie weit älter war als die offenen, fröhlichen und kindlichen Augen vermuten ließen. Wirkte sie auf den ersten Blick wie zwölf, war sie bei einem zweiten, genaueren Blick ebenso alt wie ich. Und wenn ich in die Augen sah, tief in die Augen sah, dann war sie älter, unendlich viel älter. Ich erschauderte.
„Das Paradies?“
„Euer neues Zuhause, Aris und Laysan. Das Paradies der Daima.“ Das Mädchen deutete nach rechts. „Und das Paradies der Daina.“ Sie deutete nach links.
Das Mädchen räusperte sich und fügte hinzu: „Willkommen, ihr zwei.“
„Wo ist dieses Paradies? Und wer seid ihr zwei?“
Die große Frau sagte: „Sie ist die Herrin des Paradies, und als diese wirst du sie achten und behandeln, Arogad.“
„Nun sag doch nicht so etwas, Kiali. Lass die beiden doch erst einmal ankommen, bevor du sie im Paradies mit Regeln erschlägst“, tadelte das Mädchen. „Ich bin die Verwalterin des Paradieses. Willst du mir einen Namen geben, Akira?“
„Herrin, das ist…“
„Hast du keinen Namen?“, fragte ich ernst.
„Gib mir einen Namen. Ich werde daran erkennen, wer du bist.“
Ich überlegte. Die kurzen schwarzen Haare, das kecke Lächeln, ich hätte lügen müssen wenn ich behauptet hätte, ich hätte sie nicht von Anfang an gemocht.
„Laysan, hast du einen Vorschlag?“
„Aris.“
„Aber ich heiße doch schon Aris.“
„Können nicht viele Menschen den gleichen Namen haben?“, fragte der kleine Naguad unschuldig.
Ich dachte an meine Urgroßmutter auf Iotan, die vielleicht immer noch lebte, an meinen Großonkel aus dem Haus Taral und an meinen Naguad-Namen. Das war eine kleine Inflation, wenn ich dem Mädchen den gleichen Namen gab.
„Nein, Aris ist der Name für einen Krieger.“
„Aris“, murmelte sie. „Aris bedeutet Frieden. Ein guter Name.“
Ich runzelte die Stirn. „In meiner Heimat bedeutet er Krieg.“
„Ein Konflikt. Wie interessant. Wie wirst du mich nennen, Akira? Aris wie Krieg oder Aris wie Frieden?“
Ich dachte nach. „Dir steht Aris wie Frieden besser.“
Sie nickte erfreut. „Also Aris.“
Wer war ich schon, dass ich der Herrin des Paradieses widersprach?
„Wann lässt du mich wieder gehen?“, fragte ich geradeheraus.
„Du wirst nie wieder gehen“, sagte sie, und es klang hocherfreut. Ja, sie lächelte, nein, sie strahlte bei diesen Worten. Sie schien sich sehr über mich zu freuen.
In diesem Moment versank das Paradies vor mir.
Das Spiel begann.

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Anime Evolution: Nami

Episode fünf: Erster Traum

1.
Fünf Monate später:
Der große Vorteil terranischer Schiffe bestand darin, dass sie lediglich interplanetar agierten – sie waren nicht sprungfähig und hatten deshalb Kapazitäten für Verteidigung und Waffen übrig, die sie allen anderen Schiffen der gleichen Klasse überlegen machten.
Dies war zugleich auch der große Nachteil. Diese Schiffe waren an das System, in dem sie agierten, gebunden.
Die fehlenden Sprungantriebe bei den terranischen Schiffen hatten einige Probleme bereitet; ursprünglich hatten die Einheiten der UEMF im Kanto-System verbleiben sollen, bis Entsatz eintraf, entweder weitere UEMF-Schiffe, oder die AURORA.
Kei Takahara strich sich über den weißen Haaransatz, als er an diese Problematik zurückdachte, die keine zwei Monate nachdem Akira entführt worden war akut geworden war.
Sie hatten eine Lösung gefunden. Nun, genauer gesagt hatte er eine Lösung gefunden, die nur noch entfernt an das Docking-System mit der AURORA erinnerte.
Normalerweise nahm der riesige Träger die nicht sprungfähigen Kampfschiffe quasi huckepack und startete dann durch ein selbst erzeugtes Wurmloch.
Bei einem Giganten wie der SUNDER schied solch ein System natürlich aus. Drei Kreuzer der Bakesch-Klasse wären nötig gewesen, den Riesen Huckepack zu nehmen. Und so eine Formation war schlicht und einfach viel zu riskant.
Es war dann Kei gewesen, der schlicht und einfach darauf hingewiesen hatte, dass es dem Schiff egal war, wie ein Wurmloch erzeugt wurde – bereisen konnte es das Wurmloch trotzdem, solange das Wurmloch die Kapazität bewältigen konnte.
Die Berechnungen an sich, die Wurmlochmasse, Abwägungen von Risiko und Nutzen, mathematische Formeln, Erfahrungsabgleich und dergleichen hatte zwei Wochen gedauert. Aber letztendlich war auf Kei Takaharas Anregung und mit seiner massiven Mitarbeit ein neuer Hyperflug kreiert worden: Der Verbandssprung.
Eigentlich war die Idee simpel, die Umsetzung jedoch ein logistischer Albtraum.
Die sprungfähigen Schiffe spielten ein Vabanque-Spiel mit der Eigenmasse und den eigenen Kapazitäten und nahmen die Außenseiten ein, während die Sprungunfähigen Schiffe mitten zwischen ihnen flogen.
Es war notwendig, dass alle Schiffe das Wurmloch synchron erzeugten, alleine schon, um, wie Kei so schön bei der Präsentation gesagt hatte, wie der sprichwörtliche Korken der Sektflasche auch glatt aus dem Flaschenhals zu rutschen.
Oder anders ausgedrückt, alle Schiffe wurden eins, zumindest aus der Sicht des Wurmlochs. Es wurde erzeugt, gedehnt und nahm die Kapazität an, um die terranischen, die naguadschen und anelphschen Schiffe passieren zu lassen.
Bei einem normalen Sprung wäre es damit gut gewesen. Einmal erzeugt, erhielt sich das Wurmloch selbst und man konnte sogar nicht sprungfähige Einheiten abkoppeln und das Raumgebiet aus eigener Kraft erreichen lassen, wie das Manöver in Alpha Centauri bewiesen hatte, als die terranische Einsatzgruppe ausgerechnet auf ein naguadsches Suchschiff gestoßen war. Die TAUMARA hatte diese Begegnung nicht wirklich gut aufgenommen, aber aus dieser Erfahrung waren einige Freundschaften entstanden, die überhaupt die spätere Zusammenarbeit gegen die Streitkräfte des Cores zwischen Anelph und Naguad – und vor allem Menschen – ermöglicht hatten.
Doch dieser Fall konnte nicht auf die Situation anwenden, der Kei und seine Flotte ausgesetzt war. Damals hatten sie einen riesigen Generator an Bord der AURORA gehabt, der ein riesiges Wurmloch erzeugt hatte. Die detachierten Korvetten waren da eher eine Fingerübung gewesen und hatten das Wurmloch nicht kollabieren lassen.
In diesem Fall aber musste der Verbandsflug aufrecht erhalten werden, weil sich niemand sicher war, ob eine Veränderung der Formation oder ein Zusammenbruch der Formation der sprungfähigen Schiffe nicht automatisch auch die Zerstörung des Wurmlochs bedeutete.
Nein, eigentlich war es anders. Frustriert blies Kei die Wangen auf, als er an den wahren Grund für den strikten Formationsflug dachte, den Jarah Arogad angeordnet hatte – Kei nahm sich vor, Jarah alias Yohko ein paar Tage mit ihrem alten Tarnnamen Lilian aufzuziehen, oder noch besser, sie Lonne zu nennen, nur um seine Rache zu haben.
Niemand wollte einen Ausfall der Wurmlochstrecke riskieren, so einfach und grausam war die Wahrheit. Nicht einmal die Raumflugerfahrenen Naguad, die seit über dreitausend Jahren Wurmlöcher für den überlichtschnellen Transport erzeugten, hatte er für die Idee erwärmen können, es doch einfach mal auszuprobieren.
Was hätte schon schlimmes passieren können? Ein paar Tage maximal im galaktischen Leerraum vielleicht, bevor sie erneut springen konnten. Alleine der Versuch, ohne eine Schwerkraftsenke zu springen, hätte für die terranischen Wissenschaftler den Nobelpreis bedeutet, von denen der Anelph und der Naguad gar nicht zu sprechen.
Andererseits war das Argument auch nicht von der Hand zu weisen, dass sie nicht erneut so viel Glück haben konnten wie damals in Andea Twin, als ihnen zehn Erdmassen als purer Energieimpuls im Nacken durch ein Wurmloch gefolgt waren – mit dem Ergebnis, dass sie weiter gesprungen waren als geplant, nämlich bis ins Kanto-System, ihrem eigentlichen Ziel.
Es bestand auch die Möglichkeit, dass die gekrümmte und deformierte Raumzeit ihren alten Platz wieder einnahm und die ganze Flotte schlicht und einfach zerquetschte.
Kei hielt diese Möglichkeit für übertrieben und aufgebauscht, aber als Wissenschaftler und vor allem als Mann der Verantwortung trug konnte und durfte er sie im Sinne seiner Crew nicht ignorieren.

Nun, dies würde vorerst das letzte Mal sein, dass sie im Verband sprangen. Kei hatte nach dem triangieren im Alpha Centauri-System bereits per Hyperfunk Pläne an die Erde übermittelt, die Schiffe mit Hilfe von externen Generatoren sprungfähig zu machen. Das System würde verletzlich sein, sicherlich, aber alles was die Schirme durchschlagen konnte, um die nachgerüsteten Generatoren zu treffen würde auch das Schiff selbst treffen, und das Ergebnis würde sich nicht großartig unterscheiden.
Die Trianguation in Alpha Centauri hatte sie viel Zeit gekostet. Aber es hatte ihnen auch genügend Zeit gebracht. Für ihn genügend Zeit, um die Slayer einzupacken, Kenji, Ban Shee, Jora, Michi und Takashi, um mit ihnen auf die KON zu wechseln und ein paar Tage dort zu bleiben. Die anderen hatten mindestens ebenso sehr Trost nötig wie er selbst, gestand sich Kei ein. Es hatte auch ihm gut getan, dass Megumi ihn umarmt hatte, als sie vor dem leblosen Leib im Biotank gestanden hatten.
Teufel, warum mussten die Biotanks nur einem Sarg so ähnlich sehen?
Am Ende der Trianguation hatte er wieder auf sein eigenes Schiff gemusst, denn niemand hatte die Chuzpe, herauszufinden, ob während des Verbandssprung ein Wechsel von Schiff zu Schiff möglich war.
Nachdem sie den günstigsten Punkt der Schwerkraftsenke für den Sprung ins Sol-System erreicht hatten, die von Alpha Centauri und den Planeten der Doppelsonne gebildet wurden, hatte eine Abordnung der Zweiten Flotte von Admiral Bhansali sie in Empfang genommen und den Absprung gedeckt. Im Gegensatz zu ihren bisherigen Sprüngen und den Märschen durch unerforschte oder unerschlossene Sonnensysteme reinster Luxus.
Trianguation und in einigen bequemen Fällen Quadruation waren leider dringend notwendig, obwohl Kei bereits in Gedanken an einem Prinzip arbeitete, von jedem Punkt eines Systems in ein anderes zu springen.
Bisher aber sah es eher so aus, dass man am besten von einem System ins andere sprang, wenn man einen Punkt erreicht hatte, der dem Zielsystem am nächsten war.
Anders ausgedrückt, in kleinen Sonnensystemen gab es in einem imaginären Kreis drei Punkte, von denen man erfolgreich in potentielle Nachbarsysteme springen konnte, die ein Dreieck bildeten; zwischen diesen Punkten zu reisen wurde Trianguation genannt.
In großen Systemen gab es vier Punkte, die Reise zum direkt gegenüberliegenden Sprungpunkt war zeitaufwändig und fraß eine Menge Vielfliegermeilen. In den meisten Systemen reichte schon eine Trianguation, und Kei war dankbar dafür.
Das Problem bei der ganzen Geschichte war die Raumzeitkrümmung. Die Sonne eines Systems bildete, bildlich gesprochen in der Decke der Realität eine Mulde, eine Delle. Und der Rand dieser Delle war deformiert, weil er einerseits die normale Raumzeit bilden musste und andererseits dem Verlauf der Delle zu folgen begann. An dieser Stelle wurde die Raumzeit… Dehnfähig. Von einem solchen Punkt konnte man sehr leicht ein Wurmloch konstruieren, oder anders ausgedrückt, man testete die Dehnfähigkeit so weit, dass man mit einer anderen Delle, sprich dem überdehnten Rand einer anderen Raumzeitsenke – in diesem Fall der heimatlichen Sonne – Kontakt bekam und einen Tunnel erschuf.
Virtuell gesprochen rückten beide Systeme nun aneinander, aber das war natürlich Quatsch. Dennoch erfolgte die Reise durch eine solche Raumzeitkrümmung, dem berühmten Wurmloch wesentlich schneller als wenn sie zu Fuß gegangen wären, quasi.
Kei hielt nichts davon, daran zu glauben, dass zwei riesige Sonnensysteme wegen ihren popeligen Sprungantrieben zueinander rückten und sie deswegen ihre Reisen verkürzen konnten. Das war Unsinn, sonst hätte man auch nicht die Schwerkraftsenken der Erde nutzen können, um eine Direktkommunikation mit Naguad Prime, Central, zu erschaffen.
Er war diesem Problem auf der Spur, das fühlte er. Richtig auf der Spur, und bald würde er es fassen, am Schwanz packen und im Griff behalten, bis es ihm alle seine Geheimnisse offenbart hatte. Ja, so würde es sein. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran.
Und dann geschah alles viel zu schnell.

Der Alarm gellte auf und innerlich erschauderte Kei. Er sah dabei zu, wie im großen Hologramm die Positionen der anderen Schiffe eingezeichnet wurden, sah wie sie minimal auseinander drifteten. Zuhause. Sie waren wieder Zuhause.
Der Sprungalarm wurde eingestellt, und Ban Shee Ryon aktivierte ihr KommSet. „Operative, hier Operative. Meldung an die gesamte Flotte: Sprung ist gelungen. Ich wiederhole: Sprung ist gelungen.“
Kei winkte Ban Shee kurz zu sich heran, wechselte ein paar leise Worte mit ihr, was auf ihre Züge ein Grinsen zauberte. „Nachricht vom Flottenchef. Konteradmiral Takahara an alle Schiffe: Verbandsflug kann jetzt aufgelöst werden.“
In der Zentrale der SUNDER wurde gelacht. Sie alle waren am Streit zwischen ihren Flottenbefehlshaber, namentlich Konteradmiral Kei Takahara, und den anderen Kommandeuren, unter ihnen Admiral Acati – der die Flotte nicht kommandiert hatte, da die Leitung dem Haus Arogad gebührte und Kei nach dem Recht der Naguad Hausoffizier war – beteiligt gewesen, hatten einen Fensterplatz gehabt. Und es amüsierte sie, dass ihr Chef zum Abschluss einen süffisanten Kommentar verfasst hatte.
Den Kurzen warf so schnell nichts aus der Bahn, das hatten die meisten Mitglieder der Crew bereits an Bord der GRAF SPEE festgestellt, damals im Marsorbit, beim zweiten Angriff auf Martian City. Die meisten waren Kei zu diesem Kommando gefolgt, und darauf war der junge Mann sehr stolz.
Ban Shee lächelte, als ihr KommSet zum Leben erwachte. „Admiral. Alle Schiffe haben bestätigt.“ Oder anders ausgedrückt, sie hatten den Tadel gefressen.
Kei grinste matt. „Meldung an UEMF absetzen. Melden Sie alle Schiffe der Flotte an, IO. Und fragen Sie nach aktuellen Befehlen. Wenn unsere alten Befehle bestätigt werden, nehmen wir sofort Kurs auf die Erde; die Schiffe, die unter Admiral Acati das Regionalflottenkommando auf dem Mars bilden sollen, brechen sofort auf. Ihr Weg ist etwas weiter als unser, und der Kurs weicht auch stark ab.“
„Aye, Skipper.“ Wieder hörte sie ihrem KommSet zu. „Meldung von Executive Commander Eikichi Otomo: Willkommen Zuhause.“
Für einen Moment stockte Kei die Stimme. „Wir sind wieder daheim“, hauchte er stockend.
***
Der Programmchef war geschockt. Der Moderator war geschockt. Der Regisseur war geschockt. Die Studiogäste waren geteilter Meinung. Wer geschockt sein wollte, tat das, und zwar mit Hingabe. Der Rest kicherte in sich hinein.
Wie hatte das passieren können? Wie hatte eine ganze Sendung mit einer Einschaltquote von zwei Milliarden Menschen weltweit, von Japan über Europa bis L.A nur solch ein Fiasko werden können?
Wie hatte Admiral Richards ihnen das antun können? Es waren noch fünfzehn Minuten Sendezeit, und im Moment fuhr der Sender den größten Werbeblock seiner Existenz.
Der Moderator indes starrte noch immer auf den leeren Sessel, in dem vor wenigen Minuten noch der Admiral gesessen hatte, ein verdienter Navy-Offizier und Flottenkommandeur.
Sicher, es war zu erwarten gewesen, dass der mittlerweile in der UEMF dienende Admiral eine harte Nuss sein würde, aber letztendlich war er doch Amerikaner und der Verfassung, der Nation und den Einschaltquoten verpflichtet, und nicht einem Japaner, der behauptete, die Welt würde ihm gehören.
Nun, in dem Punkt hatte sich der Moderator tüchtig geirrt.
Nicht nur, dass Admiral Richards ihm gehörig den Kopf gewaschen hatte, er hatte ihn sitzen gelassen, deklassiert und gedemütigt. Und mit ihm den ganzen Sender.
Eine Etage höher, genauer gesagt in der Regiebox saß ein Mann mit zwanzig Jahren Erfahrung in diesem Beruf. Er gehörte zu den Besten. Und er war Patriot. Das Drehbuch für den Abend war einfach gewesen und ein Medienerfahrener Mann wie Admiral Dean Richards hätte eigentlich auf die richtigen Fragen die richtigen Antworten geben müssen. Eigentlich.
Zwei Etagen höher erwachte der Besitzer aus seiner Starre und begann zu lachen.
„Geben Sie mir die MAZ“, befahl er leise.
Sein Sekretär gehorchte und spulte an den Anfang der Aufzeichnung der eigentlichen Sendung. Lange Jahre unter diesem Mann verrieten ihm welche Szene er sehen wollte.
Er spulte ein Stück vor, übersprang die Vorstellung, die Begrüßung und hielt beim ersten Frageblock
„Kommen wir zum Japan-Chauvinismus von Executive Commander Eikichi Otomo“, sagte Ronald Summers, der wichtigste Nachrichtensprecher, Anchorman, des Senders. „Wie stehen Sie als verdienter Admiral zu Wasser und im Weltall dazu?“
Richards runzelte die Stirn. „Japan-Chauvinismus? Wie kommen Sie auf diese dumme Idee?“
Für einen Moment schien Summers sprachlos zu sein, was bei dem Medienerfahrenen Reporter ein mittleres Wunder war. „Sehen wir uns doch einfach mal die Führungsebene der Expedition der AURORA an. Wenn wir genau hinsehen, dann sind die wichtigsten Posten mit Japanern belegt, ja, um es genau zu sagen, mit persönlichen Freunden von Akira Otomo.
Die AURORA wird von Tetsu Genda kommandiert, ein persönlicher Freund Otomos. Die SUNDER untersteht Kei Takahara, einem persönlichen Freund Otomos. Die Gesamtleitung der Expedition hat Sakura Ino inne, eine direkte Cousine Otomos.
Dann die Hekatoncheiren, die als absolute Elite der Menschheit gelten. Kommandeur ist Akira Otomo selbst, das Briareos-Regiment wird von Megumi Uno geleitet, seiner Freundin.
Gyes untersteht seiner Schwester Yohko und Kottos wird von Daisuke Honda geleitet, einem engen Freund Otomos. Dazu kommen diverse Bataillons-Kommandeure, die ebenfalls zu seinen direkten Freunden gezählt werden: Takashi Mizuhara, Kenji Hazegawa und Doitsu Ataka.“
„Junger Mann“, sagte der Admiral streng, „was wollen Sie mir damit sagen?“
Unter dem zwingenden Blick des hohen Offiziers wich der Anchorman eine Handbreit zurück und stieß gegen die Rückenlehne seines Sessels. „Nun, im Angesicht dieser Beweislast ist es doch offensichtlich, dass Eikichi Otomo Japaner über Gebühr bevorzugt und…“
„Wären Sie in meiner Einheit, würde ich Sie jetzt vor ein Kriegsgericht stellen und wegen Hochverrats und Insubordination anklagen.“
Der Nachrichtenmann wurde bleich, selbst sein kräftiges Make-Up konnte das nicht verbergen. „Was?“
„Und ich wäre bei der standrechtlichen Erschießung selbst in der Schützenreihe, das sage ich Ihnen.“
Summers fühlte, wie ihm der Schweiß herab lief. Dies war eine erstklassige Gelegenheit für den Admiral, die Japan-Schranke innerhalb des Offiziers-Korps der UEMF zu durchbrechen, die Japan-Schicht mit Hilfe von öffentlichem Druck abzubauen und Offiziere anderer Nationen – vornehmlich natürlich amerikanische – nachzuholen. Und der Mann griff nicht danach?
„Wie können Sie es wagen, Akira Otomo anzugreifen? Wie können Sie es wagen, Eikichi Otomo anzugreifen?
Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, aus der Zeit als ich noch meinen Träger kommandiert habe, keine Flotte, weder Wassergebunden noch im Weltall. Ich will Ihnen erzählen, wie sich unsere Jungs und Mädels im Luftkampf gegen die kronosischen Daishi Alpha und Beta geschlagen haben, mit dem Mut der Löwen, aber immer weiter zurückgedrängt wurden.
Ein japanischer Junge, gerade einmal dreizehn Jahre alt geworden, war damals der einzige Mensch, der einen erbeuteten Daishi Beta benutzen konnte. Dieser Junge zögerte nicht eine Sekunde, stieg in den legendären Blue Lightning, opferte seine Kindheit und Jugend und kämpfte an jedem Ort der Welt, den er erreichen konnte, gegen die kronosischen Mechas und ihre Schiffe.
Er drängte sie als erstes zurück. Er war es, der unseren Piloten die Chance gab, zurück zu schlagen. Und nur wegen ihm konnten wir weitere Piloten finden, die in der Lage waren, die neuen Hawks zu steuern.
Eikichi Otomo opferte damals seinen Sohn. Für das Wohl der ganzen Menschheit setzte er sein Kind tödlicher Gefahr aus. Sicher, er wurde von den besten der Besten ausgebildet, Commander Jeremy Thomas war nur einer derjenigen, die aus dem Jungen Akira Otomo den tödlichen Piloten Blue Lightning machten. Aber dennoch, er war nur ein Kind. Eikichi ließ sich diese Rettung teuer bezahlen, ließ OLYMP und Titanen-Station finanzieren, etablierte den Bau eigener Fregatten und Zerstörer und startete den Abbau von Rohstoffen auf dem Mond in den drei Kolonien Aldrin, Armstrong und Collins, die mittlerweile zu Großstädten herangewachsen sind. Sein Vertrauen in seinen Sohn, zu überleben, war endlos. Aber ebenso auch seine Angst um ihn. Vor allem, nachdem sein Neffe Makoto Ino als Zeus, die Tochter von engen Freunden der Familie, Megumi Uno und seine einzige Tochter, Yohko Otomo ebenfalls auszogen, in Hawks stiegen und um das Schicksal dieser Welt kämpften.
Ihnen und nur ihnen ist es zu verdanken, dass diese Welt nun keine kronosische Kolonie ist. Nur ihnen ist es zu verdanken, dass wir uns wehren konnten, unsere eigenen Mechas bauen konnten. Nur sie waren es.
Und dann wagen Sie es, einen Eikichi Otomo, der das Wichtigste in seinem Leben geopfert hat, einen Akira Otomo, der seine Schwester auf dem Mars glaubte sterben zu sehen, anzugreifen und als was auch immer abzustempeln?
Damals, als das Legat OLYMP ausschaltete und niemand wusste, wann und wo sie diese furchtbare Waffe, den Resonanztorpedo, erneut einsetzen würden, da waren es Akira Otomos Freunde und Schulkameraden, die als Erste kamen, um sich freiwillig zu melden. Die jene Streitmacht bildeten, die letztendlich auf den Mars flog, das Legat zerschlug und den Kronosiern und menschlichen Kolonisten Gelegenheit gab, sich in unsere Gemeinschaft einzufügen.
Diese Männer und Frauen waren damals auch noch halbe Kinder. Aber sie wollten die Erde verteidigen, sie wollten ihre Familien verteidigen. Und sie haben auch die Pressefreiheit verteidigt. Es ist kein Wunder, dass die besten von ihnen, so sie beim Militär geblieben sind, Karriere gemacht haben. Es ist vielleicht erstaunlich, dass die Fähigsten und Begabtesten unter Akira Otomos Freunden zu finden sind, aber dafür sollten wir dankbar sein und ihnen nach bestem Wissen und Gewissen helfen, anstatt ihnen haltlose Vorwürfe zu machen. Letztendlich machen sie nur ein Prozent der Besatzungsmitglieder aus und etwa drei Prozent der Offiziere.“

Die Gesichtsfarbe des Anchormans erholte sich wieder. Er legte ein falsches Lächeln auf und übersprang seinen Fragekatalog bis zum nächsten Themenblock. „Admiral, um auf Akira Otomo direkt sprechen zu kommen, oder besser gesagt auf Aris Arogad. Wie stehen Sie zu…“
Der Amerikaner erhob sich und starrte wütend auf den Nachrichtenmann herab. „Mr. Summers. Wäre meine Waffe geladen, hätte ich jetzt sehr gute Lust, sie zu entsichern und auf Sie zu richten. Haben Sie nicht schon genug Schaden angerichtet? Akira Otomo hat im besten aller Schachzüge Erde und Mars gerettet und sie ins Imperium der Naguad integriert und uns dabei volle Souveränität verschafft. Im Zeitalter der Bedrohung durch den Core ist das eine Meisterleistung! Was wollen Sie ihm noch vorwerfen? Dass er in seinem Job gut ist? Ach, was rede ich mit diesem Idioten überhaupt?“ Wütend machte der Admiral eine wegwerfende Handbewegung, schnaufte laut und wandte sich ab. Hinter ihm blieb Summers zurück, dem langsam die Kinnlade herabsackte.
Der Regisseur grinste schief. Nett. Das war richtig nett. Und er sah Ronald Summers endlich einmal so, wie er es wollte: Erstickt in seiner eigenen Arroganz.
„Anruf von der Direktion. Wir sollen das Band vernichten“, meldete einer seiner Assistenten.
Der Regisseur tippte auf dem Schaltpult herum. Schließlich drückte er ein paar Knöpfe. Damit unterbrach er das reguläre Programm und schickte die Magnetbandaufzeichnung auf den Weg. „In Ordnung“, erwiderte er und tat als würde er weitere Knöpfe drücken, während das Interview landesweit ausgestrahlt wurde, „ich arbeite dran.“
Seinen Job würde er wohl vergessen können, aber wenigstens konnte er so seinen Teil dazu beitragen, die Erde zu retten.
Der Besitzer des Senders bemerkte die Ausstrahlung. Seine Hand ruhte auf einem großen roten Knopf. Nachdenklich runzelte er die Stirn. „Ach, was soll´s.“

2.
Ich erwachte. Eigentlich war das ein alltäglicher Vorgang, aber er erstaunte mich jedes Mal aufs Neue. Warum? Nun, eigentlich hätte ich vor dreißig Jahren den Tod finden müssen.
Aber ich lebte noch, und das war ein Wunder. Wunder genug, um jeden neuen Tag als ein göttliches Geschenk zu empfinden, egal wie dieser Tag ausfiel.
Wie immer war der Wechsel zwischen Schlaf und Wach abrupt erfolgt. Und beinahe sofort war ich klar. Langsam richtete ich mich auf der Tatami aus hartem Schilfrohr auf und schob die dünne Decke beiseite. Dann erhob ich mich und trat auf den harten Holzfußboden. Wie immer bei dieser Bewegung nahm ich Großmutters Schwert in die linke Hand und hielt es so, dass die Klinge jederzeit in meine rechte Hand springen konnte.
Es war noch dunkel, aber das störte mich nicht. Mein Gefühl sagte mir, dass es fast fünf Uhr war, die Sonne würde noch eine gute Stunde brauchen. Ich hatte drei Stunden guten Schlaf gehabt, und mehr war für mich nicht nötig.
Ich ließ meinen Blick über die kleine hölzerne Kammer schweifen, die mich aufgenommen hatte. Die mir gehörte zu sagen wäre ein schrecklicher Affront gewesen, denn ein Mensch sollte in seinem Leben nur fünf weltliche Dinge besitzen.
Das erste was ich besaß war das alte Katana, welches die Mutter meines Vaters benutzt hatte, und vor ihr der Großvater, bis hinunter zu den Zeiten eines Shogun Iiesarus. Es war eine gute Klinge, die nur wenig Pflege brauchte, um scharf zu bleiben.
Das zweite war der Yukata, den ich mir umwarf. Ein schlichter, weißer Yukata, der nicht ganz ohne Absicht an jene Gewänder erinnerte, die Samurai zu tragen pflegten, wenn sie Seppuku begangen hatten, damals in den alten Zeiten.
Das dritte war ein Paar Geta, traditionelle japanische Sandalen. Eigentlich ein Accessoire für einen Kimono, aber einen solchen zu tragen erschien mir zu protzig. Außerdem war es der Würde dieses Ortes nicht angemessen.
Das vierte was ich besaßwar mein Leben. Es war mir geschenkt worden, in dieser unvorteilhaften ewigen Nacht, und ich sank jeden Tag für ein paar Stunden auf meine Knie, um dafür zu beten, dass ich diesem Opfer gerecht wurde, jeden einzelnen Tag.
Das fünfte was ich besaß war das einzige, was diesen heiligen Ort verunreinigte. Und es war nicht zu übersehen. Prime Lightning, der uralte, aber immer noch kampftüchtige Daishi Beta, stand vor den ehrwürdigen Mauern und wartete. Wartete seit fünfundzwanzig Jahren…
Mit einem Gefühl aus Erleichterung und Verlust verließ ich meine kleine Kammer. Ich hatte diesen Teil meines Lebens nur geschenkt bekommen, und jederzeit, jederzeit konnte es den Göttern einfallen, dieses Geschenk zurück zu ziehen und mir dieses Leben wieder zu nehmen.
Leben war kostbar, das wusste ich, aber ich spürte auch die Last, die damit verbunden war. Ich musste noch leben, und das war schwer, das war so ungeheuer schwer.
Draußen auf dem Gang kamen gerade ein paar Novizen vorbei. Ihre Gesichter waren jung und ihre Häupter kahl geschoren. Sie legten die Hände aufeinander, als sie mich passierten und verneigten sich ehrfürchtig.
Im Gegensatz zu ihnen ballte ich die Rechte zur Faust, hielt sie auf Brusthöhe und legte die Linke darum. Dazu nickte ich knapp.
Sie waren Männer des Friedens, des Wissens und der Religion.
Ich war nur ein gefährlicher Hund, der gerade an einer sehr kurzen Leine gehalten wurde.
In der Haupthalle hatten sich bereits die älteren Mönche versammelt. Unter der Anleitung des Abtes beteten sie vor der vergoldeten Buddha-Statue, die den Saal dominierte. Respektvoll wartete ich am Rand im Schatten einer Säule, bis sich die Augen des alten Abts auf mich richteten und er mir erlaubte, mich zu den Betenden zu setzen.
Doch heute war alles anders.
Ich musste lange warten. Die buddhistischen Mönche vollführten ihre Gebete ohne mich und ohne, dass ich mich zu ihnen setzen durfte. Danach aber zerstreuten sie sich. Es wurde Zeit für das Frühstück und danach für das T´ai Chi Chuan, die Kunst, selbst im hohen Alter gelenkig wie ein Kind zu sein. Ich verfolgte diesen Sport seit fünfundzwanzig Jahren, und ihm verdankte ich es, dass ich selbst im Alter von einundfünfzig Jahren noch genauso schnell und beweglich war wie mit einundzwanzig.
Der Abt winkte mich heran. Ehrfürchtig trat ich vor ihn und verbeugte mich.
„Akira“, begann er und ich sah verwundert auf. An diesem Ort wurde nur selten gesprochen, und wenn jemand die Stimme erhob, dann hatte er etwas Wichtiges zu sagen.
„Akira Otomo. Du wirst heute dieses Kloster verlassen.“
Erstaunt und überrascht sah ich den Abt an. Was hatte das zu bedeuten?
Der Abt erhob sich, mit einer Leichtigkeit, die seinem offensichtlichen Alter Lügen strafte. Er machte eine einladende Handbewegung, und wir verließen die Halle in Richtung Garten.

Zwischen Akazien, Chrysanthemen und Rosen – ein Steckenpferd des Hausherrn – gingen wir auf knirschenden Kieswegen. Das heißt, unter dem Schritt meiner Getas knirschten die Kiesel. Wenn der Abt sich bewegte, hörte ich nicht das leiseste Geräusch. Der Mann schien absolut kein Gewicht zu haben.
„Du kamst zu uns, vor fünfundzwanzig Jahren. Wir haben dich ohne eine Frage zu stellen aufgenommen. Und du hast in dieser Zeit in Demut und ohne zu zögern jede Aufgabe erfüllt, die man dir auftrug. Du hast deine Weisheit mit den Novizen geteilt und du hast geschwiegen, wenn es nötig war. Deine Gebete sind rein und klar wie Bergwasser, und dich mit solcher Bescheidenheit leben zu sehen macht mich stolz.“
Während wir dahin schritten, verneigte ich mich vor dem alten Mann.
„Aber du hast nie das gefunden, was du hier gesucht hast, nicht?“
Ich schüttelte den Kopf. Nicht traurig, nicht verzweifelt. Es war nur der Ausdruck des Körpers über das, was das Gehirn schon lange wusste.
„Und du weißt, dass du das, was du suchst, hier niemals finden wirst.“
Der alte Mann sah mich an. „Du weißt, wir schirmen dich hier, so gut wie wir es können. Wir haben dich aufgenommen, und wir sind für dich verantwortlich. Unsere Welt ist von dem, was die Menschen außerhalb des Klosters leben, vollkommen verschieden, und wir wollen an dieser Welt keinen Anteil haben.
Aber es ist ein Grundsatz des Buddhismus, Barmherzig zu sein und zu tun, was getan werden muss. Deshalb habe ich gestern einen Brief angenommen, der an dich adressiert war. Und deshalb wirst du diesen Ort heute noch verlassen.“
„Was steht in dem Brief?“, fragte ich und meine Linke schloss sich härter um mein Schwert.
„Was denn, was denn? Denkst du, ich lese deine Post?“, erwiderte der alte Abt und lachte freundlich. Er griff in seine safrangelbe Kutte und reichte mir den Brief. Ich erkannte die Situation sofort. Der UEMF-Stempel sagte alles.
Ich öffnete den Brief und las aufmerksam und mit einem gewissen Unbehagen. „Ein Marschbefehl“, brummte ich unwillig. Aber ich wusste, ich konnte mich diesem Befehl nicht entziehen. Nicht, wenn ich meine Integrität und meine Ehre auch noch aufgab. Und dabei hatte ich doch schon meinen Stolz und meine Liebe geopfert.
„Du bist hier jederzeit wieder willkommen, Akira“, sagte der alte Mann.
Ich blickte vom Brief auf, aber der Abt war nicht mehr da. Und erstaunt stellte ich fest, dass ich nicht im Sonnenlicht des Morgens stand, unter dem ich mit dem Abt im Garten spazieren gegangen war, sondern im prallen Licht des Mittags.
Langsam faltete ich den Brief wieder zusammen und steckte ihn in meinen Yukata.
Fünfundzwanzig Jahre hatte ich in Ruhe gelebt, aber nun holte die Welt mich wieder ein.

Das wenige was ich besaß trug ich am Leib. Ich brauchte nicht in die Kammer zurückkehren, die schon bald einen anderen beherbergen würde. Es kümmerte mich nicht. In diesem Leben hatte ich nichts besessen und ich konnte nichts zurücklassen.
Auf meinem Weg vor das Kloster begegnete ich Dutzenden Menschen, Priestern und Novizen und vielen höhergestellten Mönchen, von denen ich viele seit Jahren kannte.
Wir tauschten höfliche Grüße aus und gingen unserer Wege. Und ich verstand, dass diese zufälligen Begegnungen in Wirklichkeit ihre Art war, mir Lebewohl zu sagen.
Es rührte mich. Und ich wusste nicht zu sagen, ob ich jemals an diesen Ort wiederkehren würde. Wenn ich Glück hatte, würde sich das eisige All über mir schließen und mich verschlingen.
Vor Prime Lightning blieb ich stehen und sah den riesigen Daishi hinauf. Er stand noch immer so da, wie ich ihn vor fünfundzwanzig Jahren, sieben Tagen, fünf Stunden und drei Minuten abgestellt hatte. Lediglich das Cockpit war geschlossen worden, um es dem Wetter schwerer zu machen, Korrosionen anzurichten.
„Aktivierung“, befahl ich mit ruhiger Stimme.
Der Sensorkopf aktivierte sich, die blutroten Augen blitzten auf wie die einer zornigen Gottheit, welche zum Leben erwacht war. Das Cockpit öffnete sich zischend vor mir. Und Primes Stimme klang zu mir herab: „Guten Morgen, Admiral Otomo. Wir werden erwartet.“
Ich erklomm die Strickleiter, schloss das Cockpit wieder und begann, den blauen Druckanzug anzuziehen, der für mich bereit lag. Danach legte ich die Anschlüsse, setzte den Helm auf und schloss auch ihn an. Diverse Grünzeichen bewiesen mir, dass ich nichts verlernt hatte.
„Wo soll es hingehen, Prime?“
„Chief Admiral of the Fleets, Torum Acati erwartet Sie auf dem OLYMP, Sir.“
„Na, dann wollen wir ihn nicht unnötig warten lassen. Startfreigabe von der Großasiatischen Union?“
„Es wird keine Behinderung im Luftraum gemeldet. Admiral Otomo hat höchste Priorität.“
Ich lächelte schwach. Anscheinend hatte selbst ein Vierteljahrhundert in meiner Isolation in einem buddhistischen Tempel in Zentralchina nicht ausgereicht, um die Welt mich vergessen zu lassen. Ich richtete Prime auf und stapfte ein wenig den Hang hinab, bis ich das unter uns liegende Tal in seiner ganzen Pracht sehen konnte.
Immer wenn ich geglaubt hatte, wahnsinnig werden zu müssen, immer wenn ich am Leben zu verzweifeln drohte, dann hatte ich mir dieses Tal angesehen und gewusst, dass wahre Schönheit jedes Opfer wert war. Wenn auch nur für ein paar Sekunden.
Der Trost war nie von langer Dauer, aber es gab ihn, und das beruhigte mich.
Ich trat die Pedale der Sprungdüsen voll durch, Prime machte einen mächtigen Satz und raste in den strahlendblauen Frühlingshimmel.
Die Ortung meldete diverse Passagiermaschinen in der Luft, aber alle waren weit entfernt. Drei von ihnen entfernten sich sogar in gerader Linie von meinem Kurs. Teufel, hatten die Chinesen sie aus dem Kurs gezwungen?
„Ortung. Hawkeye, zwanzig Stück. Transpondersignal identifiziert sie als Rote Drachen-Schwadron, Formation rautenförmig gestaffelt. Fliegen parallel zu unserem Kurs.“
Die Roten Drachen waren ein Elite-Geschwader der Landesverteidigung. Neben dem Einsatz der Hawk-Technologie setzten die Groß-Asiaten und unter ihnen natürlich der stärkste Partner, die Chinesen, auch auf die Hawkeye-Modelle, Atmosphäregebundene Jäger, die speziell für den Kampf mit Mechas entwickelt worden waren. Sie waren um einiges schneller als Mechas und konnten über eine größere Entfernung treffen. All das machte ihre mangelnde Manövrierfähigkeit gegenüber einem Daishi wieder wett. Und zu einem ernsten Feind für jedermann.
„Die Roten Drachen funken uns an. Sie fordern uns zum Formationsflug auf.“
Ich lachte. Nein, ich war nicht vergessen worden, definitiv nicht vergessen. „Die Roten Drachen erhalten die Erlaubnis, sich um Prime Lightning zu gruppieren.“
„Bestätigt.“
In Zweierpaaren schwenkten die Hawkeyes aus ihrem Kurs und zogen in meine Richtung herüber. Das ganze Manöver dauerte fünf Minuten, dann war ich die Spitze eines Keils.
Ich, an der Spitze einer Ehrenformation aus zwanzig Maschinen, das war ein erhebendes Gefühl. Wenngleich nur für einen Moment.

Der Flug zur Titanen-Station dauerte mehrere Stunden. Etwas ärgerte ich mich darüber, dass ich OLYMP nicht direkt anfliegen konnte, aber niemandem war es heutzutage erlaubt, die Erde auf einem anderen Weg zu verlassen als über die drei Plattformsysteme Titanen-Station/OLYMP über dem Westpazifik, APOLLO/ARTEMIS über dem Nordatlantik und YOHKO/MEGUMI im Südindischen Ozean. Starts und Landungen von Schiffen waren äußerst selten, aber sie waren auch unnötig geworden.
Dies bedeutete für mich, ein wenig Schlaf zu finden. Ich brach aus der Routine des Klosters aus, schaltete sofort wieder auf Soldat um, und die erste Regel für Soldaten war: Du weißt nicht was dich erwartet, also schlaf wann immer du kannst.
Der geregelte Rhythmus des Lebens in dem buddhistischen Kloster würde für mich schon bald wie ein Traum sein. Ob gut oder schlecht, vergessen würde ich nicht. Aber ich würde auch nie wieder zurückkehren.
Andererseits… Schlafen, ohne vollkommen erschöpft zu sein, ohne traumlos und tief zu schlafen, ich fürchtete es. Meine Last, meine Träume waren furchtbar und mein Herz zerbarst fast unter der Erinnerung.
Ich wälzte mich auf die Seite und döste ein wenig. Dabei spekulierte ich über den Auftrag, den mir Acati wohl geben würde. Hatten sich die Reste der Core-Zivilisation zusammengeschlossen? Gab es erneut Konflikte mit dem Kaiserreich? Oder war eine Intervention auf Naguad Central notwendig? Daneben gab es noch Dutzende Welten, kleinere Reiche und auch Planeten mit mehreren Nationen, wie die Erde noch immer bewies, die im Konzert der galaktischen Völker oftmals laut und falsch spielten – und dann bedurfte es eines hervorragenden Dirigenten, um das Musikstück nicht ins Chaos stürzen zu lassen.
Wenn Torum Acati mich von meinem Berg zurückrief, dann musste es etwas Wichtiges sein.

Über diese Gedanken war ich eingeschlafen. Als ich wieder erwachte, tat ich es mit Entsetzen. Zu deutlich spürte ich den eisigen Biss des Vakuums auf meinen Armen, fühlte wie mein Blut im Unterdruck des Alls zu kochen begann und glaubte noch immer die riesige Felswand vor mir zu sehen, auf die ich zu fiel. Nein, ich wusste es besser. Ich strebte von ihr fort, weit, weit fort, zu einem Tod im Weltall. Und ich hatte nicht gewusst, was mich zuerst töten würde. Ersticken oder erfrieren.
Wütend hielt ich mir den Kopf. Ich würde mir sehr bald eine neue Routine zulegen müssen, die es mir erlaubte, weiterhin traumlos zu schlafen. Sonst würden meine Träume, meine realen Träume, mich nach und nach in den Wahnsinn jagen. Megumi… Sakura… Yohko…
Oh, es tat immer noch so weh, so unendlich weh.
„Titanen-Station, hier Titanen-Station. Rote Drachen, wir danken Ihnen für die Ehreneskorte für Admiral Otomo. Wir bitten um die Erlaubnis, die Eskorte mit zwei Regimentern der Titanen zu verstärken.“
„Erlaubnis erteilt, Titanen-Station.“
Verwundert sah ich auf, checkte meine Bildschirme. Titanen-Station war noch hundert Kilometer entfernt. Aber zweihundertvierzig Punkte in meiner Ortung waren extrem nahe. Kurz darauf umschwirrten mich zu den zwanzig chinesischen Jagdfliegern terranische Hawks, Eagles und Sparrows. Ja, man hatte mich definitiv nicht vergessen.

„Ich danke Ihnen für die Eskorte, Ladies und Gentlemen. Eine nette Geste einem alten Soldaten gegenüber.“
„Jederzeit wieder, Sir“, klang die Stimme des chinesischen Staffelführers auf. „Die Roten Drachen verabschieden sich, Sir.“
Die zwanzig Maschinen schwenkten ab, als die Titanen-Station nur noch einen Kilometer entfernt war. Ich sah ihnen einen Moment nach.
„Titanen-Station. Hier spricht Admiral Akira Otomo. Ich bitte um Landeerlaubnis und Transfer auf den OLYMP.“
„Titanen-Station, hier Titanen-Station. Landeerlaubnis erteilt, Transfererlaubnis erteilt. Prime Lightning erhält Prioritätsanflugvektor. Kommen Sie rein wie immer Sie wollen, Admiral“, klang die Stimme des Funkers hocherfreut auf.
„Ich nehme Sie beim Wort“, verkündete ich nicht ohne Freude. Es war nett, mal wieder einen Ort zu besuchen, den ich als meinen eigenen Hinterhof betrachtete.
Der Anflug selbst war eine Routineübung für mich. Ich setzte Prime problemlos im Hangar auf und wurde sofort von einem Mann in grüner Weste mit Leuchtstäben zum nächsten Fahrstuhl eingewiesen.
Nun, ich hatte nicht gerade Jubel erwartet, Standing Ovations und dergleichen, aber der Anblick von ein paar tausend Soldaten und Technikern, die in meine Richtung salutierten, war doch sehr erhebend.
Die Fahrt im Fahrstuhl hingegen war geradezu langweilig. Unspektakulär. Fast ein wenig wie die Zeit im Kloster.
Und dann… Dann rastete die Kabine ein und ich war im OLYMP… Ich schloss einen Moment die Augen und kämpfte mit meiner Erinnerung. Vater würde mich hier nicht erwarten. Makoto würde nicht in seiner schneidigen Uniform auf der anderen Seite der Türen stehen, um mich zu eskortieren. Und Yoshi…
Ich drängte die Gedanken gewaltsam zur Seite. So etwas brachte nichts. Nicht, wenn Acati mich rief, denn das bedeutete, dass er mich brauchte, verdammt. Und dafür hatte ich klar zu sein.
Als sich die Tür öffnete, erwartete mich dennoch eine Überraschung. Der junge Major mit den Hekatoncheiren-Abzeichen war Daisuke Honda so ähnlich, dass es mir fast in den Augen schmerzte, ihn ansehen zu müssen. Nur die Augen und die Nase konnte ich eindeutig Sarah zuordnen. Das musste Jerome sein.
Der Mann salutierte und trat dann zur Seite, damit mich der Techniker mit den Leuchtstäben einweisen konnte.
In einer Haltebucht stellte ich den Mecha ab und verließ das Cockpit.
Major Honda salutierte vorschriftsmäßig vor mir. „Sir, Major Jerome Honda. Sie sind mit meinem alten Herrn geflogen, wie meine Mom mir gerne und oft erzählt.“
Ich salutierte, aber dann trat ich vor und ergriff die Rechte des jungen Mannes. „Teufel auch, Dai-chan und ich waren dicke Freunde. Hat Sarah das nie erwähnt?“
„D-doch, Sir, aber ich habe halt in Betracht gezogen, dass… sie ein wenig übertrieben hat. Sie spricht immer so stolz von Ihnen und lässt niemanden ein schlechtes Wort über Sie verlieren…“
„Auch Sarah ist eine Freundin. Die beste vielleicht“, betonte ich.
„Verstehe, Sir. Und danke, Sir.“
„Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Jerome. Sie haben die Augen Ihrer Mutter.“
Der Jüngere lachte. „Und die Nase, Sir. Mom sagt gerne, ich wäre allgemein hübscher als Dad, und das würde an ihrem Teil der Gene liegen. Aber ich werde mich hüten, da ein Urteil abzugeben.“
Ich grinste und der junge Mann grinste zurück. In diesem Moment sah er Dai-chan so verdammt ähnlich, dass mich Freude und Trauer zugleich übermannten. Ich keuchte auf und brach in die Knie ein.
„Sir!“, rief der Major bestürzt.
„Es geht schon. Es ist eben nicht leicht, mit dem Sohn eines Mannes zu reden, den ich auf dem Gewissen habe. Es tut mir Leid, Major Honda. Wenn ich nur besser…“
„Komisch, das hat mir Mom auch gesagt. Sie hat gesagt, Akira Otomo ist ein Mann, der die Fehler in seiner Umgebung auf sich projiziert und daran zu wachsen versucht. Und wenn es keine Fehler gibt und die anderen einfach besser waren, dann sucht er trotzdem nach eigenen Fehlern, die früher passiert sind. Es sieht so aus als hätte sie Recht.“
„Das ist Unsinn. Hätte ich Ihren Vater bei einem Fehler erwischt, hätte ich ihm die Mandeln durch den Arsch rausgerissen, Major, und das ist mein voller Ernst. Aber er hat keinen Fehler gemacht. Es war überhaupt erst mein Fehler, in dieses System zu springen.“
„Aber hätten Sie es nicht getan, hätte der Superkreuzer Iotan vernichtet, oder? Mom hat mir auch gesagt, dass ich Sie nicht alleine lassen soll, wenn Sie sich in der Vergangenheit verlieren.“
Ich schluckte hart. Da stand ich hier, vor dem einzigen Kind von zwei sehr guten Freunden, während ich den Tod des einen und die schwere Verletzung des anderen verschuldet hatte, und musste mir von ihm sagen lassen, wie sehr ich fünfundzwanzig Jahre in Selbstmitleid gelebt hatte. Ja, darauf lief es wohl hinaus.
„Kommen Sie, Sir, Admiral Acati erwartet Sie bereits im Bio-Labor. Mom, ich meine Professor Honda ist ebenfalls anwesend.“
„Bio-Labor?“ Das brachte keine guten Erinnerungen hervor, das spülte nur ein paar sehr üble Sachen an die Oberfläche. Der Superkreuzer, der große Verrat der Daina, der Angriff auf Iotan, die Hauptwelt des Kaiserreichs, die Vernichtung der AURORA, meine Rettung in letzter Sekunde, bevor mein KI-Panzer erlosch… All das war definitiv unter „nicht gut“ abzulegen. Aber dennoch, es bot auch Hoffnung. Wenn Torum mich ins Bio-Labor bat, dann hatten sie vielleicht endlich ein Mittel gefunden und… Ich schob auch diese Gedanken beiseite und folgte Jerome durch die Eingeweide des OLYMP.

Auf dem Weg ins Bio-Labor begegneten wir gut eintausend Menschen. Militärs, Wissenschaftler, Techniker, Besucher aus dem Imperium und dem Kaiserreich, einige unabhängige Vertreter von Daima- oder Alien-Systemen, von denen ich einige am Stil der Kleidung ihrer Vertreter erkannte. Und wieder wurde salutiert, oder zumindest geglotzt und gestaunt. Ich fühlte mich wie ein Frosch auf dem Sezierteller. Aber nein, das war ein ungerechter Vergleich den Tortada gegenüber, eine Amphibien-Spezies, die vor siebenundzwanzig Jahren ins Imperium aufgenommen worden war, nachdem die AURORA ihre Heimatwelt von einer Eroberungstruppe des Cores gerettet hatte.
Im Labor erwartete mich bereits Acati. Er kam sofort zu mir herüber, griff mir in den Nacken und drückte mich an sich. „Es ist schön, dass du kommen konntest, Aris.“
Aris, mein alter Naguad-Name. Ich hatte ihn ein Vierteljahrhundert nicht mehr gehört.
„Es tut gut, dass du mich gerufen hast. Was kann ich für das Imperium tun?“
„Für dein Imperium“, erwiderte Torum mit einem matten Lächeln. „Ich bin nur dein Statthalter.“
Unwirsch winkte ich ab. „Ich spiele nur das Aushängeschild, damit sich die Parteien untereinander nicht bekriegen. Der Rest ist Verwaltungsarbeit, oder?“
„Sicher ist es das. Und allein die Tatsache dass du lebst, hält fünfundneunzig bewohnte Sonnensysteme zusammen. Hallo, Akira.“
Ich wandte mich um und betrachtete die Frau, die mit merkwürdigen steifen Schritten auf mich zuging. „Hallo, Sarah.“ Sanft schloss ich die Slayer in die Arme. Nun, diese Zeiten waren seit Hinas Tod endgültig vorbei. „Es tut gut, dich zu sehen. Ich habe gerade deinen Sohn kennen gelernt.“
„Typisch Mann. Immer zu spät. In diesem Fall fünfundzwanzig Jahre.“
Wir sahen uns in die Augen und mussten lachen. Nun, entschied ich, das war besser als weinen. Aber das hätte uns wahrscheinlich gut getan. Wie viele waren wir noch? Fünf? Von wie vielen? Das Leben war hart zu uns gewesen.
„Was habt Ihr für mich?“, fragte ich ernst, nachdem ich Sarah wieder freigegeben hatte. Ihr Exoskelett, welches das vollkommen zerstörte Rückgrat ersetzte, machte sie mobil, aber der Preis war eine gewisse Ineleganz, um es höflich zu formulieren. Wenn wir doch nur über die Heilungsfähigkeiten der Dämonen verfügt hätten, Sarah hätte schon vor Jahren geheilt werden können.
„Wir waren einem Gegenmittel auf der Spur. Aber es war eine Sackgasse. Im Gegenteil, es wird zum Gift“, sagte Sarah ernst, geradezu tonlos.
„Gift?“
Sie ging voran, mit Torum Acati an ihrer Seite, der darauf achtete, dass die Professorin für Elektronik und Exobiologie nicht stürzte. Sie war natürlich viel zu stolz, um ihr Gleichgewicht einem simplen Stock anzuvertrauen, und das war etwas sehr vertrautes, was mich verschmitzt lächeln ließ. „Kommen Sie mit oder haben Sie etwas vor, Major?“, fragte ich über die Schulter hinweg.
„Tschuldigung, Sir. Gesperrter Bereich. Meine Sicherheitseinstufung ist zu niedrig.“ Jerome zuckte mit den Achseln.
„Lassen Sie uns trotzdem nachher zusammen zu Mittag essen. Ich habe Ihnen viel von Ihrem Vater zu erzählen.“
„Darauf warte ich seit achtundzwanzig Jahren, Sir“, erwiderte der junge Mann. Freundlich, hoffnungsvoll, ja geradezu erwartungsvoll und ohne jeden Funken Spott oder Trotz. Ich begann den Jungen zu mögen.

Wir passierten eine Sicherheitsschleuse und fünf Wachleute, von denen drei den Kragenaufnäher eines KI-Meisters hatten. Dann standen wir vor dem größten Geheimnis, das sich der UEMF seit neunundzwanzig Jahren stellte.
In einem Biotank schwebte eine nackte junge Frau. Sie sah nicht einen Tag älter aus als zwanzig, aber ich wusste, dass sie über zweitausend Jahre alt war.
„DU ELENDES SCHWEIN! LASS MICH HIER RAUS, UND ICH FRESSE DEINE EINGEWEIDE!“
Es tat weh, eine Freundin so sehen zu müssen. Es tat weh, ihren Wahnsinn zu sehen. Es tat weh, ihr nicht helfen zu können. Vor mir im Tank schwebte Dai-Kitsune-sama, die Herrin der Fuchsgötter. Sie hatte meinen Vater getötet. Sie hatte Akari und Micchan getötet. Und sie hatte höchstwahrscheinlich auch Takashi Mizuhara auf dem Gewissen, wenngleich wir es nie beweisen konnten.
„Das nennst du einen Teilerfolg?“, fragte ich und versuchte das tobende Etwas zu ignorieren. Das war nicht Kitsune. Das war ES.
„Warte es ab“, sagte Sarah, und ihre Miene wurde hart.
Ich hörte übergangslos das Geräusch von jemandem, der weinte. Was etwas schwierig war, wenn man in der bernsteinfarbenen Heilflüssigkeit steckte, die einen Biotank ausfüllte.
Ich sah überrascht wieder hin. Und blickte direkt in Kitsunes verzweifelte Augen.
„Akira“, hauchte sie und legte beide Hände an die Wand des Tanks. „Akira, ich habe solche Angst.“
„Kitsune-chan.“ Mit zwei schnellen Schritten war ich am Tank. „Kitsune-chan.“
„Komm nicht zu nahe“, hauchte sie. „Ich bin wahnsinnig. Ich weiß es, ich sehe es. Da ist etwas in mir, und das frisst mich, und dann werde ich so zornig und will alles töten und… TERRANERSCHWEIN! VERFLUCHTER DAIMA!“
Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück, als ich die laute Stimme hörte, die Augen wild funkeln sah.
„Der Liberty-Virus hat sie nach wie vor fest im Griff. Wir haben es geschafft, ihr lichte Momente zu bescheren, aber nach Dai-Kuzo-samas Tod gibt es niemanden mehr, der ihr wirklich helfen könnte. Das meinte ich mit Gift. Sie ist sich ihrer Qual nun bewusst.“ Sarahs Stimme war emotionslos. Das durfte sie auch. Sie hatte genug für Kitsune geweint, als wir die Dämonin vor sechsundzwanzig Jahren in diesen Tank gesperrt hatten.
Wieder schluchzte die Dämonin. „Es… Es ist, als wären zwei verschiedene Wesen in meinem Kopf. Ich kann es nicht ändern, ich kann es nicht beherrschen. Akira, bitte, ich halte das nicht mehr aus. Ich will nicht nach Eikichi auch noch dich töten! Mach dem ein Ende, bitte. Bitte. Bitte.“ Ihr Kopf sackte nach unten, ihre Hände glitten von innen den Tank hinab.
Einen Augenblick später sah sie mich wieder an, mit den wilden funkelnden Augen. „ICH HABE DEINEN VATER GEFRESSEN, UND JETZT FRESSE ICH DICH!“
Erschüttert wich ich zurück. Ich hatte mich daran gewöhnt, Kitsune in ihrem Hass-Modus zu sehen. Aber die alte Kitsune, die immer wieder zwischendurch aufblitzte, brach mir das Herz.
Ich wandte mich um und ging. Das war Marter, pure Marter.
Ihr Schluchzen verfolgte mich bis auf den Gang.
***

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Mein nächster Weg, Torum vor mir und den jungen Honda im Schlepp – eigentlich hatte ich sehr schnell raus, dass der Bengel mir als Adjutant und Leibwache dienen sollte, was mich unwillkürlich an Franlin erinnerte – machte ich mich auf dem Weg ins Herz des OLYMP.
Die Menschen, Anelph, Kronosier und Iovar, die mir begegneten, grüßten mich höflich, soweit sie mich erkannten. Ein paar ignorierten mich, anderen stand einfach nur der Mund offen. Es war eben nicht jedermanns Sache, ausgerechnet Blue Lightning gegenüber zu stehen, dem legendären Mann, der die Seuche des Liberty-Virus gestoppt hatte. Aber zu welchem Preis… Zu welchem Preis…

Torum Acati führte mich in Vaters altes Büro. Er hatte es in den letzten Jahren nicht verändert. Noch immer war es karg und leer, noch immer stand der Holoprojektor darin, über den Mutter über die Standleitung mit Vater kommuniziert hatte – über fünfzig Lichtjahre hinweg.
Er setzte sich und lächelte mich an. Acati hatte sich nicht verändert. Er sah immer noch so aus wie am ersten Tag. Nun, seine Haare waren ordentlicher, aber er hatte ja auch keinen Kampf auf Leben und Tod im Bauch der AURORA hinter sich.
„So, Admiral Arogad, Ihre Befehle betreffend...“, sagte er mit ernster Stimme.
Ich verzog mein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse. „Musst du so förmlich sein, Torum? Wir haben uns ein Vierteljahrhundert nicht gesehen.“
Der Halb-Daima sah auf, blickte mich an als sähe er mich das erste Mal, und rang sich endlich zu einem Lächeln durch. „Es tut mir Leid, Akira. Es tut mir einfach Leid. Ich hatte viel zu tun, und ich war mir einfach nicht sicher, ob du noch lebst und…“
Ich lachte rau. „Egal, was der Liberty-Virus in mir anrichtet, ich bin immer noch Akira Otomo. Oder wenn du so willst, Aris Arogad. Mein Vater war ein Mensch, und das bietet mir einen gewissen Schutz.“ Ich betrachtete meine Hände und erschrak. Sie waren alt geworden, so entsetzlich alt. Die Kinder von Naguad sollten eigentlich tausend Jahre und länger leben können, aber ich war von dieser Regel ausgeschlossen, weil… Weil der Liberty-Virus in mir wütete. Jene geheimnisvolle Seuche, die alle Menschen, egal ob Daima oder Daina, an den Rand der Vernichtung gebracht hatte.
„Ich weiß ja, ich weiß. Und ich weiß, dass du als AO-Meister… Ich meine KI-Meister, dich bis zu einem gewissen Punkt selbst beschützen kannst. Aber sicher war ich mir erst, als du auf den OLYMP kamst. Jerome hast du schon kennen gelernt?“
„Er schlägt zum Glück mehr nach Sarah“, scherzte ich, was den jungen Mann erröten ließ und Torum ein Auflachen entlockte.
„Der gleiche wie immer.“ Acati deutete auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. „Komm, wir müssen reden.“
Ein Stapel Akten wechselte den Besitzer, und gleich das erste Blatt ließ mich die Stirn runzeln. „Iskan?“ Irritiert las ich weiter. „Ian Reilley. Das ist mein Sohn.“
„Nein, das ist Iskan Arogad, der nächste Erbe des Hausvorsitzes. Und damit in nicht allzu weiter Zukunft mein direkter Vorgesetzter. Oren dankt ab, und ohne Eridia gibt es nur einen ernsthaften Erben, und das ist deine Linie. Jarah und deine Mutter Helen sind tot, du bist der einzige in deiner Generation. Nach dir kommt nur dein und Joans Junge.“ Torum sah mir ernst in die Augen. „Er hat die Tests bestanden, an der Akademie promoviert und ist auf dem besten Wege, ein eigenes Kommando zu bekommen. Er versucht wirklich, dem Namen seines Vaters gerecht zu werden. Er versucht wirklich, der Sohn von Aris Arogad zu sein. Ich habe ein paar Bäume geschüttelt und gesehen, was dabei herunterfällt.
Fioran und Elwenfelt halten es für eine gute Idee, wenn die Linie von Oren nicht unterbrochen wird. Daness denkt dasselbe, immerhin hat es dem Imperium nach dem großen Krieg siebenundzwanzig Jahre Frieden geschenkt. Aber der Vorsitzende des Hausrats der Daness, Sostre Daness, hat gesagt, dass er gerne dich an der Spitze sehen würde.“
Ich winkte ab. „Das ist für mich Geschichte. Wenn Ian das Zeug dazu hat, meinetwegen auch Iskan, wenn ihm ein Naguad-Name lieber ist, dann lass ihn doch machen. Dass du mich dafür aus meiner Isolation holst, wundert mich etwas.“
„Akira“, sagte Torum beschwörend, und ich registrierte, dass er meinen Menschen-Namen benutzte, „es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als das ganze Reich, das ich für dich verwalte. Du hast Verantwortung für nicht weniger als neunzig Milliarden Daima! Und ich will verdammt sein, wenn ich zulasse, dass du dich dieser Pflicht entziehst. Akira, denke daran, was Megumi sagen würde und…“
„Megumi ist tot“, sagte ich tonlos. „Sie alle sind tot, und Joan ist irgendwann, während ich mich verkrochen habe, an ihren Implantaten verreckt. Warum kannst du den Jungen nicht in Ruhe lassen? Warum kannst du ihn nicht seinen eigenen Weg finden lassen? Musst du ihm seinen Massenmördervater auf den Hals hetzen?“
„Es ist achtundzwanzig Jahre her, Akira“, sagte der Admiral wieder beschwörend. Der ranghöchste Offizier des Vereinten Imperiums sah mich ernst an. „Wann wirst du endlich darüber hinweg kommen? Wann wirst du ihr Opfer anerkennen, es ehren und weiterleben? Zumindest die Zeit, die dir noch bleibt?“
„Dazu ist es zu spät. Es gab Zeiten, da dachte ich jeden Tag, ich würde den nächsten nicht überleben. Und dann gab es Zeiten in denen ich gehofft habe, ich würde nicht mehr aufwachen, um weiterleben zu müssen. Torum, alter Freund, ich habe soviel Schuld auf mich geladen, dass… Ich kann einfach nicht.“
Zögernd streckte ich die Rechte aus ließ sie dann sinken. Wortlos drehte ich mich um. Ich hatte mich nicht gesetzt, und das sollte Torum genug über meine Stimmung gesagt haben. „Ruf mich wieder, wenn du ein paar Mechas vernichten lassen willst. Darin bin ich wirklich gut.“
„Wie wäre es dann mit einer Leibwächtermission? Der Nachfolger des Hausvorsitzes der Arogad wird einen sehr guten Banges-Piloten brauchen, der ihn beschützt.“
„Babysitten war noch nie meine Stärke. Und dieses Baby habe ich noch nie mit eigenen Augen gesehen. Ich kann ihm schlecht jetzt unter die Augen treten, nachdem ich ihn ein Vierteljahrhundert vernachlässigt und verlassen habe.“ Ich verließ das Büro, den Major im Schlepp.
„AKIRA! AKIRA!“
Ich wandte mich um. „Wie ich schon sagte, wenn du was zum töten hast, bin ich dein Mann, alter Freund. Ich werde einige Zeit hier bleiben. Ich beziehe Makotos altes Büro wenn es recht ist.“ Ich wartete die Antwort nicht ab und ging weiter.
Ja, das Büro meines Cousins war noch immer versiegelt. Ich brach das Siegel auf, trat ein und schaltete das Licht an. Leise surrend lief die Klimaanlage an und tauschte fünfundzwanzig Jahre alte Luft aus.
Seufzend ließ ich mich in den Sessel hinter den Schreibtisch sinken und rieb mir die Schläfen. „Dieser Torum. Ich habe ihm das Imperium gegeben, damit ich mich nicht darum kümmern muss. Warum reißt er mich jetzt wieder rein?“
„Was waren Ihre Beweggründe, überhaupt ins Kloster zu gehen?“
Ich erhob mich wieder, trat zum Aktenschrank und öffnete die Minibar. Mit zwei Gläsern, leicht staubig, und einer Flasche japanischem Whisky, sehr staubig, kam ich zurück. Großzügig schenkte ich ein. Nach fünfundzwanzig Jahren würde der mit drei Jahren Reifezeit etikettierte Whisky entweder furchtbar oder himmlisch sein. Ich schenkte mir und Honda einen Fingerbreit ein und nahm wieder im Sessel Platz. „Ich bin eine Waffe, mein Junge. Die fürchterlichste Waffe, die es jemals gegeben hat. Ich persönlich habe die Core-Hauptwelt zerstört. Ich habe den Central Core zerstört. Ich habe… Kurz hielt ich inne. Mein persönlicher Killboard war in diesen Tagen enorm angewachsen. Auf meiner Seele lasteten nun über zehntausend Tote, vielleicht zwanzigtausend. Frustriert nahm ich einen tiefen Schluck, leerte das Glas und schenkte nach.
„Über Core Prime hatten wir eine Raumschlacht, die Schlacht, in der Ihr Vater gefallen ist. Er und Doitsu Ataka, Hina Yamada, Yoshi Futabe, Kenji Hagezawa, Akane Kurozawa, meine Schwester Yohko, und die AURORA mitsamt der Besatzung und der Zivilisten zerstört wurde. Meine Cousine Sakura war unter den Opfern, mein Cousin Makoto, Tetsu Genda, und noch einige Menschen, die ich zu meinen Freunden zähle. Dazu hunderte bekannte Gesichter, unter ihnen die Hekatoncheiren. Ihre Mutter war zu dem Zeitpunkt auf der SUNDER, die es sehr viel später erwischte, das hat ihr damals das Leben gerettet.“
Ich dachte kurz an Aria Segeste und Sora Fioran und versuchte das zittern meiner Hände zu unterdrücken. Als ich gedacht hatte, schlimmer konnte es nicht mehr werden, hatte sich der Preis mehr und mehr aufgestockt. Micchan und Akari waren auf der Planetenoberfläche gefallen, ebenso Eri und Takashi, und ganz zum Schluss, beim Endkampf in den Kavernen hatte der Core meine Megumi getötet.
Am Ende waren nur noch wir drei übrig geblieben: Joan, Sarah und ich.
„Ich habe niemanden darum gebeten, aber meine Freunde haben mich bei dem Angriff beschützt. Ihr Vater Daisuke, wir haben ihn immer Dai-chan genannt und er hat es sehr gemocht, steuerte seinen Hawk zwischen mich und eine Rakete. Er opferte sich vor meinen Augen und… Und ich habe den verdammten Core erwischt. In seinem Namen habe ich ihn geviertelt. Aber der Preis war zu hoch. Zu dem Zeitpunkt schon so entsetzlich hoch.“
Ich seufzte und leerte mein Glas erneut. Wieder schenkte ich mir nach. Ich würde sehr gut schlafen können, ging es mir durch den Kopf. Ich war Alkohol einfach nicht mehr gewöhnt.
„Der Liberty-Virus hatte aus den Dämonen der Erde furchtbare Wesen gemacht. Machtgierig, rücksichtslos und brandgefährlich. Zusammen mit dem Core waren sie eine Macht gewesen, die wir nicht ignorieren konnten. Wir durften es auch nicht, und ich habe alles getan, was in meiner Macht stand.“
Ich sah mir auf die zitternden Hände. Dai-Kuzo, Dai-Okame, Dai-Kumo und so viele andere waren durch sie gestorben, bevor ich den Core vernichtet hatte.
Aber es war nicht besser geworden, eher schlechter. Eigentlich war Kitsune der einzige infizierte Dämon, der noch lebte. Und das was sie da hatte Leben zu nennen war ein sehr zynischer Gedanke, fand ich.
„Ihr Vater hat Ihre Mutter sehr geliebt, junger Mann“, führte ich meinen Gedanken zu Ende. „Er hat tapfer gekämpft und viele Siege errungen, vielen Menschen das Leben gerettet. Und er hat in mir den Schlüssel zum Sieg gesehen, und als die Rakete mit meinem Namen drauf auf mich zuhielt, hat er sich dazwischengestellt.
Dadurch konnte ich den Core erreichen, dadurch konnte ich die Dämonen besiegen. Dadurch konnte ich die Zivilisation retten, aber… Ein Trost ist das nicht. Früher hatte ich meine Freunde immer beschützen können, aber an diesem Tag waren vor dem Tod alle gleich. Er hat zwischen uns gewütet und mir fast alles entrissen, was ich liebte.
Und vor dem Rest bin ich geflohen, kaum das die Lage im Imperium einigermaßen stabil aussah. Ich isolierte mich selbst. Teilweise wegen dem Liberty-Virus, um keine anderen Daina anzustecken, aber hauptsächlich weil ich zu feige für die Welt geworden war. Das ist eigentlich die ganze Geschichte. Die Geschichte eines großen Sieges und meiner größten persönlichen Niederlage.“
Major Honda musterte mich ernst. „Ich habe mich immer gefragt, wie Sie wirklich sind, Sir. Ich meine, wenn ich meine Mutter reden höre, wenn ich die Sache von dem Strandhaus und dem Balkon höre, dann denke ich, Akira Otomo muss ein Herz aus Gold haben.
Wenn ich sie vom Mars reden höre, von dem Kämpfen und von Ihnen in vorderster Front, denke ich, Akira Otomo muss das Herz eines Löwen haben.
Wenn ich von den Abenteuern der AURORA höre, wenn ich höre wie Sie Terraner, Anelph und Naguad zu einer Einheit geschweißt haben, dann denke ich, Akira Otomos Verstand muss scharf wie ein Katana sein.
Aber wenn ich das nehme und mit Ihnen vergleiche, dann frage ich mich: Da sitzt er vor mir und er ist wie du ihn dir vorgestellt hast, aber warum nimmt er nicht seine nächste Aufgabe an?
Sir, da draußen ist ein junger Bursche, der sich verzweifelt bemüht, seinen Vater stolz zu machen. Er leistet Großes und wird doch immer in Ihrem Schatten stehen. Aber das macht ihm nichts, solange er ebenso voran gehen kann wie sein Vater es immer getan hat. Ganz zum Schluss hat er es wenigstens verdient, dass sein Vater ihm zumindest etwas beibringt.
Ich habe diese Chance nie gehabt, Sir, aber Ian hat sie.“ Er nahm sein Glas und trank es leer. „Verzeihen Sie mir meine Offenheit.“
Langsam erhob sich Jerome Honda und ließ mich alleine in Makotos Büro zurück. Nun, nicht ganz alleine. Meine Gedanken waren bei mir.
Und sie waren alle nicht sehr nett zu mir.

Langsam und nachdenklich begann ich meine Nasenwurzel zu kneten. Dann erhob ich mich, ging unruhig im Büro auf und ab.
Schließlich öffnete ich den Spind, ignorierte den Minirock, der mir entgegen fiel – immerhin war das hier Makos Büro – und starrte in den Spiegel. Ja, ich war ganz schön alt geworden. Ob ich so faltig, vertrocknet und mit glanzlosem Blick noch Joan oder Megumi gefallen hätte? Ich bezweifelte es. Im Kloster hatte es wenigstens keine Spiegel gegeben und ich hatte mir nicht dabei zusehen können, wie mich der Liberty-Virus nach und nach zerfraß.
Wie viel Zeit blieb mir wohl noch? Die letzten fünfundzwanzig Jahre hatte ich mich immer geirrt, wenn ich dachte: Morgen wachst du nicht mehr auf, alter Junge.
Aber die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, dass ich irgendwann Recht haben würde. Und je mehr Tage verstrichen, desto mehr rückte der Termin näher.
Hatte ich wirklich Zeit, jetzt noch eine Beziehung zu meinem Sohn aufzubauen? Was, wenn ich ihn sah und starb? Musste ihn das nicht schwerer treffen, als seinem Vater nie begegnet zu sein? Außerdem, wenn ich ihn hätte sehen wollen, dann wäre ich doch längst einmal ins Imperium aufgebrochen, oder?
Wütend erhob ich mich, griff nach meinem Schwert und trat auf den Gang hinaus.

Wieder stand ich in dem Labor und starrte Kitsune an.
Ihre Augen leuchteten mich an, mit Freude und Liebe, wie ich es gewohnt war. Nur um kurz darauf von einem ihrer Wutanfälle unterbrochen zu werden. „ICH FRESS DICH STÜCK FÜR STÜCK, KLEINER MENSCH!“
Langsam stieß mein linker Daumen das Heft des Katanas hervor. Ich packte mit der Rechten den Griff und zog die Waffe weiter hervor. Als ich sie blank gezogen hatte, richtete ich sie auf den Tank.
„Das wagst du dich nicht“, höhnte die Dämonin.
Ich grinste schwach und ließ mein KI auf der Klinge aufleuchten. „Warten wir es ab!“
Mein erster Hieb war ein Miginagi, ein gerader Schlag von rechts. Er sauste knapp über Kitsunes Kopf in das Plastmaterial des Biotanks, durchtrennte es auf voller Breite und trat auf der anderen Seite wieder aus. Bernsteinfarbenes Wasser tropfte aus dem Riss.
Dann führte ich einen Hidarinagi aus, für den ich leicht in die Hocke ging. Meine Klinge ging durch das Plastmaterial wie durch Butter. Diesmal war die Wirkung dramatischer. Noch während die Waffe knapp unter Kitsunes Füßen den Tank zerschnitt, riss das Material, die bernsteinfarbene Medoflüssigkeit schoss hervor und das Plastmaterial kippte auf mich zu.
Ich schlug es mit einer nebensächlichen Bewegung beiseite, sah den Schwall Wasser auf mich zukommen und spürte dann den Schwall Dämon hart auf mir landen.
„Das hat aber lange gedauert, Aki-chan“, schnurrte Kitsune. „Schade. Wenn ich dich umgeworfen hätte, würde ich jetzt auf dir liegen und…“
„Ich denke nicht, dass wir dazu Zeit haben“, tadelte ich ernst. „Klär mich auf.“
Für einen Moment wirkte sie enttäuscht, aber das wich schnell einem strahlenden Lächeln mit einer satten Portion Stolz darin. „Wie du es dir schon gedacht hast. Es gibt keinen Liberty-Virus. Es gab nie eine Verseuchung der Dämonen und auch keinen Aufstand, geschweige denn ein Bündnis mit dem Core.“
„Kann ich dir trauen?“
„Klar kannst du mir trauen“, erklärte sie jovial und klopfte mir auf die Schulter.
Ich entließ sie aus meinen Armen, sah an ihr herab und meinte: „Etwas Bekleidung vielleicht, Kitsune-chan?“
„Was? Gefällt dir nicht, was du siehst?“
„Es geht weniger ums gefallen als um die Zweckmäßigkeit. Was habe ich zu tun, und wie zweckmäßig ist es dabei, dass du nackt bleibst?“
„Okay, okay. Du wirst ja mit der Zeit noch spießiger als der alte Okame, und das ist schon ein Opa sondergleichen.“ Murrend drehte sich die nackte Fuchsdämonin einmal im Kreis und trug kurz darauf ein niedliches Sportoutfit, bestehend aus weißem Trikot und roter Bloomer-Sporthose. Beinahe hätte ich noch oberschenkellange Loose Socks erwartet, aber so viele Klischees wollte sie dann doch nicht bedienen.
„Nett“, kommentierte ich.
„Danke. Ich könnte es auch transparent machen und…“
„Kitsune…“
„War ja nur so ne Idee. Wenn ich schon für dich da bin, dachte ich.“
Ich unterdrückte ein Schmunzeln. „Sag mir lieber was hier los ist.“
„Das ist doch einfach erklärt, Aki-chan. Du befindest dich, wie du schon sehr treffend erkannt hast, in einer Konstruktrealität. Alles hier um dich herum existiert gar nicht. Und alles hier ist nur darauf ausgelegt, um dich in eine bestimmte Richtung zu treiben, die dem Betreiber dieser Realität am genehmsten ist. Sieh das ganze als ein Programm zu deiner Erziehung an.“
„Interessant. Und du bist meine Verbündete.“
„Natürlich bin ich deine Verbündete. Als der Core die Daten über die Erde und die Dämonen extrahierte, war er bei mir etwas zu gut. Als ich entstand, entstand ich als fast perfekte Kopie der realen Dai-Kitsune-sama. Mit anderen Worten, ich bin dein loyaler Verbündeter und Freund. Und ich verteidige dich mit meinem Leben.“
Ich hob die Rechte und strich ihr sanft über die Wange. Lächelnd legte sie ihren Kopf hinein. „Danke, Aki-chan.“
„Was habe ich zu tun, um aus der Konstruktwelt auszubrechen?“, fragte ich und spürte beinahe sofort tiefes Bedauern in mir, weil ich die Antwort schon kannte.
Sie nahm den Kopf hoch und lächelte, doch es war ein kaltes Lächeln. „Zerstöre den OLYMP.“
„Wirst du dann mit der Konstruktwelt vernichtet?“
„Ja“, gestand sie tonlos. Doch kurz darauf lächelte sie breit. „Aber das macht nichts. Ich bin schließlich eine fast perfekte Kopie von Dai-Kitsune-sama, und sie würde mir die Fellhaare einzeln rausreißen, wenn ich für meine lächerliche Existenz dein Leben riskieren würde.“
„I-ich…“
„Aki-chan, ich bin nur ein Konstrukt. Ich existiere nicht wirklich.“ Nun waren es ihre Hände, die über mein Gesicht strichen, und ich spürte, wie die Runzeln und Narben verschwanden, wie ich zunehmend wieder zwanzig wurde. „Ich existiere nur, um für dich da zu sein. Und jetzt gib meiner Existenz einen Sinn und zerstöre den OLYMP.“
Ich schwieg erschüttert. Und fasste einen Entschluss. „Danke, Kitsune-chan.“
Ich hob mein Katana zu einem Karatake, einem Schlag von oben herab. Dabei sammelte ich KI um die Klinge, und als ich die Waffe niedersausen ließ, fuhr ein Blast reinen KIs durch die nächste Wand. Und die übernächste. Und die überübernächste. Und die vierte. Dann traf sie etwas schweres, großes, und eine Explosion ließ die Wände vibrieren.
„Akira! Was tust du? Akira!“
Ich ignorierte Sarah, die für eine unheilbar Versehrte ziemlich gut angelaufen kam, konzentrierte erneut mein KI und stieß die Waffe mit einem Tsuki gerade in den Boden. Diesmal war es nicht nur das KI an der Klinge selbst, es war fast meine gesamte Kraft, die so in den Boden geleitet wurde.
Um mich herum wurde alles strahlend hell weiß erleuchtet, Konturen verschwammen, ich sah wie sich Sarah schreiend auflöste, wie ihr Sohn mit Unglauben im Blick verging, sah Torum heranhetzen, beherzt einen Schild aufbauen, aber er verging dennoch, denn mein KI kam von allen Seiten.
„Das hast du gut gemacht, Aki-chan“, kommentierte Kitsune lächelnd.

Ich schlug die Augen auf. Noch immer war meine Umgebung weiß, aber es war nicht mehr so blendend grell. Laysan stand neben mir in der substanzlosen Helligkeit und hielt meine rechte Hand. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich, dass ich nicht länger die weiße Hose und das weiße Hemd trug. Was ich da anhatte, war die volle Haus-Uniform der Arogads, in meinem Fall mit einem langen blauen Umhang aufgepeppt. Eigentlich war dies meine KI-Rüstung und eine meiner stärksten Waffen.
„Wie hast du es bemerkt?“, hörte ich eine neugierige Mädchenstimme fragen.
Ich drehte mich um. Oder vielmehr drehte sich das Weiß um mich, bis ich sie ansehen konnte.
Es war das Mädchen, das mich im Paradies empfangen hatte. Sie trug noch immer dieses kurze, schwarze Kleid, aber ihr Haar war… Nun, es erinnerte mich an Sarah, aber mit jeder vergehenden Sekunde wurde es dunkler und dunkler, bis es als Farbton eine substanzlose Schwärze hatte, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob man schwarze Löcher sehen oder als Haare tragen konnte.
„Aris.“
Das Mädchen nickte mir huldvoll zu. „Du hast die Konstruktwelt zerstört. Das ist beachtlich. Das ist sehr beachtlich. Aber es macht nichts. Sie war ohnehin nur dazu gedacht, um mehr über dich herauszufinden. Aber wie hast du es gemerkt?“
Ich lächelte dünn. Ob ihr ein Hinweis reichte, der auf meine Gefangenschaft bei den Kronosiern verwies, als ich selbst in einem Biotank gelegen hatte und Teil eines Supercomputers gewesen war? Damals hatte ich ständig Konstruktwelten enttarnt und zerstört.
„Kitsune“, sagte ich ernst. „Kitsune war es. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie mich jemals verletzen würde.“
„Du hast… Wie sagt ihr Terraner? Gepokert.“
„Nein. Ich wusste, dass sie mir nichts tun würde. Diese Konstruktwelt, du hast sie nach Daten aus meiner Erinnerung geschaffen, oder?“
Das Mädchen nickte.
„Die Kitsune aus meiner Vergangenheit kann mir nichts tun. Sie wird es auch nicht. Und die Kitsune, der ich hier begegnet bin, war so sehr ihr Vorbild, das auch sie es nicht konnte. Im Gegenteil. Sie hat mir schlussendlich sogar den Weg aus der Traumwelt hinaus gezeigt.“
„Das… ist sehr klug von dir gewesen“, gestand die Herrin des Paradieses ein.
„Und es hat mir eines gezeigt. Vieles von dem, was du aus meiner Erinnerung extrahiert hast, wird sich für mich verwenden – und gegen dich.“
Sie lächelte hoch erfreut. „Macht es das Spiel nicht interessanter, Akira?“
„Was für dich nur ein Spiel ist, wird für ich ein Kampf um mein Leben. Ich weiß, du willst etwas von mir. Und sobald ich weiß, was das ist, Aris, werde ich mein Bestes geben, um es dir wegzunehmen.“
„Warum bist du so gemein zu mir? Akira, ich will doch nur dein bestes. Warum glaubst du mir nicht einfach und vertraust mir?“
„Hm. Laysan, was meinst du?“
„Trau ihr nicht einen Meter weit, Aris. Sie hat uns hier eingesperrt und sie lässt uns nicht gehen.“
„Da hörst du es, junge Dame. Wir trauen dir nicht. Und noch was, wir werden hier ausbrechen, das verspreche ich dir.“
„Nun, Laysan könnte theoretisch ausbrechen. Aber du kannst es nicht, Akira. Du hast keinen Körper mehr.“
Ich lächelte gehässig. „Ich finde einen Weg.“

Unschlüssig sah sie mich an und wandte sich um. Die Umgebung verschwand und machte der grünen Wiese Platz.
Die schwarzgekleidete Matrone erschien neben Aris und nahm sie in die Arme. Das Mädchen schluchzte hingebungsvoll, was sie mit einem sehr bösen Blick in meine und Laysans Richtung kommentierte.
„Ich will doch nur sein Bestes. Warum vertraut er mir nicht? Warum unterstützt er mich nicht? Er lebt doch im Paradies, sieht er das nicht?“
Die Frau mit dem schwarzen Kapuzenkleid strich der jungen Frau tröstend über den Kopf. „Er wird es lernen, Herrin. Er wird es lernen.“
Ich hatte dazu einiges zu sagen, wollte anmerken, dass ich weder wusste, wo ich war, noch dass ich keinesfalls freiwillig hier war, was mich von vorne herein etwas gegen Aris und die Matrone einnahm. Außerdem war ich von meinen Freunden getrennt, und das nahm ich wirklich übel. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich alleine Megumi schon so schmerzlich vermisste, dass mir schon der Klang ihres Namens fast die Besinnung raubte. Theoretisch, denn als körperloses Bewusstsein empfand ich ja nur eine Art Simulation von Schmerz.
Um mich herum verschwand die grüne Wiese wieder. Zweite Runde, erkannte ich mit dem letzten Funken realen Bewusstseins.

3.
Die Audienz war exklusiv. Der Saal war riesig, ja nahezu gigantisch. Er bot Platz für fünftausend Personen, war überdacht, und im Moment bildete er den zentralen Punkt der ganzen Erde. Eine einzige Bombe hätte die Weltverteidigung auslöschen können.
Die rund fünftausendeinhundert Menschen, Anelph, Naguad und Kronosier, die hier saßen, waren die absolute Top-Elite der Menschheit. Und sie alle waren heute Gäste von Admiral Sakura Ino.
Das Thema des Abends war… Nicht Akira.
Megumi Uno wechselte auf der Bühne einen kurzen Blick mit Doitsu Ataka, der nickte, seinen Pilotenhelm aufsetzte und hinter der Bühne verschwand.
Danach nickte Megumi Sakura zu, die ans Rednerpult herantrat.
Sofort verstummten die Gespräche. Niemand in dieser Halle hatte einen geringeren Rang als Staffelführer, was mindestens Captain entsprach. Das Gros stammte aus der UEMF oder direkt assoziierten Streitkräften, aber es waren auch Dutzende Attachés nicht formell alliierter Staaten vertreten. Und alle erwarteten Großes.
„Meine Damen und Herren. Ich danke Ihnen, dass Sie alle so kurzfristig erscheinen konnten.
Als Executive Commander Otomo die Einladungen verschickt hat, deutete er an, dass wir etwas haben, was die Weltverteidigung revolutionieren wird. Nun, ich denke, er hat nicht übertrieben. Colonel Uno.“
Megumi rückte ihr KommSet zurecht und deutete auf die riesige Leinwand hinter sich. „Was Sie jetzt sehen werden, ist die allerneueste Innovation der UEMF, geplant und hergestellt von den Teams der AURORA und überarbeitet und verbessert von Luna Mecha Research und drei weiteren UEMF-eigenen Firmen. Major Ataka, Go.“
Die Leinwand erwachte zum Leben, zusätzliche Monitore flammten überall im Publikum auf. Zuerst erschien der LRAO, der Long Range Area Observer, die gigantische Ortungs- und Kommandoplattform der UEMF, erbaut auf der Zelle eines Daishi Epsilon.
Daneben erschien der Hawk, der bekannteste und am häufigsten eingesetzte Mecha der Erde. Er entstand nach der Vorlage der Daishi Beta.
Neben sie setzte sich ein Sparrow, der leichte Erkunder. Es bedurfte wohl keiner Erklärung, welchem Daishi der etwas kleinere Mecha nachempfunden war.
Der letzte Mecha, der sich zu dieser im Flug – und live – aufgenommenen Formation gesellte, war ein Eagle, der große, schwere Artillerie-Mecha der Menschheit, der seine Tödlichkeit mehr als einmal unter Beweis gestellt hatte.
„Was Sie hier sehen, sind die vier Mecha-Typen, die wir Menschen entwickelt haben. Letztendlich basieren alle Prinzipien auf dem Banges, den Naguad-Design, welches sie von den Iovar erhalten haben.
Unsere Modelle sollten daher veraltet und leistungsschwächer sein, sind sie aber nicht. Im Gegenteil. Unsere Hawks waren den Daishis von vorne herein überlegen, was uns darin bestärkt, weiterhin eigene Systeme zu entwickeln. Oder um vollkommen unverblümt zu reden: Ein gutes System zu klauen und zu verbessern.“
Gelächter raunte durch den Saal.
Nun setzte sich ein fünfter Mecha zwischen die Formation der vier UEMF-Modelle. Er war fast so groß wie der LRAO, war aber definitiv schmaler, weil sein Cockpit nicht fünf Personen Platz bieten musste. Dennoch erschien er gewaltiger als der Eagle. Und seine Bewaffnung und die mächtigen Schulterschilde, Markenzeichen der Erd-Mechas, sprachen eine deutliche Sprache.
„Dies ist der Phoenix. Wir haben das Design des Daishi Delta lange Zeit ignoriert, nicht aufgegriffen, wir haben unsere Ressourcen auf den Daishi Epsilon und dessen Möglichkeiten fixiert. Grund dafür war, dass wir keine Veranlassung sahen, einen weiteren Mecha-Typ zu entwickeln. Wir haben den Sparrow für Erkundungsmissionen, Flankenangriffe und Hit´n Run-Missionen. Wir haben den Hawk als Allrounder und Arbeitspferd unserer Streitkräfte. Wir haben den Eagle als Artillerieplattform für Distanzkämpfe und Unterstützungsfeuer.
Und wir haben den LRAO, den wir heute mit dem Codenamen Condor versehen möchten, als Koordinator, als Ortungsplattform und als Taktikzentrum.
Nun, die Begegnung mit den Banges hat uns gezeigt, dass wir wieder etwas klauen, ich meine dazulernen können.“ Höflich wartete Megumi die Lacher ab, die sich aus ihrem vermeintlichen Versprecher ergeben hatten. „Das Ergebnis ist der Phoenix. Sein Prinzip ist das eines überschweren Sturmpanzers. Dieser Mecha ist eine Phalanx-Maschine. Überdurchschnittlich gut gepanzert und bewaffnet wird der Phoenix das Zentrum unserer Angriffe und unserer Verteidigungen werden. Indem wir den Phoenix mit KI-Meistern besetzen, erhöhen wir auch den Spielraum für Geschwindigkeit. Der Mecha ist groß und langsam, aber extrem mächtig. Doch das ist noch nicht alles. Major Ataka, Freigabe.“
Auf der Leinwand und den Bildschirmen war zu sehen, wie die anderen Mechas davon spritzten. Der Phoenix hingegen warf die Arme und Beine ab, dazu die Sprungdüsen auf dem Rücken. Kurz darauf erschienen größere, klobigere Extremitäten und ein gigantischer Rückentornister, auf dem eine gewaltige Kanone montiert war. Allein sie hatte die Höhe eines Sparrows und den Durchmesser eines Hawk-Sensorkopfs.
„Was wir von den Banges lernen konnten ist die modulare Bauweise. Allerdings beschränken wir sie exakt auf dieses Modell, machen den schweren Mecha aber dadurch flexibler.
Es gibt drei Varianten, auf die wir bisher bauen. Sturm, Artillerie und Langstreckenflug. Dadurch wird der Phoenix, so er denn in der Lage ist seine Ausrüstung zu wechseln, binnen weniger Minuten auf neue Situationen umgestellt. Ich verspreche Ihnen, dies wird eine unverzichtbare Waffe für unsere nahe Zukunft.“
Auf der Leinwand begann der Phoenix zu feuern, ein armdicker Waffenstrahl verließ die Kanone auf den Rückentornister.
„Eine Partikelkanone. Die erste ihrer Art. Sie ist in der Lage, bis zu fünf Meter herkömmlichen Panzerstahl zu durchschneiden. Für alle Phoenix, die wir in Dienst stellen, steht eine zur Verfügung.“
„Danke, Colonel Uno. Bevor wir zu Ihren Fragen kommen, meine Damen und Herren, habe ich die Freude, Ihnen mitteilen zu können, dass das Exekutivkomitee der United Earth Mecha Force beschlossen hat, dieses Design allen unseren Verbündeten zur Verfügung zu stellen. Ihre Fragen, bitte.“
***
Michi Torah war sich darüber im Klaren, dass er Aufmerksamkeit erregte. Oder um genau zu sein, seine weißblonden Haare und seine dunkelblaue Schuluniform, die ihn als Studenten der AURORA-Oberstufe auswies. Aber er war halt ein Mann, und ein Mann durfte schon mal schlampig sein und am Ende des Monats entdecken, dass die einzigen Klamotten, die keine Wäsche brauchten die letzte Schuluniform war, auch wenn es peinlich war, ausgerechnet in diesem Sachen auf ein Date zu gehen.
Wütend über sich selbst rührte er mit dem Stiellöffel in seinem Eisbecher herum. Es wäre vielleicht leichter gewesen, sich was Frisches von Kei zu borgen, oder noch besser zu kaufen.
Immerhin war er jetzt ja offiziell Mitglied der UEMF, angenommen als Fähnrich, und bezog seitdem einen festen, nicht gerade kleinen Sold. Den allerdings Sakura-o-nee-chan für ihn treuhändisch verwaltete, bis er achtzehn war, dem international anerkannten Alter der Volljährigkeit.
Aber einkaufen war so ein Gräuel für ihn. Nun, vielleicht war es etwas anderes, wenn er mit Akari einkaufen gehen konnte. Akari… Wenn er an ihr langes, schwarzes Haar dachte, wenn er sich an ihren Kuss erinnerte, wenn er an die Geschichten über sie dachte als sie noch ein erwachsener Oni gewesen war, dann fragte er sich, wie er sich in diese wilde Mixtur von Mensch und Dämon hatte verlieben können. Und er stellte im gleichen Atemzug fest, dass er nicht wirklich eine Chance gehabt hatte. Nicht eine Sekunde lang. Nicht seit dem Moment, als Akira ihn mit zu sich nach Hause genommen hatte, um ihn als seinen Schüler vorzustellen.
Nicht nachdem er diesem schwarzhaarigen Engel mit den wunderschönen grünen Augen erblickt hatte. Beim Gedanken an diesen Moment begann sein Herz zu rasen, und er erkannte viel zu genau, dass er Akari – seine Akari – immer lieben würde. Selbst wenn sie wieder zu einem Oni werden würde, er konnte und wollte sie nie wieder verlassen.

„Nun iss das arme Eis schon. Wofür hast du es sonst gekauft?“, klang eine spöttische Stimme vor ihm auf.
Michi hob den Kopf und ließ vor Schreck den Löffel fallen. „Urgs.“
„Nicht Urgs. Vater heißt das, mein Sohn. Entschuldigen Sie, Miss, aber könnten Sie mir einen Kaffee bringen? Hm, groß bist du geworden, Michi.“
„V-v-v-vater, was machst du hier?“ Ungläubig starrte der Junge den Mann an, der gerade einer Bedienung sehr freundlich den Kaffee abnahm und mit einem horrenden Trinkgeld honorierte. „Ich besuche meinen Sohn. Ist das erlaubt?“
„V-vater, du wirst gesucht!“
„Nein. Ich werde nicht gesucht. Ich bin tot“, stellte Juichiro Tora fest und nippte am Kaffee.
„A-aber wenn sie herausfinden, dass du noch lebst, dann werden sie dich jagen und…“
„Hat Akira Otomo gut für dich gesorgt? Du siehst gut aus, und du wurdest ausgebildet, um dein KI zu benutzen. Nicht schlecht.“
„Woher weißt du das von Akira?“
„Nun, ich habe so meine Quellen auf der AURORA gehabt.“ Der Magier schmunzelte. „Ich war die letzten zwei Jahre nicht untätig.“
„Wieso lebst du überhaupt noch?“
„Was?“ Entrüstet legte der große Mann beide Hände auf seine Brust. „Findest du es etwa schlecht, dass ich noch lebe?“
„Nein, das ist es nicht. Aber Akari hat dich doch auf dem Mars vernichtet, und ich habe versucht, dich auf der AURORA zu rächen und…“
„Ach, das. Tut mir Leid, aber meine Regeneration war zu diesem Zeitpunkt noch nicht weit genug fortgeschritten, um dich von diesem Unsinn abhalten zu können. Aber auf Akira Otomo ist anscheinend Verlass. Anstatt dich zu töten hat er dich unter seine Fittiche genommen. Ich wünschte, ich hätte ihn kennen gelernt.“
„Regeneration?“, hakte Michi nach.
„Ich bin ein Dämon, mein Sohn. Deine Freundin hat unglaubliche Macht entfesselt, aber sie hat hauptsächlich gegen die von meinen Youmas gestohlene KI-Energie gekämpft, nicht unbedingt gegen mich selbst. Ich konnte meinen Kern isolieren und mich später aus ihm regenerieren. Eine ähnliche Geschichte wie mit meinem alten Hassfreund Taylor und seinem miniaturisierten Resonator. Ich hatte Hilfe.“
„Du bist ein Dämon?“
„Deine Freundin ist ja auch einer, oder?“
„Aber sie ist doch jetzt ein Mensch!“
„Nein, ist sie nicht. Das heißt nicht, dass sie nicht real ist, wenn du sie berührst. Das heißt auch nicht, dass sie jemand anders ist als die Akari, die du kennen gelernt hast. Es heißt nur, sie ist dir sehr viel ähnlicher als du glaubst. Hm, ein Kind von euch beiden hätte eine interessante Zukunft.“
„VATER!“
„Schon gut, schon gut. Dafür bist du wirklich noch etwas jung. Du hast sicherlich noch nicht einmal an Sex gedacht, oder?“
Michi wurde rot. Besonders seine Ohren begannen zu glühen.
Was der Magier zum Anlass nahm, um zu lachen. „Oh, Himmel hilf. Als ich das erste Mal Sex hatte, war ich bereits fünfundachtzig. Die Jugend heutzutage ist wohl etwas frühreif.“
Juichiro Tora beugte sich vor. „Ich habe einen guten Rat für dich, mein Sohn. Lass sie dir nicht durch die Finger schlüpfen.“
„Eh? Du wirst dich nicht an ihr rächen?“
Tora schenkte ihm einen amüsierten Blick. „Denkst du wirklich, ich will mir meinen eigenen Sohn zum Feind machen? Ein Vater muss wissen, wann er seinem Kind in die Quere kommt und wann nicht. Aber falls du Fragen zum Thema Sex hast, Junge, dann…“
„Ich denke, ich komme klar“, wich Michi aus. „Aber was hast du jetzt vor, Vater? Außer, mich zu besuchen?“
Juichiro lächelte. Seine Augen veränderten sich, wurden katzenartig, wenn auch nur für einen Moment. „Ich schwanke noch. Ich meine, dies ist eine Art zweites Leben für mich, und mir stellt sich die Frage, was ich damit anfange. Es gibt den Legat immer noch, musst du wissen. Und er ist immer noch mächtig. Macht ist etwas, was ich schon immer angestrebt habe.“
„Vater. Wofür das alles? Warum? Und wieso versuchst du nicht, mich auf deine Seite zu ziehen?“
„Warum sollte ich? Du hast dein eigenes Leben, mein Sohn. Und wohin mein Weg mich führt… Einst war ich mir da sehr sicher. Aber nicht nur Menschen verändern sich, Dämonen anscheinend auch. Du wirst es merken, wenn ich mich entschieden habe.“
„Entschuldigung. Ich will nicht stören.“
Unwillkürlich zuckte Michi nach hinten und stieß hart gegen die Lehne seiner Sitzbank. „A-akari!“
Das junge Mädchen trug ebenfalls die Schuluniform der AURORA-Oberstufe. Im Moment verneigte sie sich leicht. „Ich bitte um Entschuldigung, aber ich war mit Michi verabredet.“
„Ich will auch nicht lange stören. Aber ich musste mal ein paar schnelle Worte mit meinem Sohn wechseln.“ Grinsend erhob sich Juichiro.
Akari sah wieder auf und ihr Kiefer sackte herab. Man konnte dabei zusehen, wie ihr Blick zu den goldblonden Haaren zuckte, dann zu Augen, Nase, Mund, und bei der Gesichtsform hängen blieb. „Tora!“

Als sich der Mann erhob, war sie nicht fähig auch nur einen Finger zu rühren. Im Gegenteil, sie begann zu zittern. Bei all ihrer Macht, bei all ihren Fähigkeiten als Mecha-Pilotin und Slayer, sie hatte Angst, furchtbare Angst.
Doch wenn Tora das bemerkte, so zeigte er es nicht. Er klopfte Akari auf die Schulter, beugte sich vor und hauchte ihr ins Ohr: „Pass gut auf meinen kleinen Jungen auf, bitte. Er ist so ein lieber und sensibler Bursche, er kann ein nettes Mädchen wie dich wirklich gebrauchen.“
Zu der Angst kam nun auch noch eine mittelschwere Panik. Ihr Kopf wurde knallrot und ihre Ohren begannen zu glühen. Wäre es kein trockener Tag in Tokio gewesen, sie hätte wahrscheinlich die Luftfeuchtigkeit verdampft.
Juichiro Tora klopfte noch einmal sanft auf ihre Schulter und ging. „Ach ja, Michi. Grüß deine Mutter von mir, wenn du sie triffst, ja?“
„Hä? Mutter? Was?“
„Du wirst es wissen, wenn du ihr begegnest“, orakelte der Magier. Akari sah ihm nach, blinzelte - und er war verschwunden. Wahrlich ein Magier.
„Akari, geht es dir gut?“ Michi stand auf, kam zu ihr und streckte eine Hand aus, wagte es aber nicht, sie zu berühren.
Andererseits war dies eine sehr gute Gelegenheit, fand sie. Sie warf sich an Michis Brust und begann zu schluchzen, was dieser zu ihrer Zufriedenheit zum Anlass nahm, um sie zu umarmen. „Ich hatte Angst“, gestand sie.
„Ich auch. Aber um Vater. Wenn er versucht hätte, dir etwas zu tun, dann…“
„Daran habe ich nicht eine Sekunde gezweifelt, Micchan“, hauchte sie, sah ihm in seine klaren Augen und schenkte ihm einen langen Kuss. Außerdem nahm sie sich vor, über Juichiro Tora nachzudenken. Später. Viel später.

Epilog:
Als Sakura Ino in ihrem Zimmer im Tokioter Haus erwachte, verging nur eine Sekunde, bis sie sich orientiert hatte. Frustriert umklammerte sie ihre Beine und fürchtete sich davor, aufzustehen. Das Haus war so groß, so leer. Wenn sie da an früher dachte, an das Leben, das hier getobt hatte, dann…“
„Nun warte doch mal, Yohko!“
„Nein, nein, nein! Pack das Kästchen wieder weg, Yoshi, oder ich rede kein Wort mit dir! Den ganzen Tag nicht!“
„Könnt ihr alle nicht etwas leiser sein? Joan und ich sind gestern reichlich spät angekommen und könnten noch etwas Schlaf gebrauchen!“
„Mecker nicht. Ich habe auch keinen Schlaf bekommen, und maule ich vielleicht rum, Mako?“
„Kei! Sag doch nicht so was!“
„Wir waren die ganze Nacht auf Achse, das können die anderen ruhig wissen, Ami!“
„Und? Ist wenigstens was zwischen euch passiert?“
„Definiere passiert, Megumi.“
„Sex.“
„Nein. Hey, was machst du da? Warum schiebst du so? Megumi-chan!“
„Schnell wieder rein mit euch ins Zimmer, und dann benutzt mal euren Verstand, ihr zwei!“
Mit einem Satz war Sakura in der Tür. Sie riss sie auf, trat auf den Gang, und sah das Dilemma. Yohko und Yoshi verharrten gerade auf dem Weg ins Wohnzimmer, Tetsu kam gerade herein, begleitet von Micchan und empfangen von Akari, während Megumi versuchte, Kei und Ami wieder in sein Zimmer zu stopfen.
Makoto stand in der offenen Tür zu seinem Raum und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Zweifellos das Ergebnis intensiver Interaktion mit seinem persönlichen Superstar.
Als Doitsu frisch geduscht und wohl gelaunt auf den Flur hinaustrat, bemerkte er die ungewohnte Stille, runzelte die Stirn und fragte: „Ist was?“
Kitsune steckte ihren Kopf aus der Küche hervor und rief: „Kaffee ist fertig. Wer nicht kommt, kriegt keinen!“
Megumi benutzte den Überraschungsmoment und stopfte die zwei endlich in Keis Zimmer zurück. Danach klopfte sie sich demonstrativ die Hände ab. „So, das wäre geregelt. Sensei, auch einen Kaffee?“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Information in ihren Verstand gesickert war, dass Megumi sie gemeint hatte. „Danke“, erwiderte Sakura, und es war mehr in diesem einen Wort enthalten als die Erwiderung auf die Einladung zum Kaffee.

Schließlich und endlich umklammerte Sakura ihre persönliche Kaffeetasse und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Dieses Haus lebte wieder. Bis auf Akira waren alle da, und das würde fortan nur noch eine Frage der Zeit sein.
Tetsu schob ihr ein Datapad zu. „Arbeit, Sakura.“
„So früh am Morgen? Du verstehst es, mich zu quälen, Tetsu.“
Sakura aktivierte das Pad, scrollte durch die Dateien und atmete lange und nachdrücklich aus.
„Was hast du denn da schönes?“, fragte Yoshi interessiert.
„Die Freiwilligenmeldungen für die Rettungsmission“, sagte sie betont gelangweit. Sie legte das Pad beiseite und streckte sich. „Es sieht so aus als würde ich aus sämtlichen Streitkräften der UEMF wählen können.“
Sprachlose Stille antwortete ihr, gefolgt von erleichterter Freude. Was konnte sie jetzt noch aufhalten?

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In eigener Sache
Bevor ich beginne, an der aktuellen Folge zu schreiben, möchte ich mein ganz persönliches Forum, diese meine Geschichte dazu nutzen, um etwas niederzuschreiben, was mir auf dem Herzen liegt. Man möge mir verzeihen, dass ich damit Platz für die eigentliche Geschichte wegnehme.

Inspiration ist so eine Sache. Sie kommt nicht von irgendwo und ist sowohl fast geschenkt als auch hart erarbeitet.
Ich bin dankbar für jeden Funken Inspiration, den ich erhalte, und ich liebe es, mich mit den Arbeiten anderer zu beschäftigen. Spielfilme, Anime, Musik, Mangas, Fantasy- und Science Fiction-Bücher gehören zu meinen Hobbys. Wenn ich sehe, lese, erfahre und höre, wie andere Menschen ihr Herzblut in ihre Arbeiten legen, wenn ich spüre, wie viel Spaß mir die Filme und Texte machen, wenn mir ein Lied wirklich wie ein Ohrwurm nachhängt, dann kann ich nicht anders als dankbar für diese Mühen zu sein. Dann kann ich nicht anders als motiviert zu sein. Motiviert, etwas als Dankeschön zu tun. Ich erschaffe meine eigenen Welten, meine eigenen Figuren und lasse sie Abenteuer erleben, um anderen eine Freude zu machen.
Ich weiß, ich werde die meisten Menschen, die mich mit ihren Arbeiten inspirieren, nie erreichen, und der eigentliche Zweck meiner Dankbarkeit wird damit nicht erfüllt. Aber ich bemühe mich, um meinen Dank auszudrücken. Wenn schon nicht ihnen gegenüber, dann jedermann, der mich gerne liest, der meine Geschichten mag und mich durch Lob und Kommentar motiviert, mehr zu schreiben. Ihr, meine Leser, steht stellvertretend für all die anderen, die ich auf meinem liebsten Weg nicht erreichen kann. Deshalb kann und will ich weiterhin mein Bestes tun, damit euch erfreut, was auch diese anderen Menschen erfreuen sollte, die mich inspirieren und motivieren.
…Wobei ich meine lieben Kollegen von der Fanstory-Fraktion dabei ausnehmen und hervorheben möchte. Ihr seid mir ebenso Freude und Inspiration sowie Motivation.
Danke an alle, die mich lesen und die mir helfen, besser und besser zu werden.

So, genug mit den Sentimentalitäten, aber das musste eben einfach mal raus.






















Anime Evolution: Nami

Episode sechs: Zweiter Traum

Prolog:
Meine Emotionen waren verborgen. Verborgen unter einer Maske, einer Theatermaske. Die linke Hälfte war zu einem grotesken Lächeln verzerrt, die rechte Hälfte greinte und weinte eine einsame Träne.
Im Moment entsprach meine Gefühlswelt der rechten Hälfte, denn was ich sah, war wirklich zum weinen.
Menschen waren schon seit jeher eine merkwürdige Spezies. Sie stammten von wilden Tieren ab, die sich durch Organisation und einem ausgeprägten Sozialverhalten die Evolutionsleiter hochgedient hatten. Als diese mussten es ihre natürlichen Instinkte eigentlich besser wissen, wie man sich in der Gesellschaft zurecht fand, als sich selbst an den Außenrand zu drücken. Das Problem war wahrscheinlich der Nestgeruch. Es gab zu viele kleine Fraktionen und es gab zu viele Menschen. Niemand konnte alle Menschen in einem Umkreis von nicht einmal einem Kilometer kennen, geschweige denn am Geruch oder sozialen Verhalten einschätzen. Ein solches missgewirtschaftetes soziales System brachte natürlich so etwas hervor. Außenseiter.
Ob sie diese Rolle selbst gewählt hatten oder hinein gedrängt worden waren, war mir nicht klar. Wer konnte sich da auch sicher sein? Immerhin standen dort unten in der Gasse keine verunstaltet geborene Mutanten, sondern normale Menschen wie ich, die sich nur durch ihren Haarschnitt, einigen übertriebenen Piercings und den Messern in den Händen von mir unterschieden.
Was versprachen sie sich davon, andere Menschen zu bedrohen? Was davon, sie zu verletzen? Was davon, sie zu nötigen, zu missbrauchen?
Ihr Opfer war eine junge Frau, eine Schülerin, die es eigentlich hätte besser wissen müssen, als ihnen in diese Gasse zu folgen. Nun, es würde eine Lektion für ihr Leben werden.
Was dachte sie sich dabei? Sah sie nur die beiden Messer, oder erkannte sie einen der Burschen wieder? War sie verzweifelt? Oder vielleicht nur verstört? Begriff sie, was die Männer von ihr wollten? Ich bezweifelte es.
Die Angst, die sie ausstrahlte, stachelte die beiden Messergötter an, ließ sie sich groß und mächtig fühlen. Ich bemerkte es an ihren Worten, die von drohend einschmeichelnd wurden. Sie hatten nun Macht über die Schülerin, erschreckende Macht. Und sie würde sich dieser Macht ergeben oder so gut sie es konnte verdrängen, was die beiden mit ihr vorhatten. Ob sie das Mädchen nun ausraubten, quälten, oder schlimmeres planten.
Unter meiner Maske lächelte ich zynisch.
Langsam hob ich mein Handy ans Ohr, drückte die Wahlwiederholung und sagte: „Sie sind gerade an der Gasse vorbeigefahren. Die beiden Schläger und ihr Opfer sind ganz hinten, und wenn Sie sich nicht beeilen, Herr Polizeichef, kommen Sie beträchtlich zu spät.“
Ich wartete die Antwort gar nicht ab, deaktivierte das Telefon und steckte es ein.
Dann ging ich in die Hocke und sah tiefer in die Gasse hinab.
Auf der Straße quietschten Reifen, ein Rückwärtsgang wurde eingelegt, und kurz darauf brandeten Autoscheinwerfer in die Gasse.
Die beiden Messerspezialisten erstarrten in ihrem Tun.
Als kurz darauf die Rufe: HALT! POLIZEI! erklangen, erwachten sie aus ihrer Starre und versuchten Fersengeld zu geben. Leider hatten sie sich eine Sackgasse ausgesucht.
Die beiden Polizisten, die aus dem Wagen hervor stürzten, hatten keinerlei Probleme, die beiden einzukassieren.
Das Opfer jedoch… Die junge Frau benahm sich nicht wie ein Opfer. Im Gegenteil, leise und ernst redete sie auf die beiden Polizisten ein, während ihr Blick durch die Gasse streifte und dann auf dem Dachsims hängen blieb, auf dem ich stand.
Schließlich fixierte sie mich. Trotz der Dunkelheit erahnte sie meine Position. Aber sie sagte nichts, denn Telefonanrufe an die Polizei waren nicht strafbar.
Ich winkte locker aus dem Handgelenk herab in die Gasse und wandte mich um.
In was war ich da wieder rein geraten?

1.
„Steh auf! Ich sag es dir nur einmal.“
Verschlafen richtete ich mich in meinem Bett auf. „Guten Morgen, Yohko.“
„Ich gebe dir gleich einen guten Morgen. Warum muss ich dich eigentlich wecken?“
Ich brummte vor mich hin, schlug das Deckbett beiseite und stand auf. Müde ergriff ich den Yukata, stieg in meine Hausschuhe und schlurfte an meiner bitterbösen Schwester vorbei ins Bad.
„Warum ich mich um dich kümmere, möchte ich gerne wissen.“
„Vielleicht, weil Eikichi und Mom mir das Haushaltsgeld gegeben haben und ich dir dein Taschengeld auszahle?“
Eine Sekunde später steckte ich in einem wirklich gemeinen Würgegriff, unter Catchern als „Der Schläfer“ bekannt. „Willst du etwa sagen, ich helfe dir aus profaner Geldgier und nicht weil ich deine liebe und Treusorgende Schwester bin?“
„Streich doch bitte das lieb und Treu sorgend, ja?“, krächzte ich.
Sie ließ mich mit einem herzhaften Fluch zu Boden fallen. „Du bist ein Versager und wirst ein Versager bleiben, Akira!“ Wütend stapfte sie an mir vorbei und ging in die Küche. „Der Kaffee wird kalt.“
Ich räusperte mich ein paar Mal und vergewisserte mich, dass Yohko es nicht geschafft hatte, mich zu erwürgen. Dann setzte ich den Weg ins Bad fort und widmete mich einigen unangenehmen Tätigkeiten meines Lebens. Verdammte Pickel. Die meisten Jungs in meiner Klasse waren ihre schon komplett los, nur ich musste mich mit ihnen quälen – in dem Maße, meine ich. Streuselkuchen war nur einer der freundlicheren Spitznamen, mit denen ich mich abgeben musste.
Nach einer kurzen Dusche sah die Welt aber schon anders aus, aber der Kaffee war natürlich wirklich schon kalt geworden. Yohko schien das eine gewisse Genugtuung zu bereiten, auch wenn sie es nicht zeigte.

„Kaufst du dir wieder was? Ich hätte dir auch ein Bento machen können“, murmelte sie, während ihr Blick über die Morgenzeitung ging.
„Erstens will ich nicht in deiner Schuld stehen“, brummte ich als Erwiderung, „und zweitens traue ich dir nicht. Du bringst es fertig und machst es extra scharf. Oder nimmst Abführmittel. Oder…“
„IDIOT!“ Ich konnte mich gerade noch ducken, um einem erheblich beschleunigten Toast mit Banane auszuweichen. Hoheitsvoll wie sie sich gerne gab, erhob sie sich und verließ die Küche. Das aufräumen überließ sie wie immer mir.
Ich seufzte und stellte alles zwischen zwei Bissen in die Spüle. Wer hatte denn auch schon außer mir so einen Drachen als Schwester?
„Nun beeil dich endlich. Du kommst sonst zu spät.“
„Was kümmert dich das? Du gehst doch sowieso vor, oder?“
Kurz darauf wurde die Haustür sehr laut und sehr nachhaltig zugeschlagen. Diesmal hatte ich sie wohl richtig wütend gemacht.
Seufzend ging ich in mein Zimmer, zog die Schuluniform an und griff nach meiner Tasche. Ein schneller Check ergab, dass sie weder lebende noch stinkende Objekte enthielt. Außerdem waren meine Arbeitsmappen nicht mit Herrenmagazinen gefüllt worden. Meine Schwester konnte recht erfinderisch sein, wenn sie meinte, ich hätte aus welchen Gründen auch immer Strafe verdient.
Ein weiterer Check betraf meine Schuhe. Okay. Sie waren auch nicht präpariert. Das schien ein guter Tag zu werden.

Ich trat vor die Tür und schloss hinter mir ab. Hm, es schien ein schöner Tag zu werden, die Sonne schien bereits, und die Kirschbäume hatten bereits die ersten Blüten angesetzt. Vielleicht würde ich heute auch einmal etwas Spaß in der Schule haben können.
Mein Weg führte mich zur nächsten Bushaltestelle. Yohko war natürlich schon einen Bus früher gefahren. Wahrscheinlich wieder mit Megumi-ojou-sama, der heimlichen Königin des ersten Jahrgangs. Frustriert spielte ich mit dem Zahlenschloss meiner Tasche. Megumi, das waren mindestens fünfundzwanzig Welten Distanz von mir.
Im Bus war ich der einzige Schüler der Fushida High. Aber später in der U-Bahn füllten sich die Waggons mit den schwarzen Uniformen. Und auf dem Weg zur Schule wurden die Fußwege von einer schwarzblauen Woge eingenommen. Es gingen etwas über zweitausend Schüler zur Oberstufe, und ich war nur einer davon. Man hätte meinen können, ich hätte mich in dieser Menge verloren, aber nix da. Um mich herum hatte sich ein Vakuum gebildet, eine Sicherheitsdistanz mit mindestens drei Metern Umfang. In Laufrichtung waren es noch einmal fünf Meter, und wann immer ich den Blick schweifen ließ, zuckten die Mädchen erschrocken von mir fort. Oh, es war so verdammt frustrierend. So enervierend und peinlich.
„Morgen, du Verlierer. Hast du wieder die Welt gerettet?“
Eine starke Hand schlug auf meine Schulter. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um den Besitzer zu identifizieren. „Playstation“, erwiderte ich. „Morgen, Sempai.“
Mamoru Hatake meinte es gut mit mir. Nun, so gut wie man es mit Akira Otomo, oder wie ich meistens genannt wurde, Otomo-Pest, meinen konnte.
„Hast du wenigstens gewonnen?“
Ich zog ein Resumée von letzter Nacht und grinste. „Mehr oder weniger.“
„Da. Jetzt redet er auch noch mit Hatake-sempai. Wenn nun seine Idiotie auf ihn abfärbt?“
Wütend ballte ich meine Rechte um den Griff meiner Tasche. Das hatte ich gehört. Schlimmer noch, das sollte ich hören.
Mamoru Hatake grinste mich an. „Mach dir nichts draus, Kumpel. Sei lieber froh, dass du kein Mädchen bist, sonst würdest du jetzt Reißzwecken in deinen Schuhen finden.“
Ich unterdrückte eine harsche Antwort und den Hinweis auf mein Sammelsurium spitzer und scharfer Gegenstände.
Ihm machte das natürlich Spaß. Der Schönling badete ja geradezu in der Bewunderung anderer. „Kannst du nicht jemand anderem auf die Nerven gehen, Sempai?“, murmelte ich.
„Aber, aber. Würde ich das tun, würde dir ja keiner sagen, dass du heute nach der Schule zum Kendo kommen musst. Eine Gastmannschaft hat sich überraschend angekündigt. Sensei hat entschieden, dass wir ein kleines Turnier machen. Ataka-kohai, du und ich bilden unser Team.“
„Ein drei gegen drei?“
„Nein, drei gegen fünf. Ataka-kohai und ich nehmen zwei von ihnen. Du kriegst einen. Damit sie sich nicht so vollkommen schlecht fühlen, nach vier Niederlagen.“
„Danke, ich verzichte“, zischte ich wütend. Manchmal hasste ich mein Leben.
„Aber, aber. Du fliegst aus dem Kendo-Club, wenn du ablehnst. Du hast schon zu viele Trainingsstunden geschwänzt, okay?“ Mamoru legte einen Arm um meine Schulter und drückte mich. „Hey, ich meine es wirklich nur gut mit dir, okay?“
„Wer es glaubt.“
„Hm. Es ist wirklich leichter dich zu treten als nett zu dir zu sein.“ Sein linker Handballen schlug gegen meinen Hinterkopf. „Vergiss es nicht. Nach der Schule, klar, Otomo-Pest?“
„Ja, ja“, erwiderte ich. Oh, ich könnte diesen Schönling manchmal wirklich, wirklich so richtig nach Strich und Faden…
„Ich gehe dann schon mal vor. Pflichten als Klassensprecher. Ich bin einfach zu beliebt, weißt du?“ In einer affektierten Geste legte er eine Hand an die Schläfe, was einen kollektiven Begeisterungsschrei bei den Mädchen auslöste. Er grinste, zeigte mir das V-Zeichen mit der Rechten und ging vorweg.
Da war ich nun wieder, im Mittelpunkt meines eigenen Vakuums. Und ich spürte eine Menge neidischer, zorniger und einige empörte Blicke in meinem Nacken.

Nach einem Abstecher zu den Schuhboxen – gut, kein faules Obst drin, keine Reißzwecken, Rasierklingen oder Nägel in den Schuhen – erreichte ich endlich meine Klasse. Mein Platz war das Pult ganz hinten links am Fenster. Weit, weit weg von den Lehrern, weit, weit weg vom Rest der Klasse. Um genau zu sein, weit, weit weg in meiner eigenen Welt. Die Welt war groß und bunt, und sie ging mir wirklich am A…
„Akira Otomo!“
Ich sah auf. Hatte ich tatsächlich den Beginn der Homeroom verschlafen?
Ino-sensei sah mich wütend an. Und ehrlich gesagt, Zornesadern, die auf ihrer Stirn pochten, machten sie nicht gerade hübscher. Dabei war sie eine Legende an unserer Schule. Die goldene Göttin wurde sie genannt, wegen ihrem goldblonden Haar, das sie stets zu einem straffen Knoten im Nacken zusammenband.
„Was denn?“, brummte ich wütend und wandte mich wieder dem Fenster zu.
„Aufstehen, Otomo-san! Verbeugen!“, half Hina Yamada mir aus, unsere Klassensprecherin. Weiß der Henker, warum ein so talentiertes und zudem beliebtes Mädchen ausgerechnet den Pult neben mir hatte.
„Jajajajajaja.“ Mit einem tiefen Seufzer erhob ich mich und entrichtete die vorschriftsmäßige Verbeugung, um den Respekt vor unserem Lehrer auszudrücken. Danach konnte die Homeroom-Stunde beginnen. Zum Glück vergingen die zehn Minuten der täglichen Orientierung, ohne dass die goldene Göttin mich erneut aufs Korn nahm.
„Akira“, zischte Hina mir zu, während wir auf den Beginn der eigentlichen ersten Stunde bei Yamaguchi-sensei warteten, „du lässt mich schlecht aussehen.“
„Halt den Rand“, zischte ich zurück. „Der einzige, der hier schlecht aussieht bin ich! Also mach hier keinen Kasper! Ich sorge schon dafür, dass Ino-sensei dich in Ruhe lässt, ja?“
Der Blick, den sie mir zuwarf, konnte ich nicht in Worte fassen. Nun, sie war verletzt. Ich war immerhin die Otomo-Pest, und Widerworte von mir waren in etwa so peinlich wie ein Liebesgeständnis. Aber darin lag noch eine Verstörtheit, ein merkwürdiger Schmerz, den ich nicht identifizieren konnte.
Oh, ich konnte netter zu ihr sein. Aber warum sollte ich das? Ich erinnerte mich noch zu gut daran, wie sie als eine der ersten gelacht hatte, als mich Yoshi Futabe Otomo-Pest genannt hatte. Oh, ich hatte wirklich Lust, mein Pult zu schnappen und aus dem Fenster zu werfen. Weit, weit aus dem Fenster.

Die Pausen waren das Schlimmste. Ich meine, ich war ein absoluter, isolierter Einzelgänger. Mein bestes Erlebnis in einer Pause war, wenn ich das Dach erreichte, ohne dass ich verspottet oder überhaupt bemerkt wurde. Das Dach. Mein Refugium. Mein Zufluchtsort. Hier herrschte die Pest, also ich. Denn wenngleich die anderen Schüler mich mieden, schnitten und als willkommenes Ventil für ihren eigenen Frust ansahen, so wagten sie es doch nicht, an einen Ort zu kommen, an dem sie mit mir alleine waren. So tapfer war keiner von ihnen. Es gab viel zu viele Gerüchte darüber, was Otomo-Pest mit zwei Fingern anrichten konnte. Und angeblich hatte es an meiner alten Schule einige unerklärliche Todesfälle gegeben, die mehr oder weniger mir zugeschoben wurden. Nun, mir war es Recht.
Ich konnte auf dem Dach sitzen, mich gegen den Maschendraht lehnen und in die Wolken starren. Hunger hatte ich keinen. In meinen Pausen hatte ich nie Hunger. Denn das hätte bedeutet, runter in die Mensa zu müssen, und unter Leute zu gehen. Ich hasste das.
Mein Magen war natürlich anderer Meinung, aber ich ignorierte ihn.
Als sich die Tür zum Treppenhaus öffnete, spannte ich mich an. War ja klar gewesen. Meine Ruhezone konnte mir nicht ewig Schutz gewähren. Irgendwann hatten sich ja meine Feinde, Gegner, und solche, die mich aus Prinzip nicht mochten, zusammenrotten müssen, um dem gefährlichen Freak eine Lektion zu erteilen. Nun, sollten sie doch. Ich würde mein Fell teuer verkaufen.
„Puh, hier ist ja wirklich nichts los. Wie schön.“
Verblüfft sah ich sie an. Hier? Und wie es schien, alleine? Wollte sie mich fertig machen? Das konnte ich nicht glauben. „Uno-kun?“, fragte ich irritiert.
„Ah, Otomo-Pest. Es stimmt also. Hier kommt keiner hoch, damit sie sich nicht an deinen Pickeln anstecken.“ Sie grinste mich an, ging neben mir in die Hocke und zeigte mir das V-Zeichen. Was bildete sich diese dumme Kuh ein? Und vor allem, was hatte sie vor?
Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie sich neben mir – viel zu nahe – zu Boden sinken. Zwischen ihre Beine stellte sie eine Bento-Box an und begann sie auszuwickeln.
Zwei Etagen, und beide gut gefüllt. „Na, dann hau ich doch mal rein!“, sagte sie lächelnd, brach ihre Stäbchen auseinander und begann zu essen.
Sie sah zu mir herüber, mit einem wirklich schiefen Blick. „Isst du nichts?“
„Steht es irgendwo geschrieben, dass es Pflicht ist?“, blaffte ich.
„Hey, Hey, Waffenstillstand. Ich habe dir nichts getan, okay?“
„Du musst nicht hier sein. Und du musst auch nicht neben mir sitzen!“
„Wieso? Mache ich dich nervös?“ Sie lächelte mich an, und ich war mir wirklich sicher – irgendeine Fiesheit nahm gerade ihren Anfang. Uno-kun war niemals, niemals einfach so freundlich zu mir. Das konnte nicht sein, andernfalls wäre die Hölle bereits zugefroren.
„Natürlich. Immerhin bist du ja die Königin des Ersten Jahrgangs, oder? Jeder Junge, der neben dir sitzt, muss nervös sein.“
„Hm. War das ein Kompliment?“
„Ist mir egal, wie du das aufnimmst“, brummte ich.
„Hm. Dann nehme ich das Kompliment. Freu dich, dafür gibt es eine Belohnung. Hier, iss!“
Sie reichte mir eines der Sandwichs aus der zweiten Etage.
„Kein Hunger.“
Plötzlich war sie mir nahe, so erschreckend nahe. Uns trennten nur ein paar Millimeter, und ihr Blick war schlicht und einfach düster und zornig. Ich war mir sicher, mit diesem Blick hätte sie sogar Takashi einschüchtern können, unseren Schulsprecher. „Willst du mir etwa sagen, ich stehe eine geschlagene Stunde früher auf, um dieses Bento zu machen, biete dir was davon an und du isst es nicht? Hast du solche Todessehnsucht, Akira?“
„I-ich kann ja mal probieren“, stotterte ich und ergriff das Sandwich.
„So ist es gut“, sagte sie und kehrte von extrem schrecklich zu extrem niedlich zurück. Extrem niedlich? Wieso sah ich sie so? Sie war doch nur eine von diesen verwöhnten, arroganten Tussen, die mir gerne das Leben schwer machten. Außerdem war sie die Freundin meiner Schwester, und so was nannte man einen vergifteten Brunnen.
„Essen“, ermahnte sie mich mit hochgezogener Augenbraue.
Gehorsam biss ich hinein. Was war es wohl? Zu scharf? Mit Abführmittel behandelt? Mit lebenden Würmern belegt? Eine Kakerlake vielleicht? Nun, der erste Bissen schmeckte.
„Nicht schlecht.“
„Echt? Und das ist nicht nur ein Kompliment?“, hauchte sie erschrocken.
So erschrocken, dass ich ein Stück abrückte. „Was ist denn mit dir los, eh? Guck mal, ich bin es, die Otomo-Pest. Seit wann sollte ich wohl Komplimente machen, hä?“
„Oh. OH!“ Übergangslos begann sie zu strahlen. „Na, dann probier doch auch mal hiervon. Bei den Omeletts bin ich mir immer nicht so sicher. Sag Ah.“
„Uno-kun. Das sind die Stäbchen, die du benutzt hast!“, sagte ich scharf.
„Und? Denkst du, ich habe irgendeine ansteckende Krankheit?“
„Nein, das nicht, aber wenn du dich mit der Otomo-Pest anstecken willst, nur zu.“ Wieder rückte ich etwas weiter ab, nur hatte ich diesmal einen Stahlpfosten im Rücken.
„Nun iss schon dein verdammtes Omelett und sag mir deine Meinung“, fauchte sie.
Zwei zu null für Megumi Uno, dachte ich und aß das Mistding.
„Gut“, brachte ich nach diversem kauen und schlucken hervor.
„Wirklich? Das freut mich. Ich habe hier noch mehr, was du mal probieren kannst!“
„Uno-kun, das ist wirklich keine gute Idee! Ich…“ Hastig beugte ich mich vor, wollte mit einer Hand ihr Bento schließen. Da rauschte ihr Schädel herab und mir auf den Hinterkopf. Mann, Mann, Mann, konnte noch ein anderer Mensch außer mir einen so harten Kopf haben?
„Autsch. Autschautschautsch. Das gibt nen blauen Fleck. Was hast du mit deinem Kopf gemacht, Akira, mit Beton ausgegossen?“
Wäre die Situation nicht so lächerlich gewesen, ich hätte drüber lachen können. Bei der Jagd nach ihrem Bento – ich hatte es schließen, sie sich für ein zweites Exempel ihrer Kocherei bedienen wollen – war ich etwas schneller gewesen und ihr Kopf war auf meinen nieder gerauscht. Nun saß ich hier, mit einer beginnenden Beule am Hinterkopf und halb über sie gebeugt. Genauer gesagt über ihre Beine. Und ihr Bento hatte ich dabei auch noch halb umgestoßen.
„Ich mache Kendo“, murmelte ich. „Entschuldigung. Ich habe dich verletzt. Und ich habe dein Mittagessen umgestoßen.“
„Na, du kannst ja doch nett sein, wenn du willst. Ich…“
„Otomo, du Bastard!“ Übergangslos fühlte ich mich am Kragen gepackt, hoch gerissen und hart am Kiefer getroffen. Bevor ich überhaupt richtig reagieren konnte, hatte ich zwei Zentren des Schmerzes. Zum Hinterkopf gesellte sich nun der Kiefer. Verdammt.
„Wie kannst du es wagen? Wie kannst du Megumi-chan hier hoch locken und über sie herfallen? Wenn das Mamoru, ihr Freund, erfährt, bist du Scheibentoast!“
„Yoshi! Lass ihn los! Er hat nichts getan!“
Ich sah auf. Natürlich. Ich steckte im Griff von Yoshi Futabe. Dem Klassenschönling. Was Mamoru für die ganze Schule war, das war er für Klasse und Jahrgang. Ich dachte manchmal, dass dieser strahlend blonde, Pickelfreie Strahlemann mehr Geld für sein Äußeres ausgab als manches Mädchen.
„Das ist eine Männersache, Megumi! Außerdem hat dieser Arsch genügend Prügel verdient, um ihn…“
Ich musste lächeln. „Du machst da einen Fehler.“
„Was meinst du mit Fehler, du ekliger WHOAAA!“
Als Yoshi fiel, ließ er mich im Reflex los. Er schlug hart auf und sah verwundert hoch. „Was ist passiert?“
„Du hast dein Gewicht auf einem Bein konzentriert. Das habe ich dir weggetreten. Das ist alles.“
„Du Hund! Ich…“ Er kam schnell wieder hoch, ging mich wütend an… Und fand sich eine Sekunde später erneut am Boden wieder.
Ich hielt mir kurz die Rechte. Harter Kiefer. Hätte ich dem Schönling nicht zugetraut. „Und du solltest nicht unüberlegt angreifen, okay? Du bietest Dutzende Eröffnungen, Idiot.“
„Der Schlag war nicht von schlechten Eltern. Und ich habe ihn nicht mal kommen sehen. Aber das macht nichts. Ich…“
„YOSHI-SAMA!“
Was war heute eigentlich los? Warum kamen alle, wirklich alle auf mein Dach? Warum konnten sie nicht bleiben, wo der Pfeffer wächst?
Irritiert betrachtete ich die Traube aus Mädchen, die nun Yoshi umschwärmte. Wieder trafen mich böse Blicke, als ich als Urheber seiner Verletzungen erkannt wurde. Dass er zuvor meinen Kiefer, zudem ohne Vorwarnung, malträtiert hatte, tat natürlich nichts zur Sache.
„Lass gefälligst Yoshi-sama zufrieden, oder kein Mädchen der Schule spricht auch nur noch ein Wort mit dir, klar, Otomo-Pest?“
„Ooh, Uno-sama hat er auch geschlagen. So ein Tier!“
„Wartet, er hat mich nicht geschlagen, das ist…“
„Komm einfach erst mal mit. Wir bringen dich ins Bad und dann kühlen wir die Beule. Und du Mädchenschläger, um dich kümmern wir uns auch noch, klar?“
„Ich…“ Ärgerlich und verzweifelt ließ ich die Arme sinken. Natürlich. Das war ja wieder so klar. So offensichtlich und so einfach. Es war natürlich Akira Otomo, der ewige Außenseiter.
Ach, wie einfach war es doch, mich falsch zu verstehen. Und normalerweise wäre ich damit zufrieden gewesen, aber Megumi hatte mich verteidigen wollen, und diese Schnepfen hörten ihr nicht einmal zu und…
Und vielleicht war das der Plan. Vielleicht wollten sie ihren Spaß haben, mich glauben machen, dass Megumi mich mochte, und dann wenn es mich besonders verletzte, mir so richtig geben.
„Scheiße“, murmelte ich, als die Bande das Dach verlassen hatte und sackte am Zaun zu Boden. „Verdammte, verdammte Scheiße.“
Ich war ja auch nur ein Mensch, ein einfacher, zerbrechlicher Mensch. Was ich ertragen konnte hatte Limits. Aber das scherte ja keinen. Und das Bento? Wer kümmerte sich darum?
Ich musste es ihr wiedergeben. Irgendwie, auch wenn ich um ihre Klasse besser einen Bogen machte. Ich konnte nicht alle ihre Mitschüler verprügeln, nur um ihr die Box wiederzugeben.
Ich nahm mir noch ein Sandwich. Es schmeckte wirklich gut. Eine Schande, so ein gutes Essen zu vergeuden.

Den Rest des Tages verbrachte ich isoliert. Ich meine noch isolierter als sonst. Anscheinend hatte die Geschichte vom Mädchenschläger Otomo schon die Runde gemacht.
In meiner Klasse und auch während der Kurse wurde ich ignoriert. Danke. Warum ging das nicht gleich so?
„Verschwinde“, knurrte ich, als ein Schatten auf meinen Pult fiel.
„Aber, aber. Wer wird denn gleich so ausfallend werden?“
Ich sah auf und erkannte Kei Takahara, den Transferstudenten, der erst seit einigen Tagen in unserer Klasse war. „Was willst du?“
„Hm, wie wäre es mit dich retten?“ Wortlos hielt er mir eine digitale Kamera vor die Nase.
Das Bild auf dem Rückendisplay zeigte Megumi und mich, gelehnt an den Drahtzaun.
Grinsend drückte Kei die Vorwärtstaste und rief die nächsten Bilder auf. „Ich war oben auf dem Dach, weil ich ein paar Panoramabilder machen wollte. Und da kamen mir ein paar schöne Bilder von Megumi-chan gerade recht. Hier, siehst du? Diese Bilder entlasten dich total. Ich kann sie vervielfältigen und herumzeigen. Nicht einmal die einzelnen Bilder kann man verwenden, um dich in die Scheiße zu reiten und…“
„Hast du es nicht kapiert“, fragte ich frustriert. „Denen da“- ich deutete auf die anderen in der Klasse –„geht es nicht um die Wahrheit. Denen geht es nur darum, ihre Vorurteile zu pflegen und ein wenig auf anderen herum zu hacken, damit sie sich selbst besser fühlen können.“
„Aber das ist ein Beweis! Ich meine, ein Beweis! Das können sie nicht ignorieren und…“
„Du hast es nicht verstanden, oder?“, seufzte ich. „Okay, probieren wir es mal so.
Hey, alle mal hergehört! Kei und ich sind ab sofort ganz dicke Freunde!“
Die Reaktion der anderen hatte ich erwartet. Offenes Entsetzen, ein paar getuschelte Bemerkungen und ein paar Blicke, die den weißblonden Jungen streiften, die mit fies schon nicht mehr umschrieben werden konnten.
„Hast du es jetzt verstanden, Kei? Ja? Dann sieh zu, dass du Land gewinnst, bevor sie wirklich glauben, du würdest dich mit mir abgeben.“
Die Miene des kleinen Jungen wurde hart. „Und du hast etwas anderes nicht verstanden, Akira. Was meinst du wohl, wen würde sich ein Transferstudent aus dieser Horde Arschlöcher als Freund aussuchen, hm?
Hey! Stimmt! Akira und ich sind ab jetzt ganz dicke Freunde! ER gibt wenigstens nichts auf Gerüchte!“
„Idiot. Du hast dich gerade selbst isoliert, weißt du das?“
Kei grinste schief. „Isoliert war ich schon seit ich herkam. Und ein richtiger Freund ist mir lieber als fünf Oberflächliche. Wie sieht es aus, Akira? Sind wir jetzt Freunde?“
„Wenn du genügend Mumm hast, um es zu ertragen?“
„War das ein ja?“
Frustriert schnaubte ich auf. „Das war ein vielleicht. Wir reden in ein paar Tagen noch mal.“
„Immerhin“, bemerkte Kei und ging auf seinen Platz zurück. Die Blicke der anderen ignorierte er. Dummkopf. Warum machte er sich sein Leben freiwillig schwer?

Englisch hatten wir in der Siebten bei Haruna-sensei mit der gesamten Klasse. Und sie wartete mit einer Überraschung. Ich meine, es war damals eine Überraschung gewesen, dass meine kleine Wunderschwester ein Schuljahr übersprang und in meine Klasse versetzt worden war, aber das hier, das war eine wirkliche Überraschung. Zuerst wurde uns eine Transferstudentin vorgestellt. Eine Amerikanerin namens Joan Reilley, die erstens ziemlich gut aussah und zweitens einen Sitz schräg rechts von mir bekam.
Zweitens gab es einen sehr uninteressanten Vortrag von einem Polizeioffizier zum Thema Vigilanten. Menschen, die das Recht in eigene Hände nahmen, es durchsetzten und ihre eigenen Regeln jenseits der Gesetze gingen. Und ein noch uninteressanterer Vortrag zum Thema Kuroi Akuma, dem bekanntesten Vigilanten in unserer Stadt.
Kuroi Akuma, ein selten dämlicher Name. Die Medien hatten diesen Namen geprägt, und seither wurde ich ihn nicht mehr los.
Ja, ich. Denn der Mann mit dem dunklen Anzug und der Theatermaske war niemand anderes als Akira Otomo.
Nicht, dass ich ein Held sein wollte, die Medien gingen brutal, ja, regelrecht fies mit mir um. Was ich den Verbrechern antat, wurde so übertrieben, dass die Leser der Tageszeitungen mit den Tätern beinahe mehr Mitleid hatten als mit den Opfern.
Aber das war mir egal. Ich hatte nicht drum gebeten so zu sein wie ich war. Und ich hatte nicht um die Fähigkeiten gebeten, die ich hatte. Aber ich war fest entschlossen, sie zu nutzen. Auf die eine oder andere Art.
„Hey, Otomo. Joan Reilley, Kalifornien.“
Irritiert sah ich auf. Diese Amis. Der Polizeioffizier redete doch noch. Konnte sie mit ihrer Selbstvorstellung nicht warten, bis er fertig war?
Oder war sie… Hm. Ich runzelte die Stirn. Eine Austauschschülerin, die kurz vor einem Vortrag über einen stadtweit gesuchten Vigilanten in meine Klasse kam, und die nun Interesse an mir zeigte… War das eine Warnung an mich? Stand ich schon unter Verdacht?
„Halt die Klappe! Wir haben immer noch Unterricht!“, zischte ich.
„Was denn? Seit wann stört das Akira Otomo?“, erwiderte sie mit einem Lächeln. „Bist du nicht der Typ, vor dem sogar die Lehrer an der Mittelstufe gekuscht haben?“
„So entstehen Gerüchte“, entgegnete ich mit einem matten Lächeln.
„Hm. Dann bin ich enttäuscht. Ich dachte, du wärst eine richtig harte Sau.“
„Tut mir Leid. Ich bin hier nur der Aussätzige. Und wenn du nicht aufpasst, steckst du dich bei mir an.“
Ihr Lächeln war entwaffnend und extrem frech. „Was muss ich denn tun, um mich anzustecken, O-to-mo-sa-ma?“
Ich grinste fies. Für die Undercover-Polizisten, für die ich sie hielt, war sie reichlich frech. Irgendwie gefiel mir das.
„…Deshalb bittet die Polizei um eure Mithilfe. Wenn Ihr verdächtige Personen seht, verlangt niemand von euch, selbst einzuschreiten. Aber Ihr könnt meine Kollegen per Handy benachrichtigen und sie zum Ort des Verbrechens lotsen“, sagte der Polizeioffizier, unseren Disput stoisch ignorieren.
Na Klasse, genau mein Thema. Genauer gesagt, meine Tat von letzter Nacht. Ein verräterisches Grinsen huschte über meine Zügel. Das hatte Spaß gemacht.
„Also, Otomo, was unternimmt man hier so nach dem Unterricht?“, fragte Reilley.
„Was weiß ich? Ich für meinen Teil gehe nach Hause.“
„Was ist da dran denn interessant?“
Ich machte eine ausufernde Bewegung, die den halben Raum umfasste. „Keine Spinner. Selige Ruhe. Und meine Manga-Sammlung.“
„Ph, Manga-Sammlung. Wie viel?“
„Eintausenddreihundertelf.“
„Genre?“
„Quer durch den Garten.“
„Gut. Dann komme ich mit. Mal sehen, was du so zu bieten hast, Akira.“
„Hey, Moment mal, ich…“
„Ich freu mich drauf.“
Mist, Gottverdammter!

Nach der abschließenden Homeroom-Stunde bei Ino-sensei, zehn Minuten, um den Tag Revue passieren zu lassen, waren wir entlassen. Und ich hatte vier neue Probleme, mit denen ich mich herumschlagen musste. Erstens war da noch das kleine Turnier, zu dem mich Mamoru-Halbgottarschloch befohlen hatte. Na, der würde sich freuen mich zu sehen, sobald er die Gerüchte über Megumi gehört hatte.
Zweitens war da immer noch Megumis Bento-Box. Meine stille Hoffnung, dass sie noch mal hochkommen würde oder jemand das Mistding holen würde, hatte sich nicht erfüllt. Mist.
Problem drei war Kei Takahara, der kleine Fotofreak. Warum musste sich der Bengel das Leben selbst schwer machen? Er sagte zwar, er wäre schon vorher isoliert gewesen, aber gegen das was ich jeden Tag erlebte, konnte das nicht schlimm gewesen sein. Immerhin, mich rührte sein Versuch, mich zu retten. Aber die Mädchen würden in ihrem gerechten Zorn auf die Otomo-Pest nicht einmal Mutter Theresa zuhören, wenn sie sich für mich einsetzte.
Das letzte Problem trat gerade an meinen Tisch heran. „Also, ich bin fertig. Können wir dann, Aki-chan?“
Ich ächzte ausgiebig und sah Joan Reilley direkt an. „Was, wenn ich nein sage?“
„Das traust du dich nicht“, stellte sie grinsend fest.
„Ich habe noch Kendo“, sagte ich ausweichend. Tatsächlich. Ich traute mich wirklich nicht, ihr eine Abfuhr zu erteilen. Obwohl das wahnsinnig cool gewesen wäre und… Nein, ich durfte den Fakt nicht ignorieren, dass sie eine auf mich angesetzte Polizeioffizierin war. Das machte es interessant, wenn ich sie mit nach Hause nahm.
„Ich gehe jetzt nach Hause. Beeil dich, wenn du mit willst“, fauchte Yohko zu mir herüber.
Yoshi, der Klassenschönling, hob irritiert eine Augenbraue. Dann stießen seine drei Gehirnzellen zusammen und er erinnerte sich daran, dass sie meine Schwester war.
„Gehst du wieder mit Uno-kun?“, fragte ich beiläufig.
„Nein, sie hat noch was vor. Wieso?“
„Sie hat ihre Bento-Box vergessen. Nimmst du sie für sie mit?“
Unschlüssig sah sie mich an, kam dann mit schnellen Schritten auf mich zu, entriss mir die Box und stapfte wütend davon.
„Wow. Die ist ganz schön geladen. Deine Freundin, Aki-chan?“
„Meine Schwester“, brummte ich. „Meine kleine, bösartige und fiese Schwester.“
„Oh, dann bist du ja die männliche Version von Cinderella, was? Hast du noch mehr Schwestern? Es sind doch immer drei Schwestern, oder?“
Für einen Moment musste ich mit einem Lachanfall kämpfen. Wenn ich meinen Cousin Makoto hinzuzählte, der ab und an gerne als Mädchen herumlief - und diverse Frauen traumatisierte, weil er hübscher war als sie – außerdem Ino-sensei alias meine Cousine Sakura, kam das mit viel Wohlwollen und Augen zudrücken mit drei Schwestern hin.
„Ich habe nur eine Schwester“, erwiderte ich atemlos. „Gott sei Dank. Drei von der Sorte wären mein Tod.“
„Du magst wohl keine Mädchen, was?“
„Oh, das ist es nicht. Die Mädchen mögen mich nur nicht.“
„Hm? Freu dich, das hat sich gerade geändert.“ Sie zwinkerte mir zu. Ja, klar. Schon klar. Auffälliger ging es doch gar nicht mehr.
Ich stand auf, ergriff meine Tasche.
„Kendo, sagtest du? Kann ich zugucken kommen?“
„Tu was du nicht lassen kannst.“
„Oh, toll.“
Mit strahlendem Lächeln ging sie neben mir her. Mist, womit hatte ich das verdient? Warum ging ein hübsches Mädchen neben mir her? Warum entfernte sie sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit von mir, wie alle anderen?
„Hey, Akira. Jetzt geht es wohl los, was?“ Kei klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter. „Ich werde ein paar Aufnahmen machen, um deinen Sieg festzuhalten, ja?“
Indigniert sah Joan Reilley den kleineren Kei Takahara an. „Wer bist du denn?“
„Ich bin Akiras Freund“, stellte er sich vor. „Und du?“
„Ich bin Aki-chans Freundin.“
Für einen Moment glaubte ich, dass zwischen den beiden statische Elektrizität wie ein Lichtbogen hin- und herzuckte.
„Auszeit, ja? Macht von mir aus was Ihr wollt, aber lasst mich da raus, ja?“ Wütend beschleunigte ich meine Schritte. Puh, zwei Freunde an einem Tag. Was hatte ich der Welt angetan?

In der Halle war es wie erwartet. Der stoische, ruhige Doitsu Ataka hatte die ersten beiden Kämpfe und gewann sie souverän. Er nahm seinen Men ab, schob seine Brille wieder die Nase hoch und lächelte dünn. Dabei funkelten seine Brillengläser auf. Und die Mädchen auf den Zuschauerplätzen kreischten begeistert.
Der nächste war ich. Wütend setzte ich meinen Men auf, schnappte mir mein Shinai und ging aufs Kampffeld. Unser Gegner war die Jindai, und ihre Leute waren gut, richtig gut.
Wie war das gleich? Sempai hatte gesagt, sie sollten sich besser fühlen, oder? Na, meinetwegen. Kendo bot mir wenigstens etwas Abwechslung und die Chance, ein wenig Frust abzubauen… Da konnte ich auch mal verlieren.
Ohne mit der Wimper zu zucken ließ ich mich zweimal treffen und verlor haushoch gegen die Nummer vier der angetretenen Jindai-Kendoka.
Natürlich kassierte ich Pfiffe und Schmährufe, aber ich hatte mich ja auch nicht mit Ruhm bekleckert. Ich nahm meinen Men ab und ging zu Hatake-sempai. „War es das, was du dir vorgestellt hast?“
Sein Schlag traf mich nicht überraschend, aber hart genug, um mich zu Boden zu werfen. „Idiot! Kannst du auch mal ernsthaft sein? Wer hat dir gesagt, dass du verlieren sollst?“
„Ach, bist du sauer wegen der Geschichte mit Uno-kohai?“, erwiderte ich wütend. „Da hast du jetzt ja ein schönes Ventil gefunden, eh?“
Wütend starrte er mich an. Und begann zu schreien. Es war kein Wutschrei, es lagen, Schmerz und Überraschung darin.
„Hatake-sempai!“ „Hatake-sempai!“
„Schon gut! Ich war unvorsichtig! Ich hätte nicht auf Otomos Panzerung schlagen dürfen. Mist, mein rechtes Handgelenk ist wohl verstaucht.“
„Sempai. Ich ziehe mich schnell um und…“
„Nein. Du bist nicht für das Turnier eingetragen. Doitsu, was ist mit dir?“
„Keine Lust. Ich habe schon zwei Siege eingefahren. Meine Schulter tut weh.“
Mamoru sah mich an, mich alleine, mich direkt. Und mir gefiel dieser Blick überhaupt nicht. „Du hast ja bisher noch nichts getan, Otomo-Pest. Los, rein mit dir.“
„Aber Hatake-sempai! Otomo?“ „Hatake-sempai, wenn wir mit dem Captain der Jindai reden, dann…“
„Rein mit dir, Akira. Und bring mir zwei Siege! Dann drücke ich bei der Sache mit Megu-chan ein Auge zu, okay?“
Gut, gut, er verstand es zumindest, jemanden zu motivieren.
„Und blamier mich nicht vor ihr, klar?“
Ich folgte seinem Blick auf die Tribüne. Dort erkannte ich Megumi. Sie hatte also meine Niederlage mitbekommen.
Und das Mädchen, das sich gerade neben sie setzte – ein Kraftakt, so wie Megumi umlagert war – war niemand anderes als Joan.
Ich setzte den Men wieder auf, umklammerte mein Shinai und wandte mich barsch ab. „Zwei Siege. Kommen sofort, Sempai.“
„AKI-CHAN! SIEG FÜR MICH!“
Ich hielt irritiert inne. Diese Amerikaner. War denen denn gar nichts peinlich?
„UND FÜR MEGUMI-CHAN!“
Warum konnte ich nicht auf der Stelle tot umfallen? Das hätte vieles leichter gemacht.
Ich trat auf den Platz zurück. Mein Gegner war der zweitbeste Kendoka der Jindai-Auswahl. Und er war nach meiner peinlichen Vorstellung sehr, sehr siegesgewiss.
Nun, das war er nur, bis der Kampf freigegeben war. Bevor er sich versah, hatte ich ihn bereits an der Kehle getroffen und mir meinen ersten Punkt geholt.
Den zweiten ergatterte ich mit einem Tsuki auf sein rechtes Handgelenk.
Für einen Augenblick rechnete ich damit, dass mir einer der Kampfrichter einen halben Punkt abzog – weil mein Kampfschrei nicht laut genug war, nicht das Ziel richtig benannt hatte, oder weil mein Hakama auf dem Boden schleifte oder es nicht tat – also war ich entsprechend überrascht, als mein zweiter Punkt anerkannt und mein Sieg bestätigt wurde.
Damit hatten wir das Mini-Turnier gewonnen und Jindai eine peinliche Niederlage beigebracht.
Doch damit war es noch nicht vorbei. Die Nummer eins der Kendoka der Jindai wartete schon, erpicht darauf, wenigstens einen Teil der Ehre des Teams zu retten und einen regulären Sieg zu erzielen.
Auf den Rängen jubelte jemand, es war für mich nicht schwer zu erraten wer, während die restlichen Zaungäste schwiegen. Konnte mir auch egal sein. Aber Jubel tat überraschend gut. Irgendwie.
Nach Beginn des Kampfes ging mich mein Gegner sofort an. Eine alte Regel im Kampfsport besagte, dass der erste Treffer entscheidend war. Aber der erste Treffer war nicht immer mit dem ersten Angriff identisch. Und so kassierte mein Gegner einen Treffer auf dem Men.
Hatte ich erwartet, das würde ihn vorsichtiger machen? Im Gegenteil. Nun wurde er wütend. Und Wut war nicht nur ein schlechter Ratgeber, sondern auch gegen die Regeln.
Von einem Kendoka wurde erwartet, die Lage stets zu überblicken. Wer Zanshin, Kontrolle über die Situation, nicht erlangte, konnte leicht einen halben Punkt verlieren.
Wieder griff mein Gegner an, vehement und mit eine Karatake. Für mich wirkte es, als würde er sich in Zeitlupe bewegen. Für mich war es keine Schwierigkeit, einen schnellen Schritt vorzugehen und seinen Rumpf mit einem Tsuki zu treffen. Hätten wir echte Schwerter benutzt, hätte ich ihn gerade aufgespießt. Ein zynischer Gedanke, der ein noch zynischeres Grinsen auf mein Gesicht zauberte.
Zweiter Punkt und Sieg. Fast perfekter Sieg für die Fushida. Und ich ärgerte mich, dass ich meinen ersten Kampf so locker verschenkt hatte.
Ja, das war die Mühe wert gewesen, wirklich wert gewesen. Egal, was mir die nächsten Tage passierte, diese beiden Siege konnte mir niemand mehr nehmen. Ich wandte mich ab und grüßte meinen Sempai.
„AKIRA! HINTER…“
Ich hatte die Warnung nicht einmal zu Ende gehört, da wirbelte ich bereits herum. Mein Gegner führte einen frustrierten, zudem regelwidrigen Sturmangriff auf mich aus, erneut mit einem Karatake, einem Hieb von oben herab. Ich nutzte die Gunst der Stunde, schlug ihm mit meinem Shinai die Beine weg.
Als er hart auf dem Rücken aufschlug, führte ich einen harten Hieb auf sein rechtes Handgelenk aus, er verlor sein Shinai und ich schlug es fort von ihm. Anschließend legte ich ihm die Spitze meiner Waffe auf den Men. „Nicht dein Tag heute, was?“
„Regelverstoß! Fünfter Kampf wird für die Jindai gewertet!“
Das war ja klar gewesen, so klar gewesen. So fürchterlich klar. Es hatte ja so kommen müssen. Und prompt meldete sich der Ärger, der Zorn meiner Mitschüler. Frustriert wandte ich mich wieder um und verließ die Halle. Es hätte noch gefehlt, dass ich mit Obst und faulen Eiern beworfen werden würde. Aber die ließen sich auf einer Schule eben nicht so schnell auftreiben.

Wütend und frustriert schlug ich gegen meinen Spind. Und noch einmal. Und wieder. Und…
„Ist ja gut. Wir wissen alle, wie stark du bist. Also lass den armen Schrank heile.“
„Sempai. Ich…“
„Bleib ruhig. Wir haben gewonnen. Und gegen die Schiedsrichterentscheidung haben wir bereits formellen Protest eingelegt. Es wird nicht viel bringen, aber bei den Nationalen Meisterschaften wird sich die Jindai warm anziehen müssen. Denn das was ihr Kapitän heute abgezogen hat, werden wir ihnen Dutzendfach heimzahlen.“ Mamoru schlug mir mit der Rechten hart auf die Schulter. „Gut gemacht. Aber wann sehe ich mal deine ganze Kraft, eh?“
„Ist deine Hand nicht verstaucht?“
„Das Handgelenk, wohlgemerkt. Es geht wieder. War wohl nur ein Schreck oder so.“
Ich seufzte. „Ich habe mich leider nicht lächerlich gemacht. Tut mir Leid, beim nächsten Mal vielleicht.“
„Verdammt, Akira. Ich wollte nicht, dass du verlierst. Kapierst du nicht, dass es auch Menschen gibt, die dich nicht quälen wollen? Die es gut mit dir meinen? Wann habe ich dir je was Schlimmes getan?“
„Letzten Monat hast du mir das Handgelenk verdreht, davor dein Shinai über meinen Hinterkopf gezogen, außerdem über meinen Hintern, achtzig bis neunzig Mal und…“
„Ach! Das sind doch nur Trainingsmaßnahmen. Komm drüber weg. Du stehst ab sofort auf Platz vier. Für die Vorausscheidungen gehörst du zum festen Kader, verstanden?“
„Vorausscheidungen? Ich soll ein ernsthaftes Turnier mitmachen?“
„Nein, du sollst dir ein Tütü anziehen und uns anfeuern. NATÜRLICH sollst du mitmachen! Also, Otomo. Komm in Zukunft öfters zum Training, ja?“
Mamoru wartete meine Antwort gar nicht ab. Gut. Sie wäre auch nicht sehr schmeichelhaft ausgefallen.
„Ah, Akira. Ein mieser Kampf und zwei gute. Du machst dich.“
„Was ist denn heute mit euch allen los? Hat jemand Bestechungsgelder verteilt damit ihr alle nett zu mir seid?“
Doitsu Ataka, nur mit einem Handtuch bekleidet, hob abwehrend beide Hände. „Friede, Otomo. Friede. Ich tu dir nichts. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich das könnte.“
„Wir können es ja mal ausprobieren.“
„Oh, gerne. Aber bitte erst nach den Meisterschaften.“ Er trat zu seinem Spind und zog seine Uniform hervor. „Weißt du was, Otomo?“
„Nein, aber du wirst sicherlich platzen, wenn du es mir nicht sagst, oder?“
„Gut erkannt.“ Er grinste herüber. „Megumi-chan und er… Weißt du, warum man sie nie zusammen in der Schule sieht?“
„Was interessiert es mich? Ob sie in der Schule oder in der Freizeit zusammenhocken, ist mir scheißegal.“
„Das ist ja der springende Punkt. Sie hocken nicht zusammen. Oder um es mal für einen Idioten wie dich auszudrücken: Sie sind nicht zusammen, klar?“
„W-was interessiert mich das? Ich habe mit Mädchen nichts am Hut!“
„Das könnte die Mädchen vielleicht gar nicht interessieren“, erwiderte Ataka amüsiert.
Mir fiel Joan Reilley ein, bei der genau das der Fall zu sein schien. „Mist.“
„Und um deine Welt mal ein wenig zu erweitern, Megumi-chan war heute nicht hier, um Mamoru zu bewundern.“
Entsetzt starrte ich ihn an. Konnte das…? Nein, unmöglich. Was aber wenn doch…? Nein, das war einfach… Definitiv und unendlich nein. „Warum war sie dann da?“, hörte ich mich fragen, aber mir war, als hätte ein anderer die Kontrolle über meinen Körper übernommen.
„Natürlich, um mich zu sehen“, erwiderte Doitsu mit einem breiten Grinsen, das gar nicht zu dem steif auftretenden, unterkühlten Elite-Schüler passte.
„Ja, klar, und im Strickunterricht basteln sie Handgranaten.“
Doitsu lachte leise. „Der war gut. Netter Konter, Otomo.“
„Du mich auch.“
„Habe ich schon einer anderen Sau versprochen.“
„Punkt für dich.“ War sie etwa doch…? Nein, nein, und nochmals nein. Fünfundzwanzig Welten, Otomo, schon vergessen?

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2.
„Wow! Blauer Sturm der Rosen, Band eins bis zehn, Kriegstagebücher, komplett, Sage der Juwelendrachen, Band eins bis vier… Das ist keine schlechte Auswahl. Shojo, Shonen und Erwachsenen-Mangas gut gemixt und… Du liest Musik-Mangas?“ Erstaunt sah Joan Reilley mich an.
Ich zuckte die Achseln. „Was spricht dagegen Musik-Mangas zu lesen? Ein guter Zeichner kann der Geschichte auch Leben einhauchen, wenn man die Musik nicht hören kann.
Warum kennst du dich eigentlich so gut aus?“
„Sag mal, lebst du hinterm Mond, Aki-chan? Mangas sind doch mittlerweile ein weltweites Kulturgut.“
„Ich dachte, Comics haben einen so schlechten Ruf bei euch.“
„Haben sie auch. Aber es stört die Leser nicht mehr.“
„Hey, sieh mal hier. Lost Science Paradise komplett!“
„Was, komplett? Ich glaube, ich poliere mein Altjapanisch mal auf, um das lesen zu können. Wollte ich schon immer mal, Kei-kun.“
Frustriert trat ich an meinen Schrank heran und riss den beiden die acht Bände der Serie aus der Hand. „Das sind meine Schätze, ja? Geht da vorsichtig mit um!“
„Menno. Heißt das, wir dürfen uns nichts hiervon ausleihen?“, maulte Kei.
„…Nicht alles. Einige Mangas, wie die von Studio Scirocco, sind absolut tabu. Die lese ich beinahe täglich.“
„Schade. Dabei sind das die besten. Die kennt sogar bei uns drüben jeder. Leihst du mir wenigstens Youma-Königin? Das ist immerhin nur ein Begleitmanga zum Kinofilm.“
„Nichts da, Joan. Alles von Scirocco ist und bleibt hier.“
„Du bist aber fies. Langsam verstehe ich die anderen Schüler deiner Schule.“
„Besitzergreifendes Machtdenken nennt man so was, Aki-chan.“
„Macht mich nicht wahnsinnig. Lesen dürft ihr sie ja, aber die Mangas verlassen dieses Zimmer nicht. Ist das in Ordnung?“
Meine stille Hoffnung, die beiden verärgert zu haben, erfüllte sich nicht. Sie strahlten mich an und suchten sich jeder einen Manga heraus. „Danke.“
Ich schüttelte den Kopf und verließ mein Zimmer.

„Akira. Ich mache gerade Tee. Wollen deine Freunde auch welchen? Himmel, ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Wort mal mit dir in Verbindung bringen würde.“
„Sehr komisch, Yohko“, brummte ich und setzte mich in die Küche. „Aber nachvollziehbar. Und, hast du die Bento-Box für mich zurückgegeben?“
„Natürlich nicht! Man kann doch keine benutzte Box zurückgeben. Ich habe sie abgewaschen und werde sie Megumi-chan morgen zurückgeben. Allerdings könntest du das auch selbst tun, wenn du mal fünf Minuten früher aufstehen würdest.“
„Ja, klar. Ich gebe Megumi ihre Box selbst zurück, ohne dass ich von drei Dutzend Mädchen als Kriegsverbrecher abgeurteilt werde“, spottete ich.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, wie ichbezogen du bist, Akira? Vor unserer Haustür ist sie jedenfalls noch alleine, oder?“
Ich stutzte. Teufel, Yohko hatte Recht.
„Außerdem soll ich dich fragen, wie es dir geschmeckt hat.“
„Woher weiß sie das denn?“
Meine kleine Schwester sah zu mir herüber und grinste fies. „Ich wusste es. Gutem Essen konntest du noch nie widerstehen. Hoffentlich hast du nicht wieder die Sachen mitgegessen, die auf dem Boden lagen.“
Ich fühlte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten. Genau deshalb mochte ich meine Schwester nicht. Sie kannte mich zu gut, einfach viel zu gut. „I-ich habe das Sandwich abgeklopft. Sollte ich es denn umkommen lassen?“
„O-nii-chan, du isst alles, oder?“
„Du bist fies, Yohko.“
„Du hast es verdient. Isst Megumis Essen und bedankst dich nicht mal dafür. Hol das morgen früh nach, verstanden?“
Unter ihrem Blick gab es keine Widerworte. Außerdem hatte sie ja Recht. UND die Hölle war gerade garantiert dabei, zu zu frieren. Definitiv. „Habs kapiert.“
„Gut, gut. Hier, bring das Mal deinen Freunden rüber.“ Sie drückte mir ein Tablett in die Hand. Drei Tassen Tee und Knabberkram. „Wenn du schon mal jemanden mitbringst, dann sollten wir dafür sorgen, dass sie nicht sofort wieder aus dem Haus stürmen, oder? Außerdem sind es Klassenkameraden.“
„Heißt das, wenn ich ihnen keinen Tee bringe, lassen sie mich in Ruhe?“
Yohko lachte hinter vorgehaltener Hand. „Nein, ehrlich gesagt glaube ich das nicht. Die zwei wirst du nicht mehr so schnell los.“

„Yohko-chan, entschuldige, aber hast du mein Handy gesehen?“
Erschrocken fuhr ich in Richtung Tür herum und hätte beinahe das Tablett fallen lassen. „DU? HIER?“
„Yo, Akira. Ja, ich bin es. Dein bester Freund Yoshi Futabe.“
„Bester Freund ist nicht gerade die Formulierung, die mir im Zusammenhang mit dir einfällt. Was willst du hier?“
„Yohko und ich lernen zusammen. Hast du was dagegen?“
„Ihr lernt zusammen?“ Wütend starrte ich den Blondschopf an.
„Whoa, langsam, Akira. Wenn Blicke töten könnten, würde jetzt jemand meine Asche wegfegen. Wir sind beide im Mathe-LK und im Mandarin-LK. Sie kennt die Sprache, ich Mathe. Wir helfen uns gegenseitig.“
„Ach, ist das so?“ Ich wandte mich halb um. „Yohko, wenn dieser… Wenn Yoshi die Nachhilfe auf andere Themen als Mathe und Sprachen erweitert, dann ruf mich.“
„Ach, wie nett. Du willst mich beschützen?“, spöttelte sie. „Ich denke, das kann ich alleine.“
Betreten senkte ich den Kopf. War klar, so klar. Warum hatte ich mich auch hinreißen lassen, das kleine Monster für einen Moment, für einen winzigen Moment nicht als das zynische Biest zu sehen, das sie war, sondern wie das kleine, tapsige Mädchen, das ich immer zum spielen mit raus genommen hatte? So sah halt die Quittung aus.
„Aber trotzdem danke, O-nii-chan. Es ist wenigstens nett gemeint.“ Sie schnappte sich zwei Teetassen und trat an mir vorbei auf den Gang. „Dein Handy liegt auf meinem Schreibtisch, Yoshi. Ich gehe schon mal ins Wohnzimmer vor.“
„Oh, danke. Und Akira, nichts für ungut. Megumi hat es mir erklärt. Ich habe mich hinreißen lassen und… Jedenfalls war dein Schlag nicht von schlechten Eltern.“
„Yoshi?“
„Ich komme! Akira, hast einen gut bei mir, okay?“
Was war nur mit meiner schönen, tristen Welt los? Yoshi redete normal mit mir, entschuldigte sich sogar, Mamo-Halbgott holte mich ins Turnier-Team, Doitsu bemerkte meine Existenz, in meinem Zimmer warteten meine beiden Freunde und Megumi-chan war nett zu mir. Warum konnte nicht alles so bleiben wie es immer gewesen war? Warum konnten die mich nicht alle in Ruhe lassen? Warum… Nein, es war nicht immer so gewesen. Es hatte andere, bessere Zeiten gegeben, aber ich hatte nie geglaubt, dass ich zu ihnen zurückkehren konnte.
Und auch jetzt wollte ich mir keine Hoffnung machen. Das bisschen Licht war doch nur ein dummes kleines Intermezzo, bis die Protagonisten in diesem Spiel genug von mir hatten.
Das dicke Ende kam bestimmt.

Als ich mit dem Tablett eintrat, erwartete Joan mich lächelnd. Sie spielte mit einer Theatermaske, indem sie das weiße Plastik um ihren Zeigefinger wirbeln ließ.
Erwartungsvoll sah sie mich an. „So, so. Du bist also dieser geheimnisvolle Vigilant, der die Verbrecher in diesem Stadtteil seit Monaten in Atem hält.“
Ich grinste dünn, stellte das Tablett auf meinem Schreibtisch ab und reichte jedem einen Becher. Kei sah beim lesen nicht mal auf. „Danke.“
„Na klar. Ich bin Kuroi Akuma. Und was sind meine Beweggründe?“
„Hm. Du wirst geschnitten und bist gefrustet. Außerdem ein extrem talentierter Kampfsportler, dem nicht die Anerkennung zukommt, die er eigentlich verdient. Was liegt da näher, als ein paar Typen aufzumischen, die es nötig haben?“
„Hm. Aufmischen gut und schön. Aber ich habe noch nichts davon gehört, dass unser Vigilant Schülern der Fushida aufgelauert hat. Wäre das nicht der logischere Schritt, wenn er gefrustet ist und geschnitten wird?“, warf Kei ein, ohne von seinem Manga aufzusehen.
„Hm, zugegeben.“
„Außerdem mischt er die Leute nicht auf. Ich habe gehört, Kuroi Akuma würde seine Ziele ausschalten, aber nicht misshandeln. Gut, gut, die Presse ist nicht sehr nett zu ihm – ungefähr genauso gerecht wie unsere Mitschüler mit Akira – aber soweit ich weiß wird er nicht wegen Körperverletzung gesucht.“
„Stimmt.“
„Und zuguterletzt“, brummte Kei, sah kurz auf und gähnte, „habe ich die gleiche Maske auch. In Shibuja kriegst du sie an jeder Ecke. An der da hängt sogar noch das Preisschild.“
„Pech. Du hast mich nicht erwischt, Joan.“ Amüsiert setzte ich mich auf mein Bett und verschränkte die Arme vor der Brust. Danke, Kei. Punkt für mich.
„Aber du bist trotzdem der Vigilant, der die Stadt in Atem hält, oder?“, fragte sie mich direkt.
„Warum interessiert dich das? Bist du mein Fan? Oder ein Undercover-Agent der Polizei?“
„Im Moment bin ich Joan Reilley, die bei Akira Otomo, einem Jungen aus ihrer Klasse, beim Tee zusammensitzt und Mangas liest“, stellte sie ernst fest. „Und ich möchte ungern einem zusammengeschlagenen und schwer verletzten Akira Otomo sagen müssen: Das musste ja mal irgendwann passieren. Meinst du nicht, jetzt wäre eine gute Zeit, um aufzuhören, bevor wirklich noch was passiert?“
Ich grinste schief. „Wie seid ihr auf mich gekommen?“
Kei sah aus den Augenwinkeln zu mir herüber und grinste. „Nicht schlecht, Akira. Das war kein Geständnis. Abgesehen davon, dass man eine Bandaufnahme von diesem Gespräch nicht vor Gericht als Beweis verwenden könnte.“
„Oh, keine Sorge. Ich trage kein Band bei mir. Und verkabelt bin ich auch nicht. Soll ich mich ausziehen, um es euch zu zeigen?“ Sie nestelte am ersten Knopf ihrer Bluse.
„Gerne doch.“ Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf und ließ mich gegen die Wand sinken.
„WAS?“ Irritiert sah Kei dabei zu, wie Joan die ersten Knöpfe löste. „Was tust du da?“
„Euch zeigen, dass ich nicht verkabelt bin.“
Kurz darauf flog ihre Uniformbluse in meine Richtung. „Untersuch sie ruhig.“
„Macht es dir nichts aus, hier nur im BH zu sitzen?“, fragte Kei erstaunt.
„Ist es das erste Mal, dass du eine Frau halb nackt siehst, Kleiner?“, fragte sie amüsiert.
„Ich habe zuerst gefragt.“
„Nein, es macht mir nichts aus. Bei euch beiden ist das in Ordnung. Soll ich den Rock auch noch ausziehen?“
„Der BH wäre mir lieber“, erwiderte ich und warf die Bluse zurück. „Unter den Drahtbügeln könnte man was verstecken.“
„Warte, ich drehe mich um und…“
„Schon in Ordnung, ich glaube dir ja. Zieh dich bitte wieder an, Joan.“
Keis vorwurfsvoller Blick traf mich. „Wie, du traust ihr? Sie hätte sich glatt noch weiter ausgezogen.“
„Hm, da gehen wohl mit jemandem die Hormone durch, was? Ist ne schwierige Zeit, ich kenne das. Hm, vielleicht kriegst du ja eine Privatermittlung von mir, wenn Ort und Zeit stimmen, Kei-chan.“
„Auf deinem roten Gesicht könnte man jetzt ein Schnitzel braten, Kei. Du brauchst dringend eine Freundin, was?“
„Schaut mal, wer da redet. Wenn du dir dein Minenfeld ausdrücken würdest, dann wärst du hübsch genug, um mir eine zu besorgen.“
„Mach dich nicht kleiner als du bist, Kei-chan. Du bist auch niedlich.“
„Männer sollten aber nicht niedlich sein. Und überhaupt. War es klug, dass du dein kleines bisschen Tarnung aufgegeben hast, Miss Reilley?“
Joan schmunzelte. „Was für eine Tarnung? Ich wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn Aki-chan mich nicht vom ersten Moment an enttarnt hätte.“
„Und was soll das alles hier? Du folgst einem Vigilanten in sein Haus und erwartest was?“ Kei verdrehte die Augen. „Du bist komisch, Miss Reilley.“
„Ich dachte, vielleicht kann man vernünftig mit ihm reden. Vielleicht hört er ja auf, bevor wirklich jemand ernsthaft verletzt wird. Oder noch schlimmer, er selbst.“
Ich grinste dünn. „Ich frage noch mal. Warum ich?“
„Größe, Sportlichkeit, Schulbildung, Kombinationsgabe, die Fähigkeit unseren letzten drei Fallen auszuweichen… Sarah ist deshalb ganz schön sauer auf dich. Äh, Sarah ist meine Vorgesetzte.“ Während sie die letzten Knöpfe schloss, zwinkerte sie mir zu. „Außerdem mag ich dich wirklich. Und ich würde es ganz übel nehmen, wenn dir etwas passieren würde, Aki-chan.“
„Was, wenn du den Falschen hast? Dann läuft da draußen immer noch ein Vigilant herum, während du deine Zeit mit mir verplemperst.“
„Aber, aber. Selbst wenn ich mit dir falsch liege, Aki-chan, kann man nicht von Zeit verplempern reden. Schule macht mir Spaß, und du bist viel interessanter als ich erwartet habe.“ Sie kniff die Augen zusammen und lächelte mich an. „Wollen wir Freunde sein, Aki-chan?“
Ich lachte prustend. „Was, bitte?“
„Was spricht dagegen? Du gehst nicht auf deine Schulkameraden los, die dich schneiden und ärgern. Stattdessen rettest du Unschuldige vor Verbrechern. Ich glaube, wir haben da was gemeinsam, nur das ich das Recht dazu habe, Kriminelle zu jagen. Aber das ist ein winziger Unterschied, der…“ „…zwischen mir und einer Verurteilung steht“, vollendete ich.
„Der von dir korrigiert werden kann, wenn du nach der Schule zur Polizei gehst. Wir brauchen smarte Jungs wie dich.“
„Danke. Ich denke drüber nach. Aber solltest du jetzt nicht da rausgehen und den richtigen Kuroi Akuma jagen?“
„Ich denke, ich bleibe erstmal hier. Ich habe den Manga noch nicht zu Ende gelesen. Andererseits…“ Sie legte das Buch beiseite, kam zu meinem Bett herüber und beugte sich über mich. „Mann, das muss man wirklich mal gesehen haben. Du hast ja wirklich ein Minenfeld im Gesicht. Sag mal, gibt es eine Salbe dafür, damit das so schlimm aussieht? Da muss man doch was gegen tun. Ohne siehst du bestimmt ganz niedlich aus.“
„Lass meine Pickel in Ruhe, ja? Die waren da und die bleiben da und… Auuuu.“
„Stell dich nicht so an. Du bist ein Mann und keine Memme.“
„Autsch! Ich bin wohl doch ne Memme. L-lass das.“
„Halt still. Das Geheimnis ist, nicht zu drücken, sondern die Poren auseinander zu ziehen. Und gegen die Schwellungen, die von Entzündungen unter der Haut hervorgerufen werden, habe ich eine Creme, die wirkt wirklich super.“
„Autsch!“
„Und für die Lippen habe ich Balsam. Wenn ich mit dir fertig bin, erkennt dich keiner wieder, Aki-chan!“
„Ich bin eine Memme, hörst du? Eine Memme! Ich ertrage den Schmerz nicht! Nein! Nein! YOHKO-CHAAAN!“
***
Eine gute Stunde später hockte ich in einer Ecke und blies Trübsal.
„Ist es wirklich in Ordnung, ihn da so sitzen zu lassen?“, fragte Yoshi fröstelnd.
„Ach, das gibt sich bis morgen. Mein Bruder hat noch nie lange geschmollt.“
„Du hast mich auch verraten“, brummte ich aus meiner Ecke. „Du solltest mir helfen, nicht Joan.“
„Hey, es war aber eine gute Idee. Und morgen nehmen wir etwas Make-up zum decken, und niemand wird dich wieder erkennen. Warum mir das nicht selbst eingefallen ist… Tsss. Was bin ich nur für eine Schwester.“
„Wie dem auch sei. Ich freue mich schon darauf, dich morgen wieder zu sehen, Aki-chan. Wahrscheinlich erkenne ich dich an dem Pulk aus Mädchen, der um dich herumdrängt. Aber mach dir keine Sorgen darum. Ich werde mich schon zu dir durchkämpfen. Yohko, hat mich gefreut. Komm, Kei.“
„Bis morgen, Akira. Und danke für die Mangas. Kriegst sie morgen zurück.“
„Ich gehe dann auch mal. Wollen wir morgen wieder zusammen lernen, Yohko?“
„Gleiche Zeit? Das wäre nett. Ich backe Plätzchen und…“
„Yoshi, hast du noch einen Moment?“
„Oh, es kann sprechen. Was ist denn, Mr. Depression?“
„Alleine.“
„War ja klar. Kaum bringe ich mal einen Jungen mit nach hause, zerrt ihn mein Bruder vor seine Manga-Sammlung, und ich kann mir einen neuen suchen. Männer.“
Sie zwinkerte uns zu.
„Du hast da eine wirklich nette Schwester.“
„Ich kenne nur ihre schlechten Seiten“, erwiderte ich.
„Dann hast du ja noch jede Menge wundervolle Dinge, die du an ihr entdecken kannst.“
Er setzte sich neben mich. „Also, was kann ich für dich tun, Akira?“
„Ich bin aufgeflogen.“
„Trottel. Es kann ein Trick sein.“
„Möglich. Aber ich stehe zumindest auf ihrer Liste.“ Frustriert schlug ich auf den Fußboden. „Ich hätte es gerne leichter, nicht schwerer.“
„Tja, kann man nicht ändern. Soll ich vielleicht…?“
„Nein. Ich komme schon klar. Ich wollte nur, dass du es weißt und ein wenig auf deine Umgebung achtest, ja? Nicht, dass sie mehr wissen. Es wäre schlecht für uns.“
„Verstehe.“ Er erhob sich. „So, ich sage Yohko Tschüss. Und ich bin wirklich gespannt darauf, wie du morgen aussiehst.“
Ich lachte rau. „Definitiv anders als heute.“
„Ist vielleicht mal ganz nett, Akira. Denk drüber nach. Bis nachher.“
Ich winkte in seine Richtung. „Bis nachher.“
***
„Du gehst aus, O-nii-chan?“
„Das mache ich doch jeden Abend. Ich drehe nur ein paar Runden um den Block.“
„Ja, aber… Seit letzter Woche folgt dir immer jemand, und…“
Das hatte sie bemerkt? Für einen Moment fragte ich mich, ob ich meine Schwester wirklich kannte. Sie schien auch Qualitäten zu haben.
„Keine Sorge. Dein Bruder ist nicht wehrlos.“
„Soll ich die Polizei rufen?“
Ich lachte leise. Das wäre ja mal eine Idee, oder? Die Polizei rufen, um die Polizei verhaften zu lassen… „Nein, ich kann das alleine.“
Betreten sah sie zu Boden. „Was Joan vorhin gesagt hat, O-nii-chan, vielleicht hat sie ja Recht und es ist wirklich Zeit für dich… Vielleicht solltest du aufhören, bevor…“
„Aufhören womit?“
„Du weißt was ich meine.“
„Nein, weiß ich nicht, Yohko.“
„Dann bleib einfach zu Hause, O-nii-chan. Bleib hier und ich muss keine Angst mehr um dich haben, ja?“
Konsterniert sah ich meine kleine Schwester an. War das heute der Tag der Überraschungen? Was passierte noch? Eine Invasion von Außerirdischen? „Vielleicht. Später“, brummte ich als Antwort, schlüpfte in meine Schuhe und ging. Irrte ich mich, oder weinte Yohko?

Fünf Busse, drei Stationen U-Bahn und eine Taxifahrt brachten mich meinem Ziel mal näher, mal brachten sie mehr Distanz. Letztendlich wollte ich nur meine Verfolger abschütteln. Was mir natürlich nur wenig nützte, wenn sie wussten, wohin ich unterwegs war.
Mein Ziel war ein Shinto-Schrein auf einem Hügel, der eigentlich fast schon in der Nachbarschaft stand. Genauer gesagt das Wäldchen, welches auf dem Hügel wuchs.
„Ich habe dich früher erwartet.“ Ein Schatten stieß sich von einem der Bäume ab und kam auf mich zu.
„Joan.“
„Ganz recht. Du willst wissen, was dich verraten hat? Niemand kann eine bestimmte Stelle in diesem Wald betreten, nicht einmal die Shinto-Priester im Tempel. Nur du gehst da ein und aus. Wir mussten dann nur noch ein paar Dinge zusammenzählen.“
„Indizien, in einem Prozess nicht viel wert, oder?“, spottete ich.
„Wie ich schon sagte, Aki-chan. Ich will dich nicht einbuchten. Ich will, dass du damit aufhörst, bevor jemand verletzt wird.“
Langsam ging ich an ihr vorbei. „Versuch mich aufzuhalten, wenn du kannst.“
„Aki-chan. Hör auf mich! Es ist zu gefährlich für einen Einzelnen, die ganze Welt retten zu wollen!“
Kurz hielt ich an, sah zurück. „Du weißt es?“
„Ich dachte, das hätten wir geklärt! Ja, ich weiß, dass du Kuroi Akuma bist.“
Ich entspannte mich ein wenig. „Ach so. Umsonst Sorgen gemacht.“ Ich ging weiter, immer weiter.
„AKIRA!“
Ich reagierte nicht.
„AKIRA!“ Sie hielt mich am Arm fest, riss mich zurück. „Lass es. Bitte.“
„Ich bin nicht der, für den du mich hältst, Joan. Tut mir Leid, aber es gibt da nichts, womit ich aufhören kann.“ Mit diesen Worten löste ich sanft ihren Griff um meinen Unterarm und ging weiter. Sie ging mir nach, prallte auf die Barriere und wurde zurückgeschleudert. „AKIRA!“
Ich lächelte matt. Die Barriere tat ihr Werk.

„Du kommst spät“, stellte eine männliche Stimme fest.
Ich wandte mich um und sah einen hoch gewachsenen Mann in einer nachtschwarzen Rüstung. Auf seinem Rücken hing ein Schwert, das fast so groß wie er war.
„Ich hatte die Polizei zu Hause. Sind wir vollzählig, Doitsu?“
„Yoshi fehlt noch. Aber du solltest dich beeilen, das Fenster öffnet sich gleich.“
Ich nickte, während wir zu zweit weitergingen. „Falls nachher noch Zeit ist, kommst du mit in die Stadt?“
„Was denn? Willst du wieder einzelne Menschen retten, während du hier gerade die ganze Welt rettest? Philantroph.“
„Hört, hört, wer da spricht“, spottete ich.
„Akira ist da“, stellte eine Frauenstimme fest. Ami Shirai trat neben mich und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Sie trug ebenfalls schwarz, allerdings als leichtes Stoffoutfit, das verbarg, wie stabil es wirklich war. Sie wirkte wie ein weiblicher Ninja, eine Kunoichi, aber ich bezweifelte, dass diese so mächtig wie sie werden konnten.
„Hallo, Ami. Was macht die Schulterwunde?“
„Fast verheilt. Wie nett. Die Otomo-Pest macht sich Sorgen um mich.“
„Ami“, mahnte ich lächelnd.
„Ich stimme mich nur auf meine Rolle ein. Hm, willst du dich nicht langsam umziehen?“
„Das solltest du wirklich, Akira. Es geht gleich los. Wo bleibt überhaupt Yoshi?“
„Keine Sorge, Daisuke, er wird rechtzeitig hier sein. Im Gegensatz zu mir darf er nicht gesehen werden, wenn er in den Wald kommt.“
„Haben sie dich enttarnt?“, fragte der andere besorgt. Auch er trug eine schwarze Rüstung, aber diese wirkte weniger wie eine Ritterrüstung, mehr wie die Holzrüstung eines Samurai.
„Ich sollte von vorne herein den Lockvogel spielen, oder?“ Ich grinste zynisch. „AKARI!“
„Meister.“ Der kleine Schrein vor meinen Füßen begann aufzuleuchten. Kurz darauf erschien ein hässlicher Oni mit Hörnern und einer weißen, struppigen Mähne vor mir.
Ich streckte die Hand aus. Der Oni seufzte, löste die Maske mit den Hörnern und gab sie mir. Dahinter erschien das Gesicht einer hübschen Frau mit langen schwarzen Haaren.
Ich zog mir die Maske über den Kopf. Die Hörner verschwanden und machten dem Theatergesicht Platz. Zugleich erschien der schwarze Anzug. Meine KI-Rüstung.
Jeder Krieger in unserem Team hatte eine eigene Vorstellung davon, wie eine KI-Rüstung aussah, und das schlug sich in ihr nieder. Auch wenn der elegante Anzug nicht nach viel aussah, er war sehr widerstandsfähig und hatte mir schon das Leben gerettet.
Zwischen uns landete Yoshi. Er trug einen goldenen Trainingsanzug und hatte seinen Bogen geschultert. „Entschuldigt die Verspätung. Überall sind Polizeiposten.“
„Wissen wir. Akira ist aufgeflogen, eh?“
„Etwas in der Art. Können wir?“
„Das Tor wird bald offen sein, Yoshi-sama. Meister, soll ich?“
Ich nickte.
Der Oni langte in seinen Schrein und zog eine Waffe hervor. Es war ein schwarzes Katana. Kurz darauf begann Akari zu leuchten, wurde zu einem Ball aus Helligkeit und legte sich um das Schwert. Mit einer routinierten Bewegung legte ich die Waffe an. „Also dann, retten wir die Welt, Leute. Wo ist Emi?“
„Immer noch verletzt. Sie braucht noch zwei Tage, sagt Makoto.“
Ich nickte. Sie hatte Glück, dass sie noch am Leben war.
„Es ist soweit, Meister“, klang Akaris Stimme auf. Vor uns öffnete sich ein dunkler Strudel über dem Schrein.
Doitsu sprang zuerst hindurch. Ich folgte als zweiter.

3.
„Ich halte das nicht für richtig. Ein Mann, der Make-up auflegt ist…“
„Halt still, O-nii-chan. Niemand wird was sehen, versprochen. Zufällig haben wir den gleichen Hautton, und ich kann die Entzündungen gut abdecken.“ Yohko sah mich tadelnd an. „Mit dem blauen Auge kann ich dir nicht viel helfen. Ich kann es teilweise abdecken, aber die Schwellung wird zu sehen sein.“ Sie trat näher an mich heran und stieß dabei mit der Hüfte gegen meine linke Schulter.
Für einen Moment sah ich Sterne und ächzte leise. Beinahe wäre ich vom Stuhl gefallen.
Wie aus weiter Ferne rief eine Stimme nach mir. Es kostete mich Kraft und Überwindung, sie zu verstehen. „O-nii-chan! Komm wieder zu dir! O-nii-chan!“
Ich stöhnte auf und hob abwehrend eine Hand. „Tut mir Leid, ich hätte früher ins Bett gehen sollen, Yohko.“
„Von wegen früher ins Bett! Akira, du bist verletzt. Dein Verband ist durchgeblutet. Ich… Ich bin gegen gekommen, und da muß er wieder aufgebrochen sein. Ich…“
Tatsächlich. Meine rechte Brust floss etwas Klebriges, Warmes herab. Ich erhob mich, musste kurz mit einem Schwindelgefühl kämpfen und eilte in mein Zimmer.
Das Hemd wechseln. Den Verband erneuern.
„O-nii-chan.“ Yohko stand in der Tür und sah mich mit Tränen in den Augen an. „Warum hörst du nicht auf damit? Joan-chan hatte Recht. Irgendwann wirst du vielleicht sterben.“
Ich grinste dünn. Vielleicht war das mein Schicksal, aber das konnte ich meiner Schwester kaum unter die Nase reiben. Vorsichtig ging ich in die Hocke, holte eine Box unter meinem Bett hervor. Ich nahm mir frisches Verbandszeug und einen Flakon mit einer gelblichen Flüssigkeit.
Als ich die Wunde freigelegt hatte, eine wirklich miese und tiefe Stichwunde, ausgeführt von einem beachtlich langen und spitzen Horn, begann sie sofort wieder zu bluten.
Mit einem frischen Tuch reinigte ich Wunde und Brust, trank danach den Flakon halb leer und leerte den Rest über der Verletzung.
Es dampfte, als die Flüssigkeit in der Wunde wütete. Ich ächzte, als der Schmerz mich zu übermannen drohte. „O-nii-chan!“ Mit zwei schnellen Schritten war Yohko bei mir und stützte mich.
„Es… Es geht schon, Yohko. Es geht schon wieder. Siehst du, die Wunde hat aufgehört zu bluten.“
Meine kleine Schwester sah mich aus verheulten Augen an. „Warum tust du das alles? Warum tust du dir das an?“
„Befehl von Eikichi“, raunte ich, während sie mir einen Druckverband anlegte.
„Vater hat dir…? Aber warum?“
„Es ist besser, wenn du nicht zuviel weißt.“
Sie half mir ins neue Hemd, und ich war dankbar dafür. Selbst mit der Heilflüssigkeit würde ich meinen Körper heute nicht schwer belasten dürfen, da war mir jede Stütze recht. Auch in die Schuluniformjacke musste sie mir helfen.
„Danke, Yohko. Und jetzt geh und wasch dein Gesicht. Du willst doch nicht mit so verquollenen Augen in die Schule gehen?“
„Erklär es mir“, verlangte sie.
Ich schüttelte den Kopf.
„Akira!“
„Beeil dich. Megumi wird gleich hier sein, um dich abzuholen.“
DAS wirkte. Sie sah mich noch einmal verletzt und ängstlich an, dann ging sie.

Ich ließ mich auf mein Bett sinken. Verdammt, verdammt, ich hatte die Heilung nicht benutzen wollen. Es waren nur noch so wenige und keiner wusste, wie lange wir noch kämpfen würden. Und der Preis, um neue zu machen war hoch, so unendlich hoch.
Entschlossen nahm ich einen blauen Flakon und leerte ihn in einem Zug. Wenigstens von den Energietränken gab es genug.
Als Yohko wieder in mein Zimmer sah, bekam sie ihren üblichen Bruder präsentiert. „Du gehst nicht an diese Box, hast du verstanden? Du hast keine Ahnung, was die verschiedenen Flakons bewirken. Außerdem sind einige von ihnen so wertvoll, dass ich dich übers Knie lege, wenn einer fehlt, klar?“
Sie schniefte. „Schon klar, O-nii-chan.“ Sie reichte mir ein Bento. „Hier, Megumis Box.“
Ich nahm sie entgegen. Mist, das auch noch.
Gemeinsam verließen wir das Haus, aber ich hatte mir schon vorgenommen, ein paar Minuten rumzugammeln, nachdem ich Megumi ihr Eigentum zurückgegeben hatte. Mein üblicher Bus kam fünf Minuten später, das war kein großes Ding.
„Geht es?“, fragte Yohko besorgt.
„Keine Sorge. Ich fühle mich gut“, beruhigte ich sie.
Als wir durch das Tor auf die Straße traten, blieb ich entsetzt stehen. War ja klar gewesen, so schrecklich klar. Nicht nur das Megumi bereits auf Yohko wartete, nein, jetzt waren wir kaum eine Handbreit auseinander. Noch schlimmer, wenn ich nur etwas schneller gewesen wäre, hätte ich sie umgerannt. Und das mit dieser Schulterwunde… Danke.
„Guten Morgen, Uno-kun“, brummte ich und hielt ihr ihre Bento-Box hin. „Ich habe gestern alles aufgegessen, als du weg warst. Hat sehr gut geschmeckt. Wirklich. Und ich mache das irgendwie wieder gut, versprochen.“
Warum griff sie nicht nach der Box? Warum sah sie mich stattdessen so vorwurfsvoll an? Nein, das war nicht vorwurfsvoll, das war… Hä?
Langsam hob sie die Hände, legte sie entsetzt vor den Mund. „A-akira? Akira?“
„Soll ich dir meinen Ausweis zeigen?“, versetzte ich.
Ihr Blick huschte zu Yohko herüber. Sie deutete mit der Rechten auf mich. Da wir aber immer noch sehr nahe beieinander starrten, bohrte sich ihr Zeigefinger in meine Nase. „Nhey!“
„Y-yohko, was ist denn… Ich meine… Akira?“
Meine Schwester nickte. „Akira.“
„Aber… Aberaberaberaber… Aber… Akira?“
„Mnimmst du bnitte dnen Fninger aus mneiner Mnase?“
„Was? Oh. OH!“ Entsetzt zuckte sie zurück und verbeugte sich. „Entschuldige, Akira, das wollte ich nicht. Aber ich war so überrascht, dass… Tut mir Leid.“
„Schon in Ordnung. Obwohl ich nicht die geringste Ahnung habe, was du für ein Problem hast. Hier, deine Box.“
Zögernd nahm sie die Box entgegen. Dann reichte sie mir eine andere. „Hier, Akira. Weil es dir gestern geschmeckt hat, dachte ich, ich mache gleich zwei Bentos. Ich bin extra früher aufgestanden. Du wirst doch nicht ablehnen? Wir könnten zusammen auf dem Dach essen und…“
„Sag mal, was ist denn mit dir los? Hat dich jemand unter Drogen gesetzt?“
„Nun nimm schon das Bento an!“, zischte Yohko mir zu. „Denk an all das gute Essen da drin.“
Nun, das stimmte. Ein wirklich gutes Argument. Ich grinste schief und nahm ihr die Box ab. „Danke. Wir können ja wirklich zusammen essen, wenn es dir nichts ausmacht, aufs Dach zu kommen.“
„O-okay. Einverstanden.“ Sie sah wieder auf und strahlte mich an. War sie vielleicht wirklich auf Drogen? Megumi Uno, die Königin des Jahrgangs strahlte mich an. Normalerweise hätte ich jetzt einen Komplott vermutet, um mich wirklich, wirklich gemein hinters Licht zu führen. Aber ich spürte, dass sie es ernst meinte, schrecklich ernst – was auch immer sie gerade tat.
„G-gehst du mit uns zur Schule, Akira?“
„Natürlich geht er mit uns zur Schule. Komm, Akira, der Bus fährt gleich.“
„Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn ihr ausgerechnet mit mir gesehen werdet. Immerhin bin ich ja als Otomo-Pe… WHOA!“
„Hör auf zu sabbeln, komm endlich. Megumi, du den anderen Arm.“
„Gerne doch!“
„Nicht so fest! Zieht doch nicht so. Uno-kun, musst du dich so an meinen Arm hängen?“
„Stell dich nicht so an. Du bist doch ein Mann, oder?“, tadelte Yohko.

Eine halbe Stunde später waren wir auf dem Schulweg, umringt von hunderten Uniformen der Fushida. Und ich schwitzte Blut und Wasser. Wie ich es gewohnt war, trafen mich hunderte Blicke. Und mit Yohko und Megumi links und rechts von mir hätte ich der Mittelpunkt von Hass und Zorn sein müssen und… Nun, anscheinend waren an der Schule gratis Drogen verteilt worden, und nur ich hatte keine abbekommen. Ich sah in entsetzte Gesichter, heruntergeklappte Kiefer und hochrote Wangen.
„Häng dich nicht so an mich, Uno-kun“, ermahnte ich das hübsche Mädchen. „Die kommen ja alle auf falsche Gedanken.“
„Was ist so falsch daran?“, fragte sie. „Und warum nennst du mich nicht Megumi? Yohko hat mir erzählt, dass du mich Zuhause immer so nennst.“
„YOHKO!“
„Was denn? Willst du dich jetzt bei mir beschweren, dass du Megumi-chan beim Vornamen nennen kannst?“
„N-nein. Aber ich…“
„Morgen! Na, Akira, was hat die Quetscherei gestern eingebracht?“
Kei klopfte mir auf den Rücken, kam um Yohko herum… Und starrte mich an wie einen Geist. „Wow. Wow. Wow. Hast du eine plastische Chirurgie hinter dir?“
„Möchtest du gerne meinen Fuß in deinem Hintern haben?“
„Nein, danke. Für so etwas bin ich noch nicht bereit. Dazu ist unsere Beziehung zu jung“, scherzte der weißblonde Bursche. Er zog seine Kamera aus der Uniformjacke. „Sag Cheese, Akira.“
„Machst du mir Abzüge von dem Foto?“
„Ich kann was viel besseres, Megumi-chan. Ich kann ein Foto von euch beiden machen.“
„Akira. Bist du das?“
„S-sempai! Das ist nicht so wie du denkst! Ich…“
„So, so. Was denke ich denn?“
„Keine Ahnung. Aber es ist definitiv falsch, Hatake-sempai.“
„Was ich gerade denke, kannst du nicht mal ahnen, Kleiner“, brummte Mamoru und schloss sich uns schweigend an.
„Yohko-chan. Morgen. Akira, entschuldige noch mal wegen gestern. Ich habe total überreagiert. Nanu? Mamoru, was macht der denn hier?“
„Was machst du hier? Gestern schlägst du Akira noch und heute gehst du neben ihm her?“
„Wenn ich mal feststellen darf, ich gehe neben seiner hübschen Schwester her, ja?“
„Oh. Das mache ich auch gerade.“
„WAS?“
„Friede, Jungs, Friede. Noch mehr Aufmerksamkeit, und die Amis richten ein Dutzend Spionagesatelliten auf uns.“ Ich hätte mir den Schweißfilm von der Stirn gewischt, wenn ich meine Arme hätte bewegen können.
In einem beachtlich großen Pulk – für meine Begriffe – traten wir auf den Schulhof.
Auch hier das gleiche Bild. Entsetzte Gesichter, heruntergeklappte Kiefer und… hochrote Köpfe. Mann, ich war mir nicht sicher, ob ich diese Droge jemals ausprobieren wollte.
„Morgen, Aki-chan.“
Ich drehte den Kopf. Mehr war leider nicht drin. Joan lehnte auf der Innenseite der Mauer und sah mich schmunzelnd an. „Hast ja gestern doch nichts gemacht. Zumindest ist mir nichts zu Ohren gekommen.“
„Hä? Hä?“ Megumi sah im schnellen Wechsel von mir zu Joan und zurück. „Wie, nichts gemacht? Habe ich da was nicht mitbekommen?“
Joan stieß sich von der Wand ab und kam zu uns herüber. „Schätzchen, dein Freund hier ist Kuroi Akuma, der Vigilant, der die Stadt in Atem hält“, raunte sie. „Wusstest du das nicht?“
„F-freund? Das ist jetzt aber… Ich meine, ich… F-freund?“
Irritiert zog Joan die Augenbrauen zusammen. „Die hört wohl nur was sie hören will, was?“
„Ich bin mir nicht sicher, worauf du hinaus willst, Joan.“
„Was ist hinter der Barriere, Aki-chan? Und wie erzeugst du sie?“
„Welche Barriere?“ Himmel, dies war die Schule! Und Mamoru und meine Schwester sollten nicht erfahren, was ich so verzweifelt zu verheimlichen versuchte.
„Komm schon. Ich bin heute Abend wieder da. Und morgen Abend. Und den Abend danach. Du kannst die Sache abkürzen, wenn du mir gleich sagst, was ich wissen will.“
Meine Schulterwunde begann plötzlich zu pochen. Und zu schmerzen. Und ich sah Sterne vor meinen Augen. Danke, danke, das war genau das, was ich gebrauchen konnte. Ich spürte meine Knie weich werden, aber übergangslos fühlte ich mich gestützt.
Besorgt sah Megumi mich an. „Geht es?“
„Leise“, flüsterte ich. „Ja, es geht wieder.“
Joan zog die Stirn in Falten. „Warst du gestern doch aktiv? Ich habe dir doch gesagt, dass… Warte mal, warte mal, das fällt mir jetzt erst auf.“
Sie trat vor mich, nahm mein Kinn in die Rechte und drehte mein Gesicht hin und her. „Hm. Hm. Hm. Gute Arbeit, Yohko. Vor allem das blaue Auge hast du gut abgedeckt, aber ich sehe natürlich die Schwellung noch. Mann, Aki-chan, so wie du jetzt aussiehst könnte ich mich glatt in dich verlieben.“
Übergangslos hatte ich das Gefühl, mein rechter Arm würde zerquetscht werden. „Autsch.“
„Ja, so siehst du ja richtig süß aus. Wie wäre es? Wollen wir zwei es mal miteinander probieren?“
„W-was soll das denn? Du bist erst einen Tag an der Schule, und schon willst du mit Akira gehen? Das ist doch nicht dein Ernst!“
„Was denn? Noch nie was von Liebe auf den ersten Blick gehört, Megumi-chan?“
„Ich kenne ihn viel länger als du!“, fuhr sie die Amerikanerin an.
Entsetzt spürte ich, wie mein Herzschlag aussetzte. Hatte ich das wirklich gehört? Ich sah zu Megumi herüber, die wütend zu Boden sah. „Ist doch wahr. Sie kommt hier einfach her und glaubt sie kann dich einfach so haben. Das ist nicht fair. Das ist einfach nicht fair. Ich war viel früher da.“
„Akiiiraaaaa! Was hast du mit Megumi-chan angestellt? Das glaube ich nicht, das glaube ich einfach nicht!“
„Was ein wenig Pickel ausdrücken doch alles erreichen kann“, murmelte Yoshi amüsiert. Er legte einen Arm um Mamoru und drückte ihn weiter. „Komm, Sempai. Das kannst du später vier Augen mit ihm klären. Yohko-chan?“
„Bin schon auf dem Weg.“
„Hey, Leute, geht doch nicht weg! Mist!“ Was passierte hier gerade? Und warum starrten mich nun noch mehr Leute an?
„Megumi, ich…“
„Du brauchst nicht sofort zu antworten. Aber wenn wir Mittagspause haben, dann…“ Sie wurde rot, ließ mich los und lief in die Halle mit den Schuhboxen.
Vielleicht hätte ich gleich etwas erwidern sollen. Vielleicht hätte ich mir nie die Pickel ausdrücken lassen dürfen. Vielleicht hätte ich ihr sagen sollen, dass ich umfallen würde wie eine gefällte Eiche, wenn sie mich los ließ. Verdammt, die Wunde raubte mir eine Menge Kraft. Ich schlug hart auf dem Boden auf. Mein Blick verschwamm. Alle Geräusche erklangen, als kämen sie aus weiter Ferne, und dann durch fünf Kilo Watte.
„Akira? Akira?“ Das war Kei.
„Was ist denn hier passiert? Komm, ich helfe dir.“ Doitsu.
Ich fühlte mich gepackt und hochgehoben. Eine sichere Hand legte sich genau auf meinen Verband. Das musste Doitsu sein. Er hatte mir die Wunde in der letzten Nacht verarztet. „Mist“, murmelte er und ich wusste Bescheid. „Akira, mach jetzt bloß nicht schlapp.“
„Was ist denn mit ihm? Warum ist er zusammengebrochen?“, klang Joans Stimme auf.
„Na, wenn dir das hübscheste Mädchen der Schule plötzlich ihre Liebe gesteht, würdest du wohl auch zusammenklappen“, sagte Kei. Und so wie er es sagte, klang es als würde er es wirklich glauben. Vielleicht war das sogar der Fall. Ich grinste matt. Nun, zumindest stellte ich mir vor, ich würde es tun. „Danke, Jungs“, murmelte ich. Eigentlich tat es sehr gut, ausnahmsweise mal nicht alleine zu sein.

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Anime Evolution: Nami

Episode sieben: Zweiter Traum, zweiter Akt

Prolog:
„AKIRA!“
„SCHON GESEHEN!“ Ich beschleunigte hart, nahm meine ganze Kraft zusammen, konzentrierte sie auf einen Moment und raste auf den Gegner zu. Ich zog mein Katana blank, ließ es von Akaris KI aufleuchten, verstärkte es noch mit meiner eigenen Energie und spürte, wie die Pranke des Riesen mich davon wischte wie ein lästiges Insekt. Aber das war kein Problem für mich. Anstatt hart auf dem Erdboden aufzuschlagen benutzte ich ihn als Plattform, stieß mich ab und raste erneut auf den Giganten zu. Diesmal hatte ich die Überraschung auf meiner Seite und zog die mit KI verstärkte Klinge über den Leib meines Gegners. Ich spaltete ihn quer, passierte ihn und fing mich in der Luft ab.
„AKIRA!“
„Was denn? Ich habe ihn doch erwischt!“, blaffte ich und ruckte hoch. Mir wurde sofort schwindlig und ich sackte wieder zurück. Verdammt. Das war nicht die Dämonenwelt. Das war die Realität. Genauer gesagt, die Krankenstation unserer Schule.
Langsam fielen die einzelnen Erinnerungsfragmente an ihren Platz. Ach ja. Der Kampf in der letzten Nacht gegen die befallenen Dämonen. Meine Verletzung. Dann der Gang zur Schule mit Megumi an meiner Seite und… Ich hustete erschrocken. Hatte sie mir wirklich mehr oder weniger ihre Liebe gestanden? Mir, der Otomo-Pest? Und hatte Joan das gleiche versucht?“
„Hör auf dich zu bewegen“, tadelte Ino-sensei. „Ist ja gleich vorbei.“
Ich öffnete blinzelnd ein Auge. Tatsächlich. Meine Cousine Sakura. Sie hielt beide Hände gut eine Handbreit über meiner Wunde und versorgte sie mit KI-Energie. Ich konnte dabei zusehen wie sich die klaffende Verletzung nach und nach schloss.
„Was ist…?“
„Ich werde mal ein ernstes Wort mit Mako-chan reden. Die Wunde hätte sofort geschlossen werden müssen. Du hast wahnsinniges Glück, dass das Einhorn nicht deine Lunge perforiert hat.“
„Einhorn? Hä?“
„Denk einfach nicht drüber nach, Kei, okay?“
„Aber Doitsu, Ino-sensei schließt die Wunde gerade mit was? Nur ihren leuchtenden Händen?“
Tadelnd sah Sakura zur Seite. „Warum ist er noch hier?“
„Weil er ohne Akira nicht gehen wird.“
„Nimm ihm sein Gedächtnis, Doitsu.“
„Habe ich schon versucht. Klappt nicht.“
„Oh. Ist er so stark? Danach sieht er gar nicht aus“, stellte sie amüsiert fest. Sie deutete zu Joan Reilley, die auf einem anderen Bett saß und blicklos in den Raum starrte. „Bei ihr hat es funktioniert?“
„Mehr oder weniger. Sie ist in Trance, bis ich sie wecke. Ich dachte mir, es fällt weniger auf, wenn sie mit reinkommt. Ich werde ihr nachher eine passende Erinnerung geben. Hm, so schlimm hat die Wunde gestern aber nicht ausgesehen. Hast du nichts draufgemacht, Akira?“
„Ich habe heute Morgen eine Heiltinktur drauf gegossen“, erwiderte ich matt.
„Heute Morgen erst? Das war sträflich leichtsinnig.“
„Wir haben nicht mehr so viele, oder?“
„Das heißt aber nicht, dass wir sie nicht benutzen sollen. Wir müssen kampfbereit bleiben, Akira, um jeden Preis“, tadelte Sakura ernst.
Fasziniert sah ich dabei zu, wie sich das Fleisch schloss und die Haut über die Verletzung zu wachsen begann.
„Das war es schon. Willst du eine Narbe behalten oder soll ich sie ganz schließen? Weißt du, manche Frauen stehen auf Narben.“
„Ich hoffe, ich falle so einer nie in die Hände. Keine Narbe, bitte.“
„Soll ich mich danach noch um dein Auge kümmern?“
„Nein, das ist in Ordnung. Das geht bis morgen von allein weg. Danke, Sakura-chan.“
„Du brauchst dich nicht für eine Selbstverständlichkeit zu bedanken, Akira. Stattdessen hättest du mich gestern rüber rufen sollen, damit ich die Wunde sofort heile.“
„Um zwei Uhr Morgens? Ich bitte dich. Ich kann dich doch nicht…“
„Du sorgst dich um meinen Schlaf, während du versuchst die Welt zu retten. Das ist so dumm, Akira. So entsetzlich dumm.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Versprich mir, dass du diesen Unsinn lässt, ja? Ich bin für dich da. Ich bin für die anderen da. Egal zu welcher Uhrzeit. Versprich mir, dass du dein Leben nicht auf so dumme Art riskierst.“
Gut, wenn ich mal ganz ruhig und unvoreingenommen drüber nachdachte, dann war ich leichtsinnig gewesen. Und ich hätte mir eine Menge Schmerzen ersparen können. „Okay, ich sehe es ein.“
„Das ist mein Lieblingscousin“, sagte Sakura erfreut und tätschelte mir den Kopf.
Als sie Kei direkt ansah, wich der junge Mann hastig einen Schritt zurück. „Und was dich angeht, kleiner Mann, du willst doch sicher nicht sterben.“
„Kommt drauf an. Wenn Ino-sensei mich umbringt, wäre es das beinahe schon wert.“
„Kei“, tadelte ich.
„Habe ja schon verstanden. Ja, Ino-sensei, von mir erfährt niemand ein Wort. Versprochen.“
„Ich denke, dann können wir weitermachen.“ Mit einer eleganten Handbewegung, die den Krieger in Doitsu verriet, schnippte er vor Joans Augen.
Der Blick wurde wieder klar. Sie zwinkerte ein paar Mal.
„Sorry. Ich muss weggenickt sein. Hm? Du ziehst dein Hemd schon wieder an? Und ich dachte, ich würde einen Ausgleich für gestern kriegen, Aki-chan.“
„Ausgleich für gestern?“, argwöhnte meine Cousine.
„Ist ne lange Geschichte, Sakura. Kann ich dann in meine Klasse gehen?“
„Hm!“ Ihr Blick war eindeutig. Das war der berüchtigte „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“-Blick. „Wir reden später weiter.“
Ich erhob mich, zog die Uniformjacke wieder an und hakte den Mandarinkragen ein.
„Hey, dein Make-up hält immer noch. Beeindruckende Sorte. Ich sollte mir von deiner Schwester die Marke verraten lassen“, scherzte Doitsu.
„Ha, ha. Sehr witzig.“
„Soll ich dich stützen, Aki-chan?“
„Ich denke, es geht so. Ich…“
„Doitsu. Kei. Ihr geht mit ihm, verstanden?“
„Jawohl, Ino-Sensei.“
„Darf ich dann wenigstens deine Tasche tragen, Aki-chan? Ich kann mich doch nicht diesem blassen kleinen Ding geschlagen geben.“ Sie zwinkerte mir zu.
Oh nein, das hatte ich nicht verdient. Warum stürzte ich von einer Welt der Isolation in eine Welt der Überbeanspruchung? Was hatte ich dem Universum getan?

1.
Mein Leben hatte sich verändert. Meine Welt hatte sich verändert. Ach was. Das ganze Universum hatte sich verändert. Ich war es gewohnt, angestarrt zu werden, ich war hasserfüllte Blicke gewohnt, auch gleichgültige. Aber gierige waren mir neu.
Ich hatte niemals, nie, nie ahnen können, wie schnell Menschen ihre Meinung von einem Moment zum anderen ändern konnten, wenn ein wenig Make-up im Spiel war.
Noch waren es nur Blicke, aber was, wenn sie sich sammelten, auf mich stürzten und in Fetzen rissen? Oder noch schlimmer, nur meine Schuluniform? Reichte es nicht, dass manche Mädchen mich mit einem Blick ansahen als wollten sie mich ausziehen? Was war los? War ich das neueste Spielzeug der Schule?
Und warum sah mich ausgerechnet Ami immer so entgeistert an? Wir hatten zusammen gekämpft, waren seit über drei Jahren ein Team, ein sehr erfolgreiches Team, und jetzt sollte sich all das verändert haben – wegen etwas Schminke im Gesicht? Und drei Kilo Pickeln weniger, zugegeben.
Okay, meine Funktion als Köder konnte ich auf diese Art auch erfüllen. Zugegeben. Vielleicht sogar noch besser. Aber wollte ich das überhaupt? Letztendlich hatte ich in meiner Zeit als Otomo-Pest mit niemanden sprechen müssen. Das war immerhin von Vorteil gewesen.
Und dann diese Blicke von Hina. Sie sah mich an als wäre ich eine fliegende Elfe, unendlich hübsch und unendlich zerbrechlich. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geglaubt, dass sie einen Fanclub für mich gründen würde. Ein entsetzlicher Gedanke.
„Warte mal, Akira.“ Yoshi legte eine Hand auf meine Schulter und drückte mich auf den Sitz zurück, gerade als ich hatte aufstehen wollen.
„Es ist Mittag. Ich bin verabredet. Was willst du?“
Grinsend hielt er eine Tube Haargel hoch. „Gib mir nur eine Minute, um aus dieser Ruine eine Frisur zu machen. Du willst doch topp aussehen, wenn du Megumi-chan unter die Augen trittst, oder?“
„Was soll das denn? Ist das eine Massage, oder ein Frisurenstiling?“
„Oh, ich dachte, der Strubbel-Look würde dir am besten stehen. Frech und wild. Glatt nach hinten können wir auch mal ausprobieren. Später. Jetzt geh mal lieber nach oben.“
„Hm! Hast du nen Spiegel?“
„Was denn? Traust du meiner Arbeit nicht, Akira?“
„Niedlich. Warst du das, Yoshi? Du hast ja richtig Geschmack. So wirkt er ja wie ein richtiger Draufgänger.“
„Ja, ich habe schon verborgene Talente, Joan. Soll ich dich auch mal stylen? Dazu müsstest du dein Haar aber etwas abschneiden. Dann brauchen wir magentafarbene Tönung und etwas Haarspray.“
„Aus rot mach rot? Interessant. Vielleicht lass ich dich wirklich mal an meine Haare. Also, Akira, sind wir dann soweit?“
„Soweit für was?“
„Na, denkst du, ich lass dich mit meiner Konkurrenz alleine? Ich komme natürlich mit. Ich lass mir doch nicht die Butter vom Brot nehmen.“
Ich ächzte verzweifelt auf. „Das ist nicht dein Ernst.“
„Aki-chan, ich habe selten etwas ernster gemeint.“
Verdammt, ich glaubte ihr. Ich glaubte ihr wirklich. Und das, obwohl sie mich für Kuroi Akuma hielt? Frauen waren jedenfalls eine Personengruppe, die ich nie, nie, niemals verstehen würde. Und zum Schutz meiner geistigen Gesundheit sollte ich das wohl auch besser nie versuchen.

„Jetzt hätte ich gerne die Theatermaske von Kuroi Akuma“, murmelte ich leise und unterdrückte den Impuls, mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Ich war es gewohnt, den Spießrutenlauf zu nehmen. Ich war es gewohnt, dass die anderen Schüler aus Gleichgültigkeit oder weil die Gelegenheit so günstig war, auf mich herab sahen. Aber das, daran konnte sich niemand gewöhnen.
„Du musst nicht mitkommen. Aki-chan und ich schaffen das ganz alleine.“
„Von wegen. Einer muss ja dabei sein und dich festhalten, bevor du da oben Unsinn anstellst, Joan“, erwiderte Yoshi grinsend.
Er klopfte mir auf die Schulter. „Gewöhn dich dran. Du bist jetzt eine der süßen Jungs der Schule, und es wird eine lange Zeit so bleiben. Willst du, dass ich dir eine Narbe verpasse? Obwohl, es gibt genügend Mädchen, die eine Narbe an einem Mann als Ausrede nutzen, um in seiner Nähe sein zu können. Nach dem Motto, sie ertragen seine Verletzung stoisch und es wäre wahre, reine Liebe.“
„Dann lassen wir das doch besser“, erwiderte ich.
„Willst du etwas Spaß haben? Mach es mir einfach nach, ja?“ Yoshi grinste mich an, dann sah er zu einer Gruppe Mädchen herüber. Die drei Mädchen aus dem Jahrgang über uns begannen übergangslos zu kreischen. Eine fiel in Ohnmacht.
„Was hast du getan?“, rief ich entsetzt. Hatte er KI-Waffen eingesetzt? Hier, in der Schule? Oh, dieser… Yoshi, verdammt!
„Ich habe gezwinkert. Das klappt jedes Mal. Vergiss nicht, ich bin auch einer der süßen Jungs.“
„Ach, das“, kam es von Joan. „Alter Hut. So was kann ich auch. Seht ihr die beiden da drüben?“ Sie legte den Kopf schräg, kniff die Augen zusammen und lächelte.
Einer der beiden bedauernswerten Burschen sackte gleich bis zum Boden durch, den anderen stoppte wenigstens die Wand.
„Lasst den Quatsch, alle beide“, mahnte ich. „Und ich werde einen Teufel tun und… Hiroko-sempai! Du weißt nicht zufällig, wo Hatake-sempai gerade ist?“
„A-akira! Mamoru ist unten in der Cafeteria. Er wollte das neue F-Menu ausprobieren.“
„Sehr gut. Danke, Sempai.“ Ich neigte leicht das Haupt und gestattete mir den Luxus eines Lächelns.
„Hiroko! Was ist mit dir? Geht es dir gut?“
„Du bist mir einer, Akira. Wir sollen so was nicht machen, und du mordest hier selbst Frauenherzen.“ Yoshi knuffte mich schmerzhaft gegen die Schulter.
Ich fühlte, wie sich erneut ein Schweißfilm auf meiner Stirn bildete. „Bloß schnell hier weg. Dieses Make-up ist ja gefährlich.“
„Nicht das Make-up ist gefährlich“, sagte Joan und hängte sich an meinen linken Arm. „Du bist es. Und irgendwie mag ich das. Mein großer, böser Tiger.“
Ich schluckte hart. Warum wurde mir vom Schicksal diese schwere Prüfung auferlegt? Irgendjemand im Göttlichen musste mich entweder wirklich hassen oder sich wirklich köstlich über mich amüsieren. Mist.

Auf dem Dach wurden wir bereits erwartet. Megumi stand am Maschendrahtzaun und sah auf die Straße hinab. Sie sah zu uns herüber. „Hallo, Akira.“ Dann begannen sich ihre Augen zu verdüstern. „Was macht die denn hier?“
„Hallo? Ich bin auch noch da. Oder zähle ich nicht?“, beschwerte sich Yoshi amüsiert.
„Was denn, was denn, Miss Klassenprinzessin. Hast du noch nie was von Konkurrenz gehört? Denkst du, du bist die Einzige, die ihre Rechte an Aki-chan durchdrücken will?“
„D-durchdrücken? Wie gemein. Du zwingst ihn? Wie fies muss man sein, um so etwas tun zu können?“
„Das sagt die Richtige. Nutzt hier ihren Status als Yohkos Freundin aus und will sich meinen Aki-chan schnappen. Hm, im Gegensatz zu dir mochte ich ihn schon, bevor er gut aussah.“
„Danke, jetzt weiß ich, dass ich vorher hässlich war. Sehr freundlich.“
„Sei ein Mann und ertrag es, okay? Also, Schätzchen, bist du bereit zu einem harten Fight?“
„Denkst du, ich gebe mich dir geschlagen? Ausgerechnet dir? Ha!“
„Okay, Auszeit. Auszeit. Können wir an dieser Stelle abbrechen? Ich bin hier hochgekommen, um mit Uno-kun zu reden, klar? Also, ihr zwei wartet hier schön brav, während ich rüber gehe und ihr meine Antwort gebe, verstanden?“
„Aber das ist unfair. Ich kann dann gar nicht drauf reagieren und…“
„Meine Entscheidung ist bereits gefallen. Daran kannst du nichts mehr ändern, Joan.“
„Und wie lautet die Entscheidung?“
„Du verlangst von mir, dass ich sie zuerst dir sage? Das ist nicht sehr nett, Miss Reilley.“
Frustriert blies sie die Wangen auf. „Okay, okay, habe kapiert.“
Yoshi legte der Amerikanerin eine Hand auf die Schulter. „Geh nur, Akira. Wir beide warten hier.“
„Wenigstens etwas“, brummte ich.
Langsam kam ich Megumi entgegen. „Weißt du, es tut mir wirklich Leid, was ich jetzt tun muss, aber wir wollen doch ungestört reden, oder?“ Ich trat an sie heran und schloss sie in die Arme. Dabei hob ich sie leicht an.
„A-akira!“
„Es ist nicht was du denkst, Uno-kun.“ Ich ging leicht in die Hocke, konzentrierte mein KI und sprang.
Yoshis Lachen klang hinter mir auf und ich hörte Joan erstaunlich undamenhaft fluchen.

Mit Megumi in den Armen sprang ich auf das Dach des Nebengebäudes. Und von hier noch ein Dach weiter. Erst weit außerhalb des Schulgeländes stoppte ich.
„Wenn du mich jetzt hasst, habe ich es wohl nicht anders verdient“, erwiderte ich und ließ Megumi auf ihre Füße herab. Sie taumelte, also griff ich wieder zu, um sie zu stützen.
„Oh. Das war toll! Ich meine, das war… Das war phantastisch! Akira, woher kannst du so was?“
Misstrauisch hob ich die Augenbrauen. Sie hatte sich amüsiert?
„Ach, das… Es ist nichts weiter als ein wenig KI-Beherrschung. Ich benutze es schon seit ein paar Jahren und…“
„Du meinst, du bist wirklich Kuroi Akuma, der schwarze Teufel? Der Vigilant, der durch unsere Straßen zieht und Verbrecher züchtigt?“
„Macht mich das jetzt interessanter oder gefährlicher?“
Langsam löste sie sich von mir. Hm, ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich sie immer noch in Armen gehalten hatte. Vielleicht hatte ich es auch nur ignoriert. Es hatte sich einfach zu gut angefühlt.
„Weißt du, Akira, man erzählt sich nicht viel Gutes über den Kuroi Akuma. Für die Verbrechensbekämpfung haben wir die Polizei, und wenn ein Bürger mal selbst eine Verhaftung durchführt oder die Polizei dabei unterstützt, ist nichts dagegen zu sagen. Aber sich selbst zur Gerechtigkeit in Person aufzuschwingen und selbst zu strafen ist nicht der richtige Weg.“
„Hör mal, Megumi, ich…“
„Schon klar. Ich weiß, dass du so etwas nie machen würdest.“ Sie drehte sich um und ging ein paar Schritte. „Andererseits weiß ich, dass man im Eifer des Gefechts schon mal jemanden verletzen kann.“
Betreten sah ich zu Boden. HA! Verletzen? Wenn man es genau nahm, dann war ich ein Metzler und ein Massenmörder. Ein Leben in Isolation, fernab von Freunden und Menschlichkeit war da noch eine geringe Strafe gewesen. Ich war es, durch dessen Hände bereits über dreihundert Daina gestorben waren. Ich war es, der…
„Du bist also wirklich Kuroi Akuma“, stellte sie fest. Sie verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken und wanderte ein paar Schritte über das Dach. Dabei wandte sie mir den Rücken zu.
„Aber das war es noch nicht, oder? Warum bist du mit mir gesprungen? Für wen spielst du hier den Lockvogel? Warum zeigst du allen, was du kannst? Hast du Angst, du bist jetzt, wo dein Gesicht niedlich geworden ist, kein mögliches Ziel mehr? Und wenn ja, ein Ziel für wen?“
Mist, die Kleine war mir ein wenig zu schlau. Wenn sie jetzt noch ein wenig Phantasie hatte, dann konnte sie sich die ganze Geschichte selbst zusammenreimen.
„Was ist dein Interesse an mir, Megumi?“, fragte ich direkt. „Welche Rolle hast du in dieser Tragödie?“
„Tragödie? Es ist eher eine Komödie. Und du spielst die männliche Hauptrolle.“
„Sehr komisch. Bist du dann die weibliche Hauptrolle?“
„Nur wenn ich gut aufpasse und Joan nicht an mir vorbeikommen lasse.“ Sie wandte den Kopf zu mir herum und lächelte.
Viel zu süß und viel zu niedlich. Konnte es so eine Frau wirklich geben?
„Aber die Gefahr besteht wohl nicht. Sie weiß ja noch weniger als ich. Sie denkt immer noch, du wärst nur Kuroi Akuma. Nun, ich weiß ein wenig mehr. Vater hat es mal angedeutet und… Kannst du mir es erklären, Akira?“
Ich schluckte hart. Ihr Vater? Steven Uno war ein… Kollege meines Vaters traf es wohl. Er war ein Insider, aber ich hatte nicht gewusst, dass er Zuhause zur Indiskretion neigte.
Wenn er ihr zuviel erzählt hatte, konnte sie das gefährden.
Aber war Megumi das nicht ohnehin schon? Immerhin war sie seine Tochter, und er war ein legitimes Ziel unserer Gegner. Sobald ich als Lockvogel versagte.
„Was willst du von mir, Megumi?“, antwortete ich mit rauer Stimme. „Was willst du nur von mir?“
Sie fuhr herum. Und mit Entsetzen im Blick sah sie mich an. „Du hast es vergessen?“
Schnell kam sie näher, bis uns nur noch eine Handbreite trennte. „Du hast es wirklich vergessen? Akiraaaaaa, du kannst es doch nicht vergessen haben!“
Ihr trauriger, ein wenig verletzter Blick traf mich tief, bis in die Abgründe meiner Seele. War da wirklich etwas, was mich gerade ins Abseits stellte? Ein Erlebnis, an das sie sich erinnerte, ich aber nicht? „Tut mir Leid, ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
Ihre Rechte legte sich sanft auf meine Wange. „Akira… Idiot!“
Die schallende Ohrfeige tat weh, aber ich glaubte, sie irgendwie verdient zu haben. Außerdem schmerzte es mich viel mehr, dass sich das Mädchen umdrehte und von mir abwandte. „Okay, damit du nicht dumm stirbst! Du hast versprochen mich zu heiraten.“
„WAS?“
„Was ist so schlimm daran? Musst du hier gleich in Panik ausbrechen?“
„Darum geht es doch gar nicht! Wann habe ich das denn getan?“
„Damals, als wir zusammen in die Grundschule gegangen sind. Du hast gesagt, du beschützt mich und du wirst mich heiraten, wenn wir groß sind.“
Ich überschlug die Zahlen kurz im Kopf. „Megumi, das ist fast elf Jahre her. Wir waren Kinder.“
„Und das gleiche hast du mir vor der Mittelstufe versprochen. Und in der zweiten Klasse der Mittelstufe hast du gesagt, wenn du bis zur Oberstufe überlebst, würdest du dein Versprechen wahr machen.“
Ich fühlte wie meine Knie weich wurden. Ups, das fiel ziemlich genau mit dem Beginn der Kämpfe zusammen. Seitdem war eine Menge passiert. Ich war hart und kalt geworden und hatte es genossen, andere Menschen auf Distanz zu halten und… Und, verdammter Mist, ich hatte es ihr wirklich versprochen. Nur war ich irgendwann auf die superkluge Idee gekommen, dass sie ohne mich besser dran war. Ich hatte versucht, die Versprechen zu vergessen. Ihr aus dem Weg zu gehen. Hatte beides super geklappt. Bis heute.
Es war einfach zuviel passiert. Und es war noch nicht vorbei. „Megumi…“
„Du erinnerst dich wieder?“, fragte sie mit dünner Stimme. „Und? Erneuerst du dein Versprechen? Oder hast du noch nicht lange genug überlebt? Wird es noch schwerer für dich?“ Langsam legte sie die Arme um ihren Körper, als würde sie frieren.
Ich zögerte. Ich hatte es ihr versprochen, zugegeben. Und damals hatte ich es ernst gemeint. Aber wenn ich auf meine Hände sah, dann glaubte ich, das viele Blut an ihnen herab fließen zu sehen und… Und ich war noch lange nicht mit töten fertig. Warum musste ich so schwer tragen? Warum? Konnte ich Megumi unter diesen Umständen an mich binden? Durfte ich das überhaupt? „Ich…“
„Erklär es mir, bitte. Erklär mir, was für dich wichtiger ist als ich es bin. Erklär mir, wofür du mich aufgibst.“
Ich wollte widersprechen. Ich wollte sagen, dass ich sie nicht aufgab. Aber darauf lief es wohl letztendlich hinaus. Halb wandte ich mich ab. „Mamoru ist alles an sich ein feiner Kerl.“
Nun geschah alles sehr schnell. Ich sah wie Megumi herum wirbelte, Tränen in den Augen, und die Rechte erneut erhoben, um mir die zweite, wohl verdiente Ohrfeige zu verpassen.
Ich sah, wie neben mir eine zweite Sonne aufging. Und ich reagierte.
Mit einem schnellen Schritt war ich bei ihr, drückte ihre Schlaghand weg und warf mich mit ihr zu Boden. Wir rollten einige Zeit und stießen gegen den Zaun. Dann drückte ich ihren Kopf gegen meine Schulter und hoffte, sie gut genug schützen zu können.
Es wurde grell.

„Du solltest deine Deckung nicht so sehr vernachlässigen, Akira“, klang eine spöttische Stimme auf.
Ich sah auf. Gut, ich war noch nicht tot. Wir waren noch nicht tot. Und der Grund dafür war offensichtlich ein niedliches junges Mädchen in einem herzerweichend niedlichen blauen Minirock und dazu passendem Matrosenhemd. Sie hatte lange, gut geformte Beine, und eines nahm sie gerade wieder langsam ab. Direkt vor ihr sank ein KI-Biest in sich zusammen, einen kräftigen Abdruck ihrer kniehohen Stiefel in der Stirn. Noch bevor das Monster den Boden berührte, leuchtete es ein zweites Mal auf und verschwand in einem Regen aus Licht.
„Ich bin nicht immer zur Stelle, um dich zu retten.“
Ich richtete mich auf und half dabei Megumi hoch. „Ist es sicher? Wurde es auf mich oder auf Akira Otomo angesetzt?“
Das Mädchen lachte hoch und spöttisch. „Es ist deinen dämlichen Sprüngen gefolgt. Du hättest wissen sollen, dass KI-Biester einer solchen Zurschaustellung von Macht nicht widerstehen können. Zum Glück habe ich es auch gesehen. Dummkopf.“
Ich trat ein paar schnelle Schritte vor, und umarmte sie von hinten. Dabei rieb ich auch meine Wange an ihrer. „Danke für die Lebensrettung. Du bist mein absoluter Liebling, das weißt du doch.“
„Ach. Schmeicheleien nützen dir nichts, wenn du tot bist, Akira.“
„Ich bin aber nicht tot, und du bist schuld daran.“
„Ich weiß, ich sollte so etwas nicht sagen, nachdem sie unser Leben gerettet hat, aber… Wer ist das und in welcher Beziehung stehst du zu ihr, Akira? Warum bist du so vertraut mit ihr?“
Nanu? War sie eifersüchtig? Das versprach lustig zu werden. Ich wandte mich um und drehte dabei auch das Mädchen um.
Amüsiert beobachtete ich, wie Megumi die Kinnlade herabsackte.
„Ma… Ma… MAKOTO?“
Er lächelte lieb. „Hallo, Megu-chan.“
„Aber… Aber… Warum? Du hast uns gerettet und…“
„Gerettet habe ich euch, weil ihr beide jetzt sonst tot wärt.“
„…und du trägst ein Matrosenkostüm?“
Makoto errötete. „Äh, der Minirock bietet mir größere Freiheit bei meinen Attacken. Akira, kannst du nicht mal aufhören mich zu knuddeln?“
„Was denn, was denn? Wenn du hier so niedlich rum läufst, da kann es halt passieren, dass dir ein Mann mit Haut und Haaren verfällt. Außerdem wehrst du dich nicht gerade, oder?“
„Ach… So ist das also… Tja, gegen Makoto-o-nii-chan kann ich nicht gewinnen. Das ist mir jetzt klar. Ich… Ich wünsche euch beiden…“
„M-megumi? Das ist doch nur ein Witz! Wir machen doch nur Spaß.“ Ich ließ meinen Cousin los und schnappte nach Megumis Hand, bevor sie sich mir entziehen konnte. Zusätzlich trat ich vor und… Nun, man konnte mich überraschen. Man konnte mich sogar sehr überraschen. Und, ehrlich gesagt, ich war schon ein paar Mal in geschickte Fallen geführt worden, aber selten waren sie so zerstörerisch wie diese gewesen.
Das wurde mir etwa eine Minute später klar, nach einem langen und intensiven Kuss, der in mir die Frage aufkommen ließ, wer zum Henker Megumi das küssen beigebracht hatte.
„Wenn ihr zwei lieber allein sein wollt…“, begann Makoto spöttisch.
„Danke, dass du dein Versprechen erneuert hast, Akira“, hauchte Megumi und sah mich mit einem Blick an, der sehr, sehr sicher verhinderte, dass ich ihr widersprach, leugnete oder sonst etwas Dummes tat.
„Mist.“
„Also, Akira, Makoto-o-nii-chan, reden wir mal Tacheless. Ihr erklärt mir jetzt genau, was hier los ist. Warum Akira den Köder spielt und wieso die halbe Welt hinter euch her ist. Dann übersehe ich großzügig wie ich bin dieses wirklich nette Matrosenkostüm.“
„Du willst die Wahrheit wissen?“, höhnte Makoto. „Du kannst die Wahrheit doch gar nicht ertragen.“
„Hm“, machte sie und setzte sich auf den Boden. Es war eine sehr sittsame, damenhafte Pose, und für einen Moment stellte ich sie mir in einem hellen Kimono auf einer grünen Wiese vor und…
„Okay. Wir können ja immer noch dein Gedächtnis löschen“, brummte Makoto. Er griff nach seinem Rocksaum, zog ihn nach oben, und stand einen Augenblick später in der Sportkleidung für Männer da, die unsere Schule befahl. Er setzte sich ihr gegenüber, raffte sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz und lächelte dünn. „Die lange oder die kurze Version?“
„Die lange.“
„Du hast es so gewollt“, murmelte Makoto und befahl mir, mich hinzusetzen, mit einem einzigen scharfen Blick.

2.
„Um zu verstehen, worum es hier geht, müssen wir zwanzig- bis dreißigtausend Jahre in die Vergangenheit“, erklärte Makoto ernst.
„Mit Kleinigkeiten gibst du dich wohl gar nicht erst ab, oder?“, spöttelte Megumi. Unwillkürlich glitt ihre Hand auf meine und drückte sie. Ein wenig Angst hatte sie schon.
„Es liegt an der Geschichte. Hast du schon mal was von Atlantis, Mu, Lemur oder der Doggerbank gehört?“
„Das sind Mythen über versunkene Kontinente, auf denen einstmals hochstehende Völker gelebt haben sollen. Sie sollen technologisch weiter fortgeschritten gewesen sein als wir.“
„Bis auf die Doggerbank. Das ist eine Geländeformation in der Nordsee, einem bis zu hundert Meter tiefen Seegebiet im Nordatlantik. Ursprünglich war dieses Gelände mal Festland, aber als der Meeresspiegel nach der letzten Eiszeit anstieg, wurde sie überschwemmt. Kannst du dir vorstellen, dass dieses Phänomen nicht nur auf die europäische Küste beschränkt war?“
Makoto machte eine alles umfassende Geste. „Es gibt einige Gebiete auf dieser Welt, die nach der Eiszeit überflutet wurden. Es gibt auch etliche Gebiete, die durch tektonische Bewegungen der Kontinentalplatten versanken oder aufstiegen. Plötzlich von der Last des Packeis befreit – und für die Erde sind ein paar tausend Jahre plötzlich – kam es zu tektonischen Verwerfungen und etlichen Verheerungen. Gerade in der Pazifik-Region, mit der gigantischen pazifischen Platte kam es zu massiven Bewegungen.
Es gab einmal Zeiten, in denen man zwischen Sibirien und Alaska zu Fuß verkehren konnte, weil es die Beringstraße damals nicht gab. Die Kontinente hingen zusammen. Ähnlich ist es mit Australien und dem ostasiatischen Festland. Das Schwarze Meer, ein salziges Binnenmeer in Westasien, war zu dem damaligen Zeitpunkt nur eine Senke, die erst durch Beben dem Salzwasser ausgeliefert wurde und über Jahrtausende zu dem Meer wuchs, wie wir es heute auf dem Globus sehen. Und das sind nur ein paar Beispiele.“
„Aha. Und was hat das mit euch beiden zu tun? Ihr seid definitiv keine zwanzigtausend Jahre alt. Und wenn doch habt ihr euch gut gehalten.“
Ich wechselte einen amüsierten Blick mit Makoto.
„Nun, wir sind keine zwanzigtausend Jahre alt, zugegeben. Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Kannst du dir vorstellen, dass es Mu, Lemur oder Atlantis wirklich gegeben hat? Dass es auf ihnen Hochkulturen gegeben hat, die unserer jetzigen Kultur überlegen waren?
Oder vielmehr, dass es einen Kontinent gab, der später Mu, Lemur oder Atlantis genannt wurde, und auf dem es eine einzige Hochkultur gab, in einer klimatisch attraktiven Zone, die weit weg vom massiven Packeis des Nord- und Südpols war? In einer lebensfähigen Zone, weitab des rauen Lebens der Cro Magnons direkt am Packeis?“
„Vorstellen kann ich es mir, ja.“
„Nun, um die Sache abzukürzen, die Legende ist wahr.“
„Ach.“
„Ja. Ach.“
„War ja klar, dass es darauf hinausläuft. Und? Wie geht es weiter? Schreibst du ein Buch drüber oder kommst du endlich zum Kern der Sache?“
„Ha, ha. Sehr witzig. Also, es gab diesen Kontinent. Das heißt, eigentlich gibt es ihn immer noch, aber das zu erklären führt zu weit. Tatsache ist, es gab diese Hochkultur, und diese Hochkultur bildete diverse Ableger in klimatisch heißen Zonen der Erde, hauptsächlich in den Küstenregionen rund um den Äquator.“
„Regionen, die später überschwemmt wurden.“
„Richtig. Diese Hochkultur nannte sich selbst Dai, die Hohen. Es kam wie es kommen musste. Die besiedelbaren Regionen boten den Dai bald keinen Platz mehr. Oder ihre Abenteuerlust überwältigte sie. Das Volk der Dai spaltete sich auf. Die einen, die Daina, blieben auf der Erde. Die anderen, die sich fortan Daima nannten, breiteten sich über das Universum aus.“
„Ach. Gib mir doch bitte mal ne Sekunde zum luftholen. Das klingt alles so abstrakt wie von einem schlechten Autor runtergekliert, aber trotzdem wird mir schwindlig, wenn ich es höre.“
„Soll ich dir vielleicht einen Kaffee bringen?“, scherzte Makoto.
„Hör auf zu spotten. Kann weitergehen.“
„Hm. Wie ich bereits sagte, die Daima breiteten sich über Universum aus. Oder besser gesagt, über die nähere stellare Region. Wir schätzen, dass diese Wesen, die wir manchmal die Erste Menschheit nennen, eine Raumkugel mit einem Durchmesser von einhundertzwanzig Lichtjahren besiedelt und erforscht haben.
Übrigens kamen ständig Daima nach, die von der Erde aus ins Unbekannte aufbrachen.
Aber irgendwann nannten diese Abenteuerlustigen sich nur noch Daina, um ihre Verbundenheit mit der Urheimat und mit dem Volk der Dai an sich auszudrücken.
Und du weißt ja was passiert, wenn jemand etwas nicht versteht oder partout missverstehen will, nicht?“
„Du meinst so wie mit unseren Mitschülern und Akira, richtig? Es gab Krieg.“
„Aber hallo. Es gab Krieg. Wirklich fetten, saftigen Krieg. Wer angefangen hat, nun, wen interessiert es? Wichtig für uns ist nur zu wissen, dass nur sehr wenige Daina den Krieg überlebt haben. Und das auch nur, weil sie ihre Urheimat, Lemur, Mu oder Atlantis, selbst vernichteten. Mehr oder weniger. Damit war Ruhe im Karton, und die übrigen Daima und Daina draußen im Universum konnten sich ganz darauf konzentrieren, sich selbst die Köpfe einzuschlagen.“
„Tolle Geschichte. Willst du nicht ein Buch, nein, noch besser, eine Serie darüber schreiben? Würde bestimmt gut kommen und sich toll verkaufen. Du müsstest nur noch ein paar Details einfügen wie einen Oberbösen, einen Orden der Beschützer für Recht und Ordnung, den ewigen Kampf zwischen Licht und Schatten und…“
„Megumi“, mahnte ich.
„Okay. Bin ja schon still. Erzähl weiter, Mako-o-nii-chan.“
„Während dieses Krieges wurde eine Waffe eingesetzt. Sie nennt sich Liberty-Virus. Es ist ein teuflischer, kleiner biologischer Kampfstoff, der in einem Daina-Gehirn etwa folgendes anrichtet. Er perforiert dir die Birne.“
„Ach, wie nett. Grausig ist das.“
„Ja, grausig. Aber das richtig grausige ist, er perforiert dir das Hirn gezielt. Es gibt da einige Sektionen in deinem Kopf, die für das Gefühl da sind, für Emotionen, für Moral und Anstand. Für Maßhaltung, soziales Verhalten und dergleichen. Der Liberty-Virus zerfrisst gezielt diese Zentren. Darüber hinaus stimuliert er die Zirbeldrüse. Wir wissen nichts über die Gründe hierfür, aber die Folge ist… Nun, Daina mit Superkräften, wenn du es so willst.“
„Aha. Enthemmt, keine Moral, keine soziale Bindung und Superkräfte. Klingt für mich wie die ultimative Bedrohung.“
„Etwas in der Art. Womit wir in unsere Gegenwart springen. Es gibt auf unserer Welt ein Volk, das sich selbst Dämonen nennt. Sie… Nun, sie leben schon länger auf der Erde als die Daina, und sie haben die Daina und die Daima bei ihrem Tun beobachtet. Mit steigendem Entsetzen, wenn ich das mal anmerken darf. Als die Daina ausgelöscht wurden – okay, fast ausgelöscht wurden, waren es die Dämonen, welche die Daina über die Welt verstreuten und sie zurück in die Primitivität führten. Das war nicht unbedingt eine Strafe, vielmehr eine Schutzfunktion, um sie fortan vor den Daima zu bewahren.
Danach wurden sie zu den Nachlassbewahrern der Daina und übernahmen Atlantis, den Kontinent.“
„Der eigentlich vernichtet sein sollte.“
„Eigentlich. Aber die Daina hatten ihn lediglich in einer eigenen Realität eingebettet.“
„Klingt nach dem Bermudadreieck, oder?“
„Etwas in der Art, ja.“
Ich hob eine Hand. „Wie du dir sicher denken kannst, sind wir Daina. Genauer gesagt Makotos und meine Familie sind mehr oder weniger direkte Nachkommen der Daina. Aber durch die Vermischung über die Jahrtausende mit den Cro Magnon sind wir immun gegen den Liberty-Virus geworden. Was gerade jetzt sehr nützlich ist, denn die Dämonen sind es nicht.“
„Zumindest die meisten nicht. Einige haben absolute Kontrolle über ihren Körper, andere nicht. Es sind jedoch definitiv zu wenige, um den Kampf zu führen.“
„Aha. War ja nicht schwer zu erraten. Ihr kämpft also. Mit den Dämonen an der Seite, richtig? Nur gegen wen? Die Daima werden wohl kaum zurückgekehrt sein. Aber dieses ganze Gerede von Joan, dieses KI-Biest eben gerade und ein paar weiterer Hinweise sagt mir, dass es auf Atlantis zu finden ist.“
„Soweit richtig. Der Konflikt spielt sich auf dem Phasenverschobenen Kontinent ab. Wir kämpfen dort gegen Daina.“
Megumi runzelte die Stirn. „Und die Daina können den Kontinent, beziehungsweise die Phasenverschiebung nicht gegen den Willen der Dämonen verlassen, oder? Also kämpfen sie gegen ihre Gefängniswärter. Alles, was sie rausschicken können sind diese KI-Biester, denen sie einfache, klar strukturierte Aufgaben geben können und…“
„Moment, Moment, wie viel weißt du schon über die Materie?“, fragte Makoto mit Schweiß auf der Stirn.
„Nur was du mir bisher gesagt hast.“
„Erstaunlich.“
„Beachtlich.“
„Danke. Für Komplimente ist eine Frau immer empfänglich.“ Sie lächelte süß, wirklich süß. „Und? Gibt es einen bestimmten Grund dafür, die Daina in der Phasenverschiebung gefangen zu halten? Sind sie mit dem Liberty-Virus infiziert?“
„Gut kombiniert, Holmes. Vor ungefähr fünf Jahren wurde auf dem Kontinent eine kryogene Anlage entdeckt, oder um es mal simpel auszudrücken: Ein riesiger Kühlschrank für Menschen. In ihm ruhten dreißigtausend Daina. Das Projekt war streng geheim, sodass nicht einmal die Dämonen davon etwas erfuhren. Sie tauten ein paar von ihnen wieder auf und machten die schreckliche Entdeckung, dass zumindest die Daima von diesem Projekt gewusst haben mussten. Nachdem der erste Daina erwacht war, wurden hunderte Bomben in der Anlage gezündet, die den gesamten Bereich mit dem Liberty-Virus überschütteten. Damit nahm das Verhängnis seinen Anfang. Es wurden mehr und mehr Daina wiedererweckt, was gleichbedeutend mit der Infektion des Liberty-Virus war. Mit einer totalen Enthemmung, mit dem Zusammenbruch jeder Struktur, jedes sozialen Verhaltens. Es gibt nur das Recht des Stärkeren und Unterwerfung. Es ist keine nette Wohngegend.“
Ich räusperte mich. „Die Dämonen konnten die Daina nur schwer bekämpfen, gerade auch weil ihre Zahl mit jedem Tag anstieg. Im Moment gehen wir davon aus, dass etwas über siebentausend wiedererweckt wurden. Jeden Tag kommen etwa dreihundert hinzu. Und abgesehen von den höchsten und mächtigsten Dämonen gibt es nur eine Gruppe von Menschen, die sie bekämpfen, besiegen und letztendlich retten können: Uns.“
„Die Nachfahren der Daina“, komplettierte Megumi. „Wie lange geht das schon so?“
„Nicht ganz drei Jahre.“
„Okay, das erklärt einiges. Und wie erfolgreich seid Ihr?“
„Nun, wenn wir es schaffen, die kryogenische Anlage zu zerstören, bevor die restlichen dreiundzwanzigtausend Daina erwachen, haben wir eine Chance.“
„Aha. Und Akira spielt in dieser Welt den Lockvogel für die KI-Biester, welche die enthemmten Daina auf euch hetzen? Aber warum?“
Makoto lächelte. „Das hat einen einfachen Grund. Er ist der Stärkste von uns.“ Eine flache Hand traf mich am Hinterkopf. „Und normalerweise lässt er sich nicht so leicht überraschen!“
„Urgs.“
„Ja, urgs du nur. Ohne mich wäre Megumi gestorben, du Superheld. Dich hätte nichts so leicht umgebracht, aber sie…“
Ich spürte einen harten Griff an meinem Kragen und wurde fortgezerrt. Dann sah ich Megumi gezwungenermaßen aus allernächster Nähe direkt in die Augen. Ihr Blick war amüsiert und eiskalt. „Wehe, du denkst auch nur eine Sekunde daran, das jetzt als Ausrede zu benutzen, um mir zu erklären, du würdest mich nur gefährden, wenn wir zusammen sind. Das zieht nämlich nicht bei mir, verstanden?“
„Urgs.“
„Das fasse ich als Einverständnis auf.“ Langsam ließ sie meinen Kragen los.
„Megumi, versteh doch, dass wir…“
„Makoto-o-nii-chan. Da gibt es nichts zu verhandeln. Weißt du nicht, was Liebe ist?“
Ich lüftete meinen Kragen. Übergangslos wurde mir heiß, übel und irgendwie komisch. Frauen. Was für eine herrliche Erfindung.
Betreten sah Makoto zu Boden. „Natürlich weiß ich, was Liebe ist. Ich kann dich also nicht umstimmen, Megumi-chan? Bedenke, wie schwer er es haben wird, wenn in der Schule bekannt wird, dass ihr zwei zusammen seid.“
„Hm… Zugegeben. Und Joan könnte deshalb sehr enttäuscht sein und Akira das Leben schwer machen. Ach, ich bin ja nicht besonders Besitz ergreifend. Wir verheimlichen es einfach. Zumindest bis die Daina besiegt sind, okay?“
Sie lächelte mich an, aber es war ein noch kühleres Lächeln als eine knappe Minute zuvor.
„Das heißt aber nicht, dass du mit ihr rumknutschen darfst, Akira.“
„I-ich…“
„Sonst kriegst du nämlich keine mehr von mir. Überleg es dir.“
Verdammt, wer hatte ihr bloß das küssen beigebracht? Wenn ich den erwischte, würde ich ihn mit Orden überhäufen.
„Küssen? Orden? Was nuschelst du da, Akira?“
„Schon gut, Makoto. Ich werde sie nicht küssen. Aber was ist, wenn sie versucht mich zu küssen?“
„Das hättest du wohl gerne, was?“ Sie kicherte amüsiert. Aber dann stockte sie. „Mist. Das ist leider sehr wahrscheinlich.“ Wieder lächelte sie, doch diesmal war es blankes Eis. „Ich bin ja zum Glück nicht so Besitz ergreifend.“
Für mein Glück, zumindest für ein einigermaßen ruhiges Leben, neben meiner Schlacht auf dem Boden von Atlantis und in den Straßen meiner Heimatstadt, musste ich wohl fortan meine Lippen beschützen. Nicht, dass ich jemand anderen als Megumi wollte, aber leider interessierte das Frauen manchmal herzlich wenig. Überhaupt schienen Frauen nur ungern auf die Entscheidungen von Männern zu hören, wenn sie ihnen nicht in den Kram passten.
„Also?“, fragte sie mit leuchtenden Augen. „Wann kann ich mal mit rüber kommen?“
Ich wechselte einen entsetzten Blick mit Makoto. Dann starrten wir Megumi an. „WAS?“

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***
„Das war nicht nett von dir, Aki-chan“, klagte Joan, als ich mit Megumi in den Armen auf das Dach zurückgesprungen kam. Außerdem hatte ich die Pause überzogen. „Einfach so mit ihr fort zu springen. Hm, andererseits wird mir jetzt einiges klar, Kuroi Akuma.“
„Ach was. Akira hat nur starke Knöchel“, scherzte Megumi, nachdem ich sie abgesetzt hatte.
„Sehr komisch. Darf ich auch mal, oder bist du ab sofort ihr Privateigentum?“
Megumi sah mich ernst an. „Sagen wir, das Rennen ist noch nicht entschieden. Außerdem bin ich ja nicht Besitz ergreifend. Hm, ich gehe schon mal vor und hole mir den Anschiss vom Lehrer ab.“ Sie ging ins Treppenhaus und knallte die Tür.
„Besitz ergreifend ist sie vielleicht nicht, aber definitiv sauer. Ich dachte die Tür fliegt raus. Und, alles klar, Akira?“
„Ein KI-Biest, nicht der Rede wert, Yoshi. Mako hat auf mich aufgepasst.“
„Was denn, was denn, du brauchtest Hilfe? Gegen ein KI-Biest?“
„Bitte, sprecht nicht in Rätseln. Was hat eure kleine Aussprache also ergeben? Bist du vom Markt, Kuroi Akuma? Oder habe ich noch ne Chance?“
„Wie Megumi schon sagte.“ Ich räusperte mich, um meinen Hals wieder frei zu kriegen. Mist, mein Kragen wurde plötzlich so eng. „Das Rennen ist noch nicht entschieden.“
„Hm. Hast du dich dann wenigstens dafür entschieden, mit diesem Vigilantenquatsch aufzuhören? Auch wenn du über Häuser springen kannst, irgendwann erwischt es dich. Und das will ich nicht, Akira.“
Ich lachte trocken. „Ist es dann wenigstens in Ordnung, wenn ich in einer Phasenverschobenen Welt eine Armee außergewöhnlicher Menschen gegen eine Heerschar pervertierter und verseuchter Monstren führe, um die Welt zu retten?“
„Playstation oder PC?“
„PC!“
„Genehmigt.“ Sie wandte sich um, zwinkerte mir über die Schulter zu und meinte: „Wir sehen uns spätestens heute Abend an der Barriere, Aki-chan.“
„Soll ich die Situation noch ein wenig verschärfen?“, kam es von oben, kaum dass Joan im Treppenhaus verschwunden war.
„Ich könnte ein wenig neben dir hergehen und behaupten, ich wäre die neue Austauschschülerin.“
Seufzend sah ich auf. „Makoto. Der Tag, an dem deine Schwester dich in Mädchenklamotten gesteckt hat, damit du diese getarnte Überwachung durchführen konntest, wird auf ewig ein schwarzer Tag für die Familie sein.“
„Warum? Weil ich seitdem ab und an mal Frauenkleider trage?“
„Nein, weil dein Geschmack als Frau furchtbar ist. Rosa Loose Socks, du bist krank, Mako.“
„Ha, ha. Du bist sooo witzig, ich hätte fast gelacht.“
„Mako… Jungenklamotten. Mitkommen.“
Mein Cousin sprang herab. Dabei verwandelte sich sein Matrosenkostüm in die an der Fushida übliche Jungenbekleidung. Seine KI-Rüstungen waren noch immer die besten.
„Und was jetzt, furchtloser Anführer?“
„Na was wohl? Zur Entspannung treiben wir Sakura-chan ein wenig in den Wahnsinn, genialer Meisterstratege.“
Makoto legte den Kopf schräg, als würde er nachdenken. „Spaß… Ärger… Spaß… Ärger… Spaß gewinnt! Gehen wir, Akira.“
Yoshi runzelte die Stirn. „Ihr wollt Sakura Ino ärgern? Die goldene Göttin? Den Racheengel der Apokalypse? Das wunderbarste Stück Weiblichkeit, welches die Götter je geschaffen haben?“
„Ja. Was dagegen?“
„Nun… Nein. Darf ich zugucken? Ich räume auch eure Reste weg, falls es schief geht.“
„Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, Akira…“
Ich ergriff Makoto am Handgelenk. „Mitgefangen, mitgehangen, kennst du das Sprichwort?“
„Akiraaa…“
Warum sollte ich nicht auch mal Spaß haben?

3.
„Es ist wieder dunkler geworden“, murmelte ich leise. Das Land vor mir war weit und leer. Es schien nur aus Sand, Felsen und blankem Stein zu bestehen.
„Die Explosionen der letzten Woche haben viel Staub in die Luft geblasen. Er hält sich knapp unter der Barriere und reflektiert das Sonnenlicht. Wir haben dadurch fünf Grad Bodentemperatur verloren.“
Ich sah zur Seite, wo Kitsune stand. Eigentlich Dai-Kitsune-sama, die Herrin der Fuchsdämonen. Aber wir hatten so lange Zeit Seite an Seite gekämpft, dass eine gewisse Vertrautheit entstanden war. Die spröde, mundfaule Frau war eine exzellente Kämpferin, zudem gnadenlos gegen den Feind. Diese Art hatte sie auch lange uns gegenüber bewahrt, aber nach und nach war sie offener geworden. Von freundlich war das noch weit entfernt, zugegeben. Aber wenigstens redete sie heutzutage mit jemandem.
„Wird das ein Problem? Niederschläge?“
„Nein, die Reservoirs sind voll. Außerdem haben wir ohnehin Hochsommer, das ganze Land ist trocken. Es ist keine Beeinträchtigung für das bisschen Vegetation hier. Hm, deshalb haben wir diese Wüste ursprünglich ausgesucht, um die Daina abzufangen. Man kann hier nicht viel Schaden anrichten.“
„Aber Verteidigung und Nachschub sind ein Problem.“
„Zähl bitte keine bekannten Fakten auf. Konzentrier dich lieber. Es ist bald Schwarmzeit.“
Ich steckte den Tadel weg. Sie hatte Recht.

Langsam ließ ich den Blick schweifen. Ich stand auf der Buggallerie der AO, dem Flaggschiff der Dämonen. Das mächtige Gefährt diente den gegen den Liberty-Virus immunen Dämonen und ihren Daina-Verbündeten – also uns – als Basis für die Schläge gegen die verseuchten Daina, die von ihrer Festung aus, dem ehemaligen kryogenen Trakt, ins Land einfielen.
Die AO war ein Gigant, fast zwei Kilometer lang, einen halben breit und ebenso hoch. Ihre Bewaffnung war so gewaltig, dass sie Mu binnen eines Gedankens pulverisiert hätte. Und das war der Nachteil. Die meisten Waffen der AO waren für den Kampf gegen die Daina nicht einsetzbar.
Erst Eikichi hatte dafür gesorgt, dass die Dämonen eine Verteidigung etablieren konnten, die für die Situation angemessen war. Eikichi hatte das Schiff auch mit Angriffsplattformen für uns nachgerüstet. Und Teile der AO so umbauen lassen, damit wir direkt unterstützt wurden.
Etwas, was ich in all den Jahren zu schätzen gelernt hatte.
Neben und hinter mir standen meine Kameraden und einige der immunen Dämonen. Ich kannte jeden einzelnen von ihnen gut genug, um ihm mein Leben anzuvertrauen.
„Es geht los“, sagte Kitsune und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
Schwarmzeit.
Die Daina waren Menschen wie wir, eigentlich. Aber da ihnen die meisten Emotionen ausradiert worden waren, darunter auch Bereiche wie Verantwortung oder Angst, benahmen sie sich die meiste Zeit wie eine Herde oder ein Vogelschwarm. Oh, sie waren durchaus noch intelligent. Einige von ihnen waren sogar mehr als das, intelligent und grausam. Sie hielten den Cluster, wie wir die Gemeinschaft der verseuchten Daina nannten, mit Terror und drakonischen Strafen unter Kontrolle und brachten Strategie in den Eroberungskampf. Siegeswille war ihnen dabei fremd. Sie wollten sich einfach nur ausleben.
Dennoch fiel es diesen Königsdaina schwer, ihre Truppen hinaus zu scheuchen.
Hier kam das Schwarmprinzip zum tragen. Meistens waren es einer oder eine Gruppe, die zuerst herauskamen. Ihnen folgten weitere. Waren es genug, kamen alle anderen hinterher, wie ein Schwall Wasser aus einem offenen Hahn.
Danach dauerte es noch ein wenig, bis sie das aktuelle Kampfgebiet erreichten. Das war unser großer Vorteil. Sie kamen zu uns, zu den offensichtlichen Zielen. Dadurch ließ sich einiges steuern. Zum Beispiel konnte verhindert werden, dass wir große Teile der besiedelten Regionen von Mu verloren. In der Vergangenheit hatte es das gegeben, tausende Dämonen waren gestorben oder infiziert worden. Aber seit einem Jahr ging es nicht mehr rückwärts, es ging voran.
Oh, unsere Feinde wurden nicht weniger, oh nein. Aber wir wurden besser.

Einzelne Daina erschienen in der Wüste, ihnen folgten kleine Gruppen. Und darauf folgte eine schwarze, wogende Masse aus Leibern. Männer, Frauen… Und Kinder. Es waren alle, die auf die eine oder andere Art im Cluster überlebt hatten.
Was sie zu unseren Feinden machte.
„Noch nicht“, mahnte ich, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Meine Freunde standen erwartungsvoll bereit, aber niemand neigte hier zu Überreaktionen. Alle die das taten waren schon vor langer Zeit gestorben.
Die ersten Daina erhoben sich in die Luft, um die AO direkt anzugreifen, verformten dabei ihre Körper zu monströsen Chimären. Andere eilten auf dem Boden weiter, um die Bugluken anzugreifen.
Als die fliegenden Daina den Abwehrparameter erreicht hatten, begannen die Schnellfeuerkanonen ihre explosiven Geschosse auszuspucken. Raketenklappen öffneten sich und feuerten. Binnen weniger Augenblicke war die Luft vor dem Bug der AO von Tod, Blut und Sterben erfüllt.
Derweil begannen auch die Kanonen am Kiel der AO zu feuern, um die angreifenden Bodentruppen auf Distanz zu halten.
Ich setzte die Oni-Maske auf und spürte, wie sie sich auf meinem Gesicht verwandelte. Dann zog ich mein Katana blank. Diese Waffe war ein Oopart, ein Out of Period Artefact, oder um es mal einfach auszudrücken, das Mistding war zwanzigtausend Jahre alt und stammte von Mu, während die eigentlichen Katana der japanischen Schmiedekunst, der diese Waffe so frappierend glich, erst vor fünfhundert Jahren perfektioniert worden waren. Eigentlich hätte es vor zwanzigtausend Jahren niemanden geben dürfen, der diese Waffe hätte schmieden können. Und eigentlich war mir das reichlich egal, denn sie erfüllte ihren Zweck, und das war alles, was ich von ihr verlangte.
„Akari!“ „Ja, Meister.“ Die Klinge leuchtete weiß auf, als der Oni sie mit seiner Kraft erfüllte.
Ich lächelte matt unter der Maske. Es wurde wieder einmal Zeit. Wortlos stieß ich mich ab und sprang in den Pulk fliegender Daina.
Die anderen griffen nun auch in den Kampf ein, entweder in den Luftkampf oder in die Bodenkämpfe.
Während ich sprang, zog ich meine Waffe vor und erweiterte die Klinge mit meinem KI. Ich führte sie über den Boden; in fünfhundert Metern Tiefe riss sie eine Schneise der Zerstörung durch den Boden und jeden unvorsichtigen Daina, der nicht schnell genug ausweichen konnte.
Als ich sie durch die Luft riss, erwischte ich drei weitere Daina. Dann landete ich hart auf dem Boden, federte in den Knien nach und steckte die Waffe wieder ein.
Ein unförmiger Daina, groß und gewaltig wie ein Sumo-Ringer, versuchte mich mit seinen drei Hörnern aufzuspießen. Etwas, was ich nicht besonders mochte. Beiläufig zeigte ich auf ihn und entließ einen KI-Schlag, der den Daina erfasste, vom Boden hoch wirbelte und Dutzende Meter davon trug. Er überschlug sich mehrmals und blieb liegen.
Neben mir landete Ami auf einer Hand und dem linken Knie; beides hinterließ tiefe Abdrücke im Bodengestein. Ruckartig zog sie die rechte Hand nach vorne, und ich wusste, was nun geschah. In ihrer Hand hielt sie die Enden von mehreren Rollen KI-gesteuerten Titanstahldrahtes, zusätzlich mit ihrem KI verstärkt. Fünf unwirkliche Schreie klangen auf, und ich wusste, sie hatte fünf oder mehr Daina eingewickelt, und zertrümmerte nun ihre Körper.
„Du wirst immer besser, Ami-chan“, bemerkte ich.
Sie musterte mich einen Moment. „Rechte Seite. Sieben.“
„Verstanden.“ Ich riss mein Katana wieder hervor, ließ Akaris KI erneut aufleuchten und führte einen lockeren Schlag auf die rechte Flanke aus. Wieder fuhr die verstärkte und verlängerte Klinge durch Gestein und unvorsichtige Daina-Leiber. Ich zählte nicht mit, aber sechs bis sieben würden es schon gewesen sein.
„Du bist auch nicht gerade unbedingt schlechter geworden, Akira“, sagte Ami mit dem Anflug eines Lächelns und sprang davon.
Damit hatte sich meine persönliche Schlächterrechnung auf wie viel erhöht? Zwanzig für diesen Tag? Bei siebentausend nicht unbedingt eine wirkliche Hilfe. Selbst wenn ich annahm, dass meine Kampfgefährten zusammen ein gutes hundert pro Angriff erledigten, bevor die Daina zu erschrocken oder zu abgekämpft waren und sich zurückzogen, war das nicht wirklich eine Hilfe. Denn jeden Tag kamen dreihundert hinzu. Wenn wir diesen Kampf gewinnen wollten würden wir die Festung nehmen müssen.
„Hast du schon geübt? Morgen haben wir die Prüfung in Mathe“, rief Yoshi herüber. Er schoss seinen Bogen in schneller Folge ab, und jeder Schuss war ein Treffer. Einen überwitzigen Daina, der es wagte, den Fernkämpfer anzugreifen, erledigte Doitsu mit seinem riesigen Schwert.
„Ich brauche nicht üben. Ich habe die Materie verinnerlicht“, erwiderte ich und sprang ein wenig zur Seite, um den Krallen einer Daina-Furie auszuweichen.
Dieses Biest ging mich hart an, drängte mich fast zurück und gab erst Ruhe, als es zweigespaltet durch meinen Ziehschlag zu Boden fiel.
„Wir werden es an den Zensuren sehen. Duck dich.“
Ich machte eine Rolle nach vorne, Yoshi bekam freies Schussfeld und riss einen Daina mit einem sicheren Schuss von den Beinen. Natürlich. Ein Einhorn-Typ wie neulich. Hatte es sich zwischen ihnen herumgesprochen, dass ich einem von ihnen eine schwere Verletzung verdankte?
Yoshi nutzte die Lücke, die sich vor ihm auftat, sprang vor und ließ seine Waffe einmal um sich herum wirbeln. Die Daina, die bedauernswert genug waren, in seine Waffenreichweite zu gelangen, hatten nicht viel Zeit sich darüber zu ärgern.
„Seid froh, dass Ihr zwei nicht in meiner Klasse seid“, rief Doitsu. „Ich bin so gut, Ihr würdet Depressionen schieben.“
„Da! Sie beginnen sich wieder zurückzuziehen!“, klang Makotos Stimme auf. Auch eine der Neuerungen, die Vater eingeführt hatte: Funk. Alle Mitglieder des Teams standen permanent mit der Zentrale der AO in Kontakt, wo das Feuer des Schiffs und der Angriff der Verteidiger koordiniert wurden – meistens von meinem Cousin.
Rückzug bedeutete in diesem Fall, dass die ersten Daina in ihrem Blutdurst von der kreatürlichen Angst vor dem Tod durch unsere Hand überwältigt wurden.
Das Ergebnis war, dass die vorderen Linien zurückfluteten, mitten zwischen jene, die noch nicht gekämpft hatten. Daraufhin stockte der Angriff, die Linie erstarrte. Und irgendwann begann sie aufzubrechen. Dies war gleichbedeutend mit dem Rückzug aller infizierten Daina.
Dennoch, ich blieb wachsam. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass aus der Mitte der Infizierten ein neuer Angriff vorgetragen wurde. Unwillkürlich rieb ich meine Schulter. So etwas zu ignorieren war eine große Dummheit.

Erst als die Infizierten mehr als zehn Sekunden von mir entfernt waren, erlaubte ich mir, ein wenig zu entspannen. Langsam steckte ich die Waffe zurück. Hinter und neben mir taten es meine Freunde gleich.
Nun begann die grausigste Aufgabe, aber auch sie war notwendig. Wir töteten die verletzten Daina, die sich nicht hatten zurückziehen können.
Es gab immer eine Handvoll von ihnen, und sie am Leben zu lassen hätte nur bedeutet, ihnen zu erlauben, uns das nächste Mal erneut angreifen zu können.
Sie kannten keine Gnade, woher auch? Ihre Gehirne und ihr Verstand waren zerfressen. Daher wussten sie auch nicht, wie man Gnade akzeptierte, geschweige denn gewährte.
In einem Anflug von Zynismus dachte ich daran, dass sie tot wesentlich besser dran waren. Und ich hasste mich für diesen Gedanken, denn er war richtig.
Wütend ballte ich die Hände. Wäre dies ein normaler Krieg gewesen, man hätte die Fußsoldaten retten können, nachdem man die Anführer ausgeschaltet hätte. Man hätte sie interniert, den Krieg gewonnen und sie dann freilassen können. Aber in diesem Fall, in dieser Realität, bedeutete jeder infizierte Daina, den wir internierten, eine potentielle Ansteckungsgefahr für die Dämonen. Und damit neue Feinde, ausgerechnet im Rücken.
Nicht, dass wir es nicht versucht gehabt hätten. Nicht, dass wir nicht spektakulär gescheitert waren. Nicht, dass nicht die Leben von einem guten Dutzend Dämonen ausgelöscht werden musste, weil wir genau diesen Fehler gemacht hatten.
Nicht, dass ich nicht alles besser machen wollte, die Kämpfe beenden, das töten beenden.
Ich spürte, wie mir die Tränen die Wangen hinab liefen. Selbst aus den Augenschlitzen meiner Maske kamen sie geflossen. Verdammt, war ich immer noch nicht hart genug?

„Notsignal nahe der kryogenen Anlage“, klang Makotos Stimme auf.
Verwundert sah ich auf. „Haben die Dämonen Leute an der Festung?“, fragte ich hastig. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass die Dämonen wie terranische Kommandotruppen versuchten, das Übel an der Wurzel zu packen, sprich, die Tanks zu zerstören, in denen die Daina ruhten. Oder die Königsdaina zu töten.
„Negativ. Es ist aber eindeutig ein Funkfeuer, kein Leuchtsignal. Jemand will definitiv, dass die infizierten Daina es nicht zu früh bemerken.“
„Entfernung?“
„Zwei Kilometer vor der Festung, dreiundfünfzig Kilometer von uns entfernt.“
„Hm.“ Das Gros der aktiven Daina war noch über fünfzig Kilometer von der Anlage entfernt. Selbst mit ihren grotesken Fähigkeiten würden sie zehn Minuten oder länger brauchen, um sich zurückzuziehen. Allerdings waren wir nicht viel schneller. Wir hatten vielleicht, wenn wir sofort loseilten, ein Zeitfenster von einer Minute. Und dann standen wir einer riesigen Wand zurückkehrender Daina gegenüber, die wirklich sauer über den unangemeldeten Besuch waren.
„Akira! Der Einsatz wurde noch nicht genehmigt! Akira!“, klang Makos Stimme auf.
Ach, war ich etwa schon unterwegs? Im selbst belügen war ich auch nicht so berauschend, aber was machte das schon? Ein Notsignal war in jedem Fall eine Untersuchung wert, und wir konnten jede Hilfe gebrauchen.
„AKIRA!“
„Ihr wisst doch wie es ist! Wenn ein Daina aus dem Tank befreit wird, hat er eine Inkubationszeit von dreißig Minuten bis neun Stunden. Weitergegeben wird die Infektion mit dem Liberty-Virus lediglich als Aerosol von den Bomben in einem unbekannten Radius, aber auf keinem Fall mehr als einen Kilometer, oder direkt von Wirt zu Wirt. Wenn wir es bei dem Notsignal mit einem Neunstünder zu tun haben, kann er uns in der verbleibenden Zeit, die er seine Sinne noch beisammen hat, einiges über die Festung erzählen, oder?“
„Es gibt auch Fälle, die von fast zwei Tagen sprechen.“
„Noch besser, Makoto. Zwei Tage Daten von jemandem bekommen, der in der Festung war. Ist das nicht großartig?“ Ich stieß mich vom Boden ab, machte einen Riesensatz. Ich würde die Daina umgehen müssen, das kostete sicherlich eine halbe Minute. Aber ein Kampf hätte mich weitaus mehr verzögert.
„Idiot. Du wolltest doch wohl nicht alleine gehen, oder?“
Der Boden kam rasend schnell näher. Ich stützte mich bei der Landung mit der Rechten ab und federte in den Knien nach, bevor ich mich erneut abstieß und einen weiteren Gigantsatz machte. „Danke, Kumpel“, sagte ich zu Yoshi, der direkt neben mir war.
Links von mir tauchte ein Fuchs auf. Er sprang ebenso weit wie wir. „Ihr macht auch jeden Quatsch, solange es nur interessant genug ist, oder?“, tadelte Kitsune.
„Okay, hergehört. Commander Otomo hier. Den Vorstoß von Akira, Yoshi und Dai-Kitsune-sama können wir wohl nicht mehr abbrechen. Außerdem scheint er das Risiko wert zu sein. Alle anderen beziehen Verteidigungsstellung und versuchen den dreien einen Rückzugskorridor offen zu halten, verstanden?“
„Hm, Kitsune, als Fuchs hast du irgendwie Spielzeugcharme, finde ich. Akira hier, habe verstanden.“
„Ich gebe dir gleich Spielzeug. Neulich wolltest du mir nicht mal den Nacken kraulen“, warf sie mir vor. „Kitsune verstanden.“
„Notsignal ändert Intervall. Die Datenbank identifiziert das Intervall als Notsignal höchster Dringlichkeit. Alter des Codes: Dreißigtausend Jahre.“
„Da geht wohl jemandem der Arsch auf Grundeis. Yoshi hat verstanden. Hey, Doitsu, halt uns schön die Tür auf, ja?“
„Ich will sehen was ich tun kann. Aber spielt nicht zu lange. Wenn die Daina wieder in Schwarmlust kommen, wird es hier brenzlig.“
„Optimist.“

Das besondere an der KI-Beherrschung war die Befähigung, den eigenen Körper zu kontrollieren, ihn zu verstärken und Grenzen niederzureißen, von denen man nicht einmal geahnt hatte, dass es sie gab. Oder das man sie jemals sehen würde.
Im Moment verstärkte ich die Kraft meiner Muskeln um ein Faktum, das jenseits von Beschreibung und Maß lag. Ich konnte es nicht mit meiner normalen Kraft vergleichen, denn das letzte Mal als ich mich ohne die Verstärkung durch mein kontrolliertes KI bewegt hatte, war ich elf gewesen; aber ich verglich es mit meinen Zuständen, wenn ich das KI gezielt sammelte, fokussierte und benutzte. Im Moment war ich erschöpft durch den Kampf, aber ich trieb mich an. Damit erreichte ich etwa achtzig Prozent meiner maximalen Kraft. Ausgeruht wäre ich wahrscheinlich noch weiter gesprungen.
Ebenso meine Freunde.
KI existierte immer im Körper. Aber es war wie Wärme. Man produzierte KI unbewusst, um leben zu können, aber ein Großteil wurde nutzlos an die Umgebung abgegeben. Doch so wie man Körperwärme mit Kleidung einfangen oder zumindest etwas bremsen konnte, so war es auch möglich das KI an sich zu binden. Es war auch möglich KI zu produzieren, so wie man durch Bewegung mehr Wärme im Körper erzeugte. Und konnte man erst einmal seine übliche Kraft an KI kontrollieren, gelang dies auch mit mehr KI. Es war kein besonders langer Prozess, und es war auch nicht schwer zu erlernen. Aber die Wenigsten wussten davon oder hatten den richtigen Weg gefunden, der zur Beherrschung dieser körpereigenen Kraft führte.
Im Moment erzeugte und bündelte ich KI in einem Maß wie selten zuvor. Na, ich freute mich schon auf das späte Abendessen. Nach solch einer Anstrengung würde ich wieder reinhauen wie ein Scheunendrescher.
Nun, auf diese Art ließen wir die Daina schnell an uns vorbei fallen und schließlich hinter uns, während wir uns der Quelle des Notsignals näherten. Es war definitiv möglich, auf noch nicht Infizierte zu treffen. Vielleicht fanden wir sogar einen Immunen, das wäre für die Liberty-Forschung ein Riesenschritt nach vorne gewesen. Aber ich wollte nicht zu optimistisch sein. Ein paar Hinweise über den inneren Aufbau der kryogenen Anlage reichten mir für den Anfang.
„Ich frage mich“, begann Yoshi neben mir, „wie weit wir noch vordringen können. Ich meine, sieh uns an! Wir springen mit jedem Satz über dreihundert Meter weit! Und ich habe noch Luft, um mit dir zu quatschen. Das ist weit mehr als Menschen eigentlich erreichen sollten.“
„Das ist richtig“, japste Kitsune und sprang auf meine Schulter. „Ihr seid schon sehr weit, aber es gibt noch eine Steigerung, eine ultimative Bewegung, die aber sehr viel KI erfordert. Es dauert Jahrhunderte, sie zu lernen, und nur die talentiertesten erahnen auch nur jemals einen Hauch dieser Technik.“
„Nanu. Schon müde?“, scherzte ich.
„Ich spare nur etwas Kraft, Akira. Wir wissen ja nicht, ob uns da vorne eine Falle erwartet. Du wirst dankbar für eine voll kampffähige Kitsune sein, wenn das der Fall ist.“
„Zugegeben. Und wie heißt diese ultimative Bewegung?“
„Schritt ohne Zeit.“
„Schritt ohne Zeit?“ Argwöhnisch runzelte Yoshi die Stirn.
„Fragt Dai-Kuzo-sama danach. Ich glaube sie ist eine von drei Wesen auf dieser Welt, die den Schritt ohne Zeit beherrschen.“
„Das werden wir. Sobald wir zurückkommen.“
Kitsune blies ärgerlich die Wangen ihrer Fuchsgestalt auf. „FALLS wir zurückkommen.“
„Sei nicht so pessimistisch“, brummte ich als Erwiderung.
„Leute, Ihr seid fast da. Könnt Ihr schon etwas erkennen?“
„Nein, Makoto. Aber wenn wir keinen Pulk halbverrückter Daina sehen, die einen anderen zu Tode hetzen, ist das doch ein gutes Zeichen, oder?“
„Im Zusammenhang mit Infizierten gibt es kein gut, Akira“, tadelte Mako. „Seid vorsichtig. Sehr vorsichtig.“
„Sind wir doch immer.“
„Ja, klar, Yoshi. Wer das glaubt, der zieht sich mit KI auch die Stiefel aus.“
Die Antwort von Yoshi war nicht sehr freundlich. Zudem fragte ich mich, woher er derart detaillierte Kenntnisse in menschlicher Anatomie hatte. Und warum er uns daran teilhaben ließ.
„Ihr Menschen seid komisch“, stellte Kitsune fest und sprang von meiner Schulter. „Und damit meine ich lustig.“

„Achthundert Meter vor euch befindet sich der Sender. Könnt Ihr dort etwas erkennen?“
„Mako, das hier ist eine kleine Geröllwüste. Eine Armee könnte sich zwischen den Felsblöcken verstecken. Wir rücken vorsichtig weiter vor.“
Nun, zumindest wäre das mein Plan gewesen, wenn nicht in diesem Moment ein KI-Schlag einen Daina angehoben und in die Luft gerissen hätte – ziemlich genau in der richtigen Richtung und zudem auch noch in der korrekten Entfernung. Dieser Daina war ein Infizierter, die Reißzähne waren ein deutlicher Hinweis. Auch die Tatsache, dass er plötzlich Flügel entwickelte und in der Art eines Falken niederstieß.
„AKARI!“, rief ich und sprang.
„Ja, Meister!“
Ich zog meine Klinge, Akari erfüllte sie mit ihrem KI. Als ich die Waffe zog, erzeugte ich eine Druckwelle, die mit KI angereichert war. Die Druckwelle war nicht stärker als eine Handbreite, aber sie war in der Lage, sogar Stahl zu scheiden. In diesem Fall war es Fels, noch mal Fels und ein wie ein Falke im Sturzflug herabstürzender infizierter Daina. Alle drei Dinge hielten nicht wirklich stand.
Junge, Junge, wer immer dem Daina das fliegen beigebracht hatte, wusste was man mit seinem KI anstellen konnte.
Mit gezogener Klinge stürmte ich voran; Yoshi sprang auf einen nahen Fels und schoss einen ersten Pfeil ab, Kitsune hielt sich an meiner Seite. Während sie lief verwandelte sie sich in einen Menschen zurück.
Als wir den Peilsender erreichten, erstarrte ich. Daina kämpften hier gegeneinander. Daina in den unterschiedlichsten Stufen der Infektion. Zumindest eines konnte ich klar erkennen: EINE Gruppe verteidigte, die ANDERE attackierte. Binnen einer Sekunde wusste ich, wo ich meine Sympathien zu setzen hatte. Ich griff an.
Kitsune blockte einen angreifenden Daina und machte ihm unmissverständlich klar, dass ihre Kräfte für einen durchschnittlichen Infizierten tödlich waren – sie behielt in diesem Fall Recht. Ihr Weg führte sie zum Notsignal.
Als sie erschrocken aufkeuchte, fuhr ich herum. Ironischerweise entging ich so einem vehement geführten Hieb mit einer Klaue.
Kitsune hatte schützend einen Arm um eine Frau gelegt, die deutliche Anzeichen der Infektion zeigte. Mann, auch wenn sie noch bei Sinnen war und gegen die Infizierten kämpfte, jede Sekunde konnte sie ihren Verstand verlieren und genauso besessen sein wie die armen Teufel hier.
Doch ich erkannte die Wahrheit sehr schnell. Kitsune ging es nicht um die Frau. Die schien sich auch nicht primär um sich zu kümmern, sondern um den kleinen Jungen auf ihrem Arm.
„AKIRA!“, blaffte Kitsune.
Sofort ließ ich von meinen Gegnern ab, eilte zu ihr. Yoshis zielsichere Schüsse gaben mir dabei Deckung.
„Immun?“, fragte ich atemlos, als ich auf den armen Burschen herabsah.
„Sie spricht nur Groß-Dai, aber ja, sie vermutet, dass der Junge immun ist. Wir müssen ihn für diese Leute hier raus schaffen“, sagte Kitsune. „Und…“
Die Fuchsdämonin schluckte schwer. „Und wir müssen sie töten, bevor sie sich auch in das da verwandeln.“
Ich erstarrte. Die harte und kalte Realität hatte mich wieder. Zudem begann die Abwehr der halb infizierten Daina zusammenzubrechen. „Kitsune. Nimm ihn.“ Ich nickte der Frau zu. Sie verstand und gab das Kind weiter. „Jetzt lauf.“
Wortlos erhob sie sich und machte einen gewaltigen Satz nach hinten, in Richtung Yoshi.
Ein Infizierter, der ihr folgen wollte, machte die Erfahrung, wie weit ich meine Klinge mit KI dehnen konnte.
Ich lächelte die Frau vor mir an, die immer deutlicher Anzeichen der Infektion zeigte. Sie lächelte zurück, aber ich sah an ihren Zügen, wie sehr sie bereits litt. Was mussten diese Daina auf sich genommen haben, um den Jungen zu beschützen? Zu retten? Wie hatten sie einander gefunden? Wie dazu entschlossen, wenigstens ihn zu beschützen? Welcher Heldenmut war nötig, um so weit gehen zu können?
Sanft nahm ich sie in die Arme. Sie schluchzte an meiner Brust. „VERSCHWINDE, YOSHI!“
„Oh nein, Akira, du willst doch nicht etwa… AKIRA!“
„HAU AB!“
„Okay, bin weg.“
Hinter mir zerbrach die Abwehr. Einige Verteidiger wurden überwältigt, andere verwandelten sich vollends. Die Frau in meiner Umarmung schrie vor Angst und Schmerz, aber sie bewegte sich nicht einen Millimeter.
„Ganz ruhig“, flüsterte ich ihr zu. „Es ist bald vorbei.“
Für einen Moment, einen winzigen Moment sah sie mich an als würde sie meine Sprache verstehen. Sie murmelte ein einziges Wort. Und ich glaubte, es war ein Danke.
Als ich den heißen Atem der Infizierten im Nacken spürte, war es soweit. „Akari!“
„Jawohl, Meister.“ Grelles weißes Licht flammte auf und erfüllte die Umgebung. Zehn Meter, zwanzig Meter, dreißig Meter weit. Und das war erst Stufe eins!

4.
Noch immer stand über der Region nahe des kryogenen Trakts die Staubsäule am Himmel, die ich mit meiner Attacke erzeugt hatte. Sie reichte bis zum oberen Rand der Barriere und staute sich dort. Nun, in der ohnehin staubigen Luft war sie in bester Gesellschaft, fand ich.
„Der Kleine steht dir aber gut, Akira“, scherzte Doitsu und versuchte den Jungen dazu zu überreden, eine Tasse mit Milch zu nehmen. Seufzend gab er auf und reichte sie mir.
Aus meiner Hand nahm er sie entgegen. Nun, er hing mir auch schon eine geschlagene Stunde am Hals, da war das wohl das Mindeste.
„Na? Jetzt geht es dir doch sicher gleich besser, oder?“ Ich lächelte, und das Ergebnis war nicht sehr nett. Wieder brach der Junge in Tränen aus, heulte Rotz und Wasser und war kaum zu beruhigen. Wenigstens hatte er die Milch getrunken.
Es war absolut kein Wunder, nach all dem, was er in der Festung der Infizierten gesehen haben musste.
Wie war das wohl? Der einzige Vernünftige in einer Horde Wahnsinniger zu sein? Mit dem Sprichwort über Blinde und Einäugige kam ich hier jedenfalls nicht weiter.
„Akira, gib ihn mir“, sagte Kitsune und gähnte erschöpft.
Er löste sich nur zögerlich von mir, aber genauso schnell hatte er sich Kitsune um den Hals geworfen, als der Abstand klein genug gewesen war.
Irgendwie fühlte ich mich eifersüchtig. So schnell war seine Liebe neu vergeben, was?
„Sein Name ist Laysan. Er ist ohne seine Eltern aufgewacht. Die Daina, die ihn entdeckt, dann versteckt und schließlich beschützt haben, kennt er nicht. Er ist fünf Jahre alt, und ich will mir gar nicht vorstellen, was er alles erlebt hat, seit er vor fünf Tagen aufgetaut wurde.“
„Fünf Tage?“ Yoshi pfiff anerkennend. „Das ist wie der einzige Mensch in einer Horde Zombies zu sein.“
„Du guckst die falschen Filme“, tadelte ich ernst. „Ist er also immun? Und wenn ja, warum ist er immun?“
Kitsune schob Laysan ein wenig höher, damit sie ihn besser halten konnte. „Die Untersuchung der Proben läuft. Selbst wenn er immun ist, kommt er immer noch als Überträger in Frage, wir machen gerade entsprechende Tests.“
„Wie lange werden diese Tests dauern, Kitsune-tono?“, fragte Vater ernst. Er stieß sich von seinem Platz an der Wand ab und kam zu uns herüber.
Mit der Rechten fuhr er Laysan durch die Haare, was dieser mit einem Quieken beantwortete. Merkwürdigerweise klang es erfreut. Er ließ Kitsune zwar nicht los, aber ich sah ihn das erste Mal lächeln. Wenn auch nur kurz.
„Hier kann er jedenfalls nicht bleiben. Dies ist ein Kriegsschiff, und auch außerhalb der Schwarmzeiten kommt es zu Kämpfen. In die Dämonenhaine können wir ihn auch nicht bringen, die Gefahr, dass er ein Überträger ist, ist einfach zu groß.“
Als sich das Schott zur Brücke öffnete, hatte ich das Gefühl, jemand würde mir mit rostigen Nägeln über den Rücken fahren – extra tief und extra langsam. Oh ja, das fühlte sich definitiv nach Ärger an.
„Gib ihn mir bitte, Dai-Kitsune-sama“, erklang die sanfte Mädchenstimme hinter mir. Ich musste mich nicht extra umdrehen um zu wissen, dass der kleine Bengel auch diesem Mädchen um den Hals fiel. „Er mag mich“, stellte sie fest.
Ich wollte hinzufügen, dass ich sie auch mochte, aber irgendwie erschien es mir unpassend.
„Bringen wir ihn in die Menschenwelt“, schlug Megumi vor.
Betreten ließ ich den Kopf hängen. Nicht nur, dass sie es geschafft hatte, jeden einzelnen von uns dazu zu überreden, sie mit in die Dämonenwelt zu nehmen, nicht nur, dass sie äußerlich vollkommen unbeeindruckt von der Schlacht schien, deren Zeugin sie gerade gewesen war. Nicht nur, dass sie noch nie zuvor Dämonen und infizierte Daina gesehen hatte. Nicht nur, dass Laysan auch ihr erster nicht infizierter Daina war… Nein, sie ergriff auch noch Initiative.
„Hm. Guter Vorschlag. Menschen können nicht infiziert werden. Wenn Laysan also immun ist, aber Überträger, können wir die Seuche so beenden. Akira. Du nimmst ihn mit nach Hause.“
„Akira hat überhaupt keine Ahnung, wie man mit einem kleinen Kind umgehen muss!“, widersprach Megumi energisch.
„Es gibt keinen besseren Ort. Er gehört mir und ich vertraue Akira. Und Yohko wird auf ihre Art sicher auch irgendwie hilfreich sein.“
„Ich werde Sakura bitten, ein Auge auf Laysan zu haben“, sagte Makoto. „Immerhin hat sie geholfen, mich, Akira und Yohko groß zu kriegen. Das kann nicht alles nur Glück gewesen sein.“
„Gute Idee. Aber ich werde auch helfen. Er lässt nur mich, Kitsune-sama und Akira an sich heran. Kitsune-sama wird hier bleiben, oder? Laysan braucht eine weibliche Bezugsperson.“
„Weibliche was? Er ist ein Junge! Er braucht, wenn schon, eine männliche Bezugsperson!“, erwiderte ich streng.
„Davon verstehst du nichts. Du bist ein Mann.“
Ich fühlte mich überfahren. Mächtig überfahren. Mindestens mit einem Dreißigtonner. Sie hatte nicht nur meine Argumente davon gewischt, sie hatte es auch noch geschafft, dass ich mich schlecht fühlte, weil ich ihr widersprochen hatte.
„Vorsicht, Akira. Wenn du dich immer so unterbuttern lässt, sehe ich schwarz für deine Zukunft“, raunte Yoshi mir zu.
„Und damit das nicht eintritt“, sagte ich wütend und krallte meine Hand in Yoshis Kleidung, „wirst du bei mir einziehen, Kumpel. Alleine gegen drei Frauen habe ich keine Chance.“
„Laysan spricht nur Groß-Dai“, sagte Kitsune, „aber er lernt schnell. Er sollte in wenigen Tagen ausreichend gut sprechen können, um sich verständlich zu machen. Ich gebe euch aber ein Lexikon mit, damit Ihr wenigstens die wichtigsten Wörter beherrscht, okay?“
Ich nickte knapp. Nichts war peinlicher als Toilette mit Bett zu verwechseln. Sowohl die Wörter als auch die Objekte.
Der Junge sah zu Kitsune herüber und sagte ein paar Worte in seiner fremden melodischen Sprache. Kitsune sah betreten zu Boden. „Er will wissen, wo die Leute sind, die ihm geholfen haben.“
Ein raunen ging durch den Raum. Betreten, nervös und schuldig.
„Kommt mal mit.“ Ich winkte Megumi mit Laysan und Kitsune, mir zu folgen.
Wir traten auf die Kampfplattform am Bug hinaus. Über uns schickte sich gerade die Sonne an, unterzugehen.
„Sag ihm, dass die Staubsäule da hinten eine Treppe ist. Eine Treppe in den Himmel, wo es ihnen jetzt besser geht als in der Anlage.“
Kitsune übersetzte und der Junge stellte eine Gegenfrage.
Sie sah mich an, mit Entsetzen im Blick. „Laysan fragt, ob seine Eltern auch die Treppe in den Himmel genommen haben.“
Megumi schluchzte verräterisch auf, aber sie bewahrte die Fassung. Ami war nicht so stark. Sie vergrub ihr Gesicht in Doitsus Uniform.
„Ja. Das sind sie. Das sind sie alle“, erwiderte ich und lächelte den Jungen an. Eines Tages würde er mich dafür hassen, fürchterlich hassen.
„Er sagt, er will auch in den Himmel zu seinen Eltern.“
Ich lächelte das falscheste Lächeln meines Lebens, fuhr Laysan auf die gleiche Weise durch die Haare wie mein Vater kurz zuvor und sagte: „Später, kleiner Mann. Jetzt musst du erst Mal ins Bett.“
Nun, es wirkte. Es wirkte gut genug, um den Jungen dazu zu bringen, müde gegen Megumis Schulter zu sinken. Er musste ja todmüde sein. Nach allem, was er erlebt hatte.
„Ich bin ein Lügner“, zischte ich wütend.
„Sicher bist du das. Alle Erwachsenen sind Lügner“, sagte Yoshi und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Aber das sind wir vor allem deshalb, weil Kinder die Lügen besser verstehen als die Wahrheit.“ Er deutete auf die Staubsäule. „Du hast den Daina, die für Laysan gekämpft haben, ein riesiges Fanal gesetzt.“ Wieder landete seine Hand auf meiner Schulter. „Beachtlich, alter Freund.“
Beachtlich? Ich fühlte mich nicht beachtlich. Ich fühlte mich leer und wollte ein paar sichere Dinge in meinem Leben. Schulalltag und dergleichen. Von Joan als Kuroi Akuma gejagt werden. In der Schule gehasst… Okay, das vielleicht nicht, aber in einer überfüllten U-Bahn mitfahren wäre auch nicht schlecht gewesen. Normale Dinge halt. Vertraute Dinge. Keine Dämonen, infizierte Daina, kein Liberty-Virus und kein verschwundener Kontinent Mu.
Erstaunlich, dass ich mich in meinem Leben nach Langeweile sehnte.
***
Es konnte erstaunlich sein, wie ein Mensch sich auf eine neue Situation umstellen konnte.
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie Vater und Onkel Jerry zusammen mit Tante Karen und Mutter gekämpft hatten, lange bevor meine Kontrolle überhaupt weit genug fortgeschritten war, um selbst einzugreifen. Das kam erst Jahre später, nach sehr intensivem Training. Aber wir hatten den Generationswechsel geschafft, und der Kampf gegen die Daina war selbstverständlich für mich geworden.
Ebenso verhielt es sich mit dieser Situation. Ich hatte mich sehr schnell an Laysan gewöhnt. Nun, ehrlich gesagt machte es mir Spaß, mich um ihn zu kümmern. Soweit Megumi und Yohko das zuließen, heißt das. Ich hatte ganz schön hart darum kämpfen müssen, dafür verantwortlich sein zu dürfen, ihn zu duschen und ihm die Zähne zu putzen. Ich fand, ein Mann konnte seinen männlichen Stolz gar nicht früh genug entwickeln, und mit fünf Jahren noch von Mutter… Himmel, wann hatte ich angefangen, so zu denken? Es fehlte nicht viel, und ich würde mich selbst in Gedanken als Vater bezeichnen.
Aber auch dieser Gedanke machte mir Spaß, und als ich mit dem auf Hochglanz polierten kleinen Daina wieder aus dem Bad kam, erwarteten ihn drei Paar glänzender Frauenaugen.
Ich stöhnte unterdrückt. Verdammt, Makoto hatte wirklich seiner Schwester Bescheid gesagt.
„Oh, der ist aber süß“, hauchte Sakura und griff nach dem Jungen. Laysan leistete keinen Widerstand, im Gegenteil. Als meine Cousine den kleinen Daina an ihren Brustkorb, besser gesagt, an ihren voll entwickelten Busen drückte, seufzte er und schlief beinahe sofort ein.
Sakura lächelte sanft. „Das erinnert mich an die Zeit, als ich dich noch so halten konnte, Akira. Es ist so lange her… Wo soll er schlafen gehen?“
Megumi hob eine Hand. „Ich dachte, wir rollen ihm einen Futon in meinem Zimmer auf, denn ich habe einen leichten Schlaf und…“
„Und du hast keine Ahnung von Kindern. Das ist kein Tadel, Megumi-chan. Aber er wird bei mir schlafen. Ich nehme mein altes Zimmer, Akira.“
Ich nickte. Was anderes blieb mir auch gar nicht übrig.
„Und wir müssen ein Zimmer für ihn vorbereiten. Er wird nicht ewig brauchen, um sich an uns zu gewöhnen. Und in ein paar Jahren wird er den Freiraum brauchen.“
„In ein paar Jahren?“, fragte ich erstaunt. An diese Möglichkeit hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich rief mir ins Gedächtnis, wie ich mit sechs Jahren gewesen war, mit sieben, mit acht oder mit elf. Mir schauderte. Hoffentlich schlug er nicht nach mir.
Langsam legte ich eine Hand an die Stirn. Das war ja wie eine schwere Seuche, eine tödliche Infektion. „Yohko-chan, kannst du den Futon in Sakuras altem Zimmer vorbereiten?“
„Natürlich, O-nii-chan.“
„Ist es recht so? Oder kann ich noch etwas für euch tun?“, fragte ich mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in der Stimme.
„Ooooh, du bist mir ja einer, Akira-chan. Keine Sorge, du bist und bleibst Sakura-o-nee-chans absoluter Liebling.“ Sprachs, und brachte meine Frisur durcheinander.
Ärger und Zufriedenheit hielten sich die Waage, weshalb ich nur zustimmend grunzte und im Wohnzimmer verschwand.
Auf der Veranda setzte ich mich und lehnte mich gegen einen Pfosten.
Hm, Yoshi war bereits dabei, einen Teil des Gartens zu seinen Zwecken umzufunktionieren. Er stellte Holzpfähle für sein Morgentraining auf. Das bewies eindeutig, wie lange der Freund zu bleiben gedachte. Und auch der Gedanke gefiel mir.
„Also, Papa, was machen wir jetzt?“, fragte Megumi, als sie sich neben mir hin hockte.
„Na was wohl. Wir warten die Testergebnisse ab… Mama.“
Obwohl sie diese Antwort, genauer gesagt, diese niedliche Bezeichnung erwartet haben musste, wurde Megumi rot.
„Und dann? Selbst wenn sie feststellen, dass er nicht infiziert ist, dass er kein Überträger ist, was dann? Laysan braucht ein Zuhause. Wie viele Daina sind gestorben, um ihm das Leben zu retten? Wir sind ihnen gegenüber in der Pflicht.“
Da hatte sie Recht, schlicht und einfach Recht. Als wir Laysan von den halb infizierten Daina übernommen hatten, hatten wir auch die Pflicht für ihn übernommen. Ich seufzte leise. Vielleicht sollte ich mich an den Namen Papa gewöhnen. Irgendwann würde Laysan mich so nennen. Mich oder Yoshi, oder Eikichi oder Opa Michael…
„Hm“, machte ich in Gedanken. Wenn ich Laysan nun beibrachte, Eikichi Opa zu nennen, dann konnte das lustig werden. Ach nee, eventuell brachte es ihn auf dumme Gedanken, oder noch schlimmer, es gefiel ihm.
„Woran denkst du, Akira?“
„N-nicht so wichtig.“
„So?“ Megumi streckte sich. Es war bereits zwei Uhr morgens, aber wir benahmen uns, als wäre helllichter Tag. Der nächste Tag würde schwer werden, sehr schwer. Eigentlich war es höchste Zeit für uns alle, im Bett zu verschwinden, und wenn ich mir das hübsche Mädchen neben mir ansah, dann musste es nicht unbedingt mein Bett sein und… Himmel, was dachte ich denn da? Und vor allem, warum dachte ich es mit der Begründung, Laysan schlief ja schon? War ich doch für den Liberty-Virus empfänglich und begann er gerade mein Hirn aufzulösen?
Sie gähnte neben mir. „Wenn es nicht wichtig war, gehe ich jetzt schlafen. Das solltest du auch tun, Akira. Es war ein harter Tag für dich.“
„Irgendwie glaube ich nicht daran, dass er schon vorbei ist.“ Nein, der Ärger begann erst. Wir mussten Papiere für Laysan besorgen, Bekleidung, uns um seine Schule kümmern und… Nun, zum ersten Mal war ich dankbar, dass Sakura rüber gekommen war. Sie würde sich um den Schriftkram kümmern. Die Mädchen würden dann mit dem Jungen einkaufen und… Der Arme.
„Ich frage mich, wann wir Laysan ordentlich befragen können. Er hat fünf Tage in der Festung überlebt. Er wird zumindest den Weg kennen, um aus ihr heraus zu kommen. Vielleicht weiß er noch ein wenig mehr.“
„Hm. Denkst du wirklich, das ist die richtige Zeit, an so was zu denken? Außerdem, ist das nicht unfair einem kleinen Jungen gegenüber? Er braucht Liebe, und keine Verhöre.“
„Tadel mich nicht. Ich bin im Krieg, und der Junge ist vielleicht der Schlüssel dafür, ihn endlich zu beenden. Wenn wir verhindern können, dass weitere Daina aufgetaut werden, bricht der Nachschub an Infizierten ab. Und dann rückt das Ende des Krieges in greifbare Nähe. Wenn du das nicht verstehst, ist das in Ordnung. Aber dran hindern kannst du mich nicht.“
Für einen Moment erwartete ich eine saftige Ohrfeige, verbunden mit dem Hinweis, wie unheimlich oder grausam ich doch war. Stattdessen bekam ich einen Kuss auf die Wange. „Ich bin sicher, du wirst nichts tun, was schlecht für Laysan ist“, hauchte sie. „Außerdem verdienst du noch ein Lob für die Geschichte mit der Treppe. Es hat uns allen viel bedeutet, dass er sich beruhigt hat.“
Sie erhob sich, strich ihre Kleidung glatt und gähnte. „Gute Nacht, Kuroi Akuma. Egal wie Joan die Sache sieht, für mich bist du ein Held.“
„Helden sind pathetisch“, erwiderte ich. „Und das trifft wohl auf mich zu, oder? Gute Nacht, Megumi.“

Eine halbe Stunde später war Yoshi fertig. Auch er gähnte herzhaft, als er zu mir herüber kam. „Ein langer Tag und eine viel zu kurze Nacht, hm? Du solltest ins Bett gehen.“
„Ich habe auf dich gewartet, alter Freund“, brummte ich statt einer Antwort. Ich sah ihn an. „Wie sehr kann ich dir vertrauen?“
„Nun, wenn es um Frauen geht, nicht einen Millimeter weit. Aber ansonsten so weit wie du Makoto werfen kannst.“
„Das ist ne Menge“, stellte ich fest.
„Ja, nicht?“ Yoshi zwinkerte mir zu.
„Ich habe den Ärger mit Joan, du erinnerst dich?“
„Nur zu gut. Aber so einen Ärger hätte ich auch gerne. Ich meine, hast du sie dir mal angesehen? Sie ist hübsch! Ich meine, sie ist ein Cop, aber sie ist hübsch.“
„Hübsch hin, hübsch er, würde sie sich mit der Erklärung zufrieden geben, dass ich die Welt rette – und zwar nicht auf dem PC.“
„Ähemm!“
„Okay, dass wir die Welt retten.“
„Schon besser, schwarzer Teufel.“
„Ich muss sie irgendwie loswerden. Ich meine, ich will nicht, dass sie aus meinem Leben verschwindet oder so. Aber diese Kuroi Akuma-Sache, die würde ich gerne aus der Welt schaffen.“
„Das ist einfach. Hör auf damit. Ich war schon immer der Meinung, dass… Okay, ich weiß ja, ich weiß. Du spielst damit Lockvogel für KI-Biester. Dann leg dir ne neue Maske zu oder zieh ein Superheldenkostüm an. Oder such dir ein Vorbild aus deinen Mangas. Es gibt da diese Magical Girl-Serie, die du so gerne liest. Wäre das nicht was für dich?“
„Bah! Miniröcke und Ballkleider stehen mir einfach nicht.“
„Gut, wenn die dir nicht zusagen, dann vielleicht der Smoking vom Helden?“
„Die Serie hat einen Helden? Ich kenne nur dieses bedauernswerte Würstchen, das ständig entführt, in Stein verwandelt, dann wieder entführt und letztendlich ein Dutzend mal gerettet werden muss.“
„Aber er trägt einen tollen Smoking, oder?“
„Zugegeben“, erwiderte ich. „Zugegeben. Aber ich hasse den Kummerbund.“
Wir lachten, und es tat gut, richtig gut.
„Morgen ist Emi wieder einsatzfähig, oder?“
„Mako erwähnte etwas in der Richtung, ja.“
„Das heißt, wir könnten morgen die Schwarmzeit schwänzen, oder?“
„Akira, dieser Blick gefällt mir gar nicht. Das bedeutet doch wieder Ärger, Ärger, Ärger. Ich bin dabei.“
„Du wirst es bereuen, alter Freund.“
„Das will ich auch schwer hoffen.“ Yoshi zwinkerte mir zu. „Stell die Welt auf den Kopf, Otomo-Pest.“
„Mehr als sonst schon?“, erwiderte ich, gähnte herzhaft und erhob mich. Ich entschied mich dafür, den Tag für beendet zu erklären.
Morgen würde es lustig genug werden…

__________________
Ace Kaiser,
Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

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Anime Evolution: Nami

Episode acht: Zweiter Traum Finale

Prolog:
„Guten Morgen, Akira.“
„Morgen, Dai-chan“, murmelte ich und wälzte mich aus dem Bett. Ich ersparte mir die üblichen Fragen wie: Wo kommst du denn her oder wie kommst du hier rein. Wenn man lange genug Seite an Seite gekämpft hatte, nahm man manche Dinge als gegeben an und konzentrierte sich auf das Wesentliche. In unserem Fall war es der Kontinent Mu. „Ärger drüben?“
Der schwarz gekleidete Krieger schüttelte leicht den Kopf. Im Gegensatz zu mir und den anderen war er fast immer auf Mu und verrichtete dort seinen Dienst als Offizier auf der AO. Es kam selten genug vor, dass er einmal in seine Heimat zurückkam. Soweit ich wusste, hatte er schon vor langer Zeit mit seiner Familie gebrochen, ein Umstand, den ich persönlich sehr traurig fand.
„Kein Ärger, Akira. Aber Otomo-sama hat mir aufgetragen, mal nach dir und dem Jungen zu sehen.“ Er senkte leicht den Blick. „Entschuldige, dass ich dir kaum eine Hilfe bin, und dass ich dir heute auch noch auf die Nerven gehe.“
„Keine Hilfe, wie meinst du das?“
„Du weißt was ich meine“, erwiderte Daisuke.
Dai-chan war unsere Nachhut, unser Torwächter. Während wir, die Offensiven, den Feind direkt angriffen, räumte er hinter uns auf und verhinderte, dass die verseuchten Daina die AO stürmen konnten. Sicher, für einen unbekümmerten Beobachter konnte das durchaus wirken, als wäre Daisuke weniger stark oder weniger fähig als die anderen. Teufel, letzte Nacht hatte ich nicht mal daran gedacht, dass er auf unserer Seite kämpfte. Aber auf ihn verzichten? Niemals!
„Jeder hat seine Last zu tragen, und jeder nach seinem Talent. Du bist flink und stark, aber nicht besonders ausdauernd. Das macht dich zur idealen Nachhut. Das ist doch kein Fehler.“ Misstrauisch wölbte ich die Augenbrauen. „Und nimm mich nicht als Beispiel, hörst du, Dai-chan? Gegen mich verliert selbst Kitsune, also ist das eine schlechte Idee.“
Daisuke schloss seinen Mund. Hatte er etwa wirklich mich als Maßstab nehmen wollen? Konnte man noch unfairer gegen sich selbst sein?
Ich seufzte und stand auf. „Okay, Kumpel, was ist los mit dir? Willst du vorne mitspielen? Sollen wir dir mehr Gegner übrig lassen? Oder ist es etwas völlig anderes?“
„I-ich weiß nicht. Vielleicht brauche ich einfach mal Urlaub, etwas Abstand vom ewigen töten. Ich meine, wenn Emi zurück ist, kann sie mich am Tor ersetzen, oder? Sie ist auch stark, ziemlich flink, hat aber nur eine geringe Reichweite.“
„Treffend formuliert, Dai-chan. Du willst Urlaub? Meinetwegen. Nimm dir Zeit, wenn du dir selbst nicht mehr sicher bist. Und wenn du schon mal da bist, kannst du gleich hier bleiben. Da steht noch ein Zimmer leer, das du haben kannst.“
„Weißt du, Akira, ich will dir keine Umstände machen.“
„Umstände machen? Kumpel, ich verlasse mich beinahe jeden Tag auf dich. Es ist dein gutes Recht, dass du dich auch mal auf mich verlassen kannst, okay? Also zögere nicht lange und nimm das Zimmer. Außerdem bleibst du so in meiner Nähe, falls wir alle Krieger brauchen.“
„Was? Du würdest mich aus meinem wohlverdienten Urlaub reißen?“, argwöhnte Daisuke.
„Ohne zu zögern.“ Ich lachte rau. „Ich verzichte nicht gerne auf dich, damit das klar ist.“
Die Miene des Freundes hellte sich auf. Nun, diesen Felsen im Fluss seiner selbst zerstörerischen Argumente hatte ich umschifft.
„Außerdem, mein alter Freund, kommst du gerade zur rechten Zeit. Kannst du mir einen Gefallen tun?“
„Akira, deine Augen gefallen mir gerade überhaupt nicht. Was planst du schon wieder?“
„Nichts Besonderes. Nur eine kleine Tragödie aufzuführen.“
Daisuke zog die rechte Augenbraue hoch. „Und welche Rolle soll ich dabei spielen?“
Ich musterte den Freund für einige Zeit. „Hast du eigentlich ein Handy?“
***
Merkwürdig. Beim Frühstück wunderte sich niemand darüber, dass Daisuke mit am Tisch saß. Sicher, Megumi hatte ihn drüben gesehen, auf der AO. Aber das erklärte nicht, warum er jetzt in diesem Haus war.
„Also, ich gehe mit Laysan heute einkaufen. Ich habe noch ein paar Urlaubstage, die ich ohnehin nehmen wollte“, sagte Sakura bestimmt. „Aber das kann kein Dauerzustand sein. Akira, wir müssen uns eine bessere Lösung überlegen.“
„Ich weiß, ich weiß. Aber im Moment habe ich keine bessere Idee, als ihn in den Kindergarten zu schicken.“
„Hm. Das wäre zumindest ein Anfang.“
Zufrieden nickte Sakura.
„Ob es den Kindergarten noch gibt, den wir zusammen besucht haben, Akira?“, fragte Megumi nachdenklich. „Der war doch gut, oder? Vielleicht sollten wir uns den mal ansehen.“
„Was denn, was denn, Mama, bist du schon in deiner Rolle aufgegangen?“, neckte ich sie.
Ich wartete ihre Antwort nicht ab und winkte in die Runde. „Bevor ich es vergesse, ich nehme mir heute einen Tag Auszeit. Bitte erfindet eine Ausrede für mich.“
„Kein Problem. Ich erledige das schon, Akira“, sagte Yohko. „Willst du vielleicht einkaufen helfen?“
„Nein, ich muss mich um ein paar Sachen erledigen, um die ich mich seit gestern kümmern muss. Ich habe so das unbestätigte Gefühl, dass nicht nur die Zahl meiner Bewunderer, sondern auch die Zahl meiner Feinde sprunghaft in die Höhe geschnellt ist.“
„Hä? Wieso das denn?“
„Megumi, hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel gesehen?“
„Oh. Oh! Oh, tut mir Leid, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich wollte einfach nur nicht, dass diese Amerikanerin mir… Ich glaube, ich kann es jetzt nicht mehr ändern, oder?“
„Nicht wirklich. Damit wären wir schon beim nächsten Thema. Ich will sehen, wie weit Miss Reilley gehen wird, wenn ich nicht in der Schule bin. Bevor ich mich… Bevor WIR uns endgültig um dieses Problem kümmern werden.“ Ich grinste auf eine Art, wie ich sie immer bei Dai-Okame-sama sah, wenn er Menschengestalt angenommen hatte und sich auf einen Kampf freute. Normale Menschen und Dämonen nahmen nach diesem Grinsen immer einen Sicherheitsabstand zu ihm ein.
Mein Grinsen wurde erwidert, zuerst von Yoshi, dann von Daisuke.
„Jungs“, fragte Sakura mit mühsam beherrschter Neugier, „was habt Ihr vor?“
„Oh, nur ein kleines Laienspiel. Eine simple Tragödie, um… Etwas abzuschließen.“
„Ich bin sicher, ich will keine Details hören“, erwiderte sie. „Oder besser gesagt, ich sollte wohl besser keine wissen.“
„Große Jungs“, tadelte Yohko. „Immer müssen sie ihren Spieltrieb ausleben.“
Das hätte mich beinahe zum lachen gebracht. In gewisser Weise trafen die Worte meiner Schwester auf den Kopf.
Ich erhob mich, strich Laysan über die Haare und winkte in die Runde. „Viel Spaß in der Schule heute. Übrigens wäre es nett, wenn mich jemand auf meinem Handy anruft, sobald Miss Reilley die Schule verlässt.“
„Moment, hast du nicht was vergessen? Ist da nicht noch was für dich zu tun, bevor du deinen obercoolen Abgang zelebrierst, O-nii-chan?“
„Richtig. Richtig. Willst du das übernehmen, Yohko-chan?“
„Natürlich, Megumi-chan.“ Sie lächelte und kniff dabei die Augen zu. „Ich habe meinen Bruder bisher noch immer in den Griff gekriegt.“
Sie erhob sich mit dem Lächeln eines Engels – und der Energie eines sprungbereiten Panthers. „So, O-nii-chan, ab ins Badezimmer. Es gibt da ein paar Poren zu retten.“
Ich wollte etwas erwidern, ablehnen, mich in mein Zimmer retten, aber ihre Rechte schloss sich mit der Endgültigkeit eines Grabdeckels um meinen Kragen. In einer sehr unbequemen Pose musste ich ihr folgen. Wenigstens lachten meine Freunde nicht. Aber ich wette, sie grinsten sich gegenseitig an.

1.
Den Vormittag verbrachte ich damit, lässig in eine schwarze Lederjacke gehüllt – immerhin war noch frühester Frühling – und mit genügend Tarnfarbe im Gesicht, um einen Marine begeistert pfeifen zu lassen, einige der Ecken auszukundschaften, die ich als Kuroi Akuma besucht hatte, wann immer mir mein anderer Job im Krieg mit den Daina Zeit dazu gelassen hatte.
Es war erstaunlich, wie oft ich wirklich auf ein Verbrechen gestoßen war. Etwas zu oft. War dieser Stadtteil so gefährlich, oder hatte ich einfach nur eine Nase für Gewalttaten?
Relativ früh hatte ich einen Schatten, der mich aufmerksam observierte. Wie weit würde der junge Mann in der legeren Baseball-Jacke wohl gehen, um mich zu verfolgen?
Hm, das versprach, spaßig zu werden. Ich nahm einen Zug in die Innenstadt, mein Schatten folgte mir. Nun war ich von meinem eigentlichen Aktionsradius entfernt, aber es entsprach dem neuen Muster, das ich in mein Verhalten einbauen wollte, damit Joan Reilley und ihre Vorgesetzte – Sarah war ihr Name, mehr wusste ich nicht – ordentlich ins Schwitzen kamen, wenn sie meinen nächsten Schritt vorhersagen wollten.
Shibuya oder Roppongi? Beides war relativ leicht zu erreichen, und der Shopping-Distrikt Shibuya würde es mir selbst so früh am Morgen erlauben einfach zu verschwinden, während in der Partyzone Roppongi um diese Zeit bestenfalls ein paar hundert Touristen unterwegs waren.
Hm, ich konnte auch den Shinkansen nehmen und Tokio verlassen. Runter nach Kyoto, obwohl das weit länger dauerte als ich für meine kleine Tragödie vorgesehen hatte. Aber es gab da ein paar Spezialitäten, die ich schon lange mal probieren wollte, und um mein Mittagessen musste ich mich heute ja selbst kümmern. Nudelsuppe mit gesüßtem Räucherhering sollte wirklich gut schmecken, hatte ich mir sagen lassen. Und mit gutem Essen war es wie mit gutem Wein. Je besser, desto weniger sollte er reisen.
Guten Wein trank man da, wo er gekeltert wurde, anstatt ihn zu sich zu holen. Auch ein gutes Essen genoss man am besten dort, wo es gekocht wurde.
Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, die berühmte Cancer Soup in Bread Bowl, Krebssuppe im Korbbrot, eine Spezialität in San Franzisko, hier in Japan zu probieren. Es wäre nur ein Abklatsch gewesen, wenngleich es mich sehnsüchtig an meinen einzigen Besuch in dieser Stadt erinnern würde.
War mein Schatten noch da? Oh ja.
Ich hatte auch noch nie das berühmte Essen in Hong Kong probiert. Es wäre nur ein kurzer Flug, und zum Abendessen wäre ich wieder daheim gewesen und… Nun, vielleicht sollte ich das Budget für Joans Ermittlungen nicht mit Gewalt überstrapazieren.
Letztendlich entschied ich mich für Shibuya. Niemand verlangte ja von mir, zu ernst zu bleiben und das nützliche nicht mit dem angenehmen zu verbinden. Es gab da ein paar Mangas, die ich mir endlich kaufen wollte. Außerdem standen noch ein paar Manhwas auf der Liste, Mangas von koreanischen Künstlern, die ich endlich mal ausprobieren wollte und…
Nun, mein Schatten war jedenfalls noch immer da und ließ sich nicht irritieren.

Als mein Handy klingelte, ließ ich mich auf der nächsten freien Bank nieder. „Ist sie auf dem Weg?“
„Du hast richtig geraten. Sie ist zwischen den Stunden einfach nicht wiedergekommen. Ich habe ihr zwanzig Minuten Vorsprung gegeben, um auf Nummer sicher zu gehen.“
„Danke, Yoshi. Das war gute Arbeit.“
„Nicht der Rede wert. Nur, um mit dir telefonieren zu können, musste ich mich aus der Klasse werfen lassen. Der Part war nicht so nett.“
„Nichts, was du mit deinem hinreißenden Lächeln nicht wieder hinkriegen würdest, alter Freund.“
„Ja, ja, spotte du nur. Ach, noch etwas, Akira. Megumi-chan wurde heute auf dem Schulweg mächtig umschwärmt. Sei froh, dass du heute nicht mitgekommen bist. Die Emotionen haben ganz schön hoch gebrodelt. Während die Mädchen versucht haben, Megumi-chan davon zu überzeugen, dass du ein brutaler, Mädchenverschlingender Dämon aus der Hölle bist, der sie mit seiner Anwesenheit nicht verunreinigen darf, haben die Jungs einfach nur tödliche und endgültige Rache geschworen, um Megumi-chan von dem Bann zu befreien, den du über sie geworfen hast.“
Ich lachte leise. Na, das waren wenigstens normale Zustände. Mit so etwas konnte ich umgehen, das war ich gewohnt. „Scheint so als würde ich morgen eine Menge Spaß haben. War noch irgendwas los? Ist Hatake-sempai auch bei Megumi gewesen?“
„Ja, und er war wirklich sauer. Er meinte, du würdest dein Training vernachlässigen.“
„Mein Training? Was ist denn ist denn mit Oberarschlochhalbgott Mamoru los?“ Unwillkürlich sah ich auf um mich zu vergewissern, dass er nicht gerade vor mir stand und mir aufmerksam zuhörte.
„Keine Ahnung. Aber ich soll dir sagen, dass du gefälligst morgen zum Training kommen sollst. Immerhin geht es um die Meisterschaften.“
„Ich überlege es mir. Immerhin gibt es wichtigere Dinge als Kendo im Leben.“
Ich seufzte leise. „So, das sollte eigentlich reichen, um mich zu orten. Du kannst wieder auflegen, Yoshi.“
„Was denn, was denn, hast du keinen Beobachter?“, spottete der Freund.
„Der muss nicht unbedingt zwingend von der Polizei sein, oder?“
„Apropos Polizei. Was, wenn sie dich hier als Schulschwänzer anschleppen, Akira?“
„Dann haben wir alle einen guten Grund, um mal richtig zu lachen. Bis bald.“
Ich legte auf, verstaute das Handy. Die Karten waren gemischt.
***
Eine Stunde später fand mich Joan Reilley auf einer Parkbank. Ich hatte mich weit nach hinten gelehnt und ließ mir die Sonne auf den Pelz scheinen, während sie sich von einem der Cops einen vorläufigen Bericht geben ließ. Ich sah sie aus den Augenwinkeln seufzen.
„Hier treibst du dich also rum, Kuroi Akuma“, sagte sie und nahm neben mir Platz.
Vorwurfsvoll sah sie mich an. „Du kannst es einfach nicht lassen, oder? Du kannst es nicht lassen, egal ob mit oder ohne Maske. Was hat dich dazu getrieben? Ich meine, sie waren zu dritt.“
„Komm wieder runter. Sie waren untrainiert und haben außerdem nacheinander angegriffen. Außerdem, was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Daneben stehen und zusehen?“
„Es war ein Raubüberfall“, betonte sie.
„Ja, ein Raubüberfall. Mit Messern. Du weißt selbst, wie schnell das bei diesen Halbstarken ausarten kann. Welche Schlagzeile ist dir lieber? Jugendliche töten Ausländer bei Raubüberfall oder Oberstufenschüler zeigt Courage?“
„Wie wäre es mit: Akira Otomo schwänzt nicht die Schule?“, erwiderte sie. „Akira, das hätte furchtbar ins Auge gehen können! DU hättest… Hättest…“
„Was denn, was denn, du hast doch gesagt, ich bin Kuroi Akuma. Und dieser Knabe kann nicht verletzt werden, oder?“
„Du hast deine Maske nicht getragen. Ich weiß nicht, wie es zusammenhängt, aber deine enorme Kraft und die Maske sind eins.“
Es juckte mir in den Fingern, sie diesbezüglich zu korrigieren, aber dieser Erkenntnis von ihr spielte mir viel zu gut direkt in die Hände. Grandios. Phantastisch. Genial. Was für ein Klischee.
„Also, bin ich jetzt verhaftet? Wegen wiederholtem Vigilantentums?“
„Du hast ihnen doch nicht zu sehr wehgetan?“, argwöhnte sie.
„Nicht so sehr wie sie es mit ihren Messern gekonnt hätten“, erwiderte ich. „Ich war gnädig. Ein Schulterwurf, ein verstauchtes Handgelenk, und einer hat auch gekotzt, als sich herausgestellt hat, dass meine Faust härter als sein Magen ist. Wirklich, vollkommen untertrainierte Flaschen ohne Rückgrat. Stell dir vor, sie haben gebrüllt, bevor sie angegriffen haben. Gebrüllt! Genauso gut hätten sie ihre Angriffe ansagen können.“ Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Erstens, weil diese unkoordinierten Attacken so furchtbar lächerlich gewesen waren, zweitens, weil ich mein Glück, in diese Möchtgernverbrecherbande gerauscht zu sein, immer noch nicht fassen konnte.
„Diesmal ging es noch gut, Akira, aber das nächste Mal endest du vielleicht mit einem Messer zwischen den Rippen!“
„Pah. Habe ich was nicht mitgekriegt? Sind Polizisten seit neuestem gepanzert? Ein Messer ist ein Messer, und es ist ihm egal, durch welches Fleisch es schneidet, oder?“
„Das mag sein. Aber wir sind dafür ausgebildet. Und wir werden auch dafür bezahlt, zerschnitten, erschossen und Tot geprügelt zu werden. Du nicht. Verdammt, Akira, kannst du uns nicht einfach unsere Arbeit machen lassen? Warum musst du den Vigilanten spielen? Warum begibst du dich unnötig in Gefahr?“
Ich seufzte. Sollte ich ihr verraten, warum ich nach meinen Einsätzen auf der AO ab und an durch Tokio streifte? Sollte ich ihr von meinen Gewissensnöten erzählen, weil ich auf der Dämonenwelt kämpfte, mein Leben riskierte, aber hier, in diesen Straßen Menschen starben, weil ich es nicht verhinderte? Sollte ich ihr sagen, dass ich mich als Krieger verstand, und als dieser Krieger die Pflicht sah, meine Mitmenschen zu beschützen – notfalls voreinander?
„Zur Entspannung. Das wäre meine Antwort, wenn ich der schwarze Teufel wäre.“
„Verdammt! AKIRA!“
Für einen Augenblick sah ich Sternchen. Also, mit der Kelle hätte sie einem Pferd die Hufeisen mit bloßen Händen aufschlagen können. Und hätte ich eine Sonnenbrille getragen, hätte ich sie wahrscheinlich auf Okinawa wiedergefunden.
„Wofür war die?“, fragte ich ärgerlich und hielt mir die schmerzende Wange.
„Die war dafür, dass du so ein Riesenidiot bist!“, fauchte sie. Wütend stand sie auf, stapfte davon. „Und geh in die Schule, oder ich lass dich bringen und… Akira?“
Die paar Sekunden, die sie mir den Rücken zugewandt hatte, hatten mir gereicht, um zum nächsten größeren Baum zu springen. Dort stand ich nun hinter dem Stamm und beobachtete, wie Joan nach mir zu suchen begann. Richtig, ein normales menschliches Wesen konnte einhundert und mehr Meter nicht binnen von drei Sekunden bewältigen. Aber vermutete sie nicht ohnehin, dass ich kein normaler Mensch war?
Eigentlich war ihre Sorge rührend, auch wenn es nur beruflich war. Irgendwie.
Als mein Handy klingelte, nahm ich ohne zu zögern ab. „Otomo!“
„GEH ZUR SCHULE!“, blaffte Joan und legte wieder auf.
Ich grinste dünn. Meine Wange tat immer noch weh.
Als es erneut klingelte, hielt ich es nicht so nahe an mein Ohr. „Otomo.“
„Black Knight.“
„Treffpunkt?“
„Ja.“
Ich legte wieder auf und schaltete mein Handy ganz ab. Die Gefahr, durch das Stand by-Signal geortet zu werden war gering, aber ein vermeidbares Risiko.
Langsam wandte ich mich um und verließ den Park.

In einem modernen Fresstempel erwartete mich Black Knight bereits, oder genauer gesagt, Daisuke Honda. Sein Tablett war für das, was er sich ausgesucht hatte, gerade groß genug.
„Nanu? So verfressen?“
Missmutig starrte er mich an. „Dein toller Auftrag hat mich ne Menge Kraft gekostet. Weißt du wie schwierig es war, diese Sarah zu finden und zu beschatten? Das Mädel ist taff.“
„Hat sie dich bemerkt?“
„Bemerkt, festgenagelt, aber nicht festnehmen können. Wenn das der Boss von deinem Schwarm Joan ist, dann legt die aber noch ein paar Briketts aufs Feuer. Hey, das sind meine Burger! Hol dir selbst welche.“
„Sei nicht so ichbezogen. Die schaffst du doch sowieso nie alle.“
„Du holst die zweite Rutsche, klar?“
„Abgemacht. Also, wie ist sie?“
„Sarah Anderson. Amerikanerin wie Miss Reilley. Beide seit zwei Jahren im Land. Irgend so ein internationales Austauschprogramm. Sie sind auf Ausländerkriminalität und Jugendkriminalität spezialisiert. Aufgrund ihres erfrischend jungen Aussehens – was übrigens kein Fake ist, ich habe ihre Geburtsdaten in ihren Akten verifiziert, zusammen mit enorm guten und enorm schnellen Abschlüssen an ihrer Polizeiakademie – werden sie oft Undercover eingesetzt. Die beiden wechseln sich dabei als Lockvogel ab, wobei Sarah Anderson aber eher das Gehirn und Joan Reilley der Muskel ist.“
„Muskel. Kaum zu glauben bei diesem zarten Geschöpf“, brummte ich.
„Zweiter Dan in Karate, brauner Gürtel in Karate. Und Aikhido macht sie auch, soweit ich weiß.“
„Was? Kein Sumo?“, scherzte ich.
„Hat sie mal gemacht, aber ihre enorme Brutalität, mit der sie ihre Gegner aus dem Ring geworfen hat, führte zu ihrer lebenslangen Sperre.“
Mir fiel der Burger aus der Hand. „Du verarschst mich.“
„Natürlich verarsche ich dich.“
„Du verdammter…!“
Daisuke stopfte mir einen weiteren Burger zwischen die Zähne. „Klappe zu und Ohren auf. Also, soweit ich es ermitteln konnte, haben sie ein Team von elf erfahrenen Inspekteuren, die auf den Vigilantenfall Kuroi Akuma angesetzt sind. Außerdem haben sie Zugriff auf ein bis drei Einsatzkommandos, falls es hart auf hart geht.“
Daisuke grinste mich an. „Und weißt du, warum sie so einen Aufwand draus machen? Du erinnerst dich an die Fahrerflucht vor drei Monaten?“
„Hm. Sag mir nicht, das war Daddys Lieblingssohn, und Daddy ist zufällig in der Politik.“
„Fast. Daddy ist bei der Polizei und stinksauer, dass sein Sohn jetzt vorbestraft ist. Der Bengel muss mächtig leiden, aber auf dich hat er richtig Wut. Frag mich nicht, warum sie nicht einfach mit einem maskierten Kommando vorbei kommen, um dich durchzuprügeln, und dich stattdessen von zwei Schönheiten observieren lassen.“
Ich runzelte die Stirn. „Die Maskentypen waren Polizisten? Das erklärt ihren Kampfstil.“
Nun war Daisuke überrascht genug, um seinen Burger fallen zu lassen. „Du verarschst mich.“
„Natürlich verarsche ich dich. Erzähl weiter. Wie sind sie auf mich gekommen?“
„Es gibt ein paar Aufnahmen von Kuroi Akuma. Dazu Schätzungen zu deinem Gewicht, deiner Größe und eine Bestimmung deiner Haarfarbe. Danach haben sie alle Aufnahmen verglichen, die sie haben und Berechnungen angestellt. Das brachte sie zum Schluss, dass du noch im Wachstum bist. Und da begann die eigentliche Ermittlung mit den jüngsten Fotos. Braune Haare sind jetzt nicht so selten, aber deine Körpergröße ist es. Du bist zu groß für den durchschnittlichen Oberstufenschüler. So sind sie dir auf die Schliche gekommen. Es gab noch ein paar andere Kandidaten, aber anscheinend ist die Otomo-Pest gefrustet genug gewesen, um sich mal eben als Held der Nacht abzureagieren. Nun, die Wetten stehen neun zu eins gegen dich, aber die Ermittlungen wurden noch nicht abgeschlossen. Das ist der einzige Grund, warum du noch nicht verhaftet wurdest.
Oder um es mal anders auszudrücken, die beiden hübschen Käfer meinen es gut mit dir. Wenn du den Vigilantenkram sein lässt, dann werden sie den Fall als ungelöst zu den Akten legen.“
„Stand das in meinem Dossier? Vielleicht ein kleiner Hinweis, den ich finden sollte?“
Für einen Moment war Daisuke sprachlos. „Es würde passen. Mist, werde ich alt?“
„Schon in Ordnung, schon in Ordnung. Der Gedanke ist mir auch gerade erst gekommen. So, ich kaufe jetzt eine neue Rutsche Burger. Wir werden eine Menge Kraft brauchen, nachher.“
„Einverstanden.“
Operation Hydra konnte beginnen.
***
Der Vorteil daran, ein absoluter Egomane zu sein war, dass man tun und lassen konnte, was immer man wollte. Ich begann, Gefallen an dieser Einstellung zu finden, während ich auf der oberen Plattform des Tokio Towers stand – um präzise zu sein, auf dem Dach – unter mir das nächtliche Tokio sah und den Wind durch meinen nagelneuen Umhang rauschen spürte.
Es war etwas kühl, genauer gesagt saukalt. Aber ich widerstand der Versuchung, mir eine dicke Jacke zu besorgen oder den Umhang eng um meine Schultern zu ziehen.
Immerhin wollte ich meine coole Pose nicht ruinieren.
Nachdenklich ließ ich meinen Blick über die nächtliche Stadt schweifen, über das Lichtermeer, die Autokolonnen, das Menschentreiben. So musste sich einer dieser Comic-Superhelden fühlen, wie sie in diesen schrecklich pathetischen Vielfarbigen Heften dargestellt wurden, ging es mir durch den Kopf. Nun, da ich dieses Gefühl selbst erlebt hatte, konnte ich es ihnen nicht mehr übel nehmen. Hm, wenn die Stadt nur etwas toleranter gegenüber Vigilanten gewesen wäre, dann hätte es vielleicht irgendwann auf dem Dach des Polizeihauptquartiers einen Gigantscheinwerfer gegeben, der das Kuroi Akuma-Zeichen an den Nachthimmel geworfen hätte, um mich bei besonders kniffligen Fällen zu Hilfe zu rufen.
Ich hätte mir einen Sidekick auswählen können, vielleicht sogar ein ganzes Team, und gemeinsam hätten wir die Menschen beschützt und… Himmel, das machte ja richtig besoffen. Ich beschloss, coole Posen von meinem Tagesplan zu streichen. Das verführte nur zu Unsinn.

„So. Hier bist du also.“
Ich wandte mich um und rückte die Maske zurecht. Mit der anderen raffte ich den Umhang um mich. „Guten Abend, schöne Dame“, empfing ich Joan Reilley. Zum ersten Mal wusste ich es zu schätzen, dass meine Stimme unter Akaris Maske dumpf klang.
„Du hast dir meine Worte also nicht zu Herzen genommen, Akira“, stellte sie fest und setzte sich neben mich. „Was bist du? Ein dämlicher Adrenalin-Junkie? Dann spring doch mit einem Gummi-Seil von Brücken, lerne Fallschirmspringen, aber lass das!“
Ich lachte amüsiert. „Ich denke, Sie verwechseln mich, junge Dame. Weder bin ich ein Adrenalin-Junkie, noch dieser Akira.“
Sie sah zu mir herüber und konnte ein Schmunzeln kaum unterdrücken. Natürlich hatte sie mich so genau und endgültig erkannt wie ein durchschnittlicher Fernsehzuschauer den aktuellen Sender am Symbol in der Ecke des Bildschirms. Es war unvermeidlich. Und das war auch Teil meines Plans.
„Was muss ich tun, damit du mit diesem Unsinn aufhörst? Denk dran, du kannst deine Jagd nach Ganoven legal machen. Alles was du tun musst, ist nach der Schule auf die Akademie kommen. Du hättest eine große Zukunft bei uns.“
„Abgelehnt. Ich habe keine Zeit für Kindereien.“
„Das sind keine Kindereien. Das sind alles Gelegenheiten, bei denen ein Kind wie du schwer verletzt oder sogar getötet werden kann. Kapierst du das nicht? Geht das nicht in deinen dämlichen Schädel rein? Ich mache mir Sorgen um dich! Ich habe Angst um dich! Kannst du es nicht einfach lassen, vielleicht mir zuliebe?“
Ich hörte es und ich spürte es, Joan meinte jedes einzelne Wort ernst, bitter ernst.
„Was… Kann ich irgendetwas tun? Bist du bestechlich, Akira? Willst du ein Praktikum bei uns machen? Gibt es nichts, was dich überzeugen kann?“
Ihre Hand langte nach mir, und ich hatte nicht die Kraft, sie abzuwehren.
Ihre Rechte war trocken, aber sehr warm. Und ihre Augen, die mich ansahen, waren verzweifelt und feucht von den Tränen, die ihre Wangen herab liefen. Oh ja, sie war eine wunderschöne Frau. Jetzt noch mehr denn je, wo sie vor meinen Augen vor Sorge fast verging.
Hätte sie die Wahrheit akzeptiert? Ein Ausflug auf die AO hätte ihr vielleicht gezeigt, wie unsinnig ihre Angst um mich hier in Tokio war. Und sie hätte gelernt, dass sie eher Angst um mich haben sollte, wenn ich auf Mu auf Leben und Tod kämpfte.
„Willst… willst du mit mir schlafen? Gibst du dieses Leben dann auf?“
Erschrocken zuckte ich zusammen. Meine Knie wurden weich, und nur mit Gewalt konnte ich mich auf den Beinen halten. Und ich sehnte mich sehr an mein Leben von vorgestern zurück, als mir die Frauen weder die Liebe erklärt hatten, noch mir die Küsse stahlen noch mich plötzlich mit Sex konfrontierten. In meinen Ohren rauschte es, als mein Gehirn Gemeinerweise entschieden hatte, einen besonders starken Cocktail an Pheromonen auf meinen Körper los zu lassen.
Meine Rechte krallte sich schmerzhaft in meinen Oberschenkel. Der Schmerz brachte mich ein wenig zur Besinnung. „Ist es das? Deine ultimative Waffe? Wie weit würdest du gehen, damit dein Vorgesetzter zu seiner kleinlichen Rache kommt?“
Ich spürte ihr Entsetzen. Und ich spürte, wie ihre Hand in meiner zu zittern begann. „Akira, ich…“
„Wie ich schon sagte. Ich kenne Akira nicht. Nein, das ist falsch. Ich kenne zehn oder elf Akiras. Aber ich bezweifle das dein Akira unter ihnen zu finden ist.“ Langsam zog ich meine Linke aus ihrem Griff. „Ja, ich weiß von dem Polizei-Offizier. Ich weiß von seinem Sohn und seiner Verurteilung nach der Fahrerflucht. Schäm dich, junge Dame.“
„I-ich…“ Sie schluckte hart. Ihre Stimme versagte und die Tränen begannen stärker zu fließen.
Oh, sie brauchte es nicht zu sagen, damit ich es wusste. Natürlich tat sie das alles nicht auf Anweisung ihres Vorgesetzten, der einen persönlichen Hass auf Kuroi Akuma entwickelt hatte. Alles, ihre Sorge, ihre Blicke und letztendlich auch ihr Angebot, mit ihr zu schlafen, waren ihr voller Ernst und ihre persönliche Entscheidung gewesen. Sie machte sich wirklich Sorgen um mich. Aber das konnte ich ihr nicht sagen. Das passte nicht in meinen Plan.
„Akira“, hauchte sie.
„Ist jetzt nicht der Zeitpunkt für das große Finale gekommen?“, erwiderte ich ernst. „Musst du jetzt nicht das Greifkommando rufen? Zwei bis drei Dutzend schwer bewaffneter Einsatzpolizisten mit scharfen Waffen?“
Ich deutete auf verschiedene Wartungsluken. „Hier, hier und hier.“
Die Klappen flogen auf, und die erwähnten Polizisten kletterten hervor, zielten mit ihren halbautomatischen Waffen auf mich und brüllten so lustige Sachen wie: Halt, Polizei! Oder: Auf den Boden!
„Hm. Das ist alles so unvollständig. Ich hätte noch einen Hubschrauber erwartet. Genau dort.“
Ich streckte meine Hand aus, und vor mir stieg ein Polizeihubschrauber auf. Er erfasste mich mit zwei grellen Scheinwerfern.
Unter der Maske grinste ich. Noch ein, zwei Fernsehsender dazu, und die Sache war perfekt.
„Akira! Lass dir helfen! Bitte!“, rief Joan herüber.
„Ich glaube, ich sollte lieber auf die Typen mit den Waffen hören? Weißt du, was sie sagen? Auf den Boden!“
Langsam trat ich an den Rand der Plattform heran.
„AKIRA!“
Dutzende Zielpunkte von Laservisieren vereinigten sich auf meinem Körper. Auf zu einem grandiosen kleinen Finale. Ich trat mit meinem rechten Fuß ins Leere.
Joan schrie entsetzt auf.
Dann zog ich den zweiten nach. Langsam begann ich zu Boden zu sinken. Mein Umhang wurde vom Wind aufgeweht. „Wir sehen uns auf dem Boden, junge Dame!“, rief ich über den Lärm des Hubschraubers hinweg, während ich langsam zu Boden sank.
KI war doch eine wundervolle Sache.
Eröffneten sie das Feuer auf mich, einen Verdächtigen auf der Flucht? Oder waren sie einfach zu ergriffen vom Anblick eines Menschen, der fliegen konnte?
Nun, ich musste den Einsatz erhöhen, so oder so.
Also sprang ich auf die untere Plattform herab, federte mit den Knien nach und stützte mich zusätzlich mit einer Hand ab. Der Hubschrauber folgte sofort, nahm mich in den Lichtkreis seiner Scheinwerfer auf, während auf der oberen Plattform die Polizisten an den Rand traten. Wieder tasteten die Laserzielpunkte ihrer Visiere nach mir.
Ich sprang erneut, diesmal bis auf den Platz hinab. Diesmal brauchte die Hubschraubermannschaft ein paar Momente, um mich wieder in den Spot ihrer Scheinwerfer zu kriegen. Allerdings waren sie hier nicht ganz allein, weitere Polizeieinheiten warteten hier.
Hm, da war wohl jemand besonders schlau gewesen.
Ich sah direkt in eine niedliche Walter und in ein noch niedlicheres Paar Augen, das mich entschlossen fixierte.
„Akira Otomo, Sie sind hiermit vorläufig festgenommen!“
Hm, das musste Sarah Anderson sein. In einem anderen Leben, in einer anderen Zeit hätten wir wunderbare Freunde werden können, ging es mir durch den Kopf.
„Sie irren in zwei Punkten“, erwiderte ich ruhig. „Der erste Punkt ist, ich bin nicht Akira Otomo, obwohl mir dieser Name irgendwie gefällt. Der zweite Punkt ist, ich bin nicht verhaftet!“
Ich wirbelte herum, mein Umhang flatterte auf, und ich sprang. Mit einem Satz war ich fünfhundert Meter vom Tower entfernt.

Dem Hubschrauber fiel es nun sehr viel schwerer, Kuroi Akuma wieder in den Fokus seiner Scheinwerfer zu bekommen, aber langsam bekam die Crew Übung darin. Der flatternde Umhang war natürlich ein deutlicher Hinweis. Dies war der Beginn eines Katz und Maus-Spiels, bei dem Kuroi Akuma mehr und mehr aus Roppongi raus getrieben wurde. Es war eine Hatz, die sich stundenlang hinzog. Noch hatte kein Polizist das Feuer eröffnet, und das passte auch ganz gut in meine Pläne.
Der einzige Fluchtweg war Osten, und das bedeutete die Bucht von Tokio.
Die Polizisten waren motiviert und angepisst, eine schlechte Kombination für ihre Beute, die sich immer wieder durch gigantisch weite Sätze zu entziehen versuchte. Aber sie schlossen den Ring immer enger um ihn, trieben ihn mehr und mehr vor sich her, während sich zum Polizeihubschrauber weitere gesellten – darunter die von einigen Fernsehsendern, die da eigentlich absolut nichts zu suchen hatten.
Und dann… Dann hatte Kuroi Akuma nur noch den Hafen im Rücken. Von Norden, Westen und Osten rückte die Polizei ein, Spezialeinheiten, Verkehrspolizei, Schaulustige, es hätte nicht viel gefehlt, und die Armee wäre ebenfalls aufgetaucht. Zumindest aber die Wasserschutzpolizei war eingeschaltet worden. Während sich Kuroi Akuma wie ein verängstigtes Raubtier auf den höchsten Punkt zurückzog, in diesem Fall die Spitze eines großen Verladekrans, kamen sie nun auch von der Seeseite mit ihren Schnellbooten heran.
Wieder wurde Kuroi Akuma vom Licht der Scheinwerfer gebadet. Und ich war mir sicher, ein paar Sender würden nun eine Live-Übertragung bringen. Letztendlich hatte ich in dieser Rolle nie das Image eines Robin Hoods, sondern war selbst irgendwie das böse gewesen.
Gut. Genau das brauchte ich für den finalen Akt.
„Akira Otomo! Sie sind vorläufig festgenommen! Kommen Sie herab und heben Sie die Hände!“
Ich schmunzelte. Danke, Sarah Anderson, das war das I-Tüpfelchen gewesen, das auf dem Kuchen noch gefehlt hatte.
Gigantisch, wie sich Menschen manipulieren ließen, wenn sie sich dessen nicht bewusst waren.
Kuroi Akuma bereitete nun das Finale Furioso vor. Er zog eine Waffe aus seinem Anzug. Es war eine Glock 17L, eigentlich eine Sportwaffe. Aber diese hatte ebenfalls ein Laservisier.
„ER HAT EINE WAFFE!“, rief jemand.
„NIEMAND SCHIEßT!“, blaffte Sarah Anderson.
„Otomo-kun, dies ist die letzte Aufforderung! Kommen Sie da runter!“
Der Laserpunkt erschien auf dem Beton der Kai-Anlage und wanderte mit quälender Langsamkeit zu einem der Scharfschützen herüber.
Nun, der Mann hätte es eigentlich besser wissen müssen als zu glauben, dass eine Sportpistole nur wegen eines Laserpointers auf zweihundert Meter genau schießen konnte.
Der Mann reagierte so, wie seine Natur es ihm vorschrieb. Er biss zuerst.
Deutlich konnte man sehen, wie Kuroi Akuma in der Brust getroffen wurde. Bei ihrem Austritt wehte sie seinen Umhang auf. Er breitete die Arme aus und fiel nach hinten, hinein in das Hafenbecken. Als kurz darauf eines der Schnellboote der Hafenpolizei über diese Stelle fuhr, färbte sich das Wasser im Licht der Scheinwerfer blutrot.

Ich lächelte dünn. Nun war es Zeit für meinen Auftritt. Die Menschen schrieen durcheinander, Polizisten eilten an die Kai-Anlage, eine ziemlich frustrierte Einsatzleiterin stauchte den Scharfschützen zusammen… Und Akira Otomo ging wütend auf genau diese Einsatzleiterin zu. „Na Klasse!“, fuhr ich sie an.
„Wie sind Sie durch die Absperrungen gekommen? Gehen Sie sofo… Otomo?“
„Richtig. Akira Otomo! Der Mann, den Sie verdächtigen, Kuroi Akuma zu sein! Sehen Sie mich an! Ich wurde nicht erschossen! Ich bin nicht klatschnass, weil ich ins Hafenbecken gefallen bin! Und ich kann auch keine dreihundert Meter weit springen! Dafür haben Sie jetzt aber einen Toten im Hafenbecken. Oder vielmehr viele kleine Reste, denn wie es aussieht, hat ihn eine Schiffsschraube zerfetzt!“
„AKIRA!“ Etwas Schweres fiel gegen mich, und es schien da nur zu gerne bleiben zu wollen. „Akira, ich dachte ich sehe dich sterben!“
Ich wand mich in dem unbequemen, aber recht angenehmen Griff. „Glaubst du mir jetzt, dass ich nicht Kuroi Akuma bin, Miss Reilley?“
Ich war mir sehr bewusst, dass diverse Fernsehkameras die Szene auffingen. Und Sarah Anderson war sich wohl sehr bewusst, dass sie gerade ihre Karriere gefährdete. Was wog schwerer? Ihre Liebe zur Polizeiarbeit, oder ihre Eitelkeit.
Mich traf eine Ohrfeige. Das zweite Mal schon an diesem Tag. Joan ließ mich los und sah mich anklagend an. „DU warst das auf dem Tower! Wie hast du das gemacht? Wie konntest du… Wie…? Wer ist da für dich gestorben? Akira!“
„Lass gut sein, Joan. Wir haben Kuroi Akuma erwischt. Daran besteht kein Zweifel. Er hat uns diese unglaublichen körperlichen Fähigkeiten präsentiert, oder? Dein Akira Otomo nicht.“
Sie sah mir in die Augen. Und ich sah alles darin. Sie glaubte mir nicht. Sie hatte mich nach wie vor im Verdacht, Kuroi Akuma zu sein. Und sie erkannte das, was da gerade passiert war, als Komödie. Aber es hatte einen Toten gegeben, und nun würde sie die Ermittlungen abschließen müssen, bis Kuroi Akuma erneut auftauchte. Oder die Obduktion der Leiche Zweifel erbrachte. Ich lächelte dünn. Es würde keine Leiche geben. Es würde keine Obduktion geben. Nur ein wenig Blut im Meerwasser, dessen Blutgruppe nicht mit meiner übereinstimmte.
„Heißt das, die Ermittlungen gegen mich sind eingestellt?“
„Es sieht so aus, als müssten wir den Fall abschließen“, erwiderte sie. Hm, sogar der rachsüchtige Vater würde sich mit diesem Ergebnis zufrieden geben müssen.
Ich nickte in ihre Richtung und wandte mich um. „Danke, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast, Joan. Hm, irgendwas sagt mir, dass wir uns morgen in der Schule sehen werden, oder? Gute Nacht, die Damen.“
Der Fluch, der bis zu mir trug, disqualifizierte eine von ihnen vom Begriff Damen, aber merkwürdigerweise gefiel mir das.
***
Eine weitere Stunde später saß ich mit zwei anderen Männern auf dem Dach eines Lagerhauses und starrte auf die noch immer laufenden Ermittlungen der Polizei. „Gute Arbeit, Jungs.“
Links von mir saß Yoshi. Seine Haare waren noch immer nass, aber er hatte seine KI-Rüstung angelegt. Und die war trocken. Rechts hockte Daisuke, und er trug immer noch die Uniform eines Mitglieds der Wasserschutzpolizei.
„Danke. Aber nach all dem rumhüpfen habe ich das dringende Bedürfnis nach einer ordentlichen Mahlzeit.“
„Ich übrigens auch. Euch beiden zu folgen, die Polizei zu dirigieren und dann noch das Schnellboot zu übernehmen, und dazu dauernd die KI-Rüstung zu erzeugen, kostet eine Menge Kraft.“
„Ich habe verstanden. Sushi? Ich bezahle.“
„Und was wird aus Kuroi Akuma? Akira, gibst du ihn wirklich auf?“
„Es gibt auch noch andere Masken, oder, Yoshi?“, erwiderte ich schmunzelnd.
Wir sahen uns verschwörerisch an. Anschließend sprangen wir und verließen den Tatort so schnell wie es uns möglich war. Und das war sehr schnell.

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2.
Endlich! Es herrschte Normalität. Freundliche, die Sinne schmeichelnde Normalität.
Ich ging zur Schule und wurde gehasst, geschnitten und verabscheut… Zumindest vom Gros.
Der Rest ignorierte mich entweder, oder warf mir versteckte Blicke zu.
Aber der Hass überwog! Ich meine, das war ich gewohnt, das war meine Welt! Nach dem Trubel der letzten Tage war es wenigstens eine Konstante in meinem Leben.
Auch meinen Sicherheitsabstand hatte ich wieder, drei Meter in jede Richtung. Das lag aber leider nicht mehr an meiner Aura als Otomo-Pest… Es lag an der erheblich gewachsenen Anzahl meiner Begleiter. Doitsu, Kei, Yoshi, Megumi, Yohko-chan, und seit heute auch noch Ami-chan. Sie bildeten alleine eine Barrikade mit ihren Leibern, und Megumis Charme hielt sie zusätzlich noch ein wenig ab.
Oh, vorher war es soviel einfacher gewesen.
Natürlich hörte ich sie tuscheln, und diesmal war ihr Thema keine ansteckenden Krankheiten, die von mir auf andere übergingen. Sie redeten über die Geschehnisse der letzten Nacht.
Kuroi Akuma war natürlich nie ein Guter gewesen, weder in den Medien noch im Internet war er so behandelt worden. Deshalb verwunderte es mich, dass ich bei einem Teil der Konversationen zum Bösen gestempelt wurde, der Kuroi Akuma bis zu seinem Tod benutzt hatte – und in den anderen zum unschuldigen Opfer, das Kuroi Akuma missbraucht hatte, um von sich abzulenken.
Wütend ballte ich die Hände. Letztendlich hatte ich es gut gemeint, immer nur gut gemeint. Ein altes Sprichwort sagte, dass die Menschen ihre Heiligen selbst töteten, und das entsprach im Moment genau meiner Stimmung. Ich war gut gewesen, so gut wie ich es vermocht hatte. Und die Menschen hatten mich getötet. Zumindest mein Alter Ego als Kuroi Akuma.
„Guten Morgen, Aki-chan!“
Ich hatte diese Worte erwartet, ich hatte diese Stimme erwartet, aber ehrlich gesagt bekam ich eine Gänsehaut, die sich wohlig rieselnd über meinen Körper ausbreitete.
„Guten Morgen, Miss Reilley“, erwiderte ich und ignorierte Megumis drohenden Wutausbruch so gut es ging. „Es scheint, als würdest du noch einige Zeit in unsere Klasse gehen.“
„Wie ich schon sagte“, erwiderte sie mit einem Lächeln, „Schule macht mir einfach Spaß. Und ich habe nicht gelogen, als ich gesagt habe, dass ich dich mag.“
Lächelnd, die Schultasche mit beiden Händen hinter dem Rücken gehalten, beugte sie sich ein Stück vor. „Und wer weiß, wenn du brav bist und dein Alter Ego in der Kiste lässt, dann darfst du vielleicht die Prämie einfordern, die ich dir auf dem Tokio Tower versprochen habe.
Oh, wie süß, du wirst ja rot. Wir sehen uns in der Klasse, nicht?“
Sie winkte und eilte weiter.
„Prämie? Tokio Tower?“, fragte Yoshi argwöhnisch.
Ich hatte es fast vergessen, oder vielmehr mit aller Macht verdrängt. Bei dem Hormoncocktail, der jedes Mal durch meinen Körper tobte, wenn ich daran dachte, war das nicht einfach. Was sollte ich jetzt machen? Lügen, und die anderen mit der Nase drauf stoßen, direkt bei Joan zu fragen? So offen und freundlich, wie sie sich gab, würde sie ohne zu zögern Auskunft geben. Dazu auch noch wahrheitsgemäß. Ja, das würde dem Biest wirklich passen.
Zum Glück zog mich ein Ereignis vom Regen in die Traufe, dieses Mal aber in eine Traufe, die mir lieber war als eine Diskussion über Sex mit Joan Reilley und die Gefahren für meine Gesundheit durch Megumi.
„Akira!“ Mamoru Hatake, Halb-Arschloch und Ganz-Gott, winkte zu mir herüber. „Spektakulärer TV-Auftritt gestern. Aber vergiss nicht, dass du neben deinen Pflichten als Superstar immer noch Kendo-Training hast, ja?“
„Ja, ja, Sempai. Ich vergesse es schon nicht.“ Ich winkte ihm im vorbeigehen zu. Und erschrak zu Tode, als ich das Mädchen erkannte, das neben ihm stand und meinen Blick vermied. Akane-sempai. Dies war das erste Mal, seit ich die Oberstufe besuchte, dass ich sie sah. Und ehrlich gesagt, mir rutschte das Herz mächtig in die Hose.

Bei den Schuhboxen lehnte ich mich schwer atmend gegen die nächste feste Wand. Mir stand Schweiß auf der Stirn, und böse, alte Erinnerungen drohten mich zu übermannen. In der Geschäftswelt hätte man sagen können, dass ich mich an die Zeiten erinnerte, in denen ich gemobbt worden war. Und das kam der Wahrheit sehr nahe.
„Was hast du, alter Freund? Soll ich dir einen guten Rat geben? Oder lieber ein, zwei rechte Haken?“
„Ich nehme die rechten Haken, Yoshi“, erwiderte ich matt. „Im Moment fühle ich mich, als würde ich sie gebrauchen können.“
„Okay, was ist los? Ich kenne ja schon ein paar deiner Stimmungen, Akira, aber ich habe dich noch nie so erlebt. Was hat dich an Mamoru erschrocken? Oder war es die Kleine neben ihm?“ Keis Blick ging einmal durch meine Augen hindurch, runter bis zur Seele und wieder zurück. „Aha. Es ist also die Kleine, oder?“
„Akane Kurosawa“, half Yoshi aus. „Wir reden nicht über sie.“
„Du warst nicht dabei, Kei. Belassen wir es dabei“, stimmte Doitsu zu.
„Was? Wieso? Was ist passiert?“
„Man kann sagen“, sagte ich, stieß mich ab und ging zu meiner Schuhbox, „mit ihr fing mein Leben als Aussätziger an.“
„Vorsicht! Nicht aufmachen, bevor du nicht…!“
Yoshis Warnung kam zu spät. Ich hatte die Schuhbox bereits geöffnet – und wurde von einem Schwall Briefe begraben. Na toll, war wieder mal Zeit für die Drohbriefrunde? Allerdings, wurden Drohbriefe wirklich mit roten Herzen zugeklebt und parfümiert?
Die meisten rochen so wie sie es sollten, aber ein erheblicher Anteil hatte das Aroma von Erdbeeren, Kirschen und Vanille. „Auch das noch“, stöhnte ich. „Liebesbriefe. Ich glaube, ich gehe wieder nach Hause. Sakura kann sicher Hilfe mit Laysan gebrauchen.“
„Nix da. Du bleibst hier. Und in der Mittagspause verrätst du mir, was es mit Akane und dir auf sich hat“, bestimmte Kei. „Und wenn du nicht gehorchst, gehe ich bei Megumi petzen.“
„Kleiner, fieser Giftzwerg“, knurrte ich.
„Der gerade die besseren Karten hat, oder?“, erwiderte er selbstgefällig.
„Stimmt.“ Zum Glück war dieser kleine, fiese Giftzwerg auf meiner Seite. Hoffte ich.
***
In der großen Pause, und nach dem Studium der meisten Liebesbriefe, Mist, die schöne Freistunde, fanden wir uns geschlossen auf dem Dach ein. Sogar Makoto war hinzugekommen. Dankenswerterweise trug er keine Mädchenuniform.
Auch Daisuke hatte sich bei uns niedergelassen, obwohl er gar nicht als Schüler eingeschrieben war. Er hatte von mir den Auftrag bekommen, ein Auge auf Sarah Anderson zu halten, und wenn er hier auf dem Dach war, hieß das nur, sie war in der Nähe.
„Also, erklär es mir, Akira. Wieso fing mit Akane dein Untergang an?“
Ich seufzte. „Will nicht drüber sprechen.“
„Dann frage ich Megumi.“
„Ich will da auch nicht drüber sprechen. Das ist was, was ein Mädchen anfangs sehr tief erschüttert. Ich habe lange gebraucht, um damit klar zu kommen.“
„Dann Yohko.“
„Diesem Umstand verdanke ich ein Jahr in der Hölle, als Schwester vom großen Perversen. Mit ein Grund, warum ich alles dafür getan habe, um ein Jahr überspringen zu können, raus aus der Gerüchteküche.“
„Das macht mich alles noch neugieriger. Na, notfalls kann ich ja immer noch Akane Kurosawa selbst fragen, oder?“
„Okay, du hast gewonnen. Ich erzähl es dir. Bist du dann zufrieden?“
„Voll und ganz. Wollen wir uns dann alle im Halbkreis um Onkel Akira setzen, damit er uns seine Geschichte erzählen kann?“
„Vorsicht, übertreib es nicht, sonst überlege ich mir, dich zu einer interessanten, aber kurzen Karriere als fliegender Mensch zu verhelfen.“
„Ist ja gut, ist ja gut. Ich halte mich mit schlechten Witzen zurück. Ist es denn so schlimm, Akira?“
Ich lachte gehässig auf. „Schlimmer.“
Die anderen nickten.
„Weißt du, Kei, es war in meinem zweiten Jahr auf der Mittelstufe. Akane war damals im letzten Jahr und stand kurz davor, hier auf die Fushida zu wechseln. Alle Jungs waren verrückt nach ihr, na, zumindest die meisten. Ich glaube, ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich nicht verrückt nach ihr war.“
„Gut umschifft, Akira“, säuselte Megumi neben mir.
„Danke, Megu-chan. Jedenfalls begann meine persönliche Hölle durch eine Verkettung unglücklicher Umstände.“
***
Es war ein launischer Regentag. Aprilwetter halt. Mal stürmisch, mal Schnee verweht, dann wieder kurz und knapp sonnig. Also eigentlich nichts Besonderes. Ich war noch nicht zu den Kämpfen auf der AO gerufen worden, aber ich befand mich bereits im Training, zusammen mit den anderen. Dementsprechend knapp war meine Geduld.
Zudem hatte ich seit einiger Zeit einen Ruf als Schläger, dabei war alles was ich getan hatte, mich gegen die führende Schlägertruppe zu wehren und die Frechheit zu haben, auch noch zu gewinnen. Schlechte Neuigkeiten verbreiteten sich eben immer schneller als gute, und so war ich relativ schnell abgestempelt. Soweit war das aber in Ordnung. Bis zu diesem einen Moment.
Ich ging nach Hause, und die Gedanken an mein KI-Training gingen mir durch den Kopf. Vor ein paar Sekunden hatte ich noch die eisige Umarmung eines frischen Aprilwindes genossen, schon wechselte das Wetter und ließ einen Spalt Sonnenlicht auf das Pflaster vor mir fallen. Die Szene hatte etwas Unwirkliches, denn dieser Strahl Sonnenlicht fiel genau auf eine Pfütze vor mir. Und in der Pfütze trieb ein Buch.
Ich wollte es liegen lassen, aber… Jemand hatte es verloren. Es gehörte ihm, und irgendwie sah ich es als meine idiotische Pflicht an, es zurückzugeben.
Also nahm ich es aus der Pfütze und mit nach Hause.
Dort sah ich es mir genauer an. Und schalt mich einen Idioten. Ich hätte es beherzt in den Papierkorb werfen können, aber ich tat es nicht, obwohl ich sehr genau erkannte, dass es sich um ein Tagebuch handeln musste, das mit einem kleinen Schloss gesichert war. Leider stand kein Name dran.
Ich haderte einige Zeit mit mir. Entweder das Schloss aufbrechen, um drinnen nachzusehen, wem es gehörte, oder ab in die nächste Mülltonne.
Letztendlich siegte die Neugier, und ich besiegelte meinen eigenen Untergang.
Wie es sich herausstellte, hatte ich tatsächlich das Tagebuch eines Mädchens erwischt. Gleich auf Seite drei stand ihre volle Adresse. Und natürlich hatte ich ausgerechnet das Tagebuch von Akane-sempai gefunden. In diesem Moment machte ich meinen letzten Fehler. Anstatt zu ihr rüber zu laufen und es ihr noch am gleichen Abend zu geben, egal wie gewagt das auch erschien, nahm ich mir vor, es ihr in der Schule zu übergeben.
Mein Weg führte mich in der ersten Pause direkt zu den Klassenräumen des Abschlussjahrgangs, und von dort Ziel gerichtet in ihre Klasse. JEDER Junge der Mittelstufe kannte ihre Klasse und ihren Sitzplatz.

„Hier, das ist doch deins, oder?“, hatte ich gesagt und das Tagebuch auf ihren Tisch gelegt.
„Danke, das ist meins, aber wo…?“, hatte sie gefragt und es in die Hand genommen. „Du hast es aufgebrochen?“
„Keine Sorge, ich habe nur die Adresse auf der Innenseite gelesen. Draußen stand ja leider nichts dran. Ich habe es übrigens vor der Schule in einer Pfütze gefunden. Du solltest sorgfältiger mit deinen Sachen umgehen.“ Mit diesen Worten und einer coolen Drehung inszenierte ich meinen Abgang. Von meinem Standpunkt aus gesehen war die Welt nun wieder gerade gerückt.
Was ich nicht ahnen konnte war, dass es die Mädchen und auch einige der Jungs nicht so sahen.
„Hast du schon gehört? Otomo hat Kurosawas Tagebuch gefunden. Dann hat er es aufgebrochen und in der Badewanne gelesen.“
„Wirklich. So was wie der ist wirklich das Allerletzte.“
Das waren zwei der harmloseren Sprüche, die mir zu Ohren kamen. Die meisten waren nicht sehr nett und noch wilder.
Das führte dazu, dass ich mich öfters gezwungen sah, mich in Hinterhöfen gegen eine Handvoll oder mehr Jungs des Abschlussjahrgangs durchzusetzen, mich den Vorwürfen einer Horde Mädchen ausgesetzt sah, die wie Racheengel auf mich herabkamen und kein Wort von mir als Rechtfertigung zuließen und sogar von den Lehrern schlechter behandelt wurde.
Ich kam mir in dieser Zeit als Aggressionsventil für die ganze Schule vor. Und das Ergebnis war, dass ich auch aggressiver wurde. Ich bin nicht stolz drauf, aber ich wurde jähzornig, unbeherrscht und rauflustig. Zum Schluss wagte es wenigstens niemand mehr, mir direkt Vorwürfe zu machen.
Dazu kam dann das Training für die Kämpfe auf der AO, und ich schaffte es, mich langsam wieder in den Griff zu kriegen. Mich und mein Leben. Aber das Stigma haftete an mir, und aus dem Musterschüler wurde die Otomo-Pest.
***
„Das ist ergreifend“, schluchzte Kei. „So ungerecht und so gemein, und du hast das alles mit stoischer Ruhe ertragen. Akira, du bist mein Held.“
„Jedenfalls“, beendete ich meinen Bericht, „gelang es mir nie, diesen Schatten abzuschütteln. Und das werde ich wohl auch nie. Aber jetzt und hier ist es mir egal. Wirklich egal.“
Ich ergriff Megumis Hand, und sie schenkte mir dafür ein hinreißendes Lächeln. Ja, so war die Welt annehmbar.
***
„ZU LANGSAM!“, rief Mamoru, und riss mir mit seinem Shinai die Beine unter dem Körper fort.
Ich grinste matt. Auch ohne dass ich mein KI einsetzte, hätte ich nicht nur seinem Schlag ausweichen können, ich wäre auch noch in der Lage gewesen, in seinen Rücken zu gelangen. Aber ich konnte Sempai ja nicht völlig verprellen. Nicht, nachdem er die letzten Tage so nett zu mir gewesen war. Er reichte mir eine Hand und ich ergriff sie.
Mit erstaunlicher Leichtigkeit zog er mich hoch. „Läuft alles mit Megu-chan?“
„Wieso fragst du, Sempai?“
„Weißt du, Megu-chan liegt mir wirklich am Herzen. Ich würde es nicht gut aufnehmen, wenn sie jemand schlecht behandelt.“
„Du hast mir schon Prügel angedroht, oder?“
„Das war noch viel zu harmlos. Jedenfalls, sei nett zu ihr, und ich bin es auch zu dir, verstanden?“
„Das brauchst du mir nicht erst zu sagen, Sempai“, erwiderte ich entrüstet.
„Ach, bevor ich es vergesse. Ich bin seit Jahresbeginn mit Kurosawa-kun zusammen, also brauchst du meine Konkurrenz nicht zu fürchten.“
„Ich gratuliere“, sagte ich frostig. Das wühlte ein paar der nicht so netten Erinnerungen auf.
„Ich habe übrigens eine Nachricht von ihr für dich.“
„Will ich sie hören?“, entgegnete ich wütend und wandte mich zum gehen. Keine schnellen Schritte kamen mir nach, keine Hand ergriff mich an der Schulter und riss mich zurück.
Aber Mamorus Stimme kam hart und unbarmherzig zu mir herüber. „Sie hat gesagt, dass sie es schön finden würde, wenn du ihr endlich erlauben würdest, sich für den ganzen Ärger mit dem Tagebuch zu entschuldigen. Anstatt sie aus dem Raum zu brüllen, oder selbst zu gehen, ohne ihr zu zu hören.“
Ich erstarrte. Das waren definitiv Szenen aus der Mittelstufe gewesen. Sie flackerten wie stakkatoartige Blitzlichteffekte vor meinem Inneren Auge. Damals hatte ich doppelt unter Stress gestanden, mit der Schule und der Rettung der Welt. Und ich hatte sie rausgebrüllt. Oder sie ignoriert und war gegangen. Ich hatte mir nicht noch mehr Ärger aufhalsen wollen.
„Es… Es waren schlimme Zeiten für mich.“
„Sie weiß das. Deshalb fragt sie ja, ob es jetzt in Ordnung ist.“
„Sag ihr… Sag ihr, ich kaufe ihr ein neues Schloss für ihr Tagebuch.“
„Eine gute Antwort“, sagte mein Sempai und lachte laut.
Ja, das Leben war definitiv wieder das, was es sein sollte. Endlich.

3.
„Akari!“
„Ja, Meister.“ Mein Oni gab mir seine Maske, danach reichte er mir das Schwert. Der Dämonenschlächter wog schwer in meiner Hand, und er wurde noch schwerer, als Akari sich mit ihm verband.
Die Maske verwandelte sich auf meinem Gesicht. Die lange weiße Mähne verschwand, die Fratze mit den kleinen Hörnern veränderte sich und nahm das altbekannte Theatergesicht an. Aber nur für einem Moment. Dann veränderte sich die Maske erneut und war nun vollkommen konturlos. Lediglich die Schlitze für die Augen waren vorhanden.
Unter der Maske grinste ich grimmig. Ich hatte eine Entscheidung zu treffen, und es sah ganz so aus, als würde mir keine Wahl bleiben.
„Bist du auf meiner Seite, Akari?“, fragte ich ernst.
„Meister?“ Ihre Stimme klang irritiert, überrascht. „Natürlich bin ich auf deiner Seite!“
Ich zögerte einen Moment, dann nahm ich die Maske wieder ab. Anschließend legte ich das Schwert an die Seite.
Der Oni entstand neben mir erneut. „Meister? Willst du heute nicht kämpfen?“
„Das ist es nicht, Akari. Ich… Möchte nur etwas ausprobieren.“
Ich spürte die Blicke meiner Kampfgefährten. Bisher hatte ich immer im Verbund mit dem Oni gekämpft, meine Stärke potenziert. Ohne Akaris KI zu kämpfen musste sie alle irritieren.
Ich hielt die Rechte horizontal vor der Brust und schloss die Augen. Diese Geste war nicht Teil meines Trainings gewesen, zumindest nicht in dieser Welt. Aber sie half mir, mich zu fokussieren und mein Ziel zu erreichen.
Als meine Augen wieder auffuhren, taten sie es mit einer Energie, die meine Freunde zurückweichen ließ. „Entsiegeln!“
Von einem Moment zum anderen umgab mich eine Wand aus Licht. KI peitschte auf, blendete meine Umgebung. Ich fühlte meine Kraft ansteigen, weit über das Maß hinaus, das ich in den Kämpfen mit den Daina gewohnt war.
Als das Licht abebbte, trug ich eine hellblaue KI-Rüstung mit einem weiten, weißen Umhang.
Die Rüstung war grob, geradezu klobig. Aber sie wog nichts, absolut nichts. Sie belastete mich nicht, sie behinderte mich nicht. Das war gut.
„Schwarmzeit“, kam Makotos Stimme über die Kom-Verbindung. „Akira, bist du dir sicher?“
Ich runzelte die Stirn. Ahnte er etwas? „Ja.“
„Gut. An alle! Wir führen in dieser Schwarmzeit einen Angriff auf die Festung aus. Akira bildet unsere Sturmspitze. Alle anderen unterstützen ihn so gut, wie es ihnen möglich ist. Die AO muss nicht beschützt werden, ich wiederhole, die AO muss nicht beschützt werden.
Ziel ist es, in die Festung einzudringen und die Kryo-Tanks zu vernichten. Haben das alle verstanden?“
Nun war es an meinen Freunden und Kampfgefährten, irritiert zu sein. Ein Großangriff auf das Herz der Daina? Das war nicht geplant gewesen.
Ich lächelte matt. „Danke, Mako.“
„Was man nicht alles tut für seinen kleinen Bruder. Sieh wenigstens zu, dass du erfolgreich bist, ja?“
„Versprochen.“

„Da kommen sie. Ich schlage vor, wir… AKIRA!“
Ich sprang. Der Umhang entfaltete sich und wehte hinter mir auf. Als ich fünfhundert Meter tiefer auf dem Boden landete, tat ich dies auf einem Knie und der linken Hand.
Die Front der Daina war keine fünfzig Meter von mir entfernt, und sie kam schnell näher.
Dann sah ich auf. „Überraschung.“
Ich entließ eine KI-Entladung, die eine dreihundert Meter weite Schneise in die Phalanx der infizierten Daina trieb. Sie hatte eine Breite von vierzig Metern und ging über acht Meter in den Boden hinein.
„Das ist, Wow, Akira, wo hast du das denn gelernt?“
„Keine Zeit, das zu erklären, Yoshi. Gib mir Deckung!“
Pfeile zischten heran, explodierten spektakulär, und säuberten die Ränder der Bresche von den Daina.
Links und rechts von mir eilten nun Doitsu und Ami herbei und hielten die Flanken auf.
Gut. Sehr gut. Mein Vorhaben wäre etwas schwierig geworden, wenn ich es hätte alleine ausführen müssen. So aber hatte ich eine solide Chance.
Ich richtete mich auf und setzte mich langsam in Bewegung. Ich trat in die Schneise, und mit jedem Schritt, den ich tat, wichen die Daina einen zurück. Vielleicht ahnten sie, welch große Macht mich genau jetzt erfüllte.
Am Ende der Schneise fiel ich in einen leichten Trab, und dies war für die Daina das Signal, zu fliehen.
Wieder setzte ich den KI-Angriff ein, schlug eine neue Bresche in die fliehenden Infizierten. Dann sprang ich.
„Akira! Lauf nicht zu weit vor! Wir können deine Flanke nicht decken, wenn du zu schnell bist! Akira!“
Ich landete in einem fliehenden Pulk Daina. Einige flohen, die anderen attackierten mich mit dem Mut der Verzweiflung. Ich lächelte dünn.
An den Spitzen meiner Finger erschienen dünne blaue Lichtstrahlen. Ich zog sie über die Angreifer und ging weiter. Ich musste nicht nachsehen um zu wissen, dass die blauen Lichtstrahlen ihre Körper zerschnitten hatten wie ein heißes Messer Butter.
Dies erhöhte das Entsetzen der anderen Daina. Wenngleich die meisten Emotionen vom Liberty-Virus zerfressen waren, Furcht konnten sie empfinden. Also brandeten sie zurück, zurück zur kryogenen Anlage.
„Ist… Ist das noch Akira?“, hauchte eine entsetzte Stimme.
Nein, ging es mir durch den Kopf. Dies war nicht der Akira, den meine Freunde kannten. Dieser Akira war sehr viel mächtiger.
Wieder sprang ich, wieder landete ich in einem Pulk Daina. Wieder fuhr ich mit den blauen KI-Klingen an meinen Fingern zwischen sie. Wie viele hatte ich jetzt schon erwischt? Zweihundert? Mehr? An einem Tag löschte ich mehr Daina aus als in drei Jahren zuvor. Und auch wenn es für die Infizierten eine Erlösung sein musste, ich spürte langsam die Belastung, mich mit dem Tode so vieler intelligenter Wesen zu versündigen.
Aber es gab keinen Weg zurück mehr. Ich konnte nur noch voran schreiten, solange wie mir noch die Zeit blieb. Ohne einen Blick zurück zu werfen. Kurz hielt ich inne, um mir ein paar Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen. Megumi. Yohko. Yoshi. Dai-chan. Doitsu. Ami. Kei. Eikichi. Kitsune. Laysan. Verdammt.

„Hör auf zu träumen und tu endlich, wofür du hergekommen bist!“, rief eine zornige Frauenstimme neben mir.
Kitsune war da, und sie fuhr in ihrer Fuchsgestalt - der XXXXL-Version – durch die Infizierten beinahe schlimmer als ich.
„Du bist auf meiner Seite?“, fragte ich freudig und erstaunt.
„Bin ich das nicht immer?“, erwiderte sie und schenkte mir ein kurzes Lächeln. „Genau so wie die anderen. Daran solltest du nie zweifeln, Akira.“
Meine Freunde holten mich ein, vergrößerten die Bresche in den Reihen der fliehenden Daina.
„Nun beeil dich endlich!“, rief Yoshi. „Und mach dir keine Sorgen um die Königs-Daina! Überlass sie uns, ja?“
„Danke!“
Ich eilte weiter so schnell ich konnte, überholte die Welle der Fliehenden und erreichte vor ihnen die kryogene Anlage.
„So hast du dir das gedacht, Akira Otomo!“ Eine höhnische Stimme erklang über mir.
Ich sah auf. Über mir schwebte ein Daina. Nun, schweben war eine Eigenschaft, die nur beste KI-Beherrschung vermitteln konnte. Etwas, was die Daina nicht konnten. Sie schafften es lediglich, ihre Körper zu verformen und Flügel auszubilden, was ihnen das schweben erlaubte. Aber nicht das fliegen. Ein Königs-Daina.
„Ich habe eine Überraschung für dich und deine Freunde. Ihr denkt, wir haben erst siebentausend Daina erweckt, oder?“ Er lächelte mich wölfisch an. „Es sind fünfzehntausend. Und die Stärksten sind noch in der Festung. Ihr habt immer nur mit den Schwächsten gekämpft.“
Der Mann schnippte mit den Fingern. Auf dieses Signal hin traten hunderte, tausende Daina aus den vielen Schlupfwinkeln der Festung hervor. Ich konnte es sehen, spüren, riechen. Diese da waren von einem anderen Level als jene Infizierten, die ich Tag für Tag bekämpft hatte.
„Freu dich auf dein Ende, Akira Otomo!“, rief der Königs-Daina und lachte rau.
„Ihr lernt wohl nie dazu, oder?“, erwiderte ich trocken und begann mein KI zu fokussieren, wie ich es neulich bei Laysans Rettung getan hatte.
„Willst du wirklich dein bisschen Kraft verschwenden? Mir soll es Recht sein. Mit der Energie werden wir problemlos fertig. Wir… Moment. Das ist mehr als vor zwei Tagen! Du Bastard hast noch Reserven! Doppelt so viel? Es geht noch weiter? Wo nimmst du diese Kraft her? Akira Otomo, wieso bist du so stark?“
„Weil ich es so will“, hauchte ich und entließ die angestaute Kraft auf einen Schlag.
Eine Welle an weißem Licht, identisch mit dem von mir entlassenen KI, brandete auf, flutete in alle Richtungen davon. Es erfasste den Königs-Daina, die Daina hinter mir, und jene die gerade aus der Festung kamen. Mein KI hüllte einen Radius von über fünfhundert Metern ein, bevor ein alles blendender Blitz das Sonnenlicht auslöschte.

Als ich wieder sehen konnte, schwebte ich über einem Krater. Er maß einen Kilometer im Radius und hatte eine Tiefe von fünfhundert Metern. Ich hatte mit meiner KI-Explosion Teile der Festung abgetragen, einen Großteil des zurückflutenden Heeres erwischt und den Königs-Daina mit seinen stärkeren Daina-Truppen. Und wie ich gehofft hatte, bot sich mir jetzt ein Eingang direkt in die Festung an.
„Akira… Bist das wirklich du?“, hauchte Makoto erschrocken über Funk.
„Nein, Mako. Ich bin nur ein Traum. Allerdings ein sehr mächtiger Traum.“
Ich ließ mich herab sinken, berührte den Kraterboden und ging langsam voran. Nun würde sich alles entscheiden. Wirklich alles entscheiden.
***
Die Struktur der Festung war die eines verschachtelten Bunkers. Viele kleine, isolierte Zellen, die lediglich durch Korridore miteinander verbunden waren. Größere Cluster der Zellen waren autark, die einzelne auf einen Generatorraum angewiesen. Aber dieser Aufbau in einem riesigen Volumen garantierte selbst bei Beschuss mit Kernwaffen, dass ein Teil der Bunkeranlagen überlebte.
Die Autonomie gestattete es sogar, eine Situation zu überleben, in denen der ganze Berg runterkam. Normale Menschen hätten die Zeit und die Mittel gehabt, sich selbst wieder auszugraben. Ich konnte nicht umhin, die Voraussicht der Daina zu bewundern.
Aber genau das machte mir nun das Leben schwer. Was war so falsch daran, einen riesigen Hohlraum zu verwenden, an dessen Innenwänden die Kryokammern aufgehängt waren? Warum sie auf Dutzende Bunkerzellen verteilen?
Und warum ein dezentralisiertes Computersystem mit regionalen Kernrechnern?
Was war aus dem guten alten Hauptrechner im Zentrum geworden? Kannten die Daina keine Klischees?
Mir blieb nichts anderes übrig, als mich durch zu kämpfen. Die verseuchten Daina leisteten Widerstand, bekämpften mich in den engen Verbindungskorridoren oder versuchten mit in den Zellen zu stellen, aber sie schafften nicht mehr als mich zu verlangsamen.
Allerdings raubte mir die Situation meine größte Kraft. Ich konnte meine Fähigkeiten nicht vollständig einsetzen, wenn das was ich suchte, erhalten bleiben sollte.
Meine bisherigen Fundstücke, rudimentäre Computerkerne, hatten nicht enthalten was ich suchte. Untereinander standen sie nur auf einem Sublevel in Verbindung, um Strom, Wasserversorgung und Atemluft zu koordinieren. Mit meinen beschränkten Fähigkeiten, Daina-Computer betreffend, war es mir nicht möglich, mich ins System zu hacken und auf diese Weise an das Wissen zu kommen, dass ich haben wollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als die einzelnen Kerne abzuklappern. Wenigstens war der Aufbau der Bunkeranlage streng geometrisch, sodass ich keinen Raum zweimal absuchte. Aber auch so war es eine Belastung. Ich musste kämpfen, ich musste suchen, und bereits zweimal hatten die Daina versucht, mir die Decke auf den Kopf zu werfen. Dabei nahmen sie auf nichts Rücksicht, nicht einmal auf die Kryotanks mit ihren nicht infizierten Artgenossen.
Der Funkkontakt zu meinen Freunden und den anderen Kämpfern war abgebrochen, seit ich in der Festung war. Aber sie würden ohnehin draußen die Hände voll zu tun haben und konnten mir schwerlich zu Hilfe eilen. Immerhin stand eine ganze Festung gegen sie, und ich war nicht da draußen, um ihnen zu helfen.
Mist, sie hätten mir vielleicht suchen helfen können, solange ich ihnen nicht erzählte, was ich eigentlich suchte.
„Was suchen wir eigentlich?“, klang hinter mir eine vertraute Stimme auf.
Ich wandte mich überrascht um. Ein Fuchs sprang auf mich zu und landete auf meiner Schulter. Bevor ich es versah, leckte er mir die Wange ab.
„L-lass das Kitsune, das kitzelt.“
„Ist dir das bei einem Fuchs unangenehm? Ich kann mich auch wieder in einen Menschen verwandeln, wenn dir das lieber ist.“
„Es wäre einen Versuch wert“, erwiderte ich schmunzelnd. „Aber nicht unbedingt jetzt. Ich muss…“
„Ich kann es mir denken. Du suchst die Aufzeichnungen der kryogenen Anlage, oder? Heißt das, du hast auch diese Traumwelt überwunden? Ich war dir diesmal keine große Hilfe, aber meine Fähigkeiten waren auch stark eingeschränkt.“
„Das macht nichts, ich bin alleine dahinter gekommen.“ Ich runzelte die Stirn. „Es war nicht sehr schwer.“
„Dafür hast du aber reichlich lange mitgespielt, Akira.“ Sie sprang von meiner Schulter herab und verwandelte sich in einen Menschen.
„Der Preis ist es wert.“
„Die Aufzeichnungen? Sind sie so wertvoll für dich?“
„Information ist Munition. Hat ein kluger Soldat mal gesagt, und auf kluge Soldaten sollte man hören, denn die sorgen dafür, dass sie nicht zu oft und zu viel kämpfen müssen.“
Kitsune blies sich eine Strähne ihres roten Ponys aus dem Gesicht. „Tadel ist angekommen. Also suchen wir die Zentrale. Aber verrate mir eines, Akira: Warum bewegst du dich wie ein besoffener Regenwurm durch einen Misthaufen?“
„Was?“, fragte ich bestürzt.
„Na ja, ich weiß nicht ob da ein System hinter steckt, aber von meiner Warte sieht es so aus, als würdest du willkürlich Ebenen wechseln, die Richtung ändern und ganze Sektionen auslassen. Korrigiere mich, wenn ich mich irre, aber hast du dich verlaufen?“
Für einen Moment hatte ich das Gefühl, als würde ein wirklich schwerer Felsbrocken mit der Aufschrift „Idiot“ auf meinen Kopf knallen. „Irre ich wirklich so ziellos umher?“
„Total ohne jede Orientierung“, tadelte Kitsune. „Folge mir einfach, wenn du ins Zentrum der Anlage willst.“
Ich seufzte zum Steinerweichen. Und ich hatte wirklich gedacht, die Daina hätten so verschachtelt gebaut. Andererseits, wenn Kitsune sich nicht zurecht fand, wer dann?
„Musst du eigentlich einen Mini tragen, wenn du vor mir herläufst?“, tadelte ich.
„Wieso? Steht er mir nicht?“
„Das ist es nicht. Aber wer kann sich denn da noch konzentrieren? Mach mich nicht dafür verantwortlich, wenn ich deine Unterwäsche sehe.“
„Oh“, meinte sie und lächelte mir zu. „Damit habe ich kein Problem.“
Ich verdrehte die Augen. Da war sie wieder, die unerschütterliche, grundehrliche und hundsgemeine Kitsune-chan.
„Ich trage nämlich gar keine, Aki-chan.“ Sie zwinkerte mir zu und begann zu rennen.
„D-dann lauf doch nicht so, Dummkopf!“ Kam es nur mir so vor, oder musste ich wirklich dicht hinter ihr bleiben? Damit wir nicht getrennt wurden, selbstverständlich.

„Es ist zu ruhig, Aki-chan“, hauchte sie plötzlich. Sie blieb stehen, und beinahe wäre ich in sie hinein gerannt. Das war gut so, denn ich hätte es in dieser Situation schwerlich zu schätzen gewusst.
Kitsune hatte Recht. Seit wir beide zusammengefunden hatten, waren wir noch nicht angegriffen worden. Das konnte nur bedeuten, dass uns weitere Hinterhalte erwarteten. Na Klasse.
„Okay, Kitsune-chan. Sag mir die Richtung, in der du den Zentralrechner vermutest.“
„Willst du etwa irgendeinen Unsinn anstellen, geboren aus Übereifer, zuviel Wagemut und deiner üblichen Waghalsigkeit?“
Ich grinste. „Selbstverständlich.“
Die Fuchsdämonin grinste nicht weniger breit als ich. „DAS ist mein Akira. Hier, diese Wand, leicht abwärts, gut zwei Ebenen und neun Zellen entfernt.“
„Danke, Kitsune-chan.“ Ich trat an die Wand heran, versuchte mir das Zentrum vorzustellen. Dann legte ich meine Rechte, zur Faust geballt, auf die Wand des Bunkers und konzentrierte mein KI in der Faust. „Falls die Decke auf uns herabkommt, geh rechtzeitig in Deckung, hast du verstanden, Kitsune?“
„Du brauchst nicht gleich so ernst zu werden“, erwiderte sie ärgerlich. „Ich habe lange genug gelebt um zu wissen, was ich tue.“
„Dein Wort in Dai-Kuzo-samas Ohr“, erwiderte ich, konzentrierte all meine Sinne, und drückte meine Faust ein wenig fester auf die Wand.
Es geschah nichts. Lediglich etwas Betonstaub rieselte von der Decke. Dann drang ein fernes Donnern an unsere Ohren, es kam näher, wurde lauter, wuchs an, der Staub von der Decke wurde dichter. Und schließlich zerriss es die Wand vor mir, sie zerstob in Abermillionen Fragmente. Ich ließ einen KI-Blast folgen – hauptsächlich deshalb, weil ich keinen Staub fressen wollte. Das klärte die Luft genug, um zu betrachten, was ich angerichtet hatte.
Ein unebener, mit Trümmern übersäter Tunnel war entstanden. „Zwei Etagen tiefer, neun Zellen entfernt, bitteschön, gnädige Frau.“
„Endlich mal Präzisionsarbeit“, flötete Kitsune und ging voran. „Man merkt, dass du deutsche Vorfahren hast, Akira.“
Ich lachte leise. Als wenn es daran gelegen hätte.

Während wir uns den Gang hinunter arbeiteten, tauchten an den Seiten immer wieder Aufrisse zu anderen Zellen auf. Die Daina hatten tatsächlich Hinterhalte gelegt. Aber diese waren teilweise von eingestürzten Decken begraben worden. Nicht, dass ich mich bei der Erkenntnis, in einem labilen künstlichen Höhlensystem herumzugeistern merklich besser fühlte. Um ehrlich zu sein bemerkte ich leichte klaustrophobische Tendenzen an mir, jedes Mal wenn mich wieder mal ein Stück Decke um ein paar Zentimeter verfehlte.
Aber immerhin, wir hatten unseren Weg.
Und er führte uns direkt ans Ziel.
„Da hast du ja was schönes angerichtet, Akira“, brummte Kitsune belustigt, und deutete auf die anderen Seite des gigantischen Doms, in dem wir uns befanden. Also doch! Es gab einen zentralen Hohlraum! Und an seiner Innenseite waren tausende, Zehntausende Kryokammern aufgehängt… Bis auf die eine Stelle, aus der wir gerade hervor kletterten und die andere, in die mein KI eingeschlagen war, nachdem es diesen Tunnel geschaffen hatte, aber nicht aufgezehrt gewesen war. Außerdem hatte der Angriff ein paar Dutzend Daina von den Beinen gerissen.
Kitsune deutete nach oben. „Da ist dein Zentralrechner. Die Bedienung ist nicht weiter schwer, die kennst du von der AO. Ein Passwort gibt es normalerweise nicht, da es kein Eindringling bis hierher schaffen sollte. Eigentlich.“
„Danke, Kitsune-chan. Es wird nicht lange dauern.“
„Ist in Ordnung, ist in Ordnung. Ich decke dir solange den Rücken, Aki-chan.“ Sie lächelte, aber es war ein fieses Lächeln. Mit langsamen und völlig uneleganten Schritten – sie ging wie ein Drill Sergeant und nicht wie das hübsche Mädchen, das sie eigentlich war – stapfte sie auf die ersten Daina zu. „Jetzt geht es rund!“
Nun, damit wurde es auch Zeit für mich. Ich stieß mich ab und schwebte zum Computer hoch. Er hatte fünf Terminals. Eines reichte mir.
Ein Daina sprang mich an, aber bevor er mich erreichen konnte, wischte ihn ein KI-Schlag aus der Luft und warf ihn gegen die nächste Wand, wo er zwei Tanks zerstörte und liegen blieb.
„Akira! Konzentriere dich auf die Daten! Ich mach den Rest, okay?“, rief Kitsune mir zu.
Dankbar nickte ich. Einen Augenblick später stand ich auf der kleinen Plattform mit dem Terminal. Dann war ich drin.

4.
Als ich die Augen auf den Monitor richtete, verschwand alles um mich herum in blendender Helligkeit. Einen weiteren Augenblick später stand ich wieder in dem weißen Raum.
Direkt neben mir stand Laysan und hielt meine Rechte umklammert.
Ich tätschelte ihm mit der Linken den Kopf. „Das hat Spaß gemacht, was, mein Kleiner?“
„Ja, war lustig. Aber ich hatte ganz schön Angst am Anfang. Sakura war nett. Sind das deine Freunde, Akira?“
„Das sind Abbilder meiner Freunde, entstanden aus meiner Erinnerung. Ich denke, du würdest dich bei mir Zuhause sehr wohl fühlen. Wollen wir eines Tages mal hin und die anderen besuchen?“
Die Augen den Jungen strahlten. „Oh ja, das würde ich gerne. Ich würde die alle so gerne richtig kennen lernen! Sakura und Yohko und Kitsune und Yoshi und Daisuke und…“ Erhielt inne um Luft zu holen.
Ich lachte. „Wir kriegen unsere Gelegenheit, mein Kleiner.“
„So, so“, erklang eine spöttische Frauenstimme vor mir, „du hast also auch diese Konstruktwelt erkannt. Wann?“
„Ich glaube, es war als… Irgendwann zwischen dem Turnier und Joans Anti-Pickel-Aktion. Weißt du, ich habe nicht genug Frust und Hass in mir, um die Rolle, die ich spielen sollte, wirklich auszufüllen.“
„Und dann hast du so lange damit gewartet, die Konfliktwelt aufzulösen? Warum?“
Ich lächelte und legte die Linke an meinen Hinterkopf. „Das hat doch Spaß gemacht. Ich meine, Hey, du wirst mich noch in ne Menge Konstruktwelten stecken, darum freue ich mich über jede, in der ich mich amüsieren kann. Und ja, das war witzig. Ich als Superheld, der die Straßen meiner Heimatstadt durchstreift, das hat doch was. Nur die Maske fand ich kitschig. Warum kein diffuser Nebel? Oder eine Samurai-Rüstung? Das hätte doch Stil gehabt.“
„Ich gebe zu, da ist es mit mir durchgegangen. Es war ein Hinweis an dich. Ein Hinweis, dass du in dieser Welt ein Schauspieler bist.“ Aris, Beherrscherin der Welt, senkte den Blick. „Du hast meinen Hinweis übersehen und auf ganz andere Indizien geachtet.“
Sie sah wieder auf und blickte mir direkt in die Augen. „Und? Hast du herausgefunden, was du wissen wolltest?“
Ich kniff meine Augen zusammen. „Du weißt, dass ich Informationen zusammengetragen habe?“
„Dein letzter Angriff. Er war zu wagemutig. Du hast alles auf eine Karte gesetzt, nicht?“
Ich nickte. „Ja. Ich merkte, dass die Konstruktwelt nicht mehr lange existieren würde. Alles ist ins Lot gekommen. Mein schlechter Ruf, mein Verhältnis zu meinen Freunden, die Existenz als Kuroi Akuma, der Streit mit Akane. Die Geschichte war kurz davor, zu Ende erzählt zu werden. Ich musste handeln.“
„Aber die Informationen, die du haben wolltest, hast du nicht erhalten, oder?“
„Nein. Du hast die Konstruktwelt zu früh aufgelöst. Ich konnte den wichtigsten Geheimnissen nicht auf die Spur kommen.“
Aris lächelte freundlich. „Erzähl es mir. Was hast du erfahren?“
„Dankenswerterweise hast du diese Welt mit Anspielungen nur so überhäuft. Mu, der verlorene Kontinent, die Dämonenwelt, die Dai, die Daina und der Exodus der Daima, dazu der Liberty-Virus. Ich hätte gerne mehr darüber erfahren. Zum Beispiel hätte es mich brennend interessiert, ob es diese kryogene Anlage auch in der Wirklichkeit gibt.“
„Interessant. Ich hätte den Liberty-Virus nicht in der Konstruktwelt einbauen sollen, in der du dich fünfundzwanzig Jahre zurückgezogen hattest. Aber du hast etwas gebraucht, um den Hinweis aufzunehmen.“
„Wie, etwas gebraucht? In der ersten Welt gab es den ersten Hinweis, in der zweiten ging ich der Sache auf den Grund.“
„Denkst du wirklich, du hast erst zwei Welten erlebt? Denkst du wirklich, ich lasse dir die Erinnerungen an alle Konstruktwelten? Weißt du überhaupt, wie lange du schon hier lebst, Akira?“
Ich lachte gehässig auf. „Ein guter Versuch, Aris. Ich wusste nicht, dass du so boshaft sein kannst. Aber du scheinst eines nicht zu wissen. Wenn ich nicht verrückt werden will, dann darf ich dir einfach nicht glauben. Selbst die Informationen, die ich aus deinen Konstruktwelten ziehe, muss ich in Zweifel ziehen, bis ich wieder in meinem Körper stecke und sie selbst prüfen kann.“
„Du denkst wirklich, du wirst jemals in deinen eigenen Körper zurückkehren, Akira?“ Besorgt sah sie mich an. „Aber warum? Du bist im Paradies! Warum sollte jemals ein Daina dieses Paradies verlassen wollen? Hier kannst du alles sein, alles erleben! Du bist am Puls des Kosmos, und… Oder ist das die Herausforderung für dich? Diese Welt zu verlassen, reizt es dich, weil du es erreichen willst?“
„Du hast mich ohne meinen Körper hier reinstecken lassen“, erwiderte ich. „Das ist ein Zustand, den ich nicht hinnehmen kann. Natürlich werde ich versuchen, wieder in meinen Körper zu gelangen. Und ich werde das auch. Daran habe ich nicht die geringste Zweifel.“
„Du willst mich verlassen? Du bist doch gerade erst gekommen.“ Enttäuscht sah sie mich an. „Gibt es denn nichts, was dich hier halten kann? Was ist, wenn ich dir mehr Wissen verspreche? Wissen über die Dai? Wissen über die Zivilisation, die vor fünfundzwanzigtausend Jahren diesen Sektor der Galaxis besiedelte? Wissen über den Core?“
„Mich würde interessieren, worauf die Cores gestoßen sind, seit sie von Iotan geflohen sind. Die Relikte der alten Hochkultur, sind sie identisch mit den Daina, den Daima oder den Dai?“
Aris lächelte mich an. Sie verschränkte beide Hände hinter dem Rücken und beugte sich leicht vor. „Nein, nein und nein.“
„Herrin!“ Neben Aris entstand Kiali, die Frau in dem schwarzen Kapuzenkleid. „Er ist noch immer ein Feind! Gebt ihm nicht zu viele Informationen.“
„Du befürchtest, dass er sie gegen uns verwenden kann, richtig?“, fragte sie traurig.
Die große Frau nickte langsam.
Aris seufzte. „Gut, gut, du hast die große Erfahrung, wenn es darum geht, gegen die Daina Krieg zu führen. Also muss ich dir da wohl vertrauen.“
Ihre Augen blitzten spöttisch auf. „Aber heißt das nicht, dass du Akira bereits zu schätzen gelernt hast? Respektierst du ihn so sehr, dass du ihm zutraust, aus dieser Situation einen Vorteil zu ziehen?“
Die steife Frau in schwarz räusperte sich vernehmlich. „Nun, meine langjährige Erfahrung sagt mir einfach, dass der Arogad sehr fähig ist. Ihn zu unterschätzen wäre ein sträflicher Leichtsinn. Und ich verbiete es dir, Herrin, ihn mit Wissen zu päppeln, das sich gegen uns wenden kann.“
„Och, aber das gehört doch zu meinem Plan“, erwiderte Aris mit zu einem Schmollmund verzogenen Lippen. Mit leichten Schritten kam sie auf mich zu und tippte mir mit der Rechten auf die Brust. „Wie sieht es aus, Akira, wollen wir nicht Verbündete werden?“
„Wo sind denn unsere gemeinsamen Berührungspunkte?“, erwiderte ich. „Auf der Erde habe ich hart gekämpft, damit ich stets tun konnte, was ich für richtig hielt. Ich hasse Kompromisse und dumme Befehle.“
„Das hasse ich auch. Aber das wird kein Problem sein, denn du wirst ja die Befehle geben. Was denkst du? Willst du mein oberster General sein? Willst du draußen im Universum einen Körper führen?“
„Einen Körper führen?“
„Mach dir keine Hoffnung. Du wirst ihn steuern, aber dein AO verbleibt im Paradies. Dennoch… Es wäre Bewegungsfreiheit.“
„Wem muss ich dafür meine Seele verkaufen?“
„Aber, aber“, tadelte sie mich. „Die gehört doch schon mir, und alles andere dazu. Hm, ich kann deine Hintergedanken sehen. Ich kann sie fühlen. Und ich schmecke sie.“
„Du schmeckst sie?“
Aris stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte mir einen Kuss auf. „Ich schmecke sie“, wiederholte sie amüsiert.
„Hey, Moment. Du wirst mir doch nicht etwa mit Haut und Haaren verfallen? Ich meine, es gibt eine Warteliste, und die ist beträchtlich lang“, wandte ich ein und hielt sie mit der Linken etwas auf Distanz.
„Oh, das ist kein Problem. Ich verfalle dir schon nicht. Und was die Warteliste betrifft, ein paar Jahrtausende, und die hat sich erledigt. Auf dich wartet die Ewigkeit im Paradies, Akira. Der Ort, der am besten zu dir passt.“
„Danke, aber ich hätte gerne die Realität. Ich muss Laysan zeigen, wie man mit Stäbchen umgeht.“
„Nicht das du eine Wahl hast“, fügte sie hinzu.
„Ich habe es befürchtet.“
Laysan zog an meiner Kleidung. „Akira, was ist wenn wir sie mitnehmen? Vielleicht will sie dein Haus auch mal sehen und deine Freunde kennen lernen. Vielleicht will sie ja einfach nur Spaß haben?“
„Spaß? Ich habe jeden Spaß, den ich haben will. Ich regiere das Paradies“, erwiderte sie irritiert.
„Spaß ist mehr als das. Spaß ist ein Gefühl der Leichtigkeit. In etwa so.“
Ich beugte mich vor und küsste die junge Frau meinerseits. Ich war mir sicher, einen Zungenkuss kannte sie noch nicht. Und auch wenn ich Zweifel hatte, dass diese Konstruktebene Körperlichkeit bei einem Wesen wie mir, das gerade nur als KI existierte, richtig umsetzen konnte, so spürte ich doch, wie Aris wegsackte.
Ich wollte zugreifen, sie vor dem Sturz bewahren, aber sie wehrte ab und kam mit wackligen Beinen wieder hoch. „Na warte“, sagte sie wütend. „Das sage ich alles Megumi!“
„Soviel zum Versuch herauszufinden, ob sie ein Mensch ist.“
„Ich glaube, du musst noch ein paar Manieren lernen! Niemand küsst die Herrin des Paradies ungefragt! NIEMAND!“ Betreten sah sie zur Seite. „Anders wäre es ja, wenn du mich vorher gefragt hättest.“
„Sie ist sehr menschlich“, murmelte ich mehr zu mir selbst.
„Dennoch, Strafe muss sein! Verschwinde vor meinen Augen, Akira Otomo!“
„Warte, warte, nun reagiere doch nicht gleich so böse! Wir können doch über alles reden! Und die Sache mit dem Körper klang wirklich interessant und…“
Gleißende Helligkeit löschte meine Umgebung aus. Und ich verlor den Griff um Laysans Hand.
„Eine neue Welt, geschaffen von einer wütenden Herrin des Paradieses der Daina und Daima“, murmelte ich. Hm, sie hatte nie erwähnt, dass sich auch Dai im Paradies aufhielten.

Epilog:
Nach etlichen Stunden, in denen ich mich auf dem harten Feldbett hin und her gewälzt hatte, war ich endlich in der Lage gewesen, ein wenig Schlaf zu finden.
Der Wecker hatte das letzte Mal drei Uhr morgens angezeigt, bevor ich eingenickt war. Als ich an der Schulter gerüttelt wurde und mein benommener Blick als erstes auf die Uhr fiel, zeigte sie halb fünf an. Mist, nicht mal zwei lächerliche Stunden Schlaf hatte ich bekommen.
„Mylord, Sie wollten geweckt werden.“
Ich wehrte Harris mit einer Hand ab und wischte mir mit der anderen über die Augen. „Hab schlecht geschlafen, Junge.“
Seine Stimme tat weh, so sehr troff sie vor Mitgefühl. „Ich kann das Stabsmeeting auf den Mittag verschieben. Eine wichtige Nachricht der Kaiserin, und alles…“
„Nein“, entschied ich. „Das heben wir uns für einen richtigen Notfall auf, okay?“
„Ja, Mylord.“
Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Total verkrustet. Hatte ich im Schlaf wieder geweint? Eigentlich musste gerade ich es besser wissen. Ich war lange genug dabei, um längst keine Tränen mehr zu haben.
Harris legte einen Packen Kleidung auf mein Feldbett. Dazu stellte er frisch geputzte Armeestiefel. Besorgt sah er mich an. „Mylord?“
„Es geht mir gut. Sag den Offizieren, ich komme gleich. Was macht das Turnier?“
„Es wird morgen wie geplant stattfinden. Die Franzosen haben vor zwei Stunden bestätigt.“
„Das sieht ihnen ähnlich. Seit fünf Tagen liegt ihnen die Herausforderung vor, und mitten in der Nacht sagen sie zu. Geh jetzt, Harris.“
„Ja, Mylord.“
Als der junge Offizier im Range eines Sho-sho das Zelt verlassen hatte, ging ich zum einzigen Spiegel im Raum. Dankenswerterweise hatte der Junge eine Schüssel heißes Wasser gebracht. Ich hatte mich dran gewöhnt, aber das waren Zustände wie im Mittelalter. Während die Soldaten und niederen Offiziere ihre Waschstuben hatten, musste ich mir so behelfen. Außer, ich wollte jeden Morgen einen der Duschwagen absperren lassen. Abends war das eher möglich. Deshalb hatte ich meine Gewohnheiten umgestellt.
Ein übernächtigter Akira Otomo mit Augen, die tief in den Höhlen saßen, blickte mich aus dem Spiegel an. „Guck nicht so, ich wasch dich trotzdem“, murmelte ich in einem Anflug von Humor. Dank der gründlichen Dusche am Vorabend beließ ich es dabei, mein Gesicht abzuwischen und über meinen Nacken zu gehen.
Danach zog ich die bereitliegende Uniform an. Sie saß wie eine eins. Bei maßgeschneiderten Uniformen durfte man das auch erwarten. Allerdings bewies es mir, dass ich weder dramatisch zu- noch abgenommen hatte. Was mich, ehrlich gesagt, sehr beruhigte.
„Mylord, der Stab ist zusammengetreten.“
„Danke, Harris. Ich komme.“ Gründlich und langsam schloss ich meine Uniformjacke. Ich strich ein paar Falten glatt, griff nach der Dienstmütze und betrachtete mich kurz im Spiegel. Auf den Schultern prangte das Abzeichen eines Tai-sa, und am Kragen hingen die Symbole eines Knights. Das diskrete Schildchen, das mich dem Adel zugehörig ausgewiesen hatte, hatte ich bereits an meinem ersten Tag in der Armee unauffällig entfernt. Respekt verdiente man sich nie durch die Leistungen anderer, immer nur durch die eigenen Taten.
Harris hielt die Plane für mich auf und ich trat in die frische Morgenluft des englischen Kanals hinaus. Es hatte geregnet. Das bewies, wir waren quasi halb in England. Ich hätte schief gelächelt, aber das erlaubte ich mir nur in einem engen Kreis Vertrauter. Stattdessen ließ ich den Jubel meiner Krieger über mich ergehen. Eine ganze Division mit Panzereinheiten, Infanterie, Luftkavallerie und Knights, fast viertausend Männer und Frauen des Kaiserreichs, jubelten mir zu. Eine beachtliche Leistung für die frühe Morgenstunde. Für mich, den ausgestoßenen Herzog, sowieso. Wütend über mich selbst ging ich in schnellem Schritt zum Stabszelt hinüber. Diesen Teil meiner Vergangenheit hatte ich ruhen lassen wollen. Was blieb war die Zukunft im Dienst der Kaiserin.

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Ace Kaiser,
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Anime Evolution: Nami
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Episode neun: Traum und Aufbruch

Prolog:
„Das ist nicht Ihr Ernst!“, blaffte Sakura Ino, ihres Zeichens jüngste Volladmirälin der Erde und vierthöchste Offizierin der United Earth Force.
Julian Gardio, derzeitiger Ratsvorsitzender der UEMF und damit direkt Bevollmächtigter über den gesamten Finanzhaushalt der riesigen Organisation, brummte ärgerlich.
„Nun tun Sie nicht so, als wäre ich hier der Böse! Der Plan ist Wahnsinn, und das wissen Sie! Für einen Mann ein so großes Risiko einzugehen ist…“
„Ich glaube, Sie verstehen hier nicht ganz, worum es wirklich geht!“, rief Admiral Ino wütend. „Dieser eine Mann ist vielleicht nur ein Mann, zusammengesetzt aus Materie für einen Wert von zwanzig Dollar, aber er hat für diese Welt tausendmal sein Leben riskiert, zweimal den Mars attackiert und einmal erobert! Er hat über dreihundert Mechas abgeschossen, ein anderes Sonnensystem erobert und ein Riesenreich, das unser direkter Nachbar ist, mit einem Husarenstück dazu gebracht, aus seiner Hand zu fressen! Denken Sie nicht, dass wir es ihm schulden, nach seiner Seele zu suchen?“
„Bringen Sie mich nicht in diese Zwickmühle. Ich kenne Division Commander Akira Otomo persönlich, und deshalb weiß ich, was er sagen würde: Sucht nicht blind nach mir, sondern wartet auf die Explosionen, die euch den Weg weisen.“
Sakura konnte ein Auflachen nicht unterdrücken. Ja, das klang nach ihm. Und wahrscheinlich hatte Gardio damit auch noch Recht.
„Außerdem hätte er ein wirkliches Problem damit, wenn vierzigtausend Menschen und Soldaten auf der Suche nach ihm ihre Leben riskieren“, schloss der Italiener seine Rede.
Sakura sackte in sich zusammen. Treffer.
„Ich will ihn doch auch finden“, wandte der Ratsvorsitzende abmildernd ein. „Ich weiß, wie viel wir ihm schulden. Also geben Sie uns doch bitte eine Chance, Admiral, ein paar Fregatten für Ferneinsätze auszurüsten, sprungfähig zu machen und nach ihm auf die Suche zu schicken. Geben Sie uns ein weiteres halbes Jahr, und wir können mit den besten Leuten beginnen, die wir haben.“
„Noch ein halbes Jahr? So lange hat es gedauert, bis die AURORA wieder einsatzbereit war!“, rief sie wütend. Resignierend winkte sie ab. „Vielleicht hängen wir wirklich bereits viel zu sehr hinterher, sodass es keinen Unterschied mehr für Akira macht, wie viel Zeit wir brauchen.“
Gardio sah mit traurigem Blick auf. „Vier Monate. Geben Sie uns vier Monate. Aber lassen Sie die AURORA da wo sie ist. Wir werden ihre Sprungfähigkeiten und ihre Kapazitäten bestimmt noch brauchen. Wenn nicht für uns, dann für die Naguad. Offiziell sind wir zwar ein Protektorat der Arogads und unangreifbar, aber wir sind damit auch Verpflichtungen eingegangen. Wenn das Militär der Naguad ruft, wenn die Anelph unsere Hilfe wünschen, müssen wir etwas haben, um darauf zu antworten. Die AURORA ist das mächtigste Raumfahrzeug in diesem Teil des Universums. Und Sie sind die Anführerin der erfahrensten Einheit, die wir haben. Bitte, lassen Sie uns das alles nicht vergeuden.“
Megumi Uno erhob sich, berührte Sakura sanft an der Schulter und trat vor den Rat der UEMF. „Richtig, Ladies und Gentlemen, ohne zwingenden Grund sollten wir diesen Vorteil nicht aufs Spiel setzen. Die Erde steht besser da als je zuvor, und solange es Yohko Otomo alias Jarah Arogad gibt, können wir nicht nur sicher sein, dass das Protektorat durch Haus Arogad weiterhin besteht sondern dass auch die Verträge mit den Daness eingehalten werden.“
Sakura blinzelte. Megumi war eine Daness. Warum wies sie nicht darauf hin?
„Und für Division Commander Otomo ist es irrelevant, ob er ein halbes Jahr oder ein halbes Jahrzehnt verschollen ist. Immerhin ist sein Körper bei uns und altert nicht, solange er im Biotank ruht.“
Julian Gardio zog die Augenbrauen hoch. „Worauf wollen Sie hinaus, Division Commander Uno?“
„Darauf, dass Ihr Vorschlag der Vernünftigste ist. So sollten wir es machen. Schicken wir kleine Kräfte aus, die nach Otomos Verbleib suchen. Und sobald diese eine Spur haben, senden wir stärkere Kräfte nach.
Diese Idee, aus der Verwandtschaft der Familie Arogad mit dem Kaiserreich Kapital und Information zu schlagen, war ohnehin sehr gewagt.“
„Es ist schön, dass Sie mir da zustimmen, Division General Uno“, sagte der Italiener zaghaft.
„Gut“, erwiderte Megumi und sah in die Runde. „Dann lassen Sie uns dieses kostenintensive und uninteressante Projekt kippen und gegen ein rationaleres, effektiveres Konzept austauschen.“
„Megumi!“
„Meister Daness! Was tun Sie?“
Lässig winkte die junge Frau ab. „Es geht hier um Rationalität, nicht um Emotionen. Der Rat kann und darf sich niemals durch Emotionen leiten lassen, richtig?“
„Schön, dass Sie das so sehen, Division Commander“, erwiderte Gardio.
„Gut. Dann macht Ihnen dies hier sicher nichts aus.“ Megumi drehte sich um und öffnete die Doppeltür zum Nebenraum. Dort trat sie an die Balkontür heran und öffnete sie. Kaum war das geschehen, klang ein Raunen in den Sitzungssaal, als würde eine Springflut in den Raum schwappen. Neugierig erhoben sich die Teilnehmer der Konferenz und folgen der jungen Frau.
Auf dem Balkon angekommen wurde jeder an die kleinen Sünden erinnert, die er oder sie auf dem Altar der Vernunft erbracht hatte.
Vor ihnen, auf einer normalen Straße, nicht einmal einem Platz, hatte sich dennoch eine riesige Menschenmenge versammelt. Das Gros machten Soldaten aus den größten Nationen aus, viele von ihnen Mars-Veteranen. Aber auch Kronosier und Anelph waren vertreten. Über den Häusern der Stadt flogen Mechas dahin, einige hatten das Kunstwerk geschafft, auf Häusern zu landen ohne sie kollabieren zu lassen.
Und allen war eines gemein: Sie skandierten.
„Was Sie hier sehen“, rief Megumi über den Lärm hinweg, „sind Einheiten aus allen großen Staaten der Erde und Dutzende aus kleinen Nationen – durchweg UEMF-Länder. Und wissen Sie, was sie rufen? Wissen Sie, was diese Menschen wollen?“
Gardio lauschte dem einen Begriff, der sich wiederholte, immer wiederholte und schwieg ergriffen. „Vielleicht müssen wir unsere Pläne umstellen“, gestand er ein. „Wir reden drinnen weiter, wo es ruhiger ist.“
Sie verließen den Balkon, und fünfhunderttausend Menschen, die der UEMF und den Hekatoncheiren direkt oder indirekt etwas schuldeten, hörten nicht auf diese beiden Worte zu skandieren: Blue Lightning.

1.
Die Welt, in der ich lebte, war nicht ideal. Sie war auch weit davon entfernt, annähernd ideal oder wenigstens einigermaßen ideal zu sein. Sie war laut, schmutzig, von Konflikten erschüttert und ständig am Abgrund der Selbstvernichtung. Das Übliche also.
Ich persönlich hatte keinen Anteil an der schmutzigen Seite der Welt. Im Gegenteil, im Namen der Kaiserin räumte ich die Spielzeuge der anderen auf.
Ich, der verstoßene Herzog, der Sohn des Verräters, der Bruder der Gegenkaiserin, der treueste Vasall meiner Kaiserin und ihr größtes Risiko. Akira von den Otomo.
***
Meine Offiziere empfingen mich mit Hochachtung im Blick. Wir dienten schon lange genug zusammen, um einander gut zu kennen, und jeder einzelne hatte die persönliche Entscheidung getroffen, unter mir, dem Verräter, zu dienen. Dies bedeutete für die meisten von ihnen, dass ihnen der Weg in die reguläre Armee versperrt blieb. Und da sich die Verluste meiner Division in Grenzen hielten, waren es auch die Aufstiegsmöglichkeiten durch den Tod der Vorgesetzten.
„Auf die Pest und blutige Kriege“, sollen sich englische Offiziere zugeprostet haben. Nur in solchen Zeiten starben ihre Vorgesetzten, höhere Ränge wurden frei und sie hatten nachrücken können. Nicht einmal das konnte ich meinen Offizieren bieten. Die Kaiserin hielt uns von den meisten Konflikten zurück.
„Mylord. Der Joust wird wie geplant stattfinden. Ihr Knight wird bereits von Kampfbereitschaft auf Turnierbewaffnung umgestellt.“ Julian Andrews, Oberstleutnant in meinem Regiment und mein Stellvertreter, schob mir über den Konferenztisch eine Liste zu. „Die Namen der Knights, die am Joust teilnehmen möchten, Mylord.“
Ich nahm die Liste entgegen und studierte sie. Praktisch jeder Knight-Pilot hatte sich eingetragen. Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Viel zu selten kamen meine Leute dazu, ihre Fähigkeiten aufzupolieren oder wenigstens zu zeigen. „Dein Name fehlt, Julian.“
Der groß gewachsene, goldblonde Mann schüttelte wehmütig den Kopf. „Mylord, wenigstens ein Knight-Pilot sollte Wache halten, während der Rest dieser vergnügungssüchtigen Bastarde mit den Franzosen spielt.“
Ich lächelte dünn. „Genehmigt. Aber dafür hält das nächste Mal ein anderer Wache.“
Ein leises raunen ging durch den Raum. Ich ahnte die Wahrheit, ohne dass sie ausgesprochen worden war. Beim letzten Joust hatte es Major Maria Utrecht erwischt, davor war es Hauptmann Kunz Krönig gewesen. Sie wechselten sich ab, und das bedeutete Teamarbeit. Ein beruhigender Gedanke für einen Anführer und Offizier.
„Was steht noch an, Herrschaften?“
Harris winkte herüber. „Mylord, wir werden wie immer Gerichtshof abhalten. Ich habe bereits eine Auswahl an Gerichtsverfahren getroffen, die mir auf den Missbrauch der Bürger durch den Adel hindeuten. Außerdem haben sich bereits zwanzig Bittsteller eingetragen, die dem Vertreter der Kaiserin ihr Anliegen vortragen wollen. Siebzehn Bürger und drei Männer von Adel.“
Ich seufzte tief und schwer. „Bitte, Carl, sorge dafür, dass die Adligen als erste drankommen, damit ich mich so schnell wie möglich um die wichtigen Themen kümmern kann.“
Major Harris nickte und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. Aber die verräterisch zuckenden Mundwinkel sagten mir genug.
„Gibt es sonst noch etwas wichtiges, bevor wir zum Tagesdienst übergehen können?“
„Es liegen zwei Depeschen vor. Einer von ihrer Majestät, der Kaiserin und eine von Eurer Schwester, Mylord.“
Ich seufzte tief. Kaiserin und Gegenkaiserin. Das versprach ein spannender Tag zu werden.
„Ich werde sie nachher einsehen. Kommen wir zur Einsatzbereitschaft des Regiments und…“
Wenigstens konnte ich mit Routineaufgaben das Unvermeidliche etwas aufschieben.
***
„Guten Morgen, geliebter Bruder.“ Die Lilienkaiserin lächelte auf mich herab, während die Kamera sich bemühte, ihre Schönheit so gut es ihr möglich war, einzufangen.
„Wenn du diese Botschaft erhältst, sind wir nahe daran, die Macht der Kaiserin in den Neuen Kolonien zu brechen und ihre Invasionstruppen in den Pazifik zurückzutreiben. Die Republik und die kaiserliche Instanz gebieten dann über den gesamten Nordkontinent. Dies wird für die Republik ein erster großer Schritt sein, um nie wieder unter die Fuchtel des Adels zu geraten.“
Ich schwieg bedrückt. Schwester, wie hattest du dich jemals ernsthaft derart instrumentalisieren lassen? Aushängeschild der Republik warst du nun, und solltest du tatsächlich die Kaiserin besiegen können, würde die Republik dich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.
„Ich biete dir hiermit in meinem Namen und dem des republikanischen Rates an, über mein irisches Protektorat mein Reich zu betreten und an meiner Seite zu kämpfen. Jetzt haben wir eine reelle Chance, und mit dir in unseren Streitkräften wird der Sieg schon sehr bald erfolgen. Bruder, ich vermisse dich. Bitte, nimm mein Angebot diesmal an.
Deine Schwester Yohko.“
Ich schwieg, frustriert, verärgert und vor allem verunsichert. Dann entkrampfte ich meine Hände. Ich würde antworten müssen. Verdammt, Yohko, warum hattest du dich für die Demokratie einspannen lassen? Warum hattest du nach Vater die Monarchie ebenfalls verraten müssen?

Ich wechselte den Datenträger. Die Kaiserin erschien.
Sie trug nur einen Morgenmantel, und ihr ansonsten kunstvoll frisiertes Haar fiel ihr in langen braunen Strähnen auf die Schultern. Ihre Augen wirkten erneut älter als sie es durften.
„Akira. Ich habe schlechte Neuigkeiten. Yohko ist es gelungen, unsere Brückenköpfe an der Westküste zu vernichten. Wir müssen uns mitten im Winter über Sibirien zurückziehen. Das ist ein schwerer Schlag für uns, und ich will wissen, wer dafür verantwortlich ist. Ich will, dass du nach Japan gehst, und die Operation untersuchst. Ich will einen Schuldigen, und ich will DEN Schuldigen, nicht ein armes Würstchen, das mir als Opferlamm zugeworfen wird.
Sobald du deinen Joust mit meinen französischen Untertanen und deinen Gerichtstag beendet hast, brichst du auf. Zu dem Zeitpunkt wird das Ostpazifikheer eingetroffen sein. General von Berger weiß noch nicht, dass ich eine Untersuchung angeordnet habe, und er wird sich nicht darüber freuen, dass ich meinen bissigsten Bluthund auf ihn gehetzt habe. Dennoch erwarte ich perfekte Arbeit von dir. Da drüben starben schon fünftausend meiner Soldaten, außerdem wurden ein paar tausend Zivilisten getötet, dreimal so viele verletzt und zehntausende obdachlos gemacht. Ich kann eine derartige Unfähigkeit nicht tolerieren.
Akira, du bist der einzige meiner wandernden Herzöge, der vor dem Adel keine Angst hat. Nur du kannst herausfinden, wieso ich eine ganze Division verloren habe. Von Soldaten, die darauf vertraut haben, dass sie für die richtige Sache kämpfen. Die darauf vertraut haben, dass ihre Offiziere in meinem Namen Befehle geben.“
Sie schwieg, und um ihre Lippen erschien ein verkniffener Zug. Ich kannte diese Mimik. Im Moment war die Kaiserin sauer, und diesen Ausdruck musste man bei ihr fürchten. Schon so mancher Adliger hatte auf schmerzhafte Weise erfahren müssen, dass Anastasia die Erste keinesfalls die willfährige Marionette einer schattenhaften Eminenz war, sondern trotz ihrer Jugend im eigenen Wissen und in eigenster Verantwortung regierte. Vater hatte sie sehr gut auf ihre Aufgabe vorbereitet. Bevor er sie verraten hatte.
„Finde das für mich heraus und finde heraus, wie schwer seine Schuld wiegt. Wenn der Kommandeur der Republikaner einfach besser war, lass ihn leben. Aber wenn es Unfähigkeit war, geboren aus der üblichen Überheblichkeit und Korruption, dann schleif ihn vor meinen Thron!“ Ihre Augen blitzten zornig. „An den Haaren, Akira.“
Das entlockte mir ein schmunzeln. Vor ihr waren alle Menschen gleich, wenn sie erst einmal vor ihrem Thron standen.
Ihre Miene wurde wehmütig. „Und… Akira… Ich erwarte immer noch eine Antwort auf mein Angebot. Musst du wirklich so lange darüber nachdenken, wenn ich dir die Ehe anbiete? Gibt es etwas, was du an mir hasst? Ich meine…
Entschuldige bitte, aber ich habe nicht viel geschlafen. Da wird man wohl etwas redselig. Erfülle deine Aufgabe und antworte mir, wann es dir am besten passt. Auf bald.“
Auch auf diese Botschaft würde ich antworten müssen. Und langsam würde ich mich nicht mehr vor einer Antwort auf ihre Frage drücken können.
Mit einem aufatmen schaltete ich ab. Einen General in die Ecke drängen war nicht weiter schwer. Auch wenn es ein adliger Halunke war. Das war eine Aufgabe recht nach meinem Herzen.
Der einzige Haken bei der Geschichte war, dass ich dabei Japan und damit Edo erschreckend nahe kam. Edo, eine der vier Residenzen der Kaiserin, war dann nur einen Katzensprung entfernt. Entweder konnte meine Kaiserin mir befehlen, an ihrem Hof zu erscheinen, oder sie konnte sich entschließen, mich aufzusuchen. In jedem Fall eine… unerfreuliche Entwicklung.

2.
Als sich die beiden Frauen musterten, geschah dies mit einer Mixtur aus nahezu sichtbaren Emotionen, die einen Geringen an die nächste Wand gedrückt hätte. Und dabei standen sich die zwei lediglich als Hologramme in einem speziell präparierten Raum irgendwo auf dem Anelph-Planeten Lovtose gegenüber.
Eine Frau stand in diesem Moment auf der Erde in ihrem Hologrammgenerator. Die andere benutzte den in ihren Arbeitsräumen im Turm der Logodoboro auf Nag Prime.
Beide waren einander sehr ähnlich, hatten helle Haut, langes schwarzes Haar und schmale Gesichter. Aber die eine hatte stahlgraue Augen, die andere bernsteinrote.
Endlich ergriff jene mit den stahlgrauen Augen das Wort. „Hallo, Eidbrecher.“
„Hallo, Tyrann“, erwiderte die Frau mit den roten Augen.
Dann schmunzelten beide und traten so weit aufeinander zu, wie es die Hologrammprojektion zuließ.
Die dritte Person im Raum, die als Beobachterin anwesend war, der einzige Grund, warum sich die beiden ihre Projektionen nicht direkt schickten, war ebenfalls nur als Hologramm anwesend. Sie spürte wohl die Macht und die Spannung zwischen den beiden Frauen, aber ihre in vielen Jahrzehnten gereifte innere Ruhe konnte nicht so schnell erschüttert werden. Nie mehr.
„Dir scheint es gut zu gehen, Kleines“, sagte die mit den stahlgrauen Augen schließlich.
„Und du, Oma, siehst immer noch so gut aus wie am ersten Tag“, erwiderte die andere.
So ging es einige Zeit hin und her, die beiden stritten nicht wirklich, aber sie klopften einander verbal ab, machten kleine Scherze, stichelten ein wenig und wirkten mehr wie junge, rivalisierende Mädchen und nicht wie zwei uralte Frauen mit unendlicher Erfahrung.
Endlich bewegte sich die dritte Frau im Raum und trat vor. „Wir sollten beginnen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis diese illegale Leitung entdeckt wird.“
Die Frau mit den eisgrauen Augen nickte zustimmen. „Natürlich, Eridia Arogad. Nun, Agrial Logodoboro, beginnen wir mit unserer Verhandlung.“
„Natürlich, Meister Kuzo.“
***
Der Joust war phantastisch. Die Arena der Normannen maß zwei Kilometer im Rund und bot achtzigtausend Menschen bequem Platz und erlaubte es acht Knights gleichzeitig zu kämpfen. Dieses Land hatte eine lange Ritter-Tradition, und dies spielte sich vor allem in ihren Stadien wider. Fast jedes Stadion war in der Lage, einen Joust abzuhalten, die Kämpfe der zwölf Meter hohen und vierzig Tonnen schweren Knights zu überstehen und zugleich nicht einen Funken Gefahr für die Zuschauer zu zulassen.
Die Franzosen hielten sich tapfer. Ihre besten Leute, so sie denn neben den Kämpfen in Afrika Zeit fanden an einem Joust teilzunehmen, hatten sich uns gestellt, und für Republikaner waren sie wirklich nicht schlecht. Unsere Verbündeten lieferten uns spannende Kämpfe, denen es an nichts mangelte. Nun, vielleicht an Siegen, denn neunzehn Kämpfe hatten meine Knights gewonnen, drei verloren. Und wir waren erst am Mittag.
„Ein guter Joust, Mylord“, sagte Catherine Deveraux hinter vorgehaltener Hand.
Die Frau in der Mitte ihrer besten Jahre war die Regionskommandeurin im Generalsrang, und dementsprechend verantwortlich für zweihunderttausend Mann unter Waffen. Außerdem fungierte die als Querschießerin bekannte Frau als Gastgeberin des Tages.
Quertreiber und Besserwisser – ich mochte sie auf Anhieb.
„Es ist eine gute Lektion für beide Seiten, Mylord General“, erwiderte ich mit der traditionellen Anrede für einen nichtadligen Stabsoffizier, was bei den Franzosen, die auf ihre republikanische Tradition sehr stolz waren, eigentlich nicht gebräuchlich war.
„Nicht doch. Sie schmeicheln mir, meinen Truppen und den anderen französischen Knights im Feld, Mylord.“ In einer verlegenen Geste schlug sie die Augen nieder. Dazu zierte eine gewisse Röte die Wangen der zierlichen, schwarzhaarigen Frau.
Hm, flirtete sie etwa mit mir? Nicht, dass ich was gegen Frauen knapp unter der vierzig hatte. Aber war sie sich des Risikos bewusst, das sie damit einging? Wenngleich ich ein fahrender Herzog war, und damit nur der Kaiserin gehorchen musste, so haftete doch der Geruch des Verrats an mir. Sich mehr als dienstlich mit mir einzulassen, und sei es nur auf freundschaftlicher Ebene, konnte für ihre weitere Karriere sehr hinderlich werden.
Aber wenn ich sie mir so ansah, dann wusste ich, dass ihr die Verteidigung gegen Irland wichtig war, nicht wie weit sie noch aufsteigen konnte. Das gefiel mir wirklich.
„Ehre wem Ehre gebührt. Meine Knights sind erfahrene Frontsoldaten aus aller Herren Länder. Es ist keiner unter ihnen, der nicht mindestens einen Knight in seinem Leben abgeschossen hat. Ihre Leute hingegen müssen den ereignislosen und frustrierenden Wachdienst ertragen, und wenn wirklich mal etwas passiert, hagelt es auch noch Vorwürfe, weil man angeblich in der Wachsamkeit nachgelassen hat.
Es sind ein paar Veteranen aus Nordafrika anwesend, aber sie sind nicht unbedingt besser als Ihre Leute, Mylord General.“
„Mylord Akira, Sie schmeicheln mir und meinen Leuten ja erneut“, strafte sie mich ab, aber ihr Lächeln bewies, dass sie nicht wirklich böse mit mir war.
Gerade machte Major Utrecht mit ihrem Gegner kurzen Prozess. Ihr Knight vom Typ Panther, der auf den klangvollen Namen „Lauernder Tod“ hörte, traf den gegnerischen Sturmtiger mittig auf der Brust und schleuderte die Maschine samt Piloten an die fünf Meter starke Stahlbetonwand der Arena.
Die Menge tobte und sprang von den Sitzen auf. Gut zu wissen, dass es ein toben aus lauter Begeisterung war, und nicht etwa eines aus Frust, da hier gerade ein Franzose besiegt worden war.
Major Utrecht reckte die rechte Faust des Knights siegreich in die Höhe und salutierte dann in meine Richtung, was ich mit einem deutlichen und huldvollen Nicken beantwortete. Für diesen grandiosen Sieg wollte ich sie reich belohnen.
Als nächster stand Carl Harris auf der Liste. Er würde einen Onager in die Schlacht führen, einen Artillerie-Knight, der nach den alten Wurfkatapulten der Römer benannt worden war.
Um die Chancen in diesem Duell einigermaßen fair zu halten – immerhin hatte das Los ihm einen leichten Späher vom Typ Luchs zugespielt – waren zwei der vier Rohre des Onagers mit dem klangvollen Namen Geisterkrieger versiegelt worden.
Der junge Mann war seit wie vielen Jahren mein Adjutant? Ich konnte es nicht sagen. Aber ich wusste, dass ich vieles besser ertragen hatte, weil er an meiner Seite war, die treue Seele. Ihn zu verlieren wäre ebenso schlimm für mich gewesen, wie meine Schwester zu verlieren, oder meine Kaiserin. Oder meine Eltern, die noch immer in Burg Edo unter Hausarrest standen, seit mein Vater den unheilvollen Schritt zum Verrat getan hatte.
Als sich Maria Utrechts Lauernder Tod und Harris´ stolzierender Geisterkrieger in der Pforte zu den Katakomben entgegen kamen, schlugen sie einander mit den voll modellierten Händen der Knights ab. Ich lächelte dünn dabei. Einen jungen Knight hätte ich für derart kindisches Verhalten natürlich so sehr abgestraft, dass er seine Nase noch Tage danach kaum eine Handbreit über dem Boden wieder fand, aber diese kampferprobten, in tausend Feuern gehärteten Veteranen konnten und durften sich eine ganze Menge mehr erlauben.
Hauptmann Harris salutierte in meine Richtung, dann für die Generälin und wandte sich anschließend seinem Gegner zu.
„Auch eure Knights sind mehr als respektvoll zu meinen Truppen“, murmelte Deveraux mehr zu sich selbst als zu mir.
Unter uns, in der Tiefe, entbrannte ein schneller und erschreckender Kampf, als Harris alles über Bord warf, was als Kampfdoktrin für den Onager galt. Er griff im Sturm an und brachte seine Masse zum tragen. Nach wenigen Sekunden präsentierte er sich als Sieger durch Aufgabe des Gegners. Er war kurz davor gewesen, die leichtere Maschine regelrecht zu zerquetschen, und hätte der französische Knight-Pilot nicht aufgegeben, dann hätte ich den Sieg meines Knights befohlen, um das Leben des Franzosen zu retten. Natürlich wäre ich damit General Deveraux zuvorzukommen, um sie vor dem Gesichtsverlust zu bewahren, einen ihrer Knights zur Aufgabe befohlen zu haben.
„Ihr seid zu gütig, Mylord. Aber es wäre meine Aufgabe gewesen, meinem Knight das Leben zu retten“, tadelte sie mich.
„Ich habe keinen Ruf mehr zu verlieren“, wies ich die Frau meinerseits zurecht.
„Mylord!“ Ihre Stimme klang entrüstet.
Harris trat mit Geisterkrieger vor unsere Empore und schlug mit lautem Knall die Knightfaust vor die linke Brust. Ich nahm die Ehrenbezeugung mit einem kaum merklichen Nicken entgegen. Danach verbeugte sich Geisterkrieger vor der Generälin, was diese mit einem militärischen Salut erwiderte.
Als Geisterkrieger das Stadion verließ und der beschädigte Luchs abtransportiert worden war, riefen die Fanfaren des Stadions zur Mittagspause. Achtzigtausend Menschen würden nun ihre Plätze verlassen und zu den Zelten und dem Jahrmarkt vor dem Stadion eilen, der auf den umgebenden Wiesen aufgebaut worden war – und das bei bestem Wetter in herrlicher Vorfrühlingsluft. Wir hatten wirklich Glück mit unseren Joust.
Ich erhob mich und bot der Frau neben mir die Hand zum aufstehen. „Mylord General.“
Dankbar ergriff sie die Hand und ließ sich von mir auf die Beine ziehen. Danach bot ich ihr meinen Unterarm an, wie es am Hofe ihrer kaiserlichen Majestät üblich war, und mit einem dünnen Lächeln, aber erfreut blitzenden Augen, weil ich sie mehr wie eine Frau als eine Offizierin behandelte, legte sie ihren linken Unterarm auf meinen.
So schritten wir aus der Loge hinaus und Dutzende Menschen folgten uns.

Auf dem Festplatz wimmelte es von Leben, denn zusätzlich zu den achtzigtausend Menschen, die das Glück gehabt hatten, eine Karte für das Stadion der Normannen zu bekommen, gab es auch noch gute zweihunderttausend Menschen, die auf die großen Leinwände gesehen hatten, welche rund um das Stadion aufgebaut worden waren.
Public Viewing nannte man das, und ich fand es netter, als den Tag und den Joust zuhause vor dem Bildrundfunkempfänger zu verbringen.
Ich führte die Generalin zu meinem persönlichen Zelt; Ordonnanzen und die jüngeren Offiziere hatten derweil das Essen für einen kleinen Empfang vorbereitet. Die Plätze waren wohlweislich limitiert, und die Kontrollen sehr streng. Auch wenn ich der Verrätersohn war, so wussten doch alle, dass ich das Ohr der Kaiserin besaß, und das war es wert, selbst ein wenig in Verruf zu geraten.
Selbstverständlich war ich für diese Speichelleckerei nicht empfänglich. Also hatte ich zu diesem Empfang lieber die lokalen Größen eingeladen, dazu selbstverständlich jeden einzelnen Knight, der an diesem Tag angetreten war oder noch antreten würde – die Mannschaften des Wartungspersonals obendrein, wenn sie es denn noch zu einer Dusche und in eine saubere Ausgehuniform geschafft hatten.
Das trug mir den Verdruss der Offiziellen ein, sicherlich, aber ich war ja nicht hier, um mir Freunde zu machen. Im Gegenteil. Am nächsten Tage schon würde ich Gericht halten, und etliche Offizielle von ihren Posten entfernen, um der hier wie überall wuchernden Korruption entgegen zu treten.
Ein französischer Offizier im Hauptmannsrang und mit der Jacke der Ordonnanzen bekleidet, servierte uns Champagner und bat sodann mich und die Admirälin nach unseren Wünschen vom Buffet. Für ihn schien es undenkbar, dass wir uns selbst bedienen wollten wie die einfachen Offiziere und Knight-Piloten. Aber zu einem Gang zum Essen und zu einem oder zwei ordentlichen Schwatzern war später noch Zeit.
Zuerst einmal trat ich mit der Generälin an der Seite vor die Versammelten.
Ich hob mein Glas, und sofort wurde es leiser, bis auch der letzte Redende verstanden hatte, dass der Herzog etwas sagen sollte.
„Meine Damen und Herren, trinken wir auf die Kaiserin, zu deren Ehren wir dieses Turnier veranstalten.“
„Auf die Kaiserin!“, hallte es mit hundertfach entgegen.
Ich trank einen kurzen Schluck aus meinem Glas und hob es dann erneut. „Und trinken wir auch auf dieses wundervolle Land, unseren treuen Verbündeten, unser sicheres Standbein, Geburtsort so vieler tapferer Knights und sicherlich Geburtsort vieler weiterer tapferer Helden. Auf Frankreich!“
„Auf Frankreich!“, wurde zurückgerufen, und es klang noch ein wenig enthusiastischer als der Toast auf die Kaiserin. Was verständlich war, denn die Franzosen waren und blieben zutiefst in ihren Herzen republikanisch. Etwas, was ihr Adel in mehreren Bürgerkriegen hatte lernen müssen.
„Und lassen sie uns auch auf Akira von den Otomo und seine tapfere Division trinken, die gerade mit unseren besten Leuten den Boden aufwischt“, fügte die Generalin hinzu.
Leises, zustimmendes Gelächter, vor allem von den Knights, antwortete ihr. „Auf den Herzog und seine Mannen.“
„Auf den Herzog und seine Mannen!“
Ich nahm den Trinkspruch freundlich und mit einem Nicken entgegen. Er hatte nicht so sehr etwas von der üblichen Speichelleckerei, mit der man mich sonst bedachte, ich empfand ihn im Gegenteil als ehrlich und erfrischend.
„Wer sich in Gefahr begibt kommt darin um, dass wisst Ihr doch, Mylord General?“, tadelte ich die Französin schmunzelnd.
„Und wer mit dem Hintern immer zuhause hockt, wird runzlig und fett“, konterte sie. „Außerdem lebe ich ohnehin schon gefährlich genug, mit den Iren im Gesicht und den Deutschen im Nacken.“
Ich lächelte zustimmend. Dankbar nahm ich dem Hauptmann – oder Capitain – meinen Teller ab, der bis zum Rand mit Fingersnacks gefüllt war. Man meinte es anscheinend gut mit mir. Oder man wollte mich verfressen aussehen lassen.
Deveraux hatte einen weniger gefüllten Teller erhalten, allerdings mit allerlei erlesenen Leckereien.
Diese fand ich auch auf meinem Teller wieder, ordentlich verstärkt durch die eine oder andere Spezialität.
„Versucht die Austern, Mylord“, riet die Frau mir. „Ich habe sie heute Morgen aus der Bretagne einfliegen lassen. Selbstverständlich habe ich dafür Sorge getragen, dass auf Eurem Teller die größten liegen. Ein weiteres Dutzend liegt mindestens noch parat, falls sie Euch schmecken.“ Sie sah meinen unsicheren Blick und lächelte. Mit einem niedlichen Pardon nahm sie eine Austernschale vom Teller und trank sie zu meinem Entsetzen und einem leichten Schlürfen aus.
Nun, jetzt wusste ich zumindest, wie man Austern aß. Aber ob sie mir schmeckten stand auf einem anderen Blatt. Gehorsam und unter dem strengen Blick meiner Lehrmeisterin trank – oder aß – ich die Erste und fand es nicht schlecht, gerade mit dem Hauch Zitrone.
Danach kostete ich mich durch die anderen Leckereien, die durchweg entweder mit teurem Champagner oder noch teurerem Trüffelpilz zubereitet zu sein schienen.
Schließlich entdeckte ich in all den kleinen Kunstwerken auf meinem Teller etwas einfaches, eine grobkörnige schwarze Paste auf dem berühmten französischen Weißbrot – nur um mich von Deveraux belehren zu lassen, dass ich gerade Stör-Rogen aß, besser bekannt unter seinem Namen Kaviar, unter dem er Weltruhm erlangt hatte.
„Ich wünschte mir, ich hätte nur etwas Baguette auf dem Teller“, meinte ich schließlich verdrossen.
„Aber, aber, Mylord, nun lasst mich Euch doch ein wenig verwöhnen.“ Das sagte sie mit einem beinahe schüchtern zu nennenden Lächeln, was mich noch mehr für diese Frau einnahm.

Es folgte eine lange Abfolge von paradieren, mir wurden viele der Knights und Offiziere vorgestellt, und selbstverständlich auch die Offiziellen der nahen Stadt Caen, der das Stadion der Normannen gehörte und die es unterhielt. Der Bürgermeister Malaincourt, sein Stellvertreter, der ironischerweise auf den Nachnamen Krüger hörte, die Ratsherren und einige hochrangige Veteranen im Ruhestand, von denen nicht wenige unter dem Befehl meines Vaters gekämpft hatten. Was mich ehrlich gesagt erstaunte, denn von einem französischen Kontingent in seiner reisenden Division hatte ich bisher nichts gehört, als er selbst noch wandernder Herzog war – vor seiner Zeit als oberster Berater der Kaiserin. Vor seiner Zeit als Verräter, der ihre Majestät gefangen gesetzt, Edo besetzt und die Republik ausgerufen hatte, nur um all das dem ersten erscheinenden General auf das Ehrenwort hin seine Offiziere und Mannschaften straffrei ausgehen zu lassen sofort zu übergeben.
Erst Jahre später hatte ich verstanden, dass Vater keinen Verrat begangen hatte, sondern der Kaiserin die wichtigste und letzte Lektion ihrer Ausbildung erteilt hatte.
Der bezeichnende General, Ariel Moore von den Freiwilligen Black Watch ihrer Majestät der britischen Königin, unterstellt der Kaiserin, hatte nämlich vorgehabt, trotz Ehrenwort die Offiziere und Mannschaften der meuternden Truppen zu dezimieren. Eine alte Sitte des noch älteren Roms, das seine unruhigen Truppen, von den Meuterern bis zu den Feiglingen stets auf die gleiche Weise diszipliniert hatte.
Aus der angetretenen Truppe wurde jeder Zehnte herausgenommen und hingerichtet. Dies wurde so lange getan, bis die Einheit wieder gehorchte, oder bis sie als Kampftruppe ausgelöscht war.
Die Kaiserin aber hatte es ihm mit Erinnerung an ihr Ehrenwort verboten und die Meuterer mit allen Ehren und Ämtern wieder in Dienst gestellt. Danach wurden sie mir unterstellt, einem Frischling, der noch auf der Schule war und nie mit auch nur einem Gedanken daran gedacht hatte, Soldat zu werden. Plötzlich hatte ich die Leute meines Vaters unter mir – später dann ihre Kinder. Und ich hatte seinen Titel, seine Ländereien und sein Amt als wandernder Herzog inne.
Gott, manchmal wünschte ich mich zu diesen einfachen Zeiten zurück als alles so klar gewesen war. Als mein einziger Verbündeter Anastasia gewesen war.
Bevor die Lage noch schlimmer geworden war, weil meine Schwester ins Exil gegangen war, um eine Armee aufzustellen. Warum wusste der Teufel. Aber die Republikaner hatten begeistert eingeschlagen und sie als Gegenkaiserin etabliert.
Zu ihrem Pech aber hatte es meine Schwester mit ihrer Ausbildung und ihrem Charme geschafft, dieses luftleere Gebilde mit Leben zu füllen und tatsächlich das Oberhaupt der Vereinten Republiken zu werden. Und sie war jederzeit nur einen einzigen Schritt davon entfernt, auch die politische Macht an sich zu reißen. Aber noch tat sie es nicht.
Das hatte alles für mich schlimmer gemacht, denn fortan galt meine Division als die nächste, die desertieren würde, um an die Seite meiner Schwester zu eilen.
Mordanschläge hatte es auf mich gegeben, offene wie versteckte, die Hinrichtung meiner Eltern war gefordert worden, wieder und wieder.
Und jederzeit musste ich damit rechnen, dass man erneut versuchte, mir einen Dolch in den Rücken zu stoßen.
Von all dem war ich aber gerade so weit entfernt wie ich nur sein konnte, solange ich die Veteranen und die Offiziellen von Caen vor mir paradieren sah, Hände schüttelte und einige Worte wechselte.
Danach fühlte ich mich wohler, auch wenn die Mittagspause dadurch für mich erheblich verkürzt worden war.
Deveraux deutete meinen Gesichtsausdruck richtig und bestellte den Capitain wieder ein, damit er mir einen Kaffee brachte.

Dankbar nahm ich das heiße Getränk entgegen.
„Verzeiht, Mylord, aber es gibt da eine Frage, die sich mir wieder und wieder aufdrängt. Darf ich sie stellen?“
„Verstößt sie gegen die Disziplin, die allgemeine Sicherheit, oder ist es gar Hochverrat?“
„Nein, Sir.“
„Dann, um Himmels Willen, stellen Sie Ihre Frage, Mylord General.“
Catherine Deveraux lächelte für einen Moment. Dann holte sie tief Luft. Ein deutliches Anzeichen dafür, wie wichtig die Frage für sie war. „Mylord, ich habe gehört, ihre kaiserliche Majestät hat Euch einen Heiratsantrag gemacht.“
Ich nickte bestätigend, während einige meiner Offiziere, die möglichst unauffällig um uns herum standen, stumm zu grinsen begannen.
„Das ist richtig, Mylord General.“
„Warum nehmt Ihr den Heiratsantrag nicht an? Es würde doch vieles leichter für Euch werden, Mylord.“
Ich schmunzelte. „Nun, Mylord General, vielleicht kann ich das Dilemma in dem ich stecke, am besten durch ein Beispiel erläutern.
Ah, Maria, meine Beste, komm doch einen Moment zu uns“, sagte ich mit lächelnden Augen zu Major Utrecht.
Die Offizierin löste sich aus der uns umstehenden Menge, als hätte sie jemand plötzlich herbei gezaubert. „Mylord?“
„Hast du die Frage von Mylord General gehört, Maria?“
Die junge Frau nickte knapp und verkniff sich ein Lächeln.
„Nun, dann sei so gut und spiele einen Moment lang die Gräfin zu Bombay für mich.“ Ich sah Deveraux grinsend an und fügte hinzu: „Ihre Gnaden, die Gräfin von Bombay, ist eine besonders ernste und streitbare Verfechterin der Tradition. Genauer gesagt, sie ist sehr mächtig und hat viel Einfluss unter den Konservativen und eine genaue Vorstellung davon, wie es am wandernden Hofe ihrer Majestät zugehen sollte. Zudem ist sie eine alte Soldatin, die man durchaus ernst zu nehmen hat. Fertig, Maria?“
„Fertig, Mylord.“
„Nun gut. Beste Rosamunde, ich komme, um Euch mitzuteilen, dass ich dem Werben ihrer Majestät, der Kaiserin, nachgeben werde.“
Mit Maria Utrecht ging eine erschreckende Verwandlung vor. War sie zuvor ein bescheidenes, dunkelblondes Persönchen mit frechen Augen gewesen, schien sie nun vor den Augen aller zu wachsen. Arroganz trat in ihren Blick und sie schien auf mich herab zu sehen, obwohl ich größer war als sie.
„So? Ihr wagt es, Verrätersohn? Dann gebietet es mir meine Ehre, Euch sofort des Hochverrats anzuklagen! Wenn mir das nicht gelingt, werde ich meine Garde sammeln und Euch vernichten, wo ich Euch treffe!“
Ich machte ein unsicheres Gesicht und wich einen Schritt zurück. „Gnade, meine Beste, Gnade. Dann lehne ich das Werben ihre Majestät eben ab!“
Nun blitzten ihre Augen vor Zorn nur so auf. Wütend hob sie den Kopf und pures Gift schien sich über mich ergießen zu wollen. „Was? Wie könnt Ihr es wagen, Ihr, ein kleiner Herzog, der nur durch die Gnade ihrer Majestät, der Kaiserin, hier überhaupt stehen kann, der ihr alles zu verdanken hat, wie könnt Ihr so unverschämt sein und so tun, als hätten Ihr überhaupt das Recht, einen Wunsch ihrer Majestät, der Kaiserin, abzuwehren? Wenn Ihr das tut, seid Ihr in meinen Augen nicht mehr als Gewürm zu meinen Füßen, und Gewürm zertritt man. Seid gewiss, dass ich ein Heer aushebe und Euch für diese Beleidigung töten werde. Euren Kopf werde ich abschlagen und ihrer Majestät, der Kaiserin, als Geschenk darbieten.“
„Genug, genug, Maria“, sagte ich hastig, und aus der Zornversprühenden Furie wurde wieder meine liebe, sanfte Offizierin und Bataillonsführerin.
„War es in Ordnung so?“, fragte sie und lächelte freundlich.
„Es war perfekt. Aber ich denke, in Osaka war die Vorstellung besser“, neckte ich sie.
„Man kann nicht alles haben“, erwiderte sie, und in diesen Worten lagen tausende Anspielungen und ein Versprechen.
„Seht Ihr nun mein Dilemma, Mylord General?“
„Sehr, sehr deutlich, Mylord. Erlaubt mir, dass ich an Eurer Stelle zutiefst verstört bin.“ Sie hob die Augenbrauen. „Adel.“
In diesem einen Wort hatte sie alles zusammengefasst, was sie zu diesem Thema zu sagen hatte, und mit einem Lachen stimmte ich ihr zu.
Da erschollen wieder die Trompeten und verkündeten das Ende der Pause.
Zu gerne hätte ich mich selbst mit meinem Knight in den Joust geworfen, aber es hatte sich kein Gegner gefunden, der bereit war, ausgerechnet gegen Akira von den Otomo zu jousten. Wie bedauerlich.
***
Der folgende Tag war Gerichtstag. Catherine Deveraux war meine Beisitzerin zur Linken, seine Ehren, der Bürgermeister von Caen, Monsieur Malaincourt Beisitzer zur Rechten, die mit mir Gericht halten würden, während mein Stab Ermittlungen vornahm, Beweise aufarbeitete und mir zutrug.
Die ersten Fälle wurden von Adligen vorgetragen, die in diesem Land noch immer einiges Gewicht hatten und sich von mir Hilfe bei ihren Anliegen erhofften.
Einem gab ich wirklich Statt, weil der Marquis, der ihn vorbrachte, wirklich bei seinem Streit mit den Küstenstädten im Recht war.
Die anderen schmetterte ich ab und befahl sogar die Enteignung und die Fortnahme des Titels bei einem Baron, der sich zu offensichtlich der Korruption schuldig gemacht hatte, und von mir, ausgerechnet von mir, Absolution dazu erhofft hatte. Wie idiotisch.
Danach kamen die Bürger an die Reihe, und bis zum Mittag hatte ich ein Dutzend Fälle zur Zufriedenheit der meisten Beteiligten abgearbeitet.
Ein mysteriöser Mord kam mir dazwischen, und ich befahl die Exhumierung der Leiche auf der Stelle, weil auch mir die Ungereimtheiten bei der polizeilichen Ermittlung aufgefallen waren. Tatsächlich hatte Harris mich mit einer Fußnote in der Akte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Witwe gegenüber vieles vertuscht worden war und auch die Todesursache im Unklaren lag. Pikant wurde die Sache, weil der Tote Polizeileutnant gewesen war, der bei der Grenzwache gedient hatte.
Ich hätte lachen mögen, als ich der Witwe eine Stunde später, zwischen zwei anderen Terminen, in einem Gespräch unter vier Augen erklärte, dass sie Recht gehabt hatte und die Ermittlungen nun wegen Mordes an einem Polizeioffizier fort gingen und in Händen der Gendarmerie-Zentrale in Paris lagen.
Auch wenn das ihr den Gatten nicht wiederbrachte, so würde es doch eine erhebliche Ecke aus der Fassade der französischen Vetternwirtschaft brechen, die natürlich hier wie anderswo vertreten war und wie die Hydra der Sage wirkte: Schlug man einen Kopf ab, wuchsen zwei nach.
Aber es würde Gerechtigkeit geschehen, dafür würde ich sorgen. Meine Offiziere würden den Fall bis zu ihrem Abschluss nicht aus den Augen lassen.
Das war alles, was ich der Frau als Trost mitgeben konnte. Das und die nicht unbeträchtlich erhöhte Rente, da ihr Mann nun offiziell im Dienst ermordet worden war.

Als ein langer Tag endlich sein Ende fand, kroch ich müde und zerschlagen in mein Zelt. Mein Bett fand ich vorgewärmt.
„Was denn, will Mylord etwa bereits schlafen gehen?“, erklang eine amüsierte Stimme aus der Dunkelheit vor mir.
„Nein, meine Beste, nur ins Bett.“ Mit dem Gedanken daran, dass ich noch jung war und mein Körper einiges an Raubbau ertragen konnte, schlüpfte ich unter die warme Decke und kam so noch zu meinem eigenen Joust.

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3.
Selbst auf der Erde dieses Zeitalters gab es immer wieder Überraschungen. Es gab Neuerungen, Einmaligkeiten und Wunder.
In welche Kategorie diese Pressekonferenz eingeordnet werden musste, war nicht so offensichtlich, wenngleich pikant.
Blue Slayer, in ihre volle KI-Rüstung gehüllt, hatte den Vorsitz dieser Pressekonferenz, während General Makoto Ino zu ihrer Rechten als Vertreter der UEMF fungierte.
Auf den anderen Plätzen saßen die anderen sechs Slayer, unter ihnen natürlich auch Yellow.
Die Presseleute waren bunt gemischt und kamen aus aller Herren Länder. Die Sicherheitsbestimmungen im Hamburger Vier Jahreszeiten waren natürlich nicht so streng wie jene der Titanen-Station, deshalb drängelten sich die Interessierten sogar durch die einzige Tür in den Saal hinein. Natürlich unter dem wachsamen Blick gut und diskret bewaffneter Wachtposten. Unter ihnen waren zwei KI-Meister, zudem konnte man die Slayer nicht als wehrlos bezeichnen.
Das hinderte die Kameramänner aber nicht, die acht Menschen am Tisch in ein wahres Blitzlichtgewitter zu hüllen.
„Meine Damen und Herren“, sagte Blue Slayer ruhig, und sofort wurde es still, wenngleich das Blitzlichtgewitter hektischer wurde. „Wir, das heißt alle sieben mit der United Earth Mecha Force verbündeten Youma Slayer, haben diese Pressekonferenz einberufen. Ihnen allen ist sicherlich bekannt, was die Slayer für den Schutz der Erde geleistet haben. Zuerst in Japan, dann auf dem Mars und nicht zuletzt auf der AURORA und im Kanto-System.“
Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Saal. Die Berichte der AURORA, soweit sie für Zivilisten freigegeben waren, füllten noch immer ganze Glossen, bildeten Schlagzeilen und waren Kolumnen der Chefredakteure.
„Als diese Verbündeten haben wir uns verpflichtet, mit der UEMF zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit kann von uns an diesem Punkt aber nicht mehr gewährt werden.“
Zwischenrufe klangen auf, erschrocken raunten die Reporter. Makoto wehrte die fragend hochgereckten Hände mit einer eindeutigen Geste ab.
„Um die rechtliche Handhabung unserer Weigerung, weiter mit der UEMF zusammenzuarbeiten zu erleichtern, habe ich mich als Anführerin der Youma Slayer zu einem radikalen Schritt entschlossen.“ Blue atmete kurz tief durch. „Von dieser Minute an erkläre ich die Magical Youma Slayer für aufgelöst.“
Das Blitzlichtgewitter wurde nun zum Sturm, zur Urgewalt, und es begann die sieben Mädchen zu martern.
Dutzende Hände schossen hoch. Fragen wurden in den Raum geworfen, in der Hoffnung, die Mädchen würden sie beantworten.
„Díe UEMF“, begann Makoto mit lauter, durchdringender Stimme, „bedauert den Entschluss der Slayer, sich aufzulösen. Damit verlieren wir einen sehr wichtigen Verbündeten, der uns in Zeiten großer Not und großer Gefahr oft hilfreich zur Seite gestanden hat.“
Er erhob sich und öffnete eine kostbare Holzschatulle, um den Inhalt in die Kamera zu halten. „Aus diesem Grund, und im Namen einer dankbaren Menschheit überreichen wir deshalb den Magical Youma Slayer, namentlich Blue Slayer, Red Slayer, Orange Slayer, Green Slayer, Black Slayer und White Slayer den Orden Service under Fire der Klasse eins.“
Makoto nahm die Orden einen nach den anderen heraus und überreichte ihn den angesprochenen Slayern. Er verzichtete darauf, die Orden persönlich an die hautengen KI-Rüstungen zu heften, um keinen Neid der anwesenden Männer auszulösen.
„Wir wünschen den Slayern alles Gute für die weitere Zukunft und betonen noch einmal unsere tief empfundene Dankbarkeit. Ihre Fragen bitte.“
„New York Times. Warum hat Yellow Slayer diese Auszeichnung nicht erhalten? Auch wenn sie erst auf der AURORA aufgetreten ist, so hat sie in dieser Zeit doch nicht weniger geleistet als die anderen Slayer.“
„Sie hat den Orden bereits. In beiden Klassen“, informierte Makoto, und unterdrückte dabei ein Schmunzeln. „Wie Sie wissen, kann der neu gestiftete Orden in jeder Klasse nur einmal vergeben werden. Aber ich werde anregen, einen Klasse eins mit Ehrenzeichen zu stiften, der den normalen Klasse eins ersetzen kann, wenn es Ihnen Recht ist.“
Diesen Worten folgte ein wilder Tumult aus Worten, Fragen und Vermutungen, die Makoto mit einer harschen Handbewegung abbrach. „Ihre Fragen, bitte. Ordentlich, bitte.“
Nun, Reporter in Sensationslaune konnten nicht ordentlich sein, deshalb brach der Offizier der UEMF an dieser Stelle die Pressekonferenz ab.
***
Die UEMF gibt bekannt: In Dienst gestellt wird eine neue Kompanie unter direkter Führung von Division Commander Megumi Uno; aufgestellt werden namentlich genannt folgende Mecha-Piloten: Hina Yamada, Major, Ami Shirai, Lieutenant, Sarah Anderson, Spezialistin, Akane Kurosawa, Captain, Emi Sakuraba, Lieutenant, Akari Otomo, Lieutenant.
Die neu aufgestellte Kompanie dient als persönliche Einheit von Division Commander Uno und ist für Spezialeinsätze vorgesehen. Executive Commander Eikichi Otomo teilt die neu aufgestellte Einheit der AURORA zu und wünscht ihr Glück im Kampf und im Frieden.
***
Als Makoto Ino Tage später zum Mars reiste benutzte er einen zivilen Pendler. Zwischen Mars und Erde – und, zugegeben, dem Mond – gab es einen erheblichen Transfer an Menschen und Material. Den Transport übernahmen große Luxuskreuzer, riesige Frachtschiffe, kleine Yachten und Passagierschiffe. Die NYX OLYMPUS war ein solches Passagierschiff. Aufgebaut auf der Zelle eines Sierra-Klasse Zerstörers verfügte das Schiff über die Triebwerke, um den Mars selbst dann binnen von zwei Wochen zu erreichen, wenn er sich gerade auf der anderen Seite der Sonne befand. Dazu hatte das Schiff die Kapazität, dreitausend Passagiere und obendrein zweitausend Tonnen Ware zu befördern.
Nun, beides war gut aufgefüllt, mit Makoto befanden sich nahezu dreitausend Passagiere an Bord. Die meisten waren Geschäftsleute, Neueingestellte für das Plattformsystem CASTOR und POLLUX, UEMF-Personal für die auf dem Nyx Olympus-Vulkan geplante regionale Flottenadmiralität, ein gewisser Anteil an Touristen sowie Anelph und Kronosier. Wusste der Himmel, warum sie zum Mars flogen.
Makoto selbst war der rote Planet zu kalt, der Luftdruck zu niedrig und die Schwerkraft zu gering. Gewiss, rund um Martian City gab es normale Erdschwere, und der CO2-Ausstoß der speziell dafür aufgestellten Anlagen sorgten für einen Treibhauseffekt in der Großklimazone Olympus, und dies schon seit über zehn Jahren. Aber man musste nur ein paar Dutzend Kilometer von der Stadt und ihrem grünen Gürtel entfernt sein, um die harte Realität des Mars zu sehen. Endlose rote Steinwüsten, eiskalte, dünne Luft und blanke, unbesiedelte Erde.
Man hätte sagen können, der Mars sei tot, aber das war so nicht ganz richtig. Unter dem roten Fels existierten gigantische Kavernen, die mit Wasser gefüllt waren. Genauer gesagt erstreckten sich unter dem Gestein Abermilliarden Hektoliter an…Meeren. Und diese Meere wimmelten zumindest von bakteriellem und viruellem Leben. Selbst einzellige Pflanzenarten waren bereits festgestellt worden. Diese Kavernen waren zur Grundlage für das Leben in der grünen Zone geworden, indem man sie angestochen und das Wasser gefördert hatte.
Die Kronosier waren dabei nicht sehr zimperlich gewesen und hatten nicht gerade viel Wert darauf gelegt, das „intakte unterirdische Ökosystem Marsmeer“ unberührt zu halten, geschweige denn von ihren Wissenschaftlern dokumentieren zu lassen. Für sie war es einfach nur eine hervorragende Gelegenheit, an Wasser zu kommen ohne auf groß angelegten Raubbau am Pol-Eis angewiesen zu sein.
Natürlich gab es hier und da private Aufzeichnungen, die nun halfen, das, wie terranische Wissenschaftler es nannten, „mittlerweile stark kontaminierte Ökosystem“ zu rekonstruieren, aber der Aufschrei in der Fachpresse war groß gewesen.
Ja, die Damen und Herren Fachwissenschaftler hatten sich sogar so sehr hinein gesteigert, die Wasserförderung aus den Kavernen als größtes Verbrechen der Kronosier zu bezeichnen.
Eine Formulierung, die der UEMF und speziell Eikichi Otomo so quer im Hals gesessen hatte, dass man sich erzählte, NACH seiner harschen Beschwerde hätten sich mehrere offene Professuren ergeben.
Für Makoto spielte das alles keine Rolle. Auch nicht, dass die wenigen privaten Aufzeichnungen mit dem derzeitigen Zustand der Kavernen weitgehend übereinstimmten, sich also das Ökosystem da unten gar nicht oder nur wenig verändert hatte. Er war Soldat, und ein Soldat hatte zu kämpfen, und nicht die Umwelt zu retten.
Der junge Taral seufzte lange und tief. Noch saß er hier in der Lobby der Ersten Klasse und konnte es sich gut gehen lassen. Aber schon sehr bald würde wieder die Hektik der vorzubereitenden Mission nach ihm greifen. Was konnte er tun, um die Annehmlichkeiten eines zivilen Fluges für seine Entspannung zu nutzen? Ein wenig Sport? Die Bibliothek belagern? Sich im Wellness-Bereich massieren lassen? Vielleicht ein paar Runden im Fünfundzwanzig Meter-Becken drehen. Oder weiter hier sitzen, nach den Sternen gaffen und Eikichi Otomo einen guten Mann sein lassen? Letzteres hatte zumindest was.

„Sir? Würden Sie bitte den Arm freimachen?“
Makoto sah auf und erkannte die Stewardess, die sich seit dem sechs Tage dauernden Flug um seinen Block gekümmert hatte. „Darf ich fragen, wieso?“
„Nun, die auf dem Mars eingetroffenen Anelph haben einige bakterielle und viruelle Spezialitäten mitgebracht. Alle Besucher des Mars sind dazu aufgefordert, sich gegen diese Erreger impfen zu lassen, anstatt eine neue Epidemie zu riskieren. Wenn ich Sie jetzt bitten dürfte, Sir…“
„Nein“, sagte Makoto schlicht.
„Sir, es tut mir Leid Ihnen das sagen zu müssen, aber dies ist eine offizielle Anweisung der Gesundheitsbehörde. Es würde mir persönlich wehtun, wenn ich die Schiffssicherheit rufen müsste, nur um Sie impfen zu können.“
Makoto sah auf. Die junge Frau war Schwarzafrikanerin, wirkte sehr gebildet, und in ihren dunklen Augen stand tatsächlich die flehentliche Bitte an ihn, es nicht so weit kommen zu lassen.
Makoto seufzte ergeben. „Sie missverstehen mich. Oder besser gesagt habe ich mich falsch ausgedrückt. Ich brauche Ihre Impfung nicht. Ich habe sie bereits erhalten.“
„Oh, dann waren Sie schon auf dem Mars?“, fragte sie überrascht, ja hocherfreut.
„Nein.“
„Nein? Aber diese Impfung wird exklusiv für Marsreisende ausgegeben! Die einzige andere Möglichkeit wäre…“ Die Stewardess wurde bleich und schluckte trocken.
„Richtig“, brummte Makoto. „An Bord der AURORA während des Kanto-Einsatz.“
„I-ich muss das verifizieren, Sir.“
Makoto griff in die Innentasche seines Anzugs, zog seine Brieftasche hervor und reichte der jungen Frau seinen Chipkartenausweis.
Sie steckte die Karte in ihren Leser und hatte kurz darauf eine Übersicht über all seine Impfungen. Ihre Wangen röteten sich heftig. „Verzeihung, General, aber ich dachte… Ich dachte… Ich dachte Sie wären größer!“, platzte es aus ihr hervor. „Und es gibt ja so viele Kerle, die meinen, wenn sie erzählen, sie wären auf der AURORA gewesen, dass…“ Wieder schluckte sie, und Makoto lächelte dünn. Nicht mit einem Wort hatte er in den letzten sechs Tagen seinen Job erwähnt. „Es ist in Ordnung. Aber Sie würden mir einen persönlichen Gefallen tun, wenn Sie mir einen Kaffee bringen würden, sobald Sie fertig sind.“
Die junge Frau reichte die Chipkarte zurück und stammelte eine Bestätigung.
Makoto dankte mich einem Lächeln und lehnte sich wieder zurück.
Die Stewardess, die ihm keine fünf Minuten später frischen Kaffee servierte, war eine andere, eine hochgeschossene Vietnamesin, aber sie hatte einen so dämlichen Glanz in den Augen, dass sich Makoto für einen Moment wie das Opfer einer Verwechslung fühlte. Verwechselt mit irgendeinem Superstar.
„Bitte sehr, General. Wenn Sie irgendetwas brauchen, bitte zögern Sie nicht, uns Bescheid zu geben. Das ganze Team der NYX OLYMPUS steht Ihnen zur Verfügung. Und hätten Sie schon früher gesagt, wer Sie sind, dann…“
„Junge Dame“, erwiderte Makoto mit einem dünnen Schmunzeln, „was verbinden Sie mit dem Begriff: Anonym reisen?“
„Oh“, machte sie. „OH! Ent- entschuldigen Sie, Sir. Es ist nur so dass… Den Freund von Joan Reilley an Bord zu haben ist so…“
Lauthals begann Makoto Ino zu lachen. Das hatte ja kommen müssen. Nun, es war nicht gerade so, dass die Stewardess ihn anhand seiner Freundin identifiziert hatte. Nein, es war eher so, dass sie diese Erkenntnis zu seiner Klassifikation hinzugefügt hatte. Und die lautete in erster Linie Makoto Ino, UEMF-General. Dann erst kam „Freund von Joan Reilley“ dran.
„Ich kann Ihnen leider kein Autogramm von ihr versprechen, junge Dame.“
Nun war es um die Fassung der Frau ganz geschehen. Heftig mit der Fassung ringend stand sie vor ihm und Makoto befürchtete schon, sie mehr als notwendig gegängelt zu haben.
Als sie aufkreischte, schrillten in seinem Bewusstsein die Alarmglocken, leider nicht die Richtigen. Einen Moment später befand er sich in einer sehr intensiven und erstickenden Umarmung, das Gesicht auf den Busen der Stewardess gepresst.
„MAKOTO INO! AN BORD VON UNSEREM SCHIFF! KYAAAAAAA!“
Damit hatte die junge Frau etwas ausgelöst, was die anderen Passagiere in der Lobby später nur noch als Massenphänomen bezeichnen konnten – soweit sie sich nicht selbst dran beteiligten.
Als die hysterische Meute aus jungen Frauen – und einigen Männern – endlich schuldbewusst von ihm abließ, hatte der junge Taral eine ungefähre Vorstellung davon, was es bedeutete, ein Superstar zu sein – in seinem Fall einer zum anfassen und abknutschen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit einer so tiefen Zufriedenheit, dass er der Entschuldigung des Skippers nur mit halben Ohr zuhörte und sie schließlich ganz abtat. Stattdessen lächelte er den alten Offizier mit seinem hübschesten Lächeln an – auch mit Kurzhaarschnitt konnte der kleine blonde Mann verdammt niedlich aussehen – und würgte die Entschuldigung ab. Etwas, das so viel Spaß gemacht hatte, konnte doch nicht schlecht gewesen sein.
Als er schließlich auf dem Raumhafen von Martian City die NYX OLYMPUS verließ, ließ er einen Kapitän zurück, der mit sich haderte, weil er den jungen General am liebsten selbst umarmt und liebkost hätte.

Martian City war längst gewachsen, expandiert. Von jenen Anfangstagen in der isolierten Kaverne, in der ein künstliches Ökosystem den ersten Menschen, die die Gift erhalten hatten, das Überleben ermöglicht hatte, den weiteren Zeiten mit den Fabriken und Werften über der Kaverne am Fuß des riesigen Schildvulkans bis zu diesen Tagen, in denen Kaverne um Kaverne im Gestein unter dem Olympus erschlossen worden war und auf der Oberfläche Fabrik um Fabrik hinzu gekommen war, hatte eine Menge Zeit vergehen müssen.
Es waren sogar schon erste Wohngebäude an der Oberfläche entstanden, deren Zugänge allerdings allesamt unterirdisch im Höhlensystem lagen. Noch war der Mars zu unwirtlich, um außerhalb der Tagesstunden betreten zu werden. Es wurde stetig besser, aber bis zu einem terraformten Mars war es noch ein sehr, sehr weiter Weg.
Dennoch brodelten die Kavernen vor Leben.
Als Makoto mit einem Taxi in die Tiefe rauschte, und dabei auf dem Weg gefahren wurde den er damals bei der zweiten Marsattacke mit seinem Eagle Zeus genommen hatte, erkannte er viele Ecken und Winkel wieder. Für den Moment fühlte er sich in diese Zeiten zurückversetzt, sah das Sterben, die heranflutenden Cyborgs, die doch nicht mehr gewesen waren als ein Haufen hirnloser, programmierter Schrott, sah das Legatenhaus, bevor sie es abgerissen hatten.
Die Wiese, auf der Joan damals ihr Konzert abgehalten hatte, auf der Akira den Grundstein für eine vereinte Menschheit gelegt hatte – zumindest was die Planeten betraf – war einem großzügigen Park gewichen, in der hunderte Gedenktafeln standen.
Makoto wusste, dass die meisten Tafeln den Tod der Kronosier und ihrer Söldner betrauerten, die Minderzahl war mit den Namen terranischer UEMF-Soldaten beschriftet worden.
Eikichi hatte gesagt, dass man den Menschen und Kronosiern einen zentralen Trauerpunkt auf dem Mars hatte geben müssen. Immerhin waren die meisten Menschen dort ebenfalls Familienväter gewesen, Befehlsempfänger und dergleichen. Das war besser als aus der Trauer einen geheimen Personenkult im Verborgenen zu machen, der irgendwann zu einer verklärten Geschichte führen konnte – und von da vielleicht zu einem Aufstand.
Auch die Stadt war weiter gewachsen, expandiert. Alleine die zugezogenen Anelph der ersten Tage hatten eine Erweiterung um ein Viertel erfordert.
Mittlerweile empfand Makoto es als Unsinn, von Kronosiern und Anelph zu sprechen. Bei sich nannte er sie Marsianer. Aber er sprach es nie aus. Es konnte falsch aufgefasst werden. Solange der Vorwurf in der Luft schwebte, die UEMF würde eine Ghettoisierung der Außerirdischen und der Träger der Gift betreiben, musste man mit solchen Begriffen vorsichtig sein.
Der Kurs des schnellen Taxis führte ihn mitten durch die Stadt, und das zur Rush Hour. Dennoch fand der Fahrer zielsicher seinen Weg in die neu erschlossene Kaverne, in der vor allem die neuen Industrien von der Erde siedelten. Auch hatte man in ihr das regionale Oberkommando der UEMF installiert. Übrigens waren neunzig Prozent des Personals ehemalige Truppen des Legats. Und das bezog sich nicht auf die unteren Ränge.
Als sie den Park passierten, der auf dem Platz angelegt worden war, der früher einmal vom Legatshaus eingenommen worden war, erschauderte Makoto. Dort hatte Akiras Prime gelegen, durchbohrt von Henrys Herkules-Schwert. Da wäre beinahe Megumi umgekommen, wenn Akira sie nicht in einem unheimlichen Kraftakt gerettet hätte.
Da hinten hatte sich Makoto vor die Entscheidung seines Lebens gestellt gesehen. Er hatte seine Waffen abfeuern müssen, um Yohkos Leben zu retten. Eine Entscheidung, die er nicht bereut hatte. Und dort, dort hatte Joan Reilley mit bloßen Händen eine Artemis-Lanze und den am anderen Ende stehenden Daishi abgefangen.
Unwillkürlich sah sich Makoto seine Arme an, aber da war nur die Erinnerung an ihre Liebkosungen, ihre Zärtlichkeit, die er überhaupt nicht mit der monströsen Stärke gleichsetzen konnte, die ein Mensch aufbringen musste, um einen Daishi aufzuhalten, einen ausgewachsenen, zwölf Meter hohen und vierzig Tonnen schweren Kampfroboter!
Die Fahrt ging weiter, und die Straße wurde noch lebhafter, als sie die Kavernen wechselten.
Nun kam das Hauptquartier der UEMF in Sicht. Ein riesiger Fahrstuhl verband das Gebäude mit der Oberfläche, und Makoto wusste, dass die Plattform in der Lage war, sogar eine Korvette zu transportieren.
Makoto wurde anstandslos mitsamt dem Taxi auf das Gelände gelassen – irgendjemand im Stab musste besonders effizient sein, wenn der inkognito reisende General nicht nur erkannt worden war, sondern sogar an der Torwache frei Fahrt erhalten hatte.
Als der Wagen vor dem eigentlichen Eingang hielt, stand eine Ehrenformation bereit. Die meisten waren Anelph und Kronosier, stellte er zufrieden fest.
Er bezahlte, legte ein dickes Trinkgeld drauf und verließ den Wagen.
Dies war für die Wache das Zeichen zu salutieren.
Makoto trug keine Uniform, also beschränkte er sich darauf, die Reihen schweigend bis zum Eingang abzugehen. Dennoch rührten ihn die Ehren, mit denen er empfangen wurde. Letztendlich war er einer von denen, die das Legat zerschlagen hatten, und viele der angetretenen Männer und Frauen hatten unter ihnen gedient.
Waren sie wirklich schon so sehr zusammengewachsen? Hatten sie jetzt schon, nach nicht ganz drei Jahren, eine solche Einheit erreicht?
Makoto dachte an die Horrorvisionen guter und auch nicht so guter Science Fiction-Autoren, die den Krieg der Welten heraufbeschworen, sobald der Mars besiedelt war – weil man sich ja so schnell fremd wurde und so.
Aber jetzt, in diesem Moment sah es für ihn genau anders herum aus, und das gab ihm eine gewisse Genugtuung.

Im Hauptquartier wurde er weniger martialisch, aber kaum weniger herzlich begrüßt.
„Schön, dass Sie es noch geschafft haben, Ino“, begrüßte Admiral Richards ihn.
„Um nichts in der Welt hätte ich mir diese Show entgehen lassen“, erwiderte der junge Mann und schüttelte artig den anderen Anwesenden die Hand, allen voran Torum Acati.
Aris Taral, sein Großvater, trat auf ihn zu und musterte den Jungen kritisch.
Makoto wich nicht einen Zoll zurück und gab nicht mit dem leisesten Muskelzucken die Angst zu, die ihm diese Musterung seines Lehrmeisters, Vorbild und Opas verursachte.
Dann schloss der große Mann den kleinen in die Arme. „Es tut so gut, dich zu sehen, mein Kleiner.“
„Du hast mich auf dem ganzen Heimflug gesehen“, erwiderte Makoto und versuchte aus der Umarmung des Älteren zu entkommen. Natürlich nicht ernsthaft, aber man konnte wohl von einem Bluthund erwarten, dass er einen General nicht vor versammelter Mannschaft umarmte.
Auch nicht wenn es „der“ Bluthund war. Auch nicht wenn es „der“ General war.
„Nun hab dich nicht so. Ich musste lange genug auf dich, deine Schwester und eure Mutter verzichten.“
„Opa, wir sind im Dienst“, tadelte Mako ernst, obwohl ihn innerlich die Tränen der Rührung fortzuschwemmen drohten.
„Richtig. Und der Dienst beginnt in zwei Stunden. Warum sind Sie nicht mit einem militärischen Flug gekommen? Das hätte Ihre Reise um ein bis zwei Tage verkürzt, General Ino“, stellte Richards fest.
„Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit und spanne etwas aus. Die Reise auf der NYX OLYMPUS war sehr entspannend. Und hat mir ein paar neue Erkenntnisse gebracht.“ Vor allem die Erkenntnis, dass manche Menschen in ihm wohl einen Popstar sahen. Oder irgendetwas Ähnliches.
„Verstehe. Ich lasse Ihnen eine Liege zuweisen. Ein eigenes Zimmer wird nicht lohnen, fürchte ich. Haben Sie die Dokumente?“
Makoto nickte. „Gesiegelt und unterzeichnet von Eikichi Otomo und beglaubigt von Jarah Arogad und Solia Kalis.“
„Na dann, lassen Sie uns Nägel mit Köpfen machen, bevor die Ratsmitglieder der UEMF aus der Schockstarre kommen und erkennen, dass immer noch sie die Befehlsgewalt haben, und nicht Megumi Uno.“
Makoto nickte nur dazu.
***
Ziemlich genau zwei Stunden später wurde Makoto geweckt. Eine gnädige Seele reichte ihm einen frischen Kaffee, den der junge Offizier vorsichtig antrank – auch wenn Akira gerade nicht da war, er würde nie, nie, niemals vergessen, einen Kaffee auf Zimt zu testen. Oh, er hasste Zimt. Und Akira wusste das. Elender Halunke.
Makoto wischte sich eine Träne aus dem linken Auge. Verdammt, wenn der große Trottel nur zurückkam, würde er seinen Kaffee freiwillig nur noch mit Zimt trinken! Ach was, er würde Zimt essen, tonnenweise!
Einigermaßen erfrischt ließ sich der junge Offizier durch das Gebäude führen, traf am Fahrstuhl mit den anderen Admirälen und Offizieren zusammen und fuhr mit ihnen in die Höhe, wo bereits eine Foxtrott-Korvette auf sie wartete.
Es folgte eine aufregende Fahrt auf der Fahrstuhlplattform, von der sie einen wunderbaren Blick über die Stadt hatten.
„Was ist das für ein Geräusch? Streikt die Hydraulik?“, fragte Makoto irritiert.
Richards und Aris Taral tauschten einen amüsierten Blick aus. „Das sind Hupen. Die ganze Stadt da draußen hupt was sie kann.“
„Warum hupt sie?“
„Weil sie weiß, dass Makoto Ino in diese Korvette steigen wird.“
Der junge Bluthund spürte wie er rot wurde. Nicht, dass er Aufmerksamkeit nicht mochte. Ein Bluthund verbarg sich entweder in der Anonymität, oder direkt im Rampenlicht. Dennoch, eine ganze Stadt, die… Die was tat? Ihn tadelte? Ihn lobte? Auf jeden Fall bemerkte, das war eine Erfahrung, die er noch nicht gemacht hatte.

Die Korvette startete, kaum das der Fahrstuhl die Oberfläche erreicht hatte. Ihr Ziel war die Großwerft auf Deimos, dem Mond des Mars, den Akira in Ruhe gelassen hatte, wie ein gängiger Witz unter den Mannschaften und Offizieren der UEMF lautete. Die gleichen Stimmen wollten auch wissen, dass der ehemalige Executive Commander striktes Verbot hatte, den Erdmond zu betreten – für den Fall der Fälle.
Zur Zeit stand die SUNDER in der Werft. Sie war auf Kiel gelegt worden und erhielt ihren Sprungantrieb zurück. Im Austausch wurde die Mecha-Kapazität extrem heruntergeschraubt. Ein Kompromiss, den die UEMF eingehen musste, weil sie in ihrer Doktrin die Bewegung zwischen den Sonnensystemen nie berücksichtigt hatte. Beziehungsweise zu beheben versucht hatte, indem sie zuerst die AURORA und danach die anderen Bakesch als Superträger in Dienst gestellt hatte. Aber über kurz oder lang würde die UEMF nicht um weitere sprungfähige Schiffe herumkommen.
Na, wenigstens erhielt die SUNDER eine ganze Flotte als Begleitschutz, um der verminderten Mecha-Tragfähigkeit Rechnung zu tragen.
Der Trip zur Werft war kurz, nicht einmal drei Stunden. Es war gerade genug Zeit, um die wichtigsten Aspekte zu besprechen, gemeinsam einen Kaffee zu trinken und ein paar Anekdoten auszutauschen. Die meisten Offiziere waren wie er selbst Veteranen des Mars-Feldzugs, und Opa platzte fast vor Stolz, wenn einer der anderen Offiziere die Leistungen des jungen Tarals ansprach und entsprechend würdigte.
Auf der Werft wurden sie von Ban Shee Ryon persönlich empfangen. Die Erste Offizierin der SUNDER im Range eines Kapitäns war über ihr Kommen informiert gewesen, aber nicht über die Gründe.
Als sie über die Werftschleuse auf das fast wiederhergestellte Schlachtschiff der Bakesch-Klasse wechselten, geschah dies in strenger Reihenfolge. Zuerst Admiral Richards als ranghöchster Offizier. Danach Konteradmiral Acati, danach er selbst als ranghöchster BodenCommander. Schließlich und endlich die anderen Offiziere, und jeder wurde mit Schiffspfeifen und Salut empfangen.
Ban Shee Ryon hatte es mal ein Relikt der terranischen Seefahrt genannt, angewidert und beinahe beleidigt. Mittlerweile war sie eine wahre Verfechterin der Tradition und ließ einen Großteil der Manöver von ihren Signalgasts pfeifen.
Ihr lapidarer Kommentar dazu war: Weil es schneller geht.
Natürlich empfing Kei Takahara die Offiziere persönlich. Er begrüßte jeden einzelnen mit Salut und anschließend mit Händedruck.
Makoto machte die selbstsichere und energische Art des kleinen Mannes Spaß. Er war selbst auch nicht gerade mit Größe gesegnet worden und freute sich wirklich jedes Mal, wenn einer der „Kleinen“, wie er die Bedauernswerten Menschen nannte, die der japanischen Norm entsprachen, eine große Leistung vollbrachte, die ihn auf eine Stufe mit den „Großen“, wie Akira oder Yoshi stellte.
Admiral Richards sah den Untergebenen streng an. „Konteradmiral Takahara. Lassen Sie die Mannschaft im großen Hangar antreten.“
„Aye, aye, Sir. Mannschaft im großen Hangar antreten lassen.“ Er sah zu Ryon herüber, die sofort Signal pfeifen ließ. Dann klang ihre Stimme im ganzen Schiff auf. „Mannschaft, geordnet in Divisionen, im großen Hangar antreten!“
Kei machte eine einladende Bewegung. „Bitte hier entlang, Gentlemen.“
Als die Stabsoffiziere den Hangar betraten – drei von ihnen immerhin hochrangige Flaggoffiziere – war die Mannschaft bereits geschlossen versammelt.
„Bitte treten Sie zu Ihrer Besatzung, Konteradmiral Takahara.“
„Aye, aye, Sir.“
Nun war die Crew der SUNDER komplett.

Wie selbstverständlich stellte sich Makoto vor den Reihen auf. Eine eilig improvisierte Verbindung mit dem Lautsprechersystem wurde ihm auf ein Headset gelegt, welches er anlegte.
„Besatzung der SUNDER. Ich verlese hiermit vier Befehle, auf Anweisung und unterschrieben von Executive Commander Eikichi Otomo, der Vertreterin der Arogad Jarah Arogad beziehungsweise Colonel Yohko Otomo und der jetzigen Verwalterin des Lehens von Aris Arogad, Solia Kalis beziehungsweise Division Commander Megumi Uno.“
Leises Raunen ging durch die Menge, bevor es den Abteilungschefs gelang, die Reihen zum verstummen zu bringen.
Makoto nahm den ersten Befehl aus der Tasche. Er entfaltete ihn und las laut daraus hervor.
„Hiermit wird Konteradmiral Kei Takahara, namentlich Kapitän des Schlachtschiffs SUNDER, von seinem temporären Rang als Konteradmiral entbunden. Seine Leistungen in diesem Rang waren vorbildlich und gereichen sowohl der jungen Tradition der Raumschifffahrt als auch der legendären erdgebundenen Schifffahrt zur Ehre. Die United Earth Mecha Force ist stolz auf diesen Kommandanten und bedauert, die Feldbeförderung zurückziehen zu müssen. Eine Bestätigung kann aufgrund der veränderten Rechtslage nicht erfolgen.“
Wieder ging ein leises Raunen durch die Menge, und diesmal hielten die Offiziere ihre Leute nicht zurück. Keis Gesicht erstarrte zur Maske.
Makoto zog den zweiten Befehl hervor.
„Im Namen der United Earth Mecha Force ergeht folgende Anordnung: Mit Dankbarkeit nimmt die UEMF zur Kenntnis, dass die Anelph die SUNDER als Leihgabe der Flotte zugeteilt haben. In Zeiten, in denen wir defacto aber nicht länger nur Verbündete sind, sondern dem gleichen Herrn dienen, ist diese Leihgabe nicht länger nötig. Die SUNDER wird vollends in die UEMF integriert, dient aber fortan unter Kommando der Anelph. Terranischen und kronosischen Offizieren und Mannschaften wird gestattet, auf andere Schiffe zu transferieren.“
Nun erfolgte ein erschrockenes, vielstimmiges Geräusch, das nicht mehr viel mit einem Raunen zu tun hatte.
Makoto öffnete den dritten Befehl.
„Im Namen von Haus Arogad ergeht folgender Befehl: Die freien Streitkräfte der Anelph sind fortan in die Hausstreitkräfte des Hauses integriert, unterstehen aber eigenem Befehl. Deshalb ergeht folgende Anweisung. Kommodore Takahara wird mit sofortiger Wirkung abgelöst und versetzt.“ Makoto musste kurz unterbrechen, weil das laute Gebrüll ihn übertönte.
„Stattdessen“, fuhr er laut fort, laut genug, um den Lautsprechern Dissonanzen zu entlocken, „wird mit sofortiger Wirkung Kapitän Ban Shee Ryon zum Kommodore befördert und mit dem Kommando der SUNDER beauftragt. Beförderung und Kommando gelten ab sofort.“
Das versöhnte die Crew der SUNDER etwas.
Makoto zog den vierten und letzten Befehl hervor.
„Auf Anweisung von Solia Kalis, namentlich Division Commander Megumi Uno, ergeht folgende Anweisung. Die SUNDER hat sich schnellstmöglich der AURORA im Erdorbit anzuschließen. Die Teilnahme an der Rettungsaktion für Aris Arogad, namentlich Division Commander Akira Otomo, hat höchste Priorität.“
Wieder musste er einen Moment unterbrechen. Diesmal war es der Jubel, der ihn im Redefluss unterbrach.
„Auf der AURORA hat sich die SUNDER bei dem Befehlshaber des Begleitverbandes zu melden, sprich dem Nachfolger von Admiral Richards, der mit sofortiger Wirkung die Regionaladmiralität als Vize-Admiral verstärkt.
Ihre Meldung bei Kommodore Kei Takahara, zur Beförderung anstehend, hat nicht später als fünf Tage nach Verlassen der Werft zu erfolgen.
Unter sämtliche Befehle für die SUNDER gezeichnet: Executive Commander Eikichi Otomo, Vertreterin der Arogad Jarah Arogad beziehungsweise Colonel Yohko Otomo und Verwalterin des Lehens von Aris Arogad, Solia Kalis beziehungsweise Division Commander Megumi Uno.“ Makoto sah auf. „Kommodore Ryon, die Mannschaft kann wegtreten.“

Eine Stunde später, nachdem sich der Trubel und die Aufregung gelegt hatten, saßen Kei und Makoto alleine in der Kajüte zusammen, die dem jungen Computerfreak so lange als Zuhause gedient hatte. Und die er nun für seinen ehemaligen Ersten Offizier räumen musste.
„Du bist ein Arschloch, Mako-chan“, tadelte Kei grinsend und schenkte seinem Gegenüber einen neuen Schuss Scotch in sein Glas. „Du hast mich genauso auflaufen lassen wie Akira damals nach der Schlacht um den Mars.“
„Das gehört zur Ausbildung, Kei“, erwiderte Makoto und nippte an seinem Drink. „Damit du uns nicht abhebst.“
Kei lachte leise. „Ist vielleicht nicht so verkehrt.“
„Und, Kei? Wie läuft es mit dir und Ami?“
„WAS? Hat Takashi geplaudert?“
„Nein, das ist es nicht. Aber beim Rückflug habt ihr einander so auf der Pelle gehangen, da lag der Verdacht nahe.“ Zufrieden lehnte sich Makoto in seinem Sessel zurück. „Danke, dass du den Verdacht gerade bestätigt hast.“
„DU!“, rief Kei drohend, die Flasche zum Wurf erhoben, besann sich aber eines besseren. „Besser nicht. Der Scotch ist zwölf Jahre alt.“
„Na danke“, erwiderte der Taral amüsiert. „Also, wie läuft es?“
„Geht so. Sie ist zur Zeit dauernd auf der Erde, und wir sehen uns kaum. Außerdem hat sie mich verdammt an der Nase herumgeführt, bis ich endlich gemerkt habe, worum es ihr ging.“
„So sind sie, die Frauen. Wenn ich daran denke, wie ich mit Joan zusammengekommen bin… Frauen sind ein Geschenk des Himmels, aber der Teufel hat sie gemacht. Und das mit außerordentlicher Kreativität, Kei. Vergiss das nie, oder du wirst untergebuttert.“
„Bei Joan Reilley stelle ich es mir nett vor, untergebuttert zu werden“, warf Kei ein.
„Zugegeben“, brummte Mako.
Er griff in seine Jacke und zog einen fünften Befehl hervor. „Dein Marschbefehl, Kei. Sobald du auf der AURORA eintriffst, wirst du die Flottenzentrale Poseidon übernehmen. Sobald du deinen Fuß auf die AURORA setzt, wird außerdem deine Beförderung zum Konteradmiral aktiv. Diesmal ist es keine Feldbeförderung, sondern errungen und bestätigt durch deine Aktionen im Kanto-System gegen die Raider des Cores.“
„Steige ich nicht etwa schnell auf? Wann hat man jemals von einem einundzwanzigjährigen Konteradmiral gehört?“
„Als du noch zwanzig warst, hat es dich anscheinend nicht gestört, Kei“, tadelte Makoto. „Sieh es einfach ein. Es sind interessante Zeiten, und Menschen mit Talent wie wir beide steigen zu himmeljauchzenden Sphären auf, weil die üblichen Kriegsgewinnler, Kinder reicher Eltern und Arschkriecher mit der Materie noch nicht annähernd so vertraut sind wie wir beide. Also nimmt man das Beste, solange man kein Füllmaterial braucht.“
„Na, das kann ja ne Marine werden, wenn du Recht behältst“, erwiderte Kei amüsiert.
Der Kommodore sah den General über den Rand seines Glases an. „Wann geht es los?“
„Drei Tage nachdem die SUNDER eintrifft, wird die Versorgung ihren Höhepunkt erreicht haben. Sakura übernimmt wieder das Kommando. Ich habe übrigens dafür gesorgt, dass Winslow befördert wird und ein neues Schiff bekommt. Die STADTHAGEN wird gerade ausgebaut und wird pünktlich zum Termin fertig sein. Frag mich nicht wieso, aber der alte Pirat ist geradezu versessen darauf, Akira zu retten. Hat irgendwas gemurmelt wie: Ich werde ihn jedenfalls nicht so schnell vergessen. Frag mich nicht, was das bedeuten soll.“
Kei hustete stark. Zu dem Thema hatte er anscheinend etwas zu sagen.
„Was ist?“
„Schon gut. Wie sieht es weiter aus?“
„Wir haben zwanzig Schiffe nach Kanto geschickt. Die gleiche Zahl patrouilliert die Nachbarsysteme. Dadurch stehen die Hekatoncheiren komplett für die AURORA-Mission zur Verfügung, ohne unser Bündnis zu vernachlässigen. Ich meine, wir sind zwar jetzt alle ein wenig Arogad, aber deshalb können wir unsere Präsenz bei unseren allerersten Verbündeten nicht vernachlässigen.“
„Gemeinsam bluten, eh? Mako, du hast eine sehr dunkle und sehr primitive Seite.“
„Ich weiß. Hast du schon die Gans geschlachtet, mit deren Blut wir uns nachher gegenseitig Runen der Verbrüderung auf den nackten Körper schmieren werden?“
„Nein. Ich dachte, wir beißen ihr gemeinsam den Kopf ab“, erwiderte Kei sarkastisch.
„Oh, welche Ehre.“
Die beiden Männer musterten sich einen Moment und brachen dann in lautes Gelächter aus.
„Ausgerechnet wir beide. In einem martialischen Männerritual. Was für ein Gedanke.“
„Ja“, bestätigte Makoto. „In so einer Szene stellt man sich eher Kenji und Takashi vor.“
„Himmel, es gibt Leute, die dafür bezahlen würden, so etwas zu sehen.“
Wieder lachten die beiden.
„Kriegen wir eine ähnlich starke Begleitflotte?“
„Fast. Wir bieten diesmal vier Bismarck auf. Auch die anderen Schiffe werden unmaßgeblich verstärkt. Aber durch Umverteilungen müssen mehrere Veteranenschiffe wieder auf grün runtergestuft werden. Aber wir kriegen die schon noch wieder auf den richtigen Level.“ Mako prostete dem anderen zu. „DU kriegst sie schon wieder hin.“
„Na danke.“ Kei fuhr sich mit einer Hand durch den weißen Schopf. „Grau kann ich zum Glück ja nicht mehr werden.“
„Du könntest eine Glatze kriegen“, warf Mako ein.
„Monster.“
„Ich zähle nur die Fakten auf.“
„Ich hasse dich.“
„Ich liebe dich auch.“
Kei schnaubte auf und prustete dabei Whisky durch die Nase. „Mistkerl“, tadelte er.
Nachdem er sich abgetrocknet hatte, fragt er ernst: „Und? Wo wird es hingehen? Wo suchen wir zuerst nach diesem elenden Rumtreiber?“
„Wir haben nur einen Anhaltspunkt. Das ist eine Welt, die Akiras Vorfahren erobert haben, vor beinahe zweitausend Jahren.“
„Die Core-Welt“, stellte Kei zufrieden fest. „Also müssen wir ins Kaiserreich. Mann, werden die sich freuen, die AURORA zu sehen.“
„Das wollen wir doch hoffen“, erwiderte Makoto mit einem wölfischen Grinsen.
„Stehen eigentlich alle Chancen gegen uns?“, fragte Kei nüchtern.
„Die meisten.“
Der Kommodore erhob sein Glas und Makoto stieß an. „Dann ist ja alles wie immer, oder?“

4.
Ich stand auf der Schulter meines Knights, als ich den Abzug meiner Division beobachtete. Es war immer wieder ein Erlebnis, dabei zu zu sehen, wie dreitausend Soldaten, Männer wie Frauen, binnen weniger Stunden ein komplettes Feldlager abbrachen und Abmarschbereitschaft herstellten. Die unglaubliche militärische Disziplin bewirkte dabei wahre Wunder.
Aber wahrscheinlich war meine fahrende Division sowieso die einzige, die sich solcher Geschwindigkeit rühmen konnte – immerhin waren wir es gewohnt, von der Kaiserin von Brennpunkt zu Brennpunkt geworfen zu werden.
Kurz bevor die Klarmeldung kam, erschien im Norden eine schwarze Wand am Himmel. Ein anderes Wort für die zweihundert Atlas-Transportmaschinen gab es nicht. Die Schar der herankommenden Flugzeuge verdunkelte tatsächlich den Himmel.
Auch hier stellte ich bewundernd die Präzision des Landemanövers fest.
Die anschließende Verladeaktion hatte ich bereits hundert Male gesehen, aber dennoch war es faszinierend, dabei zu zu sehen, wie das Material der Division nach und nach in den großen gewölbten Bäuchen verschwand.
Kurz nachdem sich die letzte Heckklappe der gigantischen Transporter geschlossen hatte, stiegen die ersten Atlas auf ihren Startdüsen senkrecht in den Mittagshimmel über der Normandie auf. Auch die ersten Knights erhoben sich als Begleitschutz in den unendlich blauen Himmel.
„Mylord. Es wird Zeit“, klang Marias Stimme durch mein KommSet.
„Was? Schon wieder? Du hast zuviel Energie“, neckte ich die Offizierin.
Wie ich erwartet hatte, ließ sie ein entrüstetes MYLORD hören. Als wenn unsere Beziehung in der Division ein Geheimnis gewesen wäre.
„Ich bin auf dem Weg“, brummte ich amüsiert und erklomm meinen Knight.
Kurz darauf trat ich die Schubpedale für die Sprungdüsen durch und raste ebenfalls in den Mittagshimmel.
„Salut für General Deveraux und ihre Division“, ordnete ich an.
Kurz darauf blühte buntes Feuerwerk über dem Landstreifen auf, auf dem lediglich ein paar dunkle Flecken verkündeten, was sich noch wenige Stunden zuvor dort befunden hatte.
Die Knights der französischen Division nahmen den Salut mit Feuerwerk entgegen, indem sie mit ihren Waffen auf die gigantischen Schilde schlugen. Ich glaubte fast, das Geräusch hier oben noch hören zu können.
Es stimmte also doch: Aussätzigeneinheiten unter sich wurden schnell zu Freunden. Es war ein beruhigender, wenngleich ernüchternder Gedanke.
„Abflug“, befahl ich ernst, bevor mich die Emotionen übermannen konnten.
Nach und nach schwenkten die Atlas-Transporter mit den sie begleitenden Knights nach Norden ab. Uns erwartete ein Flug über den Pol, und von dort eine direkte Reise über Teile Sibiriens nach Japan, wo sich von Berger mit seinen Truppen reorganisierte.
Ich bezweifelte, dass der Karriereoffizier sehr erbaut davon sein würde, ausgerechnet vom blutigen Herzog ins Gebet genommen zu werden. Aber das war genau der Grund, der mir diesen Job schmackhaft machte, der mich bei der Stange hielt.
Ich entschied als einer der höchsten Inspektoren der Kaiserin über Leben und Tod, über Karrieren und Schicksale, und das Beste daran war, ich war absolut unbestechlich.
Ein Mann wie ich, der die Abgründe des Hades gesehen hatte, der den Styx bereits einmal überquert hatte, war nicht mehr zu bedrohen, zu erschrecken, und nur schwer zu manipulieren. Ich konnte nach reinstem Wissen und Gewissen handeln.
Die einzigen beiden Möglichkeiten, auf meine Entscheidungen Einfluss zu nehmen waren die Kaiserin selbst oder einer meiner Offiziere, die mir bei Gerichtsverhandlungen, Kriegsgerichtsverfahren und öffentlichen Entscheidungen zuarbeiteten.
Vielleicht war ich deshalb der gefürchtetste der reisenden Herzöge. Menschen mit schlechtem Gewissen mussten ahnen, dass sie sich vor meinen Augen nicht freikaufen konnten.
Ja, das machte den Job wirklich liebenswert.
Drei Stunden später war die Armada über dem Nordpol. Es juckte mir in den Fingern, mitten in der finsteren Nordpolnacht landen zu lassen und bei minus fünfzig Grad dem einsamen Pfahl einen Besuch abzustatten, der den Nordpol markierte, aber angesichts der harschen Temperaturen ließ ich es dann doch.
Weitere zwei Stunden darauf überquerten wir bereits Kamschatka. Die Sibirien vorgelagerte pazifische Halbinsel war Ausgangsbasis für die Hälfte aller Missionen in Amerika.
In diesem Fall hatten auf ihr nicht nur die Vorbereitungen für die Landeoperation General von Bergers stattgefunden, über sie waren die Truppen auch zurückgeflutet. Verdammt, dreitausend Tote. Dreitausend! Meine ganze Division umfasste dreitausend Soldaten, aufgeteilt auf Knights, Infanterie, Panzerabteilungen, Nachschub und Logistik. Und von Berger schaffte genauso viele Menschen in schwarzen Säcken nach Hause.
Ich schwor mir, wenn dieser Mann schuldig war, wenn er das Desaster verursacht hatte – aus Starrsinn, aus Angst, aus Geltungssucht oder weil ihm die Leben seiner gemeinen Soldaten egal waren – dann würde ich ihm zeigen, dass der Arm der Kaiserin erst recht zu den Generälen reichte. Und das ihre fahrenden Herzöge in der Lage waren, Gerechtigkeit geschehen zu lassen.

„Mylord. Wir sind in Kurzwellenreichweite von Hokkaido.“
„Und dafür störst du mich, Carl?“, fragte ich mit einem Seufzen.
Der kleinere Mann runzelte die Stirn. „Es gibt Unregelmäßigkeiten in der Kommunikation, Mylord.“
„Unregelmäßigkeiten?“ Meine Leute gehörten zu den Besten. Wenn Carl Harris von Unregelmäßigkeiten sprach, dann schrillten bei mir die Alarmglocken.
„Sie sprechen akzentfreies englisch, Mylord. Und als wäre das nicht ungewöhnlich genug, vermissen wir einen Großteil der Routinekommunikation zwischen den einzelnen Stationen.“
Englisch war die international anerkannte Gemeinsprache des Flugverkehrs, ein Trostpflaster, das man dem König von England zugestehen musste, damit er der kaiserlichen Allianz beitrat. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass die japanischen Stationen auf Englisch kommunizierten. Genau gesagt mussten sie es sogar. Aber wenn ich eines wusste, dann dass die meisten Japaner, sofern sie es überhaupt lernten, mit englisch gewaltig auf dem Kriegsfuß standen. Grund genug, um sich darüber Gedanken zu machen. Entweder um ein paar pfiffige Soldaten unauffällig ein paar Ränge zu fördern, oder um misstrauisch zu werden. Die Tatsache, dass ein Großteil der internen Kommunikation fehlte, ließ mich zu letzterem neigen.
„Alarm für die gesamte Division“, befahl ich.
„Jawohl, Mylord. Alarm für die gesamte Division. Darf ich empfehlen, sofort mit der kaiserlichen Residenz Edo zu kommunizieren?“
„Gut, Carl, rufen Sie Edo an, aber erst nachdem die Knights ihre Abwehrstellungen um die Luftflotte eingenommen haben.“
„Sehr wohl, Mylord.“ Harris griff an sein Kinn und aktivierte ein KommSet. „Befehl seiner Lordschaft: Alarm für die ganze Division! Ich wiederhole: Alarm für die ganze Division!“
Ich konnte es regelrecht vor mir sehen, wie nun an Bord der Atlas-Maschinen die Hektik ausbrach. Gesehen hatte ich es oft genug. Alles was nicht ohnehin schon angezurrt war, wurde nun befestigt, weitere schwere Güter doppelt gesichert. Die Infanteristen drängten sich nun vor den Magazinen, um ihre Fallschirme zu empfangen, falls ein Landungsangriff erforderlich wurde. Und die Panzer machten sich bereit, abgeworfen zu werden.
Weitere Knights schleusten aus und reihten sich ein. Die Abwehrphalanx stand, mit mir an der Spitze. Es war schon so oft gedrillt worden, dass es jedem Soldaten in Fleisch und Blut übergegangen war. Und genau das war der Grund für unser Überleben.
„Wir erreichen die Landgrenze von Hokkaido, Mylord.“
„Gut, Carl. Funken Sie Edo an.“
„Jawohl, Mylord.“
„Julian.“
Lieutenant Colonel Andrews meldete sich sofort. „Mylord?“
„Sollten wir beschossen werden, so unwahrscheinlich das klingen mag, führe einen Fernbeschuss durch. Ich wünsche Effizienz durch Geschwindigkeit, nicht durch Präzision.“
„Ich habe verstanden, Mylord.“
„Nicht, das ich glaube, wir würden ausgerechnet über Japan beschossen werden“, fügte ich hinzu.
„Raketenbeschuss, Mylord! Die Abwehrstellungen auf Hokkaido greifen uns an.“
„Abfangen. Julian, dein Auftritt.“
„Sehr wohl, Mylord!“
Über fünfzig Knights verließen unsere Formation und strebten dem Erdboden entgegen. Vor, zwischen und unter uns explodierten Granaten der Luftabwehr. Unwillkürlich fragte ich mich, wer hier gerade mit seinem Leben spielte. War von Berger wahnsinnig genug, sich ausgerechnet gegen den blutigen Herzog zu stellen? Dann war seine Vernichtung nicht mehr fern. Und wenn ein Atlas, ein einziger Atlas meiner persönlichen Division abgeschossen wurde, wenn ich auch nur einen Mann durch diesen Akt verlor, dann würde ich… Dann sollte…
„Mylord, wir können keinen Kontakt mit Edo etablieren!“
„Wir bereiten eine Landeoperation vor. Primärziel ist die kaiserliche Residenz. Die Bodentruppen gehen um und in Edo in Stellung. Die Knights bilden Abwehrgürtel über der Bucht und über der Stadt, bis wir wissen, was hier passiert. Julian, wie weit bist du?“
„Ich bin vielleicht nicht euer Cousin, Mylord, aber so ein paar Popelige Raketen und Abwehrstellungen kriege ich noch in den Griff. Eine Minute, bitte.“
Ich grinste dünn. Es war vielleicht nicht besonders klug, mich an meinen Cousin zu erinnern, der zusammen mit meiner Schwester desertiert war.
„Du hast deine Minute, Julian.“
In der Luft explodierten die Raketen, lange bevor sie ihre Ziele erreichen konnten. Das Flakfeuer ebbte ab und erstarb dann ganz, während die Knight-Abteilung unter uns ganze Arbeit leistete.
Aber noch immer wusste ich nicht, woran ich war, was gespielt wurde. Im schlimmsten Fall gerieten wir mitten in einen Invasionsversuch der Republik, im besten versuchte nur jemand, den Blutherzog auszuschalten.
„Maria, hast du Informationen für mich?“
„Leider nein, Mylord. Ich fange Routinemeldungen auf, aber die kommen anscheinend alle aus der Konserve. Ein paar Mal haben meine Leute ein paar stark gestörte Funkanrufe empfangen und wir sind noch bei der Bearbeitung. Aber bisher lässt sich noch nichts sagen.“
„Das ist übel! Mensch, Major, ich brauche Fakten!“
„Das weiß ich, Mylord! Und ich könnte schneller arbeiten, wenn seine Lordschaft mich arbeiten lassen würde!“
Ich schluckte meinen Ärger runter. Richtig, mit den harschen Worten tat ich ihr Unrecht. Ich wusste selbst wie kompetent sie war, wie hart sie arbeitete.
„Entschuldige.“
„Da gibt es nichts zu entschuldigen. Du tust deinen Job, ich tue meinen, okay?“ Zögerlich fügte sie hinzu: „Mylord.“
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Sie war großartig, einfach großartig.
„Na, dann will ich mal meinen Job machen. Carl!“
„Mylord?“
„Fanfaren.“
„Sehr wohl, Mylord.“
Sekunden später fuhren die stärksten Sender der Division hoch und sendeten mit Maximalenergie das Erkennungssignal der Division, des wandernden Herzogs und mein persönliches Signal. Jeder kaiserliche Soldat, der einen Empfänger bei sich trug, würde nun wissen, dass ein fahrender Herzog nahte – übrigens auch jeder Feind.
„Wir verlassen das Land über Hokkaido und nähern uns der Hauptinsel Honshu, Mylord.“
„Wir gehen weiter wie ich befohlen habe. Es wird auf jeden gefeuert, der es wagt, seine Waffe gegen mich zu erheben, selbst wenn es die Leibwache der Kaiserin ist.“
Aufgeregtes Gelächter erklang auf der Frequenz. Die Kommandeure und Knights schienen sich über den Gedanken zu amüsieren, sich die arroganten Leibwachen der Kaiserin einmal vornehmen zu können. Bei den letzten Jousts hatten sie jedenfalls haushoch verloren.
„Die Sicherheit ihrer Majestät hat absoluten Vorrang vor allem anderen!“, blaffte ich hart, eigentlich härter als ich wollte. Versöhnlicher fügte ich hinzu: „Sobald ihre Majestät sicher ist, gilt als zweite Priorität der Schutz der Zivilbevölkerung.“
„Jawohl, Mylord!“

„Wir erreichen Honshu, Mylord. Und wenn ich das anmerken darf, wir werden erneut beschossen. Die ID-Transponder der Stellungen weisen sie zudem als republikanische Einheiten aus.“
Ich stutzte. Und die wildesten Phantasien brandeten durch meinen Geist. Was wenn eine republikanische Armee den zurückflutenden Truppen des Generals von Berger gefolgt war? Was wenn sie zuerst Hokkaido erobert hatte und dort den Anschein eines normalen Betriebes simuliert hatte? Und was, wenn sie später auf die Hauptinsel gestürmt war? Vielleicht gerade jetzt? Waren wir mitten in den Eroberungskampf um Edo geplatzt?
Entschlossen umklammerte ich die Steuerungssticks meines Knights stärker. Nun, diese Woche hatte viel zu viele Tote und ein verdammt gutes Turnier gesehen. Ich hatte nicht vor, die Mächtigen dieser Welt weiter ihre Spiele spielen zu lassen. Nicht wenn ich in der Nähe war.
„Feuer frei auf alle Stellungen aus denen Beschuss erfolgt“, sagte ich ernst.
Carl Harris bestätigte sofort und ohne Widerworte.
Kurz darauf lag die Küstenabwehr von Honshu hinter uns; unser Kurs auf Edo war fest.
„Hergehört, Leute. Wenn es irgendwie möglich ist, landen die Bodentruppen in und um Edo. Sollten die Feindverbände zu stark sein, suchen wir uns einen guten Platz außerhalb.
Wenn das Gelände bereits in der Hand des Feindes ist, bauen die Bodentruppen einen Abwehrgürtel in der Nähe der Stadt auf, der uns als Zufluchtsort und Sammelpunkt aller loyalen Kräfte dient. Derweil gehen die Knights rein und sichern die Flucht ihrer kaiserlichen Majestät.“
„Jawohl, Mylord.“
„Betet, dass es noch nicht so schlimm ist.“

Es war schlimmer, viel schlimmer. Aber es gab noch keine Entscheidung. Im Norden der Hauptstadt hatte sich eine Front etabliert, republikanische Kräfte und kaiserliche Einheiten standen sich hier im Schlagabtausch gegenüber.
„Alter Plan! Die Infanterie sichert Edo! Julian, du kommst mit deinen Leuten mit mir!“
„Jawohl, Mylord!“
Wir schwenkten ab und wurden bereits vom Abwehrfeuer der Republikaner erwartet, während die Atlas-Transporter, von den anderen Knights gedeckt, bis nach Edo flogen und dort auf Plätzen und Straßen landeten, um Abwehrstellungen einzunehmen.
„Carl, dreh die Fanfaren auf Maximum!“, befahl ich gepresst.“
„Jawohl, Mylord!“, rief Harris begeistert. Kurz darauf erklang ein fürchterliches Feedback, welches grauenhaft an meinen Nerven zerrte. Oh ja, Harris hatte wirklich auf Maximum gedreht. Bei manchen mochte es gereicht haben, um die Plomben zu lockern.
Ich sah der Erfolg dieser Maßnahme, als die Frontreihen der Knights und Bodentruppen ins Stocken gerieten.
Automatisch zog ich meinen Knight zwischen die kämpfenden Einheiten.
Als die Maschine auf dem Boden landete, tat sie dies mit einer Leichtigkeit, als wäre sie ein kleiner Junge von zwanzig Kilo, und keine vierzig Tonnen schwere Kriegsmaschine.
„Mein Name ist Akira von den Otomo!“, rief ich, und meine Stimme wurde von den hervorragenden Lautsprechern meines Knights und der anderen Maschinen verstärkt. „Ich bin fahrender Herzog ihrer kaiserlichen Majestät Anastasia! Republik-Kommandeur, Ihr Invasionsversuch ist gescheitert. Ziehen Sie sich und Ihre Truppen sofort zurück. Ich gewähre Ihnen freien Abzug und räume Ihnen ein großzügiges Zeitlimit zum bergen Ihrer Verwundeten und Toten ein. Nehmen Sie an, oder sehen Sie dem Tod ins Auge!“
Innerlich zitterte ich. Nicht vor Erregung oder Angst. Nein, es war Gram. Gram darüber, dass mein Gegenüber auf der Republik-Seite vielleicht nicht auf meine Forderung einging. Dass ich Menschen töten musste, die letztendlich meiner Schwester dienten und glaubten für eine gute Sache zu arbeiten. Dass ich erneut die voll modellierten Hände meines Knights blutrot färben musste – ironischerweise mit Blut. Vater, darauf hattest du mich nie vorbereitet.
„Akira von den Otomo! Die Lilienkaiserin bietet euch an, sofort in ihren Dienst zu treten und…“
„Abgelehnt!“, blaffte ich. „Sie haben fünf Minuten für die Entscheidung, meine Bedingungen anzunehmen!“
„Das ist nicht so einfach, Mylord Otomo! Ich habe meine Befehle und…“
„IHR ANGRIFF IST GESCHEITERT! Wie viele Leute haben Sie bereits verloren? Sollen noch mehr hinzukommen? Und reichen die Toten an der amerikanischen Westküste noch nicht aus? Sollen wir auf Teufel komm raus noch ein paar hinzufügen?“
„Nein, Mylord. Ich nehme Ihre Bedingungen an. Geben Sie mir und meinen Leuten fünf Stunden für den Abmarsch.“
„Gewährt.“
„Mylord. Ihre kaiserliche Hoheit ist gesichert. Wir haben den Schutzwall der kaiserlichen Wachen verstärkt und patrouillieren die Stadt.“
„Gute Arbeit, Carl. Weiter so.“
„Ja, Mylord.“
„Kaiserliche Truppen! Dies ist die Gelegenheit! Zum Angriff auf…“
„STOPP!“, blaffte ich wütend. „Die kaiserlichen Truppen halten ihre Stellungen!“
„Dies ist die Gelegenheit, sie anzugreifen wenn sie am verletzlichsten sind!“, erklang eine trotzige Stimme, die ich als jene erkannte, die den Angriffsbefehl gegeben hatte.
Ich wandte meinen Knight um und hob die schwere Klinge in der Rechten. „In diesem Moment spreche ich mit der Stimme der Kaiserin. Alle Streitkräfte halten ihre Positionen. Wer dem zuwider handelt, wird bestraft!“
„Aber sie fliehen! Sie verschwinden! Dies ist unsere Gelegenheit! Wir werden einen glorreichen Sieg erringen und…“
„HALT DIE KLAPPE!“ Endlich hatte ich den Sprecher identifiziert. Ich ließ meinen Knight springen, landete vor dem schweren Modell des Sprechers und warf die sechzig Tonnen schwere Konstruktion um.
„Abgesehen davon, dass ich Truppen nicht traue, die ein angreifendes republikanisches Heer erst auf der Hauptinsel Honshu verlangsamen können, und abgesehen davon, dass ich nicht die Leben meiner Leute riskiere, um mit diesen Stümpern zu kämpfen, ist da hinten immer noch Edo! Edo ist kaiserliche Residenz und fasst zwanzig Millionen Menschen! Und zu allem Überdruss befindet sich ihre kaiserliche Majestät in der Stadt! Ich werde kein Risiko eingehen, weder für ihre Majestät, noch für die Bürger dieser Stadt, wenn ich einen Kampf vermeiden kann, der Tod und Verwüstung über sie bringt!“
Ich ließ den Knight einmal um die eigene Achse rotieren. „Sei es kaiserlicher Gardist, sei es republikanischer Pilot. Wer immer zu kämpfen wünscht, muss sich zuerst mit mir messen! Und glauben Sie mir, wenn es um so viele Menschenleben geht, bin ich nicht zimperlich!“
Das Geräusch der überschweren Kanone eines Knights klang hinter mir auf.
„Und nur um es klarzustellen“, klang die Stimme von Julian Andrews auf, während er seinen Knight über die rauchenden Trümmer eines kaiserlichen Knights beugte, „wenn Mylord sagt, dass sich die Hitzköpfe mit ihm messen müssen, so gibt es noch immer eine Reihenfolge. Wer meinem Herzog an den Kragen will, muss zuerst an seinen treuen Knights vorbei!“
Auf die letzten Worte folgte Jubel, Jubel der von meinen Leuten stammte.
Ich schnaubte zufrieden aus. „Also?“
Es verwunderte mich nicht, dass sich niemand mehr meldete.

Epilog:
Die junge Frau, die als die Herrin des Paradieses der Daima und Daina galt, schüttelte traurig den Kopf. „So habe ich mir das nicht vorgestellt. So sollte Akira nicht sein. Ich werde eine neue Simulation ansetzen.“
Die ältere Frau mit dem schwarzen Kapuzenkleid hingegen lächelte leicht. „Dafür aber ist er genau so, wie ich es mir gewünscht habe. Willkommen im Team, Akira Otomo.“

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Angry Eagles

Corrand Lewis,
Clan Blood Spirit

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Anime Evolution: Nami

Episode zehn: Ein Fluch namens Liberty

Prolog:
Die Core-Zivilisation war eine geheime Zivilisation, ein Gespenst, das für viele Daina ein regelrechtes Schreckgespenst war.
Die Cores kamen, sie raideten mit ihren schwachen, doch zahlenmäßig überlegenen Schiffen, und zogen sich wieder zurück, um ihrer hohen Verluste zum Trotz erneut anzugreifen. Wieder. Wieder. Und wieder.
Das Leid, das sie damit über die Daina-Welten brachten, schien ihnen egal zu sein, musste es sogar, denn gesteuert wurden die Flotten des Cores vom Verbund der Cores, einer Iovarschen Waffe, die einst ins All geschickt worden war, um Stützpunkte für einen Aufstand gegen das Kaiserreich aufzubauen.
Was daraus aber wurde, ist die wohl grausamste, geheimnisvollste und gefährlichste Macht, der sich die Daina je gegenübersahen. Die seelenlosen, nicht enden wollenden Truppen des Core, der künstlichen Intelligenz, die von ihrem Weg, Stützpunkte zu errichten, nicht abgewichen war. Aber die Stützpunkte dienten nun einem neuen Zweck, und niemand wusste, welchen.
Was konnte man auch anderes erwarten, wenn die gewaltige aufgebaute Kriegsmaschinerie der kalten Logik einer Künstlichen Intelligenz gehorchte? Wenn jegliches Menschliches aus ihr verbannt war? Wenn der Core eine Aufgabe verfolgte, die den Tod aller Menschen im Sinn hatte?
Nun, in einem Punkt irrten all jene, die solche Vermutungen anstellten. Es war nicht längst alles Menschliche aus dem Core gewichen. Im Gegenteil. Das Menschliche war höchst lebendig und aktiv.

1.
Vor zweitausend Jahren:
„Was geschieht hier?“, rief Maltran Choaster erschüttert. Er starrte auf die weite Ebene, das glücklich Sonnen beschienene Grün und verfolgte die Massenpanik, die um sich griff.
Dort, wo sich Daina und Daima im friedlichen Dialog trafen, wo die Einheit der Menschheit die Perfektion geworden war, dort wo sich fast alles erfüllte, was sich Menschen mit Visionen erhofften, dort geschah das Entsetzliche. Vor Maltrans Augen verschwanden die Menschen in ihren weißen Umhängen, als hätte es sie nie gegeben. Sie gingen ohne Nachricht, ohne Hinweis. Sie waren einfach fort.
„Was passiert hier? Was?“ Er sah das Entsetzen der anderen, sah sie wild durcheinander laufen, bei Freunden Schutz suchen. Hörte ihr Klagen und ihr ängstliches Wimmern bei dem Gedanken daran, vielleicht als nächstes verschwinden zu müssen – und niemals wiederzukehren.
Dann geschah das Entsetzliche. Auf einen Schlag verschwanden Dutzende, Hunderte in mehreren Etappen. Riesige Lücken wurden in die Reihen der Daina gerissen, als ginge ein grimmiger Riese mit gigantischem Stab durch die Reihen und wischte sie einfach fort.
Die Ruhe, die darauf folgte, wurde nur unterbrochen von den ängstlichen Schreien der Verschonten, dem leisen Weinen jener, die Freunde verloren hatten, dem Schluchzen jener, die ihr Glück darüber, verschont worden zu sein, nicht fassen konnten.
Erschüttert sank Maltran auf seine Knie. Was für eine Katastrophe. Was für ein Aderlass.
Kiliat Mortes trat neben ihm. Sein Gesicht war verschlossen, beinahe grotesk hart verzerrt. „Es ist der Raegi-Core. Das Kaiserreich hat den Biocomputer vernichtet. Und wie es aussieht, haben sie die Gehirne jener, die sie nicht rechtzeitig abtransportieren konnten, vernichtet, bevor unsere Entsatztruppen eintreffen konnten.“
„Aber… Aber warum? Warum haben sie das getan? Warum haben sie diese Menschen nicht einfach leben gelassen? Sie haben ihnen doch nichts getan! Wenn sie jemanden bestrafen wollen, dann sollen sie sich Soldaten nehmen, aber doch keine einfachen Daina!“
Der Ältere räusperte sich vernehmlich. „Es kann sein, dass sie glauben, den Bewusstseinen in den Gehirnen einen Gefallen getan zu haben. Den Iovar, die sie aus den Tanks geholt haben, wurde durch die Sicherheitsschaltung das Gedächtnis gelöscht, um zu verhindern, dass taktische Daten an den Feind gelangen. Sie können nicht wissen, ich welch glücklicher Welt sie gelebt haben. Und wenn sie es wüssten, hätten sie es vielleicht nicht geglaubt.“
Maltran starrte betroffen zu Boden. Wieder einmal war es das Militär gewesen, auf dessen Kosten Menschen hatten geopfert werden müssen. Wieder einmal hatten jene, denen man ein Leben in Glück und Zufriedenheit versprochen hatten, den Preis dafür gezahlt, dass das Militär diese Versprechen nicht hatte halten können.
„Ich nehme an, die Offiziere konnten sich zurückziehen, oder?“, knurrte Maltran angriffslustig.
„Natürlich konnten sie sich zurückziehen. Bis auf eine Handvoll, deren Gehirne ebenfalls auf Raegi stationiert waren.“
„Ich glaube es ist an der Zeit, ihnen zu zeigen, wie man so etwas besser macht.“ Abrupt wandte sich der junge Mann ab. Seine weiße Kleidung verschwand und machte einer schwarzen Uniform Platz, die von einem dunkelroten Umhang umkränzt wurde. „Ich nehme mein Amt als General an. Folge mir, Kiliat Mortes.“
„Sehr wohl, mein Lord.“

Vor zwei Stunden:
Das Geheimnis der großen Schlagkraft der Streitkräfte, gerade der Flotte als kleinen, agilen Schiffen, waren ihre Offiziere. Wenngleich die Mannschaften, so die hoch automatisierten Raider überhaupt Mannschaften benötigten, aus den Drohnen des Technikprogramms bestanden und statt mit einem Gehirn mit einer einfachen Künstlichen Intelligenz ausgestattet waren, so gab es doch Offiziere, Anführer, die all das regelten, was eine K.I. nicht vollbringen konnte. Der große Vorteil, den die Offiziere des Cores hatten, war ihre Langlebigkeit. Die meisten der Offiziere kämpften bereits zweitausend Jahre oder länger auf ihren Posten und wussten zu genau was ihre Gegner tun würden. Es gab hier und dort mal eine Überraschung, die sie in den Planungen zurückwarf, aber meistens musste man nur ein paar Jahrzehnte warten, bis der Lauf der Zeit diese viel versprechenden Genies in den Ruhestand oder den Tod geschickt hatte.
Die Offiziere des Cores jedoch waren unsterblich. Solange ihre Leiber in den Biotanks ruhten, alterten sie nicht, und selten kam es vor, dass sie aus dem ewigen Dämmerschlaf geweckt werden mussten. Denn die meiste Zeit hielten sie sich – wenn sie nicht in Gastkörpern auf einem Schiff an der Front oder in einer heiß umkämpften Stadt weilten – hier im Paradies der Daina und Daima auf.
Und im Paradies gab es einen Bereich für sie alleine. Zivilisten war der Zugang untersagt, an jenem Ort, an dem sie arbeiteten und lebten, um endlich das zu erreichen, was ihrer aller Lebensziel geworden war.
Natürlich gab es hier nicht nur Funkstationen, Schalt- und Kommunikationszentralen, Konferenzräume und unzählige Büros für die Verwaltung.
Es gab auch Ruhezonen, dem Paradies nicht unähnlich, in denen sich die Offiziere und Mannschaften – ja, richtige Mannschaften und keine hirnlosen, K.I.-gesteuerten Cyborgs – außerhalb ihrer Schichten trafen um zu entspannen. Denn wenngleich ihre Körper keine Ruhe brauchten, so hatte es sich doch mehr als bewährt, dem Geist ab und an etwas Abwechslung und Wege jenseits der Routine anzubieten.
Das Ligura war ein solcher Ort. Auf einer von Naguad bewohnten Welt hätte man es wohl Offizierskasino genannt. Wenngleich Admiralskasino zutreffender gewesen wäre, denn hier traf sich in der kargen Freizeit alles, was unter den Offizieren des Cores Rang und Namen hatte.
Und das Casino war sehr gut besucht. Der letzte Streich, ein Aufstand im Gebiet der Naguad, war überraschend erfolgreich verlaufen, und die angespannte Stimmung der letzten Tage war gewichen. Nun fuhren die Menschen, Daina wie Daima, die als Soldaten dienten, die wohlverdiente Ernte ein und gönnten sich etwas Entspannung, um bei einem Drink und heiterer Musik darüber zu diskutieren, wie sie das größtmögliche Kapital aus der unerwartet guten Entwicklung ziehen konnten.
Das allgemeine Raunen der vielen Gespräche machte es fast unmöglich, das eigene Wort zu verstehen, aber Kiliat Mortes verstand es dennoch, seinem Freund und Vorgesetzten für den letzten gelungenen Streich ausgiebig zu loben, wenngleich selbst seine kräftige Bariton-Stimme kaum gegen den Lärm ankam.
Umso erschreckender war die binnen weniger Sekunden eintretende absolute Stille.
Maltran Choaster sah sich überrascht um. Schließlich erkannte er den Grund der allgemeinen Stille. Die Herrin des Paradieses war zu ihnen gekommen.
Es war erwartet worden, aber eigentlich hatte man eine solche Ehre nicht zu hoffen gewagt.
Maltran runzelte irritiert die Stirn, als er bemerkte, dass ihr Gewand schwarz geworden war. Dies war immer ein sicheres Zeichen, dass der Herr des Paradieses der Daina und Daima eine schwere Entscheidung getroffen hatte, und diese Entscheidung war fast immer militärischer Natur. Oder um es anders zu formulieren: Von einer reinen, den zivilen Bereich verwaltenden Administratorin war sie nun auch das militärische Oberhaupt geworden. Glücklicherweise waren die meisten Herren des Paradieses aber schlau genug, nicht auch tatsächlich die Führung der Streitkräfte der Core-Zivilisation anzustreben. Die Meisten wählten einen Champion, einen erfahrenen Soldaten, für diese Aufgabe.
Maltran kniff die Augenbrauen zusammen, als er den hochgeschossenen jungen Mann sah, der neben ihr den großen Saal betrat. Die Uniform, die er trug, leuchtend blau und gold abgesetzt, wies ihn als Naguad aus. Und das empfand Maltran durchaus als Affront. An diesem Ort! In dieser Zeit.
Aber was ihn noch mehr irritierte, das war der goldene Stern, der am Kragen seines blauen Umhangs prangte. Ein goldener Stern mit fünf Zacken, von denen jede einzelne versilbert war.
Erschrockenes Raunen ging durch den Raum. Seit eineinhalbtausend Jahren war ein fünfzackiger Stern nicht mehr vergeben worden. Nun aber stand jemand vor ihm, ihm, einem Vierzackenträger, der eine Naguad-Uniform trug, an diesem beinahe heiligen Ort.
Und der junge Mann mit den braunen Haaren und den grünen Augen, die interessiert jedes Detail an diesem Ort in sich aufnahmen, der eigentlich ihr Feind sein musste und es sicherlich auch war, trug eine Insignie der Herrin des Paradieses, die ihn derzeit zum Anführer aller Streitkräfte des Cores machte. War er etwa der Champion der Lady?
Wenn dies ein Scherz war, dann kein besonders guter, fand Maltran.

„Meine Damen und Herren“, sagte die Herrin mit fester Stimme, und man glaubte ein wenig Belustigung daraus zu erkennen, „gestatten Sie mir, Ihnen diesen Mann zu übergeben. Sein Name ist Akira Otomo.“
Sie sah den jungen Mann an, und ihre Augen schienen dabei zu glitzern und zu strahlen. „Akira, hiermit übergebe ich dir deine Streitkräfte. Führe sie gut.“
Für einen Moment glaubte Maltran, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weg gezogen. Nicht nur, weil dieser Mann wirklich ihr neuer Anführer war. Nein, er kannte diesen Namen! Und er kannte die Namen und Geschichten, die dahinter standen. Die Logodoboro waren mit Informationen über ihn äußerst freigiebig gewesen.
Und daher wusste Maltran, dass dieser Mann, Akira Otomo, auch Aris Arogad genannt, einer der Gefährlichsten in diesem Sektor der Milchstraße war.
Und – der Gedanke bereitete ihm das größte Entsetzen und auch das größte Vergnügen – er war ab sofort auf ihrer Seite.
Akira sah sich im Raum um, blickte einzelnen Personen in die Augen, schmunzelte hier oder warf einen wütenden Blick als Antwort auf einen anderen wütenden Blick, blieb kurz mit Wohlwollen bei Kiliat hängen und strich über ihn hinweg.
Dann sah Akira Otomo die Herrin an und sagte: „Ich danke dir, Aris.“
Ein aufgeregtes Raunen ging durch den Saal. Akira Otomo hatte der Herrin einen Namen gegeben! Weder über seine Kompetenz noch über seine Loyalität konnte es fortan Zweifel geben!
Dann sah er wieder im Kreis herum und ließ den Blick als letztes auf dem vierzackigen Stern an Maltrans Kragen ruhen, bevor der Blick des Terraners endlich die Augen des Core-Kriegers erreichte. Ihm war als spreche Otomo nur zu ihm alleine, und das hatte für wenige Augenblicke etwas Berauschendes: „Auf gute Zusammenarbeit.“
„Auf gute Zusammenarbeit!“, antworteten die Anwesenden laut, und Maltran wusste, er war einer der Lautesten gewesen.
***
„Das war knapp“, sagte Maltran Choaster ernst. Sein Blick tadelte den Mann in der blauen Uniform, der nur verlegen grinste. „Akira, ich meine das ernst!“
„Ruhig, Maltran. Alles was ich getan habe ist ein Kommandoschiff zu verlieren. Und ich kann nicht mal etwas dafür.“
„Das ist es nicht! Es war nur ein dämliches Kommandoschiff! Wir bauen fünfzig davon im Jahr, und jedes einzelne ist in der Lage, einem Offizier zu ermöglichen, einhundert Schiffe zu koordinieren. Außerdem kann jeder weitere Offizier an Bord weitere fünfzig Schiffe koordinieren. Die Schiffe und die Drohnen an Bord sind egal. Auch wenn die beweglichen Besatzungsmitglieder und die Bodentruppen entfernt iotanisch aussehen, es sind nur bessere Roboter. Wenn wir ihre Einzelteile im Brutbecken züchten, achten wir schon darauf, dass sie weder AO noch Bewusstsein entwickeln.“
„Wie nett“, brummte Akira. Es klang vorwurfsvoll.
„Du weißt, dass wir keine andere Wahl haben“, erwiderte Maltran. „Erstens würde es zu lange dauern, einen Offizier erst aus seinem Biotank zu holen, zweitens weiß der Henker, auf welcher weit entfernten Siedlungswelt er in einem Tank liegt und drittens geht der AO-Transfer des Bewusstseins schneller und sicherer. Die bereit gestellten Drohnen, die das AO eines Offiziers aufnehmen können, sind besonders hergerichtet, um ihm besonders gut zu dienen, aber auch hier gilt, wir bauen tausend im Jahr!“
„Reg dich endlich ab, Maltran. Es war ein Triebwerksausfall. Wenn, dann schimpfe auf die Koordinatoren der Wartung.“
„Ich rege mich nicht wegen der Havarie deines Kommandoschiffs auf. Ich rege mich auf, weil du bis zum letzten Moment geblieben bist, obwohl es schon anfing in der Atmosphäre zu verglühen! Du hättest früher transferieren müssen!“
„Erstens war das eine gute Gelegenheit, die Technik der Raider zu studieren und ihre Grenzen einzuschätzen“, sagte Akira und weckte in Maltran erneut das kurzlebige Schreckgespenst, der Arogad könnte seine Loyalität nur spielen um so viel Wissen wie möglich über seinen alten Gegner zu sammeln, „und zweitens bin ich wirklich schlecht darin, eigenes Material so freigiebig aufzugeben. Ihr baut vielleicht hundert Kommandoschiffe im Jahr und tausend Drohnen dazu, die Offiziere aufnehmen können. Aber genau in dem Moment, in dem ich sie opfere, stehen sie mir nicht mehr zur Verfügung. Damit habe ich ein Problem.
Und schließlich und endlich musste ich sicher gehen, dass das Schiff nicht in eine bewohnte Region rast.“
„Du hast den Absturzpunkt berechnet?“
„Bis zu letzten möglichen Sekunde. Hätte eine Gefährdung von Zivilisten bestanden, hätte ich die Selbstzerstörung ausgelöst. Das wäre zwar ein weit größerer Wumms gewesen und hätte die Atmosphäre stark durcheinander gebracht. Aber immer noch besser als zwanzig Millionen Tote.“
„Du warst trotzdem waghalsig. Du hättest das einen deiner Offiziere machen lassen können“, tadelte Maltran nur noch halbherzig.
„Vergiss es endlich“, brummte Akira und schritt ernst voran. „Wir haben zu viel zu tun, um uns über zerschlagene Eier zu streiten.“
Maltran holte auf und ging neben dem großen Mann her. „Das wollte ich dich ohnehin fragen. Warum hast du die Operationen in den Logodoboro-Marken nicht gestoppt? Du hast die Befehlsgewalt dazu.“
„Warum? Weil ich ein Arogad bin und die Logodoboro die Naguad an den Core verraten haben? Was geht hinter deinem Kopf vor? Denkst du, ich verkaufe mich hier auch gerade? Oder glaubst du, ich habe eine Teufelei vor?“
„Du bist eher der Typ für eine offene Feldschlacht. Also, was planst du?“
„Ich bin nun mal jetzt der Anführer der Streitkräfte des Cores. Und damit sind die Logodoboro unsere Verbündeten. Aber um dich zu beruhigen, ich habe alle Streitkräfte auf erkunden und verteidigen gesetzt und allen Offizieren im Einsatz eingeschärft, nicht von sich aus die Konfrontation zu suchen. Gerade jetzt dürfen wir uns nicht noch mehr verzetteln.“
Akira atmete schwer aus. „Wir haben zu wenige Offiziere, zu wenig Kommandoschiffe, zu wenig Schlagkraft. Bevor ich kam hat sich der Core verausgabt.“
Maltran spürte ein Gefühl der Verlegenheit in sich aufwellen. Sicherlich. Die Doktrin des Cores war immer Überlegenheit des Materials gewesen. Wenn man nur genügend Schiffe und Drohnen in die Schlacht warf, gewann man irgendwann. Selbst wenn diese kleiner als ihre Gegner waren – es mussten nur genügend sein!
„Zu wenig Offiziere wofür?“, hakte Maltran nach.
„Zu wenig, um sich dem Liberty-Virus zu stellen.“
Erschrocken blieb der Offizier des Cores stehen. Er diente bereits seit dreitausend Jahren, konnte sich sogar noch an seine körperliche Zeit erinnern, und soweit er wusste, hatte sich in all der Zeit kein Kommandeur des Cores an den Liberty-Virus gewagt. „Das ist eine scharfe Rakete in der Panzerung, die nicht hoch gegangen ist, Akira. Besser man rührt sie nicht an!“
„Wenn man gar nichts tut, kann sie aber hoch gehen, und das im unpassendsten Augenblick“, versetzte der Arogad spöttisch. „Und das weißt du.“
„Du weißt was wir tun müssen, um den Liberty-Virus aufzuspüren! Ist es das Risiko wert?“
Akira nickte schwer. „Ja, das ist es. Wir gehen ins Kaiserreich und bitten darum, die verlorene Core-Welt Raegi aufsuchen zu dürfen.“
„Wir bitten darum? Warum erobern wir sie nicht einfach?“
„Und lassen sie wieder zu einem Schauplatz werden von Angriff, Gegenangriff, heroischer Verteidigung bis zum letzten Mann und dergleichen?“ Akira schüttelte den Kopf. „Warum sich etwas mit Gewalt nehmen, wenn man es geschenkt kriegt?“
Maltran Choaster blieb erstaunt stehen. „Das ist purer Wahnsinn!“
Akira wandte sich halb um und grinste den Core-Offizier an. „Willkommen in meinem Leben, Maltran.“

2.
„Es kann nicht so weitergehen!“ Der energische, breitschultrige Mann schlug mit beiden Handflächen auf den Tisch. „Es darf nicht so weitergehen! Wir können, wir dürfen nicht zulassen, dass uns die Japaner verraten und verkaufen! Wir sind keine Arogad und wir wollen auch keine sein! Und egal, welche Verdienste sich Megumi Uno und Akira Otomo im Krieg erworben haben, es reicht gewiss nicht dazu, die beiden zum Herrscherpaar der Welt zu machen!“
„Ich weiß, du bist gerade logischen Argumenten nicht zugänglich, Thorsten“, sagte ein anderer Mann am Tisch, ein schlanker Inder mit dunklen, intelligenten Augen, „aber die UEMF betont jeden einzelnen Tag, dass das Besitzrecht an der Erde für Akira Otomo nur auf dem Papier existiert. Und dieser Konteradmiral der Naguad bestätigt das und sagt wieder und wieder, dass ihn nur die Naguad-rechtliche Seite kümmert, und nach der ist die Erde ein Arogad-Protektorat.“
„Es war mir wieder klar, dass du mir in den Rücken fällst, Edward. Sicher, Torum Acati hat kein Problem damit, dass wir auf der Erde sagen, dass die Kapitulation vor Aris Arogad nur zum Schein erfolgte. Aber er hat sicher auch kein Problem damit, einen Aufstand auf der Erde niederzuschlagen!“
„Was aber eine interne Angelegenheit wäre. Und Megumi Uno wird zur Niederschlagung eines Aufstandes sicherlich nicht die Naguad rufen. Im Gegenteil. Sie mischt sich im Moment nicht einmal in die Bürgerkriege oder anderen bewaffneten Konflikte der Staaten ein und lässt die diplomatische Arbeit von der UN verrichten, der die UEMF dienstlich unterstellt ist.“
„Auch das existiert nur auf dem Papier, Laury. Stattdessen dominiert die UEMF die UN, und die UEMF wird wiederum von den Japanern dominiert.“
„Wieso eigentlich von den Japanern dominiert? Nur weil der Executive Commander Japaner ist und…“
„Megumi Uno! Kei Takahara! Makoto Ino! Sakura Ino! Eikichi Otomo! Das sind fünf Japaner, die fünf der höchsten Ränge der UEMF innehaben! Willst du mir immer noch erzählen, die UEMF seien nicht von den Japanern dominiert?“
„Das sind nicht einmal zehn Prozent der Ränge. Sicher, die Zahl der Japaner ist hoch, aber immerhin war dieses Land während des Kronosier-Krieges schwer betroffen und hat besonders viele Soldaten für die Abwehr der Kronosier gestellt. Vergiss bitte nicht, dass ihre vier Top-Piloten um die ganze Welt gereist sind, um die Kronosier abzuwehren. Übrigens waren sie stets unter UEMF-Oberkommando, und nicht ein einziges Mal im Dienste des japanischen Verteidigungsheeres. Außerdem stehen immer noch einige sehr wichtige UEMF-Stützpunkte in diesem asiatischen Land.“
„Was nichts weiter als ein Beweis dafür ist, wie tief die Japaner in die Machtstrukturen der Organisation verstrickt sind. Oder glaubt ihr, Eikichi Otomo hält sich da oben alleine durch Fleiß und gute Arbeit? Einmal davon abgesehen, dass ihm Firmen gehören, die auf dem Mond Helium3 abbauen? Und dabei ist das nicht einmal die größte Gefahr.“
Der große Mann warf eine Zeitung auf den Tisch. Die fünf Männer und drei Frauen sahen sich interessiert die Schlagzeile an. Das Titelbild zeigte unverkennbar die Massendemonstration von Soldaten und Mechas vor der Ratsversammlung der UEMF.
„Ich weiß nicht was ich mehr fürchten soll. Die Möglichkeit der UEMF, fünfzigtausend oder mehr Soldaten binnen kürzester Frist zu dieser Kundgebung zusammen zu rufen, oder die Möglichkeit, dass diese Menschen wirklich freiwillig gekommen sind!“
Er streckte den Rücken, bis es dort leise knackte. „Das ist überhaupt die größte Gefahr. Die da oben betonen immer wieder, dass die Kapitulation nur eine Farce ist. Aber was, wenn die Menschen sie dennoch akzeptieren? Was wenn sie eine Monarchie wollen? Bereits jetzt gibt es erste Vereine, gibt es Geheimbünde in den verschiedenen Militäreinheiten für diese Monarchie! Mit einem König Akira Otomo an der Spitze und einer Königin Megumi Uno an seiner Seite!“
„Und? Was wäre schlecht daran?“
„Was wäre gut daran? Dieser Bursche ist Soldat, hat noch nicht einmal seinen Oberstufenabschluss geschafft und ist es gewohnt zu töten. Das letzte Mal als die Rangliste der ewigen Besten auf den neuesten Stand gebracht wurde, stand die Zahl der geschätzten Toten von Akira Otomos Hand bei dreitausendvierhundertacht!“
„Hä? Ich dachte auf der Seite stehen nur die abgeschossenen Mechas und Kampfschiffe.“
„Es gibt noch eine inoffizielle Seite, Edward. Wir sollten uns also eine Frage stellen: Nehmen wir diese Entwicklung hin zur absoluten Monarchie hin? Lassen wir uns freiwillig zu Menschen zweiter Klasse machen? Geben wir selbst die geringsten Grundrechte auf, die es seit der Magna Carta gibt? Oder setzen wir wenigstens, zumindest ein Zeichen und sagen: Keinen Schritt weiter in diese Richtung!?“
Die Männer und Frauen sahen sich an. „Wie soll dieses Zeichen aussehen?“
Ein Foto flog auf den Tisch. „Sakura Ino. Admiral von Eikichi Otomos Gnaden und Kommandeurin des AURORA-Kampfverbandes. Wir entführen sie und zeigen damit klar, dass es auch Menschen gibt, die nicht so blauäugig sind, um auf den Elite-Killer reinzufallen! Sollen sie ruhig den Schein gegenüber den Naguad wahren – ein Königreich werden wir nicht!“
„Sakura Ino? Thorsten, das ist nicht dein Ernst! Sie ist eine Heldin beider Marsfeldzüge!“
„Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, Laury. Außerdem ist sie die einzige, die wir zu fassen bekommen. Wenn sie in Japan ist, wohnt sie im alten Haus von Akira Otomo. Dort ist sie für uns ein leichtes Opfer.“
Thorsten sah jedem einzelnen in die Augen. „Bis hierher und nicht weiter! Lasst es uns ihnen sagen!“
„Damit kann ich leben“, sagte Edward und nickte. Die anderen nickten ebenfalls.
***
„Hallo, Michael“, sagte der große, weißhaarige Mann und lächelte freundlich, als er sich neben dem Deutschen auf die Parkbank setzte. Es war ein herrliches Wetter, um in der hannoverschen Eilenriede spazieren zu gehen, und es war ein reines Vergnügen, dabei ein Eis zu essen. „Mir hast du keins besorgt?“, tadelte Juichiro Tora.
Michael Berger deutete auf den Eiswagen. „Hol dir selbst eins. Ich habe absolut keine Ahnung, was du magst. Ihr Japaner esst ja sonst nur dieses Crash-Eis mit Sirup.“
„Gibst du mir eines aus? Ich habe keine Euro dabei.“
Missmutig hielt Michael dabei inne, sein Vanille-Eis zu schlecken und drückte dem Japaner einen Fünf Euro-Schein in die Hand. „Dieses eine Mal, Magier.“
„Danke dir“, erwiderte der mit einem verschmitzten Lächeln.
Als er wiederkam, grinste er noch breiter. „Erstaunlich. Du hast keine Wachen mitgebracht. Keine Bodyguards und erst Recht keine Mechas. Hast du solches Vertrauen in deine Fähigkeiten, Naguad?“ Er streckte die Hand aus. „Wechselgeld.“
„Behalt es. Ich habe heute meinen großzügigen Tag.“
„Wie nett.“ Tora ließ sich wieder auf die Bank sinken. „Also, was willst du von mir? Falls du dich erinnern möchtest, wir sind immer noch Feinde.“
„Warum bist du dann gekommen, wenn du mein Feind bist?“
Der Japaner streckte die Beine aus. „Weiß nicht. Du hast mich gerufen. Warum hast du mich gerufen?“
„Du hast neulich deinen Sohn und meine Enkelin getroffen.“
Tora sah den anderen aufmerksam an. „Du meinst Akari, den Oni.“
„Meine Enkelin“, sagte Michael ernst und fest. „Und du hast sie gut behandelt wie ich gehört habe. Was ist los mit dir? Warum hast du sie nicht dafür büßen lassen, dass du dich so lange regenerieren musstest?“
Tora sah zu Boden. „Wer bin ich, dass ich meinem einzigen Sohn das Wertvollste wegnehme, was er besitzt? Ist vergeben bei euch Daina nicht so populär wie bei uns Daima?“
„Du sprichst ein interessantes Thema an.“ Michaels scharfer Blick verfolgte den Flug zweier Tauben über der nahen Wiese. Er verlor das Interesse daran, als sie landeten, um sich über verschüttetes Popcorn her zu machen. „Vergebung ist wichtig. Vergebung verhindert, dass wir die Welt ins Chaos reißen. Aber was hat dich dazu bewegt, Vergebung zu gewähren, Daima? Abgesehen davon, dass du so schuldig wie die Sünde warst, als sie dich zerstört hat?“
Tora zog die Beine an und legte seine Ellenbögen auf den Knien ab. „Weißt du, Daina, als ich in diese Welt kam, wollte ich so vieles tun. Ich wollte sie beeinflussen, verändern, mich austoben. Kurz, ich wollte meinen Spaß haben. Und irgendwann merkte ich Veränderungen an mir. Sagen wir ich lernte dazu. In meinen Augen sind die Menschen eine verachtenswürdige Rasse. Die Dai würden vor Scham die Augen bedecken, wenn sie sehen könnten, was aus ihren Nachfahren geworden ist. Sieh sie dir an, diese Menschen, diese Terraner! Sie setzen ungehemmt Nachwuchs in die Welt, überschwemmen die Erde mit ihresgleichen, ohne den Kindern eine Perspektive geben zu können. Ohne ihnen ein Leben geben zu können! Dabei müssten sie doch wissen, dass mit besserer Medizin auch mehr Kinder zu Erwachsenen werden. Und auch das Erwachsene mehr essen als Kinder. Aber so waren sie schon immer. Sie bekamen ein Limit vom Göttlichen auferlegt, sie fraßen sich an das Limit heran, und dann schafften sie es mit einem Trick, mit einer Wende, das Limit zu dehnen, zu erweitern und weiterhin zu wachsen. Und dieses Limit ging immer auf Kosten der anderen. Sieh dir die Expansion des chinesischen Reichs an.
Seine Vereinheitlichung, die Härte mit der es geführt wurde, die Verbreitung neuer Anbautechnologien für Reis und anderes Getreide erschufen ein sehr weites Limit. China hätte die Welt überschwemmen können, wenn nicht ein Kaiser auf den Gedanken gekommen wäre, dass Chinesen im Ausland ein Reich aufbauen konnten, dass seinem Reich gefährlich werden konnte. Also beschloss dieser Kaiser, sein ganzes Volk einzusperren. In dem restriktiven und hochorganisierten Land bedeutete dies absolute Macht für die Beamten.
Aber die Römer waren nicht besser. Sie bauten ihre Stadt nach dem Vorbild der griechischen Stadtstaaten in Griechenland und Asien auf und lebten vom Umland. Und dann wucherten sie auf dieses Umland hinaus, auf ganz Italien und später halb Europa. Wie taten sie das? Sie lebten vom Reichtum unterdrückter Völker, das eroberte Ägypten wurde ihre Kornkammer und Widersacher wie die phönizischen Khartager wurden gezielt vernichtet. Wusstest du was die Römer mit dem Land eines besiegten Gegners gemacht haben? Sie haben seine Äcker gesalzen! Auf gesalztem Land kann nichts mehr wachsen, und das für eine sehr lange Zeit – zumindest für Menschen, die nahe dem Hungertod sind. Salz war unendlich kostbar und schwierig zu bekommen. Dennoch haben die Römer Salz in Hülle und Fülle verschwendet, nur damit sich der einmal besiegte Gegner nicht wieder erholte.
Und wenn du glaubst, in der Neuzeit war es besser, dann bitte ich dich. Kaiser Karl, Richard Löwenherz, Oliver Cromwell, Napoleon Bonaparte, Richard Churchill, Josef Stalin, was unterscheidet sie alle von diesen Eroberern der Antike? Nichts! Auch sie eroberten, regierten ihre Reiche, ließen ihr Volk auf Kosten der anderen Völker leben, errichteten und verwalteten Kolonien. Und das Schlimme ist, der Besiegte von Gestern wurde als Sieger von Heute genauso wie der damalige Triumphator. Gibt es eine Gerechtigkeit? Gibt es einen Sieger, der mehr vermuten lässt, als dass die Terraner nichts weiter sind als Bestien mit einer geringen Tünche Zivilisation? Dass sie für einen geringen Vorteil alles verkaufen würden was ihnen heilig ist?
Und sieh dir unsere jetzige Zeit an. Offenbar hat jemand beschlossen, dass große Kriege nicht mehr zeitgemäß sind. Stattdessen führen die Terraner nun Kriege, um ihre eigene Zahl unbotmäßig zu erhöhen, um noch mehr auf Kosten der Natur zu leben.
Wundert es dich immer noch, dass ich die Terraner verachte? Mag sein, hier und da gab es einen Heiligen, aber die Terraner schlachten ihre Heiligen. Sieh dir Jesus an, Jeanne D´Arc oder Mahatma Ghandi. Die Beseeltesten, die Friedfertigsten, die reinsten werden von ihnen getötet. Terraner, die ich bessere Dai nennen würde als die Dai selbst. Aber die Terraner ereilen sie umso schneller und gründlicher, je näher sie dem Wesen der Dai sind.
Anfangs wollte ich nur meinen Spaß. Später dachte ich, ich könnte diese Welt, diese Menschen wirklich verändern. Dann erkannte ich, dass ich die Erde erobern muss, um sie ändern zu können.“ Tora sah seinen Sitznachbar streng an. „Eine hinterhältige Art wie deine, einfach über Jahrhunderte ein Netzwerk aus Firmen, Wohltätigkeitsorganisationen und Netzwerken zwischen Universitäten aufzubauen und aus dem Schatten über die Terraner zu regieren wäre mir jedenfalls nie eingefallen.“
„Jedem so wie er es kann.“
„Ja, ja. Schmeichle dir nur, Daina. Und spiel weiter dein undurchsichtiges Spiel mit deinem Schwiegersohn an der Seite.
Und verrate mir endlich, warum ich kommen sollte.“
„Akira.“
„Akira? Dein Enkel? Das letzte was ich gehört habe ist, dass das Core ihn entführt hat. Oder vielmehr sein KI. Ich kann es auch für dich verständlich ausdrücken. AO oder Seele. Wünsche dir mal lieber, dass er noch nicht verpufft ist wie eine Kerzenflamme in einem arktischen Sturm.“
„Du verstehst mich falsch. Ich bin nicht gekommen, um mit dir über Akira zu reden. Ich bin gekommen, um die Weichen für ihn zu stellen. Du hasst Dai-Kuzo-sama noch immer, oder?“
„Hass ist das falsche Wort. Aber ich lasse mich von ihr nicht gängeln und herumkommandieren. Auch wenn dasselbe Blut in unseren Adern fließt und sie zweitausend Jahre älter ist als ich, bin ich nicht ihr Spielzeug. Und hätte ich die Chance, dann würde ich sie stürzen und eine sinnvollere Regierung in der Dämonenwelt etablieren. Etwas mehr Demokratie, etwas weniger Absolutismus.“
„Du willst Dai-Kitsune-sama eine eigene Stimme in der Vollversammlung zugestehen?“
„Scheiße, an dieses Problem habe ich noch gar nicht gedacht!“
Die beiden Männer sahen sich an und lachten auf.
„Okay, Daina. Sag es mir. Wie willst du die Weichen für ihn stellen?“
„Das Legat wurde re-etabliert.“ So wie Michael es sagte war es eine Feststellung, und gewiss keine Frage. Tora wusste das. „Verschaff mir einen Termin vor der Vollversammlung.“
„Willst du sie sprengen, töten, gefangen nehmen?“, spöttelte der Magier.
„Ich will ihnen ein Bündnis vorschlagen.“
„Was, bitte?“

3.
„Es ist unglaublich!“, rief der Reporter in die Kamera. Rund um ihn war tiefdunkle, sturmgepeitschte Nacht, die nur von wenigen Blitzen erhellt wurde. Blitzen und den Düsen startender Daishis. „Sie sehen hinter mir, wie sich die Blue Razors, die neue Elite-Einheit vom umgebauten Flugzeugträger TICONDEROGA, in den Nachthimmel über den Atlantik schwingt! In diesem Moment, diesem einen Moment, ist alles hinfällig, was wir bisher wussten oder zu wissen glaubten! Die Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident Wilson haben sich von der UEMF losgesagt und den Verteidigungsfall erklärt! Streitkräfte der U.S.A. überall auf dem Globus wurden in Defcon 2 versetzt, dem zweithöchsten Krisenfall des Militärs. Zugleich wurden UEMF-Basen auf amerikanischen Boden unter Quarantäne gestellt! Wie aus dem Pentagon verlautete, wird den UEMF-Kräften ein Ultimatum gestellt, binnen zweier Tage geschlossen abzuziehen und amerikanischen Boden zu verlassen!
Zur Begründung dieses radikalen Schritts ließ das Weiße Haus verlauten, es habe nicht tausende seiner Söhne und Töchter gegen die Bedrohung vom Mars entsandt und sich eines potentiellen Sklavenherren entledigt, um nun den nächsten in Form der Naguads anzunehmen.
Weiter hieß es, dass die U.S.A. in Folge neuer Waffenprojekte in der Lage ist, fortan das eigene Land und alle verbündeten Staaten erfolgreich zu verteidigen.
Da! Hinter mir sehen wir ihn schon! Die neue Trumpfkarte der Vereinigten Staaten! Der neue Mecha, der insgeheim vom Pentagon entwickelt wurde und nun von General Motors in Serie produziert wird: Der Stars and Stripes! Achtzehn Meter hoch, flug- und raumtauglich und jederzeit in der Lage, einen Hawk auszumanövrieren! Laut Pentagon werden genau in diesem Moment achthundert Modelle in Betrieb genommen und machen damit Amerika zur Nation mit der stärksten eigenen Mecha-Präsenz neben der UEMF!
Es sieht ganz so aus, als erwarte Admiral Ruyter, Kommandeur der TICONDEROGA-Flotte, einen harten Schlagabtausch mit der UEMF! Dutzende Mechas starten, um das Festland abzusichern, während der Präsident die freien Länder der Erde aufruft, sich dem Widerstand gegen die Naguad anzuschließen!
Moment, ich bekomme da gerade etwas rein. Es wurde ein Haftbefehl ausgegeben und ein Kriegsgerichtsverfahren ausgerufen. Admiral Richards wird nun offiziell als Kriegsverbrecher gesucht. Es ist unglaublich! Der Mann, der im Kronosier-Krieg mit seiner ENTERPRISE-Kampfgruppe wichtige Erfolge erzielt hat, der den Zweiten Marsfeldzug maßgeblich unterstützt hat, der federführend war beim Aufbau der Begleitflotte der AURORA, wird nun von seinem eigenen Heimatland als Landesverräter gesucht.
Ich als freier Reporter frage mich da: Ist der Admiral so tief gesunken, seit er in UEMF-Diensten steht oder ist es mein eigenes Land?
Da! Wieder startet ein Stars and Stripes und…“
„Sehr geehrte Zuschauer. Wir unterbrechen unser Live-Programm für eine Grußbotschaft unseres Sponsors und…“
***
„Executive Commander Otomo! Was sagen Sie zur neuesten Entwicklung auf dem nordamerikanischen Kontinent?“
„Nun, ich finde es höchst bedauerlich, dass sich die Regierung Wilsons dazu entschlossen hat, die gesamte Welt zu hintergehen und die bestehenden Verträge zu brechen. Ich finde es auch sehr bedenklich, dass die UEMF-Stützpunkte im Land unter Quarantäne gestellt wurden.
Ich kann gar nicht aufzählen, wie viele Kapitel internationalen Rechts von den Vereinigten Staaten gebrochen wurden. Es ist mir unbegreiflich, was Präsident Wilson damit erreichen will, den Stars and Stripe hin oder her.
Es bleibt nur absolute Fassungslosigkeit auf Seiten derer, die seit dem Kronosierkrieg bemüht sind, diese Welt zu beschützen.“
„Executive Commander, wie sehen Ihre weiteren Schritte aus?“
„Nun, nachdem die U.S.A. die Verträge einseitig gekündigt haben, räumen wir natürlich unsere Basen und Einrichtungen in Nordamerika. Solange sie unter Quarantäne gestellt sind, nützen sie uns nichts. Außerdem möchte ich nicht, dass zwanzigtausend Soldaten der UEMF in die Gefahr geraten, Druckmittel gegen unsere Einrichtung zu werden.“
„Wie wird das aussehen, Executive Commander? Die UEMF hat Einflugverbot auf dem Staatsgebiet der Vereinigten Staaten. Laut den neuesten Informationen hat Präsident Wilson angeordnet, einen Einflug von Einheiten der UEMF notfalls gewaltsam zu stoppen.“
„Wir werden unsere Leute da rausholen. Wie, wird sich sehr bald zeigen. Aber an dieser Stelle möchte ich Ihre Anwesenheit und die Aufmerksamkeit der Weltpresse nutzen, um aufs Schärfste zu protestieren, wie Admiral Richards behandelt wurde. Die Tatsache, dass ihm ein Kriegsgerichtsverfahren droht, ist nicht einfach nur peinlich, es ist ein Schlag ins Gesicht jedes Soldaten, der je unter diesem tapferen, umsichtigen Mann gedient hat. Und die UEMF sieht es als weiteren, persönlichen Affront an. Präsident Wilson, Sie haben sehr viel Porzellan zerschlagen, und das in einer Zeit, in der die Menschheit durch die Core-Bedrohung in allergrößter Gefahr lebt!
Entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss mich um unsere Leute in Amerika kümmern.“
„Executive Commander!“
„Commander Otomo!“
„Commander!“
„Sir, eine Frage noch…“
***
Müde rieb sich Eikichi Otomo die Augen. Verdammt, er hatte gewusst, dass der neue Präsident der U.S.A. Ärger bedeuten würde. Bereits als Außenminister hatte er sich weit mehr herausgenommen als ihm rechtlich zustand.
Leider hatte dieses Wissen nicht dazu geführt, dass Eikichi auf diesen Coup d´État vorbereitet gewesen wäre. Und nun waren zwanzigtausend Soldaten der UEMF auf fünf Stützpunkten in Nordamerika gefangen, isoliert und eigentlich nicht mehr als Geiseln, solange Eikichi ihnen nicht den gewaltsamen Ausbruch befahl.
„Einen schönen Geheimdienst haben wir“, tadelte Otomo die drei Männer, die vor seinem Schreibtisch standen. Tatewaki Hatake versteifte sich leicht. „Wir haben die Amerikaner vernachlässigt. Anders kann ich es nicht sagen.“
Eikichi sah den Geheimdienstoffizier aufmerksam an. Er wirkte alt, seine Wangen eingefallen und die Augen hatten riesige Ringe. Der Mann hatte die letzten dreißig Stunden nicht ein Auge zugemacht. „Gab es denn keine Warnzeichen? Der Bau dieses Stars and Stripes? Abzug geeigneter Piloten? Irgendwas?“
„Zuerst einmal müssen wir die Mentalität meiner Landsleute verstehen“, gab Admiral Richards zu bedenken. „Unser Militär ist, nun, absolutistisch organisiert. Befehle werden ausgeführt, und diese Befehle gehen vom Präsidenten ans Pentagon. Von dort sickert es die Befehlskette nach unten. Selbst wenn die meisten Soldaten gegen das Vorgehen ihres Präsidenten sind, sie werden zuerst einmal gehorchen. Und wenn wir uns in dieser Situation einen Fehler erlauben, wenn die ersten Schüsse fallen – und ich bin sicher, das wäre im Sinne von Wilson – dann haben wir verloren. Die Medien werden das Geschehen aufbauschen, es wird versucht werden, die Bevölkerung gegen die UEMF einzunehmen. Im schlimmsten Fall sucht sich die U.S.A. weltweit Verbündete und beginnt einen Krieg gegen uns.“
„Es freut mich, dass Sie in Ihrer prekären Lage wir sagen, wenn Sie von der UEMF sprechen“, murmelte Eikichi ernst.
„Sir, was soll ich sagen? Ich habe mich mehr als einmal gegen die Entscheidungen meiner Regierung gestellt, wenn es zum Nutzen aller Menschen war.“
Eikichi Otomo nickte. Ja, das hatte der tapfere, alte Mann. Er war einer der ersten gewesen, der der UEMF Hilfe angeboten hatte, als der OLYMP von dem Resonator-Torpedo eingefroren worden war. Und er hatte nicht gezögert auf die AURORA und damit in UEMF-Dienstverhältnisse zu wechseln, als ihm der Posten als Admiral der Begleitflotte angetragen worden war.
Nein, dieser Mann war Amerikaner, aber in erster Linie Weltbürger.
„Wir werden der Sache Zeit geben müssen, um zu erkennen, wie viele so denken wie Sie, Admiral. Und wie viele der Linie von Wilson folgen werden.“
„Ich befürchte ein Schisma.“ Richards grunzte ärgerlich. „Wieder mal.“
Er spielte natürlich auf den amerikanischen Bürgerkrieg an, das war Eikichi klar. Damals hatten der reiche Süden und der Hochindustrialisierte Norden um die Vorherrschaft im Land gekämpft. Ein Bürgerkrieg war sicherlich das Schlimmste, was diesem Land passieren konnte.
„Wir könnten dieses Schisma provozieren“, gab der dritte Mann zu bedenken.
„Abgelehnt, Admiral Acati. Ein Bürgerkrieg im militärisch stärksten Land auf der Erde ist das letzte was uns nützt.“
„Aber wir dürfen uns auch nicht von ihnen gängeln lassen“, gab der Naguad zu bedenken. „Wenn Sie mir erlauben würden, Marine-Einheiten einzusetzen, dann…“
„Und die Vorurteile, die Wilson verbreitet auch noch bestätigen? Nein, das würde unserer Sache, das würde der Verteidigung der Erde überhaupt nicht dienen. Vergessen Sie nicht, Acati, der Core ist bereits in diesem System.“ Eikichi grinste schief. „Andererseits können wir uns wirklich nicht gängeln lassen. Admiral Richards, führen Sie Plan Fahrstuhl aus.“
„Jawohl, Sir. Bekommen unsere Einheiten Feuererlaubnis?“
„Sie dürfen sich angemessen verteidigen.“
Richards nickte. „Verstanden, Executive Commander.“
***
Zwei Stunden später bremste die BISMARCK, die bisher einen stabilen Orbit in einhundert Kilometer Höhe um die Erde eingehalten hatte, scharf ab. Zeitgleich taten dies auch die SUNDER, die PRINZ EUGEN, die SCHARNHORST und fünfzehn weitere Schiffe der Zerstörer- und Fregattenklasse.
Die Reduzierung der Fluggeschwindigkeit bedeutete die Störung des stabilen Orbits. Da die BISMARCK Geschwindigkeit reduziert hatte, bedeutete dies, dass die eine Kraft, die Fliehkraft, nicht mehr auf sie wirkte, die sie bisher im Orbit gehalten hatte.
Dafür wirkte die andere Kraft, die Schwerkraft, umso stärker auf das Schiff ein.
Die Antigravitationseinrichtungen der BISMARCK verhinderten, dass das Schiff zu schnell in die Atmosphäre einsank und als gigantischer Feuerball beim Aufschlag auf die Erdatmosphäre verglühte. Auf diese Weise wurde die Reibung minimiert, und die Luftschicht der Erde wirkte nicht länger wie eine massive Stahlwand auf den riesigen Kreuzer.
Eine halbe Stunde nach Manöverbeginn war das Schiff um zwanzig Kilometer abgesackt und hielt nun einen stabilen Orbit ein, das bedeutete, dass die BISMARCK permanent über dem gleichen Punkt der Erdoberfläche blieb. Nun sank das Schiff mit zwölf Kilometern Stunde weiter ab. Drei Fregatten begleiteten den Abstieg des Kreuzers in nächster Nähe.
Sechs Stunden später befand sich die BISMARCK bereits in der Troposphäre der Erde und sank immer noch tiefer. Unter dem Schiff breitete sich die beeindruckende Salzwüste Kaliforniens aus. Hier unterhielt die UEMF direkt neben dem legendären Camp David eine eigene Einrichtung, und die vier Schiffe, die aus dem Orbit herabkamen, setzten allergrößte Anstrengungen und Unmengen von Energien darauf an, im Luftraum des UEMF-Stützpunktes zu bleiben.
Nun wurde es Zeit, für den Fall der Fälle die eigenen Mechas auszuschleusen. Die Eagles, Hawks und Sparrows der BISMARCK nahmen Verteidigungspositionen ein, verließen aber den Bereich des Stützpunktes nicht. Im Gegenzug wagten es die amerikanischen Mechas, die sie nun begleiteten, nicht diese imaginäre Grenze zu überschreiten.
Captain Roger Smith grinste still. Die Stützpunkte der UEMF galten als autarkes Staatsgebiet, deshalb hatte Wilson sie auch noch nicht angreifen lassen, bevor er nicht wusste, wie die anderen Staaten wir Russland und die EU reagieren würden.
Natürlich galt das auch für den Luftraum. Ein Kriegsschiff, dass direkt aus der Mesosphäre auf das Gelände herabstieg, war permanent in UEMF-Luftraum und konnte damit unmöglich das Überflugverbot verletzen, welches für die U.S.A. galt. Eigentlich eine geniale Idee, aber sehr schwierig auszuführen. Die besten Piloten der UEMF waren hiermit beauftragt worden, und dennoch hatten viele dieses Manöver bestenfalls im Simulator ausgeführt.
Aber um einem Machtbesessenen Kerl wie Wilson eins auszuwischen war Smith jedes Opfer Recht. Er verspürte gegenüber diesem Präsidenten nicht einen Hauch Loyalität. Für das amerikanische Volk hingegen schon, und diesen Menschen nützte er am meisten, solange er eine hohe Position in der UEMF bekleidete und die Erde verteidigen half.
Die BISMARCK setzte sanft auf der provisorischen Landefläche auf. Sofort schleuste der Kreuzer Truppen und Techniker aus. Die drei Fregatten verfuhren ebenso.
Smith hatte sehr klare Anweisungen. Kein Mann durfte zurückbleiben. Material, dass er nicht abtransportieren konnte, musste zerstört werden. Die Gebäude waren zu verschonen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass die UEMF jemals hierher zurückkehren würde.
Und all das musste geschehen, ohne Porzellan zu zerschlagen, ohne den hochmütigen Stars and Stripes-Piloten eine Lektion zu erteilen.
Eine Bewegung am Rande seines Sichtfeldes nahm den Kapitän kurz ein. Auf einem der Bildschirme war der Falcon vorbeigeflogen, der neueste Mecha, der UEMF. An Bord war Colonel Ataka, einer der absoluten Top-Piloten. Wenn seine Landsleute wirklich den Versuch wagten, sich mit der UEMF anzulegen, würden sie zwei Dinge schnell fürchten lernen: Den Falcon mit seiner überragenden Bewaffnung und seinem hervorragenden Kampfpiloten und die Fähigkeit des Falcons, Kommandofunktion zu übernehmen.
„Wir beginnen die Evakuierung des UEMF-Stützpunkts Kalifornien“, sagte er bestimmt und löste damit geordnete Hektik in seiner Zentrale aus.

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Angry Eagles

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***
An einem anderen Ort auf der Erde war gerade Nacht. Genauer gesagt Mitternacht. Im Schutze dieser Tageszeit, die in einem gesitteten japanischen Vorort natürlich eine gewisse Ruhe und Stille bedeutete, lauerten acht junge Menschen auf ihre Chance, auf die Chance. Ihr Plan war einfach und narrensicher. Sie hatten vor, Admiralin Sakura Ino aus ihrem Haus zu entführen und damit ausdrücklich klar zu machen, dass die Welt nicht damit einverstanden war, dass Akira Otomo sich selbst zum König krönte. Auf eine Seite mit den imperialistischen Amerikanern wollten sie sich nicht stellen und Sakura Ino sollte auch kein Haar gekrümmt werden, wenn es sich vermeiden ließ. Sie brauchten nur den Schock, den Augenblick, das Bewusstsein, dass es Menschen gab, die sich gegen die Bevormundung durch die Naguad wehrten.
Edward saß vorne im Lastwagen und beobachtete den Haupteingang, während die anderen im Laderaum saßen und sich auf den Einsatz vorbereiteten. Sie hatten keine tödlichen Waffen dabei, aber genügend technische Ausrüstung, um auf das Gelände zu gelangen. Dazu kamen Elektroschocker und ein großzügig dosiertes Betäubungsmittel, um die Admirälin so lange auszuschalten, bis sie es in ihr Versteck geschafft haben. Alles was sie nun noch brauchten war eine Admirälin, die nach Hause kam. Doch es war still, so unendlich still.
„Immer noch nichts?“, fragte Torsten ungeduldig.
„Immer noch nichts.“ Edwards Stimme klang gelangweilt, sehr gelangweilt. Nun, er war ja auch schon seit fünf Stunden auf diesem Posten. Ob ihn jemand ablösen sollte?
„Moment, jetzt tut sich etwas!“
Unruhig sprangen die anderen auf, drängten sich an der kleinen Sichtluke.
„Was kannst du erkennen? Kommt sie nach Hause?“
„Oh Scheiße. Das sind Kommando-Soldaten! Richtige Kommando-Soldaten! Sie versuchen über die Mauer zu klettern und durch die Vordertür einzudringen! Und sie haben Maschinenpistolen dabei!“
„Wer ist das? Ein Team der Amerikaner?“
„Müssen wir nicht die Polizei rufen? Die haben bestimmt nicht vor, Ino nur zu entführen“, warf Laury ein.
„Ja, klar, und dann fragen die Bullen uns gleich, was wir um diese Uhrzeit mit einem Lastwagen gemacht haben.“
„Aber können wir das zulassen?“
„Ich weiß nicht genau wie Ihr dazu steht“, knurrte Edward, „aber wenn wir denen auffallen, werden sie uns töten, so ganz nebenbei, weil wir unliebsame Zeugen sind! Ich starte den Motor und hau hier ab!“
„Wir können doch nicht verschwinden! Was ist mit unserem friedlichen Protest?“
„Der hat sich gerade erledigt, Mädchen. Aber wenn du willst, kannst du gerne da rausgehen und dich töten lassen! Da! Sie dringen ein! Die wollen Blut, ohne Zweifel. Es ist als könnte ich das bis hier fühlen! Ich starte jetzt. Moment, was… DIE KOMMEN ZU UNS! NEIN! NICHT SCHIEßEN! ICH…“
„Edward! Edward, was ist los? Edward!“
Schüsse klangen auf, Schreie hallten durch die Nacht. Torsten starrte angestrengt durch die Sichtluke, aber außer Lichtschein konnte er nichts erkennen. Dann wurde das Heck des Lasters aufgerissen und die sieben Studenten sahen in die Mündungen von Automatikwaffen.
„Das war es dann wohl“, murmelte Torsten. Im Angesicht des Todes war er unendlich ruhig geworden.
Die Bewaffneten drangen ein und bevor es sich die Studenten versahen, begannen sie damit, die jungen Leute zu überwältigen und auf Waffen zu durchsuchen. Auch Torsten wurde gegen eine Wand gedrückt und auf Waffen kontrolliert, während sich ein Kabelbinder schmerzhaft in seine Handgelenke schnitt.
„Kindergarten ist sicher“, klang eine Frauenstimme auf. Es klang spöttisch, geradezu amüsiert.
Die Sprecherin nahm ihre Kapuze ab. Zum Vorschein kam das Gesicht einer hübschen Südländerin mit Kurzhaarschnitt, die jeden einzelnen der sieben Studenten amüsiert betrachtete. „Soviel zu eurem Entführungsplan. Euer Pech, das ihr mitten in eine Militäroperation der Kronosier geraten seid. Ihr könnt eurem Kumpel danken, dass er uns rechtzeitig über diesen Wahnsinn informiert hat. Hätten wir nicht gewusst, wer ihr seid, wären vielleicht ein paar getötet worden, so wie die da draußen.“
Die Italienerin deutete in Richtung des Anwesens, wo noch immer Schüsse aufbellten.
„Sie haben diesen Angriff erwartet“, stellte Torsten fest.
„Ja. Und ihr Idioten seid mitten rein gerasselt. Ihr könnt von Glück sagen, dass wir schneller waren als der Trupp, der euch als lästige Mitwisser töten sollte.“
In der Tür erschien Edward. Er war reichlich bleich, aber zumindest lebte er noch. Zudem war er ungefesselt. „Das war verdammt knapp, Gina. Eine Sekunde später, und mir hätte nicht mal meine Weste geholfen.“
„Tadel mich nicht, immerhin lebst du noch. Außerdem mussten wir so lange zögern, um auch den Kommandoposten zu identifizieren. Kitsune kümmert sich gerade darum.“
„Du warst das? Du hast uns verraten?“, rief Torsten aufgebracht.
„Nein, du hirnverbrannter Idiot. Ich habe euch nicht verraten, sondern eure Leben gerettet.“ Edward deutete zum Haus herüber. „Dort hinten werden die Attentäter gerade von der Elite der UEMF zerlegt. Und die meisten von ihnen wohnen in diesem Haus! Ein kleiner Haufen wie ihr wäre von ihnen binnen weniger Sekunden vernichtet worden, egal wie friedlich euer Protest ist und egal dass ihr keine tödlichen Waffen einsetzen wollt! Du hast dich zu weit vorgewagt, Torsten! Du hast alle zu weit vor gerissen! Ihr hättet alle sterben können, geht das in deinen verdammten Dickschädel hinein?“
„Es hätte aber auch klappen können, wenn du nicht gewesen wärst“, knirschte der Student.
„Hätte es nicht. Dieser Bereich wird von einhundert Einsatzagenten überwacht. Permanent stehen vier Mechas auf Abruf bereit, sowie fünf Hundertschaften Infanterie, um dieses Haus zu verteidigen. Falls die Agenten vor Ort nicht ausreichen. Außerdem wären da noch acht Kampfhubschrauber, die Sensoren und natürlich einige der besten Soldaten der UEMF, die ohnehin in dem Haus wohnen. Noch Fragen?“
„Um es einfach auszudrücken: Ihr hättet es vielleicht geschafft, die Türklingel zu drücken. Vielleicht.“
Torsten brummelte unzufrieden.
„Was passiert jetzt mit uns?“, fragte Laury ängstlich. Die anderen Studenten sahen auf.
„Nun“, begann die Frau namens Gina, „da Ihr keine tödlichen Waffen dabei habt, gehen wir davon aus, dass ihr nicht zum kronosischen Kommando gehört. Wir werden das untersuchen, aber wenn es wirklich keine Verbindungen gibt, werden wir euch wieder auf freien Fuß setzen. Bis jetzt habt ihr nichts falsch gemacht.“ Gina sah den Mann neben sich an. „Du bist zu sanft mit ihnen, Edward.“
„Jeder darf mal einen Fehler machen. Hauptsache er lernt daraus.“
***
Es ist nicht leicht, etwas zu tun, was gegen die eigene Überzeugung ist. Das habe ich und das hatte ich immer geglaubt. Zugleich war ich mir aber auch immer sicher, dass dies nur eine Fußnote in meinem Leben war – in dem Punkt hatte ich mich geirrt, als ich erwachte und feststellen musste, dass mich Aris, nicht mein Onkel, sondern dieses kleine gerissene Biest welches den Core verwaltet, durch ein halbes Dutzend Träume gejagt hatte. Nicht um mich zu manipulieren. Sondern um zu wissen wie ich ticke, funktioniere, arbeite.
Was immer sie dabei herausgefunden hat, es scheint ihr gefallen zu haben. Ich meine, Hey, sie hatte mir gesagt, ich wäre nicht so perfekt wie sie es sich gewünscht hatte, aber gut genug, um das gesamte Core-Militär zu übernehmen.
Seither habe ich mich oft gefragt, ob es wirklich genetische Veranlagung gibt.
Ich, ein Mischling, ein Hybride, ein kosmischer Mulatte, der Naguad-Gene, Iovar-Gene, Menschen-Gene und was weiß ich noch in sich vereint, war ich ein ungeschliffenes, unendlich kostbares Juwel? Sagte mir meine DNS, dass ich mit diesen Erbveranlagungen unbedingt ein Supermann werden musste?
War ich das ultimative Zuchtprodukt meiner Familie? War ich dazu erschaffen worden, so verdammt gut zu sein?
Ich betrachtete in letzter Zeit häufig meine Hände. Ich meine, mein Körper wurde mit Sicherheit in einen Biotank verfrachtet, während mein KI auf kosmischer Reise war, mein Verstand befand sich im Paradies der Daina und Daima, und die Hände die ich ansah waren nichts weiter als die Ergebnisse der Arbeit eines gigantischen Großrechners, durch dessen virtuelle Welt ich mich bewegte.
Die Hände waren nicht da, das war das grausame Fazit. Dennoch sahen sie genauso aus wie die meinen, sie fühlten sich so an und als ich einmal hinein gebissen hatte, einfach nur um zu sehen was passiert, hatte ich mir eine blutende Schmarre gebissen.
Dennoch standen sie sinnbildlich für das, was mit mir passiert war. Mein Verstand war hier, oder vielmehr mein KI, aber mein Körper war woanders.
Damit fehlte mir auch mein Herz… Und das war immer und überall stets bei meinen Freunden, bei meinem Mädchen.
Als ich aus der Abfolge der Tagträume entlassen worden war, als ich das Kommando erhalten hatte, da war meine erste Amtshandlung gewesen, die Schutzeinheit im Sektor Sol-System zu kontaktieren und mir eine Live-Sendung von der Erde einzuspielen. Es waren Nachrichten gewesen, und durch die Zeitverzögerung waren sie schon lange veraltet, fast achtzehn Stunden kalter Kaffee, aber das Datum welches genannt worden war hatte mich beruhigt.
Ich war keine fünf Jahre oder noch länger in meinen Träumen fortgesperrt gewesen. Ich war auch kein ganzes Jahr weg gewesen. Es war ein Vierteljahr, und damit konnte ich leben.
Meine Angst, ein Jahrhundert hier gefangen gewesen zu sein, war grotesk groß gewesen, ebenso meine Angst, Megumi und meine Freunde nicht mehr wieder zu sehen.
Hundert Jahre waren nicht das Ende des Lebens für einen Naguad, aber die meisten meiner Freunde waren normale Menschen. Selbst wenn die KI-Meister unter ihnen ihre Leben verlängerten, unsterblich wurden, es gab genügend, die nicht so lange leben konnten, um mich nach einhundert Jahren noch einmal zu sehen.
Es hatte mich beruhigt. Die Nachrichten hingegen hatten mich aufgeregt. Zerfiel die UEMF? Ausgerechnet jetzt, wo die Zeichen ohnehin auf Sturm standen?
Und in dieser Zeit, in der meine Heimatwelt mich am meisten brauchte, kämpfte ich für den Core? In einer Zeit, in der Megumi mich brauchte?
Alles was ich tun musste war zu befehlen, dass mich ein Core-Schiff zu meinem Körper brachte. Dort würde ich aus einem Kommandanten-Cyborg problemlos in meinen Leib zurückkehren können. Aber obwohl ich diese Befehlsgewalt hatte, tat ich es nicht.
Was waren meine Beweggründe? Wollte ich die Truppenstärke des Cores erkunden? Seine Schwachpunkte? Die Position seiner Welten? Oder ging es mir um all das – und um die Chance, die Anführer des Cores einzuschätzen?
Nein, das war es nicht, wenngleich mich die Menschen, die im Paradies lebten – ja, Menschen – beeindruckt hatten.
Es gab einen wichtigeren, schwierigeren und tödlicheren Grund für all das. Für die Isolation der Erde, die ich durchbrochen hatte. Für den Krieg zwischen Naguad und Iovar, der nie wirklich beendet worden war. Den wichtigsten Grund, den ich mir vorstellen konnte: Das Liberty-Virus.
Aris hatte mir tatsächlich Hinweise gegeben, als sie mich diese Traumwelten hatte erleben lassen. Hinweise, Fingerzeige, Daten und Fakten, die sich nach und nach in meinem Geist zu einem Bild zusammen fügten. Und dieses Bild wirkte wie von einem Wahnsinnigen gemalt.
Noch war es nur ein löchriges Mosaik, aber ich glaubte das Thema erkennen zu können. Und wenn mein Verdacht zutraf, wenn ich wirklich erkannt hatte, was ich bereits jetzt aus den löchrigen Fakten erahnte, dann steuerten die Daina auf eine riesige Katastrophe zu, an deren Ende die Vernichtung aller besiedelten Welten stehen würde.
Ich brauchte Fakten, unglaublich viele Fakten. Und ich glaubte daran, diese Fakten auf der ehemaligen Core-Welt Raegi zu finden.

„Akira, bist du so weit?“
Ich sah auf. „Maltran.“
„Du warst in Gedanken versunken. Entschuldige, dass ich dich gestört habe.“
„Schon gut. Die Vorbereitungen sind also abgeschlossen.“
„Ja, Akira. Wir haben den Körper für dich vorbereitet. Er wird gerade aus dem Biotank genommen. Aber ich bin immer noch der Meinung, du solltest einen Offiziers-Cyborg nehmen.“
Bedächtig schüttelte ich den Kopf. „Nein, die Iovar sind Meister des AO. Sie werden einen Robot nicht akzeptieren. Nur ein Wesen aus Fleisch und Blut. Und Laysan hat mich bereits einmal transportiert.“
„Ich halte es immer noch für ein verantwortungsloses Risiko. Deshalb begleite ich dich ja auch.“
Langsam legte ich eine Hand auf die Schulter des anderen, auch wenn dies nur eine Virtuellwelt war. „Und dafür danke ich dir.“
In den wenigen Wochen, in denen wir zusammen arbeiteten, waren wir Freunde geworden. Und ich fürchtete den Tag, an dem ich meine Pflicht über diese Freundschaft stellen musste.
„Dann loggen wir jetzt aus dem Paradies aus“, sagte er mit einem Lächeln.
Übergangslos wurde meine Welt schwarz.

4.
„Vitali Andrejewitsch Kuratov!“ Der groß gewachsene Blondschopf schien für einen Moment unschlüssig was er zu tun hatte. Schließlich rang er sich zu einer Verbeugung durch.
Megumi Uno hob eine Augenbraue. „Oberst, das ist kein sehr militärisches Verhalten.“
Der Mann verharrte in der Bewegung als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. „E-entschuldigen Sie, Division General, aber im Moment bin ich mir noch nicht ganz sicher, was ich zu Ihnen sagen soll.“
„Division Commander klingt doch ganz gut für den Anfang. Lady Death ist mir auch Recht. Und wenn sie mich Megumi nennen wollen, würde mich das freuen, Vitali Andrejewitsch.“
Erschrocken riss der Mann beide Augen auf. Die russischen Soldaten hinter ihm raunten.
„A-aber…“
„Vitali Andrejewitsch, wir haben zusammen über New York gekämpft. Wir haben über Peking gekämpft und wir haben eine Abwehrschlacht über dem Kaukasus ausgetragen, um die Kronosier von einem Angriff auf Moskau abzuhalten. Kameraden, die mit mir ihr Leben riskiert haben, dürfen mich jederzeit bei meinem Vornamen nennen.“
Der große Mann schniefte und zwinkerte eine vereinzelte Träne fort. „Division Commander, Ihre Worte ehren mich. Und ich freue mich, dass Sie sich noch an mich erinnern. Aber in diesem Fall muss ich Sie mit Ihrem Rang anreden, Ma´am. Die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel.“
Die anwesenden Offiziere der Zentralebesatzung des OLYMP nickten zustimmend.
„Ma´am, meine Regierung hat mich ausgesandt, damit die Roten Falken ab sofort unter Ihrem Kommando stehen. Setzen Sie uns ein wo immer Sie wollen.“ Vitali schwieg für einen Moment und sammelte Kraft für seine nächsten Worte. „Präsident Wilson hat Premier eingeladen, sich der Allianz gegen Haus Arogad anzuschließen.“
Wieder raunten die UEMF-Offiziere. „Die Entsendung der Roten Falken sollte deutlich genug zeigen, was wir von diesem Vorschlag halten. Ma´am, verfügen Sie über mich und mein Bataillon.“
„Ich danke Ihnen für diesen Vertrauensbeweis, Vitali Andrejewitsch. Sie und die Roten Falken sind auf dem OLYMP mehr als willkommen. Sie kennen sicherlich noch Colonel Makoto Ino?“
„Natürlich, Division General! Ich bin nicht so töricht, den legendären Top-Piloten Zeus zu vergessen, das Rückgrat der alten Hekatoncheiren. Wie geht es Ihnen, Sir?“
„Sie brauchen mich nicht Sir zu nennen, Vitali Andrejewitsch. Wir sind ranggleich. Und Sie sind zudem dienstälter. Sagen Sie einfach Mako zu mir.“
Der kleine Halb-Naguad und der riesige Russe tauschten einen freundlichen Händedruck aus.
„Kommen Sie, ich zeige Ihnen und ihren Leuten ein wenig den OLYMP. Anschließend gehen wir den Bereitschaftsplan durch und wir besprechen den Dienst. Sie kommen genau zur rechten Zeit, denn im Moment ist der OLYMP durch die Evakuierungsaktivitäten in den Staaten verletzlicher denn je. Oder anders ausgedrückt: Wir können die Roten Falken bitter gebrauchen.“
Diese Worte lösten freudige Zwischenrufe aus. Die Russen waren hellauf begeistert.
„Ma´am, darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gleich meine Stellvertreterin vorstellen? Major Brinkmann ist…“
„Ich weiß. Wir waren zusammen auf dem Mars.“ Megumi schüttelte der verlegenen Russin die Hand. „Es ist viel zu lange her, Elena.“
„Es kann niemals so lange her sein, dass ich je vergessen würde, Megumi. Verlass dich auf mich“, flüsterte die Frau.
„Ich danke dir dafür.“
***
„DER NÄCHSTE!“
Mit einem gewissen Unbehagen erhob sich ein Kendoka, setzte seinen Men auf und trat auf die Kampffläche. Sein Gegner hatte nun schon sieben Siege in Folge erzielt und schien nicht ein kleines bisschen erschöpft.
Er betrachtete kurz die Unterschiede zwischen sich und dem Gegner. Er war eins neunzig groß, wog einhundert Kilo und war zudem Kampfpilot eines Hawks.
Sein Gegner war irgendwo in der Mitte von eins sechzig, wog bestenfalls fünfzig Kilo und steuerte einen Sparrow. Die Chancen sollten eigentlich auf seiner Seite sein. Aber die junge Frau, die in der klobigen Rüstung vor ihm stand, hatte in sieben Kämpfen nur viereinhalb Punkte abgegeben. Sie, das war Yohko Otomo, die derzeitige offizielle Vertreterin des Hauses Arogad und zweite Stellvertreterin der Hekatoncheiren. Und im Moment – eigentlich schon die ganze Woche – war sie mit ihrer resoluten, robusten und penetranten Art ein Schmerz im Arsch für das gesamte Kottos-Regiment.
„BEGINNT!“
Die anderen Gegner hatte Yohko heran kommen lassen, darauf setzte er nun auch, wartete auf eine Lücke in ihrer Abwehr. Doch diesen Gefallen tat sie ihm nicht, sondern attackierte direkt nach der Freigabe.
Bevor er es sich versah, hatte er einen Treffer am Helm eingesteckt.
Der Schiedsrichter rief sie wieder in die Ausgangspositionen, eröffnete den Kampf erneut und bevor er es sich versah, lag ihr Shinai an seiner Kehle.
Wütend riss sich Doitsu Ataka den Men vom Kopf. „Verdammt, Yohko, was ist los mit dir?“
„Was soll los sein? Ich habe nur eine Strähne, das ist alles!“
„Verkauf mich nicht für dumm! Dieses Training, deine Dienstauffassung, einfach alles schreit doch geradezu, das etwas nicht mit dir stimmt! Warum schleifst du die Leute so? Wir sind bereits die Besten!“
„Ist es schlecht, wenn man noch besser werden will? Außerdem ist das Kendo freiwillig. Ich zwinge niemanden dazu, hier…“
„Hier Kanonenfutter für dich zu spielen? Komm, selbst ein Blinder sieht doch, dass mit dir etwas nicht stimmt. Es wundert mich, dass Yoshi noch nicht aufgetaucht ist, um dir den Hosenboden stramm zu ziehen!“
„Vorsicht, ich bin Ihre Vorgesetzte, Major Ataka!“
„Lieutenant Colonel Ataka, schon vergessen? Und kehre hier nicht das Dienstverhältnis vor, wenn ich mir Sorgen um dich mache! Was ist es? Machst du dir wieder Sorgen um Akira? Steigt dir die Arbeit über den Kopf? Ich bin dein Untergebener und ich bin dein Freund! Ich bin dazu da um dir zu helfen, wenn es dir schlecht geht! Ich bin dazu da, um dir zu zu hören. Yohko, warum verausgabst du dich so sehr? Warum drillst du die Leute bis sie umfallen? Das passt doch alles nicht zu dir.“
Wütend riss sie sich ebenfalls den Men vom Kopf. „Warum sagst du nicht einfach, dass du nicht verlieren kannst? Predigen Sie jemandem, den es interessiert, Reverend!“
„YOHKO!“, rief Doitsu aufgebracht und griff nach ihrem Handgelenk.
„Einem anderen als dir hätte ich schon die Hand gebrochen, mit der er mich festhält“, zischte sie wütend.
Doitsu sah sie ernst an. „Nein, das hättest du nicht und das würdest du nie. Verstehst du jetzt endlich, dass etwas mit dir nicht stimmt?“
Wieder sah sie ihn wütend an, dann verletzt. „Es… Es…“
„Ist es Akira? Oder jagt Yoshi dich wieder mit dieser kleinen Box? Ist es die Verantwortung?“
„Nein, es… Es…“ Verlegen sah sie zu Boden. „Entschuldige, Doitsu-chan, ich wollte nicht… Ich wollte mich nicht so aufführen wie ich es getan habe. Aber ich dachte, wenn ich hart arbeite, wenn ich wirklich an mir und meinen Kottos feile, dann fällt es vielleicht nicht mehr so ins Gewicht, dass ich absolut kein Talent für KI habe.“ Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an. „Was unterscheidet mich so sehr von Akira? Warum hat er diese Fähigkeiten und ich nicht? Warum geht es nicht? Sind es die Elwenfelt-Gene? Oder bin ich einfach unfähig?“
„Jeden anderen der es gewagt hätte, dich unfähig zu nennen würde ich jetzt niederschlagen. Und jeder andere in diesem Raum auch.“
Die anwesenden Piloten der Hekatoncheiren erhoben sich teilweise und murmelten ihre Zustimmung. „Deshalb hör auf, so einen Quatsch zu reden. Du bist jung, weit jünger als ich. Und dennoch erkenne ich dich als meine Vorgesetzte an. Ich bin nicht nett genug, um jemanden über mir zu dulden der schlechter ist als ich, das solltest du wissen. Und ich bin nicht eng genug an die UEMF gebunden, um nicht notfalls alle Brocken hinzuschmeißen, wenn mir etwas nicht passt. Du bist eine gute Pilotin und eine gute Anführerin. Wir alle respektieren dich. Egal ob du dein KI beherrschst oder nicht.“
„Aber Akira ist so mächtig mit seinem KI, und ich… Und ich… Warum denke ich so oft, dass es vielleicht richtig so ist? Dass ich mein KI nicht beherrschen sollte? Dass ich meinen Bruder nicht einholen, nicht überflügeln darf?“
„Ich bin sicher, Yohko, Akira wäre der erste, der dir gratulieren würde, wenn du besser geworden wärst als er. Yohko, denke nicht an KI. Wir haben viele hervorragende Soldaten in unseren Reihen, die auch ohne KI beispielhaft sind und ihren Weg gehen. Dein Bruder mag KI beherrschen, aber dein Vater ist mit seiner KI-Kontrolle miserabel, sonst hätte ihn der Resonanztorpedo damals auf dem OLYMP nicht eingefroren. Es liegt also auch in der Familie.“ Doitsu wischte ihren Einwand mit einer Handbewegung fort. „Nein, Yohko, du wirst jetzt nicht das bisschen KI-Kontrolle über das Eikichi verfügt als Argument verwenden. Denn bevor du dich beschwerst, dass du dein KI nicht verwenden kannst, muss ich dich was fragen: Denkst du wirklich, die KI-Kontrolle wurde deinem Bruder in die Wiege gelegt? Oder mir? Oder Yoshi?“
„Nein.“
„Und denkst du wirklich, dass sie dir einfach verliehen wird, nur weil du tolle hellblaue Augen hast?“
„Nein.“
„Und warum reitest du lieber darauf herum, dass du dein KI nicht kontrollieren kannst, anstatt dir von einem KI-Meister in der Ausbildung helfen zu lassen?“
„Weiß nicht. Zuviel zu tun. Immerhin muss ich mit Megumi ein ganzes Sonnensystem verwalten.“
„Yohko“, mahnte Doitsu streng.
„Ist ja gut. Was würdest du mir raten?“
„Futabe-sensei ist noch immer auf der AURORA. Sobald wir aufgebrochen sind, wirst du dich zu einigen Sitzungen mit ihm treffen, verstanden? Und dann werden wir mal sehen, ob wir dir nicht etwas beibringen können. Okay?“
„Okay. Und danke, Doitsu-chan. Du bist ein echter Freund.“
Der hoch gewachsene Mann aus einer Yakuza-Familie strich der jungen Frau vollkommen unmilitärisch über ihr Haar. „Ist in Ordnung, Yohko. Ich finde es einfach nur gut, wenn ich auch mal für dich da sein kann.“
In dieses traute Bild platzte eine Lautsprecherdurchsage: „Die Hekatoncheiren bemannen sofort ihre Mechas! Ich wiederhole, die Hekatoncheiren bemannen sofort ihre Mechas! Über dem nordamerikanischen Kontinent sind Kämpfe ausgebrochen!“
Die beiden wechselten einen schnellen Blick. Die anwesenden Piloten reagierten sofort und sprangen auf. Und allen ging ein Gedanke durch den Kopf: Brach nun alles zusammen, was sie so mühevoll erkämpft hatten?
***
„Hier kommen sie.“ Daisuke Honda grinste abfällig, als von den Stars and Strikes, die rund um das UEMF-Gelände patrouillierten, eine Wand aus Raketen auf sie zuraste.
„Condor eins, hier Condor eins. Treibsand eins, hören Sie?“
„Treibsand eins hier. Ich höre dich laut und deutlich, Mako.“
„Okay, mein Freund, dann sperr die Lauscher auf. Ich nehme zweihundert Mechas in Fernkoordination. Die Raketen überschreiten in acht Sekunden die Grenze auf unser Gebiet.“
„Bestätigt.“
Daisuke hatte kaum ausgesprochen, als sein Raketenabwehrsystem begann, Feuer und Blei zu spucken. Mit und neben ihm erwachten Dutzende Abwehrsysteme weiterer Mechas zum Leben. Die Mahlstrom-Luftabwehrpanzer begannen, ebenfalls koordiniert von dem Long Range Area Observer in einhundert Kilometern Höhe über dem Gelände.
„Warum haben sie überhaupt das Feuer eröffnet? Sie müssen doch wissen, dass das Wahnsinn ist.“
„Nun, entweder liegt es daran, dass ein Bataillon Hawks die Belagerer verstärkt hat“, resümierte Makoto, „oder daran, dass wir hier beinahe fertig mit dem Aufbau sind und das Pentagon einfach keinen Vorwand findet, um uns anzugreifen, weshalb sie jetzt einfach frustriert auf die Feuerknöpfe drücken, hoffen zu gewinnen und die Geschichte dann so erzählen wie es ihnen genehm ist.
Oder, als dritte Variante, es liegt daran, dass Robert Kazama, ehemals Lieutenant der Hekatoncheiren und bis vor wenigen Sekunden Lieutenant Colonel der Air Force, den einzigen Phoenix im Besitz der Amerikaner gestohlen hat, um mit ihm zur UEMF zu desertieren.“
Daisuke pfiff anerkennend. Von einem Hekatoncheiren, selbst von einem Ehemaligen, der zudem im Temporalfeld gefangen gewesen war, erwartete er Schneid und Hingabe für die gesamte Menschheit. Aber dass sich der japanischstämmige Amerikaner für die UEMF und gegen sein eigenes Militär entschieden hatte, war eine sehr mutige Entscheidung. Zudem entzog er so den Phoenix, ihren derzeit stärksten Mecha, dem Zugriff ihrer Gegner. Denn nichts anderen waren die Amerikaner im Moment. Gegner.
Auch wenn dieser Gedanke schmerzte. Auch wenn die Kämpfe über New York und anderen großen Städten dieses eigentlich wundervollen Landes verraten und verkauft wurden.
„Erste Welle abgewehrt. Jetzt haben sie ja einen Grund, also werden sie sich nicht lange mit Raketensalven aufhalten. Sie werden angreifen, um die BISMARCK und ihre Begleitschiffe am Boden festzunageln. Kriegst du das hin, oder soll ich Hilfe schicken?“
„Schick die Hilfe besser zu den anderen vier UEMF-Stützpunkten. Ich komme klar.“
Daisuke schluckte einmal kurz und wünschte sich für einen Moment, Akira selbst zu sein. Bis er sich daran erinnerte, dass auch Akira nur mit Wasser kochte – was er auch noch anbrennen ließ – und normale Raketen abfeuerte.
Er zog die beiden Herakles-Schwerter von seinem Rücken und atmete aus. „Hergehört, Hekatoncheiren. Wir ziehen uns drei Kilometer aufs Gelände zurück. Das gilt auch für die Mahlstrom-Panzer. Dort erwarten wir den Gegner, damit es keine Fragen gibt, wer zuerst auf wessen Gelände gekommen ist.“
Hinter ihm zerstörte eine Detonation gerade ein Wartungsgerüst und in seinem Helm klangen Dutzendfach die Bestätigungen auf.
Die Zahl der Angreifer war enorm, um nicht zu sagen riesig. Er hatte zweihundert Mechas und vier Schiffe auf seiner Seite, alleine die BISMARCK wäre mehr als genug gewesen, um mit dem Gegner fertig zu werden, wenn sie nicht mit sämtlichen Luken geöffnet auf dem Boden ruhen würde, nicht viel besser als eine Schildkröte auf dem Rücken.
„Genug. Hier erwarten wir sie. Der Angriff wird aus nur einer Richtung erfolgen. Sie werden versuchen, mit purer Masse durchzubrechen und zur Evakuierung zu gelangen. Dort werden sie so viele unserer Kameraden und so viel Ausrüstung wie möglich töten und vernichten. Das darf nicht sein. Verstanden?“
„Roger!“
„Da überschreiten sie die Grenze und befinden sich nun auf offiziellem Territorium der UEMF“, klang Makos Stimme erneut auf. „Viel Glück, mein Freund.“
„Danke.“
Sie jagten heran, feuerten erneut die Raketen ab. Aber wieder waren es die Abwehrgeschütze, die diese Wand lichteten und schließlich aufrieben.
Die Mahlstrompanzer zogen sich noch weiter zurück, es war nun an ihnen, eingeschifft zu werden. Das dünnte ihre Feuerkraft merklich aus.
Unwillkürlich veranlasste Daisuke seinen Phoenix, die Schwerter fester zu umfassen. Nun würde sich bald zeigen, wie gut er mittlerweile geworden war.
„DRAN UND DRAUF!“
„Nicht so eilig!“ Es schien als würde der Daishi Epsilon aus dem Nichts auftauchen. Plötzlich war er da, und nicht nur einfach da, sondern mitten zwischen dem Angriffsstoßtrupp der U.S. Air Force. Der Epsilon zerteilte einen Stars and Stripes mittig, knapp über dem Cockpit, mit einer perfekt geführten Artemis-Lanze. Dann schoss er eine volle Salve Raketen auf den führenden Hawk ab, der dadurch hart zu Boden gerissen wurde und liegen blieb.
„Unbekannte Einheit, was tun Sie da?“, blaffte Daisuke. Verwundert registrierte er, dass der Angriffskeil stockte und schließlich abbrach.
Drei Ausfälle. Vier. Der Mann war gut. Und was noch erstaunlicher war, er vernichtete seine Gegner, ohne die Piloten zu töten. Für einen winzigen Augenblick dachte Daisuke, Akira wäre zurückgekehrt. Aber nur für einen winzigen Augenblick.
„Aber, aber, Dai-chan, ich helfe dir. Darf ich das nicht mehr, so von Haus-Krieger zu Haus-Krieger?“
Die Stimme kannte Daisuke nur zu gut. Er hasste sie längst nicht so sehr wie Akira das vor dem zweiten Marsfeldzug getan hatte. Aber er kannte sie und wofür sie stand. „Henry, was machst du da?“
„Dir helfen. Oder weißt du es nicht zu schätzen, dass ich den Angriff unterbrochen habe? Ihr dürft jetzt übrigens auch mitspielen. Das sind mir doch ein paar zu viel.“
„Henry William Taylor!“, blaffte Daisuke.
Neben dem Epsilon wurde einem Eagle der Sensorkopf abgeschlagen. Verdammt, war der Bursche gut.
„Was ist jetzt, kommt ihr spielen, oder kriege ich den ganzen Spaß alleine?“
Daisuke schnaubte auf. „Dass ich mal froh sein würde, dich in einem Mecha zu sehen… Hekatoncheiren, zum Angriff!“

5.
Michi Torah betrachtete den Fernseher aus halb geöffneten Augen. Er wirkte verschlafen, aber das schien nur so. In Wirklichkeit raste sein Gehirn. Es liefen gerade Berichte aus aller Welt, Staaten, die die UEMF verließen und die Stützpunkte schlossen, waren das Thema. Acht autonome Republiken hatten sich den Amerikanern bereits angeschlossen, aber sie setzten ihre Forderungen bei weitem nicht so radikal durch wie es die U.S.-Truppen taten.
Acht von über zweihundert, das war zu verschmerzen, selbst wenn eines dieser Länder das stärkste erdgebundene Militär besaß. Aber was wenn dieses Beispiel Schule machte? Eines war Michi klar, die Amerikaner hatten einen handfesten Komplex, weil sie im Kronosier-Krieg Hilfe der Russen und der UEMF hatten annehmen müssen. Und es lag ihnen schwer auf der Seele, dass der UEMF-Rat das oberste Gremium dieser Institution war, mit Eikichi Otomo als Vorsitzendem und Executive Commander. Sie hatten nicht einen einzigen Vertreter im Rat, und das musste sie seit jeher gezwickt haben.
Es war offensichtlich, dass die Amerikaner diesen Komplex nun versuchen würden auszuradieren. Sie würden ihre Verbündeten versuchen dazu zu bewegen, ebenfalls aus dem Bündnis auszutreten, vor allem die Staaten, die noch immer in der NATO organisiert waren.
Was das westliche Europa anging, so sah Michi nicht viele Chancen. Frankreich war nur lose mit der NATO assoziiert und hatte bereits erklärt, dass es nicht aus der UEMF austreten würde. In Deutschland befanden sich einige der wichtigsten Militärbasen der U.S.A., aber auch die größte der UEMF in Mitteleuropa. Bestenfalls würden sich die Deutschen neutral verhalten, im schlimmsten Fall die Amerikaner vor die Tür setzen, da jene mit dem Austritt aus der UEMF und der Ausweisung der Truppen mehr Verträge gebrochen hatten als Michi Finger an beiden Händen hatte.
Sorgen machten ihm jene Staaten, die kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und kurz vor den kronosischen Offensiven in die NATO gekommen waren. Militärisch gesehen waren diese Republiken nicht viel mehr als Spielbälle der Amerikaner, ihr Militär nicht besonders hoch gerüstet, dennoch würde die amerikanische, regierungsfreundliche Presse jede einzelne dieser Nationen feiern als wäre es Russland selbst, das sich auf ihre Seite schlug.
Sorgenvoll schüttelte Michi den Kopf. Es war nicht so als würde wieder mal der Allmachtsgedanke bei ihnen zuschlagen, das Hegemonie-Prinzip, welches die Amerikaner seit ihrem ersten Präsident Wilson verfolgten. Nicht gegen eine UEMF, die mehr Kampfschiffe im Weltall hatte als die Amerikaner auf dem Wasser. Nicht nur, jedenfalls. Nein, seine größte Sorge war, dass die U.S.A. die Koalition verlassen hatten, weil dies Teil einer größeren Strategie war. Die Reste der kronosischen Organisation? Eine neue Verschwörung? War eines der anderen Häuser der Naguad in der Operation verwickelt, wollten sie den lebensnotwendigen Rückhalt für Akira Otomo in seiner Heimat unterminieren, um innenpolitisch besser da zu stehen? Es gab so verdammt viele Möglichkeiten.
Letztendlich fühlte er sich mehr als unwohl wenn er daran dachte, dass die AURORA schon in wenigen Wochen aufbrechen würde, um Akira zu suchen. Sie würden die Erde allein zurück lassen und… Nein, das war unfair gedacht. Eikichi Otomo, Torum Acati, Admiral Richards, das waren alles sehr fähige Männer, die die Erde schon weitestgehend zusammenhalten würden.
Außerdem waren sowohl die beiden Plattformsysteme als auch der Mars weiterhin fest in der Hand der UEMF und stellten damit ein nicht unbeträchtliches Druckmittel dar. Eikichi konnte die Amerikaner jederzeit vom Nachschub an Helium 3 abschneiden, und der hoch industrialisierte Staat würde das nicht besonders lange durchhalten. Und das war noch der freundlichste Weg, über den der Executive Commander verfügte.
Andererseits hatten die Amerikaner bereits einmal zu überraschen gewusst, nämlich als sie den Stars and Stripe aus dem Hut gezaubert hatten, einen Mecha, der in eine Leistungsklasse mit dem Hawk eingeordnet werden musste, wenngleich seine Modulbewaffnung leicht von Vorteil für ihn war.
Was, wenn das nicht die einzige Innovation war? Was, wenn die Amerikaner sich nun stark genug fühlten, um einen offenen Krieg zu beginnen? Nicht gegen die UEMF, aber gegen die Naguad? Torum Acati würde eine solche Provokation nicht hinnehmen.
Und wie Aris Taral reagieren würde, konnte Michi nicht einmal ansatzweise sagen. Der alte Mann war Sakuras und Makotos Großvater, und er war ein sogenannter Bluthund. Die Bluthunde der Arogads waren, so sagte man, die besten und gefährlichsten Leibwächter aller neun Naguad-Häuser. Und Aris Taral war dazu abgeordnet worden, das Leben seiner Großnichte Yohko zu schützen. Ob der Taral bereits einen Plan in der Tasche hatte, um den amerikanischen Präsidenten… Nun, diesen Gedanken dachte Michi lieber nicht zu Ende, denn egal wie viele Verträge die Amerikaner gebrochen hatten, eine solche Tat würde ein absoluter, nie da gewesener Affront sein, der Dutzende Staaten in ihr Lager treiben würde. So gesehen sollte Aris Taral den Mann besser beschützen.

Das Programm wurde unterbrochen, ein Live-Bericht angekündigt. Interessiert setzte sich Michi auf. Das Bild wechselte, zeigte die kalifornische Wüste, ein Stück der BISMARCK und eine ausgewachsene Prügelei zwischen Mechas.
Mittendrin war ein gigantischer Daishi, den Michi auf den ersten Blick als Epsilon identifizierte. Er focht Seite an Seite mit einem Phoenix, und selbst ein Laie wie er selbst konnte erkennen wie hilflos die amerikanischen Hawks und Stars and Stripes gegen diese beiden Gegner waren.
Plötzlich ließen die beiden Mechas von ihren Gegnern ab, flogen zur BISMARCK.
Die anderen Hawks der UEMF gaben ihnen Deckungsfeuer und hielten die amerikanischen Einheiten davon ab, nach zu stoßen. Dann erbebte die Kamera und der Kreuzer erhob sich vom Boden. Dutzende Mechas landeten auf dem Deck der BISMARCK, jederzeit bereit, etwaigen Verfolgern eine blutige Nase zu verpassen.
Na, das war ja ein Klasse Einstand für den neuen Mecha der Amerikaner, der als so überlegen gepriesen worden war. Michi erkannte mehr als fünf von ihnen am Boden. Konnte es etwas Demoralisierenderes geben? Dies hier war nicht Pearl Harbour, aber vielleicht die amerikanische Völkerschlacht bei Leipzig.
Zufrieden schloss der junge Mann die Augen. Es würde schwer werden, sehr schwer. Aber leicht war es für sie ohnehin nie gewesen.
„Schlaf jetzt ja nicht ein“, tadelte Akari und zwickte ihn in die Seite.
„Einschlafen? Ich? Mit der schönsten Frau dieser Welt im Arm? Niemals.“
„Schmeichler“, murmelte sie und schmiegte sich an ihn an.
Alleine das war es wert, durch all den Ärger zu gehen, entschied Michi Torah.
Blieb noch sein persönlichstes Problem. Juichiro Tora, sein Vater…
***
„Bitte lassen Sie mich auf unserer heutigen Sitzung“, sagte Juichiro Tora und ließ seinen Blick über die anwesenden Legaten schweifen, „einen ganz besonderen Gast vorstellen. Sie kennen ihn sicher alle. Es ist Michael Berger.“
Irritiert raunten die Legaten auf. „Wenn das ein Witz war, Legat Tora, dann war es kein besonders guter.“
„Wieso Witz?“ Er drückte einen Knopf auf seinem Tisch. „Bitte lassen Sie Herrn Berger nun ein.“
Hinter ihm öffnete sich eine Tür und der hoch gewachsene Deutsche trat ein.
Erschrockenes Raunen empfing ihn. Einige griffen zu ihren Waffen.
„Keine Sorge, Herrschaften. Ich bin weder bewaffnet noch bereitet sich in diesem Moment ein Einsatzkommando darauf vor, diese Versammlung auszuheben.“ Michael trat ans Fenster, sah hinaus auf die Silhouette einer amerikanischen Großstadt. „Abgesehen davon, dass die UEMF in diesem Land keine wirklich Macht mehr hat. Meinen Glückwunsch, das war ein sehr geschicktes Manöver, Legat Wilson.“
Der Angesprochene versteifte sich. „Was wollen Sie damit sagen, Mr. Berger?“
„Ach, ist Ihnen die andere Anrede lieber, Mr. President?“
„Bitte, lassen wir doch die kleinlichen Sticheleien und kommen zum eigentlichen Grund deines Besuchs, Michael“, bat Juichiro Tora ernst. „Du hattest mir gegenüber ein Bündnis erwähnt.“
„Richtig. Ein Bündnis. Und zwar zwischen dem kronosischen Legat, und meinem Naguad-Haus Fioran.“
„Das ist Verrat!“
„Nicht mehr als das, was Sie hier im Namen von Haus Elwenfelt tun“, konterte Michael. „Also, meine lieben Legaten, wollen Sie sich ansehen, was Elwenfelt in dieses Bündnis einbringen wird?“
Interessiert beugte sich der Vorsitzende Legat, Gordon Scott, der bis jetzt nur zugehört hatte, vor. „Na, dann lassen Sie mal sehen, Michael.“


Epilog:
Als der Biotank geöffnet wurde, streckten sich hilfreiche Hände dem kleinen Jungen entgegen. Er hustete und blickte sich irritiert um, aber er lebte und war laut den Anzeigen am Tank gesund.
„Akira?“, hauchte er und sah sich um.
Die hilfreichen Hände gehörten sowohl zu speziell aufgerüsteten Cyborgs, aber auch zu Freiwilligen, die eine gewisse Zeitspanne ihres Lebens außerhalb des Paradies in ihren eigenen Körpern verbrachten.
„Ich bin hier, Laysan“, sagte einer der Cyborgs, unverkennbar als Offizier ausgezeichnet.
Die Helfer halfen dem Jungen, sich abzutrocknen und legten ihm frische Kleidung an.
„Akira, bist du das wirklich?“ Ängstlich sah der junge Naguad an dem großen Roboter hoch.
Der ging in die Hocke und lächelte, soweit es die starren, unfertigen Züge zuließen. „Natürlich bin ich das. Aber ich werde nicht lange in diesem Körper bleiben. Wenn du einverstanden bist, dann verpflanze ich mein AO wieder in deinen Körper. Wir bilden dann wieder ein Team, Laysan. Wäre das in Ordnung?“
Der kleine Junge sah zögerlich in das Gesicht des Cyborgs, dann in die Augen. „Ja, das ist in Ordnung, Akira.“
„Gut.“ Die Augen des Cyborgs leuchteten unwirklich hell auf, dann erhob sich die Maschine und stellte sich selbst in eine Ecke.
Zugleich umhüllte den jungen Laysan eine hell strahlende, weißliche Aura, die mit jeder Sekunde an Intensität zunahm.
Der Junge wuchs, wurde größer, seine Haarfarbe, seine Augen veränderten sich, und nur wenige Augenblicke später stand Akira Otomo an der Stelle, wo vor kurzem noch der kleine Granadar gestanden hatte.
Auf der Brust des Otomos ruhte der schwarze fünfzackige Stern, der ihn zum Oberbefehlshaber über alle Streitkräfte des Cores machte.
„Akira, alles in Ordnung?“ Maltran Choaster, der seit über eintausend Jahren zum ersten Mal wieder in seinem eigenen Körper steckte, sah den Arogad besorgt an.
„Keine Sorge, Maltran. Das hier ist eine Art AO-Rüstung. Laysan befindet sich in der Mitte und schläft.“
„Kostet eine solche AO-Rüstung nicht immens viel Kraft?“, fragte der Iovar zweifelnd.
„Nur, sie zu erschaffen. Danach genügt ein Funke Energie, um sie zu erhalten.“
Akira Otomo klopfte seinem Untergebenen auf die Schulter. „Komm, lass uns diesen unsinnigen Krieg beenden gehen.“
„Ich halte es immer noch für ein unverantwortbares Risiko! Auch wenn ich mich heimlich mit einem Kampfschiff und einem freien Offizierscyborg ins System schleiche, damit du jederzeit eine Rückzugsmöglichkeit hast. Akira, warum riskierst du soviel?“
Der junge Mann von der Erde wandte sich dem Iovar zu. Er schnaubte frustriert. „Der Liberty-Virus, Maltran. Der Liberty-Virus.“
General Choaster erschauderte. Der Halb-Naguad rührte tatsächlich an der größten Gefahr in diesem Universum. Aber seltsam, irgendwie war Maltran Choaster, dass ausgerechnet dieser Mann vor ihm das Wunder vollbringen konnte.
„Akira, warte, du verrückter Kerl!“ Eilig ging er dem Arogad nach.

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Ace Kaiser,
Angry Eagles

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